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Daraus, Google
Daraus, Google
Daraus», Google
Adam Deblenfchläger’s
Schszehntes Bändchen
es
” @edrudt bei Beopold Freund in Breklau.
Adam Orhlenfchläger's
Werte
3um zweiten Male gefammelt,
vermehrt und verbeffert.
Sechszehntes Baͤndchen.
U}
Breslau,
im Verlage bei Iofef Mar und Komp.
1839.
oogle
Adam Orhlenfehlägers
Erzäblende Dichtungen.
Zweites Bänden.
Die Infeln im Lüdmeere. Zweiter Theil.
— —
Breslau,
im Berlage bei Iofef Mar und Kombd.
1830.
Die
Infeln im Südmeere
ein Roman.
Zweiter Theil.
1.
Bruchſtüce aus Eberbards Tagebuch
Mn das Meer.
Heiliged Meer, feh' ich dich wieder?
Dich, das in meiner Kindheit
Mit breiten Wellen das Geſtade fchlus
Anfern der Hätte,
@o ich Träume der Borzeit wieder träumte;
Und, wenn Sechunde ſich
Buf den troduen @teinen fonnten,
Meerfrauen fahr
Und den geimmigen Meermann,
Der · durchs falfche Getön feiner Lieder
Die am Strand’ wandelnde Jungfrau
Im die Tiefe lockiel
Jahre trennten mich
Geiliges Glement von Dir,
Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch.
Und ich ſah nur deine lieblichen
Elfentinder:
Benn ſich ein Bach durch Blumen ergoß,
Oder wenn ein Fluß 5
Den lufligen Städten vordeitog;
Oder wenn im Winter
Du das duntie Feld
Mit Lilien bededte,
Und wenn dein glänzendes Gis,
Bie Diamanten « Geſchmeide
‚Der entlodten Dryad' in den Ohren hing.
Graufig und wäR
Rennt dich des Thales Sohn,
Wennt dich des Berges Cohn,
Mber der Infel», der Küfe- Cohn.
Siebt dich mit Inbrupft
Wie der Schweiger, der Cchott’ feinen Feld ;
Und Heilige Tränen weint er laut,
Wenn deine freudige blaue große Fläche
Nach langer Trennung -
Seinen Blicken begegnet. -
Fürchterlich zwar · biſt du o Meer!
Anter deinem lacheladen Oimmels ſpiegel
Sauert der kalte Tod,
Und wenn du die Mähne fchüktelf,
» Zerbricht der mächtige Dreimaft,
Bie ein gebrechlich Epielseng in des Anaben Hand.
Serauer ergreift
Den muthigen Schiffer,
Sruhnäde aus Enerhards Tagebuch. 11
Wenn dad MReerwafier Bodıt,
Wenn die Wolke Re fenkt,
Und in faufenden Möhren
Vol difchender Wefierfälangen
Himmel und Grde
ie wůthend weffen;
Bern der Blig Durch die vafende Säule zuci
Bapoeit das Schiff mit matten Flügeln,
Ein Eperling im Sirbelwiud;
Des Muder entfint des Steurers Hand,
And dad Blut erſtarrt in den’ Mbern.
Ber ergründet deine Tiefe,
80 sndige rothe Eteinwälder ö
30 Juſein wachſen
Die einn Gras und Arduter,
Zugend und Safter der Menfchen tragen ?
80 die Niefenfchlange lauert,
Deren Kama aur dee Eifer
Staaweiſe gefehen,
And worüber die Ekalden der Borseit.gefabelt!
Doch huſtig und guthersig DR dis Iäpzoraiger!
Wenn dic Milde beherrſcht.
Dank achtet nicht der Menfch
Deiner polternden Rixen.
‚In Happeraden Tauen kletteri
Der Ratroſe keck
And begegnet dem Sturm
Mit Big und Echern.
In dunkler Racıt
12 Bruchſtüce aus Eberbards Tagebuch. _
Meder die Mehe gebüdt,
Fücchterlich über den Mbgrund geſchautelt
Seine Segel (hmürend.
Dann erfreuft du Dich Des Ccifs, .
Nach deinen Fiſchen und Bögeln
Künftlich gebildet,
Das die Belle benöltert;
Und eine leichte Bahn
Geöffnen du den Menfchen
Son Pol au pol
Bon Gerade in Beflade;
Bald im Rordmeer die Taue
Wit Eiſe betruftend⸗
Bald unter ſentrechter Sonne
Den Theer der Balten kochend.
And als fördernder Geleitämann
Biaſt der Yaflat aus vollen Baden,
Ein freundlicher Cherub,
Verdindend die alt’ und Die neue Welt.
Das Shift.
Sonderbares Haus! das den ganzen langen Weg mit
mat! Wenn der Wagen’ vor der Türe harrt, wenn der
Schwager in's Horn ftÖßt, und wir die Treppe zum Ießten
Mafe hinunter gehen, weilen die Augen mit Webmuth an
den alten Wänden der Heimath, da ergreift uns ein tiefer
Schmerz, weil wir die liebliche Gewohnheit, unſre zweite
Natur, verlaſſen follen.
Nicht fo das Shi! Als ein Fcenfhlog ſchwimmt es
auf den Wellen. Die Heimath folgt: Zimmer, Tiih, Fen-
fer, Spaziergang auf dem Verdet, Mafte, Segel, alles
Bruhfäde aus Gherbarde Tagebuch. 13
bleibt unverändert. Dieſelben Menſchen auch. Kaum würde
man glauben, man fei einen Schritt weiter vorgerükt, wenn
nicht Kälte und Hige, Vögel, Seethiere und Meerespflane
zen einen ſprechenden Beweis dafür gaͤden. Küften fahren
an uns wie Bolten vorüber; Schiffe noch ſchneller; nur
eine bunte Flagge, ein durch's Sprachrohr herüberhallender
Laut kündigt den Fremden an. Bald werden wir ſchwarze
Menfgen auf den Küften von Afrika laufen ſehen.
Der Kompaß.
Es war geftern eine ſtůrmiſche Nacht, ich konnte nicht
ſchlafen. Zog mid) an, und ſchlich zu dem Steuermann.
Sein kleines Zimmer war von einer Laterne erhellt. Un⸗
beweglich, die Augen auf die kleine Magnetnadel gerichtet
Ienfte er mit ftarker Fauſt das gewaltige Ruder. Wenn
das nicht Zauberet iſt, fo giebt «6 feine! Was Hülfen Plan-
fen, Segel, Bade, muthvolle Gefhäftigkeit, wenn nicht
der Meine Zwerg aus dem Berge uns begleitete, nicht im
Eifen wohnte, und mit feinem dünnen ſchwarzen Finger.
nach Norden zeigte?
Breite und Länge.
Der Magnet Hilft den Menſchen auf hoͤchſt einfache
Weiſe, dadurch. weiß er ſogleich in welchen Weg er ein⸗
lenken fole. Wo er ift, entdedt er aber nicht fo leicht;
um das zu erfahren, muß er zu feinem eigenen Verftande
die Zuflucht nehmen, da muß er die Polhoͤbe meſſen, die
Länge berechnen.
— Wohl möchte id; den Kompaß den fhlihten Grund»
fähen der Weisheit vergleichen, die Jeder kennt, und die
dennoch nichts Helfen, wenn man die Polböhe feines eignen
14 Bruhfüde aus Eberbarde Tagebuch
Selbſt nicht zu meſſen weiß, und Beinen erfen Meridian
des feſten Karakters annimmt, um dadurch die Länge der
Beit mit der Breite der Kräfte in Verbindung zu bringen,
I ſtehe immer gern bei dem Kapitain, wenn er die Pol⸗
höhe nimmt, and wenn fein treues kräftiges Auge bald zum
Himmel hinauf ſchaut, bald das metallne Inftrument be⸗
trachtet. B
Wolfgang
bleibt ſich immer gleich. IA fürdhtete, er werde ſich verän-
der, und ein ftolgeres Tälteres Wefen aunebmen, wenn wir
nichts als Himmel und Wafter fähen. Gewöhnlich miße
brauchen die Menſchen ihre Gewalt, und faum hat einer
über den andern einen Vortheil, irgend ein Uebergewicht.
fo läßt er ihn ſolches auf der Stelle empfladen. Doch nicht
alfo der grogmüthige Menſch. Unſer Meiner Seekönig, der
während der Neife faſt uneingefchränkt mad firengen Ge⸗
fegen herrſcht. geht freundlich und brüderlic, unter ung ein⸗
ber; und blidt Jeden von uns mit. eben dem offenen Auge
an, welches mid einnahm, als er mir im Theater die
Drange gab. _
Seekrankheit und Schaarbod,
Als der erfte Schiffer kübn mit dem leichten Bretter
geräfte die Wellen durchſchnut, jubelte er laut über die
Schnelle der Reife; und die früheren Beſchwerlichkeiten bes
trachtete er hochmůthig als ein bereits üherftandenes Uebel.
Um diefen Hochmuth zu demüthigen, und ſich an den Men⸗
ſchen zu raͤchen, die das Salzmeer zu durchtreuzen wagten,
ſandten grimmige Meermänner zwei Unbelde an Bord: den
Schwindel und den Schaarbed. Doch auch gegen den letz⸗
Bruhkäde ans Gherhards Tagebau . 15
teren diefer Kobolde, gährt im gefunden Gauerfrante ein
beilfames Mittel, Der Schwindel aber muß ſich ſelbſt hei⸗
len. Diefen Zribut zahlen naſeweiſe Landthiere, um in
—— der Servögel und der Fiſche aufgenommen zu
*
Abſchenliche Krankheit! die die edelſten Lebensgeiſter
angreift. Der Muth verſchwindet und man würde in ſol⸗
chen martervollen Stunden mit Freuden in die Tiefe ſinken,
und, um das Uebel los zu werden, ertrinken. Dazu muß
mon in diefem unglädlichen Suftande das Linderude Gefühl
des Mulelde ganz enthehren. Die abgehärteten Seeleute
geben gleihgältig umber, man wird mitten in der Qual
verfpottet und ausgeladıt; alle effen, trinken und ſchwaͤten.
während der Arme, bieid, wie eine Leiche, mit kaltem To⸗
desſchweiß auf der Stirne far den Geift aufgeben will. —
Freilich hat Diefe Krantheit felten ſchliume Folgen; und
mer Lönnte von Matrofen verlangen jedesmal Mitleid zw
"fühlen, wenn einem fremden Paflagiere auf dem Schiffe
übel wärde?
Ih din ſchljum Daran geweſen; jetzt befinde ich mich
jedod beſſer. "Hanna Hedtraft iſt, wie ih es dachte gar
nicht ſeekrank geworden. Dagegen hatten wir uns mit Litz⸗
bergen und Lademann ganz verrechnet. Alle glaubten, Ich
terer mit feiner zarten Gonftitution werde ſehr lelden, und
der derbe Ligberg ganz frei gehen. Umgekehrt! Lademann
befindet fi wie ein Bogel in der Luft, und iſt nicht eins
mal unpaß geweſen; Lihberg aber wälgt ſich noch auf der
Bank, und brummt wie ein verwundeter Bär, Seinen
Big und feine Laune bat er auf kem feften Lande zurüc⸗
gelaffen; das Einzige, wodurch ſich noch zuweilen feine derbe
Natur Lund thut, find Flüche, wenn.er die Dummheit ta
16 Bruhftüde aus Eherhards Tagebuch.
deit, die ihn davon abhielt, mit dem Ezaar der Moscowi⸗
ten nad) Rußland zu reifen, wo fein. Baffer if. Er
bat dem Meer einen eroigen Haß geſchworen, und ift bei⸗
nah waflerfhen geworden. Kapitain Wolfgang lacht, rd»
ftet ihn und fagt, es werde bald befier werden. Er hat
ſich ein Meines Schwefel- Kiffen von Hanna Heicaft nähen
laffen, und dies auf die Herzensgrube gelegt.
Der Wind.
Einmal nur hat mir der Kapitain ein faures Sehidht
gemacht, und mich mit einem trocknen: „Das weiß ih
nicht!“ abgefertigt, als ich ihn nach Langer Windftile frug,
ob er nicht glaube, dag mir bald guten Wind befämen? -
Nachher hat mir Herr Cramer, unfer Schiffs⸗Arzt, ein
fehr geſchicter verNändiger junger Mann, erzählt, ein Aber
glaube verbiete den Seeleuten vom Binde zu ſprecheu. Auch
pfeifen darf der Matrofe nicht, weil er fürdtet, den guten
Bind damit wegzufheuchen.
Allen ſolchen alten Gebräuchen, wenn fie and mit
Vorurtheilen verbunden find, Liegt irgend etwas Bahres
und Ehrwürdiges zum Grunde. Die günftige Seefahrt
hängt vom Glüde ab, darüber läßt ſich nichts voraus far
. gen; wenn fi nun nichts darüber fagen Lägt, fcidt es ſich
auch nicht, darüber zu fhmapen. Was das Pfeifen be
frift, fo erinnert diefer Laut an Sturm und Ungewitter;
und es fiegt etwas Unverfhämtes und Freches darin, daß
der Menſch, der ſich auf einem ſchmalen Brette dem Gier
mente vertraut, felbft in ſchͤnem Better des möglichen Une
slüds fpotte, indem er den Ton des pfeifenden Ungemittere
nachahmt.
Bruchſtücke aus Eherbards Tagebuh. 17
Seel und Blassen.
Ohne Wind hängt das Schiff mit den Segeln, wie
ohne Regen die Blume mit den Blättern; wie ſich aber
nad) einem frifhen Maienfhauer alle grünen Knoſpen ent»
falten, fo ſchwellen die Segel im Binde. Das große Mars»
fegel, die Tode, das Befan, die Blinde, das Bram- und
Bovenbramfegel entfalten ſich wie breite Blätter an der
Palme, und als Blume glänzen und flattern die reizenden
Bloggen droben und binten. Hoch in der Luft fhmalzend
und ſich ſclaugenförmig ringelmd kündigen ihre helle Far ⸗
benſlecke dem fern vorbeiſegelnden Schiffer das liebe Bater-
land, mitten auf dem ungeheuereu gegenftandlofen Meere,
das Allen und Niemandem gehört, freundlich an.
Die Bafferfurde,
Steh ih hinten im Schiffe und betrachte die tange
Furche, die der Scifietiel Hflügt, und die bald wieder vom
den Wellen ausgeglättet wird, fo tritt mir oft eine Thräne
der Behmuth und der Demüthigung in’s Auge. So find
der Menſchen Thaten! Und doch ift es ja befler, daß diefe
Furchen wieder ansgeglättet werden, als daß fie alle dort
ftegen Hlieben, und mit ihren unzähligen Strichen den (hör
nen Wellenſpiegel verunftakteten. u
Kein Tabatrauden.
Ob wohl ic ſelbſt feinen Tabak rauche, bedaure ich
doch die armen Matrofen, die ſich auf dem Schiffe dieſen
Genug verfagen müflen; wirgends Lönnte es ihnen ange»
sehmer und eranidlider" fein. Im Nebelwetter erheitert
eine friſch gezündete Pfeife, wie im Winter das Dfenfener
Dedient Schriften XVI.
18 Brucftäte aus Eherhards Tagebuch,
in der kalten Stube, Der Vorfiht megen, mäffen ſih aber
die Tuftigen Burfcpe, wie ‘die Ochfen im Selde, mit dem
traurigen Kauen begnügen.
Das Zufammenleben.
So frei auch das Schiff seht, fo uneingefhränkt und
wiltüprlih aud feine Bahn ift, fo einförmig und einges
ſchraͤnkt ift Dagegen auf einer langen Reife das Schiffsleben
felöt. Man wundert fi, daß häufig auf folhen Reifen
Unfreundſchaft und Haß unter der Mannſchaft entſtehe.
Sie folte ja eben, fagt man, recht zufammenhalten und
fi) lieben; da fie ein Meines Vaterland in der Fremde ause
macht. Fteundſchaft und Gefelligkeit muß aber aus freier
Wahl und Neigung entftehen. Wenn nur äußere Umftände
Menſchen von verfdiedener- Gefinnung znfammendrängen,
entfteht ofters etwas Böfes als etwas Gutes daraus. Des-
balb trifft man eben in Familien fo viele Mignelligkeiten.
Auch die Langeweile am Bord trägt viel zu Zänfercien bei.
Unfer Schiff ift in der Nüdfiht jedod eine glüdkihe Aus⸗
nahme, es herrſcht ein fehr guter Ton, und Bolfgangs
heitre männlthe Freundlichkeit verbreitet fih wie Sonnen⸗
‚ (dein Über das Ganze.
Das grüne Vorsebirge.
Dem Pic auf Teneriffa fegelten wir vorüber, und ich
tonnte nur aus der Ferne den hohen Berggipfel betrachten;
jeßt naheten wir ung dem grünen Borgebirge. Bern man
ſich lange auf dem öden Meere herumgetrieben hat, erfreut
es das Yuge außerordentlich, wieder ein grünes feſtes Land
au fehen. Sp ging es auch mir, als der ſchöne Fels mir
aum erften Male in der Morgenröthe entgegen trat; und
Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch. 19
id) hoffte befiimmt, der Kapitain werde an einer dieſer Ins
fein antern, damit wir uns dort erfriſchen Fönnten. Gr
fagte jedoh: Bewahre mid Gott, daß ih es ohne Noth
thun folte. Laſſen Sie ſich durch dieſen grünen Schein nicht
blenden. Auch die Fäulniß iſt grün! Dies Klima iſt das
ungeſundeſte in der Welt!
Bas wollen die Menſchen denn in dieſem. Faulloche?
frug ih. — Sie wollen hier das bee Mittel gegen die
Säulnig-holen, erwiederte der Kapitain; es giebt dort ein
febr ſchoöͤnes Salz, das in großer Menge mit ihren Scifr
fen ausgeführt wird.
So in Gegenfägen wigig hielt oft die Natur mit ib
ren eignen Wirkungen; bei dem Gifte findet fi immer das
Gegengift,
Die Sqildkroͤte.
Ich hatte einen ſolchen Etel gegen die grünen Infeln
befommen, daß mid, aud eine grüne Schildkröte, die ſich
der Kapitain von einigen Fiſchern erhandelt hatte, anekelte.
Als das Thier aber in Madera mit trefflichen Spezereien
gelocht war, und ſich die andern die Schuͤſſel wohl ſchmet⸗
Een liegen, bekam ich auch Luft, und muß geftehen, daß es
ein gutes Eſſen ſei. Litzberg liebt befonders diefe Speife;
er iſt völig Hergeftellt, und bat feine alte Laune wieder
bekommen. Lademann bat fi die Schaale der Schild-
Eröte aus, er hat Darmfeiten darüber gefbannt, und dem
Beinen Schiffszungen Jack mit der Leier ein Geſchenk ger
macht. Er wunderte ih, als ich ihm erzäßlte, dies Inftru-
ment fei ſchon fehr alt, und Mercurius fei der Erfinder
gewefen. Es iſt rührend mit ſolchen Menſchen von Genie;
fe wiſſen oft gar nicht, was Andre vor ihnen gedatt oder
2 Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch.
aethan haben; und doch tůauen fe alles ſelbſt erdenken und
verfertigen,
Ligberg‘
ſtrebt jegt ein volkommener Dlatrofe zu werden. Er klet⸗
tert weidlich in den Tauen. IA bin um ihn bange, weil
er etwas fteif und corpulent ift. An ghmnaſtiſche Uebun-
gen von Kindesbeinen an gewöhnt, folge ich den Matrofen
Teicht in die Höhe; weil ih es nun aber wagen darf, will
auch er es thun. Ich fühle felbft, dag er dabei zehnmal
mehr Muth zeige, als ih, denn an feiner Stelle würde ich
es gewig nicht wagen. Hier kömmt ihm aber feine Befon-
menheit, feine eiferne Beharrlichteit und fein gutes Auge
mohl zu ftatten. Wir haben ſchon cin Paar Mal mit ein-
ander im Maftlorbe unfern Morgenkaffee getrunken.
Die Tabakinſel.
Geftern trafen wir einen Meinen Felſen mitten im
Meere, mit einer Sandbant; weil nun der Wind fid fait
ganz gelegt hatte, warfen wir Anker. Warum? Blos um
auf der fhönen weißen Sandbant im Schatten des Helfen
Tabak zu rauchen. Nings um eine Feuerſtätte, wo der
Kaffee gekocht ward, lagerten wir uns. Hätte Homer den
Tabak gekannt, würde er gewiß mit großer Behaglichkeit
don Genuß fo geſchildert haben:
„und fie erhoben die Hände zu Enaflerduftenden "pfeifen,
Mber nachdem fle gedampft, ald die Luft mit Wolfen gefünt war,
Da erfreuten ſie fich im Wechfelgefpräch mit einander.
Motbed Meer.
Bir kamen Beute durch eine Meerftrede, die won ro ·
ſhen Krehlen ganz gefärbt war. "Senderbare Erſcheinung
Bruchſtuͤte aus Eberhards Tagebuch. 2
die nur in dieſen Gegenden au finden iſt. Bir wollten die
Krebfe toften, als fie aber anf den Tiſch Famen, waren fie
tod. Der Koch hatte geglaubt, fie fein ſchon im Meere
gekocht, weil fie roth wären. 5 .
Der Han.
Bir haben beute alle mit größtem Bergnägen unfer
Mittagsefien eingebüßt. Der Koch hat cinen Ochſen auf
dem BVerded geſchlachtet; und wollte das Fleiſch in Stüde
bauen, während fein Sohn, der Meine Jack. mit der Schild»
trotenſchaale am Schiffsrande leierte und fpielend herum
lief. Ehe er es ſich aber verfah, verlor er das Gleihger
mit und fiel in’s Meer. Sogleich warfen ihm einige Ma-
trofen ein Tau zu; mit Todesſchweiß auf dem bleihen Ge⸗
ſichte ergriff indeß der Vater den ganzen gefhundenen noch
blutenden Ofen, und warf ihn über Bord. Bir flaun
ten alle, und glaubten, der Mann babe den Kopf verloren.
Bald aber Löfte ſich das Näthfel, als ein fürdterliher Hay,
den das Baterauge glüdlierweife früh genug entdedt hatte,
den häglihen Hammerkopf mit den glühenden Blutaugen
über die Wellen erhob, den ungeheuren Rachen auffperrte
und den Ochſen, deſſen gefhundenes Fleiſch ihn mehr als
der befleidete Knabe anlodte, verfhlang. Der Knabe ers
griff gluͤclich das Tau, und mit Blißzesſchnelle kletterte er
30 dem Berde hinauf, während ein zweites Ungeheuer ſich
mahete, und nach ihm ſchnappte, gerade als er hoc genug
heraufgekommen war, um nicht in Stüde geriffen ‚u wer-
den. Belhe Scene, als der zitternde Vater den lieben
wiedergefchenkten Knaben an feine Bruft drücte! Wir fonn-
ten den glücklichen Zufall und des Vaters Geiftesgegenwart
nicht genug loben. Hätte er heute den Hay nicht beſſer ale
D
22: Bruhftüde aus Eberhards Tagebuch.
geftern die rothen Krebſe gekannt, fo wäre der Meine freund»
liche Arion vom fürchterlihen Delppin verſchlungen worden.
Der Starm.
Man muß alles verſuchen, jetzt haben wir auch einem
Sturm erlebt. Wunderbarer Zuftand, wo zwei Elemente
müthend mit dem ſchwach verflammterten Kaften Ball ſpie ⸗
len, und ibn zu zerſchellen drohen. Im ſolchen Augenblicken
muß man den Muth der Matrofen und Lie Befonnenheit
des Befehlehabers erft recht bewundern. Sie arbeiten im
Sturme fo muthig fort, als der Tiſchler an feiner Hobel
bank, oder der Nomade, wenn cr im guten Wetter ein Zelt
auf dem grünen Zelde ausfpannt. Daher fdreibt ſich der
Witz, der Stolz und die Laune der meiften Seeleute. Diefe
wihige Laune ift nur eine Gedantenabbreviatur, weil keine
Zeit zum ſchwatzen iſt, eine Blume, nicht der Lebens», viel⸗
mehr der Todesphiloſophie, weil fie täglich ftelz mit dem
Tode fielen, und ihn mit Verſchlagenheit hintergehen. Der
nãmliche Trop verbindet ſich fo mit einer gewiſſen frommen
Refignation und diefe Mifhung von guter Laune und ftil-
ler Melancholie ha tetwas ſehr Liebenswürdiges.
Die Noth ift vorüber; id) läugne nit, dag mir bang
gewefen fei; doch konnte ich nicht umhin, auch den Buftand
der Andern zu beobachten. Unfer licher Magifter Schmels
zer verhielt ſich während der Anftrengung ſchweigend und
ernft; er drängte fid) nicht hervor, um die Leute mit Beten
und Singen zu ermuthigen. Als aber die Gefahr vorbei
war, frat er mit der Bibel und dem Geſangbuche aufs
Berded, und rief: Nun Kinder, laßt une Gott danken, der
uns in diefer großen Noth beigeftanden hat. Und mit fröm«
merer Inbrunft iR wohl das fhöne Lied: Nun dantet alle
Sruhfüde ans Eberharde Tagebuch. 23
Gott! nie gefungen worden. Es war eine. Freude, den gu⸗
ten Wolfgang dabei zw fehen, der fid) kurz vorher wie ein
Loöwe gebaͤrdet hatte, und jeßt wie ein Kind meinte.
Hanna Helfraft verhielt fih während des ganzen Ere
eigniſſes ſtumm und troden; nur einmal, als es Ernft zu
werden drohete, rüdte fie in der Kajüte mit ihrem Stuble
zu mir, und ſprach: Cherhard, Tag mid) meinen Arm um
Deinen Leib fhlingen. — So ſaß fle wieder ruhig, und
Gielt mid in ihren Armen. Ih verftand die treue Seele
fehr wohl: fie wollte mit mir fterben. Als aber die Ge
fahr vorüber war, und id ihr Betragen deuten wollte, ließ
fie es gar nicht gelten, und fagfe uns, es wäre ihr in dem
Augenblicke ſchwindlich geworden.
Lißberg ging mitten unter dem Sturm zu Bette, nach⸗
dem er ung allen mit einem freundlichen bedeutungsvollen
Händedrud und Blid gute Nacht gefagt. Ex verfuchte
au ſchlafen, und Einige meinen, er habe wirklich geſchlafen,
wie es am ärgften tobte. j
Lademann fa wie ein DBerklärter in der Kajütenthüre
und horchte dem Sturm, dem Kiappern in den Tauen,
dem Heulen des Windes, dem entſetzlichen Braufen der Wels
Ien mit großer Berwunderung und Aufmerkfamteit zu. Dan
bemertte bei ihm feine Furcht; als ſich das Ungewitter ger
legt hatte, faß er noch fange ftaunend in ſich ſelbſt gekehrt.
Ich ging bin, rättelte ihn am Aermel, und rief: Lademann!
Der Sturm hat ſich gelegt. — Weiß wohl, fagte er feuf-
send; ganz göttlih! Das waren mal Fugen und Chöre.
Ein Concert fonder gleihen! Aber auch welche riefenhafte
Inſtrumente! Und welde Lungen fie zu blaſen! Beld ein
Vedal in der Orgell Er ſchwur darauf, er habe das fünf-
geftricpene O deutlich gehört; und die Piccoleflöte des Win
2 Bruhräde aus Eberhards Tagebuc,
des habe ihm ganz vorzüglid gefallen. Er babe beute
Nacht unendlich viel gelernt, zweifle aber, das alles aufs
Papier bringen zu können.
Das Shift Hat einigen Schaden bekommen, und wir
And wieder zuräd nach Temeriffa getrieben; jept werben wir
dom dort anfern mäffen.
22.
Fortſeßzung aus Eberhards Tagebuch.
Tenerifta
Alſo kamen wit doch nad) den glüdfeligen Inſeln der
Alten; und in der That, als wir bei Oratava anferten,
und die fjöne perſpectiviſche Landfhaft mit dem hoben Mic
fahen, der über die Berggipfel, wie der Kölner Dom über
die Bärgerhäufer hervorragte, konnten wir und nicht genug,
wundern. Ich habe von Kindesbeinen an die canarifchen
Infeln geliebt. Ein Kleiner Jugendfreund, aus diefem Lande
gebürtig, hatte mit mic fünf Jahre auf meiner Stube ge»
lebt. mir taͤglich vorgefungen, und als der Beine gelbe Saͤn⸗
ger ſtarb, hatte ich ihn mit Thränen in den gelben Taffet
getleidet, im eine Nürnberger Schachtel eingefargt, und in
unferm Garten begraben. Aud von dem fhönen Canas
rienſect wußte ich zu fagen. An allen Grburtstagen ward
von dieſem koͤſtlichen Beine hei meinen eltern getrunken,
und id befam dann auch meinen Beinen flbernen Becher
vol, um mit anzuftogen. So hatte ich mir in meiner jus
Fortfegung ans Eberhards Tagebuch. 8
gendlichen Phantafie ans dem fügen Befhmad des Secte,
dem luſtigen Geſange des Vogels, und der goldhellen Farbe
beider, ein feenbaftes Bebilde zufammen gewebt; umd id
ann nicht fagen, dag die Wirklichkeit Hier, wie es doc oft
ve Bat iſt, dem Bilde der regen Phantaſie habe meiden
müffen.
Litzberg ſchlug vor, eine Wanderung nach dem Pic vore
zunehmen ; ich hatte indeg Feine Luſt ihn zu begleiten. Bon
dem Pic hatte ich gelefen, und wußte, dag man viel von
Kälte und Hige ausſtehen müfle, um hinauf zu gelangen.
Bir fehen ihn doch bier am beiten, fagte ih; es if mit
ihm, wie mit dem Negenbogen, er muß in der Ferne ber
trachtet werden; wo er ſelbſt if, ift nichts. 7
Herr Wolfgang ſah aud nicht gern, daß Litzberg diefe
gefährliche Wanderung unternahm. Hab’ id nun einem
vorzüglihien Mann der Infel Felſenburg fo nahe gebracht,
ſprach er, damit er fi auf Teneriffa in Gefahr begebe?
Barten Sie, bis wir nad) Felfendurg kommen, da giebt's
Berge genug, da Lönnen Sie Hettern. Litzberg aber, deſ⸗
fen größtes Vergnügen darin beſteht, Schwierigkeiten zu
überwinden und tieffinnig zu fein, ließ ſich das nicht aus -·
reden. — Lieber Mann! fagte er, laflen Sie jedem Thiere
feine Gewohnheit! Wollen Sie mid gefangen halten, fo
machen Sie «6 wenigftens fo (lan; daß ich es nicht gewahr
werde. Legt man do ein Stüd grünen Raſens in der
Lerche Käfig, um ihr einzubilden, dag fie mod im Felde,
ſchmettere. Dem Bären pflanzt man eine Stange in feinen
Bezirk, damit er nach Herzenefuft tlettern könne, und mir,
der id doch ein Menfd bin, wollt ihr das Klettern verbie ·
ten? Laßt Euch durch diefen gemaͤchlichen Poeten nur nicht
26 Fortſeßung aus Eherbards Tagebuch.
irre leiten. Poeten Fennen von der ganzen Flora nur No-
fen, Lilien und Vergigmeinnidt.
Lademann hatte auch keine Luft. die Himmelfahrt mit
zu machen, weil er aber feinen Freund in Gefahr nie ver-
laſſen will, folgte er ihm treu.
Ich werde während der Zeit mit dem großen Boote
eine Meine Zuftfahrt um die Infel maden.
Eucverlorem.
Allein mit meinem treuen Pudel Sudverloren, ließ ich
mid) vorgeftern von zwei Matrofen herum rudern; wo es
der Wind erlaubte, fegelten wir. — Bei der Stadt Gui-
mar fteuerten wir ans Land. Es verlangte mid, die En-
kel der vorigen Wilden zu fehen. Sie wohnen jegt in klei⸗
nen Hätten; und gehen wie Bettler in Lumben einder. Ihre
vorige Bräftige Wildbeit haben fie verloren, von der euro.
päifhpen Bildung haben fie nichts erwiſcht. Hier bereitete
mir der Zufall ein Abenteuer, das mir leicht das Leben
bätte koſten können.
Ich fpazierte, nachdem ich ein Meines Mittagsmahl ges
noffen, mit meinem Pudel im Walde. Die Mattofen blie⸗
ben im Boote, und id) verſprach, innerhalb drei Stunden
wieder zu kommen. So made id) denn einen angenehmen
Spaziergang; weil es mir aber zu heiß ward, rubte ich
unter einem Abhang des Berges, nahm meinen Krug mit
Limonenfaft, nebft meinem Becher hervor, und miſchte den
kühlen Tranf der Duelle mit der angenehmen Säure, wäh«
rend ſich der Pudel ſchlicht hin mit dem fließenden Waſſer
begnügte. Drauf ftredte ich mid hin unter den Baum, der
Hund aber fing an zu fpüren, und plöplih ſah ich ihn in
Sortfehung aus Eberhards Tagebuch 27
eine große Hößlenöffmung, die faſt ganz von Gehäfh be⸗
dect war, einfhlüpfen.
Wohl hatte ich meine geladene Flinte und meinen
Hirſchfanger mit; ich fühlte mid) aber dennoch nicht ver»
ſucht. in die unbefannte Erdpöhle mit hinein zu gehen. Es
dauerte nicht lange, fo kam der Pudel gurüd, ſah mid an,
beilte,. und zupfte mich, als ich ihm noch nicht folgen wolle,
am Kleide.
Die Neugier fing bei mir an zu fleigen; ohne mid
lange zu bedenten, folgte ih.
Bir (ib und der Hund) kamen in eine hohe Grotte,
die durch das Licht, welches oben durch eine Oeffnung fiel,
ſchwach erleuchtet war. Es war fehr kalt da, und es fing
an, mir unhcimlicher zu werden. Ich dachte an die ver»
wundeten Lindiwürmer meiner Kindermährchen; bier wäre
es nicht unmöglid), daß ſich eine ſolche Beſtie aufhalten
Pönnte. Bas ic zu fehen befam, erſchrecte mich fat eben
fo fehr, als ein Lindwurm oder Boafdlange es vermocht
hätte. Ich entdedte eine große Menfcengeftalt, die an der
Band fteif aufgerichtet ſtaud, und mic mit hohlen melan-
choliſchen Augen anftarrte. IA griff nah meiner Slinte,
zielte auf den Fremden und gab mit Geberden zu verfle
ben, daß er ein Mann des Todes fei, wenn er fich einen
Schritt näher wage. Wie erftaunte ich aber, als ich eine
ganze Reihe folder braunen Niefengeftalten an der Wand
aufgeftelit ſah, die mic alle unvermandt mit trüben Augen
angrinzten. IA entdeckte bald, dag es Mumien waren, in
Biegenfellen mit Riewen fehr fauber und napp eingenäbt.
Die Haare hatten fie noch an den Köpfen, und ic konnte”
die verfähloffenen Hohlaugen, Nafen,, Mund und Obren,
deutlich unterſcheiden. IA mußte beinahe darüber laden,
28 Sortfehung aus Eherhards Tagebuch.
daß id den Mann des Todes mit dem Tode bedroht hafte.
Die Haare ftiegen mir aber zu Berge, als ih 3 bis 400
folder Zeihname in der großen labyrinthiſchen Höhle ent-
deifte; wovon viele an der Wand aufgeftellt waren, viele
auf dem Boden lagen. Abſcheuliche Gewohnheit, dachte ich
das ſchon Verdorbene als etwas Unvergänglihes zu bewah ⸗
en. Barum bin ih aber fo naͤrriſch, etwas Gefvenfterar-
tiges in diefen trodenen Hülfen zu fehen? Was fürchte ih?
Rechne ich mic) zu ihnen oder nicht ? Thu' ich es? Bes,
bald fürdte ich denn meine eigenen Kameraden? Ehu’ id
es nicht? warum zittert denn meine jagende Seele? Eine
leiſe Stimme ſpricht: So wirft dereinft auh Du! Das ift
nicht wahr! Welcher Dun fol fo werden? Mein wahres
Ich, mein Geift, kann nicht fo werden. Und was frag ich
nad einem alten Lumpen, den id weggeworfen?
Dieſe Gedanken gaben mir den Muth zurüd; und jeßt
machte es mir fogar Vergnügen, herum zu gehen in der
Zodeshalle der alten Guanchen, die wie die Aegvptier ſich
auf das Balfamiren trefflich verfkanden hatten. Bald ward
ih doch meiner Unterfuhungen müde; denn die Leihname
ſahen ſich alle gleich, und mic, verlangte wieder nad dem
Grünen und der Sonne.
Heiliger Gott, wie erſchrak ih, als ih den Ausgang
der Höhle nicht finden konnte; die Gänge kreuzten ſich, fas
ben ſich alle glei; überall ſtanden die Mumien für mid,
wie zum Spott, in zwei Reihen aufgeftellt, als Trabanten
«zum Orkus, der mich nun aud) einlud. Gerechter Himmel,
dachte ich, Hin ich denn wieder in Gefahr, lebendig begras
dig begraben zu werden? Soll id jetzt bier unter fo vie⸗
len Leichnamen allein vermodern? Hier ift kein Obadias
Schlenk, der mid reiten kann. Sein gräßlihes Bid am
Fortfepuug aus Eberbards Tagebuh- 29
Sochsgerichte ſtellte ſich auch aoch meiner gereizten Phantaſie
dar, und es ſchien mir, als ſchwebe fein Geiſt an den Mur
wien vorüber.
Ic lief wieder, aber vergeblich. Zuleht fepte ich mich
erſchoͤpft auf einen Stein und Tieß die Augen zu Boden
finten. Da ftand mein ehrliher Suchverloren vor mir, we ⸗
deite mit dem Schwanze und ſtarrte mid) an mit den treuen
blauen Augen, die im Duuteln glänzten, und eim erquidens
des Lit von ſich gaben. Ein Strahl der Hoffnung ging
wir auf. Sudverloren, — fprad id — (und diefer Name
din mir in diefem Augendblick ſehr bedeutungsvol und
brophetiſch gemäblt zu fein) du haft deinen Herrn herein
gebracht, kannt du ihm wieder binaushelfen? Suche den
Ausgang wieder auf fonk find wir verloren. .
. Der Pudel fdien feinen beängftigten Herrn zu verſte⸗
ben, er fah mid) wieder an, wedelte, lief umber, roch am
der Erde, um unfere Spur zu finden, verdoppelte feine
Scricte, und ic folgte ihm berzllopfend, obſchon er einen
Weg einſchlug, der tiefer in den Fels zu führen ſchien. Zu ⸗
weilen tief er fo ſchnell, dag ich ihm nicht folgen konnte,
ich fiel und umarınte eine todte Frau, deren Mund mit den
braunen Zähnen meit ofen Rand. Bild richtete ich mid
mieder auf. Der Hund war weg. Sudverloren! rief ic,
verläßt du deinen Herrn, dann muß er bier Rerben. Wie
Noabs Taube mit dem Delblatte am aber das edle Thiet
wieder, mit der Limonenflaſche in den Zähnen, die ih uns
ter dem Baum hatte liegen laſſen. Glüdlices Zeichenl
Treuer Gefährte) rief ih. Ich nahm mir einen Zug aus
der Flaſche, um mic zu ſtärken und folgte dem Hunde,
der bald freudig herum fprang, bald langfam ging, um
mich nicht zu verlieren. Es dauerte nicht lange, fo ſtand
30 Fortſehung aus Eherhards Tagebuch.
id) wieder unter Gottes blauem Himmel, von grünen Sträus
- den umringt, von warmer Luft umweht, und fab in der
Berne den Fels feine. weiße Pyramide durd die Wolfen
freien. Ich ing ſogleich nad dem Strande. Die Boots
leute erwarteten midy mit Ungeduld, denn es waren fhon
mehr als zwei Stunden über die verfprodhene Zeit verflofe
fen. Bir fepten uns in den Kahn, mein treuer Pudel mir
zu den Füßen. Id umarmte meinen Befreier, und ver
ſprach ihm einen Halsband, worin feine That eingegraben
werden follte, durch das ſchlichte Wort feines eigenen Nas
mens: Suchverloren!
Der pic.
Als wir wieder bei Dratava landeten, fanden wir den
Gapitain in voller Arbeit auf feinem Schiffe. Die Freunde
Maren von dem Pic noch nicht zurüd gefommen. Um mir
die Zeit zu vertreiben, auch um einen Spaß mit Litzbergen
au haben, und ihm feine Nofen, Lilien und Bergigmein-
nit einzufalzen, holte id) einige alte Reiſebeſchreibungen
aus der Kajüte und las die Erzählungen von dem Pic, fo
dag ih in Kfirzem mit diefem Berge fo vertraut war, ale
hätte ich dort Zeit Lebens gewohnt, und alle feine Merte
mürdigkeiten mit eignen Augen gefchen.
Am nähften Abend gegen Mitternaht kamen Lipberg
und Lademann ganz erfhöpft von der Reife zurück. Der
Gapitain ließ ihnen ein gutes Abendeffen bereiten, die Wan⸗
derer färften ſih ſchweigend; dann ward eine qineſiſche
Bowle mit Glühwein auf den Tiſch gefeht, Pfeifen anges
ftedt, und nun follte das Erzählen angehen. Id bat mir
die Erlaubniß aus, anzufangen, und Lißberg verfepte fböt«
tiſch: Ach das ift ja wahr, Ihr und der Hund habt euch
Sortfegung aus Eherhards Tagebuch. 31
herum rudern laſſen. — Bitt' um Verzelbung, antwortete
ich, ich bin auf dem Pic geweſen, und habe mir da aller⸗
lei Rofen, Lilien und Bergigmeinnicht gepflüdt. — Ihr auf
dem Pic? fragte Ligberg vermundert. Haben wir uns doch
da fo ziemlich umgefeben; Euch haben wir aber nicht
entdedt;
Als Ihr wengegangen war't verfeßte ich, fand ih aud,
daß es ſich nicht ſchite, nad) Teneriffa zu tymmen, ohne
den Pic zu befehen. Ich folgte Euch alfo auf den Ferfen,
und es mundert mid nur, dag Ihr mich nicht gefehen;
Euch habe ich beinahe nit aus den Augen verloren. —
Drauf kramte id) meine ganze Gelehrfamteit aus, erzählte,
wie id) erft geritten, dann zu Fuß gegangen wäre, weil die
Haare den Pferden wie Borften in die Höhe geftanden; wie
der mitgebrachte Wein mir in den Flaſchen fo falt gewor⸗
den, daß id ihr nicht frinfen”Tonnte. Auf der Spige ſei
der Wind fo heftig geweſen, daß ich mich nur fo lange aufe
balten Fönnen, bis id mein Gewehr abgefeuert und die Ge⸗
fundgeit Sr. Majeftät des Königs getrunfen Habe. In den
Krater Hinunter zu fteigen, um Schwefelblumen zu pflüden,
dazu Habe ich eben nicht hefondere. Luft in mir gefpürt, um
nicht das Schilfal des Cajus Plinius Secundus zu theilen.
Im Hinunterfteigen freute mich aber der Rieſenſchatten des
ungeheuern Pics in der Morgenröthe unendlich, weil er
nicht blos über die Infel und das Meer, fondern auch hin-
aus in die Luft feinen Lauf fortfege, und fo zu fagen den
Himmel verduntelte
Diefe Erzäplung, die id) mit vielen characteriſtiſchen
Beſchreibungen ausftaffirte, feßte Lademann, der zerftreut
ubörte, in das größte Erftaunen. Gr konnte gar nicht bes
greifen, wie ich da geweſen ſei ohne dag er mich gefehen habe.
32 Jortfegung aus Eberhards Tagebuch
Eine ſolche Neife nod einmal machen, rief Bademanıı,
nein, dafür bedanfe ih mid. — Barum nicht? frug ib.
ESieift fehr-Teiht auf dem gepolfterten Felſen au machen.
Stredt Euch auf den Sopha, da habt Ihr die Neifeber
ſchreibung des edlen Ritters Edmund-Scory, darin könnt
Ibr es alles Iefen.
Shlag das Wetter drein, rief Lipberg, mit diefen ver»
fluchten Bädern, diefen Efelshrüden, wodurd die faule
eitle Belt eine oberflaͤchliche Kenntnig von allen Dingen bes
kommt, ohne fi anzufirengen! Diefe Dilettanten wiſſen
immer fehr gefickt durch leichte Lectüre den Rahm von der
Milch zu ſchäumen.
Bas hab’ ich nun davon, daß ich mich geſtern in Le⸗
bensgefahr gefeßt habe, um den Galdera ein Biffel näher
au unterfuhen? — Cie haben die Gnade der Götter era
fahren, antwortete idy; fein Sie dankbar. Jeht erzählen
Cie aber auch hübſch mein Abenteuer, wie id) das Ihrige
erzählt habe. Billen Sie wohl, dag id) die merkwürdige
Todtenhalle der alten Guanchen entdedt habe? Während
Sie in die Luft ftiegen, bin ich in die Erde geftiegen, und
bin nicht weniger in Lebensgefahr geivefen. Da flieht mein
ebrliher Sucverloren, der kann meine Worte beftätigen,
denn er hat die ganze Reife mitgemacht. — So laßt den
Hund erzählen rief Zipberg, fonft glaub’ ich, daß Ipr wies
der fügt. O Herr Gapitain! verfegte er, fein Sie doch fo
gut, und die alte Chronik holen zu laſſen, worin er die
GEntdedung der Todtenhalle gelefen hat. — Er hat wirklich
vie Erfahrung felöft gemacht, antwortete Wolfgang. Doch
Ihr tollen Menſchen, wie bring’ ih Euch mit heiler Haut
au dem lieben Großvater auf Felſenburg? Schade, dag
ich Euch nit vorher in Amſterdam habe aſſekuriren laſſen.
3.
Capitain Bolfgang erzählt feine Lebensge
ſchichte.
Wie fie num zwiſchen den Wendekreiſen und der Linie;
unter den Paſſatwinden waren, mo es nicht viel für die
Seeleute zu thun gab, rief der Capitain die Freunde zu⸗
fanmen, und unter dem Schatten des großen Segels in
der vom Paſſatwinde abgekühlten Luft, fehten fie fih an
einem frischen Morgen mit ihren Kaffeeföpfen um den Gas
pitain, und diefer begann, mas er fo oft verſprochen hatte,
Bruhftäde ſeines Lebens zu erzählen.
Meine eltern waren gute ehrliche Schwaben; Hand⸗
werter, die aus dem Bienenkorbe Würtemberg auszogen,
um ſich zu Bien, als in einer fremden, blüthenreichen Linde
niederzulaffen. Mein Vater mar ein Leinweber, und fol
ein ganz trefflicher heiterer Mann gewefen fein. Er lichte
mich wie feinen Augapfel; bis zu meinem fünften Jahre
krabbelte ich ihm täglich auf den Knien, zündete ihm feine
Pfeife, und mußte mit gefalteten Händen die Tiſchgebete
berfagen. Nie ging id zu Bette, ohne ihm vorher herzlich
gute Nacht zu fagen, und einen Kuß von ihm zu befome
men. Diefer einzige treue Freund in der Welt, an deſſen
männltdh-Eräftigem Geſichte ich täglich meine kindlichen Aus
gen weidele. ftarb, als ich nur erſt fünf Jahr alt "war.
Das Einzige, deſſen ih mid aus diefer Zeit erinnere, find
wei Berfe eines Liedes, das er immer an feinem oder mei
Sehlenf. Schriftgn. XVI. 3
4 \ Gapitain Wolfgang
ner Mutter Geburtstage fang, wenn er Gaͤſte bei ſich hatte,
und wenn der Wein ihn, der fonft ein ſehr ordentliher Mann
war, luſtiger gemacht hatte. Dann fang er das Leinewe-
ber Lied; die Freunde mußten mit einftimmen, und in dem
Refrain mit Mappernden Ellenbogen auf dem Tiſche, und
mit fampfenden Fügen das Geräufc des Webftuhles nach-
machen.
Die Beinewebee wolten gettesfürhtig fein,-
(Gier Tomamt das Klappern.)
So fliegen fie durchs Kichenfenfter hinein
(Bieder Rlappern.)
Und ftahlen dem paſtor fein Mepgewand,
(Alappern.)
Werden fie nicht gehangen, werben fie doch verdammt.
(Wieder Klappern.)
Die erine weter nehmen teinen Sehriungen an,
Der feben Jahre niat faten kann
@ichen Zeye wicht in Mind wie ein junger und!
Das macht, die Selncweber find fo gefund. u. (. w.
Ia reifen Jahren bat dies Lied für mich einen gro
Gen Werth gehabt, es ſchien mir den ganzen Charakter mei»
mes Baters einzuſchließen. Erſtens ſah ich, daß cr, wie es
ſich einem deutſchen Handwerker gejiemt, die altdeutichen
Sunftlicder liebte und fchäpte. Zweitens, wenn ih an die
barmlofe Freude dachte, womit er das Lied vortrug. leuch⸗
tete mir feine Gutherzigkeit und Redlichkeit recht drutlich ein.
Freundlich genug batte die Natur dafür geforgt, mir
ein ziemlich aͤhnliches Bild meines Vaters ohne Koften zu
.
erzählt feine Lebenegeſchichte. 3
binterlaffen, das war nämlich mein eigenes Gefiht; bean
alle Menfcyen, die ihn gefannt hatten, verfißerten, ich gliche
im wie ein Waffertropfen den andern. Doch was ſoreche
ich von Aehnligeit! wenn wir einft nach Felfenburg kem⸗
men, und unfern lieben Eberhard mit feinem Ahnherrn ver»
glekhen, werden wir erſt von Aehnlichteit fagen können.
Bas nun meine Wehnlickeit mit meinem feligen Bater ber
trifft, fo Hat fie mid zu einer eigenen Gewahnheit verleitet.
die id) wohl mit mehreren theile, Die ihren eltern nicht
chnlich And; id) fann nämlich nie einem Spiegel vorbeige»
geben, ohne meine Augen baren zu werfen. HDft Reh’ ich
Mundenlang, betrachte mid) im Spiegel und fpreche im Geitte
mit meinem Pater, deſſen wirkliches Geſicht ich vergeſſen
habe. Und nie iR es Ärger geweſen, als eben jet. da ich
beinahe fein Alter erreicht habe. Ein junges luſtiges Grauens
zimmer aus meiner Betanntihaft ertappte mid einſt auf
friſcher That, und dachte mid recht in Berlegenbeit zu
feßen. Bie erftauste fie aber, als fie mid in Ehränen ge
dadet fand. und hörte, daß es nicht aus Eitelkeit, fondern
aus kindlicher Liebe geſcheben fei. J
Ich Bin, wie Ihr gehört, ein quasi Wiener! iR Je⸗
wand von Euch in Bien geweien? — D je, autwottete
Sgberg. — Nun wohl, verſehte der Gapktain, fo habt Ihr
spme Zwetfel dort ein luſtiges ruhiges Leben geführt, Hän«
dei und Medlſpeiſen gegeifen, und im der Leoboldſtadt dem
Caſverl gefehen? Als ich da war, ging es nicht fo. Ans
fangs war freilid Alles fehr rubig, umd ich verlebte bei
wieiner Mutter, die. das Handwerk meinte Vaters fortfepte
ffie einförmige Tage. Denkt Guch aber. wie einem kiei⸗
men Anaben zu Muthe werden mußte, mean er plöglic
todtblaſſe Geſchter am fich Bebt, wars alle rei Ger
3 Gapitain Bolfgang
werbe ftoden, wenn er auf, den verfallenen Bafteien mit
verziweifelter Anfttengung arbeiten fieht, und hört: Es nahe
fit) der Großvezier Kara Muftapha mit 200,000 Türken
und Tatarn, um die Hauptſtadt zu erodern und in einen
Schutthaufen zu verwandeln.
Bie id) das alles hörte, fing ich erbärmlid an zu wei⸗
nen; als ih aber ein Stündden geweint hatte, und bie
Türken noch nicht famen, trodnete ih die Augen, aß meis
nen Bregel, und vergaß die Gefahr.
Der Abend, an welchem der Hof die Hauptftadt ver«
lieg, und fid) über die Donaubräde nach Linz begab, ſchwebt
mir noch ar vor dem Gedaͤchtniſſe. Die Wagen konnten
die Fliehenden nicht fortbringen. Vornehme Damen liefen
mit Bündeln unter dem Arm, um hinten auf eine Kutſche
au kommen. Das Volt wüthete und fhimpfte auf die Re-
sierung, befonders, als es einen Wagen voll Iefuiten ſah;
denn diefe waren Schuld daran, dag Ungarn in Aufruhr
gerathen. Nur wenige von ilmen entgingen der Rache und
Wuth der aufgebrahten Menge. Ein Küchenjunge den ich
tannte, hatte mir, feinem alten Kameraden, den er zufäl⸗
lig im Burghofe traf, Plaß bei ſich auf einem Vackwagen
verfhafft, und wir rollten fhon zum Thore hinaus. Ich
hatte in diefem Tumulte meine Mutter ganz vergeffen, und
dachte nur daran zu enttommen. Unweit der Burg begeg⸗
nete fie ung; fle war ausgegangen, um mid zu ſuchen. Ach
mein liebes Kind, rief fie, als fie mic fah; bift Du geret»
tet? So will id} gern fterben. Lebe wohl, mein Leonbardl
falle nicht vom Wagen nnd komme glücklich nach Ling.
Deine arme Mutter fiehft Du nimmermehr. — Mutter,
rief ih, Du mußt mit fahren. — Es if kein Plaß für fe,
riefen die andern. So will ih auch hier birihen, fagte ich
Raid
erzählt feine Lebenegeſchichte. %
forang vom Wagen, und eilte in meiner Mutter Arme.
Sogleich hatte ein anderer meinen Pla eingenommen, und
der Bagen rollte fort. Ach, mein liebes Kind, was haft
Du getban? rief die Mutter, Mutter, ih wil es nicht deſ⸗
fer haben als Du, rief id, und fügte fie zu wiederholten
Malen. Ad Du lieber Leonhard, willſt Du mit mir uns
tergeßen? frug fie feufzend, führte mich wieder nach Haufe,
und brachte mir mit ſchwerem Herzen mein gewoöͤhnliches
Abendbrod.
So bätte ic, wie ein armes Lamm, geduldig im Schaf ⸗
Rale mein Futter verzehrt, bis die Barbaren eingedrungen
wären, und mir die Gurgel abgeſchnitten hätten, wenn nicht
Gotteshälfe in einem freundlichen Nachbar erſchlenen wäre.
Diefer wadre Mann war ein geborner Pole Franz Georg
Kolſchitzky. der türtiſch wie feine Mutterſprache verftand.
Wie denn? fiel ihm Lißberg ins Wort, Bruder Herz?
Haben Sie den berühmten Bruder Herz gefannt, deſſen ge»
wöhnlüher Gruß nachber über ganz Deutſchland zum Sprüde
worte geworden ig? Er mar unfer Erretter! verfepte Wolfe
gang: denn meine Mutter und ihr Bruder, ein guter lan⸗
ger vierfchrätiger Schulmeifter, in abgetragenem ſchwarzen
Rode, dachte an nichts. Ja, letzterer fing fogar an, mich
in den drangvoliften Tagen lateiniſche Grammatik lehren
zu wollen. Bruder Herz, (mir wollen ihn diefen Ehrentitel
behalten Taffen) war unferm Haufe und befonders mir Eleie
nem Springinsfeld fehr zugethan. So trat er denn eines
Abends herein, als meine Mutter beim Spinnroden faß,
und mein Oheim mir das ſchwierige unregelmäßige Ber
bum ferd, tali, latum, ferre einbläuen wollte. Nein,
Bruder Herz! rief Kolſchißky, dieſe Unregelmaͤßigkeit kon⸗
men wir weder Länger fragen noch ertragen. Stectt Euer
3 Gapitain Boifgang
Buchlein zu Eu, Schulmeiſter! und Ihr Frau Nuh me,
"uehmt alle Eure Epwaaren umd veribeilt fie unter Euch in
drei Bündel. Ich trage ſchon hier, wie Ihe febt, eine zieme
liche Bürde, dann wollen wir in Gottes Namen fortgehen.
OO Menſchen haben bereits die Statt verlaflen. IG
will End), retten und in Sicherheit miflen. So gingen wir
denn mit Bruder Herz, wie die Iraeliten mit Mofes durch
die Wüſſe. Und eine Wäre fonnte man es freilich wennen,
denn überall trafen wir nur abgebrannte Ecylöffer und Dir»
fer, niedergeftaunpfte Heer; und wir wären gewiß bald
von herumſchweifenden Tatarenhorden niedergefäbelt, oder
in die Sklaverei gefchlenpt werden, wenn ung nüht Bruder
Hery durch feine Unerſchrocenheit, Befonnenbeit und Kennt»
niß der Gegend gerettet hätte,
Beit wegflichen, ſprach er, geht nicht! Wie will man
einen langen Weg machen, ohne auf einige der 200,000 Mann
zu flogen, die wie Wespen und Hummeln in der Gegend
ohne Ordnung herum fhmärmen. Sid verbergen, geht
eher, und wo die Zürfen einmal geweſen find, geblündert,
gewordet und verheert haben, kommen fie nicht wieder. —
Drauf führte er uns zu einem benachbarten abgebrannten
Schloſſe im Walde. Bir wugten nit, was wir in diefem
Schutthaufen folten; Bruder Herz fpra aber: Ich Tenne
diefe alte Burg; fie iſt auf Felſen gebaut, und hier find
ganz trefflihe Kellerwoͤlbungen, die von den Türken gewig
unentdedt geblieben find.
In diefem herrlichen Gewoͤlbe, das Iuftig und trocken
genug mar, trafen wir nit allein Schuß und Zuflucht,
fondern auch Lebensmittel volauf, um zwei Monate dort
leben zu innen,
Um friſche Luft zu (höpfen, ging ich während der Seit
erzählt feine Lebensgefäiihte. 30
wit Bruder Herz oft des Rachts hinaus in den Baid; wenn
alles Fi war. Meine Mutter aber und ihr Bruder wage ⸗
ten fih nicht hervor. SBruderz Herz’ hatte auch andere
Gründe zu diefen nächtlichen Walfahrten ; er wollte eiwas
vom Suftande der Stadt willen. Ad wie fcnitt es ihm
iws Herz, wem er die Raketen in der Nacht von dem ho⸗
ben Stephansthurme der bebrängten Stadt aufſteigen ſab,
um dem Herzoge von Lothringen ihre dringende Noth an-
mtändigen. — Das find fonf Zeichen der Freude, zu Hoch⸗
zeiten und Selten, mein Junge, fagte er tief bewegt, jeht
Bundigen die Feuerſäulchen die baldige Bluthodzeit an.
Bir fepten uns auf einen moosbewachſenen Stein une
tee einem großen Baume. Der Mond warf nur ſparſame
Strahlen durch die vorüberfliegenden Bolten; id ſah in
den Baum hinauf, und es fdien mir, als ſchwebten Brei
Engel im Baume, in weißen Gewändern, von den fhön«
ken Gliedmaßen, die Geſichter aber konnte ich nicht ſeben.
denn fie kehrten mir den Rüden; die Häupter waren ge-
beugt, und die fhönen Iangen goldenen Eden mahten ih "
nen bis zu den Häften.
Aber wie beſchreibe ich Euch die Verzweiflung und die
Wuth meines edlen Freundes, als er drei fhöne Mädchen
entdedie, won den Türken an den Vaum gehentt! Doc
tröftete er ſich mit den Worten: Dantt Gott, arme Mad⸗
en, daß ihr eure Schmach nicht überlebt habt; ich will
euch ein riklies Begräbnig geben. Drauf brachte er
mid armen, vor Schreck halb todten Knaben wieder in den
Seller, und begrub die Todten.
In der naͤchſten Nacht hatten wir die Freude, uns an
den Zürten zu rähen, und einen ganzen ganzen Haufen
ueſchuldiger Chriſten zu retten.
4 U Sapitain Bolfgang
Bruder Herz batte nach und nach mehrere Schießge-
webre in den Keller geb at, alle diefe hatte er, ſcharf ges
laden, an den Eingang geftelt, und fid dort einige vers
ſtecte Schieplöder gemacht. Wir wurden in der Nacht
durch ein lautes Gefpräh unweit der Kellerthüre, das fi
mit einem Bank endigte, aus dem Schlafe geftört. Bruder
Herz und id waren glei munter und an unfern Späß-
lödern. Drei Türken zankten ſich laut mit einem Vierten.
Sie hatten zwanzig niedlihe Kinder mitgebracht, alle un⸗
ter fieben Iabren, die fanft wie Lämmer Paarweile vor
ihnen hergingen, mit Riemen zufammengefcpnärt. Auf dem
Dlage vor dem Keller ward Halt gemacht, und jept konn⸗
ten die vier Türken nicht einig werden. Der Menſchlichſte
von ihnen wolle, dag man die Kinder verkaufe, die drei
andern fagten: Wir haben ſchon Beute genug, wir wollen
uns jept aud einen Spaß maden, und die Kleinen Chris
Kenhündden an den großen Baum da, wo wir vorgeftern
die Mädchen gehenkt haben, alle auffnüpfen. — Der gute
Türke ſprach: Sind fie auch Ungläubige, fo find fie doch
Menſchen; fie find Kinder! Ihre Unſchuld ſchmilzt mir die
Seele. Seht, wie fie dort ſtehen, und ung mit fanften
Augen anfhauen. — Fort Weihling! riefen die Andern,
wenn Du den Anblid nicht ertragen kannſt. Er fpornte
fein Pferd und verſchwand in der Ferne. Um nun aber
der Graufamteit recht die Krone aufzufeßen, gingen die
Bluthunde herum, vertheilten Brod aus einem Korbe uns
ter die Kinder, und ſprachen ihnen zu. daß. fie zum letzten ⸗
male eſſen follten. Die armen Kleinen, die den ganzen Tag
hindurch gehungert hatten, griffen begierig nad dem Brode
and agen, zeigten einander die Biſſen und froblodten; die
Keinften fingen fogar unter dem Baume an zu ſpielen, ale
erzählt feine Lebensgeſchichte. 4
man ihnen die Banden getöft hatte, Inzwiſchen bereiteten
üsre Henter die Schlingen. uud der Aergſte und Häplichfte
griff, wie Poluphem die Genoflen des Ulyfies, einen Lei»
nen ſchoͤn Iodigen Anaben, der an ihm vorbeiging, bei den
Haaren, und warf ihm die Schlinge um den Hals.
In eben dem Augenblide fiel ein Schuß und der Hen⸗
fer flürzte zu Boden. Die andern zwei wunderten ſich und
warfen die Augen umher, um den Feind zu entdecen. —
der zweite Schuß fiel, und der zweite Räuber lag binge-
fredt. Schr leicht wäre es dem Bruder Herz geweſen, den
dritten eben fo umverfehens zu todten. Als aber die Dar-
tie gleich ſtand, erlaubte es ihm feine Tapferkeit nicht, er
Rürzte aus dem Hinterhalte hervor, und als er den Zeind
wit heftigen Worten berausgefordert halte, begann ein Ge⸗
fecht, welches damit endigte, daß er mit feiner guten Klinge
den Hirnkaften des Türken ſpaltete.
Nach geendigtem Streite, da ich zu ibm berauszufome
men wagte, mar er ganz.verdrießlid, und rief ärgerlich, in⸗
dem er fein Schwert in die Scheide ſtieß: Da bat mich
weine Hige wieder zu einem dummen Streiche verleitet. —
Bie fo? frug ih. Ihr habt-fa. gefiegt und die Kinder ges
reitet. — Gefeht aber, antworiete er, ich Hätte es mit,
ſollte ich denn dieſe armen Seelen. und Euch im Keller fol
Ger Gefahr ausfegen? Ri
Als er uns wun geſichert fab, verließ er uns, um der
bedrängten Stadt zu Hälfe zu eilen; und feine Thaten And
in der Belt binlänglih bekannt geworden, und wohl auch
Euch zu Ohren gekommen.
Inzwifcen führten wir in dem Gemälde ein abgeſon ·
dertes, obfjon gar nicht rubiges Leben, denn wir Kinder,“
die wir dead wicht immer Aid fein konnten, machten von
a Gapitain Wolfgang
Zeit zu Zeit in den weiten Gängen unſerer Unterwelt einen
bölifhen Lärm, wie mein Obeim, ber Sculmeikter, fit
ausdrädte. Um uns zu befhäftigen, umd um in fein eige⸗
nes Element verfeßt zu werden, fing er an, eine Schule uu-
ter ung einzurichten, Einige von den Knaben, die von dem
Zürken gefangen waren, gerade als fie zug Schute gingen,
hatten no die ABE Bücer in der Taſche. und mit dies
fen Eremplaren mußten ſich alle behelfen. Mein vierihrd-
tiger Oheim, der unter Kindern feine Würde zu behaupten
wußte, bielt die Meine Republik in ziemlicher Ordnung.
Zuweilen machte fie es ihm jedoch zu kraus; dann konnte
er recht aͤrgerlich werden, und klagte bitterlich darüber, dag
er keine Ruthe in den Keller mitgenommen habe. Einft
als er fehr böfe geworden, weil den Kindern die Buchſta⸗
ben und Spylben nicht recht in den Kopf wollten, nahı er
feinen Muth zufammen, und begab fi in einer dunkeln
Nacht hinaus in den Wald, um ſich eine Ruthe von dem
Baume zu ſchneiden, an welchem die Türken die Meinen
Spettafelmadyer hatten heuken wollen. Als es aber zur
Gretution kam, und die Jungen fürchterlich zu brüllen an«
fingen, ward er blaß, wie die Band, und bat die Knaben
um Gotteswillen zu ſchweigen, damit wir in unferm Pin-
terhalte nicht entdedt würden,
Am zwölften September teilten wir das allgemeine
Entzäden, als Bruder Herz wieder kam, unfere eiferne Thür
weit öffnete und uns die Rettuug und Befreiung von dem
Türfen verfändigte. Jeder ſuchte nun‘die Seinen; und da
ergab es fid) denn, daß meine Mutter ganz verarmt ge⸗
worden, weil unfere Wohnung am Aärntkmerihore, von
Vomden oefroffen, mit den Webftählen und allem Geräthe
in Aſche gelegt war. Doch half ung ber liche Gott wieder
erzäplt feine Sebeusgeſchichte. [2
dur) unfern treuen Bruder Gerz. Denn es begab ſich daß
er eben mit mir am Graben ftand, als des Königs vom
Yan Mejeſtůt Iopann Sobicelv anf dem praͤchtigen wei⸗
sen Gemgfte des Gretzocziers. vom Volke mit Segenewän-
fen begleitet, verbeiritt. Als er meinen Beſchutzer Tab,
den er fhon tannte, grüßte er ihm freundlich, und ich hüpfte
wor Zreude, und füßte dem König mehrmals die Stiefein.
wie ich gefeben, dag ſchon mehrere andere gethan hatten.
In der Meine flinfe Knabe Drin Sohn, mein waderer Kol⸗
ſchitcy? frag der König. — Nein, Ihro Majehät, war die
Antwort, er it eine blutarme Waiſe, deſſen Mutter in die⸗
fer Roth Hab und Gut verloren bat. Der Tieine Patriot
vergißt aber fein eigenes Elend, und dankt Euch, weil Ihr
fein Baterland gerettet habt. Der König laͤchelte, griff in
den Buſen und holte eine ſchwere goldene Kette mit Iumes
len hervor; (er hatte neulich im Zürtenlager unermeßlihe
Beute gemacht) reichte. mir die Kette und fagte: Bring
Deiner Mutter dies Gefhmeide, wein Kind! das wird ihr,
bo? id), den Verluſt erfegen. Lebe wohl, mein braver Kol
ſchißkv, fuhr er fort; wir willen, mas wir Dir ſchuldig
find; ohne Dich hätte die Hauptftadt den Muth verloren,
und wir wären wit ber Hälfe zu frät gefommen. Darauf
ritt er mit gnädigem Händeninten meiter, vom Iaudzen
der Menge begleitet. Bruder Herz bradıte mic zu meiner
Mutter, und nun waren wir, durch den trefflihen Freund,
wieder in Soblſtand gerathen.
Wie wir jept reicher geworden, hatte ich auch Luft ber
kommen, ein edieres Gewerbe zu treiben. IK wollte gem
Ceroffiier werden, und reifte mit einem holäudiihen Freunde
nad Aufterdem. Es gelang mir, Cadet zu werden und im
Kriege zum Offlcier und endlich bis zum Capitain zu avan⸗
4 -Gapitain Wolfgang
ciren. Ich will Eud) den Krieg nicht weiter hier erzaͤtlen;
fo etwas lieſt man beffer in den Zeitungen.
Als der Friede geſchloſſen war, nahm ih meinen Ab⸗
ſchied; ich hatte aber die See zu lieb gewonnen, um fie fo
bald zu verlaſſen; vielmehr gelüftete es mid, mit dem gro⸗
sen Weltmeere genauere Bekanutſchaft zu machen. Id fand
es nicht unter meiner Würde, als Captain in der Marine
Kauffahrtheifabrer zu/werden. Die Kauffabrtheifahrer ſchie⸗
nen mir vielmehr die eigentlichen Seeleute zu fein. Die Lis
nienſchiffe find große Maſchinen, zu Schlachten an der Küſte
beitimmt; auf den weit ungemaͤchlichern Sahrzeugen, mit
net weniger Hälfe, pflägt der Schiffer das abenteuerliche
er. -
Ich hatte mein Schiff mit Waaren befrachtet, und wollte
nad) Weſtindien fegeln, um ſolche mit Vortheil abzuſetzen;
faum waren wir aber im atlantiſchen Meere. fo ward ich
gewahrt, daß ich eiuen großen Fehler dadurch begangen
hatte, Leute zu Dingen, ohne nad) ihrem Charakter und ih-
er Lebensweiſe zu fragen, wenn fie nur tuͤchtig, muthig
und ſtart waren. Es dauerte nicht Tange, fo fah id, daß
diefe Schufte zum Auswurf der Menſchheit gehörten. Kaum
vermochte ich, hald durd Strenge, bald durch Güte, fie in
Drdnung zu halten, und mid) in Reſpect zu fegen. Auch
merfte ich, dag fie ſich oft heimlich beſprachen.
Ich war mir das Aergſte vermuthend und das NRäth-
fel Töne ſich Hal, als der Hauptſchelm unter ihnen; Jean
le Grand, wit zwei andern, eined Morgens zu mir in die
Kajüte trat. Ich griff nach meinen Piſtolen uud rief: Was
wollt Ihr? Wollt Ihr Meuterei anfangen, da Ihr Euch
drei Mann art. ohne Erlaubnig in die Kajkte des Capis
tains eindrängt? Entfernt Euch! oder ich ſchiee dem ere
erzählt feine Lebensgeſchichte. 6“
en, der da ſpricht, eine Kugel durch den Kepf. Bil Je⸗
mand mit mir reden, fo muß er allein Lommen.
Sie verbeugten fih mit ſcheinbarer Demuth, und ver
Atjerten, fie hätten nichts Böfes im Sinne, weil aber der
‚Herr Cabitain es befehle, verſeßten fie ironiſch, wollten fe
wieder gehen, und eine gelegemere Beit abwarten. Da⸗
mit entfernten fie Ach, und ic) faß allein im der Kajute mit
meinen Piftolen.
Ich dachte: Was hilft langes Zaudern? Geſchehe bald,
was geſchehen muß. Wenigſtens will id mein Leben theuer
verfaufen. Ich gürtete mein Schwert im, fedite noch zwei
Terzerolen in den Bufen, nahm eine Piſtole in jede Hand,
trat beraus, fah fie alle auf dem Verdet beifammen, und
rief: Bas wolt Ihr von mir? Hier fteh’ ih! Iean le Grand,
als der Verſchlagene, Klügfte und Beshaftete unter ihnen,
trat ſehr affertirt hervor, griff an feine Müge, und ſprach⸗
Der Herr Gapitain ereifere fid nicht, umd glaube niht, dag
mir gegen Ihn etwas Böfes im Schilde führen. Bir dar
ben Ihm nur freundlich einen Beinen Vorſchlag zu thun.
Ibr wollt nad) Weftindien, um Handel zu treiben, und wir
follem als gedungene Matrofen Euch das Schiff dahin brin-
gen, damit Ihr Eure Waare dort mit Profit abfehen
lönnt. Wit diefem Plane find wir nun aus zmei Gründen
nicht zufrieden; erfiens weil nur allein Ihr, und Niemand
von uns feinen Bortbeil Dabei findet, zweitens weil es ung
gemein vortömmt, daß fih brave Seeleute mit Schachern
abgeben. Bir find alle Helden aus den letzten Sertreffen.
Hätte der Krieg länger gedauert, wären wohl au mehrere
von uns, wie der Herr Gapitein, avandıt, Wenn aber
das Glũck nicht gutioillig fonmen will, muß man es bei
den Haaren herbeiziehen. Die Fürften haben Frieden ge
46 Capitain Bolfgang
ſchloſſen, ohne uns gu fragen, nun wollen wir, ohne fie zu
fragen, den Krieg noch eine Weile auf eigne Hand fortfeen.
Ein ehrlicher Freibeuter iR überall geachtet, umd dieſes Me⸗
tier war, wie uns die Geſchichte lehtt, in den herouchen
Beiten- fehr ehrenvol. Die alten Standinavier haben ſich
durch ſolche Thaten unfterblid gemacht; wir branden aber
nit fo weit zuräd zu geben! And) im verwichenen Jahr»
bunderte haben die Boucaniers und die Fibuſtiers Wan⸗
der der Tapferkeit von der Infel St. Domingo und dem
Meinen Eilande la Tortwe aus, verrichtet. Im ihre Fuß-
tapfen, die weder Sturm noch Wellen auslöfhen Linnen,
wollen wir treten. Bir Haben gehört, eine Silberſlotte
werde bald aus Brafilien nad Spanien gehen; auf dieſe
wollen wir Jagd machen. Das hat mehr zu bedeuten, als
armfelige Waaren in Weftindien zu verkaufen. Und Ihr
ſollt unfer Anführer verbleiben, wenn Ihr End) in Güte
dazu verfichen wollt, mit uns gemeinfhafttihe Sache zu
machen.
Ich antwortete: Ich könnte Euch bintergehen, ja fa
gen, und naher nur daran denfen, Euch in’s Verderben
zu flürgen. Das wil id) aber nicht; id wil Euch nit ber
srügen, mad ich erfaufe mein Leben nit durch eine Lüge,
Ich tünnte Euch über Pfcht und Treue eine Predigt hal⸗
tem; das will ich auch wicht; denn ich weiß, es wütde mir
nichts beifen; und bin id nicht länger Euer Gepkain, fo
will ih wenigſtens nicht Euer Narr fein. Schif ud Fracht
wil ich Euch überlaffen! Apr Lönnt es nehmen, ohne mir
mein Leden zu rauben. Boltt Ir mid aber durchaus er⸗
morden, fo thut's Id bestle Euch nicht um Bmade, Gebe
wir aber lieber die Schabappe, gebt mir. Etwaaren für
drei Wochen, und Laßt mir meine treuen Schiffe uagen Paul
erzählt feine Lebensgeſchichte. 47
ud Nudeif. Das Wetter ift ſchͤn, id werde mein Glic
aufs Reue verſuchen. Bergehen wir, {0 begegnet uns nur, .
mas ſchen fo vielem madern Serienten begegnet ik, und
mas uns auch auf einem großen Schiffe treffen könnte. Ih
bin Ebrift, habe gelernt, Gerechtigkeit zu üben, und an
Unfterblichkeit zu glauben. Bor Holands Feinden Habe ich
nicht gezittert; ich zittre nicht vor dem Teufel, und nicht
vor Eu!
Diefe Rede gefiel den Matrofen; der wiederträchtige
Sean ie Grand aber ärgerte Ah über meine Kecheit, wo⸗
rim er deutlich Beratung gegen ſich entdedte. Er wollte
fogleich auf mic abdrüden, ein anderer flug ihm jede
Die Piſtole aus der Hand und der Schuß ging los, ohne
Schaden zu ihun Der andre rief, man folle mich nicht
obue Roth umbringen. Dieſem Berlangen ftimmten Meb-
zere bei. — Se verfeßte ih dann gelaſſen: Ich bin: Euer
Gefangner, macht mit mir, was Ihr wollt. — Ih ging
binunter in die Kojüte und erwartete mein Schidfal, das
fi) wobl bald entſchieden hätte, wenn nicht die folgende
Nadt ein ſchreclicher Sturm entftanden wäre, wobei die
Böfewichter ganz den Muth verloren; theils weil einige
ginubten, es fei Gottes Strafe, theils weil der Steuermann
ven fie mit in’s Eomplott gezogen hatten, frank lag, und
fein anderer ſich getrauete, in dieſer Gefahr das Schiff au
lenlen. Cie kamen zu mir und baten mich, Schiff und Les
ben zu wetten. Ich blieb mit gefalteten Handen ruhig in
einen Lehnfiuhle gen, ſah zur Exde, und fagte: Ihr
dabt mid, meines Amts entiegt, jeht rettet Euch fit. Sie
gasgen wieder hinauf. Jean le Grand meinte, er würde
füen ohne mic, fertig werden; er war freilich ein großer
Bagehals, aber ein ſchlechter Steuermann, und Ne Gefahr
“8 5 Gapitain Bolfgang
ſtieg mit jedem Augenblide. Ich faß ganz verflodt in der
Kajüte, als ein älter Matrofe hinunter fam, und gang
Hhlegmatifch fagte, indem er die Kapuze abnahm: „Ih
folte den Herrn Capitain gefälligft bitten, einen Augenblick
binauf zu kommen. Iept vergehen wir glei.“ Ich mußte
über den Gleihmuth des Alten lachen, der mir diefe Kunde
in demfelben Tone rapportirte, als wenn er mir au fagen
hätte, dag mein Eſſen auf dem Tiſche fände. Der Selbfte
erhaltungstrieb erwacte indeß bei mir; ih forang auf das
Berded, und rief: Reut Euch Sure That, und welt Ihr
mir wieder Treue ſchwoͤren, fo fol ales vergeffen fein, und
mit Gottes Hülfe will Euch reiten. Alle ſtrecten die Hände
sen Himmel, und betheuerten mit graͤßlichen Eidfhwären,
dag fie mir treu fein, und mir unbedingten Gehorſam lei⸗
ften wollten. So ftrengte id, denn alle meine Kräfte. an,
und es dauerte. nicht lange, fo waren wir außer Gefahr,
und der Sturm legte fih.
Müde von der Anftrengung ging ich zu Bette und fehlief
rubig ein. Als idy wieder erwachte, fand ih mich feſt in
Banden unten im Schiffsraume in eine Ede hingeworfen.
Ich fühlte, dag ich unklug gehandelt hatte. Wie konnte
ich mich auf Treue und Eidſchwuͤre folder Boöͤſewichte vers
laſſen, und glauben, daß fie Dankbarktit gegen mid; beweifen
mürden, weil id ihnen das Leben rettete? Meines vorigen
Stolzes und meiner Unerbittlichteit würden fie ſich aber um fo
beffer erinnern; dieſe neue Verpflichtung, würde mein Schic⸗
fal ſchneller entfcheiden, damit fie eines läftigen Menſchen
los würden. Hätte ih mic, unbedingt und ohne Trotz Yin
gegeben, hätte ich ‚gleich ohne Bedingungen ihren. Willen
erfüllt, fo wären ſie vielleicht gerührt und zum Mitleid bes
erzäßlt feine Zebensgeſchichte. 9
wogen worben. Der Bedanfe aber, von ſolchen Janubaga
bemitleidet zu werden und Wohlthaten von den Schurten
au eubfangen, die alles geraubt hatten, war mir ärger als
der Tod.
. Mei trener Schige unge Paul befuhte mich amd er-
zählte, dag Jean le Grand durdy feine Reden und Vor⸗
Rellungen alle Gemäther für fih gewonnen habe. Ein Baar
von ihnen wären freilich unzufrieden, müßten aber gute
Miene halten, um nicht ermordet zu werden. Jeßt ſchmau⸗
fen fie und zechten alle droben auf dem Berdede. Ib
tonnte igren wilden Geſang unten im Raume hören. Jean
ie Grand hatte mir einen ewigen Haß geſchworen; die
Wannfdyaft wollte aber nicht erlauben, daß mir ein Leides
geſchehe: fie waren überein gefommen, mir das Boot zu ge-
ben und mic dann den Bellen zu überlaſſen. Paul follte
mic; abbolen: er ſchnitt mir die Stride wieder 106, und id)
folgte ihm hinauf auf's Verdec.
Hier faen die Räuber alle um einen langen Tiſch
und verpraßten mein Eigenthum. Ein Stahl ftand auch
für mid, da, und Ian le Grand ſprach:
Sapitain, die Brüderfhaft hat beihloffen, En das
Heine Boot zu überlafien, and Ihr fullt es haben. Lebens
mittel oder fonft etwas bekommt Ihr aber nicht. Die Bor
fehung, anf die Ihr fo trogig baut, wird Euch ferner hele
fen, was braudt Ihr ſolche Schufte, wie uns, darum zu
bettela? Ein Paar weichherzige Seelen wollten freilich,
dag wir Euch verpreviantiren folten, wir haben aber geftimmt,
die Mehrheit iſt dagegen: ich werbiete es jept, Kraft meines
Amtes als Hauptmann der Zreibeuter, und werde dem Er⸗
fen eine Kugel durch's Gehirn jagen, der mod ein Wort”
davon ſpricht. — Iept feht Euch, und mi Euch zum .
Cehlenf. Schriften. XVI.
5” Gopitain Wolfgang
Abſchied, fo viel Ihr wollt! Jhr kdunt es nöfhig Haben,
denn Ihr babt eine eben fo beſchwerliche Reife anzutreten,
als des Elias vierzigtägige Reife auf den Berg Horeb.
Erſt in diefem Augenhlide ergriff mi Kleinmuth. Bor
einer Hinrichtung häfte mir nicht gegraut, der Hungertod
elite ſich aber plöplih vor meine Seele mit allen entfeßs
lichen Zügen. Ich bat fie demäthig, Mitleid mit mir zu
haben, und mir‘ menigftens Lebensmittel für acht Tage mit»
zugeben. Mein armer Paul brach in Thränen aus und
rief, cs wäre ſchändlich, mic auf dem falzigen Meere ver
ſchmachten zu laſſen, mährend fie ſich ſelbſt mit meinem Eis
gentyume zu Gute thäten. Kaum aber hatte der arme
Junge diefe Worte geredet, fo traf ihn die Kugel des graus
famen le Grand fo, daß fie ihm den Hirnſchädel zerſpal-
tete, er fiel rüdwärts und befprügte mich mit feinem treuen
Blute. Jean le Grand aber fagte ruhig, indem er ſich wies
der feßte, und der Leichnam in die See geworfen war, Ge⸗
borfam gegen die Gefege (und der Wille der Brüderſchaft
iſt Geſet) geziemt warern Freibeutern, und ift nothwendig
wenn wir die ſpaniſche Cilberflotte erobern wollen.
Dies Zauberwort machte auf die niedrigen, eigennüßis
gen Menſchen einen ſtarken Eindrud, und die leichte Res
gung von Menſchlichteit, die in ihrer Bruft entftanden war,
verſchwand ſogleich wieder.
Drauf kebrte Jean le Grand ſich zu mir und ſprach:
Euer Loos iſt geworfen! Füllet euren Magen mit gutem
Eſſen und Trinken, und ſtärkt Euch, daß Ihr es fo lange
aushaltet, als möglich. Vahrſcheinlich wird es Eure lehie
Mapizeit werden.
Als ich merkte, dag ich den Elenden mit Werten nicht
erweichen konnte, dachte ich: Ich will den Hund nicht mehr
erzählt feine Lebensgefhihi.e 8Bi
vergeblich anrufen, id will nicht bier wie ein armer Süne
der figen. Eſſe ih nicht, fo werde ich im Boote bald ohn⸗
mächtig, und dann ift feine Rettung mehr möglih. Mad’
id aber eine gute Mahlzeit, fo kann id es doch ein Paar
Tage aushalten. Diefer Gedanke gab mir den Appetit wie⸗
der, und ih aß weit mehr, als ich pflegte.
ö Ein tüntiger Kerl, hörte ich mehrere Freibenter unter
fih murmeln; er hat nicht das Hafenfieber. Da irrten fie
ſich aber, denm id aß eigentlich nur aus Furcht zu ver⸗
bungern.
Als der Punſchnapf auf den Tiſch kam, tranken die
Gauner alle fpottmeife, laut jauchzend, meine Gefundheit.
Bas mid, am meiften ärgerte war, dag mein zweiter Schiffee
junge, Rudolf, den ich eben fo fehr wie den Paul geliebt
batt, ganz zu diefem treuen Kameraden den Gegenfag
machte, und mic ärger als alle andern mit unverſchaͤntem
Epotte und Schimpfreden verhöhnte: weshalb ihm auch
Jean le Grand, der jetzt ſehr benebelt worden war, den
Befehl gab, mein Boot zu unterfuhen, ob mir Iemand
vieleicht etwas zugeftelt habe. Er kam bald zuräd und
verſicherte. es wäre nicht fo viel, daß ſich eine Maus daran
fättigen könne. So ward id denn mit vielen Geremonien
von der betrunkenen Brüderihaft ins Boot gebraht; mo
mir noch Ican le Grand zum Abſchiede eine Dofe mit
Schnupftabat verehrte, und ein altes Meſſer. Rudolf fuhr
fort mic) zu verhöhnen; drauf ſchnel meine Hand ergreie
fend, während die Andern es nicht merkten, raunte er mir
in's Obr: Lebt wohl, mein theurer Herr und Bohithäter!
Bergebt dem armen Rudolf! Ihr werdet im Boote Chr
maaren finden. So führte er mich ſchnell in’s Boot bin.
unter, flieg mit einer Bootſtange meinen Ran in die Ste
Be Capitain Belfgang
umd unter einen lauten Garrab der Maunſaaft. ſab ih
mein Schiff wegfegeln, und Ach in die Zerne verlieren,
Als ich mir ſelbtt überlafen war. fand ic unter mcie
men Sige, der mit einer Watte bedect war, rinen Beutel
wit Siifsgwiebad, zwei Stud geräußertes Fleiſch, cinen
großen Krug voll friften Waflers, zwei Flaſchen Wein
und einige Stüde Bindfaden. Alles dieſes hatte mir der
gute Rudolf mit Lebensgefahr zugeftcdt.
So trieb id denn umher, ohne Land zu ſehen, obae
ein Schiff zu treffen, und hatte nod den Schmerz, an weis
nes treuen Pauls Leichnam vorbei zu fegeln. Ih erhob
meine Hände zum Himmel. dankte ihm für fine Treue und
beweinte frin Schickſal. Durch eine plöliche Bewegung des
Bootes war ich fo unglücklich, all mein friſches Waller in's
Meer zu yerfhätten. Diefer Verluſt raubte mir ganz den
Muth. Der Himmel erbarmte ſich aber, es fiel ein mäder
Regen, und id) konnte meinen Krug, mit dem Waller, das
ich in der Matte auffing, ganz wieder füllen. Ich bedauerte
nur, daß ich nicht mehr Krüge hatte. Am dritten Tage
hatte id das Glück, durch eine Schlinge. die ich mir aus
den Bindfaden gemacht, einen Heinen Serhund zu fangen.
Hier kam mir das alte Mefler, das mir Jean le Grand
ſpottweiſe verchrt hatte, wohl zu ſtatten. Ich tödtste den
Seehund damit, die zerſchnittenen Stüde begoß ih mit
Bein und riet fie in der Mittagsfonne. Die Mahlzeit
Märkte mic wunderbar. Auch der Tabat erheiterte mich im
rauhen Better. Meine Matte war wieder trocken, ich wit⸗
felte mid, darein, ſtrecte mid bin im Boete, und ſchlief
ruhig ein.
As id) wieder erwachte, war mein kleines Fahrzeug
auf eine Sandbank fett gelaufen, und als ih die Augen
erzählt feine Lebensgeſchi hte. 3
aufſchlug, Tab ich Aber mir einen ungeheuren Felſen. Ih
watrte ſogleich vom Boote nad dem Selfen, um fees Land
u gewinnen. Kaum Rand ih auf dem Trodenen, als ein
Dind ſich erhob, und mein Boot wieder in's Meer Hin
austrich,
Iept Hatte ich freilidy feften Boden gewonnen, der Fel⸗
fen ſchien mir aber tahl umd unbewehnt und ich Rand bier
aller Hülfe beraubt. 3m meinem Trofte entdedte ih einen
großen Wallerfall, der mit außerordenilihem Geräufdye aus
dem Zelfen forang. und fid) in's Meer ergoß. Ich eilte fo
fehr ich Fonnte, um dabin zu gelangen und meinen Durft
zu löſchen.
Denft Euch aber meine Verzweiflung, als das friſche
Bafler ploͤtzlich zu fließen aufhörte und mir, als id) dahin
fam, nur einen dunkeln trodenen Schlund zeigte.
Id warf mic) wie wahnfinnig zur Erde, und rief uns
teölich: Unendliche, ewige Natur! thuſt du fo große Bun«
der, um einem armfeligen leidenden Geſchöpf den leßten
Labetruut zu verfagen? Diefer Flug hat vielleicht feit Jabr⸗
hunderten feinen Lauf fo genommen, Vögel und Thiere feit
der Sundflut gelabt, fobald ich aber die zitternde hohle
Hand gegen ihn ausfitede, ſtoct er ploͤtlich uud verflegt.
Am, fo will ih denn auch nicht mehr hoffen. Die Vor⸗
fehung bat meinen Untergang beſchloffen, und mir diefen
trodnen Schlund zum Grabe angewielen. So rufend ſtrecte
ich mich verzweifelt bin auf die Kieelfteine,
Doch es iſt jept Zeit, daß ich abbreche, ſprach der Ca⸗
ditain, denn was jetzt folgt, werdet Ihr ſelbſt in einigen
Tagen erfahren, wenn wir an der Sandbank und an dem
Felſen antern. O Rudeif. gieb mir ein Glas Weinl die
Eriäälung het wir den Hals troden gemacht.
54 Die Landung auf Felfenburg.
Ein wohlgewachſener Jüngling, des Capitains Diener,
eden fhon Eberhard in Amfterdam gefehen, als er feinen
Herrn vom Schaufpiele abrief,) brachte auf einem Teller
das Verlangte; und der Gapitain Wolfgang ſprach, indem
er ihn bei der Hand nahm: Ic) habe bier die Ehre, der
Geſellſchaft meinen ehtlichen Rudolf vorzuſtellen. Das Glüc
bat uns wieder vereint, und ich hoffe, dag wir künftig ſchö⸗
nere Tage mit einander verlieben werden!
a.
Die Landung auf Felſenburg
Sehr gefäjidt hatte der Gapitain Wolfgang Ort und
Zeit zu feiner Erzählung gewählt, und fehr Hug brad er
eben da ab, wo fi die Wirklifeit der Erinnerung: reis
zend anfnüpfte,
Gluͤclicherweiſe braucht Erzähler diefes nichts von dem
Seinigen hinzu zu fügen; es findet fi) in dem Tagebuche
des Herrn Julius das Fragment eines Gedichts, welches er
kurz nad) der Landung auf Zelfendurg verfaßt haben mag,
worin er die Scene, fo gut es gehen will, homeriſch bes
ſchreibt.
Eberhards Gedigt.
ber nachdem wir das Meer gepflügt, vom ftarten Paſſatwind
Fortgetrieben, — Neptun auf dem Ranthus reitet nicht fchneller, —
Kief mich der teeffliche Wolfgang laut, ald am Morgen des Oſtens
Die Landung anf Felfenhurg. 55
Varvur Ntieg aus dem bieiernen Schoot mactännlicher Bellen,
Fern im Meere ja ſchaun die erwuͤnſchten heiligen Seifen, 4
Welche die tahlen Hänpter empor anftamchten gen Himmel,
dieden der Wellen gleich, im Gefichtöfrers! ber fic wucfen
Biiefengroß aus der falsigen Flat, und mah'ten dem Schiff ſich;
Zeigten wit Dornenbüdfen bewachfen erſtaualiche Blöde,
Unfrucıtbarer woch ald das Meer; unzählige Siiche,
Hann, Reerſchweiae doch wimmeiten hier: in feinernen Küften
Sarie Secvogel vergetlih nach fparfam wachſenden Beeren.
Nur ans dem darten Gefein, mit Gerauſch bergpolternder Geier,
Eprubeite reich Die Flat and den Gingrweiden des Berge,
Und vermifchte das füße Getränf mit bitterem Meerfah.
Dort deckt Brandungen difchend bes Echaum, bier brachen die Riffe
Zorniger Braudungen Bath; Eandbanten hoben fich ſchneeweis
Uns den gebrorkenen Bellen, im Schup vorragender Klippen;
Hügeln im Fehde gleich. Die mit Reinigen Scheiteis Da ftet'n,
Lieblich wosenden Achren umringt, des luftigen Feldes.
Diefe Inden und ein, im Schatten und da zu erfriſchen
Mad als inter geworfen, verliehen Die Männer den Dreimaft,
Selche der Schiffer erkor, zu theilen das fhöne Beheimniß.
Enge mir, Mafe! Die Ramen bes fröhlich landenden Hanſens.
GR der würdige Diener des Oerru, der trefliche Gchmelier,
(Scrön war der Rame gewählt, bean er ſamolz Die Serien in Andacht)
Eqwart im Denat, ald ein Lutperifcher piatrer getieidet.
@tieg er in's Wont und trag im fchwarien Gammet gebunden
nd mit @überbefchlag verziert, Die heilige Bibel
Ligderg branf, der Fräftige Geiſt, ald ehrbarer Bürger
Hs der Meichöfladt, beaun war fein Mod, von blantem Metalle
Trug er Die Infrumente der matpematifchen Forſchung
Zierlich im vothen Belle, Ihm folgte ſchlant mit des Harfe
56 Die Landung anf Felſenbdurg
Sademann mit Dem blonden GeRcıt uud Den waleuben Laden.
ber der Unit, den felbR ein gefeguetes Eiland micmals
Leider fo gan) entbehrt, ald Grabnicter im rothen
Mantel erfchien, mit Baret von (hönem yurpucnen Gamuet,
Wie es Raifer Muguft dem Errener feiber gegeben.
Drauf ein großer erfreulicher Samid, ger (ander in Kleidern,
Doc mit Iedernem Schurifen vorn, und Hummer und Zange
Trug er in nerwigter Hand, und der Gus faß ſarag auf der Gtirne,
Drauf ich feloR, Etadent aus Seipiig, fermarı und ix’ Echapen,
And an der @eite mir hing der dieckich fählerne Degen,
Hanna Heilkraft drauf, Die Schweijeria; reicuicher Gearwuchd
Nabenfehwars in Ficaten dem Ninten entlang, und das Ganpt ihe
Schattet ein breiter Hat, mit ehrbar flatteruden Bänden.
Endlich der treffliche Schifer in feinem blänlicen Auche
Mit Goldfaumen gebrämt, und den Hat mit adalichen Zrcien,
Und in der Hand das gewalt'ge Sawert, Das ofs in Gefahr ihm
Ehr erworben, und Mugen den meerseriramten Batascın.
Diefe Gefenfchaft soar'a, Die defieg dem Heiligen Seifen.
Doch die Mateofen folgten in Böten, und Im der Gchaluppe
Braten ſie wiederfehtend dad Ent aus Europa, die Ballen
ufgefapelt in Küften des Berge, damit nicht die Salflat
Gchadete Bürtern und Stoff, Srinwand und dem treflächen Merkteug,
@täplern, wit Wahagonienholi, verfestigt in England.
Much viel treffüches Bich warb gebracht dem wortenden Eiland.
Sechs Etud beütlender Kt, und ein Stier ans der Mari; und bie
. Heat
Wieherten nach den Einten, geholt vom grafigen Daumert.
Echafe mangeiten nicht, und Difel+ feefiende Biegen
Stredtten die Häupter empor nach dem Araut des Dünftigen Felleus.
Auch calltutiſche Hühner von Zorm mit bintigen Rümmen,
Die Landung auf Felfenburg 57
nd pplegmatiftge Ccrwein', ait der Schu’ aufmähiend bie Saud ·
dank.
Richkein pichten DaB Korn in Rügen; Enten und Gänfe
Gehuten fich nach dem Baier uud ferien auf waceladen Füßen.
Mach vier Efel blärerien laut. den Seifen befteigenb;
Beicade Zauben, einige weiß nad Die übrigen (mwaiblan
Sirrten und famäbeiten ſich liedto ſend gleich auf Dem @tcandc,
Roc vier Ommde (crlofien den Zug, in Gtriden gebunden
Blichen fie Yöhnifch mad Annan auf erbarmlich miauexde Raben,
wer macbem sum Mnich auf fehlen Boden gebracht war,
Dante der treffliche Beriffee dem Moit, entblößte Das Hauvt fich
Wufend wie tömender Crime’: Ian Bunt Euch, wad're Gefchen!
»Unfer Gefchäft iR voRhranht; wie find im Hafen der Münfe.
Wandert Gum nicht, und bier muf madtem Gefkein sm verlaffen!
Bett weich ferner ſerden, Theatre. Und lächelt Die Zukunft.
Aber gedenkt des heiligen GiD’s, dem Jeder geihworen;
Daß vorlaut Die Sippe wicht ſyriat: bewahrt Dad Gebeimniß!
Gier, ald dender des @erifs, als Gmayt der gehariumen Mannfchaft,
Eich ich Euch Ferdinand Hera, deu Gteurer vor, er detrit icpt
Beinen Play; fo geponchet üym treu, wit geiiemendes Eärfuecht.
Sceal Gucı der Himmel Bümftiges Gkärt, und baldige Städtehe,
Dom die gehärteten Cütme des Terrs, die Troder des Sindes
Welnken laut wie Kinder und ſcwentien Die ferien Aapuen
Siederdol im bie Huft, amd riefen filndiend fie Ourrad⸗
Ealcuead: Es lcde der brawe Gapitain. ber Ireffliche Wolfgang!
Eega’ ihn Berst denn er iſt umb ein Fremd, ein Water geweien.
Daramf etehäfeten wir dad @eick, aud blinden dem ganien
Zug am fandigen Etvand, bis das @cif feine Mader gelianer.
ber nachdem mit Anwomengelhoß MUidrled et wenommmen,
53 Die Landung auf Felfenburg.
Fern in Die Racıt verfchwindend, ba fliegen rothe Wafeten,
Römische Lichter, lieblich zu ſehn von fpipigen Feiſen
Eaufeten über und hin in fchönen Bogen und kuoliten
MS die dämmernde Eos mit Nofenfingern emporflieg,
Und uns ein furzer Cchlummer gelebt, begeben wir fümmflich
Und au dem Maflcefall, der geflern gewaltig gefprudeit,
Weber dad MBunderbilb des gehemmten Stromes zu Ammen,
Doc ganı trocken ſchon waren Ded Eclunds gehanene Gtufen
Und zehn Zünglinge, (ön wie der Tag, mit brennenden Fockein.
caudeutſch alle getieidet und hochdeutich fpresgend wie Gadıfen,
Kamen wie Engel hervor, und erfauneten über den Mublich,
Drauf den trefflichen Freund umarmend, den räftigen Wolfgang,
Kehrten fie ſich nach mir, und ertanuten mich gleich an den Zügen,
Rannten mich Wetter und Freund, und brüten mich feR an den Bufen.
Jetzt begab ſich der Bug dutch den Schlund des gewaltigen Berges
Sangfam gemächlich Neigend auf breiten Stufen des Feiſens.
Uber die größeren Thier' und Die Ballen wurden Durch Minden,
Zrefflich art auf der Rlippe gebaut, in tragenden Seilen
Weber. den Belfen gehoben und Aanden auf zierlichen Wagen
Eqhon im Grünen, gehäuft, auf dem Mag den Fremden erwartend.
Wie ein Kranker, der lange das Bett gehütet, er naht ſich
Täglich durch Dämmernde Gchlünde der Furcht den Gallen des Todes;
@iehe da endet ſich fenel die Roth, er gemeiet, Das Sehen
Winkt ihm wieder und fchöner mit allem blühenden Freuden;
ESo wir ſtaunenden Fremden, das Schiff, das enge, verlaffend,
Still durchſchleichend den Bang des ausgetredneten Bergfteoms.
als auf blühender Au, von Gedieg umgürtet und BBaldung,
Wieder das heilige Licht, ald neugeboren, und aufthat
Paradiefifche Luft und einiad, Die Fruchte zu koſten.
Die Landung auf Felſtaburg ”
Gicher gehemmt wor der Fluß Durch Dämme gewaltiger Balken,
Etzfen zu beiden Geiten gehan'n, dad Feid zu gewinnen,
So Baumgänge gewölbt von kazien herrlich fich zeihten,
Doppelt, ienfeit des Flnfed und bier, vol Appigen Sacuthums;
Und ein Teppich des feifchehen Grüns von Binmen geſprenkeu.
Zeife die veinende Gene des (cräg amlanfenden Gügelk.
Yalmen, Granat, Gitowen, Limonienbäum' uud Die Beige, \
Und an der Deutichen Siche gedich der indiſche Bambus.
Grahtöar waren die Tpäler und lieferten fchönes Gemüfe,
Portulast, Yeterfüke, Genf, Ignamen und Bäben,
Ananas, Yifong, Melonen, Gröfen und Bohnen;
Hd) gataten und Yams und Gocus arigte häufig.
Weiter, von keiner gaffenden Echaar gedrängt noch verhindert,
Fahren wir ganz gemäclich in ſchon gesimmerten EBagen,
Wit dem ſanetlen Befpann vielenbiger bräunlicher Hirſche.
Rein Ginwohner begegnet’ und ba, den Weg in verengen,
Wber jenfelts fahen wir Häufige Scharen in Meihen
Gerandlich grüßend, den Hut abnebmend, gefleidet wie reiche
Sandeinwohner in Sachſen vor hundert und mehreren Jahren,
Mo nahten wir und dem baumbewachfenen Hügel,
So cin geränmiges ‚Haus, mit dem Dach vor rörhlichen Ziegeln
Sadn Rh erhob, und zeigte Die Burg der Jufel; wo einn du,
Udert Jali us, treflcher @ecis, Großvater der Eatel,
U ein Züngling die Hütte gebaut; Gmtdeder des Gilands.
Sie wie und nahten und sogen in fchöngeordneten Meihen
Ueber den Fluß, auf der Brüde, vom Hol des Waldes gejimmert,
Ciche, da üfnete fich der ſutſam grüßende Haufen,
Bit den heitern Gefichtern, und Ind ans ein, nach Dem Gaine
60 Der Großvater fängt an
Gieich zu eilen, wo Bü’ ald PUader der getriſaen Mieche
Cchlanf fich wölbten, und mo und Der Sreis erwarten im Seimiiubl.
Wisee bie Jünglinge fecueten A Bee wichernden Ylerbe,
Mütted md Bäter fah'n mit Bergnügen Die Kuh? ımd Die Sqatzucht,
Mädchen Die Tauben, und Rinder Die Körner frofienben Hühwer:
Etreckien die Heinen Haͤnd' Hinans mis Arumen Des MWeoteh,
Diiefen: Kiterif! Denn, fie tannten fie ans der Beflwelbnng.
Uber der herrliche Greis mit Iodigem Stlber barte
Mit dem offnen gefunden Gefidht und der Stiene von Adel.
‚Hob vom Stuble fih famen, den lommenden Gnkel erwartend,
Nief: Mein Eberhard! Bott! ja Du biſrs! Ich kenne den Bruder! "
Und von den Armen des Grriſes gedruͤckt. füB weinte der Iangling!
5.
Der Großvater fängt an ſeine Lebensgeſchichte
zu erzählen.
Unfere Netfenden find ſchon acht Tage anf der Inſel
Felfenburg, haben ſich umgefehen, und die Täler zum
Theil von den Einwohnern bebaut gefunden. Sie haben
den Hirten» und Aderleuten, die in niedlichen Häufern
mohnen, mit Bt6eln, Gefangbähern, mit weltlicen Sthrife
ten, eifernem Hausgeraͤthe u. ſ. w., Gefchenke gemacht.
Sie haben die Felſen, von denen die Infel wie von einer
Feſtung umgeben it, beftiegen, and berrfihe Metalladern
feine Bebensgefbicte au erzählen. 6
in den Edpihyten gefunden; fie And durch den Wald gegan
gen, umd haben treffliches Bauholz Äberall angetroffen. Je⸗
den Abend find fie zur Wibertsburg, zum lieben Großvater
aurürfgelehet, und. haben den hend mit iyın fröhlich zuger
bracht. Andy haben fie fon dem Gottesätenfte in der füße
len bohen Laube beigewehat. Magifter Scymeher bat eine
fhöne Predigt gehalten, Bademann auf einer mitgebrachten
Sandergel gefpict; Andagt und Freude haben die Ge. .
meinde befeelt, und der kräftige Greis bat unter dem Gate
tesdienfte herzlich geweint. In den Rath der Grauen
(feine Grafen, fondern wirflihe Greife, wie zu den Seiten
Kari des Eragen) find die gebildelen Europäer: Schmel⸗
zer, Wolfgang, Lipberg und Eberhard aufgenommen,
Schmelzer und Eberhard Haben das Schul-⸗ und Erzie-
bungeweſen unter ſich; Lipberg ift Direktor der InduRrie
und der Gebäude. Wolfgang bat ein wilitairiſches Inftie
tut eingerichtet. Lademann aber wünſcht fein großes Amt;
er wi lieber unter Lißberg arbeiten, und ihm gehorcht
wieder der trefflihe Ehmid Heinrich Wetterling. Der
Arzt, Herr Cramer, hat Gott Lob als foldyer nicht viel zu
thum gehabt, denn Die Beute bier auf der Infel And ger
fund, und fierben gewẽhnlich mur in hohem Alter; als Be⸗
tauiter und Naturtundiger wird er aber der Infel von gro⸗
em Nupen fein. Hanna Helkraft iR wieder ganz in ide
tem Elemente. Cie bat eine Landwirthſchaft angefangen;
die Kühe und die Schafe gehören zu ihrem Departement,
wur auf des Großvalers Tiſch hat fie ſchon trefflichen
Shmeiserfäs zum Defert gebracht. Lißberg hat eine fhöne
Aoonfchäht gefunden, pon der er Porzellan zu fabriciren
denkt. Gine Kirche foll auf der Infel gebaut werden, und
die rüßigen Männer, die bier Das Maurer> und Zimmer⸗
62 Der Grogvater fängt an -
bandwert freien, werden unter Liäbergen Bademann trefls
liche Dienfte keiftene Ieden Abend, wenn die Freunde nach
Haufe kehren, und zu Nacht gegeſſen hab, erzählt der
Großvater Albert Julius ein Kapitel aus feinem Leben
laufe. Bir wollen ipn feloft reden hören, und feine Er⸗
zaͤhlung nicht dadurd) unterbrechen, daß wir die Tagtsare
beit der Zuhörer dazwiſchen einſchieben.
Der Greis erzählt alfo, und wir fliegen. uns an den
trauen Kreis der Zuhörer.
Ich habe oft fagen hören: Die Menſchen ſind nicht
immer glüdlih, darum ift «6 beffer mit Trübfal anzufan.
gen, als umgekehrt. Ich mag ſolche Nedensarten nicht.
Die mehreften Menſchen nd freilich nicht immer glücklich;
viele werden es nie. Barum folte es aber nit mitunter
ganz gläftihe Menſchen geben?
Bas mid beirift, ſo habe ich freilich ziemlich früh
den Wermuthsbecher geleert. Gott Hat ‘aber alles zum Be⸗
Ren. gelenkt.
Wenn id) in meinem Gedachtniſe zu den frübeften Er⸗
innerungen zurüdgehe, fo finde ich mic, im ſechsten Jahre
meines Alters, in der großen ſchönen Stadt Prag in Böh-
men, wo mein Bater Stephanus Julius bei der hoben
Säule als Lehrer der Philoſophie angenelt war; und mo
meine Aeltern anderthalb Jahr ein ruhiges glüdfiches Leben
führten. Der unfelige Iwiefpalt zwiſchen Lutheranern und
Reformirten, der fih auf einige Meine Abweichungen der
Glaubensformeln gründete, hatte fhon zu großen Uneinig-
keiten Anlaß gegeben, und war wohl die Haupturſache,
marum die Reformation nicht weiter gedieh, fondern viel«
feine Lebensgeſchichte au erzählen. 63
mehr zurädging. Mein Bater lieg ſich aber nicht irre ma-
ben, und als er einen Ruf durch den Hofprediger des Ko⸗
nigs, Ecultetus, bekommen hatte, verlieh er Gamfen, und
zog nach Prag, in fehr ehrenvoller Anftchung, nachdem er
zu der reformirten Religion übergetretm war. Diefer
Schritt koſtete zwar meiner guten Mutter viele Thränen;
denn fie mar aus Eiſenach gebürtig, aus dem Geſchlechte
Luthers und fehr ſtrenge in der Iutherifhen Glaubensform,
melde fie aud) nie Ablegen wollte, erzogen.
„Lieber Großvater! — rief Eberhard hier in freudiger
Befürzung, — ift Ihre Mutter auch aus dem Geſchlechte
Luthers? Ach dann. find wir ja einander doppelt ver-
wandt?“ — Daher fehreibt fih die große Achnlihteit, ſagte
der Greis, den Jüngling herzlich umarmend, und fuhr in
feiner Geſchicte fort.
Das Glüd meines armen Vaters dauerte nicht lange
Epinola rüdte von Spanien her in die Nheinpfalz mit
24.000 Mann; fodann ſchlugen Marimilian von Bayern
und der Öfterreihifhe General Bouquoi am 8. November
1620 die Böhmen aufs Haupt, wodurd fi Ferdinand in
feine Rechte wieder einfepte, und Friederich gendthigt ward,
nach Holland zu fliehen.
Länger denn drei Monate nah der Schlacht war im
Drag alles fo ſtill geblieben, daß die Böhmen bereits hoffe
ten, fie. würden ungeftraft wegkommen. Auf einmal wur⸗
den aber vierundvierzig der vornchmften Häupter der Em⸗
vorung in ihren Hänfern feftgenommen und in’s Gefängnig
gefpleppt. Unter diefen waren der Rektor der Univerfität
Ieffenius, und mein unglüdtiher Vater.
Bir Kinder gingen ein Paar Tage vor diefem Ereige
wife ſorglos umher, ſpiclten und freuten uns, denn 16
— Der Großvater fängt an
nabte fc eben der Beburistag unferes Baterd. Chen wir
die Geſundheit meines Vaters ausgebracht werden follte,
ward ftarf an die Thüre geflopft. Er eilte felbft hinaus.
In der ofienen Thüre fanden Helteharditen, Die ihn er-
griffen und in’s Grfängnig abführten. Denkt End, welch
ein Geburtetag für Mutter und Kinder!
Die Säfte bejeigten uns allen tief ſchweigend mit Haͤn ·
dedrug und Thränenblid das herzlichſte Mitleid.
Bir Kinder mußten wicht, wo er binging, und was
die Hellebardiften eigentlich gemellt Hatten; wir meinten
und jammerten, weil der gute Vater an feinem Geburts“
tage weggeſchlevpt ward, und die verzweifefnde Mutter
tonnte uns zicht tröften.
Es verfloffen acht Tage, in welchen die Matter fait
fein Wort ſprach. Cie ging und kam, gab uns unfere
Rafrung zu rechter Zeit, weinte, betete, Ins in Oefangbüs
ern und in der Bibel, und lehrte ung Kindern umter wies
len Thränen das fchöne Lied: Jeſus, meine Zuder·
figt.
„A Gott!“ rief Eherbard. Er faßte fih ader und
ſchwieg, um den Greis nicht zu unterbrechen.
An einem Nadmittage kam der Schneider mit einem
Bündel Kleider. Ohne uns fie anzupaflen, wie er fonft
pflegte, legte er das Bündel mit betümmertem Geſichte auf
den Tiſch, drüdte meiner Mutter die Hand, fprah: „Ich
nehme keinen Heller dafür,“ und entfernte ſich ſchnell. Souſt
pflegten wir uns immer zu freuen, wenn wir neue Kleider
bekamen, jegt ſchuttelte ums aber ein ahnungsvolles Grauen,
* als die Mutter das Bündel aufmachte, und wir fahen, dag
es ſchwatze Kleider waren. Ach if mein Vater ſchon todt?
vief Rudolf, der Aelteſte. Noch lebt er, wein Sohn, aut ·
\ feine Lebensgeſchichte zu erzählen. 6
wortete die Mutter, zieht die Kleider am, Kinder! ich will
die meinigen aud anziehen, dann geben wir, den Lieben
Vater zum letzten Male im Gefängniffe zu befuhen. Er
wůnſcht ung fo zu fehen. Gr will die Trauer feiner Lie⸗
ben vor feiner Hinfaprt vor Augen haben. Es wird ihn
tröften und freuen. Ich fühle mic ftark genug dazu. Kommt,
Kinder!
Bir gingen in unfern ſchwarzen Kleidern dahin, der
lieben Mutter zur Seite. Es war ihr ein fauerer Gang
und fie mußte ſich unterweges mehrmals fepen. Der Ger
fängnivogt öffnete ung die eiferne Thür, mir traten in's
Zimmer, von einer (dwaden Lampe daͤmmernd erhellt, und
ſtanden zitternd vor Furcht vor einem blaflen hagern Manne
mit hohlen Augen und ſtruppigem Barte, der in der Ede
in Gedanken vertieft mit verfhlungenen Armen, die Augen
auf den Boden gerichtet, faß. Es war unfer Vater! Ib
erfannte ihn an dem gewöhnlichen Morgenüberrode, den er
immer des Vormittags bei feinen Arbeiten trug Wenn
ih auf feinem Schooße faß. pflegte ich ihm an einem der
meffingenen Knöpfe zu dreben; und diefer Knopf hing noch
loſe am Faden herab. Bei dem Geräufde ſchlug er die
Augen auf und ſtarrte uns an; kaum hatte er ung aber
erkannt, fo fprang er auf, drüdte uns heftig an die Bruft,
und küpte uns zu wiederholten Malen. Drauf zog er uns
bin zum Lichte, um mit inniger Liebe unfere Geſichtszuge
recht zu betrachten. Jetzt hatten wir alle Furcht verloren,
{6 feßte mic wie fonft auf feine Knie, Rudolf ſtellte ſich
ihm zur Seite, und die Mutter fepte fih ihm gerade ge
genäber. Was er dann ſprach, hat uns die Mutter nad
ber wieder erzaͤblt. Es lautet ohngefaͤhr alfo: Lieben Kin-
der! Euer Vater fol ſterben. Weinet nicht, first Euch
Dehlenſ. xvi.
66 Der Großvater fängt an
mit! Wie oft hab' ih Euch gefagt: der Tod fei für dem
guten Menfchen nur ein Uebergang zum fhöneren Dafein.
Bon äußerfter Wichtigkeit ift «6 mir aber, daß Ihr es
wißt und glaubt, Euer Vater fterbe unfhuldig. Noch feid
Ihr zu Mein, um das Alles zu begreifen, was ih Euch
von meinem Schidfale fagen Fönnte; fo viel mögt Ihr in«
deg vernehmen: Die Menſchen, die ſich Chriften nennen,
rafen nody immer, wie Inden und Heiden vor 1620 Jah⸗
en, als Chriſtus geboren ward. Statt ſich zu- feiner himm⸗
uliſchen Lehre zu Halten, Gott / über alles, und ihren Näch⸗
ften wie ſich felbft zu lieben, zanten fie fih um Wunder
thaten und Nebenſachen, und ein gräßlicher Religionskrieg
wird nad) meinem Tode in vielen Jahren Europa und be
ſonders unfer deutſches Vaterland vermäften. Als Opfer
dieſer Parteiwuth und Seftenfhwärmerei falle ih. Eure
Mutter bringt Eudy nad) meinem Tode zu ihren Verwand⸗
ten in Eiſenach, wo, wie ih es mwünfde, Ihr in der Tuthe-
riſchen Kirche erzogen merdet. Glaubt aber ja nicht, Kin«
der, daß Euer Vater feinen Glauben verläugnet habe.
Zwiſchen Lutheranern und Neformirten ift nur ein fehr
einer Unterfchied, der, wenn der Eifer nicht beiderfeits zu _
heftig gewefen wäre, zum größten Heile des Chriſtenthums
leicht Yätte ausgeglichen werden Können. Und jept, Kinder,
wollen wir den letzten Abend freundlich unter einander zu⸗
bringen. Der Gefängnigvogt bringt uns bier ein gutes
Abendeſſen, Waſſer und eine Flaſche edlen Bein. Bir
wollen uns einbilden, dag wir in gemaͤchlicher Ruhe wie-
der fo mit einander figen. Kommt Albert und Rudolf,
tagt mid) in Euren leinen zinnernen Becher ein wenig
Bein gießen. Ihr follt mit der liehen Mutter auf die Ge⸗
ſundheit Eures Vaters trinken, den Abend vor feinem
feine Lebensgeſchichte zu ersäblen. 67
Geburtstage. Ia, rief er frendig-männlih, und ſchlug
die Fräftigen Augen gen Himmel, morgen werde id neuges
boren! Weint nicht, ihr Lichen, weil der Vater kurz vor
Euch eine große Wallfahrt unternimmt; wir fehen uns ja
bald wieder,
So fließen wir denn mit ihm an, und tranfen wei⸗
mend auf feine Geſundheit. wie er es haben wollte. Bir
munderten uns über den herrlichen Mann, der in diefem
Zuftande fo heiter fein, und fo vielen Muth zeigen konnte;
mir waren daran gewöhnt, uns von feinem Gefühle, von
feinen Meinungen beherrfcen zu faffen; fo agen wir denn
getroft unfer Abendhrod mit gutem Appetit wie er. Die
Mutter aber konnte nichts geniegen, fie weinte ſtill vor ſich
bin, indeflen freute es fie doch, den geliebten Gatten mit
feinen beiden Knaben fo ſtandhaft und muthig zu fehen.
Drauf ſprach der Vater: Wir pflegten fonft oft des
Abends Gefbidten und Mähren mit einander zu Iefen;
jest wollen wir die Leidensgeſchichte des himmliſchen Jeſu
leſen, der weit unfhuldiger als ih armer Sünder fterben
mußte. Dann wollen wir aud das Evangelium vom bei
ligen Stephanus Iefen.
Mein Bater, meine Mutter und mein Bruder Tafen
nun wechſelsweiſe, und die Leiden des Erlöfers, die er fo
fanft, fo kräftig, fo geduldig, fo ſchön ertragen hatte,
ſtärkten fie, das ihrige auszuhalten. Ich kleiner Iunge
konnte das alles nicht faſſen und mitfühlen; meine kindliche
Gelaſſenheit, Verwunderung und Zerftreutheit rührten fie
aber noch mehr; befonders als ic mit gefalteten Händen
das Evangelium vom Etephano, das id) ansmendig konnte,
laut herſagte, und mit den Worten ſchloß: „So fteinigten
fie Stephanus, der rief und ſprach: „Herr Iefus! nimm
5
68 Der Großvater fängt an
meinen Geiſt auf.“ Er fniete aber nieder, und ſchrie Laut:
„Herr, behalte ihnen diefe Sünde niht! Und als er das
geſagt hatte, entſchlief er.”
Es berrfhhte eine tiefe Stille, nachdem ih geendigt
batte, und die Andern beteten leife. Drauf nahm der Ba-
ter das Geſangbuch, fhlug ein Lied auf und flimmte mit
ftarfer Bapftimme an. Meine Mutter hatte einen Herrli-
hen Alt, wir zwei Knaben waren Diskantiſten, fo fangen
wir den Choral dreiftimmig. wie es und der Bater gelehrt
batte:
Zeſus meine Zuverficht
Mad mein Heiland iR im Leben!
Diefed weiß ich! font" ich nicht
Darum mich zufrieden geben?
Bas die lange Todesnacht
Mir auch für Gedanten mac.
Ich bin Sleifch und muß daher
Much einmal zu Mfche werden;
Das gefteh? ich; Doch wird er
Mich erweclen aus der Gröen,
Das ich in der Herrlichkeit
m ihn fein mög’ allezeit.
Diefer meiner Augen Licht
Wird ihn, meinen Heiland, kennen;
Ich, ich felbft, fein Fremder micht,
Werd' in feiner Siebe brennen;
Nur die Schwachheit um und an
Bird von mir fein abgethan.
feine Lebensgefhichte u erzählen. bo
Bas hier trantet. feufst und fieht,
Wird dort friſch und herrlich gehen;
Irdifch werd’ ich ausgefät,
Himmlifh werd ih auferfichen.
Hier geh ich natürlich ein!
Rachmals werd' ich geifllich fein!
Nachdem wir das Lied gefungen hatten, küßten wir
unferm Vater die Hand, und wunſchten ihm gute Naht,
wie gewoͤhnlich, wenn wir zu Bette geben follten. Gr um-
arınte une, und betrachtete uns lange mit unſäglicher Liebe.
Drauf nahm er die Bibel von dem Tiſche, und die ſilberne
Upr aus der Taſche, verehrte meinem Bruder die Bibel
und mir die Uhr. „Mein Heiner Albert,“ ſagte er, mid
liebkoſend (denn obſchon er beide feine Söhne väterli
liebte, war ich doch, als der Kleinfte, fein Liebling) diefe
Uhr Hat Dein Vater zwanzig Jahre in feiner Taſche ger
tragen, und Abends ordentlih aufgezogen, wenn er zu
Bette ging; heute thu' ich es nicht, und Du ſollſt es auch
beute Abend nicht thun. Nimm die Uhr, ſteh morgen früh
auf, und bete für Deinen Bater. Um fieben Uhr wird
der Zeiger fliehen, weil die Uhr nicht aufgezogen iſt; zu
der Zeit wird Deines Vaters Lebensuhr auch in’s Stoden
gerathen. —
Drauf kehrte er ſich zu der Mutter und ſprach: Nun,
meine treue Lebensgefährtin, mein gutes Weib, wir müllen
ſcheiden. Jetzt zeige, daß Du eine kräftige Enkelin biſt des
srogen Martin Luthers. Faſſe Dich, und made die Ana-
ben nicht mod) betrübter. Gieb mir den Abſchiedskuß.
Einmal hätte es doc, fein müflen, und wer weiß, ob denn
Krankheit und Schmerz uns erlaubt hätte, einen fo ſchönen
70 Der Großvater fängt an
Abſchied von einander zu nehmen. Meine liebe Schwefter
farb im Ficher; mit rothem brennenden Gefihte, fliegen»
den Haaren und wilden irren Yugen, ftarrte fie mic zum
legten Male an, ohne mic zu fennen. da id fie am Ster-
bebette fah, und von ihr Abſchied nehmen wollte. Als ich
ihr einige Worte der Liche fagte, nicte fie gleichgültig und
ſprach verworren: Wir können mit fhönem Bewußtſein von
einander fheiden. — Die Mutter fiel dem herrlichen Manne
um den Hals und ſchluchzte; er trat zum Fenſter und ſprach;
Der Moend ſcheint ar in der Herbſtnacht. Morgen Nach⸗
mittag, liche Frau, könnteſt Du einen Meinen Epaziergang
mit den Knaben nad) dem Gottisader außer dem Thore
machen. Laß fie dann Blumen und Eand auf mein fris
ſches Grad freuen. Aber morgen Wormittag — bleibt zu
Haufe! Schließt Euch alle Drei auf Euer Zimmerlein ein,
und betet. — Darauf rief er den Gefängnißvogt, umarmte
uns nod einmal und entlich uns.
Am nächften Morgen ftanden wir früh auf und bete⸗
ten. Die Uhr lag vor uns auf dem Tifhe. Eden als die
große Stubenuhr ſieben ſchlug, Hörte die Beine filberne
meines Vaters auf zu gehen, und der ſchwarze ftählerne
Zeiger fodte. Meine Mutter fiel in Ohnmacht. Eine
treue Nachbarin fam ihr zu Hülfe. Der ganze Tag ging
il bin, ohne dag von ung Dreien cin Wort gewechſelt
ward. Wir waren alle blaß und falt, zitterten, und ſetz⸗
ten ung Jeder hin in feine Ede, wie Zauben im Donner
wetter. Die Nachbarin beforgte den Tiſch. Bir Knaben
Tafen die Tiſchgebete, wie gewöhnlich, fonnten aber nichts
genießen. Beinen konnten wir nicht. Unfere Mutter Iegte
fi) aufs Bett. und flarrte gen Himmel. Bir fürdteten,
daß fie ſterben würde. Rudolf kehrte die Stuben, denn
feine Lebensgeſchichte zu erzählen. a
die Magd hatte uns verlaffen, ich ſchälte einen einen grü-
um Steden, Als es dämmerte, ftand meine Mutter auf
ging in den Garten, und fam zuräd mit einem großen
Blumenftrauß und einem Bündel vol weißen Sand. Sie
Üfnete eine Schublade und ſtecte drei Eleine Nürnberger
Schachteln zu fih. Ihr Weſen Hatte ſich verändert; fie war
zubig, Präftig, ein edler Stolz gegen die eitle Belt, den
fie wohl von ihrem großen Ahnherrn geerbt hatte, Ieude
tete von ihrer Stirn. Eie fang mit ſtarker Stimme: „Eine
feſte Burg ift unfer Gott!” Der Mond ſchien, und wir
folgten ihr aufs Feld. Cie machte einen ziemlichen Um⸗
weg, bis wir mitten anf einer öden Wiefe fanden. Bir
entdedten in der Ferne mitten im Grünen einen weißen
Ele. Als wir näher kamen, war es ein blutiger Sande
baufen. Cie fniete nieder, fügte den rothen Sand, füllte
die kleinen Schachteln damit, und reichte jedem Kinde die
feinige. Es war unferes Baters unſchuldig vergoflenes
Blut! Drauf gingen wir zum Gottesader, und beftreuten
fein friſches Grab mit Blumen. Ach, was wein’ ih ſchwa⸗
ser Greis nad 94 Jahren? Meine Mutter und mein
Bruder baben ja fon Längft im Himmel den Seligen ge-
funden; bald uümarm' ich fie ale Drei wieder!
6
Kindheit in Eiſenach.
Unfere einzige -Hoffnung ftand jept zu meiner Mutter
Schwerer Urfula in Eiſenach, die unverheiratget war, uud
n2 Aindheit in Eifena.
ein Häbfches Vermögen beſaß. Meine Mutter Hatte aber
ad’ das Ihrige verloren, denn meines Vaters hinterlaffene
Baarſchaften deliefen ſich nicht höher, als daß ſie die Neife
von Prag nad) Eiſenach damit beftreiten konnte.
Urfula war ein drolliges Gefhönf, nicht ohne Gut
berzigkeit, zugleich aber von vielen Albernheiten und Drol⸗
ligkeiten zufammen geſeht. Cie war eben fo garfig, als
unfere Mutter fhön war, und deshalb war fie mob! mit
fammt ihrem Gelde, (das fie von einer noch garftigern
Verwandtin geerbt Hatte) eine alte Jungfer geblieben. In⸗
deß liebte fie unfere Mutter berzlih; als wir anfamen
weinte fie, und drüdte uns Knaben an die Bruft. Drauf
bielt fe obngefähe folgende Rede, die ich auswendig weiß,
weiß fie ähnliche nachher mit Variationen oft wiederholte:
Liebe Schweſter! Die Borfehung hat es beiler mit
mir als mit Dir gemeint; denn hab’. ich freilich feinen
Mann befommen, fo babe ih aud feinen verloren, und
drauche meinen Verluſt jetzt nicht zu beweinen. Di hat
die Natur mit einer unglückſeligen irdiſchen Schoͤnheit in
Derfuhungs geführt; mid, bat Gott dagegen von dieſem
Nebel erlöfet und mic gegen alle Anfehtungen mit dem
ehernen Schilde der — mie fol id es nennen — der
Shmudiofigkeit bewahrt. Dod, hätte id) vielleicht eben fo
ſchon wie Du, und noch fhöner werden können, wenn es
der liebe Gott gewollt, ih meine, wenn nicht die garftigen
Blattern mit ihren Narben mein vorher glattes Gefiht fo
entftellt hätten; eine Strafe Goltes, meil ich nicht den
Kitzel bezwang und das Juden des Blutes mit dem Kragen
der Nägel befricdigte. Doc dafür dank' ih meinem Schö⸗
pfer und Heren! denn, recht beim Lichte beiehen, was it
Kindheit in Eiſenach. 73
Schönheit anders, als die Wurzel alles Boͤſen? Hätte wohl
Eva fo begierig — nad dem Apfel verlangt, wäre nicht
die Schlange fo fhön geweſen? Hätte nicht Adam einen
feſteren Gharafter gezeigt, wenn ihm nicht der Reij feines
jungen Beides aus der Faſſang gebraht? Traun, ih
hätte ihm zehn Mal den Apfel bieten können, er bätte ihn
fauer geheigen und nicht darein gebifien. Doc wir wollen
uns im Paradiefe nicht länger aufhalten; da ging es noch
fo leldlich. nachber kam aber die Arbeit im Shweige des
Angefihtes, die Eünde der verführerifhen Lodungen und
die Geburtswehen! Davon wußte die arme Sara ein Wort
zu fagen, als fie wegen des Kebsweibes Hagar vom recht⸗
lien Eheherm vernagläffigt ward. Vorher hatte ſich aber
Pharao an Abraham geräht. Das ſchadete ihm wicht;
warum gab er dıe Fran für feine Schwerer aus? Soiche
Unmabrbeiten fönnen zu den ärgften Dui-pro-quo’s Anlag
geben. Meiner Treu! Nicht alle Mannsbilder find Jo⸗
fenbe, davon giebt es leider ſowobl in der Scrift. ale in
der profanen Geſchichte unzählige Beiſpiele. So ſtandhaft
war Loth gegen feine eigenen Zödter nicht, waren nicht
die Kinder Iſraels gegen die Töchter der- Moabiter. Muß-
ten die Sichemiter nit erbaͤrmlich bluten, weil der Sichem
die Dina, Lea’s Tochter, fo fhön gefunden? Und alfo konnte
die garftige Lea doch eine ſchoöne Tochter gebären. Da ſieht
man, der Apfel ann aud mitunter weit vom Stamme
fallen, und eben fo umgefehrt. Es wäre ihr aber befler
geweſen, der armen Dina, wenn fie hübſch garftig wie
ihre Mutter geblieben; dann bätte fie zu ſolchen Berwä-
ftungen feinen Anlaß gegeben. Was ſprech' id noch von
Sufanna im Bade, die den zwei ehrmürdigen Richtern fo
fehr den Kopf verrüdte, daß fie alle Biligteit vergagen und
74 Rindbeit in Eiſenach
nicht länger ordentlich urtheilen konnten? Oder von der
Bathfeba im Bade, die den Löniglihen David ganz
aus dem Takt brachte, als der gute Harfner hüͤbſch ehrbar
auf dem fühlen Aitane mit der Harfe zwiſchen den Beinen
Tag. ſich mit dem unſchuldigen Saitenfpiel ergögend, und
an nichts Böfes denkend? Wahrlich, id liebe auch Die,
Reinlichteit Über alles, allein fo etwas foll man unter
Schloß und Niegel verrichten, nicht Öffentlich unter Gottes
freiem Himmel ein Skandal geben, mit dem Teuer
fielen und das Blut der Mannsbilder in Wallung hrin-
gen, wenn fle ſich auf den Dächern ihrer Häufer abkühlen
wollen. Sol id Dir noch den großen Salomo anführen,
deſſen Weisheit über die ganze Welt verbreitet war, bis
ihn die Schönheit der heidniſchen Metzen am Narrenfeile
herum führte? Dagegen könnte ih Dir taufend Beifpiele
nennen, liebe Schweſter, dag «6 der Herr Gott mit den
haͤßlichen Jungfern immer fehr gut gemeint. So konnte
fid freilich Lea niht mit Rahel an Echönheit vergleichen,
und doch befam fie fieben Jahre früher einen Mann, und
zwar denfelben, auf welchen Nagel vorber mit Licbäugeln
und Schönthun Jagd gemacht. Befler aber nicht heira-
then! Und damit konnte fi) auch die unglüdfelige Tochter
Iephta’s tröften, daß fie doch wenigftens als eine reine
Magd abgethan ward. Und fo mill id denn auch, wie fie,
als die fieben Eugen Jungfrau'n, und als meine heiligen
elftaufend Namensſchweſtern, die Urfulen, mein Lebensöl
für den himmliſchen Bräutigam auffparen, und als Jung ⸗
frau verwelfen, leiden und fterben. Amen! Hättet Du
eben fo folid gedacht, Julchen, fo hätten Du es eben fo
gut, wie id, baben können, ftatt dag Du jet einen Gate
ten beweinft, der zu ſterben verdiente, weil er von unferm
Kindheit in Eiſenach. 75
aleinfeligmadyenden Lutherthume, als ein Ahtränniger und
Nenegat zu der calvinifhen Heidenfhaft überging.
Meine Mutter antwortete: Liebe Urfula! Ich kenne
Di, weiß, dag Du gut bift, und dag man Dich nicht
immer nad Deinen Yeugerungen beurtheiien muß! Ich
bitte Did aber, fei gerecht, und rede mir meinem feligen
Ebeherrn im Grabe nichts Uebles nah, ſonſt nöthigt Du
midy wieder in die weite Welt hinaus zu gehen, und-mein
Brod, mit den Meinen Knaben an der Hand, bei den Thü-
ren witleidiger Chriften zu bettelm.
Bie? rief die Muhme, der zwei allerliebften Knaben
willſt Du mid wieder berauben? Nein, das duld' ih
nicht, fie ſellen bei mir bleiben. Knaben find noch feine
Mannebilder. Wenn fie erwachſen find, und ordentliche
Wannsleute geworden, dann können fie fid nur wieder forte
ſcheeren. Kinder find aber wie Engel, fie gehören feinem
Geſchlechte an. Hab’ id) doch meinen Papagei, meine Kahe,
meinen Mops ganz über die Jungen vergeflen. Da ift
auch das Elcine Aennchen, die Tochter der Nachbarin, die
mocht ich fonft immer fo gern leiden. Seit aber die Ana
ben hier find — Mit den Knaben bat es eine andere Art
— fie find ſchrotiger, tüchtiger! Und fie follen ja Luthera⸗
ner bleiben, und feine calvinifhe Heiden. —
Ihr feliger Vater bat ſelbſt befohlen, dag fie lutheriſch
erzogen werden follen! — fiel ipr meine Mutter in’s Wort.
— Nun dann kann er vielleicht auch noch felig werden,
fagte die Muhme, dann bat er ſich bekehrt, und feine
Sünde gebüßt. So will ich ihm denn auch der leben Ana«
ben wegen nicht länger abhold fein; denn es war fonft ein
draver, rechtſchaffner Mann mit vielen guten Eigenſchaften;
die Philoſobhie hat ihm aber zum Atheiſten gemacht.
76 Kindheit in Eiſenach.
Du liebt die Knaben, Schweſter, verfeßte meine ber
trübte Mutter Lächelnd, und doch wollteſt Du, da ic) ihre
Mutter nicht fein ſollte. — Nun, rief Urfula, geſcheben iſt
geſchehen, und laͤßt ſich nicht ändern. Die Knaben find nım
einmal da. Sie find unfhuldig, was konnten fie dafür?
Und dabei wollen wir es bewenden laſſen.
Schade, daß unfer großer Ahnherr die Klöfter aufge
hoben hat, verfeßte meine Mutter, weil Dir doch die Ehe
fo zumider it. — Eine Jungfrau darf nicht gegwungen
fein, erwiederte Urfula, fonft bat fie fhon ihren Lohn da-
bin. Ihr Herz muß felbft ein Kloſter fein, worin fid keine
masculine Gedanken einſchleichen dürfen.
Von jet an waren wir bei der Muhme, gingen in
die Schule zu Eifenad, und fie ließ es uns an nichts man⸗
gen. Bei alle dem Ichten wir doch mitten im Ueberfluffe
nicht fo gut, als wir hätten thun können, wenn die Urfula
tüchtiger, oder weniger eigenfinnig geweſen wäre. So wur⸗
den zum Beifpiel immer die Eßwaaren reihlih, ja, gar
zu reichlich eingefauft; felten waren fie aber recht vorzüg-
lich, weil die Muhme immer in grogen Portionen das
Baufte, was am wohlfeilften war. So hatte fie Boden und
Keller und Hafen drangen an der Küchenwand voll hän-
gen, ohne eigentliche genaue hiſtoriſche Kenntniſſe von die-
fen Sadyen zu befigen, fie ließ es immer bei'm oberflädli-
hen Ueberblid und einer gewiflen Iyrifhen Unordnung bes
wenden, Die Folge davon war, dag der Tiſch oft mit
geſchmackloſen, oft widrigen Epeifen voll befegt war Das
Fleiſch hatte mitunter zu fanlen angefangen, die Fiſche
hatten einen moderigen Gefhmad, das Brod war wurm ⸗
fräßig. Dazu kam, dag die Muhme, die durchaus ſelbſt
die Schüſſeln bereiten wollte, und ſich viel auf ihre Koch⸗
Kindheit in Eiſen ach: 77
kunſt einbildete, nichts weniger, als eine gute Kochin war.
Nie ging fie in die Küche, ohne vorher ihre wohftändige
Toilette gemalt zu haben. Da ftand ſie nun ſteif in Reife
röden, mit einem blauen Filzhute fdräg auf dem Kopfe
über den Haarwulft mit Nadeln befeftigt, als eine Schä-
ferin, die Sleifhgabel in der Hand, und hatte noch oben⸗
drein die Echlaffuht fo, daß fie oft nahe daran war, in’s
Schornſteinfeuer zu fallen, und wie die Tochter Jephta's
oder wie Iphigenie geopfert zu werden, hätten fie nicht die
fteifen Roͤce gerettet, in denen fie, wie eine Nürnberger
Holapuppe hängend, gar nicht umfallen tonnte, wenn fle
auch Peine Beine darunter gehabt hätte. Bei Tiſch ſchlief
fie gewöhnlid ein, indem fie den Lörfel zum Munde führen
wollte; dann niefte mein Bruder Rudolf ihr gewaltig in’s
Ohr, wodurd fie aus dem Schlafe geftört, verwildert die
Augen umberwarf, und ihm gutherzig zulähelnd mit dem
Finger drohte, wenn fie feine Schalkheit entdedte. Der
Beine Mops lag ihr jeden Nadmittag im Schooße; eine
Meine Stubenubr hatte fie auch, die allerlei ſchmachtende
Melodien fpielen Fonnte. Cine Weiſe rührte fie befonders
berzlich, fie fang dazu ein Lied, wovon fie nur die zwei
erften Zeilen wußte, die alfo lauteten:
„Acdh weh, wie iR mein junges Dera
Berwundet alfo hart.“
Dazu meinte fie ganz erbärmlih, und trodnete ſich die Au-
gen mit dem Humde.
Ihr Phlegma erfaubte ihr nicht, in heftigen Sorn zu .
geratben; einmal ward fie aber doch auf Nudslf bitter
böfe, als er ihr den Mops an einem heißen Hundstage in
den fühlen Stubenofen eingefperrt hatte. Sie begriff an⸗
fange nicht, wo der Hund begraben läge, rief, PAR, trip«
78 Kindheit in Ciſenach.
pelte ängftlid umher, und konnte ihm nicht im zugemachten
Dfen bellen hören, bis die Magd. kam, und den Liebling
aus dem Gefängniffe heraus ließ. Nudolf befam einen
derben Verweis, und die aufgebradte Muhme ſchloß ihre
Nede mit den Worten: Das ſag' ih Dir, Bube,. unter
ehe Dich nicht, Fünftig den Hund zum Narren zu haben!
Bie nun aber Iuftige übermüthige Knaben find, wir
liegen es nicht dabei bleiben. Auch der Papagei und der
Kater, die uns das Herz der Muhme abwendig machten,
ſuchten wir in’s Unglück zu ſtürzen. So Ichrten mir den
Papagei die Worte: „Alte Iungfern“ fagen, und er-
goͤtzten uns Föftlih, wenn die Muhme lichkofend dem Vo—
gel den Kopf fragte, und er dazwifhen immer: alte Iung-
fern! ſchrie. Weil fie taub war, konnte fie den Ausländer
der fein Deutſch mit fremdem Accente vortrug, nicht recht
verftehen, und glaubte, dag er: „Halte die Jungen
fern“ fage; denn fo hatte mein Bruder es ausgelegt und
ihr weiß gemacht, daß der Schulmeifter, der alle Mittwoche
bei ung den Freitiſch hatte, cs den Vogel gelehrt Hätte,
weil wir Knaben immer den Papagei zu neden fuhten.
Ein andermal waren wir früh morgens in die Milde
kammer gegangen, hatten alle Eimer geleert, und einer ar»
men Frau gegeben. Drauf fperrien wir den Kater im
Miüczimmer ein, nahdem wir ibm erft den Bart tüchtig
mit Rahm eingefeift haften, Die Muhme, die den Kater
allein bei allen den geleerten Eimern fand, glaubte, das
Tier habe alle ihre Milch getruuken, obſchon der Kubik«
inhalt der Eimer den des Katers weit übertraf, So mußte
denn der arme Hinze unfern Frevel bügen, und den ge
trümmten Budel herhalten. .
Kindheit in Eiſenach. 79
Als fie nachher alles erfuhr — denn mein Bruder und
ich konnten ſelbſt nicht ſchweigen, hielt fie uns eine tüchtige
Strafpredigt, wie gewöhnlid auf feltfame Beife mit bibli»
ſchen Beiſpiclen ausſtaffirt.
Bin ich doch mit Euch Wechſelbälgen ärger daran, rief
fie, als Eva mit ihren zmei Zümmeln nad) dem Sünden
falle; denn der eine von jenen wollte freilich auch nicht vor⸗
märts, ihr ſchlagt aber beide aus der Art, und folltet bil«
lig beide Rain heißen. Ihr feid ärger, als die zehn Söhne
Jatobs, die ihren Bruder verkauften. Hab’ ich mic nicht
eben fo edelmütbig gegen Euch ermiefen, wie Joſeph in
Aegypten gegen die Zumpen, als fle bettelnaft hinfamen,
und weder zu beißen no zu bredien hatten? Geb’ ih Euch
nicht vollauf zu effen und zu trinken? Und doch bin id von
Euch verrafpen und verfauft! Glaubt Ihr etwa, weil Ihr
hübſche Gefihter habt, und die Haare Eud in fraufen
Loden um die Schultern fallen, daß Ihr einer jungfräuli«
‚Gen Perfon von gewiſſen Jahren alles bieten könnt? Den‘“
an den Abfalon, der aud ein hübfher Junge war, der
auch ſchone Locken hatte, ja fogar von königlichen Geblüte
berfammtel Seine Durchlaucht blieben aber dod) an den
goldfarbnen Flechten im Baume hängen, weil fie ſich ge⸗
gen ihren Löniglihen Herrn Vater zu viele Freiheiten her
ausnahmen. Ich werde mid wohl vor dem Hängenbleiben
hüten, nicht weil ih falſche Haare auf dem Kopfe trage,
denn das hat Gott gethan, fondern, weil ich etmen tugend⸗
famen Wandel führe. Nehmt Euch aber in Abt: Kahl-
kopf! Kahltopf! zu rufen. Denkt an den Propheten Elifa,
mie er ſich rähtel Noch Taufen, Gott Lob! genug Bären
tm Balde herum, um Euch zu zerreigen, und wenn Ihr
wei und vierzig unverfhämte Buben wärt, Dann kümmt
80 "Kindheit in Eiſenach.
das Beinen zu fpät! Ich werde Euch aus meinem Haufe
jagen, und kein Mitleid fühlen, und wenn Ihr auch tau-
fend Mal, wie der verlorne Sohn, Buße thätet, und mit
den Schweinen aus einem Troge freflen moitet!
So betrübt auch unfere Mutter war, mußte fie doch
über die Thorheiten der Muhme oft herzlich lachen. Ih
will nod eine Begebenheit unter vielen erzählen. Urfula
tannte ihre Bibel gut, in der Kirchengeſchichte war fie aber
nicht ſonderlich bewandert. Davon legte fie einen Beweis
ab, als fie einft am Martinstage drei fette Gaͤnſe bratete,
ihrem großen Ahnherrn dem Dr. Martin Luther zu Ehren.
Unter den Gäften war auch unfer Echulmeifter, der, ſelbſt
mager, doch ein großer Freund fetter Biffen war; er nahm
an der Mahlzeit thätigen Antheil, und nagte fo kräftig an
einem Iedern Knochen, daß ihm die Thränen in die Augen
traten, während das Zeit um feinen Mund wie ein Heilie
genſchein glänzte. Als er ihr aber auseinander fepte, daß
der Martinetag und die Martinsgans mit unferm lieben
Luther in gar feinem Zuſammenhang ftebe, fondern ſchon
von dem Biſchofe Martinus im vierten Jahrhunderte her⸗
rührten, ward die Urfula bitterhöfe, verlieh den Tifh, und
wollte feinen Biſſen von der katholiſchen Gans in den
Mund fteden.
So ging es nun mehrere Jahre, einen Tag wie den
andern; ich war vierzehn, mein Bruder Rudolph achtzehn
Jahr geworden; in den Wiſſenſchaften hatten wir eben feine
Fortſchritte gemacht, dagegen gediehen wir zuſehends, blü«
beten in jugendlicher Heiterfeit, und merften nicht, daß un⸗
fere Mutter wie eine welfe Lilie ihr Haupt gegen das Grab
neige, weil fie ſchwieg, lächelte, mie klagte, und fi oft
über uns freute. Mein Bruder war ſchon feit zwel Jah⸗
Kindheit in Eiſenach. 8
rn bei einem Tuchmacher in die Lehre gethan, ich aber
feßte udiren, und bei der Mutter bleiben. Ach, der Vurm
des Grams hatte ſich bereits zu tief in die fhöne Blume
eingefzeflen. Eines Abends ſaß fie fehr Heiter und ver-
guügt, allein mit uns Brüdern; die Muhme mar nicht zu
Haufe. Bir ſprachen von muntern Dingen, wie wir im-
mer gern thaten, die Mutter lenkte aber das Geſpraͤch auf
den Vater, und da wurden wir beide gleich traurig. Sie
mar es aber heute nicht. Weinet nicht, Kinder! ſprach fie;
denkt daran, wie muthig und ruhig der Selige mit uns
eben heute vor acht Jahren den letzten Abend zubrachte. —
Ach Gott, find es morgen fhon acht Jahre her? frug id.
— Bit Ihr das nit, Kinder? Glüdtihe Jugend, die
in die Zukunft nur nad) Freude und Hoffnungen ausihaut,
und alle Merkmale des Kummers binter fih laͤgt! Wie
meife hat der liche Gott das alles eingerichtet! Wer immer
trauert, Bann nicht lange leben; und Ihr follt leben und
glüdtich fein.
Du auf, Mutter, rief ich befümmert. Sie ſchwieg
einen Augenblick, unterdrüdte einen Seufzer, drauf ſprach
fie gelaffen: Ih will morgen früh aufftehen, leihe mir
Deine Uhr, lieber Albert. — Ih wußte wohl, warum fie
die Uhr haben wollte und fürdtete, es möge fie gu febr
angreifen, wagte aber doch nicht, fie ihr zu verweigern.
Bir folgten ihr auf ihr Zimmer, wo fie uns entließ, und
uns mit Herzlichkeit gute Nacht wünſchte.
Am nähften Morgen um fieben Uhr ſchlichen wir uns
beide zu ihrer Thür, fie lag noch im Bette und ſchien zu
ſchlafen. Als wir näher famen, lag fie blaß mit geſchloſ⸗
fenen Augen, die Uhr in der Hand. Die Uhr ſchlug noch
ihr fhönes Herz hatte aber zu ſchlagen aufgeht, Auf
Cehlenf. Schriften. XV,
82 Warthurg. Die Sochzeit.
dem Meinen Tiſche an ihrem Bette lag Rudolphs Bibel
aufgeſchiagen mit der Eviſtel von Stephano. Die Heine
Schachiei mit dem geronnenen Blute ftand geöffnet dabei.
Ich Habe Euch fhon genug von meinem Kummer erzählt,
und will heute abbrechen, um Euch nicht mehr zu bee
“ träßen. .
7.
Bartburg. Die Hodzeit.
Die Mutter hatte Recht, als wir ihr unfere kindliche
Tränen gegolt, ſahen wir wieder heiter in die Zukunft,
defuchten aber oft ihr Grab, und gedachten ihrer in Trauer
und Wehmuth.
Unfre größte Freude war jept die Wartburg. Es ver-
ging felten ein Tag, ohne dag ic binauf ſtieg. Einige
Anlage zur Dichtkunſt glaubte id) in mir zu enfdeden.
Bas ich zu dichten verfuhte, war im Voltstone; ic
will Euch dod) ein ſolches Lied herfagen, wozu mich zwei
gegen einander gebogene Felfenblöde an der Wartburg, der
Mönch und die Nonne genannt, veranfaßten:
Der Mind und die Nonne,
Ein Aofer hie, ein Rlofler dort,
Nicht weit geitennt der Drt vom Ort,
Da wohnten ju Schaaren die Frommen.
Kügt Die @efchicht" fo lüg” ich auch,
3% finge, was ich vernommen.
Bartburg. Die Hochteit
Die Deöndke fanden ed gar Kart,
Sie wůnſchten der Schweilern Gegenwert,
Mm recht die Meffe zu fingen,
Zum guten Vas gehört Dislant,
Son der Gefang gelingen.
Die Eamwenern waren nignt abgencigt,
Ein junges ‚Hera bewegt man leicht;
Die Yiten wachten indeffen:
IR erſt die Kuh vom Jahren fit,
Nie wird fie mürd zum effen.
Der Un dei Klofierd dem Mönch evgreift;
Die Mebtin mit der Rovilin feift,
Sie tpät Die Schweſter beneiden.
Am feuchten Kerker ein armcs Paar
Muß von dem Leben ſcheiden
Der bt indeß nicht heil'ger war,
Die Hebrin gleicht ihm auf ein Haar,
Sie famen oft iufammen.
Dort auf dem Berg im Morgenblau
Sie fünlten der Liebe Flammen,
Der Abt, die Mebtin treffen füch,
ie fühlen ſich brüder» und ſchweſterlich
In heil ger Liebeswonne.
MUS wollten fie leien die Hora gleich,
In früher Morgenfonne.
Da rief der Oerr · Bott: Falſches Paar,
Mich dintergeht Du nicht fürwahr!
rg Ha Du ch zetriebent s
8
84 Bartburg. Die Howieit.
Du buhlſt, und firafft mit: granfem Tod
Die ſich unſchuidis lieben.
Raum hat der Ders gefprochen nur,
Eo rächt fich falennig Die Natur
Mn denen, die ſchlecht gehandelt,
Kaum teift der erſte Eonnenftrahl, —
Sind fie in Stein verrwandeh!
Run flehen fie da am Berge frei,
@in ewges Bild der Heuchelei,
In Biegen, Sturm und Eonne.
Sept ihr Die Felſenblocte nicht?
Den Monch mit feiner Nonne?
Dies Gedicht fiel meiner Muhme in die Hände, und
Ihr begreift, dag ich mid vor ihr, die das Heirathen wie
die Pelt haßte, auf eine tuͤchtige Strafpredigt gefaßt machte.
Wie erſtaunte id aber, als fie mir mit einem bochſüten
Lacheln das Papier wieder zurüßgab, und folgende Rede
hielt. Denn das war eine Eigenheit bei ihr, fie konnte
ganze Wochen lang das Reden unterlaffen, wie ein Rameel
das Trinken, ſprach fle aber einmal, fo waren es immer
ganze Reden, glei denen im Titus Livius; nnd dann
batte die Nede der Muhme immer einige Beziehungen auf
das alte Teftament; denn das neue war ihr nicht fo fchr
geläufig. . J
Es freut mid, Albertus, ſprach fie — (bier laͤchelte
ich ſchelmiſch. weil id) in ihrem Munde fein rechter Vota -
tivus ward) — es freut mid, dag id in Dir den göttli-
Gen Funfen der Dichtkunſt verfpüre Denn Dichter find
beinahe alle Erzwäter in der Bibel gemefen; als Adam,
Bartdurg. Die Hochzeit. 8
der den Thieren und Bäumen ihre Namen gab, wozu ſchon
ein ziemlicher Grad der Imagination und Geläufigfeit der
Mutterſprache gehörte; item Mofes, der das Trinklied —
oder Ertränfungslied auf die erfofienen Aegypter fhrieb;
dann vornemlich David, der das erfte evangeliſch criſtliche
Geſangbuch herausgab. und endlich Salomo, deflen hohes
Lied meine liebfte Leftüre in der ganzen Bibel if. Bon
dem großen und Meinen Propheten will ic nit reden, die
zugleich, große und Meine Poeten waren. Und könnteft Du
es aud nur zu einem Beinen treiben, fo wäre das ſchon
für Did groß genug. Freilich it Dein Lied etwas lieder
lid, das muß man aber Deiner Jugend und Unerfabrene
beit vergeben.
Id) wollte meinen eigenen Opren nicht trauen, fie ver-
fegte aber: Der Menfd denkt, Gott Ienft! Bei genauerer
Ueherlegung babe ich ſelbſt gefunden, daß eine ewig wan-
dernde Iungfrau, wie ein ewig wanderuder Jude, nah
den hiefigen irdiſchen gebrechlichen Einrichtungen ein Un.
ding fei, Denn was iſt ein Weib? Eine Rippe! Weiter
nichts! Freilich giebt es falſche und wahre Rippen. Rip
den find wir aber doch einmal. Und ih will nicht länger
zu den falfhen gehören, die ſich am nichts anfäliegen, ich
will mid als eine wahre Rippe an den treuen Bruftno- -
en meinee lichen Salvator Beilhenblau, Handfhuhma-
ers aus Erfurt fügen, der in Zucht und Ehrbarfeit um
meine Hand angehalten hat. Er fol fie beide haben. Und
es ann ihm nöthig thun, denn wo fein Zaun ift, da wird
das Gut verwüftet, und wo keine Hausfrau ift, da geht's
dem Hauswirthe, als ging er in der Irre. Wie man nicht
vertrauet einem Straßenräuber, der von einer Stadt in
die andere fahleiht, Ci meine von Erfurt nad Eifenad)
86 Bartburg. Die Hochzeit.
alfo trauet man auch nicht einem Manne, der kein Neſt
bat, und einfehren muß, mo er ſich verfpätet. Jeſus Eis
rad! Zwar bin id nicht mehr in der erften Blüthe, Hat
doch der Herr⸗Gott auch die Eara gefegnet, als fie noch
älter war; und iſt es denn zum erften Male, daß ein trok⸗
fener Steden, ordentlich in die Aſche gelegt, ded Morgens
darauf reife Mandeln getragen? Ih habe ihm alfo in
Gottes Namen mein Jawort gegeben, und binnen acht
Tagen werden wir Hodyzeit halten.
Heiſal liebe Muhme, rief id, das in ja allerliehft,
ich gebe meine Eenwilligung dazu. — Id danke Dir, lie⸗
ber Neffe, antwortete fie, Halb fnättif, halb gnädig, (denn
fie war heute fchr guter Laune); -ein Frauenzimmer darf
ohne die Einwilligung ihrer männlihen Verwandten und
Wormünder nicht heirathen. Ich Hofe, Dein Bruder Aus
dolph wird aud keine Schwierigkeiten machen.
Bon beute an rod nun unfer Haus nad Biſam und
Lavendelwaſſer. Mandeln zum Marzipan wurden im Mörs
fer geftoßen, fo, daß es aus der Küche in alle Zimmer
wiederhallte. Eine treflihe Köhin aus Stragburg ward
gemiethet, Makronen, Nürnberger Lebkuchen gebaden, und
des Dinges ward fein Ende.
Am Hohzeittage fand die Muhme früh auf, und es
ward noch bei Licht am ihrem Toupee gebaut, ehe der
Nachtwaͤchter zu rufen aufgehört hatte. Sie-hafte einen
franzoſiſchen Friſeur ausdrüdlih dazu kommen laſſen, um
dem Meinen Salvator Veilchenblau einen Gefallen zu thun;
denn diefer hatte in Paris fein Handwerk fudirt, und ging
jegt a Ta modiſch im hochrothen Scharlachtocke einher, mit
einer tmeißgepuderten Allongeperüde, die ihm bis zu den
dünnen Baden’ herabhing, und zu feiner Kürze (er war
Bartburg. Die Hochzeit. 87
mur 27% Ellen lang) einen fonderbaren Gegenfap madıte.
Gr war auf fein Handwerk ftolz, und erzählte, dag er Hei
Seiner Durchlaucht, dem Herzoge Chriftian, Adminiſtrator
des Bistbums Halberftadt, jcht Befehlshaber eines Heeres
gegen die Ligue, Hofbandſchuhmacher geweſen fei; dag er
alle Handſchuhe gemacht babe, die Ihro Durchlaucht die
Halsgräfin, jept Prätendentin zur Krone von Böhmen,
tägli brauche, und womit fie Nachts ſchlafe, um die Alas
bafterweige der Hände zu bewahren; unter andern habe er
den von ihren Nachthandſchuhen verfertigt, den der Herzog
Cbriſtian ſtatt einer Feder an feinem Hute trug, mit der
Devife: Tout pour Dieu et pour elle. Freilich habe der
Neid der Handſchuhmacher ihn anzufhmärzen verſucht. und
da das Leder feiner Arbeit fo außerordentlich fein und ges
ſchmeidig fei, habe der böfe Leumund ausgebreitet, er grabe,
gleich der Hyäne oder dem Schakal, die Leihname auf den
jest häufigen Wablplägen mieder auf, und ziehe ihnen die
Haut ab, fie zu gebrauden; weil das Menfcenleder bes
kanntlich das allertrefflichfte und vorzüglichfte zu folder Ars
beit fei. Er könne aber auf Ehre verfihern, daß es lauter
Zügen feien. Die armen Teufel hätten ſchon im Leben fo
viel ausgeftanden, daß er es nicht Über’s Herz bringen
önne, ihnen nod nad) dem Tode die Haut über die Oh⸗
ven zu ziehen, um eine junge vornebme Dame dazu zu vers
führen, mit der Haut eines fremden Mannsbildes, viel
leicht von gemeiner untafelfähiger Geburt, an ihren ſchö⸗
nen weißen Händen alle Nächte zu ſchlafen.
Jeht erfchien die Muhme in einer weiten Peripherie,
die damals für eine große Schönheit galt, und meldye nicht
blos durd eine Menge von llnterröden, fondern auch durch
einen ringsum über die Hüften gelegten Wulſt, den man
88 Bartburg. Die Hodzeit.
Spe@ nannte, und der 25 Pfund wog, hervorgebracht.
ward. Das Kleid trug eine lange Schlenpe, Bruft und
Naden waren leider entblößt. An der Seite hatte fie ein
Nürnberger Ei, Meffer und Gabel im Zutteral und einen
Schlüfeldund; die Strümpfe waren roth, wie Die der meh ⸗
teten Sumpfoögel.
Der Bräufigam trug an den Schuhen doppelte Hör-
ner; 0b das eine allegoriſche Bedeutung haben follte, meiß
ich nicht. Uebrigens fah er mir aus, wie cin Mann, der
die Kinderſchuhe vertreten, und ſich die Hörner abgelaufen
bat. Der franzöfifhe fammetne Leibrod war fleiſchfarb,
welches ihm obnerachtet feines vollen Anzuges ein fonders
bares fafelnadtes Ausfehen gab. Statt des deutſchen breis
ten Halsfragens trug er Jabots, oder vielleiht Poſtillons
d Amour? Der Bart war befhnitten, und mit dem Brenn
eifen geformt, ob's aber ein Zirtelbärtel, ein Schnedenbär-
tel, ein Iungfrauenbärtel, ein Dotterbärtel, ein Spitzbaͤr⸗
tel, ein Maitäferbärtel, ein Entenwedele, ein Shmalbär-
tel, oder ein Stug- und Trugbärtel war, bab’ ich in der
langen Zeit wieder vergeffen.
Als ich die große fette Braut und den Meinen hagern
Bräutigam fah, mußte ih über das feltfame Paar laut
laden, denn es erinnerte mid an die Infekten, wo das
Weibchen bei weiten größer ift, als das Männdıen.
Iept gingen wir zur Kirde, unter Glockengelänte und
Trompetengefihmetter; die Fenſter waren gepfropft voll von
Zuſchauern, und ih mußte an Siegfried und Chriemhild
in dem Nibelungenliede denken:
Manıc Pofaune viel Feäftiglich ertoß,
Bon Drommeien und von Flöten, der Schall war alfo groß,
Bartburg. Die Hochzeit. 89
Daß Sifenach die viel weite, danach viel laut erſchon.
In den Feuſtern faßen die Herrlichen Seib
Und viel der fhönen Maide, gesieret war ide Leib.
So vertrieben fle die Meile, die daͤuchte fie nicht lang,
Man hörte da zum Dome viel mancher Glockenliaug.
Der Prediger bielt eine [höne Traurede, in welcher er
aller verfhiedenen Nüffe des Lebens ermähnte, welche dag
liche Ehepaar fünftig zu fnaden haben würde, und mozu
ihnen vieleiht die Zähne zu wurmſtichig wären. Erſtens
follten fie die Früchte des Erkenntnuſſes koſten, drauf folg-
ten alsdann viele Betrübnüffe und Befümmernäffe, bis end»
lid der wahre Genuß darein zu ſehen fei, dag fie im Gleich⸗
muffe der Unfhuld und Treue mit einander fortlebten, und
ſowohl die tauben ale die kernichten Nüffe mit einander
theilten.
Meine Mubme, die auch ziemlich taub war, hörte nur
den Prediger das Wort „tauben“ aut berfagen, indem
er die Augen fehr andächtig zur Kanzel aufihlug, wo der
beilige Geiſt als eine vergoldete Taube unter der Dede
ſchwebte. Sie holte einen tiefen Seufzer, und fühlte ſich
bei diefem Worte fehr erbaut.
Drauf drüdte ſich der Prediger parabolifh aus, und
verglich Mann und Frau mit einem Unter« und einem
Oberzwieback, die beide anfänglich als zwei Hälften eines
Brotes geſchnitten, eigentlih zufammen gehörten. Ob er
diefe Idee von Plato genommen, oder ob er fie felber er⸗
funden; Bann idy nicht fagen.
Bäbrend der Trauung ſchlief die Muhme ein; als
nun der Prediger frug, ob fie den Herrn Echaftian Beil»
chendlau zu ihrem Ehehertn haben wolle, und ihr ziemlid)
Bartburg. Die Hochzeit.
bart zuſprach, um fie wieder zum Bewußtſein zu bringen,
tief fie Nein, ftatt Ia, wie fie immer pflegte, wenn fie
bei Tiſche eingeſchlafen mar und naher den Schlummer
läugnen wollte. Der Prediger wollte fein Skandal daraus
maden, er nahm es als einen lapama lingune; und, als
ob er den Fehler nicht gemerkt babe, traute er fie, der
Berneinung ohnerachtet, ihrem Sebaſtian mit dem gemöhn-
lihen Eprube an, daß, was der Himmel zufammengefügt
babe, fein Menſch trennen folle.
Als nun aber das knieende Brautvaar aufſtehen wollte,
batte der Naufdegen des Bräutigams ſich fo tief in den
Reifrock der Braut verwidelt, dag fie gar nicht von einan-
der Iostommen konnten. Der Paflor mußte ihnen, der
Seidlihteit wegen, Hülfe leiſten, und als er fie auf ſolche
Beife ſelbſt fogleih wieder getrennt hatte, gingen fie nach
Haufe, wo Trompeten und Paufen fie an der Thüre em»
dfingen. J
Die Nachbarn hatten Abends illuminirt, und die Na⸗
men Urfula und Veil henblau durch ein doppeltes „W“*
mit Palmenzweigen und einer Krone angedeutet. Die Gafr
fenbuben verftanden das freilih unrecht, und ſchrien wies
derbolt: Weh, Web! Ihr Geſchrei ward aber jedesmal
von Trompetengeſchmetter übertäubt. Hätten die Stadtmu-
fitanten gewußt, daß die Muhme fo taub fei, würden fie
ſich nicht fo fehr angegriffen haben.
Bei Tiſche ficen mir zwei Menfhen aufe die id nor⸗
ber nie gefehen hatte. Dben am Tiſche, nicht weit von
dem Brautpaare, faß ein hübfher ehrbarer ältliher Mann
in braunem altdeutfchem Node mit ſpauiſchem Kragen. An
einer ſilbernen Kette trug er ein Bild von demfelben edlen
Metalle auf der Bruft, das den König David mit feiner
Bartburg. Die Hochzeit. A
Harfe vorſtelte. Dies Drdensband flößte allen für ten
Fremden große Achtung ein, und man erzählte mir, es fei
ein berühmter Meifterfänger, der die @üte gehabt habe,
die Hochzeit mit feiner Gegenwart zu beehren. Ich brannte
vor Begierde, den feltnen Mann kennen zu lernen, und
frug, 0b er ung wohl etwas vorfingen werde? — Bewahre
Gott, mar die Antwort, darum wagen wir ihn gar nicht
zu bitten. Die Meifterfänger fingen nicht für Geld, und
dichten nicht aus dem Stegreife. Sieht Du aber den klei⸗
nen Kerl da unten am Tifche, hart an der Thüre, mit der
wunderlichen Mübe und den fhelmifhen ſchlelenden Augen?
Das it ein Sprumfpreher, der den Scherz als Hand-
wer treibt, und ſich bei Kindtaufen, Hochzeiten und andern
Feten für Geld hören läßt. Er mird uns gleich einige
Späge vormachen.
Der Meine Poffenreiger gefiel mir beinabe beſſer, als
der ernfte Meifterfänger, der ein trodenes unbedeutendes
Geſicht hatte, das nichts weniger, als Geiſt verrieth.
Als die Geſellſchaft etwas Iuftiger geworden war, fang
man das damalige Lieblingslied:
Der liebfle Buhle, den wir han,
Der liegt in unferm Keller,
Er hat ein hölern Möclein al,
und heißt der Rustateller.
Drauf kehrten fie ſich zu dem Spruchſprecher und ver»
Tangten mit Ungeftüm, er folle fingen. Er leerte einen
nemlich großen Becher, um den Geift zu ermeden, als er
ſich darauf den Mund mit dem Aermel gewiſcht Hatte,
fagte er: Ich will überſchreclich luſig, als ein Zeichen
2 Bartburg. Die Hodzeit.
dankbarer Erfenntlihfeit für empfangene Gnaden, zu Un-
ehren des a la modiſchen Braulpaares und zum Lob ihrer
frönen Kleidungsftäde ein Lied fingen. Drauf fing er an:
Das junge Männervolk trägt Degen an der Eeiten,
Mifo dad Jungfernvolt dentt immer auch zu ſtreiten
Statt Degen hängen fie von Güber zubereit
Dad Scheidchen, Mefier und die Babel an der @eit.
Ja manche hat fürwahr das Bund der Schlüfel bangen,
Richt anders, ald wenn kommt Thor-BRefter hergegangen,
Die Etrümpfehen müffen roth von Seibedfarhe fein,
Blau, grün, gelb oder fonft, was giebet hellen Schein
Nein, nein, rief die Geſellſchaft. Niederſächſiſch, Nic
derfächfifh! Und nicht fo ehtbar. — Der Eänger trank
noch einmal, und fing in einem höheren Tone an:
Bat feham id von der Dullen Dracht, von den Gontangen ſeggen.
De nun de Jungfern altomapl ohn Mnterfchied anleggen?
Man legt dad Haar um ifern Drath, mit fünderlichen Flut,
Ran neiht dat Band up Iſern up. D rechte iſern Int!
So fuhr er eine Weile fort, während die Sbeiſen mit
Safran und Zuderbrühen herum getragen murden. Es
erſcholl alle Augenblide ein entfepliches Gelächter. In die-
fem Birrwar hatten ſich Braut und Bräutigam weggefchli»
en. Auch die Frauen verließen ihre Männer und gingen
nad Haufe. Jept war der Lärm noch größer, jeder wollte
reden, feiner hören, an allgemeine Theinahme nnd Auf
merffamfeit war gar nicht mehr zu denen. Die Trinker
theilten ſich, je zwei und zwei, wie zärtlihe Paare, und
entdeten einander ihre tiefften Gefühle und Geheimniſſe.
Bartburg. Die Hochzeit. 93
Einige umarmten und füßten ſich, andere weinten aus Be
trübnig, das fie fi) fo fange verkannt hatten. Es war wie
auf einer Börfe, wo ſtatt Handelsgefhäften lauter Herjens
angelegenbeiten abgemacht wurden. An Geld ward nicht
gedacht. Der Betrug fhielte aber noch immer feine Rolle;
es war jedoch der Selbfibetrug. Ginige zankten fih. und
droheten einander grimmig mit ausgeleerten Weinflaſchen
mie mit Etreitfelben, und nur mit Mühe wurden fie aus-
einander gebracht, und mußten noch fhäumend, zitternd und
blag vor Wuth Bräderfaft trinten.
Ich war flumm vor Erſtaunen und der einzige Nüd-
terne im ganzen Haufen, denn auch mein Bruder Rudolph
batte heute Abend einen Haarbeutel, und mar tief im traus
lichen Geſpraͤch vertieft mit einem Dummlopfe, den er fonit
nicht leiden mochte, und der fein Wort von dem verftand,
mas er ihm fante. Rudolph war aber über feine Aufmerk
famteit und Milde äuerft gerährt, umd hat ibn zu wieder»
holten Malen um Verzeihung, weil er ihn bis jet für ei⸗
uen Dummtopf gehalten habe; beute entdecke er in ihm ein
tiefes Gemüth, obſchon er, ſelbſt im betrunkenen Zuftande,
fein Mann von vielen Worten fei. Der Betrunfene, der
ein baumftarkee Kerl war, drädte meinem Bruder dabei
fo herzlich die Hand, mäprend ihm die Thränen über die
Bangen often, dag Rudolph laut auffchrie. Ieht fing
der Andere aber erſt recht zu heulen an, und Bonnte ſich
das gar nicht vergeben, daß er feinem been Freunde bei⸗
nahe die Finger jerquetſcht hatte.
Ich faß da und mußte nicht, was id zu dem allen
fagen ſollte, als mir Jemand leiſe auf die Schultern klopfte.
Bie angenehm mard id überrafht,; ale der ehrbare Mei⸗
ferfönger mit dem Aldernen König David um den Hals
u Bartdurg. Die Hoheit.
hinter mir Rand, und mit einem freundlichen Lächeln fagte:
Es wird mir hier zu wüfte, wollen wir ein Stindlein mit
einander in Die andere Stube geben, lieber Sohn? Euere
Muhme hat mir gefagt, daß Ihr zum Dichten einige na⸗
türlihe Anlagen verrathen folt, vieleicht köunte ih Euch
als erfahrner Mann mit mehreren nuͤhlichen Lehren und
Binfen behůlflich fein.
Ach Gott, mein ehrwürdiger Herr, rief id) froh über-
taſcht, dem alten Meifterfänger glei folgend, und mit
ibm in's Nebenzimmer hineintretend, Ihr hättet mir Leine
größere Güte erzeigen fünnen. Iſ's möglih? Haͤtt' ich
dod nie geglaubt, daß fih eine ſolche goͤttlich freie Kunſt
wie ein Handwerk lernen laffe.
Freilich laͤgt fie ſich lernen, ſprach der, alte Mann mit
Rarren Augen, und ziemlich lahmer Zunge — im Schweiße
unfere Angefihts läßt fie ſich lernen. Nur mug man hübſch
nüchtern fein, und fi nicht auf blinden Meinungen
ertappen laſſen.
Blinde Meinungen, frug ih, mas ift das? — Ihr
dürft nicht ſchwaͤrmen, fagte der Meifter, wenn Ihr in die
Innung aufgenommen fein wollt. Und wenn Ihr auch ein
Glas mehr als gewöhnlich getrunken haben folltet, fo darf
das doch auf Eure Urtheilsfraft keinen Einflug haben. Seht
einmal wid an! Ich habe auch zu Ehren des Brautpaares
beute Abend etwas tiefer als gewöhnlich in's Glas gegudt;
vieleicht ift mir die Sprache der Zunge deshalb einigerma-
Gen ſchwierig geworden, auch haben die Beine ein Mein we⸗
nig von ihrem gewoͤhnlichen Gleichgewichte verloren. Das ift
aber nur der Körper; an meinem Geiſte werdet. Ihr aber nicht
die mindeRe Uenderung verſpüren; der iR eben fo nüchtern.
als er immer au fein pflegt. Alſo, lleber Junge, um alles in
Bartsurg. Die Hochzeit. %
der Belt, befonnen fen! Wie wärden wir fonft alle bie Si
Welchen im Kopfe behalten, die zum Dichten nothwendig
find, wenn wir den nüchternen Richtern, die nichts ger
trunten haben, und die den Teufel danach fragen, was wir
auf dem Herzen haben, fondetw nur immer wieder aus um
fern Gedichten ihre eigenen Meinungen und Anfihten her⸗
aus zu leſen wänfden, gefallen wollen. Ich dähte, ante
wortete ich, die Poefe fei eben eine ſchoöne Kunft, die mit
dem uͤberraſchen follte, was andere Menſchen nicht auf ſolche
Art ‚vorher gefehen noch gefühlt hätten.
Profit die Mahlzeit, fagte der Alte; auf die Art wer⸗
det Ihr Euer Lebtag fein Meifterfänger. Alſo, lieber Sohn.
bũbſch aufwerffam und fleißig! Ihr ſprecht von Dichtkunft,
und wißt nicht einmal, was Dichtkunft fel. Was ift die
Dichtkunſt? — Sie üft fo viel, verfepte ich, dag ihr großer .
Geift ſich gar nicht in den engen Kreis eines Begriffes
bineinbannen, noch ſich mit wenigen Worten ausfprehen
Tägt. — Da irrt Ihr wieder, fagte der alte Meifter, mit
einem Schlucten, und einem dummen Blid; die Poefie ift
die Kunft: „gute Gedanken in guten Reimen vorzutragen.“
Jetzt wollen wit uns glei zu den guten Neimen wenden,
- denn was die guten Gedanken betrifft, die ftellen ſich unter
dem Dichten von feloft cin. Doc erft muß id mid in den
Lehnſtuhl feßen, denn, wie gefagt, die Beine verfagen mir
ihren Dient. Holt mir dann au nod) einen Becher Bein,
liebes Kind! Dann wollen wir hier in unferer Einfamteit
vernünftig die Sache beſprechen, und mit den tollen Men,
ſchen drinnen, die ſich nicht betrinfen Tönen, ohne die Nüc-
ternbeit zu verlieren, Teinen Verkehr haben.
34 holte ihm den Bein; er Icerie den Becher halb in
longfamen bedaͤchtigen Zügen und ſprach: Ein volftändiger
% Bartdurg. Die Hochzeit.
Meiftergefang Heißt ein Bar, die Bersarten heifen Ge⸗
däude, und verbunden mit einer Geſangeweiſe wird ein
Ton daraus. Das vergiß nicht; denn diefe Benennungen '
fiud in der Kunft von daferfter Wichtigkeit. Zwar wech⸗
fein fie mit der Zeit, und wenn wir längft vermodert und
von den Würmern gefreffen find, werden unfere Nachtom ⸗
men andere Kunftwörter brauchen. Cie werden aber eben
fo fteif und eifrig auf ſolche halten, und ihnen eben fo große
Wichtigteit Heilegen, als wir den unfrigen; alfo mug man
von ſolchen Terminologien Beſcheid willen. Die Gedichte
werden au) noch in Stollen oder Abfäge getheilt. Wir
haben diefe Redensarten zum Theil vom Bergbane genom-
men, teil der Bergban mit der Dichtkunſt einige Aehnlich⸗
keit bat. Oft werden nämlich große Vorbereitungen mit
ſchweren Koften gemacht, und man findet nihte. Dann
Bann aber oft wieder eine reiche Ader alles erſehen. Doch
ur Sache! Die Reime können Elingende und ſtumpfe
fein. Das falſche Latein darfit Du nicht gebrauchen;
davor wirſt Du Dich aber zu hüten willen, weil Du, wie
ich höre, ſtudirt haſ. Bor Halbworten und Klebfyls
ben mußt Du Di) auch wohl in Act nehmen. Hüte Die
ferner vor dem Lafter, das will fagen, ein gelindes
Bort mit einem harten zu reinen. Dann kannſt Du
noch ein vorzü,liher Dichter werden.
Er trank die zweite Hälfte des vor ihm ftehenden Be⸗
here, und verfepte mit unbegreiflider Gelaſſenheit: Jetzt
will ich Dir einige der Eing-Beifen berfagen, in denen
Du dichten Fannft; als da find: Friedrich Furner des Tuch-
ſcheerer Feilweiß; Melchior Chriſtoph des Bäders Preß-
weiß; Paul Fifger des Kürfcners geſchwinde Pftugweiß;
Hans Berchler des Gaſtgebers hehe fröhliche Lobeweiß;
Bertdurg Die Hochzeit. 97
Beit Fifher des Schloffers Yarte Felderweiß, Hans Mäl-
lets gumpfe Schoogmweig — —
Der kalte Schweiß trat mir auf die Stirn, es ſchie⸗
nem mir lauter Folterbaͤnke zu fein, worein mein Geift ge⸗
leot werden follte, um zu bekennen, was er nicht wife Cs
ward mir im öden Zimmer mit dem alten Manne ganz
unfeimlich; feine Kälte, die kein Bein in Blut verwandeln
fonnte, fhien mir faſt gefbenfterartig zu fein, und id fyrang
sam gelaffen auf, um ihn zu verlaffen, als ein großer Tn-
alt tm Speifezimmer entftand, wedund die Tpüre aufge-
üfen ward und einige von den Gäften zu uns bereinfan-
melten. Ich lief in's Sveiſezimmer, und fiehe, mehrere
Betranfene waren damit beſchäftigt. den Meinen Spruch-
ſerecher zum Fenfter Hinaus zu werfen, weil er ihrer gar
Au uwwerſchamt gefboftet Hatte.
Ih that was ich fonnte, um ihm zu retten; einige, die
nd) niht ganz ohne Befinnung waren, erbarmten ſich fei-
mr gleichfals; fo ward denn der Friede wieder auf die
Bedingung gefäyloffen, er fole ein Berfähnungsiied fingen.
Er dat ſich jedoch die Erloubmiß aus, vorher einen Hungen»
blit in den Hof zw gehen; und ſchlich fich fort. Iept ſoute
uf ihn Klorvlagd gemacht werden; und ale Rürzten auf
die Straße hinaus, wie die vom umfaubern Geiftern befef-
ferem Säue ins Meer. Der Meine Hefop hatte fi aber
u gut verftelt, und man fonnte ihn nicht finden. Die
beraus in die feifche Luft gelommen waren, fonnten weder
Mond noch Steranwagen am Himmel fehen, und mußten
At — von Knechten und Jungen nach Haufe brin⸗
9 laſſen.
Oehlenſ. Schriften. XVI. 7
8 Der Berber.
®
Der Werber.
Inzwiſchen wůthete der Krieg in Deutſchland. Mis
proteftantifher Für, als Befiger der Wartburg, woher
die Reformation in Deutfhland ausgegangen war, konnte
unfer wadrer Herzog Johann Ernft niht umbin, an dem
Kriege Theil zu nehmen. Unfre Gegend war bis jeßt fo
ziemlich von den Unruhen verſchont geblieben; als aber
Ballenftein auf der Donaubrüde den Mansfeld gefhlagen
hatte, und ſich diefer nach Schlefien wandte, um mit Beth»
len Gabor gemeinfhaftliche Sacht zu maden; befamen ei⸗
nige Werber Erfaubnig, au) in unferer Gegend Rekruten
zu werben; und fo geſchahen denn verſchiedene Betrügereien
und Gewaltthätigteiten.
Befonders war ein alter Werber, Namens Meldior
Stelzfuß, vieler Niederträchtigkeiten wegen berüchtigt. Mit
feinem militaͤriſch ſchdnen Geſichte. welches ein Paar Nar-
ben und cin. großer Krausbart zierten, ‘mit einem gewiſſen
väterlichen Anfeben, wußte er, wie eine Spinne, die Jüng«
linge, die wie Fliegen herumſchwebten, in fein Gewebe zu
Inden. Sein bölzernes Bein, und fein Invalidentfum nahm
auch für ihn ein.
Er Hatte vor Kurzem einer alten Witwe ihren einzigen
Sohn, einen flinfen Tucmadjergefellen, weggeſchnappt. Die
Braut des Jänglings, ein reizendes Mädchen, warf ſich
verzweiflungsvoll meinem Bruder zu Füßen. Mein made
rer Bruder, von den Thränen des fhönen Kindes und der
alten Mutter gerührt, beſchloß, mit einigen muthigen Ge⸗
Der Berber. ”“
fehlen den Burſchen zu erlöfen, und ſich an dem alten Schur-
ken zu raͤchen. Kaum hatte er einigen feinen Borfag wite
getheilt, fo bewaffnete Ad) eine große Zahl von Handwerks
sefellen, und ftand ihm zu Dienften. Mit genauer Noth
betam ic), meiner Jugend uud Zartbeit wegen, Grlaubnig
mit zu gehen. Muthig naheten wir uns dem Dorfe, wo
der Unglädliche gefangen ſaß. Freilich hatten wir feine
Schießgewehre; dod waren wir in größerer Anzahl, und
die gute Sache ſtritt für uns.
Gluͤcllicherweiſe gelang es une, die Soldaten zu über
rampeln und uns ihrer Gewehre zu bemädhtigen, ehe fie ſich
aur Gegenwebr feßen konnten, wodurd mehrere von uns
vieleicht das Leben eingebäßt haben würden.
Die Bagabunden waren zum Frieden bereit, als fie
unfere Uebermacht faben. Sie erbaten fih nur ihre Baf-
fen zurüd, dann wollten fie abjichen. Mit gefällten Bas
ioneften trieben wir fie aber fort, und da fie fürdteten, die
Obrigkeit würde vielleiht von ihren Spipbübereien Wind
betommen haben; hadten fie ſich fegleih, ohne Widerſtand
‚iu leiſten.
Jetzt galt es den alten Sünder, Melchior Stelzfuß
der im Birthehaufe mit feinen vier Buben jehte und auf
Rand Iauerte, zu fangen. Mein Bruder behielt fih das
Bergnügen vor, fid feiner zu bemädtigen. Bir mußten
indeg Vorſicht brauchen; da wir mußten, daß vier Pferde
dort. gefattelt ſtünden. um die Werber bei dem mindeften
Verdachte fortzubringen;. und wenn der alte Stelsfuß ein
mal im Sattel feit fa, dann war er ein guter Reiter.
Jpt hatten wir freilich Schietzgewehre; Pferde aber Hatten
wir nit; aud war es nicht unfere Abſicht. den alten Süne
der niederzuſchieten. 7
100 Der Berber.
Mein Bruder traf die nöthige Verabredung mit dem
Birthe, der am ganzen Beibe zitterte, weil er fürchtete man
Habe entdectt, daß er mil den Werbern gemeinfhaftlihe
Same made. Drauf gingen wir beiden Brüder in die
Stube, wo Meldior mit feinen Trabanten am Tifhe mit
einem Schoppen Wein vor fi) ſaß.
Kaum traten wir herein, fo fing er an: Ei, da hab’
ich ja wieder das Gaudium, einige meiner lieben Iungen
in der Nähe zu fehen. Iſt es mir doc, als ob ih ein
Lederbißlein nach dem magerften Rindfleiſche genöffe. Kommt,
liebe Knaben! fept Euch zu mir! Die vier Schnurrbaͤrte
dort find ftumm, wie die Buben im Kartenfpiele; und wenn
ich einen guten Einfall habe, laden fie nicht einmal da-
rüber. An den jungen Miühbärten mit Flaumfedern um
das Kinn hab’ ich mic) aber wahrhaft zum Narren gefreſ⸗
fen. Aber das Kind da, (auf mic deutend) kaun ich noch
nicht gebrauchen; es möchte denn als Pfeifer oder Trom⸗
melſchlaͤger fein! Herr Wirth! noch zwei Schoppen Bein,
befter Sorte, auf meine Rechnung, nebft Brod und Brats
wurſt.
Bir dedantten ung, er rief aber: Ihr folk, ſtraf mic,
Gott, trinken. Der Bein verbindet die Menſcheuherzen.
Denn es ift Feuer drin, verſteht mich! Schwefel und Sal
veter. Das will nicht fagen, der Wein fei geſchwefelt. Ih
meine nur, es fei Glut darin. Tritt Kinder!
Bir tranfen vom wallergeminhten Beine, welchen ber
Birth, nad der Verabredung, uns vorgefept datte, und
der alte- Werber fuhr fort:
Es Lebe der Kriegl Der Krieg it das wahre Element
der Monnshilder; im Zrieden regieren die Weiber. Auf
dem Streitfelde hauſet aber der Teufel. Verſteht. ih meine
Der Berber. 101
nicht den Beelzchub, den Satan mit dem Stelzfuße —
mas fag’ id, mit dem Pferdefuge; fondern den Taufend»
fafa! das Ingenium; der verflucht Iuftige Poffenreiger und
heroiſche Hans Wurft, der im trüben Wafler fiſcht. Was
war der glormürdige Mannefeld, ch’ der Krieg begann?
Ein ſchlichter Soldat. Was war der Ballenftein? Gin
verfaufener Student. Und was find fie jept? Die Shrele
ten der Belt! Der Tilly war aud nit viel mehr. Bir
wollen aber den Till, den Wallenftein und alle die ver⸗
fluchten papififgen Halunken Ichren, die Schuhe mit Bar
zu binden. Sind wir nicht Lutperaner? Sind wir nicht
Sroteftanten? Sollen wir nicht gegen den Gräuel preteſti⸗
ven? Den Antihrift? Wie heigeft Du, mein Freund? —
Rudolf Julius, antwortete mein Bruder rubig. — Boblan,
Rudolf Julius, verſeßte der Alte, hier iſt Handgeld! Herr⸗
lich geränderte niederländiſche Dutaten. Du bift ein Aus
erwählter; ein Gefegneter des Herrn! Du fol Dein läd
im Heere des trefilichen Mannsfeld machen. Und jept —
forac er, ſich zu den Ehnurrbärten kehtend, wollen wir
auf die Gefundpeit des meuen Rekruten anftogen. und falls
Ibr mir nicht Beſcheid thut, vertradte Holzblöde, werd' ich
Euch den Beer in's Geſicht werfen.
Mein Bruder ftrid mit der Hand das Geld wieder
zurück der Alte drüdte ihm aber die Hand aufs Geld, und
rief: Jeht bit Du Eoldat. Du haft das Handgeld genom-
men. Könnt Ihr das nicht alle bezeugen, Kerls? — Ia
wohl, brummten die Bierbäffe, cr bat’s genommen; er ift
Soldat. — Id nehme fein Geld, rief mein Bruder mit
verſteltter Angft, ih geb’ Euch nur Euer Geld wieder zur
rät. — IM danfe Dir, Freund, fagte der Alte, dag Du
es mir wieder giebſt. Hört Ihr wohl, Kinder? er hat mir
102 Der Berber.
die Dufaten wieder geſchenkt. Gin freiflihes Herz! Ieder
iſt Herr des Seinigen. Soldat biſt Du nun aber einmal,
fo mabr ic ein ehrliher — — Diefe legten Worte ſprach
er mit gedämpfter Etimme; denn im felbigen Augendfide
wirkte der Schlaftrunk, den er unwiſſend im Weine genofe
» fen hatte, und er fiel bin auf die Bank. Kaum ſqlief er,
fo traten mehrere von unferm Gefolge in die Etnbe. Als
die vier Schnurrbärte das Schicſal ihres Kamergden ger
wahr wurden, entfernten fie ſich freiwillig, und einige der,
zu ung Gehörigen brachten fie über die Gränze. An dem
alten Stelzfuß follte jedod eine eremplarifhe Strafe ftar
tuirt werden, und es ward Kriegerath gehalten, mie wir
uns raͤchen wollten; denn weil der Neidbart alt und ges
brechlich war, fhämten wir uns, ihn zu prügeln, und ihn
megzujagen, wie die Andern, ließ ſich nit einmal gleich
thun, weil er nicht gehen konnte. Hier ward idy, der in
den vorbergebenden Auftritten eine paſſive Rolle geſpielt
batte, befragt, weil mehrere der Befellen, die mid, kann.
ten, von meinem Erfindungsgeifte gute Gedanken hegten.
Ich antwortete: Der alte Kerl ift eine Art von Höl⸗
Tengeift, wir müffen ihm von den Qualen der Hölle einen
Vorgeſchmac geben. — Wie denn? frug Einer, follen wir
ihn auf die Folter bringen? Freilich, antwortete id), die Fol⸗
ter fol aber menſchlich fein, und uns mehr Spaß machen,
als ihm Schmerz verurſachen. Mein Vorſchlag ward ane
genommen, und folgendermapen ausgeführt:
Während der Schlaftrunk wirkte, ward Meldior Stel
fuß nad) einem abgelegenen Orte im Walde gebracht; als
der Stelzfuß bier von ihm abgelöft war, ward er mit Ries
men fett an ein Wagenrad gefhnürt, und auf einen Pfahl
binauf gezogen, An den Zweigen der Bäume, die ihm
Der Berber. 103
über dem Kobfe ſchwebten, hatten wir Flaſchen mit Bier,
Bein und Branntwein gebunden; ein fhöner Schinken und
mehrere Bratwuͤrſte hingen auch dort, wie Früchte, ohne
daß er die Nahrungsmittel mit den Händen ergreifen konnte.
Diele Strafe war auf feine Gefräßigkeit und Trinkluſt be-
tehuet. Gin wenig Honig batten mir nod dem armen
Sünder in's Geſicht geftrihen, und zwar nicht um fein Schic ⸗
ſal zu verfügen, fondern am die Müden und liegen her-
zuloden,
Als er ermadte, und fih auf dem Rade fand, zitterte
em am ganzen Leibe und glaubte wirklich, vermuthlich weil
ww aud die Gicht hatte, die beim Erwachen immer am em⸗
Mindliften iſt, daß er Ichendig gerädert fei; eine damals
fehr häufige Strafe, die er wohl hundert Mal hätte aus»
Athen müffen, wenn er nad den geltenden Gefepen hätte
verurteilt werden follen. Als er aber einige Minuten fo
in Angft gelauert hatte, und fi) feine gräßligeren Schmer⸗
zen einftellten, verwandelte ſich feine Angſt in eine ſtille
Verwunderung; er befühlte feine Glieder, und als er ente
decte, daß man nur das hölzerne Bein von ihm getrennt
habe, holte er einen tiefen Seufzer, und fing an, fi auf
dem Rade zu orientiren. J
Jetzt kam ihm der Geruch des Branntieines und der
Epmwaaren in die Nafe; die Luſt zum Lebensgenuß kehrte
mit dem Bervugtfein des Lebens wieder ; er Aredte die Hände
mit Verlangen nad) der Brauntweinsflaſche, nach den Wür⸗
Ren, dem Brode; als er aber nichts erhaſchen konnte, fing
er grägli an zu fluhen. Sein Fluchen half ihm aber
nichts, und wie zum Spette flogen die Müden und Slie-
gen bin und ber von den Epwaaren nach feinen honigfügen
104 Der Berber.
Lippen, um einen Meinen Nachtiſch nah der folidern Maple
zeit zu halten,
Damit war num aber aud.die Strafe vorbei; er ward
von den Banden gelöft, und an den Tiſch gebracht, den
wir im Balde bingeftelt hatten, um da unfer Frühſtück im
ſchoͤnen Wetter zu genießen. Er mußte. wie ein Lehrjunge.
unten am Tiſche ſtehen, während wir andern ſagen. Auch
durfte er kein Wort forehen, mur follte er mit gefalteten
Händen ein Tiſchaebet berfagen. Er weinte aber, und ver⸗
fierte, es fei ihm pur unmoglich, er wille fein einziges
Gebet auswendig, und wir möchten ihn mit weiteren Nedes
reien verfhonen. Sobald er fi nun mäßig gefättigt hätte,
mard er fortgeführt, und durd einige von ung Über die
Gränze gebracht; weniger aus Härte, als aus Barmderzige
keit, um ihn gegen den ftrengen Arm der Obrigkeit zu
ſchutzen, wenn feine Thaten ruchtbar würden.
Als er weggeführt war, und wir nod am Tiſche far
gen, fahen wir einen Haufen ſchwarz gefleideter Jünglinge
berfommen. Es waren Etudenten aus Iena, die in den
Zerien berumfhmwärmten, und jetzt auch die Wartburg bes
fuchen wollten. Sie hatten von unferem Abenteuer gehört,
waren damit zufrieden, rühmten uns und thaten fehr fidel.
Uns Schülern und Handwerksburſchen ſchmeichelte es ſehr,
von Studenten gerühmt zu werden; wir fragten beſcheiden
und etwas ſchüchtern, ob fie vielleiht an unferm geringen
ZTifcye vorlieb nehmen wolten? Was vorlieh! rief der Ses
nior, der Seifert dieß. Bir find Euch für Eure Gaftfreis
beit fehr verbunden, und können es nöthig haben, dean wir
haben heute einen Langen Umweg gemacht, und noch nichts
rechtes genoſſen. Ihr feid Dandiwerkögefellen, und wir
E:tudenten? Was will das fagen! Burſche And wir alle
Der Berber. 105
zuſammen; Frei wie der Bogel auf dem Dach, führen ein
vagabondiiches Leben, und find feine Phififter. Drauf fe
ten fie ſich; wir fühten ihnen die Gläfer, und fie fangen
folgendes Lied, wozu wir nad ihrer Aufforderung in den
Chor mit einftimmten. R
Der if ein freier Mann,
Der ehrenhaft und tüchtig
Sich feloft bederrſchen kann.
Denn wer dab nom nicht fann,
Bär er ein Mlerander,
Er if ein Rarter Mann,
Doc noch fein freier Mann.
Der iſt ein freier Mann,
Der frhftiglich und bieder,
Den Degen führen kann;
Denn wer dad noch nicht fann,
Bär’ er der Weiſen einer,
Er ift cin edler Ran,
Doch noch fein freier Mann,
. Der iR ein freier Mann,
Der feinem Baterlande
Das Leben opfern kann;
Denn wer das moch nicht fann,
x fei ein wadrer Bürger,
Ein rechter Edelmann,
Doc noch fein freier Mann.
Der iſt ein freier Mann,
Der feine Reuſchenrechte
106 Der Berber.
Mit Kraft behaupten kaun.
Denn wer das moch nicht fan,
Gehört zum Tros der Aucdhte,
Was frag’ ich nach ihm dann ?
Er ift fein freier Mann.
Wer if der freie Mann?
Der hohe Fuͤrſ im Bande,
Der nur auf Tugend ſaun.
Der fei verflucht in Bann,
Der nicht den guten Herrſcher,
Der unfer Herz gemann,
Schügt, wie ein freier Mann!
Kaum hatten wir das Lied geendigt, fo erſchien eine
neue Schaar mit Piden und Blehhauben, von einem
Manne im ſchwarzen Mantel und weiß gebuderter Perüde
angeführt. Es waren die Häfcer aus der Stadt, und der
Gerichtsſchreiber, der mie ein Abgefandter der hoben Obrigs
feit erſchien. Ein Trompeter ging ihm voran, und alle
Augenblide ftanden fie ſtill, als fie uns naheten, und blie⸗
fen, um anzudeuten, daß fie Etilftand verlangten, und daß
wir uns an der heiligen Perfon des Ambafladeurs nicht
vergreifen dürften. Wir gingen ihm alfo mit Ehrfurcht
entgegen, und als er unfere Unterwürfigkeit ſah, rief er
mit finftergezogenen Augenbraunen:
Bas hat alles diefes zu bedeuten? Macht man fo auf
eigne Hand-in bona charitate Aufruhr, während der Hers
zog mit feinen Neifigen abweſend it? Bald wird der gnä-
digſte Fürſt wie ein Gewitter erfheinen, und dann wird
es ſowohl über den Gerechten als den Ungerechten hergeben.
Die Trennung. 107
Bie unterficht man ſich, einen fürſtlichen Werber, der mit
gnädigfter Erlaubnig Rekruten wirbt, in efügie zu rade-
breden, Tiſchgebete herfagen zu laffen, und über die Gränze
u jagen? -
Als wir aber dem Gerichtsſchreiber alles erzählt bat»
ten, und damit ſchloſſen, dag wir der hohen Obrigkeit mit
den zwölf erbeuteten Gewehren und den vier ſchonen Heng«
fen ein unterthäniges Geſchenk zu machen däcten, erhei⸗
terte fi die Miene des Mannes augenblidiih. Er ließ
die Haͤſcher mit den Blechbauben und Piken wieder zur
Etadt marfchiren, ſehte ſich hin, um mit ums zu gehen,
verfprady. alles am gehörigen Ort ins günkiafte Licht zu
Aelen, und fing als alter Student felbft zuerſt das Lied
m: „Gandeamas igitur, juvenes dam sumus!“
Die Trennung
So hatten- mir den wieder auf kurze Seit Ruhe; mein
Bruder ging mit den Gefellen zur Arbeit. und ic fhlen-
derte täglid) in träger Gewohnheit mit dem Buche unter
dem Arm nach der Schule, um nichts Ordentliches zu ler⸗
nem und um mich über die Ungezogenheiten meiner Mitſchü⸗
ler zu ärgern. Ich war dod immer lieber dort, als zu
Haufe, mo es, frit meiner Mugme Heirath mit dem Ser
baftian Veilchendiau, elend berging. Der Meine Wicht ver-
wandelte fi bald in einen Haustyrannen, und prügelte
108 Die Trennung.
feine dide, große, fhläfrige Frau bei den unbedeutendſten
Anläffen. Diefe Anläffe waren oft Höhft närrifh; denn ſie
hieß ihn fonft im Haufe walten, er war Herz ihres Ver⸗
mögens; er konnte Zreunde einladen und bei andern zu
Gafte fein, wenn er wollte. Auch plagte fie ihn nicht mit
Eiferſucht, obſchon er ſich ein Lieben hielt. Da kam ihm
denn. die Geſchtchte von Abraham, Sara und Hagar gut
zu ſtatten. te fag gelaflen zu Haufe, mit dem Hunde im
Scooge und ſchlief meiftene. Wenn die Uhr fpielte, wachte
fie immer auf. Seit fie verbeirathet war, Lehrte fie ſich
aber nicht mehr an das alte Lieblingslied, das am Tage
erflang, dagegen fonnte fie mie Abends das Sterbelied
„Herzlich thut mid) verlangen nach einem fel’gen End“, hör
ren, ohne zu weinen und die Augen mit dem Mopfe zu
trodnenz und da mußte ih denn mit der armen Frau ein
wahres Mitleid haben.
Bald nachher hatte id) den Kummer, meinen einzigen
wahren Freund, meinen guten Bruder, zu verlieren. Der
Herzog kehrte plöplih zurüd, und Ließ ſogleich in der
Stadt ausrufen, er fei Willens, mit dem Grafen Mannd-
feld gemeinfhaftlihe Sade zu machen; diefer dringe in
Deſtreich mit einem Heere ein, und er. der Herzog, fodre
alle treuen mannhaften Unterthanen auf, ihm zu‘ folgen.“
Kaum batte aber mein Bruder dies gehört, fo verlicg
er die Werkftatt, verkaufte den Webſtuhl mit Spieß und
Schwert, und die Klappmüge mit der Pidelhaube.
Kurz darauf reifte der Herzog ab, und Rudolf fah ihn
in mehreren Jahren nicht wieder. Ich habe nie etwas von
feinem Ecidfale gehört, dis Eu, mein Eberhard, auf
Die Zrennung. 109
meine Infel gekommen biſt, und mir erzählt haft, wie er
nachher Vater eines glüdlihen Geſchlechts geworden fei.
Bon meinem Gefühle überwältigt, ſchrieb ic; beim Ab⸗
ſchiede folgendes ſchlichte Gedicht:
Mc Gott, mein lebfier Bruder,
So ſoll ich miflen Dein;
Der ich an Dich gemöhnet
Som firinften Kindesbein!
Kein Jahr {fl noch genofien,
Berflofien,
Oh’ innigen Berein.
Mnter einem Herzen getragen
Bir fogen diefelbe Bruf;
Zoeitten in jungen Tagen
Dei Lebens Gchmer) und Luft.
Sept follen wir und trennen
Und kennen,
ad fon wir nie gewonßt.
Die Schnfucht in der Weite
Wird algewaltig fein.
u Kampfgeroähl und Etreite
Sedent‘, in Dir lei.
Der wWartburg, wo wir fapem
Vud laſen
Bei ſawacher Lauben Sihein.
Und ic} an meinem Wache,
Sig‘ ich aun Dazumal,
110 Die Trennung.
Und meinen Rudolf ſuche
Vergebens in dem Saal,
Ich werde, find’ ich feinen,
Stil weinen,
Beim blafien Mendenſtrahl.
Wie muß ich mich betrüben,
Beil wir und oft gejantt.
Bei denen, die fich lieben,
Mitunter Liebe kraukt;
Doc wieder bald gefunden
Die Bunden,
Und nimmer Treue wanft.
Der Water und die Mutter,
Sind auch nicht länger hier,
Du, der Du ſtammſt vom Luther,
Sein Eegen folge Dir;
Und bringe Dich iurüde
‚Dit Glüde
Zu Eiſenach und mir!
Mein Bruder las das Gedicht, und fiel mir weinend
um den Hals; drauf fagte er: Die große Bibel fann ih
aber nicht mitfehlepyen, fie ſoll bei Dir Bleiben. — Ad Nur
dolf, rief id, dann mußt Du die Uhr nehmen; und wenn
Dir aud) die Stunden im Menſchengewühle und immer
neuen Abenteuern ſchnell fortlaufen; wirt Du doch, wenn
Deine Augen auf dem ſchwarzen Zeiger weilen, der fih
langfam fortbewwegt, des Bruders gedenten, der im fliller
Einfamteit fi) täglich nach Dir fehnt. Recht fo! rief Rus
Die Trennung. at
dolf, Krieger und Geifliher! Zeit und Ewigkeit! Uhr und
Bibel. Gott if in beiden. Iept mug ih Dir aud ein
Lied machen. Drauf ſchrieb er. ohne ſich lange zu beden-
fen, folgende Zeilen:
Immer konnen wir nicht warten,
Sieh, des Schens Bächlein eilt!
Nleine Baͤum · and einem Garten
Werben in Die Belt verteilt.
Doch was wir juceh empfunden,
Theuer und ich ‚Herien blüht,
Denn die Zeit der erficn Stunden
Die entwicken Das Gemůth.
Fliegen auch die Bögel heute,
Zu verſuchen fern ihr Glüd,
Kehren fie Doch mit der Beute
Morgen nach dem Baum aurüd.
Die der Scheftand, mir der Wehrfland,
Die die Feder, mir der Stadl;
Gar vieneiat umarmt der Biſchoi
Bräberlich den General;
Voll meinem Bruder war ic) jeßt getrennt. Ich brachte
od) ohngefähr eim Jahr dei meiner Muhme zu, und weil
id) etwas mehr Berftand befommen hatte, fo daß ih mid
feloR antreitsen konnte, machte id) während der Zeit in meie
an Schnlübungen ziemliche Fortfepritte. Der Meine Beil- -
denblau, der eigentlich diefen Tüplichen Namen haben follte,
112 Die Trennung.
weil er feiner Frau oft den Nüden veilchenblau prägelte,
konnte mid) inde nicht ausftehen. Um die arme Mugme
au rächen, hatte ih ibm eines Abende in vollem Bug
in den Ninnftein fallen laffen, indem ih das Brett
verfhoben hatte. Hierdurch bekam der ſcharlachne Rock
fo viele Flecke. dag Salvater, als er mit der verwor⸗
renen Allongenperüde auf dem Kopfe grinmmig in die Stube
bereintrat, einem fledigen Leoparden oder Pantherthiere
nicht unähnlih fah. Er konnte mic) freilich der That nicht
überführen und id) läugnete alles hartnädig und frech;
mar er mir aber nicht vorher feindlid gefinmt, fo ward er
es jeßt.
An einem Mittage, wie ih mis der Muhme allein
ſpeiſie, fing fie, gegen ihre Gewohnheit, an, ganz vernänfs
tig: zu reden, ohne ſich der altteſtamentariſchen Redensarten
und Vergleichungen zu bedienen, auch ohne die rhetoriſche
Methode des Vortrages, die ihr beinahe zur zweiten Na-
tur geworden. Sie ſprach von ihrer Schweſter, meiner
Mutter, zwar ohne Tränen, doch mit einem gewiſſen ſtil⸗
len Gefühle, das mir auffiel und mid rührte. Sie ſprach
von dem Grabe der Seligen, welches fie immer fehr gewiſ⸗
ſenhaft alle Vierteljahre mit Sand, Buchebaum und Blur
men hatte beftreuen laſſen; fie Ängerte, dag fie, wenn ſſe
ſtürbe, ihrer Schweſter zur Seite ruhen wolle. Drauf
ſtarrte fie laͤchelnd bin auf das Bild des großen Luthers
(krine ſchlechte Cobie des Wartburger Originale) und fagte
mit einem. geroifien phlegmatifchen Stolze und einiger Selbſt⸗
sefäligleit: Er war dom unfer Ahnderr! Ih babe dad
im mer fo gern auf dies kräftige Geſicht Hingefehre, wenn
ich fo allein mit meinem. Heinen Jolie ſaß, und die Uhr
orgelte. Er lichte ja auch das Orgelſpiel fo fehr. — Als
Die Trennung 113
fie fo geſprochen, wollte fie den Löffel zum Munde füßren,
ſchlief aber ein, ehe der Arm den halben Beg gemacht
hatte, umd Sieg die Hand mit dem Löffel wieder finten.
3% war diefes Manöver gewöhnt, und wollte fie aufmeden,
Es mar aber vergeblich, die gute Mubme fhlief den lan⸗
gen Todesfhlummer. Als nun eben in diefem Augenblid
die Stubenubr ihre gewoöͤhnliche klaͤglice Weile zu fielen
anfing, moräber die felige Muhme fo oft gemeint, und ich
gelacht Hatte, rührte cs mid bis im Innerften meiner Seele.
Arme Urfula, rief ih meinend! Jeßt mird diefe Melodie
feine tief in der Bruft verheimlite eitle Hoffnung wieder
erweden! Ach warum finden wir thörichten Jünglinge doch
oft eine alte Jungfrau fo läherlih? Viele diefer Erſchei⸗
nungen find einft junge reigende Schoͤnheiten geweſen. Un⸗
fere Väter haben für fie geglübt. Eine vereitelte Hoffnung
bet das Glüd ihres Lebens auf immer gefört, und mir
verfpotten die armen Unglüdlihen! Die Nefte einer gewe⸗
fenen Menſchenſchönheit erregen nur verädtlihe Gefühle,
und auf den Diauern alter Burgträmmer ſchreiben wir ehr⸗
furchtovolle ſchwaͤrmeriſche Lieder. Sind doch die Burg-
trämmer nur Stein und Schutt, bier hauft aber eine un.
ſterbliche Seele. Und mar die Erdenhälle diefer Menſchen-
Seele garftig und unangenehm, fo daß fie alles das weg ⸗
ſcheuchte, nach welchem ein gefühlvol ſchwelgendes Herz in»
nig begehrte, ach Gott! — war's denn ein Wunder, wenn
ein noch feltfamerer Wahn, eine file Wuth ſich nad und
nah der Armen bemähtigte? daß ſich die Berrätfung des
Lebens auch in irren Thaten und Borten offentarte? —
Nein. meine arme Muhmel verfegte ic ſchluchzend, waͤh⸗
end die Uhr immer dabei ihre Melodie leierte, — ein Dil»
iernes todtes ‚Anftrument fol nicht die einzige Stimme fein,
Veplenf. Schriften. XVI.
114 Die Trennung.
die Deinen Tod beklagt. Du bit mir in vielen Jahren gut
und hüffreit) geiwefen. Gin warmes thrilnehmendes Herz
fol Dir fein aufrichtiges Gefühl zollen. Ich will Dir zur
Grube folgen, und dann einen Ort verlaflen, wo feine Ier
bendige Ecele ſich mehr um mid und mein Edidfal be⸗
kümmert.
Als ich diefe Parentation gehalten hatte, mäßrend die
Muhme noch immer fteif und feſt am Ziſche mit dem Löfe
fel in der Hand ſaß, ohne fid) im mindeften verändert zu
Baden, trat der Heine Salvator Veilchenblau herein. Er
war febr übler Laune, und wollte ſchelten; als er aber
hörte, daß feine Frau todt fei, mard er plöplich fehr auf ⸗
geräumt, und fing an, die guten Eigenſchaften der Seligen
auseinander zu fegen. Auch meinte er etwas; ich war aber
fo boehaft zu glauben, daß es vor Freude fei, höchſtens
aus Dankbarkeit, weil die felige Urfula ihn nicht laͤnger in»
commodire, und ihm alles das Ihrige binterlaſſen Habe.
Er feßte fih fogar zu Tiſch, und ap mit gutem Anpetite.
Ich will das Vergnügen haben, fagte er, mir einzubilven,
dag ih uch einmal mit meiner licben Ehehälfte dinire,
Sie war eine fromme Seele, es ift mir in ihrer Nähe gar
nicht bang. Sie bat oft fo geſeſſen und kein Wort ‚gelbro-
Gen, fie wird es auch heute nicht thun.
Ic) ward über den Meinen Wicht fehr aufgebracht, md,
Bigte mich aber, und ſprach ruhig: Eſſt nur, Salvator!
ich wäünfde Euch eine gefegnete Mahlzeit. Ihr babt ja
dod meine arme Muhme nur gebeirathet, um einen guten
täglihen Biſſen zu bekommen. Die Leihe follt Ihr aber
nicht verhöhnen. — Ich rief Leute, und ließ die Todte wege
tragen. Gr wunderte ſich Über meine Kühnpeit, wagte aber
tein Wort dagegen zu fagen. Nur äußerte er troden: Ihr
RR Die Trennung. 115
nift, Eure Muhme dat cin Tehament gemacht. Ich bin
der Univerfalerbe. Hundert Thaler hat fie Euch vermact;
die wird’ ich Euch morgen auszahlen und dann wunſch ich
Ent) eine glüdliche Reife,
Ton Eurer Großmuth zu leben, antwortete ich Balt,
wäre eine gar zu ſchiechte Koft und eine gar zu tiefe Bes
Mtimpfung. Ich gönne Euch das Geld, das Ihr mir und
meinem Bruder durch diefe Heirath eigennüpig umd nieder-
tätig entwendet habt, und gebe fogleih aus Eurem
daufe. Hütet Euch aber, von meiner Muhme, meinen
eltern, meinem Bruder oder mir ein ſchlechtes Wort zu
freien, während ich noch in Eiſenach Bleibe, ſonſt werde
{0 meinem lieben Obeim fo den Rüden bläuen, wie er es
eft meiner armen feligen Muhme getban hat.
Mit diefen Worten verließ ich das Haus, fehr dadurch
erleihtert, dag ich den winzigen Schurken einmal meine
feffte Beratung in derben Worten hatte empfinden laſſen.
As ih meine hundert Thaler ausbezahlt befommen
hatte, dünfte mid), der ich mie mehr als ein Paar Gros
fen in der Taſche gehabt, dag mir künftig nichts man«
sen könne. „Ich 309 zu einem meiner Bekannten, einem
Studenten, Namens Seifert, der vier Jahre älter war, als
id, ein fehr guter Kopf, und ein zwar escentrifher, doch
juglei ein Liebenewärdiger Menſch, wie Ipr nachber hör
Tem werdet.
Dan follte glauben, mein Er-Ohelm und ich würden
Ms nun nie mehr mit Augen gefehen haben, und doch mug-
ten wir noch ein Paar Etunden lang ganz rubig und file
ig einander zur Seite geben. Er konnte naͤmlich niht um-
bin, mic durch den Leichenbitter zum Begräbniffe meiner
Muhme einzuladen. Bir gingen alfo beide Im ſchwarze
116 Abenteuer.
Mäntel gehült, Schritt vor Schritt, zunähf dem Sarge.
Kein Menſch als ih war bei der Leihentrauer gerührt.
Es kam aber dem Meinen Beildenblau wohl zu ftatten,
dag ihm immer die ſchwachen Augen im Winde wäflerten;
er trodnete ſich fleißig mit dem weigen Schnupftude, und
die Zuſchauer waren mit feiner Theilnahme fehr zufrieden.
Ich konnte nicht weinen. Erſt als ich hinter dem Leihen»
gefolge das leiſe Klingelm einer Schele hörte, und den Mei»
Joli ſah, der feiner Herrin aud) die letzte Ehre ermeifen
wollte, ward bei mir ein ſympathetiſches Gefühl erregt.
Diefes ward noch gefteigert, als ic iu die Gruft hinunter
ſah, und ein Meines Stüd von dem ſchwarzen Sarge meis
ner Mutter entvedte, das durch das nahe Aufgraben ent⸗
Hlößt worden war.
Nach geendigtem Begräbniffe, und als id ein Bater-
unfer mit dem Hute vor dem Geſichte gebetet hatte, ging
ib fort, und babe feitdem weder das Haus meiner feligen
Mupme, noch meinen Er» DOheim mit Augen gefehen.
10.
Abenteuer.
Iay moͤchte die erſten fhönen Kinderjahre, die unſchul⸗
dig in der Heimath verledt werden, den heitern Märztagen
vergleichen, die den noch unverhofften Frühling anfündigen.
Die Sonne fbeint dann warm, das Gras fängt an zu
machfen, die Veilchen blühen, die Stubenfenfter, die der
Sonne zugekehrt find, werden eröffus ja man findet es.
Abenteuer. ” 117
“mol in der Stube zu Heiß, feßt fih drangen auf die Bant
in der Mittagsfonne, und mwähnt, daß es bereits Sommer
fi. Dann kommt jedoch der wilde April mit feinem Wan⸗
felmutbe, feinen Leidenfhaften, mit Regen, Sturm, Ha⸗
gel und Nacıtfröften.
Glaubt aber nicht, Kinder, dag ich dies als eine Li⸗
tanei einſtimme. Die Vorfehung hat mic fo ziemlich mit
heiter Haut aus jenem Kattegat der Jugendriffe in's freie
Mere des Mannesalters gebracht.
Acht Tage nah dem Begräbnilfe meiner Muhme, faß
id) mit meinem neuen Freunde Seifert und mehreren luſti-
gen Gefellen im Birthehaufe, zwei Meilen von der Bater«
Radt entfernt, mit achtzig Thalern in der Taſchez denn
sehn hatte mir mein Oheim Veilchenblau durd allerlei
Meine Rechnungen verfürzt, und die übrigen zehn hatte id)
erbrandt, um meinen Freunden einen Abſchiedeſchmaus zw
oben, und um mir einige neue Kleidungeftüde zu Laufen.
Seifert faß jeßt am Ende des Tiſches mit einer Fla⸗
ſhe franzöfifhen Weins vor fi, aller Augen waren auf
ühm gerichtet. Ich wollte, daß ih Euch ein freues Bild
diefes wunderbaren, finnreihen, vagabundiſchen Menſchen
malen fönhte.- Er mar ziemlich hoch, ſchlank und breite
(Qultrig; dabei aber mager; hefonders waren ibm die
Seine dünne gerathen. Alles jedoch bei ibm mar Sehne
und Nero; feine Gefihtefarbe wär gewoͤhnlich blaß und
fel ins Geibliche; fobald er indeſſen zu reden begann,
glühten ihm die Wangen fhön, und die großen Augen
funtelten immer.
Obſchon er die Belt im Gailjfh verachtete. leuchtete
dech bei ihm eine unbeſchreibliche Anmuth und Freundlich
keit gegen Menſchen hervor, die er einmal liebgewonnen
118 Abenteuer.
batte. Sie mußten ſich aber blindlings feinen Neigungen
und feinem Willen⸗fügen, font fubr er auf und ſchmetterte
fig. mit Spott.und Schmähungen zu Boden. Naher ward
er wie gerührt, und machte mit Anftand und Würde alles
wieder gut. Obſchon er felten Gedichte las, und eigentlidy
die Poefie wenig liebte, weil feine egoiſtiſche Natur fie nicht
ſelbſt üben Eonnte, und weil er ein zu guter Kopf war, um
feine Eitelteit mit mittelmägigen Verſuchen abzufpeifen, war
doc) fein ganzes Wefen fehr poctiſch Jedem Vorfalle, je
dem ibm begegnenden Menfhen-Charakter mußte er die ei⸗
genthümlihe Seite abzugewinnen und in gut gewählten
Worten darzuftellen. Es mußte jedody alles imbroviſatoriſch
aus dem Stegereife fein. Seine Einfäle, feine Gedanten,
feine Begeifterung waren wie der Champagner, der augen»
dliclich brauft, und auf der Stelle getrunken fein wii.
Selbſt ſtolz auf feine Vorzüge, haßte er bis zur Wuth al»
les Herlömmliche, das ſich ohne eigenes Verdienft bervor-
thun wil. Er war ein treuer Freund, und theilte den
leßten Heller mit feinen guten Gefellen. Auf ihre Ver⸗
dienfte und Vorzüge war er aufmerkfam, und rühmte fie
ft. — Bar es ein Wunder, wenn id und mehrere Jüng-
linge meines Alters uns ihm blindlings ergaben, und fei-
nem Billen folgten?
Brüder — forah er, uns die Gläferimit dem feuri⸗
gen ficptrothen, no nie gefofteten Burgunder füllend —
es giebt eigentiil t fein höheres Glüd, als das fhöne vaga-
Fed geben. So yaben es auch die Menſchen von An-
ginn ber, rieben, und nurgdie Nord, als das Geſchlecht
zu tik eemebre” ai zwang die Männer aus der freien
Natur, die fie ihr Paradie‘ nannten, auszugehen, um mit
Dcfen Felder zu pflügen, um mit Weibern Kleider und
Abenteuer. 119
Echuhe zu nähen, und mit Bibern und- Wespen Selen und
Häufer zu bauen. Ieder tüdtige Burſch fühlt deswegen
aucy noch in ſich den Trich, Das alte natürliche Verhältnig
wieder herzuftellen. So wollen wir denn einiger der erften
‚Hero in Liebe gedenken, als des Nimrod, der ein rüftie
ger Iäger vor dem Herrn mar, des Herkules, der die zwölf
fhönen Abenteuer ohne Schwierigfeiten beſtand. Welch
cin Gandium mag es nicht dem Inachus, dem Kadmus,
dem Cecrops geweſen fein, auf Meinen Schiffen voll luſti⸗
ser Vagabunden an fremden Ufern zu landen, und dort
eine neue Wirthſchaft einzuführen! Als fie jedoch vom
Eticthonius Iefen und fhreiben gelernt hatten, waren fie
verloren. Bewundern wir aber auch die Argonauten, die
nach Colchis, die Hellenen, die nah Troja ſchifften. Denn
wenn auch die verblendete Welt dafür hält, fie hätten es
am eines verlaufenen Weibes, um eines armfeligen goldes
nen Vließes willen getban, ſo find wir Eingeweihten doch
Eng genug es einzufchen, daß fie fih nur dieſes Dedman-
tels bedienten, um den Dummen und Blödfinnigen Sand
in die Augen zu fireum! Im Grunde geläftete ihnen nur
mat einem guten Abenteuer. Beld eine Freude mäßte es
sewefen fein, nachher mit dem Nomulus und Remus und
all dem fücytigen Janhagel eine Zreiftatt zu bilden. Wenn
ih aber wuͤnſchte, mit dem Romulus gelebt zu haben, fo
wäre es nur, um ihm todt ſchlagen zu können, weil er, wie
der erfte Philifter Cain, aus kleinlicher Eiferſucht feinen
Bruder ermordete. Remus it gewiß ein ganz anderer Kerl
geweſen; er fpottete der Eindifhen Einrichtungen des Ro⸗
wulus, der ſchon einen- Walt machen mollte, um die Leute
in die Bornirsheit bineinzugwingen, um fie au Philiſtern
und Spießbürgern zu erziehen, wie fie es denn auch nach⸗
120 " Abenteuer.
ber wurden. Darauf Tamen aber die wahren Burſche!
Der Odin mit feinem Gefolge nah Norden! Die Cimbren,
Zeutonen, Longobarden nah Süden. Nachber machte das
migverftandene Chriftenthum freilih die Menſchen wieder
etwas ſchlaff. Der Heldenmutb artete in die Frage, in
Graufamfeit aus, der craſſe Burſch Attila wüthete wie ein
toller Hund, der allerchriſtlichſte Clodwig und feine Nach»
folger, die Merovingen, waren das infamefte Zumpengefin-
del, das je auf der Welt geatbmet bat. Dann kamen je-
doch die Normannen, und lehrten die Cüdländer wieder
Mores. Eine ritterlide Gefinnung verbreitete ſich über die
Belt, und bald gaben die Kreuzfahrer den Cimbern, Lon-
gobarden und Normannen nichts nad. Freilich mußten fie |
‚wieder die Philiter mit Honig um's Maul ſchmieren, da-
mit fie mit ihnen gemeinfhaftlihe Sache machten. Sie
ſchlugen ſich aber nicht mehr um’s heilige Grab, als um
des Kaifers Friederich roten Bart! Nachher hat die Phi⸗
lifterei, wie eine anftedende Krankheit, ſich leider fehr ver-
breitet, Der liebe Herrgott forgt aber doch immer noch
für feine Geſchoͤpfe. Ieht find wir Gottlob Broteftanten!
Und wogegen proteftiren wir eigentlich? Fragt die Schaa-
zen des Mann:feld, des Herzogs Chriftian, fragt die Hau-
fen des Tilly. des Ballenftein, warum fie ſich ſchlagen!
Straf’ mich Gott, fie willen es nicht, fie wollen es nicht
wiffen; fie denken nicht viel daran, ob fie Katholifen und
SHroteftanten find! Das iſt wie vorher mit den Guelfen
-und Gpibellinen in Italien, wie mit der rothen und weißen
Rofe in England; fie ſuchen nur Abenteuer, und find im
Grunde einander fehr verbunden, weil die verfiedene Den,
Lungsart ihnen den Anlaß giebt, Ah willkürlich und hel-
denmäßig zu bewegen.
Abenteuer. 121
Gr trank bier eins dazwiſchen, und fuhr fort: Nun
hätten wir uns freilich an cine diefer großen Horden an-
füliegen Können; allein dann wären wir wieder Knechte, die
dem Befehle eines mächtigen Anführer gehorchen müßten.
Auch hat man in fräteren Seiten den Krieg yerdorben.
Die Krieger find Britken auf dem großen Schachbrette;
der befte Schachſpieler ift der größte Held. — Nein, Ichten
mir noch zu den Zeiten der irrenden Ritter, dann mollte
id Euch vorſchlagen, dag wir uns für unfer Geld Helme,
Epiege, Schwerter, Harnifge und gute Pferde kauften:
dann wollten wir in Gottes Namen auf Abenteuer aus»
aiehen, den Witwen beifteben, die Iungfrauen beſchützen,
die Ppilifter auseinander bringen, wenn fie ſich in die
Haare gerathien wären. Die Welt duldet aber feinen Rit⸗
tergeift mebr, die Witwen wollen nit beſchüßt, die Junge
fern nicht gerettet fein, die Bürger und-Bauern wollen ſich
nicht helfen laſſen. Jeßt rauben, fengen, brennen, ſchänden
amd morden die Horden. Wir wollen inde feine Räuber
erden, obſchon diefe prefäre Lebensart, dies romanenhafte
Herumftreifen im frifhen grünen Walde, für ein junges
Gemüth etwas ſehr Neizendes bat. Die Räuber aber find
Lumpenkerls und wahre Philiſter; fie fechten nicht, um Muth
und Tapferkeit zu beweifen, fondern nur aus Mordfuht
und Geiz! Hol der Teufel alle ſolche fpigbübifhen, ſpießz ⸗
bürgerlichen Beweggründe.
Ich weiß jedoch einen Ausweg! — id weiß ein gemaͤch⸗
liches geiſtreiches Mittel, wie wis Könige, Helden, Patriar ·
Gen, Bürger, Bauern, Näuber, Türken und Juden fein
tinnen; wie wir die Brogmuth oßne Anfopferung. die
Graufamkeit ohne Gewiſſensbiß ausüben fünnen. Laßt uns
Ehaufpieler fein; wir wollen alte Faſtnachtſpiele, Schwänte,
122 Abenteuer.
Iragödien, fogar moraliſche Lehrſtüce aufführen, Und id
will Diretter der Bande fein! So ziehen wir im deutſchen
Baterlande herum, genießen das Leben, beſchauen die Na-
tur und die Städte. ergründen die Dienfen, verdienen
Geld, trinten Bein, een Braten, lichen-die Weiber, wer⸗
den gelieht. Und wenn wir des Weſens wieder müde find,
bören wir auf.
Seifert hätte nicht die Hälfte feiner Beredfamfeit nö-
thig gehabt, um uns junge Menſchen ganz nad) feinem
Willen zu lenken. Mir wollen aber das Handwerk ver»
edeln, fprad er, nicht wie Badyanten und Schügen einher
ziehen, und die Schwäceren zwingen, für die Etärkeren zu
betteln. Auch wollen wir uns nicht für Zauberer, Schah⸗
gräber, Aftrologen und Negromanten ausgehen. Dagegen
können wir gern den hübſchen Weibern einbilden, wir fein
in dem Venusberge gewefen, und Meifter der fieben freien
Künfte geworden: magistri septem artinm liberalium,
Benn mir älter werden, tönnen wir Ernſt machenz jeft
fingen wir:
Nonnen jechten, Plaffen sechten!
Mägde trinten noch mit Anechten;
Trintt der Abt mit dem Priore,
Monche fanfen früh {m Ghore.
Vürger mit einander teinfen,
wie fie von den Stühlen finfen,
Bein ergnicht die durl'gen Zungen,
Alte bechern mit den Jungen,
Für den Pabft und für den König
Bein die Menge, Waſſer wenig;
Abenteuer. 183
Für die Zürken, für die Yfafen
IN der Siebenfaft erſchaffen ;
Wrüderlich aufammen bechern
Zent' aus gamı verichiednen Fächern.
IR verloren Malz mad Hopfen?
Zecht den Wein in großen Tropfen! *)
Lieber Eeifert, ſprach ich, id) gehe gern mit Dir, und
made gern alle luſtigen Etreihe mit. In's Pfaffenland
mag ich aber nicht mitziehen. Ich weiß, es mürde meinem
Vorfahren, dem großen Luther, nicht gefallen.
Seifert runzelte die Stirn ein menig, und ermiederte
vornchm: Du ſprichſt immer fo viel von Deinem großen
Abnherr, mein Licher! Das iſt eine lichenswätdige Schwach ⸗
beit an Dir, die Du ablegen follteft. — Kein Wenſch, rief
id erhigt, fol mid davon abhalten. Zwar ftamme ich
nicht in gerader Linie von ihm ab. fondern nur von einem
*) rei nach dem alten Liede:
Bibit ille, bibit illa,
Biblt servus cum ancilla,
Bibit Abbas cum Priore,
Bibit coquus cum factore;
Et pro Rege, et pro Papa
Bibunt vinum eine aqua,
Et pro Papa, et pro Rege
Bibunt omnes sine lege.
Bibunt primum et secunde,
“ Donee nihil ait in fundo.
1 Abenteuer.
Nebenzweige. Hab’ ich aber doch eben fo wohl Erlaubnig,
ibn das Haupt meines Geſchlechts zu nennen, als vice
Adelige, die einen ausgezeichn ten Helden als Blume des
ganzen Etammes anerkennen. Auch finde id mic befugt,
fein Rappen, die Roſe, in meinem Petſchafte zu führen.
Das haben ſchon meine Vorältern gethan, und der große
Melanchthon fagte felber von unferm Geſchlecht: Vetas
familia est, et late propagata. °)
Nun woblan, ſprach Seifert ruhiger, als. er mih fo
bißig meine Rechte verteidigen fah, ic will Deine Roſe
nicht drehen. Ich war ſchon wieder gut, und er verfeßte:
> I) finge mit Properz:
. Me juvat et multo mentem vincire Lyaeo
at Et caput in verna semper habere rosa, ”')
Wir wollen Deine Roſe nad alter Weife über unfern
Speiſetiſch aufhängen, zum Beiden, dag man, mas unter
guten Freunden geſprochen wird, geheim halten, und nicht
zu genau nehmen folle. So thun wir alles eub rosa, Gut
aber, verfeßte er Fühelnd, daß unter uns fein Chevalier
de Guise ift, denn der fönnte feine Roſe fehen, ohne ohn⸗
mädjtig zu werden; und wie würde ihm erft Deine bürgers
liche Wappenroſe in die Nafe geſtunken haben!
Wir zogen demnad) wie Zugvögel mit unferm Seifert
luſtig fort in unbefannte. Gegenden, und fo lange das Geld
in der Taſche Mingelte, daten wir an nichts, als große
Herren zu fein. Als aber das Geld beinahe alle war, denn
*) Das Geſchlecht if alt, und weitverbreitet.
) Mich erfecut ed, den Kopf voll von Bachus zu haben, und
dag Haupt mit Frühlingsrofen zu kraͤnzen.
Abenteuer. 125
wie die Aboſtel weilend, batten wir geweinſchaftlichen Beu ⸗
tel, ſprach Seifert: Jeht, Kinder, mällen wir arbeiten.
Ziemlich müde und fehr arm famen wir an einem fhö«
nen Aprilabend einer Nitterburg am Tbüringerfelſen vor
bei. Unfer Wegweiſer zeigte uns im Borbeigchen tief une
ter der Burg eine große, roflige, eiferne Thür im Felſen ⸗
geſtein. Bir dachten, es fei vieleicht ein Burgverlieh, er
triäblte aber, daß der edle Ritter Curt von Knaufdegen,
der droben als Witwer wohne, bier feinen Beinkeller habe.
Er fei, verfeßte der Wegweifer, ein Iufiger, freundlicher
Mann, der einen guten Schwant liebe, weswegen er ſich
auch oft als ſchlichter Bürger verfleite, um drunten im
Vuthehauſe die Fremden zu ſprechen und vom Zeit zu Zeit
feinem Spaß mit ihnen zu haben. Möglid) fei «6, dag wir
ihn auch Heute Abend dort treffen würden.
Kaum hatte Seifert das. nehört, fo ſprach er heimlich
u uns: Wir wollen lieber unfern Spaß mit ihm haben,
und wenn ſich nicht Alles gegen uns verſchworen hat, wer-
dem wir noch heute Abend den trefflihen Bein des edlen
Curt von Auaufpegen koften.
Nun ift zu- willen, daß wir im unſere Bande einen
Bauer, Namens Barthel Schmolz, aufgenommen hatten,
der einen dicken Bauch, ein großes Maul und ein fehr. ale
bernes Geficht-haste. Er war aber nicht fo dumm, als er
ausfah, wir brauchten ihn dazu. unfere Schuhe zu fäubern
und unfere Kleider zu bürften; Eeifert hatte ihn aber noch
aus einem andern Grunde mitgenommen: denn diefer Bat-
thel war eine komiſche Frape, die und in den Poflenfbielen
vom größten. Nupen fein kounte. J
Us wir in die Wirtheſtube hineintraten, ſaß da am
;, Nantgefcpeuerten ſchnteweihen Eichentiſche der, in der Mitte.
126 " Abenteuer.
mit ſchwarzem Schiefer ringelegt war, ein ehrbarer alter
Bürger, mit einem großen Beyer vor ſich von Bachsbaum.
worin, ſeht fauber geſchnitten, zu fehen war, wie der bes
rauſchte Noah von feinen rümwärtsgehenden Söhnen mit
dem Mantel zugededt wird.
Bir gaben unferm Wegweiſer ein gutes Trinkgeld; er
verließ ung vergnägt; und raunte uns zum Dante: beim
Abſchiede in’s Obr: der ehrbare Bürger dort it eben der -
erwähnte Nitter Curt von Anaufdegen; ein kreuzbraver,
ehrlicher Herr, der viele Fehden in feiner Jugend mitgee
macht hat. Hier im Wirthshaufe mögt Ihr Euch aber auf
feine Ehrlichteit nicht verlaffen; denn hinter dem Bürgers
wams ftedt der Ritter, und im hölzernen Becher nicht der
ſchlechte Wein des Wirths, fondern der treffliche Rebenfaft
des eben gefehenen Kellers. — Der Wegweiſer ging, Sei⸗
fert hatte uns fhon alles Nöthige gefagt und Barthel feine
Rolle begriffen,
Guten Abend, liebe Gefellen, rief der Ritter und ent»
gegen; — mer feid Ihr, mit Verlaub? Etwa fahrende
Schüler? — Bir find Studenten, die nach Erfurt gehen.
um da unſere theologiſchen Studien fortzufegen, antwortete
Seifert mit ernfter Höflichkeit. — Nun, das iR hübſch von
Euch, verfepte der alte Herr, — ıd freue mid immer,
junge aufgeweckte Zeute zu fehen, die fi auf die ſchoͤne
Kunft der himmliſchen Wiſſenſchaft legen, melde uns der
unſterbliche Luthet von allen Auswüchſen und Zuſaͤtzen ge«
reinigt hat.
Bei diefen Worten des Nittere mandelte mid nach
Gewohnheit gleich eine große Luſt an, mid als Enfel des
feligen Doftors zu produciren; ein Blick aber auf Seifert,
dem von einem ſpoͤttiſchen Lächeln und leiſem Kopfſchütteln
®
Abenteuer. 17
begegnet ward, weil er mir in der Seele las, band mir
die Zunge. — Ia, licher Herr, ſprach Seifert hurtig, weil
er immer fürctete, id werde mit meiner Entdedung der
Verwandtſchaft heransräden, von jeher haben ja Adel und
Geiſtlichteit zuſammen gehalten. — Do, rief der alte
Kitter, — iR der achtbare Bürgerftand auch nicht zu ver»
achten. — Diefer, erwiederte Seifert, bat eigentlich die Re⸗
formation begonnen; fie ift aus feinem Schooße entfprun-
gen. Drauf das ernſte Geſpräͤch damit abbrechend und ſich
zu Barthelu kehrend, frug er ihn lachend: Nun, wie geht's
Meiſter Barthel? BR Du noch immer fo müde? Du
moͤchteſt Did) wohl jetzt gern an einem guten Trunke la⸗
ben? Der alte Beinteller droben am Berge mit den ver⸗
falinen Stufen und der roftigen Tpür hat Deinen Durft
noch ftärfer erregt! Nicht mahr? — Der alte Weinkeller?
fiel ihm der Ritter in's Wort. — Ia wohl, verfeßte Sei-
fert. I habe freilich dem Menſchen geſagt, daß es da
nicht geheuer ſei, und er fürdtet ſich fonft vor Gefbenftern,
mie die Weiber vor Spinnen. Sein Bauch geht ihm über
alles, wie Ihr feht; und wenn er nur guten Bein faufen
Bann, fo verſchriebe er ib, glaub’ ic), gern dem Teufel
mit Leid und Seele. — Ja, ſprach der alte Ritter, der
gleid) merkte, Seifert wolle den Bauer aufziehen, freilich
Ws da nicht geheuer. Haft Du nie etmas von dieſem Wein ·
Adler gehört, mein Freund? — Nein, antwortete Barthel,
dumm liſtig, möchte aber für mein Leben gern ein Wort
davon erfahren. — Vor hundert Jahren, ſprach der Nit-
ter, ging ein chen fo vermegener Befell, wie Du, den ‘
Zrümmern des alten Weinkellers vorbei. Er traf den Ein-
gang zu einer wnterirdifhen Treppe, welche gar Keil fhien,
fo dag er hinabſtieg, umd im einen anfehnlihen Keller
128 Abenteuer.
gelangte, an deffen beiden Eeiten er große Faͤſer gereibet
fab. An den vorderften mangelten weder Dahn noch Krahn.
und als der Bürger vorwigig umdrebte, ſah er mit Ver⸗
wunderung einen Wein fliegen, köſtlich wie Del, Er hatte
zwei große Krüge mit fid), welche etwa zwanzig Maag fafs
fen konnten; er war aber nicht dazu zu bemegen, einem
folden Gang zum zweiten Male zu machen. Nachher hat
man den Schlüſſel zum Weinkeller in der eifernen Thür
gefunden; und er bängt nod zum Andenken, groß und
roſtig an der Wand in diefem Wirthehauſe. Denn fein
Wagehals hat nachher das Abenteuer gemagt.
Hat er denn dort Geifter gefehen, frug Barthel fehr
andãchtig. — Freilich mag er folh Zeug da gefcben haben,
antwortete der alte Nitter. Man fast, daß Gefpenfter
ihm dort feinen Tod vorherverfündigt haben; aud fol er
nachher wirklich geftorben fein. — Wie lange mag das
wohl ber fein? frug Barthel. — Hundert Jahre, erwie-
derte der Nitter. — Dann ift es eben fein Wunder, dag
er geſtorben ift, tief Barthel. Ic hätte große Luſt, das
Abenteuer auch mal-zu verfuhen. — Das dacht’ ich! flür
fterte Seifert dem alten Knaufdegen in’s Obr: denn dieſer
Kerl ift der größte Trinker in der Chriſtenheit!
Der alte Ritter nahm Seiferten zur Seite, entdedte
Ah ihm, und geftand, daß er mit dem Dichbauche einen
Schwantk vorqchmen möchte; mir Andern wurden mit im's
Spiel gezogen, und die Poſſe begann.
Der alte Nitter fandte cilig hinauf zur Burg, um
das Nöthige zu holen und einzurichten. Drinnen in der-
Bölbung fanden wir brennende Liter und einen Kleinen
Tiſch mit ſchwarzer Schiefertafel und Griffe Gleich Berg«
leuten oder Kobolden kleideten wir uns in ſchwarze Ueber-
Abenteuer. 19
röde, und bedrdten die Kopfe mit Iedernen Müpen. Raum
waren wir Damit fertig, fo erſchien Barthel. Bir hatten
unfere Lichter in eine Zelfenfluft gefegt, damit er fie beim
Eintritte nicht gleich gewahr werde. Mit einer Hornleuchte
in der einen und einem großen Eimer in der andern Hand,
trat er ganz erfdroden herein, und fein Wegweifer verlieh
ihn an der Thüre.
Barthel ſpielte feine Role gut. — Hier fiehen freilich
Namen genug mit ſchwarzen Buchſtaben auf meiße Schilde
fauber geſchrieben, fagte er; das find mir aber lauter ſpa⸗
niſche Dörfer, denn ich bin der edein Kunft des Buchſtabi-
tens nicht mächtig. Was thu' ich jegt? Vielleicht zapf' ich
aus der ſchlechteſten Tonne, und id möchte für mein Leben
gern vom Beften haben.
Zapf aus dem Orboſt, das Du mit der Hand bes
rühelt, donnerte mit bohler Stimme der alte Nitter, aus
der Dunfelheit hervor, der iſt gut. — Barthel zitterte, dag
ihm beinahe das Licht in der Leuchte umgefallen wäre,
faßte ſich aber ſchnell, machte einen tiefen Büdling gegen
alle vier Weltgegenden, und ſprach: Dan’ Euch, gnädige
Ser Herr Geiſt! Jetzt ſeh' ih, dag Ihr es mit mir ehrlich
t.
Bei diefen Worten war der alte Nitter Willens wieder
ein großes Gebrüll hören zu laſſen, aus Furcht aber, der
Bauer werde ihm in feiner Angft zu viel Bein auf den
Boden verſchütten, nnterließ er es.
Während uns Barthel den Rüden Lehrte, hatten wir
Beit genug, in aller Gemaͤchlichteit zu erſcheinen; und als
er ſich endlich, wieder umdrehete, um mit dem gefüllten Ei
mer wegzugehen, faßen die ehrwürdigen Greife: (ih, Sei⸗
fert und ein dritter Schüter) in Bergmannstrahten, mit
Dehlenf. Sariften. xvi.
130 Abenteuer.
langen weihen Biegenbärten, am Tiſche, die Schiefertafeln
vor fi), und fperrten ihm den Weg.
Iept follten wir orafelmägig forchen und da hatten
wir denn Gelegenheit, die Gutberzigfeit des alten Ritters
wahrzunehmen. Macht's nur nicht zu arg! flüfterte er- uns
ins Ohr, — hat man doch vorher gefehen, dag ein armer
Tropf bei folder Gelegenheit vor Schrecken in Ohnmacht
gefallen ft, ja wohl gar den Geift aufgegeben hat. —
Zürchtet nichts, erwiederte ihm Seifert Teife; diefer Kerl
bat feinen Geift aufzugeben. Wie lange, Bruder, frug er
mid jegt laut mit verftellter hohler Stimme, meint Du
wohl, daß diefer unverfhämte Schmeerbauch, der uns den
Wein vor der Naſe wegftiehlt, noch Ichen, ſtehlen und
aehen werde? — Sehr kurz, war meine Antwort, fehr
kurz wird er noch — (Barthel zitterte) — Bein trinken,
verfeßte ih. Das Verhänguiß hat ihm feinen Tod in Bier
und Branntwein angemwiefen, und zwar nicht vom beften.
Ad, lieber Himmel, rief Barthel vergnügt, das ift ja
die Hälfte mehr von Glädfeligkeiten und Herrlichkeiten, als
ein armer Bauer zu hoffen wagte. Dank Eu, liebe un«
ſichtbare Herrſchaften, und gnädige Geipenfter, wer Ihr
auch feid, für den fhönen Wein und die höflihe Prophe-
zeihung. Denn ſollte ich auch den Kummer erleiden, in
meinen alten Tagen mit Bier und Branntwein vorlieb zu
nehmen, fo weiß id doch aus Erfahrung, dag man ſich
audı in diefen geringeren Sorten ganz ordentlich betrinfen
kann. Eeid Ihr felige Geifter, fo wünſch' ih Euch, dag
die Seligteit dis zum jüngften Gericht fortdauern möge!
Seid Ipr aber verdammte, fo ift das gewiß nur aus Irr-
thum gefchehen! Der liebe Gott wird ſich Eurer erharmen
Der Ritter und fein Burgkaplar. 131
und Euch wieder aus diefem Arreſte befreien, obſchon ein
guter Weinkeller eben kein ſchlechtes Gefängnig ift.
Drauf mollte er fi) aus dem Staube madyen; damit
er aber doch nicht durch die gräulichen Gemächer des Jam⸗
mers und Hoͤhlen des Elends auf lauter Roſen tanzen
folle, loͤſhten mir die Lichter, und verfolgten ihn heulend
mit Karbatſchen in der Dunkelheit zur Thür heraus.
Der alte Nitter lachte fo herzlich, dag ihm die Thrä⸗
nen if die Augen traten, nahm von uns Äbſchied, weil es
Mät war, und Iud uns ein, Morgen um zehn Uhr bei ihm
auf der Burg zu effen. Bir eilten nach dem Wirthehauſe.
trafen unfern Barthel da, mit dem Weineimer, liegen uns
das Abendbrod gut ſchmecen, und tranfen im edlen Beine
des edeln Nitter Curt von Rnaufdegens Gefundbeit.
11.
Der Ritter und fein Burgkablan.
Wie freute es mic am folgenden Morgen, mit mei⸗
nen luſtigen Gefellen den Fels zu befteigen und in die alte
Nitterburg zu treten.
Man brachte und durch ein Vorzimmer und durch den
fhönen Nitterfaal in das Wohnzimmer des alten Ritters.
Sein Burgkaplan ftand neben ihm, diefer hatte eben ein
Schreiben für feinen Herrn vollendet, und der alte Held
ffieß feinen Schwerttnopf, worein fein Wappen gegraben
9
132 Der Ritter und fein Burgtaplan.
mar, in den an der Urkunde hängenden Wachsklumpen.
Daraus nahmen wir nun ab, dag der edle Ritter nicht
ſchreiben könne.
Er gräßte ung freundlich, und frug, als er fi) umge
fehenshatte: Warum habt Ihr den Barthel nicht mitger
nommen? Edler Herr, antwortete Seifert etwas empfind«
lich, er ift unfer Knecht, unfer Aufwärter! wir dachten
nicht — IM er doc) geftern Hauptakteur im Schaufpiele
geweſen, fagfe der alte Ritter launiſch; und wit "einem
taum merklichen Stirnfalten, id daͤchte, wir fähen heute
nicht gar zu Mreng auf den Rang. — Wenn es fo gemeint
iſt, antwortete ih, mit einer nacläffigen Berbeugung, fo
danken wir für die und zugedachte Gnade, und wollen wei»
ter ziehen. — Nun, nun, mein junger Springinsfeld,
ſprach der Ritter gutmüthiger, Du bift mir aud) verflucht
kurz angebunden. — Ihr feld Etudenten — Theologen —
gelehrte Herrn — da muß ein alter Ritter Reſpelt haben.
Seifert warf mir einen ſpoͤttiſchen Blick zu, fhültelte den
Kopf, und ſprach: Nehmt unferm Freunde, Herrn von Lu-
ther, feine jugendliche Aufwallung nicht übel, Herr Ritter.
— Herr von Luther? ſprach der alte Ritter, das adeliche
Geſchlecht enn’ ich nicht. — Eeifert, ſprach ich, indem ich
ihn am Nodärmel in eine Ede zog, falls Du nod ein fol-
ches Wort ſprichſt, fo geb’ ic zur Thür hinaus, und Du
haft mid) zum legten Mal gefehen. — Bergebt, Herr Rit-
ter, verfeßte Seifert ehrbar und gelaſſen — das iſt nur
ein Scherz unter uns jungen Leuten; wenn es Euch be-
liebt, wollen wir gern fogleih den Barthel Holen Laffen. —
Er kann ja bei Tifge mit aufwarten ſprach der Herr von
Knaufdegen und wißt Ihr was? Ein befferes, reinlicheres
Kleid follte er doch bilig anziehen; wenn Ihr nichts dage ⸗
Der Ritter und fein Burglaplan. 133
gen habt, mill ich ihm ein funkel nagelneues Rarrenkleib
geben, das der felige Narr meines hochſeligen Herm Ba-
ters nur drei Mal am Leibe trug, eh er ſtarb. Es hat
zwanzig Jahre im Kleiderſchrank gelegen, und iſt, wenn «6
gut ausgefiopft und ansgelüftet wird, ned wie neu. Das
wird ihm ſchoͤn ſtehen. Ic hoffe, er wird gegen den Fuchs-
ſchwanz, die Schelle und die Gfelsohren nichts einzuwenden
baden. Nicht im mindeſten, antwortete Seifert. Gleich
ward nach dem Barthel in's Wirtshaus gefchidt.
Bährend der alte Ritter einen Knappen rief und ihm
auftrug, den Brief zu beforgen, ließ er den Burglanlan
fi mit uns unterhalten. Wir merkten wohl, er folle une
auf den Zahn fühlen, mie weit es mit unferer Gelehrſam⸗
keit Her fei. Der Kaplan aber mar felbft ein fehr unwiſ⸗
Tender Menſch, der vorher Monch gewefen, und zum Eur
therthume übergangen- war. Als Seifert ihm mit feinen
Inteinifyen Broden zufehte, verlor er beinahe Nafen und
Ohren, und damit wir feine Armfeligteit nicht verrathen
möchten, überhäufte er uns mit den größten Lobeserhebun-
gen, als der Ritter zuräd kam. — Nun, das freut mic,
rief dieſer vergnägt, dag Ihr boffnungsvolle Jünglinge
feid! Jetzt will ih Euch aud meine Burg zeigen, während
der Tiſch gededt wird.
Drauf führte der alte Herr ung herum; mir beftiegen
die Burgzinnen und ſaben weit über Wald und Thal
hinaus. — Bir mußten mit ihm die gefährliche Ringmauer
befteigen, und umwandern. Wer da in die Tiefe hinunter
gefallen wäre, hätte an dem ‘Tage kein Mittageflen befom-
men. Drauf befahen wir die Gemächer, er äffnete dem
Waffenſchrant, wo noch ſteinerne Beile und Acenkräge der
alten Thäringer aufbewahrt wurden. Schöne Harnifhe,
134 Der Kitter und fein Burgtaplam.
Helme und Schwerter hingen in bunten Reipen. Bas uns
aber das meifte Vergnügen machte, mar eine vollftändige
Sammlung von alerlei Trinkgeſchirren aus Gold, Silber,
Holz und Elfenbein. Aus allen möglihen Geftaltungen
tonnte wan. trinten: aus Schiffen, Bindmühlen. Wein
trauben, Pfauen, fen, Pfaffen, Nonnen, Hirſchen.
Schweinen. Der alte Ritter gab uns die Wahl, ſelbſt die
uns beliebigen Trinkgeſchirre auszuſuchen. Wir waͤhlten
einige ſchlichte grüne Glaͤſer mit Weintrauben verziert: —
Da habt Ihr gut gewählt, rief der alte Ritter. Rhein⸗
wein mug man aus grünen Gläfern trinten, und das alte
Zeug da ift mehr zum Spaß als zum Gebraud, denn wer
Teufel möhte aus Windmuͤhlen, Möndgen und Nonnen
zechen, wenn man Gläfer bat?
Als wir in’s Speifegimmer traten, war das Eſſen
ſchon aufgetragen, meiſt nad alter Art Geraͤuchertes, Ger
pfeffertes und Gefalzenes; dod fand auch ein großer ger
bratener Kapaun vor dem Burglaplane, der, die Aodäre
mel auffrämpend, mit einem großen Vorſchneidemeſſer im
der Hand, ſich bereit machte, das Thier zu zerlegen. Der
Kaplan fdyien jetzt recht in feinem: Elemente zu fin; drei
Bediente ftanden binser den Stühlen, und unter ihnen
Barthel ganz ehrbar als Hanswurft angezogen, mit den
berabhängenden Efelsohren und einer Serviette unter dem
Arme. Benn er fi mitunter bewegte, klingelte die Schelle
hinten im Fucheſchwanze, als wenn ein: Heiner Hund im
Bimmer wäre: das machte ihn aber blöde, und er blich
deshalb meiftens auf einem Fleck ſtehen. Der Ritter grützte
ihn ernft, mit einem freundlichen Niden, und nach feinem
Beiſpiele thaten wir Alle, als wenn gar nichts Ungewoͤhn⸗
liches vorfiele.
Der Ritter und fein Burgkaplau. 135
Als der Kavlau das Ziipebet mechaniſch Bergefagt
haste, fiel er über den Kapaun ‚her, begann vorzufhnel
dem, und rädte nun nad und nad mit alen den Schwän⸗
ten und Einfällen heraus, die in des Barfüßers Frater Jo⸗
banmes Pauli Sammlung zu leſen find. Doc hatte er zu⸗
meilen auch ſelbſt drollige Einfälle, und es war zu bemere
em, wie der alte Ritter, der vermuthlich ale Tage diefe
Hiftörcen wieder verdauen mußte, fi verwundert und
üterrafcht dabei fleite, als wenn er es zum erfien Male
börte, und zum Mitlachen auffordernd, und flarr in die
Augen fab; alles, um feinen Kaplan in’s günftigke zu
u ſtellen. und uns ein Vergnügen zu madıen. -
Könnt Ihr wohl auch einen Kapaun zerlegen, Vater
Gottold? frug er den Kaplan ſpoͤttiſch, der Ihr fo ver⸗
wegen mit dem blinfenden Gifen in der Hand flehet. reis
lich, antwortete der Prediger, fteht im Trandirbude, muß
man, um gut tranciren zu können, prime von Adel fein;
secunde Courage haben; mit den Kapaunen hab’ ich aber
immer noch Muth genug anzubinden. — Und mit diefen
verähtlihen Geſchoͤpfen mag fid doch ſelbſt nicht das furcht ⸗
famfte Weib einlaffen, weil ihnen fo ganz die Waffen man«
gein, verfeßte der Nitter. — Die Weiber verachten diefe
Thiere aus Eiferfaht, ſprach der Kaplan weil beide Die-
kant fingen und Sopraniften find. Ihr fürdtet vieleicht,
Herr Ritter, verfeßte er, daß ich diefen Braten fo verſchnei⸗
den werde, wie der Beichtiger weiland beim Edelmann. —
Nun, wie that denn der? frug der Nitter uns neugierig
awbtidend, und wir merken fehr gut, dag er die Geſchichte
auf den Fingern wußte. — Er ſchnitt dem Rapaune den
Kopf ab, ſprach Herr Gotthold, und Iegte ihn dem Edel⸗
manne vor, weil ihm · als Haupt des Geſchlects ſolcher mit
136 Der Ritter und fein Burgkaplan.
allem Rechte gebühre; dann bekam die Edelfran den Kra-
gen, weil fie dem Haupte am naͤchſten fei; die Flügel wur⸗
den den Töchtern zu Theil; 'weil die Mädchen mit ihren
Sinnen hin und her flattern. Den Söhnen gehörten die
Scheenkel, als Stügen des Haufes, weil auf ihnen das @e-
ſchlect rubete. Den ungeftalteten Alumpen aber behielt
der Pfaff für fi, weil er felöft fo ein Rumpf ohne Kopf,
Kragen, Flügel und Schenkel ſei
Der Ritter lachte, fühte unfere Glaͤſer, und erzählte
dem Herrn Gotthold, er babe uns heute die Seltenheiten
der Burg gezeigt. — Sie waren doch gemiß nicht fo groß,
als die drei Seltenheiten zu Leipzig, fagte der Kaplan. —
Wie waren denn die? fragte der Ritter. — Die Monche
verkauften dort das ganze Jahr hindurch Korn — verfeßte
jener — und hatten keine Aeder; führten große Gebaͤude
auf, und waren Barfüßer ohne Geld, zeugten alle Jahre
viele Kinder und batten keine Weiber. — Unfere Fremde
baben aber nod nicht die Kapelle gefehen, fuhr der Ritter
fort: da müßt Ihr ihnen das fchöne Altarblatt zeigen. —
Es kommt darauf an, ob fie den Herr-Gott lieber todt
oder Iebendig feben mollen, antwortete der Kaplan: es
möchte mir fonft mit ihnen geben, wie dem Maler mit den
drei Bauern. — Bie ging es denn ihm? frug der Ritter.
— Der Kaplan wollte eins dazwiſchen trinken, da er aber
zu eilig war, um wieder erzählen zu können, gerieth ihm
der Bein in die unrechte Kehle: er huſtete entſehlich, ward
erft dunkelroth, dann veilchenblau im feiſten Geſichte. und
konnte lange nit wieder zu Athem kommen. — Seifert
benutzte diefe Paufe, ergriff das Wort und ſprach: Erlaubt,
Herr Ritter, daß ich die Geſchichte erzähle, während der
‚Herr Pafter ſich wieder erholt; ich habe fie auch bei Frater
Der Ritter und fein Burgfaplan. 137
Johannes Pauli gelefen. Der Maler frag, ob fie einen
todten oder lebendigen Chriſtus am Kreuze haben wollten?
— Lieber Meifter, antworteten die Bauern, malt ung einen
Ichendigen! Gefaͤut er uns micht, fönnen wir ihn ja nad
her immer todtfdhlagen.
Mag ic) doch folde Iuftige Geſchichten gar gern hören,
frad) der alte Ritter. — Gewitz, ermicderte Seifert, zur
Abwechelung mag es ganz gut fein. Nur dürfen ſoiche
Anetdoten nicht zu häufig auf einander folgen, font Fönnte
man fi eben fo gern allein auf fein Zimmer mit einem
alten Vademecum in der Hand hinfepen. — Das it nicht
im läugnen, ſprach der Nitter, beffer iſt es, wenn man
felhR einige gute Schwänte erfinden kann. — Dann muß
man aber auch Ernft mit Scherz abwechſeln, verfehte Sei-
firt. Das ewige Scherjen und Spotten entfteht aus Kälte,
Etolz, Eiteleit und Mangel an ernfter Tpeilnahme. Es
iR eine Art von Parforcejagd, wodurch das edle Thier des
Biges zuletzt keuchend eriiegen muß, bis es fih verbinte.
And) Habe ich ſtets gemerkt, daß etwas Unfreundliches in
dem bloßen ununterbrochenen Spagmaden liege. Man
fberzt, weil man der Gefelfihaft nicht genug traut, ihr
fein Gemüch aufzuthun: Muh folgt auf das entſehliche
Lathen immer ein leeres Cihmeigen, mo man fh verlegen
anfieht und nicht weiß, was man wieder anfangen folle.
Und wenn man endlich nach ſoichen wigigen Spoͤttereien
6 einander geht, hat man immer im geiftigen Munde
Ainen faden Nacgeiimad, wie Beute, die zu viel Saures
ouf einmal gekoftet haben. — Ihr habt Recht, Freund,
der alte Ritter, dergleihen muß von feloft kommen,
und nicht immer wiederholt werden. — Barum, verfehte
Seifert, war der Hofnast, der Hanewurſt Immer mit allem
iss Der Ritter und fein Burgkaplan.
feinem Bipe, mit fammt der augenblicklichen Bewunde⸗
rung, ein verachtetes Gefhäpf? Weil er ein Diener war,
der von feinem Brothertn abhing? Keinesweges! das thas
ten die ernften Anappen auch, und wurden nicht verachtet.
Nein, weil er Brofeffion von dem Spotte und dem Spaße
machte; weil er Scherz trieb, nit aus Liebe zum Ernſte.
zur Wahrheit, fondern aus Eitelleit, aus Beratung und
Kälte gegen die Welt. Er war mit fammt feinem aufge
wedtem Kopfe ein egoififher Flegel! — Das Lukigfeinfol-
Ten ift immer ein jämmerlih Ding! Davon giebt uns heute
unſer armer Barthel einen einleuchtenden Beweis. Gehern
war er-aufgeräumt, als er noch im Bauerutittel ftak; jeßt
da er den Habit des Spaßmachers angezogen bat, ift er
Mleinlaut, ſteht mit der Serviette unter dem Arm, wie ein
wahrer Tropf, und fiebt mit feinen berabhäugenden Eſels⸗
ohren einem wirklichen Efel nicht unaͤhnlich.
Bei Gott, das ift wahr! rief der Nitter. Gehe him,
Kerl, und ziehe Deinen alten Wamms, und Deine alte
Laune wieder an. Steht er nicht da, mit dem erbärmlis
wen Geſichte und mit gefalteten Händen, wie ein Sünder
im Beichtſtuhle, der feinen Fucheſchwanz ſelbſt gern dem
lieben Herr-Gott verbergen möchte, Im der That, das
ernfte Fratzengeſicht zwingt mich zum Lachen.
Sp bab id) doch als Scaltenarr meinen Beruf cr»
füllt, ſprach Barthel troden, indem er abging.
Der Bauer hat mid geftern köͤſtlich unterhalten, ſprach
der Ritter Ich glaube, es fünme ein ganz guter Komüdiant
aus ihm werden; erwiederte Seifert: Liebt Ihr etwa Scyau-
ſpiele, Herr Ritter? — Frage. ob ich fie liebe? antwortete
der alte. Herr; wie betomm’ id aber ſolche Herrlichteiten im
meinem abgelegenen Nefte zu ſehen. Ich war mal in Dres
Der Ritter und fein Burgtaplan. 139
den bei einem Fafmachteſpiele, und hab’ mir dort faft die
Augen ausgelaht. Es geht mir aber ein Licht auf! Ior
ſcid fahrende Schüler, feid Ihr etwa auch — «6 muß cum
graue salie verflanden werden, tte Seifert. — Grano
salis, wiederholte der Nitter, ſich Jum Kaplan kehrend, der
ganz märrifd und il faß, weil er keine Anekdoten mehr
erjäplen durfte — was ift grano «alie, Kaplan? Ohne
ein Bort zu erwiedern, deutete der Kaplan auf das vor
ihm Rehende Salzfah, und Seifert verfepte: Bir find ehr⸗
lie Leute und wohlftwdirte Studenten, wie Euch der Herr
Vaſtor gefagt haben wird, gedenken andy unfere Studien
mit allem Ernfte, Eifer und Fleige fortzufegen. Die Ju⸗
gend liebt aber Heiterkeit und Vergnügen. Benn es alfo
Gurer ritterlichen Gaßfreiheit gefallen folte, mit unfern
fükerifcpen Verſuchen in einer (hönen Kunft, melde Ari«
foteles und die Griechen fo bed fhähten, vorlieh zu
Behmen.—. .
Mein Seel, das iſt herrlich, rief der alte Nitter, nicht
wahr, Kaplan? Komödianten, forad der Geiftfihe mit
Nafenrimpfen — ba, jeht begreif ih, warum die Herrm
elein foregen wollen; nur feb" ich micht ein, was fie denn
fo viel gegen den Hanewurſt und die Narrentheidigungen
einzuwenden Haben. Auf den Brettern, lieher Herr Parlor,
ſprach Seifert, Gaben wir nichts dagegen, nur gebt «6 ung,
wie andern Handiverfern, die feine Böhnbafen, befonders
am unrechten Orte ſehen wollen. Uebrigens, feßte er vor⸗
ach hinzu, ſpielen wir nur, um unſere wiſſenſchaftlichen
Talente zu entwiceln. Wir führen Lateinifche Komödien
af, auch Stüde, die in der Mutterſprache gedichtet find.
Beliebt es Euch vwiekeiht, einige kateinifche Dramen des
Wnfterblicen Ylauti oder Zerentüi zu fehen? "
140 Der Ritter und fein Burgkaplan.
Nein, nein, rief der Ritter, deutſch, lieber Junge,
deutſch; damit wir es alle verfichen können. Ich will fo
viel Leute ang dem Städten dazu einladen, als der Rit⸗
terfaal fallen fann. Vielleicht beliebt es Euer Beftrengen,
die gräulihe Tragddie vom weltberühmten Doftore Faufto
zu fehen, nebſt einigen Hans Sachsſchen Nahıfvielen, worin
vielleicht auch Barthel mit Erfolg auftreten könnte? — Ia,
ja, ſprach der Nitter, das if gut, das ift ſchön.
Co werden denn aud Euer Geftrengen uns gütigft
vergeben, verfepte Seifert, ſich ernft verbeugend und uns
einen ſchlauen Slic zumerfend, dag wir Euch fon geftern
Abend Proben unferer Fähigkeiten abgelegt, und Euch ei⸗
nen Sthwank vorgefbielt baben, wm unfere Gaben zu fol
hen Vorſtellungen zu beweifen, damit Ihr nicht die Katze
im Sad Laufen folltet. — Wie denn? rief der Ritter halb
zornig, habt Ihr geſtern mit mir Komödie gefbielt? Bor
Euch Komödie gefpielt. ſprach Seifert, fid) ebrerbietig- were
beugend. — Und der Bauernlümmel? — Wäre bei weitem
wicht fo drolig geweſen, fiel Seifert dem Ritter in's Wort,
wenn er fi wirklich gefürdtet hätte,
Bel diefen Worten entftand draugen ein erſtaunlicher
Lärm. Die drei Bedienten ftürzten mit bintigen Nafen
herein, und Magten den Barthel an, daß er fie gebrägelt
babe, ‚weil fie ihn einen Schalksnarren gefyolten.
Schamt Euch, rief der. Ritter: drei ſolche Wichte, Die
Nitterfnappen fein follten, laſſen fi von einem einzigen
Bauer prügeln? Iept ſeh' ih, dag Barthel ein ganzer Kerl
ift, tam in marte, quam in arte, mie die Gelehrten fa
gen; und id babe Euch feinetwegen verziehen. Mein Burg-
vogt foR Euch Schirmbretter verſchaffen und übermorgen
foäteftens muß ein Städ im Ritterſaale aufgefüprt werden.
Die Tabuletfrämerin. 14
Der Kaplan wendete ein, daß die fhöne Hauie-lice dabei
Schaden leiden könne. Ohne ſich aber an feine Einwen -
dungen zu kehren, ftand der Nitter auf, und Iud uns ein,
ihn auf die Jagd zu begleiten.
Die Tabuletfrämerin.
Wie Eeifert, durch Hülfe des Burgvogts, fo ſchnell
im Saale eine Shaubühne errichten konnte, weiß id nit:
id hatte für mid vollauf zu thun, weil id) die Hauptrolle
in einem Stüde, der verlorne Sohn, ſpielen ſollte.
Theils ‚hatte wohl Seifert nicht Zeit, den erſten Abend
mitzufgielen, weil er zugleih Direktor und Mafhinenmei-
fer war, theils habe ich ihn im Verdacht. dag er mid) als
Folie für den Diamant feines Genies brauchte, damit man,
wenn ich mid, vergeblich bemäpt hatte, feine Kunft nach
Berdienft ſchatzen folle.
Er hatte aber diesmal die Rechnung ohne den Wirth
gemacht, denn ich erhielt außerordentlihen Beifall. Ich
mar ein recht hübſcher Junge; und der Schaufpieler, der
diefen Borzug bat, fpielt immer den Weibern zu Dante.
In meiner Pracht und Herrlihteit erſchien ic im erſten
und zweiten Afte keck und verwegen genug. Nachher im
dritten, als ic mit den Echweinen aus einem Troge zu
freſſen Hatte, ging ich freilich nicht mehr fo ſtattlich in
142 Die Tabuletkrämerin.
Kleidern einher. Die phantaftifhe, zwar etwas zerriffene,
aber dod nicht weniger hübfhe Schaͤfertracht Meidete mich
noch beſſer; Frauen und Maͤdchen hatten ein rechtes Mit⸗
leid mit meinen nagten Armen und Beinen, und weinten
herzlich, al der graufame Water den verfaufenen Herrn
Sohn nicht fogleich wieder zu Gnaden annehmen wollte.
Als ich aber in langen langweiligen Knittelverfen Bel-
ferung verſprach, mid dem Vater zu Fügen warf, und
von ihm wieder in die Arme geſchloſſen ward, entftand ein
entſetzliches Naſenſchneutzen, und des Händeklatſchens war
fein Ende. Die Iufiige Perfon, der Schweinhirt, ward
gar nicht beachtet. Nur einige alte Männer lachten über
feine Späge, unter diefen der Nitter ſelbſt, der feine Vor ⸗
liebe für Barthel, der den Schweinhirten foielte, nicht
verläugnen konnte.
Ich wae fehr vergnügt, und als ich nach geendigtem
Spiele Seiferten hinter der Bühne traf, drädte ich ihn
brüderfiher, zugleich auch kecker an's Herz als je. Er em-
pfing meine Liebtofungen ziemlich froftig, und ermiederte
blos: es freue ihn, dag wir aud unter Leuten Glück ma-
hen könnten, die fi auf die Kunft gar nicht verftänden.
Das hätte ih nun Übel nehmen follen, I hatte aber Feine
Zeit, mid) bei ihm aufzuhalten. Es ſollte draußen in einer
Scheune gegeflen werden; eine lange Tafel mit Bänfen
Rand ſchon bereit. Doch nach dem Effen verlangte mid
eben nicht, obſchon ich mid) als verlorner Sohn tüchtig an-
gegriffen hatte, Unter den Zuſchauern hatte id) ein ſchönes
Maͤdchen entdedt, deren Blaue ſchmachtende Augen immer
auf mid gerichtet waren, fo daß fie mid ein Paar Mal
während des Spieles beinabe aus der Faflung gebracht
hätten. Ihr ſchwarzes rothgeſaumtes Mieder und die weiße
Die Tapuletträmerin. 443
inewand, die ſich ehrbar an den keimenden Vuſen ſchlotz
die herabhängenden gelben Flechten, und das Heine Räpp-
den von Goldftoff mit geftreiften Spigen, das ihr den Hin-
tertopf bededte, ohne die vorn geſcheitelten Haare zu ver-
bergen, Mleideten Ae vorzüglich gut. Man fagte mir, fie
fi die Zochter eines berumziehenden Krämers. I hatte
fe gleich nah dem Scauſpiele mit einem Kaͤſtchen vol
Spigen zu der alten Burgvögtin im obern Etode hinauf
geben fehen, und kannte bereits das Haus fo gut, daß ih
mußte, ich würde ihr, wenn ich mich beeilte, auf einem lan ·
sen halbdunkeln Gange begegnen. Mit klopfendem Herzen
amd zitterndeu Knieen forang ich die Treppe binauf. Ich
harte nicht lange gewartet, fo hörte ic) eine Thüre öffnen,
und erfannte die leichte Fhöne Geſtalt, welche ſchnell durch
den Gang zurück kam. Ein noch gewaltigeres Herzklopfen,
cin ſtarles Gefühl fagte mir, daß id den Augenblick bes
außen muſſe, wenn er nicht auf ewig verloren geben folle.
Daß das Mädchen mir gut war, hatte id deutlich ge»
matt,
Als ihre im dunkeln Gange ploötzlich Iemand aufftieß,
konnte fie ſich, uͤberraſcht, eines Kleinen Schreies nicht er-
mehren. IA ergriff aber zitternd ihre ſchöne Hand! und
fötterte leife: Um Gotteswillen, liebe Mamiell, fhreit
nicht, lärmt nicht! Ich bin e6! Der verlorne Sohn ftebt
vr Eu. — Mit diefen Bortm zog ic fie hin zu der
matthrennenden Lampe, damit fie mid, und ich fie fehen
fünnte. — Ach Gott, lieber verlorner Sohn, feid Ihr da,
ſeufzte fie freundlich, und drüdte mir heftig die Hand. Im
Nu lagen wir einamder in den Armen. Ihe Mund, ihre
Hände, ihr Hals und Naden wurden von meinen Küffen
bevedt, die ſie ſchweigend umd häpfig erwiederte. Es war
144 Die Tapuletträmerin.
ein herrlicher Augenblick. Liebe war es noch nicht, allein
Verliebtheit im edleren Sinne, ohne Eitelteit, Verführung
und Sünde. “
Gott weiß, wie lange wir noch, als Amor und Pſyche.
im dunfeln Gange ftehen geblieben wären, hätte nicht die
alte Burgvögtin ihre Mmarrende Thüre geöffnet. Sogleich
war mein f&önes ſchüchternes Reh meinen Armen entflo-
ben. Taumelnd folgte ih ihr die Wendeltreppe hinunter.
An diefem Abende Hatte ich noch das himmliſche Vergnü⸗-
‚gen, ihr zur Seite zu fipen. Ich wagte, ihre Finger beim
Ueberreihen der Teller zu drüden; das Lit fie geduldig,
ohne es jedoch zu erwiedern. Als ic es aber wagte, ihren
Fuß ein wenig zu berühren, zog fie ihn ſchnell an ſich, und
rüdte den Stuhl weiter von mir weg. Jet ward td un«
gehalten, wollte nicht mit ihr reden, und wandte mich an
meine zweite Nachbarin. Da ſprach fie mir aber wieder
freundlich zu, fah mir liebevoll in die Augen, faßte gele-
gentlih meine Hand, und als id) ihren Fuß wieder zu bes
rühren wagte, drüdte fie den meinigen ganz leife mit der
Epige des ihrigen. ine überirdiihe Glut durchſtrömte
meine Adern, und als ih ihr in dem Augenblide einen
Teller reihen wollte, hätte ich ihr beinahe die kochend⸗heiße
Brühe in den Schooß gegoflen. Seifert aber, der ung
‚gerade gegenüber an dem ziemlich fhmalen Tiſche faß, und
mit einer ſehr hubſchen Frau in ein Gefpräd vertieft war,
batte deſſenohngeachtet auch uns im Auge behalten. Er
bog fid ſchnell über den Tiſch und ergriff den Teer, als
er eben in. meiner Hand zu ſchwanken anfing.
Nacqh geendigter Mablzeit ward im Mondfdein, weil
es noch nicht fpät fhien, ein Spaziergang beſchloſſen. Um
ſchneller nach der Heerftrage zu kommen, gingen wir durch
Die Taputetträmerin. 145
ein Meines Geboͤlz. Hier war eine Meine Mauer zu über
fetten. Meine Schöne war hinauf gefiegen, und mir
lag es ob, ihr berunter zu belfen; aus ehtfurchtevoller Ber
feidenheit — eigentlich aus lauter Luft dazu — wagte ich
«6 aber nicht, fie um die vollen Lenden zu faffen; ih um.
ſhloß nur die niedlichen Beine tief an den Knöcheln; da-
dur) verlor der Körper das Gleichgewicht, fie wantte, und
bitte ich gewiß die Stirne auf dem Steinwall zerfälagen,
wire nicht wieder gluͤclicherweiſe Seifert, der mit feiner
weit ſchwereren Bürde bei weitem nicht fo blöde geweſen
war, zugefprungen, und hätte meine fhmantende Schöne
gerettet,
Plagt Dip denn der Teufel, rief er, bit Du denn
ganz tl? Willn Du beute Abend das liebe Kind auf ale
möglihe Arten umbringen? Erſt fie lebendig verbrühen,
und ihr dann den Kopf an den Steinen zerquetſchen? —
Ab Gott, Liebe Mamfell, ſeufzte th Mäglih, und küßte
ihr die Hand, — vergebt! Es ift aus lauter — aus lauter
— 06. lauter — aus lauter Dummheit geiheben, rief
Seifert, indem er uns verließ, und wieder feine Schöne
fühte, die die Falten ihrer Kleider ausglättete. Das liehe
Midchen wußte aber wohl, weshalb ich midr fo linkiſch be»
Nagen, und hatte mir von Herzen vergeben.
Am folgenden Tage war fie mit igrem Bater im
Etadtchen und in der Grgend umher; erft den Tag dar-
auf Abends fah ic) fie wieder, als im Ritterſaale die alte
Ttagödie Doftor Fauft aufgeführt ward. Id fbielte dies⸗
mal nicht mit, war unter den Zuſchauern, und hatte mei-
m Daß fo genommen, daß id meine Beine Taduletträ-
merin während der Vorftelung immer im Ange behalten
tonnte. Ach wie viel Liebesblide wechfelten wir nicht an
Oehlenſ. Schriften. XVI. 10
146 Die Taduletträmerin.
diefem leßten Abende. Bir machten es aber zu arg. ihr
Bater merkte Unrath, und als die Vorſtellung zu Ende
mar, empfahl er ſich ſogleich dem alten Nitter und ging
mit feiner Tochter fort. Cie wandte ſich noch in der Thüre
um, löfte eine Meine rothe Echleife von ihrer Bruft, Tieg
fie fallen, warf mir einen fügen Abſchiedetuß zu und ver-
ſchwand.
Ich eilte Hin und bemädtigte mid meines Schatzes.
Noch babe ih die Heine Schleife, fie ift jeßt farblos und
unſcheinbar. Das bolde Kind fah ic nie wieder.
Nach der Vorftellung fpeiften Seifert und ich allein
auf unferm Zimmer. Trotz meiner Liebe hatte ih dod in
einigen aufmerffamen Augenbliden wahrgenommen, daß er
die Role des Fauft ganz trefflich fhiele; mehrere ſchöne Ne
den, Bilder und Einfäle waren au von ihm ſelbſt bin-
zugefeßt; um der Darftellung mehr Lchen zu geben, und
um die Leidenfhaft und den Character gewaltiger und na-
türliper auszudrüden. Er begehrte aber gar nicht mein
206, aud machte er ſich nichts darans, daß der alte Kit»
ter und die ganze Gefellfhaft den Barthel als Casberl uns
terhaltender als ihn in der tragiſchen Perfon ale Doctor
Fauſt gefunden hatten.
Ich hate mic ſchon ange daran gewöhnt, die Gleich⸗
güftigkeit und Undiligkeit der Menſchen zu verachten, ſprach
er. Ber etwas Tüͤchtiges Teiftet, muß damit zufrieden fein.
daß er es thue; konnen oder wollen andere es nicht begreie
fen. defto ſchlimmer für fie.
Du Haft ganz vortreflich geſpielt — ſprach ich mit ei⸗
nem tiefen Seufzer. — Was Verliebte und Trunfenbolde
von mir fagen, antwortete Seifert, daran Lehr’ ih mid
noch wenigen, ale an das, was nüchterne Philiſter ſchwaten
Die Tabuletträmerin. 147
Du haft wich ja gar nicht ſpielen fehen, fendern nur die
Augen in den zwei blauen Zauberſeen der Trödelträmerin
gebadet. Glaube jedoch nicht, dag ich derweil oben auf
den Brettern mic als ein eitler Narr nur um trodne Lore
deren und taube Näffe bemüht habe, mährend Du mit
dem fhönen Kinde liebaͤugelteſt. Sahſt Du das herrliche
Weib, das vorgeftern Abend neben mir faß, als Du nabe
daran warft, die Brühe in den Schoos Deiner Holden zu
verfütten? Mit der vollen feten Bruft, dem ſchlanken
Leib, den ſchneeweigen Armen und Händen, und dem üp⸗
digen Haarwuchſe? Wohl fah id fie — war meine Aı
wort. — Freilich war fie fhön — fie fhien mir aber et⸗
mas zu Sinnliches und Leichtfertiges in ihrem Weſen zu
daben. — Defto leichter werd’ ih mit ihr fertig werden,
erwiederte Seifert. Das iſt meine Geliebte, und wir were
den jeßt fehen, wer von uns beiden die fhönften Früchte
feiner Liebe ärntet.
Ich war zu erhaben geftimmt, zu wehmüthig und zu
troſtlos, um länger bei dieſem fanguinifchen Liebhaber zu
verweilen. Er aß mit größtem Appetit einen ganzen Ka⸗
paun, und trank dazu häufig alten Rheinwein auf die Ge⸗
fundpeit feiner ſchönen Bäderin. Ich ſchlich mich aus der
Tbür, nachdem if) zuvor mein Federmeſſer zu mir geſtect
batte. — Wie denn? rief er mir nah — Du wirft Did
doc nicht todtſtechen? Heute Abend haben wir des Tra⸗
Vdienwefens genug gehabt; vergiß nicht, daß Du übermor«
gen den Knecht in dem Hans Sache ſchen Narrenſchneiden
u ſpielen haft. — Ic will nur ihren Namen in einen
Baum fhneiden! feufzte ih, — Eo thu' mir den Gefallen,
tief er; und. fpmeide den Namen der meinigen daneben.
Cie heißt Gatharine, Venediste, Eliſabeth Zenerawii
10° >
148 Die Tabuletträmerin,
Du mußt aber zu allen diefen Vuchſtaben einen tüͤchtigen
Mämmigen Baum erwaͤhlen, mit üppigem Laube und glat-
ter Rinde, wie fie felber it. Hüte Did au, dag Du,
hei allen den frummen Cis, Es und B's, die ſchwer zu
machen find, befonders im Mondſchein, Did nicht m die
Finger ſchneideſt, oder das Meſſer zerbrichſt.
Ich lief ins Gehölz, und blieb zuerft an dem Stein-
walle ſtehen, wo ich nahe daran gewefen war, aus ſchuch⸗
terner Liebe das holde Kind zu tödten. Die fhönen Beine,
wo Sartheit und Fülle einen fo retzenden Begenfap mache
ten, ftellten fid) wieder vor meine Phantafie. Dann dachte
ich mir recht deutlich ihr herrliches Geſicht mit den gefcyeis
teiten Flachchaaren, den herabhängenden Flechten und dem
goldenen Käppchen mit den gefteiften Svihen.
Ein großer Baum ftand dort, und fehrte feine glatte
lichtgraue Rinde gegen den Mondſchein. Schnell machte Ih
mein Federmeſſer auf, wollte ſchneiden — und jetzt erſt fiel
es mir cin, daß ich ihren Namen nicht wife. Ich begriff
nicht, wie es möglich fei, daß id den Namen von der nicht
wife, die ich ſchon fo gut kannte. Ih war untröftkidy.
Nict einmal ihr Name! Ib warf mic auf eine Banf
and zerfhmolz in Thränen. Ein Meines luſtiges Eichhorn
büpfte in den Zweigen herum, faß aumellen im Mondfheine
ſtill, legte den prädtigen braunen Schweif hinauf gegen
den Rüden, und ſchien mid, der ich mit verfhräntten Ar»
men ganz fill in meinen Träumen verfunfen faß, für ein
böfzernes Bild zu halten. Id hatte noch nie vorher ein
ſolches Thier aeſehen; die niedliche Erſcheinung zerftreute
mic auf einen Augenblick. Bald ſtellte ſich aber die Weh⸗
muth ſtaͤrker ein. Ich ſchnitt das Wort „Geliebte“ in
den Baum, Füßte die Buchſtaben, und machte jept einen
Die Tabuletkrämerin. w
weiten Weg in der Richtung. nach welder fie mit ihrem
Vater gereit war. Müde und matt fam ic) von der Wan⸗
derung zurüd. Ich wollte das Wort: Geliebte, nochmals
füffen, und dann mit meinem Kummer zu Be.te geben.
Als id) mic dem Baume nahete, las ih: „Beliebte
Catharine Benedicte Eliſabeth Mefferfhmidt.“
Der Sqatt Seifert hatte mir, fe fhläfrig er war, noch
beute Abend diefen Streich gefpielt. Id fand das Denk
mal meiner Liebe durch feine Poſſe entweiht. Erft wollte
‘6 alles abfäyälen, dann nur der Bäderin Namen wege
ſchneiden. Zuletzt grif ich zu dem Mittel, nur das von
mir geſchnittene Wort „Geliebte“ zu vertilgen, und ließ der
Vüderin Namen ftehen. Aber, gleich der Spinne, die, wenn
man ihr Gewebe zerreißt, unverdroffen mieder in einer ans
dern Ede ihre Arbeit anfängt, ſuchte id mir in der Nähe
einen zweiten Baum, von Gefträuh ummadhfen. Hier
drängte ih mich durd Dornen und Zweige, und adıtete
nicht der Wunden; vielmehr waren fie mir lieb, weil fle
mir für meine Infhrift Sicherheit gewährten. In diefem
verborgenen Helldunkel konnte ih nun mein Bort „Ger
liebte“ anbringen, ohne zu fürchten, daß es von abgefhmads
ten Iufägen profanirt werde,
Ach Bott, Kinder! wir alten vernünftigen Leute fcher-
#n immer, wenn wir von jugendlichen Auftritten der Liebe
fbrecen. "Im Grunde ift es nur Neid, weil wir ſolch ei-
Mes Gefuͤhles nicht länger fähig find, weil wir ſolche bitter⸗
füge Freude nicht mehr koſten fönnen! „Sie find fauer,“
It der Fuchs von den Weintrauben, die ihm zu bed
ingen!
148 Die Tabuletträmerin,
Du mußt aber zu allen diefen Vuchſtaben einen füdhtigen
fämmigen Baum erwähfen,. mit üppigem Laube und glat-
ter Rinde, wie fie felber if. Hüte Did auch, daß Du,
hei allen den frummen &’s, E's und B's, die ſchwer zu
machen find, befonders im Mondſchein, Did niht in die
Finger ſchneideſt, oder das Meſſer zerbricht.
Ich fief ins Gehölz, und blieb zuerft an dem Stein«
malte ftehen, wo id) nahe daran geweſen war, aus ſchüch⸗
terner Liebe das holde Kind zu tödten. Die fhönen Beine,
wo Bartheit und Fülle einen fo retzenden Gegenſaß made
ten, fieltten ſich wieder vor meine Phantafie. Dann dachte
ich mir recht deutlich ihr herrliches Gefiht mit den geſchei⸗
teiten Flachchaaren, den herabhängenden Flechten und dem
goldenen Käppchen mit den gefteiften Spigen.
Ein großer Baum ftand dort, und fehrte feine glatte
lichtgraue Rinde gegen den Mondſchein. Schnell machte ih
mein Federmeſſer auf, wollte fhneiden — und jetzt erft fiel
es mir cin, dag ic ihren Namen nicht wie. Ich begriff
nicht, wie es möglich fei, daß ich den Namen von der nicht
wiſſe, die ich ſchon fo gut kannte. Ich war untröſtlich
Nicht einmal ihr Name! Ih warf mid auf eine Bank
and zerſchmolz in Thränen. Ein Meines luſtiges Eichhorn
büpfte in den Zweigen herum, faß zuweilen im Mondſcheine
fill, fegte den prächtigen braunen Schweif hinauf gegen
den Rüden, und ſchien mid, der id mit verfräntten Ars
men ganz fill in meinen Träumen verfunfen faß, für ein
bötzernes Bild zu halten. Id hatte nod mie vorher ein
ſolches Thier aefehen; die niedliche Erfheinung zerftreute
mic auf einen Augenblick. Bald ftellte ſich aber die Weh⸗
muth ftärker ein. Ich ſchuitt das Wort „Gelichte“ in
den Baum, fügte die Buchſtaben, und marhte jetzt einen
Die Tabuletkrämerin. ww
weiten Weg in der Richtung. nad) welder fie mit ihrem
Vater gereiſt war. Müde und matt kam id) von der Ban-
derung zurüd. Ich wollte dag Mort: Gelichte, nochmals
füffen, und dann mit meinem Kummer zu Be.te geben.
Als id) mic dem Baume nahete, las id: „Geliebte
Catharine Benedicte Eliſabeth Meſſerſchmidt.“
Der Spalt Seifert hatte mir, fe ſchlaftig er war, noch
beute Abend diefen Streich gefpielt. Ich fand das Denk»
mal meiner Liebe durch feine Poſſe entweißt. Erft wollte
id alles abſchaͤlen, dann nur der Bäderin Namen wege
ſchneiden. Zuletzt griff ich zu dem Mittel, nur das von
mir gefpnittene Wort „Geliebte“ zu vertilgen, und ließ der
Väderin Namen ſtehen. Aber, gleid der Spinne, die, wenn
man ihr Gemebe zerreigt, unverdroffen mieder in einer an⸗
dern Ge ihre Arbeit anfängt, ſuchte id mir in der Nahe
einen zweiten Baum, von Gefträuh umwachſen. Hier
drängte ih mich durch Dornen und Zweige, und achtete
nicht der Wunden; vielmehr waren fie mir lieb, weil fie
mir für meine Inſchrift Sicherheit gewährten. In diefem
verborgenen Helldunkel konnte ih nun mein Bort „Ber
Iiehte“ anbringen, ohne zu fürdten, daß es von abgeſchmac⸗
ten Zuſätzen profanirt werde.
Ach Gott, Kinder! wir alten vernünftigen Leute fcher-
gen immer, wenn wir von jugendlichen Auftriiten der Liebe
foredien. Im Grunde ift es nur Neid, weil wir ſolch ei-
nes Gefühles nicht länger fähig find, weil wir ſolche bitter-
füge Freude nicht mehr often können! „Sie find faner, *
im der Fuchs von den Weintrauben, die ihm zu bad
ingen!
10 Die Bäderin.
13.
Die Bäderim
So ſchnell aber meine Liebe entftanden mar, eben fo
bald erfaltete ie wieder, da fie feinen under mehr hatte.
Nac dreitägigem Träumen, Seufzen und Meinen fing ich
an mich zu erhofen. Sogar nad der Eündflut hörte ja
der Negen auf, warum follten die bitterften Menfhenthrä-
men immer fliegen? Der Engel des Lebens hat bei der
Dornenbede des Kummers die Mohnblume der Vergeßlich⸗
keit gepfianzt; fonft Fönnten wir es bier auf Erden nicht
aushalten. Nur mild und blau, reizend und wehmüthig,
foll die Erinnerung verſchwundener Freuden in unferm Her
sen blüben, wie das Meine Bergigmeinniht am Bachesufer.
Melancholiſche Leute, dei denen der Schmerz Krankheit und
Gewohnheit geworden, nennen es Leihtfinn umd Untreue,
wenn gefundere Naturen ſich naq erlittenem Berlufte faſ⸗
fen, wenn fie wieder zu hoffen und ſich zu freuen wagen.
I% nenne das aber eine herrliche Gabe Gottes, die feine
Mißbilligung, nod weniger Verachtung verdient. Untreue
und Leichtfinn zeige ih, wenn ich das Vorhergeliebte ohne
Grund verlaffe, bios weil ich in mir feine Kraft und Luſt
fühle, ein ſchoͤnes edles Gefühl Länger feſtzuhalten. Wenn
aber das Geliebte mic verläßt, oder wenn es liebenswür
dig zu fein aufhört, dann liegt ja die Untreue nicht in mir,
fondern in den Umftänden, oder in dem Gegenftande. Frei⸗
U giebt es gewille Verluſte, wenn uns der Tod das
Theuerſte und Langgewohnte ploöͤhlich entreißt, die und ganz
Die Bäderin. 151
zu Boden ſchmettern, ja wohl gar vernichten Können. Hätte
i zum Beifpiel in glüdlihern Jahren meine Concordia
oder eins meiner lieben Kinder verleren, ich weiß nicht, was
aus mir geworden wäre. Hier mar es nun aber leicht. fih
nad) einer flüchtigen Liebe zw faſſen. Ich troduete weine
Augen, fügte die Meine rothe Schleife feltner, verwahrte fie
aber noch immer auf der Bruft. Endlich flog ich fle in
ein Schaͤchtelchen, und betradtete fie alle halbe Jahre ein»
mal als liebliches Denkmal fhöner Etunden.
Unfer Verhaͤltniß zum alten Nitter Gurt von Anaufe
degen hatte fid) bald geändert. Er war von jenen joviali-
ſchen heftigen Menſchen, die zuweilen zu irgend einer Sache
große Luft bekommen, fie aber bald wieder fahren laflen.
Seifert aber, der ſonſt nicht Ruhe hatte, an einem Orte zu
verweilen, wollte diesmal nicht fort. IA wußte wohl war
Tum; es war die fhöne Bäderin, die ihn bielt.
Eines Tages nahm mid Seifert beifeite und ſprach:
Albert, Du bift. freilich noch aicht mein Vertrauter, es
Ummt aber nur auf Did) an, es zu werden; und follteft
Du es auch nicht fein wollen, fo muß ih Did dazu zwin⸗
gen, denn mein Geift kann ohne Mittheilung nicht fein.
W erwiederte: Weshalb braucſt Du meinen Buſen
um Deine Gefühle auszuiaden? Ich dähte, Du hätten
einen weit beflern gefunden, unter deſſen Doppelgewölbe
ap genug zum Ausladen fei. — Du meint den Bufen
der Bäderin, fprad Seifert, Freilich iR der fehr ſchön
auswendig, ich weiß aber noch nicht, wie es mit den Ger
wölden drinnen beſchaffen it. IC fürdte halb und halb,
dap es nicht gebener im Keler fei. Haft Du nicht von den
getüuchten Gräbern gehört? — Wie meint Du? frug ih
eraft, — Gefühle dab’ ih chr aun Freilich nicht witzutbel-
152 . Die Bäderin.
len, ſprach Seifert, da Du überhaupt weißt, daß id nicht
zu den empfindfamen Leuten gehöre. — Ich ſprach: Sei ⸗
fert, Hüte Did, dag Du nicht ſelbſt ein Fauſt wirt! Ich
fürchte, Du haft diefe Rolle zu gut begriffen. An etwas
muß der Menſch mit Liebe und Treue halten. — Du denk
an Deine Zabuletträmerin, forad Seifert lachend. Das
fanfte Kind alidy zwar einem Monde; und ich glaube, das
junge Blut hätte gern immer als treue Trabantin um
Deine Irdiſchheit getrippelt, wenn es das Verhängnig, im
der Geſtalt des ſtrengen Vaters, erlaubt Hätte. — Daß ih -
aber kein Fauft fei, ſehſt Du aus meiner Offenheit gegen
Did, und meiner Scheu gegen die Bäderin. Sie ift wc-
der Sonne noch Mond, fondern ein ſchöner feltner Komet,
mit langen fliegenden Goldhaaren; aber ohne Ken. Und
wenn man in die Natur nicht eine beflere Einſicht hätte,
könnte vielleicht eine ſolche Naturerfheinung, bei weniger
Suverfihtigen, Schauer und Grauen erregen.
Ih will Dir geftehen, ſprach er, als er meine Neu⸗
gierde aufs Höhfte gefpannt hatte, dag id die ſchöne
Bitwe mehrmals befuht habe. Was nun meine Zorna-
rina betrifft, fo hat fie zwar Leidenfhaft, Gefühl und
Feuer, ich fürchte aber, fie fei tol und mahnfinnig. Frei⸗
lich weiß id) nod nichts Rechtes Erſt Heute Abend, beim
Vollmonde, hat fie verſprochen mir alles zu entdeden; denn
foldye Mittheilungen laſſen fid) nicht am hellen Tage Ihun.
Du lachelſt, Albert? Nur unter der ausdrücklichen Bedin-
gang ift es mir heute Abend zu kommen erlaubt, dag ich
ſelbandrr erſcheine, und einen Vertrauten ans der Bande,
wie fie es nennt, mitnehme. Ich habe Did vorgeſchlagen.
Nun ja, rief fie, er mag kommen! Er ift ja auch don um
fern Leuten. Ich wollte wien, was Ae mit den Worten:
Die Baͤterin. 153
„von unfern Leuten,” fagen wollte. Immer miſcht fie
die Deen und Borftellungen fo fonderbar! So nannte fie
mic zum Beifpiel einmal, als id ihr eifrig die Hand Lüpte,
ihren fieben Fauſt, und verdrehte dabei die ſchönen Augen
fo wahnfianig, daß mir beinabe unheimlid bei ihr ward.
Bahrfgeintich ift fie etwas verrüdt, und mähnt mit Deren
und Zeufeln Umgang zu haben. Sollte fie mid aber in
der That nur lieben, weil fie in mir einen Teufel ſieht, fo
mußt Du mir do gefteben, daß eine ſolche Liebe eben
nicht viel Schmeichelhaftes und Angenehmes für mid ba
ben- könne.
Ihr begreift, mit welcher gefpannten Erwartung id
meinen $reund zu feiner wunderbaren Licbſchaft begleitete.
Bir öffneten die Thüre zum Bäderladen, die Glode klin⸗
gelte, der angenehme Geruch von friſchen Preßeln mit Ko⸗
tiathen und Nefinen, der uns entgegen fam, erinnerte mid)
an Zage der Kindheit, wo id, wenn id einen Kreuzer
hatte, gern binlief, mir einen Zudirkringel zu kaufen. Die
Bälerin fand im Laden, und id) muß gefteben, daß ich
nie ein üppiger blühendes Weib gefeben habe. Ihre Hemd»
ärmel, nach Bäderatt, bis zu den Schultern aufgerollt, lie-
ben die fhönften Arme fehen, und Hände fo weiß wie Mehl.
Der Bafen war vom dunfelbraunen.Bruftlage bededt, ohne
die prächtigen Formen zu verbergen; um das Haupt wan⸗
den ſich die maͤchtigen Flechten, von denen Seifert mit fo
großer Befonnenheit geſprochen hatte; ihre großen blauen
Augen funtelten wild, und es Ioderte eine fonderbare Ver⸗
dung darin.
Sie gebot dem Lehrburſchen im Laden aufzupaffen,
drauf ließ fie ung in ihre Stube treten, wo alles niedlich
und ordentlich war. Der Kanarienvogel aber zwitſcherte
154 Die Bälerin.
laut im Fenſter, zum Yerger für Seifert, der folhen Vo⸗
gelgefang im Zimmer nicht ausſtehen konnte. Sie lachte,
weil fie bereits feinen Widerwillen gegen den Vogel kannte,
und als fie den Heinen Schreier dadurd zum Schweigen
gebracht hazte, dag fie ein weißes Tuch über feinen Käfig
marf, lud fie uns ein, auf dem Kanapee ncben ihr Platz
zu nehmen. Hier erlaubte fie Seiferten, ihre [hönen Hände
mit Küffen zu bededen, an den Mund durfte er fih aber
nit wagen. Sie gab ihm jedod ſelbſt unbefangen einen
Ku und ſprach: Da wir nicht allein find, und da ich weiß.
dag es Eud Vergnügen macht, folt Ihr einen Kuß baden.
Wenn wir aber allein find, mügt Ihr fein beſcheiden fein,
was mwärde fonft Eure Geliebte, die Herzogin von Parma,
dazu fagen!
Seifert, der mit dem Stege noch lange nicht zufrieden
war, und der das Lächerliche feines Verbältniffes fühlte,
machte zum erften Male in meiner Gegenwart ein albernes
Geſicht, und ftrih fi den Mund. Herzogin von Parma,
ſprach er zu mir, während fie aufftand und zum Senfter
ging. da hat fie mich wieder für den Zauft genommen.
Die Bäderin kam zurüd, und ſprach geheimnigvoll:
Der Vollmond leuchtet über die Bäume, jept ift die Stunde
da! Seid jept aufmerkſam, lichen Jünglinge, und miß-
braucht nicht das Vertrauen, das ich zu Euch habe.
Die Here. 155
1a.
Die Here
Id will Euch ohne Furcht meine Bekenntnifle ablegen
— fuhr fie fort — weil andy Ihr Menſchen ſeid, die ſich
wenig um die Vorurtheile der Belt fümmern, fondern viele
mehr gewagt haben, Euern Bund und Eure Gemeinfhaft
mit den Geiftern zu offenbaren: fretlich nur verblämt, dar
mit Euch der Arm der Obrigkeit nicht erreiche.
Eofitet Ibr mich .verrathen, fo dag meine jungen lie
der von den beißhungrigen Flammen verzehrt würden —
dann nehmt Euch nur in Acht! Lucifer. die Frau Venus
und Bachus werden mich räden. und Euch ein aͤhnliches
Bad einheizen. Uebrigens muß man fd) daran gewöhnen,
in Flammen zu leben, denn das wird doc das Ende vom
Liede. Lagt Eud) aber durd eine kindiſche Furcht nicht irre
machen. Nah dem Tode zieht Ihr einen andern Körper
am, der ſich im euer fo wohl befindet, als der Salaman-
der, und als die irdiſchen Glieder jept in der Luft. Wie
wärden die Teufel fonft fo art und luſtig fein, wenn fie
ſich in den Höllenflammen nicht wohl befänden?
Seifert ſah mid) bedaͤchtig an, und ſprach: Eie ift aus
meiner Säule, und geht nur einen Schritt weiter; in ih⸗
ter Gegenwart möchte ich mid) indeß felbft noch für einen
Vhlifter erkennen.
Düne ſich um feine Zwiſchenrede zu kümmern, fuhr fie
fort: Mein Vater war ein reicher Bäder, und das gefunde
Bred, das er dut, bekam meir in der Kindheit trefflich wohl;
156 Die Here.
auch genoffen wir übrigens ſtets gufe Speiſen. So wuchs
ich denn in die Höh' und in die Breite, und im zwölften
Jahre war ich ſchon ein erwachſenes Maäͤdchen. Mein Bas
ter aber war ein graufamer Mann, der mid) zu meinen
Sünden durdy Härte verleitet hat. Doch jept kame die Neue
zu foät, und fann ih nicht in den Himmel kommen, will
ich mir wenigftens die Hölle fo angenehm als möglich vor-
ſtellen. Möge Gott meinem Bater vergeben, und ihn in
feinen Himmel genommen haben; denn ſollte id aus irgend
einer Urſache die Hölle ſcheuen, ſo wäre es, weil ih fuͤrch ⸗
ten müßte, meinen Vater dort wieder anzutreffen.
Ich hatte eine ältere Schweſter, die aher bei weitem
nicht fo hubſch war, als ih, denn die Blattern hatten ihr
das Gefiht ziemlich übel zugerichtet, weil fie jedoch flint,
fromm und gut gewadjfen war, und weil mein Bater Ber-
mögen befaß, hatte fte dennoch einen Bräutigam bekommen,
einen Müller aus der Nachdarſchaft. Ih dahte: Kommt
Zeit, kommt Rath! Du wirft wohl auch cinen Mann Fries
gen, wenn du dich gut aufführft.
Ein junger Bädergefell war bei meinem Vater in
Dienſt getreten, ein fehr bübfhyer Junge von zwei umd
zwanzig Jahren, Namens Jofenh. Wenn er Nachmittags
unter dem Thorwege fand, nach Bäderart im weißen Kit«
tel, langen leinenen Hofen, eine rothe Müpe fhräg auf
den braunen Haaren, dic nakten Arme über einander ge⸗
ſchlagen, und ih auf der Banf ſaß und ftridte, konnte ich
nicht umbin, mich mit ihm in Gefpräh einzulaffen, und
nad) den nakten Armen zu ſchielen. Denn die Bäder,
(Prach fie, indem fie mit der Hand nach den Flechten griff,
um eine 2ode in Ordnung zu bringen) haben immer fhöne
Arme, Das bekommen fie durch die tägliche Arbeit; durd)
Die Here. 157
das Hineinfhieben und Herauszichen des Broich auf den
Scaufeln im Badofen, ſchwellen ihnen die Muskeln des
Dberarms fchöner und Eräftiger. Ic habe freilich nie fo
harte Arbeit gehabt, bei den Weibern iſ's auch nicht nö-
thig, fie können ohnedics hubſche Arme befommen.
Es währte nicht lange, fo entdecte mir Iofeph feine
Diebe, ich geftand ihm mieder, Daß id ihm gut fei, ging
am Vater und fprad: Water, Malchen hat den reihen
Müller geheirathet, gieb mir den Bädergefellen, fo kann er
Dein Gehütfe werden? Wır leben wie im Paradiefe, mad»
ten, baden und würzen unfere Kuchen. — Er antwortete
indeß: Du unverfhämtes Ding; Du Gelbſchnabel, kaum
noch dem Fiügelkleide entwachſen, wagſt Du fhon von ei»
nem Manne zu reden? Ich antwortete: Ic kann noch ein
Baar Jahre warten, wenn 16 Euch recht it! Mir wär's
eben gleich recht. Er gab mir ein Paar tüchtige Maul-
füeten, und verſicherte mich, wenn ich ein einzigesmal wieder
von Jofeph rede, merde id noch die Ruthe befommen. —
Ib ſchwieg und liebte in der Etikie. Unten im Garten im
Suthaufe trafen wir uns oft Des Abends. und da ging es
dran auf ein Küflın los.
Mein Vater kam eink Abends gegen feine Bewohn
beit, fpät in den Garten. Bir fagen in der Iasminlause,
und da waren mir denn fiher genug, denn der Alte mochte
die Jasminen nit riechen. Uns dufteren fie aber füß und
liieblich; und alles wäre noch gut abgelaufen, wenn nur der
unvorfihtige Iofenh das Schmapen hätte unterlaffen fün«
nen. Ich hatte es ihm mehr als hundertmal verboten und
defohlen, daß er leife füffen folle; id minkte, wenn er es
doch nicht Heß, mit der Hand, weil id in dem Augenblicke
nicht ſprechen konnte; es half aber alles nichte. Ein Kuß
158 Die Here
ohne Schmatz, fagte der leichtfertige Burſch, if, ale ob
man die Lippen mit Bein feuchtete ohne zu trinten. Iept
gingen ihm leider die Augen auf. Diefer einzige Schmaß
bat uns unglüdiidh gemacht, und mic, zur Hölle verdammt.
Mein Vater hörte das Küffen, trat in die Laube, und traf
mic) auf dem Schooße des Zünglings. Joſeph forang auf,
und eilte in feiner Angſt davon. Ich faß wie verfteinert,
und wagte es nicht, die Augen aufzuſchlagen. Id war auf
eine entſezliche Strafpredigt gefaßt, mein Vater war aber
todtenblaß, zitierte vor Aerger, und befahl mir fogleic,
ohne Abendbrod zu Bette zu gehen. — Ich date: wenn
es nur das ift, und ſchlief rubig ein. Kaum hatte ih aber
eine balbe Stunde gefhlafen, fo ward ih durd ein Ge
räuſch gewedt. Ich börte die Stimme meines aufgebrad-
ten Vaters und einer alten Wärterin Mariane, die ihm
war ergeben war, die aber aud mic lieb hatte. Eie
rief: Unterlaßt es do, Herr! fie ift ja fein Kind mehr;
es ſchidt ſich nicht — es half aber alles nichts: der un«
barmderzige Vater geißelte mich bis aufs Blut.
Ohne ein Wort zu fagen, ging er aus der Thüre; |
ohne ein Wort zu fagen erſchien ih am folgenden Tag bei
Zifhe. Allein mein Beſchluß war gefaßt, ein tiefes Rache»
gefühl bemaͤchtigte ſich meiner Seele. Ich wollte mid) aufs“
empfindlihfte räden, und meinem Water zeigen, daß ic
kein Kind fei.
Iept beſuchte mich Joſeph heimlich alle Abende, und
fo lebten wir drei Monate lang in Herrlihkeit und Freude.
— Die alte Mariane wußte von unferem Verbältniffe, war
aber gutberzig genug, uns nicht in’s Verderben zu ftürzen.
So bing der Himmel einftweilen für uns vol Beigen.
Der Krug.geht aber fo lange zu Waſſer, bis er bricht.
Die Here. 159
Mein Bater entdedte die Folgen einer Liebe, die der Pre⸗
diger noch nicht gefegnet hatte, und ſchäumte vor Wuth.
Und da muß ich denn geftchen, dag mein lieber Iofenh wer
nig Herzhaftigfeit verricth; denn ftatt mir beizuſtehen, ſtatt
dem Zorme meines Vaters mit Bitten und vernünftigen
Vorftelungen zu begegnen, ging er in die Fremde, und
wir haben ihn nachher nie wieder gefeben. Das will fagen
in der Wirklichkeit; denn wie ich ihn durd) Zauber wieder
gefunden, und mit ihm glädlihe Stunden verlebt habe,
werde ih Euch glei erzählen.
Statt ung alfo mit einander trauen zu laffen, wodurch
das ganze Uebel gehoben worden wäre, freute es meinen
Vater, durch Starrfinn und Race uns Beide und ſich felbn
ws Elend zu flürzen. Sein Haus beftand aus vielen Ge-
bäuden mit mehreren Höfen. Hinten war ein Gewölbe
unter einem Bachauſe, deſſen zwei Beine Gitterfenſter auf
den Hühnerhof und das Gemüegärtchen gingen. Da ſperrte
er mid ein, erft bei Waſſer und Brod, nachher auf magere
Koft. Allein die alte Mariane, die ſchlau genug war, ſich
bei ihm von allem Verdachte zu reinigen, ward wieder
meine Aufpafferin; fie verſchaffte mir ein guted Bett, gute
Sprifen, und fland mir bei in einer gef. brlihen, durch
SEdrec und Verzweiflung zu früh herbeigeführten Stunde,
die mich freilich viele Thraͤnen koſtete, mid aber zugleich
davon befreite, ein unglückliches Pfand meiner unfeligen
Liebe taͤglich vor Augen zu baben.
Durch die gute Pflege der alten Mariane gewann ich
bald meine vorige Gefundpeit, und: plühete wie eine Rofe.
3b aß gut, fhlief beſſer, hatte aber feine Bewegung. Mein
Zeitvertreib war durd’s Fenſter zu fchen. Dort im Gar
ten dufteten die Aranfemünzen und Nefedas recht erauid«
160 Die Here
lid, und erinnerten mich an die Iasminlanse, wo id fo
glüdlicy geweſen war. Durch's andere Zenfter fah ic die
Küdjlein im Hofe herum geben, die Enten ſchwammen im
Heinen Teiche, der Hahn ging ſtolz und trekig mit blutro⸗
then Kamm, wie der türkifche Sultan in feinem Harem,
von Hühnern umgeben.
Trat ih dann einen Schritt zurüd, fo fand ih mid
verlaſſen im öden dunkeln Gewölbe, mit meinem Bette,
meinem Stuble, meinem Tifhe und meinem Nähfäfthen.
Die gute Muriane hatte mir auch die Bibel und einige
weltliche Bücher verſchafft; dies half mir aber zu nichts,
denn ich konnte nicht ordentlich Icfen, anftrengen mochte ich
mid) nit, und fo gingen mir denn alle Freuden verloren.
Jetzt ftellten ſich Nachts fonderbare Träume bei mir
ein, oder richtiger, Erſcheinungen.
Eines Adends jpät konnte id) durdaus nicht einfhlas
fen, ich dachte an meinen treulofen Joſeph. I bagte ihm.
meil er mid fo feige verlaffen hatte; feine Zicbenswürdig-
keit rief ich mir aber aud) in’s Gedächtnig zurück, und wäre
er in diefem Augenblide gekommen — ich hätte ihm germ
vergeben. Endlich ſchlief ich ein.
Bald aber erwachte ich wieder durch den leiſen Druc
einer warmen Hand; ich frug entſeßt, wer da ſei? Und
fiehe, da ftand Iofeph vor mir im weiten braunen Man«
tel, warf ſich vor mir nieder, küßte mir die Hände, und
flehte mit weinenden Augen um Vergebung.
Ich wollte ihn in meine Arme dräden, da wich er zu⸗
rüd und beklagte, daß er gleich wieder gehen müſſe. Beim
Weggehen büllte er fi) in den Mantel, als er aber durchs
Zimmer ging, fah ih ihm einen Ummeg machen, um dem
Tiſche, wo die. Bibel lag, nicht zu nahe zu fommen; auch
Die Here, 161
entdedte ich umter dem Mantel einen Pferdefuß; und er
verſchwand durchs Kaminloch
Mic) ſchauderte und id dachte: Hat der Teufel fein
Epiel gehabt? Indeſſen fehnte ich mich doch wieder nad)
der folgenden Naht. Die Naht kam und Iofenh mit ihr,
3 wagte nicht, ihn um etwas zu befragen; er war mir
wu lieb, und ich fürchtete, feine Vertheidigung möchte nicht
dinlãnglich fein. Er beſuchte mid ale Nähte einen gan.
im Monat bindurch immer nur auf wenige Yugendlide
und mit einer deutlihen Uncuße,
Da ich merkte, dag ihm die Bibel auf dem Tifche, in
der ich doch micht leſen konnte, im Wege fei, gab ich fie der
alten Mariane zurüd. Das half etwas, Iofeph verweilte
jept länger, und ging fed durch die Stube zum Ramin-
loße; er verſchwand mir aber immer zu früh, und id
dachte: könnten wir uns doch länger und ungeflörter an eie
mem angenehmern Orte treffen.
Die alte Mortane, die mid) täglich beſuchte und mir
mein Eſſen brachte. wunderte fi darüber, mid fo verän»
dert zu finden. Denn feit ich meinen Iofeph wieder ſab.
war meine alte Heiterkeit zurädgefehrt; zwar ängftigte mid)
fin Hferdefug, und dag er durchs Kaminloch verſchwand;
ich dachte aber: Du mußt di wohl, was diefen Punkt
darift. geirrt haben, und Heß cs dahin geftellt fein. Es
that mir nur Leid, daß er immer fo große Eile Hatte. Auch
war fein Blick finker und feine Liebtofungen krampfhaft.
Ginmat drüdte er mi beim Weggeen fo fett gegen eine
Dufenfemake feines Maniels, dag id) vor Schmerzen laut
aufſchrie. Er verſchwand. Als ih erwachte, war es lich⸗
ter Morgen; er hatte mir ein rothes Zeichen an den Hals
rüdt, ih fag aufrecht im Bette, und hatte die Licht-
Dedlenſ. Exheiften. XVI. 1
. 162 Die Here.
füyeere in der Hand, die fonft auf bem Heinen The bei
meinem Bette lag.
Zuleht konnte ich der Verſuchung nicht widerſtehn, die
alte Mariane mit in mein Geheimmig zu ziehen.
Sie hörte mich mit größter Anfmerkfamfeit an, nidte
Heifällig mit dem Kopfe, und gab unter der Erzählung auf
allerlei Weife ihre Zufriedenheit zu verſtehen. Als id ge⸗
endigt hatte, ſprach fie: Es freut mid, Toͤchterlein, dag
fie) endlich au der alte ſchwarze Ziegenbock Deiner er
harmt hat; denn wen der droben — (fie zeigte zur Dede
Binauf) verläßt, der hat nichts Beſſeres zu thun, als fih
dem abtrünnigen Lucifer auf einige Zeit in die Arme zu
merfen. Freiüch ift er ein gefallener Engel, vieles von fer
ner vorigen Macht und Herrlichkeit hat er indeg doch noch
behalten/ und tbeilt denen feine Hülfe mit, die nicht gar
zu fireng und ängftlid auf die Mittel fehen, wenn fie auch
nicht ganz nach ihrem Geſchmacke fein follten. Denn frei
uch erſcheint er in garfliger Umgebung! Als ein alter fin
tender Bod figt er droben am Berge auf dem böfzernen
Stuhle. Eeine Kammerberrn und Hofjunfers geben mie
Hölenfrapen einher mit Affen» und Negergefihtern, mit
Krallen vorn, mit Efels- und Fucheſchwänzen hinten. Bon
Nacıtigallen, Finken, Hirihen und Neben im Balde, weiß
er nichts. Seine Muflfanten und Lafaien find Unten, Krd-
ten, Schlangen und mas des Ungeziefers mehr ift. Das
it aber alles nur die Außenfeite, nad) der kein vernünft |
ger Menſch fragt. Die Hauptſache it, dag man feinen
Liebſten bei ihm findet, der freilich au ein wenig von der
Teufelsnatur an ſich haben mug, um beim Göllenhofe ſtau⸗
desmäßig und tafelfähig zu erſcheinen; und fo bat dem
auch Dein Iofept, wie ich höre, den Pferdefug brfommen.
Die Here. 163
Uebrigens geht afles da fchr Iufig und freuudlich zu. Die
Feſte werden befonders im SFrüblinge gefeiert: da duften
die Blumen, das Gras ift weich und grün, der Vollmond
fein. Dann wird aus dem großem Zauberkeſſel das treffe
lichſte Froſchragout geſchmauſt, das fein franzöhfhher Koch
beffer bereiten Eönnte. And kann, wer fein Freund von
Ftoͤſchen iſt, Kapenbraten befommen, der von Hafenbraten
nicht zu unterſcheiden if.
Deine Geſellſchaft und Deine Gerichte, rief ib, find
abſcheulich; doch würde id mid allem unterwerfen, um
meinen geliebten Joſeph wieder zu treffen. — Das ift ja
eben der Haken, rief Die Alte; und er hat ſich vermuthlich
and Deinetwegen in diefe Art von Zreimauterei aufnche
men laſſen. Der Pferdefuß bemeift uns, dag er in dem
Drden der Höllengeifter mit Ehren aufgenommen ift. und
fogar feinen niedrigen Poſten bekleidet, denm fo gehen ſonſt
nur die Teufel vom Geblüt. Ia mas thut man nit, wenn
man verlicht ift? verfegte fie mit einem Seufjer. Id bin
auch mal jung, hübſch und verliebt geweſen. Das Schid-
fal hatte mich aud) von meinem Bublen aetrennt. Da er⸗
bermte fibb ein altes Mütterchen meiner, wie ich mid) jept
Deiner erbarme. Sie machte mid mit dem Herrn vom
Berge bekannt, und er drüdte mir fehe gnädig bei der er⸗
fen Audienz ein Blutzeihen auf die Draft, das id noch
trage.
Das ift mir and) begegnet, Mariane, rief id: fieh
mal meinen Hals da! — Schön, fprad die Alte, fo iſt ſchon
etwas gethan. Drauf — verfepte fie — mußte ich ſchwö⸗
ten, die vier Herenſabbatbe zu feiern, befonders den in der
Walpurgisnacht. Diefe anftändig zu begehen, mußte ich
mic mit Tolwurzel. Raufkraute und Springwurzblättern
11°
164 Die Here.
beraͤuchern, mic) nat ausziehen, und mid) mit Herenfalbe
unter den Achſeln, an den Arm» und Beingelenten, in den
Knielehlen und auf den Fußſohlen reichen.
Und woraus befteht diefe Salbe? frug ih. Sie wird
— verfeßte die Alte — aus Kinderfett, Nachtſchatten. Ju⸗
dentirfhen, Scierling, Judenleber und noch anderen Ins
gredienzien gekocht. Gin folder Topf ward mir von mei⸗
nem bodfügigen Licbhaber gleich verehrt. Ich babe noch
die Hälfte der letzten Portion auf meinem Zimmer, freilich
etwas verſchimmelt und ranzig, dadurd Bat fie aber an
Kraft gewonnen, und ih will Dir wieder damit ein Ge⸗
ſchent mahen Da ich alt zu werden anfing, mochte ich
diefe Thorheiten der Jugend nicht länger treiben, und that
Pönitenz. So kann id denn noch einigermaßen felig wer⸗
den, und wenn auch nicht fo vollfommen, wie manche an«
dere, hab' ih mid doch ſchon in dieſer Belt daran ge
wöhnt, mit Wenigem vorlieh zu nehmen. Ad ja! feufzte
fie, wenn man nur feine Sünde bereut, fann man immer
nachher ein Bischen felig werden; und das iſt ein großer
Zroft für une Menſchen. Freilich muß man auch beichten
davor foll mid) aber Gott bewahren, bis id in meinen Ich-
ten Zügen liege. Hüte Dich auch dafür, Töchterlein, fo
lange Du noch zu leben denkſt. Die neidifden Mannshile
der fieden und braten uns lebendig, wenn fie dergleichen er-
fahren. Und was haben wir denn gethan? Stehlen, mor-
den, rauben, verläumden, befrügen, andere unglücklich ma,
Wien, mas doch die Ärgften Sünden find, thun mir mit.
Das thun die Männer, ohne eınen Bund mit dem Teufel
gemacht zu haben. Was thaten wir auf dem Blodsberge?
Eſſen, trinfen, tanzen, liebkoſen und faullenzen! Iſt es
wodl der Mühe werth, dag man deswegen Scheiterhaufen
Die Here. 165
errichte, befonders heut gu Tage, mo das Brennholz fo
tzeuer wird? Und doc hat man mehrere hundert taufend
erme Weiber desiwegen verbrannt.
Ich antwortete: Mariaue, vor dem Scheiterhaufen
wößte ich mich wohl hüten, was aber Buße und Beichte
betrifft, fo babe ich dazu fein Vertrauen. Der droben läßt
Ab fein X für ein U maden. Auch gefäht mir folder
Banfelmuth nicht; ift man einmal des Teufels, fo muß
war es muthig verbleiben, und ſich mit dem Gedanken des
Berdammtfeins fo lange veitraut - machen, bis er alles
„Ghredlie verloren hat.
36 wil Gub meine Gelprähe mit der Ali nit
Weitläufiger mittbeilen, fondern nur hinzufügen, dag ih
wit ihrer Hülfe bediente, und mich am näcften Walpur⸗
giabente mit der Salbe beſtrich, nachdem ic) die Kleider
don mir geworfen. Drauf rief ih: „Obenaue, nirgends ⸗
anf“ und flog glei) zum Kaminloch hinaus, wo mir ſchon
deſehh den Weg gebahnt Hatte. Auf dem Dache wartete
mein ein alter gehörnter ſchwarzer Stallmeifter, der mir
die Bapl gab, ob ih auf einem wohlgezäumten Bode, tie
mer ſchwarzen Katze, einer Ziege, einer Miftgabel oder
einem Befenftiele nad) dem Blockeberge reiten wolle. Ich
wählte den Bol, weil er mir am tuͤchtigſten ſchien, eine
feldpe Reife auszuhalten; und fo ritten wir denn gemaͤchlich
dur die Luft, und trafen die Herenfompagnie auf dem
Bloceberge beifammen, tie es mir die Alte vorher gefagt
hatte. Ich mußte mich in die Sitten der Geſellſchaft fü-
gen, die aber fo roh und abgeſchmacktt waren, daß id fie
Gh wit wieder erzählen mag. Bas mir am meiten
Vergnügen machte, waren die Meinen Truggeſtalten, von
Kahen, Eidechſen, Affen und Schlangen artig zufammen
166 Die Here.
gefept; die küuſtlichen Bafilisten, halb Habn, halb Wurm;
die närrifyen lebendigen Ruodıengerinpe, die mit dem Ge
bein nad) dem Tatte Mlapperten, wie alte ausgemergelte
Zanzmeifter, die aus Eitelkeit nicht wieder aufbören fün«
nen. Die Augen glühten bei alen diefen Erfheinungen
Hebli in der Duntelbeit des Waldes, und fie verdrehten
fie Heiter und wahnfinnig im Kopfe, während giftige Kräu⸗
ter und Schierlinge vol glähender St. Johanniswürmer
Bingen; und mährend eine große Symphonie mit Gebe,
Miauen, Brülen, Henlen, Bichern, Stöhnen, Pruften und
Peitſchenknallen im fhönften Geihmade, ſchulgerecht nad
dem Generalbafle aufgeführt ward; morauf denn ein au⸗
Herordentlihes Tanzen und ausgebafienes Walzen folgte.
Ich batte mir bald meinen Joſeph aus der Menge
herausgefunden. Wir entfernten uns, um im Mondfdein
einen Spaziergang zu madıen. Das Hochgericht winkte gar
feltfam romantifh dort einfam auf dem Felde, mit feinen
Linien, Zirkeln und Zriangeln, wie eine große mathematir
fe Figur, die einen wichtigen Lehrfag ſtreng beweiſen
wollte. Bir fepten uns im Mondfdatten des gemauerten
Galgens, der verfallen und zerriffen mit Moos und Blur
men durchwachſen fi wie die Trümmer einer alten Burg
erhob. Jetzt überliegen wir und ganz der Freude des Wie
derfeheng, nur von einigen Nachtvögeln geftört, die den
Nabenftein umflatterten, um Nabrung zu ſuchen, aber wie
der davon flogen, als fie nur fchneeweige Knochen im Grafe
blinten faben.
Unglädliher» sder richtiger: glädliherweife verfpäteten
wir une. Die Geiſterſtunde war vorüber, die Baftlisten
hatten geträßt, wir ſaben die Deren, wie ſchwarze Bügel
Die Here. 467
füaaren, amf ihren Befenftielen und Ziegen hoch durd die
Luft nach Haufe fahren, wild durch einander ſchreiend:
Kuna hin, Runa ber!
Hurtig über Sand und Meer.
Duſch werf ich den Mantel Hin,
Daß ich Bald u Haufe bin.
AS wir wieder nad dem Berge famen, war alles reüft
amd de, und wir fanden nur die Feuerſtelle vol Mfche und
Kohlen, wie im Walde, mo Bigeuner gehauft haben. —
Bas thun wir jept? rief ih. Wie komme id früh genug
wrüß nach meinem Gefängniffe in Thüringen, eh der Bar
ter meine Abweſenheit entdedt. — Und mie fomme id nad
Scafhauſen in der Schweiz, rief Jofenh händeringend, wo
id wieder als VBädergefell Dienft genommen. Die Brote
fehen noch alle im Badofen, und wenn ich nicht zu rechtet
Etunde da bin, fo werden fie zu Kohlen verbrannt, die
Lente Haben morgen in Schafhauſen nichts zu effen, und
fürzen ſich alle verzweifelnd in den Rheinfan
In diefer Noth irrten wir durch den Wald, und far
men endlich an einem großen hohlen Baume vorbei, mo
fin vierfchrötiger alter Krieger in ſchwarzer Ruſtung auf
einem Steine faß, den Ellenbogen auf das Knie, den Kopf
in die Hand ftühend und in Gedanken vertieft. Als er
ums gemahrte, richtete ex ſich auf, winkte mit der Hand,
und rieth uns ad, und dem benachbarten Hügel zu nahen,
es fei der Venusberg, und er der gefreue Echart. Bir
adıteten wenig darauf, mas der alte Griesgram, wie ein
Brediger auf der Kanzel, im Barte murmelte; une war es
eben recht Me Frau Venus zu treffen, was könnten ſich ein
Paar Liehende deſſer wünfgen?
18. Die Here. x
Sie faß vor der Thür mit drei fhömen Iungfern, die
aber nicht fo bübſch waren als fie. Ihr feid mir willkom ⸗
men! rief Frau Venus; id will Euch nicht in meinen Berg
einladen; denn mit Weibern mag id nicht umgeben, der
Zunggefel da gefiele mir wohl; er Bat fi ja aber ſchen
ein Lieben gewählt. Indeß, weil Ihr Vertrauen zu mir
best, und auf die Warnungen des alten Graubartes nicht
achtetet, werd’ ih Euch aus Eurer Noth helfen. Eupid-
Sen! komm’ mal her. Das war ihr Sohn. Der Meine
niedliche Junge kam berbei gelaufen, er hatte im Graſe mit
den Irrlichtern gefpielt, und ihm waren zwei bunte Flü⸗
gelchen aus den Schultern gewachſen. Sie rupfte ihm ein
Paar Federchen aus, gab‘ ung jedem eine umd ſprach: Mit
diefen werdet Ihr leicht den Weg nad) Thüringen und nad
der Schweiz zurüd finden. Bas wilft Du aber auf dem
Blodsberge, mein hübſches Kind? frug fie mid, die Ge
ſellſchaft dort ſchickt fih nicht für Did, fie ift gar zu pie
belhaft und unanftändig. — Ad, liebe Frau Venus, er»
wiederte ich, mich tief neigend, was thut die Liebe nicht?
wozu bequem man ſich nicht, um feinen Bräutigam zu fin-
den? — Haft Du nicht einen Bruder gehabt, frug Frau
Benus, der frühe farb, der aber ein wißiger Knabe war
und in die Tateinifche Schule ging? — Wohl hab ik, ante
wortete ih. — Hat er Div nit damals oft von dem heid⸗
niſchen Gotte Baus, von deſſen Zaunen, Satyrn und
Badantinnen auf dem Weinberge erzäplt? Freilich hat er,
verfeßte ih. — Nun das ift im Grunde alles einerlei, rief
Venus, nur find die Bachanalien weit angenehmer und
ſchoner auf dem indifhen Weinberge, als die Zeufels- und
Herentänze auf dem Blodsberge. Möchten Du nicht Fieber
Deinen Joſeph dort als jungen Faun treffen, denn auf
Die Here. 169
dem Blodsberge, als hintenden Teufel mit dem Pferde
füge? — Benn es ſich thun Hefe, gewiß, feufzte ich. Ve⸗
ans erbob drauf ihre bildſchdne. ſchneeweige Hand, ber
räßete ihm das Obr, und gleich war der Pferdefug ver-
fomunden, er land als ein noch [hönerer Zängling da; nur
waren ihm die Ohren binter den Loden ein Bein bischen
Wipiger geworden.
Drauf entließ fie uns; wir ftedten die Slügelfedern des
Heinen Gupido in den Bufen, flogen fort, und kamen zu
techter Bett nach Haufe Als ich erwachte, kthelte mid noch
die Feder in dem Buſen; fie batte aber ihre rothe und
dlaue Farbe verloren, und fah aus, wie eine gemöhnlihe
littbraune Hüpnerfeder, wovon mehrere vom Winde durch's
Güterfenfter ans dem Hühnerhofe in's Gefängnig geweht.
uf dem Eſtrich umber lagen. Ih lieh mid aber nicht
ime machen. verwahrte forgfältig meine Feder in der Truhe,
und habe nachber oft mit leichter Mühe in kurzer Zeit die
Reife nach dem herrlichen Bachusberge iu Indien gemacht.
Der blähende Gott mit den Neben um die wallenden Lot-
Ion, hat mich mit meinem Joſeph dort verbunden; wir har
den mit dem wonnetrunkenen Haufen die Thyrſusſtäde ge-
ſtzwentt; alte Satyen haben uns auf ihren Flöten Lieder
Sigefpicht, umd der grüne Bald mit den Baumgeiftern
md Baffernicen bat uns glüdlih gefehen.
In diefen Freuden meine Nächte zubringend, vergaß
ib ganz, wie elend ich meine Tage im Gefängniffe vers
Mmadıten wäfle, umd als ich durd den Tod meines Bar
ier6, der ein Jahr darauf erfolgte, plöglic erläft und zur
Erbin feines ganzen Vermögens eingefeht ward, fühlte ich
Wein Vergnügen dadurd) wenig vermehrt, denn das Beſte
hatte ih ja from; und obwodl mein Water mich ſchlecht
170 Die Here.
behandelte, hätte ich ihm doch gern das‘ Lehen gegönnt,
wenn ic auch meine ganze Beit hätte eingefberrt ſthen
ſollen
Das Erſte, mas ich that. war einen Brief nach Schaf-
hauſen zu fenden, um meinen lieben Joſeph einzuladen, das
mit ex jept mein Mann merde. Ih nahm mid aber, aus
Vorſicht, wohl in Acht, im Briefe unferer nächtlihen Zu
fammenfünfte zu erwähnen, fondern dat ihn wur, ſchnell in
meine Arme zu eilen.
Zu meiner größten Betrübnig tan ich keine Ant
wort. Ein halbes Jahr darauf fertigte Ih ein Sendfhreis
ben an alle Bäder in Schafbaufen aus. Sie Heßen mir
aber fagen, daß fie von feinem Iofenh- etwas müßten.
Endlich entdedten fie doch einen und fandten mir ihn mit
der Poſt. Mein Herz Mopfte vor renden, als die Magd
mir eines Abends meldete: ein Bädergefell aus Schafhau⸗
fen, Namens Iofeph, ſtehe draugen und wunſche mich zw
forejen. Ich flog aus der Thür, und fdlog in der erſten
Entzükung und in der Dunkelheit den Fremden in meine
Arme, ohne zu zweifeln, dag er der rechte Iofeph fei. Ms
mir aber in die helle Stube traten, ward id) einen alten
hettiſchen, grämlihen Menſchen gewahr, der viel huſtete,
und triefende Augen hatte. Ih fuhr mit Schaudern zu⸗
rück, und verſicherte ihn zu wiederholten Malen, daß ich
mid) geirrt habe. Er wollte mid aber durchaus heirathen,
weil id) es verſprochen, und er deswegen eine lange, bie
ſchwerliche, koſtſpielige Keife unternommen habe, Nur mit
genauer Noth ward id ihn los; ich mußte ihm die Reiſe⸗
koſten Doppelt er/egen, und noch obendrein eine Entihddir
gung für Mühe, Zeitverluft und vereitelte Hoffnung geben,
damit er wieder einpade und nach der Schweiz ziehe,
Die Here. im
Meine Hoffnung mar vereitelt. Die Geſchichte hatte
Aufſeben gemadıt, und man lachte mid, ans. Indeß mel ⸗
deten ſich do immer Freier vollauf; ih hatte aber meinem
Iofeph Zreue geſchworen und meil ich ihn alle Räcte fad,
mar mir feine Abweſendeit am Tage weniger fhmerzbaft.
Das Sonderbarke war, daß es mir, bei unfern. nächte
lien Zufemmentünften nie einfiel, ihn um feinen jehigen
Aufentalt zu befragen, ic feßte es mir alle Mbende vor,
vergaß es aber wieder. Und dabei hat der Teufel gewiß
fein Epiel gehabt, um mich nit aus feinen Krallen zu
verlieren; denn wären wir glüdlic) in der wirklichen Belt
geworden, was hätten wir dann nad) den teuflifchen Nacht
erſcheinungen gefragt?
Jadeß lebte ich als eine junge reiche Witwe, ziemlich,
wo. Die alte Mariane war bei mir, und ich that ihr
zu gefallen alles, was ich konnte. Alo fie aber kraͤnklicher
ward, ward fle and) graͤmlicher und ängkliher. Meine
aichtlihen Wallfahrten fingen an, ihr zu mißfallen, und
fie verlangte mum, daß id) mich befehren folle. Das molte
id jedoch nicht, um meinen Joſeph nicht zu verlieren. Die
Fahrt nach dem Bachusberge, Matt nach dem Blodaberge,
war ihr gleichfalls nicht recht. — Auch wenn man fi dem
Teufel ergeben bat, fprad Re, muß man fein Baterland
liehen und das Eigene nit verachten. Warum fönnen
wir nicht eben fo gut einheimifche eingefleifähte Satanaffe
haben, wie die Indianer und Griechen? Glaubſt Du etwa
die Griechenteuftl feien menſchlicher und ſchonender, weil
fe ſconer find? Armes verirttes Schaf! Alerger find fie.
Die Schonheit iſt ja chen der beſte Köder auf Lucifers An⸗
gelbalen, damit die Menſchenſeelen gieriger anheigen. Das
es iſt nur Trug und Laror. Auf dem Biodsherge gehen
172 Die Here.
fie, wie hiedere deutſche Teufel, unverlarut in ihrer wah-
ven Geſtalt und löͤblichem Berufe einher. Dort bat man
ſich einmal an das Ding gewöhnt, und fid feine überfnann-
ten Erwartungen gemacht, die in der wirklichen Hölle nicht
erfüllt werden. Denke Dir aber, wie Dir dereinft zu Ra⸗
tbe fein werde, wenn die Loden und Reben Deines Ba-
chus fi in lauter Hörner und Schlangen verwandeln!
Benn fein feifter, blühender, meiger Körper, wie braun
graues geräucertes Zleifh mit Echimmel bewachſen ausfer
ben wird. Und nun vollends die Venus, die gegen vier»
taufend Jahre alt fein fol! Wenn Du die alte Bettel
ſlehſt, ehe fie ihre Toilette gemacht, che fie die falſchen
Zähne in den hölzernen Gaumen geſchraubt, ſich geſchminkt.
geſchnürt und ſich ale die blühenden Gliedmaßen angeſchnallt
hat, die das Auge entzüden, die aber nur aus lauter ſam⸗
tenen Kiffen mit Springfedern, beſtehen.
Ic antwortete: Bo mein Iofeph binkömmt, da komm’
ich aud. Glaubft Du, dag, wenn ich mic befehre, er
auch felig werde? : Mariane antwortete: Ic trage einige
Bedentlichteiten wegen des Pferdefuges. So will ih auch
verdammt fein, rief ih. Lieber in die Hölle mit Iofeph
als in den Himmel ohne ihn. — Ad, Du gutes Kind, ers
wiederte Mariane, mic) küſſend und umarmend, Du liebt
Deinen Bräutigam zärtlih, und das it hübſch von Dir;
der liebe Herrgott ift aber auch nicht ganz zu verachten: er
bat Dich doch erſchaffen, und verdient immer, dag Du ihm
deswegen Deine Dankbarkeit bezeigft. — Ich will Joſephen
ſprechen, fagte ich; kann ich ihn dazu überreden, fo wollen
wir und Beide befebren; ich verlaffe ihn aber nicht in der
Noth, werein er meinetwegen gerathen iſt.
Als ich Jofeod wieder ſprach, entdedte-i ihm, wicht
Die Here. 173
ohne Verlegenheit, meine Gewiſſensaugſt. Er ſchüttelte
aber wehmüthig lähelnd den Kopf, und ſprach: Liebes
Kind, es iſt zu ſpat.
Bon diefem Augendlide an ftand mein Entfäluß feſt;
und alle albernen Plaudereien der alten Mariane konnten
mid, nicht irre machen. Gin großer Shrek fand mir in⸗
deg noch bevor. Sie ward todffranf, die Stunde ihrer
Auftöfung nahete mit farten Schriteen, und fie wollte
beiten! ie Hatte fon nach dem Paſtor geſchict, als
ich allein zu ihr in's Zimmer trat. Sie fpielte mit den
todttalten blänfihen Fingern auf dem Betttuche (ein Zei ⸗
Men des nahen Todes) und murmelte mit halbgebrodenen
Augen Gebete, vor fi bin. Ich warf mid ihr zu Fügen
und rang die Hände: Mariane, rief id, um Öotteswillen,
verrathe mid niht. Du haft mid, felbft verführt, was ger
minnft Du dabei, ein armes Weib unglüclich zu machen.
„Beffer zeitig trennen, als ewig brennen!" war alles, was
fie mir mit ftarren Augen antwortete.
Ich ſprang auf und fah fie wuthend an; ih warf die
Augen umber, und fand mid mit ihr allein, die Magd
mar nad dem Paftor gelaufen, Die Alte konnte nicht
leben! Ein einziger ltiſer Druck meiner Hand um ihre
Kehle, — der Tod wäre nur ein Paar Minuten früher ge»
tommen, mein Geheimniß ſtarbe mit ihr. und ich Wäre ge⸗
rettet. Meine zitternde Hand war fhon ausgeſtrect, und
die Finger krummten fih. Id börte Iemanden die Treppe
langfam hinauffteigen: vermuthlic der Beichtiger; meine
Angſt vergrößerte ſich, ein Falter Schweiß bededte meine
Etirn; ich ſchwantte, dumpf über meinen Vorfag brütend,
und es war mir, als ftede ein ſchwarzer Teufel den Kopf
grinzend durch die Bettgardine in die Band, mir Beifall
174 Die Here.
sunidend, damit ich eilen folle. — Rein, Teufet! rief ih
halb wahnfinnig, fo ſolſt Du mid nicht haben! Zu einer
ſolchen Sünde ſollſt Du mic nicht verleiten. Geſchehe. was
geſchehen mil, id erwarte mein Schicſal. Mit diefen Wor⸗
ten fürzte ih rafend zur Thüre hinaus, und häfte beinahe
den alten Prediger, dem ic auf der Treppe begegnete
berunter geworfen. Ich eilte in den Garten nad der Jas⸗
minlaube. Cine ganze Stunde brabte ih bier allein zw
Ior könnt Euch denten, in welchem Zuftandel Bei jedem
leiſen Geraͤuſch der Zweige erwartete ih, die Haͤſcher würs
den kommen, mich nad) dem Gefängniffe zu ſchleppen. End»
lich kam Iemand, ich fuhr zuſammen. — Es war die
Magd, die, in Thränen gebadet, die Hände, rang. — Ab
Gott, ach Gott! welch ein Unglütt Wer hätte das denken
follen, rief fe ſchluchzend. umd wollte mic nicht anfeben.
Dirne, was ift geſchehen? rief ich außer mir, und fah fie
grimmig an. — Die alte Mariane — Nun? — it ohne
Beichte geftorben! ine Stunde haben der Herr Pater
und id) fie mit dem Tode kämpfen fehen. Sie hatte gewiß
etwas fehr Wichtiges auf ihrem Herzen. Als wir aber fa
men, hatte fie ſchon die Sprache verloren; und ich bin doch
fo ſchnell gelaufen, dag id meinen einen Pantoffel in die
Goſſe habe fallen laſſen. — Gott babe fie felig! rief ich
mit erleichterter Brut, indem mein Bufen wieder hoch
ſowoll und das Blut in meine Wangen znrädtrat. Id
werde Dir ein Paar neue Pantorfeln und der Todten ein
anftändiges Begräbniß geben. — Drauf kehrte ic) kec in’s
Leben, in mein Baterbaus und ſchon verloren geachtetes
Eigentum zuräd.
Obwohl ih nun aus einer großen Gefahr errettet war,
und fein Menſch mehr lebte, der mein Verkehr mit den
Die Here. 175
Geikern verrathen konnte, war ih dagegen wieder ganz
alein und verlaſſen, ohne Freund, ohne Vertraute. Keiner
Benfbenfeele kennte ich meine Gefühle, meine Bekümmer-
uiſe. weine Begebenheiten mittheilen. Freilich beſuche ih
20% oft den Bachusberg und treffe meinen Geliebten dort:
die Entzüdungen ſind aber nicht fo groß als chedem. Ior
feoh it, tie mich deucht, weniger verliebt; die Geflalten
{nen alle mehr aboebleicht in Nebel zurüd, und ic ber
fürdte, fie möchten zulcht ganz verihwinden. Im diefer
Roth, lieber Fauft, Habe ich Dich bei dem Ritter Gurt au
dem bemußten Mbende kennen gelernt Ih habe gefehen,
daß Du ein großer Scwarztünftter feilt. Imwar glauben
die Leute, der Teufel habe Dich ſchon geholt, das war aber
mr Gautelfpiel, denn dag Du noch da bit, beweiſt mir
Gegenwart. Sogleich fiel es mir cin, bei Dir Rath
w erholen, ob Du mir nit vieleicht dazu verhelfen koͤnn ⸗
tet, meinen Jofeph in der wirktihen Welt anzutreffen, ehe
anfere Jugend verblüht. Denn das geiftige Verkehr mag
Mt genug fein, wenn man nichts Belleres hat; es iſt aber
les doch nur dünn und luftig und einem Traume fo äh
ih, dag ich die fämmtlichen Erſcheinungen für lauter Ein⸗
fidungen erklären. mödıte, wäre ich nit vom Gegentheile
überzeugt. 980 nun mein Joſeph in der Welt ift, weiß ich
gar nicht; in Schafhauſen iſt er nicht, das weiß ih. Du
wirt es mir aber leicht entdeden. Freilich Haft Du Dich
in mid) verfiebt, und das iſt übel. Das ift mir aber ſchon
nit mehreren Diännern begegnet. Man kann nicht freund«
lih fein, nit den Handidub ausziehen, micht den Fuß ein
wenig Dervoriredin, nicht das Bufentuch cin wenig ver-
Mlehen — gleich; giebts Feuer. Du bIR aber ein verflän-
dar Mann, der sinfeben wird, dag ih Did unmöglich
176 Die Hesenprobe.
lieben kann, wenn ich meinen Iofeph fo treu liebe,-dag ich
fogar feinetwegen auf den Himmel Verzicht thue. So wirft
Du mid) denn aud nicht verratgen, fo menig wie diefer
Jüngling, den ih, wenn er nicht mit zur Bande gebörte,
für ein gutes unverdorbenes Blut halten möhhte.
So weit war unfere Erzählerin gefommen, als Hlöß-
lich im Nebenzimmer ein Tummit entitand, und wir einen
Stuhl vom Tifhe herabfallen hörten. — Gott im Him-
mel! rief die Bäderin, wir find verraten. Der Laden
burſch hat gelauert, und durch das Loc) droben alles ger
bört. Sieh, da läuft er ſchon bei dem Fenſter vorbei nah
der Burg. Holt ihn ein, oder id bin des Todes.
Seifert und ich ftürzten hinaus, und verfolgten den
Jungen. Er hatte aber einen zu großen Borfprang ger
wonnen. Seifert war bereits ermüdet, che er den balben
Weg gemahıt hatte; ich war ein fo guter Läufer wie der
Junge; er erreichte aber die Burg, während ich noch den
Belfen erftieg. Ich ſah ihn in den Hof, in das Zimmer
des Burgfaplan bineilen, und die Thüre ward hinter ihm
verriegelt, °
15.
Die Herenprobe.
Ale wir am nähften Morgen kaum gefräßftüdt hat-
ten, traten die Gerichtsdiener in’s Zimmer und Lündigten
Sciferten und mir Arreft an. Sie geboten uns gleih din⸗
Die Herenprabe. 17
auf nach der Burg zu sehen, um vor dem alten Nitter,
unferm Richter, zu erfeinen.
Bir folgten willig und ſprachen Latein auf dem Wege,
damit ung die Trabanten nicht verftänden. — Das ift eine
verwünfchte Geſchichte, rief Seifert, die Bäderin ift von
einem fonderbaren Wahnfinn ergriffen, der nichts Seltnes
iR, und viele Frauen auf den Scheiterhaufen gebracht hat:
fie bildet ſich ein, eine Here zu fein. Ein feutiges Tempe⸗
rament, eine rege Phantafie, Liebe, Unglüd, Enthaltfam-
kit, Mangel an Bewegung find die Urſachen ihrer Krank⸗
beit. Alles Tüchtige ſtrebt nad Abenteuern; für junge
Weiber haben nur Liebesabenteuer Reiz, und da Hätte fie
temn ein meites Feld vor ſich gehabt; zum Unglüd aber
ſdielt ihr die feichte einfeitige Liche einen Streich, und fie
vergafft ſich in einen einzigen Bädergefellen. Als wenn
nichts weiter auf der Welt märe, als ein armfeliger Io-
ſeph. Hol der Henker all die engherzige einfeitige Philiſte⸗
rei. Nein, ih halte mic, zum Liede:
Bafched Glück! mir immer neuer
Wit Verferiedenheit vereint,
Schaf mir täglich Abenteuer,
Dann biR.du mein wahrer Freund!
Gern anf Kiffen will ich fchlafen,
Musgepolftert, ſammetweich;
Mber, machſt du mich zum Grafen,
viebes Glück, Dann geh ich gleich.
Huch mit Bauern wid ich figen
Auf der Bank uud auf dem tra;
Oehienſ. Echriften. XV. 12
178
Die Herenprobe.
Im der Sonne win ich fchwigen,
‚Schatten macht nicht immer froh.
Gern auch (chmauf ich wild Geflügel,
Benn ed mir der Reiche bi
Aber mit dem Hirt am Hügel
GT? ich morgen Käs und Brod.
* Schöne Kinder, Fräulein holde,
Ach wie ſchãb ich euch zur Etund!
Wintt mir mit des Haares Bode,
Küßt mich mit dem KAirfchenmund.
Aber fehmachten, immer fchmachten?
Nein, dann geh’ ich anf die An’,
Bit beim Pädter übernachten,
Er hat eine hübfche Fran.
Wer iſt fchöner? Mc die Laune
IR auein der Nichter hier;
Feuriger ift meine Braune,
Meine Blonde füger mir.
Sanüc' das Bündel auf den Büden,
Rimm den Stab ın leichte Hand;
Mies Gute fol entzüden,
Und fo sieh" ich Durch dad Sand.
Mit Gelehrten wii ich (precen
Weber die Philofophie;
Wit Soldaten will ich zechen
Nur mit den Philiſern nie.
Die Herenprobe. 179
Jedes Handwerk, jede Tugend
Jede Blum’ if mein Genuß;
Eo verleb' ich meine Jugend
Sparfam und in Weberfluß.
Das ift mir ein verftodter Sünder, ſagte der eine
Shirre, der uns begleitete. — Das ift nichts Neues, er⸗
wiederte der Andere; hab’ ic doch mehrere ſolche Balgen-
vögel gekannt, die auf dem Wege zum Hochgerichte Sauf-
lieder fangen. Ich Hofe aber, Freund, verfeßte er, ſich zu
Seifert fehrend, aus dem Bündelfpnären und dem Stab⸗
in die Hand Nehmen wird nichts. Traun, Du bit Deine
laͤngſte Zeit Landläufer geweſen.
Bir traten in den Nitterfaal, wo wir vor Kurzem
Komödie gefpielt hatten. Der Nitter fag an einem großen
grünen Tiſche, und einige Beifiper, Bürger der Stadt, ner
ben ihm. Der Burgkäplan führte das Protokoll. — Nun,
das find mir hübſche Geſchichten, rief der alte Ritter ung
entgegen.
Seifert ließ ibn reden und betrug ſich während ‘der
sanzen Verhandlung mit feltmer Faflung, Klugheit ‚und
Beredfamfeit. Er frug gelaffen, weſſen man uns befhul-
dige: und als er hörte, die Bäderin habe fon Alles ge⸗
fanden, ſprach er: Mit. Eurer Erlaubniß, geftrenger Herr,
werde ich naher als Sahführer des armen Weibes aufs
treten; unſere eigene Vertheidigung wird bald im Reinen
fein. Die. Bäderin hat uns eingeladen, ihre Lebensgeſchichte
zu horen. Der Bäderjunge bat gleichfalls alles mit ange⸗
12°
180 Die Herenprobe,
bört, freilich auf eine unerlaubte, häͤmiſche Weiſe. Er ift
ſchuldiger als wir. Wenn num aber das bloße Anhören
ein Verbrechen ift, fo feid Ihr, Herr Ritter, diefe wadern
Bürger und der Herr Prediger Gotthard eben fo wohl
Mitſchuldige. Denn Ihr habt ja auch Alles aus ihrem
Munde vernommen. Was können wir dafür, da ung die
fes Weib für Zauberer gehalten hat. Sie verwechſelt ftets
Wirklichteit und Schein; fo hat fie es aud in diefem Falle
gethan. Sie hat mid den Fauſt in der Tragödie ſpielen
feben, und glaubt nunmehr, ich fei der wirkliche Fauſt. —
Bas hatteſt Du aber bei der Bäderin zu ſchaffen? frug
der Nitter, wenn Du weder Brod kaufen, nod zaubern
wollteſt. ¶ Wer weiß, ob ih Brod Laufen wollte oder nick,
ſprach Seifert; wir armen Schüler müllen wohl jept mit
trodenem Brote vorlich nehmen, feitdem Euer Geftrengen
die Hand von uns abgezogen. Hatteft Du. denn nicht die
Abſicht zu zaubern? frug der Ritter. — Freilich wollte ich
zaubern, antwortete Seifert, es verdient aber nit, dag
ich deswegen in's Gefängnig geſchleppt werde. — Jeßt hör
ren wir fein eignes Belenntniß, rief der Kablan! Was
brauden wir weiter Zeugnife! — Ich geftebe, verfegte
Seifert, daß mich nicht blos die Zuderkringel in der Schub⸗
lade der fhönen Bäderin anlodten. Cie it ein fhöncs
Frauenzimmer. Alein ſchöne Weiber find Heren, wenn fie
uns verliebt machen. Wollten wir aber Ale fammt und
fonders zum Scheiterhaufen verdammen, die verliebt ma⸗
hen und verliebt werden, wie erbielte dann die Welt Bä-
ter und Mütter zu den fünftigen Söhnen und Töchtern?
Statt mir aber ihre Gegenliebe zu ſchenken, has fie mir
eine weitläufige Geſchichte ihrer Träumereien erzählt. Was
kann ih dafür? — Alſo bat Er doch geflanden, dag Er
Die Herenprobe. 181
fündhaftes Verkehr mit einer Here ſuche. rief der Kaplan;
das ift bereits genug. — Nein. halt, Vater Gotthard,
ſprach der biedere Ritter: bier if ein großer Unterſchied;
id) begreife ganz wohl, wie ein junger feuriger Menſch
von den Neizen der Bäderin entzüdt werden könne, wenn
er übrigens nichte von ihrem Bunde mit dem Teufel
wüßte. — Und bei ihr ſelbſt liegt «6 mar in der Einbil⸗
dung, etwas davon zu wiflen, rief Seifert; fie iR unſchul ⸗
dig umd beträgt fi ſelbſt. Venn ein ſanguiniſches Weib,
wie fie, nach der Trennung von ihrem Iofepb, ihre Liebe
nicht auf natürlihe Weife befriedigen konnte, mußte fie
überfchnappen. Schlaftu, Een und Etifefipen erzeugen
in einem ſolchen fräftigen jugendlichen Körper dices Blut
und böfe Träume Otiam est palvinar Diaboli, Das
in es ae
Nein, wein! rief der Nitter, fie hat ſelbſt geſtanden
daß fie nad dem Bios» oder Bachusberge auf einem
ſchwarjen Bode geritten feis und dag fie gerade üdermore
gen im der Walpurgisnadt wieder eine ſolche Reife vorge»
habt babe.
Denn it es ja leiht, fi von ber Wahrheit zu über
zeugen, eriviederfe Seifert. Tout, als ob Ihr jept von ih-
zer Unſchuld überzeugt wäret, laßt fie gehen, und äberrums
pelt fie Übermorgen Racht in ihrem Haufe! Ich wette,
Ratt fie auf dem Befenftiele zum Schornfteine berausfahren
umd auf dem ſchwarzen Bode wegreiten zu fehen, werdet
Ihr fie ſchlafend in ihrem Bette finden.
Der alte Ritter war ein ziemlich vernänftiger Mann,
to-gemmeiner Menfhenverftand, ohne weitere Kennsuiffe und
Unfrengungen hinteichte. Gr fand Seiferts Vertheidigung
befriedigend, und. der Vorſchlag dünkte ihm gut. Rah
182 Die Herenprode.
Seiferts Rath entließ man auch die Bäderin mit einer
Entfuldigung, dag man fi in Rückſicht auf fie geirrt
babe. Man erwartete die Walpurgisnadht, und ftellte heim⸗
lich Waͤchter, um ihre etwanige Flucht zu verhindern.
Bir hüteten uns wohl, die Bäderin wieder zu befu-
hen; in der Walpurgisnacht begleiteten wir aber den Rit-
ter, den Kaplan und die Übrigen Herren nah dem Haufe.
Ohne Icmand zu erweden, äffneten wir feife die Thhr mit
einem Sclüffel, den der untreue Burſch feiner Herrſchaft
entwendet hatte, und traten in’s Wohnzimmer. Der Kar
plan, der ein Rauchgefaͤß mitgenommen hatte, fing bier an
zu rauchern und zu erorcifiren; drauf oͤffnete der alte Kit
ter feloft das Schlafzimmer. Bir fanden das Bett Icer.
— Seht Ihr wohl, flüfterte der Kaplan, fie it auf dem
Blodsbergel Die Sache hat ihre Richtigkeit An das
Schlafzimmer ftieß ein Gartenzimmer, wir gingen aud) da
binein. Nie vergeß id) diefen Anblit! Im been Mond-
ſcheine Tag das fhöne Wein nat mie Eva im Paradiefe,
oder wie die Venus auf einem Lager von jungem frifchen
Laube und Frählingsblumen. Ale Anweſende, felbft der
Burgkaplan, vergaßen einige Augenblicke hindurch im An-
ſtaunen ihrer Schönheit, weshalb fie eigentlich gekommen
waren. Endlich befahl der Prediger, daß man fie mit eis
wem daliegenden lichtblauen Gewande bededen fol. —
Bir bemerkten deutlich, daß fie innerlich erhiät und in
einem Traume begriffen fei. — Nun, feht Ihr, Herr Nit-
ter, ſprach Seifert, da haben wir die Zauberei! Alles ift
nur Krankheit, Traum, Selöfbetrug, byſteriſche Zufälle!
— Es freut mid, fagte der alte Ritter, dag wir dies
dunge Beib fhonen können; denn wahrhaftig, diefe Blied-
Die Herenprobe. 183
magen find zu herrlich und vollendet, als daß fie im Feuer
verbrennen follten.
Hat — der Gott fei bei uns — auch Euch verführt,
Her Nitter? rief der Kaplan. Wißt Ihe nicht, dag der
Teufel zu diefem, und vielen andern noch künſtlichern Gau-
keleien, im Stande ift, wenn es ihm darauf anfämımt, die
turzſichtigen Menſchen zu hintergehen? Cs ſcheint Freilich
daß die Bäderin bier in iprer Nadtheit liege, ih will aber
meinen Kopf darauf vermetten, daß ihr wirklicher Körper
in diefem Augenblide viele Meilen von bier entfernt, auf
dem Blocsberge mit den Höllenfragen den Kehraus tanze.
Der Ritter ſprach: Der Herr PaRor hat Recht; man
taun nicht willen, wie es mit dem Dinge eigentlich beſchaf⸗
fen if. Die Here muß wieder egaminirt werden; und ges
ſteht fie feloft, dag fie auf dem Blodsherge gewefen, fo foll
fie ſich dee Wafferprobe unterwerfen. Beſteht fie darin,
gut, fo mollen wir es als einen eiteln Traum anfeben;
dann man fie fünftig ungeört Schwarz- und Weißbrod
baden; wo nit, dann follen diefe fhönen Echultern, Len-
den, Baden mit alem Zubehör binnen acht Tagen ſcwwarz
vertoblt werden, wenn fie aud zehn Mal blähender wären.
— So ward denn zur Waſſerprobe gefchritten.
In einer Prozeſſion von der Art, wie wenn in Spa⸗
wien ein Ketzer zum Auto da fe geführt wird, brachte man
die föne Fran im weißen Gewande, mit berabhängenden
Haaren und gefalteten Händen, vor die Stadt, um ſich
im Fluſſe der Probe zu unterwerfen. Unzählige Zuſchauer
aus der Gegend waren an den Ufern verfammelt.
Die Bädern ging rubig mit langſamen feſten Schrit⸗
ten, wie eine Römerin, blond aber und ſchlank wie eine
germaniſche Heldin der Vorzeit, ihren Weg. Das eigene
184 - Die Herenprobe.
Gefühl ihrer Ehönbeit, die Begeifterung und ihre Unſchuld
«wie fie ſelbſt nicht einmal kannte) gaben ihr cinen Reiz
eine Würde und etwas Nührendes, das vortheilhaft auf
die Menge wirkte. Als ihr das Gewand abgeriffen ward,
fab fle ftelz vor ſich bin, und fhämte ih nit; ein zorni ⸗
ges Gefühl färbte ihr aber die blaßgeworduen Wangen mit
ſchönen Nofen, und es wäre ihr leicht geweſen. fih in das
machtige Meer des Haares zu verbergen. Das that fie
aber wicht, theils aus Stolz, theils aus Befonnenbeit, weil
fie mußte, dag man bei'm Binden ihr glei wieder die
Haare auseinander bringen würde; und fie wollte nicht von
unreinen Händen ihren Hauptſchmud verdorben haben. Da-
gegen bob fie die Hände zum Naden zurüd, flodt die
Haare leicht zufammen und band fie in einen Knoten. Nie-
mand binderte fie daran, aller Augen verſchlangen ihre
Neige, von allen Lippen tönte: Gott, wie ſchön! Ein mil»
des Lacheln ſchwebte auf ibren Lippen; diefer vieleicht leßte
Sieg ſchmeichelte ihrer Eitelkeit, und fie [bien die Gefahr
vergeffen zu haben. In diefem Augenblide war gewiß nicht -
Einer zugegen, der nicht das ſchöne Bild gerettet wänfchte.
Ein junger Menfch nicht weit von-wir feufzte, weinte, raug
die Hände, ſprach immer leife vor ſich bin: Beneditte, Bes
nedittel und betete.
Ein Ausrufer hatte ihr Urtheil verkündet: daß fie zu
den Flammen verdammt fei, mofern fie jet nicht in den
Bellen unterfinfe. Im Bunde mit dem Teufel befämen
die Weiber durch ihn, meil er ein Geiſt fei; eine gewiſſe
Leichtigkeit, die nicht mehr menſchlich fei; daher müßten fie
auf dem Bafler ſchwimmen. und könnten nicht unterfinten,
wie Andre, die nihts mit dem Satan zu than häften.
Die Bäderin ward jeht kreuzweis gebunden, fo dag Die
Die Herenprobe, 185
tete Hand an die große Zehe des Iinfen, dic linke Land
am die geoße Zehe des rechten Fußes feſtgeknüpft waren.
Wäsrend dem hörte ich den genannten Tüngling mit frampfe
haft gefalteten Händen, und wie verzweifelnd Gebete here
fagen. Das Wort Benedikte, das cr immer wiederholte,
machte mid glauben, er fei ein Katholit, etwa der Bäder
rin verwandt. Die Unglüdlihe ward jeßt in’s Waller ge
bracht, und der entfeidende Augenblick nahte fih. Allein
die Unſchuld fiegte, die falte, todte Natur erbarmte ſich ife
rer. umd that ihr die Menſchenherzen w.eder auf, die ſich
gegen fie verſchloſſen und verfeinert hatten. Drei Mal
ward die Probe gemacht, drei Dial ſank fie unter. Une
ſchaldig! Unſchuldig! rief Seifert, umd das ganze Volk
mit ibm. Unſchuldig, ſchluchzte der junge Menſch, und hob
die Hände gen Himmel, Das ſchöne Weib fand wieder am
Ufer wie eine griedifbe Bildſaͤule in naſſen Draperien —
ſtarrte verwundert vor ſich bin, und fragte in der ihr eiges
nen charatteriſtiſchen Umbefangendeit, indem ein bimmlifher
Hoffnun gsſtrahl ihre matten Augen wieder belebte: Großer
Gott! bin id) denn wirklich unfhuldig?
Ia Du bif’s! Du biſts! Benedikte, rief der junge
Menſch, der fi) durd die Menge zu ihr hindrängte, und
fie heftig umarmte. Und bier ift Dein Iofeph, Dein Ge⸗
liebter, Dein Bräutigam, der aus der Fremde als Bäder»
meifter zurückgekommen ift, um Di zu beirathen, und mit
Dir glüdlihe Tage zu leben.
Jetzt hatte fih alles in Luſt und Freude verwandelt,
Niemand verließ den Drt, ohne das Brautpaar begrüßt
und ihr zu ihrer Vermaͤhlung Glück gewänfht zu haben.
Das Beſte war, daß die Baͤckerin ſelbſt durch diefe Probe
gang geheilt ſchien; es fiel ihr wie Schuppen von den Augen,
186 ‘ Die Herennrobe,
und fie fah deutlich ein, daß fie vorher von einem ſchweren
Wahne befangen war, befonders als Joſeph fie verſicherte,
dag er nie auf dem Blodsberge, nie auf dem Benusberge
and nie in Schafhauſen gewefen fei.
Mit Heiterkeit und Ausgelaſſenheit trennte ſich die
Menge; und ein luſtiges Nachſpiel folgte auf die Tragödie.
Ein armer Maler hatte fid mit ſeinem Zeichenbuche an's
Ufer geſchlichen, um binter einem Buſche verborgen, die
fhöne Bärerin im Augenblide des Entkleidens als Stu-
dium zu brauchen, weil es ihm unmöglich war, für Geld,
menn er es aud gehabt hätte, ein Modell zu bekommen. —
Als es aber zum Treffen kam und ihm die Benus erfchien,
Eonnte er nicht zeichnen, die Hand zitterte ihm gewaltig,
und er brachte eine haͤßliche Frage auf's Papier. Er ward
entdet, die Zeihnung ihm aus den Händen geriffen, die
Karikatur der Bäderin ging von Hand zu Hand und er»
regte unter der Menge ein erſtaunliches Gelächter. Auch
Beneditte und ihr Joſeph bekamen die Zeichnung zu fehen;
fie mußte herzlich darüber lachen; um aber den Maier ei⸗
nigermaßen zu fröften, verſprach fie ihm, dag er ihr und
ihres Bräufigams Bild malen folle,
16.
NRäuder-Örogmutb.
Mit leichtem Herzen und ſchweren Beuteln zogen wir
weiter. Ale Hatten uns geopfert; der Ritter machte uns
Kinder Großmuts. 187°
zum Abſchiede ein anfehnlihes Gefhent, von der Bäderin
mußte Seifert auch. aller Weigerungen ohneradhtet, etwas
annehmen. Wäre ihm nicht das Geld fo hoͤchſt nöthig ge-
mefen, würde fein Stolz wahrſcheinlich die Babe abgelehnt
baden; denn freilich mar fie nur ein ärmlider Erfag für
das, mas er an der thönen Frau verloren hatte. Unfer
Barthel blieb beim Nitter, der fih, Goft weiß warum, in
diefe Fratze fo vergafft hatte, Daß er ihn nicht miffen wollte.
An dem lehten Abend hatte Seifert im Spiele gewonnen,
wir fonnten uns als reihe Leute betrachten, und hatten
mehr als Anfangs, da wir von Eifenady anszogen. Sei»
fert trug den Schaß in einem ledernen Gurt um den Leib
unter dem Leibrode, und fo pilgerten wir luſtig weiter
durd den Thüringerwald. Wir waren unferer fünfe, alle
nach damaligem Gebrauch mit Flinten und Schwertern be
waffnet, und hatten feine Furcht, obſchon das Gerücht ging,
dag man oft bier im Walde von Näubern geplündert wer
de. Auf einem Meinen Hügel machten wir Halt, und vers
zehrten unfere Mahlzeit. Der große irdene Krug, den und
der Ritter zu guterleßt aus dem Zauberkeller hatte füllen
laffen, war ſchon mehrmals berumgegangen, als wir in
der Gerne, binter den Bäumen ein Stüder ſieben bis acht
Kerls ſtark bewaffnet, mit langen ſchwarzen Bärten und
wunderlihen Mügen, entdedten.
Eeifert befahl uns, zu den Waffen zu greifen, und
auf die Räuber mit den Flinten zu zielen,
Der Anführer fab ung kaum ſolche Anftalten machen,
als er feinen Gefellen gebot, ihre Zlinten, Piſtolen und
Zerzerolen auf die Erde zu werfen; drauf winkte er uns
mit einem Schnupftuche freundlich Frieden zu. Bir nah⸗
men alfo auch unfere Gewehre beim Fuß, zogen aber die
188 Näuber- Grogmuth.
Schwerter und riefen den Räubern zu, fie ſollten ſich nicht
unterftchen, uns auf zwölf Schritte zu nahen.
Als hie näher kamen, entdedten wir bald, der Haupt.
mann und ned drei derfelben fein Juden, ein Paar an.
dere Zigeuner, und Die übrigen mittelmäßige Chriften.
Drauf redete uns der Anführer ohngefähr in folgenden
Borten an:
Solltten wir Did nicht kennen, großer Seifert, der
Du bei allen benachbarten Hohen Schulen und Univerfitä-
ten im Ruhme ftebft, ſowohl Deiner Tapferkeit ale Ger
lehtrſamkeit wegen! Hab’ ich nicht jedes Henigmort, wie eine
Biene, von Deinen Lippen gefogen, als Du im Wirths⸗
baufe jene Jungen dort werführteft, — Komödianten zu
werden? Gegen Deine Anſicht der Menſcheng'ſchicht umd
der Natur der Sachen in der Welt kann auch der größte
Dummfopf fein vernünftiges Wort eimenden. licher bie
Räuber haft Du aber in’s Blaue gefhoflen; denn wir find
den Henker nicht fo eigennügig wie Du denken thuſt, und
morden auch nicht immer blos aus Habfuht, fondern aus
Kurzweil, weil uns das Ding Vergnügen macht, mie den
Eimbern und Leoparden.
Seifert antwortete: Ic höre, Du biſt ein Jude! Hätt”
ich doch nicht geglaubt, dag einer von Euern Leuten fo
tapfer fein könne, fi zum Räuber» Haupfmanne aufzu«
fotwingen.
Der Räuber antwortete: Willſt fein Ppilifter fein,
Seifert! und kannſt dod an der Stärke Simfons zweifeln?
Sind die Juden aud nicht einft tapfer geweſen? Waren
Mofes, Joſua, der König David und die Makkabäer feine
‚Helden? Haben wir nicht hartnädig gekämpft, den Tempei
vertheidigt, wie Kapen gemiauet, mit den Zähnen gebiffen
NRäuber-Gropmuth. _ 189
und wit den Krallen geriffen, ch’ der Titus ums in die
Sefangenfdaft fhlennen konnte? Und nachher? Sind wir
etwa immer Wucherer und Schacherer geweſen? Haben
nicht im dreizehmten Jahrhundert ein Städer 30,000 ven
unfern Leuten unter König Philipp Tem Schönen in Franke
reich mit Ehren gefohten? Und mußten wir nicht, gleich
den Elepbanten im Nömerbeere, den Vortrab machen, um
nicht wegzulaufen, und um den Chriften den Weg zu bab-
nen? Sind wir nicht in Worms zur höchſten bürgerlichen
Edre und Würde gelangt? Hieß es nicht dort: „Wormſer
Juden, fromme Juden,“ und lauteten die Verordnungen
nit: „Unfere lieben Bürger, Juden und Chriften?“ Ha-
ben wir nicht fogar einft ein Judenturnier gehalten? Fah⸗
renden Schülern thun wir aber fein Leides; das ift ein
Geſetz unter uns. Wir wollen nur einen Augenblid in
Eurer Gefellihaft ausruhen, und aus Deinem Munde
gründfichern Unterricht in der Gauner-Philofopkie hören.
Es freute ung, mit diefem Jan Hagel fo leicht fertig
zu werden, und wir gaben ihnen den Bein her. Cie feß-
ten fi unbewaffnet zu uns, tranken auf unfere Gefund»
beit, Ieerten den Krag, und zu guterleßt mußte jeder von
uns audy nod eine Umarmung von dieſen Zumpenferls
dulden. Drauf wänfthten uns ale eine glüliche Reife und
verließen ans ſchnell
Iſt es doch nicht wunderbar, rief id) nad einigem
Schweigen, daß man unter ſolchem Gefindel noch mitunter
einen Reſt von Großmuth finde. Sie mollten nur einen
Zeunt Bein aus unferm Kruge haben, dann zogen fie
weiter!
Bewundere nur nicht au fehr ihre Beſcheldenheit, rief
Seifert mit erzwungener Kälte. Der Hallunke hat mit uns
10 Geiftererfeinungen.
ter der freundlichen Umarmung meinen Iedernen Gurt mit
dem Gelde geftoblen. — Bei diefen Worten griff jeder nach
feiner Taſche, und fiehe da, alles war rein gefegt. Nur
einen Bündel mit unbedeutenden Eiebenfahen, zur Komd-
die gebörend, hatten fie uns gelaflen, fo wie drei Gold-
ftüde, die Seifert fogleih unvermerft in der Baumrinde
verborgen hatte.
17.
Geiftererfheinungen.
In diefem traurigen Suftande kamen wir zu einem
Dorfe, das von lauter armen Leuten bewohnt war; nur —
erzählte und ein Bettler — wohne an der Ede zunaͤchſt
der Kirche, eine reihe Witwe, die heute Abend Gänfe brate,
aber ſehr geizig und undarmberzig fein folle.
Bollen wir unfer Glüd bei ihr verſuchen? rief Seifert.
Den Iumpigen Bettler hat fie abgewiefen, ‚wir aber find
hübſche wohlgeffeidete Iunggefellen, mit folhen pflegen
Bitwen immer das meifte Mitleiden zu haben.
Es war ein Falter windiger Abend und ſehr dunkel,
denn es war in der Kohlſchaft, wie fih die Gauner
auszudrüden pflegen, und der Mord ſchien nicht. Wir ka⸗
men an der Kirche und dem Kirchhofe vorbei, und faben
in einer kleinen Kapelle eine Lampe brennen. Der Beitler
erzählte, dort Tiege in gläfernem Sarge ein adeliches Fräu⸗
Geiktererfpeinungen. 19
kein, es brenne dort alle Naht eine Ochlampe, und es
werde alle Abend mit einer Meinen fbernen Blode geläu-
ı At, weil fie vor mehreren hundert Jahren der Kirche ihr
sand Vermögen vermacht habe. Es folle aber in der
Aodtengruft nicht gebeuer fein: man erzählte, das gnädige
Bränlein öffne mitunter den gläfernen Sarg, fleige heraus
und wandle in der Kapelle auf und ab.
Der Bettler verließ uns, und mir flanden vor der
Kapellentgür. Der Küfter hatte fie zu ſchließen vergeflen,
wir traten ein, fanden die Heine Halle luftig, heiter und
teinlich und frifchgeftreuten Sand mit duftenden Blumen
auf dem faubern Boden. Die Mumie lag wie eine ges
(Gmüdte Puppe in dem gläfernen Schranke. Weber der
Sampe hing ein altes Gemälde, fo ſchwarz beräudert, daß
man die Gegenftände auf demfelden nicht mehr zu unter»
fheiden vermochte. Hier freifen wir allenfals ein gutes
Radtlager, wenn wir fonft keines bekommen, und wir felbſt
Stroh mitbringen, ſprach Seifert. — Wir gingen weiter,
und es freute mich heimlich, als wir ung den Wohnungen
der Lebendigen wieder naheten. Wir entdecten bald das
Haus der reichen Witwe an der Ede.
Das Feuer auf dem Heerde ſtrablte Iuftig roth durch
die Dleiernen Fenſter zu uns heraus in die Dunkelheit, wir
beten uns und gewahrten eine ältliche grämliche Frau,
de und von ftarkem Knochenbau, die damit beſchaͤftigt
war, zwei Bänfe zu braten. Sieh mal, rief Seifert, wie
braun und Leder fie am Bratfpie glänzen und fi) mit ihm
drehen. Sollte man es glauben, daß eine Gans fo rei⸗
ad, fo verftändig ausfehen könne? Laßt mir die Frau
angefcporen, ich febe es ihrem Weſen an, dag fie eine gute
Vitthin it. Sieh nur, wie das Kujfer baut geſcheuert
12 Geiftererfpeinungen.
an den Wänden berumbändt. Wie die reinlien zinnernen
Zeller in Reiben über dem weiß geſcheuerten Kuͤchentiſche
blinken. And die irdenen Krüge hängen in ſymmetriſcher
Ordnung. Die Thür zur Speiſekammer öffnet fih, und
zeigt mir Tonnen und Flaſchen in unendlichen Reihen.
In diefem Augenblide bekam der Junge, der drinnen
den Bratfpieg wendete, ein Paar tüchtige Maulſchellen, dag
das Kachengewölbe davon dröpnte, er erhob ein fürdterli«
es Geheul, und ſchrie: IN’e nicht genug, daß id) fein ein-
ziges Stud Bänfebraten befomme, muß id) mir noch oden-
drein Obrfeigen geben laflen? Was hab’ ich denn gethan?
— Nihte! fprad die Frau, darum eben befümmf Du
Waulſchelen; Du haft den Bratfpich zu drehen vergeflen,
Schlinge! — Ihr feid cine gottlofe Frau, winfelte der
Junge, und behandelt eine arme Baife, daß es Gott er⸗
barme! Immer mug ih mit ſchimmlichem Roggenbrote,
hartem Käs und Dünnbier vorlich nehmen, während Ihr
und Euer feifter Sohn Euch mit Spanferkein, Merfebur-
ger Bier und Gänfebraten vollauf mäftet. Morgen Sonn _
tage kommt er aus der Stadt, und heute Abend müſſen
ſchon die Gänfe gebraten werden, weil Ipr mit ihm im die
Kirche geben wont. Co zeigt denn aud Früchte Eurer
Gottesfurcht. Was Hilft das Beinen in der Kirche, wenn
Ihr immer graufamer nach Haufe kehrt? Gott fieht nur
auf das Herz; Beweiſet, dag Ihr ein chriſtliches Gemüthe
babt, effet meinetwegen die Gaͤnſe mergen allein, gebt wir
nur heute Abend die Flügel, — Ei warum nicht gar? rief
die Fran, Gänfe ohne Flügel ſollte ich morgen meinem
Sohne vorfegen? Dann wär’ id eine Mutter, auf welche
die Leute mit Fingern zeigen wärden. — Sie werden ihm
wohl ohnedieß in den Mund füegen, fagte der Junge; Men
Geiftererfheinungen. 18
fen fürdptet. Ipr freilich nicht, ale armen Leute und Ber
dräugte jagt Ihr ohne Mitleid und Erbarmen von Eurer
Schwelle; nehmt Euch in Acht, dag night wieder der todte
Martin Kiperkein, der verwichene Worhe an den Gaigen
gehangen ward, fein freideweißes Gefiht ins Bleifeniter
binein ftede, wie er es ſchon einmal gethan, weil Ihr bei
feiner Hinrichtung fein Mirfeid fültet. Kirche und Kirchhof
find au, mie Ipr wißt, nicht weit von hier. — Knabe,
ſorich nicht fo ruchlos, erwirderte die Frau fanfter mit ger
dämpfter Stimme; laß die Todten ruhen und fei fromm,
id will Dir ein Stil Bratwurſt und cin Weißbrod geben.
Diefe Worte waren für Seiferten genug. Das Bün-
del mit theatralifgen Siebenſachen ward aufzethan; er
machte ſich ein Lreideweißes Geficht befeftigte einen Strid
um feinen Hals, hüllte fi in ein Gewand, und ftand als
der leibhafte gehangene Martin Kiperlein da, bütete fd aber
Wohl zu erſcheinen, bevor die Gänfe an dem Spiege gar
waren. Kaum fah er fie aber im Hafen auf zwei großen
iimernen Tellern, fo klopfte er leiſe ans Fenſter, und drüdte
feine Nafenfbiße flach gegen die Scheibe. Das todtendlaffe
Bencht fehen, ſchreien und weglaufen war das Wert eines
Angenblids für ‚die Frau fomohl ale für den Burfden;
burtig bineinſpringen, die Bänfe, zmei Brote und einen
Neug Bier wegfünappen, das augenhlidlihe Geſchäft Sei-
ferte. Drauf ging er froenftreihe zur Kapelle, mo die
Mahlzeit verzehrt werden follte,
36 blieb auf dem Kirchbofe anwillig zurüd, und in
diefem Augenbfide war mein Borfap gefaßt, mich von Sek
ferten zw trennen. Es gebt zu weit? dachte ib; Freifich hut
er alles im Scherz, ohne Bosheit, ja es miſcht Ach ſogar
immer etwas Bieheneiwärdiges und Keces in feine Toliheir
Dehlenſ. Schriften. XVI. 13
194 Geiftererfheinungen.
tem, ſolche Geſchichten önnten uns aber zulept unglüclich
machen.
So mit mir ſelbſt redend, hatte ich mich auf einen
Grabſtein gefeht, auf den die Lampe aus dem Kapellfen -
fter ein ſpärliches Licht warf. Wie erſchrak ih, ale ic, in
meine Grübeleien verfunken, die Augen auffhlug, und
mid) ſelban der entdeckttel Eine lange, bleiche Beftalt ſat
in weißem Gewande auf der entgegen geſezten Ece mir
‚gerade gegenüber, und fah mich mit hohlen Augen an. Ich
wollte fliehen, die Geſtalt grif mid mit cisfalter Hand
an. am, und halt ohnmachtig ſant ih auf den Grabſtein
zurück
Atmer Jungling! ſeufzte der bleiche Mann, biR Du
auch unglaclich? Ich bin der Geiſt eines Unglüclichen.
Fürchteſt Du Dich vor Geſpenſtern? — Mein Schreck er⸗
laudte mir keine Antwort, und die weiße Geſtalt fuhr fort:
Du Hart Dich auf das Begräbnig meines zweiten Ihe nie ⸗
dergelaffen, fo bift Du in meiner Gewalt. Ich will Dir
das Grheimnig meiner Leiden anvertrauen. Bas ich in der
Belt gewefen bin, und welden Namen id) damals führte,
weiß id in dem jetzigen Zuftande nicht mehr. Daß ih) aber
ein edles Maͤdchen liebte, weiß ich leider noch gar zu gut.
Ich gewann ein treues Herz. weil ich, wie Du wohl noch
an meinem Schatten wahrnehmen fannft, cin überaus fihd«
ner Züngling war. Eitelkeit und Leihtfinn machten es mir
aber bald zum Vedürfnig, andern Liedſchaften nachzugehen.
Da grämte fie ſich in der Stille, ſchmactete Hin und ftarb.
Ich meinte und rang die Hände. Bald fiehte ich aber
wieder der Leichtſinn ein, ja fo ſchuell. daß ich wide eimmal
warten konnte, bis das arme Kind zur Erde beftattet
wurde. Abends vor ihrem Lrichenbetaͤnzuiſſe ging ich ſwät
’
Beiftererfheinungen. 18
anf der Strafe, Der Mond ſchien. ih dachte an fie, ich
hatte in einem Garten Rosmarin groflükt, und wolte da»
mit ihre Leiche zieren. Da ward id plöplih auf der an-
dern Seite der Etrage ein ſchoͤnes junges Frauenzimmer
gewahrt. Es Hatte kürzlich geregnet. fie hatte den Not
mehr ale gewühnlic aufgezogen, und die (dönften Beine
mit ſchueeweihen Eträmpfen und kleinen lichtgrauen Schu⸗
ben zeigten Ach wir. Sie ging virle Straßen durch, ſchien
es aber nicht übel zu nehmen, daß ich ihr folgte, immer
wit wonnetrantenen Augen die niedlichen Beine betrach ⸗
tend; und wäre fie wie eine Merrnise ins Waſſer geman-
dert, ich wäre ihr blindlings gefolgt.
Bo wir jept waren, mußte ich nicht, ich fab unr fie.
Endlich falüpfte fie in eine Thuͤr hinein, ohne diefe hinter
ſich zu ſchtießen. Ich wagte es, ihr zu folgen. Bald ſtan⸗
den wir im Beinen Zimmer. Ein weißes Rubelager ſtaud
mitten in der Stube; lange weiße Gardinen waren ver
die Feuſter gezogen. Sie ſchwedte bin zum Nuhebette,
firedte ſich darauf Hin und ein ſchauerliches tlagendes Aech-⸗
zen heulte durch die Luft und durchbebte alle meine Nero
sen. Ih wollte flichen — die Thüre war zugemacht —
Komm, Liebchen! zage nicht! tönte es wieder ſpoͤttiſch. Ich
nahete mic ihr — fie lag blag umd hang ausgeftedt. Ich
wollte ihre Hand ergreifen — eine eisfalte feuchte Hand
drüdte id mit der meinigen. — Gott! es war meine verfter-
bene Braut! Ich ſtand vor ihrer Leine am Sarge. Gin
Eimer mit Baffer ftand anf dem Boden; der Dedel zum
Sarge war an die Wand gelehnt, ein dumpfer Leichengt⸗
ru, vermifht mit dem widerlichen Geruche der neuen
Feuſter⸗ Gardinen erfühte die Luft. In dieſem Augenblicke
fiel ich ohmmäntig hin und verſchied. I
1% Geiftererfeinungen,
Aber die tollen Menſchen glaubten, ich lebe noch. Statt
mich zu begraben, mie ich fie mit weinenden Augen bat,
ſperrten fie mid in ein Irrenhaus ein, und zwangen mid,
troß meines Todes, zu effen umd zu trinten. Ih babe
mic) aber, ihrer Wahfamteit ohnerachtet, aus dem Ges
fangniſſe geſchlichen, das Grab meiner Geliebten aufgeſucht
und es glaglich entdeet. Nun habe ich fie reuig um Ver⸗
zeihung gebeten, ihr Geift it mir erſchienen und bat mir
verfündigt: Wenn id einen unfhuldigen Jüngling, wie
Abraham feinen Iſaak, auf meinem Grabfteine opfern
Fönne, dann würde ich, während fein Blut das weige Mar-
morgrabmal färbe, Nube befommen. — So fand ih Dich,
theurer, herrlicher Jüngling! Dein Auge betrügt nicht, Du
bift gewiß gut und unfhuldig, und verdient, was ih für
Did thun will. Durd Deinen ſchnellen Tod werden wir
beide fogleid) zur ewigen Seligkeit und Ruhe gelangen.
Rimm es mir alfo nicht übel, daß ih Dir dies blinkende
Meter ins Herz ſlohe.
Mit diefen Worten pagte mid der Nafende am der
Bruſt, und holte Frampfhaft mit der dürren Hand, die
den Dolch bielt, aus, um mid zu ermorden. Zugleich
aber kam eine nervigte Fauſt aus dem Hollunderſtrauche
binter dem Grabfteine hervor, faßte den Wahnſinnigen an
dem Arm und eine ſtarke Bapftimme rief: Da baben mir
den Befeflenen. Fort mit ibm ins Tol .
Obne ſich weiter um mid zu befümmern, ergriffen die
Herbeieilenden den Wahnſinnigen und eilten mit ihm da-
von. Etwas mußten fie Halt machen, weil der Tolle Bi-
derſtand leiſtete. Dann hörte: ich fie ſich heimlich beſpre ·
chen. — Die Jungfrau wandelt wieder auf und ab in der
Kapelle flüfterte einer; feht ihr mit, wie der -Scalten
Beifererfgeinungen. 197
drinnen an der Dede ſich hin und her bewegt? — Das
geht uns nichts an, ſprach der mit der Bagftimme, mit den
Todten haben mir nichts zu thun. — Unverftändiges Vieh!
rief der Tolle, menn Ihr mit den Todten nichts zu thun
habt, mas habt Ihr denn mit mir zu thun, der ich ein
Geiſt bin. — Das werden wir nachher genauer unterfüs
Sen, antwortete jener, vor’s erſte wollen wir den gnädigen
‚Herrn Geift in eiferne Kette legen — Und fie eilten, mir
zum Troſte mit ihm weiter, denn die unvorfihfigen Men«
ſchen in der Kapelle fpradyen zumeilen fo laut und lachten
fo Hell, dag man nicht blos ihre Schatten an der Dede
fehen, fondern auch ihre Stimmen deutlich hören konnte.
So mißvergnägt ih aud mit Eeiferten war, konnte
ich doch nicht Nein fagen, als er heraus Fam, mic zum
Sqmauſe in der Kapelle einzuladen, denn ich hatle den
ganzen Tag nichts genoſſen. Drinnen war alles fehr faur
ber und häusfich eingerichtet. Das weiße Gemand, womit
er den Gehentten gefvielt hatte, mar über den Sarg ges
breitet, der jept als Tiſch diente. So hatte er leicht und
ſchlau das Schauerliche unter diefer Hülle verborgen, und
ftatt in einem Grabgewölbe, glaubte man in einem hüb-
ſchen heitern Luſthäuschen zu fein. Die Gänfe landen auf
oden Tellern, zierlid) in gewillenhafte ‚Portionen geſchnit⸗
ten, und dabei Brod und Bier vollauf. Fünf Ruhelager
von frifhem Stroh breiteten fih an der Waud bin. .
Ich war fehr hungriz, und vergaß alles Bedenkliche.
Ich muß geftehen, nie hat mir eine Mahlzeit beſſer ges
ſchmeckt; zum Defert erzählte ich mein gehabtes Abenteuer
anf dem Leichenſteine, meine Spießgefelen hörten mir mit
Verwunderung zu, und bald fihliefen wir alle füg auf uns
ferm Strohlager.
18 Der Pfarrer und fein Küfter.
18.
Der Pfarrer und fein Küfter.
‚Herr Jeſus! mas it doch das? hörte ich beim Erwa
hen eine heile Stimme ſchreien. Ich öffnete die Augen;
meine vier Kameraden ebenfalls, wir blidten wild umber,
und wie erflaunten wir, als wir den Derfpfarrer und fer
nen Küfter in der Kapellentbär ftehen fahen, erftern die
Hände über den Kopf zufammen fhlagend. Lauft, Trau⸗
mann! rief er; lauft und läutet mit der Sturmglode; das
will fagen, mit der größten, mit der einzigen Glocke, die
wir haben. Läutet Landſturm. Zigeuner fmd in die Ge⸗
gend gekommen; die Zürken- find eingebroden, und haben
thriſtliche Kirhen zu Pferdetällen gemacht. — Um Gottet-
willen, Herr Paftor! rief Seifert, der gleich munter um
auf den Beinen war, ſchreiet do nicht, macht ung nicht
unglüdlih, Wir find weder Zigeuner, Türken, noch Pferde
fondern arme fahrende Schüler, die heute Nacht fein Ob⸗
dad) unter den Lebendigen erhalten konnten, und deshalb
genötigt wurden, "bei den Todten zu ſchlafen. — Bo ik.
das gnädige Fräulein, wo iſt die Hochſelige hingerathen,
rief der Pfarrer ängftlid; Ipr ſollt mir für ihren Beinen
Finger verantwortlich fein. Verlieren wir fie, dann ver⸗
lliert die Kirche jaͤhrlich dreibundert Thaler von ihren Gie- -
fünften. Bo habt. Ihr das guädige Fräulein gelaffen? —
Ich glaube, fie haben fie aufgefreffen, ſprach der Küher
troden, da ftehen noch die Knochen auf dem Teer. Spal
apart, Trautmann, ſprach der Pfarrer ärgerlich; bier gilt
Der Pfarrer und fein Käfer. 199
| rin Zaudem. Wo habt Ihr den Sarg bingeidlepst, und
"mo habe Ihr den Tiſch ber bekommen? — Düne zu ant-
morten, riß id) das Tuch von dem Sarge; und die Mur
mie lag da unzerlört in ihrem Kallen mit den gläfernen
ESqeiben. Den Sarg zum Niſche zu maden, feufzte der
Varrer, hab' ich mein Tag wicht gefehen. Und was habt
Ihr gegeſſen? GeRoplenen Bänfebraten? Gott behäte, ant«
wortete Seifert. Der fonderbarfte Fall iſt ung geftern ber
geguet. Hier an der Ede wohnt eine wohlhabende Witwe.
— Die hat Guch feinen Knochen mit Ihrem guten Willen
wseben, ſprach der Pfarrer. Nein, gewiß nicht, fuhr Sei-
fert fort, ohme ſich aus der Faſſung bringen zu laſſen, dean
ds iſt die geizigfie Kreatur, die auf Gottes Erdboden geht,
fe ih aber fehr abergläubiih. Ein wahnfinniger Menſch
ÜR beute Nacht auf dem Edelhofe ausgebrochen: in weißem
Gemande gudte er ihr in’s Fenfter hinein, als ie die Gänfe
briet. Die alderne Gans, (ch meine nicht die Gans, fon.
den die Frau,) mwähnt ein Geſpenſt zu feben, und madt
fl aus dem Staube. Der Tode ftärzt zur Küchenthüre
Wetein, erobert Die Gänfe, nebft Bier und Brod, umd Läuft
damit nad) dem Gottesader was er laufen Tann. Unter
weg6 begegnet er uns. Weil er nun todt zu fein glaubt
und feiner Speife bedürftig, reicht er ung ales bin. Bir
armen hungrigen Schüler danken ibm, und richten ung in
der Kapelle fo gut ein, als es in der Eile gehen will. weil
us im Dorfe jede Shriftenthär verſchloſſen in. Um dem
Mbenplicen Anblice der Todten, während der Mabizeit, u
migehen, und um der Geligen, die doch noch immer, felbit
ab) dem Abſterben. eine unverbeirathete Iungfrau ift, kein
Yergerniß zu geben, haben wir Diefes Gemand als Zifh-
th für uns, umd als Bettgardine für fie gebraucht, am
200 Der Pfarrer und fein Küſter.
ihr; die ſchuldige Ehrfurcht zu ermeifen, und ihren gaten
Nuf zu ſchonen, während wir fünf Iunggefellen es ung in
ihrer Nähe commode machten und zu Bette gingen. . Der
Tolle it noch etwas auf dem Kirchhofe umhergelaufen; der
defperate Kerl hat einen von meinen Kameraden, den jun⸗
gen Menfchen da, todtſtechen wollen; zum Glück kamen noch
die Häfcyer zu rechter Zeit, und zogen mit dem Blödfinni»
gen ab. Seht, Herr Paftor! das ift die lautere Wahrheit.
Und wollt Ihr mir nicht glauben, fo fragt den Herrn Ir»
senhaus»Infpector, der ſeibſt hier geweſen ift; er ift (wenn
ich nit irre) ein vernünftiger Ram, und wird mid nicht
Zügen ſtrafen.
Durch diefe halbe Wahrheit und balbe Dichtung reis
tete Seifert ung völlig. Der alte Prediger, der ein etwas
einfältiger, zugleich aber gutherziger Menſch war, ward
über unfern Zuftand gerührt; und durd die ſpazhafte Ein-
Heidung gewann Eeifert den Küfter, einen guten Kopf, der
wit feiner trübfeligen Phyfiognomie einen Spaß zu lieben
fbien, und. den Ton zuerft angegeben batte,
Bir mußten die Kapelle wieder reinigen, und das
Stroh heraustragen. Dann lud uns der Prediger zu Mite
tag ein, und ic hatte Gelegenheit, den Character feines
fonderbaren Famulus weiter zu ſtudiren. Er ſchien mir
zum Küfter nicht geboren. Vierzig Jahre mochte er ohn⸗
sefähr alt fein, war blaß und mager, hatte aber ein ſchö⸗
mes, ausdrudsnolles Geſicht, umd die tiefliegenden Yugen
hatten noch Feuer und verrietfen Gefühl. Gr trant unter
der Mahlzeit viel Wein, und fpottete in outmüthigen Tone
über die Welt, ohne doc aufgehört zu Baden, die Menſchen
zu lieben. Der alte Prediger war ein lieber phlegmatiſcher
Altagemenfh, und fand Gefallen an uns, weil ihm Sei⸗
Der Pfarrer und fein Käfer. ar
fert ſchmeichelte, und die aften Schildereien im Papzimmer
rühmte. Nun, Trautmann! rief der Alte heiter über den
Ziſch. es ift nicht genug, guten Wein zu trinken, man muß
auch dazwiſchen ein Lied fingen; was büft es fonft, die
Kehle anzufeuhten? — Er kann viele hübſche anftändige
Trintlieder, verfepte der Alte, die ſich auch vor geiftlihen
Leuten bei einem Glafe Bein ohne Auftoß hören laſſen. —
Ein.anfändiges Trinklied! rief Seifert, fo ein gebratenes
Huhn möchte ich wohl au in der Luft fliegen ſeben. D
Sieber Herr Küfter, fingen Sie doch. — Er bat eine fehr
gute. Singftimme, flüfterte der Prediger Sciferten in’s Ohr,
um feinen Liebling nicht laut zu rühmen; darum hab’ ich
ihn zu meinem Küfter und Gantor gemacht. Wenn er nur
nicht fo tief in’s Weinglas fähe; doch Ihr kennt wohl das
lateiniſche Sprichwort: Cantores amant hamores. Nun,
verfelte Eeifert, wenn er nur immer anfändige Trinklie⸗
der dazu fingt, fo bat es nicht fo viel zu bedeuten. Nun,
Trautmann! rief der alte Prediger, der heute felbft ein
Glas mebr als gewoͤhnlich getrunken Hatte; ein gutes Lied!
Bein und Liebe! Liebe und Bein. Dafür braucht ſich ein
lutheriſcher Geiſtlicher nicht zu Shämen! Cingt doch unfer
großer Neformator, Doctor Martin Luther, felbft:
Wer nicht liebt Wein, Weider und Gefang,
Der bleibt ein Narr fein Bebenlang.
Luther! rief Seifert und ſtarrte mid ernft mit großen
foöttifhen Augen an; Albert, das iſt Waſſer auf Deine
Mühle. Ic ſchwieg, betrachtete aber Seiferten mit einem
ruhigen Blide, der ihn ein wenig aus der Baflung brachte.
Es lag viel in diefem Blid, er fagte: Seifert, ih bin nicht
länger in Dich vergafft, Deine gar zu große Gitelfeit it
202 Der Pfarrer und fein Küfter.
mir jept recht einlenchtend. Du willſt immer allein fore-
Gen und fürcteft fogar jet. da es uns vieleicht heim al-
ten Prediger nupen fünnte, daß ich aud ein Wort mitrede.
Sci nur ruhig, bald werde ich nicht Dir und Du nicht
länger mir zur Laft fallen. — Er hatte eine gute Nafe,
witterte. was in meinem Gemüthe vorging, nnd wollte mich
im Gruft als einen Enfel Luthers vorſtellen; ich raunte ihm
aber in's Ohr: Kein Wort davon, oder weiß Bolt, ich
ſtehe vom Tiſche auf und gehe meines Weges.
Der Küfter, der damit befhyäftigt war, die Bläfer zu
füllen, und die Epifode zwiſchen Seifert und mir nicht ges
merkt hatte, fagte jeßt: Ich weiß wohl, dag man gewöhn-
lich den Bachus mit der Venus zu Haaren pflegt, das iſt
aber, meiner Meinung nad, eine ganz abgeſchmackte wife
rable Ehe, eine wahre Mesalliance, aus der mein Tag
nichts Gutes beraustommen fann- Entweder muß Liebe
ohne Wein, oder Bein ohne Liebe genoſſen werden. Wie
werdet Ihr nun wieder diefe Sophifterei beweifen? frag ihn
der alte Pfarrer. — Durch ein Lied, fprad der Küfter,
das ich felbit vor zehn Jahren gedichtet habe, als ih noch
zu etwas taugte. Drauf fein Glas vor ſich hinſetzend,
fang er:
Glücklich lieben, Bachus lieben?
Rein, dad thut fein rechtet Mann,
Ber glüdfelig lieben kann,
Dem iſt Bachus fremd geblieben,
Denn Gupide mit dem Köcher
IR in fein, zu zart geſtant;
Er iſt zartlich wie ein Kind,
Lebt nicht mit Dem Gott Der Zecher
Der Pfarrer und fein Käfer.
Feucten kanuſt Din zwar die Sippe
Lichender, Damit in Glut
WBlöder Amor tinde Bath.
Bacıns ans der Acenirve
Uber aus der Siebe Schale
Schlürfen fie zu fühen Bein.
Nebenfait auch trinken? Rein,
Yast wicht zu der Liebe Male.
Ded unglüdlich, ohne Hoffen
Lieben, ohne euſt und Mutd —
Ja — dann fhüren du die @lut,
Gott, und jeigfi den Himmel offen.
Dann, dann muß ſich an Dich halten
Ein verlafien traurig Gern,
Dem Du linderſt feinen Schmerz.
Mit den dunfligen Gewsalten.
Zrinten wit ich, und nicht weinen,
ZTeinten weue Scbenslaft;
Im die dunkle, wunde Bruſt
Wird dann Sonne wieder fchein
Zrinten win ich ohne Trauer,
Und vergefen, wenn ich fing’,
Jene Traube, die mir hies
@gr zu hoch und gar zu faner.
Leider nur iR Deine Schale,
Bachus. wie n cht tief genung; —
Wagt ich dreiſt den fühnen Sprung.
Wär'd geipan mit einemmale.
204 Der Pfarrer und fein Küfter.
@edt deu Wluß, er winkt dein Becher!
Ber da trinkt, nicht ferner Magt, —
Erin — e6 war im Eicher) gefast;
Füut mir wieder meinen, Becher!
Als Trautmann das Lied geendigt hatte, ftand er auf,
und ging in den Obfigarten, der an das Epeifegimmer
ſtieß, um den Tauben im Taubenſchlage Erbfen zu geben,
und der alte Prediger feufzte: Lieber Gott! faſt follte ich
glauben, der alte Kerl fei noch etwas verliebt, obſchon es
bereits fünfzehn Jahre find, feit ihm der fhelmifhe Heis
dengott Eupido die Bruſt vermundete. Ich verlange, daß
er ung ein anftändiges Trinklied finge, und dann fingt der
gottloſe Menſch ein verkapptes Selbſtmörderlied. — Nun,
Herr Paſtor, ſprach Seifert, es war wohl fo übel nicht
gemeint; die Leute, die von dergleichen ſchwaten, vollfüh-
en es ſelten. Freilich Härte ich lieber cin luſtiges Trint⸗
lied gehört; wenn es aber durchaus melancholiſch ſein ſollte,
mar doch dieſes Lied keines won den ärgften. Und konnte
es nicht toll auf die eine, fo mußte es ſolches auf die andre
Beife fein. Wenn man trinkt, feht Ihr, mug man ent
weder das Leben, oder den Tod bis zur Tollheit lieben -
und rühmen; denn was die Anftändigkeit‘betrift, Herr Pa⸗
for, die ift gewiß ganz vortrefflih in mander Rückſicht.
aber zum Trinken taugt fie nicht viel. Ein guter Trunt
muß entweder ganz warm, oder ganj kalt gemoffen werden;
das Laue ift mnr zum Erbrechen. Euer edler Bein hat
mich erhißt; das Trautmann’ihe Lied Hat mid wie ein
ſchmackhaftes Eis oder Gefrornes zum Nachtiſch wieder ab⸗
gekühlt. — Was ſprecht Ihr da von Eis, Gefrornem, und
ich weiß nicht mas! junger Sant? rief der Alte, der Seis
Der Pfarrer und fein. Küſter 0
fertens Spaß nit verſtand; was ſprecht Ihr von ſchwahen
und nicht hun? Ich fage Euch, er Hätte es gethan, wenn
ich nicht geweſen wäre. Nein, fo mug Liebe nicht beſchaf⸗
fen fein. Ich habe auch den Berluf einer. braven Ehefrau
beweint; aber ales mit Magen. Man muß nicht darüber
zum Narren werden. — Freilich, fagte Seifert, wenn das
Kind ſtirbt, fo ift die Genatterfhaft vorbei, — So meine
ih es nicht, ſprach der Yrediger; man hat aber mehr zu
thun, als zu lichen in der Belt, und man muß nit alles
aufgeben, weil ein Bunfc uns mit gewährt wird, denn
das ift eine unmännlihe Schwachheit und gottlos obendrein.
Zrautmann verliebte ſich vor vielen Jahren. in ein büb⸗
ſches Madchen, das ih, ihren Eltern zu Gefallen, ſchon
mit einem andern achtbaren, fehr refpeftabeln anne ver-
ſprochen hatte. Nun fah fie den guten Trautmann zu fhät,
und mußfe nachher in ihren fauern Apfel beißen. Ich traf
den verzweifeiten Jüngling eben, als er im Begriff fand,
fi den Garaus zu mahen. Er wollte fi) in dem Flug
ertränfen. Ich bielt ihm aber eine tühtige Strafpredigt,
Bant Ihr glauben. — Nachher it er mein Küfter gewor⸗
den; und da muß ic geſteben, hat. er in zehn Jahren fein
Amt mit Gewiſſenbaftigkeit verwaltet, und die Gemeinde une
gemein mit feiner fihönen Tenorftimme-erbaut, wenn er die
herrlichen Lieder von Ergebung in Gott, Sehnſucht nach
dem Tode, Hoffnung an die Unſterblichteit, und Troft im
Unglüd gefungen. Die Leute glanbten, es fei pure Got⸗
tesfurcht, Die aus ihm töme. Gott befler's! Ich muß
wobl, we thn:der Schub drüde, dag es vur eine weltliche
Liebe fei, die ihn begeillere. Ich ließ aber die guten Chri-
ften in ihrem frommen Wahne, und dachte: auch aus einem
zerbrochenen Scherben ann man dei himmliſchen Labetrunk
206 Der Pfarrer und fein Käfer.
ſchodfen. Nahhher it er freific, bitterer und ſpoͤttiſche
geworden, und hat aus Trotz, weil ihm die Vorſehung ein
geliebtes Weib verfagte, time alte böfe Sieben geheirathet,
die ihn täglich mehr ärgert, als Kantginpe den Sokrates.
Der Küfter kam wieder zurück, und als er etwas mit
Sciferten geſprochen, und feine Anfihten und Meinungen,
mit denen er immer gern bervoreädte, befonders wenn er
ein Glas Wein getrunken hatte, kennen gelernt, ſprach
Trautmann: Ihr ſcheint mir von einem militärifhen Geitte
befeelt zu fein, und fofltet Billig in diefen wichtigen Zeiten
Kriegsdienfte thun, ftatt mit jungen Leuten herumzuziehen.
und Eure Zeit zu vertrödeln. Zreilih, mas Ihr von dem
Tilly, dem Wallenftein ſprecht, ift wahrz fein braver Menſch
follte ſich billig diefen düftern Räuber» Häuptlingen anſchlie⸗
gen. Allem wißt Ihr denn nicht, Daß gerade ein folder
Held, wie Ihr ihn wunſcht, ein wahrer Enkel Odins, wit
feinen nordiſchen Burſchen, wie Ihr fie nennt, auf deut⸗
ſchem Boden erſchienen it? Der herrliche Guſtavus Adol⸗
phus von Schweden, der mit feinen Nordenhelden in den
Scheren bei Elfenaben gelandet ift, um den Proteftanten
in der äußerten Rorh beiquftehen.
Bir jungen Leute verwunderten uns, folche Nachrich-
ten zu hören, denn obwohl Zeitungen ſchon damals heraus⸗
gegehen murden, waren uns doch weder das Frankfurter
Journal, noch der Poftreuter zu Geht gelommen. Der
alte Prediger wollte auch ein Wort mitſprechen, er verwech⸗
felte aber und verdrehete alle Ram, und warf Begeben-
beiten und Jahreszahlen fo vermorren unter einander, daß
der Küſter ale Mühe hatte, denn Wirrwar wieder in Ord-
nung zu bringen.
Bon diefem Abende an Hatte Seifert feinen Entſchlut
Der Pfarrer und fein Küſter. 207
gefatzt: er wollte zu Guſtav Adohph, und bei ihm ſein
Süd verſuchen. Unſere drei Reiſegefaͤhrten folgten ihm.
Umd ih? Bas that denn ih? Ich hlich beim alten Dres
diger, um — Subftitut feines Küfters zu werden. . Ihr fire
det, das fei ein fehr Meines Gluck geweſen. In meiner da
maligen Lage war es in der That ein fehr großes! Denn
mas wäre fonft aus mir gemerdrn, da id) nun einmal nicht
Luft hatte Soldat zu werden? Ich follie bei Trautmann
wohnen, und er verfprad, mir in Iedigen Stunden in den
Schulwiſſenſchaften gruͤndlicheren Unterricht zu ertheilen. Er
bat Bort gehalten, der arme Unglückliche, und ich werde
feine die bliche Erſcheinung nie vergeflen.
Bon Seifert trennte ich mich nicht ohne Betrübnig, er
war aber, nad) feinem Entſchluſſe Soldat zu werden, noch
härter als fonft, und machte es ſich ordentlich zur Pflicht.
alle müderen Gefühle, die oft im veizendften Widerſpruche
mit feinen Grundfägen fanden, zu unterdrüden. Wis ih
am legten Abende gerührt durch das bitterfäge Gefühl des
Abſchiedes etwas fagen wollte; rief er: Nicht doch! Noch
brauch ih feinen Feldprediger, Einen Kerl, wie mid, fin
dert Du leicht wieder, und Deines Gleichen giebt «6 auch
noch in der Welt. Ich mag das Heulen und Umhalſen der
Leute in der beten Abſchiedeſtunde wicht leiden. Oft ger
ſchieht es, wenn man ſich auch vorher nicht ausftehen mochte
aus lauter Freude, dag man ſich gegenſeitig los werde. Im»
mer leben ſoiche Menfihen in der Ginbitdung! Nach dem,
was zugegen ift, fragen Tie nie; fie wollen nur das Ver⸗
lorne beröeinen ; und das Verſchwundene · ¶ welches fie auch
nicht genoſſen baben,) muß immer als Folie und Hinter-
grund ihrer Wehmuth und Verſtimmung dienen, um den
Genuß der Segenwart zu ſcwachen. Etwa wie eine alte
208° Der Pfarrer und fein Küfter.
Witwe, die ihren erſten ſeligen Mann (mit dem fie ſich tg
lic) zankte) beweint, um den jegigen täglich zu ärgern. Se
auch das Beten und Lamentiren auf dem Sterbelager, weil
man ein Leben verlieren fol, das man oft gar nicht genofr
fen Hat. Willſt Du nicht auch, dag ih in Dein Stamm
buch ſchreibe; „Wandle auf Nofen und Vergißmeinnicht?
Und wenn Du etwa im Fraukfurter Journal lieſeſt, der
Hauptmann Seifert ſei da und da rühmlich gefallen, wiäR
Du dann wicht noch ein Meines Grabhügelden zuſamut
dem Kreuze mit der Feder unter weinen Namen bine
zeichnen? .
Ich mußte nicht was ic zu diefen geſchraubten Res
densarten fagen follte; ich drüdte mit Ernft und Ruhe feine
Hand, und ſprach gemürblih: Lebe wohl, Seifert! ih
danfe Dir für die guten Stunden, die wir mit einander
genoffen haben. — Da ftärzten ihm ploͤhlich die Thränen
aus den Augen; er drüdte mid beftig an die Bruft,_küßte
mid, als ob id) feine Geliebte geweſen waͤre, bat mid aber
zugleich. es ja Niemanden zu fagen, daß er fi fo unmaͤnn⸗
U und ſentimentaliſch auführe, damit man ihn nicht det
wegen belache und verachte. Ia er ſchrieb es fogar dem
Rauſche zu, odſchon er doch eben diefen Abend fehr wenig.
getrunken Hatte. Drauf riß er fi) von mir los und eilt
‚von damen.
In ſtilles Nachdenken verfunten ſaß ih auf weinen
Simmerchen, und dachte darüber nah, was ih an Seifert
verforen habe. Eigentlich war fein Ginflug auf mid fein
guter gewefen, er hatte mich zu dem vagabundifcen Zebra
verführt, und mit Sophismen oft meine ſalichten rechtliche
Grundfäge wantend gemacht Immer wollte er allein re
den, immer ſich folbſt Wöcen, ftets wottete er meiner Ge⸗
Unglüdlige Liebe 200
fühle. Kein eigentliher tiefer Eruſt, feine Ruhe, keine
wahre Heiterkeit war in ibm; obſchon er bekändig dies
Bort im Munde führte. Mit außerordentliher Beredſam ⸗
keit und Begrifterung vertheidigte er gewöhnlich eine ſchlechte
Sade gut, ohne ſelbſt ſchlecht zu fein. Seine Liebenswür⸗
digkeit und Laune, fein Unternehmungsgeit, feine vielen
einzelnen freifenden Bemerkungen und originellen Gedanken,
die Lebendigkeit, womit er jeden Gegenftand auffagte, alles
das mußte ih an ihm loben und f&hägen, und ic fühlte
wohl, dag ih einen ſolchen unterhaltenden Geſellen auf
meinem Lebenswege nicht fobald wieder antreffen würde.
19.
Unglädlide Liebe.
Es freute mic, wieder eine file, ehrhare Lebensweiſe
einzufhlagen; mein Verhaͤltnig zu Trautmann war ange
nehm, fein mitdes melaucholiſches Schweigen. ein briffamer
Bakfam auf alle Wunden, die mir Seiferte Geſchwätzigkeit
oft geſchlagen hatte. Icht konnte ih doch zuweilen ſelbſt
denken und mich frei äußern. In Jenes Gegenwart fühlte
ih zulegt meine Kraft gelähmt, meine Perſonlichteit unter»
drüdt; umd id gemähnte mich nach und nad daran, die
Rumme Verſon zu fein, die er eigentlich zu feinem Befehls
ſcdafter haben wollte, damit diefer,. wie ein Conductor, die
falten Funken feiner tgoiſtiſchen Electriſtrmaſchine cmpfange
and weiter bringe, ”
Oehlenſ. echriften. XVL 14
210 Unglädlige ‚Liebe.
Trautmann ſprach freilich zu wenig. es freute ihm aber,
die.Rtaffer mit mir zu leſen, und durch feine geiftreiche
Mittheilung gewann id Geſchmac an einer Befhäftigung
die mir vorber beinahe widrig geweſen war, und zu web
her ich mid) zwingen mußte.
Meine täglihen Gefhäfte in der Kirche waren mit
auch lieb. Ich ging dert oft allein und betrachtete die Bil
der verftorbener Prediger an den Wänden. Wenn Kinder
getauft wurden, mußte ich den Taufftein "mit vapiernen
Blumen ſchmucken; im Sommer ſuchte ib. anfangs natür⸗
tie Blumen zu befommen, davon wollten aber die Bauern
nichts wiffen; fie verbanden mit den alten ſtaubigen Kirchen»
blumen, die fo oft bei ähnlichen Gelegenheiten gebraudt
waren, einen Begriff von Heiligkeit; Zeldblumen, meinten
fie, Hätten fie bereits draugen, deshalb brauhten fie nicht
ihre Kinder zur Kirche zu bringen. Das ließ ich gut fein,
denn Aogefhmadtheit felbft kann ſich mit dem Gefühle ver-
Hinden, und ein guter Geihmad herzlos nachgemacht were
den. Bei Begräbniflen fang ich mit Trautmann das Ster⸗
der, ‚bei Hochzeiten das Brautlied. So gewöhnte ih mich
daran, als ruhiger Zuſchauer die Menſchen in ihren glüc⸗
lichſten und unglüdlicften Augenbliden zu ſehen, und reli-·
gidſe Erhabenheit, die ihre Freude und ihren Schmerz mã⸗
Bigfe und milderte, gab dem Allen ein Gepräge höherer
Bürde. j
Oft wenn ic. allein ging, dachte ich an Martin Lu
ter, an meine feligen Actern, on meinen 'guten Bruder, "
den id vieleicht nie mehr fehen würde; dann wmeinte ih
herzlich, und fah mih als eine arme verlaffene Waiſe an.
Bean ic mid..dann aber vor dem Altare niederwarf, wert
ich das Bild des frommen Iefus ſah, wie er am lehten
Unglädlihe Liebe. 211
Abende mit feinen Iüngern zu Tiſche faß, wenn ich meine
Anger zur Taube des Tauffteins, zu dem hebräiſchen Ies
bova-Naunen im myftifchen Dreied über der Orgel erhob,
und die kleinen Pofaunen» Engel in blauen Bolten, mit
vrrgoldeten Bretterftrahlen, erblidte, Daun fühlte id mid)
wie von unfichtbaren Geiftern umgeben in einer ewigen
Örimath, die ich mie verlaffen konnte, und ward micder
heiter und froh.
Zu Haufe wurden mir die Unterrihtsfiunden auf Traut⸗
manns Zimmer die liebſten. Meine Wohnung war fehr
föleht, und ich konnte einen ganzen firengen Winter hin,
turd) aus meinem Bette den Himmelswagen durch Deilr
nungen im Dache deutlich ſehen.
Unten in der Stube bei den Eheleuten war es wieder
gar zu fhwül; denn die böfe Frau beizte den Ofen derma«
ben, dag man Aepfel an den Zenftern braten konnte, dabei
yanfte und lärmte fie wie ein böfer Höllengeift. Nie batte
id damals den Hauptgenuß eines jungen Menfhen, mic
ritig fat effen zu Können. Wenn fie mir Abends ein
Vütterbrod gegeben- hatte, frug fie: Bill Er mehr? und
idon mir der Mund nad) einem zweiten wällerte, wagte
6 es nie, Ja! zu fagen, um den Zorn meiner Wirthin
uicht zu reizen. Nur wenn id beim Prediger a. oder
Bean mic Trautmann im Wirtöehaufe befäigte, konnte
it meinen Hunger völlig ſtillen
Trautmann ſprach faft nie mit feiner Tran: wenn fie
müthete, begnägte er fi), fie mit einem ftilen, veraͤchtlichen
Blic anzufehen, der fie noch mehr in Wuth brachte. Ward
ihm dann zu arg, fo ging er entweder auf fein Zim⸗
mer, wo fie ihn nicht ohne Gefahr verfolgen durfte, oder
deſuchte feinen Freund, den Gaſtwirth. Ben er dann
14
2° Unglüdtige Liche.
Abends fpät, benebelt, nie aber eigentlih_befrunfen, nach
Haufe kam, war er am liebenswärdigften und geiftreiäten
gegen alle andere, nur wagte die Frau «6 nicht, ihm in
diefem Zuftande in die Duere zu kommen, denn daum pr
gehte er fie gewöhnlich, ohne cin Wort zu reden und ging.
zu Bette,
Einmal, als ih ihn in diefem BuRande nah Haufe
begleitete, er fehr aufgeräumt war, und über die Erbärms
Jihfeit feiner Frau fpottete, wagte ich, ihn zu fragen, wie
er denn zu einer folhen Gattin gekommen feit Ich bin
gar nicht zu ihr gekommen, erwiederte er launig, fie it zu
mir gefommen! Sie hat um meine Hand angehalten, und
id) fand es unverihämt von einem Manne, einem Fraum ⸗
immer den Korb zu geben. Id mar damals ſchon nichts
mehr werth. Wie nun aber die Weiber find, fie Hatte fih
eigenfinnig in mid) vergafft, umd ich wollte fie nicht betr.
den, weil id aus Erfahrung wußte, welch' ein bittere
Kraut unglüdlice Liebe ſei. Zuerft war ib freilich Wir
lens, mic zu erfäufen, und das wäre ohne Zweifel das
Bernünftigfte geweſen. Der alte Prediger legte ſich aber
dazwifhen, als id eben bineinplumpen wollte. Ic: ver»
narhlägigie alles, wohnte im Haufe meines Lordens, fe
gab mir zu effen, zu trinken, Kleider, Schuhe, Bett, Ofen
wärme, fogar Tafchengeld. Gott weiß, wie viel ich ide
ſchuldig war, denn id bin Immer ein ſchlechter Buchhalter
gewefen. Da vertaufte ich mid ihr denn mit Haut und
Haar, damit das Ding ſchneu ein Ende befomme. Ib
verſchrieb mid) ihr mit meinem eigenen Blute. Sie war fe
großmüthig, mein hinfälliges Wefen für Baluta zu nehmen,
obgleich es ſchon damals, weiß Gott, nicht länger Couraut
war. Ibr Schelten und Läͤrmen war wir nicht aumider,
Unglüdlicht Liebe. 213
ib habe fünf Jahre in der Nähe eines Kuvferſchmide ge⸗
baufet; da gewöhnt man fid an ſolchen Spectakel und hört
in zuletzt nicht mehr. Auch könnte ih nicht fagen, daß
mid anfangs ihre Zänfereien ſehr werdroffen hätten. Ich
langweilte mid, vernünftig konnte ich dech nicht mit ihr
den, über Defonomie, Gulden, Groſchen und Kreuzer
magte ich es nicht, Betrachtungen anzufellen — womit folle
tem wir ung nun unterhalten? Kenntniffe beſaß fie nicht, was
Alzonder gethan, mas Ariftoteles geſchrieden hatte, war
ihr verdammt gleihgültig. Da kam ein gutes Scheltwort,
fine unvrrſchaͤmte Beleidigung, oft wie gerufen, brachte mir
das Blut wieder in Wallung, und da gab es denn immer
velauf zu ſchlichten, zu beſchwichtigen und auszugleihen,
mitunter zu prügeln.
Bir waren dis an die Hausthüre gefommcn, und hör-
ten fe drinnen die Kühenmagd laut ausſchelten. Traut-
mann fagte: wir wollen in die Fräuleintapelle gehen, dort
if es immer fo ordentlich und Iuftig, dort wil ih Dir
mehr erzählen, die böfe Sieben Nört uns da nicht. Ah
Gert, Albert, ſprach er, fid drinnen auf eine Bank nieders
laſend, icy gehe fo gern mit den Todten um; fie liegen fo
fändig, fo ernft und fanft, fo ruhig in ihren Särgen,
Ste Gitelteit, Besbeit, Zorn und Duͤnkel. Doch muß ih
Dir auch fagen, daß diefe Kapelle für mic einen eigenem
Berth hat; denn bier ſah id) meine Siegfriede zum Lep«
tamal, — D mein guter Herr, bat ich, erzählt mir doch
Eure Lichesgefhihte. — Etat Dir eine froſtige Beſchrei⸗
ng meiner feurigen Liebe zu geben, fagte Trautmann,
ML ich Dir ein altes Lied vorlefen, das auf dies felige
Fräulein im gläfernen Sarge gedichtet worden; denn fle
fol einft auch eine Unglüdiiliebende geweſen fein. Er
FIT Bun Unglädlide Liebe.
nahm ein altes beräudertes Papier aus feiner Ejreibta
fel, und las mir folgendes Gedicht, deſſen Abfcrift ih
noch befige:
Das holde Fräulein von Grauenflein,
Mit der Taudenfeel- und Rofengeficht,
@ie war eine adeliche, reiche Maid,
Allein glüfelig war fie nicht.
Inr Vater befaß der Burgen drei,
Einen ehernen ‚Helm, einen Schild von Era;
Auch war er tapfer und dreift im Krieg,
Und doch, Doch hatte der Held Fein Herz;
Im der Kapelle iu Meifenwaid .
Da lagen ihm Ahnen, ſechszehn an Zahl;
Er Hatte ſich fehler als ein Affe vergaft,
In die Zodtengerippe mit Cchädel kahl;
Er liebte fonft nicht viel auf der Belt,
Nur hatt’ er fich vergafft in den Echild,
Da Manden drei Teufel mit Krallen dein,
Das war auf der Belt ihm das liebte Bild.
Das Fräulein wandelt unten am Bach;
Die Mühle beim Baflerfatl kennt ihr (don;
Da grüßt fie beim Sonnenuntergang
Mit freundlicher Miene des Müllers Cohn,
‚Gr hat feinen Schild mit Teufeln drin,
Auch feine Burgen, fein Streitgewand⸗
Unglädtihe Liebe. , 25
Gr Hat einen freien, dien Sinn;
Uucy mangeln dem Burfchen nicht Big und Verſtaud.
Und er erbt ia den Hof, mit Metern viel,
Auch jene Mütte, ſo gut befent.
Der Megendogen fich fpiegels drein,
Bean die Sonne ſcheiat und dad Saher füht.
Die Erlen ſchatten, der Eppich geünt,
Die Muͤtiſteine ſameil ſich regen mit Sul.
Die Liebe maple noch feineres Dedl,
Dies Mäderwert in des Menſchen Brufl.
Die ſchonen Stunden verranfchen fchneit,
So wie die Wellen im Bafferfan;
Mdein die @einneruug ſchwindet nich;
Tönt aus der Ferne der Wiederdall.
Der Sommer weicht mit dem fchattigen Laub,
89 glüliche Liebe ih oft verfedt,
Bud hinter dem nadten Herbfiedaft
Der Nitter das freundliche Saar entdeckt.
Du Diene daft meine Ehre deichimpft,
Du Haft mein adliches VBiut entehrt,
Drum fonfi Du (machten im Kerter tief,
Der Bude da if des Galgens wertg;
Die Unſchuld Hat unfere Liebe gefeh"
68 ſahen die Rofen den reisften Auf,
216
. R Unglädlige Liebe.
Ci Eppic treu um die Yappel ſchliagt.
Das macht dem Himmel feinen Berdrus.
Doch Ir feid Herr, nad Water Ibr feid,
Und felelt die Tochter im Qualgemach;
Dann will ich auch länger wicht leben mehr;
© ſoricht ex, und Rürat im den Mühfenbach.
Richt radern win ihn die Wähle fein,
Sie Roct im dem Sanf umd cf Mad jerbeicht.
Da floß Die Leiche fo bieich und (höm,
Durch Blumenfapilf mit dem treuen Geficht.
WIR Du unſchuldis und iR er tet .
So will ich die Thorheit vergefien Dein’,
Komm wieder herauf aus Dem Burgocxlich,
Ic liebe Dich wicder als Toͤchterlein
Und werde des ebien Mitterd Gemahl,
Der um Deine Siehe bei mir gefleht,
Die Tochter ſpricht kein eimiged Wort,
WS ein weißes Gefpenk im Saal ſie fiehk.
Und naht fich dem Fenfter, und horcht und harak.
IN, Pferdegetrappel? Kommt er ae Etund?
Ach wein, ed war mar Dab Saufen ia.
Das Nüderwert aus dem Mühlengrund.
Die Grien chatten, des Eppich grün,
Die Müplfteine fahned fi vegen mit Eaft,
Unglüdlige Liebe. 217
Die Liebe mahlt noch feineres Mehl,
Died ädermert im des Menfchen Brufl.
Der ſchone Mubelf Segraben liest
Dort unten am Baum, wo Staudregen faut
Der Hegenbogen ſich fpiegelt drein,
Ein nichtiges Ding; fo iR Die Belt.
Der Bitter kommt mit der Hochjeitfchaar
In @0!d, Juwelen und Ppurpur ſchon
80 iR meine Tochter? Der Mite fragt:
Ich Habe fie heute noch nicht geieh'n.
Sie fchläft noch droben im Schlafgemach;
Der Mitter erblaßt, er ahmet Die Roth.
Er flürzt in der Tochter Kämmerlein,
Da liegt fie, weiß wie ein Engel, todt.
Echilfblumen drüct noch die kalte Hand
Ihr an den erblaßten Rofenmund,
Sie hat um dad Haupt einen naflen Kranz,
Bergismeinnicht aus dem Biefengeund.
Das große Bermögen, dei Zräwleind Gut,
‚Hat nun die Kirche geerbt allein;
Im gläfernen Carg der Kapede fie ruht,
Dort unten modert des Müllers Gebein.
And wenn die Blade des Mdends flingt,
Mit fipernem Laut, fo traurig fhöm,
28 Unglüdlibe Liebe.
Ta hat man oft in dem Grienmoor
Als Schatten das liebende Paar gefch'n.
Man ſieht fie mit fröhlichen Ungeficht,
Sie ſchweben fo leicht, in Racht und Sturm
Und fingen: Lichende grämt Euch nicht;
Dort nagt an Liebe fein böfer Burm. 5
Als Trautmann wir das Lied vorgelefen hatte, ſchwi⸗
gen wir Beide eine Zeit lang, und unfere Augen rubetn
auf der braunen Mumie, die einft ein fo fhänes Mädchen
gewefen, daß fie einem rüfligen Müllerburſchen den Kopf
verrüdt Hatte. — Nun, das ift die alte Leier, ſprach Traut
mann: Burg und Mühle, Fräulein und Gefel,. das hat
man wohl öfter gehört; allein das Lied ift mit Zartfim
und Gefühl gedichtet.
Mit innigem Mitleid, zugleich aber mit dem Gfeihe
muthe, der dem Meufchen eigen ift, wenn ihn das Ungläd
nicht felbft trifft, ſuchte ich den düftern Dann zu tröͤſten
drüdte feine Hand und blickte vor mid) nieder. Es war
fpät, die Lampe fing an zu flatern, als ob fie verläfgen
wolle, und Trautmann ſprach: Komm, mir mollen ins pro
viforifhe Grab gehen.
Somne levis, quamguam certisnima mortis imago
Consortem cupio te iamen esse tori. -
Alına quies, optata veni! nam
Vivere, quam suave est, sic
*) Holder Schtaf! wenn auch mir Das Apnlichfie Bildniß ded Todes.
Seynlich verlang” ich mach Dir, fei mir ein Bagergenoß!
Unglüdfige Liebe. 219
Wartet! rief ich, mas liegt denn bier auf dem Fußbos
den? Ein Meines Patet. IA nahm es auf: ein rother
Bindfaden umwickelte ein Manufeript; id) erfannte meine
eigene Hand, und las: „die Rolle des verfornen Eohnes.“
36 erinnerte mic deutlich, daß ich dies Papier aus der
Zaſche verloren hatte, ats ich am Iehten Abende mit der
Minen Tabuletträmerin zu Tiſche fag. Ein freudiger Hoffe
aungsſtrahl ftieg in meiner Seele auf. Ich Läfte zitternd
den Bindfaden. O Himmel! eine lange feidene Haarlode,
deren Farbe ind Weiche ich gar zu gut fannte, lag darin,
nebft einigen welken Feldblumen, vie ih mi wohl erin«
nerte, ihr auf dem Spaziergange Damals gereicht zu haben.
Unter meinem Namen auf dem Titelblatte ftand mit etwas
mfern, aber doch recht hübſchen Buchſtaben: „Im Leben
ud Tod Deine — Johanna Klein.“ O Gott im Him-
mel, welche uͤberirdiſche Seligkeit durchſtrömte mein ganzes
Veſen. Vater, rief ih dem verzagten bleichen Küfter zu,
der neben mir auf der Bank faß, und meine Zreude mit
Verwunderung anfah; — meint nit mehr, grämt Euch
nitt mehr über das allgemeine Ungläd der Menſchen. Es
gibt noch glücklice Seelen unter der Eonne. Mein ſchö-
us, fhühternes Reh ift wieder gefunden! Meine Ios
hamma! — jegt weiß ich, mie fie heißt — iſt wieder da,
und hat mir ihre Liebe geftanden.
Das find nichtige Jugendträume! Schaumblaſen einer
kihtfinnigen Einbildungskraft! — ſprach eine ſepulkrali
—— .
deilige iuhe, fo komm Erwuͤnſchte, denn IB ohne Leben
IMS zu leben, und auch erden ift füß ohne Tod.
. Aufon.
220 Unglüdliie Liebe.
Stimme. — Ih warf erfroden den Blick dabin: Ein
Mann mit einem Bündel auf dem Näden, mit greifen,
"wild um den Kopf fliegenden Haaren und einen Knoten
Rode in der Hand, Rand in der Thür. Gram hatte das
Geſicht fehr verändert, ich erfannte indeß doch den Tab
> Ietfrämer wieder. — Bater, rief ich, umd ſtutzte ibm zu
Zügen, feid nicht ferner fo fireng, trennt nicht zwei liebende
Herzen. Wenn ih auch mit reich bie, fo bin ih doch
jung und rüftig; id habe etwas gelernt, und will Euch
beifen, Euer Brod zu verdienen.
Elender Komödiant! rief der Alte erzürnt, bleibe mir
mit Deinen Lamentationen vom Leibe, mir machſt Du mit
Deinen Poffen nichts weiß, und die, welche Du damit des
ıbört haft, ſiehſt Du mie wieder, fie liegt unter der ſchwat⸗
zen Erde. Gieb mir das Paket wieder! Ich babe es in
der Kapelle verloren, als id) nad): einem ſchweren Gange
bier ausruhete. — Cie ift todt? rief ich leihenblag. — Ein
Fieber hat fie dahin gerafft, ſprach der Alte, die Folgen
einer Erfältung, Die fie ſich zuzog, weil wir Tag und Nacht
auf offenem Wagen über Sto@ und Etein wegfahren muße
ten, um aus Deinem. verführerifhen Dunfttreife zu gelan-
gen. IC habe fie nicht verführt, rief ih entrüftet, und bin
fein Böfewiht, Zu Eurem Eidam war id) immer gut ge
mug, zum Geliebten des herrlichen Maͤdchens gar zu ſchlecht.
darum hat mid der Himmel verworfen. Barum habt Ihr
das weiche Herz gleich einem Tiger zerriffen? Es war mein,
Ihr babt es gelefen! Cie hat es geftanden. Aus einem
Zünglinge kann alles werden, eine Belt der Moglichteiten
liegt vor ihm offen. Bas Kattet Ihr dagegen, Ihr Kra⸗
mer, Ihr! nur gewägnt, Weltverhaͤltniſſe mit arınfeliger Ele
zu meſſen; deſſen Ohr Groſchen und Kreuzer fo lange hat
Die Grabmäler. 221
fingen hören, bis es gegen Seufzer und Klagen eines für
gen Maͤdchens völlig taub geworden!
A Du ſprichſt nur zu wahr, rief der Alte, plotzlich
ermeiht; id) hab es mir oft ſelbſt gefagt. Nur ih bin an
Irem Tode Schuld. Er reichte mir die Hand. Das Lit
der Grabeslampe erlofh. Eine tiefe Finfternig verbreitete
Ab. Bir beiden Unglaͤcklichen weinten und ſeufzten in ihr,
wie die Mönche des Heiligen Grabes am Charfreitage,
wenn fie ſich in der Dunkelpeit geißelad ihr Miferere fin.
gen, und Trautmann rief mit ſchreclichem Hobngelädhter:
Das it Menſchenglück auf Gröden!
Die Grabmäler.
Der betrübte Bater verblieb noch den folgenden Tag
im Dorfe, und ich wich nicht von feiner Seite. Liebe Ers
imerang an einen dritten Berlornen, verbanden zwei fremde,
ganz verfhicdene Menſchen. Es erleicterte den Alten, fei-
nen Schmerz in meinen Bufen auszufhätten, nur war ce
Üm zuwider, daß id ihn miederholt fragte, ob fie mid
denn auch wirklich fo fehr geliebt habe? Ja, ja, jal ſprach
rmürifd, wie oft fol ich es Dir denn ſagen, daß fie ſich
any im Dicy vergafft hatte, dag fie in ihrer Todesftunde
au von Dir phantafirte?
Als der Alte weiter pigerte, folgte ich ihm vier Mei»
len weit nach dem Orte, wo die liche Johanna geftorben
22 Die Grapmäler:
war. BBäbrend er ſich im der Herberge erholte, lief ic zum
Gotterader. Viele Gräber waren mit Sand und Blumen
geſchmücktt, unter ihnen ein kleiner frifher Hügel, ſchon et⸗
was von Neffeln und Unkraut bededt. Auf einem ſchwar⸗
zen Holze ftand mit fhlichten Buchftaben: „Iohanna Klein.“
Du weinft, Eberhard, mein Sohn? Du fühlft, was ih
bei diefem einfahen Denkmale empfinden mußte? Ia! Ich
dachte an die Nacht, wo ich umfränzt von tauſend Blu
men, ohne ihren Namen zu willen. Das Wort „Geliebte“
in den grünen Baum geſchnitten hatte. Hier ftand num
der wirkliche Name, auf einem dürren Holze, ohne Blir
then. Auch die fdönfte Blume ſelbſt war derwelkt. Ihr
begreift, mit welcher Sorgfalt id) das liebe Grab zureht
machte und fhmüdte. Der alte Vater faß daneben und
freuete fi üher meinen Eifer. Mit herzlicher Umarmung
verließ er mid, um nad) feiner Vaterfladt Magdeburg
zu gehen. O gütige Vorfehung! Wie munderbar find
deine Wege, und mie oft zeigft du dem Menſchen deine
Güte da, wo fie Strenge vermuthete! Wäre die holde Ir
banna nad Magdeburg zurüdgekehrt, fo wäre fie ohne
Zweifel ein Opfer der graͤßlichſten Verwüſtung geworden.
Mit Schmach und Schande bededt, hätte fie ihr junges
Leben unter Henfersbänden verbluten müſſen. Jetzt nahn
der Allgütige das füge Kind in feinen Himmel, als ihr jun
98 Herz von einem fihönen Gefühle nod ganz durdzüdt
war. Der Tod hatte für fie nichts ſchrecliches, vielmeht
etwas Wünfcenswerthes. Sie entſchlief, Feldblumen-
teen jept ihren Hügel, jeden Sonntag tönen Gloden
läute- und Orgelllaͤnge über ihn bin, und der Fromme
ſchreitet an ihm vorbei zlm Haufe des Herrn.
Trautmann freute fih meiner ſchwaͤrmeriſchen Bed
Die Brabmäler. 223
mtb, und es (Gin’ mitunter, als ob mein Zuſtand das
lehte Zünflein Liebesfeuer in feinem ausgeftorbenen Herzen
wieder aufache.
Diefen einzigen Freund follte ih nun auch verlieren.
6 ging jept mieder alle Abend, menn er vom Wirths-
haufe kam, den Steig mit den Trauerweiden entlang, und
Dbantafirte in der Einfamfeit. Einft blieb er zu lange aus;
tt fam die ganze Nacht nicht. Die Frau heulte und jams
merte; ich ſuchte ihm vergebens. Am folgenden Tage brach⸗
ten ihm einige Fiſcher; fie hatten feinen Leichnam im Fluſſe
gefunden. Es hatte in der Nacht geregnet, das Ufer war
lehmicht und ſchlüpftig. Es war nicht unwahrſcheinlich,
Irautmann ſei unverſchens und wider feinen Willen an tis
nem jähen Drte herabgeglitſcht. Freilich fand ich das Volks⸗
lied vom Waffermanne in feiner Taſche, und ſteckte es heime
fd zu mir. Auch feine Uhr hatte er, gegen feine Gewohn⸗
keit. geſtern an dem Nagel bei feinem Bette hängen laſſen,
und gerade dem Tag zuvor hatte er das heifige Abendmahl
grnoffen. Er erhielt ein chriſtliches Begräbniß, ih fang an
feiner Gruft und erbte fein Küſteramt. "Die böfe Frau,
die, als fie eine Woche lang geheult und fih die Haare
Qusgeriffen hatte, wieder zu fhelten und zu lärmen begann,
mußte aus dem Haufe. Sie hatte nod einiges Vermögen,
md zog zu der geizigen Muhme, der Eeifert die Sänfe
genommen hatte.
. Natürlicherweiſt konnten ſich zwei ſolche Zantsippen
nicht in einem Raume vertragen; jet hatten fie keine Män»
kr mehr, über die fie ihren Dorn ausbelfern konnten, fie
kehrten ſich daher gegen einander, zankien, ſchlugen ſich täge
lich und wurden zum Kinderſpott. Man nannte fie: „Den⸗
24 Die Graßmäler.
ner und Blitz,“ und die Urſache diefes Spottnamens war
feltfam genug.
An einem ſchwulen Sommertage zog ein fürdterlides
Gewitter über unfere Gegend, ich Habe in Europa fein
ähnliches erlebt; denn hier auf meinen Felſenburgiſchen Klit⸗
pen donnert Jupiter freilich oft in gewaltiger Majetät, wie
Ihr Hereits gehört haben werdet. Das Bauernvolt wurde
nun, nad feiner Art, während des Gewittertobens ſehr an
daͤchtig, holte Geſangbücher hervor, und fang unter Dow
nerſchlägen Sterbe» und Neuelieder. Zuleßt aber, als #
zu arg ward, fonnte man nicht mehr fingen. In alen
Häufern ward es maufetil, kein Menfc wagte ſich hinaus.
Ich fand am Fenfter und fiaunte die erhabene Naturfene
an. Die Donnerfhläge folgten häufig auf einander. Ju
der tiefen Stille der Zwiſchenräume, fam er mir jedod vor,
als Härte ich Scheltworte und Weibergekreifh. Der Regen
frömte wie mit Gimern herab, die Gofle war übergelau
fen, die Straße uͤberſchwemmt. Ploͤtzlich — gerade als ein
eutſetzlicher Blig in einen morfhen Pfahl am Thorwege
folägt, fürzen jene zwei Weiber, gleich Zurien, wit jr
- zauftem Haare und blutig gefrapten Geſichtern aus des
Haufe; die Augen funfelten ihnen vor Wuth, die Adern
ſchwollen von Zorn, ohne das Gewitter zu adıten, verſchen
fie, unter Donner und Blig, ihre Schlägerei, mitten is
den Plapregen auf die Gaſſe, und hören nicht auf, bevor
fie Beide bäuptlings in die tieffte Pfüge gefallen find, aus
welcher fie dann binlänglich abgekühlt, wie cin Paar Bal
ferragen, ſich befayämt in ihre Löcher zuräd ſchleichen
Ich habe indeß noch einen Bug zu erzählen, im welchen
fid der Charakter der Küfterin ausfprict. Ich lich es mit
angelegen fein, das Grab ihres feligen Mannes immer faw
Die Srabmäter. 225
der zu erhalten; role ich dann auch monatlich eine Wall.
fahrt frat Morgens nah der Nuhenätte meiner Iobanna
unternahm. Einſt, als ih bei Trauimanns Grab deſchäf⸗
get war, at ein Wagen mit vier Pferden langſam ge
führen. Es wunderte mi, dag die vier Pferde den Bar
gen ſo verdroſſen ſchleppten, denn er ſchien in der Ferne
demfih Teer; als er aber näher Fam, entdedte ich einen
srogen vierefigen Stein im Wagen. Der Kutſcher fahr
auf den Kithhof; ein Maurergefeil folgte ihm. Als fie mich
faben, gräßten Re mich, und frugen nad des Käfer Traut⸗
manng Grabe. — Das hab’ ih bier eben in Ordnung ge»
dracht, ſprach ich, und zeigte Ihnen die Rosmarinen, die ih
daranf gepflanzt hatte. — Gi, lieber Herr, ſprach der Maus
ver, fo thut es mir leid, dag ih Eure Arbeit ſtdren, und
Enre Pflanzungen vernichten muß, denn bier bring’ id)
then einen fhönen Grabftein, den eine Freundin des felie
gen Mannes auf ihre Koften beftellt Hat, und mit Erlaub⸗
mg der Obrigkeit, über feinem Grabe errichten laſſen will.
— Dann steh’ ich mic) gern zuräd, erwiederte ih. Meine
Kräuter blühen nur kurze Zeit; ein folder Stein kann laͤn⸗
ger ansyalten. — Die Arbeit war bald getham, und jetzt
hielt eine Kutfde vor dem Kirchhofe, aus der eine fehr Blaffe
Date zitternd heransnäkg; fie Hatte noch fhöne Gefihtsgüge,
ud war, wohl einfach, dennoch gefchmackvoll in meiges
deng gekleidet. Cie mahete fih dem Grade, ſtartte auf die
Infhrift, trocnete A die Augen mit dem Schnupftuche,
drauf frag fie mi: Seid Ihr jet der Küfter Bier, Fieber
Herr? — Ja, war meine Antwört. So bitte ih Eu,
fahr fie fort, indem fle mir einen Geldbeutel in bie Hand
drehten wollte, für dieſes Grab einige Sorge zu tragen.
Rät nörhig, meine liebe Dame, antwortete ich, das thut
Oehlenſ. Sqriſten. XVL. 16
2236 Die Grabmäler.
ich gern unentgeldlich, denn der Verftorbene war mein ſeht
guter Freund. Grlaubt mir aber eine Frage: iſt Euer
Taufname nicht Siegfride? — Ia, rief fie ſhnell in Tri
men ausbredend, meine Hand drüdend und wieder zur Kut-
ſche bineilend. IA büdte mid demüthig vor ihr, und fie
tief aus dem Wagen: Berzeiht, lieber Herr, dag ich Euch
Geld geben woltel Bart Ihr fein Freund, und habt Ihr
ihm feine Iepten Gittern Tage verfügt, fo fegn’ Euch Gott
dafür. Drauf rote der Wagen fort; die Arbeiter verlie
den mid) und ic) fand allein vor dem Grabſteine.
Zrautmanns Name, nebft feinem Geburts- und Te
destage,' war fehr zierlih in den Stein gehauen. Dranf
fab man den Tod künſtlich abgebildet mit Stundenglas
und Hippe, und unten folgende Zeilen:
Ich bin nicht fchön, bin Dürr und Hart,
Drum Hüft tein @iderfireben.
Musblaf" ich Guch das irdfche Licht;
Mtein den Geift vertilg ich nicht,
Gott fchentt Euch ew'ged Leben.
Ad Hanna, rief Eberhard der Freundin zu, die auch
immer bei den Erzählungen des Großvaters zugegen war, —
der letzte Vers des Zodestanzes. Erinnert Du Dich uch
in Leipzig? Hanna nidte und ſchüttelte zugleich den Kopf,
damit er nicht den Greis zu lange unterbreche, und der alte
Aldert Julius fuhr in feiner Erzählung fort.
Ale Leute im Dorfe waren über diefen Grabflein tr
freut, denn fie hatten den guten Trautmann alle geliebt;
drüben aber bei den-Kanthippen tobte wieder den ganzen
folgenden Tag Donner und Bliß, denn die Wirthin freue
fi, dag man ihrem Neffen eine Ehre nad) feinem Let
Die Grabmäler. 227
"mg dede; die läerifte Eiferſucht fing aber an, bie.
Galle der Küfterin aufs Neue zu erregen, weil ihr, wie fie
fagte, die unverfhämte Metze, die ihr Mann geliebt, die-
fen Streich geſpielt habe. i
Als ich am folgenden Abend ziemlich ſpät, es war beis
\ aahe Mitternacht, zufällig an der Kirche worbeiging, ward
id gewahr, dag oben im Kirchenthurme ein Fenſter aufge-
fhrungen fei, und vom Winde hin und her getrieben werde.
3 wollte nicht, daß die Scheiben zerfhlagen würden, da
ih nun den Schlüfel bei mir hatte, und mic eben nicht
wor Geſpenſtern fürdtete, ging ic in Gottes Namen bin-
auf, das Fenſter zu ſchliehen.
Kaum ftehe ich droben, fo fehe ih, dag die Muhme
des feligen Trautmanns ih mit einem großen Eimer Baf-
fer eilig anf dem Kirchhof ſchleicht und fih in dem Gebein⸗
baufe unmeit des Grabes verbirgt. Ich denke: Mein Gott,
was hat die Frau vor? Mein Erftaunen wird aber noch
"größer, als die Küfterin gleih darauf, mit fliegenden
Haaren, gleich einer Eumenide, und in der Hand ein gro⸗
bes Schläßterbeil, hereinſtürzt. Die wunderlichſten Phan-
tafien fpielten bei diefen Erſcheinungen in meinem Kopfe. —
Bald Töfte fih aber das Näthfel. Die Küfterin eilte mit
dem Beile zu. dem Grabfteine, die Muhme folgte ihr heim⸗
lit und ſchnell mit dem gefüften Waſſereimer. Kaum war
Erftere beim Ziele, fo rief fie: Icht, gnädige Frau, werde
ih) Deine Mühe vernichten! Wagſt Du es noch, mit mei
‚nem Manne nad) feinem Tode vor meinen Augen fhön zu
tun? — Und jeht fing fie an aus allen Kräften den Grab-
fein mit dem Beile zu bearbeiten. Eine Ede hatte fie
auch ſchon abgeſchlagen, als die Muhme ihr den Waſſerei⸗
mer mit den Worten: Underfpämte! mogR De es, Dich
223 Die Grabmäler
aoch an den Todten zu vergreifen, und Das Helligfhem
mit frechen Händen anzutaften? Äber den Kopf goß -
Furchterlich, wie ein cimdriſches Heidentoeib, das der
Kupferkeffel mit dem Blute des Genpferten gefüllt hat, um
ſich jegt rafend an den Pferdeſchweif Hängen til, weil die
Sdliacht vertoren IR — ehrte die Käfterin ſich mit der it
Mondfcdeine blinkenden Art gegen die Dahme. Zwei für
terliche Schläge hörte ich den Eimer mit boblem Gräfe
adwehren; ich wagte nicht, den dritten abzumarten und rief
oben aus dem Kirchenfenſter mit hohler Stimme herab:
Gottloſe Weiber! verfündigt Euch nicht! Fliehet diefen Ir
ligen Ort.
Mein Geſicht im blaſſen Mondfihte am Meinen Air
chenfenſter entdedten, Art und Eimer fallen Taffen, und 96
un au entfliehen, war das Wert eines-Mugenblidt
Ir Beide,
Inhalt
des zweiten Theile.
| 2 Bruce aus Gberhande Zagesuh >. .
Borliegung » 7 oo.
Gapitain Wolfgang kriahit feine Bebendgefcichte +
Die Sandung anf Belenbu » * + er
zrreen
© Kindheit in Eilnah + er een
7. Die Wartburg. Die Gohlt » 2 0.
der 757 Beer Zee
a.Die Trennung en
10. Menteuer ee
4. Der Ritter und fein Burglaplanı » 0.»
412. Die Tapuletlrämerin = «0 00“
13 Die Biden 00 nn
Der Großvater fängt an, feine Sebenägefchichte zu erzählen
Seite
3
Er
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116
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1
1.
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1.
Die ge - »
Die Herenprobe +
Näubergroßmuth
Geiftererfheinungen +
Der pfarser und fein Küfer +
Unglücliche Liebe
. Die Grabmälr »
sessazet
3
Adam Deblenfchläger's
e r k
Siehzepntes Banden.
e.
Gedrudt bei Leopald Freund in Breslan.
Adam Orhlenfchläger's
Be rt e
Zum zweiten. Male gefammelt,
vermehrt und verbeſſert.
Siebzehntes Bänden.
Breslau,
im Verlage bei Iofef Mar und Komp.
1839.
Adam Orhlenfchlägers
Erzäblende Dichtungen.
Drittes Bändden.
Die Infeln im Südmeere. Dritter Theil.
Breslau,
im Verlage bei Joſef Mar und Komp.
1839.
Die
Infeln im Südmeere
ein Moman.
Dritter Theil.
1.
Der Kittmeifter.
Mitermeite vohtete der Arieg mit alen feinen Gräueln,
and Sachſen war noch das einzige Land, das verfchont ge»
blieben war.
Jetzt follte es auch über uns hergeben. Als Tilly ſich
in dem ausgefogenen Niederſachſen nicht länger halten
tonnte, und der Kurfürft ſich ſträubte, vom Leipziger Bunde
“ abjufreten, rüdte zener weiter vor, und nahm Eisleben.
Nerſeburg, Naumburg, Zeiz und mehrere Orte in Beſitz.
Die Gemeinden verfammelten fid taͤglich mit Inbrunft
in den Kirchen, die Glocken läuteten, die Drgeln langen
ud alle Tage ward das goͤttliche Streit- und Trofilied:
„Eine fee Burg iſt unfer Gott!“ gefungen. Eines Tages,
als wir zu den Worten:
„Das Wort fie ſollen laſſen Rahn,
And Seinen Dant dazu Haben.“
10 Der Rittmeiſter
gekommen waren, ward die Kirchthüre plötzlich aufgerifien.
Ein ſtaubiger Kourier in kurſächſiſcher Montur, mit Stier
fein, die bis Über die Kniee gingen, tritt herein. Die Ot⸗
gel ſchweigt. der Gefang verftummt; er eilt hin zum Altare,
fchwenkt drei Mal feinen Hut und ruft: „Freut Eu, Tier
ben Brüder und Chriften! Die Lutheraner haben gefiegt,
die Schlacht bei Leipzig ift gewonnen. Siebentaufend Kai
ſerliche liegen auf dem Schlachtfelde. Tilly iſt entflohen!
Der lange Fritz hat ihm mit dem umgekehrten Piſtol in
den Rüden und auf den Hinterkopf geſchlagen. Der Sieg
ift unfer. Guftav Adolf und fein ganzes Heer haben dem
allmägtigen Gott auf ihren Knieen gedankt!“
Da ließ ich wieder die Orgel mit allen ihren, Flöten
und Stimmen erklingen, und mit hohen Freudenthränen
ſetzten wir alle das Lied fort:
Gr ift mit und wohl auf dem Plan,
Mit feinen guten Gaben.
Nehmen fie und den Leib,
But, Epre. Kind und Seib.
Sad" fahren dahin!
& haben fein'n Gewinn.
Dad Breich muß und doch bleiben. —
Drei Boden nad diefem Sicgesfefte, als ich Mt
Abends in die Fräuleinkapele trat, um Del in die Lampe
zu gießen, begegnete mir ein wunderlicher Vorfall. Im
Dämmerlihte ward ih nämlih auf der Bank eine Men
ſchengeſtalt, gebült in einen ſchwarzen Mantel und mit er
ner Klappmüge auf dem Kopfe, die dem verſtorbenen Traut-
Der Kittmeiker. n
meun [ehr abalich ſah. gewaht. Die Erfeinung ſchien
wit) nicht zu bemerfen, faß in tiefen Gedanken, und machte
hen folge Kopf» und Armbewegungen, wie der fellge Kü⸗-
fr, wenn er fi) allein glaubte, und ſich feinen Gefühlen
md Vorſtelungen Überlich. IA trat einen Schritt zurück
1 das Blut erftarrte mir in den Adern. — Albert.
ſdrach es leiſe (und jeßt erkannte ich deutlich Trantmanı's
Stimme) fürchteſt Du Dich vor einem alten Bekannten?
— Me guten Geifter Ioben Gott den Herrn! ſprach ich,
Bath faffend. — Bravo, Albert, rief jept Seifert lachend
den Mantel abwerfend, hätt? ich doch nicht geglaubt, dag
Da fo viel Gonrage befäßent. — Mein Entfehen vermans
delte ſih in Freude, allein mein Staunen hatte nicht aufs
gehört: Denn im Hchtgeiben Leberkollet mit polirtem Bruſt⸗
hatniſch heben Stiefeln, klingenden Sporen, einem großen
Ehlattfhrwerte an der Seite, fkand mein fahrender Mit
fäler da, als ſchwediſcher Dffigier, und fein befiederter
Selm lag -neben ihm auf der Bant. — Jeht umarme
mitt ſprach er, und dann will id Dir nicht erzählen,
wie ich ſchwediſcher Rittmeifter geworden, denn das begreift
leicht. Wenn es in der Welt Gruft wird, bekommen die
Rinder der Vornehmen, die Lieblinge der Prinzen und Mi⸗
Mer, werig Einfluß. Im unfern Tagen wirft Du felten
einen Feldeberſten treffen, der in feiner Jugend nicht die
Dustete getragen. GelbR bei den Kaiferlihen und Kath
Üfen, die doch die beftch Ariſtokraten find, iR dies der
Tl, Tg und Wadenftein waren Anfangs ſchüchte Edel,
Ieute ohne Bermögen; Dampier und -Bucaoy ebenfalls.
Iohann von Werth ein Bauer; General Bed ein Säyäfer;
Slablhautſch ein Bediente; der Feldmatſchall Aldringer ein
Kammerdiener.
12 Der Rittmeiſter,
Er pfiff, ein großer, blonder, ſchwediſcher Dragenet
trat herein, legte eine faubere, damaſtene Serviette über
den bekannten Sarg, feßte eine Bouteille Wein und zwei
‚grüne Glaͤſer darauf, und entfernte ſich ſchnell wieder. —
Das felige Fräulein, ſprach Seifert, wird es einem reife
den Soldaten, der weder Heimat noch Obdach bat, wer
geben, daß er es ſich noch immer in ihrer Nähe Lommode
macht. Drauf goß er die Gläfer vol Rheinwein, ftieg mit
mir an und rief: der große Guftav Mdolf ſoll Teen! Ja
Albert, mein Ideal fputt nit mehr in meinem Gehirn
taſten. Alles, was Odem hat, das will fagen: was Geik
Befigt, muß ihm dienen. Er leerte fein Glas und fulr
fort: Was hat nicht Guftan alles gethan! Ein beferer
Menſch athmet auf Erden. nicht, und in der Kriegswiſſen⸗
ſchaft hat er es weiter gebracht, als je ein Sterblicher um
ihm. Gufav Adolf foll leben, auch wenn er römifger
Kaiſer fein will.
[ Ic wunderte mid) nicht wenig Über die Veränderung
die mit Seifert vorgegangen war. Geht Bieles erzählte
er. mir und ſchloß mit den Worten: Zept will ih anb
Dein Glück machen. Zum Soldaten bit Du nun einmal
verdorben, allein bei ung achtet man den Lehrftand, wie
den Behrftand. Ich habe oft Über Deine Berwandtihakt
wit Luther gefpottet, jegt fell fie Dich aus dem Staube
erheben. Der König ift ein eifriger Lutheraner, und wir
gewiß für Dein Glüd forgen, wenn er hört, dag Du vom
grogen Martin abftammft, wenn aud) nur von einer Gel
tenlinie. Und jept gute Nacht! Mein Pferd wiehert auf
dem Kirchhofe in der falten Luft: ich muß fort: Wir kam ⸗
piren drei Meilen von bier auf dem Nachbarſchloſſe; der
König und alle feine Generäle find da cinquartirt. Beſuche
Der Rittmieifter. 13
mil) übermorgen, dann will ih Did Seiner Majerät vor-
Arten. Mit diefen Borten umarmte er mid und ſchwang
kb auf fein ſchoöͤnes Roß. Ber Dragoner folgte ihm auf
einem aͤhnlichen; und wie zwei Ritterſchatten der Borzeit
fiogen fie Aber den Kirchhof durch den Mondſchein, mit
mehenden Helmbäfrhen, und verſchwanden in der Ferne.
Nie hab' ich meinen alten, ſchwarzen Rod forgfältiger
gebärftet, als am jenem Morgen, da id meine Wanderäng
nach dem Schloſſe anzutreten hatte, um dem großen Guſtav
vergeleit zu werden. -
Eine Biertefmeile vom Schloſſe traf ih Soldaten, in
Hiufern and Zelten. Sie waren gut gekleidet, und ver-
Bielten ſich ruhig. Ih dachte, mich, als einen armen Kür
fer, würden fie zum Beten haben, da id aber dem vor⸗
nehmaften Offiziere meinen Schein vorgezeigt hatte, erwies
mi, als einem Geiſtlichen, Achtung. und fagte mir, wo
id den Rittmeiſter Seifert treffen fönne; er mohne in der
Rühe des Schloffes.
Seifert, hoffte ih, werde mir mit offenen Armen ent⸗
gegen eilen; fein Gefiht war aber mit Wolken überzogen.
As er mich fab, ward er noch verdrießlicher, und ging mir
wit den Worten entgegen: Guten Tag, lieber Albert!
War es heute, dah Du ommen ſollteſt? Meint’ ich dom,
ib Hätte Did erf auf morgen bieher beftelt. Doch auch
gut, verfepte er freundlich, meine Hand drädend; morgen
hätten Du wich vieleicht nicht angetroffen.
Bas giebt €, Seifert? rief ich erſtaunt. if ein Unglüd
gefehen? Bift Du in Ungnade gefallen? — Umgekehrt er-
wicderte er; der König bat mir eine große Gnade, eine
befondere Auszeichnung erwieſen. — Er verſchloß die Thür,
und als wir allein waren, ſprach er leife: Jeder Menſch
14 Der Rittmeikter.
bat feinen Wurm, und ein großer König iſt auch Mesie.
Guftav hat den Zweikampf verboten, und bei Todesfitaft
verpönt. — IH wollte freien, Seifert rief: Schwein
ftil, Albert. ich weiß (chem, was Du fagen willſt; als Ak
fier Hältft Du es mit dem Könige, magft au den Sir
tampf nicht, und finde, dag er Recht habe. So kimm
König und Küfter deuten, denn der Küſter nimmt es wit
dem point d’honnenr nicht fo genam, und der König tem
auf folde Weiſe nicht beleidigt werden. Dem fei jedeg
wie ihm wolle, der König hat diesmal eine Amsnahme 1 .
wacht, und mit dem Handtmann Sood ein Duel auf dr
ben und Tod erlaubt; nur foll der Kampf im Rittetſach
vor aller Welt Augen Statt finden, und der König wil
ſelbſt mit allen feinen Feldoberſten zugegen fein. Auf de
Gallerie kommen aber auch Bürgerslente umd dort werde
ich Dir gleich einen guten Plag verfaffen. Rimm es siht
Abel, dag ich dem Könige noch nichts won Dir gefagt habe;
ich hatte in diefen Tagen vollauf mit meinen eignen Un
‚selegenheiten zu thun. Sieg' ih, fo ift es ja immer Bet
zu ſprechen; folte ih den Kürzern ziehen, fo wirſt Du
leicht ale Luthers Entel — (er lächeite ein wenig, dam
drürfte er wieder ernft meine Hand und fagte) nein, wahr
lich jeßt fpaße ich nicht; als Zuthers Enkel wirft Du dem
Könige merkwärdig werden, und er wird für Dich foren.
— Er rief einen alten ſaͤchſiſchen Unteroffizier und fegte
Ähm: Du, Görge, wirft mit diefem Manme anf die Galerie
geben; forge dafür, dag er eimen guten Plat bekomme, we
er alles fehen kann, und dag er nicht gedrüdt werde. Itht
muß ich mic anziehen und ein wenig herauspugen, dem
wir baden vornehme Zuſchauer
Aber fage mir doch, Du wunderbarer Mann, rief ki,
Der Rittmeiſter. 15
der Du zu einem Zweikampfe auf Zehen und Tod, luſtig
amd eitel, wie zum Schauſpiele, Läufft; was habt Ihr denn
einander gethan? Worin befteht die große Beleidigung? —
Er Hat mic) einen Windbeutel geſcholten, rief Seifert,
und ich Habe ihm wieder einen groben Ochſen geheigen.
Kt wollen wir doc) fehen, ob der Odhfe den Bind auf
die Hörer nehmen, oder der Wind den Orhfen umblafen
werde. — Mit diefen Worten verließ er mid, um feine
Arllette zu machen.
34 faud, wie verfieinert. Der alte Unteroffizier ſab
wid dedentlich am, nahm ſich eine Vriſe und ſprach trocen
Das kann er wodl nicht degreifen, Schalmeiſter? IR es
mir faft felber zu bo, der ich doch ein Unteroffizier bin.
Gag’ Er mir, als ein geehrter Mann, woher kümmt e6,
deß das Kind ſo felten bei'm rechtrn Namen genannt fein
wil? I kenne aun meinen Heren feit einem Jabre; ich
Babe ihm in der Schiene fechten fehen, und Gott fol wid
frafen, wenn er mit feinen Degen eben ſo gut brandıt,
als das Maul. Und das ift viel gefagt! Dean freilih,
Berkand und Kenmtniffe hat er, etwas winddeutlicher Na-
tar if er aber auf, das latſe ih mir nicht auereden. Und
der Rittmeifter Sonn ift freifih ein braver Held, der für
gar dem Könige einmal das Beben gerettet at; er iſt aber
grob, wie Bohnenſtrohl Wie bat es ihn num fo fehr ver-
drirgen fönnen, ein grober Ochte genamt zu werden?
16 Der Zweitampf.
2%.
Der Zweikampf.
Ich ging mit dem alten Unteroffisiere auf die Galerie.
Es waren ſchon viele Lewte zugegen. Die königliche Garde
in lichtblauen Rocken mit tählernen Bruftpanzern, befieder-
ten Helmen und langen, gelben Klapphandſchuhen, hatte
ſchon in zwei Reiben den Saal beſcht. und ihre blanten
Hellebarden funfelten auf heben, ſchwarzen Lanzen.
Jetzt füllte fi der Saal nach und nach mit Offizieren;
ploͤßlich verſtummte das Gerãuſch. ein ehtfurchtevolles Schwer
gen verbreitete ſich, die Stügelthären wurden eröffnet, und
das Herz klopfte wir, weil id jet zum erſten Male den
großen König fehen ſollte. Gin langer, bagerer Herr, aber
ſtart von Gliedmaßen, mit einer Habichtsnaſe, hoher Stirn
und buſchichten Augenbrauen trat ‚herein. In feinem Antlig
war große Kraft mit Freundlichteit verbunden. Gr grüßte
hoͤflich zu beiden Geiten, drauf ging er zu einem für ihn
beftimmten Blag, wo er mit verſchraͤnkten Armen fand, auf
den Boden fah, und an der ganzen Sache feinen Antheil
au nehmen ſchien. Wer ift der vornehme Herr? frug ih,
das fann doc nicht der König fein; der Kdnig, bab’ id
. gehört, fei ein korpulenter. jovialifher Mann.
Das iſt des Königs rechtet Arm, ſprach der alte Görge;
der treffliche Guſtav Horn, der in der Leipziger Schlacht
dem Tilly gegenüber ftand. Er ift ein ebem fo edeldenken⸗
der Mann, als ein ſchreclicher Streiter. Cine Etadt, (wie
bieg fie doch?) folte geplündert werden, well der Komman
Der Zweitampf. 17°
dan gegen den General ein grober Flegel geweſen. Da
kamen die (hönften Mädchen beraus, ergriffen die Steig.
digel des Generals, warfen ſich auf die Kniee, weinten
md flehten, daß er ihre Ehre und das Leben ihrer Anver⸗
wandten ſchonen ſole. Sagt jenem Dammkopfe von Kom⸗
mandanten, ſprach der wackere Horn, daß ich Eure Thrä-
am eben fo febr ehre. als ich fein Schwert verachte. Und
die Etadt war gerettet. — Barum ift er denn jeht fo
betrübt? frug ich. — Er hat neulich feine vortreffliche Ge⸗
mablin und zwei allerliebfte Kinder am einer anftedenden
Ktankheit verloren, war die Antwort. Doch feht da, den
Drenftiern, den Reichskanzler, der chen angekommen iſt.
Belt; ein ftatslicher Herr. Habt Ihr. ein offeneres Geſicht
seihen! Gerade das, was die Italiener ein viso seiolto
ammen? Kein Kardinal Richelien! Kein Machiavel! Und
dech Mug, wie der Teufel. Da fiebt man, ehrliche Leute
Bunen auch Verſtand haben. Seht da, den jungen Hau⸗
degen, der hereineilt mit dem Helm unter dem Arm, weil
es ihm zu heiß ift! Der da, mit den halb Äber die Stirn
herunter gefämmten Haaren, wie es mehrere junge Leute
köt pflegen, ftatt fih, wie der König und der Reichekanz⸗
Ir, die Haare auf Löwenart binanfzubärften. Kennt Ihr
im — Ad, rief ich, das if ja mein gnädigfter Fürſt.
der Prinz Bernhard von Weimar! — Ia, das wird mal
der zweite Guſtav Adolf, ſprach der alte Unteroffizier —
Ber it denn ber ernfte Seldoberft, der jeßt Hereintritt umd
von allen fo freundlich begrügt wird? — Ja feht mal,
Squlmeiſter, ſprach Börge, das ift nun eben das Schöne
beim Kriege, daß ſich Berdienfte ſelbſt hervorthun können.
Das iſt der Oderſte Exahlpantich, ein Binnlinber. In ſei⸗
Deslent. Schriften. XVII,
18 Der Zweitampf.
mer Jugend war er gemeiner Bediente, jept iſt er des Her
3096 Bernhard Kamerad.
Iept hörten wir draußen im Hofe Pferdegetrappel und
Bivatrufen. Ich brauchte mic nur umzufehren, fo louu
ich auch den ganzen Hof überbliden; denn wir hatten du
Genfer im Rüden. Da war ein erſtaunliches Gebräng
von Menſchen. Soldaten machten aber nicht Pag; de
Leute wichen ſelbſt chrerbietig aurüd.- Ic fah einen grofen
Mann in neuem Anzuge von grauem Tuche; er hatte an
grüne Feder am Hute, und ritt einen ſcheͤnen Slügelihin-
mel. Görge brauchte mir nicht zu fagen, daß es der Künik
fei. — Seht mal, wie langfam er durch den Hof reitt,
er fürchtet, etwa einen der Heinen Knaben mit dem ia
au befhädigen, und hält die Hand über die Augen, deu
er ift etwas kurzſichtig. — Der König ift fehr einfah 96
tleidet, bemerkte ich; nur fein’ Pferd ift ausgezeichnet (hit.
— Das ift feine Liebhaberei, ſprach der Alte. — Un
wer, fragte ich ift der breitſchultrige Held mit dem Frifätt,
braunen Gefihte, und der junge, ſchwarzgekleidete Meuik
im Studentenkragen? Er ſcheint noch faum fiebzehn Iahrt
alt zu fein. — ‚ Der ftarte Mann, ermiederte Börge, #
der trefflihe Banner, eine Icbendige Standarte im wilbehm
Schlachtgewühle. Der Iüngling, raunte er mir ins Ou
iſt des Königs natürliher Sohn, Guſtav Guftaufon, da
er mit Margaretha Kabiliau vor feiner Ehe gezeugt hat
Schade, daß der Junge nicht Kronprinz von Schweden Ri
denn er bat vieles von des Vaters Ingenium geerbt. 6
mird gewiß ein trefflicher General. Für's Erfte fol m
noch, wie man fagt, feine Studien in Wittenberg forlicht.
Jept faß der König im Saale auf einem etwas erhäl"
ten Sig, fein Reichskanzler und feine Feldoberſten um he
Der Zweikampf. it)
ber. Der Iuftige, ſchöne Marfch, der den König empfangen
hatte, verftummte, und auf feinen Vink begannen die Haut-
beiften jeßt einen Todtenmarſch, der gewöhnlich geblafen
ward, wenn ein Offizier eines groben Subordinationsfehe
les megen erſchoſſen werden follte. Während des Marſches
warden zwei ſchwarze Särge von Soldaten hereingetragen,
und ihnen folgte ein großer, düftrer Mann, mit entblößtem
Haupte und gemeinem Geſichte Unter feinem rothen Dan
tl ragte ein ſehr blankes, breites Schwert halb hervor,
das beinahe mehr Aehnlichteit mit einem dirurgifchen In«
rumente, als mit einer Baffe hatte. — Bas ift das?
frug ich meinen alten Geſellſchafter, der bis jet fo guten
Beſcheid von allem wußte. Eben fo neugierig, als ich, ant-
wertete er aber, ohne die Augen von diefer fonderbaren
Grfgeinung zu verwenden: Das find zwei Särge und der
Bann im rothen Mantel mit dem Schwerte ift der Kriegs ·
drofog, der Scharfrichter.
As die Särge jeder in eine Ede geftellt waren, und
det Nachrichter in den Hintergrund zuräd getreten war,
fänieg die Mufit und der König ſprach ohngefähr Fol-
omdes·
Liebe Herrn und Freunde!
Es ift jedem von Euch bekannt. dag ich nach reiflicher
Ueberlegung mit meinen treuen Näthen und Zeldoberften
(bon feit Jahren in meinem Heere den Zweikampf verboten
and dei Todesſtrafe verpönt habe. Das Duell war in der
Heldenzeit nothwendig, als noch fein Geſetz den Ginzelnen
fügte. Nachher baden die Ritter in ſchwärmeriſcher Lie-
benswürdigteit dieſes, wie fo vieles andere, übertrieben.
Bir follen aber ihre Uehertreibungen nicht nachahmen!
Und doc fehen mir heute, dag zwei wadre. ehrenwerthe
3°
20 Der Zweitampf.
Helden fid) zu einer ſolchen Thorheit verleiten Taffen, und
vieleidht fogar währen, Bewunderung zu’ erregen, weil fie
auf den erften Wink glei’ zum Gurgelabſchneiden bereit
find! .
Nun Könnte ich Euch freilich wankelmüthis erſcheinen
meine Herren, weil ich den Zweitampf im Allgemeinen ver⸗
biete, und ihn dann zweien meiner Offiziere in meiner er
genen Gegenwart erlande. Hier aber ift ein ganz befonde
rer Tall, wie Ihr hören werdet. Zwei Gelübde binden
mich und widerſprechen ſich wechſelſeitig. Um bei diefem
ſonderbaren Verhaltniſſe Sengen zu fein, und es richtig be⸗
urtheilen zu können, hab’ ih Euch Alte hierher eingeladen,
damit Ihr mic beftens entfchufdiget. Die beiden Rittmei-
fer Soop und Seifert wollen durchaus einander den Hals
drehen. Ihr kennt fie beide ale ehrenwerthe Männer. Sonp
bat fi) ſchon lange ale Held bewieſen, er hat mir im pol⸗
niſchen Kriege das Leben gerettet, als Strot mitten im Ger
mihel meinen Hut erbeutete; welcher gottloſe ketzeriſche Hut,
wie man fagt, von den Defterreichern nach Loretto geſchidt
iſt. um den Altar der heiligen Jungfrau zu ſchmücken. Das
mals flug id) Soop zum Nitter und gewährte ihm, im
Vertrauen auf feine Beſcheidenheit, eine freie Bitte. Bis
jegt bat er nichts von mir verlangt. Gefern aber hat er
mich erfucht, ſich mit dem Nittmeifter Seifert fhlagen zu
dürfen. Seifert, der auf deutfhen Iniverfitäten feinen Hels
denmuth gelernt bat, heweift mir mit vielen lateiniſchen und
griechiſchen Broden, dag id) ihm billigerweiſe feinen: Wunſch
night abſchlagen Könne.
Bas bleibt mir nun zu thun übrig? Mein Wort an
Soop: ibm eine freie Bitte zu gewähren, kann ich wicht
bredien; mein Geſetz Tann ich feinetwegen nicht umftogen.
Der Zweitampf. 2
Durd) Ueberredungen und Gründe der Vernunft laſſen ſich
die Gegner nicht befänftigen. Glücklicherweiſe habe ich in»
deg einen Ausweg gefunden. Eie wollen durdaus ihre
Zapferfeit gegen einander verſuchen, fie wollen durchaus
einander vernichten. Sei dem alfol Ihre Wünſche ſollen
ihnen beiden gewährt werden. Dann hat keiner ſich zu bes
Hagen. Ich will ſelbſt Augenzeuge ihrer außerordentlihen
Tapferkeit uud Unerfhrodenheit fein. Boblan, meine der
ten, jeßt fechtet, bis der eine bleibt! Ic habe den Kriegs»
vrofog hierher befelt: in dem Yugenklide, da der eine
wdt liegt, ſchlage der Scharfrichter vor meinen Augen dem
Andern den Kopf vom Numpfe! So wird jedem fein
Vunſch gewährt, id) halte mein Wort und das Geſeß wird
ihr übertreten. .
. Hier ſchwieg der König; der Trauermarfd ward wie⸗
der geblafen; die Särge wurden näber gebraqt, der Scharf
rüßter trat hervor und entblößte fein gräßlihes Schwert.
In diefem Yugenblide fab ih die beiden Feinde ſich
dem Könige zu Zügen werfen und um Gnade bitten.
Mich Habt Ihr um nichts zu bittten, ſprach der Kö-
ng, als Alles wieder ruhig war, denn wenn Ihr nicht
kämpft, Hat der Scharfrichter hier nichts zu thun. (Er gab
einen Wink und der Büttel entfernte ſich ſchnell durch eine
Hinterthüre.) Wollt Ihr aber vor Diefer ehrenvollen Bere.
hmslung Eure Achtung als Chriften wieder gewinnen,
fo vergeßt allen Groll und umarmt Euch als Freunde, —.
Die zwei Feinde Jagen einander in den Armen.
22 sıäd
3
Sstäd.
Nach diefem Auftritte ging ih Seiferts Wohnung mir
der zu. Lachend und keck kam er mir entgegen, reichte mir
froh die Hand und rief: Nun, nicht wahr, Albert? Das
mar eine ſchoͤne moralifhe Komödie? Noch beſſer als das
Narrenſchneiden beim Ritter Knaufdegen? Alles das hab"
id) nun fo eingerichtet, mein Kind, um Dir ein Vergnügen
au machen; damit Du auf einmal einen Ueberblid des Gan-
zen bekommen mögeft. Hat der König nicht fehr gut ges
ſpielt? Das ift wirklich unfer allerbeſter Acteut. — Er hat
nicht gefpielt, Seifert! rief ich ernft; er war die Wahrheit
ſelbſt. — Nun ja, fuhr der Andere ruhig fort: das mein
ich ja eben! Ein gutes Spiel Tann nie ohne innere Wahr⸗
beit fein. Befonders mar der Einfall mit dem Scharfrich⸗
ter allerliehft. Das mirde ihm fein anderer fo Leicht nach⸗
gemacht haben; zu fo etwas muß man geboren fein.
Und nun, mein Kind, ſprach er, meine Hand freund
lich ſchüttelnd, bleibſt Du bei mir; ich habe ein Kleines
Abendmahl beftelt, wo der Ochs und der Windbeutel wie⸗
der Brüderfhaft trinken werden. Willſt Du au etwas
Gutes thun, fo made uns ein Lied darauf, Du kaunſt ja
reimen! Laß es aber um Gotteswillen Iuftig fein, damit
Rein und Freundſchaft beffer hinuntergleiten, und nicht wie
Moral und Staub in der Kehle fteden bleiben.
Ich ließ mir das nicht erft wiederholen; er ſchloß mich
ein, nachdem er mir Papier, Feder und Dinte gegeben hatte
"und ich machte folgendes Lied, das die Herren Offiziere am
Abend mit vieler Freude und unter hohem Gelächter zu-
- fammen fangen, nachdem fhon der Wein das Befte gethan.
Sstäd. 23
Der Ochs und der Bind.
Der Dohs iſt ja ein edles Thier,
Wir haben ſelber einen hier,
Mit farter, breiter Stirne,
Der nicht den Feind mit Hörnern Mößt;
Weit mehr: mit dem Gehirne!
Der Bind if aucı ein gutes Ding.
Zwar iR der Wind ein Sonderling,
Der mütden kann und koſen.
Wald ſchnaudt er in Sibiriend Schner,
Bald fpielt er in den ofen,
Der Dis, der Wind nicht Foumen fich
Ms Feinde felagen ritterlich,
enn fle ſich auch gefunden;
Denn Noßen Hörner in den Bind,
@as fönnen fie verwunden?
And HIÄR der Wind den Odıien an,
> &3 nicht dem Starten ſchaden fan,
68 wird fein Haar ihm rupfen,
Der Ocht trägt einen guten Peli,
Bekommt fo leicht nicht Schnupfen.
Doc beide find des Bauers Heil, -
Wird zutes Wetter ihn au Aheil.
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2 Gıäae.
Dann konnen Arduter fprieben:
Dann graft der Oche im fetten Alee,
3a Hoten Viumenwitſen.
Drum Bind und Ochfe Ia’t den Gtreit
Und feid allein zur Tpat bereit,
Den Bauer au beglüden.
And will der Froſch ein Ochſe fein,
Mag! er von Wind in Stüden!
Das Lied gefiel; es verbreitete ſich ſchnell im Lager,
und am auch dem Könige zu Gefiht. Schon am dritten
Tage lieg er mic) rufen. Mir mar ganz elend zu Mutbe,
und id wußte in meiner Verlegenheit weder aus noch ein.
Ich frug Seiferten, ob er mir nicht einen ſchiclichern An-
zug verſchaffen inne? Gr ſprach aber: Albert, das ver-
ſtebſt Du nun wieder nit. Eben in diefem abgetragenen
armfeligen Küfterrode mußt Du vor dem Könige erſcheinen
und als Freund rath’ ich Dir, noch unterweges einige Li
her in die Aermel zu reißen. Hübſche Kleider Hat der Kir
nig genug gefehen: Du mußt aber in Deiner ganzen Ei⸗
genthümlichkeit auftreten, als des großen Luthers Enfel, der
auf die Knie gekommen ift; das wird eine lebhafte Theil⸗
nahme bei ihm erweden, umd vor Sonnenuntergang, welt
ich, läßt er Dich repariren und neu überzichen.
Die Knie zitterten mir, als ich aufs Schloß ging, und
die Erde ſchwankte. Es balf gewaltig, als ich große Un
ruhe im Burghofe mit Baden und Bagenaufladen wahr
nahm und erfuhr, der König wolle gleich aufbrechen und
weiter ziehen. In diefem Wirwar, date ih, wird er widt
fo genau auf Did) Achtung geben, und die Audienz wird
sähe 26
nur kurz dauern. Als ich in das Gemach des Konigs ge⸗
führt ward, ging er nachdenkend auf und nieder und dit-
firte feinem Geheimſchreiber in die Feder. Der Dienſtha ·
bende Offizier, der mid) einließ, berichtete gleichfalls, daß
der Reichetanzler gleich kommen werde. — Holt mir doch
ſogleich Guſtav Guftaufon, fprad der König; drauf ſich
freundlich zu mir wendend, frug er: Bilt Du der junge
Käfer, der Enkel Luthers, der Freund Seiferts, der gehern
das hübfehe Lied. gemacht Hat? — Id antwortete zitternd,
nich tief verbeugend: Ja, Ihro Königlihe Majeftät. —
Run, fei nicht hange, mem Kind, ſorach er Ieutfelig, mir.
it der Hand Die Wange. ftreichelnd; ſeh' ich denn fo fhred-
ip aus? Gr betrachtete mid mit einem wahren. Bafer«
hide, worin feine ganze große Sede offen lag, und alsbald
war meine Furcht. verichwunden. — Ah nein, Ihre Mar
jeſtat anttwortete ich: man kann aber and vor Freude git⸗
tn. — Wie nad’ biſt Du denn Luthern verwandt? frug
a. — Ad, nur ehr weitläuftig, erwiederte ich; ich ſtamme
mätterliper Seite von einem Bruder von ihm ber. — Du
bat ein ehrlich ofen Beficht, fuht der König freundlich fort.
mir immer Muth. einflößend, in fo fern ſiehſt Du ihm ähn⸗
lid; Luther war aber nicht bübſch, und Du haft ja ein
wahres Maͤdchengeſicht. Kaunſt wohl gar wie ein Mädchen
rat werden? Umd weinen? — Es rührt mein Gemäth fo
tief, ſprach ich leiſe daß Eure Majeftät fo berablaſſend mit
einem. armen Menfhen ſprechen. — Mer Geiſt, Herz und
Zugenb hat, ſprach der König. iſt nicht arm. I wollte
gern etwas für Dich thus, habe aber krine Seit, mic Ihn»
ver bier aufzubalten. Du bift in einer gelehrten Schule
Anterricgtet, Möre ih. baſt aber noch keine Univerfität beſucht.
Zum Küfter biſt Du zu gut, mußt Predigtr, wie Luther
% Sstäd.
werden: möibtet Du wohl mit meinem Sohne nad; Bit,
tenberg ziehen und es da fo gut wie er haben? — Ih
ſtand mie verfteinert; der ſchͤne Tüngling, den ich geftern
im Hofe gefehen, trat herein. Guftav, ſprach der König
mein Sieber Sohn! ich muß Dich jegt verlaflen. Beide um
armten ſich und meinten herzlich. Cie gingen in's Neben
zimmer amd Überlegen fid ihren Gefühlen. Inzwiſchen
ftand ich allein, war verlegen in der Geſellſchaft des ſtolzea
Scpreibers, der mich mehrmals mit einem verachtlichen Bit
betrachtet hatte, zerfnällte meinen Hut und wärnfchte der
König zurüd, mit dem ic ſchon Bekanatſchaft gemacht Hatte.
Meine peinlige Lage vermehrte fih, als der Reihe
Banzler Arel Drenftiern hereintrat, ſich niederl'eß und auf
den König wartete. Der Schreiber reichte ihm einige Par
piere; er ſah fie flüchtig durch runzelte mehrmals die Stirn
und frug ihn, fie wieder zurüdgebend, auf Schwedifd, was
ich doch verftand: If denn Abo noch immer krank? Kam
er nicht bald wieder arbeiten? D ja, antwortete der Schrei⸗
ber, er kommt morgen. Sind Eure Excellenz etwa nicht
mit der Arbeit zufrieden? — Nun, ſprach der Reichskam-⸗
ler, ich habe mich am Abo gewöhnt; er kann ſich beſſer in
meine Art fügen. — IC hatte während der Seit nicht ge⸗
wagt, den Kanzler zu grüßen, das fiel ihm auf und er frag
jest den Schreiber auf Deutſch, weil er wohl merkte, ih
fei ein Deutſcher: Wer it der junge Menſch? Was mil
er? — Das ift der Küfter, gnädiger Herr, antwortete der
Styreiber huriig, mit boshaftem Laͤcheln, der geftern das
Lied vom Bind und Ochfen gedihtet hat.
Jetzt lief es mir wie Eis über den Rüden, Here Jeſes
dachte ih, Du haft mit dem Namen des Reichetanzlere
Deinen Scherz getrichen! Jeht ſtehſt Du vor ihml Bir
stäl 7
wird das ablaufen? — Der Kanzler, der meine Angft ge⸗
+ mahr ward und ſogleich verſtand, lachte laut, erhob ſich
vom Stuhle, legte feine Hand auf meine Schulter und
frac, indem er mir wie der König ſogleich Vertrauen ein.
fügte: Im der That, licher Freund, Ihr habt mir ein wah⸗
16 Kompliment gefagt: dag meine Ochſenſtirn mit dem
Gehirne und nicht mit den Hörnern ftoge. Ih dankte Euch
für den guten Schwant, er hat mid ſehr ergüßt, «6 if
Geift darin. Nun, feid nur nicht fo blöde. Seh' id dem
uns wie ein Dummtepf, der keinen Spaß verficht? Nehmt
Dies dafür zu meinem Andenken. Zugleich reichte er mir
eine große filberne Schaumünze, die der König neulich auf
im Sieg bei Leipzig hatte prägen laſſen.
Der Kanzler ward jeßt zum Könige gerufen, und ich
blieb mit dem Secretair allein. Da ich aber bereits fo
große Patrone bei Hofe hatte, wagte id) es, feinem flohen
Blice mit ziemlicher Nude zu begegnen. — Schöne Ein
rißtung! brummte er in den Bart, man braucht nur ein
erbärmliches Lied zu fhmieren, fo wird man und befommt
man, ich weiß nicht was. Und ein Anderer kann ſich in fo-
liden Gefdhäften von Morgen his Abend matt arbeiten, die
Finger lahm fchreiben, und befommt noch Spitzworte oben⸗
drein. Der Abo! Als wenn er allein das Pulver erfunden
hätte. — Ich begnügte wid, die zwei letzten Zeilen meines
Bedes in den Bart zu brummen:
Mad wiß der Froſch ein Ochſe (pin,
Play er von Wind In Gtüden!
Bas Teufel nimmt Er ſich Herans, rief der aufge»
nase Schreiber, Er fingt und trällert in des Könige Kar
?
3 läd.
Ieht kam der Dienfthabende Offizier, der mich herein
geführt hatt, und bat mich, ihn zu begleiten, cr wolle mir
Neifeffeider verſchaffen, denn in einer Stunde folle id mit
dem jungen Guftav nad Wittenberg fahren. Allein, lieber
‚Herr, frug ich naiv, wie komme id denn mit meinem guten
alten Prediger zurecht, wenn id) mein Amt ohne Urlaub
verlaffe? — Das wird der König ſchon in Ordnung brit-
gen, fagte der Offizier! Ich werde dem Schreiber hier tr
nen Brick dietiren! Und gewiß, ich werde Eure Sage int
+ befte Licht ſtelen. — Auch das noch, fenfate der Shreiber,
und zernagte die Feder. Harte Prüfung! — Triumphirend
folgte ich dem Offizier, freute mid) jedod, daß ich den Hef.
wo die Gunft feinen Augenblick beglüden kann, ohne ie
glei) den Neid zu erwerten, fo bald verlafien Hatte.
a.
Unsgtäüd.
Mit dem herrlichen Jünglinge Buftav Guſtavſon be
zog ich nun die Wittenberger Univerfität nnd lebte mit ihn
dort ein Jahr, ohne daß es eigentlich zur Freundſchaft zwi⸗
fen ung gefommen wäre. Dazu waren wir Beide zu ver
fhiedener Natur. Als Sohn des großen Guſtavs, went
auch aus unebelicer Verbindung, ‚fühlte ih ihm welt über
mic) geteilt. Auch Yatte er, bei aller feiner Gutmütgigkeit
einen gewiffen Stolz den ich bei den mehrften Adelichen
Ungiiäl »
‚gefunden, "dem ich gern entſchuldige und fogar natürlich finde,
den aber meine Natur nic bat ertragen Fönnen; denn auch
id war ſtolz auf meine Urt umd zog mich bald empfindlich
zurück, wenn man mir nicht mit Suneigung entgegen kam.
&r war einige Jahre jünger als id, fannte die Welt noch
gar nicht, war aber fon weit gelehrter. Um feinem gro»
den Vater zu ſchmeicheln, machte man ibn nad damaliger.
Sitte zum Rector der Univerfität. Er benahm ſich mit An
Rand und fogar wit Beſcheidenheit iu diefer Würde, und
hielt beim Antritte feines Rectorats eine zierliche lateiniſche
Rede, die das Lob der größten Philologen erhielt. Dennoch
wor ein ficbenzehnjähriger Rector Magnificus eine feltfame
Erfteinung; aud ward id) fehr wohl gewahrt, daß er eis
gentfidh zum Gelehrten nicht geboren fei. Der Soldat gudte
überal hervor. In feinen Zimmern hingen Rappiere, Schwer»
ter und Helme, unter Quarten und Folianten; ünd ſtatt
eines Screibtiſches lagen feine Schreibgerätge gewöhnlich
auf einem Paar großer Pauken, auf denen er fih oft bis
Mrät im die Nacht übte, fo dag man, wenn ganz Wittenberg
fhlief, den Nector Maguificus noch auf feinem Zimmer die
vauken ſchlagen und die Trompete biafen hören konnte.
Immer hatte er Luſt zu fechten und bierin fam ihm Keis
ner an Geſchicklichteit gleih. Im jugendlichen Uebermuthe
Warf er mir mancmal, wenn id an feinen ritterlihen Uebun⸗
gen nicht Theil nehmen wollte, vor, dag ich Leinen Muth
beige. Nichts auf der Welt konnte mic empfindlicher kraͤn⸗
ten. Eine dunkle Röthe färbte mein Gefiht, und ich zitterte
vor Aerger. Da er aber der Cohn meines großen Wohl
tzaters war, zwang id mid, ihm nicis Unangenehmes zu
fagen, und begnuͤgte mid) zulept Damit, ihn gelaſſen zu hit
ten: Thut mir dech nicht den Schimpf, lieber Herr, mir
30 Ungtäd
Beigheit vorzuwerfen. Der Muth des Menſchen ift verſqu⸗
den, wie fein Charakter. Wie kann ein tiefes Ehrgefähl
ohne Muth fein? Vielleidt habe ih wicht, mie Ihr, den
augenbliclichen, friegerifhen; es gehört ‚aber auch Muth
zum Ausbarren, zum Arbeiten; se8 gehört Muth dazu, ee
mas Neues umd Eigenes zu denfen und zu erfinden. E
giebt auch eineu geiftlichen Muth. Glaubt Ihr nicht, deh
Luther Dutch beſeſſen Habe? Ei, rief er, das folle ih me
nen, als er gen Worms nach Teufeln und Ziegelfteinen ritt.
Nun ja, rief ih. Dagegen würde er fih mit dem Schwerte
in der Hand läherli) ausgenommen haben. Und welhe
von diefen beiten Arten hat denn mein Vater ? frug er
mid, prüfend. — Er hat fie Heide, rief ich entzüdt, er ik
ebenfo guter Bürger als Edelmann, denn er ift ein wahrer
König, und der muß beides in fid) vereinigen. — Das it
wahr, ſprach Guftav, mein Bater ift Ales. Guftauusik
aur ein Anagramm von Auguftus; er vereinigt Alles in
fi. — Er ift weit größer als Auguftus! ſprach ich; Der
war nicht chen befonders groß. — Wie fo? frug er ver
wundert, findet Ihr den Kaifer Auguftus nicht groß? Glaubt
etwa Ihr ein Anguftus fein zu lönnen? — Behüte Both
antwortete id, dazu Hab’ ip weder feine glänzenden, ud
feine ſchlechten Eigenſchaften. —
Benn der junge Guſtav Briefe von feinem Bater br
am, zeigte er fie mir immer, und wir folgten froblogend
dem berrlihen Sieger auf feinem Zuge. — Als der Vatet
ihm feinen feierlihen Einzug in Augsburg beſchtieb, wo er
plotzlich am Abende Luft zu tanzen befam, und ſich mit den
Zochtern der Fuggerſchen Häufer und mit mehreren anne
fenden fürſtlichen Perfonen etliche Stunden lang durd eng
liſche und deutſche Tänze erluſtigte, warf der Sopn der
Ungiäd. 3a
Cieero de officlis, den er eben in der Hand hielt, durchs
Fenſter in einen großen Waſſerbehälter und rief weinerlich:
Rein, das if zum Tollwerden: er dreht ih auf dem Balle
mit den niedlichen ſüddeutſchen Mädchen herum, und id
armer Unglüdiiher muß bier fipen, um den Cicero de of-
Seile zu fludiren,
Die Schlacht bei Lügen war nahe. Alles hofite, Gu⸗
Rad werde den Wallenftein befiegen — id überlieg mid
ac dieſem Gedanken; — eine dunkle Ahnung aber be
fünerte zugleich meine Bruft. — Ih und mehrere Profeſ-
foren waren eben zugegen,. als der Sohn den verhängnig«
wollen Brief erbielt. Er war nicht von dem Bater, fondern
von Ochfenftiern, und mit einen ſchwarzen Siegel verfehen.
Der Jüngling öffnete den Brief und ward leichenblaßz, zit,
terte aber nicht. Ohne eine Miene zu verändern, las er
den Brief zu Ende; darauf ſprach er mit ſchwacher Stimme:
Freut Euch, meine Herren! die Yroteftanten haben gefiezt.
die Griedländifche Mannſchaft ift zu Grunde gerichtet, Wal⸗
lenſtein iſt wie eine Memme geflohen! Nur ein Mann ift
auf der ſchwediſchen Seite gefallen. Mit diefen Worten
Rürzten ihm die Thränen aus den Hugen, er eilte aus der
Mir und die Treppe binab. .
Bir folgten dem unglüdlihen Sohne nach und fon
ten ihn lange nicht finden; endlich hörten wir, er habe ſich
ſelbſt in den Carcer gefverrt, um Ruhe zu haben, und das
mit ihn Niemand weinen fähe. Dort blieb er vier und
wanzig Stunden, ohne etwas zu genießen; nur der Nachts
wachter hörte ihm laut reden, den Vater beim Namen ru⸗
fen, heulen und jammern. Dann trat er wieder hervor,
bla wie.ein Geſpenſt, länger und hagerer. Biele Haarlo-
den haste er fich in der Verzweiflung ausgerifien, auch wa⸗
3 Ungiäüd
ren ihm zwei Gelenke am der rechten Hand verwundet, eher
daß er es wußte.
BUN Du mid begleiten, Albert, frug er, die Leiche
meines Vaters zu fehen? Cie wird nad Stotkholm ge⸗
bracht, wir wollen ihr auf dem Wege begegnen — da
-. gern, lieber Herr! antwortete id. und ging mit ihm anf
fein Zimmer. Gr öffnete einen Schrant. worin eine vol
ſtandige Rüktung bing, und rief: Jeßt, Vater, will ih ach
in den Krieg. Ic will in Deine großen blutigen Fupka-
fen’ treten, ich werde Deine Mörder treifen. —
Bir begaben uns auf den Weg, und hörten, als wir
nad) Grimma famen, daß die Leiche dort gegen Abend ct
treffen werde; und dag die Königin Maria Eleonore, de
ibrem Gemahl nad) Deutſchland gefolgt war, mitreife, um
die Leiche nach Schweden zu bringen. Dann, ſprach 6
fan ernft und im ſich gekehrt, mäflen mir incoguito bir
bleiben. Ih mag fie nicht, und fie foll mich wicht zum ei⸗
ſten Male am Sarge meines Vaters ſchen
Als Wittenberger Studenten mietheteu wir uns jet
ein Beines Zimmer in der Haupkftrage, ziemlich then
denn die Stadt war ſchon von Menfcen, befonders in dm
Straßen, wo die Leiche vorbei mußte, um in der Kirche bir
gefept zu werben. Hier wohnten wir nun Mil hinter dm
Fenftergardinen dem Auftritte bei. Denkt Euch den Bar
Rand des armen Jünglings als er durd die Nie des gel
nen Borhanges den bededten, von Garden umgebenen Bi
gen fah, der ziemlich fämell nach der Kirche hingelentt war,
als die Königin im Gaſthof abgefliegen war. Der Bag
Konnte aber nur langſam forttommen, weil die Straße vb
ler Menſchen war, die fih grade vor den Pferden auf Die
Arie warfen, die Haͤnde gegen den Leichtuwagen firidten
Ungiäüd, 3
md ſthluchzend ausriefen: Gott fegne Did, Du edler Gu-
av Adolph in Deinem Himmel, Du unfer zweiter Luthert
Du der Lutheraner Vater, Beſchüßer und Erretter. — Da
meinten die alten Schnurrbärte, die dem Wagen folsten,
die Veteranen, die ale Schlachten mit Guſtav gemacht hate
ten, und deren Rräftige braune Geſichter faſt alle mit Eh⸗
tennarben geziert waren. Guſtav Guftanfon und ih ware
fen uns innerhalb des Fenſters auch mit gefalteten Händen
nieder und beteten mit dem Bolte,
Sobald «4 duntelte, gingen wir am. Rärmifhen Nos
Imber- Nadımittage zum Küfter und verlangten, daß er
us die Kirche öffne. Er erwiederte: er könne unmoͤglich
unfern Wunſch gewähren, er hätte fhon Dielen die Bitte
abfühlagen müflen, und es fei ihm ſtreng verboten, Jeman⸗
den in die Kirche zu laſſen.
Ihr follt mir nicht nur die Kirche, fondern auch den
Sarg öffnen, rief der Iüngling mit Donnerfiimme, denn
ih bin fein Sohn, und id will die Leiche meines Vaters
feben. — Sobald der erflaunte Mann das hörte, lief er
bin, Anftalten zu maden; und es ergab fid, dag gerade
der Rittmeiſter Soop bei der Kirchenwache das Commando
führte, Sobald er den jungen Guftav erfannte, gab er
Befehl, die Kirche und den Sarg zu Öffnen. Aber ach! Vom
srogen Guſtav Adolph mar nichts mehr zu fehen. Sein
aufgefhmollenes, blaues Gefiht hatten die Wunden und der
Id ganz entftellt. — Der Sohn flarrte fange auf die zer⸗
fehten Ueberrefte, dann frug er Fleinlaut: IN der Leichnam
da wirtlich mein großer Vater? Iſt denn gar nichts von
ihm übrig geblieben? — Ia, bei Gott, rief der Nittmeifter
Corp! Sein unſterblicher Ruhm. der über die Vernichtung
der Zeit ewig erhaben if. — Da erblidte der Sohn des
Replenf. Eahriften. XVIL. 3
u Ungläd.
Baters rechte Hand, die noch ganz und unverlept war. Er
bededte fie mit Küſſen und rief: Jeht erkenn' Ich ihn wie
der! Ihr habt mich nicht getäufcht, mir nichts worgelogen.
Da ift die Hand, die den Tilly, den Wallenſtein gefihlagen
bat, die das Nettungsfhisert der Chriſten in Deutſchland
geführt. Kennt Ihr fie noch, diefe Helden» Rechte mit dem
kräftigen Daumen, den langen ſtarken Fingern, den fhdnm
gtoßen Nägeln? Diefe Hand, die eben fo männlich ds
Schwert faßte, als fih kindlich ⸗ fromm vor Gott dem Ik
mächtigen faltete! Diefe Hand, mit der er mir zum Iehten
Male feinen vaͤterlichen Segen gab.
Eine tiefe Stile herrſchte. Der Sohn lag Lange ra
los neben dem Sarge, drüdte die blaſſe Leihenpand an fer
nen Mund und ſchlen zu beten; endlich Rand er auf um
entfernte ſich erfhöpft und ſchweigend; der Dedel mar
mieder von dem Veteranen über den Sarg gelegt. Ak
folgten ihm langfam aus der Kirche. Als ic in Zräum
verfunten, meine Augen wieder auffhlug, traf es ſich, da
ich dem Nittmeifter zur Seite ging, — Bie geht es Seh
fert? wagte ich zu fragen. Er ift in der Schlacht gefallen,
antwortete dieſer. — Ic ſchwieg und folgte dem Ritter
fer aus der Kirche. Was war Seiferts Verluſt gegen du
des großen Guſtavs? Allein er war doch mein Freund ge
weſen; und ich Tonnte ihm meine Ehränen nicht verſagen
Deland. 3
5
Deland.
W blieb in Wittenberg bis 1635. Ich will Euch nicht
dit ermüden, wein Tagewerk zu miederholen: mie oft idy
Pntgers Grab beſuchte, wie gern ich in den Univerfitätsge-
bänden verweilte, wo er zu wirken angefangen hatte, in den
Ööfälen faß, wo er als Profefer Borlefungen gehalten,
Rat bisweilen, wenn fonk Niemand zugegen war, beſtieg
iß das Natkeder, mo der große Mann geſtanden. und hielt
Bir ſelbſt begeifterte Reden. Meine Freunde nannten mid)
am Scherz den Klofterbruder, weil fie von mie glaubten,
dag ih, mitfemmt meiner Gutmäthigkeit ein Faulenzer fe,
Bas dies Lepte betraf, fo möchten fie mohl, obſchon mit
in ihrem Sinne, Recht gehabt haben. Id fühlte, dag in
wir ein praktifches Talent erwache. welches nit blog zum
Bihenfnaftlichen führte. Ein Tiſchler kam oft ins Gym⸗
aafum: fein fünflihes Handwerk ergößte wid, ih ver
Maffte mir eine Debelbant, und während id Andere oben
im Auditorio über pbilofophifge Subtititäten lateinifch zamt-
irn, lernte ih unten Stühle, Tirhe und Schränfe maden.
Unſer Nachbar. der Schmid, erhielt von mir häufige Ber
füge, uud owroohl id hei ihm micht fo große Foriſchrute
wahte, ald Bei dem Ziſcler, Iernte ich doch Wandes, das
ir vachher zu Nugen gekommen if.
Endikh gefiel «6 mir wicht Länger in Wittenberg ich
welte etwas nsehe von der Belt feben, mich verlangte wie ⸗
der nach Abenteuern. Fr
"36 Deland.
Jept fiel es mir ein, nad) dem Norden zu reiſen. Durh
Guftav Adolf und feinen Sohn war Schweden mir lich
geworden. Mit den Kenntniffen, die ich befaß, fagte man
mir, würde es mir ein Leichtes werden, dort mein Glüd
zu magen.
Mit einem Meinen Fahrzeuge molte ich von Danzig
nach Calmar fegeln. Ein Sturm nöthigte uns jedoch, an
der Infel Deland beizulegen. Hier befam ich das falte
Sieber, magte nicht, weiter zu reifen, und mußte in einem
Dorfe mehrere Wochen verbleiben. Der Bauer war eu
wohlhabender Mann, man behandelte mid) gut, auch batte
id) fo viel Geld, dag ih vor's Erfte nicht braudte mir d-
was umfonft geben zu laſſen. Das Fieber konnte ih abr
nicht wieder 108 werden. Es war auf der Infel ein Ark,
und der von Galmar taugte auch nicht viel. Ich beit
daher mein Fieber, welches mich dermaßen ermattete, dad ih
befürchtete, die Krankheit werde einen gefährlicheren Cha⸗
rakter annehmen,
Im diefem Zuftande tröftete mid, ein junges Dienftmäd
Wen; ſtark und ſchlank, ſchön gewachſen und fehr him.
Ste liebte den Sohn vom Haufe, und er fie wieder. Die
" Eltern wollten jedod nichts davon willen, weil das Mid,
en arm war. Das gute Kind martere mich im mein
Krankgeit ſeht gewiſſenhaft. Es dauerte micht fange, ſe
lernte ich fo viel Schwediſch daß id fie meiftens verfland.
Ihr Bräutigam war nad) Danzig mit einer Ladung Kalle
fteine abgegangen, denn die Einwohner an der weſtlichn
Küfte Icben befonders von dem Ertrage ihrer Kaltrteinbräht
und verfehen Riga, Danzig. und Neval damit. Ich bean
erte die gute Sara vorzüglich deswegen, daß fie fo weit iu
gehen hatte, um Waſſer zu holen. Denn da der Brum
Deland. 3
Ber fteinig if, kann utan feine Brunnen graben, fondern
begnägt ſich mit den fparfamen Quellen, die ſich durch das
Regenwaſſer aus den Bergrigen fammeln. Deswegen iſt
das Sand auch fo mit Dürre geplagt, dag nad langem
angel an Regen‘ die Biefen ganz dunkelbraun find. Def
ftaohngeachtet liebte Sara ihre Heimath, und erzählte mir
aft von den vielen niedlichen Hafen und Neben, die über
den Beg liefen, wenn fie nad) der Duelle ging, und von
den unzähligen Nactigallen und andern Singvögeln, die ix
den Dornbüfen und belaubten Bäumen fängen.
Einft kam fie ganz wehmüthig von einer Hochzeit im
dr Nachbarſchaft nach Haufe. Sie erzählte mir, mie der
Bräutigam dem Zuge voran, dem Prediger zur Seite ger
Kit, wie dann die Braut mit ihren Brautjungfern zu
dahe gefommen ſei. Das Better war ſchlecht. es hatte di⸗
fer geregnet, und mitunter wären fie durch das ſteigende
Seewaſſer bis über die Knoͤchel gematet. Daraus hätten
fe fih aber Alle nichts gemacht, und Sara war nor ganz
Ib; fie waren ftark gelaufen, denn je ſchneller die Braut
wit ipren Jungfern zur Kirche läuft, deſto mehr wird es
fr zur Ehre angerechnet.
Saras Beliebter kam zurüd, und hatte gute Geſchäfte
macht; ale er aber hörte, das Mädchen babe ihren Dienft
anfgekündigt Cvermuthlic, um den Alten zuvor zu Eommen)
ud wolle zu ihrer Mutter, in einem entfernten Dorfe, zu⸗
rietehren. ward er fehr betrübt.
Ich lag in einem offenen Alkoven, der an das große
Bimmer ftieß, welches für Fremde beftinmt war. Nur dort
mar es dem guten Jungen erlaubt, fhät Abends mit feiner
Sdonen zu ſprechen; denn fie wußte, dag ich nicht fo früb
tiuſchtief; ich war in ihr Geheimniß eingeweiht, fonnte das
38 Deiaund
Bett nicht verlaffen: fie waren daher auf die Beife alein
und nicht allein, was eben die Mädchen fo gern wollen.
Sie Aritten fih immer. Er wollte, fie folle fagen: „Ih
liebe Di,“ und ihm einen Aug geben. Das wollte fe
aber nicht, weil feine Eitern die Heirath nit erlaubten.
Brit war außer fi; bald weinte er. bald ward er bife
und fluchte, bald Überredete er. Es half ihm aber Als
nichts, und obſchon das Maͤdchen für ihn wie eine Nofe
glügete, wollte fie doch nit fagen: „Ih liebe Di,“ fans
dern nur: „Ich bin Dir vom Herzen gut.” Auch durfte m
wur die Wange, nicht den Mund küffen.
In feiner Verzweiflung fam er einmal zu mir im den
dunteln Altoven, als ic gerade einen ſtarken Fieberaufal
Yatte, fo dag mir die Zähne im Munde Mapperten, und
fragte weinerlich: IN das nicht eine abſcheuliche Kälte, Her
Magifter? Sie wil nicht fagen: „Ih liebe Di,” und mir
einen Kup geben. — Ah, Kinder, feufzte id unter der
Bettdece zitternd, feid doch feine Narren! Bertragt Euch!
Beuießt in Unſchuld und Freude Euer junges gefundes Le⸗
ben. Wenn das beinerne Gerippe mit der Senfe font
um mit den Zähnen Mlappert, wie jeßt, dann If das Ale
norbei.
Das wirkte. Ein ſolcher Orakelſpruch von einem Ster⸗
benden (fo ſah ich wenigſtens aus) führte Sara plößls
von allen fpröden Bedentlichkeiten zur Natur und Billigkeit
zuräd, Cie umarmte Erik, ſprach: „Ich liebe Dig,” umd
ihre Lippen begegneten ſich. In diefem Augenblide ging
meine Fieberkälte in Hihe über.
Es war eine entfeplihe Naht. Der Eturm wäthee,
und id Tonnte die Brandungen gegen die Klippen toben
hören, Furchtbare Bindftöge heulten über Feld und Wald.
Deland. 3
Ja Traume fa es uns vor, als ob ein großer Rettunge-
engel, ein Cherub mit ſechs ungeheuren Flügeln (wie ihn
Egehiel beſchreibt, fern am Üden Firmamente zu Hülfe eile.
Ms er aber näber ſwebte, erſchrak ic vor ſeiner unge
kuren Geftalt, und kroch unter die Dede.
Ich wollte mid im Bette umfchren; da trodnete ig
eine freundliche Hand die Stirn, und eine Stimme fragte:
Run, Herr Julius, wie geht's? Ihr feid wohl ſehr ange
wien? Ach, Sara! rief ih, biR Du da? Bo it Erif?
Er ift ſchon zu Bett, antwortete fie. Haft Du den Engel
wirken? frug ih. Ihr feid wieder in einem ſchweren
Traume geweſen, ſprach fie, und ic wollte Euch fo lange
wit verlaffen. : Iept boffe ih, das Fieber werde für dies
Nal vorüber fein, und id will auch ruhen. Es if ein ere
Reunlihes Wetter. Der Himmel erbarme ſich der armen
Menfgen auf dem Meere. Gottlob, dag wir Erik wieder
auf dem Trocknen haben. — Mit vielen Worten nahm
fe das Licht und verließ mi. Ich fiel in einen erauidli-
den Schlummer.
6
Der Schiffbruch.
Ich erwachte ſpät am Namittage; das Wetter war
Ada, die Sonne ſchien zum Senfter herein. Eine warme
kräftige Manneshand fagte die meinige, und fühlte mir den
Yale. Durch den zuverſichtlichen ſichern Druck erwachte ber
40 Der Schiffbruch.
reits Zutrauen in mir. Er bat jeht kein Fleber. ſprach
eine ſonore Stimme, muß aber ſtark angegriffen geweſen
fein, denn der Puls ſchlägt noch matt. — Wie werden wir
do den armen Mann furiren? hörte ih Sara mitleidig
fragen. Er hat ſchon lange Arzenei gebraucht, es will aber
alles nichts verſchlagen. Laßt mi Eure Chinapulver fe
ben, die Euch der Arzt aus Galmar gegeben Hat! ſprach
der Fremde. — Sara brachte ihm einige, er Öffnete das
Dapier, beroch das Pulver, zerrieb Etwas zwiſchen den
Fingern, koſtete es und ſprach dann: Das gland’ ich, mit
Birkenrinde, geftogenen Biegelfteinen, oder Gott weiß was,
heilt man -ein kaltes Fieber. Ich werde Euch ähte Chin
pulver verſchaffen. Der Kranke fdeint ein junger Mann
von guter Konftitution; er wird bald genefen. — Nachdem
er dies gefagt hatte, ging er. Ich kehrte mich um und fab
einen hübfchen jungen Mann, etwa von dreißig Jahren, mit
Indigem lichtbraunen Haare, die Stube verlaffen.
Ich betrachtete Sara mit ftarren Augen und fprad:
Mein Gott! wer ift der gute Mann, der mir wieder Hof
nung und Muth in's Herz geſprochen bat? — Gr ift ſelbſt
vor einigen Stunden der Lebensgefahr entronnen, erwiederte
fie. Ihr babt geſchlafen und wißt nicht, mas vorgegangen
if. Ein Sciff mit vielen vornehmen Herren iſt heute Naht
am der Küfte geſcheitert. Ueber die hundert Dienfchen find
rund herum in den Dörfern einquartirt. Glücklicherweiſe
iſt der Arzt Hier, und er wird Euch gewiß bald wieder her⸗
ſtellen.
Ich ſah einen alten Seemann, der ſich in der Stube
bei einem Glaſe Branntwein und etwas Falter Küche an
den Tiſch fepte. Er war gleich bereit, meine Neugier zu
Der Sciffbruch. 4
befriedigen, rüdte mit feinem Teller meinem Bette näher,
ud erzählte:
; Bir ſchifften heute vor acht Tagen von Lübeck nachdem
ales Gebaͤt und Geräthe, nehft zwoͤlf Neitpferden zu Ira
venände in’s Schiff gebradt waren. Die Herren Gefand«
ten kamen auch bald. Tags darauf waren wir an der där
aifchen Küfte, weil es aber gelinder Iuftete, gaben wir dem
Binde alle Segel; jedoch um zehn Uhr, als wir an keine
Gefahr dachten, liefen wir auf eine blinde Klippe und blie⸗
ben ſihen. Es war Neumond, finftere Nacht, wir wußten
nicht wo wir waren. und konnten nicht die Sciffslänge zu
Ende fehen. Diele von uns fielen auf die Knie, fhrien,
ud riefen inbrünftig zu Gott um Hülfe. Dir Schiffer
felbft weinte wie ein Kind, und wußte feinen Rath mehr.
Bas uns- das Herz am meiften ergriff, war des Geſandten
Krufius Söhnlein, ein fhöner Knabe von neun Iabren, der
die ganze Nacht auf den Knien lag und mit aufgebobenen
Hinden zum Himmel unaufhörlich rief: Ah, Du Sohn
Davids, erbarm' Dich mein! Und dann ſprach der Feld»
Prediger : Herr, willt Du uns nicht erhören, fo erhöre doch
dies unſchuldige Kind. Und das hat der liebe Herr Gott
auch ehrlich gethan. Denn wir find gerettet.
Und mas feid Ihr denn eigentlich für Leute, mein
Freund? frug ich neugierig. Ja feht, Damit hätte ich frei
Ki anfangen ſollen, ſprach der Bootsmann. Wir find-holftei
alle Seeleute und führen die prächtige Geſandtſchaft Seis
ner Durchlaucht, des Herzogs Friedrich von Holftein-Bottors
von Lübed nach Neval. Bon Reval werden die Herrſchaften
den Übrigen Weg nad) Perfien zu. Fuß oder zu Dferde machen.
I fragte nach den Gefandten. Sie heißen Tag und
Nacht, ſprach der Bootemaun lachend. Tag und Naht!
2 Der Schiffbruch.
rief ih, das iſt ja eine ſchwediſche Familie. Freilich wer
fegte der Bootsmann, ift Tag und Nacht die ältefte adelige
Zamilie, denn fie entftanden am erften Schönfungstage. Es
üt aber nicht fo zu verſtehen; ich meine, die zwei Geſandten
ſehen ſich fo ähnlich, wie Tag und Nacht; denn Krufius if
leutſelig und vernünftig; Brüggemann düſter und ärgerlid-
Doch da kommt ein Herr, der Euch das Alles beſſer ſagen
kann.
Der Hauswirth trat in die Stube mit einem ftaktfigen
Manne von mittleren Jahren. Der Zremde war ſchwan
geleidet, und trag eine große weiße, runde Perüce, ober
mit einem ſchwarzen Käpplein. Er Hatte ein Fräftigemänn
liches Geſicht. nicht eben hübſch. aber fehr bieder. Ein Mi
mer Bart bedeikte ihm Die Oberlippe. — Das ift der Gr
ſandtſchaftsrath und Serretarins, Herr Adam Oleatius
forad) der Bootsmann, ein gelehrter Herr, der die Reife er
fihreiben und in Drud herausgeben wird, wenn die Ge
ſandtſchaft glüclich nach Haufe gefommen ift. Und der
junge Mann, frug ich, der bei mir mar, ift alfo der Schife
arzt? — Zum Henker audy, erwiederte der Bootsmann la⸗
hend, das ift der Voet, der Truchſeß und Hofjunter, der |
luſtige Paul Flemming. — Wie, rief ich erfhroden, iſt #
ein Poet, der mir das kalte Ficher vertrieben will?
‚Hier trat der Voet und der Arzt in die Stube. A ;
Olearius hörte, daß ein Kranker im Alkoven ſchlafe. (lid
er ſich leiſe aus der Eyür; der Wirth folgte ihm, und ft
liegen mid mit dem Poeten und dem Arzte allein
Der Arzt ftimmte dem Dichter bei dag id hei eine
ordentlichen Behandlung bald genefen werde. Er legte mel |
rere Meine Papiere mit äcter China auf dem Tiſch um
ich betrachtete fie mit eben dem Gefühle, welches ein Lich
Der Sciffbrach 43
baber bei eben fo vielen Liebesbriefchen feiner Janiggelieb ⸗
tm, worin fie ihm zu hoffen erlaubt, empfindet. — Der
Dichter zog eine ziemlich große Flaſche wit Chinamirtur
aus feiner Roctaſche und fagte: Die Pulver allein, Grah ⸗
mann, Lönnen fo große Dinge nicht wirten: bier iſt China
auf guten alten Rheinwein geſetzt, das wird ihn ftärken
und erheitern zugleih. Dann wird er bald auf die Beine
formen. Ich denke, wir veranktalten bier noch einen Ball
für Die luſtige Landjugend, ehe wir weiter reifen.
„Laßt und tanjen, Iaft und fpringen,
Laßt und laufen, für nad für;
Denn durch Tanzen lernen wir
Eine Kunft von fhönen Dingen.“
Ich Habe mir, fuhr er fort, ſchon ein huͤbſches Mäd⸗
ben ernoähkt, mit dem ich tanzen wil. Das einzige Häße
lie am ihr if der Name Eara; die Meine Here folte bil⸗
lig Hagar heißen.
Der Arzt Grahmann, der älter und ernfter war, ſprach
freundlich feine Hand drüdend: Ia, lieber Flemming, fo
überlafle ich denn diefen Patienten Dir; denn ich habe, wie
Du wohl weißt, mit den gefährliheren Kranken vollauf zu
thun. IA empfehle mic, mein Herr, ſprach er zu mir;
haltet Euch nur mit Zuveriht an diefen guten Mann; er
it aicht bias, wie ic, ein Leibes-, fondern auch ein See⸗
lenarzt.
Als wir allein waren, herrſchte eine Kleine Stile. Der
Dichter betrachtete mich aufmerkfam, fah, was in meiner
Seele vorging, warf fi) in den Lehnſtubl und lachte. Ieht,
tief es, glaubt Ipr gewitz aus der Seylla in die Charvb⸗
dis gefallen zu fein. Ein Poet ſoll Euch kuriren! Wei die.
4 Der Schiffbruch
fem Gedauten Mlappern Euch die Knochen im Leibe, und
der Schreg ſchůttelt Euch, wie vordem das Fieber!
Um Euch aber den Neft aller Bedenklichkeiten zu uch
men, fprad) er, indem er Chinamirtur in einen Löhel goß
fo wigt, daß ich auch cin paar Jahre lang zu Leipzig Mer
dizin ftudirt Habe, und wie es der Doktor Grahmann der
zeugen kann, nicht ohne Erfolg. (Ih verſchlucte zuverfiht-
Uh die Mirtur, und mir war's, als ob ich bereits heilſame
Wirkungen verfpüre) Auch ‚kann ih eben nicht fagen —
fuhr Flemming fort, — dag mir diefe Wiſſenſchaft eigent⸗
lich zumider wäre. Ein Arzt mug auch Künftler fein. Doch
als ic) diefe Wiſſenſchaft eine Zeitlang getrieben hatte, wollte
fie mir nicht länger behagen. Ih Hatte zu viel Gefäß,
war zu reizbar, um ein gufer Arzt zu werden.
Barum habt Ihr doc) diefe näglihe Wiſſenſchaft auf
gegeben, lieber Herr, fragte ich. — Eben, weil fie nutzlich
if, fagte er. Ein Dichter foll gar wicht nugen, das will fa
gen: mittelbar. Er foll unmittelbar auf den Geiſt wirken,
und den Sinn für das Schöne bilden.
Es freut mid), lieber Herr, ſprach id, daß Ihr nicht
das allgemeine Schickſal theilt, fondern glücklich feld, und
als ein Bugvogel zum (dönen Dſchinniſtan binflattern tönnt,
während wir hier in Europa von Winterftärmen leiden.
Freilich, ſprach Flemming bedenklich, deshalb reife ih
auch. Denn wie fieht es jept in Deutſchland aus, ſeitden
Guftav Adolf gefallen ift?
Ihr feid bei der Geſandtſchaft angeſtellt? fagte ih. —
Ja wobl, antwortete Flemming: als Hofjunker und Trud ·
feß; id ent: Vorſchneider heim Geſandtentiſche. Iſt das
nicht eine große Ehre für einen Doctor Philosephiae nee
non Magister artium? Ich verfihere Euch, Herr von
Der Schiffbruch. [3
Brüggeman ylanbt, der Herzog habe Damit einen großen
Fehler begangen. Hier ward die Thür zur Wohnſtube weit
aufgeriffen, wir hörten Iemand auf dem Flur ſchelten und
färmen, und cin langer, grämliher Mann mit dünnem,
nötplihen Barte und einer goldenen Kette um den Hals,
vom Gefandten Krufius und dem Herrn Olearius Begleitet,
frat herein.
Rein, das ift zum Tollwerden, rief er mit greller Tee
wertiimme; haben nicht die Buben die Chatoulie mit den
fürktihen Kreden zſchreiben beim Retten in’s Waſſer fallen
laſen, fo dag fie ganz naß und unleſerlich geworden find,
und wir aus Reval wieder nad Gottorp ſchreiben müffen,
um neue Kredenzfäpreiben zu erhalten.
Run, lieber Freund, ſprach Krufus gelaſſen, in fol-
dem Birrmar läßt fih nicht über Alles gebieten, wir has
dem noch Gott zu danken, dag mir fo ziemlich troden, mit
beiler Haut davon gelommen find. — Ihr, Herr von Kru⸗
ſus feid immer troden, ſprach von Brüggemann. Und wie
fie jet Herumtaufen. Was ift denn am diefer armfeligen
Iafel zu fehen? Steht nicht mit klaren und deutlichen Bor-
ten in der fürſtlichen Hokordnung gefhrichen, datz, ſobald
me Tafel geblafen wird, Alle und Jeder alfobald ſich ein-
Aelen follen, damit man auf Niemanden warten dürfe?“
Und doch haben wir heute eine halbe Stunde blafen und
marten müflen, ehe die Pagen das Eſſen auftrugen, und
die Herren Truchfeffe erihienen. Beſonders ift diefer Dort,
der Paul Flemming, febr verfäumlid, und feinem Amte
gar nicht gewachſen. Bo ift er denn jept? — Er fipt
drinnen im Altoven bei einem Kranten, ſprach Dlearius. —
Bas! rief Herr von Brüggemann, ift bier ein Kranker, fo
sch’ ich fogleich wieder. Was das doch auch für Wohnun⸗
46 Der Sciffbruch
gen und Einrichtungen And. Krankenſtübchen und Geld
ſchafte zimmer, das läuft Alles in Eine.
Ihr Könnt über Eure Wobnung nicht Magen, Herr von
Brüggemann, fpra der Marſchall Herrmann von Etaden,
ich habe Euch eine fehr gute verſchafft. — Aber dort kann
man dody nicht dem ganzen Tag ſihen und ſich eunuyiren
rief der Andere. Die Herren wollen mir nicht die Ehre
gönnen, fo mug ih wohl zu Ihnen kommen. Was fehlt
dem Kranten? Ich will dod nicht beffen, daß es eine «m
ftedende Krankheit fei? — Flemming fam heraus und ver
ſicherte. es fei ein Fremder der nur das kalte Fieber habe.
Recht gutl verfepte Brüggemann; aber deswegen fell
tet Ihr ihm doc nicht Medikamente reihen. Ihr ſeid jeßt
Hofjunfer und Truchſeß, und habt mit den Apotheterfachen
nichts mehr zu thun. Wenn ich Nebbühner verzehre, wil
ich nicht, dag mein Truchſeß nach Teufelsdreck, China und
Rboabarber ftinte. — Id, befprenge mic, immer mit wotl⸗
riechendem Waſſer ehe ich mich En nahe, Herr von Bräg
gemann, ſprach Flemming und konnte einen verächttichen
Std nicht zurädhaiten. — Schon gut, lieber Flemming, fid
ihm Krufius in’6 Wort, indem er befänftigend feine Hawd
anf die Schulter des Dichters legte: Wir Andern And fehr
mit Euch zufrieden, und folte dem Leibarzte etwas zuſto⸗
sem. fo it es ja ein großet @lüd, daß wir noch einen Mann
mit uns haben, — der Berfe darüber machen kann, rief
Brüggemann höhniſch. — die Euer Wohlgeboren gewiß ge
falten, mern fie gut ind. ſprach Flemming, denn nur Daum
köpfe Haben einen natürlichen Widerwillen gegen den Big.
— Erinnert Euch des erſten Artikels der Hoforduung rief
Bräggemann: „Anfänglich and für's Erſte ſollen alle und
jede Obbemeldeten unfern Geſaudten in unferm Reſpett
Der Schiffbruch 47
ale (Auldige Ehre, Folge und Aufwartung erweifen, und
odne Gontradiction oder Weigerung ihren Befehlen paris
ven." — Es ſteht auch in der Hofordnung, rief Flemming,
„daß ſich alle und jede bei der Ambaflade der Einigkeit
befleigigen, da Einer dem Andern ale gute Freundſchaft.
Liebe und Aſſiſtenz ermeifen; bingegen aber des Zankens,
Haderns, unnötbigen groben Agirens. Belhimpfens und
Eclagens enthalten folle." — Mit diefen Borten verlieh
er das Zimmer.
Barte nur, Bube, rief der aufgebrachte Gefandte ihm
nach, id) werde Dich wohl paden. Ich werde eine Klage
über Dich aufſehen und fie nach Holftein fenden; Du wirt
rdeꝛeꝛ Binnen von Moskau nicht zum zweiten Male
Ihr feid Übler Laune, Herr von Brüggemann, ſprach
Krafus, weil wir Schiffbruch gelitten haben, Dem guten
Yaul Flemming werdet Ihr aber gemig nichts zu Leide
tun. Bir lieben ihn alle, und eher wollten wir zuräd nach
Setterp reifen, als diefen wadern Freund und treuen Ge-
führen ans unferm Kreije verlieren. — Ia, das ift gewiß!
Drag Olearius. — Gerwig, wiederholte der Marſchal vor
Eden — Gewiß, rief der glühende, raſche Stallmeiſter
von Mandelslohe. — Gemwiß, ſprachen Adel
3% fehe, ich habe hier Alle gegen mich, rief Brügge ⸗
wann; ich werde die Herren hente nicht länger mit meiner
Gegenwatt inkemmodiren. Er ging, und ſchlug die Thüre
beſtig hinter ſich au.
Rrufius ſchwiegs. Gebe der Himmel, daß es fa wäre!
tief Mandelslohe. Lieber Gott. wit ihm folen wir nun
den meiten Weg nach Iepahan machen! Bas And Felſen-
!ükte und Hüften gegen einen folgen ärgerlihen, zänkifchen
48 Die Austteuer.
Menſchen, ohne Kepf und Herz. — Stille! gebot Kruſus
mit Milde. Mir that es aber in der Seele wohl, daf
mein dichteriſcher Arzt von Allen fo geliebt war.
7. .
Die Ausfteuer.
Zwei Mal hatt’ ich das Fieber erwartet, es blieb amt.
Bas das für ein angenehmes Gefühl war, weiß Jeder,
der aud einmal in diefem Zuftande geweſen ift. Meine für
beren Kräfte fhienen wieder zu erwachen. Während der
Seit war das Schiff flott geworden. Die Geſandtſchaft
follte abreifen. Here von Kruſius aber hatte zuvor einen
Ball für die Jugend der Nachdarſchaft veranftaltet.
Bet diefer Gelegenpeit wollte ſich Flemming auf edle
Weiſe an dem geizigen Brüggemann rähen. Der Book
mann hatte mir bereits erzählt, dag Iener auf dem Schif
in Zodesgefahr das Gelübde gethan, ein armes Mädden
auszuftatten, Es follte-ein armes Mädchen auf der Inf
Oeland jein. und Clas Lundgreen, unfer Sauswirth. mar
fon von Alem unterrichtet; er fandte feinen Sohn nah
Gothland, ein Pferd zu kaufen, und erlaubte Sara, ihre
Mutter auf einige Tage in Runſteen zu befuhen. Diefe
Erlaubnig war dem Mäddyen fehr wilkommen. Als der
Bräutigam weg, und ic) geheilt war, verließ fie gern das
Haus, um dem verliehten Paul Flemming zu entgefen.
der ihr uͤberall nachſchlich, um einen Kuß zu bekommen,
Die Ausfteuen. . 4
x mußte nicht, daß fie heimlich verſprochen war, und-fie
nt, dap fie eigentlich diefem edlen jungen Mann ihr
fünftiges Gtüd verdanken würde.
6, Julius, ſprach er einmal zu mir, als wir zuſam⸗
men allein fagen, und ich äber feine Verliebtheit ein wenig
selnotiet hatte, es geht mir, wie einem geweſenen Reichen,
der fein ganzes Vermögen verloren, und jept nur noch mite
unter an einem fremden Zifhe einen Biffen ſchmauſen kann.
Ginmat Habe ich ein himmliſches Maͤdchen geliebt, fie ſchenkte
mir wieder ihre Neigung, und damals konnte id) fingen:
„Mir if wohl beim höchflen Echmerie, "
Denn ich weiß ein treued Herie!«
Damals konnte id) fingen:
O Conne der Bonne,
O Bonne der Sonne!“
Aber meine füge Rubella ift geforben; in der doͤchſten
Jugendbfüthe raffte die Peſt fie hin, und alle armfeligen
Arzeneien konnten fe nicht retten Zuleßt hahen freilich die
Nadre meine Wunde geheilt, allein id) trage nod die Rar-
de. ale liebſtes Merkmal fhöner Stunden, in meiner Bruft,
Nest will ich mid; der Phantafie ergeben, und an fernen
Orten fhöne, feltne, veunderbare Blumen pflüden. Schöner
werden die Georgianerinnen und Circaſſicrinnen fein, al-
kin mein ſchüchternes, crrötbendes Liebihen an der Pleiße,
mit dem Findlihen Melpomenen» Gefite, die fe früh ver-
ſaward, merden Ae mid; nie vergeffen machen
Iept ward natärlicerweife auch der Schatten meiner
heben Tabuletträmerin aus dem Grabe bervorgemahnt,
m fo wechſelten wir unfere Gefühle gegen einander aus.
Brhlenf. Echeiften. XVIL,
bo Die Ausſteuer.
Drauf eilte er fort, um in's Werk zu fehen, was ih
leider zu fpät erfuhr, weil er auch mich damit überraſchen
wollte.
Der Ball war auf den. übermorgenden Abend fe
gefeßt, und damit der geizige Brüggemann nicht umfatteln
folle, und fein Wort bredien, das er freilich in Gegenwart
der ganzen Schiffsmannſchaft gegeben hatte, veranfaltet
Flemming erft, nachdem alles heimlich mit Krufus und
Dlearius verabredet war, eine Devutation armer Viter
des Dorfes, um ihm, für feinen chriſtlichen Vorſaß, rin
Maͤdchen aus ihrer Mitte auszuftatten, gehorfamft zu danken.
Brüggemann, der nicht wußte, was man von ihm
mol, der ſich aber gern gehuldigt ſahe, ließ ſogleich feinen
Trompeter, mit wiederholten Stößen das ganze Perfonalt
der Geſandtſchaft zufamme.rufen, und gab alsdann, um
tinge von Hofjunfern und Pagen, den Bauern eine fürn
liche Audienz.
Als er aber hörte, aus welchem Loche der Mind pi,
erblaßte er, und warf einen grimmigen Bid auf Flem
ming, denn cr witterte glei), wer ihm diefen Streich ge
fpielt Habe. Flemming aber ftand gleid einem frommen
Kinde mit gefalteten Händen und niedergefchlagenen Aug.
Jetzt, da die Sache fo weit gekommen war, fah Herr von
Brüggemann ſich genötigt bei feinem Worte zu bleiben
und bielt daher eine zierlie Nede. Denn er befag eine
gewiſſe Geſchiclichteit, Nichts mit vielen glatten Bortek
in künſtlichen Worten zu wiederholen,
Er geſtand, dag er in äußerſter Noth ein ſolches Gr-
lübde gelhan babe; freilich fehr unvernünftigermeife, den
jeder gefittete gute Chrift fei doch jept davon unterrichtet,
dag man tie göttliche Vor fehung nicht mit armfeligen Geld ·
Die Ausfteuer. 5t
seläbden abfpeifen und auf andere Gedanken lenken konne.
Beil das Gelübde nun aber einmal abgelegt fei, wolle er
auch fein Wort brechen; beklage jedoch, daß die Umſtände
ihm nicht erlaubten, viel für das arme, chelüferne Kind
in tbun. Dreigig Thaler wolle er indeß hergeben, weil es
aun nicht anders fein kͤnne. Sollten feine Herren Kole-
gen und die übrigen Offizianten finden, daß diefe Enmme
au Mein fei, fo fände es Jedem frei, diefelbe nach Herzens-
luft zu vermehren. Denn in fofern nicht nur er, fondern
mit ihm zugleich die ganze Mannſchaft aus der Lebens-
gefahr errettet fei, ſehe er nicht ein, warum er für Ale ber
nhlen folle.
Krufins, der feinen Kollegen nicht länger auf der Fol⸗
ter laffen wollte, antwortete ſchnell: er fei bereit, aud drei»
Big Thaler zu geben. Alle übrigen zur Geſandtſchaft ge-
- börigen Perfonen verpflichteten ſich, verhältnigmäßig zu der
Ausfteuer beizutragen. So ward fhnell eine Summe von
hundert Thaler klingender Münze zuſammengebracht, ein
zur Schatz für ein oeländifhes Landmädchen damaliger
Ich mußte von allem diefen nichts. Vermuthlich münfdıte
Flemming es auch zu verhindern, daß ich auf den Ball
singe, und mic der Nachtluft ausfepte.
Ih war am Mittage vor dem Balle ein wenig im
Sonnenſchein fpaziert; und zwar zum erften Male nad) der
Herftellung ; ich fühlte mic etwas erfhöpft, legte mich aufs
Bett im Alkoven und ſchlief ein. Als ich wieder ermadıte,
war es Nachmittag; ich fab Clas Lundgreen mit feiner
Frau in die Stube treten, und da fie fih allein glaubten,
ſprach er: Nun, Frau, hab’ ich meine Karten nicht pfiffig
gemifht? Erit ift nad Gothland geyeiſt. ein Are u faus
2 Die Ausſteuer.
fen, Sara beſucht ihre alte Mutter in Nunfteen, zwei Mer
len von bier. Heute Abend werden die Bräute des Dor-
fes, die ſich zu einer Ausſtener Hoffnung machen Fönnen,
dem Gefandten vorgeftellt. But, dag Cara mat da iR.
Betaͤme fie keine Ausfteuer, fo wäre das für uns ein Schimpf,
weil unfer Sohn fie liebtz befäme fie aber auch die um
digen hundert Thaler, fo müßte ich mein Verſprechen hab
ten, und meine Plane würden ganz über den Haufen ge
worfen. Nein, Erik fol die reihe Witwe beirathen, und
Sara muß fort. Wenn fie ein Paar Wochen gemeint ha
ben, werden fie ſich wohl wieder tröften. Ei freilich, forah
die Frau, das it eben die rechte Art: Wir Beide haben
ja einander auch nie geliebt, und find doch nachher glückich
geworden. Und cs ift uns nicht wie gefühlvollen Cheleuten
ergangen; denn wir haben nie aufgehört, uns zu lieben
weiß wir nie den Anfang damit gemacht haben. Ber könnte
auch, bri taufend Tonnen Teufel‘), das Wefen in der Ewig⸗
keit fortfegen? Das fagt man nur etwa fo hin.
Allein holen mic, zebntanfend Tonnen Teufel, ſiebe
rau, ſprach der Schwede leife, liegt nicht dort wieder der
Sachſe aufm Bett, und hat vieleicht jedes Wort -gehört,
— Er fhläft, der arme Kerl; antwortete die Fran. Er
bat heute ein menig in der Sonne fpaziert, und iſt fo matk
wie eine Shiege. Komm, teir wollen ihn nit flören. —
Sie gingen, allein jegt hatte ich genug.
Sobald ic allein war, und es dunkelte, marf ic mid,
in einen diden Ueberrod, der dem Wirthe gehörte, nahm
ein gutes Neitpferd aus feinem Stall, fattelte es im alır
*) Gin ſchwediſcher Gidſchwur.
Die Ausſteuer. 53
Eile, und ohne mit Jemandem zu reden, noch um Erlaub⸗
niß zu fragen, ritt ich nad Runſteen, um die gute Sara
au bon, damit fie früh genug zur Ausfteuer erfheine. Als
ich das Thal durchritt, fiieg ein weißer Nebel aus dem
Grunde. Du wirft das Fieber wieder befommen, dachte
ih, vieleicht opferſt du durch diefe Anſtrengung dein Leben.
Doqh gleichvieil Die gute Sara Hat mir fo lange treulich
beigeftanden! Jetzt will ich ihr auch ihren Eichen Grit zum
Manne verfhafen. Sonft hefäme fie ion nie.
Nach zwei Stunden bielt ich mit dem Pferde vor dem
Haufe, wo Saras Mutter wohnte. Ich band das Pferd
an die Thür, und trat hinein. Es war eine ziemlid ge⸗
räumige Stube und Kühe zugleih. in fuftiges Feuer
brannte auf dem Heerd. Die Alte hokte beim Feuer in
einem Lehnfluhle, zu ihren Zügen faß die Tochter auf einem
Egemel, firidte und hörte die Mutter ein Maͤhrchen ere
thlen. Es mar die Boltsfage vom todten Nitter, der das
Mãdchen auf feinem Pferde nach dem Kirchhofe brachte,
und worin die Reime vorfamen:
„ber Mond fcheint heil,
Die Todten reiten ſchneu.“
Jetzt, Sara, rief ich im Hintergrunde der Halle, gilt
fein Zaudern. Schwinge Did vorn auf's Pferd, halte Dih
an den Sattelfnopf, fo reiten wir über Berg und Thal,
und fommen nod vor Mitternacht früh genug zur Hochzeit,
wenn wir ſchnell reiten.
Die Mutter, die mein todtblaſſes Geſicht (der Ritt
batte mid) angegriffen) beim Küchenfeuer entdecte, ſank er»
fürsden zurüd in den Lehnſtuhl, kreuzte fi) mehrmals, und
Hlaubte, der todte Balladenritter fei da, um ihre Tochter
5 Die Ausnener.
nad dem Grade zu bringen. — Cara erfannte mih aber
ſooleich; mit zwei Worten hatte ih ihr alles erklärt; fie
nahm hurtig Abſchied von der Mutter, die ſich tröffete:
und jept trabte ich fort mit dem Maͤdchen, über nadtes
Geftein, braune Haide und üͤberſchwemmte Ufer. Es fah
nach Negen aus. und ic hörte das fromme Kind inbrün-
fig zu Gott beten, daß er es doch nicht eher regnen laſſen
wolle, bis wir im Trocknen wären, damit meine Gefundpeit
nicht gar zu fehr leide,
Der liebe Gott erhörte iht Gebet. Erſt als wir wie⸗
der ins Dorf anfamen, fiel ein feiner Staubregen. Wir
börten die Geigen im großen Wirthshaufe luſtig erklingen.
Als wir näher famen, war die ganze Straße von Lichtern,
die durch die Fenfter ftrahlten, erhellt. Ich warf den Ueber»
roc ab, nahm Sara vom Pferde, gab dem Hoftnechte das
Pferd und den Not, und bat ihn, für beides Gorge zu
tragen, während id meine Dame hinauf brachte. — If
das nicht Clas Lundgreens Pferd und Ueberrot? frug der
Haustnecht. — Freilich, ſprach ih. — I. feld Ihr
nicht der junge Deutſche, der bei ihm wohnt? — Ia, der
bin ih! — Nun, das wird ihm einen ſchweren Stein vom
‚Herzen wälzen, verfeßte der Knecht. Er glaubt, daß Ihr
mit dem Ueberrode und dem Gaule Neifaus genommen,
ohne die Miethe zu bezahlen. — Dummes Zeug, rief ih,
auf einer einen Infel flieht man nicht weit zu Pferde. —
Ih ging mit Sara binauf und traf den Mann in der
Thür. Wo it mein Pferd? rief er mir entgegen. — Ee
ſteht unten im Thorwege, antwortete ih. — Bo ift mein
Neberrod? verfeßte er. — Der Hoffneht trägt ihn auf
dem Arm, fagte ih, und bier it Eure Schwiegertochter
noch obendrein. Ohne ſich um meine Worte zu befümmern,
Die Ausktener, 5
Rürzte er die Treppe hinunter, um feinen Ueberroc und
fein Pferd zu bekommen. IA trat mit Sara in’s große
Balzimmer. Zwei Lehnrühle fanden im Hintergrunde.
Ja dem einen breitete ſich Herr von Brüggemann, fo viel
ihm feine hagere Länge erlauben wollte. Der andere
Stuhl, für Kruſius beRimmt, fand leer, doch ſab id) ihn
ud alle übrige zur Geſandtſchaft Gehörenden in der Nähe,
Bor dem Richter im Lehnſtuhle Aanden drei Dienſtmaͤdchen.
die weder hübſch noch jung waren; auch machten ihre ge⸗
meinen Gefidyrszüge einen widrigen Eindrud”auf die Zus
bauer. — Run, meine Herren, hörte ich Brüggemann zu
den andern ſpöttiſch fagen: Welcher von diefen drei Got⸗
tinnen foll ich den Apfel reichen? — Ih dachte: wie die
Göttinnen, fo der Paris. Sie zauderten alle, und Niemand
batte Luft unter den drei Schönheiten zu wählen.‘
Hier iR noch eine Vierte, rief id, und 309 meine nied⸗
fie blonde Schwedin hervor, deren beſcheidene Schüchtern-
beit fie noch lücbenstwärdiger machte.
Es bedurfte nur eines ganz einfachen Vortrags der
Sache, um Sara fogleid den Preis zuzumenden, und die
Sundert Thalet wurden ihr in Golde gereicht. — Glas
Lundgreen kam zurück. Mein Pferd it da, ſprach er, aber
ganz mit Schweiß bededt, mein Ueberrod au, -aber vom
Regen durcmept. Ber hat Eud erlaubt, fo mit andrer
Leute Eigenthume zu wirthfhaften? — Fragt Euren Sohn,
Bater Glas, ſprach Herr Dlcarius, wenn er von Gothlaud
am Haufe fömmt; und fcheltet nicht dieſen wadern Jüngling,
der für feine tanfere Treue eher einen Lorbeerkranz ver⸗
diente. — Jetzt wollen wir für ihn forgen, rief Paul
Elenming.
Er und Grahmann braten mic nach Haufe und zu
% Die Ausſteuer.
Bette, gaben mir einen guten Schlud Chinamistur und
dedten mid) warm zu. Ich ſchlief bald ein, und verfpürte
am folgenden Tage feine fhlimmen Folgen; welches ich
wohl theils der Begeifterung, theils der Eile, und befondere
Vater Claſens vortrefflichem Ueberrode von didem, wolle
-nen Zeuge, zuzuſchreiben hatte. Der Alte war genötbigt,
ſich zufrieden anzuftelen. Das Pferd, das id geritten
hatte, ward indeß frank, und er wollte mir das Vferd zu
Rechnung führen. Als aber Erit mit einem guten Pferde
von Gothland zurädfam, wagte der Alte «6 nicht mehr,
von der Sade zu reden, um-den Sohn des gefbielten Strei-
ches willen, nicht noch aufgebrachter zu machen.
Zwei Tage darauf war die Verlobung der jungen
Leute. Flemming ſchrieb ein Hochzeitslied, in welchem er,
mie es bei folhen Gelegenheiten gewoͤhnlich äft, mit den
Namen fpielte, und von der jungen Sara in Bergleih
mit der alten bibliſchen viel Wigiges ſagte. Das Hoch⸗
zeitslied ward gefungen, und id mußte diefen Abend mit
dem trefflichen Manne Brüderſchaft trinfen; welches ih als
eine gar große Ehre anzufehen hatte. Er trug bereits eis
nen berühmten Namen, und feine Gedichte waren mir weit
lieber, als die von Dpip, die er mir geliehen Als ich dem
Serrn Dlearius meine Verwunderung über Flemmings
außerordentliche Liebe zu den Opißiſchen Gedichten zu er⸗
Bennen gab: ſprach diefer: Das ift nur ein Zug von Flemn⸗
mings Liebenswürdigfeit; er hat als Kind Opigens Werte
gelefen, fie Haben ſich mit feinen blühendfien Jugeudvor⸗
Aelungen verbunden, er kann fie nicht von diefen trennen.
Das Schiff war wieder fegelfertig; ich, der ich gar
feinen Lebensblan entworfen Hatte, der allein in der Welt
Band, und nun in Flemming, Diearins und Grahmann
Die Ausftener. 5
acue Freunde gefunden hatte, märe gern mit nad Perſien
grreißt, alle Uebrigen bätten mich aud gen mitgenommen,
dert von Brüggemann fehte ſich aber mit Händen und Fü-
hmm dagegen, beſonders, weil es Flemming fo fehr münfhte,
So mußte ich denn nach herzlicher Umarmung meiner Sreunde
das Schiff mit ihnen abſegeln ſehen.
Iept mußte ich nicht, was ich anzufangen hotte. Das
Fieber war ich freilich los; durd) meinen langen Aufenthalt
her, war mein Geldbeutel aber aud beinahe leer gewer-
den; und obſchon die jungen Leute mich als ihren Wohl⸗
fhäter gern bei ſich ſahen, fühlte ih doch, daß es für eim
sroßmäthiges Herz angenehmer fei, Wohlthaten zu beweiſen,
ds zu empfangen.
Mein gutes Schickſal wollte aber, daß id auf andern
fonderbaren Wegen meinem entfernten, geabneten Glücke
entgegen gebe, denn eines Tages, als id ganz trübfelig al»
fein in der Stube fag, Das Haupt auf meine Hand geſtützt,
trat Erit Lundareen herein und rief mir entgegen: Jeht.
Herr Albert Julius, könnt Ihr von Gluͤc fagen, und die
Belt zu fehen bekommen, wenn Ihr es felbft begehrt. Ein
ER aus Eſthland liegt bei Calmar vor Anker. Ein vor-
achmer bolländifger Edeimann, der über England nah
Dfindien reifen wii, hat feinen Kammerdiener verloren,
md ſucht jeßt einen gefhtdten Menſchen, der etwas gelermt
bet, und der immer mm ihn fein Tann. Wenn Ihr Euch
ein wenig Mühe gebt, könnt Ihr gewiß diefen Poſten bes
Mir ſchnitt das Wort „Kammerdiener“ verfluht in’s
Dbr, Nacy reiflicher Ueberlegung fand id es jedoch thö-
rißt, in meiner jehigen Lage eine ſolche Rettung eines blo⸗
ben Namens wegen nicht zu benupen,
5 Die Ausſteuer.
Ich ging nach Calmar ab und ließ mid) bei dem Edel-
manne melden. IA gefiel ihm, und aud der Herr Karl
Franz van Leuven magte auf mic einen angenehmen
Eindrud. Gr hatte fein ftolzes Wusfehen; war ein feiner,
filter, freundlicher, junger Mann, nur, wie es ſchien, etwas
ſchwermütbiger Natur. Diefer melancholiſche Zug, verbun«
den mit feinem hollaͤndiſchen Phlegma, gab ihm etwas An-
genehmes. Auch merkte id bald, daß er verfiebt fei, denn
mean cr ſich allein glaubte, fügte er oft ein Mignaturbitd,
das er auf der Bruft trug. Unter den glatt gefämsmten
Haaren wolbte ſich eine fhöne Stirn, die mid an die nie
derländifhen Freiheitshelden denken ließ, von melden er
abftammte, Bir waren bald einig, idy follte es fo gut ha⸗
ben, als er, und ihn nur unterhalten; er hatte bereits einen
andern Bedienten, der alle fervilen Arbeiten verrichtete.
Indep blieb mir do der Name „Kammerdiener.“ Unſere
Seegel wurden gefpannt und wir fuhren ab.
Als wir an der Infel Deland vorbeifegeiten, fand das
junge Brautpaar Arm in Arm am Ufer, minfte mir ein
Lebewohl mit den Tüchern zu, und trodnete ſich die Augen.
Ic grüßte fie freundlih. Das Schiff durchſchnitt die Wels
len. I4 ſtand auf dem Verdeck, und dachte forafam über
meine fünftige Lage na. Bald aber ſchöpfte ich wieder
Muth; um mic zu flärfen, holte id mein Stammbuch her⸗
vor, und überlas in demfelben das treffliche Lied, welches
mir Paul Flemming beim Abſchiede gedichtet hatte,
Laß Dich nur Nichte nicht dauern
Mit Trauern.
Sei fine!
Kopenhagen. 50
Wie Gott eh füst,
Eo fei vergnügt
Dein Bile.
Bas willſt Du heute forgen
Für morgen?
Der Eine
Etept Aue für,
Der giebt auch Tir
Tas Deine!
Eei nur in allem Oandei
Ohm’ Wandel,
eich fette;
Bad Gott berhleußt,
Das if und Heißt
>. Dad Bere
8. -
Kopenbagen.
Als wir nad Kovenhagen gekommen waren, miefheten
wir uns gleich in ein gutes Wirtshaus ein. Mein Herr
betam ein fhönes Simmer, weil aber noch fein Plap da
war, indem ein Fremder das mir beſtimmte Zimmer erft
räumen follte, fand id midy gern darein, dag man mir ein
Feldbette in’s Bedientenzimmer feßte. Herr van Leuven
beſuchte diefen Abend einen Bekannten. Als ich etwas in
© Kopenhagen.
ten Straßen herumgeſchlendert war, kehrte id mit dem
Haustnechte zurück. Ich gedachte ein einfahes Abendbrod
zu effen, und dann früh zu Bette zu geben, weil mid) die
Reife ermüdet hatte.
Während ich die Treppe hinaufſtieg ermabnte ih mid
felber, gegen den Bedienten recht freundlich zu fein, und
mid) vor allem Stol; und Dünkel gegen ihn wohl zu
hüten. Ich batte immer die Beratung gebaßt, womit
vornehme Herren fo oft ihre Diener behandeln. Sie ma-
Gen ihnen das Leben leicht und angenehm, dachte ich.
müffen ſich alle Augenblicke mäde laufen, und befommen
obendrein fargen Lohn und höhniſche Worte. Warum nennt
man den Dienerftand niedrig? IR es niedrig. dag der Aer⸗
mere dem Glüdtihern Hilft, um es ein wenig beſſer zu ha⸗
ben? Wie wunderlich find doch die Menſchen! Ieht fangen
die Poeten an, das Hirtenleben zu befingen, und vor ein
Paar hundert Jahren waren die Hirten unehrlich und wur⸗
den zu der Klaffe der Schinder und Büttel gerechnet. Bes
diente find ja alle Staatsdiener. Iſt es viel beſſer, daß
ich für meinen Borgefepten etwas rein ſchreibe, als daß ich
feine Stiefeln wichſe? Id werde mid wohl vor foldhen
Vorurtheilen hüten. Mit diefen chriſtlichen Vorfäpen trat
ich in's Bedientenzimmer. Kaum war ih aber da, fo fing
die feierliche Stimmung an, etwas nachzulaſſen. Schon
die Atmofphäre war mir zuwider, von den vielen gewichs⸗
ten Stiefeln, die an der Wand hingen, auch andere Sachen
etelten mid an, Der Bediente des Herrn van Leuven fag
mit mehreren feines Gelichters an einem runden Tiſche, vol
Beinbauteilen, Bierflaſchen, Gläfern, Tabadspfeifen und
Tabadsafcıe.
> Ms ih bereintrat, ſanden fie ade auf und madıten
Kopenhagen. 6
dem Herrn Kammerdiener itre Reveren; Gin Lehr
Rupl ward mir fogar angemiefen, wo ich al6 Primus inter
pares präfdiren ſolte. Da mußte id denn von diefen
Nor unwiſſenden Menfhen alle mögliche alberne Grob-
heiten hören, mie fie Fürften und große Männer verfbotter
ten und verurtheilten. Miles höbnten fie, alles fuchten fie
zu Ah hinunter in den Echlamm zu ziehen. Nichts Edles,
Großes, Berdienftvoles gab es ihrer Meinung nah. Nur
Gigennug und Furcht bändigten fie. Da begriff ich denn,
woher die Verachtung gegen den Bedientenftand im Ganzen
fit ſchreibe. In diefem Zrübfinne flörte mid mein Nach ⸗
bar, der indeg mein Glas gefüllt hatte und vorfhlug, daß
wir Vrüderfhaft trinken follten. Ich erröthete über und
äber, und mar in der größten Veriegenheit. Geradezu
Rein zu fagen, wagte id nicht, um mid der Buth der ber
truntenen Menſchen nicht auszufeßen. Ein glücklicher Eine
fall vettete mid: ich gab ein Naſenbluten vor, hielt das
Sänupftud vor das Geſicht, eilte die Trebbe binnnter, lief
die Straßen entlang, Ienkte in einige Quergaſſen ein und,
Tubete nicht, bevor ich mich wor dem Gefindel in Sicherheit
wußte
Ich lietz mich auf eine Thürſchwelle nieder, ergab mid
in mein Schicfal und hoffte, die Nadtwächter würden mich
wenigſtens aufs Ratbhaus bringen, me id lieder bleiben
wollte, als in der vorigen Geſellſchaft. — Es dauerte auch
wicht Lange, fo ſah ich zwei Wächter einen Betruntenen oder
Lodten auf‘ ihrer Leiter durch die Etraße fragen. Sie
hielten an der Dausthäre iR, wo ich faß, ließen die Leiter
herunter und riefen mehrmals: Mag Hanfen! Map Han»
fen! jept feld Ihr zu Haufe. Es half aber alles nichte
So wüften wit im in Die Rale Tneifen, ſprach der eine.
62 Kopenhagen.
AS das geſchehen war, fing der Betrunkene auf der Leiter
on, munter zu werden, richtete ih auf und ſprach heiter:
Schon da! Nun, gute Nadıt, lieben Kinder! Gotteslohn!
Da ift Trinkgeld! Habt Ihr gellingelt? Sie thaten es und
das Maͤdchen Lam herunter mit Liht. So entdedten mid
die Wächter und wollten mich gleich wegfhlenpen. As ih
aber erzählt hatte, wer ich fei. und wie ich mid verirrt
babe, ſprach Maß Hanfen auf Deutſch: Irren ift menſch⸗
fi. Bei Gott, Kinder, Ihr folt dieſem armen deutſchen
Menſchen nichts 30 Leide thun! Es iſt eine gufe Haut und
ein ehrliches Blut, das merke ich an Allem. Es giebt über»
haupt in diefer Welt Feine Bosbeit, eine Sünde, Leine
Squrken. Betrügereien und Efeleien, das find nur Schlia-
gel und Spigbuben, die fo etwas gegen das arme Menſcheu⸗
geſchlecht behaupten. Alles ift gut, vortrefflih. allerliebſt
auf dieſem fdönen Erdenrunde. Seht nur die Sterne dro⸗
ben! die Milchflecken und Nebelftragen, wie fie funkeln und
ſich berumdrehen! Was find wir Würmer und Maden ge
gen ſolche mädytige Himmelsförper, die nie zu Bette gehen?
Und wenn ſelbſt fie benebelt fein können, können wir es
nicht? Wenn ſelbſt der Himmel feine Zleden bat, was ſchaͤ⸗
men wir uns, bencbelt und befledt zu fein? Seht nur, wie
Hell und demüthig der Mond im Ninnfteine daliegt. Der
Koth vermag feine ätberifhen Strahlen nicht zu verdun-
fein. Benn der Mond im Ninnfteine liegen fann, feiner
Gottheit unbeſchadet, wie follte ih es nicht auch, der ich
nur ein Anterſchmid bin? Und bin id nicht derfelbe reiche
Map Hanfen, der ſich feinen Sountagsrauſch getrunken
bat, dort, fo gut wie anderswo? Darauf verlichen uns
die Waͤchter Map Hanfen führte mi) die Treppe binauf,
und wies mir ein ſchoͤnes Zimmer und ein gutes Belt an,
Kopenhagen. 8
wo ich Keute übernachten Fünne. Der Rauſch ſchien ihm
etwas verdunftet zu fein; als er hörte, daß ich noch nit
zu Nacht gegeffen, lieg er kalte Küche bringen, und ih
mußte noch ein Glas mit ihm trinten.
Bir Dänen, ſorach er, mälen mehr als andere Dien
ſchen trinken, weil mir hier mitten im Deere wohnen, um
und gegen die feuchten Dünfte des Ozeaus zu wahren. Fin
Kauf ift an und für fi nicht zu tadeln, wenn man ihr
nur gut vertragen fann, und wenn er der Befundbeit, dem
Eleiße, der Tugend, den Verrichtungen keinen Abbruch thut.
Ich bin eigentlich nie beſoffen und verliere nie mein menſch⸗
liches Berugtfein, noch mein Lörperlices Gleichgewicht. Lege
ich mich einmal auf die Leiter und Jafle mich von den Waͤch-
term nach Haufe tragen, fo ift das eine freiwillige Hand ⸗
lung, weil ich diefe Beförderung liebe; fie ift commode und
oͤlonomiſch zugleich: ich ruhe da bequem auf den Eproffen,
und kann mittlerweile friſche Luft ſchöpfen und die Milch⸗
frage betradıten. Sonft trinke ich gewöhnlich alle Tage _
nur vier Flaſchen Wein. Der Sonntag allein it eine Auss
nahme, da trinke ich zwölfe und gerathe dadurch in drei
verſchiedene Zuſtaͤnde. Erſt werde ich fehr mißtrauiſch und
nͤntiſch. und da ratbe id Keinem, mir zu mahe zu freien,
weil id) in diefem Zuftande mit Scheltworten und Nafene
Hübern fehr freigebig bin. Nachher ergreift mid eine in⸗
nige Wehmuth und Demut: ich werde Über Alles gerührt,
die Thraͤnen Saufen mir von den Baden herunter, und id
betommme eine übergroße Luſt, alle Menſchen zu küffen und
wm umbalfen und um Verzeihung zu bitten, bie ih das Du-
send geleert habe, wodurd ich denn in die Erbabenheit ge-
vathe; dans ſchaue ich zum Himmel hinauf, und Tann mit
64 Kopenhagen.
dem Zählen und Bewundern der Firſterne und Planeten
nit fertig werden. —
Den Morgen darauf trat er heiter und rüftig au mir
in’s Zimmer, und fah gar nicht aus wie ein Menfch, der
ausfgweift. Sein Gefiht war freilich kupferroth, und die
Nafe hatte etwas traubenäpnlies, die Heinen Augen blitz⸗
ten aber bel und Fräftig unter den ungeheuren Hugenbran«
nen hervor, die ausfaben, als ob fie mit Stiefelwichfe ge»
ſchwaͤrzt wären. Er war vierfhröfig und von einer erftaun-
lichen Leibesftärte. Die Hand drüdte er mir fo, dag das
Blut mir faft zu den Nagelwurzeln herausfprang, wobei er
übermägig lachte. Nachdem ic erft warmes Bier Mit ihm
hatte trinfen müſſen, folgte ich ihm in dir Werfftatt. wo
ich mid) denn über die Kraft wundern mußte, womit er die
gewaltigen Unter hämmerte. Alle Geſellen bezeigten ihm
die größte Ehrfurdt, auch war er den ganzen Tag bindurd
ein ordentlicher Mann Es freute ihn, dag ih aud ein
wenig von der Schmicdekunft verftand, doch meinte er, daß
ich mit meinem glatten Mäddengefihte zum Schmid nicht
tauge. Sept brachte er mic auch zu feiner Frau, einem
friſchen blonden Weihe, mit ſchelmiſchen Augen. Als fie
wieder in die Küche gegangen war, fagte er: Wir haben
no) einige ‚guse Zimmer zu vermiefhen, und wenn Herr van
Leuven vielleicht hier wohnen wollte, fo fteben fie ihm zw
Dienſten. Im Wirthsbauſe ift es zu theuer wohnen, da
muß man nur trinken. Mein erſtes Stocwert wird von
einem vornehmen Offizier bewohnt, der viel nad Hofe
tommt. Er ift ein gufer Freund von uns, befonders von
meiner Frau. Die Leute nennen ihn den Mars, meine
Frau die Venus und mic den Vulkauus. Weit ich mid
aber anf die Etymologie nicht verfehe, fo weiß ih den
Kopenhagen. 65
Henker, was die Tuckmaͤuſer mit dieſen Redensarten fagen
wollen. Eo viel weiß ih. daß Badıus der Gott der Re⸗
ben iſt, und das ift mir genug. Uebrigens hat mir der
Dffizier die Lieferungen für die Flotte verfhafft, wodurch
er mid zum woblgabenden Manne gemacht hat.
Jetzt eilte id nad dem Wirthehauſe. um Herrn van
2euven über alles Bericht zu erſtatten. Er begegnete mir
in größter Unruhe auf der Treppe; die ganze Nacht hatte
er meinetwegen fein Auge zugetban, meil id, nad) der Ber
dienten Ausfage, einen Blutfturz bekommen habe, und wie
ein toller Menſch meggelaufen ſei. Eie hatten mid) überall
arfucht, aber nirgends finden können. Ich erzählte ihm al«
ie6 rein aus, wie ſich die Sache verhielt. Lieber Iuline,
fprad) er Ieutfelig, warum babt Ihr mir das nicht glei
gelagt? In der kurzen Zeit, daß wir uns kennen, habe ih
{bon an Euch entdrdt, dag Ihr ein gebildeter, braver Jing ·
ling feid. Von jegt an feid Ihr mein Sekretär! Iſt es fo
gut? Der naſeweiſe Bediente bat fhon feinen Abſchied. ich
mochte ihn fo nicht leiden. Wollt Ihr aber bei mir blei⸗
ben, fo will id Euer Gtüd machen. Ihr gefallt mir, ich
brauche einen Freund, und mein Herz fagt mir, daß ich ihn
in Euch finden werde.
Diefe feltene Güte rübrte mid, fehr, ich küßte Herrn
van Leupen die Hand. Gleich darauf liegen wir alle un
ſere Sachen nah dem Haufe des Schmids bringen, wo mir
uns fehr gut befanden.
‚Herr van Leuven hatte mandyes abzumadı:n und viele
Briefe zu ſchreiden, wovon ih gar nichts wußte, obſchon
ich ſein Sekretär war. Während der Zeit ging der treffe
liche Schmid mitunter mit mir in der Stadt herum. Gr
brachte mid) am naͤchſten Sonnabende in den — Ro⸗
Ochlenſ. Schriften. XVII.
66 Kopenhagen.
fendurgergarten, wo eine Fürtlihe Statue von Bronze auf
geftellt wurde, die ein vom Löwen zerriffenee Pferd vor⸗
ſtellt.
Man murmelte allerlei von der Bedeutung des Bildes;
von dem Herzoge von Lüneburg, deſſen Wappenbild ein Pferd
äft, wie das dänifhe ein Löwe, und trug fid mit allerlei
Reden von der Feindſchaft, die der Herzog dem Könige im
dreißigiährigen Kriege gezeigt habe. Aber laut wagte kei
ner zu ſprechen, außer Maß Hanfen, der heute Feierabend
machte, und ſchon ein Paar Flaſchen über das gewöhnliche
Maag ausgeftohen hatte. Er war jetzt in feiner zänfifhen
Laune und machte faute Anmerkungen über deutſche Pferde
und daniſche Löwen, die fih feinen läneburger Sand in die
Augen werfen liegen. Drauf fing er noch an, über deutſche
Windbeuteleien Stichelreden herzufagen. Das hätte ich ihm
nun als Deutfher eigentlich Übel nehmen follen. Beil ih
ihn aber fihon kannte und wußte, daß diefe Gemütheftims
mung bald in eine fanfte übergehen würde, fobald er nur
mehr Wein geframten habe, eilte ich ſchleunig mit ihm in
eine Ehenke, und kaum hatte er noch zwei Flaſchen geleert,
fo mußte ich wieder mit ihm in den Garten hinaus. Hier
fing er an, weinend eine Menge welfen Laubes in den Hut
au fammeln, und obſchon es im Spätherbfte war, wollte er
noch Vergigmeinnichte und Veilchen pflüden. — Ach, Iur
Une, ſprach er ſchluchzend, was find wir Menſchen anders,
als welfes Laub? Alles Fleiſch it Heu, mein Sohn. Alles
blüht nur, um zu verwelfen. Ein großer Zweifel beengt
mir die Bruſt. Lieber Herzensjunge, kannſt Du mir die
Unſterblicteit matbematifh beweifen? Glaubſt Du wirklich
daran, dag wir nach dem Tode im Sarge einmal mieder
Telig aufleben und die Augen auffhlagen, wenn wir be
Der Water. %
sraben find? Ich meig wohl nad) den Polizeigefepen iſt es
uns befohlen, fo etwas zu glauben. Aber als Philoſobhen.
lleber Junge, als Freidenker und Atbeiften, was glauben
wir da? Und warum kann eine Kape oder «in Hund nit
eben fo felig wie id) werden, wenn er fi bier_ im Leben
gut aufführt und nicht betrinkt? Als wir nach Haufe gin-
gen, verließ er mich, um duch die letzte Dofis in die Gr+
babenheit zu gerathen, und da zweifle id denn nicht, daß
ihn die Yitronomie wieder in's Gleichgewicht baden wird.
®.
Der Maler.
Herr van Leuven Hatte für meine Garderobe geforgt,
die fehr in Verfal gerathen war; als aber der Schneider
mir das Maag nahm. und es doppelt, für einen maͤnnli⸗
den und einen weibiihen Anzug machte, konnte id das
nit begreifen. Das Raͤthſel Löfte ih aber bald.
Im fdhönen Herbftiwetter fuhren wir zur Stadt hinaus
nad dem Holländerdorfe‘). Dies Dorf if an einen
anmuthigen waldigen Hügel gelegen, wovon man die freie
Ausfiht hat Über Kopenhagen, die Infel Ama, die Oftfee
and Schweden. Seinen Namen hat es von Holländern bes
fommen, die feit den "Zeiten Chriſtian des Zweiten dort
*) aqhder Zrederitaber s.
08 Der Maler.
wie auf der Infel Amat wohnen ‚und die Stadt mit ſcö⸗
nem Gemüfe verjeben.
Bir fuhren den Hügel hinauf und hielten vor einem
anmuthigen Häuschen an, wo des Königs Hofmaler Kar
van Mandern wohnte, der ein vorzüglicer Künftler und
alter Freund des Edelmanns, und eben in diefen Tagen
damit befhäftigt war, des Königs Bild zu malen.
Seine Stube bing voll von Werten flamaͤndiſcher Diei-
fter, und ic konnte mich an den reizenden Bildern nicht
fatt ſehen, obſchon fie lauter alltäglihe Gegenftände dar»
ſtellen. weil alles mit fo viel Wahrheit, Treue und Gemüth-
lichteit wiedergegeben war.
Das it cs chen, ſprach van Mandern, nit ſowohl
den Gegenftand bewundern wir in der Kunft, als vielmehr
deu Geift des Künftlers, der das Ding mit Kraft und Ge
fühl auffaßte, und deshalb fünnen uns die gemeinften Sa-
hen im Bilde, als ausgezeichnet erfreuen. Viele neuere
Italiener dagegen behandeln das Große und Erhabene auf
eine fonventionelle leinlihe Art, und darum machen ung
diefe Bilder, die nicht ſchöne Nachahmungen der Natur,
fondern mittelmäßige Nachahmungen der Kunft find, fo ver-
ſtimmt und niedergefählagen. Allein das können die meiften
vornehmen Leute nicht begreifen! Und Gott fell mic) ſtrafen.
wenn mandyer Italiener jet, der in einer Nacht einen Gott
Vater bei Zadelfhein verfertigt, im Stande ift, bei Tagese
lichte eine ordentlihe Kuh auf dem Felde zu malen.
Habt Ihr die Frauentracht vom Schneider bekommen,
frug van Leuven lachelnd, als das ernfte Gefpräh abge»
brochen war. — Verſteht ih, antwortete der Maler, fie
bängt droben im Dadızimmer, wenn ſich Albert hinauf ber
mühen will. — Albert, ſprach van Leuven, es wird näd«
Der Maler. 1)
flens eine Masterade gegeben, hättet Ihr wohl Luft, der
felben beizuwohnen? — Zu fo etwas bat ein junger Menſch
immer Luft, war die Antwort. — Bohlan, verfepte er,
Ihr folt als junge Holländerin geffeidet erſcheinen und ich
mil Euer Edelmann fein. Herr van Mandern hat mir ver»
ſprochen, Euch beſtens auszuftaffiren, damit das Männliche
fo viel als möglich verſchwinde. Ihr feid ein hübſcher Jüng-
ling, habt nod feinen Bart und könnt zur Noth für rin
Frauenzimmer gelten. Geht ‚binauf und zicht Eud die
Fleider an, ich will mid fo Lange in der Gegend umfchen.
Bean Ihr fertig feid, fo zeigt Euch dem Herrn van Man«
dern; er wird an Euren Puß die leßte Hand legen.
Diefer Spaß macte mir Vergnügen; oben traf ih
eine aite Haushälterin, die mir half, wo mein eigener Ver»
fand nicht ausreichte, und bald ftand die junge Holländerin
fertig da.
Ich lief die Treppe hinuter, rig die Thüre weit auf
und rief: Da bin ib, Herr van Mandern! Wie Meidet mid
die Tracht? If es fo Recht? — Wie erſchrak ich aber, als
td einen ſtattlichen Herrn vor dem Maler figen fah. An
dem bedeutenden Gefihte, der goldenen Halstette, worin cr
den Elephantenorden trug. und der berunterbängenden File
locke errieth ich glei, daß es der König ſei. Ich lief er-
ſcrocken zurüd und ſchlug die Thüre hinter mir zu. Der
Köntg ſprang lachend auf und rief: Ei, ei, mein licher
van Mandern, ift das die alte Hausbälterin, von der Ihr
mir vorgeſchwaßt habt? — Großmädtigfter König, ant-
mortete der Maler verwirrt, es ift eine junge Verwandte
von mir, neulich erft von Amfterdam angefommen. Cie
verſteht werder daͤniſch noch deutſch. — Nun, ſprach der
Kenig. fo vicl hollandiſch verſtch' ich (don, als noͤthig iſt,
70 Der Ankerſchmid in feiner Glorie.
am ein junges Frauenzimmer zu unterhalten. — Ich zit
serte am ganzen Leibe hinter der Thüre und dachte: Cro
der Gott, wie wird das ablaufen, ich ſpreche weder Hol⸗
landiſch. nod bin ich ein Srauenzimmer.
Glůglicherweiſe befreite mich des Könige geliebtefte
Tochter, die ſchöne Zränfein Eleonora Chriftina. Sie hielt
in ihrem Wagen vor der Thür, und war gekommen, um
ibren Vater während des Malens zu unterhalten, damit er
fein luſtig ausfehe und vor Langeweile kein faures Geſicht
mache. Kaum batte der König durch's Fenſter feine Toch-
ter bemerkt, fo fepte er ſich gleich wieder ſehr gravitätiſch
auf den Etuhl und bat den Dialer, in feiner Arbeit forte
uufahrtu. Ic lief wieder hinauf, kleidete mid fAleunigit
um und ſchlich mich aus dem Haufe, um Herrn van Leuven
draußen zu treffen. Dieſer Zufall machte ihn fehr beftürst.
Er Hätte meinen ganzen Plan Über den Haufen werfen
Binnen, ſprach er. Gott fei Dank, daß alles nod fo gut
abgelaufen it. — Ich begriff feine Werte nicht, mollte
aber nicht weiter in ihn dringen, weil ich merfte, daß er
nicht Luft hatte, ſich umſtaͤndlicher zu äugern. —
10.
Der Ankerſchmid in feiner Olorie,
„Ihr dürft aber nit meine Frau umhalfen und füfe
fen, denn das geht zu weit,“ hörte ich dem Ankerſchmid
Der Anterſchmid in feiner Glorie. a
verdrießlidh rufen, als ic, wieder nach Kopenhagen zurüd«
getommen. in die Stube trat, mo id Vulfanus, Mars und
Venus zufammen traf. — Ei Mag Hanfen, rief der Dfr
Miier luſtig, einen Ku in Ehren darf niemand wehren.
Ich ſchwore Euch zw, es üt der erfte, den ich ihr heute im
meinem ganzen Erben gegeben habe. Dachte ih doch, Ihr
wäret über folde Vorurteile weit erbaben. Seid fein
Kind, Freund, und hört, was ih Euch Wichtiges zu ſagen
babe. Ihr Habt mid fo oft beneidet, weil id bei des Ade
nigs Tafel eſſen und trinken kann; was fagt Ihr dazu,
wenn ich Eud au) eine Ginladung zur Könige-Tafel vers
(halle, wo Ihr nicht nur trinken felt, fo viel Ihr Luſt
habt, fendern noch weit mehr.
Macht mir den Kopf mit Euren verfänglihen Reden
nicht noch krauſer, rief der Schmid. Trage id) kein Schwert
an der Seite, fo verſteh' ich mit dem Hammer in der Hand
deito beffer umzugehen, und mein’ Seel’, der Menſch, dem
id) damit vor die Stirn fhlage, ſteht fobald nicht wieder
auf. — So wahr id ein Ravalier und Euer guter Freund
bin, fprad dr Offizier, ich babe Euch nichts vorgelogen.
Hört mir aufmerfiam zu. Hier ift eine vornehme fürſtliche
Verſon cin Knees aus Rußland angefommen, der fih ein-
bildet, der erfte Trinter der Welt zu fein. Der König hat
es ſchon mit allen feinen tafelfäbigen Unterthanen verfucht,
ihn zu überwinden ;' fie haben aber alle den Kürzeren ges
zogen. Beil nun der gute Herr feine Unterthanen wie Kin⸗
der liebt, hat es ihm das Herz gefreffen, dag die Dänen
ihren alten Ruhm, die been Trinker zu fein, einbügen
fetten. Da trat ih vor eine Majeftät und ſprach getroit: -
Grogmäntigfter König und Herr! Nicht immer in den bö-
beren Ständen foll man die (Tugend und ausgtzeichneten
12 Der Ankerſchmid in feiner Glorie.
Leute ſuchen; oft unter einem fhlidten Kleide verbirgt fih
das fille Verdienſt. Ich keune einen wadern Zecher aus
dänifhem Geblüte, der es wohl mit dem ruſſiſchen Kneeſt
aufnehmen kann. Zwar iſt er weder von Adel, nod) vom
ausgezeichneten Nange, treibt aber cin ehrliches Geſchaft
denn er madıt den Schiffen Eurer Majeftät Flotte den ge
waltigen eifernen Zahn, womit fie in den Abgrund beißen
und der Macht der Elemente tropen. — Es freute den
König fehr, Euch fo rühmen zu hören; und er erwiederte:
Hat nichts zu fagen, daß er fein Adelicher üft, wenn er nur
nit betrunten wird. Eilt ſogleich nach Haufe, und fügt
Eurem Ehmid, daß er fih Übermorgen Punkio cif Uhr
im großen Lufthaufe des Roſenburger Gartens einzufinden
habe. Laßt ihn aber erft ins Bad geben, reine Wäfdye ans
"ziehen. ſich mit Bifam und riehendem Waller die Gelente
einreiben; leidet ihn dann wie einen Ritter und bringet
ihn mit. — Ich eilte nun ſpornſtreichs bieher, Eurer Frau
das Evangelium zu bringen; weil das gute Weib Eud) num
zaͤrtlich Kiebt und wohl weiß, wie ſehr Euch diefe Auszeih-
nung ſchmeicheln würde, it fie mir vor Freuden um den
Hals gefallen. Das it es alles!
So falle ifm noch einmal um den Hals, liebe Tram,
tief der Anferfhmid gerührt; denn das iſt ein mahrer
Freund in der Noth, der wohl weiß, wo mid der Schuh
drüdt. Habe ich erft die Freude gehabt, mid vo: dem
Angefihte Seiner koniglichen Majeſtaͤt und an feiner eige ⸗
men Tafel zu betrinfen, fo will id) gern ins Grab geben.
— Aber erft den rufffden Kners überwinden, rich der
Dffigier. — Das wird feine Noth haben, antwortete der
Schmid.
Das Better war noch vortrefflid, das Gras ſmaragd⸗
|
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Der Anterfhmid in feiner Glorie. 73
grün und die Bäume voll friiher Blätter, deren goldene
Heröftfieden im Sonmenfeine nur ein no ſchöneres Far-
benfpiel gewaͤhrten. Freilich wor diefes Jahr eine Aus
nahme, aber aud immer ift Dänemark mit feinem Meere
umd feinen Seen, mit feinen Biefen, Acdern, Hügeln und
herrlichen Wäldern weit ſchöner, als das nördliche Deutſch ⸗
land mit feinen fandigen Tannen-Daiden, und als cin Theil
Frantreichs, mit feinen kreidigen Weinbergen. Nur in Däs
nemart und England wachſen die Buchen fo mächtig und
fbön, grünt das Gras bis in den Winter hinein mit fol«
er Friſche; auch iſt Die Kälte bier eigentlih gar nicht zu
Haufe; die Infeln in der Oſtſee werden, wie England,
mehr von Regen und Nebeln, als von Eis und Schnee
beimgefucht.
Als ein junger Menſch ſpürte ich eine große Luſt in
mir, der Trintſcene im Lufthaufe zuzuſehen. Das lieg fih
aber nicht hun. Herr van Leuven hätte vielleiht, als Edel
‚mann, diefen Spaß haben fünnen,s wenn er fi am Hofe
hätte vorſtellen laſſen; er war aber zu ernft, um Vergnügen
an fo etwas zu finden, aud) wünfchte er inkognito zu bleiben.
Unverbofft, fagt man aber, kömmt oft., Ich hatte mid
den Tag vorber in der Morgenkunde auf eine Bank im
Nofenburger Barten niedergelailen und las in den Horazifchen
Oden. Eine Bortfügung war.mir zu ſchwer, ic zerbrach
mir vergeblich den Kopf, und wuͤnſchte mir laut ein Wöre
terbuch. — Hier iſt ein Wörterbuch, hörte ich einen Men»
ſchen fagen, was. wollt Ihr willen? — Ich ſchlug die Aue
gen auf und entdecte einen fhänen, wohlgebildeten Herrn,
wit geiſtreichem, freundlichen, zugleich aber etwas ftolzen
Geſichte, ſeht prächtig angezogen, der neben mir faß. —
Ich fprang von der Bank auf, grüße ihn ehrerbicfig und
74 Der Ankerſchmid in feiner Glorie
reichte ihm das Bnch.. Er überſetzte mir gleich die Stelle
mit Leichtigkeit in gutes Deutſch obſchon id) an feiner Aus
ſprache merfte, dag er ein Däne fei. Habt Ihr erft neulich
angefangen, Latein zu lernen? fragteer. — Nein, geftten-
ger Herr, antwortete ih; die Horaziſchen Oden find aber
ſchwer, es kommen fo viele Beziehungen und Meine griechi⸗
ſche Wendungen darin vor, daß es einem immer gemug zu
ſchaffen macht, wenn man auch die einzelnen Worte ver
ſteht. — Ih will Euch doch in einer wenigen ſchweren Ode
eraminiren, ſprach er, blätterte ein wenig herum, und zeigte
drauf gleichgültig auf eine Etelle mit dem Finger. Ib
äberfeßte:
„Gewaltiger wird die ungeheure Tanne vom Sturme geidhüt-
telt; die erhabenen Burpiinnen ſtürzen mit lauterem Getöfe;
der Blit fchlägt in die höchften Beragipfel“
Ganz gut, fprady der Fremde, der auf den Inhalt der
Zeilen nit zu achten fhien, fondern nur daraus meine
Svrachtenntniß erfchen wollte, Als er hörte, ich fei ein
Fremder, der große Luft habe, morgen der fonderbaren
Zrinffeene beizumohnen, verfsrad er mir einen Plaß drau-
Ben im Garten beim Zenfter zu verfhaffen, wo es dem
BVolte bei folhen Gelegenheiten erlaubt fei, zu ſtehen. Wer⸗
det Euch nur an einen meiner Bedienten, ſprach er, und
fagt, ih babe es befohien, dann wird man Euch gleich ei⸗
nen guten Plap verſchaffen. — Damit ging er fort, one
mir zu fagen, wer er ſei. Ich magte nicht zu fragen, und
fo war id) denm wieder nicht weiter, als vorher, als ich
eine Heine fonderbare Geſtalt dur den Garten nah dem
Sthloſſe Hinauf eilen ſah. Es war cin ältliher Mann
mit krummer Nafe und großem, kahlen Scheitel. deſſen we⸗
Der Anterfgmid in feiner Blorie 75
nige braune Haare fon anfingen, grau zu werdeu; er
war in ein ſchmußiges Iedernes Wammsẽ gefleidet, und feine
Stube waren mit Haken zufammen geneftelt; in der rede
ten Hand trug er einen Stod, mehrere Papiere unter dem
Iinfen Arme und an den Fingern hatte er Dintenfiedfe.
Dabei fah er weder rechts, mo links, fondern eifte nur
in feinem Berufe fort. Id wagte es indeß, ibm im dem
Beg zu tretem und beiheiden zu fragen, ob er mir nicht
fagen könne, wer der nermebme Herr dert fei, der mic im
den Horazifchen Oden eraminirt Habe? — Der Heine Mann
Rarrte mich mit Durddringenden, blaucn Angen an, und
fragte Dann neugierig: Welche Stelle hat er Euch über
feßen laſſen? Ich zeigte ihm die Dde. Er flug die Aue
gen zum Himmel, fhttelte den Kopf und rief: Sonderbar.
fonderbar! Allein was belfen alle Warnungen. Lieber
"Freund, warum habt Ihr ihm nicht auch den Schluß über»
vet: „Sch tet und ftark im Glüde, wenn ſich aber der
ai drebt, ziehe weiolich die gar zu ſchwelenden Seegel
Der vornehme Herr in geldgeſticter Seide, verfepte
der Meine Mann, it der Reichsbofmeiſter Corſitz Ulfeid;
"und ic im Ledertoller. mit zuſammengeneſtelte Schuben, bin
des Könige Staatsfefretär Friederih Günther Gr
babt Euch wohl, mein Freund, ich habe feine Zeit, länger
mit Euch zu ſprechen. Damit eilte er zum Schloſſe hinauf,
und ich fonnte mich über Dies fo fonderbare, gegen einander
abſtechende Paar nicht genug wundern,
Ym folgenden Tage fah id die ganze Trinkkomddir
ſehr gemaͤchlich durch's Gartenfenfter. Der König felbt
führte den vornehmen Nuffen in den Gartenfaal, mo der
Tifch gededt ſtand. Mein Wirth war and ſchon da, und
76 Der Ankerſchmid in feiner &torie ”
ich erfannte ihm nur a=. dem bäurifhen Komplimente, das
er dem Könige machte, fonft wäre cs mir unmöglid gewe ⸗
fen, denn er ftroßte fteif im goldgefidten Node, und aufs
Haupt hatten fie ihm cine große gepuderte Perräde mit
weit hinunterhängenden Soden, gefeht.
Der Tirh war reichlich mit Speifen verfehen, mit Bra
ten und Pafteten, Weinſuppen und Torten. Die Pafteten
waren wie Greife gebaden, mit ausgebreiteten Flügeln,
reichlich vergoldet, bemalt und mit Buchsbaum ausftaffirt.
Borne an der Bruft trugen fie das dänifhe Wappen. Auch
ward viel Gebackenes aufgetragen, wie Bafilisten und Hähne
geformt; zwei gebratene Ferkel fah ich mit rothen Wenfeln,
Hechte mit Leber im Munde. - Auch mangelte es nicht an
Marcivanen und Löftlihen Gonfituren.
Der König winfte, und cine fhöne Tafelmuſit lich
Aid durch verſchiedene Oeffnungen im Saale hören; dal
ſchien fie ganz nahe, bald weit entfernt zu fein. Dieſe reis
sende Erfindung verdankte man dem Könige ſelbſt. Der
Ruſſe glaubte, es fel Dererei, und wunderte ſich über die
Magen. Der Ehmid ließ fih aber von nichts anfechten;
er ftand ganz ruhig, die Augen ftarr auf die großen, ſilber⸗
nen Pokale gerichtet, die ihm zum Siege winkten.
Iept follte das Trinken losgehen. Der Anterfhmid
ſaß dem Kneeſe gerade gegenüber. Er war vorher dem
Geſellſchafter des Auffen, der franzöſiſch ſprach, vorgeſtelt
worden, als ein Herr von Anker, aus einer fehr alten Fa⸗
milie, die ſich fdon vor den Seiten der Sändflut beſon⸗
ders ausgezeichnet habe. Jetzt wurden den beiden Zechern
die großen Pokale gereicht. Der Ankerſchmid hatte nur fo
. viel Sranzöfifc gelernt, Daß er „A vous!“ fagen konnte, da
mit ihm der Ruſſe immer Beſcheid thue Als fie aber eine
Der Anterfhmid in feiner Glorie. 1
Beile ſolchergeſtalt getrunken hatten, fing die daͤniſche Madıt
an, zu ermatten, umd der König fürchtete, Maß Hanfen
würde die Sergel ſtreichen müſſen. Gr war aber jept in
feiner zäntifchen Laune, und fing an, über die Allongever -
rüde, die er tragen mü'te, gewaltige Satiren zu machen.
Benn man in einem folhen Wulſte erftidt wird, ſprach er,
und fo eingewidelt in goldgefitten Schnürbräften ſihen
muß wie einKind in Bindeln, wie fann man da als freier
Mann trinten? Bekomme id nicht Erlaubnig, die unnöthie
gen Kleidungsftüde über Bord zu werfen, fo vwergehe ich
wit Mann und Maus, und der heilige ruſſiſche Nikolaus
hat auf ewig die drei dänifhen Löwen mit ſammt dem
Elefanten verfhlungen. — In’s Teufels Namen, rief Cor⸗
AB Ulfeld, thus, wie es Euch gefällt, nur trintt! — Kaum
dörte Map Hanfen diefen Oratelfprud, fo flog die Allonges
verrüde Über den Tiſch und einem Pagea in’s Geſicht, der
hinter des Königs Stuble ftand. Hierdurch verbreitete ſich
eine weiße Staubwolfe über den ganzen Tiſch, und aus
diefem Zaubernebel flieg Map Hanfen mie neu geboren
emporz denn als das Wetter ſich erheiterte, faß er wieder
ganz als Schmid da, mit tahle Scheitel, in blogen Hemds«
ärmeln, die nit die fauberften waren, weil die Spißen⸗
wanfcetten an den Händen nit weit hinauf reiten. Co
geiff er aufs neue das Werk an mit Fäuften, während ihm
die hellen Tränen über des Königs Leutſeligteit und Her»
abfaflung über die Baden in den Becher floflen und den
Bein würzten; denn jept war er in die Wehmuth gerathen.
Der Ruſſe fing an, noch dümmer, wie vorher, auszufehen,
wiſchte ſich den Bart mit der Hand, wie die Kape mit der
Pfote, wenn fie zu viel Rahm getrunken, und wollte (don
Stillſtand machen. Allein Mag Hanfen, dadurd nur mehr
WB Der Ankerſchmid in feiner Glorie.
angefeuert, rief begeiftert: Mei alien heiligen Eiebengeflir«
men und Himmelswagen, jegt wollen mir ein Mal die Ge-
fundbeit des unferblicen Aftronomen Tycho de Brahe
trinfen, der auch, wie ic, eine fupferne Naje trug. und der
fi fo gut auf den Himmel verftand, ohne cin Narr auf
Erden zu fein. Aber erft muß ich ein wenig frifche Luft
fhönfen, und die neue Etatue da hinter den Bäumen in
der Nähe befchen, Damit es mir nicht wie Tycho de Brahe
bei der Tafel des Kaiſers Rudolf ergebe.
Die Hofleute fahen bedädtig den König an, als aber
diefer laut auflachte, wagten fie cs and. Der Roſſe bog
ſich mit ſchlaͤfrigen Augen über den Tiſch und verfuchte ver»
geblic, den Mund zum Lächeln zu ziehen. Da trat Map
Hanfen wieder neu belebt und räftig in den Saal, und als
er ein großes, ſilbernes Beten bemerkte, einen Eisbehaͤlter
worin man Sommers den Wein abfühlte, befahl er dem
Wundfsenten, denfeiden mit altem Rheinweine zu füllen.
Drauf den Rufen am Halekragen ſchüttelnd, rief er laut:
a vous! und verſchlang die Hälfte — Nun follte der
Anees die zweite Hälfte ausleeren, kaum hatte er aber an-
gefangen, fo verdrehte er die Augen, wie ein Stück Bieh,
das mir dem Beile vor die Stimm gefhlagen wird. und
ſank wie leblos unter den Zifh. Darauf ward dem Dis
nen Map Hanfen mit vie.em Hurraßrufen von den Pagen
eine Weinrebe um's Haupt geflechten, und fo ward er im
Triumphe vom Volke nad) Haufe Aefabren.
Die männlige Braut. 79
11.
Die mäunlicht Braut.
Ich, ſehnte mic) nad) der Maskerade und wagte Herrn
van Leuven zu fragen, ob fie nicht bald Statt haben wer»
de? — Ja wohl, lieber Freund, fprad er, Äbermergen wird
fie gegeben; die einzige vermummte Perfon ſollt aber Ihr
fein. Und doch braucht Ihr keine Maske zu tragen. Ih
will Euch auf dem Lande in eine Geſellſchaft als meine
Frau einführen. Seid nur darauf bedadıt, recht zaͤrtlich
gegen mid) zu fein. Ihr brandt aber nicht zu ſprechen;
ib führe Euch in eine engliſche Famille, wo fie niht Hals
landiſch vwerftehen. Die Engländer forehen ohnehin mit
fremden Zranen, die fe zum erften Male fehen, wenig; die
Heländer gar nicht, und Ihr fünnt fo blöde und ſchüchtern
fein, als Ihr wolt. So viel Heländifcy könnt Ihr fhon,
um zur Noth einige höflihe Worte zu fagen. Spielt Ihr
Eure Rode gut, fo habt Ihr mein Glüd gemacht, und ich
werde das Eurige machen, wenn Ihr Euch dazu entfchlie
ben Fünnt, mir nad) Dftindien zu folgen. — Id folge
End bie an der Welt Ende, Herr van Leuven, ſprach ic,
und tue gern, mas ihr von mir verlangt.
Ohngefaͤhr zwei Meilen von der Stadt näherten wir
uns einem fchönen Landhaufe, am Cingange eines Waldes
und am Ufer eines Sees gelegen. — Hier mohnt ein eng⸗
liiher Kaufmann, Herr Samuel Märs, ſprach van Leuven.
34 babe feine Bekanntſchaft vor zwel Jahren in London
gemacht. Der König von Dänemark, der viel für den Han -
80 Die männlige Braut.
dei feiner Staaten thut, bat diefen einfihtsvollen Mann
auf vortheilhafte Bedingungen dazu vermocht, fih in Där
nemart niederzulafien. — Ban 2euven würde mir noch
mehr gefagt Haben, aber ein Vetter des Haufes, der ihn
Kannte, begegnete uns ſchon zu Pferde und rief: Ei, ei
mein Herr van Leuven, willtommen in Dänemark! Erinnert
Ihr Euch aber auch wohl Eures Verſprechens, meinen
Oheim nicht eher zu beſuchen, als bis Ihr verheirathet wär
ret? — Das ift ſchon gefhehen, antwortete van Keuven,
und bier feht Ihr meine Frau. — Nun, das it was ans
ders, rief der Engländer. Und wenn Ihr heute über vier-
zehn Tage miederfommt. hoffe ih Euch aud meine Braut
zu zeigen, denn die ſchoͤne Concordia wird, Hoffe id. bald
ihrem Vater gehorſamen, und mir ihr Jamort geben. —
Alſo thut fie es nit gern, fragte van Leuven mit einen
gezwungenen Laͤcheln, indem er die Bläffe feines Gefichtes
mit feinem Schnupftuche zu verbergen ſuchte. — Das giebt
ſich alles nachher, ſprach der Engländer. Iept will id) Euch
aber glei melden. So felbander feid Iht ung fehr wis
tommen! Damit fpornte er fein Pferd und ritt zurüd.
Nun wigt Ihr fhon etwas, Albert, ſprach van Leuven.
Vergedt, daß ich noch ſchweige. Mein Herz fhlägt mir zw
unrubig, zu ungeduldig, zu gefpannt erwartungsvoll. Spiele
nur heute die Rolle meiner Frau! Sie ift leicht zu ſpielen.
denn fie ift ganz paſſiv.
Es freut mid, Herr van Leuven. (rief der Kaufınann
Samuel Plürs, ein fetter Dann, mit rotben Baden und
lichtgrauen Augen, der uns in der Thür begegnete), es
freut mich, Euch bier in Dänemark bei mir zu ſehen. Ih
böre, Ihr feid jept verbeirathet. Euer Herr Vater in Ant⸗
werpen und ich in London ſtanden fonft zu einander in
Die männlige Braut. 8
freundſchaftlichem Verkehr, und haben mit einander viele
Geſchäfte gemacht, mobel keiner verlor und jeder gewann.
Er, als Edelmann, weilte aber nicht, daß Ihr eine Bür-
gerlie beirarhen folltet. IA verdenke es ihm nicht, Gleich
und Gleich geſellt ſich am beiten. Sure Heirath mit mei⸗
ner Tochter würde ihm feinen Stammbaum in Unerdnung
get racht haben. Euer Vater fand es unnatürlih, einen
friſchen Zweig in einen alten Baum einzwimpfen, umd id
babe Euch aufridtig befannt, dag wir diefe Ehe auch fehr
aumwider war. Bir Bürgerlihe haben auch unfern Stolz.
Adel und Bürgerfhaft find zwei verſchiedene Nationen, die
fh, wie alle Nahbarvölfer, haffen, weil fie immer Fehde
mit einander geführt haben. Gure Kinder mit meiner Tode
ter wären doch nur Zwitter geworden, weder Fiſch noch
Fleiſch. Der Adel würde über ie die Nafe gerümpft ha⸗
ben, weit fie nur ein halbes Wappen führten; fie ſelbſt mür«
den über ihren bürgerliden Großvater die Nafe gerämpft
baben, weil er Schuld an ihrer adelichen Halbheit geweſen
märe; und in allen bürgerlichen Geſellſchaften würde man
wieder über fie Die Nafe gerämpft haben, wegen des alber-
ven Dimtels. AU diefes gegenfeitigen Nafenrümpfens find
wir num quitt und 106. Zcht heirathet Concordia meinen
Neffen. Bir find (dom Compagnons im Handel. und diefe
Ebe wird unfere Intereflen noch näher verbinden.
Es waren mehrere Gäfte beim Kaufmanne zu Liſch
geladen. Sie fpazierten vor dem Eſſen im Garten in ver⸗
fhiedenen Gruppen umber.
Allein die fhöne Concordia, um derentwillen wir all
die Zubereitung und die ganze Neife gemacht hatten, fahen
wir nicht. Sie hatte Kopfichmerzen vorgegeben, und blieb
auf ihrem Zimmer. Herr van Leuven, der ns der Mahle
Seplenf. Echriften. XVIL.
32 Die männliche Braut.
aat mit mir allein in einem großen feifen Hedengange im
entiegenen Winkel des Gartens fhazierte, war untröflib. Er
batte deutlich an mehreren Aeußerungen gemerkt, daß der
Tochter nichts fehle, und daß es weder des Vaters nad des
Liebhabers Schuld fei, dag fie nicht komme. Es mußte alfo
Born gegen van Leuven fie dazu bewogen haben, weil fie
glauben mochte, er babe fih wirklid, verheiratet. — Was
iſt nun gewonnen? feufzte er. Ach, alles ift verloren! Nur,
um Gelegenbeit zu finden, fie allein zu fpredien und zu ei⸗
ner ſchleunigen Flucht zu Überreden, habe id) dies Gaufel-
ſpiel getrieben. Aber fie will mich nit fehen. Großer Gott!
bat fie mid denn wirtlich vergeflen? Will fie den erbärmlie
ben Menſchen, der nur an Zahlen und Geld denkt, heira-
then? Und zürnt fie, weil ich fo zur Unzeit erfheine? —
Er lehnte fi an meine Schulter, drüdte meine Hand an
fein Herz, und ic fühlte eine heige Tpräne darauf fallen.
Ei, ei! wie Ihr doch fo verliebt in Eure junge Frau
feid, ſprach eine kreiſchende Stimme, da Ihr mit Euren
Liebkofungen nicht einmal warten könnt, bis dag Ihr nad
Haufe kommt. — Ich ſah auf, und bemerkte eine haͤßliche
Negerin, die mit zornigem Geſichte vor uns ftand; die gre⸗
gen breiten Lippen Hatte fie zu einem höhniſchen Lächelu
beinaße bis an die Ohren binaufgezogen, und mit den
—— Zahnen fletſchte fie uns an, als ob fie ung beitzen
wolle.
Ach, Mingal biſt Du da rief van Leuren; liebe, treue
Ming, wo iſt Deine Dig? Wo ift meine Concordia? —
Eure Goncordia, antwortete die Schwarze höhnifdy, fendet
Euch diefen Brief. — Er öffnete zitternd den Brief und las:
Treulofer Karl Franzi
Wäprend drei Jahren babe id nur an Euch gedacht!
Die männlige Braut. 83
Nur Euren Namen nannte ich in meinemMorgen» 'und
Abendgebet. Das Veilden zeigte mir nur Eure Treue, die
Rofe Eure Liebe. Wenn ih Mufit hörte, war es ein Wort
meines Geliebten aus der Ferne. Spiegelte der Mond ſich
in meinen Ihränen, fo tröftete es mid, daß er aud Eure
Trauer fähe. Ih batte Berziht auf alle Jugendfreuden
geleiftet, denn Wehmuth und Sehnſucht maren mir mehr
als Gegenwart und Vergnügen. Nun ift das Alles wie
ein Traum verfhmunden. Ihr habt Concordia verlaffen,
und feid noch fo graufam, mit Eurer Frau hieher zu kom⸗
men, um mic zu verhöhnen. Von jeßt an hat das Leben
für mic) keinen Werth mehr. Ic) gehöre nun ganz meinem
Vater. Dem font Verhaßten reiche ih meine Hand. Gr
ift nicht Schön, nicht geiftreicy und nicht reizend, allein er iſt
ehrlich, und verſpricht nit mehr, als er zu Halten gedentt.
Soncerdia Plürs feht Ihr nimmermehr.
Gott im Himmel! rief van Leuven, blag wie der Tod,
diefem Irrthume muß fogleid) vorgebeugt werden. — Gr
nahm einen Bleiſtift aus der Brieftaſche, und ſchrieb auf
ein kleines Stuͤck Pergament:
Himmliſche Concordia!
Alles iſt Itrthum. Ich bin nicht verheirathet. Nur
Freundſchaft hat ſich dazu beauemt, die Rolle meiner
Frau zu ſpielen, um unſere Liebe zu unterlügen. Eilt in
den Garten! Die gute Minga wird Euch ſagen, wo Ihr
treffen könnt Euren bis in den Tod getreuen und liebenden
Karl Franz van Leuren.
Als er der Negerin diefe Zeilen vorgelefen batte, ver
ſchwand gleih die gebäfige Miene aus ihrem Geſichte
6
84 Die maͤnnliche Braut.
Kurz vorher hatte Me ihm mie ein Anurrender Hund die
Zähne gezeigt, nun blidte fie ihm mie ein treuer Pudel ru
big in's Auge, und ſchnell wie ein Mindfpiel eilte fie mit
dem Zettel fort.
Entzüdung über Concordias treue Liebe wechſelte jetzt
mit Befümmernig und Sehnſucht in feiner Bruft, und er
konnte die Minuten faum abwarten, die ihn noch von der
Geliebten trennten. Wie viel peinliher ward aber noch die
fer Zuſtand, als ihm der Kaufmann Plürs entgegen kam.
Er hatte ihn aufgefucht, um ihm eine neue Bitdfänfe zu
zeigen, die er auf einem grünen Raſenplatze aufgeftellt hatte,
und die den Mercurius vorfellen fellte. Das Bild, ſprach
der Kanfmann, fei freilich nur von Holz; da er es aber
babe grau malen laſſen, und die Oelfarbe mit feinem
Sande gemiſcht fei, fo fähe es Teibhaftig aus, als ob es
ein wirklicher Mercurius von Etein wäre. Ban Leuven
fagte mir ein paar Worte in's Obr, id) mußte Müdigkeit
vorgeben und blich auf der Bank fipen, damit Icmand da
fei wenn Concordia kãme.
Es dauerte nicht lange, fo cilte ein ſchönes ſchlankes
Maͤdchen durh den Gang binauf. Jhr Geſicht fann id)
Euch nicht beſchreiben, ſo etwas muß man gefchen haben.
Was hilft cs, wenn ih Euch erzähle, daß fie beinahe
füwarze Haare hatte, wie eine Brünette, weiße Haut und
blaue Augen, wie eine Blondine; dag die Glieder ihres
Körpers in den fhönften Verhältniſſen zu einander ftanden;
dag Schüchternheit und Charakter in ihr ſeltſam vereint
waren? Dag kindliche Unbefangenheit und die ernfte Shwär-
merei eines gefühlvollen Herzens in ihren Bliden fo unter
den großen Wimpern hervorleuchteten, mie die Morgenfonne
durch eine Dunkle Wolfe? Meine Urenfelin, die cine Cor⸗
Die maͤunliche Braut. 85
dula da, gleicht ihr etwas, nur dag fie lichte Haare hat.
Sie war fhliht und Pod geſchmackvoll angezogen. Sobald
fie mich fab, eilte fie mir entgegen, fdlog mid, in ihre
Arme, drüdte mid an den Bufen, fügte mid zu wiederhole
ten Malen, und. rief: Liebe, undefannte Freundin! Um
Gottes Willen, vergebt, dag ih Euch vertannt babe! —
Ein elektriſches Feuer durchzuckte mid, wie Ihr wohl ber
greifen könnt, und es foftete mid) viel, zu geftehen, daß fie
mich noch vertenne, und dag ih cin Mann ſei. — Sie
fuhr erfcpro@en und beſchämt zurüd, faßte ſich aber aleich
and ſprach: Auch gut! Noch beſſer! Den Dank habt Ihr,
er. iſt Euch von Herzen gegönnt.
Jetzt fam Herr van Leuven zurid, und Minga und id)
zogen uns zurüd, um Wache zu halten, und um den Lie
benden Gelegenheit zu geben, fi) ungeftört zu ſprechen. Die
Küfle der Schönen brannten mir nod) heiß auf Lippen und
Wangen. Bir gingen an einer Duelle vorbei; id) (döpfte
zitternd Waſſer mit: der Hand, frank etwas, und wuſch mir
das Geſicht, es wollte aber alles nichts helfen.
Ploͤßlich kamen uns die beiden Liebenden ängſtlich und
blaß entgegen. Himmel, liebe Diinga, rief Concordia häne
deringend, haft Du ſchon meinem Vetter Anton Plürs den
Brief gebracht, den ich ibm in der erfien Aufwallung mei-
nes Herzens ſchrieb, und morin ich ihm mein Jawort 996?
— 36 traf ion nicht auf feinem Zimmer, antwortete
Minga, aber id) Iegte den Brief auf den Tiſch im Lufte
haufe, mo er gewöhnlid feine Pfeife raucht und fein Mit:
tagsſchlaͤfchen hält. — Laufe um Gottes Willen, rief Con»
cordia, und hole den Brief zurück, wenn er nod da liegt.
Saufen, erwicderte Dinge, kann id fo gut wie eine, ob
aber der Brief noch da liegt, weig ich Midt.
86 Die männlige Braut.
Eie lief fort und fam bald darauf mit der traurigen
Nacricht zurüd, daß der Brief {chen vom Tiſche wegge⸗
nommen fi. — Das ift Gottes Etrafc, rief die fhöne
Concordia, weil ich gleich in Zorn gerieth und mid rädyen
wollte. Den Anton Plürs nehme id nie, mein gelichter
Karl Franz, feitdem id von Eurer Treue und Redlichteit
überzeugt bin. Ih folge Euch wohin Ihr wollt. Allein
hoͤchſt unangenehm iſt doch diefer Zufall, Ih habe noch
nie einem Menſchen etwas vorgelogen, nod) nie mein Wort
gebrochen, und jeßt, jept muß ic es doch thun!
Wir waren Ale über dies Ereignig verfiimmt. und
murden es noch mehr, als uns der Better Anton Plürs
fehr vergnägt mit einem offenen Briefe entgegen fam. Als
er ihr aber den Brief reichte und fie erfuhr, es fei nur eine
angenehme faufmännifhe Correſpondenznachricht, ſchöpfte
fie wieder Muth und äußerte gleichgültig ihre Zufriedenheit
darüber. Als er aber auch Plap bei uns nehmen wollte,
fagte fie ruhig: Lieber Anton. laßt uns hier einen Augen-
blick allein. Herr van Leuven beſucht uns nicht wieder, er
reift nad) Oftindien. Mein Bater wird nichts dagegen ha-
ben, dag id) unferm Freunde in feiner Gemahlin Gegen-
wart das letzte Lebewohl fage.
So entfernte ſich denn der beſchwerliche Liebhaber, um
feiger Couſine nicht zu mißfallen, und tröſtete ſich vermuth⸗
Id) damit, daß dies Gefpräd mit dem bemeideten Neben»
bubler das letzte fei,
Concordia folgte ihm fpähend mit den Augen umd
ſprach: Ich begreife das Alcs nit! Er ſcheint den Brief
noch nicht bekommen zu haben, und doch liegt der Brief
nicht da. Iſt er vielleicht meinem Bater in die Hände ge
falen? Das wäre ioch ärger!
Die männlige Braut. 837
In diefem Augenblice hörten mir eine Schelle Mlingen;
6 war der Beine Beautiful, der Schooghund und das
EC hooBfind Concordiens, der mit dem Briefe im Munde
laufend Fam, um ihn feiner Herrin zu bringen, wie er oft
zu thun pflegte, wenn er von ihren Sachen etwas fand,
das er am Geruch erfannte. Anton Plürs begegnete dem
Hunde, und als er fah, er trage einen Brief im Munde,
wollte er den Heinen Beautiful an fih loden und fangen,
um ihm den Brief aus den Zähnen zu reifen. Man denke
ſich Eoncordia’s Echreden; denn die Auffhrift war ja eben
an den Nerhaßten. Der Hund entwich ihm aber behend,
lief zu feiner Herrin, ſprang ihr auf den Schooß und reichte
{hr den Brief, den fie ſchnell in die Taſche ſtecte. Anton
Püre tam herbei und wollte willen, von wem der Brief
fel und mas. er enthalte? Das geht Euch nichts an, ſprach
Eoneordia raſch, die jeßt wieder Athem fdhöpfte, noch habt
Ir mir nichts zu hefehlen, noch feid Ihr nicht mein Herr;
ob Ihr es jemals werdet, ift eine große Frage.
Er ſchlich id) befhämt von dannen, und fo war Alles
wieder im Gleiſe. Die nöthigen Berabredungen wurden
vom den Lichenden getroffen, und Goncordia ging” wieder
auf ihr Zimmer; wir nahmen Abſchied von der Geſellſchaft
und fuhren nad der Stadt zurüd.
88 Abſchied von Kopenhagen.
12.
Abſchied von Kopenhagen.
Die Flut war gelungen, und Die Tgauung in aler
Eile heimlich) in der Stadt, in Gegenwart der nöthigen
. Beugen geſchehen; ein Schiff lag fegelfertig auf der Rhede.
um uns nad Dfindien zu führen. Ban Leuven hatte den
beiden Gitern Briefe Hinterlaffen. Der Inhalt war: „Er
fähe recht gut ein, daß ehrenwerthe Männer, die beide eie
nen großen Theil ihres Lebens thätig, Ihrem Etande ge
maͤß, genoſſen hätten, keine Veränderungen wünſchten; daß
fie gern ihre Kinder nach fi bilden wollten. Es ſei auch
guter Kinder Pflicht, den Eltern zu ‚geborfamen, NG nach
ihren Tugenden zu bilden, ja fogar igre Eigenheiten zu ad»
ten und zu fhonen. Gr glaube aber, Gott vergebe es den
Kindern, dag fie gegen der G.tern Eigenfinn handelten,
wenn diefer das hoͤchſte Süd ihres eigenen Lebens zu ver»
nichten drobe. Er sheile ihre Meinungen, was den Etan-
desunterſchied betreffe, nicht. Eden, Damit die Geſchlechter
ſich nicht ſtets von einander trennen ſollten, und jo zuletzt
entarten, habe Gott Die Liche in die Herzen gepflanzt, wo⸗
durch das Neue, das Ungewohnte und Fremde plöplic, wie
durdy einen Zauberſchlag, tem Gemüthe theuer und er-
mwünfdt werde. Durch Umpflanzungen und Einimpfungen
gewinne fowohl das Menſchengeſchlecht als der Baum. Die
ſich gar nicht miſchten, würden zuleßt blödfinnig. Woher
ſchreibe ſich fonft der Gräuel der Blutſchande, als aus die
Abſchied von Kovenbagen. 9
tem Gefühle? Bas nun Goncordien und van Leuven ber
treffe, 10 wäre ihr Stand gar nicht fo verfhieden. Ibre
Eltern feien beide Kaufleute, ob adlich eder bürgerlich, das
tue zur Sadıe nichts. Sie hätten beide lange in freund.
ſchaftlichem Verkehr zu einander geftanden und Geſchäfte
abgemacht: dieſe Heirath werde ihnen größeren Vortheil
bringen. Sie haͤtten ſich lange cinen treuen Commis auf
der Inſel Geyion gewünſcht; er, van Leuven, reife jept mit
feiner jungen Frau dahin, um fid mit ihr fünf Jahre dort
aufzuhalten. Während der Zeit wole er ihre Geidhäfte auf
der Infel mit größter Irene und Fleiß beforgen; und wenn
er nachber wieder nad Euroba reife, einen zuverläffgen
Mann verſchaffen, der ihn ablöfen könne. Aud in der
Gerne würden fie ihre Eltern lieben, und täglih zu Gott
für fie beten; und der Allmächtige, der die bimmliſche Liebe
in ihre Herzen gebflangt hätte, wü.de fie auch als treue
Kinder zuräd in die Arme ihrer verföhnten Eltern führen.“
Ich mar meder zugegen bei der Hochzeit, noch bei dem
Bleinen Abendſchmauſe, den van Mandern beforgt hatte, obs
ſchon ich eingeladen war. Warum? Id hatte Unpaͤßlichteit
vorgegeben. Was fehlte mir denn? Soll ich es fagen? Die
Küffe der ſchönen Concordia brannten mir ned beiß auf
Lippe und Wange. Ich war ſterblich in fic verliebt, umd
obſchon ih Herrn var Lenven chrie und (däpte, war es
mir doch unmöglich, Zeuge feiner Trauung mit der ſchönen
Engländerin zu fein.
Eie liegen ſich noch denfelben Abend nad dem Schiffe
binaus rudren, id follte noch eine Nacht bei dem Unter»
ſchmiede bleiben und erſt morgen folgen. Gedanken und
Berathſchlagungen kreuzten ſich fo in meinem Kopfe, daß
ih die game Racht wicht ſchlafen konnte. Zuerſt beſchloß
m Abſchied von Kopenhagen.
ich, nicht mitzureifen. — Ban Leuven, dachte id, if ein
Biedermann; er verdient nicht, dag Du feine Offenheit hin-
tergeheft, daß Du ihm heimlich beneideſt. Diefe Glut kon⸗
nen nur Zeit und Trennung fühlen. Bas ſtürzeſt Du Dich
muthwillig in den Krater hinunter? Noch if es Zeit, den
Zug vom Adgrunde zurädzuziehen.
Dann dachte ich wieder: Du daft ihm Dein Wort ge
geben, ihn zu begleiten, er rechnet darauf, dein Ausbleiden
würde ihn in Verlegenheit fepen. Iunge Lichende brauchen
einen verfländigen, ruhigen Freund in der Nähe. — DIR
Du denn ein folder verftändiger, ruhiger Freund? fragte
ich mid wieder? — ber, mein Gott, was foll id denn
hun? Kann ich ihm die wahre Urſache fagen? Und fag’
ich fie nicht, muß er mid nicht für einen undankbarcn und
mantelmütbigen Menſchen halten, ohne alles Zartgefühl?
Und foll fie das von mir" glauben? Seil fie der einzige
Kuß gereuen, den fie mir gegeben hat und je geben wird?
Und will ich wirkli die füge Concordia nie wiederſehen?
Nein, nein! I4 reife mit. Allein, bei Gott! id will meine
Bricht als Freund und Menſch erfüllen.
Als id) fo mit mir ſelber einig geworden war, nahm
id) von meinem wackeren Birthe Abfchted. Er wollte mid
aber durchaus nach dem Schiffe begleiten.
Er war Heute nicht betrunken und fehr freundlich ge⸗
gen mid, denn er hatte mic, lich gewonnen. Ih mil mid
ein Stündlein noch mit Dir Teen, fagte er; den Bein habe
id) immer, und wenn ic) trinke, fo lebe ich im meinen eige⸗
nen Ginbildungen und Vorſtellungen, und Lehre mi den
Henter an Iemanden, dann habe ich auch nicht die näthige
Aufmerkfamfeit für meine Freunde. — Id war dem ehr-
lien Manne auch recht gut geworden, der mir fo viele
Abſchied von Kopenbagen. 9
Dienſte geleiftet hatte, ih drüdte ihm herzlich die Hand und
bat ihn, künftig doch nicht mehr fo viel Wein zu trinken.
Er verſprach es mir gleih ohne Widerſpruch, id zweifle
aber, daß er Wert gehalten habe. Mir ruderten an der im
Hafen liegenden dänifhen Flotte norbei. - Die [höne rothe
Flagge mit dem meißen Kreuz wehete überal. — Wenn
mir Dänen diefe Flagge betradıten, ſprach der Schmid, dann
färbt ſich unfere Slirn auch roth von altem Nationalſtolz.
Sind wir dod die älteften Seeleute Europene. Als m
feine Venetianer, Genuefer, Holländer und Engländer wa-
ren, befegelten mir fhon das Weltmeer und die Flüſſe und
verbreiteteten unfern Ruhm, wohin wir kamen.
Der Anterfmid beſtieg mit mir das Verded, mo ſich
ſogleich die ganze Mannſchaft binjudrängte, um den fonder-
baren Trinker zu ſehen. Wis er den großen neuen Anter
fab, den cr felbft geſchmiedet hatte, und der jet feine erfte _
Neife mitmadyen follte, ward ibm ganz weich um’s Herz
und er fing ordentlich an, den Anker wie ein geliebtes Thier
zu ſtreicheln und zu liebkoſen. — Biſt Du da, mein Junge?
fagte er; nun, das iſt gut, glücliche Reife! Gchab’ Dich
wohl! Seekrank wirft Du nimmer werden. Grüße die
Wallfiſche. die Ereflangen, die Hate und Delphine viel⸗
mals; und merde nicht ſtolz und vergiß nicht, mern Du im
tiefen Beltmeere unter Korallen lieaſt. und mit feltfamen
Sewäcfen und Pflanzen Bekanntſchaft machſt, Deinen al«
ten Map Hanfen und die fröhlichen Stunden, die wir im
luſtigen, feurigen Elemente mit einander zugebracht haben.
Du bif ja ein Bild der Hoffnung! So fei denn auch flart
wie die Hoffnung auf Gott, und laß nie diefe chrliden
Leute verzweiflungsvoll die Hände ringen. Halte feit mit
Deinem Halen, wenn der Wind pfeift und Die Belle ſchäumt.
2 Abſchied von Kopenhagen.
Sollleſt Du aber endlich einmal liegen bleiben, weil das
faule Tau nicht länger im Stande ift, Dich wieder hinauf
zu ziehen, fo liege getroft da, bis zum jüngften Gericht,
Uud wenn einmal der Teig der Erde wieder umgeknetet
wird, dann verftede Did ſchlau in ein Stück Thonſchiefer
oder fo etwas, damit man Did) verfteinert in fünftigen
Naturalien« Kabinetten aufbewahre, und fid) ‚uber den auf
Dir eingegradenen Worten: „Mag Hanfen“ vergeblich, den
Kopf zerbreche, ob es Chaldaͤiſch, Egyptiſch oder Syriſch fei.
Unſer Schiff war new und fhön, und beinahe ſo groß
mie eine Fregatte, nur hatte es fehr wenige Kanonen. Der
Schiffstapitaͤn, ein geborner Franzofe, hatte einen Beinen
Tiſch auf das Verded hinftellen laſſen, mit zwölf Bouteil-
len des beften Bordeaurweines und einigen geräucerten
Speifen befegt. Rund umher waren Stühle in eine Reibe
geteilt, als ob ein Schauſpiel aufgeführt werden follte: al»
16, (mie ich nachher hörte) um der fhönen Frau van Leu.
ven einen Spaß zu machen. Der Kapitän ſprach hollän-
diſch, mas der Aukerſchmid verftand, reichte ihm die Hand
und fagte: Weil Ihr mir den Anker fo wohlfeil vertauft
babt. Meifter, fell es mir auf ein Duzend Bouteillen guten
Bordeaurer nicht ankommen. Sept Euch und früpflüdt. —
Maß Hanfen fhielte ipn an wie ein mürrifder Hund, dem
man aus einem Glaſe zu trinten reicht, und antwortete:
Dante vielmals, Herr Kapitän Lemelic; als wir um den
Anter bandelten, waret Ihr nicht fo freigebig. Ich trinke
aur in Geſellſchaft, oder für mein eignes Geld. Ihr hast
ja ordentlich. da eine Komödiendude aufgerichtet; glaubt
Ihr, dag id Euer Hannsiwnrft fein wil? So trinten viel
leicht die Franzoſen, aber die Dänen wicht. — Habt Ihr
doch aud) beinahe fo im Königliche Luſthauſe gezecht, ant ⸗
Abſchied von Kopenhagen. 93
wortete der Kapitin Möttiih. — Tas that ih meinem
großen Könige zu Gefallen, ermicderte Map Hanfen ftolz;
wiſchen Chriftian dem Vierten von Dänemartk und Kapitän
Lemelie aus Havre de Brace iſt doch wohl einiger Unter»
ſchied; obſchon id) wohl weiß, dag Ihr ein Gdelmann feid.
Dort war ja aud ein Kerl, ein Knees, der mir Beihe.d
thun Ponnte. Ihr ſcheint mir aber der Mann nicht dazu
zu fein. — Der Kapitän erblaßte vor Aerger; er batte
ein recht hͤbſches aber mir höchſt widerliches Geſicht. Här
miſche Lift ſuchte ſich in den großen, mattblauen Augen,
die einen Menſchen nie gerade anſehen Ponnten, vergeblich
au verbergen, und das falſche Lächeln auf feinen ſchmalen
Lippen mar füß und giftig, mie Bleizuder. — Er ſuchte
fich jetzt ſchnell zu faſſen, was ihm nicht ſchwer fiel, und
fing an, den Schmid aufzuziehen, um ihn noch mehr in
Harniſch zu bringen. — Mab Hanfen fagte aber ruhig:
Berfteh? Euch ſchon, Herr Lemelie: Ihr feid bier im Schiffe
Hert und Gchieter, möchtet mich gern heben, damit ih Ha⸗
der und Sanf anfinge, und mid gegen Euch vergäge! Dann
nntet Ihr mir als Meuter meine rechte Hand mit einem
Meffer an den Maftbaum nageln laſſen. Mein, das fol
nicht gefpehen! Mit diefer nervigten Nediten, die der Wein
noch nicht geſchwact bat, drüge ic zum Abfchiede die Hände
meiner Freunde Albert Julius und van Leuven. Noch lange
Zeit hoffe ih damit den ſchweren Hammer und das leichte
Glas zu ſchwingen. Solltet Ihr aber Luſt haben, Euch
mit mir wieder aufs Land nach dem Weinhauſe zu bems
ben, mo Ihr fein Wort zu befehlen habt, da ſteht Euch
diefe gute Fauft in allem zu Dienften. Da will ih Euch
unter den Tiſch trinken» "oder aus dem Zenfter fÄmeigen,
mie es ſich fügen mag. Hier empfehle ich mich.
94 Abſchied von Kopenhagen.
Damit verlieh uns der gute Schmid, und wir waren
alle auf den Kapitän verdrieplih, daß er dem ehrlichen
Bürger fo veraͤchtlich begegnet habe. Was ging ihn fein
Trinken an, wenn Matz Hanfen es vertragen konnte, und
fonft ein rechtlicher, orden:liher Daun war? Und das war
er. Es giebt in der Natur mitunter ſolche Ausnahmen,
ſolche Niefenfonftitutionen, die ſich alles erlauben können.
Map Hanfen war eine davon. Herr van Leuven und ich
winften ihm unfer Lebewohl zu, als er ſich fortrudern Ließ.
Gr Hatte eine Flaſche Wein im Boote verftedt mitgebabt,
diefe nahm er hervor, ſchwenkte feinen Hut, fepte die Flaſche
vor den Mund und fo verfhwand er, indem fein Boot bei
einem großen vor Anker liegendem Schiffe umlentte, und wir
ſahen ihn nie wieder.
Im Ehiffe hatten die jnngen Gheleute ihre- eigene
huͤbſche Kajüte. Drunten fand id die Ihöne Concordia,
die treue Minga und den Kleinen Beautiful mit feiner
Schelle. Er lief unbeforgt umber, und war feiner Herr.
ſchaft gefolgt, ohne zu ahnen, welche lange Reife er untere
nommen babe. Goncordia reichte mir ibre fdhöngeformte,
fepnceweiße Hand; id) Lüßte fie zitternd und errötpete über und
über. — Man follte nod glauben. dag er ein Mädchen fei,
ſprach van Leuven laͤcheind, fo ſchuchtern und blöde ift mod
der gute Albert. Doc das giebt fi bad, — Bir dür⸗
fen einander nicht fremd bleiben, — fagte Concordia. —
Mein Karl Franz und id) ſprechen Hollaͤndiſch. Ihr Deutfd,
fo verfichen mir uns ohne Schwierigkeit. Ih babe ſchon
fo viel Gutes von Euch gehört, lieber Julius: ih hoffe,
mir werden recht vergnügt mit einander in Ceylon leben
wo die herrlichen Zimmtbaͤume wochſen, mit deren füger
Ninde die Europäer ihren Reisbrei beſtreuen. — Diefe
Abihied von Kopenhagen. %
Rinde, ſprach van Leuven, wird uns in den Etand fehen,
das Mart des wahren Lchensbaumes zu genießen. — Ih
Rimmte auch wit in diefen Ton ein, und bald mar die Be:
tauntfhaft gemacht. Concordia war heiter und aufgeweckt
zugleich aber auch tieffühlend und ern. Ihr Herz war
weich, ihr Charakter feſt, kurz, fe mar das herrlichſte
Weib. — Es it mir oft aufgefallen, fagte fir. wie a
Gen, Die in Europa von Einzelnen fo wenig genoffen und
geachtet werden, den Kaufmann dod fo erſtaunlich bereis
bern können, bios, weil alle Menſchen ein Geringes davon
brauchen. er in den Meinen armfeligen Familien, der zw
feinem Kaffee ein Bischen Zuder in den Mund nimmt, eine
Diefferfpige Pfeffer auf feine Erbſen ftreut, ein kleines
Etül Ingwer in feine Euppe thut, oder feine Wäſche mit
tinigen Gran Indigo bläut, denft wohl daran, d.& cr dar
zu beitrage, Milionäre zu machen?
Nachdem wir die Scefrankpeit glüdlid) Überftanden hat .
ten, fuchte Jeder auf feine Weife fid) Die Zeit zu vertreiben.
Eoncordia ſchlug vor, mich Engliſch zu lehren, und wie
gern willigte ich ein, ihr Schüler zu fein. Lemelie weilte
fie wieder Spanifd) Lehren, denn er verſtand die meiften le⸗
benden Sprachen gut. Sie danfte ihm böflid, entſchuldigte
fi aber, daß fie nicht Aufmer! ſamkeit genug befipe. um
Schülerin zu fein; Lehrerin, befonders ihrer eigenen Muts
terſprache zu fein, ginge ſchon leichter. Auch meinte fie, des
Kapitäns Gegenwart auf dem Verdeck wolle alle Augen
blide vonnöthen fein. — Nicht nenn mir unter den Dale
fat kommen, ſprach Lemelie, mit gezwungenem Lächeln fei«
nen Zorn verbergend.
Ich merkte wohl, dag er mich beneidete, wenn ich der
ſchönen rau fo nahe faß dag meine Wange beinahe die
94 Abſchied von Kopenhagen.
ihrige beruhrte, und ihr Athem die meinige bethaute; wenn
meinyXuge mehr auf der ſchönen Hand ruhete, die das
Bırd) bielt, als auf dem Bude ſelber. Concordia merkte
recht gut meine Zerftreuungen. und Likelte mitunter dar⸗
über; doch drüdte dies Läden weder Spott noch Mißver⸗
gnügen aus. Es gefällt auch einer tugendbaften rau, mit
Geiſt und Herz fid) von einem Manne gebuldigt zu fehen,
den fle adıtet und leiden mag. Ban Leuven war nicht ei⸗
ferfüädhtig; daß ic von feiner Frau bezaubert war, fand er
nicht bios natürlich, fondern auch nothwendig. Er erfannte
in mir einen unfhuldigen Jüngfing, und mar nicht meinete
wegen beforgt. Diele Grogmuth verpflichtete mid ihm noch
mehr, und machte unfer gefelliges Verhältniß edel und an.
genchm.
18.
Macbeth und die Seeräuber.
Sobald ich im Englifchen ein wenig vorgerüdt war, fing
Soncordia an, mic mit des trefflihen Shakcepear’s Wer⸗
ten bekannt zu machen. Diefer Shakespeare war ihr Stamm-
vater mütterfiher Eeite, Denn fie war cine Enkelin feiner
gelichteften Tochter Sufanna, an den Doctor und Arzt John
Hall verheirathet. Ihre Großmutter lebte noch, ihre- eigene
Mutter war aber in den Moden mit ihr geftorben. Sie
erzählte mir mand;erlei von dem berrlihen Shakespeare,
Macbeth und die Seeräuber. 7
der in die Eparaktere und Gemüter der Menſchen fo tief
geſchaut hat. Sie zeigte mir auch fein Bild: ein Lräftiges,
offenes Geſicht. In den Ohren Hatte er Meine Ohrringe.
— Wartet einmal, die kann ih Euch mirklih zeigen,
Sie eitte bin. öffnete einen Schrant, und brachte ein Käft-
den mit Baumwolle, woraus fie ein Paar ſchlichte goldene
Ohrringe nahm. — Da find fir, rief fie ftolz; das find
Shatesveare's Ohrringe. Heute will id feine Ohrringe
tragen.
Minga mußte ihr helfen, ihre eigenen abzunehmen und
die Shatespear ſchen wieder in die Obrläppden zu fteden.
Da ſaß man die ſchöne blühende Ur»Enfelin des großen
Dichters, mit den Heinen goldenen Ohrringen in den zart
geformten Ohren. Als eine wahre Julia, als eine retzende
Viola ſaß fie da.
Sie hatte mir etwas von der Tragödie Romeo und
Julia erzäplt, und ich ſchlug ihr vor, diefelde mit mir zu
lefen, fie wählte aber den Macbeth.
Lemelie war oft in meinen Unterrichteſtunden zugegen,
nicht, um das Stüd zu hören, das er immer kleinlich Pritie
firte, fondern um meine Freude zu flören.
Das ift ein abſcheuliches Stüd, diefer Macbeth, rief
er voll Unmuth, als wir zu dem Tode des Boſewichts im
legten Afte gefommen waren. Co eimas darf eim Dichter
nicht filtern; ein Gedicht darf nur angenehine Gmpfin-
dungen erwegten, und bei diefer Dichtung können Einem ja
die Haare zu Berge ftehen, wenn man nicht mehr Courage
hätte, als diefer Macbeth, der im Grunde ein erbaͤrmlicher
Zropf. ik, denn er hat alle Augenblide das Hafenfieber.
Dies Meikerüd, erwiederte ich, rührt von einem hoͤchn
menſchlichen milden Genius her, der mis dem von Laftern
Detlenf. Echriften. XVIL. 7
8 Macbeth und die Sceräuber.
und Leidenſchaften verirrten Menſchen, in deren Herzen noch
nicht der Ießte Funke des Gewiſſens ausgelöfht ift, Mitlel
den fühlt. Die Dandlung diefes Dramas beſteht nicht for
wohl in Macheth’s Verbrechen, als in dem Kampfe feines
Gewiſſens vor und nad) der That. Sein Weib fheint frei»
Mic) noch teufliſcherer Natur zu fein; fie hept ſich aber ſelbſt
mit graͤßlichen Worten, eben weil fie innerlid) im Herzen
nit ruhig fündigt. Und wenn fie fhläft, behauptet die
Natur ihre Rechte, und als Traummandierin gefteht ifie,
mas ihr wachend Stolz und Furcht zu fagen verbieten: ja,
fie erkrankt, fie ſtirbt vor Verzweiflung. Alles in diefem
trefflihen Werke verräth den fiefften Menſchenkenner.
Wie lächerlich, bemerkte Lemelie, von Menſchenkenntnitz
and Natur in einem Stüde zu reden, das von lanter Un.
nãürlichteiten und Aldernheiten zufammengefeht if. Die
Heren wahrfagen ihm ja Alles voraus. So it Alles ja
auf den Fatalismus gegründet. Macbeth if unſchuldig;
Gott oder der Teufel treibt fein Spiel. Und das ift noch
das Bernänftigte von Allem, fuhr er nad einer Heinen
Yaufe fort, denn ich bin ſelbſt zu dem Glauben geneigt,
dag feurigen, lebendigen "Naturen nicht immer das anzu«
rechnen fei, was die Welt im gewöhnlichen Leben Sünde
nennt.
Gott bewahre! rief ich, fo hat es gewiß Shakespeare
nicht gemeint. Diefe Heren find nur Macbeth's eigene
döfe Leidenſchaften und Neigungen. So treten diefe firen
Veen vor Macbeth, fo offenbaren ſich die verzerrten Geftal-
tem feines böfen Willens, diefe Mißgeburten zweier Extreme,
die immer verbunden find: Graufamteit und Furcht, ale
bärtige Weiber, und fegen die aufgejehrten Zeigefinger
auf die weiten Lippen.
Macbeth und die Seerduber. »
Biel Geſchrei und wenig Wolle, rief Bemelic, das ift wohl -
auch der Mühe werth, eines ſolchen einzelnen Todſchlages
wegen fo viel Aufbebens zu machen. Bie oft find nicht
weit größere Miſſethaten verübt, gegen melde diefe eine
wahre Kleinigkeit iſt. So mas thun die türfifhen Gultane
alle Tage; zu ihrem DBergnügen entbaupten fie oft den
Sklaven, der ihnen den Steigbügel hält, während fie ſich
in den Sattel ſchwinger. Und wie haben die Ehriften, die
Kreuzfahrer, die Inquifition, die Katholiken und Keher ge⸗
gen einander gemäthet.
Mit folhen Gräueln, antwortete id, kann fih die
Dichttunſt nicht befallen. Der Dichter kann nicht Tiger,
Hyaͤnen, Bölfe, Brilen- und Klapperſchlangen auf die
Bühne bringen.
Herr Lemelie, bemerkte Concordia, ſcheint fih zu wie
derforedyen, erſt it ihm Machetb zu gräglid, dann ift er
ihm nicht größlich genug. Ihr meint, Shakespeare könne
feine berzlofe kalte Böſewichter ſchildern. ohne Gewiſſen und
Neue? Left einmal den Othello, Herr Lemelie, und fagt
wir dann, wie Ihr wit Jago zufrieden feid. Ih folte
meinen, er fei niedertraͤchtig et und unverfchämt genug.
In dieſer Unterredung wurden mir geftört, indem ein
Matrefe in die Kajüte trat und meldete, ein maroftanifher
GSteräuber feße uns aus allen Kräften nad) ynd werde ung
bald einholen. Concordia erblaßte, aud mir ward bei dire
fee Nacricht nicht wohl zu Muthe. Lemelie ließ ſich aber
von nichts anfechten. Nachdem er durd das Fernrohr die
Schebede ausgefpäht und bemerkt hatte, daß das Schiff voll
von Menſchen mit Säbeln in den Händen gerade auf uns
loe fteure. tam er wieder zu ung in Die Kajüte hinunter
und rief höhniſch: Nun. Madame, wird es hai bier aͤr⸗
100 Macbeth and die Seeraͤuber.
ger, als in Macdeih zugehen. Die Heren nahen ſich Then.
Wolt Ihr nicht Euren großen Porten bitten, daß er une
zu Hüffe femme, fonft ift es um unfer Leben und Eure
Tugend geſchehen. Die Corfaren haben niht Nomen und
Jalie gelefen, fie werden Euch als Sflarin verkaufen, und
ich wette, binnen drei Monaten hat Eure Schönheit öfter
Monde gewechſelt, als der Mond am Himmel.
Jetzt trat auch van Leuven in die Kajäte; gerührt, je=
doch mit Saffang ergriff er feiner Gemahlin Hand und bat
fie, nicht zu verzweifeln. Wir wollen uns wehren, ſprach
er, bis auf den legten Biutstropfen, und entweder mit Ehre
leben oder ſterben.
Lemelie ‚lachte höhniſch. Ihr ſeid mir große Helden,
ſprach er, ſtehen die Barbaresken erſt auf dem Berded, ſo
zerhauen fe uns zu Frikaſſee, and die ſchöͤne Frau muß
nachher zum Deferte dienen. Nur Lit und Gewandtheit
Können und reiten. — Bo wollt Ihr jept din mit Eurer
Lift, rief van Leuven. Die Barbaren verfichen weder LiR
noch Tranzöffch. Wie wilde Thiere Mürzen ſie mit ſcharfen
Zapen auf uns ein. — Und fallen vießeiht in die Grube,
antwortete Bemelie, kalt wie Eis.
Darauf defabl er dem Konſtabel. zwei Kanonen aus
den Kanonenlühern herauszuziehen und fie auf dem Ders
deck aufzupfkanzem in einen gewiſſen Wietel ſchrüg in die
Luft gerichtet. Diefen Winkel mag er ſorgfällig, aachdem
er die Schebecke wiederholt durd’s Fernrohr detrachtet hatte.
Zug leich befahl er, keinen einzigen Echug auf den Feind zu
hun. Als die Gerfaren zu bemerken glaubten, dag wir Bei
nen Widerſland leiften wollten, kletterten fe alle auf das
Busfpriet hinaus; und daran hängend wie cin Bienens
ſchwarm an einem Baumzweige, ſchwenkten fie die Säbel,
Macbeth und die Seeräuber. 10
riefen: Adlah! Allah! und erwarteten den Augenblid, wo
fie vom’quer über unfer Schiff binragenden Bugfpriete wür⸗
den aufs Verde binunter fpringen innen. Das war es
eben, was Lemelie wolle.
Blaß und kalt ftand er wie eine Eisiäule bei feinen
Kanonen. Noch immer map er forgfältig den Winkel, wie
der Aiſchler die Brettlinie, nad) der er hobeln fol. Ploͤtz ⸗
lich brennen feine Kanonen los, die Kugeln zerfämettern
das Bugſpriet. Der Maft und der ganze darauf mine
wmelnde Haufe Kürzen krachend und heulend, wie vom Blitze
getroffen, in die Wellen, und Ale finden da ihren Tod.
Unfer Schiff fegelt jegt feines Weges ungeftört weiter fort;
die Schlacht it gewonnen, die Gefahr vorüber.
Diefer ploͤßliche Glückewechſel wirkte heftig auf ung
alle, befonders auf Concordia, Die fehr erihöpft fih früh
Nachmittags unentfleidet auf das Bett warf und einſchlum⸗
werte. Bir Männer waren alle fehr vergnügt. Die Mar
trofen hatten doppelte Portionen Branntwein befommen,
riefen Hurrab und tranken des braven und Mugen Kapis
täns Geſundheit.
Der prave Lomelie, fagte van Leuven, wir haben ihm
Unrecht gethan. Was kann er dafür, dag ihm die Natur
fein gutes Geſicht gegeben? — Sein Gefiht, bemerkte id,
in nicht haͤßlich, nur etwas verdroſſen und ärgerlich ſieht er
aus. Er mag viel üble Erfahrungen gemacht Haben, dars
um traut: er den Menfchen nicht gleich.
Als Lemelie auf feinem Schiffe Alles wieder in Orde
mung sebracht Katte, und die Matrofen auch wieder ruhig
waren, kam er zu uns hinunter, und ud van Leuven und
wich, ein, in feiner Kajüte ein Glas Punſch au, trinken.
wäßrend. die Weiber ſchliefen.
102 Macbeth und die Seeräuber.
Bir fanden feinen Punfhnapf auf dem Tifhe dam-
pfend, fondern eine Theemaſchine mit kochendem Waſſer
und dreikfhön geſchliffene gläferne Pokale, für Jeden einen
hingeſtellt. — Id) trinte den Punſch am liebften wie The,
fagte Zemelie, man bekommt ihn fo am wmärmften, und er
muß heiß genoffen fein, denn lauer Punſch ift ein erbärme
liches Geföfe. So fann ihn Jeder nad) Gefallen brauen,
und braucht ſich niht nad) der Andern Gefhmat zu richten.
Wir hatten gegen feine Theorie nichts einzumenden,
und als wir über die Zubereitung einig geworden, that er
Zuger in die Pokale und bat Ieden, fo viel Eitronenfaft,
Rum und Wafferbbineinzugießen, als er wolle, auch über
das Diehr oder Weniger des Zuders nad) Belieben zu ver»
fügen.
Der Konftable, der dem Kapitän heute bei den Kano⸗
nen geholfen, und zugleich fein Bedienter war, fand chrer-
bietig Hinter dem Stuble des Herrn van Leuven. Er Haıte
einen kleinen Tiſch hinter ſich mit einem ähnlichen Pokale,
der nicht vergeffen wurde. Und wahrlich, wir fanden alle,
dag der ehrliche Kerl wohl verdient habe, ein Glas Punſch
mit uns au frinten, denn ohne feine Alfe hätte Lemelie
fein Manöver nicht ausrichten können. Als der Punſch fer-
tig war, wurde die Theemafdine zu dem Konftable auf
den Meinen Tiſch gefcht, damit wir auf dem unfern beſſern
Raum hätten.
Bir ftiegen mit einander an und wollten chen die Por
tale zum Munde führen, als eine feltfame Erſcheinung ung
fo verwunderte, daß Ieder fin Glas wieder auf den Tiſch
fepte. Die Thüre ging auf, und mit einem Lichte in der
Hand, mit fteifen Schritten und ftarr geöffneten Augen, die
nicht faben, trat Concordia, gefpenftermäßig. im weißen
Machetb und die Sceränber. 103
Nachtzeuge. traumwandehnd herein, feßte ſich wiſchen ihren
Mann und Zemelie, und ſprach mit behler Stimme: Mir
er den Pokal, ic will ihn kredenzen! Darauf ergriff fie
von Zeuven’s Glas und wollte trinten. — Lemelie erblaßte,
tiß ihr hurtig den Beier von den Lippen und ſprach in ei-
nem gezmungenen gleihgültigen Zone, der ihm dod nicht
teht gelingen wohte: Der Vunſch ift zu fart für Eu,
Madame, Fraugois muß erft ein wenig Waſſer hinein gie-
den. Bei Gott, fie fhläft, fie weiß felber nicht, was Me
tout! — Damit reichte er dem Konſtabler den Pokal, der
iept Hinter feinem Tiſche fand. Diefer fepte den Vuunſch
auf den kleinen Tiſch zu feinem eigenen Glaſe, weil er mir
aber im Wege Rand, indem er uns den Nüden zufehrie,
tonnte ich nicht fchen, ob er den Pokal rechts oder links zu
feinem cigenen feßte, and fonnte ich nachher nicht unter
(Weiden, in welhen Pokal er Waſſer gotz, denm fie waren
einander völlig aͤhnlich. — Goncordia ſtarrte Lemelie grüße
lich am und ſprach: „Ihr feid Krieger umd zagt? Was
macht es Gud, wenn es aud Jemand weig? Ber zieht
wohl Eure Macht zur Rechenſchaft?“ Darauf feine Hand
ergreifend und mit ihrer eigenen Handflähe reibend, ſprach
fie leiſe: „Hier iſt ein Fleck hier riecht es noch nah Blut.
Die Myrrhen des ganzen Arabiens vermögen nicht. dieſer
Hand den Berud au benehmen.“ Ach, fagte Lemelte, der
ſich ſchnell gefaßt hatte, jept verfiche id) Alles! Ihre Lebens»
geifter find heute durch Die Angſt zerrättet worden. Sie
wandelt im Traume, hat fürzli den Macbeth gelefen und
ſpielt jeßt die Rolle der Lady Macbeth, mit einigen kleinen
Veränderungen.
Komm, meine Liche, fagte van Leuven, ich will Dich
zu Bette bringen. — Ad ja, mein reund, ſprach fe und
104 Macbeth und die Sceräußer.
fügte ihn, folge mir. Bleibe nicht bei dem Bäfewicht und
triute ‚nicht mit ihm; der Tod lauert im Beer. — Ih
entfepte mich und ſprang vom Stuhle auf. — Reiche mir
den Wedyer wieder, Frangois! ſprach Lemelie ruhig. Bram
<ois reichte ihm einen von den Pokalen, welder es aber
war, konnte id, wie gefagt, nicht unterſcheiden. — Wolit
Ihr nicht mit mir trinken, verfeßte Lemelie, fo will ich mer
nigftens zu guter Nacht Cure Gefundheit ans Euren cige-
men Bläfern trinten, (und bei diefen Worten leerte er wirt
UM die Hälfte aus dem dargereichten und aus meinem Pos
tale) damit End nicht dieſe Begebenheit die Phantafie mit
nichtigen Einbildungen erhitze.
Bir ſtanden alle auf; François aber, der zurücktreten
wollte, war fo unvorfihtig, fein eigenes Glas, das binter
Hm fand, mit dem Ellenbogen auf den Boden zu werfen.
Sieräber ward Lemelie fehr entrüftel, und während er den
Kerl tüchtig aueſchalt, dag er ihm fein ſchön geſchliffenes
Glas entzwei geſchlagen habe, folgten van Leuven und ih
Concordien in ihre Kajüte. Die fhwarze Minga und der
Heine Beautiful ſchliefen fhen auf der Matratze. Concor⸗
dia ftre@te fih ruhig auf ihr Lager hin, ohne aufzuwachen.
Ban Leuven und.id fahen einander lange ſtumm und vers
wundert an. —
“Ein nichtiger Traum! fagte er endlich; Lemelie traut
da felbft aus unfern Bechern. Aus dem meinigen, ja, —
antwortete id, der Konftable hatte aber zuerit den Eurigen
anf feinem Tiſche, wenn er ihn nun umgewechſelt hätte,
während wir noch äber Concordiens Erſcheinung Raunten?
Dann hat Lemelie aus des Konftables Becher getrunten,
und der Konftabler bat den Eurigen auf den Boden ge
werfen.
Macheth und die Seeräuber. 106
Um Gottes Willen khweigt, rief van Zeusen, and ſprecht
kein Wort zu Concordien davon. Vieleicht weiß fie es ſelbſt
nicht, wenn fie erwacht. Gebe Gott, daß mir dieſen ger
Fäbrlichen Meufhen los wären, und glüdlih auf Ceblon
angelouınen.
Als Concordia den folgenden Morgen erwachte, fagte
fie: Ich habe verwichene Nacht einen adſcheulichen Traum
gehabt, werde aber Niemandem fagen, was mir traͤumte
Bir drangen nicht in fe; fie fubt aber fort: Hütet Euch
vor Lemelie, mein Gemabl! ft nnd trinft nur, was ich
mitgenießge. — Er verfprad es ihr. Als wir Lemelie wie⸗
der fahen, war er guter Dinge, als wenm nichts Hugeror-
dentliches vorgefallen wäre. ir ſchwiegen au.
14.
Schiffbruch und Rettung.
Unfere Fahrt war im Anfange fo glüdlih, als man
Kb nur münfgen Tann. Schon ſahen wir fern das Vor⸗
gebirge der guten Hoffnung, ohne das geringfit von Regen
und Ungesoitter ausgeftanden zu haben. Der Kapitän ver-
icyerte, wie würden bald dert angekommen fein, und er.
wolle einige Tage da ausruhen. Allein der Himmel wollte
es amders, und ſchwere Wahrzeichen liegen das Aetgſte ber
fürdten. Die Sonne war eines Abends in einer dicen
erdfarbigen Weite untergegangen, die oberen Wolken er
106 Sciffbruch und Rettung.
ſchienen dunkelroth. Den Morgen darauf, als ſich die
Eonne dem Geſichtskreiſe näherte, "ftrahlten die Bolten
swar angenehm vergoldet, faum war indeß die Senne über
zwei Grade geftiegen, fo verlor fie fi) im einem trüben,
rauchähnlichen Dunſt der mie eine Mauer den Horizont
umgürtete, und woraus sine Menge ſchwaͤrztiche Etrahlen
bervordrangen. Bald war der Himmel mit folhen Bolten
bededt, welche die Seefahrer Dichte nennen, und die mit
feinem Regen drohen. Bom Rande des Horizontes an, bis
drei oder vier Grad Höhe, maren fie goldfarbig, dann rote
glänzend, endlich dunkler in ihrer natürlihen Farbe.
Lemelie hielt diefe Anzeichen für febr wichtig, weil er
bemerkt hatte, ein ſolches Gemölt verfändige immer einen
nahen Sturm. Id) erwartete, daß er mit gewöhnlicher Ger
daffenbeit der Gefahr entgegen gehen werde. Aber weit ge
fehlt! Er war kleinlaut und unruhig, feine Geſichtefarbe
ward noch bleierner, als zuvor; er zitterte, ging in feine
Kajüte, verſchloß fid) drinnen, und wir hörten ihn wie ein
Kind Paternofter plappern, und mit peiferer Stimme late
niſche Hymnen fingen.
Als er wieder heraus fam, war er ein wenig rnbiger.
Id wunderte mic, fehr über die Verſchiedenheit feines Bes
nehmens bier und gegen die Eceräuber, und gab ihm dies
zu erfennen. Er antwortete: Bor Menſchen habe ich mid
nie gefürdtet; wenn man aber mit Gott oder dem Teufel
zu thun hat, fo weiß man nie recht, wie man daran iſt. —
Darauf ſuchte er den Matrofen Muth einzuflögen. Muth
wangelte diefem Jauhagel nit, (denn wie der Meifter, fo
die Gefellen) fie fuchten fi aber auf eigene Art zu ermun«
tern. Als der Sturm am färkften wüthete, verloren fic
ganz den Gehorfam gegen den Kapitän; und ohne ihn zu
Sciffbruch und Rettung. 107
fragen, effneten fie zwei Fäffer mit Branntwein, fingen an,
- fi) zu betrinfen, ſchtrien Hurrah und fangen Zehhlieder, die
fle felber nicht hören konnten, weil fie der Starm übertäubte,
Als Lemelie den nahen Tod vor Augen ſah, benahm
er ſich wie ein gemeiner Miffethäter, der hingerichtet werden
fol. Gr verzog das Geſicht abſcheulich, ein halb mahnfin-
niges Laͤcheln, das zugleich Tretz und Verzweiflung aus.
drüdte, zudte von Zeit zu Zeit graͤglich auf feinen blauen
Lippen; mechaniſch verrihtete er noch einige Gebete, dann
betrant er fi auch, um fein Gewiſſen einzufhläfern.
Iept war am feine Nettung mehr zu denten. Die
Bellen gingen fo hoc und kurz auf einander, wie man ih⸗
resgleichen wohl felten gefchen bat. Hätte ſich eine Belle
an unferm Schiffe gebrochen, fo hätte fie uns unfehlbar in
den Abgrund getaucht. Dabei verurfahten fie ein fo ger
waltfames Schwanken des Schiffes, daß man in unaufhör-
licher Gefahr ſchwebte, ſich dem Kopf an dem Berded oder
an der Band einzufiogen. Der Regen ſchoß ſtromweiſe
Serab, und der Orkan b.ulte fo, dag man eine abgeſchoſſene
Kanone nicht gehört haben würde. Diefe unfihtbare Ge⸗
malt mußte meines Erachtens unfer Schiff zuweilen in ei»
ner Stunde fehr viele Meilen fortführen. Zuweilen fdien
es dagegen an einer Stelle zu bleiben, und wurde wie ein
Kreifel in der See berumgedreht, während der Wind durch
alle Striche des Kompaftes lief.
Ban keuven und Concordia hatten ſich auf ihr Lager
bingefttet, ſchloſſen einander in die Arme, und ſchienen den
Tod nicht zu fürdten. Drunten auf der Matratze lag noch
ein zariliches Paar: die Negerin mit dem Beinen Hunde.
Ich armer Knabe hatte Miemanden, mit dem id, fterben
Bonnte. Gcwermäshig bucte ich in einen Winkel; da ent»
108 Shiffbrug und Rettung.
decte ich meine Bibel; ih nahm fie berunter und drückte
fie an mein Hei.
In diefem Augenblide hörte ich einen außerordentlichen
Knall; das Schiff löfe ſich aus feinen. Fugen, die Kajüte
füllte fi) Halb mit Waſſer, welches aber füneH wieder ab ·
lief. Das Schiff war auf einer Sandbant geſcheitert. Die
Kajüte war in ganz verfehrtem Zuſtande: der Fußboden
war zu einer Seitenwand geworden, und wir alle in einen
Winkel geworfen, JIept hören wir eine Stimme, die „Em
cordia, Concordia!" ſchrie. Es war Lemelie, der ſich des
Boots bemäctigt hatte. Auf der großen Schaluppe hatte
ſich ſchon die betrunfene Maunſchaft herausbegeben. Ban
Leuven und ich nahmen Concordia, die in einer Ohamacht
lag, und wollten fie in’s Boot bringen. Der Kabitän rief
aber, er wolle nur Concordia mitnehmen. -Wir kehrten
ung aber an feine Drohungen und Fläche nicht, und ſprau-
gen mit hinein, Kaum waren wir da, fo ſchleuderten uns
die Wellen weit bin und verfhlangen uns. . Was weiter
mit mir geſcheben ift, weiß ih nicht, das Bewußtſein ver
lieg wid, und erft den folgenden Tag erwachte ih, und
‚ fand mich ſchwach und matt auf deu trodenen Sande au
der Sonne liegend. "
Es wunderte mic, die Sonne wieder am klaren Him-
wel zu erbliden, von deren wärmenden Strables ich die
angenehmſte Erguidung in meinen Glievern empfing. Ich
richtete mich auf, fah.wih um, und ſab, daß ich mih auf
einer Heiner Sandiuſel befand; binser mir vagte ein. un
geheurer ſchroffer Felſen in ‚die Luft. - Ein Schauer durch-⸗
fuhr meine Glieder, Bin Du allein hier. gerettet, dachte
ih, um an der öden Kippe eines Ianglamen-Zodes zu fler-
ben? Haben fhon die Fteunde den. hätte Keich draußen
Schiffbruch und Rettung. 109
geleert? — Wie froh wurde ich Bald Darauf, als ich um.
fern von mir Goncotdia und van Leuven auf dem Sande
fhlafend entdecte. Jetzt war id wieder ganz rahig. Ich
kehrte meine annoch naſſe Seite gegem die beige Senne, Heß
mic, durchbraten und ſchlieſ wieder ein.
Als ih nach einem tiefen Schlummer die Augen aufs
flug, Rund van Leuven neben mir mit untergefhlagenen
Armen und betrachtete mich wehmüthig. — Armer Albert,
ſeufzte er; ift dies das Glüd, das ih Euch verfprah? Wir
theilen ein gleiches Loos; als Brüder und treue Gefellen
wollen wir Freude und Leid theilen. Wir ftellen hier im
Kleinen ein Bild des Menſchenlebens dar: Auf die öte
Erdſcholle hinausgerorfen, find wir unfern eigenen ſchwa—⸗
chen Kräften überlaffen; ein Engel und ein Teufel begleis
ten ung auf dem unfiheren Pfade. — Bei diefen Worten
warf ich meine Aigen foähend umber, und entdedte außer
Soncordien noch Lemelie, der entfernt von uns auf einem
Steine faß; mit unterſtüßtem Haupte ftarrte er auf das _
jett ruhige Meer.
Ban Leuven hatte eine große mit Ban umflochtene
Beinflafdye, woraus er mir zu srinten gab. — Ich hate
Mäe genug gehabt, fagte er, diefe Flaſche anf einige Ans
genhlide von Lemelie zu bekommen. Er hat Ale gerettet,
und will fie allein ausleeren. Wo wir jept find, nd wir
ie wieder Menfſchen fehen werden, weth Got. Das Schiff
AR drüben am der naden Sandbant gefheitert. Das Him
tertbenl ragt noch ziembid hoch über die Welten empor; und
fo in noch Hoffnung da, dap wir Die Lebensmittel reiten
Binnen, um uns sinige Beit das Beben zu friften.
I brachte Lemelie feine Weinflaſche wieder. Statt
Gott-für feine Rettung zu danken, entfuhren nur lauter
110 Sqiffbruch und Rettung,
Flüche und Gottesläfterungen feinem Bunde, und cr wolle
fid) gar nicht tröften laſſen. weil er, wie er fagte, durch die-
fen Schiffdruch Ehre und Gigentbum verloren. — (Eigen
thum, dachte ih, mag fein; mer aber vorber feine Edre
noch hatte, konnte fie nicht durd einen Schiffbruch verlieren,
Bir verließen isn und näherten uns Concordia, die in
einen Mantel gebült, mit den Zähnen klapperte, fchr über
Broft tlagte und wieder ſchlafen wollte; erft verlangte fie aber
sinen Trunf friſchen Waſſers. Das hatten wir niht! Ban
Leuven gab ihr ein wenig Wein, den fie, weil er frifh war,
fehr begierig hinunter ſchlucte. Sie befand fih aber übler
darnad und glühete bald wie cine Koble. Ihr Gemahl
machte ihr die größten Liebkofungen, Ge ſprach aber ſtrenge
und mit wilden Blide: Karl Franz, geht mir aus den
Augen, damit id rubig ſterbe. Die Übergroge Liebe zu
Euch bat mid verführt, das vierte Gebot zu Übertreten;
nun Fümmt die Strafe. Gott feimeiner und Eurer Seele
gnaͤdig.
Der ſonſt fo rubig beſonnene van Leuven wurde von
Diefen Worten ganz zur Verzweiflung gebradt. — Algü-
tiger Himmel, rief er bänderingend, ift es möglih? Noch
einen Verluſt fell id an diefer öden Klippe leiden, nachdem
ich alles verloren waͤhnte. Ihre Liebel Das Ungeheuerfte!
Ihre Liebe, um derentwillen ic dem Tod und dem wüthen⸗
den Elemente tropen wollte? So will id denn aud nicht
Hänger leben. — Darauf lief er nad dem Meere zu, und
bätte ſich gerig bineingefürzt, wenn ih ihm nicht zuvor⸗
gekommen wäre, und ihn durch Fräftige Neden, die mir
Gott eingab, wieder zur Vernunft gebracht hätte. Ich ſtellte
ihm vor, Concordia wiſſe ja in der Fieberhitze ſelber nit
Shifforud und Rettung. 111
mas fle ſage; fo ward er denn wieder etwas ruhiger, legte
Aid nieder und ſchlief bald ermattet ein.
Concordia bewegte fi, und ih lief zu ihr. Sie bat
mid), ihr etwas Regenwaſſer aus dem Mantel auszudrät-
ten, der dort am Baume binge. Lieber Gott, da war wer
der Baum noch Regenwaſſer! Ic bat fie, eine halbe Stunde
zu warten, weil die Arbeit etwas langfam von der Hand
sehen würde; fie verfprad) mir, fo lange Geduld zu haben.
Iept watete ich in’s Waffer hinaus, gerade nach dem Schiffe
3; zur Noth tkonnte ih aud) ein wenig ſchwimmen. Es
mar aber nicht nothig, das Waſſer reichte mir nur. bie an
die Kniee, und fo Aletterte ich gemäglih an dem Shiffe
hinauf, um im die Kajüte zu gelangen. Als ich bis an die
Aür gekommen war, hörte id) zu meinem Erſtaunen fol-
gende Worte: Armes Thier, arme Schwarzel Sind treue
Geſchopfe, unferer Herrin mit Leib und Seele ergeben.
Konnten nicht mit ihr den naffen Tod Leiden; wollen zus
fammen auf der Matrape verſchmachten! Ich rig die Thür
auf und fand Minga mit dem Heinen Beautiful auf dem
Boden Liegend. Ihr ſonſt kohlſchwarzes Geſicht war afdıe
grau vor Kummer und Mattigkeit geworden. Sobald fie
aber hörte, Goncordia lebe noch, Lehrte die ſchwarze Farbe
in ihr Gefigt zurüd, und fie rief: Dann, Beautiful, wol⸗
len wie and) leben und ein Freudenmahl begchen. Drauf
lief fie hin, Lebensmittel zu holen, denn es war wirklich
ihre Abſicht geweſen, ſich und den Hund zu verhungern,
Id ſuchte nun auch das Nöthige. In der Kajüte hing
eine Rolle Schwefel. deren ich mich bemächtigte. Feuerzeug
tennte ich nit finden, dagegen ein Paar wobleingewickelte
Piftolen, welche mir nebſt dem Schwefel zum fAönften Feuer ⸗
zeug dienlich ſchienen. Su meiner Freude fand ich ein wobl
12 Schiffbruch und Rettung.
zugenichtes Faß fühen Wahers, wovon ih ein ertraͤgliches
Kägel füllte. The, Zucer und Rum fand Ab auch noch
in der Kajüte, umd mit diefer Laſt auf meinem Haupte na»
tete ich zurück, nachdem ich erfi mit Dinge und dem klei⸗
nen Beautiful gefrühftükt hatte.
Minga mußte zurüddläben, um den Zwieback, geräu
Wertes Fleifh, Reis und Mehl aus den Fäſſern zu neh⸗
men und in Heine Bündel zu binden, damit man es näch⸗
fiens gemaͤchlich binäber tragen Fönne. Lange war nicht
zu zaudern, denn der erfte flarfe Windſtoß konate das Wrat
gleich in die Bellen hinunterftärgen. — I batte etwas
Fleiſch, Brod und Rum gleich mitgenommen. und mit Diee
fen Habſeligteiten watete ich zurüd. Auf der Sandbank
hatte ich hinaufgeſpültes, trodenes Holz genug gefehen; ein
Beil und einen alten wollenen Bruflap im der Kajüte ger
Funden. Ih zrrrig den letzten in Streifen, ſchiug Feuer
und blics fo lange, bis das Holz in volle Flamme gerieth.
Concordia erwachte wieder und verlangte heftig zu trin
ten. Ic) reichte ibr den umterdeß, zubereieten Thee in einem
Becher; ſie glandte, daß es wicder Wein fei und rief wei⸗
mend: Ihr weit mir das Herz mit Wein Drehen. Gott
vergeb' es Euch! Als fie aber den Thee getoftet hatte, fagte
fie frop: Habet Dank, mein lieber Albert, jept bin ich vol⸗
- tommen erquidt; dedt mid nun mit dem Mantel zu und
tagt mich ſchlaſen. — IA geborfamte ihr, und machte bins
ter ihrem Rüden ein gelindes Feuer, weiches nicht eher aus⸗
sehen durfte, bis die Sonne mit ihren kräftigen Strafen
dod genug ftand.
Als id meine mitgenommenen Sachen auf einen brei-
ten Stein ausgepadt batte, ſtopfte ich auch die Pfeifen,
machte einen guten Punſch, (obſchon nicht nach Lemelies
Shiffbrug und Rettung. 113
Ipeorie in verſchiedenen Gläfern,) und ging bin, die beiden
Herren einzuladen. Ban Leuven ſchlief nod, denn er hatte
die Nacht vor Kummer über Concordia gewacht; er ward
aber bald munter und freute ſich fehr, als er die Befferung
feiner Frau hörte, und den gededten, ſteinernen Tiih auf
dem Sande fa. — Lemelie, der Zwieback in der Taſche
mitgehabt. und die große Weinflaſche dazu ausgelcert hatte,
fluchte noch immer. Ich hätte ihm feine Pfeife angezündet,
und, um mid mit diefem tüdifhen Menſchen ein wenig
auszujöhnen, weil uns die Noth doc) jetzt fo nahe verbuns
den hatte, reichte ich ihm höflich die Pfeife und lud ihr
ein, nachher an unferm Mahle Theil zu nehmen. Er rig
mir die Pfeife aus der Hand, als ob ich fein Knecht fei,
und dankte mir mit keinem Worte, vielmehr fluchte er noch
ärger. Beil ih nun zum Jähzorne geneigt bin, befonders
wenn man meinem guten Willen höhniſch entgegen kam,
fühlte ich mic) fehr aufgelegt, ihm die Pfeife aus den Zähe
nen zu reißen und in’s Wafler zu werfen, zwang mid) aber,
meiner armen Leidensgefährten wegen.
Während der Mahlzeit ſuchte er ſich dem Heren van
Leuven gefällig zu erzeigen, weil er meine Gemüthsbewegung
“wohl gemerkt hatte, und mid, ärgern wollte. — Bir Zwei
find geborne Edelleute, Herr van Zeuven, fagte er: der gute
Albert da, if, wie mir gefagt worden, vorher Euer Be
diente gemefen; fo ift es denn billig, dag er fein voriges
Amt wieder einnimmt, denn einen Sekretär braucht Ihr
wohl ſchwerlich hier auf der Sandbant, einen Bedienten
kann man aber immer brauden.
Es freut mid, Herr Lemelie, antwortete van Leuven,
Euc wieder Iuftig zu fehen und ſprechen zu hören, denn
im Ernſt könnt Ihr wohl unmöglid) fo ſprechen. Nur ein
Sehlenf, Schriften. XVIL. 8
114 Schiffbruch und Rettung.
Mißverftändniß hat zu jenem augenblictichen Migverhält-
niß zwiſchen Herrn Julius und mir Anlaß gegeben. Er ik
von guten eltern, wohlerzogen, und, was ich äber alles
fdäße, er ift brav und tugendhaft. Selbſt in den glän-
aendften Verhältniffen würde ich ihm zum Freunde wählen,
mie weit mehr jetzt, als armer Schiffbrüchiger auf der äden
Kippe.
Ich ſchwieg, auch Lemelie ſchwieg. Ohne ein Bort zu
fagen, nicht einmal gute Nacht, ging er fort, nachdem er
waidlich getrunfen hatte, Hülfte ſich in feinen Diantel, kratzte
fid) ein Loc) in den Sand, mie eine Henne, und ſchnarchte
dald fo laut, daß wir es von weitem hören konnten —
Ban Leuven und ich wurden einig, einander abzuföfen, um
beim Feuer zu wachen. Ich wolte der Erfte fein. Er legte
ſich vergnügt ſchlafen, als ic ihm von Minga und dem
Beinen Beautiful erzäßlt Hatte, mit welcher Rachricht wir
Concordia morgen erfreuen wollten.
Ih machte ein großes Feuer hinter ihrem Rüden und
umſchanzte fie mit einem Sandwalle, damit fie aud im
Schutz vor dem Winde liege, wenn er ſich wieder erheben
follte, denn jet rübrte ſich Fein Züfthen. Darauf fehte ich
mid) auf einen Stein und fhauete bald in die dunkle Fin-
ſternig hinaus, Die über dem ungeheuern Mtere rubete, bald
auf die reizende eftalt, die neben mir lag vom Nachtfeuer
maleriſch beleuchtet. — Ach, dadıte id, mas märe die
ganze Welt ohne fie, und wie gern trenne ich mid) von der
Belt, wenn ich mit ihr in der Einſamkeit leben kann! —
Mein jugendlicher Muth lieg mid nit daran zweifeln,
daß es uns gut gehen würde. Sie hatte fhlafend die Schöne
Hand aus dem Mantel herausgeftredt; ich wollte fie audel-
ten, eine undezwingliche Luft veizte mich aber, die Hand
Schiffbruch und Rettung. 115
erft zu Rüffen. Ich ließ mic auf ein Knie nieder, meine
altternde Lippen nabeten fh ſchon der Hand — da ents
dedte ih van Leuvens ſchlichten, goldenen Trauring an ih
rem Finger, und bebte zurüd. — IA kehrte mich um und
fah nach ihm Hin. — Zuverfichtlich und Freundlich ſchlief
der ritterliche Niederländer, als ob er fagen wolle: Mein
treuer Julius wacht, ih verlaſſe mih ganz auf ihn. — Nie
werde ich diefe Zuverfiht migbrauden, fagte id leife, und
bededte wieder die fhöne Hand. — Lemelie in der Gerne
ſchlief unrupig, wälzte ſich oft träumend umher und flug
wit geballter Fauft in den Sand. Ih hoffte, van Leunen
würde nicht ſobald aufwachen; id wollte allein wachen und
fühkte mich doch far vom Schlafe überwaͤltigt. Als ich
das Feuer gefcärt hatte, fehte ih mid auf den Stein,
Rügte mich auf ein Stüd Holz und fing ſchon an, mitunter
einzuniden. Da fand mit einem Male der biedere Geſell
war und heiter vor mir. — Wie habt Ihr das fo genan
abpafien Lönnen? frug ich, Ihr lagt im tiefften Schlummer
wo vor einem Augenblicke. — Hat mir der Kriegsdienft
and) nichts welter genüßt, antwortete er, fo hat er mid
wenigftens gelehrt, zu beftimmter Stunde aufzuwachen; und
id verfeplafe nie die Zeit. Geht bin und ruht jept, lieder
Abert, Ihr Habt Euch mehr, als wir Andern, geftern an«
segriften, und feid der Ruhe bedürftiger als ich.
116 Zroglodptenlehen.
15.
DTroglodvtenleben.
Contordia erwachte ziemlich ſpaͤt. das Fruhſtück wartete
ihrer ſchon und fie verzehrte es mit vuſt. Ihre jugendliche
Stärke fhien die Erkältung bald beflegen zu wollen und
fie fragte ungeduldig, wo ihr Karl Franz wäre? Er kam
gleich hervor und fügte Inicend und meinend ihre Hand.
Cie tro@nete feine Thränen mit ihrem Haletuhe und ſprach
mit fräftiger Stimme: Beine nit, mein theurer Freund,
ich befinde mich jegt weit beffer, und Gett wird ferner
helfen.
Jeßt maren wir alle Drei wieder fo froh, als ob wir
glüdlih in Ceylon angefommen wären. Ban Leuven wollte
ihr eben von Minga erzäblen, id bat ihn aber, noch zu
ſchweigen, damit fie die freudige leberraſchung reiht genieße.
Nun lief id wieder nad dem Schiffe hinaus, mo ih
Minga und den Meinen Hund fhlafend fand. Sie wurden
beide gleich munter. Ich lich Minga fi) mit fo vielen Sa-
chen belaften, als fie tragen konnte, ich felbft that ein glei.
bes, und fo gingen wir fort. Es that mir Leid um Beau-
tiful, aber diesmal mußte er zurüd bleiben, weil wir zu
bepadt waren, um ihn aud noch zu tragen. Ich ſperrte
ihn in die Kajute ein, und es betrübte midy recht, das treue
Thier drinnen heulen und mit der Pfote an der Thüre
fragen zu hören.
Concordia wollte ihren Augen nicht "trauen, als fie
Minga wirderfah. Nun, rief fie, zweifle ich nicht an Got-
Troglodytenlchen. 17
tes Hülfe, da er mir dieſe Freundin gereftet und ticder-
wegeben bat. — Sie umarmten ſich innig. Minga hatte
Concordia feit ihrer frägeften Kindheit gepflegt, und fo mer
nig aud die Negerin eigentlich in Bildung fortgerädt war,
fo hatte dod ihre treue Befinnung und Anhaͤnglichteit fie
au Concordias Bertrauten gemacht; Ihr begreift alfo, mie
Schr fie das Wiederfehen derſelben entzäden mußte. Auch
van Leuven und id umarmten uns und meinten vor Freude
wie die Weiber. Allein unfer Glück follte noch erhöht wer⸗
den. Mitten in der Umarmung bört Concordia von fern
aus den Wellen eine Schelle erklingen. Bir fhauen Hin:
D Bunder! der kleine Beautiful,- der eine offene Spalte
in der Kajüte gefunden haben mußte, wodurd er aus feis
nem Gefängnife entſchlüpfen konnte, hatte Rh, auf feinen
feinen Gerudy und fein angebornes Schwimmertalent vers
trauend, auf den mallen Weg brgeben, um feine Herrſchaft
auf zuſuchen — Welch Entzüden! Ban Leuven and ic brauche
sen unfers ganzen Unfegens, um den Meinen Schwimmer,
voll Sand und Waſſer, der ſich in dem Schooße feiner Her⸗
rin erft abfaütteln wollte, fo Lange zurüd au halten, bis
wir ihn fander abgetrodnet hatten.
Run erwachte auch Lemelie; ohne fih an unfere Freude
im fehren, die ihn ärgerte, oder an unferem Frühſtüce
Zeil zu wehmen, das er verſchmaͤhete, begab er ſich ſelbſt
heute gerade nach dem BWrade hinaus.
6 lief voll Entzüden umher, mit dem Hunde auf dem
Arm; ihn Fonnte ih do ohne Sünde fo viel küſſen und
bergen, als ich wollte Allein diefer Tag war zu glüclichen
Enidedungen beftimmt, denn, wie id fo umberlaufe, ftoße
ich auf einen Sandhaufen, der mir gar zu ordentlich Fänge
lich gewälbt ausfieht, um vom bloßen Bufalle fo gemacht
118 Troglodvtenleben.
au fein. Id ſtampfte seit dem Fuhe darauf und entdedte
das von Sand überſchüttete, umgewaͤlzte Boot, weraus wir
in die See geftärzt waren, und das gleichfalls vom Eturme
hierher getrieben fein mußte.
Bir zwei Männer und Minga hatten jegt vollauf zu
thun, das Boot aus dem Sande heraus zu ziebm. Einige
Bretter lagen in der Nähe, die man leicht mit dem Beile
zu Rudern machen koute. Bald war die Arbeit fertig und
wir im Beſiß eines Bootes was uns von größer Wichtige
teit war; denn nun fonnten wir nicht nur alle Sachen leicht
von dem Wrade abholen, fondern auch Coucordia nach je-
nem Belfenufer bringen, welches von unferer Sandbant
durch ein tiefes Waller getrennt war, wo hindurh man
nicht waten konnte. Dort fahen wir aber herrliche, trodene
Hallen in der Klippe ſich Öffnen, theils gegen die Sonne
nekehrt, theils im Echatten liegend. .
Bir, brachten die theure Fran gleih an den fichern
Strand hinüber und wählten ihr eine gute, trodene Grotte,
mo Sonne und Schatten zugleih zu finden waren. Hier
biegen wir fie mit den Lebensmitteln zurüd, und ruderten
hinaus nad) dem Wrade, um alles Mögliche zu reiten, be⸗
vor ein neuer Sturm ſich erhöbe und die Brämmer in’s
offene Meer ſchleuderte.
Ju der Kajüte lag Lemelie auf dem Zutboden· ohne
Bewußtſein, Hingeftredt. Wir dachten. der Boſewicht habe
ſich ſelbſt ermordet oder ein Schlagfluß habe ihn getroffen; er
batte ſich aber nur betrunken und ſchlief jcht feinen Rauſch
aus. Wir befümmerten uns nicht weiter, um ihn, hadten
das Boot voll Proviant und Geräthe, umd fuhren fo dem
ganzen Tag bin und zuräd, bis wir beinahe alles in der
Kajüte Befindliche in die Felfenhäbte gebracht hatten.
Troglodpteniehen. 118
Bei der fünften Ladung ermunterte Zemelle fih er,
und machte große Augen, als er die Kajüte leer fand. Er
fragte, mas das bedeuten folle, ob wir als Seeraͤuber vere
fahren wollten, und befabl une, ſolche Verwegenbeit ein ⸗
auftelen, ſonſt wolle er uns etwas anderes lehren. Herr
Zemelie, antwortete ib, entweder babt Ihr den Verſtaud
verloren, oder Euren Rauſch noch nicht ausgefhlafen. Ich
bitte Euch, bört auf zu brutalifiren! Die Zeiten baden ſich
leider geändert, Euer Kommando ift zu Ende. Bollt Ihr
bier auf dem gebrechlichen Wrade umtommen, fo thut «6
weinetwegen. Wir retten, was noch zu reiten ift. Wollt
Ihr vernünftig fein, fo werden wir brüderlih mit Euch
teilen; ‚nur von Seeräubern fpret uns nicht, denn wir
laſſen ung nicht ſchelten
Ueber diefe Rede wollte er raſend werden und augen«
blicclich vom Leder ziehen, van Leuven ließ es aber dazu
nicht kommen, fondern riß den Großſprechet wie ein Kind
1 Boden. Hieran ſchien es dem Lemelie blos gefehlt zu
haben, in wenigen Minuten kam er völlig wieder au Ver⸗
- Rande, vertrug fi, dem Scheine nad), recht brüderlich mit
uns, und legte auch Hand mit an die Arbeit, fo, dag wie
noch vor der Nat wohlbeladen bei Goncordia in der
neuen Felſenwohnung anlangten.
Ich habe ſchon erzählt, dag mehrere Höhlen da waren,
ſo. da mir unfere Wohnzimmer wählen und tbeifen konn ⸗
ten. Die Ebeleute bekamen die beiten und gemählihften,
weiche tönen Lemelie felbſt aufgeſucht hatte. Minga hatte
Aids. gleich nebenbei eingerichtet, ich wohnte nicht weit vom
ihr, und dann fam Lemelies Höhle. Unfere Betten waren
gerettet; mit trodenem Meergrafe verſtopften wir die Löcher
augen den Zugwind, und fo Hatten wir es erträglich gut.
10 Troglodvtenleben.
Lebensmittel. Vulver Blei und Flinten waren vom Brade
geholt, und das Wichtigſte, drei Zäfer friſchen Waſſers
wurden in einer tiefen Tühlen Kluft aufbewahrt.
So lange wir noch mit dem Netten befdhäftigt waren,
ermunterte uns ein freudiges Gefühl. Aber, licher Gott.
als die ganze kleine Habe in der Höhle ftand, da ſant uns
wieder der Muth, denn eine leichte Berechnung ließ uns
leicht einfehen, daß uns diefe Wenigteit nur ein Paar Mo-
Men lang das Leben fümmerlih erhalten Fünne.
Fleiſch und Brod waren freilich für längere Seit da.
Mit unfern Flinten konnten wir Bögel (hießen, eine große
Stildfröte hatten wir fhon auf dem Strande gefunden,
auch Seekälber waren in der Ferne au fehen, auf welche
wir Jagd machen onnten. Lemelie war nicht nur cin Let⸗
termaul, fondern auch ein trefflicher Koch, der die Leder-
biffen gut zu bereiten verſtand; und dieſe Arbeit, die-ihn
in ein näheres Verhältniß zu Concordia brachte, trug viel
dazu bei, feine Langeweile und üble Laune zu verſcheuchen.
Bei Tiſche, wo Concordia vorlegte, befam er immer die
erſte Portion, und wir hüteten uns wohl, einen Biflen in
den Mund zu fteden, bevor er uns mit einem guten Bei
fpiele vorangegangen. Dieſe Vorſicht machte ihn nicht im
mindeften verlegen, er nahm es als eine Höflichkeit, die wir
ibm, als dem Vornehmften, erwieſen. Demüthigung, Be
- fhämung und Neue waren gar nicht zu ſpüren. Bir zo⸗
‚gen hieraus den Schluß, da diefer Menſch fhon durchaus
verdorben fein mäfle, und daß er nicht zum erften Male
ein ſolches Verbrechen begangen habe, weil fein abgeftumpfe
tesißeriffen gegen Gindräde der Art ſchon: ganz unem ⸗
pfindlich zu fein ſchien.
Ban Leuven war ein guter Iäger und ich fein geich-
Iroglodyteniehen. 121
tiger Sauler. der ihm gern wit der Flinte folgte, und
ſchnelle Fortfchritte machte. So hätten wir demm reiht gut
eine Seit lang leben und wnfere müßigen Etunden damit
zubringen Fönnen, nach vorbeifegelnden Schiffen zu fehen,
wäre nur Waffer dageweſen. Was mollten aber ein Paar
Säffer verihlagen? Und welch ein gräßliher Gedanke, auf
den trodenen Steinen zu verdurfien! Bir liefen fo weit
number, als wir konnten, nirgends aber war die Spur einer
. Duelle zu ſehen.
Wir bofften, noch ein Faß Waller auf dem Wracke zu
entdeden, und wollten den nächften Morgen danach binans-
fahren, denn follten aud) einige Tonnen mit Seewaſſer vere
mifcht fein, fo war das ja doch befler, als gar feine. Im
ver Nacht erhob fih aber der Sturm aufs neue, und da
Eonnten wir Gott danten, daß wir ziemlich bod hinauf im
Felſen wohnten, und alles auf dem Trocenen hatten, denn
die Sandbant und der flahe Strand unten am Felſen
murden ganz vom Meere überihwemmt. Gegen Morgen
legte ſich freili der Sturm, als wir aber nad) dem Wrade
hinausſahen, waren die Ießten Trümmer verſchwunden. Nur
etwas Schwarzes ragte noch aus den Wellen, da, wo das
Schiff geſcheitert war.
Die Hoffnung greift nach einem Grashalm. um ſich
zu retten. Ban Leuven und ich ſchifften hurtig binaus,
um zu ſehen, was das Schwarze ſei. Unfere Phantaſſe
bildete ſich ſchon ein großes Faß fügen Waflers daraus, fo
trefflich verſchloſſen und verpicht, daß es fid mitten im Salze
meere unbefjädigt erhalten habe.
+ Ms wir hinaus Tamen, war es das Schiffsanter aufe
recht im Sande ſtehend, und die eingegrabenen daͤniſchen
Borte: „Mads Hanfen i Kiöbenhann“ vagten über
122 Troglodytenlehen.
die Bellen, die fle lieblich mit leichtem Schaume befvükten.
Herrn van Leuven marbte diefe Eutdecung ſeht beträbt;
denn er hatte gehofft, voeninftens etwas zu finden, was man
mitnehmen könnte. Ich aber rief: Glüd auf, mein Herr
van Leuven! Das if ja die Hoffnung felder. Grinnert Ihe
Euch nicht der ſchͤnen Nede, die uns Map Hanfen beim
Abſchiede hielt, und des väterliden Segens, den er feinem
Anter mitgab. Mir wird bei Diefem Wahrzeichen ganz lu⸗
fig zu Muthe, ale ob ih mit unferm madern Wirte wies
der eine Flaſche guten Rheinweines getrunten hätte. Hofe
fen, lieber Herr, boffen mug man, bis das Herz bricht.
Bir wollen gfeih eine weitere Fahrt um die Alippe ver
ſuchen. Zu Lande verbieten ung zwei in’s Meer weit bin.
ausfpringende ſchroffe Selfenpfeiler, an der Küfte berum zu
wandern. Nudern fönnen wir aber, und vielleicht entdeden
wir in einer entfernten Bucht die viel gewünſchte Duelle.
Bir nahmen uns nun vor, recht weit zu rudern, kaun
waren wir aber dem Bafalt- Pfeiler vorbei, fo Lamen wir
plögfich in eine Art von Mabiftrom, von zwei gegen einan-
der ſtehenden Felſen gebildet, welche wie lange Pyramiden,
vhngefahr vom Auefehen wie die fogenannten Maidens bei
der ſchottiſchen Infel Sky, aufrecht abgetrennt im Waſſer
ſtanden. Vergeblich ſtrengten wir uns an, unfer Boot zu
reiten. Das Nuder zerbrach in meiner Hand. Jetzt war
nichts weiter für uns zu thun, als ins Waſſer zu ſpringen
zurück zu ſchwimmen und das Boot indeß in den Strudel
gleiten zu laſſen
Mit genauer Noth refteten wir auf diefe Art das Le⸗
ben; das Boot aber, unfere einzige Hoffnung. hatten wir
eingebüßt. Concordia dankte Gott, dag wir noch der Ge⸗
fahr entzonnen waren; Lemelie tobte nad fluchte, und machte
Zrogiodytenleden. 123
uns bittere Vorwürfe, daß wir, als zwel Zondrapen, die
mit einem Fahrzeuge nicht umzugehen wäßten, ohne fein
Wiſſen und feine Leitung Die Sabre unternommen hätten.
Bir fühlten, dag er diesmal Recht hatte und ſchwiegen.
Ich ging in meine Höhle, Meidete mich um. aß tüchtig
auf die Bewegung, ſchlief glei Darauf ein, und als ih
erwachte, baite mid) die Hoffnung nod nicht verlaffen. Id)
vertraute auf Gottes Barmherzigkeit; die alte Luft, die ich
lange nicht in mir gefpürt, Verfe zu machen, erwachte auf's
neue, und fo ſchrieb id denn, um mic felbft und meine
Freunde zu tröften, folgendes Lied:
Du Heiliger Ouen
Eo freudenheit;
Du frifcher Geiſt des Lebens.
ach, ſchmachten wir
Vieleicht nach dir
An diefem Etrand vergebens:
Conft liebteſt du die Alippe ia,
Und auf dem Felfenftiege
Bart du als kieines Kind ſchon da,
Da fand man deine Wiege.
Bas Hüft dad Meer
&o tief und dehr
Mit feinen breiten Bellen?
Gin Trwggefict!
3 reist uns nice
Den füßen Tranf der Ouellen.
Mix. fchmachten in bem Weberflaß,
Eos weiten haut und Barden;
1% Trogiedysenleben.
@ir mälen fo wie Tantalus
Den Becher ſehn — und darben!
Dem Bafer nah,
Kein Waller da,
Zu Riten unfer Schmachten.
Wie trodner Eand
Im wuͤſten Land
Die Fluten mar zu achten.
Doc) in der Wuſte Ouellen oft
Der matte Püger findet;
Wir finden auch! Die Seele hofft,
Wis gan) Das Beben ſchwindei.
Ms Mofes mit dem Stabe ſchlug
Im trocknen Felſenthale.
Da frang dad aher reichlich guus
Mit- breitem Gilberfrale,
Die Hofrnung fchlägt,
Das Hera bewegt,
Und Muth wir alle fallen;
Die Zuverficht
Berläßt und nicht:
Gott wird uns nicht verlafien!
Ich hatte das Lied zu einer Kirdenmelodie verfaßt, es
. Fand allgemeinen Beifal; ſeldſt Lemelie, der es fih von
Concordia Überfegen Heß, mochte es leiden, nicht, als ob er
etwas Frommes oder Erbaulides dabei gefühlt hätte, der
Inpalt unterhielt ihn aber» weil ihn auch mac der Duelle
Iroglodyteniehen. ' 125
verlangte. Sein kalter Beift fand den Gegenſatz von Meei-
waſſer in Ueberflug und Mangel an fügem Bafler artig,
als Sranzefe hatte er ein wenig Achtung für die Dichttunſt
gelernt, und ich merkte wobL dag er von heute an den Ton
gegen mid änderte.
Concordia, van Leuven und id fangen jeden Abend
dies und andere geiftfiche Lieder dreiftimmig, und es Mang
recht fhön in der großen Felſenwoͤlbung, während die
Sonne in’s Meer tauchte. Einmal murden wir aber von
einem gräßlichen Geſchrei mitten in unferer Andacht geftört.
Es kam von Minga’s Höhle. Bir liefen hin und trafen
Lemelie vor Wuth zitternd, mit einem blinfenden Meſſer in
der Hand, und die Negerin, immer noch (dreiend, in einen
Bintel hingefluͤchtet. Bir glaubten erft ale, er habe fie
morden wollen, entdedten aber bald, daß es auf den klei⸗
nen Beautiful gemünzt war, den fie auf dem Arme trug.
— Barum, frug van Leuven, wollt Ihr das arme unfhul-
dige Thier ermorden? — Bas unfhuldig? rief er rafend;
verfluchtes Vieh, das uns das wenige noch Uebrige auffrißt
und trinft, Sollen Menfhen eher als eine ſolche Beſtie
umfommen? Sol es unfer farges Mahl, womit wir er»
bärmlid das Leben friſten. noch fhmälern?
Concordia warf ſich ihm zu Fügen und beſchwur ihm
mit Thränen, ihren Meinen Liebling zu ſchonen. Das rührte
ihn etwas; er bat fie höflich, wieder aufzuftchen, drüdte ihr
die Hand und fagte: Für Euch, Madame, opfere ich Allee,
ſelbſt mein Leben.
So war denn der Friede wieder hergeſtelt. Als wir
mit Minga darüber ſprachen. ſagte fie: Wäre der Hund
gefräßig, wollt ich mie «6 noch gefallen laflen; er frißt
126 " Zrögloditenieben.
aber wenig umd trinkt noch weniger. Seht einmal, den
Zopf mit Waſſer hat er ja beute kaum angerähtt.
Nicht angerührt? miederholte.ih, und ein Hoffaungs ·
ſtrahl durddrang mir die Seele. Ih ſchwieg aber, um
Alles erft ſelbſt zu unterfuhen. Am folgenden Morgen
fand id) früh auf, der Mleine Beaufiful, der bei mir ger
ſchlafen hatte, und den id) laufen ließ, verlor ſich gleih in
die Zelfenklüfte. Nach einer halben Stunde kam er wie
der, ledte Sc) um’s Maul, und im Barte hingen ihm noch
tlare Waſſertropfen. — Ich fhmedte daran. O Himmel!
es war frifches, füges Waller. Noch ſchwieg id) und nahm
mir vor, dem Hunde das naͤchſte Mal auf feiner Bandes
rung zu folgen. Es mar aber unmöglich, ex enti&lünfte
mir, und id konnte feine Spur nicht finden, Nun fülte
id ein Sädhen mit weißen Sande, machte ein Lod daran
und band cs dem Hunde das nächfte Mal auf den Rüden,
fo, daß er im Laufen immer cin wenig daraus verkierem
mußte. Auf diefe Art zeigte mir ein weißer Streifen den
Beg über nadtes ſchwärzliches Gehein, Moos und Dornen,
durch meirere Schlupfwinfel, und ich war feine Viertel
meile gegangen, fo hörte ic) ein ſtarkes Brauſen, und.ent-
defte, als ich auf einem ziemlihen Umwege dem ſchroffen
Meerpfeiler vorbei gefommen war und wicder hinunter
nach dem Stande flieg, einen großen Wafferfall, der ſich
aus der weiten Definung des Berges in’s Meer ergoß.
Da ftand der Meine Beautiful und frank mit dem Sat
auf dem Nüden, woraus er aber das Meiſte verſchüttet
batte Ic; befreite ihn glei von feiner Bürde und fhönfte
Waſſer mit der bohlen Hand. Es mer Flar wie Kryſtall
und konnte nicht befer fein.
Euch mein Gefühl in dieſem Augenblide zu Fildern,
Iroglodyteniehen. 127
in ummöglich. I eilte zuräd umd begegnete Lemelie, der
verdrießlich und niedergeſchlagen ausfah. Gr wunderte ſich
über mein ‚frohes Geſicht. Hat Concordia Eud wieder eine
englifhe Stunde gegeben? frug er fpöttifh. — Herr Le⸗
melie, antwortete ich, ich wil Euch eben fo vergnügt ma-
Gen, ‚wenn Ihr mir erlaubt, Euch Baumwolle in die De
ten zu ftopfen, und ein Tuch um die Augen zu binden. Er
bedachte ſich ein wenig, meil er aber an meiner arglofen
Freude wohl merkte, dag mir etwas Angenehmes begegnet
* das ich ibm mittheilen wollte, lich er ſich die Bedingung
gefallen.
So führte ich ihn zu dem Waſſerfall und ließ ihm wer
der hören noch feben, bis wir gerade vor der herrlichen fau-
fenden Fluth fianden, von ‚grünen Eträuhern und Felſen ⸗
blumen umringt, Wie beſchreide ich Euch fein Geſicht, als
er den Waſſerfal ſah und branfen hörte? Es giebt Augen·
biide, wo felbft das kaͤlteſte Herz des verruchteſten Sünders
von Gottes Güte, Almaht and Schönheit gerührt werben
auf. Seine Geſichtsmuskeln verzogen ſich frampfhaft, denn
es koſtete fie eine große Anftrengung. die gewöhnlichen höh-
niſchen Spottfahten, die hämiſche Tüde daraus zu verjagen,
und demütbig, danfbar und beglüdt auszufehen. Das ge
lang nun freilich nicht; das Ganze mard dod) nur eine wie
drige Fraße, rührte mid) aber dennoch, weil id) die Möge
lichkeit zur Beſſerung daran ertennen konnte.
Echt einmal, Herr Lemelie, rief ich, dieſe Quelle hat
der Meine Hund entdedt, den Ihr vorgeftern morden wolle
tet, meil er einige Tropfen Waffer in feinen Topf befam.
Bäre es geſcheben, fo hätten wir alle bald auf dem trot⸗
tenen Felfen verſchmachten müſſen. Seid Limftig nicht mehr
128 Troglodvtenleben.
fo grauſam, und baßt und verfolgt nicht unſchuldige Ber
ſchopfe, die Euch nichts zu Leide thun.
Ihr habt Recht, Herr Albert, antwortete er fanft und
bedenklich... indem er den Hund, der und zur Duelle gefolgt
mar, ſtreichelte; wahrlich, das iſt eine edle Art, ſich zu raͤ⸗
en. Ihr fammelt mir alle glühende Kohlen aufs Hanpt.
Ich babe es nicht verdient. Man bat mir fonft gefagt:
ein einziger fündhafter Menſch auf einem Schiffe finne die
ganze Mannfhaft in's Berderben fürzen; bier gcht es um ⸗
gekehrt: der Himmel rettet ‚einen Sünder, tugendbafter Men ⸗
ſchen Willen. Iept wollen wir uns auch recht brũderlich
lich vertragen.
Es freute mid) febr, ihn fo ſprechen zu hören. Con
cordia, van Leuven und Minga theiten unfer Entzäden,
als wir fie nach dem Waſſerfalle braten. Als Lemelie
vorangegangen war, erzählte ich ihmen aud feine Reue und
wie er gefprocden habe. — Bei'm lebendigen Gotte, rief
der biedere van Leuven, dieſe Nachricht Klingt mir eben fo
llieblich und tröftend in's Ohr, als das Rauſchen der neu.
entdedten Quelle!
Gebe der Himmel, feufzte Concordia, dag diefe Gefin-
nung eben fo dauerhaft fei. Aber leider! Auch auf dem
nadten Sande kann wohl das Heidefraut mitunter ſpärlich
gedeihen. Es blüht ein Meiner Fled, und ficht recht reizend
und grün aus, als wäre es friiher Wieſengrund. Der lot⸗
kere Sand liegt aber Iofe darunter. Beim nädften Wind»
ftoge reißen ſich die ſchwachen Wurzeln los, und der Sand
wirbelt wieder abſcheulich in die Luft, und verdunfelt den
Himmel, Auch das Krokodil weint im Schilfe, wie ein
unſchuldiges Kind, wenn es Menſchen verſchlingen will. —
Zroglodotenle ben. 128
Veſenders bat fie iären Gemapl, Ach vor dem falſchen grau
famen Menfcyen in Acht zu nehmen.
Liebes Kind. ſprach van Zeuven, fle heiter tröftend, wir
Holländer find ein ruhig aufmerffames Volk, und laffen uns
nicht fo leicht hintergehen. Haben wir doch täglich mit ei⸗
nem meit fürdhterliceren Ungeheuer zu fämbfen, das uns
an verfhlingen droht, das gewaltige Meer, und doc leben
wir glädlih hinter unfern Deihen, laſſen uns niht aus der
Safung dringen, und feine Furcht ſtort unfern ftillen Ge⸗
mug. Hier forudelt die Lebensquelle wieder friſch und er-
auidti. fo wollen wir denn auf Gottes Gnade bauen,
and nicht blog Migtrauen und Furcht aus diefem fhönen
Hoffnungsbecher ſchlurfen.
Nun waren wir im Veſiß der wichtigſten Lebensbedürf ·
aiſſe. Der Fels vertheidigte uns, wenn das Meer withete,
hinter feinen Bänden fanden wir Schatten gegen die drüß-
lende Mittagshipe, obſchon wir nicht die Freude hatten, une
unter einem fühlen, grünen Baume zu erquiden, denn nice,
als früppliches Geftrüpp wuchs umber in den Rißen. Nur
um die Quelle blühte etwas Gras und einige Blumm.
Bir nannten diefen Ort Concordias arten, und ich hanete
Cige in den Stein, damit wir die Morgen» und Abend»
Runden da zubringen konnten. Auch zichteten wir eine Küche
in der Nähe ein, um gleih Waſſer zu haben. SZmichad
und geräucertes Fteifh hatten wir nod für ein Viertele
habt, Sipiegpulver und Biet für ein ganzes Jaht. und das
mit wir auch nachher unfere Nahrung finden könnten, hatte
die Vorſehnug uns nod einen fhönen Bogen und Pfeile
in der Kajüte finden laffen, womit fi van Zeuven zum
Vergwügen vor feiner Abreife geübt hatte, Dean weil er
Deplenf. Echeiften. XVII.
130° Troslodvtenleben.
ſonſt ein guter Schüte war, wollte cr auch Ten Ceylonern
zeigen, daß er mit ihrer Waffe umzugehen wille.
Diefen Bogen bewahrten wir, als unfer koſtbarſtes
Kleinod; ih nannte ihn Philoktets Bogen,.und fühlte nun
erft die Schönheit der fophokleifhen Tragödie, wo ſich die
Handlung einfach fhön um einen ſolchen Bogen dreht, der
des Verlaſſenen einziger Troft ift, den ihm dennod) feine grau.
famen Landsleute aus Eigennug rauben wollen, ohne ſich
um feine Leiden zu befümmern, bis die Vorſehung es fo
fügt, daß der, Unglückliche ihrem Verlangen nad) diefem Bas
gen eben feine Rettung verdankt, indem die Gefährten. die
nur Raubſucht in feine Nähe gebracht Hatte, zum Mitleide
gegen ihn bewegt werden. .
Uebrigens war unfer Zuftand doch böchſt elend. Soll⸗
ten wir fo, als Troglodyten, auf dem nadten Steine in
dunteln Höhlen unfer ganzes Leben zubringen? Waſſer hate
ten wir freilich genug; follten wir aber nie mehr die müts
terliche Erde betreten, aus deren fruchtbarem Scootze der
Sen mit lieblichen Farben enmor blüht, der Herbft mit
goldenen Früchten iprangt? Ja, noch eine größere Furcht
drohete und in der Ferne; noch ein zweites Element drohte
uns zu verlaflen! Der Zune des Lebens, die Erheiterin
und Hervorruferin der Schöpfung. das beilige Feuer.
Denn Bretter und Planken lagen freilih vollauf umher
nad) dem Schiffbruche. Wie lange konnte aber das dauern?
Umd Holz wuchs auf dieſem Feiſen nicht. Das wenige Ge⸗
ſtraͤuch mochte nur wenig verſchlagen; unfere einzige Hoff«
nung gründete ſich noch auf das Meergras, ob wir das
vieleicht trodnen Könnten, um unfer Eſſen dabei zu kochen.
Für Concordias Schönheit that es mir im Herzen am
leideſten. Sol diefe zarte Blume, dachte id, in Nebel,
Troglodytenleben. 131
Regen, Hiße und beigendem Seewinde zufammen ſchrum⸗
vfen und verwelten? Sol die zarte reizende Lady bald mie
ein armfeliges holländifdhes Fiſcherweib ausfehen? —
Noch war nichts verloren; mir hatten alle Kleider ge⸗
nug, und gingen fo einher, wie wohlhabende Bürger auf
den flamländifden Bildern. Minga war eine fleifige Bä-
ſcherin. Gin großer breitfchattiger Sonnenhut, den Con⸗
cordia mitgenommen hatte, fam ihr jeßt fehr zu Statten.
Und etwas darf. ich nicht verfihweigen: wir hatten ein gro⸗
Bes Paket dänifcher Handfhuhe aus Kopenhagen mitgenom-
men; das war auch gerettet. So ftand zu Hoffen, daß we⸗
der Kälte, Regen noch Sonnenſchein das Alabaſterwerk ih-
ter fhönen Hände vernichten würde,
Ic) ſelbſt ſoll mich, als vier und zwanzigjäpriger. Jüng⸗
ling, mit den walleaden braunen Loden, mit dem ſchwar⸗
gem Sederhute, der furzen Jade, der Jagdtaſche auf dem
Nüden, der Flinte auf der Ahfel, am Selfenfteige nicht übel
ausgenommen haben. Zu meinem fanguinifhen Blute machte
van Zeuvens männlich, ruhiges, tieffinniges, etwas bleiches
Geſicht einen guten Gegenfap. Und um dem Bilde auch
feinen Schatten zu geben, fo ſtach Lemelle wieder zu uns
recht poetiſch ab, mit dem liſtigen hämifhen Antlipe, und
den Eraufen blonden Locken. worauf er fehr ftolz that, weil
fie feinen alten franzöfifhen Adel beweiſen ſollten. Freilich
mar der Scheitel ſchon ziemlih fahl; die breite Stirn nur
von wenig Haaren bededt, der rothe Bart aber war ftart,
und verbärg das gar zu foipige Kinn. Nafe, Mund und
Augen hätte man ſchoͤn nennen Lönnen, wenn ein befferer
Ausdrud das Geſicht belebt bätte. Ein grauer aufgekrem-
velter Hut mit hochtother Feder faß ihm immer fhräg am
Kopfe; und fo ſah er einem vermummten Teufel zit unähn-
132 Neue Entdedungen.
lich. Misga und der Fleine Beautiful, ſchwarz und weiß,
vollendeten das Bild; beide freu, gefund, wad und immer
‚in Bewegung; neigte die ſtumpfe Neger-Natur in ihr ſich
zum Thieriſchen, fo ließ der gefühlvolle Blid des Hundes
etwas Menſchliches ahnen. Diefe Verwandſchaft fühlend
waren fie unzertrennlid.
Hätte num ein guter Maler diefes unfer ganzes Perfo-
nal auf der Klippe gefehen, um den berrlihen Baflerfall
gelagert. beiss Sonnenuntergang, oder während die blaſſe
Sichel deg Mondes über dena Felſen ſchwebte, und das Rüden»
feuer Binten dunkelroth aus der Spalte deffelben hervor Io
derte; hätte er zugleich. ein Paar fledige Schildkröten dort
binauf riechen, ein Seekalb den Kopf aus den Wellen er
heben laſſen. da wo die fenkrehten Bafaltpfeiler fi im
Waſſer fpiegeltem, hätte er noch die Zuft mit einigen See
wögeln bevölkert, fo würde das wahrlich kein ſchlechtes Bild
gegeben haben.
16.
- Neue Entdelungen.
Im Klettern war mir Niemand überlegen. Als ich nun
merkte, daß ſich oben auf der Zelienfripe andre Gattungen
Bögel hören und fehen Kießem,. fuchte ich dur allerhand
Ummege immer höher zu fteigen, bis id) den hoͤchſten Gipfel
erreicht hatte. Wie wurden nun meine Einnen von dem
größten Bergnügen der Belt erfüllt! denn es fiel mit, durch
Neue Entdedungen. 133
einen einzigen BÜR die anmuthige Gegend diefer Telfen-
Infel in die Augen, welde ringsum mit dergleichen ſtarken
Pfeilern und Mauern umgeben und verborgen war.
Eine ganze Stunde ſtand id) vol Entzüden, denn der
Gegenfap meines bisherigen Aufenthaltes, und des jehigen
tonnte nicht ftärter fein. Dort naffe, rauhe Seeluft, ſchrofft
nalte Selfenwände, das Ade, flache, oder ſchaumbedeckte, brau⸗
fende Meer, Sandbänfe, Meergras, Scildfröten umd hei-
ferfhreiende Waffervögel, düftere Bergflüfte; alles nur von
Morgen- und Abendroth und Mondſchein einförmig oder
geſpenſtermaßig beleuchtet. Hier füger Frühlingsduft. Bin
men, Wälder, Bädlein, Singvögel in den Zweigen, Hirſche
Rehe, Affen und Ziegen im Thale; die mehr verwundert
als bang, fid nicht weit entfernten, um über den vicheicht
nie gehabten Wunderanblick eines Menſchen zu ſtaunen. Ih
fab mehrere Arten Geflügels, das unfern Nebhühnern glich
gab unter fie Feuer, und fünf blieben auf dem Plage lies
gen. Nah dem Squſſe, der oft in den Bergen wieder»
Halte, ſtußten alle lebendigen Gefhöpfe gewaltig. gingen
und flohen, jedoch bedachtſam, fort, und verbargen ſich in
den Bald. Faſt that er mir leid, dag mich der Knall die
fer angenehmen Gefellfhaft beraubt hatte.
Ich ftreifte weiter umder, um auch Menſchen zu finden,
fand aber feine Spur davon; und — foll ich die Wahrheit
bekennen? ih kann nicht fagen, dag mir viel daran gelegen
war. Es mar jet zu ſpaͤt, über den Felſen zu meiner Ger
ſellſchaft zurädzutchren. IA blieb alfo im Innern der In⸗
fel; und verzehrte mein mitgenommenes Abendbrod. Schöne
rothe Beeren, unfern Morellen glei, hingen auf den
Bäumen; und Iodten mid mit ihren ſchwellenden Kugel,
ich wagte fie aber nicht zu koſten, weil ich fie noch nicht
134 Neue Entdedungen.
Tannte, und begnügte mic, aus dem Baͤchlein meinen Durft
au loſchen; dann ftieg ich auf einen Baum, und ſchlief dort
die Nacht. Ich, der gewohnt war, nur das Meer braufen
zu bören, wurde diesmal von dem Iufigen Bogelgefang
früh erwect. Ih fhlug die Augen auf; das Gras war
mit Thaudiamanten überftreut. Das braune Bild erſchien
und verfhwand hinter den Bäumen. Bunte Papageien und
Goldfafane. yüpften in den Zweigen. In den oberften
Baummipfeln zürnten kalikutiſche Hähne, breiteten ihre Fächer
trogig aus, und wurden roth und blau vor Aerger, weil ſich
die Morgenfonne unterftand, ihnen in die Augen zu bfin-
ken. Naͤrriſche Affen krochen umber in der Näbe, und ber
gudten mid neugierig. Sie mußten nicht, ob fie mid) zu
ihrem Geſchlecht reinen follten oder nicht. Ein fhöner klei⸗
ner Vogel tam mir fo nahe, daß ich meinen Hut über-ihn
werfen, und ihn lebendig fangen konnte. Ic ftekte den Bo-
gel in meine Jagdtaſche, und weil das hohe Gras doch noch
au naß war, ſchnitt ich einige Zweige von einem nahen
Baume, der mit einer Weide große Achnlichkeit hatte, und
flocht in aller Eile einen runden Käfig für meinen Vogel,
den ih Goncordien bringen wollte. Drauf begab id, mid
wieder auf den Weg, um meine Gefährten nach dieſem Ca—
naan zu führen. Das erſtaunlich reihe Farbenſpiel auf den
Schmetterlingsflügeln, Blumenblättern und Bogelfedern, das
ich nie fo in Europa gefehen hatte, entzüdte mid außeror-
dentlih. Noch war es mir nice eingefallen, mid) vor den
möglichen Uebeln zu fürdten. Ploͤtlich fuhr der Gedanke
mir wie ein Blig durch den Kopf: Wenn nun der Bald
voll reigender Thiere, das Gras voll tödtender Schlangen.
die Erde voll Giftpflanzen wäre? Meine gereiste Phantafie
lließ mich ſchon alles deutlich fehen. Ich glaubte ein Lötwen-
Reue Entdedungen. \ 185
baupt mit ungeheurer Maͤhne ſchaue ſchon dort hinter dem
Baum hervor; dier troch eine fhuppige Sthlange, mit der
gräßlihen Brile an dem gefhwollenen Halfe. Das Löwen«
banpt war aber nur ein Baumfnoten in der Rinde, die
Schlange ein heruntergefallener trodner Zweig, mit gelbem
Moofe- . .
Plotzlich entdede ich Scherben eines zerbrochenen Topfes
aus der Erde halb hervorragend. Dieſes Merkmal eines
Menfchendaſeins richtete mic wieder auf. Alſo konnen doch
Menſchen bier leben und hauſen, dachte ih. Aber licher
Himmel, wenn nun das Kannibalen find,, die di) greifen,
f&ladıten, braten und verzehren? Es lief mir eistalt über
den Rüden, ih verwüuſchte meine Neugierde, und wuͤnſchte
mid) wieder in die fteinerne Höhle zu Concordia und van
Leuven zuräd, wo wir nur gegen ein reigendes Thier, eine
Giftblume. eine Brillenfhlange und einen Kannibalen
uns zu wehren hatten.
Im diefe Gedanken vertieft, gerieth-ich auf einen ſchma⸗
len, wie es fdien, einft durch das Gehölz gehauenen Weg,
der in eine Sommerlaube führfe. Sie war freilich jegt
ganz verwachfen, fhien aber doc ein Bert von Menfchen-
band zu fein, das fah ih an den geraden, in einer Linie
abgefägten Baumftämmen, die wieder hoch emporgefchoffen
waren. Diedurd war das Dach dichter geworden, und die
genaue Zufammenfügung der Zweige ließ aud vermus-
then, dag nicht alles Natur und bloßer Zufall fei. Das
Laubdach war fo did; dag kein Baffertropfen durchdringen
konnte.
In der Nähe diefer Laube Fand id deutlih Spuren
eines längft verfallenen Gartens, wo nod ale Obftbäume
in Reiben landen. Menſchen und Wohnungen gelang es
1% Neue Entdedungen.
Wir aber nicht zu entdeden. Doc chen dieſe Entdekung
war mir die liebte. Ich ſah deutlich, daß hier einft Ein
fiedler geringer Zahl gelebt, die längft geforben fein muß-
ten. Alſo gehörte diefe Imfel uns; und wir hatten wor
reigenden Thieren nichts au fürchten, denn die Ueberreſte
zeigten ja, dag einzelne Menſchen hier lange Zeit nugeRärt
ihre Virtbſchaft getrieben hatten, .
Nun eilte ich wieder nad dem Felſen zurüd, und fchoß
noch ein junges Reh auf dem Bege, das ih mitfhlepnte.
Den Rüdweg fand ich leicht und fiher, denn ic hatte bei
ieder Ede ein Zeichen gemacht; das mir in diefem Labprin-
the flatt des Fadens der Ariadne diente. Mein junges
Neb ward ziemlich beftaubt, weil ic es nach ichleppte die
Nebbüpner hingen mir in einem Bunde auf dem Rüden,
der Bogelläfig auf der Bruſt, die Flinte diente mir zum
Banderftabe, und mein Hut fropte von Blumen und frie
ſchem Laube.
IA) wunderte mid; über meine eigue Dreifigteit, als
id, wie ein Steinbod, über die Abgründe fprang, und ohne
Grauen die fieilen Wände Hiunterfletterte.
Ir Hinunterfleigen merkte id mir eine gefährliche
Kluft. Hier muß eine kleine Brüde für Concordia geſchia
gen werden, fagte ih. Ich zittert, wenn ih an die Gefahr
Dacte, der fie fi ausfegen Könnte; mein Troſt war aber:
Gs ift leichter hinauf» als hinunterklettern.
Den erften, den ih in den untern Regionen traf, war
van Leuven. Er faß ziemlich hoch auf einem Felfenblode,
den Kopf auf die Hand, den Arm auf's Knie geſtützt, und
ich hörte ihn ſagen: Mein guter, frommer Albert Julius!
So haben wir did denn auch verloren? Herrlicher lebens
Iuftiger Junge! voll Buverficht und Hoffnung, mit dir ift
_ Rene Entvedungen. 137
Glack von uns gewchen, und die Some dringt nicht .
das
mehr im unfere däftre Eteinpähle.— Herr van Leuvenl rief
ich Frog gerähtt, graͤmt Euch wicht. Da habt Ihr den Ar
bert Julius wieder. Und feht mal den (dömen Vogel! Der
bringt wie Noabs Taube ein Delblatt mit im Munde. Seht
ar auch das frifhe Laub, die Blumen auf meinem Hute?
Die Rebhäpwer und das Reb?
Er wollte feinen eigenen Augen nit trauen, und das
hochſte GEntzüden verdrängte den tiefflen Schmerz, — Ah,
zief er, fo können wir nun doch noch den Geburtstag mei⸗
ner Goncordia mit Freude feiern? IA glaubte, es würde
nur ein Schmerzenstag für uns fein. Ih habe Euch verger
bens geſucht, bin weit höher hinauf geweſen, und wäre gern
noch weiter geſtiegen; allein der Gedanke, auch, wie Ihr
vermuthlic, in den Abgrund zu ftärzen, und das arme Weib
mit dem abſcheulichen Boſewicht allein zu laſſen, hielt mid
zurück
Tor Geburtetagl rief ih — und eine freudige Röthe
überflog mein Geficht. — Sie vollendet beute ihr neumehn⸗
tes Jahr, antwortete er. Ach, ich habe ipr fein. Geſchent
machen Fünnen; niht einmal meine zärtlihe Aufmerkfamteit
Bonnte id ihr widmen, denn meine Gedanken waren bei
Euch, lieber Freund, auf dem Felſen. — Lemelie dagegen
iſt recht aufgeräumt. Gr fheint fih Euren Verluſt gar
nicht nahe gehen zu laflen. Er möchte uns woßl gern Beide
zum Iegtenmal geichen haben. Ein Paar hübſche Angelrur
then bat er gefhnitten, und Goncordien die eine geſchentt.
Jept ſihen fie drunten und filhen. Der Elende! Mit vere
führerifpen Reden liegt er immer der unfhuldigen Secle im
Dr. Bas follen wir aber thun? Das Schicſal hat uns
nun einmal im engen Kreife zmit ihm zuſammengebracht
138 Neue Entdedungen.
Durch Strenge und Milde zugleich müflen wir feine Bos-
beit zähmen und. bändigen. Die treue Minga verläßt Con-
cordien mie, wenn er bei ihr iſt, und er fürchtet ſich mehr
vor diefer gutherzigen Schwarzen, als vor dem Teufel;
denn er weiß, fie verfteht feinen Spaß, und wenn er fih
die Aleinfte Unverfhämtheit gegen die Hertſchaft erlaubte,
mürde fie ihn, gleich wie der Iagdhund den wilden Eder,
an der Keble faflen, ohne ſich an feine Hauzähne zu kehren.
Ban Leuven folgte mir in meine Höhle, wo ich erft
ein Lied auf Concordiens Geburtstag dichtete, das ihn febr
erfreute. Ich glaube, fie hat auch Etwas heute über Euch
gemacht, ſagte er, denn fie ift ganz untröſtlich, bat lange
in ihrer Höhle geleffen und geſchrieben. Sie hat es aber.
wieder entzweigeriffen, ohne es. Jemanden zu zeigen, und
vor Betrübnig ſich faR die Augen ausgemeint.
Wie wohl that mir dieſe Nacricht Ich flocht das Laub
und die Blumen in einen Kranz, und lief hinunter nad
dem Strande, die fhöne Fiſcherin zu tröften, uud ihren Hut .
mit dem Kranze zu (hmüden. Den Vogel im Käfig hatte
id) mitgenommen. . B
Lemelie ſaß verdroffen ziemlich weit von ihr entfernt,
und ſchien mit gerunzelter Stirn fehr aufmerkfam feine An⸗
gelruthe im Waſſer zu betrachten. Minga ſah ihn höhniſch
an, mit den Händen in die Seiten geftemmt, und warf mit«
unter bedeutende Blicke auf Goncordia, die betrübt in tiefen
Gedanfen da faß, die Hände im Schooß, und mit leifer
Stimme fang:
ö „Reine Blum, keine Blunfüß
@ei geſtreut auf den ſchwaͤrzlichen Sarg
Keine Seel‘, feine Ser grüß
Mein Gebein, wo Die Erd’ es verbarg.
Neue Entdedungen. 139
um Mich und Ded im wenden ab,
Bergt alleine
Mich, wo fein Trener wa” and Grab
Und weine.” *)
Ich ſchlich mic) leiſe auf dem Sande binter fie, und
ftredte meinen Arm über ihr Haupt, fo daß der niedliche
Vogel im Käfig ihr grade vor die Augen Fam, ohne daß fie
mußte woher. Und wie allerliehft! Der Kleine Sänger, der
die ganze Zeit feiner Gefangenſchaft geſchwiegen hatte, fing
gleich an, eine luſtige Weiſe anzuftimmen. Sie ſprang er»
füroden auf, und kehrte fi um. Da ſtand. ich, und ſtrecte
ihr das Lied, den Kranz und den Vogel entgegen. Sie fiel
mir entzudt um den Hals, fügte mid) und rief: Mein ge»
liebter Freund! Meines edlen Gatten Freund! Lebt Ihr
noch? Athmet Ihr noch? Nun, fo wollen wir aud wieder
aufleben und hoffen. Ich bat fie, das Heine Gedicht zu le⸗
fen; es lautete alfo:
Der Fiſch und der Bogel.
Das Fifchlein mag wohl niedlich fein,
Mit Silberſchuppen ſchon.
Doc kann es mit mir leben? Rein!
Bald iR’8 um und geicheh'n.
&8 zappelt eine kurze Beil,
Der naſſe Geiſt entflicht in Gil’;
Dann liegt eb in ber Wutte todt,
Bie's die Natur gebot.
”) Mus Epateipeaeh „Was ihe wollt,“ nach MB. Saiesel
140 Neue Entdedungen
und folgen kannt du nicht dem Fiſch
Racı feinem Eiement.
Der Danfie Grund if gar in feife.
8o feine Sonne brennt.
Da fcwoimmt der Sautiſch und der Hai
Dem röthlichen Korall vorbei; "
Und was in jener Tiefe fledt,
Hat noch fein Aug’ entderkt,
Dagegen fich das Böglein an
Im bunten Federſchein! ”
64 fingt fo Heblich, fliegt bergan .
Und Hringt Dich nach dem Hain.
Bei Sonnen uf» und Untergang
Es zwitſchert feinen Lobgefang.
Und deiner Schonheit Herrlichkeit
Beſingt «6. ohne Neid,
Der Bogel kommt sum Feſte der
Und bringt dem bunten Aram.
B Concordia, das graue Meer
‚Hat keinen ſolchen Slam.
So folg' dem Bogel kec genug,
Mac Paradies geht doch fein Bing.
Komm! — Goas Tochter HIR du doch; —
Re Eon mangelt noch.
Lemelie ſaß indeg mit affectirter Ruhe bei feiner An«
gefruthe, woran nichts beigen wollte, und that. als ob er
meine Burüdtunft gar nicht Gemerkt hätıe. Van Leuven
Reue Entdedungen. 141
mußfe ihn mehrmals einladen, ehe er aufkland und zu uns
am. —
€i, ei, rief er, da haben wir ja unferm Poeten. Ih
mußte wohl, daß er zu vernünftig fei, ſich wirklich in Le⸗
bensgefahr zu wagen. Mit Gemfenjagd geben Ad die Here
ren Berfifere felten ab. Er hat Blumen in einer Felſen ⸗
kluft gefunden und einen Bogel gefangen. Gharmant! Und
deshalb ift ihm Madame um den Hals gefallen und bat
ihn fo zärtlich getüßt, ale ob es ihr Batte wäre. Was
fagt der gute Herr van Leuven dazu? — Ich würde fie
nicht lichen, antwortete van Leuven, wenn le nicht den bra⸗
ven, ehrlichen Albert Fichte, und um ihn befümmert geweſen
wäre. — Nun, Ihr ſprccht ja recht, mie cin vernünftiger
Esemann, Here van Leuven, verfepte der Kapitän: allein
marum foll id denn alein das Stieftind fein, und mit trofe
tenem Munde davongehen? Warum darf ich nicht auch küfe
fen und ein wenig geliebt werden? Bas die Sitte in Eu-
ropa verbietet, wo Weiber vollauf find, davon fann die Rede
wicht hier am äden Feifenftrande fein wo wir nur ein ein«
ziges Frauenzimmer heben. Denn das bäglihe, ſchwarze
Thdiermeuſch, das dort mit dem Wüdpret zur Küche gebt,
wollt Ihr doch wehl fein Frauen ziumer nennen; fo wenig
wie die Hündin, die ihr nachläuft? Sitten richten ih aber
nach Zeit und Umftänden, nady der Natur der Verhältniffe,
fonft werden fie Vorurtheile. Was natürlih und menſchlich
iR, fan weder gottlos noch Lafterhaft genannt werden; und
fo denke ich, dag die reigende Concordia nit länger fpröde
thun wird, feitdem Here van Leuven nicht länger eiferfüh-
iſt. Bei den Mohamedanern ift. Polygamic, bei einigen
molabarifhen Stämmen Yolyandrie eingeführt. Sollen uns
die Indianer in gefundem Menfchenverftande, in Artigs
142 Neue Entdedungen.
keit und Gefäligkeit beſchämen? Was fi) eine zarte, indie
ſche Schönheit gefallen läßt — und ich verſichre Euch auf
Ehre, Madame, die indiſchen Damen haben viel Zartgefühl
vielen Gefhmad, viel ſchwärmeriſche Neligiöfität und Blu
menliebe; — das, denke id), wird eine fhöne Engländerin
auch thun können.
Ihr ſpaßt wieder, Hetr Lemelie, antwortete van Leu⸗
ven; koͤnntet Ihr im Ernſte fo reden, müßten wir Euch be⸗
dauern und verachten. Doch muß ih Euch fagen, ſelbſt
als Spaß betrachtet, finde ich ſolche Heden in einer tugend-
baften Frau Gegenwart fehr unziemlih, und mug mir in
der Zufunft ſolche verbitten. IA weiß wohl, die Franzofen
nehmen es mit dergleichen Aeußerungen nicht fo genau, und
das fann Euch einigermaßen zur Entſchuldigung dienen.
Bir Engländer, Deutſche und Niederländer find aber efr-
barer. Sogar Senegal und Gambia mit ihren Thiermen-
fen würde gewiß unferm Gefhmade beitreten. - Und ge
‚gen eine ſolche Ouadrupel-Allianz wird ſich hoffentlich Frant-
rei in der Sufunft nicht auflehnen. — Ihr habt ganz
Net, Zeit und Umfände verändern Bieles. Hättet Ihr
uns To etwas in Europa gefagt, ich bätte Euch als Edel-
mann geantwortet. Hier auf diefem öden Selfen fühle ih
mid aber zugfeih weniger und mehr als vorber. Hier
bin ich nur Menſch und Chriſt. — Das felltet Ihr auch
fein! —
Ihr ſeid ja fein Chriſt. Ihr ſeid ja nur ein Holländer,
rief Lemelie lachend, der die ganze Sache zu einer Plai«
fanterie machen wollte. Bir teilten ihm alfo unfere Ent-
deRung mit, die jedoch feinen fonderbaren Eindruck auf ihn
machte. Er beneidete mir vielmehr meine Eutdecung und
fragte Möttelmd: Hat der Epürhund micher etmas auf
Die Infel. 143
geröbert? Ich kehtte mich an feine Bosbeit niht um wär«
digte ihn Leiner Antwort. Der kommende Morgen ward
au unferer Wallfahrt deſtimmt.
17.
"Die Infel..
Dan Leuven, Lemelie und ich begaben uns friſch auf
den Weg. Concordia blieb in der Felfenböhle zurüd mit
Minga, bie wir ihr eine bequemere Bahn gemacht und eine
Wohnung droben eingerichtet halten. Lemelie ftellte ſich
trank an, ale wir eine kleine Strede geftiegen waren, und
fagte: er konne Heute nicht weiter klettern, weil ihm ſchwind⸗
lich werde. Als wir aber die Reife feinetwegen aufſchieben
wollten, und verſicherten: wir würden ohne ihn feinen Schritt
weiter thun, ließ er es fih gefallen und fagte: Ehen fo gut
heute als morgen, wenn c& doch fein muß.
Man fann aber mitunter auch einem Echelmen Unrecht
thun, und das war heute der Fall, denn er befand ſich wirt»
Ic nicht wohl, und als wir bei der großen Kluft fanden,
"worüber er ſpringen follte, erblaßte er, und wäre ohne Imeie
fel in den Abgrund geftürzt, hätte ich ihm nicht an den Arm
gegriffen. Er fiel in Ohnmacht, wir trugen ihm abfeits in
Schatten und rieben ihm die Schläfe mit Brantwein. Er
zitterte Über den ganzen Leib, biß die Zähne zufammen,
Schaum ftand ihm vor dem Munde und ein kalter Schweiß
bededte feine Stirn.
144 Die Infel
Ms er wieder die Augen aufſchlag ſtarrte er mich an
und ſprach beifer: Das war nicht hübfh von Euch geiban
WMonſieur Julius, midy gerade vor die Höllenthär' zu füh-
ren, bevor ich gebeihtet hatte. Wenn id nun hinunter ger
fallen wäre? Kein Erbarmen wäre jenfeits zu hoffen. Denn
ich fah ſchou den Teufel drunten, ganz raub und ſchwarz
wie ein ungeheurer Affe, mit Ölutaugen und · ſcharfen Kral-
len an den Fingern, nady mir greifen. Drunten wimmelte
es von Beinen, ekeligen böfen Geiftern, wie in einem Schlan-
genneſte. Die Marterkammer öffnete ſich fhon, und ich fah
deutlich die Folterbant zubereitet, worauf ih Eünden bes
kennen folte, von denen ic) nichts weiß. denn ih bin fo
unfhuldig wie ein neugebornes Kind.
Herr Zemelie, antwortete ich, Ihr ſprecht noch im Fie⸗
ber. Ih habe Euch fein Leides gethan, vielmehr babe ih
Euch das Leben gerettet. — Ach, das ift wahr, fagte er,
fid) die Stirne reibend. Iept befinwe ich mich. „Ihr grifit
mid, beim Arme, als mir ſchwindelte. Jeht ift mir wieder
wohl. IH babe die Schwachheit. mitunter (hmindlig zu
werden. Dann fafele ih und ſpreche das dümmſte Zeug,
ganz gegen meine eigene Ueberzeugung. Sobald id vom
Teufel ſpreche, Könnt Ihr immer gewiß fein. dag ic krant
din. Im gefunden Zuftande denke ih nie an fo etwas Un⸗
verfländiges. Laßt mich aber hier bleiben und mid, erho⸗
den; Ueber die Kluft foringe ich nit; denn da üf es nicht
gebeuer. >
Ban Leuven und ic) beratbſchlagten uns, mas wir mit
ibm machen ſollten. Einem folden durchaus verdorbenen
Menſchen, forad ich, ift nicht zu trauen. Vielleicht fagt er
nur als das, um, wenn wir ihn verlaffen, binunter zu
Goncordia zu laufen. Beſſer gehen wir zwei gleih hinun-
Die Infel. 4185
ter, einige Breiter und ein Zau zu holen. Bir mäflen ja
doch an diefem Orte Eoncordien eine Brüde bauen.
“ Gefagt, gethan! und al das Breit über dem Abgrund
lag, als van Zeuven an der einen umd ic) an der andern
Eeite des Abgrundes das Tau hielten, wagte fih endlich
Lemelie ſchwankend in ſichtbarer Todesangſt hinüber. —
Bir mwunderten uns, daß einem erfahrenen Seemanne fo
ſchwindlich fein könne. Unfere Muthmaßung ward aber
immer mehr und mehr beftärkt,. daß er nur ein Abenteu⸗
rer ſei, der das eigentliche Seeweſen nie recht gründlich ge⸗
trieben hatte.
Ban Leuven freute ſich eben fo fehr mie ic, das fhöne
Eiland zu entdeden. Eogar in Lemelie erregte der Anblic
der blühenden Natur eine angenehme Empfindung, Seine
Sinnlichteit fühlte ſich geſchmeichelt in der behaglihen Um-
gebung, die ihm in der Zukunft größere Bequemlichkeit ver-
ſprach.
Concordia zeigte ſich beim Hinaufſteigen weit raſcher
und dreiſter, als ich erwartet hatte. Die Sehnſucht, bald
die (höne Inſel zu ſehen, verdrängte alle Furcht; wie eine
leichte Nymphe ſchwebte fie über die Klüfte, und ale fie
nun droben im Grünen fand, unter den Bäumen, unter
den Blymen, da fniete fie bin und firedte die ſchönen Hände
gen Himmel, und wir mit ihr, und ic fimmte an: "
Auf den Rebel folgt Dit Eonne,
Auf dad Trauern Freud’ und Bonn,
Wuf die ſchwere bitt're,Pein
Stent fich Zrof und Sabfal ein,
Meine Eeele, die zuvor
anf bis 1u dem Höllenthor,
Steige nun dis zum Dimmelchor!
Oehlenſ. Schriften. XVII. 10
146 Die Intl, [
Ich hatte mein Gefangbuc in der Taſche, ſchlug das
Lied auf und reichte es van Lenven und Concordien. Sie
batten ſcon öfter deutſche geiſtliche Lieder mit mir gefün-
sen, und die fremde Ausſorache machte ihre Aundacht noch
‚ vührender. Nur Semelie fang nicht mit. Ihr feid Ketzer,
pflegte er bei folder Gelegenheit zu fagen, ich als guter
Katholik muß meine Andacht abgefondert von Euch halten.
Darauf ging er fort mit der Branntweinflafhe, und ich
zweifle nicht, daß er fehr eifrig auf feine Weife gebetet habe,
denn als er wieder zurüdtam, waren ihm die Augen rot,
und die Flaſche war Ieer.
Mit den ſchwerſten Rechnungen, wenn fie auch noch fo
fehr in die Brüche gehen, kann ic) fertig werden, fagte van
Leuven, da muß das Facit richtig werden; die Menſchen da»
ven mir aber immer eine ſchwierige Aufgabe, befonders dic»
fer Lemelie; denn das ift ein Bruch, der weder Zähler noch
Nenner hat. Mit dem bloßen Berftande, Herr van Lenven,
antwortete id), beurtgeilt man feinen Gharakter. Ihr feid
älter und habt genig mehr Scharffinn als ich; Ihr fheint
Euch aber mit Euren Wiſſenſchaften, mit Eurer Mathema-
tie und Aftronomie fo eifrig abgegeben zu haben, daß Ihr
die übrige Welt darüber vergeflen habt. Und jetzt find wir
ja aud) von diefer mittelmäßigen Welt getrennt; ein Engel
bat Euch begleitet, nach Elpſſum feid Ipr mit ihm verfcht,
mozu denn jeßt jene viel gepriefene Menfchentenntnig? —
Allein Lemelic! verfete van Leuven, auf ihn möchte ich
mic) doch gern verſtehen. — MWäret Ihr in Eurer Jugend
nicht fo glüdlih und wohlhabend gewefen, erwiederte ich,
nit nad) einer Schnur erzogen, hättet Ihr nicht. immer
brave tugeudhafte Leute um Euch gehabt, die vernünftig
bandelten, fo würde Euch die Nothwendigteit wohl gelehrt
- Die Infel. 147
haben, Euch auf ſolche Käuze, wie der Lemelie, zu verfte-
ben. Bollun-ohne Herz macht immer graufam. Böfe Men-
ſchen ohne Gewiſſen müſſen ſich aud die Gottheit bochaft
und grauſam denken. Darum färdfet er Bott, ohne ſich
im beſſern. Darum find Aberglaube und Unglenbe lächer-
lich bei Ihm gepaart.‘ Alle erhabene Gerüßle, tröftende te»
Higtöft Vorſteüungen, Kunſt. Poefle, Tugend und Grogmurh
verachtet er als Schwaͤrmereien. Sein Geift, der am Grod⸗
Irdiſchen klebt, Fann fih nie vom Staube losreigen; daher
ſchreiden ſich die Schrecbilder des plumpeften Matertafis-
mus, wenn er zu fterben fürchte. Wenn aber die Angſt
vorüber if, ſpielen Eitelkeit und Stolz wieder ihre_ alten
Rollen, unterftüpt von der Rüge, und der ſchwache knechti⸗
ſche Geift in feiner Dummheit waͤhnt, er fei ein Freigeiſt:
weil er nicht weiß, dag nur in Gott allein die Freiheit au
ſuchen iſt
Iept verſteh' ih mich fo gut auf Lemelie, wie auf den
pythageraiſchen Lehrfag, rief van Leuven. Eo, lieber Ar
dert, wollen wir off mit einander ſprechen. Ihr folkt mich,
die Weltfenntnig, und id) will Euch Mathematik und Aftro-
nomie Ichren. Ein gutes Fernrohr haben wir gerettet. Ad,
das ift fhön, Here van Leuven, rief ich Das wollen wir.
— Nenne mich nicht mehr Herr van Leuven, nenne mid
Du, ſprach er freundlich, und reichte mir die Hand. Das
Shidfal bat uns zu Brüdern gemacht. Ziemt es ſich noch
für ums, ſolche fremde Redensarten zu gebrauchen? — Ay,
ſprach ich ich wollte gern, — aber ich ſchaͤne mich — gebt
das an? Und mas wird Eure Frau Gemahlin dazu fagen?
Sollten wir fie nicht erſt fragen? — Naͤrriſcher Aldert!
rief van Leuven, eben ſprachſt Du fo vernünftig, und jeht
ſprichſt Du fo albernes Zeug. Da haben ar wieder den
148 Die Infel,
Widerſpruch des Meunſchlichen. IA frage Dich noch einmal,
willſt Du mein Freund fein oder nicht? — Nun ja denn!
Dein Freund bie in den Tod, rief ic, und drückte den vor
trefflichen Mann an meine Bruft,
Bir Hatten vollauf zu hun, unfere Wirthſchaft auf
der Infel einzurichten. Die Sommerfaube, war bald gerei-
nigt und ausgelüftet. Unter-der locern Erdlage, die ſich
von faulen Blättern in vielen Iahren gebildet hatte, fan-
den wir einen trefflihen Eſtrich von Sand und Thon, der
ſich ganz troden hielt. Als die Wände glatt befänitten,
die Fenfterlöcher darin gemacht waren, konnte ih Concor⸗
dien nicht davon abhalten, diefe Laube zu ihrem Schlafzim-⸗
mer zu wählen. Mit allen Euren übrigen Einrichtungen,
lieber Albert, ſprach fie, bin ic fehr zufrieden, aber in's
Vogelneft, in den Baum, mag id nicht alle Abende bin-
aufffettern, wenn ſich eine fhöne Wohnung ganz von felbft
darbietet. Eure Sorge wegen der Luft ift Übertrieben. Der
Steintohlendampf in London ift oft ärger. Was fagt Ihr
dazu, mein Gemahl? Ach, verfeßte van Leuven, gebe Gott,
daß mir immer in Holand und Antwerpen eine folhe Luft
gehabt hätten. — Nun, rief Concordia lachend, fo .mag
Herr Albert als Sachſe, der auf der Wartburg und am
Tpüringerfelfen beim Nitter Knaufdegen feine „Zunge ver-
möhnt hat, (des Dachzimmers beim Küfter, mo er das Cie-
bengeftien durch's Loch feben Eonnte, nicht zu vergeffen,) im
Baume lange genug frifchere Luft ſchöpfen. Wir Eheleute
und Minga bleiben hier; denn eine Meine Vorſtube wird
ſich leicht machen laffen. — Ab, Frau, antwortete die
Schwarze, wo Gras und Erde ift, da iſt Bett für Minga
und für den Meinen Beautiful.
So richteten wir uns denn ein, fo gut wir Fonnten
Die Jufel 19
und mochten, und weil weiter für ihm nichts zu wählen
mar, mußte Zemelie aud) in einen Baum hinauf. Goncor-
dia und Minga fingen gleid an, den alten Garten zu bes
arbeiten. Wir Männer hatten mehrere Tage volauf zu
ıhum, alle Sachen aus der Steinpöhle über den Fels auf
die Infel hinauf zu bringen. Hier halfen uns nun var
Leuven’s Kenntniffe in der Mechanit, wodurch er uns die
Arbeit fer erkeihterte und beinahe das Unmögliche mög-
lich madıte.
Als wir damit fertig waren, haften wir beinahe nichts
zu hun Jagd und Fiſcherei fofteten uns im Anfange gar
feine Mühe. Die Thiere lichen ſich ſchiehen, die Fiſche fan«
gen ohne Schwierigkeit. Und io ift der Menſch! Was er
gar zu leicht Hat, achtet er nicht; die Jagd Hatte für ung
ihren Netz verloren, weil dabei nichts zu wagen war, meil
fie feine Anftrengung koſtete. Cs koſtete van Leuven und
mir große Ueberwindung, die unſchuldigen Thiere zu töd⸗
ten, die uns forglos entgegen kamen.
Doch das dauerte nicht lange. Die Thiere lernen bald
die Menſchen kennen, wo fie ſich treffen. Bald entflohen
Bögel und Wildpret, wenn fie where blanten Flinten ſa⸗
ben, und wir hatten Unterhaltung‘ grnng.
Waren van Leuven und ich ganz Jäger und Baumei-
fter, Concordia gang Gärtnerin und Fiſcherin, fo war wie⸗
der Lemelie ganz Koch. und Minge mußte ihm in der
Kühe Hülfe leiten. Es mar nicht zu läugnen, die Mahl«
zeiten, die er uns oft darch feine Reden verbikterte, wußte
er durch die Zubereitung lecerhaft zu würzen. Wein und
Branntwein haften wir nicht viel mehr, der Palmenfaft
mit Waſſer gemiſcht gewährte ung aber ein fehr angeneh ⸗
mes Getränf. Unfer Zwiebact wurde wie ein föftlihes
150° Die Infel.
Bacwert nur ſparſam zum Nachtiſch genoſſen. Der Brot-
baum war aber auf einmal unfer Adermann, Mäler und
Bäder, und wir brauchten nur die Haͤnde auszuftreden, um
das liebe Brod zu haben, darum fi) Die lieben Europäer
im Schweiße ihres Angeſichts bemühen. Lemelie, der vor-
ber biaß und mager war, fing jept an, fett und rot im
Geſichte zu werden. Er machte fih feine Bewegung, auf
die Jagd mochte er nicht gehen: wenn er, in-der Küche fer-
tig war, lag er den ganzen Tag auf feiner Matrage, lim.
verte auf feiner Laute, die. er gerettet hatte, und wollte
Contordia jhn nicht giftig machen, fo mußte fie ihm wenig ⸗
Mens eine Stunde täglich bei der Handarbeit zuhören.
Zeit genug hätte id nun gehabt, mit der ſchönen Frau
den Shakespeare zu leſen. Ein Paar Bände waren auch
von dem Wrack gerettet, wir konnten fie aber nachher gar,
sicht in den Steinhoͤblen finden. Wahrſchheinlich batte Les
melie die Bücher vernichtet, weil er nicht leiden mochte, daß
’ Concordia und id; zufammen Darin fafen. Eine deutſche
und eine engliſche Bibel, woran er ſich vermuthlih nicht zu
vergreifen wagte, hatten wir doch noch. Auch van Leuven
rettete einige wiſſenſchaftliche Werte. Nun las id alle
Tage mit Concordia in der engliſchen Bibel, wodurch der
Unterricht mir ſehr erleichtert wurde, weil ih beinahe meine
deutſche Bibel auswendig. mußte. Es freute mid fehr, die
wohlbetannten Sachen in einer fremden Sprache erzäplt
und ausgeſprochen zu hören, wodurch fie den Reiz der Neu⸗
beit gewannen.
-Der Greisinder Höhle. 16
18.
Der Greis in der Höhle.
Beil id) einmal der Entdeder geworden war, fo ber
omägte ich mich nicht damit, allein in unferer Gegend zu
bleiben, fondern ftreifte weit umber auf der Infel. Ueberal
tab ich fruchtbare Thäler, fhöne Bälter. Ein größerer
und kleinerer Flug bildeten niedliche Seen und durchfloſſen
das Eiland. Der große Fluß verlor fi in die Bergklüfte,
woher, wir gelommen waren, und ic entdeckte fhäter, dag
er drunten den Waſſerfall bilde, der ung in: den erften Zar
gem das Leben gerettet hatte.
Mitten auf der Infel fing es wieder an, bügelicht zu
werben. Eine fhöne Anhöhe zog befonders meine Aufmert⸗
famteit auf fih. Ich hätte fie leicht von einer entgegenge-
fepten Seite erſteigen können, weil ich mid) aber einmal an
das Klettern gewöhnt hatte, gefiel es mir mehr, die ſchroffe
Bandfeite binaufzufteigen, weil diefer Weg viel fürzer war.
Die fteinerne Band war mit Moos und Geftrüpp be⸗
wachſen. Kaum hatte ich einige Schritte gethan, fo fiel ic,
ſtürzte in ein Loc) hinein, und befand mic) in einer finftern
Höhle, wo die Luft fo beklommen war, dag ih faſt zu er»
ſticken glaubte. Ich ſchoͤpfte beinahe nicht Athem, bevor ich
füpnel wieder aus dem Loche herauegekrochen war. Daun
lief ich, was ich laufen konnte; es war mir ein Schrecen
in's Blut gekommen; nicht blos der verpefteten Luft wegen,
fendern teil es mir vorgefommen mar, als hätte ich einen
132 Der Greis in der Höhle.
alten Mann mit langem Barte im Hintergrunde der Höhle
an einem Tifhe fipen geſehen.
Im Freien ſchoͤpfte ich mieder Athem; trank Bafler
-aus der Quelle die aus dem Steine herausflog, und mußte
über meine eigenen Einbildungen laden. ie könnte ein
Menſch wohl in einer ſolchen verſchloſſenen Höhle voll erftis
Gender Luft wohnen? — Das ift die alte Geſchichte von
Barthel im Beinteler, dachte ich, die Dir im Kopfe fpuft.
Das Maͤhrchen von Kaifer Friedrich, deflen rother Bart
durch den fleinernen Tiſch gewachſen war.
Id) defümmerte mic) nicht weiter darum und blieb die
Nacıt oben auf der Anhöhe, wo id guten trednen fteiner-
nen Grund fand, worauf ih in meinem mitgenommenen
Mantel gewickelt ſchlafen Connte, ohne von den Dünften des
Tpales zu leiden. — Was mir diefe Nacht begegnete, will
ich Euch ganz erzählen. Wahrſcheinlich war es ein bloger
Traum; denn es ift nicht zum erften Male, dag ih was
hend träumte, an demfelben Orte befindlich, mo id wirt⸗
lich war, und font alle Begenftände wohl erfennend.
Es dauchte mid, ale hörte ich unter der Erde, drun⸗
tem im Hügel, worauf ich ſchlief, ein Gepolter, als ob Je⸗
mand vom Stuhle aufftchend, einen ſchweren Tiſch von Ah
ſchobe. Darauf lieg ſich ein Seufzen vernehmen, wie von
einem Tiefbetrübten. Eine tiefe Bapftimme las darauf las
teiniſche Gebete: dann börte ih deutlich Jemanden Feuer
flogen, worauf Alles eine. kurze Weile fille ward. Ich
richtete mid) von meiner Sclafftelle auf und ſah erſchro⸗
den gerade vor mid) bin, denn ich glaubte, leiſe langſame
Shritte zu vernehmen. Erſt fah ih nur einen kleinen ro
tben Stern. Is der Stern näher kam, war es das Licht
+ einer großen Lampe mit vier Dochten, wie fie oft in den
Der Greis in. der Höble 153
Schiffelater nen zu brennen pflegen. Die Lampe mard von
einer alten runzlichten Knochenhand getragen, und dahinter
ſah ic) einen fangen hagern Greis auf mid zu wandeln.
Sein grauer Bart reichte ihm bis zum Nabel, Sein Rot
mar von roben Thierfelen, und eine ähnliche Müpe bedecte
den Kopf. Sein Geſicht war ernſt und traurig, das Alter -
batte es mit Runzeln durdpflägt. Diefes Schrecbild bes
trachtete mic) lange ſchweigend. Bann ſprach es:
Leiptfinniger Knabe! Dieſe Höhle willſt Du wieder
verlaffen, woran id) fo viele Jahre hindurch fleißig arbeis
tete, bis fie zu meiner: Bequemlichkeit taugie. Meint Du
etwa, das Verhängnig habe Dich zufällig in jenen Graben
binunter geftoßen? Mein, keinesweges! Weil ih aber mit
eigenen Händen mehrere Chriftenbrüder hier auf der Infel
begraben. habe, ziemt es Dir aud, mir diefen Liebesdienſt
zu erweifen. Fürchte Dich niht! Oeffne meine Wohnung.
Hüte Dich aber, hinein zu gehen, ehe Du mit Ehiegpulver
und. Rauchwert die Luft gereinigt baft. - Deine Mühe wird
Dir reichlich belohnt werden; und cin in Gott verftorhener
Chriſt dankt Dir, dag Du ihm die Gratesrube gönnft.
Mif diefen Worten verfhwand die Erſcheinung, oder
id) erwachte vollends aus meinem Traume; in meichem Bu
ftande, konnt Ihr felber denten.
As ih zu meinen Gefährten zurädfam, und ihnen
mein Abenteuer erzählte, wurden van Leuven und ich darin
einig, daß wir naͤchſtens hingehen wollten, die Höhle zu uns
terſuchen. Nur Lemelie ſprach viel dagegen. Laßt die Tod»
ten ruhen, wo fie liegen. Bas wollt Ihr im dunteln
Schooge der Erde wählen? Da kommt Ihr doch früh ge-
mug bin. Vieleicht fpuft in der Gruft ein verdammter
Geiſt. wenigſtens eine im Fegfeuer leidende Seele, weil
14 Der Greisinder Höhle.
feine Seelenmellen über ſie geſungen find. Und kdant Ihr
das als Keper thun? Bas hilft dann alles Aufwühlen?
Menſchen fürdte ich nit; mit den unfihtbaren Maͤchten
mag ich aber nichts zu ſchaffen daben.
Bielleiht, ſyrach Concordia mit Nahdrud, ängfleten
Euch die unfihtbaren Mächte weniger, wenn Ihr Euch vor
Menſchen mehr fürchtetet. — Bir liegen den albernen
Zropf ihmwagen; doch die fonft fo fanfte, beſcheidene Gon-
serdia hörte nicht auf, ibm mit Spott zu verfolgen, bis er
mitging. — Ihr ſprecht immer fo viel von Eurem Mutpe.
Hert Lemelie, ſprach Ne, ich fürdte aber, er iſt nie weit
ber. Beil es Euch einmal gelungen if, einen glädlichen
ESchut auf Leute zu machen die zu entfernt waren, um fi
vertheidigen zu können, ift Euer Heldenmuth noch nicht ab»
gemacht. Wollt Ihr für einen Mann gelten. fo folgt ven
Männern, und laßt uns Beiber allein in der Rüde. Bir
brauchen Eurer Hülfe nicht meht. Wahrhaftig man ſollte
glauben, Ihr wäret vorher ein Koch geweſen. Folgt den
Männern, ſag' ic, rührt Euch und arbeitet. Ihr fipt bier
in der Hütte, klimpert auf der Laute, faullenzt und werdet
fett und unverfhämt vor lauter Trägheit. — Im faulen
Holze niften die Giftſchlangen fagte Minge. "
Es wunderte ung Andere, die fromme Concordia fo
reden zu hören; allein ihre Wangen brannten von edlem
Borne, und fie hatte wohl ihre Urſachen. Lemelie erblaßte,
wie er immer that, wenn er böfe ward, faßte fih aber
oleich und ſprach laͤhelnd: Cine ſchöne Frau kann einen
Gavalier nicht beleidigen. Ienen wichtigen Kanonenſchußz
der Euch Lehen und Ehre rettete, folltet Ihr doch nicht ver⸗
böbnen. Bas der Eindifhe Spott über meine Geſchitlich⸗
keit, Speiſen zu bereiten, beftifit, fo kann ich ſolches beia-
Der Greis in der Höhle, 155
en: Ein franzöfifiher Soldat, ſelbſt vom älteſten adlihen
Geſchlechte, legt ſich in feiner Jugend immer etwas auf die
Kochtunſt, um nicht, wenn er in barbariihen Ländern can
tonnirt, wo die Leute nicht kochen Fönnen, zu verbungern.
Und. diefe Fertigkeit kann ein Seemann, der alle Tage
Mangel und Noth entgegen gebt, noch weniger eutbehren.
Wout Ihr lieber das Fleiſch künftig rob oder verfoplt eflen? .
Meinetwegen! Wollt Ihr Eure (hönen Hände am Kücen-
fewer verderben? Sollen die niedlichen Finger bald wie Pe-
terfilienwurzeln und gelbe Nüben ausfehen? Meinetivegen |
Folgt den Männern, rief Concordia, und kümmert Euch
nicht um meine Finger. Eure Furcht vor Gewittern und
Gefvenftern zeigt ein böfes Gewiſſen — Gewiſſen? wie-
derbolte Lemelie; mit dieſen Worten verbinden die Menſchen
nur einen borairten Begrif IA geftche, ich liche nur
Schones, und mag mit dem. Efligen nichts zu thun haben.
Iudeg, damit Ihr mic feine Memme ſchelten follt, will ich
Diesmal witgehen.
Alſo machten wir uns auf den Weg nad) der Höhle.
Rauchwert, Sciegpulver, Spaten, Haken und ein Städ
Segeltuch hatten wir mitgenommen. Wir fanden droben
auf dem Hügel ein rundes Loch durd den Stein gehauen,
von Gebüſch Hededt; unweit der Stelle, 'we id die Nacht
weidlafen batte. Ob es ein Fenſter oder ein Schoruſtein
geweſen, mußten wir nit zu unterfbeiden. Den Eingang
au der Höhle, wo id) bineingefallen mar, öffneten wir leicht.
Darauf liegen wir-ein Licht oben durch's Loch in die Höhle
gleiten. Dieſes konnten wir durch die geöffnete Thüre deut«
Kid) im Hintergrunde brennen fehen, bis es doch bald er»
loſch· Lemelie glaubte hier wieder Gefpenkerumtriebe zu
wistern. Ban Zeuven. verfiherte aber. es komme nur vom
156 Der Greis im der Höhle.
fohlenfauren Bas und "Mangel an Lebeneluft im lang
verſchloſſenen Raume. Gut, ſprach er, daß ſich unfer Ar
bert nicht tiefer hineingemagt, fonft wäre er faum lebendig
zurüßgefommen. — : Und doc wollt Ihr mich in dieſes
Zeufelsneft bineinjagen? frug Lemelie. Die Luft drinnen,
antwortete van Leuven, Tann leicht gereinigt werden. Der
Eingang und das Fenfter find jept offen. - Der Zugwind
bat freien Spielraum. Wir mollen etwas Pulver hinunter
werfen und abbrennen, wollen tüdıtig mit Effig räudern,
und den Keller einige Tage offen ſtehen laflen. Dann prä-
‚, fen wir es wieder mit dem Lite; wo ein Licht Mar bren⸗
“nen kann, da kann eine Menſchenbruſt auch gefund athmen.
- Bas van Leuven vorausgefagt hatte, geſchah. Zuleßt
konnte das Licht fehr gut brennen. Bir liegen eine große
Lampe hinunter, und als diefe ganz heiter die Felſenwaͤnde
erleuchtete; faßte Lemelie plöpfih Muth, ‚und um den legs
ten Zweifel gegen feine Tapferkeit wegzuräumen, wollte er
fogar vorangeben. Kaum war er aber drinnen, fo ſchrie
er: Iefus Maria! und fürzte mie Ichlos zu Boden. Was
ift das? ſprach van Lenven, mich bedenklid) anfehend; iſt
die Luft drinnen noch fo verpeftet? Habe ich unfpuldiger-
weife den böfen Menfhen aus der Belt fortgeſchafft? —
Bas fünnen wir dafür, antwortete ih. Es war ja fein
eigener Bille; wäre nit er, fo wäre einer von und voran
gegangen. Ad, mein theurer Freund, rief van Leuven, und
umarmte mic, hier erfenne ich Gottes Finger. — Bir ent
fernten uns etwas. Lemelie zu retten, der tief in der Höhle
lag, war unmöglich, wir konnten, uns auch bineinmagend,
nur fein Cchidfal teilen. 5
Wir liegen uns anf gmei. entfernte Steinbloͤte nieder,
athmeten tief, fahen einander ſchweigend an,. und wollten
Der Greis in der Höhle. 157
ung nicht felber geftehen, daß ung der Tod eines Menſchen
nicht fehr.beträbe, deifen Bosheit unferm eigenen Leben alle
Tage mit Verderben drohe.
Ich machte mir innerlich Vorwürfe, folde Gedanken
zu begen; bald hatten wir uns aber gar nichts vorzumer-
fen, denn Lemelie kam unerwartet leichenblaß und zerftärt
zuräd. Id date, er würde van Lruven mit Schmähun-
gen überfalen, dag er ihn in die mephitifhe Luft Hineinge-
lockt Habe; der ehrliche Niederländer wolite ſich ſchon redht-
fertigen, allein von erſticender Luft war die Rede gar nicht;
die Lampe brannte drinnen noch lichterloh — Barum.
feid Ipr denn aber in Ohnmacht gefallen? fragten wir. —
Beil mir aud das Schredti erſchienen if, fagte er. Bei
meiner Ehre und den Anfechtungen des heiligen Antonius,
idy habe den Alten mit dem Langen Barte auch gefeben.
Er ſaß an dem fteinernen Tiſche und ftarrte mid) mit hob ·
len Augen an. — Nichts weiter? ſprach van Leuven ruhig;
dann wollen ich und Albert gleich hineingehen und die Ent»
decungen fortfegen. J
Bir gingen hinein, ic nicht ganz obne Grauen. Kaum
hatten mir einige Schritte gethan, fo faben wir die näm-
liche Erſcheinung. Im Binkel, rechter Hand. faß ein alter
Mann grade fo, wie ich ihm verwichene Nacht gefchen, auf
einem fleinernen Seflel, als ob er fhliefe, das Haupt hatte
er auf den einen Arm, der auf dem Tiſche ruhte, geftüßt.
eine rechte Hand lag ausgeftredt. An der Wand neben
ihm ding eine vieredige Lampe; auf dem Tiſche fanden ct-
Hide Epeifen und Zrinfgefhirre. Der rofige Feuerſtahl im
hölzernen Kafen entging nicht meiner Aufmerkfamfeit. Bald
entdedten wir nun, daß wir einen verdorrten Leihnam vor
uns hatten. . Auf dem Tiſche unter” feiner rechten Hand,
188 Der Greis in der Höhle,
worin noch ein eiferner Griffel Redte, lag ein ausgchäm-
merter zinmerner Teer, worin folgende Zeilen in lateini-
ſcher Sprache eingegraben waren:
Fremder, wer Du auch feift, wenn Dich der Zufall in
meine Behaufung führt, fo erftaune nicht gar zu feht Über
den unvermutbeten Anblick meines Berippes, fondern ges
denke, dag Du nah dem Zall unferer erften Eltern dem-
felben Schickſal unterworfen biſt. Laß die Ueberrefte eines
ehrlichen Spaniers nicht unbegraben liegen. Einem Chris
ften, wo Du anders ein Ehrift, wenigftens ein Menſch biſt.
gebührt es, einen Ehriften chrlih zur Erde zu beftatten.
Du wirft für Deine geringe Arbeit einen reihen Lohn ern-
ten; denn in meiner Höhle finden Du Schaͤte, die Dich
reich machen Fönnen. Bir Du aber, wie id, gezwungen,
in diefer Einfamteit zu verbleiben, fo werden Dir doch ei»
nige merfwürdige Schriften, die in meinem fteinernen Stuble
verborgen find, erforderlich und nuͤßlich fein. Lebe wohl,
antommender Freund! Der Himmel made Dich glüdticher,
als mic, obſchon ich mich nie ganz unglüclich fühlte. IA
bin geboren: den 20. Auguft im Jahre 4498, und fam auf
diefe Infel den 14. November 1530. I fühle, daß ich
Alters halber bald fterben werde, obwohl ih weder vom
Krankheit noch von Schmerzen leide. — Ich lebe noch im
Jahre 1613, bin aber dem Tode fehr nahe, den 28., 20,
30. Iunius, Noch den 1. Julius, 2. 3, 4. —
Bir wollten den Leichnam nad dem Wunſche des Ein-
ſiedlers, gleich begraben. Ich fhlug aber vor, Concordien
erft zu holen, um ihr diefen feltfamen Anblick zu gönnen.
— Bas Anblid? rief Lemelie, wie kann eine zarte, fein⸗
füglende Frau Vergnügen an ſolchem Gräuel finden?
Der Hriklihe Greis hat ſich eim chriliches Wegrätnig
Der Greis in der Höhle. 159
grwänflit, eriwviederte van Leuven, das wollen wir ihm nicht
verfagen. — Und wenn er nun verlangt hätte, Ihr ſolltet
ihn in Ambra und Myrrhen balfamiren- und nad Spanien
fenden, wolltet Ihr das au, ohne Spejereien und Schiff,
than? fragte Zemelie höhniſch. Bergebt, dag ich grade vom
der Leber weg ſpreche; Ihr zwingt mid dazu! Wie könnt
Ihr dem fireng katheliſchen Spanier ein chriſtliches Begraͤb⸗
niß geben, da Ihr felber Keher feid, die — feiner Meinung
nad) — ewig verdammt werden?
Sein langer Aufenthalt in der Einſamkeit und der
Natur, antivortete van Leuven, wird ihm, wenn er auch
vorher die Vorurthrile feiner Zeit, feiner Umgebungen theilte,
nady und nad) zurüd zu Jeſu wahrer, menfhenliebender
Lehre, ohne Haß, pharifäifgen Stolz und Dünfel geführt
haben. —
Concordia und Minga famen nun aud, den am Tiſche
figenden Leichnam zu fehen, ehe wir ihm begruben. Bei die-
fer Gelegenheit offenbarte ſich wieder recht ein wahrer Zug
Lemelieſcher Bosheit. Gemcordias Ankunft milderte feinen
Ingrimm nicht, fondern vertärkte ihn vielmehr, weit Re ihn
auch Bürzli mit Verachtung von ſich gewieſen hatte. Das
mußte nun der Beine Beautieul entgelten, der mitgelaufen
mar, und nad Hundeart zu beufen und bellen anfing, ale
er die fremde Geſtalt in der Höhle fab. Lemelie, der nur
auf eine Gelegenheit lauerte, um Concordia zu kraͤnken,
ftieß dem armen Thiere mit dem Buße fo ſtark in die Wei⸗
den, dag ihm das Eingeweide aus dem Leibe heraus fiel
umd rief dabei: Verfluchte Beſtie, wagt Du auch noch mit
unverfchämtern Bellen die Brabesrube diefes feligen Geiſtes
iu Rören?
Nein, Beftie, rief van Leuven und padte ihn mit ſtar⸗
160 Der Greis in der Höhle
fer Fauſt an der Bruft; das Heine Thier war unſchuldig
allein Du bift ärger, als ein müthendes Thier. Einmal
baft Du mid fon vergiften wollen; meine Frau wilt Du
verführen! Unfer armes Leben verbittertt Du täglih mit
Bosheit und Tüde. Hebe Did weg von uns, Satan! Bir
hätten Did) drunten am der Klivpe follen ſchmachten laffen;
das wollten wir aber nicht. . Und Du ſollſt au jept noch
nichts verlieren, wit wollen redlich mit Dir tpeilen. Aber
als Kain ſollſt Du aus unferm Eden vermiefen fein. Noch
haft Du nicht Abel ermordet. Stiche weit von uns nacı
entfernten Gegenden. Bir werden Dir das Nöthige zu be⸗
fimmter Zeit nad beftimmten Orten binbringen, aber ft-
ben wollen wir Did nimmermehr.
Um Gotteswillen, Herr-van Leuven, rief Lemelie der
mäthig und kleinlaut, feid doch nicht fo graufam, und ver⸗
ftopt nicht einen armen Mann, nachdem er fhon Shit
Eigentum, Maunſchaft und Alles verloren hat. Ich ſchwoöre
Euch zu, Ihr tbut mir das größte Unrecht; nie babe ich
daran gedacht Euch zu ſchaden. Ich Habe ja ſelbſt damals
das für Euch eingeſchenkte Glas ausgeleert. — Nachdem
es Dein Konftable zuerft ausgewechſelt hatte, rief van Leu⸗
ven. — Habt Ihr das gefehen? fragie Lemelie; könnt Ihr
vor Gott und Eurem Gewiſſen Euren Eid darauf aulegen,
daß dem fo wäre? — Ban Leuven ſchwieg. — Ihr ver-
muthet «6 alfo nur, weil Eure Frau einen tollen Traum
batte. Zweimal. niht-im Traume, babe id Euch wirlich
das Leben gerettet; erft gegen die Corfaren, dann im klei⸗
nen Boote, als das Shit ſcheiterte. Und was habe ich
Euch nachher getban? Bin id mitunter etwas ärgerlich
und ungeduldig, mas man einem Manne in meinem Zus
Rande zu gute halten muß — fo hat es mir ja immer nadı-
Der Greis in der Höhle. 161
ber Leid getkan. Ih Habe mid in alle Eure Einrichtun⸗
gen und Launen gefügt. Es thut mir herzlich leid, daß ich
den Meinen Beautiful getödtet. habe, der uns die fhöne
Quelle eutdedte, aber «6 geſchah im Unwillen, als der Kopf
wir nit recht fand. Allein es wäre doch gar zu Bart, cie
- nen Hundemord mit einem Menfchenmorde zu rähen! Und
vergehen muß id, wenn id) verlaflen den Trübfeligkeiten
diefer Infel allein ausgefeßt werde. Ihr thut alfo Unrecht
daran, Euren Unmwillen gegen mid) auszulaflen. Denn dag
Ihr jept nur Gelegenheit zum Sttelte ſuchen folltet, und,
mid; wegjagen, blos, um den gefundenen Schah allein für
Euch zu behalten, kann ih unmöglid) glauben.
So bleibe denn, Berräther, rief van Lenven, ihn un.
geduldig von ſich wegfoßend: bleibe und finne nur auf un-
fer Aller Verderben.
Lemelie verlor fi in den Wald, ohne ein Wort mehr
zu fagen. Concordia war über den Meinen Beautiful un
troͤſtlich und folgte Minga, die das arme fterbende Thier
auf dem Arme nad) Haufe trug. Ban Leuven und id blie⸗
ben zurüd. Das Grab hatten wir bald gemaht; wir
wollten jept den Leichnam in’s Segeltud) wideln, van Leu⸗
ven fagte ihn an den Schultern, id) an den Beinen. Als
wir ihm aber aber aufheben wollten, fiel er mit Gepraſſel
in einen Klumpen jufammen. Bir erfrafen anfangs et«,
1008, fanden aber bei reiferer Ueberlegung, daß es nicht an-
ders fein Fönne. So begruben wir denn unfern ehrwürdi⸗
gen Vorgänger fo gut, als wir fonnten, am Fluſſe unter
einen großen Baum, ſehten ihm ein Kreuz aufs Grad und
fangen Grabeslieder über ihn.
Sehlenf. Schriften. XVII. 1
162 Der Greis in der Höhle.
Hs der Altvater fo weit in feiner Erzählung vorge
ract war, ſprach er: Nan will ih Euch nicht damit ermů ·
den, die Schäpe aufzuzähfen, die wir in der Höhle Fanden,
welche naher durd reihe Sadumgen vermehrt worden find,
die der Sturm an unfere Küfle geworfen bat, und dur
große, in den Bergen gefundene Göldſtufen, Säge, die
alle Einwohner diefes Eilandes zu reichen Leuten machen
tönnten, wenn fie Luft haben follten, dies Paradies au ver-
taffen, um ſich in Europa anzufiedeln. So viel will ih nur
fagen, daß diefer Fund. den Lemelie auf einige Tage ganz
toß machte. Er verglich fi felder mit dem Tantalus, mit
den Danaiden und dem Promethens, an die Klippe ge-
ſchmiedet. Er klagte das Schickſal an, daß es ihm diefen
Streich nur daram gefpielt, um, wie er fih nach der Koch⸗
tunſt ausdrüdte, einen haut gout auf fein Unglück zu feben.
Ganz Unrecht hatte er freilich nicht; und wenn ich nicht
in Concordia fo platoniſch verliebt geweſen wäre, Hätte ich
vielleicht in feine Klage mit eingeftimmt. © Ieht beſchaͤftigte
ich mid) damit, die Lebensbeſchreibung Don Eyrillo's, dic
wir in feinem fleinernen Stuhle fanden, ans dem Lateini-
ſchen zu überfehen. Sobald die Arbeit ferttg war, las ich
fie meinen Gefährten vor. Ich babe das Manufeript noch
und nun fann mein Eberhard mic) ein wenig ablöfen.
> Der Alte holte die Papiere aus dem Sthranf, reichte
fie Eberharden, und diefer Ins num, wie folgt:
Xebensbefchreibung
des
Don Eyrillo de Balaro.
Glauben wir, wenn wir denn als Ghriften nicht an»
ders können, daß jedes Gefcid bier im Leben uns von der
göttligen Borfehung zugetbeilt werde, um uns zum künfti-
gen Dafein zu bilden, fo follte Billig fein Menſch Hagen;
erwägen wir aber die Schmerzen, den Kummer und die
vielen vereitelten Hoffnungeu mancher unfhuldig Zeidenden,
wer wagt dann, auf feinen Bruder den erften Stein zu
werfen, weil er Magt? Aber in meinem Alter klagt man
nicht mehr; das längft verſchwundene Leben liegt wie ein
balbvergefiener Traum mit feinen Schatten und Irrlictern
weit Kinter mir, und ih erzähle nur diefe Begebenheiten,
um mir ſelbſt während des Schreibens, und vielleiht einem
Nachfolger während des Leſens eine kurze Unterhaltung zu
gewähren. ö
Und darum, mein Freund, wenn Du diefe Blätter in
meinen fleinernen Stußle findet, che fie verwefen, will ich
Deine trübfelige Einfamteit mit trübfeligen Betrachtungen
nicht noch trübfeliger machen; noch, wenn Du vielleicht
olũctich biſt. Dir Anlag geben, die Ungeduld des Greiſes
zu verſhotten; vielmehr will id ſuchen, das an fih Trau⸗
rige mit einer gewifien Heiterkeit vorzuiragen, um feinen
Eindrud gu mildern; auch verſpreche id) Dir, nicht gar zu
meitläufig zu fein, obſchon man fagt, daß dies ein gewöhn-
Hiper Febler des Alters fei.
166 Lehenshefhreibung des
Badrlih, lieber Lefer! wenn id Dir die Ueberſchriften
meiner Lehens-Kapitel voraus fage, glaubſt Du vielleicht eis
nen Scherz zu hören, oder daß ich Dir ein eitel Räthſel zu
löfen gebe. Denn was fagft Du dazu, wenn id) Dir er⸗
zähle, dag mein edler Water nad feinem Tode ſchändlich
bingerichtet ift, dag mein fuldiger Bruder wiflentlih einen
unfeuldigen Selbftmord begangen. Daß id den reichſten
Mann, der je in der Welt lebte, in Armuth habe Rerben
fehen; dag meine Frau alles aufgeopfert und gewagt aus
Biere zu ihrem nicht geliebten Gatien. daß ih einen Voeten
mit einigen Heimen eine Ränberhorde Habe haͤndigen ſeben.
die ein mädgtiger Theft mit feinen Rrirgerhaufen nicht bän-
digen fonnte, und endlich. dag mich das wunderbare Schid-
fal ans einem fünffid, gezwungenen in ein satürliges- frei
winiges Mofter führte.
IM ſtamme aus einem altadlichen wanilchen Geſchlechte
Mein Bater, Dom Diego de Balaro, war Feldoserk im ta⸗
nigligjen Heert, und meine Mutter war eine Donna Blanta
de Cordaa. Obſchon die Geburt awas Sufälliged if, und
der Ertöfer, eben um. dem eitlen Stolz der Denfgen zu beu⸗
gen, ſich in einem elenden Stalle von gemeinen Eltern zur
Belt dringen ließ, freut es mich doch, wenn ich an meine
madern: Vorfahren denke, die recheliche Leute und tapfere
Krieger waren.
Andy freut es mic, rin Spanier zu fein; und das Cie
fuͤbl, fo ich ſchon ale Kind hegte, warm ih die Karte Su ⸗
ropens beirachtete, wo dieſer Weitthell ale eine Zungfrau
dargeſtellt iſt. hege ich noch immer als Greis Deun wahı-
heftig, das Zand Tann war wohl das Haupt nemen, das
ſelbſitandis Für ſich wur Durd den ſtarken Raten Der Py ·
renden zu dem Nüdgrate des übrigen Körpers gefägt if,
|
Don Cvrillo de Valaro. 167
wo ſich Berge, Thaͤler, Fluſſe und Wälder, wie auf dem
menfhligen Haupte Anohen, Fleiſch, Adern und Iodiges
Haar wunderfhön zu einem Ganzen verbinden, und wo ſich
Römer, BeRgothen, Chriften und Mobren wie Gedanken
und Deinungen im meuſchlichen Gebirn lange bekämpft.
beflegt und abenteuerlih gekreuzt baden. Kann num aud
das ſchone Srantreid für den ſchwellenden Bufen der Jung-
frau gelten, wo Leichtilnn und Liebesluſt reizend ihr Spiel
treisen, iſt Italien der geiſtliche und England der weltliche
Ara dieſer Minerva, Deutſchland der Leib, wo ales ver⸗
daut wird, und woraus die Nabrungsfäfte zu den Übrigen
Gliedern geben; und ann man die weniger gefannten und
gebildeten Länder ihre Schleppe nennen, fo iſt und, bleibt
Hispawia doch das Haupt! Und Iammerfhade, dag fih
Portugal, welches wit dem Geſichte zum Beltmeere bine
aus flaute, ſich eigenfinnig vom Haupte getrenut, wodurch
es feine Lebendigkeit. verloren bat, und eine bloge Maske
geivorden ift.
Zreilich leidet von allen Theilen des Körpers der Kopf
oft am meiften von Fiebern und Nervenzufällen, und fo er⸗
gab «6 ſich denn auch, daß ich das Licht erbliden mußte im
Jahre Chriſti 1498, chen, als mein Vaterland an innern
Zudungen auerordentlid, litt. Denn wenn aud der Tatho-
liſche Glaube nie ſiegreicher glänzte, als kurz vor der glüd-
lichen Shlaht, worin die Mauren übermunden wurden,
und ihr Reich in Spanien ein Ende nahm; wenn auch zur
felbigen Zeit hundert und fiebenzigtaufend caftilifhe Inden»
familien nach Portugal, Mauritanien und Navarra flohen,
fo läßt es ih auf der andern Seite nicht Fäugnen, daß die
Mmanifen Provinzen dadurch uuendlih geſchwäͤcht wurden,
und gar zu viel von ihrer alten Kraft und Blürhe einbüg-
168 Lebensbeſchreibung des
ten. Und wie man fagt, daß der Läne, feiner Natur nach
ein edles Thier, wenn feine ſcharfe Sunge erft Blut geledt,
plötzlich grauſam wird. fo dag er mitunter felbft feinen
freundlichen Wärter zerreigt, Dem er fonft gehorfamte, fo
geſchah es auch hier; denn die heilige Inquiftion fing auf
einmal an, von wahnfinnigem Blutdurft ergriffen, von dem
Hentersgeifte des abſcheulichen Torquemadas befeckt, wie ein
grimmiges Tpier zu wäthen. Freilich farb dies Ungeheuer
in meinem Geburtsjahre, feine Nachfolger Deza und Cis⸗
meros waren aber um fein Haar befer; und in menigen
Jahren hafte Spanien viele taufend feiner Söhne und Toͤch⸗
ter unſchuldig Hingerichtet, wie Saturhus in feiner Wuth
die eignen Kinder verſchlang.
Die erfte merkwürdige Begebenheit. die auf mich als
Heiner Knabe von acht Jahren außerordentfihen Eindruc
machte, war folgende: Ich hatte meine Eltern früh verle-
ren; nur ein Bruder, zehn Jahre älter als ich, lebte noch.
Unfer Vater hatte uns aber ein großes Vermögen hinter
Yaffen, und wir wurden in einem ſchonen, großen, 'einfamen *
Balafte in Valadolid, unferer Vaterſtadt, auferzogen. Mit
unferm Hofmeifter befuhhten wir oft die alte Domtirche, mo
das marmorne Grabmal unfers feligen Vaters ftand, und
wo feine fehr ähnliche Büfte, Über dem Sartophage, zmi-
fen Trophäen und Attributen feines Standes und Ran-
ges thronte. Oft, wenn ich das Bid fo anfhaute, rief ih
in Findliher Unbefangenheit: Vater, komm zurüd! und
wunſchte ihn felber zu fehen.
Eines Tages, als wir fo Kanden, famen einige Famir
Haren der Inquiſition mit ihren Trabanten. Ein giwiſſer
Don Metro de Tramaflo, der, wie ih nachher hörte, der
Todfeind meines feligen Vaters geweſen, und jeht ein de
Ton Eyrillo de Balaro. 169
rüdstigter Zanatiter geworden war, näberte ſich uns, und
meinen Bundy hörend, den Bater ſelber zu fehen, ſprach
er: Run, Kind, den Bunfd kann id Dir gemäßren. —
Darauf fielen die Leute üher das fhöne marmorne Denk
mal ber, und vernichteten es ſchnell mit ihren Hämmmern
und Brecheiſen. Der Dedel wurde vom Sarge aufgeho⸗
den, die einbalfamirte Leiche meines Waters berausgenom-
men, und aller Pracht entblößt auf eine ſchlechte hölzerne
Bahre geworfen. — Haft Du ihn jeht gefehen, Kind? frug
der graufame Familiar, und während id heftig meinend
den Leichnam meines Vaters halb mit Grauen, halb mit
tindlicher Neigung betrachtete, warfen fle ein großes Städt
Sadleinewand über ihn und trugen ihn zur Firch binaus.
Einige Tage darauf hörten wir die große G
alten Dome ſchauerlich zu einer Auto da fe läuten;-
Zug ging aber unferm Haufe vorbei; da fahen wir denn,
wie es in jener Seit oft geſchah, die zum Sceiterhaufen
verdammten Ketzer in fafranfarbigen Bugtleidern (san be-.
aito) mit der fpihigen Müge (coraza), mit Flammen und
Teufeln bemalt, zum Tode wandeln. Auch ein ſchwarzer,
mit Feuer und Höllenfrapen bemalter Sarg erſchien im
fürdtbaren "Zuge. Das waren die Ueberrefte unferes Va-
ters, der als Keger ſechs Jahre nach feinem Tode verurs
teilt, auch den Flammen übergeben wurde. .
Mein Bruder, der weit älter war als id, batte im⸗
‚mer, feiner Jugend ohnerachtet, einen fehr ſtoiſchen Charak-
ter gejeigt. Sein Herz mar nicht weih, fein Temperament
etwas düfter-melandpolifc, und fo verſchloß er den Schmerz
ſchweigend in feinem Innern, ohne die Erleichterung der
Thraͤnen und der Mitteilung zu fühlen. Den Tag nah)
der Hinrichtung fagte er zu mir: Mein lieber Cyrillo man
1m Lebenebeſchreibung des
hat unfern Vater nad feinem Tode aus Rache und aus
toller Schwärmerei befhimpft; wenn wir aber nicht ſelblt
Ichendig fein Schicſal teilen wollen, dürfen wir fein Wort
gegen Andere äußern. Auch auf uns fält die Etrafe. Un⸗
fere Güter behalten wir freilich; die Ehre iſt uns aber ge»
raubt; unfer alter Rame ift jegt eine falſche Münze ohne
Klang; wir können fein Ant erhakten, keine Ehtenſtelle ber
Heiden. So wollen wir uns denn allein den Wiſſenſchaften
ergeben, wie wir angefangen baben; allein in unfern Häus
fern wollen wir wohnen, und die Dienfhen ihren wilden
Gang gehen Iaflen. Bleibe Du bier im Palafle zurüd mit
Deinem braven Lehrer Francesco Perez, der Dich nicht Ders
laſſen wird. Ich ziehe mit meinem einzigen Freunde (bier
ſtrich er den Rüden cines überaus (hönen Jagdhundes, der
ihm überall folgte) auf unfer kleines Jagdſchloß im Walde
hinaus. Da will ich mih, halb Eremit, halb Jäger, dem
füllen Kummer weihen. Vieleicht ſchleift die Zeit die Scharie
aus, und das Gemüth wird wieder rubig.
Ih blieb alſo bei meinen guten Fraucesco de Perez
im Palafte, der im großen Stile gebaut war, wit weiten
Zorhallen und breiten marmornen Treppen; in den leeren
Niſchen hatten vorher fhöne Statuen von hohem Werthe
geſtanden; allein auch diefer griechiſchen Goͤßenbilder hatte
ſich die heilige Inquiſilion bemächtigt. Die Gemaͤcher 0
ren beinahe alle leet. Die Mobilien im Haufe waren feit
unferer Eltern: Tode, tbeils verkauft, theils geſtohlen, weil
kein ordentliches Auffehen da war. — Nur die Konfoltifde
mit vergoldeten Zügen und ſchonen bunten Steinplatten
ftanden noch da. Much bewunderte ich oft die großen,
in der Band eingemauerten Spiegel, die doch alle etwas
gelitten hatten. Mein Lehrer vertand ſich wohl gut auf
Don Cyrillo de Baları. m
Sorechen und Billenfhaften, auf weluiche Dinge nur we ·
nig; und die Haushälterin, wenn fie und ein ſpaͤrliches Eſ⸗
fen smbereitet hatte, meinte ihre Pfliht gethan au haben,
und ließ den alten Palak ſich felber hüten,
Bas auf mein Kindliges Gemüth den tiefften Eindrud
machte, war eine große gewolbte Halle von ſchwarzgrauem
Marıner, im Erdoeſchote. die gegen den kühlen, fihattigen
Rafenpiap im Garten binaus lag, wo zut Rechten eine
Duelle aus einem Meinen Felſen durch Blumen reichlich floh.
Hiex brachten wein Hofmeiger und id bie beißehen Som-
mertage mit Lefen zu, in der Schönen friſchen Kühle und
der größten Einſamkeit. Und mie fonderbar! IR es Dir,
Ueber Leſer auch nicht mitunter fo gegangen, daß Du einen
Zuftand zweimal zu erleben glaubteft? So ſchien mir der
Anfentpalt in der ſchwarzgrauen Marmorhalle zu Batlado-
lid ein Vorbild meines jegigen Stilllebens in diefer Infel-
böble zu fein. Denn-aud Hier ift es luftig. kühl und ge-.
räumlg; auch bier bringe ich meine meiſte Zeit mit Lefen
zu. Auch diefe Höhle liegt nach einem ſchönen Raſenplahe
Binans; und was das fonderbarfte ift, auch bier ſprudelt
eine Quelle zchter Hand aus den Steinen und wällert
meine Blumen. \
In den großen Gemäcern wandelte ih oft, obſchon
fie wär und leer waren. Mur ein Bild fand id in einem
Kabinette noch, das ih fehr.lichte. Es fellte eine fhöne
‚Grau dar, en Heines Kind an ihren Bufen drädend. Das
Gent der guten Frau betrachtete mid fo liebevoll, obſchon
Senotigteit die Farben etwas verdorben hatte; und der
Beine Kaabe an ihrer Bruft laͤhelte mid immer fo ſchel⸗
mifch an, als ob er fagen wolle, kennt Du mid denn nicht?
— Rad) vielen vergeblicgen Bitten und unerfällten Verhei.
2 Lebensbefhreibung des
Sungen bewog id) endlid meinen alten, fteifen Lehrer, fi
mit mir eines Tages die Treppen hinauf zu-bemühen. Gr
verftand ſich gar nicht auf Bilder und dergleihen: als er
aber das Gemälde lange betrachtet hatte, ſprach er: Ih
mügte mid) febr irren, oder das ift ein Bild Deiner feligen
Mutter; mas das Kind aber bedeuten foll, weiß ich nicht;
vermuthlich ftellt es Deinen ättern Bruder vor, wie er Mein
war. Dir gleicht es ja nicht. Nun bolte ich die Haushäl-
terin, die mich gleich verfierte, das Kind ſolle Niemand
anders als mid) bedeuten, und dap ich gerade fo ausgefehen
babe, als ih nur erft zwei Jahre alt geweſen.
Bie lieb mir das Bild von. diefem Tage an wurde,
begreift ein Jeder, der eine Mutter verloren hat; id ging
taͤglich da binauf, und.dort verrichtete ih mein Morgenge ⸗
bet, wenn die Sonne heiter in's Kabinet herein Arablte.
Eines Tages wollte ih aud mein Abendgebet daſelbſt ver-
richten; es war ziemlich fpät, und der Mond ſchien durch
die langen, großen Fenſter der Gemaͤcher. Als ih in's Ka⸗
binet treten wollte, wozu die Thür halb offen fand, ſchien
es mir, als entdece ich eine weiße Geftalt, vor dem Bilde
mit gefaltenen Händen ſtehend und es fehr aufmerkſam ber
trachtend. Als die Geftalt meine Enarrenden Fußtritte hörte,
kehrte fie das Geſicht gegen die Thür, umd id) glaubte das
Antlig meines feligen Vaters, weiß wie die. Alabafterbäfte
auf feinem Sarkophage zu feben. Ich entfloh mit einem
Geſchrei. Es half nichts, dag mid mein Lehrer verfiherte,
es fei nur meine eigene, aufgeregte Ginbildungsfraft gewe⸗
fen. Ih wagte nie mehr, die dden Hallen im Mondſcheine
allein zu betreten. Im Morgenroth, wenn die Vöglein drau⸗
den in den Bäumen ſchlugen, beſuchte ich fie aber immer
noch getroft.
Don Cyrillo de Balaro. 173
Der gute Francesco Mercy ſchlug mir eines Tages vor,
mit ihm nach einer Meinen Strage der Stadt hinzugeben,
um einen alten Freund von ihm au beſuchen, der jeht da
wohne den er mir aber noch nicht nennen wollte. Er fagte
mir, es fei ein ſehr gereifter Mann, der nod vor Kurzem
in weit glücklicheren Umfänden gelebt habe, und mir viele
unterhaktende Geſchichten erzählen Lönne, wenn er nur wolle.
3% folgte ihm gern; umd wir traten in ein ziemlich ſchlech⸗
te6 Zimmer binein mit geweißten Wänden, wo eine große
roftige, eiferne Kette am Nagel King, wie in einem Gefäng-
aiffe. Ein ältliher Mann mit einem fonneverbrannten,
aber fehr bedeutenden Gefihte faß in einem wunderlichen
Lehnſtuhle von geflschtenen Weidenruthen. In Käfigen bin-
sen mehrere ſchone, bunte Vögel, dergleichen ich noch nie
sefeben hatte, und einen huͤbſchen, Kleinen, bunten Teppich
von Baft hatte er unter den Fügen. Sonft war das Stu-
bengeräth aͤrmlich und ſparſam, und der Mann ftüpte feir
nen Arın auf einen ungemalten Fichtentiſch, worauf ein klei⸗
ner Erdglobus ftand. Er ſaß in Gedanken vertieft, ftarrte
den Globus am und drehete ihn fhielend mit dem Finger
im.
Als wir hinein traten, erhob der Fremde fein großes,
braumes, ſeelenvolles Auge, das etwas gefehen au haben
fbien, was kein anderes Xuge fo gefehen hatte, und laͤchelie
freundlich.
Bitommen, Fteund Perez. ſprach er mit ſchwacher
Stimme, bier fige ih mit meiner Meinen, neuentdedten Erde,
der ich ein Ianusgeficht verſchafft babe, fo dag fie künftig
zu ‚beiden Seiten hinausſchauen ann. Barum bemüht ſich
doch der Menſch fo viel, Erde zu finden? Braucht er doch
auleßt nicht mehr, als ein haar Schaufeln vo, um die mü-
174 Ledenebefhreibung bed
miden Gebeme zu bedeßen. Wer in der hähihe Meine
Knabe da?
Mein Lehrer fagte es ihm, und ſprach zu mir: Krie
nieder, mein Ad, und lag Dir vor diefem unſterblichen
Manne den Segen geben. Er leidet auch unfdmldig. bat
auch die Armſeligkeit, den Neid und De Merfolgung der
Menſchen erfadren. Du fehh hier den großem Adwirei
Chriſtoph Colon, oder wit er in feiner italieniſchen
Mutterſprache eigentuch heigt: Eprimonhoro Golumbe.
._ Gutes Kind, ſprach Columbo, feine Hand anf meine
Stra legend, faffe Muth! Du Hit in den glücklichen Iab-
zen aller fhönen Moͤglichteten. Saue nit zurüd auf
die träbfelige Vergangenheit, fondern nur vorwärts in die
rofige Zufemft Wäre ich noch jung, wie Du, dei Gott,
ich wollte nicht trauern, noch nicht Die Segel einziehen; ich
würde meine Tühne Flagge mieder weben laffen umd in die
offene Eee ftecyen. — Und doc, verfeßte er nach einer Bei
nen Belle — was wollte ich eigentlich efdeden? — Me
ſchen und Menſchenwohnangen? Die kenne ich ſchon gar
zu gut. .
Seine Haushälterin fam berein und fagte ihm etwas
leiſe in's Ohr. Als fe nieder Hinausgegangen war, kehrte
er ſich zum Freunde und fagte: IA ſchaͤme mich faſt mein
lieber Francesco, doch Roth bricht Eifer, Mint Ipr wir
auf acht Tage fünf Piafter leihen? Es ſcheint freilich laͤcher ⸗
lich. daß der Vicefönig von Indien, der ſeiner fbanifchen
Majertät die Schattammer mit GoM fühte, um fhnf Pia
ter bitten fol. Meine Kaffe ift ader Ieer, ich habe dem
Könige alles gegeben, meine Meine Prmfon iR mod nicht
angetommen, und man fogt ja: während das Gras wär,
Miebt die Kuh. Mm koſtiliamiſchen mad adagoniſchen Gef,
Den Cyrillo de Balaro. 175
weißt Ihr, geht alles fehr langſam. Komie es adıt Ihre
dauern, bevor ich die drei Böte bekam, womit id die neue
Belt entdedte, wie lange wird es dann nicht dauern, ehe
dag die Denfion mir angewieſen reird, beſonders wenn mein
Bund Don Iuan Rodrigo de Fonfeca fie mir anszahlen
Mein Hofmeiker brach in Bermänfhungen über die
Undantbarteit der Regierung aus, Columbo bat ihn aber,
ubig zu fein. — Ich din Thon über folde Citelteit Hin
aus, ſprach er, denn ich fühle, dag id bald eine weit grör
Bere Reife zu thun habe, nach einer wichtigern terra inco-
gnita als Indien ift. Ich will dem Könige Fernando feine
Vorwürfe marken; feine Heine Seele kann nichts Großes
fgägen. denn er ande nie, was Bröge war, and in feinem
neidiſchen Herzen wurzelte nur Eiferſucht gegen alles Aus⸗
ocjeichnete. Us die Königin Iſabella Hark, fiel meine letzte
Stäge; fie fhäpte das Verdienſt und war eine feline Fran
ihren einzigen Fehler, eine gar zu hohe Meinung von deu
Fähigkeiten ihres Grmahls, würde man ihr im Privatßande
als eine Tugend angerechnet haben. Auch vergebe ih gern
allen meinen Feinden. Wäre ic ſelbſt nicht ebrgeizig ge⸗
wegen, fo hätte ich als Ausländer, als äremder, nicht den
ſpaniſchen Nationalftolz gegen mic) gereizt. Barum wollte
ich Bicekönig fein? War der ſchlichte, genueſiſche Schiffer
Chriſtoph Columbo, der die mene Belt anf feinem gebred-
lichen Fahrzeuge emfderkte, der ſich erft durch alle Hoftaba»
ien, dann durch alle Scheeren und Gandbänfe arbeitete,
ohne zu feheitern, micht mehr werth, als ein weitindifcer
BVicekönig, wozu man jeden Höfling, jeder Schwachtopf mar
hen Tann, der immer hoͤher fteigt, je tiefer er ſich büdt?
Darum vergebe ich auch dem armfeligen Bovadilla, der mich
176 Ledenebeſchreibung des
mit dieſer eiſernen Kette als Verbrecher nah Europa brin-
gen ließ; und weiß Gott. die Kette hängt nicht da an der
Band aus Rate, um ihn vor der Welt anzuklagen, fon
dern als ein memente mori aller weltlichen Eiteiteit. und
fo fol fie mir aud) in's Grab folgen. -
Ih beſuchte von diefem Augenblide an ale Tage den
großen Golumbo, der Vergnügen daran zu finden ſchien
mir Fleinem Jungen viele feiner Sata und Begebenheiten
zu erzählen, und fo hörte ich Denn aud, daß er einmal nahe
daran geweſen, wie ic jept, ‘auf der Infel Jamaita Ein-
ſiedler zu werden, ganz von aller gefitteten Menfchengefelle
ſchaft getrennt,
Seine Gefundheit litt täglich mehr, umd er neigte ſich
augenſcheinlich zum Grabe. Eines Abends, als ich ihn be
ſuchte, war er ſehr aufgeräumt, er hatte cin Lied gedichtet.
Das Fenfter ftand offen, die Luft war fo dunkelblau wie
das Meer, und leichte Wolken, von der heruntergehenden
Sonne mit Gold verbrämt, ſchwebten fern am Horizonte als
Inſeln. — Lies mir einmal dies Schwanenlied laut vor,
mein Sohn, fhrah er, indem er beide Hände über dem
Erdglobus, der vor ihm auf dem Tiſche ftand, faltete und
mit feuchten Augen in die fernen Bolten hinaus ſchaute
Ich las:
Bald if Mich nım vonbract.
Bald die Bleife wird beginnen,
um das unentdedite Sand,
Gcmeien Sanfeh, dort in Anden.
Tas ein Icder jcioR entdeckt,
One Raaricht doch im bringen,
Don Gyrillo de Balaro. 177
Denn kein Eaifer Behr inräd,
M er felig aar von binnen.
Bein gefcmittned Hol, kein Baum
Wird hierdergefpäß vom Gimmel;
Keinen Leichnan Anden Du
Bon verforbnen: Gngelätinde.
aues iR Geheimnis Dir;
Nur durch Glauben, Freud‘ und Liebe,
War dura Hoffnung ſegein Du
Dort auf Deined Zoded Seife.
Opanne dann die Setel auf
Unverzagt,-mein frommer Schiffer!
Seele, durch dad Meihermeer
Wirt in kurzer Zeit Du fchroimmen.
@o kein Biel die Tiefe mist,
Eaeitern Du auf feinem Rift,
Und Die Engelöflügeleim
Werden sum Yaflate dienen
Eo verlafe denn getroft
Die Koren, die nur irdiſch;
@o Die Volte roiencoth,
Da iR Deine Rettungdinfel,
Sicht Di den San Ealvador?
Deinen Heiland wirft Du finden.
Wo nicht Gitelfeit Dich treibt,
Bird Dir feine Freude ſchwinden.
Kedlenf. Echriften. XVIL.
178°. Lebensbefreibung des
Ich hatte das Lied nach Verlangen wit lauter, deut
Hiper Stimme vorgelefen, und warf jept meine Augen vom
dem Papiere Hin auf den Verfaſſer, um ihm für die Fromme
Dichtung zu danken. Da faß der große Columbo todt, mit
den gefalteten Händen über dem Erdglobus, und feine ge⸗
brochenen Augen ftarrten hinaus. nach den Wolteninfeln;
. die Abendfonne lächelte heiter auf feine roftige Kette, und
fünftchalb Piafter lagen noch auf dem Tiſche.
Ich Habe ſchon erzählt. dag mein Bruder ſich zwiſchen
feinen Büchern und der Jagd theifend, einfam im Walde
baufete, wobei er die Sonderbarfeit zeigte, feines Bedienten
Hüffteiftung haben zu wollen. Zweimal woͤchentlich ließ er
ſich die nöthigen Lebengmittel in einem Korbe binaustragen
und in die Vorhalle des Beinen Jadſchloſſes hinſehen. Und
fo lebte er denn als ein wahrer Eremit mit dem Hunde,
der fein einziger Freund und Verfrauter war. Denn er
hatte, feit dem ſchaͤndlichen Spiele, das man’ mit unfers
Waters Leiche getrieben, einen wahren Haß gegen die Men»
ſchen gefapt, Alle Borftellungen des biedern Francesco Per
rez balfen zu nichts, und mie ein ıhipiger Jünbling bald
mit feiner Theorie fertig it, fo geſchah es denn aud bier.
Selbſt der ehrliche Perez verlor die Freundſchaft meines uns
vernünftigen Bruders, weil er feinen Spipfindigkeiten und
Liehlingsideen widerſprach, und beweiſen mollte, dag noch
Ebrlichteit und Liebe unter den Menſchen ſeien. — Nein,
tief der aufgebrachte Dionyfio, der Menſch iſt ein falſches
Thier, nur von Eigenliche, Woluft, Graufamteit, Kälte,
Trägheit, Neid und Unbarmderzigfeit zufammen gefeßt. Nur
unter den Thieren iſt noch Treue au finden. Der Hund ift
Don Gprillo de Valaro. 179
treu. Der liebt mic) ehrlich; er mil nichts von mir, als
die mothwendigfte Bedingung feines Lebens; er fhüpt mid
wachfam und mutbig, und verläßt mid nicht in der Noth.
Mit den- ehrlichen braunen Augen blidt er mir, ohne Falſch.
tief in die Seele. Nur Fidelio fol mein Lebensgefährte
fein, und fterh’ id einmal, fo bin id gewiß, er wird auch
vor Gram auf meinem Grabe erben.
So kehrte er mit dem Hunde in den Wald zurüd; auf
dem Nüden hatte er feine Flinte hängen, an der Seite fein
Waldhorn, welchem er im Weggeben die lieblichſten Töne
entlockte, die feinen Gemüthszuſiand mir wenig verriethen,
denn er war auf diefem ſchwierigen Juſtrumente ein ziem⸗
licher Virtuoſe
So verſtrichen meine Kinderjahre. Ih beſuchte meinen
Bruder ein Paarmal jaͤhrlich auf dem Jagdſchloſſe, und
lebte ſelbſt mit meinem lieben Lehrer Fernando Perez in
filter Rube
Als Züngling ging ic äfter in die Kirche, als gewoͤhn⸗
lich. Sol id meine Iugendfünde befennen? Nicht fo fehr
aus Gottesfurdit, als um die fhöne Muſik zu hören, und
eine noch ſchoͤnere Srauengeftalt zu fehen, die während der
Meffe alle Augenblide ihre Junoaugen auf mic richtete,
Bir fahen uns oft da, und die Blide wurden immer ſchmach-
tender und zärtliher. — Ich wagte keinen Schritt weiter
zu thun. Sie hatte aber mehr Muth, als ih. Einmal
in Weggehen drüdte fie meine Händ zaͤrtlich im Gedränge,
und der Drud zudte mir durch Mark und Bein. — Den
noch wagte id es nicht, ihr zu folgen, noch kannte ich fie
bei Namen, ich fürchtete mid), Iemanden zu fragen, damit
nicht das Beben meiner Stimme und meine Gefihtsfarbe
mein Gcheimniß, verrathen möchten. .
12°
.
180 Lebensbeſchreibung des
Ber ſchildert meine Angft, als ich meine Ehöne in
den folgenden Tagen nicht mehr in der Kirche fand? Eroft-
los ſtrich ich durch die Stragen, um fie vielleicht zu finden.
Ach, dachte ih, das iſt eine fchöne Reiſende gewefen, fie ift
jeht nach fernen Gegenden gezogen, und Du ſiehſt fie nim⸗
mermehr.
So mit mir felber redend, ging ich vor einem großen
Palaſte vorbei wo Trauergardinen in den Zenftern hingen.
Eine Gardine ward von einer ſchneeweißen Hand megge
zogen, und wie ein Engelstopf hinter einer Wolke erſchien
meiner Geliebten rofiges Gefiht, welches der Tranerflor
noch) reigender machte.
Kaum fehe ich fie, fo ſtürze ich, ohne mich au bedenfen,
die Treppe hinauf. Site begegnet mir in einer großen Bor»
halle, mir fliegen einander in die Arme, unfere Lippen bes
gegnen fih. Kaum aber habe ich den erften fügen Schaum
der Liebe gefhlürft, fo bittet fie mich ängftlich, gieich wieder
weg zu gehen, damit mic Niemand fehe. — Die Sitte
lispelt fie, erlaubt mir noch nicht, Dich hier bei mir zu fer
ben. Mein alter, kräntlicher Mann ift vorgeftern geftorben,
da drinnen ſteht feine Leiche noch. Eile, damit Dir weder
Bediente noch Berwandte auf der Trephe begegnen. Ich
tenne Di, Cyrillo liebe Di! Nur Du, fhöner Iängling,
ſollſt mein Herz befigen, mein Gatte werden. Entferne Dich
aber heute ſchnell wieder, damit Did) Niemand treife.
Ich tanmelte fort und wußte nicht recht, ob Dies ein
Traum fei oder nicht. Erſt als ich die fange Straße zu
Ende gefommen mar, wagte id, einen Laftträger zu fragen,
mer dort im Trauerhaufe mohne. Das ift die (höne Donna
Eleonora de Spfva, antwertete er, bie heute ihren alten
Mann begräbt, den fie todt geärgert hat, und wenn ihre
Don Cyrillo de Valaro. 181
Feueraugen nicht lügen, fo wird fie wohl bald einen fri»
fen, jungen Gatten wieder nehmen, wenn das Trauerjahr
nur erft verfloſſen ift.
Gütiger Himmel, dachte ich junger Thor in meiner ein»
fältigen Ungeduld: ein ganzes Jahr mußt Du nod warten.
Ich eilte nach Haufe, wo mir wein alter Lehrer mit einem -
fo ernften Geſichte begegnete, dap ih ihm fein Wort zu far
gen wagte. Einen Bertrauten brauchte id aber. Ich bes
ſchloß alfo, meinem Bruder wieder einen Beſuch zu machen.
Sonſt wenn ih bei ihm war, fofte die Unterredung alle
Augenblide, weil wir einander nichts zu fagen hatten. Jett
war mir das Herz vol. Ich eilte froh hinaus, und haste
gerade einen fühlen Abend dazu gewählt, da der Mond
ſchien und die Nachtigallen meine verliebten Träumereien in
fügen Liedern ausdrüdten.
Als ich mic; dem Jagdhauſe näherte, ſah ich meinen
Bruder tieffinnig im offenen Fenſter fipen und den Mond
betrachten. Kaum fah er mi, fo forang er auf und rief
mit Düfterer Freude: Nun, fo Lömmft Du dod endlich, Ch⸗
rillo! Sebnfühtig babe ich auf Dich jeden lichten Mond⸗
ſcheinabend gewartet, und die Stunden des Monats an der
Abnahme und Zunahme der wanfelmüthigen Luna gezählt.
Bäreft Du jetzt nicht gefommen, fo hätte ih Dir einem
Brief ſchreiden müflen, den vermuthlic ein Anderer gefun-
den, und ſich fo Deines rechtmäßigen Vermögens bemaͤchtigt
bätte. Hier, lieber Bruder, find die Juwelen, das Einzige,
mas mir noch gerettet haben.
Er warf mir ein verfiegeltes Pädhen hinunter in mei⸗
nen Hut, drauf ſprach er: Und jept, mein Cyrillo, muß ich
von Dir Abſchied nehmen, um den Schatten unferer Eltern
in jene unſichtharen Reiche zu folgen,
182 Lebensbeihreibung des
Ich rief: Um Gottestoillen, mein Dionyſio, was fol
diefe erſchregliche Nede? Du fterben, in Deiner Jugend vell
Kraft und Etärke? Dionyfio, biſt Du wahnſinnig gemor-
den? — Ehon etwas, antwortete er fürchterlich, und zaudre
ich länger, werde ich es immer mehr. Mein Mund wird
austto@nen, meine Zunge wird mir rauh zum Munde aus
bängen, mie bei einem nad) Baffer bechzenden Hunde; meine
Stimme wird heifer und abgebrochen, wie das Bellen des
Hundes,
Gott im Himmel, Dionyſio, rief ic, bift Du vergifter
worden? Ber hat das gethan? — Mein einziger Freund!
rief er, laut und hoͤhniſch lachend; bei dem nur noch Treue
au finden war, der mir. ohne Falſch, mit chrlihen Augen,
tief in die Seele ſahz mein Fidelio, der Gefäbrte meines
Lebene! Mein Hund, die verdammte Bekie, die die Wafler-
ſcheu befommen Hatte, lohnte mir fo, als ich ihn liebkoſte
und über die Riederträgjtigkeit der Menſchen meine gewöhn-
liche Spottrede hielt Zwanzig Tage find es her. Noch
ſchleicht das Gift heimlich in den Adern herum, mie ein
Bandit in den dunkeln Simmern, ehe cr den Mordſtreich
gethan. Allein keine Rettung iſt da, und fo will id) denn
meinem haͤmiſchen Zeinde zuvorfommen! Kein Chriſt, fein
Menſch kann mir diefen Selbſtmord zur Sünde anrechnen.
I habe vor mir felber gebeichtet, id habe vor dem Kru⸗
zifix im Walde gefnict, und nun will id einem beſſern Da-
fein keck entgegen gehen. Lebe wohl, Eyrillo! — Mit die
fen Worten ergriff er die Iagdflinte, ftedte ih den Lauf in
den Mund, drüdte den Hahn mit dem Fuge ab, ein Schuß
fiel, und mein unglüclicher Bruder flärzte mit zerſchuetter·
tem Gehirn zurück. —
Ich weiß nicht, wie lange id verſteinert fand, obn
Den Syrilfo de Baları. 183
mid) vor Schrecken bemegen zu fünnen. Zur Befinning
tam ich erft wirder, als mid, einige Bauern ergriffen und
fragen: Was haft Du in der Hand? — Das find die Ius
weien, antwortete idy mit gedämpfter Stimme, und ftarrte
fie an. — Greift ihn,-rief der Eine, da iſt der Mörder,
er bat ihm die Iumelen geſtohlen. Sie padten mih an
und fchleppten mic) fort. Es half nichts, dag ich zu wie
derholten Malen rief: Ih bin fein Bruder! Menfhen,
märhet doch nicht, mie der Hund. — Bift Du fein Bruder,
antmorteten fie, fo iR Deine Sünde noch viel größer, dann
daft Da ärger ale ein Hund geräthe. — Mit diefen Wor⸗
ten ſchlebpten fie mid fort und warfen mid) in ein elendes
Gefängnig. .
‚Hier blieb ich aber nicht Tange. Meine Ausfage, dag
mein Bruder in Hundswuth fich felbſt getödtet habe; wurde
von den unterſuchenden Aerzten befätigt. Als Brudermör-
der fonmte ich alfo nicht geraft werden. Man hatte aber
die Juwelen gefeben, und einigen Samiliaren der Inauifitior
geläftete danach. Eines Morgens, als ich in Freiheit ge
feßt zu werden boffte, holten fie mi nur heraus, um mid.
in ein nody ärgeres Gefängniß zu werfen. Sobald id hier
ankam, verzweifelte ih am meiner Rettung. An eine or
dentlihe Nehtspflege war in dieſer Höhe nicht zu denten.
Der Gefangene mußte ſich ſelber anlagen, heimliche Kläger
murden gehört und geglaubt, ohne mit dem Belduldigten
confrontirt zu werden. Ich mußte nod gar nicht, was ich
getan hatte. Endlich frug mid ein frommer Pater, ob
ich nicht Hehauptet habe, dag einige der heiligen Märtyrer,
ſchwaͤrmeriſch aus Eitelkeit den Tod geſucht, und ihre Pei⸗
niger mit Scheltworten aufgehcht hätten, damit fie ſelbſt
feliger im Paradieſe glänzen, und ihre Henker tiefer in der
184 Lebenobeſchreibung des
Hölle brennen möchten? — Diele Auklage verfepte wich in
die größte Angſt. denn obſchon ic meinen Eid darauf ab»
legen konnte, daß ich mic) folder frevelbaften Worte gegen
die Heiligen nie bedient babe, fo Tonnte ich doch nicht Fäug-
nen, daß id) einen ähnliden Gedanken gehrat, und dag mir
der Zweifel entihlüpft war, ob wohl eine ſolche Luft, ein
ſolches Hafıken nad) einem ſchmerzlichen Tode, wo er nicht
eben nothwendig fei, Gott angenehm fein könne?
3% bereitete mich num zu meinem Tode, den ih un
vermeidlich glaubte, und als bei dunkler Nacht zwei Mas«
ten in Mänteln zu mir bereintraten, um mid abzuholen,
ermutbigte ih mich, um nad dem Blutgerüfle zu wandeln.
Es wunderte mic) fehr, daß die Hinrichtung bei Nacht ger
ſchaͤhe, denn fonft pflegte man folde Blutſchauſpiele beim
beilen Tage unter dem Läuten der Domglode in gro⸗
ben Prozeffionen dem Volke zu geben — Die zwei Mas
fen Liegen mid). in einen Wagen Reigen und fuhren im vol
ten Lauf nad Simanca, einer Meinen Stadt am Duero.
Hier braten fie mich auf ein Fahrzeug mit einer Heinen
Kajüte und verliegen mic.
Bas ſchildert mein Entzüden, als ich mi plöhlich von
den fhönen Armen meiner geliebten Donna Eleonera de
Splva umſchlungen fühlte? — So habe id Dih doch ge⸗
rettet, mein Inniggeliebter! rief fie. Hier find Deine Dia-
wanten, (fe: veihte mir ein Padet) und bier ſind die mei⸗
nigen (fie zeigte mir ein äbnliches). Bir ficken neh Vor⸗
— und von da nach Ferrara, wo ich maͤchtige Beihäger
2.
In Liſabon bielten wir ung nur kurz auf. Als wir.
ein Vaar Juwelen verkauft hatten, miethelen wir uns ein
SAT, um damit nach Benedig zu gehen. Ic hätte mid
Don Eyrillo de Balaro. 185
gern gleich mit meinst ſchoͤnen Gleonora teauen-Iaffen, wenn
ee die Sitte nit verboten hätte, weil noch fo kurze Zeit
von ihrem Witwenſtande verfloflen war, Die barbarifhe
Einrichtung, rief fie, ein ganzes Jahr feiner fhänften Ju⸗
gendhlüthe dem Andenken eines graͤmlichen Alten zu opfern,
den man im Leben wie geliebt hat, foR uns aber nicht lange
binden, wenn wir erſt in Ferrara find. Ich babe ſchon der
Herzogin von Ferrara, Lucrelia Borgia, einer Freundin mei
wer feligen Mutter, geſchrieben. Sie wird bald vom Papfte
Leo einen Brief. haben, worin wir gegen die Nadıftellungen
der Inauifition Schuß. finden, und Erlaubniß bekommen,
uns gleih zu heirathen. Solchen Meinen Dienft wird er
einer-italienifhen Herzogin, und der Toter feines Borgän-
gers nicht abſchlagen.
Die Toter feines Vorgängers? rief ich erftaunt, und
flug die Hände zuſammen in meiner Unfhuld, ih dachte.
die Paͤbſte dürften ſich nicht verheirathen? — Meine fhöne
Braut betrachtete mid ſpoͤttiſch, mit einem Wohlgefallen,
wemit erfahrene Frauenzimmer oft ganz unerfabrene Jüng ·
Hinge anfehen, die in fie verliebt find — ſtrich mir mit der
feidenen Hand Über das Geſicht und ſprach: Du bift ein
Neuling in allem, mein Eyrillo! Weißt Du denn nicht, dag
man auch natärlihe Kinder bekommen Tann? — Aber das
in ja eine große Sündel rief ich treuberzig. — Fur An
dere, ja, antwortete fie ſchlau ablenkend; wer wagt aber
den heiligen Vater mit der dreifahen Krone zu richten? —
Bie bie denn ihr Vater? frug ih. — Alerander der
Sehe. — Aber das foll ja ein Ungeheuer von einem
Papſte gewefen fein. — Still, Cyrillo! rief Eleonora, ge
‚wöhne Dich daran. mein reund, künftig Deine unäberlege
tem Gefühle beſſer in Deinem Bufen zu verbergen. Ein
186 Lebensbeſchreibung des
ſolches Wort fonnte uns in Ferrara unglädtih machen.
Alerander war nicht gut, das iſt gewiß, er hat mande
Mordthaten auf feinem Gewiſſen, lebte gar zu ruchlos;
zuletzt fiel er and in feine eigene Schlinge und frank aus
Verſehen den Giftbeder, den er für Andere bereitet hatte.
Bas kann aber die unſchuldige Lucretia dafür? — Unſchul -
dig? rief ib; und fie fol im frevelhaften Verhäftniffe zu
ibrem eigenen Water geftanden haben. — So ſpricht der
Leumund, ertiederte Gleonora; der edle Herzog Alphons
bat fie zur Gemahlin genommen; das bindet allen loſen
Gerüchten den Mund; umd fagt nicht ſelbſt der große Arioſto:
Qucretia Borg a, die mit jeder Stunde
Stets neue Chönpeit, neue Tugend zahlt;
Und waͤchſt an Ruf und Blüct, fo wie bie Pflanze
Im lodern Erdreich wächft beim Sonnenglanje*).
Ich liebte, meine Eleonora fo fehr, und mar in der
neueften Weltgefdichte fo wenig zu Haufe, daß id ihr gerne
glaubte, Hätte fie aud) die Lucretia Borgia zu einer Lucretia
Eollatina gemacht. Wie konnte ich auch anders, als ein fo
ſchones Weib lichen, das mein Leben gerettet hafte, und
mid) mit ihrer Gegenliebe Heglüdte? Der graufame Famir
liar Hatte ſich ſterblich in fie derliebt; fie hatte verſprochen.
*) Rad ber Gries ſchen Meberfegung. Im Originale Yeißt ed:
Lucretia Borgia, di cui d’ora in ora
La beitä, a virtü, ia fama onesta
. E ia fortuna crescerä non meno
Che giovin pianta ia morbido terreno.
Den Eyrillo de Balaro. 187
ibm feinen Wunſch zu verfagen, wenn er mid) reiten könnte.
Verblendet von Liebe zu ihr, hatte er ihr meine Iumelen
und den Echläffel zum Gefängniffe gegeben, nachdem er die
Unterbedienten im entſcheidenden Hugenblide entfernt hatte.
Daß fie ſelbſt auch entfliehen wollte, konnte er nicht abnen.
So hatte fie ihren großen Palaft, ihren guten Ruf im Stich
gelaffen, um mir zu folgen.
In Ferrara wurden wir von der herzoglichen Familie
gut empfangen. Der Herzog mar ein edler, freundlichet
‚Herr, etwas ſtill und verſchloſſen er liebte aber die Künfe
und Wiſſenſchaften, und es machte ihm Vergnügen, feine
Iedigen Etunden mit Erzarheiten und Metallgießerei zu⸗
aubring:n. Seine Gemahlin Lucretia war eine blendende
Schönheit gewefen, und noch, durch die Künfte der Toilette,
fehr Hübfh. Sie empfing meine Eleonora mit mütterlicher
Güte, fie ſchloſſen ſich oft mit einander ein, und haztın ſich
vieles zu erzählen und zu vertrauen. Wir erwarteten indeg
alle Tage das Breve vom Papſte. Ein hübſches Haus follte
uns getauft werden: unfere Juwelen fiherten ung ein Ber-
mögen, wovon wir anftändig eben fonnten. So ging alles
uortrefflih. I befümmerte mid um nichts. Lichte meine
ſchone Braut, ward von ihr, wenn auch nicht fo innig, doch
heftiger gelicht, und fo hing der Himmel vol Geigen. Zum "
Hofmanne war ich nicht geboren, das merfte id gleich; ich
liebte die Einfamteit, und konnte nur ſprechen, wenn ich
felbander mit einem Freunde war. Diefen Freund fand id)
da, wo id) es am wenigſten erwartet hatte. Der berühmte
Dichter Arioft war mir ein folder.
3% batte mir ihn, nad den Beihreibungen meiner
Eleonora, und nah den vielen — rein aus zu ſagen —
etelhaften Schmeicheleien. die er im rafenden Rolande an
188 Lebens beſchreibung des
den Kardinat Hippolit verſowendet hatte, als einen gefchmei-
digen Höfling vorgeftellt, den ich nie würde leiden tönnen.
Es war mir alfo ein faurer Gang, als ih auf das aus
druckliche Verlangen meiner Braut ibm meine Aufwertung
machen mußte. Gr hatte ſich neuerlih ein Häuschen mit
einem Garten in der Strage Mirafole gekauft, der Kirche
St. Bencdetto gegenüber. Ich munderte mid, daß ein
Mann, der in feinem Orlando fo prächtige Paläfte geſchil-
dert babe, ein fo ſchlichtes Haus bewohne. Als ih aber
die Inſchrift über der Thüre las:
Klein is, doch ie gerecht, auf Riemand’s Koflen, dea auch nicht
Wermlich, für eigenes Geld, ward mit Das eigene Haus *).
fing meine Furcht an, etwas nachzulaſſen. Ich klingelte,
und dachte daran, wie ic dem großen Manne ein wohl
gedredfeltes Kompliment machen folte. Der Herr war aber
nicht zu Haufe, und ich mußte in den Garten geben, wo ich
alles fchr niedlich fand; die Fruchtbäume und Pflanzen im
fhönften Wachsthume, die Gänge mit Baumrinde bedeit,
die Blumen an gemalte Stöde gebunden. Kein Unkraut
ließ ſich ſehen. Ein alter Mann mar zugegen, der einige
Pflanzen wäflerte, gegen dieſen äußerte ich meine Zufrieden.
beit, daß der Hausherr ein fo guter‘ Gärtner fei.
Gärtner? wiederholte der Alte etwas fpöttifh, aber
angleicy gutherzig. Ja, wenn der alte Antonio nicht wäre,
fo würde das Ales bald ein anderes Ausichen bekommen,
*) Parva, sed spta mihi, sed nulli obaszia, sed nen
Sordida, parta meo ved tamen aore demas.
Don Eyrillo de Valaro. 189
Der gute Meffer Ludovico glaubt, es fei fo leicht, Blumen⸗
deete umzulegen und Bäume zu pflanzen, als Berfe zu ma
Wen. Gr ändert beftändig, und läßt fein Ding über drei
Monale fang an feinem Orte. Benn er Pflirſiſchkerne oder
andere Saamen gefteitt hat, fo fiebt er fo oft nach, ob fle
feimen, bis er zulegt den Keim zerbrochen hat. Und da er
die Kräuter nicht Tennt, pflegt er, ſtatt ihrer, mit großer
Sorgfalt das nahe daran wuchernde Unfraut fo lange, bis
er endlih feinen Irrtbum entdedt. So Hatte er neulich
Kapern gefäet und ging alle Tage bin, fie zu befehen, am
Ende fand fd, daß das Aufgegangene Hollunder war; von
den erwarteten Kapern war aber nichts zum Vorſcheine ges
fommen,
Diefe Rachricht ergößte mich ſehr und flößte mir —
mas vielleiht Viele wundern wird — eine größere Achtung
gegen den Befiper ein. Arioft dadıte ih, muß doc ein wahr
rer Dichter fein, weil er ſich fo wenig um, die Oekonomie
des Einzelnen befümmert, und ſich fo fehr über die Blüche
der Bollendung freut, daß er darüber das Werden und die
Zubereitung vergift. Ich war ſelbſt in der Art: kein
Renſch konnte ſich mehr über Blumen, Pflanzen und Bäume
freuen, als id, wenn fie blühend daftanden. Wie fle aber
gepflegt werden follten, und mie fie alle hießen, mußte ich
nicht. Die Namen, date ih, And willtürliche Benennun-
gen. Die Pflanzen und Bäume haben lange sebtäht, ehe
die Menſchen ihnen ſolche Namen gaben.
. Es fam mir ein geiftlih gefleideter Herr entgegen, von
dohem, anfehmlichen Wuchſe, mit einer ausdrudsvollen Phys
fiognomie. Das war Arioſt. Er hatte eine breite, ge⸗
mölbte Stirn, ſchwarzes, krauſes Haar und als er die Müpe
agr mir abnahm, entdedte ich eine kleine Glatze. Seine
1% ‚Lebensbefhreibung des
Augenbraunen ragten hochgewoͤlbt und fein über tieffiegende
ſchwarze, beiterbiidende Augen. Er hatte eine Adlernafe,
ſchmale Lippen, ſchoöne Zähne, hagre Wangen. Die Geſichts⸗
farbe war gelbbräunlih und ein dünner Bart bededte fein
Kinn. Er ging langfamen Schrittes und grüßte mid) freund⸗
lich; als er hörte, wer ich fei, rief er: Ab, der junge Spas
nier, der ſchon fo viele Abenteuer ausgeftanden hat, der
Bräutigam der fhönen Donna Eleonora! Ihr müßt heute
mit mir ſpeiſen. Wenn ich nicht irre, iſt es eben Zeit, zu
Tiſche zu gehen. .
Es f&meidyelte mir nicht wenig, gleich von dem großen
Dichter zu Tiſche geladen zu werden. Er führte mid in
ein fühles Speifeimmer, wo nur für Zwei gedeckt war,
und id mußte ihm während der Mahlzeit meine ganze Ger
ſchichte erzählen, von meinen Eltern, dem -öden Palafte,
Colombos und meines Bruders Tod, meine Gefangenfhaft
und meine Befreiung.
Er hörte mir mit großer Aufmerkfamleit zu und weinte
oft Über mein Schickſal, ag aber immer fort mit großem
Appetit und vergaß beinahe, etwas auf meinen Teller zu
legen, um das idy mich aber nicht fümmerte, denn es freute
mid; mehr, den Dichter Arioft mit meinen Erzäblungen zu
unterhalten, als zu eſſen Als aber beim Ende der Maple
zeit fein Bruder Gabriel in das Zimmer trat und alle Ano«
hen des verzehrten Geflügels auf feinem Teller fand, rief
er: Nun bat er wieder in der Diftraction alles allein aufe
gegeffen. Arioft machte viele Entihuldigungen, als er den
Bo wahrnahm. den er geſchoſſen hatte, und die Köchin
mußte mir gleich einen Gierfuhen mit Gonfituren bereiten,
— So if er immer, rief der Bruder, nicht aus Gefräßige
keit, fondern in der verfluchten Zerſtreuung. — Ic bitte
Don Cyrillo de Valaro. 191
um Verzeihung antwortete ih, Euer Bruder ift gar nicht
zerſtreut geweien, er bat mir fehr aufmerkfam zugehört,
und mir fein Mitleid während des Etzaͤhlens reichlich ger
zollt. — Nun, fo iſt es aus lauter Anfınerkfamteit geſche⸗
ben, verfeßte der Bruder. Er iſt gefund, feht Ihr, und
feift nur einmal des Tages; dann kann man ihm aud) vor»
feßen, mas man will, er ißt cs auf. Erinnert Du Did
nod), Zodovic, ald Dir der Freund Alberto Pio eine Kraͤhe
oder Eule vorfeßte, die Du verzehrteft, in der Meinung, es
fei ein Rebhuhn? Wie Du früh Morgens von Garpi in
Yantoffeln ausgingeft, fo in Gedanken verloren, dag Du
den halben Weg nad) Ferrara hinter Dir hafteft, ehe Du
den Febler entdedteft, und darauf, um nick zurüd zu geben,
acht gute Meilen nad) Ferrara in Pantoffeln gingeſt.
Der Dichter laͤchelte, ich merkte aber doc, daß ihm der
Spaß nicht bebagte. Gabriele Scherz mar von der Laune
des alten Bärtners fehr verſchieden. Jener hatte in des
Heren Abwefenheit gebrummt, vielkicht aus Ungeduld, weil
er ihm etwas verdorben hatte. Hier fpielte mehr die Eitel-
feit, die die Größe des Bruders durch Traveftiren verklei⸗-
nern wollte, damit die Brüderfhaft nicht gehoben werde.
Der Dieter bat mic), ihn oͤfter zu beſuchen, was ich
gern that, und fo gelang es mir, -bald feine Freundſchaft
im gewinnen. — Bir Dichter, ſprach er einmal, müſſen
uns zu den jungen Leuten halten, in denen noch Saft und
Kraft if. Es geht den Welteren wie den Spargeln und
den Erbfen, fie verhärten ſich mit der Zeit, und find zuletzt
gar nicht mehr zu geniegen. — Ich babe mi in Euch
ganz geirrt, Meffer Lodovico, ſprach ich. Ich meinte, Ihr
wäret ein Weltmann, ein Politi?er, fein und gefchmeidig,
19 Lebensbefhreibung des
wie ein Damenhandſchuh, und nun finde ich einem treu⸗
berzigen Prieſter der ſtill für ſich in feiner Klauſe lebt.
Nun, mit dem PrieftertSume, antwortete er, iſt es nicht
meit ber; freilich Meide ich mich als Priefter, und geniege
durch die Vorforge des Kardinals Hippolit einige Pfründen,
die beſſet wären, wenn ich mic die höhere Welhe zu neb-
men hätte entfpliegen Können. Beil id aber die Sreiheit
Tiebe, und das Recht, mid zu verheirathen, nicht aufgeben
wollte, iſt es nie geſchehen. — Ihr feid ja aber doch wicht vers
heirathet, fagte ih. — Nun, fo babe id wenigftens Erlaub-
niß, es zu thun, wenn ich mil, und das iſt die Hauptfache.
— Barum babt Ihr es denn nicht gethan? — Beil ih
fürdtete, es konne mir einmal auch ein folder Becher ge»
reiht werden, wie Rolanden vom Burgherrn im drei und
vierzigften Gefange. Ihr wißt ja wohl? — Dreiundvier⸗
sig, antwortete ich ftotternd, id habe nur mit dem größten
Vergnügen die erften zwanzig Gefünge gelefen, aber da
kommt nichts darin vom Beer vor. Meine Braut bat
mir ein Eremplar Eures Orlando. gefhentt — in Spanien
in meiner Einfamfeit war es mir noch nicht zur Hand ge»
kommen, — und auf der ſchnellen Reife — Nun, was
braucht Ihr mir dafür Rechenſchaft abzulegen, rief Arioft,
keine menſchliche Macht kann Euch dazu zwingen, meinen
rafenden Roland zu Iefen. — Aber eine göttliche, fprac) ich
die Macht des’ Gefanges felber; — wenn, wie gelagt, nicht
die Zerffreuungen — Ihr fuͤrchtet vielleicht, rief Der Dichter
lachend, den Faden der Geſchichte zu verlieren? Aber feht,
mein junger Zreund, Deshalb habe ich chen den Plan fo
locker und loſe angelegt, dag eigentlich gar fein rechter Fa-
den darin ift, und daß man überall anfangen kann. Benig«
ſtens geht der Faden nur in die kreuz und auer, wir der
Don Cyrillo de Valaro. 193
Seien der Ariadne im Labyrinth. Luſtige, verliebte, felt-
fame Abenteuer, nur durch Blumentetten zufammen gefloch⸗
ten. Dadurd habe ich aber den Zeitgeſchmack getroffen. —
Gersig, rief ih, das Gerüht fagt, Euer Gedicht habe fo
fehr dem Vollsgeſchmacke zugefagt, dag es fogar in die ita-
lieniſchen Räuberhöhlen gedrungen fei. Allein zwei Raͤthſel
werdet Ihr mir erklären und loͤſen. ie war es möglich,
daß der Kardinal Hippolit, der Euer großer Gönner und
Zreund war, als er den Roland gelefen hatte, fagen fonnte:
Aber, mein lieber Meifter Ludwig, wie haft Du doch alle
die Narrenspoffen zufammenreimen können? Uud wie war
es möglid, daß ein folder Mäcen der ſchönen Künfte feir
nem nalürlihen Bruder aus Eiferſucht die Augen ausreigen
laſſen konnte? — Die Antwort liegt in Eurer Frage ſel⸗
ber: Wäre Hippolits Herz weich und offen genug für die
Dichtkunſt geweſen, fo häfte er feine folde Grauſamkeit ber
sehen können. Wie follte aber der mit einem armen Poeten
glimpflich verfahren, der feinen eigenen Bruder fo behane
delte. — Und doc, ſprach ic, babt Ihe mit ihm fehr Lange
gelebt, und ihn in Eurem Gedichte entſehlich gerühmt. —
Gar zu viel, antwortete Ariof und flug die großen Augen
nieder, die auf einige Augenhlide ihre ‚Heiterkeit: verloren.
Jeder Menſch hat feinen Burm Die Italiener und die
Dichter übertreiben gern ihre Lobeserhebungen, und ich ge»
böre beiden Nationen an. Hippolit bat mic viele Jahre
hindurch unterflüßt und gelohnt; immer etwas karg zwar,
ich lebte aber doc bei ihm und theikte alle die Vergnuͤgun⸗
gen des Hofes. Jene Miſſethat war viele Jahre ein Ger
beimnig. Jugend und Eiferſucht baden oft ein beftiges
Herz zum augenblidlichen Ftevel verleitet, das ſich nachher
gebeſſert. Hippolit betrug ſich in fpätern Jahren mit Anftand
Oehlenſ. Schriften. XVII 13
19% gebensbefäreibung des
und Grazie. Gr mar fein ſchoner Geift, liebte mich als
Geſellſchafter. nicht als Dichter. Die Dichtkunſt betrachtete
er als etwas Untergeordnetes zum bloßen Bergnägen. —
Jetzt habt Ihr es alfo weit beffer, Meſſer Lodovico, ſprach
ic, beim rubigen, heifern Alphonfo, der große Künftler und
Dichter über alles ehrt und liebt. Aber fagt mir doch, un-
ter uns, wie hat Alphonfo die Lucretia Borgia zur Frau
nehmen können? — Alphonſo ift und bleibt edel, antwortete
Arioſt. Als der graufame Gäfar Borgia in Italien wü-
tete: Hätte diefer giftige Drache ſich auch gegen Ferrara
gekehrt, wenn nicht Lucretia im höchſten Grade ihrer felt-
nen Schönheit eine Heftige Liebe für Alphonfo gefaßt hätte.
Durch diefe Heirath hat er fein Zehen gerettet, und von fti«,
ner ftillen, männlichen Größe bezwungen, hat ſich auch Zur
cretia gebeflert. — Sp ift denn alles jegt gut und vor«
trefflich rief ih. Der Herzog iſt glücklich, Ihr feid glüd-
id), und ich werde aud bald glüclich fein. — Ich nenne
mid glücklich, ſprach Arioft, weil ich gefund bin, ich muß
mic) aber immer noch ziemlich Enapp durchſchlagen, und habe
eine große Familie zu unterhalten. Alles wäre noch recht
fhön, ivenn man uns unfer Erbgut Bagnolo liege. Allein
meitläufige Prozeſſe, erft mit den Minoriten und dann mit
der berzoglihen Kammer, verbittern mir manche ſchöne Tage
des Lebens. Befonders jest, da Alphonſo Trotto, ein ver»
unglüdter Poet, herzoglicher Factor und Curator des Fis-
tus, mein Feind if. Er ift wie toll, fobald die Nede von
mir iſt. Sonft in feinen Geſchaͤften war er vorher ein ganz
ordentlicher Mann; er. bat aber jetzt die fire Idee, alles in
der Poefie beſſer, oder wenigftens eben fo gut, als ih, ma-
hen zu wollen. Schreibe ic eine Komödie, ſo macht er
auch eine, Dichte ich einen rafenden Noland, fo macht er
Don Eyrillo de Valaro. 195
einen vernünftigen dito. Man lacht ihn aus, und id würde
auch laden, wenn der verdammte Kerl nicht durch Zufall
in ein Verbältnig gekommen wäre, wo er mir ſchaden fann,
und mo id von ibm abhänge. Gin Bort des Herzogs
könnte den ganzen Streit endigen, id) hatre aber vergeblich,
auf das Wort. Gin Jahr vergeht nach dem andern, id)
werde jedesmal ein Jahr älter, dic Haare fallen mir immer
mehr aus, und die Glatze wird immer größer.
Dann muß man fie mit Lorbeeren bededen! ſprach die
ſchone Alehandra Strozzi. des Dichters Freundin, (und, wie
mehrere meinten, feine heimliche Gemahlin) die eben aus
dem Garten hereintrat und ihm einen frifchen, breiten Kranz
um die Schläfe drüdte. Nun feht Ihr noch aus wie ein
vierundzwanzigjähriger Züngling. — Ad), liebe Frau, fagte
id), gäbe Gott, dag wir vierundzwanzigjährige Jünglinge
fo ausfähen. — Damit nahm ich Abſchied, um die Lichen«
den nicht zu ftören, und um meiner eigenen Liebe nachzu⸗
gehen.
Es vergingen kaum drei Wochen, fo machte mid die
Ehe zum glüdlicften Menſchen. Die Herzogin machte ſelbſt
unfere Hochzeit auf einem Kleinen Luſtſchloſſe.
Eines Abends fuftwandelte ich mit meiner jungen Fran,
um die Rachtigallen zu hören: Das füge Getön Iodte ung
immer tiefer in den Wald hinein. Eleonore war eine au-
gerordentliche Liebhaberin von Nachtigallen, und es ließen
ſich beute Abend vier auf einmal hören, die einander ganz
vrdentlich ablöften, und ftärter als gewöhnlich ſchlugen. Zur
legt waren wir ihnen ganz nahe und fürchteten, die Kleinen,
iurchtſamen Sänger mit unferm Gerauſch zu erfrefen und
1% Lebensbefhreibung des
wegzuſcheuchen. Cie ließen ſich aber gar nicht irre machen
und trißerten immer beffer und beffer. Wie erfcrafen wir.
aber nicht, als wir die Augen auffhlugen, und ftatt kleiner,
grauer Vögel, vier Kerle in den Bäumen faben, mit Schnurt-
bärten, in rothen Jaͤcchen, ‘und mit Flinten in den Hän-
den, womit fie auf ung zielten. Meine Frau fiel in Ohn⸗
macht. Mehrere Räuber fprangen aus dem Gebüſch, bee
mägjtigteu fid) ihrer und zogen mit ihr fort, während die
Nachtigallen mit fürchterlichen Bapftimmen wir befahlen,
feinen Schritt weiter zu thun, fie würden mic) fonft gleich
auf der Stelle todtfchiegen. Ich war unbewafinet, und ei⸗
mer gegen fo viele, was konnte id) anders thun, als gehorchen.
Als die Andern weit genug mit der Armen fort war
en, gaben mir die Räuber ein Beiden, daß ich aud) gehen
tönne. Ich gehorchte, und als id) einige Schritte gethan,
hörte idy ein fernes Pferdegetrappel, woran id dann mahr-
nahm, daß ſich das Naubgefindel mit der fhönen Beute
weit genug wegbegeben hatte, um nicht eingeholt zu werden.
Im boͤchſter Verzmeifelung und in Thränen gebadet,
begegnete ich dem Dichter Arioft, der meine Erzählung ziem-
lich gelaſſen und mit einer Art von Zerſtreutheit hörte; als
ich ihm aber eine Schilderung von den koloſſalen Nadye
tigallen machte, brach er in cin lautes Gelächter aue.
Sein Spaß brachte mid) in Zorn gegen ihn, ich ſchatt ihn
ein kaltes Herz, einen egoiſtiſchen Menſchen, der, in feinen
eigenen, eitlen Träumereien verfunfen, für das, Schidfal fei-
nes Naͤchſten fein Gefühl übrig habe. Darauf wollte ich
ihn verlaffen. Er griff mi heim Aermel und fragte, wo
ich hin wolle? — Zum Herzoge, rief ih. — Er ift nicht
au Haufe, antwortete er mir. — Dur Herzogin, zur Freun«
Don Eprillo de Balaro. 197
din meiner Geliebten. — Bleibt bei mir, ſprach er, das
iſt beffer. Die Herzogin würde gar zu viel meinen. Ich
weine freilich nicht mit Euch, habe vielleicht mehr als billig
gelacht; Ihr Habt mich aber Heleidigt, garflig ausgefholten
und id) fordere Satisfaction. Gern! rief id, und 301 gleich
vom Leder. Das Leben hat für mid feinen Werth mehr,
Ich bin gleich fertig, — Ich nicht, erwiederte er ſehr tur
Big; ih) muß erfi einen Degen holen, denn wir geiftlihen
Leute gehen, wie Ihr wiffet, unbewaffnet einher. Aud) brauchte
ich mic) eigentlich als Weltgeiſtlicher nicht mit ERA zu ſchla⸗
gen; wenn id) es thue. fo gefdicht es blos aus Freundſchaft
um Euch damit ein Vergnügen zu madıen. — Sein fort-
gefegter Scherz erbitterte mid) nicht mehr, aus feiner heitern
Ironie dämmerte vielmehr ein geheimer Troſt für mid), den
id) begierig zu wiflen verlangte.
Darauf erzählte er mir, wie fi in der Garfagnana,
einer dem Herzoge zugehörigen Provinz, zwiſchen Modena,
Lucca und Mafla, von hohen Gebtrgen durchſchnitten, meds
rere Räuberbanden gebildet hätten, als ſich das Land unter
der Gewalt des Papſtes befand. Mord. Gewalt, Lift und
Raub gehörten, alg der abſcheuliche Cäfar Borgia wüthete,
zur Tagesordnung. In der legten Zeit Hatte fi aber ein
Haufen Vagabunden aus guten Häufern, die ſelbſt alles
verloren ‚haben, verbunden, blos um bedeutende Leute weg -
zuſchnaphen umd gegen ein gutes Läfegeld wieder auszulie-
fern, welches aber zu beftimmter Zeit prompt bezahlt wer-
den mäffe, wenn die Räuber nicht aus Race die Gefange-
nen binrichten follten, worauf fie einen gräglichen Eidſchwur
gethan hätten.
Bas. mir Arioft fagte, beflätigte ſich noch den felbigen
198 Lebensbeſchreibung des
Abend, als mir ein Zettel folgenden Inhalts, mit Bleiſtift
gefhrieben, zum Benfter hereingeworfen wurde:
„Wenn Don Eyrilo de Valaro binnen Monatefrift
feine und feiner Frau Juwelen in den hohlen Baum im
Walde binfegt, wo er die Nachtigalen mit Schnurrbaͤrten
ſchlagen hörte, betömmt er gleich feine Frau Eleonora ge
fund und undefjädigt wieder, mo nicht, wird er ihren Leich -
nam mit einem Dolde in der Bruft unter dem Baume
finden.“
Ach rief ih) entzüct, als Arioft eben zu mir hereintrat,
ich befomme fie wieder! Die Bagabunden wollen nur arm»
felige Edelſteine Haben, auf den derrlichſten, lebendigen Ius
mel, den fie ſchon befigen, verftehen fie ſich nicht, willen fie
feinen Preis zu fegen. — Keinen Preis? wiederbelte der
Dichter, der nun den Zettel gelefen halte, nun beim Bachus.
mich dünkt,_der Preis ift hoch genug. Und wovon wollt
Ihr mit Eurer unfhägbaren Frau fünftig leben, wenn Euer
Bermögen dahin ift? — Der Herzog wird mir, durch Ber-
mittelung der Herzogin, einen Kleinen Poften geben, ant«
wortete id, movon wir leben können. — Baut nicht darauf,
antwortete ter Digter; der Herzog hat auch nicht viel,
felbR die Landeskinder, die ausgezeichnetften Leute, die er
liebt und ſchaͤzt, und die täglid um ihn find, befommen
wenig. Mir, zum Beifpiel, hat man neulich cin Stipendium
zu zahlen aufgehört, welches ich ſchon während des Krieges
ſehr unordentlic, bekam, weil fein Geld in der Kafle ift. —
Es fing mir an, heiß um die Obren au werden; Ariofto
verſetzte aber ernft: Ich will Eud) nicht entmuthigen, Cy-
rillo aber auch nicht mit unzeitigen Hoffnungen zu früh be»
ruhigen. Ich will Eud ſchlicht Hin meinen Plan mittheilen:
Den Eyrillo de Balaro. 19
. N
Ihr nehmt die Juwelen mit Eud, ich verfafle cin klei⸗
nes Gedicht, fo begeben wir uns beide nach der Barfagnana,
und beſuchen iu der Nacht die Räuberhöple, wohin ung die
Baden der Bagabunden bringen werden, wenn wir uns
als Ecute anmelden, die den Domenico Morotto zu ſprechen
wünſchen. Vielleicht trau' ich zu viel auf ihre Grogmuth;
fo viel weiß ich aber, dag noch oft ein Funken von Große
muth da noch in der Aſche glimmt, wo Gerechtigkeit und
Billigteit ſchon lange verloſchen find.
. Ihr habt mir ſelbſt erzählt, dag mein Name in Italien
fogar bei den Näubern etwas gelte. Jetzt wollen wir die
Probe machen! Sollte ich mit einer langen Nafe davon⸗
sehen, fo babe ih Euch doch meinen guten Willen gezeigt,
und wenn Ihr den Räubern die Juwelen bringt, befommt
Ihr allenfalls gewiß Eure Frau wieder.
Edelmũthiger Mann, rief id), das ift zu viel; fe were
den fid) Eurer eigenen Perfon bemädjtigen, um ganz Italien
in Gontribution zu fegen. — Das thun fie nicht, wenn ich
freiwillig komme, ſprach Arioſt. Wie die Beduinen der arar
biſchen Wüſte, werden fie die Gaftfreipeit nit verlegen,
und dem Mianne kein Leides thun, der ſich zuverſichtlich ihrer
Schwelle naht.
IM dankte Gott, der mir diefen trefflihen Mann zum
Freunde gegeben, nahm unfern ganzen Schaß und reifte mit
Arioft nad der Garfagnana, wo wir Nachts eintrafen und
uns gleich in ‚die wilde Gebirgsgegend hinauswagten. Wir
riefen jeßt, als wir nach des. Dichters Meinung in der Näbe
der Näuberböble waren, fo oft Domenico Morotto, bis ung "
feine Borpoften ergriffen und uns mit verbundenen Augen
in die Höbfe führten.
200 . Lebensbefhreibung des
Nie vergeffe ich den Hugenblid, als wir in der Felſen⸗
halle fanden und uns die Binde von den Augen geriffen
wurde,
Erſt wo wir hineintraten, in einer Art von Borzim-
mer, lief ein Baldbäclein leiſe fäufelnd durch die Kluft,
‚während der Mond droben durd cine Nige feinen langen,
blagblauen Strahl ſchräge durch die Dämmerung warf.
Drinnen rundete fi ein groger Raum, mie ein Tempel,
von rothhrennenden Zadeln zum Theil erleuhtet. Die
Bände waren prächtig mit Föftlihen Saden, Waffen, Klei-
dern von Sammet und Seide, Goldgeſchmeiden und Silber⸗
geſchitren ausftaffirt. Mitten im Zimmer fand ein mar-
morner Tiſch, und um diefe Tafelrunde fagen die Räuber
ſchoͤn gruppirt, ohne daß fie es mußten, denn fie hatten ſich
in verfchiedenen Stellungen nadläßig bingemorfen, um ihren
Anführer Domenico Morotto zu hören, der ihnen laut aus
einem großen Buche vorlas. Die Räuber waren alle fehr
aufmerffam, und fein Bild von Caravaggio fünnte beffer
fein. Schöne, fhlaus, laͤchelnde, wollüftige, zum Theil wilde
Geſichter, glatt und jugendlich, mit Meinen Schnurrbärten,
teils mit Zederhüten, theils mit bloßen Krausköpfen, halb
im hellſten Licht, bald in den dunkeiſten Schatten "phanta-
ſtiſch geftelt. Zur Seite dem Häuptlinge Morotto, deffen
mohlgeftaltefer Körper dem Bildhauer zum Modelle eines
Kriegsgottes trefflich Yätte dienen Lönnen, faß meine Eleo-
nora de Sylva ganz gelaflen, als idealifhe Bäuerin ge
Eieidet, ein lichtrothes Ne über die blonden Haare, die wei,
gen Arme und Hände im vortheilhafteften Lichte, bei einer
Handarbeit, wie Penelope bei den Freiern in Ulyſſes Ab»
wefenheit. Sie hörte dem Morotto zu mit zufriedener
Yufmerffamkeit, und fhien mit ihrer Arbeit ſehr beſchaftigt.
Don Eyrilto de Balaro. 21
waͤbrend ihre Augen doch oft, wi in Gedanken vertieft,
auf den vollendeten Umriffen feines Körpers ruheten. Wenn
er mitunter aufblidte und fie anfah, nickte fie ihm la⸗
chelnd zu. —
Bas foll die arme Fran thun, dachte ih. Cie iſt
wobl genöthigt, gute Miene zu machen, und mit lädelndem
Geſichte in den fauern Apfel zu beißen.
Als wir näher kamen, hörte ich deutlich, daß aus dem
rafenden Roland von riofto vorgelefen wurde. Es war
im zwölften Gefange, wo Noland vor Paris ſich ganz al»
fein mit den wilden Saracenen fhlägt.
Ha, Bravo! Arioſto, Bravifimo! tönte es von allen
Seiten ber. Ein göttlicher Keri! Ein wahrer Poet, ſorach
Einer; er ſchildert Euch die Djänner chen fo tapfer und
fühn, als die Weiber verlicht und reizend! Gr bat auch
felbft das Pulver gerochen, fagte ein Zweiter, den Vene
tianern ein Schi auf dem Po genommen. — Ich wünfchte
ihn zu fehen, rief ein Dritter. — Möchte ihm gern einen
Gefallen thun, wollte ihm meine beften Piftolen geben, rief
ein Vierter. — Hier ift er, ſprach der Fünfte, der ung
meldete; er toͤmmt mit dem Gatten der fhönen Elconora,
um fie loezukaufen.
Die Räuber fprangen alle von ihren Sigen auf, als
od eine Geiftererfheinung fie in Erftaunen fege. Diefen
Augenblid benutzte der Dichter, und mid bei der Hand
nebmend, trat er hervor und forac I laut und vernehmlich
folgende Worte:
Lebensbefhreibung des
Ihe Männer, die Ihr mit zu fühnem Sireben
Die Heldenzeit zurück zu rufen Denkt,
Nur Ubentener achtend, nicht Dad Leben,
Durd Sit und durch Geſetz Guch zu befchränft;
Freiwillig hab’ ich mich hieher begeben, "
Rach wilden Wäldern meinen Scheitt gelenkt.
Auf Eure Großmuth darf ich ruhig bauen
Und hoffend Euch in die Gefichter fchauen.
Denn wenn auch gar zu fühn, gar au vermegen,
Ihe manch Verdaltniß fredentlich verlegt,
‚Habt Ihr doch nimmer Euren Heldendegen
Je gegen des Unfchuld’gen Bruf gemept.
An Mord und Blut ift es Euch nicht gelegen;
In Graufamteit Ihr teine Ehre ſebi.
Die meiften hier aus edlem Blnt entfproffen,
Glüddritter ſind's und tapfre Kriegägenoflen.
D
wie ein lumpiges @efindel fchleichen
Sich Eure Banden furchtſam durch Die Nacht;
Ic den: Iht nehmt es auf bald mit den Reichen,
Denn in der Höhle feh’ ich große Pracht.
‚Hier Dämmertö nicht, hier riecht es nicht nach Leichen;
Ihe Habt den luſt gen Bruderbund gemacht.
Goldketten ſeh ich, filberne Pitolen,
And Diamanten auf den Terzerolen.
Wie junge Adler Tchirmen ihre Beute
Im hohen Reft, in breiter Gichen Laub,
Seh” ich nur lauter junge, friſche Leute
Im Felſen ſtolz fich lagernd um den Raub.
Don Eyrillo de Valaro. 203
Ihr hört dea Dichters Lied zuerſt nicht heute,
Seid nicht für den Befang der Mufe
Bernedmt denn, was fie bitter! Darf fies wagen,
nd werdet Ihr die Witt’ ihr wohl verfagen?
Ibe hadi in dem Orlando gern gelefen,
Wie fich Medor, Angelita geliebt;
‚Hier in der Höhle feufit ein ähnlich Befen,
Das durch Gefangenschaft Ihr fehr betrübt.
Sie Hat ſich den Geliebten auscrieſen,
Der für die Braut fein Gold, fein Auch giebt;
Doch wer foll dann die fchöne Qlume pflegen?
Huf ‚nadtem Stein verweitt ie, ohne Regen.
Er icht Hier mit dem cha, ich mit dem Worte,
Die dreiſte Bette hab’ ich fühn gewagt:
Bertrauend, ſprach ich, mandl' ich nach dem Orte,
Und bringe ſie zuruck noch eh’ es tagt.
Ich wage mich nicht nach dem Drachenporte, "
Der giftig auf dem Gold fich felber plagt.
Richt ale Räuber fpotten aller Pflichten:
Eie fchägen noch das Peben und dad Dichten.
Sie lafen Arioſtos Abenteuer
Vom fhönen Madchen, nackt am Pfahl gebunden;
Doch mit dem Krafen, mit dem Ungeheuer,
&efühllos Haben fie ſich nicht verbunden.
Much felbft das Leben tauft man oft zu theuer!
Bas iſt der ſchone Leib, wenn er geſchunden?
Eo ſchentt dem Mant denn feine Gattin wieder,
Damit bezahlt Ihr reichlich meine Lieder.
204 Lebensbefhreibung des
Ar wünfchtet oft, den Dichter ſelbſt zu fehen,
Bohlan, Ihr ale gleich ihn kennen foht;
Den Mriofto feht Ihr vor Euch chen,
Es freut ihm, DaB Ihe feinem Liede hold!
@oll er von dannen wieder fröhlich geben,
So gebt dem Mann Die Gattin, nehmt fein Gold,
Und zeigt, Daß wahr in Guch der Dichter fchaute,
Der ſeibſt dei Räubern noch auf Großmuth baute!
Brauch' ic) hinzuzufügen, melde Wirkung diefe® Lied,
im glüdlihften Augenblicke recitirt, auf die phantaſtiſchen
eitlen Gemüther madıte? Gin allgemeiner Beifall ertönte
noch lauter, als vorher. Alle drängten fih hinzu, um den
geliebten Dichter zu fehen, um feine Hand zu drüden. Ich
betam gleid meine Frau zurüd, die nicht fo vergnügt ſchien
als id es geglaubt hatte, ohnerachtet fie zu wiederholten
Malen mir die Freude verfiherte,
Damit der Eidſchwur der Räuber, feinen Gefangenen
ohne Löfegeld heraus zu geben, nicht gebrochen werde, mußte
id dem Domenico Morotto die Edelfteine geben, der fie
aber gleich wieder mit ritterlihem Anftande meiner Frau-
ſchentte, mit der Verfiherung, es freue ihn fehr, bei diefem
Zufalle den großen Arioft kennen zu fernen, und ihm einen
Dienft zu erzeigen.
Drauf ließ er köſtlicen Bein und kalte Pafteten drin⸗
gen. Nach geendeter Mahlzeit entlicg uns der Häuptling
ſehr hoͤflich. Wir wurden wieder mit zugebundenen Augen
von zwei Wächtern meggeführt, die ung auf der Herrftrage
Don Grill de Valaro. 205
verließen, wo mir mit einer Geſellſchaft Junger, lachender
Menſchen zufammen trafen.“
Bir erſchraken anfangs etwas und fürdtefen, dag wir
aus der Scylla in die Charybdis gefallen fein möchten,
denn dieſe Leute ſahen wahrhaftig eben fo verdächtig aus,
als die, welche wir eben verlaflen hatten, ja noch ärger.
Kaum aber hörte Arioft fie ſprechen und ſah ihnen recht
in die Geſichter, fo kannte er fie alle glei, ſchlug erftaunt
die Hände zufammen und rief: Traͤum' ih? Oder find alle
edlen Zünglinge aus Ferara jeßt Bagabunden geworden? —
Das verfteht ſich — antwortete Pietro Bembo, der aͤlteſte
von ihnen, der einen prächtigen Palaft in der Stadt befaß.
Bas -thut man nicht den Mufen zu Gefallen, und um
ein fdyönes Lied von Italiens größtem Dichter zu befommen.
Wir begriffen noch nicht, was er damit fagen wollte.
Als Arioft aber feinen Bruder Gabriel mit im Gefolge ent
deckte, begrüf er mohl, dag man einen Schwank vorhatte,
erzählte ihnen fein Abenteuer und den Erfolg davon, und
bat, ihm jept auch in ihr Geheimniß einzumeiben.
Ihr feid ju einem zweiten Triumpbe gekommen, gött⸗
licher Mann! rief Pietro Bembo. Denn mie eben Euer
großes Verdienſt felbft von Näubern gewürdigt ward, fo
follt Ihr jept Zeuge von der Befhämung, der Anmagung
und der eitlen Thorheit fein.
Ieht erfuhren wir, daß die ganze Maskerade dem Fat-
tor Alphonſo Trotto zu Ehren angeftellt war. Dieſer wun-
derliche Menſch hatte kaum ausſpionirt, daß Arioſto zu den
Näubern in der Garfagnana gehen wollte, um fie in einem
206 Lebensbefhreitung des
Gedichte um die Breilaffung der ihönen Eleonora ohne Lb-
fegeld zu bitten, als er beſchloß, dem Dichter zuvorzulom-
men, und es felbft zu thun. Cinige Freunde, denen er feis
nen Vorfag mittheilte, erſchtalen. In folder Verlegenheit
mendeten fie fi an andere ihrer Zreunde, die aber nicht
die feinen waren, und fo wurde denn diefe Komödie veran-
ftaltet. Borftellungen, das wußte man voraus, würden beim
Trotto nichts helfen, denn einem vernünftigen Grunde hatte
er immer hundert Spitzfindigkeiten entgegen zu ftellen. Wenn
fie aber fein Zehen rettete, meinten fie, Hätten fie auch die
Erlaubnig, ſich mit feiner Narrheit etwas zu Gute zu thun.
Die jungen Leute verfleideten ſich alfo als Räuber:
Die alte Haushälterin des Alphonfo Trotto ward mit in’s
Geheimuiß hineingezogen. Diefe Kanthippe, die ihr einziges
Vergnügen darein feßte, mit ihrem Hausherrn zu zanfen,
that gern, was man von ihr verlangte. Sie lieg Mh gern
dazu überreden, die fhöne Eleonora vorzuftellen, und ging
verföpleiert mit, um den Knoten der Kataftrophe zu rechter
Seit mit dem Barbiermeffer ihrer Zunge zu durchſchneiden.
Es dauerte nicht Lange, fo ſahen wir Alphonſo Trotto,
von zwei Bedienten gefolgt; an deren gefährlichen Arm»
und Kobfbewegungen wir deutlich merkten, dag fie ihm noch
von dem gefährlichen Schritte abriethen. Er lich fie aber
zurück geben, und ſehr emfig und unerfähroden wackelte der
magere, dünnbeinige Faktor uns entgegen, mit einem Del-
zweige in der Hand, und die kleinen, nidhtsfagenden Augen
weit aufgefperrt, um uns Ehrfurcht einzufdgen. Er hatte
felbft eine blanke Trompete an der Seite hängen, worein
er alle Augenblide ſtieß. um ſich als Friedeneherold anzu»
kündigen. Als cr uns auf Schugweite nahe getommen, ver-
Don Cyrillo de Balare. a7
langte er Gehör. Die wurde ihm fogleih zugeftanden,
worauf er aus der Rockaſche ein Papier, aus der Hefenta-
ſche eine Brille z09. Darauf räufperte er fi, und lag,
ftoiternd und oft die Worte wicderholend, Folgende Etanzen:
Ihr Cünder, die Ihr wohl verdient ju hangen,
In, felbR zu radebrechen nicht zu gut!
Feeisoiiig bin ich dent hinausgegangen,
‚Ihe feht, es mangelt Trotto’n nicht an Muth.
Zwar fleht nach Euch mie Herz nicht, noch Verlangen,
. Bielleicht vergießt Ihr noch mein edles Blut.
Doch, Leutchen, nein! das werdet Ihr wohl laffen.
Mit großen Herrn in es nicht gut zu fpaßen.
Ihr Habt begangen viele Mifethaten,
Und werdet deshalb auf der Folter ſchwitzen
Denn wollet Ahr die Frevel nicht verrathen,
Bleibt das Geheimniß in der Acht’ Euch figen. @
So wien wir, verhärtete Arabaten,
Den Bauch mit dem Geheimniß aufjurigen.
Dann werden wir julept den Trog wohl ſchwächen.
Doch jego will ich von was Underm fprechen!
Ufo: Ihe Habt dem Mann die Fran geftohlen.
Echämt Guch, gebt ihm die Gattin gleich zurück.
3% tomme felber her, fie abzuholen,
& liefert fie heraus im Augenblick,
Es brennen untcr'n Füßen mir Die Sohlen,
3% zitire vor der Teefflichen Geſchic.
Ich Hoffe doch, Ihr Habt ihr nichts entwendet,
Und bin deöhalb gerichtlich anögefendet.
Lebensbefhreibung des
3% will Euch Mar aus der Moral berveifen,
Ir Habt fein Mecht, des Maubed zu genießen,
Denn Jeder hämmern muß fein eignes Gifen.
Mund Jeder mit der eignen Flinte (drießen.
Gin Dieb nur zeigt fich frech in fremden Kreifen,
Und pflüct die Blumen, die für Andre. ſprieben.
Bas wollt Ihr? Seid Ihr wide Iafulaner?
Seid Ihr Tuneſen? Scid Ihr Maroecaner?
Ein bieimſchuiid hat ſich thöricht unternommen,
Mit Werfen, kaiſchen Reden Euch zu fchmeichein ;
Doch ich bin als Iurin Herandgefommen,
And wit ald Hund Euch nicht wie Hunde fireicheln.
Zwar fühl ich mich im EBalde ſeht beflommen,
30 geimm’ge Thiere leben nur von Gicheln.
Zu Tauben fprech’ ich hier, nicht au Juriſten:
And — lieber Gott im Himmel — kaum zu Gheifen.
Bean or mich fenntet, fenntet meine Gabe,
Und meine Kenntnig und Gelehrſamteit:
Ich ſprach lateiniſch ſchon ald Feiner Angabe,
Urd von dem Griechiſchen war gar nicht weit.
Im Rebenftunden ich gedichtet habe,
Doc machte ſich mein Genius nicht breit,
. Ich Könnte wohl auch einen Roland machen —
Tod jego fprechen wir von andern Sachen.
Gebt Ihr zurü die Fran mir, ohne Schande,
Und habt Ihe feeventlich ihr nichts geiban,
©&o rett’ ich Euch drei Brüder aus der Bande,
Die fonft sum legten Mal die Sonne fahr.
Don Gyrillo de Balaro. 209
Geht friedlich dann mit ihnen auß dem Sande,
Ihe dürft Guc) nimmer unfeee Bränge nahn.
Den Benetianern fonnt Ihe feel begegnen!
Da raubt nur — und der Himmel wird Euch fegnen!
Als Alphonfo Trotto fertig war, rief Pietro Bembo
mit verftelter Stimme: Beim Jupiter, ein gar ſchönes Lied!
Beſſere Stanzen Lönnte ſelbſt Arion an feinem Ambofe
nicht ſchmieden. — Das follte ich meinen, ſprach Alphonſo
ſtolz. In meinen Stanzen findet Ihr nichts von Schmei⸗
Gelel, nichts von Schmwärmerei, nichts von phantaſtlſchen
Bildern. Ich ſpreche zu der Vernunft, und damit Baſta.
Und dann diefe Humanität, Diefe Vaterlandsliebe, rief
Giambattiſta, die es mit unfern Rachbarn, den Venctia-
nern, fo gut meint. — Und der fromme, gottesfürchtige
Wunſch zum Schluß, rief Pietro Bembo, hat mir vorzüg-
lich gefallen. Wahrhaftig, ich fehe nicht ein, dag und et⸗
was anders zu thun übrig bleibt, als ihm die Schöne auss
aultefern. — IC babe einen andern Vorſchlag, rief &a-
briel Arioft mit roher Baßſtimme: Ich finde in diefen er»
. bärmlihen Reimen nichts als den unverfhämtenten Duͤntel.
und meine vielmehr, dag wir dem Schurken den Bauch aufs
tigen follen, wie er zu thun uns gedrohet hat, und ihn
dann an einen der nädften Bäume aufhängen. — Sollte
das das Beffere fein? frug Pietro Bembo bedenflih. Im
es ift wohl möglid. Man Tann eine Sache von verfchie-
denen Gefihtspunften anfehen, und meint die Mebrbeit, dag
er biltigerweife hangen fol, fo will id nicht fo unbeſcheiden
fein, einer ganzen werthen Gefellfhaft zu mberfpreden,
Dehlenf. Schriften. XVII.
210 Lebensbeſchreibung des
Tept entftand ein Streit, zu dem Alphonſo Trotto
ſchwerlich ein ruhiger Zuhörer fein konnte, obſchon er ſich
mit mehr Faſſung dabei benahm, als wir es von ihm er ⸗
wartet hatten. Einige wollten ihn hängen und ihm den
Bauch aufrigen, Andere’ wollten ihn mit Lorbeeren kroͤnen
und die Schöne ausliefern. Man fing fon an, den Kranz
zu fleten, und an dem Strid eine Schleife zu machen.
Endlicy fiegte die fteundliche Partei, und die alte Haus«
bälterin, die wie eine Hyäne auf den Raub hinter dem
Schleier lauerte, wurde ihm als Donna Eleonora zugeführt,
worauf wir fie beide verließen, uns aber nur fo weit ent-
fernten, daß wir hinter den Buͤſchen das Schelten und Ban»
ten der beiden Hausgenoflen hören konnten, als er Die
Wahrheit entdedte. Alpbonfo war fehr aufgebracht, aber
die alte Kanthippe noch mehr. Hab’ ich mein Tag fo etwas
gefehen, rief fie, der alte Geck läuft hinaus, fi von Räu⸗
bern ſchlachten zu laffen, um junge Frauenzimmer von zwei⸗
deutigem Rufe im Walde zu befreien. Habt Ihr nicht mich
ohne allen Riſiko fon zu Haufe? Bin ih Euch etwa zu
alt jept? In alten Tagen war ich Euch jung genug. —
Eage mir nur, fage mir nur, meine liebe, befte Nebekta,
ſtammelte der Faktor voll Bath, mer die Unmenfhen wa⸗
ren, die mid) fo verhößnt Haben, dann will ih Dir Deine
ganze infame, niedertraͤchtige Treulofigkeit von Herzen ver»
zeiben. — Lauter Freunde, lauter Befhüper, Pbilofophen
- und weltweiſe Sokrateſſe waren es, rief fie, die Euch Har-
letin eine Lehre geben wollten. Lauter Woblthäter, die Euer
nichtswuͤrdiges Leben gerettet! Glaubt Ihr, dag wirkliche
Räuber folge Schimpfwotte ungeahndet gehört hätten, ohne
Euch lebendig in fiedendem Del zu kochen? Dankt Ihr
Gott und der heiligen Jungfrau, dag Allee fo gut abge»
Don Eprilfo de Balaro. a1
laufen it. Iept feid Ihr freilich zum Gelächter der gan⸗
zen Stadt geworden; aber das waret Ihr ja ſchon vorher;
Ibt Habt alfo nichts eingebüßt, fondern vielmehr gewonnen.
— Verdammter Arioft, ſchnaubte Alphonſo, verdammter
Berfemadyer, das ift wieder einer von Deinen Streichen. —
Mehr börten wir nicht; denn die Alte, die fih an ihn mie
ein Blutigel gehängt haste, zog ihn fort und verſchwand
mit ihm inter den Bäumen.
Ich war jeht wieder im Beſitz meiner fhönen Frau,
und würde mid, vollkommen glücklich gefühft haben, wenn
ich nicht eine gewiſſe Traurigkeit dei ihr enfdedt’Hätte, die
ich nicht begreifen konnte. Denn während wir nod mit
taufend Schwierigkeiten zu freiten batten, war fie heiter
und aufgeräumt, und jetzt, da wir zum Ziele gelangt, war
fie mißvergnügt, Ich fürchtete, dag ich etwas von ihrer
Liebe verloren habe; vorher hatte fie mich immer fo entzüdt
angefeben; jeßt mufterte fle mic mit einem gezwungenen.
freundlichen Lächeln, und ſchien innerlich Vergleihungen ans
auftellen. — I blidte fie zaͤrtlich an, ihre Kälte betrübte
mic, und die Tränen traten mir in die Augen. Sie trod-
nete mir die Wangen mit ihrem Schmupftuhe, und den
Btid ruhig auf mid) heftend, fagte fie, vornehm bedanernd
mit einem mitleidigen Lächeln: Hm! die kleinen Augen! —
Vorher waren ihr meine Augen groß genug geweſen Ich
fublte mid beleidigt und ging auf mein Zimmer, in der
Hoffnung, fie märde nahtommen un. die Beleidigung wie«
der gut machen. — Sie fam aber nicht, fondern blieb auf
ihrem Binmer. Ic ſchlief die ganze Nacht nis und weil
212 Lebenebeſchreibung des
ich fie noch beftig liebte, eilte ich heim frühen Hahnenge-
ſchrei hinein, um Alles wieder gut zu machen.
Bader fie noch ihr Kammermadchen fand ih da, fon-
dern einen Brief von ihrer Hand an mid), auf dem Tiſche
liegend, der mir Alles erflärte. Der Brief lautete wie folgt:
Mein lieber Cyrillo!
Es tut mir herzlich leid, daß id Dich betrüben mug,
Du haft Dir aber von mir eine zu hohe Idee gemacht;
denn in Deiner einfamen, kühlen Marmorhalle bei dem al⸗
ten Francesco Perez haft Du nur in Büchern gelefen, und
weder die Belt noch die Menſchen kennen gelernt. So
glaubtet Du denn auch, als Du mic in der Kirche nieen
fahft, eine heilige Gäcilia, oder Gott weiß mas zu entde⸗
den, deren Gefühle auf den Wogen der Melodien zum Him-
mel hinauf ſchwebten, während id doch hoͤchſtens nur eine
ſchone (und zwar keine büßende) Magdalene war. — Den
Zodtenkopf, womit die Maler immer die Mogdalena ads
konterfeien, hatte ich freilich alle Nächte dä mir liegen;
denn meine harten Eltern vermählten mid in früher Iur
gend mit einem ſchwachen, graͤmlichen Greiſe. —
Da ich mich in Dich ſterblich verlichte, weißt Du recht
gut. Dante Du aber der heiligen Jungfrau dafür, Cyrillo
daß ich nicht fo platonif wie Du in den höheren Regior
nen fümärmte, font wäre Deine Aſche ſchon längft in der
Luft zerftäubt. Denn der graufame Familiar, der die Welt
beſſer als Du kannte, ließ ſich nit mit leeren Verſprechun ·
gen abfpeifen, und wäre Deine Gelichte eine Heilige gewe⸗
fen, fo wäreft Du auf dem Auto da fe lebendig verbrannt
worden. IA habe Dir Leben und Vermögen gerettet, ich
Don Eyrilio de Balaro. 213
babe Dir in einem fremden Lande Deine Nitterehre, die
Du fhon durd Deinen Vater verloren, wieder verſchafft.
ich habe Dir Sicherheit und Schuß gegen die Nachſtellun⸗
gen der Inquifition-verfchafft. Ih bade mid Dir zärtlich
bingegeben. Was wilt Du mehr von mir? Daß ih Dir
treu ergeben verbleibe? „Das kann id nicht! Das ift ganz
gegen meine Natur. Soll ih heucheln? Soll id vor Dir
lügen und Did heimlich wie meinen Alten bintergehen?
Das will id nicht; das verdienft Du nicht von mir, daß
ich Dich beleidige. Der Alte verdiente es.
Ich liebe jept den ſchönen, berrligen Domenico Mo«
rotto, und werde von ihm eben fo heiß geliebt. Ich folge
ihm auf feinen Abenteuern, feinen Streifjügen Dies Ler
ben bebagt mir febr, es iſt romantiſch, es verfeßt mich fo
ganz bin in die poetiihe Welt unferes großen Dichters.
Gräge ihn vielmals, den herrlichen Arioft, und fage ihm,
dag Domenico und ich feinen rafenden Roland zufammen
Iefen. Allein Du darfft nicht ein folder raſender Roland
werden, mein Cyrillo, und Did wie ein wildes Thier ge»
berden, wenn Du etwa die Namen Domenico und Eleo⸗
nora, wie er weiland Angelita und Medor, in der Baum«
rinde eingefäpnitten und an den Felſenwänden gerigt finden
folteft. Doc das hat keine Noth. Du bift ein frommes
weiches, gelaffenes Kind; ein wenig weinen wirft Du und
Dich dann hübſch zufrieden geben.
Glaube mir, Cyrillo, wir Zwei waren für einander
nicht geſchaffen. Ih muß einen Mann haben, der mir au)
"imponiren fann, und in Domenico Morotto habe ic mei»
nen Meifter gefunden. Er it ſchön und feurig wie ein
Türe, ich glaube, er koͤnnte mid aus Liebe prügeln, und
214 Lebensbeſchreibung des
id) glaube, ich würde es ihm aus Liebe nicht übel nehmen.
Uebrigens weißt Du, daß er gar nicht graufam ift, und id
boffe noch auf ihn und die ganze Bande einen wohlthuenden
Einfluß zu üben, und fle alle gefitteteter und artiger zw
mathen.
So lebe denn wohl, mein guter Cyrillo!
„sBergeblich fuchft Du nun feit Diefem Tage
Der Schönen Epur, Die nichts Die Fenmtlich macht.“
Deine Juwelen habe ih Dir alle hinterlaffen, und die
drei größten meiner eigenen wirft Du noch ‘dabei finden,
die ich bitte, als ein Andenken von mir zu behalten. Soll
tet Du aber einmal in Geldverfegendeit fein, fo verkaufe
fie nur glei), ohne Bedenklichteit. Ich unterſchreibe mid
jegt wie immer
Deine
bis in den Tod treue Freundin
‘ Eleonora de Sylva.
Dieſe plöplihhe Veränderung meines Zuftandes machte
einen fonderbaren Eindruf auf mid. Lieben konnte ic) fie
nicht mehr, Erbitterung gegen fie konnte ich aber auch nicht
fühfen; ſelbſt in ihrer Verworfenheit zeigte fie noch ein
tindiſch naives,- aufrichtiges Naturell. Sie hatte mir wirk«
lich eben, Vermögen, Ehre und Sicherheit wiedergeſchenkt.
Sie hatte mich auf kurze Seit höchſt glücklich gemacht. Iept,
ihrem unglüdfeligen Hange folgend, flog fie mie ein Abend⸗
ſchmetterling felbft in's Licht. Wie konnte ich fie haſſen?
Bedauern onnte ich fie, Mitleid Fonnte ih mit ihr haben.
Don Cyrillo de Balaro. 215
Adein ich fühlte mein Herz von diefem Augenblide wie mit
einer Kruſte Überzogen, die mic ſtumpf ſowohl gegen alle
angenehme, als fÄhwermüthige Empfindungen machte
Mitten in diefem wogenden Weltmeere voll tobender
Leidenſchaften und tragifher Begebenheiten winkte mir das
file Klofter, wie ein Felſen in der See mit einer ruhigen
Hütte und erquidendem Kräutergärtlein. Die füblen Kreuz
gänge der Bencdietiner, die friedlich und brüderlih zufam»
men lebten, ihre Tage zwiſchen Andacht and einem harm⸗
loſen Geſchaͤfte theilend, Iuden mid ein. Und bald ging
ich auch im langen Kleide geſchoren einher, nachdem id der
beifigen Jungfrau und dem Iefuskindlein in der flbernen
Kapelle erft Iwei goldene Kronen auf die Häubter geſetzt
hatte, worin meine irdiſchen Diamanten ale Thautropfen
und Ehränen der Wehmuth und der Sehnſucht glänzten.
Als ich zwei Jahre Moͤnch gewefen, wollte unfer Abt .
einen Boten nach Mailand fhiden, um ein Geihäft mit
einem dafigen Prälaten abzumanen. Beil ih mir nun
gern einmal eine tüchtige Bewegung marhen wollte (vielleicht
auch unbewußzt aus Luft, die Welt ein wenig wieder zu fer
ben) erbat id) mir von ihm die Erlaubniß, diefe Pilger-
ſchaft machen zu dürfen.
So ſqhritt ih mit dem Stabe in der Hand und dem '
Bündel auf dem Nüden gemählich fort, kam zum Präla-
ten, richtete mein Gelhäft aus und begab mich wieder auf
den Nüdweg. Die Tage waren heiß, die Abende Lühl, und
weil ich mich vor Näubern nicht fürdtete, denn ich hatte
nichts, was ihre Habſacht reizen tonnte) durchzog ic under
Rünmert die Heerftraße bei Lodi mit den meilenweiten Bie-
216 Lebenshefhreibung des
fen und Beidenheden, wo die Stragenräuber in der großen
Einöde ungehindert ihren Unfug treiben können, obſchon
fein Bald in der Nähe if.
Eines Abends nad) Sonnenuntergang. als ich fo in
Gedanken vertieft gehe, böre ich in meiner Näge eine Nabe
tigal laut ſchlagen. Die Erinnerung des merfwärdigen
Abende, als mir Eleonora entriffen wurde, erwachte ploͤh ·
lich in meiner Seele; ich flag die Augen auf und man
derte mic beinahe, als ich feine Räuber in den Bäumen
fab, fondern nur den Meinen, grauen Sänger, der von meir
mem Geräufge erſchrect flatternd die Hece verließ und wei
ter binflog, um feinen Gefang fortzufegen.
Ich folgte ihm, weil eben mein Weg dahin ging. Kaum
fiebe ich vor einigen Heinen Hügeln gerade am Wege, fo
entdede ich dort einen Körper auf dem Rade und etwas
weiter zur Linken einen Kopf auf einer Stange, deſſen lan-
ges. blondes Haar weit bin in die Nachtluft flatterte, fo
dag man dadurd mitunter die Sterne ſehen konnte, befon-
ders die Venus, die im Deruntergeben ganz außerordentlich,
ſchon glaͤnzte. Als ih dem Todtenkopfe gerade gegenüber
fand, konnte ich nicht umhin, ihn genau zu betradten. Da
ſchaute mich Eleonora de Sylvas ſchönes Geſicht lilienweiß
an, aber mit dem wehmüthig⸗entſetlichen Todeslächeln, das
man immer auf den blauen Lippen der Enthaupteten findet.
Ich ffürzte zur Erde. Ein mitleidiger vorbeigebender
Bauer half mir auf und brachte mid) in feine Hütte. Bon
ibm erfuhr id, daß der Nänberhäuptling Domenico Mo-
rotto geftern bier mehrerer Mordthaten wegen gerädert toor«
den. Seine Fran oder Konfubine babe man geföpft, und
Don Cyrillo de Balaro. a7
viele Leute wären geftern hinaus gegangen, um den Kopf
auf dem Pfable zu fehen, weil er fo ſchon fei, und der herr-
lie, reihe Haarwuqhs fo weit bin in die Luft flattere. —
Das mar meine Ichte Wanderung in Europa! In fünf
Jahren fam ich nicht aus dem Bezirke des einfamen Klo—
fters. Allein da mar mir aud das Herz Wieder ganz tus
big und heiter geworden. Ich lebte mit meinen Ordens,
brüdern im freundfchaftlichſten Verkehr; nad) der Eitelfeit
und den Genüflen.der Welt derlangte mid) gar nicht. Vor
Frauenzimmern hatte ich, feit: jener fürchterlichen Begeben-
beit, ordentlich einen panifhen Schreden befommen, und cs
mar mir in ihrer Nähe gar nicht wohl, Mit meinem Zu⸗
ſtande war ih alfo nicht im mindeften unzufrieden, und
mas Viele unglüclich machte, machte mid fo glüclich, als
ich es in diefer Welt nod werden konnte.
Das Einzige, wonach id) mid, fehnte, war eine größere,
erhabenere Natur. Der Kloftergarten war mir zu Bein,
ic) beneidete die Gremiten der Vorzeit, die in großen Wäl-
dern leben konnten, und befam felbft Luft, ein folder zu
werden.
Diefer Wunſch gewann ale Tage in meinem Herjen
Herzen größere Gewalt, und die Kloftermauern engten mid)
immer mehr ein. Wie groß war alfo meine Freude, als
der Abt eines Tages zu uns ins Nefectorium trat und er⸗
zählte: der Papft babe ein Manifeſt ausgehen laſſen, es
fei unternehmenden, frommen Piönden, die einen Beruf
dazu in ſich fühlten, unverwehrt, nad Indien zu gehen,
um in den neuentdedten Landen, Merito und Peru, Klö«
fter zu bauen, die wilden Heiden. au befehren und das Evan-
gelium m predigen.
218 Lebensbeſchreibung des
Kaum hörte ich diefes, fo fühlte ih einen Muth in
mir erwachen, den ich mir ſelbſt nicht zugetraut hätte, und
ich fepte alle Räder in Bewegung. um Borfteher einer fols
hen Geſellſchaft zu werden. Ih beſuchte noch einmal den
Dichter Arioft, der nad jener Begebenheit Statthalter in
Garfagnana geworden; ich beſuchte den Herzog und feine
mir fonft widrige Gemahlin Lucretia. Arioſt that wieder
alles für mich, was er konnte.
Bald hatte ih durd den Einfluß meiner Freunde
meinen Wunſch erreicht, und der Papſt hatte mid) durch
ein Breve zum Prior über die Mönche eingefeßt, die mit
mir nad) den merifanifdien Wäldern feegeln wollten. . In
Livorno ſchifften wir uns ein. Die Reife ging erſt glüd-
lich. Die Unerfabrenheit des Schiffers brachte uns aber
auf einen irrign Weg; der Sturm zerfhlug das Schiff
an diefem Selfen, wo ich allein mit acht Brüdern gerettet
wurde.
Wie mir ung nun bier viele Jahre hindurch aufgehalten
haben, uns in diefem trefflichen Sandfteinhügel Zellen aus
geböhlt und unfer voriges frommes Leben frei und un«
beſchränkt im fhönften Paradiefe fortgefeßt, mit Gebet und
Dantliedern, nad Fatholifhem Ritus und ftrenger Obfer-
vanz unferes Ordens; wie ‚id diefe treuen Gefährten nach
und nad) alle begraben babe, bis ich bier als hundert»
jähriger Greis auf diefer Infel ganz allein fie, das, Lieber
Freund, wirft Du in meinen Tagebüchern genau aufge
zeichnet finden, die auch bier im fleinernen Stuhle liegen,
nebft vielen Bemerkungen und Entdeckungen, die Dir fehr
nüglid) fein werden, wenn Du Did) auch vielleicht viele
Jahre allein auf der Infel, ohne menſchliche Geſellſchaft.
aufhalten ſollteſt.
Don Eyrillo de Valaro. 189
So will id denn jeßt von Dir Abſchied nehmen, und
Dir von Herzen wünſchen, dag, wenn Du aud vorher
unglücklich warft, mie ih es geweſen bin, der bimmliſche
Vater Dich eben fo glüdtih, als mich auf meine alten
Tage machen wolle; durd die Bermittelung feines Sohnes
Jeſu Chrifti, des heiligen Geiſtes, der heiligen Jungfrau
und aller. übrigen gebenedeiten Heiligen; wozu id, vornehm-
lich St. Hubertus, meinen und aller Waldbrüder Schutz⸗
patron, anrufe. Amen.
Ende des dritten Theils.
Daraus, Google
4.
[8
a.
4.
a.
is
Macbeth und die Seeräuber
Schifforuc und Rettung
Zroglodstenleben » 0 5 -
Reue Entdedungen «0 0 «
Diem nn
Der Greis in der She re eo -
@ebendbefchreibung des Don Guriüo de Balaro
eite
105
16
132
13
151
163
Adam Deblenfchläger's
e r T e.
Achtzehntes Bänden.
Sedrudt bei Leopold Freund in Breslau.
Adam Ochlenfchläger's
Se rt e
- 3um zweiten Male gefammelt,
vermehrt und verbeffert.
Achtzehntes Bänden.
Breslau,
im Verlage bei Jofef Mar und Komp.
1839.
Adam Orhlenfchläger's
Erzäblende Dichtungen.
Viertes Bänden.
Die Infeln im Südmeere. Bierter Theil.
Breslau,
im Verlage bei Iofef Mar und Komp.
1839.
Google
9. Google
Google
1.
Unterirdifher Gang und Sternwarte.
In der Verlaſſenſchaft des Don Cyrillo fanden wir bei⸗
nahe alles, was uns in unferm jetzigen Zuftande dienen
konnte; und was mehr war, als Gold, Silber, Juwelen
und Perlen, (melde Schäge wir nicht drangen konnten)
mir fanden bei ihm italienifhe, ſpaniſche und Tateinifche Bü-
her. Diele Schriften lagen in Bündeln zufammen ger
fApnärt, vermuthlich von Schiffbrüchen gerettet, und von den
frommen Brüdern noch ungelefen. In eine trodene Berg-
tige war Bieles hinein geftopft, woran man noch deutlich,
die Spuren des Seewaſſers ſah; es waren lauter englifhe
Sachen, ungebunden, meiftens alte Zeitungsblätter,” melde
aber doch Goncordien große Freude machten, weil fie fie
sleihyfam in ihr Vaterland zurüd verfepten.
Ban Leuven hatte nody größere Ausbeute als Eoncor-
dia und id gemacht. In den Tagebüchern des Alten fand
er aufgeſchrieben, wie man leicht, wenn der Fiug im Some
mer feicht wäre, einen Damm malen konnte, und durch
10 Unterirdifher Bang und Sternwarte.
den aufgetrodneten Felſenſchlund gemaͤchlich hinunter nach
dem Strande gehen. Diefe Arbeit, wozu id und Lemelie
ihm behülflich waren, brachten wir bald zu Stande, denn
wir fanden das alte fteinerne Bollwerk noch unbeſchädigt.
und brauchten nur cine hölzerne Schleuße zu machen, fo
konnten wir den Flug in feinem Laufe hemmen.
Nachdem wir ein Paar fette Fichtenſpaͤne als Fadeln
angezündet hatten, traten wir Männer die Wanderung an;
das will fagen, van Leuven und ich; denn Lemelie wollte
wieder nicht in's Loch binunfer, fondern wie ein ſcheues
Pferd blieb er indeffen droben auf der Beide.
Welch ein Entzüden, als wir, auf dem feinen trade
nem Sande gemädlih binuntergehend, nach kurzer Zrift
aus dem dunfeln Gange beraustraten, und das unendliche
lichte Meer wit feinen luſtigen Bogen vor uns fahen, wäh-
rend das Geſchrei der Seevogel uns bewilllommte und
tinlud, in den alten Hallen unferes erſten Aufentpaltes
auszuruben. — Eine Neife, die font ein Baar Tage
dauerte, und die man mur mit höchſter Anftrengung und
Lebensgefabr machen konnte, wurde auf diefe Weiſe leicht
in einer Stunde gemacht.
Den Tag darauf hrachten wir Goncordia und Minga
hinunter, und da bätten mir denn gern Lemelie eutbebrt.
er wollte aber durchaus mit geben. — Contordia freute
ſich wie ein Kind, und weinte, als fie ale die geliebten
Gegenftände wieder fab, beſonders als fie die Scherken ei ⸗
ner Schaale entdedte, woraus ic ihr moätrend des Fiebers
au trinfen gegeben. Zemelle mar auch über diefe Eirrich ⸗
tung fer frob. Jett, meinte er, Tonnten wir doch hoffen.
von einem vorbeiſegelnden Schiffe geſehen und gerettet zu
werden. Droben auf dem Zelfen wärden wir nur vergebe
Unterirdifger Gang und Sternwarte 11
lich wit den Schnupftähern gewinkt haben. Er meinte,
wir müßten auf Alles vorbereitet fein, und fobald wir wier
der droben wären, wollte er die gefundenen Schäße gewiſ⸗
ſenbaft theifen, damit jeder das Seinige bekäme; denn was
uns jet unnüß ſchiene, könne uns, wenn ein Schiff ſich
fehen ließe, von größter Wichtigkeit werden. Eigentlih —
meinte er — folten wir drei Männer, die den Schaf ger
fanden hatten, allein theilen; er beſtehe aber Darauf, dag
die fhöne Concordia aud) ipren Antheil befäme. Don der
ſchwarzen Minga dIs einer Leibeigenen könne natürlicher⸗
weiße die Rede nicht fein. — Minga ſah ihn höhniſch am
und fagte: In Mingas Vaterland findet man Gold wie
Sand, Minga hat gelernt, Gold wie Sand zu verachten.
Ban Leuven hatte aus den Tagebüchern Don Eyril-
108 noch eine für ihn HR angenehme Entdedung gemacht.
Gs war ihm nämlich) zu einer Warte hoch auf dem Felſen
Anmweifung gegeben. Die Meine fmale Treppe, die da
hinauf. führte, fand ſich bald; wir gelangten leicht zu der
Bergunne. und bier entdedten wir ein vierediges Zimmer-
chen im Felſen gehauen, wit Senfterlächern nach allen vier
Beltfeiten.
Nun balf ich meinem Freunde diefen aſtronomiſchen
Thurm zu Stande bringen. Unter der Sternwarte fand
ſich noch ein Felſenſtübchen, wo der Obſervator, wenn er
wollte, ſchlafen kounte. Um den Thurm berum ging ein
ſchmaler Gang mit einer niedrigen Bruſtwehre. Hier hatte
man die (hönfe Ausſicht, mußte ſich aber wohl hüten, nicht
in Abgrund hinunter zu fallen.
ir bewunderten die Arbeit, woran ein Duzend Mene
ſchen vieleicht ein halbes Jahrhundert täglich ſich ermüdet
batten. — Wie glädtih bin ih, dag ih meine Ferarähre
12 . Unterirdifher Bang und Sternwarte.
gerettet habe, rief der gute van Leuven, was nüßten mir
fonft alle diefe fhönen Zubereitungen? Es würde mir wie
dem unfterblihen Galilei gehen, der in feinen alten Tagen
blind wurde.
Ich brachte mande Stunde mit meinem Freunde dro⸗
ben auf der Sternwarte zu, und obſchon es mir nie in den
Sinn fam, Aftronomie zu fudirem, freute es mic doch, das
Bunderbare jener Velten, das fih dem bewaffneten Auge
kund giebt, zu betrachten.
Benn man das alles betradıtet, Albert, fagte van Zeus
ven, mit feiner Lieblihen, wehmüthigen Stimme, was wird
dann aus der Meinen Erde, aus unferm enbemerifchen Men-
ſchenleben?
Wenn id der Aſtronomie einer Urſache wegen abhold
fein follte, erwiederte ih, fo wäre es chen, weil fie mit
fammt ihrer Erhabenheit gar zu viele, fonft fehr verftän.
dige Menſchen verwöhnt hat. Denn es geht Euch Aſtro⸗
nomen twie armen Leuten, die kurze Zeit in großer vorneh⸗
mer Gefellfyaft leben; wenn fie wieder nach Haufe zuräd«
fehren, fhämen fie fi ihrer Armuth, und wollen ihre al»
ten Verwandten kaum wieder Eennen. Und wenn die Welte
verachtung eben aus der Weltbewuuderung entitehen follte,
fo halte ich es mit Tycho Brahe, mit Joſua und der Bis
bel, gegen Gopernicus und Galilei. Ja Homers ehernes
Himmelegemöfbe und feine Götter auf den Berggipfeln wä⸗
ten mir fogar dann Fieber. — Der fhöne Wahn muß der
erhabenen Wahrheit weihen, forad van Leuven.
Nur Eitelkeit und Eigenliebe hindern den Menfchen,
ſich der großen Idce des Unendlichen ganz hinzugeben.
Und wo will er denn bin, mein lieber Karl Franz?
frug ih. Er kann doch nicht überall fein. An einem Orte
Unterirdifher Gang und Sternwarte. 13
muß er doch meilen; denn er ift nicht Gott, nicht die All-
magst felber; und aud mad dem Tode, im ſeligeren Zu⸗
ſtande, wird er ſchwerlich die Allwiſſenheit, die Algegen-
märtigfeit. mit feinem Schöpfer theilen. Die Tugend wird
nicht nad Ellen, Meilen und Gradabtheilungen gemeſſen.
Wenn eine Made Vernunft hätte, frei handeln könnte und
gut handelte, ih würde fie mehr bewundern und Lieben,
als eine Siriuskugel ohne Geift und Herz.
Das ift wahr, ſprach der edle Holländer, das lehtt
uns ſchon die Religion. Allein au) darin ftimmt die Re⸗
ligion mit der Aftronomie überein, daß fie den Menſchen
zu erbabenen Gedanken ſtimmt, ihn das Irdiſche verachten
lehrt, um fi nad) dem Himuuliſchen zu fehnen.
Eine tiefe, himmliſche, wehmüthige Sehnfuht, ante
wortete ich, iſt von Gott in jede fühlende Bruft niederge-
legt, um uns in Unglüd, Kranfgeit und Widerwärtigfeiten
zu tröften und zu ftärken; nicht aber, um uns in guten
Stunden zu ſchwäͤchen und zu fören. Und warum. lieber
Karl Franz, ftarrt Dein treuee Auge oft fo ſehnſuchtsvoll
in’s Blaue hinein, da Du doch fhon einen Himmel bier
auf Erden bat?
Ach das it gewiß! rief der gute Mann, Du baft
Recht, Albert, und ich fhäme mich meiner fonderbaren Me»
lancholie. IA bin aber einmal ein melancholiſcher Menſch.
Zwar fühle ih mid in dem Beſitze meiner Concordia und
Deiner Freundſchaft fehr glüdlich; es follte mir auch mei⸗
netwegen nicht grauen, Zeitlebens auf diefer Infel zu blei⸗
ben. Aber Deinetwegen, Albert! denn Du haft keine
Concordia. Und dann ängfiget der böfe Lemelie meine
Seelt. Gr umfbleiht uns. mie die Schlange im Para-
diefe, und wird cher nit ruhen — Er ſchwieg.
14 Unterirdifger Gang und Sternwarte.
Bir werden ihn ſchon zähmen — erwiederte ich luſtig —
ihm die Giftzähne aus dem Munde brechen, und dann mit
dieſer Brillenfhlange im Bufen fpielen,
Es gelang mir, den Freand etwas zu erheltern; es
freute ihn, daß ich doch in Wittenberg die Sterne ein wer
nig kennen gelernt hatte. Er ließ mic durd feinen Tubus
fehen, und zeigte mir die füdlihen Sternbilder.
Bie er aber einmal mit dem Fernrohr im Firma
mente umber flankirte, rief er plöpli verwundert: Bei
Gott, da-it ein Komet! — Ich fhaute aud hinein, und
entdedte wirtlich in der Ferne ein ſolch mattes Nebellicht,
mit langem bleihen Schweife, das als unerwarteter, ge-
beimnigvoller Gaſt ſich der Übrigen wohlbefannten Iuftigen
Gefelfhaft nahe.
3% konnte die Erfheinung niht ohne Grauen wahr-
nehmen, der Bolksglaube, die alten Vorurteile forderten
in meiner Einbildungsfraft ihre Rechte wieder. Ban Leu
ven blieb ganz kalt dabei; es freute ihn aber fehr den fel-
tenen Stern zu fehen.-
Vieleicht, fagte ih, halb im Scherze, wird diefer gee
rade auf unfern Erdball ftogen, und ihn in den Abgrund
fürzgen. — Barum nicht gar? rief van Leuven lachend. —
Glaubſt Du auch nicht, dag ein folder Komet Über die
Erde Ungläd und Zwietracht bringe? — Ih alaube es
nicht, antwortete ih; ganz unmöglich wäre es aber doch
auch nicht. Branchen wir dod, mas das betrifit, zum eraf
fen Aperglauben umfere Zuflucht nicht zu nehmen. Daß
ein fehr großer naher Himmelstörper auf unfere Atmofshäre
Einflug Haben kann, Teidet keinen Zweifel. Wie viel wirkt
ſchon der Beine Mond mit Ebbe und Flut. Die Luft
mirft auf die Körper der Menſchen, und ihre Körper auf
Der Komet. 15
ihren Geift. Wohl möglich, daß eine ſolche Ver ſtimmung
im Grogen wie im Kleinen mitunter ftatt finden Lönne,
Die Phantafie, ſprach mein Freund nad einigem
Soweigen, erfhäpft fih in Hunotgefen, we der Vergand
nicht länger binreiht. Du wollteſt mid erheitern, Albert,
mir das Ungebeure lieblich machen, und jept eriheint Dir
ein unſchuldiges Himmelslicht ſelbſt als ein Ungeheuer.
Der Komet.
Unfer Aſtronom hatte jet alle Nächte auf der Stern»
warte vollauf zu thun mit Berechnungen und Wahrneh⸗
mungen. Gonoordia liebte nicht dieſes Nachtwachen, denn
er war von ciner ‚zarten Konftitution, ſah bag aus und
befand ſich nicht immer wohl, Ihr Betragen gegen ihn
mar aber immer wie das der Zodter zum Vater. Gie
widerſprach iben wie, weil fie eine unbedingte Hochachtung
für feine Gefinnungen und Meinungen begte; und gegen
das, was ihn vergnügen konnte, wagte fie feine Silbe ein«
zuwenden, aus Furcht feine Freude zu fären.
Als der Komet feine Gröge erreicht hatte, erregte er in
uns ein fhanderhaftes Bewundern, wenn er fo ſchrag am
Himmel über unfere Meine Juſel feine blahleuchtende Ruthe
ſtrecte. Doch machten die Umgebungen von Wald und
Hügeln den Aublick drunten weniger fürdterlih. Als uns
aber van Leuven einlud, ihn auf dem Felſen zu beſuchen
16 Der Komet.
und wir droben das Nebelbi in fuͤrchterlicher Einfamteit
am Firmamente fahen, da ftanden uns die Haare zu Berge.
Denn als ein trübes mattes Licht im dunkeln Grabgewolbe
der Ewigkeit hing er naclägig da, als ob er von dem
Nagel herunterfallen wollte, während die andern Sterne
in den Hintergrund zurüdtraten, um den Eindrud des fel-
temen Gaftes nit zu flören. Und drunfen faufte das
bleierne Meer ein Sterbelied, oder einen Choral, als ob
alle die feit der Sündflut Ertrunfenen fi hören Liegen,
und ihre bleichen Häupter aus der Naht emportauchten.
um die Todesterze am Himmel zu fehen.
Eine traummandelnde Lady Macheth im Grogen —
fagte Soncordia. — Minga war aud mit, und fab durch
den Tubus; fie warf ihm aber erſchrocken aus der Hand,
bielt ſich die Hände vor die Augen und rief: Hu hu! gräße
lich. Den Kopf der Enthaupteten! Das Haupt der Donna
Eleonora, von der Stange gefprungen, hoch in der Luft
ſchwebend — todtenblag — ſchon etwas verfault — die
lichtgelben Haare im Binde flatternd. Don Cyrillo hatte
reht! Man kann die Sterne dadurch ganz deutlich feben.
Nun, Ihr tollen phantaſtiſchen Menſchen — ſprach van
Leuven, aͤngſtlich nach feinem Fernrohre greifend, (fi aber
berubigend, als er es noch ganz fand), — jept habt Ihr
Über meinen Kometen genug gefabelt und geträumt, laßt
mich jept mit meinen Berechnungen allein. — Bilft Du
denn beute Nacht wieder nicht zu Bette geben, mein Lie
ber? frug Goncordia. — Drunten im Felſenſtübchen werde
ich recht ordentlich ausruhen, ſobald es tagt, fagte er.
Diefe bedeutungsvollen Worte waren die legten, fo wir
aus feinem Munde hörten. Ach! es ahnete uns gar nichts.
— Als ih mit Concordien nad Haufe ging, (denn Minge
Der Komet. 1
war vorausgelaufen) ſarachen wir nur von ihm, umd fie
konnte nicht aufhören, feinen liebenswürdigen Charafter zu
rühmen. Ihr glaubt nicht, Albert, ſprach fie, melde Ger
malt diefer herrliche Mann über mein Herz gewann, gleich
das erfie Mal, als er meinen Bater in Handelsgefdäften
befuchte. Man fagt, Shafefpeare Habe beinahe alle menfch -
lichen Charaktere gezeichnet, allein diefen nicht. Und das
war wohl auch möglich; denn was dramatiſch auftreten
fol, muß ſich produciren; muß Gigenbeiten ‚zeigen; und
mein Karl Franz, obſchon ein Mann, der Ah überall Ace
tung, oft Ehrfurdt erwarb, zeichnet fd dad vornehmlich
in den griſtlichen Tugenden aus, welche dad die edelften,
obſchon fie negativ find. Die meiften ausgezeichneten Men⸗
ſchen find lieber grogmäthig als gerecht, theilen lieber einen
Genug ‚mit andern, als fie fi) ihretwillen etwas verfagen,
ſprechen beſſer als fie bören, denken felbft leichter, als fie
Anderer Gedanken in fih aufnehmen. Se nicht er! Wenn
er mit einen Freunde, mit feiner Frau fpricht, ift er ganz
Ohr, ganz Aufmerkfamfeit, ganz Gedächtnig. Die feinften
Bäge entgehen feinem Zartgefühle nicht. Alles konnte er
für einen Freund aufopfern, denn der größten Anftrengung,
dem unangenehmften Geſchaͤfte konnte er ſich unterziehen,
um ihm eine Freude zu machen, einen Dienft zu leiſten —
Jbr meint, er fei nicht voetiſch genug, und ich geftche, fein
Geift und feine Bildungsweife haben durd ganz andre Be
ſchaͤftigungen eine entgegengefepte Richtung befomimen. Er
Hieft nicht ſelbſt viel in dichteriſchen Werken, weil ihm feine
Wiſſenſchaften die meifte Zeit nahmen. Allein von zweiter
Hand weiß er doc alles. Und was fagt Ihr dazu; unfere
meifte Unterhaltung befteht darin, dag ih ihm Dichterwerte
vorerzäble, die ich gelefen babe? Gewiß verlieren fie durch
Ortlenf. Schriften KVIN. 2
18 Der Komet.’
meinen Mund vieles von ihrer Zehendigkeit und Friſche;
allein das erfeßt die Liebe, die er zu mir trägt; und id
fühle deshalb tief: es in meine höchſte Pflicht, dieſem hei⸗
ligen Menſchen von ganzem Herzen ergeben zu fein.
So redend hatte fie ihren Arm leife aus dem meinigen
gezogen, und legte die ſchoͤne Hand, die ih faum leife zu
drüden gewagt hatte, auf ihr Her. — Ich fab zur Erde,
eine Thräne der Unmuth entquoll meinem Auge, weil fe
fi) fo raſch von mir zurückgezogen batte, als ob fie mir
dadurch einen Verweis geben wollte, Gewiß — rief ih —
Euer Ehegaste iſt edel und gut; ic liebe ihn, und will
ihm kein Jota feines Verdienſtes rauben, das Euch mit
Recht entzädt. Allein, was die Entfagung, die Aufopfe-
rung betrifft — ich glaube Euch, daß er eines Freundes
wegen Verzicht auf vieles thun fünnte; — das wäre für
feinen rubigen fanften Charakter gewiß nicht ſchwer. Allein
das braucht er nicht! Er it ruhig im Beſihe des hödhften
Erdenglüds. - Denkt Euch aber eine Seele voll Feuer, ein
Herz voll Liebe, ein Gemüth voll Drang fich metzutpeilen,
einen Geift, der nach Sympathie ſchmachtet, — und der
doc) darben, doch entfagen, doch ſchweigen muß, und es
gern thut, weil es Pflicht, weil es Tugend und Freund ⸗
ſchaft gebeut! — Bei'm ewigen Gotte, ein ſolches Weſen
verdient auch nicht, mit Härte und Mißtrauen behandelt
au werden.
OD, mein lieber, guter Albert, rief fie betrübt, hab’
ich Euch beleidigt? Seid Ihr mir döfe geworden? — Ihr
zieht Euren Arm ans dem meinigen, fagte id weinend;
dab’ ich diefe Kälte, diefe Aengſtlichteit. diefen ftummen
Vorwurf verdient? — Nein, bei Gott nihtl rief fie, und
reichte mir die Hand, die ich ‚mit Küffen bededte. — Ewige
Der Komet. 19
Freundſchaft! reine unſchuldige Freundſchaft bis in den
Tod! riefen wir. — Ih drüdte fie an meine Bruft, meine
Lippen brannten auf die ihrigen. Da ftieß fie mid wild
erfhroden zurüd. Um Gotteswillen, rief fie voll Ent
fegen — das Ungeheuer! Seht Ihr nicht das Ungeheuer,
das uns belanſcht? Der Mond hat fid in ein drohendes
Gefpenft verwandelt.
Ich ſah hinauf durd die Baumzmeige, der Komet
fand eben dicht heim Monde. Sie hatten ſich begegnet,
waren wie in einander gefhmolzen, und der lange Kome⸗-
tenſchweif firedte fih wunderbar hinaus vom untern Horne
der Mondſichel. — Aufgeſchreckt und verftimmt trennten
wir un.
Lemelie war in diefen Tagen trank geweſen, und hü-
tete das Bett. Eine große Aengftlihkeit und Unruhe mare
terten ihn; er Lonnte den Kometen nicht ausfteben, nannte
ihn ein Zeufelsgefiht, und blieb in feiner Zelle, wo ihm
Minga das Effen brachte, welches er doch gierig genug ver⸗
ſchlang.
Den Morgen darauf, als Concordia und id ung beim
Früpftüd zufammen fanden, erftaunten wir über Minga;
denn fie war ganz verftärt. Die Haare hingen ihr unor⸗
dentlich um die Schultern, fie war ganz aſchgrau im Ger
fit, und wollte kein Wort ſprechen. Benn wir fle anre-
deten, fhüttelte fie verzweifelt den Kopf, und zeigte nah
Lemelies Höhle. — IM er todt? fragte ih. — Sie fhau-
derte zurüd,. fah mic mit ſtarren Augen an, und nidte
dabei ganz leife.
Ich eilte in Lemelies Zimmer. Er lag im Bette eis:
talt, und zitterte unter der Dede. Die matten Augen
brannten im Fieber, id hörte ihn einige sn, undeutlich
2 " Der Komet.
berfagen, er verſuchte vergeblich) die Hände zu falten;
Schaum fand ihm vor dem Munde. — Der Paroriemus
mußte lange gedauert haben, denn wie ich bineintrat, ers
holte er ſich etwas, kehrte die Augen fhüchtern nach mir,
reichte mir die eiotalte Hand und fagte: Ad, lieber Albert,
feid Ihr da? Ich babe eine ſchreclliche Nadıt gehabt, bin
wieder am Nande des Abgrundes geweſen. Reicht wir et⸗
was Palmenfaft! — Als er getrunken hatte, frug er un
rubig: Wo it die gute Minga? Sie hat die ganze Nacht
bei mir gewacht, die freue Seele. Ich fürchte, mein Wahn ⸗
Han bat fie angeftekt, denn fie will fein Wort mehr ſpre⸗
chen. Ich habe fie mit meinen wilten Reden vielleiht ver»
rüdt gemacht; denn Ihr wigt, wenn ich frank bin, ſpreche
ich immer vom Teufel und von der Hölle. Weil fie nun
ſchwarz ift, habe ich fie vielleicht für den Teibbaftigen Sa»
tan angefehen, und bin ihr etwas unfanft an den Hals
gefahren. Es bat aber, hoffe ic, keine Noth. Der Adams-
apfel, der ung Sündern allen in der Keble ftedt, ift ihr
nur ein wenig. geſchwollen. — Wie befindet fih die liebe
Concordia und der gute van Leuven? Werde ich nicht die
Ehre haben, diefen edlen Gönner bald bei mir zu fehen?
Dan Leuven, ſprach ih, iſt heute Nacht nicht nach
> Haufe gekommen, er ſchlaft auf der Sternwarte. — Ad,
das ift wahr! verfeßte Lemelie, drunten im Felſenſtübchen.
Sein Geift wandelt über den Sternen, er mag mit une
Erdenwürmern nichts zu thun haben. Es fräumte mir
heute Nacht, dag id ihm ein Fernrohr gab, wodurd er
die Sterne und den Kometen noch befler feben konnte.
Scheint die Beſtie noch? — Es if liter Tag, Herr Le⸗
melte, fagte ich; der Komet ift im Sonnenlichte verſchwun ⸗
den. — Nun, das ift gut, ſeufite der Kranke; die Sonne
Der Komet. ö a
darf andy folden Gräuel nicht anfeben. Id will ihn auch
nicht fehen; ich hoffe, er wird uns nicht äfter beſuchen.
Bir erwarteten ale Augenblide, dag van Leuven nad
Haufe fommen würde, er fam aber nicht. — Es ward
Mittag, er kam nicht. — Jetzt fingen wir an unruhig zw
werden. Ih lief nach der Klivve und Concordia wollte
durchaus mitgehen. Ihre Unruhe nahm mit jedem Schritte
au, und fie ſuchte ſich ſelbſt mit allen möglichen Wahrſchein⸗
lichkeiten zu tröften.
Er bat da fo lange gefeffen, fagte fie, His ihn zuleßt
die Müdigkeit übermältigte, dann hat er ſich nachber ver
ſchlafen. Nicht wahr? Und dann mochte er in der Mits
tagsbige nit nach Haufe gehen. Nicht wahr, lieber Al
dert? — Eo iſt es gewiß! feufjte ich.
Bir naheten uns der Kleinen Felſentreppe. — Hört
Ihr nicht, wie mein Hera klopft? fragte fie, mich wild an
biidend, mid däugt, man kann es klopfen hören. Ihr
müßt mir Cure Hand reihen, font falle ih. — Sie eilte
fo ſchnell. dag mir felber bang ward, fle möchte hinunter
ſtürzen; ich bat fie, nicht fo febr zu eilen. — Ad, Ihr
habt Recht klagte fie; laßt uns ein wenig warten, auf dier
Tem fteinernen Sig ausruhen; fo haben wir doch einige Au⸗
genblide die Hoffnung noch, wenn auch das Xergfte einge
troffen fein folte. Man fagt, Gewißheit fei beffer als Un-
gewißbeit, das if nicht immer wahr; denn — Sie hielt
inne, und ſprach, ängflid die Hand aufs Herz legend:
Ich möhte fo gern ein wenig Waſſer trinfen.
I will End gleich etwas holen, rief ih. — Nicht
doch. ſprach fle wieder unrubig; immer munter binaufl
Karl Franz! Mein lieber Karl Franz! Bir Du droben,
2 Der Komet,
fo antworte mir mit einem einzigen, teuren, unbezahlba⸗
ren Borte, damit ih Dir ſchnell entgegen eilel
Sine Todestille herrſchte, fie fürzte binauf, lief an
dem Eleinen Schlafjimmer vorbei, und trat in die Stern
warte. — Da ifi er, rief fie freudig! Er iſt noch bier;
wir haben uns ohne Urfadye geängftigt. — Hier? frug ih
tleinlaut, ich fehe Niemanden. — Sein Hut, jauchtte fir,
bängt am Nagel, Und da lirgen noch die Papiere, vol
Zahlen und Berehnungen. und Bogen und Kometen. Ad,
ſeht nur, er hat „Soncordia” am Rande feines Manuferints
geſchrieben, und einen Meinen Blumenkranz darum gezeid«
net. Er denkt doch immer an mid, ſelbſt unter den ernft-
bafteften Beldäftigungen, und „Albert Julius“ ftebt auch
da. Und weit entfernt, tief im Winkel drunten, hat er
ganz Mein mit rother Dinte „Lemelie” gefchrieben. — Jeßt
binunter in’s Schlafſtͤbchen, den lieben Siebenfchläfer zu
weden.
Eie eilte hinunter — aber die Lagerftätte ftand Teer;
kein Menſch ſchien da heute Radıt geruht zu haben. — Er
muß aufs Bollwerk hinansgegangen fein, rief fie — fri⸗
ſche Luft zu ſchöpfen — da hat man eine freiere Ausfiht
über die Gegend, da werden mir ihn bald entdeden. —
Bol fhlimmer Ahnung folgte ih nad, und dachte nur da-
ran, Concordien vom Hinunterfallen zu retten. — Es that
Not! Sie ftarrte hinunter, taumelte am Rande des Abs
grunds, ftieß ein lautes Geſchrei aus, und wäre ich ihr
nicht ‘zu Hülfe gefprungen, fo wäre fie fiher in die Tiefe
binunter geftürzt.
Sie lag in meinen Armen, einer Todten aͤhnlich; ich
trug fie in’s Meine Schlafzimmer, legte fie aufs Bett, eilte
wieder hinauf, ſchaute in die Tiefe unter mir, und war
Begräbnig nud Gchurtstagsfeier. 23
ſelbſt nahe daran, in den Abgrund zu färgen; denn ich ent⸗
dedte den Leichnam meines theuren Freundes drunten, jaͤm⸗
merlich auf dem Felſen zerſchmettert.
3.
Begräbniß und Geburtstagsfeier.
Ich tann Eu unferen ungeheuren Schmerz nicht be»
ſchreiben. Goncordia und ic) liefen durch den unterirdiſchen
Gang nach dem Strande zu und fanden den todteu Körper
unferes ſeligen Freundes auf dem Sande, von feinem un
ſchuldigen Blute gefärbt. Das Haupt war gerſchme ttert
er Eonnte feinen ſchmerzlichen Tod gelitten haben. Das
Fernrohr hielt er noch feſt in der Falten Hand; und —
wunderbar genug. von den zerbrechlichen Gläfern war keins
zerbrochen. Ich befige den Tubus noch, und habe oft da»
durch nachher nach dem Himmel geihaut, wohin mein ed⸗
fer Freund: voransgegangen, und id ihm bald folgen werde,
Ich ließ Concordia hei dem Leihname zurüd, während
ih Minga holte. Lemelie war kraͤnker als je, und das
Sieber ſchüttelte ihn fo gewaltig, dag ich ihm das Unglück
nicht gleich fagen möchte, um feinen Zuftand nicht noch är⸗
ger zu machen.
Minga erſchrak nicht, als ich ihr die Trauertunde
brachte, aber fie meinte fehr, und ſchuttelte den Kopf. Sie
tonute noch nicht ſprechen, nur einen heiſern Ton von fi
geben, und ihr Hals war fehr geſchwollen. Sie hatte felbft
2 Begränntg und Behurtstagsfeier.
Blutegel daran gehängt, und heilfame Blätter gekocht, wo⸗
mit fie ſich gurgelte. — Werden wir auch noch dieſe treue
Seele verlieren? dachte ih im Hingehen; bat der Böſewicht
fie auch noch erdroffelt? Ach jegt Tann uns fein Unglüd
mehr unerwartet fommen; das Ungebeuerfte ift gefcheben.
Drunten fanden wir das treue Weib über den Leich⸗
nam bingeftredt. — Id babe mic gefaßt, ſprach fie fanft
weinend. Der frifhe Seewind hat die wilde Wuth meiner
Verzweiflung über die Wellen hnweggeſpüͤlt, fie fol die fer
lige Todtenftile meines Geliebten nicht unterbrechen. Meine
Seufzer werden ihn nur wie Meine traurige Elfen umfä-
&eln. Als Chriſt bat er gelebt, als Chriſt iſt er geftorben.
Als er geftern von mir Abſchied nahm, um wieder auf die
Sternwarte zu gehen, hörte ih ihn im Weggehen noch fo
freundlich rührend diefe Worte des Morgenliedes fingen:
Rimmft du mich Gort in deine Hände,
&o muß gewiß mein Lebensende
Den Meinen auch jum Troſt gedeih'n;
Es mag gleich fehnen und Mäglich fein.
Das mar fein Cchwanenlied! Eine Prophezeiung fel-
nes Cayidfals. — Ad feht, Albert. wir der Trauring noch
fo del und golden auf feinem blutigen Finger glänzt! Das
bedeutet, er it mir freu bis in den Tod geblieben. Ia,
id weiß «6, er war ganz, ganz mein. Kein phantaſtiſcher
Gedanke, kein fremder Reiz, fein fhmärmeriihes Gefühl
konnte fein Herz nur einen Augenblick von feiner Concordia
abwendig machen. Und darum verdient aud möcht mein
Ring, den ih feinem kalten Finger entziehe, ihm in’s
Grad zu folgen, nicht, daß ih ihn neben den feinigen fiede.
Er foll an meinem linten Zeigefinger fißen, mich an feine
Begraͤbnit und Geburtstagsfeier. E}
Irene erinnern, und mir immer ein fHillee Vorwurf fein.
Und doch — Gott weiß, er mar mir unendlich lieb; id
babe nie aufgehört, ihn zu lieben, und ic werde von dies
> fem Yugenblide feine frohe Stunde mehr haben. Allein,
mein lieder Karl Franz, ich will mich zwingen — zwingen
ans Pflicht. Der Schmerz foll dies Herz nicht brechen,
denn ich befiße von Dir ein lebendiges Pfand unter dem
biatenden Herzen, das id fhonen muß. Du ſollſt mir in
Deinem Kinde wieder leben. Ih werde Deine treuen edien
Züge im Geſichte des einen Geſchöpfes wieder entdeden,
werde ihm taͤglich von feinem feligen Bater erzählen, drr
jegt im Himmel iſt, wo die Sonne ſcheint und die Sterne
glänzen, wonach fein irdiſches Auge immer fo ſehnſuchtsvoll
ſchaute. Ad. mein geliebter Freund! warum ſollteſt Du
Doch nie die Vaterfreude genießen, der Du fo ganz zum
Bater geſchaffen waren?
Eine reiche Toränenflut badete das fdöne Geſicht der
LZeidenden. Sie küpte ihrem todten Gatten den Mund und
die Hand, drauf richtete fie ſich wieder auf und ſprach:
Meine Freunde! beflattet jegt den Leidnam zur Erde, ich
will ihn nicht Öfter feben. — So verließ fie den Zodten
wit langfamen Schritten, in ihr Gewand gehüllt. Am
Eingange des unterirdifchen Ganges kehrte fie ſich noch ein.
mal um, warf dem Leichnam einen Ruß zu, richtete die
Augen gen dimmel, und verſchwand im Dunkeln.
Ich faß fange auf dem Selfenblode und ſtarrte meinen
feligen Freund an, während Minge ihm das Gefiht und
die Hände wuſch, und vom Duellenrande Blumen holte,
damit den Leichnam zu (hmüden. Cie fpra kein Bart,
weinte aber oft, häßte ihm alle Augenhlide die Hand, und
fab hinauf nach den Bolten,
% Begräbniß und Geburtstagsfeier.
Minga, fagte ih, wir wollen ihn nicht begraben, Sich
mal alle die Todtengrüfte im Felſen, die ihre offenen
Schlünde gegen das Meer hinauskehren. In einer ſolchen
Höple wollen wir unfern feligen Freund beifeßen, umd den
Eingang gegen Vögel und Eeethiere vermauern.
Minga drüdte treuherzig meine Hand, und wir brach⸗
ten den Tag damit zu, das Grab zu verfertigen. Eben
als wir das letzte Loch der Mauer zufchlicgen wollten, ftieg
der Mond aus dem Meere, und ſchien dur die Höhle,
beiter und freundlich auf den Leihnam, und auf den Hoff⸗
nungsanfer draußen in den Wellen, gerade dem Eingange
des Grabgewolbes gegenüber. Ich übte die Verrichtungen
des Predigers aus. Ich fang das Grablied: „Iefus meine
Suverfiht,“ warf etwas friſche, ſchwarze Erde über ihn
die ich von der Infel mitgenommen hatte, (denn hier unten
war nichts als Sand) und ſprach: „Menſch, aus Erde bift
Du entftanden, zur Erde ſollſt Du werden! Aus der Erde
ſollſt Du wieder auferftehen.“ Wozu die gute Minga
mit heiferer Kehle, aber doch vernehmlih ihr Amen bei⸗
ſtimmte. j
Als Contordia nach Haufe gekommen war, wohin fie
in ihrem Schmerz, gegen Gewohnheit, allein ohne Minga
ging, weil fie Lemelie im Bette krank liegend glaubte, fand
fiezibn ganz heiter außer der Höhle ſihen, feine Pfeife rau⸗
hend. Als er ihren Kummer fah, fagte er: Tröftet End,
liebe Fraul wir müſſen alle erben, früher oder fpäter,
Bolten wir über das Unglüd des Andern immer trauern,
wie fönnten wir dann im Leben eine vergnügte Stunde ges
niegen? Denn es begegnet alle Tage fo etwas, und es ver-
geht kein Augendlid, wo nicht ein Menſch ftirbt oder zur
Erde beftattet wird. Alle Augenblide werden aber au
Begräbnig und Grhurfstagsfeier. 27
wieder Menſchen geboren, getauft und verheirathet, und fo
mag das Eine das Andere aufmwägen. Der Wille vermag
Vieles, fagen ja die Philofopben, und deshalb habe id
mich auch jeht aller träbfeligen Gedanken entf&lagen, und
will nicht länger krant fein. Ich raue mein Pfeifen,
trinke mein Bläschen, und befinde mich wieder befler. So
wird es auch Euch gehen, wenn die Leidenſchaft ausgetobt
bat. —
Concordia mürdigte ihn: feiner Antwort, und ging
nach der Eommerlaube, mo mir fie alein trafen. Ich
hatte an der treuen Schwarzen gemerkt, dag fie fehr un.
ruhig nad) ihrer Herrin binaufeilte, fobald fie hörte, Com
cordia fei allen nach Haufe gegangen.
Lemelie merkte wohl, dag mir ihn verabſcheuten und
geſellte fidy in einigen Tagen nicht zu uns. Minga konnte
noch nicht fpreden, doch fing die Geſchwulſt almäplig an
nachzulaſſen, fo daß feine Gefahr länger dabei war; wenn
vielleicht aud ihre Stimme noch lange daran leiden konnte.
Bierzehn Tage nad) dem Tode van Leuvens hatte Le⸗
melie Gelegenheit geſucht, Goncordien allein zu ſprechen;
fie mente ihn aber nur in Mingas Gegenwart hören, und
da hatte er ihr geradezu einen Heiraths⸗ Vorſchlag gemadıt.
Sie hätte nur zwiſchen Zweien zu wählen — fagte er;
weil jept er und Herr Albert die einzigen Männer auf der
Juſel wären; und da zweifle er denn nicht, daß fie ihn,
einen Offizier vom älteften franzoͤſiſchen Adel, einem gewe⸗
fenen Komödianten, Schuhputzer und verlaufenen Schul
tnaben vorziehen würde. — So viel will ih Euch nur noch
fagen, Madame, verfeßte er, — ſpaunt nicht den Bogen
gar zu hoch, er könnte zerſpringen. Zu einem Zweikampfe
mit mir bat der elende Menfc keinen Muth; es giebt aber
Begraͤbniß und Geburtstagsfeier.
auch andere Mittel, eines beſchwerlichen Kerle los zu mer-
den. Bolt Ihr ibm wohl, fo fagt ihm für's Erſte keia
Bort von dem Vorgefallenen; und feld Ihr mit meiner
Ungeduld unzufrieden, fo bedenft, dag Ihr allein daran
Sculd feld, und dag es in Eurer Macht ſteht, mich zum
deſchmeidigſten, freundlichſten Menſchen zu machen.
Die arme Concordia wußte nicht, was fie antworten
follte, feine Drohungen gegen mid hatten fie im höchſten
Grade erfredt. Sie bat ihn um Gotteswillen, ruhig und
vernünftig zu fein, und ihren Zuftand zu bedenken. — Ih
gebe Euch noch drei Tage Friſt, ſprach er. Euer Kind
will ih als das meinige annehmen. Aber meine Frau
müßt Ihr werden. Ih mil nicht länger warten, babe
ſchon zu lange gewartet. Der gute Albert if ja ſchon Kü-
fter geweſen, fo mag er den Predigerdienft gelernt haben.
Er kann uns nad den Formeln Eurer eigenen Kirche
trauen, damit Ihr Euch keine Strupel machen follt. Das
iſt mir alles eins, wenn ich Euch nur beſihe.
Damit ging er. Concordia vertraute mir Altes, als
wir uns allein faben. Bir waren in der größten Angſt!
Dem Lafter ftehen taufend Mittel zu Gebote, wo die Tu⸗
gend oft kein einziges weiß. Minga dagegen war in der
legten Zeit gegen ihre Gewohnheit ruhig und heiter gewor⸗
den. Sie fing auch an, etwas zu ſprechen, und fagte:
Laßt mid nur maden, und fürdtet Euch nicht. Lemelie
bat mir gefagt: daß morgen fein Geburtstag fe. Ihr
mügt mit ihm effen, feine Geſundheit trinken, und ihn wie⸗
der verfüßnen. Alles wird. noch gut werden, wir wollen
ihn ſchon zur Ruhe bringen. — Aber nur keine binterliftie
gem Mittel, gute Minga, riefen ih und Coucordia zu⸗
leid, — Altes offen, ehrlich und gerade zu, "antwortete
Begräbniß und Geburtstagsfeier. 2
die Schwarze. Kein Gift im Eſſen wod im Beine, mir
genießen ja alles gemeinſchaftlich. —
Bir lichen fie machen, und fie bereitete eine gute
Mahlzeit, wozu fie Lemelie eialud. Als er mit uns in das
große Gewölbe trat, fahen wir einen Blumenfranz um
feinen Namenszug, eben an. dem Orte, wo der eiferne
Sciffsleudhter des Don Cyrillo gehangen hatte; und da
wo fein erftarrter Leichnam gefellen, war für Lemelie ge ⸗
dedt. — Er fand fih dabei geſchmeichelt, weil er wähnte,
Concordia habe es gethan; als er aber hörte, die Aufmerke
famteit rühre von Minga ber, äußerte er finfter: Das
bätte ich begreifen follen; das ſchwarze Thier weiß nicht
einmal Difteln von Blumen zu nnterfdeiden, fie hat mir
einen Kranz von lauter Unkraut zufammen geflochten.
Hüdfehe Farben! rief Minga heiſer; blau und gelb
und roth und grün. So brauben wir's an den Küften
Senegals, wenn wir unferm Könige eine Ehre erweiſen
mollen. Sept Euch, erquidt Euch, mein Herr und Ger
bieter!
Die Unterredung bei Tiſche ftodte im Anfange alle
Augenblide. Als aber Lemelie tüctig getrunken batte,
ward er munter. — Der Komet, fagte er, verfhwindet
jegt alle Abende mehr und mehr, fo foll auch die Berlegen-
beit und das Migvergnägen unter uns verſchwinden. Min.
ga! reihe mir doch das Meſſer, damit ich die fhöne Mes
lone unter ung vertheile.
Minga bradıte das Meier, als er ſich aber zurück auf
dem Stuhfe bog, und den Arm ausftredte, um das Mies
fer zu empfangen, ftieß ihm die Schwarze den ſchneidenden
Stahl in die Brur, fo dag fein Blut den Tiſch befpräzte,
und er nad) einigem Wanlen vom Stußle herunter fiel —
30 Begräbnig und Geburtstagsfeier.
Als Minga den Boſewicht verwundet hatte, rief fe:
3% fomme wieder, wenn er geftorben iR! und lief in dem
Bald Hinaus. Lemelie war tödtlih verwundet, ftarb aber
erſt zwei Tage darauf in großen Echmerzen. Bir ver
banden ihm fo gut als wir Lonnten, und braten ihn zw
Bette. Er litt gewaltig, mitunter aud von Gewiſſensbiſ⸗
fen, die er aber mit Palmenfaft und feiner elenden Philo»
fophie zu betaͤuben fuchte. Bor feiner Mörderin war ihm
noch immer bang, und es berubigte ihm etwas, als er
börte, fie fei weggegangen.
Bir bedauerten ihn, und baten ihn, nod während es
Seit war, feine Seele reuig an Gott zu wenden. Er big
‚aber die Zähne zufammen, der Chaum ftand ihm wieder
vor dem Munde und er rief: Macht mir mit dummen
Geſchwaͤß meinen Zuftand nicht noch ärger. — Bir fhwie-
gen, Concordia ging hinaus, und. er verfepte fanfter: Herr
Albert, reicht mir doch das geſchriebene Heft da aus der
Scyublade. Ic fann nicht länger leben, und fterben kann
ich auch noch uicht. Vieles ſchmerzt mic; am meiſten Euer
einfältiges Mitleid, Eure naͤrriſche Einbildung von meiner
außerordentlihen Boeheit. — Ihr feid noch Kinder, junge,
unerfahrne Menfhen, die die Welt nicht kennen, und bier
auf diefer Infel werdet Ihr ſchwerlich Gelegenheit finden,
Eure Keuntniſſe zu erweitern. Lefet meine Geſchichtel Ich
bin auch Shriftfteller geworden, und habe mir in der letz⸗
ten Zeit, wie Don Eyrillo, damit die Langeweile vertrie-
ben, meine Begebenheiten aufzuzeichnen. Ihr werdet ſehen.
wie ich es getrichen, haben es Biele getrieben, umd die
meiften meiner Zeitgenoffen waren ärger als ih. Geht in
Eure Zelle und lefet! Laßt mid allein beim Palmenfafte.
Eine Pfeife kann ich auch wohl ned rauchen, wie ein ara
Lemelies LSebensgeldichte. 3
mer tuͤrtiſcher Sklar, der lebendig gefpiegt if, umd dem
das Eifen noch nicht die edieren Theile verwundet. Wenn
Ihr fertig feid, kommt zurück! Ic will Eud den Reſt er⸗
zählen. Denn id) fühle, id) kann nicht fterben, ehe ih vor
Euch gebeichtet babe, obſchon Ihr Ketzer feid, die mid
nicht abfolviren fönnen. Macht nur, dag id die Schwarze
nicht wieder fehe, dann hat es Feine Noth. —
Ich nahm das Heft, ging zu Concordia in unfere ges
meinſchaftliche Höhle, und las mit ihr die Bekenntniſſe, die
ich Euch bier mittheile.
4.
Lemelie’s Lebensgeſchichte.
Ich bin zu Paris im Jahre 1590 geboren, eben in der
großen Hungersnoth, als die Pfaffen dur Prozeſſionen
die Zeit vertrieben, und predigten: wer vor Hunger ftürbe,
ftärbe den Martyrtod. 30,000 Menfhen maren ſchon vor
Hunger hingeſchmachtet, und Heinrid der Vierte konnte
doch noch nicht Paris einnehmen. Ih ftamme aus
der alten Familie °*"**, meine Eltern waren aber blut⸗
arm, und bewohnten ein Meines Haus in der rue de ia
ferroniere; denn fie gehörten zur Partei der Guifen, und
hatten, ale Heinrich der Dritte den Herzog von Guiſe
durch acht Edelleute erdolchen ließ, kaum das Leben gerete
tet. Jept lebeen fie ſtill und ängftlid unter dem angenom»
menen Namen Lemelic, trieben ein buͤrgerliches Gewerbe,
32 Lemelies Ledensgefchichte.
und verdienten ihr Brot damit, lakirte Vavparbeiten zu
machen, welches Haudwerk mein Bater in befiern Tagen
blos zum Vergnügen geltrnt hatte.
Ich hörte in meiner Kindpeit nichts, als von Mord
und Bergiftung. Meine Eltern waren eifrige Katholiken,
baßten Die Hugenotten auf’s Blut, und fpraden von der
Bartholomaͤusnacht, von dem Morde des Admirals Coliguv
und von der Vergiftung des Prinzen Conds, mit der größe
ten Entzüdung. Die Königin Katharina de Medicis, ein
Weib von allen Zaftern zufammengefept, ward uns als ein
Mufter aller Frauen gepriefen. Man ſprach von dem lie
benswärdigen Zuge Karls des Neunten, dag er felbft durchs
Fenſter, auf feine Unterthanen ſchoß, und „Zödtet! Tödtet!“
rief. Heinrich der ‚Dritte war aber meinen Eltern von
Herzen verhaßt, weil er den Herzog ermordet hatte; und
ihre Freude war groß, als der gottesfürchtige Möndy Ia-
tob Element fi) als Supplikant zu ihm hineinwagte, und
ion auf dem Nachtſtuhle, wo er, von Hofleuten umringt
Audienz gab, erwürgte,
Bas Half aber die Bartholomäusnaht, wenn man
einen Keper, wie Heinrid) den Bierten, auf den Thron
fepte? Sobald er König werden konnte, ſchwur er feinen
Glauben ab. Konnte man aber auf diefen neugebadenen
Glauben bauen? Tapferkeit konnte man ihm freilich nicht
abſprechen, und fein Suly war ein recht guter Rechenmei-
ſter; auch gefiel dem gemeinen Volke fchr feine Aeugerung,
dag, wenn ibn Gott leben laſſe, fole jeder Bauer im Kös
migreiche, wenigftens ale Sonntage fein Huhn im Topfe
haben. Man kannte ihn aber übrigens recht gut: er war
ein wäthender Spieler, und der Unzucht fo ergeben, wie
Einer; auch ſab er oft nicht viel anf die Mittel, die ihn
Lemelies Lebensgeſchichte. 3
zum Swede führten. Er pflegte ſich darüber ſpaßhaft fo
auszudrüden: Ic wergolde die Böfen alle Tage, damit das
Blei ihrer Bosheit nicht ſichtbar werde.
Beil er nun nicht alles Blei vergolden Tonnte, blieb
immer fihtbaree Blei genug übrig, und man dachte nur
daran, wie eine unfihtbare bleierne Kugel ihn treten, oder
wie man ein unfihtbares Gifen gegen ihn weßen Fönne,
Erft verſuchte der Jeſuitenſchüler, Johann Chatel, ihm
einen Streit) zu verfegen, that cs aber fo fhleht, daß er
ihm nur ein Paar Zähne in den Mund hinein ſtießz wo⸗
durd er Niemand als die fine Gabriele betrübte, wenn
fie der König füffen wollte. Es follte aber deſſer tommenl
Die ungeheuren Todesmartern des armen Chatel erbitter-
ten die Herzen noch mehr, und bald fand fid in unferer
Nachbarſchaft ein Mann, der die Sache verftand.
Natüurlicherweiſe wollte fih fein vernünftiger Menſch
zu folder Wufopferung bergeben. Denn was ginge ihn
das Heil Frankreichs an, wenn er ſelbſt lebendig gerädert
werden follte? Gluͤclicherweiſe giebt es aber immer der
gutherzigen Narren’ genug, mit deren Pfoten man die hei⸗
Gen Kaftanien aus der Aſche herausziehen fann, ohne fih
felbft die Finger zu verbrennen. Ein folder Schmärmer
lebte in unferm Quartiere, ich Ternte ihn dur) einen Zur
fall kennen
Id machte ohngefähr achtzehn Jahre alt fein, als ich
eines Abends ziemlich foät im Garten der Tuillerien ſpa⸗
zierte, wo mir ein hubſches Mädchen ein Stelldichein gege-
ben hatte.
Als ich fo herumging, und vergeblich in der Nähe
eines Teiches wartete, hörte ich, bei der verabreden Heide,
Beblenf. Sarifien. XVII,
3 Lemelies Lebensgeſchichte.
glich Jemand in’s Waſſer fallen. Ich fürchtete, daß es
mein Mädchen wäre; das Baffin war nicht tief, und ih
ftürzte mid) ohne Bedenken ins Waller, um meinen Gold»
ſiſch wieder zu fangen. Statt des Goldfiſches hatte ich
aber eine garflige Kröte zu. nalen befommen. Es mar ein
häßlicher alter Menſch, blaß, hager mit cinem grogen
Maule, ſchwarzen Zähnen, und matten Heinen ſchiefen Au
gen, die er aber ſehr andädtig gen Himmel kehrte. — Er
fügte mir die Hand zu wiederholen Malen, und dautte
vielmals, dag ich ihn gerettet habe; nicht, weil er dag Le
ben fo fehr liebe, fonder, weiß. cr glaube zu großen Zwel
ten der Welt geboren zu fein, melde noch nicht in Erfül-
lung gegangen,
Ich hatte feine Zeit, diesmal Tänger mit ihm zu ſpre⸗
ben. fondern eilte, trodne Kleider anzuziehen, und mein
Mädcen zu finden. Den Abend darauf traf ih aber die»
fen Menfcyen wieder tm Garten, und machte feine nähere
Bekanntſchaft. Ein fonderbarerer Kauz ift mir nicht vor⸗
getommen, Er big Franz Ravaillac, ein gemefener
Ordensbruder, umd aus einer armen Patrizier- Familie.
Er trug ein härenes Hemd auf dem bloßen Leibe, Ichte
meift nur von Brot und Wurzeln, geißelte ſich oft, und
ging nur aus, wenn es regnete und blies, um die Todten«
grüfte zu beſuchen. Als ich ihn frug, warum er das thuc?
antwortete er: um das Fleiſch zu tödten, und den Verſu⸗
ungen zu miderftehen. Der Heilige Hifarton habe fich des-
wegen felbft mit Zäuften geſchlagen; Evagrins ftand bei
Winterzeit naft in einem Brunnen, bis er vor Kälte er⸗
ſtarrte. Das hatte er aud im Garten tun wolten, als
ihm ein reigendes Mädchen begegnet (vermuthlich meine
Liebſte). Weil er aber das Gleicgewicht verlor, und um-
Lemelies Lebensgeſchichte. 3
Mu märe er geroiß erteunfen, wenn ich ihn nicht gerettet
tte.
Ein Bild, das in der Vorhalle eines Kloſters hing,
und einen lebendig gefhundenen Märtyrer darftellte, war
ihm die liebſte Augenweide. Stundenlang konnte er mit
größter Wolluſt fo ſtehen, und die biutigen entblößten Mus-
keln der Leidenden betrachten, nebſt den Henkersknechten,
die theife die Haut abzogen, theils ruhig mit dem Meſſer
im Munde fanden, wie Mebger, die einen Ochſen fhladje
ten. — Was das füß, mas das henigfüß fein mug —
feufzte er — fo für die gute Sache zu fterben. Sein Blut
daftete wie Rofen, die Mefferftihe fhmeden ihm wie Am⸗
brofia! — und was des tollen Geredes weiter war.
Bir achten oft Äber ihn, id) und meine Gelichte, das
Kammermäddyen der fhönen Marquiſe de Verneuil, einer
geweſenen Maitreffe des Könige. Diefe Ehre durfte fie
leider nicht lange geniegen; er verlich fie, nach feiner Leichte
finnigen Art, um andern Liebſchaften nachzugehen. Oft
hörten wir die arme Berlaffene in ihrem Gemache weinen
und rufen: Lebt denn fein Chriſtenmenſch, ‚der diefem Uns
treuen feinen Lohn geben mil?
Zu der Seit ereignete ſich noch etwas, das mir einen
verföntihen Haß gegen den König einflögte. Mein Bater
lebte, wie gefagt, von lakirten Papparbeiten, aud konnte
er von Drangefchalen niedliche Biskuitihadteln machen.
Bas er nicht zu Haufe verkaufte, verkaufte ich für ihn auf
dem Markte, wo ich einen Laden und ziemlid) viele Runden
unter den huͤbſchen Mädchen hatte, weil ich gut ausfah und
ihnen allerlei luſtiges Zeug vorſchwatzen konnte.
Eines Tages kam ein reicher Bauer, und wollte mir
eine Schachtel ablaufen. Man fagt: Wenn dw Narr zu
3% Lemelies Lebensgeſchichte.
Markte fimmt, gewinnt der Krämer Geld. Ich merkte
wohl, der Kerl verftehe ſich nicht auf fo etwas, und ver⸗
langte daher zehn Mai fo viel, als das Ding wohl wertb
fein mochte. Beil nun aber der Laffirnis reht rein und
bel über dem bunten Bilde glänzte. das Adam und Eva
im Paradiefe vorftellte, fo ließ ſich es der Bauer gefallen,
und gab das Geld her. Kaum hatte id es in die Taſche
geftedt, fo fam ein anderer Papparbeiter, und wollte ihm
ein ähnliches Stüd weit wohlfeiler verfaufen. Der Bauer
verlangte fein Geld zurüd, ich mollte es ihm aber nicht ge»
ben, und chen in diefem Augenblide ging der König vor-
bei, denn er batte es ih zur Pflicht gemacht. auf den
Diärkten herum zu geben, um zu fehen, ob aud die Bür-
ger ihr Fleiſch und Brot zu billigen Preifen befämen, und
ob das Hubn bald aus dem Ei gekrochen fein würde, das
der Bauer alle Sonntage im Torfe haben folkte.
Der König wollte willen, worüber der Streit entftan-
den wäre, man fagte es ibm. — Gieb ihm das Geld gleih
zurück, Bube! rief der König, enfrüftet mit verächtlichem
Bid. Diefe Verachtung trieb mir das Blut in die Ban-
gen, und id) ſprach: Eire! ich bin fein Bube, ich bin ein
armer Edelmann, den das Unglüd nötbigt, ein bürgerliches
Gewerbe zu treiben. — Du befhimpfft fowohl Adel ale
Bürgerfhaft mit diefen Worten, erwiederte der König. Das
Unglüd noͤthigt feinen dazu, Betrügereien zu begehen.
Glaubt Du etwa, meil Du vielleicht zu den Hefen des
Adels gehört haft, daß Du ungeftraft den guten Maren
bürgerlichen Trank mit Deinem Unflate verunreinigen darfft?
— Id) antıwortete in der Berlegenbeit etwas unzufanmen-
bängendes Zeug. Der König kehrte fih aber lachend ven
mir umd fagte: Der Burſche ſcheint entſeßlich einfältig zu
Lemelies Lebensgefhichte. 37
fein; ich glaube, er hat es mehr aus Dummheit als aus
Bosheit gethan. Wir wollen ihm diesmal durch die Finger
fehen. — Damit ging er. Ich blieb befhämt zurüd, und
mein Handel war ruinirt, denn von diefem Tage an, wollte
Niemand mehr etwas von mir Laufen.
Ich vertraute meiner Gelichten noch felbigen Abend
mein Unglüd. Die Marquiſe fam zu uns hinein, und ber
tlagte fih auf ihre Weiſe. Sie hatte Beſuch bei ſich von
einem ſebr vornegmen Herrn. Gr hatte feinen Bedienten
wengefhidt, und frug jept freundlich, ob ich wohl fo gut
fein wollte, ibn nad Haufe zu begleiten; denn es war zu
der Zeit unſicher, allein fpät des Abends auf den Straßen
zu gehen. Ic hatte nichts zu verlieren, und es freute mich,
dem großen Herrn einen Gefallen zu thun. Ich mußte ihm
durch viele Gemaͤcher auf fein Zimmer folgen, obfhon es
ſebr fpät war. Hier ſprach er fehr leutſelig, allein mit fo
ſchwacher Stimme, daß ich es faum hören konnte: Lieber
Lemelie! Ihr thut Unrecht daran, den guten König fo ſehr
au balfen, denn er ift wirklich ein berzenslieber Menſch, und
würde fih als Privatperfon, als tapferer Soldat, als ans
genchmer Geſellſchafter vorzüglich gut ausnehmen. Leider
iſt er aber zum König gar nicht geſchaffen, und das ift ein
großes Unglück, dem je eher je lieber vorgebeugt werden
mug. Sein Tod ift ein nothwendiges Uebel, zum Heil des
Ganzen; und da darf denn kein wahrer Patriot ſich von
liebenswůrdigen Schwächen und Bedenklihteiten irre machen
laſſen. Borber tonnte man freilich mehrere Strupel hegen,
als er noch Ketzer war, jept aber hat es mit feiner Selig
keit Feine Noth; und wenn man ein gutes Mittel müßte —
das fein Aufſchen machte, worurd man ihm leicht und
ſchnell in die Ewigkeit verfepen könnte. — Ih gebe Euch
8 Lemelies Lebensgeſchichte.
mein Ebrenwort darauf, ein folder Vatriot, der diefer
allgemeinen Wunſch erfüllte, Könnte auf die hoöͤchſte Dant-
barkeit der meiſten Großen Frankreichs Rechnung machen?
und eine Geldfumme, die ihn Zeitlebens zum reihen Manne
machte, würde ihm gewiß zugeſichert werden.
Ich ſah dem großen Herrn ſchelmiſch in die Augen,
umd antwortete wafemeis: Ihr wagt viel, Monfeigueur,
wir einen ſolchen Vorſchlag zu thun.
Gar nichts, lieber Lemelie, antwortete er ganz ruhig,
Euer Leben if in meiner Hand, ich habe meine Spione
überall; aus der Schule zu ſchwahen und Euch in’s gewiß
Verderben zu flürgen wäre einerlei. — Ic) fage es nur
zum Schetz, gnädiger Hexr, verſehle ih. Ihr begreift
wohl, dag es mir eben fe viel um des Königs Untergang
au un it, als Euch. Wenn man, wie gefagt, nur ein
Mittel wägte. — Nun, es giebt dad) eigentlidy der Mittel
genug, bemerkte er. Nacht, Dunkelheit, ein gut geichlife
mer Dold, Tonnen Vieles ausrichten. — Der Tag fann
aber Vieles entveen, fagte ih, und in's warme Bad, das
man dem Jakob Element und dem Johann Chatel geheizt,
hat man viel Senf und Salz gemiſcht; ic .zweifle, Daß
fobald wieder Jemand darnach gelüftet. .
In diefem Yugenblide ging mir aber ein Licht auf,
und ich rief froblotend: Und doch, gmädiger dert — Ihr
wohnt ja deu botauiſchen Garten fehr nahe, wo die ſchöne
Palme fteht? Köunt Ipr mir einen Palmenzweig verfhafe
fen — (ſelbſt habe ich auch ein. reines weißes Hemd), fo
hoffe ih den Wunſch zu beiderfeitigem Vergnügen durch⸗
sufeßen. .
Der große Herr glaubte erſt. daß id wieder ſpatze;
als ich ihm aber alles erklärt Hatte, fand er den Einfall
Lemelies Lebensgeſchichte. 3
vortreffüich. Er verſchaffte mir heinlich den Pahnenzweig:
ih 309 ein weißes Hemd über die Kleider, fepfe mir eine
lange biende Perürte aufs Haupt, und weil ich von Kin
desbeinen wie sine Kaße klettern konnte, (bis in ſpaͤtere
JZabre, wo ih an Schwindel leide) fo ſchlich ich mid aufs
Dach und fpazierte über ein Paar Nabarkäufer, bis ich
on Ravailacs Dachtube kam. Bier Hradı ih einige Bir
gelfteine los, Trody in’s Zimmer hinein, und verdarg wich
im Bintel. .
Gr tkam kurz daranf zu Haufe, machte mir mit Bater-
noſter beten die Zeit ziemlich lang, und legte ſich endlich
aufs elende Bett, nachdem er einige Hriligenbilder eifrig
gelüßt hatte. Eben wie er das Licht auslöfdyen wollte, erx ⸗
ſchien ich mit dem Palmenzweige in der Hand, und rief:
Granz Ravaillac! — Er ſcheen eine ſolche Erſcheinung bei-
nahe erwartet zu haben; denn fie wanderte ihm gar nicht.
Er richtete ſich auf die Kniee auf, faltete die Hände, und
fagte andägtig: Sprih, Herr! Dein.Diener hört. — Franz
Ravaillac, verſetzte ich rubig uud gebieterif—h: Du folft
Heiurich den Vierten, König von Franukreich, erſchlagen;
dadurch geſchieht unfer Wille im Himmel, wie auf Erden.
— Er flog die Augen andähtig zu; meigte ſich mehrmals
zur Erde und feufzee: Wohl, Herr, ich gehorche. Siehe!
ich bin Drin geringer Knecht, nur ein armſeliges Werkzeug,
deſſen Du Did zu der Ausführung diefer großen Entwürfe
bediraf. — Ich blies fein Licht aus, Tiekterte wieder zum
Dache hinaus, fepte die Siegelfteine wieder vor das Loch,
und gelangte glüdlih in meine Wohnung zurüd, ehne ent»
dect zu werden, und ohne den Hals zu breiien.
So geſchah denn jene That, welche die ganze Welt
40 Lemelies Lebens gefchichte.
Als des Königs Kutſche eines Tages in unſere Straße
am, wo ich mit meinem Kameraden la Daffon am Ten
ſter ftand, war der Weg von Zubrlenten und Kärrnern fo
verftopft, dag ſtil gehalten werden mußte. Die Bediente
forangen alle herunter, einige gingen Über den Kirchhof,
andre liefen voraus, um Pla zu machen; fo dag der Kö—
nig ganz ohne Bededung gelaſſen war. Die fee ruc⸗
wärts fipenden Herren ſaben ſich nad den Pferden um.
In diefem Augenblide entdetten la Maflon und ich
unfern guten Freund Ravalllac, der fih ganz leiſe umd
eilig herſchlich, und durd die Menge zum Wagen hin ar-
beitete.
« Sieh einmal den Ravailac, fprad la Maſſon zu mir,
er ift bei Gott auch heute aus dem Nefte gefrochen, um
die Umtriebe der eiteln Belt zu feben Man merkt es ihm
an, dag er kurzſichtig ift, weil er fi dem Wagen fo fehr
nahet. Ich fürchte aber, feine Nafeweisheit wird ihm übel
befommen. Mein Seel, rief er wieder, der Kerl ift ganz
toll, er fteigt auf's Wagenrad hinauf, und büdt ſich in
den Bagen zum König hinein, als od er ihn kühlen wollte.
Kaum hatte la Maflon das gefagt, fo Hören wir den
König rufen: Gott! ih bin verwundet! — Er flürzte zu
rüd in feinem Blute, und Navaillac, der ſich leicht im Ge⸗
tümmel hätte wegfdleihen fönnen, wenn er das Meſſer
nur weggeworfen hätte, ftand ſtarr und ruhig, wie eine
Bildfäule, mit dem blutigen Eifen in der Hand, und er-
wartete den Lohn feiner That.
Diefen bekam er denn nun auch fo derb und tächtig,
wie es nur der Graufamfeit möglich war, folden zu er-
finden.
Uebrigens Hätte Ravaillac fehr leicht aus dem Gefäng-
LZemelies Lebensgeſchichte. 4
niffe entichläpfen kinnen, das man oft für ibn offen ſtehen
hie. Die Marquife de Vernenil, die mit vielen Großen
des Reichs in Verbindung ftand, und der es wehe that,
dag der arme Teufel fo zu fagen unfhuldig ſtürbe, weil
vr nur ein blindes Werkzeug ihrer Rache geweſen, fchidte
mich zu ihm in's Gefängniß, um ihm geradezu zu fagen:
er könne leicht entflichen. — Wäre ich im blogen Hemde
mit einer blonden Perüde, und mit dem Palmenzweige in
der Hand erſchienen, fo hätte er ohne Zweifel auch gehorcht.
Das ging aber niht an, und fo richtete ic) nichts aus.
Er fcüttelte den Kopf, zeigte mir ein altes Bilderbuch voll
Hinritungen der Märtyrer, und fagte: Sie werden mic
nit mit Martern tödten Eönnen! Dit dem Schwerte müfs
fen fie mir das Haupt abſchlagen. Dann wird ſich der
Himmel Öffnen, und der Engel mit dem Palmenzweige
wird wieder herunter fonımen, mid) in Abrahams Schooh
hinauf zu tragen.
Ich fagte: Ravaillac, haft Du Did doc nicht vielleicht
geirrt? Softe der Engel, den Du zu fehen glaubtent, nicht
etwa eine bloße Einbildung oder ein verkleideter Spipbube
gewefen fein?
Gehe hinweg von mir, Du freolender, gottloſer Menſch!
rief er müthend. Ih habe nod ein Meſſer Hier, das mir
ein guter Freund heimlich, zugeftedt bat. Einen Selbſtmord
wit ich nicht begehen — ſprichſt Du aber noch ein ſolches
Wort, fo fol es Dir übel gehen.
Ich lief aus dem Gefängniffe, ſchlug die Thür Hinter
mir zu, und dachte: La den Narren es fo gut haben, als
er fehber will,
Den Tag nad) feiner Hinrichtung ſchlich is wid zu
meinem vornehmen Gönner. Gr empfing mich außeror-
22 Lemelies Lebensgefhigte
dentlich guadig, zahlte mir Das Drittel der verfprachenen
Summe.aus, und verfiderte, dag ich den Reſt Übermorgen
befommen follte. Drauf Ind er mid ein, mit ihm zu frübe
füden, ſchenkte mir eigenhändig ein Glas fügen Beine
ein, der ganz köſtlich fein follte, und frag: ch mir nicht
ein Stud Kuchen gefälig wäre? — In diefem Angenbiid
ward er binausgerufen. Sein Peiner Hund lief umber in
der Stube, wedelte mic an, und wollte aud Kuchen ba
ben. Ich gab ihm ein Stück. Kaum hatte aber der Hund
den Kuren verſchlact, fo heulte er, verdrehete die Augen,
lief ein Paar Mal ſchwindlich umber, fiel in Konvulfionen
auf den Boden, und war maufetodt. B
Mein edler Gönner kam zurkt, und ſtugte — ven
muthlich, weil er mid noch lebend fand. Ih beklagte das
Ungläd feines Hımdes, und verfiherte, ih fei an deſſen
Tod unfhufdig, weil ich nicht gewußt habe, dag der. Kuchen
vergiftet fei. Drauf bemerkte ih: Ich begraife fehr gut,
gnädiger Herr! daß Ihr einen Menſchen los zu werden
fucht, dem Ihr ein Übereiltes Verſprechen gethan, und der
in ein wichtiges Gcheimmig eingeweiht if. Mas aber das
Geld betrifft, fo bin ih mit der Summe zufrieden, die ih
fhon bekommen babe; und, nicht aus der Schale zu
ſchwatzen, dazu zwingt mid ja meine eigene Rettung. Euer
Gnaden fönnen mir aber aud nicht verdenten, dag ich
nicht gern ermordet fein wid Sell id vernichtet werden,
fo made id Lärm, gebe uns Beide an, und nebme Euch
mit. Das Fenfter iſt geöffnet, und ich brauche nur binaus
zu ſchrrien. Wollt Ihr aber anf Euer Kruzikz ſchwören,
mir ferner fein Leides zu thun, fo verfprede ich binnen
drei Bogen aus Paris, und binnen acht Tagen anger den
Grenzen Frankreichs zu fein.
Sortſetzuag von Lemelies Lebensgefhihte. 43
Mein Gbnne war äußerft leutſelig, wmarmie mich
and verficerte, dem Kuchen fehle feines Willens gar nichts;
ver Hund mühe anderswo etwas Ungefundes genoſſen ha-
ben. Er deiftete mir gleich auf das Krugifir feines Nacıt-
üfches den verlangten Eid, entließ mid mit vielen Lieblo⸗
ungen mir zur Treppe binunterfolgend, und bemerkte nur
mit einem feinen Nahdrude und liebenswärdigem Lächeln,
es wärde mic ſehr zuträglid fein, je eher, je lieber
Frantteich zu verlaſſen und auf Reifen zu gegen, wodurch
ſich ein junger Menſch außerordentlich bilde.
8
Fortſetung von Lemelies Lebensgeſchichte.
Ich reike jegt nach Italien, wo ich recht gut hätte fer
ben können, bätte id wicht die Weiber ümd den Pharao»
tiſch zu ſeht geliebt
Ein junges, ſchönes Madchen in Florenz, mit einem
Goldſchmiede, Namens Andrea Druzzi verfprochen, wußte
ich in der Abweſenheit des Bräutigams in's Garn zu lof-
zn. Er war nach Frautrrich gereiſt. Die Trennung
sonfte ich Kblau zu benugen, die Felgen davon wurden
immer ſichtdarer; die Seit ihrer Entbindung nahete ſich
Sie lieg mir durch eine alte. Frau das neugeborne Kind
bringen, nd bitten, väterlih dafür Serge zu fragen. —
Bas folte ich mit dem Burme maden? Ich konnte mid
taum ſebſt ernähren. Ich wicelte es in meinen Mantel,
4 Fortfepung von Lemelies Lebensgefhichte,
und ging foät Abends längs den Ufern des Arno fpazieren
bis ic an einen abgelegenen, von Bäumen und Hecen ver-
bargenen Ort kam. Hier wollte ih die Schachtel mit dem
Meinen Mofes in’6 Schilf hinunter fegen, damit ihn eine
mitleidige Pringeffin wieder finde. umd zum großen Manne
erziehe; als ih cine Stimme hörte, die mir hohl zurief:
Laß das fein, Kindermörder!
- Eine ſchwarze Geftalt fand vor mir im Mantel ge⸗
hält. Ic) erfannte aber bald in ihr den Hgolino Gaspa-
ti, einen Luftigen Gefellen, deſſen Bekanntſchaft id in Siena
gemacht, und der, Schulden halber, nicht nach Florenz zu
kommen wagte, obſchon id doch gefehen, daß er in der
fepteren Zeit viel Geld im Spiel gewonnen hatte. Ich ging
mit ihm, bebielt das Kind unter dem Mantel, und frug:
Bie bit Du binter mein Geheimnig getommen?
Das, und weit mehr, weig id, foradı er düſter, und
erzählte mir Saden, worüber id) erflaunen mußte, weil
kein Menſch außer Antonia und id das fo willen fonnte,
es müßte denn ihr Bräutigam Andrea Druzzi, in Franl⸗
rei, fein. Drauf ſtecte Ugolino Baspari die Hand im
die Taſche, nahm eine Handvoll Dufaten heraus und frug:
Möchten Du es aud fo gut haben? — Gern glei! war
meine Antwort. — Fuͤrchteſt Du Dich vor dem Teufel? —
Nicht fonderlih. — Glaubſt Du, daß er Gewalt über die
Menſchen übe? — Ber eigentli) die Gewalt übt, er⸗
wiederte ich, ift ſchwer zu fagen. Faſt folte man meinen,
das Meife, das in der Belt gefhieht, rüpre mehr von
ihm, als von feinem fogenannten Gontrapart. — Bift Du
auch der Meinung, daß ein Vogel in der Hand beffer fel,
als zehn in der Luft? — Das bin ih. — Möntel Du
wohl auf eine künftige, wahrſcheinlich nur eingebildete Se⸗
Fortſethung von Lemelies Lebensgeſchichte. 4
ligkeit Verzicht thun, wenn Du es hier im Leben gut und
immer vollauf haben könnten? — Sehr gern! ſprach id,
doch nicht ohne ein beimlihes Grauen.
Bir waren indeß in eine tiefe, dunkle Grotte gekom⸗
men, wo der Mond gefpenftermäßig hineinfhien, und mo
eine Duelle mit ſeltſamem Säufeln aus der Tiefe riefelte,
als ob fie Geiftergefdichten der Unterwelt erzählen wolle.
Ich babe mic ſchon dem Teufel ergeben, ſprach Ugo⸗
lino Gaspari düfter, und haft Du Muth, kannſt Du «6
jetzt auch thun. Hier it ein Pergament aus Menſchenhaut
uubereitet, da eine rothe Habnenfeder, Du mußt aber Dein
eigenes Blut zur Dinte bergeben. — Ih will mir die Haut
aufrigen, ſprach id. — Nibt doch, rief er, Dein Blut
fliegt ja ſchon in dem Kinde. Zödte es auf jenem ſchwar⸗
zen Steine dort. — Ih fhauderte zurück. — Narr! vers
fröte er, meinſt Du, weil das Waſſer weicher iſt als der
Stein, daß diefe Todesart femerzliher, oder der Mord
unverzeibliher ſei? — Du bat mid ſelbſt vor dem Kin-
dermorde gewarnt, ſprach ich zaghaft. — Iſt es denn ab⸗
gemacht, Narr, dag Du der Vater dieſes Kindes biſt?
frug er hoöhniſch lachend, und erzählte mir Geſchichten von
denen ich deutlich abnehmen fonnte, dag er mit Antonia im
vertraulichſten Verhaͤltniſſe geftanden, während fie mic mit
verftellter Liebe Hinterging.
Diefe Entdetung erbitterte mich fo fehr, dag id das
Kind nahm. umd gegen die Zelfenwand ſchleuderte. —
Sieh, da haben wir rothe Dinte vollauf, fpra er ruhig:
tunfte die Feder in das Blut und reichte mir fie. — Das
Aergſte war geſchehen. Ich bedachte mich nicht lange, mein
Gehirn brannte, und in den gräßlichften Ausdrüden ergab
ich mich dem Teufel ewig mit Leib und Erele.
46 Sortfehung von Lemelies Lebensgeſchichte
Den Brief mußte ih auf offenem Felde unter dem
Hochgerichte, mit dem abgebleichten Schädel eines Hinge
richteten in die Erde graben, während der Gehängte am
Galgen im Binde haumelnd mir mit den Fügen an den
Kopf ftieß. Ugolino folgte mir darauf wieder auf die Heer⸗
ftraße, Hier drüdte er mir krampfhaft die Hand, und ſprach:
Lebe wohl, Lemelie! ich habe mid gerächt. Id) bin der ber
trogene Bräutigam Antoniens, Andrea Druzzt, der, nad
Siena zurädtommend, Deine Niederträhtigkeit entdeckte
‚Das Kind gehörte wirtlich Dir, Mädcenfhänder und Kin⸗
dermörder! Erſt wollte ich Did morden. Atlein dieſe Rache
ſchien mir beſſer. Jetzt gehörſt Du dem Teufel mit Leib
und Seele. Er fehrte mir den Rüden, und verſchwand in
der Nacht, ich habe ihm ſeildem nie wieder geſeben.
Ich war in dem feltfamften Gemüthszuſtande. Ih
ſchauderte vor dem Kindermord, den id begangen hatte,
obſchon ich mit dem Vorſatze binausgegangen war, ihn zu
begeben. Andrea Druzzi ‚hatte mich zum Beſten gehabt,
und fo war ja and die ganze Teufelsverfihreibung nichtig
und windig. Indeß ängftigte fie mich doch immer noch
und ich dachte nur daran, wie id) das Pergament, das im
Galgenhügel vergraben war, wieder bekommen follte, ehe
es der Teufel nehme.
Es koſtete mid) große Ueberwindung, in dunkler Nacht
wieder Über das einfame Feld hinaus nad) der Schädel-
fätte zu geben. Das Pergament hatte ich unter dem Gal«
gen, mitten im Dreieck, wo die Alraunenwurzeln wachſen,
vergraben. Ih konnte beim Sternenfhimmer ten Gehans
genen in der Ferne hin und ber ſchweben ſehen. Es ſchien
mir ein ſchwarzer Engel zu fein, der den Schat bewachte.
Lange ftand ich unſchlüſſig, und wagte nit, hinzugeben.
Fortſehung von Lemelies Lebensgeſchichte. 4
Endlich ſchoͤpfte id Muth, und hatte mic wieder dem Gal⸗
gen auf einige Schritte genähert, als der Gehangene plöps
lich herunter fiel, Wer mürbe Strick mag eben zerriffen
fein) und mit feinem Körper den Drt bededte, wo ich mein
Vergament vergraben hatte. — Den Todten weg zu waͤl⸗
sen, um die Verſchreibung wieder zu befommen, mar mie
unmöglich. In diefem Augenblide hörte id alle Hunde des
entfernten Dorfes gräßlih heulen, und drei Raben flogen
ſchreiend dem Hochgerichte vorbei in paniſcher Schreden
mid), die Haare fanden mir zu Berge und ich entfloh.
Nach Florenz kam ich nicht wieder. Ich hatte da nichts
zu fuchen, id wollte Antonia nicht wieder fehen, und fürde
tete, Andrea Drugzi werde mir da, wenn ich mic feben
liete, einen noch ärgeren Streich ſpielen. Ic pilgerte nach
Pla, wo id nur mit einem einzigen Boldfläde in der Tas
fe antam. R
I ging in’s Spielfaue, Ih hatte nur das eine
Goldftüd zu verlieren, und doch fürdhtete ih beinahe zu ge⸗
winnen. Id feßte das Goldftüd auf eine Karte, und ger
warn. Ich ſpieite glücklich; als ich megging, hatte ih die
Zaſche voll Gold. — Hat der Teufel das gethan, dachte
ich, fo bat er es gut gemacht. Mir mar wieder luſtig zw
Mathe; id ag und trank tüchtig, und fühlte mich von der
Melancholle befreit.
In Livorno machte idy die Bekanntſchaft eines Freiben ⸗
ters, ging mit ihm auf die See, er Ichrte mic) die Navie
garion und wir-machten große Beute. Viele Granfamteis
ten begingen wir, die von diefem Geſchäͤfte unzerttennlich
find, und wogegen die tollen Streiche, die ih vorher ge⸗
macht, wahre Kleinigkeiten waren.
Mögkdy begegnete uns einmal eine Fregatte. Bir
48 Fortſehung von Lemelies Lebensgeſchichte.
Aufrührer wurden ergriffen und auf die Fregatte gebracht
wo man mit uns kurzen Prozeß machte, denn wir wurden
alle gehangen.
Ich auch? Verſteht fih, ih aub. Die ganze Galgen
leiter der Todesangft mußte ich erfiettern, und beichten mit
dem Strick um den Hals. Als ich aber fo, wie Reinete
Fuchs. auf der Himmelsleiter fand, dachte ih: Sollte der
Teufel Dir doch diesmal nicht wieder davon helfen? "In
der Berfchreibung hatte ich den Fehler begangen, mir feine
beſtimmte Zebenszeit zu bedingen. Dielen Schler, dachte ic,
machte er ſich jezt zu Nuge. Bei ihm findet du feine
Hülfe mehr. Beil er nun alfo nicht meht beifen wollte
kehrte ich mein Gemüth zu Gott, meinte fehr, zeigte aufe
richtige Neue, und wurde von einem katholiſchen Geiſtlichen
abſolvirt. Das ‚hat mid wahrſcheinlich gerettet. Denn
weil ich diesmal gar zu fromm aus der Welt gegangen
wäre, bat der Böfe wohl gefürchtet, mic zu verlieren. Er
rettete mich nur, damit ic wieder fündigen follte. Kaum
mar ih auf dem Bugfpriet in die offene See hinausge-
bängt, fe zerrig der Strid mit mir wie mit dem Gehäng-
ten auf dem Felde. Ich fiel in’s Meer, und das Schif
fegelte fort.
Ein mitleidiger Matrofe bat mir ein Ruder zugewor⸗
fen. Darauf ſchwamm ic) fo lang umher, bis ein fremdes
Schiff vorbei Fam, das einen andern Weg nahm. und Tang-
fam gegen den Wind lavirte. — Id mar nur darauf be-
dacht, mir den Strid vom Halle zu ſchaffen, welhes mir
viele Mühe machte, fo daß ich beinahe unter der Arbeit er-
trunfen wäre. Ic Eonnte aber unmöglich, mit diefem Or⸗
densBande um den Hals, das fremde Schif befleigen; denn
was würden die Leute wehl von mir gedacht haben? —
Sortfepung onn Lemelies Lebenegeſchichte. 49
Endlich gelang ed mic, und ich kam als verunglädter fran-
aökfter Eremann, der über Bord gefallen war, nad Hapre
de Grace.
Ich hatte wieder wicht mehr als eine einzige Goldmänze,
die der mitkeidige fremde Kapitain mir beim Abſchied ge
geben. — Es war ein italieniſcher Dukaten — und — fo
Kann die Phantafie mit einem fpielm — es fehlen mir der»
felbe zu fein, den ich in Piſa gehabt, als ich fo viel im
Spiele gewann,
Ich ging wieder in’s Spielhaus. Ein Mulatte in ro»
ther Offiziersuniform fpielte unglüͤcklich. Ich hörte, es ſei
der Sohn eines reichen weſtindiſchen Pflanzers, der in Eur
ropa des feligen Vaters Geld vertrödelte. Ich ſpielte mit
ihm, und gemann mehrere Abende nad) einander fehr große
Summen. Immer lädjelte er dabei fo Hämifd, dag ich
beinahe toll darüber wurde; denn dies verfluchte Hohnge⸗
lächter fam mir mieder ganz fatanifd vor, und ich konnte
mid) des Gedanfens nicht entfhlagen, dag der Teufel in
eigener Perfon mit mir Pharao fbiele.
Ich gewann fo viel, daß ich mich bald wieder etabli⸗
ren konnte; ich rüftete ein Schiff aus, machte einige Fahr⸗
ten wie andere ehrliche Schiffer, und fand mid gut dabei.
Einige Handelsverbindungen brachten mid) nach Kopenha-
gen, wo ich des Herrn van Leuven Bekanntſchaft machte.
‚Hier war aber der Teufel wieder los, und es abnete mir
gleich etwas Schlimmes, als ich die ſchwarze Negerin fab,
die mir die [höne Frau aufs Schi hinaus brachte. Denn
ein ſchwarzes Menſchengeſicht erfhredt mich immer in Eu-
ropa unter den Weißen; und ich glaube auch ganz gewiß —
Oehlenſ. Schriften. XVII. - 4
50 Fortſehung von Lemelies Lebenegeſchichte.
Weiter hatte der Elende nicht geſchrieben. Geht bin
ein, lieber Albert, rief Concordia, und lat ihn Euch den
Neft erzäblen, che er ſtirbt.
Ich wollte fie nicht bitten, mitzugehen, denn es ahnete
mir, dag ich etwas Graͤßliches zu hören befommen würde,
das ich Toncordien verbergen mußte, .
Ich ging allein und fand ihn bei feiner Pfeife, ruhiger
als ich vermuthet hatte. Der Palmenfaft it mir jept zu
ſtark, ſprach er; bringt mir ein Glas fübles Waller, dann
will id) weiter erzählen, denn Ihr ſollt als wiſſen. — Ih
that, was er verlangte, und er ſprach
Der Palmenfaft efelt mid an. Dies ſchlechte Getränk
hat mid; immer berauſcht, ohne mid zu erheitern, in ſol⸗
chen Augenbliden that id), was ich vielleicht fonft nicht ge-
than hätte. So tödtete ich den Meinen Beautiful, und ih
muß gefteben, diefer Mord und der Mord meines Kindes
haben die unangenchmften Erinnerungen in mir binterlafe
fen. Denn die Erwachſenen, fo ich hinrichtete, haften mid
alle vorher mehr oder weniger beleidigt; das neugeborue
Kind und der Meine Hund hatten mir aber nichts gethan.
Darum geftalteten ſich eben aud oft diefe zwei Mifferhaten
vor meiner Phantafie; und in der Nacht, wenn ich zu viel
Palmenfaft getrunfen, habe ich oft das blutige Kind auf
dem Gerippe des Hundes über die Ebene binreiten fehen,
beide wie Ichanniewärmer leuchtend
Doch nicht blos der Palmenfaft, auch Concordia bat
mic zu der Sünde verführt. — Concordia — Lügner! fiel
ich ihm in’s Wort, die tugendhaftefte der Frauen, in deren
Seele kein ſchwarzer Fleck it! — Was balf es mir, ver-
fegte der Böfewicht, dag ihre Seele tugendhaft war, wenn
ibr Körper immer meine Begierde erregte? Es ging mir
Fortſehung von Lemelies Lebensgeſchichte. 51
wie König David in der Bibel, als er Bathſeba geſehen
batte. Urias mußte Reipaus nehmen.
Graufamer! rief ich⸗ fo haſt Du ihn dod ermordet? —
Als der düftre Komet am Himmel erſchien — verfeßte
Zemelie — war es mir, als follte das ein Zeichen der Höle
bedeuten. Es war mir aber viel darum zu thun, dag
Concordia gegen mic feinen Verdacht ſchöpfe. Ich ftellte
mid, alfo frank an, und fei cs nun, dag mic der Vorſatz
ängftigte, genug, id) zitterte wie ein frierender Hund un⸗
ter der Dede; und wäre ſelbſt ein Arzt auf der Infel ger
weſen, — er hätte mic) für einen Kranken anfehen müſſen.
In jener verhängnigvollen Nacht ſchlich ih mi aus
dem Bette, zog mid ſchnell an, und eilte nad) der Stern
warte hinauf, Der Aitronom faß bei feinen Berechnungen
Als er mic fab, erblagte er umd griff nad feinem Hirſch⸗
fänger. Ic) löfte meinen Degen von der Seite, reichte ibm
diejen, umd ſprach demätbig: Mein Herr! tödtet mich gleich
auf der Stelle, oder lagt Euren böfen Verdacht gegen mic
fahren! Denn mas näpt mir ein Leben auf diefer men«
ſchenletren Infel ohne Fteundſchaft? — Ban Leuven reichte
mir drauf freundlich die Haud, und frug, was id fo ſpät
bei ihm wolle? — Darf ich auch nicht einmal den Komet
durch Guren Tubus fehen? fragte ih. Eure Frau und
Herr Albert baben mid zum Beften gehabt, weil ich mic,
vor diefem Sternbilde fürdtetei ich war aber frank. Iept
befinde ich mid) beſſer, und id dachte wohl, daß Ihr noch
nicht zu Bette wäret,
Als ich ihn auf diefe Weiſe berußigt hatte, war er
febr dienfifertig, pußte die Glaͤſer des Tubus, und lieh
mic) binrinfhauen. Die Haare fanden mir zu Berge; als
ich das bimmliſche Ungebener durch das Fernroht fab, we⸗
*
52 Jortſeßang von Lemelies Lebensgeſchichte
durch fi alles vergrößerte und deutlicher wurde. Die
runde Dunftkugel mit dem langen Schweife ſchien mir ein
Zuriengeficht mit aufgelöften Haaren zu fein. Es Lam mir
ſo vor, als ob das Fernrohr von meinen Mugen bis zu ih⸗
vem Munde hinaufreichte, als eb fie mir dadurch, wie
durch ein Sprachrohr, fage: Tödte ihn jet, den Berka,
tem und genieße des fügen Lohnes.
I) zitterte, und legte den Tubus ans der Hand, aus
Furt, van Leuven babe diefe Worte auch gehört. Er
merkte weine Gemuͤthsbewegung, und fie fihien ihm nicht
zu befremden, weil die Nachterſcheinung, auch ganz natür
lich genommen, für ungewohnte Augen etwas Schrecliches
an fih hat.
I ließ ihn jept fein Etedenpferd reiten, und mir et⸗
was von der Aftronomie vortragen. Was er fagte, verftand
ich glei, weil ih Mathematit gelernt Habe. Das freute
> ihn. Mit Eu, rief er, kann man dod über ſolche Dinge
ein vermünftiges Wort ſprechen. Der gute Albert und meine
Goncordia phantafiren immer poetiſch. Ucherhaupt, Hert
Lemelie. verfeßte er ernſt, feid Ihr ein Manu von vielen
Fähigkeiten, wenn nur — er ſchwieg.
Ach verſtehe Euch, antwortete ih; wenn nur das Herz
beffer wäre. Ich ſchwöre Euch zu, Ihr folt künftig mit
mir zufrieden fein. Ich babe eine Kamäleonenatur, feht
or, die immer von den naͤchſten Umgebungen ihre Farbe
leiht. Schlechte Geſellſchaft Hatte mid verdorken, mit Euch
guten, rubigen Menſchen mill id) künftig auf dieſer aller«
lieben Infel ein tugendhaftes Leben führen.
Nun war der ebrlihe Holänder vollends mit mir vere
grügt, zumal als ih, wie ein wißbegieriges Rind, wit ge⸗
fatteten Händen vor ‚ibm Rand, und ihn eine moralifche
Fortſehung von Lemelies Lehensgefhihte. 53
Vorleſung halten Tief. Sum Abſchied drädte er mir die
Hand und fagte: Ih hege jeht von Euch die befte Hoff ⸗
nung. — WG, rief ih. als mir auf den Altan herausges
kommen waren, laßt mid doch noch einmal durd's Fern-
rohr fehen. — Er reichte wir es. Das Gefpenfterbild war
jeßt röfher, zorniger geworden, in feinem Geſichte glaubte
ich trampfhafte Zuckungen wahrzunehmen. Es ſchuͤttelte
das Haar wie eine ungeheure Mäpne, und drunten ſchäum ⸗
ten die Wogen det Meeres, voll Ungeduld, ihr Opfer zu
verſchlingen.
‚Der Komet hat fein Geſicht verzogen, rief ih; es ber
Toegt fh etwas drin. — Phantaſirt Ihr nun auch, Lemes
ke, rief van Leuven lachend; cs wird eine Meine Wolte
fein, die eben vorbei ſchwebt. — Er nahm den Tubus,
und ſchaute hinauf; ich ftieß ihn mit aller Gewalt in den
Küden. und er ftürzte über das niedrige Ballmerf in hen
Abgrund hinunter:
Dann verließ id) den Fels, und nahm meine Flinte
wit, die ich drunten hatte fieben laſſen, um van Leuven
nicht zu erſchrecen. — Obngefähr cine Viertelftunde von
diefer Hößle entdertte id eiwas Schwarzes, das in's Ge⸗
bũſch hineinfglüpfte. IA zielte mit der Fliate in den
Buß Himein, als eine Stimme vief: Drüde nicht Les! Ich
Biws. — Belder IH? frug id; komm heraus oder ich
ſchieße. — Die ſchwarze Minga trat hervor. — Bas mat
Du fo foät Hier? frug id. — Das frag’ ih Guch, ant«
wortete fie fed. Ihr feid fieberfrant, und kauft doch in die
Radıtiuft hinaus? Ich wollte Euch zu trinken geben, da
. fand ich dao Neſt leer umd den Vogel ausgeflogen. — Du
ſchieichn mir auf den Ferſen nad, um meine Wege auszu ⸗
foäben, Unverſchaͤmte? rief ich. Weißt Du, mo ih gewe
54 Fortſetzung von Lemelies Lebensgeſchichte.
fen bin? — Auf der Sternwarte: da habt Ihr in die
Höhe und in die Tiefe gefehen. — Verfluchte! rief ih, fie
am Halfe greifend und zu Boden werfend, Du mußt auch
fterben, Du haft den Mord gefehen. — Toͤdtet Ihr mid,
ſprach fie, fo verliert Ihr eine unentbehrlihe Dienerin.
Ber fol Euch künftig aufmarten, Feuer ſchlagen, Waſſer
hoten und kochen, die Höhfe fehren, Eure Leinewand oa
ſchen, Concordia bei ihrer Nicderfunft helfen? Stirbt fie
in Boden, was nützt Euch dann der Mord?
Ich fühlte, fie hatte Recht, und dag ich fie nicht ent
behren fonnte. IA mußte, daß fie bigott und abergläu-
biſch iſt, ich ließ fie einen gräglihen Eid auf das fleine
Kruzifir ſchwoͤren, das fie am Halfe trug, mic mit feinem
Worte, mit feinem Zeichen jemals zu verraten. Sie (wur,
and Lonnte kaum ſprechen, denn ich hatte fie ziemlich un«
fanft an bie Kehle gefaßt.
& LE m gedalten. WEImwWagt aus der
Schule bat fie nicht, An meinem Geburtstage dat fie mei
men Namen mit Diftelblumen umkränzt, und mir das Meſ⸗
fer in die Bruft geftogen. Das war nicht gegen den Eid.
Der Teufel it wigig, ich verſtehe ſchon alles. Die Stunde
iſt gekommen. IA muß binunter. Der Schwarze hat mit
mir fein Spiel zu Ende getrieben. Hätet Euch vor ihm —
in der haͤßlichen, fo. wie in der ſchönen Frauengeftalt! Das
iſt der Teibhafte Teufel felber, I kenne ihn. Er macht
immer den Poflenreiger im Nachſpiele, wenn die Tragddie
zu Ende if. Bald kommt er als.ein alter weißbärtiger
Mann, mit dem Pferdefuge ehrbar unter dem langen Node
verftedt, und erbittet fi) dic Gefaͤlligkeit. mit einem allem zu
ſprechen. Eteht man dann allein mit ihm im einſamen
- Chlafjimmeriein, fo hält cr einem das Pergament vor die
Ah que l'amour est chose jolie, 5
Nafe, und verlangt Hrompte Bezahlung. Dann greift er
uns beim Genid, zerfhmettert den Gehirnkaften gegen den
Tenfternfoften, verſchwindet mit der verdammten Seele,
und die Stube ftinft vol Schwefel und Teufelsdred. Bald
kommt er als Negerin. Ih rieche ſchon den Schwefel
dampf. IA ſchwanke über dem Abgrund. Drunten ftehen
die Zolterbänte bereit. — D Beb! D Beh! Ih kann
nicht beten! Albert Iulins! Eoncordia! zu Hülfe! zu Hülfel
Ah que l’amour est chose jolie,
In ſtillem Kummer verfieffen die erfien Monate nad
diefen tragiſchen Begebenheiten. Die Trauer über den fec«
ligen Gatten, die Sorge für ihre baldige Niederkunft, ließ
Concordia an nichts anders denken, und ihr Zuftand hatte
fie fo verändert, dag man das ſchoͤne reizende Weib in ihr
kaum wieder erkannte. Dadurch, und durd die vorherge-
enden gräglihen Erfdätterungen, fühlte ſich meine Leiden.
ſchaft für fie ganz ab.
Als aber die Stunde ihrer Entbindung heranrädte, er»
wachte wieder ganz die alte Freundſchaft in mir. Ich flocht
von Weiden eine Wiege, half der Schwarzen das Kinder
zeug nähen; und mährend Minga der Wöcnerin in der
Noth Heiftand, Tag ich draugen knieend im Grafe, und bee
tete für fie mit großer Inbrunft. — Es dauerte nicht lange,
fo bradte Minga ein gefandes, kräftiges Kindlein in Bin,
56 Ah que l'amear est chose jelie.
deln aus der Höhle berams. — Zeßt waren wir wieder vier
Freunde auf der Infel; jeßt war alles Zur! Die vorige
Verlegenheit war ganz verſchwunden. Ich beſuchte Goucor⸗
deen als Bruder, als Arzt, ale Handwerker, als Geiftn⸗
Her; an den vorigen heimlichen Lichhaber wurde gar nicht
mehr gedacht. Sie aedachte aber auch ihres Kummers
wicht wehrt. Eeit dem fie das liebe Aind hatte, ſchien fie
der Belt, der Hoffnung wieder anzugehören.
Ich mar von Herzen froh, als ich einmal wieder den
Drediger machen konnte. Ein fhönes antifes Gefäg von
braunem Porphyr, das mir in der Häble gefunden, und
worin die Mönde vermuthlich Ihr Weihwaſſer gehabt, diente
mir zum Tauffteine. Ich gab dem Heinen Mädchen, ohne
Concordien zu fragen, den Namen Carolina Franziska,
wobei die gute Mutter fo gerührt murde, dag es mir um
fie bange ward. Sie faßte ſich aber bald.
Nachher ſuchte ich fie auf jede mogliche Weile zu er-
beitern. Einige Kiften waren in den Tagen aus einem gr
frandeten Schiffe auf die Kifte gewerfen worden, worin
id Kteiver vollauf fand. befonders viele Pazenkinrern
welche fh wahrſcheinlich ein oſtindiſcher Nabed oder weh
indifger Viceldnig für feine Dienerſchaft hatte machen laſ⸗
fen. Nun Hatte ih eben vier Affen in der Sommerlaube
eine Zeit fang abgerichtet, damit fie Concordien, uach ihrer
GSenefung, als Heine Bedienten aufwarten möhten. Diefen
vagfe id mit Mingas Hütfe die Kleider an, die ihnen ſehr
gut ſtanden, nachdem fie ein wenig Beiner gemadt waren;
und mie wanderte ſich die liche Fran, als. ich fle endlich
zu einem Schmanfe in der Laube einlud, und fie von vier
präßtig gefleideten Pagen, mit Treffenhäten und gafenizten
Rocken anfgrıwartet wurde?
&h que l’amour est ehose jolia 57
Diefe Iffen waren uns fehr wüplich, fie tonnten Waſ ⸗
fer boten, Holz ſpalten und die immer kehren. Einmal
aber jagte einer diefer loſen Dienſtbeten der guten Mutter
einen grohen Ehreden ein. Sie war bei der Wiege einge»
ſchlafen, als fie erwachte, fand fie das Kind nicht mehr da.
Sie flärze mir wit einem Angſtgeſchrei entgegen, und rief:
Bo if mein Kind? Mir träumte vom Lemelie, daß er aus
der Graft geRiegen, mein Kind ermorden mellte. — Ih
warf die Augen verzweifelt umber, und wußte weder aus
noch ein, als id, glüdlicerweife gleih einen Affen droben
im Heubaufer, zärtlich mit dem Kinde in den Armen’ fipen
ſab. Kaum merkte er, daß wir ihm auf der Spur waren,
ſo nahm er das Kind, rutſchte damit hinuwter, und warf
«8 wicher in Die Wiege. Ih erſchrat; das Kind hatte aber
gar keinen Schaden genommen, und der Dieb entwifchte
aleich in den Bald hinein.
Bon dem Tage an mußten wir mehr Adıtung neben.
So verfloſſen zwei Jahre. Eobald Contotdia das
Kind von der Bruſt entmöhnt Hatte, blühete fie wieder wie
eine Jungfrau. nur war fie etwas ftärfer geworden, mas
fie aber nad) reizender machte.
Ieht fing ich wieder am veriegen umd zerſtreut za were
den. Ich fühlte wieder, dag meine Freundin ein ſchones
Weib fi. — Einen Morgen erwackte ich in Epränen geba⸗
det. Johanna Klein war mir im Traume erſchienen, hatte
ſch mit ihrem tindlich ⸗ toſigen Geſichte über mid gebüdt
aad gefragt: Leichtſinniger Misere! jo bald kanuſt Du
Deine arme Johanna vergeffen?
Alkein in einer folgenden Nadıt effcabarte fie Ad wit ⸗
der, ud obſchen Das Geſicht nichts von feiner Schönheit
verteren, fendern vielmehr gewonnen batte, fab fie doch
58 Ah que l'amour est chose jelie,
nicht mehr wierein Menſch aus. Cie hatte Flügelein an
den Schultern, war balb durchfichtig. und glich einem über
irdiſchen Wefen. Sie hielt Concordien bei der Hand, melde
fie mir zuführte, leutfeltg ſprechend: Bas irdiſch üft, gebört
dem Irdifhen, was ſelig ift, dem Himmel, Liebt Euch!
dort werden wir und Alle lichen. — Licht Euch! dort wer»
den mir ung Ale lieben, wiederholte eine weiße Geftalt in
der Ferne, und id) erfannte deutlich den feligen Franz van
Leuven anf dem Hügel im Morgenroth, ohne But und
Bunden.
Ich ermadhte fehr frobr als ic die Augen aufſchlug
bite mir noch ein blühendes Engelsbild in’s Geſicht, laͤ⸗
chelnd über mich hingebogen. Es war die Meine drittehalb-
jährige Carolina, meine vertrautefte Freundin, umd, wenn
ich nicht zu weit ging, tägliche Begleiterin. Ich drädte das
Kind an’s Herz. und fühlte mich von ihren Lieblofungen
entzüdt.
Mit der Mutter wagte ih aber fein zärtlihes Wort
zu reden.
Ein Gedanke, der mic, befonders peinigte, war: Wenn
fie Dich vielleicht auch jept ein Bisden Lieb Hat, wie fann
das dir ſchmeicheln, bier auf einer unbemwohnten Infel, mo
kein anderer Mann da ift, als dü?
Ich hatte einen fhönen_Nafenplag entdeckt. droben am
Felſen, mo man nicht fo bed binauf zu feigen brauchte,
um eine freie Ausſicht über dag Meer zu haben. Hier war
eine Heine Vertiefung in den elfen, von Sträudern um-
tingt, wo man in Schut vor Sonne, Wind und Regen,
fißen konnte. Das tar jept mein liebſter Aufenthalt. Hier
faß ich mit der einzigen Erbfhaft Lemelies, die mir lieb
mar — feiner Laute. Ich hatte mic felbt gelehrt, Weiſen
Ah que l’amour est chose jelie, #9
daranf zu Mhmpern, und fang dazu, was mir einfiel, wenn
ich allein war. Concordia fpielte die Laute ganz vorzäg-
lich, fie hatte verſprochen, mir naͤchſtens Unterricht zu ge»
ben. Ich zitterte aber dafür. Schon menn id) ihre lich
liche Stimme hörte, die bimmlifhen Blide der Augen fah,
wenn fi) der herrlich gebildete Arın und die Hände über
die Saiten bewegten, zudte es mir durch alle Nerven, wie
ſollte es aber erft werden, wenn fie meine Singer mit den
übrigen anfagte? Nein, mit dem Feuer muß man nicht
fpielen, dachte ich. Es wunderte mid, dag mid, die kluge
Fran in eine ſolche Verſuchung führen wollte, und ich dachte:
Sollte fie dich doch nicht vielleicht aud) lieben? — Nein, fagte
ich dann wieder: das ift nur ibre gewöhnliche Gutherzigkeit.
Carolinchen ward mir ale Tage lieber. ie ein nied-
licher loſer Bogel, der einige Worte plaudern ann, flat-
terte fie immer um mid) ber, füßte mid und ſah mid mit
tiugen Augen an. Die Mutter ſprac nar immer deutſch
mit ihr, denn in den letzten zwei Jahren hatte fie, tm Um⸗
gange mit mir, veltommen gut Deutfc gelernt. Als ich
mid) darüber wunderte, fagte fie: Man fol die erften Les
bensjahre der Kinder nicht in Unterrihtsftunden verwan⸗
dein, blos um das Gedähtnig zu ſchärfen. Das Gedächte
wiß iſt bei den Kindern fo ftarf genung Das Gemüth ift
aber eine fo zarte Blume, der Charakter ein fo feiner Keim,
dag beide gleich eine gewiſſe Richtung nehmen mäflen, um
nicht flach und fchief au werden. Das Eigenthümliche will
gleich ausgebildet fein, der Sinn für das Heimathliche; das
Märkt Treue, Gefühl, Character, Liche. Umd das ift weit
mehr, als ob ein Meines Kind zwei, drei Spradyen ſchwahen
kann, ehe es au benfen gelerat, und ſchon im fünften Jahre
nicht weiß, welcher Nation es eigentlich angehöre.
® Ah que l'amsur est chose jolie,
Ich gebe Euch völlig Net, liebe Conerdia, — erwie ⸗
derte ich — nur wundert es mich. dag Idr gegen Eure eis
gene Theorie handelt, indem Ihr dem Kinde Deutſch und
nicht Englifch lebrt — Sie errötgete ein wenig, flug die
Augen wieder, faßte fih aber gleih, fab mid ruhig am,
und ſprach: Bir find jept eine Meine Nation ans vier Den
ſcen beftchend auf diefer Infel. Ihr feid der Mann, ein
Deuticyer, und die Weiber wmäfen fih nach den Männern
rigen. Mein Carl Franz war ein Niederländer, deutſchen
Stamms; wir Engländer waren vormals Sachſen. Das
Shidfal hat uns Bier hier von der übrigen Weit getrennt,
ſe dürfen verfhiedene Sprachen uns nicht noch mehr vor
einander trennen. Wenn Garolinchen fieben, at Jahre alt
geworden ift, und Ihr, Heber Albert. auch Englii wie
Deutſch ſprecht, wellen wir Engliſch mit ihr ſpre den
Io fügte der fhönen Frau ehrerhietig die Handz fie
verueg mi@, und 10 dachte CGolie das dom nicht Siehe
fein? — Thor! rief ich dann, fie hat dir ja den Grund
deutlich auseinander gefeht, hat dir heiter und Bar in's
Auge geblidt — das thut Liebe nicht.
Einft, als ich droben auf deut Selfenrafen mit Karo
linden alein faß, und in einem Buche las, tief die Kiei
Bater! Vater! (denn fo nannte fie mi immer) — Ein
großer Vogel mit weißen Flügeln fhmwimmet drangen. —
Ich ſchlug die Augen auf und entdedte fern ein Schiff um⸗
ter vollen Segeln. Ohne mich zw bedenken, ob man mic
auch hören und fehen konnte, ſchrie und lärınte id fo Laut
als id «6 vermochte, und wintte mit dem Taſchentache.
Bald aber war der große Dreimafter wieder aus dem Ger
ſichtskraiſe verſchwunden.
Icqh tann nicht ſagen, daß ich darüber bettübt wurde,
AB que l’smour est ehose jolie. 6
obſchon ich mich heträst — ftellte, als ich mit Concordien
darüber ſprach. Ss freute fie, dag uns das Sqchiff nicht
entdedt hatte. Wer weiß — fagte fie — mas das wieder
für ruchloſe Menſchen waren. Vielleicht noch ein Lemelie.
Ein Bogel in der Hand, lieber Albert, ift beffer, als jehn
in der Luft. — Ja, dachte ich, wer nur den Bogel in der
Hand hätte! ih würde nicht nach alten moͤglichen Vogeln
in der Luft fragen.
Den Zag darauf, als id wieder auf dem Felfen mit
Carolinchen fa, die ich anf einem von mir felbftigefehnite
tenen Fibelbrette Buchftaben kennen lehrte, fiel es mir ein⸗
mal ein, wieder den Poeten zu machen. Ich ließ das Kind
im Grafe fpielen, und als ic) meine Neime fertig hatte,
fang ich fie folgendermaßen zur Laute:
u hätt’ ich nur fein Echiff erblich
Bon Dielen fehcofien Behfenhügeln;
Das Eqhidial Hat ed Hergefchict,
Um weine Echufucht in beflügchn.
Soll meine Jugendfraft vergeh'n,
Mich feine Freude mehr beglüden?
Eou überan ich Blumen ſeh'n.
und feine füße Roſe pflüdfen.
Die Zulpe glüiht, das fehnene Thier
Im Höbten findet feinen Gatten,
Der Schmetterling, des Felhlings Zier,
Erlreut ſich auf den Blumenmatten.
Der Fiſch im Bach, doc dat im Baum
Der Wogel feine Brom gefonden;
6% Ah que l’amenr est chose jolie.
Wie iſt das Beben nur ein Traum,
Doch iſt wicht Wirklichkeit verſchwunden.
MU Adam ging fo ganı alein, ,
Da war nicht Goa noch am Erden;
eie wandeit hier im nahen Hein,
And dach iR fle mir nicht gesehen.
Ich liebe fie und fag' es micht,
Gin heilger Gidfchwur peißt mich ſchweigen.
Der Liebe tiefoerborg'nes Licht.
Darf feine tühne Flamme zeigen.
So bleib in Deiner ſtillen Ruh,
I ſuche ſolche nicht zu Mören,
Mein eing’ged @Beh und Bopl bin Du,
Auein {ch will der Sehnfucht wehren.
Nicht ganz geranbt if mir Die Luft:
Ich liebe Dich in Deinem Rinde,
Drüc’ ich den Engel an die Bruf,
Das, weiß ich, iſt doch feine Sünde!
Als ih das Lied gefungen, hörte ich ein leiſes Ge⸗
rauſch im Gefträuc Hinter mir. Mein Herz ſagte mir, dab
Eoncordia, die gefommen war, das Kind abzuholen, 9
aufcht habe; ich wagte aber feine Unterfuchungen anzufd-
iem, und that, als ob id) nichts gemerkt hätte. Eine Bin
telftunde darauf fam die fhöne Frau, ganz roth im Gr
fit, mit dem Schuupftuche vor dem Munde, und gab vet,
dag fie an Zahnſchmerzen Tribe... Weis ih mun wußte, da
Ah que l’amour est chosej
feine- von diefen fhönen Perlen durchbohrt war, und fie
fonft nie an Zahnſchmerzen litt, konnte ich diefen plößlichen
Rheumatismus nicht recht begreifen, lich es aber dahin ge»
fiellt fein. Cie ging wit dem Kinde, um es zu Bett au
bringen.
Es giebt feine Liebe ohne Selbftquälerei, und fo konnte
ich mich des Gedantens nicht entſchlagen: Sie licht did mur
jegt, weil kein anderer da ift; das Mitleid hat fi in ein
ftärferes Gefühl verwandelt; das iſt aber nicht wahre Liebe.
Eines Tages begab id) mid) durch den unterirdifhen
Felſengang nad dem Strande binunter, ohne zu willen,
was id da wollte. Unverfehens hatte ich mid, in die Fel⸗
fenhöhle gefeßt, wo Goncordia in den erfien Tagen nad
dem Sciffbrude ihre Wohnung batte. Jeßt fiel es mir
ein, wie Lemelie einft darüber gefpottet habe, daß fie an -
ihrem Geburtstage, als fie mid, verloren wähnte, Verſe
über mic) gedichtet, und wieder entzwei geriſſen habe. Auch
van Leuven hatte mir ein ähnliches erzählt. Ich unterſuchte
die Höhle. und fand, daß ein großer Block mit glatter
Flaãche da einen natürlihen Tiſch bildete. Zwiſchen diefem
Blot und der Zelfenwand war cin tiefer, ſchmaler Riß. —
Da wird fie vieleiht das zerriffene Papier hinunter gewor⸗
fen haben! dachte id. Ich ſah binunter; der Riß war aber
fo tief und dunfel, dag ich nichts entdeden konnte. — Ad)
das Geheimniß it in den Abgrund gefallen! feufzte ich, gab
aber noch die Hoffnung nicht auf, fondern eilte auf die In-
fel hinauf, und holte Feuerzeug und ein Stud Wacoelicht.
Drunten wieder flug ich Feuer, zündete das Licht an, und
da ſah ic) deutlich kleine Vapierküde unbefhädigt auf dem
trodenen Bo!en liegen. ‚Die Kluft war indeß zu eng und
tief, um einen Arın durchzuſtecen Dafür mußte ih auch
64 Ah que l’amonr est chose jolie.
Kath. IA Fichte ein wenig Wahs an meinen Stab, und
fo Tangte ich gemachlich alle Papierfragmente herauf. Jett
sing es drauf los, die Ctüde auf dem fteinernen Tin in
Drdnung zu bringen Endlich war die Sammlung volle
ändig; die fhöne Moſait paßte ganz in einander, und
dentt Euch mein Entzüden, als ic) folgendes Lied engliih
Iefen konnte, das ih Euch hier in der Ueberfepung mit
theile: -
Ge iſt nicht mehr! Ich feh’ ihm micht!
Das edle, tree Mngefiht! —
Er teilt mit und nicht Freud und Schmeri.
Zerboeften iR das beſte ‚Heri.
Gr flieg Hinanf den ſchnalen Steig,
Der führt zu Gottes Oimmelteich.
Ein Engel feine Seele nahm,
Desgalb er nicht herunter kam
Jet, Mibert, ef ich mit Die nicht
Des edlen Ahnheren ſchon Gedicht.
Ach Wied Haft Du tief gefühlt!
Der Tod Hat Med weggefpält.
Nein, unfer Ufer war nicht todt,
In Mondfeein, Morgen « Cbendreth,”
Denn wareft Du nur heiter nah,
Dann war auch gleich die Ireude da.
"30 fepr iha noch, mid Bodden’toand,
Er fap fo ked und rediich aus.
Ah que l’amour eat chose jolie. 6
Ccnön war er auch und tugendhaft,”
Drum hat der Tod ihn weggeraft,
Ich hebt’ ihn ſehr und ſaat es nicht.
Warum benn nicht? Die Liebe fpricht!
Mein Carl hat ihm ia auch geliebt,
und it, wie ich, fo tief betrübt.
Met Du holder Jansling fein!
Mir au ein Engel füß erfchein‘,
In meinge legten Todestund‘,
Dann werd ich wieder erh gefand!
Jetzt war mein Entzüden unendlich, und id) zweifelte
nicht daß fie mic) liebe. Das Näthfel mußte ſich bald lör
fen. Doch wollte ich mic) nicht übereilen.
Ich beſuchte alſo Concordien heute wie gewöhnlich, ru-
big und beſcheiden, ſprach nur von Hausſachen, und fragte
erſt beim Weggehen, ob fie mir nicht bald, nach Verfpres
en, Unterricht auf der Laute geben wolle? — Ich habe
nur auf Euren wiederhoften Wunfc gewartet, lieber Al⸗
bert! antwortete fie; es ſchien mir, als ob Ihr in der leh⸗
ten Zeit keine ſonderliche Luft dazu hätten. Ihr habt Euch
ja felbft fpielen gelehrt; es gebt fehr gut, Ihr konnt aus
dem Etegreife friſch weg alle Melodien fpielen, die Ihr ein
Paar mal gehört Habt. — Ach — antwortete id, das ift
doch alles nichts, wenn man die Finger nicht recht zu brau⸗
hen verſteht. Die Applicatur ift ſehr nothwendig, und
wenn Ihr nur ein wenig helfen molltet — Die Noten kenne
ich ſchon, well id die Orgel fpielen fann. — Bon Herzen
gern, ſprach fie — morgen wollen wir gleich anfangen. —
ehienſ. Scheiften. XVIIL 5
66 Ah que l'amour eat chose jolie.
Da droben auf dem Nafenplage im Felſenſchatten ift es
fo fhön, verfeßte ih. — Ich weiß, es iſt Euer Lieblinge
ort, fagte Concordia; gut, ih will Eud da Morgen fräb
eine Unterrihtsftunde geben.
Kaum war die Sonne aus dem Meere in ihrem Pur«
pur gefiegen, fo faß ich ſchon mit der Baute da. Lemelie
batte ung auch einige Noten hinterlaſſen, da war ein klei⸗
nes Lied, Das er oft gefbielt und gefungen, und das mir
in feinem Munde widrig gelfungen; jeßt aber behagte mir
das unſchuldige Volkolied fehr, das au-einer fhönen Mes
lodie gefeßt, leicht zu fpielen mar. "Der Refrain lautete
alfo:
Ah que l’amour est chosejolie!
Avec l’amonr
Toute Ia vie -
Passe comme an jour!
Ih Hatte mic nicht lange ſelbſt geübt, fo börke ich
Concordia kommen. Das Herz Hopfte mir laut im Bufen,
und das Saitenfpiel fiel mir aus den Händen in's Gras. —
Ob fie allein kommt? dachte ih. Hat fie das Kind mit, fo
liebt fie mich nicht. — Sie fam allein. —
Ich Habe mein Carolinchen heute bei Minga drunten
gelaffen, Tagte fies denn das füße Kind würde uns nur ſtö⸗
ven; nicht weil es umartig ift, fondern weil man es fo lieh
baben muß, wenn man es fieht, daß man an gar nichts
anders denten kann. — Das ift ſehr vernünftig, liche Con⸗
cordial — Sie war in ein großes Tuch eingehäht, und ih
konnte noch nicht feben, ob fie kurze oder lange Aermel
träge. Traͤgt fie lange Aermel, fo liebt fie mih nit. Eie
Ah que l’amour est chose jolie. er
flug das Luch zuräd. Ich fah ein Maar der befannten
diniſchen Haudſchube ſich wie feine Häute um die ſchouſten
Schlangen fehmiegen. Der angenehme Geruch des Leders
verbreitete fi, und feine Rofe hätte mir füger geduftet. —
Ihr ſpielt ja da fhon nah Noten, ſagte fie; — und fingt
— von der Liebe glaub’ ih! Franzoſiſch! Das in recht
ebrlih. Statt von Liebe zu reden, follten die Männer im⸗
mer Sranzöfiih fingen. — Das it ein recht herzliches klei⸗
nes Lied, Concordia! Lemelie bat es freilich ehemals pro⸗
fanirt, dadurch verliert es aber nichts von feinem Werthe,
das Schlechte kann das Gute nicht entehren. — Spieit mir
doch einmal die Melodie vor, nach Eurer eigenen Art, Als
bert! ich will Euch nachber corrigiren. — Mit der erften
Seile, fagte id), geht es reht gut: Ah que l’amour est
chose jolie, mit den andern drei Zeilen müßt Ihr mir
aber helfen, wenn etwas Daraus ‚werden foll. — Cie z09
die Handſchuhe ab, nahm die Laute, und ein überfeliges
Gefäpt durcpftrömte mich, als ih das fhöne, junge Weib
ſo ſihen fab, und ihre liebliche Stimme hörte. Sie wollte
luſtig und guter Dinge fein, es gelang ihr ader ſchlecht.
ihre Stimme jitterte, und ſie kam aus dem Takte.
Ib habe mich erfältet, ſprach fle, und bin heute nicht
bei Stimme. Kommt! id will Eud) den Fingerſatz Ichren,
Ir folit fingen. Gut, antwortete ib, nahm die Laute,
foielte und fang: Ah que ’amour est chose jolie!
Sön, ſprach fies nur weiter!
Avreo Pamour — verfeßte ih. — Rein, nein, fiel fie
mir in’s Wort. das muß ganz anders gemacht fein — Sie
ging mir jet gerade auf den Leib, faßte meine Finger mit
den beiden ſchoͤnen Händen und fepte fie zurecht auf die
Saiten. Ihr Gefiht war dem meinigen san nat ihr
68 Ab que l’alıour est chose jolie,
Athem beihaute meine Wange. Da war e6 um mid ge
ſchehen; ich drüdte meine heißen Lippen in den Schnee ib⸗
er Hände. Concordia! liebe, füge Goncordia! — Die
Laute fiel wieder in's Gras, ich zog fie an mid. Sie ber
trachtete mid mit einem unendlichen Liebesblick, ich drüdte
meinen Mund auf den ihrigen. Ein herrliher Grfangus-
gel war von den Klängen der Laute zu uns hinauf auf den
Felſen gelodt, und während wir nur ſchweigen und küſſen
konnten, fang er für ung:
Ah que Pameur est chose jolie!
Avec lamour
Toute I vie
Passe comme un jour.
Bon diefem Tage an war id glädlih, wie Adam im
Yaradiefe, als er feine Eva gefunden. Was fage ih? Wie
Aram? D weit glädliher, denn die Schlange war ſeibſt
aus Eden verjagt, und hatte uns nicht daraus verdrängt.
Im füger idplifcher Ruhe babe ih bier, als Patriarch, mein
langes ‘Leben genofien. Auch glüdtiher als Abraham bin
. id; denn meine Goncordia mar mir Cara und Hagar zu⸗
glei), und kein neidiſcher Feind beleidigte mid. Auch war
ich glůcklicher als Jakob; denn Bott hat mid), wie ihn, mit
vielen Kindern gefegnet, alcin meine Kinder waren alle
fromm, und feines von ihnen: hätte feinen Bruder verfauft.
Auch babe ich noch als bundertjähriger Greis mein ſchar⸗
fes Geſicht, deſſen Ah Iſaak nicht rühmen konnte. Dein
Gedachtnitz bat auch nur wenig von feiner Kraft verloren;
fein Zug alter Zeit it daraus verſchwunden; obſchon —
das muß ich geftehen, ich mich bei-meitem nicht fo gut er⸗
Ah que l’amour est chose jelie. 69
innere, was in den letzten zwei Dritteln meines Lebens ge
ſchehen ift. Das tömmt wohl aber auch daher, weil ſich
in diefen Iahren nicht viel Abenteuerlihes zugetragen hat.
Und fo will id denn jeßt fliegen, und wie der felige Traut-
‚mann in der Zräufeinstapelle eine Ballade vorlas, um mid,
für fein Gefühl zu ftimmen, will ih meinen Sohn Eher
bard Euch ein Lied vorlefen laſſen, das ih am Tage meie
ner Hochzeit dihhtete, (mo ich ſelbſt Hochzeitsbitter, Predi⸗
ger, Küfter und Bräutigam war) und daraus mögt Ihr
mein damalige Gefühl abnehmen. —
Der Greis reichte Eberharden ein altes Blatt, und der
Züngling las: "
aues verwandelt; —
Todt nicht und traurig; — GB lebt und. cd handelt.
80 ich besanbert Die Mugen hinmende,
Rofen und Sieben, der Greude fein Ende. ”
te Bafalten,
Treffliche Seiler der Närtiten Gewalten,
Spielen bemooſt mit den fchäumenden Wellen.
Wolle n auch gern ſich der Liebe geſellen.
Schwimmende Fiſche
Zaumeln fich neckiſch und ſchnell in der Friſche;
‚Herrlich gefleidet, wie fülberne Puppen,
Kommen jur Hochzeit mit blintenden Schuppen.
@ervögel ſchreien
‚Humnen der Siebe, den tändelnden Haien,
Selbſt Leviathan und Behemot ſpielen.
Kälte des Meeres Tann Liebe nicht kühlen.
70
Ah que l’amour est chose jolie,
Mdler dort oben
Müflen im Forſte die Zierlichteit loben,
Einfen ans Wolten in bämmernde Reſter
Blätter und Blumen umfalingen ſich fefter.
wofen im Zanıc,
Tanze des Windes, ſich (hlingen zum Krane.“
Kranz; um die blühende Freundin zu (hmüden,
Rranı; um den feöhlidfien Mann zu beglücen.
Sehufurt nicht länger
Strahlet dee Mond, macht den Bufen nicht enger;
Schaltheit nur lächelt in feinem Seſichte
e qaltheit aur tönet in meinem Gedichte,
Greudig und beile,
Wald ais ein Licht in dee „Dochieitälapene,
Wird er die fhüchterne Schöndeit entfcleiern,
Benn wir die füßen Bigilien feiern.
Dann Deine Höfe,
Yurpurner Morgen, erwecket Die Blötr,
Singende Bögel im Walde dann wagen,
Macht, dein Gepeimniß der Sonne ın fagen.
Sprung in der Geſchichte. 71
7.
Sprung in der Geſchichte.
Hier Hören die Erzählungen des Altvaters auf, — Und
fo foringen wir jcht 76 Jahre über, und befinden ung mit»
ten im Kreife der Felſendurgiſchen Zubörer, zwel Jahre nach
Eberhards Ankunft auf der Infel; denn fo lange mögen
wohl die Mittheilungen des Greifes gedauert haben, welche
der Jüngling nachher aufgeſchrieben, zufemmengejogen, aus
gefält, vieleicht au bie und da ein wenig aufgefrifht
bat, wo ihm die Farbe zu blag ſchien.
Nachdem ſich Albert alſo felo mit der fhönen Con-
eordia getraut hatte, lebte er glüllich mit ihr, und zeugte
im Laufe der Jahre mit ihr viele Söhne und Töchter. Als
dieſe erwachſen waren, ward es den guten Aeltern um ibre
Kinder bang, wie fie aud verheirathet werden ſollten. Es
ſchien aber, als ob die Borfehung beſchloſſen hatte, die vor»
ber unbewohnte Infel, bald moͤglichſt zu bevölfern; denn
immer zur rechten Zeit geſchah ein glädliher Schiffbruch
an der Küfte, fo daß die Kinder Alderts bald Bräutigame
bald Bräute fanden, wie fie es brauchten. Einmal wollte
es doch auf diefe Weiſe nicht recht gelingen ; und auf einem
Beinen gebrechlichen Fahrzeuge wagten fi) einige junge Fel⸗
ſenburger nach St. Helena. Hier theilten die Zelfenburger
einigen Jünglingen und Maͤdchen ihr Gebeimnig mit, und
überredeten fie mitzufahren, die Glücſeligkeit der Infel mit
ihnen zu theilen. Nachher verheiratheten ſich die damilien.
72 Sprung in der Geſchichte.
unter einander, und als Wolfgang auf die Infel tam, fand
er ſchon felbige zum Theil bewohnt und bebaut. -
DieHöplen des ehrlichen Alberts fülten ſich aber nach
den vielen Sciffbrähen (auch ſpauiſche Silberflotten waren
da geſcheitert) immer mit Schaͤtzen, und er fehnte ſich dar
nad) ein Schiff auezuräften, das ihm einige europälfde Ge⸗
raͤthſchaften. Bücher, Waffen, Kleider, befonders aber einen
Prediger und mehrere gute Künſtler bringen Könnte. Auch
wũuſchte er ſeht. vor feinem Ende, einen Blutsvermandten
aus Europa bei fi zu fehen, dem er einen ‘Theil feines
Schatzes zumenden konnte.
Bolfgang, dem er feinen Wunſch mittheilte, war gleich
bereit, wieder nach Europa zu gehen, um dem Altvater al-
les zu verſchaffen. Ginige Felſenburger brachten ihn gläd-
lich nad) St. Helena, und verließen ihn wieder, ohne ges
ben zu werden, denn es war diefem Infelvelte von größter
Wichtigkeit, Hinter ihren Bafaltmauern von der übrigen
Belt unentdedt zu bleiben. Der Altvater hatte Wolfgang
große Kleinode mitgegeben, die er leicht verwabren konnte,
Er tam glůcklich nad Europa, rüftete in Amfterdam cin
Schiff aus, und erfundigte fi nad) des Greifes Verwand-
ten. Er hörte bald, dag ein Kaufmann Julius in Bre⸗
men wohne, der eben fallirt hatte, ſchrieb an ihn, amd
ſchicte ihm Geld, ohne ihm nod) das Geheimniß zu ent
deden. Er befam den wunderlihen Brief zuräd, den wir
im erften Theile gelefen haben, diefer Brief war nicht dau
geeignet, Herm Wolfgang große Gedanken von dem Geife
des Herrn Martin Julius einzuflögen. Diefer Mann wärde
ſchwerlich die Ermartungen des poetiſchen Greiſes auf der
Infel im Südmeere erfült haben. Wolfgang fhrieb alſo
feinem Sohne in Leipzig, von dem er ſich größere Hoffnus⸗
Sprung in der Geſchichte. 73
gen machte, und wir haben geſchen, daß er fih in diefen
Hoffnungen nicht betrogen fand.
Der Altvater liebte Eherharden ganz außerordentlich,
und diefer ihn. Albert glaubte fi ſelbſt als Jüngling zu
fehen, wenn er Eberharden anfah, und Eberhard hatte kei⸗
nen heigeren Wunſch, als dereinft fol ein Greis zu were
den. Während der Alte feine Geſchichte erzählte, bezog
Eberhard alles darin auf ſich, ſich felber fragend: Mürdeft
du aud fo gehandelt haben? Und meiftens mußte er mit
Ja antworten. Als nun der Alte in feiner Erzählung zur
fhönen Tabuletfrämerin gekommen mar, fputete fih Eber⸗
hard, ihm auch hierin aͤhnlich zu werden; denn unter den
Zubörerinnen hatten feine Augen ſchon die teizende Cor⸗
dula gefunden, die, wenn aud nur vierzehn Jahr alt
ſchon völlig -ausgewachfen war; und unter der Erzählung
begegueten fid ihre Augen mehr als gewöhnlich.
Er begleitete fie dieſen Abend nach Haufe, und als fie
am Eingange von des Vaters Garten ftanden, dachten fie
wahrſcheinlich: Sollte nicht ein dunkler Bartengang chen
fo brauchbar fein, als cin dunkler Gang in der Ritterbutg
des alten Knaufdegens? Sollte der Mond am Himmel
nicht noch beſſer, als eine düftere Lampe fein? So fielen '
fie einander in die Arme, und weil feine alte Burgvögtin
aus der narrenden Thüre beraus am, mögen die Zärtlicds
keiten Eberhards und Cordulas wohl länger als Alderts
und Johannas gedauert haben. Kein Mädchen hatte ſchö⸗
nere Büge, einen reichlichern Haarwuchs, eine weigere Haut,
als die ſchlanke, leihte Cordula; die mit ihrer Jugendhei⸗
terfeit einen gewiffen tiefen gefühlvollen Ernſt verband, der
Eberharden entzädte. Wie alle Eingeborne, ſprach fie ſeht
gut Drutſch und Englifh. Ihre Unteantniß von der Ührie
74 Sprung in der Geſchichte.
gen Belt gab ihr nur einen Reiz mehr. Auch freute es
Eherharden, aus des Greifes eigenem Munde zu hören, dab
Cordula ihrer Stammutter Concordia außerordentlich äbn-
lid) fe. nur dag fie lichtes Haar hätte.
Auch Wolfgang hatte für ſich eine ſchöne Sophia ge
funden. Und aud Magifter Schmelzer trat, als proteftan-
tifher Prediger, in Luthers Fußtapfen, und hatte ſich eine
blühende Catharina von Bora auserkoren. Nur Lißberg und
Lademann dachten an Leine Liebe. Vermutblih batten fie
den Kopf zu voll von ihren Kunftwerten, um das Herz mit
zaͤrtlichen Gedanken zu füllen. Die Kirche war beinahe fer»
fig, die größe Orgel auch trefflich gelungen.
Iept, nach zwei Jahren, ftand die Kirche fertig da
und die fhöne Glocke von Felſenburgiſchem Metall gegof-
fen, woju der Altvater viel Silber aus feine Schaßkam⸗
mer gegeben hatte, Iud zum erften Male mit hellem Ge
laͤute die Einwohner der Infel zum Gottesdienke ein. Was
das für ein Gefühl für den ehrwürdigen Greis war, als
er die Glocke zum erften Male läuten, die Orgel fpielen
hörte, Es wurde an diefem Tage rin Kind getauft und
ein Paar Eheleute getraut. Der Altvater wellte auch eis
nen alten Dann, der eben geforben war, begraben iaffen;
damit dadurch die drei merkwürdigen Augenblide des Men ⸗
ſchenlebens bezeichnet würden. Das Lepte lich er ſich aber
vom den jungen Leuten wieder ausceden, die wicht wollten,
daß etwas Trauriges den heitern Eindrud ftöre. — Mein
Gott, Kinder, ift das denn traurig? fragte der gottesfürch⸗
tige Greis; glaubt Ihr, daß ic meinen nahe bevorſtehen ⸗
den Tod fürhte? — Davon wollte Niemand etwas hören;
und um den Alten von dem erhabenen Gefühle wieder herab
Die glädlihen und unglülligen Liebhaber. 75
au Miuamen, ließ fi Lihberg dazu bewegen, den Abend nad
dem Kirchenfeſte, feine und Lademanns unglädtiche Liebes⸗
gerhichten zu erzählen.
8.
Die glüclichen und unglädtigen Liebhaber.
Ich din — fagte Lipberg — als Kind in Bien erzo-
gen, in Nürnberg aber gebogen, wo mein Bater, ein Pas
trizier von ‘Geburt, meine bürgerliche Mutter geheirathet
hatte. Nach meiner Aeltern Tode, nahm mich ein Ders
wandter meiner Mutter in Wien zu ft; er«wollte mich er⸗
ziehen und für mid forgen, wenn ich meinen verjährten
Adelsbrief verbrennen, zur katholiſchen Religion übergchen
und ein bürgerlihes Gefhäft treiben wolle. Zum erften
und lepten beauemte ich mich gleich; meinen evangelifch «Ius
theriſchen Glauben wollte id aber nicht abfhrwören. Der
Better, der ein vorzäglider Inſtrumentenmacher war, hatte
auf feinen Reifen auch etwas Toleranz gelernt, gab nad,
und lieg mid Mathematik und Latein ehren.
As ih zwanzig Jahre alt war, farb mein Better,
und ih mußte auf allerlei Weife ſelbſt mein Brod verdie⸗
men. Da war ein Edeluann in der Steiermark, der feis
nen Kindern in der Zeichenkunſt gern Unterricht geben lafe
fen wollte, ich übernahm dag Geſchäft, weil es mir gefiel,
im Sommer auf dem Lande fein zu können. Da waren
mehre Kinder verſchiedenen Alters; das ältıfte, ein erwach
76 Die gtüdlinen und
fenes Mäddyen, wicht eigentlich Hübfh, aber” in der Blä-
thenzeit, wo man jedes Maͤdchen huͤbſch findet. Sie war
ſchon eine ausgelernte Kofette, fo weit es ſich mit der
Shrbarkeit vertrug. Wenn id) fie im Zeichnen unterrichtete,
mußte fie immer die weißen Hände und Arme fo zu bewe⸗
gen, und mid) fo zu berühren, daß es mir durch Mark und
Bein Frhr. Ich lief in den Wald hinaus, fing an mit dem
Bachlein poetifh zu ſprechen, mit den Vöglein au fingen
und in die Baumrinde zu ſchneiden. Sprechen konnte ich
aber nicht, wenn id bei ihr allein war. Sie war dann
immer ganz gelaffen. Sobald ic) einen Schritt vorwärts
thun wollte, 209 fie ſich ſtolz und alt zuräd, wenn ich böfe
darüber wurde und mid zurüdziehen wollte, war fie‘ wie
der zuvorfommend; und fo fpielte fie ein ganzes Jahr mit
mir, wie die Katze mit der Maus, ehe fie felbige verſchlingt.
— Endlich wollte ich doch etwas. wagen. Daß ih aus ei⸗
ner Datrizier- Familie ftamme, wußte fie ſchon, und ſchien
an meiner Ebenbürtigkeit keinen Zweifel zu begen.
Zu meinem Ungläde — oder‘ beſſer gefagt — zu mei⸗
nem Blüde, ward aber eben in der Zeit ein Offizier bei
ung einquartirt. Kaum hatte fie ihn zum erſten Male ges
fehen, fo war fie bis zum Sterben verliebt, und brauchte
alle Künfte gegen ihm, die fie fonft auf mid verſchwendet
hatte. Mein Stolz erwachte, Zorn und Verachtung gegen
ihr Benehmen vertilgten ganz meine Liebe, und ich hatte
Kälte genug, ihm ruhig Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen;
denn es war wirklich ein fhöner Menſch, nur etwas ein-
fältig, und ganı unviffend. Mich dagegen hatten die bos⸗
haften Blattern fo zugerichtet, dag, wenn ich mid) in dem
Spiegel fah, ic felbrt gefeben mußte: ein folhes Geſicht
fei nicht dazu geeignet, jungen Mädchen Liebe einzuflögen.
unglädligen Liebhaber. m
Indeß. war es ja doch geſchehen. Das verbanfte ich aber
wohl nur der Einfamkeit auf dem Lande, weil kein Ande-
ter da war. Denn die Kofetterie war meiner Schönen
zur Gewohnheit gemorden; und man verfiherte, da wenn
ich nicht zu Haufe fei, koketfire fie mit dem alten fedhzige
aährigen Verwalter.
Ich hadte jegt Bleiftift, Velinpapier. Farbenlade und
Pinfel zufammen, und aͤrgerte mid) darüber, daß ic ſelbſt
ein armer Einfalts-Pinfel gemefen. Ich reifte anderemo-
bin, die Liebe war verdunftet, id trieb wieder Matbema-
tif, und ſtatt Blumen, zeichnete ich Grundrifte, und Pro
file maͤchtiger Gebäude.
Den folgenden Sommer, als id eine Beine Reife
machte, tam ih auf dem Wege in ein Wirthebaus. we ein
großer Auflauf von Menſchen war. Ein junger Offizier,
ein unglüdlicer Liebhaber, hatte ſich felbft eine Kugel durch
den Kopf geſchoſſen, weil feine Geliebte ihm untren gewor-
den. Ich ließ mir den Leichnam zeigen, und fhauderte zur
rüd, als id) meinen glüdlihen Nebenbuhler, todt und blu⸗
tig auf dem Tiſche unter dem Leichentuch entdedte. Gie
batte alfo aud) ihr Spiel mit ihm getrieben, er war aber
ein ſchlechterer Phitofonh als ih, und hatte ih in der Bir
derwärtigkeit nicht zu benchmen gewußt. Ic bedauerte den
armen Teufel, konnte aber mit einem Menſchen nicht viel
Mitleid haben, der einfältig genug war, fid einer ſolchen
Dame wegen zu tödten.
Zwei Jahre nad) diefem Ereigniſſe fam ich wieder auf
der Reife, in cin Städten fpät Abends, mo in einem
Haufe viel Lärm binter den geſchloſſenen Fenſterladen zu
bören war. Es war ein Mann, der feine Frau abprü«
gelte. Ic ftug nach den Namen und hörte zu meinem
” Die glädtigen nad
Erftaunen, daß es wieder mein Fräulein war, die ſich end⸗
lich mit einem Manne verheiratet hatte, der fie nicht
liebte. Um ige zu gewinmen, hatte fie ihn genommen, was
mobt fonft ſchwerlich geſchehen wäre. Er hatte fie des
Geldes wegen gebeirathet, und nun prügelte er fie, weil fie
mit andern Männern fhön that, welches er nicht leiden
tonnte. — Das ift die Nemefis, dachte ih, ging dem Haufe
vorbei, und wollte fie nicht fehen.
Sie hatte aber meine Ankunft entdedt, ſchrieb mir eis
nen artigen Brief und bat mid), alter Freundſchaft einge
dent, in der Abweſenheit ihres Mannes einen Augenblick
zu ihr zu kommen, und ihr einen guten Rath zu geben.
Ich ſchlug die Bitte ab. Den Sonntag darauf ging ic) in
die Kirche. Sie fag in einem Stuble, war hübſcher als
vorher; hatte rothe Baden bekommen, und war etwas ſtär⸗
ter geworden. Sie grüßte mid’ freundlich, ich machte ihr
eine kalte Berbeugung. Als der Prediger die Kanzel be⸗
fieg, ging das alte Spiel wieder los, mit dem Hinftarren
der Augen. Ich wußte, was das zu bedeuten halte, konnte
aber do die Augen von ihr nicht wegkehren. Bon der
predigt hörte ich fein Wort. Als ich nach Haufe fam, lag
wieder eine Einladungstarte auf dem Tiſch. Der Mann
war auf einige Tage verreift. Ich wollte wieder Nein fa-
gen, fand aber bei reiferer Ucberlegung, daß es gar zu
‚grob fei. — Id kam. Eie empfing mid, wie rinen alten.
Vertranten. Ich molte ihr eine Strafpredigt halten. Ihr
Big, ihre Heiterkeit, ipr freundliches Lächeln band mir aber
die Bunge. Ich tröftete fie, fo gut als ich konnte. Beim
Abſchiede bat fie mid. bald wieder zu kommen. Ich ver
ſprach e6, feßte mic) aber Morgens früh auf den Poſtwa-
unglädtihen Liebhaber. 73
sen, und fuhr ab. Zh babe Ar feitdem micht wieder ger
ſehen
Kurz darauf lernte ich Lademann kennen. Er ſoll Euch
aber ſelbſt feine Jugendgeſchichte erzählen, damit Ihr ihn
doch einmal ſprechen hört. Denn ich verfibere Euch, er
Bann ſprechen und denfen, wie ein anderer Menſch. wenn
er un die verfluchte Bloͤdigkeit bezwingt, womit er behaf⸗
tet iſt —
Ich fühle ſelbſt, ſprach Lademann, daß dieſe Blödig⸗
keit eine ſehr ſchlinme Gewohnheit iſt, die mir manche
Freude raubt; heute will ich mic aber Überwinden, und
meine Jugendgefdichte erzählen, weil zum Theil darin die
Urfache meiner ſcüchternen Blödigkeit zu finden if.
Mein Bater war rin armer Dorffpielmann, der mit
der Geige, Schalmei und befonders dem Haddrette fein
Brot fünnmerlicy verdiente. Auf meine Erziefung batte er
nichts zu verwenden, fobald id) groß genug dazu war.
mußte ic) ihm zu den Hochzeiten, Kindtaufen und auf dem
Zanzboden folgen, und ihm die Sadpfeife blafen helfen. —
Ein Kind will gern früh ſchlafen gehen, id mußte aber
ganze Nächte da ſthen und geigen, während die tollen Men«
ſchen fi) in ewigen Kreiſen herumdrebeten, und mir oft
wie Kobolde der Nadıt vorfamen. Hatten wir auf ſolche
Beife die Rächte zugebracht, fd mußte ih meinen armen
berauſchten Vater nach unferer jämmerlihen Wohnung bes
gleiten. Er war dann gemeiniglic aufgebracht, und prü⸗
gelte mid oft um gar nichts; dann erft konnte ih armes
Kind in's faule Bett Frieden, das mic gegen die Käfte
nur wenig fügte. -
Wenn mein Bater in diefem Zufande war, (und das
war er leider oft), magte ich fein Wort zu forechen, ich
80 Die glädlihen und
ſchwieg, um feine Schlage zu bekommen, und fo habe ih
mir von Kindesbein das Schweigen angewöhnt. — In un
ferer Näbe wohnte ein Schulmeifter, er erbarmte fih mei-
ner, und gab mir im Lefen und Schreiben Unterricht, auch
verehrte er mir das neuc Teſtament; und da fand ich mei⸗
men vollen Troft; denn wenn ich darüber betrübt war, dag
ich in dem faulen Bette liegen mußte, dachte ih daran,
mie der Meine Jeſus nur in einer Krippe im Stalle auf
Strob gefhlafen, und da ſchlief ich getroſt ein. Ich glaubte
auch immer, daß wenn ich nur fieißig und fromm wäre, fo
würden Die geflägelten Engelrin mid fhüßen und überal
unfihtbar begleiten.
Einmal wäre es mir doch beinahe fehr ſchlimm ge-
gangen, und meinem armen unglädlichen Bater noch fhlim-
mer. Er war darüber entrüftet, dag ih zum Schulmeifter
ging, und weil id nit mehr bei Trintgelagen die Boten»
lieder fingen wollte, die man mir vorlegte. Als wir eines
Abends fo allein fagen, und er ganz berauſcht war, ſchentte
er mir ein großes Glas Branntwein ein, und wollte, daß
ich es ausleeren follte. Ich rief ängftlih: Vater ich kann
iht! Es it Gift für mich, wilſt Du Dein armes Kind
vergiften? — Hund! rief er rafend, wagft Du mir zu wie
derſprechen? Und one ſich zu bedenken, fhlug er mich mit
dem Stock auf den Kopf, fo dag ich betäubt zur Erde .
fiel. — Glüdlicyerrorife Lam: ich nieder zur Befinnung; er
mar in der größten Angft geweſen, und der Rauſch war
ibm, als id fiel, glei vergangen. — Ad, wie war ih
froh, als ich wieder uͤrüc in’s Lehen kehrte. Ih Lüßte
feine Hand vielmals und rief meinend: Gottlob, Lieber
Bater, daß Du kein Mörder biſt, daß Du Deinen Meinen
Gottlieb nicht getödtet Haft; fonft würden Du ja auf dem
\ . unglüdlien Liebhaber. &
Hochgerichte baben fterben mäflen; mid) würden die klei⸗
3. Herzengelein in Abrahams Schooß hinauf getragen
ch.
Gottlich, forad) der arne Mann, in einem Tone, den
ich vor dem nod nie gehört hatte; id) bin ein Böfernicht,
und verdiene den Vaternamen nicht. Komm, armes Kind,
ih wil Did vor dem grimmigen Thiere meiner ſelbſt in
Sicherheit dringen.
Drauf drachte er mid) in die Stadt zu meinem Obeim,
einem armen wunderlichen Leinweber, der verfprad, für
mid zu forgen. Mein Vater war von dem Tage an ein
anderer Meuſch; das Trinken konute er freilid nicht Laffen,
und fbielen und geigen mußte er auch, allein er wallte nie
mebr in Zorn auf, fondern weinte il vor ih hin, wenn
er in diefem unglüclichen Zuftande war, und fagte: Ich
babe mein Kind ermordet; den armen unfhuldigen Gott-
ließ, der mir nie etwas zu Leide gethan. Ich habe ihm
etwas im Kopfe entzwei gefhlagen; wenn er es auch jept
nicht fpürt, es wird doch mit der Zeit ſchliume Folgen ha⸗
ben, und er wird nicht alt werden. — So grämte er ſich
ab, und ftarb zuleßt.
Mein Dbeim gab mid bei einem Tiſchler in die Lehre.
Ein glückliches Ereignig fepte mid in Stand dazu, niht-
bios felbft mehr auf meine Erziehung zu verwenden, fon
dern meinen armen Obeim zu untertügen. Bunderbar
genug war diefe Begebenheit. — Ich las gern alles, was
idy in die Hände befommen konnte, und fo hatte ih auch
die Geſchichte des heiligen Bonifacius gelefen, wie er das
Chriſtenthum zuerft in Norddeutſchland predigte. Einmal
ſchien es mir, als fände er vor meinem Bette, und fagte:
I mag Did) leiden, Gottlieb Die Heiden wie ich zum
Sehlenf. Schriften. XVIIL.
8 Die glüdlihen und
Chriſtenthum befchrt, für Dich will id auch forgen, daß
Du eine chriſtliche Erziehung befömmft. und die ſchoͤne
Mufit, die zum Gotteedienfte fo notwendig ift, gründlich
ferneft,
Es waren ſchon drei Jahre feit dieſem Traume ver⸗
floſſen, und ich war, wie geſagt, bei dem Tiſchler in der
Lehre, als mein Meiſter mich eines Tages in das Haus
eines berüchtigten Geizhalſes fhyikte, der, wie Harpagon in
der Komödie, ein junges Mädchen heirathen mollte, und
deshalb darauf bedacht war, fein baufälliges Haus zu ze
yeriren, um die junge Braut darin würdig zu einfangen.
Da mußte id) in einem Saale das Täfelwert abreigen, da⸗
mit der Saal aufs neue mit Nupbaumbolz hübſch ausge
täfelt werde. Hier ftand ein ſchlecht geſchnihtes wurmfidi-
ges Bild von einem Heiligen; denn die Stadt war Latho-
life, ich war aber lutheriſch. Der Hausberr hatte mir be⸗
fohlen, mit” feinem Scyugheiligen glimpflih zu verfahren,
weil er auf ſchwachen Beinen ftehe. Ich war in dem gro-
gen alten Zimmer allein, und follte nun das alles herun«
terbrechen.
Id war ziemlich in meiner Arheit fortgerädt; da aber
der Rüden des wurmſtichigen Schugbeiligen an die Wand
genagelt war, wo id das Holz herunter heben follte, fo
ging er mir unter den Händen entzwei, und ſchüttelte plötz⸗
lich aus feinem ausgehölten Leibe eine Menge Goldfüde
über meinen Kopf. Id fammelte fie forgfältig in meiner
Müge, und brachte dem reihen Wirthe 632 Kreimniger
Duaten mit den Worten: Seht mal, Herr! Iept merke
id doch, dag die verftorbenen Heiligen den nadlebenden
Menſchen einige Woblthaten erzeigen können. — Statt mir
‚aber zu danken oder ein gutes Trinkgeld zu geben, ſprach
“ unglüdlihen Liebhaber. ry
er: Wartet, mein Sohn, id) mug doch meiner jungen
Braut diefen Zund zeigen; lief drauf zur Obrigkeit und
lieg mid als einen Dieb und Heiligenläfterer verhaften.
Ohne weiteres wurde ich in ein ſchwarzes Loch geworfen,
und Gott weiß, wie lange ich da Hätte figen müflen, wenn
nicht mein vaͤterlicher Freund, Herr Lipberg, der eben den
Tag auf dem Rathshauſe den Rathsberren einen Plan zur
Ausbefferung einiger Gebäude vorzulegen hatte, mir zw
Hülfe gekommen wäre.
Als er hörte, der Geizhals behaupte, es wären 1000
Dufaten im Heiligenbaudje gemefen, weil fein Vater auf
dem Eterbebette einige geheimnißvolle Worte gefbroden,
deren Einn er jet erft begriff; fo ließ Litzberg den Heilie
gen wieder zufammen leimen. Als das geſchehen war, wur⸗
den die 632 Dufaten- in die große Sparbüchſe geworfen,
durd eine Meine Nige oben am Scheitel; und da ergab es
fi, dag der leere Raum ganz gefült war. Jehzt wurde
die Eumme in drei Theile getheilt. Das erſte Drittel de-
tam der Schutzheilige, wie billig, weil er fo lange in ges
fährlichen Kriegeszeiten den Schahß in feinem Leibe verwahrt
batte. Das zweite. Drittel bekam der Hausherr, und id,
als Finder das letzte. Das darf ich aber nicht vergeſſen
daß dies Bild den beiligen Bonifazius vorftellen. follte,
und alfo hatte er wirklich fein Verſprechen an mir erführ.
Durch die Vermittelung Herrn Litzbergs kam ih nadıe
her zwei Jahre ins Haus des großen Kapellmeiſters Seba -
ſtian Bach in Koͤthen. Er lehrte mid das Pedal gut
foielen, und gab mir im Kontrapunft gründlichen Un«
terricht.
Herr Litzberg verſprach, mich gelegentlich gut anzufel-
ten; jeht ſchlug er mir vor, erſt mit ihm eine Reiſe zu
6
84 Die glüclichen und unglüdlihen
machen, um alte Orgeln in den vielen alten Städten zu
verbeflern; dadurch fonnten wir viel Geld verdienen, und
zugleich die Welt ein wenig kennen lernen. Ich war fehr
mit diefem Vorſchlag zufrieden, und der Himmel hat mid
durch meinen theuern Freund glüdlid gemacht. Unfer Ruf
als gute Mechaniker verbreitete id; wir befamen eine Ein.
ladung nad der andern, zuießt eine vom Herrn Bolfgang,
nad Amferdam zu kommen, und mit ihm nah Dftindien
au geben, wo mir reihe Leute werden follten. Auf diefem
Bege lernten wir Herrn Eberhard Julius und Madame
Hanna Heilkraft kennen; und was weiter geſchehen ift, wiſ⸗
fen Sie Ale.
Hier ſchwieg Lademann, und Litzberg rief lachend nach
einer Beinen Paufe, die aus getäufchter Erwartung ent-
fand: Nun, meine Herren und Damen, war das nicht
eine fhhöne Geſchichte? vom wurmftihigen Heiligen? Da
figen nun die lieben Mädchen, und die guten Muͤtter, ha⸗
den auf eine unterbaltende Liebesgeſchichte die Ohren und
den Mund gefpigt, und müſſen mit abgedroſchenen Aneldo⸗
ten vorlieb nehmen. Nein, Sreund, das geht nicht. Wollt
Ihr nicht beichten, fo muß ich es thlın. Ich ſpiele freilich
aud darin eine Rolle fo gut wie er; id babe mi aber
{bon preisgegeben; an mir, glaubt er, ift nichts zu verder⸗
sen. Wohlen, ih erzähle; aber, beim beiligen Bonifa-
nius, Lademann, id fhene Euch nicht. Ih nehme Euch
mit im Fallen; und «6 wird mir beffer gelingen, als dem
tollen Kerl, der fih mit Kaifer Karl dem Fünften vom
Tburm berab fürzen u um dadurd) einen ewigen Nar
men zu bekommen.
Liebhaber. Fortfepung. 85
Die glüdlihen und unglüdlihenLiebhaber.
Fortſehung
Bir reiten alſo ab, wie ſchon erwaͤhnt worden if,
um alte Orgeln in alten, deutfhen Städten zu verbeflern.
So kamen wir denn einmal zu einem Nonnenklofer, we
die Orgel auch nicht recht Alingen wollte, die große Uhr
wollte nicht gehen, und obendrein hatte der Blig einge»
ſchlagen, und eine Ele des Altars zerträmmert. Da war
nun alfo vieles auszubeflern. Die Aebtiſſin war frengez
fie betrachtete die Iepten Unglüdsfälle als Strafe des Him-
mels, weil ein Paar ihrer Nonnen heimliche Liebſchaften
gehabt. Die armen Kinder waren vor Schreden in eine
Krankheit gefallen, geftorben und auf dem Kirchofe ber
graben. Da ſehe man die Gerehtigkeit des Himmels!
Seitdem war im Klofter eine noch firengere Zucht einge
führt, und die Mannsperfonen, die nothwendig dahin kom⸗
men mußten, wurden der ftrengften Duarantaine untermor«
fen, damit ſich die Liebespeit nicht wieder in die Selen und
Herzen der Nonnen einſchleiche.
Lange ftand der Altar verfallen, die Uhr ging nicht,
die Orgel brummte ärger als. die Aebtiffin, bios weil die»
fer noch fein Baumeifter, Uhrmacher oder Orgelbauer vor
Augen gefommen, der nicht gefährlich ausſehe. Kaum aber
hatte fie mic) und Lademann erblidt, fo gefielen wir ihr,
und fie fand uns beide zu den Arbeiten bequem und gut,
Bas mic) betrifft, fo begreife ih, dag mein derbes Weſen
.
86 Die glädlihen und unglüclichen
und viele Podennarbn ihr eben fo viele Beweiſe meiner
Unſchaͤdlichteit waren Lademann war aber ein hübſches
junges Blut mit glattem Mithhartgefiht; freilich hatte er
fi) in der Kindheit ein wenig verblafen; er war aber
fromm wie ein Lamm und fanft wie ein Engel, was eben
die Beiber fo gern haben. Die Aebtiffin aber, die eine
große Menſchen⸗ ud befonders Männerfennerin zu fein
ſchien, hat ihm vermuthid gleich die erftaunliche Blädigkeit
abgemerkt, die nichts Kühnes auf eigne Hand wagte. Kurz
wir befamen die Arbeit auf die Bedingung, Feine Gefellen
oder Lehrjungen mitzunehmen. Obſchon nur wenig datei
zu verdienen war, gingen. wir-dod den Kontrakt ein, weil
das einfame Arbeiten in einem Nonnenklofter für uns etmas
Abentenerliches hatte. Und nad) des feligen Seiferts Theo
rie ſuchen ja alle Menſchen Abenteuer.
. In den erften Tagen geſchah doch nicht viel Abenteuer
liches, denn die Kirche fand ganz Icer. Als wir aber eines
Abends ziemlich fpät über den Kirchhof gingen, ſahen wir
zwei junge Leute weinend auf Gräbern liegen, fi mit weis
gen Tüchern die Tpränen eifrig von den Wangen trodnend,
und fehr Mäglihe Geberden und Armbemwegungen gegen
den Himmel anftelend, als mollten fie die Geifter der Bers
ftorbenen wieder herunter mabnen. — Ich redete den Ael⸗
teften an, der mir der Vernünftigfte zu fein ſchien, und er
antwortete, nachdem er ſich von feinem Schreden, von uns
entdedt zu fein, erholt hatte: Ach, licher Herr, verrathet
uns nit. Mit Lebensgefahr find wir über die hobe Klo⸗
ftermauer gellettert, blos um das traurige Vergnügen zu
baben, auf, den Gräbern unferer feligen Gelichten zu weis
nen. Wenn Ihr je geliebt habt, — (mie es denn wohl
nicht andere moͤglich if), fo mwißt Ihr, was das fagen
Liebhaber. Fortfegung. 87
will, fein gelichtes Leben in der Schönheitehlüthe zu ver⸗
lieren. Id) bitte Euch, verrathet uns nicht an die Aebtif-
fin, die eine hattherzige, kalte, alte Jungfer iſt. daß fie
ung gewiß felbft diefen armſeligen Troft rauben würde,
wenn fie es müßte, dag zwei Jünglinge, bei Nacht allein,
die Gräber ihrer verftorbenen Nonnen beſuchen.
Da war nun, natürliherweife, nichts zu verrathen.
Es that uns um die armen Jungen leid, und wir ſuchten
alle die. Gcmeinpläge auf, die wir auewendig wußten, um
fie zu tröften,
Einen wahren Dienft fünnt Ihr uns erzeigen, wenn
Ihr wollt, ſprach einer der Betrübten. — Und melden? —
Die Schweſtern unferer feligen Geliebten leben noch als
Nonnen im Klofter, wo Ihr arbeitet. Die eine iſt Orgele
foielerin, die andere erfte Sängerin, und weil fie ſich beide
auf Orgeln und Inftrumente fehr gut verftehen, fo wird
die Aebtiffin, die ſelbſt nicht Kahengeſchtei von Nachtigal -
lengeſang unterfdeiden Tann, genöthigt fein, dieſe zwei
Nonnen zu Euch hinauf zu fdiden, um die Arbeit zu un⸗
terſuchen. Thut uns dann den Gefallen, und gebt einer
der Nonnen heimlich diefen Brief! Wir willen, daß fie von
ihren feligen Scyweitern abgeſchnittene Haarlocken befipen;
und, wenn Ihr gelicht Habt, fo wißt Ihr, welcher Schatz
eine ſolche abgeſchnittene Haarlocke einem unglüdlihen Lieb»
baber ift. Das ift alles, was wir von Euch begehren.
Bir konnten ihnen diefen Beinen Dienft nicht abfhla-
gen, und verfpraden, der Orgelfpielerin das Billet heim-
id) zuguftellen. Schon den Tag darauf kamen zwei junge
Nonnen zu uns auf die Orgel hinauf, von einer alten ber
gleitet, die ſich gleich auf eine Bank niederlich, eine Brille
auf die Nafe fepte, und in einem Bude, das fie verftedt
88 Die glüdlien und ungtädlihen
in der Taſche gehabt, zu leſen anfing, während die Iungen
mit uns Orgelpfeifen und Regiſter unterſuchten. Cie hat-
ten ihre Schleier abgelegt, ibre Kapuzen zurädgefhlagen,
- und waren von außerordentliher Schönheit. Ich gab der
erften den Brief, den fie hurtig in den Bufsn ftedte. Die
armen Unglüdfihen, feufzte fe — und Thränen füllen
ihre fhönen Augen, fie lieben noch unfere verftorbene Schwe ⸗
fiern nach Jahres Friſt, fo treu und zärtlich. Sünde wäre
©, ihnen diefe unfhuldige Bitte abzuſchlagen. Morgen
folt Ihr die Haarloden bekommen, meine Herrn!
Iept fing die Orgelfpielerin mit den ſchneeweißen, wohl
gebildeten Händen auf den ſchwarzen Tangenten herum zu
flanfiren, während die andere mit Marer Stimme eine Arie
fang, wobei die volle Bruft in ihrer ganzen Pracht aufs
ſchwoll. Lademann war im dritten Himmel; er glaubte die
heilige Caͤcilia bei der Orgel au fehen; und weil die Saͤn⸗
gerin wie eine Nachtigall trillerte, und das Kirchengewölbe
mit ihrem herrlichen Sopran erfüllte, wurde es mir auch
ziemlich eng um’6 Herz Kaum merkten die fhönen Non«
nen die Wirkung ihrer Kunft und ihrer Anmuth, fo fingen
fie an, die Batterien ihrer Augen auf- uns fpielen zu laſ⸗
ven, fo dag wir uns ganz befiegt, auf Gnade und Ungnade
ergeben mußten. — Sie wären gern länger geblieben, und
wir hätten ihnen gern bis Morgen zugehört, ohne zu eflen
und zu trinken. Die alte Nonne mahnte fie aber, wieder
weg zu geben, und die Yeltefte kehrte fi zu uns, und
ſprach laͤchelnd: Ia, meine lieben Herrn! da ift noch viel
an diefem Inftrumente zu machen, ehe es fertig wird, umd
gut Mlingt. Das Prinzipal iſt ganz verfäumt. Die Flöte
muß liebliher tönen. Die Mirtur ſchreit noch abſcheulich.
weit fie nicht in Harmonie gebracht it. Mit dem Pedale
Liebhaber. Fortfegung. 9
werden’ wir ſchon leichter fertig werden. — Dabei trat fie
mir leife auf den Fuß. fah mich. mit verliehten Blicken an,
und verſchwand mit der Freundin.
Als wir zwei glůcklichen Liebhaber allein in der Kirche
waren, fiel mir Lademann um den Hals, und ic lieg mir
zum erſten Male feine zärtlihen Narrentpeidungen gefallen.
Den Tag darauf hatten mir wieder einen Beſuch von
unferen Schonen. Die Alte nahm ihren vorigen Plag ein,
und fing an, da im Buche zu leſen, wo fie geftern aufge»
hört hatte. Es ſchien fein geiftlihes Buch zu fein, denn
fie lachte oft verfhmißt und fdüttelte den Kopf, und bes
nußte fo auf ihre Weiſe aud) die Ahweſenheit der Ach»
tiſſin. — Die Sängerin wollte mir jeßt etwas Unrichtiges
am Ventil zeigen, während Lademanns Schöne ihm ein
Adagio vorfpielte; fie ging mit mir hinter die Orgel. Da
gab fie mir in ein Papier -eingewidelt die Haarloden der
verftorbenen Schweſtern, für die beiden Unglädfihen, und
fagte mit bimmlifher Stimme: Lieber Ligberg! Guter
Mann, rettet, mich und meine Freundin. Laßt ung enifliee
ben. Alles ward in der Schnelle verabredet. Bir gingen
wieder zu den andern zurück. Die heilige Cäͤtilia faß bei
der Orgel, fpielte aber nicht. — Die Alte war, mit dem
Buche in der Hand, eingefhlafen.
Jetzt machten mir eine ordentliche Abrede. Die Kir-
benfchläflel hatte uns die Aebtiffin nie vertraut, wir muß ⸗
ten uns von einer alten Pförtnerin hinein und hinaueſchlie⸗
sem lafien. Die Ronnen hatten fi) aber einen Abdruck in
Wachs verfhafft, den fie mir gab. Ich verſprach ſelbſt einen
Schlüffel danach zu ſchmieden. und die Nacht unferer Flucht
murde beftimmt.
Auf dem Kirchhofe trafen mir wieder die unglüdtihen
” Die glüclichen und unglädlihen
Liebhaber auf den Gräbern. Wenn man ſelbſt glüclich if,
will man gern feinen traurigen Mitmenſchen ihr Schichal
erleichtern. Diesmal hatten wir doch etwas mehr als Re⸗
densarten zu bringen. Ich reichte ihnen die Haarloden,
und kaum faben fie dieſe, fo waren fie außer ſich vor Freude.
Bir teilten ihnen unſer Geheimnig mit, in der Hoffnung,
daß fie uns beiftehen follten. Denn um fein Auffehen zu
machen, mußten wir dem ganzen Tag mie gewöhnlich in
der Kirche arbeiten, und mer follte indeg Poftpferde und
Kleider zu der Vermummung ſchaffen? Allein die dankbar
ren Jünglinge verſprachen, alles für uns zu leiſten. Ja fie
wollten uns fogar eine Etrede Weges auf der Reife fol-
gen, um mit ihren lichen Schwaͤgerinnen, wie fie fie nann⸗
ten, von den feligen Schweftern zu ſprechen; und um noch
einige Reliquien, als Bänder, Blumen u. f. w. zu bes
kommen.
Die zwei jungen Nonnen bekamen Mannslleider, und
fo famen wir glüdlih aus dem Klofter berans; der Wagen
bieft nicht weit entfernt. Die zwei unglädlihen Liebhaber
maren aud fhon da. und umarmten die Schweſtern ihrer
Gelichten zärtlich, was ihnen fein Menſch verdenten konnte,
und fo fuhren wir ab.
Als wir Über die Grenze in Sicherheit getommen, nah»
men mir in einem guten Wirthshauſe unfer Abendmahl
ein. Lademann und id, hätten gern eime zaͤrtlichere Unter»
baltung genflogen, die Höflichkeit erforderte aber, die zwei
Unglücklichen mit zur Tafel zu laden. Hier war die ganze
Seit nur die Rede von den zwei verſtorbenen Schweſtern
Nun wünfhten Sademann und id auch die Haarloden
der verftorbenen Schweſtern zu fehen, fie hatten mit den
Haaren unferer Schönen große Aehnlichkeit
Liebhaber. Fortſetzung. A
Unfere Schönen waren aber von der vorhergehenden
Angft, entdedt zu merden, und von der Reiſe fehr erfchöpft,
amd der Ruhe bedürflig. Wir andern, außer Lademann
und feine Schöne, waren aud) fhläfrig, und fo gingen wir
alle zu Bett, um Morgen früh die Reife in aller Eile forte
sufegen.
Ich erwachte ziemlich fpät, Lademann ſchlief noch, weil
er die halbe Nacht mit fügen Schwärmereien zugebracht
hatte; ich rief den Kellner, beftellte vier Ponpferde und
Früpftüd für ſechs Perfonen. — Ganz wohl, ſprach er, läs
chelte aber dabei. — Barum lacht er? — Die Herrſchaften
baben zu befehlen, und für uns ift cs ja immer ein Bor»
theil, wenn vieles verlangt wird; es mundert mid aber,
dag der Herr vier Pferde und ſechs Portionen Frühftäd
für zwei Perfonen beftellt. — Lieber Freund, ermiederte id,
wir find fehs in allem; wißt Ihr nicht, daß ſechs Bäfe _
geftern angefommen find? — Das weiß ic ſehr wohl, ale
fein die vier find ja fhon heute um drei Uhr wieder abge⸗
fahren. — Sind fie fort? rief jetzt Lademann, der fi im
Bette aufrihtete und die Augen rieb. — Ach, das ift wahr,
verfeßte der Keliner, da Liegt ja ein Brief auf vem Tifc,
den haben die Herrn wahrſcheinlich noch nicht gelefen. —
Er reihte mir den Brief und ging feines Weges. Der
Brief lautete alfe:
„Die unglädlihen Liebhaber meinen nicht mehr troft-
los auf den Gräbern, fie Haben’ ihre Freundinnen wieder
gefunden, die fie drei Jahre treu geliebt; die armen Mäd-
ben find nicht mehr hinter den Kioftermauern lebendig be-
graben. Herr Lißberg und Herr Lademann werden uns
diefe Meine Liſt gütigft verzeihen. Zum Andenken und zum
Dante für Ihre gütige Hülfe bitten wir Sie, beiliegende
92 Die glücklihen und unglücklichen \
Brifantringe nicht zu verfhmähen. Auch diefe Haarloden
nicht, die Sie feit geftern fennen, und die von feinen Leichen,
fondern von unfern eigenen Häubtern geſchnitten find. Le⸗
ben Cie ref wohl, liche Herrn! Der Himmel ſchenke I:
nen Geliebte, die Sie fo treu und aufrichtig lieben, als
mir unfere Liebhaber.“
Zwei Brillantringe von ziemlichem Werte lagen in
Papier gewidelt bei den Haarloden. Der verzweifelnte
Lademann ergrüf die blonde Locke, die feiner Schönen an-
gehörte, wolte aber die Ringe zum Fenſter binausmwerfen.
Nicht doc, ſprach ih, der id) nach meiner Art gleid mit
der geheilt war. Wir fmd ein wenig am Narrenfeile ber-
umgeführt worden, haben es aber. verdient. Warum wuß
ten mir nicht beffer, Täufhung von Wirklichkeit zu unter
ſcheiden? Hätten die Nonnen uns diefen Streich gefpielt,
> um ung zum’ Beften zu haben, bei Gott! id wollte nicht
ruhen, bevor ich fie aufgeſucht und mid gerät hätte. Sie
thaten es-aber aus Noth, aus Liebe zu den-Andern, weil
fie fürdteten, uns ſonſt nicht im ihr Interefle zu ziehen,
mas wohl aud ſchwerlich gelungen wäre. Freilich haben
fie uns zu einem Kloſterraube verführt, umd fo ift-es denn
billig, dag wir dafür bügen. Die Orgel Mingt jept recht
ſchon, der Altar ſteht edel gebaut, die Uhr geht mieder,
wir haben feinen Heller dafür befommen. Das mag dt
Aebtiffin ein Erfag für ihre entflohenen Nonnen fein. Und
dieſe Ringe mögen uns ein Erſaß fein, dag wir der Sch
nen wegen unfern Lohn aufgegeben.
Lademann ſchwieg und fuhte die Ginfamteit. I6
merfte wohl, daß er oft heimlich weine. Seine muſitali⸗
ſchen Phantafien wurden immer ſchoͤner und berzergreifen,
der. So athmete er in mohllingenden Weiten feine Sehn⸗
Liebhaber. Fortſetzung. 9”
fudt und feine Wehmuth aus; id lieh meinen Born an
Steinen und Balken aus, deren rohe Alumpen ich in fhöne
Formen zwang. Nachher haben wir ganz der Kunft ge»
lebt, bis wir unfere lieben Freunde, Herrn Wolfgang und
Herrn Eberhard Julius, kennen lernten. —
Als Lademann nad Lißbergs Graählung allein mit
Eberhard nach Haufe ging, und fie durch den Wald kamen,
mo der Diond fdien, fing er berzlih an zu weinen, und
drüdte Eberhards Hand feit an feine Bruft. — Großer
Gott, tief Eberhard, lieben Cie denn immer noch die Dre
ganiftin, mein Freund? — Ad) idy weiß nicht, antwortete
Lademann, id babe lange nicht an fie gedadıt. Ale ih
Trant war, fah id fie oft im Traume wicder, und jept ſtellt
ſich ihr Bild nach Herin Lipdergs Erzählung meiner Seele
Icbendig dar. Eie follten fie nur bei der Orgel gefehen
baben, lieber Julius! Und nie fie ſpielte, und das berre
liche zurüd gekehrte blühende Geſicht, und die ſchoͤnen Fin
ger auf den ſchwarzen Tangentenl Und dann gab fie mir
einen füßen, fügen Kuß. den ich mie vergefle, denn er
brannte mir tief in die Seele hinein. Das war- alles nie
ein Traum, und ich fühlte wohl, eine ſolche Freude follte
ich nicht wehr im Leben genießen. Und dod hoffte ih fo
gewiß, fie folle meine Geliebte für mein ganzes Leben were
den. Mit Herrn Lipberg war es anders — er ift fo ſpöt⸗
tiſch — nicht zart genug, und dann ift er aud) fo poden-
narbig; — aber, allein — id) will mid) tröften. Er ſchwieg.
Eherhard betraditete ihm mit einem mitleidigen Laͤ⸗
Geln, und fagte: Id) begreife nicht, wie ein edler Mann
eine Unwüuͤrdige noch lichen kann.
94 Die glüdligen und unglüdligen
Ach — fagte Lademann, fo feh ich denn wobl. daß ih
Innen mein Geheimnig beichten muß, damit Sie mid) nicht
verachten mögen.
Hier nahm er eine Meine ſilberne gobſel bervor, die er
auf der Bruft an einer goldenen Kette trug. — Herr Lig
berg, rad er, glaubt, id verwahre nur hierin die Locke
und den Ning; da ift aber noch ein Meiner Brief, den mır
der Kellner heimlich, zuftedte, als Herr Lißberg den fhon
befannten befommen hatte. Lefen Cie diefen. — Eberhard
öffnete den Zettel und las:
„Zheurer Lademann! Beklagen Eie mid) und verge-
ben Sie mir! Im Klofter feufzend, mo id von harten
eltern gezwungen das Gelübde thun mußte, Iernte ich, vor
drei Jahren her, meinen Bräutigam Eennen, einen braven
jungen Dann von Geift und Bildung. Er lichte mid; es
freute mich, von ihm geliebt zu werden; id nahm dies
dantbare Gefühl für Liebe, gad ihm mein Iamort, und
ſcwur ihm meine Treue. Diefen freiwilligen Eid darf
ich nicht brechen. Ich lernte Eie — zu ſpät kennen! Ich
hänge von meiner thätigeren Schweſter ab, wie Sie von
Ihrem Freunde Ligberg, und wir mülfen, wie zwei abge
riſſene Blumen, dem Strome folgen. Leben Cie wohl,
holder Freund! In den Tönen wollen wir ewig zufammen
Ieben, und in den unſichtbaren Harmonien werden ſich un,
fere Herzen täglich vereinigen.
Caͤcilia.“
Ach ſie hieß Cäcilia rief Lademann — dem fein Freund
Eberbard jept weinend um den Hals fiel, und um Verzei-
bung bat. Da ift ein fhönes Bild von Raphael oder Guido
Reni, wo die heilige Cäcilia mit Roſen befränzt bei der
Liedhaber. Fortſehung. %
. Orgel fißt und nad der Seite (haut. Chen fo betradıtete.
fie mich! Nur hatte fe feine Roſen um’s Haupt, und für ,
mich Hlüpt in diefem Leben Feine Roſe mehr.
10.
Klein» Felfenburg. x
Der Altvater wollte einmal mit den europaͤiſchen Freun-
den, auf einem Fleinen Fahrzeuge, das in tiefer Felſenkluft,
von Geftein und Gefträud) verborgen lag, eine Fahrt nad)
Klein» Feifenburg madıen. — Id muß noch ver meinem
Tode ein wenig von der übrigen Welt fehen, fagte er. —
Die Luftfahrt nach der Fleinen Klippeninſel wurde alfo uns
ternommen, und des Altvaters Sohn, Albert Julius der
Zweite, mußte fo lange im Rathe der Alten des Greiſes
Platz einnehmen. Albert Julius der Imeite, des Altvaters
dritter Sohn, (die beiden erften waren ſchon gefterben),
mar ein Mann von 70 Jahren, recht gefund und rüfig,
aber nicht von vorzäglihen Geiftesfräften. Das jugendliche
Gemüth feines Vaters mangelte ihm ganz, und gegen ihn
ſah der Alte in blühenden Augenbliden wie ein junger
Menſch aus. Der alte Herr Sohn war, ohnerachtet er nie
in Europa geweſen, und immer in der einfachen Natur ges
lebt Hatte, etwas pedantiih, und Eberhard entdeckte zw
feinem Staunen eine auffallende Aehnlichteit zwifdten ihm
und feinem eigenen Vater, Martin Julius, Vieles erin⸗
nerte ihn auch an -die felige Muhme Urfula, an Herrn Sa—
muel Plürs und an Vetter Anton.
% Klein» Felfendurg.
Die Infel Klein Felſenburg war nicht wie die große,
ein Blumenkorb.von Felſen. Sie betand meift aus ſchrof⸗
fen unfruchtbaren Bergen. Einige ſchöne Thaͤler ſtrecten
fich / freilich durch die Bergketten, und ein Paar Duzend
Familien hätten bier treiflich leben können. Weil aber das
meifte von Groß-Selfenburg mod) unbewohnt war, fo-ftand
diefe Kleinere Infel einfam und verlaſſen. Es war auch
noch ein Grund da, warum Niemand da wohnen durfte.
Klein. Felſenburg war den Seefabrern niht unbekannt;
denn die Thäler und Wälder ſtredten ſich gerade bis zum
Strande hinunter. Oftmals ankerte da ein Schiff, um fris
ſches Wafler zu holen. Hier hätte man alfo-die Verbor⸗
genheit aufgeben muͤſſen.
Die Luftfahrt wurde nicht ohne Furcht und Sorgfalt
unternommen. Man hatte erft durd Fernröbre von den
bödhften Bergginfeln die Flaͤche des Meeres ausgefbäht. Ale
bert Julius der weite hatte feinem Vater mit vielen Grün«
den die Reife abgeraten. Er gewinne nichts dabei, hatte
er gefagt, denn frübftüden könne man Überall; dagegen
feße er die ganze Infel und fein eigenes Leben dabei in
Gefahr. — Mein lieder Sohn, antwortete der Altwater,
wenn ich immer fo vorfihtig und vernünftig geweſen wäre,
wie Du es von mir verlangft, fo wäre die Infel nie ente
dedt, nie bevilfert und Du nie geboren worden. Ganz
als Gefangener mag id nicht, feibft im weiten Kreife, le⸗
ben; fo wäre ic) lieber noch Küfter beim feligen Trautmann
geblieben. denn bei ihm Fonnte ich doch herum laufen, mo
ich wollte. Mit der Entdeckung dat es feine Notb; wir
werden die äußerfte Vorſicht brauchen. Ein großes Schiff
ſiebt man in weiter Zerne, ehe es unfern Beinen Nachen
entdeden kann.
Klein» Felfenburg. 97
Der vernänftige Sohn weilte fi) von ſolchen voeti⸗
ſchen Gleichniſſen nicht überzeugen laſſen; man Lichtete indet
Die Anker, machte eine fehr angenehme Fahrt, und frühe
fünfte in einer großen Hätte, von engliſchen Seeleuten dort
in der Geſchwindigkeit aus rohen Stämmen des Waldes
erbaut, \
Eberhard und Cordula fagen dem lieben Altvater zur
Seite. Becher guten Weines Freiften herum, der Scherz
blühete auf den gefsrähigen Lippen, und der Altuater
braudite fein ganzes Anfehen, um Die Saune Lißzbergs und
Bolfgangs im Zaum zu halten, die fi immer über den
väterfihhen vorfihtigen Herrn Sohn, Albert Julius den
Zweiten, hermachen wollte.
Aber ploötzlich wurde die Froöͤblichkeit durch eine Hiobs⸗
poſt geftört; ein junger Felſenburger, der auf dem hohen
Berge Wache gebalten hatte, trat ganz blaß herein, und
meldete: ein großes Schiff nahe ſich mit vollen Segeln der
Inſel.
Alle ſchwiegen einen Augenblic, und ſaben einander
beRärzt an. — Da bat der bejabrte Sohn doch Recht und
der jugendliche Greis Unrecht gehabt, fagte der Altuater. - °
Hat nichts zu fagen, rief Weifgang, als es mit dem
Ferntohr das Schiff betrachtet haste; wir Fönnen in Große
Felſeaburg fein, bevor wir ihnen in den Geſchtskreis
tommen.
Nun ſchiffte man ſich ſchleunig en, und ſchon war al«
les fertig und das. Anker gelichtet, als das Ruder brach!
— Dieſer Unfall ſehte alle in die größte Unrube, und es
wurde in aller Eile Natb gehalten, mas zu Ihn wäre?
An Wegſegeln war jetzt nicht mehr zu denken, und bald
Oehlenf. Eahriften. XVLIL,
% Klein» Felfendurg.
wärde das Schiff den Nachen bier im Eleinen Hafen ent
veden.
Nein, rief der Altvater, deſſen mod) jugendliche Kraft
. in diefem Augenblide wieder hoch anfflammte, das darf
nicht fein; dann wird das Gebeimnig meiner Infel entdedt,
eine fremde Macht bemãchtiget ſich ihrer, fremde Sitten
werden eingeführt, ſchlechte Habfüchtige Menfchen unterdrüf-
ken und verderben meine Kinder; ihre Schäge werden weg ·
‚geldhleppt, und fie ſelbſt zu Sklaven der despotifhen Bil-
für eines tüdifhen Statthalters gemacht. Bohrt das
Fahrzeug in Grund, Kinder, ich befehle ee Euch, Kraft
meiner Herrſchaft. Bir wollen uns in den Felſenklüften
verbergen, und können nadıber die Hütten ausbeflern und
bemohnen, bis einmal Kapitän Horn von Europa wieder
kehrt. Trifft er uns nicht auf Groß-Felfenburg, fo wird er
"uns bier ſuchen. Vielleicht bauen fie mittlerweile ſelbſt drü⸗
ben ein Boot und bolem uns ab; denn leider haben wir
nicht ‚Werkzeuge mitgebracht, font könnten wir es felber
abun. — Bir andern, lieber Großvater, rief Eberhard,
önnten uns das allenfalls gefallen laſſen; allein Sie — in
‚Ihren Jahren! Soll ein hundertjähriger Breis wieder von
vorne anfangen? Ach es gebt nicht mehr fo leiht mit dem
Klettern wie zu Zeiten van Leuvens und Lemelies. — Ei,
mein liebes Kind, rief der Alte. ich bin der Bergluft ge
wohnt; ih kann noch recht gut in einer Felfenhöhle fhla-
fen. Und ftürbe ih au? Bas if es denn mehr? Gin
Jahr früher oder ſpäter — bald müßte es doch fein. Dann
wird noch das Iepte Kapitel meines Lebens poetiſch: ich
ſterbe als ein berumftreifender Abenteurer, wie ih ange
fangen habe. Du Eberhard, folte mir meine eigene Zur
gend, die Meine Cordula die Jugend meiner Concordia zu-
Kein» Felfenburg. ”
ru mabnen. Unfere europäifggen Freunde, die im Beſth
fo vieler fpnen Fertigkeiten find, werden uns das Leben
erträglich machen, und fo verſchwindet ein halbes Jahr leicht.
Alle bewunderten den Muth, die unerfhätterlige Hei
terteit und Entſchloſſenheit des Greiſes; es konnte fie aber
nicht tröften, denn fie fahen voraus, dag dieſe Bebensart
bald den Alten aufreisen würde.
Bäprend fie nun fo: ſchweigend und Meinmäthig da
fanden, kam Kapitän Wolfgang mit dem Fernrohre wir,
der vom Fels zurüd, und rief luſtig: Hurrah! Aengſtiget
Euch nicht, lieben Freunde! Bir brauden unfer Fahrzeug
nicht in Grund au bohren; fein Wageftüd bedroht des then»
ven Altvaters Leben. Ic babe die Flagge des fernen Schif⸗
fes deutlich ertannt. Dreifach weht fie: blau, gelb und
roth, mit den Hauptfarben des Negenbogens, der Abrede
mit Ferdinand Horn gemäß, wenn er nad) der Infel wie⸗
der käme. Es it. unfer eignes Schiff. weit früher von Eu-
rova zurüd gelehrt, ale wir es erwarten konnten.
Diefe Zaubermorte: verwandelten glei) - die aͤngſtliche
Stimmung wieder in Freude und Entzücken. Bolfgang
batte naͤmlich mit Herrn Horn abgeredet, dag er das naͤchſte
Mal nicht bei Groß⸗, fondern bei Klein-Zelfenburg antern
follte, und da die mitgebrahte Mannihaft und Sachen
ausfcirfen, damit das Geheimnig der großen Infel nicht in
"Gefahr ſchwebe, entdeckt zu werden, wenn gar zu viele
Menſchen Kenntnig davon hätten.
Diefe Vorſicht machte aber auch jeht, dab ſich das
Schiff nicht gleich der kleinen Infel näherte, als man das
Boot im Hafen entdeitte. Die Felſenburgiſche Flagge ward
gleich mit einer boländifcen umgetauſcht. und Kapitän-
Horn lavirte auf dem Meere, ohne ſich der Infel au nahen,
7°
100 Klein» FZelfenburg.
weil er meinte, dag, we ein Bent war, mäfle auch ein
Saif in der Nähe fein, uad vom Walde verborgen, ver
Anter Liegen.
Das wear nun reiht ein 1 föliumer Umfand. Auf dem
Boote wagten fie ſich nicht dem Schiffe zu nahen; es wäre
ia mäglih. daß man auf fie feuern tonne, weil man Ver ·
rath fürdtete. Glůclicherweiſe hasse. Lipherg Nateten mit -
genommen. Iom, der ſich mit allen mechaniſchen Künften
abgab, machte: e6 in der Ieptern Zeit Bergnügen, Schietz⸗
vuiver und Feuerwert zu machen. Er batte eimas mitge-
Rommen, tbeils um Die Gefellſchaft damit in der Daͤmme-
rung zu eriufigen, theild um den Groß Felfendurgern ein
Beiden zu geben, wenu Die Luflfahrer etwa diefe Rat
ausbleiben felsen; damit man Ach drüben nicht ängftigen
möge.
Run konnte alſo auh Bolfgang feinen Freunde Horm
das werabredete Beichen geben; umd kaum fliegen auf ein ⸗
mal drei Raketen vom Stramde binauf, fo murden fie von
zwei ähmlihen auf dem Schiffe begrüßt. Die Schaluppe
nahte⸗ fi kurz daranf der Infel; Harn fand ſelbſt mit
dem Sprachrohre am Ruder, und kaum konnte ex gehört
werden, fo rief er: Lebt Altwater noch! — Er kebt! ante
wortete ibm Wolfgang durch das feinige, das er, mie ein
alter Birtuoſe fein geliedtes Wadern, mitgebracht hatte,
obſchon er es nicht mebt zu fielen dachte
Als ſich die beiden Kapitäne herzlich begräßt hatten,
brachte Weifgang Herrn Horn zum Altvater in die Hütte.
Bie gern hätte der Ale das Schiff bekicgen, um noch cinmal
in feinem Leben in einer Kajute zu ſchlafen; das ging aber
nicht, des Gebeimnifies, auch des Hinauf- und Hiaunter-
Neigens wegen. Herr Dorn erfreuete den Altvater mit der
Kein Felſeaburg. 10r
Nachricht, daß er diesmal Herrn Martin Julius mitbringt,
der aber noch feine Toilette made, um vor dem’Negenten
fandesmäpig zu erſcheinen. Albert und Eberhard faben
einander an Bei diefen Worten und laͤchelten putmütbig.
Kurz darauf flieg der meu angekommene eurohäifce
Bluts- Berwandte an's Land, in ſteifen Gallafleidern, mit
einer großen gepuderten Perüde, einem Degen an der Seite
und Ehapram bas unter dem Arm. Altvater wollte ihn umar-
wen, ſchlug aber die Hände über Heren Martins Rüden
aufammen, fo tief büdte cr fi wor feinem Ahnherrn, den
er: Eure fürftlihe Durchlaucht nannte.
Altvoter batte alle Mühe, ihn von diefer unterthäs"
nigen Foͤrmlichteit abzubringen. — Ih bin nur ein
ſchlichter, alter Mann, mein Sohn, ſprach er, und werde
bald dahin geben, wo fein Unterfhied des Ranges mehr
iſt. = Bas darf man denn Euer Ehrwürden nennen, frug
Herr Martin; wenn nit Hoheit, Durclaucht, dod wenige
ſtens Ercellen;? — Ich beige Aldert Julius, mein Sobn,
ſprach der Alte, und da ſteht Dein Eberhard. — Ein na-
türliches Gefühl bemeifterte fid bei diefem Anblick Herm
Martins, fo daß er für einen Augenblick den Pedanten zur
Seite feßte und feinen Sobn herzlich umarmte.
Habt Ihr die Uhr mitgebracht, frug der Alte gleich
— 3%. babe gehört, gnädiger Herr Erzvater, Ste wuͤnſch⸗
ten, ich möchte eine Uhr aus Europa mitbringen, umd bier
iſt fie. — Er reichte ihm eine foftbare goldene Upr mit
Brillanten. — Lieber Gott, mein Sohn, da habt Ihr mic)
mißverfanden, ich meinte die alte, filderne Uhr meines Ba-
ters, meines Bruders, Eures Großvaters. — Die habe ich
auch mit, magfe aber nicht gleich Euer Ehrwürden bei der
erſten Audienz mit einer ſolchen Kleinigkeit beſchwerlich zu
102 Verſchiedener Gefhmal.
fallen. — Bo ift fie, lieber Sohn, habt Ihr fie in der Ta-
ſche bei Euch? — Herr Martin reichte dem Greiſe die Ubr;
Albert fab fie lange an, befühlte fie, fehrte fie nad) allen
Seiten, Öffnete fie, machte fie wieder zu, drüdte fie an feine
Lippen, und rief, indem eine große Thräne ihm über die
rothe Wange in den filbernen Bart hinunter rollte: Ich
tenne fie wieder!
Herr Martin Jullus fab feinen Sohn verwundert an,
und fonnte nicht begreifen, wie man eine alte fhlichte fil-
berne Uhr einer vergoldeten mit Brillanten vorziehen tönne
, 11.
Verſchiedener Geſchmack
Kapitän Horn hatte viele ſchͤne Sachen mitgebracht;
befonders Gemälde, tbeils flamaͤndiſche, für die Gemäder
auf Alberteburg, tbeils ein Paar italieniſche Meifterftäde,
für die Kirde. Da waren auch gut gemalte Portraits der
mei unfterblihen Stammväter der Zelfenburger, Luthers
und Shatefpeares, welche im Wohnzimmer des Altvaters
über dem Kanapee aufgehängt wurden, und den Alten über-
raſchten, als er eines Morgens aus dem Schlafzimmer in
die Stube trat. Noch war ein vorzüglider Maler mitger
kommen, befonders um den Alten zu malen, damit man
doch eim gutes, aͤhnliches Bild von ihm habe, ehe er ftärbe.
Biele andere nutzliche Sachen, melde die Telfenburger
nicht ſelbſt fo gut machen Ionnten, wurden von den eurb⸗
Verſchiedener Geſchuac. 103
vatſhen Freunden unter die Landleute vertheilt. Eberhard
hatte ſelbſt die Muͤhe übernommen, den jungen Mäͤdchen
niedlihe, in London genäbee Schuhe zu ſchenken. Sie
mußten alle an einem Tage zur beitimmten Stunde kom»
men, um die Schube bei ihm in der großen Sommerlaube
anzupaffen. — Allein machte das nicht die Heine Cordula
eiferfühtig? Im mindeften nit! denn, wie fie auf der
Infel das fhönfte Mädchen war, fo hatte fie auch den
ſchonſten Fuß, wovon ſich Ederhand bei der Gelegenheit
völlig überzeugte. \
Auch viele deutſche Bibeln un Gefangbücder waren
angekommen, und wurden vom Herrn Magifter Schmelzer
unter die Hausvaͤter vertheilt. Als aber Eberhard einige-
Kiſten auffhlug, worin eingebundene Eremplars von Sha-
keſpeares Werten waren, um diefe aud zu verteilen, fing _
„der gewögnlihe Zant an, zwiſchen Lipberg und Eberhard, '
oder eigentlich das Gedanken, Gefühl- und Meinungswed-
ſelſpiel. worin ihre Gefeligkeit und Unterhaltung beftand.
In den erften Tagen nad) ihrer Antunft. wurden meb-
rere Meine Ländliche Feſte nach Felſenburgiſcher Art veran-
faltet, um Herrn Martin ein Vergnügen zu machen. Er
ſtellte ſich auch aus Höflichkeit, als ob er fehr damit zu-
frieden wäre: im Grunde langweilte es ihn aber fehr, und
weil er immer ein Stündden vor dem Schlafengehen, wäh-
vemd des Austleidens wit feinem Sohne Eherhard allein
ſprach. fo mußte der gute Tüngling aud immer Berhalten.
Das muß id geftehen — ſchnaubte Herr Martin, —
ich habe mic) fehr geirrt. Ich meinte hier ein Meines Rd-
migreich, wenigftens ein Zürftenthum zu finden, ein hübſches
Hauptſtaͤdtchen wenigftens mit einer fhnurgeraden Straße,
mit einem großen Palaſte. Als naher Blutsvermandter
10 Berfgiedener Geihwad.
des Dberhaupts hatte ih auf eine ausgezeichnete Ebrerbit ⸗
tung gerechnet. dag die Soldaten vor mir präfentiren, we⸗
nigfteng ſchultern follten, wenn id) vorbei ginge. Allein hier
And ja gar keine Soldaten. Jeder Heine deuiſche Zürft hat
do wenigſtens ihrer zwanzig. oder dreigig Stüd, Auch
batte id) auf einige Drdenshänder, menigftens einen Kame
merherrnfhlüfel den Mund geſpiht. Bas find aber Jauter
Fruqte, die in diefem Werben Klima nicht reifen. Jeder
Bauernbengel, dem ih begegne, drüdt mir die Hand, fo
dag mir die Finger weh thun, duzt mich, und nennt mih
Vetter und Freund, — Aber das ift er ja auch, lieber va⸗
ten! Vergeſſen Sie denn. dag alle Einwohner hire, wenige
ausgenommen, von Albert Julius abſtammen? — Bir Ram
men alle ab von Adam und Eva, mein Sohn! das maht
aber nichts. Verſchiedenheit muß fein. und auch Standes.
verfhiedendeit, Und wie die Menfen hier geffeidet geben!
Alldeutſch mit Jaͤtchen und Kragen, und ungepuderten®
Haaren, fo daß einem das wenige Haas unter der Werüde
darüber zu Berge lebt. — So war De Mode, als Alta
ter vor hundert Jahren bierher Fam; feine Kinder Mleideten
Ad wie er. die Enkel thun es ebenfals. Und aufrichtig
lieber Dater, ib finde diefe Mode weit fhöner, als die
heutige in Gurgpat Ih bafle Perüden, Yuder, dreiedige
Trefiengüte, Haardentel und feife Rodihöße aufs Blnt.
— Weiß wohl, Eherhgrd! das mm daher, weil Du wech
in den unreifen Jahren biſt, und Dein Gefhmad nicht ge-
börig gebildet ift. Wenn Du älter wirt, wenn Dir die
Haare grau werden, und DA cine Glape bekömmit, wirſt
Du fhon die Finger mad der Neride, nach Puder and
Vomade Ieden, dann i’s aber zu fhät. — Miles bier üft
wild und verworren! Keine ordentlihe Gärten in Binfel,
Verſchiedener Befhmad. 165
Duadrale, Roombaile und Rhomboiden eingefbrilt; man
glaubt noch im Walde, unter dem lieben Vieh zu wan⸗
dein, (Sr vericht es wohl nicht beffer, der arme Greis!
ſollte ſich aber vom kiugen Leuten, die ein befleres Einfe-
ben in ‚dergleichen Dingen baden, belehren laſſen. Sein
Sohn, Herr Albert Julius der Zweite, fheint mir weit
mehr Verftand und praktifhen Sinn zu befipen.
Eberhard mußte lächeln und frug: Lieber Vater! ha-
ben Sie denn in Europa wirklich fo viel Gutes verlaflen,
dag Sie ſich daraac fehnen können? — Db ic viel Gutes
verdafien habe, mein Sohn? Beißt Du denn nicht, daß id
mich in Leipzig ganz vraͤchtig etablirt Hatte, ein großes Haus
neu gefauft und fbön meublirt mit Rromleuchtern und Fuße
tenppächen? Gin Graf konnte nicht beffer wohnen. Weißt
Du nit. dag mir acht Bedienten in praͤchtigen Livreen täg«
lich aufwarteten? Daß ih zmei Mal woͤchentlich ein großes
Diner gab, wobei Deine Gönner und Iugendlehrer, Herr
Profeſſor Schwefellies und Herr Kaufmann Nierenfein
auch zugegen waren, nebſt vielen andern Gonoratioren?
Nierenftein und Schwefelkies find meine Bufenfreunde ge-
worden; und mo finde id ſolche Männer wieder? Mit
Herrn Litzberg und Wolfgang läßt fi) ja fein vernünftiges
Bort reden, fis railliren immer, und find fogar mitunter
nafemeis und unverfhämt. Den guten Schmelzer kenne ich
bon; das iſt ein lieber Menſch. er ſitzt aber über feinen
Büchern, tauft Kinder, fpreiht Predigten, mag nicht L'hom
bre foielen, und hat es aud nie ordentlich gelernt. — Alfo
Nierenſtein und Schwefelkies, das find gegenwärtig die
Lichter in’ Leipzig, lieber Bater? — · Wahre Biederleute,
meis Sohn! Der eine giebt eben fo große Diners wie ich;
der Profeſſot hat freilich die Mittel dazu nicht; aber dann
106 Berfhiedener Geſchmack
fpeift er mieder fo gufüerzig, mit einem folden Appetit
und höfliher Dankbarkrit, dag mar. ihm durchaus gut fein
mug. Und dann ift er auch erſtaunlich gelehrt. Nicht wahr,
Du verdankft ihm Deine ganze Bildung? — Gewiß, lieber
Vater. Und bei dem andern bin ih alle Boden zu Tiſche
geladen; nicht wahr? — Ja wohl! Das hat er wir ſelbſt
erzählt, und das hat mid als Vater gefreut; denn Du
weißt wohl, Eberhard, dag ich Did, aller Deiner Sonder-
barteiten ohnerachtrt, herzlich liebe. — Das weiß Id, mein
Bater, ſprach Eberhard, und fügte ihm die Hand. Haben
die Herren Nierenftein und Schwefelties Ihnen aber nicht
auch erzählt, wie ih einmal an der Seife iht Leben ret⸗
tete? — Sie haben mir gefagt, daß Du ihnen einmal in
jugendlichem Uebermuthe mit einem herunter geriffenen
Baume leicht die Schädel Härter einfhlagen künnen, als
ihre Pferde ein wenig ſcheu wurden; allein dieſen Jugend»
ſtreich haben fie Dir Beide von Herzen vergeben. — Nun,
das ift fin, ſprach Eberhard. Es it aber ſpaͤt. Lieber
Vater! Sie find jept zu Bette gegangen, und ich will, mit
Ihrer gütigen Erlaubnig, daffelbe thun.
12.
Albert Iulius zum leßtenmal.
Der Maler hatte ein fhönes, ähnliches Bid vom Alt-
vater gemacht. Der füherne Greis faß im Lehuſtuhle in
feinem Zimmer; durchs große offene Fenſter konnte man die
Aldert Julius zum lehtenmal. 4107
füdliche Vegetation der Infel und die fernen Kelfen ſehen.
Der Alte legte feine gerunzelte Hand auf das Laftanien-
braune Haupt eines ſchoͤnen Knabens, der vor ihm Fniete.
Hiemit wollte der Maler den Segen andenten, den der
” Stammavater feinen .Enfeln gab. Das Bild tn Lebensgröge
murde den Bruftbildern Luthers und Shakeſpeares gegen.
über in der Wohnftube aufgehängt; erft aber einige Tage
Mentlich zur Schau ausgeftelt. — Ad, wenn. Ior mir nur
au meine Concordia malen Lönntet, fagte der Altvater.
Mber wigt Ihr was? Malet die Meine Cordula; die gleicht
ihrer Stammmutter fehr, nur daß fie blond If. — Herr
Martin, der zugegen war, meinte, man könne ja ſchlecht⸗
weg Cordula ſchwarzes Haar geben; aber davon wollte we⸗
der Altvater, noch Eberhard, uoch der Maler etwas wil-
fen; und Litzberg rief: Da baben wir wieder ein Ungläd
des eigenen Haartragens; hätten nun Concordia und Gore
dula hübſch gepuderte Perüden netragen, fo wären wir der
Sorge los, und die Yehnlihkeit wäre auf ein Haar ge
troffen.
Nach der Iepten Luſtfahrt nad Klein» Felfenburg war
der Altvater etwas unpaß, und er befhloß von jeßt an eine
andre Lebensweife bei fid) einzuführen. Er gab keine Baft-
mahle mehr, ging früh zu Bett, nahm nicht Beſuche an,
umd beſuchte Niemanden. Dazu hatte ihm befonders eine
Freundin überredet, die jeßt täglich um ihn war. die ihn
pflegte und hegte, feinem Haufe vorftand, und ohne deren
Einwilligung er nichts mehr that, was feine Geſundheit
anging. Diefe Freundin war Hanna Hellfraft, deren Ge⸗
nie zur Haushälterin und Pflegerin er bald entdedte, und
nach Verdienſt würdigte. Noch behielt er in feinem geräu-
migen Haufe drei ſchoͤne, geiftreihe Anaben und Mädihen,
108 Albert Jalius zum leptenmal.
die er im Leſen und Sereiben felbR unterrichtete, die zu
Mittag mit ibm ſpeiſten, und die im reife um ihn täglich
Morgen und Abend mit gefalteten Händen beten mußten,
und Danklieder fangen. Mitunter agen auch, ſtatt ihrer,
Eberhard und Cordula, oder Schmelzer und Wolfgang,
oder Litzberg und Lademann beim Alten,
Sein Sohn Albert Julius der Biweite machte jetzt ein
großes Haus, Fam aber alle Morgen pänftlih um zehn
Ubr, feines Vaters Hand zu füflen, und zu hören, wie er
geſchlafen habe? Dies that der Miehzigjährige Man ganz
tindlich, wie er «6 von Jugend anf gewohnt war, und der
Aublick hatte etwas wunderbar Hührendes. — Bei Albert
dem Zweiten mar Martin Julins eingnartirt. Sie ſchienen
für einander geboren zu fein. Herr Martin hielt dem al
ten Felſenburger tägtich Vorlelungen über eurovaͤtſche Sit-
ten und Einrichtungen, und fie fanden im Grmüthe des
Suhörerg freundliche Aufnahme.
Roch ein anderer Fremder, von dem mir nicht geſpro⸗
hen haben, der mit Kapitain Horn das letzte Mal auf die
Infel tam, hatte in RobertHulter, Cordulas Vater, einen
Freund gefunden, und wohnte bei ihm. Es war ein ge
weſener Ingenieur» Offizier, Herr von Birting, der dem
madern Bolfgang damit beifen ſollte, die Fortificatien der
Infel nach beſten Kräften zu vollenden, damit feine fremde
Mat fie je erobern könne. Das fing er denn and aleich
ſehr gehlidt an, denn es war ein Mann: von Talenten.
Iu feinem Aeußern hatte er aber viel Unangenehmes, Ab ⸗
togendes. Er mar lang und hager, fein ſchnales Gefiht
ſah ernft und mißvergnügt aus; mie fam ein Lächeln da-
rauf. Wenn man mit ihm ſprach, mußte man feine Be
redfamleit bewundern; es war aber gar nichts Gerwäthli-
Albert Julius zum lehtenmal 19
es an ihm; aud merkte man, des Zwanges ohnerachtet.
den er fih anthat, daß ‚er ſehr abnenftol; war. Er war
ans einer alten deutfihen Familie; unglüclicher Umftände
wegen hatte er fein Rittergut verkaufen müſſen, und nur
die Noth ‚hatte ihn dazu gezwungen, Kapitain Horn nad
Felfenburg zu begleiten. Ale die Freunde faben bald, daß
er fein Dann für fie war; fie hatten bei feinem Anblide
das Gefühl, als- ob ſich, allen guten Duarantaine-Anftal«
ten ehneramtet, eine anftedende Seelenſeuche auf die Infel
ein geſchlichen habe. Nun war es aber zu fpät, etwas dar
gegen zu wirken. Der gute Eberhard hatte befenders Ur⸗
facye ihm nicht zu leiden, denn kaum wohnte Herr von Bir«
ting bei Robert Halter, fo verliebte er ſich in feine Toch⸗
ter. Als er nun börte, dag Robert von Carolina Fran _
cista. der Toter Soncordiens und van Leunens, ftamme,
die mit einem ſchiffbrüchigen Jünglinge von adelicher Gr-
burt verheirathet geweſen, machte er Nobert Hultern auf
mertfam darauf, daß fein ganzer Stamm von adelichem
Geblüte auf der Infel der Vornehmfe fei, dem es nicht
zieme, cinem bürgerliden Nebenzweige in Auſehen und
Würde nachzuſtehen. — Diefe Infpirationen geſchahen freie
lich noch ganz heimlich; hatten aber auf den ehrgeizigen,
düftern, befchränften Robert großen Einfluß; es that ihm
jest leid, daß er feine Tochter Eberharden verfprogen habe,
und Gberhard konnte nicht begreifen, woher die Kälte jept
gegen ihn kaͤme, tröftete Ach aber damit, dag ihn die treue
Cordula immer zärtliher und feuriger liebe.
Eberhard betrich nun die Hochzeit, weil aber Altvater
immer kraͤnklicher wurde (als Kapitain Horn wegreiſte. hatte
er fh auch beim Abfſchiede eiwas erfättet); fo hatte Robert
Hulier Aulaß genug, die Vermaͤblung aufzuſchieben, und
110 Albert Iulins zum leptenmal.
Eherhard war auch jeht-zu beforgt, um an fein „eigenes
Süd zu denken.
Es wurde mit dem Greife alle Tage bedenfliher: der
Arzt Gramer wollte ihm Medicamente geben, er ſprach
aber: Mein Sohn! für den Tod wäh fein Kraut! Ich
lebe ſchon ein Paar Jahre in das zweite Seculum hinein.
das mag die Zeit nicht leiden; fie läßt fih von den Men-
ſchen nicht fo auf die Finger ſeben, und ihre Kunft abler-
nen. Das alte geizige Weib will mir fein Lebensöl mehr
in meine Lampe giegen, darum trocknet mir die Haut, die
Glieder werden Reif, die Augen dumm und das Ohr hört
nicht Länger ſcharf, wie zuvor. Allein ic babe mich ſchon
lange auf diefen Augenblid vorbereitet, und mo id) bingebe,
wartet ein großer Haufen Freunde meiner.
Man wollte ibm die Todesgedanfen verſcheuchen, ex
hieß ſich aber nicht irre machen, und verfepte! Diesmal,
lieben Kinder, läßt ſich Freund Hain durch ſchͤne Worte
nicht wegweiſen, er dat ſchon ein paarmal mit der Senfe
angefiopft, bat fi) aber von den. Tränen meiner Kinder
rühren laſſen, und üft wieder fortgegangen.
Die ganze Infel trauerte, und alle waren ſebt beforgt,
als Altvater. noch einmal in die Kirche wollte, denn fie
fürdpteten, er werde ſich da noch mehr erfälten und gar zu
gerührt werden. — Ich fierbe no) nicht, fagte der Greis,
einige Tage habe ich noch zu leben; vergönnt mir diefe kurze
Tritt nach Luſt zu genießen. Das Meine zarte Kind wird
ja in die Kirche gebracht, wenn das Leben hier auf Erden
anfangen foll; warum darf das alte Kind fid nicht auch
im Gottesbaufe zum Rünftigen Lehen vorbereiten?
Wolfgang und Eberhard baten M. Schmelzer die Pre
dige ja nicht au rührend zu machen. — Fürchtet nichts,
Albert Julius zum Ichtenmal. 111
Freunde! ſprach der treffliche Mann; eine ſelige Flamme
brauche ic nicht da anzufachen, wo fie ſchon Mar in Liebe
rennt. Ich will nicht mif dem Finger nad dem Himmel
binauf zeigen, wohin ſchon die alten Augen ununterbroden
binaufftarren; ic will fie wieder eine Weile auf die Erde
berunterloden. Es srifft ſich cben fo ſchön, daß wir näde
ſtens das Evangelium vom Sämanne haben; Ihr wer-
det ſchon mit mir zufrieden fein. .
Lademann war ganz in Echmelzers Idee eingegangen;
er, der auf feiner fhönen Orgel phantaſirend das Herz
ſtimmen konnte, wie er wollte, präludirte heute ſtill erhaben
in tiefen heitern feten Tönen, und braudte das Pedal
mwunderfhön, als ob er damit das ehrwürdige Breifesalter,
die tiefe Lräftige Gottesfurcht des Altvaters andeuten wolle.
Mitunter drüdten einige hohe Zäne Schnfuht und Ver⸗
langen nad) der Ewigkeit aus; dann tönte wieder der herr⸗
liche Baß geduldig und beruhigend in großen Harmonicn,
und die fonderbarften Diffonanzın löften ſich Leicht auf, in
Klarheit und Zufriedenheit.
Schmelzer hielt eine treffliche Predigt Über den Test:
Etliches fiel auf ein gut Land, und trug Frucht, etliches
Hundertfältig, etliches ſechszigfältig, etliches dreitigfältig. —
Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle
babe; wer äber nicht Hat, dem wird genommen, das er
hat.” — Diefes Nichthaben und Haben, womit Chriftus
nur einen Eräftigen Willen zum Gulen, ein fromm empfäng«
lich liebevolles Gemuͤth gemeint hat, wandte Schmelger obne
Schmeichelei auf den Altvater an, dem ein blühendes, glüd«
liches Geſchlecht, näcdft Gott im Himmel, alles verdanfte. —
Ale Hände falteten fih, alle feuchten Augen richteten ſich
binauf mad) dem Greife, der in feinem Stuble verfhämt
112 Albert Iulins zum Leptenmal.
und beſcheiden faß, die Hagen niederſchlug, und ſanft Kr
cdelnd mitunter leiſe den Kopf ſchuttelte Schmelger wuhte
recht wohl, daß dieſe Wendung wicht nad) des Alten Gr
ſchmatt fei, der in die Kirche gekemmen war, feine Seele
zu Bett zu erheben, nicht km Dankſagungen zu hören; er
mußte, daß es den Alten fogar ein wenig verdrießen märde;
aber auf diefe Migbikigung, diefe Meine Berftimmung hatte
der Prediger chem gerednet, weil er dadurd hoffte, den
ſchwachen Alten von einer gar zu angreifenden Begeiterung
zu zerſtreuen. Es half aber nicht viel; denn nach geendig
tem Gottesdienft ließ Aitvater zu Schmelzer hinunterſchitken:
er wänfgte das heilige Abendmahl noch vor dem Altar zu
empfangen, die Chorknaben möchten das Lied: „Jeſus meine
Zuverfihtl” fingen. Kaum mar das gemeldet, fo erfhim
der Greis fhon drunten in der Kirde, von Eberhard und
Wolfgang geleitet. Er ging mit rubigen feſten Schritten
durch die Kirhe, man merkte ihm feine Schwachheit an,
mar einige fanfte Thraͤnen liefen ihm Über die abgebleichten
Bangen, als er das Sakrament zum Iebtenmale gene.
Als die Knaben das 2ied anflimmten, woran die Erwad-
fenen vor Schluchzen nicht thelfnehmen Tonnten, fang Al⸗
tert Julius laut mit, und fein ſchöner Bag, der neue
Kräfte gewonnen zu haben (dien, tönte herrlich, und freu
dig vereint mit dem zarten hoben Kinderftimmen.
An der Kirchenthüt blieb er flehen, ließ feine Entel
vorbeigeben, drüdte allen die Hand, and ließ fi) von vie
ten die Hand küſſen. Drauf ward et in feinem Tragfeflel
nad) Haufe gebracht, und bereitete ſich auf feinen Zod vor.
Nur’ Hanna Heltraft, Eberhard, Lademann und die Chor-
naben blieben im Haufe bei ihm. Zu Lademann fagte er:
Mein Sohn, Ihr habt mir ſchon auf dieſer Imfel viel
Albert Jutius zum-Icptenmal. 118
Nugen gefiftet, allein ih babe doc noch eine Bitte an
Eudy, dag Ihr mir nämlih mein Ruhekämmerlein oder
meinen Sarg fo eilig als möglich verfertigen möget; denn
ich Habe nicht lange Seit mehr hier zu bleiben, fondern
Gott wird mid, hächftens zu ſich rufen, ich möchte aber
gern vorher mein Nubelämmerlein fchen.
"Der ehrliche Lademann fing bitterlich an zu weinen,
fügte dem Altvater die Hand, und fagte: er hoffe noch viele
Jahre von diefer Arbeit verfhont zu bleiben; allein der Alte
fagte: Mein Sohn, das viele Reden koͤmmt mir ſauer lzEr⸗
füllt meinen Willen fo eilig, als möglid, und gebt mir
Eure Hand drauf.
Man willfahrete ihm jet in allım, und bald tan
der Sarg fertig da, ganz ſchlicht und einfach gebeizt, von
Fichtenholz, nad) des Altvaters Verlangen: „Vier Dielen
und zwei Bretchen.“ Lademann wollte einen Sarg von
Mahagony mit filbernen Handhaben gemacht haben, allein
der Alte ſprach: Meine edlen Vorgänger Don Eprillo de
Valaro und Herr Carl Franz van Leuven wurden nur in
cin grobes Segeltuch eingewidelt! Als meine Concordia
farb, habe ih und meine Söhne ihr einen ſchlichten Sarg
von Dielen aus dem Walde gesimmert; ich will es nicht
beffer haben.
Die Heine Handorgel war nad Albertsburg gebradt -
morden, dic ſpielte Lademann jetzt fleißig und die Chorfna-
ben fangen vor dem Sterbenden, und draußen im Haine
fanden viele Selfendurger, Väter, Mütter, Jünglinge,
Mädden und Kinder, und meinten, wenn fie die fhönen
Zöne durch die offenſtehenden Fenfter hörten. Denn der
Sterbende, der die frifhe Luft immer geliebt datt wollte
Deblenf. Echeiften. KVIIL.
114 Albert Julius zum legtenmal
auch jegt nicht, dag man im fhönen warmen Better feine
Fenſter verfätieße.
Jetzt lag er und träumte vor Ad bin, und wenn er
erwachte, erzählte er den Umherſtehenden den Traum: der
oft ein ſchoner Zurückblick auf fein buntes abentenerlides
Leben war. Erft fand Freund Hain da mit der Hiphe
und zeigte ihm das ausgeronnene Stundenglas.. ber
fang:
Mt din ich war, Doch münfcht" ich gern
Ein wenig noch zu leben.
Der Id antwortete:
Und lebteſt hundert Jahr Du noch,
Zu früh kim’ ich Dir immer doch,
Drum fei mir gleich ergeben;
Dann erfdien Alberts Vater an der Hand des heili-
gen gefteinigten Stenhanus, er befühlte das. Eifen der To⸗
desfenfe, und ſprach: Die Schneide iſt ſcharf! es fhmert
nicht, mein Sohn! Ich habe das Eifen in früheren Jah⸗
ren als Du, getoſtet. Nun hörte Mfhert einen fhömen Gr
fang, es waren die Geifter feiner Mutter und feines Bru⸗
ders. Der Bruder zeigte ihm die Uhr und rief: die Zeit
in vorüber, Die Mutter bob die Bibel gegen den Him⸗
mel auf und rief: Dort winkt die Emigkeit. — Dann
ſchnurrte ein Noden dem Träumenden nahe in's Obr; da
bei fag Die alte Parze Lacheſis, fie war bald über ihrer
Arbeit eingef&lafen, und Alberts Lebensfaden zerriß iht
unter den Händen; fie glich der Muhme Urſala, und ſprach
leiſe: Ich Grabe ſchlaͤft ſich's gut und ungeRört. — Run
Albert Iulins zum legtenmal. 115
kam eine Peine Höllenfrape im Scharlahrede und langer
Kuotenperäde, die Hörner ſtachen ihr närrifc aus dem Ton-
dee heraus, fie wollte den Eterbenden flören und ärgern.
Albert erfannte fehr gut den Salvator Veilchenblauz ale
die Grablieder wieder ertönten, verſchwand der Kobold. —
Vlotzlich hörte er den Knall einer Kanone, und durd die
Kanone fuhr Seiferts Beift, und verſchwand in die Wol-
ten, ſelbſt eine dihtere Wolfe, von der heruntergehenden
Sonne fhön gefärbt. Dann fieg der Mond kalt empor
and beleuchtete die Flußwellen. Trautmanns Kopf tauchte
empor mit naſſen Haaren und gebrochenen Augen, aber der
Abendwind fäufelte im Schilfe: Gott hat ihm vergeben,
Du wirft ihm wieder fchen. Jetzt ſchwirrte ein ſchöner Che
rudfopf mit fhneemeigen Schwingen an den Roſenwangen
zum Fenſter herein, blickte felig-lähelnd auf ihn, und flog
wieder hinaus. Ad Johanna, liche Johanna, feufzte Als
bert, und erwachte, ſchlief aber gleich wieder. Hanna Hell
kraft trodnete ibm den Todesfhweig von der Stirn. —
Dank, Sara! treue Sara! fenfte der Träumende. Lade»
mann wollte ihn erfeitern und fpielte wieder auf der Hand⸗
otgel. — Da, ſprach der Sterbende, höre ih Paul Flem⸗
mings Harfe, er fingt jept die Ode auf die Auferftefung,
die Unſterblichteit. — Nachher fhien «8 Alberten, als ob
der Himmel ganz dunkel würde. Ein lichter Kreis breitete
ſich darauf aus, von einem runden Regenbogen wie von
einem Rahmen eingefaßt, und darin ftand cine Riefenge-
ſtalt im gelben Lederwamms, behelmt, wie ein Ritter. Es
war Guftav Adolf. — Einen ähnlichen Lichtkreis entdedte
Albert grade gegenüber auf dem ſchwarzen Firmamente,
mit zwei Niefengeftalten. Es waren die Ahnberren der Fel⸗
fendurger, Luther und Shakefpcare die Hand in Hand brü«
8
116 Albert Julius zum Ichtenmal.
derlich fanden und einander freudig anfahen. Nun erfön
„ten ftarte Hammerfhläge;. eine lichte Werkſtatt öffnete fh
im Dunfeln, und unter der Anmeifung des wadern Maß
Hanfen, der wie ein gutberziger Cyrlop ausfah, wurde der
große Hoffnungsanfer von Eifen geihmiedet. Der trefilihe
Schmid mar. nit beraufht, ſondern nur begeiftert von
dem Trante der eigen Lebensquelle. Da fuhr Albert auf
dem Schiffe des Glaubens fort, und Columbus ftand feltft
am Steuerruder. Nach turzer Fahrt erreichten fie bald den
Fels der Gnade. — Hier wartete Carl Franz van Leuven
auf dem Stande und reidhte Alberten fein Fernroht. Der
Sterbende ſchaute hinein, und entdedte Jeſus Chriſtus dro⸗
den auf der boͤchſten Klippe, mit ſtrahlendem Haubte.
Chriſtus winfte ihm durch den Todesſchlund zu geben, um
das Paradies zu befteigen. Bor die Schlucht aber trat der
Teufel in Lemelies Geftalt, fletſchte mit den Zähnen, und
wollte ihm den Durchgang fverren. Da kam Concordia,
wie ein ſchoͤner Engel, vom Himmel herunter geflogen. Bei
Ährem Anblid heulte der Böfe, flog durd die Luft, mie ein
brennender Komet, ftärzte fih ins Meer und erfofh. —
Concordia, meine Concordia! reiche mir Deine Hand, dar
mit id mit Dir hinauffteige, und eingehe in die Laube der
ewigen Liehe!
Das waren die lekten Worte des Greifes, mit einen
leichten Eeufzer entfloh ſeine unſterbliche Seele dem Kör⸗
per, und Hanna Hellkraft drüdte ihm die Augen zu.
Die Yortugiefen. 17
13.
Die Porsugiefen.
Ein halbes Jahr war nad des Altvaters Tode ver-
gangen: und Bieies Hatte ſich ſchon auf der Infel verän⸗
dert. Albert Iulins der Smeite war Altvater geworden,
und obſchon diefer Ehrenname nichts weiter bedeuten wollte,
als dag er im Rathe den Borfig und zwei Stimmen hatte,
fo fing er doch feine Macht nad) und’ nah willkürlich an
zu ermeitern, welches ihm nicht ſchwer wurde, weil das
Inſelvolk His jept nicht nah Gefegen, fondern nur nach
Vernunft und Billigkeit als eine große Familie regiert wor⸗
den war. Als Haups der Familie hatte alfo der Altvater,
weil teine andere Einritung da mar, nach Herkommen die
ausübende Gewalt. Deswegen bildeten-fidh num zwei Par⸗
teien auf der Infel, und an der Spige der zweiten ſtan ⸗
den Robert Hulter, und der Ingenieur von Birting, den fih
der Altvater zum bitterften Feinde gemacht hatte, weil er
ibn nicht in den Rath der Alten aufgenommen. Der Re
gent fagte aber, wie billig, es ginge nit an, alle Augen -
biide ankommende Fremdlinge den Landeskindern vorzu ⸗
siehen.
Der Stamm Robert Hulters fing nun an, alle Tage
mehr auf feinen Adel zu pochen, und äußerte laut, daß es
ſich ‚für ihn nicht zieme, fi) von andern beherrſchen zu laſ⸗
fer. So lange der wahre Altvater lebte, habe man es,
aus Achtung gegen ihn, bingehen laſſen; jept fei er aber
todt, und dem Sohne, der weder des Vaters Kopf nad
118 Die Vortugieſen.
Verdienſte hätte, fei man Teinen Gehorfam ſchuldig. Es
gab in den Verfammlungen heftige Etreitigkeiten, woran
Eberbard auch Teil nahm, und es wäre [bon zum Bruche
zwiſchen ihm und Robert Hultern gefommen, hätte nicht
Möglich ein neues, von Nicmanden erwartetes Abenteuer,
die Gemüther für furze Zeit verföhnt und vereinigt.
Ehe man fid) etwas vermuthete, fahen die Wachen tie
nes Tages von ihren Felfen drei. große Schiffe ſich drehen
umd wenden, Als od fir. gefonnen wären, die Straße nach
Dftindien zu ſuchen. Die Felſenburger, die es nicht rath⸗
fam hielten, ihnen mit Höfligfeiten entgegen zu kommen,
hielten ſich mauſeſtill binter ihren Felſen
Am dritten Tage thaten die Schiffe drei Kanonenſchüſſc
und als man fie nicht beantwortete, ward ein porfugiefi-
ſcher "Offizier mit weiger Flagge in der Hand, nebſt einem
Trompeter, an’s Land geſeßt.
Bolfgang und von Birting, von allen Einwohnern ein
ſtimmig zu Gommandanten und Gonverneuren der Juſel er⸗
nanut, bielten es nicht rathſam. die Schlenfe fallen zu Safe
fen und den Flug zu fverren, um den Parlementär durch
den ausgetrodneten Gang anf die Infel hinauf zu Hringen.
Ein junger, kühner Felfenburger Hot fi freiwillig dazu an
den beſchwerlichen Weg hinunter und wieder hinanf zu klet⸗
tern, den Albert Julius vor 80 Jahren ber gemadt hatte.
Bolfgang fand es aber nicht nöthig. Don einer Toprefien,
ins Meer hinaushängenden Felſenege konnte man leicht ei⸗
men Bindfaden mit einem Steine hinunterlaffen, und hät
tem die Herrn Pertugfefen ihnen etwas zu fagen, fo konn ⸗
ten le ja einen Brief an den Zaden binden.
Ein Trompeter der Tafel antwortete alfo von oben dem
vortugieſiſchen Trompeter drunten; der Bindfaden mit dem
Die Portugieſen. 4109
Steine wurde herunter gelaffen, der Parlamentär fegelte
aber unverrichteter Sache wieder zuräd, weil er vermuth⸗
lich feine Ordre hatte, ſich auf ſolche Beife mit den Fel-
fendurgern einzulaſſen. .
Der Admiral der Heinen Flotte fand ſich fehr dabei
beleidigt, daß ein armfeliges Infelvolk es wage, feinen Var⸗
Iementär fo hoͤhniſch zu behandeln, ließ die Auker wieder
lichten, und umfegelte die Juſel ein Paar mal, um eine
Deffnung zu finden, wodurd er hinein kommen könnte. Su
feinem Grftaunen entdedte- er aber, daß diefe Infel, ob⸗
ſchon weit gröger im Umfange, eben fo wohl befeftigt war,
als Gibraltar in Europa. Er mußte alfo in dem ſauern
Apfel beißen, und feinen hochtrabenden Brief an den ſchlech-
tem Bindfaden neben dem Kiefelftein binden.
Der Inhalt des Briefes war: Seine portugiefifhe Ma-
jeſtaͤt habe erfahren, dag ſich eine Beine Cotonie auf der
fogenannten Infel Belfenburg angefiedelt Habe. Beil der
König nun feinen Staat in feinem Staate dulden könne,
und ihm von Rechtewegen alle Infeln in diefen Gewaͤſſern
zugehoͤren, fo verlange er, die Felſendurger follten ſich un ⸗
tertbänig unterwerfen, ihn als ihren König erkennen, ihm
Zreue fhwören, und Don Juan de Silves, den Admiral
der Flotte, als fernen Statthalter auerkennen. Alsdann
wolle man das Privateigenthum ſchonen, und die Felſen⸗
Burger koͤnnten ige gewoͤhnliches idylliſches Leben ungeftärt
fortfeßen. Wo nicht, würde die Infel bomhardirt und mit
Gewalt genommen werden, und dann babe man aur ſich
felber die fhlimmen Folgen zugufhreiben.
Die Zelfenburger antworteten: Sie hegten vor Seiner
Wajeſtät dem Könige von Portugal die tieffte Ehrfurcht.
und ſchaͤmten ſich, als ein armes, Kleines Inſelvolt einem
10 Die Portugieſen.
fo grogmädtigen Monarchen zu widerſprechen. Gier triebe
fie aber die Noth dazu, ſolches zu thun. Mit ihrer klei⸗
nen, unbedentenden Infel fei Ihro Majrftät wenig gedient;
mit ihrer Unabhängigkeit würden fie aber Alles verlieren,
menn Menſchen von einer fremden Religion, von fremden
Eitten und einer fremden Sprache fie beherrihten. Als
freie Leute und als Lutheraner nad) der Augsburgifchen
Gonfeffion wollten fie leben und fterben. -
Als Don Iuan de Sitves diefe Nachricht betam, fing
er glei) an, die Infel zu bombardiren. Aber die Felſen⸗
burger lachten nur darüber, denn von allen feinen Bomben
fielen mir drei auf die Infel, ohne weitern Schaden zu
thun, als die Erde ein wenig aufzuwühlen. Im Nathe
hatte man erft beſchloſſen, feinen Schuß wieder zu than.
Es wäre ja ganz äberfläffig, fagte man; und menn die
Portugiefen erft al ihr Schießpulver und ihre Bomben un
müg verbraudt hätten, würden fie ſich ſchon genöthigt fer
ben, unverricteter Sache nach Haufe zu geben. Bolfgang
aber war der Meinung, man folle fie wieder bombardiren,
um ihnen Achtung vor der Feſtung Felfenburg einzuflägen,
damit fie nicht fo bald wieder kämen. Und von Birting
frug, was man mit Kanonen und Ammunition auf der
Juſel folle, wenn man fie nicht brauden wolle? Man
könne nicht, ſprach er, von tapfern Eoldaten verlangen,
daß fle mit den Händen im Schoohe figen, und ſich unge»
ftraft verhöhnen laſen follten .
So befamen fie denn Erlaubnig, wieder zu (hießen,
und faum war diefe gegeben, fo warf von Birting von ſei⸗
ner Baftion, (dem aſtronomiſchen Thutme van Leuvens),
zwei Bomben fo glůcklich, daß fie gerade in Die Yulverton«
nen der zwei größten Schiffe fielen, und ſolche mit entfeße
Die Yortugiefen. 121
lichem Krall in die Luft ſprengten. Der Befehlshaber des
dritten Schuffts. von paniſchem Schreden ergriffen, ließ glei)
die Anker lichten, ſtach in die weite Ere, und der Krieg
hatte ein Ende.
Hierüber freuten ſich nun Die Felfenburger außeror- .
dentlich Siegesfeſte wurden angerichtet, Eiegeslicder von
vielen Zünglingen (nur nicht von Eberhard) gedihtet, alle un.
bedeutende Variationen des wohlbefannten Themas. Bon Bir
ting wurde darin ein Leonidas, cin Hermann genannt, der
ihnen Selöftftändigfeit und Freiheit gerettet habe, er wurde
mit Lorbern befränzt und unmäßig geehrt. Die Vernünf-
tigen und Grfahrneren ſchwiegen, konnten aber diefen fals
ſchen Enthufiesmus ih ihren Herzen nit tilligen; denn
was hatte vom Birting eigentlid) geihan? Nichts weiter, als
ein Paar mal glüdlih, als guter Ehüge, ins Schwarze
getroffen. Das drüte Schiff war geflüchtet, konnte bald
die Nacpricht nach Portugal bringen, und der mächtige auf
gebrachte König würde gewiß dann alles aufbieten, um ſich
zu räden. Dann wäre man nicht weiter als vorher. Doch
daran dachte Die Jugend nicht. In ihrer Geſchichte war
diefer Sieg der glänzendfte, well er der einzige war. Bon Bir-
ting, vorher ftelz und hochfahrend, würde es jepl noch mehr;
fein düfteres Weſen ſuchte ſich weniser zu verbergen, dech
ſchmeichelte er der maͤnnlichen Jugend, und affectirte in ib⸗
vem Kreiſe ein erſtaunlich populäre Weſen. Ale feine Re⸗
den gingen darauf 106, dem jungen Volte zu beweifen, nur
An der Zapferkeit beftche das wahre Verdienft, und dag
alle bürgerlihen Einrichtungen im Frieden eigentlich nur
die Menſchen erſchlafften und verdärhen. So fland der
Inſel jept eine weit größere Gefahr bevor, eine Fehde in-
[7 Die Hortugiefen.
nerhalb der Felfen, wo feine Bafaltpfeiler länger Sie:
ven und Eintracht gebieten konnten.
Daß Eberhard den von Birting, der ihm nod oben.
drein feine Braut rauben wollte, haßte, war natürlich. Er
glaubte einen. zweiten Lemelic in ihm zu ſehen. Lemelie,
fagte er zu Wolfgang, hat andy einft einen glüdlichen Schuß
geiban, und rettete dadurch wirklih die Stammältern Die
fee Gefhlehte; allein mas hat vom Birting gerettet? Gr
wird noch auf der Infel Aufruhr machen, und fi der As
leinherrſchaft bemeiftern. — Bei Gott! rief Wolfgang. das
fol er nicht, fo lange Dies Herz fhlägt, — Eberhard drädte
feine Hand, und fagte mehmürhig: Ich pflege auch font
nicht den Kopf hängen zu laffen, allein jeßt liebe ih, Liebe
unglüdiih. Der Dummbreifte hat aud das Herz des Ba-
ters meiner Cordula erobert. Der Alte wird fein Wort
reden, wird die Taube dem Beier vermäßlen. — Das
foh er nicht, rief Wolfgang. I traue ihm idt nicht
an, ſprach M. Schmelzer mehr als gewöhnlich eifrig; und
Lißzberg. der auch zugegen und fehr Übler Laune war, rief:
Das fümmt alles von dem Shafefvearlefen. Icht bilden
fid) die Parteien, und werden fi bald, mie die weiße
and rothe Roſe, aufreiben. Den Hamlet, der unter der
Saft feines Schicſals feufzt, haben wir ſchon, umd Richard
der Dritte wird aud nit mangeln.
Innere Unruben. 13
14.
Innere Unruden.
Es mangelte nicht viel’ daran, fo mar der Heine Bär-
gerkrieg im irdifchen Paradiefe ſchon ausgebrochen. Bon Bir-
ting hatte den ganzen Stamm Robert Hulters auf feiner
Seite. Wolfgang und Eberhard Ientten die zweite größere
Haͤlfte. Der Bindifche Altvater mar unwirkſam. Ligberg
ärgerte fi), der Krieg war feine Sade nicht. Lademann,
der im Anfange khöne Melodien zu den ſchlechten Kriege
liedern gefeßt hatte, grämte ſich jept, weil alles eine fo
ſchiefe Richtung nahm. Hanna Hellkraft wohnte wieder bei
Eberhard. Sie hatte einen guten Einfall. der, fo tinfach
er war, doch wichtigen Nuhen bringen fonnte. Sie bat
Eberharden, dem Altvater zu satben, je cher je lieber bei
Nacht die großen Ehähe aus den Kellern megbringen au
laſſen, und in unbekannte Felſenhöhlen zu verwahren.
Die Parteien entzweiten fi imfRer. mehr, und es war
um fo gefäprlicher, weil alle Streitfähige während. des
Bombardements Flinten und Degen befommen hatten, wo⸗
wit fie jegt noch bewaffnet einher gingen. Des Altvaters
freundlicher Bitte: die Waffen miederzulegen und nad) Als
bertsäurg zu bringen, wollte die Gegenpartei nicht gehor⸗
famen, und alfo mußten auch die Andern Waffen tragen.
Heu kam, dag von Birting immer nod die Baſtion von
feinen Anhängern befegen lieg, und von da aus Lonnte
man Albertsburg bombardiren.
EVbethard war untröklih, Robert Hulter hatte ganz
14 Innere Unrupen.
mit ihm gebrochen, die Verlobung feiner Tochter mit ihm
aufgehoben, und fie, ohnerachtet ihrer Verzweiflung und
Weigerung, dem von Birting zur Braut beftimmt. So war
denn alles aufs Höchſte gefvannt. Wolfgang befeftigte
Albertsburg fo gut, als es fi. in der Eile thun ließ. Er
hatte aud eine Baſtion auf den hoben Zelfen, und da mar
immer noch ein Zufluchtsort für den Altvater, wenn es zum
Acugerften kommen follte.
Wobrſcheinlich wäre aud die Fehde ausgebrochen, wenn
nicht ein Tag dazwiſchen gekommen, den beide Parthien
ſaͤmmilich verehrten und erft voräbergehen laſſen wollten: es
wat des feligen Alberts Geburtstag. Freilich konnte das
Feſt unter dieſen Berhältniffen nicht ordentlich gefeiert wer-
den! Das fromme Gfodengeläute, Lademanns Orgel, Mar
giſter Schmelzers ſchöne Predigt, vermochten nicht, die Ein-
wohner in der Kirche brüderlih zu verfammeln, Allein
eine große Stille herrſchte; ſelbſt auf den Stirnen der
trogigften Jünglinge ſchwebte eine dunkle Wolke, das Herz
Mopfte ihnen ſchwerer, und, die Unruhefifter ausgenom-
men, litten fie alle vom böfen Gewiſſen. So gingen fie
alle ſtill und in fi, Pekehrt zu Bette, und wagten Laum
daran zu denken, was vielleicht Morgen geſchehen werde,
Kaum lagen fie im erften Schlummer, fo wurden fie
wieder von einem entfeßlichen Getdfe erwedt. Der Sturm
heulte äser die Infel, als wolle er die Bafaltpfeiler ums
blafen; der Regen gotß unaufbörlih herunter. Plötzlich
börten Sturm und Regen auf, und die Luft war drüdend
ſchwul. Die Eulen heulten im Walde, die Hunde wim⸗
merten in den Höfen. Ale Halbſchlafenden richteten ſich
aͤngſtlich auf, und griffen nad) den Bettpfoften. Ein flar-
. tes Erdbeben ließ ſich vernehmen, fo, daß Stühle und Ti,
Innere Unruben. 135
ſche in den Simmern umfielen, und viele Senfterfheiben zer»
forangen. Plotzlich ertönte ein ungeheurer Knall, und die
Felſenburger glaubten, in die ewige Nacht, in die uner-
meßliche Tiefe des Meeres zu verſinken.
In größter Angft erwarteten fie alle Augenblide neue
Erdföge, allein die Natur ward wieder ganz ruhig. Die -
Luft war nicht länger fhmwül, die Morgenkälte dagegen fo
empfindlich, dag fie ſich unter den Bettdecken nicht warn
balten konnten. Kaum glaubten fie ihren ‚eigenen Augen,
als die Morgenrörhe wieder tiebfih und warm durchs Fen⸗
fter hereinfhien, und die Bögel drangen im Haine fangen.
Iept eilte alles hinaus, mas Beine hatte. In den klei⸗
nen Höfen und Gärten fanden fie nichts zerflört, als fie
aber ihre Augen auf die Felſen richteten, entdedten fie, zu
ihrem größten Entfegen, daß ein großer Fels, (eben die
‚Sternwarte, von Birting's gefährliche Baftion) in’s Meer
hinaus geftürzt war, und eine große Deffnung binterkaffen,
wodurd man das weite Meer fehen konnte. Der unterire
diſche Flutweg war geſperrt morden; bei der Schleufe hatte _
ſich ein Feiner See gebildet, und das Waſſer ſuchte jetzt
durch unzaͤhlige Spalten einen Weg in's Meer hinaus.
So war denn, — fonderbar genug — in der Nacht,
nach dem Geburtstage des feligen Allvaters, die äußere
Eeloftftändigkeit der Infel aufgehoben, um eine innere, weit
gefäbrlihere Spaltung zu verhüten, welches auch gefhab.
Dem kaum ſah fi das Fleine Infelvolt der Willtür und
dem Ucherfalle fremder Mächte bloßgeftellt, fo mar an fei-
nen Zwieſpalt mehr zu denken. Es mar, als ob der Hoch ·
muth mit dem hochragenden Felſen ins Meer geſtürzt fei,
als ob der Orkan alle fade Eitelteit von der Infelflähe
meggeblafen hatte. So mohltöuend fünnen mitunter müs
16 Innere Unruben.
tbende Elemente auf die Menſchenſeelen wirken, wo mora-
liſche Spanntraft ihre Stärke verloren bat, Niemand,
ſelbſt der Vorurtheilsfreieſte, konnte fi) des Gedaukens ent
fblagen, daß der felige Geiſt Alberts hier noch nad, feinem
ode väterlih und mwohlthätig gewirkt hätte. Durch eine
derbe Züchtigung hatte er feine Kinder von dem Frevel ge
rettet. Und wie Adam und Gva aus dem Varadiefe ver-
miefen wurden, weil fie Gottes Gebot nicht gchorfamten,
fo geſchah es bier twieder. Die Sünde zog die Strafe nah
ſich. die Felſenburger waren nicht länger in "ihrem Eden
freie Herren der Natur, denen alles zu Gebote ftand! Bald
würden fi fremde Herrſcher eindrängen, und in dem
Schweiße ihres Angefihts mußten fie dann, wie andere
Menſchen, iht Brot verdienen.
Sogar von Birting fhien id) verändert zu haben, er
ging nachdentlich umher, und war befpeidener geworden.
Nodert, Cordulas Vater, war nic länger gegen Eberhard
aufgebracht. Die Liebenden konnten fid mitunter wieder
fehen und ſprechen, obſchon immer nur in des Vaters Ges
genwart. Don den vorigen Etreitigfeiten war die Nede
gar nicht mehr, und’ der Altvater ſchien durch diefe gewal⸗
tigen Vorfälle nachgiebiger und fanfter geworden zu fein.
Zu feiner größten Freude Härte Eberhard kurz darauf, dag
von Birting feinen Vorſatz, Cordula zu beirathen, aufgege-
ben habe. — Ich will wicht mehr den unglüdlic ſeufzenden
Schäfer ſpielen, hatte er gefagt, will aud auf diefer klei⸗
nen Imfel feine Feindſchaft anrichten. I Habe die Fel⸗
fenburger ein Mal gerettet, und werde es zum zweiten
Male thun. Ih weiß. die Machthaber Hier verwahren
große Schaͤte an heimlichen Dertern. Giebt man mir fo
viel, dag ich mein verpfändetes Rittergut wieder Laufen
Innere Unruben. 17
kann, fo gehe ich für die Felſenburger nach England oder
Holland, wie fie es wollen, und verlange Schug und Beir
Hand. Dean ohne Schuß eines europäifhen Staates kaun
ſich diefe Handvoll Leute bier nicht länger balten, und zehn
Mal beſſer iſt es doc, den freien proteftantifhen Englän-
dern oder Niederländern einverleibt zu werden, als unter
dem eifernen Scpter eines katholiſchen Deſpoten zu feufzen.
Das nannten alle gut und vernänftig gefproden: non
Birting ſchien ein ganz anderer Menſch geworden zu fein.
Ohnue Eifetſucht fah er Eberhard und Cordula zufammen,
und 308 fogar oft den Bater mit ſich fort, damit die Lite
benden ein wenig allein fein konnten,
Nun geſchah es chen in den Tagen, daß ein däniiches
Schiff, das im legten Sturme. feinen Anker verloren hatte,
bei Kleinfelfenburg den Hafen ſuchen mußte; denn Gtoß⸗
felfenburg hatte befanntlich feinen.
Map Hanfens gewaltiger Anfer lag noch troen in
einer Selfentiuft aufbewaprt; von den Felfenburgern in den
etſten Jahren mit unfäglider Mühe als ein Heiligthum da ·
bin gebracht. Den Noft hatte man abgefeilt, und das Ei
fen dranf mit einem guten Firniſſe überzogen, um es fer⸗
mer gegen die Luft zu bewahren. Nadı einigen Beratt«
ſchlagungen fand man, dag man den Notpleidenden dieſe
Hülfe nicht verfagen könne, wenn auch der Anfer für die
Einwohner etwas fehr Ehrmürdiges und beinabe Heiliges
hatte, weil fie ihn, mie der felige Altwater -meiland, als
eim Zeichen ihrer Hoffnung betrachteten, das fie nicht gern
verlieren wellten. Lipberg wußte aber diefes Gefühl zu bes
augen, indem er vorſchlug. von Birting auf demſelben Schiffe
nach Europa zu fenden, um ihre Be,chäfte kald moͤglichſt
abzumadın; nnd wenn er den Anker mit hätte, meinte
138 Innere Unruhen.
Lipderg, dann würde die Hoffnung nit frügen. Man
könne ja immer den Anker einmal wieder bekommen. Es
freute die Dänen fehr, mitten im Südmeere einen Kopen-
hagener Anter wieder zu finden, und fie waren willig, den
Major mit nad) Europa zu nehmen. Bon Birting batte
auch gar nichts dagegen, ſchnell abzufahren, wollte aber
erſt Cordulas und Eberbards Hodzeitsfeier abwarten, da
wit die Liebenden fehen follten, mie ganz der legte Hauch
von Groll aus feinem Herzen verſchwunden fei. Im Ratbe
ward freilich die Frage aufgeworfen, ob es nicht vorfichti
ger wäre, noch Iemanden mit dem Major von Birting
nad Holland zu ſchiden? Man hatte nämlich Holland ge⸗
wählt; von den Holländern konnte man hoffen, als Brüder
behandelt zu werden; die Engländer waren ſtolzer, machten
grogen Unterfchied zwiſchen Engländern und Ausländern,
umd nicht alle ihre Bundesverwandte konnten ſich rühmen,
die Freiheiten Altenglands zu geniegen. Es war aber Nie
mand, der Luft hatte, mitzugehen; die jungen Ghemänner
wollten ihre Weiber nicht verlaffen, und Litzberg hatte feis
nen Biderwillen gegen das Meer nur auf kurze Zeit bes
ſchwichtigt. Man ließ alfo von Birting allein reifen, und
gab ihm bedeutende Summen mit, (die aber den Schatz
aur um ein geringes verkleinerten) um die Koſten zu ber
ftreiten, die Gemäther zu gewinnen, und um ſich felbft in
Europa ſtandesmaͤßig zu etabliren.
Der Hochzeitstag war beflimmt, die fhöne Cordula
hatte mit ihren Freundinnen in den Tagen vorher vollauf
mit ihren Brauffleidern zu thun, und Eberhard fab fie
nur wenig. Den Abend vor der Hochzeit ging von Birting
zum Altvater, und fagte: es ginge ihm wie dem feligen
Albert weiland, bei der Hochzeit van Leuvens und Gomcor-
Armer Eberhard. 19
diene. Die alte Liebe wache wieder auf, umd es wäre
ihm unmöglich, dabei zugegen zu fein. Er wolle in aller
Stile ohne. Abſchied ſich auf das Scif binaus begeben,
das Flar zum Abfegeln da liege; Altvater möchte ihm nur
einen Pag mitgeben, damit er feine Sachen an Bord brin-
gen laffen könnte, und der Schiffskapitän fehe, daß er mit
Urlaub der Regierung wegreife. Altvater, der fehr froh
mar, den ibm widrigen Mann los zu werden, gab ihm
aleich den Pag, und fo ſchifte er ſich beimlih iu aller Eile
ein; der Anker wurde gelichtet, und das Schiff fegelte feir
nes Beges,
15.
Armer Eberhard!
Bie ſchildern wir Eherhards Verzweiflung, als er
am Tage feiner beftimmten Hochzeit früh Morgens die
ſchone Braut beſuchen wollte, und man ihm mit der Trauer-
kunde entgegen kam: Robert Hulter fei mit fammt feiner
Zobter von der Infel verſchwunden. Ein Schleier deite
das Geheimnig. Wahrſcheinlich war Robert mit von Birting
nach Europa gegangen. Allein, nie Hatte ſich die Tochter
dazu bequemen können, ohne Lärm zu machen? Und wie
hätte der ware dänifche Kapitän ſolches erlauben können
— Der Arzt, Herr Gramer, glaubte aber auf die rechte
Spur gekommen zu fein. Bor einiger Zeit hatte Nobert
Oehlenſ. Schriften. XVIII. 9
10 Armer Eberbard.
"Hulter einen Schlaftrunk von ihm verlangt, einem Patien
ten in feinen Haufe zu geben, der feinen Arm fo ſchlium
gebrochen hatte, dag man eine Amputation fürchtete. Durch
die Geſchiclichteit Gramers ward der Mann wieder herge-
Melt; der Schlaftrunk blieb aber bei Nobert Halter ftchen:
umd nun fand man das Glas leer in einem Senfter. Wahr⸗
ſcheinlich hatte man alfo der armen Cordula den Schlaf
trunt gegeben, und mit dem Paſſe des Altvaters verfehen,
fie ſchlafend in einer der großen Kiften aufs Schiff binaus
gebragt.
Bas war jet die ganze ſchoͤne Infel für Eberhard,
ohne Cordula! Ein ddes Befängnig! Wie oft erfüllte er
die Haine und Wälder mit feinen Klagen, wo fonft glüd-
liche Liebe ihn heiter und froh gefehen. Die Blumen fhie-
men ihm jegt cin bioßes Unkraut zu fein, eitle Pracht, we⸗
mit fi die Natur, wie ein altes Weib, vergeblich aus
pußte, um feine Neigung zu gewinnen. Die Quellen mas
ren ihm fangweilige Schwägerinnen, die immer daſſelbe
alberne Zeug wieder plauderten. Das fhöne Wolkenſpiel
Abends und Morgens deuchte ihm nur eine beigende Eas
tire auf die Nichtigkeit des Menſchenglücs zu fein. Nur
in recht ſchlechtem Wetter war er zufrieden; und der Sturm
vermochte doch oft nicht feine brennenden Wangen zu fühe
len, die im Sonnenfheine wieder ganz blaß ausfaben; der
Wind fonnte ihm nicht die Thränen von den Wangen trod«
nen, denn ex meinte fie eben fo ſchnell wieder.
Abe Menſchen hatten ein inniges Mitleid mit dem ars
men Eberhard. Hanna Hellkraft konnte ihn wit berufi-
gen, Lipberg nit zerſtreuen. Wolfgang nicht erbeitern
Schmelzer nit tröften. Nur mit Lademann ging er um,
Armer Eberhard. 131
der mußte Ihm ſchoͤne Melodien zu feinen ſchwermũthigen
Liedern ſetzen.
Das Haus, wo Rubert Hulter, oder richtiger die
Stube, mo Cordula gewohnt Hatte, war jeßt Eberhards
Aufenthalt. Cein Bett fand, wo das ihrige geftanden.
In den Fenſterſcheiben fand er feinen Namen von ihrer
Hand eingeſchnitten. Giniger ihrer Kleidungsftüde batte er
fid Gemeiftert. Gine Haarloce verwahrte er in dem alten
Sdrant, mit den Reliquien, die er von Albert Iulius ge-
erdt batte. — Einige Briefe des Holden Mädchens, worin
fie ihm ihre Liebe verfiherte, hatte er and; des Paares
Schuhe nicht zu vergeffen, welches er ihr felbft in der Som-
merlaube angepaßt hatte, und die jept noch fhöner waren,
weil fid) die reizenden Formen ihrer Füße darin abgedrüdt
hatten.
Lißberg konnte die „Unmaͤnnlichteit Eherharde — wie
er es nannfe — nicht leiden, Wolfgang dagegen, der jetzt
olũclich mit feiner Sophia Iehte, hielt es mit Eberharden
und rief ſcherzend: Lieber Litzbergl follte ic etwas „une
männlidy" heißen, fo würde id lieber einem grämlihen Ha-
geftolz, als einem ſchwaͤrmeriſchen Jünglinge, diefen Namen
geben. Glaubt mir! märe Eberhard kein Mann, fo würde
er gewiß über den Verluſt der fönen Cordula nicht fo
heftig weinen.
Kapitän Horns unerwartete Wiederkunft tröfete den
sebeugten Iüngling etwas. Er batte erft nad drei Jah⸗
ren wieder kommen folen; zufälligermeife hatte er aber
auf den azorifchen Infeln von der portugiefifhen Erpedition
Nachricht erhalten, und cilte jeht ſchleunig nad der ber
drängten Infel zurü, die er nicht wieder getannt hätte, fo
9
IR Armer Eberhard.
fehr hätte fid ihr Ausfehen verändert, wenn ihm nicht
Kleinfelfenburg als Leitfaden gedient hätte.
Kaum lag das Schiff da, fo fühlte ſich Eberhard als ein
ganz andrer Menſch. Behmuth, Trauer und Verzweife⸗
lung entfloben aus feinem Herzen; Hoffnung und Muth febrten
wieder zuräd. Die gewaltige Begebenheit hatte ihn ploͤtz⸗
U) zum Manne gereift. — Bas ift mein Schmerz? rief
er. Sie lebt noch, athmet noch für mid, liebt mid. Nie
wird man fie dazu zwingen, den Böfesicht zu beirathen.
Wäre fie todt, hätte das Fieber fie vor einigen Monaten
binweggerafft — dann fände ich verzweifelungsvoll und
händeringend an. ihrer Gruft. Oder, wäre id) an diefe
Kippe gefeſſelt! Allein das Schiff liegt fegelfertig da. Wie
ein mächtiger Hippogrypb, wie meine Wünſche ftarkbeflügelt,
wird es mid ſchnell nach Europa bringen. Doc erſt, liebe
Vettern und Verwandte! werde ih eure Sace in Holland
betreiben. Denn es leidet feinen Zweifel, der Boͤſewicht
bat ſich gegen Euch eben fo falſch als gegen mid, benom-
men. Er kümmert fi wenig um Eure Wohlfahrt, und mit
Eurem Golde bereihhert, eilt er nur, feine eignen nieder-
trachtigen Wunſche zu befriedigen. Doc, ich werde ihn
entdeden, ic werde ibn treffen, und er fol feinen Lohn
von meiner Hand bekommen.
Und fo folgen wir denn ſchnell unferm Freunde nach
Europa, feine Braut ſuchend.
\ Herr Martin folgte feinem Sehne na Europa. Nadh-
dem er da feine Beredtſamkeit vergeblich erfhöpft batte,
Eberbarden von dem tollen Borfage abfubringen, mit Le-
bensgefahr ein Mäddyen wieder zu geminnen, während doch
taufend andere da wären, die er ganz bequem beiralhen
fönnte, trennten fie fi.
Armer Eberbard. 133
In Holland richtete Eberhard, als treuer Felſenbur⸗
ger, alles aus. Die Generalftaaten waren von dem Schid«
fale der Infel nicht ganz unterrichtet; von Birting hatte
ihnen geſchrieben: einige deutſche Familien auf einer Meinen
Iafel, unweit von St. Helena, wärden von den Portugie-
Ten bebroßet, und wänfhten von den Generalſtaaten in
Schuß genommen zu werden. Das war alles, und damit
glaubte der Major wahrſcheinlich die großen Reichthümer
verdient zu haben, die er nad) Europa mitbrachte.
Eberhard wendete ſich ſchuell und wirffam an die Aus
toritäten. Es freuete die Regierung, dag eine Infel im
Südmerre, von Bedeutung, fi an Holland fäliegen wolle.
Shup und Beiſtand wurde ihr verſprochen; eine Meine
Flotte ſollte ſoaleich abſegeln, um der Infel beisuichen.
Die Felſenburger ſollten ihr Eigenthum, ihren Rath, ihren
Altvater behalten, nur jährlich eine mäßige Abgabe ent-
richten, um die nothwendigen Koften zu beftreiten. Auch
eine Feſtung follte auf Felſenburg angelegt werden, wo
ein Kommandant eine boländifhe Beſahung !befehligen
foßte. . -
. 16.
Das Haus im Walde.
Es war ein fhöner Eommerabend; als ein junger
hollaͤndiſcher Offizier auf feinem prächtigen Schimmel in
134 Das Hans im Walde. .
Dentfchland durch einen Bald ritt. Sein Bedienter hatte
im naͤchſten Städtchen das Fieber bekommen; AUngedald,
und Furcht entdedt zu werden, erlaubten aber nicht dem
reifenden Kriegemann zu warten, bis der Bediente genefe.
Er mußte, dag er hochſtens noch vier Meilen zu des rei⸗
chen Gutsbefigers fhönem Landſitze hätte. Um ſich aber in
der felfigen Gegend nicht zu verirren, hatte er einen Bauer-
jungen mitgenommen, der ihm cine Strecke Weges auf er
nem Beinen Klepper folgte.
Iept find wir beim Holzförfter, rief der Iunge, da
halten fie aud Wirthehaus, da Fünnt Ihr übernachten.
Der Mann ift wicht zu Haufe, die Frau ſiht aber da aus
gen vor der Thüre und fpinnt; fie mag die jungen, reichen
Offiziere gut leiden. — Damit zog der Burſch ſchelmiſch
feine Mütze ad, und ritt.zurüd, denn der Holländer hatte
ihm ein gutes Erinfgeld gegeben.
Der Offizier fab vor fi Hin, umd entdedte ein recht
ſchͤnes Hausen; das heißt, malerifch fhön, eben weil
es in der Wirklichteit fo fehr verfallen mar. Denn eim
neu gebautes Haus nimmt fi in einem Gemälde nur
ſchlecht aus. Hier aber wuchs Gras auf dem Dade, fo
dag gern eine Kuh da hätte weiden können. Der graue
Kalt war an vielen Stellen von der Wand gefallen, und
es zeigten ſich die dunkelrothen Mauerfteine. Ein wunder»
licher Taubenſchlag, von geflochtenen Beiden, mit Lehm
beftrichen, fand auf dem Dache. Daraus flogen die Tau⸗
ben, kreisten hoch in der Luft über dem Walde, und ihre
weißen Flügel glänzten bald heil in der untergehenden
Sonne, bald wurden fie vom Schatten verdunfelt. Im
Teiche daneben ſchnatterten Enten und Gänfe- Der alte
Hofpund, der wie ein abseſchliffener Koffer ausſah, beilte
Das Haus im Balde. 135
verdrietlich in feinem noch verfalineren Haufe. Gin dane-
ben fichender Zaun, faul und ſchwarz, war halb herunter
sefallen, mit Latten wieder zuſammengeſchlagen, und durch
die vielen Löcher fah man in einen Garten hinein voll ver⸗
dorrter Fruchtbaͤume, nur einige Kohlſtrünke ftanden noch
grün da, Die übergroßen Iohannis- und Stachelbeer⸗
Strãuche hatten lange aufgehört Früchte, ja fogar Blätter
zu tragen, und trugen jcht nur gewaſchene Strümpfe und
Hemden. Das Einzige nicht Verfallene in der naͤchſten Um-
gebung — (denn rund umber blühete der Wald lieblich —
wor die Wirthin ſelber, ein junges, tothhadiges Weib mit
feuerrotyen Haaren und vielen. Sommerfleden, aber ſehr
weiger Haut. Mit dem Noden fag fie draugen auf der
Bank, und fpann, indem fie ein Volkslied dazu fang.
Obſchon der Kopf des jungen Kriegers voll ernſter
Gedanken war, fand er do die Holzförfterin huͤbſch, und
den Kontraft ihrer Iugendbläthe zu der verfallenen. Unger
bung allerliehft, "
Sie fam ihm höflich entgegen, entfhuldigte, dag ihr
Mann in der Stadt, und der Hausknecht im Felde fei, fie
wolle ihm aber fon vom Pferde helfen und das Thier in
den Stall führen,
Im Herunterfteigen kam er ihrer Wange mit feinem
Munde ziemlih nabe, und als chen ihr Halstud herunter
fiel, grub er die Nafe in ihren Bufen, ohne ſich doch im
mindeſten zu ftoßen, obſchon der Widerſtand ſtark genug
war. .
Der Nitter ließ ſich von nichts anfechten, fondern trat
ernſt grawitätifc in die Stube binein und frug: ob er ein
Abendeilen und ein Nachtlager haben künne? — Und das
mag zum flärkiten Beweiſe dienen, dag feine Seele mit
136 Das Haus im Balde.
weit wichtigern Sachen befhäftigt war, fonft wäre er ge«
wiß nicht gegen die Reize der Holzförfterin fo kalt geblie⸗
ben. — Dies ſchien fie ſelbſt zu fühlen; denn als fie noch
einige mißlungene Verſuche gemacht hatte, den Gefühlloſen
zu gewinnen, was ihn nur fälter und beinahe unböfuch
machte, änderte fie pfögfih den Ton, ging mürriſch zur
Etube hinaus, und murmelte zwiſchen den Zähnen: Ieht
mögen fie meinetwegen mit ihm thun, was fie wollen.
Der junge Dffigier fuchte fie wieder mit freundlichen
Borten zu .befänftigen, und cs gelang ihm zum Theil
Das tete A tete wurde aber geftört, denn vier wohl ges
tleidete Bediente, nebft einem jungen Reitburſchen, traten
in’s gemeinfhaftlihe Zimmer, wo zwei lange Tiſche mit
Bänten fanden, und wo im Hintergrunde das Küchenfeuer
angenehm die dunkle Halle erleuchtete, während ein Meines
. Mädden an dem Spiege den Schöpfenbraten drebete, wo⸗
von fid jeder Gaſt bald ein gutes Stüd wünſchte.
Der Offizier hatte fih am den Eleinen Tiſch gefeht;
die Bedienten nahmen den größern ein, nachdem fie ihn
ehrerbietig gegrüßt hatten. Wenn er es nicht merkte, war«
fen fie verſiohlene Blide auf ihn. Erft ſprachen fie Teife
unter fi, als aber der Wein die Zungen gelöft, ſchienen
fie des vornehmen Herrn Gegenwart zu vergeflen, ſprachen
Tauter, lachten und franfen. Der Ritter vernahm aus ib»
rem Gelpräde, daß fie dem reihen Gutebefiger dienten,
und dag er übermorgen feine Braut beirathen wolle. —
Allein fie fol ſich ja fehr geſtraͤubt und geweint haben,
fagte die Wirthin. — Hohl der Henker. die Weiber, ant⸗
wortete Beit, — um Vergebung, Frau Holzförſterin, mit
Euch gilt es immer eine-Ausnahme; aber ich meine die
Andern. Das ift ein leichtſinnig Volt. Die Gegenwart
Das Haus im Balde. 137
iſt ihnen alles! Ein entfernter Liebhaber umd ein todter,
das gilt ihnen eine.
Der fremde Offizier ſuchte feine Gemüthsbemegung bei
diefen Worten beſtmoͤglichſt zu verbergen. Der Heine Reit
bube ſaß im Winkel, und fah den Fremden unverwandt
an. Der junge hatte etwas Auffallendes in feinem Ge⸗
ſichte; der Fremde follte ihn kennen, wußte aber nicht wo⸗
ber? Auf diefer Reife hatte er ihn gewiß nicht vorher ge
fehen, und der Knabe fhien zu jung, um ein alter Be-
tannter zu fein.
Die* Bedienten ſprachen wieder heimlich unter ſich.
Der Fremde ſtand auf und wollte zu Bette gehen. Der
Reitbube putzte ihm das Licht, und raunte ihm heimlich in's
Ohr: hun Sie ſchon mit der Wirthin, wenn Sie auf
dem Zimmer allein mit ihr find, das wird Ihnen Geliebte
und Leben reiten. Ich will fie zu rechter Zeit wieder her⸗
unter rufen. .
Der Fremde wußte nit, was er zu diefen Worten
denten follte. Das ehrliche Geſicht des Knaben, dem fonft
die Verfhmiptpeit aus den Augen bligte, erwedte in ihm
das Gefüpl der Ueberzeugung, eine ſolche Liſt fei hier noth⸗
mendig. As die Wirthin mit ihm nach einem entlegenen
Zimmer im Erdgeſchohe gegangen war, das Liht auf den
Tiſch gefeht hatte, und binging, um zu fehen, od das Belt
gut gemacht fei, ſchlich er ſich binter fie, umfaßte ihren
Leib mit feinem Arm, und bat fie mit bebender Stimme:
Schöne Frau, gebt mir einen Kup. Die Holzförfterin
ſchien verwundert, fle fühlte ſich auf eine angenehme Weiſe
überrafcht, Lehrte ihm laͤchelnd das Geſicht zu und ſprach:
Ei, Sie loſer Vogel! wie haben Sie doch in Anderer Ge⸗
genwart fo ehrbar thun Tönen? Damit faßte fie ihn in
138 Das Haus im Balde.
die Arme umd fügte iha herzlich. Dem armen Holländer
ward dabei ganz elend zu Muthe; er fühlte fi ganz in
der Berfaflung des feligen Joſephs mit der Frau Poti⸗
phars. ja noch ärger, weil er felbft das Spiel begonnen
hatte. Gluͤcklicherweiſe rief der Reitbube zur Thür Hinein:
Grau Holzförfterin, feid fo gut, und kommt herunter, die
Gäfe wollen mehr Bein. haben. — Ei, zum Henter, kün-
nen fie denn nicht einen Augenblick warten, rief die Tran
verdrieglih, umd folgte dem Knaben, der nicht weggeben
wollte, nadıdem fle dem Fremden zärtlich eine gute Nacht
gewünſcht hatte. — Ich komme wieder, ſprach der Bube
leiſe im Weggehen.
Der Fremde legte ſich angelleidet auf's Bett, mit den
Diftolen und den gezogenen Säbel vor ſich. — Bin ich in
einer Mörderpöhle? dachte er. Haben fih die Banditen
wie Lataien verkleidet? Wollen fie mid ermorden? Allein
die Wirthin, den Buben habe ich auf meiner Seite. Ich
Bann mod) gerettet werden. So nah am Ziele, werde ih
nit in die Grube fallen. Ballen werde ih viellecht —
übermorgen! aber hier nicht.
So ſuchte er ſich ſelbſt Troſt einzufprehen; es erhei⸗
terte ihn aber nicht, eine Fallthüre im Fußboden iu ent-
deden. Nob obendrein hatte er das Ungläd, fein Licht
auszulöfhen, als er es puhen wollte. Freilich fdien der
Mond hei genug durchs Fenſter hinein, und das tröflete
ihn etwas. — So lag er ziemlich lange; er war fehr müde
von der Reife, mitunter war er nahe daran, einzuſchlafen;
die Furcht vor Ueberfah ſcheuchte aber den Schlaf von feir
nen Augen wieder weg. So halb wachend, bald ſchlafend,
wurde er von einer ſeltfamen Erſcheinung hoͤchſt erſchüttert.
Er glaubte die Falltgüre im Fußboden geöffnet zu ſehen
Das Haus im Bade. - 189
und das Geſpenſt des Länoft gehentten Obadias Shlent
ffiege herauf, im befannten weißen Kittel, mit der rothen
Bandſchleife an der Bruft, und einer Laterne in der Hand.
Der entfepte Fremde griff unmwilfährlih nah feinen
Hirolen, und zielte auf die Erſcheinung. die aͤngſtlich bat:
Um Gottes Wien, Here Eberbard Julius, drüden Cie
nicht los! Ic bin der Reitbube, Ihr Freund und Befreier.
Ich komme, eine alte Schuld abzufragen! Cie haben fih
‚gegen meine Mutter, gegen meinen armen Vater fo menſch⸗
uͤch gezeigt, haben ihr Geld in der Noth, ihm erft das Le⸗
den gerettet, nachher ein chriſtliches Begräbnig gegeben, ale
fie ihn nicht mehr retten konnten. Die Borfehung erlaubt
mir nun, Sie wieder zu retten, und vieleicht zu Ihrer ſcho⸗
nen Braut, Fräulein Gordula, zu verhelfen.
Du dif? — frug Eherhard verwundert. Der Heine
Heinrich, Schlenk, vier Jahre Älter geworden, der auf dem
Säyoge feiner Mutter lag, am Grabe feines Vaters, ale
Sie am Kirchhof vorbei fuhren. Und Bier! Kennen Sie
nicht den Kittel meines feligen Vaters und diefe rothe
Siyleife, die er ih aus Ihrem Uhrbande gemacht?
Jeht begriff Eberhard das Wunder. Der Knabe er-
zählte ihm, wie ihn der Zufall in des Major von Birtinge
Dienfte gebracht; wie er glei, als er den Namen Eber⸗
hard Julius nennen hörte, beſchloſſen babe, feiner Eltern
Wohlthäter, wo möglidy, zu retten. Deshalb hatte er ſich
in das Vertrauen des Majors von Birting eingefhlicen,
der ihm gut leiden mochte, weil er ein raſcher, ſchlauer
Burſche war, der ihm zu Vielem behülflich fein tonnte. —
Die fhöne Cordula, erzählte Heinrich, fei noch Eherharden
getreu und Hold, und weine oft in der Stille. Uebermor ⸗
gen wolle man ſie zwingen, dem Verhaßten ihre Hand zu
"10 Das Haus im Balde.
soeben. Da hatte aber von Birting Eberhards Ankunft
ausgefpähet, und vier feiner Leute hinaus gefhidt. ihn bei
der Nact zu fangen, und in’s Gefängniß zu werfen, bis
die Hochzeit vorüber fei. Heinrich, habe ſich aber ausgebe-
ten, mit zu geben. Die vier Bedienten. die gar nicht
glaubten, dag Eberhard Verdacht ſchoͤpfe, eben weil fe
fi) den Anftrih gaben, als ob fie gar nichts zu verheim⸗
lichen ſuchten, hatten ſich zur Ruhe gelegt, weil fie noch
immer, bis zur Mitternacht, Wagen auf der Hrerfirage zu
begegnen fürdteten, wodurch ihr Raub entdedt werden
konnte. Um drei Uhr Morgens, wenn alles im tiefiten
Schlafe läge, wollten fie aber auffteben, Eberhard im
Bette greifen, knebeln und wegführen. Diefe Friſt mäfle
er nun benüßen. Sein Pferd hatte Heinrich Teimlic ge
fattelt, er könne durch's Zenfter hinausfteigen, umd iu
Heinrige Mutter reiten, die in einer Kleinen Zelfenbütte,
zwei Meilen von bier entfernt wohne. Heinrich wüfle zu
räd bleiben, um keinen Verdacht zu erregen. Das Gane
mäffe ausfehen, als ob Eberhard aus freien Stüden feloit
die Flucht ergriffen habe. Nachher wolle Heinrih Eber⸗
I bei feiner Mutter aufſuchen, und ihm in Allem
en.
Das Honzeitsfeft. 14
17.
Das Hochzeitsfeſt.
Es war wieder ein fhöner Abend. die Zuft lau und
heiter. :- Die Gänge des großen Gartens waren wie ein
Geſellſchaftszimmer fauber gekehrt. und die Heden glatt he
fnitten; alles falbe Herbitlaub war aus dem Garten ger
bracht. Der Gärtner hatte zu der Hochzeitsfeier forgfältig
feine Späthlumen gepflegt, und neben den Aftern, Ranuns
fein und Nefeden, blüheten noch häufig Leukoien und Gold»
lad. Hinter den Treishausfenftern ftanden Nofentönfe in
Reihen. Die vielen Springbrunnen, melde der vorige Bes
figer nach franzöffher Art hatte einrichten laſſen, ſprangen
alle mit ftarten Strahlen. Dies thaten fie taͤglich; Denn
der Harz mit feinen Bergauellen in der Nähe; verfgrgte die
Röhren mit reihliher Flut. Ueberall hörte man ein lieb⸗
liches Gefumme aus den Brüften der Dreaden, aus den "
Münden der Delphine, aus den umgemälzten Krügen alter
Fluggötter. Das Schloß war fhön erleuchtet. Die Ein«
wohner der Gegend ftreiften im Garten herum, liebende
Paare gingen Arm in Arm, und verfiohlene Liebe mußte
fi auch zu finden. Aller Augen faben hinauf zu dem
Bransyarent im großen Tenfter über der Hauptthure, wo
bunte Bappenfcilder den Namen Hans von Birting
und Eordula von Hulter in der Abenddämmerung
loderten. Die Mondfihel land am.Himmel, hell genug,
um eim angenehmes Licht zu gewähren, wo die Faden des
142 Das Hochzeitsfeſt.
Sdloſſes nicht hinreichten, fhmah genug, um das Zeuer-
were nicht zu fören, welches der Herr Major feiner Braut
zu Ehren. ‘und dem Volke zum Vergnügen, nad) der
Trauung abbrennen laffen wollte. Bielmehr würde das
fülle Himmelslicht in feiner ungeförten Ruhe einen ſchönen
Gegenfag zum hoc auflodernden rothen Erdenfeuer machen,
das ſich Über den Mond zu erheben mähnfe, indem es in
feiner Nichtigkeit verſchwand. |
Der einzige Menſch. der allein ging, war Eberhard.
In den weiten blauen Mantel gehült, den Degen an der |
Seite, erwartete er ungeduldig in einem entlegenen, dun⸗
fein Tarusgange feinen Feind, den ihm Heinrih Echient
berunterfjiden wollte. Eberhard ſchlug im Mondſcheine
feinen Mantel zurüd und ließ das bleihe Nachtlicht die
goldnen Epauletten und das hübſche Degenband beſcheinen.
— So war es mir doch zum Nutzen ſagte er, daß ich mich
won den Generalſtaaten gleich zum Kapitän der Felſenbur⸗
giſchen Garatfon ernennen ließ; obſchon die Uniform mich
nicht vor den Spaͤheraugen meines Gegners ſchüßte, wie
ic gehofft hatte. Hier ſoll fie mir aber wirklich nüßen.
Mit dem bürgerlihen Studenten ſchlüge fid) vermuthlic fo
menig Herr von Birting als Herr von Sod. Kein Iederner
Knopf darf aber heute die Bruſt eines Böfewichts beſchit
men,- bei dem nicht Treue und Ehrlichkeit zu finden it. |
Das Geſet kann mid hier nicht ſchähen. Nur mit dem |
Degen fann ih mein armes Maͤdchen retten, oder ich wil
ſelbſt ſterben. Gegen dieſen Zweilanwf würden weder
Guſtar Adolph noch Albert Julius etwas einzuwenden haben.
So mit ſich ſelber ſprechend ſah cr eine lange ſchwarze
Geſtalt, durch den dunkeln Tarusgang auf ſich los kommen.
Es war der Prediger im Ornate, mit weißgebuderter Pe⸗
Das Hoßzeitsfen. 143
räde, das Baret mit einem Schnupftuche unter dem Arm,
und ein Gebetbuch in der Hand.
Eberhard, der gleich begriff, wohin der Prediger wollte,
grüßte ihm höflich, frat ihm aber in den Weg. und bat ihn
einen Yugenblid zu verweilen. — Nicht möglich, lieber
Herr, antwortete der Paftor; ich habe fhon das Brautpaar
eine Halbe Stunde auf mid warten laffen, weil id die
üble Gewohnheit habe, mid immer erft im Ichten Augen
blicke anzuziehen Da habe ic) ein Loch in meinen linken
feidenen Strumpf geriffen, und während weine Frau das
wieder ausbeflerte, ift mir die Zeit verlaufen. Der Bräu-
tigam ift ungeduldig, und fönnte ‚cs mir leicht übel neh⸗
men, wenn ich ihn zu lange marten ließe; ich darf meinen
Patron und Gönner nicht vor den Kopf ftogen.
Sehnt ſich denn die Braut eben fo fehr? fragte Eber⸗
bard — ihn mit durchbohrendem Blide, und mit der Hand
noch zurüdhaltend. — Sie ſcheinen etwas von den Fami⸗
lien · Ver haͤltniſſen zu kennen, ſprach der Pfarrer; wenn dem
ſo iſt, fo wiſſen Sie wohl auch, dag ſich die Braut nach
dem Tode ihres erſten Liebhabers getröftet bat; und obſchon
fie den Major vor Birting nicht eigentlich licht, gehorfamt
fie doch ihrem Vater, und reicht diefem Ehrenmanne heute
ihre Hand, weil. er ohne fie nicht leben taun. — Alſo ift
der vorige Liebhaber tedt? fragte Eberhard; da fagen Sie
. mir etwas ganz Neucs. Freilich bin td, wie Sie fagen, in.
die Familien Verhaͤltniſſe eingeweiht, aber das mußte ich
noch nicht. — Mein Gott, rief der Prediger erfhroden,
ie faſſen mich fo wild und ungenäm an. — Es follte
doch wohl feine Nichtigkeit haben? Sie fehen mir ſelbſt
aus, wie — wie das Gelvenft des vorigen Liebhabere? Ja,
Bei Gott, das glaube ih gern, Gram, Echnfuht und Er-
144, Das Hodzeitsfeh.
bitterung haben meine Lebensgeifter ziemlich angegriffen;
doch fühle ih noch Kraft genug, mid an einem Boͤſewicht
au raͤchen.
So will ih in Gottes Namen wieder nach Haufe ge-
ben, fo ift für mid nichts hier zu thun — fagte der Pre
diger bang. — Thun Cie das, ehrwürdiger Herr;. und
danken Sie Gott, dag Sie mid, noch zu rechter Zeit auf
diefem dunkeln entlegenen Wege trafen, ehe Sie, binters
Licht geführt, ein heiliges Sakrament mißbrauchten. um
einem lafterhaften Menſchen beisuftehen, und um ein armes
unſchuldiges Madchen in Berzweifelung zu ſtürzen. — Das
find Harte Worte — ſptach der Prediger — können Sie
beweifen, was Sie fagen? Da kümmt der Herr Major
. von Birting. — Sp entfernen Sie fih ſchnell, Herr Dar
ftor, und Laffen Sie mic mit diefem Herrn allein. — Das
will ih, fagte der Prediger furdtiam, Lehrte Eberharden
den Rüden und eilte wieder nach Haufe.
Mein Reitbube fagt mir, ein guter Freund wünſche
mid in einer angelegenen Sache vor der Trauung voch zu
ſprechen, fagte von Birting, Eberharden hoͤflich gräßend;
ich habe Sie nicht warten laſſen wollen, mein Herr; ob⸗
ſchon, ic geſtehe, der Augenblick ift mir nicht der gele ⸗
genfte. — Der allergelegenfte — antiwortete Eberhard, ohne
den Gruß zu erwiedern, ein Augmblid fpäter, wäre zu
fpät geweſen. Fürchteſt Du Dich auch vor Gefpenftern,
von Birting! — Ha, rief der Major, den Degen ziehend,
ich fenne diefe Stimme. — Eberhard ftand ſchon zum Kame
pfe bereit: Lügner, ‚Betrüger und Mädcenräuber, ſprach
er, vertheidige Di! Einer von uns muß ſterben. — So
fird denn Du. Elender! rief der Ritter, und ging in äu»
Berfter Erbitterung auf ihn los. Allein Eberhard von der
Das Leihenbegängnit. 145
Befonnenheit und Stärke begeiftert, die edle Seelen in wid“
tigen Augenbliden nie verläßt, durchbohrte die Bruft feines
Feindes, der zu Boden fiel, ohne einen Laut von ſich zu
geben.
Pfeilſchnell eilte Eberhard zum Garten hinaus, ſchwang
fih auf fein Pferd, das an einen Baum gebunden ftand,
und ritt in die Gebirge. Die Hütte, mo Heinrichs Mutter
wohnte, fand er nicht, wurde aber von einer Koͤhlerfamilie
gutherzig aufgenommen, die ibn gern zu verbergen ver-
forad), als fie hörten, er fei ein fremder Offister, der im
nothoedrungenen Ducl feinen Gegner erſtochen babe.
18.
Das Leihenbegängniß.
Lange konnte Eberhard ſich fo nicht ruhig halten.
- Vierzehn Tage nach jenem merkwürdigen Abend begab er
ſich, als Köhler verkleidet, auf den Weg, um, mo möglich.
feinen treuen Heinrich Schlent, oder wenigftens die Hätte
feiner Mutter zu finden. Die Hütte fand er endlich, erfuhr
aber leider, daß die Mutter mit ihrem Sohne aus dem
Sande geflüchtet fei, weil man gegen fie, wegen des Mor-
des des Major von Birting, Verdacht geihönfe habe. Ob⸗
ſchon Eberhard Hörte, daß man eifrig dem Mörder nady«
ſuche, trieb ihm die Liebe doc dazu, fih in der Verkleidung
mit Aug im Gefihte in den Schloßgarten ſpaͤt Abends
wieder bineinzumagen, um, wo möglich, von Gordula Nadı«
richt zu befommen. Er fand an dem Drte, wo er von
Eehlenf. Echriften. XVII. 10
146 Das Leihenbegängniß.
Birting erſtochen hatte, ohne Gewiſſensbiſſe fühlte er doch
ein heimliches Grauen, und ging weiter. Das Schloß fand
in der Naht dunkelſchwarz da, wie ein großer Sarg, tie
Springbrunnen brauften noch immer fort, fie (dienen ihm
aber lauter Trauerlieder zu ſummen. Der dunfle Himmel
mar von Eternem überfäet. Plöglih fah Eberhard wieder
Facelſchein und hörte Mufil. Die Fackeln bewegten ſich
langſam, und ein Trauerlied ward gefungen. Gr eilte in
den dunfeln Tarusgang hinein. Das war eben der Weg
zum Kirhhofe. Er trat ins Gebüfd, fein Herz klopfte
laut. — Ber fann das fein, dachte er, Birting muß ja
fon begraben fein. Vielleicht haben fie ihn einbalſamirt.
und feiern jetzt feine Ereauien,
Am verhängnigvollen Drte fepten die Leihenträger den
Sarg nieder, um ein wenig auszuruhen. Eberhard ente
dedte einen Iungfernfrang von meigen Nofen und Morten
auf dem Earge; Gordulas Vater ging ihm am naͤchſten.
Bei näherer Anſchauung fand der Jüngling, dag der Surg
für eine Mannesleiche zu Hein fei. Im diefem Augenblide
fin es ihm, als breitete fih cin dider Dampf von den
Fackeln aus, der ihn ſchwindlich made, und er ſank ber
wußtlos dahin.
Als er fi) von feiner Ohnmacht erbolte, war es Dior
gendämmerung und er lag in der Hede. Er lief nad) dem
Kirhofe: auf dem frifhen Grabe ruhete der Iungfern-
franz. Ein Zodtengräber batte auf dem Kirchbofe noch et⸗
was zu thun. — Wen Habt Ihr dort begraben? fragte
Eberhard. — Das fhöne Fräulein Cordula von Hulter,
war die Antwort. — Darf ic) bier einen Augenblid ver»
weilen? fragte Eberhard wieder, mit Nerbender Stimme. —
O ja! ſchlagt mus die Pforte hinter Euch au, wenn Ihr
Das Leihendegängniß. 147
weggeht, damit mir die Schulbuben nicht gleich die Blu⸗
wen vom Örabe wieder wegſtehlen. — Ic) wilk die Blur
men büten, feufzte Eberhard, und der Todtengräber ging.
Eine Stunde lag er troſtlos wimmernd auf dem Grabe;
dann fand ihm der Todtengräber wieder zur Seite. — So
weint fein Köhler, ſprach er; fo meint ein verkleideter
Liehhaber. Allein Ihr dauert mid. Hütet Euch! man bat
Euch hier eine Fallgrube gemacht. Man wird Euch ergrei⸗
fen, ins Gefängnig werfen und kurzen Prozeß mit Euch
machen. Ihr Habt den Major ermordet. — Es find Zeur
gen da; wahre oder falſche. Eure Behauptungen werden
nicht geachtet, und auf dem Blutgerüſte müßt Ihr Euer Le»
ben verlieren; denn des Getddteten Familie ift groß und
maͤchtig in diefer Gegend. licht. während es nod Zeit ift,
Den Tod Eurer Geliebten könnt Ihr überall beweinen.
Nur der Schreden vor dem Hochgerichte, worauf die
Raͤcher feines Feindes ihn leicht bringen konnten, vermochte
Eberharden vom Grabe feiner Cordula zu verſcheuchen. Er
verließ die Gegend, wuſch fi den Ruß, aber nicht die
Blaͤſſe vom Gefihte, legte ein fauberes ſchlichtes dunfeles
Kleid an, und irrte ohne Ziel umher. Mitunter verſuchte
er in Gedichten feinen Schmerz auszufpreden, weil er kei⸗
nen Freundes ·Buſen hatte, worein er ihn ausſchütten konnte,
Nad) einigen graͤßlichen Wochen verwandelte fid feine Vers
aweifelung in mildere Wehmuth, und in diefer elegiſchen
Stimmung machte er folgendes Lied:
Adam hatte Ach verfündigt, aus dem Paradies getrieben,
Doch noch fern in der Berbannung konnt’ er feine Eva tieben;
Wr er'much auf Erden weilte, wo ihn hin Die Strofe wie
Fond er, in Dem Arm der Siebe, wieder gieich ein Paradies.
10°
148 Das Leihenbegängnig.
Doch, Diet Her, das bitte bintet, was hat es denn dort ver⸗
— brochen? J
Barum daft, erürnter Micter! Du dad ſtrenge Fort geſprochen?
Gern geh’ ıch in Die Berbannung, wäre nur die Eva da,
Uber, mit dem Paradieſe ſchwand auch meine Cordula
Nicht im Schweis des lngefichted wid ic in Der Erde wühlen,
Eine Gruft nur will ich machen; die fol meine Flamme kühlen.
Keine Blumen will ich pflanen auf den ‚Hügel, blau und Heil,
Echön find fie, wie meine Freundin, und verweiten auch ſo ſchaeu.
Jert, o Mond! jegt erſt verfteh' ich Deine bleiche Eehufuchts-
wonne.
Deine kalte Rachterſcheinung wechſelt mit der Freudenſonne.
„Barum freut ſich Doch die Liebe, wenn du daͤmmerſt durch den Hain?
Deine befte Augenweide iR der weiße Seichenflein.
Wirt; und Arche nur fort, ühe Männer! doch thr folk mich nicht
bedauern,
Oaſcht nach Gold und Ehreafränien! ich will an dem Grabe trauern
Eine Freud’ iR mir geblieben: Durch die duntie Wacht der Zeit
Watt nir meine füße eiebe, als ein Stern der Eroigteit,
19.
Eberhard auf der Wartburg.
Wenn uns eine liebe Menfceufeele verläßt, um nad)
jenen uaſichtbaren Reichen zu gehen, findet Das betrübte
Eberhard auf der Wartburg. 149
Herz in der erſten Ehmerzenszeit feinen Troſt darin, eine
Beile am Grabe des theuern Staubes zu verweilen. Es
iſt uns, als liege der Schaß da verborgen, als mäßten wir
ihn bewachen, als genieße der liebe Freund oder die Freun ·
din eines fanften Schlummers, und werde bald aufwachen,
umfere Seufzer amd Kummerworte hören, umd wieder aufs
ſteben, um uns zu tröften. Wenn aber nichts daraus wird,
wenn mir ums vergeblich matt geweint, den geliebten Nas
men vergebens gerufen haben, ohne Antwort zu bekommen,
dann entdeden wir erſt mit Staunen, dag zwifhen Schlaf
und Zod ein gewaltiger Unterſchled it, dann feben wir den
Irrthum ein, daß wir bei einer Handvoll Staubes verweilt
haben, woraus der Geiſt längft entflöben if, der die ger
liebte Form Längft verlaffen bat. Dann verlaflen wir auch
das Grab, und entweder kehren wir beruhigt zum Leben;
zur Thätigfeit zuräd, oder in füge Schwärmereien verſun ⸗
fen, fuhen wir uns zu zerfireuen. Dann wird uns eben
das Fremde lich, und bekommt etwas Heimathlidhes, weil
der gelichte Gegenftand die Heimath verlaffen, und in die
Sremde gegangen iſt.
Bar cs Zufall, oder Liebe zum feligen Altvater Al
bert, mit der Leidenſchaft für Gordula innig vereint, die
unfern Eberhard kurz nad jenem Ungläd nad der Bart
burg brachte? Gern verweilte er Bier einige Tage, ging
den fteinernen Doblweg hinauf, wo Albert und Eberharde
Stammvater Rudolf fo oft aufammen gegangen waren;
fepte fih auf den fleinernen Block, mie fie, und ſchaute in
die · Gegend hinaus. Der verfteinerte Mönch und die Nonne
ſtanden noch da, und meigten fid gegen einander, Eberhard
konnte auch flundenlang droben in Luthers Bimmer verwei⸗
len. Das war ihm ein gar zu lieber Aufenthalt. Der
150 Eberbard auf der Wartburg.
alte Tiſch von Eichenholz fand noch da, wo Luther, mo
atbert und Rudolf fo oft gegefien. Das herrliche Bild
ding an der Band, fo frifh und kraͤftig als ob es geftern
gemalt fei. Im tiefen Gefühl verfunten, fand er eines
Tages vor dem Bilde, als es plöglich vom Nagel herun ⸗
ter fi, und an der geſchwaärzten Band, mo das Bild ge
bangen hatte, Tas er auf dem Kalt geſchrieben: Eber-
bard! Deine Cordula lebt und liebt Di.
Die Heftigfte Freude entzädte ihn bei diefen Worten ;
allein ploͤßliche Angſt überfiel ihn wieder, weil er nicht
mußte, mann dies geſchrieben fei. Gr kehrte fi zu dem
alten Burgvogte, der immer zugegen war, und dem er für
fein laͤſtiges Dabeifein bezahlen mußte. Eberhard verlangte
mit Ungeftäm zu wiffen, wann ein fdpönes, ſchlankes deut
ſches Madchen mit etwas fremder Ausſprache, mit griechi⸗
fer Naſe, großen, blauen Augen und blonden Haaren da
gewefen? — Der alte Mann war aber nur mit dem Bilde
beſchaͤftigt, das glüdlicherweife keinen Schaden gelitten hatte.
Er mar fehr bäfe, und fagte: Das kümmt daber, wenn fo
viele Fremde Erlaubnig bekommen, bier zu verweilen und
zu wirthſchaften. Ih wollte, dag ih die Mamfell zu pat-
Ten kriegen könnte, die ſich unterftanden hat, das Bild von
der Wand zu heben, um Buchſtaben dahinter zu ragen.
Dadurch iſt der Nagel lofe geworden. Und ich fehe nun,
das Bild wäre entzwei gegangen? Ganz Deutſchiand könnte
es nicht bezahlen; und ich alter Mann wäre um mein Brod
gefommen.
‚ Eberhard ſtarrte, von den verſchiedenſten Gefühlen
durhdrungen, zum Fenſter hinaus, da entdeckte er in einer
alten, gränen Senfterfcheibe wieder wit einem Diamantringe
ganz Hein geſchrieben: Eberhard, Deine Cordula lebt.
Eberhard auf der Wartburg. 151
Alter, rief er, und faßte des Greifes Hand, — um
Gottes Willen fage mir, — id will Dein Glück machen
ih will Dir taufend Thaler geben, — wann, wann if
fe bier gewefen?
Mein lieber Herr, ſprach der Alte etwas freundlicher,
— id merte wohl an allem, daß Sie ein glüclicher oder
unglüdliher Liebhaber ad; denn dergleichen Leute vflegen
fi) immer fo zu betragen, und große Worte, Eidſchwüre
und Geldfummen im Munde -zu führen. Ein Studiofus
aus Iena hat mir aber verſichert. Jupiter, wie der Herr
Gott im Griechiſchen Heißt, höre ſolche Verſprecungen der
Liebenden nicht, und fo mag es wohl mit den Geldverfpre-
ungen diefelbe Bewandniß haben. "Sie fehen mir nicht
darnach aus, viele taufend Thaler weggeben zu können,
Und was follte ih alter Mann mit einer folden Summe.
Wenn ich's wüßte, wollte ich es Ihnen herzlich gern gratis
fagen. Id bin obnedem fhon gewohnt, mil jungen verlieh
ten Leuten umzugehen, denn fie ſprechen gern bier oben bei
mir ein, und leben von der Ausfiht, den alten Harniſchen,
und den Erinnerungen der Vorzeit, während fih die An-
dern, Unverlichten drunten in den Wirtbehäufern etwas zu
Gute thun. IC kann Ionen aber nicht dienen. Alles, was
von fünfzig Jahren ber geſcheben iſt, das kann ic Ihnen
baartlein erzählen; ob aber ein Mädchen mit einer hübſchen
Naſe bier vorgeftern oder vor einem balben Jahre geweſen
iſt, das weiß ich nicht. Hier in Sachſen find viele hübſche
Maͤdchen mit blauen Augen und blonden Haaren. Ich fehe .
aber nit mehr darnach; denn was würde das mir altem
Manne in meinen Jahren mehr beifen, nach den hübſchen
Dienen zu ſchielen?
Bas wollt Ihr für die Scheibe? fragte Eherhard. —
152 Eberhatd auf der Wartburg.
Weiche Scheibe? — Die Heine, gräme, mit Blei eingefagte
Fenſterſcheibe da? — Sie gebört der Burg, mein Herr, fie
fipt da von Luthers Zeiten ber, die darf ic Ionen nicht
verfaufen. Hier in diefem Zimmer ift Alles heilig. — So⸗
gar den Fleck da, wo der felige Doktor tm billigen Zorne
mit dem Dintenfaffe nach dem Zeufel ſchmiß. bewahren wir
als ein Heiligthum — und frifgen iyn alle Jahre wieder
auf, damit die ſchwarze Farbe nicht gar zu fehr verbleiche.
— 3 gebe Euch zwel Goldftüde für diefe Scheibe. —
Haben Sie das Geld bei id? — Da! — Bie wollen Sie
aber die Scheibe heraus Eriegen, - ohne das Fenfter zu zer⸗
brechen? Bir mällen den Glafer von Eifenah kommen
laffen; und das geht nit. Dann fhwapt der Erumund,
ich alter Mann verkaufe Die Feufterfheiben der Burg an
fremde Neifende, und wie ſoll ih dann meine Unſchuld bes
weifen? — Iq babe ſelbſt einen Diamantring, Alter! ich
wii das Stüd herausſchneiden. — Das geht! Dann kann
ich fagen, der Starm habe die Fenſterſcheibe entzwei gebla-
fen, und fo bewahre ih alter Mann meinen guten Ruf
unbefcolten. .
Eberhard ſchnitt bebend das Meine Ctüd Glas heraus.
Drunten bei der Burgvogtin ſuchte er mehr zu erfahren,
denn der kindiſche Greis konnte ihm gar nichts fagen. Wie
beträbt ward aber Cherhard, als die Burgvogtin ſich ſeht
genau erinnerte, vor einem "halben Jahre eben ein ſel⸗
des Maͤdchen bier gefehen zu haben, wie Eberhard Cor
dula beſchrieb. Die Beſchreibung des Vaters papte ganz
auf Robert Hulter, auch von Birting mar mit geweſen
Ab, wie konnte das andy anders fein, rief der Un«
glüdlihe, als er wieder allein war. Cie if ja todt und
begraben! Wohin hat mid meine gereizte Phantafie verirrt?
Die Spielleute. “ 153
Er ließ das Glasnäd in Silber einfaflen, mit Bril-
lanten, und trug es in einer Kapfel von Goldblech an einer
goldenen Kette dangend, bei ſich als feinen beflen Schap.
Ad Du füge, liche Cordula, rief er, mie drüdt ſich
ned) in diefen lehten Zeilen Deine fhäcterne Maͤdchenſchen
aus, im Kampf mit Deiner feurigen Liebe. „Eberhard,
Deine Eordula lebt und liebt Di.” — Das wagte fie nur
der Verborgenbeit anzuvertrauen. Dies Geheimnig mußte
der Schatten des feligen Luthers vor profanen Augen be
wahren. -Alein es follte doch nicht ganz verborgen bleiben.
Vielleicht kommt er doch einmal ber, dachte fie, wird die
orte Iefen, und ſich darüber freuen. Dann ſchrieb fie mit
dem Ninge, den ich ihr gegeben babe, ganz Bein: Eber⸗
hard, Deine Cordula Seht; wagte aber nicht, „und liebt
Dich“ hinzu zu ſehen. Es liegt ja aber fhon in „Deir
ner Gordula!”
20.
Die Spielleute
Im wehmüthigen Schmwärmereien ftreifte er jept umher
als Spielmann mit einer Laute; und es zerftreute ihm, mite
unter bei Hochzeiten, Kindtaufen, Bällen und Mahlzeiten
für die Leute zu ſpielen und fingen.
Da Eberhard reich war, fo fehte er ſich nicht der Ge⸗
fahr ans, von dummen Hochmuthe beleidigt zu werden.
Ale merkten wohl, dag es ihm nicht um Geld zu thun war.
154 Die Spielteute.
So war er, ohne «6 felbft zu willen, in die Gegend
von Leinzig bingerathen, wo fein Bater jept wohnte, umd
er wünſchte den Alten einmal wieder zu fehen. Mit ibm
ſprechen, dazu hatte Eberhard aber feine Luft. weil er
mußte, daß eine. vernünftige, herzliche AUnterredung mit
Herrn Martin unmoͤglich war.
Im Wirthehaufe, unweit der Stadt, traf er auf einen
Haufen herumziehender muficirender Bergleute, in ſchwarzen
Kitteln, mit ledernen Schurzfelen um die Lenden. Diefe
Menſchen gefieten ihm, fie fpielten gut, und — mas er ber
fonders leiden mochte — and im Marfhe brauchten fie
Bapgeigen und Bioline, nicht nur Blasinftrumente. Die
bloßen. Blasinftrumente, fagte Eberhard, gehören dem Krieg
an, miht dem Srieden. Der fanfte Eindrud der Muft
entfteht erft, wenn ſich Hörner, Oboen, Klarinetten und
Fagotten mit Saitenfpick und Geigen freundlich vereinigen.
Die Bergleute waren ganz feiner Meinung, er trat
tirte fie im Wirthsbauſe, und fie mußten ihm zum Dante
das alte Lied vom großen Bergbau der Welt vorfingen,
meldyes fo anfängt:
„Muf! richtet Augen, Her und Sinn
Zu ienen blauen Bergen bin,
Da Gott, der Berghere, thronetl
Eberhard freuete ſich fehr dieſes Liedes. Das mar
eben fo. herrlich in alten Tagen — fagte er — daß die
Handwwerke ſich durch Gottesfurcht zur Kunft auffangen.
Es bat mic immer gerührt, daß ein ganzes Menſchenge ⸗
ſchlecht aus Liebe zur Arbeit, aus Treue am Gefkäft it
rer Väter, auf das bimmlifge Liht der Sonne Werzicht
Die Spielleute. 155
thuend, in den traurigen Tiefen der Erde mohnen, und
mit abgebleihten Wangen und gelben Antligen nur Sonn“
tags friſche Luft ſchöpfen mag, wenn das Glodengeläute
zur Kirche ruft. Ked arbeiten fie fih drunten dem frühen
Tode entgegen, wo die Unvermüftithteit der Erze und
Steine einen tragiſchen Gegenfap zu ihrem kraͤnklichen Da-
binwelten macht. Fürwahr, id kann ein folhes Leben we⸗
der bewundern noch beneiden; poetiſch und. rührend ift es
aber, wie jede freiwillige Aufopferung für Andre rührend
iſt. Idt ſeht mir aber fo friſch und gefund aus, lieben
Leufe! auf Euch hat die ſchlechte Luft der Gruben feinen
ſchaͤdlichen Einfluß gehabt.
Der Vorfteher antwortete laͤchelnd: Das kümmt daher,
lieber Herr, weil wir nie in den Gruben gewefen find. —
Wie denn? Seid Ihr feine Bergleute? — Bir ind Spiel
leute, die fi) oft bei den Bergicuten im Harze aufgehalten
haben, ihre Lieder und ihren Vortrag gelernt, und jept
ziehen wir herum und fingen .Berg- und Xhallieder, wie ee.
ſich trifft, in diefen Kleidern, weil cs uns mehr Vortbeil ,
dringt, als wenn wir wie alltägliche Muſikanten daher für
men. Es geht den meiften Suhörern, wie Ihnen, mein gu⸗
ter Freund! Sie werben über uns gerührt, und wollen un.
fern Zuſtand erleichtern. Und wir künnen es nöthig haben,
denn wir find alle arıme Teufel, wie die Bergleute. Das
ſteht uns aber nicht auf der Stirne geſchrieben; fobald wir
aber das Schurzfel binten anlegen, machen wir die Leute
weich um's Herz, So bekommen wir immer neue Kunden,
und jetzt find wir zum Beiſpiel nach Leipzig binbeftellt, um
bei dem reihen Baron, Herm von Lörenmähne, in großer
Abendgeſellſchaft zu fingen und zu. geigen.
Eberhard, der erft ein wenig böfe auf den Spielmamm
156 Die Spielleute.
werden wollte, weil er ihn hintere Licht geführt Hatte, und
nun obendrein fpettete, ließ bei diefer Nachricht feinen Un
willen fahren. Diefe Gelegenbeit ſchien ihm die allerbefe,
um Herrn Martin wieder zu fehen, ohne von ihm erfannt
zu werden. Es leidet feinen Zweifel, dachte er, daß mein
Bater, der im Leipzig ein großes Haus macht, und ale
Vornehme der Gegend einladet, auch au diefer Abendgefell-
ſchaft des Herrn von Löwenmaͤhne eingeladen ift.
Nun — ſprach er wieder heiter zu den Spieleuten —
dae ift ganz Flug von Euch, und ic könnte wohl ſelbſt
Luft bekommen. als verfleideter Bergmann mitzugehen, und
Euch mit meiner Kaute beizuſtehen. Nicht des Geldes we-
gen; denn id) bin nicht arm. wie Ihr (dom bemerkt habt;
allein, ich bin ein wunderlicher Kauz. und mörhte gern eine
mal zum Spaß, incognito, die ganze Masterade mitma-
hen. — Das kann gern geſchehen, mein lieber Herr, ſprach
der Spielmann; wir führen immer ein Paar Bergmanns
traten noch mit, um, wenn es Noth thut, antommende
Gehülfen damit zu verfehen. — So will ih auch beute
Abend Bergmann fein, tief Eberhard aus, beim reihen
Baron von Löwenmäbne ſpielen, ja vieleicht gar ein Lied
fingen. — Ei, das ift fhön, antwortete der Spielmann;
das wird unfer Concert noch angenehmer madıen.
In Leipzig kamen fie zu einem großen Palafe, der fehr
ausgebaut und verändert feinmußte, denn Eberhard kannte
das Gebäude gar nicht wieder. Der Thorweg ftand offen,
von zwei großen Laternen erheit. Es fehlte nicht viel, dag
die Loftbaren Teppiche der Treppe aufs Eteiupflafter bin,
ausreichten. Ein Schweizer ftand da in Livree, mit Treſ⸗
fenhut, und auf feinem ſpaniſchen Robre glängte ein großer
Alderner Anepf. Die Bergleate mußten erſt ſorgfaͤltig ibre
Die Spielleute, 157
Füge abwiſchen, che fie Erlaubnig bekamen, den Tevpich
zu betreten. Dann ftiegen fie hinauf, wo ein feiner Wohl⸗
geruc von Rauchwerk und Hyazinthen ihnen begegnete. Im
Berzimmer mußten fie fi mit ihren Jaftramenten in Rei⸗
ben ſtellen, und bier hatte Eberhard Gelegenheit, aRe vor⸗
beigehenden HerrfYaften in Augenſchein zu nehmen, indem
fie ſich in den, von Wachokerzen fchön erleuchteten, geſchmac⸗
voll decorirten Saal binein begaben.
Es war eine Männergefelfhaft, und Eherhard kannte
Niemanden. Es war der ganze Adel der Gegend. Gine
‚geroiffe vornehme berablaflende Miene ruhete auf den mei-
sten Grfihtern. Einige alte Herren in grünen Iagdröden
mit birſchledernen Heofen und in Stiefeln fahen raub und
gutherzig genug aus. Der Schweizer hatte ſich nicht un⸗
terftanden, ihre großen Hunde megzujagen, fie tiefen auch
mit hinein, und befhmußten einigen Stupern die feidenen
Strümpfe. Die Befudelten wagten nicht laut zu flagen,
nur wurde bie und da etwas zwiſchen den Bähnen, ven
ungebobelten Zandjuntern gemurmelt.
Ic werde meinen Bater in diefer Geſellſchaft nit au
eben befommen, dachte Eberhard, als eben die Etſcheinung
zweier wohlbefannter Masten ihm wieder Hoffnung gab.
Bir nennen fie Masten, denn ihre Caricaturgeſichter fahen
wirklich fo aus, als ob es Männer mit Larven feien, die
auf die Redoute gehen wollten. Es waren der Profeſſor
ESqwefelties und der Kaufmann Nierenftein; der Erfte dob⸗
pelt fo mager, der Lehtere doppelt fo fett, als fie Eder-
bard vor Jahren gefehen hatte, Schwefeities fat mahrdaf-
tig jept ganz fo aus, wie ein Stüd gelber Schwefel; und
Nierenftein follte billig jeßt Rierenffül heigen, denn große
Fettmaſſen hingen ihm glänzend und blühend ums feilte
158 Die Spielleute.
Geſicht, und hatten beinahe ale menſchliche Züge daraus
verwiſcht.
Dies komiſche Paar hielt ſich feſt an, und lehnte ſich
au einander, um beim Hineintreten aus Verlegenbeit und
Biödigkeit nicht umzufallen. Rechts und inte machten fie
bäuerifdhe Komplimente, die nicht ſonderlich erwiedert wur»
den, und fliegen ſich dabei bald mit den Beinen, weil fie
einander in der Noth nicht verlaffen wollten; wobei ſich
denn die jungen Laffen des lauten Lachens kaum enthalten
konnten, und das Kichern fein Ende hatte.
Bas follen diefe Bürger in unferm Cercle? hörte Eber-
bard einen nicht weit Entfernten einen Andern fragen. —
Bergefien Sie denn, mon cher, antwortete der Gefragte,
dag unſer Wirih ſelbſt ein bourgeois gentilkomme ift?
Aus der gepuderten Loͤwenmaͤhne feiner Perüde teten die
bürgerlichen Eſelsobren nod weit heraus; er mag fo vors
nehm thun, wie er wil. Es iſt ja billig. daß Monsieur
Jourdein aud) feinen Maitre de Philosophie habe; und
diefen Poſten beileivet Profeſſor Schwefellies. Uebrigens
iſt dieſer Mann ſehr fubwig ‚und beſcheiden, und manquirt
mie, Leuten von Stande die ſchuldige Ehrfurcht zu zollen.
Er iſt din ſehr guter Poet, uud erſtaunlich gelehrt. Auch
der franzöfifche duldet ja mitunter Dichter und Gelehrte
bei fi), in feinen parties fines. Wenn er etwas getrun-
len hat, macht er auch zugleich den Hofnarren. Alfo mag
er immer tafelfäbig fein, befonders in einer Männergefell-
(daft, wo fogar Hunden der Zutritt erlaubt iſt. Mit dem
Kaufnanne hat es eine andre Bewandniß: er ift augeror-
dentlich reich; die Meiſten von uns Achen in feinem Schuld-
buche. und Sie wien: Dorante muß dem Jourdain immer
die Cour machen, um noch mehr Geld zu bekommen.
Die Spielleute. 159
Im dieſem Augenblide Lam der Wirth den Redenden
ſehr leutſelig entgegen. Aber wie erfhrat Eherhard, als
er in dem Wirthe feinen eigenen Vater Herrn Martin Ju⸗
lius entdedte; der, während der Sohn umheritreifte, eine
verlorene Braut beweinend, fid bier einen großen Palaft
aekauft hatte, und ſich baronifiren laſſen.
Alſo bin ich obendrein, damit mein Unglück vollkom⸗
men werde, ein für Geld neugebadener Baron von Lünen
mähne geworden? dachte der arme Iüngling, kratzte ſich
weinerlich hinterm Ohr, und verktoch fih, damit ihn fein
Vater nicht entdecke. Diefer war aber viel zu fehr mit ſei⸗
nen vornehmen Gäften befcäftigt, als dag er auf einen
armen Spielmann Achtung bäfte geben follen. Es dauerte
nicht lange, fo ging die Geſellſchaft zu Tiſch. Die Spiel-
leute mußten ſich auf eine Gallerie begeben, und von diefer
Anhöhe konnte nun Eberhard die ganze Tiſchgenoſſenſchaft
überfhauen, und feine Betrachtungen anftellen. Oben an
ſaßen die alten Jagdherren; um fie herum liefen die Hunde
umd die Bedienten. Der Baron von Lowenmaͤhne war ein
trefflicher Wirth, bewegte ſich wie ein Planet um die Sonne
feiner Gefehfaft, und wußte jedem Gaſte etwas Berbinds
liches au fagen, welches doc vermuthlich meiſtens darauf
binauslief, daß er ihnen zärtlige Vorwürfe machte, weil
fie nit genug tranfen. Die Meiften zeigten aber mit dem
Finger auf die Bouteillen, um mit der Ebbe der Flaſche
ihre Unſchuld zu beweifen, worapf der Herr Baron mit
vergnägtem Kopfniden weiter ging. — Unten am Tiſche
fagen-die Plebejer Nierenftein und. Schwefellies,: wie tri-
buni plebis an der Thürfhwelle im Senate. Dieſe bier
batten aber fein Veto, und würden es vermuthlic auch
160 Die Spielleute.
nicht gebraucht Haben, denn fie bejahten alles Befagte und
Gerufene, mit großen Verbeugungen.
Ohnerachtet feines tiefen Kummers und feiner Unzu⸗
friedenpeit, mußte Eberhard doch Über die zwei großen Pup-
den Herzlich laden, die ihm auch in diefer Stellung fehr
Waracteriſtiſch vorfamen, obſchon er nur ihre Kehrſeite fab,
mo ſchon Jeder feinen Haarbeutel bekommen hatte.
Erſt, während ned) die Flaſchen fo ziemlich gefühlt da
ſtanden, ging alles fehr ſteif und gravitätiih zu. Ein Lied
des Herrn Profelor Schwefellies wurde von einem ſchelmi⸗
fen jungen Laufer auf flbernem Teller berumpräfentirt.
Das Lied wurde fehr langſam pathetiſch, faſt wie ein
Trauerlied, gefungen, und enthielt cin Lob des Adels, als
Stäge des Throas. und als Repräfentant der edleren
Menſchheit. — Nachher wurden die Lieder immer Iufiger,
mie mehr getrunken wurde; und Bachus, der vom Haufe
aus ein Liberaler iſt, obſchon ein Prinz vom Geblüt, dir
nete die Herzen immer mehr; die Steifbelt und das Bor-
nehmthun verſchwand; fie fühlten jeht, dag ſie alle Becher
waren, die eben gut betrumfen werden Tonnten, und Pro-
feſſor Shwefelties fing jetzt an als witzigſter Kopf in der
Geſellſchaft, au glänzen und eine große Rolle zu ſpielen.
Er wurde dazu aufgefordert, Iumpromtus zu machen; und
ſchon ſah Eberhard ihm einen Teller über'm Licht ſchwär⸗
zen, und eine Gabel als Griffel greifen, als plöhlich die
lange Manſchette des Vrofeſſors zu brennen anfing, weil
er etwas umworfihtig mit dem gefährlihen Elemente um«
ging, als er, wie Yrometbens, den göttlihen Funken vom
Himmel herunter holen wollte. Der Nachbar des Dichters,
ein junger Offizier, griff nad einer Waſſerkarafe und fing
an, das Feuer zu loſchen, und den armen Poeten mit fal-
Die Epielleute 161
tem Baffer zu begießen. SHierüber erſcholl ein unmäßiges
Gelaͤchter, das den Dichter verflimmte; mit dem irdifchen
Teuer war auch feine poetiſche Flamme gelöfht, und er
konnte nichts mehr machen.
Nun mußten die Bergleute ſpielen und fingen. Die
Neige kam aud an Eberhard, und unmuthig wie er war,
wagte er folgendes Lied:
@tühlih, wer Ni} an_dem Tiſch
Unter fröflichen Gefellen
Heiter, tec und ingenbfeifch
Sabet an den Bedenöqueilen.
Bein im Giaſe,
Ealı im Eyaße,
Wohlgenuß im vollm Mate!
Zrinft, Ipe Yeüder! trintt und flingt,
Denft nicht an der Undern Kutmer,
So die volle Mebe winft
Wiegt fie Euch in füßen Schtummer. .
Laßt Phantaften
Nimmer vaften,
Mit Betrübnig fich belaften.
Sar zu geämlich (Meint der Mond,
. Wir ermälen und Die Sonne;
So in Sqanen Bacınd Nest
. Eprndeit unfer beae Bone.
iebeszunder
Wird jegunder
Ungefachet Dusch Burgunder.
Sehlenf, Schriften. xviii. 1
162
Die Spielleute,
Wider feufien weol'n wie nicht,
Soßen ‚und nicht wunteriochen.
‚Hält er nicht, was er verfneicht,
Eo wird Amors Pfeil aerbeochen.
Hat die Braune
Tore Saune, a
So verlafien wir die Braune.
IR Die Blonde Aolz und Hart,
BL fie nicht den Kut verflatten?
Das if nicht in unfeer Met,
Sednſucht fol und nicht ermatten.
Nichts von henten! “
Freude fchenten
Andre bald, die beher Denten.
Ardiſch aur ift dieſe Belt,
Was is Geiſtes ⸗ Heriendgröße?
Mlte Wappen, altes Geld,
Die bededen wufre Blöße,
Feigenblätter, .
Ehrenretter, 5
Rad) des Cherube Donnermeiter.
Seitt und auch der Scbendbaum,
Sou er nicht mehr lang begläcten,
IM das Leben nur ein Traum, —
Geis! ein Traum kann auch entiüden.
‚Saft und laden,
Bis wir wachen
Eenſter einft in Charons Rachen.
Die Spielleute. 163
Die Gäfte, die ſchon viel getrunken hatten, “und nicht
fonderlid auf die Worte Achtung gaben, merkten nicht die
Ironie dee Liedes, nahmen alles für baare Münze, und
den Inhalt für die gewöhnliche Philofopbie der Trinklieder.
— As Eberhard gefungen hatte, fand er auf und wollte
feines Weges gehen. Drunten im Thorwege aber, bat ihn
der Schweizer in’s oberſte Stockwert hinauf zu gehen. in
des- jungen Läufers Zimmer, der ihn germ zu ſprechen
wünſchte, und ihm etwas Angenehmes zu fagen habe. —
Bir haben fon diefen jungen Menſchen erwähnt, den
Eberhard au kennen glaubte; weil ihm aber die Laufer-
müße fo tief ins Geſicht gedrüdt mar, und er ihm meiſtens
den Rüden gekehrt hatte, mußte er nicht, wo er ihn hin-
bringen folte.
Gr ging hinauf, wo ihn der Schweizer hingewieſen
batte, und befand ſich auf einem langen fAmalen Gange,
von einer einzigen Laterne ſchwach erleuchtet. Kaum war
er da, fo fiel ihm das Abenteuer des Altvaters und der
ſchönen Tabuletträmerin ein. Der Gang fah ehenfo aus; -
" Die Laterne brannte chen fo trübe, wie es der felige Albert
beſchrieben hatte, — Gott im Himmel, dachte Eherhard,
wenn meine Cordula jept noch lebte, mir mit Sylphentrit-
ten entgegen ſchwebte, und mid an den Bufen drückte. —
Er blieb einige Augenblide bei der Lampe fteben, und
horchte auf, ob Niemand fäme? — Ad, nein! Einfam
fand cr auf dem dunkeln Gange. Iept trat er in das ihm
angeiwiefene Zimmer, und fuhr, als er die Thüre Bffnete,
erfhroden zurüd; denn das bleihe Melpomenengefiht des
Bollmondes, fand gerade vor dem Zenfter, und blidte ihn
talt an, wie damals, als er in’s öde Zimmer trat, und
die Leiche des gehängten Obadias Schlenk auf.dem Tifhe
B 11°
164 Die Spiellente.
entdedte. Diefer ſchaurige Eindrud ward aber bald von
angenehmeren vertrieben. Es war ein fhöner Herbftabend,
obſchon mitten im November. Vom hohen Ekfenfter hatte
Eberhard freie Ausſicht Über die Gegend. Die Pleiſſe lag
mie ein beier Silberſpiegel im Mendfceine da, und das
fine Nofenthal, wo er fo viele herrl che Iugendftunden
genoſſen Hatte, breitete id daneben, wie ein ſchwarzer Schat⸗
ten. Auch das Heine rothe Dad, wo Hanna Helfraft ge-
wohnt hatte, fonnte er feben: und der Kirchthurm, wo er
die Lieder: „Iefus, meine Zuverſicht.“ und: „Wie ſchön
lencht· ung der Morgenſtern,“ in wichtigen Stunden des
Lebens, hatte blafen hören, ſtand wie ein Niefe da im
Mondfcheine, zeigte mit dem blinfenden Beiger auf Zwölfe,
und eben wie Eberhard hereintrat. tönten die tiefen Schläge
des mohlklingenden Erzes über die Gegend.
Jetzt öffnete fi die Thär, und er fuhr wieder zuſam⸗
men; allein das Gefpenft war nicht fürdterliher als die
Umgebung. Der junge Läufer ftand lähelnd da. Das
Mondlicht beleuchtete feine praͤchtige Federmüße, feine Treſ⸗
fen an der Jade, und den großen Silberteßer, worauf er
Früchte, Badverk, eine Flaſche Wein und zwei Gläfer
hatte. — Raum fah er Eberhard, fo fang er:
Liebtäjunder
"Wird jegunder
. Angefachet durch Burgunder.
Kommt, lieber Spielmann! Ihr follt auch etwas Gu-
tes genießen, und nicht der Einzige fein, der mit trodenem
Munde davon geht. — IA danke Euch, lieber Läufer, ich
din ‘aber meder hungrig ned durfiig. — Badwert und
Die Spielleute, 165
Frůchte genießt man nicht, um den Hunger zu flüllen, ſon⸗
dern zur Zuft. Ihr feht fo traurig aus; vielleiht hat der
Mond Euch melancholiſch gemahtl Das ift ein. munderlis
ber Kauz, dieſer Mond: er Tann die Leute luftig und trau»
tig maden, wie er will. Jetzt ſcheint er Euh mie ein
Todtentopf: ich wette, es Loftet mid mur cin Wort, fo lü
delt er Euch ſchelmiſch in’s Auge, wie ein allerliebſtes
Rãdchengeficht. — Das würde wohl ſchwer halten, lieber
Fteund, diefen Sauber hervorzubringen. — Richt im min
deften, mein Herr; denn der Mond it auch ein Laufer, wie
iQ, und gute Kameraden, wigt Ihr, halten zufammen und
tun einander gern etwas zu Dienften. Verſprecht Ihr mir,
ein Glas Burgunder zu trinken, mern ich mein Verſprechen
balte? — Gern! antwortete. Eberhard in der höchſten Span-
nung. Mein Gott, wer feid Ihr? Heinrich Schlenk! bift
Du es? Ja, Du biſt, ich kenne Die) jept — Nun, mein
lieber Here Baron von Löwenmähne, fo trinken ie denn
auch gleich dies Glas Burgunder auf die Gefundheit Ihrer
Gerdula, die noch lebt und Sie treu liebt. — Heinrich!
wilt Du mid) in meiner Noth verfpotten? Willſt Du mic
toll machen? — Bei Gott, das hat der Mann- nicht an
mir verdient, der erſt meines unglüclichen Vaters Lehen
rettete, und ihm nachher ehtlich begrub, als er ibn nicht
mehr retten konnte. Das Näthfel ft mit wenigen Worten
gelöft. — Robert Hulter Hatte es ſich nun einmal in feinen
vieredigen Kopf geſet, dag Ste feine Tochter nicht Heira-
then follten. Um fid zu rächen, als Sie Ihren Nebenbub-
ler im Zmeitampfe erftohen hatten, ſpielte er Ihnen dieſen
verwünfhten Streih. Ein Kammermäadchen der ſchönen
Cordula war chen in den Tagen fo gefällig, mitiTode abs
äugehen; diefe ließ er begraben, als ob es feine eigene Toch⸗
166 Die Spielleute.
ter wäre, weil er wohl denken Eonnte, daß Sie heimlich in
der Gegend lauerten, und daß diefe Kunde Sie in Ber-
zweiflung ſtürzen würde. Die Verwandten des Herrn von
Birting gingen gern in diefen Plan ein, weil man hoffte,
Sie nad) dem Grabe hinzuloden, und da gefangen zu neh
men. Robert Hulter ift Heimlid mit feiner Tochter nach
London gereift. Ic babe Ihnen leider feine Nachricht von
allem diefen geben können, weil ic felber fliehen mußte,
als man anfing, Verdacht gegen mid) zu fhöpfen. — Bo
Sie waren, mußte ich nicht. — Da börte ih, Ihr Vater
wohne hier, und ic ging in feine Dienfte, weil ich vermu⸗
thete, dag Sie doch früh oder ſpaͤt einmal hier eintreffen
würden. So hängt alles zufammen. Die fhöne Cordula
lebt. — Und liebt mic), rief Eberhard. Ach, jetzt verfieh"
ich das Zeichen auf der Wartburg. — Nun, fo trinten Sie
jest auch des Mondes und der fhönen Cordula Gefund-
heit, rief Heinrich, ihm das Glas reihend, wie Sie ver⸗
fprochen haben. — Eberhard leerte das Glas entzüdt. 3a
dieſem Augenblide fingen die Muſikanten drunten im Saale
an cin Siegeslied zu blafen; ein fhönes Fewerwerk, das
Baron Löwenmähne, feinen Gäften zu Ehren, veranftaltet
hatte, fing an zu nalen, und hohe Raketen, mit römifcen
Lichtern, bildeten einen Triumphbogen über dem Mend.
Der Maulbeerbaum. - 167
21.
Der Maulbeerbaum.
- ‚Der Binter war mit feinem Schnee und Eife ſeht
ſchnell auf den fhönen Herbft gefolgt, und fehnitt Eberhard
auf dem feften Lande ganz von feiner Cordula ab. Er
mußte feine Reife nad London einige Monate ausfepen.
Aber kaum ſchmolz das Eis, kaum feimten die Märzviolen
durchs junge Gras wieder hervor, und trillerte die Lerche,
fo finden wir ihn in Stratford fpät Abends, bei einem jun⸗
gen Tiſchler, wo er ein Zimmer gemiethet hat.
Mit Beafftent und Ale hat er ſchon feinen Hunger und
Durft geſtillt. Die hübſche, junge. Frau bat gute Nacht
gefagt, uud ift in's Schlafjimmer gegangen, wo. das nied-
Tiche Kind in der Wiege liegt. Der junge Tiſchler John
Brown kann mit feinen Lobeserbebungen über die ſchöne
Mip Cordula Hulter nicht fertig werden, und Eberhard
muntert ihn immer auf, mehr zu erzäblen.
Sie ift mein Nettungsengel, rief der Tifhler, Bor
einem balben Jahre war id) in größter Noth, und jeht ver»
danke id) der fhönen Mig, dag ich ein wohlhabendet Mann
bin, und fogar ein nettes Stübchen für einen ‚Fremden
übrig babe. Iung wie ih war, dachte ih niht an die
Zukunft, nahm meine gute Harriet zur Frau, und fie ſchenkte
mir einen herrlichen, gefunden Knaben. Gin niederträdtie
ger Menſch, mein heimlicher Nebenbubler und Zeind, hatte
mir 50 Pfund geliehen, blos um mich in feine Gewalt zu
betommen. Er wollte fein Geld wieder hoben, id konnte
168 Der Maulbeerbaum.
ihm nichts geben. Mit einem Writ fieri facias verfehen,
- ging er zum Sherif, und ließ bei mir Erecution vollftreden.
Ich hätte meine Thüre zufcliegen können, denn bier zu
Lande wagt felbft die Obrigkeit nicht, mit Gewalt die Thür
eines Bürgers aufzubrechen, dann hätte ih mic aber ſelbſt
mit Frau und Kind in einen Hungerthurm verſchloſſen. Ich
Heß den Gläubiger machen. Als fie Alcs genommen hat-
tem, was zu nehmen war, ging Mafter Pieth in die
Küche Hinaus, wo meine Fran im irdenen Topfe Gräge
tochte. Er nahm den Topf vom Feuerheerd. brachte ihn
in die Stube, und ihn auf den Tiſch ſtellend, befahl er
dem Schreiber, den Brügtopf mit auf die Lifte der übrie
gen Sachen zu fegen. Drauf ging er zu der Wiege, mo
mein Eleiner Tom mit den runden Nermlein über dem Kife
fen ſchlummerte. — Er nahm das Kind liebfofend aus
der Biege, ſtreichelte es, und ſprach; Du Heiner Schelm
ſchlafſt wohl eben fo gut auf Stroh, wie auf Flaumen? —
nahm drauf eine Handvoll Strob aus der Wiege, legte ſol⸗
ches in der Stubenede zurecht, warf das Kind darauf, und
Heß den Schreiber Wiege und Kiffen gleichfalls in die Lifte
einſchreiben.
Das war mehr als ich dulden konnte, und meine Frau
mußte mid zurüdhalten, damit ic) mid) an dem Unmen«
fen nicht vergriff
Jeht waren wir wieder allein; in der nadten Stube,
meine Frau mit dem armen Wurm im Schooße, um ihn
mit ihren Kleidern vor der Kälte zu fügen. — Bas ift
jegt für uns zu tbun, rief id, nachdem id) eine Zeitlang
düfter aͤber mein Schicſal gebrütet hatte. — Tod und Ber-
nichtung drohen ung Unglädiihen allen. — Noch nicht!
ſprach Harriet heiter. Alles haben fie uns doch nicht ger
Der Maulbeerbaum. 169
raubt. Siehft Du nicht die hübfhe grüne Benftergardine,
wie fie uns Hoffnung zuwinkt, während die Früblingefonne
durch ihre Franzen ſcheint? — IC fhlug die Augen auf,
und fah nur den großen Maulbeerbaum, der, wie gewoͤhn⸗
lich, mit feinem Blätterbange über das Fenſter hinſchattete.
— Berzage nit, guter John, — verfehte Harriet; — läßt
der Liebe Gott einen fo herrlichen Baum für einen kleinen
Wurm warfen, deſſen Leib er mit der koͤſtlichſten Seide
f&mädt, follte er uns, feine Menſchen, nit nähren und
. Heiden? — Dies Haus war, wie Du weißt, in alten Ta⸗
gen die Wohnung -des trefflichen Shafe.peares. Diefen
Maulbeerbaum fol er mit cigemer Hand gehflanzt haben.
Im London dentt die große Welt nicht viel mehr an ihren
guten Dichter, alles‘ fol jegt franzöfifch fein; aber das Bolt
liebt noch feinen Shakeſpeare. Es thut mir leid um den
ſchoͤnen Maulbeerbaum; allein er muß fallen, damit wir *
ſtehen bleiben. Du folk allerhand Schnipwert, Schnupfta-
batsdofen, Thecbüchfen, Schreibzeuge, Tabatsftopfer, u. f. w.
daraus verfertigen: wir feßen in die Zeitungen, daß ein
‚armer Tiſchler, um fih mit Weib und Kind von Hungers
noth zu retten, aus Shakeſpeares Maulbeerbaum niedliche
Sachen zum Verkauf verfertigt habe; vieleicht macht uns
ein Gelehrter ein Meines Gedicht darauf, und unfer Glüd
iſt gemacht.
Dieſer Vorſchlag war fo herrlich, als wenn er vom
Himmel gelommen wäre; id fiel meiner Harriet um den
Hals, und ging gleich binaus, um den Maulbeerbaum zu
fälen. Allein, als ich mit dem Belle da fand, war es
mir unmöglich. Es war mir, als ob id einem Menſchen
ins Fleiſch hineinhauen und ihn vermunden, als ob id,
um mic) au retten, einen Mord begehen -follte. — Man
170 Der Maulbeerbaum.
bat ja alte Fabeln, mie Menſchen in den aͤlteſten Zeiten zu
Bäumen verwandelt find; und in den Kindermärden kommt
auch viel von Druidenbäumen vor, worin freundliche Bei-
fer Haufen. Es fhien mir, als ob Shatefpeares Geift in
diefem Maulbeerbaum wohne. Nein, ih kann es nicht!
heute wenigſtens nicht. Wir wollen diefen Borſatz befchla-
fen. Vielleicht ſcheint die Sonne nicht morgen! Benn der
Himmel grau iſt, will ih es thun. Die Sonne darf den
Baum nit fallen fehen; auch Mond und Sterne nicht.
Benn es regnet und ftürmt, will ih den Maulbeerhaum
fällen. — ber dann wird das Holz zur Arbeit zu naß
rief Harriet; und da ift Beine Seit zum Zaudern; wenn der
Meine Tom erwacht, will er Brei haben, und Mafter Piew
bat den Topf vom Feuerheerd genommen. — Heute, liebe
Harriet, erwiederte ich, werden chriſtliche Nachbarn uns
beiftehen; morgen will id in Gottes. Namen den Baum
fällen.
Ich erwachte den kommenden Morgen ziemlich ſpät.
weil ich ſehr ſpaͤt eingeſchlafen war; Frau und Kind ſchlie⸗
fen noch neben mir, auf dem Stroh. Die Some ſchien
wieder heiter zum Fenſter herein, allein ich Dachte: Sei dem
alſo. Shatefbeares Beift wohnt nicht in dieſem einzelnen
Maulbeerbaume, fondern im ganzen großen Fruchtgarten
feiner herrlichen Werke; umd die werde ich nicht mit mei
nem Beile fällen. — Ich hatte kuͤrzlich Harriet feinen Som,
mernachtstraum vorgelefen; es kommen fo niedlihe Elfen
darin vor, und ich dachte: Der gute William iſt gewiß
. aud) ein großer Kinderfreund geweſen; font könnte cr un
moͤglich den Meinen Senflamen, Bohnenblüte, Motte und
Spinnreb, fo allerliebſt geſchildert haben. Er wird es mir
\ Der Maulbeerbaum. am
nicht übel nehmen, dag id} mid, meines Toms wegen, an
feinem Baum vergreife.
Wie ih fo ſtehe, und ſchuchternen Blides den Baum
anfebe, der heut zum Ieptenmal feinen angenehmen grünen
Schatten ins Zimmer werfen fol, deſſen fchöne Blüte ich
mit meinem tüdifhen Eifen vernichten wid; kömmt es mir
wahrhaftig vor, als ſtecke Zitania, die Königin der Elfen,
ſelbſt ihr liebliches blondgelocktes Geſicht mit den Nofen-
wangen durch die Zweige des Baumes, zum Fenſter herein;
nens ſehe id ein außerordentlich fhönes Mädchen
geficht.
Als fie mic, flebt, grüßt fie freundlich nidend mit dem’
Kopfe, und fragt befeiden: Wohnt nicht der Tiſchlermei-
fter John Brown bier?
Id) Taufe gleich hinaus, und finde Die ſchöne Mig Cor-
dula Hulter mit ihrer Zofe bei dem Poſtwagen. — Mit .
wenigen Worten erzäblt fie mir, daß fie vorigen Sommer
mit ihrem Bater von Dftindien gelommen fe, ſich diefen
Binter in London aufgehalten habe, daß der alte Herr, an
die leichte Luft der Süpdfeeinfeln gewöhnt, am Steinkohlen«
dampf von London geftorben fei; und dag fie, ihrer eige⸗
nen Gefundheit wegen, um das Scidfal des Vaters nicht
zu theilen, aufs Land hinausgegogen, zugleich aber auch
münfee, mitunter aud einige Wochen in Stratford zu woh ·
nen, weil fie von William Ehatefpeare abftamme. Sie
wiſſe, daß id fein vormaliges Haus bewohne, und das
wolle fie nun gern von mir wieder miethen, id) möchte den
Preis fo hoch fehen als ich wollte. — Raum babe ich ihr
meine Roth geklagt, fo reicht fie mir einen Beutel voll
Gold, und id bin auf einmal ein wohlhabender Mann.
Seitdem ift die fhöne Miß in meine vorige Wohnung
172 Der Raulbeerbaum.
eingezogen, umd ic habe mir diefe nieder gemietbet, treibe
mein Handwerk ohne Sorge, und bin ein glädlicher Menſch.
Die ſchoͤne Miß iſt jeht eine Freundin meiner Frau, und
mag meinen Meinen Tom auch fehr gut leiden. Ste ift von
der ganzen Gegend geliebt. Junge Landmädchen kommen
woͤchentlich zu ihr, da müflen fie mit ihr in einer großen
Spinnftube arbeiten, und Märden erzählen, und alte Lie
der fingen. Sie bat ſchon mandes junge Paar verheira-
thet und ausgefteuert, denn fie ſcheint fehr reich zu fein.
Noch Morgen wird fie die Hochzeit eines hubſchen Mäd-
chens ausrichten; und da fünnen Sie die Miß Cordula in
der Kirche feben, einer gewiſſen Genemonie beimohnend, die
nie vergeflen wird: das Brautpaar muß nämlich "das fleir
nerne Bild ihres Stammvaters, William Shakeſpeares, in
der Kirche mit Blumen fränzen.
Bird fie denn felbft nicht heiraten, und ift die fhöne
Dig nicht vesfprohen? fragte Eberhard. — Damit kann
ich nicht dienen, ſprach der Tiſchler abbrechend. Jetzt wil
ich noch ein Licht holen, und Ihnen zu Bette leuchten, weil
Ihr Bedienter heute Nacht im Wirthehaufe ſchlaͤft. Auch
einen Stiefeltnecht will id bringen.
John Brown ſchlich ſich leiſe in’ Schlafzimmer. Kaum
war Eberhard in der Stube allein, wo das wohlgetroffene
Bildnig feiner-Cordula an der Ward hing. fo trieb im
feine Liebe dazu, auf einen Stuhl zu fleigen, und den
Mund an die fhöngemalten Lippen zu drüden, die feinen
Kuß nicht erwigderten.
John Brown fam gleich zurid mit dem Stiefelknecht,
und wunderte fih über die Magen, feinen Gaſt auf dem
Stuble im eifrigen tdte à töte mit dem Bilde zu finden.
Das Blumenmädhen und der Mind. 173
— Eberhard, der die Zurädkunft des Wirthes nicht fo bald
vermuthet hatte, wäre vor Shaam beinahe vom Stuble
gefallen. Allein der junge Tiſchler ſprach ihm Muth ein.
— Shämen Sie ſich nit, mein Herr, rief er; ih weiß
auch, mas Liebe it. Habe id doch die Vantoffeln und
Handſchuhe meiner Harriet in den Feiertagen gefüßt, wenn
ich ‚fie nicht ſelbſt hatte. Ih merfe wohl an allen, der
heimliche Liebhaber ift angefommen, und ich habe die Ehre,
Herrn Eberhard Julius in meinem Haufe aufzuwarten. An
Ihrer Ausſprache hörte ich glei, daß Sie ein- Deutſcher
find. Es wundert mich, wie ich nicht fräher Verdacht ger
ſchopft babe.
22.
Das Blumenmädden und der Mönd.
Eberhard konnte beinahe die ganze Nacht nicht ſchla⸗
fen, und daran war Jehn Brown allein Schuld, deun wa⸗
rum erlaubte er dem ſchwaͤrmeriſchen Liebhaber, Gordulas
Bid ans der Wohnftube mit ins Schlafzimmer zu neh-
men? — Eberhard hoffte von feiner Geliebten zu träumen.
Allein bier verrechnete er ſich! Man träumt felten von
dem, wonon die Seele beim Schlafengehen voll ift; und fo
hatte denn der gute Eberhard nur mit lauter Erbſen zu
tbun, die er aus einem Scheffel in den andern zählen
mußte, wobei fi) die Zahl zuleßt fo ungeheuer vermehrte,
dag er die Summe nicht länger behalten konnte und ibm
174 Das Binmenmädden und der Mönch
die Haare’ vor Angk zu Berge fanden, ‚weil Todesſtrafe
darauf gefet war, wenn das Farit nicht richtig würde.
Bon diefer Noth befreitete ihn John Brown, der ihn
> erwedte.
Das Frühftüd wartete auf ihn, und er eilte ih au⸗
zuziehen, denn um zehn Uhr ſollte die Hochzeit vor fih ger
ben. — Wufilanten festen ſich ſchon in Bewegung, und
fingen an zu blafen. In Proceſſion ging das junge Braut»
vaar zur Kirche, von Cordula und mehreren [dönen Iung-
frauen gefolgt. — Eberhard hatte fid in einen Winkel ge⸗
drüdt, dem Bruftbilde Shafefbeares gegenüber. Man be
bauptete, dies Bild folle fehr ähnlich fein, nad einem Ab-
guſſe nach der Natur. Hände und Geſicht waren fehr fleiſch⸗
farb, die Augen hellbraun, Haar und Bart blond; das
Bamms ſcharlachfarbig, mit einem leichten ſchwarzen Um»
wurf, der obere Theil des Kiffens grün, der untere kar⸗
moifin, die Franzen goldig.
Allein Eberhard hatte nur Augen für Cordula. Eie
war böher und vielleicht ein wenig magerer geworden, ſchien
ihm aber jept noch reigender zu fein. Denn Würde hatte
ſich mit der Iugendlichfeit verbunden, und das Kindliche,
das worber mitunter an das Kindiſche gränzte, war zuräd«
gedrängt, ohne verſchwunden zu fein. Das weile, eruſte,
etwas blaffe, regelmäßig orale Geſicht, würde ibn an die
Antite erinnert haben, mären die Augen nicht fo gefühlvol
geweſen.
Bor dem Bruſtbilde des Dichters hielt die Reibe Mill;
Körbe vol Nareiffen, Hyacintpen, Rofen und Immergrän,
die aus Zreibhäufern gebelt waren, weil der kalte Früh
ling nod nicht in freier Natur ſolche foendete, wurden vor
das Bild bingeftellt; und mäßrend cin ſchönes Lied leife
Das Blumenmädden.und der Mind. 175
vierftimmig gefungen wurde, befränzten die Mädchen Sha-
keſpeares Bild, wobei Cordula die eifrigfte war, und ihrem
Liebhaber Gelegenheit gab, die holde Geftalt in den ans
muthigften Stelungen zu fehen, wenn fie bald Hände und
Arme mit Purpurblumen und grünen Blättern in die Höhe
reichte, um ſolche auf die Nägel zu hängen, bald das herr,
liche Profil zu dem Bilde erhob, um zu fehen, wie der
Schmud ſich ausnehme; bald den ſchlanken Leib zurüd bag,
und ſich büdte, um mehr Blumen aud dem. Korbe zu nch
men. In den Ohren hatte fie Shakeſpeares Ohrringe, eine
Erbſchaft ihrer Stammutter Concordia.
Des begeifterten Eberhards Thraͤnen floffen unaufhör-
Kid. theils aus ſüßer Liebeswonne des Wiederfehens, theils
waren es Wehmuthsthränen beiliger Ahnung dem verftor-
Denen Dichter geweiht.
Bald umringte ein großer, dider, bunter Blumenkranz
die Büfte; der Zug begab ſich zum Traualtare hin, und
Eberhard cite jegt fort, um aud bei diefer Gelegenheit
thätig zu fein. Er haste alles mit John Brown und fei-
ner Frau, die mit im Gefolge waren, abgeredet. Sobald
das Paar cingefegnet wäre, fagten fie, würde Cordula
ſchnell voran nach Haufe eilen, um die nöthigen Anftalten
zum Empfange der jungen Eheleute zu machen, die heute
bei ihr zu Mittag fpeifen folten. John Brown und feine
Frau wollten fie dann durd cin altes gothiſches Gebäude,
ein ehemaliges Klofter, führen, wo man durch einen Langen
gewolbten Gang einen fürzern Weg nad) Cordulas Woh-
nung machen könnte, Hier follte ihr Eberhard dann in feir
ner Vermummung begegnen.
Schon fam die ſchöne Miß mit ihren Freunden den
Langen Kioftergang eilig herauf, als ſie auf einmal vermun-
175 Das Blumenmädden und der Mind.
dert ftiße fand, und rief: Mein Gott! Harriet, ſichſt Du
and) den alten Mönd dort, in brauner Kutte, mit einem
Strick um den Leib, mit dem Blumentorbe in der Hand,
der uns enfgegenkömmt? Gr fieht ja lelbhaftig ans, wie
der Frater Lorenzo in Romeo und Julia Träume id,
oder wach' ih? — John Brown bat die junge Dis, ſich
nicht zu entfegen. und nur näher zu treten, das Nätbfel
werde fi) bald löfen. — Eberhard. ging ihr, langſamen
Schrittes entgegen. Bei einem Fenfter, mo die Geſcichte
Nebeltas bei der Duelle mit bunten Farben ins Glas ge
brannt war, und wo eben die Senne herein ſchien, und
ein warmes Farbenlicht in den fühlen Gang warf, begeg-
neten fle fih. — Der Mönd) reichte ihr feinen Korb vol
frifcher Veilchen und ſprach:
Die Lerche fingt, des frifche Morgen lacht,
Der frühe Märı hat feinen Schmuck gebracht.
In inngen Gräfern Nand Das Meilen blau,
nd ziitert eben, bla in Morgenthan.
Sorenio, den die Blumen ftetd entiückt,
Zragt fie in feinem Korb hier adgepftächt.
Im Kloflergarten fieht ex, reicht fie dar
Dem beiten Maͤdchen. wie nit eine war.
Die ſchonen Kinder hat er Neth gelicht,
Und Jullens Sqhickſal Hat ihn tief beeübt. .
Doch deute fpiels mit Wlumengift.cr nicht,
Wie in des Gtammberen trefkhens Gedicht ;
Mein Belhen iſt mufcnuldig, bläulich zoth,
In feinem Kelche lauert mit der Top;
Die Hoffnung duſtet freudig nur herab,
And frifche Siebe ſtartt den Binmenkrauß.
Ende gut, alles gut. 117
Richt Eilengitter deut, nicht Marmerfarg
Das Glück des Lebens meudhlerifd) verbarg.
Gefund und offen weit die Kirche glänit.
Dig Liebe fleat, der Dichter iR befrämit;
Durchs alte Klofterfenfter, bunt und lang,
Scheint Sonne, tönt der Bögelein Belang;
And wieder felig, feinem Glüce nah,
Küßt Romeo feine fübe Juin. -
Oben auf den Veilchen Tag das in Diamanten gefaßte
grüne Glas, die Scherbe der Wartburg, mit den Worten:
Eberhard. Deine Cordula Ieht. Kaum hatte er zu fpre-
hen angefangen, fo erfannte fie ihn, und der von Liebe glü⸗
bende Jüngling drüdte das vor Freude zitternde Mädchen
an feine Bruft.
23.
Ende gut, alles gut.
Sobald Eberhard feine Eordula Frau nannte, dachte
er nur daran, nad Felſenburg zurädzufehren, weil die
Schöne, ihrer blühenden Jugend obnerachtet, nicht gut das
Clima in England vertragen kounte. Kapitain Horn batte
ihm vor feiner Abreife mit der holändifhen Garniſon ger
ſchrieben, daß er ihm ein gutes Schiff mit einem braven
Sciffer fenden würde, um ihn und feine Frau nad) Tel
fenburg zu bringen.
Seplenf. Seheiften. xviui. 12
18° Ende gut, alles sut.
Sobald das Schiff auf der Themſe lag, fhiiften ſich
die jungen Eheleute ein, ihre Freunde auf der Infel im
Südmeere nach Verſprechen bald wieder zu fehen; und wir
eifen, eben fo ſchnell wie fie, diefe Geſchichte zu endigen,
die ohnedem ſchon der Zefer zu lang finden mag.
Ibre Reife war glüclich, und fle litten beinahe nichts
von Sturm und Gewitter. Schon waren ſie in dem ge⸗
wunſchten Gewaͤſſern, und hofften alle Tage die Infel zu
feben, als Eberhard zu feinem Schrecken eine Entdeckung
machte, die ihn gleich dazu trieb, ohne Baudern die Scha⸗
Kuppe mit" Beftkleidern, Lebensmitteln und andern Noth-
wendigfeiten zu verfeben, und fi) mit feiner Cordula nebſt
Heinrich Schlent in Gottes Namen von zwei theuer bezabl«
ten Ruderknechten nach der naͤchſten hohen Klippe rudern
au laſſen, die fi in der Ferne zeigte, in der Hoffnung,
dag diefe Steinmaffe zu den Zelfenburgifchen gehöre. Wenn
fie aber aud ganz fremd wäre, wollte Eberhard doc lie⸗
ber auf Gerathewohl dahin feuern, als auf dem Schiffe
bleiben. .
Bas fonnte nun den zärtlihen Ehemann dazu treiben,
feine geliebte Cordula diefer Gefaht auszufeßen? Denn
der Weg dahin war ziemlich lang, die See ging hoch und
der Abend graute. — Bar das Schiff leck geworden?
Nein. Bar eine Meuterei wieder zu befürchten? Au
nicht. Aber ein weit ärgeres Ungeheuer als der Scharbock
und die Scefrantheit hatte fih diesmal am Bord einge»
ſchlichen. Eberhard entdecte naͤmlich, da ein Matroſe an
den — Kinderblattern krank liege! Cordula hatte diefe
abſcheuliche Krankheit noch nicht gehabt; die wohlthätige
Entdecung die jeht fo vielen Menſchen Leben und Gefand-
Ende gut, alles gut. 179
heit rettet, war noch wicht gemacht; und wir verkeben alfo
Eherhards Eile amd Berwrgenheit fehr gut.
Der Weg dahin war nicht ohne Gefahr, allein dic
Rudertnechte, Eberhard und Heinrich firengten fi) an. Es
war duufle Nadıt geworden, als fie in eine Bucht einlie⸗
fen, die tief in eine Selfengrotte führte. Der Mond ſchien
nur fo ſchwach durd eine Ritze, dag fie mit genauer Noth
einen trodenen Fled zum Rachtlager auffinden Fonnten.
Sie Hüften fid in ihre Betten, und ermüdet von der An
firengung und der Gemüthsbewegung ſchliefen fie gleich ein;
denn Erfrifhungen Hatten fie ſchon im Boote genoſſen.
Eberhard erwachte früb, ſah ſah um im -großgemälb-
ten unbefannten Raum, und glaubte noch zu träumen. Es
ſchien ihm, als befände er fih in einem runden Tempel,
we zwolf toloſſale Statuen und Gruppen umber ftänden,
von der Morgenfonne ſchon erleuchtet. Sie waren ziemlich
gut gemaht Das Steife und Bizarre einer barbarifhen
‚Zeit verband ſich harakteriftifch mit einem Auſtriche griecht⸗
ſcher Formſchoͤnheit, und Attribute, als Scwerter, Häm-
mer, Spieße, Harfen, Blumen und Aehren zeigten, dag
diefe Bildfäufen mythiſche Allegorien vorftellen ſollten. Das
Bett Eherhards und Gordulas, im ſuͤdlichen Theile des
Tempels, ſchien ihm gerade unter einer ſolchen weiblichen
nadten Figur gemacht zu fein, der ſchönſten der ganzen
Reihe. Sie ſaß in ıinem Meinen zweirädrigen Wagen, mit
Zigerfagen befpannt, und hielt eine Nofe in der Hand, als
Mieder hatte fie ein leichtes Federkleid, das doch weder
Bruſt noh Schulter, fondern nur einen Kleinen Theil des
Nüdens und des Leibeg bededte. Ihr zur Linfen in We⸗
ften faß ein gemuͤthlicher bärtiger Mann, ande Harfe
180 Ende gut, alles gut,
flug, ibm zur Seite fand eine hübſche junge verfhämte
Grau, mit niedergefhlagenen Augen, und mit einer fil-
dernen Schaale vol goldener Aepfel in der Hand. In
Dften faß auf einem etwas erhöhten. Sige ein ſehr ver⸗
ſchitzter vierfhrötiger Greis mit langem Barte; auf feir
nen breiten Schultern flatterten zwei Raben, die ihm et⸗
was in die Ohren zu raunen ſchienen. Er hatte neun Nar-
ben an der fablen Stirn, und einen langen Spieß in der
Hand. Ihm zur Rechten ftand eine Figur, die am fleißig-
fen und mit der größten Liebe ausgearbeitet ſchien. Ein
kräftiger Krieger, mit zornigem, verwegenem Geſichte! In
feiner Rechte, woran er einen Handſchuh trug. hatte er ei⸗
nen großen Streithammer, und um den Leib war ihm ein
ſchönes Mieder geſchnallt, fonft war er nadt; nur daß er
einen Helm trug. Zwiſchen diefen vier Hauptfiguren waren
immer zwei andee, die Eberhard nicht recht erkennen konnte,
denn der Traum verſchwand, und er ſchlief wieder rubig.
Als er aber die Augen aufs neue aufſchlug, hatte er den»
felbigen Traum, und hörte zu feinem größten Erftaunen
folgenden Gefang, der ibm von der Gegend des Tempels
zu kommen ſchien, wo der Gott mit der Harfe fag:
&8 lieget fern von Norden eine meltberühmte Stadt,
auwo die (hönfte Kaiſerin dem Bolt geboten Hat.
In Dänemark und Rorweg wol Muflegard genannt,
Sonſt ald Gonftantinopel der ganzen Welt bekannt.
Die Stadt iR voller Pracht, voller Kunft und Genuß,
Die Männer gehn in Purpur, im Höchften Meberriuß :
Doch wol ein großes Aleinod befigen fe dort wicht,
Un Ehrlichkeit und Treu’ es den Griechen fehr gebricht.
Ende gut, alles gut. 181
Gar meuchleriſch fie wüthen, in Palaſt und Hans,
Es ſtechen fich die Brüder die Augen immer aus.
Sie trauen ſich nicht felber: vom. Norden famen her
Die Heldenſchaar der Bäringer, deß freuten fie ſich fehr-
Denn Harald Haarderaade, ein wunderfamer Held,
Im Borden hocigepriefen, wie in der ganzen Welt,
Gin Königiohn von Drontheim, ihm folgten wir fo gern;
Und wo die Schwerter blintten, da waren wir die Herr'n.
Doch Harald und Georgius vertrugen ſich mur fchlecht:
Der Degen der Rormannep-war dem Griechen nicht recht;
Er fonte mit ihm theilen die Chr’ und auch dad Gut:
Da ward dem Multegarde gar fclecht zu Muth.
Es teennten ſich die Reiten. Marder es gefchah,
Mcıtsig große Städte im heißen Afrika
Gewannen wir mit Beute; die Feinde lagen tobt.
Da färbten wir mit Blnte die Schildedränder roth.
Doc; einige der Degene die fegelten zur Stund
Auf langen goldnen Drachen, durch ſchmalen Ribrvaſund *)
Da hat der Harte Megie und hingemorfen fern;
Bir tannten feine Aüſte, aulcpt auch feinen Stern.
An diefen hohlen Felſen mir landeten zulegt.
Da haben in dee Einfamteit wir fet und gefept.
Bas hatten in den Schluchten die Schwerter mehr zu thun?
Da brauchen wir die Hämmer, dab Schwert fonnte ruhn.
*) Die Straße bei Gibraltar.
182 Ende gut. alles gut.
Sigi unfer Fühser, ex Anmmt vom großen Cchmid
Baulundur dem viel Zrefflichen, er brachte Zangen wit;
Die Zeit uns im vertreiben, im freuen unfer Her,
Bir Hämmerten die Götter aus hefblanfem Gri.
Bir Yalfen ipm gewekig; nach / ieler Jahre Zeit
Enthanden die iwölf Mien, in liter Gereheteit;
Secht wie Die Mormorbüider im Circus Dort in Rom,
Und Die, Riefengätter von Era im Oippodrem
Roc) find wir Beine Heiden; wir beten fie nicht an’
Gedenten nur, was font in der Worzeit fie getan: 5
Da fanden fie den Büteen mit ihrem Schube bei,
Des danfen wir nach Odin, noch Thor und noch Frei,
Sonf Haben wir beRändig zu Ichter vedenekrin
Inbrünftig angebetet den weißen Jeſas Chriſt.
Er ſchent und nach der Heimat die balb'ge Wiederkehr.
Alle wir Elenden, wir fehnen uns fo ſehr.
Doch follen mir verfchmachten, fol medeen das Gebein
Der treuen Rordenföhne auf fernem Feifenkein,
So fage dieſes Denkmal dem Eremden, der ſich naht:
‚Hier haufen auch Rormannen, und Das war ihre That!“
Eberbard hatte fi während des Liedes völlig über-
zeugt, daß er nicht träume, fondern dag alles reine Wirk-
figpteit fei. Jeßt Raunte er aber noch mehr, denn er glaubte
deutlich, Lademanns fhöne Tenorftimme zu erfennen. Gor-
dula war indeß erwacht, und machte große Augen. Der
Tempel war nun ganz erhellt, und droben in einem Gange,
Ende gut, alles gut. 183
der wie eine Gallerie den Tempel umgab, fahen fie Schnüre
in die Kreuz und Duer gejogen, worüber eine ziemlich cor-
pulcate Frau reine Wäfhe zum Trodnen aufping.
Bei Gott, das itt Hanna Heilkraft! rief Eberhard. —
Ja fürmabr, fagte Cordula, und Lademann hilft ihr bei
der Arbeit. — So find wir doch nad) Felſenburg gekom⸗
men,. meine Cordula! Aber, wie ift diefer Tempel bier
entftanden? den wir vorher gar nicht kannten? Die Nor»
mannen Fönnen doc in unferer Abweſenheit nicht hier ger
landet fein, und ale die Erzbilder gemacht baben.
Sieh, Hannal — rief Lademann droben auf der Gal« -
lerie; — fo wahr id) lebe, liegen nicht drei Menſchen auf
Matragen, drunten im Tempel, und im Boote, am Pfahle
gebunden, And zwei Matrofen. — So haben fie denn auch
noch diefen Bintel aufgeftöbert, fagte Hanna Hellfraft ver-
drieglid. Man kann fid doc) nirgends vor dem neugieri⸗
gen Menſchengeſindel verbergen! Ueberall wollen fie ihre
Nafe haben. — Co wahr ich Iche, Hannal das find Eber⸗
bard und Cordula. — Ei warum nicht gar? Zräumt Ihr
nun wieder, Lademann? — Nein, nein Hanna, er träumt
nicht! rief Eberhard, und firedte die Arme gegen fie aus:
Cordula und Eberhard find wirtlich da.
Nun, feid Ihr endlih dal verfepte Hanna ganz gelaf-
fen, und es lang beinahe wie ein Vorwurf: Warum feid
Ihr nicht früher gefommen? Aber die Freude leuchtete ihr
aus den Augen. — Bartet nur, fo wolen wir gleich zu
Euch hinunter kommen.
Nach einem herzlichen Gruße erzäblte ihr Eberhard
altes, was ihm in der Abweſenheit begegnet war, und fie
wollte ihm auch gleich alles fagen; allein Lademann, in dem
eine Künſtlerſeele lebte, konnte nicht zugeben, dag die ſchöne
184 Ende gut, alles gut.
Ueberraſchung auf folde Veiſe unvoeliſch geſchwächt werde,
und gebot Stillſchweigen. So folgten die jungen Eheleute
ihm und Hanna einen ziemlich langen Hohlweg, den Berg
binunter, durd den grünen Bald, nad einer fchönen,
fruchtbaren Ebene. wo fie zwei allerliehfte Häufer mit Gär-
ten und einigen hohen Bäumen vor ſich fahen.
Augen, vor der.einen Hausthüre ſaß Wolfgang auf
der Bank, und fpielte mit einem fhönen Knaben auf dem
Schooße, der ihm mit den Meinen Händen immer den Bat-
kenbart zaufen wollte. Ihm gerade gegenüber ſaß Lipberg
am Tifhe, und war mit der Zeihnung eines alten Runen-
ſteines beſchaͤftigt, der vor ihm aufgeftellt ftand.
Und jept, lieber Eberhard, ſprach Lademann fenell,
als fie einige Bäume wieder verbargen, mill id mit weni
gen Worten das Näthfel loſen, damit mir Herr Ligherg
nit nach Gewohnheit das Wort aus dem Munde reißt,
fobald er uns fieht. Und von ihm erfahren Sie dod in .
der erften halben Stunde nichts Geſcheidtes; denn je neu
+ gieriger Sie werden, je mehr wird er Sie mit Nedereien
und launenbaften Ginfällen aufhalten.
Bir find niht bier auf Groß» fordern auf Klein«
Felfenburg. Als die Große Infel ihre Selbſtſtändigkeit
verloren hatte, und die Gährung der Gemüther nicht auf-
bören wollte, mochten wir nicht länger da bleiben. Bolf-
gang, Ligberg, Hanna Helfraft und id, find nach diefen
fhönen abgelegenen Thälern gezogen, wo wir wieder ale
glüdfihe Einfiedler leben, obne an den Gitelfeiten und
Streitigkeiten der Welt Theil zu nehmen. Magifter Schmel«
zer mußte drüben bei den Einwohnern bleiben, um ihnen
das Wort zu vredigen; und fie fünnen es nöthig haben.
Viele der Landesfinder werden vermuthlich mit ihrem Gelde
Ende gut, alles gut. 185
Wenn die Schäge find jeht alle vertgeilt) nach Europa oder
Nordamerita ziehen, ſobald die Holländer Groß-Felfenburg
in Befiß nehmen.
Hier bat Herr Litzberg in rer Abweſenheit zwei fehr
gute Häufer gebaut! das eine für Herrn Wolfgang und
feine Frau, das zweite für Sie, wenn Sie einmal glücklich
wieder zurädtehren follten. Lißzberg wohnt bei Wolfgang.
Hanna Heltraft und id bewohnen ein Paar Stübchen in
Ihrem Haufe, die (hönften Zimmer fehen aber immer be⸗
reit, um, wenn es fein foll, Eberhard und feine liebe Gor-
dula zu empfangen.
Die Häufer waren fhon gebaut, und wir hatten dieſe
Inſel eine Weile bewohnt, ehe mir noch den nahen Tem⸗
vel im hohlen Felfen entdedten. Weitläufige Gänge füh-
ren dazu dur den Berg, von der Landfeite, und fein
Schiff naht ſich der Küfte dort von der Seeſeite, weil der
Grund vol gefährlicher Scheren if. Sie, Fieber Eher-
bard, find ohne es zu willen auf ihrem Boote glüdtih, al-
len diefen Gefahren vorbei, gleich ins Heiligthum bineinge-
fegelt. : Und mir Andern können es einem alten Zreunde
von Ihnen danken, dag wir das Geheimnig auf dem Trod-
nen fanden. — Bie {p? fragte Eberhard. — Erinnern Sie
ſich nicht, dag Sie mir beim Abſchiede, als Sie nichts über
den Berluft Ihrer Cordula tröften fonnte, Ihren Pudel,
den freuen Suchverloren anvertrauten, bis Sie wieder Fü
men? Einem unglüdtihen Liebhaber muß man etwas zu
gute halten; es war aber nicht Recht von Ihnen, Tieber
Eberhatd! Denn das treue Thier war nahe daran, vor
Sehnſucht zu fterben; und ic hatte ihm ſchon ein ſchlichtes
Grabmal unter dem Baume zugedacht, mo der felige Al-
bert Julius, der Sage nad, den kleinen Beautiful begrub.
186 Ende gut, alles gut.
Sudhverloren erholte fi aber, nahm mit meiner Flechten
Fürſorge vorlieb, ſchlog ib an mid an, und ſchien beflere
Tage in der Zukunft, zu Hoffen. Er hat her den Seiden ·
—— eben wie vormals die Guanchenhoͤble auf Teneriffa,
enident.
Einige ſilberne Platten, die wir im ſteinernen Zimmer
fanden, gaben Aufſchluß, daß bier mehrere Nordenhelden
ſchon im eilften Jabrhundert gewohnt haben. Nachher da-
ben wir, drunten im Thale, ihre Runenſteine und Grab»
mäler gefunden. Ein isländifher Matrofe, eigentlich ein
verunglüdter Student, der das Ieptemal als Kapitain Horn
bier war, Erlaubnig befam, auf Eroß-Selfenburg zurückzu⸗
bleiben, bat Herrn Lißberg trefflich geholfen, das alte Lied
und die Sage, wie fie auf den Silberplatten gefchrieben
Rechen, zu Äberfegen. Nachher haben wir Alle dazu gebol«
fen, das Lied in deutſche Reime zu bringen. Der Isländer
bat mich eine alte nordifhe Melodie dazu gelehrt, und ic
finge es gern drunten im Tempel, wo der heidniſche Dich⸗
tergott Bragi bei der Harfe fipt, und feine Frau Idun,
mit den Wepfeln der Unfterblichteit bei ihm ftebt; weil das
Echo da fo.Ihön ift-
Alein, liebe Hanna, fragte Cordula neugierig, wie
tommſt denn Du dazu, in diefem alten Heidentempel zu
walten, und Zeug aufzuhängen?
> Beil da sine warme Duelle fließt, antwortete Hanna,
die mir die Arbeit ſehr erleichtert. Der Drt ift auch ber
quem als Obdach gegen Regen und Hige, obſchon etwas
ſchaurig. Lademann geht aber immer mit; er ift jept mein
Kind, und bei der Arbeit ſpielt er mir meiftens etwas vor
auf der Harfe. Ich mag, während der Arbeit, wohl die
alten Goͤtzenbilder betrachten, die mich mit ihren Baͤr⸗
Ende gut, alles gut. 187
ten und Hämmern gar wunderbar anfehen. Id muß da-
bei an den Todtentanz in der Kirchhofhalle hei Leipzig den-
ten, mo id auch oft faß und fpann, während Eberhard bei
mir war, und etwas erzäblte. Iept ift Lademann mein
Eberhard geworden, denn der andre hat ſich eine ſchöne
junge. Frau genommen, und fehrt fih den Henker mehr an
die alte Hanna Hellkraft.
Pfui Hanna, wie kannſt Bu dod fo reden! rief Eber ⸗
Hard fie umarmend, licht ‘man denn feine Mutter weniger,
meil man ihr ein fhönes Schwiegertochterchen zuführt?.
Jetzt hatte fie Lipberg mit feinen Falkenaugen in der
Berne entdertt. — Bei Gott, rief er, da kommen fie. —
Ber? fragte Bolfgang, das Kind hinunterfegend. — Eher-
hatd und feine Braut. — O mein Gott, Sophie. ., liebe
Sophie, rief Wolfgang, komm' beraue! Sie ſind da, un⸗
ſere langerfehnten Freunde.
Stille} gebot Lißberg laͤchelnd, wir wollen ihm einen
Sdabernatk anthun. Wir wollen den guten Eberhard ein
Elein wenig foppen. — Gleich wieder foppen! ſprach Wolfe
gang, unzufrieden, Nur einen Yugenblid, Herr Kapitain,
damit das Vergnügen noch größer werde.
Bolfgang mußte das Kind wieder auf den Ecooß
nehmen, und den Kommenden den Rüden zu kehren, Lig«
berg faß in feine Arbeit fo vertieft, dag Eberhard ſich ihm
leiſe nähern und auf die Schulter klopfen konnte. — Lih-
berg blickte auf, ſah Eberhard: an, und ohne eine Miene
au verändern, noch aufjuftchen, fagte er, ibn phlegmatiſch
anftarrend und beim Uhrbande fallend: Ci, mein lieber
Eberhard, da haben Sie ja ein neues Signet in Ihrem
Usrbande betommen! — Eberhard ſtaunte ihn an — in
diefem Augenblide fprang aber der Pudel, der feinen alten
188 Ende gut, altes gut.
‚Herrn gerochen hatte, aus der Hausthüre ſchnell heraus auf
den Ti, wälzte die Schaale mit Tuſch über Lißberge
Zeichnungen, feßte die Pfoten auf die Schultern feines
Herrn, und ledte ihm Hände und Stirn, während er in
einsfort Litzberg mit dem Wedel ins Gefiht ſchlug.
Das fchadet Euch nicht! rief Wolfgang. Der Hund
befhämt Euch, er empfängt feinen alten Freund herzlicher
als Ihr. — Bas kehr' ich mich an die Zeichnung. die kann
ich wieder machen; rief Ligberg, ungeduldig Wolfgangs
Umarmung abwartend, damit er feinen alten Reiſegefähr-
ten auch umbalfe. Gott ſei Lob, id habe ihn wieder! Wie-
der Iemanden, mit dem ich id alle Tage zanken und aus-
gleihen kann. Hier gaben die Iangweiligen Menfhen mir
im Dieputiren immer Recht. Ich will aber nicht Recht ha⸗
ben, und fie follen es auch micht haben, ‚deun fein Menſch
bat ganz Recht, noch ganz Unrecht. Hätte das länger ge»
dauert, ich wäre crepiert wie eine Kaxauſche, die man aus
dem Schlammteihe herausnimmt, und in.ein Glas Mares
Waſſer feßt.
Lieber, lieber Eberhard, rief Wolfgang, ſehen Sie
doch! Da ift noch ein Albert Iulius! Er gebt mit Fall-
but im Flügeltleide, und id) habe ihm eben ein Steden-
pferd geſchnitten. Sophie, komm’ doch heraus! Eberhard
und Cordula find da. Eine (höne Fran öffnete die Haus-
thär und flog der unerwarteten Freundin in die Arme.
Heinrich Schlent hatte ſich indeß leiſe nachgeſchlichen
und machte im Hintergrunde mit: dem treuen Rudolph
Bolfgangs Diener, Betanntſchaft. den wir aus feiner Le⸗
bensbeſchreibung kennen.
Jept brachten die Mein-Felfenburger die Neuantom ⸗
menden in ihr fhönes Haus, wo Eberhard in der Wohn-
Ende gut, altes gut. 189
ftube Luthers. Shateſpeares und Alberts Bilder an der
Band hängend fand. Das gelbe plüſchene Canapee aus
Leipzig, und das Bild feiner Mutter waren aud da. —
Im wohlbefannten Schrank lagen. die Uhr, die verblichene
Schleife, nebſt amdern Reliquien.
Eberhard und Cordula Enieten vor dem Bilde des ehr«
würdigen Altvaters nieder: O mein lieber guter Stamm»
vater Albrecht Julius, rief er, Dein Enkel ift jegt fo glüd-
lich, wie Du es warſt. Nach vielen Widerwärtigteiten hat
er feine Cordula, wie Du Deine Concordia, gewonnen. Ein
unſchuldiges, freies, idylifhes Lehen, das befte Loos des
Menſchen fängt wieder an. Möge Dein Geift, mit den
Geiſtern meiner Mutter, Luthers und Shakefpeares uns
umſchweben! damit wir, wie Du, das Leben genießen, mit
Shatefpeares Auge in die Welt fehen, und mit Luthers
‚Herz den Himmel ahnen.
erre®»
10.
a.
1
Inhalt
des vierten Theils.
. Der unterirdifche Gang und die Sternwarte +» + «
Daamte een
Begräbniß und Geburtöfeir « 7 7 00 .
eemelies Sebenögeichihte » 0 Fe
Bortfegung von Semelied Sebensgefhichte + +»
Ah que Pamour ent chose jolie . . -
Eprung in der Gefchichte «» 7 0 en ne
. Die glücklichen und unglüclichen Liebhaber - - «-
Die unglüdlichen und glůcklichen Liebhaber. (Fortfegung.)
‚Klein »Felfenburg ..—
Verſchiedener Beihmad * 7 0 en
. Albert Julius zum legtenmale * * re 0 5
Die Porimgieien 0 en
Seite
a
2.
1.
ar
w.
1.
a.
Innere Unruden +
Acmer Ebechard +
Das Haus im Babe ⸗
Das Hodieitfet -
Das Seichenbegängniß «
Gerhard auf der Bartburg
Die Spieleute +
Der Maulbeerbaum
Das Blumenmädchen und der alte Möncı +
Ende gut, afled gut
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Daraus, Google