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Full text of "Adam Oehlenschläger's Werke"

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Daraus, Google 


Daraus, Google 


Daraus», Google 


Adam Deblenfchläger’s 


Schszehntes Bändchen 


es 





” @edrudt bei Beopold Freund in Breklau. 


Adam Orhlenfchläger's 
Werte 


3um zweiten Male gefammelt, 
vermehrt und verbeffert. 


Sechszehntes Baͤndchen. 


U} 
Breslau, 
im Verlage bei Iofef Mar und Komp. 


1839. 








oogle 





Adam Orhlenfehlägers 
Erzäblende Dichtungen. 


Zweites Bänden. 


Die Infeln im Lüdmeere. Zweiter Theil. 
— — 
Breslau, 

im Berlage bei Iofef Mar und Kombd. 








1830. 


Die 


Infeln im Südmeere 


ein Roman. 


Zweiter Theil. 


1. 
Bruchſtüce aus Eberbards Tagebuch 


Mn das Meer. 

Heiliged Meer, feh' ich dich wieder? 
Dich, das in meiner Kindheit 
Mit breiten Wellen das Geſtade fchlus 
Anfern der Hätte, 
@o ich Träume der Borzeit wieder träumte; 
Und, wenn Sechunde ſich 
Buf den troduen @teinen fonnten, 
Meerfrauen fahr 
Und den geimmigen Meermann, 
Der · durchs falfche Getön feiner Lieder 
Die am Strand’ wandelnde Jungfrau 
Im die Tiefe lockiel 


Jahre trennten mich 
Geiliges Glement von Dir, 


Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch. 


Und ich ſah nur deine lieblichen 
Elfentinder: 

Benn ſich ein Bach durch Blumen ergoß, 
Oder wenn ein Fluß 5 
Den lufligen Städten vordeitog; 

Oder wenn im Winter 

Du das duntie Feld 

Mit Lilien bededte, 

Und wenn dein glänzendes Gis, 

Bie Diamanten « Geſchmeide 

‚Der entlodten Dryad' in den Ohren hing. 


Graufig und wäR 
Rennt dich des Thales Sohn, 
Wennt dich des Berges Cohn, 
Mber der Infel», der Küfe- Cohn. 
Siebt dich mit Inbrupft 
Wie der Schweiger, der Cchott’ feinen Feld ; 
Und Heilige Tränen weint er laut, 
Wenn deine freudige blaue große Fläche 
Nach langer Trennung - 
Seinen Blicken begegnet. - 


Fürchterlich zwar · biſt du o Meer! 
Anter deinem lacheladen Oimmels ſpiegel 
Sauert der kalte Tod, 

Und wenn du die Mähne fchüktelf, 


» Zerbricht der mächtige Dreimaft, 


Bie ein gebrechlich Epielseng in des Anaben Hand. 
Serauer ergreift 
Den muthigen Schiffer, 


Sruhnäde aus Enerhards Tagebuch. 11 


Wenn dad MReerwafier Bodıt, 

Wenn die Wolke Re fenkt, 

Und in faufenden Möhren 

Vol difchender Wefierfälangen 

Himmel und Grde 

ie wůthend weffen; 

Bern der Blig Durch die vafende Säule zuci 
Bapoeit das Schiff mit matten Flügeln, 
Ein Eperling im Sirbelwiud; 

Des Muder entfint des Steurers Hand, 
And dad Blut erſtarrt in den’ Mbern. 


Ber ergründet deine Tiefe, 
80 sndige rothe Eteinwälder ö 
30 Juſein wachſen 
Die einn Gras und Arduter, 
Zugend und Safter der Menfchen tragen ? 
80 die Niefenfchlange lauert, 
Deren Kama aur dee Eifer 
Staaweiſe gefehen, 
And worüber die Ekalden der Borseit.gefabelt! 


Doch huſtig und guthersig DR dis Iäpzoraiger! 
Wenn dic Milde beherrſcht. 
Dank achtet nicht der Menfch 
Deiner polternden Rixen. 
‚In Happeraden Tauen kletteri 
Der Ratroſe keck 
And begegnet dem Sturm 
Mit Big und Echern. 
In dunkler Racıt 





12 Bruchſtüce aus Eberbards Tagebuch. _ 


Meder die Mehe gebüdt, 

Fücchterlich über den Mbgrund geſchautelt 
Seine Segel (hmürend. 

Dann erfreuft du Dich Des Ccifs, . 
Nach deinen Fiſchen und Bögeln 
Künftlich gebildet, 

Das die Belle benöltert; 

Und eine leichte Bahn 

Geöffnen du den Menfchen 

Son Pol au pol 

Bon Gerade in Beflade; 

Bald im Rordmeer die Taue 

Wit Eiſe betruftend⸗ 

Bald unter ſentrechter Sonne 

Den Theer der Balten kochend. 

And als fördernder Geleitämann 

Biaſt der Yaflat aus vollen Baden, 

Ein freundlicher Cherub, 

Verdindend die alt’ und Die neue Welt. 


Das Shift. 

Sonderbares Haus! das den ganzen langen Weg mit 
mat! Wenn der Wagen’ vor der Türe harrt, wenn der 
Schwager in's Horn ftÖßt, und wir die Treppe zum Ießten 
Mafe hinunter gehen, weilen die Augen mit Webmuth an 
den alten Wänden der Heimath, da ergreift uns ein tiefer 
Schmerz, weil wir die liebliche Gewohnheit, unſre zweite 
Natur, verlaſſen follen. 

Nicht fo das Shi! Als ein Fcenfhlog ſchwimmt es 
auf den Wellen. Die Heimath folgt: Zimmer, Tiih, Fen- 
fer, Spaziergang auf dem Verdet, Mafte, Segel, alles 


Bruhfäde aus Gherbarde Tagebuch. 13 


bleibt unverändert. Dieſelben Menſchen auch. Kaum würde 
man glauben, man fei einen Schritt weiter vorgerükt, wenn 
nicht Kälte und Hige, Vögel, Seethiere und Meerespflane 
zen einen ſprechenden Beweis dafür gaͤden. Küften fahren 
an uns wie Bolten vorüber; Schiffe noch ſchneller; nur 
eine bunte Flagge, ein durch's Sprachrohr herüberhallender 
Laut kündigt den Fremden an. Bald werden wir ſchwarze 
Menfgen auf den Küften von Afrika laufen ſehen. 


Der Kompaß. 


Es war geftern eine ſtůrmiſche Nacht, ich konnte nicht 
ſchlafen. Zog mid) an, und ſchlich zu dem Steuermann. 
Sein kleines Zimmer war von einer Laterne erhellt. Un⸗ 
beweglich, die Augen auf die kleine Magnetnadel gerichtet 
Ienfte er mit ftarker Fauſt das gewaltige Ruder. Wenn 
das nicht Zauberet iſt, fo giebt «6 feine! Was Hülfen Plan- 
fen, Segel, Bade, muthvolle Gefhäftigkeit, wenn nicht 
der Meine Zwerg aus dem Berge uns begleitete, nicht im 
Eifen wohnte, und mit feinem dünnen ſchwarzen Finger. 
nach Norden zeigte? 


Breite und Länge. 


Der Magnet Hilft den Menſchen auf hoͤchſt einfache 
Weiſe, dadurch. weiß er ſogleich in welchen Weg er ein⸗ 
lenken fole. Wo er ift, entdedt er aber nicht fo leicht; 
um das zu erfahren, muß er zu feinem eigenen Verftande 
die Zuflucht nehmen, da muß er die Polhoͤbe meſſen, die 
Länge berechnen. 

— Wohl möchte id; den Kompaß den fhlihten Grund» 
fähen der Weisheit vergleichen, die Jeder kennt, und die 
dennoch nichts Helfen, wenn man die Polböhe feines eignen 


14 Bruhfüde aus Eberbarde Tagebuch 


Selbſt nicht zu meſſen weiß, und Beinen erfen Meridian 
des feſten Karakters annimmt, um dadurch die Länge der 
Beit mit der Breite der Kräfte in Verbindung zu bringen, 
I ſtehe immer gern bei dem Kapitain, wenn er die Pol⸗ 
höhe nimmt, and wenn fein treues kräftiges Auge bald zum 
Himmel hinauf ſchaut, bald das metallne Inftrument be⸗ 
trachtet. B 


Wolfgang 


bleibt ſich immer gleich. IA fürdhtete, er werde ſich verän- 
der, und ein ftolgeres Tälteres Wefen aunebmen, wenn wir 
nichts als Himmel und Wafter fähen. Gewöhnlich miße 
brauchen die Menſchen ihre Gewalt, und faum hat einer 
über den andern einen Vortheil, irgend ein Uebergewicht. 
fo läßt er ihn ſolches auf der Stelle empfladen. Doch nicht 
alfo der grogmüthige Menſch. Unſer Meiner Seekönig, der 
während der Neife faſt uneingefchränkt mad firengen Ge⸗ 
fegen herrſcht. geht freundlich und brüderlic, unter ung ein⸗ 
ber; und blidt Jeden von uns mit. eben dem offenen Auge 
an, welches mid einnahm, als er mir im Theater die 
Drange gab. _ 


Seekrankheit und Schaarbod, 


Als der erfte Schiffer kübn mit dem leichten Bretter 
geräfte die Wellen durchſchnut, jubelte er laut über die 
Schnelle der Reife; und die früheren Beſchwerlichkeiten bes 
trachtete er hochmůthig als ein bereits üherftandenes Uebel. 
Um diefen Hochmuth zu demüthigen, und ſich an den Men⸗ 
ſchen zu raͤchen, die das Salzmeer zu durchtreuzen wagten, 
ſandten grimmige Meermänner zwei Unbelde an Bord: den 
Schwindel und den Schaarbed. Doch auch gegen den letz⸗ 


Bruhkäde ans Gherhards Tagebau . 15 


teren diefer Kobolde, gährt im gefunden Gauerfrante ein 
beilfames Mittel, Der Schwindel aber muß ſich ſelbſt hei⸗ 
len. Diefen Zribut zahlen naſeweiſe Landthiere, um in 
—— der Servögel und der Fiſche aufgenommen zu 

* 

Abſchenliche Krankheit! die die edelſten Lebensgeiſter 
angreift. Der Muth verſchwindet und man würde in ſol⸗ 
chen martervollen Stunden mit Freuden in die Tiefe ſinken, 
und, um das Uebel los zu werden, ertrinken. Dazu muß 
mon in diefem unglädlichen Suftande das Linderude Gefühl 
des Mulelde ganz enthehren. Die abgehärteten Seeleute 
geben gleihgältig umber, man wird mitten in der Qual 
verfpottet und ausgeladıt; alle effen, trinken und ſchwaͤten. 
während der Arme, bieid, wie eine Leiche, mit kaltem To⸗ 
desſchweiß auf der Stirne far den Geift aufgeben will. — 
Freilich hat Diefe Krantheit felten ſchliume Folgen; und 
mer Lönnte von Matrofen verlangen jedesmal Mitleid zw 

"fühlen, wenn einem fremden Paflagiere auf dem Schiffe 
übel wärde? 

Ih din ſchljum Daran geweſen; jetzt befinde ich mich 
jedod beſſer. "Hanna Hedtraft iſt, wie ih es dachte gar 
nicht ſeekrank geworden. Dagegen hatten wir uns mit Litz⸗ 
bergen und Lademann ganz verrechnet. Alle glaubten, Ich 
terer mit feiner zarten Gonftitution werde ſehr lelden, und 
der derbe Ligberg ganz frei gehen. Umgekehrt! Lademann 
befindet fi wie ein Bogel in der Luft, und iſt nicht eins 
mal unpaß geweſen; Lihberg aber wälgt ſich noch auf der 
Bank, und brummt wie ein verwundeter Bär, Seinen 
Big und feine Laune bat er auf kem feften Lande zurüc⸗ 
gelaffen; das Einzige, wodurch ſich noch zuweilen feine derbe 
Natur Lund thut, find Flüche, wenn.er die Dummheit ta 


16 Bruhftüde aus Eherhards Tagebuch. 


deit, die ihn davon abhielt, mit dem Ezaar der Moscowi⸗ 
ten nad) Rußland zu reifen, wo fein. Baffer if. Er 
bat dem Meer einen eroigen Haß geſchworen, und ift bei⸗ 
nah waflerfhen geworden. Kapitain Wolfgang lacht, rd» 
ftet ihn und fagt, es werde bald befier werden. Er hat 
ſich ein Meines Schwefel- Kiffen von Hanna Heicaft nähen 
laffen, und dies auf die Herzensgrube gelegt. 


Der Wind. 


Einmal nur hat mir der Kapitain ein faures Sehidht 
gemacht, und mich mit einem trocknen: „Das weiß ih 
nicht!“ abgefertigt, als ich ihn nach Langer Windftile frug, 
ob er nicht glaube, dag mir bald guten Wind befämen? - 
Nachher hat mir Herr Cramer, unfer Schiffs⸗Arzt, ein 
fehr geſchicter verNändiger junger Mann, erzählt, ein Aber 
glaube verbiete den Seeleuten vom Binde zu ſprecheu. Auch 
pfeifen darf der Matrofe nicht, weil er fürdtet, den guten 
Bind damit wegzufheuchen. 

Allen ſolchen alten Gebräuchen, wenn fie and mit 
Vorurtheilen verbunden find, Liegt irgend etwas Bahres 
und Ehrwürdiges zum Grunde. Die günftige Seefahrt 
hängt vom Glüde ab, darüber läßt ſich nichts voraus far 

. gen; wenn fi nun nichts darüber fagen Lägt, fcidt es ſich 
auch nicht, darüber zu fhmapen. Was das Pfeifen be 
frift, fo erinnert diefer Laut an Sturm und Ungewitter; 
und es fiegt etwas Unverfhämtes und Freches darin, daß 
der Menſch, der ſich auf einem ſchmalen Brette dem Gier 
mente vertraut, felbft in ſchͤnem Better des möglichen Une 
slüds fpotte, indem er den Ton des pfeifenden Ungemittere 
nachahmt. 


Bruchſtücke aus Eherbards Tagebuh. 17 


Seel und Blassen. 


Ohne Wind hängt das Schiff mit den Segeln, wie 
ohne Regen die Blume mit den Blättern; wie ſich aber 
nad) einem frifhen Maienfhauer alle grünen Knoſpen ent» 
falten, fo ſchwellen die Segel im Binde. Das große Mars» 
fegel, die Tode, das Befan, die Blinde, das Bram- und 
Bovenbramfegel entfalten ſich wie breite Blätter an der 
Palme, und als Blume glänzen und flattern die reizenden 
Bloggen droben und binten. Hoch in der Luft fhmalzend 
und ſich ſclaugenförmig ringelmd kündigen ihre helle Far ⸗ 
benſlecke dem fern vorbeiſegelnden Schiffer das liebe Bater- 
land, mitten auf dem ungeheuereu gegenftandlofen Meere, 
das Allen und Niemandem gehört, freundlich an. 


Die Bafferfurde, 


Steh ih hinten im Schiffe und betrachte die tange 
Furche, die der Scifietiel Hflügt, und die bald wieder vom 
den Wellen ausgeglättet wird, fo tritt mir oft eine Thräne 
der Behmuth und der Demüthigung in’s Auge. So find 
der Menſchen Thaten! Und doch ift es ja befler, daß diefe 


Furchen wieder ansgeglättet werden, als daß fie alle dort 


ftegen Hlieben, und mit ihren unzähligen Strichen den (hör 
nen Wellenſpiegel verunftakteten. u 


Kein Tabatrauden. 


Ob wohl ic ſelbſt feinen Tabak rauche, bedaure ich 
doch die armen Matrofen, die ſich auf dem Schiffe dieſen 
Genug verfagen müflen; wirgends Lönnte es ihnen ange» 
sehmer und eranidlider" fein. Im Nebelwetter erheitert 
eine friſch gezündete Pfeife, wie im Winter das Dfenfener 

Dedient Schriften XVI. 


18 Brucftäte aus Eherhards Tagebuch, 


in der kalten Stube, Der Vorfiht megen, mäffen ſih aber 
die Tuftigen Burfcpe, wie ‘die Ochfen im Selde, mit dem 
traurigen Kauen begnügen. 


Das Zufammenleben. 


So frei auch das Schiff seht, fo uneingefhränkt und 
wiltüprlih aud feine Bahn ift, fo einförmig und einges 
ſchraͤnkt ift Dagegen auf einer langen Reife das Schiffsleben 
felöt. Man wundert fi, daß häufig auf folhen Reifen 
Unfreundſchaft und Haß unter der Mannſchaft entſtehe. 
Sie folte ja eben, fagt man, recht zufammenhalten und 
fi) lieben; da fie ein Meines Vaterland in der Fremde ause 
macht. Fteundſchaft und Gefelligkeit muß aber aus freier 
Wahl und Neigung entftehen. Wenn nur äußere Umftände 
Menſchen von verfdiedener- Gefinnung znfammendrängen, 
entfteht ofters etwas Böfes als etwas Gutes daraus. Des- 
balb trifft man eben in Familien fo viele Mignelligkeiten. 
Auch die Langeweile am Bord trägt viel zu Zänfercien bei. 
Unfer Schiff ift in der Nüdfiht jedod eine glüdkihe Aus⸗ 
nahme, es herrſcht ein fehr guter Ton, und Bolfgangs 
heitre männlthe Freundlichkeit verbreitet fih wie Sonnen⸗ 

‚ (dein Über das Ganze. 
Das grüne Vorsebirge. 

Dem Pic auf Teneriffa fegelten wir vorüber, und ich 
tonnte nur aus der Ferne den hohen Berggipfel betrachten; 
jeßt naheten wir ung dem grünen Borgebirge. Bern man 
ſich lange auf dem öden Meere herumgetrieben hat, erfreut 
es das Yuge außerordentlich, wieder ein grünes feſtes Land 
au fehen. Sp ging es auch mir, als der ſchöne Fels mir 
aum erften Male in der Morgenröthe entgegen trat; und 


Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch. 19 


id) hoffte befiimmt, der Kapitain werde an einer dieſer Ins 
fein antern, damit wir uns dort erfriſchen Fönnten. Gr 
fagte jedoh: Bewahre mid Gott, daß ih es ohne Noth 
thun folte. Laſſen Sie ſich durch dieſen grünen Schein nicht 
blenden. Auch die Fäulniß iſt grün! Dies Klima iſt das 
ungeſundeſte in der Welt! 

Bas wollen die Menſchen denn in dieſem. Faulloche? 
frug ih. — Sie wollen hier das bee Mittel gegen die 
Säulnig-holen, erwiederte der Kapitain; es giebt dort ein 
febr ſchoöͤnes Salz, das in großer Menge mit ihren Scifr 
fen ausgeführt wird. 

So in Gegenfägen wigig hielt oft die Natur mit ib 
ren eignen Wirkungen; bei dem Gifte findet fi immer das 
Gegengift, 


Die Sqildkroͤte. 


Ich hatte einen ſolchen Etel gegen die grünen Infeln 
befommen, daß mid, aud eine grüne Schildkröte, die ſich 
der Kapitain von einigen Fiſchern erhandelt hatte, anekelte. 
Als das Thier aber in Madera mit trefflichen Spezereien 
gelocht war, und ſich die andern die Schuͤſſel wohl ſchmet⸗ 
Een liegen, bekam ich auch Luft, und muß geftehen, daß es 
ein gutes Eſſen ſei. Litzberg liebt befonders diefe Speife; 
er iſt völig Hergeftellt, und bat feine alte Laune wieder 
bekommen. Lademann bat fi die Schaale der Schild- 
Eröte aus, er hat Darmfeiten darüber gefbannt, und dem 
Beinen Schiffszungen Jack mit der Leier ein Geſchenk ger 
macht. Er wunderte ih, als ich ihm erzäßlte, dies Inftru- 
ment fei ſchon fehr alt, und Mercurius fei der Erfinder 
gewefen. Es iſt rührend mit ſolchen Menſchen von Genie; 
fe wiſſen oft gar nicht, was Andre vor ihnen gedatt oder 


2 Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch. 


aethan haben; und doch tůauen fe alles ſelbſt erdenken und 
verfertigen, 


Ligberg‘ 


ſtrebt jegt ein volkommener Dlatrofe zu werden. Er klet⸗ 
tert weidlich in den Tauen. IA bin um ihn bange, weil 
er etwas fteif und corpulent ift. An ghmnaſtiſche Uebun- 
gen von Kindesbeinen an gewöhnt, folge ich den Matrofen 
Teicht in die Höhe; weil ih es nun aber wagen darf, will 
auch er es thun. Ich fühle felbft, dag er dabei zehnmal 
mehr Muth zeige, als ih, denn an feiner Stelle würde ich 
es gewig nicht wagen. Hier kömmt ihm aber feine Befon- 
menheit, feine eiferne Beharrlichteit und fein gutes Auge 
mohl zu ftatten. Wir haben ſchon cin Paar Mal mit ein- 
ander im Maftlorbe unfern Morgenkaffee getrunken. 


Die Tabakinſel. 


Geftern trafen wir einen Meinen Felſen mitten im 
Meere, mit einer Sandbant; weil nun der Wind fid fait 
ganz gelegt hatte, warfen wir Anker. Warum? Blos um 
auf der fhönen weißen Sandbant im Schatten des Helfen 
Tabak zu rauchen. Nings um eine Feuerſtätte, wo der 
Kaffee gekocht ward, lagerten wir uns. Hätte Homer den 
Tabak gekannt, würde er gewiß mit großer Behaglichkeit 
don Genuß fo geſchildert haben: 

„und fie erhoben die Hände zu Enaflerduftenden "pfeifen, 
Mber nachdem fle gedampft, ald die Luft mit Wolfen gefünt war, 
Da erfreuten ſie fich im Wechfelgefpräch mit einander. 


Motbed Meer. 


Bir kamen Beute durch eine Meerftrede, die won ro · 
ſhen Krehlen ganz gefärbt war. "Senderbare Erſcheinung 


Bruchſtuͤte aus Eberhards Tagebuch. 2 


die nur in dieſen Gegenden au finden iſt. Bir wollten die 
Krebfe toften, als fie aber anf den Tiſch Famen, waren fie 
tod. Der Koch hatte geglaubt, fie fein ſchon im Meere 
gekocht, weil fie roth wären. 5 . 


Der Han. 

Bir haben beute alle mit größtem Bergnägen unfer 
Mittagsefien eingebüßt. Der Koch hat cinen Ochſen auf 
dem BVerded geſchlachtet; und wollte das Fleiſch in Stüde 
bauen, während fein Sohn, der Meine Jack. mit der Schild» 
trotenſchaale am Schiffsrande leierte und fpielend herum 
lief. Ehe er es ſich aber verfah, verlor er das Gleihger 
mit und fiel in’s Meer. Sogleich warfen ihm einige Ma- 
trofen ein Tau zu; mit Todesſchweiß auf dem bleihen Ge⸗ 
ſichte ergriff indeß der Vater den ganzen gefhundenen noch 
blutenden Ofen, und warf ihn über Bord. Bir flaun 
ten alle, und glaubten, der Mann babe den Kopf verloren. 
Bald aber Löfte ſich das Näthfel, als ein fürdterliher Hay, 
den das Baterauge glüdlierweife früh genug entdedt hatte, 
den häglihen Hammerkopf mit den glühenden Blutaugen 
über die Wellen erhob, den ungeheuren Rachen auffperrte 
und den Ochſen, deſſen gefhundenes Fleiſch ihn mehr als 
der befleidete Knabe anlodte, verfhlang. Der Knabe ers 
griff gluͤclich das Tau, und mit Blißzesſchnelle kletterte er 
30 dem Berde hinauf, während ein zweites Ungeheuer ſich 
mahete, und nach ihm ſchnappte, gerade als er hoc genug 
heraufgekommen war, um nicht in Stüde geriffen ‚u wer- 
den. Belhe Scene, als der zitternde Vater den lieben 
wiedergefchenkten Knaben an feine Bruft drücte! Wir fonn- 
ten den glücklichen Zufall und des Vaters Geiftesgegenwart 
nicht genug loben. Hätte er heute den Hay nicht beſſer ale 


D 


22: Bruhftüde aus Eberhards Tagebuch. 


geftern die rothen Krebſe gekannt, fo wäre der Meine freund» 
liche Arion vom fürchterlihen Delppin verſchlungen worden. 


Der Starm. 


Man muß alles verſuchen, jetzt haben wir auch einem 
Sturm erlebt. Wunderbarer Zuftand, wo zwei Elemente 
müthend mit dem ſchwach verflammterten Kaften Ball ſpie ⸗ 
len, und ibn zu zerſchellen drohen. Im ſolchen Augenblicken 
muß man den Muth der Matrofen und Lie Befonnenheit 
des Befehlehabers erft recht bewundern. Sie arbeiten im 
Sturme fo muthig fort, als der Tiſchler an feiner Hobel 
bank, oder der Nomade, wenn cr im guten Wetter ein Zelt 
auf dem grünen Zelde ausfpannt. Daher fdreibt ſich der 
Witz, der Stolz und die Laune der meiften Seeleute. Diefe 
wihige Laune ift nur eine Gedantenabbreviatur, weil keine 
Zeit zum ſchwatzen iſt, eine Blume, nicht der Lebens», viel⸗ 
mehr der Todesphiloſophie, weil fie täglich ftelz mit dem 
Tode fielen, und ihn mit Verſchlagenheit hintergehen. Der 
nãmliche Trop verbindet ſich fo mit einer gewiſſen frommen 
Refignation und diefe Mifhung von guter Laune und ftil- 
ler Melancholie ha tetwas ſehr Liebenswürdiges. 

Die Noth ift vorüber; id) läugne nit, dag mir bang 
gewefen fei; doch konnte ich nicht umhin, auch den Buftand 
der Andern zu beobachten. Unfer licher Magifter Schmels 
zer verhielt ſich während der Anftrengung ſchweigend und 
ernft; er drängte fid) nicht hervor, um die Leute mit Beten 
und Singen zu ermuthigen. Als aber die Gefahr vorbei 
war, frat er mit der Bibel und dem Geſangbuche aufs 
Berded, und rief: Nun Kinder, laßt une Gott danken, der 
uns in diefer großen Noth beigeftanden hat. Und mit fröm« 
merer Inbrunft iR wohl das fhöne Lied: Nun dantet alle 


Sruhfüde ans Eberharde Tagebuch. 23 


Gott! nie gefungen worden. Es war eine. Freude, den gu⸗ 
ten Wolfgang dabei zw fehen, der fid) kurz vorher wie ein 
Loöwe gebaͤrdet hatte, und jeßt wie ein Kind meinte. 
Hanna Helfraft verhielt fih während des ganzen Ere 
eigniſſes ſtumm und troden; nur einmal, als es Ernft zu 
werden drohete, rüdte fie in der Kajüte mit ihrem Stuble 
zu mir, und ſprach: Cherhard, Tag mid) meinen Arm um 
Deinen Leib fhlingen. — So ſaß fle wieder ruhig, und 
Gielt mid in ihren Armen. Ih verftand die treue Seele 
fehr wohl: fie wollte mit mir fterben. Als aber die Ge 
fahr vorüber war, und id ihr Betragen deuten wollte, ließ 
fie es gar nicht gelten, und fagfe uns, es wäre ihr in dem 
Augenblicke ſchwindlich geworden. 
Lißberg ging mitten unter dem Sturm zu Bette, nach⸗ 
dem er ung allen mit einem freundlichen bedeutungsvollen 
Händedrud und Blid gute Nacht gefagt. Ex verfuchte 
au ſchlafen, und Einige meinen, er habe wirklich geſchlafen, 
wie es am ärgften tobte. j 
Lademann fa wie ein DBerklärter in der Kajütenthüre 
und horchte dem Sturm, dem Kiappern in den Tauen, 
dem Heulen des Windes, dem entſetzlichen Braufen der Wels 
Ien mit großer Berwunderung und Aufmerkfamteit zu. Dan 
bemertte bei ihm feine Furcht; als ſich das Ungewitter ger 
legt hatte, faß er noch fange ftaunend in ſich ſelbſt gekehrt. 
Ich ging bin, rättelte ihn am Aermel, und rief: Lademann! 
Der Sturm hat ſich gelegt. — Weiß wohl, fagte er feuf- 
send; ganz göttlih! Das waren mal Fugen und Chöre. 
Ein Concert fonder gleihen! Aber auch welche riefenhafte 
Inſtrumente! Und welde Lungen fie zu blaſen! Beld ein 
Vedal in der Orgell Er ſchwur darauf, er habe das fünf- 
geftricpene O deutlich gehört; und die Piccoleflöte des Win 


2 Bruhräde aus Eberhards Tagebuc, 


des habe ihm ganz vorzüglid gefallen. Er babe beute 
Nacht unendlich viel gelernt, zweifle aber, das alles aufs 
Papier bringen zu können. 

Das Shift Hat einigen Schaden bekommen, und wir 
And wieder zuräd nach Temeriffa getrieben; jept werben wir 
dom dort anfern mäffen. 


22. 
Fortſeßzung aus Eberhards Tagebuch. 





Tenerifta 


Alſo kamen wit doch nad) den glüdfeligen Inſeln der 
Alten; und in der That, als wir bei Oratava anferten, 
und die fjöne perſpectiviſche Landfhaft mit dem hoben Mic 
fahen, der über die Berggipfel, wie der Kölner Dom über 
die Bärgerhäufer hervorragte, konnten wir und nicht genug, 
wundern. Ich habe von Kindesbeinen an die canarifchen 
Infeln geliebt. Ein Kleiner Jugendfreund, aus diefem Lande 
gebürtig, hatte mit mic fünf Jahre auf meiner Stube ge» 
lebt. mir taͤglich vorgefungen, und als der Beine gelbe Saͤn⸗ 
ger ſtarb, hatte ich ihn mit Thränen in den gelben Taffet 
getleidet, im eine Nürnberger Schachtel eingefargt, und in 
unferm Garten begraben. Aud von dem fhönen Canas 
rienſect wußte ich zu fagen. An allen Grburtstagen ward 
von dieſem koͤſtlichen Beine hei meinen eltern getrunken, 
und id befam dann auch meinen Beinen flbernen Becher 
vol, um mit anzuftogen. So hatte ich mir in meiner jus 


Fortfegung ans Eberhards Tagebuch. 8 


gendlichen Phantafie ans dem fügen Befhmad des Secte, 
dem luſtigen Geſange des Vogels, und der goldhellen Farbe 
beider, ein feenbaftes Bebilde zufammen gewebt; umd id 
ann nicht fagen, dag die Wirklichkeit Hier, wie es doc oft 
ve Bat iſt, dem Bilde der regen Phantaſie habe meiden 
müffen. 


Litzberg ſchlug vor, eine Wanderung nach dem Pic vore 
zunehmen ; ich hatte indeg Feine Luſt ihn zu begleiten. Bon 
dem Pic hatte ich gelefen, und wußte, dag man viel von 
Kälte und Hige ausſtehen müfle, um hinauf zu gelangen. 
Bir fehen ihn doch bier am beiten, fagte ih; es if mit 
ihm, wie mit dem Negenbogen, er muß in der Ferne ber 
trachtet werden; wo er ſelbſt if, ift nichts. 7 


Herr Wolfgang ſah aud nicht gern, daß Litzberg diefe 
gefährliche Wanderung unternahm. Hab’ id nun einem 
vorzüglihien Mann der Infel Felſenburg fo nahe gebracht, 
ſprach er, damit er fi auf Teneriffa in Gefahr begebe? 
Barten Sie, bis wir nad) Felfendurg kommen, da giebt's 
Berge genug, da Lönnen Sie Hettern. Litzberg aber, deſ⸗ 
fen größtes Vergnügen darin beſteht, Schwierigkeiten zu 
überwinden und tieffinnig zu fein, ließ ſich das nicht aus -· 
reden. — Lieber Mann! fagte er, laflen Sie jedem Thiere 
feine Gewohnheit! Wollen Sie mid gefangen halten, fo 
machen Sie «6 wenigftens fo (lan; daß ich es nicht gewahr 
werde. Legt man do ein Stüd grünen Raſens in der 
Lerche Käfig, um ihr einzubilden, dag fie mod im Felde, 
ſchmettere. Dem Bären pflanzt man eine Stange in feinen 
Bezirk, damit er nach Herzenefuft tlettern könne, und mir, 
der id doch ein Menfd bin, wollt ihr das Klettern verbie · 
ten? Laßt Euch durch diefen gemaͤchlichen Poeten nur nicht 


26 Fortſeßung aus Eherbards Tagebuch. 


irre leiten. Poeten Fennen von der ganzen Flora nur No- 
fen, Lilien und Vergigmeinnidt. 

Lademann hatte auch keine Luft. die Himmelfahrt mit 
zu machen, weil er aber feinen Freund in Gefahr nie ver- 
laſſen will, folgte er ihm treu. 

Ich werde während der Zeit mit dem großen Boote 
eine Meine Zuftfahrt um die Infel maden. 


Eucverlorem. 


Allein mit meinem treuen Pudel Sudverloren, ließ ich 
mid) vorgeftern von zwei Matrofen herum rudern; wo es 
der Wind erlaubte, fegelten wir. — Bei der Stadt Gui- 
mar fteuerten wir ans Land. Es verlangte mid, die En- 
kel der vorigen Wilden zu fehen. Sie wohnen jegt in klei⸗ 
nen Hätten; und gehen wie Bettler in Lumben einder. Ihre 
vorige Bräftige Wildbeit haben fie verloren, von der euro. 
päifhpen Bildung haben fie nichts erwiſcht. Hier bereitete 
mir der Zufall ein Abenteuer, das mir leicht das Leben 
bätte koſten können. 


Ich fpazierte, nachdem ich ein Meines Mittagsmahl ges 
noffen, mit meinem Pudel im Walde. Die Mattofen blie⸗ 
ben im Boote, und id) verſprach, innerhalb drei Stunden 
wieder zu kommen. So made id) denn einen angenehmen 
Spaziergang; weil es mir aber zu heiß ward, rubte ich 
unter einem Abhang des Berges, nahm meinen Krug mit 
Limonenfaft, nebft meinem Becher hervor, und miſchte den 
kühlen Tranf der Duelle mit der angenehmen Säure, wäh« 
rend ſich der Pudel ſchlicht hin mit dem fließenden Waſſer 
begnügte. Drauf ftredte ich mid hin unter den Baum, der 
Hund aber fing an zu fpüren, und plöplih ſah ich ihn in 


Sortfehung aus Eberhards Tagebuch 27 


eine große Hößlenöffmung, die faſt ganz von Gehäfh be⸗ 
dect war, einfhlüpfen. 

Wohl hatte ich meine geladene Flinte und meinen 
Hirſchfanger mit; ich fühlte mid) aber dennoch nicht ver» 
ſucht. in die unbefannte Erdpöhle mit hinein zu gehen. Es 
dauerte nicht lange, fo kam der Pudel gurüd, ſah mid an, 
beilte,. und zupfte mich, als ich ihm noch nicht folgen wolle, 
am Kleide. 

Die Neugier fing bei mir an zu fleigen; ohne mid 
lange zu bedenten, folgte ih. 

Bir (ib und der Hund) kamen in eine hohe Grotte, 
die durch das Licht, welches oben durch eine Oeffnung fiel, 
ſchwach erleuchtet war. Es war fehr kalt da, und es fing 
an, mir unhcimlicher zu werden. Ich dachte an die ver» 
wundeten Lindiwürmer meiner Kindermährchen; bier wäre 
es nicht unmöglid), daß ſich eine ſolche Beſtie aufhalten 
Pönnte. Bas ic zu fehen befam, erſchrecte mich fat eben 
fo fehr, als ein Lindwurm oder Boafdlange es vermocht 
hätte. Ich entdedte eine große Menfcengeftalt, die an der 
Band fteif aufgerichtet ſtaud, und mic mit hohlen melan- 
choliſchen Augen anftarrte. IA griff nah meiner Slinte, 
zielte auf den Fremden und gab mit Geberden zu verfle 
ben, daß er ein Mann des Todes fei, wenn er fich einen 
Schritt näher wage. Wie erftaunte ich aber, als ich eine 
ganze Reihe folder braunen Niefengeftalten an der Wand 
aufgeftelit ſah, die mic alle unvermandt mit trüben Augen 
angrinzten. IA entdeckte bald, dag es Mumien waren, in 
Biegenfellen mit Riewen fehr fauber und napp eingenäbt. 
Die Haare hatten fie noch an den Köpfen, und ic konnte” 
die verfähloffenen Hohlaugen, Nafen,, Mund und Obren, 
deutlich unterſcheiden. IA mußte beinahe darüber laden, 


28 Sortfehung aus Eherhards Tagebuch. 


daß id den Mann des Todes mit dem Tode bedroht hafte. 
Die Haare ftiegen mir aber zu Berge, als ih 3 bis 400 
folder Zeihname in der großen labyrinthiſchen Höhle ent- 
deifte; wovon viele an der Wand aufgeftellt waren, viele 
auf dem Boden lagen. Abſcheuliche Gewohnheit, dachte ich 
das ſchon Verdorbene als etwas Unvergänglihes zu bewah ⸗ 
en. Barum bin ih aber fo naͤrriſch, etwas Gefvenfterar- 
tiges in diefen trodenen Hülfen zu fehen? Was fürchte ih? 
Rechne ich mic) zu ihnen oder nicht ? Thu' ich es? Bes, 
bald fürdte ich denn meine eigenen Kameraden? Ehu’ id 
es nicht? warum zittert denn meine jagende Seele? Eine 
leiſe Stimme ſpricht: So wirft dereinft auh Du! Das ift 
nicht wahr! Welcher Dun fol fo werden? Mein wahres 
Ich, mein Geift, kann nicht fo werden. Und was frag ich 
nad einem alten Lumpen, den id weggeworfen? 

Dieſe Gedanken gaben mir den Muth zurüd; und jeßt 
machte es mir fogar Vergnügen, herum zu gehen in der 
Zodeshalle der alten Guanchen, die wie die Aegvptier ſich 
auf das Balfamiren trefflich verfkanden hatten. Bald ward 
ih doch meiner Unterfuhungen müde; denn die Leihname 
ſahen ſich alle gleich, und mic, verlangte wieder nad dem 
Grünen und der Sonne. 

Heiliger Gott, wie erſchrak ih, als ih den Ausgang 
der Höhle nicht finden konnte; die Gänge kreuzten ſich, fas 
ben ſich alle glei; überall ſtanden die Mumien für mid, 
wie zum Spott, in zwei Reihen aufgeftellt, als Trabanten 

«zum Orkus, der mich nun aud) einlud. Gerechter Himmel, 
dachte ich, Hin ich denn wieder in Gefahr, lebendig begras 
dig begraben zu werden? Soll id jetzt bier unter fo vie⸗ 
len Leichnamen allein vermodern? Hier ift kein Obadias 
Schlenk, der mid reiten kann. Sein gräßlihes Bid am 


Fortfepuug aus Eberbards Tagebuh- 29 


Sochsgerichte ſtellte ſich auch aoch meiner gereizten Phantaſie 
dar, und es ſchien mir, als ſchwebe fein Geiſt an den Mur 
wien vorüber. 

Ic lief wieder, aber vergeblich. Zuleht fepte ich mich 
erſchoͤpft auf einen Stein und Tieß die Augen zu Boden 
finten. Da ftand mein ehrliher Suchverloren vor mir, we ⸗ 
deite mit dem Schwanze und ſtarrte mid) an mit den treuen 
blauen Augen, die im Duuteln glänzten, und eim erquidens 
des Lit von ſich gaben. Ein Strahl der Hoffnung ging 
wir auf. Sudverloren, — fprad id — (und diefer Name 
din mir in diefem Augendblick ſehr bedeutungsvol und 
brophetiſch gemäblt zu fein) du haft deinen Herrn herein 
gebracht, kannt du ihm wieder binaushelfen? Suche den 
Ausgang wieder auf fonk find wir verloren. . 

. Der Pudel fdien feinen beängftigten Herrn zu verſte⸗ 
ben, er fah mid) wieder an, wedelte, lief umber, roch am 
der Erde, um unfere Spur zu finden, verdoppelte feine 
Scricte, und ic folgte ihm berzllopfend, obſchon er einen 
Weg einſchlug, der tiefer in den Fels zu führen ſchien. Zu ⸗ 
weilen tief er fo ſchnell, dag ich ihm nicht folgen konnte, 
ich fiel und umarınte eine todte Frau, deren Mund mit den 
braunen Zähnen meit ofen Rand. Bild richtete ich mid 
mieder auf. Der Hund war weg. Sudverloren! rief ic, 
verläßt du deinen Herrn, dann muß er bier Rerben. Wie 
Noabs Taube mit dem Delblatte am aber das edle Thiet 
wieder, mit der Limonenflaſche in den Zähnen, die ih uns 
ter dem Baum hatte liegen laſſen. Glüdlices Zeichenl 
Treuer Gefährte) rief ih. Ich nahm mir einen Zug aus 
der Flaſche, um mic zu ſtärken und folgte dem Hunde, 
der bald freudig herum fprang, bald langfam ging, um 
mich nicht zu verlieren. Es dauerte nicht lange, fo ſtand 


30 Fortſehung aus Eherhards Tagebuch. 


id) wieder unter Gottes blauem Himmel, von grünen Sträus 

- den umringt, von warmer Luft umweht, und fab in der 
Berne den Fels feine. weiße Pyramide durd die Wolfen 
freien. Ich ing ſogleich nad dem Strande. Die Boots 
leute erwarteten midy mit Ungeduld, denn es waren fhon 
mehr als zwei Stunden über die verfprodhene Zeit verflofe 
fen. Bir fepten uns in den Kahn, mein treuer Pudel mir 

zu den Füßen. Id umarmte meinen Befreier, und ver 
ſprach ihm einen Halsband, worin feine That eingegraben 
werden follte, durch das ſchlichte Wort feines eigenen Nas 
mens: Suchverloren! 


Der pic. 


Als wir wieder bei Dratava landeten, fanden wir den 
Gapitain in voller Arbeit auf feinem Schiffe. Die Freunde 
Maren von dem Pic noch nicht zurüd gefommen. Um mir 
die Zeit zu vertreiben, auch um einen Spaß mit Litzbergen 
au haben, und ihm feine Nofen, Lilien und Bergigmein- 
nit einzufalzen, holte id) einige alte Reiſebeſchreibungen 
aus der Kajüte und las die Erzählungen von dem Pic, fo 
dag ih in Kfirzem mit diefem Berge fo vertraut war, ale 
hätte ich dort Zeit Lebens gewohnt, und alle feine Merte 
mürdigkeiten mit eignen Augen gefchen. 

Am nähften Abend gegen Mitternaht kamen Lipberg 
und Lademann ganz erfhöpft von der Reife zurück. Der 
Gapitain ließ ihnen ein gutes Abendeffen bereiten, die Wan⸗ 
derer färften ſih ſchweigend; dann ward eine qineſiſche 
Bowle mit Glühwein auf den Tiſch gefeht, Pfeifen anges 
ftedt, und nun follte das Erzählen angehen. Id bat mir 
die Erlaubniß aus, anzufangen, und Lißberg verfepte fböt« 
tiſch: Ach das ift ja wahr, Ihr und der Hund habt euch 


Sortfegung aus Eherhards Tagebuch. 31 


herum rudern laſſen. — Bitt' um Verzelbung, antwortete 
ich, ich bin auf dem Pic geweſen, und habe mir da aller⸗ 
lei Rofen, Lilien und Bergigmeinnicht gepflüdt. — Ihr auf 
dem Pic? fragte Ligberg vermundert. Haben wir uns doch 
da fo ziemlich umgefeben; Euch haben wir aber nicht 
entdedt; 

Als Ihr wengegangen war't verfeßte ich, fand ih aud, 
daß es ſich nicht ſchite, nad) Teneriffa zu tymmen, ohne 
den Pic zu befehen. Ich folgte Euch alfo auf den Ferfen, 
und es mundert mid nur, dag Ihr mich nicht gefehen; 
Euch habe ich beinahe nit aus den Augen verloren. — 
Drauf kramte id) meine ganze Gelehrfamteit aus, erzählte, 
wie id) erft geritten, dann zu Fuß gegangen wäre, weil die 
Haare den Pferden wie Borften in die Höhe geftanden; wie 
der mitgebrachte Wein mir in den Flaſchen fo falt gewor⸗ 
den, daß id ihr nicht frinfen”Tonnte. Auf der Spige ſei 
der Wind fo heftig geweſen, daß ich mich nur fo lange aufe 
balten Fönnen, bis id mein Gewehr abgefeuert und die Ge⸗ 
fundgeit Sr. Majeftät des Königs getrunfen Habe. In den 
Krater Hinunter zu fteigen, um Schwefelblumen zu pflüden, 
dazu Habe ich eben nicht hefondere. Luft in mir gefpürt, um 
nicht das Schilfal des Cajus Plinius Secundus zu theilen. 
Im Hinunterfteigen freute mich aber der Rieſenſchatten des 
ungeheuern Pics in der Morgenröthe unendlich, weil er 
nicht blos über die Infel und das Meer, fondern auch hin- 
aus in die Luft feinen Lauf fortfege, und fo zu fagen den 
Himmel verduntelte 

Diefe Erzäplung, die id) mit vielen characteriſtiſchen 

Beſchreibungen ausftaffirte, feßte Lademann, der zerftreut 
ubörte, in das größte Erftaunen. Gr konnte gar nicht bes 
greifen, wie ich da geweſen ſei ohne dag er mich gefehen habe. 


32 Jortfegung aus Eberhards Tagebuch 


Eine ſolche Neife nod einmal machen, rief Bademanıı, 
nein, dafür bedanfe ih mid. — Barum nicht? frug ib. 
ESieift fehr-Teiht auf dem gepolfterten Felſen au machen. 
Stredt Euch auf den Sopha, da habt Ihr die Neifeber 
ſchreibung des edlen Ritters Edmund-Scory, darin könnt 
Ibr es alles Iefen. 

Shlag das Wetter drein, rief Lipberg, mit diefen ver» 
fluchten Bädern, diefen Efelshrüden, wodurd die faule 
eitle Belt eine oberflaͤchliche Kenntnig von allen Dingen bes 
kommt, ohne fi anzufirengen! Diefe Dilettanten wiſſen 
immer fehr gefickt durch leichte Lectüre den Rahm von der 
Milch zu ſchäumen. 

Bas hab’ ich nun davon, daß ich mich geſtern in Le⸗ 
bensgefahr gefeßt habe, um den Galdera ein Biffel näher 
au unterfuhen? — Cie haben die Gnade der Götter era 
fahren, antwortete idy; fein Sie dankbar. Jeht erzählen 
Cie aber auch hübſch mein Abenteuer, wie id) das Ihrige 
erzählt habe. Billen Sie wohl, dag id) die merkwürdige 
Todtenhalle der alten Guanchen entdedt habe? Während 
Sie in die Luft ftiegen, bin ich in die Erde geftiegen, und 
bin nicht weniger in Lebensgefahr geivefen. Da flieht mein 
ebrliher Sucverloren, der kann meine Worte beftätigen, 
denn er hat die ganze Reife mitgemacht. — So laßt den 
Hund erzählen rief Zipberg, fonft glaub’ ich, daß Ipr wies 
der fügt. O Herr Gapitain! verfegte er, fein Sie doch fo 
gut, und die alte Chronik holen zu laſſen, worin er die 
GEntdedung der Todtenhalle gelefen hat. — Er hat wirklich 
vie Erfahrung felöft gemacht, antwortete Wolfgang. Doch 
Ihr tollen Menſchen, wie bring’ ih Euch mit heiler Haut 
au dem lieben Großvater auf Felſenburg? Schade, dag 
ich Euch nit vorher in Amſterdam habe aſſekuriren laſſen. 


3. 


Capitain Bolfgang erzählt feine Lebensge 
ſchichte. 





Wie fie num zwiſchen den Wendekreiſen und der Linie; 
unter den Paſſatwinden waren, mo es nicht viel für die 
Seeleute zu thun gab, rief der Capitain die Freunde zu⸗ 
fanmen, und unter dem Schatten des großen Segels in 
der vom Paſſatwinde abgekühlten Luft, fehten fie fih an 
einem frischen Morgen mit ihren Kaffeeföpfen um den Gas 
pitain, und diefer begann, mas er fo oft verſprochen hatte, 
Bruhftäde ſeines Lebens zu erzählen. 


Meine eltern waren gute ehrliche Schwaben; Hand⸗ 
werter, die aus dem Bienenkorbe Würtemberg auszogen, 
um ſich zu Bien, als in einer fremden, blüthenreichen Linde 
niederzulaffen. Mein Vater mar ein Leinweber, und fol 
ein ganz trefflicher heiterer Mann gewefen fein. Er lichte 
mich wie feinen Augapfel; bis zu meinem fünften Jahre 
krabbelte ich ihm täglich auf den Knien, zündete ihm feine 
Pfeife, und mußte mit gefalteten Händen die Tiſchgebete 
berfagen. Nie ging id zu Bette, ohne ihm vorher herzlich 
gute Nacht zu fagen, und einen Kuß von ihm zu befome 
men. Diefer einzige treue Freund in der Welt, an deſſen 
männltdh-Eräftigem Geſichte ich täglich meine kindlichen Aus 
gen weidele. ftarb, als ich nur erſt fünf Jahr alt "war. 
Das Einzige, deſſen ih mid aus diefer Zeit erinnere, find 
wei Berfe eines Liedes, das er immer an feinem oder mei 

Sehlenf. Schriftgn. XVI. 3 


4 \ Gapitain Wolfgang 


ner Mutter Geburtstage fang, wenn er Gaͤſte bei ſich hatte, 
und wenn der Wein ihn, der fonft ein ſehr ordentliher Mann 
war, luſtiger gemacht hatte. Dann fang er das Leinewe- 
ber Lied; die Freunde mußten mit einftimmen, und in dem 
Refrain mit Mappernden Ellenbogen auf dem Tiſche, und 
mit fampfenden Fügen das Geräufc des Webftuhles nach- 
machen. 
Die Beinewebee wolten gettesfürhtig fein,- 
(Gier Tomamt das Klappern.) 
So fliegen fie durchs Kichenfenfter hinein 
(Bieder Rlappern.) 
Und ftahlen dem paſtor fein Mepgewand, 
(Alappern.) 
Werden fie nicht gehangen, werben fie doch verdammt. 
(Wieder Klappern.) 


Die erine weter nehmen teinen Sehriungen an, 
Der feben Jahre niat faten kann 

@ichen Zeye wicht in Mind wie ein junger und! 
Das macht, die Selncweber find fo gefund. u. (. w. 


Ia reifen Jahren bat dies Lied für mich einen gro 

Gen Werth gehabt, es ſchien mir den ganzen Charakter mei» 
mes Baters einzuſchließen. Erſtens ſah ich, daß cr, wie es 
ſich einem deutſchen Handwerker gejiemt, die altdeutichen 
Sunftlicder liebte und fchäpte. Zweitens, wenn ih an die 
barmlofe Freude dachte, womit er das Lied vortrug. leuch⸗ 
tete mir feine Gutherzigkeit und Redlichkeit recht drutlich ein. 
Freundlich genug batte die Natur dafür geforgt, mir 
ein ziemlich aͤhnliches Bild meines Vaters ohne Koften zu 


. 


erzählt feine Lebenegeſchichte. 3 


binterlaffen, das war nämlich mein eigenes Gefiht; bean 
alle Menfcyen, die ihn gefannt hatten, verfißerten, ich gliche 
im wie ein Waffertropfen den andern. Doch was ſoreche 
ich von Aehnligeit! wenn wir einft nach Felfenburg kem⸗ 
men, und unfern lieben Eberhard mit feinem Ahnherrn ver» 
glekhen, werden wir erſt von Aehnlichteit fagen können. 
Bas nun meine Wehnlickeit mit meinem feligen Bater ber 
trifft, fo Hat fie mid zu einer eigenen Gewahnheit verleitet. 
die id) wohl mit mehreren theile, Die ihren eltern nicht 
chnlich And; id) fann nämlich nie einem Spiegel vorbeige» 
geben, ohne meine Augen baren zu werfen. HDft Reh’ ich 
Mundenlang, betrachte mid) im Spiegel und fpreche im Geitte 
mit meinem Pater, deſſen wirkliches Geſicht ich vergeſſen 
habe. Und nie iR es Ärger geweſen, als eben jet. da ich 
beinahe fein Alter erreicht habe. Ein junges luſtiges Grauens 
zimmer aus meiner Betanntihaft ertappte mid einſt auf 
friſcher That, und dachte mid recht in Berlegenbeit zu 
feßen. Bie erftauste fie aber, als fie mid in Ehränen ge 
dadet fand. und hörte, daß es nicht aus Eitelkeit, fondern 
aus kindlicher Liebe geſcheben fei. J 

Ich Bin, wie Ihr gehört, ein quasi Wiener! iR Je⸗ 
wand von Euch in Bien geweien? — D je, autwottete 
Sgberg. — Nun wohl, verſehte der Gapktain, fo habt Ihr 
spme Zwetfel dort ein luſtiges ruhiges Leben geführt, Hän« 
dei und Medlſpeiſen gegeifen, und im der Leoboldſtadt dem 
Caſverl gefehen? Als ich da war, ging es nicht fo. Ans 
fangs war freilid Alles fehr rubig, umd ich verlebte bei 
wieiner Mutter, die. das Handwerk meinte Vaters fortfepte 
ffie einförmige Tage. Denkt Guch aber. wie einem kiei⸗ 
men Anaben zu Muthe werden mußte, mean er plöglic 
todtblaſſe Geſchter am fich Bebt, wars alle rei Ger 


3 Gapitain Bolfgang 


werbe ftoden, wenn er auf, den verfallenen Bafteien mit 
verziweifelter Anfttengung arbeiten fieht, und hört: Es nahe 
fit) der Großvezier Kara Muftapha mit 200,000 Türken 
und Tatarn, um die Hauptſtadt zu erodern und in einen 
Schutthaufen zu verwandeln. 

Bie id) das alles hörte, fing ich erbärmlid an zu wei⸗ 
nen; als ih aber ein Stündden geweint hatte, und bie 
Türken noch nicht famen, trodnete ih die Augen, aß meis 
nen Bregel, und vergaß die Gefahr. 

Der Abend, an welchem der Hof die Hauptftadt ver« 
lieg, und fid) über die Donaubräde nach Linz begab, ſchwebt 
mir noch ar vor dem Gedaͤchtniſſe. Die Wagen konnten 
die Fliehenden nicht fortbringen. Vornehme Damen liefen 
mit Bündeln unter dem Arm, um hinten auf eine Kutſche 
au kommen. Das Volt wüthete und fhimpfte auf die Re- 
sierung, befonders, als es einen Wagen voll Iefuiten ſah; 
denn diefe waren Schuld daran, dag Ungarn in Aufruhr 
gerathen. Nur wenige von ilmen entgingen der Rache und 
Wuth der aufgebrahten Menge. Ein Küchenjunge den ich 
tannte, hatte mir, feinem alten Kameraden, den er zufäl⸗ 
lig im Burghofe traf, Plaß bei ſich auf einem Vackwagen 
verfhafft, und wir rollten fhon zum Thore hinaus. Ich 
hatte in diefem Tumulte meine Mutter ganz vergeffen, und 
dachte nur daran zu enttommen. Unweit der Burg begeg⸗ 
nete fie ung; fle war ausgegangen, um mid zu ſuchen. Ach 
mein liebes Kind, rief fie, als fie mic fah; bift Du geret» 
tet? So will id} gern fterben. Lebe wohl, mein Leonbardl 
falle nicht vom Wagen nnd komme glücklich nach Ling. 
Deine arme Mutter fiehft Du nimmermehr. — Mutter, 
rief ih, Du mußt mit fahren. — Es if kein Plaß für fe, 
riefen die andern. So will ih auch hier birihen, fagte ich 

Raid 


erzählt feine Lebenegeſchichte. % 


forang vom Wagen, und eilte in meiner Mutter Arme. 
Sogleich hatte ein anderer meinen Pla eingenommen, und 
der Bagen rollte fort. Ach, mein liebes Kind, was haft 
Du getban? rief die Mutter, Mutter, ih wil es nicht deſ⸗ 
fer haben als Du, rief id, und fügte fie zu wiederholten 
Malen. Ad Du lieber Leonhard, willſt Du mit mir uns 
tergeßen? frug fie feufzend, führte mich wieder nach Haufe, 
und brachte mir mit ſchwerem Herzen mein gewoöͤhnliches 
Abendbrod. 

So bätte ic, wie ein armes Lamm, geduldig im Schaf ⸗ 
Rale mein Futter verzehrt, bis die Barbaren eingedrungen 
wären, und mir die Gurgel abgeſchnitten hätten, wenn nicht 
Gotteshälfe in einem freundlichen Nachbar erſchlenen wäre. 
Diefer wadre Mann war ein geborner Pole Franz Georg 
Kolſchitzky. der türtiſch wie feine Mutterſprache verftand. 

Wie denn? fiel ihm Lißberg ins Wort, Bruder Herz? 
Haben Sie den berühmten Bruder Herz gefannt, deſſen ge» 
wöhnlüher Gruß nachber über ganz Deutſchland zum Sprüde 
worte geworden ig? Er mar unfer Erretter! verfepte Wolfe 
gang: denn meine Mutter und ihr Bruder, ein guter lan⸗ 
ger vierfchrätiger Schulmeifter, in abgetragenem ſchwarzen 
Rode, dachte an nichts. Ja, letzterer fing fogar an, mich 
in den drangvoliften Tagen lateiniſche Grammatik lehren 
zu wollen. Bruder Herz, (mir wollen ihn diefen Ehrentitel 
behalten Taffen) war unferm Haufe und befonders mir Eleie 
nem Springinsfeld fehr zugethan. So trat er denn eines 
Abends herein, als meine Mutter beim Spinnroden faß, 
und mein Oheim mir das ſchwierige unregelmäßige Ber 
bum ferd, tali, latum, ferre einbläuen wollte. Nein, 
Bruder Herz! rief Kolſchißky, dieſe Unregelmaͤßigkeit kon⸗ 
men wir weder Länger fragen noch ertragen. Stectt Euer 


3 Gapitain Boifgang 


Buchlein zu Eu, Schulmeiſter! und Ihr Frau Nuh me, 

"uehmt alle Eure Epwaaren umd veribeilt fie unter Euch in 
drei Bündel. Ich trage ſchon hier, wie Ihe febt, eine zieme 
liche Bürde, dann wollen wir in Gottes Namen fortgehen. 
OO Menſchen haben bereits die Statt verlaflen. IG 
will End), retten und in Sicherheit miflen. So gingen wir 
denn mit Bruder Herz, wie die Iraeliten mit Mofes durch 
die Wüſſe. Und eine Wäre fonnte man es freilich wennen, 
denn überall trafen wir nur abgebrannte Ecylöffer und Dir» 
fer, niedergeftaunpfte Heer; und wir wären gewiß bald 
von herumſchweifenden Tatarenhorden niedergefäbelt, oder 
in die Sklaverei gefchlenpt werden, wenn ung nüht Bruder 
Hery durch feine Unerſchrocenheit, Befonnenbeit und Kennt» 
niß der Gegend gerettet hätte, 

Beit wegflichen, ſprach er, geht nicht! Wie will man 
einen langen Weg machen, ohne auf einige der 200,000 Mann 
zu flogen, die wie Wespen und Hummeln in der Gegend 
ohne Ordnung herum fhmärmen. Sid verbergen, geht 
eher, und wo die Zürfen einmal geweſen find, geblündert, 
gewordet und verheert haben, kommen fie nicht wieder. — 
Drauf führte er uns zu einem benachbarten abgebrannten 
Schloſſe im Walde. Bir wugten nit, was wir in diefem 
Schutthaufen folten; Bruder Herz fpra aber: Ich Tenne 
diefe alte Burg; fie iſt auf Felſen gebaut, und hier find 
ganz trefflihe Kellerwoͤlbungen, die von den Türken gewig 
unentdedt geblieben find. 

In diefem herrlichen Gewoͤlbe, das Iuftig und trocken 
genug mar, trafen wir nit allein Schuß und Zuflucht, 
fondern auch Lebensmittel volauf, um zwei Monate dort 
leben zu innen, 

Um friſche Luft zu (höpfen, ging ich während der Seit 


erzählt feine Lebensgefäiihte. 30 


wit Bruder Herz oft des Rachts hinaus in den Baid; wenn 
alles Fi war. Meine Mutter aber und ihr Bruder wage ⸗ 
ten fih nicht hervor. SBruderz Herz’ hatte auch andere 
Gründe zu diefen nächtlichen Walfahrten ; er wollte eiwas 
vom Suftande der Stadt willen. Ad wie fcnitt es ihm 
iws Herz, wem er die Raketen in der Nacht von dem ho⸗ 
ben Stephansthurme der bebrängten Stadt aufſteigen ſab, 
um dem Herzoge von Lothringen ihre dringende Noth an- 
mtändigen. — Das find fonf Zeichen der Freude, zu Hoch⸗ 
zeiten und Selten, mein Junge, fagte er tief bewegt, jeht 
Bundigen die Feuerſäulchen die baldige Bluthodzeit an. 

Bir fepten uns auf einen moosbewachſenen Stein une 
tee einem großen Baume. Der Mond warf nur ſparſame 
Strahlen durch die vorüberfliegenden Bolten; id ſah in 
den Baum hinauf, und es fdien mir, als ſchwebten Brei 
Engel im Baume, in weißen Gewändern, von den fhön« 
ken Gliedmaßen, die Geſichter aber konnte ich nicht ſeben. 
denn fie kehrten mir den Rüden; die Häupter waren ge- 
beugt, und die fhönen Iangen goldenen Eden mahten ih " 
nen bis zu den Häften. 

Aber wie beſchreibe ich Euch die Verzweiflung und die 
Wuth meines edlen Freundes, als er drei fhöne Mädchen 
entdedie, won den Türken an den Vaum gehentt! Doc 
tröftete er ſich mit den Worten: Dantt Gott, arme Mad⸗ 
en, daß ihr eure Schmach nicht überlebt habt; ich will 
euch ein riklies Begräbnig geben. Drauf brachte er 
mid armen, vor Schreck halb todten Knaben wieder in den 
Seller, und begrub die Todten. 

In der naͤchſten Nacht hatten wir die Freude, uns an 
den Zürten zu rähen, und einen ganzen ganzen Haufen 
ueſchuldiger Chriſten zu retten. 


4 U Sapitain Bolfgang 


Bruder Herz batte nach und nach mehrere Schießge- 
webre in den Keller geb at, alle diefe hatte er, ſcharf ges 
laden, an den Eingang geftelt, und fid dort einige vers 
ſtecte Schieplöder gemacht. Wir wurden in der Nacht 
durch ein lautes Gefpräh unweit der Kellerthüre, das fi 
mit einem Bank endigte, aus dem Schlafe geftört. Bruder 
Herz und id waren glei munter und an unfern Späß- 
lödern. Drei Türken zankten ſich laut mit einem Vierten. 
Sie hatten zwanzig niedlihe Kinder mitgebracht, alle un⸗ 
ter fieben Iabren, die fanft wie Lämmer Paarweile vor 
ihnen hergingen, mit Riemen zufammengefcpnärt. Auf dem 
Dlage vor dem Keller ward Halt gemacht, und jept konn⸗ 
ten die vier Türken nicht einig werden. Der Menſchlichſte 
von ihnen wolle, dag man die Kinder verkaufe, die drei 
andern fagten: Wir haben ſchon Beute genug, wir wollen 
uns jept aud einen Spaß maden, und die Kleinen Chris 
Kenhündden an den großen Baum da, wo wir vorgeftern 
die Mädchen gehenkt haben, alle auffnüpfen. — Der gute 
Türke ſprach: Sind fie auch Ungläubige, fo find fie doch 
Menſchen; fie find Kinder! Ihre Unſchuld ſchmilzt mir die 
Seele. Seht, wie fie dort ſtehen, und ung mit fanften 
Augen anfhauen. — Fort Weihling! riefen die Andern, 
wenn Du den Anblid nicht ertragen kannſt. Er fpornte 
fein Pferd und verſchwand in der Ferne. Um nun aber 
der Graufamteit recht die Krone aufzufeßen, gingen die 
Bluthunde herum, vertheilten Brod aus einem Korbe uns 
ter die Kinder, und ſprachen ihnen zu. daß. fie zum letzten ⸗ 
male eſſen follten. Die armen Kleinen, die den ganzen Tag 
hindurch gehungert hatten, griffen begierig nad dem Brode 
and agen, zeigten einander die Biſſen und froblodten; die 
Keinften fingen fogar unter dem Baume an zu ſpielen, ale 


erzählt feine Lebensgeſchichte. 4 


man ihnen die Banden getöft hatte, Inzwiſchen bereiteten 
üsre Henter die Schlingen. uud der Aergſte und Häplichfte 
griff, wie Poluphem die Genoflen des Ulyfies, einen Lei» 
nen ſchoͤn Iodigen Anaben, der an ihm vorbeiging, bei den 
Haaren, und warf ihm die Schlinge um den Hals. 

In eben dem Augenblide fiel ein Schuß und der Hen⸗ 
fer flürzte zu Boden. Die andern zwei wunderten ſich und 
warfen die Augen umher, um den Feind zu entdecen. — 
der zweite Schuß fiel, und der zweite Räuber lag binge- 
fredt. Schr leicht wäre es dem Bruder Herz geweſen, den 
dritten eben fo umverfehens zu todten. Als aber die Dar- 
tie gleich ſtand, erlaubte es ihm feine Tapferkeit nicht, er 
Rürzte aus dem Hinterhalte hervor, und als er den Zeind 
wit heftigen Worten berausgefordert halte, begann ein Ge⸗ 
fecht, welches damit endigte, daß er mit feiner guten Klinge 
den Hirnkaften des Türken ſpaltete. 

Nach geendigtem Streite, da ich zu ibm berauszufome 
men wagte, mar er ganz.verdrießlid, und rief ärgerlich, in⸗ 
dem er fein Schwert in die Scheide ſtieß: Da bat mich 
weine Hige wieder zu einem dummen Streiche verleitet. — 
Bie fo? frug ih. Ihr habt-fa. gefiegt und die Kinder ges 
reitet. — Gefeht aber, antworiete er, ich Hätte es mit, 
ſollte ich denn dieſe armen Seelen. und Euch im Keller fol 
Ger Gefahr ausfegen? Ri 

Als er uns wun geſichert fab, verließ er uns, um der 
bedrängten Stadt zu Hälfe zu eilen; und feine Thaten And 
in der Belt binlänglih bekannt geworden, und wohl auch 
Euch zu Ohren gekommen. 

Inzwifcen führten wir in dem Gemälde ein abgeſon · 
dertes, obfjon gar nicht rubiges Leben, denn wir Kinder,“ 
die wir dead wicht immer Aid fein konnten, machten von 


a Gapitain Wolfgang 


Zeit zu Zeit in den weiten Gängen unſerer Unterwelt einen 
bölifhen Lärm, wie mein Obeim, ber Sculmeikter, fit 
ausdrädte. Um uns zu befhäftigen, umd um in fein eige⸗ 
nes Element verfeßt zu werden, fing er an, eine Schule uu- 
ter ung einzurichten, Einige von den Knaben, die von dem 
Zürken gefangen waren, gerade als fie zug Schute gingen, 
hatten no die ABE Bücer in der Taſche. und mit dies 
fen Eremplaren mußten ſich alle behelfen. Mein vierihrd- 
tiger Oheim, der unter Kindern feine Würde zu behaupten 
wußte, bielt die Meine Republik in ziemlicher Ordnung. 
Zuweilen machte fie es ihm jedoch zu kraus; dann konnte 
er recht aͤrgerlich werden, und klagte bitterlich darüber, dag 
er keine Ruthe in den Keller mitgenommen habe. Einft 
als er fehr böfe geworden, weil den Kindern die Buchſta⸗ 
ben und Spylben nicht recht in den Kopf wollten, nahı er 
feinen Muth zufammen, und begab fi in einer dunkeln 
Nacht hinaus in den Wald, um ſich eine Ruthe von dem 
Baume zu ſchneiden, an welchem die Türken die Meinen 
Spettafelmadyer hatten heuken wollen. Als es aber zur 
Gretution kam, und die Jungen fürchterlich zu brüllen an« 
fingen, ward er blaß, wie die Band, und bat die Knaben 
um Gotteswillen zu ſchweigen, damit wir in unferm Pin- 
terhalte nicht entdedt würden, 

Am zwölften September teilten wir das allgemeine 
Entzäden, als Bruder Herz wieder kam, unfere eiferne Thür 
weit öffnete und uns die Rettuug und Befreiung von dem 
Türfen verfändigte. Jeder ſuchte nun‘die Seinen; und da 
ergab es fid) denn, daß meine Mutter ganz verarmt ge⸗ 
worden, weil unfere Wohnung am Aärntkmerihore, von 
Vomden oefroffen, mit den Webftählen und allem Geräthe 
in Aſche gelegt war. Doch half ung ber liche Gott wieder 


erzäplt feine Sebeusgeſchichte. [2 


dur) unfern treuen Bruder Gerz. Denn es begab ſich daß 
er eben mit mir am Graben ftand, als des Königs vom 
Yan Mejeſtůt Iopann Sobicelv anf dem praͤchtigen wei⸗ 
sen Gemgfte des Gretzocziers. vom Volke mit Segenewän- 
fen begleitet, verbeiritt. Als er meinen Beſchutzer Tab, 
den er fhon tannte, grüßte er ihm freundlich, und ich hüpfte 
wor Zreude, und füßte dem König mehrmals die Stiefein. 
wie ich gefeben, dag ſchon mehrere andere gethan hatten. 
In der Meine flinfe Knabe Drin Sohn, mein waderer Kol⸗ 
ſchitcy? frag der König. — Nein, Ihro Majehät, war die 
Antwort, er it eine blutarme Waiſe, deſſen Mutter in die⸗ 
fer Roth Hab und Gut verloren bat. Der Tieine Patriot 
vergißt aber fein eigenes Elend, und dankt Euch, weil Ihr 
fein Baterland gerettet habt. Der König laͤchelte, griff in 
den Buſen und holte eine ſchwere goldene Kette mit Iumes 
len hervor; (er hatte neulich im Zürtenlager unermeßlihe 
Beute gemacht) reichte. mir die Kette und fagte: Bring 
Deiner Mutter dies Gefhmeide, wein Kind! das wird ihr, 
bo? id), den Verluſt erfegen. Lebe wohl, mein braver Kol 
ſchißkv, fuhr er fort; wir willen, mas wir Dir ſchuldig 
find; ohne Dich hätte die Hauptftadt den Muth verloren, 
und wir wären wit ber Hälfe zu frät gefommen. Darauf 
ritt er mit gnädigem Händeninten meiter, vom Iaudzen 
der Menge begleitet. Bruder Herz bradıte mic zu meiner 
Mutter, und nun waren wir, durch den trefflihen Freund, 
wieder in Soblſtand gerathen. 

Wie wir jept reicher geworden, hatte ich auch Luft ber 
kommen, ein edieres Gewerbe zu treiben. IK wollte gem 
Ceroffiier werden, und reifte mit einem holäudiihen Freunde 
nad Aufterdem. Es gelang mir, Cadet zu werden und im 
Kriege zum Offlcier und endlich bis zum Capitain zu avan⸗ 


4 -Gapitain Wolfgang 


ciren. Ich will Eud) den Krieg nicht weiter hier erzaͤtlen; 
fo etwas lieſt man beffer in den Zeitungen. 

Als der Friede geſchloſſen war, nahm ih meinen Ab⸗ 
ſchied; ich hatte aber die See zu lieb gewonnen, um fie fo 
bald zu verlaſſen; vielmehr gelüftete es mid, mit dem gro⸗ 
sen Weltmeere genauere Bekanutſchaft zu machen. Id fand 
es nicht unter meiner Würde, als Captain in der Marine 
Kauffahrtheifabrer zu/werden. Die Kauffabrtheifahrer ſchie⸗ 
nen mir vielmehr die eigentlichen Seeleute zu fein. Die Lis 
nienſchiffe find große Maſchinen, zu Schlachten an der Küſte 
beitimmt; auf den weit ungemaͤchlichern Sahrzeugen, mit 
net weniger Hälfe, pflägt der Schiffer das abenteuerliche 

er. - 
Ich hatte mein Schiff mit Waaren befrachtet, und wollte 
nad) Weſtindien fegeln, um ſolche mit Vortheil abzuſetzen; 
faum waren wir aber im atlantiſchen Meere. fo ward ich 
gewahrt, daß ich eiuen großen Fehler dadurch begangen 
hatte, Leute zu Dingen, ohne nad) ihrem Charakter und ih- 
er Lebensweiſe zu fragen, wenn fie nur tuͤchtig, muthig 
und ſtart waren. Es dauerte nicht Tange, fo fah id, daß 
diefe Schufte zum Auswurf der Menſchheit gehörten. Kaum 
vermochte ich, hald durd Strenge, bald durch Güte, fie in 
Drdnung zu halten, und mid) in Reſpect zu fegen. Auch 
merfte ich, dag fie ſich oft heimlich beſprachen. 

Ich war mir das Aergſte vermuthend und das NRäth- 
fel Töne ſich Hal, als der Hauptſchelm unter ihnen; Jean 
le Grand, wit zwei andern, eined Morgens zu mir in die 
Kajüte trat. Ich griff nach meinen Piſtolen uud rief: Was 
wollt Ihr? Wollt Ihr Meuterei anfangen, da Ihr Euch 
drei Mann art. ohne Erlaubnig in die Kajkte des Capis 
tains eindrängt? Entfernt Euch! oder ich ſchiee dem ere 


erzählt feine Lebensgeſchichte. 6“ 


en, der da ſpricht, eine Kugel durch den Kepf. Bil Je⸗ 
mand mit mir reden, fo muß er allein Lommen. 

Sie verbeugten fih mit ſcheinbarer Demuth, und ver 
Atjerten, fie hätten nichts Böfes im Sinne, weil aber der 
‚Herr Cabitain es befehle, verſeßten fie ironiſch, wollten fe 
wieder gehen, und eine gelegemere Beit abwarten. Da⸗ 
mit entfernten fie Ach, und ic) faß allein im der Kajute mit 
meinen Piftolen. 

Ich dachte: Was hilft langes Zaudern? Geſchehe bald, 
was geſchehen muß. Wenigſtens will id mein Leben theuer 
verfaufen. Ich gürtete mein Schwert im, fedite noch zwei 
Terzerolen in den Bufen, nahm eine Piſtole in jede Hand, 
trat beraus, fah fie alle auf dem Verdet beifammen, und 
rief: Bas wolt Ihr von mir? Hier fteh’ ih! Iean le Grand, 
als der Verſchlagene, Klügfte und Beshaftete unter ihnen, 
trat ſehr affertirt hervor, griff an feine Müge, und ſprach⸗ 
Der Herr Gapitain ereifere fid nicht, umd glaube niht, dag 
mir gegen Ihn etwas Böfes im Schilde führen. Bir dar 
ben Ihm nur freundlich einen Beinen Vorſchlag zu thun. 
Ibr wollt nad) Weftindien, um Handel zu treiben, und wir 
follem als gedungene Matrofen Euch das Schiff dahin brin- 
gen, damit Ihr Eure Waare dort mit Profit abfehen 
lönnt. Wit diefem Plane find wir nun aus zmei Gründen 
nicht zufrieden; erfiens weil nur allein Ihr, und Niemand 
von uns feinen Bortbeil Dabei findet, zweitens weil es ung 
gemein vortömmt, daß fih brave Seeleute mit Schachern 
abgeben. Bir find alle Helden aus den letzten Sertreffen. 
Hätte der Krieg länger gedauert, wären wohl au mehrere 
von uns, wie der Herr Gapitein, avandıt, Wenn aber 
das Glũck nicht gutioillig fonmen will, muß man es bei 
den Haaren herbeiziehen. Die Fürften haben Frieden ge 


46 Capitain Bolfgang 


ſchloſſen, ohne uns gu fragen, nun wollen wir, ohne fie zu 
fragen, den Krieg noch eine Weile auf eigne Hand fortfeen. 
Ein ehrlicher Freibeuter iR überall geachtet, umd dieſes Me⸗ 
tier war, wie uns die Geſchichte lehtt, in den herouchen 
Beiten- fehr ehrenvol. Die alten Standinavier haben ſich 
durch ſolche Thaten unfterblid gemacht; wir branden aber 
nit fo weit zuräd zu geben! And) im verwichenen Jahr» 
bunderte haben die Boucaniers und die Fibuſtiers Wan⸗ 
der der Tapferkeit von der Infel St. Domingo und dem 
Meinen Eilande la Tortwe aus, verrichtet. Im ihre Fuß- 
tapfen, die weder Sturm noch Wellen auslöfhen Linnen, 
wollen wir treten. Bir Haben gehört, eine Silberſlotte 
werde bald aus Brafilien nad Spanien gehen; auf dieſe 
wollen wir Jagd machen. Das hat mehr zu bedeuten, als 
armfelige Waaren in Weftindien zu verkaufen. Und Ihr 
ſollt unfer Anführer verbleiben, wenn Ihr End) in Güte 
dazu verfichen wollt, mit uns gemeinfhafttihe Sache zu 
machen. 

Ich antwortete: Ich könnte Euch bintergehen, ja fa 
gen, und naher nur daran denfen, Euch in’s Verderben 
zu flürgen. Das wil id) aber nicht; id wil Euch nit ber 
srügen, mad ich erfaufe mein Leben nit durch eine Lüge, 
Ich tünnte Euch über Pfcht und Treue eine Predigt hal⸗ 
tem; das will ich auch wicht; denn ich weiß, es wütde mir 
nichts beifen; und bin id nicht länger Euer Gepkain, fo 
will ih wenigſtens nicht Euer Narr fein. Schif ud Fracht 
wil ich Euch überlaffen! Apr Lönnt es nehmen, ohne mir 
mein Leden zu rauben. Boltt Ir mid aber durchaus er⸗ 
morden, fo thut's Id bestle Euch nicht um Bmade, Gebe 
wir aber lieber die Schabappe, gebt mir. Etwaaren für 
drei Wochen, und Laßt mir meine treuen Schiffe uagen Paul 


erzählt feine Lebensgeſchichte. 47 


ud Nudeif. Das Wetter ift ſchͤn, id werde mein Glic 
aufs Reue verſuchen. Bergehen wir, {0 begegnet uns nur, . 
mas ſchen fo vielem madern Serienten begegnet ik, und 
mas uns auch auf einem großen Schiffe treffen könnte. Ih 
bin Ebrift, habe gelernt, Gerechtigkeit zu üben, und an 
Unfterblichkeit zu glauben. Bor Holands Feinden Habe ich 
nicht gezittert; ich zittre nicht vor dem Teufel, und nicht 
vor Eu! 

Diefe Rede gefiel den Matrofen; der wiederträchtige 
Sean ie Grand aber ärgerte Ah über meine Kecheit, wo⸗ 
rim er deutlich Beratung gegen ſich entdedte. Er wollte 
fogleich auf mic abdrüden, ein anderer flug ihm jede 
Die Piſtole aus der Hand und der Schuß ging los, ohne 
Schaden zu ihun Der andre rief, man folle mich nicht 
obue Roth umbringen. Dieſem Berlangen ftimmten Meb- 
zere bei. — Se verfeßte ih dann gelaſſen: Ich bin: Euer 
Gefangner, macht mit mir, was Ihr wollt. — Ih ging 
binunter in die Kojüte und erwartete mein Schidfal, das 
fi) wobl bald entſchieden hätte, wenn nicht die folgende 
Nadt ein ſchreclicher Sturm entftanden wäre, wobei die 
Böfewichter ganz den Muth verloren; theils weil einige 
ginubten, es fei Gottes Strafe, theils weil der Steuermann 
ven fie mit in’s Eomplott gezogen hatten, frank lag, und 
fein anderer ſich getrauete, in dieſer Gefahr das Schiff au 
lenlen. Cie kamen zu mir und baten mich, Schiff und Les 
ben zu wetten. Ich blieb mit gefalteten Handen ruhig in 
einen Lehnfiuhle gen, ſah zur Exde, und fagte: Ihr 
dabt mid, meines Amts entiegt, jeht rettet Euch fit. Sie 
gasgen wieder hinauf. Jean le Grand meinte, er würde 
füen ohne mic, fertig werden; er war freilich ein großer 
Bagehals, aber ein ſchlechter Steuermann, und Ne Gefahr 


“8 5 Gapitain Bolfgang 


ſtieg mit jedem Augenblide. Ich faß ganz verflodt in der 
Kajüte, als ein älter Matrofe hinunter fam, und gang 
Hhlegmatifch fagte, indem er die Kapuze abnahm: „Ih 
folte den Herrn Capitain gefälligft bitten, einen Augenblick 
binauf zu kommen. Iept vergehen wir glei.“ Ich mußte 
über den Gleihmuth des Alten lachen, der mir diefe Kunde 
in demfelben Tone rapportirte, als wenn er mir au fagen 
hätte, dag mein Eſſen auf dem Tiſche fände. Der Selbfte 
erhaltungstrieb erwacte indeß bei mir; ih forang auf das 
Berded, und rief: Reut Euch Sure That, und welt Ihr 
mir wieder Treue ſchwoͤren, fo fol ales vergeffen fein, und 
mit Gottes Hülfe will Euch reiten. Alle ſtrecten die Hände 
sen Himmel, und betheuerten mit graͤßlichen Eidfhwären, 
dag fie mir treu fein, und mir unbedingten Gehorſam lei⸗ 
ften wollten. So ftrengte id, denn alle meine Kräfte. an, 
und es dauerte. nicht lange, fo waren wir außer Gefahr, 
und der Sturm legte fih. 


Müde von der Anftrengung ging ich zu Bette und fehlief 
rubig ein. Als idy wieder erwachte, fand ih mich feſt in 
Banden unten im Schiffsraume in eine Ede hingeworfen. 


Ich fühlte, dag ich unklug gehandelt hatte. Wie konnte 
ich mich auf Treue und Eidſchwuͤre folder Boöͤſewichte vers 
laſſen, und glauben, daß fie Dankbarktit gegen mid; beweifen 
mürden, weil id ihnen das Leben rettete? Meines vorigen 
Stolzes und meiner Unerbittlichteit würden fie ſich aber um fo 
beffer erinnern; dieſe neue Verpflichtung, würde mein Schic⸗ 
fal ſchneller entfcheiden, damit fie eines läftigen Menſchen 
los würden. Hätte ih mic, unbedingt und ohne Trotz Yin 
gegeben, hätte ich ‚gleich ohne Bedingungen ihren. Willen 
erfüllt, fo wären ſie vielleicht gerührt und zum Mitleid bes 


erzäßlt feine Zebensgeſchichte. 9 


wogen worben. Der Bedanfe aber, von ſolchen Janubaga 
bemitleidet zu werden und Wohlthaten von den Schurten 
au eubfangen, die alles geraubt hatten, war mir ärger als 
der Tod. 

. Mei trener Schige unge Paul befuhte mich amd er- 
zählte, dag Jean le Grand durdy feine Reden und Vor⸗ 
Rellungen alle Gemäther für fih gewonnen habe. Ein Baar 
von ihnen wären freilich unzufrieden, müßten aber gute 
Miene halten, um nicht ermordet zu werden. Jeßt ſchmau⸗ 
fen fie und zechten alle droben auf dem Berdede. Ib 
tonnte igren wilden Geſang unten im Raume hören. Jean 
ie Grand hatte mir einen ewigen Haß geſchworen; die 
Wannfdyaft wollte aber nicht erlauben, daß mir ein Leides 
geſchehe: fie waren überein gefommen, mir das Boot zu ge- 
ben und mic dann den Bellen zu überlaſſen. Paul follte 
mic; abbolen: er ſchnitt mir die Stride wieder 106, und id) 
folgte ihm hinauf auf's Verdec. 

Hier faen die Räuber alle um einen langen Tiſch 
und verpraßten mein Eigenthum. Ein Stahl ftand auch 
für mid, da, und Ian le Grand ſprach: 

Sapitain, die Brüderfhaft hat beihloffen, En das 
Heine Boot zu überlafien, and Ihr fullt es haben. Lebens 
mittel oder fonft etwas bekommt Ihr aber nicht. Die Bor 
fehung, anf die Ihr fo trogig baut, wird Euch ferner hele 
fen, was braudt Ihr ſolche Schufte, wie uns, darum zu 
bettela? Ein Paar weichherzige Seelen wollten freilich, 
dag wir Euch verpreviantiren folten, wir haben aber geftimmt, 
die Mehrheit iſt dagegen: ich werbiete es jept, Kraft meines 
Amtes als Hauptmann der Zreibeuter, und werde dem Er⸗ 
fen eine Kugel durch's Gehirn jagen, der mod ein Wort” 
davon ſpricht. — Iept feht Euch, und mi Euch zum . 

Cehlenf. Schriften. XVI. 


5” Gopitain Wolfgang 


Abſchied, fo viel Ihr wollt! Jhr kdunt es nöfhig Haben, 
denn Ihr babt eine eben fo beſchwerliche Reife anzutreten, 
als des Elias vierzigtägige Reife auf den Berg Horeb. 

Erſt in diefem Augenhlide ergriff mi Kleinmuth. Bor 
einer Hinrichtung häfte mir nicht gegraut, der Hungertod 
elite ſich aber plöplih vor meine Seele mit allen entfeßs 
lichen Zügen. Ich bat fie demäthig, Mitleid mit mir zu 
haben, und mir‘ menigftens Lebensmittel für acht Tage mit» 
zugeben. Mein armer Paul brach in Thränen aus und 
rief, cs wäre ſchändlich, mic auf dem falzigen Meere ver 
ſchmachten zu laſſen, mährend fie ſich ſelbſt mit meinem Eis 
gentyume zu Gute thäten. Kaum aber hatte der arme 
Junge diefe Worte geredet, fo traf ihn die Kugel des graus 
famen le Grand fo, daß fie ihm den Hirnſchädel zerſpal- 
tete, er fiel rüdwärts und befprügte mich mit feinem treuen 
Blute. Jean le Grand aber fagte ruhig, indem er ſich wies 
der feßte, und der Leichnam in die See geworfen war, Ge⸗ 
borfam gegen die Gefege (und der Wille der Brüderſchaft 
iſt Geſet) geziemt warern Freibeutern, und ift nothwendig 
wenn wir die ſpaniſche Cilberflotte erobern wollen. 

Dies Zauberwort machte auf die niedrigen, eigennüßis 
gen Menſchen einen ſtarken Eindrud, und die leichte Res 
gung von Menſchlichteit, die in ihrer Bruft entftanden war, 
verſchwand ſogleich wieder. 

Drauf kebrte Jean le Grand ſich zu mir und ſprach: 
Euer Loos iſt geworfen! Füllet euren Magen mit gutem 
Eſſen und Trinken, und ſtärkt Euch, daß Ihr es fo lange 
aushaltet, als möglich. Vahrſcheinlich wird es Eure lehie 
Mapizeit werden. 

Als ich merkte, dag ich den Elenden mit Werten nicht 
erweichen konnte, dachte ich: Ich will den Hund nicht mehr 


erzählt feine Lebensgefhihi.e 8Bi 


vergeblich anrufen, id will nicht bier wie ein armer Süne 
der figen. Eſſe ih nicht, fo werde ich im Boote bald ohn⸗ 
mächtig, und dann ift feine Rettung mehr möglih. Mad’ 
id aber eine gute Mahlzeit, fo kann id es doch ein Paar 
Tage aushalten. Diefer Gedanke gab mir den Appetit wie⸗ 
der, und ih aß weit mehr, als ich pflegte. 

ö Ein tüntiger Kerl, hörte ich mehrere Freibenter unter 
fih murmeln; er hat nicht das Hafenfieber. Da irrten fie 
ſich aber, denm id aß eigentlich nur aus Furcht zu ver⸗ 
bungern. 

Als der Punſchnapf auf den Tiſch kam, tranken die 
Gauner alle fpottmeife, laut jauchzend, meine Gefundheit. 
Bas mid, am meiften ärgerte war, dag mein zweiter Schiffee 
junge, Rudolf, den ich eben fo fehr wie den Paul geliebt 
batt, ganz zu diefem treuen Kameraden den Gegenfag 
machte, und mic ärger als alle andern mit unverſchaͤntem 
Epotte und Schimpfreden verhöhnte: weshalb ihm auch 
Jean le Grand, der jetzt ſehr benebelt worden war, den 
Befehl gab, mein Boot zu unterfuhen, ob mir Iemand 
vieleicht etwas zugeftelt habe. Er kam bald zuräd und 
verſicherte. es wäre nicht fo viel, daß ſich eine Maus daran 
fättigen könne. So ward id denn mit vielen Geremonien 
von der betrunkenen Brüderihaft ins Boot gebraht; mo 
mir noch Ican le Grand zum Abſchiede eine Dofe mit 
Schnupftabat verehrte, und ein altes Meſſer. Rudolf fuhr 
fort mic) zu verhöhnen; drauf ſchnel meine Hand ergreie 
fend, während die Andern es nicht merkten, raunte er mir 
in's Obr: Lebt wohl, mein theurer Herr und Bohithäter! 
Bergebt dem armen Rudolf! Ihr werdet im Boote Chr 
maaren finden. So führte er mich ſchnell in’s Boot bin. 
unter, flieg mit einer Bootſtange meinen Ran in die Ste 


Be Capitain Belfgang 


umd unter einen lauten Garrab der Maunſaaft. ſab ih 
mein Schiff wegfegeln, und Ach in die Zerne verlieren, 

Als ich mir ſelbtt überlafen war. fand ic unter mcie 
men Sige, der mit einer Watte bedect war, rinen Beutel 
wit Siifsgwiebad, zwei Stud geräußertes Fleiſch, cinen 
großen Krug voll friften Waflers, zwei Flaſchen Wein 
und einige Stüde Bindfaden. Alles dieſes hatte mir der 
gute Rudolf mit Lebensgefahr zugeftcdt. 

So trieb id denn umher, ohne Land zu ſehen, obae 
ein Schiff zu treffen, und hatte nod den Schmerz, an weis 
nes treuen Pauls Leichnam vorbei zu fegeln. Ih erhob 
meine Hände zum Himmel. dankte ihm für fine Treue und 
beweinte frin Schickſal. Durch eine plöliche Bewegung des 
Bootes war ich fo unglücklich, all mein friſches Waller in's 
Meer zu yerfhätten. Diefer Verluſt raubte mir ganz den 
Muth. Der Himmel erbarmte ſich aber, es fiel ein mäder 
Regen, und id) konnte meinen Krug, mit dem Waller, das 
ich in der Matte auffing, ganz wieder füllen. Ich bedauerte 
nur, daß ich nicht mehr Krüge hatte. Am dritten Tage 
hatte id das Glück, durch eine Schlinge. die ich mir aus 
den Bindfaden gemacht, einen Heinen Serhund zu fangen. 
Hier kam mir das alte Mefler, das mir Jean le Grand 
ſpottweiſe verchrt hatte, wohl zu ſtatten. Ich tödtste den 
Seehund damit, die zerſchnittenen Stüde begoß ih mit 
Bein und riet fie in der Mittagsfonne. Die Mahlzeit 
Märkte mic wunderbar. Auch der Tabat erheiterte mich im 
rauhen Better. Meine Matte war wieder trocken, ich wit⸗ 
felte mid, darein, ſtrecte mid bin im Boete, und ſchlief 
ruhig ein. 

As id) wieder erwachte, war mein kleines Fahrzeug 
auf eine Sandbank fett gelaufen, und als ih die Augen 


erzählt feine Lebensgeſchi hte. 3 


aufſchlug, Tab ich Aber mir einen ungeheuren Felſen. Ih 
watrte ſogleich vom Boote nad dem Selfen, um fees Land 
u gewinnen. Kaum Rand ih auf dem Trodenen, als ein 
Dind ſich erhob, und mein Boot wieder in's Meer Hin 
austrich, 

Iept Hatte ich freilidy feften Boden gewonnen, der Fel⸗ 
fen ſchien mir aber tahl umd unbewehnt und ich Rand bier 
aller Hülfe beraubt. 3m meinem Trofte entdedte ih einen 
großen Wallerfall, der mit außerordenilihem Geräufdye aus 
dem Zelfen forang. und fid) in's Meer ergoß. Ich eilte fo 
fehr ich Fonnte, um dabin zu gelangen und meinen Durft 
zu löſchen. 

Denft Euch aber meine Verzweiflung, als das friſche 
Bafler ploͤtzlich zu fließen aufhörte und mir, als id) dahin 
fam, nur einen dunkeln trodenen Schlund zeigte. 

Id warf mic) wie wahnfinnig zur Erde, und rief uns 
teölich: Unendliche, ewige Natur! thuſt du fo große Bun« 
der, um einem armfeligen leidenden Geſchöpf den leßten 
Labetruut zu verfagen? Diefer Flug hat vielleicht feit Jabr⸗ 
hunderten feinen Lauf fo genommen, Vögel und Thiere feit 
der Sundflut gelabt, fobald ich aber die zitternde hohle 
Hand gegen ihn ausfitede, ſtoct er ploͤtlich uud verflegt. 
Am, fo will ih denn auch nicht mehr hoffen. Die Vor⸗ 
fehung bat meinen Untergang beſchloffen, und mir diefen 
trodnen Schlund zum Grabe angewielen. So rufend ſtrecte 
ich mich verzweifelt bin auf die Kieelfteine, 

Doch es iſt jept Zeit, daß ich abbreche, ſprach der Ca⸗ 
ditain, denn was jetzt folgt, werdet Ihr ſelbſt in einigen 
Tagen erfahren, wenn wir an der Sandbank und an dem 
Felſen antern. O Rudeif. gieb mir ein Glas Weinl die 
Eriäälung het wir den Hals troden gemacht. 


54 Die Landung auf Felfenburg. 


Ein wohlgewachſener Jüngling, des Capitains Diener, 
eden fhon Eberhard in Amfterdam gefehen, als er feinen 
Herrn vom Schaufpiele abrief,) brachte auf einem Teller 
das Verlangte; und der Gapitain Wolfgang ſprach, indem 
er ihn bei der Hand nahm: Ic) habe bier die Ehre, der 
Geſellſchaft meinen ehtlichen Rudolf vorzuſtellen. Das Glüc 
bat uns wieder vereint, und ich hoffe, dag wir künftig ſchö⸗ 
nere Tage mit einander verlieben werden! 





a. 
Die Landung auf Felſenburg 





Sehr gefäjidt hatte der Gapitain Wolfgang Ort und 
Zeit zu feiner Erzählung gewählt, und fehr Hug brad er 
eben da ab, wo fi die Wirklifeit der Erinnerung: reis 
zend anfnüpfte, 

Gluͤclicherweiſe braucht Erzähler diefes nichts von dem 
Seinigen hinzu zu fügen; es findet fi) in dem Tagebuche 
des Herrn Julius das Fragment eines Gedichts, welches er 
kurz nad) der Landung auf Zelfendurg verfaßt haben mag, 
worin er die Scene, fo gut es gehen will, homeriſch bes 
ſchreibt. 


Eberhards Gedigt. 


ber nachdem wir das Meer gepflügt, vom ftarten Paſſatwind 
Fortgetrieben, — Neptun auf dem Ranthus reitet nicht fchneller, — 
Kief mich der teeffliche Wolfgang laut, ald am Morgen des Oſtens 


Die Landung anf Felfenhurg. 55 


Varvur Ntieg aus dem bieiernen Schoot mactännlicher Bellen, 
Fern im Meere ja ſchaun die erwuͤnſchten heiligen Seifen, 4 
Welche die tahlen Hänpter empor anftamchten gen Himmel, 
dieden der Wellen gleich, im Gefichtöfrers! ber fic wucfen 
Biiefengroß aus der falsigen Flat, und mah'ten dem Schiff ſich; 
Zeigten wit Dornenbüdfen bewachfen erſtaualiche Blöde, 
Unfrucıtbarer woch ald das Meer; unzählige Siiche, 

Hann, Reerſchweiae doch wimmeiten hier: in feinernen Küften 
Sarie Secvogel vergetlih nach fparfam wachſenden Beeren. 
Nur ans dem darten Gefein, mit Gerauſch bergpolternder Geier, 
Eprubeite reich Die Flat and den Gingrweiden des Berge, 

Und vermifchte das füße Getränf mit bitterem Meerfah. 

Dort deckt Brandungen difchend bes Echaum, bier brachen die Riffe 
Zorniger Braudungen Bath; Eandbanten hoben fich ſchneeweis 
Uns den gebrorkenen Bellen, im Schup vorragender Klippen; 
Hügeln im Fehde gleich. Die mit Reinigen Scheiteis Da ftet'n, 
Lieblich wosenden Achren umringt, des luftigen Feldes. 
Diefe Inden und ein, im Schatten und da zu erfriſchen 

Mad als inter geworfen, verliehen Die Männer den Dreimaft, 
Selche der Schiffer erkor, zu theilen das fhöne Beheimniß. 

Enge mir, Mafe! Die Ramen bes fröhlich landenden Hanſens. 





GR der würdige Diener des Oerru, der trefliche Gchmelier, 
(Scrön war der Rame gewählt, bean er ſamolz Die Serien in Andacht) 
Eqwart im Denat, ald ein Lutperifcher piatrer getieidet. 

@tieg er in's Wont und trag im fchwarien Gammet gebunden 
nd mit @überbefchlag verziert, Die heilige Bibel 

Ligderg branf, der Fräftige Geiſt, ald ehrbarer Bürger 

Hs der Meichöfladt, beaun war fein Mod, von blantem Metalle 
Trug er Die Infrumente der matpematifchen Forſchung 

Zierlich im vothen Belle, Ihm folgte ſchlant mit des Harfe 


56 Die Landung anf Felſenbdurg 


Sademann mit Dem blonden GeRcıt uud Den waleuben Laden. 
ber der Unit, den felbR ein gefeguetes Eiland micmals 

Leider fo gan) entbehrt, ald Grabnicter im rothen 

Mantel erfchien, mit Baret von (hönem yurpucnen Gamuet, 

Wie es Raifer Muguft dem Errener feiber gegeben. 

Drauf ein großer erfreulicher Samid, ger (ander in Kleidern, 
Doc mit Iedernem Schurifen vorn, und Hummer und Zange 
Trug er in nerwigter Hand, und der Gus faß ſarag auf der Gtirne, 
Drauf ich feloR, Etadent aus Seipiig, fermarı und ix’ Echapen, 
And an der @eite mir hing der dieckich fählerne Degen, 

Hanna Heilkraft drauf, Die Schweijeria; reicuicher Gearwuchd 
Nabenfehwars in Ficaten dem Ninten entlang, und das Ganpt ihe 
Schattet ein breiter Hat, mit ehrbar flatteruden Bänden. 

Endlich der treffliche Schifer in feinem blänlicen Auche 

Mit Goldfaumen gebrämt, und den Hat mit adalichen Zrcien, 
Und in der Hand das gewalt'ge Sawert, Das ofs in Gefahr ihm 
Ehr erworben, und Mugen den meerseriramten Batascın. 

Diefe Gefenfchaft soar'a, Die defieg dem Heiligen Seifen. 


Doch die Mateofen folgten in Böten, und Im der Gchaluppe 
Braten ſie wiederfehtend dad Ent aus Europa, die Ballen 
ufgefapelt in Küften des Berge, damit nicht die Salflat 
Gchadete Bürtern und Stoff, Srinwand und dem treflächen Merkteug, 
@täplern, wit Wahagonienholi, verfestigt in England. 

Much viel treffüches Bich warb gebracht dem wortenden Eiland. 

Sechs Etud beütlender Kt, und ein Stier ans der Mari; und bie 
. Heat 

Wieherten nach den Einten, geholt vom grafigen Daumert. 

Echafe mangeiten nicht, und Difel+ feefiende Biegen 

Stredtten die Häupter empor nach dem Araut des Dünftigen Felleus. 

Auch calltutiſche Hühner von Zorm mit bintigen Rümmen, 


Die Landung auf Felfenburg 57 


nd pplegmatiftge Ccrwein', ait der Schu’ aufmähiend bie Saud · 
dank. 
Richkein pichten DaB Korn in Rügen; Enten und Gänfe 
Gehuten fich nach dem Baier uud ferien auf waceladen Füßen. 
Mach vier Efel blärerien laut. den Seifen befteigenb; 
Beicade Zauben, einige weiß nad Die übrigen (mwaiblan 
Sirrten und famäbeiten ſich liedto ſend gleich auf Dem @tcandc, 
Roc vier Ommde (crlofien den Zug, in Gtriden gebunden 
Blichen fie Yöhnifch mad Annan auf erbarmlich miauexde Raben, 
wer macbem sum Mnich auf fehlen Boden gebracht war, 
Dante der treffliche Beriffee dem Moit, entblößte Das Hauvt fich 
Wufend wie tömender Crime’: Ian Bunt Euch, wad're Gefchen! 
»Unfer Gefchäft iR voRhranht; wie find im Hafen der Münfe. 
Wandert Gum nicht, und bier muf madtem Gefkein sm verlaffen! 
Bett weich ferner ſerden, Theatre. Und lächelt Die Zukunft. 
Aber gedenkt des heiligen GiD’s, dem Jeder geihworen; 
Daß vorlaut Die Sippe wicht ſyriat: bewahrt Dad Gebeimniß! 
Gier, ald dender des @erifs, als Gmayt der gehariumen Mannfchaft, 
Eich ich Euch Ferdinand Hera, deu Gteurer vor, er detrit icpt 
Beinen Play; fo geponchet üym treu, wit geiiemendes Eärfuecht. 
Sceal Gucı der Himmel Bümftiges Gkärt, und baldige Städtehe, 


Dom die gehärteten Cütme des Terrs, die Troder des Sindes 
Welnken laut wie Kinder und ſcwentien Die ferien Aapuen 
Siederdol im bie Huft, amd riefen filndiend fie Ourrad⸗ 
Ealcuead: Es lcde der brawe Gapitain. ber Ireffliche Wolfgang! 
Eega’ ihn Berst denn er iſt umb ein Fremd, ein Water geweien. 


Daramf etehäfeten wir dad @eick, aud blinden dem ganien 
Zug am fandigen Etvand, bis das @cif feine Mader gelianer. 
ber nachdem mit Anwomengelhoß MUidrled et wenommmen, 


53 Die Landung auf Felfenburg. 


Fern in Die Racıt verfchwindend, ba fliegen rothe Wafeten, 
Römische Lichter, lieblich zu ſehn von fpipigen Feiſen 
Eaufeten über und hin in fchönen Bogen und kuoliten 


MS die dämmernde Eos mit Nofenfingern emporflieg, 
Und uns ein furzer Cchlummer gelebt, begeben wir fümmflich 
Und au dem Maflcefall, der geflern gewaltig gefprudeit, 
Weber dad MBunderbilb des gehemmten Stromes zu Ammen, 
Doc ganı trocken ſchon waren Ded Eclunds gehanene Gtufen 
Und zehn Zünglinge, (ön wie der Tag, mit brennenden Fockein. 
caudeutſch alle getieidet und hochdeutich fpresgend wie Gadıfen, 
Kamen wie Engel hervor, und erfauneten über den Mublich, 
Drauf den trefflichen Freund umarmend, den räftigen Wolfgang, 
Kehrten fie ſich nach mir, und ertanuten mich gleich an den Zügen, 
Rannten mich Wetter und Freund, und brüten mich feR an den Bufen. 
Jetzt begab ſich der Bug dutch den Schlund des gewaltigen Berges 
Sangfam gemächlich Neigend auf breiten Stufen des Feiſens. 
Uber die größeren Thier' und Die Ballen wurden Durch Minden, 
Zrefflich art auf der Rlippe gebaut, in tragenden Seilen 
Weber. den Belfen gehoben und Aanden auf zierlichen Wagen 
Eqhon im Grünen, gehäuft, auf dem Mag den Fremden erwartend. 


Wie ein Kranker, der lange das Bett gehütet, er naht ſich 
Täglich durch Dämmernde Gchlünde der Furcht den Gallen des Todes; 
@iehe da endet ſich fenel die Roth, er gemeiet, Das Sehen 
Winkt ihm wieder und fchöner mit allem blühenden Freuden; 

ESo wir ſtaunenden Fremden, das Schiff, das enge, verlaffend, 
Still durchſchleichend den Bang des ausgetredneten Bergfteoms. 
als auf blühender Au, von Gedieg umgürtet und BBaldung, 
Wieder das heilige Licht, ald neugeboren, und aufthat 
Paradiefifche Luft und einiad, Die Fruchte zu koſten. 


Die Landung auf Felſtaburg ” 


Gicher gehemmt wor der Fluß Durch Dämme gewaltiger Balken, 

Etzfen zu beiden Geiten gehan'n, dad Feid zu gewinnen, 

So Baumgänge gewölbt von kazien herrlich fich zeihten, 
Doppelt, ienfeit des Flnfed und bier, vol Appigen Sacuthums; 
Und ein Teppich des feifchehen Grüns von Binmen geſprenkeu. 
Zeife die veinende Gene des (cräg amlanfenden Gügelk. 
Yalmen, Granat, Gitowen, Limonienbäum' uud Die Beige, \ 
Und an der Deutichen Siche gedich der indiſche Bambus. 
Grahtöar waren die Tpäler und lieferten fchönes Gemüfe, 
Portulast, Yeterfüke, Genf, Ignamen und Bäben, 

Ananas, Yifong, Melonen, Gröfen und Bohnen; 


Hd) gataten und Yams und Gocus arigte häufig. 


Weiter, von keiner gaffenden Echaar gedrängt noch verhindert, 
Fahren wir ganz gemäclich in ſchon gesimmerten EBagen, 
Wit dem ſanetlen Befpann vielenbiger bräunlicher Hirſche. 
Rein Ginwohner begegnet’ und ba, den Weg in verengen, 
Wber jenfelts fahen wir Häufige Scharen in Meihen 
Gerandlich grüßend, den Hut abnebmend, gefleidet wie reiche 
Sandeinwohner in Sachſen vor hundert und mehreren Jahren, 


Mo nahten wir und dem baumbewachfenen Hügel, 
So cin geränmiges ‚Haus, mit dem Dach vor rörhlichen Ziegeln 
Sadn Rh erhob, und zeigte Die Burg der Jufel; wo einn du, 
Udert Jali us, treflcher @ecis, Großvater der Eatel, 
U ein Züngling die Hütte gebaut; Gmtdeder des Gilands. 


Sie wie und nahten und sogen in fchöngeordneten Meihen 
Ueber den Fluß, auf der Brüde, vom Hol des Waldes gejimmert, 
Ciche, da üfnete fich der ſutſam grüßende Haufen, 

Bit den heitern Gefichtern, und Ind ans ein, nach Dem Gaine 


60 Der Großvater fängt an 


Gieich zu eilen, wo Bü’ ald PUader der getriſaen Mieche 
Cchlanf fich wölbten, und mo und Der Sreis erwarten im Seimiiubl. 


Wisee bie Jünglinge fecueten A Bee wichernden Ylerbe, 

Mütted md Bäter fah'n mit Bergnügen Die Kuh? ımd Die Sqatzucht, 
Mädchen Die Tauben, und Rinder Die Körner frofienben Hühwer: 
Etreckien die Heinen Haͤnd' Hinans mis Arumen Des MWeoteh, 

Diiefen: Kiterif! Denn, fie tannten fie ans der Beflwelbnng. 


Uber der herrliche Greis mit Iodigem Stlber barte 
Mit dem offnen gefunden Gefidht und der Stiene von Adel. 
‚Hob vom Stuble fih famen, den lommenden Gnkel erwartend, 
Nief: Mein Eberhard! Bott! ja Du biſrs! Ich kenne den Bruder! " 
Und von den Armen des Grriſes gedruͤckt. füB weinte der Iangling! 


5. 


Der Großvater fängt an ſeine Lebensgeſchichte 
zu erzählen. 





Unfere Netfenden find ſchon acht Tage anf der Inſel 
Felfenburg, haben ſich umgefehen, und die Täler zum 
Theil von den Einwohnern bebaut gefunden. Sie haben 
den Hirten» und Aderleuten, die in niedlichen Häufern 
mohnen, mit Bt6eln, Gefangbähern, mit weltlicen Sthrife 
ten, eifernem Hausgeraͤthe u. ſ. w., Gefchenke gemacht. 
Sie haben die Felſen, von denen die Infel wie von einer 
Feſtung umgeben it, beftiegen, and berrfihe Metalladern 


feine Bebensgefbicte au erzählen. 6 


in den Edpihyten gefunden; fie And durch den Wald gegan 
gen, umd haben treffliches Bauholz Äberall angetroffen. Je⸗ 
den Abend find fie zur Wibertsburg, zum lieben Großvater 
aurürfgelehet, und. haben den hend mit iyın fröhlich zuger 
bracht. Andy haben fie fon dem Gottesätenfte in der füße 
len bohen Laube beigewehat. Magifter Scymeher bat eine 
fhöne Predigt gehalten, Bademann auf einer mitgebrachten 
Sandergel gefpict; Andagt und Freude haben die Ge. . 
meinde befeelt, und der kräftige Greis bat unter dem Gate 
tesdienfte herzlich geweint. In den Rath der Grauen 
(feine Grafen, fondern wirflihe Greife, wie zu den Seiten 
Kari des Eragen) find die gebildelen Europäer: Schmel⸗ 
zer, Wolfgang, Lipberg und Eberhard aufgenommen, 
Schmelzer und Eberhard Haben das Schul-⸗ und Erzie- 
bungeweſen unter ſich; Lipberg ift Direktor der InduRrie 
und der Gebäude. Wolfgang bat ein wilitairiſches Inftie 
tut eingerichtet. Lademann aber wünſcht fein großes Amt; 
er wi lieber unter Lißberg arbeiten, und ihm gehorcht 
wieder der trefflihe Ehmid Heinrich Wetterling. Der 
Arzt, Herr Cramer, hat Gott Lob als foldyer nicht viel zu 
thum gehabt, denn Die Beute bier auf der Infel And ger 
fund, und fierben gewẽhnlich mur in hohem Alter; als Be⸗ 
tauiter und Naturtundiger wird er aber der Infel von gro⸗ 
em Nupen fein. Hanna Helkraft iR wieder ganz in ide 
tem Elemente. Cie bat eine Landwirthſchaft angefangen; 
die Kühe und die Schafe gehören zu ihrem Departement, 
wur auf des Großvalers Tiſch hat fie ſchon trefflichen 
Shmeiserfäs zum Defert gebracht. Lißberg hat eine fhöne 
Aoonfchäht gefunden, pon der er Porzellan zu fabriciren 
denkt. Gine Kirche foll auf der Infel gebaut werden, und 
die rüßigen Männer, die bier Das Maurer> und Zimmer⸗ 


62 Der Grogvater fängt an - 


bandwert freien, werden unter Liäbergen Bademann trefls 
liche Dienfte keiftene Ieden Abend, wenn die Freunde nach 
Haufe kehren, und zu Nacht gegeſſen hab, erzählt der 
Großvater Albert Julius ein Kapitel aus feinem Leben 
laufe. Bir wollen ipn feloft reden hören, und feine Er⸗ 
zaͤhlung nicht dadurd) unterbrechen, daß wir die Tagtsare 
beit der Zuhörer dazwiſchen einſchieben. 

Der Greis erzählt alfo, und wir fliegen. uns an den 
trauen Kreis der Zuhörer. 


Ich habe oft fagen hören: Die Menſchen ſind nicht 
immer glüdlih, darum ift «6 beffer mit Trübfal anzufan. 
gen, als umgekehrt. Ich mag ſolche Nedensarten nicht. 
Die mehreften Menſchen nd freilich nicht immer glücklich; 
viele werden es nie. Barum folte es aber nit mitunter 
ganz gläftihe Menſchen geben? 

Bas mid beirift, ſo habe ich freilich ziemlich früh 
den Wermuthsbecher geleert. Gott Hat ‘aber alles zum Be⸗ 
Ren. gelenkt. 

Wenn id) in meinem Gedachtniſe zu den frübeften Er⸗ 
innerungen zurüdgehe, fo finde ich mic, im ſechsten Jahre 
meines Alters, in der großen ſchönen Stadt Prag in Böh- 
men, wo mein Bater Stephanus Julius bei der hoben 
Säule als Lehrer der Philoſophie angenelt war; und mo 
meine Aeltern anderthalb Jahr ein ruhiges glüdfiches Leben 
führten. Der unfelige Iwiefpalt zwiſchen Lutheranern und 
Reformirten, der fih auf einige Meine Abweichungen der 
Glaubensformeln gründete, hatte fhon zu großen Uneinig- 
keiten Anlaß gegeben, und war wohl die Haupturſache, 
marum die Reformation nicht weiter gedieh, fondern viel« 


feine Lebensgeſchichte au erzählen. 63 


mehr zurädging. Mein Bater lieg ſich aber nicht irre ma- 
ben, und als er einen Ruf durch den Hofprediger des Ko⸗ 
nigs, Ecultetus, bekommen hatte, verlieh er Gamfen, und 
zog nach Prag, in fehr ehrenvoller Anftchung, nachdem er 
zu der reformirten Religion übergetretm war. Diefer 
Schritt koſtete zwar meiner guten Mutter viele Thränen; 
denn fie mar aus Eiſenach gebürtig, aus dem Geſchlechte 
Luthers und fehr ſtrenge in der Iutherifhen Glaubensform, 
melde fie aud) nie Ablegen wollte, erzogen. 

„Lieber Großvater! — rief Eberhard hier in freudiger 
Befürzung, — ift Ihre Mutter auch aus dem Geſchlechte 
Luthers? Ach dann. find wir ja einander doppelt ver- 
wandt?“ — Daher fehreibt fih die große Achnlihteit, ſagte 
der Greis, den Jüngling herzlich umarmend, und fuhr in 
feiner Geſchicte fort. 

Das Glüd meines armen Vaters dauerte nicht lange 
Epinola rüdte von Spanien her in die Nheinpfalz mit 
24.000 Mann; fodann ſchlugen Marimilian von Bayern 
und der Öfterreihifhe General Bouquoi am 8. November 
1620 die Böhmen aufs Haupt, wodurd fi Ferdinand in 
feine Rechte wieder einfepte, und Friederich gendthigt ward, 
nach Holland zu fliehen. 

Länger denn drei Monate nah der Schlacht war im 
Drag alles fo ſtill geblieben, daß die Böhmen bereits hoffe 
ten, fie. würden ungeftraft wegkommen. Auf einmal wur⸗ 
den aber vierundvierzig der vornchmften Häupter der Em⸗ 
vorung in ihren Hänfern feftgenommen und in’s Gefängnig 
gefpleppt. Unter diefen waren der Rektor der Univerfität 
Ieffenius, und mein unglüdtiher Vater. 

Bir Kinder gingen ein Paar Tage vor diefem Ereige 
wife ſorglos umher, ſpiclten und freuten uns, denn 16 


— Der Großvater fängt an 


nabte fc eben der Beburistag unferes Baterd. Chen wir 
die Geſundheit meines Vaters ausgebracht werden follte, 
ward ftarf an die Thüre geflopft. Er eilte felbft hinaus. 
In der ofienen Thüre fanden Helteharditen, Die ihn er- 
griffen und in’s Grfängnig abführten. Denkt End, welch 
ein Geburtetag für Mutter und Kinder! 

Die Säfte bejeigten uns allen tief ſchweigend mit Haͤn · 
dedrug und Thränenblid das herzlichſte Mitleid. 

Bir Kinder mußten wicht, wo er binging, und was 
die Hellebardiften eigentlich gemellt Hatten; wir meinten 
und jammerten, weil der gute Vater an feinem Geburts“ 
tage weggeſchlevpt ward, und die verzweifefnde Mutter 
tonnte uns zicht tröften. 

Es verfloffen acht Tage, in welchen die Matter fait 
fein Wort ſprach. Cie ging und kam, gab uns unfere 
Rafrung zu rechter Zeit, weinte, betete, Ins in Oefangbüs 
ern und in der Bibel, und lehrte ung Kindern umter wies 
len Thränen das fchöne Lied: Jeſus, meine Zuder· 
figt. 

„A Gott!“ rief Eherbard. Er faßte fih ader und 
ſchwieg, um den Greis nicht zu unterbrechen. 

An einem Nadmittage kam der Schneider mit einem 
Bündel Kleider. Ohne uns fie anzupaflen, wie er fonft 
pflegte, legte er das Bündel mit betümmertem Geſichte auf 
den Tiſch, drüdte meiner Mutter die Hand, fprah: „Ich 
nehme keinen Heller dafür,“ und entfernte ſich ſchnell. Souſt 
pflegten wir uns immer zu freuen, wenn wir neue Kleider 
bekamen, jegt ſchuttelte ums aber ein ahnungsvolles Grauen, 
* als die Mutter das Bündel aufmachte, und wir fahen, dag 

es ſchwatze Kleider waren. Ach if mein Vater ſchon todt? 
vief Rudolf, der Aelteſte. Noch lebt er, wein Sohn, aut · 





\ feine Lebensgeſchichte zu erzählen. 6 


wortete die Mutter, zieht die Kleider am, Kinder! ich will 
die meinigen aud anziehen, dann geben wir, den Lieben 
Vater zum letzten Male im Gefängniffe zu befuhen. Er 
wůnſcht ung fo zu fehen. Gr will die Trauer feiner Lie⸗ 
ben vor feiner Hinfaprt vor Augen haben. Es wird ihn 
tröften und freuen. Ich fühle mic ftark genug dazu. Kommt, 
Kinder! 

Bir gingen in unfern ſchwarzen Kleidern dahin, der 
lieben Mutter zur Seite. Es war ihr ein fauerer Gang 
und fie mußte ſich unterweges mehrmals fepen. Der Ger 
fängnivogt öffnete ung die eiferne Thür, mir traten in's 
Zimmer, von einer (dwaden Lampe daͤmmernd erhellt, und 
ſtanden zitternd vor Furcht vor einem blaflen hagern Manne 
mit hohlen Augen und ſtruppigem Barte, der in der Ede 
in Gedanken vertieft mit verfhlungenen Armen, die Augen 
auf den Boden gerichtet, faß. Es war unfer Vater! Ib 
erfannte ihn an dem gewöhnlichen Morgenüberrode, den er 
immer des Vormittags bei feinen Arbeiten trug Wenn 
ih auf feinem Schooße faß. pflegte ich ihm an einem der 
meffingenen Knöpfe zu dreben; und diefer Knopf hing noch 
loſe am Faden herab. Bei dem Geräufde ſchlug er die 
Augen auf und ſtarrte uns an; kaum hatte er ung aber 
erkannt, fo fprang er auf, drüdte uns heftig an die Bruft, 
und küpte uns zu wiederholten Malen. Drauf zog er uns 
bin zum Lichte, um mit inniger Liebe unfere Geſichtszuge 
recht zu betrachten. Jetzt hatten wir alle Furcht verloren, 
{6 feßte mic wie fonft auf feine Knie, Rudolf ſtellte ſich 
ihm zur Seite, und die Mutter fepte fih ihm gerade ge 
genäber. Was er dann ſprach, hat uns die Mutter nad 
ber wieder erzaͤblt. Es lautet ohngefaͤhr alfo: Lieben Kin- 
der! Euer Vater fol ſterben. Weinet nicht, first Euch 

Dehlenſ. xvi. 


66 Der Großvater fängt an 


mit! Wie oft hab' ih Euch gefagt: der Tod fei für dem 
guten Menfchen nur ein Uebergang zum fhöneren Dafein. 
Bon äußerfter Wichtigkeit ift «6 mir aber, daß Ihr es 
wißt und glaubt, Euer Vater fterbe unfhuldig. Noch feid 
Ihr zu Mein, um das Alles zu begreifen, was ih Euch 
von meinem Schidfale fagen Fönnte; fo viel mögt Ihr in« 
deg vernehmen: Die Menſchen, die ſich Chriften nennen, 
rafen nody immer, wie Inden und Heiden vor 1620 Jah⸗ 
en, als Chriſtus geboren ward. Statt ſich zu- feiner himm⸗ 
uliſchen Lehre zu Halten, Gott / über alles, und ihren Näch⸗ 
ften wie ſich felbft zu lieben, zanten fie fih um Wunder 
thaten und Nebenſachen, und ein gräßlicher Religionskrieg 
wird nad) meinem Tode in vielen Jahren Europa und be 
ſonders unfer deutſches Vaterland vermäften. Als Opfer 
dieſer Parteiwuth und Seftenfhwärmerei falle ih. Eure 
Mutter bringt Eudy nad) meinem Tode zu ihren Verwand⸗ 
ten in Eiſenach, wo, wie ih es mwünfde, Ihr in der Tuthe- 
riſchen Kirche erzogen merdet. Glaubt aber ja nicht, Kin« 
der, daß Euer Vater feinen Glauben verläugnet habe. 
Zwiſchen Lutheranern und Neformirten ift nur ein fehr 
einer Unterfchied, der, wenn der Eifer nicht beiderfeits zu _ 
heftig gewefen wäre, zum größten Heile des Chriſtenthums 
leicht Yätte ausgeglichen werden Können. Und jept, Kinder, 
wollen wir den letzten Abend freundlich unter einander zu⸗ 
bringen. Der Gefängnigvogt bringt uns bier ein gutes 
Abendeſſen, Waſſer und eine Flaſche edlen Bein. Bir 
wollen uns einbilden, dag wir in gemaͤchlicher Ruhe wie- 
der fo mit einander figen. Kommt Albert und Rudolf, 
tagt mid) in Euren leinen zinnernen Becher ein wenig 
Bein gießen. Ihr follt mit der liehen Mutter auf die Ge⸗ 
ſundheit Eures Vaters trinken, den Abend vor feinem 


feine Lebensgeſchichte zu ersäblen. 67 


Geburtstage. Ia, rief er frendig-männlih, und ſchlug 
die Fräftigen Augen gen Himmel, morgen werde id neuges 
boren! Weint nicht, ihr Lichen, weil der Vater kurz vor 
Euch eine große Wallfahrt unternimmt; wir fehen uns ja 
bald wieder, 

So fließen wir denn mit ihm an, und tranfen wei⸗ 
mend auf feine Geſundheit. wie er es haben wollte. Bir 
munderten uns über den herrlichen Mann, der in diefem 
Zuftande fo heiter fein, und fo vielen Muth zeigen konnte; 
mir waren daran gewöhnt, uns von feinem Gefühle, von 
feinen Meinungen beherrfcen zu faffen; fo agen wir denn 
getroft unfer Abendhrod mit gutem Appetit wie er. Die 
Mutter aber konnte nichts geniegen, fie weinte ſtill vor ſich 
bin, indeflen freute es fie doch, den geliebten Gatten mit 
feinen beiden Knaben fo ſtandhaft und muthig zu fehen. 

Drauf ſprach der Vater: Wir pflegten fonft oft des 
Abends Gefbidten und Mähren mit einander zu Iefen; 
jest wollen wir die Leidensgeſchichte des himmliſchen Jeſu 
leſen, der weit unfhuldiger als ih armer Sünder fterben 
mußte. Dann wollen wir aud das Evangelium vom bei 
ligen Stephanus Iefen. 

Mein Bater, meine Mutter und mein Bruder Tafen 
nun wechſelsweiſe, und die Leiden des Erlöfers, die er fo 
fanft, fo kräftig, fo geduldig, fo ſchön ertragen hatte, 
ſtärkten fie, das ihrige auszuhalten. Ich kleiner Iunge 
konnte das alles nicht faſſen und mitfühlen; meine kindliche 
Gelaſſenheit, Verwunderung und Zerftreutheit rührten fie 
aber noch mehr; befonders als ic mit gefalteten Händen 
das Evangelium vom Etephano, das id) ansmendig konnte, 
laut herſagte, und mit den Worten ſchloß: „So fteinigten 
fie Stephanus, der rief und ſprach: „Herr Iefus! nimm 

5 


68 Der Großvater fängt an 


meinen Geiſt auf.“ Er fniete aber nieder, und ſchrie Laut: 
„Herr, behalte ihnen diefe Sünde niht! Und als er das 
geſagt hatte, entſchlief er.” 

Es berrfhhte eine tiefe Stille, nachdem ih geendigt 
batte, und die Andern beteten leife. Drauf nahm der Ba- 
ter das Geſangbuch, fhlug ein Lied auf und flimmte mit 
ftarfer Bapftimme an. Meine Mutter hatte einen Herrli- 
hen Alt, wir zwei Knaben waren Diskantiſten, fo fangen 
wir den Choral dreiftimmig. wie es und der Bater gelehrt 
batte: 


Zeſus meine Zuverficht 
Mad mein Heiland iR im Leben! 
Diefed weiß ich! font" ich nicht 
Darum mich zufrieden geben? 
Bas die lange Todesnacht 

Mir auch für Gedanten mac. 


Ich bin Sleifch und muß daher 
Much einmal zu Mfche werden; 
Das gefteh? ich; Doch wird er 
Mich erweclen aus der Gröen, 
Das ich in der Herrlichkeit 
m ihn fein mög’ allezeit. 


Diefer meiner Augen Licht 

Wird ihn, meinen Heiland, kennen; 
Ich, ich felbft, fein Fremder micht, 
Werd' in feiner Siebe brennen; 
Nur die Schwachheit um und an 
Bird von mir fein abgethan. 


feine Lebensgefhichte u erzählen. bo 


Bas hier trantet. feufst und fieht, 
Wird dort friſch und herrlich gehen; 
Irdifch werd’ ich ausgefät, 
Himmlifh werd ih auferfichen. 
Hier geh ich natürlich ein! 

Rachmals werd' ich geifllich fein! 


Nachdem wir das Lied gefungen hatten, küßten wir 
unferm Vater die Hand, und wunſchten ihm gute Naht, 
wie gewoͤhnlich, wenn wir zu Bette geben follten. Gr um- 
arınte une, und betrachtete uns lange mit unſäglicher Liebe. 
Drauf nahm er die Bibel von dem Tiſche, und die ſilberne 
Upr aus der Taſche, verehrte meinem Bruder die Bibel 
und mir die Uhr. „Mein Heiner Albert,“ ſagte er, mid 
liebkoſend (denn obſchon er beide feine Söhne väterli 
liebte, war ich doch, als der Kleinfte, fein Liebling) diefe 
Uhr Hat Dein Vater zwanzig Jahre in feiner Taſche ger 
tragen, und Abends ordentlih aufgezogen, wenn er zu 
Bette ging; heute thu' ich es nicht, und Du ſollſt es auch 
beute Abend nicht thun. Nimm die Uhr, ſteh morgen früh 
auf, und bete für Deinen Bater. Um fieben Uhr wird 
der Zeiger fliehen, weil die Uhr nicht aufgezogen iſt; zu 
der Zeit wird Deines Vaters Lebensuhr auch in’s Stoden 
gerathen. — 

Drauf kehrte er ſich zu der Mutter und ſprach: Nun, 
meine treue Lebensgefährtin, mein gutes Weib, wir müllen 
ſcheiden. Jetzt zeige, daß Du eine kräftige Enkelin biſt des 
srogen Martin Luthers. Faſſe Dich, und made die Ana- 
ben nicht mod) betrübter. Gieb mir den Abſchiedskuß. 
Einmal hätte es doc, fein müflen, und wer weiß, ob denn 
Krankheit und Schmerz uns erlaubt hätte, einen fo ſchönen 


70 Der Großvater fängt an 


Abſchied von einander zu nehmen. Meine liebe Schwefter 
farb im Ficher; mit rothem brennenden Gefihte, fliegen» 
den Haaren und wilden irren Yugen, ftarrte fie mic zum 
legten Male an, ohne mic zu fennen. da id fie am Ster- 
bebette fah, und von ihr Abſchied nehmen wollte. Als ich 
ihr einige Worte der Liche fagte, nicte fie gleichgültig und 
ſprach verworren: Wir können mit fhönem Bewußtſein von 
einander fheiden. — Die Mutter fiel dem herrlichen Manne 
um den Hals und ſchluchzte; er trat zum Fenſter und ſprach; 
Der Moend ſcheint ar in der Herbſtnacht. Morgen Nach⸗ 
mittag, liche Frau, könnteſt Du einen Meinen Epaziergang 
mit den Knaben nad) dem Gottisader außer dem Thore 
machen. Laß fie dann Blumen und Eand auf mein fris 
ſches Grad freuen. Aber morgen Wormittag — bleibt zu 
Haufe! Schließt Euch alle Drei auf Euer Zimmerlein ein, 
und betet. — Darauf rief er den Gefängnißvogt, umarmte 
uns nod einmal und entlich uns. 

Am nächften Morgen ftanden wir früh auf und bete⸗ 
ten. Die Uhr lag vor uns auf dem Tifhe. Eden als die 
große Stubenuhr ſieben ſchlug, Hörte die Beine filberne 
meines Vaters auf zu gehen, und der ſchwarze ftählerne 
Zeiger fodte. Meine Mutter fiel in Ohnmacht. Eine 
treue Nachbarin fam ihr zu Hülfe. Der ganze Tag ging 
il bin, ohne dag von ung Dreien cin Wort gewechſelt 
ward. Wir waren alle blaß und falt, zitterten, und ſetz⸗ 
ten ung Jeder hin in feine Ede, wie Zauben im Donner 
wetter. Die Nachbarin beforgte den Tiſch. Bir Knaben 
Tafen die Tiſchgebete, wie gewöhnlich, fonnten aber nichts 
genießen. Beinen konnten wir nicht. Unfere Mutter Iegte 
fi) aufs Bett. und flarrte gen Himmel. Bir fürdteten, 
daß fie ſterben würde. Rudolf kehrte die Stuben, denn 


feine Lebensgeſchichte zu erzählen. a 


die Magd hatte uns verlaffen, ich ſchälte einen einen grü- 
um Steden, Als es dämmerte, ftand meine Mutter auf 
ging in den Garten, und fam zuräd mit einem großen 
Blumenftrauß und einem Bündel vol weißen Sand. Sie 
Üfnete eine Schublade und ſtecte drei Eleine Nürnberger 
Schachteln zu fih. Ihr Weſen Hatte ſich verändert; fie war 
zubig, Präftig, ein edler Stolz gegen die eitle Belt, den 
fie wohl von ihrem großen Ahnherrn geerbt hatte, Ieude 
tete von ihrer Stirn. Eie fang mit ſtarker Stimme: „Eine 
feſte Burg ift unfer Gott!” Der Mond ſchien, und wir 
folgten ihr aufs Feld. Cie machte einen ziemlichen Um⸗ 
weg, bis wir mitten anf einer öden Wiefe fanden. Bir 
entdedten in der Ferne mitten im Grünen einen weißen 
Ele. Als wir näher kamen, war es ein blutiger Sande 
baufen. Cie fniete nieder, fügte den rothen Sand, füllte 
die kleinen Schachteln damit, und reichte jedem Kinde die 
feinige. Es war unferes Baters unſchuldig vergoflenes 
Blut! Drauf gingen wir zum Gottesader, und beftreuten 
fein friſches Grab mit Blumen. Ach, was wein’ ih ſchwa⸗ 
ser Greis nad 94 Jahren? Meine Mutter und mein 
Bruder baben ja fon Längft im Himmel den Seligen ge- 
funden; bald uümarm' ich fie ale Drei wieder! 


6 
Kindheit in Eiſenach. 





Unfere einzige -Hoffnung ftand jept zu meiner Mutter 
Schwerer Urfula in Eiſenach, die unverheiratget war, uud 


n2 Aindheit in Eifena. 


ein Häbfches Vermögen beſaß. Meine Mutter Hatte aber 
ad’ das Ihrige verloren, denn meines Vaters hinterlaffene 
Baarſchaften deliefen ſich nicht höher, als daß ſie die Neife 
von Prag nad) Eiſenach damit beftreiten konnte. 


Urfula war ein drolliges Gefhönf, nicht ohne Gut 
berzigkeit, zugleich aber von vielen Albernheiten und Drol⸗ 
ligkeiten zufammen geſeht. Cie war eben fo garfig, als 
unfere Mutter fhön war, und deshalb war fie mob! mit 
fammt ihrem Gelde, (das fie von einer noch garftigern 
Verwandtin geerbt Hatte) eine alte Jungfer geblieben. In⸗ 
deß liebte fie unfere Mutter berzlih; als wir anfamen 
weinte fie, und drüdte uns Knaben an die Bruft. Drauf 
bielt fe obngefähe folgende Rede, die ich auswendig weiß, 
weiß fie ähnliche nachher mit Variationen oft wiederholte: 


Liebe Schweſter! Die Borfehung hat es beiler mit 
mir als mit Dir gemeint; denn hab’. ich freilich feinen 
Mann befommen, fo babe ih aud feinen verloren, und 
drauche meinen Verluſt jetzt nicht zu beweinen. Di hat 
die Natur mit einer unglückſeligen irdiſchen Schoͤnheit in 
Derfuhungs geführt; mid, bat Gott dagegen von dieſem 
Nebel erlöfet und mic gegen alle Anfehtungen mit dem 
ehernen Schilde der — mie fol id es nennen — der 
Shmudiofigkeit bewahrt. Dod, hätte id) vielleicht eben fo 
ſchon wie Du, und noch fhöner werden können, wenn es 
der liebe Gott gewollt, ih meine, wenn nicht die garftigen 
Blattern mit ihren Narben mein vorher glattes Gefiht fo 
entftellt hätten; eine Strafe Goltes, meil ich nicht den 
Kitzel bezwang und das Juden des Blutes mit dem Kragen 
der Nägel befricdigte. Doc dafür dank' ih meinem Schö⸗ 
pfer und Heren! denn, recht beim Lichte beiehen, was it 


Kindheit in Eiſenach. 73 


Schönheit anders, als die Wurzel alles Boͤſen? Hätte wohl 
Eva fo begierig — nad dem Apfel verlangt, wäre nicht 
die Schlange fo fhön geweſen? Hätte nicht Adam einen 
feſteren Gharafter gezeigt, wenn ihm nicht der Reij feines 
jungen Beides aus der Faſſang gebraht? Traun, ih 
hätte ihm zehn Mal den Apfel bieten können, er bätte ihn 
fauer geheigen und nicht darein gebifien. Doc wir wollen 
uns im Paradiefe nicht länger aufhalten; da ging es noch 
fo leldlich. nachber kam aber die Arbeit im Shweige des 
Angefihtes, die Eünde der verführerifhen Lodungen und 
die Geburtswehen! Davon wußte die arme Sara ein Wort 
zu fagen, als fie wegen des Kebsweibes Hagar vom recht⸗ 
lien Eheherm vernagläffigt ward. Vorher hatte ſich aber 
Pharao an Abraham geräht. Das ſchadete ihm wicht; 
warum gab er dıe Fran für feine Schwerer aus? Soiche 
Unmabrbeiten fönnen zu den ärgften Dui-pro-quo’s Anlag 
geben. Meiner Treu! Nicht alle Mannsbilder find Jo⸗ 
fenbe, davon giebt es leider ſowobl in der Scrift. ale in 
der profanen Geſchichte unzählige Beiſpiele. So ſtandhaft 
war Loth gegen feine eigenen Zödter nicht, waren nicht 
die Kinder Iſraels gegen die Töchter der- Moabiter. Muß- 
ten die Sichemiter nit erbaͤrmlich bluten, weil der Sichem 
die Dina, Lea’s Tochter, fo fhön gefunden? Und alfo konnte 
die garftige Lea doch eine ſchoöne Tochter gebären. Da ſieht 
man, der Apfel ann aud mitunter weit vom Stamme 
fallen, und eben fo umgefehrt. Es wäre ihr aber befler 
geweſen, der armen Dina, wenn fie hübſch garftig wie 
ihre Mutter geblieben; dann bätte fie zu ſolchen Berwä- 
ftungen feinen Anlaß gegeben. Was ſprech' id noch von 
Sufanna im Bade, die den zwei ehrmürdigen Richtern fo 
fehr den Kopf verrüdte, daß fie alle Biligteit vergagen und 


74 Rindbeit in Eiſenach 


nicht länger ordentlich urtheilen konnten? Oder von der 
Bathfeba im Bade, die den Löniglihen David ganz 
aus dem Takt brachte, als der gute Harfner hüͤbſch ehrbar 
auf dem fühlen Aitane mit der Harfe zwiſchen den Beinen 
Tag. ſich mit dem unſchuldigen Saitenfpiel ergögend, und 
an nichts Böfes denkend? Wahrlich, id liebe auch Die, 
Reinlichteit Über alles, allein fo etwas foll man unter 
Schloß und Niegel verrichten, nicht Öffentlich unter Gottes 
freiem Himmel ein Skandal geben, mit dem Teuer 
fielen und das Blut der Mannsbilder in Wallung hrin- 
gen, wenn fle ſich auf den Dächern ihrer Häufer abkühlen 
wollen. Sol id Dir noch den großen Salomo anführen, 
deſſen Weisheit über die ganze Welt verbreitet war, bis 
ihn die Schönheit der heidniſchen Metzen am Narrenfeile 
herum führte? Dagegen könnte ih Dir taufend Beifpiele 
nennen, liebe Schweſter, dag «6 der Herr Gott mit den 
haͤßlichen Jungfern immer fehr gut gemeint. So konnte 
fid freilich Lea niht mit Rahel an Echönheit vergleichen, 
und doch befam fie fieben Jahre früher einen Mann, und 
zwar denfelben, auf welchen Nagel vorber mit Licbäugeln 
und Schönthun Jagd gemacht. Befler aber nicht heira- 
then! Und damit konnte fi) auch die unglüdfelige Tochter 
Iephta’s tröften, daß fie doch wenigftens als eine reine 
Magd abgethan ward. Und fo mill id denn auch, wie fie, 
als die fieben Eugen Jungfrau'n, und als meine heiligen 
elftaufend Namensſchweſtern, die Urfulen, mein Lebensöl 
für den himmliſchen Bräutigam auffparen, und als Jung ⸗ 
frau verwelfen, leiden und fterben. Amen! Hättet Du 
eben fo folid gedacht, Julchen, fo hätten Du es eben fo 
gut, wie id, baben können, ftatt dag Du jet einen Gate 
ten beweinft, der zu ſterben verdiente, weil er von unferm 


Kindheit in Eiſenach. 75 


aleinfeligmadyenden Lutherthume, als ein Ahtränniger und 
Nenegat zu der calvinifhen Heidenfhaft überging. 

Meine Mutter antwortete: Liebe Urfula! Ich kenne 
Di, weiß, dag Du gut bift, und dag man Dich nicht 
immer nad Deinen Yeugerungen beurtheiien muß! Ich 
bitte Did aber, fei gerecht, und rede mir meinem feligen 
Ebeherrn im Grabe nichts Uebles nah, ſonſt nöthigt Du 
midy wieder in die weite Welt hinaus zu gehen, und-mein 
Brod, mit den Meinen Knaben an der Hand, bei den Thü- 
ren witleidiger Chriften zu bettelm. 

Bie? rief die Muhme, der zwei allerliebften Knaben 
willſt Du mid wieder berauben? Nein, das duld' ih 
nicht, fie ſellen bei mir bleiben. Knaben find noch feine 
Mannebilder. Wenn fie erwachſen find, und ordentliche 
Wannsleute geworden, dann können fie fid nur wieder forte 
ſcheeren. Kinder find aber wie Engel, fie gehören feinem 
Geſchlechte an. Hab’ id) doch meinen Papagei, meine Kahe, 
meinen Mops ganz über die Jungen vergeflen. Da ift 
auch das Elcine Aennchen, die Tochter der Nachbarin, die 
mocht ich fonft immer fo gern leiden. Seit aber die Ana 
ben hier find — Mit den Knaben bat es eine andere Art 
— fie find ſchrotiger, tüchtiger! Und fie follen ja Luthera⸗ 
ner bleiben, und feine calvinifhe Heiden. — 

Ihr feliger Vater bat ſelbſt befohlen, dag fie lutheriſch 
erzogen werden follen! — fiel ipr meine Mutter in’s Wort. 
— Nun dann kann er vielleicht auch noch felig werden, 
fagte die Muhme, dann bat er ſich bekehrt, und feine 
Sünde gebüßt. So will ich ihm denn auch der leben Ana« 
ben wegen nicht länger abhold fein; denn es war fonft ein 
draver, rechtſchaffner Mann mit vielen guten Eigenſchaften; 
die Philoſobhie hat ihm aber zum Atheiſten gemacht. 


76 Kindheit in Eiſenach. 


Du liebt die Knaben, Schweſter, verfeßte meine ber 
trübte Mutter Lächelnd, und doch wollteſt Du, da ic) ihre 
Mutter nicht fein ſollte. — Nun, rief Urfula, geſcheben iſt 
geſchehen, und laͤßt ſich nicht ändern. Die Knaben find nım 
einmal da. Sie find unfhuldig, was konnten fie dafür? 
Und dabei wollen wir es bewenden laſſen. 

Schade, daß unfer großer Ahnherr die Klöfter aufge 
hoben hat, verfeßte meine Mutter, weil Dir doch die Ehe 
fo zumider it. — Eine Jungfrau darf nicht gegwungen 
fein, erwiederte Urfula, fonft bat fie fhon ihren Lohn da- 
bin. Ihr Herz muß felbft ein Kloſter fein, worin fid keine 
masculine Gedanken einſchleichen dürfen. 

Von jet an waren wir bei der Muhme, gingen in 
die Schule zu Eifenad, und fie ließ es uns an nichts man⸗ 
gen. Bei alle dem Ichten wir doch mitten im Ueberfluffe 
nicht fo gut, als wir hätten thun können, wenn die Urfula 
tüchtiger, oder weniger eigenfinnig geweſen wäre. So wur⸗ 
den zum Beifpiel immer die Eßwaaren reihlih, ja, gar 
zu reichlich eingefauft; felten waren fie aber recht vorzüg- 
lich, weil die Muhme immer in grogen Portionen das 
Baufte, was am wohlfeilften war. So hatte fie Boden und 
Keller und Hafen drangen an der Küchenwand voll hän- 
gen, ohne eigentliche genaue hiſtoriſche Kenntniſſe von die- 
fen Sadyen zu befigen, fie ließ es immer bei'm oberflädli- 
hen Ueberblid und einer gewiflen Iyrifhen Unordnung bes 
wenden, Die Folge davon war, dag der Tiſch oft mit 
geſchmackloſen, oft widrigen Epeifen voll befegt war Das 
Fleiſch hatte mitunter zu fanlen angefangen, die Fiſche 
hatten einen moderigen Gefhmad, das Brod war wurm ⸗ 
fräßig. Dazu kam, dag die Muhme, die durchaus ſelbſt 
die Schüſſeln bereiten wollte, und ſich viel auf ihre Koch⸗ 


Kindheit in Eiſen ach: 77 


kunſt einbildete, nichts weniger, als eine gute Kochin war. 
Nie ging fie in die Küche, ohne vorher ihre wohftändige 
Toilette gemalt zu haben. Da ftand ſie nun ſteif in Reife 
röden, mit einem blauen Filzhute fdräg auf dem Kopfe 
über den Haarwulft mit Nadeln befeftigt, als eine Schä- 
ferin, die Sleifhgabel in der Hand, und hatte noch oben⸗ 
drein die Echlaffuht fo, daß fie oft nahe daran war, in’s 
Schornſteinfeuer zu fallen, und wie die Tochter Jephta's 
oder wie Iphigenie geopfert zu werden, hätten fie nicht die 
fteifen Roͤce gerettet, in denen fie, wie eine Nürnberger 
Holapuppe hängend, gar nicht umfallen tonnte, wenn fle 
auch Peine Beine darunter gehabt hätte. Bei Tiſch ſchlief 
fie gewöhnlid ein, indem fie den Lörfel zum Munde führen 
wollte; dann niefte mein Bruder Rudolf ihr gewaltig in’s 
Ohr, wodurd fie aus dem Schlafe geftört, verwildert die 
Augen umberwarf, und ihm gutherzig zulähelnd mit dem 
Finger drohte, wenn fie feine Schalkheit entdedte. Der 
Beine Mops lag ihr jeden Nadmittag im Schooße; eine 
Meine Stubenubr hatte fie auch, die allerlei ſchmachtende 
Melodien fpielen Fonnte. Cine Weiſe rührte fie befonders 
berzlich, fie fang dazu ein Lied, wovon fie nur die zwei 
erften Zeilen wußte, die alfo lauteten: 
„Acdh weh, wie iR mein junges Dera 
Berwundet alfo hart.“ 

Dazu meinte fie ganz erbärmlih, und trodnete ſich die Au- 
gen mit dem Humde. 

Ihr Phlegma erfaubte ihr nicht, in heftigen Sorn zu . 
geratben; einmal ward fie aber doch auf Nudslf bitter 
böfe, als er ihr den Mops an einem heißen Hundstage in 
den fühlen Stubenofen eingefperrt hatte. Sie begriff an⸗ 
fange nicht, wo der Hund begraben läge, rief, PAR, trip« 


78 Kindheit in Ciſenach. 


pelte ängftlid umher, und konnte ihm nicht im zugemachten 
Dfen bellen hören, bis die Magd. kam, und den Liebling 
aus dem Gefängniffe heraus ließ. Nudolf befam einen 
derben Verweis, und die aufgebradte Muhme ſchloß ihre 
Nede mit den Worten: Das ſag' ih Dir, Bube,. unter 
ehe Dich nicht, Fünftig den Hund zum Narren zu haben! 


Bie nun aber Iuftige übermüthige Knaben find, wir 
liegen es nicht dabei bleiben. Auch der Papagei und der 
Kater, die uns das Herz der Muhme abwendig machten, 
ſuchten wir in’s Unglück zu ſtürzen. So Ichrten mir den 
Papagei die Worte: „Alte Iungfern“ fagen, und er- 
goͤtzten uns Föftlih, wenn die Muhme lichkofend dem Vo— 
gel den Kopf fragte, und er dazwifhen immer: alte Iung- 
fern! ſchrie. Weil fie taub war, konnte fie den Ausländer 
der fein Deutſch mit fremdem Accente vortrug, nicht recht 
verftehen, und glaubte, dag er: „Halte die Jungen 
fern“ fage; denn fo hatte mein Bruder es ausgelegt und 
ihr weiß gemacht, daß der Schulmeifter, der alle Mittwoche 
bei ung den Freitiſch hatte, cs den Vogel gelehrt Hätte, 
weil wir Knaben immer den Papagei zu neden fuhten. 


Ein andermal waren wir früh morgens in die Milde 
kammer gegangen, hatten alle Eimer geleert, und einer ar» 
men Frau gegeben. Drauf fperrien wir den Kater im 
Miüczimmer ein, nahdem wir ibm erft den Bart tüchtig 
mit Rahm eingefeift haften, Die Muhme, die den Kater 
allein bei allen den geleerten Eimern fand, glaubte, das 
Tier habe alle ihre Milch getruuken, obſchon der Kubik« 
inhalt der Eimer den des Katers weit übertraf, So mußte 
denn der arme Hinze unfern Frevel bügen, und den ge 
trümmten Budel herhalten. . 


Kindheit in Eiſenach. 79 


Als fie nachher alles erfuhr — denn mein Bruder und 
ich konnten ſelbſt nicht ſchweigen, hielt fie uns eine tüchtige 
Strafpredigt, wie gewöhnlid auf feltfame Beife mit bibli» 
ſchen Beiſpiclen ausſtaffirt. 

Bin ich doch mit Euch Wechſelbälgen ärger daran, rief 
fie, als Eva mit ihren zmei Zümmeln nad) dem Sünden 
falle; denn der eine von jenen wollte freilich auch nicht vor⸗ 
märts, ihr ſchlagt aber beide aus der Art, und folltet bil« 
lig beide Rain heißen. Ihr feid ärger, als die zehn Söhne 
Jatobs, die ihren Bruder verkauften. Hab’ ich mic nicht 
eben fo edelmütbig gegen Euch ermiefen, wie Joſeph in 
Aegypten gegen die Zumpen, als fle bettelnaft hinfamen, 
und weder zu beißen no zu bredien hatten? Geb’ ih Euch 
nicht vollauf zu effen und zu trinken? Und doch bin id von 
Euch verrafpen und verfauft! Glaubt Ihr etwa, weil Ihr 
hübſche Gefihter habt, und die Haare Eud in fraufen 
Loden um die Schultern fallen, daß Ihr einer jungfräuli« 
‚Gen Perfon von gewiſſen Jahren alles bieten könnt? Den‘“ 
an den Abfalon, der aud ein hübfher Junge war, der 
auch ſchone Locken hatte, ja fogar von königlichen Geblüte 
berfammtel Seine Durchlaucht blieben aber dod) an den 
goldfarbnen Flechten im Baume hängen, weil fie ſich ge⸗ 
gen ihren Löniglihen Herrn Vater zu viele Freiheiten her 
ausnahmen. Ich werde mid wohl vor dem Hängenbleiben 
hüten, nicht weil ih falſche Haare auf dem Kopfe trage, 
denn das hat Gott gethan, fondern, weil ich etmen tugend⸗ 
famen Wandel führe. Nehmt Euch aber in Abt: Kahl- 
kopf! Kahltopf! zu rufen. Denkt an den Propheten Elifa, 
mie er ſich rähtel Noch Taufen, Gott Lob! genug Bären 
tm Balde herum, um Euch zu zerreigen, und wenn Ihr 
wei und vierzig unverfhämte Buben wärt, Dann kümmt 


80 "Kindheit in Eiſenach. 


das Beinen zu fpät! Ich werde Euch aus meinem Haufe 
jagen, und kein Mitleid fühlen, und wenn Ihr auch tau- 
fend Mal, wie der verlorne Sohn, Buße thätet, und mit 
den Schweinen aus einem Troge freflen moitet! 

So betrübt auch unfere Mutter war, mußte fie doch 
über die Thorheiten der Muhme oft herzlich lachen. Ih 
will nod eine Begebenheit unter vielen erzählen. Urfula 
tannte ihre Bibel gut, in der Kirchengeſchichte war fie aber 
nicht ſonderlich bewandert. Davon legte fie einen Beweis 
ab, als fie einft am Martinstage drei fette Gaͤnſe bratete, 
ihrem großen Ahnherrn dem Dr. Martin Luther zu Ehren. 
Unter den Gäften war auch unfer Echulmeifter, der, ſelbſt 
mager, doch ein großer Freund fetter Biffen war; er nahm 
an der Mahlzeit thätigen Antheil, und nagte fo kräftig an 
einem Iedern Knochen, daß ihm die Thränen in die Augen 
traten, während das Zeit um feinen Mund wie ein Heilie 
genſchein glänzte. Als er ihr aber auseinander fepte, daß 
der Martinetag und die Martinsgans mit unferm lieben 
Luther in gar feinem Zuſammenhang ftebe, fondern ſchon 
von dem Biſchofe Martinus im vierten Jahrhunderte her⸗ 
rührten, ward die Urfula bitterhöfe, verlieh den Tifh, und 
wollte feinen Biſſen von der katholiſchen Gans in den 
Mund fteden. 

So ging es nun mehrere Jahre, einen Tag wie den 
andern; ich war vierzehn, mein Bruder Rudolph achtzehn 
Jahr geworden; in den Wiſſenſchaften hatten wir eben feine 
Fortſchritte gemacht, dagegen gediehen wir zuſehends, blü« 
beten in jugendlicher Heiterfeit, und merften nicht, daß un⸗ 
fere Mutter wie eine welfe Lilie ihr Haupt gegen das Grab 
neige, weil fie ſchwieg, lächelte, mie klagte, und fi oft 
über uns freute. Mein Bruder war ſchon feit zwel Jah⸗ 


Kindheit in Eiſenach. 8 


rn bei einem Tuchmacher in die Lehre gethan, ich aber 
feßte udiren, und bei der Mutter bleiben. Ach, der Vurm 
des Grams hatte ſich bereits zu tief in die fhöne Blume 
eingefzeflen. Eines Abends ſaß fie fehr Heiter und ver- 
guügt, allein mit uns Brüdern; die Muhme mar nicht zu 
Haufe. Bir ſprachen von muntern Dingen, wie wir im- 
mer gern thaten, die Mutter lenkte aber das Geſpraͤch auf 
den Vater, und da wurden wir beide gleich traurig. Sie 
mar es aber heute nicht. Weinet nicht, Kinder! ſprach fie; 
denkt daran, wie muthig und ruhig der Selige mit uns 
eben heute vor acht Jahren den letzten Abend zubrachte. — 
Ach Gott, find es morgen fhon acht Jahre her? frug id. 
— Bit Ihr das nit, Kinder? Glüdtihe Jugend, die 
in die Zukunft nur nad) Freude und Hoffnungen ausihaut, 
und alle Merkmale des Kummers binter fih laͤgt! Wie 
meife hat der liche Gott das alles eingerichtet! Wer immer 
trauert, Bann nicht lange leben; und Ihr follt leben und 
glüdtich fein. 

Du auf, Mutter, rief ich befümmert. Sie ſchwieg 
einen Augenblick, unterdrüdte einen Seufzer, drauf ſprach 
fie gelaffen: Ih will morgen früh aufftehen, leihe mir 
Deine Uhr, lieber Albert. — Ih wußte wohl, warum fie 
die Uhr haben wollte und fürdtete, es möge fie gu febr 
angreifen, wagte aber doch nicht, fie ihr zu verweigern. 
Bir folgten ihr auf ihr Zimmer, wo fie uns entließ, und 

uns mit Herzlichkeit gute Nacht wünſchte. 

Am nähften Morgen um fieben Uhr ſchlichen wir uns 
beide zu ihrer Thür, fie lag noch im Bette und ſchien zu 
ſchlafen. Als wir näher famen, lag fie blaß mit geſchloſ⸗ 
fenen Augen, die Uhr in der Hand. Die Uhr ſchlug noch 
ihr fhönes Herz hatte aber zu ſchlagen aufgeht, Auf 

Cehlenf. Schriften. XV, 


82 Warthurg. Die Sochzeit. 


dem Meinen Tiſche an ihrem Bette lag Rudolphs Bibel 


aufgeſchiagen mit der Eviſtel von Stephano. Die Heine 

Schachiei mit dem geronnenen Blute ftand geöffnet dabei. 

Ich Habe Euch fhon genug von meinem Kummer erzählt, 

und will heute abbrechen, um Euch nicht mehr zu bee 
“ träßen. . 


7. 
Bartburg. Die Hodzeit. 





Die Mutter hatte Recht, als wir ihr unfere kindliche 
Tränen gegolt, ſahen wir wieder heiter in die Zukunft, 
defuchten aber oft ihr Grab, und gedachten ihrer in Trauer 
und Wehmuth. 

Unfre größte Freude war jept die Wartburg. Es ver- 
ging felten ein Tag, ohne dag ic binauf ſtieg. Einige 
Anlage zur Dichtkunſt glaubte id) in mir zu enfdeden. 

Bas ich zu dichten verfuhte, war im Voltstone; ic 
will Euch dod) ein ſolches Lied herfagen, wozu mich zwei 
gegen einander gebogene Felfenblöde an der Wartburg, der 
Mönch und die Nonne genannt, veranfaßten: 


Der Mind und die Nonne, 
Ein Aofer hie, ein Rlofler dort, 
Nicht weit geitennt der Drt vom Ort, 
Da wohnten ju Schaaren die Frommen. 
Kügt Die @efchicht" fo lüg” ich auch, 
3% finge, was ich vernommen. 


Bartburg. Die Hochteit 


Die Deöndke fanden ed gar Kart, 
Sie wůnſchten der Schweilern Gegenwert, 
Mm recht die Meffe zu fingen, 
Zum guten Vas gehört Dislant, 
Son der Gefang gelingen. 


Die Eamwenern waren nignt abgencigt, 
Ein junges ‚Hera bewegt man leicht; 
Die Yiten wachten indeffen: 
IR erſt die Kuh vom Jahren fit, 
Nie wird fie mürd zum effen. 


Der Un dei Klofierd dem Mönch evgreift; 
Die Mebtin mit der Rovilin feift, 
Sie tpät Die Schweſter beneiden. 
Am feuchten Kerker ein armcs Paar 
Muß von dem Leben ſcheiden 


Der bt indeß nicht heil'ger war, 
Die Hebrin gleicht ihm auf ein Haar, 
Sie famen oft iufammen. 

Dort auf dem Berg im Morgenblau 
Sie fünlten der Liebe Flammen, 


Der Abt, die Mebtin treffen füch, 
ie fühlen ſich brüder» und ſchweſterlich 
In heil ger Liebeswonne. 

MUS wollten fie leien die Hora gleich, 
In früher Morgenfonne. 


Da rief der Oerr · Bott: Falſches Paar, 
Mich dintergeht Du nicht fürwahr! 


rg Ha Du ch zetriebent s 


8 


84 Bartburg. Die Howieit. 


Du buhlſt, und firafft mit: granfem Tod 
Die ſich unſchuidis lieben. 


Raum hat der Ders gefprochen nur, 
Eo rächt fich falennig Die Natur 

Mn denen, die ſchlecht gehandelt, 

Kaum teift der erſte Eonnenftrahl, — 
Sind fie in Stein verrwandeh! 


Run flehen fie da am Berge frei, 
@in ewges Bild der Heuchelei, 
In Biegen, Sturm und Eonne. 
Sept ihr Die Felſenblocte nicht? 
Den Monch mit feiner Nonne? 


Dies Gedicht fiel meiner Muhme in die Hände, und 
Ihr begreift, dag ich mid vor ihr, die das Heirathen wie 
die Pelt haßte, auf eine tuͤchtige Strafpredigt gefaßt machte. 
Wie erſtaunte id aber, als fie mir mit einem bochſüten 
Lacheln das Papier wieder zurüßgab, und folgende Rede 
hielt. Denn das war eine Eigenheit bei ihr, fie konnte 
ganze Wochen lang das Reden unterlaffen, wie ein Rameel 
das Trinken, ſprach fle aber einmal, fo waren es immer 
ganze Reden, glei denen im Titus Livius; nnd dann 
batte die Nede der Muhme immer einige Beziehungen auf 
das alte Teftament; denn das neue war ihr nicht fo fchr 
geläufig. . J 

Es freut mid, Albertus, ſprach fie — (bier laͤchelte 
ich ſchelmiſch. weil id) in ihrem Munde fein rechter Vota - 
tivus ward) — es freut mid, dag id in Dir den göttli- 
Gen Funfen der Dichtkunſt verfpüre Denn Dichter find 
beinahe alle Erzwäter in der Bibel gemefen; als Adam, 





Bartdurg. Die Hochzeit. 8 


der den Thieren und Bäumen ihre Namen gab, wozu ſchon 
ein ziemlicher Grad der Imagination und Geläufigfeit der 
Mutterſprache gehörte; item Mofes, der das Trinklied — 
oder Ertränfungslied auf die erfofienen Aegypter fhrieb; 
dann vornemlich David, der das erfte evangeliſch criſtliche 
Geſangbuch herausgab. und endlich Salomo, deflen hohes 
Lied meine liebfte Leftüre in der ganzen Bibel if. Bon 
dem großen und Meinen Propheten will ic nit reden, die 
zugleich, große und Meine Poeten waren. Und könnteft Du 
es aud nur zu einem Beinen treiben, fo wäre das ſchon 
für Did groß genug. Freilich it Dein Lied etwas lieder 
lid, das muß man aber Deiner Jugend und Unerfabrene 
beit vergeben. 

Id) wollte meinen eigenen Opren nicht trauen, fie ver- 
fegte aber: Der Menfd denkt, Gott Ienft! Bei genauerer 
Ueherlegung babe ich ſelbſt gefunden, daß eine ewig wan- 
dernde Iungfrau, wie ein ewig wanderuder Jude, nah 
den hiefigen irdiſchen gebrechlichen Einrichtungen ein Un. 
ding fei, Denn was iſt ein Weib? Eine Rippe! Weiter 
nichts! Freilich giebt es falſche und wahre Rippen. Rip 
den find wir aber doch einmal. Und ih will nicht länger 
zu den falfhen gehören, die ſich am nichts anfäliegen, ich 
will mid als eine wahre Rippe an den treuen Bruftno- - 
en meinee lichen Salvator Beilhenblau, Handfhuhma- 
ers aus Erfurt fügen, der in Zucht und Ehrbarfeit um 
meine Hand angehalten hat. Er fol fie beide haben. Und 
es ann ihm nöthig thun, denn wo fein Zaun ift, da wird 
das Gut verwüftet, und wo keine Hausfrau ift, da geht's 
dem Hauswirthe, als ging er in der Irre. Wie man nicht 
vertrauet einem Straßenräuber, der von einer Stadt in 
die andere fahleiht, Ci meine von Erfurt nad Eifenad) 


86 Bartburg. Die Hochzeit. 


alfo trauet man auch nicht einem Manne, der kein Neſt 
bat, und einfehren muß, mo er ſich verfpätet. Jeſus Eis 
rad! Zwar bin id nicht mehr in der erften Blüthe, Hat 
doch der Herr⸗Gott auch die Eara gefegnet, als fie noch 
älter war; und iſt es denn zum erften Male, daß ein trok⸗ 
fener Steden, ordentlich in die Aſche gelegt, ded Morgens 
darauf reife Mandeln getragen? Ih habe ihm alfo in 
Gottes Namen mein Jawort gegeben, und binnen acht 
Tagen werden wir Hodyzeit halten. 

Heiſal liebe Muhme, rief id, das in ja allerliehft, 
ich gebe meine Eenwilligung dazu. — Id danke Dir, lie⸗ 
ber Neffe, antwortete fie, Halb fnättif, halb gnädig, (denn 
fie war heute fchr guter Laune); -ein Frauenzimmer darf 
ohne die Einwilligung ihrer männlihen Verwandten und 
Wormünder nicht heirathen. Ich Hofe, Dein Bruder Aus 
dolph wird aud keine Schwierigkeiten machen. 

Bon beute an rod nun unfer Haus nad Biſam und 
Lavendelwaſſer. Mandeln zum Marzipan wurden im Mörs 
fer geftoßen, fo, daß es aus der Küche in alle Zimmer 
wiederhallte. Eine treflihe Köhin aus Stragburg ward 
gemiethet, Makronen, Nürnberger Lebkuchen gebaden, und 
des Dinges ward fein Ende. 

Am Hohzeittage fand die Muhme früh auf, und es 
ward noch bei Licht am ihrem Toupee gebaut, ehe der 
Nachtwaͤchter zu rufen aufgehört hatte. Sie-hafte einen 
franzoſiſchen Friſeur ausdrüdlih dazu kommen laſſen, um 
dem Meinen Salvator Veilchenblau einen Gefallen zu thun; 
denn diefer hatte in Paris fein Handwerk fudirt, und ging 
jegt a Ta modiſch im hochrothen Scharlachtocke einher, mit 
einer tmeißgepuderten Allongeperüde, die ihm bis zu den 
dünnen Baden’ herabhing, und zu feiner Kürze (er war 


Bartburg. Die Hochzeit. 87 


mur 27% Ellen lang) einen fonderbaren Gegenfap madıte. 
Gr war auf fein Handwerk ftolz, und erzählte, dag er Hei 
Seiner Durchlaucht, dem Herzoge Chriftian, Adminiſtrator 
des Bistbums Halberftadt, jcht Befehlshaber eines Heeres 
gegen die Ligue, Hofbandſchuhmacher geweſen fei; dag er 
alle Handſchuhe gemacht babe, die Ihro Durchlaucht die 
Halsgräfin, jept Prätendentin zur Krone von Böhmen, 
tägli brauche, und womit fie Nachts ſchlafe, um die Alas 
bafterweige der Hände zu bewahren; unter andern habe er 
den von ihren Nachthandſchuhen verfertigt, den der Herzog 
Cbriſtian ſtatt einer Feder an feinem Hute trug, mit der 
Devife: Tout pour Dieu et pour elle. Freilich habe der 
Neid der Handſchuhmacher ihn anzufhmärzen verſucht. und 
da das Leder feiner Arbeit fo außerordentlich fein und ges 
ſchmeidig fei, habe der böfe Leumund ausgebreitet, er grabe, 
gleich der Hyäne oder dem Schakal, die Leihname auf den 
jest häufigen Wablplägen mieder auf, und ziehe ihnen die 
Haut ab, fie zu gebrauden; weil das Menfcenleder bes 
kanntlich das allertrefflichfte und vorzüglichfte zu folder Ars 
beit fei. Er könne aber auf Ehre verfihern, daß es lauter 
Zügen feien. Die armen Teufel hätten ſchon im Leben fo 
viel ausgeftanden, daß er es nicht Über’s Herz bringen 
önne, ihnen nod nad) dem Tode die Haut über die Oh⸗ 
ven zu ziehen, um eine junge vornebme Dame dazu zu vers 
führen, mit der Haut eines fremden Mannsbildes, viel 
leicht von gemeiner untafelfähiger Geburt, an ihren ſchö⸗ 
nen weißen Händen alle Nächte zu ſchlafen. 

Jeht erfchien die Muhme in einer weiten Peripherie, 
die damals für eine große Schönheit galt, und meldye nicht 
blos durd eine Menge von llnterröden, fondern auch durch 
einen ringsum über die Hüften gelegten Wulſt, den man 


88 Bartburg. Die Hodzeit. 


Spe@ nannte, und der 25 Pfund wog, hervorgebracht. 
ward. Das Kleid trug eine lange Schlenpe, Bruft und 
Naden waren leider entblößt. An der Seite hatte fie ein 
Nürnberger Ei, Meffer und Gabel im Zutteral und einen 
Schlüfeldund; die Strümpfe waren roth, wie Die der meh ⸗ 
teten Sumpfoögel. 

Der Bräufigam trug an den Schuhen doppelte Hör- 
ner; 0b das eine allegoriſche Bedeutung haben follte, meiß 
ich nicht. Uebrigens fah er mir aus, wie cin Mann, der 
die Kinderſchuhe vertreten, und ſich die Hörner abgelaufen 
bat. Der franzöfifhe fammetne Leibrod war fleiſchfarb, 
welches ihm obnerachtet feines vollen Anzuges ein fonders 
bares fafelnadtes Ausfehen gab. Statt des deutſchen breis 
ten Halsfragens trug er Jabots, oder vielleiht Poſtillons 
d Amour? Der Bart war befhnitten, und mit dem Brenn 
eifen geformt, ob's aber ein Zirtelbärtel, ein Schnedenbär- 
tel, ein Iungfrauenbärtel, ein Dotterbärtel, ein Spitzbaͤr⸗ 
tel, ein Maitäferbärtel, ein Entenwedele, ein Shmalbär- 
tel, oder ein Stug- und Trugbärtel war, bab’ ich in der 
langen Zeit wieder vergeffen. 

Als ich die große fette Braut und den Meinen hagern 
Bräutigam fah, mußte ih über das feltfame Paar laut 
laden, denn es erinnerte mid an die Infekten, wo das 
Weibchen bei weiten größer ift, als das Männdıen. 

Iept gingen wir zur Kirde, unter Glockengelänte und 
Trompetengefihmetter; die Fenſter waren gepfropft voll von 
Zuſchauern, und ih mußte an Siegfried und Chriemhild 
in dem Nibelungenliede denken: 


Manıc Pofaune viel Feäftiglich ertoß, 
Bon Drommeien und von Flöten, der Schall war alfo groß, 


Bartburg. Die Hochzeit. 89 


Daß Sifenach die viel weite, danach viel laut erſchon. 
In den Feuſtern faßen die Herrlichen Seib 

Und viel der fhönen Maide, gesieret war ide Leib. 
So vertrieben fle die Meile, die daͤuchte fie nicht lang, 
Man hörte da zum Dome viel mancher Glockenliaug. 


Der Prediger bielt eine [höne Traurede, in welcher er 
aller verfhiedenen Nüffe des Lebens ermähnte, welche dag 
liche Ehepaar fünftig zu fnaden haben würde, und mozu 
ihnen vieleiht die Zähne zu wurmſtichig wären. Erſtens 
follten fie die Früchte des Erkenntnuſſes koſten, drauf folg- 
ten alsdann viele Betrübnüffe und Befümmernäffe, bis end» 
lid der wahre Genuß darein zu ſehen fei, dag fie im Gleich⸗ 
muffe der Unfhuld und Treue mit einander fortlebten, und 
ſowohl die tauben ale die kernichten Nüffe mit einander 
theilten. 

Meine Mubme, die auch ziemlich taub war, hörte nur 
den Prediger das Wort „tauben“ aut berfagen, indem 
er die Augen fehr andächtig zur Kanzel aufihlug, wo der 
beilige Geiſt als eine vergoldete Taube unter der Dede 
ſchwebte. Sie holte einen tiefen Seufzer, und fühlte ſich 
bei diefem Worte fehr erbaut. 

Drauf drüdte ſich der Prediger parabolifh aus, und 
verglich Mann und Frau mit einem Unter« und einem 
Oberzwieback, die beide anfänglich als zwei Hälften eines 
Brotes geſchnitten, eigentlih zufammen gehörten. Ob er 
diefe Idee von Plato genommen, oder ob er fie felber er⸗ 
funden; Bann idy nicht fagen. 

Bäbrend der Trauung ſchlief die Muhme ein; als 
nun der Prediger frug, ob fie den Herrn Echaftian Beil» 
chendlau zu ihrem Ehehertn haben wolle, und ihr ziemlid) 


Bartburg. Die Hochzeit. 


bart zuſprach, um fie wieder zum Bewußtſein zu bringen, 
tief fie Nein, ftatt Ia, wie fie immer pflegte, wenn fie 
bei Tiſche eingeſchlafen mar und naher den Schlummer 
läugnen wollte. Der Prediger wollte fein Skandal daraus 
maden, er nahm es als einen lapama lingune; und, als 
ob er den Fehler nicht gemerkt babe, traute er fie, der 
Berneinung ohnerachtet, ihrem Sebaſtian mit dem gemöhn- 
lihen Eprube an, daß, was der Himmel zufammengefügt 
babe, fein Menſch trennen folle. 

Als nun aber das knieende Brautvaar aufſtehen wollte, 
batte der Naufdegen des Bräutigams ſich fo tief in den 
Reifrock der Braut verwidelt, dag fie gar nicht von einan- 
der Iostommen konnten. Der Paflor mußte ihnen, der 
Seidlihteit wegen, Hülfe leiſten, und als er fie auf ſolche 
Beife ſelbſt fogleih wieder getrennt hatte, gingen fie nach 
Haufe, wo Trompeten und Paufen fie an der Thüre em» 
dfingen. J 
Die Nachbarn hatten Abends illuminirt, und die Na⸗ 
men Urfula und Veil henblau durch ein doppeltes „W“* 
mit Palmenzweigen und einer Krone angedeutet. Die Gafr 
fenbuben verftanden das freilih unrecht, und ſchrien wies 
derbolt: Weh, Web! Ihr Geſchrei ward aber jedesmal 
von Trompetengeſchmetter übertäubt. Hätten die Stadtmu- 
fitanten gewußt, daß die Muhme fo taub fei, würden fie 
ſich nicht fo fehr angegriffen haben. 

Bei Tiſche ficen mir zwei Menfhen aufe die id nor⸗ 
ber nie gefehen hatte. Dben am Tiſche, nicht weit von 
dem Brautpaare, faß ein hübfher ehrbarer ältliher Mann 
in braunem altdeutfchem Node mit ſpauiſchem Kragen. An 
einer ſilbernen Kette trug er ein Bild von demfelben edlen 
Metalle auf der Bruft, das den König David mit feiner 


Bartburg. Die Hochzeit. A 


Harfe vorſtelte. Dies Drdensband flößte allen für ten 
Fremden große Achtung ein, und man erzählte mir, es fei 
ein berühmter Meifterfänger, der die @üte gehabt habe, 
die Hochzeit mit feiner Gegenwart zu beehren. Ich brannte 
vor Begierde, den feltnen Mann kennen zu lernen, und 
frug, 0b er ung wohl etwas vorfingen werde? — Bewahre 
Gott, mar die Antwort, darum wagen wir ihn gar nicht 
zu bitten. Die Meifterfänger fingen nicht für Geld, und 
dichten nicht aus dem Stegreife. Sieht Du aber den klei⸗ 
nen Kerl da unten am Tifche, hart an der Thüre, mit der 
wunderlichen Mübe und den fhelmifhen ſchlelenden Augen? 
Das it ein Sprumfpreher, der den Scherz als Hand- 
wer treibt, und ſich bei Kindtaufen, Hochzeiten und andern 
Feten für Geld hören läßt. Er mird uns gleich einige 
Späge vormachen. 

Der Meine Poffenreiger gefiel mir beinabe beſſer, als 
der ernfte Meifterfänger, der ein trodenes unbedeutendes 
Geſicht hatte, das nichts weniger, als Geiſt verrieth. 

Als die Geſellſchaft etwas Iuftiger geworden war, fang 
man das damalige Lieblingslied: 


Der liebfle Buhle, den wir han, 
Der liegt in unferm Keller, 

Er hat ein hölern Möclein al, 
und heißt der Rustateller. 


Drauf kehrten fie ſich zu dem Spruchſprecher und ver» 
Tangten mit Ungeftüm, er folle fingen. Er leerte einen 
nemlich großen Becher, um den Geift zu ermeden, als er 
ſich darauf den Mund mit dem Aermel gewiſcht Hatte, 
fagte er: Ich will überſchreclich luſig, als ein Zeichen 


2 Bartburg. Die Hodzeit. 


dankbarer Erfenntlihfeit für empfangene Gnaden, zu Un- 
ehren des a la modiſchen Braulpaares und zum Lob ihrer 
frönen Kleidungsftäde ein Lied fingen. Drauf fing er an: 


Das junge Männervolk trägt Degen an der Eeiten, 

Mifo dad Jungfernvolt dentt immer auch zu ſtreiten 
Statt Degen hängen fie von Güber zubereit 

Dad Scheidchen, Mefier und die Babel an der @eit. 

Ja manche hat fürwahr das Bund der Schlüfel bangen, 
Richt anders, ald wenn kommt Thor-BRefter hergegangen, 
Die Etrümpfehen müffen roth von Seibedfarhe fein, 
Blau, grün, gelb oder fonft, was giebet hellen Schein 


Nein, nein, rief die Geſellſchaft. Niederſächſiſch, Nic 
derfächfifh! Und nicht fo ehtbar. — Der Eänger trank 
noch einmal, und fing in einem höheren Tone an: 


Bat feham id von der Dullen Dracht, von den Gontangen ſeggen. 
De nun de Jungfern altomapl ohn Mnterfchied anleggen? 

Man legt dad Haar um ifern Drath, mit fünderlichen Flut, 

Ran neiht dat Band up Iſern up. D rechte iſern Int! 


So fuhr er eine Weile fort, während die Sbeiſen mit 
Safran und Zuderbrühen herum getragen murden. Es 
erſcholl alle Augenblide ein entfepliches Gelächter. In die- 
fem Birrwar hatten ſich Braut und Bräutigam weggefchli» 
en. Auch die Frauen verließen ihre Männer und gingen 
nad Haufe. Jept war der Lärm noch größer, jeder wollte 
reden, feiner hören, an allgemeine Theinahme nnd Auf 
merffamfeit war gar nicht mehr zu denen. Die Trinker 
theilten ſich, je zwei und zwei, wie zärtlihe Paare, und 
entdeten einander ihre tiefften Gefühle und Geheimniſſe. 


Bartburg. Die Hochzeit. 93 


Einige umarmten und füßten ſich, andere weinten aus Be 
trübnig, das fie fi) fo fange verkannt hatten. Es war wie 
auf einer Börfe, wo ſtatt Handelsgefhäften lauter Herjens 
angelegenbeiten abgemacht wurden. An Geld ward nicht 
gedacht. Der Betrug fhielte aber noch immer feine Rolle; 
es war jedoch der Selbfibetrug. Ginige zankten fih. und 
droheten einander grimmig mit ausgeleerten Weinflaſchen 
mie mit Etreitfelben, und nur mit Mühe wurden fie aus- 
einander gebracht, und mußten noch fhäumend, zitternd und 
blag vor Wuth Bräderfaft trinten. 

Ich war flumm vor Erſtaunen und der einzige Nüd- 
terne im ganzen Haufen, denn auch mein Bruder Rudolph 
batte heute Abend einen Haarbeutel, und mar tief im traus 
lichen Geſpraͤch vertieft mit einem Dummlopfe, den er fonit 
nicht leiden mochte, und der fein Wort von dem verftand, 
mas er ihm fante. Rudolph war aber über feine Aufmerk 
famteit und Milde äuerft gerährt, umd hat ibn zu wieder» 
holten Malen um Verzeihung, weil er ihn bis jet für ei⸗ 
uen Dummtopf gehalten habe; beute entdecke er in ihm ein 
tiefes Gemüth, obſchon er, ſelbſt im betrunkenen Zuftande, 
fein Mann von vielen Worten fei. Der Betrunfene, der 
ein baumftarkee Kerl war, drädte meinem Bruder dabei 
fo herzlich die Hand, mäprend ihm die Thränen über die 
Bangen often, dag Rudolph laut auffchrie. Ieht fing 
der Andere aber erſt recht zu heulen an, und Bonnte ſich 
das gar nicht vergeben, daß er feinem been Freunde bei⸗ 
nahe die Finger jerquetſcht hatte. 

Ich faß da und mußte nicht, was id zu dem allen 
fagen ſollte, als mir Jemand leiſe auf die Schultern klopfte. 
Bie angenehm mard id überrafht,; ale der ehrbare Mei⸗ 
ferfönger mit dem Aldernen König David um den Hals 


u Bartdurg. Die Hoheit. 


hinter mir Rand, und mit einem freundlichen Lächeln fagte: 
Es wird mir hier zu wüfte, wollen wir ein Stindlein mit 
einander in Die andere Stube geben, lieber Sohn? Euere 
Muhme hat mir gefagt, daß Ihr zum Dichten einige na⸗ 
türlihe Anlagen verrathen folt, vieleicht köunte ih Euch 
als erfahrner Mann mit mehreren nuͤhlichen Lehren und 
Binfen behůlflich fein. 

Ach Gott, mein ehrwürdiger Herr, rief id) froh über- 
taſcht, dem alten Meifterfänger glei folgend, und mit 
ibm in's Nebenzimmer hineintretend, Ihr hättet mir Leine 
größere Güte erzeigen fünnen. Iſ's möglih? Haͤtt' ich 
dod nie geglaubt, daß fih eine ſolche goͤttlich freie Kunſt 
wie ein Handwerk lernen laffe. 

Freilich laͤgt fie ſich lernen, ſprach der, alte Mann mit 
Rarren Augen, und ziemlich lahmer Zunge — im Schweiße 
unfere Angefihts läßt fie ſich lernen. Nur mug man hübſch 
nüchtern fein, und fi nicht auf blinden Meinungen 
ertappen laſſen. 

Blinde Meinungen, frug ih, mas ift das? — Ihr 
dürft nicht ſchwaͤrmen, fagte der Meifter, wenn Ihr in die 
Innung aufgenommen fein wollt. Und wenn Ihr auch ein 
Glas mehr als gewöhnlich getrunken haben folltet, fo darf 
das doch auf Eure Urtheilsfraft keinen Einflug haben. Seht 
einmal wid an! Ich habe auch zu Ehren des Brautpaares 
beute Abend etwas tiefer als gewöhnlich in's Glas gegudt; 
vieleicht ift mir die Sprache der Zunge deshalb einigerma- 
Gen ſchwierig geworden, auch haben die Beine ein Mein we⸗ 
nig von ihrem gewoͤhnlichen Gleichgewichte verloren. Das ift 
aber nur der Körper; an meinem Geiſte werdet. Ihr aber nicht 
die mindeRe Uenderung verſpüren; der iR eben fo nüchtern. 
als er immer au fein pflegt. Alſo, lleber Junge, um alles in 


Bartsurg. Die Hochzeit. % 


der Belt, befonnen fen! Wie wärden wir fonft alle bie Si 
Welchen im Kopfe behalten, die zum Dichten nothwendig 
find, wenn wir den nüchternen Richtern, die nichts ger 
trunten haben, und die den Teufel danach fragen, was wir 
auf dem Herzen haben, fondetw nur immer wieder aus um 
fern Gedichten ihre eigenen Meinungen und Anfihten her⸗ 
aus zu leſen wänfden, gefallen wollen. Ich dähte, ante 
wortete ich, die Poefe fei eben eine ſchoöne Kunft, die mit 
dem uͤberraſchen follte, was andere Menſchen nicht auf ſolche 
Art ‚vorher gefehen noch gefühlt hätten. 

Profit die Mahlzeit, fagte der Alte; auf die Art wer⸗ 
det Ihr Euer Lebtag fein Meifterfänger. Alſo, lieber Sohn. 
bũbſch aufwerffam und fleißig! Ihr ſprecht von Dichtkunft, 
und wißt nicht einmal, was Dichtkunft fel. Was ift die 
Dichtkunſt? — Sie üft fo viel, verfepte ich, dag ihr großer . 
Geift ſich gar nicht in den engen Kreis eines Begriffes 
bineinbannen, noch ſich mit wenigen Worten ausfprehen 
Tägt. — Da irrt Ihr wieder, fagte der alte Meifter, mit 
einem Schlucten, und einem dummen Blid; die Poefie ift 
die Kunft: „gute Gedanken in guten Reimen vorzutragen.“ 
Jetzt wollen wit uns glei zu den guten Neimen wenden, 

- denn was die guten Gedanken betrifft, die ftellen ſich unter 
dem Dichten von feloft cin. Doc erft muß id mid in den 
Lehnſtuhl feßen, denn, wie gefagt, die Beine verfagen mir 
ihren Dient. Holt mir dann au nod) einen Becher Bein, 
liebes Kind! Dann wollen wir hier in unferer Einfamteit 
vernünftig die Sache beſprechen, und mit den tollen Men, 
ſchen drinnen, die ſich nicht betrinfen Tönen, ohne die Nüc- 
ternbeit zu verlieren, Teinen Verkehr haben. 

34 holte ihm den Bein; er Icerie den Becher halb in 
longfamen bedaͤchtigen Zügen und ſprach: Ein volftändiger 


% Bartdurg. Die Hochzeit. 


Meiftergefang Heißt ein Bar, die Bersarten heifen Ge⸗ 
däude, und verbunden mit einer Geſangeweiſe wird ein 
Ton daraus. Das vergiß nicht; denn diefe Benennungen ' 
fiud in der Kunft von daferfter Wichtigkeit. Zwar wech⸗ 
fein fie mit der Zeit, und wenn wir längft vermodert und 
von den Würmern gefreffen find, werden unfere Nachtom ⸗ 
men andere Kunftwörter brauchen. Cie werden aber eben 
fo fteif und eifrig auf ſolche halten, und ihnen eben fo große 
Wichtigteit Heilegen, als wir den unfrigen; alfo mug man 
von ſolchen Terminologien Beſcheid willen. Die Gedichte 
werden au) noch in Stollen oder Abfäge getheilt. Wir 
haben diefe Redensarten zum Theil vom Bergbane genom- 
men, teil der Bergban mit der Dichtkunſt einige Aehnlich⸗ 
keit bat. Oft werden nämlich große Vorbereitungen mit 
ſchweren Koften gemacht, und man findet nihte. Dann 
Bann aber oft wieder eine reiche Ader alles erſehen. Doch 
ur Sache! Die Reime können Elingende und ſtumpfe 
fein. Das falſche Latein darfit Du nicht gebrauchen; 
davor wirſt Du Dich aber zu hüten willen, weil Du, wie 
ich höre, ſtudirt haſ. Bor Halbworten und Klebfyls 
ben mußt Du Di) auch wohl in Act nehmen. Hüte Die 
ferner vor dem Lafter, das will fagen, ein gelindes 
Bort mit einem harten zu reinen. Dann kannſt Du 
noch ein vorzü,liher Dichter werden. 
Er trank die zweite Hälfte des vor ihm ftehenden Be⸗ 
here, und verfepte mit unbegreiflider Gelaſſenheit: Jetzt 
will ich Dir einige der Eing-Beifen berfagen, in denen 
Du dichten Fannft; als da find: Friedrich Furner des Tuch- 
ſcheerer Feilweiß; Melchior Chriſtoph des Bäders Preß- 
weiß; Paul Fifger des Kürfcners geſchwinde Pftugweiß; 
Hans Berchler des Gaſtgebers hehe fröhliche Lobeweiß; 


Bertdurg Die Hochzeit. 97 


Beit Fifher des Schloffers Yarte Felderweiß, Hans Mäl- 
lets gumpfe Schoogmweig — — 

Der kalte Schweiß trat mir auf die Stirn, es ſchie⸗ 
nem mir lauter Folterbaͤnke zu fein, worein mein Geift ge⸗ 
leot werden follte, um zu bekennen, was er nicht wife Cs 
ward mir im öden Zimmer mit dem alten Manne ganz 
unfeimlich; feine Kälte, die kein Bein in Blut verwandeln 
fonnte, fhien mir faſt gefbenfterartig zu fein, und id fyrang 
sam gelaffen auf, um ihn zu verlaffen, als ein großer Tn- 
alt tm Speifezimmer entftand, wedund die Tpüre aufge- 
üfen ward und einige von den Gäften zu uns bereinfan- 
melten. Ich lief in's Sveiſezimmer, und fiehe, mehrere 
Betranfene waren damit beſchäftigt. den Meinen Spruch- 
ſerecher zum Fenfter Hinaus zu werfen, weil er ihrer gar 
Au uwwerſchamt gefboftet Hatte. 

Ih that was ich fonnte, um ihm zu retten; einige, die 
nd) niht ganz ohne Befinnung waren, erbarmten ſich fei- 
mr gleichfals; fo ward denn der Friede wieder auf die 
Bedingung gefäyloffen, er fole ein Berfähnungsiied fingen. 
Er dat ſich jedoch die Erloubmiß aus, vorher einen Hungen» 
blit in den Hof zw gehen; und ſchlich fich fort. Iept ſoute 
uf ihn Klorvlagd gemacht werden; und ale Rürzten auf 
die Straße hinaus, wie die vom umfaubern Geiftern befef- 
ferem Säue ins Meer. Der Meine Hefop hatte fi aber 
u gut verftelt, und man fonnte ihn nicht finden. Die 
beraus in die feifche Luft gelommen waren, fonnten weder 
Mond noch Steranwagen am Himmel fehen, und mußten 
At — von Knechten und Jungen nach Haufe brin⸗ 
9 laſſen. 


Oehlenſ. Schriften. XVI. 7 


8 Der Berber. 
® 
Der Werber. 





Inzwiſchen wůthete der Krieg in Deutſchland. Mis 
proteftantifher Für, als Befiger der Wartburg, woher 
die Reformation in Deutfhland ausgegangen war, konnte 
unfer wadrer Herzog Johann Ernft niht umbin, an dem 
Kriege Theil zu nehmen. Unfre Gegend war bis jeßt fo 
ziemlich von den Unruhen verſchont geblieben; als aber 
Ballenftein auf der Donaubrüde den Mansfeld gefhlagen 
hatte, und ſich diefer nach Schlefien wandte, um mit Beth» 
len Gabor gemeinfhaftliche Sacht zu maden; befamen ei⸗ 
nige Werber Erfaubnig, au) in unferer Gegend Rekruten 
zu werben; und fo geſchahen denn verſchiedene Betrügereien 
und Gewaltthätigteiten. 

Befonders war ein alter Werber, Namens Meldior 
Stelzfuß, vieler Niederträchtigkeiten wegen berüchtigt. Mit 
feinem militaͤriſch ſchdnen Geſichte. welches ein Paar Nar- 
ben und cin. großer Krausbart zierten, ‘mit einem gewiſſen 
väterlichen Anfeben, wußte er, wie eine Spinne, die Jüng« 
linge, die wie Fliegen herumſchwebten, in fein Gewebe zu 
Inden. Sein bölzernes Bein, und fein Invalidentfum nahm 
auch für ihn ein. 

Er Hatte vor Kurzem einer alten Witwe ihren einzigen 
Sohn, einen flinfen Tucmadjergefellen, weggeſchnappt. Die 
Braut des Jänglings, ein reizendes Mädchen, warf ſich 
verzweiflungsvoll meinem Bruder zu Füßen. Mein made 
rer Bruder, von den Thränen des fhönen Kindes und der 
alten Mutter gerührt, beſchloß, mit einigen muthigen Ge⸗ 


Der Berber. ”“ 


fehlen den Burſchen zu erlöfen, und ſich an dem alten Schur- 
ken zu raͤchen. Kaum hatte er einigen feinen Borfag wite 
getheilt, fo bewaffnete Ad) eine große Zahl von Handwerks 
sefellen, und ftand ihm zu Dienften. Mit genauer Noth 
betam ic), meiner Jugend uud Zartbeit wegen, Grlaubnig 
mit zu gehen. Muthig naheten wir uns dem Dorfe, wo 
der Unglädliche gefangen ſaß. Freilich hatten wir feine 
Schießgewehre; dod waren wir in größerer Anzahl, und 
die gute Sache ſtritt für uns. 

Gluͤcllicherweiſe gelang es une, die Soldaten zu über 
rampeln und uns ihrer Gewehre zu bemädhtigen, ehe fie ſich 
aur Gegenwebr feßen konnten, wodurd mehrere von uns 
vieleicht das Leben eingebäßt haben würden. 

Die Bagabunden waren zum Frieden bereit, als fie 
unfere Uebermacht faben. Sie erbaten fih nur ihre Baf- 
fen zurüd, dann wollten fie abjichen. Mit gefällten Bas 
ioneften trieben wir fie aber fort, und da fie fürdteten, die 
Obrigkeit würde vielleiht von ihren Spipbübereien Wind 
betommen haben; hadten fie ſich fegleih, ohne Widerſtand 
‚iu leiſten. 

Jetzt galt es den alten Sünder, Melchior Stelzfuß 
der im Birthehaufe mit feinen vier Buben jehte und auf 
Rand Iauerte, zu fangen. Mein Bruder behielt fih das 
Bergnügen vor, fid feiner zu bemädtigen. Bir mußten 
indeg Vorſicht brauchen; da wir mußten, daß vier Pferde 
dort. gefattelt ſtünden. um die Werber bei dem mindeften 
Verdachte fortzubringen;. und wenn der alte Stelsfuß ein 
mal im Sattel feit fa, dann war er ein guter Reiter. 
Jpt hatten wir freilich Schietzgewehre; Pferde aber Hatten 
wir nit; aud war es nicht unfere Abſicht. den alten Süne 
der niederzuſchieten. 7 


100 Der Berber. 


Mein Bruder traf die nöthige Verabredung mit dem 
Birthe, der am ganzen Beibe zitterte, weil er fürchtete man 
Habe entdectt, daß er mil den Werbern gemeinfhaftlihe 
Same made. Drauf gingen wir beiden Brüder in die 
Stube, wo Meldior mit feinen Trabanten am Tifhe mit 
einem Schoppen Wein vor fi) ſaß. 

Kaum traten wir herein, fo fing er an: Ei, da hab’ 
ich ja wieder das Gaudium, einige meiner lieben Iungen 
in der Nähe zu fehen. Iſt es mir doc, als ob ih ein 
Lederbißlein nach dem magerften Rindfleiſche genöffe. Kommt, 
liebe Knaben! fept Euch zu mir! Die vier Schnurrbaͤrte 
dort find ftumm, wie die Buben im Kartenfpiele; und wenn 
ich einen guten Einfall habe, laden fie nicht einmal da- 
rüber. An den jungen Miühbärten mit Flaumfedern um 
das Kinn hab’ ich mic) aber wahrhaft zum Narren gefreſ⸗ 
fen. Aber das Kind da, (auf mic deutend) kaun ich noch 
nicht gebrauchen; es möchte denn als Pfeifer oder Trom⸗ 
melſchlaͤger fein! Herr Wirth! noch zwei Schoppen Bein, 
befter Sorte, auf meine Rechnung, nebft Brod und Brats 
wurſt. 

Bir dedantten ung, er rief aber: Ihr folk, ſtraf mic, 
Gott, trinken. Der Bein verbindet die Menſcheuherzen. 
Denn es ift Feuer drin, verſteht mich! Schwefel und Sal 
veter. Das will nicht fagen, der Wein fei geſchwefelt. Ih 
meine nur, es fei Glut darin. Tritt Kinder! 

Bir tranfen vom wallergeminhten Beine, welchen ber 
Birth, nad der Verabredung, uns vorgefept datte, und 
der alte- Werber fuhr fort: 

Es Lebe der Kriegl Der Krieg it das wahre Element 
der Monnshilder; im Zrieden regieren die Weiber. Auf 
dem Streitfelde hauſet aber der Teufel. Verſteht. ih meine 


Der Berber. 101 


nicht den Beelzchub, den Satan mit dem Stelzfuße — 
mas fag’ id, mit dem Pferdefuge; fondern den Taufend» 
fafa! das Ingenium; der verflucht Iuftige Poffenreiger und 
heroiſche Hans Wurft, der im trüben Wafler fiſcht. Was 
war der glormürdige Mannefeld, ch’ der Krieg begann? 
Ein ſchlichter Soldat. Was war der Ballenftein? Gin 
verfaufener Student. Und was find fie jept? Die Shrele 
ten der Belt! Der Tilly war aud nit viel mehr. Bir 
wollen aber den Till, den Wallenftein und alle die ver⸗ 
fluchten papififgen Halunken Ichren, die Schuhe mit Bar 
zu binden. Sind wir nicht Lutperaner? Sind wir nicht 
Sroteftanten? Sollen wir nicht gegen den Gräuel preteſti⸗ 
ven? Den Antihrift? Wie heigeft Du, mein Freund? — 
Rudolf Julius, antwortete mein Bruder rubig. — Boblan, 
Rudolf Julius, verſeßte der Alte, hier iſt Handgeld! Herr⸗ 
lich geränderte niederländiſche Dutaten. Du bift ein Aus 
erwählter; ein Gefegneter des Herrn! Du fol Dein läd 
im Heere des trefilichen Mannsfeld machen. Und jept — 
forac er, ſich zu den Ehnurrbärten kehtend, wollen wir 
auf die Gefundpeit des meuen Rekruten anftogen. und falls 
Ibr mir nicht Beſcheid thut, vertradte Holzblöde, werd' ich 
Euch den Beer in's Geſicht werfen. 

Mein Bruder ftrid mit der Hand das Geld wieder 
zurück der Alte drüdte ihm aber die Hand aufs Geld, und 
rief: Jeht bit Du Eoldat. Du haft das Handgeld genom- 
men. Könnt Ihr das nicht alle bezeugen, Kerls? — Ia 
wohl, brummten die Bierbäffe, cr bat’s genommen; er ift 
Soldat. — Id nehme fein Geld, rief mein Bruder mit 
verſteltter Angft, ih geb’ Euch nur Euer Geld wieder zur 
rät. — IM danfe Dir, Freund, fagte der Alte, dag Du 
es mir wieder giebſt. Hört Ihr wohl, Kinder? er hat mir 


102 Der Berber. 


die Dufaten wieder geſchenkt. Gin freiflihes Herz! Ieder 
iſt Herr des Seinigen. Soldat biſt Du nun aber einmal, 
fo mabr ic ein ehrliher — — Diefe legten Worte ſprach 
er mit gedämpfter Etimme; denn im felbigen Augendfide 
wirkte der Schlaftrunk, den er unwiſſend im Weine genofe 


» fen hatte, und er fiel bin auf die Bank. Kaum ſqlief er, 


fo traten mehrere von unferm Gefolge in die Etnbe. Als 
die vier Schnurrbärte das Schicſal ihres Kamergden ger 
wahr wurden, entfernten fie ſich freiwillig, und einige der, 
zu ung Gehörigen brachten fie über die Gränze. An dem 
alten Stelzfuß follte jedod eine eremplarifhe Strafe ftar 
tuirt werden, und es ward Kriegerath gehalten, mie wir 
uns raͤchen wollten; denn weil der Neidbart alt und ges 
brechlich war, fhämten wir uns, ihn zu prügeln, und ihn 
megzujagen, wie die Andern, ließ ſich nit einmal gleich 
thun, weil er nicht gehen konnte. Hier ward idy, der in 
den vorbergebenden Auftritten eine paſſive Rolle geſpielt 
batte, befragt, weil mehrere der Befellen, die mid, kann. 
ten, von meinem Erfindungsgeifte gute Gedanken hegten. 

Ich antwortete: Der alte Kerl ift eine Art von Höl⸗ 
Tengeift, wir müffen ihm von den Qualen der Hölle einen 
Vorgeſchmac geben. — Wie denn? frug Einer, follen wir 
ihn auf die Folter bringen? Freilich, antwortete id), die Fol⸗ 
ter fol aber menſchlich fein, und uns mehr Spaß machen, 
als ihm Schmerz verurſachen. Mein Vorſchlag ward ane 
genommen, und folgendermapen ausgeführt: 

Während der Schlaftrunk wirkte, ward Meldior Stel 
fuß nad) einem abgelegenen Orte im Walde gebracht; als 
der Stelzfuß bier von ihm abgelöft war, ward er mit Ries 
men fett an ein Wagenrad gefhnürt, und auf einen Pfahl 
binauf gezogen, An den Zweigen der Bäume, die ihm 


Der Berber. 103 


über dem Kobfe ſchwebten, hatten wir Flaſchen mit Bier, 
Bein und Branntwein gebunden; ein fhöner Schinken und 
mehrere Bratwuͤrſte hingen auch dort, wie Früchte, ohne 
daß er die Nahrungsmittel mit den Händen ergreifen konnte. 
Diele Strafe war auf feine Gefräßigkeit und Trinkluſt be- 
tehuet. Gin wenig Honig batten mir nod dem armen 
Sünder in's Geſicht geftrihen, und zwar nicht um fein Schic ⸗ 
ſal zu verfügen, fondern am die Müden und liegen her- 
zuloden, 


Als er ermadte, und fih auf dem Rade fand, zitterte 
em am ganzen Leibe und glaubte wirklich, vermuthlich weil 
ww aud die Gicht hatte, die beim Erwachen immer am em⸗ 
Mindliften iſt, daß er Ichendig gerädert fei; eine damals 
fehr häufige Strafe, die er wohl hundert Mal hätte aus» 
Athen müffen, wenn er nad den geltenden Gefepen hätte 
verurteilt werden follen. Als er aber einige Minuten fo 
in Angft gelauert hatte, und fi) feine gräßligeren Schmer⸗ 
zen einftellten, verwandelte ſich feine Angſt in eine ſtille 
Verwunderung; er befühlte feine Glieder, und als er ente 
decte, daß man nur das hölzerne Bein von ihm getrennt 
habe, holte er einen tiefen Seufzer, und fing an, fi auf 
dem Rade zu orientiren. J 


Jetzt kam ihm der Geruch des Branntieines und der 
Epmwaaren in die Nafe; die Luſt zum Lebensgenuß kehrte 
mit dem Bervugtfein des Lebens wieder ; er Aredte die Hände 
mit Verlangen nad) der Brauntweinsflaſche, nach den Wür⸗ 
Ren, dem Brode; als er aber nichts erhaſchen konnte, fing 
er grägli an zu fluhen. Sein Fluchen half ihm aber 
nichts, und wie zum Spette flogen die Müden und Slie- 
gen bin und ber von den Epwaaren nach feinen honigfügen 


104 Der Berber. 


Lippen, um einen Meinen Nachtiſch nah der folidern Maple 
zeit zu halten, 

Damit war num aber aud.die Strafe vorbei; er ward 
von den Banden gelöft, und an den Tiſch gebracht, den 
wir im Balde bingeftelt hatten, um da unfer Frühſtück im 
ſchoͤnen Wetter zu genießen. Er mußte. wie ein Lehrjunge. 
unten am Tiſche ſtehen, während wir andern ſagen. Auch 
durfte er kein Wort forehen, mur follte er mit gefalteten 
Händen ein Tiſchaebet berfagen. Er weinte aber, und ver⸗ 
fierte, es fei ihm pur unmoglich, er wille fein einziges 
Gebet auswendig, und wir möchten ihn mit weiteren Nedes 
reien verfhonen. Sobald er fi nun mäßig gefättigt hätte, 
mard er fortgeführt, und durd einige von ung Über die 
Gränze gebracht; weniger aus Härte, als aus Barmderzige 
keit, um ihn gegen den ftrengen Arm der Obrigkeit zu 
ſchutzen, wenn feine Thaten ruchtbar würden. 

Als er weggeführt war, und wir nod am Tiſche far 
gen, fahen wir einen Haufen ſchwarz gefleideter Jünglinge 
berfommen. Es waren Etudenten aus Iena, die in den 
Zerien berumfhmwärmten, und jetzt auch die Wartburg bes 
fuchen wollten. Sie hatten von unferem Abenteuer gehört, 
waren damit zufrieden, rühmten uns und thaten fehr fidel. 
Uns Schülern und Handwerksburſchen ſchmeichelte es ſehr, 
von Studenten gerühmt zu werden; wir fragten beſcheiden 
und etwas ſchüchtern, ob fie vielleiht an unferm geringen 
ZTifcye vorlieb nehmen wolten? Was vorlieh! rief der Ses 
nior, der Seifert dieß. Bir find Euch für Eure Gaftfreis 
beit fehr verbunden, und können es nöthig haben, dean wir 
haben heute einen Langen Umweg gemacht, und noch nichts 
rechtes genoſſen. Ihr feid Dandiwerkögefellen, und wir 
E:tudenten? Was will das fagen! Burſche And wir alle 


Der Berber. 105 


zuſammen; Frei wie der Bogel auf dem Dach, führen ein 

vagabondiiches Leben, und find feine Phififter. Drauf fe 

ten fie ſich; wir fühten ihnen die Gläfer, und fie fangen 

folgendes Lied, wozu wir nad ihrer Aufforderung in den 

Chor mit einftimmten. R 
Der if ein freier Mann, 

Der ehrenhaft und tüchtig 

Sich feloft bederrſchen kann. 

Denn wer dab nom nicht fann, 

Bär er ein Mlerander, 

Er if ein Rarter Mann, 

Doc noch fein freier Mann. 


Der iſt ein freier Mann, 
Der frhftiglich und bieder, 
Den Degen führen kann; 
Denn wer dad noch nicht fann, 
Bär’ er der Weiſen einer, 

Er ift cin edler Ran, 
Doch noch fein freier Mann, 


. Der iR ein freier Mann, 
Der feinem Baterlande 
Das Leben opfern kann; 
Denn wer das moch nicht fann, 
x fei ein wadrer Bürger, 
Ein rechter Edelmann, 
Doc noch fein freier Mann. 


Der iſt ein freier Mann, 
Der feine Reuſchenrechte 


106 Der Berber. 


Mit Kraft behaupten kaun. 
Denn wer das moch nicht fan, 
Gehört zum Tros der Aucdhte, 
Was frag’ ich nach ihm dann ? 
Er ift fein freier Mann. 


Wer if der freie Mann? 
Der hohe Fuͤrſ im Bande, 
Der nur auf Tugend ſaun. 
Der fei verflucht in Bann, 
Der nicht den guten Herrſcher, 
Der unfer Herz gemann, 
Schügt, wie ein freier Mann! 


Kaum hatten wir das Lied geendigt, fo erſchien eine 
neue Schaar mit Piden und Blehhauben, von einem 
Manne im ſchwarzen Mantel und weiß gebuderter Perüde 
angeführt. Es waren die Häfcer aus der Stadt, und der 
Gerichtsſchreiber, der mie ein Abgefandter der hoben Obrigs 
feit erſchien. Ein Trompeter ging ihm voran, und alle 
Augenblide ftanden fie ſtill, als fie uns naheten, und blie⸗ 
fen, um anzudeuten, daß fie Etilftand verlangten, und daß 
wir uns an der heiligen Perfon des Ambafladeurs nicht 
vergreifen dürften. Wir gingen ihm alfo mit Ehrfurcht 
entgegen, und als er unfere Unterwürfigkeit ſah, rief er 
mit finftergezogenen Augenbraunen: 

Bas hat alles diefes zu bedeuten? Macht man fo auf 
eigne Hand-in bona charitate Aufruhr, während der Hers 
zog mit feinen Neifigen abweſend it? Bald wird der gnä- 
digſte Fürſt wie ein Gewitter erfheinen, und dann wird 
es ſowohl über den Gerechten als den Ungerechten hergeben. 


Die Trennung. 107 


Bie unterficht man ſich, einen fürſtlichen Werber, der mit 
gnädigfter Erlaubnig Rekruten wirbt, in efügie zu rade- 
breden, Tiſchgebete herfagen zu laffen, und über die Gränze 
u jagen? - 

Als wir aber dem Gerichtsſchreiber alles erzählt bat» 
ten, und damit ſchloſſen, dag wir der hohen Obrigkeit mit 
den zwölf erbeuteten Gewehren und den vier ſchonen Heng« 
fen ein unterthäniges Geſchenk zu machen däcten, erhei⸗ 
terte fi die Miene des Mannes augenblidiih. Er ließ 
die Haͤſcher mit den Blechbauben und Piken wieder zur 
Etadt marfchiren, ſehte ſich hin, um mit ums zu gehen, 
verfprady. alles am gehörigen Ort ins günkiafte Licht zu 
Aelen, und fing als alter Student felbft zuerſt das Lied 
m: „Gandeamas igitur, juvenes dam sumus!“ 


Die Trennung 





So hatten- mir den wieder auf kurze Seit Ruhe; mein 
Bruder ging mit den Gefellen zur Arbeit. und ic fhlen- 
derte täglid) in träger Gewohnheit mit dem Buche unter 
dem Arm nach der Schule, um nichts Ordentliches zu ler⸗ 
nem und um mich über die Ungezogenheiten meiner Mitſchü⸗ 
ler zu ärgern. Ich war dod immer lieber dort, als zu 
Haufe, mo es, frit meiner Mugme Heirath mit dem Ser 
baftian Veilchendiau, elend berging. Der Meine Wicht ver- 
wandelte fi bald in einen Haustyrannen, und prügelte 


108 Die Trennung. 


feine dide, große, fhläfrige Frau bei den unbedeutendſten 
Anläffen. Diefe Anläffe waren oft Höhft närrifh; denn ſie 
hieß ihn fonft im Haufe walten, er war Herz ihres Ver⸗ 
mögens; er konnte Zreunde einladen und bei andern zu 
Gafte fein, wenn er wollte. Auch plagte fie ihn nicht mit 
Eiferſucht, obſchon er ſich ein Lieben hielt. Da kam ihm 
denn. die Geſchtchte von Abraham, Sara und Hagar gut 
zu ſtatten. te fag gelaflen zu Haufe, mit dem Hunde im 
Scooge und ſchlief meiftene. Wenn die Uhr fpielte, wachte 
fie immer auf. Seit fie verbeirathet war, Lehrte fie ſich 
aber nicht mehr an das alte Lieblingslied, das am Tage 
erflang, dagegen fonnte fie mie Abends das Sterbelied 
„Herzlich thut mid) verlangen nach einem fel’gen End“, hör 
ren, ohne zu weinen und die Augen mit dem Mopfe zu 
trodnenz und da mußte ih denn mit der armen Frau ein 
wahres Mitleid haben. 


Bald nachher hatte id) den Kummer, meinen einzigen 
wahren Freund, meinen guten Bruder, zu verlieren. Der 
Herzog kehrte plöplih zurüd, und Ließ ſogleich in der 
Stadt ausrufen, er fei Willens, mit dem Grafen Mannd- 
feld gemeinfhaftlihe Sade zu machen; diefer dringe in 
Deſtreich mit einem Heere ein, und er. der Herzog, fodre 
alle treuen mannhaften Unterthanen auf, ihm zu‘ folgen.“ 


Kaum batte aber mein Bruder dies gehört, fo verlicg 
er die Werkftatt, verkaufte den Webſtuhl mit Spieß und 
Schwert, und die Klappmüge mit der Pidelhaube. 


Kurz darauf reifte der Herzog ab, und Rudolf fah ihn 
in mehreren Jahren nicht wieder. Ich habe nie etwas von 
feinem Ecidfale gehört, dis Eu, mein Eberhard, auf 


Die Zrennung. 109 


meine Infel gekommen biſt, und mir erzählt haft, wie er 
nachher Vater eines glüdlihen Geſchlechts geworden fei. 

Bon meinem Gefühle überwältigt, ſchrieb ic; beim Ab⸗ 
ſchiede folgendes ſchlichte Gedicht: 


Mc Gott, mein lebfier Bruder, 
So ſoll ich miflen Dein; 

Der ich an Dich gemöhnet 
Som firinften Kindesbein! 

Kein Jahr {fl noch genofien, 
Berflofien, 

Oh’ innigen Berein. 


Mnter einem Herzen getragen 
Bir fogen diefelbe Bruf; 
Zoeitten in jungen Tagen 

Dei Lebens Gchmer) und Luft. 
Sept follen wir und trennen 
Und kennen, 

ad fon wir nie gewonßt. 


Die Schnfucht in der Weite 
Wird algewaltig fein. 

u Kampfgeroähl und Etreite 
Sedent‘, in Dir lei. 

Der wWartburg, wo wir fapem 
Vud laſen 

Bei ſawacher Lauben Sihein. 


Und ic} an meinem Wache, 
Sig‘ ich aun Dazumal, 


110 Die Trennung. 


Und meinen Rudolf ſuche 
Vergebens in dem Saal, 
Ich werde, find’ ich feinen, 
Stil weinen, 

Beim blafien Mendenſtrahl. 


Wie muß ich mich betrüben, 
Beil wir und oft gejantt. 
Bei denen, die fich lieben, 
Mitunter Liebe kraukt; 
Doc wieder bald gefunden 
Die Bunden, 

Und nimmer Treue wanft. 


Der Water und die Mutter, 
Sind auch nicht länger hier, 
Du, der Du ſtammſt vom Luther, 
Sein Eegen folge Dir; 

Und bringe Dich iurüde 

‚Dit Glüde 

Zu Eiſenach und mir! 


Mein Bruder las das Gedicht, und fiel mir weinend 
um den Hals; drauf fagte er: Die große Bibel fann ih 
aber nicht mitfehlepyen, fie ſoll bei Dir Bleiben. — Ad Nur 
dolf, rief id, dann mußt Du die Uhr nehmen; und wenn 
Dir aud) die Stunden im Menſchengewühle und immer 
neuen Abenteuern ſchnell fortlaufen; wirt Du doch, wenn 
Deine Augen auf dem ſchwarzen Zeiger weilen, der fih 
langfam fortbewwegt, des Bruders gedenten, der im fliller 
Einfamteit fi) täglich nach Dir fehnt. Recht fo! rief Rus 


Die Trennung. at 


dolf, Krieger und Geifliher! Zeit und Ewigkeit! Uhr und 
Bibel. Gott if in beiden. Iept mug ih Dir aud ein 
Lied machen. Drauf ſchrieb er. ohne ſich lange zu beden- 
fen, folgende Zeilen: 


Immer konnen wir nicht warten, 
Sieh, des Schens Bächlein eilt! 
Nleine Baͤum · and einem Garten 
Werben in Die Belt verteilt. 


Doch was wir juceh empfunden, 
Theuer und ich ‚Herien blüht, 
Denn die Zeit der erficn Stunden 
Die entwicken Das Gemůth. 


Fliegen auch die Bögel heute, 
Zu verſuchen fern ihr Glüd, 
Kehren fie Doch mit der Beute 
Morgen nach dem Baum aurüd. 


Die der Scheftand, mir der Wehrfland, 
Die die Feder, mir der Stadl; 

Gar vieneiat umarmt der Biſchoi 
Bräberlich den General; 


Voll meinem Bruder war ic) jeßt getrennt. Ich brachte 
od) ohngefähr eim Jahr dei meiner Muhme zu, und weil 
id) etwas mehr Berftand befommen hatte, fo daß ih mid 
feloR antreitsen konnte, machte id) während der Zeit in meie 
an Schnlübungen ziemliche Fortfepritte. Der Meine Beil- - 
denblau, der eigentlich diefen Tüplichen Namen haben follte, 


112 Die Trennung. 


weil er feiner Frau oft den Nüden veilchenblau prägelte, 
konnte mid) inde nicht ausftehen. Um die arme Mugme 
au rächen, hatte ih ibm eines Abende in vollem Bug 
in den Ninnftein fallen laffen, indem ih das Brett 
verfhoben hatte. Hierdurch bekam der ſcharlachne Rock 
fo viele Flecke. dag Salvater, als er mit der verwor⸗ 
renen Allongenperüde auf dem Kopfe grinmmig in die Stube 
bereintrat, einem fledigen Leoparden oder Pantherthiere 
nicht unähnlih fah. Er konnte mic) freilich der That nicht 
überführen und id) läugnete alles hartnädig und frech; 
mar er mir aber nicht vorher feindlid gefinmt, fo ward er 
es jeßt. 

An einem Mittage, wie ih mis der Muhme allein 
ſpeiſie, fing fie, gegen ihre Gewohnheit, an, ganz vernänfs 
tig: zu reden, ohne ſich der altteſtamentariſchen Redensarten 
und Vergleichungen zu bedienen, auch ohne die rhetoriſche 
Methode des Vortrages, die ihr beinahe zur zweiten Na- 
tur geworden. Sie ſprach von ihrer Schweſter, meiner 
Mutter, zwar ohne Tränen, doch mit einem gewiſſen ſtil⸗ 
len Gefühle, das mir auffiel und mid rührte. Sie ſprach 
von dem Grabe der Seligen, welches fie immer fehr gewiſ⸗ 
ſenhaft alle Vierteljahre mit Sand, Buchebaum und Blur 
men hatte beftreuen laſſen; fie Ängerte, dag fie, wenn ſſe 
ſtürbe, ihrer Schweſter zur Seite ruhen wolle. Drauf 
ſtarrte fie laͤchelnd bin auf das Bild des großen Luthers 
(krine ſchlechte Cobie des Wartburger Originale) und fagte 
mit einem. geroifien phlegmatifchen Stolze und einiger Selbſt⸗ 
sefäligleit: Er war dom unfer Ahnderr! Ih babe dad 
im mer fo gern auf dies kräftige Geſicht Hingefehre, wenn 
ich fo allein mit meinem. Heinen Jolie ſaß, und die Uhr 
orgelte. Er lichte ja auch das Orgelſpiel fo fehr. — Als 


Die Trennung 113 


fie fo geſprochen, wollte fie den Löffel zum Munde füßren, 
ſchlief aber ein, ehe der Arm den halben Beg gemacht 
hatte, umd Sieg die Hand mit dem Löffel wieder finten. 
3% war diefes Manöver gewöhnt, und wollte fie aufmeden, 
Es mar aber vergeblich, die gute Mubme fhlief den lan⸗ 
gen Todesfhlummer. Als nun eben in diefem Augenblid 
die Stubenubr ihre gewoöͤhnliche klaͤglice Weile zu fielen 
anfing, moräber die felige Muhme fo oft gemeint, und ich 
gelacht Hatte, rührte cs mid bis im Innerften meiner Seele. 
Arme Urfula, rief ih meinend! Jeßt mird diefe Melodie 
feine tief in der Bruft verheimlite eitle Hoffnung wieder 
erweden! Ach warum finden wir thörichten Jünglinge doch 
oft eine alte Jungfrau fo läherlih? Viele diefer Erſchei⸗ 
nungen find einft junge reigende Schoͤnheiten geweſen. Un⸗ 
fere Väter haben für fie geglübt. Eine vereitelte Hoffnung 
bet das Glüd ihres Lebens auf immer gefört, und mir 
verfpotten die armen Unglüdlihen! Die Nefte einer gewe⸗ 
fenen Menſchenſchönheit erregen nur verädtlihe Gefühle, 
und auf den Diauern alter Burgträmmer ſchreiben wir ehr⸗ 
furchtovolle ſchwaͤrmeriſche Lieder. Sind doch die Burg- 
trämmer nur Stein und Schutt, bier hauft aber eine un. 
ſterbliche Seele. Und mar die Erdenhälle diefer Menſchen- 
Seele garftig und unangenehm, fo daß fie alles das weg ⸗ 
ſcheuchte, nach welchem ein gefühlvol ſchwelgendes Herz in» 
nig begehrte, ach Gott! — war's denn ein Wunder, wenn 
ein noch feltfamerer Wahn, eine file Wuth ſich nad und 
nah der Armen bemähtigte? daß ſich die Berrätfung des 
Lebens auch in irren Thaten und Borten offentarte? — 
Nein. meine arme Muhmel verfegte ic ſchluchzend, waͤh⸗ 
end die Uhr immer dabei ihre Melodie leierte, — ein Dil» 
iernes todtes ‚Anftrument fol nicht die einzige Stimme fein, 
Veplenf. Schriften. XVI. 


114 Die Trennung. 


die Deinen Tod beklagt. Du bit mir in vielen Jahren gut 
und hüffreit) geiwefen. Gin warmes thrilnehmendes Herz 
fol Dir fein aufrichtiges Gefühl zollen. Ich will Dir zur 
Grube folgen, und dann einen Ort verlaflen, wo feine Ier 
bendige Ecele ſich mehr um mid und mein Edidfal be⸗ 
kümmert. 

Als ich diefe Parentation gehalten hatte, mäßrend die 
Muhme noch immer fteif und feſt am Ziſche mit dem Löfe 
fel in der Hand ſaß, ohne fid) im mindeften verändert zu 
Baden, trat der Heine Salvator Veilchenblau herein. Er 
war febr übler Laune, und wollte ſchelten; als er aber 
hörte, daß feine Frau todt fei, mard er plöplich fehr auf ⸗ 
geräumt, und fing an, die guten Eigenſchaften der Seligen 
auseinander zu fegen. Auch meinte er etwas; ich war aber 
fo boehaft zu glauben, daß es vor Freude fei, höchſtens 
aus Dankbarkeit, weil die felige Urfula ihn nicht laͤnger in» 
commodire, und ihm alles das Ihrige binterlaſſen Habe. 
Er feßte fih fogar zu Tiſch, und ap mit gutem Anpetite. 
Ich will das Vergnügen haben, fagte er, mir einzubilven, 
dag ih uch einmal mit meiner licben Ehehälfte dinire, 
Sie war eine fromme Seele, es ift mir in ihrer Nähe gar 
nicht bang. Sie bat oft fo geſeſſen und kein Wort ‚gelbro- 
Gen, fie wird es auch heute nicht thun. 

Ic) ward über den Meinen Wicht fehr aufgebracht, md, 
Bigte mich aber, und ſprach ruhig: Eſſt nur, Salvator! 
ich wäünfde Euch eine gefegnete Mahlzeit. Ihr babt ja 
dod meine arme Muhme nur gebeirathet, um einen guten 
täglihen Biſſen zu bekommen. Die Leihe follt Ihr aber 
nicht verhöhnen. — Ich rief Leute, und ließ die Todte wege 
tragen. Gr wunderte ſich Über meine Kühnpeit, wagte aber 
tein Wort dagegen zu fagen. Nur äußerte er troden: Ihr 


RR Die Trennung. 115 
nift, Eure Muhme dat cin Tehament gemacht. Ich bin 
der Univerfalerbe. Hundert Thaler hat fie Euch vermact; 
die wird’ ich Euch morgen auszahlen und dann wunſch ich 
Ent) eine glüdliche Reife, 

Ton Eurer Großmuth zu leben, antwortete ich Balt, 
wäre eine gar zu ſchiechte Koft und eine gar zu tiefe Bes 
Mtimpfung. Ich gönne Euch das Geld, das Ihr mir und 
meinem Bruder durch diefe Heirath eigennüpig umd nieder- 
tätig entwendet habt, und gebe fogleih aus Eurem 
daufe. Hütet Euch aber, von meiner Muhme, meinen 
eltern, meinem Bruder oder mir ein ſchlechtes Wort zu 
freien, während ich noch in Eiſenach Bleibe, ſonſt werde 
{0 meinem lieben Obeim fo den Rüden bläuen, wie er es 
eft meiner armen feligen Muhme getban hat. 

Mit diefen Worten verließ ich das Haus, fehr dadurch 
erleihtert, dag ich den winzigen Schurken einmal meine 
feffte Beratung in derben Worten hatte empfinden laſſen. 

As ih meine hundert Thaler ausbezahlt befommen 
hatte, dünfte mid), der ich mie mehr als ein Paar Gros 
fen in der Taſche gehabt, dag mir künftig nichts man« 
sen könne. „Ich 309 zu einem meiner Bekannten, einem 
Studenten, Namens Seifert, der vier Jahre älter war, als 
id, ein fehr guter Kopf, und ein zwar escentrifher, doch 
juglei ein Liebenewärdiger Menſch, wie Ipr nachber hör 
Tem werdet. 

Dan follte glauben, mein Er-Ohelm und ich würden 
Ms nun nie mehr mit Augen gefehen haben, und doch mug- 
ten wir noch ein Paar Etunden lang ganz rubig und file 
ig einander zur Seite geben. Er konnte naͤmlich niht um- 
bin, mic durch den Leichenbitter zum Begräbniffe meiner 
Muhme einzuladen. Bir gingen alfo beide Im ſchwarze 


116 Abenteuer. 


Mäntel gehült, Schritt vor Schritt, zunähf dem Sarge. 
Kein Menſch als ih war bei der Leihentrauer gerührt. 
Es kam aber dem Meinen Beildenblau wohl zu ftatten, 
dag ihm immer die ſchwachen Augen im Winde wäflerten; 
er trodnete ſich fleißig mit dem weigen Schnupftude, und 
die Zuſchauer waren mit feiner Theilnahme fehr zufrieden. 
Ich konnte nicht weinen. Erſt als ich hinter dem Leihen» 
gefolge das leiſe Klingelm einer Schele hörte, und den Mei» 
Joli ſah, der feiner Herrin aud) die letzte Ehre ermeifen 
wollte, ward bei mir ein ſympathetiſches Gefühl erregt. 
Diefes ward noch gefteigert, als ic iu die Gruft hinunter 
ſah, und ein Meines Stüd von dem ſchwarzen Sarge meis 
ner Mutter entvedte, das durch das nahe Aufgraben ent⸗ 
Hlößt worden war. 

Nach geendigtem Begräbniffe, und als id ein Bater- 
unfer mit dem Hute vor dem Geſichte gebetet hatte, ging 
ib fort, und babe feitdem weder das Haus meiner feligen 
Mupme, noch meinen Er» DOheim mit Augen gefehen. 


10. 


Abenteuer. 





Iay moͤchte die erſten fhönen Kinderjahre, die unſchul⸗ 
dig in der Heimath verledt werden, den heitern Märztagen 
vergleichen, die den noch unverhofften Frühling anfündigen. 
Die Sonne fbeint dann warm, das Gras fängt an zu 
machfen, die Veilchen blühen, die Stubenfenfter, die der 
Sonne zugekehrt find, werden eröffus ja man findet es. 


Abenteuer. ” 117 


“mol in der Stube zu Heiß, feßt fih drangen auf die Bant 
in der Mittagsfonne, und mwähnt, daß es bereits Sommer 
fi. Dann kommt jedoch der wilde April mit feinem Wan⸗ 
felmutbe, feinen Leidenfhaften, mit Regen, Sturm, Ha⸗ 
gel und Nacıtfröften. 

Glaubt aber nicht, Kinder, dag ich dies als eine Li⸗ 
tanei einſtimme. Die Vorfehung hat mic fo ziemlich mit 
heiter Haut aus jenem Kattegat der Jugendriffe in's freie 
Mere des Mannesalters gebracht. 

Acht Tage nah dem Begräbnilfe meiner Muhme, faß 
id) mit meinem neuen Freunde Seifert und mehreren luſti- 
gen Gefellen im Birthehaufe, zwei Meilen von der Bater« 
Radt entfernt, mit achtzig Thalern in der Taſchez denn 
sehn hatte mir mein Oheim Veilchenblau durd allerlei 
Meine Rechnungen verfürzt, und die übrigen zehn hatte id) 
erbrandt, um meinen Freunden einen Abſchiedeſchmaus zw 
oben, und um mir einige neue Kleidungeftüde zu Laufen. 

Seifert faß jeßt am Ende des Tiſches mit einer Fla⸗ 
ſhe franzöfifhen Weins vor fi, aller Augen waren auf 
ühm gerichtet. Ich wollte, daß ih Euch ein freues Bild 
diefes wunderbaren, finnreihen, vagabundiſchen Menſchen 
malen fönhte.- Er mar ziemlich hoch, ſchlank und breite 
(Qultrig; dabei aber mager; hefonders waren ibm die 
Seine dünne gerathen. Alles jedoch bei ibm mar Sehne 
und Nero; feine Gefihtefarbe wär gewoͤhnlich blaß und 
fel ins Geibliche; fobald er indeſſen zu reden begann, 
glühten ihm die Wangen fhön, und die großen Augen 
funtelten immer. 

Obſchon er die Belt im Gailjfh verachtete. leuchtete 
dech bei ihm eine unbeſchreibliche Anmuth und Freundlich 
keit gegen Menſchen hervor, die er einmal liebgewonnen 


118 Abenteuer. 


batte. Sie mußten ſich aber blindlings feinen Neigungen 
und feinem Willen⸗fügen, font fubr er auf und ſchmetterte 
fig. mit Spott.und Schmähungen zu Boden. Naher ward 
er wie gerührt, und machte mit Anftand und Würde alles 
wieder gut. Obſchon er felten Gedichte las, und eigentlidy 
die Poefie wenig liebte, weil feine egoiſtiſche Natur fie nicht 
ſelbſt üben Eonnte, und weil er ein zu guter Kopf war, um 
feine Eitelteit mit mittelmägigen Verſuchen abzufpeifen, war 
doc) fein ganzes Wefen fehr poctiſch Jedem Vorfalle, je 
dem ibm begegnenden Menfhen-Charakter mußte er die ei⸗ 
genthümlihe Seite abzugewinnen und in gut gewählten 
Worten darzuftellen. Es mußte jedody alles imbroviſatoriſch 
aus dem Stegereife fein. Seine Einfäle, feine Gedanten, 
feine Begeifterung waren wie der Champagner, der augen» 
dliclich brauft, und auf der Stelle getrunken fein wii. 
Selbſt ſtolz auf feine Vorzüge, haßte er bis zur Wuth al» 
les Herlömmliche, das ſich ohne eigenes Verdienft bervor- 
thun wil. Er war ein treuer Freund, und theilte den 
leßten Heller mit feinen guten Gefellen. Auf ihre Ver⸗ 
dienfte und Vorzüge war er aufmerkfam, und rühmte fie 
ft. — Bar es ein Wunder, wenn id und mehrere Jüng- 
linge meines Alters uns ihm blindlings ergaben, und fei- 
nem Billen folgten? 

Brüder — forah er, uns die Gläferimit dem feuri⸗ 
gen ficptrothen, no nie gefofteten Burgunder füllend — 
es giebt eigentiil t fein höheres Glüd, als das fhöne vaga- 
Fed geben. So yaben es auch die Menſchen von An- 

ginn ber, rieben, und nurgdie Nord, als das Geſchlecht 

zu tik eemebre” ai zwang die Männer aus der freien 
Natur, die fie ihr Paradie‘ nannten, auszugehen, um mit 
Dcfen Felder zu pflügen, um mit Weibern Kleider und 











Abenteuer. 119 


Echuhe zu nähen, und mit Bibern und- Wespen Selen und 
Häufer zu bauen. Ieder tüdtige Burſch fühlt deswegen 
aucy noch in ſich den Trich, Das alte natürliche Verhältnig 
wieder herzuftellen. So wollen wir denn einiger der erften 
‚Hero in Liebe gedenken, als des Nimrod, der ein rüftie 
ger Iäger vor dem Herrn mar, des Herkules, der die zwölf 
fhönen Abenteuer ohne Schwierigfeiten beſtand. Welch 
cin Gandium mag es nicht dem Inachus, dem Kadmus, 
dem Cecrops geweſen fein, auf Meinen Schiffen voll luſti⸗ 
ser Vagabunden an fremden Ufern zu landen, und dort 
eine neue Wirthſchaft einzuführen! Als fie jedoch vom 
Eticthonius Iefen und fhreiben gelernt hatten, waren fie 
verloren. Bewundern wir aber auch die Argonauten, die 
nach Colchis, die Hellenen, die nah Troja ſchifften. Denn 
wenn auch die verblendete Welt dafür hält, fie hätten es 
am eines verlaufenen Weibes, um eines armfeligen goldes 
nen Vließes willen getban, ſo find wir Eingeweihten doch 
Eng genug es einzufchen, daß fie fih nur dieſes Dedman- 
tels bedienten, um den Dummen und Blödfinnigen Sand 
in die Augen zu fireum! Im Grunde geläftete ihnen nur 
mat einem guten Abenteuer. Beld eine Freude mäßte es 
sewefen fein, nachher mit dem Nomulus und Remus und 
all dem fücytigen Janhagel eine Zreiftatt zu bilden. Wenn 
ih aber wuͤnſchte, mit dem Romulus gelebt zu haben, fo 
wäre es nur, um ihm todt ſchlagen zu können, weil er, wie 
der erfte Philifter Cain, aus kleinlicher Eiferſucht feinen 
Bruder ermordete. Remus it gewiß ein ganz anderer Kerl 
geweſen; er fpottete der Eindifhen Einrichtungen des Ro⸗ 
wulus, der ſchon einen- Walt machen mollte, um die Leute 
in die Bornirsheit bineinzugwingen, um fie au Philiſtern 
und Spießbürgern zu erziehen, wie fie es denn auch nach⸗ 


120 " Abenteuer. 


ber wurden. Darauf Tamen aber die wahren Burſche! 
Der Odin mit feinem Gefolge nah Norden! Die Cimbren, 
Zeutonen, Longobarden nah Süden. Nachber machte das 
migverftandene Chriftenthum freilih die Menſchen wieder 
etwas ſchlaff. Der Heldenmutb artete in die Frage, in 
Graufamfeit aus, der craſſe Burſch Attila wüthete wie ein 
toller Hund, der allerchriſtlichſte Clodwig und feine Nach» 
folger, die Merovingen, waren das infamefte Zumpengefin- 
del, das je auf der Welt geatbmet bat. Dann kamen je- 
doch die Normannen, und lehrten die Cüdländer wieder 
Mores. Eine ritterlide Gefinnung verbreitete ſich über die 
Belt, und bald gaben die Kreuzfahrer den Cimbern, Lon- 
gobarden und Normannen nichts nad. Freilich mußten fie | 
‚wieder die Philiter mit Honig um's Maul ſchmieren, da- 
mit fie mit ihnen gemeinfhaftlihe Sache machten. Sie 
ſchlugen ſich aber nicht mehr um’s heilige Grab, als um 
des Kaifers Friederich roten Bart! Nachher hat die Phi⸗ 
lifterei, wie eine anftedende Krankheit, ſich leider fehr ver- 
breitet, Der liebe Herrgott forgt aber doch immer noch 
für feine Geſchoͤpfe. Ieht find wir Gottlob Broteftanten! 
Und wogegen proteftiren wir eigentlich? Fragt die Schaa- 
zen des Mann:feld, des Herzogs Chriftian, fragt die Hau- 
fen des Tilly. des Ballenftein, warum fie ſich ſchlagen! 
Straf’ mich Gott, fie willen es nicht, fie wollen es nicht 
wiffen; fie denken nicht viel daran, ob fie Katholifen und 
SHroteftanten find! Das iſt wie vorher mit den Guelfen 
-und Gpibellinen in Italien, wie mit der rothen und weißen 
Rofe in England; fie ſuchen nur Abenteuer, und find im 
Grunde einander fehr verbunden, weil die verfiedene Den, 
Lungsart ihnen den Anlaß giebt, Ah willkürlich und hel- 
denmäßig zu bewegen. 


Abenteuer. 121 


Gr trank bier eins dazwiſchen, und fuhr fort: Nun 
hätten wir uns freilich an cine diefer großen Horden an- 
füliegen Können; allein dann wären wir wieder Knechte, die 
dem Befehle eines mächtigen Anführer gehorchen müßten. 
Auch hat man in fräteren Seiten den Krieg yerdorben. 
Die Krieger find Britken auf dem großen Schachbrette; 
der befte Schachſpieler ift der größte Held. — Nein, Ichten 
mir noch zu den Zeiten der irrenden Ritter, dann mollte 
id Euch vorſchlagen, dag wir uns für unfer Geld Helme, 
Epiege, Schwerter, Harnifge und gute Pferde kauften: 
dann wollten wir in Gottes Namen auf Abenteuer aus» 
aiehen, den Witwen beifteben, die Iungfrauen beſchützen, 
die Ppilifter auseinander bringen, wenn fie ſich in die 
Haare gerathien wären. Die Welt duldet aber feinen Rit⸗ 
tergeift mebr, die Witwen wollen nit beſchüßt, die Junge 
fern nicht gerettet fein, die Bürger und-Bauern wollen ſich 
nicht helfen laſſen. Jeßt rauben, fengen, brennen, ſchänden 
amd morden die Horden. Wir wollen inde feine Räuber 
erden, obſchon diefe prefäre Lebensart, dies romanenhafte 
Herumftreifen im frifhen grünen Walde, für ein junges 
Gemüth etwas ſehr Neizendes bat. Die Räuber aber find 
Lumpenkerls und wahre Philiſter; fie fechten nicht, um Muth 
und Tapferkeit zu beweifen, fondern nur aus Mordfuht 
und Geiz! Hol der Teufel alle ſolche fpigbübifhen, ſpießz ⸗ 
bürgerlichen Beweggründe. 

Ich weiß jedoch einen Ausweg! — id weiß ein gemaͤch⸗ 
liches geiſtreiches Mittel, wie wis Könige, Helden, Patriar · 
Gen, Bürger, Bauern, Näuber, Türken und Juden fein 
tinnen; wie wir die Brogmuth oßne Anfopferung. die 
Graufamkeit ohne Gewiſſensbiß ausüben fünnen. Laßt uns 
Ehaufpieler fein; wir wollen alte Faſtnachtſpiele, Schwänte, 


122 Abenteuer. 


Iragödien, fogar moraliſche Lehrſtüce aufführen, Und id 
will Diretter der Bande fein! So ziehen wir im deutſchen 
Baterlande herum, genießen das Leben, beſchauen die Na- 
tur und die Städte. ergründen die Dienfen, verdienen 
Geld, trinten Bein, een Braten, lichen-die Weiber, wer⸗ 
den gelieht. Und wenn wir des Weſens wieder müde find, 
bören wir auf. 


Seifert hätte nicht die Hälfte feiner Beredfamfeit nö- 
thig gehabt, um uns junge Menſchen ganz nad) feinem 
Willen zu lenken. Mir wollen aber das Handwerk ver» 
edeln, fprad er, nicht wie Badyanten und Schügen einher 
ziehen, und die Schwäceren zwingen, für die Etärkeren zu 
betteln. Auch wollen wir uns nicht für Zauberer, Schah⸗ 
gräber, Aftrologen und Negromanten ausgehen. Dagegen 
können wir gern den hübſchen Weibern einbilden, wir fein 
in dem Venusberge gewefen, und Meifter der fieben freien 
Künfte geworden: magistri septem artinm liberalium, 
Benn mir älter werden, tönnen wir Ernſt machenz jeft 
fingen wir: 


Nonnen jechten, Plaffen sechten! 
Mägde trinten noch mit Anechten; 
Trintt der Abt mit dem Priore, 
Monche fanfen früh {m Ghore. 
Vürger mit einander teinfen, 

wie fie von den Stühlen finfen, 
Bein ergnicht die durl'gen Zungen, 
Alte bechern mit den Jungen, 


Für den Pabft und für den König 
Bein die Menge, Waſſer wenig; 





Abenteuer. 183 


Für die Zürken, für die Yfafen 

IN der Siebenfaft erſchaffen ; 
Wrüderlich aufammen bechern 

Zent' aus gamı verichiednen Fächern. 
IR verloren Malz mad Hopfen? 

Zecht den Wein in großen Tropfen! *) 


Lieber Eeifert, ſprach ich, id) gehe gern mit Dir, und 
made gern alle luſtigen Etreihe mit. In's Pfaffenland 
mag ich aber nicht mitziehen. Ich weiß, es mürde meinem 
Vorfahren, dem großen Luther, nicht gefallen. 

Seifert runzelte die Stirn ein menig, und ermiederte 
vornchm: Du ſprichſt immer fo viel von Deinem großen 
Abnherr, mein Licher! Das iſt eine lichenswätdige Schwach ⸗ 
beit an Dir, die Du ablegen follteft. — Kein Wenſch, rief 
id erhigt, fol mid davon abhalten. Zwar ftamme ich 
nicht in gerader Linie von ihm ab. fondern nur von einem 


*) rei nach dem alten Liede: 
Bibit ille, bibit illa, 
Biblt servus cum ancilla, 
Bibit Abbas cum Priore, 
Bibit coquus cum factore; 
Et pro Rege, et pro Papa 
Bibunt vinum eine aqua, 
Et pro Papa, et pro Rege 
Bibunt omnes sine lege. 
Bibunt primum et secunde, 
“ Donee nihil ait in fundo. 








1 Abenteuer. 


Nebenzweige. Hab’ ich aber doch eben fo wohl Erlaubnig, 
ibn das Haupt meines Geſchlechts zu nennen, als vice 
Adelige, die einen ausgezeichn ten Helden als Blume des 
ganzen Etammes anerkennen. Auch finde id mic befugt, 
fein Rappen, die Roſe, in meinem Petſchafte zu führen. 
Das haben ſchon meine Vorältern gethan, und der große 
Melanchthon fagte felber von unferm Geſchlecht: Vetas 
familia est, et late propagata. °) 

Nun woblan, ſprach Seifert ruhiger, als. er mih fo 
bißig meine Rechte verteidigen fah, ic will Deine Roſe 
nicht drehen. Ich war ſchon wieder gut, und er verfeßte: 

> I) finge mit Properz: 
. Me juvat et multo mentem vincire Lyaeo 
at Et caput in verna semper habere rosa, ”') 

Wir wollen Deine Roſe nad alter Weife über unfern 
Speiſetiſch aufhängen, zum Beiden, dag man, mas unter 
guten Freunden geſprochen wird, geheim halten, und nicht 
zu genau nehmen folle. So thun wir alles eub rosa, Gut 
aber, verfeßte er Fühelnd, daß unter uns fein Chevalier 
de Guise ift, denn der fönnte feine Roſe fehen, ohne ohn⸗ 
mädjtig zu werden; und wie würde ihm erft Deine bürgers 
liche Wappenroſe in die Nafe geſtunken haben! 

Wir zogen demnad) wie Zugvögel mit unferm Seifert 
luſtig fort in unbefannte. Gegenden, und fo lange das Geld 
in der Taſche Mingelte, daten wir an nichts, als große 
Herren zu fein. Als aber das Geld beinahe alle war, denn 


*) Das Geſchlecht if alt, und weitverbreitet. 
) Mich erfecut ed, den Kopf voll von Bachus zu haben, und 
dag Haupt mit Frühlingsrofen zu kraͤnzen. 


Abenteuer. 125 


wie die Aboſtel weilend, batten wir geweinſchaftlichen Beu ⸗ 
tel, ſprach Seifert: Jeht, Kinder, mällen wir arbeiten. 

Ziemlich müde und fehr arm famen wir an einem fhö« 
nen Aprilabend einer Nitterburg am Tbüringerfelſen vor 
bei. Unfer Wegweiſer zeigte uns im Borbeigchen tief une 
ter der Burg eine große, roflige, eiferne Thür im Felſen ⸗ 
geſtein. Bir dachten, es fei vieleicht ein Burgverlieh, er 
triäblte aber, daß der edle Ritter Curt von Knaufdegen, 
der droben als Witwer wohne, bier feinen Beinkeller habe. 
Er fei, verfeßte der Wegweifer, ein Iufiger, freundlicher 
Mann, der einen guten Schwant liebe, weswegen er ſich 
auch oft als ſchlichter Bürger verfleite, um drunten im 
Vuthehauſe die Fremden zu ſprechen und vom Zeit zu Zeit 
feinem Spaß mit ihnen zu haben. Möglid) fei «6, dag wir 
ihn auch Heute Abend dort treffen würden. 

Kaum hatte Seifert das. nehört, fo ſprach er heimlich 
u uns: Wir wollen lieber unfern Spaß mit ihm haben, 
und wenn ſich nicht Alles gegen uns verſchworen hat, wer- 
dem wir noch heute Abend den trefflihen Bein des edlen 
Curt von Auaufpegen koften. 

Nun ift zu- willen, daß wir im unſere Bande einen 
Bauer, Namens Barthel Schmolz, aufgenommen hatten, 
der einen dicken Bauch, ein großes Maul und ein fehr. ale 
bernes Geficht-haste. Er war aber nicht fo dumm, als er 
ausfah, wir brauchten ihn dazu. unfere Schuhe zu fäubern 
und unfere Kleider zu bürften; Eeifert hatte ihn aber noch 
aus einem andern Grunde mitgenommen: denn diefer Bat- 
thel war eine komiſche Frape, die und in den Poflenfbielen 
vom größten. Nupen fein kounte. J 

Us wir in die Wirtheſtube hineintraten, ſaß da am 

;, Nantgefcpeuerten ſchnteweihen Eichentiſche der, in der Mitte. 


126 " Abenteuer. 


mit ſchwarzem Schiefer ringelegt war, ein ehrbarer alter 
Bürger, mit einem großen Beyer vor ſich von Bachsbaum. 
worin, ſeht fauber geſchnitten, zu fehen war, wie der bes 
rauſchte Noah von feinen rümwärtsgehenden Söhnen mit 
dem Mantel zugededt wird. 

Bir gaben unferm Wegweiſer ein gutes Trinkgeld; er 
verließ ung vergnägt; und raunte uns zum Dante: beim 
Abſchiede in’s Obr: der ehrbare Bürger dort it eben der - 
erwähnte Nitter Curt von Anaufdegen; ein kreuzbraver, 
ehrlicher Herr, der viele Fehden in feiner Jugend mitgee 
macht hat. Hier im Wirthshaufe mögt Ihr Euch aber auf 
feine Ehrlichteit nicht verlaffen; denn hinter dem Bürgers 
wams ftedt der Ritter, und im hölzernen Becher nicht der 
ſchlechte Wein des Wirths, fondern der treffliche Rebenfaft 
des eben gefehenen Kellers. — Der Wegweiſer ging, Sei⸗ 
fert hatte uns fhon alles Nöthige gefagt und Barthel feine 
Rolle begriffen, 

Guten Abend, liebe Gefellen, rief der Ritter und ent» 
gegen; — mer feid Ihr, mit Verlaub? Etwa fahrende 
Schüler? — Bir find Studenten, die nach Erfurt gehen. 
um da unſere theologiſchen Studien fortzufegen, antwortete 
Seifert mit ernfter Höflichkeit. — Nun, das iR hübſch von 
Euch, verfepte der alte Herr, — ıd freue mid immer, 
junge aufgeweckte Zeute zu fehen, die fi auf die ſchoͤne 
Kunft der himmliſchen Wiſſenſchaft legen, melde uns der 
unſterbliche Luthet von allen Auswüchſen und Zuſaͤtzen ge« 
reinigt hat. 

Bei diefen Worten des Nittere mandelte mid nach 
Gewohnheit gleich eine große Luſt an, mid als Enfel des 
feligen Doftors zu produciren; ein Blick aber auf Seifert, 
dem von einem ſpoͤttiſchen Lächeln und leiſem Kopfſchütteln 


® 





Abenteuer. 17 


begegnet ward, weil er mir in der Seele las, band mir 
die Zunge. — Ia, licher Herr, ſprach Seifert hurtig, weil 
er immer fürctete, id werde mit meiner Entdedung der 
Verwandtſchaft heransräden, von jeher haben ja Adel und 
Geiſtlichteit zuſammen gehalten. — Do, rief der alte 
Kitter, — iR der achtbare Bürgerftand auch nicht zu ver» 
achten. — Diefer, erwiederte Seifert, bat eigentlich die Re⸗ 
formation begonnen; fie ift aus feinem Schooße entfprun- 
gen. Drauf das ernſte Geſpräͤch damit abbrechend und ſich 
zu Barthelu kehrend, frug er ihn lachend: Nun, wie geht's 
Meiſter Barthel? BR Du noch immer fo müde? Du 
moͤchteſt Did) wohl jetzt gern an einem guten Trunke la⸗ 
ben? Der alte Beinteller droben am Berge mit den ver⸗ 
falinen Stufen und der roftigen Tpür hat Deinen Durft 
noch ftärfer erregt! Nicht mahr? — Der alte Weinkeller? 
fiel ihm der Ritter in's Wort. — Ia wohl, verfeßte Sei- 
fert. I habe freilich dem Menſchen geſagt, daß es da 
nicht geheuer ſei, und er fürdtet ſich fonft vor Gefbenftern, 
mie die Weiber vor Spinnen. Sein Bauch geht ihm über 
alles, wie Ihr feht; und wenn er nur guten Bein faufen 
Bann, fo verſchriebe er ib, glaub’ ic), gern dem Teufel 
mit Leid und Seele. — Ja, ſprach der alte Ritter, der 
gleid) merkte, Seifert wolle den Bauer aufziehen, freilich 
Ws da nicht geheuer. Haft Du nie etmas von dieſem Wein · 
Adler gehört, mein Freund? — Nein, antwortete Barthel, 
dumm liſtig, möchte aber für mein Leben gern ein Wort 
davon erfahren. — Vor hundert Jahren, ſprach der Nit- 
ter, ging ein chen fo vermegener Befell, wie Du, den ‘ 
Zrümmern des alten Weinkellers vorbei. Er traf den Ein- 
gang zu einer wnterirdifhen Treppe, welche gar Keil fhien, 
fo dag er hinabſtieg, umd im einen anfehnlihen Keller 


128 Abenteuer. 


gelangte, an deffen beiden Eeiten er große Faͤſer gereibet 
fab. An den vorderften mangelten weder Dahn noch Krahn. 
und als der Bürger vorwigig umdrebte, ſah er mit Ver⸗ 
wunderung einen Wein fliegen, köſtlich wie Del, Er hatte 
zwei große Krüge mit fid), welche etwa zwanzig Maag fafs 
fen konnten; er war aber nicht dazu zu bemegen, einem 
folden Gang zum zweiten Male zu machen. Nachher hat 
man den Schlüſſel zum Weinkeller in der eifernen Thür 
gefunden; und er bängt nod zum Andenken, groß und 
roſtig an der Wand in diefem Wirthehauſe. Denn fein 
Wagehals hat nachher das Abenteuer gemagt. 

Hat er denn dort Geifter gefehen, frug Barthel fehr 
andãchtig. — Freilich mag er folh Zeug da gefcben haben, 
antwortete der alte Nitter. Man fast, daß Gefpenfter 
ihm dort feinen Tod vorherverfündigt haben; aud fol er 
nachher wirklich geftorben fein. — Wie lange mag das 
wohl ber fein? frug Barthel. — Hundert Jahre, erwie- 
derte der Nitter. — Dann ift es eben fein Wunder, dag 
er geſtorben ift, tief Barthel. Ic hätte große Luſt, das 
Abenteuer auch mal-zu verfuhen. — Das dacht’ ich! flür 
fterte Seifert dem alten Knaufdegen in’s Obr: denn dieſer 
Kerl ift der größte Trinker in der Chriſtenheit! 

Der alte Ritter nahm Seiferten zur Seite, entdedte 
Ah ihm, und geftand, daß er mit dem Dichbauche einen 
Schwantk vorqchmen möchte; mir Andern wurden mit im's 
Spiel gezogen, und die Poſſe begann. 

Der alte Nitter fandte cilig hinauf zur Burg, um 
das Nöthige zu holen und einzurichten. Drinnen in der- 
Bölbung fanden wir brennende Liter und einen Kleinen 
Tiſch mit ſchwarzer Schiefertafel und Griffe Gleich Berg« 
leuten oder Kobolden kleideten wir uns in ſchwarze Ueber- 


Abenteuer. 19 


röde, und bedrdten die Kopfe mit Iedernen Müpen. Raum 
waren wir Damit fertig, fo erſchien Barthel. Bir hatten 
unfere Lichter in eine Zelfenfluft gefegt, damit er fie beim 
Eintritte nicht gleich gewahr werde. Mit einer Hornleuchte 
in der einen und einem großen Eimer in der andern Hand, 
trat er ganz erfdroden herein, und fein Wegweifer verlieh 
ihn an der Thüre. 

Barthel ſpielte feine Role gut. — Hier fiehen freilich 
Namen genug mit ſchwarzen Buchſtaben auf meiße Schilde 
fauber geſchrieben, fagte er; das find mir aber lauter ſpa⸗ 
niſche Dörfer, denn ich bin der edein Kunft des Buchſtabi- 
tens nicht mächtig. Was thu' ich jegt? Vielleicht zapf' ich 
aus der ſchlechteſten Tonne, und id möchte für mein Leben 
gern vom Beften haben. 

Zapf aus dem Orboſt, das Du mit der Hand bes 
rühelt, donnerte mit bohler Stimme der alte Nitter, aus 
der Dunfelheit hervor, der iſt gut. — Barthel zitterte, dag 
ihm beinahe das Licht in der Leuchte umgefallen wäre, 
faßte ſich aber ſchnell, machte einen tiefen Büdling gegen 
alle vier Weltgegenden, und ſprach: Dan’ Euch, gnädige 
Ser Herr Geiſt! Jetzt ſeh' ih, dag Ihr es mit mir ehrlich 

t. 


Bei diefen Worten war der alte Nitter Willens wieder 
ein großes Gebrüll hören zu laſſen, aus Furcht aber, der 
Bauer werde ihm in feiner Angft zu viel Bein auf den 
Boden verſchütten, nnterließ er es. 

Während uns Barthel den Rüden Lehrte, hatten wir 
Beit genug, in aller Gemaͤchlichteit zu erſcheinen; und als 
er ſich endlich, wieder umdrehete, um mit dem gefüllten Ei 
mer wegzugehen, faßen die ehrwürdigen Greife: (ih, Sei⸗ 
fert und ein dritter Schüter) in Bergmannstrahten, mit 

Dehlenf. Sariften. xvi. 


130 Abenteuer. 


langen weihen Biegenbärten, am Tiſche, die Schiefertafeln 
vor fi), und fperrten ihm den Weg. 


Iept follten wir orafelmägig forchen und da hatten 
wir denn Gelegenheit, die Gutberzigfeit des alten Ritters 
wahrzunehmen. Macht's nur nicht zu arg! flüfterte er- uns 
ins Ohr, — hat man doch vorher gefehen, dag ein armer 
Tropf bei folder Gelegenheit vor Schrecken in Ohnmacht 
gefallen ft, ja wohl gar den Geift aufgegeben hat. — 
Zürchtet nichts, erwiederte ihm Seifert Teife; diefer Kerl 
bat feinen Geift aufzugeben. Wie lange, Bruder, frug er 
mid jegt laut mit verftellter hohler Stimme, meint Du 
wohl, daß diefer unverfhämte Schmeerbauch, der uns den 
Wein vor der Naſe wegftiehlt, noch Ichen, ſtehlen und 
aehen werde? — Sehr kurz, war meine Antwort, fehr 
kurz wird er noch — (Barthel zitterte) — Bein trinken, 
verfeßte ih. Das Verhänguiß hat ihm feinen Tod in Bier 
und Branntwein angemwiefen, und zwar nicht vom beften. 


Ad, lieber Himmel, rief Barthel vergnügt, das ift ja 
die Hälfte mehr von Glädfeligkeiten und Herrlichkeiten, als 
ein armer Bauer zu hoffen wagte. Dank Eu, liebe un« 
ſichtbare Herrſchaften, und gnädige Geipenfter, wer Ihr 
auch feid, für den fhönen Wein und die höflihe Prophe- 
zeihung. Denn ſollte ich auch den Kummer erleiden, in 
meinen alten Tagen mit Bier und Branntwein vorlieb zu 
nehmen, fo weiß id doch aus Erfahrung, dag man ſich 
audı in diefen geringeren Sorten ganz ordentlich betrinfen 
kann. Eeid Ihr felige Geifter, fo wünſch' ih Euch, dag 
die Seligteit dis zum jüngften Gericht fortdauern möge! 
Seid Ipr aber verdammte, fo ift das gewiß nur aus Irr- 
thum gefchehen! Der liebe Gott wird ſich Eurer erharmen 





Der Ritter und fein Burgkaplar. 131 


und Euch wieder aus diefem Arreſte befreien, obſchon ein 
guter Weinkeller eben kein ſchlechtes Gefängnig ift. 

Drauf mollte er fi) aus dem Staube madyen; damit 
er aber doch nicht durch die gräulichen Gemächer des Jam⸗ 
mers und Hoͤhlen des Elends auf lauter Roſen tanzen 
folle, loͤſhten mir die Lichter, und verfolgten ihn heulend 
mit Karbatſchen in der Dunkelheit zur Thür heraus. 

Der alte Nitter lachte fo herzlich, dag ihm die Thrä⸗ 
nen if die Augen traten, nahm von uns Äbſchied, weil es 
Mät war, und Iud uns ein, Morgen um zehn Uhr bei ihm 
auf der Burg zu effen. Bir eilten nach dem Wirthehauſe. 
trafen unfern Barthel da, mit dem Weineimer, liegen uns 
das Abendbrod gut ſchmecen, und tranfen im edlen Beine 
des edeln Nitter Curt von Rnaufdegens Gefundbeit. 


11. 
Der Ritter und fein Burgkablan. 





Wie freute es mic am folgenden Morgen, mit mei⸗ 
nen luſtigen Gefellen den Fels zu befteigen und in die alte 
Nitterburg zu treten. 

Man brachte und durch ein Vorzimmer und durch den 
fhönen Nitterfaal in das Wohnzimmer des alten Ritters. 
Sein Burgkaplan ftand neben ihm, diefer hatte eben ein 
Schreiben für feinen Herrn vollendet, und der alte Held 
ffieß feinen Schwerttnopf, worein fein Wappen gegraben 

9 


132 Der Ritter und fein Burgtaplan. 


mar, in den an der Urkunde hängenden Wachsklumpen. 
Daraus nahmen wir nun ab, dag der edle Ritter nicht 
ſchreiben könne. 

Er gräßte ung freundlich, und frug, als er fi) umge 
fehenshatte: Warum habt Ihr den Barthel nicht mitger 
nommen? Edler Herr, antwortete Seifert etwas empfind« 
lich, er ift unfer Knecht, unfer Aufwärter! wir dachten 
nicht — IM er doc) geftern Hauptakteur im Schaufpiele 
geweſen, fagfe der alte Ritter launiſch; und wit "einem 
taum merklichen Stirnfalten, id daͤchte, wir fähen heute 
nicht gar zu Mreng auf den Rang. — Wenn es fo gemeint 
iſt, antwortete ih, mit einer nacläffigen Berbeugung, fo 
danken wir für die und zugedachte Gnade, und wollen wei» 
ter ziehen. — Nun, nun, mein junger Springinsfeld, 
ſprach der Ritter gutmüthiger, Du bift mir aud) verflucht 
kurz angebunden. — Ihr feld Etudenten — Theologen — 
gelehrte Herrn — da muß ein alter Ritter Reſpelt haben. 
Seifert warf mir einen ſpoͤttiſchen Blick zu, fhültelte den 
Kopf, und ſprach: Nehmt unferm Freunde, Herrn von Lu- 
ther, feine jugendliche Aufwallung nicht übel, Herr Ritter. 
— Herr von Luther? ſprach der alte Ritter, das adeliche 
Geſchlecht enn’ ich nicht. — Eeifert, ſprach ich, indem ich 
ihn am Nodärmel in eine Ede zog, falls Du nod ein fol- 
ches Wort ſprichſt, fo geb’ ic zur Thür hinaus, und Du 
haft mid) zum legten Mal gefehen. — Bergebt, Herr Rit- 
ter, verfeßte Seifert ehrbar und gelaſſen — das iſt nur 
ein Scherz unter uns jungen Leuten; wenn es Euch be- 
liebt, wollen wir gern fogleih den Barthel Holen Laffen. — 
Er kann ja bei Tifge mit aufwarten ſprach der Herr von 
Knaufdegen und wißt Ihr was? Ein befferes, reinlicheres 
Kleid follte er doch bilig anziehen; wenn Ihr nichts dage ⸗ 


Der Ritter und fein Burglaplan. 133 


gen habt, mill ich ihm ein funkel nagelneues Rarrenkleib 
geben, das der felige Narr meines hochſeligen Herm Ba- 
ters nur drei Mal am Leibe trug, eh er ſtarb. Es hat 
zwanzig Jahre im Kleiderſchrank gelegen, und iſt, wenn «6 
gut ausgefiopft und ansgelüftet wird, ned wie neu. Das 
wird ihm ſchoͤn ſtehen. Ic hoffe, er wird gegen den Fuchs- 
ſchwanz, die Schelle und die Gfelsohren nichts einzuwenden 
baden. Nicht im mindeſten, antwortete Seifert. Gleich 
ward nach dem Barthel in's Wirtshaus gefchidt. 

Bährend der alte Ritter einen Knappen rief und ihm 
auftrug, den Brief zu beforgen, ließ er den Burglanlan 
fi mit uns unterhalten. Wir merkten wohl, er folle une 
auf den Zahn fühlen, mie weit es mit unferer Gelehrſam⸗ 
keit Her fei. Der Kaplan aber mar felbft ein fehr unwiſ⸗ 
Tender Menſch, der vorher Monch gewefen, und zum Eur 
therthume übergangen- war. Als Seifert ihm mit feinen 
Inteinifyen Broden zufehte, verlor er beinahe Nafen und 
Ohren, und damit wir feine Armfeligteit nicht verrathen 
möchten, überhäufte er uns mit den größten Lobeserhebun- 
gen, als der Ritter zuräd kam. — Nun, das freut mic, 
rief dieſer vergnägt, dag Ihr boffnungsvolle Jünglinge 
feid! Jetzt will ih Euch aud meine Burg zeigen, während 
der Tiſch gededt wird. 

Drauf führte der alte Herr ung herum; mir beftiegen 
die Burgzinnen und ſaben weit über Wald und Thal 
hinaus. — Bir mußten mit ihm die gefährliche Ringmauer 
befteigen, und umwandern. Wer da in die Tiefe hinunter 
gefallen wäre, hätte an dem ‘Tage kein Mittageflen befom- 
men. Drauf befahen wir die Gemächer, er äffnete dem 
Waffenſchrant, wo noch ſteinerne Beile und Acenkräge der 
alten Thäringer aufbewahrt wurden. Schöne Harnifhe, 


134 Der Kitter und fein Burgtaplam. 


Helme und Schwerter hingen in bunten Reipen. Bas uns 
aber das meifte Vergnügen machte, mar eine vollftändige 
Sammlung von alerlei Trinkgeſchirren aus Gold, Silber, 
Holz und Elfenbein. Aus allen möglihen Geftaltungen 
tonnte wan. trinten: aus Schiffen, Bindmühlen. Wein 
trauben, Pfauen, fen, Pfaffen, Nonnen, Hirſchen. 
Schweinen. Der alte Ritter gab uns die Wahl, ſelbſt die 
uns beliebigen Trinkgeſchirre auszuſuchen. Wir waͤhlten 
einige ſchlichte grüne Glaͤſer mit Weintrauben verziert: — 
Da habt Ihr gut gewählt, rief der alte Ritter. Rhein⸗ 
wein mug man aus grünen Gläfern trinten, und das alte 
Zeug da ift mehr zum Spaß als zum Gebraud, denn wer 
Teufel möhte aus Windmuͤhlen, Möndgen und Nonnen 
zechen, wenn man Gläfer bat? 

Als wir in’s Speifegimmer traten, war das Eſſen 
ſchon aufgetragen, meiſt nad alter Art Geraͤuchertes, Ger 
pfeffertes und Gefalzenes; dod fand auch ein großer ger 
bratener Kapaun vor dem Burglaplane, der, die Aodäre 
mel auffrämpend, mit einem großen Vorſchneidemeſſer im 
der Hand, ſich bereit machte, das Thier zu zerlegen. Der 
Kaplan fdyien jetzt recht in feinem: Elemente zu fin; drei 
Bediente ftanden binser den Stühlen, und unter ihnen 
Barthel ganz ehrbar als Hanswurft angezogen, mit den 
berabhängenden Efelsohren und einer Serviette unter dem 
Arme. Benn er fi mitunter bewegte, klingelte die Schelle 
hinten im Fucheſchwanze, als wenn ein: Heiner Hund im 
Bimmer wäre: das machte ihn aber blöde, und er blich 
deshalb meiftens auf einem Fleck ſtehen. Der Ritter grützte 
ihn ernft, mit einem freundlichen Niden, und nach feinem 
Beiſpiele thaten wir Alle, als wenn gar nichts Ungewoͤhn⸗ 
liches vorfiele. 


Der Ritter und fein Burgkaplau. 135 


Als der Kavlau das Ziipebet mechaniſch Bergefagt 
haste, fiel er über den Kapaun ‚her, begann vorzufhnel 
dem, und rädte nun nad und nad mit alen den Schwän⸗ 
ten und Einfällen heraus, die in des Barfüßers Frater Jo⸗ 
banmes Pauli Sammlung zu leſen find. Doc hatte er zu⸗ 
meilen auch ſelbſt drollige Einfälle, und es war zu bemere 
em, wie der alte Ritter, der vermuthlich ale Tage diefe 
Hiftörcen wieder verdauen mußte, fi verwundert und 
üterrafcht dabei fleite, als wenn er es zum erfien Male 
börte, und zum Mitlachen auffordernd, und flarr in die 
Augen fab; alles, um feinen Kaplan in’s günftigke zu 
u ſtellen. und uns ein Vergnügen zu madıen. - 

Könnt Ihr wohl auch einen Kapaun zerlegen, Vater 
Gottold? frug er den Kaplan ſpoͤttiſch, der Ihr fo ver⸗ 
wegen mit dem blinfenden Gifen in der Hand flehet. reis 
lich, antwortete der Prediger, fteht im Trandirbude, muß 
man, um gut tranciren zu können, prime von Adel fein; 
secunde Courage haben; mit den Kapaunen hab’ ich aber 
immer noch Muth genug anzubinden. — Und mit diefen 
verähtlihen Geſchoͤpfen mag fid doch ſelbſt nicht das furcht ⸗ 
famfte Weib einlaffen, weil ihnen fo ganz die Waffen man« 
gein, verfeßte der Nitter. — Die Weiber verachten diefe 
Thiere aus Eiferfaht, ſprach der Kaplan weil beide Die- 
kant fingen und Sopraniften find. Ihr fürdtet vieleicht, 
Herr Ritter, verfeßte er, daß ich diefen Braten fo verſchnei⸗ 
den werde, wie der Beichtiger weiland beim Edelmann. — 
Nun, wie that denn der? frug der Nitter uns neugierig 
awbtidend, und wir merken fehr gut, dag er die Geſchichte 
auf den Fingern wußte. — Er ſchnitt dem Rapaune den 
Kopf ab, ſprach Herr Gotthold, und Iegte ihn dem Edel⸗ 
manne vor, weil ihm · als Haupt des Geſchlects ſolcher mit 


136 Der Ritter und fein Burgkaplan. 


allem Rechte gebühre; dann bekam die Edelfran den Kra- 
gen, weil fie dem Haupte am naͤchſten fei; die Flügel wur⸗ 
den den Töchtern zu Theil; 'weil die Mädchen mit ihren 
Sinnen hin und her flattern. Den Söhnen gehörten die 
Scheenkel, als Stügen des Haufes, weil auf ihnen das @e- 
ſchlect rubete. Den ungeftalteten Alumpen aber behielt 
der Pfaff für fi, weil er felöft fo ein Rumpf ohne Kopf, 
Kragen, Flügel und Schenkel ſei 

Der Ritter lachte, fühte unfere Glaͤſer, und erzählte 
dem Herrn Gotthold, er babe uns heute die Seltenheiten 
der Burg gezeigt. — Sie waren doch gemiß nicht fo groß, 
als die drei Seltenheiten zu Leipzig, fagte der Kaplan. — 
Wie waren denn die? fragte der Ritter. — Die Monche 
verkauften dort das ganze Jahr hindurch Korn — verfeßte 
jener — und hatten keine Aeder; führten große Gebaͤude 
auf, und waren Barfüßer ohne Geld, zeugten alle Jahre 
viele Kinder und batten keine Weiber. — Unfere Fremde 
baben aber nod nicht die Kapelle gefehen, fuhr der Ritter 
fort: da müßt Ihr ihnen das fchöne Altarblatt zeigen. — 
Es kommt darauf an, ob fie den Herr-Gott lieber todt 
oder Iebendig feben mollen, antwortete der Kaplan: es 
möchte mir fonft mit ihnen geben, wie dem Maler mit den 
drei Bauern. — Bie ging es denn ihm? frug der Ritter. 
— Der Kaplan wollte eins dazwiſchen trinken, da er aber 
zu eilig war, um wieder erzählen zu können, gerieth ihm 
der Bein in die unrechte Kehle: er huſtete entſehlich, ward 
erft dunkelroth, dann veilchenblau im feiſten Geſichte. und 
konnte lange nit wieder zu Athem kommen. — Seifert 
benutzte diefe Paufe, ergriff das Wort und ſprach: Erlaubt, 
Herr Ritter, daß ich die Geſchichte erzähle, während der 
‚Herr Pafter ſich wieder erholt; ich habe fie auch bei Frater 


Der Ritter und fein Burgfaplan. 137 


Johannes Pauli gelefen. Der Maler frag, ob fie einen 
todten oder lebendigen Chriſtus am Kreuze haben wollten? 
— Lieber Meifter, antworteten die Bauern, malt ung einen 
Ichendigen! Gefaͤut er uns micht, fönnen wir ihn ja nad 
her immer todtfdhlagen. 

Mag ic) doch folde Iuftige Geſchichten gar gern hören, 
frad) der alte Ritter. — Gewitz, ermicderte Seifert, zur 
Abwechelung mag es ganz gut fein. Nur dürfen ſoiche 
Anetdoten nicht zu häufig auf einander folgen, font Fönnte 
man fi eben fo gern allein auf fein Zimmer mit einem 
alten Vademecum in der Hand hinfepen. — Das it nicht 
im läugnen, ſprach der Nitter, beffer iſt es, wenn man 
felhR einige gute Schwänte erfinden kann. — Dann muß 
man aber auch Ernft mit Scherz abwechſeln, verfehte Sei- 
firt. Das ewige Scherjen und Spotten entfteht aus Kälte, 
Etolz, Eiteleit und Mangel an ernfter Tpeilnahme. Es 
iR eine Art von Parforcejagd, wodurch das edle Thier des 
Biges zuletzt keuchend eriiegen muß, bis es fih verbinte. 
And) Habe ich ſtets gemerkt, daß etwas Unfreundliches in 
dem bloßen ununterbrochenen Spagmaden liege. Man 
fberzt, weil man der Gefelfihaft nicht genug traut, ihr 
fein Gemüch aufzuthun: Muh folgt auf das entſehliche 
Lathen immer ein leeres Cihmeigen, mo man fh verlegen 
anfieht und nicht weiß, was man wieder anfangen folle. 
Und wenn man endlich nach ſoichen wigigen Spoͤttereien 
6 einander geht, hat man immer im geiftigen Munde 
Ainen faden Nacgeiimad, wie Beute, die zu viel Saures 
ouf einmal gekoftet haben. — Ihr habt Recht, Freund, 

der alte Ritter, dergleihen muß von feloft kommen, 
und nicht immer wiederholt werden. — Barum, verfehte 
Seifert, war der Hofnast, der Hanewurſt Immer mit allem 


iss Der Ritter und fein Burgkaplan. 


feinem Bipe, mit fammt der augenblicklichen Bewunde⸗ 
rung, ein verachtetes Gefhäpf? Weil er ein Diener war, 
der von feinem Brothertn abhing? Keinesweges! das thas 
ten die ernften Anappen auch, und wurden nicht verachtet. 
Nein, weil er Brofeffion von dem Spotte und dem Spaße 
machte; weil er Scherz trieb, nit aus Liebe zum Ernſte. 
zur Wahrheit, fondern aus Eitelleit, aus Beratung und 
Kälte gegen die Welt. Er war mit fammt feinem aufge 
wedtem Kopfe ein egoififher Flegel! — Das Lukigfeinfol- 
Ten ift immer ein jämmerlih Ding! Davon giebt uns heute 
unſer armer Barthel einen einleuchtenden Beweis. Gehern 
war er-aufgeräumt, als er noch im Bauerutittel ftak; jeßt 
da er den Habit des Spaßmachers angezogen bat, ift er 
Mleinlaut, ſteht mit der Serviette unter dem Arm, wie ein 
wahrer Tropf, und fiebt mit feinen berabhäugenden Eſels⸗ 
ohren einem wirklichen Efel nicht unaͤhnlich. 

Bei Gott, das ift wahr! rief der Nitter. Gehe him, 
Kerl, und ziehe Deinen alten Wamms, und Deine alte 
Laune wieder an. Steht er nicht da, mit dem erbärmlis 
wen Geſichte und mit gefalteten Händen, wie ein Sünder 
im Beichtſtuhle, der feinen Fucheſchwanz ſelbſt gern dem 
lieben Herr-Gott verbergen möchte, Im der That, das 
ernfte Fratzengeſicht zwingt mich zum Lachen. 

Sp bab id) doch als Scaltenarr meinen Beruf cr» 
füllt, ſprach Barthel troden, indem er abging. 

Der Bauer hat mid geftern köͤſtlich unterhalten, ſprach 
der Ritter Ich glaube, es fünme ein ganz guter Komüdiant 
aus ihm werden; erwiederte Seifert: Liebt Ihr etwa Scyau- 
ſpiele, Herr Ritter? — Frage. ob ich fie liebe? antwortete 
der alte. Herr; wie betomm’ id aber ſolche Herrlichteiten im 
meinem abgelegenen Nefte zu ſehen. Ich war mal in Dres 


Der Ritter und fein Burgtaplan. 139 


den bei einem Fafmachteſpiele, und hab’ mir dort faft die 
Augen ausgelaht. Es geht mir aber ein Licht auf! Ior 
ſcid fahrende Schüler, feid Ihr etwa auch — «6 muß cum 
graue salie verflanden werden, tte Seifert. — Grano 
salis, wiederholte der Nitter, ſich Jum Kaplan kehrend, der 
ganz märrifd und il faß, weil er keine Anekdoten mehr 
erjäplen durfte — was ift grano «alie, Kaplan? Ohne 
ein Bort zu erwiedern, deutete der Kaplan auf das vor 
ihm Rehende Salzfah, und Seifert verfepte: Bir find ehr⸗ 
lie Leute und wohlftwdirte Studenten, wie Euch der Herr 
Vaſtor gefagt haben wird, gedenken andy unfere Studien 
mit allem Ernfte, Eifer und Fleige fortzufegen. Die Ju⸗ 
gend liebt aber Heiterkeit und Vergnügen. Benn es alfo 
Gurer ritterlichen Gaßfreiheit gefallen folte, mit unfern 
fükerifcpen Verſuchen in einer (hönen Kunft, melde Ari« 
foteles und die Griechen fo bed fhähten, vorlieh zu 
Behmen.—. . 

Mein Seel, das iſt herrlich, rief der alte Nitter, nicht 
wahr, Kaplan? Komödianten, forad der Geiftfihe mit 
Nafenrimpfen — ba, jeht begreif ih, warum die Herrm 
elein foregen wollen; nur feb" ich micht ein, was fie denn 
fo viel gegen den Hanewurſt und die Narrentheidigungen 
einzuwenden Haben. Auf den Brettern, lieher Herr Parlor, 
ſprach Seifert, Gaben wir nichts dagegen, nur gebt «6 ung, 
wie andern Handiverfern, die feine Böhnbafen, befonders 
am unrechten Orte ſehen wollen. Uebrigens, feßte er vor⸗ 
ach hinzu, ſpielen wir nur, um unſere wiſſenſchaftlichen 
Talente zu entwiceln. Wir führen Lateinifche Komödien 
af, auch Stüde, die in der Mutterſprache gedichtet find. 
Beliebt es Euch vwiekeiht, einige kateinifche Dramen des 
Wnfterblicen Ylauti oder Zerentüi zu fehen? " 


140 Der Ritter und fein Burgkaplan. 


Nein, nein, rief der Ritter, deutſch, lieber Junge, 
deutſch; damit wir es alle verfichen können. Ich will fo 
viel Leute ang dem Städten dazu einladen, als der Rit⸗ 
terfaal fallen fann. Vielleicht beliebt es Euer Beftrengen, 
die gräulihe Tragddie vom weltberühmten Doftore Faufto 
zu fehen, nebſt einigen Hans Sachsſchen Nahıfvielen, worin 
vielleicht auch Barthel mit Erfolg auftreten könnte? — Ia, 
ja, ſprach der Nitter, das if gut, das ift ſchön. 

Co werden denn aud Euer Geftrengen uns gütigft 
vergeben, verfepte Seifert, ſich ernft verbeugend und uns 
einen ſchlauen Slic zumerfend, dag wir Euch fon geftern 
Abend Proben unferer Fähigkeiten abgelegt, und Euch ei⸗ 
nen Sthwank vorgefbielt baben, wm unfere Gaben zu fol 
hen Vorſtellungen zu beweifen, damit Ihr nicht die Katze 
im Sad Laufen folltet. — Wie denn? rief der Ritter halb 
zornig, habt Ihr geſtern mit mir Komödie gefbielt? Bor 
Euch Komödie gefpielt. ſprach Seifert, fid) ebrerbietig- were 
beugend. — Und der Bauernlümmel? — Wäre bei weitem 
wicht fo drolig geweſen, fiel Seifert dem Ritter in's Wort, 
wenn er fi wirklich gefürdtet hätte, 

Bel diefen Worten entftand draugen ein erſtaunlicher 
Lärm. Die drei Bedienten ftürzten mit bintigen Nafen 
herein, und Magten den Barthel an, daß er fie gebrägelt 
babe, ‚weil fie ihn einen Schalksnarren gefyolten. 

Schamt Euch, rief der. Ritter: drei ſolche Wichte, Die 
Nitterfnappen fein follten, laſſen fi von einem einzigen 
Bauer prügeln? Iept ſeh' ih, dag Barthel ein ganzer Kerl 
ift, tam in marte, quam in arte, mie die Gelehrten fa 
gen; und id babe Euch feinetwegen verziehen. Mein Burg- 
vogt foR Euch Schirmbretter verſchaffen und übermorgen 
foäteftens muß ein Städ im Ritterſaale aufgefüprt werden. 


Die Tabuletfrämerin. 14 
Der Kaplan wendete ein, daß die fhöne Hauie-lice dabei 
Schaden leiden könne. Ohne ſich aber an feine Einwen - 


dungen zu kehren, ftand der Nitter auf, und Iud uns ein, 
ihn auf die Jagd zu begleiten. 


Die Tabuletfrämerin. 





Wie Eeifert, durch Hülfe des Burgvogts, fo ſchnell 
im Saale eine Shaubühne errichten konnte, weiß id nit: 
id hatte für mid vollauf zu thun, weil id) die Hauptrolle 
in einem Stüde, der verlorne Sohn, ſpielen ſollte. 
Theils ‚hatte wohl Seifert nicht Zeit, den erſten Abend 
mitzufgielen, weil er zugleih Direktor und Mafhinenmei- 
fer war, theils habe ich ihn im Verdacht. dag er mid) als 
Folie für den Diamant feines Genies brauchte, damit man, 
wenn ich mid, vergeblich bemäpt hatte, feine Kunft nach 
Berdienft ſchatzen folle. 

Er hatte aber diesmal die Rechnung ohne den Wirth 
gemacht, denn ich erhielt außerordentlihen Beifall. Ich 
mar ein recht hübſcher Junge; und der Schaufpieler, der 
diefen Borzug bat, fpielt immer den Weibern zu Dante. 
In meiner Pracht und Herrlihteit erſchien ic im erſten 
und zweiten Afte keck und verwegen genug. Nachher im 
dritten, als ic mit den Echweinen aus einem Troge zu 
freſſen Hatte, ging ich freilich nicht mehr fo ſtattlich in 


142 Die Tabuletkrämerin. 


Kleidern einher. Die phantaftifhe, zwar etwas zerriffene, 
aber dod nicht weniger hübfhe Schaͤfertracht Meidete mich 
noch beſſer; Frauen und Maͤdchen hatten ein rechtes Mit⸗ 
leid mit meinen nagten Armen und Beinen, und weinten 
herzlich, al der graufame Water den verfaufenen Herrn 
Sohn nicht fogleich wieder zu Gnaden annehmen wollte. 

Als ich aber in langen langweiligen Knittelverfen Bel- 
ferung verſprach, mid dem Vater zu Fügen warf, und 
von ihm wieder in die Arme geſchloſſen ward, entftand ein 
entſetzliches Naſenſchneutzen, und des Händeklatſchens war 
fein Ende. Die Iufiige Perfon, der Schweinhirt, ward 
gar nicht beachtet. Nur einige alte Männer lachten über 
feine Späge, unter diefen der Nitter ſelbſt, der feine Vor ⸗ 
liebe für Barthel, der den Schweinhirten foielte, nicht 
verläugnen konnte. 

Ich wae fehr vergnügt, und als ich nach geendigtem 
Spiele Seiferten hinter der Bühne traf, drädte ich ihn 
brüderfiher, zugleich auch kecker an's Herz als je. Er em- 
pfing meine Liebtofungen ziemlich froftig, und ermiederte 
blos: es freue ihn, dag wir aud unter Leuten Glück ma- 
hen könnten, die fi auf die Kunft gar nicht verftänden. 
Das hätte ih nun Übel nehmen follen, I hatte aber Feine 
Zeit, mid) bei ihm aufzuhalten. Es ſollte draußen in einer 
Scheune gegeflen werden; eine lange Tafel mit Bänfen 
Rand ſchon bereit. Doch nach dem Effen verlangte mid 
eben nicht, obſchon ich mid) als verlorner Sohn tüchtig an- 
gegriffen hatte, Unter den Zuſchauern hatte id) ein ſchönes 
Maͤdchen entdedt, deren Blaue ſchmachtende Augen immer 
auf mid gerichtet waren, fo daß fie mid ein Paar Mal 
während des Spieles beinabe aus der Faflung gebracht 
hätten. Ihr ſchwarzes rothgeſaumtes Mieder und die weiße 


Die Tapuletträmerin. 443 


inewand, die ſich ehrbar an den keimenden Vuſen ſchlotz 
die herabhängenden gelben Flechten, und das Heine Räpp- 
den von Goldftoff mit geftreiften Spigen, das ihr den Hin- 
tertopf bededte, ohne die vorn geſcheitelten Haare zu ver- 
bergen, Mleideten Ae vorzüglich gut. Man fagte mir, fie 
fi die Zochter eines berumziehenden Krämers. I hatte 
fe gleich nah dem Scauſpiele mit einem Kaͤſtchen vol 
Spigen zu der alten Burgvögtin im obern Etode hinauf 
geben fehen, und kannte bereits das Haus fo gut, daß ih 
mußte, ich würde ihr, wenn ich mich beeilte, auf einem lan · 
sen halbdunkeln Gange begegnen. Mit klopfendem Herzen 
amd zitterndeu Knieen forang ich die Treppe binauf. Ich 
harte nicht lange gewartet, fo hörte ic) eine Thüre öffnen, 
und erfannte die leichte Fhöne Geſtalt, welche ſchnell durch 
den Gang zurück kam. Ein noch gewaltigeres Herzklopfen, 
cin ſtarles Gefühl fagte mir, daß id den Augenblick bes 
außen muſſe, wenn er nicht auf ewig verloren geben folle. 
Daß das Mädchen mir gut war, hatte id deutlich ge» 
matt, 

Als ihre im dunkeln Gange ploötzlich Iemand aufftieß, 
konnte fie ſich, uͤberraſcht, eines Kleinen Schreies nicht er- 
mehren. IA ergriff aber zitternd ihre ſchöne Hand! und 
fötterte leife: Um Gotteswillen, liebe Mamiell, fhreit 
nicht, lärmt nicht! Ich bin e6! Der verlorne Sohn ftebt 
vr Eu. — Mit diefen Bortm zog ic fie hin zu der 
matthrennenden Lampe, damit fie mid, und ich fie fehen 
fünnte. — Ach Gott, lieber verlorner Sohn, feid Ihr da, 
ſeufzte fie freundlich, und drüdte mir heftig die Hand. Im 
Nu lagen wir einamder in den Armen. Ihe Mund, ihre 
Hände, ihr Hals und Naden wurden von meinen Küffen 
bevedt, die ſie ſchweigend umd häpfig erwiederte. Es war 


144 Die Tapuletträmerin. 


ein herrlicher Augenblick. Liebe war es noch nicht, allein 
Verliebtheit im edleren Sinne, ohne Eitelteit, Verführung 
und Sünde. “ 
Gott weiß, wie lange wir noch, als Amor und Pſyche. 
im dunfeln Gange ftehen geblieben wären, hätte nicht die 
alte Burgvögtin ihre Mmarrende Thüre geöffnet. Sogleich 
war mein f&önes ſchüchternes Reh meinen Armen entflo- 
ben. Taumelnd folgte ih ihr die Wendeltreppe hinunter. 
An diefem Abende Hatte ich noch das himmliſche Vergnü⸗- 
‚gen, ihr zur Seite zu fipen. Ich wagte, ihre Finger beim 
Ueberreihen der Teller zu drüden; das Lit fie geduldig, 
ohne es jedoch zu erwiedern. Als ic es aber wagte, ihren 
Fuß ein wenig zu berühren, zog fie ihn ſchnell an ſich, und 
rüdte den Stuhl weiter von mir weg. Jet ward td un« 
gehalten, wollte nicht mit ihr reden, und wandte mich an 
meine zweite Nachbarin. Da ſprach fie mir aber wieder 
freundlich zu, fah mir liebevoll in die Augen, faßte gele- 
gentlih meine Hand, und als id) ihren Fuß wieder zu bes 
rühren wagte, drüdte fie den meinigen ganz leife mit der 
Epige des ihrigen. ine überirdiihe Glut durchſtrömte 
meine Adern, und als ih ihr in dem Augenblide einen 
Teller reihen wollte, hätte ich ihr beinahe die kochend⸗heiße 
Brühe in den Schooß gegoflen. Seifert aber, der ung 
‚gerade gegenüber an dem ziemlich fhmalen Tiſche faß, und 
mit einer ſehr hubſchen Frau in ein Gefpräd vertieft war, 
batte deſſenohngeachtet auch uns im Auge behalten. Er 
bog fid ſchnell über den Tiſch und ergriff den Teer, als 
er eben in. meiner Hand zu ſchwanken anfing. 
Nacqh geendigter Mablzeit ward im Mondfdein, weil 
es noch nicht fpät fhien, ein Spaziergang beſchloſſen. Um 
ſchneller nach der Heerftrage zu kommen, gingen wir durch 


Die Taputetträmerin. 145 


ein Meines Geboͤlz. Hier war eine Meine Mauer zu über 
fetten. Meine Schöne war hinauf gefiegen, und mir 
lag es ob, ihr berunter zu belfen; aus ehtfurchtevoller Ber 
feidenheit — eigentlich aus lauter Luft dazu — wagte ich 
«6 aber nicht, fie um die vollen Lenden zu faffen; ih um. 
ſhloß nur die niedlichen Beine tief an den Knöcheln; da- 
dur) verlor der Körper das Gleichgewicht, fie wantte, und 
bitte ich gewiß die Stirne auf dem Steinwall zerfälagen, 
wire nicht wieder gluͤclicherweiſe Seifert, der mit feiner 
weit ſchwereren Bürde bei weitem nicht fo blöde geweſen 
war, zugefprungen, und hätte meine fhmantende Schöne 
gerettet, 

Plagt Dip denn der Teufel, rief er, bit Du denn 
ganz tl? Willn Du beute Abend das liebe Kind auf ale 
möglihe Arten umbringen? Erſt fie lebendig verbrühen, 
und ihr dann den Kopf an den Steinen zerquetſchen? — 
Ab Gott, Liebe Mamfell, ſeufzte th Mäglih, und küßte 
ihr die Hand, — vergebt! Es ift aus lauter — aus lauter 
— 06. lauter — aus lauter Dummheit geiheben, rief 
Seifert, indem er uns verließ, und wieder feine Schöne 
fühte, die die Falten ihrer Kleider ausglättete. Das liehe 
Midchen wußte aber wohl, weshalb ich midr fo linkiſch be» 
Nagen, und hatte mir von Herzen vergeben. 

Am folgenden Tage war fie mit igrem Bater im 
Etadtchen und in der Grgend umher; erft den Tag dar- 
auf Abends fah ic) fie wieder, als im Ritterſaale die alte 
Ttagödie Doftor Fauft aufgeführt ward. Id fbielte dies⸗ 
mal nicht mit, war unter den Zuſchauern, und hatte mei- 
m Daß fo genommen, daß id meine Beine Taduletträ- 
merin während der Vorftelung immer im Ange behalten 
tonnte. Ach wie viel Liebesblide wechfelten wir nicht an 

Oehlenſ. Schriften. XVI. 10 


146 Die Taduletträmerin. 


diefem leßten Abende. Bir machten es aber zu arg. ihr 
Bater merkte Unrath, und als die Vorſtellung zu Ende 
mar, empfahl er ſich ſogleich dem alten Nitter und ging 
mit feiner Tochter fort. Cie wandte ſich noch in der Thüre 
um, löfte eine Meine rothe Echleife von ihrer Bruft, Tieg 
fie fallen, warf mir einen fügen Abſchiedetuß zu und ver- 
ſchwand. 

Ich eilte Hin und bemädtigte mid meines Schatzes. 
Noch babe ih die Heine Schleife, fie ift jeßt farblos und 
unſcheinbar. Das bolde Kind fah ic nie wieder. 

Nach der Vorftellung fpeiften Seifert und ich allein 
auf unferm Zimmer. Trotz meiner Liebe hatte ih dod in 
einigen aufmerffamen Augenbliden wahrgenommen, daß er 
die Role des Fauft ganz trefflich fhiele; mehrere ſchöne Ne 
den, Bilder und Einfäle waren au von ihm ſelbſt bin- 
zugefeßt; um der Darftellung mehr Lchen zu geben, und 
um die Leidenfhaft und den Character gewaltiger und na- 
türliper auszudrüden. Er begehrte aber gar nicht mein 
206, aud machte er ſich nichts darans, daß der alte Kit» 
ter und die ganze Gefellfhaft den Barthel als Casberl uns 
terhaltender als ihn in der tragiſchen Perfon ale Doctor 
Fauſt gefunden hatten. 

Ich hate mic ſchon ange daran gewöhnt, die Gleich⸗ 
güftigkeit und Undiligkeit der Menſchen zu verachten, ſprach 
er. Ber etwas Tüͤchtiges Teiftet, muß damit zufrieden fein. 
daß er es thue; konnen oder wollen andere es nicht begreie 
fen. defto ſchlimmer für fie. 

Du Haft ganz vortreflich geſpielt — ſprach ich mit ei⸗ 
nem tiefen Seufzer. — Was Verliebte und Trunfenbolde 
von mir fagen, antwortete Seifert, daran Lehr’ ih mid 
noch wenigen, ale an das, was nüchterne Philiſter ſchwaten 


Die Tabuletträmerin. 147 


Du haft wich ja gar nicht ſpielen fehen, fendern nur die 
Augen in den zwei blauen Zauberſeen der Trödelträmerin 
gebadet. Glaube jedoch nicht, dag ich derweil oben auf 
den Brettern mic als ein eitler Narr nur um trodne Lore 
deren und taube Näffe bemüht habe, mährend Du mit 
dem fhönen Kinde liebaͤugelteſt. Sahſt Du das herrliche 
Weib, das vorgeftern Abend neben mir faß, als Du nabe 
daran warft, die Brühe in den Schoos Deiner Holden zu 
verfütten? Mit der vollen feten Bruft, dem ſchlanken 
Leib, den ſchneeweigen Armen und Händen, und dem üp⸗ 
digen Haarwuchſe? Wohl fah id fie — war meine Aı 
wort. — Freilich war fie fhön — fie fhien mir aber et⸗ 
mas zu Sinnliches und Leichtfertiges in ihrem Weſen zu 
daben. — Defto leichter werd’ ih mit ihr fertig werden, 
erwiederte Seifert. Das iſt meine Geliebte, und wir were 
den jeßt fehen, wer von uns beiden die fhönften Früchte 
feiner Liebe ärntet. 

Ich war zu erhaben geftimmt, zu wehmüthig und zu 
troſtlos, um länger bei dieſem fanguinifchen Liebhaber zu 
verweilen. Er aß mit größtem Appetit einen ganzen Ka⸗ 
paun, und trank dazu häufig alten Rheinwein auf die Ge⸗ 
fundpeit feiner ſchönen Bäderin. Ich ſchlich mich aus der 
Tbür, nachdem if) zuvor mein Federmeſſer zu mir geſtect 
batte. — Wie denn? rief er mir nah — Du wirft Did 
doc nicht todtſtechen? Heute Abend haben wir des Tra⸗ 
Vdienwefens genug gehabt; vergiß nicht, daß Du übermor« 
gen den Knecht in dem Hans Sache ſchen Narrenſchneiden 
u ſpielen haft. — Ic will nur ihren Namen in einen 
Baum fhneiden! feufzte ih, — Eo thu' mir den Gefallen, 
tief er; und. fpmeide den Namen der meinigen daneben. 
Cie heißt Gatharine, Venediste, Eliſabeth Zenerawii 

10° > 





148 Die Tabuletträmerin, 


Du mußt aber zu allen diefen Vuchſtaben einen tüͤchtigen 
Mämmigen Baum erwaͤhlen, mit üppigem Laube und glat- 
ter Rinde, wie fie felber it. Hüte Did au, dag Du, 
hei allen den frummen Cis, Es und B's, die ſchwer zu 
machen find, befonders im Mondſchein, Did nicht m die 
Finger ſchneideſt, oder das Meſſer zerbrichſt. 

Ich lief ins Gehölz, und blieb zuerft an dem Stein- 
walle ſtehen, wo ich nahe daran gewefen war, aus ſchuch⸗ 
terner Liebe das holde Kind zu tödten. Die fhönen Beine, 
wo Sartheit und Fülle einen fo retzenden Begenfap mache 
ten, ftellten fid) wieder vor meine Phantafie. Dann dachte 
ich mir recht deutlich ihr herrliches Geſicht mit den gefcyeis 
teiten Flachchaaren, den herabhängenden Flechten und dem 
goldenen Käppchen mit den gefteiften Svihen. 

Ein großer Baum ftand dort, und fehrte feine glatte 
lichtgraue Rinde gegen den Mondſchein. Schnell machte Ih 
mein Federmeſſer auf, wollte ſchneiden — und jetzt erſt fiel 
es mir cin, daß ich ihren Namen nicht wife. Ich begriff 
nicht, wie es möglich fei, daß id den Namen von der nicht 
wife, die ich ſchon fo gut kannte. Ih war untröftkidy. 
Nict einmal ihr Name! Ib warf mic auf eine Banf 
and zerfhmolz in Thränen. Ein Meines luſtiges Eichhorn 
büpfte in den Zweigen herum, faß aumellen im Mondfheine 
ſtill, legte den prädtigen braunen Schweif hinauf gegen 
den Rüden, und ſchien mid, der ich mit verfhräntten Ar» 
men ganz fill in meinen Träumen verfunfen faß, für ein 
böfzernes Bild zu halten. Id hatte noch nie vorher ein 
ſolches Thier aeſehen; die niedliche Erſcheinung zerftreute 
mic auf einen Augenblick. Bald ſtellte ſich aber die Weh⸗ 
muth ſtaͤrker ein. Ich ſchnitt das Wort „Geliebte“ in 
den Baum, Füßte die Buchſtaben, und machte jept einen 


Die Tabuletkrämerin. w 


weiten Weg in der Richtung. nach welder fie mit ihrem 
Vater gereit war. Müde und matt fam ic) von der Wan⸗ 
derung zurüd. Ich wollte das Wort: Geliebte, nochmals 
füffen, und dann mit meinem Kummer zu Be.te geben. 

Als id) mic dem Baume nahete, las ih: „Beliebte 
Catharine Benedicte Eliſabeth Mefferfhmidt.“ 
Der Sqatt Seifert hatte mir, fe fhläfrig er war, noch 
beute Abend diefen Streich gefpielt. Id fand das Denk 
mal meiner Liebe durch feine Poſſe entweiht. Erft wollte 
‘6 alles abfäyälen, dann nur der Bäderin Namen wege 
ſchneiden. Zuletzt grif ich zu dem Mittel, nur das von 
mir geſchnittene Wort „Geliebte“ zu vertilgen, und ließ der 
Vüderin Namen ftehen. Aber, gleich der Spinne, die, wenn 
man ihr Gewebe zerreißt, unverdroffen mieder in einer ans 
dern Ede ihre Arbeit anfängt, ſuchte id mir in der Nähe 
einen zweiten Baum, von Gefträuh ummadhfen. Hier 
drängte ih mich durd Dornen und Zweige, und adıtete 
nicht der Wunden; vielmehr waren fie mir lieb, weil fle 
mir für meine Infhrift Sicherheit gewährten. In diefem 
verborgenen Helldunkel konnte ih nun mein Bort „Ger 
liebte“ anbringen, ohne zu fürchten, daß es von abgefhmads 
ten Iufägen profanirt werde, 

Ach Bott, Kinder! wir alten vernünftigen Leute fcher- 
#n immer, wenn wir von jugendlichen Auftritten der Liebe 
fbrecen. "Im Grunde ift es nur Neid, weil wir ſolch ei- 
Mes Gefuͤhles nicht länger fähig find, weil wir ſolche bitter⸗ 
füge Freude nicht mehr koſten fönnen! „Sie find fauer,“ 
It der Fuchs von den Weintrauben, die ihm zu bed 
ingen! 





148 Die Tabuletträmerin, 


Du mußt aber zu allen diefen Vuchſtaben einen füdhtigen 
fämmigen Baum erwähfen,. mit üppigem Laube und glat- 
ter Rinde, wie fie felber if. Hüte Did auch, daß Du, 
hei allen den frummen &’s, E's und B's, die ſchwer zu 
machen find, befonders im Mondſchein, Did niht in die 
Finger ſchneideſt, oder das Meſſer zerbricht. 

Ich fief ins Gehölz, und blieb zuerft an dem Stein« 
malte ftehen, wo id) nahe daran geweſen war, aus ſchüch⸗ 
terner Liebe das holde Kind zu tödten. Die fhönen Beine, 
wo Bartheit und Fülle einen fo retzenden Gegenſaß made 
ten, fieltten ſich wieder vor meine Phantafie. Dann dachte 
ich mir recht deutlich ihr herrliches Gefiht mit den geſchei⸗ 
teiten Flachchaaren, den herabhängenden Flechten und dem 
goldenen Käppchen mit den gefteiften Spigen. 

Ein großer Baum ftand dort, und fehrte feine glatte 
lichtgraue Rinde gegen den Mondſchein. Schnell machte ih 
mein Federmeſſer auf, wollte fhneiden — und jetzt erft fiel 
es mir cin, dag ic ihren Namen nicht wie. Ich begriff 
nicht, wie es möglich fei, daß ich den Namen von der nicht 
wiſſe, die ich ſchon fo gut kannte. Ich war untröſtlich 
Nicht einmal ihr Name! Ih warf mid auf eine Bank 
and zerſchmolz in Thränen. Ein Meines luſtiges Eichhorn 
büpfte in den Zweigen herum, faß zuweilen im Mondſcheine 
fill, fegte den prächtigen braunen Schweif hinauf gegen 
den Rüden, und ſchien mid, der id mit verfräntten Ars 
men ganz fill in meinen Träumen verfunfen faß, für ein 
bötzernes Bild zu halten. Id hatte nod mie vorher ein 
ſolches Thier aefehen; die niedliche Erfheinung zerftreute 
mic auf einen Augenblick. Bald ftellte ſich aber die Weh⸗ 
muth ftärker ein. Ich ſchuitt das Wort „Gelichte“ in 
den Baum, fügte die Buchſtaben, und marhte jetzt einen 


Die Tabuletkrämerin. ww 


weiten Weg in der Richtung. nad) welder fie mit ihrem 
Vater gereiſt war. Müde und matt kam id) von der Ban- 
derung zurüd. Ich wollte dag Mort: Gelichte, nochmals 
füffen, und dann mit meinem Kummer zu Be.te geben. 

Als id) mic dem Baume nahete, las id: „Geliebte 
Catharine Benedicte Eliſabeth Meſſerſchmidt.“ 
Der Spalt Seifert hatte mir, fe ſchlaftig er war, noch 
beute Abend diefen Streich gefpielt. Ich fand das Denk» 
mal meiner Liebe durch feine Poſſe entweißt. Erft wollte 
id alles abſchaͤlen, dann nur der Bäderin Namen wege 
ſchneiden. Zuletzt griff ich zu dem Mittel, nur das von 
mir gefpnittene Wort „Geliebte“ zu vertilgen, und ließ der 
Väderin Namen ſtehen. Aber, gleid der Spinne, die, wenn 
man ihr Gemebe zerreigt, unverdroffen mieder in einer an⸗ 
dern Ge ihre Arbeit anfängt, ſuchte id mir in der Nahe 
einen zweiten Baum, von Gefträuh umwachſen. Hier 
drängte ih mich durch Dornen und Zweige, und achtete 
nicht der Wunden; vielmehr waren fie mir lieb, weil fie 
mir für meine Inſchrift Sicherheit gewährten. In diefem 
verborgenen Helldunkel konnte ih nun mein Bort „Ber 
Iiehte“ anbringen, ohne zu fürdten, daß es von abgeſchmac⸗ 
ten Zuſätzen profanirt werde. 

Ach Gott, Kinder! wir alten vernünftigen Leute fcher- 
gen immer, wenn wir von jugendlichen Auftriiten der Liebe 
foredien. Im Grunde ift es nur Neid, weil wir ſolch ei- 
nes Gefühles nicht länger fähig find, weil wir ſolche bitter- 
füge Freude nicht mehr often können! „Sie find faner, * 
im der Fuchs von den Weintrauben, die ihm zu bad 

ingen! 


10 Die Bäderin. 


13. 
Die Bäderim 





So ſchnell aber meine Liebe entftanden mar, eben fo 
bald erfaltete ie wieder, da fie feinen under mehr hatte. 
Nac dreitägigem Träumen, Seufzen und Meinen fing ich 
an mich zu erhofen. Sogar nad der Eündflut hörte ja 
der Negen auf, warum follten die bitterften Menfhenthrä- 
men immer fliegen? Der Engel des Lebens hat bei der 
Dornenbede des Kummers die Mohnblume der Vergeßlich⸗ 
keit gepfianzt; fonft Fönnten wir es bier auf Erden nicht 
aushalten. Nur mild und blau, reizend und wehmüthig, 
foll die Erinnerung verſchwundener Freuden in unferm Her 
sen blüben, wie das Meine Bergigmeinniht am Bachesufer. 
Melancholiſche Leute, dei denen der Schmerz Krankheit und 
Gewohnheit geworden, nennen es Leihtfinn umd Untreue, 
wenn gefundere Naturen ſich naq erlittenem Berlufte faſ⸗ 
fen, wenn fie wieder zu hoffen und ſich zu freuen wagen. 
I% nenne das aber eine herrliche Gabe Gottes, die feine 
Mißbilligung, nod weniger Verachtung verdient. Untreue 
und Leichtfinn zeige ih, wenn ich das Vorhergeliebte ohne 
Grund verlaffe, bios weil ich in mir feine Kraft und Luſt 
fühle, ein ſchoͤnes edles Gefühl Länger feſtzuhalten. Wenn 
aber das Geliebte mic verläßt, oder wenn es liebenswür 
dig zu fein aufhört, dann liegt ja die Untreue nicht in mir, 
fondern in den Umftänden, oder in dem Gegenftande. Frei⸗ 
U giebt es gewille Verluſte, wenn uns der Tod das 
Theuerſte und Langgewohnte ploöͤhlich entreißt, die und ganz 


Die Bäderin. 151 


zu Boden ſchmettern, ja wohl gar vernichten Können. Hätte 
i zum Beifpiel in glüdlihern Jahren meine Concordia 
oder eins meiner lieben Kinder verleren, ich weiß nicht, was 
aus mir geworden wäre. Hier mar es nun aber leicht. fih 
nad) einer flüchtigen Liebe zw faſſen. Ich troduete weine 
Augen, fügte die Meine rothe Schleife feltner, verwahrte fie 
aber noch immer auf der Bruft. Endlich flog ich fle in 
ein Schaͤchtelchen, und betradtete fie alle halbe Jahre ein» 
mal als liebliches Denkmal fhöner Etunden. 

Unfer Verhaͤltniß zum alten Nitter Gurt von Anaufe 
degen hatte fid) bald geändert. Er war von jenen joviali- 
ſchen heftigen Menſchen, die zuweilen zu irgend einer Sache 
große Luft bekommen, fie aber bald wieder fahren laflen. 
Seifert aber, der ſonſt nicht Ruhe hatte, an einem Orte zu 
verweilen, wollte diesmal nicht fort. IA wußte wohl war 
Tum; es war die fhöne Bäderin, die ihn bielt. 

Eines Tages nahm mid Seifert beifeite und ſprach: 
Albert, Du bift. freilich noch aicht mein Vertrauter, es 
Ummt aber nur auf Did) an, es zu werden; und follteft 
Du es auch nicht fein wollen, fo muß ih Did dazu zwin⸗ 
gen, denn mein Geift kann ohne Mittheilung nicht fein. 

W erwiederte: Weshalb braucſt Du meinen Buſen 
um Deine Gefühle auszuiaden? Ich dähte, Du hätten 
einen weit beflern gefunden, unter deſſen Doppelgewölbe 
ap genug zum Ausladen fei. — Du meint den Bufen 
der Bäderin, fprad Seifert, Freilich iR der fehr ſchön 
auswendig, ich weiß aber noch nicht, wie es mit den Ger 
wölden drinnen beſchaffen it. IC fürdte halb und halb, 
dap es nicht gebener im Keler fei. Haft Du nicht von den 
getüuchten Gräbern gehört? — Wie meint Du? frug ih 
eraft, — Gefühle dab’ ih chr aun Freilich nicht witzutbel- 


152 . Die Bäderin. 


len, ſprach Seifert, da Du überhaupt weißt, daß id nicht 
zu den empfindfamen Leuten gehöre. — Ich ſprach: Sei ⸗ 
fert, Hüte Did, dag Du nicht ſelbſt ein Fauſt wirt! Ich 
fürchte, Du haft diefe Rolle zu gut begriffen. An etwas 
muß der Menſch mit Liebe und Treue halten. — Du denk 
an Deine Zabuletträmerin, forad Seifert lachend. Das 
fanfte Kind alidy zwar einem Monde; und ich glaube, das 
junge Blut hätte gern immer als treue Trabantin um 
Deine Irdiſchheit getrippelt, wenn es das Verhängnig, im 
der Geſtalt des ſtrengen Vaters, erlaubt Hätte. — Daß ih - 
aber kein Fauft fei, ſehſt Du aus meiner Offenheit gegen 
Did, und meiner Scheu gegen die Bäderin. Sie ift wc- 
der Sonne noch Mond, fondern ein ſchöner feltner Komet, 
mit langen fliegenden Goldhaaren; aber ohne Ken. Und 
wenn man in die Natur nicht eine beflere Einſicht hätte, 
könnte vielleicht eine ſolche Naturerfheinung, bei weniger 
Suverfihtigen, Schauer und Grauen erregen. 

Ih will Dir geftehen, ſprach er, als er meine Neu⸗ 
gierde aufs Höhfte gefpannt hatte, dag id die ſchöne 
Bitwe mehrmals befuht habe. Was nun meine Zorna- 
rina betrifft, fo hat fie zwar Leidenfhaft, Gefühl und 
Feuer, ich fürchte aber, fie fei tol und mahnfinnig. Frei⸗ 
lich weiß id) nod nichts Rechtes Erſt Heute Abend, beim 
Vollmonde, hat fie verſprochen mir alles zu entdeden; denn 
foldye Mittheilungen laſſen fid) nicht am hellen Tage Ihun. 
Du lachelſt, Albert? Nur unter der ausdrücklichen Bedin- 
gang ift es mir heute Abend zu kommen erlaubt, dag ich 
ſelbandrr erſcheine, und einen Vertrauten ans der Bande, 
wie fie es nennt, mitnehme. Ich habe Did vorgeſchlagen. 
Nun ja, rief fie, er mag kommen! Er ift ja auch don um 
fern Leuten. Ich wollte wien, was Ae mit den Worten: 


Die Baͤterin. 153 


„von unfern Leuten,” fagen wollte. Immer miſcht fie 
die Deen und Borftellungen fo fonderbar! So nannte fie 
mic zum Beifpiel einmal, als id ihr eifrig die Hand Lüpte, 
ihren fieben Fauſt, und verdrehte dabei die ſchönen Augen 
fo wahnfianig, daß mir beinabe unheimlid bei ihr ward. 
Bahrfgeintich ift fie etwas verrüdt, und mähnt mit Deren 
und Zeufeln Umgang zu haben. Sollte fie mid aber in 
der That nur lieben, weil fie in mir einen Teufel ſieht, fo 
mußt Du mir do gefteben, daß eine ſolche Liebe eben 
nicht viel Schmeichelhaftes und Angenehmes für mid ba 
ben- könne. 

Ihr begreift, mit welcher gefpannten Erwartung id 
meinen $reund zu feiner wunderbaren Licbſchaft begleitete. 
Bir öffneten die Thüre zum Bäderladen, die Glode klin⸗ 
gelte, der angenehme Geruch von friſchen Preßeln mit Ko⸗ 
tiathen und Nefinen, der uns entgegen fam, erinnerte mid) 
an Zage der Kindheit, wo id, wenn id einen Kreuzer 
hatte, gern binlief, mir einen Zudirkringel zu kaufen. Die 
Bälerin fand im Laden, und id) muß gefteben, daß ich 
nie ein üppiger blühendes Weib gefeben habe. Ihre Hemd» 
ärmel, nach Bäderatt, bis zu den Schultern aufgerollt, lie- 
ben die fhönften Arme fehen, und Hände fo weiß wie Mehl. 
Der Bafen war vom dunfelbraunen.Bruftlage bededt, ohne 
die prächtigen Formen zu verbergen; um das Haupt wan⸗ 
den ſich die maͤchtigen Flechten, von denen Seifert mit fo 
großer Befonnenheit geſprochen hatte; ihre großen blauen 
Augen funtelten wild, und es Ioderte eine fonderbare Ver⸗ 
dung darin. 

Sie gebot dem Lehrburſchen im Laden aufzupaffen, 
drauf ließ fie ung in ihre Stube treten, wo alles niedlich 
und ordentlich war. Der Kanarienvogel aber zwitſcherte 


154 Die Bälerin. 


laut im Fenſter, zum Yerger für Seifert, der folhen Vo⸗ 
gelgefang im Zimmer nicht ausſtehen konnte. Sie lachte, 
weil fie bereits feinen Widerwillen gegen den Vogel kannte, 
und als fie den Heinen Schreier dadurd zum Schweigen 
gebracht hazte, dag fie ein weißes Tuch über feinen Käfig 
marf, lud fie uns ein, auf dem Kanapee ncben ihr Platz 
zu nehmen. Hier erlaubte fie Seiferten, ihre [hönen Hände 
mit Küffen zu bededen, an den Mund durfte er fih aber 
nit wagen. Sie gab ihm jedod ſelbſt unbefangen einen 
Ku und ſprach: Da wir nicht allein find, und da ich weiß. 
dag es Eud Vergnügen macht, folt Ihr einen Kuß baden. 
Wenn wir aber allein find, mügt Ihr fein beſcheiden fein, 
was mwärde fonft Eure Geliebte, die Herzogin von Parma, 
dazu fagen! 

Seifert, der mit dem Stege noch lange nicht zufrieden 
war, und der das Lächerliche feines Verbältniffes fühlte, 
machte zum erften Male in meiner Gegenwart ein albernes 
Geſicht, und ftrih fi den Mund. Herzogin von Parma, 
ſprach er zu mir, während fie aufftand und zum Senfter 
ging. da hat fie mich wieder für den Zauft genommen. 

Die Bäderin kam zurüd, und ſprach geheimnigvoll: 
Der Vollmond leuchtet über die Bäume, jept ift die Stunde 
da! Seid jept aufmerkſam, lichen Jünglinge, und miß- 
braucht nicht das Vertrauen, das ich zu Euch habe. 


Die Here. 155 
1a. 
Die Here 





Id will Euch ohne Furcht meine Bekenntnifle ablegen 
— fuhr fie fort — weil andy Ihr Menſchen ſeid, die ſich 
wenig um die Vorurtheile der Belt fümmern, fondern viele 
mehr gewagt haben, Euern Bund und Eure Gemeinfhaft 
mit den Geiftern zu offenbaren: fretlich nur verblämt, dar 
mit Euch der Arm der Obrigkeit nicht erreiche. 

Eofitet Ibr mich .verrathen, fo dag meine jungen lie 
der von den beißhungrigen Flammen verzehrt würden — 
dann nehmt Euch nur in Acht! Lucifer. die Frau Venus 
und Bachus werden mich räden. und Euch ein aͤhnliches 
Bad einheizen. Uebrigens muß man fd) daran gewöhnen, 
in Flammen zu leben, denn das wird doc das Ende vom 
Liede. Lagt Eud) aber durd eine kindiſche Furcht nicht irre 
machen. Nah dem Tode zieht Ihr einen andern Körper 
am, der ſich im euer fo wohl befindet, als der Salaman- 
der, und als die irdiſchen Glieder jept in der Luft. Wie 
wärden die Teufel fonft fo art und luſtig fein, wenn fie 
ſich in den Höllenflammen nicht wohl befänden? 

Seifert ſah mid) bedaͤchtig an, und ſprach: Eie ift aus 
meiner Säule, und geht nur einen Schritt weiter; in ih⸗ 
ter Gegenwart möchte ich mid) indeß felbft noch für einen 
Vhlifter erkennen. 

Düne ſich um feine Zwiſchenrede zu kümmern, fuhr fie 
fort: Mein Vater war ein reicher Bäder, und das gefunde 
Bred, das er dut, bekam meir in der Kindheit trefflich wohl; 


156 Die Here. 


auch genoffen wir übrigens ſtets gufe Speiſen. So wuchs 
ich denn in die Höh' und in die Breite, und im zwölften 
Jahre war ich ſchon ein erwachſenes Maäͤdchen. Mein Bas 
ter aber war ein graufamer Mann, der mid) zu meinen 
Sünden durdy Härte verleitet hat. Doch jept kame die Neue 
zu foät, und fann ih nicht in den Himmel kommen, will 
ich mir wenigftens die Hölle fo angenehm als möglich vor- 
ſtellen. Möge Gott meinem Bater vergeben, und ihn in 
feinen Himmel genommen haben; denn ſollte id aus irgend 
einer Urſache die Hölle ſcheuen, ſo wäre es, weil ih fuͤrch ⸗ 
ten müßte, meinen Vater dort wieder anzutreffen. 

Ich hatte eine ältere Schweſter, die aher bei weitem 
nicht fo hubſch war, als ih, denn die Blattern hatten ihr 
das Gefiht ziemlich übel zugerichtet, weil fie jedoch flint, 
fromm und gut gewadjfen war, und weil mein Bater Ber- 
mögen befaß, hatte fte dennoch einen Bräutigam bekommen, 
einen Müller aus der Nachdarſchaft. Ih dahte: Kommt 
Zeit, kommt Rath! Du wirft wohl auch cinen Mann Fries 
gen, wenn du dich gut aufführft. 

Ein junger Bädergefell war bei meinem Vater in 
Dienſt getreten, ein fehr bübfhyer Junge von zwei umd 
zwanzig Jahren, Namens Jofenh. Wenn er Nachmittags 
unter dem Thorwege fand, nach Bäderart im weißen Kit« 
tel, langen leinenen Hofen, eine rothe Müpe fhräg auf 
den braunen Haaren, dic nakten Arme über einander ge⸗ 
ſchlagen, und ih auf der Banf ſaß und ftridte, konnte ich 
nicht umbin, mich mit ihm in Gefpräh einzulaffen, und 
nad) den nakten Armen zu ſchielen. Denn die Bäder, 
(Prach fie, indem fie mit der Hand nach den Flechten griff, 
um eine 2ode in Ordnung zu bringen) haben immer fhöne 
Arme, Das bekommen fie durch die tägliche Arbeit; durd) 


Die Here. 157 


das Hineinfhieben und Herauszichen des Broich auf den 
Scaufeln im Badofen, ſchwellen ihnen die Muskeln des 
Dberarms fchöner und Eräftiger. Ic habe freilich nie fo 
harte Arbeit gehabt, bei den Weibern iſ's auch nicht nö- 
thig, fie können ohnedics hubſche Arme befommen. 

Es währte nicht lange, fo entdecte mir Iofeph feine 
Diebe, ich geftand ihm mieder, Daß id ihm gut fei, ging 
am Vater und fprad: Water, Malchen hat den reihen 
Müller geheirathet, gieb mir den Bädergefellen, fo kann er 
Dein Gehütfe werden? Wır leben wie im Paradiefe, mad» 
ten, baden und würzen unfere Kuchen. — Er antwortete 
indeß: Du unverfhämtes Ding; Du Gelbſchnabel, kaum 
noch dem Fiügelkleide entwachſen, wagſt Du fhon von ei» 
nem Manne zu reden? Ich antwortete: Ic kann noch ein 
Baar Jahre warten, wenn 16 Euch recht it! Mir wär's 
eben gleich recht. Er gab mir ein Paar tüchtige Maul- 
füeten, und verſicherte mich, wenn ich ein einzigesmal wieder 
von Jofeph rede, merde id noch die Ruthe befommen. — 
Ib ſchwieg und liebte in der Etikie. Unten im Garten im 
Suthaufe trafen wir uns oft Des Abends. und da ging es 
dran auf ein Küflın los. 

Mein Vater kam eink Abends gegen feine Bewohn 
beit, fpät in den Garten. Bir fagen in der Iasminlause, 
und da waren mir denn fiher genug, denn der Alte mochte 
die Jasminen nit riechen. Uns dufteren fie aber füß und 
liieblich; und alles wäre noch gut abgelaufen, wenn nur der 
unvorfihtige Iofenh das Schmapen hätte unterlaffen fün« 
nen. Ich hatte es ihm mehr als hundertmal verboten und 
defohlen, daß er leife füffen folle; id minkte, wenn er es 
doch nicht Heß, mit der Hand, weil id in dem Augenblicke 
nicht ſprechen konnte; es half aber alles nichte. Ein Kuß 


158 Die Here 


ohne Schmatz, fagte der leichtfertige Burſch, if, ale ob 
man die Lippen mit Bein feuchtete ohne zu trinten. Iept 
gingen ihm leider die Augen auf. Diefer einzige Schmaß 
bat uns unglüdiidh gemacht, und mic, zur Hölle verdammt. 
Mein Vater hörte das Küffen, trat in die Laube, und traf 
mic) auf dem Schooße des Zünglings. Joſeph forang auf, 
und eilte in feiner Angſt davon. Ich faß wie verfteinert, 
und wagte es nicht, die Augen aufzuſchlagen. Id war auf 
eine entſezliche Strafpredigt gefaßt, mein Vater war aber 
todtenblaß, zitierte vor Aerger, und befahl mir fogleic, 
ohne Abendbrod zu Bette zu gehen. — Ich date: wenn 
es nur das ift, und ſchlief rubig ein. Kaum hatte ih aber 
eine balbe Stunde gefhlafen, fo ward ih durd ein Ge 
räuſch gewedt. Ich börte die Stimme meines aufgebrad- 
ten Vaters und einer alten Wärterin Mariane, die ihm 
war ergeben war, die aber aud mic lieb hatte. Eie 
rief: Unterlaßt es do, Herr! fie ift ja fein Kind mehr; 
es ſchidt ſich nicht — es half aber alles nichts: der un« 
barmderzige Vater geißelte mich bis aufs Blut. 

Ohne ein Wort zu fagen, ging er aus der Thüre; | 
ohne ein Wort zu fagen erſchien ih am folgenden Tag bei 
Zifhe. Allein mein Beſchluß war gefaßt, ein tiefes Rache» 
gefühl bemaͤchtigte ſich meiner Seele. Ich wollte mid) aufs“ 
empfindlihfte räden, und meinem Water zeigen, daß ic 
kein Kind fei. 

Iept beſuchte mich Joſeph heimlich alle Abende, und 
fo lebten wir drei Monate lang in Herrlihkeit und Freude. 
— Die alte Mariane wußte von unferem Verbältniffe, war 
aber gutberzig genug, uns nicht in’s Verderben zu ftürzen. 
So bing der Himmel einftweilen für uns vol Beigen. 

Der Krug.geht aber fo lange zu Waſſer, bis er bricht. 


Die Here. 159 


Mein Bater entdedte die Folgen einer Liebe, die der Pre⸗ 
diger noch nicht gefegnet hatte, und ſchäumte vor Wuth. 
Und da muß ich denn geftchen, dag mein lieber Iofenh wer 
nig Herzhaftigfeit verricth; denn ftatt mir beizuſtehen, ſtatt 
dem Zorme meines Vaters mit Bitten und vernünftigen 
Vorftelungen zu begegnen, ging er in die Fremde, und 
wir haben ihn nachher nie wieder gefeben. Das will fagen 
in der Wirklichkeit; denn wie ich ihn durd) Zauber wieder 
gefunden, und mit ihm glädlihe Stunden verlebt habe, 
werde ih Euch glei erzählen. 

Statt ung alfo mit einander trauen zu laffen, wodurch 
das ganze Uebel gehoben worden wäre, freute es meinen 
Vater, durch Starrfinn und Race uns Beide und ſich felbn 
ws Elend zu flürzen. Sein Haus beftand aus vielen Ge- 
bäuden mit mehreren Höfen. Hinten war ein Gewölbe 
unter einem Bachauſe, deſſen zwei Beine Gitterfenſter auf 
den Hühnerhof und das Gemüegärtchen gingen. Da ſperrte 
er mid ein, erft bei Waſſer und Brod, nachher auf magere 
Koft. Allein die alte Mariane, die ſchlau genug war, ſich 
bei ihm von allem Verdachte zu reinigen, ward wieder 
meine Aufpafferin; fie verſchaffte mir ein guted Bett, gute 
Sprifen, und fland mir bei in einer gef. brlihen, durch 
SEdrec und Verzweiflung zu früh herbeigeführten Stunde, 
die mich freilich viele Thraͤnen koſtete, mid aber zugleich 
davon befreite, ein unglückliches Pfand meiner unfeligen 
Liebe taͤglich vor Augen zu baben. 

Durch die gute Pflege der alten Mariane gewann ich 
bald meine vorige Gefundpeit, und: plühete wie eine Rofe. 
3b aß gut, fhlief beſſer, hatte aber feine Bewegung. Mein 
Zeitvertreib war durd’s Fenſter zu fchen. Dort im Gar 
ten dufteten die Aranfemünzen und Nefedas recht erauid« 


160 Die Here 


lid, und erinnerten mich an die Iasminlanse, wo id fo 
glüdlicy geweſen war. Durch's andere Zenfter fah ic die 
Küdjlein im Hofe herum geben, die Enten ſchwammen im 
Heinen Teiche, der Hahn ging ſtolz und trekig mit blutro⸗ 
then Kamm, wie der türkifche Sultan in feinem Harem, 
von Hühnern umgeben. 

Trat ih dann einen Schritt zurüd, fo fand ih mid 
verlaſſen im öden dunkeln Gewölbe, mit meinem Bette, 
meinem Stuble, meinem Tifhe und meinem Nähfäfthen. 
Die gute Muriane hatte mir auch die Bibel und einige 
weltliche Bücher verſchafft; dies half mir aber zu nichts, 
denn ich konnte nicht ordentlich Icfen, anftrengen mochte ich 
mid) nit, und fo gingen mir denn alle Freuden verloren. 

Jetzt ftellten ſich Nachts fonderbare Träume bei mir 
ein, oder richtiger, Erſcheinungen. 

Eines Adends jpät konnte id) durdaus nicht einfhlas 
fen, ich dachte an meinen treulofen Joſeph. I bagte ihm. 
meil er mid fo feige verlaffen hatte; feine Zicbenswürdig- 
keit rief ich mir aber aud) in’s Gedächtnig zurück, und wäre 
er in diefem Augenblide gekommen — ich hätte ihm germ 
vergeben. Endlich ſchlief ich ein. 

Bald aber erwachte ich wieder durch den leiſen Druc 
einer warmen Hand; ich frug entſeßt, wer da ſei? Und 
fiehe, da ftand Iofeph vor mir im weiten braunen Man« 
tel, warf ſich vor mir nieder, küßte mir die Hände, und 
flehte mit weinenden Augen um Vergebung. 

Ich wollte ihn in meine Arme dräden, da wich er zu⸗ 
rüd und beklagte, daß er gleich wieder gehen müſſe. Beim 
Weggehen büllte er fi) in den Mantel, als er aber durchs 
Zimmer ging, fah ih ihm einen Ummeg machen, um dem 
Tiſche, wo die. Bibel lag, nicht zu nahe zu fommen; auch 


Die Here, 161 


entdedte ich umter dem Mantel einen Pferdefuß; und er 
verſchwand durchs Kaminloch 

Mic) ſchauderte und id dachte: Hat der Teufel fein 
Epiel gehabt? Indeſſen fehnte ich mich doch wieder nad) 
der folgenden Naht. Die Naht kam und Iofenh mit ihr, 
3 wagte nicht, ihn um etwas zu befragen; er war mir 
wu lieb, und ich fürchtete, feine Vertheidigung möchte nicht 
dinlãnglich fein. Er beſuchte mid ale Nähte einen gan. 
im Monat bindurch immer nur auf wenige Yugendlide 
und mit einer deutlihen Uncuße, 

Da ich merkte, dag ihm die Bibel auf dem Tifche, in 
der ich doch micht leſen konnte, im Wege fei, gab ich fie der 
alten Mariane zurüd. Das half etwas, Iofeph verweilte 
jept länger, und ging fed durch die Stube zum Ramin- 
loße; er verſchwand mir aber immer zu früh, und id 
dachte: könnten wir uns doch länger und ungeflörter an eie 
mem angenehmern Orte treffen. 

Die alte Mortane, die mid) täglich beſuchte und mir 
mein Eſſen brachte. wunderte fi darüber, mid fo verän» 
dert zu finden. Denn feit ich meinen Iofeph wieder ſab. 
war meine alte Heiterkeit zurädgefehrt; zwar ängftigte mid) 
fin Hferdefug, und dag er durchs Kaminloch verſchwand; 
ich dachte aber: Du mußt di wohl, was diefen Punkt 
darift. geirrt haben, und Heß cs dahin geftellt fein. Es 
that mir nur Leid, daß er immer fo große Eile Hatte. Auch 
war fein Blick finker und feine Liebtofungen krampfhaft. 
Ginmat drüdte er mi beim Weggeen fo fett gegen eine 
Dufenfemake feines Maniels, dag id) vor Schmerzen laut 
aufſchrie. Er verſchwand. Als ih erwachte, war es lich⸗ 
ter Morgen; er hatte mir ein rothes Zeichen an den Hals 
rüdt, ih fag aufrecht im Bette, und hatte die Licht- 

Dedlenſ. Exheiften. XVI. 1 


. 162 Die Here. 


füyeere in der Hand, die fonft auf bem Heinen The bei 
meinem Bette lag. 

Zuleht konnte ich der Verſuchung nicht widerſtehn, die 
alte Mariane mit in mein Geheimmig zu ziehen. 

Sie hörte mich mit größter Anfmerkfamfeit an, nidte 
Heifällig mit dem Kopfe, und gab unter der Erzählung auf 
allerlei Weife ihre Zufriedenheit zu verſtehen. Als id ge⸗ 
endigt hatte, ſprach fie: Es freut mid, Toͤchterlein, dag 
fie) endlich au der alte ſchwarze Ziegenbock Deiner er 
harmt hat; denn wen der droben — (fie zeigte zur Dede 
Binauf) verläßt, der hat nichts Beſſeres zu thun, als fih 
dem abtrünnigen Lucifer auf einige Zeit in die Arme zu 
merfen. Freiüch ift er ein gefallener Engel, vieles von fer 
ner vorigen Macht und Herrlichkeit hat er indeg doch noch 
behalten/ und tbeilt denen feine Hülfe mit, die nicht gar 
zu fireng und ängftlid auf die Mittel fehen, wenn fie auch 
nicht ganz nach ihrem Geſchmacke fein follten. Denn frei 
uch erſcheint er in garfliger Umgebung! Als ein alter fin 
tender Bod figt er droben am Berge auf dem böfzernen 
Stuhle. Eeine Kammerberrn und Hofjunfers geben mie 
Hölenfrapen einher mit Affen» und Negergefihtern, mit 
Krallen vorn, mit Efels- und Fucheſchwänzen hinten. Bon 
Nacıtigallen, Finken, Hirihen und Neben im Balde, weiß 
er nichts. Seine Muflfanten und Lafaien find Unten, Krd- 
ten, Schlangen und mas des Ungeziefers mehr ift. Das 


it aber alles nur die Außenfeite, nad) der kein vernünft | 


ger Menſch fragt. Die Hauptſache it, dag man feinen 
Liebſten bei ihm findet, der freilich au ein wenig von der 
Teufelsnatur an ſich haben mug, um beim Göllenhofe ſtau⸗ 
desmäßig und tafelfähig zu erſcheinen; und fo bat dem 
auch Dein Iofept, wie ich höre, den Pferdefug brfommen. 





Die Here. 163 


Uebrigens geht afles da fchr Iufig und freuudlich zu. Die 
Feſte werden befonders im SFrüblinge gefeiert: da duften 
die Blumen, das Gras ift weich und grün, der Vollmond 
fein. Dann wird aus dem großem Zauberkeſſel das treffe 
lichſte Froſchragout geſchmauſt, das fein franzöhfhher Koch 
beffer bereiten Eönnte. And kann, wer fein Freund von 
Ftoͤſchen iſt, Kapenbraten befommen, der von Hafenbraten 
nicht zu unterſcheiden if. 

Deine Geſellſchaft und Deine Gerichte, rief ib, find 
abſcheulich; doch würde id mid allem unterwerfen, um 
meinen geliebten Joſeph wieder zu treffen. — Das ift ja 
eben der Haken, rief Die Alte; und er hat ſich vermuthlich 
and Deinetwegen in diefe Art von Zreimauterei aufnche 
men laſſen. Der Pferdefuß bemeift uns, dag er in dem 
Drden der Höllengeifter mit Ehren aufgenommen ift. und 
fogar feinen niedrigen Poſten bekleidet, denm fo gehen ſonſt 
nur die Teufel vom Geblüt. Ia mas thut man nit, wenn 
man verlicht ift? verfegte fie mit einem Seufjer. Id bin 
auch mal jung, hübſch und verliebt geweſen. Das Schid- 
fal hatte mich aud) von meinem Bublen aetrennt. Da er⸗ 
bermte fibb ein altes Mütterchen meiner, wie ich mid) jept 
Deiner erbarme. Sie machte mid mit dem Herrn vom 
Berge bekannt, und er drüdte mir fehe gnädig bei der er⸗ 
fen Audienz ein Blutzeihen auf die Draft, das id noch 
trage. 

Das ift mir and) begegnet, Mariane, rief id: fieh 
mal meinen Hals da! — Schön, fprad die Alte, fo iſt ſchon 
etwas gethan. Drauf — verfepte fie — mußte ich ſchwö⸗ 
ten, die vier Herenſabbatbe zu feiern, befonders den in der 
Walpurgisnacht. Diefe anftändig zu begehen, mußte ich 
mic mit Tolwurzel. Raufkraute und Springwurzblättern 

11° 


164 Die Here. 


beraͤuchern, mic) nat ausziehen, und mid) mit Herenfalbe 
unter den Achſeln, an den Arm» und Beingelenten, in den 
Knielehlen und auf den Fußſohlen reichen. 

Und woraus befteht diefe Salbe? frug ih. Sie wird 
— verfeßte die Alte — aus Kinderfett, Nachtſchatten. Ju⸗ 
dentirfhen, Scierling, Judenleber und noch anderen Ins 
gredienzien gekocht. Gin folder Topf ward mir von mei⸗ 
nem bodfügigen Licbhaber gleich verehrt. Ich babe noch 
die Hälfte der letzten Portion auf meinem Zimmer, freilich 
etwas verſchimmelt und ranzig, dadurd Bat fie aber an 
Kraft gewonnen, und ih will Dir wieder damit ein Ge⸗ 
ſchent mahen Da ich alt zu werden anfing, mochte ich 
diefe Thorheiten der Jugend nicht länger treiben, und that 
Pönitenz. So kann id denn noch einigermaßen felig wer⸗ 
den, und wenn auch nicht fo vollfommen, wie manche an« 
dere, hab' ih mid doch ſchon in dieſer Belt daran ge 
wöhnt, mit Wenigem vorlieh zu nehmen. Ad ja! feufzte 
fie, wenn man nur feine Sünde bereut, fann man immer 
nachher ein Bischen felig werden; und das iſt ein großer 
Zroft für une Menſchen. Freilich muß man auch beichten 
davor foll mid) aber Gott bewahren, bis id in meinen Ich- 
ten Zügen liege. Hüte Dich auch dafür, Töchterlein, fo 
lange Du noch zu leben denkſt. Die neidifden Mannshile 
der fieden und braten uns lebendig, wenn fie dergleichen er- 
fahren. Und was haben wir denn gethan? Stehlen, mor- 
den, rauben, verläumden, befrügen, andere unglücklich ma, 
Wien, mas doch die Ärgften Sünden find, thun mir mit. 
Das thun die Männer, ohne eınen Bund mit dem Teufel 
gemacht zu haben. Was thaten wir auf dem Blodsberge? 
Eſſen, trinfen, tanzen, liebkoſen und faullenzen! Iſt es 
wodl der Mühe werth, dag man deswegen Scheiterhaufen 


Die Here. 165 


errichte, befonders heut gu Tage, mo das Brennholz fo 
tzeuer wird? Und doc hat man mehrere hundert taufend 
erme Weiber desiwegen verbrannt. 

Ich antwortete: Mariaue, vor dem Scheiterhaufen 
wößte ich mich wohl hüten, was aber Buße und Beichte 
betrifft, fo babe ich dazu fein Vertrauen. Der droben läßt 
Ab fein X für ein U maden. Auch gefäht mir folder 
Banfelmuth nicht; ift man einmal des Teufels, fo muß 
war es muthig verbleiben, und ſich mit dem Gedanken des 
Berdammtfeins fo lange veitraut - machen, bis er alles 
„Ghredlie verloren hat. 

36 wil Gub meine Gelprähe mit der Ali nit 
Weitläufiger mittbeilen, fondern nur hinzufügen, dag ih 
wit ihrer Hülfe bediente, und mich am näcften Walpur⸗ 
giabente mit der Salbe beſtrich, nachdem ic) die Kleider 
don mir geworfen. Drauf rief ih: „Obenaue, nirgends ⸗ 
anf“ und flog glei) zum Kaminloch hinaus, wo mir ſchon 
deſehh den Weg gebahnt Hatte. Auf dem Dache wartete 
mein ein alter gehörnter ſchwarzer Stallmeifter, der mir 
die Bapl gab, ob ih auf einem wohlgezäumten Bode, tie 
mer ſchwarzen Katze, einer Ziege, einer Miftgabel oder 
einem Befenftiele nad) dem Blockeberge reiten wolle. Ich 
wählte den Bol, weil er mir am tuͤchtigſten ſchien, eine 
feldpe Reife auszuhalten; und fo ritten wir denn gemaͤchlich 
dur die Luft, und trafen die Herenfompagnie auf dem 
Bloceberge beifammen, tie es mir die Alte vorher gefagt 
hatte. Ich mußte mich in die Sitten der Geſellſchaft fü- 
gen, die aber fo roh und abgeſchmacktt waren, daß id fie 
Gh wit wieder erzählen mag. Bas mir am meiten 
Vergnügen machte, waren die Meinen Truggeſtalten, von 
Kahen, Eidechſen, Affen und Schlangen artig zufammen 


166 Die Here. 


gefept; die küuſtlichen Bafilisten, halb Habn, halb Wurm; 
die närrifyen lebendigen Ruodıengerinpe, die mit dem Ge 
bein nad) dem Tatte Mlapperten, wie alte ausgemergelte 
Zanzmeifter, die aus Eitelkeit nicht wieder aufbören fün« 
nen. Die Augen glühten bei alen diefen Erfheinungen 
Hebli in der Duntelbeit des Waldes, und fie verdrehten 
fie Heiter und wahnfinnig im Kopfe, während giftige Kräu⸗ 
ter und Schierlinge vol glähender St. Johanniswürmer 
Bingen; und mährend eine große Symphonie mit Gebe, 
Miauen, Brülen, Henlen, Bichern, Stöhnen, Pruften und 
Peitſchenknallen im fhönften Geihmade, ſchulgerecht nad 
dem Generalbafle aufgeführt ward; morauf denn ein au⸗ 
Herordentlihes Tanzen und ausgebafienes Walzen folgte. 


Ich batte mir bald meinen Joſeph aus der Menge 
herausgefunden. Wir entfernten uns, um im Mondfdein 
einen Spaziergang zu madıen. Das Hochgericht winkte gar 
feltfam romantifh dort einfam auf dem Felde, mit feinen 
Linien, Zirkeln und Zriangeln, wie eine große mathematir 
fe Figur, die einen wichtigen Lehrfag ſtreng beweiſen 
wollte. Bir fepten uns im Mondfdatten des gemauerten 
Galgens, der verfallen und zerriffen mit Moos und Blur 
men durchwachſen fi wie die Trümmer einer alten Burg 
erhob. Jetzt überliegen wir und ganz der Freude des Wie 
derfeheng, nur von einigen Nachtvögeln geftört, die den 
Nabenftein umflatterten, um Nabrung zu ſuchen, aber wie 
der davon flogen, als fie nur fchneeweige Knochen im Grafe 
blinten faben. 

Unglädliher» sder richtiger: glädliherweife verfpäteten 
wir une. Die Geiſterſtunde war vorüber, die Baftlisten 
hatten geträßt, wir ſaben die Deren, wie ſchwarze Bügel 


Die Here. 467 


füaaren, amf ihren Befenftielen und Ziegen hoch durd die 
Luft nach Haufe fahren, wild durch einander ſchreiend: 


Kuna hin, Runa ber! 

Hurtig über Sand und Meer. 
Duſch werf ich den Mantel Hin, 
Daß ich Bald u Haufe bin. 


AS wir wieder nad dem Berge famen, war alles reüft 
amd de, und wir fanden nur die Feuerſtelle vol Mfche und 
Kohlen, wie im Walde, mo Bigeuner gehauft haben. — 
Bas thun wir jept? rief ih. Wie komme id früh genug 
wrüß nach meinem Gefängniffe in Thüringen, eh der Bar 
ter meine Abweſenheit entdedt. — Und mie fomme id nad 
Scafhauſen in der Schweiz, rief Jofenh händeringend, wo 

id wieder als VBädergefell Dienft genommen. Die Brote 
fehen noch alle im Badofen, und wenn ich nicht zu rechtet 
Etunde da bin, fo werden fie zu Kohlen verbrannt, die 
Lente Haben morgen in Schafhauſen nichts zu effen, und 
fürzen ſich alle verzweifelnd in den Rheinfan 

In diefer Noth irrten wir durch den Wald, und far 
men endlich an einem großen hohlen Baume vorbei, mo 
fin vierfchrötiger alter Krieger in ſchwarzer Ruſtung auf 
einem Steine faß, den Ellenbogen auf das Knie, den Kopf 
in die Hand ftühend und in Gedanken vertieft. Als er 
ums gemahrte, richtete ex ſich auf, winkte mit der Hand, 
und rieth uns ad, und dem benachbarten Hügel zu nahen, 
es fei der Venusberg, und er der gefreue Echart. Bir 
adıteten wenig darauf, mas der alte Griesgram, wie ein 
Brediger auf der Kanzel, im Barte murmelte; une war es 
eben recht Me Frau Venus zu treffen, was könnten ſich ein 
Paar Liehende deſſer wünfgen? 


18. Die Here. x 


Sie faß vor der Thür mit drei fhömen Iungfern, die 
aber nicht fo bübſch waren als fie. Ihr feid mir willkom ⸗ 
men! rief Frau Venus; id will Euch nicht in meinen Berg 
einladen; denn mit Weibern mag id nicht umgeben, der 
Zunggefel da gefiele mir wohl; er Bat fi ja aber ſchen 
ein Lieben gewählt. Indeß, weil Ihr Vertrauen zu mir 
best, und auf die Warnungen des alten Graubartes nicht 
achtetet, werd’ ih Euch aus Eurer Noth helfen. Eupid- 
Sen! komm’ mal her. Das war ihr Sohn. Der Meine 
niedliche Junge kam berbei gelaufen, er hatte im Graſe mit 
den Irrlichtern gefpielt, und ihm waren zwei bunte Flü⸗ 
gelchen aus den Schultern gewachſen. Sie rupfte ihm ein 
Paar Federchen aus, gab‘ ung jedem eine umd ſprach: Mit 
diefen werdet Ihr leicht den Weg nad) Thüringen und nad 
der Schweiz zurüd finden. Bas wilft Du aber auf dem 
Blodsberge, mein hübſches Kind? frug fie mid, die Ge 
ſellſchaft dort ſchickt fih nicht für Did, fie ift gar zu pie 
belhaft und unanftändig. — Ad, liebe Frau Venus, er» 
wiederte ich, mich tief neigend, was thut die Liebe nicht? 
wozu bequem man ſich nicht, um feinen Bräutigam zu fin- 
den? — Haft Du nicht einen Bruder gehabt, frug Frau 
Benus, der frühe farb, der aber ein wißiger Knabe war 
und in die Tateinifche Schule ging? — Wohl hab ik, ante 
wortete ih. — Hat er Div nit damals oft von dem heid⸗ 
niſchen Gotte Baus, von deſſen Zaunen, Satyrn und 
Badantinnen auf dem Weinberge erzäplt? Freilich hat er, 
verfeßte ih. — Nun das ift im Grunde alles einerlei, rief 
Venus, nur find die Bachanalien weit angenehmer und 
ſchoner auf dem indifhen Weinberge, als die Zeufels- und 
Herentänze auf dem Blodsberge. Möchten Du nicht Fieber 
Deinen Joſeph dort als jungen Faun treffen, denn auf 


Die Here. 169 


dem Blodsberge, als hintenden Teufel mit dem Pferde 
füge? — Benn es ſich thun Hefe, gewiß, feufzte ich. Ve⸗ 
ans erbob drauf ihre bildſchdne. ſchneeweige Hand, ber 
räßete ihm das Obr, und gleich war der Pferdefug ver- 
fomunden, er land als ein noch [hönerer Zängling da; nur 
waren ihm die Ohren binter den Loden ein Bein bischen 
Wipiger geworden. 

Drauf entließ fie uns; wir ftedten die Slügelfedern des 
Heinen Gupido in den Bufen, flogen fort, und kamen zu 
techter Bett nach Haufe Als ich erwachte, kthelte mid noch 
die Feder in dem Buſen; fie batte aber ihre rothe und 
dlaue Farbe verloren, und fah aus, wie eine gemöhnlihe 
littbraune Hüpnerfeder, wovon mehrere vom Winde durch's 
Güterfenfter ans dem Hühnerhofe in's Gefängnig geweht. 
uf dem Eſtrich umber lagen. Ih lieh mid aber nicht 
ime machen. verwahrte forgfältig meine Feder in der Truhe, 
und habe nachber oft mit leichter Mühe in kurzer Zeit die 
Reife nach dem herrlichen Bachusberge iu Indien gemacht. 
Der blähende Gott mit den Neben um die wallenden Lot- 
Ion, hat mich mit meinem Joſeph dort verbunden; wir har 
den mit dem wonnetrunkenen Haufen die Thyrſusſtäde ge- 
ſtzwentt; alte Satyen haben uns auf ihren Flöten Lieder 
Sigefpicht, umd der grüne Bald mit den Baumgeiftern 
md Baffernicen bat uns glüdlih gefehen. 

In diefen Freuden meine Nächte zubringend, vergaß 
ib ganz, wie elend ich meine Tage im Gefängniffe vers 
Mmadıten wäfle, umd als ich durd den Tod meines Bar 
ier6, der ein Jahr darauf erfolgte, plöglic erläft und zur 
Erbin feines ganzen Vermögens eingefeht ward, fühlte ich 
Wein Vergnügen dadurd) wenig vermehrt, denn das Beſte 
hatte ih ja from; und obwodl mein Water mich ſchlecht 


170 Die Here. 


behandelte, hätte ich ihm doch gern das‘ Lehen gegönnt, 
wenn ic auch meine ganze Beit hätte eingefberrt ſthen 
ſollen 

Das Erſte, mas ich that. war einen Brief nach Schaf- 
hauſen zu fenden, um meinen lieben Joſeph einzuladen, das 
mit ex jept mein Mann merde. Ih nahm mid aber, aus 
Vorſicht, wohl in Acht, im Briefe unferer nächtlihen Zu 
fammenfünfte zu erwähnen, fondern dat ihn wur, ſchnell in 
meine Arme zu eilen. 

Zu meiner größten Betrübnig tan ich keine Ant 
wort. Ein halbes Jahr darauf fertigte Ih ein Sendfhreis 
ben an alle Bäder in Schafbaufen aus. Sie Heßen mir 
aber fagen, daß fie von feinem Iofenh- etwas müßten. 
Endlich entdedten fie doch einen und fandten mir ihn mit 
der Poſt. Mein Herz Mopfte vor renden, als die Magd 
mir eines Abends meldete: ein Bädergefell aus Schafhau⸗ 
fen, Namens Iofeph, ſtehe draugen und wunſche mich zw 
forejen. Ich flog aus der Thür, und fdlog in der erſten 
Entzükung und in der Dunkelheit den Fremden in meine 
Arme, ohne zu zweifeln, dag er der rechte Iofeph fei. Ms 
mir aber in die helle Stube traten, ward id) einen alten 
hettiſchen, grämlihen Menſchen gewahr, der viel huſtete, 
und triefende Augen hatte. Ih fuhr mit Schaudern zu⸗ 
rück, und verſicherte ihn zu wiederholten Malen, daß ich 
mid) geirrt habe. Er wollte mid aber durchaus heirathen, 
weil id) es verſprochen, und er deswegen eine lange, bie 
ſchwerliche, koſtſpielige Keife unternommen habe, Nur mit 
genauer Noth ward id ihn los; ich mußte ihm die Reiſe⸗ 
koſten Doppelt er/egen, und noch obendrein eine Entihddir 
gung für Mühe, Zeitverluft und vereitelte Hoffnung geben, 
damit er wieder einpade und nach der Schweiz ziehe, 


Die Here. im 


Meine Hoffnung mar vereitelt. Die Geſchichte hatte 
Aufſeben gemadıt, und man lachte mid, ans. Indeß mel ⸗ 
deten ſich do immer Freier vollauf; ih hatte aber meinem 
Iofeph Zreue geſchworen und meil ich ihn alle Räcte fad, 
mar mir feine Abweſendeit am Tage weniger fhmerzbaft. 

Das Sonderbarke war, daß es mir, bei unfern. nächte 
lien Zufemmentünften nie einfiel, ihn um feinen jehigen 
Aufentalt zu befragen, ic feßte es mir alle Mbende vor, 
vergaß es aber wieder. Und dabei hat der Teufel gewiß 
fein Epiel gehabt, um mich nit aus feinen Krallen zu 
verlieren; denn wären wir glüdlic) in der wirklichen Belt 
geworden, was hätten wir dann nad) den teuflifchen Nacht 
erſcheinungen gefragt? 

Jadeß lebte ich als eine junge reiche Witwe, ziemlich, 
wo. Die alte Mariane war bei mir, und ich that ihr 
zu gefallen alles, was ich konnte. Alo fie aber kraͤnklicher 
ward, ward fle and) graͤmlicher und ängkliher. Meine 
aichtlihen Wallfahrten fingen an, ihr zu mißfallen, und 
fie verlangte mum, daß id) mich befehren folle. Das molte 
id jedoch nicht, um meinen Joſeph nicht zu verlieren. Die 
Fahrt nach dem Bachusberge, Matt nach dem Blodaberge, 
war ihr gleichfalls nicht recht. — Auch wenn man fi dem 
Teufel ergeben bat, fprad Re, muß man fein Baterland 
liehen und das Eigene nit verachten. Warum fönnen 
wir nicht eben fo gut einheimifche eingefleifähte Satanaffe 
haben, wie die Indianer und Griechen? Glaubſt Du etwa 
die Griechenteuftl feien menſchlicher und ſchonender, weil 
fe ſconer find? Armes verirttes Schaf! Alerger find fie. 
Die Schonheit iſt ja chen der beſte Köder auf Lucifers An⸗ 
gelbalen, damit die Menſchenſeelen gieriger anheigen. Das 
es iſt nur Trug und Laror. Auf dem Biodsherge gehen 


172 Die Here. 


fie, wie hiedere deutſche Teufel, unverlarut in ihrer wah- 
ven Geſtalt und löͤblichem Berufe einher. Dort bat man 
ſich einmal an das Ding gewöhnt, und fid feine überfnann- 
ten Erwartungen gemacht, die in der wirklichen Hölle nicht 
erfüllt werden. Denke Dir aber, wie Dir dereinft zu Ra⸗ 
tbe fein werde, wenn die Loden und Reben Deines Ba- 
chus fi in lauter Hörner und Schlangen verwandeln! 
Benn fein feifter, blühender, meiger Körper, wie braun 
graues geräucertes Zleifh mit Echimmel bewachſen ausfer 
ben wird. Und nun vollends die Venus, die gegen vier» 
taufend Jahre alt fein fol! Wenn Du die alte Bettel 
ſlehſt, ehe fie ihre Toilette gemacht, che fie die falſchen 
Zähne in den hölzernen Gaumen geſchraubt, ſich geſchminkt. 
geſchnürt und ſich ale die blühenden Gliedmaßen angeſchnallt 
hat, die das Auge entzüden, die aber nur aus lauter ſam⸗ 
tenen Kiffen mit Springfedern, beſtehen. 

Ic antwortete: Bo mein Iofeph binkömmt, da komm’ 
ich aud. Glaubft Du, dag, wenn ich mic befehre, er 
auch felig werde? : Mariane antwortete: Ic trage einige 
Bedentlichteiten wegen des Pferdefuges. So will ih auch 
verdammt fein, rief ih. Lieber in die Hölle mit Iofeph 
als in den Himmel ohne ihn. — Ad, Du gutes Kind, ers 
wiederte Mariane, mic) küſſend und umarmend, Du liebt 
Deinen Bräutigam zärtlih, und das it hübſch von Dir; 
der liebe Herrgott ift aber auch nicht ganz zu verachten: er 
bat Dich doch erſchaffen, und verdient immer, dag Du ihm 
deswegen Deine Dankbarkeit bezeigft. — Ich will Joſephen 
ſprechen, fagte ich; kann ich ihn dazu überreden, fo wollen 
wir und Beide befebren; ich verlaffe ihn aber nicht in der 
Noth, werein er meinetwegen gerathen iſt. 

Als ich Jofeod wieder ſprach, entdedte-i ihm, wicht 





Die Here. 173 


ohne Verlegenheit, meine Gewiſſensaugſt. Er ſchüttelte 
aber wehmüthig lähelnd den Kopf, und ſprach: Liebes 
Kind, es iſt zu ſpat. 

Bon diefem Augendlide an ftand mein Entfäluß feſt; 
und alle albernen Plaudereien der alten Mariane konnten 
mid, nicht irre machen. Gin großer Shrek fand mir in⸗ 
deg noch bevor. Sie ward todffranf, die Stunde ihrer 
Auftöfung nahete mit farten Schriteen, und fie wollte 
beiten! ie Hatte fon nach dem Paſtor geſchict, als 
ich allein zu ihr in's Zimmer trat. Sie fpielte mit den 
todttalten blänfihen Fingern auf dem Betttuche (ein Zei ⸗ 
Men des nahen Todes) und murmelte mit halbgebrodenen 
Augen Gebete, vor fi bin. Ich warf mid ihr zu Fügen 
und rang die Hände: Mariane, rief id, um Öotteswillen, 
verrathe mid niht. Du haft mid, felbft verführt, was ger 
minnft Du dabei, ein armes Weib unglüclich zu machen. 
„Beffer zeitig trennen, als ewig brennen!" war alles, was 
fie mir mit ftarren Augen antwortete. 

Ich ſprang auf und fah fie wuthend an; ih warf die 
Augen umber, und fand mid mit ihr allein, die Magd 
mar nad dem Paftor gelaufen, Die Alte konnte nicht 
leben! Ein einziger ltiſer Druck meiner Hand um ihre 
Kehle, — der Tod wäre nur ein Paar Minuten früher ge» 
tommen, mein Geheimniß ſtarbe mit ihr. und ich Wäre ge⸗ 
rettet. Meine zitternde Hand war fhon ausgeſtrect, und 
die Finger krummten fih. Id börte Iemanden die Treppe 
langfam hinauffteigen: vermuthlic der Beichtiger; meine 
Angſt vergrößerte ſich, ein Falter Schweiß bededte meine 
Etirn; ich ſchwantte, dumpf über meinen Vorfag brütend, 
und es war mir, als ftede ein ſchwarzer Teufel den Kopf 
grinzend durch die Bettgardine in die Band, mir Beifall 


174 Die Here. 


sunidend, damit ich eilen folle. — Rein, Teufet! rief ih 
halb wahnfinnig, fo ſolſt Du mid nicht haben! Zu einer 
ſolchen Sünde ſollſt Du mic nicht verleiten. Geſchehe. was 
geſchehen mil, id erwarte mein Schicſal. Mit diefen Wor⸗ 
ten fürzte ih rafend zur Thüre hinaus, und häfte beinahe 
den alten Prediger, dem ic auf der Treppe begegnete 
berunter geworfen. Ich eilte in den Garten nad der Jas⸗ 
minlaube. Cine ganze Stunde brabte ih bier allein zw 
Ior könnt Euch denten, in welchem Zuftandel Bei jedem 
leiſen Geraͤuſch der Zweige erwartete ih, die Haͤſcher würs 
den kommen, mich nad) dem Gefängniffe zu ſchleppen. End» 
lich kam Iemand, ich fuhr zuſammen. — Es war die 
Magd, die, in Thränen gebadet, die Hände, rang. — Ab 
Gott, ach Gott! welch ein Unglütt Wer hätte das denken 
follen, rief fe ſchluchzend. umd wollte mic nicht anfeben. 
Dirne, was ift geſchehen? rief ich außer mir, und fah fie 
grimmig an. — Die alte Mariane — Nun? — it ohne 
Beichte geftorben! ine Stunde haben der Herr Pater 
und id) fie mit dem Tode kämpfen fehen. Sie hatte gewiß 
etwas fehr Wichtiges auf ihrem Herzen. Als wir aber fa 
men, hatte fie ſchon die Sprache verloren; und ich bin doch 
fo ſchnell gelaufen, dag id meinen einen Pantoffel in die 
Goſſe habe fallen laſſen. — Gott babe fie felig! rief ich 
mit erleichterter Brut, indem mein Bufen wieder hoch 
ſowoll und das Blut in meine Wangen znrädtrat. Id 
werde Dir ein Paar neue Pantorfeln und der Todten ein 
anftändiges Begräbniß geben. — Drauf kehrte ic) kec in’s 
Leben, in mein Baterbaus und ſchon verloren geachtetes 
Eigentum zuräd. 

Obwohl ih nun aus einer großen Gefahr errettet war, 
und fein Menſch mehr lebte, der mein Verkehr mit den 





Die Here. 175 


Geikern verrathen konnte, war ih dagegen wieder ganz 
alein und verlaſſen, ohne Freund, ohne Vertraute. Keiner 
Benfbenfeele kennte ich meine Gefühle, meine Bekümmer- 
uiſe. weine Begebenheiten mittheilen. Freilich beſuche ih 
20% oft den Bachusberg und treffe meinen Geliebten dort: 
die Entzüdungen ſind aber nicht fo groß als chedem. Ior 
feoh it, tie mich deucht, weniger verliebt; die Geflalten 
{nen alle mehr aboebleicht in Nebel zurüd, und ic ber 
fürdte, fie möchten zulcht ganz verihwinden. Im diefer 
Roth, lieber Fauft, Habe ich Dich bei dem Ritter Gurt au 
dem bemußten Mbende kennen gelernt Ih habe gefehen, 
daß Du ein großer Scwarztünftter feilt. Imwar glauben 
die Leute, der Teufel habe Dich ſchon geholt, das war aber 
mr Gautelfpiel, denn dag Du noch da bit, beweiſt mir 

Gegenwart. Sogleich fiel es mir cin, bei Dir Rath 
w erholen, ob Du mir nit vieleicht dazu verhelfen koͤnn ⸗ 
tet, meinen Jofeph in der wirktihen Welt anzutreffen, ehe 
anfere Jugend verblüht. Denn das geiftige Verkehr mag 
Mt genug fein, wenn man nichts Belleres hat; es iſt aber 
les doch nur dünn und luftig und einem Traume fo äh 
ih, dag ich die fämmtlichen Erſcheinungen für lauter Ein⸗ 
fidungen erklären. mödıte, wäre ich nit vom Gegentheile 
überzeugt. 980 nun mein Joſeph in der Welt ift, weiß ich 
gar nicht; in Schafhauſen iſt er nicht, das weiß ih. Du 
wirt es mir aber leicht entdeden. Freilich Haft Du Dich 
in mid) verfiebt, und das iſt übel. Das ift mir aber ſchon 
nit mehreren Diännern begegnet. Man kann nicht freund« 
lih fein, nit den Handidub ausziehen, micht den Fuß ein 
wenig Dervoriredin, nicht das Bufentuch cin wenig ver- 
Mlehen — gleich; giebts Feuer. Du bIR aber ein verflän- 
dar Mann, der sinfeben wird, dag ih Did unmöglich 


176 Die Hesenprobe. 


lieben kann, wenn ich meinen Iofeph fo treu liebe,-dag ich 
fogar feinetwegen auf den Himmel Verzicht thue. So wirft 
Du mid) denn aud nicht verratgen, fo menig wie diefer 
Jüngling, den ih, wenn er nicht mit zur Bande gebörte, 
für ein gutes unverdorbenes Blut halten möhhte. 

So weit war unfere Erzählerin gefommen, als Hlöß- 
lich im Nebenzimmer ein Tummit entitand, und wir einen 
Stuhl vom Tifhe herabfallen hörten. — Gott im Him- 
mel! rief die Bäderin, wir find verraten. Der Laden 
burſch hat gelauert, und durch das Loc) droben alles ger 
bört. Sieh, da läuft er ſchon bei dem Fenſter vorbei nah 
der Burg. Holt ihn ein, oder id bin des Todes. 

Seifert und ich ftürzten hinaus, und verfolgten den 
Jungen. Er hatte aber einen zu großen Borfprang ger 
wonnen. Seifert war bereits ermüdet, che er den balben 
Weg gemahıt hatte; ich war ein fo guter Läufer wie der 
Junge; er erreichte aber die Burg, während ich noch den 
Belfen erftieg. Ich ſah ihn in den Hof, in das Zimmer 
des Burgfaplan bineilen, und die Thüre ward hinter ihm 
verriegelt, ° 


15. 


Die Herenprobe. 





Ale wir am nähften Morgen kaum gefräßftüdt hat- 
ten, traten die Gerichtsdiener in’s Zimmer und Lündigten 
Sciferten und mir Arreft an. Sie geboten uns gleih din⸗ 





Die Herenprabe. 17 


auf nach der Burg zu sehen, um vor dem alten Nitter, 
unferm Richter, zu erfeinen. 

Bir folgten willig und ſprachen Latein auf dem Wege, 
damit ung die Trabanten nicht verftänden. — Das ift eine 
verwünfchte Geſchichte, rief Seifert, die Bäderin ift von 
einem fonderbaren Wahnfinn ergriffen, der nichts Seltnes 
iR, und viele Frauen auf den Scheiterhaufen gebracht hat: 
fie bildet ſich ein, eine Here zu fein. Ein feutiges Tempe⸗ 
rament, eine rege Phantafie, Liebe, Unglüd, Enthaltfam- 
kit, Mangel an Bewegung find die Urſachen ihrer Krank⸗ 
beit. Alles Tüchtige ſtrebt nad Abenteuern; für junge 
Weiber haben nur Liebesabenteuer Reiz, und da Hätte fie 
temn ein meites Feld vor ſich gehabt; zum Unglüd aber 
ſdielt ihr die feichte einfeitige Liche einen Streich, und fie 
vergafft ſich in einen einzigen Bädergefellen. Als wenn 
nichts weiter auf der Welt märe, als ein armfeliger Io- 
ſeph. Hol der Henker all die engherzige einfeitige Philiſte⸗ 
rei. Nein, ih halte mic, zum Liede: 





Bafched Glück! mir immer neuer 
Wit Verferiedenheit vereint, 
Schaf mir täglich Abenteuer, 
Dann biR.du mein wahrer Freund! 


Gern anf Kiffen will ich fchlafen, 
Musgepolftert, ſammetweich; 
Mber, machſt du mich zum Grafen, 
viebes Glück, Dann geh ich gleich. 


Huch mit Bauern wid ich figen 
Auf der Bank uud auf dem tra; 
Oehienſ. Echriften. XV. 12 


178 


Die Herenprobe. 


Im der Sonne win ich fchwigen, 


‚Schatten macht nicht immer froh. 


Gern auch (chmauf ich wild Geflügel, 
Benn ed mir der Reiche bi 
Aber mit dem Hirt am Hügel 
GT? ich morgen Käs und Brod. 





* Schöne Kinder, Fräulein holde, 
Ach wie ſchãb ich euch zur Etund! 
Wintt mir mit des Haares Bode, 
Küßt mich mit dem KAirfchenmund. 


Aber fehmachten, immer fchmachten? 
Nein, dann geh’ ich anf die An’, 
Bit beim Pädter übernachten, 
Er hat eine hübfche Fran. 


Wer iſt fchöner? Mc die Laune 
IR auein der Nichter hier; 
Feuriger ift meine Braune, 

Meine Blonde füger mir. 


Sanüc' das Bündel auf den Büden, 
Rimm den Stab ın leichte Hand; 
Mies Gute fol entzüden, 
Und fo sieh" ich Durch dad Sand. 


Mit Gelehrten wii ich (precen 
Weber die Philofophie; 
Wit Soldaten will ich zechen 
Nur mit den Philiſern nie. 








Die Herenprobe. 179 


Jedes Handwerk, jede Tugend 
Jede Blum’ if mein Genuß; 
Eo verleb' ich meine Jugend 
Sparfam und in Weberfluß. 


Das ift mir ein verftodter Sünder, ſagte der eine 
Shirre, der uns begleitete. — Das ift nichts Neues, er⸗ 
wiederte der Andere; hab’ ic doch mehrere ſolche Balgen- 
vögel gekannt, die auf dem Wege zum Hochgerichte Sauf- 
lieder fangen. Ich Hofe aber, Freund, verfeßte er, ſich zu 
Seifert fehrend, aus dem Bündelfpnären und dem Stab⸗ 
in die Hand Nehmen wird nichts. Traun, Du bit Deine 
laͤngſte Zeit Landläufer geweſen. 





Bir traten in den Nitterfaal, wo wir vor Kurzem 
Komödie gefpielt hatten. Der Nitter fag an einem großen 
grünen Tiſche, und einige Beifiper, Bürger der Stadt, ner 
ben ihm. Der Burgkäplan führte das Protokoll. — Nun, 
das find mir hübſche Geſchichten, rief der alte Ritter ung 
entgegen. 

Seifert ließ ibn reden und betrug ſich während ‘der 
sanzen Verhandlung mit feltmer Faflung, Klugheit ‚und 
Beredfamfeit. Er frug gelaffen, weſſen man uns befhul- 
dige: und als er hörte, die Bäderin habe fon Alles ge⸗ 
fanden, ſprach er: Mit. Eurer Erlaubniß, geftrenger Herr, 
werde ich naher als Sahführer des armen Weibes aufs 
treten; unſere eigene Vertheidigung wird bald im Reinen 
fein. Die. Bäderin hat uns eingeladen, ihre Lebensgeſchichte 
zu horen. Der Bäderjunge bat gleichfalls alles mit ange⸗ 

12° 


180 Die Herenprobe, 


bört, freilich auf eine unerlaubte, häͤmiſche Weiſe. Er ift 
ſchuldiger als wir. Wenn num aber das bloße Anhören 
ein Verbrechen ift, fo feid Ihr, Herr Ritter, diefe wadern 
Bürger und der Herr Prediger Gotthard eben fo wohl 
Mitſchuldige. Denn Ihr habt ja auch Alles aus ihrem 
Munde vernommen. Was können wir dafür, da ung die 
fes Weib für Zauberer gehalten hat. Sie verwechſelt ftets 
Wirklichteit und Schein; fo hat fie es aud in diefem Falle 
gethan. Sie hat mid den Fauſt in der Tragödie ſpielen 
feben, und glaubt nunmehr, ich fei der wirkliche Fauſt. — 
Bas hatteſt Du aber bei der Bäderin zu ſchaffen? frug 
der Nitter, wenn Du weder Brod kaufen, nod zaubern 
wollteſt. ¶ Wer weiß, ob ih Brod Laufen wollte oder nick, 
ſprach Seifert; wir armen Schüler müllen wohl jept mit 
trodenem Brote vorlich nehmen, feitdem Euer Geftrengen 
die Hand von uns abgezogen. Hatteft Du. denn nicht die 
Abſicht zu zaubern? frug der Ritter. — Freilich wollte ich 
zaubern, antwortete Seifert, es verdient aber nit, dag 
ich deswegen in's Gefängnig geſchleppt werde. — Jeßt hör 
ren wir fein eignes Belenntniß, rief der Kablan! Was 
brauden wir weiter Zeugnife! — Ich geftebe, verfegte 
Seifert, daß mich nicht blos die Zuderkringel in der Schub⸗ 
lade der fhönen Bäderin anlodten. Cie it ein fhöncs 
Frauenzimmer. Alein ſchöne Weiber find Heren, wenn fie 
uns verliebt machen. Wollten wir aber Ale fammt und 
fonders zum Scheiterhaufen verdammen, die verliebt ma⸗ 
hen und verliebt werden, wie erbielte dann die Welt Bä- 
ter und Mütter zu den fünftigen Söhnen und Töchtern? 
Statt mir aber ihre Gegenliebe zu ſchenken, has fie mir 
eine weitläufige Geſchichte ihrer Träumereien erzählt. Was 
kann ih dafür? — Alſo bat Er doch geflanden, dag Er 


Die Herenprobe. 181 


fündhaftes Verkehr mit einer Here ſuche. rief der Kaplan; 
das ift bereits genug. — Nein. halt, Vater Gotthard, 
ſprach der biedere Ritter: bier if ein großer Unterſchied; 
id) begreife ganz wohl, wie ein junger feuriger Menſch 
von den Neizen der Bäderin entzüdt werden könne, wenn 
er übrigens nichte von ihrem Bunde mit dem Teufel 
wüßte. — Und bei ihr ſelbſt liegt «6 mar in der Einbil⸗ 
dung, etwas davon zu wiflen, rief Seifert; fie iR unſchul ⸗ 
dig umd beträgt fi ſelbſt. Venn ein ſanguiniſches Weib, 
wie fie, nach der Trennung von ihrem Iofepb, ihre Liebe 
nicht auf natürlihe Weife befriedigen konnte, mußte fie 
überfchnappen. Schlaftu, Een und Etifefipen erzeugen 
in einem ſolchen fräftigen jugendlichen Körper dices Blut 
und böfe Träume Otiam est palvinar Diaboli, Das 
in es ae 

Nein, wein! rief der Nitter, fie hat ſelbſt geſtanden 
daß fie nad dem Bios» oder Bachusberge auf einem 
ſchwarjen Bode geritten feis und dag fie gerade üdermore 
gen im der Walpurgisnadt wieder eine ſolche Reife vorge» 
habt babe. 

Denn it es ja leiht, fi von ber Wahrheit zu über 
zeugen, eriviederfe Seifert. Tout, als ob Ihr jept von ih- 
zer Unſchuld überzeugt wäret, laßt fie gehen, und äberrums 
pelt fie Übermorgen Racht in ihrem Haufe! Ich wette, 
Ratt fie auf dem Befenftiele zum Schornfteine berausfahren 
umd auf dem ſchwarzen Bode wegreiten zu fehen, werdet 
Ihr fie ſchlafend in ihrem Bette finden. 

Der alte Ritter war ein ziemlich vernänftiger Mann, 
to-gemmeiner Menfhenverftand, ohne weitere Kennsuiffe und 
Unfrengungen hinteichte. Gr fand Seiferts Vertheidigung 
befriedigend, und. der Vorſchlag dünkte ihm gut. Rah 


182 Die Herenprode. 


Seiferts Rath entließ man auch die Bäderin mit einer 
Entfuldigung, dag man fi in Rückſicht auf fie geirrt 
babe. Man erwartete die Walpurgisnadht, und ftellte heim⸗ 
lich Waͤchter, um ihre etwanige Flucht zu verhindern. 


Bir hüteten uns wohl, die Bäderin wieder zu befu- 
hen; in der Walpurgisnacht begleiteten wir aber den Rit- 
ter, den Kaplan und die Übrigen Herren nah dem Haufe. 
Ohne Icmand zu erweden, äffneten wir feife die Thhr mit 
einem Sclüffel, den der untreue Burſch feiner Herrſchaft 
entwendet hatte, und traten in’s Wohnzimmer. Der Kar 
plan, der ein Rauchgefaͤß mitgenommen hatte, fing bier an 
zu rauchern und zu erorcifiren; drauf oͤffnete der alte Kit 
ter feloft das Schlafzimmer. Bir fanden das Bett Icer. 
— Seht Ihr wohl, flüfterte der Kaplan, fie it auf dem 
Blodsbergel Die Sache hat ihre Richtigkeit An das 
Schlafzimmer ftieß ein Gartenzimmer, wir gingen aud) da 
binein. Nie vergeß id) diefen Anblit! Im been Mond- 
ſcheine Tag das fhöne Wein nat mie Eva im Paradiefe, 
oder wie die Venus auf einem Lager von jungem frifchen 
Laube und Frählingsblumen. Ale Anweſende, felbft der 
Burgkaplan, vergaßen einige Augenblicke hindurch im An- 
ſtaunen ihrer Schönheit, weshalb fie eigentlich gekommen 
waren. Endlich befahl der Prediger, daß man fie mit eis 
wem daliegenden lichtblauen Gewande bededen fol. — 
Bir bemerkten deutlich, daß fie innerlich erhiät und in 
einem Traume begriffen fei. — Nun, feht Ihr, Herr Nit- 
ter, ſprach Seifert, da haben wir die Zauberei! Alles ift 
nur Krankheit, Traum, Selöfbetrug, byſteriſche Zufälle! 
— Es freut mid, fagte der alte Ritter, dag wir dies 
dunge Beib fhonen können; denn wahrhaftig, diefe Blied- 


Die Herenprobe. 183 


magen find zu herrlich und vollendet, als daß fie im Feuer 
verbrennen follten. 

Hat — der Gott fei bei uns — auch Euch verführt, 
Her Nitter? rief der Kaplan. Wißt Ihe nicht, dag der 
Teufel zu diefem, und vielen andern noch künſtlichern Gau- 
keleien, im Stande ift, wenn es ihm darauf anfämımt, die 
turzſichtigen Menſchen zu hintergehen? Cs ſcheint Freilich 
daß die Bäderin bier in iprer Nadtheit liege, ih will aber 
meinen Kopf darauf vermetten, daß ihr wirklicher Körper 
in diefem Augenblide viele Meilen von bier entfernt, auf 
dem Blocsberge mit den Höllenfragen den Kehraus tanze. 

Der Ritter ſprach: Der Herr PaRor hat Recht; man 
taun nicht willen, wie es mit dem Dinge eigentlich beſchaf⸗ 
fen if. Die Here muß wieder egaminirt werden; und ges 
ſteht fie feloft, dag fie auf dem Blodsherge gewefen, fo foll 
fie ſich dee Wafferprobe unterwerfen. Beſteht fie darin, 
gut, fo mollen wir es als einen eiteln Traum anfeben; 
dann man fie fünftig ungeört Schwarz- und Weißbrod 
baden; wo nit, dann follen diefe fhönen Echultern, Len- 
den, Baden mit alem Zubehör binnen acht Tagen ſcwwarz 
vertoblt werden, wenn fie aud zehn Mal blähender wären. 
— So ward denn zur Waſſerprobe gefchritten. 

In einer Prozeſſion von der Art, wie wenn in Spa⸗ 
wien ein Ketzer zum Auto da fe geführt wird, brachte man 
die föne Fran im weißen Gewande, mit berabhängenden 
Haaren und gefalteten Händen, vor die Stadt, um ſich 
im Fluſſe der Probe zu unterwerfen. Unzählige Zuſchauer 
aus der Gegend waren an den Ufern verfammelt. 

Die Bädern ging rubig mit langſamen feſten Schrit⸗ 
ten, wie eine Römerin, blond aber und ſchlank wie eine 
germaniſche Heldin der Vorzeit, ihren Weg. Das eigene 


184 - Die Herenprobe. 


Gefühl ihrer Ehönbeit, die Begeifterung und ihre Unſchuld 
«wie fie ſelbſt nicht einmal kannte) gaben ihr cinen Reiz 
eine Würde und etwas Nührendes, das vortheilhaft auf 
die Menge wirkte. Als ihr das Gewand abgeriffen ward, 
fab fle ftelz vor ſich bin, und fhämte ih nit; ein zorni ⸗ 
ges Gefühl färbte ihr aber die blaßgeworduen Wangen mit 
ſchönen Nofen, und es wäre ihr leicht geweſen. fih in das 
machtige Meer des Haares zu verbergen. Das that fie 
aber wicht, theils aus Stolz, theils aus Befonnenbeit, weil 
fie mußte, dag man bei'm Binden ihr glei wieder die 
Haare auseinander bringen würde; und fie wollte nicht von 
unreinen Händen ihren Hauptſchmud verdorben haben. Da- 
gegen bob fie die Hände zum Naden zurüd, flodt die 
Haare leicht zufammen und band fie in einen Knoten. Nie- 
mand binderte fie daran, aller Augen verſchlangen ihre 
Neige, von allen Lippen tönte: Gott, wie ſchön! Ein mil» 
des Lacheln ſchwebte auf ibren Lippen; diefer vieleicht leßte 
Sieg ſchmeichelte ihrer Eitelkeit, und fie [bien die Gefahr 
vergeffen zu haben. In diefem Augenblide war gewiß nicht - 
Einer zugegen, der nicht das ſchöne Bild gerettet wänfchte. 
Ein junger Menfch nicht weit von-wir feufzte, weinte, raug 
die Hände, ſprach immer leife vor ſich bin: Beneditte, Bes 
nedittel und betete. 

Ein Ausrufer hatte ihr Urtheil verkündet: daß fie zu 
den Flammen verdammt fei, mofern fie jet nicht in den 
Bellen unterfinfe. Im Bunde mit dem Teufel befämen 
die Weiber durch ihn, meil er ein Geiſt fei; eine gewiſſe 
Leichtigkeit, die nicht mehr menſchlich fei; daher müßten fie 
auf dem Bafler ſchwimmen. und könnten nicht unterfinten, 
wie Andre, die nihts mit dem Satan zu than häften. 

Die Bäderin ward jeht kreuzweis gebunden, fo dag Die 


Die Herenprobe, 185 


tete Hand an die große Zehe des Iinfen, dic linke Land 
am die geoße Zehe des rechten Fußes feſtgeknüpft waren. 
Wäsrend dem hörte ich den genannten Tüngling mit frampfe 
haft gefalteten Händen, und wie verzweifelnd Gebete here 
fagen. Das Wort Benedikte, das cr immer wiederholte, 
machte mid glauben, er fei ein Katholit, etwa der Bäder 
rin verwandt. Die Unglüdlihe ward jeßt in’s Waller ge 
bracht, und der entfeidende Augenblick nahte fih. Allein 
die Unſchuld fiegte, die falte, todte Natur erbarmte ſich ife 
rer. umd that ihr die Menſchenherzen w.eder auf, die ſich 
gegen fie verſchloſſen und verfeinert hatten. Drei Mal 
ward die Probe gemacht, drei Dial ſank fie unter. Une 
ſchaldig! Unſchuldig! rief Seifert, umd das ganze Volk 
mit ibm. Unſchuldig, ſchluchzte der junge Menſch, und hob 
die Hände gen Himmel, Das ſchöne Weib fand wieder am 
Ufer wie eine griedifbe Bildſaͤule in naſſen Draperien — 
ſtarrte verwundert vor ſich bin, und fragte in der ihr eiges 
nen charatteriſtiſchen Umbefangendeit, indem ein bimmlifher 
Hoffnun gsſtrahl ihre matten Augen wieder belebte: Großer 
Gott! bin id) denn wirklich unfhuldig? 

Ia Du bif’s! Du biſts! Benedikte, rief der junge 
Menſch, der fi) durd die Menge zu ihr hindrängte, und 
fie heftig umarmte. Und bier ift Dein Iofeph, Dein Ge⸗ 
liebter, Dein Bräutigam, der aus der Fremde als Bäder» 
meifter zurückgekommen ift, um Di zu beirathen, und mit 
Dir glüdlihe Tage zu leben. 

Jetzt hatte fih alles in Luſt und Freude verwandelt, 
Niemand verließ den Drt, ohne das Brautpaar begrüßt 
und ihr zu ihrer Vermaͤhlung Glück gewänfht zu haben. 
Das Beſte war, daß die Baͤckerin ſelbſt durch diefe Probe 
gang geheilt ſchien; es fiel ihr wie Schuppen von den Augen, 


186 ‘ Die Herennrobe, 


und fie fah deutlich ein, daß fie vorher von einem ſchweren 
Wahne befangen war, befonders als Joſeph fie verſicherte, 
dag er nie auf dem Blodsberge, nie auf dem Benusberge 
and nie in Schafhauſen gewefen fei. 

Mit Heiterkeit und Ausgelaſſenheit trennte ſich die 
Menge; und ein luſtiges Nachſpiel folgte auf die Tragödie. 
Ein armer Maler hatte fid mit ſeinem Zeichenbuche an's 
Ufer geſchlichen, um binter einem Buſche verborgen, die 
fhöne Bärerin im Augenblide des Entkleidens als Stu- 
dium zu brauchen, weil es ihm unmöglich war, für Geld, 
menn er es aud gehabt hätte, ein Modell zu bekommen. — 
Als es aber zum Treffen kam und ihm die Benus erfchien, 
Eonnte er nicht zeichnen, die Hand zitterte ihm gewaltig, 
und er brachte eine haͤßliche Frage auf's Papier. Er ward 
entdet, die Zeihnung ihm aus den Händen geriffen, die 
Karikatur der Bäderin ging von Hand zu Hand und er» 
regte unter der Menge ein erſtaunliches Gelächter. Auch 
Beneditte und ihr Joſeph bekamen die Zeichnung zu fehen; 
fie mußte herzlich darüber lachen; um aber den Maier ei⸗ 
nigermaßen zu fröften, verſprach fie ihm, dag er ihr und 
ihres Bräufigams Bild malen folle, 


16. 
NRäuder-Örogmutb. 





Mit leichtem Herzen und ſchweren Beuteln zogen wir 
weiter. Ale Hatten uns geopfert; der Ritter machte uns 


Kinder Großmuts. 187° 


zum Abſchiede ein anfehnlihes Gefhent, von der Bäderin 
mußte Seifert auch. aller Weigerungen ohneradhtet, etwas 
annehmen. Wäre ihm nicht das Geld fo hoͤchſt nöthig ge- 
mefen, würde fein Stolz wahrſcheinlich die Babe abgelehnt 
baden; denn freilich mar fie nur ein ärmlider Erfag für 
das, mas er an der thönen Frau verloren hatte. Unfer 
Barthel blieb beim Nitter, der fih, Goft weiß warum, in 
diefe Fratze fo vergafft hatte, Daß er ihn nicht miffen wollte. 
An dem lehten Abend hatte Seifert im Spiele gewonnen, 
wir fonnten uns als reihe Leute betrachten, und hatten 
mehr als Anfangs, da wir von Eifenady anszogen. Sei» 
fert trug den Schaß in einem ledernen Gurt um den Leib 
unter dem Leibrode, und fo pilgerten wir luſtig weiter 
durd den Thüringerwald. Wir waren unferer fünfe, alle 
nach damaligem Gebrauch mit Flinten und Schwertern be 
waffnet, und hatten feine Furcht, obſchon das Gerücht ging, 
dag man oft bier im Walde von Näubern geplündert wer 
de. Auf einem Meinen Hügel machten wir Halt, und vers 
zehrten unfere Mahlzeit. Der große irdene Krug, den und 
der Ritter zu guterleßt aus dem Zauberkeller hatte füllen 
laffen, war ſchon mehrmals berumgegangen, als wir in 
der Gerne, binter den Bäumen ein Stüder ſieben bis acht 
Kerls ſtark bewaffnet, mit langen ſchwarzen Bärten und 
wunderlihen Mügen, entdedten. 

Eeifert befahl uns, zu den Waffen zu greifen, und 
auf die Räuber mit den Flinten zu zielen, 

Der Anführer fab ung kaum ſolche Anftalten machen, 
als er feinen Gefellen gebot, ihre Zlinten, Piſtolen und 
Zerzerolen auf die Erde zu werfen; drauf winkte er uns 
mit einem Schnupftuche freundlich Frieden zu. Bir nah⸗ 
men alfo auch unfere Gewehre beim Fuß, zogen aber die 


188 Näuber- Grogmuth. 


Schwerter und riefen den Räubern zu, fie ſollten ſich nicht 
unterftchen, uns auf zwölf Schritte zu nahen. 

Als hie näher kamen, entdedten wir bald, der Haupt. 
mann und ned drei derfelben fein Juden, ein Paar an. 
dere Zigeuner, und Die übrigen mittelmäßige Chriften. 
Drauf redete uns der Anführer ohngefähr in folgenden 
Borten an: 

Solltten wir Did nicht kennen, großer Seifert, der 
Du bei allen benachbarten Hohen Schulen und Univerfitä- 
ten im Ruhme ftebft, ſowohl Deiner Tapferkeit ale Ger 
lehtrſamkeit wegen! Hab’ ich nicht jedes Henigmort, wie eine 
Biene, von Deinen Lippen gefogen, als Du im Wirths⸗ 
baufe jene Jungen dort werführteft, — Komödianten zu 
werden? Gegen Deine Anſicht der Menſcheng'ſchicht umd 
der Natur der Sachen in der Welt kann auch der größte 
Dummfopf fein vernünftiges Wort eimenden. licher bie 
Räuber haft Du aber in’s Blaue gefhoflen; denn wir find 
den Henker nicht fo eigennügig wie Du denken thuſt, und 
morden auch nicht immer blos aus Habfuht, fondern aus 
Kurzweil, weil uns das Ding Vergnügen macht, mie den 
Eimbern und Leoparden. 

Seifert antwortete: Ic höre, Du biſt ein Jude! Hätt” 
ich doch nicht geglaubt, dag einer von Euern Leuten fo 
tapfer fein könne, fi zum Räuber» Haupfmanne aufzu« 
fotwingen. 

Der Räuber antwortete: Willſt fein Ppilifter fein, 
Seifert! und kannſt dod an der Stärke Simfons zweifeln? 
Sind die Juden aud nicht einft tapfer geweſen? Waren 
Mofes, Joſua, der König David und die Makkabäer feine 
‚Helden? Haben wir nicht hartnädig gekämpft, den Tempei 
vertheidigt, wie Kapen gemiauet, mit den Zähnen gebiffen 


NRäuber-Gropmuth. _ 189 


und wit den Krallen geriffen, ch’ der Titus ums in die 
Sefangenfdaft fhlennen konnte? Und nachher? Sind wir 
etwa immer Wucherer und Schacherer geweſen? Haben 
nicht im dreizehmten Jahrhundert ein Städer 30,000 ven 
unfern Leuten unter König Philipp Tem Schönen in Franke 
reich mit Ehren gefohten? Und mußten wir nicht, gleich 
den Elepbanten im Nömerbeere, den Vortrab machen, um 
nicht wegzulaufen, und um den Chriften den Weg zu bab- 
nen? Sind wir nicht in Worms zur höchſten bürgerlichen 
Edre und Würde gelangt? Hieß es nicht dort: „Wormſer 
Juden, fromme Juden,“ und lauteten die Verordnungen 
nit: „Unfere lieben Bürger, Juden und Chriften?“ Ha- 
ben wir nicht fogar einft ein Judenturnier gehalten? Fah⸗ 
renden Schülern thun wir aber fein Leides; das ift ein 
Geſetz unter uns. Wir wollen nur einen Augenblid in 
Eurer Gefellihaft ausruhen, und aus Deinem Munde 
gründfichern Unterricht in der Gauner-Philofopkie hören. 

Es freute ung, mit diefem Jan Hagel fo leicht fertig 
zu werden, und wir gaben ihnen den Bein her. Cie feß- 
ten fi unbewaffnet zu uns, tranken auf unfere Gefund» 
beit, Ieerten den Krag, und zu guterleßt mußte jeder von 
uns audy nod eine Umarmung von dieſen Zumpenferls 
dulden. Drauf wänfthten uns ale eine glüliche Reife und 
verließen ans ſchnell 

Iſt es doch nicht wunderbar, rief id) nad einigem 
Schweigen, daß man unter ſolchem Gefindel noch mitunter 
einen Reſt von Großmuth finde. Sie mollten nur einen 
Zeunt Bein aus unferm Kruge haben, dann zogen fie 
weiter! 

Bewundere nur nicht au fehr ihre Beſcheldenheit, rief 
Seifert mit erzwungener Kälte. Der Hallunke hat mit uns 


10 Geiftererfeinungen. 


ter der freundlichen Umarmung meinen Iedernen Gurt mit 
dem Gelde geftoblen. — Bei diefen Worten griff jeder nach 
feiner Taſche, und fiehe da, alles war rein gefegt. Nur 
einen Bündel mit unbedeutenden Eiebenfahen, zur Komd- 
die gebörend, hatten fie uns gelaflen, fo wie drei Gold- 
ftüde, die Seifert fogleih unvermerft in der Baumrinde 
verborgen hatte. 


17. 


Geiftererfheinungen. 





In diefem traurigen Suftande kamen wir zu einem 
Dorfe, das von lauter armen Leuten bewohnt war; nur — 
erzählte und ein Bettler — wohne an der Ede zunaͤchſt 
der Kirche, eine reihe Witwe, die heute Abend Gänfe brate, 
aber ſehr geizig und undarmberzig fein folle. 

Bollen wir unfer Glüd bei ihr verſuchen? rief Seifert. 
Den Iumpigen Bettler hat fie abgewiefen, ‚wir aber find 
hübſche wohlgeffeidete Iunggefellen, mit folhen pflegen 
Bitwen immer das meifte Mitleiden zu haben. 

Es war ein Falter windiger Abend und ſehr dunkel, 
denn es war in der Kohlſchaft, wie fih die Gauner 
auszudrüden pflegen, und der Mord ſchien nicht. Wir ka⸗ 
men an der Kirche und dem Kirchhofe vorbei, und faben 
in einer kleinen Kapelle eine Lampe brennen. Der Beitler 
erzählte, dort Tiege in gläfernem Sarge ein adeliches Fräu⸗ 


Geiktererfpeinungen. 19 


kein, es brenne dort alle Naht eine Ochlampe, und es 
werde alle Abend mit einer Meinen fbernen Blode geläu- 

ı At, weil fie vor mehreren hundert Jahren der Kirche ihr 
sand Vermögen vermacht habe. Es folle aber in der 
Aodtengruft nicht gebeuer fein: man erzählte, das gnädige 
Bränlein öffne mitunter den gläfernen Sarg, fleige heraus 
und wandle in der Kapelle auf und ab. 

Der Bettler verließ uns, und mir flanden vor der 
Kapellentgür. Der Küfter hatte fie zu ſchließen vergeflen, 
wir traten ein, fanden die Heine Halle luftig, heiter und 
teinlich und frifchgeftreuten Sand mit duftenden Blumen 
auf dem faubern Boden. Die Mumie lag wie eine ges 
(Gmüdte Puppe in dem gläfernen Schranke. Weber der 
Sampe hing ein altes Gemälde, fo ſchwarz beräudert, daß 
man die Gegenftände auf demfelden nicht mehr zu unter» 
fheiden vermochte. Hier freifen wir allenfals ein gutes 
Radtlager, wenn wir fonft keines bekommen, und wir felbſt 
Stroh mitbringen, ſprach Seifert. — Wir gingen weiter, 
und es freute mich heimlich, als wir ung den Wohnungen 
der Lebendigen wieder naheten. Wir entdecten bald das 
Haus der reichen Witwe an der Ede. 

Das Feuer auf dem Heerde ſtrablte Iuftig roth durch 
die Dleiernen Fenſter zu uns heraus in die Dunkelheit, wir 
beten uns und gewahrten eine ältliche grämliche Frau, 
de und von ftarkem Knochenbau, die damit beſchaͤftigt 
war, zwei Bänfe zu braten. Sieh mal, rief Seifert, wie 
braun und Leder fie am Bratfpie glänzen und fi) mit ihm 
drehen. Sollte man es glauben, daß eine Gans fo rei⸗ 
ad, fo verftändig ausfehen könne? Laßt mir die Frau 
angefcporen, ich febe es ihrem Weſen an, dag fie eine gute 
Vitthin it. Sieh nur, wie das Kujfer baut geſcheuert 


12 Geiftererfpeinungen. 


an den Wänden berumbändt. Wie die reinlien zinnernen 
Zeller in Reiben über dem weiß geſcheuerten Kuͤchentiſche 
blinken. And die irdenen Krüge hängen in ſymmetriſcher 
Ordnung. Die Thür zur Speiſekammer öffnet fih, und 
zeigt mir Tonnen und Flaſchen in unendlichen Reihen. 

In diefem Augenblide bekam der Junge, der drinnen 
den Bratfpieg wendete, ein Paar tüchtige Maulſchellen, dag 
das Kachengewölbe davon dröpnte, er erhob ein fürdterli« 
es Geheul, und ſchrie: IN’e nicht genug, daß id) fein ein- 
ziges Stud Bänfebraten befomme, muß id) mir noch oden- 
drein Obrfeigen geben laflen? Was hab’ ich denn gethan? 
— Nihte! fprad die Frau, darum eben befümmf Du 
Waulſchelen; Du haft den Bratfpich zu drehen vergeflen, 
Schlinge! — Ihr feid cine gottlofe Frau, winfelte der 
Junge, und behandelt eine arme Baife, daß es Gott er⸗ 
barme! Immer mug ih mit ſchimmlichem Roggenbrote, 
hartem Käs und Dünnbier vorlich nehmen, während Ihr 
und Euer feifter Sohn Euch mit Spanferkein, Merfebur- 
ger Bier und Gänfebraten vollauf mäftet. Morgen Sonn _ 
tage kommt er aus der Stadt, und heute Abend müſſen 
ſchon die Gänfe gebraten werden, weil Ipr mit ihm im die 
Kirche geben wont. Co zeigt denn aud Früchte Eurer 
Gottesfurcht. Was Hilft das Beinen in der Kirche, wenn 
Ihr immer graufamer nach Haufe kehrt? Gott fieht nur 
auf das Herz; Beweiſet, dag Ihr ein chriſtliches Gemüthe 
babt, effet meinetwegen die Gaͤnſe mergen allein, gebt wir 
nur heute Abend die Flügel, — Ei warum nicht gar? rief 
die Fran, Gänfe ohne Flügel ſollte ich morgen meinem 
Sohne vorfegen? Dann wär’ id eine Mutter, auf welche 
die Leute mit Fingern zeigen wärden. — Sie werden ihm 
wohl ohnedieß in den Mund füegen, fagte der Junge; Men 


Geiftererfheinungen. 18 


fen fürdptet. Ipr freilich nicht, ale armen Leute und Ber 
dräugte jagt Ihr ohne Mitleid und Erbarmen von Eurer 
Schwelle; nehmt Euch in Acht, dag night wieder der todte 
Martin Kiperkein, der verwichene Worhe an den Gaigen 
gehangen ward, fein freideweißes Gefiht ins Bleifeniter 
binein ftede, wie er es ſchon einmal gethan, weil Ihr bei 
feiner Hinrichtung fein Mirfeid fültet. Kirche und Kirchhof 
find au, mie Ipr wißt, nicht weit von hier. — Knabe, 
ſorich nicht fo ruchlos, erwirderte die Frau fanfter mit ger 
dämpfter Stimme; laß die Todten ruhen und fei fromm, 
id will Dir ein Stil Bratwurſt und cin Weißbrod geben. 

Diefe Worte waren für Seiferten genug. Das Bün- 
del mit theatralifgen Siebenſachen ward aufzethan; er 
machte ſich ein Lreideweißes Geficht befeftigte einen Strid 
um feinen Hals, hüllte fi in ein Gewand, und ftand als 
der leibhafte gehangene Martin Kiperlein da, bütete fd aber 
Wohl zu erſcheinen, bevor die Gänfe an dem Spiege gar 
waren. Kaum fah er fie aber im Hafen auf zwei großen 
iimernen Tellern, fo klopfte er leiſe ans Fenſter, und drüdte 
feine Nafenfbiße flach gegen die Scheibe. Das todtendlaffe 
Bencht fehen, ſchreien und weglaufen war das Wert eines 
Angenblids für ‚die Frau fomohl ale für den Burfden; 
burtig bineinſpringen, die Bänfe, zmei Brote und einen 
Neug Bier wegfünappen, das augenhlidlihe Geſchäft Sei- 
ferte. Drauf ging er froenftreihe zur Kapelle, mo die 
Mahlzeit verzehrt werden follte, 

36 blieb auf dem Kirchbofe anwillig zurüd, und in 
diefem Augenbfide war mein Borfap gefaßt, mich von Sek 
ferten zw trennen. Es gebt zu weit? dachte ib; Freifich hut 
er alles im Scherz, ohne Bosheit, ja es miſcht Ach ſogar 
immer etwas Bieheneiwärdiges und Keces in feine Toliheir 

Dehlenſ. Schriften. XVI. 13 


194 Geiftererfheinungen. 


tem, ſolche Geſchichten önnten uns aber zulept unglüclich 
machen. 

So mit mir ſelbſt redend, hatte ich mich auf einen 
Grabſtein gefeht, auf den die Lampe aus dem Kapellfen - 
fter ein ſpärliches Licht warf. Wie erſchrak ih, ale ic, in 
meine Grübeleien verfunken, die Augen auffhlug, und 
mid) ſelban der entdeckttel Eine lange, bleiche Beftalt ſat 
in weißem Gewande auf der entgegen geſezten Ece mir 
‚gerade gegenüber, und fah mich mit hohlen Augen an. Ich 
wollte fliehen, die Geſtalt grif mid mit cisfalter Hand 
an. am, und halt ohnmachtig ſant ih auf den Grabſtein 
zurück 

Atmer Jungling! ſeufzte der bleiche Mann, biR Du 
auch unglaclich? Ich bin der Geiſt eines Unglüclichen. 
Fürchteſt Du Dich vor Geſpenſtern? — Mein Schreck er⸗ 
laudte mir keine Antwort, und die weiße Geſtalt fuhr fort: 
Du Hart Dich auf das Begräbnig meines zweiten Ihe nie ⸗ 
dergelaffen, fo bift Du in meiner Gewalt. Ich will Dir 
das Grheimnig meiner Leiden anvertrauen. Bas ich in der 
Belt gewefen bin, und welden Namen id) damals führte, 
weiß id in dem jetzigen Zuftande nicht mehr. Daß ih) aber 
ein edles Maͤdchen liebte, weiß ich leider noch gar zu gut. 
Ich gewann ein treues Herz. weil ich, wie Du wohl noch 
an meinem Schatten wahrnehmen fannft, cin überaus fihd« 
ner Züngling war. Eitelkeit und Leihtfinn machten es mir 
aber bald zum Vedürfnig, andern Liedſchaften nachzugehen. 
Da grämte fie ſich in der Stille, ſchmactete Hin und ftarb. 
Ich meinte und rang die Hände. Bald fiehte ich aber 
wieder der Leichtſinn ein, ja fo ſchuell. daß ich wide eimmal 
warten konnte, bis das arme Kind zur Erde beftattet 
wurde. Abends vor ihrem Lrichenbetaͤnzuiſſe ging ich ſwät 


’ 


Beiftererfheinungen. 18 


anf der Strafe, Der Mond ſchien. ih dachte an fie, ich 
hatte in einem Garten Rosmarin groflükt, und wolte da» 
mit ihre Leiche zieren. Da ward id plöplih auf der an- 
dern Seite der Etrage ein ſchoͤnes junges Frauenzimmer 
gewahrt. Es Hatte kürzlich geregnet. fie hatte den Not 
mehr ale gewühnlic aufgezogen, und die (dönften Beine 
mit ſchueeweihen Eträmpfen und kleinen lichtgrauen Schu⸗ 
ben zeigten Ach wir. Sie ging virle Straßen durch, ſchien 
es aber nicht übel zu nehmen, daß ich ihr folgte, immer 
wit wonnetrantenen Augen die niedlichen Beine betrach ⸗ 
tend; und wäre fie wie eine Merrnise ins Waſſer geman- 
dert, ich wäre ihr blindlings gefolgt. 

Bo wir jept waren, mußte ich nicht, ich fab unr fie. 
Endlich falüpfte fie in eine Thuͤr hinein, ohne diefe hinter 
ſich zu ſchtießen. Ich wagte es, ihr zu folgen. Bald ſtan⸗ 
den wir im Beinen Zimmer. Ein weißes Rubelager ſtaud 
mitten in der Stube; lange weiße Gardinen waren ver 
die Feuſter gezogen. Sie ſchwedte bin zum Nuhebette, 
firedte ſich darauf Hin und ein ſchauerliches tlagendes Aech-⸗ 
zen heulte durch die Luft und durchbebte alle meine Nero 
sen. Ih wollte flichen — die Thüre war zugemacht — 
Komm, Liebchen! zage nicht! tönte es wieder ſpoͤttiſch. Ich 
nahete mic ihr — fie lag blag umd hang ausgeftedt. Ich 
wollte ihre Hand ergreifen — eine eisfalte feuchte Hand 
drüdte id mit der meinigen. — Gott! es war meine verfter- 
bene Braut! Ich ſtand vor ihrer Leine am Sarge. Gin 
Eimer mit Baffer ftand anf dem Boden; der Dedel zum 
Sarge war an die Wand gelehnt, ein dumpfer Leichengt⸗ 
ru, vermifht mit dem widerlichen Geruche der neuen 
Feuſter⸗ Gardinen erfühte die Luft. In dieſem Augenblicke 
fiel ich ohmmäntig hin und verſchied. I 


1% Geiftererfeinungen, 


Aber die tollen Menſchen glaubten, ich lebe noch. Statt 
mich zu begraben, mie ich fie mit weinenden Augen bat, 
ſperrten fie mid in ein Irrenhaus ein, und zwangen mid, 
troß meines Todes, zu effen umd zu trinten. Ih babe 
mic) aber, ihrer Wahfamteit ohnerachtet, aus dem Ges 
fangniſſe geſchlichen, das Grab meiner Geliebten aufgeſucht 
und es glaglich entdeet. Nun habe ich fie reuig um Ver⸗ 
zeihung gebeten, ihr Geift it mir erſchienen und bat mir 
verfündigt: Wenn id einen unfhuldigen Jüngling, wie 
Abraham feinen Iſaak, auf meinem Grabfteine opfern 
Fönne, dann würde ich, während fein Blut das weige Mar- 
morgrabmal färbe, Nube befommen. — So fand ih Dich, 
theurer, herrlicher Jüngling! Dein Auge betrügt nicht, Du 
bift gewiß gut und unfhuldig, und verdient, was ih für 
Did thun will. Durd Deinen ſchnellen Tod werden wir 
beide fogleid) zur ewigen Seligkeit und Ruhe gelangen. 
Rimm es mir alfo nicht übel, daß ih Dir dies blinkende 
Meter ins Herz ſlohe. 

Mit diefen Worten pagte mid der Nafende am der 
Bruſt, und holte Frampfhaft mit der dürren Hand, die 
den Dolch bielt, aus, um mid zu ermorden. Zugleich 
aber kam eine nervigte Fauſt aus dem Hollunderſtrauche 
binter dem Grabfteine hervor, faßte den Wahnſinnigen an 
dem Arm und eine ſtarke Bapftimme rief: Da baben mir 
den Befeflenen. Fort mit ibm ins Tol . 

Obne ſich weiter um mid zu befümmern, ergriffen die 
Herbeieilenden den Wahnſinnigen und eilten mit ihm da- 
von. Etwas mußten fie Halt machen, weil der Tolle Bi- 
derſtand leiſtete. Dann hörte: ich fie ſich heimlich beſpre · 
chen. — Die Jungfrau wandelt wieder auf und ab in der 
Kapelle flüfterte einer; feht ihr mit, wie der -Scalten 


Beifererfgeinungen. 197 


drinnen an der Dede ſich hin und her bewegt? — Das 
geht uns nichts an, ſprach der mit der Bagftimme, mit den 
Todten haben mir nichts zu thun. — Unverftändiges Vieh! 
rief der Tolle, menn Ihr mit den Todten nichts zu thun 
habt, mas habt Ihr denn mit mir zu thun, der ich ein 
Geiſt bin. — Das werden wir nachher genauer unterfüs 
Sen, antwortete jener, vor’s erſte wollen wir den gnädigen 
‚Herrn Geift in eiferne Kette legen — Und fie eilten, mir 
zum Troſte mit ihm weiter, denn die unvorfihfigen Men« 
ſchen in der Kapelle fpradyen zumeilen fo laut und lachten 
fo Hell, dag man nicht blos ihre Schatten an der Dede 
fehen, fondern auch ihre Stimmen deutlich hören konnte. 
So mißvergnägt ih aud mit Eeiferten war, konnte 
ich doch nicht Nein fagen, als er heraus Fam, mic zum 
Sqmauſe in der Kapelle einzuladen, denn ich hatle den 
ganzen Tag nichts genoſſen. Drinnen war alles fehr faur 
ber und häusfich eingerichtet. Das weiße Gemand, womit 
er den Gehentten gefvielt hatte, mar über den Sarg ges 
breitet, der jept als Tiſch diente. So hatte er leicht und 
ſchlau das Schauerliche unter diefer Hülle verborgen, und 
ftatt in einem Grabgewölbe, glaubte man in einem hüb- 
ſchen heitern Luſthäuschen zu fein. Die Gänfe landen auf 
oden Tellern, zierlid) in gewillenhafte ‚Portionen geſchnit⸗ 
ten, und dabei Brod und Bier vollauf. Fünf Ruhelager 
von frifhem Stroh breiteten fih an der Waud bin. . 
Ich war fehr hungriz, und vergaß alles Bedenkliche. 
Ich muß geftehen, nie hat mir eine Mahlzeit beſſer ges 
ſchmeckt; zum Defert erzählte ich mein gehabtes Abenteuer 
anf dem Leichenſteine, meine Spießgefelen hörten mir mit 
Verwunderung zu, und bald fihliefen wir alle füg auf uns 
ferm Strohlager. 


18 Der Pfarrer und fein Küfter. 


18. 
Der Pfarrer und fein Küfter. 





‚Herr Jeſus! mas it doch das? hörte ich beim Erwa 
hen eine heile Stimme ſchreien. Ich öffnete die Augen; 
meine vier Kameraden ebenfalls, wir blidten wild umber, 
und wie erflaunten wir, als wir den Derfpfarrer und fer 
nen Küfter in der Kapellentbär ftehen fahen, erftern die 
Hände über den Kopf zufammen fhlagend. Lauft, Trau⸗ 
mann! rief er; lauft und läutet mit der Sturmglode; das 
will fagen, mit der größten, mit der einzigen Glocke, die 
wir haben. Läutet Landſturm. Zigeuner fmd in die Ge⸗ 
gend gekommen; die Zürken- find eingebroden, und haben 
thriſtliche Kirhen zu Pferdetällen gemacht. — Um Gottet- 

willen, Herr Paftor! rief Seifert, der gleich munter um 
auf den Beinen war, ſchreiet do nicht, macht ung nicht 
unglüdlih, Wir find weder Zigeuner, Türken, noch Pferde 
fondern arme fahrende Schüler, die heute Nacht fein Ob⸗ 
dad) unter den Lebendigen erhalten konnten, und deshalb 
genötigt wurden, "bei den Todten zu ſchlafen. — Bo ik. 
das gnädige Fräulein, wo iſt die Hochſelige hingerathen, 
rief der Pfarrer ängftlid; Ipr ſollt mir für ihren Beinen 
Finger verantwortlich fein. Verlieren wir fie, dann ver⸗ 
lliert die Kirche jaͤhrlich dreibundert Thaler von ihren Gie- - 
fünften. Bo habt. Ihr das guädige Fräulein gelaffen? — 
Ich glaube, fie haben fie aufgefreffen, ſprach der Küher 
troden, da ftehen noch die Knochen auf dem Teer. Spal 
apart, Trautmann, ſprach der Pfarrer ärgerlich; bier gilt 


Der Pfarrer und fein Käfer. 199 


| rin Zaudem. Wo habt Ihr den Sarg bingeidlepst, und 
"mo habe Ihr den Tiſch ber bekommen? — Düne zu ant- 
morten, riß id) das Tuch von dem Sarge; und die Mur 
mie lag da unzerlört in ihrem Kallen mit den gläfernen 
ESqeiben. Den Sarg zum Niſche zu maden, feufzte der 
Varrer, hab' ich mein Tag wicht gefehen. Und was habt 
Ihr gegeſſen? GeRoplenen Bänfebraten? Gott behäte, ant« 
wortete Seifert. Der fonderbarfte Fall iſt ung geftern ber 
geguet. Hier an der Ede wohnt eine wohlhabende Witwe. 
— Die hat Guch feinen Knochen mit Ihrem guten Willen 
wseben, ſprach der Pfarrer. Nein, gewiß nicht, fuhr Sei- 
fert fort, ohme ſich aus der Faſſung bringen zu laſſen, dean 
ds iſt die geizigfie Kreatur, die auf Gottes Erdboden geht, 
fe ih aber fehr abergläubiih. Ein wahnfinniger Menſch 
ÜR beute Nacht auf dem Edelhofe ausgebrochen: in weißem 
Gemande gudte er ihr in’s Fenfter hinein, als ie die Gänfe 
briet. Die alderne Gans, (ch meine nicht die Gans, fon. 
den die Frau,) mwähnt ein Geſpenſt zu feben, und madt 
fl aus dem Staube. Der Tode ftärzt zur Küchenthüre 
Wetein, erobert Die Gänfe, nebft Bier und Brod, umd Läuft 
damit nad) dem Gottesader was er laufen Tann. Unter 
weg6 begegnet er uns. Weil er nun todt zu fein glaubt 
und feiner Speife bedürftig, reicht er ung ales bin. Bir 
armen hungrigen Schüler danken ibm, und richten ung in 
der Kapelle fo gut ein, als es in der Eile gehen will. weil 
us im Dorfe jede Shriftenthär verſchloſſen in. Um dem 
Mbenplicen Anblice der Todten, während der Mabizeit, u 
migehen, und um der Geligen, die doch noch immer, felbit 
ab) dem Abſterben. eine unverbeirathete Iungfrau ift, kein 
Yergerniß zu geben, haben wir Diefes Gemand als Zifh- 
th für uns, umd als Bettgardine für fie gebraucht, am 


200 Der Pfarrer und fein Küſter. 


ihr; die ſchuldige Ehrfurcht zu ermeifen, und ihren gaten 
Nuf zu ſchonen, während wir fünf Iunggefellen es ung in 
ihrer Nähe commode machten und zu Bette gingen. . Der 
Tolle it noch etwas auf dem Kirchhofe umhergelaufen; der 
defperate Kerl hat einen von meinen Kameraden, den jun⸗ 
gen Menfchen da, todtſtechen wollen; zum Glück kamen noch 
die Häfcyer zu rechter Zeit, und zogen mit dem Blödfinni» 
gen ab. Seht, Herr Paftor! das ift die lautere Wahrheit. 
Und wollt Ihr mir nicht glauben, fo fragt den Herrn Ir» 
senhaus»Infpector, der ſeibſt hier geweſen ift; er ift (wenn 
ich nit irre) ein vernünftiger Ram, und wird mid nicht 
Zügen ſtrafen. 

Durch diefe halbe Wahrheit und balbe Dichtung reis 
tete Seifert ung völlig. Der alte Prediger, der ein etwas 
einfältiger, zugleich aber gutherziger Menſch war, ward 
über unfern Zuftand gerührt; und durd die ſpazhafte Ein- 
Heidung gewann Eeifert den Küfter, einen guten Kopf, der 
wit feiner trübfeligen Phyfiognomie einen Spaß zu lieben 
fbien, und. den Ton zuerft angegeben batte, 

Bir mußten die Kapelle wieder reinigen, und das 
Stroh heraustragen. Dann lud uns der Prediger zu Mite 
tag ein, und ic hatte Gelegenheit, den Character feines 
fonderbaren Famulus weiter zu ſtudiren. Er ſchien mir 
zum Küfter nicht geboren. Vierzig Jahre mochte er ohn⸗ 
sefähr alt fein, war blaß und mager, hatte aber ein ſchö⸗ 
mes, ausdrudsnolles Geſicht, umd die tiefliegenden Yugen 
hatten noch Feuer und verrietfen Gefühl. Gr trant unter 
der Mahlzeit viel Wein, und fpottete in outmüthigen Tone 
über die Welt, ohne doc aufgehört zu Baden, die Menſchen 
zu lieben. Der alte Prediger war ein lieber phlegmatiſcher 
Altagemenfh, und fand Gefallen an uns, weil ihm Sei⸗ 


Der Pfarrer und fein Käfer. ar 


fert ſchmeichelte, und die aften Schildereien im Papzimmer 
rühmte. Nun, Trautmann! rief der Alte heiter über den 
Ziſch. es ift nicht genug, guten Wein zu trinken, man muß 
auch dazwiſchen ein Lied fingen; was büft es fonft, die 
Kehle anzufeuhten? — Er kann viele hübſche anftändige 
Trintlieder, verfepte der Alte, die ſich auch vor geiftlihen 
Leuten bei einem Glafe Bein ohne Auftoß hören laſſen. — 
Ein.anfändiges Trinklied! rief Seifert, fo ein gebratenes 
Huhn möchte ich wohl au in der Luft fliegen ſeben. D 
Sieber Herr Küfter, fingen Sie doch. — Er bat eine fehr 
gute. Singftimme, flüfterte der Prediger Sciferten in’s Ohr, 
um feinen Liebling nicht laut zu rühmen; darum hab’ ich 
ihn zu meinem Küfter und Gantor gemacht. Wenn er nur 
nicht fo tief in’s Weinglas fähe; doch Ihr kennt wohl das 
lateiniſche Sprichwort: Cantores amant hamores. Nun, 
verfelte Eeifert, wenn er nur immer anfändige Trinklie⸗ 
der dazu fingt, fo bat es nicht fo viel zu bedeuten. Nun, 
Trautmann! rief der alte Prediger, der heute felbft ein 
Glas mebr als gewoͤhnlich getrunken Hatte; ein gutes Lied! 
Bein und Liebe! Liebe und Bein. Dafür braucht ſich ein 
lutheriſcher Geiſtlicher nicht zu Shämen! Cingt doch unfer 
großer Neformator, Doctor Martin Luther, felbft: 


Wer nicht liebt Wein, Weider und Gefang, 
Der bleibt ein Narr fein Bebenlang. 


Luther! rief Seifert und ſtarrte mid ernft mit großen 
foöttifhen Augen an; Albert, das iſt Waſſer auf Deine 
Mühle. Ic ſchwieg, betrachtete aber Seiferten mit einem 
ruhigen Blide, der ihn ein wenig aus der Baflung brachte. 
Es lag viel in diefem Blid, er fagte: Seifert, ih bin nicht 
länger in Dich vergafft, Deine gar zu große Gitelfeit it 


202 Der Pfarrer und fein Küfter. 


mir jept recht einlenchtend. Du willſt immer allein fore- 
Gen und fürcteft fogar jet. da es uns vieleicht heim al- 
ten Prediger nupen fünnte, daß ich aud ein Wort mitrede. 
Sci nur ruhig, bald werde ich nicht Dir und Du nicht 
länger mir zur Laft fallen. — Er hatte eine gute Nafe, 
witterte. was in meinem Gemüthe vorging, nnd wollte mich 
im Gruft als einen Enfel Luthers vorſtellen; ich raunte ihm 
aber in's Ohr: Kein Wort davon, oder weiß Bolt, ich 
ſtehe vom Tiſche auf und gehe meines Weges. 

Der Küfter, der damit befhyäftigt war, die Bläfer zu 
füllen, und die Epifode zwiſchen Seifert und mir nicht ges 
merkt hatte, fagte jeßt: Ich weiß wohl, dag man gewöhn- 
lich den Bachus mit der Venus zu Haaren pflegt, das iſt 
aber, meiner Meinung nad, eine ganz abgeſchmackte wife 
rable Ehe, eine wahre Mesalliance, aus der mein Tag 
nichts Gutes beraustommen fann- Entweder muß Liebe 
ohne Wein, oder Bein ohne Liebe genoſſen werden. Wie 
werdet Ihr nun wieder diefe Sophifterei beweifen? frag ihn 
der alte Pfarrer. — Durch ein Lied, fprad der Küfter, 
das ich felbit vor zehn Jahren gedichtet habe, als ih noch 
zu etwas taugte. Drauf fein Glas vor ſich hinſetzend, 
fang er: 


Glücklich lieben, Bachus lieben? 
Rein, dad thut fein rechtet Mann, 
Ber glüdfelig lieben kann, 

Dem iſt Bachus fremd geblieben, 
Denn Gupide mit dem Köcher 

IR in fein, zu zart geſtant; 

Er iſt zartlich wie ein Kind, 

Lebt nicht mit Dem Gott Der Zecher 


Der Pfarrer und fein Käfer. 


Feucten kanuſt Din zwar die Sippe 
Lichender, Damit in Glut 
WBlöder Amor tinde Bath. 
Bacıns ans der Acenirve 
Uber aus der Siebe Schale 
Schlürfen fie zu fühen Bein. 
Nebenfait auch trinken? Rein, 
Yast wicht zu der Liebe Male. 


Ded unglüdlich, ohne Hoffen 
Lieben, ohne euſt und Mutd — 
Ja — dann fhüren du die @lut, 
Gott, und jeigfi den Himmel offen. 
Dann, dann muß ſich an Dich halten 
Ein verlafien traurig Gern, 
Dem Du linderſt feinen Schmerz. 
Mit den dunfligen Gewsalten. 


Zrinten wit ich, und nicht weinen, 
ZTeinten weue Scbenslaft; 
Im die dunkle, wunde Bruſt 
Wird dann Sonne wieder fchein 
Zrinten win ich ohne Trauer, 
Und vergefen, wenn ich fing’, 
Jene Traube, die mir hies 
@gr zu hoch und gar zu faner. 





Leider nur iR Deine Schale, 
Bachus. wie n cht tief genung; — 
Wagt ich dreiſt den fühnen Sprung. 
Wär'd geipan mit einemmale. 


204 Der Pfarrer und fein Küfter. 


@edt deu Wluß, er winkt dein Becher! 
Ber da trinkt, nicht ferner Magt, — 
Erin — e6 war im Eicher) gefast; 
Füut mir wieder meinen, Becher! 


Als Trautmann das Lied geendigt hatte, ftand er auf, 
und ging in den Obfigarten, der an das Epeifegimmer 
ſtieß, um den Tauben im Taubenſchlage Erbfen zu geben, 
und der alte Prediger feufzte: Lieber Gott! faſt follte ich 
glauben, der alte Kerl fei noch etwas verliebt, obſchon es 
bereits fünfzehn Jahre find, feit ihm der fhelmifhe Heis 
dengott Eupido die Bruſt vermundete. Ich verlange, daß 
er ung ein anftändiges Trinklied finge, und dann fingt der 
gottloſe Menſch ein verkapptes Selbſtmörderlied. — Nun, 
Herr Paſtor, ſprach Seifert, es war wohl fo übel nicht 
gemeint; die Leute, die von dergleichen ſchwaten, vollfüh- 
en es ſelten. Freilich Härte ich lieber cin luſtiges Trint⸗ 
lied gehört; wenn es aber durchaus melancholiſch ſein ſollte, 
mar doch dieſes Lied keines won den ärgften. Und konnte 
es nicht toll auf die eine, fo mußte es ſolches auf die andre 
Beife fein. Wenn man trinkt, feht Ihr, mug man ent 
weder das Leben, oder den Tod bis zur Tollheit lieben - 
und rühmen; denn was die Anftändigkeit‘betrift, Herr Pa⸗ 
for, die ift gewiß ganz vortrefflih in mander Rückſicht. 
aber zum Trinken taugt fie nicht viel. Ein guter Trunt 
muß entweder ganz warm, oder ganj kalt gemoffen werden; 
das Laue ift mnr zum Erbrechen. Euer edler Bein hat 
mich erhißt; das Trautmann’ihe Lied Hat mid wie ein 
ſchmackhaftes Eis oder Gefrornes zum Nachtiſch wieder ab⸗ 
gekühlt. — Was ſprecht Ihr da von Eis, Gefrornem, und 
ich weiß nicht mas! junger Sant? rief der Alte, der Seis 


Der Pfarrer und fein. Küſter 0 


fertens Spaß nit verſtand; was ſprecht Ihr von ſchwahen 
und nicht hun? Ich fage Euch, er Hätte es gethan, wenn 
ich nicht geweſen wäre. Nein, fo mug Liebe nicht beſchaf⸗ 
fen fein. Ich habe auch den Berluf einer. braven Ehefrau 
beweint; aber ales mit Magen. Man muß nicht darüber 
zum Narren werden. — Freilich, fagte Seifert, wenn das 
Kind ſtirbt, fo ift die Genatterfhaft vorbei, — So meine 
ih es nicht, ſprach der Yrediger; man hat aber mehr zu 
thun, als zu lichen in der Belt, und man muß nit alles 
aufgeben, weil ein Bunfc uns mit gewährt wird, denn 
das ift eine unmännlihe Schwachheit und gottlos obendrein. 

Zrautmann verliebte ſich vor vielen Jahren. in ein büb⸗ 
ſches Madchen, das ih, ihren Eltern zu Gefallen, ſchon 
mit einem andern achtbaren, fehr refpeftabeln anne ver- 
ſprochen hatte. Nun fah fie den guten Trautmann zu fhät, 
und mußfe nachher in ihren fauern Apfel beißen. Ich traf 
den verzweifeiten Jüngling eben, als er im Begriff fand, 
fi den Garaus zu mahen. Er wollte fi) in dem Flug 
ertränfen. Ich bielt ihm aber eine tühtige Strafpredigt, 
Bant Ihr glauben. — Nachher it er mein Küfter gewor⸗ 
den; und da muß ic geſteben, hat. er in zehn Jahren fein 
Amt mit Gewiſſenbaftigkeit verwaltet, und die Gemeinde une 
gemein mit feiner fihönen Tenorftimme-erbaut, wenn er die 
herrlichen Lieder von Ergebung in Gott, Sehnſucht nach 
dem Tode, Hoffnung an die Unſterblichteit, und Troft im 
Unglüd gefungen. Die Leute glanbten, es fei pure Got⸗ 
tesfurcht, Die aus ihm töme. Gott befler's! Ich muß 
wobl, we thn:der Schub drüde, dag es vur eine weltliche 
Liebe fei, die ihn begeillere. Ich ließ aber die guten Chri- 
ften in ihrem frommen Wahne, und dachte: auch aus einem 
zerbrochenen Scherben ann man dei himmliſchen Labetrunk 


206 Der Pfarrer und fein Käfer. 


ſchodfen. Nahhher it er freific, bitterer und ſpoͤttiſche 
geworden, und hat aus Trotz, weil ihm die Vorſehung ein 
geliebtes Weib verfagte, time alte böfe Sieben geheirathet, 
die ihn täglich mehr ärgert, als Kantginpe den Sokrates. 

Der Küfter kam wieder zurück, und als er etwas mit 
Sciferten geſprochen, und feine Anfihten und Meinungen, 
mit denen er immer gern bervoreädte, befonders wenn er 
ein Glas Wein getrunken hatte, kennen gelernt, ſprach 
Trautmann: Ihr ſcheint mir von einem militärifhen Geitte 
befeelt zu fein, und fofltet Billig in diefen wichtigen Zeiten 
Kriegsdienfte thun, ftatt mit jungen Leuten herumzuziehen. 
und Eure Zeit zu vertrödeln. Zreilih, mas Ihr von dem 
Tilly, dem Wallenftein ſprecht, ift wahrz fein braver Menſch 
follte ſich billig diefen düftern Räuber» Häuptlingen anſchlie⸗ 
gen. Allem wißt Ihr denn nicht, Daß gerade ein folder 
Held, wie Ihr ihn wunſcht, ein wahrer Enkel Odins, wit 
feinen nordiſchen Burſchen, wie Ihr fie nennt, auf deut⸗ 
ſchem Boden erſchienen it? Der herrliche Guſtavus Adol⸗ 
phus von Schweden, der mit feinen Nordenhelden in den 
Scheren bei Elfenaben gelandet ift, um den Proteftanten 
in der äußerten Rorh beiquftehen. 

Bir jungen Leute verwunderten uns, folche Nachrich- 
ten zu hören, denn obwohl Zeitungen ſchon damals heraus⸗ 
gegehen murden, waren uns doch weder das Frankfurter 
Journal, noch der Poftreuter zu Geht gelommen. Der 
alte Prediger wollte auch ein Wort mitſprechen, er verwech⸗ 
felte aber und verdrehete alle Ram, und warf Begeben- 
beiten und Jahreszahlen fo vermorren unter einander, daß 
der Küſter ale Mühe hatte, denn Wirrwar wieder in Ord- 
nung zu bringen. 

Bon diefem Abende an Hatte Seifert feinen Entſchlut 


Der Pfarrer und fein Küſter. 207 


gefatzt: er wollte zu Guſtav Adohph, und bei ihm ſein 
Süd verſuchen. Unſere drei Reiſegefaͤhrten folgten ihm. 
Umd ih? Bas that denn ih? Ich hlich beim alten Dres 
diger, um — Subftitut feines Küfters zu werden. . Ihr fire 
det, das fei ein fehr Meines Gluck geweſen. In meiner da 
maligen Lage war es in der That ein fehr großes! Denn 
mas wäre fonft aus mir gemerdrn, da id) nun einmal nicht 
Luft hatte Soldat zu werden? Ich follie bei Trautmann 
wohnen, und er verfprad, mir in Iedigen Stunden in den 
Schulwiſſenſchaften gruͤndlicheren Unterricht zu ertheilen. Er 
bat Bort gehalten, der arme Unglückliche, und ich werde 
feine die bliche Erſcheinung nie vergeflen. 

Bon Seifert trennte ich mich nicht ohne Betrübnig, er 
war aber, nad) feinem Entſchluſſe Soldat zu werden, noch 
härter als fonft, und machte es ſich ordentlich zur Pflicht. 
alle müderen Gefühle, die oft im veizendften Widerſpruche 
mit feinen Grundfägen fanden, zu unterdrüden. Wis ih 
am legten Abende gerührt durch das bitterfäge Gefühl des 
Abſchiedes etwas fagen wollte; rief er: Nicht doch! Noch 
brauch ih feinen Feldprediger, Einen Kerl, wie mid, fin 
dert Du leicht wieder, und Deines Gleichen giebt «6 auch 
noch in der Welt. Ich mag das Heulen und Umhalſen der 
Leute in der beten Abſchiedeſtunde wicht leiden. Oft ger 
ſchieht es, wenn man ſich auch vorher nicht ausftehen mochte 
aus lauter Freude, dag man ſich gegenſeitig los werde. Im» 
mer leben ſoiche Menfihen in der Ginbitdung! Nach dem, 
was zugegen ift, fragen Tie nie; fie wollen nur das Ver⸗ 
lorne beröeinen ; und das Verſchwundene · ¶ welches fie auch 
nicht genoſſen baben,) muß immer als Folie und Hinter- 
grund ihrer Wehmuth und Verſtimmung dienen, um den 
Genuß der Segenwart zu ſcwachen. Etwa wie eine alte 


208° Der Pfarrer und fein Küfter. 


Witwe, die ihren erſten ſeligen Mann (mit dem fie ſich tg 
lic) zankte) beweint, um den jegigen täglich zu ärgern. Se 
auch das Beten und Lamentiren auf dem Sterbelager, weil 
man ein Leben verlieren fol, das man oft gar nicht genofr 
fen Hat. Willſt Du nicht auch, dag ih in Dein Stamm 
buch ſchreibe; „Wandle auf Nofen und Vergißmeinnicht? 
Und wenn Du etwa im Fraukfurter Journal lieſeſt, der 
Hauptmann Seifert ſei da und da rühmlich gefallen, wiäR 
Du dann wicht noch ein Meines Grabhügelden zuſamut 
dem Kreuze mit der Feder unter weinen Namen bine 
zeichnen? . 

Ich mußte nicht was ic zu diefen geſchraubten Res 
densarten fagen follte; ich drüdte mit Ernft und Ruhe feine 
Hand, und ſprach gemürblih: Lebe wohl, Seifert! ih 
danfe Dir für die guten Stunden, die wir mit einander 
genoffen haben. — Da ftärzten ihm ploͤhlich die Thränen 
aus den Augen; er drüdte mid beftig an die Bruft,_küßte 
mid, als ob id) feine Geliebte geweſen waͤre, bat mid aber 
zugleich. es ja Niemanden zu fagen, daß er fi fo unmaͤnn⸗ 
U und ſentimentaliſch auführe, damit man ihn nicht det 
wegen belache und verachte. Ia er ſchrieb es fogar dem 
Rauſche zu, odſchon er doch eben diefen Abend fehr wenig. 
getrunken Hatte. Drauf riß er fi) von mir los und eilt 
‚von damen. 

In ſtilles Nachdenken verfunten ſaß ih auf weinen 
Simmerchen, und dachte darüber nah, was ih an Seifert 
verforen habe. Eigentlich war fein Ginflug auf mid fein 
guter gewefen, er hatte mich zu dem vagabundifcen Zebra 
verführt, und mit Sophismen oft meine ſalichten rechtliche 
Grundfäge wantend gemacht Immer wollte er allein re 
den, immer ſich folbſt Wöcen, ftets wottete er meiner Ge⸗ 


Unglüdlige Liebe 200 


fühle. Kein eigentliher tiefer Eruſt, feine Ruhe, keine 
wahre Heiterkeit war in ibm; obſchon er bekändig dies 
Bort im Munde führte. Mit außerordentliher Beredſam ⸗ 
keit und Begrifterung vertheidigte er gewöhnlich eine ſchlechte 
Sade gut, ohne ſelbſt ſchlecht zu fein. Seine Liebenswür⸗ 
digkeit und Laune, fein Unternehmungsgeit, feine vielen 
einzelnen freifenden Bemerkungen und originellen Gedanken, 
die Lebendigkeit, womit er jeden Gegenftand auffagte, alles 
das mußte ih an ihm loben und f&hägen, und ic fühlte 
wohl, dag ih einen ſolchen unterhaltenden Geſellen auf 
meinem Lebenswege nicht fobald wieder antreffen würde. 


19. 
Unglädlide Liebe. 





Es freute mic, wieder eine file, ehrhare Lebensweiſe 
einzufhlagen; mein Verhaͤltnig zu Trautmann war ange 
nehm, fein mitdes melaucholiſches Schweigen. ein briffamer 
Bakfam auf alle Wunden, die mir Seiferte Geſchwätzigkeit 
oft geſchlagen hatte. Icht konnte ih doch zuweilen ſelbſt 
denken und mich frei äußern. In Jenes Gegenwart fühlte 
ih zulegt meine Kraft gelähmt, meine Perſonlichteit unter» 
drüdt; umd id gemähnte mich nach und nad daran, die 
Rumme Verſon zu fein, die er eigentlich zu feinem Befehls 
ſcdafter haben wollte, damit diefer,. wie ein Conductor, die 
falten Funken feiner tgoiſtiſchen Electriſtrmaſchine cmpfange 
and weiter bringe, ” 

Oehlenſ. echriften. XVL 14 


210 Unglädlige ‚Liebe. 


Trautmann ſprach freilich zu wenig. es freute ihm aber, 
die.Rtaffer mit mir zu leſen, und durch feine geiftreiche 
Mittheilung gewann id Geſchmac an einer Befhäftigung 
die mir vorber beinahe widrig geweſen war, und zu web 
her ich mid) zwingen mußte. 

Meine täglihen Gefhäfte in der Kirche waren mit 
auch lieb. Ich ging dert oft allein und betrachtete die Bil 
der verftorbener Prediger an den Wänden. Wenn Kinder 
getauft wurden, mußte ich den Taufftein "mit vapiernen 
Blumen ſchmucken; im Sommer ſuchte ib. anfangs natür⸗ 
tie Blumen zu befommen, davon wollten aber die Bauern 
nichts wiffen; fie verbanden mit den alten ſtaubigen Kirchen» 
blumen, die fo oft bei ähnlichen Gelegenheiten gebraudt 
waren, einen Begriff von Heiligkeit; Zeldblumen, meinten 
fie, Hätten fie bereits draugen, deshalb brauhten fie nicht 
ihre Kinder zur Kirche zu bringen. Das ließ ich gut fein, 
denn Aogefhmadtheit felbft kann ſich mit dem Gefühle ver- 
Hinden, und ein guter Geihmad herzlos nachgemacht were 
den. Bei Begräbniflen fang ich mit Trautmann das Ster⸗ 
der, ‚bei Hochzeiten das Brautlied. So gewöhnte ih mich 
daran, als ruhiger Zuſchauer die Menſchen in ihren glüc⸗ 
lichſten und unglüdlicften Augenbliden zu ſehen, und reli-· 

gidſe Erhabenheit, die ihre Freude und ihren Schmerz mã⸗ 
Bigfe und milderte, gab dem Allen ein Gepräge höherer 
Bürde. j 

Oft wenn ic. allein ging, dachte ich an Martin Lu 
ter, an meine feligen Actern, on meinen 'guten Bruder, " 
den id vieleicht nie mehr fehen würde; dann wmeinte ih 
herzlich, und fah mih als eine arme verlaffene Waiſe an. 
Bean ic mid..dann aber vor dem Altare niederwarf, wert 
ich das Bild des frommen Iefus ſah, wie er am lehten 


Unglädlihe Liebe. 211 


Abende mit feinen Iüngern zu Tiſche faß, wenn ich meine 
Anger zur Taube des Tauffteins, zu dem hebräiſchen Ies 
bova-Naunen im myftifchen Dreied über der Orgel erhob, 
und die kleinen Pofaunen» Engel in blauen Bolten, mit 
vrrgoldeten Bretterftrahlen, erblidte, Daun fühlte id mid) 
wie von unfichtbaren Geiftern umgeben in einer ewigen 
Örimath, die ich mie verlaffen konnte, und ward micder 
heiter und froh. 

Zu Haufe wurden mir die Unterrihtsfiunden auf Traut⸗ 
manns Zimmer die liebſten. Meine Wohnung war fehr 
föleht, und ich konnte einen ganzen firengen Winter hin, 
turd) aus meinem Bette den Himmelswagen durch Deilr 
nungen im Dache deutlich ſehen. 

Unten in der Stube bei den Eheleuten war es wieder 
gar zu fhwül; denn die böfe Frau beizte den Ofen derma« 
ben, dag man Aepfel an den Zenftern braten konnte, dabei 
yanfte und lärmte fie wie ein böfer Höllengeift. Nie batte 
id damals den Hauptgenuß eines jungen Menfhen, mic 
ritig fat effen zu Können. Wenn fie mir Abends ein 
Vütterbrod gegeben- hatte, frug fie: Bill Er mehr? und 
idon mir der Mund nad) einem zweiten wällerte, wagte 
6 es nie, Ja! zu fagen, um den Zorn meiner Wirthin 
uicht zu reizen. Nur wenn id beim Prediger a. oder 
Bean mic Trautmann im Wirtöehaufe befäigte, konnte 
it meinen Hunger völlig ſtillen 

Trautmann ſprach faft nie mit feiner Tran: wenn fie 
müthete, begnägte er fi), fie mit einem ftilen, veraͤchtlichen 
Blic anzufehen, der fie noch mehr in Wuth brachte. Ward 
ihm dann zu arg, fo ging er entweder auf fein Zim⸗ 
mer, wo fie ihn nicht ohne Gefahr verfolgen durfte, oder 
deſuchte feinen Freund, den Gaſtwirth. Ben er dann 

14 


2° Unglüdtige Liche. 


Abends fpät, benebelt, nie aber eigentlih_befrunfen, nach 

Haufe kam, war er am liebenswärdigften und geiftreiäten 

gegen alle andere, nur wagte die Frau «6 nicht, ihm in 

diefem Zuftande in die Duere zu kommen, denn daum pr 

gehte er fie gewöhnlich, ohne cin Wort zu reden und ging. 
zu Bette, 

Einmal, als ih ihn in diefem BuRande nah Haufe 
begleitete, er fehr aufgeräumt war, und über die Erbärms 
Jihfeit feiner Frau fpottete, wagte ich, ihn zu fragen, wie 
er denn zu einer folhen Gattin gekommen feit Ich bin 
gar nicht zu ihr gekommen, erwiederte er launig, fie it zu 
mir gefommen! Sie hat um meine Hand angehalten, und 
id) fand es unverihämt von einem Manne, einem Fraum ⸗ 
immer den Korb zu geben. Id mar damals ſchon nichts 
mehr werth. Wie nun aber die Weiber find, fie Hatte fih 
eigenfinnig in mid) vergafft, umd ich wollte fie nicht betr. 
den, weil id aus Erfahrung wußte, welch' ein bittere 
Kraut unglüdlice Liebe ſei. Zuerft war ib freilich Wir 
lens, mic zu erfäufen, und das wäre ohne Zweifel das 
Bernünftigfte geweſen. Der alte Prediger legte ſich aber 
dazwifhen, als id eben bineinplumpen wollte. Ic: ver» 
narhlägigie alles, wohnte im Haufe meines Lordens, fe 
gab mir zu effen, zu trinken, Kleider, Schuhe, Bett, Ofen 
wärme, fogar Tafchengeld. Gott weiß, wie viel ich ide 
ſchuldig war, denn id bin Immer ein ſchlechter Buchhalter 
gewefen. Da vertaufte ich mid ihr denn mit Haut und 
Haar, damit das Ding ſchneu ein Ende befomme. Ib 
verſchrieb mid) ihr mit meinem eigenen Blute. Sie war fe 
großmüthig, mein hinfälliges Wefen für Baluta zu nehmen, 
obgleich es ſchon damals, weiß Gott, nicht länger Couraut 
war. Ibr Schelten und Läͤrmen war wir nicht aumider, 


Unglüdlicht Liebe. 213 


ib habe fünf Jahre in der Nähe eines Kuvferſchmide ge⸗ 
baufet; da gewöhnt man fid an ſolchen Spectakel und hört 
in zuletzt nicht mehr. Auch könnte ih nicht fagen, daß 
mid anfangs ihre Zänfereien ſehr werdroffen hätten. Ich 
langweilte mid, vernünftig konnte ich dech nicht mit ihr 
den, über Defonomie, Gulden, Groſchen und Kreuzer 
magte ich es nicht, Betrachtungen anzufellen — womit folle 
tem wir ung nun unterhalten? Kenntniffe beſaß fie nicht, was 
Alzonder gethan, mas Ariftoteles geſchrieden hatte, war 
ihr verdammt gleihgültig. Da kam ein gutes Scheltwort, 
fine unvrrſchaͤmte Beleidigung, oft wie gerufen, brachte mir 
das Blut wieder in Wallung, und da gab es denn immer 
velauf zu ſchlichten, zu beſchwichtigen und auszugleihen, 
mitunter zu prügeln. 

Bir waren dis an die Hausthüre gefommcn, und hör- 
ten fe drinnen die Kühenmagd laut ausſchelten. Traut- 
mann fagte: wir wollen in die Fräuleintapelle gehen, dort 
if es immer fo ordentlich und Iuftig, dort wil ih Dir 
mehr erzählen, die böfe Sieben Nört uns da nicht. Ah 
Gert, Albert, ſprach er, fid drinnen auf eine Bank nieders 
laſend, icy gehe fo gern mit den Todten um; fie liegen fo 
fändig, fo ernft und fanft, fo ruhig in ihren Särgen, 
Ste Gitelteit, Besbeit, Zorn und Duͤnkel. Doch muß ih 
Dir auch fagen, daß diefe Kapelle für mic einen eigenem 
Berth hat; denn bier ſah id) meine Siegfriede zum Lep« 
tamal, — D mein guter Herr, bat ich, erzählt mir doch 
Eure Lichesgefhihte. — Etat Dir eine froſtige Beſchrei⸗ 

ng meiner feurigen Liebe zu geben, fagte Trautmann, 
ML ich Dir ein altes Lied vorlefen, das auf dies felige 
Fräulein im gläfernen Sarge gedichtet worden; denn fle 
fol einft auch eine Unglüdiiliebende geweſen fein. Er 


FIT Bun Unglädlide Liebe. 
nahm ein altes beräudertes Papier aus feiner Ejreibta 
fel, und las mir folgendes Gedicht, deſſen Abfcrift ih 


noch befige: 


Das holde Fräulein von Grauenflein, 
Mit der Taudenfeel- und Rofengeficht, 
@ie war eine adeliche, reiche Maid, 
Allein glüfelig war fie nicht. 


Inr Vater befaß der Burgen drei, 

Einen ehernen ‚Helm, einen Schild von Era; 
Auch war er tapfer und dreift im Krieg, 
Und doch, Doch hatte der Held Fein Herz; 


Im der Kapelle iu Meifenwaid . 
Da lagen ihm Ahnen, ſechszehn an Zahl; 

Er Hatte ſich fehler als ein Affe vergaft, 

In die Zodtengerippe mit Cchädel kahl; 


Er liebte fonft nicht viel auf der Belt, 

Nur hatt’ er fich vergafft in den Echild, 

Da Manden drei Teufel mit Krallen dein, 
Das war auf der Belt ihm das liebte Bild. 


Das Fräulein wandelt unten am Bach; 
Die Mühle beim Baflerfatl kennt ihr (don; 
Da grüßt fie beim Sonnenuntergang 

Mit freundlicher Miene des Müllers Cohn, 


‚Gr hat feinen Schild mit Teufeln drin, 
Auch feine Burgen, fein Streitgewand⸗ 


Unglädtihe Liebe. , 25 


Gr Hat einen freien, dien Sinn; 
Uucy mangeln dem Burfchen nicht Big und Verſtaud. 


Und er erbt ia den Hof, mit Metern viel, 
Auch jene Mütte, ſo gut befent. 

Der Megendogen fich fpiegels drein, 

Bean die Sonne ſcheiat und dad Saher füht. 


Die Erlen ſchatten, der Eppich geünt, 
Die Muͤtiſteine ſameil ſich regen mit Sul. 
Die Liebe maple noch feineres Dedl, 
Dies Mäderwert in des Menſchen Brufl. 


Die ſchonen Stunden verranfchen fchneit, 
So wie die Wellen im Bafferfan; 

Mdein die @einneruug ſchwindet nich; 
Tönt aus der Ferne der Wiederdall. 


Der Sommer weicht mit dem fchattigen Laub, 
89 glüliche Liebe ih oft verfedt, 

Bud hinter dem nadten Herbfiedaft 

Der Nitter das freundliche Saar entdeckt. 


Du Diene daft meine Ehre deichimpft, 
Du Haft mein adliches VBiut entehrt, 
Drum fonfi Du (machten im Kerter tief, 
Der Bude da if des Galgens wertg; 


Die Unſchuld Hat unfere Liebe gefeh" 
68 ſahen die Rofen den reisften Auf, 


216 


. R Unglädlige Liebe. 


Ci Eppic treu um die Yappel ſchliagt. 
Das macht dem Himmel feinen Berdrus. 


Doch Ir feid Herr, nad Water Ibr feid, 
Und felelt die Tochter im Qualgemach; 
Dann will ich auch länger wicht leben mehr; 
© ſoricht ex, und Rürat im den Mühfenbach. 


Richt radern win ihn die Wähle fein, 

Sie Roct im dem Sanf umd cf Mad jerbeicht. 
Da floß Die Leiche fo bieich und (höm, 
Durch Blumenfapilf mit dem treuen Geficht. 


WIR Du unſchuldis und iR er tet  . 
So will ich die Thorheit vergefien Dein’, 
Komm wieder herauf aus Dem Burgocxlich, 
Ic liebe Dich wicder als Toͤchterlein 


Und werde des ebien Mitterd Gemahl, 

Der um Deine Siehe bei mir gefleht, 

Die Tochter ſpricht kein eimiged Wort, 
WS ein weißes Gefpenk im Saal ſie fiehk. 


Und naht fich dem Fenfter, und horcht und harak. 


IN, Pferdegetrappel? Kommt er ae Etund? 
Ach wein, ed war mar Dab Saufen ia. 
Das Nüderwert aus dem Mühlengrund. 


Die Grien chatten, des Eppich grün, 
Die Müplfteine fahned fi vegen mit Eaft, 


Unglüdlige Liebe. 217 





Die Liebe mahlt noch feineres Mehl, 
Died ädermert im des Menfchen Brufl. 


Der ſchone Mubelf Segraben liest 
Dort unten am Baum, wo Staudregen faut 
Der Hegenbogen ſich fpiegelt drein, 
Ein nichtiges Ding; fo iR Die Belt. 


Der Bitter kommt mit der Hochjeitfchaar 
In @0!d, Juwelen und Ppurpur ſchon 
80 iR meine Tochter? Der Mite fragt: 
Ich Habe fie heute noch nicht geieh'n. 


Sie fchläft noch droben im Schlafgemach; 
Der Mitter erblaßt, er ahmet Die Roth. 
Er flürzt in der Tochter Kämmerlein, 
Da liegt fie, weiß wie ein Engel, todt. 


Echilfblumen drüct noch die kalte Hand 
Ihr an den erblaßten Rofenmund, 

Sie hat um dad Haupt einen naflen Kranz, 
Bergismeinnicht aus dem Biefengeund. 


Das große Bermögen, dei Zräwleind Gut, 
‚Hat nun die Kirche geerbt allein; 

Im gläfernen Carg der Kapede fie ruht, 
Dort unten modert des Müllers Gebein. 


And wenn die Blade des Mdends flingt, 
Mit fipernem Laut, fo traurig fhöm, 


28 Unglüdlibe Liebe. 


Ta hat man oft in dem Grienmoor 
Als Schatten das liebende Paar gefch'n. 


Man ſieht fie mit fröhlichen Ungeficht, 

Sie ſchweben fo leicht, in Racht und Sturm 
Und fingen: Lichende grämt Euch nicht; 
Dort nagt an Liebe fein böfer Burm. 5 


Als Trautmann wir das Lied vorgelefen hatte, ſchwi⸗ 
gen wir Beide eine Zeit lang, und unfere Augen rubetn 
auf der braunen Mumie, die einft ein fo fhänes Mädchen 
gewefen, daß fie einem rüfligen Müllerburſchen den Kopf 
verrüdt Hatte. — Nun, das ift die alte Leier, ſprach Traut 
mann: Burg und Mühle, Fräulein und Gefel,. das hat 
man wohl öfter gehört; allein das Lied ift mit Zartfim 
und Gefühl gedichtet. 

Mit innigem Mitleid, zugleich aber mit dem Gfeihe 
muthe, der dem Meufchen eigen ift, wenn ihn das Ungläd 
nicht felbft trifft, ſuchte ich den düftern Dann zu tröͤſten 
drüdte feine Hand und blickte vor mid) nieder. Es war 
fpät, die Lampe fing an zu flatern, als ob fie verläfgen 
wolle, und Trautmann ſprach: Komm, mir mollen ins pro 
viforifhe Grab gehen. 


Somne levis, quamguam certisnima mortis imago 
Consortem cupio te iamen esse tori. - 

Alına quies, optata veni! nam 
Vivere, quam suave est, sic 





*) Holder Schtaf! wenn auch mir Das Apnlichfie Bildniß ded Todes. 
Seynlich verlang” ich mach Dir, fei mir ein Bagergenoß! 


Unglüdfige Liebe. 219 


Wartet! rief ich, mas liegt denn bier auf dem Fußbos 
den? Ein Meines Patet. IA nahm es auf: ein rother 
Bindfaden umwickelte ein Manufeript; id) erfannte meine 
eigene Hand, und las: „die Rolle des verfornen Eohnes.“ 
36 erinnerte mic deutlich, daß ich dies Papier aus der 
Zaſche verloren hatte, ats ich am Iehten Abende mit der 
Minen Tabuletträmerin zu Tiſche fag. Ein freudiger Hoffe 
aungsſtrahl ftieg in meiner Seele auf. Ich Läfte zitternd 
den Bindfaden. O Himmel! eine lange feidene Haarlode, 
deren Farbe ind Weiche ich gar zu gut fannte, lag darin, 
nebft einigen welken Feldblumen, vie ih mi wohl erin« 
nerte, ihr auf dem Spaziergange Damals gereicht zu haben. 
Unter meinem Namen auf dem Titelblatte ftand mit etwas 
mfern, aber doch recht hübſchen Buchſtaben: „Im Leben 
ud Tod Deine — Johanna Klein.“ O Gott im Him- 
mel, welche uͤberirdiſche Seligkeit durchſtrömte mein ganzes 
Veſen. Vater, rief ih dem verzagten bleichen Küfter zu, 
der neben mir auf der Bank faß, und meine Zreude mit 
Verwunderung anfah; — meint nit mehr, grämt Euch 
nitt mehr über das allgemeine Ungläd der Menſchen. Es 
gibt noch glücklice Seelen unter der Eonne. Mein ſchö- 
us, fhühternes Reh ift wieder gefunden! Meine Ios 
hamma! — jegt weiß ich, mie fie heißt — iſt wieder da, 
und hat mir ihre Liebe geftanden. 

Das find nichtige Jugendträume! Schaumblaſen einer 
kihtfinnigen Einbildungskraft! — ſprach eine ſepulkrali 
—— . 

deilige iuhe, fo komm Erwuͤnſchte, denn IB ohne Leben 


IMS zu leben, und auch erden ift füß ohne Tod. 
. Aufon. 






220 Unglüdliie Liebe. 


Stimme. — Ih warf erfroden den Blick dabin: Ein 
Mann mit einem Bündel auf dem Näden, mit greifen, 
"wild um den Kopf fliegenden Haaren und einen Knoten 
Rode in der Hand, Rand in der Thür. Gram hatte das 
Geſicht fehr verändert, ich erfannte indeß doch den Tab 


> Ietfrämer wieder. — Bater, rief ich, umd ſtutzte ibm zu 


Zügen, feid nicht ferner fo fireng, trennt nicht zwei liebende 
Herzen. Wenn ih auch mit reich bie, fo bin ih doch 
jung und rüftig; id habe etwas gelernt, und will Euch 
beifen, Euer Brod zu verdienen. 

Elender Komödiant! rief der Alte erzürnt, bleibe mir 
mit Deinen Lamentationen vom Leibe, mir machſt Du mit 
Deinen Poffen nichts weiß, und die, welche Du damit des 
ıbört haft, ſiehſt Du mie wieder, fie liegt unter der ſchwat⸗ 
zen Erde. Gieb mir das Paket wieder! Ich babe es in 
der Kapelle verloren, als id) nad): einem ſchweren Gange 
bier ausruhete. — Cie ift todt? rief ich leihenblag. — Ein 
Fieber hat fie dahin gerafft, ſprach der Alte, die Folgen 
einer Erfältung, Die fie ſich zuzog, weil wir Tag und Nacht 
auf offenem Wagen über Sto@ und Etein wegfahren muße 
ten, um aus Deinem. verführerifhen Dunfttreife zu gelan- 
gen. IC habe fie nicht verführt, rief ih entrüftet, und bin 
fein Böfewiht, Zu Eurem Eidam war id) immer gut ge 
mug, zum Geliebten des herrlichen Maͤdchens gar zu ſchlecht. 
darum hat mid der Himmel verworfen. Barum habt Ihr 
das weiche Herz gleich einem Tiger zerriffen? Es war mein, 
Ihr babt es gelefen! Cie hat es geftanden. Aus einem 
Zünglinge kann alles werden, eine Belt der Moglichteiten 
liegt vor ihm offen. Bas Kattet Ihr dagegen, Ihr Kra⸗ 
mer, Ihr! nur gewägnt, Weltverhaͤltniſſe mit arınfeliger Ele 
zu meſſen; deſſen Ohr Groſchen und Kreuzer fo lange hat 


Die Grabmäler. 221 


fingen hören, bis es gegen Seufzer und Klagen eines für 
gen Maͤdchens völlig taub geworden! 

A Du ſprichſt nur zu wahr, rief der Alte, plotzlich 
ermeiht; id) hab es mir oft ſelbſt gefagt. Nur ih bin an 
Irem Tode Schuld. Er reichte mir die Hand. Das Lit 
der Grabeslampe erlofh. Eine tiefe Finfternig verbreitete 
Ab. Bir beiden Unglaͤcklichen weinten und ſeufzten in ihr, 
wie die Mönche des Heiligen Grabes am Charfreitage, 
wenn fie ſich in der Dunkelpeit geißelad ihr Miferere fin. 
gen, und Trautmann rief mit ſchreclichem Hobngelädhter: 
Das it Menſchenglück auf Gröden! 


Die Grabmäler. 





Der betrübte Bater verblieb noch den folgenden Tag 
im Dorfe, und ich wich nicht von feiner Seite. Liebe Ers 
imerang an einen dritten Berlornen, verbanden zwei fremde, 
ganz verfhicdene Menſchen. Es erleicterte den Alten, fei- 
nen Schmerz in meinen Bufen auszufhätten, nur war ce 
Üm zuwider, daß id ihn miederholt fragte, ob fie mid 
denn auch wirklich fo fehr geliebt habe? Ja, ja, jal ſprach 
rmürifd, wie oft fol ich es Dir denn ſagen, daß fie ſich 
any im Dicy vergafft hatte, dag fie in ihrer Todesftunde 
au von Dir phantafirte? 

Als der Alte weiter pigerte, folgte ich ihm vier Mei» 
len weit nach dem Orte, wo die liche Johanna geftorben 


22 Die Grapmäler: 


war. BBäbrend er ſich im der Herberge erholte, lief ic zum 
Gotterader. Viele Gräber waren mit Sand und Blumen 
geſchmücktt, unter ihnen ein kleiner frifher Hügel, ſchon et⸗ 
was von Neffeln und Unkraut bededt. Auf einem ſchwar⸗ 
zen Holze ftand mit fhlichten Buchftaben: „Iohanna Klein.“ 
Du weinft, Eberhard, mein Sohn? Du fühlft, was ih 
bei diefem einfahen Denkmale empfinden mußte? Ia! Ich 
dachte an die Nacht, wo ich umfränzt von tauſend Blu 
men, ohne ihren Namen zu willen. Das Wort „Geliebte“ 
in den grünen Baum geſchnitten hatte. Hier ftand num 
der wirkliche Name, auf einem dürren Holze, ohne Blir 
then. Auch die fdönfte Blume ſelbſt war derwelkt. Ihr 
begreift, mit welcher Sorgfalt id) das liebe Grab zureht 
machte und fhmüdte. Der alte Vater faß daneben und 
freuete fi üher meinen Eifer. Mit herzlicher Umarmung 
verließ er mid, um nad) feiner Vaterfladt Magdeburg 
zu gehen. O gütige Vorfehung! Wie munderbar find 
deine Wege, und mie oft zeigft du dem Menſchen deine 
Güte da, wo fie Strenge vermuthete! Wäre die holde Ir 
banna nad Magdeburg zurüdgekehrt, fo wäre fie ohne 
Zweifel ein Opfer der graͤßlichſten Verwüſtung geworden. 
Mit Schmach und Schande bededt, hätte fie ihr junges 
Leben unter Henfersbänden verbluten müſſen. Jetzt nahn 
der Allgütige das füge Kind in feinen Himmel, als ihr jun 
98 Herz von einem fihönen Gefühle nod ganz durdzüdt 
war. Der Tod hatte für fie nichts ſchrecliches, vielmeht 
etwas Wünfcenswerthes. Sie entſchlief, Feldblumen- 
teen jept ihren Hügel, jeden Sonntag tönen Gloden 
läute- und Orgelllaͤnge über ihn bin, und der Fromme 
ſchreitet an ihm vorbei zlm Haufe des Herrn. 
Trautmann freute fih meiner ſchwaͤrmeriſchen Bed 





Die Brabmäler. 223 


mtb, und es (Gin’ mitunter, als ob mein Zuſtand das 
lehte Zünflein Liebesfeuer in feinem ausgeftorbenen Herzen 
wieder aufache. 


Diefen einzigen Freund follte ih nun auch verlieren. 
6 ging jept mieder alle Abend, menn er vom Wirths- 
haufe kam, den Steig mit den Trauerweiden entlang, und 
Dbantafirte in der Einfamfeit. Einft blieb er zu lange aus; 
tt fam die ganze Nacht nicht. Die Frau heulte und jams 
merte; ich ſuchte ihm vergebens. Am folgenden Tage brach⸗ 
ten ihm einige Fiſcher; fie hatten feinen Leichnam im Fluſſe 
gefunden. Es hatte in der Nacht geregnet, das Ufer war 
lehmicht und ſchlüpftig. Es war nicht unwahrſcheinlich, 
Irautmann ſei unverſchens und wider feinen Willen an tis 
nem jähen Drte herabgeglitſcht. Freilich fand ich das Volks⸗ 
lied vom Waffermanne in feiner Taſche, und ſteckte es heime 
fd zu mir. Auch feine Uhr hatte er, gegen feine Gewohn⸗ 
keit. geſtern an dem Nagel bei feinem Bette hängen laſſen, 
und gerade dem Tag zuvor hatte er das heifige Abendmahl 
grnoffen. Er erhielt ein chriſtliches Begräbniß, ih fang an 
feiner Gruft und erbte fein Küſteramt. "Die böfe Frau, 
die, als fie eine Woche lang geheult und fih die Haare 
Qusgeriffen hatte, wieder zu fhelten und zu lärmen begann, 
mußte aus dem Haufe. Sie hatte nod einiges Vermögen, 
md zog zu der geizigen Muhme, der Eeifert die Sänfe 
genommen hatte. 


. Natürlicherweiſt konnten ſich zwei ſolche Zantsippen 
nicht in einem Raume vertragen; jet hatten fie keine Män» 
kr mehr, über die fie ihren Dorn ausbelfern konnten, fie 
kehrten ſich daher gegen einander, zankien, ſchlugen ſich täge 
lich und wurden zum Kinderſpott. Man nannte fie: „Den⸗ 





24 Die Graßmäler. 


ner und Blitz,“ und die Urſache diefes Spottnamens war 
feltfam genug. 

An einem ſchwulen Sommertage zog ein fürdterlides 
Gewitter über unfere Gegend, ich Habe in Europa fein 
ähnliches erlebt; denn hier auf meinen Felſenburgiſchen Klit⸗ 
pen donnert Jupiter freilich oft in gewaltiger Majetät, wie 
Ihr Hereits gehört haben werdet. Das Bauernvolt wurde 
nun, nad feiner Art, während des Gewittertobens ſehr an 
daͤchtig, holte Geſangbücher hervor, und fang unter Dow 
nerſchlägen Sterbe» und Neuelieder. Zuleßt aber, als # 
zu arg ward, fonnte man nicht mehr fingen. In alen 
Häufern ward es maufetil, kein Menfc wagte ſich hinaus. 
Ich fand am Fenfter und fiaunte die erhabene Naturfene 
an. Die Donnerfhläge folgten häufig auf einander. Ju 
der tiefen Stille der Zwiſchenräume, fam er mir jedod vor, 
als Härte ich Scheltworte und Weibergekreifh. Der Regen 
frömte wie mit Gimern herab, die Gofle war übergelau 
fen, die Straße uͤberſchwemmt. Ploͤtzlich — gerade als ein 
eutſetzlicher Blig in einen morfhen Pfahl am Thorwege 
folägt, fürzen jene zwei Weiber, gleich Zurien, wit jr 

- zauftem Haare und blutig gefrapten Geſichtern aus des 
Haufe; die Augen funfelten ihnen vor Wuth, die Adern 
ſchwollen von Zorn, ohne das Gewitter zu adıten, verſchen 
fie, unter Donner und Blig, ihre Schlägerei, mitten is 
den Plapregen auf die Gaſſe, und hören nicht auf, bevor 
fie Beide bäuptlings in die tieffte Pfüge gefallen find, aus 
welcher fie dann binlänglich abgekühlt, wie cin Paar Bal 
ferragen, ſich befayämt in ihre Löcher zuräd ſchleichen 

Ich habe indeß noch einen Bug zu erzählen, im welchen 
fid der Charakter der Küfterin ausfprict. Ich lich es mit 
angelegen fein, das Grab ihres feligen Mannes immer faw 





Die Srabmäter. 225 


der zu erhalten; role ich dann auch monatlich eine Wall. 
fahrt frat Morgens nah der Nuhenätte meiner Iobanna 
unternahm. Einſt, als ih bei Trauimanns Grab deſchäf⸗ 
get war, at ein Wagen mit vier Pferden langſam ge 
führen. Es wunderte mi, dag die vier Pferde den Bar 
gen ſo verdroſſen ſchleppten, denn er ſchien in der Ferne 
demfih Teer; als er aber näher Fam, entdedte ich einen 
srogen vierefigen Stein im Wagen. Der Kutſcher fahr 
auf den Kithhof; ein Maurergefeil folgte ihm. Als fie mich 
faben, gräßten Re mich, und frugen nad des Käfer Traut⸗ 
manng Grabe. — Das hab’ ih bier eben in Ordnung ge» 
dracht, ſprach ich, und zeigte Ihnen die Rosmarinen, die ih 
daranf gepflanzt hatte. — Gi, lieber Herr, ſprach der Maus 
ver, fo thut es mir leid, dag ih Eure Arbeit ſtdren, und 
Enre Pflanzungen vernichten muß, denn bier bring’ id) 
then einen fhönen Grabftein, den eine Freundin des felie 
gen Mannes auf ihre Koften beftellt Hat, und mit Erlaub⸗ 
mg der Obrigkeit, über feinem Grabe errichten laſſen will. 
— Dann steh’ ich mic) gern zuräd, erwiederte ih. Meine 
Kräuter blühen nur kurze Zeit; ein folder Stein kann laͤn⸗ 
ger ansyalten. — Die Arbeit war bald getham, und jetzt 
hielt eine Kutfde vor dem Kirchhofe, aus der eine fehr Blaffe 
Date zitternd heransnäkg; fie Hatte noch fhöne Gefihtsgüge, 
ud war, wohl einfach, dennoch gefchmackvoll in meiges 
deng gekleidet. Cie mahete fih dem Grade, ſtartte auf die 
Infhrift, trocnete A die Augen mit dem Schnupftuche, 
drauf frag fie mi: Seid Ihr jet der Küfter Bier, Fieber 
Herr? — Ja, war meine Antwört. So bitte ih Eu, 
fahr fie fort, indem fle mir einen Geldbeutel in bie Hand 
drehten wollte, für dieſes Grab einige Sorge zu tragen. 
Rät nörhig, meine liebe Dame, antwortete ich, das thut 
Oehlenſ. Sqriſten. XVL. 16 


2236 Die Grabmäler. 


ich gern unentgeldlich, denn der Verftorbene war mein ſeht 
guter Freund. Grlaubt mir aber eine Frage: iſt Euer 
Taufname nicht Siegfride? — Ia, rief fie ſhnell in Tri 
men ausbredend, meine Hand drüdend und wieder zur Kut- 
ſche bineilend. IA büdte mid demüthig vor ihr, und fie 
tief aus dem Wagen: Berzeiht, lieber Herr, dag ich Euch 
Geld geben woltel Bart Ihr fein Freund, und habt Ihr 
ihm feine Iepten Gittern Tage verfügt, fo fegn’ Euch Gott 
dafür. Drauf rote der Wagen fort; die Arbeiter verlie 
den mid) und ic) fand allein vor dem Grabſteine. 

Zrautmanns Name, nebft feinem Geburts- und Te 
destage,' war fehr zierlih in den Stein gehauen. Dranf 
fab man den Tod künſtlich abgebildet mit Stundenglas 
und Hippe, und unten folgende Zeilen: 


Ich bin nicht fchön, bin Dürr und Hart, 
Drum Hüft tein @iderfireben. 
Musblaf" ich Guch das irdfche Licht; 
Mtein den Geift vertilg ich nicht, 
Gott fchentt Euch ew'ged Leben. 


Ad Hanna, rief Eberhard der Freundin zu, die auch 
immer bei den Erzählungen des Großvaters zugegen war, — 
der letzte Vers des Zodestanzes. Erinnert Du Dich uch 
in Leipzig? Hanna nidte und ſchüttelte zugleich den Kopf, 
damit er nicht den Greis zu lange unterbreche, und der alte 
Aldert Julius fuhr in feiner Erzählung fort. 

Ale Leute im Dorfe waren über diefen Grabflein tr 
freut, denn fie hatten den guten Trautmann alle geliebt; 
drüben aber bei den-Kanthippen tobte wieder den ganzen 
folgenden Tag Donner und Bliß, denn die Wirthin freue 
fi, dag man ihrem Neffen eine Ehre nad) feinem Let 





Die Grabmäler. 227 


"mg dede; die läerifte Eiferſucht fing aber an, bie. 


Galle der Küfterin aufs Neue zu erregen, weil ihr, wie fie 

fagte, die unverfhämte Metze, die ihr Mann geliebt, die- 

fen Streich geſpielt habe. i 
Als ich am folgenden Abend ziemlich ſpät, es war beis 


\ aahe Mitternacht, zufällig an der Kirche worbeiging, ward 


id gewahr, dag oben im Kirchenthurme ein Fenſter aufge- 
fhrungen fei, und vom Winde hin und her getrieben werde. 
3 wollte nicht, daß die Scheiben zerfhlagen würden, da 
ih nun den Schlüfel bei mir hatte, und mic eben nicht 
wor Geſpenſtern fürdtete, ging ic in Gottes Namen bin- 
auf, das Fenſter zu ſchliehen. 

Kaum ftehe ich droben, fo fehe ih, dag die Muhme 
des feligen Trautmanns ih mit einem großen Eimer Baf- 
fer eilig anf dem Kirchhof ſchleicht und fih in dem Gebein⸗ 
baufe unmeit des Grabes verbirgt. Ich denke: Mein Gott, 
was hat die Frau vor? Mein Erftaunen wird aber noch 


"größer, als die Küfterin gleih darauf, mit fliegenden 


Haaren, gleich einer Eumenide, und in der Hand ein gro⸗ 
bes Schläßterbeil, hereinſtürzt. Die wunderlichſten Phan- 
tafien fpielten bei diefen Erſcheinungen in meinem Kopfe. — 
Bald Töfte fih aber das Näthfel. Die Küfterin eilte mit 
dem Beile zu. dem Grabfteine, die Muhme folgte ihr heim⸗ 
lit und ſchnell mit dem gefüften Waſſereimer. Kaum war 
Erftere beim Ziele, fo rief fie: Icht, gnädige Frau, werde 
ih) Deine Mühe vernichten! Wagſt Du es noch, mit mei 


‚nem Manne nad) feinem Tode vor meinen Augen fhön zu 


tun? — Und jeht fing fie an aus allen Kräften den Grab- 
fein mit dem Beile zu bearbeiten. Eine Ede hatte fie 
auch ſchon abgeſchlagen, als die Muhme ihr den Waſſerei⸗ 
mer mit den Worten: Underfpämte! mogR De es, Dich 





223 Die Grabmäler 


aoch an den Todten zu vergreifen, und Das Helligfhem 
mit frechen Händen anzutaften? Äber den Kopf goß - 

Furchterlich, wie ein cimdriſches Heidentoeib, das der 
Kupferkeffel mit dem Blute des Genpferten gefüllt hat, um 
ſich jegt rafend an den Pferdeſchweif Hängen til, weil die 
Sdliacht vertoren IR — ehrte die Käfterin ſich mit der it 
Mondfcdeine blinkenden Art gegen die Dahme. Zwei für 
terliche Schläge hörte ich den Eimer mit boblem Gräfe 
adwehren; ich wagte nicht, den dritten abzumarten und rief 
oben aus dem Kirchenfenſter mit hohler Stimme herab: 
Gottloſe Weiber! verfündigt Euch nicht! Fliehet diefen Ir 
ligen Ort. 

Mein Geſicht im blaſſen Mondfihte am Meinen Air 
chenfenſter entdedten, Art und Eimer fallen Taffen, und 96 
un au entfliehen, war das Wert eines-Mugenblidt 

Ir Beide, 


Inhalt 


des zweiten Theile. 





| 2 Bruce aus Gberhande Zagesuh >. . 
Borliegung » 7 oo. 
Gapitain Wolfgang kriahit feine Bebendgefcichte + 
Die Sandung anf Belenbu » * + er 


zrreen 


© Kindheit in Eilnah + er een 
7. Die Wartburg. Die Gohlt » 2 0. 
der 757 Beer Zee 
a.Die Trennung en 


10. Menteuer ee 


4. Der Ritter und fein Burglaplanı » 0.» 
412. Die Tapuletlrämerin = «0 00“ 


13 Die Biden 00 nn 


Der Großvater fängt an, feine Sebenägefchichte zu erzählen 


Seite 


3 
Er 


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os 
407 
116 
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150 


1 
1. 
46, 


1. 
1. 


Die ge - » 
Die Herenprobe + 
Näubergroßmuth 


Geiftererfheinungen + 
Der pfarser und fein Küfer + 


Unglücliche Liebe 


. Die Grabmälr » 


sessazet 


3 


Adam Deblenfchläger's 


e r k 


Siehzepntes Banden. 


e. 


Gedrudt bei Leopald Freund in Breslan. 


Adam Orhlenfchläger's 
Be rt e 


Zum zweiten. Male gefammelt, 
vermehrt und verbeſſert. 


Siebzehntes Bänden. 


Breslau, 
im Verlage bei Iofef Mar und Komp. 


1839. 


Adam Orhlenfchlägers 


Erzäblende Dichtungen. 


Drittes Bändden. 


Die Infeln im Südmeere. Dritter Theil. 





Breslau, 
im Verlage bei Joſef Mar und Komp. 





1839. 


Die 


Infeln im Südmeere 


ein Moman. 


Dritter Theil. 


1. 
Der Kittmeifter. 





Mitermeite vohtete der Arieg mit alen feinen Gräueln, 
and Sachſen war noch das einzige Land, das verfchont ge» 
blieben war. 

Jetzt follte es auch über uns hergeben. Als Tilly ſich 
in dem ausgefogenen Niederſachſen nicht länger halten 
tonnte, und der Kurfürft ſich ſträubte, vom Leipziger Bunde 

“ abjufreten, rüdte zener weiter vor, und nahm Eisleben. 
Nerſeburg, Naumburg, Zeiz und mehrere Orte in Beſitz. 

Die Gemeinden verfammelten fid taͤglich mit Inbrunft 
in den Kirchen, die Glocken läuteten, die Drgeln langen 
ud alle Tage ward das goͤttliche Streit- und Trofilied: 
„Eine fee Burg iſt unfer Gott!“ gefungen. Eines Tages, 
als wir zu den Worten: 


„Das Wort fie ſollen laſſen Rahn, 
And Seinen Dant dazu Haben.“ 





10 Der Rittmeiſter 


gekommen waren, ward die Kirchthüre plötzlich aufgerifien. 
Ein ſtaubiger Kourier in kurſächſiſcher Montur, mit Stier 
fein, die bis Über die Kniee gingen, tritt herein. Die Ot⸗ 
gel ſchweigt. der Gefang verftummt; er eilt hin zum Altare, 
fchwenkt drei Mal feinen Hut und ruft: „Freut Eu, Tier 
ben Brüder und Chriften! Die Lutheraner haben gefiegt, 
die Schlacht bei Leipzig ift gewonnen. Siebentaufend Kai 
ſerliche liegen auf dem Schlachtfelde. Tilly iſt entflohen! 
Der lange Fritz hat ihm mit dem umgekehrten Piſtol in 
den Rüden und auf den Hinterkopf geſchlagen. Der Sieg 
ift unfer. Guftav Adolf und fein ganzes Heer haben dem 
allmägtigen Gott auf ihren Knieen gedankt!“ 

Da ließ ich wieder die Orgel mit allen ihren, Flöten 
und Stimmen erklingen, und mit hohen Freudenthränen 
ſetzten wir alle das Lied fort: 


Gr ift mit und wohl auf dem Plan, 
Mit feinen guten Gaben. 

Nehmen fie und den Leib, 

But, Epre. Kind und Seib. 

Sad" fahren dahin! 

& haben fein'n Gewinn. 

Dad Breich muß und doch bleiben. — 





Drei Boden nad diefem Sicgesfefte, als ich Mt 
Abends in die Fräuleinkapele trat, um Del in die Lampe 
zu gießen, begegnete mir ein wunderlicher Vorfall. Im 
Dämmerlihte ward ih nämlih auf der Bank eine Men 
ſchengeſtalt, gebült in einen ſchwarzen Mantel und mit er 
ner Klappmüge auf dem Kopfe, die dem verſtorbenen Traut- 


Der Kittmeiker. n 


meun [ehr abalich ſah. gewaht. Die Erfeinung ſchien 
wit) nicht zu bemerfen, faß in tiefen Gedanken, und machte 
hen folge Kopf» und Armbewegungen, wie der fellge Kü⸗- 
fr, wenn er fi) allein glaubte, und ſich feinen Gefühlen 
md Vorſtelungen Überlich. IA trat einen Schritt zurück 
1 das Blut erftarrte mir in den Adern. — Albert. 
ſdrach es leiſe (und jeßt erkannte ich deutlich Trantmanı's 
Stimme) fürchteſt Du Dich vor einem alten Bekannten? 
— Me guten Geifter Ioben Gott den Herrn! ſprach ich, 
Bath faffend. — Bravo, Albert, rief jept Seifert lachend 
den Mantel abwerfend, hätt? ich doch nicht geglaubt, dag 
Da fo viel Gonrage befäßent. — Mein Entfehen vermans 
delte ſih in Freude, allein mein Staunen hatte nicht aufs 
gehört: Denn im Hchtgeiben Leberkollet mit polirtem Bruſt⸗ 
hatniſch heben Stiefeln, klingenden Sporen, einem großen 
Ehlattfhrwerte an der Seite, fkand mein fahrender Mit 
fäler da, als ſchwediſcher Dffigier, und fein befiederter 
Selm lag -neben ihm auf der Bant. — Jeht umarme 
mitt ſprach er, und dann will id Dir nicht erzählen, 
wie ich ſchwediſcher Rittmeifter geworden, denn das begreift 
leicht. Wenn es in der Welt Gruft wird, bekommen die 
Rinder der Vornehmen, die Lieblinge der Prinzen und Mi⸗ 
Mer, werig Einfluß. Im unfern Tagen wirft Du felten 
einen Feldeberſten treffen, der in feiner Jugend nicht die 
Dustete getragen. GelbR bei den Kaiferlihen und Kath 
Üfen, die doch die beftch Ariſtokraten find, iR dies der 
Tl, Tg und Wadenftein waren Anfangs ſchüchte Edel, 
Ieute ohne Bermögen; Dampier und -Bucaoy ebenfalls. 
Iohann von Werth ein Bauer; General Bed ein Säyäfer; 
Slablhautſch ein Bediente; der Feldmatſchall Aldringer ein 
Kammerdiener. 


12 Der Rittmeiſter, 


Er pfiff, ein großer, blonder, ſchwediſcher Dragenet 
trat herein, legte eine faubere, damaſtene Serviette über 
den bekannten Sarg, feßte eine Bouteille Wein und zwei 
‚grüne Glaͤſer darauf, und entfernte ſich ſchnell wieder. — 
Das felige Fräulein, ſprach Seifert, wird es einem reife 
den Soldaten, der weder Heimat noch Obdach bat, wer 
geben, daß er es ſich noch immer in ihrer Nähe Lommode 
macht. Drauf goß er die Gläfer vol Rheinwein, ftieg mit 
mir an und rief: der große Guftav Mdolf ſoll Teen! Ja 
Albert, mein Ideal fputt nit mehr in meinem Gehirn 
taſten. Alles, was Odem hat, das will fagen: was Geik 
Befigt, muß ihm dienen. Er leerte fein Glas und fulr 
fort: Was hat nicht Guftan alles gethan! Ein beferer 
Menſch athmet auf Erden. nicht, und in der Kriegswiſſen⸗ 
ſchaft hat er es weiter gebracht, als je ein Sterblicher um 
ihm. Gufav Adolf foll leben, auch wenn er römifger 
Kaiſer fein will. 

[ Ic wunderte mid) nicht wenig Über die Veränderung 
die mit Seifert vorgegangen war. Geht Bieles erzählte 
er. mir und ſchloß mit den Worten: Zept will ih anb 
Dein Glück machen. Zum Soldaten bit Du nun einmal 
verdorben, allein bei ung achtet man den Lehrftand, wie 
den Behrftand. Ich habe oft Über Deine Berwandtihakt 
wit Luther gefpottet, jegt fell fie Dich aus dem Staube 
erheben. Der König ift ein eifriger Lutheraner, und wir 
gewiß für Dein Glüd forgen, wenn er hört, dag Du vom 
grogen Martin abftammft, wenn aud) nur von einer Gel 
tenlinie. Und jept gute Nacht! Mein Pferd wiehert auf 
dem Kirchhofe in der falten Luft: ich muß fort: Wir kam ⸗ 
piren drei Meilen von bier auf dem Nachbarſchloſſe; der 
König und alle feine Generäle find da cinquartirt. Beſuche 


Der Rittmieifter. 13 


mil) übermorgen, dann will ih Did Seiner Majerät vor- 
Arten. Mit diefen Borten umarmte er mid und ſchwang 
kb auf fein ſchoöͤnes Roß. Ber Dragoner folgte ihm auf 
einem aͤhnlichen; und wie zwei Ritterſchatten der Borzeit 
fiogen fie Aber den Kirchhof durch den Mondſchein, mit 
mehenden Helmbäfrhen, und verſchwanden in der Ferne. 

Nie hab' ich meinen alten, ſchwarzen Rod forgfältiger 
gebärftet, als am jenem Morgen, da id meine Wanderäng 
nach dem Schloſſe anzutreten hatte, um dem großen Guſtav 
vergeleit zu werden. - 

Eine Biertefmeile vom Schloſſe traf ih Soldaten, in 
Hiufern and Zelten. Sie waren gut gekleidet, und ver- 
Bielten ſich ruhig. Ih dachte, mich, als einen armen Kür 
fer, würden fie zum Beten haben, da id aber dem vor⸗ 
nehmaften Offiziere meinen Schein vorgezeigt hatte, erwies 
mi, als einem Geiſtlichen, Achtung. und fagte mir, wo 
id den Rittmeiſter Seifert treffen fönne; er mohne in der 
Rühe des Schloffes. 

Seifert, hoffte ih, werde mir mit offenen Armen ent⸗ 
gegen eilen; fein Gefiht war aber mit Wolken überzogen. 
As er mich fab, ward er noch verdrießlicher, und ging mir 
wit den Worten entgegen: Guten Tag, lieber Albert! 
War es heute, dah Du ommen ſollteſt? Meint’ ich dom, 
ib Hätte Did erf auf morgen bieher beftelt. Doch auch 
gut, verfepte er freundlich, meine Hand drädend; morgen 
hätten Du wich vieleicht nicht angetroffen. 

Bas giebt €, Seifert? rief ich erſtaunt. if ein Unglüd 
gefehen? Bift Du in Ungnade gefallen? — Umgekehrt er- 
wicderte er; der König bat mir eine große Gnade, eine 
befondere Auszeichnung erwieſen. — Er verſchloß die Thür, 
und als wir allein waren, ſprach er leife: Jeder Menſch 


14 Der Rittmeikter. 


bat feinen Wurm, und ein großer König iſt auch Mesie. 
Guftav hat den Zweikampf verboten, und bei Todesfitaft 
verpönt. — IH wollte freien, Seifert rief: Schwein 
ftil, Albert. ich weiß (chem, was Du fagen willſt; als Ak 
fier Hältft Du es mit dem Könige, magft au den Sir 
tampf nicht, und finde, dag er Recht habe. So kimm 
König und Küfter deuten, denn der Küſter nimmt es wit 
dem point d’honnenr nicht fo genam, und der König tem 
auf folde Weiſe nicht beleidigt werden. Dem fei jedeg 
wie ihm wolle, der König hat diesmal eine Amsnahme 1 . 
wacht, und mit dem Handtmann Sood ein Duel auf dr 
ben und Tod erlaubt; nur foll der Kampf im Rittetſach 
vor aller Welt Augen Statt finden, und der König wil 
ſelbſt mit allen feinen Feldoberſten zugegen fein. Auf de 
Gallerie kommen aber auch Bürgerslente umd dort werde 
ich Dir gleich einen guten Plag verfaffen. Rimm es siht 
Abel, dag ich dem Könige noch nichts won Dir gefagt habe; 
ich hatte in diefen Tagen vollauf mit meinen eignen Un 
‚selegenheiten zu thun. Sieg' ih, fo ift es ja immer Bet 
zu ſprechen; folte ih den Kürzern ziehen, fo wirſt Du 
leicht ale Luthers Entel — (er lächeite ein wenig, dam 
drürfte er wieder ernft meine Hand und fagte) nein, wahr 
lich jeßt fpaße ich nicht; als Zuthers Enkel wirft Du dem 
Könige merkwärdig werden, und er wird für Dich foren. 
— Er rief einen alten ſaͤchſiſchen Unteroffizier und fegte 
Ähm: Du, Görge, wirft mit diefem Manme anf die Galerie 
geben; forge dafür, dag er eimen guten Plat bekomme, we 
er alles fehen kann, und dag er nicht gedrüdt werde. Itht 
muß ich mic anziehen und ein wenig herauspugen, dem 
wir baden vornehme Zuſchauer 

Aber fage mir doch, Du wunderbarer Mann, rief ki, 


Der Rittmeiſter. 15 


der Du zu einem Zweikampfe auf Zehen und Tod, luſtig 
amd eitel, wie zum Schauſpiele, Läufft; was habt Ihr denn 
einander gethan? Worin befteht die große Beleidigung? — 
Er Hat mic) einen Windbeutel geſcholten, rief Seifert, 
und ich Habe ihm wieder einen groben Ochſen geheigen. 
Kt wollen wir doc) fehen, ob der Odhfe den Bind auf 
die Hörer nehmen, oder der Wind den Orhfen umblafen 
werde. — Mit diefen Worten verließ er mid, um feine 
Arllette zu machen. 

34 faud, wie verfieinert. Der alte Unteroffizier ſab 
wid dedentlich am, nahm ſich eine Vriſe und ſprach trocen 
Das kann er wodl nicht degreifen, Schalmeiſter? IR es 
mir faft felber zu bo, der ich doch ein Unteroffizier bin. 
Gag’ Er mir, als ein geehrter Mann, woher kümmt e6, 
deß das Kind ſo felten bei'm rechtrn Namen genannt fein 
wil? I kenne aun meinen Heren feit einem Jabre; ich 
Babe ihm in der Schiene fechten fehen, und Gott fol wid 
frafen, wenn er mit feinen Degen eben ſo gut brandıt, 
als das Maul. Und das ift viel gefagt! Dean freilih, 
Berkand und Kenmtniffe hat er, etwas winddeutlicher Na- 
tar if er aber auf, das latſe ih mir nicht auereden. Und 
der Rittmeifter Sonn ift freifih ein braver Held, der für 
gar dem Könige einmal das Beben gerettet at; er iſt aber 
grob, wie Bohnenſtrohl Wie bat es ihn num fo fehr ver- 
drirgen fönnen, ein grober Ochte genamt zu werden? 


16 Der Zweitampf. 


2%. 
Der Zweikampf. 





Ich ging mit dem alten Unteroffisiere auf die Galerie. 
Es waren ſchon viele Lewte zugegen. Die königliche Garde 
in lichtblauen Rocken mit tählernen Bruftpanzern, befieder- 
ten Helmen und langen, gelben Klapphandſchuhen, hatte 
ſchon in zwei Reiben den Saal beſcht. und ihre blanten 
Hellebarden funfelten auf heben, ſchwarzen Lanzen. 

Jetzt füllte fi der Saal nach und nach mit Offizieren; 
ploͤßlich verſtummte das Gerãuſch. ein ehtfurchtevolles Schwer 
gen verbreitete ſich, die Stügelthären wurden eröffnet, und 
das Herz klopfte wir, weil id jet zum erſten Male den 
großen König fehen ſollte. Gin langer, bagerer Herr, aber 
ſtart von Gliedmaßen, mit einer Habichtsnaſe, hoher Stirn 
und buſchichten Augenbrauen trat ‚herein. In feinem Antlig 
war große Kraft mit Freundlichteit verbunden. Gr grüßte 
hoͤflich zu beiden Geiten, drauf ging er zu einem für ihn 
beftimmten Blag, wo er mit verſchraͤnkten Armen fand, auf 
den Boden fah, und an der ganzen Sache feinen Antheil 
au nehmen ſchien. Wer ift der vornehme Herr? frug ih, 
das fann doc nicht der König fein; der Kdnig, bab’ id 


. gehört, fei ein korpulenter. jovialifher Mann. 


Das iſt des Königs rechtet Arm, ſprach der alte Görge; 
der treffliche Guſtav Horn, der in der Leipziger Schlacht 
dem Tilly gegenüber ftand. Er ift ein ebem fo edeldenken⸗ 
der Mann, als ein ſchreclicher Streiter. Cine Etadt, (wie 
bieg fie doch?) folte geplündert werden, well der Komman 


Der Zweitampf. 17° 


dan gegen den General ein grober Flegel geweſen. Da 
kamen die (hönften Mädchen beraus, ergriffen die Steig. 
digel des Generals, warfen ſich auf die Kniee, weinten 
md flehten, daß er ihre Ehre und das Leben ihrer Anver⸗ 
wandten ſchonen ſole. Sagt jenem Dammkopfe von Kom⸗ 
mandanten, ſprach der wackere Horn, daß ich Eure Thrä- 
am eben fo febr ehre. als ich fein Schwert verachte. Und 
die Etadt war gerettet. — Barum ift er denn jeht fo 
betrübt? frug ich. — Er hat neulich feine vortreffliche Ge⸗ 
mablin und zwei allerliebfte Kinder am einer anftedenden 
Ktankheit verloren, war die Antwort. Doch feht da, den 
Drenftiern, den Reichskanzler, der chen angekommen iſt. 
Belt; ein ftatslicher Herr. Habt Ihr. ein offeneres Geſicht 
seihen! Gerade das, was die Italiener ein viso seiolto 
ammen? Kein Kardinal Richelien! Kein Machiavel! Und 
dech Mug, wie der Teufel. Da fiebt man, ehrliche Leute 
Bunen auch Verſtand haben. Seht da, den jungen Hau⸗ 
degen, der hereineilt mit dem Helm unter dem Arm, weil 
es ihm zu heiß ift! Der da, mit den halb Äber die Stirn 
herunter gefämmten Haaren, wie es mehrere junge Leute 
köt pflegen, ftatt fih, wie der König und der Reichekanz⸗ 
Ir, die Haare auf Löwenart binanfzubärften. Kennt Ihr 
im — Ad, rief ich, das if ja mein gnädigfter Fürſt. 
der Prinz Bernhard von Weimar! — Ia, das wird mal 
der zweite Guſtav Adolf, ſprach der alte Unteroffizier — 
Ber it denn ber ernfte Seldoberft, der jeßt Hereintritt umd 
von allen fo freundlich begrügt wird? — Ja feht mal, 
Squlmeiſter, ſprach Börge, das ift nun eben das Schöne 
beim Kriege, daß ſich Berdienfte ſelbſt hervorthun können. 
Das iſt der Oderſte Exahlpantich, ein Binnlinber. In ſei⸗ 
Deslent. Schriften. XVII, 


18 Der Zweitampf. 


mer Jugend war er gemeiner Bediente, jept iſt er des Her 
3096 Bernhard Kamerad. 

Iept hörten wir draußen im Hofe Pferdegetrappel und 
Bivatrufen. Ich brauchte mic nur umzufehren, fo louu 
ich auch den ganzen Hof überbliden; denn wir hatten du 
Genfer im Rüden. Da war ein erſtaunliches Gebräng 
von Menſchen. Soldaten machten aber nicht Pag; de 
Leute wichen ſelbſt chrerbietig aurüd.- Ic fah einen grofen 
Mann in neuem Anzuge von grauem Tuche; er hatte an 
grüne Feder am Hute, und ritt einen ſcheͤnen Slügelihin- 
mel. Görge brauchte mir nicht zu fagen, daß es der Künik 
fei. — Seht mal, wie langfam er durch den Hof reitt, 
er fürchtet, etwa einen der Heinen Knaben mit dem ia 
au befhädigen, und hält die Hand über die Augen, deu 
er ift etwas kurzſichtig. — Der König ift fehr einfah 96 
tleidet, bemerkte ich; nur fein’ Pferd ift ausgezeichnet (hit. 
— Das ift feine Liebhaberei, ſprach der Alte. — Un 
wer, fragte ich ift der breitſchultrige Held mit dem Frifätt, 
braunen Gefihte, und der junge, ſchwarzgekleidete Meuik 
im Studentenkragen? Er ſcheint noch faum fiebzehn Iahrt 
alt zu fein. — ‚ Der ftarte Mann, ermiederte Börge, # 
der trefflihe Banner, eine Icbendige Standarte im wilbehm 
Schlachtgewühle. Der Iüngling, raunte er mir ins Ou 
iſt des Königs natürliher Sohn, Guſtav Guftaufon, da 
er mit Margaretha Kabiliau vor feiner Ehe gezeugt hat 
Schade, daß der Junge nicht Kronprinz von Schweden Ri 
denn er bat vieles von des Vaters Ingenium geerbt. 6 
mird gewiß ein trefflicher General. Für's Erfte fol m 
noch, wie man fagt, feine Studien in Wittenberg forlicht. 

Jept faß der König im Saale auf einem etwas erhäl" 
ten Sig, fein Reichskanzler und feine Feldoberſten um he 


Der Zweikampf. it) 


ber. Der Iuftige, ſchöne Marfch, der den König empfangen 
hatte, verftummte, und auf feinen Vink begannen die Haut- 
beiften jeßt einen Todtenmarſch, der gewöhnlich geblafen 
ward, wenn ein Offizier eines groben Subordinationsfehe 
les megen erſchoſſen werden follte. Während des Marſches 
warden zwei ſchwarze Särge von Soldaten hereingetragen, 
und ihnen folgte ein großer, düftrer Mann, mit entblößtem 
Haupte und gemeinem Geſichte Unter feinem rothen Dan 
tl ragte ein ſehr blankes, breites Schwert halb hervor, 
das beinahe mehr Aehnlichteit mit einem dirurgifchen In« 
rumente, als mit einer Baffe hatte. — Bas ift das? 
frug ich meinen alten Geſellſchafter, der bis jet fo guten 
Beſcheid von allem wußte. Eben fo neugierig, als ich, ant- 
wertete er aber, ohne die Augen von diefer fonderbaren 
Grfgeinung zu verwenden: Das find zwei Särge und der 
Bann im rothen Mantel mit dem Schwerte ift der Kriegs · 
drofog, der Scharfrichter. 

As die Särge jeder in eine Ede geftellt waren, und 

det Nachrichter in den Hintergrund zuräd getreten war, 
fänieg die Mufit und der König ſprach ohngefähr Fol- 
omdes· 
Liebe Herrn und Freunde! 

Es ift jedem von Euch bekannt. dag ich nach reiflicher 
Ueberlegung mit meinen treuen Näthen und Zeldoberften 
(bon feit Jahren in meinem Heere den Zweikampf verboten 
and dei Todesſtrafe verpönt habe. Das Duell war in der 
Heldenzeit nothwendig, als noch fein Geſetz den Ginzelnen 
fügte. Nachher baden die Ritter in ſchwärmeriſcher Lie- 
benswürdigteit dieſes, wie fo vieles andere, übertrieben. 
Bir follen aber ihre Uehertreibungen nicht nachahmen! 

Und doc fehen mir heute, dag zwei wadre. ehrenwerthe 

3° 


20 Der Zweitampf. 


Helden fid) zu einer ſolchen Thorheit verleiten Taffen, und 
vieleidht fogar währen, Bewunderung zu’ erregen, weil fie 
auf den erften Wink glei’ zum Gurgelabſchneiden bereit 
find! . 
Nun Könnte ich Euch freilich wankelmüthis erſcheinen 
meine Herren, weil ich den Zweitampf im Allgemeinen ver⸗ 
biete, und ihn dann zweien meiner Offiziere in meiner er 
genen Gegenwart erlande. Hier aber ift ein ganz befonde 
rer Tall, wie Ihr hören werdet. Zwei Gelübde binden 
mich und widerſprechen ſich wechſelſeitig. Um bei diefem 
ſonderbaren Verhaltniſſe Sengen zu fein, und es richtig be⸗ 
urtheilen zu können, hab’ ih Euch Alte hierher eingeladen, 
damit Ihr mic beftens entfchufdiget. Die beiden Rittmei- 
fer Soop und Seifert wollen durchaus einander den Hals 
drehen. Ihr kennt fie beide ale ehrenwerthe Männer. Sonp 
bat fi) ſchon lange ale Held bewieſen, er hat mir im pol⸗ 
niſchen Kriege das Leben gerettet, als Strot mitten im Ger 


mihel meinen Hut erbeutete; welcher gottloſe ketzeriſche Hut, 


wie man fagt, von den Defterreichern nach Loretto geſchidt 
iſt. um den Altar der heiligen Jungfrau zu ſchmücken. Das 
mals flug id) Soop zum Nitter und gewährte ihm, im 
Vertrauen auf feine Beſcheidenheit, eine freie Bitte. Bis 
jegt bat er nichts von mir verlangt. Gefern aber hat er 
mich erfucht, ſich mit dem Nittmeifter Seifert fhlagen zu 
dürfen. Seifert, der auf deutfhen Iniverfitäten feinen Hels 
denmuth gelernt bat, heweift mir mit vielen lateiniſchen und 
griechiſchen Broden, dag id) ihm billigerweiſe feinen: Wunſch 
night abſchlagen Könne. 

Bas bleibt mir nun zu thun übrig? Mein Wort an 
Soop: ibm eine freie Bitte zu gewähren, kann ich wicht 
bredien; mein Geſetz Tann ich feinetwegen nicht umftogen. 


Der Zweitampf. 2 


Durd) Ueberredungen und Gründe der Vernunft laſſen ſich 
die Gegner nicht befänftigen. Glücklicherweiſe habe ich in» 
deg einen Ausweg gefunden. Eie wollen durdaus ihre 
Zapferfeit gegen einander verſuchen, fie wollen durchaus 
einander vernichten. Sei dem alfol Ihre Wünſche ſollen 
ihnen beiden gewährt werden. Dann hat keiner ſich zu bes 
Hagen. Ich will ſelbſt Augenzeuge ihrer außerordentlihen 
Tapferkeit uud Unerfhrodenheit fein. Boblan, meine der 
ten, jeßt fechtet, bis der eine bleibt! Ic habe den Kriegs» 
vrofog hierher befelt: in dem Yugenklide, da der eine 
wdt liegt, ſchlage der Scharfrichter vor meinen Augen dem 
Andern den Kopf vom Numpfe! So wird jedem fein 
Vunſch gewährt, id) halte mein Wort und das Geſeß wird 
ihr übertreten. . 

. Hier ſchwieg der König; der Trauermarfd ward wie⸗ 
der geblafen; die Särge wurden näber gebraqt, der Scharf 
rüßter trat hervor und entblößte fein gräßlihes Schwert. 

In diefem Yugenblide fab ih die beiden Feinde ſich 
dem Könige zu Zügen werfen und um Gnade bitten. 

Mich Habt Ihr um nichts zu bittten, ſprach der Kö- 
ng, als Alles wieder ruhig war, denn wenn Ihr nicht 
kämpft, Hat der Scharfrichter hier nichts zu thun. (Er gab 
einen Wink und der Büttel entfernte ſich ſchnell durch eine 
Hinterthüre.) Wollt Ihr aber vor Diefer ehrenvollen Bere. 
hmslung Eure Achtung als Chriften wieder gewinnen, 
fo vergeßt allen Groll und umarmt Euch als Freunde, —. 
Die zwei Feinde Jagen einander in den Armen. 


22 sıäd 


3 
Sstäd. 





Nach diefem Auftritte ging ih Seiferts Wohnung mir 
der zu. Lachend und keck kam er mir entgegen, reichte mir 
froh die Hand und rief: Nun, nicht wahr, Albert? Das 
mar eine ſchoͤne moralifhe Komödie? Noch beſſer als das 
Narrenſchneiden beim Ritter Knaufdegen? Alles das hab" 
id) nun fo eingerichtet, mein Kind, um Dir ein Vergnügen 
au machen; damit Du auf einmal einen Ueberblid des Gan- 
zen bekommen mögeft. Hat der König nicht fehr gut ges 
ſpielt? Das ift wirklich unfer allerbeſter Acteut. — Er hat 
nicht gefpielt, Seifert! rief ich ernft; er war die Wahrheit 
ſelbſt. — Nun ja, fuhr der Andere ruhig fort: das mein 
ich ja eben! Ein gutes Spiel Tann nie ohne innere Wahr⸗ 
beit fein. Befonders mar der Einfall mit dem Scharfrich⸗ 
ter allerliehft. Das mirde ihm fein anderer fo Leicht nach⸗ 
gemacht haben; zu fo etwas muß man geboren fein. 

Und nun, mein Kind, ſprach er, meine Hand freund 
lich ſchüttelnd, bleibſt Du bei mir; ich habe ein Kleines 
Abendmahl beftelt, wo der Ochs und der Windbeutel wie⸗ 
der Brüderfhaft trinken werden. Willſt Du au etwas 
Gutes thun, fo made uns ein Lied darauf, Du kaunſt ja 
reimen! Laß es aber um Gotteswillen Iuftig fein, damit 
Rein und Freundſchaft beffer hinuntergleiten, und nicht wie 
Moral und Staub in der Kehle fteden bleiben. 

Ich ließ mir das nicht erft wiederholen; er ſchloß mich 
ein, nachdem er mir Papier, Feder und Dinte gegeben hatte 


"und ich machte folgendes Lied, das die Herren Offiziere am 
Abend mit vieler Freude und unter hohem Gelächter zu- 
- fammen fangen, nachdem fhon der Wein das Befte gethan. 


Sstäd. 23 


Der Ochs und der Bind. 


Der Dohs iſt ja ein edles Thier, 
Wir haben ſelber einen hier, 
Mit farter, breiter Stirne, 
Der nicht den Feind mit Hörnern Mößt; 
Weit mehr: mit dem Gehirne! 





Der Bind if aucı ein gutes Ding. 
Zwar iR der Wind ein Sonderling, 
Der mütden kann und koſen. 

Wald ſchnaudt er in Sibiriend Schner, 
Bald fpielt er in den ofen, 


Der Dis, der Wind nicht Foumen fich 
Ms Feinde felagen ritterlich, 
enn fle ſich auch gefunden; 
Denn Noßen Hörner in den Bind, 
@as fönnen fie verwunden? 


And HIÄR der Wind den Odıien an, 
> &3 nicht dem Starten ſchaden fan, 
68 wird fein Haar ihm rupfen, 
Der Ocht trägt einen guten Peli, 
Bekommt fo leicht nicht Schnupfen. 


Doc beide find des Bauers Heil, - 
Wird zutes Wetter ihn au Aheil. 


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2 Gıäae. 


Dann konnen Arduter fprieben: 
Dann graft der Oche im fetten Alee, 
3a Hoten Viumenwitſen. 


Drum Bind und Ochfe Ia’t den Gtreit 
Und feid allein zur Tpat bereit, 
Den Bauer au beglüden. 
And will der Froſch ein Ochſe fein, 
Mag! er von Wind in Stüden! 


Das Lied gefiel; es verbreitete ſich ſchnell im Lager, 
und am auch dem Könige zu Gefiht. Schon am dritten 
Tage lieg er mic) rufen. Mir mar ganz elend zu Mutbe, 
und id wußte in meiner Verlegenheit weder aus noch ein. 
Ich frug Seiferten, ob er mir nicht einen ſchiclichern An- 
zug verſchaffen inne? Gr ſprach aber: Albert, das ver- 

ſtebſt Du nun wieder nit. Eben in diefem abgetragenen 
armfeligen Küfterrode mußt Du vor dem Könige erſcheinen 
und als Freund rath’ ich Dir, noch unterweges einige Li 
her in die Aermel zu reißen. Hübſche Kleider Hat der Kir 
nig genug gefehen: Du mußt aber in Deiner ganzen Ei⸗ 
genthümlichkeit auftreten, als des großen Luthers Enfel, der 
auf die Knie gekommen ift; das wird eine lebhafte Theil⸗ 
nahme bei ihm erweden, umd vor Sonnenuntergang, welt 
ich, läßt er Dich repariren und neu überzichen. 

Die Knie zitterten mir, als ich aufs Schloß ging, und 
die Erde ſchwankte. Es balf gewaltig, als ich große Un 
ruhe im Burghofe mit Baden und Bagenaufladen wahr 
nahm und erfuhr, der König wolle gleich aufbrechen und 
weiter ziehen. In diefem Wirwar, date ih, wird er widt 
fo genau auf Did) Achtung geben, und die Audienz wird 


sähe 26 


nur kurz dauern. Als ich in das Gemach des Konigs ge⸗ 
führt ward, ging er nachdenkend auf und nieder und dit- 
firte feinem Geheimſchreiber in die Feder. Der Dienſtha · 
bende Offizier, der mid) einließ, berichtete gleichfalls, daß 
der Reichetanzler gleich kommen werde. — Holt mir doch 
ſogleich Guſtav Guftaufon, fprad der König; drauf ſich 
freundlich zu mir wendend, frug er: Bilt Du der junge 
Käfer, der Enkel Luthers, der Freund Seiferts, der gehern 
das hübfehe Lied. gemacht Hat? — Id antwortete zitternd, 
nich tief verbeugend: Ja, Ihro Königlihe Majeftät. — 
Run, fei nicht hange, mem Kind, ſorach er Ieutfelig, mir. 
it der Hand Die Wange. ftreichelnd; ſeh' ich denn fo fhred- 
ip aus? Gr betrachtete mid mit einem wahren. Bafer« 
hide, worin feine ganze große Sede offen lag, und alsbald 
war meine Furcht. verichwunden. — Ah nein, Ihre Mar 
jeſtat anttwortete ich: man kann aber and vor Freude git⸗ 
tn. — Wie nad’ biſt Du denn Luthern verwandt? frug 
a. — Ad, nur ehr weitläuftig, erwiederte ich; ich ſtamme 
mätterliper Seite von einem Bruder von ihm ber. — Du 
bat ein ehrlich ofen Beficht, fuht der König freundlich fort. 
mir immer Muth. einflößend, in fo fern ſiehſt Du ihm ähn⸗ 
lid; Luther war aber nicht bübſch, und Du haft ja ein 
wahres Maͤdchengeſicht. Kaunſt wohl gar wie ein Mädchen 
rat werden? Umd weinen? — Es rührt mein Gemäth fo 
tief, ſprach ich leiſe daß Eure Majeftät fo berablaſſend mit 
einem. armen Menfhen ſprechen. — Mer Geiſt, Herz und 
Zugenb hat, ſprach der König. iſt nicht arm. I wollte 
gern etwas für Dich thus, habe aber krine Seit, mic Ihn» 
ver bier aufzubalten. Du bift in einer gelehrten Schule 
Anterricgtet, Möre ih. baſt aber noch keine Univerfität beſucht. 
Zum Küfter biſt Du zu gut, mußt Predigtr, wie Luther 


% Sstäd. 


werden: möibtet Du wohl mit meinem Sohne nad; Bit, 
tenberg ziehen und es da fo gut wie er haben? — Ih 
ſtand mie verfteinert; der ſchͤne Tüngling, den ich geftern 
im Hofe gefehen, trat herein. Guftav, ſprach der König 
mein Sieber Sohn! ich muß Dich jegt verlaflen. Beide um 
armten ſich und meinten herzlich. Cie gingen in's Neben 
zimmer amd Überlegen fid ihren Gefühlen. Inzwiſchen 
ftand ich allein, war verlegen in der Geſellſchaft des ſtolzea 
Scpreibers, der mich mehrmals mit einem verachtlichen Bit 
betrachtet hatte, zerfnällte meinen Hut und wärnfchte der 
König zurüd, mit dem ic ſchon Bekanatſchaft gemacht Hatte. 

Meine peinlige Lage vermehrte fih, als der Reihe 
Banzler Arel Drenftiern hereintrat, ſich niederl'eß und auf 
den König wartete. Der Schreiber reichte ihm einige Par 
piere; er ſah fie flüchtig durch runzelte mehrmals die Stirn 
und frug ihn, fie wieder zurüdgebend, auf Schwedifd, was 
ich doch verftand: If denn Abo noch immer krank? Kam 
er nicht bald wieder arbeiten? D ja, antwortete der Schrei⸗ 
ber, er kommt morgen. Sind Eure Excellenz etwa nicht 
mit der Arbeit zufrieden? — Nun, ſprach der Reichskam-⸗ 
ler, ich habe mich am Abo gewöhnt; er kann ſich beſſer in 
meine Art fügen. — IC hatte während der Seit nicht ge⸗ 
wagt, den Kanzler zu grüßen, das fiel ihm auf und er frag 
jest den Schreiber auf Deutſch, weil er wohl merkte, ih 
fei ein Deutſcher: Wer it der junge Menſch? Was mil 
er? — Das ift der Küfter, gnädiger Herr, antwortete der 
Styreiber huriig, mit boshaftem Laͤcheln, der geftern das 
Lied vom Bind und Ochfen gedihtet hat. 

Jetzt lief es mir wie Eis über den Rüden, Here Jeſes 
dachte ih, Du haft mit dem Namen des Reichetanzlere 
Deinen Scherz getrichen! Jeht ſtehſt Du vor ihml Bir 


stäl 7 


wird das ablaufen? — Der Kanzler, der meine Angft ge⸗ 

+ mahr ward und ſogleich verſtand, lachte laut, erhob ſich 
vom Stuhle, legte feine Hand auf meine Schulter und 
frac, indem er mir wie der König ſogleich Vertrauen ein. 
fügte: Im der That, licher Freund, Ihr habt mir ein wah⸗ 
16 Kompliment gefagt: dag meine Ochſenſtirn mit dem 
Gehirne und nicht mit den Hörnern ftoge. Ih dankte Euch 
für den guten Schwant, er hat mid ſehr ergüßt, «6 if 
Geift darin. Nun, feid nur nicht fo blöde. Seh' id dem 
uns wie ein Dummtepf, der keinen Spaß verficht? Nehmt 
Dies dafür zu meinem Andenken. Zugleich reichte er mir 
eine große filberne Schaumünze, die der König neulich auf 
im Sieg bei Leipzig hatte prägen laſſen. 

Der Kanzler ward jeßt zum Könige gerufen, und ich 
blieb mit dem Secretair allein. Da ich aber bereits fo 
große Patrone bei Hofe hatte, wagte id) es, feinem flohen 
Blice mit ziemlicher Nude zu begegnen. — Schöne Ein 
rißtung! brummte er in den Bart, man braucht nur ein 
erbärmliches Lied zu fhmieren, fo wird man und befommt 
man, ich weiß nicht was. Und ein Anderer kann ſich in fo- 
liden Gefdhäften von Morgen his Abend matt arbeiten, die 
Finger lahm fchreiben, und befommt noch Spitzworte oben⸗ 
drein. Der Abo! Als wenn er allein das Pulver erfunden 
hätte. — Ich begnügte wid, die zwei letzten Zeilen meines 
Bedes in den Bart zu brummen: 


Mad wiß der Froſch ein Ochſe (pin, 
Play er von Wind In Gtüden! 


Bas Teufel nimmt Er ſich Herans, rief der aufge» 
nase Schreiber, Er fingt und trällert in des Könige Kar 
? 


3 läd. 


Ieht kam der Dienfthabende Offizier, der mich herein 
geführt hatt, und bat mich, ihn zu begleiten, cr wolle mir 
Neifeffeider verſchaffen, denn in einer Stunde folle id mit 
dem jungen Guftav nad Wittenberg fahren. Allein, lieber 
‚Herr, frug ich naiv, wie komme id denn mit meinem guten 
alten Prediger zurecht, wenn id) mein Amt ohne Urlaub 
verlaffe? — Das wird der König ſchon in Ordnung brit- 
gen, fagte der Offizier! Ich werde dem Schreiber hier tr 
nen Brick dietiren! Und gewiß, ich werde Eure Sage int 

+ befte Licht ſtelen. — Auch das noch, fenfate der Shreiber, 
und zernagte die Feder. Harte Prüfung! — Triumphirend 
folgte ich dem Offizier, freute mid) jedod, daß ich den Hef. 
wo die Gunft feinen Augenblick beglüden kann, ohne ie 
glei) den Neid zu erwerten, fo bald verlafien Hatte. 


a. 
Unsgtäüd. 





Mit dem herrlichen Jünglinge Buftav Guſtavſon be 
zog ich nun die Wittenberger Univerfität nnd lebte mit ihn 
dort ein Jahr, ohne daß es eigentlich zur Freundſchaft zwi⸗ 
fen ung gefommen wäre. Dazu waren wir Beide zu ver 
fhiedener Natur. Als Sohn des großen Guſtavs, went 
auch aus unebelicer Verbindung, ‚fühlte ih ihm welt über 
mic) geteilt. Auch Yatte er, bei aller feiner Gutmütgigkeit 
einen gewiffen Stolz den ich bei den mehrften Adelichen 


Ungiiäl » 


‚gefunden, "dem ich gern entſchuldige und fogar natürlich finde, 
den aber meine Natur nic bat ertragen Fönnen; denn auch 
id war ſtolz auf meine Urt umd zog mich bald empfindlich 
zurück, wenn man mir nicht mit Suneigung entgegen kam. 
&r war einige Jahre jünger als id, fannte die Welt noch 
gar nicht, war aber fon weit gelehrter. Um feinem gro» 
den Vater zu ſchmeicheln, machte man ibn nad damaliger. 
Sitte zum Rector der Univerfität. Er benahm ſich mit An 
Rand und fogar wit Beſcheidenheit iu diefer Würde, und 
hielt beim Antritte feines Rectorats eine zierliche lateiniſche 
Rede, die das Lob der größten Philologen erhielt. Dennoch 
wor ein ficbenzehnjähriger Rector Magnificus eine feltfame 
Erfteinung; aud ward id) fehr wohl gewahrt, daß er eis 
gentfidh zum Gelehrten nicht geboren fei. Der Soldat gudte 
überal hervor. In feinen Zimmern hingen Rappiere, Schwer» 
ter und Helme, unter Quarten und Folianten; ünd ſtatt 
eines Screibtiſches lagen feine Schreibgerätge gewöhnlich 
auf einem Paar großer Pauken, auf denen er fih oft bis 
Mrät im die Nacht übte, fo dag man, wenn ganz Wittenberg 
fhlief, den Nector Maguificus noch auf feinem Zimmer die 
vauken ſchlagen und die Trompete biafen hören konnte. 
Immer hatte er Luſt zu fechten und bierin fam ihm Keis 
ner an Geſchicklichteit gleih. Im jugendlichen Uebermuthe 
Warf er mir mancmal, wenn id an feinen ritterlihen Uebun⸗ 
gen nicht Theil nehmen wollte, vor, dag ich Leinen Muth 
beige. Nichts auf der Welt konnte mic empfindlicher kraͤn⸗ 
ten. Eine dunkle Röthe färbte mein Gefiht, und ich zitterte 
vor Aerger. Da er aber der Cohn meines großen Wohl 
tzaters war, zwang id mid, ihm nicis Unangenehmes zu 
fagen, und begnuͤgte mid) zulept Damit, ihn gelaſſen zu hit 
ten: Thut mir dech nicht den Schimpf, lieber Herr, mir 


30 Ungtäd 


Beigheit vorzuwerfen. Der Muth des Menſchen ift verſqu⸗ 
den, wie fein Charakter. Wie kann ein tiefes Ehrgefähl 
ohne Muth fein? Vielleidt habe ih wicht, mie Ihr, den 
augenbliclichen, friegerifhen; es gehört ‚aber auch Muth 
zum Ausbarren, zum Arbeiten; se8 gehört Muth dazu, ee 
mas Neues umd Eigenes zu denfen und zu erfinden. E 
giebt auch eineu geiftlichen Muth. Glaubt Ihr nicht, deh 
Luther Dutch beſeſſen Habe? Ei, rief er, das folle ih me 
nen, als er gen Worms nach Teufeln und Ziegelfteinen ritt. 
Nun ja, rief ih. Dagegen würde er fih mit dem Schwerte 
in der Hand läherli) ausgenommen haben. Und welhe 
von diefen beiten Arten hat denn mein Vater ? frug er 
mid, prüfend. — Er hat fie Heide, rief ich entzüdt, er ik 
ebenfo guter Bürger als Edelmann, denn er ift ein wahrer 
König, und der muß beides in fid) vereinigen. — Das it 
wahr, ſprach Guftav, mein Bater ift Ales. Guftauusik 
aur ein Anagramm von Auguftus; er vereinigt Alles in 
fi. — Er ift weit größer als Auguftus! ſprach ich; Der 
war nicht chen befonders groß. — Wie fo? frug er ver 
wundert, findet Ihr den Kaifer Auguftus nicht groß? Glaubt 
etwa Ihr ein Anguftus fein zu lönnen? — Behüte Both 
antwortete id, dazu Hab’ ip weder feine glänzenden, ud 
feine ſchlechten Eigenſchaften. — 

Benn der junge Guſtav Briefe von feinem Bater br 
am, zeigte er fie mir immer, und wir folgten froblogend 
dem berrlihen Sieger auf feinem Zuge. — Als der Vatet 
ihm feinen feierlihen Einzug in Augsburg beſchtieb, wo er 
plotzlich am Abende Luft zu tanzen befam, und ſich mit den 
Zochtern der Fuggerſchen Häufer und mit mehreren anne 
fenden fürſtlichen Perfonen etliche Stunden lang durd eng 
liſche und deutſche Tänze erluſtigte, warf der Sopn der 


Ungiäd. 3a 


Cieero de officlis, den er eben in der Hand hielt, durchs 
Fenſter in einen großen Waſſerbehälter und rief weinerlich: 
Rein, das if zum Tollwerden: er dreht ih auf dem Balle 
mit den niedlichen ſüddeutſchen Mädchen herum, und id 
armer Unglüdiiher muß bier fipen, um den Cicero de of- 
Seile zu fludiren, 

Die Schlacht bei Lügen war nahe. Alles hofite, Gu⸗ 
Rad werde den Wallenftein befiegen — id überlieg mid 
ac dieſem Gedanken; — eine dunkle Ahnung aber be 
fünerte zugleich meine Bruft. — Ih und mehrere Profeſ- 
foren waren eben zugegen,. als der Sohn den verhängnig« 
wollen Brief erbielt. Er war nicht von dem Bater, fondern 
von Ochfenftiern, und mit einen ſchwarzen Siegel verfehen. 
Der Jüngling öffnete den Brief und ward leichenblaßz, zit, 
terte aber nicht. Ohne eine Miene zu verändern, las er 
den Brief zu Ende; darauf ſprach er mit ſchwacher Stimme: 
Freut Euch, meine Herren! die Yroteftanten haben gefiezt. 
die Griedländifche Mannſchaft ift zu Grunde gerichtet, Wal⸗ 
lenſtein iſt wie eine Memme geflohen! Nur ein Mann ift 
auf der ſchwediſchen Seite gefallen. Mit diefen Worten 
Rürzten ihm die Thränen aus den Hugen, er eilte aus der 
Mir und die Treppe binab. . 

Bir folgten dem unglüdlihen Sohne nach und fon 
ten ihn lange nicht finden; endlich hörten wir, er habe ſich 
ſelbſt in den Carcer gefverrt, um Ruhe zu haben, und das 
mit ihn Niemand weinen fähe. Dort blieb er vier und 
wanzig Stunden, ohne etwas zu genießen; nur der Nachts 
wachter hörte ihm laut reden, den Vater beim Namen ru⸗ 
fen, heulen und jammern. Dann trat er wieder hervor, 
bla wie.ein Geſpenſt, länger und hagerer. Biele Haarlo- 
den haste er fich in der Verzweiflung ausgerifien, auch wa⸗ 





3 Ungiäüd 


ren ihm zwei Gelenke am der rechten Hand verwundet, eher 
daß er es wußte. 

BUN Du mid begleiten, Albert, frug er, die Leiche 
meines Vaters zu fehen? Cie wird nad Stotkholm ge⸗ 
bracht, wir wollen ihr auf dem Wege begegnen — da 


-. gern, lieber Herr! antwortete id. und ging mit ihm anf 


fein Zimmer. Gr öffnete einen Schrant. worin eine vol 
ſtandige Rüktung bing, und rief: Jeßt, Vater, will ih ach 
in den Krieg. Ic will in Deine großen blutigen Fupka- 
fen’ treten, ich werde Deine Mörder treifen. — 

Bir begaben uns auf den Weg, und hörten, als wir 
nad) Grimma famen, daß die Leiche dort gegen Abend ct 
treffen werde; und dag die Königin Maria Eleonore, de 
ibrem Gemahl nad) Deutſchland gefolgt war, mitreife, um 
die Leiche nach Schweden zu bringen. Dann, ſprach 6 
fan ernft und im ſich gekehrt, mäflen mir incoguito bir 
bleiben. Ih mag fie nicht, und fie foll mich wicht zum ei⸗ 
ſten Male am Sarge meines Vaters ſchen 

Als Wittenberger Studenten mietheteu wir uns jet 
ein Beines Zimmer in der Haupkftrage, ziemlich then 
denn die Stadt war ſchon von Menfcen, befonders in dm 
Straßen, wo die Leiche vorbei mußte, um in der Kirche bir 
gefept zu werben. Hier wohnten wir nun Mil hinter dm 
Fenftergardinen dem Auftritte bei. Denkt Euch den Bar 
Rand des armen Jünglings als er durd die Nie des gel 
nen Borhanges den bededten, von Garden umgebenen Bi 
gen fah, der ziemlich fämell nach der Kirche hingelentt war, 
als die Königin im Gaſthof abgefliegen war. Der Bag 
Konnte aber nur langſam forttommen, weil die Straße vb 
ler Menſchen war, die fih grade vor den Pferden auf Die 
Arie warfen, die Haͤnde gegen den Leichtuwagen firidten 


Ungiäüd, 3 


md ſthluchzend ausriefen: Gott fegne Did, Du edler Gu- 
av Adolph in Deinem Himmel, Du unfer zweiter Luthert 
Du der Lutheraner Vater, Beſchüßer und Erretter. — Da 
meinten die alten Schnurrbärte, die dem Wagen folsten, 
die Veteranen, die ale Schlachten mit Guſtav gemacht hate 
ten, und deren Rräftige braune Geſichter faſt alle mit Eh⸗ 
tennarben geziert waren. Guſtav Guftanfon und ih ware 
fen uns innerhalb des Fenſters auch mit gefalteten Händen 
nieder und beteten mit dem Bolte, 

Sobald «4 duntelte, gingen wir am. Rärmifhen Nos 
Imber- Nadımittage zum Küfter und verlangten, daß er 
us die Kirche öffne. Er erwiederte: er könne unmoͤglich 
unfern Wunſch gewähren, er hätte fhon Dielen die Bitte 
abfühlagen müflen, und es fei ihm ſtreng verboten, Jeman⸗ 
den in die Kirche zu laſſen. 

Ihr follt mir nicht nur die Kirche, fondern auch den 
Sarg öffnen, rief der Iüngling mit Donnerfiimme, denn 
ih bin fein Sohn, und id will die Leiche meines Vaters 
feben. — Sobald der erflaunte Mann das hörte, lief er 
bin, Anftalten zu maden; und es ergab fid, dag gerade 
der Rittmeiſter Soop bei der Kirchenwache das Commando 
führte, Sobald er den jungen Guftav erfannte, gab er 
Befehl, die Kirche und den Sarg zu Öffnen. Aber ach! Vom 
srogen Guſtav Adolph mar nichts mehr zu fehen. Sein 
aufgefhmollenes, blaues Gefiht hatten die Wunden und der 
Id ganz entftellt. — Der Sohn flarrte fange auf die zer⸗ 
fehten Ueberrefte, dann frug er Fleinlaut: IN der Leichnam 
da wirtlich mein großer Vater? Iſt denn gar nichts von 
ihm übrig geblieben? — Ia, bei Gott, rief der Nittmeifter 
Corp! Sein unſterblicher Ruhm. der über die Vernichtung 
der Zeit ewig erhaben if. — Da erblidte der Sohn des 

Replenf. Eahriften. XVIL. 3 


u Ungläd. 


Baters rechte Hand, die noch ganz und unverlept war. Er 
bededte fie mit Küſſen und rief: Jeht erkenn' Ich ihn wie 
der! Ihr habt mich nicht getäufcht, mir nichts worgelogen. 
Da ift die Hand, die den Tilly, den Wallenſtein gefihlagen 
bat, die das Nettungsfhisert der Chriſten in Deutſchland 
geführt. Kennt Ihr fie noch, diefe Helden» Rechte mit dem 
kräftigen Daumen, den langen ſtarken Fingern, den fhdnm 
gtoßen Nägeln? Diefe Hand, die eben fo männlich ds 
Schwert faßte, als fih kindlich ⸗ fromm vor Gott dem Ik 
mächtigen faltete! Diefe Hand, mit der er mir zum Iehten 
Male feinen vaͤterlichen Segen gab. 

Eine tiefe Stile herrſchte. Der Sohn lag Lange ra 
los neben dem Sarge, drüdte die blaſſe Leihenpand an fer 
nen Mund und ſchlen zu beten; endlich Rand er auf um 
entfernte ſich erfhöpft und ſchweigend; der Dedel mar 
mieder von dem Veteranen über den Sarg gelegt. Ak 
folgten ihm langfam aus der Kirche. Als ic in Zräum 
verfunten, meine Augen wieder auffhlug, traf es ſich, da 
ich dem Nittmeifter zur Seite ging, — Bie geht es Seh 
fert? wagte ich zu fragen. Er ift in der Schlacht gefallen, 
antwortete dieſer. — Ic ſchwieg und folgte dem Ritter 
fer aus der Kirche. Was war Seiferts Verluſt gegen du 
des großen Guſtavs? Allein er war doch mein Freund ge 
weſen; und ich Tonnte ihm meine Ehränen nicht verſagen 


Deland. 3 


5 
Deland. 





W blieb in Wittenberg bis 1635. Ich will Euch nicht 
dit ermüden, wein Tagewerk zu miederholen: mie oft idy 
Pntgers Grab beſuchte, wie gern ich in den Univerfitätsge- 
bänden verweilte, wo er zu wirken angefangen hatte, in den 
Ööfälen faß, wo er als Profefer Borlefungen gehalten, 
Rat bisweilen, wenn fonk Niemand zugegen war, beſtieg 
iß das Natkeder, mo der große Mann geſtanden. und hielt 
Bir ſelbſt begeifterte Reden. Meine Freunde nannten mid) 
am Scherz den Klofterbruder, weil fie von mie glaubten, 
dag ih, mitfemmt meiner Gutmäthigkeit ein Faulenzer fe, 
Bas dies Lepte betraf, fo möchten fie mohl, obſchon mit 
in ihrem Sinne, Recht gehabt haben. Id fühlte, dag in 
wir ein praktifches Talent erwache. welches nit blog zum 
Bihenfnaftlichen führte. Ein Tiſchler kam oft ins Gym⸗ 
aafum: fein fünflihes Handwerk ergößte wid, ih ver 
Maffte mir eine Debelbant, und während id Andere oben 
im Auditorio über pbilofophifge Subtititäten lateinifch zamt- 
irn, lernte ih unten Stühle, Tirhe und Schränfe maden. 
Unſer Nachbar. der Schmid, erhielt von mir häufige Ber 
füge, uud owroohl id hei ihm micht fo große Foriſchrute 
wahte, ald Bei dem Ziſcler, Iernte ich doch Wandes, das 
ir vachher zu Nugen gekommen if. 

Endikh gefiel «6 mir wicht Länger in Wittenberg ich 
welte etwas nsehe von der Belt feben, mich verlangte wie ⸗ 
der nach Abenteuern. Fr 


"36 Deland. 


Jept fiel es mir ein, nad) dem Norden zu reiſen. Durh 
Guftav Adolf und feinen Sohn war Schweden mir lich 
geworden. Mit den Kenntniffen, die ich befaß, fagte man 
mir, würde es mir ein Leichtes werden, dort mein Glüd 
zu magen. 

Mit einem Meinen Fahrzeuge molte ich von Danzig 
nach Calmar fegeln. Ein Sturm nöthigte uns jedoch, an 
der Infel Deland beizulegen. Hier befam ich das falte 
Sieber, magte nicht, weiter zu reifen, und mußte in einem 
Dorfe mehrere Wochen verbleiben. Der Bauer war eu 
wohlhabender Mann, man behandelte mid) gut, auch batte 
id) fo viel Geld, dag ih vor's Erfte nicht braudte mir d- 
was umfonft geben zu laſſen. Das Fieber konnte ih abr 
nicht wieder 108 werden. Es war auf der Infel ein Ark, 
und der von Galmar taugte auch nicht viel. Ich beit 
daher mein Fieber, welches mich dermaßen ermattete, dad ih 
befürchtete, die Krankheit werde einen gefährlicheren Cha⸗ 
rakter annehmen, 

Im diefem Zuftande tröftete mid, ein junges Dienftmäd 
Wen; ſtark und ſchlank, ſchön gewachſen und fehr him. 
Ste liebte den Sohn vom Haufe, und er fie wieder. Die 


" Eltern wollten jedod nichts davon willen, weil das Mid, 


en arm war. Das gute Kind martere mich im mein 
Krankgeit ſeht gewiſſenhaft. Es dauerte micht fange, ſe 
lernte ich fo viel Schwediſch daß id fie meiftens verfland. 
Ihr Bräutigam war nad) Danzig mit einer Ladung Kalle 
fteine abgegangen, denn die Einwohner an der weſtlichn 
Küfte Icben befonders von dem Ertrage ihrer Kaltrteinbräht 
und verfehen Riga, Danzig. und Neval damit. Ich bean 
erte die gute Sara vorzüglich deswegen, daß fie fo weit iu 
gehen hatte, um Waſſer zu holen. Denn da der Brum 


Deland. 3 


Ber fteinig if, kann utan feine Brunnen graben, fondern 
begnägt ſich mit den fparfamen Quellen, die ſich durch das 
Regenwaſſer aus den Bergrigen fammeln. Deswegen iſt 
das Sand auch fo mit Dürre geplagt, dag nad langem 
angel an Regen‘ die Biefen ganz dunkelbraun find. Def 
ftaohngeachtet liebte Sara ihre Heimath, und erzählte mir 
aft von den vielen niedlichen Hafen und Neben, die über 
den Beg liefen, wenn fie nad) der Duelle ging, und von 
den unzähligen Nactigallen und andern Singvögeln, die ix 
den Dornbüfen und belaubten Bäumen fängen. 

Einft kam fie ganz wehmüthig von einer Hochzeit im 
dr Nachbarſchaft nach Haufe. Sie erzählte mir, mie der 
Bräutigam dem Zuge voran, dem Prediger zur Seite ger 
Kit, wie dann die Braut mit ihren Brautjungfern zu 
dahe gefommen ſei. Das Better war ſchlecht. es hatte di⸗ 
fer geregnet, und mitunter wären fie durch das ſteigende 
Seewaſſer bis über die Knoͤchel gematet. Daraus hätten 
fe fih aber Alle nichts gemacht, und Sara war nor ganz 
Ib; fie waren ftark gelaufen, denn je ſchneller die Braut 
wit ipren Jungfern zur Kirche läuft, deſto mehr wird es 
fr zur Ehre angerechnet. 

Saras Beliebter kam zurüd, und hatte gute Geſchäfte 
macht; ale er aber hörte, das Mädchen babe ihren Dienft 
anfgekündigt Cvermuthlic, um den Alten zuvor zu Eommen) 
ud wolle zu ihrer Mutter, in einem entfernten Dorfe, zu⸗ 
rietehren. ward er fehr betrübt. 

Ich lag in einem offenen Alkoven, der an das große 
Bimmer ftieß, welches für Fremde beftinmt war. Nur dort 
mar es dem guten Jungen erlaubt, fhät Abends mit feiner 
Sdonen zu ſprechen; denn fie wußte, dag ich nicht fo früb 
tiuſchtief; ich war in ihr Geheimniß eingeweiht, fonnte das 


38 Deiaund 


Bett nicht verlaffen: fie waren daher auf die Beife alein 
und nicht allein, was eben die Mädchen fo gern wollen. 
Sie Aritten fih immer. Er wollte, fie folle fagen: „Ih 
liebe Di,“ und ihm einen Aug geben. Das wollte fe 
aber nicht, weil feine Eitern die Heirath nit erlaubten. 
Brit war außer fi; bald weinte er. bald ward er bife 
und fluchte, bald Überredete er. Es half ihm aber Als 
nichts, und obſchon das Maͤdchen für ihn wie eine Nofe 
glügete, wollte fie doch nit fagen: „Ih liebe Di,“ fans 
dern nur: „Ich bin Dir vom Herzen gut.” Auch durfte m 
wur die Wange, nicht den Mund küffen. 

In feiner Verzweiflung fam er einmal zu mir im den 
dunteln Altoven, als ic gerade einen ſtarken Fieberaufal 
Yatte, fo dag mir die Zähne im Munde Mapperten, und 
fragte weinerlich: IN das nicht eine abſcheuliche Kälte, Her 
Magifter? Sie wil nicht fagen: „Ih liebe Di,” und mir 
einen Kup geben. — Ah, Kinder, feufzte id unter der 
Bettdece zitternd, feid doch feine Narren! Bertragt Euch! 
Beuießt in Unſchuld und Freude Euer junges gefundes Le⸗ 
ben. Wenn das beinerne Gerippe mit der Senfe font 
um mit den Zähnen Mlappert, wie jeßt, dann If das Ale 
norbei. 

Das wirkte. Ein ſolcher Orakelſpruch von einem Ster⸗ 
benden (fo ſah ich wenigſtens aus) führte Sara plößls 
von allen fpröden Bedentlichkeiten zur Natur und Billigkeit 
zuräd, Cie umarmte Erik, ſprach: „Ich liebe Dig,” umd 
ihre Lippen begegneten ſich. In diefem Augenblide ging 
meine Fieberkälte in Hihe über. 

Es war eine entfeplihe Naht. Der Eturm wäthee, 
und id Tonnte die Brandungen gegen die Klippen toben 
hören, Furchtbare Bindftöge heulten über Feld und Wald. 


Deland. 3 


Ja Traume fa es uns vor, als ob ein großer Rettunge- 
engel, ein Cherub mit ſechs ungeheuren Flügeln (wie ihn 
Egehiel beſchreibt, fern am Üden Firmamente zu Hülfe eile. 
Ms er aber näber ſwebte, erſchrak ic vor ſeiner unge 
kuren Geftalt, und kroch unter die Dede. 

Ich wollte mid im Bette umfchren; da trodnete ig 
eine freundliche Hand die Stirn, und eine Stimme fragte: 
Run, Herr Julius, wie geht's? Ihr feid wohl ſehr ange 
wien? Ach, Sara! rief ih, biR Du da? Bo it Erif? 
Er ift ſchon zu Bett, antwortete fie. Haft Du den Engel 
wirken? frug ih. Ihr feid wieder in einem ſchweren 
Traume geweſen, ſprach fie, und ic wollte Euch fo lange 
wit verlaffen. : Iept boffe ih, das Fieber werde für dies 
Nal vorüber fein, und id will auch ruhen. Es if ein ere 
Reunlihes Wetter. Der Himmel erbarme ſich der armen 
Menfgen auf dem Meere. Gottlob, dag wir Erik wieder 
auf dem Trocknen haben. — Mit vielen Worten nahm 
fe das Licht und verließ mi. Ich fiel in einen erauidli- 
den Schlummer. 


6 
Der Schiffbruch. 





Ich erwachte ſpät am Namittage; das Wetter war 
Ada, die Sonne ſchien zum Senfter herein. Eine warme 
kräftige Manneshand fagte die meinige, und fühlte mir den 
Yale. Durch den zuverſichtlichen ſichern Druck erwachte ber 


40 Der Schiffbruch. 


reits Zutrauen in mir. Er bat jeht kein Fleber. ſprach 
eine ſonore Stimme, muß aber ſtark angegriffen geweſen 
fein, denn der Puls ſchlägt noch matt. — Wie werden wir 
do den armen Mann furiren? hörte ih Sara mitleidig 
fragen. Er hat ſchon lange Arzenei gebraucht, es will aber 
alles nichts verſchlagen. Laßt mi Eure Chinapulver fe 
ben, die Euch der Arzt aus Galmar gegeben Hat! ſprach 
der Fremde. — Sara brachte ihm einige, er Öffnete das 
Dapier, beroch das Pulver, zerrieb Etwas zwiſchen den 
Fingern, koſtete es und ſprach dann: Das gland’ ich, mit 
Birkenrinde, geftogenen Biegelfteinen, oder Gott weiß was, 
heilt man -ein kaltes Fieber. Ich werde Euch ähte Chin 
pulver verſchaffen. Der Kranke fdeint ein junger Mann 
von guter Konftitution; er wird bald genefen. — Nachdem 
er dies gefagt hatte, ging er. Ich kehrte mich um und fab 
einen hübfchen jungen Mann, etwa von dreißig Jahren, mit 
Indigem lichtbraunen Haare, die Stube verlaffen. 


Ich betrachtete Sara mit ftarren Augen und fprad: 
Mein Gott! wer ift der gute Mann, der mir wieder Hof 
nung und Muth in's Herz geſprochen bat? — Gr ift ſelbſt 
vor einigen Stunden der Lebensgefahr entronnen, erwiederte 
fie. Ihr babt geſchlafen und wißt nicht, mas vorgegangen 
if. Ein Sciff mit vielen vornehmen Herren iſt heute Naht 
am der Küfte geſcheitert. Ueber die hundert Dienfchen find 
rund herum in den Dörfern einquartirt. Glücklicherweiſe 
iſt der Arzt Hier, und er wird Euch gewiß bald wieder her⸗ 
ſtellen. 

Ich ſah einen alten Seemann, der ſich in der Stube 
bei einem Glaſe Branntwein und etwas Falter Küche an 
den Tiſch fepte. Er war gleich bereit, meine Neugier zu 


Der Sciffbruch. 4 


befriedigen, rüdte mit feinem Teller meinem Bette näher, 
ud erzählte: 

; Bir ſchifften heute vor acht Tagen von Lübeck nachdem 
ales Gebaͤt und Geräthe, nehft zwoͤlf Neitpferden zu Ira 
venände in’s Schiff gebradt waren. Die Herren Gefand« 
ten kamen auch bald. Tags darauf waren wir an der där 
aifchen Küfte, weil es aber gelinder Iuftete, gaben wir dem 
Binde alle Segel; jedoch um zehn Uhr, als wir an keine 
Gefahr dachten, liefen wir auf eine blinde Klippe und blie⸗ 
ben ſihen. Es war Neumond, finftere Nacht, wir wußten 
nicht wo wir waren. und konnten nicht die Sciffslänge zu 
Ende fehen. Diele von uns fielen auf die Knie, fhrien, 
ud riefen inbrünftig zu Gott um Hülfe. Dir Schiffer 
felbft weinte wie ein Kind, und wußte feinen Rath mehr. 
Bas uns- das Herz am meiften ergriff, war des Geſandten 
Krufius Söhnlein, ein fhöner Knabe von neun Iabren, der 
die ganze Nacht auf den Knien lag und mit aufgebobenen 
Hinden zum Himmel unaufhörlich rief: Ah, Du Sohn 
Davids, erbarm' Dich mein! Und dann ſprach der Feld» 
Prediger : Herr, willt Du uns nicht erhören, fo erhöre doch 
dies unſchuldige Kind. Und das hat der liebe Herr Gott 
auch ehrlich gethan. Denn wir find gerettet. 

Und mas feid Ihr denn eigentlich für Leute, mein 
Freund? frug ich neugierig. Ja feht, Damit hätte ich frei 
Ki anfangen ſollen, ſprach der Bootsmann. Wir find-holftei 
alle Seeleute und führen die prächtige Geſandtſchaft Seis 
ner Durchlaucht, des Herzogs Friedrich von Holftein-Bottors 
von Lübed nach Neval. Bon Reval werden die Herrſchaften 
den Übrigen Weg nad) Perfien zu. Fuß oder zu Dferde machen. 

I fragte nach den Gefandten. Sie heißen Tag und 
Nacht, ſprach der Bootemaun lachend. Tag und Naht! 


2 Der Schiffbruch. 


rief ih, das iſt ja eine ſchwediſche Familie. Freilich wer 
fegte der Bootsmann, ift Tag und Nacht die ältefte adelige 
Zamilie, denn fie entftanden am erften Schönfungstage. Es 
üt aber nicht fo zu verſtehen; ich meine, die zwei Geſandten 
ſehen ſich fo ähnlich, wie Tag und Nacht; denn Krufius if 
leutſelig und vernünftig; Brüggemann düſter und ärgerlid- 
Doch da kommt ein Herr, der Euch das Alles beſſer ſagen 
kann. 

Der Hauswirth trat in die Stube mit einem ftaktfigen 
Manne von mittleren Jahren. Der Zremde war ſchwan 
geleidet, und trag eine große weiße, runde Perüce, ober 
mit einem ſchwarzen Käpplein. Er Hatte ein Fräftigemänn 
liches Geſicht. nicht eben hübſch. aber fehr bieder. Ein Mi 
mer Bart bedeikte ihm Die Oberlippe. — Das ift der Gr 
ſandtſchaftsrath und Serretarins, Herr Adam Oleatius 
forad) der Bootsmann, ein gelehrter Herr, der die Reife er 
fihreiben und in Drud herausgeben wird, wenn die Ge 
ſandtſchaft glüclich nach Haufe gefommen ift. Und der 
junge Mann, frug ich, der bei mir mar, ift alfo der Schife 
arzt? — Zum Henker audy, erwiederte der Bootsmann la⸗ 
hend, das ift der Voet, der Truchſeß und Hofjunter, der | 
luſtige Paul Flemming. — Wie, rief ich erfhroden, iſt # 
ein Poet, der mir das kalte Ficher vertrieben will? 

‚Hier trat der Voet und der Arzt in die Stube. A ; 
Olearius hörte, daß ein Kranker im Alkoven ſchlafe. (lid 
er ſich leiſe aus der Eyür; der Wirth folgte ihm, und ft 
liegen mid mit dem Poeten und dem Arzte allein 

Der Arzt ftimmte dem Dichter bei dag id hei eine 
ordentlichen Behandlung bald genefen werde. Er legte mel | 
rere Meine Papiere mit äcter China auf dem Tiſch um 
ich betrachtete fie mit eben dem Gefühle, welches ein Lich 


Der Sciffbrach 43 


baber bei eben fo vielen Liebesbriefchen feiner Janiggelieb ⸗ 
tm, worin fie ihm zu hoffen erlaubt, empfindet. — Der 
Dichter zog eine ziemlich große Flaſche wit Chinamirtur 
aus feiner Roctaſche und fagte: Die Pulver allein, Grah ⸗ 
mann, Lönnen fo große Dinge nicht wirten: bier iſt China 
auf guten alten Rheinwein geſetzt, das wird ihn ftärken 
und erheitern zugleih. Dann wird er bald auf die Beine 
formen. Ich denke, wir veranktalten bier noch einen Ball 
für Die luſtige Landjugend, ehe wir weiter reifen. 


„Laßt und tanjen, Iaft und fpringen, 
Laßt und laufen, für nad für; 
Denn durch Tanzen lernen wir 
Eine Kunft von fhönen Dingen.“ 


Ich Habe mir, fuhr er fort, ſchon ein huͤbſches Mäd⸗ 
ben ernoähkt, mit dem ich tanzen wil. Das einzige Häße 
lie am ihr if der Name Eara; die Meine Here folte bil⸗ 
lig Hagar heißen. 

Der Arzt Grahmann, der älter und ernfter war, ſprach 
freundlich feine Hand drüdend: Ia, lieber Flemming, fo 
überlafle ich denn diefen Patienten Dir; denn ich habe, wie 
Du wohl weißt, mit den gefährliheren Kranken vollauf zu 
thun. IA empfehle mic, mein Herr, ſprach er zu mir; 
haltet Euch nur mit Zuveriht an diefen guten Mann; er 
it aicht bias, wie ic, ein Leibes-, fondern auch ein See⸗ 
lenarzt. 

Als wir allein waren, herrſchte eine Kleine Stile. Der 
Dichter betrachtete mich aufmerkfam, fah, was in meiner 
Seele vorging, warf fi) in den Lehnſtubl und lachte. Ieht, 
tief es, glaubt Ipr gewitz aus der Seylla in die Charvb⸗ 
dis gefallen zu fein. Ein Poet ſoll Euch kuriren! Wei die. 


4 Der Schiffbruch 


fem Gedauten Mlappern Euch die Knochen im Leibe, und 
der Schreg ſchůttelt Euch, wie vordem das Fieber! 

Um Euch aber den Neft aller Bedenklichkeiten zu uch 
men, fprad) er, indem er Chinamirtur in einen Löhel goß 
fo wigt, daß ich auch cin paar Jahre lang zu Leipzig Mer 
dizin ftudirt Habe, und wie es der Doktor Grahmann der 
zeugen kann, nicht ohne Erfolg. (Ih verſchlucte zuverfiht- 
Uh die Mirtur, und mir war's, als ob ich bereits heilſame 
Wirkungen verfpüre) Auch ‚kann ih eben nicht fagen — 
fuhr Flemming fort, — dag mir diefe Wiſſenſchaft eigent⸗ 
lich zumider wäre. Ein Arzt mug auch Künftler fein. Doch 
als ic) diefe Wiſſenſchaft eine Zeitlang getrieben hatte, wollte 
fie mir nicht länger behagen. Ih Hatte zu viel Gefäß, 
war zu reizbar, um ein gufer Arzt zu werden. 

Barum habt Ihr doc) diefe näglihe Wiſſenſchaft auf 

gegeben, lieber Herr, fragte ich. — Eben, weil fie nutzlich 
if, fagte er. Ein Dichter foll gar wicht nugen, das will fa 
gen: mittelbar. Er foll unmittelbar auf den Geiſt wirken, 
und den Sinn für das Schöne bilden. 
Es freut mid), lieber Herr, ſprach id, daß Ihr nicht 
das allgemeine Schickſal theilt, fondern glücklich feld, und 
als ein Bugvogel zum (dönen Dſchinniſtan binflattern tönnt, 
während wir hier in Europa von Winterftärmen leiden. 

Freilich, ſprach Flemming bedenklich, deshalb reife ih 
auch. Denn wie fieht es jept in Deutſchland aus, ſeitden 
Guftav Adolf gefallen ift? 

Ihr feid bei der Geſandtſchaft angeſtellt? fagte ih. — 
Ja wobl, antwortete Flemming: als Hofjunker und Trud · 
feß; id ent: Vorſchneider heim Geſandtentiſche. Iſt das 
nicht eine große Ehre für einen Doctor Philosephiae nee 
non Magister artium? Ich verfihere Euch, Herr von 


Der Schiffbruch. [3 


Brüggeman ylanbt, der Herzog habe Damit einen großen 
Fehler begangen. Hier ward die Thür zur Wohnſtube weit 
aufgeriffen, wir hörten Iemand auf dem Flur ſchelten und 
färmen, und cin langer, grämliher Mann mit dünnem, 
nötplihen Barte und einer goldenen Kette um den Hals, 
vom Gefandten Krufius und dem Herrn Olearius Begleitet, 
frat herein. 

Rein, das ift zum Tollwerden, rief er mit greller Tee 
wertiimme; haben nicht die Buben die Chatoulie mit den 
fürktihen Kreden zſchreiben beim Retten in’s Waſſer fallen 
laſen, fo dag fie ganz naß und unleſerlich geworden find, 
und wir aus Reval wieder nad Gottorp ſchreiben müffen, 
um neue Kredenzfäpreiben zu erhalten. 

Run, lieber Freund, ſprach Krufus gelaſſen, in fol- 
dem Birrmar läßt fih nicht über Alles gebieten, wir has 
dem noch Gott zu danken, dag mir fo ziemlich troden, mit 
beiler Haut davon gelommen find. — Ihr, Herr von Kru⸗ 
ſus feid immer troden, ſprach von Brüggemann. Und wie 
fie jet Herumtaufen. Was ift denn am diefer armfeligen 
Iafel zu fehen? Steht nicht mit klaren und deutlichen Bor- 
ten in der fürſtlichen Hokordnung gefhrichen, datz, ſobald 
me Tafel geblafen wird, Alle und Jeder alfobald ſich ein- 
Aelen follen, damit man auf Niemanden warten dürfe?“ 
Und doch haben wir heute eine halbe Stunde blafen und 
marten müflen, ehe die Pagen das Eſſen auftrugen, und 
die Herren Truchfeffe erihienen. Beſonders ift diefer Dort, 
der Paul Flemming, febr verfäumlid, und feinem Amte 
gar nicht gewachſen. Bo ift er denn jept? — Er fipt 
drinnen im Altoven bei einem Kranten, ſprach Dlearius. — 
Bas! rief Herr von Brüggemann, ift bier ein Kranker, fo 
sch’ ich fogleich wieder. Was das doch auch für Wohnun⸗ 


46 Der Sciffbruch 


gen und Einrichtungen And. Krankenſtübchen und Geld 
ſchafte zimmer, das läuft Alles in Eine. 

Ihr Könnt über Eure Wobnung nicht Magen, Herr von 
Brüggemann, fpra der Marſchall Herrmann von Etaden, 
ich habe Euch eine fehr gute verſchafft. — Aber dort kann 
man dody nicht dem ganzen Tag ſihen und ſich eunuyiren 
rief der Andere. Die Herren wollen mir nicht die Ehre 
gönnen, fo mug ih wohl zu Ihnen kommen. Was fehlt 
dem Kranten? Ich will dod nicht beffen, daß es eine «m 
ftedende Krankheit fei? — Flemming fam heraus und ver 
ſicherte. es fei ein Fremder der nur das kalte Fieber habe. 

Recht gutl verfepte Brüggemann; aber deswegen fell 
tet Ihr ihm doc nicht Medikamente reihen. Ihr ſeid jeßt 
Hofjunfer und Truchſeß, und habt mit den Apotheterfachen 
nichts mehr zu thun. Wenn ich Nebbühner verzehre, wil 
ich nicht, dag mein Truchſeß nach Teufelsdreck, China und 
Rboabarber ftinte. — Id, befprenge mic, immer mit wotl⸗ 
riechendem Waſſer ehe ich mich En nahe, Herr von Bräg 
gemann, ſprach Flemming und konnte einen verächttichen 
Std nicht zurädhaiten. — Schon gut, lieber Flemming, fid 
ihm Krufius in’6 Wort, indem er befänftigend feine Hawd 
anf die Schulter des Dichters legte: Wir Andern And fehr 
mit Euch zufrieden, und folte dem Leibarzte etwas zuſto⸗ 
sem. fo it es ja ein großet @lüd, daß wir noch einen Mann 
mit uns haben, — der Berfe darüber machen kann, rief 
Brüggemann höhniſch. — die Euer Wohlgeboren gewiß ge 
falten, mern fie gut ind. ſprach Flemming, denn nur Daum 
köpfe Haben einen natürlichen Widerwillen gegen den Big. 
— Erinnert Euch des erſten Artikels der Hoforduung rief 
Bräggemann: „Anfänglich and für's Erſte ſollen alle und 
jede Obbemeldeten unfern Geſaudten in unferm Reſpett 


Der Schiffbruch 47 


ale (Auldige Ehre, Folge und Aufwartung erweifen, und 
odne Gontradiction oder Weigerung ihren Befehlen paris 
ven." — Es ſteht auch in der Hofordnung, rief Flemming, 
„daß ſich alle und jede bei der Ambaflade der Einigkeit 
befleigigen, da Einer dem Andern ale gute Freundſchaft. 
Liebe und Aſſiſtenz ermeifen; bingegen aber des Zankens, 
Haderns, unnötbigen groben Agirens. Belhimpfens und 
Eclagens enthalten folle." — Mit diefen Borten verlieh 
er das Zimmer. 

Barte nur, Bube, rief der aufgebrachte Gefandte ihm 
nach, id) werde Dich wohl paden. Ich werde eine Klage 
über Dich aufſehen und fie nach Holftein fenden; Du wirt 
rdeꝛeꝛ Binnen von Moskau nicht zum zweiten Male 


Ihr feid Übler Laune, Herr von Brüggemann, ſprach 
Krafus, weil wir Schiffbruch gelitten haben, Dem guten 
Yaul Flemming werdet Ihr aber gemig nichts zu Leide 
tun. Bir lieben ihn alle, und eher wollten wir zuräd nach 
Setterp reifen, als diefen wadern Freund und treuen Ge- 
führen ans unferm Kreije verlieren. — Ia, das ift gewiß! 
Drag Olearius. — Gerwig, wiederholte der Marſchal vor 
Eden — Gewiß, rief der glühende, raſche Stallmeiſter 
von Mandelslohe. — Gemwiß, ſprachen Adel 

3% fehe, ich habe hier Alle gegen mich, rief Brügge ⸗ 
wann; ich werde die Herren hente nicht länger mit meiner 
Gegenwatt inkemmodiren. Er ging, und ſchlug die Thüre 
beſtig hinter ſich au. 

Rrufius ſchwiegs. Gebe der Himmel, daß es fa wäre! 
tief Mandelslohe. Lieber Gott. wit ihm folen wir nun 
den meiten Weg nach Iepahan machen! Bas And Felſen- 
!ükte und Hüften gegen einen folgen ärgerlihen, zänkifchen 


48 Die Austteuer. 
Menſchen, ohne Kepf und Herz. — Stille! gebot Kruſus 


mit Milde. Mir that es aber in der Seele wohl, daf 
mein dichteriſcher Arzt von Allen fo geliebt war. 


7. . 


Die Ausfteuer. 





Zwei Mal hatt’ ich das Fieber erwartet, es blieb amt. 
Bas das für ein angenehmes Gefühl war, weiß Jeder, 
der aud einmal in diefem Zuftande geweſen ift. Meine für 
beren Kräfte fhienen wieder zu erwachen. Während der 
Seit war das Schiff flott geworden. Die Geſandtſchaft 
follte abreifen. Here von Kruſius aber hatte zuvor einen 
Ball für die Jugend der Nachdarſchaft veranftaltet. 

Bet diefer Gelegenpeit wollte ſich Flemming auf edle 
Weiſe an dem geizigen Brüggemann rähen. Der Book 
mann hatte mir bereits erzählt, dag Iener auf dem Schif 
in Zodesgefahr das Gelübde gethan, ein armes Mädden 
auszuftatten, Es follte-ein armes Mädchen auf der Inf 
Oeland jein. und Clas Lundgreen, unfer Sauswirth. mar 
fon von Alem unterrichtet; er fandte feinen Sohn nah 
Gothland, ein Pferd zu kaufen, und erlaubte Sara, ihre 
Mutter auf einige Tage in Runſteen zu befuhen. Diefe 
Erlaubnig war dem Mäddyen fehr wilkommen. Als der 
Bräutigam weg, und ic) geheilt war, verließ fie gern das 
Haus, um dem verliehten Paul Flemming zu entgefen. 
der ihr uͤberall nachſchlich, um einen Kuß zu bekommen, 


Die Ausfteuen. . 4 


x mußte nicht, daß fie heimlich verſprochen war, und-fie 
nt, dap fie eigentlich diefem edlen jungen Mann ihr 
fünftiges Gtüd verdanken würde. 

6, Julius, ſprach er einmal zu mir, als wir zuſam⸗ 
men allein fagen, und ich äber feine Verliebtheit ein wenig 
selnotiet hatte, es geht mir, wie einem geweſenen Reichen, 
der fein ganzes Vermögen verloren, und jept nur noch mite 
unter an einem fremden Zifhe einen Biffen ſchmauſen kann. 
Ginmat Habe ich ein himmliſches Maͤdchen geliebt, fie ſchenkte 
mir wieder ihre Neigung, und damals konnte id) fingen: 


„Mir if wohl beim höchflen Echmerie, " 
Denn ich weiß ein treued Herie!« 


Damals konnte id) fingen: 


O Conne der Bonne, 
O Bonne der Sonne!“ 


Aber meine füge Rubella ift geforben; in der doͤchſten 
Jugendbfüthe raffte die Peſt fie hin, und alle armfeligen 
Arzeneien konnten fe nicht retten Zuleßt hahen freilich die 
Nadre meine Wunde geheilt, allein id) trage nod die Rar- 
de. ale liebſtes Merkmal fhöner Stunden, in meiner Bruft, 
Nest will ich mid; der Phantafie ergeben, und an fernen 
Orten fhöne, feltne, veunderbare Blumen pflüden. Schöner 
werden die Georgianerinnen und Circaſſicrinnen fein, al- 
kin mein ſchüchternes, crrötbendes Liebihen an der Pleiße, 
mit dem Findlihen Melpomenen» Gefite, die fe früh ver- 
ſaward, merden Ae mid; nie vergeffen machen 

Iept ward natärlicerweife auch der Schatten meiner 
heben Tabuletträmerin aus dem Grabe bervorgemahnt, 
m fo wechſelten wir unfere Gefühle gegen einander aus. 

Brhlenf. Echeiften. XVIL, 


bo Die Ausſteuer. 


Drauf eilte er fort, um in's Werk zu fehen, was ih 
leider zu fpät erfuhr, weil er auch mich damit überraſchen 
wollte. 

Der Ball war auf den. übermorgenden Abend fe 
gefeßt, und damit der geizige Brüggemann nicht umfatteln 
folle, und fein Wort bredien, das er freilich in Gegenwart 
der ganzen Schiffsmannſchaft gegeben hatte, veranfaltet 
Flemming erft, nachdem alles heimlich mit Krufus und 
Dlearius verabredet war, eine Devutation armer Viter 
des Dorfes, um ihm, für feinen chriſtlichen Vorſaß, rin 
Maͤdchen aus ihrer Mitte auszuftatten, gehorfamft zu danken. 

Brüggemann, der nicht wußte, was man von ihm 
mol, der ſich aber gern gehuldigt ſahe, ließ ſogleich feinen 
Trompeter, mit wiederholten Stößen das ganze Perfonalt 
der Geſandtſchaft zufamme.rufen, und gab alsdann, um 
tinge von Hofjunfern und Pagen, den Bauern eine fürn 
liche Audienz. 

Als er aber hörte, aus welchem Loche der Mind pi, 
erblaßte er, und warf einen grimmigen Bid auf Flem 
ming, denn cr witterte glei), wer ihm diefen Streich ge 
fpielt Habe. Flemming aber ftand gleid einem frommen 
Kinde mit gefalteten Händen und niedergefchlagenen Aug. 
Jetzt, da die Sache fo weit gekommen war, fah Herr von 
Brüggemann ſich genötigt bei feinem Worte zu bleiben 
und bielt daher eine zierlie Nede. Denn er befag eine 
gewiſſe Geſchiclichteit, Nichts mit vielen glatten Bortek 
in künſtlichen Worten zu wiederholen, 

Er geſtand, dag er in äußerſter Noth ein ſolches Gr- 
lübde gelhan babe; freilich fehr unvernünftigermeife, den 
jeder gefittete gute Chrift fei doch jept davon unterrichtet, 
dag man tie göttliche Vor fehung nicht mit armfeligen Geld · 


Die Ausfteuer. 5t 


seläbden abfpeifen und auf andere Gedanken lenken konne. 
Beil das Gelübde nun aber einmal abgelegt fei, wolle er 
auch fein Wort brechen; beklage jedoch, daß die Umſtände 
ihm nicht erlaubten, viel für das arme, chelüferne Kind 
in tbun. Dreigig Thaler wolle er indeß hergeben, weil es 
aun nicht anders fein kͤnne. Sollten feine Herren Kole- 
gen und die übrigen Offizianten finden, daß diefe Enmme 
au Mein fei, fo fände es Jedem frei, diefelbe nach Herzens- 
luft zu vermehren. Denn in fofern nicht nur er, fondern 
mit ihm zugleich die ganze Mannſchaft aus der Lebens- 
gefahr errettet fei, ſehe er nicht ein, warum er für Ale ber 
nhlen folle. 

Krufins, der feinen Kollegen nicht länger auf der Fol⸗ 
ter laffen wollte, antwortete ſchnell: er fei bereit, aud drei» 
Big Thaler zu geben. Alle übrigen zur Geſandtſchaft ge- 

- börigen Perfonen verpflichteten ſich, verhältnigmäßig zu der 
Ausfteuer beizutragen. So ward fhnell eine Summe von 
hundert Thaler klingender Münze zuſammengebracht, ein 
zur Schatz für ein oeländifhes Landmädchen damaliger 


Ich mußte von allem diefen nichts. Vermuthlich münfdıte 
Flemming es auch zu verhindern, daß ich auf den Ball 
singe, und mic der Nachtluft ausfepte. 

Ih war am Mittage vor dem Balle ein wenig im 
Sonnenſchein fpaziert; und zwar zum erften Male nad) der 
Herftellung ; ich fühlte mic etwas erfhöpft, legte mich aufs 
Bett im Alkoven und ſchlief ein. Als ich wieder ermadıte, 
war es Nachmittag; ich fab Clas Lundgreen mit feiner 
Frau in die Stube treten, und da fie fih allein glaubten, 
ſprach er: Nun, Frau, hab’ ich meine Karten nicht pfiffig 
gemifht? Erit ift nad Gothland geyeiſt. ein Are u faus 


2 Die Ausſteuer. 


fen, Sara beſucht ihre alte Mutter in Nunfteen, zwei Mer 
len von bier. Heute Abend werden die Bräute des Dor- 
fes, die ſich zu einer Ausſtener Hoffnung machen Fönnen, 
dem Gefandten vorgeftellt. But, dag Cara mat da iR. 
Betaͤme fie keine Ausfteuer, fo wäre das für uns ein Schimpf, 
weil unfer Sohn fie liebtz befäme fie aber auch die um 
digen hundert Thaler, fo müßte ich mein Verſprechen hab 
ten, und meine Plane würden ganz über den Haufen ge 
worfen. Nein, Erik fol die reihe Witwe beirathen, und 
Sara muß fort. Wenn fie ein Paar Wochen gemeint ha 
ben, werden fie ſich wohl wieder tröften. Ei freilich, forah 
die Frau, das it eben die rechte Art: Wir Beide haben 
ja einander auch nie geliebt, und find doch nachher glückich 
geworden. Und cs ift uns nicht wie gefühlvollen Cheleuten 
ergangen; denn wir haben nie aufgehört, uns zu lieben 
weiß wir nie den Anfang damit gemacht haben. Ber könnte 
auch, bri taufend Tonnen Teufel‘), das Wefen in der Ewig⸗ 
keit fortfegen? Das fagt man nur etwa fo hin. 

Allein holen mic, zebntanfend Tonnen Teufel, ſiebe 
rau, ſprach der Schwede leife, liegt nicht dort wieder der 
Sachſe aufm Bett, und hat vieleicht jedes Wort -gehört, 
— Er fhläft, der arme Kerl; antwortete die Fran. Er 
bat heute ein menig in der Sonne fpaziert, und iſt fo matk 
wie eine Shiege. Komm, teir wollen ihn nit flören. — 
Sie gingen, allein jegt hatte ich genug. 

Sobald ic allein war, und es dunkelte, marf ic mid, 
in einen diden Ueberrod, der dem Wirthe gehörte, nahm 
ein gutes Neitpferd aus feinem Stall, fattelte es im alır 


*) Gin ſchwediſcher Gidſchwur. 





Die Ausſteuer. 53 


Eile, und ohne mit Jemandem zu reden, noch um Erlaub⸗ 
niß zu fragen, ritt ich nad Runſteen, um die gute Sara 
au bon, damit fie früh genug zur Ausfteuer erfheine. Als 
ich das Thal durchritt, fiieg ein weißer Nebel aus dem 
Grunde. Du wirft das Fieber wieder befommen, dachte 
ih, vieleicht opferſt du durch diefe Anſtrengung dein Leben. 
Doqh gleichvieil Die gute Sara Hat mir fo lange treulich 
beigeftanden! Jetzt will ich ihr auch ihren Eichen Grit zum 
Manne verfhafen. Sonft hefäme fie ion nie. 

Nach zwei Stunden bielt ich mit dem Pferde vor dem 
Haufe, wo Saras Mutter wohnte. Ich band das Pferd 
an die Thür, und trat hinein. Es war eine ziemlid ge⸗ 
räumige Stube und Kühe zugleih. in fuftiges Feuer 
brannte auf dem Heerd. Die Alte hokte beim Feuer in 
einem Lehnfluhle, zu ihren Zügen faß die Tochter auf einem 
Egemel, firidte und hörte die Mutter ein Maͤhrchen ere 
thlen. Es mar die Boltsfage vom todten Nitter, der das 
Mãdchen auf feinem Pferde nach dem Kirchhofe brachte, 
und worin die Reime vorfamen: 


„ber Mond fcheint heil, 
Die Todten reiten ſchneu.“ 


Jetzt, Sara, rief ich im Hintergrunde der Halle, gilt 
fein Zaudern. Schwinge Did vorn auf's Pferd, halte Dih 
an den Sattelfnopf, fo reiten wir über Berg und Thal, 
und fommen nod vor Mitternacht früh genug zur Hochzeit, 
wenn wir ſchnell reiten. 

Die Mutter, die mein todtblaſſes Geſicht (der Ritt 
batte mid) angegriffen) beim Küchenfeuer entdecte, ſank er» 
fürsden zurüd in den Lehnſtuhl, kreuzte fi) mehrmals, und 
Hlaubte, der todte Balladenritter fei da, um ihre Tochter 


5 Die Ausnener. 


nad dem Grade zu bringen. — Cara erfannte mih aber 
ſooleich; mit zwei Worten hatte ih ihr alles erklärt; fie 
nahm hurtig Abſchied von der Mutter, die ſich tröffete: 
und jept trabte ich fort mit dem Maͤdchen, über nadtes 
Geftein, braune Haide und üͤberſchwemmte Ufer. Es fah 
nach Negen aus. und ic hörte das fromme Kind inbrün- 
fig zu Gott beten, daß er es doch nicht eher regnen laſſen 
wolle, bis wir im Trocknen wären, damit meine Gefundpeit 
nicht gar zu fehr leide, 

Der liebe Gott erhörte iht Gebet. Erſt als wir wie⸗ 
der ins Dorf anfamen, fiel ein feiner Staubregen. Wir 
börten die Geigen im großen Wirthshaufe luſtig erklingen. 
Als wir näher famen, war die ganze Straße von Lichtern, 
die durch die Fenfter ftrahlten, erhellt. Ich warf den Ueber» 
roc ab, nahm Sara vom Pferde, gab dem Hoftnechte das 
Pferd und den Not, und bat ihn, für beides Gorge zu 
tragen, während id meine Dame hinauf brachte. — If 
das nicht Clas Lundgreens Pferd und Ueberrot? frug der 
Haustnecht. — Freilich, ſprach ih. — I. feld Ihr 
nicht der junge Deutſche, der bei ihm wohnt? — Ia, der 
bin ih! — Nun, das wird ihm einen ſchweren Stein vom 
‚Herzen wälzen, verfeßte der Knecht. Er glaubt, daß Ihr 
mit dem Ueberrode und dem Gaule Neifaus genommen, 
ohne die Miethe zu bezahlen. — Dummes Zeug, rief ih, 
auf einer einen Infel flieht man nicht weit zu Pferde. — 
Ih ging mit Sara binauf und traf den Mann in der 
Thür. Wo it mein Pferd? rief er mir entgegen. — Ee 
ſteht unten im Thorwege, antwortete ih. — Bo ift mein 
Neberrod? verfeßte er. — Der Hoffneht trägt ihn auf 
dem Arm, fagte ih, und bier it Eure Schwiegertochter 
noch obendrein. Ohne ſich um meine Worte zu befümmern, 


Die Ausktener, 5 


Rürzte er die Treppe hinunter, um feinen Ueberroc und 
fein Pferd zu bekommen. IA trat mit Sara in’s große 
Balzimmer. Zwei Lehnrühle fanden im Hintergrunde. 
Ja dem einen breitete ſich Herr von Brüggemann, fo viel 
ihm feine hagere Länge erlauben wollte. Der andere 
Stuhl, für Kruſius beRimmt, fand leer, doch ſab id) ihn 
ud alle übrige zur Geſandtſchaft Gehörenden in der Nähe, 
Bor dem Richter im Lehnſtuhle Aanden drei Dienſtmaͤdchen. 
die weder hübſch noch jung waren; auch machten ihre ge⸗ 
meinen Gefidyrszüge einen widrigen Eindrud”auf die Zus 
bauer. — Run, meine Herren, hörte ich Brüggemann zu 
den andern ſpöttiſch fagen: Welcher von diefen drei Got⸗ 
tinnen foll ich den Apfel reichen? — Ih dachte: wie die 
Göttinnen, fo der Paris. Sie zauderten alle, und Niemand 
batte Luft unter den drei Schönheiten zu wählen.‘ 

Hier iR noch eine Vierte, rief id, und 309 meine nied⸗ 
fie blonde Schwedin hervor, deren beſcheidene Schüchtern- 
beit fie noch lücbenstwärdiger machte. 

Es bedurfte nur eines ganz einfachen Vortrags der 
Sache, um Sara fogleid den Preis zuzumenden, und die 
Sundert Thalet wurden ihr in Golde gereicht. — Glas 
Lundgreen kam zurück. Mein Pferd it da, ſprach er, aber 
ganz mit Schweiß bededt, mein Ueberrod au, -aber vom 
Regen durcmept. Ber hat Eud erlaubt, fo mit andrer 
Leute Eigenthume zu wirthfhaften? — Fragt Euren Sohn, 
Bater Glas, ſprach Herr Dlcarius, wenn er von Gothlaud 
am Haufe fömmt; und fcheltet nicht dieſen wadern Jüngling, 
der für feine tanfere Treue eher einen Lorbeerkranz ver⸗ 
diente. — Jetzt wollen wir für ihn forgen, rief Paul 
Elenming. 

Er und Grahmann braten mic nach Haufe und zu 


% Die Ausſteuer. 


Bette, gaben mir einen guten Schlud Chinamistur und 
dedten mid) warm zu. Ich ſchlief bald ein, und verfpürte 
am folgenden Tage feine fhlimmen Folgen; welches ich 
wohl theils der Begeifterung, theils der Eile, und befondere 
Vater Claſens vortrefflichem Ueberrode von didem, wolle 
-nen Zeuge, zuzuſchreiben hatte. Der Alte war genötbigt, 
ſich zufrieden anzuftelen. Das Pferd, das id geritten 
hatte, ward indeß frank, und er wollte mir das Vferd zu 
Rechnung führen. Als aber Erit mit einem guten Pferde 
von Gothland zurädfam, wagte der Alte «6 nicht mehr, 
von der Sade zu reden, um-den Sohn des gefbielten Strei- 
ches willen, nicht noch aufgebrachter zu machen. 

Zwei Tage darauf war die Verlobung der jungen 
Leute. Flemming ſchrieb ein Hochzeitslied, in welchem er, 
mie es bei folhen Gelegenheiten gewoͤhnlich äft, mit den 
Namen fpielte, und von der jungen Sara in Bergleih 
mit der alten bibliſchen viel Wigiges ſagte. Das Hoch⸗ 
zeitslied ward gefungen, und id mußte diefen Abend mit 
dem trefflichen Manne Brüderſchaft trinfen; welches ih als 
eine gar große Ehre anzufehen hatte. Er trug bereits eis 
nen berühmten Namen, und feine Gedichte waren mir weit 
lieber, als die von Dpip, die er mir geliehen Als ich dem 
Serrn Dlearius meine Verwunderung über Flemmings 
außerordentliche Liebe zu den Opißiſchen Gedichten zu er⸗ 
Bennen gab: ſprach diefer: Das ift nur ein Zug von Flemn⸗ 
mings Liebenswürdigfeit; er hat als Kind Opigens Werte 
gelefen, fie Haben ſich mit feinen blühendfien Jugeudvor⸗ 
Aelungen verbunden, er kann fie nicht von diefen trennen. 

Das Schiff war wieder fegelfertig; ich, der ich gar 
feinen Lebensblan entworfen Hatte, der allein in der Welt 
Band, und nun in Flemming, Diearins und Grahmann 


Die Ausftener. 5 


acue Freunde gefunden hatte, märe gern mit nad Perſien 
grreißt, alle Uebrigen bätten mich aud gen mitgenommen, 
dert von Brüggemann fehte ſich aber mit Händen und Fü- 
hmm dagegen, beſonders, weil es Flemming fo fehr münfhte, 
So mußte ich denn nach herzlicher Umarmung meiner Sreunde 
das Schiff mit ihnen abſegeln ſehen. 

Iept mußte ich nicht, was ich anzufangen hotte. Das 
Fieber war ich freilich los; durd) meinen langen Aufenthalt 
her, war mein Geldbeutel aber aud beinahe leer gewer- 
den; und obſchon die jungen Leute mich als ihren Wohl⸗ 
fhäter gern bei ſich ſahen, fühlte ih doch, daß es für eim 
sroßmäthiges Herz angenehmer fei, Wohlthaten zu beweiſen, 
ds zu empfangen. 

Mein gutes Schickſal wollte aber, daß id auf andern 
fonderbaren Wegen meinem entfernten, geabneten Glücke 
entgegen gebe, denn eines Tages, als id ganz trübfelig al» 
fein in der Stube fag, Das Haupt auf meine Hand geſtützt, 
trat Erit Lundareen herein und rief mir entgegen: Jeht. 
Herr Albert Julius, könnt Ihr von Gluͤc fagen, und die 
Belt zu fehen bekommen, wenn Ihr es felbft begehrt. Ein 
ER aus Eſthland liegt bei Calmar vor Anker. Ein vor- 
achmer bolländifger Edeimann, der über England nah 
Dfindien reifen wii, hat feinen Kammerdiener verloren, 
md ſucht jeßt einen gefhtdten Menſchen, der etwas gelermt 
bet, und der immer mm ihn fein Tann. Wenn Ihr Euch 
ein wenig Mühe gebt, könnt Ihr gewiß diefen Poſten bes 


Mir ſchnitt das Wort „Kammerdiener“ verfluht in’s 
Dbr, Nacy reiflicher Ueberlegung fand id es jedoch thö- 
rißt, in meiner jehigen Lage eine ſolche Rettung eines blo⸗ 
ben Namens wegen nicht zu benupen, 


5 Die Ausſteuer. 


Ich ging nach Calmar ab und ließ mid) bei dem Edel- 
manne melden. IA gefiel ihm, und aud der Herr Karl 
Franz van Leuven magte auf mic einen angenehmen 
Eindrud. Gr hatte fein ftolzes Wusfehen; war ein feiner, 
filter, freundlicher, junger Mann, nur, wie es ſchien, etwas 
ſchwermütbiger Natur. Diefer melancholiſche Zug, verbun« 
den mit feinem hollaͤndiſchen Phlegma, gab ihm etwas An- 
genehmes. Auch merkte id bald, daß er verfiebt fei, denn 
mean cr ſich allein glaubte, fügte er oft ein Mignaturbitd, 
das er auf der Bruft trug. Unter den glatt gefämsmten 
Haaren wolbte ſich eine fhöne Stirn, die mid an die nie 
derländifhen Freiheitshelden denken ließ, von melden er 
abftammte, Bir waren bald einig, idy follte es fo gut ha⸗ 
ben, als er, und ihn nur unterhalten; er hatte bereits einen 
andern Bedienten, der alle fervilen Arbeiten verrichtete. 
Indep blieb mir do der Name „Kammerdiener.“ Unſere 
Seegel wurden gefpannt und wir fuhren ab. 


Als wir an der Infel Deland vorbeifegeiten, fand das 
junge Brautpaar Arm in Arm am Ufer, minfte mir ein 
Lebewohl mit den Tüchern zu, und trodnete ſich die Augen. 
Ic grüßte fie freundlih. Das Schiff durchſchnitt die Wels 
len. I4 ſtand auf dem Verdeck, und dachte forafam über 
meine fünftige Lage na. Bald aber ſchöpfte ich wieder 
Muth; um mic zu flärfen, holte id mein Stammbuch her⸗ 
vor, und überlas in demfelben das treffliche Lied, welches 
mir Paul Flemming beim Abſchiede gedichtet hatte, 


Laß Dich nur Nichte nicht dauern 
Mit Trauern. 
Sei fine! 


Kopenhagen. 50 


Wie Gott eh füst, 
Eo fei vergnügt 
Dein Bile. 


Bas willſt Du heute forgen 
Für morgen? 
Der Eine 
Etept Aue für, 
Der giebt auch Tir 
Tas Deine! 


Eei nur in allem Oandei 
Ohm’ Wandel, 
eich fette; 
Bad Gott berhleußt, 
Das if und Heißt 

>. Dad Bere 


8. - 
Kopenbagen. 





Als wir nad Kovenhagen gekommen waren, miefheten 
wir uns gleich in ein gutes Wirtshaus ein. Mein Herr 
betam ein fhönes Simmer, weil aber noch fein Plap da 
war, indem ein Fremder das mir beſtimmte Zimmer erft 
räumen follte, fand id midy gern darein, dag man mir ein 
Feldbette in’s Bedientenzimmer feßte. Herr van Leuven 
beſuchte diefen Abend einen Bekannten. Als ich etwas in 


© Kopenhagen. 


ten Straßen herumgeſchlendert war, kehrte id mit dem 
Haustnechte zurück. Ich gedachte ein einfahes Abendbrod 
zu effen, und dann früh zu Bette zu geben, weil mid) die 
Reife ermüdet hatte. 

Während ich die Treppe hinaufſtieg ermabnte ih mid 
felber, gegen den Bedienten recht freundlich zu fein, und 
mid) vor allem Stol; und Dünkel gegen ihn wohl zu 
hüten. Ich batte immer die Beratung gebaßt, womit 
vornehme Herren fo oft ihre Diener behandeln. Sie ma- 
Gen ihnen das Leben leicht und angenehm, dachte ich. 
müffen ſich alle Augenblicke mäde laufen, und befommen 
obendrein fargen Lohn und höhniſche Worte. Warum nennt 
man den Dienerftand niedrig? IR es niedrig. dag der Aer⸗ 
mere dem Glüdtihern Hilft, um es ein wenig beſſer zu ha⸗ 
ben? Wie wunderlich find doch die Menſchen! Ieht fangen 
die Poeten an, das Hirtenleben zu befingen, und vor ein 
Paar hundert Jahren waren die Hirten unehrlich und wur⸗ 
den zu der Klaffe der Schinder und Büttel gerechnet. Bes 
diente find ja alle Staatsdiener. Iſt es viel beſſer, daß 
ich für meinen Borgefepten etwas rein ſchreibe, als daß ich 
feine Stiefeln wichſe? Id werde mid wohl vor foldhen 
Vorurtheilen hüten. Mit diefen chriſtlichen Vorfäpen trat 
ich in's Bedientenzimmer. Kaum war ih aber da, fo fing 
die feierliche Stimmung an, etwas nachzulaſſen. Schon 
die Atmofphäre war mir zuwider, von den vielen gewichs⸗ 
ten Stiefeln, die an der Wand hingen, auch andere Sachen 
etelten mid an, Der Bediente des Herrn van Leuven fag 
mit mehreren feines Gelichters an einem runden Tiſche, vol 
Beinbauteilen, Bierflaſchen, Gläfern, Tabadspfeifen und 
Tabadsafcıe. 
> Ms ih bereintrat, ſanden fie ade auf und madıten 


Kopenhagen. 6 


dem Herrn Kammerdiener itre Reveren; Gin Lehr 
Rupl ward mir fogar angemiefen, wo ich al6 Primus inter 
pares präfdiren ſolte. Da mußte id denn von diefen 
Nor unwiſſenden Menfhen alle mögliche alberne Grob- 
heiten hören, mie fie Fürften und große Männer verfbotter 
ten und verurtheilten. Miles höbnten fie, alles fuchten fie 
zu Ah hinunter in den Echlamm zu ziehen. Nichts Edles, 
Großes, Berdienftvoles gab es ihrer Meinung nah. Nur 
Gigennug und Furcht bändigten fie. Da begriff ich denn, 
woher die Verachtung gegen den Bedientenftand im Ganzen 
fit ſchreibe. In diefem Zrübfinne flörte mid mein Nach ⸗ 
bar, der indeg mein Glas gefüllt hatte und vorfhlug, daß 
wir Vrüderfhaft trinken follten. Ich erröthete über und 
äber, und mar in der größten Veriegenheit. Geradezu 
Rein zu fagen, wagte id nicht, um mid der Buth der ber 
truntenen Menſchen nicht auszufeßen. Ein glücklicher Eine 
fall vettete mid: ich gab ein Naſenbluten vor, hielt das 
Sänupftud vor das Geſicht, eilte die Trebbe binnnter, lief 
die Straßen entlang, Ienkte in einige Quergaſſen ein und, 
Tubete nicht, bevor ich mich wor dem Gefindel in Sicherheit 
wußte 

Ich lietz mich auf eine Thürſchwelle nieder, ergab mid 
in mein Schicfal und hoffte, die Nadtwächter würden mich 
wenigſtens aufs Ratbhaus bringen, me id lieder bleiben 
wollte, als in der vorigen Geſellſchaft. — Es dauerte auch 
wicht Lange, fo ſah ich zwei Wächter einen Betruntenen oder 
Lodten auf‘ ihrer Leiter durch die Etraße fragen. Sie 
hielten an der Dausthäre iR, wo ich faß, ließen die Leiter 
herunter und riefen mehrmals: Mag Hanfen! Map Han» 
fen! jept feld Ihr zu Haufe. Es half aber alles nichte 
So wüften wit im in Die Rale Tneifen, ſprach der eine. 


62 Kopenhagen. 


AS das geſchehen war, fing der Betrunkene auf der Leiter 
on, munter zu werden, richtete ih auf und ſprach heiter: 
Schon da! Nun, gute Nadıt, lieben Kinder! Gotteslohn! 
Da ift Trinkgeld! Habt Ihr gellingelt? Sie thaten es und 
das Maͤdchen Lam herunter mit Liht. So entdedten mid 
die Wächter und wollten mich gleich wegfhlenpen. As ih 
aber erzählt hatte, wer ich fei. und wie ich mid verirrt 
babe, ſprach Maß Hanfen auf Deutſch: Irren ift menſch⸗ 
fi. Bei Gott, Kinder, Ihr folt dieſem armen deutſchen 
Menſchen nichts 30 Leide thun! Es iſt eine gufe Haut und 
ein ehrliches Blut, das merke ich an Allem. Es giebt über» 
haupt in diefer Welt Feine Bosbeit, eine Sünde, Leine 
Squrken. Betrügereien und Efeleien, das find nur Schlia- 
gel und Spigbuben, die fo etwas gegen das arme Menſcheu⸗ 
geſchlecht behaupten. Alles ift gut, vortrefflih. allerliebſt 
auf dieſem fdönen Erdenrunde. Seht nur die Sterne dro⸗ 
ben! die Milchflecken und Nebelftragen, wie fie funkeln und 
ſich berumdrehen! Was find wir Würmer und Maden ge 
gen ſolche mädytige Himmelsförper, die nie zu Bette gehen? 
Und wenn ſelbſt fie benebelt fein können, können wir es 
nicht? Wenn ſelbſt der Himmel feine Zleden bat, was ſchaͤ⸗ 
men wir uns, bencbelt und befledt zu fein? Seht nur, wie 
Hell und demüthig der Mond im Ninnfteine daliegt. Der 
Koth vermag feine ätberifhen Strahlen nicht zu verdun- 
fein. Benn der Mond im Ninnfteine liegen fann, feiner 
Gottheit unbeſchadet, wie follte ih es nicht auch, der ich 
nur ein Anterſchmid bin? Und bin id nicht derfelbe reiche 
Map Hanfen, der ſich feinen Sountagsrauſch getrunken 
bat, dort, fo gut wie anderswo? Darauf verlichen uns 
die Waͤchter Map Hanfen führte mi) die Treppe binauf, 
und wies mir ein ſchoͤnes Zimmer und ein gutes Belt an, 


Kopenhagen. 8 


wo ich Keute übernachten Fünne. Der Rauſch ſchien ihm 
etwas verdunftet zu fein; als er hörte, daß ich noch nit 
zu Nacht gegeffen, lieg er kalte Küche bringen, und ih 
mußte noch ein Glas mit ihm trinten. 


Bir Dänen, ſorach er, mälen mehr als andere Dien 
ſchen trinken, weil mir hier mitten im Deere wohnen, um 
und gegen die feuchten Dünfte des Ozeaus zu wahren. Fin 
Kauf ift an und für fi nicht zu tadeln, wenn man ihr 
nur gut vertragen fann, und wenn er der Befundbeit, dem 
Eleiße, der Tugend, den Verrichtungen keinen Abbruch thut. 
Ich bin eigentlich nie beſoffen und verliere nie mein menſch⸗ 
liches Berugtfein, noch mein Lörperlices Gleichgewicht. Lege 
ich mich einmal auf die Leiter und Jafle mich von den Waͤch- 
term nach Haufe tragen, fo ift das eine freiwillige Hand ⸗ 
lung, weil ich diefe Beförderung liebe; fie ift commode und 
oͤlonomiſch zugleich: ich ruhe da bequem auf den Eproffen, 
und kann mittlerweile friſche Luft ſchöpfen und die Milch⸗ 
frage betradıten. Sonft trinke ich gewöhnlich alle Tage _ 
nur vier Flaſchen Wein. Der Sonntag allein it eine Auss 
nahme, da trinke ich zwölfe und gerathe dadurch in drei 
verſchiedene Zuſtaͤnde. Erſt werde ich fehr mißtrauiſch und 
nͤntiſch. und da ratbe id Keinem, mir zu mahe zu freien, 
weil id) in diefem Zuftande mit Scheltworten und Nafene 
Hübern fehr freigebig bin. Nachher ergreift mid eine in⸗ 
nige Wehmuth und Demut: ich werde Über Alles gerührt, 
die Thraͤnen Saufen mir von den Baden herunter, und id 
betommme eine übergroße Luſt, alle Menſchen zu küffen und 
wm umbalfen und um Verzeihung zu bitten, bie ih das Du- 
send geleert habe, wodurd ich denn in die Erbabenheit ge- 
vathe; dans ſchaue ich zum Himmel hinauf, und Tann mit 


64 Kopenhagen. 


dem Zählen und Bewundern der Firſterne und Planeten 
nit fertig werden. — 

Den Morgen darauf trat er heiter und rüftig au mir 
in’s Zimmer, und fah gar nicht aus wie ein Menfch, der 
ausfgweift. Sein Gefiht war freilich kupferroth, und die 
Nafe hatte etwas traubenäpnlies, die Heinen Augen blitz⸗ 
ten aber bel und Fräftig unter den ungeheuren Hugenbran« 
nen hervor, die ausfaben, als ob fie mit Stiefelwichfe ge» 
ſchwaͤrzt wären. Er war vierfhröfig und von einer erftaun- 
lichen Leibesftärte. Die Hand drüdte er mir fo, dag das 
Blut mir faft zu den Nagelwurzeln herausfprang, wobei er 
übermägig lachte. Nachdem ic erft warmes Bier Mit ihm 
hatte trinfen müſſen, folgte ich ihm in dir Werfftatt. wo 
ich mid) denn über die Kraft wundern mußte, womit er die 
gewaltigen Unter hämmerte. Alle Geſellen bezeigten ihm 
die größte Ehrfurdt, auch war er den ganzen Tag bindurd 
ein ordentlicher Mann Es freute ihn, dag ih aud ein 
wenig von der Schmicdekunft verftand, doch meinte er, daß 
ich mit meinem glatten Mäddengefihte zum Schmid nicht 
tauge. Sept brachte er mic auch zu feiner Frau, einem 
friſchen blonden Weihe, mit ſchelmiſchen Augen. Als fie 
wieder in die Küche gegangen war, fagte er: Wir haben 
no) einige ‚guse Zimmer zu vermiefhen, und wenn Herr van 
Leuven vielleicht hier wohnen wollte, fo fteben fie ihm zw 
Dienſten. Im Wirthsbauſe ift es zu theuer wohnen, da 
muß man nur trinken. Mein erſtes Stocwert wird von 
einem vornehmen Offizier bewohnt, der viel nad Hofe 
tommt. Er ift ein gufer Freund von uns, befonders von 
meiner Frau. Die Leute nennen ihn den Mars, meine 
Frau die Venus und mic den Vulkauus. Weit ich mid 
aber anf die Etymologie nicht verfehe, fo weiß ih den 





Kopenhagen. 65 


Henker, was die Tuckmaͤuſer mit dieſen Redensarten fagen 
wollen. Eo viel weiß ih. daß Badıus der Gott der Re⸗ 
ben iſt, und das ift mir genug. Uebrigens hat mir der 
Dffizier die Lieferungen für die Flotte verfhafft, wodurch 
er mid zum woblgabenden Manne gemacht hat. 

Jetzt eilte id nad dem Wirthehauſe. um Herrn van 
2euven über alles Bericht zu erſtatten. Er begegnete mir 
in größter Unruhe auf der Treppe; die ganze Nacht hatte 
er meinetwegen fein Auge zugetban, meil id, nad) der Ber 
dienten Ausfage, einen Blutfturz bekommen habe, und wie 
ein toller Menſch meggelaufen ſei. Eie hatten mid) überall 
arfucht, aber nirgends finden können. Ich erzählte ihm al« 
ie6 rein aus, wie ſich die Sache verhielt. Lieber Iuline, 
fprad) er Ieutfelig, warum babt Ihr mir das nicht glei 
gelagt? In der kurzen Zeit, daß wir uns kennen, habe ih 
{bon an Euch entdrdt, dag Ihr ein gebildeter, braver Jing · 
ling feid. Von jegt an feid Ihr mein Sekretär! Iſt es fo 
gut? Der naſeweiſe Bediente bat fhon feinen Abſchied. ich 
mochte ihn fo nicht leiden. Wollt Ihr aber bei mir blei⸗ 
ben, fo will id Euer Gtüd machen. Ihr gefallt mir, ich 
brauche einen Freund, und mein Herz fagt mir, daß ich ihn 
in Euch finden werde. 

Diefe feltene Güte rübrte mid, fehr, ich küßte Herrn 
van Leupen die Hand. Gleich darauf liegen wir alle un 
ſere Sachen nah dem Haufe des Schmids bringen, wo mir 
uns fehr gut befanden. 

‚Herr van Leuven hatte mandyes abzumadı:n und viele 
Briefe zu ſchreiden, wovon ih gar nichts wußte, obſchon 
ich ſein Sekretär war. Während der Zeit ging der treffe 
liche Schmid mitunter mit mir in der Stadt herum. Gr 


brachte mid) am naͤchſten Sonnabende in den — Ro⸗ 
Ochlenſ. Schriften. XVII. 


66 Kopenhagen. 


fendurgergarten, wo eine Fürtlihe Statue von Bronze auf 
geftellt wurde, die ein vom Löwen zerriffenee Pferd vor⸗ 
ſtellt. 

Man murmelte allerlei von der Bedeutung des Bildes; 
von dem Herzoge von Lüneburg, deſſen Wappenbild ein Pferd 
äft, wie das dänifhe ein Löwe, und trug fid mit allerlei 
Reden von der Feindſchaft, die der Herzog dem Könige im 
dreißigiährigen Kriege gezeigt habe. Aber laut wagte kei 
ner zu ſprechen, außer Maß Hanfen, der heute Feierabend 
machte, und ſchon ein Paar Flaſchen über das gewöhnliche 
Maag ausgeftohen hatte. Er war jetzt in feiner zänfifhen 
Laune und machte faute Anmerkungen über deutſche Pferde 
und daniſche Löwen, die fih feinen läneburger Sand in die 
Augen werfen liegen. Drauf fing er noch an, über deutſche 
Windbeuteleien Stichelreden herzufagen. Das hätte ich ihm 
nun als Deutfher eigentlich Übel nehmen follen. Beil ih 
ihn aber fihon kannte und wußte, daß diefe Gemütheftims 
mung bald in eine fanfte übergehen würde, fobald er nur 
mehr Wein geframten habe, eilte ich ſchleunig mit ihm in 
eine Ehenke, und kaum hatte er noch zwei Flaſchen geleert, 
fo mußte ich wieder mit ihm in den Garten hinaus. Hier 
fing er an, weinend eine Menge welfen Laubes in den Hut 
au fammeln, und obſchon es im Spätherbfte war, wollte er 
noch Vergigmeinnichte und Veilchen pflüden. — Ach, Iur 
Une, ſprach er ſchluchzend, was find wir Menſchen anders, 
als welfes Laub? Alles Fleiſch it Heu, mein Sohn. Alles 
blüht nur, um zu verwelfen. Ein großer Zweifel beengt 
mir die Bruſt. Lieber Herzensjunge, kannſt Du mir die 
Unſterblicteit matbematifh beweifen? Glaubſt Du wirklich 
daran, dag wir nach dem Tode im Sarge einmal mieder 
Telig aufleben und die Augen auffhlagen, wenn wir be 


Der Water. % 


sraben find? Ich meig wohl nad) den Polizeigefepen iſt es 
uns befohlen, fo etwas zu glauben. Aber als Philoſobhen. 
lleber Junge, als Freidenker und Atbeiften, was glauben 
wir da? Und warum kann eine Kape oder «in Hund nit 
eben fo felig wie id) werden, wenn er fi bier_ im Leben 
gut aufführt und nicht betrinkt? Als wir nach Haufe gin- 
gen, verließ er mich, um duch die letzte Dofis in die Gr+ 
babenheit zu gerathen, und da zweifle id denn nicht, daß 
ihn die Yitronomie wieder in's Gleichgewicht baden wird. 


®. 
Der Maler. 





Herr van Leuven Hatte für meine Garderobe geforgt, 
die fehr in Verfal gerathen war; als aber der Schneider 
mir das Maag nahm. und es doppelt, für einen maͤnnli⸗ 
den und einen weibiihen Anzug machte, konnte id das 
nit begreifen. Das Raͤthſel Löfte ih aber bald. 

Im fdhönen Herbftiwetter fuhren wir zur Stadt hinaus 
nad dem Holländerdorfe‘). Dies Dorf if an einen 
anmuthigen waldigen Hügel gelegen, wovon man die freie 
Ausfiht hat Über Kopenhagen, die Infel Ama, die Oftfee 
and Schweden. Seinen Namen hat es von Holländern bes 
fommen, die feit den "Zeiten Chriſtian des Zweiten dort 


*) aqhder Zrederitaber s. 


08 Der Maler. 


wie auf der Infel Amat wohnen ‚und die Stadt mit ſcö⸗ 
nem Gemüfe verjeben. 

Bir fuhren den Hügel hinauf und hielten vor einem 
anmuthigen Häuschen an, wo des Königs Hofmaler Kar 
van Mandern wohnte, der ein vorzüglicer Künftler und 
alter Freund des Edelmanns, und eben in diefen Tagen 
damit befhäftigt war, des Königs Bild zu malen. 

Seine Stube bing voll von Werten flamaͤndiſcher Diei- 
fter, und ic konnte mich an den reizenden Bildern nicht 
fatt ſehen, obſchon fie lauter alltäglihe Gegenftände dar» 
ſtellen. weil alles mit fo viel Wahrheit, Treue und Gemüth- 
lichteit wiedergegeben war. 

Das it cs chen, ſprach van Mandern, nit ſowohl 
den Gegenftand bewundern wir in der Kunft, als vielmehr 
deu Geift des Künftlers, der das Ding mit Kraft und Ge 
fühl auffaßte, und deshalb fünnen uns die gemeinften Sa- 
hen im Bilde, als ausgezeichnet erfreuen. Viele neuere 
Italiener dagegen behandeln das Große und Erhabene auf 
eine fonventionelle leinlihe Art, und darum machen ung 
diefe Bilder, die nicht ſchöne Nachahmungen der Natur, 
fondern mittelmäßige Nachahmungen der Kunft find, fo ver- 
ſtimmt und niedergefählagen. Allein das können die meiften 
vornehmen Leute nicht begreifen! Und Gott fell mic) ſtrafen. 
wenn mandyer Italiener jet, der in einer Nacht einen Gott 
Vater bei Zadelfhein verfertigt, im Stande ift, bei Tagese 
lichte eine ordentlihe Kuh auf dem Felde zu malen. 

Habt Ihr die Frauentracht vom Schneider bekommen, 
frug van Leuven lachelnd, als das ernfte Gefpräh abge» 
brochen war. — Verſteht ih, antwortete der Maler, fie 
bängt droben im Dadızimmer, wenn ſich Albert hinauf ber 
mühen will. — Albert, ſprach van Leuven, es wird näd« 


Der Maler. 1) 


flens eine Masterade gegeben, hättet Ihr wohl Luft, der 
felben beizuwohnen? — Zu fo etwas bat ein junger Menſch 
immer Luft, war die Antwort. — Bohlan, verfepte er, 
Ihr folt als junge Holländerin geffeidet erſcheinen und ich 
mil Euer Edelmann fein. Herr van Mandern hat mir ver» 
ſprochen, Euch beſtens auszuftaffiren, damit das Männliche 
fo viel als möglich verſchwinde. Ihr feid ein hübſcher Jüng- 
ling, habt nod feinen Bart und könnt zur Noth für rin 
Frauenzimmer gelten. Geht ‚binauf und zicht Eud die 
Fleider an, ich will mid fo Lange in der Gegend umfchen. 
Bean Ihr fertig feid, fo zeigt Euch dem Herrn van Man« 
dern; er wird an Euren Puß die leßte Hand legen. 

Diefer Spaß macte mir Vergnügen; oben traf ih 
eine aite Haushälterin, die mir half, wo mein eigener Ver» 
fand nicht ausreichte, und bald ftand die junge Holländerin 
fertig da. 

Ich lief die Treppe hinuter, rig die Thüre weit auf 
und rief: Da bin ib, Herr van Mandern! Wie Meidet mid 
die Tracht? If es fo Recht? — Wie erſchrak ich aber, als 
td einen ſtattlichen Herrn vor dem Maler figen fah. An 
dem bedeutenden Gefihte, der goldenen Halstette, worin cr 
den Elephantenorden trug. und der berunterbängenden File 
locke errieth ich glei, daß es der König ſei. Ich lief er- 
ſcrocken zurüd und ſchlug die Thüre hinter mir zu. Der 
Köntg ſprang lachend auf und rief: Ei, ei, mein licher 
van Mandern, ift das die alte Hausbälterin, von der Ihr 
mir vorgeſchwaßt habt? — Großmädtigfter König, ant- 
mortete der Maler verwirrt, es ift eine junge Verwandte 
von mir, neulich erft von Amfterdam angefommen. Cie 
verſteht werder daͤniſch noch deutſch. — Nun, ſprach der 
Kenig. fo vicl hollandiſch verſtch' ich (don, als noͤthig iſt, 


70 Der Ankerſchmid in feiner Glorie. 


am ein junges Frauenzimmer zu unterhalten. — Ich zit 
serte am ganzen Leibe hinter der Thüre und dachte: Cro 
der Gott, wie wird das ablaufen, ich ſpreche weder Hol⸗ 
landiſch. nod bin ich ein Srauenzimmer. 

Glůglicherweiſe befreite mich des Könige geliebtefte 
Tochter, die ſchöne Zränfein Eleonora Chriftina. Sie hielt 
in ihrem Wagen vor der Thür, und war gekommen, um 
ibren Vater während des Malens zu unterhalten, damit er 
fein luſtig ausfehe und vor Langeweile kein faures Geſicht 
mache. Kaum batte der König durch's Fenſter feine Toch- 
ter bemerkt, fo fepte er ſich gleich wieder ſehr gravitätiſch 
auf den Etuhl und bat den Dialer, in feiner Arbeit forte 
uufahrtu. Ic lief wieder hinauf, kleidete mid fAleunigit 
um und ſchlich mich aus dem Haufe, um Herrn van Leuven 
draußen zu treffen. Dieſer Zufall machte ihn fehr beftürst. 
Er Hätte meinen ganzen Plan Über den Haufen werfen 
Binnen, ſprach er. Gott fei Dank, daß alles nod fo gut 
abgelaufen it. — Ich begriff feine Werte nicht, mollte 
aber nicht weiter in ihn dringen, weil ich merfte, daß er 
nicht Luft hatte, ſich umſtaͤndlicher zu äugern. — 


10. 


Der Ankerſchmid in feiner Olorie, 





„Ihr dürft aber nit meine Frau umhalfen und füfe 
fen, denn das geht zu weit,“ hörte ich dem Ankerſchmid 


Der Anterſchmid in feiner Glorie. a 


verdrießlidh rufen, als ic, wieder nach Kopenhagen zurüd« 
getommen. in die Stube trat, mo id Vulfanus, Mars und 
Venus zufammen traf. — Ei Mag Hanfen, rief der Dfr 
Miier luſtig, einen Ku in Ehren darf niemand wehren. 
Ich ſchwore Euch zw, es üt der erfte, den ich ihr heute im 
meinem ganzen Erben gegeben habe. Dachte ih doch, Ihr 
wäret über folde Vorurteile weit erbaben. Seid fein 
Kind, Freund, und hört, was ih Euch Wichtiges zu ſagen 
babe. Ihr Habt mid fo oft beneidet, weil id bei des Ade 
nigs Tafel eſſen und trinken kann; was fagt Ihr dazu, 
wenn ich Eud au) eine Ginladung zur Könige-Tafel vers 
(halle, wo Ihr nicht nur trinken felt, fo viel Ihr Luſt 
habt, fendern noch weit mehr. 

Macht mir den Kopf mit Euren verfänglihen Reden 
nicht noch krauſer, rief der Schmid. Trage id) kein Schwert 
an der Seite, fo verſteh' ich mit dem Hammer in der Hand 
deito beffer umzugehen, und mein’ Seel’, der Menſch, dem 
id) damit vor die Stirn fhlage, ſteht fobald nicht wieder 
auf. — So wahr id ein Ravalier und Euer guter Freund 
bin, fprad dr Offizier, ich babe Euch nichts vorgelogen. 
Hört mir aufmerfiam zu. Hier ift eine vornehme fürſtliche 
Verſon cin Knees aus Rußland angefommen, der fih ein- 
bildet, der erfte Trinter der Welt zu fein. Der König hat 
es ſchon mit allen feinen tafelfäbigen Unterthanen verfucht, 
ihn zu überwinden ;' fie haben aber alle den Kürzeren ges 
zogen. Beil nun der gute Herr feine Unterthanen wie Kin⸗ 
der liebt, hat es ihm das Herz gefreffen, dag die Dänen 
ihren alten Ruhm, die been Trinker zu fein, einbügen 
fetten. Da trat ih vor eine Majeftät und ſprach getroit: - 
Grogmäntigfter König und Herr! Nicht immer in den bö- 
beren Ständen foll man die (Tugend und ausgtzeichneten 


12 Der Ankerſchmid in feiner Glorie. 


Leute ſuchen; oft unter einem fhlidten Kleide verbirgt fih 
das fille Verdienſt. Ich keune einen wadern Zecher aus 
dänifhem Geblüte, der es wohl mit dem ruſſiſchen Kneeſt 
aufnehmen kann. Zwar iſt er weder von Adel, nod) vom 
ausgezeichneten Nange, treibt aber cin ehrliches Geſchaft 
denn er madıt den Schiffen Eurer Majeftät Flotte den ge 
waltigen eifernen Zahn, womit fie in den Abgrund beißen 
und der Macht der Elemente tropen. — Es freute den 
König fehr, Euch fo rühmen zu hören; und er erwiederte: 
Hat nichts zu fagen, daß er fein Adelicher üft, wenn er nur 
nit betrunten wird. Eilt ſogleich nach Haufe, und fügt 
Eurem Ehmid, daß er fih Übermorgen Punkio cif Uhr 
im großen Lufthaufe des Roſenburger Gartens einzufinden 
habe. Laßt ihn aber erft ins Bad geben, reine Wäfdye ans 

"ziehen. ſich mit Bifam und riehendem Waller die Gelente 
einreiben; leidet ihn dann wie einen Ritter und bringet 
ihn mit. — Ich eilte nun ſpornſtreichs bieher, Eurer Frau 
das Evangelium zu bringen; weil das gute Weib Eud) num 
zaͤrtlich Kiebt und wohl weiß, wie ſehr Euch diefe Auszeih- 
nung ſchmeicheln würde, it fie mir vor Freuden um den 
Hals gefallen. Das it es alles! 

So falle ifm noch einmal um den Hals, liebe Tram, 
tief der Anferfhmid gerührt; denn das iſt ein mahrer 
Freund in der Noth, der wohl weiß, wo mid der Schuh 
drüdt. Habe ich erft die Freude gehabt, mid vo: dem 
Angefihte Seiner koniglichen Majeſtaͤt und an feiner eige ⸗ 
men Tafel zu betrinfen, fo will id) gern ins Grab geben. 
— Aber erft den rufffden Kners überwinden, rich der 
Dffigier. — Das wird feine Noth haben, antwortete der 
Schmid. 

Das Better war noch vortrefflid, das Gras ſmaragd⸗ 


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Der Anterfhmid in feiner Glorie. 73 


grün und die Bäume voll friiher Blätter, deren goldene 
Heröftfieden im Sonmenfeine nur ein no ſchöneres Far- 
benfpiel gewaͤhrten. Freilich wor diefes Jahr eine Aus 
nahme, aber aud immer ift Dänemark mit feinem Meere 
umd feinen Seen, mit feinen Biefen, Acdern, Hügeln und 
herrlichen Wäldern weit ſchöner, als das nördliche Deutſch ⸗ 
land mit feinen fandigen Tannen-Daiden, und als cin Theil 
Frantreichs, mit feinen kreidigen Weinbergen. Nur in Däs 
nemart und England wachſen die Buchen fo mächtig und 
fbön, grünt das Gras bis in den Winter hinein mit fol« 
er Friſche; auch iſt Die Kälte bier eigentlih gar nicht zu 
Haufe; die Infeln in der Oſtſee werden, wie England, 
mehr von Regen und Nebeln, als von Eis und Schnee 
beimgefucht. 

Als ein junger Menſch ſpürte ich eine große Luſt in 
mir, der Trintſcene im Lufthaufe zuzuſehen. Das lieg fih 
aber nicht hun. Herr van Leuven hätte vielleiht, als Edel 
‚mann, diefen Spaß haben fünnen,s wenn er fi am Hofe 
hätte vorſtellen laſſen; er war aber zu ernft, um Vergnügen 
an fo etwas zu finden, aud) wünfchte er inkognito zu bleiben. 

Unverbofft, fagt man aber, kömmt oft., Ich hatte mid 
den Tag vorber in der Morgenkunde auf eine Bank im 
Nofenburger Barten niedergelailen und las in den Horazifchen 
Oden. Eine Bortfügung war.mir zu ſchwer, ic zerbrach 
mir vergeblich den Kopf, und wuͤnſchte mir laut ein Wöre 
terbuch. — Hier iſt ein Wörterbuch, hörte ich einen Men» 
ſchen fagen, was. wollt Ihr willen? — Ich ſchlug die Aue 
gen auf und entdecte einen fhänen, wohlgebildeten Herrn, 
wit geiſtreichem, freundlichen, zugleich aber etwas ftolzen 
Geſichte, ſeht prächtig angezogen, der neben mir faß. — 
Ich fprang von der Bank auf, grüße ihn ehrerbicfig und 


74 Der Ankerſchmid in feiner Glorie 


reichte ihm das Bnch.. Er überſetzte mir gleich die Stelle 
mit Leichtigkeit in gutes Deutſch obſchon id) an feiner Aus 
ſprache merfte, dag er ein Däne fei. Habt Ihr erft neulich 
angefangen, Latein zu lernen? fragteer. — Nein, geftten- 
ger Herr, antwortete ih; die Horaziſchen Oden find aber 
ſchwer, es kommen fo viele Beziehungen und Meine griechi⸗ 
ſche Wendungen darin vor, daß es einem immer gemug zu 
ſchaffen macht, wenn man auch die einzelnen Worte ver 
ſteht. — Ih will Euch doch in einer wenigen ſchweren Ode 
eraminiren, ſprach er, blätterte ein wenig herum, und zeigte 
drauf gleichgültig auf eine Etelle mit dem Finger. Ib 
äberfeßte: 


„Gewaltiger wird die ungeheure Tanne vom Sturme geidhüt- 
telt; die erhabenen Burpiinnen ſtürzen mit lauterem Getöfe; 
der Blit fchlägt in die höchften Beragipfel“ 


Ganz gut, fprady der Fremde, der auf den Inhalt der 
Zeilen nit zu achten fhien, fondern nur daraus meine 
Svrachtenntniß erfchen wollte, Als er hörte, ich fei ein 
Fremder, der große Luft habe, morgen der fonderbaren 
Zrinffeene beizumohnen, verfsrad er mir einen Plaß drau- 
Ben im Garten beim Zenfter zu verfhaffen, wo es dem 
BVolte bei folhen Gelegenheiten erlaubt fei, zu ſtehen. Wer⸗ 
det Euch nur an einen meiner Bedienten, ſprach er, und 
fagt, ih babe es befohien, dann wird man Euch gleich ei⸗ 
nen guten Plap verſchaffen. — Damit ging er fort, one 
mir zu fagen, wer er ſei. Ich magte nicht zu fragen, und 
fo war id) denm wieder nicht weiter, als vorher, als ich 
eine Heine fonderbare Geſtalt dur den Garten nah dem 
Sthloſſe Hinauf eilen ſah. Es war cin ältliher Mann 
mit krummer Nafe und großem, kahlen Scheitel. deſſen we⸗ 


Der Anterfgmid in feiner Blorie 75 


nige braune Haare fon anfingen, grau zu werdeu; er 
war in ein ſchmußiges Iedernes Wammsẽ gefleidet, und feine 
Stube waren mit Haken zufammen geneftelt; in der rede 
ten Hand trug er einen Stod, mehrere Papiere unter dem 
Iinfen Arme und an den Fingern hatte er Dintenfiedfe. 
Dabei fah er weder rechts, mo links, fondern eifte nur 
in feinem Berufe fort. Id wagte es indeß, ibm im dem 
Beg zu tretem und beiheiden zu fragen, ob er mir nicht 
fagen könne, wer der nermebme Herr dert fei, der mic im 
den Horazifchen Oden eraminirt Habe? — Der Heine Mann 
Rarrte mich mit Durddringenden, blaucn Angen an, und 
fragte Dann neugierig: Welche Stelle hat er Euch über 
feßen laſſen? Ich zeigte ihm die Dde. Er flug die Aue 
gen zum Himmel, fhttelte den Kopf und rief: Sonderbar. 
fonderbar! Allein was belfen alle Warnungen. Lieber 
"Freund, warum habt Ihr ihm nicht auch den Schluß über» 
vet: „Sch tet und ftark im Glüde, wenn ſich aber der 
ai drebt, ziehe weiolich die gar zu ſchwelenden Seegel 

Der vornehme Herr in geldgeſticter Seide, verfepte 
der Meine Mann, it der Reichsbofmeiſter Corſitz Ulfeid; 
"und ic im Ledertoller. mit zuſammengeneſtelte Schuben, bin 
des Könige Staatsfefretär Friederih Günther Gr 
babt Euch wohl, mein Freund, ich habe feine Zeit, länger 
mit Euch zu ſprechen. Damit eilte er zum Schloſſe hinauf, 
und ich fonnte mich über Dies fo fonderbare, gegen einander 
abſtechende Paar nicht genug wundern, 

Ym folgenden Tage fah id die ganze Trinkkomddir 
ſehr gemaͤchlich durch's Gartenfenfter. Der König felbt 
führte den vornehmen Nuffen in den Gartenfaal, mo der 
Tifch gededt ſtand. Mein Wirth war and ſchon da, und 


76 Der Ankerſchmid in feiner &torie ” 


ich erfannte ihm nur a=. dem bäurifhen Komplimente, das 
er dem Könige machte, fonft wäre cs mir unmöglid gewe ⸗ 
fen, denn er ftroßte fteif im goldgefidten Node, und aufs 
Haupt hatten fie ihm cine große gepuderte Perräde mit 
weit hinunterhängenden Soden, gefeht. 

Der Tirh war reichlich mit Speifen verfehen, mit Bra 
ten und Pafteten, Weinſuppen und Torten. Die Pafteten 
waren wie Greife gebaden, mit ausgebreiteten Flügeln, 
reichlich vergoldet, bemalt und mit Buchsbaum ausftaffirt. 
Borne an der Bruft trugen fie das dänifhe Wappen. Auch 
ward viel Gebackenes aufgetragen, wie Bafilisten und Hähne 
geformt; zwei gebratene Ferkel fah ich mit rothen Wenfeln, 
Hechte mit Leber im Munde. - Auch mangelte es nicht an 
Marcivanen und Löftlihen Gonfituren. 

Der König winfte, und cine fhöne Tafelmuſit lich 
Aid durch verſchiedene Oeffnungen im Saale hören; dal 
ſchien fie ganz nahe, bald weit entfernt zu fein. Dieſe reis 
sende Erfindung verdankte man dem Könige ſelbſt. Der 
Ruſſe glaubte, es fel Dererei, und wunderte ſich über die 
Magen. Der Ehmid ließ fih aber von nichts anfechten; 
er ftand ganz ruhig, die Augen ftarr auf die großen, ſilber⸗ 
nen Pokale gerichtet, die ihm zum Siege winkten. 

Iept follte das Trinken losgehen. Der Anterfhmid 
ſaß dem Kneeſe gerade gegenüber. Er war vorher dem 
Geſellſchafter des Auffen, der franzöſiſch ſprach, vorgeſtelt 
worden, als ein Herr von Anker, aus einer fehr alten Fa⸗ 
milie, die ſich fdon vor den Seiten der Sändflut beſon⸗ 
ders ausgezeichnet habe. Jetzt wurden den beiden Zechern 
die großen Pokale gereicht. Der Ankerſchmid hatte nur fo 
. viel Sranzöfifc gelernt, Daß er „A vous!“ fagen konnte, da 

mit ihm der Ruſſe immer Beſcheid thue Als fie aber eine 


Der Anterfhmid in feiner Glorie. 1 


Beile ſolchergeſtalt getrunken hatten, fing die daͤniſche Madıt 
an, zu ermatten, umd der König fürchtete, Maß Hanfen 
würde die Sergel ſtreichen müſſen. Gr war aber jept in 
feiner zäntifchen Laune, und fing an, über die Allongever - 
rüde, die er tragen mü'te, gewaltige Satiren zu machen. 
Benn man in einem folhen Wulſte erftidt wird, ſprach er, 
und fo eingewidelt in goldgefitten Schnürbräften ſihen 
muß wie einKind in Bindeln, wie fann man da als freier 
Mann trinten? Bekomme id nicht Erlaubnig, die unnöthie 
gen Kleidungsftüde über Bord zu werfen, fo vwergehe ich 
wit Mann und Maus, und der heilige ruſſiſche Nikolaus 
hat auf ewig die drei dänifhen Löwen mit ſammt dem 
Elefanten verfhlungen. — In’s Teufels Namen, rief Cor⸗ 
AB Ulfeld, thus, wie es Euch gefällt, nur trintt! — Kaum 
dörte Map Hanfen diefen Oratelfprud, fo flog die Allonges 
verrüde Über den Tiſch und einem Pagea in’s Geſicht, der 
hinter des Königs Stuble ftand. Hierdurch verbreitete ſich 
eine weiße Staubwolfe über den ganzen Tiſch, und aus 
diefem Zaubernebel flieg Map Hanfen mie neu geboren 
emporz denn als das Wetter ſich erheiterte, faß er wieder 
ganz als Schmid da, mit tahle Scheitel, in blogen Hemds« 
ärmeln, die nit die fauberften waren, weil die Spißen⸗ 
wanfcetten an den Händen nit weit hinauf reiten. Co 
geiff er aufs neue das Werk an mit Fäuften, während ihm 
die hellen Tränen über des Königs Leutſeligteit und Her» 
abfaflung über die Baden in den Becher floflen und den 
Bein würzten; denn jept war er in die Wehmuth gerathen. 
Der Ruſſe fing an, noch dümmer, wie vorher, auszufehen, 
wiſchte ſich den Bart mit der Hand, wie die Kape mit der 
Pfote, wenn fie zu viel Rahm getrunken, und wollte (don 
Stillſtand machen. Allein Mag Hanfen, dadurd nur mehr 


WB Der Ankerſchmid in feiner Glorie. 


angefeuert, rief begeiftert: Mei alien heiligen Eiebengeflir« 
men und Himmelswagen, jegt wollen mir ein Mal die Ge- 
fundbeit des unferblicen Aftronomen Tycho de Brahe 
trinfen, der auch, wie ic, eine fupferne Naje trug. und der 
fi fo gut auf den Himmel verftand, ohne cin Narr auf 
Erden zu fein. Aber erft muß ich ein wenig frifche Luft 
fhönfen, und die neue Etatue da hinter den Bäumen in 
der Nähe befchen, Damit es mir nicht wie Tycho de Brahe 
bei der Tafel des Kaiſers Rudolf ergebe. 

Die Hofleute fahen bedädtig den König an, als aber 
diefer laut auflachte, wagten fie cs and. Der Roſſe bog 
ſich mit ſchlaͤfrigen Augen über den Tiſch und verfuchte ver» 
geblic, den Mund zum Lächeln zu ziehen. Da trat Map 
Hanfen wieder neu belebt und räftig in den Saal, und als 
er ein großes, ſilbernes Beten bemerkte, einen Eisbehaͤlter 
worin man Sommers den Wein abfühlte, befahl er dem 
Wundfsenten, denfeiden mit altem Rheinweine zu füllen. 
Drauf den Rufen am Halekragen ſchüttelnd, rief er laut: 
a vous! und verſchlang die Hälfte — Nun follte der 
Anees die zweite Hälfte ausleeren, kaum hatte er aber an- 
gefangen, fo verdrehte er die Augen, wie ein Stück Bieh, 
das mir dem Beile vor die Stimm gefhlagen wird. und 
ſank wie leblos unter den Zifh. Darauf ward dem Dis 
nen Map Hanfen mit vie.em Hurraßrufen von den Pagen 
eine Weinrebe um's Haupt geflechten, und fo ward er im 
Triumphe vom Volke nad) Haufe Aefabren. 


Die männlige Braut. 79 


11. 


Die mäunlicht Braut. 





Ich, ſehnte mic) nad) der Maskerade und wagte Herrn 
van Leuven zu fragen, ob fie nicht bald Statt haben wer» 
de? — Ja wohl, lieber Freund, fprad er, Äbermergen wird 
fie gegeben; die einzige vermummte Perfon ſollt aber Ihr 
fein. Und doch braucht Ihr keine Maske zu tragen. Ih 
will Euch auf dem Lande in eine Geſellſchaft als meine 
Frau einführen. Seid nur darauf bedadıt, recht zaͤrtlich 
gegen mid) zu fein. Ihr brandt aber nicht zu ſprechen; 
ib führe Euch in eine engliſche Famille, wo fie niht Hals 
landiſch vwerftehen. Die Engländer forehen ohnehin mit 
fremden Zranen, die fe zum erften Male fehen, wenig; die 
Heländer gar nicht, und Ihr fünnt fo blöde und ſchüchtern 
fein, als Ihr wolt. So viel Heländifcy könnt Ihr fhon, 
um zur Noth einige höflihe Worte zu fagen. Spielt Ihr 
Eure Rode gut, fo habt Ihr mein Glüd gemacht, und ich 
werde das Eurige machen, wenn Ihr Euch dazu entfchlie 
ben Fünnt, mir nad) Dftindien zu folgen. — Id folge 
End bie an der Welt Ende, Herr van Leuven, ſprach ic, 
und tue gern, mas ihr von mir verlangt. 

Ohngefaͤhr zwei Meilen von der Stadt näherten wir 
uns einem fchönen Landhaufe, am Cingange eines Waldes 
und am Ufer eines Sees gelegen. — Hier mohnt ein eng⸗ 
liiher Kaufmann, Herr Samuel Märs, ſprach van Leuven. 
34 babe feine Bekanntſchaft vor zwel Jahren in London 
gemacht. Der König von Dänemark, der viel für den Han - 


80 Die männlige Braut. 


dei feiner Staaten thut, bat diefen einfihtsvollen Mann 
auf vortheilhafte Bedingungen dazu vermocht, fih in Där 
nemart niederzulafien. — Ban 2euven würde mir noch 
mehr gefagt Haben, aber ein Vetter des Haufes, der ihn 
Kannte, begegnete uns ſchon zu Pferde und rief: Ei, ei 
mein Herr van Leuven, willtommen in Dänemark! Erinnert 
Ihr Euch aber auch wohl Eures Verſprechens, meinen 
Oheim nicht eher zu beſuchen, als bis Ihr verheirathet wär 
ret? — Das ift ſchon gefhehen, antwortete van Keuven, 
und bier feht Ihr meine Frau. — Nun, das it was ans 
ders, rief der Engländer. Und wenn Ihr heute über vier- 
zehn Tage miederfommt. hoffe ih Euch aud meine Braut 
zu zeigen, denn die ſchoͤne Concordia wird, Hoffe id. bald 
ihrem Vater gehorſamen, und mir ihr Jamort geben. — 
Alſo thut fie es nit gern, fragte van Leuven mit einen 
gezwungenen Laͤcheln, indem er die Bläffe feines Gefichtes 
mit feinem Schnupftuche zu verbergen ſuchte. — Das giebt 
ſich alles nachher, ſprach der Engländer. Iept will id) Euch 
aber glei melden. So felbander feid Iht ung fehr wis 
tommen! Damit fpornte er fein Pferd und ritt zurüd. 

Nun wigt Ihr fhon etwas, Albert, ſprach van Leuven. 
Vergedt, daß ich noch ſchweige. Mein Herz fhlägt mir zw 
unrubig, zu ungeduldig, zu gefpannt erwartungsvoll. Spiele 
nur heute die Rolle meiner Frau! Sie ift leicht zu ſpielen. 
denn fie ift ganz paſſiv. 

Es freut mid, Herr van Leuven. (rief der Kaufınann 
Samuel Plürs, ein fetter Dann, mit rotben Baden und 
lichtgrauen Augen, der uns in der Thür begegnete), es 
freut mich, Euch bier in Dänemark bei mir zu ſehen. Ih 
böre, Ihr feid jept verbeirathet. Euer Herr Vater in Ant⸗ 
werpen und ich in London ſtanden fonft zu einander in 


Die männlige Braut. 8 


freundſchaftlichem Verkehr, und haben mit einander viele 
Geſchäfte gemacht, mobel keiner verlor und jeder gewann. 
Er, als Edelmann, weilte aber nicht, daß Ihr eine Bür- 
gerlie beirarhen folltet. IA verdenke es ihm nicht, Gleich 
und Gleich geſellt ſich am beiten. Sure Heirath mit mei⸗ 
ner Tochter würde ihm feinen Stammbaum in Unerdnung 
get racht haben. Euer Vater fand es unnatürlih, einen 
friſchen Zweig in einen alten Baum einzwimpfen, umd id 
babe Euch aufridtig befannt, dag wir diefe Ehe auch fehr 
aumwider war. Bir Bürgerlihe haben auch unfern Stolz. 
Adel und Bürgerfhaft find zwei verſchiedene Nationen, die 
fh, wie alle Nahbarvölfer, haffen, weil fie immer Fehde 
mit einander geführt haben. Gure Kinder mit meiner Tode 
ter wären doch nur Zwitter geworden, weder Fiſch noch 
Fleiſch. Der Adel würde über ie die Nafe gerümpft ha⸗ 
ben, weit fie nur ein halbes Wappen führten; fie ſelbſt mür« 
den über ihren bürgerliden Großvater die Nafe gerämpft 
baben, weil er Schuld an ihrer adelichen Halbheit geweſen 
märe; und in allen bürgerlichen Geſellſchaften würde man 
wieder über fie Die Nafe gerämpft haben, wegen des alber- 
ven Dimtels. AU diefes gegenfeitigen Nafenrümpfens find 
wir num quitt und 106. Zcht heirathet Concordia meinen 
Neffen. Bir find (dom Compagnons im Handel. und diefe 
Ebe wird unfere Intereflen noch näher verbinden. 

Es waren mehrere Gäfte beim Kaufmanne zu Liſch 
geladen. Sie fpazierten vor dem Eſſen im Garten in ver⸗ 
fhiedenen Gruppen umber. 

Allein die fhöne Concordia, um derentwillen wir all 
die Zubereitung und die ganze Neife gemacht hatten, fahen 
wir nicht. Sie hatte Kopfichmerzen vorgegeben, und blieb 
auf ihrem Zimmer. Herr van Leuven, der ns der Mahle 

Seplenf. Echriften. XVIL. 


32 Die männliche Braut. 


aat mit mir allein in einem großen feifen Hedengange im 
entiegenen Winkel des Gartens fhazierte, war untröflib. Er 
batte deutlich an mehreren Aeußerungen gemerkt, daß der 
Tochter nichts fehle, und daß es weder des Vaters nad des 
Liebhabers Schuld fei, dag fie nicht komme. Es mußte alfo 
Born gegen van Leuven fie dazu bewogen haben, weil fie 
glauben mochte, er babe fih wirklid, verheiratet. — Was 
iſt nun gewonnen? feufzte er. Ach, alles ift verloren! Nur, 
um Gelegenbeit zu finden, fie allein zu fpredien und zu ei⸗ 
ner ſchleunigen Flucht zu Überreden, habe id) dies Gaufel- 
ſpiel getrieben. Aber fie will mich nit fehen. Großer Gott! 
bat fie mid denn wirtlich vergeflen? Will fie den erbärmlie 
ben Menſchen, der nur an Zahlen und Geld denkt, heira- 
then? Und zürnt fie, weil ich fo zur Unzeit erfheine? — 
Er lehnte fi an meine Schulter, drüdte meine Hand an 
fein Herz, und ic fühlte eine heige Tpräne darauf fallen. 

Ei, ei! wie Ihr doch fo verliebt in Eure junge Frau 
feid, ſprach eine kreiſchende Stimme, da Ihr mit Euren 
Liebkofungen nicht einmal warten könnt, bis dag Ihr nad 
Haufe kommt. — Ich ſah auf, und bemerkte eine haͤßliche 
Negerin, die mit zornigem Geſichte vor uns ftand; die gre⸗ 
gen breiten Lippen Hatte fie zu einem höhniſchen Lächelu 
beinaße bis an die Ohren binaufgezogen, und mit den 
—— Zahnen fletſchte fie uns an, als ob fie ung beitzen 
wolle. 

Ach, Mingal biſt Du da rief van Leuren; liebe, treue 
Ming, wo iſt Deine Dig? Wo ift meine Concordia? — 
Eure Goncordia, antwortete die Schwarze höhnifdy, fendet 
Euch diefen Brief. — Er öffnete zitternd den Brief und las: 

Treulofer Karl Franzi 
Wäprend drei Jahren babe id nur an Euch gedacht! 


Die männlige Braut. 83 


Nur Euren Namen nannte ich in meinemMorgen» 'und 
Abendgebet. Das Veilden zeigte mir nur Eure Treue, die 
Rofe Eure Liebe. Wenn ih Mufit hörte, war es ein Wort 
meines Geliebten aus der Ferne. Spiegelte der Mond ſich 
in meinen Ihränen, fo tröftete es mid, daß er aud Eure 
Trauer fähe. Ih batte Berziht auf alle Jugendfreuden 
geleiftet, denn Wehmuth und Sehnſucht maren mir mehr 
als Gegenwart und Vergnügen. Nun ift das Alles wie 
ein Traum verfhmunden. Ihr habt Concordia verlaffen, 
und feid noch fo graufam, mit Eurer Frau hieher zu kom⸗ 
men, um mic zu verhöhnen. Von jeßt an hat das Leben 
für mic) keinen Werth mehr. Ic) gehöre nun ganz meinem 
Vater. Dem font Verhaßten reiche ih meine Hand. Gr 
ift nicht Schön, nicht geiftreicy und nicht reizend, allein er iſt 
ehrlich, und verſpricht nit mehr, als er zu Halten gedentt. 
Soncerdia Plürs feht Ihr nimmermehr. 


Gott im Himmel! rief van Leuven, blag wie der Tod, 
diefem Irrthume muß fogleid) vorgebeugt werden. — Gr 
nahm einen Bleiſtift aus der Brieftaſche, und ſchrieb auf 
ein kleines Stuͤck Pergament: 


Himmliſche Concordia! 

Alles iſt Itrthum. Ich bin nicht verheirathet. Nur 
Freundſchaft hat ſich dazu beauemt, die Rolle meiner 
Frau zu ſpielen, um unſere Liebe zu unterlügen. Eilt in 
den Garten! Die gute Minga wird Euch ſagen, wo Ihr 
treffen könnt Euren bis in den Tod getreuen und liebenden 

Karl Franz van Leuren. 


Als er der Negerin diefe Zeilen vorgelefen batte, ver 
ſchwand gleih die gebäfige Miene aus ihrem Geſichte 
6 


84 Die maͤnnliche Braut. 


Kurz vorher hatte Me ihm mie ein Anurrender Hund die 
Zähne gezeigt, nun blidte fie ihm mie ein treuer Pudel ru 
big in's Auge, und ſchnell wie ein Mindfpiel eilte fie mit 
dem Zettel fort. 

Entzüdung über Concordias treue Liebe wechſelte jetzt 
mit Befümmernig und Sehnſucht in feiner Bruft, und er 
konnte die Minuten faum abwarten, die ihn noch von der 
Geliebten trennten. Wie viel peinliher ward aber noch die 
fer Zuſtand, als ihm der Kaufmann Plürs entgegen kam. 
Er hatte ihn aufgefucht, um ihm eine neue Bitdfänfe zu 
zeigen, die er auf einem grünen Raſenplatze aufgeftellt hatte, 
und die den Mercurius vorfellen fellte. Das Bild, ſprach 
der Kanfmann, fei freilich nur von Holz; da er es aber 
babe grau malen laſſen, und die Oelfarbe mit feinem 
Sande gemiſcht fei, fo fähe es Teibhaftig aus, als ob es 
ein wirklicher Mercurius von Etein wäre. Ban Leuven 
fagte mir ein paar Worte in's Obr, id) mußte Müdigkeit 
vorgeben und blich auf der Bank fipen, damit Icmand da 
fei wenn Concordia kãme. 

Es dauerte nicht lange, fo cilte ein ſchönes ſchlankes 
Maͤdchen durh den Gang binauf. Jhr Geſicht fann id) 
Euch nicht beſchreiben, ſo etwas muß man gefchen haben. 
Was hilft cs, wenn ih Euch erzähle, daß fie beinahe 
füwarze Haare hatte, wie eine Brünette, weiße Haut und 
blaue Augen, wie eine Blondine; dag die Glieder ihres 
Körpers in den fhönften Verhältniſſen zu einander ftanden; 
dag Schüchternheit und Charakter in ihr ſeltſam vereint 
waren? Dag kindliche Unbefangenheit und die ernfte Shwär- 
merei eines gefühlvollen Herzens in ihren Bliden fo unter 
den großen Wimpern hervorleuchteten, mie die Morgenfonne 
durch eine Dunkle Wolfe? Meine Urenfelin, die cine Cor⸗ 


Die maͤunliche Braut. 85 


dula da, gleicht ihr etwas, nur dag fie lichte Haare hat. 
Sie war fhliht und Pod geſchmackvoll angezogen. Sobald 
fie mich fab, eilte fie mir entgegen, fdlog mid, in ihre 
Arme, drüdte mid an den Bufen, fügte mid zu wiederhole 
ten Malen, und. rief: Liebe, undefannte Freundin! Um 
Gottes Willen, vergebt, dag ih Euch vertannt babe! — 
Ein elektriſches Feuer durchzuckte mid, wie Ihr wohl ber 
greifen könnt, und es foftete mid) viel, zu geftehen, daß fie 
mich noch vertenne, und dag ih cin Mann ſei. — Sie 
fuhr erfcpro@en und beſchämt zurüd, faßte ſich aber aleich 
and ſprach: Auch gut! Noch beſſer! Den Dank habt Ihr, 
er. iſt Euch von Herzen gegönnt. 

Jetzt fam Herr van Leuven zurid, und Minga und id) 
zogen uns zurüd, um Wache zu halten, und um den Lie 
benden Gelegenheit zu geben, fi) ungeftört zu ſprechen. Die 
Küfle der Schönen brannten mir nod) heiß auf Lippen und 
Wangen. Bir gingen an einer Duelle vorbei; id) (döpfte 
zitternd Waſſer mit: der Hand, frank etwas, und wuſch mir 
das Geſicht, es wollte aber alles nichts helfen. 

Ploͤßlich kamen uns die beiden Liebenden ängſtlich und 
blaß entgegen. Himmel, liebe Diinga, rief Concordia häne 
deringend, haft Du ſchon meinem Vetter Anton Plürs den 
Brief gebracht, den ich ibm in der erfien Aufwallung mei- 
nes Herzens ſchrieb, und morin ich ihm mein Jawort 996? 
— 36 traf ion nicht auf feinem Zimmer, antwortete 
Minga, aber id) Iegte den Brief auf den Tiſch im Lufte 
haufe, mo er gewöhnlid feine Pfeife raucht und fein Mit: 
tagsſchlaͤfchen hält. — Laufe um Gottes Willen, rief Con» 
cordia, und hole den Brief zurück, wenn er nod da liegt. 
Saufen, erwicderte Dinge, kann id fo gut wie eine, ob 
aber der Brief noch da liegt, weig ich Midt. 


86 Die männlige Braut. 


Eie lief fort und fam bald darauf mit der traurigen 
Nacricht zurüd, daß der Brief {chen vom Tiſche wegge⸗ 
nommen fi. — Das ift Gottes Etrafc, rief die fhöne 
Concordia, weil ich gleich in Zorn gerieth und mid rädyen 
wollte. Den Anton Plürs nehme id nie, mein gelichter 
Karl Franz, feitdem id von Eurer Treue und Redlichteit 
überzeugt bin. Ih folge Euch wohin Ihr wollt. Allein 
hoͤchſt unangenehm iſt doch diefer Zufall, Ih habe noch 
nie einem Menſchen etwas vorgelogen, nod) nie mein Wort 
gebrochen, und jeßt, jept muß ic es doch thun! 

Wir waren Ale über dies Ereignig verfiimmt. und 
murden es noch mehr, als uns der Better Anton Plürs 
fehr vergnägt mit einem offenen Briefe entgegen fam. Als 
er ihr aber den Brief reichte und fie erfuhr, es fei nur eine 
angenehme faufmännifhe Correſpondenznachricht, ſchöpfte 
fie wieder Muth und äußerte gleichgültig ihre Zufriedenheit 
darüber. Als er aber auch Plap bei uns nehmen wollte, 
fagte fie ruhig: Lieber Anton. laßt uns hier einen Augen- 
blick allein. Herr van Leuven beſucht uns nicht wieder, er 
reift nad) Oftindien. Mein Bater wird nichts dagegen ha- 
ben, dag id) unferm Freunde in feiner Gemahlin Gegen- 
wart das letzte Lebewohl fage. 

So entfernte ſich denn der beſchwerliche Liebhaber, um 
feiger Couſine nicht zu mißfallen, und tröſtete ſich vermuth⸗ 
Id) damit, daß dies Gefpräd mit dem bemeideten Neben» 
bubler das letzte fei, 

Concordia folgte ihm fpähend mit den Augen umd 
ſprach: Ich begreife das Alcs nit! Er ſcheint den Brief 
noch nicht bekommen zu haben, und doch liegt der Brief 
nicht da. Iſt er vielleicht meinem Bater in die Hände ge 
falen? Das wäre ioch ärger! 


Die männlige Braut. 837 


In diefem Augenblice hörten mir eine Schelle Mlingen; 
6 war der Beine Beautiful, der Schooghund und das 
EC hooBfind Concordiens, der mit dem Briefe im Munde 
laufend Fam, um ihn feiner Herrin zu bringen, wie er oft 
zu thun pflegte, wenn er von ihren Sachen etwas fand, 
das er am Geruch erfannte. Anton Plürs begegnete dem 
Hunde, und als er fah, er trage einen Brief im Munde, 
wollte er den Heinen Beautiful an fih loden und fangen, 
um ihm den Brief aus den Zähnen zu reifen. Man denke 
ſich Eoncordia’s Echreden; denn die Auffhrift war ja eben 
an den Nerhaßten. Der Hund entwich ihm aber behend, 
lief zu feiner Herrin, ſprang ihr auf den Schooß und reichte 
{hr den Brief, den fie ſchnell in die Taſche ſtecte. Anton 
Püre tam herbei und wollte willen, von wem der Brief 
fel und mas. er enthalte? Das geht Euch nichts an, ſprach 
Eoneordia raſch, die jeßt wieder Athem fdhöpfte, noch habt 
Ir mir nichts zu hefehlen, noch feid Ihr nicht mein Herr; 
ob Ihr es jemals werdet, ift eine große Frage. 

Er ſchlich id) befhämt von dannen, und fo war Alles 
wieder im Gleiſe. Die nöthigen Berabredungen wurden 
vom den Lichenden getroffen, und Goncordia ging” wieder 
auf ihr Zimmer; wir nahmen Abſchied von der Geſellſchaft 
und fuhren nad der Stadt zurüd. 





88 Abſchied von Kopenhagen. 


12. 
Abſchied von Kopenhagen. 





Die Flut war gelungen, und Die Tgauung in aler 
Eile heimlich) in der Stadt, in Gegenwart der nöthigen 
. Beugen geſchehen; ein Schiff lag fegelfertig auf der Rhede. 
um uns nad Dfindien zu führen. Ban Leuven hatte den 
beiden Gitern Briefe Hinterlaffen. Der Inhalt war: „Er 
fähe recht gut ein, daß ehrenwerthe Männer, die beide eie 
nen großen Theil ihres Lebens thätig, Ihrem Etande ge 
maͤß, genoſſen hätten, keine Veränderungen wünſchten; daß 
fie gern ihre Kinder nach fi bilden wollten. Es ſei auch 
guter Kinder Pflicht, den Eltern zu ‚geborfamen, NG nach 
ihren Tugenden zu bilden, ja fogar igre Eigenheiten zu ad» 
ten und zu fhonen. Gr glaube aber, Gott vergebe es den 
Kindern, dag fie gegen der G.tern Eigenfinn handelten, 
wenn diefer das hoͤchſte Süd ihres eigenen Lebens zu ver» 
nichten drobe. Er sheile ihre Meinungen, was den Etan- 
desunterſchied betreffe, nicht. Eden, Damit die Geſchlechter 
ſich nicht ſtets von einander trennen ſollten, und jo zuletzt 
entarten, habe Gott Die Liche in die Herzen gepflanzt, wo⸗ 
durch das Neue, das Ungewohnte und Fremde plöplic, wie 
durdy einen Zauberſchlag, tem Gemüthe theuer und er- 
mwünfdt werde. Durch Umpflanzungen und Einimpfungen 
gewinne fowohl das Menſchengeſchlecht als der Baum. Die 
ſich gar nicht miſchten, würden zuleßt blödfinnig. Woher 
ſchreibe ſich fonft der Gräuel der Blutſchande, als aus die 


Abſchied von Kovenbagen. 9 


tem Gefühle? Bas nun Goncordien und van Leuven ber 
treffe, 10 wäre ihr Stand gar nicht fo verfhieden. Ibre 
Eltern feien beide Kaufleute, ob adlich eder bürgerlich, das 
tue zur Sadıe nichts. Sie hätten beide lange in freund. 
ſchaftlichem Verkehr zu einander geftanden und Geſchäfte 
abgemacht: dieſe Heirath werde ihnen größeren Vortheil 
bringen. Sie haͤtten ſich lange cinen treuen Commis auf 
der Inſel Geyion gewünſcht; er, van Leuven, reife jept mit 
feiner jungen Frau dahin, um fid mit ihr fünf Jahre dort 
aufzuhalten. Während der Zeit wole er ihre Geidhäfte auf 
der Infel mit größter Irene und Fleiß beforgen; und wenn 
er nachber wieder nad Euroba reife, einen zuverläffgen 
Mann verſchaffen, der ihn ablöfen könne. Aud in der 
Gerne würden fie ihre Eltern lieben, und täglih zu Gott 
für fie beten; und der Allmächtige, der die bimmliſche Liebe 
in ihre Herzen gebflangt hätte, wü.de fie auch als treue 
Kinder zuräd in die Arme ihrer verföhnten Eltern führen.“ 

Ich mar meder zugegen bei der Hochzeit, noch bei dem 
Bleinen Abendſchmauſe, den van Mandern beforgt hatte, obs 
ſchon ich eingeladen war. Warum? Id hatte Unpaͤßlichteit 
vorgegeben. Was fehlte mir denn? Soll ich es fagen? Die 
Küffe der ſchönen Concordia brannten mir ned beiß auf 
Lippe und Wange. Ich war ſterblich in fic verliebt, umd 
obſchon ih Herrn var Lenven chrie und (däpte, war es 
mir doch unmöglich, Zeuge feiner Trauung mit der ſchönen 
Engländerin zu fein. 

Eie liegen ſich noch denfelben Abend nad dem Schiffe 
binaus rudren, id follte noch eine Nacht bei dem Unter» 
ſchmiede bleiben und erſt morgen folgen. Gedanken und 
Berathſchlagungen kreuzten ſich fo in meinem Kopfe, daß 
ih die game Racht wicht ſchlafen konnte. Zuerſt beſchloß 





m Abſchied von Kopenhagen. 


ich, nicht mitzureifen. — Ban Leuven, dachte id, if ein 
Biedermann; er verdient nicht, dag Du feine Offenheit hin- 
tergeheft, daß Du ihm heimlich beneideſt. Diefe Glut kon⸗ 
nen nur Zeit und Trennung fühlen. Bas ſtürzeſt Du Dich 
muthwillig in den Krater hinunter? Noch if es Zeit, den 
Zug vom Adgrunde zurädzuziehen. 

Dann dachte ich wieder: Du daft ihm Dein Wort ge 
geben, ihn zu begleiten, er rechnet darauf, dein Ausbleiden 
würde ihn in Verlegenheit fepen. Iunge Lichende brauchen 
einen verfländigen, ruhigen Freund in der Nähe. — DIR 
Du denn ein folder verftändiger, ruhiger Freund? fragte 
ich mid wieder? — ber, mein Gott, was foll id denn 
hun? Kann ich ihm die wahre Urſache fagen? Und fag’ 
ich fie nicht, muß er mid nicht für einen undankbarcn und 
mantelmütbigen Menſchen halten, ohne alles Zartgefühl? 
Und foll fie das von mir" glauben? Seil fie der einzige 
Kuß gereuen, den fie mir gegeben hat und je geben wird? 
Und will ich wirkli die füge Concordia nie wiederſehen? 
Nein, nein! I4 reife mit. Allein, bei Gott! id will meine 
Bricht als Freund und Menſch erfüllen. 

Als id) fo mit mir ſelber einig geworden war, nahm 
id) von meinem wackeren Birthe Abfchted. Er wollte mid 
aber durchaus nach dem Schiffe begleiten. 

Er war Heute nicht betrunken und fehr freundlich ge⸗ 
gen mid, denn er hatte mic, lich gewonnen. Ih mil mid 
ein Stündlein noch mit Dir Teen, fagte er; den Bein habe 
id) immer, und wenn ic) trinke, fo lebe ich im meinen eige⸗ 
nen Ginbildungen und Vorſtellungen, und Lehre mi den 
Henter an Iemanden, dann habe ich auch nicht die näthige 
Aufmerkfamfeit für meine Freunde. — Id war dem ehr- 
lien Manne auch recht gut geworden, der mir fo viele 


Abſchied von Kopenbagen. 9 


Dienſte geleiftet hatte, ih drüdte ihm herzlich die Hand und 
bat ihn, künftig doch nicht mehr fo viel Wein zu trinken. 
Er verſprach es mir gleih ohne Widerſpruch, id zweifle 
aber, daß er Wert gehalten habe. Mir ruderten an der im 
Hafen liegenden dänifhen Flotte norbei. - Die [höne rothe 
Flagge mit dem meißen Kreuz wehete überal. — Wenn 
mir Dänen diefe Flagge betradıten, ſprach der Schmid, dann 
färbt ſich unfere Slirn auch roth von altem Nationalſtolz. 
Sind wir dod die älteften Seeleute Europene. Als m 
feine Venetianer, Genuefer, Holländer und Engländer wa- 
ren, befegelten mir fhon das Weltmeer und die Flüſſe und 
verbreiteteten unfern Ruhm, wohin wir kamen. 

Der Anterfmid beſtieg mit mir das Verded, mo ſich 
ſogleich die ganze Mannſchaft binjudrängte, um den fonder- 
baren Trinker zu ſehen. Wis er den großen neuen Anter 
fab, den cr felbft geſchmiedet hatte, und der jet feine erfte _ 
Neife mitmadyen follte, ward ibm ganz weich um’s Herz 
und er fing ordentlich an, den Anker wie ein geliebtes Thier 
zu ſtreicheln und zu liebkoſen. — Biſt Du da, mein Junge? 
fagte er; nun, das iſt gut, glücliche Reife! Gchab’ Dich 
wohl! Seekrank wirft Du nimmer werden. Grüße die 
Wallfiſche. die Ereflangen, die Hate und Delphine viel⸗ 
mals; und merde nicht ſtolz und vergiß nicht, mern Du im 
tiefen Beltmeere unter Korallen lieaſt. und mit feltfamen 
Sewäcfen und Pflanzen Bekanntſchaft machſt, Deinen al« 
ten Map Hanfen und die fröhlichen Stunden, die wir im 
luſtigen, feurigen Elemente mit einander zugebracht haben. 
Du bif ja ein Bild der Hoffnung! So fei denn auch flart 
wie die Hoffnung auf Gott, und laß nie diefe chrliden 
Leute verzweiflungsvoll die Hände ringen. Halte feit mit 
Deinem Halen, wenn der Wind pfeift und Die Belle ſchäumt. 





2 Abſchied von Kopenhagen. 


Sollleſt Du aber endlich einmal liegen bleiben, weil das 
faule Tau nicht länger im Stande ift, Dich wieder hinauf 
zu ziehen, fo liege getroft da, bis zum jüngften Gericht, 
Uud wenn einmal der Teig der Erde wieder umgeknetet 
wird, dann verftede Did ſchlau in ein Stück Thonſchiefer 
oder fo etwas, damit man Did) verfteinert in fünftigen 
Naturalien« Kabinetten aufbewahre, und fid) ‚uber den auf 
Dir eingegradenen Worten: „Mag Hanfen“ vergeblich, den 
Kopf zerbreche, ob es Chaldaͤiſch, Egyptiſch oder Syriſch fei. 

Unſer Schiff war new und fhön, und beinahe ſo groß 
mie eine Fregatte, nur hatte es fehr wenige Kanonen. Der 
Schiffstapitaͤn, ein geborner Franzofe, hatte einen Beinen 
Tiſch auf das Verded hinftellen laſſen, mit zwölf Bouteil- 
len des beften Bordeaurweines und einigen geräucerten 
Speifen befegt. Rund umher waren Stühle in eine Reibe 
geteilt, als ob ein Schauſpiel aufgeführt werden follte: al» 
16, (mie ich nachher hörte) um der fhönen Frau van Leu. 
ven einen Spaß zu machen. Der Kapitän ſprach hollän- 
diſch, mas der Aukerſchmid verftand, reichte ihm die Hand 
und fagte: Weil Ihr mir den Anker fo wohlfeil vertauft 
babt. Meifter, fell es mir auf ein Duzend Bouteillen guten 
Bordeaurer nicht ankommen. Sept Euch und früpflüdt. — 
Maß Hanfen fhielte ipn an wie ein mürrifder Hund, dem 
man aus einem Glaſe zu trinten reicht, und antwortete: 
Dante vielmals, Herr Kapitän Lemelic; als wir um den 
Anter bandelten, waret Ihr nicht fo freigebig. Ich trinke 
aur in Geſellſchaft, oder für mein eignes Geld. Ihr hast 
ja ordentlich. da eine Komödiendude aufgerichtet; glaubt 
Ihr, dag id Euer Hannsiwnrft fein wil? So trinten viel 
leicht die Franzoſen, aber die Dänen wicht. — Habt Ihr 
doch aud) beinahe fo im Königliche Luſthauſe gezecht, ant ⸗ 






Abſchied von Kopenhagen. 93 


wortete der Kapitin Möttiih. — Tas that ih meinem 
großen Könige zu Gefallen, ermicderte Map Hanfen ftolz; 
wiſchen Chriftian dem Vierten von Dänemartk und Kapitän 
Lemelie aus Havre de Brace iſt doch wohl einiger Unter» 
ſchied; obſchon id) wohl weiß, dag Ihr ein Gdelmann feid. 
Dort war ja aud ein Kerl, ein Knees, der mir Beihe.d 
thun Ponnte. Ihr ſcheint mir aber der Mann nicht dazu 
zu fein. — Der Kapitän erblaßte vor Aerger; er batte 
ein recht hͤbſches aber mir höchſt widerliches Geſicht. Här 
miſche Lift ſuchte ſich in den großen, mattblauen Augen, 
die einen Menſchen nie gerade anſehen Ponnten, vergeblich 
au verbergen, und das falſche Lächeln auf feinen ſchmalen 
Lippen mar füß und giftig, mie Bleizuder. — Er ſuchte 
fich jetzt ſchnell zu faſſen, was ihm nicht ſchwer fiel, und 
fing an, den Schmid aufzuziehen, um ihn noch mehr in 
Harniſch zu bringen. — Mab Hanfen fagte aber ruhig: 
Berfteh? Euch ſchon, Herr Lemelie: Ihr feid bier im Schiffe 
Hert und Gchieter, möchtet mich gern heben, damit ih Ha⸗ 
der und Sanf anfinge, und mid gegen Euch vergäge! Dann 
nntet Ihr mir als Meuter meine rechte Hand mit einem 
Meffer an den Maftbaum nageln laſſen. Mein, das fol 
nicht gefpehen! Mit diefer nervigten Nediten, die der Wein 
noch nicht geſchwact bat, drüge ic zum Abfchiede die Hände 
meiner Freunde Albert Julius und van Leuven. Noch lange 
Zeit hoffe ih damit den ſchweren Hammer und das leichte 
Glas zu ſchwingen. Solltet Ihr aber Luſt haben, Euch 
mit mir wieder aufs Land nach dem Weinhauſe zu bems 
ben, mo Ihr fein Wort zu befehlen habt, da ſteht Euch 
diefe gute Fauft in allem zu Dienften. Da will ih Euch 
unter den Tiſch trinken» "oder aus dem Zenfter fÄmeigen, 
mie es ſich fügen mag. Hier empfehle ich mich. 


94 Abſchied von Kopenhagen. 


Damit verlieh uns der gute Schmid, und wir waren 
alle auf den Kapitän verdrieplih, daß er dem ehrlichen 
Bürger fo veraͤchtlich begegnet habe. Was ging ihn fein 
Trinken an, wenn Matz Hanfen es vertragen konnte, und 
fonft ein rechtlicher, orden:liher Daun war? Und das war 
er. Es giebt in der Natur mitunter ſolche Ausnahmen, 
ſolche Niefenfonftitutionen, die ſich alles erlauben können. 
Map Hanfen war eine davon. Herr van Leuven und ich 
winften ihm unfer Lebewohl zu, als er ſich fortrudern Ließ. 
Gr Hatte eine Flaſche Wein im Boote verftedt mitgebabt, 
diefe nahm er hervor, ſchwenkte feinen Hut, fepte die Flaſche 
vor den Mund und fo verfhwand er, indem fein Boot bei 
einem großen vor Anker liegendem Schiffe umlentte, und wir 
ſahen ihn nie wieder. 

Im Ehiffe hatten die jnngen Gheleute ihre- eigene 
huͤbſche Kajüte. Drunten fand id die Ihöne Concordia, 
die treue Minga und den Kleinen Beautiful mit feiner 
Schelle. Er lief unbeforgt umber, und war feiner Herr. 
ſchaft gefolgt, ohne zu ahnen, welche lange Reife er untere 
nommen babe. Goncordia reichte mir ibre fdhöngeformte, 
fepnceweiße Hand; id) Lüßte fie zitternd und errötpete über und 
über. — Man follte nod glauben. dag er ein Mädchen fei, 
ſprach van Leuven laͤcheind, fo ſchuchtern und blöde ift mod 
der gute Albert. Doc das giebt fi bad, — Bir dür⸗ 
fen einander nicht fremd bleiben, — fagte Concordia. — 
Mein Karl Franz und id) ſprechen Hollaͤndiſch. Ihr Deutfd, 
fo verfichen mir uns ohne Schwierigkeit. Ih babe ſchon 
fo viel Gutes von Euch gehört, lieber Julius: ih hoffe, 
mir werden recht vergnügt mit einander in Ceylon leben 
wo die herrlichen Zimmtbaͤume wochſen, mit deren füger 
Ninde die Europäer ihren Reisbrei beſtreuen. — Diefe 


Abihied von Kopenhagen. % 


Rinde, ſprach van Leuven, wird uns in den Etand fehen, 
das Mart des wahren Lchensbaumes zu genießen. — Ih 
Rimmte auch wit in diefen Ton ein, und bald mar die Be: 
tauntfhaft gemacht. Concordia war heiter und aufgeweckt 
zugleich aber auch tieffühlend und ern. Ihr Herz war 
weich, ihr Charakter feſt, kurz, fe mar das herrlichſte 
Weib. — Es it mir oft aufgefallen, fagte fir. wie a 
Gen, Die in Europa von Einzelnen fo wenig genoffen und 
geachtet werden, den Kaufmann dod fo erſtaunlich bereis 
bern können, bios, weil alle Menſchen ein Geringes davon 
brauchen. er in den Meinen armfeligen Familien, der zw 
feinem Kaffee ein Bischen Zuder in den Mund nimmt, eine 
Diefferfpige Pfeffer auf feine Erbſen ftreut, ein kleines 
Etül Ingwer in feine Euppe thut, oder feine Wäſche mit 
tinigen Gran Indigo bläut, denft wohl daran, d.& cr dar 
zu beitrage, Milionäre zu machen? 

Nachdem wir die Scefrankpeit glüdlid) Überftanden hat . 
ten, fuchte Jeder auf feine Weife fid) Die Zeit zu vertreiben. 
Eoncordia ſchlug vor, mich Engliſch zu lehren, und wie 
gern willigte ich ein, ihr Schüler zu fein. Lemelie weilte 
fie wieder Spanifd) Lehren, denn er verſtand die meiften le⸗ 
benden Sprachen gut. Sie danfte ihm böflid, entſchuldigte 
fi aber, daß fie nicht Aufmer! ſamkeit genug befipe. um 
Schülerin zu fein; Lehrerin, befonders ihrer eigenen Muts 
terſprache zu fein, ginge ſchon leichter. Auch meinte fie, des 
Kapitäns Gegenwart auf dem Verdeck wolle alle Augen 
blide vonnöthen fein. — Nicht nenn mir unter den Dale 
fat kommen, ſprach Lemelie, mit gezwungenem Lächeln fei« 
nen Zorn verbergend. 

Ich merkte wohl, dag er mich beneidete, wenn ich der 
ſchönen rau fo nahe faß dag meine Wange beinahe die 


94 Abſchied von Kopenhagen. 


ihrige beruhrte, und ihr Athem die meinige bethaute; wenn 
meinyXuge mehr auf der ſchönen Hand ruhete, die das 
Bırd) bielt, als auf dem Bude ſelber. Concordia merkte 
recht gut meine Zerftreuungen. und Likelte mitunter dar⸗ 
über; doch drüdte dies Läden weder Spott noch Mißver⸗ 
gnügen aus. Es gefällt auch einer tugendbaften rau, mit 
Geiſt und Herz fid) von einem Manne gebuldigt zu fehen, 
den fle adıtet und leiden mag. Ban Leuven war nicht ei⸗ 
ferfüädhtig; daß ic von feiner Frau bezaubert war, fand er 
nicht bios natürlich, fondern auch nothwendig. Er erfannte 
in mir einen unfhuldigen Jüngfing, und mar nicht meinete 
wegen beforgt. Diele Grogmuth verpflichtete mid ihm noch 
mehr, und machte unfer gefelliges Verhältniß edel und an. 
genchm. 


18. 


Macbeth und die Seeräuber. 





Sobald ich im Englifchen ein wenig vorgerüdt war, fing 
Soncordia an, mic mit des trefflihen Shakcepear’s Wer⸗ 
ten bekannt zu machen. Diefer Shakespeare war ihr Stamm- 
vater mütterfiher Eeite, Denn fie war cine Enkelin feiner 
gelichteften Tochter Sufanna, an den Doctor und Arzt John 
Hall verheirathet. Ihre Großmutter lebte noch, ihre- eigene 
Mutter war aber in den Moden mit ihr geftorben. Sie 
erzählte mir mand;erlei von dem berrlihen Shakespeare, 


Macbeth und die Seeräuber. 7 


der in die Eparaktere und Gemüter der Menſchen fo tief 
geſchaut hat. Sie zeigte mir auch fein Bild: ein Lräftiges, 
offenes Geſicht. In den Ohren Hatte er Meine Ohrringe. 
— Wartet einmal, die kann ih Euch mirklih zeigen, 
Sie eitte bin. öffnete einen Schrant, und brachte ein Käft- 
den mit Baumwolle, woraus fie ein Paar ſchlichte goldene 
Ohrringe nahm. — Da find fir, rief fie ftolz; das find 
Shatesveare's Ohrringe. Heute will id feine Ohrringe 
tragen. 

Minga mußte ihr helfen, ihre eigenen abzunehmen und 
die Shatespear ſchen wieder in die Obrläppden zu fteden. 
Da ſaß man die ſchöne blühende Ur»Enfelin des großen 
Dichters, mit den Heinen goldenen Ohrringen in den zart 
geformten Ohren. Als eine wahre Julia, als eine retzende 
Viola ſaß fie da. 

Sie hatte mir etwas von der Tragödie Romeo und 
Julia erzäplt, und ich ſchlug ihr vor, diefelde mit mir zu 
lefen, fie wählte aber den Macbeth. 

Lemelie war oft in meinen Unterrichteſtunden zugegen, 
nicht, um das Stüd zu hören, das er immer kleinlich Pritie 
firte, fondern um meine Freude zu flören. 

Das ift ein abſcheuliches Stüd, diefer Macbeth, rief 
er voll Unmuth, als wir zu dem Tode des Boſewichts im 
legten Afte gefommen waren. Co eimas darf eim Dichter 
nicht filtern; ein Gedicht darf nur angenehine Gmpfin- 
dungen erwegten, und bei diefer Dichtung können Einem ja 
die Haare zu Berge ftehen, wenn man nicht mehr Courage 
hätte, als diefer Macbeth, der im Grunde ein erbaͤrmlicher 
Zropf. ik, denn er hat alle Augenblide das Hafenfieber. 

Dies Meikerüd, erwiederte ich, rührt von einem hoͤchn 
menſchlichen milden Genius her, der mis dem von Laftern 

Detlenf. Echriften. XVIL. 7 





8 Macbeth und die Sceräuber. 


und Leidenſchaften verirrten Menſchen, in deren Herzen noch 
nicht der Ießte Funke des Gewiſſens ausgelöfht ift, Mitlel 
den fühlt. Die Dandlung diefes Dramas beſteht nicht for 
wohl in Macheth’s Verbrechen, als in dem Kampfe feines 
Gewiſſens vor und nad) der That. Sein Weib fheint frei» 
Mic) noch teufliſcherer Natur zu fein; fie hept ſich aber ſelbſt 
mit graͤßlichen Worten, eben weil fie innerlid) im Herzen 
nit ruhig fündigt. Und wenn fie fhläft, behauptet die 
Natur ihre Rechte, und als Traummandierin gefteht ifie, 
mas ihr wachend Stolz und Furcht zu fagen verbieten: ja, 
fie erkrankt, fie ſtirbt vor Verzweiflung. Alles in diefem 
trefflihen Werke verräth den fiefften Menſchenkenner. 

Wie lächerlich, bemerkte Lemelie, von Menſchenkenntnitz 
and Natur in einem Stüde zu reden, das von lanter Un. 
nãürlichteiten und Aldernheiten zufammengefeht if. Die 
Heren wahrfagen ihm ja Alles voraus. So it Alles ja 
auf den Fatalismus gegründet. Macbeth if unſchuldig; 
Gott oder der Teufel treibt fein Spiel. Und das ift noch 
das Bernänftigte von Allem, fuhr er nad einer Heinen 
Yaufe fort, denn ich bin ſelbſt zu dem Glauben geneigt, 
dag feurigen, lebendigen "Naturen nicht immer das anzu« 
rechnen fei, was die Welt im gewöhnlichen Leben Sünde 
nennt. 

Gott bewahre! rief ich, fo hat es gewiß Shakespeare 
nicht gemeint. Diefe Heren find nur Macbeth's eigene 
döfe Leidenſchaften und Neigungen. So treten diefe firen 
Veen vor Macbeth, fo offenbaren ſich die verzerrten Geftal- 
tem feines böfen Willens, diefe Mißgeburten zweier Extreme, 
die immer verbunden find: Graufamteit und Furcht, ale 
bärtige Weiber, und fegen die aufgejehrten Zeigefinger 
auf die weiten Lippen. 


Macbeth und die Seerduber. » 


Biel Geſchrei und wenig Wolle, rief Bemelic, das ift wohl - 
auch der Mühe werth, eines ſolchen einzelnen Todſchlages 

wegen fo viel Aufbebens zu machen. Bie oft find nicht 

weit größere Miſſethaten verübt, gegen melde diefe eine 

wahre Kleinigkeit iſt. So mas thun die türfifhen Gultane 

alle Tage; zu ihrem DBergnügen entbaupten fie oft den 

Sklaven, der ihnen den Steigbügel hält, während fie ſich 

in den Sattel ſchwinger. Und wie haben die Ehriften, die 

Kreuzfahrer, die Inquifition, die Katholiken und Keher ge⸗ 

gen einander gemäthet. 

Mit folhen Gräueln, antwortete id, kann fih die 
Dichttunſt nicht befallen. Der Dichter kann nicht Tiger, 
Hyaͤnen, Bölfe, Brilen- und Klapperſchlangen auf die 
Bühne bringen. 

Herr Lemelie, bemerkte Concordia, ſcheint fih zu wie 
derforedyen, erſt it ihm Machetb zu gräglid, dann ift er 
ihm nicht größlich genug. Ihr meint, Shakespeare könne 
feine berzlofe kalte Böſewichter ſchildern. ohne Gewiſſen und 
Neue? Left einmal den Othello, Herr Lemelie, und fagt 
wir dann, wie Ihr wit Jago zufrieden feid. Ih folte 
meinen, er fei niedertraͤchtig et und unverfchämt genug. 

In dieſer Unterredung wurden mir geftört, indem ein 
Matrefe in die Kajüte trat und meldete, ein maroftanifher 
GSteräuber feße uns aus allen Kräften nad) ynd werde ung 
bald einholen. Concordia erblaßte, aud mir ward bei dire 
fee Nacricht nicht wohl zu Muthe. Lemelie ließ ſich aber 
von nichts anfechten. Nachdem er durd das Fernrohr die 
Schebede ausgefpäht und bemerkt hatte, daß das Schiff voll 
von Menſchen mit Säbeln in den Händen gerade auf uns 
loe fteure. tam er wieder zu ung in Die Kajüte hinunter 
und rief höhniſch: Nun. Madame, wird es hai bier aͤr⸗ 


100 Macbeth and die Seeraͤuber. 


ger, als in Macdeih zugehen. Die Heren nahen ſich Then. 
Wolt Ihr nicht Euren großen Porten bitten, daß er une 
zu Hüffe femme, fonft ift es um unfer Leben und Eure 
Tugend geſchehen. Die Corfaren haben niht Nomen und 
Jalie gelefen, fie werden Euch als Sflarin verkaufen, und 
ich wette, binnen drei Monaten hat Eure Schönheit öfter 
Monde gewechſelt, als der Mond am Himmel. 

Jetzt trat auch van Leuven in die Kajäte; gerührt, je= 
doch mit Saffang ergriff er feiner Gemahlin Hand und bat 
fie, nicht zu verzweifeln. Wir wollen uns wehren, ſprach 
er, bis auf den legten Biutstropfen, und entweder mit Ehre 
leben oder ſterben. 

Lemelie ‚lachte höhniſch. Ihr ſeid mir große Helden, 
ſprach er, ſtehen die Barbaresken erſt auf dem Berded, ſo 
zerhauen fe uns zu Frikaſſee, and die ſchöͤne Frau muß 
nachher zum Deferte dienen. Nur Lit und Gewandtheit 
Können und reiten. — Bo wollt Ihr jept din mit Eurer 
Lift, rief van Leuven. Die Barbaren verfichen weder LiR 
noch Tranzöffch. Wie wilde Thiere Mürzen ſie mit ſcharfen 
Zapen auf uns ein. — Und fallen vießeiht in die Grube, 
antwortete Bemelie, kalt wie Eis. 

Darauf defabl er dem Konſtabel. zwei Kanonen aus 
den Kanonenlühern herauszuziehen und fie auf dem Ders 
deck aufzupfkanzem in einen gewiſſen Wietel ſchrüg in die 
Luft gerichtet. Diefen Winkel mag er ſorgfällig, aachdem 
er die Schebecke wiederholt durd’s Fernrohr detrachtet hatte. 
Zug leich befahl er, keinen einzigen Echug auf den Feind zu 
hun. Als die Gerfaren zu bemerken glaubten, dag wir Bei 
nen Widerſland leiften wollten, kletterten fe alle auf das 
Busfpriet hinaus; und daran hängend wie cin Bienens 
ſchwarm an einem Baumzweige, ſchwenkten fie die Säbel, 


Macbeth und die Seeräuber. 10 


riefen: Adlah! Allah! und erwarteten den Augenblid, wo 
fie vom’quer über unfer Schiff binragenden Bugfpriete wür⸗ 
den aufs Verde binunter fpringen innen. Das war es 
eben, was Lemelie wolle. 

Blaß und kalt ftand er wie eine Eisiäule bei feinen 
Kanonen. Noch immer map er forgfältig den Winkel, wie 
der Aiſchler die Brettlinie, nad) der er hobeln fol. Ploͤtz ⸗ 
lich brennen feine Kanonen los, die Kugeln zerfämettern 
das Bugſpriet. Der Maft und der ganze darauf mine 
wmelnde Haufe Kürzen krachend und heulend, wie vom Blitze 
getroffen, in die Wellen, und Ale finden da ihren Tod. 
Unfer Schiff fegelt jegt feines Weges ungeftört weiter fort; 
die Schlacht it gewonnen, die Gefahr vorüber. 

Diefer ploͤßliche Glückewechſel wirkte heftig auf ung 
alle, befonders auf Concordia, Die fehr erihöpft fih früh 
Nachmittags unentfleidet auf das Bett warf und einſchlum⸗ 
werte. Bir Männer waren alle fehr vergnügt. Die Mar 
trofen hatten doppelte Portionen Branntwein befommen, 
riefen Hurrab und tranken des braven und Mugen Kapis 
täns Geſundheit. 

Der prave Lomelie, fagte van Leuven, wir haben ihm 
Unrecht gethan. Was kann er dafür, dag ihm die Natur 
fein gutes Geſicht gegeben? — Sein Gefiht, bemerkte id, 
in nicht haͤßlich, nur etwas verdroſſen und ärgerlich ſieht er 
aus. Er mag viel üble Erfahrungen gemacht Haben, dars 
um traut: er den Menfchen nicht gleich. 

Als Lemelie auf feinem Schiffe Alles wieder in Orde 
mung sebracht Katte, und die Matrofen auch wieder ruhig 
waren, kam er zu uns hinunter, und ud van Leuven und 
wich, ein, in feiner Kajüte ein Glas Punſch au, trinken. 
wäßrend. die Weiber ſchliefen. 


102 Macbeth und die Seeräuber. 


Bir fanden feinen Punfhnapf auf dem Tifhe dam- 
pfend, fondern eine Theemaſchine mit kochendem Waſſer 
und dreikfhön geſchliffene gläferne Pokale, für Jeden einen 
hingeſtellt. — Id) trinte den Punſch am liebften wie The, 
fagte Zemelie, man bekommt ihn fo am wmärmften, und er 
muß heiß genoffen fein, denn lauer Punſch ift ein erbärme 
liches Geföfe. So fann ihn Jeder nad) Gefallen brauen, 
und braucht ſich niht nad) der Andern Gefhmat zu richten. 

Wir hatten gegen feine Theorie nichts einzumenden, 
und als wir über die Zubereitung einig geworden, that er 
Zuger in die Pokale und bat Ieden, fo viel Eitronenfaft, 
Rum und Wafferbbineinzugießen, als er wolle, auch über 
das Diehr oder Weniger des Zuders nad) Belieben zu ver» 


fügen. 

Der Konftable, der dem Kapitän heute bei den Kano⸗ 
nen geholfen, und zugleich fein Bedienter war, fand chrer- 
bietig Hinter dem Stuble des Herrn van Leuven. Er Haıte 
einen kleinen Tiſch hinter ſich mit einem ähnlichen Pokale, 
der nicht vergeffen wurde. Und wahrlich, wir fanden alle, 
dag der ehrliche Kerl wohl verdient habe, ein Glas Punſch 
mit uns au frinten, denn ohne feine Alfe hätte Lemelie 
fein Manöver nicht ausrichten können. Als der Punſch fer- 
tig war, wurde die Theemafdine zu dem Konftable auf 
den Meinen Tiſch gefcht, damit wir auf dem unfern beſſern 
Raum hätten. 

Bir ftiegen mit einander an und wollten chen die Por 
tale zum Munde führen, als eine feltfame Erſcheinung ung 
fo verwunderte, daß Ieder fin Glas wieder auf den Tiſch 
fepte. Die Thüre ging auf, und mit einem Lichte in der 
Hand, mit fteifen Schritten und ftarr geöffneten Augen, die 
nicht faben, trat Concordia, gefpenftermäßig. im weißen 


Machetb und die Sceränber. 103 


Nachtzeuge. traumwandehnd herein, feßte ſich wiſchen ihren 
Mann und Zemelie, und ſprach mit behler Stimme: Mir 
er den Pokal, ic will ihn kredenzen! Darauf ergriff fie 
von Zeuven’s Glas und wollte trinten. — Lemelie erblaßte, 
tiß ihr hurtig den Beier von den Lippen und ſprach in ei- 
nem gezmungenen gleihgültigen Zone, der ihm dod nicht 
teht gelingen wohte: Der Vunſch ift zu fart für Eu, 
Madame, Fraugois muß erft ein wenig Waſſer hinein gie- 
den. Bei Gott, fie fhläft, fie weiß felber nicht, was Me 
tout! — Damit reichte er dem Konſtabler den Pokal, der 
iept Hinter feinem Tiſche fand. Diefer fepte den Vuunſch 
auf den kleinen Tiſch zu feinem eigenen Glaſe, weil er mir 
aber im Wege Rand, indem er uns den Nüden zufehrie, 
tonnte ich nicht fchen, ob er den Pokal rechts oder links zu 
feinem cigenen feßte, and fonnte ich nachher nicht unter 
(Weiden, in welhen Pokal er Waſſer gotz, denm fie waren 
einander völlig aͤhnlich. — Goncordia ſtarrte Lemelie grüße 
lich am und ſprach: „Ihr feid Krieger umd zagt? Was 
macht es Gud, wenn es aud Jemand weig? Ber zieht 
wohl Eure Macht zur Rechenſchaft?“ Darauf feine Hand 
ergreifend und mit ihrer eigenen Handflähe reibend, ſprach 
fie leiſe: „Hier iſt ein Fleck hier riecht es noch nah Blut. 
Die Myrrhen des ganzen Arabiens vermögen nicht. dieſer 
Hand den Berud au benehmen.“ Ach, fagte Lemelte, der 
ſich ſchnell gefaßt hatte, jept verfiche id) Alles! Ihre Lebens» 
geifter find heute durch Die Angſt zerrättet worden. Sie 
wandelt im Traume, hat fürzli den Macbeth gelefen und 
ſpielt jeßt die Rolle der Lady Macbeth, mit einigen kleinen 
Veränderungen. 

Komm, meine Liche, fagte van Leuven, ich will Dich 
zu Bette bringen. — Ad ja, mein reund, ſprach fe und 


104 Macbeth und die Sceräußer. 


fügte ihn, folge mir. Bleibe nicht bei dem Bäfewicht und 
triute ‚nicht mit ihm; der Tod lauert im Beer. — Ih 
entfepte mich und ſprang vom Stuhle auf. — Reiche mir 
den Wedyer wieder, Frangois! ſprach Lemelie ruhig. Bram 
<ois reichte ihm einen von den Pokalen, welder es aber 
war, konnte id, wie gefagt, nicht unterſcheiden. — Wolit 
Ihr nicht mit mir trinken, verfeßte Lemelie, fo will ich mer 
nigftens zu guter Nacht Cure Gefundheit ans Euren cige- 
men Bläfern trinten, (und bei diefen Worten leerte er wirt 
UM die Hälfte aus dem dargereichten und aus meinem Pos 
tale) damit End nicht dieſe Begebenheit die Phantafie mit 
nichtigen Einbildungen erhitze. 

Bir ſtanden alle auf; François aber, der zurücktreten 
wollte, war fo unvorfihtig, fein eigenes Glas, das binter 
Hm fand, mit dem Ellenbogen auf den Boden zu werfen. 
Sieräber ward Lemelie fehr entrüftel, und während er den 
Kerl tüchtig aueſchalt, dag er ihm fein ſchön geſchliffenes 
Glas entzwei geſchlagen habe, folgten van Leuven und ih 
Concordien in ihre Kajüte. Die fhwarze Minga und der 
Heine Beautiful ſchliefen fhen auf der Matratze. Concor⸗ 
dia ftre@te fih ruhig auf ihr Lager hin, ohne aufzuwachen. 
Ban Leuven und.id fahen einander lange ſtumm und vers 
wundert an. — 

“Ein nichtiger Traum! fagte er endlich; Lemelie traut 
da felbft aus unfern Bechern. Aus dem meinigen, ja, — 
antwortete id, der Konftable hatte aber zuerit den Eurigen 
anf feinem Tiſche, wenn er ihn nun umgewechſelt hätte, 
während wir noch äber Concordiens Erſcheinung Raunten? 
Dann hat Lemelie aus des Konftables Becher getrunten, 
und der Konftabler bat den Eurigen auf den Boden ge 
werfen. 


Macheth und die Seeräuber. 106 


Um Gottes Willen khweigt, rief van Zeusen, and ſprecht 
kein Wort zu Concordien davon. Vieleicht weiß fie es ſelbſt 
nicht, wenn fie erwacht. Gebe Gott, daß mir dieſen ger 
Fäbrlichen Meufhen los wären, und glüdlih auf Ceblon 
angelouınen. 

Als Concordia den folgenden Morgen erwachte, fagte 
fie: Ich habe verwichene Nacht einen adſcheulichen Traum 
gehabt, werde aber Niemandem fagen, was mir traͤumte 
Bir drangen nicht in fe; fie fubt aber fort: Hütet Euch 
vor Lemelie, mein Gemabl! ft nnd trinft nur, was ich 
mitgenießge. — Er verfprad es ihr. Als wir Lemelie wie⸗ 
der fahen, war er guter Dinge, als wenm nichts Hugeror- 
dentliches vorgefallen wäre. ir ſchwiegen au. 


14. 
Schiffbruch und Rettung. 





Unfere Fahrt war im Anfange fo glüdlih, als man 
Kb nur münfgen Tann. Schon ſahen wir fern das Vor⸗ 
gebirge der guten Hoffnung, ohne das geringfit von Regen 
und Ungesoitter ausgeftanden zu haben. Der Kapitän ver- 
icyerte, wie würden bald dert angekommen fein, und er. 
wolle einige Tage da ausruhen. Allein der Himmel wollte 
es amders, und ſchwere Wahrzeichen liegen das Aetgſte ber 
fürdten. Die Sonne war eines Abends in einer dicen 
erdfarbigen Weite untergegangen, die oberen Wolken er 


106 Sciffbruch und Rettung. 


ſchienen dunkelroth. Den Morgen darauf, als ſich die 
Eonne dem Geſichtskreiſe näherte, "ftrahlten die Bolten 
swar angenehm vergoldet, faum war indeß die Senne über 
zwei Grade geftiegen, fo verlor fie fi) im einem trüben, 
rauchähnlichen Dunſt der mie eine Mauer den Horizont 
umgürtete, und woraus sine Menge ſchwaͤrztiche Etrahlen 
bervordrangen. Bald war der Himmel mit folhen Bolten 
bededt, welche die Seefahrer Dichte nennen, und die mit 
feinem Regen drohen. Bom Rande des Horizontes an, bis 
drei oder vier Grad Höhe, maren fie goldfarbig, dann rote 
glänzend, endlich dunkler in ihrer natürlihen Farbe. 

Lemelie hielt diefe Anzeichen für febr wichtig, weil er 
bemerkt hatte, ein ſolches Gemölt verfändige immer einen 
nahen Sturm. Id) erwartete, daß er mit gewöhnlicher Ger 
daffenbeit der Gefahr entgegen gehen werde. Aber weit ge 
fehlt! Er war kleinlaut und unruhig, feine Geſichtefarbe 
ward noch bleierner, als zuvor; er zitterte, ging in feine 
Kajüte, verſchloß fid) drinnen, und wir hörten ihn wie ein 
Kind Paternofter plappern, und mit peiferer Stimme late 
niſche Hymnen fingen. 

Als er wieder heraus fam, war er ein wenig rnbiger. 
Id wunderte mic, fehr über die Verſchiedenheit feines Bes 
nehmens bier und gegen die Eceräuber, und gab ihm dies 
zu erfennen. Er antwortete: Bor Menſchen habe ich mid 
nie gefürdtet; wenn man aber mit Gott oder dem Teufel 
zu thun hat, fo weiß man nie recht, wie man daran iſt. — 
Darauf ſuchte er den Matrofen Muth einzuflögen. Muth 
wangelte diefem Jauhagel nit, (denn wie der Meifter, fo 
die Gefellen) fie fuchten fi aber auf eigene Art zu ermun« 
tern. Als der Sturm am färkften wüthete, verloren fic 
ganz den Gehorfam gegen den Kapitän; und ohne ihn zu 


Sciffbruch und Rettung. 107 


fragen, effneten fie zwei Fäffer mit Branntwein, fingen an, 
- fi) zu betrinfen, ſchtrien Hurrah und fangen Zehhlieder, die 
fle felber nicht hören konnten, weil fie der Starm übertäubte, 

Als Lemelie den nahen Tod vor Augen ſah, benahm 
er ſich wie ein gemeiner Miffethäter, der hingerichtet werden 
fol. Gr verzog das Geſicht abſcheulich, ein halb mahnfin- 
niges Laͤcheln, das zugleich Tretz und Verzweiflung aus. 
drüdte, zudte von Zeit zu Zeit graͤglich auf feinen blauen 
Lippen; mechaniſch verrihtete er noch einige Gebete, dann 
betrant er fi auch, um fein Gewiſſen einzufhläfern. 

Iept war am feine Nettung mehr zu denten. Die 
Bellen gingen fo hoc und kurz auf einander, wie man ih⸗ 
resgleichen wohl felten gefchen bat. Hätte ſich eine Belle 
an unferm Schiffe gebrochen, fo hätte fie uns unfehlbar in 
den Abgrund getaucht. Dabei verurfahten fie ein fo ger 
waltfames Schwanken des Schiffes, daß man in unaufhör- 
licher Gefahr ſchwebte, ſich dem Kopf an dem Berded oder 
an der Band einzufiogen. Der Regen ſchoß ſtromweiſe 
Serab, und der Orkan b.ulte fo, dag man eine abgeſchoſſene 
Kanone nicht gehört haben würde. Diefe unfihtbare Ge⸗ 
malt mußte meines Erachtens unfer Schiff zuweilen in ei» 
ner Stunde fehr viele Meilen fortführen. Zuweilen fdien 
es dagegen an einer Stelle zu bleiben, und wurde wie ein 
Kreifel in der See berumgedreht, während der Wind durch 
alle Striche des Kompaftes lief. 

Ban keuven und Concordia hatten ſich auf ihr Lager 
bingefttet, ſchloſſen einander in die Arme, und ſchienen den 
Tod nicht zu fürdten. Drunten auf der Matratze lag noch 
ein zariliches Paar: die Negerin mit dem Beinen Hunde. 
Ich armer Knabe hatte Miemanden, mit dem id, fterben 
Bonnte. Gcwermäshig bucte ich in einen Winkel; da ent» 


108 Shiffbrug und Rettung. 


decte ich meine Bibel; ih nahm fie berunter und drückte 
fie an mein Hei. 

In diefem Augenblide hörte ich einen außerordentlichen 
Knall; das Schiff löfe ſich aus feinen. Fugen, die Kajüte 
füllte fi) Halb mit Waſſer, welches aber füneH wieder ab · 
lief. Das Schiff war auf einer Sandbant geſcheitert. Die 
Kajüte war in ganz verfehrtem Zuſtande: der Fußboden 
war zu einer Seitenwand geworden, und wir alle in einen 
Winkel geworfen, JIept hören wir eine Stimme, die „Em 
cordia, Concordia!" ſchrie. Es war Lemelie, der ſich des 
Boots bemäctigt hatte. Auf der großen Schaluppe hatte 
ſich ſchon die betrunfene Maunſchaft herausbegeben. Ban 
Leuven und ich nahmen Concordia, die in einer Ohamacht 
lag, und wollten fie in’s Boot bringen. Der Kabitän rief 
aber, er wolle nur Concordia mitnehmen. -Wir kehrten 
ung aber an feine Drohungen und Fläche nicht, und ſprau- 
gen mit hinein, Kaum waren wir da, fo ſchleuderten uns 
die Wellen weit bin und verfhlangen uns. . Was weiter 
mit mir geſcheben ift, weiß ih nicht, das Bewußtſein ver 
lieg wid, und erft den folgenden Tag erwachte ih, und 
‚ fand mich ſchwach und matt auf deu trodenen Sande au 
der Sonne liegend. " 

Es wunderte mic, die Sonne wieder am klaren Him- 
wel zu erbliden, von deren wärmenden Strables ich die 
angenehmſte Erguidung in meinen Glievern empfing. Ich 
richtete mich auf, fah.wih um, und ſab, daß ich mih auf 
einer Heiner Sandiuſel befand; binser mir vagte ein. un 
geheurer ſchroffer Felſen in ‚die Luft. - Ein Schauer durch-⸗ 
fuhr meine Glieder, Bin Du allein hier. gerettet, dachte 
ih, um an der öden Kippe eines Ianglamen-Zodes zu fler- 
ben? Haben fhon die Fteunde den. hätte Keich draußen 


Schiffbruch und Rettung. 109 


geleert? — Wie froh wurde ich Bald Darauf, als ich um. 
fern von mir Goncotdia und van Leuven auf dem Sande 
fhlafend entdecte. Jetzt war id wieder ganz rahig. Ich 
kehrte meine annoch naſſe Seite gegem die beige Senne, Heß 
mic, durchbraten und ſchlieſ wieder ein. 

Als ih nach einem tiefen Schlummer die Augen aufs 
flug, Rund van Leuven neben mir mit untergefhlagenen 
Armen und betrachtete mich wehmüthig. — Armer Albert, 
ſeufzte er; ift dies das Glüd, das ih Euch verfprah? Wir 
theilen ein gleiches Loos; als Brüder und treue Gefellen 
wollen wir Freude und Leid theilen. Wir ftellen hier im 
Kleinen ein Bild des Menſchenlebens dar: Auf die öte 
Erdſcholle hinausgerorfen, find wir unfern eigenen ſchwa—⸗ 
chen Kräften überlaffen; ein Engel und ein Teufel begleis 
ten ung auf dem unfiheren Pfade. — Bei diefen Worten 
warf ich meine Aigen foähend umber, und entdedte außer 
Soncordien noch Lemelie, der entfernt von uns auf einem 
Steine faß; mit unterſtüßtem Haupte ftarrte er auf das _ 
jett ruhige Meer. 

Ban Leuven hatte eine große mit Ban umflochtene 
Beinflafdye, woraus er mir zu srinten gab. — Ich hate 
Mäe genug gehabt, fagte er, diefe Flaſche anf einige Ans 
genhlide von Lemelie zu bekommen. Er hat Ale gerettet, 
und will fie allein ausleeren. Wo wir jept find, nd wir 
ie wieder Menfſchen fehen werden, weth Got. Das Schiff 
AR drüben am der naden Sandbant gefheitert. Das Him 
tertbenl ragt noch ziembid hoch über die Welten empor; und 
fo in noch Hoffnung da, dap wir Die Lebensmittel reiten 
Binnen, um uns sinige Beit das Beben zu friften. 

I brachte Lemelie feine Weinflaſche wieder. Statt 
Gott-für feine Rettung zu danken, entfuhren nur lauter 


110 Sqiffbruch und Rettung, 


Flüche und Gottesläfterungen feinem Bunde, und cr wolle 
fid) gar nicht tröften laſſen. weil er, wie er fagte, durch die- 
fen Schiffdruch Ehre und Gigentbum verloren. — (Eigen 
thum, dachte ih, mag fein; mer aber vorber feine Edre 
noch hatte, konnte fie nicht durd einen Schiffbruch verlieren, 


Bir verließen isn und näherten uns Concordia, die in 
einen Mantel gebült, mit den Zähnen klapperte, fchr über 
Broft tlagte und wieder ſchlafen wollte; erft verlangte fie aber 
sinen Trunf friſchen Waſſers. Das hatten wir niht! Ban 
Leuven gab ihr ein wenig Wein, den fie, weil er frifh war, 
fehr begierig hinunter ſchlucte. Sie befand fih aber übler 
darnad und glühete bald wie cine Koble. Ihr Gemahl 
machte ihr die größten Liebkofungen, Ge ſprach aber ſtrenge 
und mit wilden Blide: Karl Franz, geht mir aus den 
Augen, damit id rubig ſterbe. Die Übergroge Liebe zu 
Euch bat mid verführt, das vierte Gebot zu Übertreten; 
nun Fümmt die Strafe. Gott feimeiner und Eurer Seele 
gnaͤdig. 

Der ſonſt fo rubig beſonnene van Leuven wurde von 
Diefen Worten ganz zur Verzweiflung gebradt. — Algü- 
tiger Himmel, rief er bänderingend, ift es möglih? Noch 
einen Verluſt fell id an diefer öden Klippe leiden, nachdem 
ich alles verloren waͤhnte. Ihre Liebel Das Ungeheuerfte! 
Ihre Liebe, um derentwillen ic dem Tod und dem wüthen⸗ 
den Elemente tropen wollte? So will id denn aud nicht 
Hänger leben. — Darauf lief er nad dem Meere zu, und 
bätte ſich gerig bineingefürzt, wenn ih ihm nicht zuvor⸗ 
gekommen wäre, und ihn durch Fräftige Neden, die mir 
Gott eingab, wieder zur Vernunft gebracht hätte. Ich ſtellte 
ihm vor, Concordia wiſſe ja in der Fieberhitze ſelber nit 


Shifforud und Rettung. 111 


mas fle ſage; fo ward er denn wieder etwas ruhiger, legte 
Aid nieder und ſchlief bald ermattet ein. 

Concordia bewegte fi, und ih lief zu ihr. Sie bat 
mid), ihr etwas Regenwaſſer aus dem Mantel auszudrät- 
ten, der dort am Baume binge. Lieber Gott, da war wer 
der Baum noch Regenwaſſer! Ic bat fie, eine halbe Stunde 
zu warten, weil die Arbeit etwas langfam von der Hand 
sehen würde; fie verfprad) mir, fo lange Geduld zu haben. 
Iept watete ich in’s Waffer hinaus, gerade nach dem Schiffe 
3; zur Noth tkonnte ih aud) ein wenig ſchwimmen. Es 
mar aber nicht nothig, das Waſſer reichte mir nur. bie an 
die Kniee, und fo Aletterte ich gemäglih an dem Shiffe 
hinauf, um im die Kajüte zu gelangen. Als ich bis an die 
Aür gekommen war, hörte id) zu meinem Erſtaunen fol- 
gende Worte: Armes Thier, arme Schwarzel Sind treue 
Geſchopfe, unferer Herrin mit Leib und Seele ergeben. 
Konnten nicht mit ihr den naffen Tod Leiden; wollen zus 
fammen auf der Matrape verſchmachten! Ich rig die Thür 
auf und fand Minga mit dem Heinen Beautiful auf dem 
Boden Liegend. Ihr ſonſt kohlſchwarzes Geſicht war afdıe 
grau vor Kummer und Mattigkeit geworden. Sobald fie 
aber hörte, Goncordia lebe noch, Lehrte die ſchwarze Farbe 
in ihr Gefigt zurüd, und fie rief: Dann, Beautiful, wol⸗ 
len wie and) leben und ein Freudenmahl begchen. Drauf 
lief fie hin, Lebensmittel zu holen, denn es war wirklich 
ihre Abſicht geweſen, ſich und den Hund zu verhungern, 

Id ſuchte nun auch das Nöthige. In der Kajüte hing 
eine Rolle Schwefel. deren ich mich bemächtigte. Feuerzeug 
tennte ich nit finden, dagegen ein Paar wobleingewickelte 
Piftolen, welche mir nebſt dem Schwefel zum fAönften Feuer ⸗ 
zeug dienlich ſchienen. Su meiner Freude fand ich ein wobl 


12 Schiffbruch und Rettung. 


zugenichtes Faß fühen Wahers, wovon ih ein ertraͤgliches 
Kägel füllte. The, Zucer und Rum fand Ab auch noch 
in der Kajüte, umd mit diefer Laſt auf meinem Haupte na» 
tete ich zurück, nachdem ich erfi mit Dinge und dem klei⸗ 
nen Beautiful gefrühftükt hatte. 

Minga mußte zurüddläben, um den Zwieback, geräu 
Wertes Fleifh, Reis und Mehl aus den Fäſſern zu neh⸗ 
men und in Heine Bündel zu binden, damit man es näch⸗ 
fiens gemaͤchlich binäber tragen Fönne. Lange war nicht 
zu zaudern, denn der erfte flarfe Windſtoß konate das Wrat 
gleich in die Bellen hinunterftärgen. — I batte etwas 
Fleiſch, Brod und Rum gleich mitgenommen. und mit Diee 
fen Habſeligteiten watete ich zurüd. Auf der Sandbank 
hatte ich hinaufgeſpültes, trodenes Holz genug gefehen; ein 
Beil und einen alten wollenen Bruflap im der Kajüte ger 
Funden. Ih zrrrig den letzten in Streifen, ſchiug Feuer 
und blics fo lange, bis das Holz in volle Flamme gerieth. 

Concordia erwachte wieder und verlangte heftig zu trin 
ten. Ic) reichte ibr den umterdeß, zubereieten Thee in einem 
Becher; ſie glandte, daß es wicder Wein fei und rief wei⸗ 
mend: Ihr weit mir das Herz mit Wein Drehen. Gott 
vergeb' es Euch! Als fie aber den Thee getoftet hatte, fagte 
fie frop: Habet Dank, mein lieber Albert, jept bin ich vol⸗ 

- tommen erquidt; dedt mid nun mit dem Mantel zu und 
tagt mich ſchlaſen. — IA geborfamte ihr, und machte bins 
ter ihrem Rüden ein gelindes Feuer, weiches nicht eher aus⸗ 
sehen durfte, bis die Sonne mit ihren kräftigen Strafen 
dod genug ftand. 

Als id meine mitgenommenen Sachen auf einen brei- 
ten Stein ausgepadt batte, ſtopfte ich auch die Pfeifen, 
machte einen guten Punſch, (obſchon nicht nach Lemelies 


Shiffbrug und Rettung. 113 


Ipeorie in verſchiedenen Gläfern,) und ging bin, die beiden 
Herren einzuladen. Ban Leuven ſchlief nod, denn er hatte 
die Nacht vor Kummer über Concordia gewacht; er ward 
aber bald munter und freute ſich fehr, als er die Befferung 
feiner Frau hörte, und den gededten, ſteinernen Tiih auf 
dem Sande fa. — Lemelie, der Zwieback in der Taſche 
mitgehabt. und die große Weinflaſche dazu ausgelcert hatte, 
fluchte noch immer. Ich hätte ihm feine Pfeife angezündet, 
und, um mid mit diefem tüdifhen Menſchen ein wenig 
auszujöhnen, weil uns die Noth doc) jetzt fo nahe verbuns 
den hatte, reichte ich ihm höflich die Pfeife und lud ihr 
ein, nachher an unferm Mahle Theil zu nehmen. Er rig 
mir die Pfeife aus der Hand, als ob ich fein Knecht fei, 
und dankte mir mit keinem Worte, vielmehr fluchte er noch 
ärger. Beil ih nun zum Jähzorne geneigt bin, befonders 
wenn man meinem guten Willen höhniſch entgegen kam, 
fühlte ich mic) fehr aufgelegt, ihm die Pfeife aus den Zähe 
nen zu reißen und in’s Wafler zu werfen, zwang mid) aber, 
meiner armen Leidensgefährten wegen. 

Während der Mahlzeit ſuchte er ſich dem Heren van 
Leuven gefällig zu erzeigen, weil er meine Gemüthsbewegung 

“wohl gemerkt hatte, und mid, ärgern wollte. — Bir Zwei 
find geborne Edelleute, Herr van Zeuven, fagte er: der gute 
Albert da, if, wie mir gefagt worden, vorher Euer Be 
diente gemefen; fo ift es denn billig, dag er fein voriges 
Amt wieder einnimmt, denn einen Sekretär braucht Ihr 
wohl ſchwerlich hier auf der Sandbant, einen Bedienten 
kann man aber immer brauden. 

Es freut mid, Herr Lemelie, antwortete van Leuven, 
Euc wieder Iuftig zu fehen und ſprechen zu hören, denn 
im Ernſt könnt Ihr wohl unmöglid) fo ſprechen. Nur ein 

Sehlenf, Schriften. XVIL. 8 


114 Schiffbruch und Rettung. 


Mißverftändniß hat zu jenem augenblictichen Migverhält- 
niß zwiſchen Herrn Julius und mir Anlaß gegeben. Er ik 
von guten eltern, wohlerzogen, und, was ich äber alles 
fdäße, er ift brav und tugendhaft. Selbſt in den glän- 
aendften Verhältniffen würde ich ihm zum Freunde wählen, 
mie weit mehr jetzt, als armer Schiffbrüchiger auf der äden 
Kippe. 

Ich ſchwieg, auch Lemelie ſchwieg. Ohne ein Bort zu 
fagen, nicht einmal gute Nacht, ging er fort, nachdem er 
waidlich getrunfen hatte, Hülfte ſich in feinen Diantel, kratzte 
fid) ein Loc) in den Sand, mie eine Henne, und ſchnarchte 
dald fo laut, daß wir es von weitem hören konnten — 
Ban Leuven und ich wurden einig, einander abzuföfen, um 
beim Feuer zu wachen. Ich wolte der Erfte fein. Er legte 
ſich vergnügt ſchlafen, als ic ihm von Minga und dem 
Beinen Beautiful erzäßlt Hatte, mit welcher Rachricht wir 
Concordia morgen erfreuen wollten. 

Ih machte ein großes Feuer hinter ihrem Rüden und 
umſchanzte fie mit einem Sandwalle, damit fie aud im 
Schutz vor dem Winde liege, wenn er ſich wieder erheben 
follte, denn jet rübrte ſich Fein Züfthen. Darauf fehte ich 
mid) auf einen Stein und fhauete bald in die dunkle Fin- 
ſternig hinaus, Die über dem ungeheuern Mtere rubete, bald 
auf die reizende eftalt, die neben mir lag vom Nachtfeuer 
maleriſch beleuchtet. — Ach, dadıte id, mas märe die 
ganze Welt ohne fie, und wie gern trenne ich mid) von der 
Belt, wenn ich mit ihr in der Einſamkeit leben kann! — 
Mein jugendlicher Muth lieg mid nit daran zweifeln, 
daß es uns gut gehen würde. Sie hatte fhlafend die Schöne 
Hand aus dem Mantel herausgeftredt; ich wollte fie audel- 
ten, eine undezwingliche Luft veizte mich aber, die Hand 


Schiffbruch und Rettung. 115 


erft zu Rüffen. Ich ließ mic auf ein Knie nieder, meine 
altternde Lippen nabeten fh ſchon der Hand — da ents 
dedte ih van Leuvens ſchlichten, goldenen Trauring an ih 
rem Finger, und bebte zurüd. — IA kehrte mich um und 
fah nach ihm Hin. — Zuverfichtlich und Freundlich ſchlief 
der ritterliche Niederländer, als ob er fagen wolle: Mein 
treuer Julius wacht, ih verlaſſe mih ganz auf ihn. — Nie 
werde ich diefe Zuverfiht migbrauden, fagte id leife, und 
bededte wieder die fhöne Hand. — Lemelie in der Gerne 
ſchlief unrupig, wälzte ſich oft träumend umher und flug 
wit geballter Fauft in den Sand. Ih hoffte, van Leunen 
würde nicht ſobald aufwachen; id wollte allein wachen und 
fühkte mich doch far vom Schlafe überwaͤltigt. Als ich 
das Feuer gefcärt hatte, fehte ih mid auf den Stein, 
Rügte mich auf ein Stüd Holz und fing ſchon an, mitunter 
einzuniden. Da fand mit einem Male der biedere Geſell 
war und heiter vor mir. — Wie habt Ihr das fo genan 
abpafien Lönnen? frug ich, Ihr lagt im tiefften Schlummer 
wo vor einem Augenblicke. — Hat mir der Kriegsdienft 
and) nichts welter genüßt, antwortete er, fo hat er mid 
wenigftens gelehrt, zu beftimmter Stunde aufzuwachen; und 
id verfeplafe nie die Zeit. Geht bin und ruht jept, lieder 
Abert, Ihr Habt Euch mehr, als wir Andern, geftern an« 
segriften, und feid der Ruhe bedürftiger als ich. 


116 Zroglodptenlehen. 


15. 
DTroglodvtenleben. 





Contordia erwachte ziemlich ſpaͤt. das Fruhſtück wartete 
ihrer ſchon und fie verzehrte es mit vuſt. Ihre jugendliche 
Stärke fhien die Erkältung bald beflegen zu wollen und 
fie fragte ungeduldig, wo ihr Karl Franz wäre? Er kam 
gleich hervor und fügte Inicend und meinend ihre Hand. 
Cie tro@nete feine Thränen mit ihrem Haletuhe und ſprach 
mit fräftiger Stimme: Beine nit, mein theurer Freund, 
ich befinde mich jegt weit beffer, und Gett wird ferner 
helfen. 

Jeßt maren wir alle Drei wieder fo froh, als ob wir 
glüdlih in Ceylon angefommen wären. Ban Leuven wollte 
ihr eben von Minga erzäblen, id bat ihn aber, noch zu 
ſchweigen, damit fie die freudige leberraſchung reiht genieße. 

Nun lief id wieder nad dem Schiffe hinaus, mo ih 
Minga und den Meinen Hund fhlafend fand. Sie wurden 
beide gleich munter. Ich lich Minga fi) mit fo vielen Sa- 
chen belaften, als fie tragen konnte, ich felbft that ein glei. 
bes, und fo gingen wir fort. Es that mir Leid um Beau- 
tiful, aber diesmal mußte er zurüd bleiben, weil wir zu 
bepadt waren, um ihn aud noch zu tragen. Ich ſperrte 
ihn in die Kajute ein, und es betrübte midy recht, das treue 
Thier drinnen heulen und mit der Pfote an der Thüre 
fragen zu hören. 

Concordia wollte ihren Augen nicht "trauen, als fie 
Minga wirderfah. Nun, rief fie, zweifle ich nicht an Got- 


Troglodytenlchen. 17 


tes Hülfe, da er mir dieſe Freundin gereftet und ticder- 
wegeben bat. — Sie umarmten ſich innig. Minga hatte 
Concordia feit ihrer frägeften Kindheit gepflegt, und fo mer 
nig aud die Negerin eigentlich in Bildung fortgerädt war, 
fo hatte dod ihre treue Befinnung und Anhaͤnglichteit fie 
au Concordias Bertrauten gemacht; Ihr begreift alfo, mie 
Schr fie das Wiederfehen derſelben entzäden mußte. Auch 
van Leuven und id umarmten uns und meinten vor Freude 
wie die Weiber. Allein unfer Glück follte noch erhöht wer⸗ 
den. Mitten in der Umarmung bört Concordia von fern 
aus den Wellen eine Schelle erklingen. Bir fhauen Hin: 
D Bunder! der kleine Beautiful,- der eine offene Spalte 
in der Kajüte gefunden haben mußte, wodurd er aus feis 
nem Gefängnife entſchlüpfen konnte, hatte Rh, auf feinen 
feinen Gerudy und fein angebornes Schwimmertalent vers 
trauend, auf den mallen Weg brgeben, um feine Herrſchaft 
auf zuſuchen — Welch Entzüden! Ban Leuven and ic brauche 
sen unfers ganzen Unfegens, um den Meinen Schwimmer, 
voll Sand und Waſſer, der ſich in dem Schooße feiner Her⸗ 
rin erft abfaütteln wollte, fo Lange zurüd au halten, bis 
wir ihn fander abgetrodnet hatten. 

Run erwachte auch Lemelie; ohne fih an unfere Freude 
im fehren, die ihn ärgerte, oder an unferem Frühſtüce 
Zeil zu wehmen, das er verſchmaͤhete, begab er ſich ſelbſt 
heute gerade nach dem BWrade hinaus. 

6 lief voll Entzüden umher, mit dem Hunde auf dem 
Arm; ihn Fonnte ih do ohne Sünde fo viel küſſen und 
bergen, als ich wollte Allein diefer Tag war zu glüclichen 
Enidedungen beftimmt, denn, wie id fo umberlaufe, ftoße 
ich auf einen Sandhaufen, der mir gar zu ordentlich Fänge 
lich gewälbt ausfieht, um vom bloßen Bufalle fo gemacht 


118 Troglodvtenleben. 

au fein. Id ſtampfte seit dem Fuhe darauf und entdedte 
das von Sand überſchüttete, umgewaͤlzte Boot, weraus wir 
in die See geftärzt waren, und das gleichfalls vom Eturme 
hierher getrieben fein mußte. 

Bir zwei Männer und Minga hatten jegt vollauf zu 
thun, das Boot aus dem Sande heraus zu ziebm. Einige 
Bretter lagen in der Nähe, die man leicht mit dem Beile 
zu Rudern machen koute. Bald war die Arbeit fertig und 
wir im Beſiß eines Bootes was uns von größer Wichtige 
teit war; denn nun fonnten wir nicht nur alle Sachen leicht 
von dem Wrade abholen, fondern auch Coucordia nach je- 
nem Belfenufer bringen, welches von unferer Sandbant 
durch ein tiefes Waller getrennt war, wo hindurh man 
nicht waten konnte. Dort fahen wir aber herrliche, trodene 
Hallen in der Klippe ſich Öffnen, theils gegen die Sonne 
nekehrt, theils im Echatten liegend. . 

Bir, brachten die theure Fran gleih an den fichern 
Strand hinüber und wählten ihr eine gute, trodene Grotte, 
mo Sonne und Schatten zugleih zu finden waren. Hier 
biegen wir fie mit den Lebensmitteln zurüd, und ruderten 
hinaus nad) dem Wrade, um alles Mögliche zu reiten, be⸗ 
vor ein neuer Sturm ſich erhöbe und die Brämmer in’s 
offene Meer ſchleuderte. 

Ju der Kajüte lag Lemelie auf dem Zutboden· ohne 
Bewußtſein, Hingeftredt. Wir dachten. der Boſewicht habe 
ſich ſelbſt ermordet oder ein Schlagfluß habe ihn getroffen; er 
batte ſich aber nur betrunken und ſchlief jcht feinen Rauſch 
aus. Wir befümmerten uns nicht weiter, um ihn, hadten 
das Boot voll Proviant und Geräthe, umd fuhren fo dem 
ganzen Tag bin und zuräd, bis wir beinahe alles in der 
Kajüte Befindliche in die Felfenhäbte gebracht hatten. 


Troglodpteniehen. 118 


Bei der fünften Ladung ermunterte Zemelle fih er, 
und machte große Augen, als er die Kajüte leer fand. Er 
fragte, mas das bedeuten folle, ob wir als Seeraͤuber vere 
fahren wollten, und befabl une, ſolche Verwegenbeit ein ⸗ 
auftelen, ſonſt wolle er uns etwas anderes lehren. Herr 
Zemelie, antwortete ib, entweder babt Ihr den Verſtaud 
verloren, oder Euren Rauſch noch nicht ausgefhlafen. Ich 
bitte Euch, bört auf zu brutalifiren! Die Zeiten baden ſich 
leider geändert, Euer Kommando ift zu Ende. Bollt Ihr 
bier auf dem gebrechlichen Wrade umtommen, fo thut «6 
weinetwegen. Wir retten, was noch zu reiten ift. Wollt 
Ihr vernünftig fein, fo werden wir brüderlih mit Euch 
teilen; ‚nur von Seeräubern fpret uns nicht, denn wir 
laſſen ung nicht ſchelten 

Ueber diefe Rede wollte er raſend werden und augen« 
blicclich vom Leder ziehen, van Leuven ließ es aber dazu 
nicht kommen, fondern riß den Großſprechet wie ein Kind 
1 Boden. Hieran ſchien es dem Lemelie blos gefehlt zu 
haben, in wenigen Minuten kam er völlig wieder au Ver⸗ 

- Rande, vertrug fi, dem Scheine nad), recht brüderlich mit 
uns, und legte auch Hand mit an die Arbeit, fo, dag wie 
noch vor der Nat wohlbeladen bei Goncordia in der 
neuen Felſenwohnung anlangten. 

Ich habe ſchon erzählt, dag mehrere Höhlen da waren, 
ſo. da mir unfere Wohnzimmer wählen und tbeifen konn ⸗ 
ten. Die Ebeleute bekamen die beiten und gemählihften, 
weiche tönen Lemelie felbſt aufgeſucht hatte. Minga hatte 
Aids. gleich nebenbei eingerichtet, ich wohnte nicht weit vom 
ihr, und dann fam Lemelies Höhle. Unfere Betten waren 
gerettet; mit trodenem Meergrafe verſtopften wir die Löcher 
augen den Zugwind, und fo Hatten wir es erträglich gut. 


10 Troglodvtenleben. 


Lebensmittel. Vulver Blei und Flinten waren vom Brade 
geholt, und das Wichtigſte, drei Zäfer friſchen Waſſers 
wurden in einer tiefen Tühlen Kluft aufbewahrt. 

So lange wir noch mit dem Netten befdhäftigt waren, 
ermunterte uns ein freudiges Gefühl. Aber, licher Gott. 
als die ganze kleine Habe in der Höhle ftand, da ſant uns 
wieder der Muth, denn eine leichte Berechnung ließ uns 
leicht einfehen, daß uns diefe Wenigteit nur ein Paar Mo- 
Men lang das Leben fümmerlih erhalten Fünne. 

Fleiſch und Brod waren freilich für längere Seit da. 
Mit unfern Flinten konnten wir Bögel (hießen, eine große 
Stildfröte hatten wir fhon auf dem Strande gefunden, 
auch Seekälber waren in der Ferne au fehen, auf welche 
wir Jagd machen onnten. Lemelie war nicht nur cin Let⸗ 
termaul, fondern auch ein trefflicher Koch, der die Leder- 
biffen gut zu bereiten verſtand; und dieſe Arbeit, die-ihn 
in ein näheres Verhältniß zu Concordia brachte, trug viel 
dazu bei, feine Langeweile und üble Laune zu verſcheuchen. 
Bei Tiſche, wo Concordia vorlegte, befam er immer die 
erſte Portion, und wir hüteten uns wohl, einen Biflen in 
den Mund zu fteden, bevor er uns mit einem guten Bei 
fpiele vorangegangen. Dieſe Vorſicht machte ihn nicht im 
mindeften verlegen, er nahm es als eine Höflichkeit, die wir 
ibm, als dem Vornehmften, erwieſen. Demüthigung, Be 

- fhämung und Neue waren gar nicht zu ſpüren. Bir zo⸗ 
‚gen hieraus den Schluß, da diefer Menſch fhon durchaus 
verdorben fein mäfle, und daß er nicht zum erften Male 
ein ſolches Verbrechen begangen habe, weil fein abgeftumpfe 
tesißeriffen gegen Gindräde der Art ſchon: ganz unem ⸗ 
pfindlich zu fein ſchien. 

Ban Leuven war ein guter Iäger und ich fein geich- 


Iroglodyteniehen. 121 


tiger Sauler. der ihm gern wit der Flinte folgte, und 
ſchnelle Fortfchritte machte. So hätten wir demm reiht gut 
eine Seit lang leben und wnfere müßigen Etunden damit 
zubringen Fönnen, nach vorbeifegelnden Schiffen zu fehen, 
wäre nur Waffer dageweſen. Was mollten aber ein Paar 
Säffer verihlagen? Und welch ein gräßliher Gedanke, auf 
den trodenen Steinen zu verdurfien! Bir liefen fo weit 
number, als wir konnten, nirgends aber war die Spur einer 
. Duelle zu ſehen. 

Wir bofften, noch ein Faß Waller auf dem Wracke zu 
entdeden, und wollten den nächften Morgen danach binans- 
fahren, denn follten aud) einige Tonnen mit Seewaſſer vere 
mifcht fein, fo war das ja doch befler, als gar feine. Im 
ver Nacht erhob fih aber der Sturm aufs neue, und da 
Eonnten wir Gott danten, daß wir ziemlich bod hinauf im 
Felſen wohnten, und alles auf dem Trocenen hatten, denn 
die Sandbant und der flahe Strand unten am Felſen 
murden ganz vom Meere überihwemmt. Gegen Morgen 
legte ſich freili der Sturm, als wir aber nad) dem Wrade 
hinausſahen, waren die Ießten Trümmer verſchwunden. Nur 
etwas Schwarzes ragte noch aus den Wellen, da, wo das 
Schiff geſcheitert war. 

Die Hoffnung greift nach einem Grashalm. um ſich 
zu retten. Ban Leuven und ich ſchifften hurtig binaus, 
um zu ſehen, was das Schwarze ſei. Unfere Phantaſſe 
bildete ſich ſchon ein großes Faß fügen Waflers daraus, fo 
trefflich verſchloſſen und verpicht, daß es fid mitten im Salze 
meere unbefjädigt erhalten habe. 

+ Ms wir hinaus Tamen, war es das Schiffsanter aufe 
recht im Sande ſtehend, und die eingegrabenen daͤniſchen 
Borte: „Mads Hanfen i Kiöbenhann“ vagten über 


122 Troglodytenlehen. 


die Bellen, die fle lieblich mit leichtem Schaume befvükten. 
Herrn van Leuven marbte diefe Eutdecung ſeht beträbt; 
denn er hatte gehofft, voeninftens etwas zu finden, was man 
mitnehmen könnte. Ich aber rief: Glüd auf, mein Herr 
van Leuven! Das if ja die Hoffnung felder. Grinnert Ihe 
Euch nicht der ſchͤnen Nede, die uns Map Hanfen beim 
Abſchiede hielt, und des väterliden Segens, den er feinem 
Anter mitgab. Mir wird bei Diefem Wahrzeichen ganz lu⸗ 
fig zu Muthe, ale ob ih mit unferm madern Wirte wies 
der eine Flaſche guten Rheinweines getrunten hätte. Hofe 
fen, lieber Herr, boffen mug man, bis das Herz bricht. 
Bir wollen gfeih eine weitere Fahrt um die Alippe ver 
ſuchen. Zu Lande verbieten ung zwei in’s Meer weit bin. 
ausfpringende ſchroffe Selfenpfeiler, an der Küfte berum zu 
wandern. Nudern fönnen wir aber, und vielleicht entdeden 
wir in einer entfernten Bucht die viel gewünſchte Duelle. 

Bir nahmen uns nun vor, recht weit zu rudern, kaun 
waren wir aber dem Bafalt- Pfeiler vorbei, fo Lamen wir 
plögfich in eine Art von Mabiftrom, von zwei gegen einan- 
der ſtehenden Felſen gebildet, welche wie lange Pyramiden, 
vhngefahr vom Auefehen wie die fogenannten Maidens bei 
der ſchottiſchen Infel Sky, aufrecht abgetrennt im Waſſer 
ſtanden. Vergeblich ſtrengten wir uns an, unfer Boot zu 
reiten. Das Nuder zerbrach in meiner Hand. Jetzt war 
nichts weiter für uns zu thun, als ins Waſſer zu ſpringen 
zurück zu ſchwimmen und das Boot indeß in den Strudel 
gleiten zu laſſen 

Mit genauer Noth refteten wir auf diefe Art das Le⸗ 
ben; das Boot aber, unfere einzige Hoffnung. hatten wir 
eingebüßt. Concordia dankte Gott, dag wir noch der Ge⸗ 
fahr entzonnen waren; Lemelie tobte nad fluchte, und machte 


Zrogiodytenleden. 123 


uns bittere Vorwürfe, daß wir, als zwel Zondrapen, die 
mit einem Fahrzeuge nicht umzugehen wäßten, ohne fein 
Wiſſen und feine Leitung Die Sabre unternommen hätten. 
Bir fühlten, dag er diesmal Recht hatte und ſchwiegen. 

Ich ging in meine Höhle, Meidete mich um. aß tüchtig 
auf die Bewegung, ſchlief glei Darauf ein, und als ih 
erwachte, baite mid) die Hoffnung nod nicht verlaffen. Id) 
vertraute auf Gottes Barmherzigkeit; die alte Luft, die ich 
lange nicht in mir gefpürt, Verfe zu machen, erwachte auf's 
neue, und fo ſchrieb id denn, um mic felbft und meine 
Freunde zu tröften, folgendes Lied: 


Du Heiliger Ouen 

Eo freudenheit; 

Du frifcher Geiſt des Lebens. 

ach, ſchmachten wir 

Vieleicht nach dir 

An diefem Etrand vergebens: 
Conft liebteſt du die Alippe ia, 
Und auf dem Felfenftiege 

Bart du als kieines Kind ſchon da, 
Da fand man deine Wiege. 


Bas Hüft dad Meer 

&o tief und dehr 

Mit feinen breiten Bellen? 

Gin Trwggefict! 

3 reist uns nice 

Den füßen Tranf der Ouellen. 
Mix. fchmachten in bem Weberflaß, 
Eos weiten haut und Barden; 


1% Trogiedysenleben. 


@ir mälen fo wie Tantalus 
Den Becher ſehn — und darben! 


Dem Bafer nah, 

Kein Waller da, 

Zu Riten unfer Schmachten. 

Wie trodner Eand 

Im wuͤſten Land 

Die Fluten mar zu achten. 

Doc) in der Wuſte Ouellen oft 
Der matte Püger findet; 

Wir finden auch! Die Seele hofft, 
Wis gan) Das Beben ſchwindei. 


Ms Mofes mit dem Stabe ſchlug 
Im trocknen Felſenthale. 

Da frang dad aher reichlich guus 
Mit- breitem Gilberfrale, 

Die Hofrnung fchlägt, 

Das Hera bewegt, 

Und Muth wir alle fallen; 

Die Zuverficht 

Berläßt und nicht: 

Gott wird uns nicht verlafien! 


Ich hatte das Lied zu einer Kirdenmelodie verfaßt, es 

. Fand allgemeinen Beifal; ſeldſt Lemelie, der es fih von 
Concordia Überfegen Heß, mochte es leiden, nicht, als ob er 
etwas Frommes oder Erbaulides dabei gefühlt hätte, der 
Inpalt unterhielt ihn aber» weil ihn auch mac der Duelle 


Iroglodyteniehen. ' 125 


verlangte. Sein kalter Beift fand den Gegenſatz von Meei- 
waſſer in Ueberflug und Mangel an fügem Bafler artig, 
als Sranzefe hatte er ein wenig Achtung für die Dichttunſt 
gelernt, und ich merkte wobL dag er von heute an den Ton 
gegen mid änderte. 


Concordia, van Leuven und id fangen jeden Abend 
dies und andere geiftfiche Lieder dreiftimmig, und es Mang 
recht fhön in der großen Felſenwoͤlbung, während die 
Sonne in’s Meer tauchte. Einmal murden wir aber von 
einem gräßlichen Geſchrei mitten in unferer Andacht geftört. 
Es kam von Minga’s Höhle. Bir liefen hin und trafen 
Lemelie vor Wuth zitternd, mit einem blinfenden Meſſer in 
der Hand, und die Negerin, immer noch (dreiend, in einen 
Bintel hingefluͤchtet. Bir glaubten erft ale, er habe fie 
morden wollen, entdedten aber bald, daß es auf den klei⸗ 
nen Beautiful gemünzt war, den fie auf dem Arme trug. 
— Barum, frug van Leuven, wollt Ihr das arme unfhul- 
dige Thier ermorden? — Bas unfhuldig? rief er rafend; 
verfluchtes Vieh, das uns das wenige noch Uebrige auffrißt 
und trinft, Sollen Menfhen eher als eine ſolche Beſtie 
umfommen? Sol es unfer farges Mahl, womit wir er» 
bärmlid das Leben friſten. noch fhmälern? 

Concordia warf ſich ihm zu Fügen und beſchwur ihm 
mit Thränen, ihren Meinen Liebling zu ſchonen. Das rührte 
ihn etwas; er bat fie höflich, wieder aufzuftchen, drüdte ihr 
die Hand und fagte: Für Euch, Madame, opfere ich Allee, 
ſelbſt mein Leben. 

So war denn der Friede wieder hergeſtelt. Als wir 
mit Minga darüber ſprachen. ſagte fie: Wäre der Hund 
gefräßig, wollt ich mie «6 noch gefallen laflen; er frißt 


126 " Zrögloditenieben. 


aber wenig umd trinkt noch weniger. Seht einmal, den 
Zopf mit Waſſer hat er ja beute kaum angerähtt. 

Nicht angerührt? miederholte.ih, und ein Hoffaungs · 
ſtrahl durddrang mir die Seele. Ih ſchwieg aber, um 
Alles erft ſelbſt zu unterfuhen. Am folgenden Morgen 
fand id) früh auf, der Mleine Beaufiful, der bei mir ger 
ſchlafen hatte, und den id) laufen ließ, verlor ſich gleih in 
die Zelfenklüfte. Nach einer halben Stunde kam er wie 
der, ledte Sc) um’s Maul, und im Barte hingen ihm noch 
tlare Waſſertropfen. — Ich fhmedte daran. O Himmel! 
es war frifches, füges Waller. Noch ſchwieg id) und nahm 
mir vor, dem Hunde das naͤchſte Mal auf feiner Bandes 
rung zu folgen. Es mar aber unmöglich, ex enti&lünfte 
mir, und id konnte feine Spur nicht finden, Nun fülte 
id ein Sädhen mit weißen Sande, machte ein Lod daran 
und band cs dem Hunde das nächfte Mal auf den Rüden, 
fo, daß er im Laufen immer cin wenig daraus verkierem 
mußte. Auf diefe Art zeigte mir ein weißer Streifen den 
Beg über nadtes ſchwärzliches Gehein, Moos und Dornen, 
durch meirere Schlupfwinfel, und ich war feine Viertel 
meile gegangen, fo hörte ic) ein ſtarkes Brauſen, und.ent- 
defte, als ich auf einem ziemlihen Umwege dem ſchroffen 
Meerpfeiler vorbei gefommen war und wicder hinunter 
nach dem Stande flieg, einen großen Wafferfall, der ſich 
aus der weiten Definung des Berges in’s Meer ergoß. 
Da ftand der Meine Beautiful und frank mit dem Sat 
auf dem Nüden, woraus er aber das Meiſte verſchüttet 
batte Ic; befreite ihn glei von feiner Bürde und fhönfte 
Waſſer mit der bohlen Hand. Es mer Flar wie Kryſtall 
und konnte nicht befer fein. 

Euch mein Gefühl in dieſem Augenblide zu Fildern, 


Iroglodyteniehen. 127 


in ummöglich. I eilte zuräd umd begegnete Lemelie, der 
verdrießlich und niedergeſchlagen ausfah. Gr wunderte ſich 
über mein ‚frohes Geſicht. Hat Concordia Eud wieder eine 
englifhe Stunde gegeben? frug er fpöttifh. — Herr Le⸗ 
melie, antwortete ich, ich wil Euch eben fo vergnügt ma- 
Gen, ‚wenn Ihr mir erlaubt, Euch Baumwolle in die De 
ten zu ftopfen, und ein Tuch um die Augen zu binden. Er 
bedachte ſich ein wenig, meil er aber an meiner arglofen 
Freude wohl merkte, dag mir etwas Angenehmes begegnet 
* das ich ibm mittheilen wollte, lich er ſich die Bedingung 
gefallen. 


So führte ich ihn zu dem Waſſerfall und ließ ihm wer 
der hören noch feben, bis wir gerade vor der herrlichen fau- 
fenden Fluth fianden, von ‚grünen Eträuhern und Felſen ⸗ 
blumen umringt, Wie beſchreide ich Euch fein Geſicht, als 
er den Waſſerfal ſah und branfen hörte? Es giebt Augen· 
biide, wo felbft das kaͤlteſte Herz des verruchteſten Sünders 
von Gottes Güte, Almaht and Schönheit gerührt werben 
auf. Seine Geſichtsmuskeln verzogen ſich frampfhaft, denn 
es koſtete fie eine große Anftrengung. die gewöhnlichen höh- 
niſchen Spottfahten, die hämiſche Tüde daraus zu verjagen, 
und demütbig, danfbar und beglüdt auszufehen. Das ge 
lang nun freilich nicht; das Ganze mard dod) nur eine wie 
drige Fraße, rührte mid) aber dennoch, weil id) die Möge 
lichkeit zur Beſſerung daran ertennen konnte. 


Echt einmal, Herr Lemelie, rief ich, dieſe Quelle hat 
der Meine Hund entdedt, den Ihr vorgeftern morden wolle 
tet, meil er einige Tropfen Waffer in feinen Topf befam. 
Bäre es geſcheben, fo hätten wir alle bald auf dem trot⸗ 
tenen Felfen verſchmachten müſſen. Seid Limftig nicht mehr 


128 Troglodvtenleben. 


fo grauſam, und baßt und verfolgt nicht unſchuldige Ber 
ſchopfe, die Euch nichts zu Leide thun. 

Ihr habt Recht, Herr Albert, antwortete er fanft und 
bedenklich... indem er den Hund, der und zur Duelle gefolgt 
mar, ſtreichelte; wahrlich, das iſt eine edle Art, ſich zu raͤ⸗ 
en. Ihr fammelt mir alle glühende Kohlen aufs Hanpt. 
Ich babe es nicht verdient. Man bat mir fonft gefagt: 
ein einziger fündhafter Menſch auf einem Schiffe finne die 
ganze Mannfhaft in's Berderben fürzen; bier gcht es um ⸗ 
gekehrt: der Himmel rettet ‚einen Sünder, tugendbafter Men ⸗ 
ſchen Willen. Iept wollen wir uns auch recht brũderlich 
lich vertragen. 

Es freute mid) febr, ihn fo ſprechen zu hören. Con 
cordia, van Leuven und Minga theiten unfer Entzäden, 
als wir fie nach dem Waſſerfalle braten. Als Lemelie 
vorangegangen war, erzählte ich ihmen aud feine Reue und 
wie er gefprocden habe. — Bei'm lebendigen Gotte, rief 
der biedere van Leuven, dieſe Nachricht Klingt mir eben fo 
llieblich und tröftend in's Ohr, als das Rauſchen der neu. 
entdedten Quelle! 


Gebe der Himmel, feufzte Concordia, dag diefe Gefin- 
nung eben fo dauerhaft fei. Aber leider! Auch auf dem 
nadten Sande kann wohl das Heidefraut mitunter ſpärlich 
gedeihen. Es blüht ein Meiner Fled, und ficht recht reizend 
und grün aus, als wäre es friiher Wieſengrund. Der lot⸗ 
kere Sand liegt aber Iofe darunter. Beim nädften Wind» 
ftoge reißen ſich die ſchwachen Wurzeln los, und der Sand 
wirbelt wieder abſcheulich in die Luft, und verdunfelt den 
Himmel, Auch das Krokodil weint im Schilfe, wie ein 
unſchuldiges Kind, wenn es Menſchen verſchlingen will. — 








Zroglodotenle ben. 128 


Veſenders bat fie iären Gemapl, Ach vor dem falſchen grau 
famen Menfcyen in Acht zu nehmen. 


Liebes Kind. ſprach van Zeuven, fle heiter tröftend, wir 
Holländer find ein ruhig aufmerffames Volk, und laffen uns 
nicht fo leicht hintergehen. Haben wir doch täglich mit ei⸗ 
nem meit fürdhterliceren Ungeheuer zu fämbfen, das uns 
an verfhlingen droht, das gewaltige Meer, und doc leben 
wir glädlih hinter unfern Deihen, laſſen uns niht aus der 
Safung dringen, und feine Furcht ſtort unfern ftillen Ge⸗ 
mug. Hier forudelt die Lebensquelle wieder friſch und er- 
auidti. fo wollen wir denn auf Gottes Gnade bauen, 
and nicht blog Migtrauen und Furcht aus diefem fhönen 
Hoffnungsbecher ſchlurfen. 


Nun waren wir im Veſiß der wichtigſten Lebensbedürf · 
aiſſe. Der Fels vertheidigte uns, wenn das Meer withete, 
hinter feinen Bänden fanden wir Schatten gegen die drüß- 
lende Mittagshipe, obſchon wir nicht die Freude hatten, une 
unter einem fühlen, grünen Baume zu erquiden, denn nice, 
als früppliches Geftrüpp wuchs umber in den Rißen. Nur 
um die Quelle blühte etwas Gras und einige Blumm. 
Bir nannten diefen Ort Concordias arten, und ich hanete 
Cige in den Stein, damit wir die Morgen» und Abend» 
Runden da zubringen konnten. Auch zichteten wir eine Küche 
in der Nähe ein, um gleih Waſſer zu haben. SZmichad 
und geräucertes Fteifh hatten wir nod für ein Viertele 
habt, Sipiegpulver und Biet für ein ganzes Jaht. und das 
mit wir auch nachher unfere Nahrung finden könnten, hatte 
die Vorſehnug uns nod einen fhönen Bogen und Pfeile 
in der Kajüte finden laffen, womit fi van Zeuven zum 
Vergwügen vor feiner Abreife geübt hatte, Dean weil er 

Deplenf. Echeiften. XVII. 


130° Troslodvtenleben. 


ſonſt ein guter Schüte war, wollte cr auch Ten Ceylonern 
zeigen, daß er mit ihrer Waffe umzugehen wille. 

Diefen Bogen bewahrten wir, als unfer koſtbarſtes 
Kleinod; ih nannte ihn Philoktets Bogen,.und fühlte nun 
erft die Schönheit der fophokleifhen Tragödie, wo ſich die 
Handlung einfach fhön um einen ſolchen Bogen dreht, der 
des Verlaſſenen einziger Troft ift, den ihm dennod) feine grau. 
famen Landsleute aus Eigennug rauben wollen, ohne ſich 
um feine Leiden zu befümmern, bis die Vorſehung es fo 
fügt, daß der, Unglückliche ihrem Verlangen nad) diefem Bas 
gen eben feine Rettung verdankt, indem die Gefährten. die 
nur Raubſucht in feine Nähe gebracht Hatte, zum Mitleide 
gegen ihn bewegt werden. . 

Uebrigens war unfer Zuftand doch böchſt elend. Soll⸗ 
ten wir fo, als Troglodyten, auf dem nadten Steine in 
dunteln Höhlen unfer ganzes Leben zubringen? Waſſer hate 
ten wir freilich genug; follten wir aber nie mehr die müts 
terliche Erde betreten, aus deren fruchtbarem Scootze der 
Sen mit lieblichen Farben enmor blüht, der Herbft mit 
goldenen Früchten iprangt? Ja, noch eine größere Furcht 
drohete und in der Ferne; noch ein zweites Element drohte 
uns zu verlaflen! Der Zune des Lebens, die Erheiterin 
und Hervorruferin der Schöpfung. das beilige Feuer. 
Denn Bretter und Planken lagen freilih vollauf umher 

nad) dem Schiffbruche. Wie lange konnte aber das dauern? 
Umd Holz wuchs auf dieſem Feiſen nicht. Das wenige Ge⸗ 
ſtraͤuch mochte nur wenig verſchlagen; unfere einzige Hoff« 
nung gründete ſich noch auf das Meergras, ob wir das 
vieleicht trodnen Könnten, um unfer Eſſen dabei zu kochen. 

Für Concordias Schönheit that es mir im Herzen am 

leideſten. Sol diefe zarte Blume, dachte id, in Nebel, 


Troglodytenleben. 131 


Regen, Hiße und beigendem Seewinde zufammen ſchrum⸗ 
vfen und verwelten? Sol die zarte reizende Lady bald mie 
ein armfeliges holländifdhes Fiſcherweib ausfehen? — 

Noch war nichts verloren; mir hatten alle Kleider ge⸗ 
nug, und gingen fo einher, wie wohlhabende Bürger auf 
den flamländifden Bildern. Minga war eine fleifige Bä- 
ſcherin. Gin großer breitfchattiger Sonnenhut, den Con⸗ 
cordia mitgenommen hatte, fam ihr jeßt fehr zu Statten. 
Und etwas darf. ich nicht verfihweigen: wir hatten ein gro⸗ 
Bes Paket dänifcher Handfhuhe aus Kopenhagen mitgenom- 
men; das war auch gerettet. So ftand zu Hoffen, daß we⸗ 
der Kälte, Regen noch Sonnenſchein das Alabaſterwerk ih- 
ter fhönen Hände vernichten würde, 

Ic) ſelbſt ſoll mich, als vier und zwanzigjäpriger. Jüng⸗ 
ling, mit den walleaden braunen Loden, mit dem ſchwar⸗ 
gem Sederhute, der furzen Jade, der Jagdtaſche auf dem 
Nüden, der Flinte auf der Ahfel, am Selfenfteige nicht übel 
ausgenommen haben. Zu meinem fanguinifhen Blute machte 
van Zeuvens männlich, ruhiges, tieffinniges, etwas bleiches 
Geſicht einen guten Gegenfap. Und um dem Bilde auch 
feinen Schatten zu geben, fo ſtach Lemelle wieder zu uns 
recht poetiſch ab, mit dem liſtigen hämifhen Antlipe, und 
den Eraufen blonden Locken. worauf er fehr ftolz that, weil 
fie feinen alten franzöfifhen Adel beweiſen ſollten. Freilich 
mar der Scheitel ſchon ziemlih fahl; die breite Stirn nur 
von wenig Haaren bededt, der rothe Bart aber war ftart, 
und verbärg das gar zu foipige Kinn. Nafe, Mund und 
Augen hätte man ſchoͤn nennen Lönnen, wenn ein befferer 
Ausdrud das Geſicht belebt bätte. Ein grauer aufgekrem- 
velter Hut mit hochtother Feder faß ihm immer fhräg am 
Kopfe; und fo ſah er einem vermummten Teufel zit unähn- 


132 Neue Entdedungen. 


lich. Misga und der Fleine Beautiful, ſchwarz und weiß, 
vollendeten das Bild; beide freu, gefund, wad und immer 
‚in Bewegung; neigte die ſtumpfe Neger-Natur in ihr ſich 
zum Thieriſchen, fo ließ der gefühlvolle Blid des Hundes 
etwas Menſchliches ahnen. Diefe Verwandſchaft fühlend 
waren fie unzertrennlid. 

Hätte num ein guter Maler diefes unfer ganzes Perfo- 
nal auf der Klippe gefehen, um den berrlihen Baflerfall 
gelagert. beiss Sonnenuntergang, oder während die blaſſe 
Sichel deg Mondes über dena Felſen ſchwebte, und das Rüden» 
feuer Binten dunkelroth aus der Spalte deffelben hervor Io 
derte; hätte er zugleich. ein Paar fledige Schildkröten dort 
binauf riechen, ein Seekalb den Kopf aus den Wellen er 
heben laſſen. da wo die fenkrehten Bafaltpfeiler fi im 
Waſſer fpiegeltem, hätte er noch die Zuft mit einigen See 
wögeln bevölkert, fo würde das wahrlich kein ſchlechtes Bild 
gegeben haben. 


16. 
- Neue Entdelungen. 





Im Klettern war mir Niemand überlegen. Als ich nun 
merkte, daß ſich oben auf der Zelienfripe andre Gattungen 
Bögel hören und fehen Kießem,. fuchte ich dur allerhand 
Ummege immer höher zu fteigen, bis id) den hoͤchſten Gipfel 
erreicht hatte. Wie wurden nun meine Einnen von dem 
größten Bergnügen der Belt erfüllt! denn es fiel mit, durch 


Neue Entdedungen. 133 


einen einzigen BÜR die anmuthige Gegend diefer Telfen- 
Infel in die Augen, welde ringsum mit dergleichen ſtarken 
Pfeilern und Mauern umgeben und verborgen war. 

Eine ganze Stunde ſtand id) vol Entzüden, denn der 
Gegenfap meines bisherigen Aufenthaltes, und des jehigen 
tonnte nicht ftärter fein. Dort naffe, rauhe Seeluft, ſchrofft 
nalte Selfenwände, das Ade, flache, oder ſchaumbedeckte, brau⸗ 
fende Meer, Sandbänfe, Meergras, Scildfröten umd hei- 
ferfhreiende Waffervögel, düftere Bergflüfte; alles nur von 
Morgen- und Abendroth und Mondſchein einförmig oder 
geſpenſtermaßig beleuchtet. Hier füger Frühlingsduft. Bin 
men, Wälder, Bädlein, Singvögel in den Zweigen, Hirſche 
Rehe, Affen und Ziegen im Thale; die mehr verwundert 
als bang, fid nicht weit entfernten, um über den vicheicht 
nie gehabten Wunderanblick eines Menſchen zu ſtaunen. Ih 
fab mehrere Arten Geflügels, das unfern Nebhühnern glich 
gab unter fie Feuer, und fünf blieben auf dem Plage lies 
gen. Nah dem Squſſe, der oft in den Bergen wieder» 
Halte, ſtußten alle lebendigen Gefhöpfe gewaltig. gingen 
und flohen, jedoch bedachtſam, fort, und verbargen ſich in 
den Bald. Faſt that er mir leid, dag mich der Knall die 
fer angenehmen Gefellfhaft beraubt hatte. 

Ich ftreifte weiter umder, um auch Menſchen zu finden, 
fand aber feine Spur davon; und — foll ich die Wahrheit 
bekennen? ih kann nicht fagen, dag mir viel daran gelegen 
war. Es mar jet zu ſpaͤt, über den Felſen zu meiner Ger 
ſellſchaft zurädzutchren. IA blieb alfo im Innern der In⸗ 
fel; und verzehrte mein mitgenommenes Abendbrod. Schöne 
rothe Beeren, unfern Morellen glei, hingen auf den 
Bäumen; und Iodten mid mit ihren ſchwellenden Kugel, 
ich wagte fie aber nicht zu koſten, weil ich fie noch nicht 


134 Neue Entdedungen. 


Tannte, und begnügte mic, aus dem Baͤchlein meinen Durft 
au loſchen; dann ftieg ich auf einen Baum, und ſchlief dort 
die Nacht. Ich, der gewohnt war, nur das Meer braufen 
zu bören, wurde diesmal von dem Iufigen Bogelgefang 
früh erwect. Ih fhlug die Augen auf; das Gras war 
mit Thaudiamanten überftreut. Das braune Bild erſchien 
und verfhwand hinter den Bäumen. Bunte Papageien und 
Goldfafane. yüpften in den Zweigen. In den oberften 
Baummipfeln zürnten kalikutiſche Hähne, breiteten ihre Fächer 
trogig aus, und wurden roth und blau vor Aerger, weil ſich 
die Morgenfonne unterftand, ihnen in die Augen zu bfin- 
ken. Naͤrriſche Affen krochen umber in der Näbe, und ber 
gudten mid neugierig. Sie mußten nicht, ob fie mid) zu 
ihrem Geſchlecht reinen follten oder nicht. Ein fhöner klei⸗ 
ner Vogel tam mir fo nahe, daß ich meinen Hut über-ihn 
werfen, und ihn lebendig fangen konnte. Ic ftekte den Bo- 
gel in meine Jagdtaſche, und weil das hohe Gras doch noch 
au naß war, ſchnitt ich einige Zweige von einem nahen 
Baume, der mit einer Weide große Achnlichkeit hatte, und 
flocht in aller Eile einen runden Käfig für meinen Vogel, 
den ih Goncordien bringen wollte. Drauf begab id, mid 
wieder auf den Weg, um meine Gefährten nach dieſem Ca— 
naan zu führen. Das erſtaunlich reihe Farbenſpiel auf den 
Schmetterlingsflügeln, Blumenblättern und Bogelfedern, das 
ich nie fo in Europa gefehen hatte, entzüdte mid außeror- 
dentlih. Noch war es mir nice eingefallen, mid) vor den 
möglichen Uebeln zu fürdten. Ploͤtlich fuhr der Gedanke 
mir wie ein Blig durch den Kopf: Wenn nun der Bald 
voll reigender Thiere, das Gras voll tödtender Schlangen. 
die Erde voll Giftpflanzen wäre? Meine gereiste Phantafie 
lließ mich ſchon alles deutlich fehen. Ich glaubte ein Lötwen- 


Reue Entdedungen. \ 185 


baupt mit ungeheurer Maͤhne ſchaue ſchon dort hinter dem 
Baum hervor; dier troch eine fhuppige Sthlange, mit der 
gräßlihen Brile an dem gefhwollenen Halfe. Das Löwen« 
banpt war aber nur ein Baumfnoten in der Rinde, die 
Schlange ein heruntergefallener trodner Zweig, mit gelbem 
Moofe- . . 

Plotzlich entdede ich Scherben eines zerbrochenen Topfes 
aus der Erde halb hervorragend. Dieſes Merkmal eines 
Menfchendaſeins richtete mic wieder auf. Alſo konnen doch 
Menſchen bier leben und hauſen, dachte ih. Aber licher 
Himmel, wenn nun das Kannibalen find,, die di) greifen, 
f&ladıten, braten und verzehren? Es lief mir eistalt über 
den Rüden, ih verwüuſchte meine Neugierde, und wuͤnſchte 
mid) wieder in die fteinerne Höhle zu Concordia und van 
Leuven zuräd, wo wir nur gegen ein reigendes Thier, eine 
Giftblume. eine Brillenfhlange und einen Kannibalen 
uns zu wehren hatten. 

Im diefe Gedanken vertieft, gerieth-ich auf einen ſchma⸗ 
len, wie es fdien, einft durch das Gehölz gehauenen Weg, 
der in eine Sommerlaube führfe. Sie war freilich jegt 
ganz verwachfen, fhien aber doc ein Bert von Menfchen- 
band zu fein, das fah ih an den geraden, in einer Linie 
abgefägten Baumftämmen, die wieder hoch emporgefchoffen 
waren. Diedurd war das Dach dichter geworden, und die 

genaue Zufammenfügung der Zweige ließ aud vermus- 
then, dag nicht alles Natur und bloßer Zufall fei. Das 
Laubdach war fo did; dag kein Baffertropfen durchdringen 
konnte. 

In der Nähe diefer Laube Fand id deutlih Spuren 
eines längft verfallenen Gartens, wo nod ale Obftbäume 
in Reiben landen. Menſchen und Wohnungen gelang es 


1% Neue Entdedungen. 


Wir aber nicht zu entdeden. Doc chen dieſe Entdekung 
war mir die liebte. Ich ſah deutlich, daß hier einft Ein 
fiedler geringer Zahl gelebt, die längft geforben fein muß- 
ten. Alſo gehörte diefe Imfel uns; und wir hatten wor 
reigenden Thieren nichts au fürchten, denn die Ueberreſte 
zeigten ja, dag einzelne Menſchen hier lange Zeit nugeRärt 
ihre Virtbſchaft getrieben hatten, . 

Nun eilte ich wieder nad dem Felſen zurüd, und fchoß 
noch ein junges Reh auf dem Bege, das ih mitfhlepnte. 
Den Rüdweg fand ich leicht und fiher, denn ic hatte bei 
ieder Ede ein Zeichen gemacht; das mir in diefem Labprin- 
the flatt des Fadens der Ariadne diente. Mein junges 
Neb ward ziemlich beftaubt, weil ic es nach ichleppte die 
Nebbüpner hingen mir in einem Bunde auf dem Rüden, 
der Bogelläfig auf der Bruſt, die Flinte diente mir zum 
Banderftabe, und mein Hut fropte von Blumen und frie 
ſchem Laube. 

IA) wunderte mid; über meine eigue Dreifigteit, als 
id, wie ein Steinbod, über die Abgründe fprang, und ohne 
Grauen die fieilen Wände Hiunterfletterte. 

Ir Hinunterfleigen merkte id mir eine gefährliche 
Kluft. Hier muß eine kleine Brüde für Concordia geſchia 
gen werden, fagte ih. Ich zittert, wenn ih an die Gefahr 
Dacte, der fie fi ausfegen Könnte; mein Troſt war aber: 
Gs ift leichter hinauf» als hinunterklettern. 

Den erften, den ih in den untern Regionen traf, war 
van Leuven. Er faß ziemlich hoch auf einem Felfenblode, 
den Kopf auf die Hand, den Arm auf's Knie geſtützt, und 
ich hörte ihn ſagen: Mein guter, frommer Albert Julius! 
So haben wir did denn auch verloren? Herrlicher lebens 
Iuftiger Junge! voll Buverficht und Hoffnung, mit dir ift 


_ Rene Entvedungen. 137 


Glack von uns gewchen, und die Some dringt nicht . 


das 
mehr im unfere däftre Eteinpähle.— Herr van Leuvenl rief 
ich Frog gerähtt, graͤmt Euch wicht. Da habt Ihr den Ar 


bert Julius wieder. Und feht mal den (dömen Vogel! Der 


bringt wie Noabs Taube ein Delblatt mit im Munde. Seht 
ar auch das frifhe Laub, die Blumen auf meinem Hute? 
Die Rebhäpwer und das Reb? 

Er wollte feinen eigenen Augen nit trauen, und das 
hochſte GEntzüden verdrängte den tiefflen Schmerz, — Ah, 
zief er, fo können wir nun doch noch den Geburtstag mei⸗ 
ner Goncordia mit Freude feiern? IA glaubte, es würde 
nur ein Schmerzenstag für uns fein. Ih habe Euch verger 
bens geſucht, bin weit höher hinauf geweſen, und wäre gern 
noch weiter geſtiegen; allein der Gedanke, auch, wie Ihr 
vermuthlic, in den Abgrund zu ftärzen, und das arme Weib 
mit dem abſcheulichen Boſewicht allein zu laſſen, hielt mid 
zurück 

Tor Geburtetagl rief ih — und eine freudige Röthe 
überflog mein Geficht. — Sie vollendet beute ihr neumehn⸗ 
tes Jahr, antwortete er. Ach, ich habe ipr fein. Geſchent 
machen Fünnen; niht einmal meine zärtlihe Aufmerkfamteit 
Bonnte id ihr widmen, denn meine Gedanken waren bei 
Euch, lieber Freund, auf dem Felſen. — Lemelie dagegen 
iſt recht aufgeräumt. Gr fheint fih Euren Verluſt gar 
nicht nahe gehen zu laflen. Er möchte uns woßl gern Beide 
zum Iegtenmal geichen haben. Ein Paar hübſche Angelrur 
then bat er gefhnitten, und Goncordien die eine geſchentt. 
Jept ſihen fie drunten und filhen. Der Elende! Mit vere 
führerifpen Reden liegt er immer der unfhuldigen Secle im 
Dr. Bas follen wir aber thun? Das Schicſal hat uns 
nun einmal im engen Kreife zmit ihm zuſammengebracht 


138 Neue Entdedungen. 


Durch Strenge und Milde zugleich müflen wir feine Bos- 
beit zähmen und. bändigen. Die treue Minga verläßt Con- 
cordien mie, wenn er bei ihr iſt, und er fürchtet ſich mehr 
vor diefer gutherzigen Schwarzen, als vor dem Teufel; 
denn er weiß, fie verfteht feinen Spaß, und wenn er fih 
die Aleinfte Unverfhämtheit gegen die Hertſchaft erlaubte, 
mürde fie ihn, gleich wie der Iagdhund den wilden Eder, 
an der Keble faflen, ohne ſich an feine Hauzähne zu kehren. 

Ban Leuven folgte mir in meine Höhle, wo ich erft 
ein Lied auf Concordiens Geburtstag dichtete, das ihn febr 
erfreute. Ich glaube, fie hat auch Etwas heute über Euch 
gemacht, ſagte er, denn fie ift ganz untröſtlich, bat lange 
in ihrer Höhle geleffen und geſchrieben. Sie hat es aber. 
wieder entzweigeriffen, ohne es. Jemanden zu zeigen, und 
vor Betrübnig ſich faR die Augen ausgemeint. 

Wie wohl that mir dieſe Nacricht Ich flocht das Laub 
und die Blumen in einen Kranz, und lief hinunter nad 
dem Strande, die fhöne Fiſcherin zu tröften, uud ihren Hut . 
mit dem Kranze zu (hmüden. Den Vogel im Käfig hatte 
id) mitgenommen. . B 

Lemelie ſaß verdroffen ziemlich weit von ihr entfernt, 
und ſchien mit gerunzelter Stirn fehr aufmerkfam feine An⸗ 
gelruthe im Waſſer zu betrachten. Minga ſah ihn höhniſch 
an, mit den Händen in die Seiten geftemmt, und warf mit« 
unter bedeutende Blicke auf Goncordia, die betrübt in tiefen 
Gedanfen da faß, die Hände im Schooß, und mit leifer 
Stimme fang: 

ö „Reine Blum, keine Blunfüß 
@ei geſtreut auf den ſchwaͤrzlichen Sarg 
Keine Seel‘, feine Ser grüß 
Mein Gebein, wo Die Erd’ es verbarg. 


Neue Entdedungen. 139 


um Mich und Ded im wenden ab, 
Bergt alleine 

Mich, wo fein Trener wa” and Grab 
Und weine.” *) 


Ich ſchlich mic) leiſe auf dem Sande binter fie, und 
ftredte meinen Arm über ihr Haupt, fo daß der niedliche 
Vogel im Käfig ihr grade vor die Augen Fam, ohne daß fie 
mußte woher. Und wie allerliehft! Der Kleine Sänger, der 
die ganze Zeit feiner Gefangenſchaft geſchwiegen hatte, fing 
gleich an, eine luſtige Weiſe anzuftimmen. Sie ſprang er» 
füroden auf, und kehrte fi um. Da ſtand. ich, und ſtrecte 
ihr das Lied, den Kranz und den Vogel entgegen. Sie fiel 
mir entzudt um den Hals, fügte mid) und rief: Mein ge» 
liebter Freund! Meines edlen Gatten Freund! Lebt Ihr 
noch? Athmet Ihr noch? Nun, fo wollen wir aud wieder 
aufleben und hoffen. Ich bat fie, das Heine Gedicht zu le⸗ 
fen; es lautete alfo: 


Der Fiſch und der Bogel. 


Das Fifchlein mag wohl niedlich fein, 
Mit Silberſchuppen ſchon. 
Doc kann es mit mir leben? Rein! 
Bald iR’8 um und geicheh'n. 
&8 zappelt eine kurze Beil, 
Der naſſe Geiſt entflicht in Gil’; 
Dann liegt eb in ber Wutte todt, 
Bie's die Natur gebot. 


”) Mus Epateipeaeh „Was ihe wollt,“ nach MB. Saiesel 


140 Neue Entdedungen 


und folgen kannt du nicht dem Fiſch 
Racı feinem Eiement. 

Der Danfie Grund if gar in feife. 

8o feine Sonne brennt. 

Da fcwoimmt der Sautiſch und der Hai 
Dem röthlichen Korall vorbei; " 

Und was in jener Tiefe fledt, 

Hat noch fein Aug’ entderkt, 


Dagegen fich das Böglein an 

Im bunten Federſchein! ” 
64 fingt fo Heblich, fliegt bergan . 

Und Hringt Dich nach dem Hain. 

Bei Sonnen uf» und Untergang 

Es zwitſchert feinen Lobgefang. 

Und deiner Schonheit Herrlichkeit 

Beſingt «6. ohne Neid, 





Der Bogel kommt sum Feſte der 
Und bringt dem bunten Aram. 

B Concordia, das graue Meer 
‚Hat keinen ſolchen Slam. 
So folg' dem Bogel kec genug, 
Mac Paradies geht doch fein Bing. 
Komm! — Goas Tochter HIR du doch; — 
Re Eon mangelt noch. 





Lemelie ſaß indeg mit affectirter Ruhe bei feiner An« 
gefruthe, woran nichts beigen wollte, und that. als ob er 
meine Burüdtunft gar nicht Gemerkt hätıe. Van Leuven 


Reue Entdedungen. 141 


mußfe ihn mehrmals einladen, ehe er aufkland und zu uns 
am. — 

€i, ei, rief er, da haben wir ja unferm Poeten. Ih 
mußte wohl, daß er zu vernünftig fei, ſich wirklich in Le⸗ 
bensgefahr zu wagen. Mit Gemfenjagd geben Ad die Here 
ren Berfifere felten ab. Er hat Blumen in einer Felſen ⸗ 
kluft gefunden und einen Bogel gefangen. Gharmant! Und 
deshalb ift ihm Madame um den Hals gefallen und bat 
ihn fo zärtlich getüßt, ale ob es ihr Batte wäre. Was 
fagt der gute Herr van Leuven dazu? — Ich würde fie 
nicht lichen, antwortete van Leuven, wenn le nicht den bra⸗ 
ven, ehrlichen Albert Fichte, und um ihn befümmert geweſen 
wäre. — Nun, Ihr ſprccht ja recht, mie cin vernünftiger 
Esemann, Here van Leuven, verfepte der Kapitän: allein 
marum foll id denn alein das Stieftind fein, und mit trofe 
tenem Munde davongehen? Warum darf ich nicht auch küfe 
fen und ein wenig geliebt werden? Bas die Sitte in Eu- 
ropa verbietet, wo Weiber vollauf find, davon fann die Rede 
wicht hier am äden Feifenftrande fein wo wir nur ein ein« 
ziges Frauenzimmer heben. Denn das bäglihe, ſchwarze 
Thdiermeuſch, das dort mit dem Wüdpret zur Küche gebt, 
wollt Ihr doch wehl fein Frauen ziumer nennen; fo wenig 
wie die Hündin, die ihr nachläuft? Sitten richten ih aber 
nach Zeit und Umftänden, nady der Natur der Verhältniffe, 
fonft werden fie Vorurtheile. Was natürlih und menſchlich 
iR, fan weder gottlos noch Lafterhaft genannt werden; und 
fo denke ich, dag die reigende Concordia nit länger fpröde 
thun wird, feitdem Here van Leuven nicht länger eiferfüh- 
iſt. Bei den Mohamedanern ift. Polygamic, bei einigen 
molabarifhen Stämmen Yolyandrie eingeführt. Sollen uns 
die Indianer in gefundem Menfchenverftande, in Artigs 


142 Neue Entdedungen. 


keit und Gefäligkeit beſchämen? Was fi) eine zarte, indie 
ſche Schönheit gefallen läßt — und ich verſichre Euch auf 
Ehre, Madame, die indiſchen Damen haben viel Zartgefühl 
vielen Gefhmad, viel ſchwärmeriſche Neligiöfität und Blu 
menliebe; — das, denke id), wird eine fhöne Engländerin 
auch thun können. 

Ihr ſpaßt wieder, Hetr Lemelie, antwortete van Leu⸗ 
ven; koͤnntet Ihr im Ernſte fo reden, müßten wir Euch be⸗ 
dauern und verachten. Doch muß ih Euch fagen, ſelbſt 
als Spaß betrachtet, finde ich ſolche Heden in einer tugend- 
baften Frau Gegenwart fehr unziemlih, und mug mir in 
der Zufunft ſolche verbitten. IA weiß wohl, die Franzofen 
nehmen es mit dergleichen Aeußerungen nicht fo genau, und 
das fann Euch einigermaßen zur Entſchuldigung dienen. 
Bir Engländer, Deutſche und Niederländer find aber efr- 
barer. Sogar Senegal und Gambia mit ihren Thiermen- 
fen würde gewiß unferm Gefhmade beitreten. - Und ge 
‚gen eine ſolche Ouadrupel-Allianz wird ſich hoffentlich Frant- 
rei in der Sufunft nicht auflehnen. — Ihr habt ganz 
Net, Zeit und Umfände verändern Bieles. Hättet Ihr 
uns To etwas in Europa gefagt, ich bätte Euch als Edel- 
mann geantwortet. Hier auf diefem öden Selfen fühle ih 
mid aber zugfeih weniger und mehr als vorber. Hier 
bin ich nur Menſch und Chriſt. — Das felltet Ihr auch 
fein! — 
Ihr ſeid ja fein Chriſt. Ihr ſeid ja nur ein Holländer, 
rief Lemelie lachend, der die ganze Sache zu einer Plai« 
fanterie machen wollte. Bir teilten ihm alfo unfere Ent- 
deRung mit, die jedoch feinen fonderbaren Eindruck auf ihn 
machte. Er beneidete mir vielmehr meine Eutdecung und 
fragte Möttelmd: Hat der Epürhund micher etmas auf 





Die Infel. 143 
geröbert? Ich kehtte mich an feine Bosbeit niht um wär« 


digte ihn Leiner Antwort. Der kommende Morgen ward 
au unferer Wallfahrt deſtimmt. 


17. 
"Die Infel.. 





Dan Leuven, Lemelie und ich begaben uns friſch auf 
den Weg. Concordia blieb in der Felfenböhle zurüd mit 
Minga, bie wir ihr eine bequemere Bahn gemacht und eine 
Wohnung droben eingerichtet halten. Lemelie ftellte ſich 
trank an, ale wir eine kleine Strede geftiegen waren, und 
fagte: er konne Heute nicht weiter klettern, weil ihm ſchwind⸗ 
lich werde. Als wir aber die Reife feinetwegen aufſchieben 
wollten, und verſicherten: wir würden ohne ihn feinen Schritt 
weiter thun, ließ er es fih gefallen und fagte: Ehen fo gut 
heute als morgen, wenn c& doch fein muß. 

Man fann aber mitunter auch einem Echelmen Unrecht 
thun, und das war heute der Fall, denn er befand ſich wirt» 
Ic nicht wohl, und als wir bei der großen Kluft fanden, 

"worüber er ſpringen follte, erblaßte er, und wäre ohne Imeie 
fel in den Abgrund geftürzt, hätte ich ihm nicht an den Arm 
gegriffen. Er fiel in Ohnmacht, wir trugen ihm abfeits in 
Schatten und rieben ihm die Schläfe mit Brantwein. Er 
zitterte Über den ganzen Leib, biß die Zähne zufammen, 
Schaum ftand ihm vor dem Munde und ein kalter Schweiß 
bededte feine Stirn. 


144 Die Infel 


Ms er wieder die Augen aufſchlag ſtarrte er mich an 
und ſprach beifer: Das war nicht hübfh von Euch geiban 
WMonſieur Julius, midy gerade vor die Höllenthär' zu füh- 
ren, bevor ich gebeihtet hatte. Wenn id nun hinunter ger 
fallen wäre? Kein Erbarmen wäre jenfeits zu hoffen. Denn 
ich fah ſchou den Teufel drunten, ganz raub und ſchwarz 
wie ein ungeheurer Affe, mit Ölutaugen und · ſcharfen Kral- 
len an den Fingern, nady mir greifen. Drunten wimmelte 
es von Beinen, ekeligen böfen Geiftern, wie in einem Schlan- 
genneſte. Die Marterkammer öffnete ſich fhon, und ich fah 
deutlich die Folterbant zubereitet, worauf ih Eünden bes 
kennen folte, von denen ic) nichts weiß. denn ih bin fo 
unfhuldig wie ein neugebornes Kind. 

Herr Zemelie, antwortete ich, Ihr ſprecht noch im Fie⸗ 
ber. Ih habe Euch fein Leides gethan, vielmehr babe ih 
Euch das Leben gerettet. — Ach, das ift wahr, fagte er, 
fid) die Stirne reibend. Iept befinwe ich mich. „Ihr grifit 
mid, beim Arme, als mir ſchwindelte. Jeht ift mir wieder 
wohl. IH babe die Schwachheit. mitunter (hmindlig zu 
werden. Dann fafele ih und ſpreche das dümmſte Zeug, 
ganz gegen meine eigene Ueberzeugung. Sobald id vom 
Teufel ſpreche, Könnt Ihr immer gewiß fein. dag ic krant 
din. Im gefunden Zuftande denke ih nie an fo etwas Un⸗ 
verfländiges. Laßt mich aber hier bleiben und mid, erho⸗ 
den; Ueber die Kluft foringe ich nit; denn da üf es nicht 
gebeuer. > 

Ban Leuven und ic) beratbſchlagten uns, mas wir mit 
ibm machen ſollten. Einem folden durchaus verdorbenen 
Menſchen, forad ich, ift nicht zu trauen. Vielleicht fagt er 
nur als das, um, wenn wir ihn verlaffen, binunter zu 
Goncordia zu laufen. Beſſer gehen wir zwei gleih hinun- 


Die Infel. 4185 


ter, einige Breiter und ein Zau zu holen. Bir mäflen ja 
doch an diefem Orte Eoncordien eine Brüde bauen. 

“ Gefagt, gethan! und al das Breit über dem Abgrund 
lag, als van Zeuven an der einen umd ic) an der andern 
Eeite des Abgrundes das Tau hielten, wagte fih endlich 
Lemelie ſchwankend in ſichtbarer Todesangſt hinüber. — 
Bir mwunderten uns, daß einem erfahrenen Seemanne fo 
ſchwindlich fein könne. Unfere Muthmaßung ward aber 
immer mehr und mehr beftärkt,. daß er nur ein Abenteu⸗ 
rer ſei, der das eigentliche Seeweſen nie recht gründlich ge⸗ 
trieben hatte. 

Ban Leuven freute ſich eben fo fehr mie ic, das fhöne 
Eiland zu entdeden. Eogar in Lemelie erregte der Anblic 
der blühenden Natur eine angenehme Empfindung, Seine 
Sinnlichteit fühlte ſich geſchmeichelt in der behaglihen Um- 
gebung, die ihm in der Zukunft größere Bequemlichkeit ver- 
ſprach. 

Concordia zeigte ſich beim Hinaufſteigen weit raſcher 
und dreiſter, als ich erwartet hatte. Die Sehnſucht, bald 
die (höne Inſel zu ſehen, verdrängte alle Furcht; wie eine 
leichte Nymphe ſchwebte fie über die Klüfte, und ale fie 
nun droben im Grünen fand, unter den Bäumen, unter 
den Blymen, da fniete fie bin und firedte die ſchönen Hände 
gen Himmel, und wir mit ihr, und ic fimmte an: " 

Auf den Rebel folgt Dit Eonne, 

Auf dad Trauern Freud’ und Bonn, 
Wuf die ſchwere bitt're,Pein 

Stent fich Zrof und Sabfal ein, 
Meine Eeele, die zuvor 

anf bis 1u dem Höllenthor, 


Steige nun dis zum Dimmelchor! 
Oehlenſ. Schriften. XVII. 10 


146 Die Intl, [ 


Ich hatte mein Gefangbuc in der Taſche, ſchlug das 
Lied auf und reichte es van Lenven und Concordien. Sie 
batten ſcon öfter deutſche geiſtliche Lieder mit mir gefün- 
sen, und die fremde Ausſorache machte ihre Aundacht noch 

‚ vührender. Nur Semelie fang nicht mit. Ihr feid Ketzer, 
pflegte er bei folder Gelegenheit zu fagen, ich als guter 
Katholik muß meine Andacht abgefondert von Euch halten. 
Darauf ging er fort mit der Branntweinflafhe, und ich 
zweifle nicht, daß er fehr eifrig auf feine Weife gebetet habe, 
denn als er wieder zurüdtam, waren ihm die Augen rot, 
und die Flaſche war Ieer. 

Mit den ſchwerſten Rechnungen, wenn fie auch noch fo 
fehr in die Brüche gehen, kann ic) fertig werden, fagte van 
Leuven, da muß das Facit richtig werden; die Menſchen da» 
ven mir aber immer eine ſchwierige Aufgabe, befonders dic» 
fer Lemelie; denn das ift ein Bruch, der weder Zähler noch 
Nenner hat. Mit dem bloßen Berftande, Herr van Lenven, 
antwortete id), beurtgeilt man feinen Gharakter. Ihr feid 
älter und habt genig mehr Scharffinn als ich; Ihr fheint 
Euch aber mit Euren Wiſſenſchaften, mit Eurer Mathema- 
tie und Aftronomie fo eifrig abgegeben zu haben, daß Ihr 
die übrige Welt darüber vergeflen habt. Und jetzt find wir 
ja aud) von diefer mittelmäßigen Welt getrennt; ein Engel 
bat Euch begleitet, nach Elpſſum feid Ipr mit ihm verfcht, 
mozu denn jeßt jene viel gepriefene Menfchentenntnig? — 
Allein Lemelic! verfete van Leuven, auf ihn möchte ich 
mic) doch gern verſtehen. — MWäret Ihr in Eurer Jugend 
nicht fo glüdlih und wohlhabend gewefen, erwiederte ich, 
nit nad) einer Schnur erzogen, hättet Ihr nicht. immer 
brave tugeudhafte Leute um Euch gehabt, die vernünftig 
bandelten, fo würde Euch die Nothwendigteit wohl gelehrt 


- Die Infel. 147 


haben, Euch auf ſolche Käuze, wie der Lemelie, zu verfte- 
ben. Bollun-ohne Herz macht immer graufam. Böfe Men- 
ſchen ohne Gewiſſen müſſen ſich aud die Gottheit bochaft 
und grauſam denken. Darum färdfet er Bott, ohne ſich 
im beſſern. Darum find Aberglaube und Unglenbe lächer- 
lich bei Ihm gepaart.‘ Alle erhabene Gerüßle, tröftende te» 
Higtöft Vorſteüungen, Kunſt. Poefle, Tugend und Grogmurh 
verachtet er als Schwaͤrmereien. Sein Geift, der am Grod⸗ 
Irdiſchen klebt, Fann fih nie vom Staube losreigen; daher 
ſchreiden ſich die Schrecbilder des plumpeften Matertafis- 
mus, wenn er zu fterben fürchte. Wenn aber die Angſt 
vorüber if, ſpielen Eitelkeit und Stolz wieder ihre_ alten 
Rollen, unterftüpt von der Rüge, und der ſchwache knechti⸗ 
ſche Geift in feiner Dummheit waͤhnt, er fei ein Freigeiſt: 
weil er nicht weiß, dag nur in Gott allein die Freiheit au 
ſuchen iſt 

Iept verſteh' ih mich fo gut auf Lemelie, wie auf den 
pythageraiſchen Lehrfag, rief van Leuven. Eo, lieber Ar 
dert, wollen wir off mit einander ſprechen. Ihr folkt mich, 
die Weltfenntnig, und id) will Euch Mathematik und Aftro- 
nomie Ichren. Ein gutes Fernrohr haben wir gerettet. Ad, 
das ift fhön, Here van Leuven, rief ich Das wollen wir. 
— Nenne mich nicht mehr Herr van Leuven, nenne mid 
Du, ſprach er freundlich, und reichte mir die Hand. Das 
Shidfal bat uns zu Brüdern gemacht. Ziemt es ſich noch 
für ums, ſolche fremde Redensarten zu gebrauchen? — Ay, 
ſprach ich ich wollte gern, — aber ich ſchaͤne mich — gebt 
das an? Und mas wird Eure Frau Gemahlin dazu fagen? 
Sollten wir fie nicht erſt fragen? — Naͤrriſcher Aldert! 
rief van Leuven, eben ſprachſt Du fo vernünftig, und jeht 
ſprichſt Du fo albernes Zeug. Da haben ar wieder den 


148 Die Infel, 


Widerſpruch des Meunſchlichen. IA frage Dich noch einmal, 
willſt Du mein Freund fein oder nicht? — Nun ja denn! 
Dein Freund bie in den Tod, rief ic, und drückte den vor 
trefflichen Mann an meine Bruft, 

Bir Hatten vollauf zu hun, unfere Wirthſchaft auf 
der Infel einzurichten. Die Sommerfaube, war bald gerei- 
nigt und ausgelüftet. Unter-der locern Erdlage, die ſich 
von faulen Blättern in vielen Iahren gebildet hatte, fan- 
den wir einen trefflihen Eſtrich von Sand und Thon, der 
ſich ganz troden hielt. Als die Wände glatt befänitten, 
die Fenfterlöcher darin gemacht waren, konnte ih Concor⸗ 
dien nicht davon abhalten, diefe Laube zu ihrem Schlafzim-⸗ 
mer zu wählen. Mit allen Euren übrigen Einrichtungen, 
lieber Albert, ſprach fie, bin ic fehr zufrieden, aber in's 
Vogelneft, in den Baum, mag id nicht alle Abende bin- 
aufffettern, wenn ſich eine fhöne Wohnung ganz von felbft 
darbietet. Eure Sorge wegen der Luft ift Übertrieben. Der 
Steintohlendampf in London ift oft ärger. Was fagt Ihr 
dazu, mein Gemahl? Ach, verfeßte van Leuven, gebe Gott, 
daß mir immer in Holand und Antwerpen eine folhe Luft 
gehabt hätten. — Nun, rief Concordia lachend, fo .mag 
Herr Albert als Sachſe, der auf der Wartburg und am 
Tpüringerfelfen beim Nitter Knaufdegen feine „Zunge ver- 
möhnt hat, (des Dachzimmers beim Küfter, mo er das Cie- 
bengeftien durch's Loch feben Eonnte, nicht zu vergeffen,) im 
Baume lange genug frifchere Luft ſchöpfen. Wir Eheleute 
und Minga bleiben hier; denn eine Meine Vorſtube wird 
ſich leicht machen laffen. — Ab, Frau, antwortete die 
Schwarze, wo Gras und Erde ift, da iſt Bett für Minga 
und für den Meinen Beautiful. 

So richteten wir uns denn ein, fo gut wir Fonnten 


Die Jufel 19 


und mochten, und weil weiter für ihm nichts zu wählen 
mar, mußte Zemelie aud) in einen Baum hinauf. Goncor- 
dia und Minga fingen gleid an, den alten Garten zu bes 
arbeiten. Wir Männer hatten mehrere Tage volauf zu 
ıhum, alle Sachen aus der Steinpöhle über den Fels auf 
die Infel hinauf zu bringen. Hier halfen uns nun var 
Leuven’s Kenntniffe in der Mechanit, wodurch er uns die 
Arbeit fer erkeihterte und beinahe das Unmögliche mög- 
lich madıte. 

Als wir damit fertig waren, haften wir beinahe nichts 
zu hun Jagd und Fiſcherei fofteten uns im Anfange gar 
feine Mühe. Die Thiere lichen ſich ſchiehen, die Fiſche fan« 
gen ohne Schwierigkeit. Und io ift der Menſch! Was er 
gar zu leicht Hat, achtet er nicht; die Jagd Hatte für ung 
ihren Netz verloren, weil dabei nichts zu wagen war, meil 
fie feine Anftrengung koſtete. Cs koſtete van Leuven und 
mir große Ueberwindung, die unſchuldigen Thiere zu töd⸗ 
ten, die uns forglos entgegen kamen. 

Doch das dauerte nicht lange. Die Thiere lernen bald 
die Menſchen kennen, wo fie ſich treffen. Bald entflohen 
Bögel und Wildpret, wenn fie where blanten Flinten ſa⸗ 
ben, und wir hatten Unterhaltung‘ grnng. 

Waren van Leuven und ich ganz Jäger und Baumei- 
fter, Concordia gang Gärtnerin und Fiſcherin, fo war wie⸗ 
der Lemelie ganz Koch. und Minge mußte ihm in der 
Kühe Hülfe leiten. Es mar nicht zu läugnen, die Mahl« 
zeiten, die er uns oft darch feine Reden verbikterte, wußte 
er durch die Zubereitung lecerhaft zu würzen. Wein und 
Branntwein haften wir nicht viel mehr, der Palmenfaft 
mit Waſſer gemiſcht gewährte ung aber ein fehr angeneh ⸗ 
mes Getränf. Unfer Zwiebact wurde wie ein föftlihes 





150° Die Infel. 


Bacwert nur ſparſam zum Nachtiſch genoſſen. Der Brot- 
baum war aber auf einmal unfer Adermann, Mäler und 
Bäder, und wir brauchten nur die Haͤnde auszuftreden, um 
das liebe Brod zu haben, darum fi) Die lieben Europäer 
im Schweiße ihres Angeſichts bemühen. Lemelie, der vor- 
ber biaß und mager war, fing jept an, fett und rot im 
Geſichte zu werden. Er machte fih feine Bewegung, auf 
die Jagd mochte er nicht gehen: wenn er, in-der Küche fer- 
tig war, lag er den ganzen Tag auf feiner Matrage, lim. 
verte auf feiner Laute, die. er gerettet hatte, und wollte 
Contordia jhn nicht giftig machen, fo mußte fie ihm wenig ⸗ 
Mens eine Stunde täglich bei der Handarbeit zuhören. 

Zeit genug hätte id nun gehabt, mit der ſchönen Frau 
den Shakespeare zu leſen. Ein Paar Bände waren auch 
von dem Wrack gerettet, wir konnten fie aber nachher gar, 
sicht in den Steinhoͤblen finden. Wahrſchheinlich batte Les 
melie die Bücher vernichtet, weil er nicht leiden mochte, daß 

’ Concordia und id; zufammen Darin fafen. Eine deutſche 
und eine engliſche Bibel, woran er ſich vermuthlih nicht zu 
vergreifen wagte, hatten wir doch noch. Auch van Leuven 
rettete einige wiſſenſchaftliche Werte. Nun las id alle 
Tage mit Concordia in der engliſchen Bibel, wodurch der 
Unterricht mir ſehr erleichtert wurde, weil ih beinahe meine 
deutſche Bibel auswendig. mußte. Es freute mid fehr, die 
wohlbetannten Sachen in einer fremden Sprache erzäplt 
und ausgeſprochen zu hören, wodurch fie den Reiz der Neu⸗ 
beit gewannen. 


-Der Greisinder Höhle. 16 


18. 
Der Greis in der Höhle. 





Beil id) einmal der Entdeder geworden war, fo ber 
omägte ich mich nicht damit, allein in unferer Gegend zu 
bleiben, fondern ftreifte weit umber auf der Infel. Ueberal 
tab ich fruchtbare Thäler, fhöne Bälter. Ein größerer 
und kleinerer Flug bildeten niedliche Seen und durchfloſſen 
das Eiland. Der große Fluß verlor fi in die Bergklüfte, 
woher, wir gelommen waren, und ic entdeckte fhäter, dag 
er drunten den Waſſerfall bilde, der ung in: den erften Zar 
gem das Leben gerettet hatte. 

Mitten auf der Infel fing es wieder an, bügelicht zu 
werben. Eine fhöne Anhöhe zog befonders meine Aufmert⸗ 
famteit auf fih. Ich hätte fie leicht von einer entgegenge- 
fepten Seite erſteigen können, weil ich mid) aber einmal an 
das Klettern gewöhnt hatte, gefiel es mir mehr, die ſchroffe 
Bandfeite binaufzufteigen, weil diefer Weg viel fürzer war. 

Die fteinerne Band war mit Moos und Geftrüpp be⸗ 
wachſen. Kaum hatte ich einige Schritte gethan, fo fiel ic, 
ſtürzte in ein Loc) hinein, und befand mic) in einer finftern 
Höhle, wo die Luft fo beklommen war, dag ih faſt zu er» 
ſticken glaubte. Ich ſchoͤpfte beinahe nicht Athem, bevor ich 
füpnel wieder aus dem Loche herauegekrochen war. Daun 
lief ich, was ich laufen konnte; es war mir ein Schrecen 
in's Blut gekommen; nicht blos der verpefteten Luft wegen, 
fendern teil es mir vorgefommen mar, als hätte ich einen 


132 Der Greis in der Höhle. 


alten Mann mit langem Barte im Hintergrunde der Höhle 
an einem Tifhe fipen geſehen. 

Im Freien ſchoͤpfte ich mieder Athem; trank Bafler 
-aus der Quelle die aus dem Steine herausflog, und mußte 
über meine eigenen Einbildungen laden. ie könnte ein 
Menſch wohl in einer ſolchen verſchloſſenen Höhle voll erftis 
Gender Luft wohnen? — Das ift die alte Geſchichte von 
Barthel im Beinteler, dachte ich, die Dir im Kopfe fpuft. 
Das Maͤhrchen von Kaifer Friedrich, deflen rother Bart 
durch den fleinernen Tiſch gewachſen war. 

Id) defümmerte mic) nicht weiter darum und blieb die 
Nacıt oben auf der Anhöhe, wo id guten trednen fteiner- 
nen Grund fand, worauf ih in meinem mitgenommenen 
Mantel gewickelt ſchlafen Connte, ohne von den Dünften des 
Tpales zu leiden. — Was mir diefe Nacht begegnete, will 
ich Euch ganz erzählen. Wahrſcheinlich war es ein bloger 
Traum; denn es ift nicht zum erften Male, dag ih was 
hend träumte, an demfelben Orte befindlich, mo id wirt⸗ 
lich war, und font alle Begenftände wohl erfennend. 

Es dauchte mid, ale hörte ich unter der Erde, drun⸗ 
tem im Hügel, worauf ich ſchlief, ein Gepolter, als ob Je⸗ 
mand vom Stuhle aufftchend, einen ſchweren Tiſch von Ah 
ſchobe. Darauf lieg ſich ein Seufzen vernehmen, wie von 
einem Tiefbetrübten. Eine tiefe Bapftimme las darauf las 
teiniſche Gebete: dann börte ih deutlich Jemanden Feuer 
flogen, worauf Alles eine. kurze Weile fille ward. Ich 
richtete mid) von meiner Sclafftelle auf und ſah erſchro⸗ 
den gerade vor mid) bin, denn ich glaubte, leiſe langſame 
Shritte zu vernehmen. Erſt fah ih nur einen kleinen ro 
tben Stern. Is der Stern näher kam, war es das Licht 

+ einer großen Lampe mit vier Dochten, wie fie oft in den 


Der Greis in. der Höble 153 


Schiffelater nen zu brennen pflegen. Die Lampe mard von 
einer alten runzlichten Knochenhand getragen, und dahinter 
ſah ic) einen fangen hagern Greis auf mid zu wandeln. 
Sein grauer Bart reichte ihm bis zum Nabel, Sein Rot 
mar von roben Thierfelen, und eine ähnliche Müpe bedecte 


den Kopf. Sein Geſicht war ernſt und traurig, das Alter - 


batte es mit Runzeln durdpflägt. Diefes Schrecbild bes 
trachtete mic) lange ſchweigend. Bann ſprach es: 

Leiptfinniger Knabe! Dieſe Höhle willſt Du wieder 
verlaffen, woran id) fo viele Jahre hindurch fleißig arbeis 
tete, bis fie zu meiner: Bequemlichkeit taugie. Meint Du 
etwa, das Verhängnig habe Dich zufällig in jenen Graben 
binunter geftoßen? Mein, keinesweges! Weil ih aber mit 
eigenen Händen mehrere Chriftenbrüder hier auf der Infel 
begraben. habe, ziemt es Dir aud, mir diefen Liebesdienſt 
zu erweifen. Fürchte Dich niht! Oeffne meine Wohnung. 
Hüte Dich aber, hinein zu gehen, ehe Du mit Ehiegpulver 
und. Rauchwert die Luft gereinigt baft. - Deine Mühe wird 
Dir reichlich belohnt werden; und cin in Gott verftorhener 
Chriſt dankt Dir, dag Du ihm die Gratesrube gönnft. 

Mif diefen Worten verfhwand die Erſcheinung, oder 
id) erwachte vollends aus meinem Traume; in meichem Bu 
ftande, konnt Ihr felber denten. 

As ih zu meinen Gefährten zurädfam, und ihnen 
mein Abenteuer erzählte, wurden van Leuven und ich darin 
einig, daß wir naͤchſtens hingehen wollten, die Höhle zu uns 

terſuchen. Nur Lemelie ſprach viel dagegen. Laßt die Tod» 
ten ruhen, wo fie liegen. Bas wollt Ihr im dunteln 
Schooge der Erde wählen? Da kommt Ihr doch früh ge- 
mug bin. Vieleicht fpuft in der Gruft ein verdammter 
Geiſt. wenigſtens eine im Fegfeuer leidende Seele, weil 


14 Der Greisinder Höhle. 


feine Seelenmellen über ſie geſungen find. Und kdant Ihr 
das als Keper thun? Bas hilft dann alles Aufwühlen? 
Menſchen fürdte ich nit; mit den unfihtbaren Maͤchten 
mag ich aber nichts zu ſchaffen daben. 

Bielleiht, ſyrach Concordia mit Nahdrud, ängfleten 
Euch die unfihtbaren Mächte weniger, wenn Ihr Euch vor 
Menſchen mehr fürchtetet. — Bir liegen den albernen 
Zropf ihmwagen; doch die fonft fo fanfte, beſcheidene Gon- 
serdia hörte nicht auf, ibm mit Spott zu verfolgen, bis er 
mitging. — Ihr ſprecht immer fo viel von Eurem Mutpe. 
Hert Lemelie, ſprach Ne, ich fürdte aber, er iſt nie weit 
ber. Beil es Euch einmal gelungen if, einen glädlichen 

ESchut auf Leute zu machen die zu entfernt waren, um fi 
vertheidigen zu können, ift Euer Heldenmuth noch nicht ab» 
gemacht. Wollt Ihr für einen Mann gelten. fo folgt ven 
Männern, und laßt uns Beiber allein in der Rüde. Bir 
brauchen Eurer Hülfe nicht meht. Wahrhaftig man ſollte 
glauben, Ihr wäret vorher ein Koch geweſen. Folgt den 
Männern, ſag' ic, rührt Euch und arbeitet. Ihr fipt bier 
in der Hütte, klimpert auf der Laute, faullenzt und werdet 
fett und unverfhämt vor lauter Trägheit. — Im faulen 
Holze niften die Giftſchlangen fagte Minge. " 

Es wunderte ung Andere, die fromme Concordia fo 
reden zu hören; allein ihre Wangen brannten von edlem 
Borne, und fie hatte wohl ihre Urſachen. Lemelie erblaßte, 
wie er immer that, wenn er böfe ward, faßte fih aber 
oleich und ſprach laͤhelnd: Cine ſchöne Frau kann einen 
Gavalier nicht beleidigen. Ienen wichtigen Kanonenſchußz 
der Euch Lehen und Ehre rettete, folltet Ihr doch nicht ver⸗ 
böbnen. Bas der Eindifhe Spott über meine Geſchitlich⸗ 
keit, Speiſen zu bereiten, beftifit, fo kann ich ſolches beia- 


Der Greis in der Höhle, 155 


en: Ein franzöfifiher Soldat, ſelbſt vom älteſten adlihen 
Geſchlechte, legt ſich in feiner Jugend immer etwas auf die 
Kochtunſt, um nicht, wenn er in barbariihen Ländern can 
tonnirt, wo die Leute nicht kochen Fönnen, zu verbungern. 
Und. diefe Fertigkeit kann ein Seemann, der alle Tage 
Mangel und Noth entgegen gebt, noch weniger eutbehren. 
Wout Ihr lieber das Fleiſch künftig rob oder verfoplt eflen? . 
Meinetwegen! Wollt Ihr Eure (hönen Hände am Kücen- 
fewer verderben? Sollen die niedlichen Finger bald wie Pe- 
terfilienwurzeln und gelbe Nüben ausfehen? Meinetivegen | 

Folgt den Männern, rief Concordia, und kümmert Euch 
nicht um meine Finger. Eure Furcht vor Gewittern und 
Gefvenftern zeigt ein böfes Gewiſſen — Gewiſſen? wie- 
derbolte Lemelie; mit dieſen Worten verbinden die Menſchen 
nur einen borairten Begrif IA geftche, ich liche nur 
Schones, und mag mit dem. Efligen nichts zu thun haben. 
Iudeg, damit Ihr mic feine Memme ſchelten follt, will ich 
Diesmal witgehen. 

Alſo machten wir uns auf den Weg nad) der Höhle. 
Rauchwert, Sciegpulver, Spaten, Haken und ein Städ 
Segeltuch hatten wir mitgenommen. Wir fanden droben 
auf dem Hügel ein rundes Loch durd den Stein gehauen, 
von Gebüſch Hededt; unweit der Stelle, 'we id die Nacht 
weidlafen batte. Ob es ein Fenſter oder ein Schoruſtein 
geweſen, mußten wir nit zu unterfbeiden. Den Eingang 
au der Höhle, wo id) bineingefallen mar, öffneten wir leicht. 
Darauf liegen wir-ein Licht oben durch's Loch in die Höhle 
gleiten. Dieſes konnten wir durch die geöffnete Thüre deut« 
Kid) im Hintergrunde brennen fehen, bis es doch bald er» 
loſch· Lemelie glaubte hier wieder Gefpenkerumtriebe zu 
wistern. Ban Zeuven. verfiherte aber. es komme nur vom 


156 Der Greis im der Höhle. 


fohlenfauren Bas und "Mangel an Lebeneluft im lang 
verſchloſſenen Raume. Gut, ſprach er, daß ſich unfer Ar 
bert nicht tiefer hineingemagt, fonft wäre er faum lebendig 
zurüßgefommen. — : Und doc wollt Ihr mich in dieſes 
Zeufelsneft bineinjagen? frug Lemelie. Die Luft drinnen, 
antwortete van Leuven, Tann leicht gereinigt werden. Der 
Eingang und das Fenfter find jept offen. - Der Zugwind 
bat freien Spielraum. Wir mollen etwas Pulver hinunter 
werfen und abbrennen, wollen tüdıtig mit Effig räudern, 
und den Keller einige Tage offen ſtehen laflen. Dann prä- 
‚, fen wir es wieder mit dem Lite; wo ein Licht Mar bren⸗ 
“nen kann, da kann eine Menſchenbruſt auch gefund athmen. 
- Bas van Leuven vorausgefagt hatte, geſchah. Zuleßt 
konnte das Licht fehr gut brennen. Bir liegen eine große 
Lampe hinunter, und als diefe ganz heiter die Felſenwaͤnde 
erleuchtete; faßte Lemelie plöpfih Muth, ‚und um den legs 
ten Zweifel gegen feine Tapferkeit wegzuräumen, wollte er 
fogar vorangeben. Kaum war er aber drinnen, fo ſchrie 
er: Iefus Maria! und fürzte mie Ichlos zu Boden. Was 
ift das? ſprach van Lenven, mich bedenklid) anfehend; iſt 
die Luft drinnen noch fo verpeftet? Habe ich unfpuldiger- 
weife den böfen Menfhen aus der Belt fortgeſchafft? — 
Bas fünnen wir dafür, antwortete ih. Es war ja fein 
eigener Bille; wäre nit er, fo wäre einer von und voran 
gegangen. Ad, mein theurer Freund, rief van Leuven, und 
umarmte mic, hier erfenne ich Gottes Finger. — Bir ent 
fernten uns etwas. Lemelie zu retten, der tief in der Höhle 
lag, war unmöglich, wir konnten, uns auch bineinmagend, 
nur fein Cchidfal teilen. 5 
Wir liegen uns anf gmei. entfernte Steinbloͤte nieder, 
athmeten tief, fahen einander ſchweigend an,. und wollten 


Der Greis in der Höhle. 157 


ung nicht felber geftehen, daß ung der Tod eines Menſchen 
nicht fehr.beträbe, deifen Bosheit unferm eigenen Leben alle 
Tage mit Verderben drohe. 

Ich machte mir innerlich Vorwürfe, folde Gedanken 
zu begen; bald hatten wir uns aber gar nichts vorzumer- 
fen, denn Lemelie kam unerwartet leichenblaß und zerftärt 
zuräd. Id date, er würde van Lruven mit Schmähun- 
gen überfalen, dag er ihn in die mephitifhe Luft Hineinge- 
lockt Habe; der ehrliche Niederländer wolite ſich ſchon redht- 
fertigen, allein von erſticender Luft war die Rede gar nicht; 
die Lampe brannte drinnen noch lichterloh — Barum. 
feid Ipr denn aber in Ohnmacht gefallen? fragten wir. — 
Beil mir aud das Schredti erſchienen if, fagte er. Bei 
meiner Ehre und den Anfechtungen des heiligen Antonius, 
idy habe den Alten mit dem Langen Barte auch gefeben. 
Er ſaß an dem fteinernen Tiſche und ftarrte mid) mit hob · 
len Augen an. — Nichts weiter? ſprach van Leuven ruhig; 
dann wollen ich und Albert gleich hineingehen und die Ent» 
decungen fortfegen. J 

Bir gingen hinein, ic nicht ganz obne Grauen. Kaum 
hatten mir einige Schritte gethan, fo faben wir die näm- 
liche Erſcheinung. Im Binkel, rechter Hand. faß ein alter 
Mann grade fo, wie ich ihm verwichene Nacht gefchen, auf 
einem fleinernen Seflel, als ob er fhliefe, das Haupt hatte 
er auf den einen Arm, der auf dem Tiſche ruhte, geftüßt. 
eine rechte Hand lag ausgeftredt. An der Wand neben 
ihm ding eine vieredige Lampe; auf dem Tiſche fanden ct- 
Hide Epeifen und Zrinfgefhirre. Der rofige Feuerſtahl im 
hölzernen Kafen entging nicht meiner Aufmerkfamfeit. Bald 
entdedten wir nun, daß wir einen verdorrten Leihnam vor 
uns hatten. . Auf dem Tiſche unter” feiner rechten Hand, 


188 Der Greis in der Höhle, 


worin noch ein eiferner Griffel Redte, lag ein ausgchäm- 
merter zinmerner Teer, worin folgende Zeilen in lateini- 
ſcher Sprache eingegraben waren: 

Fremder, wer Du auch feift, wenn Dich der Zufall in 
meine Behaufung führt, fo erftaune nicht gar zu feht Über 
den unvermutbeten Anblick meines Berippes, fondern ges 
denke, dag Du nah dem Zall unferer erften Eltern dem- 
felben Schickſal unterworfen biſt. Laß die Ueberrefte eines 
ehrlichen Spaniers nicht unbegraben liegen. Einem Chris 
ften, wo Du anders ein Ehrift, wenigftens ein Menſch biſt. 
gebührt es, einen Ehriften chrlih zur Erde zu beftatten. 
Du wirft für Deine geringe Arbeit einen reihen Lohn ern- 
ten; denn in meiner Höhle finden Du Schaͤte, die Dich 
reich machen Fönnen. Bir Du aber, wie id, gezwungen, 
in diefer Einfamteit zu verbleiben, fo werden Dir doch ei» 
nige merfwürdige Schriften, die in meinem fteinernen Stuble 
verborgen find, erforderlich und nuͤßlich fein. Lebe wohl, 
antommender Freund! Der Himmel made Dich glüdticher, 
als mic, obſchon ich mich nie ganz unglüclich fühlte. IA 
bin geboren: den 20. Auguft im Jahre 4498, und fam auf 
diefe Infel den 14. November 1530. I fühle, daß ich 
Alters halber bald fterben werde, obwohl ih weder vom 
Krankheit noch von Schmerzen leide. — Ich lebe noch im 
Jahre 1613, bin aber dem Tode fehr nahe, den 28., 20, 
30. Iunius, Noch den 1. Julius, 2. 3, 4. — 

Bir wollten den Leichnam nad dem Wunſche des Ein- 
ſiedlers, gleich begraben. Ich fhlug aber vor, Concordien 
erft zu holen, um ihr diefen feltfamen Anblick zu gönnen. 
— Bas Anblid? rief Lemelie, wie kann eine zarte, fein⸗ 
füglende Frau Vergnügen an ſolchem Gräuel finden? 

Der Hriklihe Greis hat ſich eim chriliches Wegrätnig 


Der Greis in der Höhle. 159 


grwänflit, eriwviederte van Leuven, das wollen wir ihm nicht 
verfagen. — Und wenn er nun verlangt hätte, Ihr ſolltet 
ihn in Ambra und Myrrhen balfamiren- und nad Spanien 
fenden, wolltet Ihr das au, ohne Spejereien und Schiff, 
than? fragte Zemelie höhniſch. Bergebt, dag ich grade vom 
der Leber weg ſpreche; Ihr zwingt mid dazu! Wie könnt 
Ihr dem fireng katheliſchen Spanier ein chriſtliches Begraͤb⸗ 
niß geben, da Ihr felber Keher feid, die — feiner Meinung 
nad) — ewig verdammt werden? 

Sein langer Aufenthalt in der Einſamkeit und der 
Natur, antivortete van Leuven, wird ihm, wenn er auch 
vorher die Vorurthrile feiner Zeit, feiner Umgebungen theilte, 
nady und nad) zurüd zu Jeſu wahrer, menfhenliebender 
Lehre, ohne Haß, pharifäifgen Stolz und Dünfel geführt 
haben. — 

Concordia und Minga famen nun aud, den am Tiſche 
figenden Leichnam zu fehen, ehe wir ihm begruben. Bei die- 
fer Gelegenheit offenbarte ſich wieder recht ein wahrer Zug 
Lemelieſcher Bosheit. Gemcordias Ankunft milderte feinen 
Ingrimm nicht, fondern vertärkte ihn vielmehr, weit Re ihn 
auch Bürzli mit Verachtung von ſich gewieſen hatte. Das 
mußte nun der Beine Beautieul entgelten, der mitgelaufen 
mar, und nad Hundeart zu beufen und bellen anfing, ale 
er die fremde Geſtalt in der Höhle fab. Lemelie, der nur 
auf eine Gelegenheit lauerte, um Concordia zu kraͤnken, 
ftieß dem armen Thiere mit dem Buße fo ſtark in die Wei⸗ 
den, dag ihm das Eingeweide aus dem Leibe heraus fiel 
umd rief dabei: Verfluchte Beſtie, wagt Du auch noch mit 
unverfchämtern Bellen die Brabesrube diefes feligen Geiſtes 
iu Rören? 

Nein, Beftie, rief van Leuven und padte ihn mit ſtar⸗ 


160 Der Greis in der Höhle 


fer Fauſt an der Bruft; das Heine Thier war unſchuldig 
allein Du bift ärger, als ein müthendes Thier. Einmal 
baft Du mid fon vergiften wollen; meine Frau wilt Du 
verführen! Unfer armes Leben verbittertt Du täglih mit 
Bosheit und Tüde. Hebe Did weg von uns, Satan! Bir 
hätten Did) drunten am der Klivpe follen ſchmachten laffen; 
das wollten wir aber nicht. . Und Du ſollſt au jept noch 
nichts verlieren, wit wollen redlich mit Dir tpeilen. Aber 
als Kain ſollſt Du aus unferm Eden vermiefen fein. Noch 
haft Du nicht Abel ermordet. Stiche weit von uns nacı 
entfernten Gegenden. Bir werden Dir das Nöthige zu be⸗ 
fimmter Zeit nad beftimmten Orten binbringen, aber ft- 
ben wollen wir Did nimmermehr. 

Um Gotteswillen, Herr-van Leuven, rief Lemelie der 
mäthig und kleinlaut, feid doch nicht fo graufam, und ver⸗ 
ftopt nicht einen armen Mann, nachdem er fhon Shit 
Eigentum, Maunſchaft und Alles verloren hat. Ich ſchwoöre 
Euch zu, Ihr tbut mir das größte Unrecht; nie babe ich 
daran gedacht Euch zu ſchaden. Ich Habe ja ſelbſt damals 
das für Euch eingeſchenkte Glas ausgeleert. — Nachdem 
es Dein Konftable zuerft ausgewechſelt hatte, rief van Leu⸗ 
ven. — Habt Ihr das gefehen? fragie Lemelie; könnt Ihr 
vor Gott und Eurem Gewiſſen Euren Eid darauf aulegen, 
daß dem fo wäre? — Ban Leuven ſchwieg. — Ihr ver- 
muthet «6 alfo nur, weil Eure Frau einen tollen Traum 
batte. Zweimal. niht-im Traume, babe id Euch wirlich 
das Leben gerettet; erft gegen die Corfaren, dann im klei⸗ 
nen Boote, als das Shit ſcheiterte. Und was habe ich 
Euch nachher getban? Bin id mitunter etwas ärgerlich 
und ungeduldig, mas man einem Manne in meinem Zus 
Rande zu gute halten muß — fo hat es mir ja immer nadı- 


Der Greis in der Höhle. 161 


ber Leid getkan. Ih Habe mid in alle Eure Einrichtun⸗ 
gen und Launen gefügt. Es thut mir herzlich leid, daß ich 
den Meinen Beautiful getödtet. habe, der uns die fhöne 
Quelle eutdedte, aber «6 geſchah im Unwillen, als der Kopf 
wir nit recht fand. Allein es wäre doch gar zu Bart, cie 


- nen Hundemord mit einem Menfchenmorde zu rähen! Und 


vergehen muß id, wenn id) verlaflen den Trübfeligkeiten 
diefer Infel allein ausgefeßt werde. Ihr thut alfo Unrecht 
daran, Euren Unmwillen gegen mid) auszulaflen. Denn dag 
Ihr jept nur Gelegenheit zum Sttelte ſuchen folltet, und, 
mid; wegjagen, blos, um den gefundenen Schah allein für 
Euch zu behalten, kann ih unmöglid) glauben. 

So bleibe denn, Berräther, rief van Lenven, ihn un. 
geduldig von ſich wegfoßend: bleibe und finne nur auf un- 
fer Aller Verderben. 

Lemelie verlor fi in den Wald, ohne ein Wort mehr 
zu fagen. Concordia war über den Meinen Beautiful un 
troͤſtlich und folgte Minga, die das arme fterbende Thier 
auf dem Arme nad) Haufe trug. Ban Leuven und id blie⸗ 
ben zurüd. Das Grab hatten wir bald gemaht; wir 
wollten jept den Leichnam in’s Segeltud) wideln, van Leu⸗ 
ven fagte ihn an den Schultern, id) an den Beinen. Als 
wir ihm aber aber aufheben wollten, fiel er mit Gepraſſel 
in einen Klumpen jufammen. Bir erfrafen anfangs et«, 
1008, fanden aber bei reiferer Ueberlegung, daß es nicht an- 
ders fein Fönne. So begruben wir denn unfern ehrwürdi⸗ 
gen Vorgänger fo gut, als wir fonnten, am Fluſſe unter 
einen großen Baum, ſehten ihm ein Kreuz aufs Grad und 
fangen Grabeslieder über ihn. 





Sehlenf. Schriften. XVII. 1 


162 Der Greis in der Höhle. 


Hs der Altvater fo weit in feiner Erzählung vorge 
ract war, ſprach er: Nan will ih Euch nicht damit ermů · 
den, die Schäpe aufzuzähfen, die wir in der Höhle Fanden, 
welche naher durd reihe Sadumgen vermehrt worden find, 
die der Sturm an unfere Küfle geworfen bat, und dur 
große, in den Bergen gefundene Göldſtufen, Säge, die 
alle Einwohner diefes Eilandes zu reichen Leuten machen 
tönnten, wenn fie Luft haben follten, dies Paradies au ver- 
taffen, um ſich in Europa anzufiedeln. So viel will ih nur 
fagen, daß diefer Fund. den Lemelie auf einige Tage ganz 
toß machte. Er verglich fi felder mit dem Tantalus, mit 
den Danaiden und dem Promethens, an die Klippe ge- 
ſchmiedet. Er klagte das Schickſal an, daß es ihm diefen 
Streich nur daram gefpielt, um, wie er fih nach der Koch⸗ 
tunſt ausdrüdte, einen haut gout auf fein Unglück zu feben. 

Ganz Unrecht hatte er freilich nicht; und wenn ich nicht 
in Concordia fo platoniſch verliebt geweſen wäre, Hätte ich 
vielleicht in feine Klage mit eingeftimmt. © Ieht beſchaͤftigte 
ich mid) damit, die Lebensbeſchreibung Don Eyrillo's, dic 
wir in feinem fleinernen Stuhle fanden, ans dem Lateini- 
ſchen zu überfehen. Sobald die Arbeit ferttg war, las ich 
fie meinen Gefährten vor. Ich babe das Manufeript noch 
und nun fann mein Eberhard mic) ein wenig ablöfen. 

> Der Alte holte die Papiere aus dem Sthranf, reichte 
fie Eberharden, und diefer Ins num, wie folgt: 


Xebensbefchreibung 
des 


Don Eyrillo de Balaro. 


Glauben wir, wenn wir denn als Ghriften nicht an» 
ders können, daß jedes Gefcid bier im Leben uns von der 
göttligen Borfehung zugetbeilt werde, um uns zum künfti- 
gen Dafein zu bilden, fo follte Billig fein Menſch Hagen; 
erwägen wir aber die Schmerzen, den Kummer und die 
vielen vereitelten Hoffnungeu mancher unfhuldig Zeidenden, 
wer wagt dann, auf feinen Bruder den erften Stein zu 
werfen, weil er Magt? Aber in meinem Alter klagt man 
nicht mehr; das längft verſchwundene Leben liegt wie ein 
balbvergefiener Traum mit feinen Schatten und Irrlictern 
weit Kinter mir, und ih erzähle nur diefe Begebenheiten, 
um mir ſelbſt während des Schreibens, und vielleiht einem 
Nachfolger während des Leſens eine kurze Unterhaltung zu 
gewähren. ö 

Und darum, mein Freund, wenn Du diefe Blätter in 
meinen fleinernen Stußle findet, che fie verwefen, will ich 
Deine trübfelige Einfamteit mit trübfeligen Betrachtungen 
nicht noch trübfeliger machen; noch, wenn Du vielleicht 
olũctich biſt. Dir Anlag geben, die Ungeduld des Greiſes 
zu verſhotten; vielmehr will id ſuchen, das an fih Trau⸗ 
rige mit einer gewifien Heiterkeit vorzuiragen, um feinen 
Eindrud gu mildern; auch verſpreche id) Dir, nicht gar zu 
meitläufig zu fein, obſchon man fagt, daß dies ein gewöhn- 
Hiper Febler des Alters fei. 


166 Lehenshefhreibung des 


Badrlih, lieber Lefer! wenn id Dir die Ueberſchriften 
meiner Lehens-Kapitel voraus fage, glaubſt Du vielleicht eis 
nen Scherz zu hören, oder daß ich Dir ein eitel Räthſel zu 
löfen gebe. Denn was fagft Du dazu, wenn id) Dir er⸗ 
zähle, dag mein edler Water nad feinem Tode ſchändlich 
bingerichtet ift, dag mein fuldiger Bruder wiflentlih einen 
unfeuldigen Selbftmord begangen. Daß id den reichſten 
Mann, der je in der Welt lebte, in Armuth habe Rerben 
fehen; dag meine Frau alles aufgeopfert und gewagt aus 
Biere zu ihrem nicht geliebten Gatien. daß ih einen Voeten 
mit einigen Heimen eine Ränberhorde Habe haͤndigen ſeben. 
die ein mädgtiger Theft mit feinen Rrirgerhaufen nicht bän- 
digen fonnte, und endlich. dag mich das wunderbare Schid- 
fal ans einem fünffid, gezwungenen in ein satürliges- frei 
winiges Mofter führte. 

IM ſtamme aus einem altadlichen wanilchen Geſchlechte 
Mein Bater, Dom Diego de Balaro, war Feldoserk im ta⸗ 
nigligjen Heert, und meine Mutter war eine Donna Blanta 
de Cordaa. Obſchon die Geburt awas Sufälliged if, und 
der Ertöfer, eben um. dem eitlen Stolz der Denfgen zu beu⸗ 
gen, ſich in einem elenden Stalle von gemeinen Eltern zur 
Belt dringen ließ, freut es mich doch, wenn ich an meine 
madern: Vorfahren denke, die recheliche Leute und tapfere 
Krieger waren. 

Andy freut es mic, rin Spanier zu fein; und das Cie 
fuͤbl, fo ich ſchon ale Kind hegte, warm ih die Karte Su ⸗ 
ropens beirachtete, wo dieſer Weitthell ale eine Zungfrau 
dargeſtellt iſt. hege ich noch immer als Greis Deun wahı- 
heftig, das Zand Tann war wohl das Haupt nemen, das 
ſelbſitandis Für ſich wur Durd den ſtarken Raten Der Py · 
renden zu dem Nüdgrate des übrigen Körpers gefägt if, 


| 


Don Cvrillo de Valaro. 167 


wo ſich Berge, Thaͤler, Fluſſe und Wälder, wie auf dem 
menfhligen Haupte Anohen, Fleiſch, Adern und Iodiges 
Haar wunderfhön zu einem Ganzen verbinden, und wo ſich 
Römer, BeRgothen, Chriften und Mobren wie Gedanken 
und Deinungen im meuſchlichen Gebirn lange bekämpft. 
beflegt und abenteuerlih gekreuzt baden. Kann num aud 
das ſchone Srantreid für den ſchwellenden Bufen der Jung- 
frau gelten, wo Leichtilnn und Liebesluſt reizend ihr Spiel 
treisen, iſt Italien der geiſtliche und England der weltliche 
Ara dieſer Minerva, Deutſchland der Leib, wo ales ver⸗ 
daut wird, und woraus die Nabrungsfäfte zu den Übrigen 
Gliedern geben; und ann man die weniger gefannten und 
gebildeten Länder ihre Schleppe nennen, fo iſt und, bleibt 
Hispawia doch das Haupt! Und Iammerfhade, dag fih 
Portugal, welches wit dem Geſichte zum Beltmeere bine 
aus flaute, ſich eigenfinnig vom Haupte getrenut, wodurch 
es feine Lebendigkeit. verloren bat, und eine bloge Maske 
geivorden ift. 

Zreilich leidet von allen Theilen des Körpers der Kopf 
oft am meiften von Fiebern und Nervenzufällen, und fo er⸗ 
gab «6 ſich denn auch, daß ich das Licht erbliden mußte im 
Jahre Chriſti 1498, chen, als mein Vaterland an innern 
Zudungen auerordentlid, litt. Denn wenn aud der Tatho- 
liſche Glaube nie ſiegreicher glänzte, als kurz vor der glüd- 
lichen Shlaht, worin die Mauren übermunden wurden, 
und ihr Reich in Spanien ein Ende nahm; wenn auch zur 
felbigen Zeit hundert und fiebenzigtaufend caftilifhe Inden» 
familien nach Portugal, Mauritanien und Navarra flohen, 
fo läßt es ih auf der andern Seite nicht Fäugnen, daß die 
Mmanifen Provinzen dadurch uuendlih geſchwäͤcht wurden, 
und gar zu viel von ihrer alten Kraft und Blürhe einbüg- 


168 Lebensbeſchreibung des 


ten. Und wie man fagt, daß der Läne, feiner Natur nach 
ein edles Thier, wenn feine ſcharfe Sunge erft Blut geledt, 
plötzlich grauſam wird. fo dag er mitunter felbft feinen 
freundlichen Wärter zerreigt, Dem er fonft gehorfamte, fo 
geſchah es auch hier; denn die heilige Inquiftion fing auf 
einmal an, von wahnfinnigem Blutdurft ergriffen, von dem 
Hentersgeifte des abſcheulichen Torquemadas befeckt, wie ein 
grimmiges Tpier zu wäthen. Freilich farb dies Ungeheuer 
in meinem Geburtsjahre, feine Nachfolger Deza und Cis⸗ 
meros waren aber um fein Haar befer; und in menigen 
Jahren hafte Spanien viele taufend feiner Söhne und Toͤch⸗ 

ter unſchuldig Hingerichtet, wie Saturhus in feiner Wuth 
die eignen Kinder verſchlang. 

Die erfte merkwürdige Begebenheit. die auf mich als 
Heiner Knabe von acht Jahren außerordentfihen Eindruc 
machte, war folgende: Ich hatte meine Eltern früh verle- 
ren; nur ein Bruder, zehn Jahre älter als ich, lebte noch. 
Unfer Vater hatte uns aber ein großes Vermögen hinter 
Yaffen, und wir wurden in einem ſchonen, großen, 'einfamen * 
Balafte in Valadolid, unferer Vaterſtadt, auferzogen. Mit 
unferm Hofmeifter befuhhten wir oft die alte Domtirche, mo 
das marmorne Grabmal unfers feligen Vaters ftand, und 
wo feine fehr ähnliche Büfte, Über dem Sartophage, zmi- 
fen Trophäen und Attributen feines Standes und Ran- 
ges thronte. Oft, wenn ich das Bid fo anfhaute, rief ih 
in Findliher Unbefangenheit: Vater, komm zurüd! und 
wunſchte ihn felber zu fehen. 

Eines Tages, als wir fo Kanden, famen einige Famir 
Haren der Inquiſition mit ihren Trabanten. Ein giwiſſer 
Don Metro de Tramaflo, der, wie ih nachher hörte, der 
Todfeind meines feligen Vaters geweſen, und jeht ein de 


Ton Eyrillo de Balaro. 169 


rüdstigter Zanatiter geworden war, näberte ſich uns, und 
meinen Bundy hörend, den Bater ſelber zu fehen, ſprach 
er: Run, Kind, den Bunfd kann id Dir gemäßren. — 
Darauf fielen die Leute üher das fhöne marmorne Denk 
mal ber, und vernichteten es ſchnell mit ihren Hämmmern 
und Brecheiſen. Der Dedel wurde vom Sarge aufgeho⸗ 
den, die einbalfamirte Leiche meines Waters berausgenom- 
men, und aller Pracht entblößt auf eine ſchlechte hölzerne 
Bahre geworfen. — Haft Du ihn jeht gefehen, Kind? frug 
der graufame Familiar, und während id heftig meinend 
den Leichnam meines Vaters halb mit Grauen, halb mit 
tindlicher Neigung betrachtete, warfen fle ein großes Städt 
Sadleinewand über ihn und trugen ihn zur Firch binaus. 

Einige Tage darauf hörten wir die große G 
alten Dome ſchauerlich zu einer Auto da fe läuten;- 
Zug ging aber unferm Haufe vorbei; da fahen wir denn, 
wie es in jener Seit oft geſchah, die zum Sceiterhaufen 
verdammten Ketzer in fafranfarbigen Bugtleidern (san be-. 
aito) mit der fpihigen Müge (coraza), mit Flammen und 
Teufeln bemalt, zum Tode wandeln. Auch ein ſchwarzer, 
mit Feuer und Höllenfrapen bemalter Sarg erſchien im 
fürdtbaren "Zuge. Das waren die Ueberrefte unferes Va- 
ters, der als Keger ſechs Jahre nach feinem Tode verurs 
teilt, auch den Flammen übergeben wurde. . 

Mein Bruder, der weit älter war als id, batte im⸗ 
‚mer, feiner Jugend ohnerachtet, einen fehr ſtoiſchen Charak- 
ter gejeigt. Sein Herz mar nicht weih, fein Temperament 
etwas düfter-melandpolifc, und fo verſchloß er den Schmerz 
ſchweigend in feinem Innern, ohne die Erleichterung der 
Thraͤnen und der Mitteilung zu fühlen. Den Tag nah) 
der Hinrichtung fagte er zu mir: Mein lieber Cyrillo man 








1m Lebenebeſchreibung des 


hat unfern Vater nad feinem Tode aus Rache und aus 
toller Schwärmerei befhimpft; wenn wir aber nicht ſelblt 
Ichendig fein Schicſal teilen wollen, dürfen wir fein Wort 
gegen Andere äußern. Auch auf uns fält die Etrafe. Un⸗ 
fere Güter behalten wir freilich; die Ehre iſt uns aber ge» 
raubt; unfer alter Rame ift jegt eine falſche Münze ohne 
Klang; wir können fein Ant erhakten, keine Ehtenſtelle ber 
Heiden. So wollen wir uns denn allein den Wiſſenſchaften 
ergeben, wie wir angefangen baben; allein in unfern Häus 
fern wollen wir wohnen, und die Dienfhen ihren wilden 
Gang gehen Iaflen. Bleibe Du bier im Palafle zurüd mit 
Deinem braven Lehrer Francesco Perez, der Dich nicht Ders 
laſſen wird. Ich ziehe mit meinem einzigen Freunde (bier 
ſtrich er den Rüden cines überaus (hönen Jagdhundes, der 
ihm überall folgte) auf unfer kleines Jagdſchloß im Walde 
hinaus. Da will ich mih, halb Eremit, halb Jäger, dem 
füllen Kummer weihen. Vieleicht ſchleift die Zeit die Scharie 
aus, und das Gemüth wird wieder rubig. 

Ih blieb alſo bei meinen guten Fraucesco de Perez 
im Palafte, der im großen Stile gebaut war, wit weiten 
Zorhallen und breiten marmornen Treppen; in den leeren 
Niſchen hatten vorher fhöne Statuen von hohem Werthe 
geſtanden; allein auch diefer griechiſchen Goͤßenbilder hatte 
ſich die heilige Inquiſilion bemächtigt. Die Gemaͤcher 0 
ren beinahe alle leet. Die Mobilien im Haufe waren feit 
unferer Eltern: Tode, tbeils verkauft, theils geſtohlen, weil 
kein ordentliches Auffehen da war. — Nur die Konfoltifde 
mit vergoldeten Zügen und ſchonen bunten Steinplatten 
ftanden noch da. Much bewunderte ich oft die großen, 
in der Band eingemauerten Spiegel, die doch alle etwas 
gelitten hatten. Mein Lehrer vertand ſich wohl gut auf 


Don Cyrillo de Baları. m 


Sorechen und Billenfhaften, auf weluiche Dinge nur we · 
nig; und die Haushälterin, wenn fie und ein ſpaͤrliches Eſ⸗ 
fen smbereitet hatte, meinte ihre Pfliht gethan au haben, 
und ließ den alten Palak ſich felber hüten, 

Bas auf mein Kindliges Gemüth den tiefften Eindrud 
machte, war eine große gewolbte Halle von ſchwarzgrauem 
Marıner, im Erdoeſchote. die gegen den kühlen, fihattigen 
Rafenpiap im Garten binaus lag, wo zut Rechten eine 
Duelle aus einem Meinen Felſen durch Blumen reichlich floh. 
Hiex brachten wein Hofmeiger und id bie beißehen Som- 
mertage mit Lefen zu, in der Schönen friſchen Kühle und 
der größten Einſamkeit. Und mie fonderbar! IR es Dir, 
Ueber Leſer auch nicht mitunter fo gegangen, daß Du einen 
Zuftand zweimal zu erleben glaubteft? So ſchien mir der 
Anfentpalt in der ſchwarzgrauen Marmorhalle zu Batlado- 
lid ein Vorbild meines jegigen Stilllebens in diefer Infel- 
böble zu fein. Denn-aud Hier ift es luftig. kühl und ge-. 
räumlg; auch bier bringe ich meine meiſte Zeit mit Lefen 
zu. Auch diefe Höhle liegt nach einem ſchönen Raſenplahe 
Binans; und was das fonderbarfte ift, auch bier ſprudelt 
eine Quelle zchter Hand aus den Steinen und wällert 
meine Blumen. \ 

In den großen Gemäcern wandelte ih oft, obſchon 
fie wär und leer waren. Mur ein Bild fand id in einem 
Kabinette noch, das ih fehr.lichte. Es fellte eine fhöne 
‚Grau dar, en Heines Kind an ihren Bufen drädend. Das 
Gent der guten Frau betrachtete mid fo liebevoll, obſchon 
Senotigteit die Farben etwas verdorben hatte; und der 
Beine Kaabe an ihrer Bruft laͤhelte mid immer fo ſchel⸗ 
mifch an, als ob er fagen wolle, kennt Du mid denn nicht? 
— Rad) vielen vergeblicgen Bitten und unerfällten Verhei. 


2 Lebensbefhreibung des 


Sungen bewog id) endlid meinen alten, fteifen Lehrer, fi 
mit mir eines Tages die Treppen hinauf zu-bemühen. Gr 
verftand ſich gar nicht auf Bilder und dergleihen: als er 
aber das Gemälde lange betrachtet hatte, ſprach er: Ih 
mügte mid) febr irren, oder das ift ein Bild Deiner feligen 
Mutter; mas das Kind aber bedeuten foll, weiß ich nicht; 
vermuthlich ftellt es Deinen ättern Bruder vor, wie er Mein 
war. Dir gleicht es ja nicht. Nun bolte ich die Haushäl- 
terin, die mich gleich verfierte, das Kind ſolle Niemand 
anders als mid) bedeuten, und dap ich gerade fo ausgefehen 
babe, als ih nur erft zwei Jahre alt geweſen. 

Bie lieb mir das Bild von. diefem Tage an wurde, 
begreift ein Jeder, der eine Mutter verloren hat; id ging 
taͤglich da binauf, und.dort verrichtete ih mein Morgenge ⸗ 
bet, wenn die Sonne heiter in's Kabinet herein Arablte. 
Eines Tages wollte ih aud mein Abendgebet daſelbſt ver- 
richten; es war ziemlich fpät, und der Mond ſchien durch 
die langen, großen Fenſter der Gemaͤcher. Als ih in's Ka⸗ 
binet treten wollte, wozu die Thür halb offen fand, ſchien 
es mir, als entdece ich eine weiße Geftalt, vor dem Bilde 
mit gefaltenen Händen ſtehend und es fehr aufmerkſam ber 
trachtend. Als die Geftalt meine Enarrenden Fußtritte hörte, 
kehrte fie das Geſicht gegen die Thür, umd id) glaubte das 
Antlig meines feligen Vaters, weiß wie die. Alabafterbäfte 
auf feinem Sarkophage zu feben. Ich entfloh mit einem 
Geſchrei. Es half nichts, dag mid mein Lehrer verfiherte, 
es fei nur meine eigene, aufgeregte Ginbildungsfraft gewe⸗ 
fen. Ih wagte nie mehr, die dden Hallen im Mondſcheine 
allein zu betreten. Im Morgenroth, wenn die Vöglein drau⸗ 
den in den Bäumen ſchlugen, beſuchte ich fie aber immer 
noch getroft. 


Don Cyrillo de Balaro. 173 


Der gute Francesco Mercy ſchlug mir eines Tages vor, 
mit ihm nach einer Meinen Strage der Stadt hinzugeben, 
um einen alten Freund von ihm au beſuchen, der jeht da 
wohne den er mir aber noch nicht nennen wollte. Er fagte 
mir, es fei ein ſehr gereifter Mann, der nod vor Kurzem 
in weit glücklicheren Umfänden gelebt habe, und mir viele 
unterhaktende Geſchichten erzählen Lönne, wenn er nur wolle. 
3% folgte ihm gern; umd wir traten in ein ziemlich ſchlech⸗ 
te6 Zimmer binein mit geweißten Wänden, wo eine große 
roftige, eiferne Kette am Nagel King, wie in einem Gefäng- 
aiffe. Ein ältliher Mann mit einem fonneverbrannten, 
aber fehr bedeutenden Gefihte faß in einem wunderlichen 
Lehnſtuhle von geflschtenen Weidenruthen. In Käfigen bin- 
sen mehrere ſchone, bunte Vögel, dergleichen ich noch nie 
sefeben hatte, und einen huͤbſchen, Kleinen, bunten Teppich 
von Baft hatte er unter den Fügen. Sonft war das Stu- 
bengeräth aͤrmlich und ſparſam, und der Mann ftüpte feir 
nen Arın auf einen ungemalten Fichtentiſch, worauf ein klei⸗ 
ner Erdglobus ftand. Er ſaß in Gedanken vertieft, ftarrte 
den Globus am und drehete ihn fhielend mit dem Finger 


im. 

Als wir hinein traten, erhob der Fremde fein großes, 
braumes, ſeelenvolles Auge, das etwas gefehen au haben 
fbien, was kein anderes Xuge fo gefehen hatte, und laͤchelie 
freundlich. 

Bitommen, Fteund Perez. ſprach er mit ſchwacher 
Stimme, bier fige ih mit meiner Meinen, neuentdedten Erde, 
der ich ein Ianusgeficht verſchafft babe, fo dag fie künftig 
zu ‚beiden Seiten hinausſchauen ann. Barum bemüht ſich 
doch der Menſch fo viel, Erde zu finden? Braucht er doch 
auleßt nicht mehr, als ein haar Schaufeln vo, um die mü- 


174 Ledenebefhreibung bed 


miden Gebeme zu bedeßen. Wer in der hähihe Meine 
Knabe da? 

Mein Lehrer fagte es ihm, und ſprach zu mir: Krie 
nieder, mein Ad, und lag Dir vor diefem unſterblichen 
Manne den Segen geben. Er leidet auch unfdmldig. bat 
auch die Armſeligkeit, den Neid und De Merfolgung der 
Menſchen erfadren. Du fehh hier den großem Adwirei 
Chriſtoph Colon, oder wit er in feiner italieniſchen 
Mutterſprache eigentuch heigt: Eprimonhoro Golumbe. 

._ Gutes Kind, ſprach Columbo, feine Hand anf meine 
Stra legend, faffe Muth! Du Hit in den glücklichen Iab- 
zen aller fhönen Moͤglichteten. Saue nit zurüd auf 
die träbfelige Vergangenheit, fondern nur vorwärts in die 
rofige Zufemft Wäre ich noch jung, wie Du, dei Gott, 
ich wollte nicht trauern, noch nicht Die Segel einziehen; ich 
würde meine Tühne Flagge mieder weben laffen umd in die 
offene Eee ftecyen. — Und doc, verfeßte er nach einer Bei 
nen Belle — was wollte ich eigentlich efdeden? — Me 
ſchen und Menſchenwohnangen? Die kenne ich ſchon gar 
zu gut. . 

Seine Haushälterin fam berein und fagte ihm etwas 
leiſe in's Ohr. Als fe nieder Hinausgegangen war, kehrte 
er ſich zum Freunde und fagte: IA ſchaͤme mich faſt mein 
lieber Francesco, doch Roth bricht Eifer, Mint Ipr wir 
auf acht Tage fünf Piafter leihen? Es ſcheint freilich laͤcher ⸗ 
lich. daß der Vicefönig von Indien, der ſeiner fbanifchen 
Majertät die Schattammer mit GoM fühte, um fhnf Pia 
ter bitten fol. Meine Kaffe ift ader Ieer, ich habe dem 
Könige alles gegeben, meine Meine Prmfon iR mod nicht 
angetommen, und man fogt ja: während das Gras wär, 
Miebt die Kuh. Mm koſtiliamiſchen mad adagoniſchen Gef, 


Den Cyrillo de Balaro. 175 


weißt Ihr, geht alles fehr langſam. Komie es adıt Ihre 
dauern, bevor ich die drei Böte bekam, womit id die neue 
Belt entdedte, wie lange wird es dann nicht dauern, ehe 
dag die Denfion mir angewieſen reird, beſonders wenn mein 
Bund Don Iuan Rodrigo de Fonfeca fie mir anszahlen 

Mein Hofmeiker brach in Bermänfhungen über die 
Undantbarteit der Regierung aus, Columbo bat ihn aber, 
ubig zu fein. — Ich din Thon über folde Citelteit Hin 
aus, ſprach er, denn ich fühle, dag id bald eine weit grör 
Bere Reife zu thun habe, nach einer wichtigern terra inco- 
gnita als Indien ift. Ich will dem Könige Fernando feine 
Vorwürfe marken; feine Heine Seele kann nichts Großes 
fgägen. denn er ande nie, was Bröge war, and in feinem 
neidiſchen Herzen wurzelte nur Eiferſucht gegen alles Aus⸗ 
ocjeichnete. Us die Königin Iſabella Hark, fiel meine letzte 
Stäge; fie fhäpte das Verdienſt und war eine feline Fran 
ihren einzigen Fehler, eine gar zu hohe Meinung von deu 
Fähigkeiten ihres Grmahls, würde man ihr im Privatßande 
als eine Tugend angerechnet haben. Auch vergebe ih gern 
allen meinen Feinden. Wäre ic ſelbſt nicht ebrgeizig ge⸗ 
wegen, fo hätte ich als Ausländer, als äremder, nicht den 
ſpaniſchen Nationalftolz gegen mic) gereizt. Barum wollte 
ich Bicekönig fein? War der ſchlichte, genueſiſche Schiffer 
Chriſtoph Columbo, der die mene Belt anf feinem gebred- 
lichen Fahrzeuge emfderkte, der ſich erft durch alle Hoftaba» 
ien, dann durch alle Scheeren und Gandbänfe arbeitete, 
ohne zu feheitern, micht mehr werth, als ein weitindifcer 
BVicekönig, wozu man jeden Höfling, jeder Schwachtopf mar 
hen Tann, der immer hoͤher fteigt, je tiefer er ſich büdt? 
Darum vergebe ich auch dem armfeligen Bovadilla, der mich 


176 Ledenebeſchreibung des 


mit dieſer eiſernen Kette als Verbrecher nah Europa brin- 
gen ließ; und weiß Gott. die Kette hängt nicht da an der 
Band aus Rate, um ihn vor der Welt anzuklagen, fon 
dern als ein memente mori aller weltlichen Eiteiteit. und 
fo fol fie mir aud) in's Grab folgen. - 

Ih beſuchte von diefem Augenblide an ale Tage den 
großen Golumbo, der Vergnügen daran zu finden ſchien 
mir Fleinem Jungen viele feiner Sata und Begebenheiten 
zu erzählen, und fo hörte ich Denn aud, daß er einmal nahe 
daran geweſen, wie ic jept, ‘auf der Infel Jamaita Ein- 
ſiedler zu werden, ganz von aller gefitteten Menfchengefelle 
ſchaft getrennt, 

Seine Gefundheit litt täglich mehr, umd er neigte ſich 
augenſcheinlich zum Grabe. Eines Abends, als ich ihn be 
ſuchte, war er ſehr aufgeräumt, er hatte cin Lied gedichtet. 
Das Fenfter ftand offen, die Luft war fo dunkelblau wie 
das Meer, und leichte Wolken, von der heruntergehenden 
Sonne mit Gold verbrämt, ſchwebten fern am Horizonte als 
Inſeln. — Lies mir einmal dies Schwanenlied laut vor, 
mein Sohn, fhrah er, indem er beide Hände über dem 
Erdglobus, der vor ihm auf dem Tiſche ftand, faltete und 
mit feuchten Augen in die fernen Bolten hinaus ſchaute 
Ich las: 


Bald if Mich nım vonbract. 
Bald die Bleife wird beginnen, 
um das unentdedite Sand, 
Gcmeien Sanfeh, dort in Anden. 


Tas ein Icder jcioR entdeckt, 
One Raaricht doch im bringen, 


Don Gyrillo de Balaro. 177 


Denn kein Eaifer Behr inräd, 
M er felig aar von binnen. 


Bein gefcmittned Hol, kein Baum 
Wird hierdergefpäß vom Gimmel; 
Keinen Leichnan Anden Du 

Bon verforbnen: Gngelätinde. 


aues iR Geheimnis Dir; 

Nur durch Glauben, Freud‘ und Liebe, 
War dura Hoffnung ſegein Du 

Dort auf Deined Zoded Seife. 


Opanne dann die Setel auf 
Unverzagt,-mein frommer Schiffer! 
Seele, durch dad Meihermeer 

Wirt in kurzer Zeit Du fchroimmen. 


@o kein Biel die Tiefe mist, 
Eaeitern Du auf feinem Rift, 
Und Die Engelöflügeleim 
Werden sum Yaflate dienen 


Eo verlafe denn getroft 
Die Koren, die nur irdiſch; 
@o Die Volte roiencoth, 
Da iR Deine Rettungdinfel, 


Sicht Di den San Ealvador? 

Deinen Heiland wirft Du finden. 

Wo nicht Gitelfeit Dich treibt, 

Bird Dir feine Freude ſchwinden. 
Kedlenf. Echriften. XVIL. 


178°. Lebensbefreibung des 


Ich hatte das Lied nach Verlangen wit lauter, deut 
Hiper Stimme vorgelefen, und warf jept meine Augen vom 
dem Papiere Hin auf den Verfaſſer, um ihm für die Fromme 
Dichtung zu danken. Da faß der große Columbo todt, mit 
den gefalteten Händen über dem Erdglobus, und feine ge⸗ 
brochenen Augen ftarrten hinaus. nach den Wolteninfeln; 

. die Abendfonne lächelte heiter auf feine roftige Kette, und 
fünftchalb Piafter lagen noch auf dem Tiſche. 





Ich Habe ſchon erzählt. dag mein Bruder ſich zwiſchen 
feinen Büchern und der Jagd theifend, einfam im Walde 
baufete, wobei er die Sonderbarfeit zeigte, feines Bedienten 
Hüffteiftung haben zu wollen. Zweimal woͤchentlich ließ er 
ſich die nöthigen Lebengmittel in einem Korbe binaustragen 
und in die Vorhalle des Beinen Jadſchloſſes hinſehen. Und 
fo lebte er denn als ein wahrer Eremit mit dem Hunde, 
der fein einziger Freund und Verfrauter war. Denn er 
hatte, feit dem ſchaͤndlichen Spiele, das man’ mit unfers 
Waters Leiche getrieben, einen wahren Haß gegen die Men» 
ſchen gefapt, Alle Borftellungen des biedern Francesco Per 
rez balfen zu nichts, und mie ein ıhipiger Jünbling bald 
mit feiner Theorie fertig it, fo geſchah es denn aud bier. 
Selbſt der ehrliche Perez verlor die Freundſchaft meines uns 
vernünftigen Bruders, weil er feinen Spipfindigkeiten und 
Liehlingsideen widerſprach, und beweiſen mollte, dag noch 
Ebrlichteit und Liebe unter den Menſchen ſeien. — Nein, 
tief der aufgebrachte Dionyfio, der Menſch iſt ein falſches 
Thier, nur von Eigenliche, Woluft, Graufamteit, Kälte, 
Trägheit, Neid und Unbarmderzigfeit zufammen gefeßt. Nur 
unter den Thieren iſt noch Treue au finden. Der Hund ift 





Don Gprillo de Valaro. 179 


treu. Der liebt mic) ehrlich; er mil nichts von mir, als 
die mothwendigfte Bedingung feines Lebens; er fhüpt mid 
wachfam und mutbig, und verläßt mid nicht in der Noth. 
Mit den- ehrlichen braunen Augen blidt er mir, ohne Falſch. 
tief in die Seele. Nur Fidelio fol mein Lebensgefährte 
fein, und fterh’ id einmal, fo bin id gewiß, er wird auch 
vor Gram auf meinem Grabe erben. 

So kehrte er mit dem Hunde in den Wald zurüd; auf 
dem Nüden hatte er feine Flinte hängen, an der Seite fein 
Waldhorn, welchem er im Weggeben die lieblichſten Töne 
entlockte, die feinen Gemüthszuſiand mir wenig verriethen, 
denn er war auf diefem ſchwierigen Juſtrumente ein ziem⸗ 
licher Virtuoſe 

So verſtrichen meine Kinderjahre. Ih beſuchte meinen 
Bruder ein Paarmal jaͤhrlich auf dem Jagdſchloſſe, und 
lebte ſelbſt mit meinem lieben Lehrer Fernando Perez in 
filter Rube 

Als Züngling ging ic äfter in die Kirche, als gewoͤhn⸗ 
lich. Sol id meine Iugendfünde befennen? Nicht fo fehr 
aus Gottesfurdit, als um die fhöne Muſik zu hören, und 
eine noch ſchoͤnere Srauengeftalt zu fehen, die während der 
Meffe alle Augenblide ihre Junoaugen auf mic richtete, 
Bir fahen uns oft da, und die Blide wurden immer ſchmach- 
tender und zärtliher. — Ich wagte keinen Schritt weiter 
zu thun. Sie hatte aber mehr Muth, als ih. Einmal 
in Weggehen drüdte fie meine Händ zaͤrtlich im Gedränge, 
und der Drud zudte mir durch Mark und Bein. — Den 
noch wagte id es nicht, ihr zu folgen, noch kannte ich fie 
bei Namen, ich fürchtete mid), Iemanden zu fragen, damit 
nicht das Beben meiner Stimme und meine Gefihtsfarbe 
mein Gcheimniß, verrathen möchten. . 

12° 


. 


180 Lebensbeſchreibung des 


Ber ſchildert meine Angft, als ich meine Ehöne in 
den folgenden Tagen nicht mehr in der Kirche fand? Eroft- 
los ſtrich ich durch die Stragen, um fie vielleicht zu finden. 
Ach, dachte ih, das iſt eine fchöne Reiſende gewefen, fie ift 
jeht nach fernen Gegenden gezogen, und Du ſiehſt fie nim⸗ 
mermehr. 

So mit mir felber redend, ging ich vor einem großen 
Palaſte vorbei wo Trauergardinen in den Zenftern hingen. 
Eine Gardine ward von einer ſchneeweißen Hand megge 
zogen, und wie ein Engelstopf hinter einer Wolke erſchien 
meiner Geliebten rofiges Gefiht, welches der Tranerflor 
noch) reigender machte. 

Kaum fehe ich fie, fo ſtürze ich, ohne mich au bedenfen, 
die Treppe hinauf. Site begegnet mir in einer großen Bor» 
halle, mir fliegen einander in die Arme, unfere Lippen bes 
gegnen fih. Kaum aber habe ich den erften fügen Schaum 
der Liebe gefhlürft, fo bittet fie mich ängftlich, gieich wieder 
weg zu gehen, damit mic Niemand fehe. — Die Sitte 
lispelt fie, erlaubt mir noch nicht, Dich hier bei mir zu fer 
ben. Mein alter, kräntlicher Mann ift vorgeftern geftorben, 
da drinnen ſteht feine Leiche noch. Eile, damit Dir weder 
Bediente noch Berwandte auf der Trephe begegnen. Ich 
tenne Di, Cyrillo liebe Di! Nur Du, fhöner Iängling, 
ſollſt mein Herz befigen, mein Gatte werden. Entferne Dich 
aber heute ſchnell wieder, damit Did) Niemand treife. 

Ich tanmelte fort und wußte nicht recht, ob Dies ein 
Traum fei oder nicht. Erſt als ich die fange Straße zu 
Ende gefommen mar, wagte id, einen Laftträger zu fragen, 
mer dort im Trauerhaufe mohne. Das ift die (höne Donna 
Eleonora de Spfva, antwertete er, bie heute ihren alten 
Mann begräbt, den fie todt geärgert hat, und wenn ihre 


Don Cyrillo de Valaro. 181 


Feueraugen nicht lügen, fo wird fie wohl bald einen fri» 
fen, jungen Gatten wieder nehmen, wenn das Trauerjahr 
nur erft verfloſſen ift. 

Gütiger Himmel, dachte ich junger Thor in meiner ein» 
fältigen Ungeduld: ein ganzes Jahr mußt Du nod warten. 
Ich eilte nach Haufe, wo mir wein alter Lehrer mit einem - 
fo ernften Geſichte begegnete, dap ih ihm fein Wort zu far 
gen wagte. Einen Bertrauten brauchte id aber. Ich bes 
ſchloß alfo, meinem Bruder wieder einen Beſuch zu machen. 
Sonſt wenn ih bei ihm war, fofte die Unterredung alle 
Augenblide, weil wir einander nichts zu fagen hatten. Jett 
war mir das Herz vol. Ich eilte froh hinaus, und haste 
gerade einen fühlen Abend dazu gewählt, da der Mond 
ſchien und die Nachtigallen meine verliebten Träumereien in 
fügen Liedern ausdrüdten. 

Als ich mic; dem Jagdhauſe näherte, ſah ich meinen 
Bruder tieffinnig im offenen Fenſter fipen und den Mond 
betrachten. Kaum fah er mi, fo forang er auf und rief 
mit Düfterer Freude: Nun, fo Lömmft Du dod endlich, Ch⸗ 
rillo! Sebnfühtig babe ich auf Dich jeden lichten Mond⸗ 
ſcheinabend gewartet, und die Stunden des Monats an der 
Abnahme und Zunahme der wanfelmüthigen Luna gezählt. 
Bäreft Du jetzt nicht gefommen, fo hätte ih Dir einem 
Brief ſchreiden müflen, den vermuthlic ein Anderer gefun- 
den, und ſich fo Deines rechtmäßigen Vermögens bemaͤchtigt 
bätte. Hier, lieber Bruder, find die Juwelen, das Einzige, 
mas mir noch gerettet haben. 

Er warf mir ein verfiegeltes Pädhen hinunter in mei⸗ 
nen Hut, drauf ſprach er: Und jept, mein Cyrillo, muß ich 
von Dir Abſchied nehmen, um den Schatten unferer Eltern 
in jene unſichtharen Reiche zu folgen, 


182 Lebensbeihreibung des 


Ich rief: Um Gottestoillen, mein Dionyſio, was fol 
diefe erſchregliche Nede? Du fterben, in Deiner Jugend vell 
Kraft und Etärke? Dionyfio, biſt Du wahnſinnig gemor- 
den? — Ehon etwas, antwortete er fürchterlich, und zaudre 
ich länger, werde ich es immer mehr. Mein Mund wird 
austto@nen, meine Zunge wird mir rauh zum Munde aus 
bängen, mie bei einem nad) Baffer bechzenden Hunde; meine 
Stimme wird heifer und abgebrochen, wie das Bellen des 
Hundes, 

Gott im Himmel, Dionyſio, rief ic, bift Du vergifter 
worden? Ber hat das gethan? — Mein einziger Freund! 
rief er, laut und hoͤhniſch lachend; bei dem nur noch Treue 
au finden war, der mir. ohne Falſch, mit chrlihen Augen, 
tief in die Seele ſahz mein Fidelio, der Gefäbrte meines 
Lebene! Mein Hund, die verdammte Bekie, die die Wafler- 
ſcheu befommen Hatte, lohnte mir fo, als ich ihn liebkoſte 
und über die Riederträgjtigkeit der Menſchen meine gewöhn- 
liche Spottrede hielt Zwanzig Tage find es her. Noch 
ſchleicht das Gift heimlich in den Adern herum, mie ein 
Bandit in den dunkeln Simmern, ehe cr den Mordſtreich 
gethan. Allein keine Rettung iſt da, und fo will id) denn 
meinem haͤmiſchen Zeinde zuvorfommen! Kein Chriſt, fein 
Menſch kann mir diefen Selbſtmord zur Sünde anrechnen. 
I habe vor mir felber gebeichtet, id habe vor dem Kru⸗ 
zifix im Walde gefnict, und nun will id einem beſſern Da- 
fein keck entgegen gehen. Lebe wohl, Eyrillo! — Mit die 
fen Worten ergriff er die Iagdflinte, ftedte ih den Lauf in 
den Mund, drüdte den Hahn mit dem Fuge ab, ein Schuß 
fiel, und mein unglüclicher Bruder flärzte mit zerſchuetter· 
tem Gehirn zurück. — 

Ich weiß nicht, wie lange id verſteinert fand, obn 


Den Syrilfo de Baları. 183 


mid) vor Schrecken bemegen zu fünnen. Zur Befinning 
tam ich erft wirder, als mid, einige Bauern ergriffen und 
fragen: Was haft Du in der Hand? — Das find die Ius 
weien, antwortete idy mit gedämpfter Stimme, und ftarrte 
fie an. — Greift ihn,-rief der Eine, da iſt der Mörder, 
er bat ihm die Iumelen geſtohlen. Sie padten mih an 
und fchleppten mic) fort. Es half nichts, dag ich zu wie 
derholten Malen rief: Ih bin fein Bruder! Menfhen, 
märhet doch nicht, mie der Hund. — Bift Du fein Bruder, 
antmorteten fie, fo iR Deine Sünde noch viel größer, dann 
daft Da ärger ale ein Hund geräthe. — Mit diefen Wor⸗ 
ten ſchlebpten fie mid fort und warfen mid) in ein elendes 
Gefängnig. . 

‚Hier blieb ich aber nicht Tange. Meine Ausfage, dag 
mein Bruder in Hundswuth fich felbſt getödtet habe; wurde 
von den unterſuchenden Aerzten befätigt. Als Brudermör- 
der fonmte ich alfo nicht geraft werden. Man hatte aber 
die Juwelen gefeben, und einigen Samiliaren der Inauifitior 
geläftete danach. Eines Morgens, als ich in Freiheit ge 
feßt zu werden boffte, holten fie mi nur heraus, um mid. 
in ein nody ärgeres Gefängniß zu werfen. Sobald id hier 
ankam, verzweifelte ih am meiner Rettung. An eine or 
dentlihe Nehtspflege war in dieſer Höhe nicht zu denten. 
Der Gefangene mußte ſich ſelber anlagen, heimliche Kläger 
murden gehört und geglaubt, ohne mit dem Belduldigten 
confrontirt zu werden. Ich mußte nod gar nicht, was ich 
getan hatte. Endlich frug mid ein frommer Pater, ob 
ich nicht Hehauptet habe, dag einige der heiligen Märtyrer, 
ſchwaͤrmeriſch aus Eitelkeit den Tod geſucht, und ihre Pei⸗ 
niger mit Scheltworten aufgehcht hätten, damit fie ſelbſt 
feliger im Paradieſe glänzen, und ihre Henker tiefer in der 


184 Lebenobeſchreibung des 


Hölle brennen möchten? — Diele Auklage verfepte wich in 
die größte Angſt. denn obſchon ic meinen Eid darauf ab» 
legen konnte, daß ich mic) folder frevelbaften Worte gegen 
die Heiligen nie bedient babe, fo Tonnte ich doch nicht Fäug- 
nen, daß id) einen ähnliden Gedanken gehrat, und dag mir 
der Zweifel entihlüpft war, ob wohl eine ſolche Luft, ein 
ſolches Hafıken nad) einem ſchmerzlichen Tode, wo er nicht 
eben nothwendig fei, Gott angenehm fein könne? 

3% bereitete mich num zu meinem Tode, den ih un 
vermeidlich glaubte, und als bei dunkler Nacht zwei Mas« 
ten in Mänteln zu mir bereintraten, um mid abzuholen, 
ermutbigte ih mich, um nad dem Blutgerüfle zu wandeln. 
Es wunderte mic) fehr, daß die Hinrichtung bei Nacht ger 
ſchaͤhe, denn fonft pflegte man folde Blutſchauſpiele beim 
beilen Tage unter dem Läuten der Domglode in gro⸗ 
ben Prozeffionen dem Volke zu geben — Die zwei Mas 
fen Liegen mid). in einen Wagen Reigen und fuhren im vol 
ten Lauf nad Simanca, einer Meinen Stadt am Duero. 
Hier braten fie mich auf ein Fahrzeug mit einer Heinen 
Kajüte und verliegen mic. 

Bas ſchildert mein Entzüden, als ich mi plöhlich von 
den fhönen Armen meiner geliebten Donna Eleonera de 
Splva umſchlungen fühlte? — So habe id Dih doch ge⸗ 
rettet, mein Inniggeliebter! rief fie. Hier find Deine Dia- 
wanten, (fe: veihte mir ein Padet) und bier ſind die mei⸗ 
nigen (fie zeigte mir ein äbnliches). Bir ficken neh Vor⸗ 
— und von da nach Ferrara, wo ich maͤchtige Beihäger 

2. 


In Liſabon bielten wir ung nur kurz auf. Als wir. 
ein Vaar Juwelen verkauft hatten, miethelen wir uns ein 
SAT, um damit nach Benedig zu gehen. Ic hätte mid 





Don Eyrillo de Balaro. 185 


gern gleich mit meinst ſchoͤnen Gleonora teauen-Iaffen, wenn 
ee die Sitte nit verboten hätte, weil noch fo kurze Zeit 
von ihrem Witwenſtande verfloflen war, Die barbarifhe 
Einrichtung, rief fie, ein ganzes Jahr feiner fhänften Ju⸗ 
gendhlüthe dem Andenken eines graͤmlichen Alten zu opfern, 
den man im Leben wie geliebt hat, foR uns aber nicht lange 
binden, wenn wir erſt in Ferrara find. Ich babe ſchon der 
Herzogin von Ferrara, Lucrelia Borgia, einer Freundin mei 
wer feligen Mutter, geſchrieben. Sie wird bald vom Papfte 
Leo einen Brief. haben, worin wir gegen die Nadıftellungen 
der Inauifition Schuß. finden, und Erlaubniß bekommen, 
uns gleih zu heirathen. Solchen Meinen Dienft wird er 
einer-italienifhen Herzogin, und der Toter feines Borgän- 
gers nicht abſchlagen. 

Die Toter feines Vorgängers? rief ich erftaunt, und 
flug die Hände zuſammen in meiner Unfhuld, ih dachte. 
die Paͤbſte dürften ſich nicht verheirathen? — Meine fhöne 
Braut betrachtete mid ſpoͤttiſch, mit einem Wohlgefallen, 
wemit erfahrene Frauenzimmer oft ganz unerfabrene Jüng · 
Hinge anfehen, die in fie verliebt find — ſtrich mir mit der 
feidenen Hand Über das Geſicht und ſprach: Du bift ein 
Neuling in allem, mein Eyrillo! Weißt Du denn nicht, dag 
man auch natärlihe Kinder bekommen Tann? — Aber das 
in ja eine große Sündel rief ich treuberzig. — Fur An 
dere, ja, antwortete fie ſchlau ablenkend; wer wagt aber 
den heiligen Vater mit der dreifahen Krone zu richten? — 
Bie bie denn ihr Vater? frug ih. — Alerander der 
Sehe. — Aber das foll ja ein Ungeheuer von einem 
Papſte gewefen fein. — Still, Cyrillo! rief Eleonora, ge 
‚wöhne Dich daran. mein reund, künftig Deine unäberlege 
tem Gefühle beſſer in Deinem Bufen zu verbergen. Ein 


186 Lebensbeſchreibung des 


ſolches Wort fonnte uns in Ferrara unglädtih machen. 
Alerander war nicht gut, das iſt gewiß, er hat mande 
Mordthaten auf feinem Gewiſſen, lebte gar zu ruchlos; 
zuletzt fiel er and in feine eigene Schlinge und frank aus 
Verſehen den Giftbeder, den er für Andere bereitet hatte. 
Bas kann aber die unſchuldige Lucretia dafür? — Unſchul - 
dig? rief ib; und fie fol im frevelhaften Verhäftniffe zu 
ibrem eigenen Water geftanden haben. — So ſpricht der 
Leumund, ertiederte Gleonora; der edle Herzog Alphons 
bat fie zur Gemahlin genommen; das bindet allen loſen 
Gerüchten den Mund; umd fagt nicht ſelbſt der große Arioſto: 


Qucretia Borg a, die mit jeder Stunde 

Stets neue Chönpeit, neue Tugend zahlt; 

Und waͤchſt an Ruf und Blüct, fo wie bie Pflanze 
Im lodern Erdreich wächft beim Sonnenglanje*). 


Ich liebte, meine Eleonora fo fehr, und mar in der 
neueften Weltgefdichte fo wenig zu Haufe, daß id ihr gerne 
glaubte, Hätte fie aud) die Lucretia Borgia zu einer Lucretia 
Eollatina gemacht. Wie konnte ich auch anders, als ein fo 
ſchones Weib lichen, das mein Leben gerettet hafte, und 
mid) mit ihrer Gegenliebe Heglüdte? Der graufame Famir 
liar Hatte ſich ſterblich in fie derliebt; fie hatte verſprochen. 


*) Rad ber Gries ſchen Meberfegung. Im Originale Yeißt ed: 
Lucretia Borgia, di cui d’ora in ora 
La beitä, a virtü, ia fama onesta 
. E ia fortuna crescerä non meno 
Che giovin pianta ia morbido terreno. 


Den Eyrillo de Balaro. 187 


ibm feinen Wunſch zu verfagen, wenn er mid) reiten könnte. 
Verblendet von Liebe zu ihr, hatte er ihr meine Iumelen 
und den Echläffel zum Gefängniffe gegeben, nachdem er die 
Unterbedienten im entſcheidenden Hugenblide entfernt hatte. 
Daß fie ſelbſt auch entfliehen wollte, konnte er nicht abnen. 
So hatte fie ihren großen Palaft, ihren guten Ruf im Stich 
gelaffen, um mir zu folgen. 

In Ferrara wurden wir von der herzoglichen Familie 
gut empfangen. Der Herzog mar ein edler, freundlichet 
‚Herr, etwas ſtill und verſchloſſen er liebte aber die Künfe 
und Wiſſenſchaften, und es machte ihm Vergnügen, feine 
Iedigen Etunden mit Erzarheiten und Metallgießerei zu⸗ 
aubring:n. Seine Gemahlin Lucretia war eine blendende 
Schönheit gewefen, und noch, durch die Künfte der Toilette, 
fehr Hübfh. Sie empfing meine Eleonora mit mütterlicher 
Güte, fie ſchloſſen ſich oft mit einander ein, und haztın ſich 
vieles zu erzählen und zu vertrauen. Wir erwarteten indeg 
alle Tage das Breve vom Papſte. Ein hübſches Haus follte 
uns getauft werden: unfere Juwelen fiherten ung ein Ber- 
mögen, wovon wir anftändig eben fonnten. So ging alles 
uortrefflih. I befümmerte mid um nichts. Lichte meine 
ſchone Braut, ward von ihr, wenn auch nicht fo innig, doch 
heftiger gelicht, und fo hing der Himmel vol Geigen. Zum " 
Hofmanne war ich nicht geboren, das merfte id gleich; ich 
liebte die Einfamteit, und konnte nur ſprechen, wenn ich 
felbander mit einem Freunde war. Diefen Freund fand id) 
da, wo id) es am wenigſten erwartet hatte. Der berühmte 
Dichter Arioft war mir ein folder. 

3% batte mir ihn, nad den Beihreibungen meiner 
Eleonora, und nah den vielen — rein aus zu ſagen — 
etelhaften Schmeicheleien. die er im rafenden Rolande an 


188 Lebens beſchreibung des 


den Kardinat Hippolit verſowendet hatte, als einen gefchmei- 
digen Höfling vorgeftellt, den ich nie würde leiden tönnen. 
Es war mir alfo ein faurer Gang, als ih auf das aus 
druckliche Verlangen meiner Braut ibm meine Aufwertung 
machen mußte. Gr hatte ſich neuerlih ein Häuschen mit 
einem Garten in der Strage Mirafole gekauft, der Kirche 
St. Bencdetto gegenüber. Ich munderte mid, daß ein 
Mann, der in feinem Orlando fo prächtige Paläfte geſchil- 
dert babe, ein fo ſchlichtes Haus bewohne. Als ih aber 
die Inſchrift über der Thüre las: 


Klein is, doch ie gerecht, auf Riemand’s Koflen, dea auch nicht 
Wermlich, für eigenes Geld, ward mit Das eigene Haus *). 


fing meine Furcht an, etwas nachzulaſſen. Ich klingelte, 
und dachte daran, wie ic dem großen Manne ein wohl 
gedredfeltes Kompliment machen folte. Der Herr war aber 
nicht zu Haufe, und ich mußte in den Garten geben, wo ich 
alles fchr niedlich fand; die Fruchtbäume und Pflanzen im 
fhönften Wachsthume, die Gänge mit Baumrinde bedeit, 
die Blumen an gemalte Stöde gebunden. Kein Unkraut 
ließ ſich ſehen. Ein alter Mann mar zugegen, der einige 
Pflanzen wäflerte, gegen dieſen äußerte ich meine Zufrieden. 
beit, daß der Hausherr ein fo guter‘ Gärtner fei. 

Gärtner? wiederholte der Alte etwas fpöttifh, aber 
angleicy gutherzig. Ja, wenn der alte Antonio nicht wäre, 
fo würde das Ales bald ein anderes Ausichen bekommen, 


*) Parva, sed spta mihi, sed nulli obaszia, sed nen 
Sordida, parta meo ved tamen aore demas. 


Don Eyrillo de Valaro. 189 


Der gute Meffer Ludovico glaubt, es fei fo leicht, Blumen⸗ 
deete umzulegen und Bäume zu pflanzen, als Berfe zu ma 
Wen. Gr ändert beftändig, und läßt fein Ding über drei 
Monale fang an feinem Orte. Benn er Pflirſiſchkerne oder 
andere Saamen gefteitt hat, fo fiebt er fo oft nach, ob fle 
feimen, bis er zulegt den Keim zerbrochen hat. Und da er 
die Kräuter nicht Tennt, pflegt er, ſtatt ihrer, mit großer 
Sorgfalt das nahe daran wuchernde Unfraut fo lange, bis 
er endlih feinen Irrtbum entdedt. So Hatte er neulich 

Kapern gefäet und ging alle Tage bin, fie zu befehen, am 
Ende fand fd, daß das Aufgegangene Hollunder war; von 
den erwarteten Kapern war aber nichts zum Vorſcheine ges 
fommen, 

Diefe Rachricht ergößte mich ſehr und flößte mir — 
mas vielleiht Viele wundern wird — eine größere Achtung 
gegen den Befiper ein. Arioft dadıte ih, muß doc ein wahr 
rer Dichter fein, weil er ſich fo wenig um, die Oekonomie 
des Einzelnen befümmert, und ſich fo fehr über die Blüche 
der Bollendung freut, daß er darüber das Werden und die 
Zubereitung vergift. Ich war ſelbſt in der Art: kein 
Renſch konnte ſich mehr über Blumen, Pflanzen und Bäume 
freuen, als id, wenn fie blühend daftanden. Wie fle aber 
gepflegt werden follten, und mie fie alle hießen, mußte ich 
nicht. Die Namen, date ih, And willtürliche Benennun- 
gen. Die Pflanzen und Bäume haben lange sebtäht, ehe 
die Menſchen ihnen ſolche Namen gaben. 

. Es fam mir ein geiftlih gefleideter Herr entgegen, von 
dohem, anfehmlichen Wuchſe, mit einer ausdrudsvollen Phys 
fiognomie. Das war Arioſt. Er hatte eine breite, ge⸗ 
mölbte Stirn, ſchwarzes, krauſes Haar und als er die Müpe 
agr mir abnahm, entdedte ich eine kleine Glatze. Seine 


1% ‚Lebensbefhreibung des 


Augenbraunen ragten hochgewoͤlbt und fein über tieffiegende 
ſchwarze, beiterbiidende Augen. Er hatte eine Adlernafe, 
ſchmale Lippen, ſchoöne Zähne, hagre Wangen. Die Geſichts⸗ 
farbe war gelbbräunlih und ein dünner Bart bededte fein 
Kinn. Er ging langfamen Schrittes und grüßte mid) freund⸗ 
lich; als er hörte, wer ich fei, rief er: Ab, der junge Spas 
nier, der ſchon fo viele Abenteuer ausgeftanden hat, der 
Bräutigam der fhönen Donna Eleonora! Ihr müßt heute 
mit mir ſpeiſen. Wenn ich nicht irre, iſt es eben Zeit, zu 
Tiſche zu gehen. . 

Es f&meidyelte mir nicht wenig, gleich von dem großen 
Dichter zu Tiſche geladen zu werden. Er führte mid in 
ein fühles Speifeimmer, wo nur für Zwei gedeckt war, 
und id mußte ihm während der Mahlzeit meine ganze Ger 
ſchichte erzählen, von meinen Eltern, dem -öden Palafte, 
Colombos und meines Bruders Tod, meine Gefangenfhaft 
und meine Befreiung. 

Er hörte mir mit großer Aufmerkfamleit zu und weinte 
oft Über mein Schickſal, ag aber immer fort mit großem 
Appetit und vergaß beinahe, etwas auf meinen Teller zu 
legen, um das idy mich aber nicht fümmerte, denn es freute 
mid; mehr, den Dichter Arioft mit meinen Erzäblungen zu 
unterhalten, als zu eſſen Als aber beim Ende der Maple 
zeit fein Bruder Gabriel in das Zimmer trat und alle Ano« 
hen des verzehrten Geflügels auf feinem Teller fand, rief 
er: Nun bat er wieder in der Diftraction alles allein aufe 
gegeffen. Arioft machte viele Entihuldigungen, als er den 
Bo wahrnahm. den er geſchoſſen hatte, und die Köchin 
mußte mir gleich einen Gierfuhen mit Gonfituren bereiten, 
— So if er immer, rief der Bruder, nicht aus Gefräßige 
keit, fondern in der verfluchten Zerſtreuung. — Ic bitte 


Don Cyrillo de Valaro. 191 


um Verzeihung antwortete ih, Euer Bruder ift gar nicht 
zerſtreut geweien, er bat mir fehr aufmerkfam zugehört, 
und mir fein Mitleid während des Etzaͤhlens reichlich ger 
zollt. — Nun, fo iſt es aus lauter Anfınerkfamteit geſche⸗ 
ben, verfeßte der Bruder. Er iſt gefund, feht Ihr, und 
feift nur einmal des Tages; dann kann man ihm aud) vor» 
feßen, mas man will, er ißt cs auf. Erinnert Du Did 
nod), Zodovic, ald Dir der Freund Alberto Pio eine Kraͤhe 
oder Eule vorfeßte, die Du verzehrteft, in der Meinung, es 
fei ein Rebhuhn? Wie Du früh Morgens von Garpi in 
Yantoffeln ausgingeft, fo in Gedanken verloren, dag Du 
den halben Weg nad) Ferrara hinter Dir hafteft, ehe Du 
den Febler entdedteft, und darauf, um nick zurüd zu geben, 
acht gute Meilen nad) Ferrara in Pantoffeln gingeſt. 


Der Dichter laͤchelte, ich merkte aber doc, daß ihm der 
Spaß nicht bebagte. Gabriele Scherz mar von der Laune 
des alten Bärtners fehr verſchieden. Jener hatte in des 
Heren Abwefenheit gebrummt, vielkicht aus Ungeduld, weil 
er ihm etwas verdorben hatte. Hier fpielte mehr die Eitel- 
feit, die die Größe des Bruders durch Traveftiren verklei⸗- 
nern wollte, damit die Brüderfhaft nicht gehoben werde. 


Der Dieter bat mic), ihn oͤfter zu beſuchen, was ich 
gern that, und fo gelang es mir, -bald feine Freundſchaft 
im gewinnen. — Bir Dichter, ſprach er einmal, müſſen 
uns zu den jungen Leuten halten, in denen noch Saft und 
Kraft if. Es geht den Welteren wie den Spargeln und 
den Erbfen, fie verhärten ſich mit der Zeit, und find zuletzt 
gar nicht mehr zu geniegen. — Ich babe mi in Euch 
ganz geirrt, Meffer Lodovico, ſprach ich. Ich meinte, Ihr 
wäret ein Weltmann, ein Politi?er, fein und gefchmeidig, 


19 Lebensbefhreibung des 


wie ein Damenhandſchuh, und nun finde ich einem treu⸗ 
berzigen Prieſter der ſtill für ſich in feiner Klauſe lebt. 
Nun, mit dem PrieftertSume, antwortete er, iſt es nicht 
meit ber; freilich Meide ich mich als Priefter, und geniege 
durch die Vorforge des Kardinals Hippolit einige Pfründen, 
die beſſet wären, wenn ich mic die höhere Welhe zu neb- 
men hätte entfpliegen Können. Beil id aber die Sreiheit 
Tiebe, und das Recht, mid zu verheirathen, nicht aufgeben 
wollte, iſt es nie geſchehen. — Ihr feid ja aber doch wicht vers 
heirathet, fagte ih. — Nun, fo babe id wenigftens Erlaub- 
niß, es zu thun, wenn ich mil, und das iſt die Hauptfache. 
— Barum babt Ihr es denn nicht gethan? — Beil ih 
fürdtete, es konne mir einmal auch ein folder Becher ge» 
reiht werden, wie Rolanden vom Burgherrn im drei und 
vierzigften Gefange. Ihr wißt ja wohl? — Dreiundvier⸗ 
sig, antwortete ich ftotternd, id habe nur mit dem größten 
Vergnügen die erften zwanzig Gefünge gelefen, aber da 
kommt nichts darin vom Beer vor. Meine Braut bat 
mir ein Eremplar Eures Orlando. gefhentt — in Spanien 
in meiner Einfamfeit war es mir noch nicht zur Hand ge» 
kommen, — und auf der ſchnellen Reife — Nun, was 
braucht Ihr mir dafür Rechenſchaft abzulegen, rief Arioft, 
keine menſchliche Macht kann Euch dazu zwingen, meinen 
rafenden Roland zu Iefen. — Aber eine göttliche, fprac) ich 
die Macht des’ Gefanges felber; — wenn, wie gelagt, nicht 
die Zerffreuungen — Ihr fuͤrchtet vielleicht, rief Der Dichter 
lachend, den Faden der Geſchichte zu verlieren? Aber feht, 
mein junger Zreund, Deshalb habe ich chen den Plan fo 
locker und loſe angelegt, dag eigentlich gar fein rechter Fa- 
den darin ift, und daß man überall anfangen kann. Benig« 
ſtens geht der Faden nur in die kreuz und auer, wir der 


Don Cyrillo de Valaro. 193 


Seien der Ariadne im Labyrinth. Luſtige, verliebte, felt- 
fame Abenteuer, nur durch Blumentetten zufammen gefloch⸗ 
ten. Dadurd habe ich aber den Zeitgeſchmack getroffen. — 
Gersig, rief ih, das Gerüht fagt, Euer Gedicht habe fo 
fehr dem Vollsgeſchmacke zugefagt, dag es fogar in die ita- 
lieniſchen Räuberhöhlen gedrungen fei. Allein zwei Raͤthſel 
werdet Ihr mir erklären und loͤſen. ie war es möglich, 
daß der Kardinal Hippolit, der Euer großer Gönner und 
Zreund war, als er den Roland gelefen hatte, fagen fonnte: 
Aber, mein lieber Meifter Ludwig, wie haft Du doch alle 
die Narrenspoffen zufammenreimen können? Uud wie war 
es möglid, daß ein folder Mäcen der ſchönen Künfte feir 
nem nalürlihen Bruder aus Eiferſucht die Augen ausreigen 
laſſen konnte? — Die Antwort liegt in Eurer Frage ſel⸗ 
ber: Wäre Hippolits Herz weich und offen genug für die 
Dichtkunſt geweſen, fo häfte er feine folde Grauſamkeit ber 
sehen können. Wie follte aber der mit einem armen Poeten 
glimpflich verfahren, der feinen eigenen Bruder fo behane 
delte. — Und doc, ſprach ic, babt Ihe mit ihm fehr Lange 
gelebt, und ihn in Eurem Gedichte entſehlich gerühmt. — 
Gar zu viel, antwortete Ariof und flug die großen Augen 
nieder, die auf einige Augenhlide ihre ‚Heiterkeit: verloren. 
Jeder Menſch hat feinen Burm Die Italiener und die 
Dichter übertreiben gern ihre Lobeserhebungen, und ich ge» 
böre beiden Nationen an. Hippolit bat mic viele Jahre 
hindurch unterflüßt und gelohnt; immer etwas karg zwar, 
ich lebte aber doc bei ihm und theikte alle die Vergnuͤgun⸗ 
gen des Hofes. Jene Miſſethat war viele Jahre ein Ger 
beimnig. Jugend und Eiferſucht baden oft ein beftiges 
Herz zum augenblidlichen Ftevel verleitet, das ſich nachher 
gebeſſert. Hippolit betrug ſich in fpätern Jahren mit Anftand 
Oehlenſ. Schriften. XVII 13 


19% gebensbefäreibung des 


und Grazie. Gr mar fein ſchoner Geift, liebte mich als 
Geſellſchafter. nicht als Dichter. Die Dichtkunſt betrachtete 
er als etwas Untergeordnetes zum bloßen Bergnägen. — 
Jetzt habt Ihr es alfo weit beffer, Meſſer Lodovico, ſprach 
ic, beim rubigen, heifern Alphonfo, der große Künftler und 
Dichter über alles ehrt und liebt. Aber fagt mir doch, un- 
ter uns, wie hat Alphonfo die Lucretia Borgia zur Frau 
nehmen können? — Alphonſo ift und bleibt edel, antwortete 
Arioſt. Als der graufame Gäfar Borgia in Italien wü- 
tete: Hätte diefer giftige Drache ſich auch gegen Ferrara 
gekehrt, wenn nicht Lucretia im höchſten Grade ihrer felt- 
nen Schönheit eine Heftige Liebe für Alphonfo gefaßt hätte. 
Durch diefe Heirath hat er fein Zehen gerettet, und von fti«, 
ner ftillen, männlichen Größe bezwungen, hat ſich auch Zur 
cretia gebeflert. — Sp ift denn alles jegt gut und vor« 
trefflich rief ih. Der Herzog iſt glücklich, Ihr feid glüd- 
id), und ich werde aud bald glüclich fein. — Ich nenne 
mid glücklich, ſprach Arioft, weil ich gefund bin, ich muß 
mic) aber immer noch ziemlich Enapp durchſchlagen, und habe 
eine große Familie zu unterhalten. Alles wäre noch recht 
fhön, ivenn man uns unfer Erbgut Bagnolo liege. Allein 
meitläufige Prozeſſe, erft mit den Minoriten und dann mit 
der berzoglihen Kammer, verbittern mir manche ſchöne Tage 
des Lebens. Befonders jest, da Alphonſo Trotto, ein ver» 
unglüdter Poet, herzoglicher Factor und Curator des Fis- 
tus, mein Feind if. Er ift wie toll, fobald die Nede von 
mir iſt. Sonft in feinen Geſchaͤften war er vorher ein ganz 
ordentlicher Mann; er. bat aber jetzt die fire Idee, alles in 
der Poefie beſſer, oder wenigftens eben fo gut, als ih, ma- 
hen zu wollen. Schreibe ic eine Komödie, ſo macht er 
auch eine, Dichte ich einen rafenden Noland, fo macht er 


Don Eyrillo de Valaro. 195 


einen vernünftigen dito. Man lacht ihn aus, und id würde 
auch laden, wenn der verdammte Kerl nicht durch Zufall 
in ein Verbältnig gekommen wäre, wo er mir ſchaden fann, 
und mo id von ibm abhänge. Gin Bort des Herzogs 
könnte den ganzen Streit endigen, id) hatre aber vergeblich, 
auf das Wort. Gin Jahr vergeht nach dem andern, id) 
werde jedesmal ein Jahr älter, dic Haare fallen mir immer 
mehr aus, und die Glatze wird immer größer. 


Dann muß man fie mit Lorbeeren bededen! ſprach die 
ſchone Alehandra Strozzi. des Dichters Freundin, (und, wie 
mehrere meinten, feine heimliche Gemahlin) die eben aus 
dem Garten hereintrat und ihm einen frifchen, breiten Kranz 
um die Schläfe drüdte. Nun feht Ihr noch aus wie ein 
vierundzwanzigjähriger Züngling. — Ad), liebe Frau, fagte 
id), gäbe Gott, dag wir vierundzwanzigjährige Jünglinge 
fo ausfähen. — Damit nahm ich Abſchied, um die Lichen« 
den nicht zu ftören, und um meiner eigenen Liebe nachzu⸗ 
gehen. 


Es vergingen kaum drei Wochen, fo machte mid die 
Ehe zum glüdlicften Menſchen. Die Herzogin machte ſelbſt 
unfere Hochzeit auf einem Kleinen Luſtſchloſſe. 


Eines Abends fuftwandelte ich mit meiner jungen Fran, 
um die Rachtigallen zu hören: Das füge Getön Iodte ung 
immer tiefer in den Wald hinein. Eleonore war eine au- 
gerordentliche Liebhaberin von Nachtigallen, und es ließen 
ſich beute Abend vier auf einmal hören, die einander ganz 
vrdentlich ablöften, und ftärter als gewöhnlich ſchlugen. Zur 
legt waren wir ihnen ganz nahe und fürchteten, die Kleinen, 
iurchtſamen Sänger mit unferm Gerauſch zu erfrefen und 


1% Lebensbefhreibung des 


wegzuſcheuchen. Cie ließen ſich aber gar nicht irre machen 
und trißerten immer beffer und beffer. Wie erfcrafen wir. 
aber nicht, als wir die Augen auffhlugen, und ftatt kleiner, 
grauer Vögel, vier Kerle in den Bäumen faben, mit Schnurt- 
bärten, in rothen Jaͤcchen, ‘und mit Flinten in den Hän- 
den, womit fie auf ung zielten. Meine Frau fiel in Ohn⸗ 
macht. Mehrere Räuber fprangen aus dem Gebüſch, bee 
mägjtigteu fid) ihrer und zogen mit ihr fort, während die 
Nachtigallen mit fürchterlichen Bapftimmen wir befahlen, 
feinen Schritt weiter zu thun, fie würden mic) fonft gleich 
auf der Stelle todtfchiegen. Ich war unbewafinet, und ei⸗ 
mer gegen fo viele, was konnte id) anders thun, als gehorchen. 


Als die Andern weit genug mit der Armen fort war 
en, gaben mir die Räuber ein Beiden, daß ich aud) gehen 
tönne. Ich gehorchte, und als id) einige Schritte gethan, 
hörte idy ein fernes Pferdegetrappel, woran id dann mahr- 
nahm, daß ſich das Naubgefindel mit der fhönen Beute 
weit genug wegbegeben hatte, um nicht eingeholt zu werden. 


Im boͤchſter Verzmeifelung und in Thränen gebadet, 
begegnete ich dem Dichter Arioft, der meine Erzählung ziem- 
lich gelaſſen und mit einer Art von Zerſtreutheit hörte; als 
ich ihm aber eine Schilderung von den koloſſalen Nadye 
tigallen machte, brach er in cin lautes Gelächter aue. 
Sein Spaß brachte mid) in Zorn gegen ihn, ich ſchatt ihn 
ein kaltes Herz, einen egoiſtiſchen Menſchen, der, in feinen 
eigenen, eitlen Träumereien verfunfen, für das, Schidfal fei- 
nes Naͤchſten fein Gefühl übrig habe. Darauf wollte ich 
ihn verlaffen. Er griff mi heim Aermel und fragte, wo 
ich hin wolle? — Zum Herzoge, rief ih. — Er ift nicht 
au Haufe, antwortete er mir. — Dur Herzogin, zur Freun« 


Don Eprillo de Balaro. 197 


din meiner Geliebten. — Bleibt bei mir, ſprach er, das 
iſt beffer. Die Herzogin würde gar zu viel meinen. Ich 
weine freilich nicht mit Euch, habe vielleicht mehr als billig 
gelacht; Ihr Habt mich aber Heleidigt, garflig ausgefholten 
und id) fordere Satisfaction. Gern! rief id, und 301 gleich 
vom Leder. Das Leben hat für mid feinen Werth mehr, 
Ich bin gleich fertig, — Ich nicht, erwiederte er ſehr tur 
Big; ih) muß erfi einen Degen holen, denn wir geiftlihen 
Leute gehen, wie Ihr wiffet, unbewaffnet einher. Aud) brauchte 
ich mic) eigentlich als Weltgeiſtlicher nicht mit ERA zu ſchla⸗ 
gen; wenn id) es thue. fo gefdicht es blos aus Freundſchaft 
um Euch damit ein Vergnügen zu madıen. — Sein fort- 
gefegter Scherz erbitterte mid) nicht mehr, aus feiner heitern 
Ironie dämmerte vielmehr ein geheimer Troſt für mid), den 
id) begierig zu wiflen verlangte. 


Darauf erzählte er mir, wie fi in der Garfagnana, 
einer dem Herzoge zugehörigen Provinz, zwiſchen Modena, 
Lucca und Mafla, von hohen Gebtrgen durchſchnitten, meds 
rere Räuberbanden gebildet hätten, als ſich das Land unter 
der Gewalt des Papſtes befand. Mord. Gewalt, Lift und 
Raub gehörten, alg der abſcheuliche Cäfar Borgia wüthete, 
zur Tagesordnung. In der legten Zeit Hatte fi aber ein 
Haufen Vagabunden aus guten Häufern, die ſelbſt alles 
verloren ‚haben, verbunden, blos um bedeutende Leute weg - 
zuſchnaphen umd gegen ein gutes Läfegeld wieder auszulie- 
fern, welches aber zu beftimmter Zeit prompt bezahlt wer- 
den mäffe, wenn die Räuber nicht aus Race die Gefange- 
nen binrichten follten, worauf fie einen gräglichen Eidſchwur 
gethan hätten. 


Bas. mir Arioft fagte, beflätigte ſich noch den felbigen 


198 Lebensbeſchreibung des 


Abend, als mir ein Zettel folgenden Inhalts, mit Bleiſtift 
gefhrieben, zum Benfter hereingeworfen wurde: 


„Wenn Don Eyrilo de Valaro binnen Monatefrift 
feine und feiner Frau Juwelen in den hohlen Baum im 
Walde binfegt, wo er die Nachtigalen mit Schnurrbaͤrten 
ſchlagen hörte, betömmt er gleich feine Frau Eleonora ge 
fund und undefjädigt wieder, mo nicht, wird er ihren Leich - 
nam mit einem Dolde in der Bruft unter dem Baume 
finden.“ 


Ach rief ih) entzüct, als Arioft eben zu mir hereintrat, 
ich befomme fie wieder! Die Bagabunden wollen nur arm» 
felige Edelſteine Haben, auf den derrlichſten, lebendigen Ius 
mel, den fie ſchon befigen, verftehen fie ſich nicht, willen fie 
feinen Preis zu fegen. — Keinen Preis? wiederbelte der 
Dichter, der nun den Zettel gelefen halte, nun beim Bachus. 
mich dünkt,_der Preis ift hoch genug. Und wovon wollt 
Ihr mit Eurer unfhägbaren Frau fünftig leben, wenn Euer 
Bermögen dahin ift? — Der Herzog wird mir, durch Ber- 
mittelung der Herzogin, einen Kleinen Poften geben, ant« 
wortete id, movon wir leben können. — Baut nicht darauf, 
antwortete ter Digter; der Herzog hat auch nicht viel, 
felbR die Landeskinder, die ausgezeichnetften Leute, die er 
liebt und ſchaͤzt, und die täglid um ihn find, befommen 
wenig. Mir, zum Beifpiel, hat man neulich cin Stipendium 
zu zahlen aufgehört, welches ich ſchon während des Krieges 
ſehr unordentlic, bekam, weil fein Geld in der Kafle ift. — 
Es fing mir an, heiß um die Obren au werden; Ariofto 
verſetzte aber ernft: Ich will Eud) nicht entmuthigen, Cy- 
rillo aber auch nicht mit unzeitigen Hoffnungen zu früh be» 
ruhigen. Ich will Eud ſchlicht Hin meinen Plan mittheilen: 


Den Eyrillo de Balaro. 19 


. N 

Ihr nehmt die Juwelen mit Eud, ich verfafle cin klei⸗ 
nes Gedicht, fo begeben wir uns beide nach der Barfagnana, 
und beſuchen iu der Nacht die Räuberhöple, wohin ung die 
Baden der Bagabunden bringen werden, wenn wir uns 
als Ecute anmelden, die den Domenico Morotto zu ſprechen 
wünſchen. Vielleicht trau' ich zu viel auf ihre Grogmuth; 
fo viel weiß ich aber, dag noch oft ein Funken von Große 
muth da noch in der Aſche glimmt, wo Gerechtigkeit und 
Billigteit ſchon lange verloſchen find. 


. Ihr habt mir ſelbſt erzählt, dag mein Name in Italien 
fogar bei den Näubern etwas gelte. Jetzt wollen wir die 
Probe machen! Sollte ich mit einer langen Nafe davon⸗ 
sehen, fo babe ih Euch doch meinen guten Willen gezeigt, 
und wenn Ihr den Räubern die Juwelen bringt, befommt 
Ihr allenfalls gewiß Eure Frau wieder. 


Edelmũthiger Mann, rief id), das ift zu viel; fe were 
den fid) Eurer eigenen Perfon bemädjtigen, um ganz Italien 
in Gontribution zu fegen. — Das thun fie nicht, wenn ich 
freiwillig komme, ſprach Arioſt. Wie die Beduinen der arar 
biſchen Wüſte, werden fie die Gaftfreipeit nit verlegen, 
und dem Mianne kein Leides thun, der ſich zuverſichtlich ihrer 
Schwelle naht. 

IM dankte Gott, der mir diefen trefflihen Mann zum 
Freunde gegeben, nahm unfern ganzen Schaß und reifte mit 
Arioft nad der Garfagnana, wo wir Nachts eintrafen und 
uns gleich in ‚die wilde Gebirgsgegend hinauswagten. Wir 
riefen jeßt, als wir nach des. Dichters Meinung in der Näbe 
der Näuberböble waren, fo oft Domenico Morotto, bis ung " 
feine Borpoften ergriffen und uns mit verbundenen Augen 
in die Höbfe führten. 


200 .  Lebensbefhreibung des 


Nie vergeffe ich den Hugenblid, als wir in der Felſen⸗ 
halle fanden und uns die Binde von den Augen geriffen 
wurde, 

Erſt wo wir hineintraten, in einer Art von Borzim- 
mer, lief ein Baldbäclein leiſe fäufelnd durch die Kluft, 
‚während der Mond droben durd cine Nige feinen langen, 
blagblauen Strahl ſchräge durch die Dämmerung warf. 
Drinnen rundete fi ein groger Raum, mie ein Tempel, 
von rothhrennenden Zadeln zum Theil erleuhtet. Die 
Bände waren prächtig mit Föftlihen Saden, Waffen, Klei- 
dern von Sammet und Seide, Goldgeſchmeiden und Silber⸗ 
geſchitren ausftaffirt. Mitten im Zimmer fand ein mar- 
morner Tiſch, und um diefe Tafelrunde fagen die Räuber 
ſchoͤn gruppirt, ohne daß fie es mußten, denn fie hatten ſich 
in verfchiedenen Stellungen nadläßig bingemorfen, um ihren 
Anführer Domenico Morotto zu hören, der ihnen laut aus 
einem großen Buche vorlas. Die Räuber waren alle fehr 
aufmerffam, und fein Bild von Caravaggio fünnte beffer 
fein. Schöne, fhlaus, laͤchelnde, wollüftige, zum Theil wilde 
Geſichter, glatt und jugendlich, mit Meinen Schnurrbärten, 
teils mit Zederhüten, theils mit bloßen Krausköpfen, halb 
im hellſten Licht, bald in den dunkeiſten Schatten "phanta- 
ſtiſch geftelt. Zur Seite dem Häuptlinge Morotto, deffen 
mohlgeftaltefer Körper dem Bildhauer zum Modelle eines 
Kriegsgottes trefflich Yätte dienen Lönnen, faß meine Eleo- 
nora de Sylva ganz gelaflen, als idealifhe Bäuerin ge 
Eieidet, ein lichtrothes Ne über die blonden Haare, die wei, 
gen Arme und Hände im vortheilhafteften Lichte, bei einer 
Handarbeit, wie Penelope bei den Freiern in Ulyſſes Ab» 
wefenheit. Sie hörte dem Morotto zu mit zufriedener 
Yufmerffamkeit, und fhien mit ihrer Arbeit ſehr beſchaftigt. 


Don Eyrilto de Balaro. 21 


waͤbrend ihre Augen doch oft, wi in Gedanken vertieft, 
auf den vollendeten Umriffen feines Körpers ruheten. Wenn 
er mitunter aufblidte und fie anfah, nickte fie ihm la⸗ 
chelnd zu. — 


Bas foll die arme Fran thun, dachte ih. Cie iſt 
wobl genöthigt, gute Miene zu machen, und mit lädelndem 
Geſichte in den fauern Apfel zu beißen. 


Als wir näher kamen, hörte ich deutlich, daß aus dem 
rafenden Roland von riofto vorgelefen wurde. Es war 
im zwölften Gefange, wo Noland vor Paris ſich ganz al» 
fein mit den wilden Saracenen fhlägt. 


Ha, Bravo! Arioſto, Bravifimo! tönte es von allen 
Seiten ber. Ein göttlicher Keri! Ein wahrer Poet, ſorach 
Einer; er ſchildert Euch die Djänner chen fo tapfer und 
fühn, als die Weiber verlicht und reizend! Gr bat auch 
felbft das Pulver gerochen, fagte ein Zweiter, den Vene 
tianern ein Schi auf dem Po genommen. — Ich wünfchte 
ihn zu fehen, rief ein Dritter. — Möchte ihm gern einen 
Gefallen thun, wollte ihm meine beften Piftolen geben, rief 
ein Vierter. — Hier ift er, ſprach der Fünfte, der ung 
meldete; er toͤmmt mit dem Gatten der fhönen Elconora, 
um fie loezukaufen. 


Die Räuber fprangen alle von ihren Sigen auf, als 
od eine Geiftererfheinung fie in Erftaunen fege. Diefen 
Augenblid benutzte der Dichter, und mid bei der Hand 
nebmend, trat er hervor und forac I laut und vernehmlich 
folgende Worte: 


Lebensbefhreibung des 


Ihe Männer, die Ihr mit zu fühnem Sireben 

Die Heldenzeit zurück zu rufen Denkt, 

Nur Ubentener achtend, nicht Dad Leben, 

Durd Sit und durch Geſetz Guch zu befchränft; 
Freiwillig hab’ ich mich hieher begeben, " 
Rach wilden Wäldern meinen Scheitt gelenkt. 

Auf Eure Großmuth darf ich ruhig bauen 

Und hoffend Euch in die Gefichter fchauen. 


Denn wenn auch gar zu fühn, gar au vermegen, 
Ihe manch Verdaltniß fredentlich verlegt, 
‚Habt Ihr doch nimmer Euren Heldendegen 
Je gegen des Unfchuld’gen Bruf gemept. 

An Mord und Blut ift es Euch nicht gelegen; 
In Graufamteit Ihr teine Ehre ſebi. 

Die meiften hier aus edlem Blnt entfproffen, 
Glüddritter ſind's und tapfre Kriegägenoflen. 


D 





wie ein lumpiges @efindel fchleichen 

Sich Eure Banden furchtſam durch Die Nacht; 

Ic den: Iht nehmt es auf bald mit den Reichen, 
Denn in der Höhle feh’ ich große Pracht. 

‚Hier Dämmertö nicht, hier riecht es nicht nach Leichen; 
Ihe Habt den luſt gen Bruderbund gemacht. 

Goldketten ſeh ich, filberne Pitolen, 

And Diamanten auf den Terzerolen. 


Wie junge Adler Tchirmen ihre Beute 
Im hohen Reft, in breiter Gichen Laub, 
Seh” ich nur lauter junge, friſche Leute 
Im Felſen ſtolz fich lagernd um den Raub. 


Don Eyrillo de Valaro. 203 


Ihr hört dea Dichters Lied zuerſt nicht heute, 
Seid nicht für den Befang der Mufe 
Bernedmt denn, was fie bitter! Darf fies wagen, 
nd werdet Ihr die Witt’ ihr wohl verfagen? 





Ibe hadi in dem Orlando gern gelefen, 

Wie fich Medor, Angelita geliebt; 

‚Hier in der Höhle feufit ein ähnlich Befen, 
Das durch Gefangenschaft Ihr fehr betrübt. 
Sie Hat ſich den Geliebten auscrieſen, 

Der für die Braut fein Gold, fein Auch giebt; 
Doch wer foll dann die fchöne Qlume pflegen? 
Huf ‚nadtem Stein verweitt ie, ohne Regen. 


Er icht Hier mit dem cha, ich mit dem Worte, 
Die dreiſte Bette hab’ ich fühn gewagt: 
Bertrauend, ſprach ich, mandl' ich nach dem Orte, 
Und bringe ſie zuruck noch eh’ es tagt. 

Ich wage mich nicht nach dem Drachenporte, " 
Der giftig auf dem Gold fich felber plagt. 

Richt ale Räuber fpotten aller Pflichten: 

Eie fchägen noch das Peben und dad Dichten. 


Sie lafen Arioſtos Abenteuer 

Vom fhönen Madchen, nackt am Pfahl gebunden; 
Doch mit dem Krafen, mit dem Ungeheuer, 
&efühllos Haben fie ſich nicht verbunden. 

Much felbft das Leben tauft man oft zu theuer! 
Bas iſt der ſchone Leib, wenn er geſchunden? 
Eo ſchentt dem Mant denn feine Gattin wieder, 
Damit bezahlt Ihr reichlich meine Lieder. 


204 Lebensbefhreibung des 


Ar wünfchtet oft, den Dichter ſelbſt zu fehen, 
Bohlan, Ihr ale gleich ihn kennen foht; 

Den Mriofto feht Ihr vor Euch chen, 

Es freut ihm, DaB Ihe feinem Liede hold! 

@oll er von dannen wieder fröhlich geben, 

So gebt dem Mann Die Gattin, nehmt fein Gold, 
Und zeigt, Daß wahr in Guch der Dichter fchaute, 
Der ſeibſt dei Räubern noch auf Großmuth baute! 


Brauch' ic) hinzuzufügen, melde Wirkung diefe® Lied, 
im glüdlihften Augenblicke recitirt, auf die phantaſtiſchen 
eitlen Gemüther madıte? Gin allgemeiner Beifall ertönte 
noch lauter, als vorher. Alle drängten fih hinzu, um den 
geliebten Dichter zu fehen, um feine Hand zu drüden. Ich 
betam gleid meine Frau zurüd, die nicht fo vergnügt ſchien 
als id es geglaubt hatte, ohnerachtet fie zu wiederholten 
Malen mir die Freude verfiherte, 


Damit der Eidſchwur der Räuber, feinen Gefangenen 
ohne Löfegeld heraus zu geben, nicht gebrochen werde, mußte 
id dem Domenico Morotto die Edelfteine geben, der fie 
aber gleich wieder mit ritterlihem Anftande meiner Frau- 
ſchentte, mit der Verfiherung, es freue ihn fehr, bei diefem 
Zufalle den großen Arioft kennen zu fernen, und ihm einen 
Dienft zu erzeigen. 

Drauf ließ er köſtlicen Bein und kalte Pafteten drin⸗ 
gen. Nach geendeter Mahlzeit entlicg uns der Häuptling 
ſehr hoͤflich. Wir wurden wieder mit zugebundenen Augen 
von zwei Wächtern meggeführt, die ung auf der Herrftrage 


Don Grill de Valaro. 205 


verließen, wo mir mit einer Geſellſchaft Junger, lachender 
Menſchen zufammen trafen.“ 


Bir erſchraken anfangs etwas und fürdtefen, dag wir 
aus der Scylla in die Charybdis gefallen fein möchten, 
denn dieſe Leute ſahen wahrhaftig eben fo verdächtig aus, 
als die, welche wir eben verlaflen hatten, ja noch ärger. 


Kaum aber hörte Arioft fie ſprechen und ſah ihnen recht 
in die Geſichter, fo kannte er fie alle glei, ſchlug erftaunt 
die Hände zufammen und rief: Traͤum' ih? Oder find alle 
edlen Zünglinge aus Ferara jeßt Bagabunden geworden? — 
Das verfteht ſich — antwortete Pietro Bembo, der aͤlteſte 
von ihnen, der einen prächtigen Palaft in der Stadt befaß. 
Bas -thut man nicht den Mufen zu Gefallen, und um 
ein fdyönes Lied von Italiens größtem Dichter zu befommen. 


Wir begriffen noch nicht, was er damit fagen wollte. 
Als Arioft aber feinen Bruder Gabriel mit im Gefolge ent 
deckte, begrüf er mohl, dag man einen Schwank vorhatte, 
erzählte ihnen fein Abenteuer und den Erfolg davon, und 
bat, ihm jept auch in ihr Geheimniß einzumeiben. 


Ihr feid ju einem zweiten Triumpbe gekommen, gött⸗ 
licher Mann! rief Pietro Bembo. Denn mie eben Euer 
großes Verdienſt felbft von Näubern gewürdigt ward, fo 
follt Ihr jept Zeuge von der Befhämung, der Anmagung 
und der eitlen Thorheit fein. 


Ieht erfuhren wir, daß die ganze Maskerade dem Fat- 
tor Alphonſo Trotto zu Ehren angeftellt war. Dieſer wun- 
derliche Menſch hatte kaum ausſpionirt, daß Arioſto zu den 
Näubern in der Garfagnana gehen wollte, um fie in einem 


206 Lebensbefhreitung des 


Gedichte um die Breilaffung der ihönen Eleonora ohne Lb- 
fegeld zu bitten, als er beſchloß, dem Dichter zuvorzulom- 
men, und es felbft zu thun. Cinige Freunde, denen er feis 
nen Vorfag mittheilte, erſchtalen. In folder Verlegenheit 
mendeten fie fi an andere ihrer Zreunde, die aber nicht 
die feinen waren, und fo wurde denn diefe Komödie veran- 
ftaltet. Borftellungen, das wußte man voraus, würden beim 
Trotto nichts helfen, denn einem vernünftigen Grunde hatte 
er immer hundert Spitzfindigkeiten entgegen zu ftellen. Wenn 
fie aber fein Zehen rettete, meinten fie, Hätten fie auch die 
Erlaubnig, ſich mit feiner Narrheit etwas zu Gute zu thun. 


Die jungen Leute verfleideten ſich alfo als Räuber: 
Die alte Haushälterin des Alphonfo Trotto ward mit in’s 
Geheimuiß hineingezogen. Diefe Kanthippe, die ihr einziges 
Vergnügen darein feßte, mit ihrem Hausherrn zu zanfen, 
that gern, was man von ihr verlangte. Sie lieg Mh gern 
dazu überreden, die fhöne Eleonora vorzuftellen, und ging 
verföpleiert mit, um den Knoten der Kataftrophe zu rechter 
Seit mit dem Barbiermeffer ihrer Zunge zu durchſchneiden. 


Es dauerte nicht Lange, fo ſahen wir Alphonſo Trotto, 
von zwei Bedienten gefolgt; an deren gefährlichen Arm» 
und Kobfbewegungen wir deutlich merkten, dag fie ihm noch 
von dem gefährlichen Schritte abriethen. Er lich fie aber 
zurück geben, und ſehr emfig und unerfähroden wackelte der 
magere, dünnbeinige Faktor uns entgegen, mit einem Del- 
zweige in der Hand, und die kleinen, nidhtsfagenden Augen 
weit aufgefperrt, um uns Ehrfurcht einzufdgen. Er hatte 
felbft eine blanke Trompete an der Seite hängen, worein 
er alle Augenblide ſtieß. um ſich als Friedeneherold anzu» 
kündigen. Als cr uns auf Schugweite nahe getommen, ver- 


Don Cyrillo de Balare. a7 
langte er Gehör. Die wurde ihm fogleih zugeftanden, 
worauf er aus der Rockaſche ein Papier, aus der Hefenta- 
ſche eine Brille z09. Darauf räufperte er fi, und lag, 
ftoiternd und oft die Worte wicderholend, Folgende Etanzen: 


Ihr Cünder, die Ihr wohl verdient ju hangen, 

In, felbR zu radebrechen nicht zu gut! 

Feeisoiiig bin ich dent hinausgegangen, 

‚Ihe feht, es mangelt Trotto’n nicht an Muth. 

Zwar fleht nach Euch mie Herz nicht, noch Verlangen, 
. Bielleicht vergießt Ihr noch mein edles Blut. 

Doch, Leutchen, nein! das werdet Ihr wohl laffen. 

Mit großen Herrn in es nicht gut zu fpaßen. 


Ihr Habt begangen viele Mifethaten, 

Und werdet deshalb auf der Folter ſchwitzen 

Denn wollet Ahr die Frevel nicht verrathen, 

Bleibt das Geheimniß in der Acht’ Euch figen. @ 
So wien wir, verhärtete Arabaten, 

Den Bauch mit dem Geheimniß aufjurigen. 

Dann werden wir julept den Trog wohl ſchwächen. 
Doch jego will ich von was Underm fprechen! 


Ufo: Ihe Habt dem Mann die Fran geftohlen. 
Echämt Guch, gebt ihm die Gattin gleich zurück. 
3% tomme felber her, fie abzuholen, 

& liefert fie heraus im Augenblick, 

Es brennen untcr'n Füßen mir Die Sohlen, 

3% zitire vor der Teefflichen Geſchic. 

Ich Hoffe doch, Ihr Habt ihr nichts entwendet, 
Und bin deöhalb gerichtlich anögefendet. 


Lebensbefhreibung des 


3% will Euch Mar aus der Moral berveifen, 
Ir Habt fein Mecht, des Maubed zu genießen, 
Denn Jeder hämmern muß fein eignes Gifen. 
Mund Jeder mit der eignen Flinte (drießen. 

Gin Dieb nur zeigt fich frech in fremden Kreifen, 
Und pflüct die Blumen, die für Andre. ſprieben. 
Bas wollt Ihr? Seid Ihr wide Iafulaner? 
Seid Ihr Tuneſen? Scid Ihr Maroecaner? 


Ein bieimſchuiid hat ſich thöricht unternommen, 

Mit Werfen, kaiſchen Reden Euch zu fchmeichein ; 
Doch ich bin als Iurin Herandgefommen, 

And wit ald Hund Euch nicht wie Hunde fireicheln. 
Zwar fühl ich mich im EBalde ſeht beflommen, 

30 geimm’ge Thiere leben nur von Gicheln. 

Zu Tauben fprech’ ich hier, nicht au Juriſten: 

And — lieber Gott im Himmel — kaum zu Gheifen. 





Bean or mich fenntet, fenntet meine Gabe, 
Und meine Kenntnig und Gelehrſamteit: 
Ich ſprach lateiniſch ſchon ald Feiner Angabe, 
Urd von dem Griechiſchen war gar nicht weit. 
Im Rebenftunden ich gedichtet habe, 
Doc machte ſich mein Genius nicht breit, 

. Ich Könnte wohl auch einen Roland machen — 
Tod jego fprechen wir von andern Sachen. 


Gebt Ihr zurü die Fran mir, ohne Schande, 
Und habt Ihe feeventlich ihr nichts geiban, 
©&o rett’ ich Euch drei Brüder aus der Bande, 
Die fonft sum legten Mal die Sonne fahr. 


Don Gyrillo de Balaro. 209 


Geht friedlich dann mit ihnen auß dem Sande, 

Ihe dürft Guc) nimmer unfeee Bränge nahn. 

Den Benetianern fonnt Ihe feel begegnen! 

Da raubt nur — und der Himmel wird Euch fegnen! 





Als Alphonfo Trotto fertig war, rief Pietro Bembo 
mit verftelter Stimme: Beim Jupiter, ein gar ſchönes Lied! 
Beſſere Stanzen Lönnte ſelbſt Arion an feinem Ambofe 
nicht ſchmieden. — Das follte ich meinen, ſprach Alphonſo 
ſtolz. In meinen Stanzen findet Ihr nichts von Schmei⸗ 
Gelel, nichts von Schmwärmerei, nichts von phantaſtlſchen 
Bildern. Ich ſpreche zu der Vernunft, und damit Baſta. 


Und dann diefe Humanität, Diefe Vaterlandsliebe, rief 
Giambattiſta, die es mit unfern Rachbarn, den Venctia- 
nern, fo gut meint. — Und der fromme, gottesfürchtige 
Wunſch zum Schluß, rief Pietro Bembo, hat mir vorzüg- 
lich gefallen. Wahrhaftig, ich fehe nicht ein, dag und et⸗ 
was anders zu thun übrig bleibt, als ihm die Schöne auss 
aultefern. — IC babe einen andern Vorſchlag, rief &a- 
briel Arioft mit roher Baßſtimme: Ich finde in diefen er» 

. bärmlihen Reimen nichts als den unverfhämtenten Duͤntel. 
und meine vielmehr, dag wir dem Schurken den Bauch aufs 
tigen follen, wie er zu thun uns gedrohet hat, und ihn 
dann an einen der nädften Bäume aufhängen. — Sollte 
das das Beffere fein? frug Pietro Bembo bedenflih. Im 
es ift wohl möglid. Man Tann eine Sache von verfchie- 
denen Gefihtspunften anfehen, und meint die Mebrbeit, dag 
er biltigerweife hangen fol, fo will id nicht fo unbeſcheiden 
fein, einer ganzen werthen Gefellfhaft zu mberfpreden, 

Dehlenf. Schriften. XVII. 


210 Lebensbeſchreibung des 


Tept entftand ein Streit, zu dem Alphonſo Trotto 
ſchwerlich ein ruhiger Zuhörer fein konnte, obſchon er ſich 
mit mehr Faſſung dabei benahm, als wir es von ihm er ⸗ 
wartet hatten. Einige wollten ihn hängen und ihm den 

Bauch aufrigen, Andere’ wollten ihn mit Lorbeeren kroͤnen 
und die Schöne ausliefern. Man fing fon an, den Kranz 
zu fleten, und an dem Strid eine Schleife zu machen. 
Endlicy fiegte die fteundliche Partei, und die alte Haus« 
bälterin, die wie eine Hyäne auf den Raub hinter dem 
Schleier lauerte, wurde ihm als Donna Eleonora zugeführt, 
worauf wir fie beide verließen, uns aber nur fo weit ent- 
fernten, daß wir hinter den Buͤſchen das Schelten und Ban» 
ten der beiden Hausgenoflen hören konnten, als er Die 
Wahrheit entdedte. Alpbonfo war fehr aufgebracht, aber 
die alte Kanthippe noch mehr. Hab’ ich mein Tag fo etwas 
gefehen, rief fie, der alte Geck läuft hinaus, fi von Räu⸗ 
bern ſchlachten zu laffen, um junge Frauenzimmer von zwei⸗ 
deutigem Rufe im Walde zu befreien. Habt Ihr nicht mich 
ohne allen Riſiko fon zu Haufe? Bin ih Euch etwa zu 
alt jept? In alten Tagen war ich Euch jung genug. — 
Eage mir nur, fage mir nur, meine liebe, befte Nebekta, 
ſtammelte der Faktor voll Bath, mer die Unmenfhen wa⸗ 
ren, die mid) fo verhößnt Haben, dann will ih Dir Deine 
ganze infame, niedertraͤchtige Treulofigkeit von Herzen ver» 
zeiben. — Lauter Freunde, lauter Befhüper, Pbilofophen 

- und weltweiſe Sokrateſſe waren es, rief fie, die Euch Har- 
letin eine Lehre geben wollten. Lauter Woblthäter, die Euer 
nichtswuͤrdiges Leben gerettet! Glaubt Ihr, dag wirkliche 
Räuber folge Schimpfwotte ungeahndet gehört hätten, ohne 
Euch lebendig in fiedendem Del zu kochen? Dankt Ihr 
Gott und der heiligen Jungfrau, dag Allee fo gut abge» 


Don Eprilfo de Balaro. a1 


laufen it. Iept feid Ihr freilich zum Gelächter der gan⸗ 
zen Stadt geworden; aber das waret Ihr ja ſchon vorher; 
Ibt Habt alfo nichts eingebüßt, fondern vielmehr gewonnen. 
— Verdammter Arioft, ſchnaubte Alphonſo, verdammter 
Berfemadyer, das ift wieder einer von Deinen Streichen. — 
Mehr börten wir nicht; denn die Alte, die fih an ihn mie 
ein Blutigel gehängt haste, zog ihn fort und verſchwand 
mit ihm inter den Bäumen. 





Ich war jeht wieder im Beſitz meiner fhönen Frau, 
und würde mid, vollkommen glücklich gefühft haben, wenn 
ich nicht eine gewiſſe Traurigkeit dei ihr enfdedt’Hätte, die 
ich nicht begreifen konnte. Denn während wir nod mit 
taufend Schwierigkeiten zu freiten batten, war fie heiter 
und aufgeräumt, und jetzt, da wir zum Ziele gelangt, war 
fie mißvergnügt, Ich fürchtete, dag ich etwas von ihrer 
Liebe verloren habe; vorher hatte fie mich immer fo entzüdt 
angefeben; jeßt mufterte fle mic mit einem gezwungenen. 
freundlichen Lächeln, und ſchien innerlich Vergleihungen ans 
auftellen. — I blidte fie zaͤrtlich an, ihre Kälte betrübte 
mic, und die Tränen traten mir in die Augen. Sie trod- 
nete mir die Wangen mit ihrem Schmupftuhe, und den 
Btid ruhig auf mid) heftend, fagte fie, vornehm bedanernd 
mit einem mitleidigen Lächeln: Hm! die kleinen Augen! — 
Vorher waren ihr meine Augen groß genug geweſen Ich 
fublte mid beleidigt und ging auf mein Zimmer, in der 
Hoffnung, fie märde nahtommen un. die Beleidigung wie« 
der gut machen. — Sie fam aber nicht, fondern blieb auf 
ihrem Binmer. Ic ſchlief die ganze Nacht nis und weil 


212 Lebenebeſchreibung des 


ich fie noch beftig liebte, eilte ich heim frühen Hahnenge- 
ſchrei hinein, um Alles wieder gut zu machen. 

Bader fie noch ihr Kammermadchen fand ih da, fon- 
dern einen Brief von ihrer Hand an mid), auf dem Tiſche 
liegend, der mir Alles erflärte. Der Brief lautete wie folgt: 


Mein lieber Cyrillo! 

Es tut mir herzlich leid, daß id Dich betrüben mug, 
Du haft Dir aber von mir eine zu hohe Idee gemacht; 
denn in Deiner einfamen, kühlen Marmorhalle bei dem al⸗ 
ten Francesco Perez haft Du nur in Büchern gelefen, und 
weder die Belt noch die Menſchen kennen gelernt. So 
glaubtet Du denn auch, als Du mic in der Kirche nieen 
fahft, eine heilige Gäcilia, oder Gott weiß mas zu entde⸗ 
den, deren Gefühle auf den Wogen der Melodien zum Him- 
mel hinauf ſchwebten, während id doch hoͤchſtens nur eine 
ſchone (und zwar keine büßende) Magdalene war. — Den 
Zodtenkopf, womit die Maler immer die Mogdalena ads 
konterfeien, hatte ich freilich alle Nächte dä mir liegen; 
denn meine harten Eltern vermählten mid in früher Iur 
gend mit einem ſchwachen, graͤmlichen Greiſe. — 


Da ich mich in Dich ſterblich verlichte, weißt Du recht 
gut. Dante Du aber der heiligen Jungfrau dafür, Cyrillo 
daß ich nicht fo platonif wie Du in den höheren Regior 
nen fümärmte, font wäre Deine Aſche ſchon längft in der 
Luft zerftäubt. Denn der graufame Familiar, der die Welt 
beſſer als Du kannte, ließ ſich nit mit leeren Verſprechun · 
gen abfpeifen, und wäre Deine Gelichte eine Heilige gewe⸗ 
fen, fo wäreft Du auf dem Auto da fe lebendig verbrannt 
worden. IA habe Dir Leben und Vermögen gerettet, ich 


Don Eyrilio de Balaro. 213 


babe Dir in einem fremden Lande Deine Nitterehre, die 
Du fhon durd Deinen Vater verloren, wieder verſchafft. 
ich habe Dir Sicherheit und Schuß gegen die Nachſtellun⸗ 
gen der Inquifition-verfchafft. Ih bade mid Dir zärtlich 
bingegeben. Was wilt Du mehr von mir? Daß ih Dir 
treu ergeben verbleibe? „Das kann id nicht! Das ift ganz 
gegen meine Natur. Soll ih heucheln? Soll id vor Dir 
lügen und Did heimlich wie meinen Alten bintergehen? 
Das will id nicht; das verdienft Du nicht von mir, daß 
ich Dich beleidige. Der Alte verdiente es. 


Ich liebe jept den ſchönen, berrligen Domenico Mo« 
rotto, und werde von ihm eben fo heiß geliebt. Ich folge 
ihm auf feinen Abenteuern, feinen Streifjügen Dies Ler 
ben bebagt mir febr, es iſt romantiſch, es verfeßt mich fo 
ganz bin in die poetiihe Welt unferes großen Dichters. 
Gräge ihn vielmals, den herrlichen Arioft, und fage ihm, 
dag Domenico und ich feinen rafenden Roland zufammen 
Iefen. Allein Du darfft nicht ein folder raſender Roland 
werden, mein Cyrillo, und Did wie ein wildes Thier ge» 
berden, wenn Du etwa die Namen Domenico und Eleo⸗ 
nora, wie er weiland Angelita und Medor, in der Baum« 

rinde eingefäpnitten und an den Felſenwänden gerigt finden 
folteft. Doc das hat keine Noth. Du bift ein frommes 
weiches, gelaffenes Kind; ein wenig weinen wirft Du und 
Dich dann hübſch zufrieden geben. 


Glaube mir, Cyrillo, wir Zwei waren für einander 
nicht geſchaffen. Ih muß einen Mann haben, der mir au) 
"imponiren fann, und in Domenico Morotto habe ic mei» 
nen Meifter gefunden. Er it ſchön und feurig wie ein 
Türe, ich glaube, er koͤnnte mid aus Liebe prügeln, und 


214 Lebensbeſchreibung des 


id) glaube, ich würde es ihm aus Liebe nicht übel nehmen. 
Uebrigens weißt Du, daß er gar nicht graufam ift, und id 
boffe noch auf ihn und die ganze Bande einen wohlthuenden 
Einfluß zu üben, und fle alle gefitteteter und artiger zw 
mathen. 


So lebe denn wohl, mein guter Cyrillo! 
„sBergeblich fuchft Du nun feit Diefem Tage 
Der Schönen Epur, Die nichts Die Fenmtlich macht.“ 

Deine Juwelen habe ih Dir alle hinterlaffen, und die 
drei größten meiner eigenen wirft Du noch ‘dabei finden, 
die ich bitte, als ein Andenken von mir zu behalten. Soll 
tet Du aber einmal in Geldverfegendeit fein, fo verkaufe 
fie nur glei), ohne Bedenklichteit. Ich unterſchreibe mid 
jegt wie immer 

Deine 


bis in den Tod treue Freundin 
‘ Eleonora de Sylva. 





Dieſe plöplihhe Veränderung meines Zuftandes machte 
einen fonderbaren Eindruf auf mid. Lieben konnte ic) fie 
nicht mehr, Erbitterung gegen fie konnte ich aber auch nicht 
fühfen; ſelbſt in ihrer Verworfenheit zeigte fie noch ein 
tindiſch naives,- aufrichtiges Naturell. Sie hatte mir wirk« 
lich eben, Vermögen, Ehre und Sicherheit wiedergeſchenkt. 
Sie hatte mich auf kurze Seit höchſt glücklich gemacht. Iept, 
ihrem unglüdfeligen Hange folgend, flog fie mie ein Abend⸗ 
ſchmetterling felbft in's Licht. Wie konnte ich fie haſſen? 
Bedauern onnte ich fie, Mitleid Fonnte ih mit ihr haben. 


Don Cyrillo de Balaro. 215 


Adein ich fühlte mein Herz von diefem Augenblide wie mit 
einer Kruſte Überzogen, die mic ſtumpf ſowohl gegen alle 
angenehme, als fÄhwermüthige Empfindungen machte 


Mitten in diefem wogenden Weltmeere voll tobender 
Leidenſchaften und tragifher Begebenheiten winkte mir das 
file Klofter, wie ein Felſen in der See mit einer ruhigen 
Hütte und erquidendem Kräutergärtlein. Die füblen Kreuz 
gänge der Bencdietiner, die friedlich und brüderlih zufam» 
men lebten, ihre Tage zwiſchen Andacht and einem harm⸗ 
loſen Geſchaͤfte theilend, Iuden mid ein. Und bald ging 
ich auch im langen Kleide geſchoren einher, nachdem id der 
beifigen Jungfrau und dem Iefuskindlein in der flbernen 
Kapelle erft Iwei goldene Kronen auf die Häubter geſetzt 
hatte, worin meine irdiſchen Diamanten ale Thautropfen 
und Ehränen der Wehmuth und der Sehnſucht glänzten. 


Als ich zwei Jahre Moͤnch gewefen, wollte unfer Abt . 
einen Boten nach Mailand fhiden, um ein Geihäft mit 
einem dafigen Prälaten abzumanen. Beil ih mir nun 
gern einmal eine tüchtige Bewegung marhen wollte (vielleicht 
auch unbewußzt aus Luft, die Welt ein wenig wieder zu fer 
ben) erbat id) mir von ihm die Erlaubniß, diefe Pilger- 
ſchaft machen zu dürfen. 


So ſqhritt ih mit dem Stabe in der Hand und dem ' 
Bündel auf dem Nüden gemählich fort, kam zum Präla- 
ten, richtete mein Gelhäft aus und begab mich wieder auf 
den Nüdweg. Die Tage waren heiß, die Abende Lühl, und 
weil ich mich vor Näubern nicht fürdtete, denn ich hatte 
nichts, was ihre Habſacht reizen tonnte) durchzog ic under 
Rünmert die Heerftraße bei Lodi mit den meilenweiten Bie- 


216 Lebenshefhreibung des 


fen und Beidenheden, wo die Stragenräuber in der großen 
Einöde ungehindert ihren Unfug treiben können, obſchon 
fein Bald in der Nähe if. 


Eines Abends nad) Sonnenuntergang. als ich fo in 
Gedanken vertieft gehe, böre ich in meiner Näge eine Nabe 
tigal laut ſchlagen. Die Erinnerung des merfwärdigen 
Abende, als mir Eleonora entriffen wurde, erwachte ploͤh · 
lich in meiner Seele; ich flag die Augen auf und man 
derte mic beinahe, als ich feine Räuber in den Bäumen 
fab, fondern nur den Meinen, grauen Sänger, der von meir 
mem Geräufge erſchrect flatternd die Hece verließ und wei 
ter binflog, um feinen Gefang fortzufegen. 


Ich folgte ihm, weil eben mein Weg dahin ging. Kaum 
fiebe ich vor einigen Heinen Hügeln gerade am Wege, fo 
entdede ich dort einen Körper auf dem Rade und etwas 

weiter zur Linken einen Kopf auf einer Stange, deſſen lan- 
ges. blondes Haar weit bin in die Nachtluft flatterte, fo 
dag man dadurd mitunter die Sterne ſehen konnte, befon- 
ders die Venus, die im Deruntergeben ganz außerordentlich, 
ſchon glaͤnzte. Als ih dem Todtenkopfe gerade gegenüber 
fand, konnte ich nicht umhin, ihn genau zu betradten. Da 
ſchaute mich Eleonora de Sylvas ſchönes Geſicht lilienweiß 
an, aber mit dem wehmüthig⸗entſetlichen Todeslächeln, das 
man immer auf den blauen Lippen der Enthaupteten findet. 


Ich ffürzte zur Erde. Ein mitleidiger vorbeigebender 
Bauer half mir auf und brachte mid) in feine Hütte. Bon 
ibm erfuhr id, daß der Nänberhäuptling Domenico Mo- 
rotto geftern bier mehrerer Mordthaten wegen gerädert toor« 
den. Seine Fran oder Konfubine babe man geföpft, und 


Don Cyrillo de Balaro. a7 


viele Leute wären geftern hinaus gegangen, um den Kopf 
auf dem Pfable zu fehen, weil er fo ſchon fei, und der herr- 
lie, reihe Haarwuqhs fo weit bin in die Luft flattere. — 

Das mar meine Ichte Wanderung in Europa! In fünf 
Jahren fam ich nicht aus dem Bezirke des einfamen Klo— 
fters. Allein da mar mir aud das Herz Wieder ganz tus 
big und heiter geworden. Ich lebte mit meinen Ordens, 
brüdern im freundfchaftlichſten Verkehr; nad) der Eitelfeit 
und den Genüflen.der Welt derlangte mid) gar nicht. Vor 
Frauenzimmern hatte ich, feit: jener fürchterlichen Begeben- 
beit, ordentlich einen panifhen Schreden befommen, und cs 
mar mir in ihrer Nähe gar nicht wohl, Mit meinem Zu⸗ 
ſtande war ih alfo nicht im mindeften unzufrieden, und 
mas Viele unglüclich machte, machte mid fo glüclich, als 
ich es in diefer Welt nod werden konnte. 


Das Einzige, wonach id) mid, fehnte, war eine größere, 
erhabenere Natur. Der Kloftergarten war mir zu Bein, 
ic) beneidete die Gremiten der Vorzeit, die in großen Wäl- 
dern leben konnten, und befam felbft Luft, ein folder zu 
werden. 

Diefer Wunſch gewann ale Tage in meinem Herjen 
Herzen größere Gewalt, und die Kloftermauern engten mid) 
immer mehr ein. Wie groß war alfo meine Freude, als 
der Abt eines Tages zu uns ins Nefectorium trat und er⸗ 
zählte: der Papft babe ein Manifeſt ausgehen laſſen, es 
fei unternehmenden, frommen Piönden, die einen Beruf 
dazu in ſich fühlten, unverwehrt, nad Indien zu gehen, 
um in den neuentdedten Landen, Merito und Peru, Klö« 
fter zu bauen, die wilden Heiden. au befehren und das Evan- 
gelium m predigen. 


218 Lebensbeſchreibung des 


Kaum hörte ich diefes, fo fühlte ih einen Muth in 
mir erwachen, den ich mir ſelbſt nicht zugetraut hätte, und 
ich fepte alle Räder in Bewegung. um Borfteher einer fols 
hen Geſellſchaft zu werden. Ih beſuchte noch einmal den 
Dichter Arioft, der nad jener Begebenheit Statthalter in 
Garfagnana geworden; ich beſuchte den Herzog und feine 
mir fonft widrige Gemahlin Lucretia. Arioſt that wieder 
alles für mich, was er konnte. 

Bald hatte ih durd den Einfluß meiner Freunde 
meinen Wunſch erreicht, und der Papſt hatte mid) durch 
ein Breve zum Prior über die Mönche eingefeßt, die mit 
mir nad) den merifanifdien Wäldern feegeln wollten. . In 
Livorno ſchifften wir uns ein. Die Reife ging erſt glüd- 
lich. Die Unerfabrenheit des Schiffers brachte uns aber 
auf einen irrign Weg; der Sturm zerfhlug das Schiff 
an diefem Selfen, wo ich allein mit acht Brüdern gerettet 
wurde. 

Wie mir ung nun bier viele Jahre hindurch aufgehalten 
haben, uns in diefem trefflichen Sandfteinhügel Zellen aus 
geböhlt und unfer voriges frommes Leben frei und un« 
beſchränkt im fhönften Paradiefe fortgefeßt, mit Gebet und 
Dantliedern, nad Fatholifhem Ritus und ftrenger Obfer- 
vanz unferes Ordens; wie ‚id diefe treuen Gefährten nach 
und nad) alle begraben babe, bis ich bier als hundert» 
jähriger Greis auf diefer Infel ganz allein fie, das, Lieber 
Freund, wirft Du in meinen Tagebüchern genau aufge 
zeichnet finden, die auch bier im fleinernen Stuhle liegen, 
nebft vielen Bemerkungen und Entdeckungen, die Dir fehr 
nüglid) fein werden, wenn Du Did) auch vielleicht viele 
Jahre allein auf der Infel, ohne menſchliche Geſellſchaft. 
aufhalten ſollteſt. 


Don Eyrillo de Valaro. 189 


So will id denn jeßt von Dir Abſchied nehmen, und 
Dir von Herzen wünſchen, dag, wenn Du aud vorher 
unglücklich warft, mie ih es geweſen bin, der bimmliſche 
Vater Dich eben fo glüdtih, als mich auf meine alten 
Tage machen wolle; durd die Bermittelung feines Sohnes 
Jeſu Chrifti, des heiligen Geiſtes, der heiligen Jungfrau 
und aller. übrigen gebenedeiten Heiligen; wozu id, vornehm- 
lich St. Hubertus, meinen und aller Waldbrüder Schutz⸗ 
patron, anrufe. Amen. 


Ende des dritten Theils. 


Daraus, Google 


4. 
[8 
a. 
4. 
a. 
is 


Macbeth und die Seeräuber 
Schifforuc und Rettung 
Zroglodstenleben » 0 5 - 
Reue Entdedungen «0 0 « 
Diem nn 
Der Greis in der She re eo - 
@ebendbefchreibung des Don Guriüo de Balaro 


eite 


105 
16 
132 
13 
151 
163 


Adam Deblenfchläger's 


e r T e. 


Achtzehntes Bänden. 


Sedrudt bei Leopold Freund in Breslau. 


Adam Ochlenfchläger's 
Se rt e 


- 3um zweiten Male gefammelt, 
vermehrt und verbeffert. 


Achtzehntes Bänden. 


Breslau, 
im Verlage bei Jofef Mar und Komp. 


1839. 


Adam Orhlenfchläger's 
Erzäblende Dichtungen. 


Viertes Bänden. 


Die Infeln im Südmeere. Bierter Theil. 





Breslau, 
im Verlage bei Iofef Mar und Komp. 


1839. 


Google 





9. Google 


Google 


1. 


Unterirdifher Gang und Sternwarte. 





In der Verlaſſenſchaft des Don Cyrillo fanden wir bei⸗ 
nahe alles, was uns in unferm jetzigen Zuftande dienen 
konnte; und was mehr war, als Gold, Silber, Juwelen 
und Perlen, (melde Schäge wir nicht drangen konnten) 
mir fanden bei ihm italienifhe, ſpaniſche und Tateinifche Bü- 
her. Diele Schriften lagen in Bündeln zufammen ger 
fApnärt, vermuthlich von Schiffbrüchen gerettet, und von den 
frommen Brüdern noch ungelefen. In eine trodene Berg- 
tige war Bieles hinein geftopft, woran man noch deutlich, 
die Spuren des Seewaſſers ſah; es waren lauter englifhe 
Sachen, ungebunden, meiftens alte Zeitungsblätter,” melde 
aber doch Goncordien große Freude machten, weil fie fie 
sleihyfam in ihr Vaterland zurüd verfepten. 

Ban Leuven hatte nody größere Ausbeute als Eoncor- 
dia und id gemacht. In den Tagebüchern des Alten fand 
er aufgeſchrieben, wie man leicht, wenn der Fiug im Some 
mer feicht wäre, einen Damm malen konnte, und durch 


10  Unterirdifher Bang und Sternwarte. 


den aufgetrodneten Felſenſchlund gemaͤchlich hinunter nach 
dem Strande gehen. Diefe Arbeit, wozu id und Lemelie 
ihm behülflich waren, brachten wir bald zu Stande, denn 
wir fanden das alte fteinerne Bollwerk noch unbeſchädigt. 
und brauchten nur cine hölzerne Schleuße zu machen, fo 
konnten wir den Flug in feinem Laufe hemmen. 

Nachdem wir ein Paar fette Fichtenſpaͤne als Fadeln 
angezündet hatten, traten wir Männer die Wanderung an; 
das will fagen, van Leuven und ich; denn Lemelie wollte 
wieder nicht in's Loch binunfer, fondern wie ein ſcheues 
Pferd blieb er indeffen droben auf der Beide. 

Welch ein Entzüden, als wir, auf dem feinen trade 
nem Sande gemädlih binuntergehend, nach kurzer Zrift 
aus dem dunfeln Gange beraustraten, und das unendliche 
lichte Meer wit feinen luſtigen Bogen vor uns fahen, wäh- 
rend das Geſchrei der Seevogel uns bewilllommte und 
tinlud, in den alten Hallen unferes erſten Aufentpaltes 
auszuruben. — Eine Neife, die font ein Baar Tage 
dauerte, und die man mur mit höchſter Anftrengung und 
Lebensgefabr machen konnte, wurde auf diefe Weiſe leicht 
in einer Stunde gemacht. 

Den Tag darauf hrachten wir Goncordia und Minga 
hinunter, und da bätten mir denn gern Lemelie eutbebrt. 
er wollte aber durchaus mit geben. — Contordia freute 
ſich wie ein Kind, und weinte, als fie ale die geliebten 
Gegenftände wieder fab, beſonders als fie die Scherken ei ⸗ 
ner Schaale entdedte, woraus ic ihr moätrend des Fiebers 
au trinfen gegeben. Zemelle mar auch über diefe Eirrich ⸗ 
tung fer frob. Jett, meinte er, Tonnten wir doch hoffen. 
von einem vorbeiſegelnden Schiffe geſehen und gerettet zu 
werden. Droben auf dem Zelfen wärden wir nur vergebe 


Unterirdifger Gang und Sternwarte 11 


lich wit den Schnupftähern gewinkt haben. Er meinte, 
wir müßten auf Alles vorbereitet fein, und fobald wir wier 
der droben wären, wollte er die gefundenen Schäße gewiſ⸗ 
ſenbaft theifen, damit jeder das Seinige bekäme; denn was 
uns jet unnüß ſchiene, könne uns, wenn ein Schiff ſich 
fehen ließe, von größter Wichtigkeit werden. Eigentlih — 
meinte er — folten wir drei Männer, die den Schaf ger 
fanden hatten, allein theilen; er beſtehe aber Darauf, dag 
die fhöne Concordia aud) ipren Antheil befäme. Don der 
ſchwarzen Minga dIs einer Leibeigenen könne natürlicher⸗ 
weiße die Rede nicht fein. — Minga ſah ihn höhniſch am 
und fagte: In Mingas Vaterland findet man Gold wie 
Sand, Minga hat gelernt, Gold wie Sand zu verachten. 

Ban Leuven hatte aus den Tagebüchern Don Eyril- 
108 noch eine für ihn HR angenehme Entdedung gemacht. 
Gs war ihm nämlich) zu einer Warte hoch auf dem Felſen 
Anmweifung gegeben. Die Meine fmale Treppe, die da 
hinauf. führte, fand ſich bald; wir gelangten leicht zu der 
Bergunne. und bier entdedten wir ein vierediges Zimmer- 
chen im Felſen gehauen, wit Senfterlächern nach allen vier 
Beltfeiten. 

Nun balf ich meinem Freunde diefen aſtronomiſchen 
Thurm zu Stande bringen. Unter der Sternwarte fand 
ſich noch ein Felſenſtübchen, wo der Obſervator, wenn er 
wollte, ſchlafen kounte. Um den Thurm berum ging ein 
ſchmaler Gang mit einer niedrigen Bruſtwehre. Hier hatte 
man die (hönfe Ausſicht, mußte ſich aber wohl hüten, nicht 
in Abgrund hinunter zu fallen. 

ir bewunderten die Arbeit, woran ein Duzend Mene 
ſchen vieleicht ein halbes Jahrhundert täglich ſich ermüdet 
batten. — Wie glädtih bin ih, dag ih meine Ferarähre 


12 . Unterirdifher Bang und Sternwarte. 


gerettet habe, rief der gute van Leuven, was nüßten mir 
fonft alle diefe fhönen Zubereitungen? Es würde mir wie 
dem unfterblihen Galilei gehen, der in feinen alten Tagen 
blind wurde. 

Ich brachte mande Stunde mit meinem Freunde dro⸗ 
ben auf der Sternwarte zu, und obſchon es mir nie in den 
Sinn fam, Aftronomie zu fudirem, freute es mic doch, das 
Bunderbare jener Velten, das fih dem bewaffneten Auge 
kund giebt, zu betrachten. 

Benn man das alles betradıtet, Albert, fagte van Zeus 
ven, mit feiner Lieblihen, wehmüthigen Stimme, was wird 
dann aus der Meinen Erde, aus unferm enbemerifchen Men- 
ſchenleben? 

Wenn id der Aſtronomie einer Urſache wegen abhold 
fein follte, erwiederte ih, fo wäre es chen, weil fie mit 
fammt ihrer Erhabenheit gar zu viele, fonft fehr verftän. 
dige Menſchen verwöhnt hat. Denn es geht Euch Aſtro⸗ 
nomen twie armen Leuten, die kurze Zeit in großer vorneh⸗ 
mer Gefellfyaft leben; wenn fie wieder nach Haufe zuräd« 
fehren, fhämen fie fi ihrer Armuth, und wollen ihre al» 
ten Verwandten kaum wieder Eennen. Und wenn die Welte 
verachtung eben aus der Weltbewuuderung entitehen follte, 
fo halte ich es mit Tycho Brahe, mit Joſua und der Bis 
bel, gegen Gopernicus und Galilei. Ja Homers ehernes 
Himmelegemöfbe und feine Götter auf den Berggipfeln wä⸗ 
ten mir fogar dann Fieber. — Der fhöne Wahn muß der 
erhabenen Wahrheit weihen, forad van Leuven. 

Nur Eitelkeit und Eigenliebe hindern den Menfchen, 
ſich der großen Idce des Unendlichen ganz hinzugeben. 

Und wo will er denn bin, mein lieber Karl Franz? 
frug ih. Er kann doch nicht überall fein. An einem Orte 


Unterirdifher Gang und Sternwarte. 13 


muß er doch meilen; denn er ift nicht Gott, nicht die All- 
magst felber; und aud mad dem Tode, im ſeligeren Zu⸗ 
ſtande, wird er ſchwerlich die Allwiſſenheit, die Algegen- 
märtigfeit. mit feinem Schöpfer theilen. Die Tugend wird 
nicht nad Ellen, Meilen und Gradabtheilungen gemeſſen. 
Wenn eine Made Vernunft hätte, frei handeln könnte und 
gut handelte, ih würde fie mehr bewundern und Lieben, 
als eine Siriuskugel ohne Geift und Herz. 

Das ift wahr, ſprach der edle Holländer, das lehtt 
uns ſchon die Religion. Allein au) darin ftimmt die Re⸗ 
ligion mit der Aftronomie überein, daß fie den Menſchen 
zu erbabenen Gedanken ſtimmt, ihn das Irdiſche verachten 
lehrt, um fi nad) dem Himuuliſchen zu fehnen. 

Eine tiefe, himmliſche, wehmüthige Sehnfuht, ante 
wortete ich, iſt von Gott in jede fühlende Bruft niederge- 
legt, um uns in Unglüd, Kranfgeit und Widerwärtigfeiten 
zu tröften und zu ftärken; nicht aber, um uns in guten 
Stunden zu ſchwäͤchen und zu fören. Und warum. lieber 
Karl Franz, ftarrt Dein treuee Auge oft fo ſehnſuchtsvoll 
in’s Blaue hinein, da Du doch fhon einen Himmel bier 
auf Erden bat? 

Ach das it gewiß! rief der gute Mann, Du baft 
Recht, Albert, und ich fhäme mich meiner fonderbaren Me» 
lancholie. IA bin aber einmal ein melancholiſcher Menſch. 
Zwar fühle ih mid in dem Beſitze meiner Concordia und 
Deiner Freundſchaft fehr glüdlich; es follte mir auch mei⸗ 
netwegen nicht grauen, Zeitlebens auf diefer Infel zu blei⸗ 
ben. Aber Deinetwegen, Albert! denn Du haft keine 
Concordia. Und dann ängfiget der böfe Lemelie meine 
Seelt. Gr umfbleiht uns. mie die Schlange im Para- 
diefe, und wird cher nit ruhen — Er ſchwieg. 


14 Unterirdifger Gang und Sternwarte. 


Bir werden ihn ſchon zähmen — erwiederte ich luſtig — 
ihm die Giftzähne aus dem Munde brechen, und dann mit 
dieſer Brillenfhlange im Bufen fpielen, 

Es gelang mir, den Freand etwas zu erheltern; es 
freute ihn, daß ich doch in Wittenberg die Sterne ein wer 
nig kennen gelernt hatte. Er ließ mic durd feinen Tubus 
fehen, und zeigte mir die füdlihen Sternbilder. 

Bie er aber einmal mit dem Fernrohr im Firma 
mente umber flankirte, rief er plöpli verwundert: Bei 
Gott, da-it ein Komet! — Ich fhaute aud hinein, und 
entdedte wirtlich in der Ferne ein ſolch mattes Nebellicht, 
mit langem bleihen Schweife, das als unerwarteter, ge- 
beimnigvoller Gaſt ſich der Übrigen wohlbefannten Iuftigen 
Gefelfhaft nahe. 

3% konnte die Erfheinung niht ohne Grauen wahr- 
nehmen, der Bolksglaube, die alten Vorurteile forderten 
in meiner Einbildungsfraft ihre Rechte wieder. Ban Leu 
ven blieb ganz kalt dabei; es freute ihn aber fehr den fel- 
tenen Stern zu fehen.- 

Vieleicht, fagte ih, halb im Scherze, wird diefer gee 
rade auf unfern Erdball ftogen, und ihn in den Abgrund 
fürzgen. — Barum nicht gar? rief van Leuven lachend. — 
Glaubſt Du auch nicht, dag ein folder Komet Über die 
Erde Ungläd und Zwietracht bringe? — Ih alaube es 
nicht, antwortete ih; ganz unmöglich wäre es aber doch 
auch nicht. Branchen wir dod, mas das betrifit, zum eraf 
fen Aperglauben umfere Zuflucht nicht zu nehmen. Daß 
ein fehr großer naher Himmelstörper auf unfere Atmofshäre 
Einflug Haben kann, Teidet keinen Zweifel. Wie viel wirkt 
ſchon der Beine Mond mit Ebbe und Flut. Die Luft 
mirft auf die Körper der Menſchen, und ihre Körper auf 


Der Komet. 15 


ihren Geift. Wohl möglich, daß eine ſolche Ver ſtimmung 
im Grogen wie im Kleinen mitunter ftatt finden Lönne, 

Die Phantafie, ſprach mein Freund nad einigem 
Soweigen, erfhäpft fih in Hunotgefen, we der Vergand 
nicht länger binreiht. Du wollteſt mid erheitern, Albert, 
mir das Ungebeure lieblich machen, und jept eriheint Dir 
ein unſchuldiges Himmelslicht ſelbſt als ein Ungeheuer. 


Der Komet. 





Unfer Aſtronom hatte jet alle Nächte auf der Stern» 
warte vollauf zu thun mit Berechnungen und Wahrneh⸗ 
mungen. Gonoordia liebte nicht dieſes Nachtwachen, denn 
er war von ciner ‚zarten Konftitution, ſah bag aus und 
befand ſich nicht immer wohl, Ihr Betragen gegen ihn 
mar aber immer wie das der Zodter zum Vater. Gie 
widerſprach iben wie, weil fie eine unbedingte Hochachtung 
für feine Gefinnungen und Meinungen begte; und gegen 
das, was ihn vergnügen konnte, wagte fie feine Silbe ein« 
zuwenden, aus Furcht feine Freude zu fären. 

Als der Komet feine Gröge erreicht hatte, erregte er in 
uns ein fhanderhaftes Bewundern, wenn er fo ſchrag am 
Himmel über unfere Meine Juſel feine blahleuchtende Ruthe 
ſtrecte. Doch machten die Umgebungen von Wald und 
Hügeln den Aublick drunten weniger fürdterlih. Als uns 
aber van Leuven einlud, ihn auf dem Felſen zu beſuchen 


16 Der Komet. 


und wir droben das Nebelbi in fuͤrchterlicher Einfamteit 
am Firmamente fahen, da ftanden uns die Haare zu Berge. 
Denn als ein trübes mattes Licht im dunkeln Grabgewolbe 
der Ewigkeit hing er naclägig da, als ob er von dem 
Nagel herunterfallen wollte, während die andern Sterne 
in den Hintergrund zurüdtraten, um den Eindrud des fel- 
temen Gaftes nit zu flören. Und drunfen faufte das 
bleierne Meer ein Sterbelied, oder einen Choral, als ob 
alle die feit der Sündflut Ertrunfenen fi hören Liegen, 
und ihre bleichen Häupter aus der Naht emportauchten. 
um die Todesterze am Himmel zu fehen. 

Eine traummandelnde Lady Macheth im Grogen — 
fagte Soncordia. — Minga war aud mit, und fab durch 
den Tubus; fie warf ihm aber erſchrocken aus der Hand, 
bielt ſich die Hände vor die Augen und rief: Hu hu! gräße 
lich. Den Kopf der Enthaupteten! Das Haupt der Donna 
Eleonora, von der Stange gefprungen, hoch in der Luft 
ſchwebend — todtenblag — ſchon etwas verfault — die 
lichtgelben Haare im Binde flatternd. Don Cyrillo hatte 
reht! Man kann die Sterne dadurch ganz deutlich feben. 

Nun, Ihr tollen phantaſtiſchen Menſchen — ſprach van 
Leuven, aͤngſtlich nach feinem Fernrohre greifend, (fi aber 
berubigend, als er es noch ganz fand), — jept habt Ihr 
Über meinen Kometen genug gefabelt und geträumt, laßt 
mich jept mit meinen Berechnungen allein. — Bilft Du 
denn beute Nacht wieder nicht zu Bette geben, mein Lie 
ber? frug Goncordia. — Drunten im Felſenſtübchen werde 
ich recht ordentlich ausruhen, ſobald es tagt, fagte er. 

Diefe bedeutungsvollen Worte waren die legten, fo wir 
aus feinem Munde hörten. Ach! es ahnete uns gar nichts. 
— Als ih mit Concordien nad Haufe ging, (denn Minge 


Der Komet. 1 


war vorausgelaufen) ſarachen wir nur von ihm, umd fie 
konnte nicht aufhören, feinen liebenswürdigen Charafter zu 
rühmen. Ihr glaubt nicht, Albert, ſprach fie, melde Ger 
malt diefer herrliche Mann über mein Herz gewann, gleich 
das erfie Mal, als er meinen Bater in Handelsgefdäften 
befuchte. Man fagt, Shafefpeare Habe beinahe alle menfch - 
lichen Charaktere gezeichnet, allein diefen nicht. Und das 
war wohl auch möglich; denn was dramatiſch auftreten 
fol, muß ſich produciren; muß Gigenbeiten ‚zeigen; und 
mein Karl Franz, obſchon ein Mann, der Ah überall Ace 
tung, oft Ehrfurdt erwarb, zeichnet fd dad vornehmlich 
in den griſtlichen Tugenden aus, welche dad die edelften, 
obſchon fie negativ find. Die meiften ausgezeichneten Men⸗ 
ſchen find lieber grogmäthig als gerecht, theilen lieber einen 
Genug ‚mit andern, als fie fi) ihretwillen etwas verfagen, 
ſprechen beſſer als fie bören, denken felbft leichter, als fie 
Anderer Gedanken in fih aufnehmen. Se nicht er! Wenn 
er mit einen Freunde, mit feiner Frau fpricht, ift er ganz 
Ohr, ganz Aufmerkfamfeit, ganz Gedächtnig. Die feinften 
Bäge entgehen feinem Zartgefühle nicht. Alles konnte er 
für einen Freund aufopfern, denn der größten Anftrengung, 
dem unangenehmften Geſchaͤfte konnte er ſich unterziehen, 
um ihm eine Freude zu machen, einen Dienft zu leiſten — 
Jbr meint, er fei nicht voetiſch genug, und ich geftche, fein 
Geift und feine Bildungsweife haben durd ganz andre Be 
ſchaͤftigungen eine entgegengefepte Richtung befomimen. Er 
Hieft nicht ſelbſt viel in dichteriſchen Werken, weil ihm feine 
Wiſſenſchaften die meifte Zeit nahmen. Allein von zweiter 
Hand weiß er doc alles. Und was fagt Ihr dazu; unfere 
meifte Unterhaltung befteht darin, dag ih ihm Dichterwerte 
vorerzäble, die ich gelefen babe? Gewiß verlieren fie durch 
Ortlenf. Schriften KVIN. 2 


18 Der Komet.’ 


meinen Mund vieles von ihrer Zehendigkeit und Friſche; 
allein das erfeßt die Liebe, die er zu mir trägt; und id 
fühle deshalb tief: es in meine höchſte Pflicht, dieſem hei⸗ 
ligen Menſchen von ganzem Herzen ergeben zu fein. 

So redend hatte fie ihren Arm leife aus dem meinigen 
gezogen, und legte die ſchoͤne Hand, die ih faum leife zu 
drüden gewagt hatte, auf ihr Her. — Ich fab zur Erde, 
eine Thräne der Unmuth entquoll meinem Auge, weil fe 
fi) fo raſch von mir zurückgezogen batte, als ob fie mir 
dadurch einen Verweis geben wollte, Gewiß — rief ih — 
Euer Ehegaste iſt edel und gut; ic liebe ihn, und will 
ihm kein Jota feines Verdienſtes rauben, das Euch mit 
Recht entzädt. Allein, was die Entfagung, die Aufopfe- 
rung betrifft — ich glaube Euch, daß er eines Freundes 
wegen Verzicht auf vieles thun fünnte; — das wäre für 
feinen rubigen fanften Charakter gewiß nicht ſchwer. Allein 
das braucht er nicht! Er it ruhig im Beſihe des hödhften 
Erdenglüds. - Denkt Euch aber eine Seele voll Feuer, ein 
Herz voll Liebe, ein Gemüth voll Drang fich metzutpeilen, 
einen Geift, der nach Sympathie ſchmachtet, — und der 
doc) darben, doch entfagen, doch ſchweigen muß, und es 
gern thut, weil es Pflicht, weil es Tugend und Freund ⸗ 
ſchaft gebeut! — Bei'm ewigen Gotte, ein ſolches Weſen 
verdient auch nicht, mit Härte und Mißtrauen behandelt 
au werden. 

OD, mein lieber, guter Albert, rief fie betrübt, hab’ 
ich Euch beleidigt? Seid Ihr mir döfe geworden? — Ihr 
zieht Euren Arm ans dem meinigen, fagte id weinend; 
dab’ ich diefe Kälte, diefe Aengſtlichteit. diefen ftummen 
Vorwurf verdient? — Nein, bei Gott nihtl rief fie, und 
reichte mir die Hand, die ich ‚mit Küffen bededte. — Ewige 


Der Komet. 19 


Freundſchaft! reine unſchuldige Freundſchaft bis in den 
Tod! riefen wir. — Ih drüdte fie an meine Bruft, meine 
Lippen brannten auf die ihrigen. Da ftieß fie mid wild 
erfhroden zurüd. Um Gotteswillen, rief fie voll Ent 
fegen — das Ungeheuer! Seht Ihr nicht das Ungeheuer, 
das uns belanſcht? Der Mond hat fid in ein drohendes 
Gefpenft verwandelt. 

Ich ſah hinauf durd die Baumzmeige, der Komet 
fand eben dicht heim Monde. Sie hatten ſich begegnet, 
waren wie in einander gefhmolzen, und der lange Kome⸗- 
tenſchweif firedte fih wunderbar hinaus vom untern Horne 
der Mondſichel. — Aufgeſchreckt und verftimmt trennten 
wir un. 

Lemelie war in diefen Tagen trank geweſen, und hü- 
tete das Bett. Eine große Aengftlihkeit und Unruhe mare 
terten ihn; er Lonnte den Kometen nicht ausfteben, nannte 
ihn ein Zeufelsgefiht, und blieb in feiner Zelle, wo ihm 
Minga das Effen brachte, welches er doch gierig genug ver⸗ 
ſchlang. 

Den Morgen darauf, als Concordia und id ung beim 
Früpftüd zufammen fanden, erftaunten wir über Minga; 
denn fie war ganz verftärt. Die Haare hingen ihr unor⸗ 
dentlich um die Schultern, fie war ganz aſchgrau im Ger 
fit, und wollte kein Wort ſprechen. Benn wir fle anre- 
deten, fhüttelte fie verzweifelt den Kopf, und zeigte nah 
Lemelies Höhle. — IM er todt? fragte ih. — Sie fhau- 
derte zurüd,. fah mic mit ſtarren Augen an, und nidte 
dabei ganz leife. 

Ich eilte in Lemelies Zimmer. Er lag im Bette eis: 
talt, und zitterte unter der Dede. Die matten Augen 
brannten im Fieber, id hörte ihn einige sn, undeutlich 





2 " Der Komet. 


berfagen, er verſuchte vergeblich) die Hände zu falten; 
Schaum fand ihm vor dem Munde. — Der Paroriemus 
mußte lange gedauert haben, denn wie ich bineintrat, ers 
holte er ſich etwas, kehrte die Augen fhüchtern nach mir, 
reichte mir die eiotalte Hand und fagte: Ad, lieber Albert, 
feid Ihr da? Ich babe eine ſchreclliche Nadıt gehabt, bin 
wieder am Nande des Abgrundes geweſen. Reicht wir et⸗ 
was Palmenfaft! — Als er getrunken hatte, frug er un 
rubig: Wo it die gute Minga? Sie hat die ganze Nacht 
bei mir gewacht, die freue Seele. Ich fürchte, mein Wahn ⸗ 
Han bat fie angeftekt, denn fie will fein Wort mehr ſpre⸗ 
chen. Ich habe fie mit meinen wilten Reden vielleiht ver» 
rüdt gemacht; denn Ihr wigt, wenn ich frank bin, ſpreche 
ich immer vom Teufel und von der Hölle. Weil fie nun 
ſchwarz ift, habe ich fie vielleicht für den Teibbaftigen Sa» 
tan angefehen, und bin ihr etwas unfanft an den Hals 
gefahren. Es bat aber, hoffe ic, keine Noth. Der Adams- 
apfel, der ung Sündern allen in der Keble ftedt, ift ihr 
nur ein wenig. geſchwollen. — Wie befindet fih die liebe 
Concordia und der gute van Leuven? Werde ich nicht die 
Ehre haben, diefen edlen Gönner bald bei mir zu fehen? 
Dan Leuven, ſprach ih, iſt heute Nacht nicht nach 
> Haufe gekommen, er ſchlaft auf der Sternwarte. — Ad, 
das ift wahr! verfeßte Lemelie, drunten im Felſenſtübchen. 
Sein Geift wandelt über den Sternen, er mag mit une 
Erdenwürmern nichts zu thun haben. Es fräumte mir 
heute Nacht, dag id ihm ein Fernrohr gab, wodurd er 
die Sterne und den Kometen noch befler feben konnte. 
Scheint die Beſtie noch? — Es if liter Tag, Herr Le⸗ 
melte, fagte ich; der Komet ift im Sonnenlichte verſchwun ⸗ 
den. — Nun, das ift gut, ſeufite der Kranke; die Sonne 


Der Komet. ö a 


darf andy folden Gräuel nicht anfeben. Id will ihn auch 
nicht fehen; ich hoffe, er wird uns nicht äfter beſuchen. 

Bir erwarteten ale Augenblide, dag van Leuven nad 
Haufe fommen würde, er fam aber nicht. — Es ward 
Mittag, er kam nicht. — Jetzt fingen wir an unruhig zw 
werden. Ih lief nach der Klivve und Concordia wollte 
durchaus mitgehen. Ihre Unruhe nahm mit jedem Schritte 
au, und fie ſuchte ſich ſelbſt mit allen möglichen Wahrſchein⸗ 
lichkeiten zu tröften. 

Er bat da fo lange gefeffen, fagte fie, His ihn zuleßt 
die Müdigkeit übermältigte, dann hat er ſich nachber ver 
ſchlafen. Nicht wahr? Und dann mochte er in der Mits 
tagsbige nit nach Haufe gehen. Nicht wahr, lieber Al 
dert? — Eo iſt es gewiß! feufjte ich. 

Bir naheten uns der Kleinen Felſentreppe. — Hört 
Ihr nicht, wie mein Hera klopft? fragte fie, mich wild an 
biidend, mid däugt, man kann es klopfen hören. Ihr 
müßt mir Cure Hand reihen, font falle ih. — Sie eilte 
fo ſchnell. dag mir felber bang ward, fle möchte hinunter 
ſtürzen; ich bat fie, nicht fo febr zu eilen. — Ad, Ihr 
habt Recht klagte fie; laßt uns ein wenig warten, auf dier 
Tem fteinernen Sig ausruhen; fo haben wir doch einige Au⸗ 
genblide die Hoffnung noch, wenn auch das Xergfte einge 
troffen fein folte. Man fagt, Gewißheit fei beffer als Un- 
gewißbeit, das if nicht immer wahr; denn — Sie hielt 
inne, und ſprach, ängflid die Hand aufs Herz legend: 
Ich möhte fo gern ein wenig Waſſer trinfen. 

I will End gleich etwas holen, rief ih. — Nicht 
doch. ſprach fle wieder unrubig; immer munter binaufl 
Karl Franz! Mein lieber Karl Franz! Bir Du droben, 


2 Der Komet, 


fo antworte mir mit einem einzigen, teuren, unbezahlba⸗ 
ren Borte, damit ih Dir ſchnell entgegen eilel 

Sine Todestille herrſchte, fie fürzte binauf, lief an 
dem Eleinen Schlafjimmer vorbei, und trat in die Stern 
warte. — Da ifi er, rief fie freudig! Er iſt noch bier; 
wir haben uns ohne Urfadye geängftigt. — Hier? frug ih 
tleinlaut, ich fehe Niemanden. — Sein Hut, jauchtte fir, 
bängt am Nagel, Und da lirgen noch die Papiere, vol 
Zahlen und Berehnungen. und Bogen und Kometen. Ad, 
ſeht nur, er hat „Soncordia” am Rande feines Manuferints 
geſchrieben, und einen Meinen Blumenkranz darum gezeid« 
net. Er denkt doch immer an mid, ſelbſt unter den ernft- 
bafteften Beldäftigungen, und „Albert Julius“ ftebt auch 
da. Und weit entfernt, tief im Winkel drunten, hat er 
ganz Mein mit rother Dinte „Lemelie” gefchrieben. — Jeßt 
binunter in’s Schlafſtͤbchen, den lieben Siebenfchläfer zu 
weden. 

Eie eilte hinunter — aber die Lagerftätte ftand Teer; 
kein Menſch ſchien da heute Radıt geruht zu haben. — Er 
muß aufs Bollwerk hinansgegangen fein, rief fie — fri⸗ 
ſche Luft zu ſchöpfen — da hat man eine freiere Ausfiht 
über die Gegend, da werden mir ihn bald entdeden. — 
Bol fhlimmer Ahnung folgte ih nad, und dachte nur da- 
ran, Concordien vom Hinunterfallen zu retten. — Es that 
Not! Sie ftarrte hinunter, taumelte am Rande des Abs 
grunds, ftieß ein lautes Geſchrei aus, und wäre ich ihr 
nicht ‘zu Hülfe gefprungen, fo wäre fie fiher in die Tiefe 
binunter geftürzt. 

Sie lag in meinen Armen, einer Todten aͤhnlich; ich 
trug fie in’s Meine Schlafzimmer, legte fie aufs Bett, eilte 
wieder hinauf, ſchaute in die Tiefe unter mir, und war 


Begräbnig nud Gchurtstagsfeier. 23 
ſelbſt nahe daran, in den Abgrund zu färgen; denn ich ent⸗ 


dedte den Leichnam meines theuren Freundes drunten, jaͤm⸗ 
merlich auf dem Felſen zerſchmettert. 


3. 
Begräbniß und Geburtstagsfeier. 





Ich tann Eu unferen ungeheuren Schmerz nicht be» 
ſchreiben. Goncordia und ic) liefen durch den unterirdiſchen 
Gang nach dem Strande zu und fanden den todteu Körper 
unferes ſeligen Freundes auf dem Sande, von feinem un 
ſchuldigen Blute gefärbt. Das Haupt war gerſchme ttert 
er Eonnte feinen ſchmerzlichen Tod gelitten haben. Das 
Fernrohr hielt er noch feſt in der Falten Hand; und — 
wunderbar genug. von den zerbrechlichen Gläfern war keins 
zerbrochen. Ich befige den Tubus noch, und habe oft da» 
durch nachher nach dem Himmel geihaut, wohin mein ed⸗ 
fer Freund: voransgegangen, und id ihm bald folgen werde, 

Ich ließ Concordia hei dem Leihname zurüd, während 
ih Minga holte. Lemelie war kraͤnker als je, und das 
Sieber ſchüttelte ihn fo gewaltig, dag ich ihm das Unglück 
nicht gleich fagen möchte, um feinen Zuftand nicht noch är⸗ 
ger zu machen. 

Minga erſchrak nicht, als ich ihr die Trauertunde 
brachte, aber fie meinte fehr, und ſchuttelte den Kopf. Sie 
tonute noch nicht ſprechen, nur einen heiſern Ton von fi 
geben, und ihr Hals war fehr geſchwollen. Sie hatte felbft 


2 Begränntg und Behurtstagsfeier. 


Blutegel daran gehängt, und heilfame Blätter gekocht, wo⸗ 
mit fie ſich gurgelte. — Werden wir auch noch dieſe treue 
Seele verlieren? dachte ih im Hingehen; bat der Böſewicht 
fie auch noch erdroffelt? Ach jegt Tann uns fein Unglüd 
mehr unerwartet fommen; das Ungebeuerfte ift gefcheben. 
Drunten fanden wir das treue Weib über den Leich⸗ 
nam bingeftredt. — Id babe mic gefaßt, ſprach fie fanft 
weinend. Der frifhe Seewind hat die wilde Wuth meiner 
Verzweiflung über die Wellen hnweggeſpüͤlt, fie fol die fer 
lige Todtenftile meines Geliebten nicht unterbrechen. Meine 
Seufzer werden ihn nur wie Meine traurige Elfen umfä- 
&eln. Als Chriſt bat er gelebt, als Chriſt iſt er geftorben. 
Als er geftern von mir Abſchied nahm, um wieder auf die 
Sternwarte zu gehen, hörte ih ihn im Weggehen noch fo 
freundlich rührend diefe Worte des Morgenliedes fingen: 


Rimmft du mich Gort in deine Hände, 
&o muß gewiß mein Lebensende 

Den Meinen auch jum Troſt gedeih'n; 
Es mag gleich fehnen und Mäglich fein. 


Das mar fein Cchwanenlied! Eine Prophezeiung fel- 
nes Cayidfals. — Ad feht, Albert. wir der Trauring noch 
fo del und golden auf feinem blutigen Finger glänzt! Das 
bedeutet, er it mir freu bis in den Tod geblieben. Ia, 
id weiß «6, er war ganz, ganz mein. Kein phantaſtiſcher 
Gedanke, kein fremder Reiz, fein fhmärmeriihes Gefühl 
konnte fein Herz nur einen Augenblick von feiner Concordia 


abwendig machen. Und darum verdient aud möcht mein 


Ring, den ih feinem kalten Finger entziehe, ihm in’s 
Grad zu folgen, nicht, daß ih ihn neben den feinigen fiede. 
Er foll an meinem linten Zeigefinger fißen, mich an feine 


Begraͤbnit und Geburtstagsfeier. E} 


Irene erinnern, und mir immer ein fHillee Vorwurf fein. 
Und doch — Gott weiß, er mar mir unendlich lieb; id 
babe nie aufgehört, ihn zu lieben, und ic werde von dies 

> fem Yugenblide feine frohe Stunde mehr haben. Allein, 
mein lieder Karl Franz, ich will mich zwingen — zwingen 
ans Pflicht. Der Schmerz foll dies Herz nicht brechen, 
denn ich befiße von Dir ein lebendiges Pfand unter dem 
biatenden Herzen, das id fhonen muß. Du ſollſt mir in 
Deinem Kinde wieder leben. Ih werde Deine treuen edien 
Züge im Geſichte des einen Geſchöpfes wieder entdeden, 
werde ihm taͤglich von feinem feligen Bater erzählen, drr 
jegt im Himmel iſt, wo die Sonne ſcheint und die Sterne 
glänzen, wonach fein irdiſches Auge immer fo ſehnſuchtsvoll 
ſchaute. Ad. mein geliebter Freund! warum ſollteſt Du 
Doch nie die Vaterfreude genießen, der Du fo ganz zum 
Bater geſchaffen waren? 

Eine reiche Toränenflut badete das fdöne Geſicht der 
LZeidenden. Sie küpte ihrem todten Gatten den Mund und 
die Hand, drauf richtete fie ſich wieder auf und ſprach: 
Meine Freunde! beflattet jegt den Leidnam zur Erde, ich 
will ihn nicht Öfter feben. — So verließ fie den Zodten 
wit langfamen Schritten, in ihr Gewand gehüllt. Am 
Eingange des unterirdifchen Ganges kehrte fie ſich noch ein. 
mal um, warf dem Leichnam einen Ruß zu, richtete die 
Augen gen dimmel, und verſchwand im Dunkeln. 

Ich faß fange auf dem Selfenblode und ſtarrte meinen 
feligen Freund an, während Minge ihm das Gefiht und 
die Hände wuſch, und vom Duellenrande Blumen holte, 
damit den Leichnam zu (hmüden. Cie fpra kein Bart, 
weinte aber oft, häßte ihm alle Augenhlide die Hand, und 
fab hinauf nach den Bolten, 


% Begräbniß und Geburtstagsfeier. 


Minga, fagte ih, wir wollen ihn nicht begraben, Sich 
mal alle die Todtengrüfte im Felſen, die ihre offenen 
Schlünde gegen das Meer hinauskehren. In einer ſolchen 
Höple wollen wir unfern feligen Freund beifeßen, umd den 
Eingang gegen Vögel und Eeethiere vermauern. 

Minga drüdte treuherzig meine Hand, und wir brach⸗ 
ten den Tag damit zu, das Grab zu verfertigen. Eben 
als wir das letzte Loch der Mauer zufchlicgen wollten, ftieg 
der Mond aus dem Meere, und ſchien dur die Höhle, 
beiter und freundlich auf den Leihnam, und auf den Hoff⸗ 
nungsanfer draußen in den Wellen, gerade dem Eingange 
des Grabgewolbes gegenüber. Ich übte die Verrichtungen 
des Predigers aus. Ich fang das Grablied: „Iefus meine 
Suverfiht,“ warf etwas friſche, ſchwarze Erde über ihn 
die ich von der Infel mitgenommen hatte, (denn hier unten 
war nichts als Sand) und ſprach: „Menſch, aus Erde bift 
Du entftanden, zur Erde ſollſt Du werden! Aus der Erde 
ſollſt Du wieder auferftehen.“ Wozu die gute Minga 
mit heiferer Kehle, aber doch vernehmlih ihr Amen bei⸗ 
ſtimmte. j 

Als Contordia nach Haufe gekommen war, wohin fie 
in ihrem Schmerz, gegen Gewohnheit, allein ohne Minga 
ging, weil fie Lemelie im Bette krank liegend glaubte, fand 
fiezibn ganz heiter außer der Höhle ſihen, feine Pfeife rau⸗ 
hend. Als er ihren Kummer fah, fagte er: Tröftet End, 
liebe Fraul wir müſſen alle erben, früher oder fpäter, 
Bolten wir über das Unglüd des Andern immer trauern, 
wie fönnten wir dann im Leben eine vergnügte Stunde ges 
niegen? Denn es begegnet alle Tage fo etwas, und es ver- 
geht kein Augendlid, wo nicht ein Menſch ftirbt oder zur 
Erde beftattet wird. Alle Augenblide werden aber au 


Begräbnig und Grhurfstagsfeier. 27 


wieder Menſchen geboren, getauft und verheirathet, und fo 
mag das Eine das Andere aufmwägen. Der Wille vermag 
Vieles, fagen ja die Philofopben, und deshalb habe id 
mich auch jeht aller träbfeligen Gedanken entf&lagen, und 
will nicht länger krant fein. Ich raue mein Pfeifen, 
trinke mein Bläschen, und befinde mich wieder befler. So 
wird es auch Euch gehen, wenn die Leidenſchaft ausgetobt 
bat. — 

Concordia mürdigte ihn: feiner Antwort, und ging 
nach der Eommerlaube, mo mir fie alein trafen. Ich 
hatte an der treuen Schwarzen gemerkt, dag fie fehr un. 
ruhig nad) ihrer Herrin binaufeilte, fobald fie hörte, Com 
cordia fei allen nach Haufe gegangen. 

Lemelie merkte wohl, dag mir ihn verabſcheuten und 
geſellte fidy in einigen Tagen nicht zu uns. Minga konnte 
noch nicht fpreden, doch fing die Geſchwulſt almäplig an 
nachzulaſſen, fo daß feine Gefahr länger dabei war; wenn 
vielleicht aud ihre Stimme noch lange daran leiden konnte. 

Bierzehn Tage nad) dem Tode van Leuvens hatte Le⸗ 
melie Gelegenheit geſucht, Goncordien allein zu ſprechen; 
fie mente ihn aber nur in Mingas Gegenwart hören, und 
da hatte er ihr geradezu einen Heiraths⸗ Vorſchlag gemadıt. 
Sie hätte nur zwiſchen Zweien zu wählen — fagte er; 
weil jept er und Herr Albert die einzigen Männer auf der 
Juſel wären; und da zweifle er denn nicht, daß fie ihn, 
einen Offizier vom älteften franzoͤſiſchen Adel, einem gewe⸗ 
fenen Komödianten, Schuhputzer und verlaufenen Schul 
tnaben vorziehen würde. — So viel will ih Euch nur noch 
fagen, Madame, verfeßte er, — ſpaunt nicht den Bogen 
gar zu hoch, er könnte zerſpringen. Zu einem Zweikampfe 
mit mir bat der elende Menfc keinen Muth; es giebt aber 


Begraͤbniß und Geburtstagsfeier. 


auch andere Mittel, eines beſchwerlichen Kerle los zu mer- 
den. Bolt Ihr ibm wohl, fo fagt ihm für's Erſte keia 
Bort von dem Vorgefallenen; und feld Ihr mit meiner 
Ungeduld unzufrieden, fo bedenft, dag Ihr allein daran 
Sculd feld, und dag es in Eurer Macht ſteht, mich zum 
deſchmeidigſten, freundlichſten Menſchen zu machen. 

Die arme Concordia wußte nicht, was fie antworten 
follte, feine Drohungen gegen mid hatten fie im höchſten 
Grade erfredt. Sie bat ihn um Gotteswillen, ruhig und 
vernünftig zu fein, und ihren Zuftand zu bedenken. — Ih 
gebe Euch noch drei Tage Friſt, ſprach er. Euer Kind 
will ih als das meinige annehmen. Aber meine Frau 
müßt Ihr werden. Ih mil nicht länger warten, babe 
ſchon zu lange gewartet. Der gute Albert if ja ſchon Kü- 
fter geweſen, fo mag er den Predigerdienft gelernt haben. 
Er kann uns nad den Formeln Eurer eigenen Kirche 
trauen, damit Ihr Euch keine Strupel machen follt. Das 
iſt mir alles eins, wenn ich Euch nur beſihe. 

Damit ging er. Concordia vertraute mir Altes, als 
wir uns allein faben. Bir waren in der größten Angſt! 
Dem Lafter ftehen taufend Mittel zu Gebote, wo die Tu⸗ 
gend oft kein einziges weiß. Minga dagegen war in der 
legten Zeit gegen ihre Gewohnheit ruhig und heiter gewor⸗ 
den. Sie fing auch an, etwas zu ſprechen, und fagte: 
Laßt mid nur maden, und fürdtet Euch nicht. Lemelie 
bat mir gefagt: daß morgen fein Geburtstag fe. Ihr 
mügt mit ihm effen, feine Geſundheit trinken, und ihn wie⸗ 
der verfüßnen. Alles wird. noch gut werden, wir wollen 
ihn ſchon zur Ruhe bringen. — Aber nur keine binterliftie 
gem Mittel, gute Minga, riefen ih und Coucordia zu⸗ 
leid, — Altes offen, ehrlich und gerade zu, "antwortete 


Begräbniß und Geburtstagsfeier. 2 


die Schwarze. Kein Gift im Eſſen wod im Beine, mir 
genießen ja alles gemeinſchaftlich. — 

Bir lichen fie machen, und fie bereitete eine gute 
Mahlzeit, wozu fie Lemelie eialud. Als er mit uns in das 
große Gewölbe trat, fahen wir einen Blumenfranz um 
feinen Namenszug, eben an. dem Orte, wo der eiferne 
Sciffsleudhter des Don Cyrillo gehangen hatte; und da 
wo fein erftarrter Leichnam gefellen, war für Lemelie ge ⸗ 
dedt. — Er fand fih dabei geſchmeichelt, weil er wähnte, 
Concordia habe es gethan; als er aber hörte, die Aufmerke 
famteit rühre von Minga ber, äußerte er finfter: Das 
bätte ich begreifen follen; das ſchwarze Thier weiß nicht 
einmal Difteln von Blumen zu nnterfdeiden, fie hat mir 
einen Kranz von lauter Unkraut zufammen geflochten. 

Hüdfehe Farben! rief Minga heiſer; blau und gelb 
und roth und grün. So brauben wir's an den Küften 
Senegals, wenn wir unferm Könige eine Ehre erweiſen 
mollen. Sept Euch, erquidt Euch, mein Herr und Ger 
bieter! 
Die Unterredung bei Tiſche ftodte im Anfange alle 
Augenblide. Als aber Lemelie tüctig getrunken batte, 
ward er munter. — Der Komet, fagte er, verfhwindet 
jegt alle Abende mehr und mehr, fo foll auch die Berlegen- 
beit und das Migvergnägen unter uns verſchwinden. Min. 
ga! reihe mir doch das Meſſer, damit ich die fhöne Mes 
lone unter ung vertheile. 

Minga bradıte das Meier, als er ſich aber zurück auf 
dem Stuhfe bog, und den Arm ausftredte, um das Mies 
fer zu empfangen, ftieß ihm die Schwarze den ſchneidenden 
Stahl in die Brur, fo dag fein Blut den Tiſch befpräzte, 
und er nad) einigem Wanlen vom Stußle herunter fiel — 


30 Begräbnig und Geburtstagsfeier. 


Als Minga den Boſewicht verwundet hatte, rief fe: 
3% fomme wieder, wenn er geftorben iR! und lief in dem 
Bald Hinaus. Lemelie war tödtlih verwundet, ftarb aber 
erſt zwei Tage darauf in großen Echmerzen. Bir ver 
banden ihm fo gut als wir Lonnten, und braten ihn zw 
Bette. Er litt gewaltig, mitunter aud von Gewiſſensbiſ⸗ 
fen, die er aber mit Palmenfaft und feiner elenden Philo» 
fophie zu betaͤuben fuchte. Bor feiner Mörderin war ihm 
noch immer bang, und es berubigte ihm etwas, als er 
börte, fie fei weggegangen. 

Bir bedauerten ihn, und baten ihn, nod während es 
Seit war, feine Seele reuig an Gott zu wenden. Er big 
‚aber die Zähne zufammen, der Chaum ftand ihm wieder 
vor dem Munde und er rief: Macht mir mit dummen 
Geſchwaͤß meinen Zuftand nicht noch ärger. — Bir fhwie- 
gen, Concordia ging hinaus, und. er verfepte fanfter: Herr 
Albert, reicht mir doch das geſchriebene Heft da aus der 
Scyublade. Ic fann nicht länger leben, und fterben kann 
ich auch noch uicht. Vieles ſchmerzt mic; am meiſten Euer 
einfältiges Mitleid, Eure naͤrriſche Einbildung von meiner 
außerordentlihen Boeheit. — Ihr feid noch Kinder, junge, 
unerfahrne Menfhen, die die Welt nicht kennen, und bier 
auf diefer Infel werdet Ihr ſchwerlich Gelegenheit finden, 
Eure Keuntniſſe zu erweitern. Lefet meine Geſchichtel Ich 
bin auch Shriftfteller geworden, und habe mir in der letz⸗ 
ten Zeit, wie Don Eyrillo, damit die Langeweile vertrie- 
ben, meine Begebenheiten aufzuzeichnen. Ihr werdet ſehen. 
wie ich es getrichen, haben es Biele getrieben, umd die 
meiften meiner Zeitgenoffen waren ärger als ih. Geht in 
Eure Zelle und lefet! Laßt mid allein beim Palmenfafte. 
Eine Pfeife kann ich auch wohl ned rauchen, wie ein ara 


Lemelies LSebensgeldichte. 3 


mer tuͤrtiſcher Sklar, der lebendig gefpiegt if, umd dem 
das Eifen noch nicht die edieren Theile verwundet. Wenn 
Ihr fertig feid, kommt zurück! Ic will Eud den Reſt er⸗ 
zählen. Denn id) fühle, id) kann nicht fterben, ehe ih vor 
Euch gebeichtet babe, obſchon Ihr Ketzer feid, die mid 
nicht abfolviren fönnen. Macht nur, dag id die Schwarze 
nicht wieder fehe, dann hat es Feine Noth. — 

Ich nahm das Heft, ging zu Concordia in unfere ges 
meinſchaftliche Höhle, und las mit ihr die Bekenntniſſe, die 
ich Euch bier mittheile. 


4. 
Lemelie’s Lebensgeſchichte. 





Ich bin zu Paris im Jahre 1590 geboren, eben in der 
großen Hungersnoth, als die Pfaffen dur Prozeſſionen 
die Zeit vertrieben, und predigten: wer vor Hunger ftürbe, 
ftärbe den Martyrtod. 30,000 Menfhen maren ſchon vor 
Hunger hingeſchmachtet, und Heinrid der Vierte konnte 
doch noch nicht Paris einnehmen. Ih ftamme aus 
der alten Familie °*"**, meine Eltern waren aber blut⸗ 
arm, und bewohnten ein Meines Haus in der rue de ia 
ferroniere; denn fie gehörten zur Partei der Guifen, und 
hatten, ale Heinrich der Dritte den Herzog von Guiſe 
durch acht Edelleute erdolchen ließ, kaum das Leben gerete 
tet. Jept lebeen fie ſtill und ängftlid unter dem angenom» 
menen Namen Lemelic, trieben ein buͤrgerliches Gewerbe, 


32 Lemelies Ledensgefchichte. 


und verdienten ihr Brot damit, lakirte Vavparbeiten zu 
machen, welches Haudwerk mein Bater in befiern Tagen 
blos zum Vergnügen geltrnt hatte. 

Ich hörte in meiner Kindpeit nichts, als von Mord 
und Bergiftung. Meine Eltern waren eifrige Katholiken, 
baßten Die Hugenotten auf’s Blut, und fpraden von der 
Bartholomaͤusnacht, von dem Morde des Admirals Coliguv 
und von der Vergiftung des Prinzen Conds, mit der größe 
ten Entzüdung. Die Königin Katharina de Medicis, ein 
Weib von allen Zaftern zufammengefept, ward uns als ein 
Mufter aller Frauen gepriefen. Man ſprach von dem lie 
benswärdigen Zuge Karls des Neunten, dag er felbft durchs 
Fenſter, auf feine Unterthanen ſchoß, und „Zödtet! Tödtet!“ 
rief. Heinrich der ‚Dritte war aber meinen Eltern von 
Herzen verhaßt, weil er den Herzog ermordet hatte; und 
ihre Freude war groß, als der gottesfürchtige Möndy Ia- 
tob Element fi) als Supplikant zu ihm hineinwagte, und 
ion auf dem Nachtſtuhle, wo er, von Hofleuten umringt 
Audienz gab, erwürgte, 

Bas Half aber die Bartholomäusnaht, wenn man 
einen Keper, wie Heinrid) den Bierten, auf den Thron 
fepte? Sobald er König werden konnte, ſchwur er feinen 
Glauben ab. Konnte man aber auf diefen neugebadenen 
Glauben bauen? Tapferkeit konnte man ihm freilich nicht 
abſprechen, und fein Suly war ein recht guter Rechenmei- 
ſter; auch gefiel dem gemeinen Volke fchr feine Aeugerung, 
dag, wenn ibn Gott leben laſſe, fole jeder Bauer im Kös 
migreiche, wenigftens ale Sonntage fein Huhn im Topfe 
haben. Man kannte ihn aber übrigens recht gut: er war 
ein wäthender Spieler, und der Unzucht fo ergeben, wie 
Einer; auch ſab er oft nicht viel anf die Mittel, die ihn 





Lemelies Lebensgeſchichte. 3 


zum Swede führten. Er pflegte ſich darüber ſpaßhaft fo 
auszudrüden: Ic wergolde die Böfen alle Tage, damit das 
Blei ihrer Bosheit nicht ſichtbar werde. 

Beil er nun nicht alles Blei vergolden Tonnte, blieb 
immer fihtbaree Blei genug übrig, und man dachte nur 
daran, wie eine unfihtbare bleierne Kugel ihn treten, oder 
wie man ein unfihtbares Gifen gegen ihn weßen Fönne, 

Erft verſuchte der Jeſuitenſchüler, Johann Chatel, ihm 
einen Streit) zu verfegen, that cs aber fo fhleht, daß er 
ihm nur ein Paar Zähne in den Mund hinein ſtießz wo⸗ 
durd er Niemand als die fine Gabriele betrübte, wenn 
fie der König füffen wollte. Es follte aber deſſer tommenl 
Die ungeheuren Todesmartern des armen Chatel erbitter- 
ten die Herzen noch mehr, und bald fand fid in unferer 
Nachbarſchaft ein Mann, der die Sache verftand. 

Natüurlicherweiſe wollte fih fein vernünftiger Menſch 
zu folder Wufopferung bergeben. Denn was ginge ihn 
das Heil Frankreichs an, wenn er ſelbſt lebendig gerädert 
werden follte? Gluͤclicherweiſe giebt es aber immer der 
gutherzigen Narren’ genug, mit deren Pfoten man die hei⸗ 
Gen Kaftanien aus der Aſche herausziehen fann, ohne fih 
felbft die Finger zu verbrennen. Ein folder Schmärmer 

lebte in unferm Quartiere, ich Ternte ihn dur) einen Zur 
fall kennen 

Id machte ohngefähr achtzehn Jahre alt fein, als ich 
eines Abends ziemlich foät im Garten der Tuillerien ſpa⸗ 
zierte, wo mir ein hubſches Mädchen ein Stelldichein gege- 
ben hatte. 

Als ich fo herumging, und vergeblich in der Nähe 
eines Teiches wartete, hörte ich, bei der verabreden Heide, 

Beblenf. Sarifien. XVII, 


3 Lemelies Lebensgeſchichte. 


glich Jemand in’s Waſſer fallen. Ich fürchtete, daß es 
mein Mädchen wäre; das Baffin war nicht tief, und ih 
ftürzte mid) ohne Bedenken ins Waller, um meinen Gold» 
ſiſch wieder zu fangen. Statt des Goldfiſches hatte ich 
aber eine garflige Kröte zu. nalen befommen. Es mar ein 
häßlicher alter Menſch, blaß, hager mit cinem grogen 
Maule, ſchwarzen Zähnen, und matten Heinen ſchiefen Au 
gen, die er aber ſehr andädtig gen Himmel kehrte. — Er 
fügte mir die Hand zu wiederholen Malen, und dautte 
vielmals, dag ich ihn gerettet habe; nicht, weil er dag Le 
ben fo fehr liebe, fonder, weiß. cr glaube zu großen Zwel 
ten der Welt geboren zu fein, melde noch nicht in Erfül- 
lung gegangen, 

Ich hatte feine Zeit, diesmal Tänger mit ihm zu ſpre⸗ 
ben. fondern eilte, trodne Kleider anzuziehen, und mein 
Mädcen zu finden. Den Abend darauf traf ih aber die» 
fen Menfcyen wieder tm Garten, und machte feine nähere 
Bekanntſchaft. Ein fonderbarerer Kauz ift mir nicht vor⸗ 
getommen, Er big Franz Ravaillac, ein gemefener 
Ordensbruder, umd aus einer armen Patrizier- Familie. 
Er trug ein härenes Hemd auf dem bloßen Leibe, Ichte 
meift nur von Brot und Wurzeln, geißelte ſich oft, und 
ging nur aus, wenn es regnete und blies, um die Todten« 
grüfte zu beſuchen. Als ich ihn frug, warum er das thuc? 
antwortete er: um das Fleiſch zu tödten, und den Verſu⸗ 
ungen zu miderftehen. Der Heilige Hifarton habe fich des- 
wegen felbft mit Zäuften geſchlagen; Evagrins ftand bei 
Winterzeit naft in einem Brunnen, bis er vor Kälte er⸗ 
ſtarrte. Das hatte er aud im Garten tun wolten, als 
ihm ein reigendes Mädchen begegnet (vermuthlich meine 
Liebſte). Weil er aber das Gleicgewicht verlor, und um- 


Lemelies Lebensgeſchichte. 3 


Mu märe er geroiß erteunfen, wenn ich ihn nicht gerettet 
tte. 

Ein Bild, das in der Vorhalle eines Kloſters hing, 
und einen lebendig gefhundenen Märtyrer darftellte, war 
ihm die liebſte Augenweide. Stundenlang konnte er mit 
größter Wolluſt fo ſtehen, und die biutigen entblößten Mus- 
keln der Leidenden betrachten, nebſt den Henkersknechten, 
die theife die Haut abzogen, theils ruhig mit dem Meſſer 
im Munde fanden, wie Mebger, die einen Ochſen fhladje 
ten. — Was das füß, mas das henigfüß fein mug — 
feufzte er — fo für die gute Sache zu fterben. Sein Blut 
daftete wie Rofen, die Mefferftihe fhmeden ihm wie Am⸗ 
brofia! — und was des tollen Geredes weiter war. 

Bir achten oft Äber ihn, id) und meine Gelichte, das 
Kammermäddyen der fhönen Marquiſe de Verneuil, einer 
geweſenen Maitreffe des Könige. Diefe Ehre durfte fie 
leider nicht lange geniegen; er verlich fie, nach feiner Leichte 
finnigen Art, um andern Liebſchaften nachzugehen. Oft 
hörten wir die arme Berlaffene in ihrem Gemache weinen 
und rufen: Lebt denn fein Chriſtenmenſch, ‚der diefem Uns 
treuen feinen Lohn geben mil? 

Zu der Seit ereignete ſich noch etwas, das mir einen 
verföntihen Haß gegen den König einflögte. Mein Bater 
lebte, wie gefagt, von lakirten Papparbeiten, aud konnte 
er von Drangefchalen niedliche Biskuitihadteln machen. 
Bas er nicht zu Haufe verkaufte, verkaufte ich für ihn auf 
dem Markte, wo ich einen Laden und ziemlid) viele Runden 
unter den huͤbſchen Mädchen hatte, weil ich gut ausfah und 
ihnen allerlei luſtiges Zeug vorſchwatzen konnte. 

Eines Tages kam ein reicher Bauer, und wollte mir 
eine Schachtel ablaufen. Man fagt: Wenn dw Narr zu 


3% Lemelies Lebensgeſchichte. 


Markte fimmt, gewinnt der Krämer Geld. Ich merkte 
wohl, der Kerl verftehe ſich nicht auf fo etwas, und ver⸗ 
langte daher zehn Mai fo viel, als das Ding wohl wertb 
fein mochte. Beil nun aber der Laffirnis reht rein und 
bel über dem bunten Bilde glänzte. das Adam und Eva 
im Paradiefe vorftellte, fo ließ ſich es der Bauer gefallen, 
und gab das Geld her. Kaum hatte id es in die Taſche 
geftedt, fo fam ein anderer Papparbeiter, und wollte ihm 
ein ähnliches Stüd weit wohlfeiler verfaufen. Der Bauer 
verlangte fein Geld zurüd, ich mollte es ihm aber nicht ge» 
ben, und chen in diefem Augenblide ging der König vor- 
bei, denn er batte es ih zur Pflicht gemacht. auf den 
Diärkten herum zu geben, um zu fehen, ob aud die Bür- 
ger ihr Fleiſch und Brot zu billigen Preifen befämen, und 
ob das Hubn bald aus dem Ei gekrochen fein würde, das 
der Bauer alle Sonntage im Torfe haben folkte. 

Der König wollte willen, worüber der Streit entftan- 
den wäre, man fagte es ibm. — Gieb ihm das Geld gleih 
zurück, Bube! rief der König, enfrüftet mit verächtlichem 
Bid. Diefe Verachtung trieb mir das Blut in die Ban- 
gen, und id) ſprach: Eire! ich bin fein Bube, ich bin ein 
armer Edelmann, den das Unglüd nötbigt, ein bürgerliches 
Gewerbe zu treiben. — Du befhimpfft fowohl Adel ale 
Bürgerfhaft mit diefen Worten, erwiederte der König. Das 
Unglüd noͤthigt feinen dazu, Betrügereien zu begehen. 
Glaubt Du etwa, meil Du vielleicht zu den Hefen des 
Adels gehört haft, daß Du ungeftraft den guten Maren 
bürgerlichen Trank mit Deinem Unflate verunreinigen darfft? 
— Id) antıwortete in der Berlegenbeit etwas unzufanmen- 
bängendes Zeug. Der König kehrte fih aber lachend ven 
mir umd fagte: Der Burſche ſcheint entſeßlich einfältig zu 


Lemelies Lebensgefhichte. 37 


fein; ich glaube, er hat es mehr aus Dummheit als aus 
Bosheit gethan. Wir wollen ihm diesmal durch die Finger 
fehen. — Damit ging er. Ich blieb befhämt zurüd, und 
mein Handel war ruinirt, denn von diefem Tage an, wollte 
Niemand mehr etwas von mir Laufen. 

Ich vertraute meiner Gelichten noch felbigen Abend 
mein Unglüd. Die Marquiſe fam zu uns hinein, und ber 
tlagte fih auf ihre Weiſe. Sie hatte Beſuch bei ſich von 
einem ſebr vornegmen Herrn. Gr hatte feinen Bedienten 
wengefhidt, und frug jept freundlich, ob ich wohl fo gut 
fein wollte, ibn nad Haufe zu begleiten; denn es war zu 
der Zeit unſicher, allein fpät des Abends auf den Straßen 
zu gehen. Ic hatte nichts zu verlieren, und es freute mich, 
dem großen Herrn einen Gefallen zu thun. Ich mußte ihm 
durch viele Gemaͤcher auf fein Zimmer folgen, obfhon es 
ſebr fpät war. Hier ſprach er fehr leutſelig, allein mit fo 
ſchwacher Stimme, daß ich es faum hören konnte: Lieber 
Lemelie! Ihr thut Unrecht daran, den guten König fo ſehr 
au balfen, denn er ift wirklich ein berzenslieber Menſch, und 
würde fih als Privatperfon, als tapferer Soldat, als ans 
genchmer Geſellſchafter vorzüglich gut ausnehmen. Leider 
iſt er aber zum König gar nicht geſchaffen, und das ift ein 
großes Unglück, dem je eher je lieber vorgebeugt werden 
mug. Sein Tod ift ein nothwendiges Uebel, zum Heil des 
Ganzen; und da darf denn kein wahrer Patriot ſich von 
liebenswůrdigen Schwächen und Bedenklihteiten irre machen 
laſſen. Borber tonnte man freilich mehrere Strupel hegen, 
als er noch Ketzer war, jept aber hat es mit feiner Selig 
keit Feine Noth; und wenn man ein gutes Mittel müßte — 
das fein Aufſchen machte, worurd man ihm leicht und 
ſchnell in die Ewigkeit verfepen könnte. — Ih gebe Euch 


8 Lemelies Lebensgeſchichte. 


mein Ebrenwort darauf, ein folder Vatriot, der diefer 
allgemeinen Wunſch erfüllte, Könnte auf die hoöͤchſte Dant- 
barkeit der meiſten Großen Frankreichs Rechnung machen? 
und eine Geldfumme, die ihn Zeitlebens zum reihen Manne 
machte, würde ihm gewiß zugeſichert werden. 

Ich ſah dem großen Herrn ſchelmiſch in die Augen, 
umd antwortete wafemeis: Ihr wagt viel, Monfeigueur, 
wir einen ſolchen Vorſchlag zu thun. 

Gar nichts, lieber Lemelie, antwortete er ganz ruhig, 
Euer Leben if in meiner Hand, ich habe meine Spione 
überall; aus der Schule zu ſchwahen und Euch in’s gewiß 
Verderben zu flürgen wäre einerlei. — Ic) fage es nur 
zum Schetz, gnädiger Hexr, verſehle ih. Ihr begreift 
wohl, dag es mir eben fe viel um des Königs Untergang 
au un it, als Euch. Wenn man, wie gefagt, nur ein 
Mittel wägte. — Nun, es giebt dad) eigentlidy der Mittel 
genug, bemerkte er. Nacht, Dunkelheit, ein gut geichlife 
mer Dold, Tonnen Vieles ausrichten. — Der Tag fann 
aber Vieles entveen, fagte ih, und in's warme Bad, das 
man dem Jakob Element und dem Johann Chatel geheizt, 
hat man viel Senf und Salz gemiſcht; ic .zweifle, Daß 
fobald wieder Jemand darnach gelüftet. . 

In diefem Yugenblide ging mir aber ein Licht auf, 
und ich rief froblotend: Und doch, gmädiger dert — Ihr 
wohnt ja deu botauiſchen Garten fehr nahe, wo die ſchöne 
Palme fteht? Köunt Ipr mir einen Palmenzweig verfhafe 
fen — (ſelbſt habe ich auch ein. reines weißes Hemd), fo 
hoffe ih den Wunſch zu beiderfeitigem Vergnügen durch⸗ 
sufeßen. . 

Der große Herr glaubte erſt. daß id wieder ſpatze; 
als ich ihm aber alles erklärt Hatte, fand er den Einfall 


Lemelies Lebensgeſchichte. 3 


vortreffüich. Er verſchaffte mir heinlich den Pahnenzweig: 
ih 309 ein weißes Hemd über die Kleider, fepfe mir eine 
lange biende Perürte aufs Haupt, und weil ich von Kin 
desbeinen wie sine Kaße klettern konnte, (bis in ſpaͤtere 
JZabre, wo ih an Schwindel leide) fo ſchlich ich mid aufs 
Dach und fpazierte über ein Paar Nabarkäufer, bis ich 
on Ravailacs Dachtube kam. Bier Hradı ih einige Bir 
gelfteine los, Trody in’s Zimmer hinein, und verdarg wich 
im Bintel. . 

Gr tkam kurz daranf zu Haufe, machte mir mit Bater- 
noſter beten die Zeit ziemlich lang, und legte ſich endlich 
aufs elende Bett, nachdem er einige Hriligenbilder eifrig 
gelüßt hatte. Eben wie er das Licht auslöfdyen wollte, erx ⸗ 
ſchien ich mit dem Palmenzweige in der Hand, und rief: 
Granz Ravaillac! — Er ſcheen eine ſolche Erſcheinung bei- 
nahe erwartet zu haben; denn fie wanderte ihm gar nicht. 
Er richtete ſich auf die Kniee auf, faltete die Hände, und 
fagte andägtig: Sprih, Herr! Dein.Diener hört. — Franz 
Ravaillac, verſetzte ich rubig uud gebieterif—h: Du folft 
Heiurich den Vierten, König von Franukreich, erſchlagen; 
dadurch geſchieht unfer Wille im Himmel, wie auf Erden. 
— Er flog die Augen andähtig zu; meigte ſich mehrmals 
zur Erde und feufzee: Wohl, Herr, ich gehorche. Siehe! 
ich bin Drin geringer Knecht, nur ein armſeliges Werkzeug, 
deſſen Du Did zu der Ausführung diefer großen Entwürfe 
bediraf. — Ich blies fein Licht aus, Tiekterte wieder zum 
Dache hinaus, fepte die Siegelfteine wieder vor das Loch, 
und gelangte glüdlih in meine Wohnung zurüd, ehne ent» 
dect zu werden, und ohne den Hals zu breiien. 

So geſchah denn jene That, welche die ganze Welt 


40 Lemelies Lebens gefchichte. 


Als des Königs Kutſche eines Tages in unſere Straße 
am, wo ich mit meinem Kameraden la Daffon am Ten 
ſter ftand, war der Weg von Zubrlenten und Kärrnern fo 
verftopft, dag ſtil gehalten werden mußte. Die Bediente 
forangen alle herunter, einige gingen Über den Kirchhof, 
andre liefen voraus, um Pla zu machen; fo dag der Kö— 
nig ganz ohne Bededung gelaſſen war. Die fee ruc⸗ 
wärts fipenden Herren ſaben ſich nad den Pferden um. 

In diefem Augenblide entdetten la Maflon und ich 
unfern guten Freund Ravalllac, der fih ganz leiſe umd 
eilig herſchlich, und durd die Menge zum Wagen hin ar- 
beitete. 

« Sieh einmal den Ravailac, fprad la Maſſon zu mir, 
er ift bei Gott auch heute aus dem Nefte gefrochen, um 
die Umtriebe der eiteln Belt zu feben Man merkt es ihm 
an, dag er kurzſichtig ift, weil er fi dem Wagen fo fehr 
nahet. Ich fürchte aber, feine Nafeweisheit wird ihm übel 
befommen. Mein Seel, rief er wieder, der Kerl ift ganz 
toll, er fteigt auf's Wagenrad hinauf, und büdt ſich in 
den Bagen zum König hinein, als od er ihn kühlen wollte. 

Kaum hatte la Maflon das gefagt, fo Hören wir den 
König rufen: Gott! ih bin verwundet! — Er flürzte zu 
rüd in feinem Blute, und Navaillac, der ſich leicht im Ge⸗ 
tümmel hätte wegfdleihen fönnen, wenn er das Meſſer 
nur weggeworfen hätte, ftand ſtarr und ruhig, wie eine 
Bildfäule, mit dem blutigen Eifen in der Hand, und er- 
wartete den Lohn feiner That. 

Diefen bekam er denn nun auch fo derb und tächtig, 
wie es nur der Graufamfeit möglich war, folden zu er- 


finden. 
Uebrigens Hätte Ravaillac fehr leicht aus dem Gefäng- 





LZemelies Lebensgeſchichte. 4 


niffe entichläpfen kinnen, das man oft für ibn offen ſtehen 
hie. Die Marquife de Vernenil, die mit vielen Großen 
des Reichs in Verbindung ftand, und der es wehe that, 
dag der arme Teufel fo zu fagen unfhuldig ſtürbe, weil 
vr nur ein blindes Werkzeug ihrer Rache geweſen, fchidte 
mich zu ihm in's Gefängniß, um ihm geradezu zu fagen: 
er könne leicht entflichen. — Wäre ich im blogen Hemde 
mit einer blonden Perüde, und mit dem Palmenzweige in 
der Hand erſchienen, fo hätte er ohne Zweifel auch gehorcht. 
Das ging aber niht an, und fo richtete ic) nichts aus. 
Er fcüttelte den Kopf, zeigte mir ein altes Bilderbuch voll 
Hinritungen der Märtyrer, und fagte: Sie werden mic 
nit mit Martern tödten Eönnen! Dit dem Schwerte müfs 
fen fie mir das Haupt abſchlagen. Dann wird ſich der 
Himmel Öffnen, und der Engel mit dem Palmenzweige 
wird wieder herunter fonımen, mid) in Abrahams Schooh 
hinauf zu tragen. 

Ich fagte: Ravaillac, haft Du Did doc nicht vielleicht 
geirrt? Softe der Engel, den Du zu fehen glaubtent, nicht 
etwa eine bloße Einbildung oder ein verkleideter Spipbube 
gewefen fein? 

Gehe hinweg von mir, Du freolender, gottloſer Menſch! 
rief er müthend. Ih habe nod ein Meſſer Hier, das mir 
ein guter Freund heimlich, zugeftedt bat. Einen Selbſtmord 
wit ich nicht begehen — ſprichſt Du aber noch ein ſolches 
Wort, fo fol es Dir übel gehen. 

Ich lief aus dem Gefängniffe, ſchlug die Thür Hinter 
mir zu, und dachte: La den Narren es fo gut haben, als 
er fehber will, 

Den Tag nad) feiner Hinrichtung ſchlich is wid zu 
meinem vornehmen Gönner. Gr empfing mich außeror- 


22 Lemelies Lebensgefhigte 


dentlich guadig, zahlte mir Das Drittel der verfprachenen 
Summe.aus, und verfiderte, dag ich den Reſt Übermorgen 
befommen follte. Drauf Ind er mid ein, mit ihm zu frübe 
füden, ſchenkte mir eigenhändig ein Glas fügen Beine 
ein, der ganz köſtlich fein follte, und frag: ch mir nicht 
ein Stud Kuchen gefälig wäre? — In diefem Angenbiid 
ward er binausgerufen. Sein Peiner Hund lief umber in 
der Stube, wedelte mic an, und wollte aud Kuchen ba 
ben. Ich gab ihm ein Stück. Kaum hatte aber der Hund 
den Kuren verſchlact, fo heulte er, verdrehete die Augen, 
lief ein Paar Mal ſchwindlich umber, fiel in Konvulfionen 
auf den Boden, und war maufetodt. B 

Mein edler Gönner kam zurkt, und ſtugte — ven 
muthlich, weil er mid noch lebend fand. Ih beklagte das 
Ungläd feines Hımdes, und verfiherte, ih fei an deſſen 
Tod unfhufdig, weil ich nicht gewußt habe, dag der. Kuchen 
vergiftet fei. Drauf bemerkte ih: Ich begraife fehr gut, 
gnädiger Herr! daß Ihr einen Menſchen los zu werden 
fucht, dem Ihr ein Übereiltes Verſprechen gethan, und der 
in ein wichtiges Gcheimmig eingeweiht if. Mas aber das 
Geld betrifft, fo bin ih mit der Summe zufrieden, die ih 
fhon bekommen babe; und, nicht aus der Schale zu 
ſchwatzen, dazu zwingt mid ja meine eigene Rettung. Euer 
Gnaden fönnen mir aber aud nicht verdenten, dag ich 
nicht gern ermordet fein wid Sell id vernichtet werden, 
fo made id Lärm, gebe uns Beide an, und nebme Euch 
mit. Das Fenfter iſt geöffnet, und ich brauche nur binaus 
zu ſchrrien. Wollt Ihr aber anf Euer Kruzikz ſchwören, 
mir ferner fein Leides zu thun, fo verfprede ich binnen 
drei Bogen aus Paris, und binnen acht Tagen anger den 
Grenzen Frankreichs zu fein. 


Sortſetzuag von Lemelies Lebensgefhihte. 43 


Mein Gbnne war äußerft leutſelig, wmarmie mich 
and verficerte, dem Kuchen fehle feines Willens gar nichts; 
ver Hund mühe anderswo etwas Ungefundes genoſſen ha- 
ben. Er deiftete mir gleich auf das Krugifir feines Nacıt- 
üfches den verlangten Eid, entließ mid mit vielen Lieblo⸗ 
ungen mir zur Treppe binunterfolgend, und bemerkte nur 
mit einem feinen Nahdrude und liebenswärdigem Lächeln, 
es wärde mic ſehr zuträglid fein, je eher, je lieber 
Frantteich zu verlaſſen und auf Reifen zu gegen, wodurch 
ſich ein junger Menſch außerordentlich bilde. 


8 


Fortſetung von Lemelies Lebensgeſchichte. 





Ich reike jegt nach Italien, wo ich recht gut hätte fer 
ben können, bätte id wicht die Weiber ümd den Pharao» 
tiſch zu ſeht geliebt 

Ein junges, ſchönes Madchen in Florenz, mit einem 
Goldſchmiede, Namens Andrea Druzzi verfprochen, wußte 
ich in der Abweſenheit des Bräutigams in's Garn zu lof- 
zn. Er war nach Frautrrich gereiſt. Die Trennung 
sonfte ich Kblau zu benugen, die Felgen davon wurden 
immer ſichtdarer; die Seit ihrer Entbindung nahete ſich 
Sie lieg mir durch eine alte. Frau das neugeborne Kind 
bringen, nd bitten, väterlih dafür Serge zu fragen. — 
Bas folte ich mit dem Burme maden? Ich konnte mid 
taum ſebſt ernähren. Ich wicelte es in meinen Mantel, 


4 Fortfepung von Lemelies Lebensgefhichte, 


und ging foät Abends längs den Ufern des Arno fpazieren 
bis ic an einen abgelegenen, von Bäumen und Hecen ver- 
bargenen Ort kam. Hier wollte ih die Schachtel mit dem 
Meinen Mofes in’6 Schilf hinunter fegen, damit ihn eine 
mitleidige Pringeffin wieder finde. umd zum großen Manne 
erziehe; als ih cine Stimme hörte, die mir hohl zurief: 
Laß das fein, Kindermörder! 

- Eine ſchwarze Geftalt fand vor mir im Mantel ge⸗ 
hält. Ic) erfannte aber bald in ihr den Hgolino Gaspa- 
ti, einen Luftigen Gefellen, deſſen Bekanntſchaft id in Siena 
gemacht, und der, Schulden halber, nicht nach Florenz zu 
kommen wagte, obſchon id doch gefehen, daß er in der 
fepteren Zeit viel Geld im Spiel gewonnen hatte. Ich ging 
mit ihm, bebielt das Kind unter dem Mantel, und frug: 
Bie bit Du binter mein Geheimnig getommen? 

Das, und weit mehr, weig id, foradı er düſter, und 
erzählte mir Saden, worüber id) erflaunen mußte, weil 
kein Menſch außer Antonia und id das fo willen fonnte, 
es müßte denn ihr Bräutigam Andrea Druzzi, in Franl⸗ 
rei, fein. Drauf ſtecte Ugolino Baspari die Hand im 
die Taſche, nahm eine Handvoll Dufaten heraus und frug: 
Möchten Du es aud fo gut haben? — Gern glei! war 
meine Antwort. — Fuͤrchteſt Du Dich vor dem Teufel? — 
Nicht fonderlih. — Glaubſt Du, daß er Gewalt über die 
Menſchen übe? — Ber eigentli) die Gewalt übt, er⸗ 
wiederte ich, ift ſchwer zu fagen. Faſt folte man meinen, 
das Meife, das in der Belt gefhieht, rüpre mehr von 
ihm, als von feinem fogenannten Gontrapart. — Bift Du 
auch der Meinung, daß ein Vogel in der Hand beffer fel, 
als zehn in der Luft? — Das bin ih. — Möntel Du 
wohl auf eine künftige, wahrſcheinlich nur eingebildete Se⸗ 


Fortſethung von Lemelies Lebensgeſchichte. 4 


ligkeit Verzicht thun, wenn Du es hier im Leben gut und 
immer vollauf haben könnten? — Sehr gern! ſprach id, 
doch nicht ohne ein beimlihes Grauen. 

Bir waren indeß in eine tiefe, dunkle Grotte gekom⸗ 
men, wo der Mond gefpenftermäßig hineinfhien, und mo 
eine Duelle mit ſeltſamem Säufeln aus der Tiefe riefelte, 
als ob fie Geiftergefdichten der Unterwelt erzählen wolle. 

Ich babe mic ſchon dem Teufel ergeben, ſprach Ugo⸗ 
lino Gaspari düfter, und haft Du Muth, kannſt Du «6 
jetzt auch thun. Hier it ein Pergament aus Menſchenhaut 
uubereitet, da eine rothe Habnenfeder, Du mußt aber Dein 
eigenes Blut zur Dinte bergeben. — Ih will mir die Haut 
aufrigen, ſprach id. — Nibt doch, rief er, Dein Blut 
fliegt ja ſchon in dem Kinde. Zödte es auf jenem ſchwar⸗ 
zen Steine dort. — Ih fhauderte zurück. — Narr! vers 
fröte er, meinſt Du, weil das Waſſer weicher iſt als der 
Stein, daß diefe Todesart femerzliher, oder der Mord 
unverzeibliher ſei? — Du bat mid ſelbſt vor dem Kin- 
dermorde gewarnt, ſprach ich zaghaft. — Iſt es denn ab⸗ 
gemacht, Narr, dag Du der Vater dieſes Kindes biſt? 
frug er hoöhniſch lachend, und erzählte mir Geſchichten von 
denen ich deutlich abnehmen fonnte, dag er mit Antonia im 
vertraulichſten Verhaͤltniſſe geftanden, während fie mic mit 
verftellter Liebe Hinterging. 

Diefe Entdetung erbitterte mich fo fehr, dag id das 
Kind nahm. umd gegen die Zelfenwand ſchleuderte. — 
Sieh, da haben wir rothe Dinte vollauf, fpra er ruhig: 
tunfte die Feder in das Blut und reichte mir fie. — Das 
Aergſte war geſchehen. Ich bedachte mich nicht lange, mein 
Gehirn brannte, und in den gräßlichften Ausdrüden ergab 
ich mich dem Teufel ewig mit Leib und Erele. 


46 Sortfehung von Lemelies Lebensgeſchichte 


Den Brief mußte ih auf offenem Felde unter dem 
Hochgerichte, mit dem abgebleichten Schädel eines Hinge 
richteten in die Erde graben, während der Gehängte am 
Galgen im Binde haumelnd mir mit den Fügen an den 
Kopf ftieß. Ugolino folgte mir darauf wieder auf die Heer⸗ 
ftraße, Hier drüdte er mir krampfhaft die Hand, und ſprach: 
Lebe wohl, Lemelie! ich habe mid gerächt. Id) bin der ber 
trogene Bräutigam Antoniens, Andrea Druzzt, der, nad 
Siena zurädtommend, Deine Niederträhtigkeit entdeckte 
‚Das Kind gehörte wirtlich Dir, Mädcenfhänder und Kin⸗ 
dermörder! Erſt wollte ich Did morden. Atlein dieſe Rache 
ſchien mir beſſer. Jetzt gehörſt Du dem Teufel mit Leib 
und Seele. Er fehrte mir den Rüden, und verſchwand in 
der Nacht, ich habe ihm ſeildem nie wieder geſeben. 

Ich war in dem feltfamften Gemüthszuſtande. Ih 
ſchauderte vor dem Kindermord, den id begangen hatte, 
obſchon ich mit dem Vorſatze binausgegangen war, ihn zu 
begeben. Andrea Druzzi ‚hatte mich zum Beſten gehabt, 
und fo war ja and die ganze Teufelsverfihreibung nichtig 
und windig. Indeß ängftigte fie mich doch immer noch 
und ich dachte nur daran, wie id) das Pergament, das im 
Galgenhügel vergraben war, wieder bekommen follte, ehe 
es der Teufel nehme. 

Es koſtete mid) große Ueberwindung, in dunkler Nacht 
wieder Über das einfame Feld hinaus nad) der Schädel- 
fätte zu geben. Das Pergament hatte ich unter dem Gal« 
gen, mitten im Dreieck, wo die Alraunenwurzeln wachſen, 
vergraben. Ih konnte beim Sternenfhimmer ten Gehans 
genen in der Ferne hin und ber ſchweben ſehen. Es ſchien 
mir ein ſchwarzer Engel zu fein, der den Schat bewachte. 
Lange ftand ich unſchlüſſig, und wagte nit, hinzugeben. 


Fortſehung von Lemelies Lebensgeſchichte. 4 


Endlich ſchoͤpfte id Muth, und hatte mic wieder dem Gal⸗ 
gen auf einige Schritte genähert, als der Gehangene plöps 
lich herunter fiel, Wer mürbe Strick mag eben zerriffen 
fein) und mit feinem Körper den Drt bededte, wo ich mein 
Vergament vergraben hatte. — Den Todten weg zu waͤl⸗ 
sen, um die Verſchreibung wieder zu befommen, mar mie 
unmöglich. In diefem Augenblide hörte id alle Hunde des 
entfernten Dorfes gräßlih heulen, und drei Raben flogen 
ſchreiend dem Hochgerichte vorbei in paniſcher Schreden 
mid), die Haare fanden mir zu Berge und ich entfloh. 

Nach Florenz kam ich nicht wieder. Ich hatte da nichts 
zu fuchen, id wollte Antonia nicht wieder fehen, und fürde 
tete, Andrea Drugzi werde mir da, wenn ich mic feben 
liete, einen noch ärgeren Streich ſpielen. Ic pilgerte nach 
Pla, wo id nur mit einem einzigen Boldfläde in der Tas 
fe antam. R 

I ging in’s Spielfaue, Ih hatte nur das eine 
Goldftüd zu verlieren, und doch fürdhtete ih beinahe zu ge⸗ 
winnen. Id feßte das Goldftüd auf eine Karte, und ger 
warn. Ich ſpieite glücklich; als ich megging, hatte ih die 
Zaſche voll Gold. — Hat der Teufel das gethan, dachte 
ich, fo bat er es gut gemacht. Mir mar wieder luſtig zw 
Mathe; id ag und trank tüchtig, und fühlte mich von der 
Melancholle befreit. 

In Livorno machte idy die Bekanntſchaft eines Freiben ⸗ 
ters, ging mit ihm auf die See, er Ichrte mic) die Navie 
garion und wir-machten große Beute. Viele Granfamteis 
ten begingen wir, die von diefem Geſchäͤfte unzerttennlich 
find, und wogegen die tollen Streiche, die ih vorher ge⸗ 
macht, wahre Kleinigkeiten waren. 

Mögkdy begegnete uns einmal eine Fregatte. Bir 


48 Fortſehung von Lemelies Lebensgeſchichte. 


Aufrührer wurden ergriffen und auf die Fregatte gebracht 
wo man mit uns kurzen Prozeß machte, denn wir wurden 
alle gehangen. 

Ich auch? Verſteht fih, ih aub. Die ganze Galgen 
leiter der Todesangft mußte ich erfiettern, und beichten mit 
dem Strick um den Hals. Als ich aber fo, wie Reinete 
Fuchs. auf der Himmelsleiter fand, dachte ih: Sollte der 


Teufel Dir doch diesmal nicht wieder davon helfen? "In 


der Berfchreibung hatte ich den Fehler begangen, mir feine 
beſtimmte Zebenszeit zu bedingen. Dielen Schler, dachte ic, 
machte er ſich jezt zu Nuge. Bei ihm findet du feine 
Hülfe mehr. Beil er nun alfo nicht meht beifen wollte 
kehrte ich mein Gemüth zu Gott, meinte fehr, zeigte aufe 
richtige Neue, und wurde von einem katholiſchen Geiſtlichen 
abſolvirt. Das ‚hat mid wahrſcheinlich gerettet. Denn 
weil ich diesmal gar zu fromm aus der Welt gegangen 
wäre, bat der Böfe wohl gefürchtet, mic zu verlieren. Er 
rettete mich nur, damit ic wieder fündigen follte. Kaum 
mar ih auf dem Bugfpriet in die offene See hinausge- 
bängt, fe zerrig der Strid mit mir wie mit dem Gehäng- 
ten auf dem Felde. Ich fiel in’s Meer, und das Schif 
fegelte fort. 

Ein mitleidiger Matrofe bat mir ein Ruder zugewor⸗ 
fen. Darauf ſchwamm ic) fo lang umher, bis ein fremdes 
Schiff vorbei Fam, das einen andern Weg nahm. und Tang- 
fam gegen den Wind lavirte. — Id mar nur darauf be- 
dacht, mir den Strid vom Halle zu ſchaffen, welhes mir 
viele Mühe machte, fo daß ich beinahe unter der Arbeit er- 
trunfen wäre. Ic Eonnte aber unmöglich, mit diefem Or⸗ 
densBande um den Hals, das fremde Schif befleigen; denn 
was würden die Leute wehl von mir gedacht haben? — 


Sortfepung onn Lemelies Lebenegeſchichte. 49 


Endlich gelang ed mic, und ich kam als verunglädter fran- 
aökfter Eremann, der über Bord gefallen war, nad Hapre 
de Grace. 

Ich hatte wieder wicht mehr als eine einzige Goldmänze, 
die der mitkeidige fremde Kapitain mir beim Abſchied ge 
geben. — Es war ein italieniſcher Dukaten — und — fo 
Kann die Phantafie mit einem fpielm — es fehlen mir der» 
felbe zu fein, den ich in Piſa gehabt, als ich fo viel im 
Spiele gewann, 

Ich ging wieder in’s Spielhaus. Ein Mulatte in ro» 
ther Offiziersuniform fpielte unglüͤcklich. Ich hörte, es ſei 
der Sohn eines reichen weſtindiſchen Pflanzers, der in Eur 
ropa des feligen Vaters Geld vertrödelte. Ich ſpielte mit 
ihm, und gemann mehrere Abende nad) einander fehr große 
Summen. Immer lädjelte er dabei fo Hämifd, dag ich 
beinahe toll darüber wurde; denn dies verfluchte Hohnge⸗ 
lächter fam mir mieder ganz fatanifd vor, und ich konnte 
mid) des Gedanfens nicht entfhlagen, dag der Teufel in 
eigener Perfon mit mir Pharao fbiele. 

Ich gewann fo viel, daß ich mich bald wieder etabli⸗ 
ren konnte; ich rüftete ein Schiff aus, machte einige Fahr⸗ 
ten wie andere ehrliche Schiffer, und fand mid gut dabei. 
Einige Handelsverbindungen brachten mid) nach Kopenha- 
gen, wo ich des Herrn van Leuven Bekanntſchaft machte. 
‚Hier war aber der Teufel wieder los, und es abnete mir 
gleich etwas Schlimmes, als ich die ſchwarze Negerin fab, 
die mir die [höne Frau aufs Schi hinaus brachte. Denn 
ein ſchwarzes Menſchengeſicht erfhredt mich immer in Eu- 
ropa unter den Weißen; und ich glaube auch ganz gewiß — 


Oehlenſ. Schriften. XVII. - 4 


50 Fortſehung von Lemelies Lebenegeſchichte. 


Weiter hatte der Elende nicht geſchrieben. Geht bin 
ein, lieber Albert, rief Concordia, und lat ihn Euch den 
Neft erzäblen, che er ſtirbt. 

Ich wollte fie nicht bitten, mitzugehen, denn es ahnete 
mir, dag ich etwas Graͤßliches zu hören befommen würde, 
das ich Toncordien verbergen mußte, . 

Ich ging allein und fand ihn bei feiner Pfeife, ruhiger 
als ich vermuthet hatte. Der Palmenfaft it mir jept zu 
ſtark, ſprach er; bringt mir ein Glas fübles Waller, dann 
will id) weiter erzählen, denn Ihr ſollt als wiſſen. — Ih 
that, was er verlangte, und er ſprach 

Der Palmenfaft efelt mid an. Dies ſchlechte Getränk 
hat mid; immer berauſcht, ohne mid zu erheitern, in ſol⸗ 
chen Augenbliden that id), was ich vielleicht fonft nicht ge- 
than hätte. So tödtete ich den Meinen Beautiful, und ih 
muß gefteben, diefer Mord und der Mord meines Kindes 
haben die unangenchmften Erinnerungen in mir binterlafe 
fen. Denn die Erwachſenen, fo ich hinrichtete, haften mid 
alle vorher mehr oder weniger beleidigt; das neugeborue 
Kind und der Meine Hund hatten mir aber nichts gethan. 
Darum geftalteten ſich eben aud oft diefe zwei Mifferhaten 
vor meiner Phantafie; und in der Nacht, wenn ich zu viel 
Palmenfaft getrunfen, habe ich oft das blutige Kind auf 
dem Gerippe des Hundes über die Ebene binreiten fehen, 
beide wie Ichanniewärmer leuchtend 

Doch nicht blos der Palmenfaft, auch Concordia bat 
mic zu der Sünde verführt. — Concordia — Lügner! fiel 
ich ihm in’s Wort, die tugendhaftefte der Frauen, in deren 
Seele kein ſchwarzer Fleck it! — Was balf es mir, ver- 
fegte der Böfewicht, dag ihre Seele tugendhaft war, wenn 
ibr Körper immer meine Begierde erregte? Es ging mir 


Fortſehung von Lemelies Lebensgeſchichte. 51 


wie König David in der Bibel, als er Bathſeba geſehen 
batte. Urias mußte Reipaus nehmen. 

Graufamer! rief ich⸗ fo haſt Du ihn dod ermordet? — 

Als der düftre Komet am Himmel erſchien — verfeßte 
Zemelie — war es mir, als follte das ein Zeichen der Höle 
bedeuten. Es war mir aber viel darum zu thun, dag 
Concordia gegen mic feinen Verdacht ſchöpfe. Ich ftellte 
mid, alfo frank an, und fei cs nun, dag mic der Vorſatz 
ängftigte, genug, id) zitterte wie ein frierender Hund un⸗ 
ter der Dede; und wäre ſelbſt ein Arzt auf der Infel ger 
weſen, — er hätte mic) für einen Kranken anfehen müſſen. 

In jener verhängnigvollen Nacht ſchlich ih mi aus 
dem Bette, zog mid ſchnell an, und eilte nad) der Stern 
warte hinauf, Der Aitronom faß bei feinen Berechnungen 
Als er mic fab, erblagte er umd griff nad feinem Hirſch⸗ 
fänger. Ic) löfte meinen Degen von der Seite, reichte ibm 
diejen, umd ſprach demätbig: Mein Herr! tödtet mich gleich 
auf der Stelle, oder lagt Euren böfen Verdacht gegen mic 
fahren! Denn mas näpt mir ein Leben auf diefer men« 
ſchenletren Infel ohne Fteundſchaft? — Ban Leuven reichte 
mir drauf freundlich die Haud, und frug, was id fo ſpät 
bei ihm wolle? — Darf ich auch nicht einmal den Komet 
durch Guren Tubus fehen? fragte ih. Eure Frau und 
Herr Albert baben mid zum Beften gehabt, weil ich mic, 
vor diefem Sternbilde fürdtetei ich war aber frank. Iept 
befinde ich mid) beſſer, und id dachte wohl, daß Ihr noch 
nicht zu Bette wäret, 

Als ich ihn auf diefe Weiſe berußigt hatte, war er 
febr dienfifertig, pußte die Glaͤſer des Tubus, und lieh 
mic) binrinfhauen. Die Haare fanden mir zu Berge; als 
ich das bimmliſche Ungebener durch das Fernroht fab, we⸗ 

* 


52 Jortſeßang von Lemelies Lebensgeſchichte 


durch fi alles vergrößerte und deutlicher wurde. Die 
runde Dunftkugel mit dem langen Schweife ſchien mir ein 
Zuriengeficht mit aufgelöften Haaren zu fein. Es Lam mir 
ſo vor, als ob das Fernrohr von meinen Mugen bis zu ih⸗ 
vem Munde hinaufreichte, als eb fie mir dadurch, wie 
durch ein Sprachrohr, fage: Tödte ihn jet, den Berka, 
tem und genieße des fügen Lohnes. 

I) zitterte, und legte den Tubus ans der Hand, aus 
Furt, van Leuven babe diefe Worte auch gehört. Er 
merkte weine Gemuͤthsbewegung, und fie fihien ihm nicht 
zu befremden, weil die Nachterſcheinung, auch ganz natür 
lich genommen, für ungewohnte Augen etwas Schrecliches 
an fih hat. 

I ließ ihn jept fein Etedenpferd reiten, und mir et⸗ 
was von der Aftronomie vortragen. Was er fagte, verftand 
ich glei, weil ih Mathematit gelernt Habe. Das freute 

> ihn. Mit Eu, rief er, kann man dod über ſolche Dinge 
ein vermünftiges Wort ſprechen. Der gute Albert und meine 
Goncordia phantafiren immer poetiſch. Ucherhaupt, Hert 
Lemelie. verfeßte er ernſt, feid Ihr ein Manu von vielen 
Fähigkeiten, wenn nur — er ſchwieg. 

Ach verſtehe Euch, antwortete ih; wenn nur das Herz 
beffer wäre. Ich ſchwöre Euch zu, Ihr folt künftig mit 
mir zufrieden fein. Ich babe eine Kamäleonenatur, feht 
or, die immer von den naͤchſten Umgebungen ihre Farbe 
leiht. Schlechte Geſellſchaft Hatte mid verdorken, mit Euch 
guten, rubigen Menſchen mill id) künftig auf dieſer aller« 
lieben Infel ein tugendhaftes Leben führen. 

Nun war der ebrlihe Holänder vollends mit mir vere 
grügt, zumal als ih, wie ein wißbegieriges Rind, wit ge⸗ 
fatteten Händen vor ‚ibm Rand, und ihn eine moralifche 


Fortſehung von Lemelies Lehensgefhihte. 53 


Vorleſung halten Tief. Sum Abſchied drädte er mir die 
Hand und fagte: Ih hege jeht von Euch die befte Hoff ⸗ 
nung. — WG, rief ih. als mir auf den Altan herausges 
kommen waren, laßt mid doch noch einmal durd's Fern- 
rohr fehen. — Er reichte wir es. Das Gefpenfterbild war 
jeßt röfher, zorniger geworden, in feinem Geſichte glaubte 
ich trampfhafte Zuckungen wahrzunehmen. Es ſchuͤttelte 
das Haar wie eine ungeheure Mäpne, und drunten ſchäum ⸗ 
ten die Wogen det Meeres, voll Ungeduld, ihr Opfer zu 
verſchlingen. 

‚Der Komet hat fein Geſicht verzogen, rief ih; es ber 
Toegt fh etwas drin. — Phantaſirt Ihr nun auch, Lemes 
ke, rief van Leuven lachend; cs wird eine Meine Wolte 
fein, die eben vorbei ſchwebt. — Er nahm den Tubus, 
und ſchaute hinauf; ich ftieß ihn mit aller Gewalt in den 
Küden. und er ftürzte über das niedrige Ballmerf in hen 
Abgrund hinunter: 

Dann verließ id) den Fels, und nahm meine Flinte 
wit, die ich drunten hatte fieben laſſen, um van Leuven 
nicht zu erſchrecen. — Obngefähr cine Viertelftunde von 
diefer Hößle entdertte id eiwas Schwarzes, das in's Ge⸗ 
bũſch hineinfglüpfte. IA zielte mit der Fliate in den 
Buß Himein, als eine Stimme vief: Drüde nicht Les! Ich 
Biws. — Belder IH? frug id; komm heraus oder ich 
ſchieße. — Die ſchwarze Minga trat hervor. — Bas mat 
Du fo foät Hier? frug id. — Das frag’ ih Guch, ant« 
wortete fie fed. Ihr feid fieberfrant, und kauft doch in die 
Radıtiuft hinaus? Ich wollte Euch zu trinken geben, da 

. fand ich dao Neſt leer umd den Vogel ausgeflogen. — Du 
ſchieichn mir auf den Ferſen nad, um meine Wege auszu ⸗ 
foäben, Unverſchaͤmte? rief ich. Weißt Du, mo ih gewe 


54 Fortſetzung von Lemelies Lebensgeſchichte. 


fen bin? — Auf der Sternwarte: da habt Ihr in die 
Höhe und in die Tiefe gefehen. — Verfluchte! rief ih, fie 
am Halfe greifend und zu Boden werfend, Du mußt auch 
fterben, Du haft den Mord gefehen. — Toͤdtet Ihr mid, 
ſprach fie, fo verliert Ihr eine unentbehrlihe Dienerin. 
Ber fol Euch künftig aufmarten, Feuer ſchlagen, Waſſer 
hoten und kochen, die Höhfe fehren, Eure Leinewand oa 
ſchen, Concordia bei ihrer Nicderfunft helfen? Stirbt fie 
in Boden, was nützt Euch dann der Mord? 

Ich fühlte, fie hatte Recht, und dag ich fie nicht ent 
behren fonnte. IA mußte, daß fie bigott und abergläu- 
biſch iſt, ich ließ fie einen gräglihen Eid auf das fleine 
Kruzifir ſchwoͤren, das fie am Halfe trug, mic mit feinem 
Worte, mit feinem Zeichen jemals zu verraten. Sie (wur, 
and Lonnte kaum ſprechen, denn ich hatte fie ziemlich un« 
fanft an bie Kehle gefaßt. 

& LE m gedalten. WEImwWagt aus der 
Schule bat fie nicht, An meinem Geburtstage dat fie mei 
men Namen mit Diftelblumen umkränzt, und mir das Meſ⸗ 
fer in die Bruft geftogen. Das war nicht gegen den Eid. 
Der Teufel it wigig, ich verſtehe ſchon alles. Die Stunde 
iſt gekommen. IA muß binunter. Der Schwarze hat mit 
mir fein Spiel zu Ende getrieben. Hätet Euch vor ihm — 
in der haͤßlichen, fo. wie in der ſchönen Frauengeftalt! Das 
iſt der Teibhafte Teufel felber, I kenne ihn. Er macht 
immer den Poflenreiger im Nachſpiele, wenn die Tragddie 
zu Ende if. Bald kommt er als.ein alter weißbärtiger 
Mann, mit dem Pferdefuge ehrbar unter dem langen Node 
verftedt, und erbittet fi) dic Gefaͤlligkeit. mit einem allem zu 
ſprechen. Eteht man dann allein mit ihm im einſamen 

-  Chlafjimmeriein, fo hält cr einem das Pergament vor die 


Ah que l'amour est chose jolie, 5 


Nafe, und verlangt Hrompte Bezahlung. Dann greift er 
uns beim Genid, zerfhmettert den Gehirnkaften gegen den 
Tenfternfoften, verſchwindet mit der verdammten Seele, 
und die Stube ftinft vol Schwefel und Teufelsdred. Bald 
kommt er als Negerin. Ih rieche ſchon den Schwefel 
dampf. IA ſchwanke über dem Abgrund. Drunten ftehen 
die Zolterbänte bereit. — D Beb! D Beh! Ih kann 
nicht beten! Albert Iulins! Eoncordia! zu Hülfe! zu Hülfel 


Ah que l’amour est chose jolie, 





In ſtillem Kummer verfieffen die erfien Monate nad 
diefen tragiſchen Begebenheiten. Die Trauer über den fec« 
ligen Gatten, die Sorge für ihre baldige Niederkunft, ließ 
Concordia an nichts anders denken, und ihr Zuftand hatte 
fie fo verändert, dag man das ſchoͤne reizende Weib in ihr 
kaum wieder erkannte. Dadurch, und durd die vorherge- 
enden gräglihen Erfdätterungen, fühlte ſich meine Leiden. 
ſchaft für fie ganz ab. 

Als aber die Stunde ihrer Entbindung heranrädte, er» 
wachte wieder ganz die alte Freundſchaft in mir. Ich flocht 
von Weiden eine Wiege, half der Schwarzen das Kinder 
zeug nähen; und mährend Minga der Wöcnerin in der 
Noth Heiftand, Tag ich draugen knieend im Grafe, und bee 
tete für fie mit großer Inbrunft. — Es dauerte nicht lange, 
fo bradte Minga ein gefandes, kräftiges Kindlein in Bin, 


56 Ah que l'amear est chose jelie. 


deln aus der Höhle berams. — Zeßt waren wir wieder vier 
Freunde auf der Infel; jeßt war alles Zur! Die vorige 
Verlegenheit war ganz verſchwunden. Ich beſuchte Goucor⸗ 
deen als Bruder, als Arzt, ale Handwerker, als Geiftn⸗ 
Her; an den vorigen heimlichen Lichhaber wurde gar nicht 
mehr gedacht. Sie aedachte aber auch ihres Kummers 
wicht wehrt. Eeit dem fie das liebe Aind hatte, ſchien fie 
der Belt, der Hoffnung wieder anzugehören. 

Ich mar von Herzen froh, als ich einmal wieder den 
Drediger machen konnte. Ein fhönes antifes Gefäg von 
braunem Porphyr, das mir in der Häble gefunden, und 
worin die Mönde vermuthlich Ihr Weihwaſſer gehabt, diente 
mir zum Tauffteine. Ich gab dem Heinen Mädchen, ohne 
Concordien zu fragen, den Namen Carolina Franziska, 
wobei die gute Mutter fo gerührt murde, dag es mir um 
fie bange ward. Sie faßte ſich aber bald. 

Nachher ſuchte ich fie auf jede mogliche Weile zu er- 
beitern. Einige Kiften waren in den Tagen aus einem gr 
frandeten Schiffe auf die Kifte gewerfen worden, worin 
id Kteiver vollauf fand. befonders viele Pazenkinrern 
welche fh wahrſcheinlich ein oſtindiſcher Nabed oder weh 
indifger Viceldnig für feine Dienerſchaft hatte machen laſ⸗ 
fen. Nun Hatte ih eben vier Affen in der Sommerlaube 
eine Zeit fang abgerichtet, damit fie Concordien, uach ihrer 
GSenefung, als Heine Bedienten aufwarten möhten. Diefen 
vagfe id mit Mingas Hütfe die Kleider an, die ihnen ſehr 
gut ſtanden, nachdem fie ein wenig Beiner gemadt waren; 
und mie wanderte ſich die liche Fran, als. ich fle endlich 
zu einem Schmanfe in der Laube einlud, und fie von vier 
präßtig gefleideten Pagen, mit Treffenhäten und gafenizten 
Rocken anfgrıwartet wurde? 


&h que l’amour est ehose jolia 57 


Diefe Iffen waren uns fehr wüplich, fie tonnten Waſ ⸗ 
fer boten, Holz ſpalten und die immer kehren. Einmal 
aber jagte einer diefer loſen Dienſtbeten der guten Mutter 
einen grohen Ehreden ein. Sie war bei der Wiege einge» 
ſchlafen, als fie erwachte, fand fie das Kind nicht mehr da. 
Sie flärze mir wit einem Angſtgeſchrei entgegen, und rief: 
Bo if mein Kind? Mir träumte vom Lemelie, daß er aus 
der Graft geRiegen, mein Kind ermorden mellte. — Ih 
warf die Augen verzweifelt umber, und wußte weder aus 
noch ein, als id, glüdlicerweife gleih einen Affen droben 
im Heubaufer, zärtlich mit dem Kinde in den Armen’ fipen 
ſab. Kaum merkte er, daß wir ihm auf der Spur waren, 
ſo nahm er das Kind, rutſchte damit hinuwter, und warf 
«8 wicher in Die Wiege. Ih erſchrat; das Kind hatte aber 
gar keinen Schaden genommen, und der Dieb entwifchte 
aleich in den Bald hinein. 

Bon dem Tage an mußten wir mehr Adıtung neben. 

So verfloſſen zwei Jahre. Eobald Contotdia das 
Kind von der Bruſt entmöhnt Hatte, blühete fie wieder wie 
eine Jungfrau. nur war fie etwas ftärfer geworden, mas 
fie aber nad) reizender machte. 

Ieht fing ich wieder am veriegen umd zerſtreut za were 
den. Ich fühlte wieder, dag meine Freundin ein ſchones 
Weib fi. — Einen Morgen erwackte ich in Epränen geba⸗ 
det. Johanna Klein war mir im Traume erſchienen, hatte 
ſch mit ihrem tindlich ⸗ toſigen Geſichte über mid gebüdt 
aad gefragt: Leichtſinniger Misere! jo bald kanuſt Du 
Deine arme Johanna vergeffen? 

Alkein in einer folgenden Nadıt effcabarte fie Ad wit ⸗ 
der, ud obſchen Das Geſicht nichts von feiner Schönheit 
verteren, fendern vielmehr gewonnen batte, fab fie doch 


58 Ah que l'amour est chose jelie, 


nicht mehr wierein Menſch aus. Cie hatte Flügelein an 
den Schultern, war balb durchfichtig. und glich einem über 
irdiſchen Wefen. Sie hielt Concordien bei der Hand, melde 
fie mir zuführte, leutfeltg ſprechend: Bas irdiſch üft, gebört 
dem Irdifhen, was ſelig ift, dem Himmel, Liebt Euch! 
dort werden wir und Alle lichen. — Licht Euch! dort wer» 
den mir ung Ale lieben, wiederholte eine weiße Geftalt in 
der Ferne, und id) erfannte deutlich den feligen Franz van 
Leuven anf dem Hügel im Morgenroth, ohne But und 
Bunden. 

Ich ermadhte fehr frobr als ic die Augen aufſchlug 
bite mir noch ein blühendes Engelsbild in’s Geſicht, laͤ⸗ 
chelnd über mich hingebogen. Es war die Meine drittehalb- 
jährige Carolina, meine vertrautefte Freundin, umd, wenn 
ich nicht zu weit ging, tägliche Begleiterin. Ich drädte das 
Kind an’s Herz. und fühlte mich von ihren Lieblofungen 
entzüdt. 

Mit der Mutter wagte ih aber fein zärtlihes Wort 
zu reden. 

Ein Gedanke, der mic, befonders peinigte, war: Wenn 
fie Dich vielleicht auch jept ein Bisden Lieb Hat, wie fann 
das dir ſchmeicheln, bier auf einer unbemwohnten Infel, mo 
kein anderer Mann da ift, als dü? 

Ich hatte einen fhönen_Nafenplag entdeckt. droben am 
Felſen, mo man nicht fo bed binauf zu feigen brauchte, 
um eine freie Ausſicht über dag Meer zu haben. Hier war 
eine Heine Vertiefung in den elfen, von Sträudern um- 
tingt, wo man in Schut vor Sonne, Wind und Regen, 
fißen konnte. Das tar jept mein liebſter Aufenthalt. Hier 
faß ich mit der einzigen Erbfhaft Lemelies, die mir lieb 
mar — feiner Laute. Ich hatte mic felbt gelehrt, Weiſen 


Ah que l’amour est chose jelie, #9 


daranf zu Mhmpern, und fang dazu, was mir einfiel, wenn 
ich allein war. Concordia fpielte die Laute ganz vorzäg- 
lich, fie hatte verſprochen, mir naͤchſtens Unterricht zu ge» 
ben. Ich zitterte aber dafür. Schon menn id) ihre lich 
liche Stimme hörte, die bimmlifhen Blide der Augen fah, 
wenn fi) der herrlich gebildete Arın und die Hände über 
die Saiten bewegten, zudte es mir durch alle Nerven, wie 
ſollte es aber erft werden, wenn fie meine Singer mit den 
übrigen anfagte? Nein, mit dem Feuer muß man nicht 
fpielen, dachte ich. Es wunderte mid, dag mid, die kluge 
Fran in eine ſolche Verſuchung führen wollte, und ich dachte: 
Sollte fie dich doch nicht vielleicht aud) lieben? — Nein, fagte 
ich dann wieder: das ift nur ibre gewöhnliche Gutherzigkeit. 

Carolinchen ward mir ale Tage lieber. ie ein nied- 
licher loſer Bogel, der einige Worte plaudern ann, flat- 
terte fie immer um mid) ber, füßte mid und ſah mid mit 
tiugen Augen an. Die Mutter ſprac nar immer deutſch 
mit ihr, denn in den letzten zwei Jahren hatte fie, tm Um⸗ 
gange mit mir, veltommen gut Deutfc gelernt. Als ich 
mid) darüber wunderte, fagte fie: Man fol die erften Les 
bensjahre der Kinder nicht in Unterrihtsftunden verwan⸗ 
dein, blos um das Gedähtnig zu ſchärfen. Das Gedächte 
wiß iſt bei den Kindern fo ftarf genung Das Gemüth ift 
aber eine fo zarte Blume, der Charakter ein fo feiner Keim, 
dag beide gleich eine gewiſſe Richtung nehmen mäflen, um 
nicht flach und fchief au werden. Das Eigenthümliche will 
gleich ausgebildet fein, der Sinn für das Heimathliche; das 
Märkt Treue, Gefühl, Character, Liche. Umd das ift weit 
mehr, als ob ein Meines Kind zwei, drei Spradyen ſchwahen 
kann, ehe es au benfen gelerat, und ſchon im fünften Jahre 
nicht weiß, welcher Nation es eigentlich angehöre. 


® Ah que l'amsur est chose jolie, 


Ich gebe Euch völlig Net, liebe Conerdia, — erwie ⸗ 
derte ich — nur wundert es mich. dag Idr gegen Eure eis 
gene Theorie handelt, indem Ihr dem Kinde Deutſch und 
nicht Englifch lebrt — Sie errötgete ein wenig, flug die 
Augen wieder, faßte fih aber gleih, fab mid ruhig am, 
und ſprach: Bir find jept eine Meine Nation ans vier Den 
ſcen beftchend auf diefer Infel. Ihr feid der Mann, ein 
Deuticyer, und die Weiber wmäfen fih nach den Männern 
rigen. Mein Carl Franz war ein Niederländer, deutſchen 
Stamms; wir Engländer waren vormals Sachſen. Das 
Shidfal hat uns Bier hier von der übrigen Weit getrennt, 
ſe dürfen verfhiedene Sprachen uns nicht noch mehr vor 
einander trennen. Wenn Garolinchen fieben, at Jahre alt 
geworden ift, und Ihr, Heber Albert. auch Englii wie 
Deutſch ſprecht, wellen wir Engliſch mit ihr ſpre den 

Io fügte der fhönen Frau ehrerhietig die Handz fie 
verueg mi@, und 10 dachte CGolie das dom nicht Siehe 
fein? — Thor! rief ich dann, fie hat dir ja den Grund 
deutlich auseinander gefeht, hat dir heiter und Bar in's 
Auge geblidt — das thut Liebe nicht. 

Einft, als ich droben auf deut Selfenrafen mit Karo 
linden alein faß, und in einem Buche las, tief die Kiei 
Bater! Vater! (denn fo nannte fie mi immer) — Ein 
großer Vogel mit weißen Flügeln fhmwimmet drangen. — 
Ich ſchlug die Augen auf und entdedte fern ein Schiff um⸗ 
ter vollen Segeln. Ohne mich zw bedenken, ob man mic 
auch hören und fehen konnte, ſchrie und lärınte id fo Laut 
als id «6 vermochte, und wintte mit dem Taſchentache. 
Bald aber war der große Dreimafter wieder aus dem Ger 
ſichtskraiſe verſchwunden. 

Icqh tann nicht ſagen, daß ich darüber bettübt wurde, 








AB que l’smour est ehose jolie. 6 


obſchon ich mich heträst — ftellte, als ich mit Concordien 
darüber ſprach. Ss freute fie, dag uns das Sqchiff nicht 
entdedt hatte. Wer weiß — fagte fie — mas das wieder 
für ruchloſe Menſchen waren. Vielleicht noch ein Lemelie. 
Ein Bogel in der Hand, lieber Albert, ift beffer, als jehn 
in der Luft. — Ja, dachte ich, wer nur den Bogel in der 
Hand hätte! ih würde nicht nach alten moͤglichen Vogeln 
in der Luft fragen. 

Den Zag darauf, als id wieder auf dem Felfen mit 
Carolinchen fa, die ich anf einem von mir felbftigefehnite 
tenen Fibelbrette Buchftaben kennen lehrte, fiel es mir ein⸗ 
mal ein, wieder den Poeten zu machen. Ich ließ das Kind 
im Grafe fpielen, und als ic) meine Neime fertig hatte, 
fang ich fie folgendermaßen zur Laute: 

u hätt’ ich nur fein Echiff erblich 
Bon Dielen fehcofien Behfenhügeln; 
Das Eqhidial Hat ed Hergefchict, 
Um weine Echufucht in beflügchn. 


Soll meine Jugendfraft vergeh'n, 
Mich feine Freude mehr beglüden? 
Eou überan ich Blumen ſeh'n. 
und feine füße Roſe pflüdfen. 


Die Zulpe glüiht, das fehnene Thier 

Im Höbten findet feinen Gatten, 

Der Schmetterling, des Felhlings Zier, 
Erlreut ſich auf den Blumenmatten. 


Der Fiſch im Bach, doc dat im Baum 
Der Wogel feine Brom gefonden; 


6% Ah que l’amenr est chose jolie. 


Wie iſt das Beben nur ein Traum, 
Doch iſt wicht Wirklichkeit verſchwunden. 


MU Adam ging fo ganı alein, , 
Da war nicht Goa noch am Erden; 
eie wandeit hier im nahen Hein, 
And dach iR fle mir nicht gesehen. 


Ich liebe fie und fag' es micht, 

Gin heilger Gidfchwur peißt mich ſchweigen. 
Der Liebe tiefoerborg'nes Licht. 

Darf feine tühne Flamme zeigen. 


So bleib in Deiner ſtillen Ruh, 

I ſuche ſolche nicht zu Mören, 

Mein eing’ged @Beh und Bopl bin Du, 
Auein {ch will der Sehnfucht wehren. 


Nicht ganz geranbt if mir Die Luft: 
Ich liebe Dich in Deinem Rinde, 
Drüc’ ich den Engel an die Bruf, 
Das, weiß ich, iſt doch feine Sünde! 


Als ih das Lied gefungen, hörte ich ein leiſes Ge⸗ 
rauſch im Gefträuc Hinter mir. Mein Herz ſagte mir, dab 
Eoncordia, die gefommen war, das Kind abzuholen, 9 
aufcht habe; ich wagte aber feine Unterfuchungen anzufd- 
iem, und that, als ob id) nichts gemerkt hätte. Eine Bin 
telftunde darauf fam die fhöne Frau, ganz roth im Gr 
fit, mit dem Schuupftuche vor dem Munde, und gab vet, 
dag fie an Zahnſchmerzen Tribe... Weis ih mun wußte, da 





Ah que l’amour est chosej 





feine- von diefen fhönen Perlen durchbohrt war, und fie 
fonft nie an Zahnſchmerzen litt, konnte ich diefen plößlichen 
Rheumatismus nicht recht begreifen, lich es aber dahin ge» 
fiellt fein. Cie ging wit dem Kinde, um es zu Bett au 
bringen. 

Es giebt feine Liebe ohne Selbftquälerei, und fo konnte 
ich mich des Gedantens nicht entſchlagen: Sie licht did mur 
jegt, weil kein anderer da ift; das Mitleid hat fi in ein 
ftärferes Gefühl verwandelt; das iſt aber nicht wahre Liebe. 

Eines Tages begab id) mid) durch den unterirdifhen 
Felſengang nad dem Strande binunter, ohne zu willen, 
was id da wollte. Unverfehens hatte ich mid, in die Fel⸗ 
fenhöhle gefeßt, wo Goncordia in den erfien Tagen nad 
dem Sciffbrude ihre Wohnung batte. Jeßt fiel es mir 
ein, wie Lemelie einft darüber gefpottet habe, daß fie an - 
ihrem Geburtstage, als fie mid, verloren wähnte, Verſe 
über mic) gedichtet, und wieder entzwei geriſſen habe. Auch 
van Leuven hatte mir ein ähnliches erzählt. Ich unterſuchte 
die Höhle. und fand, daß ein großer Block mit glatter 
Flaãche da einen natürlihen Tiſch bildete. Zwiſchen diefem 
Blot und der Zelfenwand war cin tiefer, ſchmaler Riß. — 
Da wird fie vieleiht das zerriffene Papier hinunter gewor⸗ 
fen haben! dachte id. Ich ſah binunter; der Riß war aber 
fo tief und dunfel, dag ich nichts entdeden konnte. — Ad) 
das Geheimniß it in den Abgrund gefallen! feufzte ich, gab 
aber noch die Hoffnung nicht auf, fondern eilte auf die In- 
fel hinauf, und holte Feuerzeug und ein Stud Wacoelicht. 
Drunten wieder flug ich Feuer, zündete das Licht an, und 
da ſah ic) deutlich kleine Vapierküde unbefhädigt auf dem 
trodenen Bo!en liegen. ‚Die Kluft war indeß zu eng und 
tief, um einen Arın durchzuſtecen Dafür mußte ih auch 


64 Ah que l’amonr est chose jolie. 


Kath. IA Fichte ein wenig Wahs an meinen Stab, und 
fo Tangte ich gemachlich alle Papierfragmente herauf. Jett 
sing es drauf los, die Ctüde auf dem fteinernen Tin in 
Drdnung zu bringen Endlich war die Sammlung volle 
ändig; die fhöne Moſait paßte ganz in einander, und 
dentt Euch mein Entzüden, als ic) folgendes Lied engliih 
Iefen konnte, das ih Euch hier in der Ueberfepung mit 
theile: - 


Ge iſt nicht mehr! Ich feh’ ihm micht! 

Das edle, tree Mngefiht! — 

Er teilt mit und nicht Freud und Schmeri. 
Zerboeften iR das beſte ‚Heri. 


Gr flieg Hinanf den ſchnalen Steig, 
Der führt zu Gottes Oimmelteich. 
Ein Engel feine Seele nahm, 
Desgalb er nicht herunter kam 


Jet, Mibert, ef ich mit Die nicht 
Des edlen Ahnheren ſchon Gedicht. 
Ach Wied Haft Du tief gefühlt! 
Der Tod Hat Med weggefpält. 


Nein, unfer Ufer war nicht todt, 
In Mondfeein, Morgen « Cbendreth,” 
Denn wareft Du nur heiter nah, 
Dann war auch gleich die Ireude da. 


"30 fepr iha noch, mid Bodden’toand, 
Er fap fo ked und rediich aus. 





Ah que l’amour eat chose jolie. 6 


Ccnön war er auch und tugendhaft,” 
Drum hat der Tod ihn weggeraft, 


Ich hebt’ ihn ſehr und ſaat es nicht. 
Warum benn nicht? Die Liebe fpricht! 
Mein Carl hat ihm ia auch geliebt, 
und it, wie ich, fo tief betrübt. 


Met Du holder Jansling fein! 
Mir au ein Engel füß erfchein‘, 
In meinge legten Todestund‘, 
Dann werd ich wieder erh gefand! 


Jetzt war mein Entzüden unendlich, und id) zweifelte 
nicht daß fie mic) liebe. Das Näthfel mußte ſich bald lör 
fen. Doch wollte ich mic) nicht übereilen. 

Ich beſuchte alſo Concordien heute wie gewöhnlich, ru- 
big und beſcheiden, ſprach nur von Hausſachen, und fragte 
erſt beim Weggehen, ob fie mir nicht bald, nach Verfpres 
en, Unterricht auf der Laute geben wolle? — Ich habe 
nur auf Euren wiederhoften Wunfc gewartet, lieber Al⸗ 
bert! antwortete fie; es ſchien mir, als ob Ihr in der leh⸗ 
ten Zeit keine ſonderliche Luft dazu hätten. Ihr habt Euch 
ja felbft fpielen gelehrt; es gebt fehr gut, Ihr konnt aus 
dem Etegreife friſch weg alle Melodien fpielen, die Ihr ein 
Paar mal gehört Habt. — Ach — antwortete id, das ift 
doch alles nichts, wenn man die Finger nicht recht zu brau⸗ 
hen verſteht. Die Applicatur ift ſehr nothwendig, und 
wenn Ihr nur ein wenig helfen molltet — Die Noten kenne 
ich ſchon, well id die Orgel fpielen fann. — Bon Herzen 
gern, ſprach fie — morgen wollen wir gleich anfangen. — 

ehienſ. Scheiften. XVIIL 5 


66 Ah que l'amour eat chose jolie. 


Da droben auf dem Nafenplage im Felſenſchatten ift es 
fo fhön, verfeßte ih. — Ich weiß, es iſt Euer Lieblinge 
ort, fagte Concordia; gut, ih will Eud da Morgen fräb 
eine Unterrihtsftunde geben. 

Kaum war die Sonne aus dem Meere in ihrem Pur« 
pur gefiegen, fo faß ich ſchon mit der Baute da. Lemelie 
batte ung auch einige Noten hinterlaſſen, da war ein klei⸗ 
nes Lied, Das er oft gefbielt und gefungen, und das mir 
in feinem Munde widrig gelfungen; jeßt aber behagte mir 
das unſchuldige Volkolied fehr, das au-einer fhönen Mes 
lodie gefeßt, leicht zu fpielen mar. "Der Refrain lautete 
alfo: 





Ah que l’amour est chosejolie! 
Avec l’amonr 

Toute Ia vie - 

Passe comme an jour! 


Ih Hatte mic nicht lange ſelbſt geübt, fo börke ich 
Concordia kommen. Das Herz Hopfte mir laut im Bufen, 
und das Saitenfpiel fiel mir aus den Händen in's Gras. — 
Ob fie allein kommt? dachte ih. Hat fie das Kind mit, fo 
liebt fie mich nicht. — Sie fam allein. — 

Ich Habe mein Carolinchen heute bei Minga drunten 
gelaffen, Tagte fies denn das füße Kind würde uns nur ſtö⸗ 
ven; nicht weil es umartig ift, fondern weil man es fo lieh 
baben muß, wenn man es fieht, daß man an gar nichts 
anders denten kann. — Das ift ſehr vernünftig, liche Con⸗ 
cordial — Sie war in ein großes Tuch eingehäht, und ih 
konnte noch nicht feben, ob fie kurze oder lange Aermel 
träge. Traͤgt fie lange Aermel, fo liebt fie mih nit. Eie 


Ah que l’amour est chose jolie. er 


flug das Luch zuräd. Ich fah ein Maar der befannten 
diniſchen Haudſchube ſich wie feine Häute um die ſchouſten 
Schlangen fehmiegen. Der angenehme Geruch des Leders 
verbreitete fi, und feine Rofe hätte mir füger geduftet. — 
Ihr ſpielt ja da fhon nah Noten, ſagte fie; — und fingt 
— von der Liebe glaub’ ih! Franzoſiſch! Das in recht 
ebrlih. Statt von Liebe zu reden, follten die Männer im⸗ 
mer Sranzöfiih fingen. — Das it ein recht herzliches klei⸗ 
nes Lied, Concordia! Lemelie bat es freilich ehemals pro⸗ 
fanirt, dadurch verliert es aber nichts von feinem Werthe, 
das Schlechte kann das Gute nicht entehren. — Spieit mir 
doch einmal die Melodie vor, nach Eurer eigenen Art, Als 
bert! ich will Euch nachber corrigiren. — Mit der erften 
Seile, fagte id), geht es reht gut: Ah que l’amour est 
chose jolie, mit den andern drei Zeilen müßt Ihr mir 
aber helfen, wenn etwas Daraus ‚werden foll. — Cie z09 
die Handſchuhe ab, nahm die Laute, und ein überfeliges 
Gefäpt durcpftrömte mich, als ih das fhöne, junge Weib 
ſo ſihen fab, und ihre liebliche Stimme hörte. Sie wollte 
luſtig und guter Dinge fein, es gelang ihr ader ſchlecht. 
ihre Stimme jitterte, und ſie kam aus dem Takte. 

Ib habe mich erfältet, ſprach fle, und bin heute nicht 
bei Stimme. Kommt! id will Eud) den Fingerſatz Ichren, 
Ir folit fingen. Gut, antwortete ib, nahm die Laute, 
foielte und fang: Ah que ’amour est chose jolie! 

Sön, ſprach fies nur weiter! 

Avreo Pamour — verfeßte ih. — Rein, nein, fiel fie 
mir in’s Wort. das muß ganz anders gemacht fein — Sie 
ging mir jet gerade auf den Leib, faßte meine Finger mit 
den beiden ſchoͤnen Händen und fepte fie zurecht auf die 
Saiten. Ihr Gefiht war dem meinigen san nat ihr 


68 Ab que l’alıour est chose jolie, 


Athem beihaute meine Wange. Da war e6 um mid ge 
ſchehen; ich drüdte meine heißen Lippen in den Schnee ib⸗ 
er Hände. Concordia! liebe, füge Goncordia! — Die 
Laute fiel wieder in's Gras, ich zog fie an mid. Sie ber 
trachtete mid mit einem unendlichen Liebesblick, ich drüdte 
meinen Mund auf den ihrigen. Ein herrliher Grfangus- 
gel war von den Klängen der Laute zu uns hinauf auf den 
Felſen gelodt, und während wir nur ſchweigen und küſſen 
konnten, fang er für ung: 


Ah que Pameur est chose jolie! 
Avec lamour 

Toute I vie 

Passe comme un jour. 


Bon diefem Tage an war id glädlih, wie Adam im 
Yaradiefe, als er feine Eva gefunden. Was fage ih? Wie 
Aram? D weit glädliher, denn die Schlange war ſeibſt 
aus Eden verjagt, und hatte uns nicht daraus verdrängt. 
Im füger idplifcher Ruhe babe ih bier, als Patriarch, mein 
langes ‘Leben genofien. Auch glüdtiher als Abraham bin 

. id; denn meine Goncordia mar mir Cara und Hagar zu⸗ 
glei), und kein neidiſcher Feind beleidigte mid. Auch war 
ich glůcklicher als Jakob; denn Bott hat mid), wie ihn, mit 
vielen Kindern gefegnet, alcin meine Kinder waren alle 
fromm, und feines von ihnen: hätte feinen Bruder verfauft. 
Auch babe ich noch als bundertjähriger Greis mein ſchar⸗ 
fes Geſicht, deſſen Ah Iſaak nicht rühmen konnte. Dein 
Gedachtnitz bat auch nur wenig von feiner Kraft verloren; 
fein Zug alter Zeit it daraus verſchwunden; obſchon — 
das muß ich geftehen, ich mich bei-meitem nicht fo gut er⸗ 





Ah que l’amour est chose jelie. 69 


innere, was in den letzten zwei Dritteln meines Lebens ge 
ſchehen ift. Das tömmt wohl aber auch daher, weil ſich 
in diefen Iahren nicht viel Abenteuerlihes zugetragen hat. 
Und fo will id denn jeßt fliegen, und wie der felige Traut- 


‚mann in der Zräufeinstapelle eine Ballade vorlas, um mid, 


für fein Gefühl zu ftimmen, will ih meinen Sohn Eher 
bard Euch ein Lied vorlefen laſſen, das ih am Tage meie 
ner Hochzeit dihhtete, (mo ich ſelbſt Hochzeitsbitter, Predi⸗ 
ger, Küfter und Bräutigam war) und daraus mögt Ihr 
mein damalige Gefühl abnehmen. — 

Der Greis reichte Eberharden ein altes Blatt, und der 
Züngling las: " 


aues verwandelt; — 

Todt nicht und traurig; — GB lebt und. cd handelt. 
80 ich besanbert Die Mugen hinmende, 

Rofen und Sieben, der Greude fein Ende. ” 


te Bafalten, 

Treffliche Seiler der Närtiten Gewalten, 
Spielen bemooſt mit den fchäumenden Wellen. 
Wolle n auch gern ſich der Liebe geſellen. 


Schwimmende Fiſche 

Zaumeln fich neckiſch und ſchnell in der Friſche; 
‚Herrlich gefleidet, wie fülberne Puppen, 
Kommen jur Hochzeit mit blintenden Schuppen. 


@ervögel ſchreien 
‚Humnen der Siebe, den tändelnden Haien, 
Selbſt Leviathan und Behemot ſpielen. 
Kälte des Meeres Tann Liebe nicht kühlen. 


70 


Ah que l’amour est chose jolie, 


Mdler dort oben 

Müflen im Forſte die Zierlichteit loben, 
Einfen ans Wolten in bämmernde Reſter 
Blätter und Blumen umfalingen ſich fefter. 


wofen im Zanıc, 

Tanze des Windes, ſich (hlingen zum Krane.“ 

Kranz; um die blühende Freundin zu (hmüden, 
Rranı; um den feöhlidfien Mann zu beglücen. 


Sehufurt nicht länger 

Strahlet dee Mond, macht den Bufen nicht enger; 
Schaltheit nur lächelt in feinem Seſichte 

e qaltheit aur tönet in meinem Gedichte, 


Greudig und beile, 

Wald ais ein Licht in dee „Dochieitälapene, 
Wird er die fhüchterne Schöndeit entfcleiern, 
Benn wir die füßen Bigilien feiern. 


Dann Deine Höfe, 

Yurpurner Morgen, erwecket Die Blötr, 
Singende Bögel im Walde dann wagen, 
Macht, dein Gepeimniß der Sonne ın fagen. 





Sprung in der Geſchichte. 71 


7. 
Sprung in der Geſchichte. 





Hier Hören die Erzählungen des Altvaters auf, — Und 
fo foringen wir jcht 76 Jahre über, und befinden ung mit» 
ten im Kreife der Felſendurgiſchen Zubörer, zwel Jahre nach 
Eberhards Ankunft auf der Infel; denn fo lange mögen 
wohl die Mittheilungen des Greifes gedauert haben, welche 
der Jüngling nachher aufgeſchrieben, zufemmengejogen, aus 
gefält, vieleicht au bie und da ein wenig aufgefrifht 
bat, wo ihm die Farbe zu blag ſchien. 

Nachdem ſich Albert alſo felo mit der fhönen Con- 
eordia getraut hatte, lebte er glüllich mit ihr, und zeugte 
im Laufe der Jahre mit ihr viele Söhne und Töchter. Als 
dieſe erwachſen waren, ward es den guten Aeltern um ibre 
Kinder bang, wie fie aud verheirathet werden ſollten. Es 
ſchien aber, als ob die Borfehung beſchloſſen hatte, die vor» 
ber unbewohnte Infel, bald moͤglichſt zu bevölfern; denn 
immer zur rechten Zeit geſchah ein glädliher Schiffbruch 
an der Küfte, fo daß die Kinder Alderts bald Bräutigame 
bald Bräute fanden, wie fie es brauchten. Einmal wollte 
es doch auf diefe Weiſe nicht recht gelingen ; und auf einem 
Beinen gebrechlichen Fahrzeuge wagten fi) einige junge Fel⸗ 
ſenburger nach St. Helena. Hier theilten die Zelfenburger 
einigen Jünglingen und Maͤdchen ihr Gebeimnig mit, und 
überredeten fie mitzufahren, die Glücſeligkeit der Infel mit 
ihnen zu theilen. Nachher verheiratheten ſich die damilien. 


72 Sprung in der Geſchichte. 


unter einander, und als Wolfgang auf die Infel tam, fand 
er ſchon felbige zum Theil bewohnt und bebaut. - 

DieHöplen des ehrlichen Alberts fülten ſich aber nach 
den vielen Sciffbrähen (auch ſpauiſche Silberflotten waren 
da geſcheitert) immer mit Schaͤtzen, und er fehnte ſich dar 
nad) ein Schiff auezuräften, das ihm einige europälfde Ge⸗ 
raͤthſchaften. Bücher, Waffen, Kleider, befonders aber einen 
Prediger und mehrere gute Künſtler bringen Könnte. Auch 
wũuſchte er ſeht. vor feinem Ende, einen Blutsvermandten 
aus Europa bei fi zu fehen, dem er einen ‘Theil feines 
Schatzes zumenden konnte. 

Bolfgang, dem er feinen Wunſch mittheilte, war gleich 
bereit, wieder nach Europa zu gehen, um dem Altvater al- 
les zu verſchaffen. Ginige Felſenburger brachten ihn gläd- 
lich nad) St. Helena, und verließen ihn wieder, ohne ges 
ben zu werden, denn es war diefem Infelvelte von größter 
Wichtigkeit, Hinter ihren Bafaltmauern von der übrigen 
Belt unentdedt zu bleiben. Der Altvater hatte Wolfgang 
große Kleinode mitgegeben, die er leicht verwabren konnte, 
Er tam glůcklich nad Europa, rüftete in Amfterdam cin 
Schiff aus, und erfundigte fi nad) des Greifes Verwand- 
ten. Er hörte bald, dag ein Kaufmann Julius in Bre⸗ 
men wohne, der eben fallirt hatte, ſchrieb an ihn, amd 
ſchicte ihm Geld, ohne ihm nod) das Geheimniß zu ent 
deden. Er befam den wunderlihen Brief zuräd, den wir 
im erften Theile gelefen haben, diefer Brief war nicht dau 
geeignet, Herm Wolfgang große Gedanken von dem Geife 
des Herrn Martin Julius einzuflögen. Diefer Mann wärde 
ſchwerlich die Ermartungen des poetiſchen Greiſes auf der 
Infel im Südmeere erfült haben. Wolfgang fhrieb alſo 
feinem Sohne in Leipzig, von dem er ſich größere Hoffnus⸗ 


Sprung in der Geſchichte. 73 


gen machte, und wir haben geſchen, daß er fih in diefen 
Hoffnungen nicht betrogen fand. 

Der Altvater liebte Eherharden ganz außerordentlich, 
und diefer ihn. Albert glaubte fi ſelbſt als Jüngling zu 
fehen, wenn er Eberharden anfah, und Eberhard hatte kei⸗ 
nen heigeren Wunſch, als dereinft fol ein Greis zu were 
den. Während der Alte feine Geſchichte erzählte, bezog 
Eberhard alles darin auf ſich, ſich felber fragend: Mürdeft 
du aud fo gehandelt haben? Und meiftens mußte er mit 
Ja antworten. Als nun der Alte in feiner Erzählung zur 
fhönen Tabuletfrämerin gekommen mar, fputete fih Eber⸗ 


hard, ihm auch hierin aͤhnlich zu werden; denn unter den 


Zubörerinnen hatten feine Augen ſchon die teizende Cor⸗ 
dula gefunden, die, wenn aud nur vierzehn Jahr alt 
ſchon völlig -ausgewachfen war; und unter der Erzählung 
begegueten fid ihre Augen mehr als gewöhnlich. 

Er begleitete fie dieſen Abend nach Haufe, und als fie 
am Eingange von des Vaters Garten ftanden, dachten fie 
wahrſcheinlich: Sollte nicht ein dunkler Bartengang chen 
fo brauchbar fein, als cin dunkler Gang in der Ritterbutg 
des alten Knaufdegens? Sollte der Mond am Himmel 


nicht noch beſſer, als eine düftere Lampe fein? So fielen ' 


fie einander in die Arme, und weil feine alte Burgvögtin 
aus der narrenden Thüre beraus am, mögen die Zärtlicds 
keiten Eberhards und Cordulas wohl länger als Alderts 
und Johannas gedauert haben. Kein Mädchen hatte ſchö⸗ 
nere Büge, einen reichlichern Haarwuchs, eine weigere Haut, 
als die ſchlanke, leihte Cordula; die mit ihrer Jugendhei⸗ 
terfeit einen gewiffen tiefen gefühlvollen Ernſt verband, der 
Eberharden entzädte. Wie alle Eingeborne, ſprach fie ſeht 
gut Drutſch und Englifh. Ihre Unteantniß von der Ührie 





74 Sprung in der Geſchichte. 


gen Belt gab ihr nur einen Reiz mehr. Auch freute es 
Eherharden, aus des Greifes eigenem Munde zu hören, dab 
Cordula ihrer Stammutter Concordia außerordentlich äbn- 
lid) fe. nur dag fie lichtes Haar hätte. 


Auch Wolfgang hatte für ſich eine ſchöne Sophia ge 
funden. Und aud Magifter Schmelzer trat, als proteftan- 
tifher Prediger, in Luthers Fußtapfen, und hatte ſich eine 
blühende Catharina von Bora auserkoren. Nur Lißberg und 
Lademann dachten an Leine Liebe. Vermutblih batten fie 
den Kopf zu voll von ihren Kunftwerten, um das Herz mit 
zaͤrtlichen Gedanken zu füllen. Die Kirche war beinahe fer» 
fig, die größe Orgel auch trefflich gelungen. 


Iept, nach zwei Jahren, ftand die Kirche fertig da 
und die fhöne Glocke von Felſenburgiſchem Metall gegof- 
fen, woju der Altvater viel Silber aus feine Schaßkam⸗ 
mer gegeben hatte, Iud zum erften Male mit hellem Ge 
laͤute die Einwohner der Infel zum Gottesdienke ein. Was 
das für ein Gefühl für den ehrwürdigen Greis war, als 
er die Glocke zum erften Male läuten, die Orgel fpielen 
hörte, Es wurde an diefem Tage rin Kind getauft und 
ein Paar Eheleute getraut. Der Altvater wellte auch eis 
nen alten Dann, der eben geforben war, begraben iaffen; 
damit dadurch die drei merkwürdigen Augenblide des Men ⸗ 
ſchenlebens bezeichnet würden. Das Lepte lich er ſich aber 
vom den jungen Leuten wieder ausceden, die wicht wollten, 
daß etwas Trauriges den heitern Eindrud ftöre. — Mein 
Gott, Kinder, ift das denn traurig? fragte der gottesfürch⸗ 
tige Greis; glaubt Ihr, daß ic meinen nahe bevorſtehen ⸗ 
den Tod fürhte? — Davon wollte Niemand etwas hören; 
und um den Alten von dem erhabenen Gefühle wieder herab 


Die glädlihen und unglülligen Liebhaber. 75 
au Miuamen, ließ fi Lihberg dazu bewegen, den Abend nad 


dem Kirchenfeſte, feine und Lademanns unglädtiche Liebes⸗ 
gerhichten zu erzählen. 


8. 
Die glüclichen und unglädtigen Liebhaber. 





Ich din — fagte Lipberg — als Kind in Bien erzo- 
gen, in Nürnberg aber gebogen, wo mein Bater, ein Pas 
trizier von ‘Geburt, meine bürgerliche Mutter geheirathet 
hatte. Nach meiner Aeltern Tode, nahm mich ein Ders 
wandter meiner Mutter in Wien zu ft; er«wollte mich er⸗ 
ziehen und für mid forgen, wenn ich meinen verjährten 
Adelsbrief verbrennen, zur katholiſchen Religion übergchen 
und ein bürgerlihes Gefhäft treiben wolle. Zum erften 
und lepten beauemte ich mich gleich; meinen evangelifch «Ius 
theriſchen Glauben wollte id aber nicht abfhrwören. Der 
Better, der ein vorzäglider Inſtrumentenmacher war, hatte 
auf feinen Reifen auch etwas Toleranz gelernt, gab nad, 
und lieg mid Mathematik und Latein ehren. 

As ih zwanzig Jahre alt war, farb mein Better, 
und ih mußte auf allerlei Weife ſelbſt mein Brod verdie⸗ 
men. Da war ein Edeluann in der Steiermark, der feis 
nen Kindern in der Zeichenkunſt gern Unterricht geben lafe 
fen wollte, ich übernahm dag Geſchäft, weil es mir gefiel, 
im Sommer auf dem Lande fein zu können. Da waren 
mehre Kinder verſchiedenen Alters; das ältıfte, ein erwach 


76 Die gtüdlinen und 


fenes Mäddyen, wicht eigentlich Hübfh, aber” in der Blä- 
thenzeit, wo man jedes Maͤdchen huͤbſch findet. Sie war 
ſchon eine ausgelernte Kofette, fo weit es ſich mit der 
Shrbarkeit vertrug. Wenn id) fie im Zeichnen unterrichtete, 
mußte fie immer die weißen Hände und Arme fo zu bewe⸗ 
gen, und mid) fo zu berühren, daß es mir durch Mark und 
Bein Frhr. Ich lief in den Wald hinaus, fing an mit dem 
Bachlein poetifh zu ſprechen, mit den Vöglein au fingen 
und in die Baumrinde zu ſchneiden. Sprechen konnte ich 
aber nicht, wenn id bei ihr allein war. Sie war dann 
immer ganz gelaffen. Sobald ic) einen Schritt vorwärts 
thun wollte, 209 fie ſich ſtolz und alt zuräd, wenn ich böfe 
darüber wurde und mid zurüdziehen wollte, war fie‘ wie 
der zuvorfommend; und fo fpielte fie ein ganzes Jahr mit 
mir, wie die Katze mit der Maus, ehe fie felbige verſchlingt. 
— Endlich wollte ich doch etwas. wagen. Daß ih aus ei⸗ 
ner Datrizier- Familie ftamme, wußte fie ſchon, und ſchien 
an meiner Ebenbürtigkeit keinen Zweifel zu begen. 

Zu meinem Ungläde — oder‘ beſſer gefagt — zu mei⸗ 
nem Blüde, ward aber eben in der Zeit ein Offizier bei 
ung einquartirt. Kaum hatte fie ihn zum erſten Male ges 
fehen, fo war fie bis zum Sterben verliebt, und brauchte 
alle Künfte gegen ihm, die fie fonft auf mid verſchwendet 
hatte. Mein Stolz erwachte, Zorn und Verachtung gegen 
ihr Benehmen vertilgten ganz meine Liebe, und ich hatte 
Kälte genug, ihm ruhig Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen; 
denn es war wirklich ein fhöner Menſch, nur etwas ein- 
fältig, und ganı unviffend. Mich dagegen hatten die bos⸗ 
haften Blattern fo zugerichtet, dag, wenn ich mid) in dem 
Spiegel fah, ic felbrt gefeben mußte: ein folhes Geſicht 
fei nicht dazu geeignet, jungen Mädchen Liebe einzuflögen. 


unglädligen Liebhaber. m 


Indeß. war es ja doch geſchehen. Das verbanfte ich aber 
wohl nur der Einfamkeit auf dem Lande, weil kein Ande- 
ter da war. Denn die Kofetterie war meiner Schönen 
zur Gewohnheit gemorden; und man verfiherte, da wenn 
ich nicht zu Haufe fei, koketfire fie mit dem alten fedhzige 
aährigen Verwalter. 

Ich hadte jegt Bleiftift, Velinpapier. Farbenlade und 
Pinfel zufammen, und aͤrgerte mid) darüber, daß ic ſelbſt 
ein armer Einfalts-Pinfel gemefen. Ich reifte anderemo- 
bin, die Liebe war verdunftet, id trieb wieder Matbema- 
tif, und ſtatt Blumen, zeichnete ich Grundrifte, und Pro 
file maͤchtiger Gebäude. 

Den folgenden Sommer, als id eine Beine Reife 
machte, tam ih auf dem Wege in ein Wirthebaus. we ein 
großer Auflauf von Menſchen war. Ein junger Offizier, 
ein unglüdlicer Liebhaber, hatte ſich felbft eine Kugel durch 
den Kopf geſchoſſen, weil feine Geliebte ihm untren gewor- 
den. Ich ließ mir den Leichnam zeigen, und fhauderte zur 
rüd, als id) meinen glüdlihen Nebenbuhler, todt und blu⸗ 
tig auf dem Tiſche unter dem Leichentuch entdedte. Gie 
batte alfo aud) ihr Spiel mit ihm getrieben, er war aber 
ein ſchlechterer Phitofonh als ih, und hatte ih in der Bir 
derwärtigkeit nicht zu benchmen gewußt. Ic bedauerte den 
armen Teufel, konnte aber mit einem Menſchen nicht viel 
Mitleid haben, der einfältig genug war, fid einer ſolchen 
Dame wegen zu tödten. 

Zwei Jahre nad) diefem Ereigniſſe fam ich wieder auf 
der Reife, in cin Städten fpät Abends, mo in einem 
Haufe viel Lärm binter den geſchloſſenen Fenſterladen zu 
bören war. Es war ein Mann, der feine Frau abprü« 
gelte. Ic ftug nach den Namen und hörte zu meinem 


” Die glädtigen nad 


Erftaunen, daß es wieder mein Fräulein war, die ſich end⸗ 
lich mit einem Manne verheiratet hatte, der fie nicht 
liebte. Um ige zu gewinmen, hatte fie ihn genommen, was 
mobt fonft ſchwerlich geſchehen wäre. Er hatte fie des 
Geldes wegen gebeirathet, und nun prügelte er fie, weil fie 
mit andern Männern fhön that, welches er nicht leiden 
tonnte. — Das ift die Nemefis, dachte ih, ging dem Haufe 
vorbei, und wollte fie nicht fehen. 


Sie hatte aber meine Ankunft entdedt, ſchrieb mir eis 
nen artigen Brief und bat mid), alter Freundſchaft einge 
dent, in der Abweſenheit ihres Mannes einen Augenblick 
zu ihr zu kommen, und ihr einen guten Rath zu geben. 
Ich ſchlug die Bitte ab. Den Sonntag darauf ging ic) in 
die Kirche. Sie fag in einem Stuble, war hübſcher als 
vorher; hatte rothe Baden bekommen, und war etwas ſtär⸗ 
ter geworden. Sie grüßte mid’ freundlich, ich machte ihr 
eine kalte Berbeugung. Als der Prediger die Kanzel be⸗ 
fieg, ging das alte Spiel wieder los, mit dem Hinftarren 
der Augen. Ich wußte, was das zu bedeuten halte, konnte 
aber do die Augen von ihr nicht wegkehren. Bon der 
predigt hörte ich fein Wort. Als ich nach Haufe fam, lag 
wieder eine Einladungstarte auf dem Tiſch. Der Mann 
war auf einige Tage verreift. Ich wollte wieder Nein fa- 
gen, fand aber bei reiferer Ucberlegung, daß es gar zu 
‚grob fei. — Id kam. Eie empfing mid, wie rinen alten. 
Vertranten. Ich molte ihr eine Strafpredigt halten. Ihr 
Big, ihre Heiterkeit, ipr freundliches Lächeln band mir aber 
die Bunge. Ich tröftete fie, fo gut als ich konnte. Beim 
Abſchiede bat fie mid. bald wieder zu kommen. Ich ver 
ſprach e6, feßte mic) aber Morgens früh auf den Poſtwa- 


unglädtihen Liebhaber. 73 


sen, und fuhr ab. Zh babe Ar feitdem micht wieder ger 
ſehen 

Kurz darauf lernte ich Lademann kennen. Er ſoll Euch 
aber ſelbſt feine Jugendgeſchichte erzählen, damit Ihr ihn 
doch einmal ſprechen hört. Denn ich verfibere Euch, er 
Bann ſprechen und denfen, wie ein anderer Menſch. wenn 
er un die verfluchte Bloͤdigkeit bezwingt, womit er behaf⸗ 
tet iſt — 

Ich fühle ſelbſt, ſprach Lademann, daß dieſe Blödig⸗ 
keit eine ſehr ſchlinme Gewohnheit iſt, die mir manche 
Freude raubt; heute will ich mic aber Überwinden, und 
meine Jugendgefdichte erzählen, weil zum Theil darin die 
Urfache meiner ſcüchternen Blödigkeit zu finden if. 

Mein Bater war rin armer Dorffpielmann, der mit 
der Geige, Schalmei und befonders dem Haddrette fein 
Brot fünnmerlicy verdiente. Auf meine Erziefung batte er 
nichts zu verwenden, fobald id) groß genug dazu war. 
mußte ic) ihm zu den Hochzeiten, Kindtaufen und auf dem 
Zanzboden folgen, und ihm die Sadpfeife blafen helfen. — 
Ein Kind will gern früh ſchlafen gehen, id mußte aber 
ganze Nächte da ſthen und geigen, während die tollen Men« 
ſchen fi) in ewigen Kreiſen herumdrebeten, und mir oft 
wie Kobolde der Nadıt vorfamen. Hatten wir auf ſolche 
Beife die Rächte zugebracht, fd mußte ih meinen armen 
berauſchten Vater nach unferer jämmerlihen Wohnung bes 
gleiten. Er war dann gemeiniglic aufgebracht, und prü⸗ 
gelte mid oft um gar nichts; dann erft konnte ih armes 
Kind in's faule Bett Frieden, das mic gegen die Käfte 
nur wenig fügte. - 

Wenn mein Bater in diefem Zufande war, (und das 
war er leider oft), magte ich fein Wort zu forechen, ich 


80 Die glädlihen und 


ſchwieg, um feine Schlage zu bekommen, und fo habe ih 
mir von Kindesbein das Schweigen angewöhnt. — In un 
ferer Näbe wohnte ein Schulmeifter, er erbarmte fih mei- 
ner, und gab mir im Lefen und Schreiben Unterricht, auch 
verehrte er mir das neuc Teſtament; und da fand ich mei⸗ 
men vollen Troft; denn wenn ich darüber betrübt war, dag 
ich in dem faulen Bette liegen mußte, dachte ih daran, 
mie der Meine Jeſus nur in einer Krippe im Stalle auf 
Strob gefhlafen, und da ſchlief ich getroſt ein. Ich glaubte 
auch immer, daß wenn ich nur fieißig und fromm wäre, fo 
würden Die geflägelten Engelrin mid fhüßen und überal 
unfihtbar begleiten. 

Einmal wäre es mir doch beinahe fehr ſchlimm ge- 
gangen, und meinem armen unglädlichen Bater noch fhlim- 
mer. Er war darüber entrüftet, dag ih zum Schulmeifter 
ging, und weil id nit mehr bei Trintgelagen die Boten» 
lieder fingen wollte, die man mir vorlegte. Als wir eines 
Abends fo allein fagen, und er ganz berauſcht war, ſchentte 
er mir ein großes Glas Branntwein ein, und wollte, daß 
ich es ausleeren follte. Ich rief ängftlih: Vater ich kann 
iht! Es it Gift für mich, wilſt Du Dein armes Kind 
vergiften? — Hund! rief er rafend, wagft Du mir zu wie 
derſprechen? Und one ſich zu bedenken, fhlug er mich mit 
dem Stock auf den Kopf, fo dag ich betäubt zur Erde . 
fiel. — Glüdlicyerrorife Lam: ich nieder zur Befinnung; er 
mar in der größten Angft geweſen, und der Rauſch war 
ibm, als id fiel, glei vergangen. — Ad, wie war ih 
froh, als ich wieder uͤrüc in’s Lehen kehrte. Ih Lüßte 
feine Hand vielmals und rief meinend: Gottlob, Lieber 
Bater, daß Du kein Mörder biſt, daß Du Deinen Meinen 
Gottlieb nicht getödtet Haft; fonft würden Du ja auf dem 


\ . unglüdlien Liebhaber. & 


Hochgerichte baben fterben mäflen; mid) würden die klei⸗ 
3. Herzengelein in Abrahams Schooß hinauf getragen 
ch. 

Gottlich, forad) der arne Mann, in einem Tone, den 
ich vor dem nod nie gehört hatte; id) bin ein Böfernicht, 
und verdiene den Vaternamen nicht. Komm, armes Kind, 
ih wil Did vor dem grimmigen Thiere meiner ſelbſt in 
Sicherheit dringen. 

Drauf drachte er mid) in die Stadt zu meinem Obeim, 
einem armen wunderlichen Leinweber, der verfprad, für 
mid zu forgen. Mein Vater war von dem Tage an ein 
anderer Meuſch; das Trinken konute er freilid nicht Laffen, 
und fbielen und geigen mußte er auch, allein er wallte nie 
mebr in Zorn auf, fondern weinte il vor ih hin, wenn 
er in diefem unglüclichen Zuftande war, und fagte: Ich 
babe mein Kind ermordet; den armen unfhuldigen Gott- 
ließ, der mir nie etwas zu Leide gethan. Ich habe ihm 
etwas im Kopfe entzwei gefhlagen; wenn er es auch jept 
nicht fpürt, es wird doch mit der Zeit ſchliume Folgen ha⸗ 
ben, und er wird nicht alt werden. — So grämte er ſich 
ab, und ftarb zuleßt. 

Mein Dbeim gab mid bei einem Tiſchler in die Lehre. 
Ein glückliches Ereignig fepte mid in Stand dazu, niht- 
bios felbft mehr auf meine Erziehung zu verwenden, fon 
dern meinen armen Obeim zu untertügen. Bunderbar 
genug war diefe Begebenheit. — Ich las gern alles, was 
idy in die Hände befommen konnte, und fo hatte ih auch 
die Geſchichte des heiligen Bonifacius gelefen, wie er das 
Chriſtenthum zuerft in Norddeutſchland predigte. Einmal 
ſchien es mir, als fände er vor meinem Bette, und fagte: 
I mag Did) leiden, Gottlieb Die Heiden wie ich zum 

Sehlenf. Schriften. XVIIL. 


8 Die glüdlihen und 


Chriſtenthum befchrt, für Dich will id auch forgen, daß 
Du eine chriſtliche Erziehung befömmft. und die ſchoͤne 
Mufit, die zum Gotteedienfte fo notwendig ift, gründlich 
ferneft, 

Es waren ſchon drei Jahre feit dieſem Traume ver⸗ 
floſſen, und ich war, wie geſagt, bei dem Tiſchler in der 
Lehre, als mein Meiſter mich eines Tages in das Haus 
eines berüchtigten Geizhalſes fhyikte, der, wie Harpagon in 
der Komödie, ein junges Mädchen heirathen mollte, und 
deshalb darauf bedacht war, fein baufälliges Haus zu ze 
yeriren, um die junge Braut darin würdig zu einfangen. 
Da mußte id) in einem Saale das Täfelwert abreigen, da⸗ 
mit der Saal aufs neue mit Nupbaumbolz hübſch ausge 
täfelt werde. Hier ftand ein ſchlecht geſchnihtes wurmfidi- 
ges Bild von einem Heiligen; denn die Stadt war Latho- 
life, ich war aber lutheriſch. Der Hausberr hatte mir be⸗ 
fohlen, mit” feinem Scyugheiligen glimpflih zu verfahren, 
weil er auf ſchwachen Beinen ftehe. Ich war in dem gro- 
gen alten Zimmer allein, und follte nun das alles herun« 
terbrechen. 

Id war ziemlich in meiner Arheit fortgerädt; da aber 
der Rüden des wurmſtichigen Schugbeiligen an die Wand 
genagelt war, wo id das Holz herunter heben follte, fo 
ging er mir unter den Händen entzwei, und ſchüttelte plötz⸗ 
lich aus feinem ausgehölten Leibe eine Menge Goldfüde 
über meinen Kopf. Id fammelte fie forgfältig in meiner 
Müge, und brachte dem reihen Wirthe 632 Kreimniger 
Duaten mit den Worten: Seht mal, Herr! Iept merke 
id doch, dag die verftorbenen Heiligen den nadlebenden 
Menſchen einige Woblthaten erzeigen können. — Statt mir 
‚aber zu danken oder ein gutes Trinkgeld zu geben, ſprach 


“ unglüdlihen Liebhaber. ry 


er: Wartet, mein Sohn, id) mug doch meiner jungen 
Braut diefen Zund zeigen; lief drauf zur Obrigkeit und 
lieg mid als einen Dieb und Heiligenläfterer verhaften. 
Ohne weiteres wurde ich in ein ſchwarzes Loch geworfen, 
und Gott weiß, wie lange ich da Hätte figen müflen, wenn 
nicht mein vaͤterlicher Freund, Herr Lipberg, der eben den 
Tag auf dem Rathshauſe den Rathsberren einen Plan zur 
Ausbefferung einiger Gebäude vorzulegen hatte, mir zw 
Hülfe gekommen wäre. 

Als er hörte, der Geizhals behaupte, es wären 1000 
Dufaten im Heiligenbaudje gemefen, weil fein Vater auf 
dem Eterbebette einige geheimnißvolle Worte gefbroden, 
deren Einn er jet erft begriff; fo ließ Litzberg den Heilie 
gen wieder zufammen leimen. Als das geſchehen war, wur⸗ 
den die 632 Dufaten- in die große Sparbüchſe geworfen, 
durd eine Meine Nige oben am Scheitel; und da ergab es 
fi, dag der leere Raum ganz gefült war. Jehzt wurde 
die Eumme in drei Theile getheilt. Das erſte Drittel de- 
tam der Schutzheilige, wie billig, weil er fo lange in ges 
fährlichen Kriegeszeiten den Schahß in feinem Leibe verwahrt 
batte. Das zweite. Drittel bekam der Hausherr, und id, 
als Finder das letzte. Das darf ich aber nicht vergeſſen 
daß dies Bild den beiligen Bonifazius vorftellen. follte, 
und alfo hatte er wirklich fein Verſprechen an mir erführ. 

Durch die Vermittelung Herrn Litzbergs kam ih nadıe 
her zwei Jahre ins Haus des großen Kapellmeiſters Seba - 
ſtian Bach in Koͤthen. Er lehrte mid das Pedal gut 
foielen, und gab mir im Kontrapunft gründlichen Un« 
terricht. 

Herr Litzberg verſprach, mich gelegentlich gut anzufel- 
ten; jeht ſchlug er mir vor, erſt mit ihm eine Reiſe zu 

6 


84 Die glüclichen und unglüdlihen 


machen, um alte Orgeln in den vielen alten Städten zu 
verbeflern; dadurch fonnten wir viel Geld verdienen, und 
zugleich die Welt ein wenig kennen lernen. Ich war fehr 
mit diefem Vorſchlag zufrieden, und der Himmel hat mid 
durch meinen theuern Freund glüdlid gemacht. Unfer Ruf 
als gute Mechaniker verbreitete id; wir befamen eine Ein. 
ladung nad der andern, zuießt eine vom Herrn Bolfgang, 
nad Amferdam zu kommen, und mit ihm nah Dftindien 
au geben, wo mir reihe Leute werden follten. Auf diefem 
Bege lernten wir Herrn Eberhard Julius und Madame 
Hanna Heilkraft kennen; und was weiter geſchehen ift, wiſ⸗ 
fen Sie Ale. 


Hier ſchwieg Lademann, und Litzberg rief lachend nach 
einer Beinen Paufe, die aus getäufchter Erwartung ent- 
fand: Nun, meine Herren und Damen, war das nicht 
eine fhhöne Geſchichte? vom wurmftihigen Heiligen? Da 
figen nun die lieben Mädchen, und die guten Muͤtter, ha⸗ 
den auf eine unterbaltende Liebesgeſchichte die Ohren und 
den Mund gefpigt, und müſſen mit abgedroſchenen Aneldo⸗ 
ten vorlieb nehmen. Nein, Sreund, das geht nicht. Wollt 
Ihr nicht beichten, fo muß ich es thlın. Ich ſpiele freilich 
aud darin eine Rolle fo gut wie er; id babe mi aber 
{bon preisgegeben; an mir, glaubt er, ift nichts zu verder⸗ 
sen. Wohlen, ih erzähle; aber, beim beiligen Bonifa- 
nius, Lademann, id fhene Euch nicht. Ih nehme Euch 
mit im Fallen; und «6 wird mir beffer gelingen, als dem 
tollen Kerl, der fih mit Kaifer Karl dem Fünften vom 
Tburm berab fürzen u um dadurd) einen ewigen Nar 
men zu bekommen. 


Liebhaber. Fortfepung. 85 


Die glüdlihen und unglüdlihenLiebhaber. 
Fortſehung 





Bir reiten alſo ab, wie ſchon erwaͤhnt worden if, 
um alte Orgeln in alten, deutfhen Städten zu verbeflern. 
So kamen wir denn einmal zu einem Nonnenklofer, we 
die Orgel auch nicht recht Alingen wollte, die große Uhr 
wollte nicht gehen, und obendrein hatte der Blig einge» 
ſchlagen, und eine Ele des Altars zerträmmert. Da war 
nun alfo vieles auszubeflern. Die Aebtiſſin war frengez 
fie betrachtete die Iepten Unglüdsfälle als Strafe des Him- 
mels, weil ein Paar ihrer Nonnen heimliche Liebſchaften 
gehabt. Die armen Kinder waren vor Schreden in eine 
Krankheit gefallen, geftorben und auf dem Kirchofe ber 
graben. Da ſehe man die Gerehtigkeit des Himmels! 
Seitdem war im Klofter eine noch firengere Zucht einge 
führt, und die Mannsperfonen, die nothwendig dahin kom⸗ 
men mußten, wurden der ftrengften Duarantaine untermor« 
fen, damit ſich die Liebespeit nicht wieder in die Selen und 
Herzen der Nonnen einſchleiche. 

Lange ftand der Altar verfallen, die Uhr ging nicht, 
die Orgel brummte ärger als. die Aebtiffin, bios weil die» 
fer noch fein Baumeifter, Uhrmacher oder Orgelbauer vor 
Augen gefommen, der nicht gefährlich ausſehe. Kaum aber 
hatte fie mic) und Lademann erblidt, fo gefielen wir ihr, 
und fie fand uns beide zu den Arbeiten bequem und gut, 
Bas mic) betrifft, fo begreife ih, dag mein derbes Weſen 


. 


86 Die glädlihen und unglüclichen 


und viele Podennarbn ihr eben fo viele Beweiſe meiner 
Unſchaͤdlichteit waren Lademann war aber ein hübſches 
junges Blut mit glattem Mithhartgefiht; freilich hatte er 
fi) in der Kindheit ein wenig verblafen; er war aber 
fromm wie ein Lamm und fanft wie ein Engel, was eben 
die Beiber fo gern haben. Die Aebtiffin aber, die eine 
große Menſchen⸗ ud befonders Männerfennerin zu fein 
ſchien, hat ihm vermuthid gleich die erftaunliche Blädigkeit 
abgemerkt, die nichts Kühnes auf eigne Hand wagte. Kurz 
wir befamen die Arbeit auf die Bedingung, Feine Gefellen 
oder Lehrjungen mitzunehmen. Obſchon nur wenig datei 
zu verdienen war, gingen. wir-dod den Kontrakt ein, weil 
das einfame Arbeiten in einem Nonnenklofter für uns etmas 
Abentenerliches hatte. Und nad) des feligen Seiferts Theo 
rie ſuchen ja alle Menſchen Abenteuer. 

. In den erften Tagen geſchah doch nicht viel Abenteuer 
liches, denn die Kirche fand ganz Icer. Als wir aber eines 
Abends ziemlich fpät über den Kirchhof gingen, ſahen wir 
zwei junge Leute weinend auf Gräbern liegen, fi mit weis 
gen Tüchern die Tpränen eifrig von den Wangen trodnend, 
und fehr Mäglihe Geberden und Armbemwegungen gegen 
den Himmel anftelend, als mollten fie die Geifter der Bers 
ftorbenen wieder herunter mabnen. — Ich redete den Ael⸗ 
teften an, der mir der Vernünftigfte zu fein ſchien, und er 
antwortete, nachdem er ſich von feinem Schreden, von uns 
entdedt zu fein, erholt hatte: Ach, licher Herr, verrathet 
uns nit. Mit Lebensgefahr find wir über die hobe Klo⸗ 
ftermauer gellettert, blos um das traurige Vergnügen zu 
baben, auf, den Gräbern unferer feligen Gelichten zu weis 
nen. Wenn Ihr je geliebt habt, — (mie es denn wohl 
nicht andere moͤglich if), fo mwißt Ihr, was das fagen 


Liebhaber. Fortfegung. 87 


will, fein gelichtes Leben in der Schönheitehlüthe zu ver⸗ 
lieren. Id) bitte Euch, verrathet uns nicht an die Aebtif- 
fin, die eine hattherzige, kalte, alte Jungfer iſt. daß fie 
ung gewiß felbft diefen armſeligen Troft rauben würde, 
wenn fie es müßte, dag zwei Jünglinge, bei Nacht allein, 
die Gräber ihrer verftorbenen Nonnen beſuchen. 

Da war nun, natürliherweife, nichts zu verrathen. 
Es that uns um die armen Jungen leid, und wir ſuchten 
alle die. Gcmeinpläge auf, die wir auewendig wußten, um 
fie zu tröften, 

Einen wahren Dienft fünnt Ihr uns erzeigen, wenn 
Ihr wollt, ſprach einer der Betrübten. — Und melden? — 
Die Schweſtern unferer feligen Geliebten leben noch als 
Nonnen im Klofter, wo Ihr arbeitet. Die eine iſt Orgele 
foielerin, die andere erfte Sängerin, und weil fie ſich beide 
auf Orgeln und Inftrumente fehr gut verftehen, fo wird 
die Aebtiffin, die ſelbſt nicht Kahengeſchtei von Nachtigal - 
lengeſang unterfdeiden Tann, genöthigt fein, dieſe zwei 
Nonnen zu Euch hinauf zu fdiden, um die Arbeit zu un⸗ 
terſuchen. Thut uns dann den Gefallen, und gebt einer 
der Nonnen heimlich diefen Brief! Wir willen, daß fie von 
ihren feligen Scyweitern abgeſchnittene Haarlocken befipen; 
und, wenn Ihr gelicht Habt, fo wißt Ihr, welcher Schatz 
eine ſolche abgeſchnittene Haarlocke einem unglüdlihen Lieb» 
baber ift. Das ift alles, was wir von Euch begehren. 

Bir konnten ihnen diefen Beinen Dienft nicht abfhla- 

gen, und verfpraden, der Orgelfpielerin das Billet heim- 
id) zuguftellen. Schon den Tag darauf kamen zwei junge 
Nonnen zu uns auf die Orgel hinauf, von einer alten ber 
gleitet, die ſich gleich auf eine Bank niederlich, eine Brille 
auf die Nafe fepte, und in einem Bude, das fie verftedt 


88 Die glüdlien und ungtädlihen 


in der Taſche gehabt, zu leſen anfing, während die Iungen 
mit uns Orgelpfeifen und Regiſter unterſuchten. Cie hat- 
ten ihre Schleier abgelegt, ibre Kapuzen zurädgefhlagen, 

- und waren von außerordentliher Schönheit. Ich gab der 
erften den Brief, den fie hurtig in den Bufsn ftedte. Die 
armen Unglüdfihen, feufzte fe — und Thränen füllen 
ihre fhönen Augen, fie lieben noch unfere verftorbene Schwe ⸗ 
fiern nach Jahres Friſt, fo treu und zärtlich. Sünde wäre 
©, ihnen diefe unfhuldige Bitte abzuſchlagen. Morgen 
folt Ihr die Haarloden bekommen, meine Herrn! 

Iept fing die Orgelfpielerin mit den ſchneeweißen, wohl 
gebildeten Händen auf den ſchwarzen Tangenten herum zu 
flanfiren, während die andere mit Marer Stimme eine Arie 
fang, wobei die volle Bruft in ihrer ganzen Pracht aufs 
ſchwoll. Lademann war im dritten Himmel; er glaubte die 
heilige Caͤcilia bei der Orgel au fehen; und weil die Saͤn⸗ 

gerin wie eine Nachtigall trillerte, und das Kirchengewölbe 
mit ihrem herrlichen Sopran erfüllte, wurde es mir auch 
ziemlich eng um’6 Herz Kaum merkten die fhönen Non« 
nen die Wirkung ihrer Kunft und ihrer Anmuth, fo fingen 
fie an, die Batterien ihrer Augen auf- uns fpielen zu laſ⸗ 
ven, fo dag wir uns ganz befiegt, auf Gnade und Ungnade 
ergeben mußten. — Sie wären gern länger geblieben, und 
wir hätten ihnen gern bis Morgen zugehört, ohne zu eflen 
und zu trinken. Die alte Nonne mahnte fie aber, wieder 
weg zu geben, und die Yeltefte kehrte fi zu uns, und 
ſprach laͤchelnd: Ia, meine lieben Herrn! da ift noch viel 
an diefem Inftrumente zu machen, ehe es fertig wird, umd 
gut Mlingt. Das Prinzipal iſt ganz verfäumt. Die Flöte 
muß liebliher tönen. Die Mirtur ſchreit noch abſcheulich. 
weit fie nicht in Harmonie gebracht it. Mit dem Pedale 


Liebhaber. Fortfegung. 9 


werden’ wir ſchon leichter fertig werden. — Dabei trat fie 
mir leife auf den Fuß. fah mich. mit verliehten Blicken an, 
und verſchwand mit der Freundin. 

Als wir zwei glůcklichen Liebhaber allein in der Kirche 
waren, fiel mir Lademann um den Hals, und ic lieg mir 
zum erſten Male feine zärtlihen Narrentpeidungen gefallen. 

Den Tag darauf hatten mir wieder einen Beſuch von 
unferen Schonen. Die Alte nahm ihren vorigen Plag ein, 
und fing an, da im Buche zu leſen, wo fie geftern aufge» 
hört hatte. Es ſchien fein geiftlihes Buch zu fein, denn 
fie lachte oft verfhmißt und fdüttelte den Kopf, und bes 
nußte fo auf ihre Weiſe aud) die Ahweſenheit der Ach» 
tiſſin. — Die Sängerin wollte mir jeßt etwas Unrichtiges 
am Ventil zeigen, während Lademanns Schöne ihm ein 
Adagio vorfpielte; fie ging mit mir hinter die Orgel. Da 
gab fie mir in ein Papier -eingewidelt die Haarloden der 
verftorbenen Schweſtern, für die beiden Unglädfihen, und 
fagte mit bimmlifher Stimme: Lieber Ligberg! Guter 
Mann, rettet, mich und meine Freundin. Laßt ung enifliee 
ben. Alles ward in der Schnelle verabredet. Bir gingen 
wieder zu den andern zurück. Die heilige Cäͤtilia faß bei 
der Orgel, fpielte aber nicht. — Die Alte war, mit dem 
Buche in der Hand, eingefhlafen. 

Jetzt machten mir eine ordentliche Abrede. Die Kir- 
benfchläflel hatte uns die Aebtiffin nie vertraut, wir muß ⸗ 
ten uns von einer alten Pförtnerin hinein und hinaueſchlie⸗ 
sem lafien. Die Ronnen hatten fi) aber einen Abdruck in 
Wachs verfhafft, den fie mir gab. Ich verſprach ſelbſt einen 
Schlüffel danach zu ſchmieden. und die Nacht unferer Flucht 
murde beftimmt. 

Auf dem Kirchhofe trafen mir wieder die unglüdtihen 








” Die glüclichen und unglädlihen 


Liebhaber auf den Gräbern. Wenn man ſelbſt glüclich if, 
will man gern feinen traurigen Mitmenſchen ihr Schichal 
erleichtern. Diesmal hatten wir doch etwas mehr als Re⸗ 
densarten zu bringen. Ich reichte ihnen die Haarloden, 
und kaum faben fie dieſe, fo waren fie außer ſich vor Freude. 
Bir teilten ihnen unſer Geheimnig mit, in der Hoffnung, 
daß fie uns beiftehen follten. Denn um fein Auffehen zu 
machen, mußten wir dem ganzen Tag mie gewöhnlich in 
der Kirche arbeiten, und mer follte indeg Poftpferde und 
Kleider zu der Vermummung ſchaffen? Allein die dankbar 
ren Jünglinge verſprachen, alles für uns zu leiſten. Ja fie 
wollten uns fogar eine Etrede Weges auf der Reife fol- 
gen, um mit ihren lichen Schwaͤgerinnen, wie fie fie nann⸗ 
ten, von den feligen Schweftern zu ſprechen; und um noch 
einige Reliquien, als Bänder, Blumen u. f. w. zu bes 
kommen. 

Die zwei jungen Nonnen bekamen Mannslleider, und 
fo famen wir glüdlih aus dem Klofter berans; der Wagen 
bieft nicht weit entfernt. Die zwei unglädlihen Liebhaber 
maren aud fhon da. und umarmten die Schweſtern ihrer 
Gelichten zärtlich, was ihnen fein Menſch verdenten konnte, 
und fo fuhren wir ab. 

Als wir Über die Grenze in Sicherheit getommen, nah» 
men mir in einem guten Wirthshauſe unfer Abendmahl 
ein. Lademann und id, hätten gern eime zaͤrtlichere Unter» 
baltung genflogen, die Höflichkeit erforderte aber, die zwei 
Unglücklichen mit zur Tafel zu laden. Hier war die ganze 
Seit nur die Rede von den zwei verſtorbenen Schweſtern 

Nun wünfhten Sademann und id auch die Haarloden 
der verftorbenen Schweſtern zu fehen, fie hatten mit den 
Haaren unferer Schönen große Aehnlichkeit 


Liebhaber. Fortſetzung. A 


Unfere Schönen waren aber von der vorhergehenden 
Angft, entdedt zu merden, und von der Reiſe fehr erfchöpft, 
amd der Ruhe bedürflig. Wir andern, außer Lademann 
und feine Schöne, waren aud) fhläfrig, und fo gingen wir 
alle zu Bett, um Morgen früh die Reife in aller Eile forte 
sufegen. 

Ich erwachte ziemlich fpät, Lademann ſchlief noch, weil 
er die halbe Nacht mit fügen Schwärmereien zugebracht 
hatte; ich rief den Kellner, beftellte vier Ponpferde und 
Früpftüd für ſechs Perfonen. — Ganz wohl, ſprach er, läs 
chelte aber dabei. — Barum lacht er? — Die Herrſchaften 
baben zu befehlen, und für uns ift cs ja immer ein Bor» 
theil, wenn vieles verlangt wird; es mundert mid aber, 
dag der Herr vier Pferde und ſechs Portionen Frühftäd 
für zwei Perfonen beftellt. — Lieber Freund, ermiederte id, 
wir find fehs in allem; wißt Ihr nicht, daß ſechs Bäfe _ 
geftern angefommen find? — Das weiß ic ſehr wohl, ale 
fein die vier find ja fhon heute um drei Uhr wieder abge⸗ 
fahren. — Sind fie fort? rief jetzt Lademann, der fi im 
Bette aufrihtete und die Augen rieb. — Ach, das ift wahr, 
verfeßte der Keliner, da Liegt ja ein Brief auf vem Tifc, 
den haben die Herrn wahrſcheinlich noch nicht gelefen. — 
Er reihte mir den Brief und ging feines Weges. Der 
Brief lautete alfe: 

„Die unglädlihen Liebhaber meinen nicht mehr troft- 
los auf den Gräbern, fie Haben’ ihre Freundinnen wieder 
gefunden, die fie drei Jahre treu geliebt; die armen Mäd- 
ben find nicht mehr hinter den Kioftermauern lebendig be- 
graben. Herr Lißberg und Herr Lademann werden uns 
diefe Meine Liſt gütigft verzeihen. Zum Andenken und zum 
Dante für Ihre gütige Hülfe bitten wir Sie, beiliegende 


92 Die glücklihen und unglücklichen \ 


Brifantringe nicht zu verfhmähen. Auch diefe Haarloden 
nicht, die Sie feit geftern fennen, und die von feinen Leichen, 
fondern von unfern eigenen Häubtern geſchnitten find. Le⸗ 
ben Cie ref wohl, liche Herrn! Der Himmel ſchenke I: 
nen Geliebte, die Sie fo treu und aufrichtig lieben, als 
mir unfere Liebhaber.“ 

Zwei Brillantringe von ziemlichem Werte lagen in 
Papier gewidelt bei den Haarloden. Der verzweifelnte 
Lademann ergrüf die blonde Locke, die feiner Schönen an- 
gehörte, wolte aber die Ringe zum Fenſter binausmwerfen. 
Nicht doc, ſprach ih, der id) nach meiner Art gleid mit 
der geheilt war. Wir fmd ein wenig am Narrenfeile ber- 
umgeführt worden, haben es aber. verdient. Warum wuß 
ten mir nicht beffer, Täufhung von Wirklichkeit zu unter 
ſcheiden? Hätten die Nonnen uns diefen Streich gefpielt, 

> um ung zum’ Beften zu haben, bei Gott! id wollte nicht 
ruhen, bevor ich fie aufgeſucht und mid gerät hätte. Sie 
thaten es-aber aus Noth, aus Liebe zu den-Andern, weil 
fie fürdteten, uns ſonſt nicht im ihr Interefle zu ziehen, 
mas wohl aud ſchwerlich gelungen wäre. Freilich haben 
fie uns zu einem Kloſterraube verführt, umd fo ift-es denn 
billig, dag wir dafür bügen. Die Orgel Mingt jept recht 
ſchon, der Altar ſteht edel gebaut, die Uhr geht mieder, 
wir haben feinen Heller dafür befommen. Das mag dt 
Aebtiffin ein Erfag für ihre entflohenen Nonnen fein. Und 
dieſe Ringe mögen uns ein Erſaß fein, dag wir der Sch 
nen wegen unfern Lohn aufgegeben. 

Lademann ſchwieg und fuhte die Ginfamteit. I6 
merfte wohl, daß er oft heimlich weine. Seine muſitali⸗ 
ſchen Phantafien wurden immer ſchoͤner und berzergreifen, 
der. So athmete er in mohllingenden Weiten feine Sehn⸗ 


Liebhaber. Fortſetzung. 9” 


fudt und feine Wehmuth aus; id lieh meinen Born an 
Steinen und Balken aus, deren rohe Alumpen ich in fhöne 
Formen zwang. Nachher haben wir ganz der Kunft ge» 
lebt, bis wir unfere lieben Freunde, Herrn Wolfgang und 
Herrn Eberhard Julius, kennen lernten. — 


Als Lademann nad Lißbergs Graählung allein mit 
Eberhard nach Haufe ging, und fie durch den Wald kamen, 
mo der Diond fdien, fing er berzlih an zu weinen, und 
drüdte Eberhards Hand feit an feine Bruft. — Großer 
Gott, tief Eberhard, lieben Cie denn immer noch die Dre 
ganiftin, mein Freund? — Ad) idy weiß nicht, antwortete 
Lademann, id babe lange nicht an fie gedadıt. Ale ih 
Trant war, fah id fie oft im Traume wicder, und jept ſtellt 
ſich ihr Bild nach Herin Lipdergs Erzählung meiner Seele 
Icbendig dar. Eie follten fie nur bei der Orgel gefehen 
baben, lieber Julius! Und nie fie ſpielte, und das berre 
liche zurüd gekehrte blühende Geſicht, und die ſchoͤnen Fin 
ger auf den ſchwarzen Tangentenl Und dann gab fie mir 
einen füßen, fügen Kuß. den ich mie vergefle, denn er 
brannte mir tief in die Seele hinein. Das war- alles nie 
ein Traum, und ich fühlte wohl, eine ſolche Freude follte 
ich nicht wehr im Leben genießen. Und dod hoffte ih fo 
gewiß, fie folle meine Geliebte für mein ganzes Leben were 
den. Mit Herrn Lipberg war es anders — er ift fo ſpöt⸗ 
tiſch — nicht zart genug, und dann ift er aud) fo poden- 
narbig; — aber, allein — id) will mid) tröften. Er ſchwieg. 

Eherhard betraditete ihm mit einem mitleidigen Laͤ⸗ 
Geln, und fagte: Id) begreife nicht, wie ein edler Mann 
eine Unwüuͤrdige noch lichen kann. 


94 Die glüdligen und unglüdligen 


Ach — fagte Lademann, fo feh ich denn wobl. daß ih 
Innen mein Geheimnig beichten muß, damit Sie mid) nicht 
verachten mögen. 

Hier nahm er eine Meine ſilberne gobſel bervor, die er 
auf der Bruft an einer goldenen Kette trug. — Herr Lig 
berg, rad er, glaubt, id verwahre nur hierin die Locke 
und den Ning; da ift aber noch ein Meiner Brief, den mır 
der Kellner heimlich, zuftedte, als Herr Lißberg den fhon 
befannten befommen hatte. Lefen Cie diefen. — Eberhard 
öffnete den Zettel und las: 


„Zheurer Lademann! Beklagen Eie mid) und verge- 
ben Sie mir! Im Klofter feufzend, mo id von harten 
eltern gezwungen das Gelübde thun mußte, Iernte ich, vor 
drei Jahren her, meinen Bräutigam Eennen, einen braven 
jungen Dann von Geift und Bildung. Er lichte mid; es 
freute mich, von ihm geliebt zu werden; id nahm dies 
dantbare Gefühl für Liebe, gad ihm mein Iamort, und 
ſcwur ihm meine Treue. Diefen freiwilligen Eid darf 
ich nicht brechen. Ich lernte Eie — zu ſpät kennen! Ich 
hänge von meiner thätigeren Schweſter ab, wie Sie von 
Ihrem Freunde Ligberg, und wir mülfen, wie zwei abge 
riſſene Blumen, dem Strome folgen. Leben Cie wohl, 
holder Freund! In den Tönen wollen wir ewig zufammen 
Ieben, und in den unſichtbaren Harmonien werden ſich un, 
fere Herzen täglich vereinigen. 

Caͤcilia.“ 

Ach ſie hieß Cäcilia rief Lademann — dem fein Freund 
Eberbard jept weinend um den Hals fiel, und um Verzei- 
bung bat. Da ift ein fhönes Bild von Raphael oder Guido 
Reni, wo die heilige Cäcilia mit Roſen befränzt bei der 


Liedhaber. Fortſehung. % 


. Orgel fißt und nad der Seite (haut. Chen fo betradıtete. 
fie mich! Nur hatte fe feine Roſen um’s Haupt, und für , 


mich Hlüpt in diefem Leben Feine Roſe mehr. 





10. 
Klein» Felfenburg. x 


Der Altvater wollte einmal mit den europaͤiſchen Freun- 
den, auf einem Fleinen Fahrzeuge, das in tiefer Felſenkluft, 
von Geftein und Gefträud) verborgen lag, eine Fahrt nad) 
Klein» Feifenburg madıen. — Id muß noch ver meinem 
Tode ein wenig von der übrigen Welt fehen, fagte er. — 
Die Luftfahrt nach der Fleinen Klippeninſel wurde alfo uns 
ternommen, und des Altvaters Sohn, Albert Julius der 
Zweite, mußte fo lange im Rathe der Alten des Greiſes 
Platz einnehmen. Albert Julius der Imeite, des Altvaters 
dritter Sohn, (die beiden erften waren ſchon gefterben), 
mar ein Mann von 70 Jahren, recht gefund und rüfig, 
aber nicht von vorzäglihen Geiftesfräften. Das jugendliche 


Gemüth feines Vaters mangelte ihm ganz, und gegen ihn 


ſah der Alte in blühenden Augenbliden wie ein junger 
Menſch aus. Der alte Herr Sohn war, ohnerachtet er nie 
in Europa geweſen, und immer in der einfachen Natur ges 
lebt Hatte, etwas pedantiih, und Eberhard entdeckte zw 
feinem Staunen eine auffallende Aehnlichteit zwifdten ihm 
und feinem eigenen Vater, Martin Julius, Vieles erin⸗ 
nerte ihn auch an -die felige Muhme Urfula, an Herrn Sa— 
muel Plürs und an Vetter Anton. 


% Klein» Felfendurg. 


Die Infel Klein Felſenburg war nicht wie die große, 
ein Blumenkorb.von Felſen. Sie betand meift aus ſchrof⸗ 
fen unfruchtbaren Bergen. Einige ſchöne Thaͤler ſtrecten 
fich / freilich durch die Bergketten, und ein Paar Duzend 
Familien hätten bier treiflich leben können. Weil aber das 
meifte von Groß-Selfenburg mod) unbewohnt war, fo-ftand 
diefe Kleinere Infel einfam und verlaſſen. Es war auch 
noch ein Grund da, warum Niemand da wohnen durfte. 
Klein. Felſenburg war den Seefabrern niht unbekannt; 
denn die Thäler und Wälder ſtredten ſich gerade bis zum 
Strande hinunter. Oftmals ankerte da ein Schiff, um fris 
ſches Wafler zu holen. Hier hätte man alfo-die Verbor⸗ 
genheit aufgeben muͤſſen. 

Die Luftfahrt wurde nicht ohne Furcht und Sorgfalt 
unternommen. Man hatte erft durd Fernröbre von den 
bödhften Bergginfeln die Flaͤche des Meeres ausgefbäht. Ale 
bert Julius der weite hatte feinem Vater mit vielen Grün« 
den die Reife abgeraten. Er gewinne nichts dabei, hatte 
er gefagt, denn frübftüden könne man Überall; dagegen 
feße er die ganze Infel und fein eigenes Leben dabei in 
Gefahr. — Mein lieder Sohn, antwortete der Altwater, 
wenn ich immer fo vorfihtig und vernünftig geweſen wäre, 
wie Du es von mir verlangft, fo wäre die Infel nie ente 
dedt, nie bevilfert und Du nie geboren worden. Ganz 
als Gefangener mag id nicht, feibft im weiten Kreife, le⸗ 
ben; fo wäre ic) lieber noch Küfter beim feligen Trautmann 
geblieben. denn bei ihm Fonnte ich doch herum laufen, mo 
ich wollte. Mit der Entdeckung dat es feine Notb; wir 
werden die äußerfte Vorſicht brauchen. Ein großes Schiff 

ſiebt man in weiter Zerne, ehe es unfern Beinen Nachen 
entdeden kann. 


Klein» Felfenburg. 97 


Der vernänftige Sohn weilte fi) von ſolchen voeti⸗ 
ſchen Gleichniſſen nicht überzeugen laſſen; man Lichtete indet 
Die Anker, machte eine fehr angenehme Fahrt, und frühe 
fünfte in einer großen Hätte, von engliſchen Seeleuten dort 
in der Geſchwindigkeit aus rohen Stämmen des Waldes 
erbaut, \ 

Eberhard und Cordula fagen dem lieben Altvater zur 
Seite. Becher guten Weines Freiften herum, der Scherz 
blühete auf den gefsrähigen Lippen, und der Altuater 
braudite fein ganzes Anfehen, um Die Saune Lißzbergs und 
Bolfgangs im Zaum zu halten, die fi immer über den 
väterfihhen vorfihtigen Herrn Sohn, Albert Julius den 
Zweiten, hermachen wollte. 

Aber ploötzlich wurde die Froöͤblichkeit durch eine Hiobs⸗ 
poſt geftört; ein junger Felſenburger, der auf dem hohen 
Berge Wache gebalten hatte, trat ganz blaß herein, und 
meldete: ein großes Schiff nahe ſich mit vollen Segeln der 
Inſel. 

Alle ſchwiegen einen Augenblic, und ſaben einander 
beRärzt an. — Da bat der bejabrte Sohn doch Recht und 
der jugendliche Greis Unrecht gehabt, fagte der Altuater. - ° 

Hat nichts zu fagen, rief Weifgang, als es mit dem 
Ferntohr das Schiff betrachtet haste; wir Fönnen in Große 
Felſeaburg fein, bevor wir ihnen in den Geſchtskreis 
tommen. 

Nun ſchiffte man ſich ſchleunig en, und ſchon war al« 
les fertig und das. Anker gelichtet, als das Ruder brach! 
— Dieſer Unfall ſehte alle in die größte Unrube, und es 
wurde in aller Eile Natb gehalten, mas zu Ihn wäre? 
An Wegſegeln war jetzt nicht mehr zu denken, und bald 

Oehlenf. Eahriften. XVLIL, 


% Klein» Felfendurg. 


wärde das Schiff den Nachen bier im Eleinen Hafen ent 
veden. 
Nein, rief der Altvater, deſſen mod) jugendliche Kraft 
. in diefem Augenblide wieder hoch anfflammte, das darf 
nicht fein; dann wird das Gebeimnig meiner Infel entdedt, 
eine fremde Macht bemãchtiget ſich ihrer, fremde Sitten 
werden eingeführt, ſchlechte Habfüchtige Menfchen unterdrüf- 
ken und verderben meine Kinder; ihre Schäge werden weg · 
‚geldhleppt, und fie ſelbſt zu Sklaven der despotifhen Bil- 
für eines tüdifhen Statthalters gemacht. Bohrt das 
Fahrzeug in Grund, Kinder, ich befehle ee Euch, Kraft 
meiner Herrſchaft. Bir wollen uns in den Felſenklüften 
verbergen, und können nadıber die Hütten ausbeflern und 
bemohnen, bis einmal Kapitän Horn von Europa wieder 
kehrt. Trifft er uns nicht auf Groß-Felfenburg, fo wird er 
"uns bier ſuchen. Vielleicht bauen fie mittlerweile ſelbſt drü⸗ 
ben ein Boot und bolem uns ab; denn leider haben wir 
nicht ‚Werkzeuge mitgebracht, font könnten wir es felber 
abun. — Bir andern, lieber Großvater, rief Eberhard, 
önnten uns das allenfalls gefallen laſſen; allein Sie — in 
‚Ihren Jahren! Soll ein hundertjähriger Breis wieder von 
vorne anfangen? Ach es gebt nicht mehr fo leiht mit dem 
Klettern wie zu Zeiten van Leuvens und Lemelies. — Ei, 
mein liebes Kind, rief der Alte. ich bin der Bergluft ge 
wohnt; ih kann noch recht gut in einer Felfenhöhle fhla- 
fen. Und ftürbe ih au? Bas if es denn mehr? Gin 
Jahr früher oder ſpäter — bald müßte es doch fein. Dann 
wird noch das Iepte Kapitel meines Lebens poetiſch: ich 
ſterbe als ein berumftreifender Abenteurer, wie ih ange 
fangen habe. Du Eberhard, folte mir meine eigene Zur 
gend, die Meine Cordula die Jugend meiner Concordia zu- 


Kein» Felfenburg. ” 


ru mabnen. Unfere europäifggen Freunde, die im Beſth 
fo vieler fpnen Fertigkeiten find, werden uns das Leben 
erträglich machen, und fo verſchwindet ein halbes Jahr leicht. 

Alle bewunderten den Muth, die unerfhätterlige Hei 
terteit und Entſchloſſenheit des Greiſes; es konnte fie aber 
nicht tröften, denn fie fahen voraus, dag dieſe Bebensart 
bald den Alten aufreisen würde. 

Bäprend fie nun fo: ſchweigend und Meinmäthig da 
fanden, kam Kapitän Wolfgang mit dem Fernrohre wir, 
der vom Fels zurüd, und rief luſtig: Hurrah! Aengſtiget 
Euch nicht, lieben Freunde! Bir brauden unfer Fahrzeug 
nicht in Grund au bohren; fein Wageftüd bedroht des then» 
ven Altvaters Leben. Ic babe die Flagge des fernen Schif⸗ 
fes deutlich ertannt. Dreifach weht fie: blau, gelb und 
roth, mit den Hauptfarben des Negenbogens, der Abrede 
mit Ferdinand Horn gemäß, wenn er nad) der Infel wie⸗ 
der käme. Es it. unfer eignes Schiff. weit früher von Eu- 
rova zurüd gelehrt, ale wir es erwarten konnten. 

Diefe Zaubermorte: verwandelten glei) - die aͤngſtliche 
Stimmung wieder in Freude und Entzücken. Bolfgang 
batte naͤmlich mit Herrn Horn abgeredet, dag er das naͤchſte 
Mal nicht bei Groß⸗, fondern bei Klein-Zelfenburg antern 
follte, und da die mitgebrahte Mannihaft und Sachen 
ausfcirfen, damit das Geheimnig der großen Infel nicht in 
"Gefahr ſchwebe, entdeckt zu werden, wenn gar zu viele 
Menſchen Kenntnig davon hätten. 

Diefe Vorſicht machte aber auch jeht, dab ſich das 
Schiff nicht gleich der kleinen Infel näherte, als man das 
Boot im Hafen entdeitte. Die Felſenburgiſche Flagge ward 
gleich mit einer boländifcen umgetauſcht. und Kapitän- 
Horn lavirte auf dem Meere, ohne ſich der Infel au nahen, 

7° 


100 Klein» FZelfenburg. 


weil er meinte, dag, we ein Bent war, mäfle auch ein 
Saif in der Nähe fein, uad vom Walde verborgen, ver 
Anter Liegen. 

Das wear nun reiht ein 1 föliumer Umfand. Auf dem 
Boote wagten fie ſich nicht dem Schiffe zu nahen; es wäre 
ia mäglih. daß man auf fie feuern tonne, weil man Ver · 
rath fürdtete. Glůclicherweiſe hasse. Lipherg Nateten mit - 
genommen. Iom, der ſich mit allen mechaniſchen Künften 
abgab, machte: e6 in der Ieptern Zeit Bergnügen, Schietz⸗ 
vuiver und Feuerwert zu machen. Er batte eimas mitge- 
Rommen, tbeils um Die Gefellſchaft damit in der Daͤmme- 
rung zu eriufigen, theild um den Groß Felfendurgern ein 
Beiden zu geben, wenu Die Luflfahrer etwa diefe Rat 
ausbleiben felsen; damit man Ach drüben nicht ängftigen 
möge. 

Run konnte alſo auh Bolfgang feinen Freunde Horm 
das werabredete Beichen geben; umd kaum fliegen auf ein ⸗ 
mal drei Raketen vom Stramde binauf, fo murden fie von 
zwei ähmlihen auf dem Schiffe begrüßt. Die Schaluppe 
nahte⸗ fi kurz daranf der Infel; Harn fand ſelbſt mit 
dem Sprachrohre am Ruder, und kaum konnte ex gehört 
werden, fo rief er: Lebt Altwater noch! — Er kebt! ante 
wortete ibm Wolfgang durch das feinige, das er, mie ein 
alter Birtuoſe fein geliedtes Wadern, mitgebracht hatte, 
obſchon er es nicht mebt zu fielen dachte 

Als ſich die beiden Kapitäne herzlich begräßt hatten, 
brachte Weifgang Herrn Horn zum Altvater in die Hütte. 
Bie gern hätte der Ale das Schiff bekicgen, um noch cinmal 
in feinem Leben in einer Kajute zu ſchlafen; das ging aber 
nicht, des Gebeimnifies, auch des Hinauf- und Hiaunter- 
Neigens wegen. Herr Dorn erfreuete den Altvater mit der 


Kein Felſeaburg. 10r 


Nachricht, daß er diesmal Herrn Martin Julius mitbringt, 
der aber noch feine Toilette made, um vor dem’Negenten 
fandesmäpig zu erſcheinen. Albert und Eberhard faben 
einander an Bei diefen Worten und laͤchelten putmütbig. 

Kurz darauf flieg der meu angekommene eurohäifce 
Bluts- Berwandte an's Land, in ſteifen Gallafleidern, mit 
einer großen gepuderten Perüde, einem Degen an der Seite 
und Ehapram bas unter dem Arm. Altvater wollte ihn umar- 
wen, ſchlug aber die Hände über Heren Martins Rüden 
aufammen, fo tief büdte cr fi wor feinem Ahnherrn, den 
er: Eure fürftlihe Durchlaucht nannte. 

Altvoter batte alle Mühe, ihn von diefer unterthäs" 
nigen Foͤrmlichteit abzubringen. — Ih bin nur ein 
ſchlichter, alter Mann, mein Sohn, ſprach er, und werde 
bald dahin geben, wo fein Unterfhied des Ranges mehr 
iſt. = Bas darf man denn Euer Ehrwürden nennen, frug 
Herr Martin; wenn nit Hoheit, Durclaucht, dod wenige 
ſtens Ercellen;? — Ich beige Aldert Julius, mein Sobn, 
ſprach der Alte, und da ſteht Dein Eberhard. — Ein na- 
türliches Gefühl bemeifterte fid bei diefem Anblick Herm 
Martins, fo daß er für einen Augenblick den Pedanten zur 
Seite feßte und feinen Sobn herzlich umarmte. 

Habt Ihr die Uhr mitgebracht, frug der Alte gleich 
— 3%. babe gehört, gnädiger Herr Erzvater, Ste wuͤnſch⸗ 
ten, ich möchte eine Uhr aus Europa mitbringen, umd bier 
iſt fie. — Er reichte ihm eine foftbare goldene Upr mit 
Brillanten. — Lieber Gott, mein Sohn, da habt Ihr mic) 
mißverfanden, ich meinte die alte, filderne Uhr meines Ba- 
ters, meines Bruders, Eures Großvaters. — Die habe ich 
auch mit, magfe aber nicht gleich Euer Ehrwürden bei der 
erſten Audienz mit einer ſolchen Kleinigkeit beſchwerlich zu 


102 Verſchiedener Gefhmal. 


fallen. — Bo ift fie, lieber Sohn, habt Ihr fie in der Ta- 
ſche bei Euch? — Herr Martin reichte dem Greiſe die Ubr; 
Albert fab fie lange an, befühlte fie, fehrte fie nad) allen 
Seiten, Öffnete fie, machte fie wieder zu, drüdte fie an feine 
Lippen, und rief, indem eine große Thräne ihm über die 
rothe Wange in den filbernen Bart hinunter rollte: Ich 
tenne fie wieder! 

Herr Martin Jullus fab feinen Sohn verwundert an, 
und fonnte nicht begreifen, wie man eine alte fhlichte fil- 
berne Uhr einer vergoldeten mit Brillanten vorziehen tönne 


, 11. 
Verſchiedener Geſchmack 





Kapitän Horn hatte viele ſchͤne Sachen mitgebracht; 
befonders Gemälde, tbeils flamaͤndiſche, für die Gemäder 
auf Alberteburg, tbeils ein Paar italieniſche Meifterftäde, 
für die Kirde. Da waren auch gut gemalte Portraits der 
mei unfterblihen Stammväter der Zelfenburger, Luthers 
und Shatefpeares, welche im Wohnzimmer des Altvaters 
über dem Kanapee aufgehängt wurden, und den Alten über- 
raſchten, als er eines Morgens aus dem Schlafzimmer in 
die Stube trat. Noch war ein vorzüglider Maler mitger 
kommen, befonders um den Alten zu malen, damit man 
doch eim gutes, aͤhnliches Bild von ihm habe, ehe er ftärbe. 

Biele andere nutzliche Sachen, melde die Telfenburger 
nicht ſelbſt fo gut machen Ionnten, wurden von den eurb⸗ 


Verſchiedener Geſchuac. 103 


vatſhen Freunden unter die Landleute vertheilt. Eberhard 
hatte ſelbſt die Muͤhe übernommen, den jungen Mäͤdchen 
niedlihe, in London genäbee Schuhe zu ſchenken. Sie 
mußten alle an einem Tage zur beitimmten Stunde kom» 
men, um die Schube bei ihm in der großen Sommerlaube 
anzupaffen. — Allein machte das nicht die Heine Cordula 
eiferfühtig? Im mindeften nit! denn, wie fie auf der 
Infel das fhönfte Mädchen war, fo hatte fie auch den 
ſchonſten Fuß, wovon ſich Ederhand bei der Gelegenheit 
völlig überzeugte. \ 
Auch viele deutſche Bibeln un Gefangbücder waren 
angekommen, und wurden vom Herrn Magifter Schmelzer 
unter die Hausvaͤter vertheilt. Als aber Eberhard einige- 
Kiſten auffhlug, worin eingebundene Eremplars von Sha- 
keſpeares Werten waren, um diefe aud zu verteilen, fing _ 
„der gewögnlihe Zant an, zwiſchen Lipberg und Eberhard, ' 
oder eigentlich das Gedanken, Gefühl- und Meinungswed- 
ſelſpiel. worin ihre Gefeligkeit und Unterhaltung beftand. 
In den erften Tagen nad) ihrer Antunft. wurden meb- 
rere Meine Ländliche Feſte nach Felſenburgiſcher Art veran- 
faltet, um Herrn Martin ein Vergnügen zu machen. Er 
ſtellte ſich auch aus Höflichkeit, als ob er fehr damit zu- 
frieden wäre: im Grunde langweilte es ihn aber fehr, und 
weil er immer ein Stündden vor dem Schlafengehen, wäh- 
vemd des Austleidens wit feinem Sohne Eherhard allein 
ſprach. fo mußte der gute Tüngling aud immer Berhalten. 
Das muß id geftehen — ſchnaubte Herr Martin, — 
ich habe mic) fehr geirrt. Ich meinte hier ein Meines Rd- 
migreich, wenigftens ein Zürftenthum zu finden, ein hübſches 
Hauptſtaͤdtchen wenigftens mit einer fhnurgeraden Straße, 
mit einem großen Palaſte. Als naher Blutsvermandter 


10 Berfgiedener Geihwad. 


des Dberhaupts hatte ih auf eine ausgezeichnete Ebrerbit ⸗ 
tung gerechnet. dag die Soldaten vor mir präfentiren, we⸗ 
nigfteng ſchultern follten, wenn id) vorbei ginge. Allein hier 
And ja gar keine Soldaten. Jeder Heine deuiſche Zürft hat 
do wenigſtens ihrer zwanzig. oder dreigig Stüd, Auch 
batte id) auf einige Drdenshänder, menigftens einen Kame 
merherrnfhlüfel den Mund geſpiht. Bas find aber Jauter 
Fruqte, die in diefem Werben Klima nicht reifen. Jeder 
Bauernbengel, dem ih begegne, drüdt mir die Hand, fo 
dag mir die Finger weh thun, duzt mich, und nennt mih 
Vetter und Freund, — Aber das ift er ja auch, lieber va⸗ 
ten! Vergeſſen Sie denn. dag alle Einwohner hire, wenige 
ausgenommen, von Albert Julius abſtammen? — Bir Ram 
men alle ab von Adam und Eva, mein Sohn! das maht 
aber nichts. Verſchiedenheit muß fein. und auch Standes. 
verfhiedendeit, Und wie die Menfen hier geffeidet geben! 
Alldeutſch mit Jaͤtchen und Kragen, und ungepuderten® 
Haaren, fo daß einem das wenige Haas unter der Werüde 
darüber zu Berge lebt. — So war De Mode, als Alta 
ter vor hundert Jahren bierher Fam; feine Kinder Mleideten 
Ad wie er. die Enkel thun es ebenfals. Und aufrichtig 
lieber Dater, ib finde diefe Mode weit fhöner, als die 
heutige in Gurgpat Ih bafle Perüden, Yuder, dreiedige 
Trefiengüte, Haardentel und feife Rodihöße aufs Blnt. 
— Weiß wohl, Eherhgrd! das mm daher, weil Du wech 
in den unreifen Jahren biſt, und Dein Gefhmad nicht ge- 
börig gebildet ift. Wenn Du älter wirt, wenn Dir die 
Haare grau werden, und DA cine Glape bekömmit, wirſt 
Du fhon die Finger mad der Neride, nach Puder and 
Vomade Ieden, dann i’s aber zu fhät. — Miles bier üft 
wild und verworren! Keine ordentlihe Gärten in Binfel, 


Verſchiedener Befhmad. 165 


Duadrale, Roombaile und Rhomboiden eingefbrilt; man 
glaubt noch im Walde, unter dem lieben Vieh zu wan⸗ 
dein, (Sr vericht es wohl nicht beffer, der arme Greis! 
ſollte ſich aber vom kiugen Leuten, die ein befleres Einfe- 
ben in ‚dergleichen Dingen baden, belehren laſſen. Sein 
Sohn, Herr Albert Julius der Zweite, fheint mir weit 
mehr Verftand und praktifhen Sinn zu befipen. 

Eberhard mußte lächeln und frug: Lieber Vater! ha- 
ben Sie denn in Europa wirklich fo viel Gutes verlaflen, 
dag Sie ſich daraac fehnen können? — Db ic viel Gutes 
verdafien habe, mein Sohn? Beißt Du denn nicht, daß id 
mich in Leipzig ganz vraͤchtig etablirt Hatte, ein großes Haus 
neu gefauft und fbön meublirt mit Rromleuchtern und Fuße 
tenppächen? Gin Graf konnte nicht beffer wohnen. Weißt 
Du nit. dag mir acht Bedienten in praͤchtigen Livreen täg« 
lich aufwarteten? Daß ih zmei Mal woͤchentlich ein großes 
Diner gab, wobei Deine Gönner und Iugendlehrer, Herr 
Profeſſor Schwefellies und Herr Kaufmann Nierenfein 
auch zugegen waren, nebſt vielen andern Gonoratioren? 
Nierenftein und Schwefelkies find meine Bufenfreunde ge- 
worden; und mo finde id ſolche Männer wieder? Mit 
Herrn Litzberg und Wolfgang läßt fi) ja fein vernünftiges 
Bort reden, fis railliren immer, und find fogar mitunter 
nafemeis und unverfhämt. Den guten Schmelzer kenne ich 
bon; das iſt ein lieber Menſch. er ſitzt aber über feinen 
Büchern, tauft Kinder, fpreiht Predigten, mag nicht L'hom 
bre foielen, und hat es aud nie ordentlich gelernt. — Alfo 
Nierenſtein und Schwefelkies, das find gegenwärtig die 
Lichter in’ Leipzig, lieber Bater? — · Wahre Biederleute, 
meis Sohn! Der eine giebt eben fo große Diners wie ich; 
der Profeſſot hat freilich die Mittel dazu nicht; aber dann 





106 Berfhiedener Geſchmack 


fpeift er mieder fo gufüerzig, mit einem folden Appetit 
und höfliher Dankbarkrit, dag mar. ihm durchaus gut fein 
mug. Und dann ift er auch erſtaunlich gelehrt. Nicht wahr, 
Du verdankft ihm Deine ganze Bildung? — Gewiß, lieber 
Vater. Und bei dem andern bin ih alle Boden zu Tiſche 
geladen; nicht wahr? — Ja wohl! Das hat er wir ſelbſt 
erzählt, und das hat mid als Vater gefreut; denn Du 
weißt wohl, Eberhard, dag ich Did, aller Deiner Sonder- 
barteiten ohnerachtrt, herzlich liebe. — Das weiß Id, mein 
Bater, ſprach Eberhard, und fügte ihm die Hand. Haben 
die Herren Nierenftein und Schwefelties Ihnen aber nicht 
auch erzählt, wie ih einmal an der Seife iht Leben ret⸗ 
tete? — Sie haben mir gefagt, daß Du ihnen einmal in 
jugendlichem Uebermuthe mit einem herunter geriffenen 
Baume leicht die Schädel Härter einfhlagen künnen, als 
ihre Pferde ein wenig ſcheu wurden; allein dieſen Jugend» 
ſtreich haben fie Dir Beide von Herzen vergeben. — Nun, 
das ift fin, ſprach Eberhard. Es it aber ſpaͤt. Lieber 
Vater! Sie find jept zu Bette gegangen, und ich will, mit 
Ihrer gütigen Erlaubnig, daffelbe thun. 


12. 
Albert Iulius zum leßtenmal. 





Der Maler hatte ein fhönes, ähnliches Bid vom Alt- 
vater gemacht. Der füherne Greis faß im Lehuſtuhle in 
feinem Zimmer; durchs große offene Fenſter konnte man die 


Aldert Julius zum lehtenmal. 4107 


füdliche Vegetation der Infel und die fernen Kelfen ſehen. 
Der Alte legte feine gerunzelte Hand auf das Laftanien- 
braune Haupt eines ſchoͤnen Knabens, der vor ihm Fniete. 
Hiemit wollte der Maler den Segen andenten, den der 

” Stammavater feinen .Enfeln gab. Das Bild tn Lebensgröge 
murde den Bruftbildern Luthers und Shakeſpeares gegen. 
über in der Wohnftube aufgehängt; erft aber einige Tage 
Mentlich zur Schau ausgeftelt. — Ad, wenn. Ior mir nur 
au meine Concordia malen Lönntet, fagte der Altvater. 
Mber wigt Ihr was? Malet die Meine Cordula; die gleicht 
ihrer Stammmutter fehr, nur daß fie blond If. — Herr 
Martin, der zugegen war, meinte, man könne ja ſchlecht⸗ 
weg Cordula ſchwarzes Haar geben; aber davon wollte we⸗ 
der Altvater, noch Eberhard, uoch der Maler etwas wil- 
fen; und Litzberg rief: Da baben wir wieder ein Ungläd 
des eigenen Haartragens; hätten nun Concordia und Gore 
dula hübſch gepuderte Perüden netragen, fo wären wir der 
Sorge los, und die Yehnlihkeit wäre auf ein Haar ge 
troffen. 


Nach der Iepten Luſtfahrt nad Klein» Felfenburg war 
der Altvater etwas unpaß, und er befhloß von jeßt an eine 
andre Lebensweife bei fid) einzuführen. Er gab keine Baft- 
mahle mehr, ging früh zu Bett, nahm nicht Beſuche an, 
umd beſuchte Niemanden. Dazu hatte ihm befonders eine 
Freundin überredet, die jeßt täglich um ihn war. die ihn 
pflegte und hegte, feinem Haufe vorftand, und ohne deren 
Einwilligung er nichts mehr that, was feine Geſundheit 
anging. Diefe Freundin war Hanna Hellfraft, deren Ge⸗ 
nie zur Haushälterin und Pflegerin er bald entdedte, und 
nach Verdienſt würdigte. Noch behielt er in feinem geräu- 
migen Haufe drei ſchoͤne, geiftreihe Anaben und Mädihen, 


108 Albert Jalius zum leptenmal. 


die er im Leſen und Sereiben felbR unterrichtete, die zu 
Mittag mit ibm ſpeiſten, und die im reife um ihn täglich 
Morgen und Abend mit gefalteten Händen beten mußten, 
und Danklieder fangen. Mitunter agen auch, ſtatt ihrer, 
Eberhard und Cordula, oder Schmelzer und Wolfgang, 
oder Litzberg und Lademann beim Alten, 

Sein Sohn Albert Julius der Biweite machte jetzt ein 
großes Haus, Fam aber alle Morgen pänftlih um zehn 
Ubr, feines Vaters Hand zu füflen, und zu hören, wie er 
geſchlafen habe? Dies that der Miehzigjährige Man ganz 
tindlich, wie er «6 von Jugend anf gewohnt war, und der 
Aublick hatte etwas wunderbar Hührendes. — Bei Albert 
dem Zweiten mar Martin Julins eingnartirt. Sie ſchienen 
für einander geboren zu fein. Herr Martin hielt dem al 
ten Felſenburger tägtich Vorlelungen über eurovaͤtſche Sit- 
ten und Einrichtungen, und fie fanden im Grmüthe des 
Suhörerg freundliche Aufnahme. 

Roch ein anderer Fremder, von dem mir nicht geſpro⸗ 
hen haben, der mit Kapitain Horn das letzte Mal auf die 
Infel tam, hatte in RobertHulter, Cordulas Vater, einen 
Freund gefunden, und wohnte bei ihm. Es war ein ge 
weſener Ingenieur» Offizier, Herr von Birting, der dem 
madern Bolfgang damit beifen ſollte, die Fortificatien der 
Infel nach beſten Kräften zu vollenden, damit feine fremde 
Mat fie je erobern könne. Das fing er denn and aleich 
ſehr gehlidt an, denn es war ein Mann: von Talenten. 
Iu feinem Aeußern hatte er aber viel Unangenehmes, Ab ⸗ 
togendes. Er mar lang und hager, fein ſchnales Gefiht 
ſah ernft und mißvergnügt aus; mie fam ein Lächeln da- 
rauf. Wenn man mit ihm ſprach, mußte man feine Be 
redfamleit bewundern; es war aber gar nichts Gerwäthli- 


Albert Julius zum lehtenmal 19 


es an ihm; aud merkte man, des Zwanges ohnerachtet. 
den er fih anthat, daß ‚er ſehr abnenftol; war. Er war 
ans einer alten deutfihen Familie; unglüclicher Umftände 
wegen hatte er fein Rittergut verkaufen müſſen, und nur 
die Noth ‚hatte ihn dazu gezwungen, Kapitain Horn nad 
Felfenburg zu begleiten. Ale die Freunde faben bald, daß 
er fein Dann für fie war; fie hatten bei feinem Anblide 
das Gefühl, als- ob ſich, allen guten Duarantaine-Anftal« 
ten ehneramtet, eine anftedende Seelenſeuche auf die Infel 
ein geſchlichen habe. Nun war es aber zu fpät, etwas dar 
gegen zu wirken. Der gute Eberhard hatte befenders Ur⸗ 
facye ihm nicht zu leiden, denn kaum wohnte Herr von Bir« 
ting bei Robert Halter, fo verliebte er ſich in feine Toch⸗ 
ter. Als er nun börte, dag Robert von Carolina Fran _ 
cista. der Toter Soncordiens und van Leunens, ftamme, 
die mit einem ſchiffbrüchigen Jünglinge von adelicher Gr- 
burt verheirathet geweſen, machte er Nobert Hultern auf 
mertfam darauf, daß fein ganzer Stamm von adelichem 
Geblüte auf der Infel der Vornehmfe fei, dem es nicht 
zieme, cinem bürgerliden Nebenzweige in Auſehen und 
Würde nachzuſtehen. — Diefe Infpirationen geſchahen freie 
lich noch ganz heimlich; hatten aber auf den ehrgeizigen, 
düftern, befchränften Robert großen Einfluß; es that ihm 
jest leid, daß er feine Tochter Eberharden verfprogen habe, 
und Gberhard konnte nicht begreifen, woher die Kälte jept 
gegen ihn kaͤme, tröftete Ach aber damit, dag ihn die treue 
Cordula immer zärtliher und feuriger liebe. 

Eberhard betrich nun die Hochzeit, weil aber Altvater 
immer kraͤnklicher wurde (als Kapitain Horn wegreiſte. hatte 
er fh auch beim Abfſchiede eiwas erfättet); fo hatte Robert 
Hulier Aulaß genug, die Vermaͤblung aufzuſchieben, und 


110 Albert Iulins zum leptenmal. 


Eherhard war auch jeht-zu beforgt, um an fein „eigenes 
Süd zu denken. 

Es wurde mit dem Greife alle Tage bedenfliher: der 
Arzt Gramer wollte ihm Medicamente geben, er ſprach 
aber: Mein Sohn! für den Tod wäh fein Kraut! Ich 
lebe ſchon ein Paar Jahre in das zweite Seculum hinein. 
das mag die Zeit nicht leiden; fie läßt fih von den Men- 
ſchen nicht fo auf die Finger ſeben, und ihre Kunft abler- 
nen. Das alte geizige Weib will mir fein Lebensöl mehr 
in meine Lampe giegen, darum trocknet mir die Haut, die 
Glieder werden Reif, die Augen dumm und das Ohr hört 
nicht Länger ſcharf, wie zuvor. Allein ic babe mich ſchon 
lange auf diefen Augenblid vorbereitet, und mo id) bingebe, 
wartet ein großer Haufen Freunde meiner. 

Man wollte ibm die Todesgedanfen verſcheuchen, ex 
hieß ſich aber nicht irre machen, und verfepte! Diesmal, 
lieben Kinder, läßt ſich Freund Hain durch ſchͤne Worte 
nicht wegweiſen, er dat ſchon ein paarmal mit der Senfe 
angefiopft, bat fi) aber von den. Tränen meiner Kinder 
rühren laſſen, und üft wieder fortgegangen. 

Die ganze Infel trauerte, und alle waren ſebt beforgt, 
als Altvater. noch einmal in die Kirche wollte, denn fie 
fürdpteten, er werde ſich da noch mehr erfälten und gar zu 
gerührt werden. — Ich fierbe no) nicht, fagte der Greis, 
einige Tage habe ich noch zu leben; vergönnt mir diefe kurze 
Tritt nach Luſt zu genießen. Das Meine zarte Kind wird 
ja in die Kirche gebracht, wenn das Leben hier auf Erden 
anfangen foll; warum darf das alte Kind fid nicht auch 
im Gottesbaufe zum Rünftigen Lehen vorbereiten? 

Wolfgang und Eberhard baten M. Schmelzer die Pre 
dige ja nicht au rührend zu machen. — Fürchtet nichts, 


Albert Julius zum Ichtenmal. 111 


Freunde! ſprach der treffliche Mann; eine ſelige Flamme 
brauche ic nicht da anzufachen, wo fie ſchon Mar in Liebe 
rennt. Ich will nicht mif dem Finger nad dem Himmel 
binauf zeigen, wohin ſchon die alten Augen ununterbroden 
binaufftarren; ic will fie wieder eine Weile auf die Erde 
berunterloden. Es srifft ſich cben fo ſchön, daß wir näde 
ſtens das Evangelium vom Sämanne haben; Ihr wer- 
det ſchon mit mir zufrieden fein. . 

Lademann war ganz in Echmelzers Idee eingegangen; 
er, der auf feiner fhönen Orgel phantaſirend das Herz 
ſtimmen konnte, wie er wollte, präludirte heute ſtill erhaben 
in tiefen heitern feten Tönen, und braudte das Pedal 
mwunderfhön, als ob er damit das ehrwürdige Breifesalter, 
die tiefe Lräftige Gottesfurcht des Altvaters andeuten wolle. 
Mitunter drüdten einige hohe Zäne Schnfuht und Ver⸗ 
langen nad) der Ewigkeit aus; dann tönte wieder der herr⸗ 
liche Baß geduldig und beruhigend in großen Harmonicn, 
und die fonderbarften Diffonanzın löften ſich Leicht auf, in 
Klarheit und Zufriedenheit. 

Schmelzer hielt eine treffliche Predigt Über den Test: 
Etliches fiel auf ein gut Land, und trug Frucht, etliches 
Hundertfältig, etliches ſechszigfältig, etliches dreitigfältig. — 
Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle 
babe; wer äber nicht Hat, dem wird genommen, das er 
hat.” — Diefes Nichthaben und Haben, womit Chriftus 
nur einen Eräftigen Willen zum Gulen, ein fromm empfäng« 
lich liebevolles Gemuͤth gemeint hat, wandte Schmelger obne 
Schmeichelei auf den Altvater an, dem ein blühendes, glüd« 
liches Geſchlecht, näcdft Gott im Himmel, alles verdanfte. — 
Ale Hände falteten fih, alle feuchten Augen richteten ſich 
binauf mad) dem Greife, der in feinem Stuble verfhämt 


112 Albert Iulins zum Leptenmal. 


und beſcheiden faß, die Hagen niederſchlug, und ſanft Kr 
cdelnd mitunter leiſe den Kopf ſchuttelte Schmelger wuhte 
recht wohl, daß dieſe Wendung wicht nad) des Alten Gr 
ſchmatt fei, der in die Kirche gekemmen war, feine Seele 
zu Bett zu erheben, nicht km Dankſagungen zu hören; er 
mußte, daß es den Alten fogar ein wenig verdrießen märde; 
aber auf diefe Migbikigung, diefe Meine Berftimmung hatte 
der Prediger chem gerednet, weil er dadurd hoffte, den 
ſchwachen Alten von einer gar zu angreifenden Begeiterung 
zu zerſtreuen. Es half aber nicht viel; denn nach geendig 
tem Gottesdienft ließ Aitvater zu Schmelzer hinunterſchitken: 
er wänfgte das heilige Abendmahl noch vor dem Altar zu 
empfangen, die Chorknaben möchten das Lied: „Jeſus meine 
Zuverfihtl” fingen. Kaum mar das gemeldet, fo erfhim 
der Greis fhon drunten in der Kirde, von Eberhard und 
Wolfgang geleitet. Er ging mit rubigen feſten Schritten 
durch die Kirhe, man merkte ihm feine Schwachheit an, 
mar einige fanfte Thraͤnen liefen ihm Über die abgebleichten 
Bangen, als er das Sakrament zum Iebtenmale gene. 
Als die Knaben das 2ied anflimmten, woran die Erwad- 
fenen vor Schluchzen nicht thelfnehmen Tonnten, fang Al⸗ 
tert Julius laut mit, und fein ſchöner Bag, der neue 
Kräfte gewonnen zu haben (dien, tönte herrlich, und freu 
dig vereint mit dem zarten hoben Kinderftimmen. 

An der Kirchenthüt blieb er flehen, ließ feine Entel 
vorbeigeben, drüdte allen die Hand, and ließ fi) von vie 
ten die Hand küſſen. Drauf ward et in feinem Tragfeflel 
nad) Haufe gebracht, und bereitete ſich auf feinen Zod vor. 
Nur’ Hanna Heltraft, Eberhard, Lademann und die Chor- 
naben blieben im Haufe bei ihm. Zu Lademann fagte er: 
Mein Sohn, Ihr habt mir ſchon auf dieſer Imfel viel 


Albert Jutius zum-Icptenmal. 118 


Nugen gefiftet, allein ih babe doc noch eine Bitte an 
Eudy, dag Ihr mir nämlih mein Ruhekämmerlein oder 
meinen Sarg fo eilig als möglich verfertigen möget; denn 
ich Habe nicht lange Seit mehr hier zu bleiben, fondern 
Gott wird mid, hächftens zu ſich rufen, ich möchte aber 
gern vorher mein Nubelämmerlein fchen. 


"Der ehrliche Lademann fing bitterlich an zu weinen, 
fügte dem Altvater die Hand, und fagte: er hoffe noch viele 
Jahre von diefer Arbeit verfhont zu bleiben; allein der Alte 
fagte: Mein Sohn, das viele Reden koͤmmt mir ſauer lzEr⸗ 
füllt meinen Willen fo eilig, als möglid, und gebt mir 
Eure Hand drauf. 


Man willfahrete ihm jet in allım, und bald tan 
der Sarg fertig da, ganz ſchlicht und einfach gebeizt, von 
Fichtenholz, nad) des Altvaters Verlangen: „Vier Dielen 
und zwei Bretchen.“ Lademann wollte einen Sarg von 
Mahagony mit filbernen Handhaben gemacht haben, allein 
der Alte ſprach: Meine edlen Vorgänger Don Eprillo de 
Valaro und Herr Carl Franz van Leuven wurden nur in 
cin grobes Segeltuch eingewidelt! Als meine Concordia 
farb, habe ih und meine Söhne ihr einen ſchlichten Sarg 
von Dielen aus dem Walde gesimmert; ich will es nicht 
beffer haben. 

Die Heine Handorgel war nad Albertsburg gebradt - 
morden, dic ſpielte Lademann jetzt fleißig und die Chorfna- 
ben fangen vor dem Sterbenden, und draußen im Haine 
fanden viele Selfendurger, Väter, Mütter, Jünglinge, 
Mädden und Kinder, und meinten, wenn fie die fhönen 
Zöne durch die offenſtehenden Fenfter hörten. Denn der 


Sterbende, der die frifhe Luft immer geliebt datt wollte 
Deblenf. Echeiften. KVIIL. 


114 Albert Julius zum legtenmal 


auch jegt nicht, dag man im fhönen warmen Better feine 
Fenſter verfätieße. 

Jetzt lag er und träumte vor Ad bin, und wenn er 
erwachte, erzählte er den Umherſtehenden den Traum: der 
oft ein ſchoner Zurückblick auf fein buntes abentenerlides 
Leben war. Erft fand Freund Hain da mit der Hiphe 
und zeigte ihm das ausgeronnene Stundenglas.. ber 
fang: 


Mt din ich war, Doch münfcht" ich gern 
Ein wenig noch zu leben. 


Der Id antwortete: 


Und lebteſt hundert Jahr Du noch, 
Zu früh kim’ ich Dir immer doch, 
Drum fei mir gleich ergeben; 


Dann erfdien Alberts Vater an der Hand des heili- 
gen gefteinigten Stenhanus, er befühlte das. Eifen der To⸗ 
desfenfe, und ſprach: Die Schneide iſt ſcharf! es fhmert 
nicht, mein Sohn! Ich habe das Eifen in früheren Jah⸗ 
ren als Du, getoſtet. Nun hörte Mfhert einen fhömen Gr 
fang, es waren die Geifter feiner Mutter und feines Bru⸗ 
ders. Der Bruder zeigte ihm die Uhr und rief: die Zeit 
in vorüber, Die Mutter bob die Bibel gegen den Him⸗ 
mel auf und rief: Dort winkt die Emigkeit. — Dann 
ſchnurrte ein Noden dem Träumenden nahe in's Obr; da 
bei fag Die alte Parze Lacheſis, fie war bald über ihrer 
Arbeit eingef&lafen, und Alberts Lebensfaden zerriß iht 
unter den Händen; fie glich der Muhme Urſala, und ſprach 
leiſe: Ich Grabe ſchlaͤft ſich's gut und ungeRört. — Run 


Albert Iulins zum legtenmal. 115 


kam eine Peine Höllenfrape im Scharlahrede und langer 
Kuotenperäde, die Hörner ſtachen ihr närrifc aus dem Ton- 
dee heraus, fie wollte den Eterbenden flören und ärgern. 
Albert erfannte fehr gut den Salvator Veilchenblauz ale 
die Grablieder wieder ertönten, verſchwand der Kobold. — 
Vlotzlich hörte er den Knall einer Kanone, und durd die 
Kanone fuhr Seiferts Beift, und verſchwand in die Wol- 
ten, ſelbſt eine dihtere Wolfe, von der heruntergehenden 
Sonne fhön gefärbt. Dann fieg der Mond kalt empor 
and beleuchtete die Flußwellen. Trautmanns Kopf tauchte 
empor mit naſſen Haaren und gebrochenen Augen, aber der 
Abendwind fäufelte im Schilfe: Gott hat ihm vergeben, 
Du wirft ihm wieder fchen. Jetzt ſchwirrte ein ſchöner Che 
rudfopf mit fhneemeigen Schwingen an den Roſenwangen 
zum Fenſter herein, blickte felig-lähelnd auf ihn, und flog 
wieder hinaus. Ad Johanna, liche Johanna, feufzte Als 
bert, und erwachte, ſchlief aber gleich wieder. Hanna Hell 
kraft trodnete ibm den Todesfhweig von der Stirn. — 
Dank, Sara! treue Sara! fenfte der Träumende. Lade» 
mann wollte ihn erfeitern und fpielte wieder auf der Hand⸗ 
otgel. — Da, ſprach der Sterbende, höre ih Paul Flem⸗ 
mings Harfe, er fingt jept die Ode auf die Auferftefung, 
die Unſterblichteit. — Nachher fhien «8 Alberten, als ob 
der Himmel ganz dunkel würde. Ein lichter Kreis breitete 
ſich darauf aus, von einem runden Regenbogen wie von 
einem Rahmen eingefaßt, und darin ftand cine Riefenge- 
ſtalt im gelben Lederwamms, behelmt, wie ein Ritter. Es 
war Guftav Adolf. — Einen ähnlichen Lichtkreis entdedte 
Albert grade gegenüber auf dem ſchwarzen Firmamente, 
mit zwei Niefengeftalten. Es waren die Ahnberren der Fel⸗ 
fendurger, Luther und Shakefpcare die Hand in Hand brü« 
8 





116 Albert Julius zum Ichtenmal. 


derlich fanden und einander freudig anfahen. Nun erfön 
„ten ftarte Hammerfhläge;. eine lichte Werkſtatt öffnete fh 
im Dunfeln, und unter der Anmeifung des wadern Maß 
Hanfen, der wie ein gutberziger Cyrlop ausfah, wurde der 
große Hoffnungsanfer von Eifen geihmiedet. Der trefilihe 
Schmid mar. nit beraufht, ſondern nur begeiftert von 
dem Trante der eigen Lebensquelle. Da fuhr Albert auf 
dem Schiffe des Glaubens fort, und Columbus ftand feltft 
am Steuerruder. Nach turzer Fahrt erreichten fie bald den 
Fels der Gnade. — Hier wartete Carl Franz van Leuven 
auf dem Stande und reidhte Alberten fein Fernroht. Der 
Sterbende ſchaute hinein, und entdedte Jeſus Chriſtus dro⸗ 
den auf der boͤchſten Klippe, mit ſtrahlendem Haubte. 
Chriſtus winfte ihm durch den Todesſchlund zu geben, um 
das Paradies zu befteigen. Bor die Schlucht aber trat der 
Teufel in Lemelies Geftalt, fletſchte mit den Zähnen, und 
wollte ihm den Durchgang fverren. Da kam Concordia, 
wie ein ſchoͤner Engel, vom Himmel herunter geflogen. Bei 
Ährem Anblid heulte der Böfe, flog durd die Luft, mie ein 
brennender Komet, ftärzte fih ins Meer und erfofh. — 
Concordia, meine Concordia! reiche mir Deine Hand, dar 
mit id mit Dir hinauffteige, und eingehe in die Laube der 
ewigen Liehe! 
Das waren die lekten Worte des Greifes, mit einen 
leichten Eeufzer entfloh ſeine unſterbliche Seele dem Kör⸗ 
per, und Hanna Hellkraft drüdte ihm die Augen zu. 


Die Yortugiefen. 17 


13. 
Die Porsugiefen. 





Ein halbes Jahr war nad des Altvaters Tode ver- 
gangen: und Bieies Hatte ſich ſchon auf der Infel verän⸗ 
dert. Albert Iulins der Smeite war Altvater geworden, 
und obſchon diefer Ehrenname nichts weiter bedeuten wollte, 
als dag er im Rathe den Borfig und zwei Stimmen hatte, 
fo fing er doch feine Macht nad) und’ nah willkürlich an 
zu ermeitern, welches ihm nicht ſchwer wurde, weil das 
Inſelvolk His jept nicht nah Gefegen, fondern nur nach 
Vernunft und Billigkeit als eine große Familie regiert wor⸗ 
den war. Als Haups der Familie hatte alfo der Altvater, 
weil teine andere Einritung da mar, nach Herkommen die 
ausübende Gewalt. Deswegen bildeten-fidh num zwei Par⸗ 
teien auf der Infel, und an der Spige der zweiten ſtan ⸗ 
den Robert Hulter, und der Ingenieur von Birting, den fih 
der Altvater zum bitterften Feinde gemacht hatte, weil er 
ibn nicht in den Rath der Alten aufgenommen. Der Re 
gent fagte aber, wie billig, es ginge nit an, alle Augen - 
biide ankommende Fremdlinge den Landeskindern vorzu ⸗ 
siehen. 

Der Stamm Robert Hulters fing nun an, alle Tage 
mehr auf feinen Adel zu pochen, und äußerte laut, daß es 
ſich ‚für ihn nicht zieme, fi) von andern beherrſchen zu laſ⸗ 
fer. So lange der wahre Altvater lebte, habe man es, 
aus Achtung gegen ihn, bingehen laſſen; jept fei er aber 
todt, und dem Sohne, der weder des Vaters Kopf nad 


118 Die Vortugieſen. 


Verdienſte hätte, fei man Teinen Gehorfam ſchuldig. Es 
gab in den Verfammlungen heftige Etreitigkeiten, woran 
Eberbard auch Teil nahm, und es wäre [bon zum Bruche 
zwiſchen ihm und Robert Hultern gefommen, hätte nicht 
Möglich ein neues, von Nicmanden erwartetes Abenteuer, 
die Gemüther für furze Zeit verföhnt und vereinigt. 

Ehe man fid) etwas vermuthete, fahen die Wachen tie 
nes Tages von ihren Felfen drei. große Schiffe ſich drehen 
umd wenden, Als od fir. gefonnen wären, die Straße nach 
Dftindien zu ſuchen. Die Felſenburger, die es nicht rath⸗ 
fam hielten, ihnen mit Höfligfeiten entgegen zu kommen, 
hielten ſich mauſeſtill binter ihren Felſen 

Am dritten Tage thaten die Schiffe drei Kanonenſchüſſc 
und als man fie nicht beantwortete, ward ein porfugiefi- 
ſcher "Offizier mit weiger Flagge in der Hand, nebſt einem 
Trompeter, an’s Land geſeßt. 

Bolfgang und von Birting, von allen Einwohnern ein 
ſtimmig zu Gommandanten und Gonverneuren der Juſel er⸗ 
nanut, bielten es nicht rathſam. die Schlenfe fallen zu Safe 
fen und den Flug zu fverren, um den Parlementär durch 
den ausgetrodneten Gang anf die Infel hinauf zu Hringen. 
Ein junger, kühner Felfenburger Hot fi freiwillig dazu an 
den beſchwerlichen Weg hinunter und wieder hinanf zu klet⸗ 
tern, den Albert Julius vor 80 Jahren ber gemadt hatte. 
Bolfgang fand es aber nicht nöthig. Don einer Toprefien, 
ins Meer hinaushängenden Felſenege konnte man leicht ei⸗ 
men Bindfaden mit einem Steine hinunterlaffen, und hät 
tem die Herrn Pertugfefen ihnen etwas zu fagen, fo konn ⸗ 
ten le ja einen Brief an den Zaden binden. 

Ein Trompeter der Tafel antwortete alfo von oben dem 
vortugieſiſchen Trompeter drunten; der Bindfaden mit dem 


Die Portugieſen. 4109 


Steine wurde herunter gelaffen, der Parlamentär fegelte 
aber unverrichteter Sache wieder zuräd, weil er vermuth⸗ 
lich feine Ordre hatte, ſich auf ſolche Beife mit den Fel- 
fendurgern einzulaſſen. . 

Der Admiral der Heinen Flotte fand ſich fehr dabei 
beleidigt, daß ein armfeliges Infelvolk es wage, feinen Var⸗ 
Iementär fo hoͤhniſch zu behandeln, ließ die Auker wieder 
lichten, und umfegelte die Juſel ein Paar mal, um eine 
Deffnung zu finden, wodurd er hinein kommen könnte. Su 
feinem Grftaunen entdedte- er aber, daß diefe Infel, ob⸗ 
ſchon weit gröger im Umfange, eben fo wohl befeftigt war, 
als Gibraltar in Europa. Er mußte alfo in dem ſauern 
Apfel beißen, und feinen hochtrabenden Brief an den ſchlech- 
tem Bindfaden neben dem Kiefelftein binden. 

Der Inhalt des Briefes war: Seine portugiefifhe Ma- 
jeſtaͤt habe erfahren, dag ſich eine Beine Cotonie auf der 
fogenannten Infel Belfenburg angefiedelt Habe. Beil der 
König nun feinen Staat in feinem Staate dulden könne, 
und ihm von Rechtewegen alle Infeln in diefen Gewaͤſſern 
zugehoͤren, fo verlange er, die Felſendurger follten ſich un ⸗ 
tertbänig unterwerfen, ihn als ihren König erkennen, ihm 
Zreue fhwören, und Don Juan de Silves, den Admiral 
der Flotte, als fernen Statthalter auerkennen. Alsdann 
wolle man das Privateigenthum ſchonen, und die Felſen⸗ 
Burger koͤnnten ige gewoͤhnliches idylliſches Leben ungeftärt 
fortfeßen. Wo nicht, würde die Infel bomhardirt und mit 
Gewalt genommen werden, und dann babe man aur ſich 
felber die fhlimmen Folgen zugufhreiben. 

Die Zelfenburger antworteten: Sie hegten vor Seiner 
Wajeſtät dem Könige von Portugal die tieffte Ehrfurcht. 
und ſchaͤmten ſich, als ein armes, Kleines Inſelvolt einem 


10 Die Portugieſen. 


fo grogmädtigen Monarchen zu widerſprechen. Gier triebe 
fie aber die Noth dazu, ſolches zu thun. Mit ihrer klei⸗ 
nen, unbedentenden Infel fei Ihro Majrftät wenig gedient; 
mit ihrer Unabhängigkeit würden fie aber Alles verlieren, 
menn Menſchen von einer fremden Religion, von fremden 
Eitten und einer fremden Sprache fie beherrihten. Als 
freie Leute und als Lutheraner nad) der Augsburgifchen 
Gonfeffion wollten fie leben und fterben. - 

Als Don Iuan de Sitves diefe Nachricht betam, fing 
er glei) an, die Infel zu bombardiren. Aber die Felſen⸗ 
burger lachten nur darüber, denn von allen feinen Bomben 
fielen mir drei auf die Infel, ohne weitern Schaden zu 
thun, als die Erde ein wenig aufzuwühlen. Im Nathe 
hatte man erft beſchloſſen, feinen Schuß wieder zu than. 
Es wäre ja ganz äberfläffig, fagte man; und menn die 
Portugiefen erft al ihr Schießpulver und ihre Bomben un 
müg verbraudt hätten, würden fie ſich ſchon genöthigt fer 
ben, unverricteter Sache nach Haufe zu geben. Bolfgang 
aber war der Meinung, man folle fie wieder bombardiren, 
um ihnen Achtung vor der Feſtung Felfenburg einzuflägen, 
damit fie nicht fo bald wieder kämen. Und von Birting 
frug, was man mit Kanonen und Ammunition auf der 
Juſel folle, wenn man fie nicht brauden wolle? Man 
könne nicht, ſprach er, von tapfern Eoldaten verlangen, 
daß fle mit den Händen im Schoohe figen, und ſich unge» 
ftraft verhöhnen laſen follten . 

So befamen fie denn Erlaubnig, wieder zu (hießen, 
und faum war diefe gegeben, fo warf von Birting von ſei⸗ 
ner Baftion, (dem aſtronomiſchen Thutme van Leuvens), 
zwei Bomben fo glůcklich, daß fie gerade in Die Yulverton« 
nen der zwei größten Schiffe fielen, und ſolche mit entfeße 


Die Yortugiefen. 121 


lichem Krall in die Luft ſprengten. Der Befehlshaber des 
dritten Schuffts. von paniſchem Schreden ergriffen, ließ glei) 
die Anker lichten, ſtach in die weite Ere, und der Krieg 
hatte ein Ende. 


Hierüber freuten ſich nun Die Felfenburger außeror- . 


dentlich Siegesfeſte wurden angerichtet, Eiegeslicder von 
vielen Zünglingen (nur nicht von Eberhard) gedihtet, alle un. 
bedeutende Variationen des wohlbefannten Themas. Bon Bir 
ting wurde darin ein Leonidas, cin Hermann genannt, der 
ihnen Selöftftändigfeit und Freiheit gerettet habe, er wurde 
mit Lorbern befränzt und unmäßig geehrt. Die Vernünf- 
tigen und Grfahrneren ſchwiegen, konnten aber diefen fals 
ſchen Enthufiesmus ih ihren Herzen nit tilligen; denn 
was hatte vom Birting eigentlid) geihan? Nichts weiter, als 
ein Paar mal glüdlih, als guter Ehüge, ins Schwarze 
getroffen. Das drüte Schiff war geflüchtet, konnte bald 
die Nacpricht nach Portugal bringen, und der mächtige auf 
gebrachte König würde gewiß dann alles aufbieten, um ſich 
zu räden. Dann wäre man nicht weiter als vorher. Doch 
daran dachte Die Jugend nicht. In ihrer Geſchichte war 
diefer Sieg der glänzendfte, well er der einzige war. Bon Bir- 
ting, vorher ftelz und hochfahrend, würde es jepl noch mehr; 
fein düfteres Weſen ſuchte ſich weniser zu verbergen, dech 
ſchmeichelte er der maͤnnlichen Jugend, und affectirte in ib⸗ 
vem Kreiſe ein erſtaunlich populäre Weſen. Ale feine Re⸗ 
den gingen darauf 106, dem jungen Volte zu beweifen, nur 
An der Zapferkeit beftche das wahre Verdienft, und dag 
alle bürgerlihen Einrichtungen im Frieden eigentlich nur 
die Menſchen erſchlafften und verdärhen. So fland der 
Inſel jept eine weit größere Gefahr bevor, eine Fehde in- 


[7 Die Hortugiefen. 


nerhalb der Felfen, wo feine Bafaltpfeiler länger Sie: 
ven und Eintracht gebieten konnten. 

Daß Eberhard den von Birting, der ihm nod oben. 
drein feine Braut rauben wollte, haßte, war natürlich. Er 
glaubte einen. zweiten Lemelic in ihm zu ſehen. Lemelie, 
fagte er zu Wolfgang, hat andy einft einen glüdlichen Schuß 
geiban, und rettete dadurch wirklih die Stammältern Die 
fee Gefhlehte; allein mas hat vom Birting gerettet? Gr 
wird noch auf der Infel Aufruhr machen, und fi der As 
leinherrſchaft bemeiftern. — Bei Gott! rief Wolfgang. das 
fol er nicht, fo lange Dies Herz fhlägt, — Eberhard drädte 
feine Hand, und fagte mehmürhig: Ich pflege auch font 
nicht den Kopf hängen zu laffen, allein jeßt liebe ih, Liebe 
unglüdiih. Der Dummbreifte hat aud das Herz des Ba- 
ters meiner Cordula erobert. Der Alte wird fein Wort 
reden, wird die Taube dem Beier vermäßlen. — Das 
foh er nicht, rief Wolfgang. I traue ihm idt nicht 
an, ſprach M. Schmelzer mehr als gewöhnlich eifrig; und 
Lißzberg. der auch zugegen und fehr Übler Laune war, rief: 
Das fümmt alles von dem Shafefvearlefen. Icht bilden 
fid) die Parteien, und werden fi bald, mie die weiße 
and rothe Roſe, aufreiben. Den Hamlet, der unter der 
Saft feines Schicſals feufzt, haben wir ſchon, umd Richard 
der Dritte wird aud nit mangeln. 


Innere Unruben. 13 


14. 


Innere Unruden. 





Es mangelte nicht viel’ daran, fo mar der Heine Bär- 
gerkrieg im irdifchen Paradiefe ſchon ausgebrochen. Bon Bir- 
ting hatte den ganzen Stamm Robert Hulters auf feiner 
Seite. Wolfgang und Eberhard Ientten die zweite größere 
Haͤlfte. Der Bindifche Altvater mar unwirkſam. Ligberg 
ärgerte fi), der Krieg war feine Sade nicht. Lademann, 
der im Anfange khöne Melodien zu den ſchlechten Kriege 
liedern gefeßt hatte, grämte ſich jept, weil alles eine fo 
ſchiefe Richtung nahm. Hanna Hellkraft wohnte wieder bei 
Eberhard. Sie hatte einen guten Einfall. der, fo tinfach 
er war, doch wichtigen Nuhen bringen fonnte. Sie bat 
Eberharden, dem Altvater zu satben, je cher je lieber bei 
Nacht die großen Ehähe aus den Kellern megbringen au 
laſſen, und in unbekannte Felſenhöhlen zu verwahren. 

Die Parteien entzweiten fi imfRer. mehr, und es war 
um fo gefäprlicher, weil alle Streitfähige während. des 
Bombardements Flinten und Degen befommen hatten, wo⸗ 
wit fie jegt noch bewaffnet einher gingen. Des Altvaters 
freundlicher Bitte: die Waffen miederzulegen und nad) Als 
bertsäurg zu bringen, wollte die Gegenpartei nicht gehor⸗ 
famen, und alfo mußten auch die Andern Waffen tragen. 
Heu kam, dag von Birting immer nod die Baſtion von 
feinen Anhängern befegen lieg, und von da aus Lonnte 
man Albertsburg bombardiren. 

EVbethard war untröklih, Robert Hulter hatte ganz 





14 Innere Unrupen. 


mit ihm gebrochen, die Verlobung feiner Tochter mit ihm 
aufgehoben, und fie, ohnerachtet ihrer Verzweiflung und 
Weigerung, dem von Birting zur Braut beftimmt. So war 
denn alles aufs Höchſte gefvannt. Wolfgang befeftigte 
Albertsburg fo gut, als es fi. in der Eile thun ließ. Er 
hatte aud eine Baſtion auf den hoben Zelfen, und da mar 
immer noch ein Zufluchtsort für den Altvater, wenn es zum 
Acugerften kommen follte. 
Wobrſcheinlich wäre aud die Fehde ausgebrochen, wenn 
nicht ein Tag dazwiſchen gekommen, den beide Parthien 
ſaͤmmilich verehrten und erft voräbergehen laſſen wollten: es 
wat des feligen Alberts Geburtstag. Freilich konnte das 
Feſt unter dieſen Berhältniffen nicht ordentlich gefeiert wer- 
den! Das fromme Gfodengeläute, Lademanns Orgel, Mar 
giſter Schmelzers ſchöne Predigt, vermochten nicht, die Ein- 
wohner in der Kirche brüderlih zu verfammeln, Allein 
eine große Stille herrſchte; ſelbſt auf den Stirnen der 
trogigften Jünglinge ſchwebte eine dunkle Wolke, das Herz 
Mopfte ihnen ſchwerer, und, die Unruhefifter ausgenom- 
men, litten fie alle vom böfen Gewiſſen. So gingen fie 
alle ſtill und in fi, Pekehrt zu Bette, und wagten Laum 
daran zu denken, was vielleicht Morgen geſchehen werde, 
Kaum lagen fie im erften Schlummer, fo wurden fie 
wieder von einem entfeßlichen Getdfe erwedt. Der Sturm 
heulte äser die Infel, als wolle er die Bafaltpfeiler ums 
blafen; der Regen gotß unaufbörlih herunter. Plötzlich 
börten Sturm und Regen auf, und die Luft war drüdend 
ſchwul. Die Eulen heulten im Walde, die Hunde wim⸗ 
merten in den Höfen. Ale Halbſchlafenden richteten ſich 
aͤngſtlich auf, und griffen nad) den Bettpfoften. Ein flar- 
. tes Erdbeben ließ ſich vernehmen, fo, daß Stühle und Ti, 


Innere Unruben. 135 


ſche in den Simmern umfielen, und viele Senfterfheiben zer» 
forangen. Plotzlich ertönte ein ungeheurer Knall, und die 
Felſenburger glaubten, in die ewige Nacht, in die uner- 
meßliche Tiefe des Meeres zu verſinken. 

In größter Angft erwarteten fie alle Augenblide neue 
Erdföge, allein die Natur ward wieder ganz ruhig. Die - 
Luft war nicht länger fhmwül, die Morgenkälte dagegen fo 
empfindlich, dag fie ſich unter den Bettdecken nicht warn 
balten konnten. Kaum glaubten fie ihren ‚eigenen Augen, 
als die Morgenrörhe wieder tiebfih und warm durchs Fen⸗ 
fter hereinfhien, und die Bögel drangen im Haine fangen. 

Iept eilte alles hinaus, mas Beine hatte. In den klei⸗ 
nen Höfen und Gärten fanden fie nichts zerflört, als fie 
aber ihre Augen auf die Felſen richteten, entdedten fie, zu 
ihrem größten Entfegen, daß ein großer Fels, (eben die 
‚Sternwarte, von Birting's gefährliche Baftion) in’s Meer 
hinaus geftürzt war, und eine große Deffnung binterkaffen, 
wodurd man das weite Meer fehen konnte. Der unterire 
diſche Flutweg war geſperrt morden; bei der Schleufe hatte _ 
ſich ein Feiner See gebildet, und das Waſſer ſuchte jetzt 
durch unzaͤhlige Spalten einen Weg in's Meer hinaus. 

So war denn, — fonderbar genug — in der Nacht, 
nach dem Geburtstage des feligen Allvaters, die äußere 
Eeloftftändigkeit der Infel aufgehoben, um eine innere, weit 
gefäbrlihere Spaltung zu verhüten, welches auch gefhab. 
Dem kaum ſah fi das Fleine Infelvolt der Willtür und 
dem Ucherfalle fremder Mächte bloßgeftellt, fo mar an fei- 
nen Zwieſpalt mehr zu denken. Es mar, als ob der Hoch · 
muth mit dem hochragenden Felſen ins Meer geſtürzt fei, 
als ob der Orkan alle fade Eitelteit von der Infelflähe 
meggeblafen hatte. So mohltöuend fünnen mitunter müs 


16 Innere Unruben. 


tbende Elemente auf die Menſchenſeelen wirken, wo mora- 
liſche Spanntraft ihre Stärke verloren bat, Niemand, 
ſelbſt der Vorurtheilsfreieſte, konnte fi) des Gedaukens ent 
fblagen, daß der felige Geiſt Alberts hier noch nad, feinem 
ode väterlih und mwohlthätig gewirkt hätte. Durch eine 
derbe Züchtigung hatte er feine Kinder von dem Frevel ge 
rettet. Und wie Adam und Gva aus dem Varadiefe ver- 
miefen wurden, weil fie Gottes Gebot nicht gchorfamten, 
fo geſchah es bier twieder. Die Sünde zog die Strafe nah 
ſich. die Felſenburger waren nicht länger in "ihrem Eden 
freie Herren der Natur, denen alles zu Gebote ftand! Bald 
würden fi fremde Herrſcher eindrängen, und in dem 
Schweiße ihres Angefihts mußten fie dann, wie andere 
Menſchen, iht Brot verdienen. 

Sogar von Birting fhien id) verändert zu haben, er 
ging nachdentlich umher, und war befpeidener geworden. 
Nodert, Cordulas Vater, war nic länger gegen Eberhard 
aufgebracht. Die Liebenden konnten fid mitunter wieder 
fehen und ſprechen, obſchon immer nur in des Vaters Ges 
genwart. Don den vorigen Etreitigfeiten war die Nede 
gar nicht mehr, und’ der Altvater ſchien durch diefe gewal⸗ 
tigen Vorfälle nachgiebiger und fanfter geworden zu fein. 
Zu feiner größten Freude Härte Eberhard kurz darauf, dag 
von Birting feinen Vorſatz, Cordula zu beirathen, aufgege- 
ben habe. — Ich will wicht mehr den unglüdlic ſeufzenden 
Schäfer ſpielen, hatte er gefagt, will aud auf diefer klei⸗ 
nen Imfel feine Feindſchaft anrichten. I Habe die Fel⸗ 
fenburger ein Mal gerettet, und werde es zum zweiten 
Male thun. Ih weiß. die Machthaber Hier verwahren 
große Schaͤte an heimlichen Dertern. Giebt man mir fo 
viel, dag ich mein verpfändetes Rittergut wieder Laufen 


Innere Unruben. 17 


kann, fo gehe ich für die Felſenburger nach England oder 
Holland, wie fie es wollen, und verlange Schug und Beir 
Hand. Dean ohne Schuß eines europäifhen Staates kaun 
ſich diefe Handvoll Leute bier nicht länger balten, und zehn 
Mal beſſer iſt es doc, den freien proteftantifhen Englän- 
dern oder Niederländern einverleibt zu werden, als unter 
dem eifernen Scpter eines katholiſchen Deſpoten zu feufzen. 

Das nannten alle gut und vernänftig gefproden: non 
Birting ſchien ein ganz anderer Menſch geworden zu fein. 
Ohnue Eifetſucht fah er Eberhard und Cordula zufammen, 
und 308 fogar oft den Bater mit ſich fort, damit die Lite 
benden ein wenig allein fein konnten, 

Nun geſchah es chen in den Tagen, daß ein däniiches 
Schiff, das im legten Sturme. feinen Anker verloren hatte, 
bei Kleinfelfenburg den Hafen ſuchen mußte; denn Gtoß⸗ 
felfenburg hatte befanntlich feinen. 

Map Hanfens gewaltiger Anfer lag noch troen in 
einer Selfentiuft aufbewaprt; von den Felfenburgern in den 
etſten Jahren mit unfäglider Mühe als ein Heiligthum da · 
bin gebracht. Den Noft hatte man abgefeilt, und das Ei 
fen dranf mit einem guten Firniſſe überzogen, um es fer⸗ 
mer gegen die Luft zu bewahren. Nadı einigen Beratt« 
ſchlagungen fand man, dag man den Notpleidenden dieſe 
Hülfe nicht verfagen könne, wenn auch der Anfer für die 
Einwohner etwas fehr Ehrmürdiges und beinabe Heiliges 
hatte, weil fie ihn, mie der felige Altwater -meiland, als 
eim Zeichen ihrer Hoffnung betrachteten, das fie nicht gern 
verlieren wellten. Lipberg wußte aber diefes Gefühl zu bes 
augen, indem er vorſchlug. von Birting auf demſelben Schiffe 
nach Europa zu fenden, um ihre Be,chäfte kald moͤglichſt 
abzumadın; nnd wenn er den Anker mit hätte, meinte 


138 Innere Unruhen. 


Lipderg, dann würde die Hoffnung nit frügen. Man 
könne ja immer den Anker einmal wieder bekommen. Es 
freute die Dänen fehr, mitten im Südmeere einen Kopen- 
hagener Anter wieder zu finden, und fie waren willig, den 
Major mit nad) Europa zu nehmen. Bon Birting batte 
auch gar nichts dagegen, ſchnell abzufahren, wollte aber 
erſt Cordulas und Eberbards Hodzeitsfeier abwarten, da 
wit die Liebenden fehen follten, mie ganz der legte Hauch 
von Groll aus feinem Herzen verſchwunden fei. Im Ratbe 
ward freilich die Frage aufgeworfen, ob es nicht vorfichti 
ger wäre, noch Iemanden mit dem Major von Birting 
nad Holland zu ſchiden? Man hatte nämlich Holland ge⸗ 
wählt; von den Holländern konnte man hoffen, als Brüder 
behandelt zu werden; die Engländer waren ſtolzer, machten 
grogen Unterfchied zwiſchen Engländern und Ausländern, 
umd nicht alle ihre Bundesverwandte konnten ſich rühmen, 
die Freiheiten Altenglands zu geniegen. Es war aber Nie 
mand, der Luft hatte, mitzugehen; die jungen Ghemänner 
wollten ihre Weiber nicht verlaffen, und Litzberg hatte feis 
nen Biderwillen gegen das Meer nur auf kurze Zeit bes 
ſchwichtigt. Man ließ alfo von Birting allein reifen, und 
gab ihm bedeutende Summen mit, (die aber den Schatz 
aur um ein geringes verkleinerten) um die Koſten zu ber 
ftreiten, die Gemäther zu gewinnen, und um ſich felbft in 
Europa ſtandesmaͤßig zu etabliren. 

Der Hochzeitstag war beflimmt, die fhöne Cordula 
hatte mit ihren Freundinnen in den Tagen vorher vollauf 
mit ihren Brauffleidern zu thun, und Eberhard fab fie 
nur wenig. Den Abend vor der Hochzeit ging von Birting 
zum Altvater, und fagte: es ginge ihm wie dem feligen 
Albert weiland, bei der Hochzeit van Leuvens und Gomcor- 


Armer Eberhard. 19 


diene. Die alte Liebe wache wieder auf, umd es wäre 
ihm unmöglich, dabei zugegen zu fein. Er wolle in aller 
Stile ohne. Abſchied ſich auf das Scif binaus begeben, 
das Flar zum Abfegeln da liege; Altvater möchte ihm nur 
einen Pag mitgeben, damit er feine Sachen an Bord brin- 
gen laffen könnte, und der Schiffskapitän fehe, daß er mit 
Urlaub der Regierung wegreife. Altvater, der fehr froh 
mar, den ibm widrigen Mann los zu werden, gab ihm 
aleich den Pag, und fo ſchifte er ſich beimlih iu aller Eile 
ein; der Anker wurde gelichtet, und das Schiff fegelte feir 
nes Beges, 


15. 
Armer Eberhard! 





Bie ſchildern wir Eherhards Verzweiflung, als er 
am Tage feiner beftimmten Hochzeit früh Morgens die 
ſchone Braut beſuchen wollte, und man ihm mit der Trauer- 
kunde entgegen kam: Robert Hulter fei mit fammt feiner 
Zobter von der Infel verſchwunden. Ein Schleier deite 
das Geheimnig. Wahrſcheinlich war Robert mit von Birting 
nach Europa gegangen. Allein, nie Hatte ſich die Tochter 
dazu bequemen können, ohne Lärm zu machen? Und wie 
hätte der ware dänifche Kapitän ſolches erlauben können 
— Der Arzt, Herr Gramer, glaubte aber auf die rechte 
Spur gekommen zu fein. Bor einiger Zeit hatte Nobert 

Oehlenſ. Schriften. XVIII. 9 


10 Armer Eberbard. 


"Hulter einen Schlaftrunk von ihm verlangt, einem Patien 
ten in feinen Haufe zu geben, der feinen Arm fo ſchlium 
gebrochen hatte, dag man eine Amputation fürchtete. Durch 
die Geſchiclichteit Gramers ward der Mann wieder herge- 
Melt; der Schlaftrunk blieb aber bei Nobert Halter ftchen: 
umd nun fand man das Glas leer in einem Senfter. Wahr⸗ 
ſcheinlich hatte man alfo der armen Cordula den Schlaf 
trunt gegeben, und mit dem Paſſe des Altvaters verfehen, 
fie ſchlafend in einer der großen Kiften aufs Schiff binaus 
gebragt. 


Bas war jet die ganze ſchoͤne Infel für Eberhard, 
ohne Cordula! Ein ddes Befängnig! Wie oft erfüllte er 
die Haine und Wälder mit feinen Klagen, wo fonft glüd- 
liche Liebe ihn heiter und froh gefehen. Die Blumen fhie- 
men ihm jegt cin bioßes Unkraut zu fein, eitle Pracht, we⸗ 
mit fi die Natur, wie ein altes Weib, vergeblich aus 
pußte, um feine Neigung zu gewinnen. Die Quellen mas 
ren ihm fangweilige Schwägerinnen, die immer daſſelbe 
alberne Zeug wieder plauderten. Das fhöne Wolkenſpiel 
Abends und Morgens deuchte ihm nur eine beigende Eas 
tire auf die Nichtigkeit des Menſchenglücs zu fein. Nur 
in recht ſchlechtem Wetter war er zufrieden; und der Sturm 
vermochte doch oft nicht feine brennenden Wangen zu fühe 
len, die im Sonnenfheine wieder ganz blaß ausfaben; der 
Wind fonnte ihm nicht die Thränen von den Wangen trod« 
nen, denn ex meinte fie eben fo ſchnell wieder. 


Abe Menſchen hatten ein inniges Mitleid mit dem ars 
men Eberhard. Hanna Hellkraft konnte ihn wit berufi- 
gen, Lipberg nit zerſtreuen. Wolfgang nicht erbeitern 
Schmelzer nit tröften. Nur mit Lademann ging er um, 


Armer Eberhard. 131 


der mußte Ihm ſchoͤne Melodien zu feinen ſchwermũthigen 
Liedern ſetzen. 

Das Haus, wo Rubert Hulter, oder richtiger die 
Stube, mo Cordula gewohnt Hatte, war jeßt Eberhards 
Aufenthalt. Cein Bett fand, wo das ihrige geftanden. 
In den Fenſterſcheiben fand er feinen Namen von ihrer 
Hand eingeſchnitten. Giniger ihrer Kleidungsftüde batte er 
fid Gemeiftert. Gine Haarloce verwahrte er in dem alten 
Sdrant, mit den Reliquien, die er von Albert Iulius ge- 
erdt batte. — Einige Briefe des Holden Mädchens, worin 
fie ihm ihre Liebe verfiherte, hatte er and; des Paares 
Schuhe nicht zu vergeffen, welches er ihr felbft in der Som- 
merlaube angepaßt hatte, und die jept noch fhöner waren, 
weil fid) die reizenden Formen ihrer Füße darin abgedrüdt 
hatten. 


Lißberg konnte die „Unmaͤnnlichteit Eherharde — wie 
er es nannfe — nicht leiden, Wolfgang dagegen, der jetzt 
olũclich mit feiner Sophia Iehte, hielt es mit Eberharden 
und rief ſcherzend: Lieber Litzbergl follte ic etwas „une 
männlidy" heißen, fo würde id lieber einem grämlihen Ha- 
geftolz, als einem ſchwaͤrmeriſchen Jünglinge, diefen Namen 
geben. Glaubt mir! märe Eberhard kein Mann, fo würde 
er gewiß über den Verluſt der fönen Cordula nicht fo 
heftig weinen. 


Kapitän Horns unerwartete Wiederkunft tröfete den 
sebeugten Iüngling etwas. Er batte erft nad drei Jah⸗ 
ren wieder kommen folen; zufälligermeife hatte er aber 
auf den azorifchen Infeln von der portugiefifhen Erpedition 
Nachricht erhalten, und cilte jeht ſchleunig nad der ber 
drängten Infel zurü, die er nicht wieder getannt hätte, fo 

9 


IR Armer Eberhard. 


fehr hätte fid ihr Ausfehen verändert, wenn ihm nicht 

Kleinfelfenburg als Leitfaden gedient hätte. 

Kaum lag das Schiff da, fo fühlte ſich Eberhard als ein 
ganz andrer Menſch. Behmuth, Trauer und Verzweife⸗ 
lung entfloben aus feinem Herzen; Hoffnung und Muth febrten 
wieder zuräd. Die gewaltige Begebenheit hatte ihn ploͤtz⸗ 
U) zum Manne gereift. — Bas ift mein Schmerz? rief 
er. Sie lebt noch, athmet noch für mid, liebt mid. Nie 
wird man fie dazu zwingen, den Böfesicht zu beirathen. 
Wäre fie todt, hätte das Fieber fie vor einigen Monaten 
binweggerafft — dann fände ich verzweifelungsvoll und 
händeringend an. ihrer Gruft. Oder, wäre id) an diefe 
Kippe gefeſſelt! Allein das Schiff liegt fegelfertig da. Wie 
ein mächtiger Hippogrypb, wie meine Wünſche ftarkbeflügelt, 
wird es mid ſchnell nach Europa bringen. Doc erſt, liebe 
Vettern und Verwandte! werde ih eure Sace in Holland 
betreiben. Denn es leidet feinen Zweifel, der Boͤſewicht 
bat ſich gegen Euch eben fo falſch als gegen mid, benom- 
men. Er kümmert fi wenig um Eure Wohlfahrt, und mit 
Eurem Golde bereihhert, eilt er nur, feine eignen nieder- 
trachtigen Wunſche zu befriedigen. Doc, ich werde ihn 
entdeden, ic werde ibn treffen, und er fol feinen Lohn 
von meiner Hand bekommen. 

Und fo folgen wir denn ſchnell unferm Freunde nach 
Europa, feine Braut ſuchend. 

\ Herr Martin folgte feinem Sehne na Europa. Nadh- 

dem er da feine Beredtſamkeit vergeblich erfhöpft batte, 

Eberbarden von dem tollen Borfage abfubringen, mit Le- 
bensgefahr ein Mäddyen wieder zu geminnen, während doch 

taufend andere da wären, die er ganz bequem beiralhen 
fönnte, trennten fie fi. 


Armer Eberbard. 133 


In Holland richtete Eberhard, als treuer Felſenbur⸗ 
ger, alles aus. Die Generalftaaten waren von dem Schid« 
fale der Infel nicht ganz unterrichtet; von Birting hatte 
ihnen geſchrieben: einige deutſche Familien auf einer Meinen 
Iafel, unweit von St. Helena, wärden von den Portugie- 
Ten bebroßet, und wänfhten von den Generalſtaaten in 
Schuß genommen zu werden. Das war alles, und damit 
glaubte der Major wahrſcheinlich die großen Reichthümer 
verdient zu haben, die er nad) Europa mitbrachte. 

Eberhard wendete ſich ſchuell und wirffam an die Aus 
toritäten. Es freuete die Regierung, dag eine Infel im 
Südmerre, von Bedeutung, fi an Holland fäliegen wolle. 
Shup und Beiſtand wurde ihr verſprochen; eine Meine 
Flotte ſollte ſoaleich abſegeln, um der Infel beisuichen. 
Die Felſenburger ſollten ihr Eigenthum, ihren Rath, ihren 
Altvater behalten, nur jährlich eine mäßige Abgabe ent- 
richten, um die nothwendigen Koften zu beftreiten. Auch 
eine Feſtung  follte auf Felſenburg angelegt werden, wo 
ein Kommandant eine boländifhe Beſahung !befehligen 
foßte. . - 


. 16. 
Das Haus im Walde. 





Es war ein fhöner Eommerabend; als ein junger 
hollaͤndiſcher Offizier auf feinem prächtigen Schimmel in 








134 Das Hans im Walde. . 


Dentfchland durch einen Bald ritt. Sein Bedienter hatte 
im naͤchſten Städtchen das Fieber bekommen; AUngedald, 
und Furcht entdedt zu werden, erlaubten aber nicht dem 
reifenden Kriegemann zu warten, bis der Bediente genefe. 
Er mußte, dag er hochſtens noch vier Meilen zu des rei⸗ 
chen Gutsbefigers fhönem Landſitze hätte. Um ſich aber in 
der felfigen Gegend nicht zu verirren, hatte er einen Bauer- 
jungen mitgenommen, der ihm cine Strecke Weges auf er 
nem Beinen Klepper folgte. 

Iept find wir beim Holzförfter, rief der Iunge, da 
halten fie aud Wirthehaus, da Fünnt Ihr übernachten. 
Der Mann ift wicht zu Haufe, die Frau ſiht aber da aus 
gen vor der Thüre und fpinnt; fie mag die jungen, reichen 
Offiziere gut leiden. — Damit zog der Burſch ſchelmiſch 
feine Mütze ad, und ritt.zurüd, denn der Holländer hatte 
ihm ein gutes Erinfgeld gegeben. 

Der Offizier fab vor fi Hin, umd entdedte ein recht 
ſchͤnes Hausen; das heißt, malerifch fhön, eben weil 
es in der Wirklichteit fo fehr verfallen mar. Denn eim 
neu gebautes Haus nimmt fi in einem Gemälde nur 
ſchlecht aus. Hier aber wuchs Gras auf dem Dade, fo 
dag gern eine Kuh da hätte weiden können. Der graue 
Kalt war an vielen Stellen von der Wand gefallen, und 
es zeigten ſich die dunkelrothen Mauerfteine. Ein wunder» 
licher Taubenſchlag, von geflochtenen Beiden, mit Lehm 
beftrichen, fand auf dem Dache. Daraus flogen die Tau⸗ 
ben, kreisten hoch in der Luft über dem Walde, und ihre 
weißen Flügel glänzten bald heil in der untergehenden 
Sonne, bald wurden fie vom Schatten verdunfelt. Im 
Teiche daneben ſchnatterten Enten und Gänfe- Der alte 
Hofpund, der wie ein abseſchliffener Koffer ausſah, beilte 


Das Haus im Balde. 135 


verdrietlich in feinem noch verfalineren Haufe. Gin dane- 
ben fichender Zaun, faul und ſchwarz, war halb herunter 
sefallen, mit Latten wieder zuſammengeſchlagen, und durch 
die vielen Löcher fah man in einen Garten hinein voll ver⸗ 
dorrter Fruchtbaͤume, nur einige Kohlſtrünke ftanden noch 
grün da, Die übergroßen Iohannis- und Stachelbeer⸗ 
Strãuche hatten lange aufgehört Früchte, ja fogar Blätter 
zu tragen, und trugen jcht nur gewaſchene Strümpfe und 
Hemden. Das Einzige nicht Verfallene in der naͤchſten Um- 
gebung — (denn rund umber blühete der Wald lieblich — 
wor die Wirthin ſelber, ein junges, tothhadiges Weib mit 
feuerrotyen Haaren und vielen. Sommerfleden, aber ſehr 
weiger Haut. Mit dem Noden fag fie draugen auf der 
Bank, und fpann, indem fie ein Volkslied dazu fang. 

Obſchon der Kopf des jungen Kriegers voll ernſter 
Gedanken war, fand er do die Holzförfterin huͤbſch, und 
den Kontraft ihrer Iugendbläthe zu der verfallenen. Unger 
bung allerliehft, " 

Sie fam ihm höflich entgegen, entfhuldigte, dag ihr 
Mann in der Stadt, und der Hausknecht im Felde fei, fie 
wolle ihm aber fon vom Pferde helfen und das Thier in 
den Stall führen, 

Im Herunterfteigen kam er ihrer Wange mit feinem 
Munde ziemlih nabe, und als chen ihr Halstud herunter 
fiel, grub er die Nafe in ihren Bufen, ohne ſich doch im 
mindeſten zu ftoßen, obſchon der Widerſtand ſtark genug 
war. . 

Der Nitter ließ ſich von nichts anfechten, fondern trat 
ernſt grawitätifc in die Stube binein und frug: ob er ein 
Abendeilen und ein Nachtlager haben künne? — Und das 
mag zum flärkiten Beweiſe dienen, dag feine Seele mit 


136 Das Haus im Balde. 


weit wichtigern Sachen befhäftigt war, fonft wäre er ge« 
wiß nicht gegen die Reize der Holzförfterin fo kalt geblie⸗ 
ben. — Dies ſchien fie ſelbſt zu fühlen; denn als fie noch 
einige mißlungene Verſuche gemacht hatte, den Gefühlloſen 
zu gewinnen, was ihn nur fälter und beinahe unböfuch 
machte, änderte fie pfögfih den Ton, ging mürriſch zur 
Etube hinaus, und murmelte zwiſchen den Zähnen: Ieht 
mögen fie meinetwegen mit ihm thun, was fie wollen. 

Der junge Dffigier fuchte fie wieder mit freundlichen 
Borten zu .befänftigen, und cs gelang ihm zum Theil 
Das tete A tete wurde aber geftört, denn vier wohl ges 
tleidete Bediente, nebft einem jungen Reitburſchen, traten 
in’s gemeinfhaftlihe Zimmer, wo zwei lange Tiſche mit 
Bänten fanden, und wo im Hintergrunde das Küchenfeuer 
angenehm die dunkle Halle erleuchtete, während ein Meines 

. Mädden an dem Spiege den Schöpfenbraten drebete, wo⸗ 
von fid jeder Gaſt bald ein gutes Stüd wünſchte. 

Der Offizier hatte fih am den Eleinen Tiſch gefeht; 
die Bedienten nahmen den größern ein, nachdem fie ihn 
ehrerbietig gegrüßt hatten. Wenn er es nicht merkte, war« 
fen fie verſiohlene Blide auf ihn. Erft ſprachen fie Teife 
unter fi, als aber der Wein die Zungen gelöft, ſchienen 
fie des vornehmen Herrn Gegenwart zu vergeflen, ſprachen 
Tauter, lachten und franfen. Der Ritter vernahm aus ib» 
rem Gelpräde, daß fie dem reihen Gutebefiger dienten, 
und dag er übermorgen feine Braut beirathen wolle. — 
Allein fie fol ſich ja fehr geſtraͤubt und geweint haben, 
fagte die Wirthin. — Hohl der Henker. die Weiber, ant⸗ 
wortete Beit, — um Vergebung, Frau Holzförſterin, mit 
Euch gilt es immer eine-Ausnahme; aber ich meine die 
Andern. Das ift ein leichtſinnig Volt. Die Gegenwart 


Das Haus im Balde. 137 


iſt ihnen alles! Ein entfernter Liebhaber umd ein todter, 
das gilt ihnen eine. 

Der fremde Offizier ſuchte feine Gemüthsbemegung bei 
diefen Worten beſtmoͤglichſt zu verbergen. Der Heine Reit 
bube ſaß im Winkel, und fah den Fremden unverwandt 
an. Der junge hatte etwas Auffallendes in feinem Ge⸗ 
ſichte; der Fremde follte ihn kennen, wußte aber nicht wo⸗ 
ber? Auf diefer Reife hatte er ihn gewiß nicht vorher ge 
fehen, und der Knabe fhien zu jung, um ein alter Be- 
tannter zu fein. 

Die* Bedienten ſprachen wieder heimlich unter ſich. 
Der Fremde ſtand auf und wollte zu Bette gehen. Der 
Reitbube putzte ihm das Licht, und raunte ihm heimlich in's 
Ohr: hun Sie ſchon mit der Wirthin, wenn Sie auf 
dem Zimmer allein mit ihr find, das wird Ihnen Geliebte 
und Leben reiten. Ich will fie zu rechter Zeit wieder her⸗ 
unter rufen. . 

Der Fremde wußte nit, was er zu diefen Worten 
denten follte. Das ehrliche Geſicht des Knaben, dem fonft 
die Verfhmiptpeit aus den Augen bligte, erwedte in ihm 
das Gefüpl der Ueberzeugung, eine ſolche Liſt fei hier noth⸗ 
mendig. As die Wirthin mit ihm nach einem entlegenen 
Zimmer im Erdgeſchohe gegangen war, das Liht auf den 
Tiſch gefeht hatte, und binging, um zu fehen, od das Belt 
gut gemacht fei, ſchlich er ſich binter fie, umfaßte ihren 
Leib mit feinem Arm, und bat fie mit bebender Stimme: 
Schöne Frau, gebt mir einen Kup. Die Holzförfterin 
ſchien verwundert, fle fühlte ſich auf eine angenehme Weiſe 
überrafcht, Lehrte ihm laͤchelnd das Geſicht zu und ſprach: 
Ei, Sie loſer Vogel! wie haben Sie doch in Anderer Ge⸗ 
genwart fo ehrbar thun Tönen? Damit faßte fie ihn in 


138 Das Haus im Balde. 


die Arme umd fügte iha herzlich. Dem armen Holländer 
ward dabei ganz elend zu Muthe; er fühlte fi ganz in 
der Berfaflung des feligen Joſephs mit der Frau Poti⸗ 
phars. ja noch ärger, weil er felbft das Spiel begonnen 
hatte. Gluͤcklicherweiſe rief der Reitbube zur Thür Hinein: 
Grau Holzförfterin, feid fo gut, und kommt herunter, die 
Gäfe wollen mehr Bein. haben. — Ei, zum Henter, kün- 
nen fie denn nicht einen Augenblick warten, rief die Tran 
verdrieglih, umd folgte dem Knaben, der nicht weggeben 
wollte, nadıdem fle dem Fremden zärtlich eine gute Nacht 
gewünſcht hatte. — Ich komme wieder, ſprach der Bube 
leiſe im Weggehen. 

Der Fremde legte ſich angelleidet auf's Bett, mit den 
Diftolen und den gezogenen Säbel vor ſich. — Bin ich in 
einer Mörderpöhle? dachte er. Haben fih die Banditen 
wie Lataien verkleidet? Wollen fie mid ermorden? Allein 
die Wirthin, den Buben habe ich auf meiner Seite. Ich 
Bann mod) gerettet werden. So nah am Ziele, werde ih 
nit in die Grube fallen. Ballen werde ih viellecht — 
übermorgen! aber hier nicht. 

So ſuchte er ſich ſelbſt Troſt einzufprehen; es erhei⸗ 
terte ihn aber nicht, eine Fallthüre im Fußboden iu ent- 
deden. Nob obendrein hatte er das Ungläd, fein Licht 
auszulöfhen, als er es puhen wollte. Freilich fdien der 
Mond hei genug durchs Fenſter hinein, und das tröflete 
ihn etwas. — So lag er ziemlich lange; er war fehr müde 
von der Reife, mitunter war er nahe daran, einzuſchlafen; 
die Furcht vor Ueberfah ſcheuchte aber den Schlaf von feir 
nen Augen wieder weg. So halb wachend, bald ſchlafend, 
wurde er von einer ſeltfamen Erſcheinung hoͤchſt erſchüttert. 
Er glaubte die Falltgüre im Fußboden geöffnet zu ſehen 


Das Haus im Bade. - 189 


und das Geſpenſt des Länoft gehentten Obadias Shlent 
ffiege herauf, im befannten weißen Kittel, mit der rothen 
Bandſchleife an der Bruft, und einer Laterne in der Hand. 

Der entfepte Fremde griff unmwilfährlih nah feinen 
Hirolen, und zielte auf die Erſcheinung. die aͤngſtlich bat: 
Um Gottes Wien, Here Eberbard Julius, drüden Cie 
nicht los! Ic bin der Reitbube, Ihr Freund und Befreier. 
Ich komme, eine alte Schuld abzufragen! Cie haben fih 
‚gegen meine Mutter, gegen meinen armen Vater fo menſch⸗ 
uͤch gezeigt, haben ihr Geld in der Noth, ihm erft das Le⸗ 
den gerettet, nachher ein chriſtliches Begräbnig gegeben, ale 
fie ihn nicht mehr retten konnten. Die Borfehung erlaubt 
mir nun, Sie wieder zu retten, und vieleicht zu Ihrer ſcho⸗ 
nen Braut, Fräulein Gordula, zu verhelfen. 

Du dif? — frug Eherhard verwundert. Der Heine 
Heinrich, Schlenk, vier Jahre Älter geworden, der auf dem 
Säyoge feiner Mutter lag, am Grabe feines Vaters, ale 
Sie am Kirchhof vorbei fuhren. Und Bier! Kennen Sie 
nicht den Kittel meines feligen Vaters und diefe rothe 
Siyleife, die er ih aus Ihrem Uhrbande gemacht? 

Jeht begriff Eberhard das Wunder. Der Knabe er- 
zählte ihm, wie ihn der Zufall in des Major von Birtinge 
Dienfte gebracht; wie er glei, als er den Namen Eber⸗ 
hard Julius nennen hörte, beſchloſſen babe, feiner Eltern 
Wohlthäter, wo möglidy, zu retten. Deshalb hatte er ſich 
in das Vertrauen des Majors von Birting eingefhlicen, 
der ihm gut leiden mochte, weil er ein raſcher, ſchlauer 
Burſche war, der ihm zu Vielem behülflich fein tonnte. — 
Die fhöne Cordula, erzählte Heinrich, fei noch Eherharden 
getreu und Hold, und weine oft in der Stille. Uebermor ⸗ 
gen wolle man ſie zwingen, dem Verhaßten ihre Hand zu 


"10 Das Haus im Balde. 


soeben. Da hatte aber von Birting Eberhards Ankunft 
ausgefpähet, und vier feiner Leute hinaus gefhidt. ihn bei 
der Nact zu fangen, und in’s Gefängniß zu werfen, bis 
die Hochzeit vorüber fei. Heinrich, habe ſich aber ausgebe- 
ten, mit zu geben. Die vier Bedienten. die gar nicht 
glaubten, dag Eberhard Verdacht ſchoͤpfe, eben weil fe 
fi) den Anftrih gaben, als ob fie gar nichts zu verheim⸗ 
lichen ſuchten, hatten ſich zur Ruhe gelegt, weil fie noch 
immer, bis zur Mitternacht, Wagen auf der Hrerfirage zu 
begegnen fürdteten, wodurch ihr Raub entdedt werden 
konnte. Um drei Uhr Morgens, wenn alles im tiefiten 
Schlafe läge, wollten fie aber auffteben, Eberhard im 
Bette greifen, knebeln und wegführen. Diefe Friſt mäfle 
er nun benüßen. Sein Pferd hatte Heinrich Teimlic ge 
fattelt, er könne durch's Zenfter hinausfteigen, umd iu 
Heinrige Mutter reiten, die in einer Kleinen Zelfenbütte, 
zwei Meilen von bier entfernt wohne. Heinrich wüfle zu 
räd bleiben, um keinen Verdacht zu erregen. Das Gane 
mäffe ausfehen, als ob Eberhard aus freien Stüden feloit 
die Flucht ergriffen habe. Nachher wolle Heinrih Eber⸗ 
I bei feiner Mutter aufſuchen, und ihm in Allem 
en. 


Das Honzeitsfeft. 14 


17. 
Das Hochzeitsfeſt. 





Es war wieder ein fhöner Abend. die Zuft lau und 
heiter. :- Die Gänge des großen Gartens waren wie ein 
Geſellſchaftszimmer fauber gekehrt. und die Heden glatt he 
fnitten; alles falbe Herbitlaub war aus dem Garten ger 
bracht. Der Gärtner hatte zu der Hochzeitsfeier forgfältig 
feine Späthlumen gepflegt, und neben den Aftern, Ranuns 
fein und Nefeden, blüheten noch häufig Leukoien und Gold» 
lad. Hinter den Treishausfenftern ftanden Nofentönfe in 
Reihen. Die vielen Springbrunnen, melde der vorige Bes 
figer nach franzöffher Art hatte einrichten laſſen, ſprangen 
alle mit ftarten Strahlen. Dies thaten fie taͤglich; Denn 
der Harz mit feinen Bergauellen in der Nähe; verfgrgte die 
Röhren mit reihliher Flut. Ueberall hörte man ein lieb⸗ 
liches Gefumme aus den Brüften der Dreaden, aus den " 
Münden der Delphine, aus den umgemälzten Krügen alter 
Fluggötter. Das Schloß war fhön erleuchtet. Die Ein« 
wohner der Gegend ftreiften im Garten herum, liebende 
Paare gingen Arm in Arm, und verfiohlene Liebe mußte 
fi auch zu finden. Aller Augen faben hinauf zu dem 
Bransyarent im großen Tenfter über der Hauptthure, wo 
bunte Bappenfcilder den Namen Hans von Birting 
und Eordula von Hulter in der Abenddämmerung 
loderten. Die Mondfihel land am.Himmel, hell genug, 
um eim angenehmes Licht zu gewähren, wo die Faden des 


142 Das Hochzeitsfeſt. 


Sdloſſes nicht hinreichten, fhmah genug, um das Zeuer- 
were nicht zu fören, welches der Herr Major feiner Braut 
zu Ehren. ‘und dem Volke zum Vergnügen, nad) der 
Trauung abbrennen laffen wollte. Bielmehr würde das 
fülle Himmelslicht in feiner ungeförten Ruhe einen ſchönen 
Gegenfag zum hoc auflodernden rothen Erdenfeuer machen, 
das ſich Über den Mond zu erheben mähnfe, indem es in 
feiner Nichtigkeit verſchwand. | 
Der einzige Menſch. der allein ging, war Eberhard. 
In den weiten blauen Mantel gehült, den Degen an der | 
Seite, erwartete er ungeduldig in einem entlegenen, dun⸗ 
fein Tarusgange feinen Feind, den ihm Heinrih Echient 
berunterfjiden wollte. Eberhard ſchlug im Mondſcheine 
feinen Mantel zurüd und ließ das bleihe Nachtlicht die 
goldnen Epauletten und das hübſche Degenband beſcheinen. 
— So war es mir doch zum Nutzen ſagte er, daß ich mich 
won den Generalſtaaten gleich zum Kapitän der Felſenbur⸗ 
giſchen Garatfon ernennen ließ; obſchon die Uniform mich 
nicht vor den Spaͤheraugen meines Gegners ſchüßte, wie 
ic gehofft hatte. Hier ſoll fie mir aber wirklich nüßen. 
Mit dem bürgerlihen Studenten ſchlüge fid) vermuthlic fo 
menig Herr von Birting als Herr von Sod. Kein Iederner 
Knopf darf aber heute die Bruſt eines Böfewichts beſchit 
men,- bei dem nicht Treue und Ehrlichkeit zu finden it. | 
Das Geſet kann mid hier nicht ſchähen. Nur mit dem | 
Degen fann ih mein armes Maͤdchen retten, oder ich wil 
ſelbſt ſterben. Gegen dieſen Zweilanwf würden weder 
Guſtar Adolph noch Albert Julius etwas einzuwenden haben. 
So mit ſich ſelber ſprechend ſah cr eine lange ſchwarze 
Geſtalt, durch den dunkeln Tarusgang auf ſich los kommen. 
Es war der Prediger im Ornate, mit weißgebuderter Pe⸗ 





Das Hoßzeitsfen. 143 


räde, das Baret mit einem Schnupftuche unter dem Arm, 
und ein Gebetbuch in der Hand. 

Eberhard, der gleich begriff, wohin der Prediger wollte, 
grüßte ihm höflich, frat ihm aber in den Weg. und bat ihn 
einen Yugenblid zu verweilen. — Nicht möglich, lieber 
Herr, antwortete der Paftor; ich habe fhon das Brautpaar 
eine Halbe Stunde auf mid warten laffen, weil id die 
üble Gewohnheit habe, mid immer erft im Ichten Augen 
blicke anzuziehen Da habe ic) ein Loch in meinen linken 
feidenen Strumpf geriffen, und während weine Frau das 
wieder ausbeflerte, ift mir die Zeit verlaufen. Der Bräu- 
tigam ift ungeduldig, und fönnte ‚cs mir leicht übel neh⸗ 
men, wenn ich ihn zu lange marten ließe; ich darf meinen 
Patron und Gönner nicht vor den Kopf ftogen. 

Sehnt ſich denn die Braut eben fo fehr? fragte Eber⸗ 
bard — ihn mit durchbohrendem Blide, und mit der Hand 
noch zurüdhaltend. — Sie ſcheinen etwas von den Fami⸗ 
lien · Ver haͤltniſſen zu kennen, ſprach der Pfarrer; wenn dem 
ſo iſt, fo wiſſen Sie wohl auch, dag ſich die Braut nach 
dem Tode ihres erſten Liebhabers getröftet bat; und obſchon 
fie den Major vor Birting nicht eigentlich licht, gehorfamt 
fie doch ihrem Vater, und reicht diefem Ehrenmanne heute 
ihre Hand, weil. er ohne fie nicht leben taun. — Alſo ift 
der vorige Liebhaber tedt? fragte Eberhard; da fagen Sie 

. mir etwas ganz Neucs. Freilich bin td, wie Sie fagen, in. 
die Familien Verhaͤltniſſe eingeweiht, aber das mußte ich 
noch nicht. — Mein Gott, rief der Prediger erfhroden, 
ie faſſen mich fo wild und ungenäm an. — Es follte 
doch wohl feine Nichtigkeit haben? Sie fehen mir ſelbſt 
aus, wie — wie das Gelvenft des vorigen Liebhabere? Ja, 
Bei Gott, das glaube ih gern, Gram, Echnfuht und Er- 


144, Das Hodzeitsfeh. 


bitterung haben meine Lebensgeifter ziemlich angegriffen; 
doch fühle ih noch Kraft genug, mid an einem Boͤſewicht 
au raͤchen. 

So will ih in Gottes Namen wieder nach Haufe ge- 
ben, fo ift für mid nichts hier zu thun — fagte der Pre 
diger bang. — Thun Cie das, ehrwürdiger Herr;. und 
danken Sie Gott, dag Sie mid, noch zu rechter Zeit auf 
diefem dunkeln entlegenen Wege trafen, ehe Sie, binters 
Licht geführt, ein heiliges Sakrament mißbrauchten. um 
einem lafterhaften Menſchen beisuftehen, und um ein armes 
unſchuldiges Madchen in Berzweifelung zu ſtürzen. — Das 
find Harte Worte — ſptach der Prediger — können Sie 
beweifen, was Sie fagen? Da kümmt der Herr Major 

. von Birting. — Sp entfernen Sie fih ſchnell, Herr Dar 
ftor, und Laffen Sie mic mit diefem Herrn allein. — Das 
will ih, fagte der Prediger furdtiam, Lehrte Eberharden 
den Rüden und eilte wieder nach Haufe. 

Mein Reitbube fagt mir, ein guter Freund wünſche 
mid in einer angelegenen Sache vor der Trauung voch zu 
ſprechen, fagte von Birting, Eberharden hoͤflich gräßend; 
ich habe Sie nicht warten laſſen wollen, mein Herr; ob⸗ 
ſchon, ic geſtehe, der Augenblick ift mir nicht der gele ⸗ 
genfte. — Der allergelegenfte — antiwortete Eberhard, ohne 
den Gruß zu erwiedern, ein Augmblid fpäter, wäre zu 
fpät geweſen. Fürchteſt Du Dich auch vor Gefpenftern, 
von Birting! — Ha, rief der Major, den Degen ziehend, 
ich fenne diefe Stimme. — Eberhard ftand ſchon zum Kame 
pfe bereit: Lügner, ‚Betrüger und Mädcenräuber, ſprach 
er, vertheidige Di! Einer von uns muß ſterben. — So 
fird denn Du. Elender! rief der Ritter, und ging in äu» 
Berfter Erbitterung auf ihn los. Allein Eberhard von der 


Das Leihenbegängnit. 145 


Befonnenheit und Stärke begeiftert, die edle Seelen in wid“ 
tigen Augenbliden nie verläßt, durchbohrte die Bruft feines 
Feindes, der zu Boden fiel, ohne einen Laut von ſich zu 
geben. 

Pfeilſchnell eilte Eberhard zum Garten hinaus, ſchwang 
fih auf fein Pferd, das an einen Baum gebunden ftand, 
und ritt in die Gebirge. Die Hütte, mo Heinrichs Mutter 
wohnte, fand er nicht, wurde aber von einer Koͤhlerfamilie 
gutherzig aufgenommen, die ibn gern zu verbergen ver- 
forad), als fie hörten, er fei ein fremder Offister, der im 
nothoedrungenen Ducl feinen Gegner erſtochen babe. 


18. 
Das Leihenbegängniß. 





Lange konnte Eberhard ſich fo nicht ruhig halten. 
- Vierzehn Tage nach jenem merkwürdigen Abend begab er 
ſich, als Köhler verkleidet, auf den Weg, um, mo möglich. 
feinen treuen Heinrich Schlent, oder wenigftens die Hätte 
feiner Mutter zu finden. Die Hütte fand er endlich, erfuhr 
aber leider, daß die Mutter mit ihrem Sohne aus dem 
Sande geflüchtet fei, weil man gegen fie, wegen des Mor- 
des des Major von Birting, Verdacht geihönfe habe. Ob⸗ 
ſchon Eberhard Hörte, daß man eifrig dem Mörder nady« 
ſuche, trieb ihm die Liebe doc dazu, fih in der Verkleidung 
mit Aug im Gefihte in den Schloßgarten ſpaͤt Abends 
wieder bineinzumagen, um, wo möglich, von Gordula Nadı« 
richt zu befommen. Er fand an dem Drte, wo er von 
Eehlenf. Echriften. XVII. 10 


146 Das Leihenbegängniß. 


Birting erſtochen hatte, ohne Gewiſſensbiſſe fühlte er doch 
ein heimliches Grauen, und ging weiter. Das Schloß fand 
in der Naht dunkelſchwarz da, wie ein großer Sarg, tie 
Springbrunnen brauften noch immer fort, fie (dienen ihm 
aber lauter Trauerlieder zu ſummen. Der dunfle Himmel 
mar von Eternem überfäet. Plöglih fah Eberhard wieder 
Facelſchein und hörte Mufil. Die Fackeln bewegten ſich 
langſam, und ein Trauerlied ward gefungen. Gr eilte in 
den dunfeln Tarusgang hinein. Das war eben der Weg 
zum Kirhhofe. Er trat ins Gebüfd, fein Herz klopfte 
laut. — Ber fann das fein, dachte er, Birting muß ja 
fon begraben fein. Vielleicht haben fie ihn einbalſamirt. 
und feiern jetzt feine Ereauien, 

Am verhängnigvollen Drte fepten die Leihenträger den 
Sarg nieder, um ein wenig auszuruhen. Eberhard ente 
dedte einen Iungfernfrang von meigen Nofen und Morten 
auf dem Earge; Gordulas Vater ging ihm am naͤchſten. 
Bei näherer Anſchauung fand der Jüngling, dag der Surg 
für eine Mannesleiche zu Hein fei. Im diefem Augenblide 
fin es ihm, als breitete fih cin dider Dampf von den 
Fackeln aus, der ihn ſchwindlich made, und er ſank ber 
wußtlos dahin. 

Als er fi) von feiner Ohnmacht erbolte, war es Dior 
gendämmerung und er lag in der Hede. Er lief nad) dem 
Kirhofe: auf dem frifhen Grabe ruhete der Iungfern- 
franz. Ein Zodtengräber batte auf dem Kirchbofe noch et⸗ 
was zu thun. — Wen Habt Ihr dort begraben? fragte 
Eberhard. — Das fhöne Fräulein Cordula von Hulter, 
war die Antwort. — Darf ic) bier einen Augenblid ver» 

weilen? fragte Eberhard wieder, mit Nerbender Stimme. — 
O ja! ſchlagt mus die Pforte hinter Euch au, wenn Ihr 


Das Leihendegängniß. 147 


weggeht, damit mir die Schulbuben nicht gleich die Blu⸗ 
wen vom Örabe wieder wegſtehlen. — Ic) wilk die Blur 
men büten, feufzte Eberhard, und der Todtengräber ging. 

Eine Stunde lag er troſtlos wimmernd auf dem Grabe; 
dann fand ihm der Todtengräber wieder zur Seite. — So 
weint fein Köhler, ſprach er; fo meint ein verkleideter 
Liehhaber. Allein Ihr dauert mid. Hütet Euch! man bat 
Euch hier eine Fallgrube gemacht. Man wird Euch ergrei⸗ 
fen, ins Gefängnig werfen und kurzen Prozeß mit Euch 
machen. Ihr Habt den Major ermordet. — Es find Zeur 
gen da; wahre oder falſche. Eure Behauptungen werden 
nicht geachtet, und auf dem Blutgerüſte müßt Ihr Euer Le» 
ben verlieren; denn des Getddteten Familie ift groß und 
maͤchtig in diefer Gegend. licht. während es nod Zeit ift, 
Den Tod Eurer Geliebten könnt Ihr überall beweinen. 

Nur der Schreden vor dem Hochgerichte, worauf die 
Raͤcher feines Feindes ihn leicht bringen konnten, vermochte 
Eberharden vom Grabe feiner Cordula zu verſcheuchen. Er 
verließ die Gegend, wuſch fi den Ruß, aber nicht die 
Blaͤſſe vom Gefihte, legte ein fauberes ſchlichtes dunfeles 
Kleid an, und irrte ohne Ziel umher. Mitunter verſuchte 
er in Gedichten feinen Schmerz auszufpreden, weil er kei⸗ 
nen Freundes ·Buſen hatte, worein er ihn ausſchütten konnte, 
Nad) einigen graͤßlichen Wochen verwandelte fid feine Vers 
aweifelung in mildere Wehmuth, und in diefer elegiſchen 
Stimmung machte er folgendes Lied: 


Adam hatte Ach verfündigt, aus dem Paradies getrieben, 
Doch noch fern in der Berbannung konnt’ er feine Eva tieben; 
Wr er'much auf Erden weilte, wo ihn hin Die Strofe wie 
Fond er, in Dem Arm der Siebe, wieder gieich ein Paradies. 

10° 





148 Das Leihenbegängnig. 


Doch, Diet Her, das bitte bintet, was hat es denn dort ver⸗ 
— brochen? J 
Barum daft, erürnter Micter! Du dad ſtrenge Fort geſprochen? 
Gern geh’ ıch in Die Berbannung, wäre nur die Eva da, 
Uber, mit dem Paradieſe ſchwand auch meine Cordula 


Nicht im Schweis des lngefichted wid ic in Der Erde wühlen, 
Eine Gruft nur will ich machen; die fol meine Flamme kühlen. 
Keine Blumen will ich pflanen auf den ‚Hügel, blau und Heil, 
Echön find fie, wie meine Freundin, und verweiten auch ſo ſchaeu. 


Jert, o Mond! jegt erſt verfteh' ich Deine bleiche Eehufuchts- 
wonne. 
Deine kalte Rachterſcheinung wechſelt mit der Freudenſonne. 
„Barum freut ſich Doch die Liebe, wenn du daͤmmerſt durch den Hain? 
Deine befte Augenweide iR der weiße Seichenflein. 


Wirt; und Arche nur fort, ühe Männer! doch thr folk mich nicht 
bedauern, 
Oaſcht nach Gold und Ehreafränien! ich will an dem Grabe trauern 
Eine Freud’ iR mir geblieben: Durch die duntie Wacht der Zeit 
Watt nir meine füße eiebe, als ein Stern der Eroigteit, 





19. 
Eberhard auf der Wartburg. 





Wenn uns eine liebe Menfceufeele verläßt, um nad) 
jenen uaſichtbaren Reichen zu gehen, findet Das betrübte 


Eberhard auf der Wartburg. 149 


Herz in der erſten Ehmerzenszeit feinen Troſt darin, eine 
Beile am Grabe des theuern Staubes zu verweilen. Es 
iſt uns, als liege der Schaß da verborgen, als mäßten wir 
ihn bewachen, als genieße der liebe Freund oder die Freun · 
din eines fanften Schlummers, und werde bald aufwachen, 
umfere Seufzer amd Kummerworte hören, umd wieder aufs 
ſteben, um uns zu tröften. Wenn aber nichts daraus wird, 
wenn mir ums vergeblich matt geweint, den geliebten Nas 
men vergebens gerufen haben, ohne Antwort zu bekommen, 
dann entdeden wir erſt mit Staunen, dag zwifhen Schlaf 
und Zod ein gewaltiger Unterſchled it, dann feben wir den 
Irrthum ein, daß wir bei einer Handvoll Staubes verweilt 
haben, woraus der Geiſt längft entflöben if, der die ger 
liebte Form Längft verlaffen bat. Dann verlaflen wir auch 
das Grab, und entweder kehren wir beruhigt zum Leben; 
zur Thätigfeit zuräd, oder in füge Schwärmereien verſun ⸗ 
fen, fuhen wir uns zu zerfireuen. Dann wird uns eben 
das Fremde lich, und bekommt etwas Heimathlidhes, weil 
der gelichte Gegenftand die Heimath verlaffen, und in die 
Sremde gegangen iſt. 

Bar cs Zufall, oder Liebe zum feligen Altvater Al 
bert, mit der Leidenſchaft für Gordula innig vereint, die 
unfern Eberhard kurz nad jenem Ungläd nad der Bart 
burg brachte? Gern verweilte er Bier einige Tage, ging 
den fteinernen Doblweg hinauf, wo Albert und Eberharde 
Stammvater Rudolf fo oft aufammen gegangen waren; 
fepte fih auf den fleinernen Block, mie fie, und ſchaute in 
die · Gegend hinaus. Der verfteinerte Mönch und die Nonne 
ſtanden noch da, und meigten fid gegen einander, Eberhard 
konnte auch flundenlang droben in Luthers Bimmer verwei⸗ 
len. Das war ihm ein gar zu lieber Aufenthalt. Der 


150 Eberbard auf der Wartburg. 


alte Tiſch von Eichenholz fand noch da, wo Luther, mo 
atbert und Rudolf fo oft gegefien. Das herrliche Bild 
ding an der Band, fo frifh und kraͤftig als ob es geftern 
gemalt fei. Im tiefen Gefühl verfunten, fand er eines 
Tages vor dem Bilde, als es plöglich vom Nagel herun ⸗ 
ter fi, und an der geſchwaärzten Band, mo das Bild ge 
bangen hatte, Tas er auf dem Kalt geſchrieben: Eber- 
bard! Deine Cordula lebt und liebt Di. 

Die Heftigfte Freude entzädte ihn bei diefen Worten ; 
allein ploͤßliche Angſt überfiel ihn wieder, weil er nicht 
mußte, mann dies geſchrieben fei. Gr kehrte fi zu dem 
alten Burgvogte, der immer zugegen war, und dem er für 
fein laͤſtiges Dabeifein bezahlen mußte. Eberhard verlangte 
mit Ungeftäm zu wiffen, wann ein fdpönes, ſchlankes deut 
ſches Madchen mit etwas fremder Ausſprache, mit griechi⸗ 
fer Naſe, großen, blauen Augen und blonden Haaren da 
gewefen? — Der alte Mann war aber nur mit dem Bilde 
beſchaͤftigt, das glüdlicherweife keinen Schaden gelitten hatte. 
Er mar fehr bäfe, und fagte: Das kümmt daber, wenn fo 
viele Fremde Erlaubnig bekommen, bier zu verweilen und 
zu wirthſchaften. Ih wollte, dag ih die Mamfell zu pat- 
Ten kriegen könnte, die ſich unterftanden hat, das Bild von 
der Wand zu heben, um Buchſtaben dahinter zu ragen. 
Dadurch iſt der Nagel lofe geworden. Und ich fehe nun, 
das Bild wäre entzwei gegangen? Ganz Deutſchiand könnte 
es nicht bezahlen; und ich alter Mann wäre um mein Brod 
gefommen. 

‚ Eberhard ſtarrte, von den verſchiedenſten Gefühlen 
durhdrungen, zum Fenſter hinaus, da entdeckte er in einer 
alten, gränen Senfterfcheibe wieder wit einem Diamantringe 
ganz Hein geſchrieben: Eberhard, Deine Cordula lebt. 


Eberhard auf der Wartburg. 151 


Alter, rief er, und faßte des Greifes Hand, — um 
Gottes Willen fage mir, — id will Dein Glück machen 
ih will Dir taufend Thaler geben, — wann, wann if 
fe bier gewefen? 

Mein lieber Herr, ſprach der Alte etwas freundlicher, 
— id merte wohl an allem, daß Sie ein glüclicher oder 
unglüdliher Liebhaber ad; denn dergleichen Leute vflegen 
fi) immer fo zu betragen, und große Worte, Eidſchwüre 
und Geldfummen im Munde -zu führen. Ein Studiofus 
aus Iena hat mir aber verſichert. Jupiter, wie der Herr 
Gott im Griechiſchen Heißt, höre ſolche Verſprecungen der 
Liebenden nicht, und fo mag es wohl mit den Geldverfpre- 
ungen diefelbe Bewandniß haben. "Sie fehen mir nicht 
darnach aus, viele taufend Thaler weggeben zu können, 
Und was follte ih alter Mann mit einer folden Summe. 
Wenn ich's wüßte, wollte ich es Ihnen herzlich gern gratis 
fagen. Id bin obnedem fhon gewohnt, mil jungen verlieh 
ten Leuten umzugehen, denn fie ſprechen gern bier oben bei 
mir ein, und leben von der Ausfiht, den alten Harniſchen, 
und den Erinnerungen der Vorzeit, während fih die An- 
dern, Unverlichten drunten in den Wirtbehäufern etwas zu 
Gute thun. IC kann Ionen aber nicht dienen. Alles, was 
von fünfzig Jahren ber geſcheben iſt, das kann ic Ihnen 
baartlein erzählen; ob aber ein Mädchen mit einer hübſchen 
Naſe bier vorgeftern oder vor einem balben Jahre geweſen 
iſt, das weiß ich nicht. Hier in Sachſen find viele hübſche 
Maͤdchen mit blauen Augen und blonden Haaren. Ich fehe . 
aber nit mehr darnach; denn was würde das mir altem 
Manne in meinen Jahren mehr beifen, nach den hübſchen 
Dienen zu ſchielen? 

Bas wollt Ihr für die Scheibe? fragte Eherhard. — 


152 Eberhatd auf der Wartburg. 


Weiche Scheibe? — Die Heine, gräme, mit Blei eingefagte 
Fenſterſcheibe da? — Sie gebört der Burg, mein Herr, fie 
fipt da von Luthers Zeiten ber, die darf ic Ionen nicht 
verfaufen. Hier in diefem Zimmer ift Alles heilig. — So⸗ 
gar den Fleck da, wo der felige Doktor tm billigen Zorne 
mit dem Dintenfaffe nach dem Zeufel ſchmiß. bewahren wir 
als ein Heiligthum — und frifgen iyn alle Jahre wieder 
auf, damit die ſchwarze Farbe nicht gar zu fehr verbleiche. 
— 3 gebe Euch zwel Goldftüde für diefe Scheibe. — 
Haben Sie das Geld bei id? — Da! — Bie wollen Sie 
aber die Scheibe heraus Eriegen, - ohne das Fenfter zu zer⸗ 
brechen? Bir mällen den Glafer von Eifenah kommen 
laffen; und das geht nit. Dann fhwapt der Erumund, 
ich alter Mann verkaufe Die Feufterfheiben der Burg an 
fremde Neifende, und wie ſoll ih dann meine Unſchuld bes 
weifen? — Iq babe ſelbſt einen Diamantring, Alter! ich 
wii das Stüd herausſchneiden. — Das geht! Dann kann 
ich fagen, der Starm habe die Fenſterſcheibe entzwei gebla- 
fen, und fo bewahre ih alter Mann meinen guten Ruf 
unbefcolten. . 

Eberhard ſchnitt bebend das Meine Ctüd Glas heraus. 
Drunten bei der Burgvogtin ſuchte er mehr zu erfahren, 
denn der kindiſche Greis konnte ihm gar nichts fagen. Wie 
beträbt ward aber Cherhard, als die Burgvogtin ſich ſeht 
genau erinnerte, vor einem "halben Jahre eben ein ſel⸗ 
des Maͤdchen bier gefehen zu haben, wie Eberhard Cor 
dula beſchrieb. Die Beſchreibung des Vaters papte ganz 
auf Robert Hulter, auch von Birting mar mit geweſen 

Ab, wie konnte das andy anders fein, rief der Un« 
glüdlihe, als er wieder allein war. Cie if ja todt und 
begraben! Wohin hat mid meine gereizte Phantafie verirrt? 


Die Spielleute. “ 153 


Er ließ das Glasnäd in Silber einfaflen, mit Bril- 
lanten, und trug es in einer Kapfel von Goldblech an einer 
goldenen Kette dangend, bei ſich als feinen beflen Schap. 

Ad Du füge, liche Cordula, rief er, mie drüdt ſich 
ned) in diefen lehten Zeilen Deine fhäcterne Maͤdchenſchen 
aus, im Kampf mit Deiner feurigen Liebe. „Eberhard, 
Deine Eordula lebt und liebt Di.” — Das wagte fie nur 
der Verborgenbeit anzuvertrauen. Dies Geheimnig mußte 
der Schatten des feligen Luthers vor profanen Augen be 
wahren. -Alein es follte doch nicht ganz verborgen bleiben. 
Vielleicht kommt er doch einmal ber, dachte fie, wird die 
orte Iefen, und ſich darüber freuen. Dann ſchrieb fie mit 
dem Ninge, den ich ihr gegeben babe, ganz Bein: Eber⸗ 
hard, Deine Cordula Seht; wagte aber nicht, „und liebt 
Dich“ hinzu zu ſehen. Es liegt ja aber fhon in „Deir 
ner Gordula!” 


20. 
Die Spielleute 





Im wehmüthigen Schmwärmereien ftreifte er jept umher 
als Spielmann mit einer Laute; und es zerftreute ihm, mite 
unter bei Hochzeiten, Kindtaufen, Bällen und Mahlzeiten 
für die Leute zu ſpielen und fingen. 

Da Eberhard reich war, fo fehte er ſich nicht der Ge⸗ 
fahr ans, von dummen Hochmuthe beleidigt zu werden. 
Ale merkten wohl, dag es ihm nicht um Geld zu thun war. 


154 Die Spielteute. 


So war er, ohne «6 felbft zu willen, in die Gegend 
von Leinzig bingerathen, wo fein Bater jept wohnte, umd 
er wünſchte den Alten einmal wieder zu fehen. Mit ibm 
ſprechen, dazu hatte Eberhard aber feine Luft. weil er 

mußte, daß eine. vernünftige, herzliche AUnterredung mit 
Herrn Martin unmoͤglich war. 

Im Wirthehaufe, unweit der Stadt, traf er auf einen 
Haufen herumziehender muficirender Bergleute, in ſchwarzen 
Kitteln, mit ledernen Schurzfelen um die Lenden. Diefe 
Menſchen gefieten ihm, fie fpielten gut, und — mas er ber 
fonders leiden mochte — and im Marfhe brauchten fie 
Bapgeigen und Bioline, nicht nur Blasinftrumente. Die 
bloßen. Blasinftrumente, fagte Eberhard, gehören dem Krieg 
an, miht dem Srieden. Der fanfte Eindrud der Muft 
entfteht erft, wenn ſich Hörner, Oboen, Klarinetten und 
Fagotten mit Saitenfpick und Geigen freundlich vereinigen. 

Die Bergleute waren ganz feiner Meinung, er trat 
tirte fie im Wirthsbauſe, und fie mußten ihm zum Dante 
das alte Lied vom großen Bergbau der Welt vorfingen, 
meldyes fo anfängt: 


„Muf! richtet Augen, Her und Sinn 
Zu ienen blauen Bergen bin, 
Da Gott, der Berghere, thronetl 


Eberhard freuete ſich fehr dieſes Liedes. Das mar 
eben fo. herrlich in alten Tagen — fagte er — daß die 
Handwwerke ſich durch Gottesfurcht zur Kunft auffangen. 
Es bat mic immer gerührt, daß ein ganzes Menſchenge ⸗ 
ſchlecht aus Liebe zur Arbeit, aus Treue am Gefkäft it 
rer Väter, auf das bimmlifge Liht der Sonne Werzicht 


Die Spielleute. 155 


thuend, in den traurigen Tiefen der Erde mohnen, und 
mit abgebleihten Wangen und gelben Antligen nur Sonn“ 
tags friſche Luft ſchöpfen mag, wenn das Glodengeläute 
zur Kirche ruft. Ked arbeiten fie fih drunten dem frühen 
Tode entgegen, wo die Unvermüftithteit der Erze und 
Steine einen tragiſchen Gegenfap zu ihrem kraͤnklichen Da- 
binwelten macht. Fürwahr, id kann ein folhes Leben we⸗ 
der bewundern noch beneiden; poetiſch und. rührend ift es 
aber, wie jede freiwillige Aufopferung für Andre rührend 
iſt. Idt ſeht mir aber fo friſch und gefund aus, lieben 
Leufe! auf Euch hat die ſchlechte Luft der Gruben feinen 
ſchaͤdlichen Einfluß gehabt. 

Der Vorfteher antwortete laͤchelnd: Das kümmt daher, 
lieber Herr, weil wir nie in den Gruben gewefen find. — 
Wie denn? Seid Ihr feine Bergleute? — Bir ind Spiel 
leute, die fi) oft bei den Bergicuten im Harze aufgehalten 
haben, ihre Lieder und ihren Vortrag gelernt, und jept 
ziehen wir herum und fingen .Berg- und Xhallieder, wie ee. 


ſich trifft, in diefen Kleidern, weil cs uns mehr Vortbeil , 


dringt, als wenn wir wie alltägliche Muſikanten daher für 
men. Es geht den meiften Suhörern, wie Ihnen, mein gu⸗ 
ter Freund! Sie werben über uns gerührt, und wollen un. 
fern Zuſtand erleichtern. Und wir künnen es nöthig haben, 
denn wir find alle arıme Teufel, wie die Bergleute. Das 
ſteht uns aber nicht auf der Stirne geſchrieben; fobald wir 
aber das Schurzfel binten anlegen, machen wir die Leute 
weich um's Herz, So bekommen wir immer neue Kunden, 
und jetzt find wir zum Beiſpiel nach Leipzig binbeftellt, um 
bei dem reihen Baron, Herm von Lörenmähne, in großer 
Abendgeſellſchaft zu fingen und zu. geigen. 

Eberhard, der erft ein wenig böfe auf den Spielmamm 


156 Die Spielleute. 


werden wollte, weil er ihn hintere Licht geführt Hatte, und 
nun obendrein fpettete, ließ bei diefer Nachricht feinen Un 
willen fahren. Diefe Gelegenbeit ſchien ihm die allerbefe, 
um Herrn Martin wieder zu fehen, ohne von ihm erfannt 
zu werden. Es leidet feinen Zweifel, dachte er, daß mein 
Bater, der im Leipzig ein großes Haus macht, und ale 
Vornehme der Gegend einladet, auch au diefer Abendgefell- 
ſchaft des Herrn von Löwenmaͤhne eingeladen ift. 

Nun — ſprach er wieder heiter zu den Spieleuten — 
dae ift ganz Flug von Euch, und ic könnte wohl ſelbſt 
Luft bekommen. als verfleideter Bergmann mitzugehen, und 
Euch mit meiner Kaute beizuſtehen. Nicht des Geldes we- 
gen; denn id) bin nicht arm. wie Ihr (dom bemerkt habt; 
allein, ich bin ein wunderlicher Kauz. und mörhte gern eine 
mal zum Spaß, incognito, die ganze Masterade mitma- 
hen. — Das kann gern geſchehen, mein lieber Herr, ſprach 
der Spielmann; wir führen immer ein Paar Bergmanns 
traten noch mit, um, wenn es Noth thut, antommende 
Gehülfen damit zu verfehen. — So will ih auch beute 
Abend Bergmann fein, tief Eberhard aus, beim reihen 
Baron von Löwenmäbne ſpielen, ja vieleicht gar ein Lied 
fingen. — Ei, das ift fhön, antwortete der Spielmann; 
das wird unfer Concert noch angenehmer madıen. 

In Leipzig kamen fie zu einem großen Palafe, der fehr 
ausgebaut und verändert feinmußte, denn Eberhard kannte 
das Gebäude gar nicht wieder. Der Thorweg ftand offen, 
von zwei großen Laternen erheit. Es fehlte nicht viel, dag 
die Loftbaren Teppiche der Treppe aufs Eteiupflafter bin, 
ausreichten. Ein Schweizer ftand da in Livree, mit Treſ⸗ 
fenhut, und auf feinem ſpaniſchen Robre glängte ein großer 
Alderner Anepf. Die Bergleate mußten erſt ſorgfaͤltig ibre 


Die Spielleute, 157 


Füge abwiſchen, che fie Erlaubnig bekamen, den Tevpich 
zu betreten. Dann ftiegen fie hinauf, wo ein feiner Wohl⸗ 
geruc von Rauchwerk und Hyazinthen ihnen begegnete. Im 
Berzimmer mußten fie fi mit ihren Jaftramenten in Rei⸗ 
ben ſtellen, und bier hatte Eberhard Gelegenheit, aRe vor⸗ 
beigehenden HerrfYaften in Augenſchein zu nehmen, indem 
fie ſich in den, von Wachokerzen fchön erleuchteten, geſchmac⸗ 
voll decorirten Saal binein begaben. 

Es war eine Männergefelfhaft, und Eherhard kannte 
Niemanden. Es war der ganze Adel der Gegend. Gine 
‚geroiffe vornehme berablaflende Miene ruhete auf den mei- 
sten Grfihtern. Einige alte Herren in grünen Iagdröden 
mit birſchledernen Heofen und in Stiefeln fahen raub und 
gutherzig genug aus. Der Schweizer hatte ſich nicht un⸗ 
terftanden, ihre großen Hunde megzujagen, fie tiefen auch 
mit hinein, und befhmußten einigen Stupern die feidenen 
Strümpfe. Die Befudelten wagten nicht laut zu flagen, 
nur wurde bie und da etwas zwiſchen den Bähnen, ven 
ungebobelten Zandjuntern gemurmelt. 

Ic werde meinen Bater in diefer Geſellſchaft nit au 
eben befommen, dachte Eberhard, als eben die Etſcheinung 
zweier wohlbefannter Masten ihm wieder Hoffnung gab. 
Bir nennen fie Masten, denn ihre Caricaturgeſichter fahen 
wirklich fo aus, als ob es Männer mit Larven feien, die 
auf die Redoute gehen wollten. Es waren der Profeſſor 
ESqwefelties und der Kaufmann Nierenftein; der Erfte dob⸗ 
pelt fo mager, der Lehtere doppelt fo fett, als fie Eder- 
bard vor Jahren gefehen hatte, Schwefeities fat mahrdaf- 
tig jept ganz fo aus, wie ein Stüd gelber Schwefel; und 
Nierenftein follte billig jeßt Rierenffül heigen, denn große 
Fettmaſſen hingen ihm glänzend und blühend ums feilte 


158 Die Spielleute. 


Geſicht, und hatten beinahe ale menſchliche Züge daraus 
verwiſcht. 

Dies komiſche Paar hielt ſich feſt an, und lehnte ſich 
au einander, um beim Hineintreten aus Verlegenbeit und 
Biödigkeit nicht umzufallen. Rechts und inte machten fie 
bäuerifdhe Komplimente, die nicht ſonderlich erwiedert wur» 
den, und fliegen ſich dabei bald mit den Beinen, weil fie 
einander in der Noth nicht verlaffen wollten; wobei ſich 
denn die jungen Laffen des lauten Lachens kaum enthalten 
konnten, und das Kichern fein Ende hatte. 

Bas follen diefe Bürger in unferm Cercle? hörte Eber- 
bard einen nicht weit Entfernten einen Andern fragen. — 
Bergefien Sie denn, mon cher, antwortete der Gefragte, 
dag unſer Wirih ſelbſt ein bourgeois gentilkomme ift? 
Aus der gepuderten Loͤwenmaͤhne feiner Perüde teten die 
bürgerlichen Eſelsobren nod weit heraus; er mag fo vors 
nehm thun, wie er wil. Es iſt ja billig. daß Monsieur 
Jourdein aud) feinen Maitre de Philosophie habe; und 
diefen Poſten beileivet Profeſſor Schwefellies. Uebrigens 
iſt dieſer Mann ſehr fubwig ‚und beſcheiden, und manquirt 
mie, Leuten von Stande die ſchuldige Ehrfurcht zu zollen. 
Er iſt din ſehr guter Poet, uud erſtaunlich gelehrt. Auch 
der franzöfifche duldet ja mitunter Dichter und Gelehrte 
bei fi), in feinen parties fines. Wenn er etwas getrun- 
len hat, macht er auch zugleich den Hofnarren. Alfo mag 
er immer tafelfäbig fein, befonders in einer Männergefell- 
(daft, wo fogar Hunden der Zutritt erlaubt iſt. Mit dem 
Kaufnanne hat es eine andre Bewandniß: er ift augeror- 
dentlich reich; die Meiſten von uns Achen in feinem Schuld- 
buche. und Sie wien: Dorante muß dem Jourdain immer 
die Cour machen, um noch mehr Geld zu bekommen. 


Die Spielleute. 159 


Im dieſem Augenblide Lam der Wirth den Redenden 
ſehr leutſelig entgegen. Aber wie erfhrat Eherhard, als 
er in dem Wirthe feinen eigenen Vater Herrn Martin Ju⸗ 
lius entdedte; der, während der Sohn umheritreifte, eine 
verlorene Braut beweinend, fid bier einen großen Palaft 
aekauft hatte, und ſich baronifiren laſſen. 


Alſo bin ich obendrein, damit mein Unglück vollkom⸗ 
men werde, ein für Geld neugebadener Baron von Lünen 
mähne geworden? dachte der arme Iüngling, kratzte ſich 
weinerlich hinterm Ohr, und verktoch fih, damit ihn fein 
Vater nicht entdecke. Diefer war aber viel zu fehr mit ſei⸗ 
nen vornehmen Gäften befcäftigt, als dag er auf einen 
armen Spielmann Achtung bäfte geben follen. Es dauerte 
nicht lange, fo ging die Geſellſchaft zu Tiſch. Die Spiel- 
leute mußten ſich auf eine Gallerie begeben, und von diefer 
Anhöhe konnte nun Eberhard die ganze Tiſchgenoſſenſchaft 
überfhauen, und feine Betrachtungen anftellen. Oben an 
ſaßen die alten Jagdherren; um fie herum liefen die Hunde 
umd die Bedienten. Der Baron von Lowenmaͤhne war ein 
trefflicher Wirth, bewegte ſich wie ein Planet um die Sonne 
feiner Gefehfaft, und wußte jedem Gaſte etwas Berbinds 
liches au fagen, welches doc vermuthlich meiſtens darauf 
binauslief, daß er ihnen zärtlige Vorwürfe machte, weil 
fie nit genug tranfen. Die Meiften zeigten aber mit dem 
Finger auf die Bouteillen, um mit der Ebbe der Flaſche 
ihre Unſchuld zu beweifen, worapf der Herr Baron mit 
vergnägtem Kopfniden weiter ging. — Unten am Tiſche 
fagen-die Plebejer Nierenftein und. Schwefellies,: wie tri- 
buni plebis an der Thürfhwelle im Senate. Dieſe bier 
batten aber fein Veto, und würden es vermuthlic auch 


160 Die Spielleute. 


nicht gebraucht Haben, denn fie bejahten alles Befagte und 
Gerufene, mit großen Verbeugungen. 

Ohnerachtet feines tiefen Kummers und feiner Unzu⸗ 
friedenpeit, mußte Eberhard doch Über die zwei großen Pup- 
den Herzlich laden, die ihm auch in diefer Stellung fehr 
Waracteriſtiſch vorfamen, obſchon er nur ihre Kehrſeite fab, 
mo ſchon Jeder feinen Haarbeutel bekommen hatte. 

Erſt, während ned) die Flaſchen fo ziemlich gefühlt da 
ſtanden, ging alles fehr ſteif und gravitätiih zu. Ein Lied 
des Herrn Profelor Schwefellies wurde von einem ſchelmi⸗ 
fen jungen Laufer auf flbernem Teller berumpräfentirt. 
Das Lied wurde fehr langſam pathetiſch, faſt wie ein 
Trauerlied, gefungen, und enthielt cin Lob des Adels, als 
Stäge des Throas. und als Repräfentant der edleren 
Menſchheit. — Nachher wurden die Lieder immer Iufiger, 
mie mehr getrunken wurde; und Bachus, der vom Haufe 
aus ein Liberaler iſt, obſchon ein Prinz vom Geblüt, dir 
nete die Herzen immer mehr; die Steifbelt und das Bor- 
nehmthun verſchwand; fie fühlten jeht, dag ſie alle Becher 
waren, die eben gut betrumfen werden Tonnten, und Pro- 
feſſor Shwefelties fing jetzt an als witzigſter Kopf in der 
Geſellſchaft, au glänzen und eine große Rolle zu ſpielen. 
Er wurde dazu aufgefordert, Iumpromtus zu machen; und 
ſchon ſah Eberhard ihm einen Teller über'm Licht ſchwär⸗ 
zen, und eine Gabel als Griffel greifen, als plöhlich die 
lange Manſchette des Vrofeſſors zu brennen anfing, weil 
er etwas umworfihtig mit dem gefährlihen Elemente um« 
ging, als er, wie Yrometbens, den göttlihen Funken vom 
Himmel herunter holen wollte. Der Nachbar des Dichters, 
ein junger Offizier, griff nad einer Waſſerkarafe und fing 
an, das Feuer zu loſchen, und den armen Poeten mit fal- 


Die Epielleute 161 


tem Baffer zu begießen. SHierüber erſcholl ein unmäßiges 
Gelaͤchter, das den Dichter verflimmte; mit dem irdifchen 
Teuer war auch feine poetiſche Flamme gelöfht, und er 
konnte nichts mehr machen. 

Nun mußten die Bergleute ſpielen und fingen. Die 
Neige kam aud an Eberhard, und unmuthig wie er war, 
wagte er folgendes Lied: 


@tühlih, wer Ni} an_dem Tiſch 
Unter fröflichen Gefellen 
Heiter, tec und ingenbfeifch 
Sabet an den Bedenöqueilen. 
Bein im Giaſe, 
Ealı im Eyaße, 
Wohlgenuß im vollm Mate! 


Zrinft, Ipe Yeüder! trintt und flingt, 
Denft nicht an der Undern Kutmer, 

So die volle Mebe winft 

Wiegt fie Euch in füßen Schtummer. . 
Laßt Phantaften 

Nimmer vaften, 

Mit Betrübnig fich belaften. 


Sar zu geämlich (Meint der Mond, 

. Wir ermälen und Die Sonne; 

So in Sqanen Bacınd Nest 
. Eprndeit unfer beae Bone. 
iebeszunder 
Wird jegunder 
Ungefachet Dusch Burgunder. 
Sehlenf, Schriften. xviii. 1 


162 


Die Spielleute, 


Wider feufien weol'n wie nicht, 
Soßen ‚und nicht wunteriochen. 
‚Hält er nicht, was er verfneicht, 
Eo wird Amors Pfeil aerbeochen. 
Hat die Braune 
Tore Saune, a 
So verlafien wir die Braune. 


IR Die Blonde Aolz und Hart, 
BL fie nicht den Kut verflatten? 
Das if nicht in unfeer Met, 
Sednſucht fol und nicht ermatten. 
Nichts von henten! “ 
Freude fchenten 
Andre bald, die beher Denten. 





Ardiſch aur ift dieſe Belt, 
Was is Geiſtes ⸗ Heriendgröße? 
Mlte Wappen, altes Geld, 

Die bededen wufre Blöße, 
Feigenblätter, . 
Ehrenretter, 5 
Rad) des Cherube Donnermeiter. 


Seitt und auch der Scbendbaum, 
Sou er nicht mehr lang begläcten, 
IM das Leben nur ein Traum, — 
Geis! ein Traum kann auch entiüden. 
‚Saft und laden, 
Bis wir wachen 
Eenſter einft in Charons Rachen. 





Die Spielleute. 163 


Die Gäfte, die ſchon viel getrunken hatten, “und nicht 
fonderlid auf die Worte Achtung gaben, merkten nicht die 
Ironie dee Liedes, nahmen alles für baare Münze, und 
den Inhalt für die gewöhnliche Philofopbie der Trinklieder. 
— As Eberhard gefungen hatte, fand er auf und wollte 
feines Weges gehen. Drunten im Thorwege aber, bat ihn 
der Schweizer in’s oberſte Stockwert hinauf zu gehen. in 
des- jungen Läufers Zimmer, der ihn germ zu ſprechen 
wünſchte, und ihm etwas Angenehmes zu fagen habe. — 
Bir haben fon diefen jungen Menſchen erwähnt, den 
Eberhard au kennen glaubte; weil ihm aber die Laufer- 
müße fo tief ins Geſicht gedrüdt mar, und er ihm meiſtens 
den Rüden gekehrt hatte, mußte er nicht, wo er ihn hin- 
bringen folte. 

Gr ging hinauf, wo ihn der Schweizer hingewieſen 
batte, und befand ſich auf einem langen fAmalen Gange, 
von einer einzigen Laterne ſchwach erleuchtet. Kaum war 
er da, fo fiel ihm das Abenteuer des Altvaters und der 
ſchönen Tabuletträmerin ein. Der Gang fah ehenfo aus; - 

" Die Laterne brannte chen fo trübe, wie es der felige Albert 
beſchrieben hatte, — Gott im Himmel, dachte Eherhard, 
wenn meine Cordula jept noch lebte, mir mit Sylphentrit- 
ten entgegen ſchwebte, und mid an den Bufen drückte. — 
Er blieb einige Augenblide bei der Lampe fteben, und 
horchte auf, ob Niemand fäme? — Ad, nein! Einfam 
fand cr auf dem dunkeln Gange. Iept trat er in das ihm 
angeiwiefene Zimmer, und fuhr, als er die Thüre Bffnete, 
erfhroden zurüd; denn das bleihe Melpomenengefiht des 
Bollmondes, fand gerade vor dem Zenfter, und blidte ihn 
talt an, wie damals, als er in’s öde Zimmer trat, und 
die Leiche des gehängten Obadias Schlenk auf.dem Tifhe 

B 11° 


164 Die Spiellente. 


entdedte. Diefer ſchaurige Eindrud ward aber bald von 
angenehmeren vertrieben. Es war ein fhöner Herbftabend, 
obſchon mitten im November. Vom hohen Ekfenfter hatte 
Eberhard freie Ausſicht Über die Gegend. Die Pleiſſe lag 
mie ein beier Silberſpiegel im Mendfceine da, und das 
fine Nofenthal, wo er fo viele herrl che Iugendftunden 
genoſſen Hatte, breitete id daneben, wie ein ſchwarzer Schat⸗ 
ten. Auch das Heine rothe Dad, wo Hanna Helfraft ge- 
wohnt hatte, fonnte er feben: und der Kirchthurm, wo er 
die Lieder: „Iefus, meine Zuverſicht.“ und: „Wie ſchön 
lencht· ung der Morgenſtern,“ in wichtigen Stunden des 
Lebens, hatte blafen hören, ſtand wie ein Niefe da im 
Mondfcheine, zeigte mit dem blinfenden Beiger auf Zwölfe, 
und eben wie Eberhard hereintrat. tönten die tiefen Schläge 
des mohlklingenden Erzes über die Gegend. 

Jetzt öffnete fi die Thär, und er fuhr wieder zuſam⸗ 
men; allein das Gefpenft war nicht fürdterliher als die 
Umgebung. Der junge Läufer ftand lähelnd da. Das 
Mondlicht beleuchtete feine praͤchtige Federmüße, feine Treſ⸗ 
fen an der Jade, und den großen Silberteßer, worauf er 
Früchte, Badverk, eine Flaſche Wein und zwei Gläfer 
hatte. — Raum fah er Eberhard, fo fang er: 


Liebtäjunder 
"Wird jegunder 
. Angefachet durch Burgunder. 


Kommt, lieber Spielmann! Ihr follt auch etwas Gu- 
tes genießen, und nicht der Einzige fein, der mit trodenem 
Munde davon geht. — IA danke Euch, lieber Läufer, ich 
din ‘aber meder hungrig ned durfiig. — Badwert und 


Die Spielleute, 165 


Frůchte genießt man nicht, um den Hunger zu flüllen, ſon⸗ 
dern zur Zuft. Ihr feht fo traurig aus; vielleiht hat der 
Mond Euch melancholiſch gemahtl Das ift ein. munderlis 
ber Kauz, dieſer Mond: er Tann die Leute luftig und trau» 
tig maden, wie er will. Jetzt ſcheint er Euh mie ein 
Todtentopf: ich wette, es Loftet mid mur cin Wort, fo lü 
delt er Euch ſchelmiſch in’s Auge, wie ein allerliebſtes 
Rãdchengeficht. — Das würde wohl ſchwer halten, lieber 
Fteund, diefen Sauber hervorzubringen. — Richt im min 
deften, mein Herr; denn der Mond it auch ein Laufer, wie 
iQ, und gute Kameraden, wigt Ihr, halten zufammen und 
tun einander gern etwas zu Dienften. Verſprecht Ihr mir, 
ein Glas Burgunder zu trinken, mern ich mein Verſprechen 
balte? — Gern! antwortete. Eberhard in der höchſten Span- 
nung. Mein Gott, wer feid Ihr? Heinrich Schlenk! bift 


Du es? Ja, Du biſt, ich kenne Die) jept — Nun, mein 


lieber Here Baron von Löwenmähne, fo trinken ie denn 
auch gleich dies Glas Burgunder auf die Gefundheit Ihrer 
Gerdula, die noch lebt und Sie treu liebt. — Heinrich! 
wilt Du mid) in meiner Noth verfpotten? Willſt Du mic 
toll machen? — Bei Gott, das hat der Mann- nicht an 
mir verdient, der erſt meines unglüclichen Vaters Lehen 
rettete, und ihm nachher ehtlich begrub, als er ibn nicht 
mehr retten konnte. Das Näthfel ft mit wenigen Worten 
gelöft. — Robert Hulter Hatte es ſich nun einmal in feinen 
vieredigen Kopf geſet, dag Ste feine Tochter nicht Heira- 
then follten. Um fid zu rächen, als Sie Ihren Nebenbub- 
ler im Zmeitampfe erftohen hatten, ſpielte er Ihnen dieſen 
verwünfhten Streih. Ein Kammermäadchen der ſchönen 
Cordula war chen in den Tagen fo gefällig, mitiTode abs 
äugehen; diefe ließ er begraben, als ob es feine eigene Toch⸗ 





166 Die Spielleute. 


ter wäre, weil er wohl denken Eonnte, daß Sie heimlich in 
der Gegend lauerten, und daß diefe Kunde Sie in Ber- 
zweiflung ſtürzen würde. Die Verwandten des Herrn von 
Birting gingen gern in diefen Plan ein, weil man hoffte, 
Sie nad) dem Grabe hinzuloden, und da gefangen zu neh 
men. Robert Hulter ift Heimlid mit feiner Tochter nach 
London gereift. Ic babe Ihnen leider feine Nachricht von 
allem diefen geben können, weil ic felber fliehen mußte, 
als man anfing, Verdacht gegen mid) zu fhöpfen. — Bo 
Sie waren, mußte ich nicht. — Da börte ih, Ihr Vater 
wohne hier, und ic ging in feine Dienfte, weil ich vermu⸗ 
thete, dag Sie doch früh oder ſpaͤt einmal hier eintreffen 
würden. So hängt alles zufammen. Die fhöne Cordula 
lebt. — Und liebt mic), rief Eberhard. Ach, jetzt verfieh" 
ich das Zeichen auf der Wartburg. — Nun, fo trinten Sie 
jest auch des Mondes und der fhönen Cordula Gefund- 
heit, rief Heinrich, ihm das Glas reihend, wie Sie ver⸗ 
fprochen haben. — Eberhard leerte das Glas entzüdt. 3a 
dieſem Augenblide fingen die Muſikanten drunten im Saale 
an cin Siegeslied zu blafen; ein fhönes Fewerwerk, das 
Baron Löwenmähne, feinen Gäften zu Ehren, veranftaltet 
hatte, fing an zu nalen, und hohe Raketen, mit römifcen 
Lichtern, bildeten einen Triumphbogen über dem Mend. 





Der Maulbeerbaum. - 167 


21. 


Der Maulbeerbaum. 





- ‚Der Binter war mit feinem Schnee und Eife ſeht 
ſchnell auf den fhönen Herbft gefolgt, und fehnitt Eberhard 
auf dem feften Lande ganz von feiner Cordula ab. Er 
mußte feine Reife nad London einige Monate ausfepen. 
Aber kaum ſchmolz das Eis, kaum feimten die Märzviolen 
durchs junge Gras wieder hervor, und trillerte die Lerche, 
fo finden wir ihn in Stratford fpät Abends, bei einem jun⸗ 
gen Tiſchler, wo er ein Zimmer gemiethet hat. 

Mit Beafftent und Ale hat er ſchon feinen Hunger und 
Durft geſtillt. Die hübſche, junge. Frau bat gute Nacht 
gefagt, uud ift in's Schlafjimmer gegangen, wo. das nied- 
Tiche Kind in der Wiege liegt. Der junge Tiſchler John 
Brown kann mit feinen Lobeserbebungen über die ſchöne 
Mip Cordula Hulter nicht fertig werden, und Eberhard 
muntert ihn immer auf, mehr zu erzäblen. 

Sie ift mein Nettungsengel, rief der Tifhler, Bor 
einem balben Jahre war id) in größter Noth, und jeht ver» 
danke id) der fhönen Mig, dag ich ein wohlhabendet Mann 
bin, und fogar ein nettes Stübchen für einen ‚Fremden 
übrig babe. Iung wie ih war, dachte ih niht an die 
Zukunft, nahm meine gute Harriet zur Frau, und fie ſchenkte 
mir einen herrlichen, gefunden Knaben. Gin niederträdtie 
ger Menſch, mein heimlicher Nebenbubler und Zeind, hatte 
mir 50 Pfund geliehen, blos um mich in feine Gewalt zu 
betommen. Er wollte fein Geld wieder hoben, id konnte 


168 Der Maulbeerbaum. 


ihm nichts geben. Mit einem Writ fieri facias verfehen, 
- ging er zum Sherif, und ließ bei mir Erecution vollftreden. 
Ich hätte meine Thüre zufcliegen können, denn bier zu 
Lande wagt felbft die Obrigkeit nicht, mit Gewalt die Thür 
eines Bürgers aufzubrechen, dann hätte ih mic aber ſelbſt 
mit Frau und Kind in einen Hungerthurm verſchloſſen. Ich 
Heß den Gläubiger machen. Als fie Alcs genommen hat- 
tem, was zu nehmen war, ging Mafter Pieth in die 
Küche Hinaus, wo meine Fran im irdenen Topfe Gräge 
tochte. Er nahm den Topf vom Feuerheerd. brachte ihn 
in die Stube, und ihn auf den Tiſch ſtellend, befahl er 
dem Schreiber, den Brügtopf mit auf die Lifte der übrie 
gen Sachen zu fegen. Drauf ging er zu der Wiege, mo 
mein Eleiner Tom mit den runden Nermlein über dem Kife 
fen ſchlummerte. — Er nahm das Kind liebfofend aus 
der Biege, ſtreichelte es, und ſprach; Du Heiner Schelm 
ſchlafſt wohl eben fo gut auf Stroh, wie auf Flaumen? — 
nahm drauf eine Handvoll Strob aus der Wiege, legte ſol⸗ 
ches in der Stubenede zurecht, warf das Kind darauf, und 
Heß den Schreiber Wiege und Kiffen gleichfalls in die Lifte 
einſchreiben. 

Das war mehr als ich dulden konnte, und meine Frau 
mußte mid zurüdhalten, damit ic) mid) an dem Unmen« 
fen nicht vergriff 

Jeht waren wir wieder allein; in der nadten Stube, 
meine Frau mit dem armen Wurm im Schooße, um ihn 
mit ihren Kleidern vor der Kälte zu fügen. — Bas ift 
jegt für uns zu tbun, rief id, nachdem id) eine Zeitlang 
düfter aͤber mein Schicſal gebrütet hatte. — Tod und Ber- 
nichtung drohen ung Unglädiihen allen. — Noch nicht! 
ſprach Harriet heiter. Alles haben fie uns doch nicht ger 


Der Maulbeerbaum. 169 


raubt. Siehft Du nicht die hübfhe grüne Benftergardine, 
wie fie uns Hoffnung zuwinkt, während die Früblingefonne 
durch ihre Franzen ſcheint? — IC fhlug die Augen auf, 
und fah nur den großen Maulbeerbaum, der, wie gewoͤhn⸗ 
lich, mit feinem Blätterbange über das Fenſter hinſchattete. 
— Berzage nit, guter John, — verfehte Harriet; — läßt 
der Liebe Gott einen fo herrlichen Baum für einen kleinen 
Wurm warfen, deſſen Leib er mit der koͤſtlichſten Seide 
f&mädt, follte er uns, feine Menſchen, nit nähren und 
. Heiden? — Dies Haus war, wie Du weißt, in alten Ta⸗ 
gen die Wohnung -des trefflichen Shafe.peares. Diefen 
Maulbeerbaum fol er mit cigemer Hand gehflanzt haben. 
Im London dentt die große Welt nicht viel mehr an ihren 
guten Dichter, alles‘ fol jegt franzöfifch fein; aber das Bolt 
liebt noch feinen Shakeſpeare. Es thut mir leid um den 
ſchoͤnen Maulbeerbaum; allein er muß fallen, damit wir * 
ſtehen bleiben. Du folk allerhand Schnipwert, Schnupfta- 
batsdofen, Thecbüchfen, Schreibzeuge, Tabatsftopfer, u. f. w. 
daraus verfertigen: wir feßen in die Zeitungen, daß ein 
‚armer Tiſchler, um fih mit Weib und Kind von Hungers 
noth zu retten, aus Shakeſpeares Maulbeerbaum niedliche 
Sachen zum Verkauf verfertigt habe; vieleicht macht uns 
ein Gelehrter ein Meines Gedicht darauf, und unfer Glüd 
iſt gemacht. 

Dieſer Vorſchlag war fo herrlich, als wenn er vom 
Himmel gelommen wäre; id fiel meiner Harriet um den 
Hals, und ging gleich binaus, um den Maulbeerbaum zu 
fälen. Allein, als ich mit dem Belle da fand, war es 
mir unmöglich. Es war mir, als ob id einem Menſchen 
ins Fleiſch hineinhauen und ihn vermunden, als ob id, 
um mic) au retten, einen Mord begehen -follte. — Man 


170 Der Maulbeerbaum. 


bat ja alte Fabeln, mie Menſchen in den aͤlteſten Zeiten zu 
Bäumen verwandelt find; und in den Kindermärden kommt 
auch viel von Druidenbäumen vor, worin freundliche Bei- 
fer Haufen. Es fhien mir, als ob Shatefpeares Geift in 
diefem Maulbeerbaum wohne. Nein, ih kann es nicht! 
heute wenigſtens nicht. Wir wollen diefen Borſatz befchla- 
fen. Vielleicht ſcheint die Sonne nicht morgen! Benn der 
Himmel grau iſt, will ih es thun. Die Sonne darf den 
Baum nit fallen fehen; auch Mond und Sterne nicht. 
Benn es regnet und ftürmt, will ih den Maulbeerhaum 
fällen. — ber dann wird das Holz zur Arbeit zu naß 
rief Harriet; und da ift Beine Seit zum Zaudern; wenn der 
Meine Tom erwacht, will er Brei haben, und Mafter Piew 
bat den Topf vom Feuerheerd genommen. — Heute, liebe 
Harriet, erwiederte ich, werden chriſtliche Nachbarn uns 
beiftehen; morgen will id in Gottes. Namen den Baum 
fällen. 


Ich erwachte den kommenden Morgen ziemlich ſpät. 
weil ich ſehr ſpaͤt eingeſchlafen war; Frau und Kind ſchlie⸗ 
fen noch neben mir, auf dem Stroh. Die Some ſchien 
wieder heiter zum Fenſter herein, allein ich Dachte: Sei dem 
alſo. Shatefbeares Beift wohnt nicht in dieſem einzelnen 
Maulbeerbaume, fondern im ganzen großen Fruchtgarten 
feiner herrlichen Werke; umd die werde ich nicht mit mei 
nem Beile fällen. — Ich hatte kuͤrzlich Harriet feinen Som, 
mernachtstraum vorgelefen; es kommen fo niedlihe Elfen 
darin vor, und ich dachte: Der gute William iſt gewiß 

. aud) ein großer Kinderfreund geweſen; font könnte cr un 
moͤglich den Meinen Senflamen, Bohnenblüte, Motte und 
Spinnreb, fo allerliebſt geſchildert haben. Er wird es mir 


\ Der Maulbeerbaum. am 


nicht übel nehmen, dag id} mid, meines Toms wegen, an 
feinem Baum vergreife. 

Wie ih fo ſtehe, und ſchuchternen Blides den Baum 
anfebe, der heut zum Ieptenmal feinen angenehmen grünen 
Schatten ins Zimmer werfen fol, deſſen fchöne Blüte ich 
mit meinem tüdifhen Eifen vernichten wid; kömmt es mir 
wahrhaftig vor, als ſtecke Zitania, die Königin der Elfen, 
ſelbſt ihr liebliches blondgelocktes Geſicht mit den Nofen- 
wangen durch die Zweige des Baumes, zum Fenſter herein; 
nens ſehe id ein außerordentlich fhönes Mädchen 
geficht. 

Als fie mic, flebt, grüßt fie freundlich nidend mit dem’ 
Kopfe, und fragt befeiden: Wohnt nicht der Tiſchlermei- 
fter John Brown bier? 

Id) Taufe gleich hinaus, und finde Die ſchöne Mig Cor- 
dula Hulter mit ihrer Zofe bei dem Poſtwagen. — Mit . 
wenigen Worten erzäblt fie mir, daß fie vorigen Sommer 
mit ihrem Bater von Dftindien gelommen fe, ſich diefen 
Binter in London aufgehalten habe, daß der alte Herr, an 
die leichte Luft der Süpdfeeinfeln gewöhnt, am Steinkohlen« 
dampf von London geftorben fei; und dag fie, ihrer eige⸗ 
nen Gefundheit wegen, um das Scidfal des Vaters nicht 
zu theilen, aufs Land hinausgegogen, zugleich aber auch 
münfee, mitunter aud einige Wochen in Stratford zu woh · 
nen, weil fie von William Ehatefpeare abftamme. Sie 
wiſſe, daß id fein vormaliges Haus bewohne, und das 
wolle fie nun gern von mir wieder miethen, id) möchte den 
Preis fo hoch fehen als ich wollte. — Raum babe ich ihr 
meine Roth geklagt, fo reicht fie mir einen Beutel voll 
Gold, und id bin auf einmal ein wohlhabender Mann. 

Seitdem ift die fhöne Miß in meine vorige Wohnung 


172 Der Raulbeerbaum. 


eingezogen, umd ic habe mir diefe nieder gemietbet, treibe 
mein Handwerk ohne Sorge, und bin ein glädlicher Menſch. 
Die ſchoͤne Miß iſt jeht eine Freundin meiner Frau, und 
mag meinen Meinen Tom auch fehr gut leiden. Ste ift von 
der ganzen Gegend geliebt. Junge Landmädchen kommen 
woͤchentlich zu ihr, da müflen fie mit ihr in einer großen 
Spinnftube arbeiten, und Märden erzählen, und alte Lie 
der fingen. Sie bat ſchon mandes junge Paar verheira- 
thet und ausgefteuert, denn fie ſcheint fehr reich zu fein. 
Noch Morgen wird fie die Hochzeit eines hubſchen Mäd- 
chens ausrichten; und da fünnen Sie die Miß Cordula in 
der Kirche feben, einer gewiſſen Genemonie beimohnend, die 
nie vergeflen wird: das Brautpaar muß nämlich "das fleir 
nerne Bild ihres Stammvaters, William Shakeſpeares, in 
der Kirche mit Blumen fränzen. 


Bird fie denn felbft nicht heiraten, und ift die fhöne 
Dig nicht vesfprohen? fragte Eberhard. — Damit kann 
ich nicht dienen, ſprach der Tiſchler abbrechend. Jetzt wil 
ich noch ein Licht holen, und Ihnen zu Bette leuchten, weil 
Ihr Bedienter heute Nacht im Wirthehaufe ſchlaͤft. Auch 
einen Stiefeltnecht will id bringen. 


John Brown ſchlich ſich leiſe in’ Schlafzimmer. Kaum 
war Eberhard in der Stube allein, wo das wohlgetroffene 
Bildnig feiner-Cordula an der Ward hing. fo trieb im 
feine Liebe dazu, auf einen Stuhl zu fleigen, und den 
Mund an die fhöngemalten Lippen zu drüden, die feinen 
Kuß nicht erwigderten. 

John Brown fam gleich zurid mit dem Stiefelknecht, 
und wunderte fih über die Magen, feinen Gaſt auf dem 
Stuble im eifrigen tdte à töte mit dem Bilde zu finden. 


Das Blumenmädhen und der Mind. 173 


— Eberhard, der die Zurädkunft des Wirthes nicht fo bald 
vermuthet hatte, wäre vor Shaam beinahe vom Stuble 
gefallen. Allein der junge Tiſchler ſprach ihm Muth ein. 
— Shämen Sie ſich nit, mein Herr, rief er; ih weiß 
auch, mas Liebe it. Habe id doch die Vantoffeln und 
Handſchuhe meiner Harriet in den Feiertagen gefüßt, wenn 
ich ‚fie nicht ſelbſt hatte. Ih merfe wohl an allen, der 
heimliche Liebhaber ift angefommen, und ich habe die Ehre, 
Herrn Eberhard Julius in meinem Haufe aufzuwarten. An 
Ihrer Ausſprache hörte ich glei, daß Sie ein- Deutſcher 
find. Es wundert mich, wie ich nicht fräher Verdacht ger 
ſchopft babe. 


22. 
Das Blumenmädden und der Mönd. 





Eberhard konnte beinahe die ganze Nacht nicht ſchla⸗ 
fen, und daran war Jehn Brown allein Schuld, deun wa⸗ 
rum erlaubte er dem ſchwaͤrmeriſchen Liebhaber, Gordulas 
Bid ans der Wohnftube mit ins Schlafzimmer zu neh- 
men? — Eberhard hoffte von feiner Geliebten zu träumen. 
Allein bier verrechnete er ſich! Man träumt felten von 
dem, wonon die Seele beim Schlafengehen voll ift; und fo 
hatte denn der gute Eberhard nur mit lauter Erbſen zu 
tbun, die er aus einem Scheffel in den andern zählen 
mußte, wobei fi) die Zahl zuleßt fo ungeheuer vermehrte, 
dag er die Summe nicht länger behalten konnte und ibm 


174 Das Binmenmädden und der Mönch 


die Haare’ vor Angk zu Berge fanden, ‚weil Todesſtrafe 
darauf gefet war, wenn das Farit nicht richtig würde. 

Bon diefer Noth befreitete ihn John Brown, der ihn 

> erwedte. 

Das Frühftüd wartete auf ihn, und er eilte ih au⸗ 
zuziehen, denn um zehn Uhr ſollte die Hochzeit vor fih ger 
ben. — Wufilanten festen ſich ſchon in Bewegung, und 
fingen an zu blafen. In Proceſſion ging das junge Braut» 
vaar zur Kirche, von Cordula und mehreren [dönen Iung- 
frauen gefolgt. — Eberhard hatte fid in einen Winkel ge⸗ 
drüdt, dem Bruftbilde Shafefbeares gegenüber. Man be 
bauptete, dies Bild folle fehr ähnlich fein, nad einem Ab- 
guſſe nach der Natur. Hände und Geſicht waren fehr fleiſch⸗ 
farb, die Augen hellbraun, Haar und Bart blond; das 
Bamms ſcharlachfarbig, mit einem leichten ſchwarzen Um» 

wurf, der obere Theil des Kiffens grün, der untere kar⸗ 
moifin, die Franzen goldig. 

Allein Eberhard hatte nur Augen für Cordula. Eie 
war böher und vielleicht ein wenig magerer geworden, ſchien 
ihm aber jept noch reigender zu fein. Denn Würde hatte 
ſich mit der Iugendlichfeit verbunden, und das Kindliche, 
das worber mitunter an das Kindiſche gränzte, war zuräd« 
gedrängt, ohne verſchwunden zu fein. Das weile, eruſte, 
etwas blaffe, regelmäßig orale Geſicht, würde ibn an die 
Antite erinnert haben, mären die Augen nicht fo gefühlvol 
geweſen. 

Bor dem Bruſtbilde des Dichters hielt die Reibe Mill; 
Körbe vol Nareiffen, Hyacintpen, Rofen und Immergrän, 
die aus Zreibhäufern gebelt waren, weil der kalte Früh 
ling nod nicht in freier Natur ſolche foendete, wurden vor 
das Bild bingeftellt; und mäßrend cin ſchönes Lied leife 


Das Blumenmädden.und der Mind. 175 


vierftimmig gefungen wurde, befränzten die Mädchen Sha- 
keſpeares Bild, wobei Cordula die eifrigfte war, und ihrem 
Liebhaber Gelegenheit gab, die holde Geftalt in den ans 
muthigften Stelungen zu fehen, wenn fie bald Hände und 
Arme mit Purpurblumen und grünen Blättern in die Höhe 
reichte, um ſolche auf die Nägel zu hängen, bald das herr, 
liche Profil zu dem Bilde erhob, um zu fehen, wie der 
Schmud ſich ausnehme; bald den ſchlanken Leib zurüd bag, 
und ſich büdte, um mehr Blumen aud dem. Korbe zu nch 
men. In den Ohren hatte fie Shakeſpeares Ohrringe, eine 
Erbſchaft ihrer Stammutter Concordia. 

Des begeifterten Eberhards Thraͤnen floffen unaufhör- 
Kid. theils aus ſüßer Liebeswonne des Wiederfehens, theils 
waren es Wehmuthsthränen beiliger Ahnung dem verftor- 
Denen Dichter geweiht. 

Bald umringte ein großer, dider, bunter Blumenkranz 
die Büfte; der Zug begab ſich zum Traualtare hin, und 
Eberhard cite jegt fort, um aud bei diefer Gelegenheit 
thätig zu fein. Er haste alles mit John Brown und fei- 
ner Frau, die mit im Gefolge waren, abgeredet. Sobald 
das Paar cingefegnet wäre, fagten fie, würde Cordula 
ſchnell voran nach Haufe eilen, um die nöthigen Anftalten 
zum Empfange der jungen Eheleute zu machen, die heute 
bei ihr zu Mittag fpeifen folten. John Brown und feine 
Frau wollten fie dann durd cin altes gothiſches Gebäude, 
ein ehemaliges Klofter, führen, wo man durch einen Langen 
gewolbten Gang einen fürzern Weg nad) Cordulas Woh- 
nung machen könnte, Hier follte ihr Eberhard dann in feir 
ner Vermummung begegnen. 

Schon fam die ſchöne Miß mit ihren Freunden den 
Langen Kioftergang eilig herauf, als ſie auf einmal vermun- 


175 Das Blumenmädden und der Mind. 


dert ftiße fand, und rief: Mein Gott! Harriet, ſichſt Du 
and) den alten Mönd dort, in brauner Kutte, mit einem 

Strick um den Leib, mit dem Blumentorbe in der Hand, 
der uns enfgegenkömmt? Gr fieht ja lelbhaftig ans, wie 
der Frater Lorenzo in Romeo und Julia Träume id, 
oder wach' ih? — John Brown bat die junge Dis, ſich 
nicht zu entfegen. und nur näher zu treten, das Nätbfel 
werde fi) bald löfen. — Eberhard. ging ihr, langſamen 
Schrittes entgegen. Bei einem Fenfter, mo die Geſcichte 
Nebeltas bei der Duelle mit bunten Farben ins Glas ge 
brannt war, und wo eben die Senne herein ſchien, und 
ein warmes Farbenlicht in den fühlen Gang warf, begeg- 
neten fle fih. — Der Mönd) reichte ihr feinen Korb vol 
frifcher Veilchen und ſprach: 


Die Lerche fingt, des frifche Morgen lacht, 
Der frühe Märı hat feinen Schmuck gebracht. 
In inngen Gräfern Nand Das Meilen blau, 
nd ziitert eben, bla in Morgenthan. 
Sorenio, den die Blumen ftetd entiückt, 
Zragt fie in feinem Korb hier adgepftächt. 
Im Kloflergarten fieht ex, reicht fie dar 

Dem beiten Maͤdchen. wie nit eine war. 
Die ſchonen Kinder hat er Neth gelicht, 

Und Jullens Sqhickſal Hat ihn tief beeübt. . 
Doch deute fpiels mit Wlumengift.cr nicht, 
Wie in des Gtammberen trefkhens Gedicht ; 
Mein Belhen iſt mufcnuldig, bläulich zoth, 
In feinem Kelche lauert mit der Top; 

Die Hoffnung duſtet freudig nur herab, 
And frifche Siebe ſtartt den Binmenkrauß. 





Ende gut, alles gut. 117 


Richt Eilengitter deut, nicht Marmerfarg 
Das Glück des Lebens meudhlerifd) verbarg. 
Gefund und offen weit die Kirche glänit. 
Dig Liebe fleat, der Dichter iR befrämit; 
Durchs alte Klofterfenfter, bunt und lang, 
Scheint Sonne, tönt der Bögelein Belang; 
And wieder felig, feinem Glüce nah, 

Küßt Romeo feine fübe Juin. - 


Oben auf den Veilchen Tag das in Diamanten gefaßte 
grüne Glas, die Scherbe der Wartburg, mit den Worten: 
Eberhard. Deine Cordula Ieht. Kaum hatte er zu fpre- 
hen angefangen, fo erfannte fie ihn, und der von Liebe glü⸗ 
bende Jüngling drüdte das vor Freude zitternde Mädchen 
an feine Bruft. 


23. 
Ende gut, alles gut. 





Sobald Eberhard feine Eordula Frau nannte, dachte 
er nur daran, nad Felſenburg zurädzufehren, weil die 
Schöne, ihrer blühenden Jugend obnerachtet, nicht gut das 
Clima in England vertragen kounte. Kapitain Horn batte 
ihm vor feiner Abreife mit der holändifhen Garniſon ger 
ſchrieben, daß er ihm ein gutes Schiff mit einem braven 
Sciffer fenden würde, um ihn und feine Frau nad) Tel 
fenburg zu bringen. 

Seplenf. Seheiften. xviui. 12 


18° Ende gut, alles sut. 


Sobald das Schiff auf der Themſe lag, fhiiften ſich 
die jungen Eheleute ein, ihre Freunde auf der Infel im 
Südmeere nach Verſprechen bald wieder zu fehen; und wir 
eifen, eben fo ſchnell wie fie, diefe Geſchichte zu endigen, 
die ohnedem ſchon der Zefer zu lang finden mag. 


Ibre Reife war glüclich, und fle litten beinahe nichts 
von Sturm und Gewitter. Schon waren ſie in dem ge⸗ 
wunſchten Gewaͤſſern, und hofften alle Tage die Infel zu 
feben, als Eberhard zu feinem Schrecken eine Entdeckung 
machte, die ihn gleich dazu trieb, ohne Baudern die Scha⸗ 
Kuppe mit" Beftkleidern, Lebensmitteln und andern Noth- 
wendigfeiten zu verfeben, und fi) mit feiner Cordula nebſt 
Heinrich Schlent in Gottes Namen von zwei theuer bezabl« 
ten Ruderknechten nach der naͤchſten hohen Klippe rudern 
au laſſen, die fi in der Ferne zeigte, in der Hoffnung, 
dag diefe Steinmaffe zu den Zelfenburgifchen gehöre. Wenn 
fie aber aud ganz fremd wäre, wollte Eberhard doc lie⸗ 
ber auf Gerathewohl dahin feuern, als auf dem Schiffe 
bleiben. . 


Bas fonnte nun den zärtlihen Ehemann dazu treiben, 
feine geliebte Cordula diefer Gefaht auszufeßen? Denn 
der Weg dahin war ziemlich lang, die See ging hoch und 
der Abend graute. — Bar das Schiff leck geworden? 
Nein. Bar eine Meuterei wieder zu befürchten? Au 
nicht. Aber ein weit ärgeres Ungeheuer als der Scharbock 
und die Scefrantheit hatte fih diesmal am Bord einge» 
ſchlichen. Eberhard entdecte naͤmlich, da ein Matroſe an 
den — Kinderblattern krank liege! Cordula hatte diefe 
abſcheuliche Krankheit noch nicht gehabt; die wohlthätige 
Entdecung die jeht fo vielen Menſchen Leben und Gefand- 





Ende gut, alles gut. 179 


heit rettet, war noch wicht gemacht; und wir verkeben alfo 
Eherhards Eile amd Berwrgenheit fehr gut. 


Der Weg dahin war nicht ohne Gefahr, allein dic 
Rudertnechte, Eberhard und Heinrich firengten fi) an. Es 
war duufle Nadıt geworden, als fie in eine Bucht einlie⸗ 
fen, die tief in eine Selfengrotte führte. Der Mond ſchien 
nur fo ſchwach durd eine Ritze, dag fie mit genauer Noth 
einen trodenen Fled zum Rachtlager auffinden Fonnten. 
Sie Hüften fid in ihre Betten, und ermüdet von der An 
firengung und der Gemüthsbewegung ſchliefen fie gleich ein; 
denn Erfrifhungen Hatten fie ſchon im Boote genoſſen. 


Eberhard erwachte früb, ſah ſah um im -großgemälb- 
ten unbefannten Raum, und glaubte noch zu träumen. Es 
ſchien ihm, als befände er fih in einem runden Tempel, 
we zwolf toloſſale Statuen und Gruppen umber ftänden, 
von der Morgenfonne ſchon erleuchtet. Sie waren ziemlich 
gut gemaht Das Steife und Bizarre einer barbarifhen 
‚Zeit verband ſich harakteriftifch mit einem Auſtriche griecht⸗ 
ſcher Formſchoͤnheit, und Attribute, als Scwerter, Häm- 
mer, Spieße, Harfen, Blumen und Aehren zeigten, dag 
diefe Bildfäufen mythiſche Allegorien vorftellen ſollten. Das 
Bett Eherhards und Gordulas, im ſuͤdlichen Theile des 
Tempels, ſchien ihm gerade unter einer ſolchen weiblichen 
nadten Figur gemacht zu fein, der ſchönſten der ganzen 
Reihe. Sie ſaß in ıinem Meinen zweirädrigen Wagen, mit 
Zigerfagen befpannt, und hielt eine Nofe in der Hand, als 
Mieder hatte fie ein leichtes Federkleid, das doch weder 
Bruſt noh Schulter, fondern nur einen Kleinen Theil des 
Nüdens und des Leibeg bededte. Ihr zur Linfen in We⸗ 
ften faß ein gemuͤthlicher bärtiger Mann, ande Harfe 


180 Ende gut, alles gut, 


flug, ibm zur Seite fand eine hübſche junge verfhämte 
Grau, mit niedergefhlagenen Augen, und mit einer fil- 
dernen Schaale vol goldener Aepfel in der Hand. In 
Dften faß auf einem etwas erhöhten. Sige ein ſehr ver⸗ 
ſchitzter vierfhrötiger Greis mit langem Barte; auf feir 
nen breiten Schultern flatterten zwei Raben, die ihm et⸗ 
was in die Ohren zu raunen ſchienen. Er hatte neun Nar- 
ben an der fablen Stirn, und einen langen Spieß in der 
Hand. Ihm zur Rechten ftand eine Figur, die am fleißig- 
fen und mit der größten Liebe ausgearbeitet ſchien. Ein 
kräftiger Krieger, mit zornigem, verwegenem Geſichte! In 
feiner Rechte, woran er einen Handſchuh trug. hatte er ei⸗ 
nen großen Streithammer, und um den Leib war ihm ein 
ſchönes Mieder geſchnallt, fonft war er nadt; nur daß er 
einen Helm trug. Zwiſchen diefen vier Hauptfiguren waren 
immer zwei andee, die Eberhard nicht recht erkennen konnte, 
denn der Traum verſchwand, und er ſchlief wieder rubig. 
Als er aber die Augen aufs neue aufſchlug, hatte er den» 
felbigen Traum, und hörte zu feinem größten Erftaunen 
folgenden Gefang, der ibm von der Gegend des Tempels 
zu kommen ſchien, wo der Gott mit der Harfe fag: 


&8 lieget fern von Norden eine meltberühmte Stadt, 
auwo die (hönfte Kaiſerin dem Bolt geboten Hat. 
In Dänemark und Rorweg wol Muflegard genannt, 
Sonſt ald Gonftantinopel der ganzen Welt bekannt. 


Die Stadt iR voller Pracht, voller Kunft und Genuß, 
Die Männer gehn in Purpur, im Höchften Meberriuß : 
Doch wol ein großes Aleinod befigen fe dort wicht, 

Un Ehrlichkeit und Treu’ es den Griechen fehr gebricht. 





Ende gut, alles gut. 181 


Gar meuchleriſch fie wüthen, in Palaſt und Hans, 

Es ſtechen fich die Brüder die Augen immer aus. 

Sie trauen ſich nicht felber: vom. Norden famen her 

Die Heldenſchaar der Bäringer, deß freuten fie ſich fehr- 


Denn Harald Haarderaade, ein wunderfamer Held, 
Im Borden hocigepriefen, wie in der ganzen Welt, 

Gin Königiohn von Drontheim, ihm folgten wir fo gern; 
Und wo die Schwerter blintten, da waren wir die Herr'n. 


Doch Harald und Georgius vertrugen ſich mur fchlecht: 
Der Degen der Rormannep-war dem Griechen nicht recht; 
Er fonte mit ihm theilen die Chr’ und auch dad Gut: 

Da ward dem Multegarde gar fclecht zu Muth. 


Es teennten ſich die Reiten. Marder es gefchah, 

Mcıtsig große Städte im heißen Afrika 

Gewannen wir mit Beute; die Feinde lagen tobt. 
Da färbten wir mit Blnte die Schildedränder roth. 


Doc; einige der Degene die fegelten zur Stund 

Auf langen goldnen Drachen, durch ſchmalen Ribrvaſund *) 
Da hat der Harte Megie und hingemorfen fern; 

Bir tannten feine Aüſte, aulcpt auch feinen Stern. 


An diefen hohlen Felſen mir landeten zulegt. 

Da haben in dee Einfamteit wir fet und gefept. 
Bas hatten in den Schluchten die Schwerter mehr zu thun? 
Da brauchen wir die Hämmer, dab Schwert fonnte ruhn. 


*) Die Straße bei Gibraltar. 


182 Ende gut. alles gut. 


Sigi unfer Fühser, ex Anmmt vom großen Cchmid 
Baulundur dem viel Zrefflichen, er brachte Zangen wit; 
Die Zeit uns im vertreiben, im freuen unfer Her, 
Bir Hämmerten die Götter aus hefblanfem Gri. 


Bir Yalfen ipm gewekig; nach / ieler Jahre Zeit 
Enthanden die iwölf Mien, in liter Gereheteit; 
Secht wie Die Mormorbüider im Circus Dort in Rom, 
Und Die, Riefengätter von Era im Oippodrem 


Roc) find wir Beine Heiden; wir beten fie nicht an’ 
Gedenten nur, was font in der Worzeit fie getan: 5 
Da fanden fie den Büteen mit ihrem Schube bei, 

Des danfen wir nach Odin, noch Thor und noch Frei, 


Sonf Haben wir beRändig zu Ichter vedenekrin 
Inbrünftig angebetet den weißen Jeſas Chriſt. 

Er ſchent und nach der Heimat die balb'ge Wiederkehr. 
Alle wir Elenden, wir fehnen uns fo ſehr. 


Doch follen mir verfchmachten, fol medeen das Gebein 

Der treuen Rordenföhne auf fernem Feifenkein, 

So fage dieſes Denkmal dem Eremden, der ſich naht: 
‚Hier haufen auch Rormannen, und Das war ihre That!“ 


Eberbard hatte fi während des Liedes völlig über- 
zeugt, daß er nicht träume, fondern dag alles reine Wirk- 
 figpteit fei. Jeßt Raunte er aber noch mehr, denn er glaubte 
deutlich, Lademanns fhöne Tenorftimme zu erfennen. Gor- 
dula war indeß erwacht, und machte große Augen. Der 
Tempel war nun ganz erhellt, und droben in einem Gange, 


Ende gut, alles gut. 183 


der wie eine Gallerie den Tempel umgab, fahen fie Schnüre 
in die Kreuz und Duer gejogen, worüber eine ziemlich cor- 
pulcate Frau reine Wäfhe zum Trodnen aufping. 

Bei Gott, das itt Hanna Heilkraft! rief Eberhard. — 
Ja fürmabr, fagte Cordula, und Lademann hilft ihr bei 
der Arbeit. — So find wir doch nad) Felſenburg gekom⸗ 
men,. meine Cordula! Aber, wie ift diefer Tempel bier 
entftanden? den wir vorher gar nicht kannten? Die Nor» 
mannen Fönnen doc in unferer Abweſenheit nicht hier ger 
landet fein, und ale die Erzbilder gemacht baben. 

Sieh, Hannal — rief Lademann droben auf der Gal« - 
lerie; — fo wahr id) lebe, liegen nicht drei Menſchen auf 
Matragen, drunten im Tempel, und im Boote, am Pfahle 
gebunden, And zwei Matrofen. — So haben fie denn auch 
noch diefen Bintel aufgeftöbert, fagte Hanna Hellfraft ver- 
drieglid. Man kann fid doc) nirgends vor dem neugieri⸗ 
gen Menſchengeſindel verbergen! Ueberall wollen fie ihre 
Nafe haben. — Co wahr ich Iche, Hannal das find Eber⸗ 
bard und Cordula. — Ei warum nicht gar? Zräumt Ihr 
nun wieder, Lademann? — Nein, nein Hanna, er träumt 
nicht! rief Eberhard, und firedte die Arme gegen fie aus: 
Cordula und Eberhard find wirtlich da. 

Nun, feid Ihr endlih dal verfepte Hanna ganz gelaf- 
fen, und es lang beinahe wie ein Vorwurf: Warum feid 
Ihr nicht früher gefommen? Aber die Freude leuchtete ihr 
aus den Augen. — Bartet nur, fo wolen wir gleich zu 
Euch hinunter kommen. 

Nach einem herzlichen Gruße erzäblte ihr Eberhard 
altes, was ihm in der Abweſenheit begegnet war, und fie 
wollte ihm auch gleich alles fagen; allein Lademann, in dem 
eine Künſtlerſeele lebte, konnte nicht zugeben, dag die ſchöne 


184 Ende gut, alles gut. 


Ueberraſchung auf folde Veiſe unvoeliſch geſchwächt werde, 
und gebot Stillſchweigen. So folgten die jungen Eheleute 
ihm und Hanna einen ziemlich langen Hohlweg, den Berg 
binunter, durd den grünen Bald, nad einer fchönen, 
fruchtbaren Ebene. wo fie zwei allerliehfte Häufer mit Gär- 
ten und einigen hohen Bäumen vor ſich fahen. 

Augen, vor der.einen Hausthüre ſaß Wolfgang auf 
der Bank, und fpielte mit einem fhönen Knaben auf dem 
Schooße, der ihm mit den Meinen Händen immer den Bat- 
kenbart zaufen wollte. Ihm gerade gegenüber ſaß Lipberg 
am Tifhe, und war mit der Zeihnung eines alten Runen- 
ſteines beſchaͤftigt, der vor ihm aufgeftellt ftand. 

Und jept, lieber Eberhard, ſprach Lademann fenell, 
als fie einige Bäume wieder verbargen, mill id mit weni 
gen Worten das Näthfel loſen, damit mir Herr Ligherg 
nit nach Gewohnheit das Wort aus dem Munde reißt, 
fobald er uns fieht. Und von ihm erfahren Sie dod in . 
der erften halben Stunde nichts Geſcheidtes; denn je neu 

+ gieriger Sie werden, je mehr wird er Sie mit Nedereien 
und launenbaften Ginfällen aufhalten. 

Bir find niht bier auf Groß» fordern auf Klein« 
Felfenburg. Als die Große Infel ihre Selbſtſtändigkeit 
verloren hatte, und die Gährung der Gemüther nicht auf- 
bören wollte, mochten wir nicht länger da bleiben. Bolf- 
gang, Ligberg, Hanna Helfraft und id, find nach diefen 
fhönen abgelegenen Thälern gezogen, wo wir wieder ale 
glüdfihe Einfiedler leben, obne an den Gitelfeiten und 
Streitigkeiten der Welt Theil zu nehmen. Magifter Schmel« 
zer mußte drüben bei den Einwohnern bleiben, um ihnen 
das Wort zu vredigen; und fie fünnen es nöthig haben. 
Viele der Landesfinder werden vermuthlich mit ihrem Gelde 


Ende gut, alles gut. 185 


Wenn die Schäge find jeht alle vertgeilt) nach Europa oder 
Nordamerita ziehen, ſobald die Holländer Groß-Felfenburg 
in Befiß nehmen. 

Hier bat Herr Litzberg in rer Abweſenheit zwei fehr 
gute Häufer gebaut! das eine für Herrn Wolfgang und 
feine Frau, das zweite für Sie, wenn Sie einmal glücklich 
wieder zurädtehren follten. Lißzberg wohnt bei Wolfgang. 
Hanna Heltraft und id bewohnen ein Paar Stübchen in 
Ihrem Haufe, die (hönften Zimmer fehen aber immer be⸗ 
reit, um, wenn es fein foll, Eberhard und feine liebe Gor- 
dula zu empfangen. 

Die Häufer waren fhon gebaut, und wir hatten dieſe 
Inſel eine Weile bewohnt, ehe mir noch den nahen Tem⸗ 
vel im hohlen Felfen entdedten. Weitläufige Gänge füh- 
ren dazu dur den Berg, von der Landfeite, und fein 
Schiff naht ſich der Küfte dort von der Seeſeite, weil der 
Grund vol gefährlicher Scheren if. Sie, Fieber Eher- 
bard, find ohne es zu willen auf ihrem Boote glüdtih, al- 
len diefen Gefahren vorbei, gleich ins Heiligthum bineinge- 
fegelt. : Und mir Andern können es einem alten Zreunde 
von Ihnen danken, dag wir das Geheimnig auf dem Trod- 
nen fanden. — Bie {p? fragte Eberhard. — Erinnern Sie 
ſich nicht, dag Sie mir beim Abſchiede, als Sie nichts über 
den Berluft Ihrer Cordula tröften fonnte, Ihren Pudel, 
den freuen Suchverloren anvertrauten, bis Sie wieder Fü 
men? Einem unglüdtihen Liebhaber muß man etwas zu 
gute halten; es war aber nicht Recht von Ihnen, Tieber 
Eberhatd! Denn das treue Thier war nahe daran, vor 
Sehnſucht zu fterben; und ic hatte ihm ſchon ein ſchlichtes 
Grabmal unter dem Baume zugedacht, mo der felige Al- 
bert Julius, der Sage nad, den kleinen Beautiful begrub. 


186 Ende gut, alles gut. 


Sudhverloren erholte fi aber, nahm mit meiner Flechten 
Fürſorge vorlieb, ſchlog ib an mid an, und ſchien beflere 
Tage in der Zukunft, zu Hoffen. Er hat her den Seiden · 
—— eben wie vormals die Guanchenhoͤble auf Teneriffa, 
enident. 

Einige ſilberne Platten, die wir im ſteinernen Zimmer 
fanden, gaben Aufſchluß, daß bier mehrere Nordenhelden 
ſchon im eilften Jabrhundert gewohnt haben. Nachher da- 
ben wir, drunten im Thale, ihre Runenſteine und Grab» 
mäler gefunden. Ein isländifher Matrofe, eigentlich ein 
verunglüdter Student, der das Ieptemal als Kapitain Horn 
bier war, Erlaubnig befam, auf Eroß-Selfenburg zurückzu⸗ 
bleiben, bat Herrn Lißberg trefflich geholfen, das alte Lied 
und die Sage, wie fie auf den Silberplatten gefchrieben 
Rechen, zu Äberfegen. Nachher haben wir Alle dazu gebol« 
fen, das Lied in deutſche Reime zu bringen. Der Isländer 
bat mich eine alte nordifhe Melodie dazu gelehrt, und ic 
finge es gern drunten im Tempel, wo der heidniſche Dich⸗ 
tergott Bragi bei der Harfe fipt, und feine Frau Idun, 
mit den Wepfeln der Unfterblichteit bei ihm ftebt; weil das 
Echo da fo.Ihön ift- 

Alein, liebe Hanna, fragte Cordula neugierig, wie 
tommſt denn Du dazu, in diefem alten Heidentempel zu 
walten, und Zeug aufzuhängen? 

> Beil da sine warme Duelle fließt, antwortete Hanna, 
die mir die Arbeit ſehr erleichtert. Der Drt ift auch ber 
quem als Obdach gegen Regen und Hige, obſchon etwas 
ſchaurig. Lademann geht aber immer mit; er ift jept mein 
Kind, und bei der Arbeit ſpielt er mir meiftens etwas vor 
auf der Harfe. Ich mag, während der Arbeit, wohl die 
alten Goͤtzenbilder betrachten, die mich mit ihren Baͤr⸗ 


Ende gut, alles gut. 187 


ten und Hämmern gar wunderbar anfehen. Id muß da- 
bei an den Todtentanz in der Kirchhofhalle hei Leipzig den- 
ten, mo id auch oft faß und fpann, während Eberhard bei 
mir war, und etwas erzäblte. Iept ift Lademann mein 
Eberhard geworden, denn der andre hat ſich eine ſchöne 
junge. Frau genommen, und fehrt fih den Henker mehr an 
die alte Hanna Hellkraft. 


Pfui Hanna, wie kannſt Bu dod fo reden! rief Eber ⸗ 


Hard fie umarmend, licht ‘man denn feine Mutter weniger, 
meil man ihr ein fhönes Schwiegertochterchen zuführt?. 

Jetzt hatte fie Lipberg mit feinen Falkenaugen in der 
Berne entdertt. — Bei Gott, rief er, da kommen fie. — 
Ber? fragte Bolfgang, das Kind hinunterfegend. — Eher- 
hatd und feine Braut. — O mein Gott, Sophie. ., liebe 
Sophie, rief Wolfgang, komm' beraue! Sie ſind da, un⸗ 
ſere langerfehnten Freunde. 

Stille} gebot Lißberg laͤchelnd, wir wollen ihm einen 
Sdabernatk anthun. Wir wollen den guten Eberhard ein 
Elein wenig foppen. — Gleich wieder foppen! ſprach Wolfe 
gang, unzufrieden, Nur einen Yugenblid, Herr Kapitain, 
damit das Vergnügen noch größer werde. 

Bolfgang mußte das Kind wieder auf den Ecooß 
nehmen, und den Kommenden den Rüden zu kehren, Lig« 
berg faß in feine Arbeit fo vertieft, dag Eberhard ſich ihm 
leiſe nähern und auf die Schulter klopfen konnte. — Lih- 
berg blickte auf, ſah Eberhard: an, und ohne eine Miene 
au verändern, noch aufjuftchen, fagte er, ibn phlegmatiſch 
anftarrend und beim Uhrbande fallend: Ci, mein lieber 
Eberhard, da haben Sie ja ein neues Signet in Ihrem 
Usrbande betommen! — Eberhard ſtaunte ihn an — in 
diefem Augenblide fprang aber der Pudel, der feinen alten 





188 Ende gut, altes gut. 


‚Herrn gerochen hatte, aus der Hausthüre ſchnell heraus auf 
den Ti, wälzte die Schaale mit Tuſch über Lißberge 
Zeichnungen, feßte die Pfoten auf die Schultern feines 
Herrn, und ledte ihm Hände und Stirn, während er in 
einsfort Litzberg mit dem Wedel ins Gefiht ſchlug. 

Das fchadet Euch nicht! rief Wolfgang. Der Hund 
befhämt Euch, er empfängt feinen alten Freund herzlicher 

als Ihr. — Bas kehr' ich mich an die Zeichnung. die kann 
ich wieder machen; rief Ligberg, ungeduldig Wolfgangs 
Umarmung abwartend, damit er feinen alten Reiſegefähr- 
ten auch umbalfe. Gott ſei Lob, id habe ihn wieder! Wie- 
der Iemanden, mit dem ich id alle Tage zanken und aus- 
gleihen kann. Hier gaben die Iangweiligen Menfhen mir 
im Dieputiren immer Recht. Ich will aber nicht Recht ha⸗ 
ben, und fie follen es auch micht haben, ‚deun fein Menſch 
bat ganz Recht, noch ganz Unrecht. Hätte das länger ge» 
dauert, ich wäre crepiert wie eine Kaxauſche, die man aus 
dem Schlammteihe herausnimmt, und in.ein Glas Mares 
Waſſer feßt. 

Lieber, lieber Eberhard, rief Wolfgang, ſehen Sie 
doch! Da ift noch ein Albert Iulius! Er gebt mit Fall- 
but im Flügeltleide, und id) habe ihm eben ein Steden- 
pferd geſchnitten. Sophie, komm’ doch heraus! Eberhard 
und Cordula find da. Eine (höne Fran öffnete die Haus- 
thär und flog der unerwarteten Freundin in die Arme. 

Heinrich Schlent hatte ſich indeß leiſe nachgeſchlichen 
und machte im Hintergrunde mit: dem treuen Rudolph 
Bolfgangs Diener, Betanntſchaft. den wir aus feiner Le⸗ 
bensbeſchreibung kennen. 

Jept brachten die Mein-Felfenburger die Neuantom ⸗ 
menden in ihr fhönes Haus, wo Eberhard in der Wohn- 


Ende gut, altes gut. 189 


ftube Luthers. Shateſpeares und Alberts Bilder an der 
Band hängend fand. Das gelbe plüſchene Canapee aus 
Leipzig, und das Bild feiner Mutter waren aud da. — 
Im wohlbefannten Schrank lagen. die Uhr, die verblichene 
Schleife, nebſt amdern Reliquien. 

Eberhard und Cordula Enieten vor dem Bilde des ehr« 
würdigen Altvaters nieder: O mein lieber guter Stamm» 
vater Albrecht Julius, rief er, Dein Enkel ift jegt fo glüd- 
lich, wie Du es warſt. Nach vielen Widerwärtigteiten hat 
er feine Cordula, wie Du Deine Concordia, gewonnen. Ein 
unſchuldiges, freies, idylifhes Lehen, das befte Loos des 
Menſchen fängt wieder an. Möge Dein Geift, mit den 
Geiſtern meiner Mutter, Luthers und Shakefpeares uns 
umſchweben! damit wir, wie Du, das Leben genießen, mit 
Shatefpeares Auge in die Welt fehen, und mit Luthers 
‚Herz den Himmel ahnen. 





erre®» 


10. 
a. 


1 


Inhalt 
des vierten Theils. 


. Der unterirdifche Gang und die Sternwarte +» + « 


Daamte een 
Begräbniß und Geburtöfeir « 7 7 00 . 
eemelies Sebenögeichihte » 0 Fe 
Bortfegung von Semelied Sebensgefhichte + +» 
Ah que Pamour ent chose jolie . . - 
Eprung in der Gefchichte «» 7 0 en ne 


. Die glücklichen und unglüclichen Liebhaber - -  «- 


Die unglüdlichen und glůcklichen Liebhaber. (Fortfegung.) 
‚Klein »Felfenburg ..— 
Verſchiedener Beihmad * 7 0 en 


. Albert Julius zum legtenmale * * re 0 5 


Die Porimgieien 0 en 


Seite 


a 
2. 
1. 
ar 
w. 
1. 


a. 


Innere Unruden + 
Acmer Ebechard + 


Das Haus im Babe ⸗ 


Das Hodieitfet - 


Das Seichenbegängniß « 
Gerhard auf der Bartburg 


Die Spieleute + 
Der Maulbeerbaum 


Das Blumenmädchen und der alte Möncı + 


Ende gut, afled gut 


Seite 


129 
133 
au 
145 
148 
158 
167 
4173 
477 





oogle 


Daraus, Google