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K-^'bS'boue.
Aemter und Zünfte.
Zur
Entstehung des Zunftwesens
von
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a. o. Professor an der Universität Jena.
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511505
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
1903.
Alle Rechte vorbehalten.
Goswin Freiherrn von der Ropp,
meinem verehrten Lehrer,
gewidmet
Inhalt
Seite
Einleitung i — 5
Allgemeine Ueberschätzung der Gnindhenschalten i ff. — Mit ihr
steht und fällt die Lehre von dem hofrechtlichen Ursprung der Zünfte
2 f. — Kein Gegensatz zwischen historischer und nationalökonomischer
oder juristischer Methode 3. — Inhalt jener Lehre 3 ff. — Lücken
der G^enbeweisführung 5.
L Kapitel. Die Handwerker im Capitulare de Villis 6 — 17
Keine Handwerksorganisationen 7 ff. — Bedeutung der Ausdrücke
niagistet 8 — servus 9 — iunior, ministerialis 10 — ministcrium
10 f. — officium II. — Die arlifices 1 1 f f . — Die Genitien 11. —
Andere gewerbliche Anstallen 12. — Freie Handwerker, provendarii
und beneficiati 12 f. — Die Brevium Exempla 13. — Bedeutung von
pisilis 15. — Andere karolingiscfae Ordnungen 16 f.
n. Kapitel. Die Handwerker der Grundherrschaften 18 — 47
Die Frage 18. — Das Handwerk auf dem Lande überhaupt 18 f. —
Spezialisierung in großen Betrieben. Walker 19. — Rei9henau 19. —
Bäcker und Brauer 19 — (in Prüm Anm. 47). — Diese Handwerker
ein Teil der Hausdiener 20. — Meister und Gehülfen 21 ff. — Die
Hofämter 24. — Die Handwerker im Kloster St. Gallen 25 ff. —
in Farfa 28 f. — in Staffelsee 30 — in Corbie 30 ff. — (in
Muri Anm. 85a). — Die Benediktinerregel 34 f. — Die Handwerker
(in Reichenau und Petershausen Anm. 86) — in Werden
35 ff. — in Saint-Trond 38 f. — in Bödeken 39 f. — (Mit-
gliederzahl bei „Amt", „Magisterium", „Bruderschaft" Anm. 102). —
Gegensatz klösterhcher und bischöflicher Wirtschaft 41 f. — Haus-
VI Inhalt.
Seite
halt des Erzbischofs von Köln 42 f. — Unabhängige städtische Hand-
werker seit dem 9. Jahrhundert 43 f. — Wirtschaftspolitik der
Bischöfe 44 f. — Klosterstädte: Saint-Riquier, Aliensbach 48.
III. Kapitel. Die grundherrliche Wirtschaftsweise und der Markt . 48 — 60
Uebergang vom Herrendienst zur freien Arbeit fiir den Markt 48 ff.
— Lex Burgundionum 49 f. — Gemessene oder ungemessene
Dienste ? 50 ff. — Zwei Klassen von unfreien Handwerkern 50 ff. —
Die hörigen Landhandwerker und der städtische Markt 52. —
Dienst und Amt 53 f. — (Geisenfeld Anm. 130, St. Maximin
Anm. 131). — Persönliches und korporatives Amt 55. — Die
Grundherrschaft kein geschlossener Wirtschaftskreis 56 ff. — Ver-
kauf der Ueberschüsse 56 ff. — (Weinbann Anm. 143). — Ein-
käufe in der Ferne 57. — Geldzinse 58. — (Geldgeschäfte Anm.
149a). — Ausdehnung des Fronhofhandwerks 58 f. — Warum
keine Klosterindustrie? 59.
IV. Kapitel. Hofhandwerker und Markthandwerker 61 — 73
Exemption der Hofhandwerker von öffentlichen Lasten 61 ff. —
Edikt Burchards von Worms 62. — Privileg Heinrichs IV. für
Speyer 62. — Heinrichs V. für Lüttich und Maastrecht 63.
— Heinrichs V. und Friedrichs I. für Straßburger Stifter 63 ff.
— Exemption nach dem Straßburger Stadtrecht 64 ff. — (Markt-
gericht in Augsburg Anm. 160). — Reichsgerichtsurteil für
Worms und alle Kirchen: „certi et publici mercatores" 66 f.
— Privileg Ottos IV. für Aachen 67. — (Die Stadt- und Hof-
handwerker in Konstanz Anm. 165). — „mercator esse velle" in
Straßburg und AUensbach 68. — Zollbefreiungen des Straß-
burger Stadtrechts 68. — „emeie gratia lucri" 69. — (Gelegen-
heitshändler in Augsburg Anm. 169). — jjpro subterfugio coUecte"
69 ff. — (in Arras Anm, 170). — „Hoflieferanten" in Trier 70.
— Freising, Weihenstephan 71. — Selz 71 f. — (Neu-
weiler und Altenmünster Anm. 173. — Städtische Hand-
werker in Werden Anm. 173a. — Hofbäcker in Lübeck
Anm. 173 a).
V. Kapitel. Die Handwerker in Straßburg und Trier 74 — 106
Die Hofbandwerker vom Marktverkehr ausgeschlossen 74. — Bischöf-
liche Versuche gegen die Freiheit der Bürger 75 f. — Privilegien
für Speyer und Worms 77. — Allgemeine Bürgerfron in Straß-
burg, Trier, Basel 77 f. — Kompensative Lasten der Hand-
werker? 79 ff. — Maß der Dienste 80. — Widerspruchsvolle
Listen der Straßburger Handwerker 81 ff. — Der Burggraf 83 f.
— Die 24 mercatores 84 f. — Ursprung der gewerblichen Leistungen
85 f. — (Heer- und Hofsteuer in Freiburg und Augsburg Anm.
230. — „gewerf" in Basel Anm. 232). — Leistungen der Hand-
Inhalt. VII
Seite
werker zur Heerfahrt in Freiburg 87. — Nur die Münzer An-
gehörige der familia 88. — Eigene Becherer des Bischofs 88 f. —
Auch die zwölf Kürschner u. s. w. können nicht Hofhandwerker
sein 89. — Besonderheit der Münzverwaltung 90 ff.
Der „Liber annaiiuni iurium archiepiscopi Trevirensis" 92 ff.
— „Kammerhandwerker' in Trier 93 ff. — Stellung des Kämmerers
94 ff. — Die „Flandrer' und der Kämmerer in Wien 94. — Ur-
sprüngliches Gericht des Schullheilien in Trier 95 f. — (Kämmerer
in Würzburg, Halberstadt, Regensburg, Lübeck Anm.
258). — „Kammeiherren" der Gerber und Schuster in Trier im
14. Jahrhundert 97 ff.
An bang. Datierung der Trierer Rechtsaufzeichnungen loi — 106
Sowohl der „I^iber annalium iurium" wie die „Instilutiones Treverice
civitatis" gehören ins 12. Jahrhundert lOi ff. — Trierer Ungeld-
tarif von 1248 105 f.
VI. Kapitel. Der städtische Ursprung der Gewerbeordnung. Maß
und Gewicht 107 — 132
Das Ergebnis bis hierher. — Schwache Seiten der bisherigen Lehre
vom freien Ursprung der Zünfte 107 ff. — Kein Verhältnis zu den
Straßburger Aemtern 108. — Die weitere Aufgabe 109. —
Charakter der Gemeinde. Landgemeinde und Stadtgemeinde. Be-
fugnisse des Rates 110 f. — Staat und Gemeinde 112. — Ver-
waltung von Maß und Gewicht im merowingischen Staate 113.
— Mangel an Organen im karolingischen Staate 113. — Das
Fiasko hat einen älteren anarchischen Zustand zur Voraussetzung
114. — Maße in der Frühzeit 115 f. — Verwendung außerhalb
des Handels 116. — Gesichtspunkte der karolingischen Gesetz-
gebung 117 ff. — Schließliche Beschränkung auf das Erreichbare
120. — Karl der Kahle nimmt die Gemeinden in Anspruch 122.
— Von da bis zum Sachsenspiegel 124. — Verwaltung der Maße
auf dem Markte 125 ff. — Der städtische Markt 127. — Auftreten
der Kaufleute 127 f. — Kaufleute und Bürger 128. — Verwaltung
in Halberstadt 128 f. — in Soest 129 f. — in Hannover,
Hamburg, Landshut 130. — Aufsicht über das Handwerk
131. — Vier Bestandteile der Marktkontrolle 131. — Edictum
Pistense 131. — Marktordnung von Landshut 131 f.
Vn. Kapitel. Der Markt und die Aemter 133 — 150
Ungenügende Berücksichtigung der kommerziellen Seite des Hand-
werks: der Handwerker als mercator 133. — Das Wesentliche die
Ware 134. — (Straßburg, Osnabrück, Basel Anm. 338a).
Die Gewerbeordnung ein Teil der Marktordnung 134. — Besonder-
heit des städtischen Marktes 135. — Ansässige und Fremde 135.
— Eindringen der Warenprüfung in die Werkstatt 135. — Forma-
VIII Inhalt,
Seite
lismus des älteren Gewerbegerichts 136. — Abteilung der Hand-
werker in Gruppen 137. — Begriff Amt 138. — Einrichtung des
Marktplatzes 139. — Marktstralden in Köln 140 ff. — Der Erz-
bischof Marktherr 142 f. — Anfänge der Auflösung 144. — (Back-
häuser Anm. 362). — Marktstraßen in Westfalen 144. — Buden-
reihen in Erfurt, Mainz 145 — in Hildesheim, Schlesien,
Freiburg 146. — Markthäuser in Trier 147. — Schauhäuser der
Deutzer Wollenweber 147. — Kaufhäuser 148. — Wirkung der
Einwanderung 149. — (Marktstraßen in Osnabrück, Minden,
Bremen Anm. 381) — (H agenau: magistratus und locus
Anm. 382),
VIII. Kapitel. Die Amtsmeister 151 — 168
Abschluß der Bildung der Handwerksämter durch Einsetzung der
Meister 151. — Vorher sämtliche Handwerker unter dem Schult-
heißen in Hameln 151 — dem Burggrafen in Augsburg 151 —
dem Richter in Wiener- Neustadt 152 — den ministri rei
publicae n. d. Edictum Pistense 152. — Gewisse Handwerker
unter dem Bruggrafen in Straßburg 152 — dem Kämmerer in
Trier und Wien, dem Zöllner in Koblenz, dem Bischof in
.Halberstadt und Hildesheim 153 — dem Domkuslos in
Würzburg, dem Dompropst in Hildesheim 154. — Gewerbe-
gerichte 155. — (Mahlzeiten Anm. 403). — Das formale Recht
hindert den technischen Fortschritt 156. — Ablösung des Gewerbes
156. — Eigene Meister 157. — Beschränkte Befugnis des Straß-
burger Burggrafen und Basler Viztums 157 f. — Die Amismeister
von Anfang an Handwerker 158 ff. — Handwerksämter und Meister
in Basel 158 ff. — (Basler Lehnbuch Anm. 408 ff.) — Aufgabe
des Ministerialen und des Zunftmeisters 161 — (des Straß burger
Burggrafen Anm. 414). — Charakter der Bäckerurkunde 162. —
Zunftausschuß 163. • — Meisterwahl 164. — Amtsmeister in Straß-
burg 165 ff. — in Trier 167 f. — (Magister pistorum in Würz-
burg Anm. 437a).
IX. Kapitel. Die Brüderschaft 169 — 182
Brüderschaften als besondere Gruppe von Handwerker verbänden ?
169 ff. — Idee der Brüderschaft 170 f. — Motive 171. — Koalitions-
freiheit? 172. — Die religiöse Seite der Vereine auch nicht rein
privat 172 ff. — Bei den Basler Marienbrüderschaften 173 — den
Mainzer Webern 174 — den Würzburger Schuhmachern 174 f.
— den Kölner Drechslern 175. — Keine religiöse „Vorgeschichte"
der „Brüderschaften" 175 ff. — Basler Marienbrüderschaften, Kölner
Drechsler, Würzburger Schuhmacher, Mainzer Weber 176. —
(Schenken- und Heimburgenamt der Weber und ähnliches Anm.
456). — Kölner Bettziechenweber und Hutmacher, Magde-
Inhalt. IX
burger Schildinacher 1/7 ff. — „pia spe perennis vitae" 178 f. —
Walker und Tuchscherer in Saint- Trond 180 f.
X. Kapitel. Zunftzwang und Einung 183 — 232
„Amt*' und „Zunft" 183 f. — Kaufniannsgildcn 184 ff. — Weckung
des autonomistischen Geistes bei den Handwerkern 188 f. — Ur-
sprung des Zunftzwanges 189. — Zunftzwang ohne Zünfte 190 f. —
AbschlieUungsgelüste der Handwerker und die Stellung der Fremden
191 f. — Idee der Einung 193. — Verbot der Einungen 194 f. —
Ihre Gewährung und Bedeutungswechsel 195 f. — .,Innung" in
Braunschweig 196 f. — (Unecht^heit des „Ottonianum" Anm.
500). — Verleihung des Innungsrechtes an eine Stadt 198 ff. —
Das Innungsrecht die Grundlage der Stadtwirtschaft 199. — Innung
der Magdeburger Wandkrämer und Schuhmacher 200 ff. — der
Halberstädter Schuhmacher und Wollen weber, der Mühlhäuser
Hutfilzer 202. - — Fremde in der Innung in Goslar, Halberstadt,
Quedlinburg, Perleberg, Leisnig 203. — Bedeutung der
Innung 204 f. — (Nitzsch Anm. 510). — Einung der Kölner
Fleischer 205. — (Straßburger Bäcker Anm. 512.) — Magde-
burger Schildmacher 206. — Innungsmeister in Magdeburg,
Braunschweig, Helmstedt, Halberstadt, Perleberg 207 f.
— {Stendaler Gewandschneider Anm. 521.) — Gewerbepolizei als
Zweck der Innung in Magdeburg, Halberstadt, Stendal 209.
— (Morgensprache Anm. 522.) — Kontrolle eingeführter Leinwand
in Stendal 209 f. — Innung als Gebühr in Perleberg, Parchim,
Plau, Goldberg, Wittstock 211 f. — Erweiterung des Be-
griffs 212. — Kauf der Innung vom Rat in Hameln 212 ff. —
(„Schere" der Gewandschneider, „copfart" und „ininge" 2 14 f.) —
Der Verlauf in Hameln 215. — „Innung" in Breslau 215 ff. —
Weidenau 217 f. — Wohlau (iniungere) Anm. 546 — Halle-
Neu markt 218 If. — (Gegensatz der beiden Weberurkunden in
Stendal Anm. 550 f.) — Aufnahmerecht der Genossenschaft
(Bäcker in Basel und Berlin) 220. ^- Ausübung der Konzession
in Lübeck 221 f. — „Werk" („antwerc") in Lübeck, Berlin,
Straßburg, Braunschweig, Dudersladt 222. — Verleihung
der „Innung" in Osnabrück, Lüneburg 223 f. — Vererbung
von „Amt" (Innung) und „Brüderschaft" 224 ff. — in Lüne-
burg 225 f. — in Hameln, Halberstadt 226 — Straßburg
Anm. 571 — Helmstedt 227. — Weberfrauen Anm. 574. —
Nord- und süddeutscher Verlauf 228. — Innungszwang der Back-
häuser in Slraßburg 228. — Wendungen, die Freiwilligkeit des
Beitritts anzuzeigen scheinen 229. — Unzweideutigkeit in Basel
230. — Die Kölner Gilde 231 f.
XI. Kapitel. Abschließende Tendenzen 2-'3— 2-2
Frühe Anlässe zum Schließen von Zünften 233 ff. — Köln,
Lübeck 233 f. — Würzburg 234. — Mainz, Trier 235. —
X Inhalt.
Seit«
Markteinrichtungen in Trachenberg, Strehlen, Wohlau 235 ff.
— Fischer in Worms, Lüneburg, Lübeck, Hamburg, Trier
237 f., Anm. 601. — Weinschröter . in Würzburg u. ä. Halb-
beamte 238 ff. — Die zwölf Kürschner in Straßburg 239. —
Das „ius trium stratarum" in Regensburg 240 f.
Gegensätzliche Bestrebungen der Handwerker und der Obrigkeit 242 ff.
— Romantische Auffassung des „Mittelalters" 243. — Betrügereien
243 f. — Ausbeutung des Publikums 244 ff. — Aufhebung von
Zünften in Köln, Erfurt, Würzburg 244 ff. — Ausgleich der
Gegensätze und Durchführung des stadtwirtschaftlichen Prinzips unter
dem Rat 247 ff. — Aufhebung des freien Verkehrs: Niedergang des
heimischen Gewerbes, die Folge 250 f. — Rekapitulation 251 f.
Einleitung.
Von Zeit zu Zeit pflegt sich die Notwendigkeit zu ergeben,
unsere Auffassung bald dieses, bald jenes Komplexes historischer
Vorgänge einer erneuten Prüfung zu unterwerfen, je nachdem
sich im Fortgang der Forschung das Urteil über die allgemeinen
Zusammenhänge verschoben hat.
Mit dem romantischen Bilde, das man sich ehemals all-
gemein von dem sogenannten Mittelalter machte, hängt ohne
Zweifel auch die übertriebene Bedeutung zusammen, die man den
Grundherrschaften beigelegt hat. Die unbefriedigenden politischen,
wirtschaftlichen und künstlerischen Zustände der eigenen Gegen-
wart in den ersten zwei Dritteln des neunzehnten Jahrhunderts
zauberten glänzende Träume von der längst entschwundenen
„Kaiserzeit" hervor, und die Hilflosigkeit, der sich ein Teil der
Bevölkerung infolge der neuen wirtschaftlichen Ungebundenheit
ausgesetzt sah, ließ manche die Vergangenheit wieder herbei-
sehnen, in der wohlwollende und weise Grundherren um das
leibliche wie das geistige Wohl ihrer F^amiliae in gleicher Weise
stetig besorgt gewesen sein sollten. Namentlich den geistlichen
Grundherrschaften ward diese Hochschätzung zu teil. Bei ihnen
sollte die ganze Masse der kleinen Leute Schutz gefunden haben,
soweit sie sich noch irgend vor den Vergewaltigungen der welt-
lichen Machthaber hatte retten können: daher auch die Idee einer
allgemeinen Verbreitung der Hörigkeit
Diesen Grundherrschaften wäre sodann die Neubegründung
eines geordneten W^irtschaftslebens nach den Verwüstungen der
Völkerwanderung und wiederum nach den Beutezügen der Nor-
mannen und Ungarn und all den übrigen Kriegen fast allein zu
verdanken gewesen, und das nicht bloß auf dem Gebiete der
Keutgen, Aeniter und Züiifie. 1
2 Einleitung.
Landwirtschaft, sondern in fast noch höherem Grade im Hand-
werk und selbst im Handel. Erst nachdem durch zunehmenden
Verkehr diese Bande zum Teil gelockert worden waren, wäre
neben das grundherrschaftliche ein anderes, unabhängig bürger-
liches System getreten, das stadtwirtschaftliche.
Mochte an diesem Bilde manches richtig sein, so war
anderes schlechthin falsch, und als ganzes bedeutete es eine un-
geheure Uebertreibung. Nicht mit Unrecht hält Rietschel „die
Tendenz, möglichst alle für die wirtschaftliche Entwicklung be-
deutsamen Faktoren in der Grundherrschaft zu suchen, für den
Hauptfehler der modernen Wirtschaftshistoriker",
Es ist wohl ohne weiteres klar, daß die letzte Schuld daran
die Beschaffenheit unserer Quellen trug: die sämtlichen erzählen-
den waren von Mitgliedern der geistlichen Grundherrschaften
verfaßt worden, die nicht Rühmens genug zu machen wußten
von den Segnungen, mit denen die Verwaltung ihres Heiligen
die Landschaft überschüttet hatte. Die urkundlichen Quellen
betreffen eben diese Verwaltung und wurden in den Klöstern
aufbewahrt: über das Leben der Privaten schweigen sie. So ist
es auf dem Lande, so für die ältere Zeit auch in den Städten.
Eben in der Erklärung des Ursprungs der städtischen
Wirtschaftsformen und der Stadtverfassung überhaupt hatte die
grundherrliche Theorie das Hauptfeld ihrer Fruchtbarkeit gefunden.
Allein eine Position nach der anderen sah sie sich im Laufe der
letzten Jahrzehnte gezw^ungen preiszugeben. Weder die Herleitung
des Stadtgerichtsbezirks von der Immunität des Kirchenguts,
noch die anfängliche Hörigkeit der gesamten Bürgerschaft, noch
der Ministerialenrat, noch der hof rechtliche Ursprung der freien
städtischen Leihe ^) erwiesen sich als haltbare Stücke, und auch
die Lehre von der hofrechtlichen Herkunft der Zünfte mußte vor
i) Nachdem der erste Teil meiner Abhandlung im wesentlichen bereits abge-
schlossen war, ging mir Siegfried Rietschels sehr interessanter Aufsatz über ,die
Entstehung der freien Erbleihe' zu (Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Germanist. Ab-
teilung, Bd. XXII), der ich auch die angeführten Worte über die Tendenz unserer
Wirtschaftshistoriker entnommen habe (S. 207 '). Der Verfasser spricht darin von der
Theorie von dem hofrechtlichen Ursprung der freien Erbleihe als der noch herrschenden
und zu beseitigenden : ich hätte nicht geglaubt, daß sie noch viele Anhänger zählte.
Dem Wert der positiven Ergebnisse seiner Schrift geschieht damit natürlich kein
Abbruch.
Ursprung der hofrechtlichen Theorie. ^
V. Belows Argumenten dahinschwinden-). Sie ist nur ein Teil
des ganzen Systems und nur in ihm begründet, aber eben dieser
Teil wurde am zähesten verteidigt Mit national-ökonomischen
Formeln und juristischen Deduktionen ließ sich da scheinbar
vieles erreichen ; allein man vergaß, daß man eine historische Erschei-
nung nur begreifen kann auf Grund einer allseitigen Würdigung-
des gesamten Tatsachenzusammenhanges, in den sie hineingehört.
Man kann dabei gar nicht einmal sagen, daß es sich um
einen Gegensatz zwischen historischer Anschauung und Methode
einerseits, juristischer oder nationalökonomischer andererseits
handelte: wenigstens Juristen ließen sich eine ganze Anzahl nennen,
die in diesen Fragen im wesentlichen mit den Historikern auf
einer Seite stehen 3). Auch wir Historiker wünschen durchaus
ein scharfes begriffliches Erfassen der Erscheinungen und eine
Ergründung ihrer inneren Abfolge. Jedoch es muß bei jedem
erneuten Versuch, den Dingen auf den Grund zu kommen, aus-
gegangen werden von den Tatsachen selbst, soweit sie uns über-
liefert sind; und namentlich darf man nie außer acht lassen, ob
das, was man neu gefunden zu haben glaubt, nicht in unverein-
barem Widerspruch steht zu allem bisher als sicher Geltenden.
Denn, ist das der Fall, so wird man entweder seine Entdeckungen
selbst mit äußerster Skepsis zu betrachten haben oder man ist
verpflichtet, ihr Verhältnis zu dem übrigen Tatsachensystem, in
das sie hineingehören, gebührend zu erörtern^).
Die hofrechtliche Theorie von der Entstehung der Zünfte
lehrt, kurz gesagt, daß die größeren Grundherrschaften des frühen
Mittelalters ihre zahlreichen Handwerker in zunftartigen Ver-
bänden, sogenannten Aemtern, unter je einem Meister organi-
2) Georg V. Below, Hist. Zeitsch. Bd. LVIII, S. 213 ff., wiederabgedruckt
in »Territorium und Stadt' S. 308 ff.; ders., ,Die Entstehung der deutschen Stadt-
gemeinde', S. 20 ff.; ders., ,Der Ursprung der deutschen Stadtverfassung', S. 116;
dere., ,Die Entstehung des Handwerks in Deutschland', Zeitsch. f. Sozial- und Wirt-
schaft^eschichte, Bd. V.
3) Unter den Xationalökonomen jedenfalls Gothein: Wirtschaftsgeschichte des
Schwarzwaldes, Bd. I, S. 309(1. Ueberv. Inama-Sterneggs Stellung vergl. Anm. 7.
4) Das gegensätzliche Verfahren besteht dann, daß man, wie der jüngste Be-
arbeiter des Themas, Rudolf Eberstadt, ein gekünsteltes Begriffsschema an die
Spitze stellt, in dem die Thatsachen gewaltsam untergebracht werden müssen: Magiste-
rium und Fratemitas, eine verwaltungsgeschichtiiche Darstellung der Entstehung des
Zunftwesens (Schmollers Forschimgen, 1897, Bd. XV, 2); ders., Der Ursprung des
Zunftwesens und die älteren Handwerkerrerbände des Mittelalters, Leipzig 1900.
4 Einleitung.
sierten; daß später, als bei zunehmender Menge die Leistungs-
fähigkeit dieser Organisationen den Bedarf der Herrschaft an
Handwerkserzeugnissen zu übersteigen anfing, die Arbeiter Er-
laubnis erhielten, ihre überschüssige Arbeitskraft für eigene Rech-
nung zu verwenden; daß im weiteren ihre Verpflichtungen gegen
die Herrschaften limitiert wurden, und nun das Schwergewicht
für sie auf die freie Arbeit für den Markt fiel; bis endlich die
ganzen „Aemter" die grundherrliche Abhängigkeit überhaupt ab-
warfen und als autonome Zünfte dastanden. Andere Zünfte
sollen wenigstens in Anlehnung an hofrechtliche Verbände oder
in ihrer Nachahmung entstanden sein.
Manche Zweifel an der Möglichkeit einer solchen „Entwicke-
lung" werden dem, der nicht geneigt ist, sich durch den Schein
der Ideen über die Wirklichkeit wegtäuschen zu lassen, schon
beim Lesen dieser Sätze aufstoßen: sie ist gar zu plausibel.
Nach V. Belows Arbeiten ^j aber könnte es überhaupt über-
flüssig erscheinen, noch einmal auf die Frage zurückzukommen,
wenn nicht neuerdings der Versuch aufgetaucht wäre, die alte
Theorie durch Einfügung einiger unbekannten Begriffe noch ein-
mal ins Leben zurückzurufen*'), und es sich nicht an dem Bei-
spiele des Verfassers unserer einzigen deutschen Wirtschaftsge-
schichte gezeigt hätte, daß ihre Dialektik auch auf einen ausge-
zeichneten Gelehrten einen gewissen Eindruck zu machen wohl
imstande gewesen ist^).
5) Vgl. oben Anm. 2.
6) Vgl. Anm. 4.
7) V. In.ima-Sternegg, auf dessen wertvolle Zustimmung zu seiner Theorie
-von Magisterium und Fraternitas sich Eberstadt (Ursprung des Zunftwesens, S. 94*)
beruft, der aber doch auf einem wesentlich anderen Standpunkte steht. Schon 1892
hatte V. Inama die hofrechtliche Herkunft der Zünfte ausdrücklich verneint (Zeitsch,
f. Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. I, S. 562). An der von
Eberstadt angezogenen Stelle, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, Bd. III (i), S. 124 f.,
macht er jener Theorie freilich wieder starke Zugeständnisse, fügt jedoch hinzu: „Aber
große Bedeutung hat diese Institution [das Magisterium] auf deutschem Boden nicht
erlangt", während Ebersiadt a. a. O. das Magisterium als „gerade an der vitalsten
.Stelle der Zunftgeschichte" stehend bezeichnet. Nicht ganz abgeklärt ist v. Inamas
Auffassung in dem neuesten Bande seiner Wirtschaftsgeschichte (1901, Bd. III (2),
S. 1 6 ff.). Er erklärt : ,,Ebenso rudimentär wie in den ländlichen Fronhöfen und in
■den Landgemeinden bleibt die grundherrliche Verfassung der Gewerbe in den Städten."
Dann aber läßt er „die Grundherrschaft auch in der Stadt noch lange über ge-
-werbliche Leistungen der in der Stadt angesiedelten Handwerker" verfügen. Wieder
in gewissen! Gegensatz hierzu heißt es S. 19: ,,Von ungleich größerer Tragweite für
Die Aufgabe. c
Das ist ein Fingerzeig-, daß, wenn auch negative Beweise
ofegen den hofrechtlichen Ursprung der Zünfte in reichlichem
.\[aße bereits zur Verfügung stehen, die Zustände hüben und
drüben positiv dennoch nicht mit genügender Schärfe gezeichnet
sind. Es käme darauf an, ein klares Bild zu gewinnen zunächst
von dem Handwerk auf den Grundherrschaften selbst; dann die
SteUung des Handwerkes auf dem städtischen Markt in dessen
frühesten Zeiten ins Auge zu fassen; die Frage aufzuwerfen,
welcherlei Beziehungen zwischen beiden bestanden haben mögen;
ob danach von einem Uebergang der hörigen Handwerker von
der Fronarbeit zur freien, für eigene Rechnung auf dem Markte
zu verwertenden Arbeit — der beliebten Formel, die alles er-
klären soll — sich Spuren finden; die Anfänge der Organisation
des städtischen Handwerkes wären noch einmal zu untersuchen;
die ausschlaggebenden Vorgänge bei dem Entstehen der autonomen
Verbände.
Gelingt es so, alle einzelnen Faktoren an sich und in ihren
Beziehungen zueinander sicher zu erfassen, so würde sich unter
anderem auch ergeben, auf Grund welcher Tatsachen ehedem
kluge und gelehrte Männer zu ihren hofrechtlichen Anschauungen
haben gelangen können. Die Bekämpfung der hofrechtlichen
Theorie, die uns zunächst beschäftigen wird, hat nämlich in der
Hauptsache nur methodischen Wert. Für die Entstehung der
städtischen Organisationen läßt sich eine völlig ausreichende
Erklärung ganz ohne Rücksicht auf jene finden.
die Entwickelung der städtischen Gewerbeverfassung ist der Einfluß, weichen die Grund-
herren als Stadtherren . . . . auf die Ordnung des Gewerbewesens ausgeübt
haben," indem sie die Handwerke als herrschaftliche Aemter behandelten, die aber
nur „vereinzelt" sich „bis zu einem ausgebildeten zunftähnlichen Organismus" ent-
wickelt haben (S. 21). „Ganz anders in Frankreich" (S. 24') — unter Berufung auf
Eberstadt. Immerhin sind bei v. Inama die wenigen „Magisterien", die er in
Deutschland hat entdecken können, nicht eigentlich hofrechtlichen Ursprungs, und er
fährt fort (S. 24): „Alles, was sonst auf die erste Ausgestaltung der städtischen Ge-
werbeverfassung entscheidenden Einfluß genommen hat, ist wesentlich dem ureigenen
Boden städtischen Lebens entsprossen."
Kapitel I.
Die Handwerker nach dem Capitulare de Villis.
Als das klassische Zeugnis für die Existenz von Hofhandvverks-
ämtern, und zwar schon in früher Zeit, wird regelmäßig Karls
des Großen Capitulare de Villis betrachtet: es bildet die Basis
für den ganzen Feldzug ^).
Im folgenden soll nun kein Wert darauf gelegt werden,
daß die Zustände, die es zur Voraussetzung hat, am Anfange
des 9. Jahrhunderts nur in einem kleinen Teile Deutschlands be-
standen haben können^). Auch will ich nicht weiter urgieren,
daß die Organisation der Krongüter erheblich von der gewöhn-
licher Grundherrschaften abwich, insofern nämlich die Fisci be-
deutende zusammenhängende Gebiete darstellten, innerhalb deren
für das Vorhandensein von Handwerkern der verschiedensten
Art notwendig Vorsorge getragen werden mußte ^^) : ich halte
mich allein an das Dokument selbst.
8) Herausgegeben von Boretius, Mon. Germaniae, Legum Sectio 11, Capitu-
laria, Bd. I, S. 82 — 91; sowie neuerdings in handlichem Format und mit Erläuterungen
von Gareis, Die Landgüterordnung Karls des Großen, Berhn 1895. "~ ^^ seinen
.Bemerkungen zu Kaiser Karls des Großen Capitulare de Villis' (Gennanistische Ab-
handlungen zum LXX. Geburtstag Konrad von Maurers), S. 211 ff. sucht G a r e i s
mit beachtenswerten Gründen das Jahr 812 als das Entstehungsjahr des Capitulare
festzulegen, gegen Boretius' Datierung auf ,,800 vel ante?" (Vgl. auch seine , Land-
güterordnung', S. 10 ff.) Für unsern Zweck ist eine Erörtenmg der Frage nicht nötig.
9) Bemerkungen, S. 238 ff. sucht Gareis das Geltungsgebiet des Capitulare de
Villis festzulegen und findet als solches am wahrscheinlichsten das salfränkische
Stammland, wo „die Hauptmasse der in den Lebensbeschreibungen Karls des Gr.
erwähnten Hofgüter gelegen war" (S. 241). Immerhin wird man annehmen müssen,
daß auch außerhalb dieses Hauptgebietes überall da, wo der allgemeine wirtschaftliche
Zustand es gestattete, die Anwendung der in dem Capitulare niedergelegten Grund-
sätze ins Auge gefaßt worden sei.
10) Ueber die Ausdehnung der Fiskalgüter in Karolingischer Zeit Lamprecht,
Deutsches Wirtschaftsleben, Bd. I (2), S. 713 ff. Danach bildeten die einzelnen
Keine fiskalischen Handwerkei^-erbänck. y
Da aber ist von vornherein zu erklären, daß in ihm von
einer Organisation der Handwerker ämterweise nirgends
die Rede ist. Xur durch einen Rückschluß von den späteren
städtischen Handwerksämtern, die man früher unter der Herr-
schaft der hofrechtlichen Auffassung fast aller Verhältnisse des
wirtschaftlichen Lebens für grundherrliche hielt, hat man auf eine
derartige Idee verfallen können. Xur wenn aus anderen Quellen
feststände, daß zur Zeit des Capitulare in den Grundherrschaften
oder auf den Krongütern die Handwerker innungsartig verbunden
waren, nur dann könnte man es allenfalls als berechtigt gelten
lassen, wenn jemand auch in dem Capitulare de Villis Spuren
solcher Verbände erkennen wollte.
Dennoch beherrscht jene Auffassung die Literatur allgemein ^^).
TatsächUch steht aber nicht einmal über die Zahl der Handwerker,
die sich von jeder Art auf den königlichen Gütern vorfinden
sollten, in dem Capitulare etwas zu lesen, auch nicht, daß sie „in
hinreichender Anzahl" zu halten waren, wie wohl behauptet wird ^-),
geschweige denn in so großer Menge, daß jede Kategorie einen
Verband für sich hätte bilden können: auch dieser Anhaltspunkt
also fehlt.
Auch die neueste Abhandlung, die dem Capitulare de
Villis besonders gewidmet ist (von Gar eis ^^)), weicht von der
königlichen Domänen geschlossene Territorien „von ein bis zwei, im Ausnahmefall
sc^ar von fünf bis sechs Quadratmeilen" (S. 717). Angaben über Fisci in anderen
Teilen Deutschlands als den Rhein- und Moselgegenden S. 717^. Die Verwaltung
nach dem Cap. de Villis S. 7 19 ff. Den Unterschied zwischen der Organisation der
Fiskalterritorien und der des giundherrlichen Streubesitzes betont Lamprecht beson-
ders S. 718. Immerhin sind auch ganze Fisci in den Besitz von Kirchen übei^egangen.
Vgl über das ehemalige Krongut Friemersheim: Rudolf Kölzschke, Studien zur
Verwaltungsgeschichte der Großgrundherrschaft Werden an der Ruhr (Leipzig 1901),
S. 8 ff. Das für uns dabei Wesentliche, der Bestand an Handwerkern auf dem
Haupthole beim Kloster selbst, wird den Gegenstand der Untersuchung des folgenden
Kapitels bilden.
11) Eine Ausnahme finde ich allein bei G. L. v. Maurer, Geschichte der
Städteverfassung, Bd. II, S. 323: „Ob die Handwerker und Künstler selbst zur
Karolingischen Zeit schon nach ihrer gleichartigen Beschäftigung in Aemter (officia)
eingeteilt waren, kann mit Bestimmtheit nicht nachgewiesen werden." — Vgl. auch
unten Anm. 17.
12) G. L. v. Maurer, Geschichte der Fronhöfe, Bd. I, S. 244, § 83; ebenso
Schönberg, Zur wirtschaftlichen Bedeutung des deutschen Zunftwesens im Mittelalter
<Hildebrands Jahrbücher, Bd. IX), S. 166 f.
13) Landgüterordnung Karls des Großen, S. 8, S. 41 Anm. ,,niagister" ; ders.,
Bemerkungen S. 246, § 7.
8 Das Capitulare de Villis.
allg-emeinen Auffassung nicht ab, auch sie erkennt dort „die deut-
lichen Anfänge des späteren Zunftwesens, der obligatorischen
Innungen des deutschen Mittelalters". „Für jedes Handwerk", so
erklärt der Verfasser, „sind Vorgesetzte (magistri, Handwerks-
meister) und Untergeordnete (juniores) bestellt"; ferner, daß „die
Magistri — Handwerksmeister — für ihr Amt (Handwerk, offi-
cium, ministerium) dem königlichen Amtsvorsteher Bericht zu er-
statten und Rechnung zu stellen haben", unter Berufung auf c. 63;
endlich, daß „denselben Meistern die Vertretung ihrer Handwerks-
genossen, Gehilfen und Untergebenen in deren Rechtsansprüchen
zukommt und obliegt (c. 2g, 57)".
Diese Darstellung erheischt in allen wesentlichen Punkten
Berichtigung. In dem Capitulare findet sie ihrem Kerne nach
durchaus keinen Halt. Sie beruht auf der ganz willkürlichen
Annahme, daß die dort genannten „magistri" schlechthin Handw^erks-
meister, auf der ebenso willkürlichen, daß die „iuniores" überhaupt
Handwerksgehilfen sind.
Die Bedeutung, in der diese beiden Ausdrücke tatsächlich
in dem Capitulare gebraucht werden, haben wir zunächst festzu-
stellen; dann die der Ausdrücke „officium" und „ministerium". ,
Was zunächst die „magistri" betrifft, so werden sie in Be-
ziehung zu einem Gewerbe nur einmal genannt: zufolge c. 61
nämlich sollen mit dem zu hefernden Malz „magistri" an die
Königspfalz entsandt werden,
qui cervisam bonam ibidem facere debeant.
Wer wird aber dabei an Vorsteher von Handwerkerämtern denken?
Es ist klar: als Meister werden jene Männer bezeichnet, weil sie
ihr Geschäft aus dem Grunde verstehen; nur solche sollen den
königlichen Haushalt bedienen, nicht pfuschende Gehilfen '•^^).
Indes ist dies, wie gesagt, das einzige Mal, daß in dem
Capitulare „magistri" überhaupt in solcher Verbindung vorkommen.
An den beiden andern Stellen, wo sie erwähnt werden,
sind sie ganz allgemein Vorgesetzte, entsprechend dem französi-
schen „maitre", dem englischen „master" — nämlich in den beiden
zuletzt von Gareis zitierten Kapiteln 29 und 57, wo „magistri"
und „servi" einander gegenübergestellt werden. ' Danach soll
einmal der „magister" die Ansprüche der „servi" außerhalb der
13a) Vgl. hierzu die „vitrei magistri" in Farfa, unten Seite 29. Ferner
Anin. 86.
Magistri und Servi, g
l'isci vertreten, während andererseits dem „servus", der über seinen
..magister" zu klagen hat, zum Könige der Weg nicht verlegt
werden darf. Gewiß braucht es an sich nicht ausgeschlossen zu
sein, daß diese Bestimmungen auch auf das Verhältnis der Hand-
werksmeister zu ihren Gehilfen Anwendung finden konnten; in
erster Linie aber wird der Gesetzgeber das zwischen den Land-
arbeitern und ihren Vorgesetzten im Auge gehabt haben. Denn
dies war eben doch in der Bewirtschaftung der Krongüter das
weitaus wichtigste derartige Verhältnis, das daher auch zuerst
der Regelung bedurfte •*).
In Wirklichkeit ist es wahrscheinlich, daß die Handwerks-
meister vielmehr zu den „servi" im Sinne dieser Stellen gerechnet
worden sind als zu den „magistri." „Servn" sind das gesamte
niedere Personal der Höfe. Wir haben nicht den geringsten
Anlaß zu glauben, daß die Handwerker über dessen Niveau er-
haben gewesen seien. Denn ihre Lage wird sich auf den Kron-
gütem nicht wesentlich von der ihrer Kollegen in den Klöstern
der Zeit unterschieden haben, die wir als eine durchaus abhängige
noch kennen lernen werden. Es ist daher eine unberechtigte
\'orstellung, als wäre der Handwerksmeister die gegebene und
selbständige ^littelsperson zwischen dem Handwerksgehilfen und
dem Könige gewesen. Der Instanzenzug ging vielmehr zunächst
an den „maior" und „iudex". Diese Beamten waren in der Lage,
ihren Untergebenen den Weg zum Könige zu versperren und
sie nach außen zu vertreten. Sie sind es, an die in den c. 2g
und c. 57 bei dem Ausdruck „magistri" zuerst zu denken ist^^).
'4) Vgl. den Gebrauch von „magister" in Hincmarus de ordine palatii, c. 28
i.NfG, Capitularia, Bd. II, S. 526; Handausgabe von Krause, S. 20); femer den
magister operis zu Erkeln: Verzeichnisse Cor vey scher Güter und Einkünfte aus dem
12. und 13. Jahrh.; Wigand, Archiv I (4), S. 52 f.; sowie den magister operis in
Berse, der die Kelter unter sich hat: 13. Jahrh., Grimm, Weistümer, Bd. I, S. 693,,
694. (Stott „properabit" muß es dort wohl heißen „propinabit").
15) c. 29 „ Et si habuerit servTis noster forinsecus iustitias ad que-
rendum, magister eius cum omni intentione decertet pro eins iustitia; et si aliquo loco
minime eam accipere valuerit, tarnen ipso servo nostro pro hoc fatigare non permittat,
sed magister eius per semetipsum aut suum missum hoc nobis notum facere studeaL"
Ich vermag nicht einzusehen, wie ein Handwerksmeister — auch in seiner Anmerkung
zu der Stelle spricht Gareis von einem solchen — Ansehen genug besitzen konnte,^
um einen Untergebenen vor einem auswärtigen Gerichte mit Erfolg zu vertreten. Das
vermochte nur eine dem Vogt der Kirchengüter entsprechende Person, mithin der
..iudex" oder allenfalls der „maior". Ebenso ist unwahrscheinlich, daß ein anderer
als der „iudex" den „missus" an den König abzusenden gehabt hätte, außer in dem.
lO Das Capitulare de Villis.
In dem von Gareis angezogenen c. 63 findet sich der
Ausdruck „inagister" überhaupt nicht.
Ganz irreführend ist es nämlich, wie Gareis „magistri"
und „iuniores" in Verbindung bringt, während in dem Capitu-
lare selbst jenen lediglich „servi" gegenübergestellt werden. Nun
ist sofort klar, daß, nachdem Gareis erst die „magistri" zu
Handwerksmeistern gestempelt hat, im weiteren ein ganz ver-
schiedenes Licht auf ihr Verhältnis zu ihren Untergebenen fallen
muß, je nachdem diese schlechthin ., servi" heißen oder als jener
„iuniores" bezeichnet werden. Tatsächlich sind die „iuniores"
nach dem Capitulare die verschiedenen Untergebenen des „iudex",
unter anderem die „maiores", die Meier, die Vorsteher der von
■dem Haupthof des Fiskus abhängigen Nebenhöfe'*'). Wenn aber
nach c. 62 der Amtmann neben vielen sonstigen auch über die
Leistungen der Handwerker Rechenschaft abzulegen hat und es
im folgenden Kapitel heißt, daß, wie von ihm der König, so er
diese von seinen „iuniores" fordern soll, so wird es ganz gewiß
■nicht gestattet sein, diese „iuniores" darum sofort als Häupter
von innungsartigen Verbänden der Handwerker anzusprechen.
Eine andere Bezeichnung für Diener der verschiedensten
Art, vom höchsten Beamten abwärts, ist „min ister ialis". In c. 16
werden des Königs Seneschall und Schenk so genannt, in c. 10
die Meier, Förster, Stallmeister, Kellerer, Zöllner, in c. 47 die
Jäger und Falkner, in c. 41 die Diener in Stall, Küche, Back-
haus und Kelter, in c. 45 die Handwerker: den besonderen Be-
^ifF des Beamten gibt es eben noch nicht, alle sind in gleicher
Weise des Königs Diener,
Dementsprechend ist „ministerium" der Dienst, so in c. 10:
häufiger aber wird der Ausdruck in dem Capitulare in lokaler
Uebertragung gebraucht. In cc. 9, 17, 45, 50, 53, 56 bezeichnet
•er den Amtsbezirk des „iudex", in c. 26 den des „maior", in c. 27
den des „comes" — gilt somit nicht bloß für die Güterverwaltung,
Falle der Rechtshinterziehiing durch den ,, iudex" selbst (c. 57). An dieser letzten
Stelle faßt denn auch Gareis mit Recht die „iuniores illius" als diejenigen des ,. iudex'' :
nach seiner Erklämng von ,,rationes" zu urteilen.
16) c 58: „iunioribus suis, id est maioribus et decanis vel cellerariis''. Vgl.
c. 16, 57, 63; femer den Schluß der vorigen Anm. Damit ist natürlich nicht aus-
geschlossen, daß in einer anderen Quelle emmal der Hilfskoch oder Küchenjunge als
•der „iunior" des „coquus" bezeichnet wird. Vgl. unten Anm. 53. Es folgt daraus
nur, daß auch aus der Bezeichnung ,, iunior" in keinem Falle auf ein Verhältnis ähn-
Jich dem der gewöhnlichen Meister zum Zunftmeister geschlossen werden könnte.
Juniores, minislerialcs, nünisteriiiin, ariifices, geniiia. I i
sondern wird auch auf einen öffentlich-rechtlichen Bezirk ang^e-
wandt. Einen Personal verband bedeutet er nirgends ^^. „Offi-
cium" kommt nur einmal vor, und zwar werden in c. 41 die Ge-
schäfte der Hausdiener ganz allgemein so bezeichnete^).
Die Handwerker speziell heißen „artifices" (c. 45): gute
„artifices" soll jeder „iudex" in seinem „ministerium" haben, und
zwar Eisen-, Gold- und Silberschmiede, Schuhmacher, Drechsler,
Stellmacher e^), Schildner, Fischer, Vogelsteller, Seifensieder, Brauer
von Bier, Apfel- oder Birnwein und andern Getränken, Semmel-
bäcker für den Hof („ad opus nostrum"), Xetzmacher für Jagd,
Fisch- und Vogelfang
necnon et reliquos ministeriales, quos adnumerandum
longum est.
Die auffallende Einreihung der P'ischer und Vogelsteller
unter lauter Handwerker kennzeichnet den ländlichen Zuschnitt,
während das Fehlen von Ausübern mancher notwendiger Tätig-
keiten sich ebendaher erklärt, nämlich weil ihr Vorhandensein auf
jedem ländlichen Anwesen sich von selbst verstand. Daher werden
nicht Bäcker überhaupt, sondern nur Semmelbäcker bestellt. Anderes
lajf den Frauen ob in ihren „Genitien" (Gynäceen, c. 43, c. 31)
namentlich die ganze Tucherei, von Wolle wie von Leinen; und
nicht bloß das Spinnen und Weben, sondern auch das Kämmen,
Karden, Walken, Färben, — wie aus den Materialien sich ergiebt,
die ihnen zu liefern waren (c. 43) -*>).
17) V. Below sagt, Hist. Zeitschr., Bd. LVIII, S. 214 (Territorium und Stadt.
S. 308), „ministerium" sei an den angeführten Stellen der terminus technicus für den
hofrechtlichen Handwerkerverband. Das ist ein Irrtum. — Vgl. noch Capitularc
Aquisgranense , Boretius, I, S. 170 ff., § 8: „Ut vicarii luparios habeant, unus-
quisque in suo miristerio duos." Femer Capitulare de disciplina palatii Aquisgranensis.
a. a. O., S. 298, § 2: „per suum ministerium, id est per domos servorum nostronim,
tarn in Aquis quam in proximis villulis nostris ad Aquis pertinentibus".
18) „Ut aedificia intra curtes nostras vel sepes in circuitu bene sint custoditae,
et stabula vel coquinae atque pistrina seu torcularia studiose praeparatae fiant, quatenus
ibidem condigne ministeriales nostri officia eorum bene niiide peragere possinL"
IQ) Das ist die Grundbedeutung von „carpentarius", die hier besser paßt als
■die spätere ,, Zimmermann", da es sich um Männer besonderer Kunstfertigkeit handelt.
Vielleicht sind es auch Schreiner, die Verfertiger der „scrinia" des c. 62. Vgl. im
übrigen über den „carpentarius" unten Anm. 54.
20) Boretius, Capitularia, Bd. I, S. 87 '*•, und Gareis, Landgüterordnung,
S. 48 Anm., übersetzen „pectinos laninas" mit Weberdistel; Klumker, Der friesische
Tuchhandel z. Z. Karls des Grossen, S. 36 '', dagegen mit Wollkamm. Da außerdem
noch .jCardones" genannt werden, wird Klumker recht haben. Jedoch aus einem
I 2 Das Capitulare de Villis.
Noch an einer Stelle ist in dem Capitulare von Handwerkern
die Rede: in c. 62, bei Aufzählung all der Dinge, über die der
Amtmann Rechenschaft ablögen soll. Eine generelle Bezeichnung
fehlt hier jedoch. Neu hinzugekommen sind die Sattler. Ferner
werden erwähnt an gewerblichen Anstalten Mühlen, Eisenhütten-^),
Eisen- und Bleigruben --). In c. 42 werden neben Hausgerät auch
verschiedene Werkzeuge aufgeführt, die sich in jeder Villa vor-
finden sollen: damit ist aber, was in dem Capitulare über das
Handw'erk vorkommt, erschöpft.
Ein Punkt bleibt aber noch zu berühren.
Es wird dem Amtmann vorgeschrieben, Sorge zu tragen,
daß die genannten Handwerker sich in seinem Ministerium vor-
finden 23). Das aber war, wie wir gesehen haben, ein quadrat-
meilengroßer Bezirk, der außer dem Haupthof noch Nebeiihöfe
(Vorwerke) und ausgetane Hufen, „mansioniles", in sich begriff.
Seine Bevölkerung war eine mannigfach zusammengesetzte und
umfaßte außer den Unfreien verschiedener Art auch Freie, „Franci",.
,,ingenui", „liberi" ^i). Solche konnten z. B. die Pferdehirten, „pole-
drarii" sein'^-^). Ebenso w^urde nur ein Teil unmittelbar beköstigt,
„provendarii", während die übrigen „mansi" oder „beneficia" inne
hatten '^^).
Dem gegenüber ist es w-ohl möglich, daß es, neben den auf
den königlichen Höfen im Handwerk beschäftigten Knechten, in
Verbot der Karde in der Champngne im 14. Jahrhundert zu schließen, daß der Woll-
kamm übeihaupt in der Wollbearbeitung früher gebräuchlich gewesen sei als die Karde,
ist nicht statthaft. Der Gebrauch beider Werkzeuge ist auch nicht derselbe.
21) So deutet Gareis das ,,de ferrariis'' wohl mit Recht.
22) In demselben c. 62 werden auch Einkünfte „de proterariis" erwähnt, womit
niemand recht etwas anzufangen weiß. Gareis, Landgüterordnung, S. 57 Anm.,
zitiert verschiedene Konjekturen: petrariis = Steinbrüche, petariis = Torfstiche, proter-
rariis vielleicht = Neubruch.
23) c. 45.
24) c. 4: ,, Franci autem, qui in fiscis aut villis nostris commanent". c. 52:
„de fiscal[in]is vel servis nostris sive de ingenuis, qui per fiscos aut villas nostras
commanent". c. 62 (Abrechnung): ,,quid de liberis hominibus et centenis, qui partibus
fisci nostri deserviuni''. Vgl. die folgende Anm.
25) c. 50: ,,Et ipsi poledrarii, qui liberi sunt et in ipso ministerio beneficia habuerint,
de illoium vivant beneficiis; similiier et fiscalini, qui mansas habuerint, inde vivantr
et qui hoc non habuerit, de dominica accipiat provendam".
26) Vgl. die vorige Anm. ,, Provendarii'' c. 31. — Gareis' Deutung der
„deputati" c. 17 in demselben Sinne scheint mir höchst anfechtbar: es sind doch wohl
nur die mit der Bienenzucht ausschließlich ,,beauftragten" Leute.
Freie Arbeiter. Brevium Exempla. ix
dem weiteren Bezirk des „niinisterium", wie Märkte 2^"), so auch
einem Handwerk obliegende freie Bewohner gegeben hat. Sie
gehören in den Gesamtorganismus des Krongutes mit hinein.
Denn dem Kaiser kam es ja, wenn wir dem Wortlaute trauen
dürfen, nur darauf an, daß innerhalb des Ministerium die nötigen
Handwerker, also gleichgültig welchen Standes, zur Verfügung
w'aren. Die Bedeutung einer Klasse in irgend einem Sinne freier
Handwerker für die Gesamt Wirtschaft wird uns später beschäftigen.
Denn unmittelbar interessieren uns nur die handarbeitenden Knechte,
die zu dem Inventar der Höfe selbst gehörten.
Zur vollständigen Würdigung des Capitulare de Villis ist
indes noch eine Quelle heranzuziehen. Das Capitulare enthält ein
Programm, es stellt das Ideal auf, dessen Reahsierung man
wünschte. Wie es aber in der Wirklichkeit aussah, was man auf
den Krongütern auch nur tatsächUch zu finden erwartete, das
lehren uns die Brevium Exempla ad Describendas Res
Ecclesiasticas et Fiscales, das Muster, nach dem die kaiser-
lichen ]\Iissi bei Beschreibung der einzelnen Fisci zu verfahren
hatten-'). Einzelne Wendungen zeigen uns, dass die Vorschriften
des Capitulare bei Abfassung des Formulars zur Richtschnur ge-
dient haben-**), w'ährend die Nennung wirklicher Namen beweist,
daß man andererseits tatsächliche Verhältnisse zu Grunde legte -^).
Da sieht es denn kläglich genug aus.
Am glänzendsten ausgestattet präsentiert sich der Fiscus
Asnapium. Er besitzt:
salam regalem ex lapide factam optime.
2b a) c. 62; vgl. c. 54.
27) Boretius, Capitularia, Bd. I, S. 250 ff., spezieller S. 254 ff.
28) Den Beweis liefern die Worte „aurifices neque argentarios , ferrarios,
neque ad venandum", die eine geradezu sklavische Anlehnung an den Handwerker-
aragraphen (45) des Capitulare de Villis zeigen, wo ebenfalls mit den verschiedenen
■schmieden angefangen wird und es zum Schlüsse heißt „retiatores, qui reiia bene
facere sdant, tarn ad venandum quam ad piscandum sive ad aves capiendum". So
wie die gesperrten Worte in den Brevium Exempla stehen, haben sie keinen Sinn
und erhalten ihn erst durch die Ergänzung aus dem Capitubre. Dadurch wird das
Verhältnis beider Dokumente außer Zweifel gestellt, gegen Gar eis, Landgüterordnung,
S. 12, der die Priorität der Brevia für wahrscheinlicher hält
29) Dies meint auch Boretius, a. a. O. S. 250, während Gareis, Landgüter-
ordnung, S. II, es wenigstens für möglich hält. Im Grunde macht es nicht allzuviel
aus, ob die Beschreibung der Güter, die man den Formularen zu Grunde legte, wirk-
lichen Zuständen entnommen war oder nur wahrscheinlichen.
14 Das Capituiaie de Villis.
Dem entsprechen die übrigen Baulichkeiten und das ganze In-
ventar, die abhängigen „villae" mit ihren Scheuern und Baum-
gärten, sowie die „mansionilia", die teils zu diesen, teils zum
Haupthof gehören ^*').
Allein sobald man auf die Handwerker kommt, heißt es:
§ 29 . . . Ministeriales non invenimus aurifices neque
argentarios, ferrarios, neque ad venandum, neque in reli-
quis obsequiis.
Bei den übrigen Fisci aber, die geschildert werden, und die
nach der Bauart des Wohnhauses und allem Zubehör einen be-
scheideneren Eindruck machen"^'), ist dieser Punkt überhaupt mit
Stillschweigen übergangen. Wenn dann aber gleichwohl offenbar
ein genaues Inventar aufgenommen ist, auch die vorgefundenen
Handwerkszeuge aufgezählt werden ^2), so wird man gewiß nicht
mit V. Maurer schließen dürfen, daß die Handwerker selbst nur
deshalb nicht erwähnt sind, weil ihr Bestand genau den Vor-
schriften des Capitulare entsprach 3'^). Das Wahrscheinliche ist
30) Di6 Beschreibung von Asnapium fährt nach ,,optime'' fort: ,, Cameras III,
solariis totani casam circumdatam, cum pisilibus XI ; infra cellarium I ; porticus II ;
alias casas infra curtem ex ligno factas XVII cum totidem cameris et ceteris appen-
diciis bene conposilis ; stabokm i I ; coquinam I ; pistrinum I ; spicaria II ; scuras III.
Curtem tunimo strenue munitam, cum porta lapidea, et desuper solarium ad dispen-
sandum." U. s. w. — Asnapium läßt sich nicht mehr identifizieren. Nach Eccards
Vorgang hat man es früher für Gennep gehalten, und die von Asnapium abhängige
Villa Grisio für das ebenfalls in der Nähe von Cleve gelegene Griet, Boretius,
S. 254 ■"•''^. Andere Vermutungen äußert Gareis, Landgüterordnung, S. 1 1 ■■.
31) § 30 „domum regalem, exterius ex lapide et interius ex ligno bene con-
structam, .... pisile cum camera I ordinabiliter constructum ; . . . . coquina et
pistrinum in unum tenentur''. § 32 ,, casam regalem cum cameris II totidemque
caminatis" (etc.); aber auch ,,capellam ex lapide bene constructam". § 34 domum
regalem ex ligno ordinabiliter constructam, cameram I" (etc.). § 36, ,,in Treola ....
casam dominicatam ex lapide optime factam" ; hier auch allein ein „murus" um
den Hof.
32) § 25 (Asnapium), secures II, dolatoriam I, terebros II, asciam I, scal-
prum I, runcinam I, planam I =1 Beile, Bandmesser, Bohrer, Axt, Schnitzmesser (nach
Gareis, Landgüterordnung, S. 48 Anm.), verschiedene Hobel. Aehnlich in § 32
und § 34; in § 36 (Treola) nichts. Die meisten der genannten Werkzeuge sind, wie
andere nach den Breven vorgefundene Utensilien, vorschriftsmäßig nach Cap. de viUis 42.
Vgl. auch Capitulare Aquisgranense, Boretius, Bd. I, S. i/o ff., §10, die Werkzeuge,
die, wie der König, so auch die Großen in ihrem Heeresgepäck führen sollen.
33) Fronhöfe, Bd. I, S. 244 f. : „Wo dieselben auf einem Königshofe nicht in hin-
reichender Anzahl vorhanden waren oder ganz fehlten, mußte es in den jedes Jahr zu
verfertigenden Breviarien bemerkt werden.'' Das gibt eine falsche Vorstellung: es
wurde vielmehr alles' aufgeschrieben, was da war, und nur ausnahmsweise besonders
bemerkt, was fehlte.
Brevium Exempla. Pisilis. je
vielmehr, daß man bei den weniger bedeutenden Plaupthöfen auf
das Vorhandensein von technisch ausgebildeten Leuten im Grunde
überhaupt nicht rechnete, während die genannten Werkzeuge
jeder Bauer zu handhaben verstand.
Ein gewisser Mißbrauch ist hierbei noch mit dem Worte
„pisiüs" getrieben worden.
In Asnapium sind bei dem Saal elf „pisiles". v. Maurer
übersetzt „eilf Arbeitshäuser", „off enbar Arbeitshäuser der Frauen" '*),
während er an einer anderen Stelle desselben Buches auf Grund
desselben Ausdruckes schlankweg behauptet: „Auch auf dem
Königshofe zu Asnapium u. a. m. arbeiteten die Männer [!} ge-
meinschaftlich miteinander in solchen Kammern 3^").
Das ist rein aus der Luft gegriffen. Von Arbeitsräumen
ist gar nicht die Rede. „Pisilis", „pisalis" ist nur ein heizbarer
Raum 3^). Solche kommen in den Genitien vor, z. B. nach c, 49
des Capitulare de Villis, und darauf hat v. Maurer seine folgen-
schwere Behauptung basiert. Ob aber Werkstätten der Hand-
werker jemals so bezeichnet worden sind, ob sie mit Heizanlagen
versehen waren, bleibt überhaupt in hohem Grade zweifelhaft.
Nicht ohne Ironie aber ist es, daß gerade in Asnapium, wo die
Missi ausdrücklich keinerlei Handwerker fanden, dennoch elf heiz-
bare Arbeitsräume für sie bereitgestellt gewesen sein sollen 2'').
34) Geschichte der Fronhöfe, Bd. I, S. 122 f. Aehnlich erklärt Boretius,
S. 254^- zu dieser Stelle, „mulierum camerae"; dagegen S. 87^', zu Cap. de Villis,
c. 49, richtig, „camerae caminis instructae." Vgl. unten Anm. 36.
35) A. a. O. S. 246. Vgl. übrigens auch unten Anm. 37.
;6) Es wird hergeleitet von „pensiUs". „Balneae pensiles" werden als Bade-
zimmer mit heizbarem Fußboden erklärt (Georges, Handwörterbuch, unter „pensilis").
Lex er, Handwörterbuch, unter ..phiesel'*, scheint freilich die Form „pensale" vorzu-
ziehen und das Wort von „pensum" herleiten zu wollen, gestützt auf W. Wacker-
nagel, Die Umdeutschung fremder "Wörter. Das ist aber nach der überwiegenden
Verwendungsweise unmöglich; denn überall, wo ein Begriff dabei erkennbar wird, ist
es der der Heizbarkeit. So auch Kluge, Etymologisches Wörterbuch, unter Stube.
Französisch poele, Ofen, wird ebendaher abgeleitet. Vgl. auch Gar eis, Landgüter-
ordnung, S. 5 1 Anm., sowie meine nächsten Anmerkungen.
37) Ebenso grundlos ist es daher in den „camerae" der 17 Holzhäuser im Hofe
von Asnapium Räume zu sehen, in denen die männliche Dienerschaft zusammen
arbeitete (wie v. Maurer S. 123). Wahrscheinhch waren diese „casae" zu Quartieren
für ein größeres Gefoige und für fremde Besucher bestimmt, wenn der König zu
Asnapium Hof hielt. Vgl. noch unten Anm. 40. — Dem gegenüber kann nicht in
Betracht kommen, daß an sich freilich die unfreien Handwerker, wo sie vorhanden
waren, in „camerae" zu arbeiten pfl^ten. Vgl. unten bei Anm. 64 u. 85.
H 6 Das Capitulare de Villis.
Trotzdem hat die Ideenverbindung „pisalis" = Arbeitsraum so
sehr von v. Maurer Besitz genommen, daß er auch in einet
„pisalis", die sich unter dem Schlafzimmer der Mönche von Muri
befand, ohne weiteres einen Arbeitssaal sieht ^^). Aber gerade
aus dieser Verbindung von „dormitorium" und „pisilis", die sich in
den Klöstern mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederfindet,
-ergibt sich, daß es sich dabei, dem Wortsinn entsprechend, eben
um nichts als um einen heizbaren Raum handelt, in dem die
Mönche sich an kalten Tagen aufzuhalten hatten , solange sie
•nicht anderswo beschäftigt waren 3^), wie er aber auch in den
Arbeitshäusern der Frauen und, in der Mehrzahl, in einer Pfalz
wie Asnapium zu Wohnzwecken am Platze war**^).
Das Ganze zeigt, wie tief falsche Einzelvorstellungen ein-
gewurzelt sein können, die erst ausgerottet werden müssen, ehe
für neue Anschauungen überhaupt nur Platz zu gewinnen ist*").
Demselben Wirtschafts- und Gedankenkreise, wenn auch
nicht in so unmittelbarer Abhängigkeit wäe die Brevium Exempla,
gehören noch einige andere Quellen an, in denen man Angaben
über die Hofhandwerkerschaften zu finden erwarten würde, wenn
diese an den Karolingischen Höfen wirklich von der Bedeutung
gewesen wären, die man ihnen zugeschrieben hat. Dahin gehört
das Capitulare Aquisgranense, zumal § 19, wo den „villici"
38) A. a. O. S. 246. Acta Murensia (neuere Ausgabe in Quellen zur
-Schweizer Geschichte, Bd. 111 (3)), S. 23: „edificavit . . . dormitorium, subtus autem
pisalem congruaque habitacula alia fratribus constituit". Der Pfisel war, wie üblich,
unter dem Schlaf räum, nicht umgekehrt, wie v. Maurer sagt.
39) In der Klosterordnung für Corbie von 822 (S. 318, vgl. unten Anm. 78)
finden sich genaue Vorschriften für das Verhalten der Mönche ,,in piselo", als dem
Tagesaufenthalt im Winter.
40) Ich verstehe, daß die „XI pisiles'' wie die „111 camerae" in dem von
Söllern umgebenen und mit zwei Vorhallen geschmückten, als „sala" bezeichneten
Hauptgebäude waren, im Gegensatz zu den „aliae casae infra curtem ex ligno factae
XVll cum tolidem cameris".
41) „Tunimus", mag dabei bemerkt werden, ist von Boretius, S. 254''^
mit ,,Zaun" wohl auch nicht gut übersetzt. Vgl. S. 255, § 30: „curtem tunimo
circumdalam desuperque spinis munitam''; § 34 „curtem tuniino circumdatam et
desuper sepe munita[m]''. Danach scheint es, als ob tunimus vielmehr ein Wall
wäre: nicht ohne Interesse in Anbetracht der Rolle die ,,iün" in der englischen Ver-
fassungsgeschichte spielt. Ein Zaun würde ,.sepes" sein, womit die Höfe der ein-
fachen Villae umgeben sind: §§ 26 — 28, 32. Nur der Hof des Fiscus Treola hat
eine Mauer, § 36. In Bezug auf ,, desuper" vgl. § 35: ,,porta lapidea et desuper
Solarium."
Die Pfalz zu Aachen.
17
kurze, aber umfassende und genaue Vorschriften gemacht werden
über alles, wofür sie zu sorgen haben*-), ü. a. heißt es:
Et ut feminae nostrae, quae ad opus nostrum sunt ser-
vientes, habeant ex partibus nostris lanam et linum et
faciant sarciles et camisiles.
Von Handwerkern ist dagegen mit keinem Worte die Rede.
Femer wäre das Capitulare de Disciplina Palatii Aquis-
granensis von l^udwig dem Frommen heranzuziehen, wo eine
inquisitio per domos servorum nostrorum tam in Aquis
quam in proximis villulis nostris ad Aquis pertinentibus,
ferner
per scruas et alias mansiones actorum nostrorum,
sowie endlich
per mansiones omnium negotiatorum
angeordnet wird ^^). Irgend welcher Handwerker geschieht dabei
nicht besonders Erwähnung.
Und endlich erweist sich selbst Erzbischof Hincmars be-
rühmte Schrift über die Ordnung der Pfalz gänzlich unergiebig**).
Warum aber sind, wird man fragen, die Bestimmungen des
Capitulare de Villis nicht durchgeführt worden? Auf den länd-
lichen Gütern aus dem einfachen Grunde, weil Handwerker noch
weniger als Soldaten sich aus dem Boden stampfen lassen. Bei
der Pfalz Aachen aber wird ein anderer Umstand den Ausschlag
gegeben haben, auf den ich später zu sprechen komme.
42) Boretius, Capitularia, Bd. J, S. l"off.; vgl. oben Anm. 17. Ueber die
Bedeutung von „camisilis" und „sarcilis" vgl. meinen Aufsatz ,.Der Großhandel im
Mittelalter", Hansische Geschichtsblätter, Jahi^. 1901 (Leipzig 1902), S. 91 ®'.
43) Boretius, S. 298, § 2. Daß die erwähnten Händler („sive in mercato
sive aliubi negotientur, tam Christianorum quam et ludaeorum") einen eigenen Vor-
stand gehabt hätten, wie v. Maurer, Fronhöfe, Bd. I, S. 245, behauptet, ist wieder
ein übereilter Schluß.
44) Hincmarus de ordine palatii, vgl. oben Anm. 14. Hier, etwa in c. 28,
hätte man am sichersten etwas erwartet.
£eutgen, Aemter und Zünfte.
II. Kapitel.
Die Handwerker der Grundherrschaften.
Indes: kannten die Krongüter keine Handwerkerverbände, so
ist damit noch nicht bewiesen, daß sie auch auf den Gütern der
geisthchen Grundherren gefehlt haben. Auf diese können wir
uns beschränken : denn für die weltlichen Grundherrschaften mangelt
es an Zeugnissen aus älterer Zeit; und es ist auch in keiner Weise
anzunehmen, daß sie ausgiebiger organisiert gewesen sein sollten
als jene, die überhaupt in der ganzen Streitfrage allein eine Rolle
spielen.
Kaum braucht wohl betont zu werden, daß es niemand
einfällt, das Vorhandensein von unfreien Handwerkern auf den
Fronhöfen an sich zu leugnen. Man darf es vielmehr geradezu
als Voraussetzung für unsere Untersuchungen betrachten, und in
sofern behält auch für diese die Klarlegung der Zustände auf
den karolingischen Krongütern nicht bloß negativen Wert. Wenn
also auf diesen Punkt noch eingegangen wird, so kann es sich
nur um die Frage handeln, ob die einzelnen Handwerkergattungen
so stark auf dem Fronhofe vertreten waren, daß eine innungs-
artige Organisation denkbar wäre, auch wo sonst von ihr keine
Spur zu sehen ist.
Zunächst aber sind die allgemeinen Voraussetzungen des
Handwerks in ländlichen Verhältnissen kurz zu erörtern.
Auf jedem Bauernhofe werden von Zeit zu Zeit Verrich-
tungen nötig, die in der Stadt von mancherlei Handwerkern aus-
geführt werden, die aber auf dem Lande der Bauer mit seiner
Familie und seinen Knechten selbst besorgt, unter Umständen
mit Hilfe seiner Nachbarn. Der Bauer ist sein eigener Bau-
arbeiter, im Hause werden die Kleider, einschließlich der Stoffe,
hergestellt, werden die hölzernen Geräte geschnitzt. Auf den
Fronhöfen ist es zunächst nicht anders. Dieselben Knechte und
Handwerker auf dem Lande.
19
Mägde, die für gewöhnlich landwirtschaftliche Arbeiten verrichten,
werden, soweit sie anstellig genug sind, auch im Handwerk ver-
wandt.
Bei einem größeren Betriebe wird jedoch eine Differenzierung
eintreten. Ist der Bedarf stark und regelmäßig genug, und haben
die Ansprüche auf bessere Ware sich gehoben_, so werden einzelne
Knechte zu förmlichen Handwerkern ausgebildet und als solche
regelmäßig beschäftigt.
Dazu gehören in erster Linie die Meister der feineren
Künste innerhalb der Tucherei, vor allem die Walker, die die
\on den hörigen Bauern gelieferten groben Gewebe weiter zu
bearbeiten haben. Darum werden gerade sie unter den Dienern
der Mönche von Reichenau genannt, deren Aufenthalt auf der
Klosterinsel König Heinrich IV. allein für unumgängHch und
deshalb statthaft hält*^).
Noch früher werden Bäcker und Brauer anzusetzen sein.
Einen Senimelbäcker lernten wir schon aus dem Capitulare do
\'illis kennen'*'^). Doch wird auch das Backen des täglichen
Brotes bald ständige Beschäftigung bestimmter Personen geworden
sein: für Bäcker und Brauer hatte man regelmäßige Arbeit, und
nötig war dazu ein Back- und Brauhaus. Uebrigens brauchte
ihre Kunst nicht über das hinauszugehen, was jeder Bauer, jede
Bäuerin konnte*').
45) Dümge, Regesta Baden&ia Nr. 57 a. 1065; Brandi, Kritisches Ver-
zeichnis der Reichenauer Urkunden des VIII. — XII. Jahrhunderts, Nr. 64. Das
Wohnen auf der Insel wird nur ,,monachonim piscatoribus, pistoribus, cocis, fulloni-
bus, vinearum cuitoribus" erlaubt. Den Fischern und Winzern konnte es nicht ohne
Abbruch der Fischerei und des Weinbaues, also zum Schaden des Klosters, untersagt
werden; Bäcker und Köche mußte man im Hause haben: daß außerdem gerade noch
die Walker zugelassen werden, erklärt sich aus den im Text angegebenen Gründen.
Vgl. zu der Sachlage noch den Schluß des Kapitels.
46) Vgl. oben S. 11.
47) Instruktiv ist folgende Stelle aus dem Kommentar des Abtes Caesarias
on 1222) zu dem Urbar von Prüm von 893, Mittelrhein. ÜB., Bd. I, S. 144':
In qualibet curia potest dominus abbas cambam suam sicut et molendinum habere.
Cambam vulgariter appellamus bahchus et bruhus. In illa camba tenentur homines
ibidem manentes panem fermentatum coquere et cervisiam braxare. Pieterea, si domi-
nus abbas illuc est ventiuns, et si mansionariis a maiore, id est villico, sive a nundo
abbatis precipitur, tenentur frumentimi de curia dominica ad molendinum deducere et
molere et ad cambam dominicam reportare et panem facere et coquere similiter et
cer\'isiam braxare. Preterea, quando familia operatur opera dominica, unde acceptura
est panem et cer^•isiam, illum panem ac cervisiam ipsa familia in suo ordine tenetnr
et coquere et brazare."
20 Die Handwerker der Grundherrschaften.
Jedoch ein rechtlicher Unterschied in ihrer Stellung- gegen-
über den anderen Knechten wird durch diese Sonderbeschäftigung
nicht geschaffen. Erst später verknüpft sich damit die Idee
eines Amtes ^*). Allein auch dann gilt das für alle Hausdiener
gleichmäßig. Einen Unterschied zwischen „eigentlichen Haus-
dienern" und Hofhandwerkern giebt es nicht^"). Nur zwischen
ihnen , den gelernten Dienern , und der Masse der gemeinen
Arbeiter auf dem Felde, die es nicht zu besonderen Aemtern
gebracht hatten, wäre von einem solchen zu reden. Auch die
Handwerker gehören zum Hausgesinde^"). Recht bezeichnend
aber ist es, daß stets, wenn es in der wissenschaftlichen Dis-
kussion auf ein möglichst starkes Aufgebot von Hofhandwerkern
ankommt, die regelmäßig vorhandenen Köche, sowie die ihnen
nahe verwandten Brauer und Bäcker mit paradieren müssen.
Daß in alledem bereits ein Argument gegen die Wahr-
scheinlichkeit der Sonderentwickelung eines Teiles dieses Gesindes
zu der Stellung von selbständigen Gewerbetreibenden liegt,
darauf braucht einstweilen nur hingewiesen zu werden ^^). Zu-
nächst haben wir die Zusammensetzung und angebliche Organi-
sation dieses Hofgesindes näher kennen zu lernen.
48) Unten in Kapitel III. Dabei kommt auch das Maß der Dienste zur Dis-
kussion.
49) Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben, Bd. I (2), S. 820, braucht ein-
mal die Wendung : „die eigentlichen Hausdiener, etwa den Gärtner, den Schmied, den
Zimmermann, in den Klöstern ferner den Barbier, den Pförtner, sowie die niederen
Kirchendiener." Er rechnet also auch eigentliche Handwerker zu den Hausdienern.
Das entspricht durchaus der Auffassung der Quellen selbst. Vgl. im übrigen unten
die Personalverzeichnisse der Klöster St. Gallen, Corbie, Werden, Saint-Trond,
Bödeken. — Ueber die ländlichen Gewerke als „Anhang der Landwirtschaft" vgl.
auch Lamprecht, a. a. O., Bd. I (i), S. 584 ff.
50) ,, Nomina officiatorum seu ministerialium vel potius ministrorum, qui Teutonice
husgenot appellantur". (Le livre de l'abbe Guillaume de Ryckel 1249 — 1272.
Polyptyque et comptes de l'abbaye de Saint-Trond publies par H. Pirenne,
Gent 1896, S. 93). Darunter auch die Handwerker: vgl. unten den Text zuAnm. 93.
Femer „diu reht des gotshuss ze Gysenvelt" (13. Jahrh. — Wittmann, in Quellen
und Erörterungen z. bayer. und deutschen Geschichte, Bd. I, S. 414 u. S. 415 § i):
auch hier wird „husgnozzen" in ähnlichem Begriffsumfang gebrauchte
51) Die ,, selbständigeren Handwerker", „deren Entwicklung bald eigene
Bahnen einschlug", von denen Lamprecht unmittelbar vor der in der vorletzten An-
merkung angeführten Stelle spricht, gehören von vornherein nicht zum Gesinde und
verdanken ihre Sonderentwickelung nur diesem Umstände, nicht ihrem Berufe, wie es
dort scheinen könnte.
Hausdiener und Handwerker. Organisation. 21
Doch ist wiederum erst noch eine prinzipielle Frage zu er-
örtern, nämlich, was man sich unter einer Organisation des
Handwerks auf den Fronhöfen überhaupt vorzustellen hätte.
Als Organisation in einem hier tauglichen Sinne kann es
natürlich nicht gelten, wenn dem Meister eines Handwerkes ein
oder einige Gesellen oder Lehrlinge zur Seite stehen. Meister
in diesem Sinne hatten wir ja bereits, wenigstens bei der Brauerei,
im Capitulare de Villis unterschieden^-). Im Vorbeigehen sei be-
merkt, daß sich auch in dieser Hinsicht kein Unterschied zwischen
eigentlichen Handwerkern und gewöhnlichen Hansdienern konsta-
tieren läßt. Der Oberkoch hat seine Kücheniungen^, wie der
Braumeister seine Braugehilfen, der Schmied seine Gesellen.
Inwieweit es sich im einzelnen Falle um ein derartiges Ver-
hältnis handelt, wenn auf einem Fronhofe zwei, drei oder vier
\'ertreter eines Handwerks aufgezählt werden , muß freilich
dahingestellt bleiben. Man kann auch an das eines Werkführers
und gewöhnlicher Arbeiter denken, aber man braucht überhaupt
kein Subordinationsverhältnis anzunehmen. Die meisten Gewerbe
sind zwar von der Art, daß ein Einzelner sie nicht ausüben
kann. Doch kann in anderen Fällen die Höhe des Bedarfs es
erklären, wenn ein Kloster etwa mehrere Schuhmacher beschäftigt.
Mit alledem ist man jedenfalls noch weit entfernt von einer
Organisation des Handwerks auf den Fronhöfen, wie die hof-
rechtliche Theorie sie braucht.
Ein Zusammenwirken mehrerer Arbeiter ohne förmliches
Meister- und Gesellen Verhältnis findet namentlich statt im Bau-
gewerbe, und gerade besondere Bauarbeiter gehören zum regel-
mäßigen Bestände der Fronhöfe**). Zu Erneuerungen ihrer kunst-
52) Vgl. oben S. 8.
53) Schon Leges Alamannorum (Ausgabe von K. Lehmann, MG. LL.
Sectio I tom. V. Lex LXXIV (codd, B LXXIX) § 3 : „coquus, qui iuniorem habet;"
§ 4 ebenso ,,pistor".
54) Vgl. unten die Personalverzeichnisse. — Ueber den carpentarius bringt
Lamprecht viel Material bei, Wirtschaftsleben, I (i), S. 588, I (2), S. 776'. Wenn
er aber meint, daß die Stellmacherei sich aus seinem Gewerkc entwickelt hat. so
ist das wohl nur bedingt richtig. Denn die Grundbedeutung des Wortes ist eben
Stellmacher und dessen kunstvollere Technik wird sich auch eher zu einem besonderen
Gewerbe entwickelt haben, als die Zimmerei. Vielleicht weisen darauf auch die von
Lamprecht, I (2), S. 776^ aus dem St. Maximiner Urbar, Anfang des 13. Jahr-
hunderts, angeführten Stellen hin, wonach der carpentarius die Ernte in die Scheune
zu führen hat, eine Garbe de curru, de plaustro empfangt (MR. ÜB., Bd. U, S. 437).
2 2 Die Handwerker der Grundherrschaften.
volleren Baulichkeiten war das Bauernvolk eben technisch nicht
ausgebildet^'^). Nur zu Handlangerdiensten, namentlich wenn es
auf den Kraftaufwand großer Massen ankam, konnte es gebraucht
werden^"); während zu neuen Prachtbauten man besondere Meister
und Arbeiter von auswärts aufbieten mußte ^'). Eben deren ge-
legentliches Zusammenwirken giebt aber den schlagendsten Beweis
an die Hand, wie sehr man sich bei der Erwähnung von „ma-
gistri et öpifices" hüten muß, sogleich an einen innungsartigen
Verband zu denken, der ja bei ihnen, die nur kurze Zeit in einem
Dienstverhältnis zu dem Bauherrn standen, völlig ausgeschlossen ist ■'*).
Eins aber muß noch betont werden. Wenn bei einem
Fronhofe mehrere Vertreter einzelner Handwerke aufgezählt
werden, so sind das — darüber läßt die Art ihrer Erwähnung-
keinen Zweifel — alle von ihrer Art, die vorhanden waren, und
es ist daher durchaus unstatthaft, mit G. L. v. Maurer anzu-
nehmen, daß, wenn nur einer genannt wird, er noch mehrere
Untergebene gehabt haben müsse ^'*)-
Für den Gebrauch von carpentum gleich Wagen führt Lamprecht (II, S. 248')
selbst eine Stelle an aus Vita Uodalrici 5, MG. SS., Bd. IV, S. 393. — Neben den
,,carpentarii" und „cementarii" besonders hervorzuheben sind die „f enestrarii,
operarii fenestraium". Vgl. unten bei Saint-Trond. Die Erklärung von Du cange:
,,fenestrarius, cui fenestrae seu per fenestram res traducendi curia incumbii" genügt
also nicht; wenngleich der „fenestrarius" der unten in Kap. IV citierten Urkunde
Ott05 IV. für Aachen in diesem Sinne zu fassen sein wird. — Vgl. noch die ,,vitrei
magistri" unten bei Farfa.
55) Daher werden die Bauarbeiter des Klosters Bödeken als „ad novam
structuram" bezeichnet. Unten bei Anm. 100. — Vgl. auch St. Maximiner Urbar,
Anfang des 13. Jahrhunderts (MR. ÜB., Bd. II, S. 452, auch angezogen von
Lamprecht, Wirtschaftsleben, Bd. I, S. 588'), wonach es zu den Aufgaben der
Bauern gehört : ,,horreum nostrum usque ad tectum construunt."
56) Z. B., als in Sankt Gallen ein zu einem Turmbau nötiger gewaltiger
Stein nur durch die Zugkraft von 500 Menschen und 40 Ochsen fortgeschafft werden
konnte. MG. SS., Bd. II, S. 166.
57) Vgl. Acta Murensia (Qu. z. Schweizerg., Bd. III (3), S. 25): ,,adiuvit
eum [den Propst Reginbold beim Ausbau des Klosters] satis bene cometissa Iia in
Omnibus que potuit, tam cementarios acquirendo et illos hie pascendo et mercedem
dando." Es -waren demnach freie Arbeiter, die nur während des Baues in Muri
blieben und Beköstigung und Lohn empfingen. Siehe auch die folgende Anmerkung.
58) Von Karl dem Großen erzählt der Mönch von Sankt Gallen beim Bau der
Basilika in Aachen: ,,Ad cuius fabricam de omnibus cismarinis regionibus magistros
et öpifices omnium id genus artium advocavit". MG. SS. II, S. 744, Mon. Sangall.
Lib. I, c. 28.
59) Fronhöfe II S. 336. Ueber die Amtsqualität später. — Vgl. auch v. Be-
low, Zeitschr. f. Soz. u. Wirtschaf tsg., Bd. V, S. 146, der indessen in sehr großen
Organisation des Hofgesindes. 23
Wenn v. Maurer sagt:
„Die damaligen Bäckermeister, Schneidermeister und anderen
Werkmeister haben sich daher von unseren heutigen Handwerks-
meistern, deren jede Zunft immer mehrere hat, wesentlich dadurch
unterschieden, daß sie allein die Herren und Meister, die übrigen
Arbeiter dagegen nur ihre Diener waren", so ist das zunächst —
wenn auch ein richtiger Gedanke dabei vorgeschwebt hat**®) — sehr
unklar gedacht. Denn die von ihm geschilderten Bäckermeister
und Schneidermeister unterscheiden sich ja eben nicht von den
heutigen, die doch auch Untergebene haben; sondern beide stehen
im Gegensatz zu alten und neuen Innungsmeistern. Man mag
es jedoch als Beleg dafür anziehen, daß auch v. Maurer, trotz
seines Glaubens, hofrechtliche Zünfte nirgends hat entdecken
können.
Wenn er dann aber fortfährt: „Daher mag es sich erklären,
warurn ursprünglich auf jedem Fronhofe immer nur eines einzigen
Schneiders, Bierbrauers, Gerbers, Metzgers, Webers u. s. w. Er-
wähnung getan wird, indem darunter jedesmal der Meister des
Handwerks oder der eigentliche Beamte (officiatus) verstanden
werden muß", so ist das einfach falsch. Denn wir sehen schon
und werden es noch besser erfahren, daß durchaus nicht „auf
jedem Fronhofe immer nur eines einzigen .Schneiders ... u. s. w.
Erwähnung" geschieht, sondern oft genug mehrerer. Wird also
nur einer genannt, so w'ar auch nur einer da. Höchstens für eine
ganz späte Zeit, die uns nicht mehr interessiert, mag v. Maurers
Beobachtung Gültigkeit haben.
Den Gipfel der Verkehrtheit aber erreicht er, wenn er Zustände,
wie sie die später zu besprechenden Straßburger und Trierer
Aufzeichnungen aus dem 12. Jahrhundert offenbaren, als eine
frühe Milderung „dieser strengen Aemterverfassung"' hinstellt.
Nichts könnte ein grelleres Schlaglicht werfen auf die Haltlosig-
Grundherrschaften in besonderen Verbänden organisierte Handwerker immerhin für
möglich zu halten scheint. Es wäre aber sehr wichtig solche nachzuweisen. Der von
ihm Anm. 57 konstatierte magister carpentariorum ist ein führendes Konvenis-
mitglied, und mithin weder Innimgsmeister noch Geseilenmeister (vgl. unten Anm. '•!(,
und der magister domus textrinae ist ein Konverse. Beide außerdem aus .in er
Zeit, wo das städtische Innungswesen längst ausgebildet war.
60) Nämlich, daß das Verhältnis eines Meisters zu seinen Gesellen durchaus
verschieden ist von dem des Innungsmeisters zu den selbständigen Handwedcern, die
die Innung bilden.
/
24
Die Handwerker der Grundherrschaften.
keit der ganzen Theorie. Um es kurz zusammenzufassen:
V. Maurer findet an den meisten Höfen stets nur einen Meister
des einzelnen Handwerks; dieser Meister hat manchmal einige
Gehilfen neben sich; in ganz späten Hofrechten führte er die
Bezeichnung officiatus, erscheint als förmlicher Würdenträger;
und da nun in ein paar Städten schon früh Meister an der Spitze
von innungsartigen Verbänden auftreten — die v. Maurer in einer
Voreingenommenheit, die ihm nach dem Stande der Forschung
zu seiner Zeit allerdings nicht verübelt werden darf, ohne weiteres
für hof rechtlichen Ursprungs hielt — hier also der Hauptmeister
andere Meister, nicht bloße Gehilfen, gewissermaßen unter sich
hat: so spricht v. Maurer von einer Milderung jenes Verhält-
nisses, ohne zu beachten, daß die angebliche Milderung wesent-
lich älteren Datums ist als die strenge Form!
Dagegen kennt jede bedeutendere grundherrschaftliche Ver-
waltung die Organisation nach den vier großen Hofämtern des
Truchsessen, des Schenken, des Kämmerers und des Marschalls,
neben denen häufig noch Keller- und Küchenmeister und ähn-
liche vorkommen. Manchmal führt freilich auch ein Mitglied
des Konventes selbst einen Teil des Haushaltes ^i). Dem einen
oder anderen dieser Beamten pflegen nun die etwa vorhandenen
Handwerker unterstellt zu sein: nicht durchaus alle einem, sondern
häufig geteilt, je nachdem sie in den einzelnen Departements
Verwendung fanden. Auch das hätte einer Organisation der
Handwerker selbst, wäre sie in Frage gekommen, entgegen-
gestanden '''^).
Wir werden zunächst einen Einblick in den Personal-
bestand mehrerer größerer Grundherrschaften nehmen, wo uns
besondere Gunst der Quellen das ermöglicht.
6i) Nach einer Essener Urkunde von 1164 (abgedruckt bei Kindlinger, Gesch.
der Hörigkeit, S. 238) z. B. wird die Stelle eines Kustos von der Nonne Elisabet
bekleidet; zu ihrem „officium" gehören nach der Zeugenliste ein Bäcker und zwei
Kürschner; vorher kommen die ,,officiales" Truchseß, Kämmerer, Schenk, Marschall
und ,,pabularius", denen also die genannten Handwerker nicht unterstellt waren. —
Vgl. noch Jura prepositi S. Castoris in Confluentia, Anfang des 13. Jahrh.
(Mittelrhein. U. B., Bd. II, S. 357, cit. von v. Below, Zeitschr. f. Soz.- u. Wirt-
schaftsg., Bd. V, S. I44*'-): die Bäcker, der Koch und der carpentarius der Kirche unter-
steben dem cellerarius. Dieser ist ein Kanoniker (MR. ÜB., Bd. II, No. 194 a. 1201).
— In Corvey war Ende des 14. Jahrhunderts ein Konventsmitglied magister carpen-
tariorum (Westf. ÜB., Bd. IV, No. 2321, 2425, 2433, 2434; vgl. oben Anm. 59). —
Femer unten über Corbie und Werden.
62) Vgl. namentlich unten bei Werden.
Oi]ganisation . Sankt Gallen. 25
Die Aufzeichnung, die ich an die Spitze stellen will, trägt
freilich, wie das Capitulare de Villis, im Grunde nur den Cha-
rakter eines Programms. Belehrt sie uns aber demnach nicht
über einen Tatbestand, so möchte man ihr dafür eine über den
Einzelfall hinausgehende allgemeine Bedeutung zuzuschreiben
geneigt sein. Es handelt sich um den berühmten Bauriß, der
um das Jahr 820 von einem uns Unbekannten dem Abte Gozpert
für den Neubau des Klosters Sankt Gallen übersandt worden,,
und auf dem in außerordentlicher Vollständigkeit für die Be-
friedigung aller erdenklichen Bedürfnisse eines Klosters Fürsorge
getroffen isf*^).
Neben der ansehnlichen Kirche und- den Gebäuden für den
Aufenthalt und die Verpflegung der Mönche, des Abtes, der
Kranken, der Novizen und der Fremden finden wir da Baulich-
keiten und Einrichtungen, die dem Landwirtschaftsbetriebe dienen,
der mannigfaltigsten Art. Allein damit nicht genug, fast noch
eingehender wird für alle Gattungen des Handwerks Vorsorge
getroffen !
Inmitten eines Gebäudes von ungefähr 627, bei 56 Fuß
Grundfläche*'*), das gekennzeichnet wird durch den Titelvers:
haec sub se teneat fratrum qui tegmina curat,
befinden sich „domus et officina camerarii"; um diese herum Räume
für „sutores, sellarii, emundatores vel politores gladiorum, scutarii,
tornatores ''^), coriarii"; weiter für „aurifices, fabri ferramentorum,
63) Die beste mir bekannte Ausgabe ist die von Ferdinand Keller, Bauriß
des Klosters St. Gallen vom Jahre 820, im Faksimile herausgegeben und erläutert
(Zürich 1844). Die Größe des Orginals, s'/^xs' , Fuß, ist hier um nur ein Fünftel
verkleinert. J. v. Schlosser, Die abendländische Klosteranlage des früheren Mittel-
alters (Wien 1889), S. 23 ff. Für Mitteilung der Kellerschen Ausgabe und des Buches
von Schlosser habe ich meinem Kollegen P. Weber zu danken.
64) Die Größenverhältnisse auf dem Grundrisse sind übrigens keineswegs zu-
verlässig und für die geplante Wirklichkeit maßgebend. Die Breite des Hauptschiffes
der Kirche wird auf 40 Fuß, die jedes Seitenschiffes auf 20 Fuß bestimmt. Wenn
man aber auf dem Plane das Verhältnis zu der auf 200 Fuß angegebenen Länge der
Kirche abmißt, so erhält man für die Breite der Schiffe nur 30 und 15 Fuß, Bei
den übrigen Gebäuden ist die Größe nicht angesetzt: wahrscheinlich hat der Verfasser
sie örtlichen Bedürfnissen überlassen wollen. Die im Text angegebene, nach der Längen-
ausdehnung der Kirche abgemessene Größe der Grundfläche des Handwerkergebäudes
besitzt also nur sehr bedingten Wert.
65) Diese „tomatores" erklärt Keller, S, 30, im Unterschiede von den mit
den „tunnarii** zusammen genannten „tomarii", für „Schnitzer, Bildhauer, Verfertiger
von Kunstwerken in getriebener Arbeit".
20 I^i^ Handwerker der Grundherrschaften.
fullones": neben jeder Werkstätte aber sind vorgesehen „eorundem
mansiunculae."
In einem kleineren Hause daneben finden wir vereint
Brauerei und Bäckerei *^'^), wiederum mit „Ruhestätten der Sklaven'
i(„vernarum repausationes").
In drei noch kleineren Räumlichkeiten sind Mühlen („molae"),
Stampfmühlen („pilae") und die Fruchtdarre untergebracht: auch
hier fehlen „eorundem famulorum cubilia" nicht.
Endlich giebt es noch eine „domus tunnariorum" und „tornari-
•orum" ebenfalls mit „famulorum cubilia" und dem Titulus:
hie habeat fratrum semper sua vota minister.
Schlafräume für die Diener sind ebenso bei jedem der Ställe
der verschiedenen Vieharten, sogar für den Wächter der Hühner
und dem der Gänse ausgesondert.
Der Plan ist in dieser Form nicht zur Ausführung ge-
kommen. Es ist längst anerkannt, daß der Grundriß nicht den
tatsächlichen Verhältnissen St. Gallens entsprochen hat, dem
Neubau dieses Klosters nicht wirklich zu Grunde gelegt worden
ist**'). Ja, wir müssen noch weiter gehen, wir müssen uns vor
der Vorstellung hüten, als wäre er von den Einrichtungen eines
anderen Klosters abgezogen. Und hinzu kommt, daß er wahr-
scheinlich nicht einmal aus Deutschland oder Frankreich, sondern
aus Italien stammt.
V. Schlosser möchte einen Insassen des mit Italien in leb-
haftem Verkehr stehenden Reichenau als Autor annehmen'''^).
Auf Italien soll die Grundform der Profangebäude weisen.
Man glaubt in dem Viereck, das in der Mitte der meisten dieser
Bauten auffällt, ein „atrium testudinatum" erkennen zu sollen.
Da wird man doch heber, statt auf dem Umweg über
Reichenau, unmittelbar nach Italien hinübergreifen. Wenn
Italien für Reichenau zugänglich war, warum nicht für St. Gallen?
Wollte man sich nach Reichenauer Muster richten, so hätte man
sogleich die Bauleute von dort entlehnt ^^). Das war das übliche
66) Hierzu vgl. oben Anm. 47 : ,,cambam vulgariter appeliamus bahchus et
bruhus". Also ein Haus für beides die Regel.
67) Keller, a. a. O. S. 4; v. Schlosser, S. 25; Springer, Bilder aus der
neueren Kunstgeschichte, Bd. I, S. 58.
68) A. a. O. S. 25, 28.
69) Vgl. Paul Weber, Hirsau — Paulinzella — Thalbürgel (Zeitschrift des Vereins
■für thüringische Geschichte und Altertumskunde, Bd. XX, N.F. Bd. XII, S. 620
i)is 632).
Sankt Gallen.
21
Verfahren, und man hätte sich dann wohl die Zeichnung und
Einsendung eines so kunstvollen Planes gespart. Anders wenn
die Idee aus Italien stammte! Dann muß sie aber auch dort,
nicht erst in Reichenau, zu Pergament gebracht worden sein.
Freilich finden sich auch Anklänge an das Capitulare de
Villis. Die Obstbäume, mit denen der Friedhof des Klosters
bepflanzt gedacht wird, entsprechen fast genau denen, die Kaiser
Karl für seine Krongüter verlangt^"), und wenn die Ueberein-
stimmung bei den Gewächsen des Küchen- und des Heilkräuter-
gartens nicht so vollkommen ist, so läßt sich das damit erklären,
daß auf dem beschränkten Räume, den der Plan bot, für so zahl-
reiche Namen nicht Platz war.
Immerhin sind diese Zusammenklänge zu beachten. Es
würde sich fragen , woher der Verfasser des Capitulare seine
pomologischen und pharmakologischen Kenntnisse hatte. Manche
von den Obstbäumen sind südländischer Art. Und wenn man
sich nun erinnert, wie abhängig gerade in seinen baukünstlerischen
Bestrebungen Karl der Große von Italien war, so werden auch
auf dem Wege die Spuren zuletzt nach diesem Lande führen,
und es sich zugleich noch einmal erweisen, daß die Grundlagen
für die Abfassung auch des Capitulare de Villis zum Teil theo-
retischer Natur waren. Stammte aber der Sankt Gallener Bauriß
aus Italien, so würde sein Inhalt für die Kenntnis deutscher Zu-
stände noch um einige Grad minder als maßgebend zu gelten haben.
In anderen Dingen und gerade in dem was uns interessiert,
der Aufzählung der Handwerker, ist dagegen die Verschiedenheit
zu groß, als daß an eine Abhängigkeit von dem Capitulare ge-
dacht werden könnte. Hier wie dort hat man offenbar die Hand-
werkerarten hergenannt, deren Vorhandensein unter diesen und
jenen Umständen man sich erwünschte. Das auffallendste aber
bleibt an dem Sankt Gallener Plan, wie man es für nötig er-
achtete, jedem einzelnen Handwerk einen besonderen Arbeitsrauni
und bei jedem eine eigene Schlafstätte mit einem Zugang nur
von der Werkstatt aus einzurichten, und das, obgleich die ver-
schiedensten Werkstätten unter einem Dache vereinigt und einem
Beamten unterstellt waren. Dem ist in dem Capitulare nichts zu
vergleichen, als höchstens das schon angeführte Kapitel über die
sorgfältige Herrichtung und Einfriedung der Arbeitsräume, damit
70) Capitulare de Villis § 70; Keller, a. a. O. S. 35.
>
28 I^'6 Handwerker der Grundherrschaften.
die Diener ihre Geschäfte „bene nitide" ausführen können ^^i. Das
ist verständlich und vernünftig. Das Sankt Gallener System da-
gegen macht den Eindruck einer vollendeten Sklaven Wirtschaft
- ich erinnere noch an die „vernae" gegenüber den Karolingischen
„ministeriales" — einer Sklavenwirtschaft, aus der kein Weg auch
nur zu der freieren Lage, in der wir die Klosterdienerschaft später
finden, führte. Getrennt von den Kollegen, eingeschlossen von
der Klostermauer — keine Möglichkeit sich auszudehnen , sich
frei zu regen, sich zu vereinigen. Entspricht dieses Bild irgend-
wie und irgendwo der Wirklichkeit?
Angesichts der Wahrscheinlichkeit italienischer Herkunft oder
mindestens starker italienischer Beeinflussung bei dem Sankt Galler
Bauriß ist es da willkommen, daß wir auch aus Italien selbst ein
Dokument über Bauart und Einrichtung eines Klosters, wenn
auch nur ein um zwei Jahrhunderte jüngeres beibringen können.
Es ist die Bauordnung für Farfa aus den Jahren 1039 — 1048:
„de positione seu mensuratione officinarum" ^■^). Dem „aus-
deutenden Wort" hat wahrscheinlich auch in diesem Falle ein Bau-
riß zu Grunde gelegen ~^). Allein, haben wir es demnach hier so
wenig wie in Sankt Gallen mit der Beschreibung vorhandener
Baulichkeiten zu tun, so ist in Farfa die Vorschrift doch den
örtlichen Verhältnissen angepaßt.
Zu den sehr eingehenden Angaben über Länge und Breite,
seltener auch über die Höhe der Räumlichkeiten, kommt hier
eine Aufzählung der wichtigsten Ausrüstungsstücke, wie Betten,
Tische, Glasfenster, hinzu.
Auffallend ist' nun, daß für Handwerkerräume nur sehr
wenig Vorsorge getroffen ist, während andererseits das Detail
der Bestimmungen das Vertrauen in ihre Vollständigkeit erweckt.
Außer dem Backhaus, pistrinum, nämlich, wenn man das
mitrechnen will, gibt es nur ein Haus, domus, mit einer Grund-
fläche von 45 bei 30 Fuß:
et ibi sedeant omnes sartores et sutores ad suendum
quod camerarius eis precipit,
wobei ihnen zwei sieben Fuß breite Tische, einer davon dreißig-
Fuß hing, zur Verfügung stehen sollen. — Ferner
71) Vgl. oben Anm. i8.
72) Schlosser, a, a. O. S. 44ff. ; der Text abgedruckt S. 45*.
73) Schlosser, S. 46, 49.
Farfa. 29
alia cella, ubi aurifices vel inclusores seu vitrei magistri
convcniant ad faciendam ipsam artem.
Andere Handwerker werden nicht erwähnt.
Dabei ist aber noch folgendes zu bemerken.
Farfa war ein häufiges Absteigequartier vornehmer Herr-
schaften mit zahlreichem Gefolge auf dem Wege von und nach
Rom'-*). Daher also die Größe des Gebäudes für die Schuster
und Schneider, daher wohl auch die Goldschmiede und „inclu-
sores" — Fasser -von Gemmen ^^j oder Emailarbeiter — , während
die Glasermeister sich aus dem förmlichen Luxus erklären, der
hier bereits mit Glasfenstern getrieben worden zu sein scheint:
denn die Kirche hatte deren allein 160, das Dormitorium
97 u. s. w.
Femer ist zu beachten, daß hier die Handwerker dem Wort-
laut nach w^enigstens nicht in den Arbeitshäusern auch ihre
Schlafstätten zu haben scheinen. Und das „conveniant" bei den
Glasern, Goldschmieden und Juwelieren macht es sogar nicht un-
möglich, daß diese Arbeiter überhaupt nicht dem Kloster ange-
hörten, sondern aus Rom kamen, also frei waren, und nur an-
gesichts des hohen Wertes des ihnen anvertrauten Materiales ihre
Arbeit unter Aufsicht im Kloster verrichten sollten.
Der Gegensatz dieser der Wirklichkeit angepaßten Anord-
nungen zu den rein systematischen von Sankt Gallen bleibt auf alle
Fälle gerade bei der unverkennbaren Gleichheit der Voraussetzungen
höchst auffällig. Man könnte geneigt sein, neben den Eigen-
tümlichkeiten, für die wir in der Lage Farfas bei Rom eine Er-
klärung suchten , die zwei Jahrhunderte, die dazwischen liegen,
dafür verantwortlich zu machen. Allein nehmen wir jetzt Ein-
sicht in den Personalbestand einiger Klöster nördlich der Alpen
aus dem 9. Jahrhundert, so bestätigt die Uebereinstimmung. die
wir hier in allem Wesentlichen mit Farfa finden, daß diese Alut-
maßung irrtümlich sein würde. Die auffälligen Besonderheiten
des Sankt Gallener Planes entsprechen also auch italienischen
Zuständen nicht.
Wir kehren zuerst noch einmal zu den Brevium exempla
ad describendas res ecclesiasticas et fiscales zurück, denen
wir bereits so wichtige Aufklärungen verdankten. Dem Titel
74) Schlosser, a. a. O. S. 42, 59 f.
75) So Schlosser, S. 61"*. Vielleicht ist besser an Cloisonn6 zu denken.
30
Die Handwerker der Grundherrschaften.
gemäß liefern sie auch ein ausführliches Muster für die Be-
schreibung eines geistlichen Besitztumes, des zum Bistum Augs-
burg gehörigen Fronhofes des Klosters Staffelsee '"). Wie im
Capitulare de Villis, fehlt es auch hier nicht an einem „genitium":
es arbeiten darin 24 Frauen Wollen- und Leinenstoflfe. Der
P'lachs wird, vielleicht nicht ausschheßlich, von sechs der zuge-
hörigen mansi ingenuiles geliefert. Außerdem haben die Frauen
von 19 unfreien Hüfnern je ein Stück Wollzeug und ein Stück
Leinwand zu verfertigen , sowie zu malzen utid zu backen ^").
Dagegen wird von Handwerkern nichts gesagt, und wir müssen
daher annehmen, daß dieses, wie sein Landbesitz und sein Kirchen-
und Bücherschatz beweisen, zwar nicht arme, aber immerhin
kleinere Kloster keine eigenen ausgebildeten Handwerker besaß.
Ganz anders freilich das reiche Corbie, nach dem Brevis
seines Abtes Adalhard, des Vetters Karls des Großen, vom Jahre
822"^), gegen dessen Heranziehung zum Vergleich gewMß nichts
einzuwenden ist, in so vielen wichtigen Punkten die französischen
Verhältnisse sonst sich von den deutschen abweichend gestaltet
haben mögen. Die öfter zitierte Stelle enthält so viel des wich-
tigen, daß sie eingehende Würdigung erheischt ''^).
Es handelt sich um die Verpflegung aller Insassen und An-
gehörigen des Klosters und zwar
per singulas officinas.
Zuerst w^erden die „provendarii" aufgezählt,
qui omni tempore aequaliter et pleniter in nostris diebus
esse ^ebent; et si unus ex eis mortuus fuerit, statim alter
restituendus est.
Ihre Gesamtzahl wird auf 150 angegeben*''), die aller regel-
mäßigen Brotempfänger aber auf zwischen 300 und 420**^).
76) Staphinseie, MG., LL., Sectio II, Capilularia I, S. 250 — 252, §§ 2 — 9.
77) § 8. Diese Frauen können nicht zu denen im Gynäceum gehören. Die
im Gynäceum arbeitenden sind vielmehr als in den 72 , .provendarii" des § 7 mit ein-
begriffen zu erachten. Ueber , .provendarii" oben bei Anm. 26, sowie sogleich bei
Corbie.
78; Statuta antiqua abbatiae Sancti Petri Corbeiensis. Abgedruckt
im Appendix zum Polyptyque de l'Abbe Irminon (herausgegeben von M. B.
Guerard, Paris 1844), Bd. II, S. 306—335. Es handelt sich um Corbie, nicht
Korvei, wie v. Maurer, Fronhöfe, Bd. I, S. 246, und nach ihm Schönberg,
Hildebrands Jahrbücher, Bd. IX, S. 167-^'"', sagen.
79) A. a. O. S. 306 f. Liber primus, caput I.
80) A. a. O. S. 306.
81) A. a. O. S. 311.
Staffelsee. Corbie. ^I
Die provendarii sind teils Geistliche, teils Laien. Unter sieben
von jenen ist die Aufsicht über den Keller, die Waschanstalt
der Brüder, die „curticula" des Abtes und das Krankenhaus ver-
teilt, während die übrigen zwölf, die als „pulsantes" bezeichnet
werden**), die sonstigen
necessitates quas clerici facere debent
besorgen.
Unter 42 Laien, die nun folgen, werden zwölf als „inatri-
cularii" hervorgehoben. Ein solcher wäre nach dem Herausgeber
qui in matriculam monasterii inscribitur subque servitiis
quibusdam monasterio praestandis inibi tectum, victum,
vestitum invenit*').
Es gäbe also unter den vom Kloster gefütterten Laien eine drei-
fache Stufenfolge: Empfänger einer Ration Brot von wechselnder
Zahl außerhalb des Klosters; ihnen gegenüber innerhalb der
Klosterw^irtschaft die voll ernährten provendarii, die zum Teil
als matricularii besonders charakterisiert werden.
Was ist zwischen diesen beiden der Unterschied?
In ihrer Beschäftigung scheint er nicht zu liegen. Denn ia
deren Spezialisierung werden sie nicht getrennt:
Item de Laicis: Matricularii duodecim, laici triginta. Ad
primam cameram sex: sutores III, cavalarii II, fullo I. Ad
secundam cameram decem et Septem: ex his ad cameram
unus, fabri grossarii sex, aurifices duo, sutores duo, scu-
tarii duo, pargaminarius I, saminator I, fusarii tres. Ad
tertiam cameram III. Ad cellarium et dispensam portarii
duo; ad domum infirmorum unus; gararii duo; ad ligna-
rium in pistrino unus; ad portam medianam unus; ad
portam Sancti Albini unus; carpentarii quatuor; mationes
quatuor; medici duo; ad casam vasallorum duo. Isti
sunt infra monasterium.
82) Nach Guerard Novizen. Vgl. aber a. a. O. S. 313, bei Austeilung des.
Brotes: quinta pulsanlium vel schobriorum. Kurz vorher heißt es: Nam de pulsantis,
de scolariis, de reliquis dericis seu laicis — so daB ein Unterschied zwischen pulsantes
und scolarii gemacht zu werden scheint. Femer S. 308, bei Anordnung der Kleidung:
Haec sunt quae clericis nostris canonicis suprascriptis, qui spedaliter pulsanti dicuntur,
dari debent.
83) A. a. O, S. 454. — Bei der Verteilung des Brotes ist der erste Teil
„famulorum nostrorum vel matriculariorum, qui semper aequaliter habendi sunt." VgL
noch unten Anm. 85 b.
^2 Die Handwerker der Grundberrschaften.
Das sind schon wesentlich mehr als 42 ; trotzdem scheinen aber
auch noch die folgenden in dieser Zahl einbegriffen werden zu
sollen, woran man sich aber nicht stoßen wird.
Isti vero extra monasterium : Ad molendinum duodecim ;
ad piscariam sex; ad stabulum duo; ad hortos octo; ad
buriam septem; ad vineam unus; ad vivarium unus; ad
arboretam novam duo; berbicarii duo^*).
Hausdiener und Handwerker innerhalb des Klosters, Garten-
und landwirtschaftliche Arbeiter außerhalb erscheinen hier alle in
gleicher Stellung, übrigens gruppiert nach den Oertlichkeiten
ihrer Arbeit. Daß sie an diesen Arbeitsstellen auch schliefen,
ist jedoch abzulehnen. Wäre es bei einigen, z. ß. den beiden
Türhütern — das sind doch wohl die „ad portam medianam"
und „ad portam Sancti Albini" — an sich wahrscheinlich, so
macht es bei anderen — den „ad piscariam", „ad hortos" „ad
arboretam" — Schwierigkeiten.
Wieder andere, wie die Zimmerleute und Maurer, und neben
ihnen die beiden Aerzte, ermangeln jeder Lokalisierung, gemäß
ihrem nicht an eine Werkstatt zu bindenden Beruf **^). Das er-
laubt den Schluß, daß es bei den übrigen sich nur um die
Arbeitsstätte, nicht um _ den Schlafraum handelt, dessen doch
Aerzte und Bauarbeiter so wenig wie sie entraten konnten *^5'').
84) Ein cavalarius wäre nach Guerard (Glossar, S. 449), qui cum equo militat
vel famulatur, nach Fagniez (Documents relatifs ä l'histoire de l'industrie et du
commerce, Bd. I, Paris 1898, Bd. II, 1900) ein palefrenier (Glossaire, Bd. II, S. 317).
Was haben die aber in der Werkstätte zu tun? Vielleicht Sattler? — Sami-
nator , samiator ein Scbwertfeger; fusarius wohl richtiger mit Fagniez ein Ver-
fertiger von fusae, Spindeln, als ein fusor (Gu6rard); gararius „Ducangio custos vel
lignarius sector, Acherio qui nemoribus secandis praeest, unde vox vernacula grurier"
(Guerard); buria nach Guerard eine Wagenremise, vielleicht richtiger Kuhstall, prov.
Englisch ,,bire''.
85) Unrichtig ist es, wenn Schönberg, a. a. O., die vier Zimmerleute, vier
Steinmetzen und beide Aerzte in dem dritten „Arbeitssaal'' zusammen tälig sein läßt.
85a) Vgl. das ,, ibidem manentes" von den Arbeitern im Brau- und Backhaus
von Prüm aus dem Ende des 9. Jahrhunderts, das sich aber wohl auf die ,, curia",
nicht auf die ,,camba" bezieht: oben Anm. 47. — Dagegen scheint ein Wohnen in
-den Werkstätten an folgender Stelle angezeigt: Acta Murensia, Quellen zur
Schweizer Geschichte, Bd. III (3), S. 61: „Sei-vis etiam, qui in cella per officinas
morantur et serviunt, magna cura appendi debet a prepositis celle, ut possint cum bona
voluntate et disciplina ac fideliter servire fratribus, quia sine victus et vestitus como-
ditate non possimt servire illis". Doch bleibt die Möglichkeit, daß „officina" hier wie
in Corbie, wo es sich ebenfalls um die Verpflegung ,,per singulas officinas" handelt,
Corbic. ^j
Trotz der großen allgemeinen Aehnlichkeit mit den Sankt
^lallener Zuständen, die namentlich in jener Zuweisung eines Teiles
der Handwerker zu gewissen camerae liegt, dürfen wir uns darum
gerade in diesem Punkt noch mehr an das Capitulare de Villis
erinnert finden. Dort und in Corbie haben wir überhaupt im
Vergleich mit Sankt Gallen weit weniger System und Gleich-
förmigkeit und damit mehr Freiheit! Handwerker ganz ver-
schiedener Gattung arbeiten zusammen in einer Kammer, Schuh-
macher, cavalarii*^'), ein Walker; und wiederum in einer zweiten
Grob- und Goldschmiede, Schumacher, Schildmacher, ein Perga-
menter, ein saminator***), drei Spindler. Dagegen ist das Gewerbe
der Schumacher auseinandergerissen, drei von ihnen sind in der
ersten, zwei in der zweiten Kammer eingestellt.
Wer sind aber nun die „matricularii" ? Ist des gelehrten
Herausgebers, Guerards Erklärung richtig, so müßten sie als
freie Arbeiter angesprochen werden, Arme, die dauernd in den
Dienst des Klosters getreten sind^^*'). Auch hier also würde, wie
wir bei Farfa vermuteten, der Bestand an unfreiem Gesinde des
Klosters durch unabhängige von außen ergänzt worden sein,
wie auch, wenngleich jedesmal in anderer Weise, in dem Capi-
tular, während ein Hinausgehen über die Klostermauern dem
Sankt Gallener System durchaus fremd wäre.
So scheint denn alles in allem die Aehnlichkeit zwischen
Corbie und Farfa und selbst den Einrichtungen der Krongüter
in allem Wesentlichen größer als zwischen ihnen und Sankt Gallen.
Dort ist alles in freier Weise gegebenen Verhältnissen angepaßt
und damit einer gewissen Weiterbildung fähig: in Sankt Gallen
starres System.
Worauf ist dies nun aber zurückzuführen? Man kann diese
ausgebildete Regelmäßigkeit unmöglich aus einer Rückständigkeit
allemannischer Zustände gegenüber den gleichzeitigen Xordfrank-
reichs erklären, wenn man auch etwa geneigt sein möchte, die
von Farfa als das Ergebnis weiterer Entwickelung anzusprechen?
und an der unten Anm. 113 angeführten Stelle aus Mabillon im Sinne einer Ver-
n altungsabieilung gebraucht ist. Vgl. übrigens noch Gu^rard, S. 314 c. I.
85b) Vgl. noch Ducange: „Matricularii: pauperes in matriculam rebti". ,.Ex
matriculariis pauperibus quidam seligebantur ad viliora ecclesianim adiacentium munia,
verbi gratia, qui campanas pulsarent, ecclesiarum custodiae invigilarent, eas scoparent ac
mundarent et huiusmodi, ita ut deinceps in alimoniae mercedem ecclesiarum obsequiis
totos se darent."
Keutgon, Aenilt-r und Zünfte. 3
ß^ Die Handwerker der Grundherrschaften.
In der Tat ist ihre Heimat Italien, wenn auch nicht ein
lebendes Vorbild. Es ist die Regel des heiligen Benedikt, auf
die wir uns verwiesen sehen, die im 66. Kapitel das Halten
eigener Handwerker vorschreibt mit den Worten:
Monasterium autem, si fieri potest, ita debet construi,
ut omnia necessaria, id est aqua, molendinum, hortus,
pistrinum vel artes diversae intra monasterium exer-
ceantur, ut non sit necessitas monachis vagandi foras^^*^).
Da also haben wir den Schlüssel! Nach diesem Programm
ist der Bauriß für das Sankt Gallener Kloster entworfen worden.
Er ist das Produkt mönchischer Phantasie, mönchischer S3-stem-
macherei und Tüftelei, wie etwa den Vorschriften des ehrwürdigen
Ordensgründers in einem Idealbau nachzukommen sein möchte.
Dessen also hat man sich, will man den Sankt Gallener Bauplan
für die Kenntnis der Wirtschaftsverfassung des 9. Jahrhunderts
verwenden , ständig zu erinnern. Nicht als ob der Künstler
gänzlich von aller Wirklichkeit abgesehen hättet Allein nur so-
weit der Bauplan dem aus anderen Nachrichten bekannten ent-
spricht, ist er als Quelle brauchbar: in allem, was darüber hinaus-
geht, in den Einzelheiten, der Vollständigkeit, der Regelmäßigkeit,
dem ausgebildeten System ist er ein Kunstwerk; aber wie es in
Wahrheit in den Klöstern aussah, darüber kann er in diesen
Punkten nur irreführen.
Aber noch eins muß hervorgehoben werden. Ließen die
Größen Verhältnisse des St. Gallener Plans keinen sicheren Schluß
auf die Menge der in den einzelnen Werkstätten zu beschäftigenden
Arbeiter zu, konnte man höchstens annehmen, daß von jeder
Gattung nur auf wenige gerechnet wurde: hier in Corbie haben
wir Zahlen, aber in keinem Falle sind sie von der Art, daß sie
für zunftmäßige Verbände eine Grundlage abgeben könnten ''■^'^).
Noch weniger ist von Meistern, Vorstehern irgend einer Organi-
85c) L. Holstenii, Codex Regulanim Monasticarum et Canonicarum, Ausg.
von Brocke, Aug. Vind, 1759, Bd. I, S. 134.
85 d) An der Vollzähligkeit kann nach der ganzen Art der Urkunde kein
Zweifel sein. Die Brauer imd- Bäcker, die man vielleicht vermißt hat, werden an
einer anderen Stelle berücksichtigt, S. 334 : ,,Pistores dominici, bratsatores dominici."
Ferner S. 318 ff. : „Ordinatio refectorii sive coquinae fratnim". — Das Polyptychon von
Saint-Germain selbst berücksichtigt das Hofgesinde nicht, sondern nur grundhörige
Handwerker, von diesen allerdings eine ganze Anzahl auf verschiedenen Gütern des
Klosters zerstreut und darunter auch solche, die hölzerne und metallene Geräte (Ambos,
Kessel, Lanzen) zu liefern hatten.
Die Benediktiner-Regel. Werden. ae
sation die Rede. Nur einen Kämmerer fanden wir in Farfa und
in Sankt Gallen als der Handwerker Vorgesetzten: vielleicht
nimmt in Corbie der an der Spitze der Handwerker der zweiten
Kammer als „ad cameram" Bezeichnete eine der des „camerarius",
der in Sankt Gallen in dem Handwerkerhaus wohnen sollte,
ähnliche Stellung ein, also nicht als Meister eines Handwerkes,
sondern als Aufseher über eine ganze Reihe verschiedener.
Erst drei Jahrhunderte später, erst aus dem 12. Jahrhundert
haben wir wieder einen Bericht, der sich dem über Corbie vom
Q. an Ausführlichkeit und Wichtigkeit an die Seite stellen ließe ^^).
Drei Jahrhunderte von größter Bedeutung für unsere Frage!
Denn inzwischen hat sich das städtische Wesen entwickelt, es
^y^eht bereits Zünfte.
Leider beschränkt sich unsere Kenntnis der Wirtschaft der
Abtei Werden an der Ruhr einstweilen auf die vorläufigen Mit-
teilungen Rudolf Kötzschkes, die freilich dankenswert und
allem Anschein nach zuverlässig sind, aber einen Einblick in die
demnächst von ihm zu erwartende Publikation des Urbars selbst
nicht ganz ersetzen können^'). Unter den Punkten, über die
man näheren Aufschluß haben müßte, befindet sich namentlich
der, daß nach Kötzschke ein Teil des Gesindes der Abtei in der
Ortschaft Werden, die bei dem Kloster entstanden war, wohnte
86) Ueber das Reichenauer Gesinde nach der Urkunde Heinrichs IV. von
1065 vgl. unten am Schluß des Kapitels. — Aus dem 12. Jahrhundert stammt die
Vita des 995 gestorbenen Bischofs Gebhard von Konstanz, der bei der Gründung des
Klosters Petershausen ,,convocatis servis suis elegit ex eis oplimos quosque et
constituit ex eis coquos et pistores, caupones et fullones, sutores et hortulanos, carpen-
tarios et singularum artium magistros, et constituit, ut eo die quo fratribus servirent de
annona quoque fratrum in pane reficerentur, ^quia dignus est operarius dbo suoc".
MG. SS. X, S. 588. Daß die Worte „singularum artium magistros" mit „Meister je
der sonstigen Künste" zu übersetzen und nicht als „Meister der verschiedenen vorher-
genannten Künste" zu fassen sind, als ob von diesen ganze Amtsverbände mit je
einem Meister an der Spitze dem Kloster überwiesen worden wären, haben bereits
G. V. Below (Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. V, S. 144) und
mit größerer Entschiedenheit Ernst Mayer (Deutsche und französische Verfassungs-
geschichte, Bd. II, S. 179'') bemerkt Mayers treffende Alimente wären nur durch
die Frage noch weiter zu unterstützen, was wohl die dreizehn Mönche — denn um
mehr handelt es sith bei der Stiftung nicht — mit ganzen Verbänden von* S^uhmachem
u. s. w. anfangen sollten.
87) Vgl. Rudolf Kötzschke, Studien zur Verwaltungsgeschichte der Groß-
grundherr schaft Werden an der Ruhr. Leipzig 1901, S. 120 ff. Leider war es mir
-t zu spät mf^lich, Einblick in die Druckb(^en zu erlangen: vgl. Anm. 173a.
3*
2 5 Die Handwerker der Grundherrschaften.
„in je einem zu besonderem Gebrauch ihnen vergebenen Hause",
während nur „ein kleinerer Teil" „in den Abteigebäuden selbst
Unterkunft" fand**^).
Man müßte wissen, welche von den im weiteren aufge-
zählten Arbeitern zu diesem, welche zu jenem Teile gehörten;
vor allem aber, ob die in mehreren Häusern in der Ortschaft
lebenden in der Tat einen Bestandteil des Gesindes bildeten oder
vielmehr in der Hauptsache wirtschaftlich unabhängige Hand-
werker waren, die nur zu gewissen Arbeitsleistungen oder
Lieferungen für den Abt verpflichtet waren.
Daß die letzte Deutung richtig- ist, dafür spricht, daß
Kötzschke dieses Draußen -wohnen nur von den Arbeitern des
Abtes berichtet, nicht von denen der Mönche. Der Abt aber war
in der Stadt Werden Gerichtsherr, wie der Bischof von Straßburg
in seiner Stadt, und städtische Werdener Handwerker konnten
daher für ihn fronen müssen, ohne daß sie zu seinem Gesinde
•gehört hätten, wie das in einem späteren Kapitel an dem Bei-
spiele von Straßburg ausführlicher dargelegt werden soll. Ganz
anders die Mönche, die nur Grundherren waren. Und so böte
denn das eine Werden in diesem Nebeneinander den trefflichsten
Beleg dafür, wie jede der beiden Wirtschaftsformen in ihren
eigenen Bahnen verharrt.
Sehen wir also ab von jenen in der Stadt wohnenden, wahr-
scheinlich dem Gesinde überhaupt nicht angehörigen Handwerkern,
so wirtschaftet man in Werden im 12. Jahrhundert noch genau
so, wie in Corbie' im neunten. Nach wie vor fmden wir eine
große Abtei im Besitze zahlreicher eigener Handwerker. Von
Wichtigkeit ist nur die eine Neuerung: Abts- und Konventsgut
sind, wie schon angedeutet, g"etrennt, und jede große Gruppe des
Gesamtgutes hat auch ihre eigenen Wirtschaftsräume und ihr
eigenes Handwerkerpersonal. Die Verwaltung des Abtsgutes
liegt in den Händen der großen Hofbeamten, und auch diese
wiederum verfügen je gesondert über die Arbeiter, deren sie
bedürfen.
Da hat der Drost unter sich je vier Köche, Bäcker und
Fischer, einen Küchenknecht und einen, der die Fische zu holen
hatte; der Schenk vier Bierbrauer und einen Kellerknecht; der
Marschalk einen Sattler, einen Läufer, vier reitende Boten,
einen Schmied und einen Kürschner. Außerdem aber hat der
5) A. a. O. S. 121. — Zum folgenden vgl. unten Kapitel III.
Werden a. d. Ruhr.
37
Abt sechs Schmiede, vier Bauarbeiter und neun Kammerbediente,
diese unter je einem Meister — das alles natürlich unter dem
erörterten Vorbehalt. Der Kämmerer, der zwar vorhanden war,
wird, soviel sich sehen läßt, nicht zu ihnen in Beziehung ge-
setzt*"').
Die ganze Verwaltung des Konventsguts dagegen leitet
allein der Propst. Höchstens daß ihm ein Kellerer dabei hilft ^'>).
So stehen ihm denn zur Verfügung vier Köche und vier Bier-
brauer unter je einem Meister, vier Bäcker, vier Fischer, drei
Weinschröter, zwei Gärtner, vier Bader, zwei Bauarbeiter, zwei
Schuster, fünf Boten und einer, der die Fische von Duisburg
herüberzubringen pflegte.
Man sieht, das Gesinde ist ziemlich gleichmäßig verteilt.
Höchstens fällt auf, daß nur die Mönche Weinschröter und Schuster
haben (ein Bader für den Abt mag unter seinen Kammerbedienten
inbegriffen sein), während ihnen dafür Schmiede gänzlich fehlen.
Was uns aber mehr interessiert, ist, daß gewisse Arbeiter-
gruppen Meistern unterstellt sind.
Es handelt sich um die Schmiede, die Bauarbeiter und die
Kammerdiener des Abtes, sowie die Köche und Bierbrauer der
Mönche.
Die hofrechtliche Theorie sieht sich da gegenüber einer
Reihe von Rätseln. Warum sind gerade diese Arbeiter so orga-
nisiert, warum hüben und drüben ein Teil, warum nicht alle?
Warum die Köche und Brauer des Propstes und nicht die an
Zahl gleichen des Abtes? Warum die Bäcker und Fischer über-
haupt nicht? Abgesehen von den Schmieden fehlen die Meister
gerade den Beschäftigungen, die, wie Bäcker und Fischer, in den
Städten zuerst in selbständigen Verbänden auftreten. Denn daß
Kammerdiener, Köche und selbst Bierbrauer bei der Entstehung
des Zunftwesens eine besondere Rolle gespielt hätten, wird man
nicht behaupten können. Auch ist, abgesehen etwa von den
Kammerdienern, die Zahl der Mitglfeder bei den ehizelnen Be-
schäftigungen viel zu gering^'), als daß an innungsartige Ver-
89) Kötzschke sagt von ihm nur, a. a. O. S. 121, daß ihm ,,die Sor^e für
das Bekleidungswesen u. ähnliches" zukam. „Im 12. Jahrhundert begegnet endlich
ein Vitztum-Propst. ohne daß über seine Stellung etwas verlautet": S. 122. Außer
dem männlichen Personal hatte der Abt sechs Mägde zu Diensten: S. 121.
90) S. 124, S. 125.
91) Vgl. hierzu unten Anm. 102.
«8 I^i^ Handwerker der Grundherrschaflen.
bände zu denken wäre. Daß auch die Zuteilung von Handwerkern
einer Technik an verschiedene Hofämter einem solchen Zusammen-
schluß im Wege stand, darauf ist bereits hingewiesen'*-).
So wird denn die Antwort auf jene Fragen die sein, daß
es sich um eine zufällige, in einzelnen Zweigen der Werdener
Verwaltung getroffene, keineswegs aber maßgebende Einrichtung
handelt: vorausgesetzt, daß nicht ein Einblick in das Urbar selbst
noch Aufschlüsse bringt.
Doch zeigen auch die späteren Nachrichten aus anderen
Klöstern, die nun noch folgen sollen, daß im wesentlichen alles
unverändert bleibt.
Wieder ein Jahrhundert später nämlich erhalten wir authen-
tischen Bericht über die Zusammensetzung des Handwerkerstabes
des Klosters Saint-Trond oder Sankt Truijen bei Lüttich.
Abt Wilhelm von Ryckel, der 1249 — 1272 regierte, selbst
ist es, der unter der Ueberschrift „Nomina officiatorum seu mini-
sterialium vel potius ministrorum, qui Teutonice husgenot appellan-
tur" in seinem Wirtschaftsbuch folgende Personen aufführt ^^):
den Marschall, Truchseß, Schenken, Kämmerer; den „villicus
curie", den „scultetus seu iudex", den „subcellerarius"; vier Köche
des Konvents, einen des Abtes; zwei Wäscher, zwei Schneider,
zwei Weißbrotbäcker, zwei Roggenbäcker, zwei Brauer („bressarii"):
einen „hospitarius seu stabularius", den „forestarius de Emberen
seu villicus de Hobant'"-'^); einen Müller und vier „operarii
fenestrarum".
Hierbei ist bemerkenswert einmal die völlig gleichmäßige
Einbeziehung der gemeinen Hausdiener und Handwerker mit
den Vorstehern der vier Hofämter unter dem Begriff der „Haus-
genossen", des Gesindes. Es mag mit den nachdrücklichen Be-
strebungen des Abtes, eine strengere Ordnung einzuführen, zu-
sammenhängen, daß er auf sie alle die Formel anwendet:
„officiati seu ministeriales vel potius ministri" ^'').
Was die Urkunde jedoch für uns noch wichtiger macht, ist
der Umstand, daß schon seit länger als einem Jahrhundert das
92) Oben S. 24.
93) Le livre de l'Abbe Guillaume de Ryckel, Public par H. Pirenne,
(Gent 1896), S. 93. — Ueber die weiteren Schicksale dieses Personals vgl. das nächste
Kapitel.
94) Auf S. 94 druckt Pirenne: Hobamt.
95) Hierüber Pirennes interessante Einleitung und Hist. Zeitschr., Bd. LXXX
s. 513 f.
Saint-Trond.
39
Vorhandensein von selbständigen Handwerkern in der Stadt
Saint-Trond, die der Gerichtsherrlichkeit des Abtes unterworfen
war, urkundlich überliefert ist. Damals, im Jahre 1112, schloß
Abt Rudolf mit den Bäckern, Bierbrauern, Gerbern — das sind
wahrscheinlich die „sutarii" —
et qui alias huiusmodi merces vendunt super rostrum in
oppido nostro,
einen Vertrag ab über die Ablösung des Gewettes, das sie im Ge-
werbegericht zu zahlen verpflichtet waren ^*').
Zwölf Jahre vor Abt Wilhelms Regierungsantritt wissen
wir ferner von einer Bruderschaft der Walker und Tuchscheerer*^^.
Hier haben wir also städtische Handwerker und Hofhandwerker
gleichzeitig nebeneinander am selben Orte, unter demselben
Herrn! Wie stellt sich die hofrechtliche Theorie dazu? Und
doch glaubt Eberstadt, dem freilich Abt Wilhelms Wirtschafts-
buch unbekannt geblieben zu sein scheint, gerade hier, d. h. in der
Gerichtsuntertänigkeit der Handwerker der Stadt Saint-Trond, eine
besondere Stütze für seine Anschauungen gefunden zu haben.
Wir können imn wieder ein Jahrhundert überspringen, um
auch noch im fünfzehnten eine geistliche Grundherrschaft zu
finden, das Chorherrenstift Bödeken in Westfalen, das sich zahl-
reiche Handwerker unter seinem Dienstpersonal hielt '■''').
An diesem waren im Hause vorhanden: vier Köche, ein
Kellerer, fünf Bäcker, drei Zimmerleute, ein Pförtner, zwei
Kürschner, vier Schuhmacher, fünf Schneider, drei Schmiede, ein
Barbier, ein Maler, ein „hospitalarius", „ad communes labores IX",
die den neun Kammerbedienten des Abtes von Werden ent-
96) Piol, Cartulaire de l'Abbaye de Saint-Trond (Brüssel 1870), Bd. I, S. 38 f.
— Wie Piot zu der Uebersetzung ,, sutarii = fabricants de malt'' gekommen ist, die
auch Eberstadt, Ursprung des Zunftwesens, S. 38, übernimmt, habe ich nicht fest-
stellen können. Ich vermute einstweilen „sutorii" (vgl, die Wörterbücher) statt
,,sutores", oder besser ,,sudarii", französisch „sueurs", Gerber (vgl. das Wörterbuch
von Sachs-Villatte und Eberstadt, Magisterium, S. 46, wo aber die Uebersetzung
Rindschuster unrichtig scheint). Eberstadt hat von Piot auch das sinnlose „nostrum"
statt „rostrum" übernommen, Zunftwesen, S. 39' (vgl. Ducange).
97) Piot, Bd. I, No. 159; auch abgedruckt Fagniez, Documents, Bd. I,
No. 158.
98) Wigand, Archiv, Bd. IV, S. 271 f. Das Canonessen-Stift Bödeken wurde
danach (S. 271 Anm.) „im Jahre 1409 in ein Manns-Closter regulärer Canonici ver-
wandelt". Das Personalverzeichnis stammt aus dieser späteren Zeit.
40
Die Handwerker der Grundherrschaften
sprechen haben mögen '*^), und „ad novam structuram IV", offen-
bar Maurer oder Steinmetzen i**').
In Anbetracht dessen, daß Bödeken ein ziemlich unbe-
deutender Konvent war^"'), ist das im Verhältnis zu berühmten
Abteien wie Corbie, Werden und Saint-Trond viel und man
möchte schon schheßen, daß unter Umständen die Zahl der
eigenen Handwerker eher zugenommen als sich vermindert hätte.
Ich glaube, aus diesen Beispielen wird man zur Genüge
entnehmen können, wie es um das Handwerkerpersonal stand,
das sich größere Grundherrschaften im Mittelalter zu halten
pflegten. Handwerker sind vorhanden im ganzen in nicht un-
beträchtlicher Zahl, von jeder Art oft mehrere, aber doch nicht
in genügender Menge, als daß sich innungsartige Verbände aus
ihnen hätten bilden lassen. Eine größere Zahl nämlich verlangt
die Theorie, damit die Bildung eines Hofhandwerkeramtes mög-
lich sei ^^-). Dabei ist sich der Zustand die langen Jahrhunderte
hindurch gleich geblieben, bis weit über die Zeit der zünftigen
99) Landwirtschaftliche Arbeiter verschiedener Art werden in demselben Ver-
zeichnis ebenfalls aufgezählt. Außerdem befinden sich in der Grangia Tyndelen
2 Priester mit 2 Köchen.
100) Vgl. oben Anm. 55.
101) Wigand, a. a. O. S. 272, über die Stärke des Konvents. Vgl. damit
die von Saint-Trond, Pire'nne, S. 90 f.
102) Nachdem Eberstadt (Ursprung des Zunftwesens, S. 95) bemerkt hat,
daß für die Sicherstellung der Vereinstätigkeit einer Bruderschaft schon „eine geringe
Anzahl von Personen genügt", und daß die Bildung solcher Vereine „selbst unter den
kleinsten Verhältnissen" keine Schwierigkeiten bot, fährt er fort: „Ganz anders und
viel enger begrenzt sind schon die Vorbedingungen für das (mechanische) Handwerkeramt.
Um ein Handwerkeramt zu bilden, mußte die Handwerkerschaft eines bestimmten
Berufs bereits zahlreich genug sein, damit sie für sich abgeteilt und einem eigenen
Magister unterstellt werden konnte," Ferner: „Das so geschaffene Handwerksamt
konnte sich unter günstigen Umstanden zu einem Magisterium umbilden. Die Voraus-
setzung hierfür ist eine doppelte; zunächst mußte die Handwerkerschaft von hin-
reichender Größe und Bedeutung sein , um den gesamten Apparat für die Recht-
sprechung und für die Verwaltung des Gewerbewesens zu tragen". In einer An-
merkung S. 96' fuhrt Eberstadt das noch weiter aus, so daß kein Zweifel bleibt,
daß er mit der „in einem Magisterium zusammenzufassenden Handwerkerschaft" die
Vertreter eines einzelnen Handwerks meint. War eine Handwerkerschaft nicht zahl-
reich genug, so blieb die Möglichkeit der „Vereinigung mehrerer schwächerer Gewerko
unter einem solchen Amt". Großenteils wörtlich gleichlautend schon in ,, Magisterium
und Fraternitas'' S. 10 f. und S. 106. Es ist ohne weiteres klar, daß diese Voraus-
setzung bei den grundherrlichen Handwerkerschaften , die wir kennen gelernt haben,
durchaus fehlt. Die zweite Voraussetzung berührt uns hier nicht.
Die Gründe der klösterlichen Wirtschaftsweise.
41'
Entwickelung hinaus: im 12. und im 15. Jahrhundert ist es wie
im neunten.
Eine Hauptsache aber ist dabei noch gar nicht berührt.
NämHch die, daß alle diese Fronhofwirtschaften, die sich mit
Handwerkern so wohl ausgestattet erwiesen, klösterliche waren,
nicht bischöfliche. Nur für Klöster aber galt die Vorschrift
Sankt Benedikts über den Betrieb der zum Leben nötigen Kunst-
fertigkeiten innerhalb der Mauern. Konnte sie auch nicht so
pedantisch verwirklicht werden, wie der Autor des Baurisses für
Sankt Gallen es sich ausgedacht hatte: soweit möglich hat man
ihr nachgelebt, vergessen hat man sie nie; und es unterliegt
keinem Zweifel, daß die Einrichtungen der Klöster dauernd da-
durch beeinflußt worden sind^*'^).
Zu der religiösen Norm aber gesellten sich wirtschaftliche
Erwägungen. Was ist denn der Grund, warum die bäuerliche
Wirtschaft gewisse Handwerksleistungen in sich schließt? Offen-
bar, weil und insofern Berufshandwerker, die um Lohn zu be-
schäftigen wären oder denen man ihre fertigen Erzeugnisse
abkaufen könnte, nicht zur Verfügxing stehen. Dasselbe gilt für
die klösterliche Fronhofwirtschaft. Bedarf diese also technisch
höher ausgebildeter Leute, so muß sie sie nach den zur Zeit
üblichen Normen selbst halten. Eben daher erklärt es sich,
warum das tief im Walde versteckte, von städtischen Hilfs-
mitteln abgeschnittene Bödekeni^^) noch im 15. Jahrhundert
einen so starken eigenen Bestand an Handwerkern nötig fand.
Man sieht sofort, daß auch in diesem Punkte die Lage der
bischöflichen Residenzen eine durchaus abweichende war und es
also nicht angeht, gerade von dem Wirtschaftssystem der Klöster
weitgehende Schlüsse auf die allgemeinen wirtschaftlichen Zustände
zu ziehen.
Für die bischöflichen Hofhaltungen in den Städten kommen
die für die Existenz der Klosterhandwerkerschaften entscheidenden
Gründe also überhaupt nicht in Betracht. Nun sind es aber ge-
rade die angeblichen Handwerkerschaften der bischöflichen,
städtischen Fronhöfe, auf die die zünftische Organisation zurück-
geführt wird. Genügte nun schon der Bestand an Handwerkern,
den wir in den Klöstern fanden, ganz und gar nicht, um den
hofrechtlichen Folgerungen als Ausgangspunkt zu- dienen, so
•03) Vgl. unten Anm. 113.
104) Wigand, a. a. O. S. 271.
^2
Die Handwerker der Grundherrschaften.
müßte über bischöfliches Handvverkspersonal eine geradezu er-
drückende Beweislast beigebracht werden, ehe es möglich sein
würde, die Theorie von dem hofrechtlichen Ursprung der Zünfte
•einigermaßen wieder auf die Füße zu stellen. Daran aber ge-
bricht es vollständig. Nur einzelne täglich unentbehrliche Hand-
werker haben auch die Bischöfe sich unter ihrem Hausgesinde
gehalten.
Glücklicherweise sind wir in diesem Punkte jedoch nicht
auf bloße Deduktion angewiesen: über die Zusammensetzung des
Hofhaltes gerade des glänzendsten Kirchenfürsten in der größten
und betriebsamsten Stadt Deutschlands besitzen wir eben aus
-der kritischen Zeit die vollständigste und sicherste Nachricht ^"'^).
Wenn irgend ^vo, so würde man am Hofe des Kölner Erz-
bischofs einen zahlreichen Bestand an Hofhandwerkern zu finden
erwarten. Hier müßte das Rhodos der hofrechtlichen Theorie
sein. Zahlreiche Arbeiter der verschiedensten Kategorien, wohl-
organisiert, vielleicht früh zum Marktverkehr zugelassen, aber
noch der Hofverwaltung unterstellt, mindestens mit deutlichen
-Spuren ihrer ehemaligen Abhängigkeit: wenn irgendwo, so müßte
das in Köln zu finden sein.
Nichts von alledem! Freilich ein zahlreiches Gesinde hat
■sich der Erzbischof an seinem Hofe gehalten, ein ungewöhnlich
zahlreiches sogar. Da sind der Truchseß, zwei Kämmerer, der
-Schenk und der Marschall; ein Küchenmeister mit fünf „anderen"
Köchen; ein Kellerer, der Butigler mit zwei Dienern; ein Bäcker,
ein Tortenbäcker und ein Oblatenbäcker; der Kämmerer hat
einen Diener, der in des Erzbischofs Kemnate das Feuer anmacht,
der Marschall zwei Pferde Wächter; es sind Wasserträger da, ein
Schüsselbewahrer, ein Brotkorbbewahrer, ein Bewahrer der Bett-
decken, mehrere Wäscher; ferner ein „procurator panis", ein Vor-
-steher des Fleischhauses, ein Bärenhüter, ein Gärtner, mehrere
Boten. Alle diese werden am Hofe verpflegt. Außerdem eine
Reihe von Personen, die nicht zum eigentlichen Gesinde gehören:
■der „capellarius", der „advocatus maior", der „sculthetus", der Vor-
steher des Gefängnisses; auswärtige Herren, die sich am Hofe
aufhalten, wie der Graf von Jülich ; die Schultheißen, „qui serviunt
cum piscibus", und die westfälischen, die Schinken bringen; endlich
105) Am besten ediert von Frensdorff in Höhlbaums Mitteilungen a. d.
Stadtarchiv in Köln, Bd. I, Heft 2, S. 59 ff., im Anschluß an das lateinische und
•das deutsche Recht der Dienstmannen des Erzbischofs von Köln, a. a. O. S. i — 58.
Der Hofhalt des Erzbisdiofs von Köln.
43
Brüder vom Hospital des Heiligen Lupus und „qui trahunt vehi-
culum in nocte natalis Domini".
Aber von Handwerkern? Nur ein „bachararius", ein „tunna-
rius", ein „nauta", und eine Mehrzahl nur von Bauarbeitern „ope-
rarii, cementarii scilicet et carpentarii", und zwar auch diese,
wohlbemerkt, als echter Bestandteil des Gesindes im Empfang
des „servitium cotidianum".
Es liegt keine Berechtigung zu der Annahme vor, in früherer
Zeit hätten die Kölner Erzbischöfe vollständige, in orthodoxer
Weise oganisierte Handwerkerschaften besessen; am Anfang des
12. Jahrhnnderts wäre hier schon die ganze Stufenleiter durch-
laufen, jede Spur der ehemaligen hofrechtlichen Abhängigkeit
bereits verschwunden. Bei der Stätigkeit gerade des Aemter-
wesens im Mittelalter ist das ausgeschlossen. Der Hofhalt des
Erzbischofs ist denn auch genau so organisiert wie gleichzeitig
der des Straßburger oder irgend eines anderen Bischofs, die alle
■damals und später noch gewisse Handwerker unter ihr Gesinde
aufnahmen, und wie auch andere größere städtische Haushaltungen,
2. B. die des Straßburger Stettemeisters. über das Maß des
heute üblichen hinaus zu tun pflegten ^^'^).
Nur die Stadt Köln hatte eine unendlich reichere Ver-
gangenheit als irgend eine andere in Deutschland und ihre
städtischen Organisationen sind deshalb bereits unvergleichlich
freier gestaltet. Wirtschaftlich unabhängige Handwerker aber
standen allen Bischöfen in ihren Städten von Anfang an zur
Verfügung.
Dafür hat den Nachweis an einer Reihe von Einzelpersonen
und mit allgemeinen Gründen bereits v. Below gegeben '*'^).
Den eigentlichen Beweis aber, daß so in allen Städten der
herrschende Wirtschaftszustand war, liefert die folgende Stelle aus
■dem Edictum Pistense von 864 '<>*):
Similiter per civitates et vicos atque per mercata ministri
rei publicae provideant, ne illi qui panem coctum aut
carnem per deneratas [= denariatas] aut vinum per sex-
106) „deheins stettemeisters vischer, metziger, wescherin, noch dem koche."
Neuordnung des Straßburger Stadthaushalts von 1405, meine Urkunden zur städti-
schen Verfassiuigsgeschichte, Nr. 214 § 5.
IG") In den schon mehrfach angeführten Aulsätzen über die Entstehung des
Handwerks in Deutschland in der Zeitschrift für Sozial- imd Wirtschaftsgeschichte, Bd. V.
108) MG. LL., Sectio IL Capitularia Bd. II, S. 319.
44
Die Handwerker der Grundherrschaften.
taria vendunt, adulterare et minuere possint. Sed quan-
tos mensurabiles panes in unaquaque civitate de iusto
modio episcopi vel abbaüs seu comitis ministeriales a
pistoribus suis recipiunt, tantos mensurabiles panes de
aequo modio a pistoribus, qui panem vendunt, fieri faciant.
Diese Stelle allein entscheidet im Grunde die Hauptfrage:
nebeneinander haben wir hier auf der einen Seite die Ministerialen
der verschiedenen Stadtherren mit ihren Hofbäckern , auf der
anderen wirtschaftlich selbständige Bäcker, Fleischer und Wein-
verkäufer, die nur im öffentlichen Interesse der Aufsicht jener
Beamten unterstellt sind.
' Freilich gilt das Edikt nur für das Reich Karls des Kahlen,
das heißt zunächst Frankreich. Aber es kann kein Zweifel sein,
daß, gegenüber der größeren Verbreitung der Hörigkeit in diesem
Lande, seine Voraussetzungen für Deutschland, soweit es hier
bereits Städte gab, also am linken Rheinufer, in Köln, Straßburg,
Aachen erst recht zutreffen mußten ^'^^). Dagegen würde die An-
nahme, als wären diese freien Handwerker nach dem g. Jahr-
hundert erst sämtlich in die Hörigkeit des Stadtherrn geraten,
eine Wiederbelebung der Hypothese von dem hofrechthchen Ur-
sprung der gesamten Stadtverfassung bedeuten , die zur Stunde
gewiß nicht mehr berücksichtigt zu werden braucht.
Was jedoch die neuen, binnenländischen Bischofssitze be-
trifft, so sind auch sie nur in engstem Anschluß und lebhaftester
Wechselbeziehung zu den bei ihnen gleichfalls neu begründeten
Marktansiedelungen denkbar. So kann es auch hier an selb-
ständigen Handwerkern nicht gefehlt haben. Und da die Wirt-
schaftspolitik der Bischöfe durchaus auf das Gedeihen der neuen
Städte gerichtet war, die ja ohne ihre Förderung gar nicht hätten
ihr Dasein fristen können, so ist es ausgeschlossen, daß sie durch
Heranziehen einer großen Hofhandwerksorganisation ihre wert-
vollste Schöpfung im Keime zu ersticken versucht haben sollten.
So hat denn hier die Theorie von dem hofrechtlichem Ur-
sprung der Zünfte erst recht kein Feld. Wo es Städte gab, wo
das Marktrecht galt, gab es auch unabhängige Handwerker, und
109) Die alte Ansicht, als hätte in den Römerstädten längere Zeit eine voll-
ständige Unterbrechung städtischen Gewerbslebens stattgefunden, kann ja wohl als
aufgegeben gelten. Was uns in dem Capitulare de Disciplina Palatii Aquisgranensis
(vgl. oben Anm. 43) über den Marktverkehr bei der Pfalz überliefert wird, rechtfertigt
die Nennung auch Aachens in diesem Zusammenhang.
Klösterliche und bischöfliche Wirtschaftsweise.
45
kein städtischer Grundherr dachte daran, ihnen gegenüber ein
zahlreiches, einer komplizierten Organisation und besonderer Ge-
richtsbarkeit unterworfenes Handwerkspersonal in seinem täglichen
Brote zu erhalten.
Auch die Klöster sind nicht stets in ländlicher Abgeschieden-
heit \erharrt. Mehrfach sind bei ihnen Märkte und Städte ent-
standen, angelegt worden. Die Handwerker, die man hier an-
siedelte, unterlagen jedoch ebensowenig dem Hofrecht, standen
ebensowenig innerhalb der Fronhofwirtschaft, wie in den Bischofs-
städten ^^% Dann aber hat sich auch die Klosterwirtschaft den
neuen Bedingungen angepaßt. Es erschien bequemer, wirtschaft-
licher, sich von den neuen städtischen Handwerkern bedienen zu
lassen, das eigene Personal zu beschränken.
Mit der Ordensregel war es auch in diesem Punkte nicht
schwer, sich abzufinden. Buchstäblich ließ sie sich, zumal sobald
ein Kloster ausgedehnte Ländereien besaß, ja doch nicht inne-
halten. Und St. Benedikt selber hatte, gemäß der oft ge-
rühmten praktischen Richtung seines Geistes, seiner Vorschrift
ein „si fieri potest" hinzugefügt ^^^).
Es gibt zu denken: wenn der Heilige selbst für Italien mit
seinem alten Handwerk und seiner langgewohnten Sklavenwirt-
schaft zweifelte, ob stets die Handwerker, deren ein Kloster be-
nötigte, zu beschaffen sein würden, w-ie viel schwieriger noch
mußte es in Deutschland sein. Erinnern wir uns, wie die Bre-
vium exempla die Unausführbarkeit der Wünsche des Capitulare
de Yillis zeigten ^i-').
Wo daher die Sache zu unbequem war, hat man in echt
institutionellem Geiste, und die spätere geschichtliche Auffassung
verwirrend, jedoch den Schein retten wollen. Die Mauern der
Stadt mußten dann für die des Klosters stehen, mochte eben jene
auch in reichem Maße die Gefahren bergen, vor denen die
„draußen schweifenden" Mönche zu behüten gewesen wären.
Dieser Denkprozeß war zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen.
lio) Dieser Satz gilt freilich nicht uneingeschränkt. Manche Klöster haben
versucht, Städte zu hofrechtlichen Bedingungen zu gründen. Solchen Gründungen ist
aber keine Blüte beschieden gewesen. Beispiele bei Goihein, Wirtschaftsgeschichte
d'S Schwarzwaldes, Bd. I.
iii) Vgl. oben S. 34.
112) Vgl. oben S. 14.
46 Die Handwerker dei Gmndherrschaften.
als daß nicht selbst ein Mann wie Mabillon sich ihm hätte
unterwerfen müssen *i").
Wie einsichtige Aebte tatsächlich verfahren sind, lehrt
die Geschichte Reichenaus, auf die ich deshalb noch einmal
zurückkomme 1^^).
Heinrich IV. hatte im Jahre 1065 jedermann den Aufenthalt
auf der Insel verboten, mit Ausnahme der Fischer, Bäcker, Köche,
Walker und Winzer der Mönche. Wenn Hegel von Fischern,
Bäckern, Köchen, Walkern und Winzern schlechthin redet und
sagt, daß „keine anderen Gewerbetreibenden" dort wohnen sollten,
so wird die Sachlage in ein falsches Licht gerückt i'^). Bei ihm
erscheint die Maßregel des Königs als unerklärte Willkür. Da-
gegen habe ich bereits ausgeführt, warum gerade diese Klassen
von Arbeitern so begünstigt wurden. Für andere lag keine Not-
wendigkeit für einen Aufenthalt auf der Insel oder in unmittel-
barer Nähe des Klosters vor^^ß).
Die Marktgründung des Jahres 1075 wird deshalb nur in
fernem Zusammenhang mit jener königlichen Verordnung stehen,
wie die von 998 und die von iioo^^'). Ich möchte auch nicht
annehmen, daß Abt Alawich sich das Marktprivileg für Allens-
bach von Otto III. nur auf Vorrat habe ausstellen lassen 1^*).
113) In seinen Annales Ordinis S. Benedicti II, S. 333 sagt Mabillon von dem
Kloster Saint-Riquier: „monasterium ad praescriptum sanctae regulae ita dispositum
erat, ut artes omnes atque omnia opera necessaria intra loci ambitum exercerentur".
Was er dann aber schildert, ist die Stadt Saint-Riquier, wobei er noch die verschämte
Wendung gebraucht : ,,opidum ipsum varias artificum habebat regiones seu vicos, veluti
totidem monaslerii officinas." Seine Quelle ist : Scriptum Henrici abbatis de proven-
tibus monasterii S. Richarii ex ipso oppido Centula. Acta Sanctorum Febr. tom. III,
S. 105. Abgedruckt bei Ernst Mayer, Zoll, Kaufmannschaft und Markt (Germanist.
Abhandlungen für Konrad v. Maurer), S. 403 ■'.
114) Vgl. zu dem folgenden oben Anm. 45.
115) Entstehung des deutschen Städtewesens, S. 125 f.
116) Auch Brandi, Reichenauer Urkunden, S. 8, faßt die Genannten richtig
zusammen als „die Handwerker und Diener der Mönche".
117) Vgl. meine Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte Nr. 99 und
Nr. 100. Ferner unten Anm. 176.
118) So dem Sinne nach Hegel, a. a. O., und Gothein, Wirtschaftsgeschichte
des Schwarz Waldes, Bd. I, S. 67. Abgesehen davon, daß das an sich unwahrscheinlich
istj geht auch aus Abt Eggehards Worten das Gegenteil hervor: „Nos vero, quoniam
tale donum regia munificentia nostro monasterio conlatum antecessorum nostrorum
incuria sive neglegentia destructum invenimus, ad meliorem statum perducimus".
Durch die Nachlässigkeit der früheren Aebte war also der ^Markt wieder zu Grunde
gegangen.
Klösterliche Marktgründlingen. a-j
Aber der Zusammenhang ist doch interessant genug! Der König
hielt nur die ständige Verfügung über gewisse Handwerker den
Mönchen für nötig und erfreute sich dabei zweifellos des vollsten
Einvernehmens mit dem Abte. Als aber die Aebte das Kloster
in der Beschaffung der übrigen Hand Werkserzeugnisse von Kon-
stanz unabhängig machen wollten, da ließen sie nicht etwa an-
stellige Hörige in den verschiedenen Künsten ausbilden, sondern
sie versuchten es mit der Gründung von Märkten und Ansiede-
lungen zu freiem Marktrecht. Und darin ließen sie auch trotz
zweimaligem Mißerfolg nicht nach. Denn so gebot es die ge-
sunde Wirtschaftsweise.
Damit ist aber die Antwort auf die Frage, die uns im
nächsten Kapitel beschäftigen soll, im Grunde bereits vorweg-
genommen.
IIT. Kapite 1.
Die grundherrliche Wirtschaftsweise und der r\arkt.
Im vorigen Kapitel habe ich den Nachweis gebracht, daß
von Fronhofs-Handwerkerverbänden , wie sie die Theorie von
dem hofrechtlichen Ursprung der Zünfte braucht, nicht nur in
«den Quellen nichts überliefert ist, sondern ich glaube auch mit
ausreichenden Gründen dargetan zu haben, daß sie in der Tat
nicht haben existieren können ^i^"). Das aber überhebt uns nicht
der Notwendigkeit, auch den zweiten Hauptsatz der hofrechtlichen
Theorie, nämlich die Lehre von dem angeblichen Uebergang der
unfreien Handwerker vom Dienst für die Grundherrschaft zum
freien Erwerbe auf dem Markte, sei es nun einzeln oder korpo-
rationsweise, an sich und ohne Rücksicht auf das vorher Gefundene
einer Prüfung zu unterziehen.
Es ist das eine P>age, der v. Below besondere Aufmerk-
samkeit gewidmet hat. Er weist darauf hin, „daß die Immuni-
täten in den Städten das ganze- iMittelalter hindurch unfreie
Handwerker gehabt habep", und fragt: „warum nimmt man nicht
wahr, daß diese beständig in allmählicher Entwnckelung zur Frei-
heit übergehen?" weshalb erfolgen „nicht beständig neue Evolu-
Ii8a) Uebrigens hat bereits v. Inama-Sternegg, ehe er sich durch Eber-
stadt irreführen Heß, im II. Bande seiner deutschen Wirtschaftsgeschichte S. 322 den
Unterschied zwischen ländhchem und städtischem Handwerk, der „in der ganz ver-
schiedenartigen Organisation'' liegt, mit wenigen kräftigen Strichen vortrefflich
gezeichnet. „Nirgends findet sich eine Spur sogenannter Innungen; schon der Um-
stand stand einer derartigen Bildung als unübersteigliches Hindernis entgegen, daß die
Hauptmasse der zu gewerblichen Verrichtungen bestimmten Arbeiter nach
ihrer ganzen sozialen und ökonomischen Lage kein Material für die Bildung einer Ge-
nossenschaft gleichberechtigter und gleichinteressierter Arbeiter bilden konnten. Der
«igenllichen berufsmässigen Handwerker aber waren selbst auf reich ausgebildeten Fron-
liöfen viel zu wenig, als daf^ unter ihnen ein Bedürfnis nach einer eigenen handwerks-
noäßig gegliederten Genossenschaft hätte aufkommen können." U. s. w.
Die I.cx Burgundionuni. ^n
tionen von hofrechtlichen Verbänden zu freien Innungen?" i'-'). Nun
ließe sich freilich auf diese Fragen einwenden, daß es an sich
wohl möglich wäre, daß wir in dem stabilen Zustande, den uns
die späteren Quellen zeigen, das Ergebnis ewet\ abgeschlossenen
Entwickelung zu sehen hätten; daß erst, nachdem eine älteste
Schicht von hörigen Handwerkern die Freiheit errungen gehabt
hätte und damit den Grundherren verloren gegangen wäre, diese
einer Wiederholung eines solchen Vorganges vorzubeugen gelernt
hätten; daß nunmehr die freigewordenen Handwerker ebenfalls
für die Aufrechterhaltung der Schranke, die sie jetzt von ihren
früheren Herrschaften trennte, Sorge getragen hätten ; daß also
aus dem Zustande, wie wir ihn kennen, nur ein Rückschluß auf
ein ehemaliges Gegenteil gestattet wäre: diese Einwände wären
an sich ohne Zweifel zulässig. Allein die Quellen werden uns
belehren, daß sie als wirklich stichhaltig nicht gelten können.
Eins ist vor allen Dingen festzustellen, daß wir ein echtes
Zeugnis für den Uebergang der Handwerker vom Fröndienst
zur Marktarbeit überhaupt nicht besitzen. Denn die Lex Bur-
gundionum hat aus der Diskussion schlechterdings auszu-
scheiden 120). Ist es schon methodisch unzulässig, einen Tatbe-
stand vom Jahre etwa 500 als Uebergangsstufe zu behandeln von
den Zuständen der Zeit um 800 (der des Capitulare de Villis)
zu denen des 12. Jahrhunderts ^-i), so kommt sachlich hinzu,
daß das genannte Volksrecht überhaupt einer andersartigen
Epoche angehört: es beruht auf den wirtschaftlichen Voraus-
setzungen nicht der werdenden Neuzeit, sondern auf denen der
119) Territorium und Stadt, S. 318.
120) MG. LL. Sectio I, tom. II, i. Leges Burgundionum ed. de Salis, p. 60.
Liber Constitutionum XXI, § 2 : „Quicumque vero servum suum aurificem, argen-
tarium, ferrarium, fabrum aerarium, sartorem vel sutorem in publice adtributum artifi-
cium exercere permiserit, et id, quod ad faciendam ojjeram a quocumque suscepit,
fortasse everterit, dominus eius aut pro eodem satisfaciat aut servi ipsius, si maluerit.
faciat cessionem." — Das Literar. Centralblalt, 1902, Sp. 14 12, bringt eine >(achricht
über in burgundischen Gräbern bei Tavaux gefundene ,, ziselierte und versilberte Täfel-
chen, die einen Schluß auf die bewundernswerte künstlerische Arbeit der damaligen
Zeit zulassen". Es wäre nicht uninteressant, zu wissen, ob es sich um burgundische
oder römische Technik handelt
121) Vgl. Eberstadt, Ursprung des Zimfiwesens, S. 2: „nimmt ein allmäh-
liches Aufsteigen der Handwerker von der Hörigkeit zur Freiheit an, wie es in zeit-
licher Folge [!] dargestellt wird durch das Kapitular de villis, die lex Burgundionum,
das erste Straßburger Stadtrecht und die Sententia Kaiser Friedrichs für Worms vom
Jahre 1182."
Keutgen, Aemtor und ZQnfte. 4
^O I^ie grundherrliche Wirtschaftsweise und der Markt.
untergehenden römischen Welt. Trotzdem hat die hofrechtUche
Theorie gerade hier suchen müssen, sich anzuklammern!
Nehmen wir statt dessen unsern Ausgangspunkt noch
einmal am Beginn des 9. Jahrhunderts — und das tun ja
schliesslich auch die Gegner — so ist in der Tat die Stabilität
der Verhältnisse augenscheinlich. Ich brauche nur zu erinnern
an die besprochenen Hof Verwaltungen : im g., im 12., im 13., im
15. Jahrhundert, überall fanden wir Handwerker unter der
Dienerschaft der Fronhöfe, ohne erhebliche Schwankungen nach
Art und Zahl. Wenn aber von einem vollkommenen Stillstande
gleichwohl nicht die Rede sein kann, so schlug die Entvvickelung
vielmehr eine von der angeblichen durchaus abweichende Rich-
tung ein.
Wir wollen uns indes an diesem äusseren Ansehen nicht
genügen lassen: es wird vielmehr nötig sein, einen zutreffenden
Begriff von dem ganzen Wirtschaftssystem der Grundherrschaften
zu gewinnen. Und zwar unter einem doppelten Gesichtspunkte.
Die erste Frage, die sich erhebt, ist die, in welchem Um-
fange die Grundherrschaften über die Arbeitskraft ihrer Unfreien
verfügen konnten.
Hier wird eine Unterscheidung zwischen zwei Klassen von
Hörigen von grundlegender Bedeutung, die in Zusammenhang
mit unserem Thema noch nicht genügend gewürdigt ist^-"-).
122) Der Vorwurf trifft vor allem G. L. v. Maurer, der seinen mit be-
wundernswerter Gelehrsamkeit gesammelten Stoff leider nicht immer in streng metho-
discher Weise verwendet hat. Vgl. z. B. v. Below, Zeitschrift f. Sozial- und Wirt-
schaftsgesch. V, S. 131 ff., wegen Maurers Citate über grundherrschaftliche Hand-
werker. — Dagegen kennt Schönberg, Hild^brands Jahrbücher IX, S. 155, den
Unterschied wohl: „Der Handwerker liefert dem Fronherrn entweder als Colone sein
Arbeitsprodukt als Gegenleistung für den ihm gewährten Fundus oder Schutz, oder er
arbeitet, als Höriger auf dem Fronhofe wohnend, wie der römische .Sklave Gebrauchs-
werte für den Fronherrn." Aber abgesehen von der nicht zutreffenden Gegenüber-
stellung von Colonen und Hörigen, zieht er aus seiner Unterscheidung keinen Nutzen
für das Problem : „In beiden Fällen ist die Arbeit noch nicht vom Grundbesitz ge-
trennt." Es liegt das an seiner Abhängigkeit von Rodbertus' Theorie über den
historischen Entwicklungsgang der Freiheit der Arbeit und ihres Rechtes gegenüber
dem Besitz (a. a. O. S. 153'®*). Danach mußten die Früchte der Arbeit des unfreien
Arbeiters dem Besitzer des Arbeiters resp. des Grund und Bodens gehören. Dies aber
trifft für die von Schönberg als Colonen bezeichnete Klasse nicht zu. Denn hier
wird der von v. Below mit Recht so nachdrücklich hervorgehobene Gegensatz zwischen
persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit wirksam und die von demselben betonte
feste Begrenzung der Leistungen eben der mit Grundbesitz ausgestatteten Hörigen.
Hofgesinde und hörige Hüfnor. e I
Die eine, bei weitem zahlreichere Klasse umfasst die Hörigen,
die im Besitz eines Anwesens sind, das in den Hofverband ge-
hört, das den verschiedensten Umfang bäuerlicher Besitztümer
haben kann, und von dem gewisse Abgaben oder Dienste zu
leisten sind.
Diese Leistungen können in das Gebiet des Handwerks fallen.
Außerordentlich zahlreich sind da Lieferungen von Stücken Woll-
tuch oder Leinwand, die diese Hörigen schulden, und auch von
Erzeugnissen der Holzindustrie ^^^). Und neben diesen Dingen,
die zwar auf dem Markte verwertbar, aber in jeder Bauernwirt-
schaft herzustellen waren, enthalten die Urbare ebenfalls regel-
mäßig, wenn auch der Natur der Sache nach immer nur bei
einzelnen Personen, Forderungen von Metallgegenständen, Kesseln,
Flaschen, Messern. Pflugscharen u. s. w., die nur das Erzeugnis
besonders ausgebildeter Dorfhandwerker, Dorfschmiede, gewesen
sein können, wie es deren von den frühesten Zeiten an Hörige
wie Freie gegeben haben muß ^-3*).
Von dieser Klasse gelten die wichtigen, von v. Below,
wenn auch eben nicht unter Beschränkung auf sie, formulierten
Sätze: daß „die Unfreiheit im deutschen Mittelalter fest begrenzt
ist"; daß der Unfreie „bestimmte Pflichten" hat, „im übrigen aber
über seine Kräfte nach seinem Ermessen verfügen" kann ^-*).
Nun kommt aber diese Klasse für die Frage, die uns augen-
blickhch vorliegt, nicht in Betracht. Denn die Handwerker unter
diesen Unfreien können eben wegen der festen Begrenzung ihrer
Pflichten „trotz ihrer persönlichen Unfreiheit sich in ihrer wirt-
Für die genannte Theorie aber ergibt sich daraus, daß das Eigentum an dem von den
Hörigen (= Schönbergs Colonen) besessenen Grund und Boden zwischen ihnen und
dem Grundherrn geteilt war imd keineswegs diesem allein angehörte. Ein Umstand,
der für die dort in Frage kommende Lehre von allergrößter Bedeutung ist, wie bei-
läufig bemerkt sein mag.
123) Jede urbariale Aufzeichnung liefert Belege in Fülle. Auch z. B. Brevium
exempla (oben Anm. 27 ff.) § 8: die Frau eines jeden der Inhaber von 19 mansi
serviles „facit camisilem I et sarcilem I, conficit biacem et coquit panem".
123a) Vgl. oben Anm. 85 d, Lieferungen an Saint-Germain. Ebenso in
Deutschland Wigand, Archiv f. Gesch. Westfalens I (4), S. 52, Corvey'sche Ein-
künfte im 12. u. 13. Jahrb.: IV rasoria, III cultellos, HI forfices. Lamprecht,
Wirtschaftsleben Bd. I (i), S. 555, Bd. II, S. 179. Werdener Urbare, heraus-
gegeben von R. Kötzschke, z. B. S. 140 f. cupa, iaguena, lebes. Die „craterae", die
gleich dutzendweise zu liefern sind, werden eben deshalb nicht von Metall gewesen
sein, so wenig wie die zahlreichen „scutellae".
124) Territorium und Stadt, S. 300. Vgl. jedoch unten Anm. 197.
4*
5 2 I^ie grundherrliche Wirtschaftsweise und der Markt.
schaftlichen Tätigkeit in der Hauptsache frei bewegen"; sie sind
/ „als Handwerker nicht unfrei, sondern frei" ^^s^.
Anders verhält es sich mit der zweiten Klasse von Unfreien.
Es ist die, mit der wir uns im vorigen Kapitel ausschließlich be-
schäftigt haben: das Hausgesinde, mit Inbegriff der Hofhand-
werker, ist auch wirtschaftlich unfrei, seine Dienste sind unge-
messene.
Es bedarf keiner Ausführung, daß, wie diese Klasse, wenn
sie zahlreich genug gewesen wäre, allein für eine innungsartige
Organisation in Betracht kommen konnte, so es sich auch nur
um sie handelt bei der Frage nach dem Uebergang aus dem
Dienst der Herrschaft zur freien Arbeit für den Markt.
Denn bei den übrigen stand dieser ohnehin nichts im Wege.
Aus der Klasse der zu bestimmten Leistungen auf dem Gebiete
des Handwerks verpflichteten Hörigen hat sich fraglos ein grosser
Teil der städtischen Handwerkerschaft zusammengesetzt. Aus
diesen Kreisen wird in großem Umfange die eingewanderte
Bevölkerung der Städte stammen. Sie waren es, die in der
Stadt für ihre Geschicklichkeit bessere Verwendung erwarten
durften: wie sie dort denn auch noch während ihrer Ansässig-
keit auf dem Lande Absatz für ihre Erzeugnisse gefunden haben
werden, soweit die Zunftordnung es gestattete ^^e^ j)je Regelung
des Verhältnisses dieser Einwanderer zu ihren Herren unter den
neuen Umständen ist zu oft dargestellt worden, als daß es vieler
Worte bedürfte 127). Dem Herrn brauchte von ihren Spezial-
leistungen nichts verloren zu gehen, da der Abziehende auf seinem
Hofe einen Ersatzmann hinterlassen mußte. Auch sie selbst
brauchten, wenn sie mit Erlaubnis ihres Herrn abgezogen waren,
nicht sofort aller Verpflichtungen ledig zu sein. Das Verhältnis
aber, in das sie zu dem Stadtherrn traten-, wird uns später be-
schäftigen.
<
T25j V. Below, a. a. O.
126) Vgl. ältestes Straßburger Stadtrecht § 52 unten im Text bei Anm. 169.
Ein bemerkenswertes Beispiel sind die berühmten Ulmer „Gäuweber": Nübling,
Ulms Baumwoliweberei im Mittelalter (Schmoll ers staatswissenschaftliche Forschungen,
Bd. IX [5]). Die Zollrollen lassen im allgemeinen keine Unterscheidung zwischen
Bauern und fremden Händlern erkennen, abgesehen von den Verkäufern ländlicher
Lebensmittel, die man jenen zurechnen mag. Vgl. auch unten bei Anm. 148.
127) Das Hauptwerk über die hier berührten Fragen ist das von August
Knieke, Die Einwanderung in den westfäüschen Städten bis 1400. Münster 1893.
Gemessene und ungemessene Dienste. ^^
Im Augenblick kommt es allein darauf an, eine genauere
Vorstellung von dem Umfang der Dienstbarkeit des Hofge-
sindes zu gewinnen, von der ich sag^e, daß sie ungemessen sei.
Gareis glaubt bereits in dem Capitulare de Villis die
Gemessenheit der Dienste als allgemeine Regel zu finden"*).
Aber er versteht darunter, daß es den Beamten verboten war,
die Leistungsfähigkeit ihrer Untergebenen in despotischer Weise
auszunutzen, d. h. für ihre privaten Zwecke auszubeuten. Ob
aber nicht für die Herrschaft selbst die Kräfte des Gesindes unter
Umständen beliebig angespannt wurden und nach damaliger Rechts-
auffas^ung angespannt werden durften, ist eine andere Frage ^^).
Im allgemeinen wird man sich dem unfreien Hausgesinde
gegenüber ursprünglich ähnlich verhalten haben, wie heute gegen-
über der freien Dienerschaft: so daß zwar nicht von jedem jede
Art von Dienst verlangt wird, wohl aber von dem einzelnen sein
Dienst nach Bedarf und nur nicht im Uebermaß; wobei die Ab-
messung der Billigkeit und Klugheit der Herrschaft überlassen
bleibt nach dem Maßstabe des am Orte Ueblichen — also einer
Art Gew^ohnheitsrecht, das aber durchaus nicht bindend ist. Im
Mittelalter aber war die Gewohnheit auch innerhalb eines privaten
Dienstverhältnisses in weit höherem Grade wirklich Recht bildend:
darauf beruht der Vorgang der Entstehung der Hof- und Dienst-
rechte.
Hierbei spielt aber ein Umstand eine Hauptrolle, der der
Theorie von dem hofrechtlichen Ursprung der Zünfte besonderen
\;orschub geleistet hat, daß nämlich jeder regelmäßige Dienst
als Amt aufgefaßt zu werden pflegte, das seinen Träger mit
ganz bestimmten, seinen Pflichten entsprechenden Rechten aus-
stattete. Der Unterschied ist übrigens auch in diesem Punkte
gegenüber dem heutigen Volksempfinden nicht groß. Nicht bloß
im öffentlichen Dienst, wo feste Dienstvorschriften bestehen,
sondern ebenso im Privatdienst, wo das weniger der Fall ist,
sucht doch jeder Beamtete vom einfachen Dienstboten aufwärts
den Kreis seiner Pflichten, für deren Erfüllung er die Verant-
wortung trägt, gegen seine Kollegen abzugrenzen und empfindet
jeden Eingriff als Rechtskränkung. In primitiveren Zuständen,
wo jede Aeußerung der Persönlichkeit eines starken formalen
128) Landgüterordnung Karls des Grossen, S. 6.
129) Vgl. hierzu vor allen Dingen Jakob Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer*
I, S. 485 ff. Zahlreidie Bel^e ferner bei Waitz, Verfassungsgeschichte V, S. 209 ff.
V
54 ^^^ grundherrliche Wirtschaftsweise und der Markt.
Schutzes bedarf, ist dieser Hang nur noch schärfer ausgeprägt
und findet öffenthch Anerkennung. So gelangten denn im Mittel-
alter auch die Dienste des unfreien Hausgesindes zur Regelung.
Der Vorgang ist bei den höheren Schichten der Be-
diensteten oft geschildert worden und bekannt genug: Aus-
stattung mit Dienstlehen, abwechselnder Dienst mehrerer In-
haber derselben Stelle, Beköstigung während der Dienstzeit —
um nur die Hauptzüge zu nennen. Bei dem niederen Personal,
mit dem wir zu tun haben, war es nicht wesentlich anders,
wenn auch das Endziel später erreicht wurde und es statt der
Dienstlehen häufig nur Präbenden gab^'^°). Aber wie die Ixhen,
wurden auch die Präbenden Vermögensobjekte; der Inhaber
kann sich im Dienste vertreten lassen; die Stellen und ihre Ein-
künfte gehen in die Hand von Leuten über, die in keiner per-
sönlichen Abhängigkeit von der Grundherrschaft stehen i^'). Wir
130) Einen prinzipiellen Unterschied gibt es nicht. Vgl. Wittmann, Quellen
z, bayrischen und deutschen Geschichte I, S. 413 ff.: Pfründe-Ordnung des vormaligen
Klosters Geisenfeld, 13. Jahrhundert. Hier sind 2 Köche, die abwechselnd je
4 Wochen dienen (§ 40); ebenso 2 Bäcker (§ 43). Während seiner Dienstzeit erhält
jeder wöchentlich drei „Fleisch" und 7 Brote. Ebenso wird den Frauen das wöchent-
liche Bad alle vierzehn Tage abwechselnd von einem der beiden ,,lautnaer'' (so muß es
doch wohl heißen, nicht „lantnaer", wie auch Lexer, Handwörterbuch, übernommen
hat, ohne das „laut" zu erklären) bereitet. Will eine Frau in der Zwischenzeit baden
und nicht das „feile Bad" besuchen, so hat der Bader vom Dienst es ihr gegen Be-
zahlung herzurichten (§ 45, § 15). Vgl. auch die folgende Anm. — Auch diesen ab-
wechselnden Dienst nennt man noch „cotidianum servitium", worauf Frensdorff,
Kölner Mitteilungen I (2), S. 64 hinweist. Dem entspricht denn auch, dass der täg-
liche Unterhalt nicht wirklich täglich gereicht zu werden braucht. Vgl. auch Brevium
exempla, Boretius, Bd. I, S. 250 ff., § 7 ,,De annona dedimus pro-
vendariis carradae XXX; qui sunt provendati usque ad missam S. Johannis; et sunt
Lxxn.
131) Sehr lehrreich ist, was Lamprecht, W^irtschaftsleben, Bd. I (2), S. 821 f.
und S. 853 ff. über die 10 Dienstlehen in S. Maximin mitteilt: 4 für den Kirchen-
dienst unter dem Gustos, 2 Bäcker-, 2 Koch-, 2 Schmiedelehen unter dem Kellner.
In einem eigenen Weistum von um 1450 (a. a. O., S. 853 ff.) werden die Inhaber als
die „zehen lehenlude" bezeichnet. Sie bilden eine Genossenschaft mit eigener Gerichts-
barkeit. Die Lehen sind vererblich auch an Witwen und Töchter und frei verkäuflich
und vergebbar. Von den „zwei kochelehen" heißt es, „die sin schuldig einen knechte
dem convent zu schicken, ihre erwis zu kochen, abe sie es nit selber ' doin enwoUen,
in des convents kuechen von des convents erwis und aller irer gereitschaft, die zu den
erwissen horent." Um 1520 werden sie noch als die „feuda servilia" im Gegensatz
zu „feuda liberalia" bezeichnet (S. 855). Das erste und wichtigste Kirchendienstlehen
war in die Hände eines Godefridus de Meisenburgh gekommen, dann in die seines
Schwiegersohnes Henricus apothecarius civis Trevericus und schliesslich in die von
Das Amt der Hofhandwerker.
55
sehen eine tüchtige Verwaltung, wie die des Abtes von Saint-
Trond, die teuren Präbenden von den Inhabern zurückkaufen
und frische Diener zu zweifellos bequemeren Bedingungen neuer-
dings anstellen * 5-). Aber anstatt eines verstärkten Handwerks-
betriebes, der den einzelnen in die Reihen der Markthandwerker
geführt hätte, sehen wir die alten Hofhandwerker vielmehr sich
in Rentner verwandeln. Und das Amt ist und bleibt ein per-
sönliches: eben das findet seinen Ausdruck in dem Dienst-
wechsel. Das Amt der städtischen Handwerker dagegen ist ein
korporatives: die Dienste werden nicht einzeln, im Wechsel,
sondern gemeinsam, korporatiop.sweise geleistet. Und wenn es
beim Hofgesinde zu Genossenschaftsbildungen kommt, so pflegt
eine Genossenschaft das gesamte Personal zu umfassen — Bäcker,
Köche, Schmiede. Kirchendiener; während in der Stadt jedes
Gewerk eine Zunft für sich bildet.
Im Capitulare de Villis fanden wir keinen Unterschied
zwischen den höchsten königlichen Hofbeamten und den Knechten
auf den einzelnen Fiskalgütern ^•■''^). Und in der Tat haben die
Herren nie den Standpunkt aufgegeben, wonach auch die „Be-
amten" nichts weiter als Diener waren ^^*). Deren Stellung aber
kennzeichnet sich schon durch ihre Xamen. Sie sind die „dage-
scalki", die „cotidie servientes", die „semper ad servitium parati"' ^^•').
dessen drei Sdiwiegersöhnen loannis Quetzpennick consul Trevericus, Cuno de Koppen-
stein scabinus Treverinus und Xicolaus de Siemera coniunctim. Der älteste Schwiqjer-
sohn läfk durch einen famulus den Dienst versehen und empfängt dafür wöchentlich
20 Pfd. Weizenbrot (S. 856). Auch diese je zwei Bäcker, Köche und Schmiede
dienten offenbar abwechselnd. Von den vier Lehenleuten unter dem Küster sind drei
„schuldig iglicher ein dritteil von dem jähr des nachtes in dem monster zu schlafen".
132) Auf das oben S. 38 angeführte Verzeichnis der Diener folgt die Be-
merkung: „De predictis prebendis offidatorum habet ecclesia XVI prebendas, quas
diversis temporibus acquisivit, scilicet: III prebendas coquine, I hospitarii seu stabu-
larii, IV prebendas pistorum, II prebendas sartorum, I bressarii, I molendinarii, I scul-
teti, I lautoris, I villici de Hobamt, I Arnoldi fenestrarii." Darauf folgt ein Ver-
zeichnis: „Numerus famulorum, quibus cotidie et annis singulis indigemus
summa XVI famuli preter famulos abbatis." Es sind die Diener, die nunmehr die
Dienste der ehemaligen Inhaber der zurückerworbenen Präbenden versehen: z. B.
„famulus cocus et garsio in coquina", „duo famuli ad molendinum", „duo famuli ad
pistrinum et ad cambam"; für den „lautor" ist zeitweise eine „lotrix" da, u. s. w.
133) Vgl. oben S. 10.
'34) Vgl. die Ueberschrift zu dem Personalverzeichnis von Saint-Trond: „Nomina
officiatorum seu ministerialium vel potius ministrorum".
135) Mittelrhein. ÜB., Bd. II, S, 357, Iura prepositi S. Castorfs in Con-
fluentia, Anfang 13. Jahrh. ; „Pistores quoque ecclesie, coais et carpentarius singuli
c6 ^Jc grundherrliche Wirtschaftsweise und der Markt.
Was zuerst geregelt und damit limitiert wird, ist die \er-
pflegüng: in dieser Richtung werden die x\nsprüche der Diener
gesichert. Der Dienst aber bleibt ein voller, hier legt die Herrschaft
sich keine Beschränkung auf; und dabei bleibt es, auch wenn der
Inhaber einer Stelle sich vertreten läßt, und für den, der an der
Reihe ist , auch da , wo zwei Diener abwechselnd fungieren.
Augenfällige Aeußerungen der Willkür haben nie ganz aufge-
hört^^**). Indeß interessieren uns diese späteren Zustände nicht
einmal. Für uns kam es nur darauf an, festzustellen, daß ur-
sprünglich, und nicht nur ganz kurze Zeit, die Herrschaft über
die Dienste des unfreien Gesindes in vollem Umfange verfügen
konnte.
Die Wichtigkeit dieser Tatsache wird sich zeigen, wenn wir
nun dem Problem noch von einer anderen Seite nahe zu kommen
suchen: bildete die einzelne Grundherrschaft einen geschlossenen
Wirtschaftskreis oder kaufte und verkaufte sie auch, vor
allem produzierte sie auf Ueberschüsse?
Daß die Lehre von der „Selbstgenügsamkeit des Hauses"
auf die Grundherrschaften des Mittelalters nicht zutrifft, hat eben-
falls V. Below bereits gezeigt ^^''). Und zwar zu keiner Zeit!
Den Verkauf der Ueberschüsse ordnet bereits das Capitulare de
Villis an ^'^^), wie es umgekehrt auch den Ankauf selbst von Saat-
korn vorschreibt ^^^). Eine strengere Abgeschlossenheit in der
Folgezeit ist nirgend anzunehmen: es kam vielmehr allein darauf
an, inwieweit die einzelne Grundherrschaft Absatzfähiges produ-
zierte.
in opere sui officii se paratos seniper exhibebunt ad servicium prepositi sicut fratrum,
dum tantum eorum servitio non inpediantur." Zitiert von v.* Below, Zeitschr. f.
Sozial- u. Wirtschaf tsg., Bd. V, S. 144°". Der Zusatz ist nicht ohne Interesse als
Anfang einer Rechtsbildung, sowie in Hinsicht auf analoge Bestimmungen in Stadt-
rechten über die Gerichtsfolgepflicht. — Ferner Waitz, Verfassungsgeschichte,
Bd. V-, S. 209 ff.
136) Beispiele bei Grimm, a. a. O.
137) Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. V, S. 147 ff., wo
die ausführliche Begründung mit zahlreichen Belegen. Femer Territorium und Stadt,
S. 299 f. und bereits Entstehung der deutschen Stadtgemeinde (1889), S. 18 f.
138) Cap. 33, 39, 65. .
139) Cap. 32. — In c. 54 und 62 werden mercata erwähnt. Auch die Ein-
künfte aus ihnen sind zu verrechnen. Dabei wird an Marktabgaben von selten unab-
hängiger Händler zu denken sein. Doch werden diese der Verwaltung der iudices
unterliegenden Märkte auch der Domanial wirtschalt selbst zu Kauf und Verkauf ge-
dient haben.
Dv! Vcikauf der Ueberschüsse.
57
In der karolingischen Gutsverwaltung kommen neben land-
wirtschaftlichen Erzeugnissen, wie in den angeführten Kapiteln,
jedenfalls auch die Erträgnisse aller der Anstalten beim Verkauf
in Frage, deren Verrechnung in c. 62 angeordnet wird, also
namentlich der Blei- und Eisengruben '^®). Solche gab es natürlich
nicht überall, doch wird sich aus dem Eisenreichtum der Um-
gegend von Werden die auffällige Zahl der dortigen Schmiede
erklären ^^'). Neben Metallen und, wie es nach dem soeben an-
geführten Beispiele scheinen möchte, daraus hergestellten Waaren,
kommt an Bodenschätzen das Salz in Frage '^-).
Die häufigsten Verkaufsgegenstände der Grundherrschaften
bildeten aber jedenfalls Wein und Getreide. Vom Wein ist
begreiflicherweise häufiger die Rede, der Gewinn wird größer
gewesen sein, er wurde auch auf weitere Entfernungen verkauft
Ich erinnere nur an den Weinbann, um die Wichtigkeit dieses
Artikels zu erweisen ^■*-^). Weinarme Stifter, umgekehrt, schickten
ihre Hörigen zu regelmäßigen Zeiten weit hinaus, um das unent-
behrliche Getränk zu holen, wie von Muri ins Elsaß bis Straß-
burg und in den Breisgau ^*^).
Dieser Zug im Bilde ist wichtig. Der Verkauf fand vor
der Türe statt, den Transport besorgte der ferne Käufer**^).
Wäre es umgekehrt gewesen, so würde der dann planmäßiger
organisierte Handel in den Quellen eine unvergleichlich größere
Rolle spielen. Die zerstreute Lage des Besitzes wirkte in der-
140) Vgl. oben Text zu Anm. 22.
141) Vgl. oben S. 37.
142) Vgl. z. B. unten Anm. 146. Ferner Lamprecht, Bd. II, S. 328!.;
V. Inama-Sternegg, Bd. II, S. 338 ff. und über den Bergbau S. 332, S. 332',
Beispiele von Lieferungen von Eisen von Seiten Höriger.
143) Der Weinverkauf auch im Kleinen muß für die Großgnmdherrschaften
schon früh eine bedeutende Einnahmequelle gebildet haben. Sonst würde der Wein-
bann in den ältesten Allensbachcr, Speyerer, Straßburger und Basler
Rechtsaufzeichnungen keine so große Rolle spielen: meine Urkunden im Register.
Die Erscheinung ist umso auffallender, je mehr die Kundschaft bereits durch die
konkurrierenden Bürger beschiänkt wurde, — Noch wesentlich früher ist der Wein-
handel im großen mit den Friesen bezeugt. (Vgl. meinen Grosshandel, Hansische
Geschichtsblätter, Jahi^ng 1901, S. 90).
144) Acta Murensia, Qu. z. Schweizer Gesch., Bd. III (3), S. 63: „[Huobarii]
in autumno vegitant cum plaustris vinum de Alsatia sive Brisgoye aut quocunque
ducimtur ös Argentinam civitatem". Auch andere Dinge, „que necessaria fuenmt"
muß der mansionarius „cum plaustro adducere".
145) Vgl. auch die eiidiaufenden Fliesen. Anm. 143 am Schluß.
c8 I-*i^ grundherrliche Wirtschaftsweise und der Markt.
selben Richtung: die Ueberschüsse der einzelnen Höfe oder
Komplexe wurden nicht alle an die Zentralstelle überführt, sondern
häufig" auf dem nächsten Markte losgeschlagen ^*^).
Ohne Zweifel hat Lamprecht recht, wenn er sagt, daß die
Wirtschaft den Grundherrschaften „vielmehr Lebens- als spezi-
fisch Erwerbsart" blieb ^^0- Aber durch alles das wird die Tat-
sache, daß als ganz stehende Einrichtung Ueberschüsse erzielt
und verkauft wurden, nicht affiziert. Ist dasselbe wenigstens in
der Nähe der Städte doch selbst von den Bauern anzunehmen.
Oder wie war es ihnen möglich Geldzinse zu entrichten, wie sie in
Westdeutschland schon seit der karolingischen Zeit vorkommen ^^'^)?
Ohne ein solches Angebot konnten ja auch die Städte nicht be-
stehen ^i^). Ich glaube doch, daß diese Beziehungen noch nicht
genügend gewürdigt werden i*^^).
Allein, wie verhielt es sich mit den Erzeugnissen des Fron-
hofhandwerks? Karl der Große verlangt Abrechnung, wie
über alle anderen Erträge, ebenso auch über das,
quid de piscatoribus, de fabris, de scutariis vel sutoribus,
quid de huticis et cofinis id est scriniis, quid de torna-
toribus vel sellariis .... habeamus ^''").
Daraus geht hervor, daß diese Handwerker nicht bloß zur Deckung
des unmittelbaren Bedarfes arbeiteten. Allein hier galt in noch
146) Hierüber Lamprecht, Wirtschaftsleben, Bd. I (2), S. 815. — Dieses
System hat es ohne Zweifel verschuldet, daß später die Aussenhöfe der Zentralstelle
nur zu bestimmten Lieferungen verpflichtet waren. Vgl. Kötzschke, Großgrund-
herrschaft Werden, S. 25 f. Eine interessante Stelle findet sich in dem Prüm er
Urbar von 893 (Mittelrhein. ÜB., Bd; I), S. 148: ,.De Walmersheym: De feodis
ministerialiurn. Sunt ibi scararii XII: . . . . Vinum et sal, si eis precipitur, omnes ven-
dunt". Dazu bemerkt Caesarius (a. 1222; a. a. O., Anm. i): „Antiquitus tanta copia
vini ac salis proveniebat ecclesie de curtibus nostris, quod oportebat quasi de necessi-
tate superflua venundare Sic etiani obser\'atur adhuc hodie, quod homines
nostri in curiis nostris vinum nostrum, si volumus, cum banno debent vendere".
147) A. a. O. — Vgl. auch noch die Bilanz über Einnahmen und Ausgaben
des Klosters S. Emmeram im Jahre 1325/26 bei v. Inama-Sternegg, Wirt-
schaf t;ggeschichte, Bd, III (i), S. 451.
148) Z. B. Kötzschke, Verwaltungsgeschichte von Werden an der Ruhr,
S. 15, S. 19. Vgl. auch oben S. 52.
149) Meine „Untersuchungen", S. 182 ff.
149a) Es ist längst bekannt, daß im früheren Mittelalter die Klöster Geld-
geschäfte machten. Wenn die Landwirtschaft keine Ueberschüsse verkaufte , fehlt
durchaus jede Grundlage dafür. Vgl. jetzt auch Kötzschke, Werden, S. 123.
150) Capitulare de villis, c. 62.
Die Beschränktheit des F'ronhofhaiidwerks. ^g
höherem Grade der soeben als für die grundherrliche Wirtschaft
charakteristisch angeführte Grundsatz. Wir haben gesehen, daß
auf den Fronhöfen doch nur wenige Handwerker gehalten wurden.
Mochte in gewissen Gegenden vielleicht mit Erzeugnissen der
Eisenindustrie Handel getrieben werden, in anderen mit Textilien '^'):
im allgemeinen haben erst die Cistercienser ein förmliches klöster-
liches Gewerbe von kommerzieller Bedeutung ausgebildet, also
zu einer Zeit, wo das städtische Handwerk bereits auf völlig
festen Füssen stand ^*-).
Das aber, worauf es uns ankommt, ist das Prinzip: wenn in
der Landwirtschaft, im Getreide- und Weinbau Ueberschüsse er-
zielt und, wie die Erträge der Bergwerke und Salinen, verkauft
worden sind, so ist an sich kein Grund einzusehen, warum es
nicht mit den Waaren der Hofhandwerker ebenso gemacht worden
sein sollte.
Mit anderen Worten: wenn die Leistungsfähigkeit der
Hofhandwerker den Eigenverbrauch der Grundherr-
schaften irgend wesentlich überstieg und wenn ein
Markt für ihre Erzeugnisse da war, so hinderte nichts,
ihre Arbeitskraft für die herrschaftliche Rechnung
selbst voll auszunutzen.
In dieser Absicht läge auch die einzige Erklärung, warum
die Grundherrschaften so massenhafte Handwerker, wie die hof-
rechtliche Theorie will, in ihrem Brote gehalten hätten. Die
Theorie schlägt sich also selbst: entweder die Dinge lagen, wie
soeben angedeutet, und dann war kein Anlaß, all den angeb-
lichen Gruppen der unfreien Handwerker plötzlich zu erlauben,
ihre beste Arbeitskraft im eigenen Interesse zu verwenden ; oder
aber das Hofhandwerk war so unbedeutend, daß die Grund-
herrschaft keinen nennbaren Verlust erlitt, wenn sie einzelnen
Dienern gestattete, einen kleinen Handel anzufangen.
Hier eben beruht einer der scheinbaren Stützpunkte der
hofrechtlichen Theorie: so erklärt es sich, dass wir eigene Hand-
werker der städtischen Grundherren mit den bürgerlichen Ge-
151) Man könnte darauf aus der grossen Menge der allgemein von Hörigen zu
liefernden Stücke Tuch und Leinwand schließen, die den Eigenbedarf eines Klosters
und seiner Dienerschaft anscheinend übersteigen würden.
152) Das von Insassen der Klöster, Nonnen oder Konversen betriebene Hand-
werk kann natürlich für unsere Frage garnicht in Betracht kommen.
6o I^i^ grundherrliche Wirtschaftsweise und der Markt.
werbetreibenden in Konkurrenz treten sehen. Aber es handelt
sich für sie lediglich um einen Nebenerwerb einzelner Personen:
volkswirtschaftliche Umwälzungen konnte das nicht bewirken.
Und die unabhängigen, städtischen Handwerker waren zuerst auf
dem Platze. Das hat uns schon das Edictum Pistense gelehrt ^'^^).
Oder für wen sind denn die Märkte gegründet worden?
Doch damit berühre ich den Punkt, über den das nächste
Kapitel Aufklärung bringen soll.
153) Vgl. oben S. 43 f.
IV. Kapitel.
Hofhandwerker und Markthandwerker.
Wir verlassen nun die ländlichen Gnindherrschaften und
ihren Wirtschaftsbetrieb und wenden uns den Dingen in der
Stadt zu.
Schon w'urde angedeutet, daß auf dem städtischen Markte
es nicht ganz gefehlt hat an einem Wettbewerb zwischen ein-
zelnen hofhörigen Handwerkern und den städtischen Gewerbe-
treibenden.
Durch die bisherigen Untersuchungen aber haben wir die
Grundlage gewonnen für das Verständnis einer Reihe von Ur-
kundenstellen, die sich eben mit dieser Frage beschäftigen, und
durch die andererseits jene Ergebnisse auch wieder vollkommene
und für weiteres fruchtbarste Bestätigung erfahren.
Ihrem Wortlaut nach scheinen sie einzeln meist ziemlich
klar und sind übrigens oft besprochen. Doch wollen sie sich
erst jetzt so in den allgemeinen Zusammenhang befriedigend ein-
reihen lassen, daß ihre volle Bedeutung erhellt.
Ich gehe aus von den einfachsten, was denn auch der zeit-
lichen Reihenfolge entspricht
Die geistlichen Gnindherrschaften in der Stadt beanspruchten
für ihre Diener Freiheit von den öffentlichen Lasten, von Hof-
und Heersteuer, und Exemption vom Stadtgericht. Das entsprach
dem Begriff der Immunität. Trotzdem erhoben sich Streitig-
keiten mit den städtischen Behörden. Und in mehreren Fällen
sah man sich gezwungen, König oder Kaiser um Entscheidung
anzurufen. Offenbar hatte die Geistlichkeit den Begriff der
..servnentes" über das Mass ausgedehnt: eben dessen Umfang
interessiert ja auch uns.
02 Hofhandwerker und Markthandwerker.
An die Spitze sei eine Satzung Bischof Burchards I. von
Worms gestellt, die das Prinzip festlegt:
§ 2g Lex erit: si episcopus fiscalem hominem ad ser-
vitium suum assumere voluerit, ut ad aliud servitium
eum ponere non debeat nisi ad camerarium aut ad pin-
cernam vel ad infertorem vel ad agasonem vel ad mini-
sterialem. Et si tale servitium facere noluerit, quatuor
denarios persolvat ad regale servitium et VI ad expedi-
tionem; et tria iniussa placita querat in anno et serviat
cuicunique voluerit ^^^).
Das heisst also: man steht entweder im Dienste eines Herrn
oder man zahlt Hof- und Heersteuer und sucht das öffentliche
Gericht, kann übrigens aber über sich verfügen , d. h. ist wirt-
schaftlich selbständig. Dass der Herr in diesem Falle der Bischof
ist, bedingt keinen Unterschied gegenüber andern Immunitäts-
Herren. — Die Vorzugsstellung innerhalb des bischöflichen Dienstes,
auf die der Klasse der Fiskalinen ein Vorrecht zuerkannt wird,
interessiert uns weiter nicht.
Diesem Grundsatz entsprechend entscheiden alle anderen
Stellen den berührten Streit.
Voran steht unter diesen ein Privileg Heinrichs IV. für die
Kanoniker von Speyer vom lo. April iioi:
Si quis illorum serviens, hospicio et convictu alicuius
eorum cotidiano participans, aliquam contra ius civium
iniusticiam fecerit, non in forum neque ius publicum sicud
alii ex precepto tribuni vocentur; ymo tribunus episcopi,
in claustrum ante decanum veniens, et sibi et ei qui lesus
fuerit satisfactionem postulet et accipiat, hac videlicet
racione: Si vero aliquis fratrum alium, neque
ipsius hospicio neque cottidiano victu utentem
servientem in urbe habeat, communi civium iuri
subiaceat ^^^).
154) Weiland, MG., Constitutiones I No. 438; Boos, Quellen z. Gesch. der
Stadt Worms, Bd. I, No. 48; meine Urkunden No. 10. — Dem Umstände,
den Zeumer, Die deutschen Städtesteuern (Schmollers Forschungen, Bd. I, 2) S. 52,
hervorhebt, daß nach dem Wortlaut dieser Stelle es sich nicht nur um die städtischen
sondern um alle Fiskalinen handelt, vermag ich für das weitere keine Bedeutung
beizumessen.
155) Hilgard, Uikimden z. Gesch. der Stadt Speyer, No. 13; meine
Urkunden, No. 11.
Servientes und publici mercatores. 53
Hier erfahren wir also das wichtige Neue: es gibt Diener,
Unfreie, der Kanoniker in der Stadt, die nicht unter dem Dache
ihres Herrn leben, nicht in seinem Brote stehen, nicht zu seinem
}lofgesinde gehören. Sie unterliegen dem öffentlichen Recht
Was aber sind das für Leute? Wovon leben sie, da sie
nicht von ihren Herren den Unterhalt empfangen? Was treiben sie?
Darüber belehrt uns zuerst das Privileg Heinrichs V. für
die Kanoniker von Lüttich vom 23. Dezember 1107 und das
im wesentlichen gleiche desselben Königs für das Maastrechter
Kapitel von 1109^^^.
Die Lütticher Urkunde lautet:
§ 2. Item si alicuius canonici serviens, qui in convictu
suo sit, aiiquid in civitate peccaverit, nullum forense iu-
ditium sustinebit, nisi publicus mercator fuerit.
Die den öffentlichen Verpflichtungen unterworfenen „servientes"
sind also „mercatores": d. h, selbstredend — denn darüber herrscht
heute wohl Einverständnis — nicht lauter Kaufleute oder Händler,
sondern in der Hauptsache die für den Markt arbeitenden Hand-
werker.
Und dadurch wird auch, wenn es noch nötig war, der Streit
über die Straßburger Privilegien - Reihe entschieden: das
Heinrichs V. von 1122 für die Servientes des Domkapitels, die
sich dabei auf altes Herkommen und das gleiche Recht ihrer
Kollegen beim Bischof berufen, und das Friedrichs L für die
von St Thomas und St Peter von 1156; für alle drei bestätigt
II 96, also Ende wie Anfang des Jahrhunderts gültig*^').
Die Diener dieser Stifter
antecessorum suorum consuetudinibus contenti suis dominis
serviendo satisfaciant , de publico autem civitatis iure
156) Waitz, Urkunden z. deutschen Verfassungsgeschichte-, No. 15 und 16. —
In dem Privileg für Maastrecht, das in seinen meisten Paragraphen sich eng an
die Urkunde für Lattich anlehnt — weshalb auch Waitz beide parallel druckt —
ist der Diener näher definirt als „ser\iens proprius vel precio conductius, qui in coti-
diana sua familia et in convictu suo sit". Die Exemption erhält hier aber auch
„aliqais mintsterialis prepo^iti famulus, qui de familia aecclesiae fuerit vel benefidum
aecclesiae de manu prepositi habuerit, sive apud villas sive in Traiecto manens". Das
sind also die Ministerialen, die nach dem Straßburger Stadtrecht, § 10 ebenfalls
von dem Schultheilkngericht befreit sind und auch für ihre Behausungen Immunität
genossen {§ 37). Vgl. unten S. 65.
157) Wiegand, Urkundenbuch der Sudt Straßbui^, Bd. I. No. 75, No. 106,
No. 134; meine Urkunden No. 12.
64 Hofhandwerker und Markthandwerlcer.
omnino alieni existant; sed solis dominorum
suorum utilitatibus insistentes ab omni iure fiscali
deinceps sint absoluti.
Unmittelbar mit Handel, Handwerk und Markt hat das
natürlich nichts zu thun und mit Zollfreiheit überhaupt nichts ^''"*).
Dem Wortlaut nach ist es einfach eine Bekräftigung des Grund-
satzes, den wir zuerst ein Jahrhundert früher in Worms ausge-
sprochen fanden : Dienst im Hause sichert vor den öffentlichen
Verpflichtungen. Denn was soll das
solis dominorum suorum utilitatibus insistere
anders heißen als Beschränkung auf den Herrendienst? Solche
Beschränkung aber schließt — das liegt in der Sache, und wir
wissen es ja auch schon — von selbständigem Gewerbebetrieb
aus. Und so ergiebt sich auch hier der Schluß: wenn die Straß-
burger Kanoniker, wie ihre Brüder in Speyer, Lüttich und
Maastrecht andere Unfreie ihr eigen nannten, die, sich dem kaiser-
lichen Spruche nicht fügend, eigenem Erwerb nachgingen, so
hatten diese auf die Begünstigung des Privilegs keinen Anspruch,
sondern verfielen dem öffentlichen Recht als „pubhci mercatores".
Durch die übrigen Quellen findet diese Auffassung weitere
Bestätignng.
Da ist zuerst das älteste Straßburger Stadtrecht aus dem
12. Jahrhundert, das zu den soeben behandelten Privilegien für
den Klerus derselben Stadt die erw^ünschte Ergänzung liefert i-^^).
Hier werden die in Speyer und die in Lüttich-Maastrecht
konstatierte Ausnahme von der Befreiung — die gegen den aus-
wärts wohnenden vmd die gegen den einem Gewerbe obliegenden
Serviens gerichtete — je in einem besonderen Paragraphen be-
handelt. Es brauchen ja auch in der Stadt nicht alle außerhalb
der Tisch- und Wohngemeinschaft stehenden Hörigen eines Stifts-
herrn Handwerker oder Kaufleute zu sein. Es können in den
reicher entwickelten Verhältnissen Handwerker und Kaufleute,
die Hörige eines Stifts sind, bereits in Häusern wohnen, die
nicht nur von ihren Herren nicht bewohnt werden, sondern ihnen
überhaupt nicht gehören. Das ändert an dem Prinzipe nichts,
beide Kategorien unterliegen dem öffentlichen Recht,
158) Soweit sind Eberstadts Ausführungen (Zunftwesen, S. 44 f.) gegen
Gothein richtig; doch hatte ich das bereits in meinen Untersuchungen über den
Ursprung d. d. Stadtverfassung, S. 139*, bemerkt. Alles weitere bei Eberstadt
ist falsch.
159) Wiegand, a. a. O. No. 616; meine Urkunden Xo. 126.
Der Slraßburger Schultheiß. 6j
Allerdings ist, dem Gesichtskreis dieser Rechtsaufzeichnung
gemäß, nur der Gerichtsstand in Frage gezogen, nicht auch die
Steuerpflicht.
So heißt es denn:
§ 37. In omnes curias fratrum de claustris vel ministe-
rialium, in quibus ipsi corporaliter non habitaverint, ius
habet scultetus vel iudex vocandi ad iudicium et cogendi
inhabitatorem.
§ 38. Similiter et ministros fratrum de quocunque claustro
ius habet iudicandi de ipsis, scilicet in causis pertinentibus
ad mercaturam, si volunt esse mercatores.
Dabei bedeutet § 37 insofern eine Erweiterung des ursprüng-
lichen Prinzips, als die Möglichkeit ins Auge gefaßt erscheint, daß
Höfe, die Klosterbrüdern oder Ministerialen gehören, an Bewohner
vergeben sind, die überhaupt nicht in einem Hörigkeitsverhältnis
zu ihnen stehen: alle Höfe der Klosterbrüder und Ministerialen,
in denen sie nicht selbst wohnen, sind der Immunität entzogen,
mag ihr Bewohner übrigens sein, was er will.
Die Erklärung ist jedoch einfach genug. Als Ausgangs-
punkte sind zu betrachten auf der einen Seite, daß die Bewohner
der Immunitäten von dem öffentlichen Gericht eximiert, auf der
anderen, daß alle mercatores ihm unterworfen sind. Dann haben
Gerichtsständige des Schultheißen ihre Wohnung in Häusern ge-
nommen , die Geistlichen gehörten und deshalb immun waren.
Das bedeutete eine bedrohliche Minderung des öffentlichen Rechts.
Da wurde denn die Exemption auf das Hausgesinde der Geist-
lichen beschränkt. So wird man sich den Verlauf vorzustellen
haben.
Dagegen sind in § 38 die Worte „scilicet in causis pertinen-
tibus ad mercaturam" ein singulärer Zusatz, eine Beschränkung
der Gerichtsbarkeit des Schultheißen, die in Widerspruch mit
allem sonst Ueberlieferten steht — in anscheinendem Widerspruch
auch mit dem Stadtrecht selbst. Denn nach § 44 hat wenigstens
die Gewerbegerichtsbarkeit der Burggraf, und die würde einen
wichtigen Teil der „causae pertinentes ad mercaturam" doch wohl
umfassen. Wenn aber eine Teilung an sich auch nicht auffällig
wäre, so müßte man in § 38 doch eine Andeutung davon er-
warten ^^%
160) Vgl. Stadtrecht von Augsburg von 1276 {Meyer, Das Siadtbuch von
Augsburg), S. 204, Art. CXXV: „Der burggrafe sei rihten alle keufe unde swaz
Keutgen, Aemter und ZOnfie. O
66 Hofhandwerker und Markthandwerker.
Da ist man versucht, die schlechte Ueberlieferung dieser
Quelle doch einmal heranzuziehen, sowie unsere Unbekanntschaft
mit den Umständen der Aufzeichnung ^^i): es handelt sich um
ein offenbares, wenn auch möglicherweise frühes Einschiebsel zu
gunsten der Stiftsherren und ihrer Leute, das dem sonst gültigen
Rechte widerspricht.
Auch der verderbte Satzbau zwingt geradezu, dieses Aus-
kunftsmittel anzuwenden. Der Accusativ „ministros" ist mit dem
„de ipsis" schlechterdings unvereinbar.
Da gibt die von Schilter überlieferte Lesart einen Wink^^-):
similiter et in ministros fratrum .... ius habet, scili-
cet iudicandi de ipsis, scilicet (etc.).
Das „in" entspricht dem „in" des vorangehenden Paragraphen
und ist durchaus gerechtfertigt: „gegen sie" hat der Schultheiß
ein Recht, nämlich „iudicandi de ipsis". Dann ist auch das
Schilt er eigentümliche erste „scilicet" am Platze. Um so ver-
dächtiger aber wnrd der von dem zweiten „scilicet" eingeleitete
Zwischensatz, und die echte Fassung . würde also lauten:
§ 38. Similiter et in ministros fratrum ius habet:
scilicet iudicandi de ipsis, si volunt esse mercatores ^*'^).
Wie man sich indessen auch mit dieser Abweichung von
der Norm abzufinden geneigt sein mag: an dieser selbst, an dem
Kern der Sache wird nichts geändert.
Den Ausschlag und Abschluß gibt ein Reichsgerichts-
urteil Friedrichs 1. vom 31. Mai 1182, erlassen auf die Klage
der Kanoniker von Worms, deren „ministri" von den Wormser
Bürgern gedrängt worden waren
clage von kaufen kumt; ane umbe den furkauf, daz sol ein vogt rihten." Hier wird
dem Vogt der kriminelle Teil zugewiesen und der wird in Stral^burg dem Schuit-
heiiJen zugefallen sein.
161) H. Bloch, Die Ueberlieferung des ersten Straßburger Stadtrechtes, Zeit-
schrift f. d. Gesch. d. Oberrheins, N. F., Bd. XIV, S. 271—298; derselbe. Zum
ersten Straßburger Stadtrecht, a. a. O., Bd. XV, S. 464 — 466; Keutgen, Die Ueber-
lieferung des ältesten Straßburger Stadtrechts, Histor. Vierteljahrsschiif t , Bd. III,
S. 78—86.
162) Schilters Lesarten gibt Wiegand unter dem Text.
163) Man möchte annehmen, daß Grandidier an dem doppelten „scilicet",
das er wie Schilter in seiner Vorjage fand, Anstoß genommen und deshalb das erste
,, scilicet" und in Verbindung damit auch das ,,in" vor „ministros" geglaubt hat aus-
merzen zu müssen.
Der certus et publicus mercator. 67
ad solvendas de suo pecuHo collectas, que in civitate ad
nostrum fiunt obsequium ^^^).
Das Urteil befreit, und zwar mit Gültigkeit für alle
Kirchen, die Diener von diesen Steuern:
hü videlicet, qui fratribus et ecclesie cottidie in propria
persona deserviant nee mercimoniis operam dant
nee foro rerum venalium Student nee pro subterfugio
nostre coUecte obsequio fratrum se applicant. Nos itaque
omnes huiusmodi ecclesie Wormaciensis ministros, qui
certi et publici mercatores non sunt, ab omnibus
angariis et parangariis, ab exactionibus et coUectis
auctoritate imperiali absolvimus, et ut ecclesie ac fratri-
bus libere servire possint ac devote, immunes esse decer-
nimus.
Das bedarf weiter keines Kommentars.
Sollte aber trotz allem noch jemand zweifeln, ob unter dem
Hofgesinde, wie wir es hier überall den „mercatores" gegenüber-
gestellt finden, unter diesen „servnentes" und „ministri" die Hof-
handwerker mit einbegriffen sind, so braucht er nur verwiesen zu
werden auf die Urkunde Ottos IV. für das Marienstift in Aachen,
worin es heißt:
decernimus, ut ministri eiusdem ecclesie, videlicet cam-
panarii, pistor, cocus, brassator, claustrarius,
fenestrarius ab omni exactione publica liberi sint ....
Judicium quoque civile, si prefati ministri ab aliquo con-
veniantur, ecclesie reservamus ^^^).
Das Wesentliche, was für uns bei dieser Untersuchung
herausspringt, ist die absolute Gegenüberstellung des „serviens in
canonici convictu", des „fratribus et ecclesie cottidie in propria
persona deserviens" und des „publicus mercator", des „certus et
164) Weiland, a.a.O., Xo. 283; Boos, a.a.O., Xo. 89; meine Ur-
kunden, No. 13.
165) Bresslau, Diplomata centum, No. 53; vgl. auch v. Below, Histor.
Zeitschr-, Bd. LVIII, S. 206*. Daß auch in diesem Falle das Steuerprivileg nach
damaliger Auffassung den Ausschluß vom Markte bedeutete, aber sich von seilen der
Stadt nicht immer durchsetzen ließ, ergibt sich aus dem späteren Verhalten: Hoeffler,
Entwicklung der kommunalen Verfassung und Verwaltung der Stadt Aachen (^^ar-
burger Dissertation 1901), S. 14^. — Vgl. auch den Vertrag zwischen Bürgerschaft
und Bischof in Konstanz, durch den 1255 des Bischofs Meßner, Pfister.und Amdeute
von der Bürgerschaft ausgeschlossen und für steuerfrei erklärt wurden. Gothein,
Wirtschaf tsgesch., Bd. I, S. 143, S. 327,
5*
68 Hofhandwerker und Marklhandwerker.
publicus mercator", wie es noch schärfer in der Urkunde von
1 182 heißt. Ebendasselbe besagt das Straßburger „si mercatores esse
volunt", das dem „mercimoniis operam dare", dem „foro rerum
venalium studere'* (1182) entspricht, was eben die Hofhandwerker
nicht tun. Es ist auch nichts anderes, als wenn es bereits in der
Allensbacher Urkunde von 1075 heisst:
eiusdem oppidi villanis mercandi potestatem concessimus,
ut ipsi et eorum posteri sint mercatores'*'*").
Durch förmliches Rechtsgeschäft konnte selbstverständlich
jeder Grundherr einen oder mehrere seiner Hofdiener wie seiner
Hörigen aus dem Hofverbande entlassen. Aber: man ist ent-
weder das eine oder das andere: ein allmählicher Uebergang
bleibt ausgeschlossen.
Einige Worte wären noch zu sagen über zwei Paragraphen
des Straßburger Stadtrechts, die von gewissen Zollbefrei-
ungen handeln. Zollbefreiungen sind nicht in dem Begriff der
Immunität mit eingeschlossen. Doch gehören sie zu den an
Kirchen regelmäßig erteilten Privilegien und oft citiert sind gerade
die Urkunden Karls des Großen und Ludwigs des Frommen
hierüber für die „homines" der Straßburger Kirche 1*''^). Mit ihnen
stehen die folgenden Bestimmungen des Stadtrechts indes nicht
mehr in Einklang:
§ 52. Quicunque de familia ecclesie huius, vir vel mulier,
vendiderit in hac civitate res, quas vel manibus suis
fecerit, vel que creverint ei, non dabit theloneum. Et si
quid emerit ad opus suum, quod gracia lucri vendere
noluerit, similiter theloneum non dabit ....
§ 53. Si quis emerit vel vendiderit citra quinque solidos,
theloneum non dabit.
Von einer Zollbefreiung war in den Urkunden, die
Exemption von öffentlichen Leistungen und dem Stadtgericht
gewährten, nicht die Rede: es ist das eine Sache für sich. Nur
in dem Lütticher Privileg wird hinzugefügt:
nullum vero theloneum solvet.
166) Vgl. noch unten Anm. 176 sowie oben Anm. 117.
167) Die Urkunde Karls des Großen von 775, wie sie bei Wiegand, a.a.O.
No. 15 abgedruckt ist und danach in meinen Urkunden No. 68, ist nach Bloch,
Neues Arch., Bd. XXV, S. 252, No. 120 eine Fälschung Grandidiers. Doch
bestätigt das Diplom Ludwigs vom 6. Juni 831 (Wiegand, No. 23 fast gleich-
lautend) eine Vorurkuiide Karls.
Luai gratia emere. 69
Auch werden sich die Begriffe „familia ecclesie" und „ministri
fratrum" nicht decken. Ferner genießen Zollbefreiung ja wenig-
stens später allgemein und grundsätzlich gerade die Bürger.
Gleichwohl interessiert die Frage: wie verhält sich die
„familia ecclesie" des § 52 zu den „mercatores" in § 38? Die
Antwort liegt in dem
emere quod gracia lucri vendere voluerit:
denn das tut der Handwerker. Jeder der gewerbsmäßig „die An-
schaffung und Weiterveräußerung von beweglichen Sachen
(Waren)" betreibt, „ohne Unterschied, ob die Waren unverändert
oder nach einer Bearbeitung oder Verarbeitung weiter veräussert
werden" *•**), der ist „certus et publicus mercator". Nicht dazu
gehören, die nur gelegentlich etwas verkaufen, wie die „cotidie
serVientes"; nicht die Bauern, die in die Stadt kommen, um länd-
liche Erzeugnisse und Werke des Hausfleißes feil zu bieten: und
solche w^erden eben im wesentlichen die „viri vel mulieres de
familia ecclesie" gewesen sein^*"*).
Der § 53 dagegen gilt natürlich für Jedermann. Doch wird
man immerhin in den 5 s. die Wertgrenze sehen dürfen, die von
den Verkäufen der Gelegenheitshändler nicht überschritten zu
werden pflegte.
Friedrich I. spricht in dem Reichsgerichtsurteil von 1182
auch von denen, die
pro subterfugio nostre collecte obsequio fratrum se
applicant.
Das kennzeichnet also eine Bewegung in gerade umge-
kehrter Richtung zu der von der hofrechtlichen Theorie ange-
nommenen. Wenn Landleute in die Stadt zogen, um neben
einer Besserung ihrer wirtschaftlichen Lage Befreiung aus
drückender Hörigkeit zu erlangen; wenn unfreie Diener Dienst-
und Hausgemeinschaft ihrer geistlichen Herren verliessen und
bereit waren, dafür sich den öffentlichen Lasten zu unterwerfen,
um dem Gewerbe eines „mercator" obliegen zu können: so
168) Handelsgesetzbuch für d;is Deutsche Reich vom 10. Mai 1897, § l, i.
169) Auch das Stadirecht von Augsburg von 1276 gewährt eine Erleichterung
für die Gelegenheitshändler (Christian Meyer, Das Stadtbuch von Augsbui^, 1872,
S. 42, § 12): „Unde ob ein armiu frowe oder ein man worhte ein bulellm oder ein
gurtellin, die lihte eins taechers niht verlegen mohten, die mugent daz wol verkaufen
swem si welJent". Sonst durfte unter einem Decher verkaufen nur, wer „ze krame stat".
yo Hofhandwerker und Markthandwerker.
haben umgekehrt andere die Dienstbarkeit auf sich genommen,
nur um sich der Steuerpflicht zu entziehen i^**).
Um die Stellung eines „Hoflieferanten" zu erlangen, die
von den öffentlichen Lasten befreite und zugleich eine sichere
Versorgung gewährleistete, waren viele bereit, ihre Bürgerwürde
daranzugeben. In späterer Zeit, als die Gegensätze viel von
ihrer Schroffheit verloren hatten, trug ihre Lage manchmal einen
zwitterhaften Charakter. So veröffentlicht Lamprecht aus der
Mitte des 14. Jahrhunderts aus dem Trierer Urbar ein Ver-
zeichnis von
census ad vitam cedentes domino archiepiscopo Treve-
rensi in die beati Martini solvendi a quibusdam civibus
civitatis Treverensis, qui exempti sunt a iurisdic-
tione sculteti et iustiti[a] secularis pretorii Treverensis,
qui coram domino Treverensi vel eius cellerario palatii
tenentur respondere^^^).
Die städtischen Stifter haben eben die Uebung, sich eine
Anzahl eigene Handwerker zu halten, das ganze Mittelalter hin-
durch nicht aufgegeben. Und diese haben nach wie vor, wo sie
konnten, einen Nebenerwerb in Konkurrenz mit den Bürgern
auf dem offenen Markte gesucht und sind in diesem Beginnen
von ihren Herren geschützt und unterstützt worden. Die säuber-
liche Scheidung zwischen dem „cottidie in propria persona der_^
serviens" und dem „publicus mercator" unternahmen Interessierte
stets von neuem zu verwischen. Um aber diese Bewegung
nicht überhand nehmen zu lassen, um die städtischen Einkünfte
in ihrem Bestände, die Bürger gegen solch' unlauteren Wettbe-
170) In Arras, wo im Gegensatz zu Straßburg auch die „mercatores" der
„familia" (S. Vedasti) Anteil an deren Zollfreiheit hatten, haben im 12. Jahrhundert,
um von dieser zu profitieren, zahllose Personen sich in solche „adulterina servitus"
ergeben. Hier waren es die Mönche, die sich beschwerten (nicht „das Kloster"!);
denn der Zoll war „victui suo antiquitus appositum", während der Kopfzins der
familia in die Hände des Abtes gmg. Urkunde Karls von P'landern von 1122 nach
Guimanns Cartulaire de l'abbaye de Saint-Vaast, S. 182, herausgegeben von van
Drival, Arras 1875, citiert von v. Below, Zeitschr. f. Sozial- und W'irtschaftsgesch.,
Bd. V, S. 138, und von Zeumer in Waitz, Deutsche Verfassungsgesch., Bd. V',
S. 242^. — Vgl. auch rmten bei Anm. 172.
171) Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben, Bd. I (2), S. 1243 ff. Von
den so pflichtig gewordenen heißt es: „fecerunt se domino censuales ad eorum vitam
causa protection is". Natürlich ,,protectio" gegen die gesetzlichen Ansprüche der
städtischen Behörden.
Die rückläufige Bewegung. -- 1
werb zu schirmen, bemühte sich der Rat, wenigstens die Zahl
solcher zweideutigen Hpthandwerker zu beschränken.
Hierher gehört die Urkunde Ottos von Freising für
Weihenstephan von 1146 (oder 1144) — mag sie nun echt
sein oder gefälscht, um den darin geschilderten Tatbestand zu
retten^'-) — wonach der Bischof festsetzt, daß das Kloster in
der Stadt je einen Bierbrauer, Gerber, Fleischer, Weber, Schuh-
macher, Kürschner, Böttcher, Krämer, Bäcker^^*), Fischer,
Schmied und Stellmacher, sowie in einem seiner Häuser eine
Weinschenke haben dürfe, die Freiheit vom Marktzoll geniessen
sollen.
Hierher auch ein von v. Maurer angeführtes, aber nicht
richtig verwandtes Weistum von Selz von 13 10:
172) Mon. Boica, Bd. IX, S. 5035. — Graf Hundts Gründe, die Urkunde
für ein ,,spätes und ungeschicktes Machwerk" zu erklären, sind das Vorkommen des
Wortes „Hofmarchia'' und der Umstand, daß das Jahr 1146 nicht zu dem 6. Re-
gierungsjahre Bischof Ottos paßt (Abhandl. d. Münchener Ak., Hist. Cl., Bd. XIV
(2) (1878), S. 41). Es ist doch wohl sehr zweifelhaft, ob das zur Verwerfung der
Urkunde ausreicht. Inzwischen hat Ernst Mayer (Mittelalter!. Verl'assungsgesch. I,
Bd. II, S. 2*) ein paar frühere Fälle des Vorkommens von Hofmark nachgewiesen
und vorgeschlagen (a. a. O., S. 177') statt MCXLVI zu lesen MCXLIV, wonach
auch das Regierungsjahr stimmen würde, — v. Belows Angabe, die Urkunde sei
zum ersten Mal i. J. 1 29 1 nachweLsbar (Zeitschr. f. Sozial- und Wirtschaftsgesch.,
Bd. V, S. 130'''), beruht auf einem Mißverständnis von Hundts Worten. Dieser
sagt (a. a. O., S. 41*): ,, In dem Zweitältesten Urbar des Klosters im R. A. Xo. II,
gefertigt unter Abt Conrad 1291, findet sidi f. 45 im späteren Nachtrage eine von
dem apostolischen Notar Arsacius Prunner ohne Datum gefertigte Abschrift." Er gibt
dann deren von dem Druck in den Mon. Boica abweichende Lesarien an. Jene Ab-
schrift ist eben nicht die Vorlage der Mon. Boica, sondern sie haben diese angeblich „ex
Kaiendario vetustissimo perpetua serie ab anno 1030. ad annum usque 1350. ab autoribus
coaevis continuato" (Mon. Bo., Bd. IX, S. 344 f.). Im übrigen kommt nicht viel
darauf an: die in der Urkunde geschilderten Zustände sind ebensowohl im 12., wie
im 13. oder 14. Jahrhundert möglich. — Zur Würdigung ist zu erinnern, daß es sidi
hier nicht um Handwerker des Stadtherrn handelt. Daher erhalten die Beamten der
Siadtherrschaft (,,officiales dominii'") für den V^erlust des Zolles ein Ehrengeschenk von
Filzschuhen, fünf Hühnern und zwei Gänsen. Die Bürger leiden aber imter der
Konkurrenz der nicht vom Zolle Beschwerten. Gleichzeitig wird entschieden, daß das
Kloster im übrigen seine Brau- und Schenkgerechtigkeit anstatt in Freising nur noch
in der Hofmark Vetting ausüben soll. Diese Beschränlnmg klösterlichen Rechts kann
man beiläufig auch als einen Umstand betrachten, der für die Echtheit der Urkunde
spridit. In einer gefälschten wäre sie übel angebracht.
172a) Es steht „pictorem". Da aber ein „pictor*' unwahrscheinlich ist, dagegen
ein „pistor ' vermißt wird, so wird die Emendation erlaubt sein, zumal die Lesarten
auch sonst unsicher sind. Vgl. darüber Hundt a. a. O.
7 2 Hof Handwerker und Markthandwerker.
Darnah teilent die scheffen, daz ein abbet unt daz closter
von Selse von einme ieclichen antwergke ein antwerg-
man haben sülent. Sitzent die in des closters ettirn, die
sülent bettenfrie sin und sülent mit den bürgeren dekeincn
dienest dun, unt solnt doch vvalt, weide unt almende mit
den bürgeren nutzen*'-'^).
Noch manche ähnliche Beispiele Hessen sich anführen.
Doch das sind Auswüchse. Die königlichen Entscheidungen
des 12. Jahrhunderts erwiesen sich eben auf die Dauer nur da
kräftig genug, die Hofhandwerker von der Beteiligung am
öffentlichen Wettbewerb völlig auszuschliessen, wo der Rat die
Macht besaß, dem anerkannten Rechte wirklich Geltung zu ver-
schaffen. In der Hauptsache aber haben sie ihre Gültigkeit be
halten und für die Selbständigkeit des städtischen Handwerkes
gerade in der Zeit, in die seine ersten organisatorischen Be-
strebungen fallen, gaben sie den Ausschlag ^'^'^''').
173) Grimm, Weistümer, Bd. I, S. 763, § 33. Vgl. auch das Weistum von
Neuweiler im Elsaß, a. a. O. S. 754. ■ — v. Maurer, Fronhöfe, Bd. II, S. 317,
führt beide nur als Belege für das Vorhandensein von Hofhandwerkern an, —
Interessant ist in dem Selzer Weistum noch, wie die Anschauung Ausdruck findet,
daß Anteil am Genuß der Ahnende bedingt wird durch Uebernahme der Bürger-
pflichten, daß sie also der Gemeinde, niemanden aber weniger als dem Grundherrn
und seinen Leuten gehört. — Ferner Gen gier, Beiträge z. bayr. Rechtsgesch., Bd. II,
S. i8''\ Weistum von Altenmünster, 15. Jahrhimdert, Text B, § 8, wonach je ein
weinprobst, taefernaer, kelnaer, zinsmeister, preu, choch, pfister, ziegler, weber, drescher
bloß herbststeuerpflichtig sind; besitzt einer von ihnen aber Erb und Eigen im Etter,
im Markt, so muß er das auch versteuern.
173 a) Noch während des Druckes erhalte ich durch die Güte Herrn Dr.
Kötzschkes die Druckbogen seiner Ausgabe der Werdener Urbare, sofern sie sich
auf die dortigen Handwerker beziehen. Der Aufzählung des Gesindes habe ich danach
nichts hinzuzufügen, außer, daß die Uebersetzung ,,camerarii = Kammerbediente" zu Be-
denken Anlaß geben könnte. Als zweifellos unrichtig muß ich aber des Verfassers
Auffassung (Großgrundherrschaft, S. 121) bezeichnen, wonach ein größerer Teil des
Gesindes des Abtes in der Ortschaft Werden gewohnt hätte, „in je einem zu be-
sonderem Gebrauch ihnen vergebenen Hause", wo es ,,sich auch auf'er dem Dienste
des Abts eine Nahrung gesucht und geschaffen haben" möchte.
Es handelt sich darum, daß die Abtei m der Stadt (civitas !) Werden 73
,,fundi" besitzt, von denen 21 dem Barkhofamt unmittelbar zinsen, der Rest an
Ministerialen (zwei übrigens auch an einen Priester) ausgeliehen ist , ' und die zum
guten Teil von Handwerkern, einige aber von den Ministerialen selbst, die übrigen
von mit Namen genannten Personen unbekannten Berufs bewohnt sind. Es kann keinem
Zweifel unterliegen , daß diese „fundi" städtische Grundstücke von der sonst als
„areae" bekannten Art sind. Die 21 dem Barkhof unmittelbar verpflichteten fundi
zahlen einen Geldzins von zwei bis sieben, regelmäßig vier, zusammen 89 Pf. ; nur
Frcisjng. SeU. Werden. j r
einer auch zwei Hühner. Dieser Zins liefert den Beweis , daß die Inhaber die
Grundstücke nach stidüscbem freiem Leiherecht inne haben, daß aber nicht ihnen
die „Häuser", von denen nichts dasteht, „zu besonderem Gebrauche vergeben" sind.
Nach dem Zusammenhange müssen die an Ministerialen verliehenen 52 fundi, deren
Zins, als die Abteiverwaltung nicht interessierend, nicht angegeben ist, von derselben
-Vrt sein.
Von den Handwerkern, die axif diesen fundi wohnen, werden zwei als ,,pistor
•itrum" bezeichnet, bei allen andern fehlt dagegen jede Andeutung irgend einer per-
sonlichen Beziehung, sei es zum Abt, sei es zum Konvent. Es sind außer den beiden
genannten noch je zwei Bäcker, Weber, Schuster, Köche und je ein Gärtner, Wirt,
Fischer, mercator, Zimmermann, moiiitor (monetarius), argen tarius, Kürschner, Schmied.
Mit andern Worten, es handelt sich um Werdener bürgerliche Gewerbetreibende, die
der Abtei gehörige Grundstücke (einige liegen „super forum"!) nach freiem Erbleihe-
recht übernommen haben. Mit dem Gesinde des Abts haben sie nichts gemein : das
wohnt im Kloster. Von besonderem Interesse aber sind die beiden pistores iralrum:
Bäcker des Konvents, die aber nicht auf dem ausgesonderten Konventsgut, sondern
auf Grund und Boden der Abtei und zwar in der Stadt zu freier Leihe wohnen, denen
also vermutlich von ihren Herren die ,,potestas'' concediert worden ist, „ut ipsi et
eon^ posteri sint mercatores" (Aliensbach 1075), ^^^ die damit aus dem Gesinde-
verbande ausgeschieden sind, aber in der Stellimg als ,, Hoflieferanten", wie die von
Weihenstephan, verblieben sein mögen. Uebrigens hielten Klöster sich solche
Lieferanten auch in völlig freien Städten, wie z. B. ein „lohannes pistor dominanmi
in Hucstrate" in Lübeck für einen Schuhmacher bürgt, der das Bürgerrecht erwirbt.
Lübecker Urk.-B., Bd. II, S. 23, a. 1259. Dieser Hofbäcker war ohne Zweifel selbst
Bürger und zahlte Steuern. Vgl. noch oben Anm. 165.
V. Kapitel.
Die Handwerker in Straßburg und Trier.
Es käme nun darauf an, zu untersuchen, ob die Berichte
über städtische Gewerbeorganisationen mit den bisherigen Aus-
führungen in unlösbarem Widerspruch Stehendes enthalten, die
hauptsächlich als Beweise für den hofrechtlichen Ursprung der
Handwerkerverbände betrachtet zu werden pflegen: die Dar-
stellung in dem ältesten Straßburger Stadtrecht^'*) aus dem
12. Jahrhundert, sowie die etwa gleichzeitige in dem Liber
annalium iurium archiepiscopi et ecclesie Trevirensis ^^•'').
Eine Grundlage und einen Ausgangspunkt für unsere Be-
trachtungen, zunächst der Straßburger Zustände, haben wir
bereits in dem vorigen Kapitel gewonnen. Meine Ausführungen
ließen, ich glaube das behaupten zu dürfen, darüber keinen Zweifel,
.4aß_hiStraßburg und allen Städten von ähnlicher Vergangenheit
die Hofhandwerker der Immunitäten vom Marktverkehr gesetzlich
ausgeschlossen waren, daß dagegen die Markthandwerker w'^HT
persönlich unfrei sein, aber eben nicht zum Gesinde irgend eines
Fronhofes gehören konnten , da wirtschaftliche Selbständigkeit
eins ihrer wesenthchen Merkmale ist. Auf die persönUche Freiheit
oder Unfreiheit der einzelnen kommt es bei ihnen für die Frage,
die uns beschäftigt, nicht an, und wir wissen darüber in diesem
besonderen Falle urkundlich nichts.
Wir wissen nur allgemein, daß die Einwohnerschaft der
wachsenden Städte sich zu einem großen Teile aus Einwanderern
zusammengesetzt hatte, von denen viele unfreier Herkunft mit
oder auch ohne Erlaubnis ihrer Herren in die Stadt gezogen
174) Vgl. oben Anm. 159.
175) Mittelrhein. Urkundenbuch, Bd. II, S. 399—401; Lacomblet,
Archiv für die Geschichte des Niederrheins, Bd. I, S. 319 — 322; meine Urkunden
Nr. 131. Ueber die Datierung vgl. den Anhang zu diesem Kapitel.
Die Bischöfe und ihre Untertanen.
75
waren. Dort ist es ihnen regelmässig gelungen, die Unfreiheit,
früher oder später abzustreifen. Eben wegen dieser Gefahr sind,
wie ebenfalls bekannt ist, die Stadtherren selbst einer Beteiligung
ihrer eigenen Hörigen an dieser Bewegung meist entgegen-
getreten *"•').
Allein wir haben auch gesehen, daß in Straßburg tatsächlich
Jiörige der verschiedenen Stifter — Leute, die den Stiftern eigene,
aber von den Kanonikern nicht selbst bewohnte Höfe innehatten
— sich am Marktverkehr beteiligten und dem öffentlichen Ge-
richte unterworfen waren _^^^). Frei von jeder hofrechtlichen Ab-
hängigkeit waren sie darum noch nicht Allein es war voraus-
zusehen, daß ein derartiger Zwitterzustand sich auf die Dauer
nicht würde halten lassen: zumal wenn — eine Folge desselben
Marktrechtes — diese städtisch-eingeborenen Handwerker in den-
selben Gewerbeämtem sich zusammentrafen teils mit freien
Kollegen, teils mit solchen eingewanderten, die eben hier in der
Stadt zur Freiheit sich emporzuschwingen im Begriff standen.
Dieses allgemeine Streben nach Befreiung, dem wir auf dem
Lande nichts Aehnliches an die Seite zu setzen haben, mußte noch
verstärkten Antrieb erhalten durch die entgegengesetzten Ver-
suche der Stadtherren , die Freiheit der gesamten Bürgerschaft
zu mindern oder zu mißachten oder doch ihr neue unerhörte
Lasten aufzuerlegen ^^*^).
Eben der Umstand, daß die Bischöfe stets geneigt waren,
die Grenzen der verschiedenen Rechtskreise ihrer Gerichtsunter-
tanen zu verwischen, ist ein Moment, das bei der Beurteilung
jener Zustände noch immer nicht genug berücksichtigt wird. Und
doch wissen wir von der mißbräuchlichen Ausdehnung des bischöf-
lichen Weinhannes in Strassburg^'^); wir kennen vor allen Dingen
176) Wenn ein Grundherr eine Stadt oder einen Marktort erst anlegte, so
mußte er natürlich einer Anzahl seiner Hörigen den Uebertrilt für das einemal gestatten.
So in Aliensbach, vgl. oben den Text zu Anm. 117: „Omnibus eiusdem oppidi villanis
mercandi potestatem concessimus, ut ipsi et eorum posteri sint mercatores, exceptis his
<^ui in exercendis \-ineis vel a[gr]is occupantur." — Es ist das eine Parallele zu der seit
dem 13. Jahrhundert so häufigen Erhebung ganzer Dörfer zu Städten durch Bc Wid-
mung mit Sudtrecht, von dem natürlich die übrigen Hörigen desselben Herrn nichts-
-destoweniger ausgeschlossen blieben.
'77) Vgl. das vorige Kapitel, S. 65.
178) Hierzu noeine Untersuchungen über den Ursprung der deutschen
Stadtverfassung, S. 154 ff.
179) Straßburger Urkundenbudi, Bd. I, Nr. 74; meine Urkunden Nr. 19,
Nr. 20.
76 D'c Handwerker in Slraßburg,
die Kämpfe der Bürgerschaften um ihre Freiheit in Speyer ^^°)
und in Worms i*^'). Wir sehen hier, zu welchen Mißständen es
führte, wenn auf der einen Seite die Vögte auswärtiger Grund-
herren über ihre Hörigen, die in die Stadt gezogen waren, die
alten hofrechtlichen Ansprüche geltend machen wollten: es ging
das so weit, daß sie selbst davor nicht zurückschreckten, in der
Stadt mit Nichtgenossen eingegangene Ehen einfach als ungültig
zu erklären ^^^). Und auf der andern Seite sehen wir den Bischof
von Speyer der gesamten Bürgerschaft die Abgabe des Haupt-
rechts auferlegen und damit den Versuch machen, sie als seine
Hörigen zu behandeln.
Man hat wohl eingeworfen, daß die Bischöfe die verschie-
denen Rechtssysteme und ihre Grenzen recht gut kennen mußten.
Bis zu einem gewissen Grade ohne Zweifel! Allein es ist zu be-
denken, daß es sich um eine Zeit handelt, in der die Zustände
flüssig, die Rechtsnormen überhaupt noch nicht auf der ganzen
Linie streng fixiert waren, wo namentlich das städtische \"or-
zugsrecht sich erst bildete. Im allgemeinen waren die Bischöfe
doch vorzugsweise in grundherrlichen Anschauungen emporge-
kommen und mussten die natürliche Neigung haben, die gesam.te
misera_ contribjjens plebs_ von diesem Standpunkt aus zu be-
trachten. Wie leicht neigen selbst heute juristisch geschulte
Beamte zu büreaukratischen Uebergriffen ! Der Standpunkt ist
nicht derselbe, wohl aber die menschliche Schwäche, auf die er
zurückgeht. In den Bischofsstädten sassen zudem die Einge-
wanderten zweifellos zum großen Teil auf Kirchenland, was allein
schon Anlaß geben mußte, eine persönliche Abhängigkeit zu präsu-
mieren : denn die freie Bodenleihe, die keine solchen Folgen nach sich
zog, war doch auch erst dabei, sich als allgemeines städtisches
Institut von staatsrechtlicher Bedeutung auszubilden und durchzu-
setzen ^^3).
i8o) Hilgard, Urkunden z. G. d. Stadt Speyer, Nr. 14, Xr. 18; meine
Urkunden Nr. 21, Nr. 22.
181) Boos, Quellen z. G. d. Stadt Worms, Bd. I, Nr. 62, Nr. 90; meine
Urkunden Nr. 23, Nr 24.
182) In den angeführten Wormser Urkunden. Dazu meine Unter-
suchungen S. 158.
183) G. Caro hat neuerdings die Existenz einer freien Erbleihe in deutschen
Städten bereits in karolingischer Zeit nachgewiesen: Historische Vierteljahrschrift,
Bd. V (1902), S. 387 ff.. Ohne Zweifel hat das Vorhandensein dieses privatrecht-
lichen auch auf die Entwickelung der staatsrechtlichen Verhältnisse kräftigend einge-
Persönliche und wirtschaftliche Freiheit.
77
Das Ende war, daß Heinrich V. zunächst für Speyer und
Worms, aber fraglos mit allgemeiner Gültigkeit, die Unfreiheit
bedeutenden Todesfallsabgaben für die gesamte Bürgerschaft be-
seitigte. Allein der Kampf war damit noch nicht beendigt, noch
das ganze 12. Jahrhundert hat er fortgedauert, noch Friedrich
Barbarossa hat gegen Ende seiner Regierung die Privilegien
seines Großoheims bekräftigen und das volle Ausmaß ihrer Be-
deutung festlegen müssen ^^^).
So waren denn die Bürger der verschiedensten Herkunft
gleichmäßig frei. Indes mit den Handwerkerverbänden als
solchen hat das so gut wie nichts zu tun; oder höchstens insoweit,
als sie ein Mittel gewesen sein mögen, den Widerstand ihrer
Mitglieder gegen alle Bedränger zu stärken, dem die vereinzelten
zu leicht erlegen wären. An sich stehen die Verbände zu der
Freiheit der Einzelnen in keiner Beziehung. Das erhellt schon
daraus, daß auf diese Frage — und es ist wichtig, das fest-
zustellen — in der Schilderung der Straßburger Organisation
keine Rücksicht genommen ist: sie kam, nachdem die Hof-
handwerker der Straßburger Stifter ein für aHemaT vom Markt-^
verkehr ausgeschlossen waren, für die städtische Gewerbe-
ordnung nicht weiter in Betracht.
Mit der Festlegung dieses Ausgangspunktes ist meine Ant-
wort auf die Hauptfrage bereits gegeben.
Allein es liegt uns nichtsdestoweniger ob, unabhängig davon
den Ursprung und die Xatur der Leistungen zu untersuchen,
die nach dem ältesten Straßburger Stadtrecht den dortigen Hand-
werksämtern auferlegt waren **5).
Di^e gesamte Bürgerschaft, um mit dem allgemeinsten an-
zufangen, war mit wenigen Ausnahmen einer jährlichen fünf-
tägigen Fron für den Bischof unterworfen ^'^^"). Daß diese Fron
nicht hof rechtlichen Charakter trägst — wonach die ganze Bürger-
wirkt Aber diese staaisrechtliche Bedeutung der städtischen freien Erbleihe war erst
eine Folge der neuen politischen Gestaltungen innerhalb der Städte. Vgl. über den
Ursprung der freien Erbleihe noch die oben Anm. i angeführte Abhandlung
Rietschels; ferner K. Beyerle, Grundeigentumsverhältnisse und Büi^errecht im
mittelalterlichen Konstanz, Bd. I (i), das Salmannenrecht, Heidelberg 1900.
184) Vgl. Anm. 180 u. 181. — Vgl. noch Ernst Mayer, a. a. O., Bd. III.S. 2.
185) Aeltestes Straßburger Stadtrecht (Wiegand, Bd. I. Nr. 6id; meine Ur-
kunden Nr. 126): im wesentlichen §§ 102— 118.
185a) A. a. O. § 93.
78 I^ie Handwerker in Straßburg.
Schaft aus Hörigen des Bischofs bestanden haben würde —
darüber sind seit Gaupp wohl ziemlich alle Forscher einig ^^*'').
Auch Eberstadt pflichtet hier der allgemeinen Ansicht bei '*^^).
V. Below und Gothein haben jene Last mit dem Obereigentum
des Bischofs an der Allmende in Verbindung gebracht, was etwas
für sich hat ^**^). In Trier, wo die Bürger im 12. aber ebenso
noch am Anfang des 14. Jahrhunderts für den Erzbischof drei
Tage Heu einfahren , einen Tag Brotkorn („annona") und einen
Tag Hafer mähen müssen, geschieht das als Gegenleistung dafür,
daß der Erzbischof ihnen
fluentes aquas et ad incidendum ligna, quod volgari Ane-
hou dicitur,
gewährt ^^■*). Die Bürger verrichten übrigens die Arbeit nicht
selbst, sondern schicken ihre Boten, die dafür allabendlich ein
Brot erhalten, deren dreißig sich aus einem Trierer Malter backen
lassen. Ebenso ist in Basel im 13. Jahrhundert von jedem
Bürgerhaus ein „ahtsniter" zu stellen , der in derselben Weise
entlohnt wird^^°). In dieser Radizierung auf die Häuser tritt viel-
leicht das gemeinderechtliche besonders scharf hervor.
Mit dieser Beurteilung der Frontage ist aber schon wesent-
liches gewonnen: weil damit wenigstens die prinzipielle Möglich-
186) Gaupp, Deutsche Stadtrechte des Mittelalters (1851/52), Bd. I, S. 42 f.,
der auch bereits die den Handwerkern obliegenden Verpflichtungen aus persönlicher
Unfreiheit herzuleiten für ungerechtfertigt hält.
187) Zunftwesen, S. 6o^
188) V. Below, Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung (Hist. Z. Bd. LVIIl),
S. 220 (= Territorium und Stadt, S. 314); ders.. Die Entstehung der deutschen
Stadtgemeinde, S. 36; Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. I,
s. 314-
189) Lacomblet, Archiv f. d. G. d. Niederrheins, Bd. I: „Iura et institu-
tiones Treverice civitatis et villarum que libere sunt a theoloneo", S. 258, §§ i u. 2.
Diese Aufzeichnung gehört dem 12. Jahrhundert an, erst die handschriftlich damit ver-
bundene über die „Census d. archiepiscopi secundum quod coUecti fuerunt anno 13 19",
Lacomblet, S. 268 ff., dem 14. Jahrhundert. Vgl. darüber den Anhang zu diesem
Kapitel. Daß die Pflicht wenigstens des Heumachens von den Bürgern auch im
14. Jahrhundert • noch beansprucht wurde, ergibt sich aus „Iura d. archiepiscopi aiti-
nentia Pallatio Treverensi inquisita prout melius fieri poterant a. d. MCCCXXII die
XX. mensis lanuarii" § 12, a. a. O., S. 378.
iqo) W. Wackernagel, Das Bischofs- und Dienstmannenrecht von Basel;
meine Urkunden Nr. 132, § 15. Ueber die Zahl der etwa schuldigen Tage ist in
dem Baseler Recht nichts angegeben. Vermutlich ergab sich das aus dem Umfang
der allen Betroffenen wohlbekannten ,,ähte".
Die allgemeine Bürgerfron. jg
keit zugegeben wird, daß auch die besonderen Lasten der Hand-
werker anderen als hofrechtlichen Ursprungs waren.
In der Tat hat man diese meistens als kompensativ aufge-
faßt, „weil", wie Gothein sagt, „es nützlicher scheinen mußte,
den Schmied Hufeisen und den Sesselmacher Sänften machen
zu lassen, als sie aufs Feld hinter den Pflug zu stellen" *^i). Auch
in Trier sind die besonders verpflichteten Handwerker, die so-
genannten „camerarii^j von der allgemeinen Fron befreit i^'").
Dagegen weist Eberstadt darauf hin, daß die von der all-
gemeinen Fron befreiten Handwerker doch nur zum Teil identisch
sind mk den besonders belasteten, indem einerseits eine ganze
Anzahl zu gewerblichen Leistungen verpflichteter Arbeiter von
der fünftägigen Fron gleichwohl nicht eximiert ist — wenigstens
nicht ausdrücklich — während andererseits einige Gewerke über-
haupt gänzlich frei auszugehen scheinen ^^^}. Femer meint Eber-
stadt, daß die einzelnen Gewerbedienste weitaus die Bedeutung
einer fünftägigen Arbeit übersteigen.
Berücksichtigen wir zunächst den letzten Punkt, so mag
das Angeführte zwar in manchen Fällen zutreffen; doch wird
sich im einzelnen der Umfang der Belastung sehr schwer nach-
weisen lassen ^'-'^ i.
Nehmen wir z. B. die zwölf Kürschner, deren Belastung
Eberstadt als eine verhältnismäßig schwere, weil nicht genau
begrenzte ansieht — sie müssen auf des Bischofs Kosten Pelze
und Pelzwerk herrichten, so viel er nötig hat^"*^) — : woher wissen
wir, daß das für den einzelnen eine wesentlich größere Arbeits-
last bedeutete als fünf Frontage, selbst wenn wir noch hinzu-
191) A. a. O.
191a) Neben ihnen femer die Schöffen. Ueber die „camerarii" vgl. näheres unten.
192) Näheres weiter unten im Text. — Eberstadt, a. a. O. S. 60 ff. — Die
Besprechung des Straßburger Stadtrechts, a. a. O. S. 40—67, bezeichnet Eberstadt
selbst als den Mittelpunkt seiner Darstellung. In der Tat hängt für ihn so gut wie
alles von der Beurteilung der Straßburger Aemter ab. Deshalb wendet er auch keinen
geringen Scharfsinn auf, um mit Hilfe juristischer Definitionen hier zu seinem Ziele zu
gelangen. Für mich bedeuten diese Paragraphen dagegen nur ein immerhin er-
wünschtes Beispiel : was ich zu sagen habe, besteht auch ohne sie.
193) Umgekehrt erscheinen Gothein die Leistungen als Aequivalent für fünf
Tage Handarbeit niedrig, was gewiß bezeichnend ist für die Schwierigkeit, sie zu be-
werten: a. a. O. S. 314.
194) Stadtrecht § 102. Vgl. auch unten über die ähnlich belasteten Kürschner
in Trier.
So I^ic Handwerker in Straßburg.
rechnen, daß einige von ihnen den Amtsmeister zum Einkauf des
Rohmaterials nach Mainz^oder Köln zu_begleiten hatten? Und
'aHnlich verhält es sich mit den übrigen Gewerken. In der Zu-
lassung zu^Sonderdiensten war auf alle Fälle eine Begünstigung
zu erblicken, für die durch eine höhere Leistung bezahlt werden
mußte — mochte auch die Reise des Kürschnermeisters nach
Köln nicht ohne Gefahren sein'"*^).
Unrichtig ist es ferner, wenn Eberstadt sagt^^^), daß bei allen
Aemtern, die Schenkwirte ausgenommen, die Dienste ungemessene
seien. Unbestimmte zum Teil ja! Aber wo keine bestimmte Zahl
der zu liefernden Gegenstände festgesetzt ist, da birgt doch der be-
sondere Zweck, dem sie zu dienen haben, für den Umfang der
Leistung die Norm in sich^^^). Es steht dem Bischof keineswegs
frei, die Kräfte dieser Handwerker nach Belieben auszunutzen;
der Handwerker muß nicht tun, „quantum ei iubetur", „quantum
ei iniungitur", wie es in dem Urbar des Abtes von Saint-Germain
heißt ^^^). Es würde durchaus willkürlich sein, das auch nur aus
dem Paragraphen über die Kürschner herauszulesen; und es liegt
nicht der geringste tatsächliche Anhalt vor für Eberstadts Be-
hauptung i"^): „Bei einzelnen Aemtern sind die Verpflichtungen
derart, daß sie überhaupt nur ausgeführt werden können unter
der Voraussetzung, daß den Handwerkern eine Dienststelle mit
Grundbesitz oder mit Amtsbezügen zugeteilt war".
Was ist das überhaupt für ein widersinniges Argument!
Wo bliebe da ihre Eigenschaft als selbständige Gewerbetreibende,
wo auch nur die Möglichkeit des „Ueberganges zum Markt-
verkehr", des Angelpunktes der hofrechtlichen Theorie, wenn
diese Straßburger Handwerker so sehr mit Verpflichtungen für
die Herrschaft überbürdet waren, dass sie sich für ihren Unter-
halt auf Dienstbezüge oder ein Lehen angewiesen sahen? Das
schlägt sich selbst.
195) Es ist dies ein Punkt, auf den Eberstadt besonderes Gewicht legt, um
die Schwere der Belastung zu erweisen. A. a. O. S. 56'.
196) A. a. O. S. 66.
197) Diese liegt selbst in dem ,, quantum episcopus habuerit necesse". — Auch
bei den begrenzten Leistungen der hörigen Hofbesitzer auf dem Lande erfolgt die
Normierung häufig nach demselben Prinzip. Lamprecht, Wirtschaftsleben, Bd. I (2),
S. 779. Den Gegensatz, auf den es ankommt, bildet die unbegrenzte Arbeitspflicht
des Hausgesindes.
198) Le polj'ptyque de l'Abbe Irminon (oben Anm. 78), Bd. II, p. 3 § HI
p. 6 § 2; p. 24 § 2; p, 52 § 3.
199) Zunftwesen, S. 65.
Der Umfang der Verpflichtungen. gl
Indessen ist es richtig, daß man sich nicht damit begnügen
darf, die Verpflichtungen der Gewerbetreibenden einfach als Gegen-
leistungen für die Befreiung von der allgemeinen Fron zu erklären:
es spielt da vielmehr verschiedenes hinein -®*).
Wesentlich ist, daß wir zunächst eine vollständige Ueber-
sicht über das Straßburger Handwerk erlangen!
Aus dem ältesten Stadtrecht lassen sich vier verschiedene
Listen von Gewerbetreibenden zusammenstellen.
Erstens, überhaupt genannt werden fünfzehn verschiedene
Gewerbe: die der Bäcker 202), Fleischer'®^), Kürschner*®*),
Schmiede*<>5), Schuster^««), Handschuhmacher^^), Satt-
ler-*os), Schwertfeger^o^), Becherer^i«), Böttcher"»), Wirte^»^),
Müller«»^*), Fischer«»^), Zimnierleute'»^), Obsthändler^««).
Von diesen sind, zweitens, zu besonderen Leistungen ver-
pflichtet sämtliche mit Ausnahme von 1. und 15., den Bäckern
und den Obstverkäufern: von 3., 5. und 6., den Kürschnern,
Schustern und Handschuhmachern, freilich nur je zwölf,
acht und vier Personen ^i^).
201) Ueber verschiedene Möglichkeiten für den Ursprung solcher Lasten vgl.
auch V. Below, Entstehung der Sudtverfassung, HisL Zeitschrift Bd. L VIII, S. 219 ff.,
Territorium und Stadt, S. 3 1 3 ff .
202) Panifices, Stadtrecht § 93.
203) Carnifices, Stadtrecht § 93, § loi.
204) Pellifices, Stadtrecht § 44, § 93, § 102.
205) Fabri, Stadtrecht § 44, § 93, §§ 103 — 107.
206) 3utores, Stadtrecht § 44, § 93, § 108.
207) Cyrothecarii, Stadirecht § 44, § 93, § 109.
208) Sellarii, Stadtrecht § 44, § 93, § iio.
209) Qui purgant (poiiunt) gladios, Stadirecht § 44, § iii.
210) Becherarii (qui faciunt picarios), Stadtrecht § 44, § 112.
211) Cuparii (vinariorum vasorum, qui faciunt vasa vinaria), Stadirecht § 44,
§ 93, § "3 (§ "2).
212) Caupones, Stadtrecht (§ 98), § 114.
213) Molendinarii, Stadtrecht (§ 84, § 98), § 115.
214) Piscatores, Stadtrecht §§ 115 — 117.
215) Carpentarii, Stadtrecht § 93, § 118.
216) Qui vendunt poma, Stadtrecht § 44.
217) Stadtrecht §§ loi — 118. Von den Müllern und den Wirten hat außer-
dem je der Amtsmeister in der Ernte einen Schilling zum Broteinkauf beizusteuern
(§ 98). Das kann man nicht eigentlich zu den Verpflichtungen der Handwerker
redinen, da diese Zahlung vermutlich mit der ihnen verliehenen Würde zusammen-
hingt, wie die fünf Schillii^, die jeder der beiden Unterricbter bei demsdben Anlaß
hergibt.
Keutgen, Aemler und Zilnfte. 6
82 Die Handwerker in Straßburg.
Dagegen sind drittens von der fünftägigen P'ron befreit.
ebenfalls zwölf Kürschner, acht Schuster, vier Handschuh-
macher, alle Fleischer, Schmiede, Sattler, Böttcher und
Zimmerleute, sowie vier Bäcker, mithin Nr. i — 7, 10 und
14 218). Danach wären die Schwertfeger, Becherer, Wirte,
Müller und Fischer doppelt belastet, während vier Bäcker
gänzlich frei ausgingen. Auch daß die übrigen Bäcker, sowie
das Gros der Kürschner, Schusterund Handschuhmacher zur
Ackerfron herangezogen werden, anstatt dass auch sie etwas in
ihrem Handwerk für den Bischof leisteten, stimmt wenigstens
nicht ohne weiteres zu Gotheins Hypothese.
Endlich, viertens, aber sind folgende Gewerbe der Gerichts-
barkeit des Burggrafen unterstellt, -der auch ihre Amtsmeister
einsetzt: Nr. 3— 1 2 und Nr. 15, und zwar auch die Kürschner,
Schuster und Handschnbm^rhpr sämtlich ohne Ausnahme 21'').
Zeigen nun aber schon diese 4 Verzeichnisse die merkwürdigsten
Abweichungen voneinander, so werden die angeregten Zweifel
noch mehr belebt, sobald man die Aufzählung der Handwerker
heranzieht, die nach dem Vertrage zwischen Bischof Heinrich IV.
und der Stadt vom Jahre 1263 der burggräflichen Jurisdiktion
unterliegen 220). Es sind von den bisherigen Nr. 4, 5, 7, 8, 10,
12 und 15: smide, rintsüter, satteler, swertfeger, küffer,
mülner und oleylüte. Dagegen sind hinzugekommen die
zimberlüte (Nr. 14 der Gesamtliste) und als überhaupt neue
Handwerke die kurdewener (16)221)^ in einem Amt mit den
Schustern, und die schilter (17)222), vielleicht ebenfalls mit den
Sattlern zu einem Amte verbunden. Was aber noch wichtiger
ist: die Kürschner, Handschuhmacher, Becherer und Wirte
218) Stadtrecht § 93.
219) Stadtrecht § 44.
220) Straßburger Urkundenbuch, Bd. I. Nr. 519; meine Urkunden Nr. 128 § 3.
22 ij Die Kurdewener kommen übrigens stets als den Schustern verwandte vor
und werden wohl geradezu mit ihnen identifiziert.
222) Die Schilter stehen am Schluß der Aufzählung. Es ist daher nicht klar,
ob dem „und", das sie den unmittelbar vorhergenannten Sattlern anfügt, dieselbe Be-
deutung beizumessen ist, die dem die Corduaner mit den Schustern verbindenden „und"
offenbar zukommt. Im Stadtrecht (§ iio) haben die Sattler nicht etwa Schilde, sondern
Saumsättel zu liefern.
Die vier Handwerkerlisten.
83
erscheinen ihm dafür entzogen. Die angefügte Tafel wird die
Uebersicht erleichtern -•^).
Zieht man all das Angeführte in betracht, so wird man
von vornherein jeden Versuch aufgeben, die verschiedenen Ver-
zeichnisse in exakte Beziehungen zu einander zu setzen und aus-
einander zu erklären. Und zu einer so skeptischen Haltung wird
die Unsicherheit der Fassung des § 44 des Stadtrechts noch bei-
tragen. Denn danach setzt der Burggraf „magistros omnium
officiorum fere in urbe" ein, worauf aber, mit „scilicet" eingeleitet,
wie wir gesehen haben, von fünfzehn dem Stadtrecht bekannten
nur elf genannt werden, vier, mehr als der vierte Teil, fehlen.
Das deutet auf eine Unvollständigkeit der Aufzählung, deren sich
der Verfasser bewußt war und gegen deren mögliche Folgen er
sich durch das „fere" decken wollte. Er sagt „so ziemlich alle"
223)
Geweibe des ersten
Stral^jurger Stadtrechts
Davon zu
besonderen
Leistungen
verpflichtet
Fronfrei
Dem
Burggrafen
unterstellt
Dem Burg-
grafen unter-
stellt nach dem
Vertrag V. 1263
I
Bäcker
4
2
Fleischer
alle
alle
3
Kürschner
12
12
alle
4
Schmiede
alle
alle
alle
smide
5
Schuster
8
8
alle
rindsüter
6
Handschuhmach.
4
4 ■
alle
7
Sattler
alle
alle
alle
satteler
8
Schwertfeger
alle
alle
swertfeger
9
Becherer
alle
alle
10
Böttcher
alle
alle
alle
küffer
II
Wirte
alle
alle
12
Müller
alle
alle
mülner
«3
Fischer
alle
«4
Zimmerleute
alle
alle
zimberiüte
15
Obsthändler
alle
oleylüte
16
kurdewener
17
schilter
18
mercatores
24 ausgewählte
84 I^iß Handwerker in Straßburg.
Gewerbe unterstehen der Aufsicht des Burggrafen, „nämlich" —
und nun führt er an, die ihm in den Sinn kommen — „jedenfalls
diese, es können aber auch noch andere dazu gehören". Es handelt
sich um einen Mangel an geistiger Energie, der sich bei unseren
älteren Rechtsaufzeichnungen häufig erkennen läßt, die von an
intensive Geistesarbeit nicht gewohnten Männern ausgegangen
sind, und den wir bei der Kritik in Rechnung zu stellen haben.
Ich erinnere nur daran, wie überraschend lückenhaft in der Be-
rücksichtigung der verschiedenen Gebiete des Rechtslebens unsere
älteren Stadtrechte sich durchweg erweisen: da darf bei dem
Straßburger Recht der verhältnismäßig große Reichtum an Be-
stimmungen nicht über das Vorhandensein dieses gemeinsamen
Zuges auch hier hinwegtäuschen. Es muß jedoch bemerkt werden,
daß die so sehr abweichende Aufzählung der burggräflichen
Handwerker in der Friedensurkunde von 1263 eine solche Deu-
tung nicht zuläßt. Denn hier ist von „ungefähr'' keine Rede;
• sondern nachdem die Befugnisse des Burggrafen angegeben,
worden sind, steht klar und knapp: „Diz sint. aber die antwerk".
Und das ist um so wichtiger, da ihre Zahl geringer ist als die
gleichgestellten des Stadtrechts.
Aber der Kreis der Schwierigkeiten ist noch um ein
weniges zu erweitern.
Es hätte nichts im Wege gestanden, auch die im § 88 und
§ 89 des Stadtrechts erwähnten „mercatqresl^ in die Betrachtung
einzubeziehen, die dem Bischof 24 Mann zu Botendiensten inner-
halb des Bistums zu stellen haben 224). Nur ist niemand auf den
Gedanken gekommen , auch die Gilden der Kaufleute aus Fron-
hofs-Amts verbänden abzuleiten, obgleich sich auch das ja machen
ließe -2-^). Auch ergibt sich aus dem Stadtrecht nicht, dass sie
irgendwie organisiert gewesen wären, wenn auch der Umstand,
daß sie aus ihren Reihen jene Boten auswählen mußten, E b er-
st ad ts Hypothese ausschließt, als wäre unter diesen „mercatores"
wie in § 38 -^^j die Gesamtheit der Gewerbetreibenden zu ver-
224) Jeder hat jährlich drei Reisen zu machen.
225) Ich erinnere an die Nitzsch'schen scararii. Warum sollten die Agenten,
die für die Grundherrschaften Einkäufe und Verkäufe abschlössen, nicht ähnlich organi-
siert gewesen sein, wie es angeblich die Handwerker waren ? Oder ist der Haken,
daß die Kaufleute, außer den Krämern, später nicht „Aemter" bilden (vgl. meinen
Großhandel, Hans. Geschichtsblätter, Jahrgang 1901, S. "4 ff.)?
226) Oben S. 65.
Die Straliburger Kauflcutc. 35
Stehen"'). Denn diese bildeten keine Gemeinschaft, aus der sich
ohne weiteres 24 Mann hätten ausheben lassen: angesichts ihrer
strengen Einzelorganisation wäre eine Verteilung auf die ver-
schiedenen Aemter unumgänglich gewesen.
Wichtiger ist, daß auch diese Kaufleute nicht von der
Ackerfron ausgenommen erscheinen — was auch durchaus stimmt
zu dem, was wir über die gleiche Fron in Basel und Trier
wissen -*^).
Alles in allem wird man anzunehmen geneigt sein, dass
eine Befreiung von der fünftägigen Bürgerfron dort eintrat, wo
anderseits eine besonders schwere Belastung vorlag: nur darf es
nicht wunder nehmen, wenn auch diese Hypothese nicht voll-
kommen stichhält.
Was jedoch den Ursprung der besonderen gewerblichen
Leistungen betrifft, so scheint mir trotz Hegels Opposition--")
nach wie vor der Umstand von wesentlicher Bedeutung, daß bei
alle den Ge werken, die ihrer Natur nach dabei in Frage kommen
können, den Grundstock ihrer Leistung eine solche für die kaiser-
227) Eberstadts Erklärung der beiden Paragraphen (Zunftwesen, S. 50 ff .)
läuft auf lauter Spitzfindigkeiten hinaus. Seine Uebersetzung der Worte „ut eisdem
hominibus suis eo notiores efficiantur" mit , .damit sie gegenüber seinen Leuten als die
desto angeseheneren er\»'iesep werden", ist ganz verkehrt. Die alte, allgemein ange-
nommene Wiedergabe mit „daß sie seinen Leuten desto besser bekannt werden", ist
die einzig mögliche, wie mir auch von latinislischer Seite versichert wird.
228) Vgl. oben Anm. 189— 191a.
229) Entstehung des Städtewesens, S. 119-; meine „Untersuchungen", S. 149.
— Auch Zeumer, Die deutschen Städtesteuern (Schmollers Forschungen, Bd. I, 2),
S. 54 bringt diese Leistungen mit der Hof- und Heersteuer in Verbindung. Aber unter
dem Einfluß von Nitzsch sieht er gleichwohl in ihnen den „letzten bedeutenden Rest
der einstigen Hofhörigkeit der städtischen Gewerke". Wie wenig stichhaltig aber
dieser Rückschluß ist, ergibt sich sogleich, wenn Zeumer ein wenig unüberlegt fort-
fährt: „ein Rest, der aber noch im 12. Jahrhimdert so sehr zu dem Charakter der-
selben gehörte, daß selbst in den auf so freien Grundlagen gestifteten zähringischen
Städten Naturalleistungen der Gewerbe zur Reichsheerfahrt des Grafen nicht vergessen
waren". Die Schlußfolgerung hätte mit umgekehrter Wirkung vielmehr von den sicher
freien Zähringischen Städten auf die zweifelhaften Verhältnisse der Bischofsstädte
geführt werden müssen. Vgl. unten im Text. Welches die rechtlichen Grundlagen
der_Yf'" 7^..>v^.»r pt^pnfaljs berührten Hof- und Heersteuern waren, die seitens der
Herren auf dem Lande erhoben wurden, haben wir hier nicht zu untersuchen (Zeumer,
S. 49 ff.). Doch gehen auch diese unzweifelhaft in letzter Linie auf eine öffentliche
Verpflichtung zurück. Für uns kommt es darauf an, daß es sich in Straßburg nicht
um eine privatrechtliche Verpflichtung handelte.
86 I^ic Handwerker in Straßburg.
liehe Hof- und Heerfahrt des Bischofs bildet ^'^°). Es sind die
Schmiede, Schuster, Handschuhmacher, Sattler, Schwert-
feger, Becherer und Böttcher. Bei den Kürschnern mag
die ausdrückliche Erwähnung des Zweckes unterblieben sein, da
sie ohnehin alles Pelzwerk zu bearbeiten hatten, das der Bischof
brauchte. Es ist dabei meist eine ganz bestimmte Leistung, die
Lieferung von einer festen Zahl fertiger Erzeugnisse vorgeschrieben,
_zu der bei Redarf eine unbestimmte Arbeitsleistung auf Kostpn
des Bischofs hinzutritt ^^^). Dagegen konnten die Nahrungsmittel-
gewerbe — Obsthändler, Wirte, Müller, Fischer, Fleischer,
Bäcker — und auch die Zimmerleute für die Ausrüstung zu
weiten Fahrten weniger in Frage kommen, und so fällt denn
auch bei ihnen diese Begründung fort. Erinnern wir uns nun,
dass in allen Bischofsstädten die Bürger zim-Z.-jhluntr einer Hof-
und HeersteuPir vr>n p <?irVi t;wp>gpn verpflichtet waren^^^). so wird
man annehmen dürfen, dass bei den geeigneten Handwerken an
Stelle einer Geldzahlung für diesen Zweck eine Lieferung von
Handwerkserzeugnissen getreten ist, die der Bischof sonst erst
230) Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte*, S. 625, lehrt: ,, Wie diese Heer-
steuer, so galten auch die regelmäßigen Jahressteuern und die außerordentlichen Beden
immer als Gemeindelast, die von der Korporation aufgebracht werden mußte". Das
ist natürlich nur der schließlich erreichte Zustand, nachdem die Stadtgemeinde ein
gewißes Maß der Organisation und Selbständigkeit erreicht hatte. Ursprünglich wiu-den,
wie auch Zeumer, a. a. O. S. 53, ausführt, die Steuern auch in den Städten von
den einzelnen erhoben, d. h. so lange eben die Steuererhebung noch in den Händen
von stadtherrlichen Beamten und noch nicht in denen des Rats lag. Die Lieferung
von Handwerkserzeugnissen für den Hof- und Heerdienst durch die Handwerksämter,
anstatt ihrer Forderung von den einzelnen Handwerkern, wird man formal als Zwischen-
stufe betrachten können. In Freiburg im Breisgau geschah die Erhebung Mitte des
12. Jahrhunderts noch von den einzelnen Gewerbetreibenden. Vgl. unten Anm. 235.
Die Stelle ist aus der von Hegel, Zeitschrift f. die G. des Oberrheins, N. F. Bd. XI,
S. 277 — 287, als erste vor 1178 angesetzten Reihe von Zusätzen. Dagegen kennt
das Augsburger Stadtrecht von 1156 (Meyer, Zeitschr. d. hist. Vereins f. Schwaben
und Neuburg, Bd. IV, S. 289 — 293 und das Stadtbuch von Augsburg, Beilage I;
meine Urkunden, No. 125) § 12 bereits die Zahlung einer runden Summe durch
die Bürgerschaft, einer festen, 10 Pfund, bei der Hoffahrt und einer nicht fixierten
— „prout apud eos poterit obtinere" — bei der Fahrt nach Rom, sei es im Heere,
sei es zur Weihe des Bischofs.
231) Diese wird man als außerordentliche Bede charakterisieren können.
232) Vgl. die vorigen Anmerkungen. Ferner das Bischofsrecht des nahe ver-
wandten Basel, das keine Gewerbetronen kennt — nur die fünftägige Ackerfron —
dafür aber die Pflicht der Bürger zur Zahlung des Gewerfs fast an erster Stelle nennt.
Meine Urkunden, No. 132, § 2.
Die Steuer zur Heer- xind Hof fahrt. 87
von ihnen für ihr eigenes Geld hätte kaufen müssen. Auch dabei
darf man indessen nicht zu genau rechnen ^33).
Nun gewinnen auch die besprochenen Nachrichten über den
Kampf der Bürger mit den Dienern der Grundherrschaften um
die „diversa publica servitia" neue Beleuchtung 2»*).
Auf alle Fälle aber beweist es die öfifentlich-rechtliche Natur
gerade dieser Leistungen, daß auch in einer Stadt wie Freiburg
in Breisgau, in der, ihrer Gründungsgeschichte gemäß, jeder Ge-
danke an hof rechtliche Verpflichtungen ausgeschlossen ist, nach
Stadtrecht § 9,
si dux in regalem expeditibnem ibit, minister eius in
publice foro ante unumquemque sutorem [post primos
meliores] soculares, quoscunque voluerit. ad opus ducis
accipiat. Similiter et ante incisores caligarum post
meliores caligas quascunque voluerit accipiat*'^).
In dasselbe Gebiet fallen auch gewisse Leistungen beim
Besuch des Kaisers in Straßburg -36). Und auch, wenn die
Schmiede die Schlösser und Ketten für die Stadttore ^37)^ die
Schmiede Pfeile, die Schuster und Handschuhmacher Leder-
arbeiten bei Belagerungen von Burgen ^ss), die der Bischof unter-
nimmt oder erleidet, zu liefern haben, so sind das öffentlich-
rechtliche Verpflichtungen, für die der Gesichtspunkt der Landes-
verteidigung maßgebend ist. Dabei widerlegt der geringfügige
Umstand, daß die Schlösser und Ketten der Stadttore auf öffent-
liche Kosten
datis sibi de re publica sumptibus et expensis
zu verfertigen sind, allein schon Eberstadts Behauptung, daß
233) Zu den bemerkenswerten Zügen der sonst so reichhaltigen Straßburger
Rechtsaufzeichnung wird man zählen müssen, daß die Verpflichtung der übrigen Büi^er
zur Zahlung einer collecta oder petitio nirgends erwähnt wird. Man wird das daraus
erklären dürfen, daß es sich dabei um etwas ganz Selbstverständliches und Bekanntes
handelte, wie etwa die Pflicht, die Mauern zu bewachen und zu verteidigen, die das
Stadtrecht auch nicht nennt
234) Vgl. oben bei Anm. 157. Die „servientes" der Domherren hatten sich be-
klagt über gewisse „rectores", „qui eos ad diversa publica servicia non debiu com-
pellerent, que sufferre nequireoL"
235) Meine „Urkunden" Nr. 133. Vgl. oben Anm. 230.
236) Stadtrecht § 113. Bei der Anwesenheit des Kaisers oder Königs lag
femer allen Bürgern ob, seine Pferde einzustellen : § 92.
237) Stadtrecht § 107.
238) § 106, § 108, § loq.
88 Die Handwerker in Straßburg.
die Artikel über die Handwerker mit den vorhergehenden über
den bischöflichen Stadelhof zusammen ein „in sich abgeschlossenes
Bild einer mittelalterlichen Hofwirtschaft und Hofhaltung" dar-
bieten 239),
Für den Ueberschuß an Lasten aber, der nach Berück-
sichtigung eines Aequivalents für die fünftägige Fron und der
Hof- und Heersteuer bei diesem oder jenem Gewerbe noch sich
herausklügeln lassen möchte, wird man auf eine Erklärung billig
verzichten 2^^^).
Wie es nun aber mit dem Ursprung der Handwerkerlasten
sich auch verhalten haben mag: jedenfalls enthält das Stadtrecht
an zwei Stellen den nicht umzudeutenden Beweis einmal, daß
die Handwerker nicht zur familia der Straßhurger Kirche ge-
hörten, und zweitens, daß der Bischof a.v seinem Hofe zn täg-_
lieber Bedienung andere eigene Handwerker besaß, ^genau
so wie gleiclizelLi^ der ErzbiscEofvon K.öln.
Bei der Aufzählung der von der allgemeinen fünftägigen
Bürgerfron befreiten Gewerke werden ausdrücklich einzig und
allein die Münz^r als Mitglieder^ der familia ecclesie bezeichnet,
in deutlichem Gegensatz zu allen anderen eximierten, den Sattlern,
Schmieden, Zimmerleuten, Fleischern, Böttchern und auch den
zwölf Kürschnern, den acht Schustern, den vier Handschuh-
machern und vier Bäckern 2*o). Gehören also die Münzer zur
familia, so tun es diese Handwerker nicht.
Analog werden den Becherern, die zu Leistungen zur Hof-
und Heerfahrt verbunden sind, Becherer des Bischofs gegen-
übergestellt 211). Sonderbarerweise will Eberstadt diese Iriecherer,
die täglich für den Bischof arbeiten, mit den zwölf Kürschnern,
acht Schustern, vier Handschuhmachern und vier Bäckern, die
eine Sonderstellung einnehmen, auf eine Linie stellen. Allein
239) Zunftwesen, S. 54.
239a) Ueber die Extralasten, die schatzpflichtigen Personen kraft öffentlichen
Rechtes, aber verschieden, je nach der Erwerbs lätigkeit des Einzelnen in den Terri-
torien auferlegt zu werden pflegten: v. Below, Territorium und Stadt, S. 315 f.
(Histor. Zeitschrift Bd. LVni, S. 221 f.).
240) § 93 : exceptis monetariis omnibus, qui sunt de familia ecclesie,
et exceptis duodecim inter pellifices" etc.
241) § 112. Becherarü omnes becharios, quoscunque necessarios habuerit epis-
copus vel in curia sua vel imperatoris, cum eum adierit vel proficiscens ad curiam
imperatoris, de sumptibus et expensis ipsius facient. Magister autem cupariorum dabit
materiam lignorum. Preterea cotidie dabit ligna becherarüs episcopL
Die eigenen Handwerker des Bischofs. gn
diese stehen ja gerade mit den nur für die Hof- und Heerfahrt
beschäftigten Becherern in einer Reihe und damit fällt sein ganzes
Argument zu Boden. Nur einem Zufall verdanken die bischöflichen
Hofbecherer in der städtischen Rechtsordnung ihre Erwähnung,
da es nämlich zu den Verpflichtungen des Böttchermeisters gehört,
ihnen das Holz zu liefern. Dieser Zufall aber genügt, wie jene
Gegenüberstellung der Münzer und der Handwerker, ganz allein
zu dem schlagenden Beweise, daß die ämterweise organisierten.
Handwerker, deren Verpflichtungen in dem Stadtrecht verzeichnet
sind, eben nicht in dem Hofrecht des Risrhofs stphpn und auch,
nie gestanden haben, sondern daß der Ursprung ihrer Organisation
anderswo gesucht werden muß.
Dem gegenüber aber muß auch die Vermutung, zu der auf
den ersten Anhieb jemand sich vielleicht versucht fühlen könnte,
fallen, daß wenigstens die Ausnahmestellung einer bestimmten
Anzahl von Mitgliedern gewisser Gewerke, jener zwölf Kürschner,
acht Schuster, vier Handschuhmacher und der vier fronfreien
Bäcker von einer ehemaligen, aber dann schon lange vor dem
Privileg Heinrichs V. für die servientes des Domkapitels ge-
trennten Zugehörigkeit zum Gesinde des Bischofs herrühre und
daß dadurch auch das Ausmaß ihrer Leistungen beeinflußt worden
sei. Man wird daher die Hoffnung nicht aufgeben, daß im
weiteren Verlauf der Untersuchung auch auf den Ursprung ihrer
Ausnahmestellung noch aus anderer Richtung vielleicht ein Licht-
strahl fällt.
Und jedenfalls sind sie aufgegangen in den Gesamt verbänden
ihrer Gewerke : über alle Kürschner, Schuster, Handschuhmacher
richtet der Burggraf in Gewerbesachen, nicht nur über die zwölf,
acht und vier, wie über all e_ Schmiede, ^attl^r, Schwertfeger,
Becherer, Böttcher, Wirte, IVIüller und Obsthändler, und wie er
auch den Gesamt verbänden die Meistersetzt. Das aber ist, was
im Grunde allein interessiert. Ob unter den Mitgliedern dieses
oder jenes Gewerkverbandes neben von altersher Freien und
neben ehemaligen Hörigen anderer Grundherrn sich auch die
Nachkommen früherer Bediensteten des Bischofs befänden, würde
nebensächlich sein, selbst wenn diese Beziehung Spuren hinter-
lassen hätte.
Gerade hierüber geben uns die Nachrichten aus Trier
weiteren Aufschluß.
-^-
go Die Handwerker in Straßburg.
Ehe wir aber uns ihnen zuwenden, sei noch an unsere Unter-
suchung der Straßburger Verhältnisse eine kurze Zwischenerörterung
zu knüpfen gestattet.
Besonders geeignet, Klarheit über den Kern der Frage zu
verschaffen, wird ein Beispiel „e contrario" sein, wie es eine Be-
trachtung der Münzverwaltung liefern kann.
Das Münzrecht ist Regal, das ist nie bestritten worden: es
ist nie Ausfluß der Grundherrlichkeit. Es dient auch nie — was
damit enge zusammenhängt und für uns im Augenblick die Haupt-
sache ist — jyrundherrlichen Zwecken, sondern stets öffentlichen.
Die Ausübung des Münzregals kann einer Person , die auch
Grundherr ist, übertragen werden, aber_es geschieht nie, um eine
Grundherrschaft in den Stand zu setzen, das ungeprägte Silber,
das sie etwa in ihrem Besitz hat, für ihre privaten Zwecke in
Münzen zu verwandeln, sondern einzig und allein, um Geld für
den öffentlichen Verkehr zu beschaffen.
Der Münzherr übt also ein öffentliches Amt. Trotzdem
^überträgt er die praktische Ausübung an Personen, die zu ihm
in grundherrlicher Abhängigkeit stehen, an Mitglieder seiner
hörigen Familia, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ihm
^andere nicht zur Verfügung stehen — weil das frühe Mittel-
alter es gar nicht anders kennt. Ganz ebenso, wie die übrigen
Beamten der bischöflichen Stadtverwaltung — in Straßbur^ z. B.
der Schultheiß, der Burggraf, der ^Zöllner — so ist auch der
Münzmeister ein unfreies Mitglied der bischöflichen Familia.
Der Münze eTgentumiicn ist aber. daid_unter dem Münz-^
meister i\i der Verwaltung dieses öffentlichen Amtes^eine ganze
Genossenschaft von Münzern tätig ist, die ebenfalls regelmäßig;
in hofrechtlichem Verhältnis zum Münzherrn stehen. Der Grund
ist genau der gleiche, wie für den Münzmeister selbst, der not-
wendig Unterbeamte haben mußte. Erst in der städtischen Blüte-
zeit, als die Genossenschaft einen höheren Grad von Selb-
ständigkeit erreicht hatte, wurden auch freie Bürger zu Mit-
gliedern aufgenommen.
Da wäre nun scheinbar ein augenfälliger Analogieschluß
auf den hofrechtlicheji Ursprimg de£ Handwerkerverbände an die
Hand gegeben, die ja ebenfalls anfangs der Aufsicht eines un-
freien Beamten, — in Straßburg des Burggrafen — unterstellt
sind. Allein, abgesehen davon, daßj'a nur die Münzer persönlich,
nicht das Münzinstitut dem hofrechtHchen Verbände angehören,
Die Münz Verwaltung. g i
wird sich bei genauerer Betrachtung sofort ein fundamentaler
Unterschied in der Stellung beider ergeben, und zwar liegt es
darin begründet, daß die Münze ein Monopol ist"^.
Man kann unterscheiden zwischen zwei Arten von Monopolen,
natürlichemund künstlichen.^Die natürlichen Monopole beziehen sich
auf Tätigkeiten, die ihrer Xatur nach innerhalb eines gewissen Ge-
bietes vernünftig gleichzeitig nur von Einem, dazu Bevorrechteten aus-
geübt werden können./Solche sind der Betrieb von Eisenbahnen
und Straßenbahnen, Wasser- und Gasleitungen. Es können nicht
vernünftigerweise mehrere konkurrierende Gesellschaften neben-
einander oder neben dem Staat oder der Stadtverwaltung auf
einer und derselben Strecke Eisenbahnen bauen und Züge fahren
lassen, in einem und demselben Stadtviertel Wasserleitungen und
Gasleitungen anlegen. Zu einem künstlichen Monopol kann
dagegen durch den Staat so ziemlich jede Tätigkeit erhoben
werden, die an sich recht gut durch mehrere neben und unab-
hängig voneinander ausgeübt werden könnte und gewöhnlich
ausgeübt wird. Solche Monopole, mögen sie nun vom Staate
selbst oder mit seiner Erlaubnis von andern genutzt werden,
können oft finanziell einträglich sein, doch sind damit meist wirt-
schaftliche Schädigungen für die Allgemeinheit verbunden. Als
Monopole dieser Art wären zu nennen Tabakmonopol. Dynamit-
monopol, der mittelalterliche Weinbann und ähnliches.
Nicht nur ein behauptetes Regal, sondern zugleich ein
natinjirlips Monopol ist auch die Münze. Nur durch einen privi-
legierten Einzelnen oder eine geschlossene Gesellschaft kann das
Münzrecht ausgeübt werden. Daß die Personen, die unter heutigen
Verhältnissen von dem Münzmeister angestellte Unterbeamte
und Arbeiter sein würden, sich damals zu einer Genossenschaft
zusammenschlössen, entspricht dem mittelcdterlichen Geiste, liegt
in den mittelalterlichen Sitten und gesellschaftlichen Notwendig-
keiten. Dagegen war die Ausübung eines der zunftmäßigen
Handwerke weder ein Regal noch jemals ein natürliches Monopol.
242) Auch V. Inama-Sternegg bemerkt (Wirtschaftsgeschichte, Bd. III. 2,
S. 23) gegen Eberstadt, daß „die besonders gearteten Verhältnisse der Münzerhaus-
genossen" „doch nicht wohl unter den Gesichtspunkten der Gewerbeordnung genügend
gewürdigt werden" können, trotzdem er sie .gleichfalls [!] einen herrschaftlich-magiste-
rialen Amtsorganismus aufweisen" läßt. v. Inama hat eben doch herausgefühlt, daß
beide Oi^nisationen von Grund aus verschieden sind.
g2 Die Handwerker in Straßbui^ und Trier.
Freilich haben die Zünfte selbst mit Genehmigung des Rates
die_einzelnen Handwerke später fast zu Monopolen eines be-
schränkten Kreises von Zugelassenen gemacht, d. h._zw künst-
lichen Monopolen. Aber selbst dann blieben die Betriebe der
einzelnen Meister wirtschaftlich unabhängig von und neben-
einander. Von Hause aus jedoch stand es jedem frei, ein Hand-
werk zu treiben, der „es konnte": die Bedingung, der Zunft bei-
zutreten, ändert daran nichts. Wurde daher auch über den vor-
schriftsmäßigen Betrieb des Gewerbes eine Kontrolle durch einen
Beamten geführt und hat man die Ausübvmg eines Handwerkes
auch wohl in idealem Sinne als ein dem Gemeinwohl dienendes
Amt aufgefaßt, niemals handelte es sich doch um eine stadtherr-
liche Veranstaltung — vyon grundherrlich nicht zu reden^— nie um
einen Betrieb dumh stadtherrliche Beamte für herrschaftliche oder,
wie es bei der Münze meist war, zwischen Herrn und Genossen-
schaft geteilte Rechnung,
Umgekehrt haben die Münzergenossenschaften sich niemals
zu Zünften entwickelt und entwickeln können.
Wenn nun trotzdem eine nicht nur unter der Aufsicht eines
unfreien Beamten stehende, sondern sich aus lauter dem Hofrecht
unterworfenen Personen zusammensetzende Genossenschaft aus-
schließlich öffentlich-rechtlichen Zwecken ihre Entstehung- verdankt^^
^po als Gpnn«;Qpnt;pViaff nicht hofrechtliclien, sondern öffentlich-
rechtlichen Ursprunges ist: so wird man bei Verbänden , deren
freiheitliche Natur schon dadurch gegeben ist, daß sie aus wirt-
schaftlich und regelmäßig auch persönlich unabhängigen T.euten
bestehen, gewiß nicht auf hofrechtliche Herkunft, d. h. Veran-
staltung zu den privaten Zwecken eines Grundherrn, bloß deshalb
schließen dürfen, weil sie, wie ja die ganzen Bürgerschaften, einem
Aufsichts- und Gerichtsbeamten unterstellt waren, der nach Maß-
gabe der damaligen Verhältnisse gar nicht anders als unfrei sein
konnte.
Man wird vielmehr auch bei diesen Verbänden sich nach
einem öffentlich-rechtlichen Ursprung umsehen.
Die Schilderung der Verhältnisse des Handwerks in dem
„Liber annalium iurium archiepiscopi et ecclesie Trevi-
rensis" wäre allein nicht eingehend genug, als daß man nur von
dieser Grundlage aus zu sicheren Ergebnissen über die rechtliche
Die Trierer Kamtnerhandwerker. gi
Stellung der Gewerbetreibenden gelangen könnte-'^'). Jedoch
entspricht sie in allem Wesentlichen den Straßburger Zuständen
so genau, daß es ohne weiteres gestattet ist, die dort gewonnenen
Schlüsse auf sie zu übertragen. Wenn sie also auch unter der
Rubrik Iura camere archiepiscopi sich verzeichnet finden, so
wissen wir dennoch, dass auch in Trier die dem Erzbischof zu
besonderen Diensten verpflichteten Handwerker nicht in hofrecht-
licher Abhängigkeit von ihm gestanden haben können.
Sieben Kürschner, von denen einer der Meister ist, haben
des Erzbischofs Kleider zu nähen und die rohen Felle zuzubereiten,
die der Meister in Köln oder in Duisburg für den Erzbischof
gekauft hat. Die übrigen Kürschner in Trier müssen, wenn nötig,
den sieben helfen, oder sich loskaufen -^^). „Der Schuhmacher
sind dieselben Rechte"2^5^. Die Schmiede müssen alle Schmiede-
arbeit verrichten, die der Erzbischof zur Hof- und Heerfahrt oder
in seinen Burgen braucht 2^'^). Der Meister der Fleischer über-
nimmt Botengänge für den Erzbischof im Umkreise von sechs
Meilen um Trier 2^^). Doch geht er nicht selbst, wenn es auch
heißt „ipse ibit"; sondern er stellt nur den Boten, und zwar einen
Fußgänger -^^).
243) Vgl. oben Anm. 175 und den Anhang zu diesem Kapitel.
244) A. a. O. § 3.
245) A. a. O. § 4: „Sutorum iura eadem sunt quam peüificum." Aus diesen
Worten hat man geschlossen, daß auch die Zahl der Pflichtigen Schuhmacher dieselbe
ist wie die der Kürschner: Bär, Forschungen z. Deutschen Geschichte, Bd. XXIV
(Zur Geschichte der deutschen Handwerksämler), S. 236. Gustav Croon, Zur Ent-
stehung des Zunftwesens (Marburger Dissertation 1901), S. 24*. Spätere Nachrichten
über das Schuhmacheramt bestätigen die Richtigkeit dieser Auffassung. Vgl. unten,
besonders auch Anm. 265.
246) § 5 „Eadem die fabri tenentiir facere omne opus fabrile archiepiscopo
necessarium ad curias imperatorum vel expeditiones aut urbes, ubi archiepiscopus
habet vigiles aut portitores, sine mercede". — Falsch ist Bars Erklärung des „ad
curi&s imperatorum"' als „für die früher etwa kaisei liehen, nunmehr erzbischöflichen
Baulichkeiten"; ebenso der „e.xpediiiones" als „Reisen" und der „urbes" als „Städte".
A. a. O. S. 236.
247) A. a. O. § 6: „Scultetus Trevirensis constituet magistrum carnificum, qui
camerarli discipulus est. Et ipse ibit ex precepto camerarii in legationem archiepiscopi
ad sex miliaria circa Treverim."
248) „Item ad legationem d. archiepiscopi ferendam magister carnificum ad sex
miliaria peditem nundum sibi providere debet" : so nach den Iura et institutiones
Treverice civitatis, Lacomblet, Archiv, Bd. I, S. 262 § 10. Das „sibi" geht auf
den Schultheißen, der ja auch nach dem Liber annaliura iurium den Fleischermeister
einzusetzen hatte. Vgl. die vorige Anm. Trotz alledem steht „ipse ibit" auch noch
in der Abschrift des Liber annalium iuritun aus dem 14. Jahrhundert. „Ipse" heißt
94
Die Handwerker in Trier.
Eine ähnliche Lückenhaftigkeit der Angaben, wie hierdurch
und durch die FormuHerung der Verpflichtung der Schuster,
kennzeichnet sich auch in der Bestimmung, daß die Schmiede
ihre Arbeit „eadem die'' zu machen haben. Dem Zusammenhange
nach hieße das am Sonntag Quinquagesima, wo den Kürschnern
und Schustern eine Mahlzeit gereicht wird. Das kann nicht ge-
meint sein; doch fehlt jeder Schlüssel 2*9). '
Daß in der Unterstellung unter den Kämmerer anstatt
unter den Burggrafen wie^n_Straßburg 'söjkein Moment hof-
rechtlicher Abhängigkeit liegt, beweist am schlagendsten eine
Wiener Urkunde, das Privileg Herzog Leopold VI. für die so-
genannten Flandrer, d. i. Färber, vom Jahre 1208, wonach diese
„burgenses"
in officio suo iure fori nostri
in der Stadt Wien und dem Lande des Herzogs sich derselben
Freiheiten und Rechte erfreuen sollen, wie die übrigen Bürger.
Preterea ipsos ab officio iudicis nostri in Wiena ita exi-
mimus, ut super quibuscumque querimoniis coram ipso
non respondeant, set coram camerario monete nostre
trahantur in causas speciali exceptione de omnibus respon-
suri -■^1).
Als besondere Vergünstigung also wird diese Gruppe von
Gewerbetreibenden dem Gericht des Stadtrichters entzogen und
dem des Kämmerers unterstellt. Das Recht, nach dem sie leben
und sich in ihrem Gewerbebetrieb zu richten haben, bleibt nichts-
destoweniger das Stadt- und Marktrecht.
Wie in Wien, so ist auch in Trier dem Kämmerer die
Münze unterstellt 252). Er ist ferner „magister ludeorum", unter
eben nicht „selbst" sondern ,,er". Es ist ein Seitenstück zu Iura et institutiones § i,
wo auf die Worte ,,et hoc fenum debent congregare burgenses, exceptis scabinis et
camerariis" sogleich folgt: „Cuilibet vero nuncio burgensi". Vgl. oben Anni. 189.
249) Croon schlägt vor, das „eadem die" als Anfangstermin der Arbeitszeit
aufzufassen (S. 27', S. 28'). Das geht doch kaum.
250) A. a. O. §§ 3 — 7. — Der Gerichtsbarkeit des Kämmerers sind alle
Fleischer unterstellt (§ 7), aber nur ihr von dem Schultheißen eingesetzter „magister"
hat einen besonderen Dienst (Anm. 247, 248). Auch das eigentümlich: die Dienste
der Fleischer nach Hofrecht beständen in — nichts!
251) V. Schwind u. Dopsch, Urkunden zur Verfassungsgeschichte d. deutsch-
österreichischen Erblande Nr. 23; meine Urkunden Nr. 265. Die Gerichtsbarkeit
des Trierer Kämmerers erstreckt sich übrigens nicht so weit: „violare pacem" ist aus-
genommen (§ 7).
252) A. a. O. § I.
Der Kämmerer.
95
ihm steht ihr „episcopus": will man etwa auch den Juden-Episkopat
für ein erzbischöfliches Hofamt erklären ? -53). Endlich zinsen ihm
auch die fremden Krämer auf den Trierer Jahrmärkten, bei denen
natürlich jeder Gedanke an Abhängigkeit vom Erzbischof aus-
geschlossen ist -5*).
Der „Liber annalium iurium archiepiscopi et ecclesie Trevi-
rensis" ist ein Verzeichnis aller regelmäßigen Jahreseinkünfte der
erzbischöflichen Verwaltung. Ein Teil dieser Einkünfte, solche,
die unmittelbar im erzbischöflichen Haushalt verwandt werden
sollen , mögen sie nun aus Bargeld , Naturalien oder Dienst-
leistungen bestehen, sind der Karmnerverwaltung zugewiesen.
Dem Kämmerer fällt die Verantwortung für die Richtigkeit der
Eingänge, die Güte der gelieferten Waren zu. Das erklärt es
einfach genug, warum ihm auch die Gewerbegerichtsbarkeit über
die fraglichen Handwerker zugeteilt ist. Daneben aber darf man
in dieser Exemption von dem ordentlichen Gerichte gerade wie
in Wien ein Privileg sehen ^^^). Das ist ja einer der merkwürdig-
sten Züge und wirksamsten Faktoren in der Geschichte jener Zeit:
das ewige Streben nach Sonderstellungen, Befreiungen von nor-
malen Jurisdiktionen, das jedes aus allgemeinen Grundsätzen auf-
gebaute Schema einer Gerichtsverfassung immer wieder durch-
bricht
Auch in Trier fehlt es keineswegs an dem deuthchen Hin-
weis, daß der Schultheiß auch bei den nun eximierten Hand-
werken der ursprüngliche wie der normale Richter gewesen ist
Denn die „Iura et institutiones" berichten:
Item magister sutorum dat sculteto X solidos pro quo-
dam regimine in suos subditos .... Item magister
textorum dat IV s Item carnifices in vigilia Aposto-
lorum Petri et Pauli dant sculteto VII s. '^^.
253) A. a. O. § 2.
254) Iura et institutiones, Lacomblet, Archiv, Bd. I, S. 265 § 16: „liem
in amialibus festis quicumque extranei herbarii, qui Cremere dicuntur, hie tenloria fixe-
rint, quilibet denarium dabit. Item de mensa in foro posita obulum. Huius theo-
lonii tertia pars est camerarü". Vgl. auch § i". Andere Zölle fallen an den Schult-
heißen und an den „officiatus ad cyppum".
255) Eulenburg, Das Wiener Zunftwesen, Zeitschr. f. Sozial- und Wirt-
schaft^esch., Bd. I, S. 26b*.
256) Lacomblet, Archiv, Bd. I, S. 268 § 19, und Bär, Forschungen,
Bd. XXIV, S. 245'. Die Stellen über die Weber und die Fleischer sind bei La-
comblet ausgeCallen tmd von Bär aus der Handschrift ergänzt. Der dritte Teil der
q6 Die Handwerker in Trier.
Und an einer anderen Stelle heißt es in derselben Rechtsauf-
zeichnung:
Item sutores in civitate pro redemptione cuiusdam placiti
in feria quarta Pasche quilibet dat sculteto IX denarios 2^^).
Es handelt sich bei dieser Ablösung um Vorgänge, auf die
noch zurückzukommen sein wird, die den Kämmerer nicht un-
mittelbar betreffen 25«). Allein die Voraussetzung ist, daß der
Schultheiß einst allgemein die Gewerbegerichtsbarkeit hatte, auch
wenn von den „Kammer"handwerken an dieser Stelle nur zwei
genannt sind.
Zahlungen fällt an den Vogt, z. Z. der Aufzeichnung der Pfalzgraf bei Rhein. Ebenso
von der in der nächsten Anm. zitierten. Daß dieser Teil der ,,Iura et institutiones"
ins 12. Jahrhundert gehört, also mit dem ,.Liber annalium iurium" mindestens gleich-
altrig ist, ergibt sich also unmittelbar.
257) Lacomblet, a. a. O. S. 267 § 19. — Nach § 7 des „Liber" ist der
Kämmerer, wohlbemerkt, der Richter sämtlicher Kürschner, Schuster, Schneider und
Fleischer.
258) Vgl. unten Kapitel VII. In einer ähnlichen Zwitterstellung neben dem
Schultheißen befindet sich der Kämmerer in Würzburg nach der Urkunde für die
Schuhmacher von 1128, wobei noch zwischen einem „camerarius civitatis" und einem
„familiaris camerarius episcopi" unterschieden zu werden scheint. Gramich, Ver-
fassung und Verwaltung von Würzburg, S. 68; meine Urkunden Nr. 254. — Bei
der Erneuerung des Rechtes der Innung für die Schuhmacher von Halberstadt
am 15. März 1230 wiederholt Bischof Friedrich, „quod .... dare debereni ad usus
camere taientum unum et camerario nostro ac uxori sue [!]" zweimal ,,duo paria calce-
orum". So haben auch die Halberstädter Weber 1283 beim Eintritt in ihre Innung
eine Abgabe an die bischöfliche Kammer, die Hutmacher 1284 an den Kämmerer
zu entrichten: Schmidt, Urkundenbuch der Stadt Halberstadt, Bd. I, Nr. 26, Nr. 177,
Nr. 187. In Regensburg haben 1244 und ebenso noch 1315 die Kämmerer des
herzoglichen Burggrafen und des bischöflichen Vogts dreimal im Jahr die ,, Losung"
von den Schuhmachern für ihre Herren zu empfangen: M. v. Freyberg, Samm-
lung histor. Schriften u. Urkk., Bd. V, S. 92, S. 90. Hier tritt am deutlichsten hervor,
daß sie reine Finanzbeamte sind. Es braucht aber nicht ausgeführt zu werden, wie
leicht sich damit die W^irksamkeit eines Kontrolibeamten und Richters verband. In
dieser Stellung finden wir denn Handwerken gegenüber selbst städtische Kämmerer,
Beamte des Rats: so in Lübeck, Rolle der Knochenhauer vom 2. April 1385,
Wehrmann, Die älteren Lübeckischen Zunftrollen, S. 260 § 3. Es sind das alles
nur einige Zeugnisse dafür, daß es ein oberflächliches und mechanisches Verfahren ist,
wenn man von der Stellung eines Verwaltungsbeamten auf die der seiner Verwaltung
Unterworfenen schließt — gerade als müßten sie, wie er, auch Beamte sein, wie es
die hofrechtliche Theorie eben in ihrer neuesten Phase will. Vgl. auch noch Waitz,
Verfassungsgeschichte, Bd. VIII, S. 218 ff., über königliche und landesherrliche
Kammern.
Die Schuhmacher-Kammerheiren.
97
Die Sache ist klar, sobald man sie ernsthaft ins Auge faßt.
Indes stehen uns über die der Kammer speziell zugewiesenen
Handwerker noch weitere Nachrichten zur Verfügung.
Die „Iura et institutiones Treverice civitatis" eximieren
von der fünftägigen Bürgerfron des Heumachens und des Roggen-
und Hafermähens außer den Schöffen allein die „camerarij" *^^) :
aus ungedruckten Urkunden der Mitte des 14. Jahrhunderts über
das Amt der Loher und Schuhmacher, aus denen Bär Mit-
teilungen macht, erfahren wir, daß so — deutsch „Kämmerer" oder
„Kammerherren" — die Handwerker bezeichnet wurden, die zur
Kammer in besonderem Verhältnis standen -^% Auch in der Auf-
zeichnung über die „Census d. archiepiscopi" vom Jahre 13 19
kommen „magistri" der „cerdones et calcifices" vor „qui dicuntur
camerarii" 2**). Hier nur zwei. Aber es sind nicht Zunftmeister:
denn neben ihnen erscheint der eine gemeinsame „magister eorum".
Später sind es wieder sieben, wie im 12. Jahrhundert "^^-j, endlich
1460 vierzehn, also wohl je sieben aus Gerbern und Schuh-
machern -^3).
Sie sind Mitte des 14. Jahrhunderts und so auch noch 1460
vom Gericht zu Trier eximiert und stehen dafür unter dem
obersten Kämmerer des Palastes. Aber sie gehören zum allge-
meinen Amt der Gerber und Schuster, sie bekennen, darin nicht
mehr Gewalt und Gerechtsame zu haben als andere Brüder und
Amtsgenossen, und sie versprechen, den „Löwermeister", den
Amtsmeister, nach Vermögen zu fördern und ihm in „unserm"
Amt Gehorsam zu leisten-*'^). Nur behalten sie sich das „Recht
259) Lacomblet, Archiv, Bd. I, S. 258 f. §§ i, 2. — Was das Vorkommen
der Bezeichnung „camerarii" an dieser Stelle mit Hinsicht auf die Dalierungsfrage
betrifft, insofern sie für die Kammerhandwerker sonst nur aus einigen Urkunden des
14. Jahrhunderts bekannt ist, so verdient bemerkt zu werden, daß gerade der Nachtrag
vom 20. Januar 1322 zum „Liber annalium iurium", der die Bestimmung über das
Heumachen der Bürger als im „Liber antiquus domini" enthalten übrigens bestätigt,
die „camerarii*' nicht erwähnt (a. a. O., S. 378 § 12).
260) Forschungen, Bd. XXIV, S. 246 ff.
261) Lacomblet, a. a. O., S. 268 § 20.
262) Erzbischöfl. Urkunde von etwa 1350, Bär. S. 248; Vergleich zwischen
den „Kammerherren" und dem Gerber- imd Schuhmacheramt vom 7. Afai 1379,
Bär, S. 247.
263) Bär, S. 248 3,
264) Vergleich der „Kammerherren" mit den Lohgerbern imd Schuhmachern
vom 31. Januar 1336, transsumiert in Urkunde vom 29. Dez. 1378, Bär, S. 246.
Keutgen, Aemter und Zünfte. 7
q8 Die Handwerker in Trier.
der Kammer" vor, das also als ein Vorzug gilt, und mit dem,
wenn Arbeiten für den Erzbischof ^cs), so doch auch gewisse
Emolumente verbunden sind '^^). Ein andermal aber versprechen
sie ihren Amtsbrüdern die Kammerei fürder zu halten und zu
erhalten, stet und festiglich bis auf ihre Nachkommen, als ob es
ein Besitz, eine Ehre für das ganze Amt ist^«^). Demgemäß
wird auch jeder neue „Kämmerer" an Stelle eines Verstorbenen
von dem Amt gewählt ^^s): jene Nachkommen sind also nicht
leibliche, und die Stellen nicht, wie Hofämter, vererblich.
Soviel also ist klar: das Amt der „Kämmerer" wird stets
nur mit freien Handwerkern, Mitghedern der Zunft, besetzt
und ist eine von ihnen begehrte Würde. Der Zugang liegt in
der Hand der Gerber- und Schusterzunft und ihres Zunftmeisters,
der über die Aufnahme in die Zunft selbst zu entscheiden hat.
265) Nach den erzbischöflichen Urkunden von circa 1350 und 1460 ist ihre
Aufgabe, die für die Reisen des Erzbischofs nötigen ,,waytsecke" und „bullen" anzu-
fertigen. Bär, S. 248. Das also verbarg sich unter dem „Sutorum iura eadem sunt
quam pellifieum" des Liber annalium iurium. Leider läßt sich aus Bars Mitteilung
nicht ersehen, ob mit den „Reisen" nicht auch hier militärische gemeint sind. Nach
seiner Uebersetzung von „expeditiones'' im Liber annalium iurium mit „Reisen" (vgl.
oben Anm. 246) ist es gerechtfertigt, hier dasselbe Mißverständais zu vermuten. Die
Wichtigkeit des Unterschiedes leuchtet ein. Betreffs der „bullen" ist an die Straß-
burger „bulgae" (erstes Stadtrecht § 108) und das Basler ,,Bulgenamt" (unten
Anm.) zu erinnern.
266) Nach den ,,Census d. archiepiscopi" von 1319 (Lacomblet, a. a. O.
S. 268 § 20) erhalten die beiden ,,camerarii" von dem Zins von 9 d., den jeder
Gerber oder Schuhmacher am Mittwoch nach Ostern an den Erzbischof zu ent-
richten hat, 12 d. zurück. Ebenso empfangen sie Martini 5 d. Vermutlich außerdem
nach wie vor gemäß dem ,, Liber annalium iurium" am Sonntag Quinquagesima eine
Urne Wein und einen Schinken, was bei der Aufzeichnung der Zinse des Erzbischofs
so wenig zu erwähnen Veranlassung war, wie etwas über ihre Arbeitspflicht. Ueber
eine besondere Zollfreiheit der Kammerarbeiter, von der Bär, S. 248, spricht, finde
ich nichts : nach der Zollfreiheit der an der Fron beteiligten Dörfer wäre vielmehr anzu-
nehmen, daß alle „dves" (vgl. unten S. 105) diesen Vorzug genossen. Demgemäß wird
nach den „Iura et institutiones" Zoll mehrfach ausdrücklich nur von Fremden erhoben:
z. B. § 10 „advenientes herbarii"; § 12 „si advena est" „cives Colonienses et Worma-
censes et Spirenses et cives de Bingen et habitantes circa rivum Moseile, quod Ham
didtur" (Ham = die Moselhalbinsel zwischen Bullay und Pünderich, nach Lamp-
recht, Wirtschaftsleben, Bd. I, S. 234); § 13 „si advene fuerint". Besonders aber
§ 14 „de theoloneo inter pellifices", wo eine besondere Zollfreiheit der Kammer-
kürschner hätte erwähnt werden müssen, statt dessen aber nur die zollpflichtigen ,, cives
Metenses" und ,,Epternacenses" genannt sind.
267) Bär, a. a. O. S. 246 f.
268) Bär, S. 247: Vertrag vom 7. Mai 1379.
Die Schuhmacher-Kamnierherren. qq
auch wenn nur zwei Brüder anwesend sind'^^). Die „Kämmerer"
aber haben darüber zu wachen, daß ihre Würde und ihre Rechte
nicht gemindert werden, wozu wohl gehört, daß der Erzbischof
seine Arbeiten nicht an Zunftfremde, z. B. aus seinen Eigenleuten,
vergibt. Es ist kein Grund zur Annahme, daß das Verhältnis
je wesentlich anders gewesen sei-^*').
269) Bär, S. 246: Verträge von 1336 und 1378.
270) Zum guten Teil unrichtig ist CroonS Darstellung der Verpflichtungen
der Trierer Handwerker, Zunftwesen, S. 23 ff. Schon die Angabe über die Leistung
der Kürschner auf S. 23 wäre durch das auf S. 27 Mitgeteilte zu ergänzen. Die
Schmiede haben nicht „alle" Schmiedearbeit zu machen (S. 24). Falsch aber vor
allem ist, daß „sämtliche Handwerker Triers dem Bischof zu bestimmten Leistungen
verpflichtet sind", die ,, Pflicht auf der Gesamtheit liegt", „doch in der Praxis eine
gewisse Anzahl von Handwerkern für diese Arbeiten" genügt, „alle übrigen sich los-
kaufen" können (S. 24), Diesen Sätzen fehlt teils überhaupt jede Grundlage, teils
beruhen sie auf einer unrichtigen Auffassung. Nicht beliebige sieben Kürschner und
sieben Schuster haben die regelmäßigen Arbeiten für den Erzbischof zu machen,
sondern ganz bestimmte, ein für allemal bestellte. Es ist deshalb auch ganz verkehrt,
daß „diese Pflichtigen dasselbe Recht" haben, „sich loszukaufen, wie die andern
Handwerker" (S. 24*). Daß bei den Schmieden die Zahl der Beschäftigten sich nach
dem Bedarf richtete (S. 24*), ist eine ganz unbegründete Annahme ; in noch höherem
Grade aber die gleiche Behauptung von den Fleischern (a. a. O.), von deren Ver-
pflichtung zu irgend welchen Diensten überhaupt nichts gemeldet wird. Im Widerspruch
damit meint denn auch Croon, S. 27, es würden „keine andern Pflichten für die
Fleischer angegeben", weil die Botengänge ihres Meisters ein „hohes Maß von Zeit
und Kraft in Anspruch" genommen hätten. Ganz unbegreiflich ist, wie Croon zu der
Annahme kommt, daß außer den vier dem Kämmerer unterstellten, auch alle übrigen
Handwerke (vgl. oben ,,sämtliche") dem Erzbischof zu bestimmten Leistungen ver-
pflichtet gewesen seien. Es soll dadurch bewiesen werden, daß „die speziell mit den
Diensten Beauftragten" „sich also ihrem Stande nach nicht von dem der Gesamtheit"
unterschieden. Es ist aber nicht erlaubt, sich den Beweis einer an sich richtigen Sache
durch willkürlich angenommene Prämissen zu erleichtern. Ferner ist unrichtig, daß
von den Fleischern nur der Meister dem Gericht des Kämmerers unterstanden habe
(Croon, S. 26): in § 7 ist vielmehr von den Fleischern schlechthin die Rede; ebenso
auch von den Kürschnern, Schustern, Schmieden, und nicht bloß von den „Hof-
lieferanten". Eine Angabe darüber, wo die „Iura et institutiones" ,, betonen, daß nur
die arbeitspflichtigen Handwerker dem Kämmerer im Gericht zu unterstehen
haben", wäre en^ünscht: offenbar hat Croon (S. 26) die Mitteilungen Bars über die
ungedruckten Urkunden aus der Mitte des 14. Jahrhunderts mißverstanden. Die
Hauptsache ist jedoch die Schlußfolgerung zu der Croon auf Grund der vorhin mit-
geteilten Sätze kommt (S. 29). Da nach ihm jeder Handwerker gleichmäßig arbeits-
pflichtig ist, jeder aber auch das Recht hat, sich loszukaufen, so schließt Croon, dal^
zur Zeit des „Liber annalium iurium" es bereits Zünfte gegeben habe, da „doch eine
Ordnung unter den Handwerkern vorhanden sein muß, die dafür sorgt, daß immer
die nötige Zahl von Handwerkern für die bischöflichen Arbeiten zur Verfügung steht,
7*
lOO Die Handwerker in Straßburg und Trier.
Damit schließe ich den ersten Hauptabschnitt meiner Unter-
suchungen, der sich auf alles das erstreckt, was auf die Stellung
der Großgrundherrschaften zum Handwerk irgend Licht zu werfen
geeignet schien.
Das Ergebnis ist, soweit das städtische Handwerk und die
Entstehung der Zünfte in Frage kommen, ein negatives.
Von Handwerkerverbänden auf den Krongütern der karo-
lingischen Zeit fand sich keine Spur. Das Hofgesinde der Klöster
erwies sich als nicht zahlreich genug, als daß von einer Amts-
organisation der einzelnen Handwerke hätte die Rede sein können.
Erst spät vereinigt sich wohl die gesamte Hausdienerschaft zu
einer Genossenschaft, aber stets nur zu einer einzigen, die sie
insgesamt umfaßt. Das „Amtsrecht" ihrer Mitglieder besteht in
dem Genüsse gewisser Präbenden, sowie darin, daß die dem
gleichen Dienstzweige angehörigen , wie z. B. in der Mehrzahl
vorhandene Köche, ihren Dienst abwechselnd versehen. Die so
gewonnene Muße verwenden sie jedoch keineswegs zur Ent-
faltung lebhafterer gewerblicher Tätigkeit für eigene Rechnung:
sondern sie betrachten ihr Amt als Vermögensobjekt, sie ver-
wandeln sich in Rentner und lassen selbst den mit ihrem Amte
nun einmal verbundenen Dienst durch Knechte, Mietlinge ver-
sehen; hierin dem Vorbilde ihrer geistlichen Herren getreulich
nachfolgend. In der Hofluft wächst eben nicht leicht ein kräftiger,
ins Freie strebender Unternehmungsgeist.
Wenn ferner unter dem Hofgesinde der Klöster Handwerker
noch verhältnismäßig zahlreich waren, so zeigte sich der Grund
erstens in einer Vorschrift der Benediktinerregel, zweitens in den
besonderen wirtschaftlichen Verhältnissen gerade dieser Klasse
von Grundherrschaften. Wo immer die Umstände es erlaubten,
haben dagegen auch die größten Grundherren es vorgezogen,
ihren Bedarf an Handwerksleistungen durch unabhängige Ge-
werbetreibende decken zu lassen. In dieser Lage befanden die
städtischen Grundherren, namentlich also die Bischöfe sich von An-
fang an. Sie haben sich demnach unter ihren übrigen Dienern
nur für den täglichen Gebrauch auch einzelne nötige Hand-
daß sich also nicht jeder loskauft". Das beruht, wie gesagt, auf einer ganz falschen
Auffassung. Es war nötig alle diese Unrichtigkeiten aufzudecken, da das Bild, das
man sich von der Entstehung der Zünfte überhaupt zu machen hat, durch sie wesent-
lich verfälscht wird,, und sie umso gefährlicher sind, gerade weil Croon nicht auf
dem Boden der hofrechtlichen Theorie steht.
Ergebnisse des ersten Hauptteik der Untersuchung. lOI
werker gehalten , im übrigen entweder auf den freien Markt
zurückgegriffen oder aber mit Vorliebe ihre stadtherrlichen Rechte
in der Weise genutzt, daß sie von den städtischen Handwerkern
an Stelle anderer öffentlicher Leistungen, vor allem ihres Beitrags
zur Hof- und Heersteuer, handwerkliche Dienste heischten.
Das Vorhandensein wirtschaftlich freier, für eigene Rechnung
und Gefahr arbeitender Handwerker in beträchtlicher Menge so-
gleich seit den ersten Anfängen der Städte in Deutschland —
die Voraussetzung städtischen Entstehens überhaupt, einerlei, ob
in den Gegenden, die bereits eine römische Städtekultur gesehen
hatten oder in dem jungfräulichen Innerdeutschland — das ist
das Ausschlaggebende auch für die Frage, die uns beschäftigt.
Anhang.
Zur Datierung des „Liber Annalium lurium Archie-
piscopi et Ecclesie Trevirensis*' und der „Iura et Insti-
tutiones Treverice Civitatis et Villarum que Libere sunt
a Theoloneo".
Der „Liber Annalium iurium" wird mit Berufung auf Lacomblet,
Archiv f. d. Geschichte d. Niederrheins Bd. I, S. 297 f., allgemein auf c.
1220 datiert. So im Mittelrheinischen Urkundenbuch von Beyer
Eltester u. Goertz Bd. II, S. 391; von Bär, Forschungen z. Deutschen
Geschichte, Bd. XXIV, S. 235; von Schoop, Verfassungsgeschichte
von Trier (Westdeutsche Zeitschr. f. Geschichte und Kunst, Ergänzungs-
heft I) S. 93. S. 125*, auf 12 19.
Lacomblet selbst spricht nur vom zweiten Decennium des 13.
Jahrhunderts. Allein schon aus seinen eigenen Angaben geht herxor,
dass auch dieser Ansatz zu spät ist
Lacomblets Hauptargument ist die Schrift, die aber selbstver-
ständlich keine genaue Datierung zulässt. Dagegen en^ähnt er einen
Zusatz zu dem Grundtext aus dem Jahre 1215 (Lacomblet, S. 334
§ 9; MR. ÜB. II, S. 407) und einen andern Zusatz über einen Zins
von einem Acker, „qui ager in nullo fuit utilis archiepiscopo usque ad
tempora archiepiscopi Theodorici, qui eundem agrum concessit ad colen-
dum" (Lacomblet, S. 319 § 9; MR. ÜB. II, S. 399), woraus sich er-
gibt, dass die ursprüngliche Aufzeichnung, die jenen Acker nicht kennt,
selbst entstanden ist, ehe infolge von Theoderichs Konzession es zweckent-
sprechend geworden war, den Acker mit aufzuführen. Natürlich wissen
I02 Der Liber annalium iurium archiepiscopi Treverensis.
wir nicht, ob die Konzession bereits in Theoderichs erstes Regierungs-
jahr fällt: sonst hätten wir als terminus ad quem das Jahr 12 12.
Dagegen lassen sich die Personennamen, die Lacomblet weitere
Anhaltspunkte liefern, seit dem Erscheinen des Mittelrheinischen Ur-
kundenbuches noch besser nutzbar machen. Der Archidiakon Johannes
und der Kantor Cuno, vor denen nach einem Zusatz (Lacomblet, S. 332
§ 6; MR. ÜB. Bd. II, S. 406) ein mansus übertragen wird, und die
Lacomblet im Jahre 12 12 nachweisen konnte, lassen sich jetzt bis
12 10 zurückverfolgen (MR. ÜB. Bd. II, S. 483 f).
Wichtiger sind die beiden Ministerialen Walterus de Palatio
nnd sein Neffe Hermann, die im Text der ursprünglichen Aufzeichnung
als gemeinsame Inhaber eines Beneficiums aufgeführt werden (Lacomblet,
S. 318 § i; MR. ÜB. Bd. II, S. 398 f.) Da Lacomblet Walther aus
Urkunden nur in den Jahren 1 1 60 — 1 1 8 1 nachweisen konnte, so lag
schon darin ein Grund, den „Liber" nicht wesentlich später anzusetzen,
mochte auch Hermann erst 1 2 1 2 vorkommen. Nach dem sehr reich-
lichen Material^ das jetzt das Mittelrheinische Urkundenbuch bietet, tritt
Walther von 11 57 — 11 83 über zwei Dutzend Mal, d. h. ziemlich jährlich
einmal, als Zeuge auf, um dann völlig zu verschwinden; während sein
Neffe Hermann von 1192 an ebenfalls sehr häufig erscheint. Die Be-
zeichnung „Hermannus frater Walteri" im Register des zweiten Bandes
des MR. ÜB. (S. 507) ist nicht richtig. Walthers Bruder Hermann
kommt zuletzt 1 157 vor (MR. ÜB. Bd. I, S. 663). Der im zweiten Bande
von 1192 an so oft genannte Hermann wird an keiner Stelle als
Walthers Bruder bezeichnet, und ebensowenig Walther noch als Bruder
Hermanns. Der jüngere Hermannus de Palatio darf also mit dem
„fratruelis" des „Liber iurium" identifiziert werden, den beiläufig das
Register ebenfalls zu Walthers Bruder macht. Danach kann man den
Liber iurium etwa 11 80 — 1190 ansetzen: je nachdem man annehmen
will, dass Walther noch sieben Jahre nach seinem Rücktritt von den
Geschäften lebte; oder einen Zeitpunkt vorzieht, wo Hermann wegen
seiner Jugend noch nicht als Zeuge zugezogen zu werden pflegte, wohl
aber in der Güterbeschreibung neben seinem Oheim als Lehnsberech-
tigter aufzuführen war. Die Rechtsaufzeichnung wäre damit um 30 bis
40 Jahre höher hinaufgerückt.
Ungefähr aus derselben Zeit aber stammt auch ihr Gegenstück, die
„Iura et institutiones Treverice civitatis et villarum que libere
sunt a theoloneo".
Max Bars. Erläuterung dieser „Iura et institutiones" in den For-
schungen zur Deutschen Geschichte, Bd. XXIV, erheischt, so dankens-
Die Iura et insdtutiones Trererice dTiutis. 103
wert sie seiner Zeit war, heute eine eingehendere Kritik, als ihr bisher
zu teil geworden. Bär schrieb vor dem Erscheinen der von Below-
schen Arbeiten zur Stadtverfassungsgeschichte vrie derer von Schröder,
Schulte und Sohm über das Marktrecht und es kann ihm daher
kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er auf dem Boden des Hof-
rechtes stand. Dadurch aber wird in seiner Abhandlung nicht bloss die
Lösung des Problems des Urspnmgs der Zünfte alteriert Denn er
scheint überhaupt nur eine Art Herrschaft auf Seiten des Stadtherm
und nur eine Begründung für die Leistungen oder Zahlungen der
Bürger zu kennen, nämlich das Hofrecht, Hinzu aber kommt, dass
sein Datierungsversuch der genannten Rechtsaufzeichnung durchaus un-
genügend ist. Paragraphen, die um über ein Jahrhvmdert auseinander-
liegenden Epochen angehören, behandelt er als gleichzeitige. Vermöge
dieser doppelten Vereinfachung bringt er durchaas heterogene Dinge
unter einen Gesichtspimkt. Sehr mit Dank zu begrüssen ist dagegen,
dass er fehlerhafte Lesarten Lacomblets (in dessen Neuem Archiv
Bd. I, S. 258 ff.) mehrfach verbessert.
Die „Iura et institutiones Terverice civitatis" sind erhalten in einer
Handschrift aus dem dritten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts (Lacomblet,
a. a. O., S. 298 f.). Sie folgen in dem Kodex auf die von derselben Hand
aufgezeichneten Gefälle des Palastes zu Trier und einer Reihe erzbischöflicher
Domänen aus den Jahren 1322 vmd 1323 und mit diesen auf den soeben
von mir den Jahren 1 1 80 — 1 1 90 zugewiesenen „Liber annalixun iurium archie-
piscopi et ecclesie Trevirensis". Die Abschrift einer Urkunde von 1285
und ein undatiertes Weistum von Lirschberg machen den Schluss.
Nim hat bereits Bär, S. 235 mit Recht darauf hingewiesen, dass
§ 19 der „Iura et institutiones" (bei Lacomblet, S. 267 f.) mit der
Ueberschrift „Hec sunt iura domini Palatini vel alius advocati in villis
circumiacentibus" spätestens 1197 verfasst sein kann, in welchem Jahre
Pfalzgraf Heinrich die Vogtei niedergelegt hat. Er irrt jedoch, wenn
er aus den Worten „vel alius advocati" eine zweite Kodifikation folgert
Solange sonst keine Gründe vorliegen, ist dieser Zusatz nur dem Ab-
schreiber zuzuschreiben, an dem Inhalt des Paragraphen auf keine Ver-
änderung zu schliessen.
Wichtiger ist ein anderes.
Bär fährt mit der Bemerkung fort, dass somit die Möglichkeit
nicht ausgeschlossen sei, dass auch andere, undatierte Abschnitte der
„Iura et institutiones" nicht gerade am Anfange des 14. Jahrhunderts
entstanden zu sein brauchen, erklärt das aber für die Frage, die ihm
vorli^;t, für unerheblich, „weil die unsere Materie berührenden An-
gaben . . . fast ausnahmslos datierte Ueberschriften tragen".
I04 ^^^ I"'"^ ^t institutiones Tieverice civitalis.
Hier eben liegt der Fehler.
Auf den Paragraphen über die Rechte des Pfalzgrafen oder anderen
Vogtes folgt ein ganz neues Kapitel mit der Ueberschrift: „Hy sunt
census d. Archiepiscopi secundum quod collecti fuerunt anno
13 19". Besser gesagt, eine Rechtsaufzeichnung für sich, die gar
nicht zu den „Iura et institutiones" gehört, nur in der Handschrift un-
mittelbar auf sie folgt. Von den vorangehenden „Iura et institutiones"
aber ist gar nichts datiert.
Wenn man also sieht, dass die in sich eine geschlossene Einheit
bildenden „Iura et institutiones" mit den „Iura d. Palatini" aus dem
Ende des 12. Jahrhunderts schliessen; dass ihre Bestimmungen über die
Gewerbtreibenden mit denen des Kapitels „Census d. Archiepiscopi" von
13 19 entweder gar keine Berührungspunkte haben, oder ihnen wider-
sprechen; dass femer in dem vom 20. Januar 1322 datierten ersten
Nachtrag zu dem „Liber annalium iurium" die Stelle über die Heupflicht
der Bürger auf dem Brühl (vgl. oben Anm. 189; „Iura et institutiones''
§ i) als „prout in libro antiquo domini continetur" angezogen wird
(Lacomblet, Arch. Bd. I, S. 378 § 12); endlich dass zum Ueberfluss in
dem ganzen Kodex, mit Ausnahme der notwendig datierten Urkunde
von 1285, nur die aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts stammenden
Stücke datiert sind: so ergibt sich mit vollendeter Sicherheit, dass die
ganzen „Iura et institutiones", wie ich sie soeben enger abgegrenzt habe,
d. h. Lacomblets §§ i — 19, nicht in den Anfang des 14., sondern
spätestens in das Ende des 12. Jahrhunderts gehören, in die Regierungs-
periode der Pfalzgrafen von 1075 — 1197- Es müsste denn sein, dass
sich einzelne Zusätze nachweisen Hessen, von denen ich aber durchaus
keine Spuren entdeckt habe.
Dass ein Abschreiber eine ältere Rechtsaufzeichnung, die nach dem
grössten Teile ihres Inhalts noch in Kraft stand, auch in den Punkten
unverändert wiederholt hat, die etwa veraltet waren, und nur an einer
auffälligen Stelle die nötige und leichte Verbesserung anbrachte, wird
niemand befremden.
Wie mechanisch man bei der Abschrift alter urbarialer Aufzeich-
nungen zu ^'erfahren pflegte, ergibt sich daraus, dass in einer nach
Mittelrhein, U. B. Bd. II, S. 391 etwa um 1348 hergestellten zweiten Aus-
fertigung des „Liber annalium iurium" jene seit loo — 150 Jahren toten
Ministerialen Walterus de Palatio cum fratruele suo Hermanno immer
noch als Inhaber jenes Lehens figurieren. Und doch kopierte der Ab-
schreiber nicht gedankenlos. Vor Besserungen im Ausdruck, Ersatz alter
Ortsnamenformen durch neue, selbst vor einem „ordo quandoque muta-
Die Iura et institutioncs Treverice civitatis.
105
tus" ist er nicht zurückgeschreckt. Finden wir aber, davon abgesehen,
diese im 1 4. Jahrhundert gefertigte Abschrift in genauer Uebereinstimmung
mit ihrem Original aus dem 12. Jahrhundert, so sind wir gezwungen eine
ebenso grosse Uebereinstimmung zwischen der ebenfalls im 14. Jahr-
hundert gemachten Abschrift der „Iura et institutiones" und ihrem Original
anzunehmen, das uns nicht mehr vorliegt.
In einem eigentümlichen Insal befindet sich auch Schoop, Ver-
fassungsgeschichte von Trier, S. Q3 f. (Westdeutsche Zeitschrift, Ergänzungs-
heft I; wie Bäis Abhandlung 1884 erschienen). Auch er folgt
Lacomblet in der Annahme der Abfassung der „Iura et institutiones"
im 14, Jahrhundert; auch er sieht, wie Bär, dass die Angaben über
die Befugnisse des Pfalzgrafen in diese Zeit nicht passen; darüber hinaus
kennt er die Stelle, in der der „Liber antiquus domini" angezogen wird;
er möchte die Abfassung dieses „Liber antiquus" in die Jahre 1 1 60 bis
1170 verlegen, die Zeit des Streites mit dem Pfalzgrafen Konrad: allein
er hält den „Liber antiquus" für verloren; denn er sieht nicht, dass er
ihn eben in den ,.Iura et institutiones" vor sich hat.
Trotzdem gibt Schoop selbst ein weiteres Mittel zur Datierung
an die Hand. Nach ihm (S. 145) verschwindet seit dem Anfang des
13. Jahrhunderts die Bezeichnung „burgenses" für die Bürger von Trier
vor dem Ausdruck „cives": nun, „burgenses" werden sie genannt sowohl
in den „Iura et institutiones" (§§ i, 2), wie in den „Iura camere archi-
episcopi" (§ i). Dagegen wird im Eingang der „Iura et institutiones"
§ I der Ausdruck „cives" für die Untertanen des Erzbischofs, städtische
wie ländliche, gebraucht, wenn es heisst, dass der Erzbischof seinen
^.cives" fliessendes Wasser und „Anhau" zu gewähren hat, wofür „illi de
Manepach et hy de Herebüren et hy de Semou et hy de Ulmoit et
hy de Starchenberch" die Hälfte des Brühl mähen, von dem die
„burgenses" das Heu einfahren (congregare).
Schoops Bemerkung (S. 142), dass der Triersche Centurio ur-
kundlich zuerst 1272 nachweisbar ist, kann gegen ein höheres Alter der
„Iura et institutiones", wo derselbe Beamte (§§ i und 5 — 7) vorkommt,
nicht ins Feld geführt werden. Das Amt muss ein weit älteres sein.
Es ist das des Hunnen und entspricht dem der Centurionen der Dörfer,
die gleichfalls dem Gericht des Trierer Schultheissen unterworfen sind
(§§ 4. 5' 18, 19).
Auch Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben, Bd. II, S. 3162 (vgl.
auch die Anmm. auf S. 323) hat nicht bemerkt, dass die „Iura et institu-
tiones" und die „Census d. archiepiscopi" zwei verschiedene Rechtsauf-
zeichnungen sind. Aus seinem Glauben an ihre Einheitlichkeit erklärt
Io6 I^i^ Iura et Institutiones Treverice civitatis.
sich seine Ansicht, dass zum Verständnis der „umfassenden Tarifierungen
der Iura archiepiscopi Treverensis", wie er die „Iura et institutiones
Treverice civitatis" recht ungenau zitiert, „eine genaue Untersuchung der
Verfassungsentwicklung der Stadt Trier von nöten" sei. Darin liegt
immerhin eine Skepsis, die Bär mangelt. Aber dadurch, dass diese
Skepsis nicht zur Kritik vordringt, entgeht Lamprecht diese höchst
interessante Zollrolle aus dem 12. Jahrhundert für seine tarifgeschicht-
lichen Untersuchungen. Das Verhältnis zu dem Trierer Tarif vom
6. Januar 1248, Mittelrhein. ÜB. Bd. III Nr. 932, den Lamprecht be-
spricht, hätte sich dann auch nicht schwer herstellen lassen. Warum
man in diesem „für die Summe seiner Auflagen einen zusammen-
fassenden Namen nicht gefunden hat", im Text des Tarifs „nur von
»subscripta« bzw. »premissa« die Rede" ist (Lamprecht, S. 315),
hätte sich wie einiges andere, was Lamprecht Bedenken macht, wohl
aus der Urkunde selbst erklären lassen. Es handelt sich darum, dass
die Stadt vom Erzbischof die Erlaubnis erhalten hat, zum Ausbau
der Stadtbefestigung ein Ungeld zu erheben, mit strenger Beschränkung
auf vier Jahre. Wenn man sich nun erinnert, wie widerwärtig den
Stadtherren die Erhebung eines Ungeldes durch die Bürgerschaften war,
wie jene gerade im 13. Jahrhundert das äusserste taten, um ein Recht
dazu nicht aufkommen zu lassen; wenn man ferner bedenkt, wie leicht
das einmal gewährte einen dauernden Rechtsanspruch begründete: so
liegt es auf der Hand, dass, wenn ein Stadtherr ausnahmsweise sich
veranlasst sah, zu einem bestimmten Zwecke die Erhebung einer solchen
Steuer zu genehmigen, man doch um jeden Preis den Ausdruck Un-
geld und jeden ähnlichen in der Urkunde zu vermeiden suchte; wodurch
sich denn die lahmen Bezeichnungen „subscripta" et „premissa" aufs
beste erklären.
VI. Kapitel.
Der städtische Ursprung der Gewerbeordnung.
Maß und Gewicht.
Als Ergebnis meiner Untersuchungen bis zu diesem Punkte
kann ich es hinstellen, daß die Erklärung der Zünfte, ihrer Ent-
stehung und ihres Wesens aus dem städtischen Rechts- und
Wirtschaftsleben allein heraus gefunden werden muß. Diese
Forderung ist nicht neu^^i). Wenn aber die Lehre von dem, im
Gegensatz zum hofrechtlichen, freien Ursprung der Zünfte nicht
schon zu unbedingter Herrschaft gelangt ist, so liegt das weniger
an einer sachlichen als an einer methodischen Schwäche. Man
hat auf die Stabilierung eines bestimmten juristischen Prinzips
nicht Wert genug gelegt, aus dem ihre Entstehung herzuleiten
wäre.
Freilich hat Sohm wie die ganze Stadt Verfassung, so auch
das Gewerberecht des Mittelalters aus dem Marktrecht erklärt-").
Und V. Below läßt „die Ordnung des Gewerbewesens, also
auch des Zunftwesens, aus der Sorge für Maß und Gewicht her-^
vorgegangen" sein, die er auf Gemeindekompetenz zurückführt 2^').
271) Vgl. u. a. auch v. Inamas ursprüngliche Anschauung, oben Anm. 7
am Schluß, wobei nur in dem „sonst" die Kontamination durch Eberstadts neue
Lehren zum Ausdruck kommt. — Auch Geering, Handel und Industrie der Stadt
Basel, S. 3, sieht, daß ,,der interne städtische Markt ursprünglich und seinem tiefsten
Wesen nach öffentlichen Rechtes" war, daß er „sich deutlidj als Emanation der
öffentlich-rechtlichen Stellung des Bischofs" erweist (S. 4). Aber im Glauben an das
Hofrecht groß geworden, läßt er gleichwohl den Bischof eist nachträglich im 10. und
II. Jahrhundert mit dem privaten Hofrecht brechen (S. 2), das starre Hofrecht lösen
(S. 3), mit der Eröffnung des freien Marktes einen Keil in das Hofrecht treiben, an
dem es verbluten konnte (S. 4). Vgl. noch unten Anm. 340.
272) Entstehung des deutschen Städtewesens, S. 88 f.
273) Ursprung d. d. Sudtverfassung , S. 57 f. Entstehung d. d. Sudt-
genieinde, S. 71.
Io8 Aemter und Zünfte.
Allein weder die eine noch die andere Erklärung genügt in
jeder Hinsicht. Es handelt sich dabei nur um die nachträgUche
obrigkeitliche Ordnung, nachdem man die Zünfte selbst aus
freiem Genossenschaftstrieb hat hervorgehen lassen, worauf ihnen
durch die Obrigkeit die zu ihrer Zweckerfüllung unentbehrlichen
Zwangsbefugnisse verliehen wurden -'^^). Mit dem „Prinzip der
freien Einung", dem „lebhaften Associationstrieb", hat man es
immer noch zu leicht genommen, seiner schöpferischen Kraft immer
noch zu viel zugetraut. Das haben ohne Zweifel die Anhänger
der hofrechtlichen Theorie herausgefühlt; und namentlich ist es
wohl die Empfindung dieser Schwäche bei seinen Gegnern ge-
wesen, die Eberstadt zu seinem neuen Begründungsversuch
und seinem Eiertanz zwischen „Hand werker verbänden über-
tragenen Rechts" und solchen „eigenen Rechts", seinen „Bruder-
schaften", „Aemtern", und „Magisterien" geführt hat 2'^).
Jene Schwäche wird mit einem Schlage deutlich, sobald
man die Straßburger Handvverksämter, deren nicht grundherr-
lichen Ursprung ich im vorigen Kapitel nach so manchem Vor-
gänger noch einmal erwnes, nunmehr von dieser Seite ins
Auge faßt. Für Zünfte, die aus freiem Einungstriebe sich ge-
bildet haben, kann sie niemand erklären wollen 2^^). Das geht
schon deshalb nicht, weil die Zünfte, wie der geschichtliche Ver-
lauf zeigt und wie allgemein anerkannt ist, in jeder Stadt nur
nach und nach sich auftun, eine nach der andern, wie das Be-
dürfnis bei den einzelnen Gewerben sich meldet. Hier in Straß-
burg stoßen wir dagegen im 12. Jahrhundert auf eine voll-
ständige und gleichmäßige Organisation der gesamten Hand-
werkerschaft der Stadt 2") und sicher nicht als auf eine neue
274) Mehr meint v. Below auch an der zuletzt zitierten Stelle (Stadtgemeinde,
S. 71) nicht: „Die Zunft ist ein unter Sanktion der Gemeindegewalt errichteter Zwangs-
verband." Vgl. Wörterbuch der Volkswirtschaft, Bd. II, S. 978 b. Ferner Sohm,
a. a. O.
275) Zunftwesen, S. 3.
276) Gothein, Wirtschaf tsgesch. d. Schwarzwaldes, Bd. I, S. 23, hält die
Einteilung der Straßburger Handwerker nach Aemtern für eine in erster Linie mili-
tärische Organisation — wegen ihrer Unterstellung unter den Burggrafen — fühlt aber
selbst, daß er damit nicht weit kommt. Einen Versuch, ein festes Verhältnis zwischen
ihnen und den Zünften, die auf freier Einung beruhen, herzustellen, macht auch er
nicht. Vgl. auch a. a. O. S. 312 ff. und unten Anm. 391.
277) Ein fauler. Einwand würde der sein, daß man nicht wissen kann, ob es
außer den in dem Stadtrecht genannten organisierten Handwerken nicht noch andere,
Die weitere Aufgabe. lOQ
Erscheinung, auch wenn das Stadtrecht erst Ende dos Jahr-
hunderts aufgezeichnet worden sein sohte-^^). Sind aber diese
„Aeniter" hofrechthchen Ursprungs tatsächHch nicht, als was erklärt
man sie dann? Die Lücke ist offenbar, und recht bezeichnend hat
Croon bei seinem Versuche an der Hand der Nachrichten aus
einer langen Reihe von Stä«]ten die Entstehung der Zünfte in
jeder einzelnen zu ergründen, die Straßburger Aemter ausdrück-
lich ausgeschlossen — doch offenbar nur, weil er mit ihnen nichts
anzufangen wußte, weil sie in sein Schema nicht hineinpaßten 2^^).
Und dennoch gehören die von ihm behandelten Trierer und
Augsburger Verbände in genau dieselbe Kategorie. Sie alle
schweben einstweilen theoretisch in der Luft.
Hier also lieg^ die weitere Aufgabe: hoffentlich eine weniger
undankbare als die in der Hauptsache negativ gerichtete, die
uns soweit beschäftigt hat. Wir werden aber außerdem ver-
suchen müssen, überhaupt ein etwas lebensvolleres Bild von den
Anfängen des Zunftwesens zu gewinnen. Man hat da mit gar
zu wenigen, dürren Begriffen auskommen zu können geglaubt.
Man hat wohl im Prinzip zugegeben, daß die Entstehung der
einzelnen Zünfte hier und dort durch zufällige Umstände ver-
schieden beeinflußt worden ist, aber der ganzen Mannigfaltigkeit
des Lebens ist man, scheint mir, gerade auf dieser Seite durch-
aus noch nicht gerecht geworden.
Bei alledem aber zwingt uns die Verschiedenheit des Stand-
punktes zwischen einigen Vertretern der Lehre von der freien
Herkunft der Zünfte, die ich vorhin schon andeutete, noch ein-
mal an eine Untersuchung über die Quellen wichtiger Funk-
tionen des städtischen Lebens überhaupt heranzutreten: über
die rechtlichen Grundlagen der Tätigkeit der Stadtgemeinde
und ihrer Organe.
unorganisierte gegeben habe. Die Urkunde läfk keinen Zweifel darüber, daß alle Ge-
werbe der Stadt von irgend welcher Bedeutung der gleichen Organisation unter-
worfen waren, nur daß nicht alle dem Burggrafen unterstanden.
278) Aus dem ,.sehr hohen Grad der Entwicklung" des Handwerks mit
Rietschel, Deutsche Zeitschrift f. Geschichtswissenschaft, N. F. Bd. I (Vierteljahrs-
hefte), S. 42', auf die Spätheit des Straßburger Stadtrechts zu schließen, geht aus
später zu entwickelnden Gründen nicht an. Die Organisation der Basler bischöflichen
Verwaltung kann man nicht als Maßstab verwenden. Vgl. unten Kap. VIII.
279) Entstehung des Zunftwesens, S, 2'.
IIO Die Gemeindebefugnisse.
Darüber herrscht jetzt ja, dank v. Belowscher Kritik, Ein-
stimmigkeit, daß die Stadtgemeinde eine Ortsgemeinde ist, in
ihrem rechtlichen Wesen identisch mit der Landgemeinde. Sie
ist eine Realgemeinde, nicht eine auf gewillkürtem Zusammen-
treten ihrer Mitglieder beruhende Personalgemeinde ^*°). Daß
die meisten Städte im inneren Deutschland erwachsen sind aus
künstlich geschaffenen Ansiedlungen von Händlern und Hand-
werkern, nicht sich allmählich aus bäuerlichen Gemeinden in
bürgerliche umgewandelt haben, ändert daran nicht das geringste ^^),
so wenig wie eine verschiedene Größe der Allmende oder das
Fehlen oder Vorhandensein von Ackerland 282), Ebensowenig ist
Streit darüber, daß der Rat das Organ eben der Gemeinde
ist, daß aus ihren Befugnissen daher der Kern seiner Befugnisse
stammt. Nur sind sie in der Stadt, gemäß ihrem reicher ent-
falteten Leben, unvergleichlich vielseitiger geworden, als die einer
Landgemeinde und ihrer Organe es waren oder je sein konnten.
Jedoch eben diese reiche Entfaltung muß uns warnen, gar
zu einseitig jene sogenannte Landgemeindetheorie durchzuführen.
Der städtische Rat hat häufig genug, wenn das auch keineswegs
zu seinem notwendigen Wesen gehört, öffentlich-rechtliche, ja
landesherrliche Funktionen übernommen. Eben deshalb können
wir nicht alle Aeußerungen seiner Tätigkeit auf die Befugnis
der Ortsgemeinde schlechthin zurückführen.
Erwägungen solcher Art sind es, die uns zu leiten haben,
wenn wir die Rechtsquellen der Ordnung des städtischen Wirt-
280) Eine solche würde sie ihrem Ursprung nach sein, wenn eine Gilde ihr
Ausgangspunkt wäre. In den französischen Kommunen kommt das Element personaler
Vereinigung nachträglich zu dem realen, das die Ortsgemeinde bereits bot, hinzu. Vgl.
darüber meine Besprechung von Hegel, Städte und Gilden, English Historical Review
VIII, S. 123 f.. und meine Auseinandersetzung mit Pirenne und seiner Schule, Neue
Jahrbücher f. d. klass. Altertum, Bd. III (i), S. 296.
281) Deshalb betont auch Rietschel, dem jener Nachweis (Markt u. Stadt
in ihrem rechtlichen Verhältnis) verdankt wird, die „begriffliche Gleichstellung von
Stadt- und Landgemeinde", a. a. O. S. 163'. Femer: „Die Funktionen dieser Stadt-
gemeinde sind begrifflich dieselben wie die Funktionen der Landgemeinde", S. 162.
282) Das Zurücktreten der Allmende bei der Stadt ist ein Punkt, den Uhlirz in
seiner übrigens wertvollen Besprechung von v. Belows Arbeiten, MIÖG. Bd. XV (1894),
S. 493, mit Unrecht urgirt. Unverständlich ist auch sein Satz : „Dazu kommt, daß
das Wort Landgemeinde an sich einen Gegensatz zur Stadtgemeinde bezeichnet, daß
man also von Landgemeinden erst nach der Ausbildung der Stadtgemeinde sprechen
sollte." Wenn es vor der Entstehung der Städte nur Landgemeinden gab, warum soll
man sie nicht so nennen ?
Gemeinde und Staat. III
Schaftslebens untersuchen. Versteifen wir uns hierbei darauf, daß
der Rat das Organ der Stadtgemeinde, die Stadtgemeinde in
ihrem Wesen der I^ndgemeinde gleich ist, zu deren Befugnissen
aber die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse gehört, wie
es an sich ohne Zweifel wahr ist: so müssen wir freilich zu dem
Ergebnis kommen, daß auch die Ordnung des Marktes, sobald
der Rat sie in die Hand nimmt, die Maß- und Gewichtspolizei
und die Regelung des Zunftwesens auf dieser Grundlage beruhen.
Sehen wir aber, daß unter Umständen auch der Staat in diese
Dinge eingreift, so ergibt sich, daß wir, ohne vorhergehende er-
neute allgemeine Festlegung der Beziehungen von Staat und
Gemeinde, über die Geschichte der Ordnung des Zunftwesens nichts
wissen. Jene Festlegung ist daher für uns Voraussetzung. Die
Zunftgeschichte aber will in ihrem eigenen Zusammenhange be-
trachtet werden; von ihrem Standpunkte aus mögen die Funktionen
jener beiden Potenzen unter neuen Gesichtswinkeln erscheinen:
aber sie selbst läßt sich nicht der Geschichte der Befugnisse, sei
es nun der Gemeinde, sei es des Staates a priori unterordnen.
Zu dem Wesen der Gemeinde gehört, daß sie ein eigenes
Recht, eigene Befugnisse, eigene Organe, kurz Autonomie besitzt.
Ich sage, das gehört zu ihrem Wesen und es beruht darauf, daß
sie nicht eine künstliche Abteilung des Staates ist, wie es Pro-
vinzen, Regierungsbezirke, Kreise sind, an deren Spitze er eigene
Beamte mit bestimmten Aufträgen stellt. Der Gemeinde kann
freilich der Staat ebenfalls eigene Beamte mit von ihm bestimmten
Befugnissen vorsetzen; aber sie bildet eine natürliche Gemein-
schaft — auch nicht bloß eine historisch gewordene, wie sie etwa
einer Provinz zu Grunde gelegt werden kann — bei der die
Evidenz der unlöslichen Zusammengehörigkeit ihre Mitglieder in
einzigartiger Weise zur Selbstwahrung ihrer gemeinsamen Inter-
essen trotz aller möglichen Eingriffe des Staates geradezu zwingt.
Eben hierauf beruht im letzten Grunde die für die Erkennt-
nis der älteren deutschen Rechtszustände und besonders für die
Geschichte der Stadtv^erfassung so unermeßlich bedeutsame Gegen-
überstellung von Gemeindekompetenzen und öffentlichen Kompe-
tenzen, Gemeindegericht und öffentUchem Gericht, wie sie in
seiner fränkischen Reichs- und Gerichtsverfassung So hm durch-
geführt hat. Allein doch auch in diesem Falle läßt das lebendige
geschichtliche Leben ein starres logisches Festhalten an dem
Gegensatz, ein mechanisches Operieren mit den Begriffen nicht zil
112 Maß und Gewicht.
„Man kann doch nicht sagen , daß gewisse Kompetenzen
mit dem Begriffe der Gemeinde, andere mit dem der Staats-
gewalt ein für allemal verknüpft seien '-^^3)." Denn soweit die
Natur keine Schranken zieht, ist die Kompetenz des Staates un-
begrenzt. Das Maß der Gemeindeautonomie beruht auf Duldung,
mag nun diese Duldung zu ihrem Grunde haben Anarchie oder
bewußte Absicht des Staates '^^^). Deshalb kann man auch sagen:
die Befugnis der Gemeinde begreift solche Dinge in sich, für
deren Handhabung dem Staate das Interesse oder die Organe
fehlen. Der Streit aber darüber, ob dies und jenes prinzipiell zu
den Kompetenzen des Staates oder der Gemeinde gehört, er-
innert einigermaßen an die Diskussion, ob das Marktrecht von
Hause aus ein Regal gewesen sei. Schöpfer der Märkte war
der Staat nicht und so hat es denn das ganze Mittelalter hin-
durch und darüber hinaus Märkte gegeben, die außer aller Beziehung
zu ihm standen, grundherrliche und die bei Kirchweihen gehalten
wurden, von denen er gar keine Notiz nahm. Aber es konnte
der Zeitpunkt eintreten — und er trat sehr früh ein — wo ge-
wisse Märkte in irgend einer Hinsicht eine solche Bedeutung an-
nahmen, daß für sie eine staatliche Regelung unabw^eislich
wurde.
So verhält es sich auch mit dem Inbegriff der Gemeinde-
kompetenzen und der Frage, die uns speziell interessiert, der nach
der Regelung des Maß- und Gewichtsweseus.
Georg Küntzel ist es gewesen, der zuerst mit durch-
schlagendem Erfolge die Betätigung des altdeutschen Staates
auf dem Gebiete des Maß- und Gewichtswesens erwiesen hat 2^^).
Indes können doch auch seine Ausführungen, so dankenswert sie
sind, noch nicht als letztes Wort in der Frage gelten. Er be-
schäftigt sich zu ausschließlich damit, die Theorie von der ein-
seitigen Kompetenz der Gemeinde zu widerlegen und das Ein-
greifen staatlicher Gewalten nachzuweisen, ohne zu einer historisch-
283) Meine Untersuchungen S. 210.
284) Unter Anarchie verstehe ich hier nicht nur die im Gefolge der Auflösung
eines Staatswesens, sei es durch Krieg oder Revolution, eintretende, sondern ebenso gut
die primäre, der Ausbildung des Staates vorangehende.
285) Ueber die Verwaltung des Maß- und Gewichtswesens in Deutschland
während des Mittelalters (Schmollers Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen,
Bd. XIII, 2, Leipzig 1894). Dazu v. Below in Zeitschrift f. Sozial- u. Wirtschafts-
geschichte, Bd. III, S. 481 ff.
Der merowingische Staat. I i j
sicheren Abgrenzung der Wirkungskreise beider Potenzen
durchzudringen.
Im fränkischen Reiche erwachte ein Interesse des Staates
an der Regelung des Maß- und Gewichtswesens unter den großen
Herrschern aus dem Arnulfingischen Hause.
Mögen die merowingischen Könige auch als Erben aller
Machtvollkommenheit der römischen Imperatoren auf diesem Ge-
biete wie auf manchem andern zu betrachten sein; und mögen
sie in den von ihnen eroberten Provinzen ein außerordentliches
Beispiel der Eing^riffe der Staatsgewalt in alle Gebiete des wirt-
schaftlichen Lebens vorgefunden haben : so fehlt es uns doch durch-
aus an Nachrichten, daß sie solchen Aufgaben gerecht zu werden
auch nur versucht hätten; während andererseits der allgemeine
wirtschaftliche wie kulturelle Niedergang, der die ganze mero-
wingische Epoche kennzeichnet, auch nicht den mindesten Zweifel
an ihrer Undurchführbarkeit zuläßt *^"'').
Auch dem karolingischen Staate fehlte es an zulänglichen
Organen und Mitteln. Durch die eindringende Genauigkeit
mancher Bestimmungen darf man sich darüber nicht täuschen
lassen. Es wiederholt sich hier die Erfahrung, die wir schon bei
286) Die Stelle, die Küntzel S. 10 aus dem Edikt Chilperichs über „das
alte Herkommen im Gewichtswesen" anführt, ist nichts weniger als „ein unzweideutiges
Zeugnis'*. In Boretius Kapitnlarienausgabe, Bd. I, S. 10 § 11, lautet das von
Küntzel mit „tronica" wiedergegebene Wort „tronia". Die Lesart ist zweifelhaft.
Boretius glaubt an eine Korruption von „trustis" und vermutet eine Bestätigung
des Pactus Childeberti et Chlotharü pro Tenore Pacis, a. a. O. S. ", über
die Verfolgung der Räuber, was viel für sich hat. — Verordnungen für Italien,
mögen sie nun von Justinian oder von Theoderich erlassen sein (Küntzel, S. 10' u. *),
können nicht dienen, da sich dort noch ein unvergleichlich höherer Grad wirtschaft-
licher Kultur erhalten hatte. — In Karls des Kahlen Edictum Pistense von 864
findet sich in dem Absatz über die Bestrafung der Verwendung unrechter Maße und
Gewichte die Bestimmung: „In Ulis autem regionibus in quibus secundum legem
Romanam iudicantur iudicia, iuxta ipsom legem committentes talia iudicentur; quia
super Ulam l^em vel contra ipsam legem nee antecessores nostri quodcumque capitulum
statuerunt nee nos aliquid statuimus (Boretius-Krause, Bd. II, S. 318 f.; vgl. Be-
rufung auf dieselbe lex bei Münz- und Metallvergehen, dort S. 315 § 13, S. 316 § 16,
S. 320 § 23). Das römische Recht hatte also in gewissen Teilen des Reiches auch
in dieser Materie andauernd gegolten, aber, wie sich ziemlich klar ei^bt, nur in for-
maler Weise, d. h. ohne daß die Regierung bis dahin seiner Handhabung Aufmerk-
samkeit geschenkt hätte. Für die Lande deutschen Rechts aber — und das ist das
Wesentliche — hatten die fränkischen Könige für die Ordnung von Maß, Gewicht und
verwandten Dingen aus dem römischen Recht demnach überhaupt keine Be-
fugnisse entnommen.
Keutgen, Aeniter und ZQnftc. °
114
Maß und Gewicht.
der Würdigung des Capitulare de Villis gemacht haben 2*'").
Und ein volles Eingeständnis bringen die Klagen der Bischöfe
gegenüber Ludwig dem Frommen vom Jahre 829:
De mensurarum namque inaequalitate et modus inuistis
et sestariis, .... qualiter res ad certam correctionem per-
duci possit, non satis perspicue nobis patet^**^).
Die während zweier Generationen unermüdlich festgehaltenen
Bestrebungen waren also erfolglos geblieben: man konnte es sich
nicht länger verhehlen, daß man, wie zu Werke zu gehen wäre,
nicht wußte. Falsch aber ist es, hier eine „schon unter Ludwig
dem Frommen... gar nicht mehr zu bekämpfende Unsicherheit
und Verschiedenheit der Maße und Gewichte" konstatieren zu
wollen ^^'*). Vergangen war freilich die idealische Energie, mit
der ein Karl zur Ausrottung ureingewurzelten Mißstandes sich
stets von neuem gegürtet hatte. Wären aber seine Maßregeln
zu seinen Lebzeiten nur irgendwie von Erfolg gekrönt gewesen,
so würden unter seinem Sohne die Bischöfe auf ihn vei wiesen,
nicht ihre völlige Ratlosigkeit eingestanden haben.
Die Bemühungen Karls des Großen, auch auf dem Gebiete
des Maß- und Gewichtswesens endlich Ordnung zu schaffen,
haben etwas unbeschreiblich Großartiges. Sie sind zu verstehen
nur als ein Teil der ganzen „karolingischen Renaissance", nicht
einfach als fortgesetzte Uebung altüberkommener Rechte, über
die uns nur seit jener Epoche die Ueberlieferung reichlicher flösse.
Andererseits waren sie den Zeiten und ihren Möglichkeiten weit
voraus. Die Tätigkeit der Gemeinden aber auf diesem Felde
— und neben ihnen die anderer lokaler Gewalten — kann man
nicht erst als im Gefolge des Niederganges und Unterganges
des karolingischen Weltreiches eingetreten betrachten.
Die karolingische Gesetzgebung hat vielmehr einen Zustand
lokaler Betätigung geradezu zur Voraussetzung. Er ist es, den
sie bekämpft. Es ist unvorstellbar, daß, wenn bis zu ihr es nichts
287) Vgl. oben S. 13 ff.
288) Boretius-Krause, Bd. II, S. 44,6 ff. Dazu unten S. 120.
289) So Küntzel, S. 13. Schief ist es auch, wenn er S. 13 f. ,,eine aus
dem Interesse der allzu selbständigen Beamten, vielleicht auch der Gnmdherren sich
herleitende Opposition", die sich ,, unter dem schwächeren Königtum" ,,geregt" hätte,
für die allgemeine Unsicherheit auf dem Gebiete des Maß- und Gewichtswesens ver-
antwortlich machen will. Eine so vornehme Charakterisierung verdient die ganz ele-
mentare, eingefleischte Ausbeutimg der Schwachen nicht.
Gebrauch in der Frühzeit.
"5
Derartiges gegeben, wenn sie eine unbeschriebene Tafel vor-
gefunden, wenn sie Maße und Gewichte erst geschaffen hätte,
daß dann so rasch die allgemeine Anarchie eingerissen sein sollte.
Die Anfänge dieser Dinge liegen eben viel weiter zurück.
Es mag ja schwer sein, einen genaueren Einblick zu ge-
winnen, inwieweit in ganz einfachen ländlichen Verhältnissen, in
karolingischer oder vorkarolingischer Zeit, ein Gebrauch geaichter
Maße und Gewichte überhaupt in Frage kam. Gefehlt haben
kann es daran jedoch nirgends. Es war nicht etwa irgend ein
Handelsaustausch dazu nötig. Schon als der „servus" den
Tacitus kannte, seinem Herrn „frumenti modum" entrichtete-^"),
kann es ohne eine Bemessung des Maßes, eine noch so rohe
Aichung nicht abgegangen sein. Ob aber hier die Willkür des
Herrn, also des Grundherrn, verfügte, oder ob die Gemeinde
bestimmend eingriff, wie wenn die Hörigen allgemein ihrem
Schutze unterstanden, wissen wir nicht. Jedenfalls kann nur von
der Gemeinde die jährliche Zumessung des Ackerlandes an die
einzelnen Mitglieder ausgegangen sein. Und spätestens von dem
Augenblicke an, wo man zu Dreifelderwirtschaft und dauernder
Zuteilung des Ackerbodens überging, müssen die Seile (repe),
mit denen die einzelnen Ackerstreifen abgemessen wurden, der
Kontrolle der Gemeinde unterstanden haben ^^i).
Ob diese Gemeinde aber die Völkerschafts-, die Gau- oder
die Dorfgemeinde war oder die „Markgenossenschaft", ist prak-
tisch von keiner Bedeutung: wir wären sonst zu einer Erörterung
über die Anfänge der Völkerschaften selbst gezwungen. Eine
dauernde Kontrolle der in den Einzelgemeinden angewandten
290) Gennania c. 25.
291) Ueber Maßseile und Maßruten in althochdeutscher Zeit vgl. auch Grimm,
Rechtsaltertümer-', Bd. II, S. 67 f. ('-* S. 541). Mit den im dritten Kapitel der
Einleitung zu den Rechtsaltertümem in so großer Zahl zusammengestellten Belegen
über die Verwendung von Xaturmaßen ist leider, eine so anregende Lektüre sie ge-
währen, für unsere Zwecke so gut wie nichts anzufangen. Sie tragen nicht einmal die
icwähr der Altertümlichkeit in sich, wie No. 23 der ,,Vermisditen Fälle" beweist:
./^wei pipen tobak wit". Mit andern Worten, zu solchen natürlichen Bemessungen
Whantasiemaße möchte man sie nennen) greift das Volk immer wieder, auch wenn es
sich im Ernst der Geschäfte längst genauer Maße bedient. In anderen Fällen wird
Sf^r für das ,,Naiur"meßwerkzeug die Größe genau bemessen: B. Berührung No. 7
..ein recht gemezzen sper*'; No. 8 „eine gleven van 18 voeten** und „eine.gelave ,
die sali sin 16 voet lank"; No. ii ,,ene axe, de stiel ener ehien lang"; No. 14 „mit
einer bylen, dat helf einen eilen lang" ; u. s. w. Es wäre eine gründliche Sichtung
vonnöten, nach Quellen und Verwendungsumständen.
j 1 5 Maß und Gewicht,
Maße durch die Völkerschaft war ausgeschlossen. Inzwischen
hatte die Völkerschaft aufgehört zu existieren und so blieb auf
alle Fälle die ganze Angelegenheit den Händen der Dorf-
gemeinden und der Markgenossenschaften , kurz der lokalen
Körperschaften überlassen, neben denen bald auch die größeren
Fronhöfe sich eigenmächtig bezeigten. So konnte also die größte
lokale Verschiedenheit nicht ausbleiben. Diesem Zustande, der
unerträglich erst in dem Augenblicke strafferer staatlicher Zu-
sammenfassung wurde, wollte die karolingische Gesetzgebung ein
Ende machen. Allein es war noch viel zu früh: die historischen
Mächte waren noch viel zu stark.
Der Fehler ist eben auch hier, daß man bei der Erörterung
dieser Dinge auf Grund der karolingischen Kapitularien , trotz
aller Warnungen, di6 das Material selbst bietet, fast ausschließlich
auf die Verwendung von Maßen und Gewichten im Handel sein
Augenmerk gerichtet hat-'*'^). Die Aichung der Maße und Ge-
wichte für den Markt war indes nur ein akuter Fall. Hier
werden im Verkehr zwischen Händlern und Konsumenten —
denn Händler untereinander sehen sich in diesem Punkte selber
vor, wie gegenüber jeder anderen Art von Ueber vorteilung —
Betrügereien freilich oft genug vorgefallen sein und kamen am
leichtesten zu öffentlicher Kenntnis, machten am lautesten von
sich reden. Allein für die Masse des Volkes standen- sie nach
damaligen Verhältnissen an Bedeutung keineswegs an erster Stelle.
Der handelspolizeiliche Gesichtspunkt steht deshalb auch in
den Kapitularien durchaus nicht im Vordergrunde. Es handelt
sich vielmehr in erster Linie um eine Fürsorge für die „Armen",
wo immer diese sich gegen einen Mißbrauch ungleicher Maße
und Gewichte durch Mächtigere nicht zu wahren vermochten.
Das zeigt schon die einzige Verordnung Pippins, die sich
mit diesen Dingen beschäftigt, wenn man die Stelle vollständig
zitiert. Jeder Bischof
per omnes civitatis legitimus forus et mensuras faciat
secundum habundatia temporis-'*^).
292) Vgl. Küntzel, S. 11^: ,,Aber es wird dadurch [das unten zitierte Capi-
tular Pippins] klar, wo man eine öffentliche Beaufsichtigung brauchte, während das
Land bei dem fast gänzlich fehlenden Verkehr vollkommen in den Hintergrund trat."
Mit dem Verbrauch von Münzen, worauf Küntzel sich weiter bezieht, verhält es sich
eben durchaus anders.
293) Capitulare Suessionense 744, März 2, Boretius, Bd. I, S. 30 § 6.
Küntzel, S. n', läßt die letzten drei Worte weg.
Verwendung außerhalb des Marktverkehrs. 1 1 n
Der König befiehlt, daß, je nach dem Ausfall der Ernte,
jeder für sein Geld sein gerechtes Maß erhalten soll: von der
Verwendung eines gleichen königlichen Normalmaßes in allen
Städten ist hier so wenig die Rede, wie von einer allgemeinen
Einrichtung von Märkten in der Art, wie es etwa später durch
die Marktprivilegien geschah.
In wie mannigfacher Weise aber im Leben der Menschen
damals Maße und Gewichte viel häufiger zur Verwendung kamen,
als in irgend einer Form des Handelsverkehrs, darüber unter-
richten uns die Kapitularien an verschiedenen Stellen.
Einmal bei der Zahlung von Bußen: da haben wir eine aus-
gedehnte Verwendung für ein legalisiertes Maß z. B. auch unter
den einfachen wirtschaftlichen Verhältnissen der Sachsen -•'*).
Sodann bei der Entrichtung aller Arten von Abgaben und
Leistungen, öffentlicher '^^^) wie privater '»^ und kirchlicher-*^ in
der Lorm von Getreide. Gerade hier belehren uns die Kapitu-
larien, wie durch Verwendung ungleichen Maßes die Schwächeren
vergewaltigt zu werden pflegten. Und hier handelt es sich um
Dinge, die das ganze Volk, auf dem Lande noch mehr als in
der Stadt, und in seinem regel massigsten Lebensgange trafen.
294) Capitulare Saxonicum vom 28. Oktober 797 § 11 (Boretius, Bd. I,
S. 72): Umrecfaniuig der nach solid! bemessenen Bußen in scapUi Getreide und siglae
Honig. Vgl. Lex Saxonum § 66, MG. LL. V, S. 83 f.
295) Z. B. Capitulare Aquisgranense 801 — 813, Boretius, Bd. I,
S. 171 § 8 : alle Gerichtspflichtigen sollen den beiden Wolfjägem der Hundertschaft
„modium unum de annona" liefern. Femer Darbietung bestimmter „modii" Getränk
an die Missi und Futter für ihre Pferde: Bd. 1, S. 291 § 29 a. 819.
296) Es genügt der Hmweis auf jegliche Aufzeichnung über die Einkünfte von
Klöstern und Kirchen. Vgl. aber auch die folgende Anm. — Uebrigens kennt
Küntzel alle diese Verhältnisse wohl, wenn er sie auch falsch bewertet. Vgl. oben
Anm. 289.
297) Z. B. bei Entrichtung des Zehnten. Auch die Geistlichkeit war über die
Verwendung falscher Maße und Gewichte durchaus nicht erhaben. Concilium
Moguntinum, i. Oct. 847, Boretius-Krause, Bd. II, S. 179 J? 13 (nach Conc.
Mc^. von 813): ,,De clericonmi vita sive monachorum pondera iniusta vel
mensuras habere". Vgl. auch die Verordnung der Führung rechter Malk gerade in
Klöstern, Admonitio generalis von 789 unten S. 119. Femer Capitula ad
Lectionem Canonum et Regulae S. Benedict! pertinentia, 802, Oct. (?),
Boretius, Bd. I, S. 108 § 20: .,De pauperibus hominibus considerandum est, sub
quali mensura censa debeant solvere annua". - Vgl. auch noch Brevis Adalhards
für Corbie (oben Anm. 78), S. 311 cap. VI: jährlich sollen 750 Körbe „de spelta
bene ventilata et mundata" einkommen, „unusquisque corbus habens modia XII bene
coagitata et rasa, ad istum novum modium quem domnus imperator posuit".
I 1 8 Maß und Gewicht.
Wie sehr aber gerade diese Verhältnisse, die zum Handel
in keiner Beziehung stehen, bei der Regelung des Maß- und
Gewichts Wesens den Gesetzgeber in allererster Linie beschäftigten,
das zeigt vor allem eine merkwürdige Stelle, die stets als ein
besonders schlagender Beweis für die Vorsorglichkeit des Staates
für Gerechtigkeit im Verkehr angeführt worden ist. Ich spreche
von dem Briefe, den Ludwig der Fromme 8i6 oder 817 an die
Erzbischöfe seines Reiches — unter den erhaltenen Exemplaren
befindet sich das für Arno von Salzburg bestimmte — gerichtet
hat und worin er bekannt gibt, daß er dem Empfänger Gewicht
und Maße schickt
secundum quae clericis et sanctimonialibus panis et potus
aequaliter tribuenda sunt 2^^).
Also deshalb, damit Kleriker und Nonnen ihr Deputat an
Brot und Trank erhalten, deshalb muß der Kaiser sämtlichen
Erzbischöfen geaichte Maße und Gewichte senden!
Indes darf man auch die Häufigkeit der Anlässe zum Ein-
kauf und Verkauf gerade von Getreide keineswegs unterschätzen
— Transaktionen, die aber nicht als auf die Märkte beschränkt
zu denken sind, sondern jedenfalls auf dem Lande unter Nach-
barn zu gelegener Zeit auch unter der Hand stattfanden -^^). Auch
298) Boretius, Bd. I, S. 342. — Demnach war es also neuerdings not-
wendig geworden, auch an die Erzbischöfe Normalmaße zu versenden, die nebst den
Bischöfen somit regelmäßig mit der Verwaltung von Maß und Gewicht nichts zu tun
hatten. Die mit dieser regelmäßig betrauten Beamten — „comes et rei publicae
ministri ac ceteri fideles nostri" (Edictum Pistense § 20, Boretius-Krause,
Bd. II, S. 318) — scheinen ihre Maße in der Pfalz aichen oder von dort Normal-
maße sich haben kommen lassen müssen. „Mensuram de palatio nosiro
accipiant", heißt es a. a. O. : sie werden aufgefordert, empfangen nicht ohne weiteres
wie jene Erzbischöfe. Unten Anm. 508. Entsprechend war auch nach dem Capi-
tulare de Villis § 9 für die Domänen-Amtmänner das Halten von Gemäßen, wie
sie an der Pfalz im Gebrauch waren, Vorschrift. Demgemäß Brevium exempla
§ 29 (Asnapium, Boretius, Bd. I, S. 255): ,, Mensuram modiorum et sestariorum ita
invenimus, sicut et in palatio". Hier wird aber auch zweimal das Vorhandensein von
Getreide „modii ad minorem mensuram" erwähnt (S. 254 § 25) : vgl. dazu unten
Anm. 304.
299) Synodus Francofurtensis, 794 Juni, Boretius, Bd. I, S. 74 § 4:
i,ut nullus homo carius vendat annonam, sive tempore abundantiae sive tempore
caritatis" etc. ,,Si vero in pan evendere voluerit" etc. Capitulare Missorum von
Nymwegen, 806 März, Boretius, Bd. I, S. 132 § 18 (Hungersnot): „si
annonam habuerit et venundare voluerit, non carius vendat" etc. — Auch von den
Domänen wurde Getreide verkauft. Boretius, Bd. I, S. 74 § 4 : ,,De vero anona
publica domni regis, si venundata fuerit" etc. Vgl. Cap. de Villis, oben S. 56.
Der Kern der Gleichheitsforderung. I 1 g
die Kunst. Getreide und Wein zur Erntezeit aufzukaufen, um es
^ßät^Jjeuer zu verkaufen, war bereits bekannt '"<'), Jedoch be-
durfte man zur landesüblichen Form des Wuchers wiederum
nicht der Intervention des Geldes: man borgte Getreide, um ein
grösseres Quantum zurückzuerhalten ^'*^).
Wenn nun aber auch aus allen diesen Gründen ein gleiches
Maß und gleiches Gewicht für das ganze Reich von Karl dem
Großen eingeführt wurde, so blieb doch daß wichtigste, daß
kein Doppelmaß von den einzelnen verwandt wurde. Das ist
das einzige, was sich mit Sicherheit als seine früheste For-
derung in diesen Dingen erkennen läßt, wenn er in der Ad-
monitio generalis vom 23. März 789 verlangt:
§ 74. Ut aequales mensuras et rectas et pondera iusta et
aequalia omnes habeant, sive in civitatibus sive in mona-
steriis, sive ad dandum in illis sive ad accipiendum^*^-).
Der Nachdruck liegt auf den letzten Worten, die die ersten
erklären sollen. Und so wird man auch in der Folge den Kern
der stets wiederholten Forderung gleichen Maßes und gleichen
Gewichtes 3°3) in der Gleichheit im Geben und Nehmen sehen
müssen, wenn auch die versuchte Einführung gleichmäßiger
Maße und Gewichte für das ganze Reich, die aber erst 794
stattfand, dazu die einzig zuverlässige Grundlage gewähren
sollte 30*).
300) Boretius, Bd. I, S. 132 § 17 (a. 806): „Quicumque enim tempore
messis vel tempore vindeniiae non necessilate sed propter cupiditatem comparat annonam
aut vinum et servat usque dum iterum venundare possit" etc. „Si autem
propter necessitatem comparat, ut sibi habeat et aliis tribuat" etc. Wenigstens der
Aufkauf in spekulativer Absicht wird kaum auf öffentlichem Markte stattgefunden
haben: Bd. I, S. 152, a. 809: § 12 „De illis qui ^-inum et annonam vendunt antequam
colligantur et per hanc occasionem pauperes effidantur*'.
301) Boretius, Bd. I, S. 132 § 11. „Multiplicia atque innumera usurarum
genera" werden Bd. II, S. 43 § 54 gerügt.
302) Boretius, Bd. I, S. 60. — Es lag daran, daß neben Beamten und
Handeltreibenden vor allem die Grundherren gerechte Malie besaßen. Daher die Her-
vorhebung der Klöster. Vgl. oben Anm. 297.
303) Vgl. noch Boretius, Bd. I, S. 104 § 44 a. 802 (?) ; S. 115 § 8 a. 803;
S. 146 § 10 a, 803—813; S. 174 § 13 a. 813; und die folgenden Anm^. Femer
Boretius, Bd. I, S. 150 § 8, a. 809: S. 152 § 8 a. 809.
304) Im Juni 794, Frankfurter Synode, Boretius, Bd. I, S. 74 § 4,
ist zuerst von dem „modius publicus it no\'iter statutus" die Rede. Vgl. auch
Capitulare Missorum von Nymwegen, März 806, Boretius, Bd. I, S. 132
§ 18: ,,Et ipsum modium sit, quod omnibus habere constitutum est". Es versteht
120 Maß und Gewicht.
Besonders auffällig bestätigt findet sich das in dem Nym-
wegener Capitulare Missorum vom März 806, wo, nachdem
soeben erinnert ist, daß die angesetzten Teuerungspreise sich
von dem
modium, . . quod omnibus habere constitutum est,
verstehen, der Gesetzgeber mit der Begründung fortfährt:
ut unusquisque habeat aequam mensuram et aequalia
modia^'^s^.
Dies ist der Zweck: das „modium constitutum" nur das Mittel.
Jene ratlosen Bischöfe aber unter Ludwig dem Frommen
beschränken resigniert ihre Wünsche überhaupt auf diesen allein
wesentlichen Punkt:
ut saltem nullus duplices mensuras in sua dominatione
aut habeat aut haberi permittat ^o").
Und bald war man zufrieden, wenn im öffentlichen Verkehr
wenigstens an jedem Ort ein anerkanntes, geaichtes Maß zur
Anwendung kam:
mensura, quae publica et probata ac generalis seu legi-
tima per civitatem et pagum atque vicinitatern
habetur 30-).
sich jedoch, angesichts der öffentlichen Zahlungen in Getreide, daß es ein im groben
gleiches Maß bereits gegeben haben muß. Und zwar verhielt es sich zu dem neuen
wie 2 zu 3 : Capitulare Missorum (802 ?), Boretius, Bd. I, S. 104 § 44: „qui
antea dedit tres modios, modo det duos". Die alten lokalen Abweichungen waren
natürlich nur lelative. Die Einführung eines ganz neuen, wesentlich verschiedenen
Maßes aber mochte der sicherste Weg scheinen, mit der bisherigen Verwirrung aufzu-
räumen. Daß daneben selbst auf den Domänen noch das alte Maß in Gebrauch blieb,
darüber vgl. oben Anm. 298. — Natürlich ist mir wohlbekannt, daß die Maß- und
Gewichtsreform auch zu der Münzreform in Beziehung steht. Bei der Durchführung
der Gleichheit der Maße und Gewichte im ganzen Reiche kommt dieser Gesichtspunkt
jedoch nicht in Frage. Es liegt deshalb auch kein Anlaß zu Auseinandersetzungen
mit Soetbeers Untersuchungen, Forschungen z. d. Geschichte, Bd. I, II, IV und VI
vor. Vgl. jedoch unten Anm. 307 am Schluß und Anm. 311 ff.
305) Boretius, Bd. I, S. 132 § 18.
306) Boretius - Krause, Bd. II, S. 44,9. Vgl. oben S. 114. Wieder
mit der Begründung: „quoniam hac occasione mullos pauperes adfligi in plerisque locis
cognovimus". Vgl. auch Episcoporum ad Hludowicum Imperatorem Re-
latio circa 820, Boretius, Bd. I, S, 367 § 7 : ,,Ut aequales mensurae et iuste in
omnibus provinciis imperii vestri sint Quapropter diversitatem mensurarum in
multis pauperes valde gravantur. Census tamen singularum provinciarum antiquitus
constitutus huius rei occasione pauperibus non augeatur".
307) Capitulare Septimanicum, Juni 844, Boretius-Krause, Bd. II,
S. 256 § 2, — In diesem Zusammenhange wäre auch das Capitular Lotbars für
Beschränkung der Ansprüche. 1 2 i
Karl der Kahle hat noch einmal energisch die ganze An-
gelegenheit in die Hand genommen. Er verlangt, daß die
Diener des Staates das Maß von der Pfalz kommen lassen. Aber
die Gesichtspunkte sind wieder: einmal, daß sie nicht von den
Zensiten ein zu großes Maß verlangen; dann, daß bei Kauf und
\'erkauf in Stadt und Land ein gerechtes und gleiches Maß zur
Anwendung komme ^o«). Daß aber der Erfolg ein besserer ge-
wesen sei als unter Karls Großvater, wird niemand glauben.
Vielmehr war eine weitere Maßregel, die der Sicherung lokaler
Gleichförmigkeit zu dienen bestimmt war und deren historische
Bedeutung wir sogleich einsehen werden, nur die interlokale Un-
gleichheit zu fördern geeignet. Ja sie mußte sie sogar legali-
sieren; und auf der Kraft, die sie als karolingisches Gesetz be-
saß, beruht es, daß sie auch in Deutschland wirksam wurde.
Ehe wir dieser Maßregel aber näher treten, ehe wir sie
zu würdigen unternehmen, müssen wir uns noch einmal ver-
gegenwärtigen, was bei dieser ganzen Untersuchung über Maße
und Gewichte in der Frühzeit sich als das Wesentliche darstellt:
ein Doppeltes.
Erstens, daß die größte lokale Verschiedenheit der Maße
und Gewichte im fränkischen Reiche bereits in vorkarolingischer
Zeit bestand und daß sie durch die karolingische Gesetzgebung
ganz und gar nicht hat beseitigt werden können. Zweitens aber,
daß es im damaligen täglichen Leben für jeden mittelbaren wie
unmittelbaren Staatsbürger regelmäßige Anlässe zum Gebrauch
von Maßen und Gewichten gab, bei denen kein Handelsaustausch
Italien vom Februar 832 zu erwähnen, Boretius-Krause, Bd. II, S. 63 (womit
Boretius das von Küntzel, S. 14 noch Ludwig IL zu 856 zugeschriebene iden-
tifiziert) § 3 : „Ut missi nostri per singulas ci\-ilates mensuram antiquam inquirant, et
nemo neque emere neque vendere praesumat nisi ad ipsam mensuram." Dieses alte
Maß, das die Missi in jeder einzelnen Stadt durch Liquisitions-Verfahren feststellen
sollen, kann trotz Soetbeer, FDG., Bd. VI, S. 79, nicht Karls Reichsmaß, sondern
nur das alte Ortsmaß sein.
308) Boretius-Krause, Bd. II, S. 318 § 20: „provideant, quatenus >iustus
modius aequusque sextarius« secundum sacram scripturam et capitula praedecessorum
nostrorum in civitatibus et in vicis et in villis ad vendendum et emendum fiat
et mensuram secundum antiquam consuetudinem de palatio nostro accipiaot, et non pro
hac occisione a mansuariis vel ab his, qui censum debent, maior modius, nisi sicut
consuetudo fuit, exigatur". — Die Bibelstelle in Anführungszeichen ist nach S- 318'**
aus Leviticus 19, 36.
1122 Maß und Gewicht.
mitspielte, und daß ihre Verwendung auf dem Markte nur einen
ganz speziellen Fall darstellt.
Hiermit ist für die weitere Entwickelung ein doppeltet
Ausgangspunkt gegeben: es ist getrennt zu halten die Ver-
waltung von Maß und Gewicht im Gerneindeleben und ihre
Verwaltung auf dem Markte.
Die Städte aber sind sowohl Gemeinden wie Stätten des
Marktverkehrs. So ist anzunehmen, daß für sie beide Reihen
■der Entwicklung von Bedeutung geworden sind und es fragt
^ich nur, wie.
Die Maßregel Karls des Kahlen von 864, auf die soeben
angespielt wurde, nennt als die regelmäßigen Beamten, denen die
Aufsicht über die Maße und Gewichte anvertraut wird,
comes et rei publicae ministri ac ceteri fideles nostri^'^'*).
Unter ihnen aber wird jetzt für jede Gemeinde, einerlei ob in
■Stadt oder Land, eine eigene Behörde eingesetzt, die die unmittel-
bare Aufsicht (es heißt in beiden Phallen „provideant") auszu-
üben hat:
Et ipsi homines, qui per villas de denariis provi-
dentiam iurati habebunt, ipsi etiam de mensura, ne adul-
teretur, provideant.
Von diesen „homines" war schon an einer früheren Stelle die
Rede, auf die das Edikt sich bezieht. Da hieß es nämlich:
§ 8 Et in Omnibus civitatibus et vicis ac villis,
tarn nostris indominicatis quam et in his quae de immu-
nitate sunt vel de comitatibus atque hominum nostrorum
sive cuiuscunque sint, per omne regnum nostrum a iudi-
cibus nostris et ab eis, quorum villae sunt, una cum
ministris rei publicae secundum quantitatem locorum et
villarum tanti ac tales de ipsis incolis et inibi manentibus
constituantur, qui inde providentiam habeant, ne boni
denarii reiciantur et non nisi meri et bene pensantes
accipiantur^^°).
Es sind also durch die königlichen Beamten aus den Orts-
•eingesessenen . —
de ipsis incolis et inibi manentibus ^^^),
'■ 309) Boretius-Krause, Bd. II, S. 318 § 20.
310) A. a. O. S. 314.
311) Die „inibi manentes" können nicht wohi die „sich dort aufhaltenden
iremden Kaufleute" sein, wie Soetbeer, FDG., Bd. VI, S. 10, übersetzt. Wahr-
Einsetzung von Gemeindcaufsehcrn. 123
also nicht etwa aus Ministerialen, nicht aus Dienern der Beamten
— Körperschaften zu bilden, von verschiedener Stärke je nach
der Größe der lokalen Einheit ^^'-). die wie über den Umlauf der
Münze (nicht etwa die Prägung) ^i^j, so auch über die Verwen-
dung des Maßes,
ne adulteretur,
die unmittelbare Aufsicht ausüben sollen. Sie sind also keine
unmittelbaren Staatsbeamten, sind selber keine „ministri rei
publicae" •''**), sind auch nicht etwa den Münzerhausgenossenschaften
an die Seite zu setzen •'''5). Vielmehr lassen sie sich nur charak-
terisieren als Gemeindebeamte mit staatlichem Auftrag,
Diese ihre Eigenschaft ist bisher, soviel ich sehe, unerkannt
geblieben 3 '6). Ihre Wichtigkeit für die Erfassung der späteren
scheinlich dient der Ausdruck nur zur Verstärkung. Vgl. noch folgende Stellen : „in
proprietate manere" und „foris m.", Boretius, Bd. I, S. 323 § l, § 2; „sub canonica
vita m.", S. 230 § 44; „per veraces homines circa manentes per sacnunentum in-
quirere", S. 139 § 3; ..sui manentes, qui in eadem parohia comanentes sunt (decimam
donent)", S. 336 § 8. Feiner „vel ludei vel ceteri ibi manentes negotiatores'' :
Otto I. für Magdeburg, meine Urkunden Nr. 6. — Ebensowenig handelt es sich um
..Sachverständige" und um ,,Orte, wo ein lebhafter Verkehr stattfindet". Soetbeer
hatte eben offenbar auch zu sehr Handelsverhältnisse im Sinne.
312) So werden die Worte „secundum quantitatem locorum et villanim tanti
ac tales" zu verstehen sein.
313) Irgend eine £invüi;kung auf die Münzanstalten und Prägebehörden haben
sie nicht, wie Soetbeer, FDG. Bd. VI, S. 10 („um der lokalen Münzanstalt u. s. w.'*)
anzunehmen scheint. Der Widerwille, auf den die neuen guten Münzen, wie schon
nach Kapitularien Karls des Großen, z. B. Boretius, Bd. I, S. 74 § 5, in der Be-
völkerung stielen, ist vielmehr dem aus Tacitus, Germania, c. V, bekannten MüV
trauen der Germanen gegen alle außer den „serrati bigatique" zu vergleichen. Hier
handelt es sich nun in der Tat um die Benutzung im privaten Kauf und Verkauf:
„in aliquo negotio emptionis vel venditionis", Boretius a. a. O.; „aiium denarium
negotiandi causa protulerit", Bd. II, S. 315 § 10, Edictum Pistense. Wie sollten
<lie „incolae" auch wohl gegen die Beamten voi^ehen können? Vgl. noch Anm. 315.
314) Diesen werden sie ausdrücklich gegenübergestellt: vgl. das im Text folgende
zu Ed. Pist. § 9.
315) Soetbeer, FDG. Bd. VI, S. 14, will in diesen Bestimmungen sowie in
den ganz verschieden gerichteten des § 13 merkwürdiger\veise die „Grundlagen der
späteren Hausgenossenschaften der Münzer** sehen. Daß auch § 13 nicht eine
Mehrzahl von Münzem an einem Ort im Auge hat, zeigt ziemlich deutlich § 14:
„unusquisque comes suum monetarium", der aber immerhin Gehülfen gehabt
haben mag. Vgl. auch Waitz^ Bd. IV-, S. 99.
316) Küntzel, S. 22, meint, man möchte zu diesen Vertrauensmännern die
„Dorfvorsteher" genommen haben. Das ist aber ausgeschlossen: einmal, weil es sich
nadi dem Wortlaut in jeder Gemeinde um eine Mehrzahl handelt; und zweitens, weil
124
Maß und Gewicht.
Zustände und Beleuchtung der zwischenliegenden, sonst dunklen
Entwickelung braucht indes kaum noch betont zu werden.
Kam den Aufsichtsmännern nach dem Edikt irgend eine
Gerichtsbarkeit auch nicht zu — denn die Schuldigen hatten sie
„ministris rei publicae" anzuzeigen ^^^) — so lag in der bloßen
Polizei doch bereits der Keim zu sehr weitgehenden Befugnissen;
und zwar Befugnissen, die, insofern sie sich auf Grund eigener
Tätigkeit nach und nach entfaltet haben, nur als autonome zu
bezeichnen sind.
Nur vom Grafen, den „rei publicae ministri ac ceteri fideles
nostri" heißt es zwar, daß sie das Maß nach alter Gewohnheit
von der Pfalz empfangen sollen s^*^).
Allein tatsächlich mußte es doch den Aufsichtsmännern zur
Verfügung stehen. Diese Verfügung aber wurde eine um so
freiere, je weniger in jeder „villa", jedem „vicus" ein königliches
Normalmaß unterhalten worden sein kann, man sich also mit
Normalien zweiter Hand begnügen mußte. Anderenfalls wäre
für die Maßanarchie ja keine Stätte gewesen. Wie soll man sich
die Sache aber sonst vorstellen, als daß die Aufsichtsmänner in
den Dörfern dann auch die Aichung der im Besitz Privater be-
findlichen Maße besorgt haben? Die Gemeindekompetenz für
die Verwaltung von Maß und Gewicht ist damit vollständig er-
reicht, wenn auch noch keine Gerichtsbarkeit.
Jedoch auch zu dieser ist der Weg nun nicht mehr schwer
zu finden, wenn sie gleich erst aus der nächsten Epoche, in der
nach der karolingischen die Rechtsquellen zum ersten Mal wieder
reichlich fließen, belegt ist.
Aus dem Sachsenspiegel wissen wir, daß der Bauer-
meister das Recht hatte, über Maß- und Gewichtvergehen bis zu
einer Strafhöhe von drei Schillingen zu richten, vorausgesetzt,
daß es nicht „overnachtich wirt na der klage ^^^)." Was dabei
das dann einfach ausgesprochen sein würde. Damit fallen für uns seine Betrachtungen
über die Existenz von Dorfvorstehern und Dorfgerichten in karolingischer Zeit.
317) Edictum Pistense § 9, Boretius-Krause, Bd. II, S. 314.
318) A. a. O., S. 318, § 20. Vgl. oben Anm. 298.
319) Küntzel, S. 17, will dem Bauermeister des Sachsenspiegels nur ein
Gewette von 6 Pf. zubilligen. Das ist zwar sein gewöhnliches Gewette (Landrecht,.
Buch III, 64 § II); aber bei Gericht „over unrechte mate unde unrechte wage" verfällt
das höhere von 3 s. wie bei der Lösung von Haut und Haar (a. a. O. und Buch II,
13 § i). Oder was bedeuten die Worte: „dit selve gerichte" (Buch II, 13 § 3)?
Plancks Definition der bauermeisterlichen Gerich Isgewalt (Das deutsche Gerichtsver-
Der Sachsenspiegel. 125
zunächst interessiert, ist die Möglichkeit eines so niedrigen Straf-
maßes bei einem Vergehen , auf das nach der karolingischen
Ciesetzgebung schlechthin der Königsbann von 60 Schillingen
stand. Darin ist ein wichtiger Fingerzeig für den Verlauf der
Entwickelung in dem Sinne einer Differenzierung gegeben. Aus
der bloßen Aufsicht ist eine Gerichtsbarkeit geworden, auf dem
Wege dahin liegt die X'erwaltung; aber während die ursprüng-
liche Aufsicht unbeschränkt war, ist die zuerkannte Gerichtsbar-
keit eine engbegrenzte, eine Begrenzung eben erst eingeführt^*"").
Das also wäre in groben Strichen die Geschichte der Ver-
waltung von Maß und Gewicht in der Gemeinde.
Anders aber verlief sie an jener andern Stelle, wo die Ver-
waltung eine weit intensivere war, auf dem Markte.
Denn warum hat sich die denselben \"ertrauensmännern aus
der Gemeinde gleichzeitig übertragene Aufsicht über die um-
laufenden Münzen nicht zu gleicher Bedeutung entwickelt? Sehr
einfach, weil auf diesem Gebiete das unmittelbare Eingreifen der
..ministri rei publicae" ihre Tätigkeit gar nicht erst aufkommen ließ.
f.ahren im Mittelalter, Bd. I, S. 1 1 -') als in ihrer Ausübung vom landrechtlichen Sund-
punkte aus gleich der „eines schiedsrichterlichen Sühneverfahrens, bei dessen Mißlingen
die eigentliche Gerichtsgewalt des Landrichters eintritt" nach Sachsenspiegel, Landrecht,
Buch III, 8 b § I, 2, paßt nur für Fälle, wo die Bauerschaft, wie a. a. O., selbst
Partei ist. Ein Doktrinarismus, den Küntzel S. 17 mutmaßt, ist in einer Frage von
täglicher praktischer Bedeutung, wie die Angabe der Höhe des Gewetles des Bauer-
nieisters, ausgeschlossen. — Falsch ist auch Küntzels Interpretation (S. 18) von Ssp.
Ldr., Buch III, 79 § 2, daß danach über Fremde, die falsches Maß gaben, das Dorf-
gerichi nicht kompetent gewesen wäre. Es steht da niu-, daß der Auswärtige nicht
pflichtig ist, zu antworten „na irme sunderliken dorprechte", wohl aber ,,na geme-
neme landrechte", wozu die r^elmäßige Kompetenz des Bauermeisters natürlich gehört.
Sonst würde sie nicht im Sachsenspiegel-Landrecht behandelt. Wie das „sonderliche
Dorfrecht" zu verstehen ist, darüber Pknck S. 12, den Küntzel offenbar mißver-
standen hat. Es gilt davon auch, was Eike, Landrecht, Buch III, 42 § 2, vom Dienst-
mannenrecht s^. — An Stelle des Begriffes der handhaften Tat tritt bei Maß- und
Gewichtsvergehen der des „over^ündich" sein (Landr., Buch II, 13 § 3), insofern
bereits der Besitz falscher Maße und Grewichte ein Delikt konstituierte.
319a) Es versteht sich, daß dem Bauermeister, mochte er auch zehnmal Ge-
meindebeamter und Vertreter der Gemeindeautonomie sein, das Maß seiner Befugnisse
irgendwann einmal von einer höheren Instanz zugewiesen worden sein muß. Näheres
wissen wir darüber natürlich nicht Aber wir sehen, daß die karolingische Gesetz-
gebung schließlich, da alle anderen Mittel sich als ungenügend erwiesen hatten, auch
die Gemeinden ziu- Selbsttätigkeit auf dem Gebiete der Regelung der Maße heranzc^;
daß man aber von einer Gerichtsbarkeit der Gemeindevorsteher, wie sie der Sachsen-
spiegel kennt, nichts wußte. Dieser Fortechrilt der lokalen Selbstregierung muß also
in die Zwischenzeit fallen.
120 ^laß und Gewicht.
Normalmaße und Normalg-ewichte , mochten sie noch so
schlecht sein, brauchte man in jedem Dorfe: Münzstätten gab
es dort nicht. Die Münze warf einen regelmäßigen bedeutenden
Gewinn ab, der durch die häufigen Münzverrufe ins ungeheuer-
liche gesteigert wurde: die Zahlungen, die etwa für Benutzung
der Normalmaße auf dem Lande zu entrichten waren, bedeuteten
wenig. Darum hielten Grafen und Bischöfe an dem Münzrecht
fest: die Verwaltung der Dorfmaße war nur eine Last.
Auch ist der Modus der Kontrolle ein verschiedener. Die
Münze wird nicht wie ein geaichtes Maß ein für allemal aus-
gegeben. Ihre Prägung in regelmäßigen Abständen erheischt
die fortwährende schärfste Aufmerksamkeit des Münzherrn und
seiner Beamten. Die Prägebehörde war, als die Münzen sich
immermehr differenzierten, allein imstande, eine wirkliche Kon-
trolle auszuüben. So mußte, während dort die Aufsichtsbehörde
auch die Verwaltung an sich zog, hier vielmehr der Verwaltungs-
stelle auch die Aufsicht anheimfallen. Es waren eben überall
lebendige Kräfte, die den Ausschlag gaben, nicht juristische
Prinzipien oder tentatorische Gesetze.
Wie mit der Münze verhält es sich auch mit dem Markte
selbst und allen übrigen Zweigen seiner Verwaltung.
Es ist bekannt, wie begehrenswert Marktprivilegien den
Großen des Reiches stets erschienen sind.
Bei all den Diskussionen über „Marktrecht", „Marktbann",
„Marktregal" aber haben wir meist viel zu ausschließlich an die
Wahrung des Marktfriedens gedacht, nicht an die Verwaltung
des Marktes selbst — an etwas Negatives, nicht an das Positive
der Sache.
Ein Hauptbestandteil der Marktverwaltung aber liegt in der
Handhabung von rechtem Maß und Gewicht auf dem Markte.
Wenn ein Markt ohne Münze nicht viel Vitalität besessen hätte,
so würde er ohne Berechtigung zur Maß- und Gewichtspolizei über-
haupt keinen Sinn gehabt haben. Auf dem Markte allein warf auch
sie einen namhaften Gewinn ab: sei es in Gestalt der Taxe, die
etwa für Benutzung einer öffentlichen Wage zu entrichten war;
sei es in der der Bußen, die von abweichenden oder auch nur
ungenauen Maßen und Gewichten, selbst bei Ausschluß be-
trügerischer Absicht in ihrer Benutzung, notwendig häufig ver-
fallen mußten. So ist denn die Aufsicht über Maße und Ge-
Verwaltung auf dem Markte. I2T
Wichte ein unveräußerlicher Bestandteil der Marktverwaltung und
Marktgerichtsbarkeit geblieben.
Wir haben also eine zwiefache Entwickelung der Maß- und
Gewichtsverwaltung: eine in der Gemeinde, eine auf dem Markte.
Konnte es aber dabei bleiben? Wie gestaltete sich das Ver-
hältnis der Stadtgemeinden zu den städtischen ^lärkten?
Wir müssen uns erinnern, daß von Hause aus alle Märkte
schlechthin periodische sind.
Auch in den Städten ist und bleibt der Markt ein perio-
discher, mag er nun Jahrmarkt oder Wochenmarkt heißen. Auch
der „tägliche Markt", der eigentlich hur ein täglich gehaltener
„Wochenmarkt" ist, wird jeden Morgen eröffnet, jeden Abend
oder Mittag geschlossen. Noch das Reichsweistum von 1218
kennt nur Wochen- und Jahrmärkte, obgleich es längst Ort-^
Schäften gab, die ebenfalls als „fora" bezeichnet wurden. So lag
denn auch in den Städten die Aufsicht über Maße und Gewichte
auf den Märkten in den Händen des Marktherm , d. h. des
Stadtherrn.
Allein wir haben schon gesehen, daß Maße und Gewichte
auch unter anderen Verhältnissen als zu Kauf und Verkauf regel-
mäßig zur Verwendung kamen. Das war in der Stadt nicht
anders als auf dem Lande; und so gehört dieser Zweig der Maß-
verwaltung auch in der Stadt der Gemeinde.
Ein solcher Zwitterzustand jedoch konnte nicht bleiben,,
wenn auch Reste davon sich hier und da erhielten. Er konnte
uirj so weniger bleiben, eine je größere Rolle jetzt die „Kauf-
leute" unter den Gemeindemitgliedern zu spielen anfingen. Mit
ihnen tritt ein neues Element in den Vordergrund.
Es ist bereits an anderer Stelle nachgewiesen worden ^^o),
wie eben in jenen frühen Zeiten, ehe sich der feste Begriff eines
Bürgerstandes gebildet hatte, die „Kaufleute" für sich, für ihre
Geschäfte die Gültigkeit eines Sonderrechtes in Anspruch nahmen,
eines Gewohnheitsrechtes, das sich auf Handelssachen bezogt-*),
für das die „Kaufleute" der einzelnen Städte aber auch von
320) Mdne Untersuchungen S. 213 ff.
321) Vgl. die so häufig, auch a. a. O., angezogenen Worte Notkers des
Deutschen: „Xegotiale ist ter stril" u. s. w. Piper, Germanischer Bücherschatz,.
Bd. VIII, I, S. 69; meine Urkunden Nr. 74.
128 Maß und Gewicht.
Königen und Kaisern -^^z) sowie ihren Stadtherren ^^s) Bestätigung
erlangten. Sie entschieden unter sich auf dem Markte über die
Gültigkeit von Kauf und Verkauf. Dabei aber mußte die Frage
der Richtigkeit der gebrauchten Maße eine Hauptrolle spielen:
handelte es sich doch oft um auswärtige, nach denen die impor-
tierten Waren an ihrem Herkunftsorte bemessen worden waren,
also nur den Kaufleuten, nicht aber dem Marktherrn oder der
Ortsgemeinde bekannte.
Ab{?r je mehr an die Stelle des beweglichen ,, Kaufmanns"
der seßhafte „Bürger" trat, der Bürger sich vom Fremden schied,
und als Kauf und Verkauf auch außerhalb des Marktes mehr
und mehr eine Sache des täglichen Lebens geworden waren, ist
schließlich die ganze Marktverwaltung in die Hände der bürger-
Jichen Behörde, des Rates übergegangen. Nur die wichtigsten,
einträglichsten und auch abtrennbaren Zweige, die Münzver-
waltung, den Zoll und die Friedensgerichtsbarkeit behielten die
Stadtherren, wenigstens vorläufig, noch zurück.
Ueber die einzelnen Vorgänge sind wir leider so gut wie
gar nicht unterrichtet. Doch läßt sich noch ein Uebergangszu-
-stand aus der Urkunde Bischof Friedrichs von Halberstadt von
1105 für die „cives forenses" erkennen, wo es heißt:
Ut per omnem hanc villam in illorum potestate et arbi-
trio sicut antea consistat omnis censura et mensura sti-
pendiorum carnalium vendendo et emendo. Et quod
322) Alpert, de diversitate temporum, über die Kaufleuce von Tiel (MG.
■ SS., Bd. IV, S. 718 Nr. 20; meine Urkunden Nr. 75): „hoc ab imperatore karta
traditum et confirmatum dicunt." — Privilegien Konrads II, von 1038 und Hein-
richs III, von 1042 für die Kaufieule von Quedlinburg nach dem Muster derer von
•Goslar und Magdeburg (Janicke, Urk.-Buch d. Stadt Quedlinburg, Bd. I; Ge-
schichtsquellen d. Provinz Sachsen, Bd, II, i, Nr. 8, Nr. 9; meine Urkunden Nr. 78a;
dazu Bresslau, Jahrbücher unter Konrad II., Bd. II, S. 322^): „et ut de omnibus
•que ad cibaria pertinent inter se iudicent". Ferner die Bestätigung Lothars von 1134
(Janicke Nr, 10; Urkunden Nr. 78b), wo bereits anstatt „negotiatores" ,, cives"
steht — Vgl. auch die Berner Handfeste Friedrichs II. von 1218 (Urkunden
Nr, 134) V § 2:.,, Et si aliqua disceptatio tempore fori inier burgenses et mercatores
orta fuerit, non stabit in meo vel rectoris mei iudicio, sed pro cpnsuetudinario iure
mercatorum et maxime Coloniensium a civibus düudicetur."
323) Privileg Abt Eggehards für Allensbach von 1075, meine Urkunden
Nr. 99, S. 62 : „Ipsi autem mercatores inter se vel inter alios nuUa alia faciant iudicia,
praeterquam quae Constantiensibus, Basiliensibus et omnibus mercatoribus ab
antiquis temporibus sunt concessa." — Urkunde Bischof Friedrichs von Halberstadt
-von I105 für die „cives forenses'', nächste Anm.
Verwaltung in der Stadt. I 20
iuxta rusticitatem vel vulgaritatem lingne „burmal" vocant,
ipsi diligenter observent. Pondus et mensuram equam
faciant Si quid autem natum fuerit questionis et
illicite presumptionis de venditione et emptione iniusta,
ipsi vel quos huic negotio preesse voluerinl, hoc secun-
dum iustitiam exigendo diiudicent et corrigant'-*).
Das Burmal ist die Versammlung der Bürger; die Stadt Halber-
stadt ist wie die meisten anderen binnendeutschen Städte aus
einer Ansiedlung von „Kaufleuten" hervorgegangen, denen eben
hier das Privileg erteilt wird: aber die eigentümlich ineinander
geschachtelten Bestimmungen weisen auf einen Ursprung aus
verschiedener Wurzel und das Maß der Befugnisse geht über
die der einfachen Landgemeinde hinaus =^-^).
Ganz deutlich jedoch zeigt den ursprünglichen zwiespältigen
Zustand das Stadtrecht von Soest aus dem 12. Jahrhundert'-^).
Denn während >; 36 bestimmt:
Si quis inventus fuerit habere pondera iniusta vel fiini-
culos iniustos, mensurationes iniustas vini et olei, hie
vadiabit in domo consulum dimidiam libram burgensibus;
lautet § 37:
Iniuste mensurationes et mensure corrigende pertinent de
annona et de cervisia iudicibus illisqui dicuntur „burrihtere" '
in viculis illis qui dicuntur „ty".
324) G. Schmidt, Urk.-Buch d. Sudt Halbersudt, Bd. I (Gesdiichtsquellen
d. Provinz Sachsen, Bd. VII, i), Nr. 4; meine Urkunden, Nr. Jjd.
325) Vgl, Rietschel, Markt und Stadt, S. 65 ff., S. 71 ff. Ich bestreite
also nicht etwa, daß das burmal nur die Versammlung der Marktansiedlung war; es
war also nicht, wie ich früher angenommen hatte, die einer ursprünglichen Bauerschaft
Halberstadt, deren Fortdauer neben jener Rietschel nachweist. Aber die Befugnisse,
die in der Urkunde von 1105 den „cives forenses" zugewiesen werden, sind größere
als die, die ihnen als ,,buren", als Ortsgemeindemitgliedem zukamen. Hierin ist die
Einwirkung des alten kaufmännischen Gewohnheitsrechts zu erblicken.
326) Ilgen. Städtechroniken, Bd. XXIV, S. CXXIX— CXLII; meine Ur-
kunden Nr. 139. — Ilgens und Hegels Annahme (vgl. Ilgen, S. CXXII), daß
™'^ § 35 ^i" neutr Abschnitt beginnt, kann ich durchaus nicht beipflichten. Die
Uebertragung der Grundstücke geschieht vor dem Schultheißen; deshalb erhält er die
..vorhure" (§ 33). Mit der Einbeziehung der Zinse (§ 35) hat er gewiß nidits zu
tun, umso weniger, als er auf alle Fälle der Richter ist, vor dem der säumige
..possesor' sich zu rechtfertigen haben würde. Eis kann nicht der geringste Zweifel
sein, daß gerade die §§ 32 — 35 auf das engste zusammengehören. Die übrigen Ein-
wände sind erst recht Scheingründe. In § 22 vor dem Blutgericht kann der Rat gar
nicht ins Spiel kommen. Ich habe deshalb in meinem Abdruck erst nadi § 52 einen
Abschnitt gemacht.
Keutgen, Aemter und ZQ&fte. 9
I30
Mass und Gewicht.
Es sind dieselben Richter und dieselben „conventionalia",
denen nach dem jüngeren Teile des Stadtrechtes §§ 6i, 62 auch
das Gericht über Diebstähle bis zu izd. und Schulden bis zu 6d.
zusteht'^-'), alles also, abgesehen von den Beträgen, im Einklang
mit den Angaben des Sachsenspiegels-^'^**).
Stehen sich also in jenen Paragraphen eine alte ländliche
Gemeindekompetenz und eine jüngere bürgerliche, wesentlich
kaufmännischen Ursprungs gegenüber, so kommt der ursprüng-
liche Anspruch des Marktherrn darin zum Ausdruck, daß von
dem auf dem Rathaus verhängten Gewette dem Richter ein Dritt-
teil zufällt •^'-•*). Ebenso gehen in Hannover, wo
magister civium corriget omnes indebitas mensuras sub
pena V solidorum,
ein Dritteil dieser Buße an den Vogt, zwei Dritteile an die
Stadt; es sei denn, daß der Vogt dem Bürgermeister zuvorkommt,
so daß er die Sache richtet und allein den Gewinn davon trägt ■^■^^).
Und auch in Hamburg fallen von den Strafgeldern für un-
gerechtes Maß an Bier, Brot und Fleisch'^^^), in Landshut beim
327) Hiermit deckt sich auch Dgens Auffassung der „burrichter" (a. a. O.
S. XCVIII). Mit der auch von Rietschel (S. 170) übernommenen Meinung (Ilgen,
S. XXVIII), \Vonach die Hoven, deren Gerichtsstätten eben die „ty" sind, eine künst-
liche Einteilung wären, braucht sie nicht in Widerspruch zu stehen. Nachdem man
die ursprüngliche Gemeinde in Teilgemeinden zerlegt hätte, wären den Vorstehern
dieser Teilgemeinden die Befugnisse üt)erwiesen worden, die ursprünglich der eine Bur-
richter der Gesamtansiedlung besessen hätte.
328) Oben, S-. 124 f.
329) A. a. O. § 36, § 38. — Vgl. auch Planck, Das deutsche Gerichtsver-
fahren im Mittelalter, Bd. I, S. 34, S. 150, der allerdings das Drittel des Richters
nur im allgemeinen als Entschädigung für die ihm durch die konkurrierende Rats-
gerichtsbarkeit erwachsende Einbuße ansieht. Demgegenüber ist jedoch darauf hinzu-
weisen, daß den älteren Stadtrechten die Teilung in das Strafgeld und die daraus für
die Vergangenheit zu erschließende oder, wie in Hannover, noch bestehende Kon-
kurrenz eben nur bei dieser Materie bekannt ist. Erst nach und nach hat der Rat
seine Konkurrenz auch auf andere Gebiete ausgedehnt.
330) Grotefend, Urkundenbuch der St. Hannover (Urk.-B. d, histor. Vereins f.
Niedersachsen, Bd. V), Nr. iia; Doebner, Die Städteprivilegien Herzog Ottos des
Kindes (Hannover 1882), S. 23: Privileg für Hannover von 1241. Mit Frensdorff,
Hans. Geschichtsblätter, Jahrgang 1882, S. 8^, gegen Doebner, S. 12 f., sehe ich
keinen Grund, die Fassung A zu verdächtigen.
331) Privileg Friedrichs I. vom 7. Mai 1189; meine Urkunden Nr. 104b
§ 7. Dieser Satz steht in dem echten Privileg des Kaisers: vgl. Hasse, Zeitschr. d.
Gesellschaft f. Schleswig-Holstein-Lauenburgische Geschichte, Bd. XXIII. S. 251 — 270.
Die Vielseitigkeit der MarktkontroUe: Landshut. Ijl
Bier*«*) zwei Dritteile an die Stadt, ein Dritteil an den Richter,
ohne daß in diesen Fällen angegeben wäre, wer das Gericht
abhält.
So stammt aus einer dreifachen Wurzel die Gerichtsbarkeit
les Rates über unrechte Maße und Gewichte. Der wichtigste
Strang aber ist der, der in sich schloß das Gericht über unrechten
Kauf und unrechten Verkauf und die Kontrolle der feilgebotenen
Waren. Man mag diese mit v, Below speziell an die Sorge für
Maße und Gewichte anknüpfen'««) oder nicht: jedenfalls bildet
auch sie einen notwendigen Bestandteil der Marktverwaltung.
Der Erlaß von Bestimmungen über die Schwere des feilgebotenen
Brotes, die Frische des Fleisches, über die Breite der Tuche,
über Fadenzahl und Fadenstärke ihres Zettels und ihres Ein-
schlages läßt sich sehr wohl als eine feinere Anwendung der
Maß- und Gewichtspolizei charakterisieren, während der Streit
zwischen Käufer und Verkäufer über die Richtigkeit der ge-
lieferten Ware unmittelbar vor das Marktgericht gehört.
Mit der Warenschau aber sind w^ir zugleich bei der Auf-
sicht über das Handwerk angelangt. Denn man mag welche
Marktordnung man will nehmen: überall finden sich diese vier
Bestandteile, Kontrolle von Maß und Gewicht, Preisbestimmung,
Warenprüfung, Beaufsichtigung der Handwerker, auf das innigste
verflochten. So ist es in dem Edictum Pisten se*«^); so ist es
noch vier Jahrhunderte später in der Marktordnung Herzog
Heinrichs I. von Xiederbayern für Landshut vom Jahre 1256,
auf die ich als auf ein glänzendes Beispiel für die Vielseitigkeit
dessen, was unter den Begriff der Marktverwaltung fiel — und
nicht etwa erst unter der wohlausgebildeten Fürsorge des städti-
schen Rates — hier noch besonders hinweise ^2^). Diese herzog-
liche Marktordnung enthält nicht nur marktfriedenspolizeiliche
Bestimmungen 3«^) und (zweitens) Verbote gewisser Formen des
332) MG. LL. Sectio IV Constitutjones Bd. II Nr. 439; meine Urkunden
Nr. 231 § 16. Die Stadt erhält 60 d., der Richter 28.
333> Vgl. oben S. 7.
334) Vgl. oben S. 43 f; .,per denamtas, per sextaria vendere"; ,,adulterare et
minuere"; ,,tantos panes de iusto, de aequo modio"; „a pistoribus, quj panem ven-
duni, fieri faciant".
335) Weiland, MG. Constitutiones II Nr. 439. Meine Urkunden Nr. 231.
336) § I Verbot des Tragens der Schwerter, Gnippen und schädlichen Messer;
§ 20 der „lotrici et vagi scolares". Vgl. auch § 18 und § 21.
9*
»32
Mass und Gewicht.
Handels 337)^ sondern (drittens) auch Preistaxen und Fixierungen
des zulässigen Gewinnes ^^^) und (viertens) Vorschriften über die
Beschaffenheit und Herstellung der verschiedensten Waren ''^^).
337) § 'O Verbot des Aulkaufes der Waren, ehe sie den Markt erreichen und
der Käufe der Pfragner in der Stadt; § 6 des Aufkaufes von Unschlitt in der Stadt
zur Ausfuhr; § 17 des Vei Steckthal tens gefangener Fische: § 4 der Wucherer, Vor-
käufer und der ,,societates que vulgo diaintur einung".
338) § 2 Preis des grauen Tuches; § 5 des Rind-, Schaf- und Ziegenfleisches;
§ 6 des Unschlitts; §11 der Würste; § 13 des Brotes; §§ 14—16 von Wein,
Met und Bier; § 22 der Gewebe aus Werch, ausgekämmter Wolle und Flachs
(„rupfein, achambin, herwein''); § 23 für das Vorbeschuhen und Besohlen. §§ 7 — 9
über den zulässigen Verdienst der Futterhändler, Pfragner und Krämer. Beim Bier
wird der Preis der Brauer und der der Schankwirte unterschieden : § 1 6.
339) § 2 Festsetzung der Breite des grauen Tuches; § 3 Bestrafung der Walker
und Weber „contra iusticiam follentes" oder ,,texentes"; § 11 Vorschrift über die
Herstellung der Würste; § 12 über den Verkauf minderwertigen Fleisches; § 13 über
die Bäckerei; § 14 Unterscheidung verschiedener Weinsorten und Verbot der Mischung;
§§ 14 — 16 Maßvorschriften; § 19 über die Herstellung der Maße durch die Becherer.
VII. Kapitel.
Der flarkt und die Aemter.
Es ist ein Kardinalfehler gewesen, daß man bei der Frage
nach dem Ursprung_der_städtischen Ge\Ygrhgordrmng, die die
nach der Entstehung der Zünfte in sich schließt, sein Augenmerk
stets vorzugsweise auf die manufaktorische Seite gerichtet hat.
Freilich beruht ja auf der Handarbeit das eigentliche Wesen
des Handwerks, das bei Beteiligten wie Zuschauern zuerst und
am anhaltendsten die Aufmerksamkeit fesselt: nicht die, die ein
gewisses Produkt an den Mann bringen, sondern die, die ein
Handwerk „können", fühlen sich als Genossen. Bei dem Krämer,
der etwa die gleiche Ware führt, sind nicht nur die Aeußerlich-
keiten seines Berufs, sondern auch die Produktionsbedingungen
andere als bei dem Handwerker; und er erscheint auch deshalb
nicht als ein auf derselben Bahn Mitwerbender, sondern als feind-
licher Konkurrent.
So war das Versehen verständlich, und es lag noch näher,
so lange allgemein die hofrechthche Theorie herrschte. Hier
eben rächt es sich, daß diese ausging von der Arbeit für den
Herrn, \-on dem gebundenen Handwerker, für den ein „Ueber-
gang zur Arbeit für den Markt" erst konstruiert werden mußte.
Der wirtschaftlich freie Handwerker dagegen ist von vorn-
herein „mercatqr". Die Anschauung, daß das freie Handwerk
anfangs wesentlich „Kundenarbeit" gewesen sei, ist eben so falsch,
wie die, die es für .JLchnwerk" ausgeben möchte. Die Arbeit
für den Markt, für unbekannte, erhoffte Käufer, ist vielmehr von
Anfang an das Charakteristikum des deutschen Handwerks. Wer
das nicht begreift, dem muß jedes Verständnis für die Rolle, die
die „mercatores" in den Anfängen des deutschen Städtewesens
gespielt haben, verschlossen bleiben. Eben als „mercator" aber
IXd. Der Markt und die Aemter.
unterliegt auch der Handwerker Her Warenkontrnllp auf dem
Markt.
Denn das, worauf es der Behördfi ankommt — sei diese
der alte Marktherr oder spätei^der Rat — ist nur, daß das
fertige Erzeugnis ihren Anforderungen entspricht, daß das Publi-
kum erhält, was es braucht. Hier dreht sich in der Tat alles
um das, was zum Austausch kommt, darum, daß dieses richtig,
vollwertig ist: kurz es handelt sich bei der Kontrolle auch des
Handwerks allein um die Ware^^^^^*).
Damit ist aber die Zurückführung des ganzen Systems der
Gewerbeordnung- auf die Marktordnung bereits gegeben.
Eben hierbei zeigt sich die ausschlaggebende Bedeutung
jenes Gesichtspunktes, den wir in allem, was den Markt betrifft,
bei keinem Schritte außer Augen lassen dürfen, des Gesichts-
punktes nämlich, daß jeder, auch der städtische ^arkt, nur ein
.periodischer ist. Denn gerade daraus folgt ohne weiteres, daß
auch .bei_der_KpntrQlle der auf dem Markte feilbietenden Hand-
werker es sich schlechterdings nur um eine Prüfung der feil^
gebotenen "Ware handeln kann. Denn der periodische Markt
kennt nur Händler und Waren. Wie die Waren entstanden sind,
entzieht sich seiner Kenntnis.
338a) Sehr deutlich kommt der Unterschied zwischen der manufaktorischen imd
der kommerziellen Seite des Handwerks und die Bedeutung dieser bei der Bäckerei
zum Ausdruck. Backhäuser zum "eigenen Gebrauche besitzen viele Bürger, die darum
aber noch nicht Bäcker sind, da sie das Brot nicht verkaufen. Vgl. unten Anm. 362.
Ferner zweites Straßburger Stadtrecht von 1214: meine Urkunden Nr. 127 § 29.
Die dort genannten „pistores" besorgen das Backen für die Bürger, die ,,pistrina" be-
sitzen, wie umgekehrt heute Bürger ihren Kuchenteig in den Ofen des Berufsbäckers
schicken. Das Bäckerhandwerk setzte es aber durch, daß die Bürger für ihre Back-
häuser, durch die ihnen ja immerhin Abbruch geschah, „ius quod dicitur einung" er-
würben. Urkunde vom 23. Februar 1264: meine Urkunden Nr. 290; Wiegand,
Bd. I, Nr. 549. Vgl. dazu unten Kapitel X. — Sehr richtig hat Philippi be-
obachtet, Die ältesten Osnabrückischen Gildeurkunden (Osnabrück 1890) S. V:
„die ältesten im folgenden mitgeteilten Vereinbarungen und" Entscheidungen beSChäf-'
tigen sich mehr mit der Berechtigung zum Verkauf, als zur Anfertigung gewisser
Waren." — Ferner vgl. z. B. Basler Kürschnerurkunde von 1226, Wacker-
nagel und Thommen, Urkundenbuch der Stadt Basel, Bd. I, Nr. 108, meine Ur-
kunden Nr. 271 § 2: „Nee ahcui alteri persone quam de ipsorum opere in emendo
et vendendo ea que ad eorum opificium pertinere dinoscuntur condictum eorum in-
fringere licebit." Basler Metzgerurkunde von 1248, Wackernagel u. Thommen,
Bd. I, Nr. 221, meine Urkunden Nr. 273 § 7: „. . • . nichil in communibus
maceliis quantum in vendendo carnes agere habeant." U. s. w.
Die Besonderheit des slädlischen Marktes. I35
Sogleich aber macht sich ein neuer, für das Künftig-e funda-
mentaler Unterschied geltend: der zwischen dem Markte alter
Ordnung und dem Markte in der Stadt.
Der alte Markt, der Markt schlechthin, kennt, wie gesagt, nur
Händler, nur Besucher, nur Fremde, entsprechend seinem eigenen
ephemeren Charakter, die mit ihm wieder verschwinden. Der
städtjsche Markt dagegen hat das besondere, daß ein großer, ein
wichtigster Teil der auf ihm aktiven Verkäufer ortsansässig ist:
als Folge die Scheidung, die Klassifizierung der Händler nach
Stadtangehörigen und Stadtfremden.
Diese Sonderung findet einen ersten handgreiflichen Aus-
druck darin, daß zwar die Fremden nach wie vor sich mit beweg-
lichen Marktständen, Enden, Tischen begnügen müssen, während
jene ihre festen Verkaufsstellen, und soweit sie Handwerker sind
und meist damit verbunden, zugleich ihre Werkstätten haben 33»).
Damit aber wird die Sonderung der Verkäufer in Orts-
ansässige und Fremde auch für die Warenkontrolle bedeutend.
Auf dem schlichten Markt können, wie gesagt, der Markt-
herr und seine Beamten die Waren nur prüfen, so wie sie aus-
gelegt sind. Die Herstellung entzieht sich ihrer Macht.
Das wird nun anders.
Die-Prüfung dringt ein in die Werkstatt, greift zurück auf
die Erzeugung. Es liegt auf der Hand, wie sehr sie dadurch an
Sicherheit zunimmt.
Jetzt erst können Vorschriften erlassen werden für die wirklich
gleichmäßige Herstellung jeder einzelnen Warengattung in der
Stadt. Jetzt ist auch durch Aufstellung verschiedenartiger Normen
in verschiedenen Städten der Grund gelegt für die ErzeugTing
von Spezialitäten: die Tücher von Speyer unterscheiden sich von
denen aus Straßburg, die von Poperinghen von denen aus Dix-
muiden oder aus Ypern.
Hiermit aber ist auch gegeben, daß die städtischen Hand-
werker bei der Kontrolle viel schärfer herangenommen werden
als die Händler mit Waren von auswärts, die Krämer und die
Verkäufer fremder Tuche. Die fremden Tuche können von ver-
schiedenster Art, Breite, Länge, Feinheit Stärke, Farbe sein : für
339) Auf den periodischen Märkten, während deren auch die ansässigen Ver-
käufer Tische auf den Marktplatz stellen können, wird der Unterschied zwischen
Büi^em und Fremden zeitweise wieder aufgehoben. — Vgl. noch unten Anm. 371.
1^6 Der Markt und die Aemter.
die einheimischen sind ganz bestimmte Verhältnisse vorgeschrieben.
AehnHch bei den importierten Kleinwaren, die die Krämer ver-
treiben. Bald wird auch die Zulassung zum Markt für die Hand-
werker wesentHch strenger werden: der Neuling wird sich darüber
ausweisen müssen, daß er ,,das^IIandwerk_JcamiiL.
Diese Forderung der Gleichmäßigkeit der Ware ist nichts
als eine notwendige Folge der Marktkontrolle, ist in ihr gegeben.
Eine bestimmte Güte konnte nicht vorgeschrieben werden, ohne
Maßstab, der wieder die Gleichheit zur Voraussetzung hat. Die
Freiswertheit des Brotes richtet sich nach dem gleichen Gewicht,
die des Tuches nach der gleichen Zahl gleicher Fäden innerhalb
gleicher Länge und Breite. Und genau so wurde auch bei
Dingen, die sich nicht so einfach wiegen, zählen und messen
liessen, ein bestimmter Maßstab der Güte, der Preisgerechtigkeit
zu Grunde gelegt.
Das Ganze geht hervor aus jener Fürsorge, die in der karo-
lingischen Gesetzgebung über diese Dinge wie ein roter Faden
entgegenleuchtete. Und, beiläufig, auch für sie bietet die hof-
rechtliche Theorie keine Erklärung. Denn was ging es den
Grundherrn an, ob das Publikum von seinen Leuten ehrlich be-
dient wurde 3^*^)?
In seiner Ausgestaltung ist es aber auf das innigste ver-
wachsen mit dem ganzen Formalismus des älteren Rechts. Wie
im Prozeßverfahren für jeden Formfehler, so wurde auch bei der
Warenschau auf dem Markte für jede technische Abweichun^^
einGewette_erhobfinJ^*^^). Eben deshalb mußten auch hier die
Vorschriften hart und scharf sein, auch hier eine feste Norm
aufgestellt werden, die zugleich einfach genug war, daß der
technisch nicht fein ausgebildete Beamte sie mechanisch hand-
haben konnte.
340) Sehr merkwürdig läßt Geering, der immer dem Rechten auf der Spur
ist, aber von der hofrechtlichen Voreingenommenheit sich nicht losreißen kann, „die
Fürsorge des Meiers und der Officialen" „sich in die Marktpolizei" verwandeln. Handel
und Industrie der Stadt Basel, S. 3.
340a) Auch der Ausdruck ,,vare", der in dem Prozeßrecht eine so große Rolle
spielt, findet sich in diesem Zusammenhang: Stendaler Krämerbrief vom i. August
1299: „Nostri quidem institores debent institoribus secum stantibus, scilicet extraneis,
varam in omnibus adhibere, et si falsa apud eos invenerint, ad dominos consules hanc
producent, et quicquid de talibus usi fuerint", erhält die Stadt zwei Drittel, die Brüder-
schaft ein Drittel. Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis I, Bd. XV,
Nr. 60, S. 47.
Erste Ausgestaltung der Gcwerbekontrolle. ixT
In dieses System hinein paßt nun auch das der Abgaben und
Arbeitsleistungen, wie wir es vorläufig aus dem Straßburger
Recht kennen lernten. Oft genug mögen schon die gewerbe-
rechtlichen Strafen statt in Geld in Natura eingezogen worden
sein. Es braucht hier nicht ausgeführt zu werden, eine wie außer-
ordentliche Rolle bei der ungenügenden Menge barer Umlaufs-
mittel im Rechts- und Wirtschaftsleben jener Zeit das Pfänden
gespielt hat. Das brachte es noch näher, als es ohnehin gelegen
hätte, auch die Steuern in Waren und Leistungen zu erheben
und sie in dieser Form sogar ein für allemal zu fixieren. Ein
weiterer Schritt war es nur, sie gruppenweise umzulegen. Zu-
nächst heißt es, jeder Schmied hat zur Heersteuer vier Hufeisen
mit den Nägeln zu liefern. Dann aber: zur Arbeit auf die Pfalz
kommen sie alle; die Arbeit wird dort erst verteilt. Und wenn
der Bischof eine Burg belagert, so machen sie ihm insgesamt
dreihundert Pfeile 3*i).
Das aber wird nun die Hauptsache. Das ganze Kontroll-
wesen macht eine Einteilung in Gruppen nötig, die auch dem
Abgabenwesen aufs beste paßt. Alle Schmiede, alle Bäcker, alle
Schuster haben nur Waren ganz genau der gleichen Art auszu-
bieten und herzustellen. Die Kontrolle funktioniert am besten^
kann gut nur funktionieren, wenn sie die ganze Gruppe auf ein-
mal vornimmt. Für die Schmiede, die Schuster, die Fleischer
sind gewerbliche Vorschriften erlassen, für alle die gleichen. Und
wenn ursprünglich für alle Bürger in der ganzen Stadt die Steuern
und Fronen gleich bemessen sind, so werden sie für die Hand-
werker gruppenweise gleich in Leistungen aus ihrem Fache ver-
wandelt. Es gibt keinen reichen Schmied, der mehr zu ver-
steuern hätte, als sein ärmerer Kollege, oder es wird doch so
wenig wie bei der Bürgerfron darauf Rücksicht genommen: der
Schmied ist eben nur .Schmied und alle Schmiede sind vor dem
Gesetze gleich.
In diesen Gruppen also haben wir die Straßburger
Aemter und ebenso die. Trierer und Augsburger. Dies ist
_ der Ursprung der ältesten Organisation des deutschen Hand- ^.y^^
Werks. Es sind nicht mit obrigkeitlicher Sanktion aus freiem
Antrieb geformte Verbände, sondern es sind einstweilen nur Ab-
teilungen, die von der Obrigkeit selbst gebildet sind zu deren
Zwecken.
341) Straßburger Stadtrecht §§ 103 — 106, vgl. § 107.
1^8 Der Markt und die Aemter.
An den Ausdruck Amt braucht man sich nicht sehr zu
«toßen. Mehrere Umstände sind zusammengetroffen, die gemein-
sam zur Einbürgerung jener technischen Bedeutung beigetragen
haben. Zunächst ist es damit nicht anders als mit unserem Worte
Beruf. Wenn die Beamten quaHtät der mittelalterhchen Hand-
werker uns nicht immer ohne weiteres einleuchten will, so hat
man ebenfalls oft genug Veranlassung sich zu fragen, welchen
^,Beruf" denn mancher heutige Handwerker zu seinem Gewerbe
aufweisen kann. In einem unserm „Beruf" analogen Sinne kennt
„offidumj' bereits das Capitulare de Villis^^-). Jeder, den seine
besondere Tätigkeit aus der gemeinen Menge heraushebt, fühlt
sich im Besitze eines „Amtes": und es macht da wenig aus, ob
die ersten solchen Aemter, die das deutsche Volk gekannt hat,
die waren, durch deren Verleihung ein germanischer Häuptling
einzelne seiner freien Gefolgsleute, oder die, durch die er Tacitus'
„liberti" auszeichnete (die fürstlichen Erzämter zeigen, daß der
Sinn derselbe ist); oder aber, ob es ein selbstergriffenes war. Das
„Amt" der Schmiede also bildeten mit leichtem Uebergang alle,
die diesem Berufe oblagen.
Dann mag noch hinzugekommen sein, daß manchmal, z. B.
in Basel, wie es scheint ■^^^), an die Spitze eines solchen Amtes
ein bischöflicher Beamter, ein Ministerial gestellt wurde, der, und
mit ihm sein Herr, die seiner Aufsicht anvertraute Handwerker-
gruppe gewissermaßen als ein Zubehör seines Amtes betrachtet
haben mag. Allein ausschlaggebend kann das schon deshalb
nicht gewesen sein, weil regelmäßig die Aufsicht über alle pder
die meisten Aemter der Handwerker zusammen nur einem Be-
amten, wie dem Straßburger Burggrafen, dem Trierer Kämmerer
unterlag. Die Stellung des Amtsmeisters aber erhob sich nicht
so sehr über die der übrigen Handwerker und war nicht
ursprünglich genug, als daß die Bezeichnung auf sein Amt
zurückgeführt werden könnte. Und hinzu kommt, daß dieser
Name sich für Handwerkerverbände oder -gruppen auf dieser
Stufe der Entwickelung keineswegs überall findet 3^*). Die förm-
liche Auffassung als Amt pro bono publico endlich gehört nicht
■der ursprünglichen Epoche an.
342) Oben Anm. i8.
343) Vgl. das nächste Kapitel.
344) Belege im weiteren Verlauf der Darstellung.
Der Betcriff „Ami". I -ig
Die Organisation des städtischen Handwerkes nach Aemtern
— wenn wir diesen Ausdruck trotzdem als quasi technisch einmal
festhalten wollen — erweist sich also als ein natürlicher Ausfluß
der Marktordnung-. Nur diejenigen Gewerbe bleiben außerhalb,
die an Zahl ihrer Vertreter noch zu unbedeutend sind, als daß
sich eine besondere Grugpenbildung_ lohnte. Auf diese Ordnung-
aber arbeitet bereits die erste Einrichtung des Marktplatzes hin:
denn man wird nicht zweifeln dürfen, daß, seitdem es überhaupt
ein Marktrecht, eine Marktkontrolle, eine Marktordnung gegeben
hat, das erste, wie es der städtische Markt bestätigt, eine äußer-
liche Gruppierung der Händler nach ihren Waaren gewesen ist.
Die Sache bringt es notwendig mit sich-^*^).
Wie der gesamte Handel — mit den Einschränkungen, die
sich im weiteren ergeben werden — zwecks Beaufsichtigung auf
dem Markte konzentriert wird, so erhalten wiederum die Verkäufer
jeder einzelnen Warengattung ihre Plätze in zusammenhängender
Reihe^an^ewiesen. Ja, selbst Bänke und Buden stellt der Markt-
345) Es sei trotz aller Bedenken gegen Analogieschlüsse hier einmal gestattet,
zu ^\•iederhoien, was Schurtz, Urgeschichte der Kultur (Leipzig u. Wien 1900),
S. 164 f., über die Ordnung des Marktwesens im Innern Afrikas mitzuteilen weiß:
„Vielleicht gibt den ersten Anstoß zu geselligem Zusammenschluß der Gewerbtreibenden
das Marktwesen, das ja besonders in Afrika sehr ausgebildet ist und ganz von selbst
<iazu drängt, daß die Verkäufer gleicher Waren auch nebeneinander ihre Sitze auf-
schlagen, um von den Kunden leichter aufgefimden zu werden. Wo Marktordnungen
bestehen, wird dieser Brauch zum festen Gesetze, su nach den Angaben Ramseyers
und Kühnes in Aschanti. Im Sudan kommt es dann schon ^^elfach so weit, daß
■die Handwerker Gesellschaften bilden, an deren Spitze Obermeister oder Aufseher
stehen, die meist nicht von den Zunftgenossen, sondern vom Fürsten ernannt werden
imd die Abgaben der Handwerker einzutreiben haben; in den größeren Städten wohnen
-dann auch die Angehörigen einer Zunft gern in einem besonderen Quartiere zusammen,
wie in Kätsena nach Barths Bericht die Schuhmacher, Weber und Sattler, in Kano
<lie Goldschmiede. Staudinger fand in Sana die Grobschmiederei in den Händen
einer „Gewerkschaft", die Abgaben an einen Obermeister zahlte; dieser letztere fert^e
aufierdem mit seinen Söhnen, Verwandten und Gesellen die feineren Schmiedearbeiten
an; alle Schmiede aber bewohnten zusammen ein bestimmtes Stadtviertel. Auch im
Bazarwesen der islamitischen Welt sind die Berufsgenossen in bestimmten Gassen ver-
einigt, ohne daß in der Regel ein Zwang von oben her dazu nötig ist.'" [Ursprüng-
lich möchte die Einrichtung des Bazars und die Einweisimg der Händlergruppen in
seine verschiedenen Quartiere doch wohl „von oben her'* veranlaßt sein!] Femer
S. 278: „Entstehen endlich aus den periodischen Märkten dauernde Verkaufsstellen,
wie die Bazare im Orient imd Nordafrika, dann wohnen auch meist die Handwerker
zusammen. Von oben her werden ihnen daim Aufseher gesetzt, die natürlich zunächst
<lie Aufgabe haben, die Gewerbesteuern einzutreiben, die aber zugleich die Vertreter
■des Handwerks beim Hofe sind."
140
Der Markt und die Aemter.
herr für die Händler mit den wichtigsten Lebensdürfnissen, für
Fleischer, Bäcker, Schuster und Tuchhändler her. Es macht
dabei nichts aus, ob der Marktplatz ursprünglich sein privat-
rechtliches Eigentum war, wie in den neubegründeten Städten
mit dem gesamten Areal, auf dem er die Stadt anlegte; oder ob
es sich um alt-öffentliches Gelände handelte, wie in den ehe-
maligen Römerstädten und im inneren Deutschland an Punkten,
die für den Handel schon Bedeutung gew^onnen hatten, ehe die
Obrigkeit sich seiner annahm und der verkehrsreiche Platz etwa
zum Bischofssitz erkoren wurde '^^") : die Wirkung der Unterstellung
unter das Marktrecht war in beiden Fällen dieselbe. Das gilt
von den Rechtsverhältnissen, den realen und den personalen —
und noch einmal zeigt sich da in vollem Glänze die Torheit des
Versuches, jene alte Theorie wieder ins Leben zu galvanisieren,
die einst bei einer erst oberflächlichen Kenntnis aller städtischen
Verhältnisse begreiflich war. Das gilt auch von den praktischen
Anordnungen.
Daß den nach Gewerben benannten Straßen ihre Namen,
wie wohl ausgesprochen worden ist, nur zufällig und spät durch
den Volksmund beigelegt worden wären, mag hie und da zu-
treffen, läßt sich jedoch angesichts zahlreicher überlieferter Tat-
sachen als allgemeingültig nicht aufrecht erhalten.
Ein in seiner Reichhaltigkeit freilich einziges Material
hierüber bietet Köln in seinen Schreinsuxkiinden aus dem
12. Jahrhundert'^'^').
Bei zahllosen Häusern und Grundstücken, von denen dort
Besitzübertragungen gebucht sind, wird die Lage, mit „intej:" und
dem Namen einer Handwerkergattung bezeichnet. Es würde
wenig bedeuten, wenn nur gelegentlich wie in Regensburg
einmal ein
Gozwm mter tonsores
vorkäme 3^s). Aber hier in Köln handelt es sich nicht allein um
346) Hierüber Rietschel, Markt und Stadt, S. 19, S. 33 ff. Dazu Neue
Jahrbücher f. d. klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur^ Bd. III_.(j.9op),
I, S. 293 ff.
347) Kölner Schreinsurkunden des 12. Jahrhunderts, herausgegeben von Robert
Hoeniger (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde I), Bd. I
u. II (i u. 2), 1884 — 1894. — Die Einzelbelege sind mit Hilfe des Topographischen
Registers, Bd. II, 2, S. 284 ff., leicht aufzufinden.
348) Wittmann, Schenkungsbuch von St. Emmeramm, Quellen und Er-
örterungen z. bayer. Geschichte, Bd. I, S. 120, CCXXXV.
Der Marktplatz in Köln. 1 i i
Ortsangaben, auf deren Zuverlässigkeit bei dem Rechtsgeschäft
so gut wie alles ankam: die Menge dieser Bezeichnungen ist er-
drückend^ Für die Rhein vorstadt, die „ursprünglich einen einzigen
großen Marktplatz" gebildet hat^*'*). ließe sich, da häufig auch
das Angrenzen der Verkaufsstelle eines Handwerks an die eines
anderen vermerkt ist, danach geradezu ein Schema des ganzen
Straßennetzes entwerfen. Man wird keinen Einblick gewinnen,
wenn ich nicht wenigstens die wichtigsten dieser Ortsbezeichnungen
zusammenstelle.
Da werden Häuser übertragen
inter calciatores (caligatores, sutores, venditores, factores
calciarum, qui vendunt calcios); inter cirothecarios (sutores,
venditores cirothecarum); inter coriarios (coreorum inci-
sores); inter gladiatores; inter venditores gularum; inter
hastatores (hastarios); iuxta venditores Hmborum; inter
linmengere (lineorum pannorum venditores); inter macella
(carnificesj ; versus pabulum vendentes; inter pannorum
venditores (incisores, vvaitschrodere u. ä.); inter pellifices
(locus contra pellifices de suburbio situs); inter pilleatores;
inter venditores salis (Salzgasse, vicus salis); inter sellatores;
inter solearios (venditores solearum); inter ferrarios (qui
ferrum vendunt. isinmen gerin).
Bei anderen Eintragungen lautet die Formel, wenn möglich
noch unmißverständlicher, „locus, ubi venditur", z. B.:
decem loca sita ante portam Martis ubi calcii puerorum
venduntur; ubi haste raduntur in foro; scampnum in quo
o
carnes silvestres, »wlbreyt«. venduntur; ante Marportam
ubi venduntur species; versus cubicula pannicidarum ; loca,
stationes ubi stant pellifices; in introitu platee ubi pisa
venditur; quarta pars littoris in quo fabri manent.
Unter Umständen haben diese Verkaufsstellen schon den
Charakter eigener Märkte, Sondermärkte, innerhalb des einen
großen Marktes angenommen:
forum butiri (vgl. iuxta butiri venditores); Hunremarcht,
forum pullorum (in quo pulli et alia volatilia venduntur);
forum ubi pelles venduntur; forum piscium; domus sita
in loco ubi sal venditur; sita versus Rhenum in foro
ubi venditur ferrum.
349) H. Keussen, Untersuchungen zur älteren Topographie und Verfassung
m Köln. Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst, 1901, Bd. XX, S. 60.
1^,2 Der Markt und die Aemter.
Freilich, wenn der Kölner Markt in einer Weise reich ge-
^gliedert ist, daß sich ihm kein zweites Beispiel an die Seite stellen
läßt, so sind auch die übrigen Verhältnisse weit über den Grad
hinaus frei entwickelt, der in irgend einer anderen Stadt bereits
erreicht worden war. Als Grundeigentümer des Platzes grerieren
si ch di e Gememdeti i^^) von St. Martin und Brigiden, während andere
Teile einzelnen Stiftern wie St. Maria ad Gradus gehören •^^^).
Ebensowenig läßt sich nachweisen, daß die Aufteilung unter die
zahlreichen Gewerbe von dem Erzbischof herrührt. Im Gegen-
teil sehen wir bereits gegen Mitte des 12. Jahrhunderts Hand-
werkerverbände zusammenhängende Marktstellen selbständig von
der Martinsgemeinde erwerben. Zu der durch die Urkunde über
die Begründung der Bettziechenbrüderschaft vom Jahre 114g be-
kannten Schreinseintragung, die uns das von den
venditores peplorum et tegumentorum pulvinarium (id est
sciza)
meldet -^^2), kommt die folgende gleichzeitige:
N. s. q. illi qui vendunt lanea fila conduxerunt locum
iuxta aqueductum et macellos situm a parrochianis^^^).
Zugleich eine Vermehrung ältester Zunftnachweise.
Allein es ist ausgeschlossen, daß dieses als das für Köln
von Anfang an t3^pische Verfahren zu gelten hätte. Auch hier
muß eine mit Autorität ausgestattete Hand die erste Ordnung^
geschaffen haben. Und auch in Köln_Jst_Maxkth£]X-^er Erz-
»bischol In der Tat steht mitten auf dem alten Alarkt seine
Münze^'»*). Rings um sie herum gehört der Boden ihm ^^^). Hier
350) Vgl. Anm. 352 und 353.
351) Lau, Entwicklung der kommunalen Verfassung und Verwaltung der Stadt
Köln, S. 48 f.; Hoeniger, a. a. O. Bd. II (i), S. 271 ff.
352) Hoeniger, a. a. O. Bd. I, S. 43: Martin 3 I, Nr. 36. „Sciza" = , (Un-
beholfene Schreibung für zicha", a. a. O, Bd. II (2), S. 313.
353) Hoeniger: Martin 3 I, Nr. 34, also zwei Eintragungen vor jener.
Während aber die Wollgarnhändler die Stelle (locus) nur gemietet haben, heißt es von
den venditores peplorum et tegumentorum: ,, locum acquisiverunt a parrochianis
S. Martini, ita ut deinceps libere et hereditario iure eum in sua possessione obtineant."
Ich weiß nicht, wie Hoeniger I, S. 43', danach sagen kann, daß der Marktstand
vorher ausschließlich den Leinewebern gehörte. Vgl. noch unten Anm. 468.
354) Keussen, a. a. O.
355) Keussen, a. a. O.; Lau, a. a. O. S. 63 f. Vgl. ferner Bungers,
Beiträge z. mittelalterlichen Topographie, Rechtsgeschichte und Sozialstatistik der Stadt
Köln (Leipzig 1897) über den Ladenkomplex „Interlan", der von Erzbischof Anno
dem Zöllner Ludolf erblich verliehen war.
Der Erzbischof und der Kölner Marktplatz. 143.
liegt also der Kern des Marktplatzes, der Ausgangspunkt war in
Köln genau wie überall. Nur ist hier in der Zeit, wo die Quellen
einsetzen, der Verkehr bereits seit langem hinausgewachsen über
die erste Anlage auf das Gemeindeland und das Eigentum anderer
Grundherren, ja selbst bis in die neue Vorstadt Xiederich-^-''^). So
entspricht es auch seiner außerordentlichen Spezialisierung''^^).
Daß aber auch in Köln der Erzbischof sich als eigentlichen
Eigentümer des gesamten Marktplatzes betrachtete, das ergibt
sich aus dem Abkommen, das Philipp von Heinsberg am 27. Juli
II 80 mit der Stadt traf^^**), wonach ihm von jeder auf dem Markt
oder anderem Gemeindeland^'^-') bebauten „area" je nach ihrer
Größe zwei oder vier Pfennige jährlichen Zinses gezahlt werden
mußten:
ita [edificiaj permanebunt hereditario iure in posterum
possidenda ab his, qui ea sine auctoritate nostra prius
possederant.
Wie er denn auch seine Marktherrlichkeit darin zu erkennen-
gibt, daß er jede Veränderung an den Markthäusern, also den
Läden der Handwerker und sonstigen Händler, verbietet, mochten
sie eine „uzfanc" genannte Vorhalle bereits besitzen oder nicht.
Einen besonderen Wert aber erhält die Kenntnis dieser so
ins Detail durchgeführten Ordnung noch dadurch, daß sich schon
Anfänge einer Auflösung beobachten lassen, daß sie nicht mehr
mit Strenge innegehalten wird. Nicht nur, daß es nötig geworden
ist. bereits ein „novum forum" mit eigenen „macella" im Westen
der Stadt anzulegen: demgegenüber gewisse Handwerkerstraßen
in der Altstadt
inter aurifabros, inter cordewanarios, vicus campanariorum.
(Clocnergasse), vicus clippeorum oder scutorum, sowie die
Juden gasse
356) Z. B. die „I^regaze", Niederich 6, III, 8.
35") ^'g'- außer den Wollgamverkäufem und Bettziechenwebem — im Jahre
I149 <iie beiden jüngsten Abzweigungen — noch die „venditorcs solearura" und
namentlich die „qui vendunt calcios puerorum",
358) Ennen und Eckertz, Quellen z. G. d. Stodt Köln, Bd. I, Xr. 94.
359) "I" alJo loco publico". Andere ,,edificia, que in veteri foro. parrochiani
S. Martini et parrochbni S. Brigide et illi de Oversburg absque iure hereditario hac-
tenus tenuerunt", sollen sie der ,,universitas civium" zu Erbrecht übertragen, der der
Erzbischof sie erbrechtlich bestätigen wird, unter der Bedingung, „ut nobis debitum.
censum et vorhuram de his sicut de ceteris areis persolvant".
144
Der Markt und die Aemter.
auf einen ältesten Zustand zurückgehen mögen, ehe noch der
Erzbischof vor der Mauer nach dem Rheine zu den Markt er-
•öffnet hatte ^'''*). Gewisse Bestimmungen in einzelnen der Besitz-
wechsekirkunden , die es, wenn auch nur auf Grund privater
Wünsche, verbieten, zeigen, daß es nicht mehr als ganz unmöglich
galt, die Häuser in den Handwerkergassen auch anderen Zwecken
zuzuwenden, als wozu sie erbaut worden waren, wie wenn in
•diesem oder jenem Hause der Betrieb der Fleischerei untersagt
wird 3*^1), oder wenn der Veräußerer einer „statiuncula" die Be-
dingung stellt:
nulluni alium imponant nisi talem qui vendat merces,
sericum videlicet et species et zonas et similia^"^).
Erschließen sich uns aber somit in den reichentwickelten Kölner
Verhältnissen in einem günstigen Augenblicke auf einmal wie
die ältesten so auch die neuesten Bildungen, die bestimmt waren,
•die strenge Marktordnung abzulösen, so gewähren andere Städte
eine Reihe Beispiele, an denen sich, wenn sie zum Teil auch
«der Zeit nach jünger sind, dennoch der ursprüngHche Zustand,
auf den es ankommt, im einzelnen vielleicht noch sicherer er-
kennen läßt.
Mit Glück hat Philipp! in den westfälischen Bischofs-
■städten Fleischer- und Bäckerstraßen_als älteste Anlagen
neben den Domburgen nachgewiesen ^''3).
360) In römischer Zeit war die ganze Marktgegend zwischen Stadtmauer und
Rhein Ueberschwemmungsgebiet: Rud. Schnitze und Carl Steuernagel, in
Colonia Agrippinensis, Festschrift zum 43. Philologentag (Bonner Jahrbücher, Heft
XCVIII, 1895), S. 5 f. Spätestens in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts ist sie
jedoch in die Stadtbefesligung mit einbezogen. Keussen, a. a. O. S. 56. Vgl.
noch unten Anm. 468.
361) Mailin 3, VH, 4; 9, I, 16.
362) Martin 8, VI, 21. — In den verschiedensten Parochien zerstreut
finden sich Backhäuser, pistrinae, als Zubehör beliebiger Wohnhäuser — ganz ein-
fach, weil, wie schon Anm. 338a ausgeführt, viele Bürger für den eigenen Bedarf
iucken. Die Bäcker aber hatten, wie die übrigen Handwerker, ihre bestimmte Ver-
kaufsstätte. Es ist deshalb grundlos, mit Hoeniger die „halla panificum",
Brigiden 3, X, 3, in eine „halla pannicidarum" verwandeln und. das Wort ,,panes"
in Martin 12, III, 5, durch ,,panni" ersetzen zu wollen. — Vgl. noch in Trier
-„domus furni in nova platea'', Mittelrhein. Urk.-B., Bd. II, Nr. 254 a. 1174 — 1209;
und „pistrine domus in platea carniflcum sita", a. a. O. Bd. III, Nr. 256 a. 1225. —
Ferner über Würzburg Gramich, Verfassung und Verwaltung der Stadt Würz-
burg, S. 43; Ordnungen Bischof Otto II. (1333 — 1345) § 80 (Archiv d. h. V. f.
Unterfranken, Bd. XI, 2), S. 104.
363) Philippi, Zur Verfassungsgeschichte der westfälischen Bischofsstädte
(Osnabrück 1894), S. 6 ff. Für Minden ordnet das Privileg Ottos II. von
Marktstraßen in Westfalen, Erfurt, Mainz. I^^
Solche Budenreihen für bestimmte Waren sind auch die
gadimen uffe deme vrige des ertzebischoves
unter denen in Erfurt allein Tuch geschnitten werden durfte »•*•),
sowie die
tuguria, in quibus inciditur lineus pannus, ante Gradus
in derselben Stadt, die ebenfalls Eigentum des Erzbischofs
waren ^^^).
Femer gehören hierher in Mainz selbst die Gaden der
GewandschneiHpr am nr>m die beim Neubau dieser Kirche
im Jahre 1239 abgerissen werden mußten und, 48 an der Zahl,
aul^rhalb der Immunität auf dem Fleck, den bis dahin die
Schuhmacher inne gehabt hatten, zu Lasten des Erzbischofs
wieder aufgebaut wurden, dessen Eigentum sie auch blieben ■^^^.
Die Inhaber zahlten ihm jeder jährlich ein Pfund und erhielten
dafür das Monopol ^es_Tuchschnitts in der_Sta(it.. Und wenn
die Schuhmacher noch keine unbeweglichen Buden besaßen, so
war ihnen doch ebenfalls eine ganz bestimmte Marktstelle zur
Benutzung zugewiesen.
977 (MG. DO. n Nr. 147) die Errichtung eines ,jiiacelluin" an, während MG.
DO. I Nr. 190 von 958 für Meschede, es schon als vorhanden voraussetzt- In
beiden Fällen steht macellum schlechthin für den Markt mit offenbar festen Buden.
Vgl. auch unten Anm. 381.
364) Kirchhoff, Die ältesten Weistümer der Stadt Erfurt, über ihre Stellung
zum Erzstift Mainz (Halle 1870), Weistum von 1289, S. 28 § 54: „Nieman sal
gewant sniden zu Erforte danne uffe deme vrige des ertzebischoves undir den gadimen."
,. Vrige des ertzebischoves" ist von Schmoller, Tucherzunft S. 391, nicht treffend
mit des Erzbischofs „Freigut" übersetzt- „Vrige" heißt hier Freiheit, Immimiiät.
■worauf Kirchhoif S. 28 '•^- richtig hinweist- Der Zins, der von den Gaden entrichtet
A%-urde, war aber natürlich auch hier ein Freizins (Kirchhoff a. a. O.). Die Zahl
der Gaden wird hier nidit, wie fünfzig Jahre früher in Mainz (vgL unten Anm. 366),
beschränkt.
365) Kirchhoff, a- a. O. S. 29"', „bald nach 1250". Vgl. Beyer, Ur-
kundenbuch d. Stadt Erfurt (Gqu. d. Provinz Sachsen XXIII), Bd. I, Nr. 318 a. 1282:
der Rat restituirt dem Erzbischof „apotecas sive domos illas sitas Erfordie ante Gradus
in quibus ftannus lineus vendi solet.''
366) Der „Gadenbrief" vom Jahre 1 239, enthalten in deutscher Uebersetzung in
der Chronik von Mainz, Hegel, Städtechroniken, Bd. XVH, Mainz I, S. 5. Das Un-
zuträgliche lag nicht darin, wie Hegel S. 5* meint, daß die Gaden auf der Immunität
der welllichen Gerichtsbarkeit entzogen waren; sondern sie „irrten" die' Immunität,
weil sie, als dem Stadtrecht unterworfen, fort^^'ährend deren Durdibrechung nötig
machten- Zu bemerken ist noch, daß der Besitz als erblicher nur so lange gelten
sollte, bis der Erzbischof die Baukosten erstattet hatte.
Keutgen, Aemt«- und Z&nfte. 10
146 I^cr Markt und die Aemter.
Auch die ..aree" in Hildesheim sind hier zu nennen, von
denen schon vor den Zeiten Bischof Bernos (1190 — 1194) der
magister sutorum jährlich am Martinstage einen Zins von 10 s.
zu entrichten hatte •^''^). Später, am 9. August 1268, hat der Rat
die .,loca sutorum", die er „ad usus communes civitatis" brauchte»
nach langen Verhandlungen gegen eine andere „area" von den
Schuhmachern eingetauscht, die sie von nun an zinsfrei besitzen
sollten, y,
ad sua mcrcimonia in ea tute ac libere exercenda 2*'*^).
Es ergiebt sich, daß auch die alten „locai^'-elae-zusairuiien hängende
Stätte bildeten. Auch ein „foru_m_ panis" wird in der erstge-
nannten Urkunde erwähnt.
Am genauesten sind wir über die Errichtung von Reihen
von Fleisch-, Brot- und Schuhbänken durch die Urkunden
über die Anlage der schlesischen Städte unterrichtet, worauf
ich in anderem Zusammenhange zurückkomme 3*^^). Aus dem
alten Deutschland sei nur noch als die eigentliche klassische
Stelle die Bestimmung des Freiburger „Rotels" angeführt über
die drei Lauben —
inferiores macelli, lobia prope hospitale, banchi panum —
que per iuramentum a prima fundatione civitatis sunt
institute,
und unter denen jeder Ratmann verpflichtet ist, eine Bank zu
besitzen^''*').
367) Doebner, Urkundenbuch der Stadt Hildesheim, Bd. I Nr. 47, vom
5. Dezember 1195. Der Zins ist anzusehen als der, den entweder die Innung ins-
gemein für ihre Verkaufsplätze schuldete, oder, wahrscheinlicher, den der Amtsmeister
von den einzelnen Schuhmachern einzusammeln hatte.
368) Doebner, a. a. O. Nr. 315. Daraus, daß die Stadt die Schuhmacher
,,ulterius'* zu keinem Zins von der neuen area zwingen soll, folgt, daß von den alten
loca Zins gezahlt wurde und es mithin wohl dieselben waren, deren Zins Berno ver-
schenkt hatte. Wahrscheinlich hatte der Rat diesen seit 1195 aufgekauft, um ihn
nicht in geistlichen Händen zu lassen.
369) Vgl. unten Kap. X u. XI.
3701 Meine Urkunden Nr. 133 IV § 78, § 77. — Gothein, Wirtschafts-
geschichte des Schwarzwaldes, Bd. I, S. 331, bezeichnet die dritte Laube, neben der
Fleischbank und der Brotbank, als Kramlaube. Ich weiß nicht, mit welcher Begrün-
■ düng. Wenn auch diese Laube einer bestimmten Warengattung zugeeignet war, so
kann es sich kaum um etwas anderes als um eine Tuchlaube gehandelt haben. Vgl.
Hans. Geschichtsblätter, Jahrgang 1901, S. 82 f. Die macella wird man in
diesem Falle dagegen unbedenklich als Fleischscharren ansprechen können. Unrichtig
ist, wenn Gothein S. 497 sagt, daß jeder der Vierundzwanziger in jeder Laube je
eine Bank erhalten habe. Vgl. auch Götting. Gelehrte Anzeigen 1893, S. 555.
Marktreihen in Hildesheim, Freibarg, Trier. I^y
Wie aber im Anschluß an die Reihen der Tische auf dem
Markte Straßen bewohnbarer Häuser entstanden sind, das be-
leuchtet eine Notiz aus dem Testament des dominus Livezeiz in
Trier von der Wende des 12. Jahrhunderts, der unter anderm
vermacht
domum retro mensas carnificum et mensem ad eandem
domum pertinentem^"^).
Die Tische der F1pi«irhf>r aUn stehen an hf^stim"itf>m Orf^ und
sjnd unbeweglich, die Wohnhäuser gleich dahinter,. Wenig später
werden eine „platea carnificum", eine „patea piscatorum". eine
..Brotgaze" erwähnt^^^. Und wenn wieder etwas später die
Aufnahme in das Bäcker- oder Fleischeramt an den Erwerb eines «^.
der Häuser geknüpft ist, auf denen der Gewerbebetrieb beruhte,
so ist das in letzter Linie ebenfalls auf die alte Marktordnung
zurückzuführen ^'%
Auch dafür, daß man sich der Wichtigkeit der Zugäng-
lichkeit des Verkaufslokals für die (Tcwerbekontrolle sehr wohl
bewußt war, sei ein Beleg gegeben. Gut kommt das zum Aus-
druck in der Urkunde Erzbischof Heinrichs I. von Köln vom
18. März 1230, durch die er die Aufsichtsbefugnisse des Kölner
Wollen web eramtes über die Deutzer Wollenweber ordnet:
Preterea sepiusdicti Tuicienses apud domesticos suos
Colonienses, in quorum domibus pannos suos venditioni
exposuerint, procurabunt et tales habebunt eosdem, quod
sine contradictione et impedimento visitationem superius
expressam in domibus suis fieri permittant etc.^^^).
Das spiegelt einen späteren Zustand. Den Deutzer Webern konnte
es nicht vorgeschrieben werden, sich in Köln nur solche ,.do-
mestici" für den Verkauf ihrer Tuche auszusuchen, deren Häuser
371) Mittelrhein. Urfc.-B., Bd. II Nr. 254 a. 1 174— 1209.
372) A. a. O. Bd. III Nr. 256 a. 1225; Nr. 433 a. 1231; Nr. 832 a. 1245.
Nachgewiesen von Schoop, a. a. O. S. 141. Vgl. femer Lacoroblet, Archiv,
Bd. I, S. 269 § 21 „censiis de qaibusdam domunculis iiucta macellum", S. 273 § 30
..certi census de qaibusdam niaceilis", beides aus den „Census dni. archiepiscopi" von
13 19. Man möchte vermuten, daß die macella des § 30 neue, zu dem macellum des
2 1 hinzugekommene Scharren gewesen seien. — Ueber das Backhaus in der Fldscher-
j;as.se vgl. oben Anm. 362 u. 338a.
373) Bär, Forschungen, Bd. XXIV, S. 254, wie es scheint nach angedruckten
Zunftordnungen.
374) Ennen und Eckertz, Bd. II, Nr. 117.
10*
148 ^^^ Markt und die Aemter.
und Läden in einer Reihe nebeneinander lagen. Wo es sich
jedoch um eine erste Einrichtung handelte, entsprach eine solche
Anordnung ein für allemal dem Zwecke am besten.
Noch kräftiger jedoch bewirkte den Zusammenschluß der
Gruppe, wenn für ein Gewerbe ein Jjesonderes Kaufhau_a. ein
,,th£.alrjimj'. errichtet wurde. Auch das ist vielfach als im Ver-
folg der ersten Anlage der Stadt geschehen zu erachten. Natür-
lich können auch davon hier nur ein paar beispielshalber nach-
gewiesen werden.
So besaßen Johann I. und Otto III. von Brandenburg in
Stendal eine
domus ^eUi£icijnx^
in der sie im Jahre 1227 den Bürgern 13 „camerae" überließen
neben dem
usus macellorum nostrorum carnificum,
die also auch von den Markgrafen, und zwar ohne Zw^eifel so-
gleich bei der ersten Anlage durch Albrecht den Bären errichtet
worden waren '^^s). Ob das „theatrum", das dieselben Markgrafen
sechzehn Jahre später der Stadt übereigneten, ebenfalls dem Handel
mit einer einzelnen Ware, etwa dem Tuchhandel, diente oder für
verschiedene eingerichtet war, erhellt nicht ^^*'). Jedenfalls wird
aber auch in diesem Falle jeder Warengattung ein besonderer
Raum oder Raumteil zugewiesen worden sein.
Nach und nach wurden auch diese Einrichtungen weiter
ausgebaut. So wird in Würzburg 1253 ein Haus am Markte
als neuerrichtet erwähnt
in qua pannus lineus exponitur ad vendendum^^^).
Und in dem kleinen Duderstadt überließ 1273 der Rat den
Bäckern ein neugebautes Haus, wovon ihr Meister jährlich in
zwei Raten für sie den Erbzins an die Stadt abzuführen hatte ^''^).
375) Riedel, Codex dipl. Brandenburgensis, I. Hauptteil, Bd. XV, Nr. 6;
meine Urkunden Nr. 107c. Vgl. Riedel Nr. 3; Urkunden Nr. 107a.
376; Riedel Nr. 11; Urkunden Nr. I07d.
377) Monumenta Boica, Bd. XXXVII, Nr. 322. Dazu Gramich, Ver-
fassung und Verwaltung der Stadt Würzburg, S. 42. Nach dem Zusammenhang der
Urkunde könnte man allerdings glauben, daß es sich nicht sowohl um den Markt in
Würzburg als um den in Randersacker handelte. Ueber die Errichtung von Reihen
von Kramläden, Brotbänken und von Kaufhäusern für verschiedene Waren in Würzburg
vgl. Gramich, S. 40 ff.
378) J. Jaeger, Urkundenbuch der Stadt Duderstadt, Hildesheim 1883, Nr. 4.
Kaufhäuser in Stendal, Würzburg, Duderstadt. I^g
Vielleicht war es kaum nötig, so viele Worte über die Sache
zu machen, denn Tuchgaden, Brotbänke und Fleischscharren sind
ja hinreichend bekannte Dinge und es versteht sich, daß sie nicht
in bunter Mischung durcheinander lagen. Aber der prinzipiellen
Bedeutung wegen mußte der Sachverhalt einmal festgestellt
werden ^^^).
Auf der anderen Seite soll natürlich nicht behauptet werden,
daß ein für allemal sämtliche Gewerbetreibende ausschließlich
in bestimmten Straßen oder Reihen ihre Buden hatten oder gar
wohnten. Die erste Anlage konnte die spätere Größe der Stadt
nicht in Betracht ziehen. So mußten denn, als unter der Ein-
wanderung die Zahl der Vertreter der einzelnen Gewerbe wuchs,
die Xeuhinzukommenden suchen, wo sie Unterkunft fänden und
sich auch mit weniger günstig gelegenen Läden begnügen: denn
nicht immer wird es, wie wohl von den Tuchhändlern berichtet
wird, in späterer Zeit dazu gereicht haben, zweite Gadenreihen
zu bauen •^*<>). Und noch weniger ließ sich in den einfachen An-
fängen die ferne Spezialisierung der Handwerke voraussehen:
es entstanden neue Gewerbe, deren, vielleicht w^enig zahlreiche,
Vertreter keinem der vorhandenen Aemter sich einordnen ließen.
Und hatte ein solches Gewerbe aus häuslicher Gelegenheitsarbeit
sich entwickelt, so blieb der Neuerer mit dem Betriebe in seiner
alten Wohnung. Umgekehrt konnte wohlhabenden Gewerbe-
treibenden nicht verwehrt werden, in anderen Teilen der Stadt
sich geräumigere Häuser zu bauen ^si). Wiederum sahen z. B.
379) Vgl. weiter v. Below, Das ältere deutsche Städtewesen und Bürgertum,
S. 54 ff.; Gengier, Deutsche Stadtrechtsaltertümer, Kapitel IX, X, XVI; G. L.
V. Maurer, Städteverfassung, Bd. II, S. 54 ff.
380) Z. B. in Frankfurt am Main im Jahre 1334. Fromm, Frankfurts
Textilgewerbe im Mittelalter (Archiv f. Frankfurts Geschichte und Kunst, 3. Folge,
Bd. VI), S. 49.
381) Philippi, Westfälische Bischofsstädte, S. 12, teilt mit, daß in Osna-
brück die Handwerker imd Händler, und zwar insbesondere die Schneider,
-jQuster, Gerber, Kürschner, Gewandschneider vmd Krämer im 15. Jahr-
lundert ihre Stände, die bis dahin gassen weise den heutigen MarktplaU bedeckt hätten,
aufgaben und sich in ihren Wohnungen in andern Straßen Läden einrichteten. Aehn-
lich die Bäcker, die wie die Fleischer unten im Rathause auslegten (vgl. auch
Mitteilungen des Histor. Vereins zu Osnabrüdi, Bd. XVH, S. 12, S. 20). In
Minden dagegen wurden aus den Budenreihen die Bäcker- und die Scharren-
straße (Bischofsstädte, S. 13). Und die dortige Hohnstraße wird doch wohl als
Hokenstraße zu deuten sein: vgl. die Hakenstraße längs der Westseite des ^larktes
in Bremen. Vgl. von Bippen, Geschichte der Stadt Bremen, Bd. I, S. 378.
I50
Der Markt und die Aemter.
die Loher sich durch ihr Gewerbe selbst genötigt, ihre Arbeits-
stätte an den Fluß oder Bach zu verlegen. Der natürliche Zwang
der Dinge brachte eben die größte Mannigfaltigkeit hervor, aber
die Bedeutung des Prinzips wird dadurch nicht gemindert '^^-).
382) Ein überraschendes Licht würde auf die Bedeutung der lokalen Gruppierung
für die Organisation der Aemter H. Wittes Erklärung des § i des Hagenauer
Rechts von 11 64 werfen, wobei er sich auf § 23 und die deutsche Uebersetzung aus
dem 14. Jahrhundert stützt, die er in der Zeitschrift f. d. Geschichte d. Oberrheins,
Bd. LH (N. F. Bd. XIII) mitteilt: „de mobilibus autem magistratui suo respondeat
et loco ad quem se transtulit"; deutsch: „siner meisterschaft und der stat zu der er
sich gemachet het." „Locus bedeutet hier die Stätte, d. h. Körperschaft der Ge-
werbetreibenden, der sich der Neubewohner angeschlossen hat" (Witte, S. 411 •*).
Meine Urkunden Nr. 135.
VIII. Kapitel.
Die Amtsmeister.
Die Bildung der Handwerks,, ämter" findet ihren Abschluß
mit der Einsetzung von Amtsmeistern.
Solche stehen selbstverständlich nicht von Anfang an an
der Spitze der einzelnen Gruppen, in die die Marktord n u n g" ,die_
gesamten Gewerbetreibenden geteilt hatte. Das Ursprüngliche
war, daß die Handwerkerschaften ohne eigene Führer zusammen
unmittelbar einem Beamten des Marktherrn unterstellt w'urden,
der aber natürlich auch n^ch Einsetzung der Meister wenigstens
formell in seiner Stellung blieb. Auf den Titel dieses Beamten
kommt es nicht an : es handelt sich um ein Nebenamt, das mit
seinen Einkünften diesem oder jenem Ministerialen übertragen
werden konnte.
In einfachen Verhältnissen unmittelbar zuständig war der
Schultheiß oder welche Bezeichnung sonst der ordentliche Stadt-
und Marktrichter im einzelnen Falle führte. Ihn finden wir in
dieser Stellung in Hameln nach der Aufzeichnung über seine
Rechte aus den Jahren 1237 — 1247^8^); während 30 oder 40
Jahre später, nachdem die Stadt das Schultheißenamt käuflich
erworben hatte, der Rat selbst das Handwerk regiert 3«^),
In Augsburg übt im 12. Jahrhundert ebenfalls der ordent-
liche Stadtrichter, der prefectus_urbis oder Burggraf,, die Gewerbe-
gerichtsbarkeit: von Amtsmeistern ist dabei so wenig die Rede
wie in Hameln ^*^). Und da man in Augsburg bis zur Zunft-
revolution von 1368 die Bildung von Handwerkerverbänden
383) Meinardus, ürkundenbuch des Stiftes und der Stadt Hameln Nr. 22;
meine Urkunden Xr. 149. Ueber die Bedeutung des Innungsrechtes in dieser Ur-
kunde vgl. unten Kap. X.
384) Meinardus Nr. 79; Urkunden Nr. 150 § 5, § 9: a. 1277.
385) Stadtrecht von 1156. Meine Urkunden Nr. 125 § 21 ff. Vgl. noch
unten Anm. 400.
152
Die Amtsmeister.
Stets hintangehalten hat, so ist es bis dahin denn auch dabei g-e-
blieben ^««).
Ebenso kennt die Aufzeichnung über die Rechte und Ab-
gaben der Gewerbetreibenden zu Wiener-Neustadt von etwa
13 lo nur den „richter" als ihren Vorgesetzten •^*^^). Ueberhaupt
wird sich ergeben, daß dieser Zustand ein viel stärker verbreiteter
gewesen ist, als man nach den landläufigen Darstellungen des
Zunftwesens annehmen sollte.
Dagegen hat bereits die Entwickelung der Marktgerichts-
barkeit im allgemeinen gezeigt, wje leicht ^^rh nnt-pr TJmstpnden
von der Stadtgerichtsbarkeit die Gewerbekontrolle abzweigen
konnte, und mehrfach sahen wir den iudex nur noch im Em-
pfang eines Anteils an den Bußen '^s**).
Jedoch eine solche Spaltung war nicht nur da möglich, wo
die Gewerbepolizei in die Hände der Gemeindeorgane überging:
ebenso gut ließ sie sich einem besonderen Beamten des Markt-
herrn übergeben. Und auch das scheint bereits im Edictum
Pisten se vorgesehen, wo sie ganz allgemein den „ministri rei
publicae" empfohlen wird^**'*).
In dieser Stellung fanden wir in Straßburg einer großen
Anzahl der wichtigsten Gewerbe gegenüber den Burggrafen,
während der Schultheiß die allgemeine Marktgerichtsbarkeit be-
saß, der ja noch ein weiter Spielraum blieb 3'*^). In Anlehnung
an Gothein ließe sich für die Sonderstellung jener Aemter eine
Erklärung vielleicht in ihren Lieferungen für die Hof- und Heer-
fahrt des Bischofs finden ^^i).
386) Vgl. Chroniken der deutschen Städte Bd. IV, Augsburg Bd. I, S. 135.
Erst jetzt werden aus den Handwerken zu poHtischen Zwecken Zünfte gemacht, ,.der
iecHchiu einen Zunftmeister haben sol". Vgl. Chroniken Bd. XXII, Augsburg Bd. III,
S. 339'. In dem ausführlichen Stadtrecht von 1276 heißt es denn auch stets nur „die
gwander", „die kramer", ,,die flaishmanger", „die hüter", „die wizmaler" u. s. w.
Und die Gewerbegerichtsbarkeit hat nach wie vor der Burggraf. Meyer, Das Stadt-
buch von Augsburg, S. 38 ff., S. 192 ff.
387) Winter, Urkundliche Beiträge zur Rechtsgeschichte ober- imd nieder-
österreichischer Städte, S. 70 ff.; meine Urkunden Nr. 269.
388) Vgl. oben S. 230 f.
389; Boretius-Krause, Bd. II, S. 319 § 20; oben S. 43.
390) Vgl. oben S. 65.
391) Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. I, S. 312 ff. Allerdings
betont Gothein den militärischen Charakter der Organisation etwas zu stark. Vgl.
übrigens oben S. 85 ff.
Gewerbegerichtsbarkeit in einer Hand. je»
In Trier und andern Städten dagegen war es d£iL_bischü£-.
liehe Kämmerer, der als regelmäßiger Empfänger der Lieferungen
ihrer Erzeugnisse, die Handwerke beaufsichtigte ^"2),
Wieder in anderen ist es, wie in Koblenz., aus ebenfalls
leicht erklärlichen Gründen, der Zöllner ^^-^j.
Und endlich handelt es sich nicht selten, wie wir nament-
lich bei den Wiener ^lajüjrejn" sahen, bloß darum ^••^), daß
einzelne Gewerbe, gemäß der damals so tief eingewurzelten
Neigung zu Sonderstellungen, eine Vergünstigung darin erblickten,
wenn sie dem ordentlichen Richter entzogen und einem eigenen
zugewiesen wurden: eine Neigung, die aber durchaus nicht auf
ein bloßes Spiel der Phantasie zurückgeführt werden darf,,
sondern die stets reale, wenn auch superindividualistische, oft
kleinliche Beweggründe hatte. Es sind Vorgänge, die sich bei
günstiger Gelegenheit noch unter dem Ratsregiment wiederholen
können und geradezu eine rückläufige Bewegung darstellen, wenn,
wie in Halberstadt im Jahre ^^258, der Bischof die Krämer,
offenbar auf ihren Wunsch, von der Aufsicht des Rates eximiert
und seiner eigenen unmittelbaren unterstellt^^). Aehnlich, wenn
in Hildesheim 1292 der Bischof die Leineweber in der Aus-
übung des Innungsrechtes gegen die Ansprüche des Rates
392) Vgl. oben S. 95.
393) Höhlbaura, Hansisches Urkundenbuch, Bd. I, Nr. 3; Mitlelrhein,
Urk.-B., Bd. T, Xr. 409; meine Urkunden Xr. 80: von 1104. In Koblenz hatte
die große Bedeutung des Schiffszolls die Stellung des Zöllners wohl auch auf dem
Markt gehoben.
394) Oben S. 94.
395) Schmidt, Urk.-B. d. Stadt Halberstadt, Bd. H (Gqu. d. Prov. Sachsen,
VII, 2), S. 443, Xr. XXIX vom 24. Okt. 1258: „nee in eorum constitutionibus sive
iustitiis eos teneri volumus aliqualenus arbitrio sive iudicio consulum civitatis predicte,
sed ipsos nobis in agendis ipsorum inmediate volumus subiacere." Wahrscheinlich ist
dieser Vorgang in Beziehung zu setzen zu der Urkunde vom 2. Febr. 1253, Schmidt
a. a. O. Nr. XXVIH, durch die der Rat bescheinigt, ,,quod iustitores de suo arlificio,
quod vulgariter didtur, ,inninche', VHII marcas dvitati prestitenmt'*. Der Umstand,
daß die VHII „offenbar aus einer früheren Zahl korrigiert, später durchstrichen und
novem et dimidiam übergeschrieben und wieder von späterer Hand (s. XIV ex.) auch
dies durchgestrichen und XI marcas et dimidiam untei^eschrieben" ist (Schmidt
a. a. O.), zeigt, daß es sich nicht um eine einmalige Zahlung oder gar ein Darlehn
handelt, sondern um eine regelmäßige, nach und nach erhöhte Leistung, gegen die
auch die bischöfliche, übrigens nur „quoadusque vixeritnus" gewährte Intervention auf
die Dauer nicht schützte. Auch die Korroborationsformel „ut rata permaneant" ist
nicht die einer Quittimg. — Vgl. noch die folgende Anm.
154
Die Amtsmeister.
schützt 39''). Was scherte es die Leineweber, ob sie um geringen
Vorteils willen die mühsam errungene städtische Selbständigkeit
wieder erschütterten! Dem Bischof freilich war ihr Vorgehen nur
willkommen.
Auch einem Geistlichen konnte ein Amt unterstellt werden,
wie in Würzburg kraft besonderer bischöflicher Verleihung die
Schröter dem Domkustos ^^'j.
Etwas anders ist die Stellung des Dompropstes in der
Neustadt Hildesheim, dem König Heinrich am 22. November
[1226] das Recht verleiht:
in eadem civitate ordinäre officia in mechanicis et aliis
professionibus et magistros officiorum instituere, qui ad
ipsum habeant respectum et eius tantum observent iudi-
cium^^**).
Er ist hier in der Neustadt der Stadtherr 3'*") und offenbar
•der Stadtgründer: wir haben hier also einen guten Beleg dafür,
wie man bei Anlage einer neuen Stadt selbst in kirchlichen
Kreisen die sofortige Organ isatimi c\^r H^nrlv\:^rker_m Aemtorn
als selbstverständlich erachtete und nicht abwartete, bis nach
und nach Zünfte sich aus freiem Antriebe auftaten. Aber in-
-sofern ähnelt die Stellung dieses geistlichen Herrn der seines
Würzburger Konfraters, als auch er es nicht für nötig gehalten
396) Doebner, Urk.-B. d. Stadt Hildesheim, Bd. I, Nr. 460 vom 25. Mai
1292: „Item consulibus civitatis nostre Hildensem non recognoscimus aliquid in iure
illo texiorum, quod in vulgari vocatur inninghe." Eine ähnliche Vergünstigung scheint
zwanzig Jahre früher auch den Schuhmachern zu teil geworden zu sein. Mag auch
,,die Tripartita demonstratio etc. (Hildesh. 1691) S. 139 gedruckte Urkunde . . sich
in dieser Form als Fälschung aus neuerer Zeit" erweisen (Doebner, S. 161'), so
wird an der Richtigkeit des Inhalts doch kaum zu zweifeln sein. — Auch in der vorher
besprochenen Halberstädter Urkunde von 1258 werden die Krämer ausdrücklich
„in suis iuribus que vulgariter ,innigge' dicuntur" bestätigt.
397) Gramich, Verfassung und Verwaltung der Stadt Würzburg, S. 47, nach
<lem Auszug der Urkunde vom 28. Okt. 1250 bei Lorenz Fries, Chronik der Bischöfe
Ton Würzburg (Ausg. von Ludewig, Frankfurt a. M. 1713), S. 565. Unbegreiflich,
wie Gramich auch hierin ein Zeichen der Hofrechtlichkeit erblicken kann! Vgl. weiter
unten Anm. 437 a und 469.
398) Doebner, a. a. O., Nr. 96; bestätigt von König Wilhelm am 26. Febr.
1252, Nr. 221.
399) „Sed soli preposito maiori qui fuerit pio tempore quoad omnem utilitaiem
et reverenciam semper subsint." Vgl. auch Urkunde Bischof Koniads II. von 1246,
a. a. O., Nr. 193: „homines de Novo oppido prepositi maioris". Der Vogt Luppold
ist dann mit der berühmten Gründung der Dammstadt seinem Beispiel gefolgt:
a. a. O., Nr. 122 vom 11. Mai 1232.
Gewerbegerichtsversaminlungen. les
ZU haben scheint, die Aufsicht über die Handwerker einem
Ministerialen als Zwischeninstanz zu übertragen.
Mit den ihm untergebenen Handwerken hielt der markt-
herrliche Gewerbebearnte in Ausübung seiner Funktionen Yer.-
sammlungen ab, regelmäßig dreimal im Jahre: sie sind das un-
sj^ebotene Ding in Gewerbeangelogonheiten^"")./ Zunftversamm-
lungen, wie Hegel bei Gelegenheit der Koblenzer Schuh-
macher tut, kann man diese Sitzungen noch nicht nennen*"*).
Mit den späteren „Morgensprachen" der Zünfte haben sie nur
€ine entfernte Aehnlichkeit. wenn diesen auch unter der Herr-
schaft des Rats ebenfalls ein Ratsmitglied beizuwohnen pflegte*"-).
Trotzdem sind sie ein .sehr wichtiges Glied in der zünftischen
Entwickelung. Denn hier trat jedes Gewerk zum ersten Male
als geschlossene Gemeinschaft auf; hier übte es, wenn auch unter
herrschaftlicher Leitung, die Anfänge der Autonomie; hier konnte
CS seine Wünsche auch gegen den Richter geltend machen. An-
fangs mochten freilich die Verhandlungen in ruhigem Flusse ver-
laufen, die Amtsführung des Richters zur Erregung autono-
mistischcr Velleitäten keinen Anlaß geben: die Bewirtung, die
er hie und da seinen Handwerkern zukommen läßt, mag sie auch
gesetzlich fixiert erscheinen, deutet darauf hin, daß das Verhältnis
.joo) Z. B. Scfauhmacber in Koblenz a. 1104: „ter conveniunt ad placitum
iniiiS2>i" (vj;l. oben Anm. 393). Bäcker, Fleischer und Weber in Hameln,
meine Urkunden Nr. 149 (oben Anm. 383) 5?§ i, 2, 4, 8, 9. Fleischhacker,
Fragner, Füttrer, Schwertf eger, Leinwandhändler, Altschuster, fremde
Krämer, Schuhmacher, Bäcker in Wiener-Neustadt (oben Anm. 3871.
Andere Gewerix; kamen dagegen nur einmal im Jahr ziu- Versammlung. So in
Wiener-Neustadt die Färber, Walker, Weißgerber, Wagner und Schreiner.
iJeiler, Faßbinder, Bierbrauer, Oelverkäufer, Hutmacher (vielleicht die
Wollweber). Auch in Augsburg scheinen nach dem Stadtrecht von 1156 die
regelmäßigen gewerbegerichtlichen Sitzungen des Bui^grafen mit den Bäckern (§ 23)
und Fleischern (§ 25) dreimal, mit den Wurstmachern (§ 26) zweimal im Jahre ge-
halten worden zu sein. Die polizeiliche Kontrolle mußte natürlich öfter vorgenommen
werden : daher die Brotprobe monadich. In der Handhabung der ordentlichen Ge-
richtsbarkeit saß der Burggraf täglich zu Gericht- Die 2^1ungen an den Vogt zu den
drei echten Dingen (§ 20) entstammen vielleicht einer Bede. Diese echten Dinge
v.aren ja die einzigen Gel^enheiten, wo der Vogt die Stadt amtlich betreten durfte
(>} 18). Vgl. übrigens noch oben Anm. 160, wonach der Vogt über Fürkauf zu
richten hatte.
401) Städtewesen, S. u8*.
402) Der Name „sprake" kommt für sie allerdings vor: Hameln § 4 („coilo-
quium" §§ i, 4, 8, 9). Aber der ist ja überhaupt nicht bloß für Zunftversamm-
lungen üblich.
I c5 Die Amtsmeister.
lange Zeit sich als normales, in der Form freundschaftliches
kennzeichnete *^3). Allein es liegt in der Natur der Dinge, daß
es dabei nicht bleiben konnte: daß auf der einen Seite das Recht
mitzureden Opposition und den Wunsch nach größerer Selb-
ständigkeit erzeugte; daß auf der andern mancher Richter es
bald als seine eigentliche Aufgabe ansah, möglichst oft die feil-
gebotenen Waren zu bemängeln, um möglichst reichliche Bußen
eintreiben zu können — hatte er sich auch formell nach dem Spruch
der Versammlung zu richten. Ja, der strenge Formalismus des
alten Rechts mußte geradezu jede Neuerung und damit jeden
technischen Fortschritt in ähnlicher Weise unterbinden, wie
später die starren Zunftwillküren. Alles drängte nach einer
Aenderung des Verfahrens. --i— ^^*-^ V*^
Das Gewette wurde abgelöst- An Stelle der bei jedem
Verstoß extorquierten traten regelmäßige, hegrpnzi-p Zahlungren
an jedem Gerichtstage ^°^). Das wird der Ursprung der meisten
der Zahlungen sein, die uns in den Rechtsaufzeichnungen so
häufig allein von dem Bestehen einer Gewerbegerichtsbarkeit
Kunde geben: woraus sich, beiläufig, ebenfalls ergibt, daß die
Einnahme deiL_Richtern die Haüptsarhe. geworden war. Das
wird im wesentlichen ihr Ursprung sein, auch wo sie unter
anderem Namen erscheinen und nebenher eine x\blösung oder
einen Entgelt für noch andere Berechtigungen einschlössen *•**).
403) Bezeichnend für das Prekäre des Verhältnisses ist aber folgende Stelle aus
der Erneuerung der oben Anni. 393 angeführten Koblenzer Urkunde: „Post festum
. . S. Martini theloneario et villico dabunt sutores Confluentie eis et scabinis servitium
laudabile Quod si laudabile non fuerit servitium, satisfacient theloneario et
villico secundum quod scabini iudicaverint Si vero sutores aliquam scutellam
vel aliquid vas vinarium vel aliquid mensale vel manutergium ruperint, tenentur
satisfacere theolenario." Vom 13. Juni 1209, Mittelrhein. U.-B., Bd. II, Nr. 242.
Auch daß der Zöllner ihnen zu der Mahlzeit, die, wie sich ergibt, von ihnen mit den
Gästen gemeinsam eingenommen wurde, jetzt soviel Käse beisteuert, „quantum for-
tissimus eorum una manu levare poterit", zeigt, daß Streitigkeiten eine genauere Be-
stimmung nötig gemacht halten. Denn hundert Jahre früher hieß es nur: „caseum,
qui manu una possit levari."
404) Eberstadt, Zunftwesen, S. 38 ff., hat auf die oben S. 39 besprochene
Urhunde von 1 1 1 2 für die Bäcker, Brauer, Gerber und andere Gewerbetreibenden von
Saint-Trond aufmerksam gemacht, deren Gegenstand die Umwandlung des Gewettes in
eine Gesamtzahlung von 18 s. an jedem Gerichtstag ist. Mit Hofrecht oder Grund-
herrlichkeit hat das aber, wie man sieht, nichts zu tun.
405) Vgl. z, B. „dez richters recht" von Wiener-Neustadt, oben Anm. 387.
„Daz sind dez richters recht, deu mit gewalt und mit verhengnusse der purger zer-
gangen und aufgesazt sind, und doch der gemain die in der stat sind und in den
Die Einsetzung von Amtsmeislern. I57
Das wichtigste aber, was man erstrebte und errang, war das
Recht, einen eigenen Meister zu haben. Dieser Meister konnte
den Zins für die Marktstände einsammeln; er sorgte für die
richtige Ablieferung sonstiger Schuldigkeiten an den Marktherm
oder seinen Beamten: die Hauptsache aber war, daß man nun
erst wirklich frei wurde von den Chikanen des Richters. Im
Kreise der eigenen Genossen allein, unter Leitung eines Ge-
nossen — mochte er auch vom Herrn ausgewählt und eingesetzt
sein — übte man jetzt die Gewerbepolizei nach eigenem Er-
messen.
Der Ministerial wie der Marktherr blieben zwar als höhere
Instanzen. Aber man braucht kein allzu gründlicher Kenner
mittelalterlicher Verhältnisse zu sein, um zu wissen, daß, sobald
die Höhe der Einkünfte von dem Eifer, mit dem der x\mtstätig-
keit obgelegen wurde, unabhängig geworden war, man das Amt
als Sinekur zu behandeln anfing und im Grunde nur noch als
Einnahmequelle betrachtete ^^^a^ Vielleicht würde es zu weit ge-
gangen sein, wenn man eine derartige Tendenz bereits aus der
Formulierung des § 44 des Straßburger Stadtrechts herauslesen
wollte, wo es vom Burggrafen heißt:
et de eisdem habet potestatem iudicandi.
Denn aus den folgenden beiden Paragraphen muß man doch
wohl schließen, daß er diese „potestas" auch auszuüben pflegte.
Im Jahre 1263 jedenfalls ist ihm nur die Befugnis, die Meister
einzusetzen, geblieben, deren jeder jetzt allein das Richten in
seinem Handwerk besorgt*"^**). Und auch der Baseler Viz-
tum ist etwa gleichzeitig bloße Rekursinstanz*®*'').
Die Einsetzung der Meister aber gewährleistete auch allein
eine wirklich zweckmäßige und genaue Gewerbekontrolle. Dazu
gegenten und auch in den dorfem die darumb gelegen sind, grozzer schad isL" Diese
Einleitung läßt vermuten, daß die im weiteren aufgeführten Zahlungen ihren Ursprung
nicht wirklich oder doch nicht allein der Verleihung des Innungsrechtes verdanken, wie
bei einigen unter ihnen behauptet wird. Das Innungsrecht pflegt der Handwerker
durch eine einmalige Zahlung zu erkaufen, nicht durch eine jährlich oder dreimal jähr-
lich wiederholte. Vgl. unten Kapitel X. Der wahre Sachverhalt ergibt sich denn
auch wohl aus § 2 : „Die fragner gewent dem richter jarleich VIII pfunt pfenning
darumb, daz man seu auf chain ander recht nicht entwing."
405a) Vgl. auch oben S. 54 f.
405b) Der Vertrag zwischen Bischof imd Stadt darüber, oben Anm. 220.
Vgl. noch unten S. 166.
405c) Vgl. unten Anm. 412 und S. ibi f.
1 cg Die Amtsmeister.
gehörten, seitdem sie auf die Herstellung der Waren in der
Werkstatt zurückgriff, technische Kenntnisse, wie sie ein Burg-
graf, ein Viztum oder ein anderer Ministerial nicht besaß. So
wurde auch in dieser Hinsicht durch die Ernennung von Amts-
meistern ein Fortschritt errungen. Denn diese Amtsmeister sind
— nach dem ausgeführten wird niemand daran zweifeln können
— von vornherein selber Handwerker.
Gewiß würde überhaupt niemand, der nicht im Banne der
hofrechtlichen Theorie gestanden hätte, je auf den Gedanken ge-
kommen sein, dass es anders hätte sein können. Was sollten
wohl zwei Ministerialen übereinander als Richter in Handwerks-
angelegenheiten? Aber für die hofrechtliche Theorie ist das ein
Kauptstück. Es genügt ihr eben deshalb auch nicht, in den
Meistern, wie wir sie etwa in Werden an der Spitze der Hof-
schiniede kennen lernten, bloße Vorarbeiter zu sehen: auch in
einem solchen Falle muß der „magister" ein Ministerial sein, der
dem „Amt" der Schmiede vorsteht.
Es bleibt uns deshalb nichts übrig, als uns auch unserer-
seits mit dem Charakter der Amtsmeister, die in Straßburg
den Burggrafen, in Trier dem Kämmerer, in Basel verschiedenen
Ministerialen unterstellt sind, näher zu beschäftigen.
Die Basler Handwerkerurkunden aus der Mitte des 13.
Jahrhunderts liefern das Material dazu, wenn auch inzwischen
die „Aemter" hier sich zum Range von „Zünften" weitergebildet
haben.
Die Organisation des Handwerks in Basel in älterer Zeit
weicht von der Straßburger vor allen Dingen darin ab, daß nicht
die sämtlichen Handwerksgruppen oder deren große Mehrheit
einem einzigen bischöflichen Ministerialen unterstellt sind, wie in
Straßburg dem Burggrafen, sondern der Bischof für jedes Amt
einen eigenen ministerialischen Vorsteher setzt. So belehren uns
die Zunfturkunden der Kürschner von 1226, der Maurer,
Gipser, Zimmerleute, Böttcher und Wagner (im folgenden
kurz „Bauarbeiter") von 1248, der Metzger ebenfalls von 1248^''*').
406) Meine Urkunden Nr. 271 § 10, Nr. 272 § 8, Nr. 273 § 9; Wacker-
na gel u. Thommen, Urk.-Buch d. Stadt Basel, Bd. I, Nr. 108, Nr. iqg, Nr. 221.
— Eberstadt, Zunftwesen S. 49, nimmt freilich an, daß in Straßburg die Bäcker,
Metzger, Zimmerleute und Fischer, die nach dem ersten Stadtrecht § 44 nicht
zu den burggräflichen gehören, „unter besondem Aemtern", d. h. in seinem Sinne
Ministerialen, gestanden hätten, also wie in Basel. Davon wissen wir aber schlechter-
Die Amumeister Handwerker. 1^^
Bei den Bäckern, Urkunde von 1256, nimmt der Vi/tum
die Stelle ein*<>^).
Rund ein Jahrhundert später ist es nach den beiden von
Wackernagel und von Mone veröffentlichten Verzeichnissen
der bischöflichen Aemter aus der ersten Hälfte des 14, Jahr-
hunderts bei den Bäckern noch ebenso*"*), während das Bau-
arbeiteramt geteilt ist in eins der Zimmerleute und eins der
Maurer ^°^), Kürschneramt und Metzgeramt jedoch fehlen ^i").
dings nichts. Und, was die Zimmerleute betrifft, so vgl. auch oben bei Anm. 223.
— Es muß indes darauf hingewiesen werden', daß selbst in Basel der Wortlaut der
Urkunden die Möglichkeit nicht ausschließt, daß ein und derselbe Minisierial einer
Mehrzahl von Aemtem vorgestanden hat. Denn der Bischof sagt nur (a. a. O.): „Ad
hec omnia unum ex ministerialibus ecclesie nostre concedinnis annualim, ut omnia ut
prescripta sunt |>er ipsum iusto moderamine statuantur et, si necesse fuerit, conigantur."
Das ist auch bei dem Fehlen gewisser Aemter in dem Anm. 408 ff. besprochenen
Verzeichnis zu berücksichtigen.
407) Meine Urkunden Nr. 270; Wackernagel und Thommen, Bd. I,
Nr. 302.
408) Ein großes Verdienst hat sich Rietschel damit erworben, daß er zwei-
mal auf die Dublette des von W. W^ackernagel, Das Bischofs- und Dienstmannen-
recht von Basel, S. 1 1 ff., 1852 besprochenen Basler Lehnbuchs hingewiesen hat,
die zehn Jahre später Mone in der ZGOR., Bd. XIV, S. 17 ff. veröffentlicht hatte
(DZG., N. F., Bd. I, 189697, Vierleljahrshefte, S. 42' und DLZ.. 1902, Sp. 743).
Der Wert der von Mone gefundenen Aufzeichnung liegt darin, daß sie datiert ist,
und zwar von frühestens 1341. Denn Rietschels Zweifel, ob 1341 oder 1313, er-
scheint ungerechtfertigt gegenüber der Stelle Mone, S. 12: „Anno dom. 1341 in die
b. Urbani conputatis et defalcatis predictis omnibus mventum est." Unmittelbar vor-
her wird zweimal auf Zustände des Jahres 1340 als auf schon vergangene verwiesen.
Die Aufschrift des Heftes: „Documentum de antiquis redditibus et officiis ecclesiac
Ba>iliensis sub episcopo Gerhardo, qui vixit anno dom. 13 13", kann danach und nach
der Erklärung, die Mone S. 2 dalür gibt, nicht in Betracht kommen. Sie wird schon
dadurch als eine nachträgliche und nur aus der von Mone berührten Urkunde ge-
schöpfte gekennzeichnet, daß Bischof Gerhard nicht bloß 1313 ,, lebte", sondern von
'309 — 1325 regierte. (In seine Zeit würde also auch das Aussterben der Grafen von
Pfirt fallen: vgl. Rietschel a. a. O.) Indes ist für den uns interessierenden Teil
der Handschrift allerdings eine doppelte Datierung insofern anzusetzen, als ja bei den
niederen, nicht erblichen Aemtem ( Bischofsrecht, meine Urkunden Nr. 132 § 4) außer
den augenblicklichen Inhabern auch ihre Vorgänger angegeben sind. In dieser Nennung
der Amtsinhaber, die bei Wackemagel fehlt, besteht eben ein Hauptunterschied
zwischen beiden Aufzeichnungen. Daß aber beide sich zeitlich sehr nahe stehen
müssen, dvin hat Rietschel fraglos recht.
409) Die Trennung des Bauarbeiter-Amtes ist also der jüngere, die Vereinigung
des ganzen in einer Hand der ältere Zustand, wie auch natürlich, und nicht umge-
kehrt, wie Geering, Handel und Indust.ie der Stadt Basel, S. 9' bei seinem Datie-
ningsversuch ohne weiteres annimmt. Vgl. übrigens unten bei Anm. 411 und 427,
4 IG) Unsicher bleibt, was es mit dem -hnlpenampt" auf sich hat. Ist es
ein Amt der Lederarbeiter (Geering, S. 9), so würde das also auch ein neues Amt
1 6o Die Amtsmeisler.
Auffällig mag dem gegenüber erscheinen, daß in der
■deutschen Bestätigung der Bauarbeiterurkunde von 1271 von
"dem ministerialischen Vorsteher nicht mehr die Rede ist*^^)
Doch ist die Erklärung nicht schwer zu finden. Denn man wird
in der Annahme nicht fehlgehen, daß vor der freieren Selbst-
verwaltung in dieser und anderen Zünften das Amt des Mini- .
«terialen zu einem formalen^eworden ist und nur noch in dem
Bezug gewisser Einkünfte weiter bestanden hat^^^j D^nn der
Ministerial ist aus seiner Tätigkeit, geringfügig wie sie von An-'
fang war, verdrängt worden durch den Zunftmeister und den
Ausschuß.
Den Zunftmeister nämlich ernennt in Basel nicht er, sondern
der Bischof selbst *^'^). Dem Basler Ministerial, der nur einer
über eine Zunft sein. Mit den Kürschnern könnte man sie kaum identifizieren (aber
auch nicht mit den Gerbern, Gothein, Wirtschaf tsg., B4- I, S. 322', von denen
Geering in dieser Verbindung übrigens gar nicht spricht). Wackernagel, Bischofs-
recht, S. 12, meint, es handele sich um das Käramereramt (wohl nur einen Unter-
unterkämmerling, da schon vorher der Herzog von Teck als Erbkämmerer, die Divites
als subcamerarii genannt sind?) Jedenfalls kann man nicht mit Rietschel, a. a. O.,
S. 43, „dem einzigen Baseler bulgenampt nicht weniger als vier Straßburgef
Aemter, nämlich die officia der sellarii, pellifices, cyrothecarü, cerdones" entsprechen
lassen und aus einer ,, derartig fortgeschrittenen Arbeitsteilung" auf späte Abfassung
des Straßburger Rechtes schließen. Denn die Gliederung der städtischen Handwerker-
schaft selbst steht zu der der bischöflichen Hofverwaltung ja in keiner direkten Be-
ziehung.
411) Meine Urkunden Nr. 277; Wackernagel und Thommen, Bd. II,
Nr. 77.
412) Die Einkünfte des Viztums aus dem Bäckeramt sind von seiner
Tätigkeit unabhängig und gleichwohl nichts weniger als unbedeutend. Der größte
Teil der Gerichtsgefälle kommt ihm zu, und das auch, wenn er nicht eingreift. Außer-
dem erhält er Andreae vom Zunftmeister zwei Schweine (die Bäckerschweine sind ja
als bevorzugte bekannt) im Werte von vier Schillingen oder vierundzwanzig Schillinge
(§ 5) (eine sonderbare Gleichung); von jedem Bäcker, der auf dem Markt verkauft,
viermal jährlich 12 d. (§ 6); von jedem durch einen Bäcker neu eröffneten Backofen
in der Stadt 5 s. (§ 10); und ebensoviel bei jeder Meisteraufnahme eines Gesellen
(§ 11). Außerdem empfängt er Ostern 12 s. von dem Meister für Lammfleisch (§ 9).
Dagegen hat er an den vier Terminen des § 6 den Bäckern 2 Quart Wein anzuweisen
und, wie es scheint, .außerdem, wenn sie ,,eosdem dare denarios premonentur" (§ 7)-
— Man ist meist viel zu sehr geneigt, aus Amtseinkünften ohne weiteres auf eine
Amtstätigkeit imd Auktorität zu schließen. Das Basler Bäckerrecht und die Basiei-
Amtslisten des 14. Jahrhunderts liefern uns einmal den willkommenen Beweis, da('>
ein- solcher Schluß unberechtigt ist.
413) Meine Urkunden Nr. 271 § 4, Nr. 273 § 4. In der Urkunde für die
Bauarbeiter (meine Nr. 272) fehlt ein entsprechender Paragraph. Allein im § 2 wird
Verhiltnis zum Ministerialen in Basel. l5l
Zunft vorsteht, ist eben nicht eine Gewalt gleichen Umfanges
eingeräumt, wie einem Beamten von der Stellung des Straß-
burger Burggrafen ^'^). Und einer gewiß nicht heilsamen Zer-
splitterung wurde vorgebeugt, indem der Bischof jene wichtige
Befugnis in der eigenen Hand zurückbehielt.
Dem weiteren Verlauf aber ist damit und durch den engen
Kreis der (jeschäfte, wie sie ihm neben dem Meister schon die
älteren Urkunden zuerkennen, die Bahn bereits vorgezeichnet.
Danach ist es nämlich die Aufgabe des Ministerialen,
ut omnia, ut prescripta sunt [der Inhalt des Zunftbriefes]
per ipsum iusto moderamine statuantur et, si necesse
fuerit, corrigantur^'^).
Dagegen wird die Stellung des Zunftmeisters, des
magister de ipsorum opere
in die Worte gefaßt:
cuius magisterio et licentia operari et regi teneantur*^^).
Noch schärfer ist die Stellung beider Beamten in der
Bäckerurkunde umschrieben und die Tätigkeit des Viztums noch
deutlicher auf die einer bloßen Definitionsinstanz beschränkt, von
der aber weiter an den Bischof appelliert werden kann*^-^).
Es heißt § i:
Quicquid inter panifices, molendinarios et eorum ser\'ientes
ortum fuerit questionis, preter violencias et maleficia que
penam sanguinis irrogant, ipsorum magistri debet iudicio
der Magister gelegentlich in richterlicher oder polizeilicher Funktion erwähnt, und nach
der Bestätigung des Zunftbriefes von 1271 (meine Nr. 277 § 2) wird er auch bei
diesem Gewerk von dem Bischof ernannt. Bei der andere Zide verfolgenden Auf-
zcichnimg über die Bäckerrechte erfahren wir über die Ernennung des Zunftmeisters
nichts. Doch decken sil:h seine Funktionen, wie sich zeigen wird, mit denen der andern
Meister und ebenso ist sein Verhältnis zu seinem Voi^esetzten, dem Viztum, dasselbe.
414J Eine Aehnlichkeit zwischen der Stellung des Straßburger Burggrafen
g^enüber den Aemtem und der des Basler Viztums zur Bäckerzimft spricht sidi
übrigens darin aus, daß wie der Bur^raf keinen Bann hat und deshalb notfalls an
den Bischof rekurrieren muß (erstes Stadtrecht § 46, § 12), so auch von dem Viz-
tum an den Bischof appelliert werden kann (unten bei Anm. 417). Bei den übrigen
Ministerialen hat sich der Bischof femer das Redit jährlicher Ernennung vorbehalten (vgl.
Anm. 406 am Schluß), wenn er es auch regelmäßig nidit zur Tat gemacht haben wird.
415) V};1. oben Anm. 406.
416) Vgl. oben Anm. 413. Ueber die Stellung des Meisters der Bauarbeiter
nach der Bestätigung von 1271 unten Anm. 427.
417) Vgl. oben Anm. 407.
Keutgen, Aemter and Zünfte. 11
102 I^ie Amtsmeister.
diffiniri. Quod per illum terminari non poterit, ab ipso
ad vicedominum et ad nos a vicedomino referetur.
Das einzige, was der Viztum noch zu tun hat, neben dem
passiven Bezug reichlicher Sportein, ist, die Ermächtigung zu
erteilen, wenn ein Bäcker von der Norm abweichendes Brot,
Brote zu zwei oder anderthalb Pfennigen, zu backen wünscht*^^).
fVeilich wird in der Bäckerurkunde nicht in Worten mit-
geteilt, daß auch bei ihnen wie bei den andern Zünften der
Meister selbst Handwerker ist, und auch nicht, wer ihn ernennt.
Da aber seine Stellung der der übrigen Zunftmeister entspricht,
so liegt kein Anlaß und keine Berechtigung vor, zu zw^eifeln,
daß auch in jenen Punkten seine Lage dieselbe gewesen ist. Das
Fehlen dieser Bestimmungen erklärt sich sehr einfach aus dem
besonderen Zweck, der bei der Aufzeichnung des Bäckerrechtes
verfolgt wurde. Denn es handelt sich hier nicht um einen Zunft-
brief, sondern um Feststellung der relativen Rechte des Viztums,
des Bäckerzunftmeisters und der Bäcker '*i^). Eben deshalb wird
418) A. a. O. § 12. Also Gesetzgebung, wie bei den anderen Ministerialen.
419) Deshalb hören wir auch nichts von ihrem Gottesdienst, ihrer Gesellig-
keit u. s. w., dem was bei den Kürschnern und Metzgern als „confratemia eorum,
quod in vulgari dicitur zhunft" bezeichnet wird (meine Nr. 271 § 5, N. 273 § 5),
außer daß auch bei den Bäckern (§ 1 1) ein Teil der Aufnahniegelder „ad lumen B.
Virginis" verwandt wird. Vgl. das nächste Kapitel. Es würde aber verkehrt sein,
darum daran zu zweifeln, daß die Bäcker im Jahre 1256 bereits eine Zunft bildeten,
wenn wir freilich auch nicht wissen, daß sie um jene Zeit auch einen Zunftbrief erhalten
haben. Dieser aber, das Statut, die Abredung, ist es, was in erster Linie mit con-
dictum bezeichnet wird -^ also das, um was es sich bei den anidern Urkunden eben
handelt. Vgl. die Wendungen „condictum super operibus ipsorum" (Nr. 271 — 273
in den Einleitungssätzen), ,, condictum infringere" (Nr. 271 § 2, Nr. 273 § 2), ,, contra
condictum excedere'' (Nr. 271 § 5, Nr. 273 § 5). Denselben Sinn muß also „con-
dictum" auch in Nr. 271 § 8 haben, „quod sub hoc condicto non solum viri, verum
etiam mulieres, que eiusdem operis sunt, comprehenduntur" : daß also die Frauen
demselben Gesetz unterworfen, nicht, daß auch sie Mitglieder der Zunft sind. (Vgl.
auch die andern Stellen unter „condictum'' in meinem Register, wo jedoch Nr. 273
§ 8 wegfallen muß.) Die Maurer, Gipser, Zimmerleute, Böttcher und Wagner haben
nur ein „condictum", aber eine Mehrzahl von „confraterniae" (Nr. 272 § 3, § 6;
„condictum" in der Einleitung). Deshalb findet sich in der Bäckerurkunde auch keine
Nr. 271 § 5 und Nr. 273 § 5 entsprechende Bestimmung über Strafen für Bruch des
„condictum", deren von allem bei den Bäckern vorkommenden abweichende Ver-
teilungsarf nicht etwa für eine von der des Viztums verschiedene Stellung des Kürschner-
und des Metzger-Ministerials urgiert werden darf. Später scheint das Wort außer Ge-
brauch gekommen zu sein; wenigstens fehlt es in den jüngeren Urkunden, während
,, Zunft", das ursprünglich, wie Eberstadt (Zunftwesen, S. 19, S. 21) richtig bemerkt,
denselben Sinn hatte, bereits 1226 (Nr. 271 § 5) auch von der Gesellschaft gesagt
Verhältnis zum Viztum. 163
uns hier ein um so besserer Einblick in die Verwaltung des
Marktes gewährt und wir erfahren ausführlicher, worin denn
eigentlich das Regiment des Meisters sich äußerte.
Dafür aber, daß in der Tat auch der Zunftmeister der
Bäcker aus dem Handwerk selbst hervorgegangen ist, dafür
spricht außer allem übrigen auch, wie mit ihm ein Ausschuß von
drei ehrlichen Bäckern zu der Regierung der Zunft zusammen-
wirkt. Sie entscheiden mit ihm über die Straffälligkeit und ver-
treten ihn in der Zeit vom 13. Juli bis 18. September sogar völlig
in der Aufsicht über den Brotmarkt ^2*^)^2^).
Die Zunfturkunden aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts
kennen einen solchen Ausschuß nicht. Kurz darauf aber tritt
er in den deutschen Urkunden verstärkt an Zahl und mit voller
Befugnis ausgerüstet auf als die
sechse, mit der rate der meyster ir zunft und ir almüsen
verrichte.
vSo bei den Gärtnern, Obstern und Menkellern [1264 — 1269],
den Webern und Leinwettern 1268 und auch den Bauar-
beitern in ihrer neuen Urkunde von 1271*22),
Aber auch die Gemeinde besitzt bei den Bäckern einen
Anteil an der Regierung. Sie wird versammelt, um die Auf-
nahme von Gesellen unter die Zunftmitglieder zu beschließen*-^).
Auch kommt ihr ein bedeutender Anteil an der Aufnahmezahlung
sowie an den Strafgeldern zu*'^*).
wird. Im übrigen vgl. über die verschiedenen Termini die folgenden Kapitel, über die
Beteiligung der Bäckergemeinde an den öffentlichen Aufgaben der Zunft aber bei
Anm. 423.
420) Bäckerurkunde § 2 : Idem magister ter in ebdomada videat et consideret
forum panis et, si quid ei videbitur emendandum, in domum suam deferri faciat unum
panem, adiunciisque sibi tribus honestis pistoribus, per eotum discutiat iuramentum, si
ad emendam panifex qui panem huiusmodi foro exposuit teneatur. Quem si reum
iudicarint § 3 : Prelibatus magister a festo Margarethe usque ad nativitatem
B. Virginis de foro panis non discutiat, sed medio tempore sibi substituat tres hone-
stos, qui de foro precipiant panes emendabiles deportari. — Also nicht „in der Zeit
vor Weihnachten", wie Gothein, Wirtschaftsgeschichte, Bd. I S. 323 sagt.
421) Aufierdem hat mit einem Ausschuß von vier „honesti super hoc iurati"
— doch wohl auch Bäckern — der Schultheiß im Auftrage des Bischofs eine
Prüfung des „debitum incrementum", des gerechten Verdienstes, vorzunehmen. Bäcker-
urkunde § 13, § 14.
422) Meine Urkunden Nr. 275 — 277 § 2; Wackernagel und Thommen,
Bd. I, Nr. 430, Bd. II, Nr. 9, Nr, 77.
423) Nr. 270 § II.
11*
1^4 ^'® Amtsmeister.
Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts erhalten die neuen
Zünfte nun auch das Recht, ihren Meister selbst zu wählen, zuerst
die Schneider schon 1260*-^) und ebenso die Gärtner und die
Weber nach den soeben zitierten Zunftbriefen *-'^), während es
bei den älteren, wie den Bauarbeitern 1271, bei dem bischöflichen
Ernennungsrecht bleibt '*-"), Von dem Ministerial dagegen wissen
dip Urkunden der jüngeren Zünfte nichts. Es wird aber nicht wunder
nehmen, daß auch bei den älteren seine Amtstätigkeit, wie sein
Nichterwähnen bei den Bauarbeitern 1271 erweist^-**), nun völlig
dahingeschwunden ist: man darf annehmen, daß die zielbewußt
nach ausgedehntester Autonomie strebenden Handwerker nicht
häufig von der Entscheidung des Meisters und des Ausschusses
an seine In.stanz appelliert haben werden. Selbst dem Rat
gegenüber bleibt ja in Basel die Autonomie der Zünfte bis ins
16. Jahrhundert eine möglichst unumschränkte*-^).
424) Nr. 270 § II, § 2, § 15. — Vgl. auch ihren „pedellus" (§ ii), den
sie wie die Schneider besitzen (Nr. 274 § 4, § 6).
425) Meine Urkunden Nr. 274, Wackernagel u. Thommen, Bd. I,
Nr. 388 § 2: Liceatque eis magistrum quem voluerint accipere de anno in annum, si
placuerit, cuius operentur magisterio et regantur et, si quid excesserint, castigenlur.
426) Meine Urkunden Nr. 275, Nr. 276; Wackernagel u. Thommen,
Bd. I, Nr. 430, Bd. II, Nr. 9 : § 2. „Und irloben inen einen meyster zi nemende
mit der meren volge, diu allewege under inen sol für sich gan. Zu dcme sülen si
tiemen sechse . . . ." u. s. w. Bei den Webern steht beide Male „Zunftmeister".
427) VgL oben Anm. 411: § 2: „Und geben inen einen zunfmeister, zu deme
suUin si nemen sehse, mit der rate" u. s. w. Der Ministerial, wie gesagt, ist jedoch
auch bei ihnen verschwunden, trotzdem im 14. Jahrhundert, wie wir gesehen haben,
sein Amt noch bestand und sogar zweigeteilt worden war.
428) Vgl. oben Anm. 413.
429) E. Fromm (Frankfurts Textilgewerbe im Mittelalter, Archiv f. Frankfurts
Geschichte u. Kunst, 3. Folge, Bd. VI, Frankfurt 1899), S. 25. — Geradezu unbe-
greiflich ist, wie Fromm in seinen sonst so sorgfältigen Untersuchungen S. 24 sich
zu folgenden Sätzen versteigen konnte: „Diese Zeit [13. Jahrh.] kennt in Basel die
Zunftautonomie in zwei Abstufungen, entsprechend den zwei in ihrem Ursprung ver-
schiedenen Arten von Handwerkergenossenschaften. Die alten »officia« unterstehen
der Leitung durch einen hohen bischöflichen Ministerialen und unter diesem der
eigentlichen Führung durch einen niederen Mhiisterialen ; bei den »offenen Hand-
werken« steht gleich bei ihrer Konstituierung zur Zunft unter dem bischöflichen
Offizialen ein vom Bischof gesetzter magister de ipsorum opere. Schon bald nach
1250 fällt in diesen Verbänden der Offizial weg und nicht viel später erlangen sie das
Recht, den magister de ipsorum opere selbst wählen zu dürfen." U. s. w. Was
Fromm da von den „offenen Handwerken" (um bei seinem terminus zu bleiben) sagt,
paßt vielmehr in der Hauptsache auf die ,, alten officia'', während seine Darstellung
der Verfassung dieser nur auf Irrtum beruhen kann. Die neuen Zünfte, seine „offenen
Wahl durch die Zunft in Basel. 155
Um aber die Hauptsache noch einmal hervorzuheben: schon
in den ältesten Basler Zunfturkunden, die wir besitzen, liegt die
eigentliche Regierung in der Hand des Meisters de ipsorum
opere, während der vorgesetzte Ministerial nur ausnahmsweise in
Tätigkeit tritt Wir haben nicht den geringsten Anhaltspunkt
dafür, daß es früher anders oder gar, daß jemals der Meister
kein Handwerksmeister gewesen sei.
Im Lichte dieser Ergebnisse betrachten wir nun die uns in
anderer Hinsicht schon so wohl bekannten Straßburger Ver-
hältnisse.
Wie in Straßburg an Stelle dieser verschiedenen Mini-
sterialen der Burggraf die Aufsicht über die in „Aemtern" organi-
sierten Handwerker führt, so wird man auch nicht zweifeln, daß
die Straßburger „magistri" unter ihm den Basler Amtsmeistern
entsprechen, mit anderen Worten, daß sie wie diese Handwerker
waren *''\). Doch fehlt es auch an heimischen Zeugnissen nicht.
Mindestens aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts liefert
für die Kürschner den Beweis die Urkunde von 1240, wonach
die aus dem ersten Stadtrecht wohlbekannten zwölf, jetzt als die
„duodecim officiati inter pellifices", durch die Hand ihres „magister"
Konrad Virnekorn eine zu ihrem „officium" gehörige Baustelle
verleihen ^•^'-). Denn am Schlüsse der Urkunde wird als erster
unter den zwölf eben der Meister Konrad Virnekorn genannt*'^).
Handwerke" aber haben nie einen Offizialen an der Spitze gehabt und das Recht,
ihren Meister selbst zu wählen, von Anfang an („bald nach 1250") besessen.
431) Aekestes Stadtrecht § 44: Straßbarger Urk.-BUch, Bd. I, Nr. 616;
meine Urkunden Xr. 126.
432) Strattburger Urkundenbuch, Bd. I, Nr. 268, mit dem Nachtrag von
Schulte in Bd. IV (l), S. 211 Nr. 38. Vgl. darüber, auch über die Bezeichnung
als „offidati" noch unten bei Anm. 603.
433) Eben auf diese Urkunde verweist Eberstadt, Zunftwesen, S. 49', nach-,
dem er von Straßbiu-g gesagt hat: „Noch im dreizehnten Jahrhundert gehörten die
Magistri nicht dem Handwerk an." Offenbar ist ihm der Nachtrag im IV. Bande des
Urkundenbuches entgangen. Im übrigen kann ich nur vermuten, daß ihn die Worte
..per manus magistri eorum" zu seiner Auffassung bestimmt haben: es würde das dem
durchweg bei ihm üblichen Verfahren der Deduktion aus gewissen juristischen Formeln
entsprechen. Dann aber lieferte uns die Urkunde den willkommenen Beweis, daß auch
in anderen Fällen aus einer ähnlichen Formel ein ähnUcher Schhiß nicht zu ziehen
wäre. — Freilich braucht Eberstadt bei seinem Hinweis ein einschränkendes „auch".
Irgend einen zweiten Beleg für seine Behauptung finde ich aber bei ihm nicht.
I 66 Die Amtsmeister.
Noch bündiger aber bestimmt der PYiedensvertrag zwischen
Bischof Heinrich von Geroldseck und der Stadt vom Jahre 1263
für alle burggräflichen Handwerke:
der burcgrave sol in öch geben von ieclicheme antwerke,
der er pfliget, einen meister der daz antwerk kan^'^^).
Und wenn das als
ir reht unde ir gewonheit
bezeichnet wird, so darf man gewiß nicht behaupten, daß die
von mir gesperrten Worte gleichwohl eine Neuerung bedeuten;
sondern man wird schHeßen, daß öfter mißbräuchlich von dem
Recht und der Gewohnheit abgewichen worden war.
Eberstadts Anschauung, daß die magistri der burggräf-
lichen und anderen Handwerksämter nicht nur zur Zeit der Auf-
zeichnung des ersten Stadtrechts, sondern ebenso „noch im drei-
zehnten Jahrhundert", „noch mehr als hundert Jahre" später, also
wohl bis zu dem Krieg von Hausbergfen, gleichwohl Ministerialen,
Nichthandwerker, Mitglieder der „familia ecclesie" gewesen seien ^'^'^),
beruht, außer auf seiner allgemeinen Theorie über die Entwicke-
lung des Aemterwesens, auf den Paragraphen 5 und 6 des Stadt-
rechts. Nämlich:
§ 5. Omnes magistratus huius civitatis ad episcopi
spectant potestatem, ita quod vel ipsemet eos instituet,
vel illi quos ipse statuit. Maiores enim ordinabunt minores,
prout sibi subiecti sunt.
§ 6. NuUi autem episcopus officium publicum com-
mittere debet, nisi qui sit de familia ecclesie sue.
Es folgt aber aus diesen Paragraphen, wenn man die Ungenauig-
keit der Ausdrucksweise aller unserer älteren Rechtsdenkmäler
in Betracht zieht, nicht mit Notwendigkeit, daß die Unterbeamten des
§ 5 gemäß der Vorschrift des § 6 für die unmittelbar vom
Bischof eingesetzten Beamten ebenfalls Angehörige der familia
sein mußten. Wir wissen nicht, daß auch die Amtsmeister-
schaften als „officia publica" im Sinne des § 6, als „magistratus" im
Sinne des § 5 galten. „Magister" und „magistratus", — die Be-
ziehung liegt zwar sehr nahe und auf sie stützt sich zum
großen Teil Eberstadts Theorie. Allein so wenig, mit Ausnahme
des Münzmeisters, die unzweifelhaften „magistratus" der Stadt
434) Straßb. Urk.-B., Bd. I, Nr. 519; meine Urkunden Nr. 128 § 3. Vgl.
oben Anm. 223.
435) Zunftwesen, S. 49.
In Straßburg und in Trier. 167
Burg-graf, Schultheiß und Zöllner, und die Unterbeamten wie die
„iudices" (J; 8), die „heyrhburgen" und der „custos cippi" (5j 9) je
als „magistri" bezeichnet werden und bezeichnet worden wären,
so wenig muß man umgekehrt die „magistri" der Handwerker
als unter jene „magistratus" miteinbegriffen erachten. Was sich
aber aus den beiden Paragraphen ganz gewiß nicht ergibt, ist,
daß die Vorsteher der Handwerksämter keine Handwerker sein
sollten. Will man also daran festhalten, daß bei den magistratus,
die den Angehörigen der familia reser\'iert werden, auch an sie
gedacht ist. so würde sich, alles in Betracht gezogen, als Schluß
ergeben, daß der Burggraf zu diesen Stellen Männer erhob, die
auf Kirchenland saßen, der Kirche zinsten und ins<5fern der
Familie zugerechnet werden mochten, die aber als wirtschaftlich
unabhängige, den städtischen öffentlichen Lasten unterworfene
Handwerker Mitglieder der städtischen Handwerks verbände
waren.
Es ist dabei aber noch zu berücksichtigen, daß auch der
Begriff „familia" ein äußerst dehnbarer ist. Es fragt sich, was
die Bestimmungen der §§ 5 und 6 bezwecken. Nach dem Zu-
sammenhang offenbar die Sicherung der Stadt und ihrer Rechte,
zu denen auch die der städtischen Beamten gehören. Kein
Fremder soll in die Regierung der Stadt eingeschmuggelt werden,
der ihrer „bonos" zu nahe treten könnte. In diesem Sinne fasse
ich die „familia" des § 6.
Auch das ist nicht zu übersehen, daß im 13. Jahrhundert
drei von den zwölf „officiati inter pellifices", darunter der Meister,
Straßburger Ratsherren waren ^•^^).
Was auf anderem Wege sicher ermittelt worden ist, kann
durch den zweifelhaften Wortlaut jener beiden Paragraphen jeden-
falls nicht umgestoßen werden. Handwerksmeister, die keine
Handwerker gewesen wären, sind bisher noch in keiner Stadt nach-
gewiesen worden. Und wenn es noch eines Beweises bedürfte,
so liefert ihn Trier. Der ,^Liber annalium iurium archiepiscopi
Trevirensis" hat stets als letzte Zuflucht der Theorie von dem
hofrechtlichen Ursprung der Handwerksämter gegolten. Wenn
irgendwo, so müßte man also hier an der Spitze der einzelnen
Verbände unter dem Kämmerer einen Ministerialen, der selbst
nicht Handwerker ist, finden. Allein wie lautet es?
436) Cnnradus Vimecom, Cunradus Rebestoc, Heinricus filius Marsilii; zur
Zeit der Ausstellui^ der Urkunde. Siraßb. Urk.-B., Bd. IV (i), S. 2H, Xr. 38.
l58 Die Amtsmeister.
VI sunt pellifices et septimus est magister eorum, qui,
pertinentes ad cameram, archiepiscopi vestes tenentur
consuere^-''').
Wer wird zweifeln, daß die Stellung seines Straßburger Kollegen
genau die gleiche war? So hatten denn auch beide auswärts, in
Köln, Mainz oder Duisburg, die nötigen Pelze einzukaufen, was
ebenfalls niemand als einem erfahrenen Kürschner anvertraut
werden konnte.
Damit ist, hoffe ich, eine Legende beseitigt, die merkwürdig
lange gläubig hingenommen wurde ^•^^'*).
437) Meine Urkunden Nr. 131 § 3. Zur erzbischöflichen Kammer gehören auch
die unbezweifelt freien „Kammerherren" des 14. Jahrhunderts, die von ihren Genossen
in der Zunft ohne Mitwirkung des Kämmerers zu diesem einträglichen Ehrenposten
erwählt werden. Vgl. oben S. 98 f.
437a) Ueber das letzte Schicksal eines solchen ministerialischen Amtsvorsteher-
amtes unterrichtet vielleicht die Urkunde des Würzburger Domkapitels vom 3. Nov.
1281 (Mon. Boica, Bd. XXXVIl Nr. 455), wonach dei^ Dompropst auf die Wieder-
verleihung des „officium magistrj pistorum" nach dem Tode des letzten Inhabers ver-
zichtet, wenn man natürlich auch nicht mit Gramich (a. a. O. S. 49) daraus auf eine
frühere hofrechtliche Abhängigkeit der Würzburger Bäckerinnung vom Domstift schließen
kann. Praktische Bedeutung hatte das Amt nicht mehr. Daher beschloß das Stift,
die „fructus, proventus et utilitates predicti officii ad usus ecclesie nostre convertere
meliores", d. h. „ad prebendarum nostrarum subsidium", anstatt sie noch weiter in
die Tasche eines Ministerialen fließen zu lassen. Aber es ist ebenso gut möglich, daß
es sich um ein einfaches Hofamt und seine Präbende handelt. Für die erste A>if-
fassung würde hauptsächlich sprechen, daß nach Gramich Brot in Würzburg noch
unter Bischof Gerhard (1372 — 1400) „außer im Brothause und unter d^n Toren nur
auf der Dompropstei verkauft werden durfte". Der Dompropsl wäre dann selbst in
die Stelle des Ministerialen eingerückt.
z
IX- Kapitel.
Die Brüderschaft
Die Marktordnung also ist der Ausgangspunkt der städtischert
Gewerbeordnung, der Organisation der Handwerker von selten
der Obrigkeit nach Aemtern.
Aber diese marktherrlichen Handwerkerämter sind noch
keine Zünfte. Denn das Prinzip der Zunft ist dift frpie Fi nun g-.
Die Fäden, die zwischen den freien Einungsbestrebungen
der Handwerker und der obrigkeitlichen Ordnung hin und her
laufen, zu verfolgen; zu prüfen, wie weit beide Elemente zur
Ausgestaltung der vollkommenen Zunftordnung mitgewirkt haben :
das wird im weiteren die Aufgabe sein.
Zwei Gruppen von Motiven sind zunächst in den Einungs-
bestrebungen der Handwerker zu unterscheiden: die auf gottes- ^
dienstliche,^ wohltätige und gesellige Zwecke gerichteten und die
gewerblichen und gewerbepolitischen. Welche Rolle ist jeder
dieser beiden Gruppen bei der Entstehung der Zunft zugefallen?
Indem ich jedoch von Motiven spreche, gerate ich sogleich
von neuem in Widerspruch mit der jüngsten Darstellung dieser
Vorgänge, der von Eberstadt. ^ Denn wo ich nur Motive neben
anderen sehe, glaubt Eberstadt eine besondere ausschließlich gottes-
dienstlich-wohltätige Zwecke verfolgende Gruppe von Handwerker-
verbänden erkennen zu sollen, die „Brüderschaften", die er mit
den „Aemtern" zusammen als die „Hand werker verbände über-
tragenen Rechts" den „Magisterien", als „Handwerker\-erbänden
eigenen Rechts", gegenüberstellt. Mit dieser Auffassung der
„Brüderschaft" werden wir uns also vorerst auseinanderzusetzen
haben.
Ehe ich mich jedoch einer Untersuchung der einzelnen
Handwerkerverbände zuwende, die Eberstadt in seinem Sinne
als Brüderschaften charakterisiert, gilt es eine methodische Frage
allgemeinerer Art zu erledigen.
lyo
Die Brüderschaft.
Ich möchte es als das einseitig philologische Verfahren be-
zeichnen, das bei den Termini sogleich Halt macht und schließt,
daß verschiedenen Wörtern auch verschiedene Sachen, also ver-
schiedenen Bezeichnungen für Handwerkerverbände auch ver-
schiedene Arten von Verbänden entsprechen müssen. Es ist das
Verfahren, das besonders Nitzsch in seinen berühmten Abhand-
lungen über niederdeutsche Genossenschaften in den Monatsbe-
richten der Berliner Akademie zur Anwendung gebracht, wo-
durch er sich im Verfolg seiner Untersuchungen so sehr ge-
schadet hat. Gerade ihm gegenüber hat v. Below betont:
ij} „Zwischen Zunft, Gilde, Amt, Innung, Brüderschatt besteht kein
. • . anderer Unterschied als der des Namens '^^8)."
Allein so gewiß das richtig ist, sofern es sich um eine
Unterscheidung der ausgebildeten Institute handelt, so bleibt doch
die Möglichkeit, ^aßjursprün glich durch den einen oder andern
jener Ausdrücke der Verband unter einem besonderen Gesichts-
punkt oder, angesichts der so mannigfaltigen Zwecke des Ver-
bandes, eine seiner Seiten vor dir\der\\JhzX_g^si\r\7(^\rhn(^f wt^rAf^n
sollen. Sofern den verschiedenen Wörtern ein verschiedener
Wortsinn zu Grunde liegt, wird sich das Problem, das sich daraus
■ergibt, schlechterdings nicht abweisen lassen.
Den Ausdruck „Amt" habe ich bereits im vorletzten Kapitel
in diesem Sinne behandelt und ihn als quasitechnisch für Hand^
_werkerverbände auf einer gewissen Stufe der Entwickelung zum
wissenschaftlichen Gebrauche vorgeschlagen; wobei jedoch so-
gleich zu erinnern war, daß er keineswegs überall dafür ur-
kundlich ist: allein schon ein Beweis dafür, daß man nicht in
dem Begriff Amt die besondere verbandbildende Kraft suchen
•darf.
Aehnlich verhält es sich mit der „Brüderschaft".
Da es dem Wortsinn entspricht, und zumal da es in der
Tat zahlreiche Vereine, nur nicht besondere HanHwprkervereirie. ge-
•■ — ■
geben hat, die ausschljeßlich Zwecke der ersten Gruppe, gottes-
dienstliche, wohltätige und religiöse, verfolgten und sich Brüder-
schaften nannten: so wird es gestattet sein, auch bei den Han^
Werkerverbänden dieseSeite als die brüderschaftliche, sie unter
•diesem Gesichtspunkte als Brüderschaften zu bezeichnen. Nur
muß sogleich bemerkt werden, daß es bei dem Worte an sich
438) "Wörterbuch der Volkswirtschaft, Bd. II, S. 977.
Idee der Brüderschaft. 1 7 1
ebensowohl wie an die christliche Brüderlichkeit, an das Band
zu denken möglich ist, das die Gemeinsamkeit des Gewerbes
lieferte. Denn den in irgend einem Sinne „Nächsten" als Bruder
zu betrachten, ist eine germanische Idee, die nicht erst auf christ-
liche Einflüsse zurückgeführt werden kann *'••).
Durchaus falsch ^ber ist .die Annahme, ^s hätten je die
Genossen eines Handwerkes sich ursprünglich ausschließlich zu
gottesdienstlich- w^ohltätigen Zwecken^ zusammengetan, zu einem
"^rein rein privater Art, der erst nach längerem Bestehen auch
gewerbliche Ziele unter obrigkeitlicher Sanktion in sein Programm
aufgenommen hätte. Eben auf diesem Wege jedoch gelangt
Eberstadt zur Aufstellung jener zweiten Kategorie von Hand-
werkerverbänden „übertragenen Rechtes" die er als „Brüder-
schaften" neben seine „Aemter" stellt.
Den Ausgangspunkt der Vereinsbildung bei den Handwerkern
liefert stets die_Gleichheit des Ge^A-erb^s. Wo es sich um einen
ganz neuen freien Verein handelt, stehen daher gewerbliche
Zwecke stets_ im Vordergrunde, mit denen aber die religiösen
und geselligen sofort Hand in Hand gehen. Gerade für die in
den alten „Aemtern" der Marktordnung zu gewerblichen Zwecken
schon vereinigten Handwerker jedoch mußte die Uebernahme
religiöser Zwecke sich als willkommenes Hilfsmittel darstellen,
aus dem Zustand einer obrigkeitlichen „Abteilung" in den eines
freien Vereins hinüber zu gelangen. Die „Brüderschaft" bot hierzu
die Eorm, an der um so mehr lag, je mehr es den aus den^^
heterogensten Elementen, freien und früher unfreien, stadtein-
gesessenen und zugewanderten gemischten Amtsmitgliedern an
jeder altererbten Gemeinschaft, wie die hofrechtliche Theorie sie
ihnen andichten möchte, gebrach^ Unter den Bestrebungen der
Handwerker aber, die auf freie Vereinsbildung abzielten, mußten
die religiösen^ ihren geisthchen Herren immerhin noch die will-
kommensten sein: ja, sie wird selbst manchmal dazu den Anstoß
gegeben haben. Und wenn auch nicht behauptet werden darf,
daß es den Handwerkern nur als Deckmantel für ihre gewerbe-
439) Gegen Hegel, Srädte und Gilden, Bd. I, S. 10 f. Nach der chi istlichen
Lehre ist jeder Mensch ohne Unterschied unser Nächster oder, wie Tertullian an
der von Hegel angeführten Stelle sagt, Bruder. Dem Germanen dagegen gellen als
Brüder nur durch ein besonderes Band an ihn Gekettete und das ist auch nach dem
Sinne der miUelalterlichen Brüderschaften. Vgl. noch English Historical Review,
vol. VIII, p. 126.
1-2 I^'e Brüderschaft.
politischen Zwecke gedient habe — denn ein Verein ohne
religiöse Fundierung war in jenen Zeiten schlechterdings undenk-
^bar — so haben sie sich doch durch ihr frommes Bezeigen die
Genehmigung ihrer weitergehenden Selbständigkeitsbestrebungen
ohne Zweifel wesentlich erleichtert.
Da jedoch für die Eberstadtische Theorie so gut wie
alles auf den rein privaten Charakter seiner anfangs ausschließlich
religiösen Handwerkervereine ankommt, so ist auch dieser Punkt
zu untersuchen.
Die Frage, inwieweit unter mittelalterlichen Verhältnissen
A,^^2cU\,' überhaupt von einer Koalitionsjreiheit zu reden ist, kann hier
jdr -^^^ nicht erörtert werden. Ein Koalitionsrecht, wie es durch moderne
, ^i^^ Verfassungen gewährleistet wird, bestand jedenfalls nicht. Die
. Obrigkeit besaß, soweit nicht Sonderverträge im Wege standen,
a^ia^aJ^^^ zw^eifellos das Recht, jeden Vereiti^ohne weiteres aufzulösen. Ich
n^ /i.<^ erinnere nur an die allgemeinen Verbote der Gilden und Brüder-
ttJjU^ r y^lgjt^a^— die von der karolingischen Zeit abwärts wiederholt
erfolgt sind. Ganz besonders aber gilt das von der Kirche. Wenn
^"'^C^^^ ein Verein mit gottesdienstlichen Zwecken außerhalb der allge-
meinen Kirche ein als wider Gottes Weltordnung verstoßend
schlechthin Unzulässiges war, so besaß innerhalb die^kirchüche-
ObrigkeiL-in vollstem Umfange di^_Befugnis, ihn zu genehmigen_
oder zu verbieten. Ja, genauer konnte er überhaupt nur mit
ihrer Genehmigung gegründet werden und bei der Verwirklichung
seiner Zwecke bedurfte er der Mitwirkung geistlicher Personen
und des Benutzungsrechtes an kirchlichen Gebäuden und Grund-
stücken, über das sie verfügte. Aber auch für die gewerblichen
Vereine bedeutete die obrigkeitliche Genehmigung nach alledem
noch etwas mehr als Uebertragung von Zwangsbefugnissen.
Darüber hinaus aber erscheint es überha:upt frag44ch, ob die
gottesdienstlichen Zwecke der mittelalterlicheii. Brüderschaften
Anspruch darauf haben, als „rein private" zu gelten. Die viel
berufene „Gebun^enheit"_ alleoL. Verhälinisse . widerstrebt dieser
Vorstellung ohnehin. Denn jeder Verein, mochten seine Zwecke
anscheinend noch so intime sein, beanspruchte irgendwie eine
Sonderstellung-innerhalb der größeren Lebensgemeinschaft, der
""Seine Mitglieder angehörten. Und deshalb, mochte er auch
keinerlei Zwang gegen Außenstehende ausüben wollen, er konnte
nicht umhin, es mittelbar dennoch zu tun. Von den religiösen
Vereinen, den Brüderschaften mit gottesdienstUchen Zwecken, gilt
Die Frage der Koalitionsfreiheit. ly^
das aus zum Teil bereits angedeuteten Gründen in verstärktem
Maße. Und so auch von der gottesdienstlichen Tätigkeit der
Handwerkerverbände.
Wir brauchen nur wenige Urkunden heranzuziehen, um uns
sofort davon zu überzeugen.
Bei den Basler „Marienbrüderschaften"^^^). den Zünften
der Kürschner, der Maurer, Gipser, Zimmerleute, Faß-
binder, Wagner, Wanner und Drechsler, der Fleischer,
der Schneider, der Gärtner, Obster und Menkeller. end-
lich der Weber und Leinwetter äußert sich der gottp.sdipnst-
liche Zweck darin, daß sie zu Ehren Gottes und der Jungfrau
Maria den Kronleuchter im BaslerDom mit Lichten versehen ^*^).
Aber nicht nur, daß sie eine solche Absicht, wie auf der Hand
liegt, ohne Genehmigung der Kirchenbehörde schlechthin nicht
ausführen können, wird sie ihnen vielmehr von dem Bischof in
ihren Zunftbriefen als Pflicht auferlegt^ a)s Gegenleistung für die
Gewährung von Zunftprivilegien^ja es wird ihnen vorgeschrieben,
welche Einnahmen sie dazu verwenden, besser, daß sie bestimmte
Zahlungen von ihren Mitgliedern zu diesem Zwecke erheben sollen.
Bei den Bäckern, die nach dem Eberstadtschen Schema im
Gegensatz zu jenen keine Brüderschaft, sondern ein Amt bilden,
besteht eine entsprechende Anordnung"-).
Auch die Bestimmungen über die Pflicht, Begräbnissen von
•^toprüdern beizuwohnen und die Aufwendung von Brüderschafts-
mitteln dabei sind in die Zunftbriefe aufgenommen: es ist ganz
klar, daß auch hierzu allein die Obrigkeit der Zunft Zwangs-_
befugnis verleihen konnte ^^'') .
Noch einleuchtender, wenn auch in anderer Weise, tritt die
Abhängigkeit der Brüderschaften in ihren geistlichen Zwecken
von den kirchlichen Behörden in dem Vertrage hervor, den die
440) Um einen Eberstadtschen Ausdruck zu gebrauchen: Zunftwesen, S. 21.
44 n Meine Urkunden Nr. 271 § 5, ;j q: Xr. 272 § 2, § 3, § 5, § 7: Xr.
273 §5-^8; Nr. 274 § 6; Nr. 275 § 12; Xr. 276 § 9; Nr. 277 § 4 — 7. ;> 9.
Vgl. das vorige Kapitel. Die Eintrittsgelder sind deshalb zum Teil in Wachs ange-.
setzt: Xr. 275 § 4, Nr. 276 § 4, § 10. Vgl. Xr. 272 § 6.
442) Meine Urkunden Xr. 270 $ 11: ,.datis ad lumen B. Vii^inis viginti
s." als Hauptteil des Eintrittsgeldes. Nichts könnte schlagender die Willkürlichkeit
von Eberstadts Schema beleuchten. Vgl. dazu noch oben S. 161 ff.
4431 Meine Urkunden Xr. 272 § 6; Xr. 275 § 10, § 11 : X't. 276 § ii;
Xr. 277 j} II. Ausstol^n des ungehorsamen Mitghe^eg. das Zwangsmittel privater
\'ereine, hätte hier für den Betroffenen Verlust seines Gewerbes nach sich gezc^en.
1^4 ^*^ Brüderschaft.
Mainzer Weber im Jahre ioqq unter Vermittelun^r des Erz-
_bischofs mit dem dortigen Stephansstift schlössen — der ältesten
Zunfturkunde, die wir überhaupt besitzen ■'^■*). Es handelt sich
hier um die .Eiiiräumung eines eigenen Begräbnisplat/f.s hei dftr
Stephanskirche. Dagegen übernehmen die Weber denn , das
Westportal und das Kirchendach in stand zu halten und der
Kirche mit Lichten und anderen guten Werken zu dienen *^-').
Zugleich zeigt sich indem Verlangen nach einem eigengii__Eluha-
platz selbst für die Verstorbenen die Neigung zur Absonderung
und zur Erwerbung exklusiver Rechte, auch wo diesen kaum
ein praktischer Wert zugeschrieben werden kann, mit besonderer
Schroffheit, der jedoch nichts Verletzendes innewohnt**»^).
Ein ganz neuer Zug aber tritt in dieser Urkunde noch
hinzu. Ihre „Dispositio" schließt mit den Worten:
et in obsequio suo impendendo custodem eiusdem ecclesie
habeant monitorem et magistrum.
Die Leistung an Lichten und guten Werken — das ist unmittel-
bar vorher als „obsequium impendere" bezeichnet — unterliegt
also sogar laut ausdrücklicher Abmachung der Kontrolle eines
bestimmten kirchlichen Beamten^
.Nicht anders als in diesen Fällen verhält es sich mit den
Würzburger Schuhmachern, die 1128 eine jährliche Lieferung
von 44 Pfund Wachs zu einem Lichte in der Kilianskrypta und
Zahlungen von 40 d. an den Priester des Altars und von 8 d. ^n
die Domherren übernehmend^') und die 1 1 69 mit dem Stift Neu-
444) Meine Urkunden Nr. 252 a; erneuert, jedoch ohne die Verpflichtung
zur Reparatur von Portal und Dach, a. 1175, a. a. O. Nr. 252 b.
445) „Porticus" ist wohl besser mit „Portal" zu übersetzen, als mit „Vorhalle".
Nach der Bestätigungsurkunde von 11 75 finden die Begräbnisse „ad eaudem ecclesiam"
statt. So wird wohl das „in eo" der Urkunde von 1099 auch besser auf „mona-
sterium", anstatt wie Hegel, Verfassungsgeschichte von Mainz (Städtechroniken, Bd.
XVIII, 2) S. 33 tut, auf „porticus" bezogen. Das weibliche Geschlecht von „por-
ticus" bringt keine Entscheidung, da das Wort hier, sofern der mangelhaften Ueber-
lieferung zu trauen ist, bald männlich („qui est", ,,per quem"), bald weiblich (,,predic-
tam") gebraucht ist. Allein einen „Begräbnisort" der Weber in der Vorhalle, selbst
wenn man diese ältere Uebersetzung von porticus beibehalten will, wird man kaum
annehmen, und „tecta eius" bezieht Hegel selbst auf ,.das Dach der Kirche".
446) Zu vergleichen ist noch das Sonderrecht der Fleischer in Osnabrück,
l>ei dem Dom bestattet zu werden: Philippi, Bischofsstädte S. 49, S. 92, Urk. v.
23. Februar 1278.
447) Meine Urkunden Nr. 254; Gramich, Verfassung und Verwaltung der
Stadt Würzburg (Würzburg 1882), S. 68.
Zwang bei frommen Werken. lyc
münster einen Vertrag über Fürbitten und feierliches Begräbnis
für ihre Mitglieder abschließen"**). Von Wichtigkeit für meine
These ist dabei noch, daß dem Stadtpfarrer und seinem Koadjutor
von jedem Begräbnisse eine Entschädigung von 30 d. für die
Kränkung seiner Rechte durch jenen Vertrag zugewiesen wird.
Daß aber bei den gottesdienstlichen Handlungen auf die
Mitglieder auch ein Zwang ausgeübt wird, das spricht besonders
schroff — um noch eine der von Eberstadt als typisch hin-
gestellten „Bruderschaften" heranzuziehen ^^''j der Zunftbrief der
Kölner Drechsler von rund 11 80 aus. Bei Strafe wird hier
"■ — - — ■ ^ —
bestimmt:
ad eins sepulturam viri ac mulieres homines fratemitatis
existentes venire universaliter compellentur^^^).
Und dabei wird das nötige Zwangsrecht sogar von einer rein
weltlichen Behörde, den Bürgernieistem und der Rieberzeche.
verliehen ^51),
Ist es also unrichtig, dieseBrüderschaf ten . soweit ihre gottes-
dienstlichen Ziele in Frage kommen, als rein private Vereine
darzustellen, so muß als vollends verkehrt die Behauptung be-
zeichnet werden, es hätten diese Handwerkerverbände als kirch-
liche Brüderschaften schon geraume Zeit existiert, ehe sie auch
gewerberechtliche Zwecke übernahmen, wodurch sie denn „aus
dem Kreis des privaten in den des öffentlichen Rechts hinüber"^
getreten wären *^^).
448) Gramich, a. a. O. S. 69. Vgl. noch unten Anm. 590 ff.
449) Zunftwesen, S. 10, S. 18. Ueber die Frage, ob, wie er a. a. O. meint,.
der Eintritt in die Brüderschaft frei gestanden hat, unten Kap. X gegen Schluß.
450) Meine Urkunden Nr. 256; Knipping, Westd. Zeitschr. 1892, Korre-
spondenzblatt Sp. 116 ff. Die Stelle fährt fort: .,Qui vero vigilare [bei der Leiche],
cum sibi iniunctum fuerit, neglexerit, II d. pro satisfactione dabit. Qui etiam sepul-
ture fralris defuncti vel sorons [adesse], sicut premissum est, noluerit, totidem persol-
vet." — Neu herausgegeben von v. Loesch in Kölner Zunfturkunden (Publikationen
der Gesellschaft f. rhein. Geschichte), Bd. I, S. 34 f. Icli verdanke den Einblick in
d;e Aushängebogen der Liebenswürdigkeit des Herausgebers und Herrn Professor
Hansens.
451) Vgl. hierzu noch unten Anm. 466.
452) Eberstadt, Zunftwesen, spez. S. 21. Vgl. auch noch S. 24: „Hier-
mit"' [d. h. durch die angebliche Umwandlung der Brüderschaft aus einer kirchlichen
in eine gewerbliche Einrichtung, die der Verleihung des Innungsrechtes vorausgegangen
wäre] „ist indessen die Bruderschaft noch keineswegs eine Zunft (im späteren Sinne)
geworden; denn sie steht, trotz ihrer Tätigkeit auf gewerblichem Gebiet, noch völlig
innerhalb des Privatrechts und sie entbehrt, trotz ihrer gemeinsamen Unternehmungen,
irr 6 Die Brüderschaft.
Gewerberechtliche Zwecke werden freilich nicht in Jeder
der besprochenen Urkunden angegeben: sehr begreiflich, da es
«ich in manchen Fällen nur um Ordnung der gottesdienstlichen
Pflichten handelt. Allein das Substrat bildet überall der Hand-,
\verksverband. Wie sollte auch wohl die Religion stets „gerade
■die gleichartigen Gewerbe zusammengeführt haben" *53)? Wie
sollten vollends in Basel ein halbes Dutzend oder mehr Marien-
brüderschaften sich gebildet haben, die zwar je die Genossen
•eines und desselben Handwerkes umfaßt, aber erst nachträglich
gewerbliche Interessen „aufgegriffen" hätten *54jp
Wie die Briefe der_Basler Zünfte, so enthält auch der für
die Kölner Drechsler gewerberechtliche Bestimmungen *^^).
In dem älteren für die Würzburger Schuhmacher er-
wähnt der Bischof
iura quedam ab antecessoribus nostris sibi antiquitus
tradita .... quorundam iudicum cupiditate inmutata.
Was für andere Rechte als gewerbliche sollen das wohl sein?
Und dieMainzer Weber werden doch wenigstens von
gemeinsamen städtischen Verpflichtungen befreiL die, ehe sie die
"in der Urkunde festgesetzten kirchlichen übernahmen, für sie
bestanden, d. h. doch nur für sie als geschlossene Handwerker^
)e^ als Amt -in dem von mir im VII. Kapitel dargelegten
noch des Verbandswillens und der korporativen Rechts- und Handlungsfähigkeit. Die
Absprachen beruhen auf freier Vereinbarung und ihre Durchführung kann rechtlich
nicht erzwungen werden." Die Urkunden belehren uns des Gegenteiles!
453) Sehr richtig bemerkt schon von G. L. v. Maurer, Geschichte der
5tädteverfassung, Bd. II, S, 401.
454) So Eberstadt, Zunftwesen, S. 21.
455) Croon, Zur Entstehung des Zunftwesens, S. 12, meint sogar, die welt-
.lichen Bestimmungen überragen bei weitem. Das ist doch zu viel gesagt. Denn die
Eintrittsbedingungen kann man nicht der einen oder andern Kategorie besonders zu-
rechnen.
456) „Relaxamus . . eisdem duo officia heimburgen amt et
-schechen amt" (1099). „Officium .... heimburgo et aliud officium .... skenko
plenarie remittimus'' (1175). Eberstadts Interpretation des Erlasses dieser beiden
Aemter als einer ,, Befreiung von den Abgaben an das Schenkenamt und an das Heim-
burgenaml" (Zunftwesen S. 1 1) ist durchaus willkürlich, erklärlich nur auf Grund
meiner allgemeinen Konstruktionen. Seine Auseinandersetzungen, Magisterium und
Fraternitas S. 162 ff., sind dem Wortlaut der Urkunden gegenüber unhaltbar. Hegels
Erklärung des Schenkenamtes als des der „Aufsicht über den öffentlichen Weinschank''
(Verfassungsgeschichte von Mainz, S. 34) hat etwas für sich, die Richtigkeit der Lesart
•vorausgesetzt. Im übrigen ist zu erinnern an die Satzung Bischof Burchards von
Die gewerbliche Grundlage. lyy
In den Urkunden der Kölner Bettziechenweber von
1149'^*!. der Magdeburger Schildmacher von ii97***)und
der Kölner Hutmacher von 1225^^9^, die Eberstadt ebenfalls
liierherzieht, schließlich, ist von gottesdienstlichen Verrichtungen
überhaupt nicht die Rede*''"). Eberstadt aber glaubt aus den
Wendungen
fraternitatem in domo civium confirmatam susceperunt
bei den Bettziechenwebern und
fraternitatem iure civitatis concessimus, wie er falsch citiert,
bei den Hutmachern, schlankweg folgern zu dürfen, daß hier
schon vorher bestehende „Brüderschaften" „nur nach Stadtrecht
bestätigt", d. h. daß ihnen jetzt die noch fehlenden gewerberecht-
Worms § 29 über die Verpflichtung der „homines fiscales" zum Dienit als Kämmerer,
Schenk, Truchsess, Marschall oder Ministerial. Vgl. oben S. 62. Ferner an die Verpflich-
tung der Wormser Weber, jährlich die beiden städtischen Büttel zu stellen (Meine
Urkunden Nr. 129; Boos, Quellen z. Geschichte d. Stadt Worms, Bd. III, S. 225).
Auch der Villicus, die beiden Amtmänner und 16 Heimburgen wiirden in Woims
aus den Bürgern gewählt (a. a. O., vgl. Urkunden Nr. 130. Boos, Bd. III,
S. 226 ff.). In Augsburg hatten die Wurstmacher die Gefangenen zu bewachen
<Stadtrecht von 1156 § 27; meine Urkunden Nr. 125). Kurz, an der regelmäßigen
Besetzung dei artiger Aemter mit Bürgern ist nicht der leiseste Zweifel. Die Sucht
jedoch, sich ihnen zu entziehen, ist ebenfalls bekannt genug. Ich erinnere nur an die
Befreiung der Wormser Bürger von der Verpflichtung, das Schiffszöllneramt zu ver-
sehen, durch Heinrich V. 11 14 und Friedrich I. 1184 (meine Urkunden Nr. 23,
Nr. 24; Boos, Bd. I, Nr. 62, Nr. 90). Und daß die Einkünfte aus solchen Aemtem
nicht gerade in verlockender Reichlichkeit zu fließen brauchten (vgl. Eberstadt,
Magisterium S. 163, ,,Vorzug in sozialer wie in pekuniärer Hinsicht"*, geht aus den-
selben Stellen hervor. Man muß eben das Bild, das die ganze Mannigfaltigkeit der
Quellen bietet, vor Augen haben: kühne Deduktionen auf Grund weniger führen nicht
zum Ziel.
457) Meine Urkunden Nr. 255; Ennen unff Eckertz, Quellen, Bd. I,
S. 329 f.; Lacomblet, Niederrhein. Urk.-B., Bd. I, Nr. 366: v. Loesch, Kölner
Zunfiurkunden, Bd. I, S. 25 f: „Decklakenweber".
458) Meine Urkunden Nr. 259; Hertel, Urkundenbuch d. Stadt Magde-
bui^, Bd. I ^Geschichtsquellen d. Provinz Sachsen, Bd. XXVI), Nr. 65.
459) Ennen und Eckertz, Bd. 1, S. 330 f. — Hier wird überhaupt nur be-
stimmt, daß sie ihre Brüderschaft „iure civitatis et modo competenti" halten, und daß
sie den „officiales" der „Richercegheide" gehorchen sollen. Der einzige Hinweis auf den
Inhalt der Vereinigung liegt also darin, daß die Brüderschaft eben ,,operariis pilleorum,
qui vulgo dicuntur vilcmhüde" gewährt wird — ein völlig genügender Beleg für ihren
gewerberechtlichen Zwedc. — v. Loesch, Zunfiurkunden, Bd. I, S. 106 f.
460) Ueber die Worte „pia spe perhennis vite" in der Bettziechenweberurkunde
vgl. unten im Te.\t S. 178 f.
Keutgen. Aemter und Zünfte. '2
I 7 8 Die Brüderschaft.
liehen Zwangsbefugnisse verliehen worden sind^^^). Denn da es
für ihn feststeht, daß „fraternitas" im 12. und bis in das 13. Jahr-
hundert hinein nur eine ganz bestimmte technische Bedeutung
hat; daß sie gewerbliche Ziele erst aufnahm, nachdem sie bereits
längere Zeit als rein kirchlicher Verband bestanden hatte; daß
aber die obrigkeitliche Bestätigung nichts anderes als die Ver-
leihung von Zwangsrechten bedeuten kann: so muß aus der Be-
stätigung einer „fraternitas'' auf dem Rathause mit Notwendigkeit
alles dieses folgen. Man sieht: ein vollendeter Zirkelschluß.
Und dabei schließt die Urkunde für die Bettziechenweber
mit den Worten:
Jnchoata est h^c fraternitas anno ab incarnatione
Dommi millesimo centesimo quadragesimo nono etc.,
was natürlich auch als Datum der Ausstellung der Urkunde und
somit der Bestätigung der Zunft zu gelten hat: sonst wäre diese
Datierung ja sinnlos. Bei den Schildmachern aber, bei denen
nicht einmal das Wort Brüderschaft vorkommt, genügt ihm die
Vorschrift
nee aliquis numero eorum vel societati in faciendo ipso
opere accedat, nisi prius eorum communione quod vulgo
inninge [!] dicitur acquisita
zur Erschließung eines analogen Vorganges ■*^'^).
Auch der übrige Inhalt der Urkunde für die Kölner Bett-
ziechen weber zu nft^ die Eberstadt als „das typische Beispiel
eines Handwerkerverbandes mit nachweisbarer^Vorgeschichte"^*^^)
an die" Spitze seiner Ausführungen stellt, als sicheren Baugrund
für alles weitere, berechtigt in keinem Punkte zu der Behauptung,
daß die Genossen „schon lange vor 1149 verbunden" waren, die
Brüderschaft „also geraume Zeit vor 1149 in ihrem privatrecht-
lichen Wirkungskreise bestanden" hatte^*^^). Aus allgemeinen
Gründen ist es freilich als sicher anzunehmen, daß sie auch kirch-
liche Zwecke verfolgte. Allein, wovon man sich schon längst
aus Hoenigers Schreinsurkunden hätte überzeugen können,
nicht einmal die Worte
pia spe perhennis vite (fr^ternitatem conformasse)
461) Zunftwesen S. i8 f. Vgl. noch unten Anm. 466.
462) Zunftwesen S. 19. Seit wann heilet ,, Innung" geistliche Brüderschaft?
Vgl. darüber unten Kapitel X, besonders S. 206.
463) Zunftwesen S. 10.
464) Zunftwesen S. 8, S. 9.
Die angebliche Vorgeschichte. fjg
beweisen das. Denn, wie sich aus ein paar eben aus dieser Zeit
glücklich erhaltenen Eintragungen des Schöffenschreins ergibt,
sind sie eine bloße Formel, eine Art Devotionsformel, für die der
damalige Stadtschreiber von Köln eine Vorliebe hatte *^5)^ Ujn
im Ernste fromme Absichten der Weber bei der Stiftung ihrer
Brüderschaft zu erkennen zu geben, wäre die Wendung wohl
auch etwas dürftig gewesen.
Der übrige Wortlaut der Urkunde zeigt auf unzweideutige
Weise, daß die „conformatio" erst unmittelbar vor der Bestätigung
auf dem Rathause st^ittp-efunden hat:
Xon lateat, quosdam viros fraternitatem tex-
torum cucitrarum pulvinarium pia spe p. v. conformasse
et in Domo Civium confirmatam suscepisse.
Diesen klaren Worten heißt es Gewalt antun, wenn man etwas
anderes daraus entnehmen will, als daß die Weber sich ihre
soeben verabredete Brüderschaft haben auf dem Rathause be-
<— I I . —
stätigen lassen: selbstredend die „Brüderschaft", welchen Sinn
man auch mit dem Worte verbinden mag**'^).
Und ebenso unberechtigt ist es, aus dem, was noch weiter
folgt, zu schließen, daß ein Verband der Bettziechenweber, sei
es nun ebenfalls als fromme Brüderschaft, wie Eberstadt, sei
es im Gegenteil als rein gewerbliche Innung, wie Hegel will,
schon vorher bestanden habe**'^). Denn das „commune bonum". aus
dem die Brüderschaft den „textores peplorum" eine Unterstützung
gewährt hat, entsteht im Augenblick ihres Zusammenschlusses
selbst. Die Trockenlegung einer Stelle des Marktes aber
congerie lapidum minutorum et lignorum
465) Schreinsurkunden, Bd. II, i S. 293, Schöffenschrein i, Bd. I, Nr. 2:
,.Xotum sit tam futuris quam presentibus pia spe perennis vite, quod Hupertus et
uxor eius Gilla mancipaverunt sibi et suis heredibus predium" .... Nr. 3: „Notum
sit omnibos tarn futuris quam presentibus pia spe vite perennis mercatores Virdonenses
institutas thelonii exactiones more suorum antecessorum confirmasse." Hoeniger
hatte bereits S. 280* auf die Wiederkehr der Formel in der Urkunde von 1149 hin-
gewiesen.
466) Hauptgrund Eberstadts für die gegenteilige Annahme scheint der Um-
stand zu sein, daß die Urkimde gewerbliche Bestimmungen und selbst den Zunftzwang
enthält (a. a. O. S. 9* und S. 9): woraus sich denn mit Hilfe der oben S. 178 aus-
geführten Deduktion alles weitere ergibt. — Ein bloßer Auswuchs seiner Theorien ist
auch die Behauptung (S. 9^), daß einer Nötigung zur Beteiligung an frommen Werken
eine Bestätigung auf dem Bürgerhause, d. h. durch die städtische Behörde, nicht habe
dienen können. Die Drechsleriu-kunde beweist das Gegenteil.
46") Aehnlich Croon. Ueber beide vgl. die folgende Anm.
12*
1 8o I^is Brüderschaft.
braucht auch bloß wenige Stunden in Anspruch genommen zu
haben und hat auf alle Fälle nur ein Moment innerhalb der in
einem Zuge verlaufenden Gründungsgeschichte der Brüderschaft
abgegeben ^*'^).
Ein besonders lehrreiches Beispiel dafür, bis zu welchem
Aeußersten eine geistliche Behörde den Einfluß, ^en_sie in kirch-
lichen Dingen besaß, zu einem Zwange auch in den gewerblichen
Angelegenheiten eines Handwerkerverbandes ausnutzen konnte,
liefert schließlich der Vertrag der Walker und Tiirh<;rVif>rAr
von Saint-Trond mit der Abtei vom 12. März 1237 ^•'9). Nach-
dem sämtliche Walker und Scherer sich zur Beobachtung be-
schriebener guter Werke, soweit sie aus Zahlungen an die Kirche
468) „Locum fori quo pepla venduntur congerie 1. m. et i. exsiccasse." Eber-
stadt übersetzt das: „einen Rheinaim trocken gelegt und auf dem gewonnenen Grund
und Boden Marktverkaufstände errichtet." Vollständig bona fide ! Denn er gibt den
ganzen Text in der Anmerkung (Zunftwesen S. 9). Dabei wurden die pepla ja schon
an der Stelle verkauft! Wie kann ein Leser solcher Führung weiter folgen? —
Keussen, Untersuchungen z. älteren Topographie u. Verfassungsgeschichte von Köln
(Westdeutsche Zeitschr., Bd, XX, S. 57) bezieht die Stelle auf einen Graben, der
sich, aus römischer Zeit stammend, in der Gegend dahinzog. Hinzuweisen ist zur
Erklärung noch auf das „Gericht der Hausgenossen von Mariengraden auf den Dielen",
das „an einer mit Bohlen gedielten Stelle unterhalb der Kirche ad Gradus" gehalten
wurde: Lau, Entwicklung der kommunalen Verfassung und Verwaltung der Stadt
Köln, S. 48. — In den Kölner Schreinsurkunden (Hoeniger, Bd. I, S. 43 f.)
Martin 3, I, 36, findet sich aus dieser Zeit die Eintragung: ,,Venditores peplo-
rum et tegumentorum pulvinarium (id est sciza) locum contra pellifices de suburbio
situm acquisiverunt a parrochianis S. Martini, ita ut deinceps libere et hereditario iure
eum in sua possessione obtineant" Aus dem ,, deinceps" kann man unmöglich mit
Croon, Zunftwesen S. 7, folgern, daß derselbe Besitz vorher nach anderem als freiem
Besitz in den Händen der Weber und daher ihr Verband schon vor 1 1 49 vorhanden
gewesen sei. Ebensowenig aus dem ,,permanere" der Urkunde von 1149. Vgl.
dazu noch oben S. 142 und Anm. 353. Auch dafi die grammatische Konstruktion
statt „exsiccasse" verlangt „exsiccatum esse" (Croon, S. 7'*), ist nicht richtig und
führt zu Widersinnigkeilen. — Hegel, Städlewesen S. 121, will im Gegensatz zu
Eberstadt die Bettziechenweber nur als gewerbliche Innung bereits vor I149 be-
stehen lassen. Damals sei ihnen das Recht der Brüderschaft, des Zwanges zur Be-
teiligung an den frommen Werken verliehen worden. Das beruht ebenfalls auf einer
Ueberschätzung der Sonder bedeutung des Wortes Brüderschaft. Vgl. Anm. 482.
469) Piot, Cartulaire de l'abbaye de Saint-Trond, tome I, Nr. 159. — Eber-
stadts Darstellung, Zunftwesen S. 40, ist auch in diesem Falle zu beanstanden. Die
„vier Geschworenen" stehen nicht unter dem Kustos als „Obermeister". Sie haben
nur die Rüge im Sendgericht und allein darauf bezieht sich ihr Eid. An der Spitze
des Verbandes stehen „magistri", vermutlich je einer für die Walker und die Scheerer.
Diesen gegenüber befindet sich der Kustos allerdings in einer analogen Stellung wie
die Ministerialen den Zünften in Basel, der Burggraf in Straßburg.
Geistliche Ausbeutung in Saint-Trond. lgl
bestehen, eidlich verpflichtet haben, müssen ihre Meister noch
besonders schwören:
nee aliquem de fullonibus secum operari permitterent,
qui in aliquo modo predictorum fidem suam violare pre-
sumeret.
Ferner "sollen sie niemand zur Verbandsmeisterschaft zulassen,
der nicht vorher vor dem Kustos der Kirche und anderen vom
Kustos berufenen jenen Eid geleistet hat. Uebernimmt aber
einer die Meisterschaft und verweigert den Eid, so
inhibebitur fullonibus sub prestito iuramento ne in domo
operentur:
so wird ihnen also das Walkhaus verschlossen. An dem Tage
an dem ein Walker begraben wird, müssen alle übrigen feiern^
Auf Schwänzen des monatlichen Sendgerichts vor dem Kustos
und dem ihnen^ alljährlich zugewiesenen Priester steht eine Geld-
strafe. Und wer nach dreimaliger Ermahnung seinen Lebens-
wandel nicht bessert :
a communione aliorum penitus amoveatur.
Jeder Streit unter ihnen endlich
de consilio custodis et presbiteri eorum solvetur.
Wir haben hier also den Zunftzwang in schärfster Form zu ^„^^
rein geistlichen Zwecken. Ja man kann überhaupt von einer ^
freiwillig geschlossenen Brüderschaft in diesem Falle kaum noch
reden: man wird nicht wohl zweifeln dürfen, daß das Ganze eine
Veranstaltung der geistlichen Behörde war.
Eine ganz andere Frage ist es, ob der „Brüderschaft" auch
Personen beitreten konnten, die das „Amt" nicht ausüben wollten.
Daß diese Frage zu bejahen ist, zeigt schon die Kölner Drechs-
lerurkunde von 1182 in dem Satze:
Alii vero qui de officio eorum fratrum non fuerint et
predictam fraternitatem habere curaverint, XXIV d. pro
eadem fraternitate dabunt ■*"").
Die Aufnahmegebühr für Drechsler dagegen war 12 Schillinge,
für Lehrlinge 4 Schillinge. Es lag kein Grund vor, warum an
den guten Werken und der Geselligkeit des Verbandes nicht
auch Xichthandwerker teilnehmen sollten: taten es doch die
Frauen und übrigen Angehörigen der Mitglieder ohnehin. Das
ist eine weitverbreitete Sitte gewesen: ich erinnere noch an die
470) Vgl. oben S. 175 ff.
I 8 2 Nicht-Handwerker in der Brüderschaft.
Stendaler Gilde, die auch Geistliche und Ritter umfaßte*"^),
und an die Doppelzünftigkeit, die in Süddeutschland im späteren
Mittelalter eine so große Rolle gespielt hat, durch die es aber
freilich auch möglich gemacht wurde, mehr als ein Gewerbe aus-
zuüben* ^2)^
Insofern ist allerdings den beiden Seiten des Verbandes,
die durch die beiden_Gruppfen von Motiven^ die bei seinem Ent-
stehen mitgewirkt hatten, charakterisiert werden, dauernd eine
gewisse Selbständigkeit zuzuerkennen und wird es gerechtfertigt
sein, die gottesdienstliche Seite unter Umständen als die „Brüder-
schaft" zu unterscheiden. Allein den Ausgangspunkt und die
Gi^andlage hatte allemal die gewerbliche Gemeinschaft gebildet.
Inwiefern jene Unterscheidung aber gerade für diese und die
schärfere Ausbildung des Zunftwesens Bedeutung erhalten sollte,
werden wir später sehen.
471) Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis I, Bd. XV, S. 85, a. 1328.
472) Vgl. namentlich über Basel Geering, a. a. O., S. 49 ff.
X. Kapitel.
Der Zunftzwang und die Einung.
Die Brüderschaft bot den Handwerkern die Form, an der
es bis dahin noch gefehlt hatte, für einen intimeren Verein,
als ihn das bloße „Amt" abgab. Darüber hinaus war sie ein
Vehikel, um der durch geistliche Personen repräsentierten Obrig-
keit das Risiko größerer Selbständigkeitsbestrebungen , die als
Folge jenes engeren Zusammenschlusses zu befürchten waren,
annehmbarer zu machen. Richtiger noch wird es sein, die Grün-
dung der Brüderschaften in der Hauptsache vielmehr auf geist-
liche Anstiftung zurückzuführen, wie sie ja in ihren Betätigungen
geistlicher Leitung ständig unterworfen blieben.
Muß man somit den kirchlichen wie den geselligen Bestrebungen
eine gewisse Bedeutung für die Entstehung der Zünfte zuerkennen,
wenn auch nur die eines mithelfenden Momentes — während
allein ausschlaggebend die gewerblichen sind und waren: so er-
scheint wesentlicher die Wahrnehmung, daß in beiden Richtungen
der Obrigkeit ein weit größeres Maß der Einwirkung zuzu-
schreiben ist, als man bisher anzunehmen pflegte. Allein ein
marktherrliches Handwerkeramt, wenn auch unter einem Meister,
der einstweilen doch nur von der Obrigkeit gesetzt war, und mit
einer gewissen zugebilligten Erwerbsgerichtsbarkeit, ist noch keine
Zunft: zur Zunft gehören eine ausgesprochenere Autonomie in
Gewerbesachen; wenigstens ein gewisses, wenn auch durch die
Voraussetzung obrigkeitlicher Genehmigung in jedem Einzelfall
beschränktes Gesetzgebungsrecht — das Recht zu „Willküren";
vor allem aber eigene Handhabung des Zunftzwanges. So un-
gefähr wird man einstweilen den Unterschied ausdrücken können,
während eine genaue Formulierung bei der ^[enge der
lokalen Verschiedenheiten und Uebergangsstufen kaum mög-
lich ist.
Kehren wir noch einmal zur Marktordnung zurück.
184 Zunftzwang und Einung.
Ist es nötig, zu betonen, daß nicht jede „Zunft", wenn wir
diesen Ausdruck zur Bezeichnung des vollausgebildeten Instituts
zurückbehalten wollen, aus einem „Amt" hervorgegangen ist?
Die Kölner Bettziechenweber haben uns gezeigt, daß das
nicht der Fall zu sein braucht in einer Stadt, die freilich allen
anderen weit voraus war, das bereits Mitte des 12. Jahrhunderts
nicht mehr der Verlauf ist. Es wurde bei der Gelegenheit schon
darauf hingewiesen, daß die obrigkeitliche Marktordnung ja an
keinem Ort von vornherein erschöpfend sein konnte, daß die fort-
schreitende Spezialisierung des Gewerbes neue Gruppen er-
stehen ließ, die sogleich von sich aus zu- frischer Vereinsbildung
schritten.
Hinzu kommt, daß die Umbildung der bloßen jSIarktgruppen
zu Aemtern unter Meistern, die auf der Erweiterung der bloßen
Warenschau zu einer Beaufsichtigung und Regelung der Waren-
erzeugung beruhte, ja nur die Handwerker traf, nicht die eigent-
lichen Händler, mit Namen die Gewandschneider, die zwar der
allgemeinen Marktordnung unterworfen waren, aber diese beson-
dere Wandlung nicht mitmachten, die wir deshalb unter den alten
Aemtern nicht treffen und die sich manchmal, wie in Frank-
furt, einem wohlgegliederten Handwerk gegenüber erst spät
ähnlich gewerblich abschließen ^^3).
So wäre es an sich wohl denkbar, daß die Zünfte überhaupt
ohne die vorhergehende Marktordnung aus eigener Einsicht und
ganz freiem Entschluß hätten entstehen können: aber eben doch
nur abstrakt denkbar, ohne Rücksicht auf die geschichtlichen
Umstände.
In diesem Zusammenhange aber sei auch kurz gestreift das
Problem der „Kauf man nsgilden".
Niemand glaubt, wenn er es vorher getan hatte, seit Hegels
großem Werke über die „Städte und Gilden der germanischen
Völker" mehr, daß irgendwo die Stadt Verfassung sich aus einer
Kaufmannsgilde entwickelt "habe. Ebensowenig kann die Rede
davon sein, daß die Innungen der Handwerker entstanden seien
473) Fromm, Frankfurts Textilgewerbe im Mittelalter, S. 2 ff., 'S. 6ff. ; dazu
Hansische Geschichtsblätter, Jahrgang 1901, S. 108 ff. ; meine Urkunden No. 175 ff.
Daß die „Kaufleutezünfte" oder aber die Gewandschneiderinnungen überhaupt jünger
sind als die Handwerkerverbände, kann man aber nicht sagen. Es sind dabei ver-
schiedene Umstände zu unterscheiden. Vgl. im folgenden. Ferner Hans. Gbl., a. a.
O. S. 74 ff.
Kaufmannsgilden. 1 85;
infolge des Auflösungsprozesses einer „Großen Gilde", die ur-
sprünglich die Gesamtheit der Gewerbetreibenden einer Stadt
umfaßt habe. Abgesehen von der Unzulänglichkeit der einzelnen
Beweisstücke, die v. Below aufgedeckt hat, ist ein solcher Vor-
gang auch darum ausgeschlossen, weil dessen Annahme gänzlich
absieht von einer Grundtatsache der städtischen Geschichte gerade
in der kritischen Zeit: der Einwanderung. Die Masse der
städtischen gewerbetreibenden Bevölkerung, die soeben durch
Einwanderung erst zusammengekommen war, hätte in die Gilde
eintreten müssen, nur um sich sofort wieder von ihr zu trennen.
Allein etwas ganz anderes ist es — und darin liegt die
richtige Idee, der Nitzsch nur auf falschen Wegen nachgegangen
ist — ob in der Frühzeit, ehe noch von einer Stadtverfassung-
und einem Bürgerstande geredet werden kann, in der Zeit der
Herrschaft des „ius negotiale", des „mercatorius usus", die noch
sehr fluktuierende kaufmännische Bevölkerung sich hier und da
zu Gilden zusammengeschlossen hat. Das ist ein Gedanke, der
sich gar nicht abweisen läßt, und nicht nur für ein „hier und da"»
sondern überall, wo sie einmal in genügender Menge auf kürzere
oder längere Zeit den P'uß zu Boden gesetzt hat.
Von jeher haben sich, wo die Verhältnisse es erforderten»
Berufsgenossen zu Vereinen zusammengetan zur Förderung ihrer
Berufsinteressen, zur Geselligkeit und zu gegenseitiger Unter-
stützung in der Not, und regelmäßig werden sie sich auch einen
Schutzpatron erwählt haben. Für die Annahme einer frühen
Existenz gerade von Kaufmannsgilden ist man indes nicht auf
allgemeine Betrachtungen und Analogien angewiesen. Schon die
Gilden zur Wohltätigkeit und zur Versicherung gegen Brand
und Schiffbruch, die zu beschwören Karl der Große verbietet,
können, soweit der Schiffbruch in Frage kommt, doch wohl nur
solche von Kaufleuten gewesen sein^^*).
Mit voller Sicherheit aber ist aus dem Anfange des 1 1 . Jahr-
hunderts eine Kauf man nsgilde belegt, und zwar in Tiel. Das
474) Boretius, Capitularien, Bd. I, No. 20, § 16 vom März 779: „De
sacramentis per gildonta invicem coniuranübus, ut nemo facere praesimiat. Alio ver»
modo de illorum elemosinis aut de incendio aut de naufragio, quamvis convenentias
fadant, nemo in hoc iurare praesumat." Ich verstehe, daß nur das Beschwören der
Uebereinkunft verboten wird. „Naufragium" kam natürlich auch auf Binnengewässern
vor. Vgl. meine Urkunden im Register. Die Beziehung auf Pilger ist abzu-
lehnen.
t86 Zunftzwang und Einung,
ist von um so größerer Wichtigkeit, als Tiel damals noch einer
-der Haupthäfen des Reichs war, eine der Hauptzollstätten, die in
•den üblichen Zollbefreiungsprivilegien stets reserviert wurde,
Hauptübergangshafen nach England. Alles das findet auch in
der Nachricht über die dortige Gilde Ausdruck. Die Tieler Kauf-
leute gehen häufig den König mit Klagen an: wenn er sie nicht
gegen die Seeräuber schütze, die sich in der Nähe eingenistet
hatten, so können weder sie nach England, noch die Engländer zu
ihnen,
et ideo vectigalia sibi [dem König] ut oportebat, plenius
pro venire non posse*''^).
Dadurch erhält auch Alperts übriger Bericht dokumentarische
Würde.
Aus dem Stadtrecht Friedrichs IL für Lübeck von 1226
ist bekannt, daß damals die Tieler neben den Kölnern in Eng-
land den Lübeckern Schwierigkeiten bereiteten ^^^). Eben urh
Gilden von der Art, wie sie die Deutschen an verschiedenen
englischen Handelsplätzen errichtet haben, handelt es sich. Der
•einzeihe war Mitglied, solange seine Geschäfte ihn an den Ort
banden, was einmal auf kurze Zeit oder in regelmäßiger Wieder-
holung oder andauernd sein konnte. Solche Gilden sind aber
nicht erst im 13. Jahrhundert erfunden worden oder im 12., wo
zuerst von einem Hause der Kölner in London die Rede ist*").
Zu dieser Zeit war in den deutschen Städten kein Anlaß mehr
zu Gründungen dieser Art. Vergangen waren hier die Zustände,
denen sie einst ihr Dasein verdankt hatten. Bürgersein war an
die Stelle des Kaufmannseins getreten. Grund- oder Hausbesitz
war es, was Gemeindemitgliedschaft verlieh. Man gehörte jetzt
475) Aus Alpert von Metz, De diversitate temporum : MG. SS., Bd. IV,
S. 718 f., No. 20; meine Urkunden No. 75. Die ,,insula" kann dem Zusammen-
ihange nach nur England sein : „neque se causa negotiandi in insulam venire, neque ad
se Britannos commeari posse." Ueber Tiel als Zollstätte z. B. a. a. O. No. 71
(a» 975). No. 78 b (a. 1134), No. 152 § 32 (a. 1219). Auch die „loca compertinentia'',
•die in Koblenz 1 104 gleichen Zoll mit den Tielern entrichten, sprechen für die Be-
■deutung dieses Platzes als Handelsmittelpunkt. Meine Urkunden No. 80, S. 49,6.
476) Meine Urkunden Nr. 154 § 8: „Insuper burgenses Lubicenses predict[os]
■euntes quandoque in Angliam ab illo pravo abusu et exactionis onere quod Colonienses
et Telenses et eorum socii contra ipsos invenisse dicuntur omnino absolvimus, ilium
penitus delentes abusum."
477) Meine Urkunden No. 431, um 1157. In einer Ueberlieferung der
Urkxinde wird das Haus als ,,gildhalla sua" bezeichnet.
Gilden im Ausland. l8y
ein für allemal einer bestimmten Stadt an. Aber ehedem war
der deutsche Kaufmann auch an deutschen Handelscentren fremd
gewesen oder nur vorübergehend heimisch. Und gerade wie im
Ausland hatte auch hier die Genossen von seiner Nationalität
die Gleichheit des Berufes zu einander gezogen.
Der Uebergang vom meist wandernden zum seßhaften
Händler kann nur ein allmählicher gewesen sein*^*). Irgend einen
Platz im Rahmen der Verfassung der neuen städtischen Gemeinden
aber gab es für seine Genossenschaften nicht Zwangsrechte,
■öffentliche Rechte fehlten ihnen gänzlich. Nur durch Verrufen
und „Hänseln" konnten sie einen Druck ausüben, wie jene Kölner
und Tieler gegen die Lübecker. In den nach bestimmtem
Schema mit in den Grundzügen schon befestigtem Stadtrechte
angelegten Städten w^ar für sie von vornherein keine Stelle. Sehr
wahrscheinlich aber ist die Dortmunder Reinholdsgilde
solchen Ursprungs*^**), und ich halte es gar nicht für unmöglich,
daß sich auch noch an anderen Orten Spuren der Existenz ähn-
licher Vereine werden nachweisen lassen.
Diese Gilden stehen ihrem Wesen nach in schroffem Gegen-
satz zu den Verbänden der Handwerker. Keine Brücke führt
von den einen zu den anderen. Sie sind wirklich private und
sie vereinen in sich nicht bloß Händler mit einer Ware*****). Auch
politisch stehen sie den Bestrebungen der Handwerker fem, Sie
entstammen einem älteren Zustande, einem Stande der Dinge,
dem gerade in der jüngsten wirtschaftsgeschichtlichen Literatur
jedoch nicht überall gebührende Würdigung zu teil geworden ist
In der Zeit des ausgebildeten Städtewesens sind ihnen, außer den
Gilden in der Fremde, nur die Gesellschaften der Flandernfahrer,
der Englandfahrer und ähnliche vergleichbar, die ebenfalls außer-
halb der stadtwirtschaftlichen Ordnung des Gewerbes bleiben.
Nur des Gegensatzes halber also mußten sie berührt werden.
Was aber die Verbände der Handwerker betrifft, so bleibt
für sie die Tatsache wichtiger obrigkeitlicher Präformationen be-
478) Vgl. hierüber auch Hans. Gbl., Jahrgang 1901, S. 79 ff.
479) Die Kaufleute der Reinhold^lde sind nicht aus Bauern hervorgegangen,
sondern umgekehrt haben sich die ursprünglichen Kaufleute und ihre Nachkommen
in Grundbesiuer ven»-andelt. Hans. Gbl., a. a. O. S. 88^°.
480) Mitglieder der Dortmunder Reinholdsgilde waren picht bloß die Tuch-
händler, sondern auch Weinhändler. Frensdorff, Dortmunder Statuten und Urteile,
S. LHI.
l88 Zunftzwang und Einung.
Stehen. Und mit dieser geschichtlichen Tatsache, dem Charakter
dieser Vorbildungen , der Art und Tragweite dieses Einflusses
auf die Bildung der mit ausgedehnter Autonomie und Zunftzwang
begabten Verbände, der „Zünfte", hat sich die Geschichte schlechter-
dings allein zu befassen. Denn absolute Notwendigkeit kommt
bei diesen Vorgängen schlechthin nicht in Frage.
Wir haben sie zum Teil bereits näher kennen lernen.
Wenn durch die Einrichtung der Aemter und die Ein-
setzung von Meistern die Obrigkeit die äußere Form der gewerb-
lichen Verbände geliefert hatte; wenn ohne ihre Genehmigung
keine Zunft ihre Zwecke erreichen oder überhaupt nur existieren
konnte; wenn w^enigstens im Prinzip von ihr abhing, welches
Ausmaß von Autonomie sie gewähren wollte: so sahen wir auch
bereits, wie sie in ihrer Marktordnung noch weiter durch Hand-
lungen , bei denen jeder Gedanke an die Schöpfung von selb-
ständigen Handwerkerverbänden fehlte, einen autonomistischen
Geist geweckt und den autonomistischen Bestrebungen die Bahn
gebrochen und auch dadurch dem Entstehen der Zünfte nach
verschiedenen Richtungen vorgearbeitet hatte.
Die Gruppierung der Verkäufer auf dem Markte, die Zu-
weisung der Marktstellen, der Budenreihen an die Gruppen, oder
gar eines Kaufhauses, mußte gegenüber allen Konkurrenzgelüsten
mit Nachdruck auf die Gemeinsamkeit der Interessen aller An-
gehörigen einer Gruppe hinweisen. Ja, neue gemeinsame In-
teressen waren durch die günstige oder ungünstige Lage der
Marktstelle, den Zustand der Gebäude soeben geschaffen worden :.
die Trockenlegung des Marktplatzes in der Gründungsgeschichte
der Kölner Bettziechenweberzunft lieferte ein bedeutsames
Beispiel.
Aehnlichen Einfluß übte es, daß die Obrigkeit Gleichheit,
gleiche Güte der Waren vorschrieb, Abweichungen, Betrug bei
Herstellung und Verkauf bestrafte: sie leitete dadurch die Ge-
werbegenossen von selbst zu gegenseitigem Ueberwachen, nach-
haltiger noch als durch die formelle Pflicht der Mitwirkung in
den alten drei Dingen zu selbständiger Ausübung der Gew^erbe-
polizei an. Die Eifersucht war da ein Agens, das der Versuchung,,
dem Richter gegenüber nur die gemeinsamen Interessen des Ge-
werks zu verfechten, Verfehlungen der Genossen darum zu ver-
heimlichen, mit Uebergewicht entgegen trat.
Amtszwang und Zunftzwang. i8q
Und in derselben Weise wirkten die Lasten, denen die
Handwerkerschaften sich unterworfen sahen, einerlei, ob sie dem
Amt gemeinsam auferlegte oder von den einzelnen Genossen auf-
zubringen waren.
Alles das aber berührt sich schon auf dcis engste mit dem,
was erst dem ganzen Zunftsystem den Halt gibt, sein eigent-
liches Existenzprinzip ist, ohne das es nicht bestehen kann: dem
Zunftzwang, Denn auch den Zunftzwang liefert der Zunft be-
reits die Marktordnung.
Schon unter der obrigkeitlichen Ordnung des periodischen
Marktes versteht es sich von selbst, daß jeder Händler der
äußeren Ordnung, jeder der gleichen Warenkontrolle, jeder den-
selben Abgaben unterworfen ist. In der dauernden, städtischen
^larkt- und Gewerbeordnung ist es nicht anders, nur daß jetzt auch
in dieser Hinsicht die Einrichtung eine dauernde wird. Und auch
nachdem Meister an die Spitze der Aemter gestellt, ihnen die
Gewerbepolizei wie die Aufbringung der Abgaben überlassen
worden waren, konnte darin kein Wechsel eintreten. Kurz, der
Beitrittszwang war ein so notwendiges Element der Organisation
des Gewerbes, ja man kann sagen der städtischen Wirtschafts-
ordnung überhaupt, daß es von minderer Wichtigkeit erscheint,
ob in dieser oder jener der älteren Handwerkerurkunden der
Zunftzwang, sei es explicite, sei es implicite, enthalten ist oder
nicht***). Auch wo es sich nur um gottesdienstliche und brüder-
liche Verpflichtungen handelte, zeigte sich ja bereits der gleiche
Zwang**-).
481) Sehr richtig bemerkt auch Lau, Verfassung und Verwaltung der Stadt
Köln, S. 207 ' : „Immerhin scheint es mir überhaupt mißlich, aus den nicht immer
scharf und logisch stilisierten Zunftbriefen und Ordnungen bindende Schlüsse auf das
Bestehen und Nicht-Bestehen des Zunftzwanges ziehen zu wollen." Vgl. zu dem be-
sonderen von Lau berührten Falle: Hans. Gbl., Jahrgang 1901, S. 93*^-.
482) Hegel, Hist. Zeitsch. Bd. LXXXH (1898), S. 130 und Städtewesen.
S. 120 f., beanstandet gegen Lau, Köln S. 77, die Anwendung des Ausdruckes Zunft-
zwang, wenn es sich um die „Verleihung der Brüderschaft" handelt wie bei den Kölner
Bettziechen Webern, Drechslern und Hutniachern. Es ist ja gewiß gut, daß er zwischen
der geselligen Seite und dem Gewerbebetrieb unterscheidet; aber so streng technisch
darf man den Ausdruck Brüderschaft doch nicht nehmen, daß man daraufhin dies den
Bettziechenwebern verliehene Recht niu- „die Nötigung, daß alle Einheimische und
Fremde desselben Gewerbes der Brüderschaft beitreten sollten" bedeuten ließe und
„nicht den Zunftzwang, der den Gewerbebetrieb betroffen hätte". Immerhin anerkennt
er die Gleichheit des Gewerbes, das .,Amt", wie er es nennt, als den Kern der
'.Brüderschaft". Vgl. übrigens das vorige Kapitel, besonders Anm. 468.
igo Zunftzwang und Einung.
Wenn trotzdem eine Meinungsverschiedenheit über die Be-
deutung des Zunftzwanges herrscht, so kann sie nur daher ent-
sprungen sein, daß man Mittel und Zweck verwechselt hat. Denn
Selbstzweck ist der Zunftzwang natürlich nicht. Mit seiner Hilfe
sollen nur die eigentlichen Ziele der Handwerkerverbände erreicht
werden. So erklären sich die so vielfach angefochtenen Aeusse-
rungen Schmollers**^^). Aber der Zunftzwang war freilich
so sehr das gegebene Mittel, daß mit einer gewissen Selbstver-
ständlichkeit er überall im Vordergrunde steht.
Deshalb geht denn auch das Verbreitungsgebiet des „Zunft-
zwanges" weit über das der Zünfte selbst hinaus. Wir finden
ihn ausgesprochen auch da, wo freie Verbände der Handwerker
ausdrücklich verboten werden, wie in der Landshuter Ordnung
von 1256, wo es in § 4 heißt:
societates que vulgo dicuntur einung sub pena V librarum
inhibemus,
und doch den gewerberechtlichen Bestimmungen, wie denen über
die Weberei (§§ 2, 3, 22), die Walkerei (§ 3), die Schlachterei
(§§ 5, II, 12), die Bäckerei (§ 13), die Schuhflicker (§ 23), die
Becherer (§ 19) und die übrigen Verkäufer verschiedenster Waren,
notwendig alle Genossen der einzelnen Gewerbe unterworfen ge-
wesen sein müssen '*^^).
Ebenso wird niemand auch nur einen Augenblick zweifeln,
daß etwa in Augsburg den zahlreichen und ausführlichen Be-
stimmungen des Stadtrechtes von 1276 stets alle Vertreter der
einzelnen Gewerbe unterworfen waren, und ebenso den dürftigen
nach dem Stadtrecht von 1156*^^).
Auch in Straßburg versteht es sich ganz von selbst, daß
sämtliche in der Stadt vorhandene Kürschner, Schmiede, Sattler
u. s. w. den Aemtern angehören mußten, auch wo es nicht aus-
drücklich heißt „omnes". Ebenso in Trier^*«). Und genau so
verhält es sich, um noch einen möglichst entgegengesetzten Fall
483) Namentlich in „Straßburg zur Zeit der Zunftkämpfe". Vgl. da-su Frens-
Horff, Hildebrands Jahrbücher Bd. XXVI, S. 225 ff. — Unrichtig ist die Abfolge
der verschiedenen Momente und damit die Art, wie sie sich bedingen, in dem neuesten
Bande von v. Inamas Wirtschaftsgeschichte dargestellt, besonders S, 29 ff.
484) Vgl. oben S. 131 f. und S. I30f.
485) Vgl. oben S. 151 und Anm. 400.
486) Vgl. Kapitel V und VIII.
Zunftzwang ohne Zünfte. igt
ZU nehmen, mit den Handwerkern von Wiener-Neustadt nach der
Aufzeichnung von etwa 1310*^'). -^
Daher war es denn auch möglich, wie es so oft aus irgend '
welchen Gründen geschehen ist, Zünfte aufzuheben, ohne daß da-
durch die städtische Wirtschaftsordnung zerstört worden wäre***)>
Das Fundament blieb liegen, nur der Oberbau, die Autonomie^ J
wurde beseitigt.
Nur deshalb ferner, weil der Zunftzwang nichts als ein
Erbstück aus der Marktordnung war, stieß er auf so wenig
Widerstand.
Nicht nur, insoforn wir die Obrigkeit regelmäßig bereit sehen,
den Vereinen der Gewerbetreibenden das Recht des Zunftzwanges-
zu verleihen: trotz aller offenkundigen Vorteile des Zusammen-
schlusses würden sich zweifellos unter den Handwerkern, nament-
lich den erst neuerdings zuziehenden, Elemente gefunden haben,,
die einem Zunftzwange, der soeben erst dem Kopfe der poli-
tischer denkenden unter ihren Genossen entsprungen wäre^*^),.
aller obrigkeitlichen Genehmigung unerachtet den hartnäckigsten
Widerstand entgegengesetzt hätten, wie es später, als die allge-
meinen wirtschaftlichen Voraussetzungen sich verwandelt hatten^
ständig geschah. Ohne die geschilderten Voraussetzungen hätte
man auch in der früheren Periode an einem Erfolg der Bewegung
unter derartigen Umständen trotz alier obrigkeitlichen Begünsti-
gung billig zweifeln dürfen.
Allein wenn soweit Wünsche und Ziele von Handwerkern
und Obrigkeit übereinstimmten, so zeigt sich eben beim Zunft-
zwang, daß ihre Gesichtspunkte und Motive und damit ihre-
letzten Zwecke recht weit auseinandergingen: kann man doch
mit demselben Hammer ähnliche Nägel an recht verschiedenen
Stellen einschlagen!
Was waren denn die Motive der Obrigkeit bei der regel-
mäßigen Handhabung der Marktordnung?
Neben dem, was sich allgemein als gute Regierung be-
zeichnen läßt, handelte es sich insbesondere um zweierlei: Für-
sorge für das Publikum und finanziellen Vorteil für sich selbst.
487) Vgl. S. 152 und Anm. 400.
488) Vgl. Kapitel XI.
489) Croon, S. 88, betont die Wichtigkeit der Initiative von ,, einzelnen klar-
sehenden Handwerkern, die die Gesamtheit ihrer Genossen durch den Hinweis ant
gemeinsame Ziele za einem Ganzen zusammenschließen".
qQ2 Zunftzwang und Einung.
Denn die Sorge für die „Nahrung", das Auskommen der Handwerker
gehört einer späteren Epoche an. Also neben möglichst guter, mög-
lichst reichlicher Versorgung des Marktes mit Waren, reich
lichste Einkünfte aus dem Markte und allem was mit ihm zu
sammenhängt.
Das bedeutet aber weiter möglichst freie Zulassung auch
fremder Händler, fremder Verkäufer, auch von Fleisch, Brot und
Handwerkserzeugnissen: wie es sich nach der Vorgeschichte der
Märkte ja von selbst verstand.
Wir haben nun schon gesehen, wie die bürgerlichen Ge-
werbetreibenden, mit der Begründung, daß sie allein Steuern
zahlten, sich gegen die Konkurrenz der Hofhandwerker wehrten
und sie mit Hilfe des Königs niederschlugen.
Dasselbe Prinzip ließ sich binnen gewisser Grenzen auch
gegen die fremden Händler kehren, die man freilich als „publici
et certi mercatores" gelten lassen mußte, die aber doch wenigstens
.nicht in dieser Stadt die Lasten mittrugen.
Daß sie dafür mit Zöllen beschwert wurden, von denen die
-eigenen Mitbürger frei gingen — damit mochte die Obrigkeit
das Gleichgewicht wieder hergestellt wähnen: den Handwerkern
schien es nicht genug.
Jene trugen nicht mit an den schweren Lasten für den Ge-
werbeverein. Ihre Waren unterlagen höchstens zum Teil einer
gleich scharfen Kontrolle. Auf alle Fälle waren es Fremde.
Ihre Konkurrenz schien unerträglich. Dagegen mußten Maß-
regeln ergriffen werden. In demselben Gedankengange mußte,
wer sich etwa von Einheimischen, von Neuzugewanderten der
Vereinsmitgliedschaft entziehen wollte — und je stabiler die Ver-
hältnisse wurden, desto häufiger war das zu erwarten — zum
Beitritt gezwungen werden können.
Eben in dem Wunsche der Beschränkung der Konkurrenz
gehen die Bestrebungen der Gewerbetreibenden am wesent-
lichsten über das marktherrliche System hinaus: aber selbst-
redend im allgemeinen noch nicht der Konkurrenz überhaupt,
sondern nur der anscheinend unfairen, weil günstiger gestellten i''").
490) Thomas Stolze hat in seiner Marburger Dissertation, Die Entstehurg
• des Gästerechts in den deutschen Städten des Mittelalters, in dankenswerter Weise die
allmähliche Verschärfung der gegen die Fremden auf den städtischen Märkten ergriffenen
Maßregeln im einzelnen nachgewiesen. Aber die Rolle, die der Uebergang von dem
Markt alter Art zu der städtischen Wirtschaftsordnung dabei gespielt hat, ist ihm,
glaube ich, doch entgangen.
Urspnuig der Idee der Einung. ig3
Hier setzt die Idee der Einung ein.
Was ist der Kern des dem Begriff Einung zu Grunde
liegenden Gedankens, der die Bedeutungswandlungen des Aus-
drucks erklärt?
„Innung", „Einung", „unio" ist nicht an erster Stelle „Ver-
ein", Körperschaft", wenngleich der Bedeutungsübergang sich
früh vollzogen hat. Ebensowenig kommt der Ausdruck aus-
schließlich den Vereinigungen der Gewerbetreibenden zu. Viel-
mehr ist die ursprüngliche Bedeutung ganz allgemein die de§
Uebereinkommens, der Abrede. Eine Abrede aber erfolgt stets
zu bestimmten Zwecken, wodurch der Begriff sich ferner von
der der Brüderschaft zu Grunde liegenden Idee, der allgemeiner
brüderlicher Unterstützung, unterscheidet.
Solche Einungen sind die Landfriedenseinungen, eine solche
ist die der Bauern im Dorfe Heidingsfeld bei Würzburg:
vina quieti colligant prout einunge, quam homines pre-
dicte ville statuerint*^^).
In demselben Sinne wird das Wort gebraucht in dem
Friedensvertrag zwischen Straßburg und seinem Bischof vom
2 1. April 1263:
§ 8. So ist ouch ir reht unde gewonheit: swenne ire
stat not unde kumber angät, daz si einunge unde andre
satzunge umbe ire stette not machen mügent, ane
menliches Widerrede ^^-).
Ebenso in dem ungefähr gleichzeitigen Basler Stadtrecht
(1260 — 1262).
§ 3. unde sol man nikein ungelt noch einunge setzen
ane sinen [des bischofs] willen unde sin urloup^^^).
Es steht also dem niederdeutschen ..köre" nahe, wenn dessen
Grundidee auch eine andere ist.
Von solcher Art endlich sind auch die Einungen, die in
den Städten die Gewerbetreibenden geschlossen hatten und die
vcm den Obrigkeiten verboten wurden.
491) Mon. Boica, Bd. XXXVII, No. 404, S. 46", vcan 29. Juli 1276, mit
Benifung auf die Zeit der Bischöfe Hermann (1225 — 1254) und Ihring (1254—1260)
ind ohne Zweifel identisch mit der „unitas" in der Urkunde Hermanns vom 2. März
1252, a. a. O. No. 318, S. 357. von deren Bruch zwei Drittel dem Schultheißen, «n
Drittel den ,,cives" zufallen.
492) Wiegand, Bd. I, No. 519; meine Urkunden No. 128.
493) Urkunden No. 132.
Keutgen, Aeinter und Z&nfle. 13
IQA Zunftzwang und Einung.
So geschah es am 13. Juli 12 19 durch Friedrich IL in der
Reichsstadt Goslar, wo der § 38 des umfassenden Stadtrechts
bestimmt:
quod nulla sit coniuratio nee promissio vel societas
que Theotonice dicitur eninge vel gelde, nisi solum
monetariorum , ea de causa, ut caveant de falsis
monetis^^^).
Man sieht, wie der Verfasser mit der Schwierigkeit der Be-
griffsbestimmung ringt. Die Münzerhausgenossenschaft konnte
nicht entbehrt werden. Ebensowenig aber war daran zu denken,
die alte Marktordnung, die Gewerbekontrolle mit der Aemter-
ordnung und dem Amtszwang, die sie mit sich brachte, aufzu-
heben. Was verboten wird, muß also darüber hinausgegangen
sein. Es sind „coniurationes" oder „promissiones", die die Hand-
werker geschlossen hatten, auf deutsch „Einungen"; und insofern
sie von Dauer sind, haben sie bereits den Charakter von „Gilden",
von „societates" angenommen, die der Gesetzgeber, so sonderbar
es uns scheinen mag, begrifflich nicht mehr deutlich von der
Gesellschaft der Münzer zu unterscheiden vermochte. — Auch
die frommen Stiftungen der Handwerker können unmöglich auf-
gehoben worden sein.
Ebenso verhält es sich mit der schon mehrfach zitierten
Marktordnung von Landshut vom 16. November 1256:
§ 4. Usurarios, preemptores, societates que vulgo dicun-
tur einung sub pena V librarum inhibemus et insuper
ipsos exleges iudicamus *-'^).
Und doch enthält, wie wir gesehen haben, diese Rechtsauf-
zeichnung die strengste Gewerberegelung, und zwar eine Rege-
lung von der Art, daß ohne den § 4 die. meisten Leser fraglos
auf das Vorhandensein einer ganzen Anzahl Zünfte daraus ge-
schlossen haben würden ^^^^).
Gleich darauf aber sehen wir, wenigstens in Norddeutsch-
land, die Obrigkeit selbst einzelnen Gewerken, namentlich aber
494) Bode, Urkundenbiich der Stadt Qoslar, Bd. I (Gqu. der Provinz Sachsen,
Bd. XXIX), Nr. 401; meine Urkunden No. 152.
495) Weiland, Constitutiones, Bd. II, No. 439; meine Urkunden No. 231.
Vgl. dazu oben S. 131 f. und S. 190. Ferner Rosenthal, Beiträge zur deutschen
Stadtrechtsgeschichte (Heft I, Zur Rechtsgeschichte der Stadt I^ndshut) S. 36 ff.
495") Vgl. auch noch unten S. 205 f., das Verbot der Einung für die Kölner
Fleischer im Jahre 1348.
Verbot der Elinungen. ige
ganzen Bürgerschaften „das Recht, das Innung genannt wird",
verleihen als eine „gratia".
Das heißt nicht, daß nun die soeben auch verbotenen Gesell-
schaften — Innungen im späteren Sinne — genehmigt werden. Wie
das ausgedrückt sein würde, zeigt der Schlußsatz der Bestätigung
des Goslar er Stadtrechts durch König Heinrich vom 14. Sep-
tember 1223, der jenen § 38 ersetzt:
§ 52. Ok wille we . , . ., dat de broderschoppe, de gel-
den gheheten sint, in der stad to Gosler in den ersten
stat wedder ghebracht werden, utbescheiden der tymmer-
lude unde der wevere kumpenye *^'').
Auch läßt es sich, wie wir sehen werden, nicht einfach als
das Recht, Innungen einzusetzen, deuten.
Daß jetzt erlaubt würde, nach freiem Belieben Einungen,
Satzungen zu errichten, ist ohnehin ausgeschlossen.
So bleibt denn nur übrig, daß jetzt das Ziel selbst, das die
verbotenen Einungen erstrebt hatten, der Inhalt der Abrede, von
den Stadtherren als zu Recht bestehend anerkannt wurde; als zu
Recht bestehend jedoch nur kraft ihrer Gnade, nicht beruhend
auf der Willkür der Handwerker; deshalb regelmäßig in die Hand
der regierenden städtischen Behörde, das Rates gelegt, nur aus-
nahmsweise und vorübergehend einzelnen Handwerkerverbänden
ausgeliefert: ein Vorgang, wie er sich so manchmal wiederholt
hat, indem eine Obrigkeit oktroyiert, was sie angesichts einer revo-
lutionären Bewegung nicht länger verweigern kann; ein Vorgang,
der sich noch besonders vergleichen läßt mit der Unterdrückung
des frei errichteten und der gleich darauf folgenden Zulassung eines
unter den Anspielen des Bischofs gewählten Rates. Mit dem
materiellen Rechtsinhalt wurde der Xame Innung übernommen.
Und in der Folge sind auch die Handwerkerverbände, denen der
Rat das Innungsrecht verlieh, neuerdings vielfach als Innungen
bezeichnet worden.
Die alte Idee der Einung also ist dahin. Nur in modifi-
zierter Form lebt sie fort, zu erkennen nur, wenn man zurück-
geht bis auf das, was jeder Einung wie einem so großen Teil des
mittelalterlichen Rechtslebens überhaupt zu Grunde liegt, die Idee
des Friedens. Wir würden sagen: der Sicherheit im Genuß ge-
wisser Rechte ausschließlich für die zu dem Rechtskreise ge-
496) Bode, Bd. I, No. 430; meine Urkunden S. 183,
13*
ig5 Zunftzwang und Einung.
hörenden, hier die an der Einung beteiligten Personen. Dieser
Gedanke hat auch der städtischen Innung weiter und andauernd
zu Grunde gelegen. Aber, wenn es sich einst gehandelt hatte
um die Zusicherung eines Rechtsgenusses durch die Handwerker
gegenseitig, so geht diese jetzt von der Obrigkeit aus. Die Hand-
jwerkerschaften sind nur noch Mittel, man könnte sagen, Organ
dabei: eine „Einung" also wäre es jetzt meist nur noch zwischen
dem Rat (Marktherrn) und dem einzelnen aufgenommenen Hand-
werker. Ausnahmsweise wird gewissermaßen der ursprüngliche
Zustand unter Sanktion der Obrigkeit wieder erreicht.
Nur wenn man diese ganze Gedankenentwickelung im Auge
behält, sind die Urkunden in denen von dem Recht der Itmung
die Rede ist, unter einen einheitlichen Gesichtspunkt zu bringen
und zu verstehen.
Was war nun der materielle Rechtsinhalt jener Einungen?
In der Urkunde, die Hermann von Börssum, Vogt in
Braunschweig, im Namen Ottos des Kindes im Jahre 1240
den Bürgern der Alten Wik ausstellt, wird es definiert als:
quandam gratiam vendendi que vulgariter dicitur inninge
.... habere . ., ita ut dictam gratiam nullus habeat, nisi
tantum sit de consensu et voluntate burgensium preno-
minatoriirn *'*^).
Und in der Urkunde des Herzogs selbst von 1245 heißt es:
talem graciam que vulgariter dicitur inninge, ut possint
ibi emere et vendere pannum, quem ipsi parant, et alia
omnia, sicut in Antiqua Civitate Bruneswich'*^*).
497) Hänselmann, Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. I, No. 4;
meine Urkunden No. 262a.
498) Hänselmann, a. a. O. Bd. I, No. 5; Urkunden Nr. 262b. Hegel,
Städte und Gilden, Bd. II, S. 418 ^ irrt, wenn er sagt: ,,die Worte et alia omnia
gehören nicht zu emere und vendere, sondern hängen von damus, d. i. wir verleihen
ihnen alle anderen Rechte wie in der Altstadt.'' Dies ist ja durch den weiter folgenden
Satz : „Et per omnia tale ins damus ipsis quod habent nostri burgenses Antique Civitatis.''
Deshalb ist es auch falsch, wenn er und ebenao^Xroon, Zunftwesen S. "]"], die Ur-
kunde von 1245 für ein den Lakenmachern erteiltes Privileg erklären, und Croon
sogar folgert, die Lakenmacher^unft sei zwischen 1240 und 1245 gegründet worden.
Beide Privilegien gelten der ganzen Bürgerschaft der Alten Wik und der Tuchausschnitt
für die Tuchmacher wird nur wegen seiner besonderen Wichtigkeit in der zweiten
Urkunde hervorgehoben. Diese ist im übrigen nur als eigene herzogliche Bestätigung
des fünf Jahre früher im Namen des Herzogs von dem Vogte beurkundeten Rechts
aufzufassen. — Vgl. auch noch unten S. 216 das Stadtrecht für Breslau von 1273 § 6:
„ut id habeant, quod ,inonghe' vulgariter appellatur".
Gewährung des Innungsrechtes. \q-j
Ganz dasselbe ist es, auch ohne daß das Wort Innung ge-
nannt würde, wenn Herzog Albrecht von Braunschweig 1268
den Wolltuchmachern des Hagens ihr angeblich schon von
Heinrich dem Löwen verliehenes Recht bestätigt,
ut . . . . pannum licite possint incidere in domibus suis
et vendere vel in foro aut ubicumque melius eis placet*^'*).
Es handelt sich also um das, sei es nun einer ganzen Bür-
gerschaft, sei es einer einzelnen Gruppe, erteilte Recht, ihre
Waren ungestört zu verkaufen, zugleich aber, und das ist das
Wesentliche dabei, alle anderen von dem Verkauf auszuschließen.
Dieses Ausschlußrecht wird ausgesprochen nur in der
ersten der drei Urkunden; aber es ist das, was der ganzen Ver-
leihung erst Sinn gibt. Wenn in der zweiten Urkunde das Recht,
selbstgefertigtes Tuch zu verkaufen — natürlich im Ausschnitt —
besonders hervorgehoben wird, und wenn es sich in der dritten,
eben Webern verliehenen, nur darum handelt: so wird man darin
eine Abwehr exklusiver Ansprüche der Gewandschneider auf
allen Tuchausschnitt, den der einheimischen wie der von ihnen
importierten Tuche nicht verkennen. Jedoch das ist ein zufälliges,
lokales Moment, das mit der Sache selbst nichts zu tun hat 5°°).
499) Hänselmann, Bd. I, Xo. 7; meine Urkunden No. 260. — Hier, wo
das Privileg einer einzelnen Gruppe verliehen wird^ kommt nur noch hinzu : „Habebunt
tarnen duos magistros, qui iudicabunt omnem excessum, qui in illo officio fuerit inventus"
— mit Rekurs an den „iudex". An der Bedeutung des im Texte angeführten Satzes
wird dadurch nichts geändert. — Unter ,, Laken" versteht man in Braunschweig
wollene Tuche.
500) Mit dem § 55 des sogenannten „Ottonianum" von angeblich 1227
(Hänselmann, Urk.-B. Bd. I, S. 7) — ,, Neman ne mach sich neuere ininge noch
Werkes underwinden, he ne do it mit dere meistere oder mit dere werken orlove" —
ist in diesem Zusammenhange nichts anzufangen. Croon (S. 74 ff.) will aus der
Voraussetzung einer Mehrzahl von Innungen in jenem Satz folgern, daß die „talis
gracia que vulgariter dicitur inninge, ut possint ibi emere et vendere etc.", in dem
Privileg für die Altewik von 1245, das sich auf ein „sicut in Antiqua Civitate" be-
ruft, einfach die Verleihung -eines Zunftprivilegs für die Lakenmacher bedeute. Das
ist nach dem Wortlaut doch unmöglich. Außerdem nimmt weder er noch Eberstadt
(Zunftwesen S. 124) irgend welche Notiz von der Kontroverse zwischen Frcnsdorff
und Hänselmann über die Datierung und den Ursprung des „Ottonianum" . (Hans.
G.-Blätter, Jahrg. 1876, S. 117 ff. u. Jahrg. 1892, S.. 3 — 57). Hänselmanns aus-
führliche Erwiderung und erneute Verteidigtmg der Verleihung des Stadtrechts an die
Altstadt im Jahre 1227 kann Frensdorffs wohlbegründete Einwände nicht entkräften.
Unbegreiflich ist, wie Hänsclmann (G.-blätter 1892, S. 22 f., S. 30 ff.) behaupten
kann, das Siegel des Stadtrechts („Ottonianum") und das der in das Jahr 1227 ver-
legten „Iura Indaginis" seien „aus demselben Typare geprägt.'" Ein Blick auf die
'^
ig8 Zunftzwang und Einung.
Es handelt sich bei der Verleihung des Innungsrechts an
eine Bürgerschaft also nicht um die Einsetzung einer Anzahl von
„Innungen" durch den Herzog; aber die Verleihung des gleichen
Rechts an eine einzelne Gruppe mußte deren Konstituierung als
Innung zur sofortigen Eolge haben, welchem Umstand durch den
weiteren Inhalt der Urkunde denn auch Rechnung getragen
wird. Ebensowenig wird der Bürgerschaft unmittelbar das Recht
verliehen, selbst „Innungen", Zünfte einzusetzen; nur wird man
offenbar sehr sorgfältigen Abbildungen in seinem Braunschweiger Urkundenbuchc zeigt
die greifbarsten Unterschiede, z. B. in dem Schwanzbusche und der rechten Hinterklauc
des Löwen, dem Kreuze vor und dem G in „Sigillum", um von weniger leicht zu
definierenden, aber doch unverkennbaren Verschiedenheiten der allgemeinen Linien-
führung abzusehen : Abweichungen aber nur gerade so groß, wie sie einem Fälscher
fast notwendig unterlaufen. Daß Hänselmann dies nicht gesehen hat, muß Mißtrauen
auch gegen seine Schriftvergleichung erwecken, so minutiös sie ist: die jedoch in keinem
Falle etwas entscheidet. Durchaus abzulehnen ist ferner die Vorstellung, als hätte die
so sorgfältig, in schöner Bücherschrift auf wohlgezogenen Linien in drei Spalten in
abgesetzten Paragraphen mit roten Anfangsbuchstaben hergestellte Urkunde (Facsimile
im Urk.-Buche) eigentlich nur als Vorlage dienen sollen, um erst in der herzoglichen
Kanzlei „auf die Formen des fürstlichen Kanzleistils und . . . auf lateinischen Aus-
druck" gebracht zu werden, wozu denn, da der Herzog eben zur Schlacht von Born-
hövede aufzubrechen auf dem Sprunge stand, es an Zeit gefehlt hätte (S. 24), Recht
zu geben ist Hänselmann nur darin, daß angesichts des weit stärker abweichenden
Typus der späteren Siegel Ottos, die von Frensdorff als möglich zugegebene Be-
siegelung durch diesen Fürsten in seinen letzten Lebensjahren hinfällig wird. So bleibt
denn nur die Besiegelung zu noch späterem Zeitpunkte mit einem gefälschten Siegel.
Als Anlaß könnte man den Zusammenschluß der drei "Weichbilde Altstadt, Hagen und
Neustadt (Urkunde vom 18. Nov, 1269, Urk.-B, Bd. I, No. 8) vermuten. Denn über die
Abfassung in der städtischen und zwar altstädtischen Schreibstube herrscht ja Einver-
ständnis. Das zweite, von Albrecht und Johann besiegelte Stadtrecht mit der frag-
würdigen Datierung 1265 würde dann derselben Gelegenheit entstammen. Will man
hier die Datierung und Besiegelung jedoch als echt annehmen, so wäre das Wahr-
scheinlichste, daß der Rat der Altstadt das „Ottonianum" mit dem falschen Siegel an-
fertigen ließ, als er sich von den jungen Herzögen Bestätigung erbat und ihnen das
„Alberto-Johanneum", das ja mit einer kleinen Abweichung in § 15 nur eine Abschrift
des „Ottonianum" ist, zur Besiegelung unterbreitete. (Vgl. dazu Hänselmann, Urk.-B.
Bd. II, S. 131, wie Duderstadt sich 1279 zu gleichem Zwecke eine Aufzeichnung
des Braunschweiger Rechts schicken ließ.) Mit anderen Worten: um für das selbst-
verfaßte, wenn auch fraglos gültiges Recht enthaltende „Stadtrecht" eine legitime Be-
siegelung zu erlangen, hat der Rat gleichzeitig ein angeblich von dem verstorbenen
Herzog Otto besiegeltes Duplikat verfertigen und vorlegen lassen. Am Ende ist dieser
Erklärung der Vorzug zu geben : wesentlich ist jedoch nur, daß die Abfassung des
Ottonianum, wie Frensdorff dargetan hat, nicht vor die Mitte des Jahrhunderts fällt.
— Vgl. auch noch Uhlirz, Mitteilgg. des Instituts f. Oesterr, G.-Forschung Bd. XVII
.(T896), S. 337 f.
Das Innungsrecht als Grundlage der Stadtwirtschaft. igg
die Inanspruchnahme auch dieses Rechts als eine gewissermaßen
notwendige Folge der weiteren Ausbildung des „Innungsrechtes"
betrachten können.
Bei diesem, dem Innungsrechte selbst, handelt es sich un-
mittelbar nur um die Beseitigimg, die Zerstörung der allgemeinen
Marktfreiheit und Handelsfreiheit, wie sie in dem alten markt-
herrlichen System gelegen hatte, wonach jeder, der Zoll und
andere Marktabgaben zahlte, zu gleichem Rechte zum Handel auf
dem Markte zugelassen war: jener Marktfreiheit, die, wie wir
sahen, zum ersten Mal nicht eigentlich eine Beschränkung, aber
doch eine Differenzierung erfahren hatte, als im Gegensatze zu
den Fremden die Bürger angesichts ihrer Steuerbelastung vom
Zolle befreit worden waren.
Jetzt wurde es in die Hand der Bürger selbst gelegt, wen
sie zum Markte zulassen wollten: das heißt, den Fremden wurde
der Zutritt gewehrt, oder, da man sie doch nicht ganz entbehren
konnte, nur unter lästigen Beschränkungen bewilligt, ihre alte
Handelsfreiheit geraubt. Es kann keine Frage sein, daß eben
das es gewesen war, was die alten Einungen erstrebt hatten,
im Gegensatz zu dem bis dahin von der Obrigkeit befolgten
System. Deshalb, und weil ihr Streben einen Eingriff in die
einseitig geübten Rechte der Obrigkeit bedeutete, waren sie
unterdrückt worden. Jetzt wurde den selbständigeren Bürger-
schaften eben diese Konzession gemacht. Es bedeutet eine neue
Stufe in der städtischen wirtschaftlichen Entwicklung: das In-
nungsrecht ist die Grundfeste des Systems der soge-
nannten Stadtwirtschaft
In einem Punkte zeigt sich jedoch dieses Innungsrecht, wie
wir es zunächst aus den Braunschweiger Urkunden erschlossen,
milder als das volle Zunftrecht. Grundsatz der Zünfte war und
blieb es, außer dort, wo eine stark demokratische Richtung zwang,
bloßen Beiwohnem gegenüber ein Auge zuzudrücken, niemand
aufzunehmen, der nicht vorher das Bürgerrecht der Stadt er- /
worben hatte. Das entsprach nur der alten Aemterorganisation,
unter der es sich von selbst verstanden hatte, daß sie nur Bürger
umfaßte, die allein den Lasten und der Gewerbekontrolle unter-
worfen werden konnten. Bei dem Innungsrecht aber handelte
es sich eben nicht um die Organisation der Handwerke, sondern
um die Regelung der Zulassung zum Markt gegenüber Fremden
wie Bürgern, und deshalb finden wir in den Urkunden, die von
200 Zunftzwang und Einung.
dem Innungsrecht einer Stadt handeln, als Bedingung jener Zu-
lassung nicht die Zugehörigkeit zur Bürgerschaft, sondern den
Erwerb der Innung ausgesprochen. Das ist es eben, worauf sich
jene Interpretation des Innungsrechtes stützt.
So erklären sich auch die oft besprochenen Urkunden, die
unter Berufung auf das Innungsrecht nach alter Interpetration den
Zunftzwang allein oder vorzugsweise gegenüber den Fremden
auszusprechen schienen, was so wenig Sinn hatte und wofür man
als' Erklärung nur die Formel wußte, daß für alle Einheimischen
der Beitritt zu den Zünften sich noch von selbst verstanden
hätte ^01).
An die Spitze sind zwei Urkunden zu stellen zwar von
fragwürdiger Ueberlieferung, für deren wesentliche Echtheit
aber gerade die Aufnahme des Innungsrechtes in einer frühen
Form spricht.
Zuerst die nur in später Uebersetzung erhaltene Urkunde
Erzbischof Wichmanns für die Wandkrämer von Magdeburg
von 1183:
dat neyn inwoner edder frombder sik ore kopmanschaz
schal bruken edder gewant tho schnyden sik schal under-
winden, id en sie denne dat he orer innige sie togefüget
und van ohn de macht und fulborth hebbe eyn sodan
tho donde502).
501) Eberstadt hat, Magisterium S. 232 ff., mehrere davon unter der Rubrik
„Zwangsrechte gegenüber den Stadtfremden" abgedruckt.
502) Hertel, Urk.-B. der Stadt Magdeburg Bd. I (G.-Qu. d. Prov. Sachsen Bd.
XXVI) No. 55; meine Urkunden No. 257. — Hagedorn, G.-Blätter f. Stadt und Land
Magdeburg Bd. XVII (1882), S. 13"^ hat ebenfalls keine Bedenken gegen den Inhalt,
hält aber „die Urkunde in der P'orm, in welcher wir sie besitzen, für die aus der Er-
innerung angefertigte Reproduktion des von Wichmann ausgestellten, aber verloren ge-
gangenen Originals, in welcher die Zeugenreihe aus einem anderen Präcept entnommen
ist." Seine Gründe sind, daß der unter den Zeugen an erster Stelle genannte Burg-
graf Gebhard erst 1190 seinem Bruder Burchard IV. im Amte gefolgt sei und daß
zwei andere Zeugen, die Ministerialen Konrad von Pokeritz und Wiehart von Schartau,
sonst in Urkunden Wichmanns nicht nachweisbar sind. Der letzte Grund ist mir un-
verständlich : können die beiden Ministerialen in einer „aus einem anderen Präcept
entnommenen" Zeugenreihe vorkommen, warum nicht in der zu der Wandkrämer-
urkunde gehörigen ? Daß sie sonst nirgends erscheinen (übrigens Konrad von Pokeritz
doch in einer freilich ebenfalls nicht ganz einwandfreien Urkunde Ludolfs von 1200
bis 1203 als bisheriger Besitzer von 14 Hufen in Pokeritz: v, Mülverstedt, Regesta
Archiepiscopatus Magdeburgensis II, S. 84) spricht eher für die Echtheit, da ein
Fälscher sich wohl an bekannte Zeugen gehalten hätte. Was Gebhard betrifft, so
würde ich vermuten, daß er seinen nach Ausweis der Regesten (v. Mülverstedt a. a.
Richtung gegen die Fremden.' 20I
Schärfer noch verleiht dem fraglichen Punkte Ausdruck
das Privileg wohl desselben Erzbischofs für die Magdeburger
Schuhmacher in den Worten:
ne alienigene opus suum opcratum ad forum non
deferant, nisi cum omnium eorum voluntate qui iuri illo
quod inninge appellatur participes existunt ^°3).
O.) häufig abwesenden Bruder vertreten habe, wie er es nach dessen Autbruch nach
Syrien im Jahre 1189 sicher getan hat (Hagedorn, a. a. O. S. HO; vgl. auch
Holstein, Geschichtsblätter, Bd. VI) und daß er in dem Original der Urkunde des-
halb unter den Zeugen an erster Stelle als „fraier burcgravü" figiuiert habe, daß es also
in der Uebersetzung hätte lauten müssen „mit willen Gevchardo des borchgraven broders".
Die lateinischen Ablative der sämtlichen Zeugennamen in der deutschen Ueberlieferung
setzen das Vorhandensein einer lateinischen Vorlage außer Frage. Das Versehen in
dem einen Namen, das Uebersehen des Wortes ,,fratre" beim Uebersetzen kann nicht
zur Verwerfung dienen. Was aber eine Aufzeichnung des Textes aus dem Ge-
dächtnis betrifft, so müßte das ein so wortgetreues Gedächtnis gewesen sein, daß sie
einer Abschrift gleichgekommen wäre. Für die Zuverlässigkeit spricht endlich noch
auf das nachdrücklichste der Umstand, daß die in gleicher Weise in denselben Copiaren
überlieferte Bestätigung von Wichmanns Privileg diurch Albrecht vom 26. April 1214
durchaus abweichende Wendungen gebraucht (Hertel Bd. I, Nr. 77). Gregen die
Benutzung des Inhalts ist keinenfalls etwas einzuwenden.
503) Hertel, a. a. O. Bd. I, Nr. 62; meine Urkunden Nr. 258. Mit der
Frage der Echtheil dieses Privilegs hat sich Eberstadt, Magisterium, S. 149 ff., ein-
gehend beschäftigt. Die nur in einem Copiar überlieferte Urkunde fängt an mit der
Arenga und hört auf mit der Corroboratio ; sie nennt also vor allen Dingen keinen
Aussteller. Die Stellen aus dem Chronicon archiepiscoponun Magdeburgensium („Nam
ipse [Wichmannus] fedt primo imtones institorum pannicidarum") und der Schöppen-
chronik („he makede der wantsnider und der kremer inninge erst" [offenbare Ueber-
setzung!] kann man gewiß nicht mit Eberstadt, S. 151, als Beweis dafür anziehen,
daß Wichmann nicht auch andere Innungen gestiftet kabe. Ferner ist nicht aus-
drücklich gesagt, in welcher Stadt den Schuhmachern das Privileg verliehen wird. Da
ist es ebenfalls verkehrt, in dem Umstände, daß später die Schuhmacher mit den
Gerbern zu einem Amte verbunden waren, den Beweis finden zu wollen, daß es in
Magdeburg niemals eine Schuhmacherinnung gegeben habe. Wir haben ja den gleichen
Vorgang — Schuhmacheramt im 12. Jahrhundert, spätere Vereinigung mit den Gerbern
— in Trier kennen gelernt (oben S. 97 f.). Nur für den jedoch, der das ganze
Eberstad tische System übernommen hat, schließt der folgende Satz überhaupt einen
Sinn in sich : „Obwohl es nun hierfür an jedem Beispiel in der Entwicklung und Um-
bildung der Magisterien fehlt, so wäre es doch nicht grundsätzlich unmöglich, daß den
Schustern das Innungsrecht noch vor der förmlichen Aufhebung ihres Magisteriums
verliehen wurde" (S. 152; vgl. dazu noch unten Anmerk. 516). Dagegen ist
Eberstadt darin Recht zu geben, daß die Worte „offida civitatis nostre" nur die
Aemter der Metropole im Auge haben können (S. 154), und daß gegen die An-
sprüche von Halle die Verschiedenheit der Zahlungen der dortigen Schuhmacher be-
weisend ist. Denn während nach der besprochenen Urkunde die Schuhmacher „ad
recognoscendum se" durch ihren Meister dem Erzbischof jährlich zwei Talente zahlen
202 Zuntl/.wang und Kinung.
Allein man ist auf diese beiden Urkunden, so schätzbar sie
sind, nicht etwa angewiesen; denn noch deutlicher wird das
Innnungsrecht beschrieben in völlig einwandfreien, wie dem
Privileg Bischof Friedrichs 11. vom 15. März 1230 für die Schuh-
macher von Halberstadt:
cum calcifices civitatis nostre Halb, a prima civitatis eius-
dem histitutione ius illud quod .inninge' dicitur habuissent
privilegiis pbntificum communitum, ita quod nulli
extraneo eiusdem officii licitum esset in civitate illa idem
officium exercere, non communi eorum licentia im-
petrata etc. ^^^).
Und mit ähnlicher Schärfe heißt es in der Urkunde Bischof
Volrads von 1283 für die Halberstädter Wollenweber
wiederum allein mit Bezug auf die Fremden
nee quisquam extra civitatem, nisi societatis mem-
brum sit, idem opificium operari debeat, quod faciant
textores ^os).
Auf die Möglichkeit, daß unter dem Innungsrechte damals
noch neben den Bürgern auch die Fremden unter gleichen Be-
dingungen in die Innung Aufnahme finden konnten und damit
zu vollem Rechte des Gewerbebetriebs, des Verkaufs ihrer Gewerbe-
erzeugnisse in der Stadt zugelassen wurden, kommt es bei alle-
dem an, wie es in einer Urkunde des Burggrafen Swiker für die
Hutfilzer von Mühlhausen von 1131 heißt:
ut ipsi inter se utpote alii mercatores quandam facerent
unionem, sed tah forma, ut nullus vel civis vel advena
predicto insistat operi, nisi se ipsorum ingerat unionem 5^*^).
sollen, hat der Meister der Hallenser Schulimacher nach dem Schöffenbrief von 1235
§ 42 dem Bischöfe ,,marcam" und zweimal je ein Paar „stivales" {,,estivales" und
„hyemales") und ein Paar „calcios" zu geben (so bei Tzschoppe und Stenzel,
Urkundensammlung zur Geschichte des Ursprungs der Städte in Schlesien, S. 299,
während Laband, Magdeburger Rechtsquellen, S. 12, statt „marcam" die Lesart
„nostro" vorzieht, obgleich er sonst Stenzel folgt [S. 7]), außer den Zahlungen der
einzelnen Schuhmacher (vgl. unten S. 2i8). Schließlich kommt auch Eberstadt zu
dem Ergebnis, daß der Inhalt der Urkunde zu benutzen ist (S. 154).
504) Schmidt, Urk.-B. der Stadt Halberstadt, Bd. I (G.-Qu. d.' Prov. Sachsen,
Bd. Vn, I), Nr. 26.
505) Schmidt, a. a. O., Nr. 177. Das „dimidium florenum", noch dazu
„eiusdem argenti", ist mehr als bloß „verdächtig", kann aber dem Excerpisten, dem
wir allein die Kenntnis der Urkunde verdanken, in die Schuhe geschoben werden
(vielleicht statt fertonem?), ohne daß darum der übrige Inhalt zu verwerfen wäre.
506) Herquet, Urk.-B. der Stadt Mühlhausen (G.-Qu. der Provinz Sachsen,
Bd. III) Nr. 77.
Zulassung der Fremden. 203
Ergibt sich aber hieraus, wie, wenn auch weniger unmittel-
bar, aus einigen der vorher zitierten Urkunden, daß das Innungs-
recht für die PVemdeii nicht bloß negative, sondern auch praktische
Bedeutung hatte, daß es dabei nicht eigentlich auf ihren Aus-
schluß abgesehen war, wenn sie nur die Kosten der Innung mit-
trugen, so beleuchtet eine Urkunde Bischof Volrads von Halber-
stadt vom 10. Januar 1291 die wirkliche Ausübung, indem er
auf Grund einer vom Rat von Goslar erhaltenen Rechtsweisung
einen Streit zwischen den Bürgern von Halberstadt und denen
von Quedlinburg in dem Sinne entscheidet,
quod nullus textor potest vel debet in aliqua civitate
nullo etiam tempore, ubi non habet consortium mer-
catorum quod vulgariter ,ignige' appellatur, pannos
incidere '=^').
Also selbst dem Weber ist es möglich, durch Erwerb der
„Innung" der Gewandschneider einer fremden Stadt das
Recht der Beteiligung am Tuchausschnitt dort zu erlangen 5*'^).
Glaubt man aber hier schon stark die Neigung zu gänz-
licher Abweisung der Fremden zu spüren, so sieht man dafür
das alte Innungsrecht noch in vollem Schwünge in einer Urkunde
des Burggrafen Albero von Leisnig für die Bewohner der be-
nachbarten villa Gersdorf, worin er erkennt,
ut quicunque de officialibus qui in praedicta villa commorati
fuerint, de suis operibus in foro Liznic venundare voluerint,
ibidem communitatem quae vulgo inunge dicitur acqui-
rant et sie vendendi liberam ibidem habeant facultatem ^*'^).
507) Erster Druck nach dem Original Schmidt, a. a. O., Bd. II, S. 447,
Nr. XXXVI a (G.-Qu., Bd. VII, 2).
508) Auch die Urkunde Johannes Gans' vom 26. März 1239 für die Schuh-
macher von Perleberg (Riedel, Codex diplom. I, Bd. I, S. 123; Eberstadt,
Magisterium, S. 233) wäre hier anzuziehen, wo es, nachdem die Erhebung gewisser
Beträge für die Erlangung des „ius quod wlgo ininge vocatur" angeordnet ist, es
sogleich weiter heißt: „Item nemo alienus de quocumque fuerit opido absque eorum
consensu in Perleberghe caldos presumat vendere vel exponere ad vendendum."
509) Schöttgen und Kreysig, Diplomataria . . . medü aevi, Bd. II, S. 197 ;
Eberstadt, Magisterium S. 233 f. Der Burggraf hatte vorher erfolglos das Recht
angefochten, „quod in praedicta villa Gerardisdorf officiales diversarum artium, sdlicet
fabti, sutores, textores, sartores, pistores, camifices, pellifices, braziatores, tabemarii
cunctanunque artium executores artes suas exercentes et de suis operibus venundantes
esse debeant," Die Urkunden für Perleberg („alienus de quocumque fuerit opido")
und Halberstadt-Quedlinburg zeigen, daß es sich bei dem Innungsrecht der Aus-
wärtigen nicht etwa um bloße Regelung des „Vorortverkehrs" handelt, wie man
vielleicht gegenüber nur der Leisnig-Gersdorfer Urkunde einwenden möchte.
2 04 Zunftzwang und Einung.
Das Recht der Innung, ius quod innunge dicitur, bedeutet
also zunächst nichts als das Recht der Zulassung zum Markte,
dann die Zulassung selbst als Grundlage für den freien Gewerbe-
betrieb. Dieses Recht wurde von den Marktherren, sei es Bürger-
schaften zu weiterer Handhabung, sei es einzelnen Gewerben
verliehen. Einst hatten die Handwerkerschaften der Städte
Einungen geschlossen, um alle Stadtfremden, außer etwa an den
Jahrmärkten, von dem Verkauf auf dem städtischen Markte und
in der Stadt überhaupt auszuschließen. Dem hatte die Obrigkeit
im eigenen finanziellen und im öffentlichen Interesse opponiert,
die Einungen unterdrückt. Eine Konzession der Obrigkeit ist
seinem Wesen nach das Innungsrecht, nach dem die Fremden die
Innung-, sei es die der Stadt, sei es die ihres Gewerbes, erlangen
müssen, um nach wie vor auf dem Markte verkaufen zu können.
Gewahrt hat die Obrigkeit sich und ihnen damit die Mög-
lichkeit ihrer Zulassung. Zugleich aber ist es, und wohl selbst-
verständlich, ein Recht, das auch der Einheimische erst erwerben
muß^^°). Die Spezialisierung, die Verleihung mit Beschränkung
510) Nitzsch, in seiner Abhandlung über die niederdeutschen Genossenschaften
des 12. und 13. Jahrhunderts (Monatsberichte der Berliner Akademie 1879) S. 16,
faßt das Innungsrecht der Braunschweiger Privilegien von 1240 und 1245 in dem
Sinne, daß dadurch „sämtlichen Bürgern der alten Wik wie fiüher denen der Altstadt
das Recht des freien Verkehrs in der Weise verliehen wurde, daß nur die Bürger-
schaft über die Zulassung neuer Ankömmlinge zu diesem Recht entscheiden sollte",
und fährt fort : „Steht diese Bedeutung für diese beiden Braunschweigschen Weichbilder
fest, so können meiner Ansicht nach die Verleihungen des Innungsrechts an mecklen-
burgische, schlesische und märkische Städte auch nicht anders gefaßt werden." Weiter
erklärt er (S. 16 f.): „Die Gesamtverleihung des Innungsrechts an die Stadt befähigt.,
die städtischen Behörden nicht allein, das Verkehrsrecht im allgemeinen jedem Bürger,
sondern auch den einzelnen Gewerben für ihre Produkte zu verleihen, d. h. in dem
später alleingültigen Sinne gewerbliche Innungen zu organisieren"; während daneben
auch die Fürsten (S. 16) „einzelnen Gewerben in einzelnen Städten mit dem Recht
der Innung eben jene ,gracia vendendi et emendi' für deren Produkte" verleihen. —
Soweit scheint alles, abgesehen von der unpräzisen Formel „Recht des freien Verkehrs",
recht gut und sich im wesentlichen mit meinen Ausführungen zu decken. Allein mit
Erstaunen liest man unmittelbar darauf (S. 1 7) die Worte : „Was bedeutete diese
,gratia emendi et vendendi', die Verleihung einer allgemeinen Kauf- und Verkauffreiheit
für Gemeinden, die doch überhaupt ohne eine solche nicht gedacht werden konnten ?"
Indem Nitzsch zu vergessen scheint, daß er vorher das Recht der „Zulassung neuer
Ankömmlinge" keineswegs übersehen hatte, sieht er sich gezwungen, nach einer neuen
Motivierung der Verleihung der „Verkehrsfreiheit" zu suchen, und verfällt auf die Er-
findung seiner „Kaufgilden", deren bisheriges „Monopol" „durch das älteste Innungs-
recht gebrochen" werden sollte. Mit Recht verwirft Hegel, Städte und Gilden,
Die Prinzipion des Inuungsrechies. 205
auf ein einzelnes Handwerk — der Inhalt der Verleihung der
Innung an einzelne Handwerkerschaften — aber war nichts als
eine notwendige Folge des alten Aemtersystems , das ja für die
Einheimischen bereits einen Zunftzwang mit sich gebracht hatte,
aber alle fremden Besucher des Marktes frei ließ.
Daher die Empörung der Handwerker, daher der neue Aus-
w^eg. Daher aber auch die scheinbare Gleichsetzung von Amt
und Innung, die sich manchmal findet, ohne daß doch eine wirk-
liche Verwechslung stattgefunden hätte. Die an der Innung für
ein Gewerbe teil hatten, bildeten eine Interessengemeinschaft:
das Innungsrecht, das ja gleichbedeutend war mit einem er-
weiterten, auch auf die Fremden ausgedehnten Zunftzwang, er-
schien der Handwerkerschaft und war schließlich auch der Kern-
zweck ihrer Verbindung. Daher ging der Name über auf die
Verbindung selbst, und nun kann Innung wie Brüderschaft die
Genossenschaft bezeichnen im Gegensatz zum Beruf, zum Amt,
das als obrigkeitliche Organisation weiter besteht, auch wenn aus
irgend welchen Gründen die Genossenschaft einmal aufgehoben
worden ist.
So geschah es im Jahre 1348 den Kölner Fleischern
wegen Widersetzlichkeit gegen den Rat, weshalb weder die
damaligen Mitglieder der
- broiderschaf der vleismenger noch Ire naykomelynge
noch nummer geyne andere persone, die vleishampt oevent,
gein samenunge, einunge noch rait noch broyderschaf
noch meystere noch boyden noch deynst noch essen
haven en solen ^^^.
Bd. II, S. 417 f., diese Fragestellung und erklärt seinerseits, jene gratia bedeute nichts
anderes „als das öffentliche Feilbieten von Erzeugnissen oder Waren", wozu das
Recht also „den Bürgern der Alten Wik in der Weise verliehen" wurde, „daß niemand
es ohne ihre Zustimmung in ihrem Weichbild ausüben sollte". Allein nach seiner
Weise bleibt Hegel an diesen beiden und einigen Lüneburger (S. 418, S. 429)
Urkundenstellen haften , ohne , wie Nitzsch es mit Recht unternimmt , von diesen
festen Punkten aus Linien zu ziehen, die zu einer allgemeinen Erklärung der ver-
einzelten Erscheinungen führen könnten. Vgl. auch Hegel, Städtewesen, S. 123 f. —
511) Stein, Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt
Köln (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, X), Bd. I,
S. 59, Nr. 12. Die Ueberschiift „Aufhebung des Fleischamts" ist daher nicht ganz
glücklich gewählt. Meine Urkunden Xr. 292.
2o6 Zunftzwang und Einung.
Deshalb :
Vort sal das vleysampt gemeyn sin.
Das „Fleischamt" existiert eben , solange noch jemand
schlachtet und das Fleisch verkauft. Und im Sinne der alten
Marktordnung, zu der das Verbot ihrer Einungen für die Fleisch-
hauer eine Rückkehr bedeutet, wird man sagen können, daß auch
jetzt die Gesamtheit derer, die „das Fleischamt üben", das Fleisch-
amt bildet. Die Folge der Aufhebung der „Brüderschaft", des
Verbotes jeder „Einung" — dieses Wort erscheint hier noch ein-
mal im ursprünglichen Sinne — unter den Fleischern aber ist
keineswegs, daß nun jeder Beliebige ohne weiteres „das Fleisch-
amt üben" kann: die Wirkung ist nur,
also dat yeclich vleysheuwer verkoifen sal watkune vleysh
ind wie mannicherleye dat hey wilt.
Aber dazu bedarf es für jeden einzelnen der Genehmigung durch
die Aufsicht führende Marktbehörde, die des Rechtes waltet, das
nicht bloß im Osten ^^-j technisch als das der Innung bekannt war.
Ein außerordentlich reiches Material würde dazu gehören,
wenn es möglich sein sollte, die Wandlungen in der Bedeutung
des Wortes Innung chronologisch zu verfolgen. In der Tat waren
die Uebergänge zum Teil so naheliegend und natürlich, daß sie
sehr früh erfolgten und daher die meiste Zeit die verschiedensten
Bedeutungen nebeneinander in Gebrauch waren. So liefert ein
hübsches und zugleich frühes Beispiel von dem bevorstehenden,
aber noch nicht vollzogenen Wechsel von der Bezeichnung für
die Gesamtheit der Berechtigten zu der für ihren Verein das
Privileg Erzbischof Ludolfs für die Magdeburger Schild-
macher und Sattler von 1197:
nee aliqüis numero eorum vel societati in faciendo ipso
opere accedat, nisi prius eorum communione quod vulgo
inninge dicitur acquisita 5^^).
„Innung" also bedeutet die „Gemeinschaft", die erworben werden
muß, damit man das Amt üben kann; „Gesellschaft" „societas",
— man darf sich durch den neueren Sinn nicht verführen lassen —
ist dagegen die äußerliche Gesamtheit, „numerus", der von selbst
512) Vgl. den analogen Gebrauch in der Straßburger Bäckerurkunde von
1264 unten S. 228.
513) Hertel, Urk.-B. der Stadt Magdeburg, Bd. I, Nr. 65; meine Urkunden
Nr. 259. — V. Inama-Sternegg, Wirtschaftsgeschichte, Bd. III 2, S. 30*, bringt diese
Urkunde mit der für die Schuster (oben S. 201) durcheinander.
Die Innungsmeister. 207
jeder angehört, der das Amt tatsächlich übt. Damit ist aber an
sich nicht gesagft, daß jene „Gemeinschaft" sich auch bereits zu
einem engeren Vereine, einer Zunft oder Bruderschaft konsti-
tuiert hatte.
Daß das gleichwohl der Fall war, erfahren wir jedoch aus
dem unmittelbar vorhergehenden Satze:
indulgemus, ut, inter se magistrum de communi consilio
eligentes, exercendi operis sui liberam habeant facultatem.
Diese Wendung ist bezeichnend und bestätigt das früher Aus-
geführte: erst der Besitz eines eigenen Meisters gewährleistet
eine „freie", eine durch keinen Rechtsformalismus und keine Chi-
kanen eines bloßen Verwaltungsbeamten unterbundene Ausübung
des Gewerbes.
Es versteht sich, daß auch diesen Innungen das Recht zugestan-
den wurde, „einen (oder zwei) Meister zu haben," auf Grund der
Ent Wickelung der Aemter, wie sie früher geschildert worden ist.
So den Lakenmachern in Braunschweig-Hagen 1268
habebunt tamen duos magistros^");
so den Goldschmieden in Braunschweig-Altstadt 1231
magisterium operis sui dedimus et concessimus eternaliter
possidendo ^'^).
Man wird nicht zweifeln, daß die Verleihung auch in dieser
Form den weiteren Fortschritt in sich schloß, das Recht, den
Meister selbst zu wählen, wie ausdrücklich außer bei den Magde-
burger Schildmachern auch bei den Magdeburger
Schustern ^^"). den Helmstedter Krämern 1247^^^).
Wieder in andern Privilegien wird bei Verleihung der
Innung das gleichzeitige Vorhandensein des Meisters gleichsam
als selbstverständlich angenommen, wie bei den Halberstädter
Schuhmachern 1230^''^), den Perleberger Schuhmachern
514) Vgl. oben Anm. 499.
515) Hänselmann, Urk.-B., Bd. I, Nr. 3: meine Urkunden N. 261. Vgl.
nächste Seite.
516) Vgl. oben S. 201. Vorher heißt es: „ius et magisterium sutorum ita
consjstere volumus, ut nullus magistraluni super eos habeat, nisi quem ipsi ex com-
muni consensu magistrum sibi elegerinL,"
517) Lichtenstein, Epistola septima obsenratiunculas historico-iuridicas ex dip-
lomatibus Helmstidiensibus sistens. Helmstadt 1750: „Magistrum quoque inter se
eligant, qui inter eos iudicet et dirimat questiones quales dirimere convenit ab antiquo."
Danach Eberstadt, M.-\gisterium, S. 236.
518) Vgl. ol>en Anm. 504 und unten Anm. 524.
2o8 Zunftzwang und Einung.
£23Q^i!»), den Magdeburger Schwertfegern 1244^-°), in
Wendungen, die ebenfalls auf Selbstwahl schließen lassen. Die
Innung ist eben ohne Meister nicht zu denken, wie denn in der
soeben zitierten Braunschweiger Goldschmiede-Urkunde
von 1231 als Zweck oder Folge der Verleihung des ,,magisterium"
eben das angegeben wird, was wir sonst als eigentlichsten Inhalt
des Innungs rechtes kennen lernten:
ut nullus contra voluntatem ipsorum et licenciam in opere
eorum operando se intromittere presumat, nisi prius statu-
tam eorum iusticiam ad voluntatem ipsorum eis persolvat.
Das regelmäßige, der Abschluß der normalen Entwickelung
aber ist die freie Wahl. Wird der Meister eingesetzt, so be-
deutet das entweder einen Zustand zurückgehaltener Entwickelung
oder die Entziehung früher besessener Freiheit.
Nur bei den Gewandschneidern zeigt sich ein Meister
wahrscheinlich regelmäßig erst, seitdem die Innungen politische
Gebilde geworden sind — entsprechend ihrem rein kaufmännischen
Charakter, demgemäß sie ja auch nie ein Amt gebildet haben,
und man auch die einzelnen Gewandschneider nie als Meister
bezeichnet hat^^^).
Die Motive der Obrigkeit gingen, neben ihren finanziellen
Absichten, auch bei diesen Bildungen auf möglichst wirksame
Handhabung der Gewerbepolizei und einfachste Schlichtung von
Streitigkeiten unter den Gewerbegenossen : das war für sie der
519) Vgl. oben Anm. 508. Die Urkunde fährt fort: „Item, si inter prefatos
sutores rancor aut discordia mutuo fuerit exorta, ulpote in suis confraternitatibus vel in
servis conducticiis, quocumque tempore vel loco sine proclamatione vulgari vel sangwinis
effusione, ipsis coram eorum raagistro conponere liceat, advocato nostro penitus hinc
remoto." Eigentümlich ist der Zusatz : ,,Iudicium vero predicti eorum magistri decem
solides non excedet."
520) Vgl. unten Anm. 522. Nach Ansetzung des Eintrittsgeldes heißt es ein-
fach : „de quo talento magister eorum, qui pro tempore fuerit, dabit" etc.
521) Bezeichnend ist, daß unter den vier erhaltenen Magdeburger Innungs-
Stiftbrieten aliein in dem der Gewandkrämer von einem Meister nicht die Rede ist:
beiläufig ein Umstand, der auch für die Zuverlässigkeit des Inhalts spricht. Ebenso-
wenig auch in der Bestätigungsurkunde vom 26. April 1214 („der koplude de want in
der stat snydehde sint", Hertel, Urk.-B. Bd. I, Nr. 77. In der ältesten erhaltenen
Ratsurkunde dagegen, die von den Meistern der fünf großen Innungen mitbeglaubigt
ist, erscheint an deren Spitze der „magister mercatorum" (Hertel, Urk.-ß. I, Nr. 154,
S. 84, a. 1281; dazu Hertel, Verfassungsgeschichte, Geschichtsblätter, Bd. XX,
S. 82 ff.). Freilich auch schon 1231 in der Siendaler Gewandschneiderurkunde
§ 8, § 9, die sich auf Magdeburger Recht beruft.
Gewerbepolizei als Zweck der Innung. 20Q
Daseinszweck wie der Innung selbst, so des Innungsmeisters, und
darauf eben beruht die üntrennbarkeit dieses Doppelinstituts.
Den Magdeburger Schwertfegern verleiht der Rat 1244
fratemitatis unionem, quod innung vulgariter appellatur,
besonders
ad evitandas fraudes et falsa opera, que quondam inter
ipsos niultipliciter augeri videbantur '--):
also eben das, was sonst als Aufgabe des Meisters bezeichnet
wird, wie bei den Perleberger Schuhmachern 1239, den
Helmstedter Krämern 1247, ^®n Braunschweiger Laken-
machern 1268 5-^. Treffend verleiht der Gemeinsamkeit des
Zweckes Ausdruck das Privileg für die Halberstädter Schuh-
macher von 1230 in dem Zusatz, der ihnen die Filzer
angliedert:
addentes, ut hi qui filtra facere consueverunt in fraterni-
tate et communitate eorum esse debeant et idem cum eis
ius habere et cogi per magistratum ipsorum ad bona et
honesta sicut unus eorum ^-*).
In mehrfacher Hinsicht noch lehrreicher ist aber vielleicht
eine Urkunde vom 18. Mai 1309, in der Waldemar der Große
von Brandenburg mit der Begründung,
cum di versa genera falsitatum in opere lineorum tex-
torum multociens fiant in nostra terra, de quibus nostri
homines dampna recipiunt satis magna, nos igitur huius-
modi pravitates ad statum meliorem reducere cupientes,
den Ratmannen von Stendal erlaubt und sie beauftrag^:
quatenus suis concivibus, videlicet lineis textoribus,
fraternitatem que vulgariter inninge nuncupatur tribuant,
tali iure, et [=ut?], si quid falsitatis in opere eorum in-
ventum factum fuerit per eosdem, hoc predicti consules
secundum iuris ordinem iudicent et rigorem et, si de villis
522) Hertel, Urk.-B., Bd. I, Xr. 107; vgl. oben Anm. 520. Im weiteren
heilU es: „Preterea si quis contra muros nostte civitatis et eius ambitum et in die
fori plures gladios quam unimi aut duos portaverit vel etiam ante se ad vendendum
posuerit, illis servi cousulum toUent et accipient et illos nobis [den Ratleuten] represen-
tent." Das scheint, da die Innungsbrüder nicht ausgenommen werden, nicht den
Zunftzwang bedeuten zu können, sondern auf die öffentliche Sicherheit abzuzwecken.
Zuletzt wird noch eine Strafe auf Widerspenstigkeit gegen die Beschlüsse der
Morgensprache gesetzt.
523) Vgl. oben Anm. 519, 517, 499.
524) Vgl. oben Anm. 504 Und Anm. 518.
Keiitgen, Aemter imd ZQnfte. 14
2 I o Zunftzwang und Einung. '
similiter fuerit in civitatem Stendale importatum, modo
simili iudicabunt ^^-'j.
Durch die Errichtung einer Innung soll also auch hier die
Kontrolle über die Leinwanderzeugung erleichtert werden. Wenn
aber, wie es scheint, Mitgheder der Innung nur noch die städti-
schen Weber sind, so ergibt sich doch, daß auch die Aufsicht
über die importierten Erzeugnisse der Landweber irgendwie zu
jener Maßregel in Beziehung gesetzt wird.
So gewiß aber das Wort Innung den Begriff eines Ver-
bandes von Gewerbegenossen mit Zunftzwang und regelmäßig mit
Meisterwahl und Gewerbegerichtsbarkeit angenommen hatte ^-s*),
so sicher ist doch auch, daß die Bedeutung als Zulassung zum
Markte nie verloren gegangen ist.
In diesem Sinne verleiht auch später noch die Marktobrig-
keit, sei es ein herrschaftlicher Beamter, sei es der Rat, den ein-
zelnen Handw^erkern, die sich in die betreffenden Aemter haben
aufnehmen lassen, die Innung. In vollstem Ausmaße privili-
girte Innungen besitzen das Recht dazu freilich selbst. Da sich
aber in solchen Fällen meist nicht so leicht zwischen der Ver-
leihung der Gewerbekonzession und der Aufnahme in den Ver-
band unterscheiden lässt, so sind besser nur Zeugnisse heranzu-
ziehen, nach denen jenes Sache der Obrigkeit war.
Recht erwünscht zeigt indes die schon mehrfach angeführte
Urkunde für die Schuster in Perleberg vom 27. März
I23g525b^^ daß auch bei der Verleihung an ein einzelnes Amt das
Innungsrecht in diesem Sinne sehr wohl unterschieden wurde,
indem der Aussteller disponiert:
Quod nos ad instantiam civium nostrorum in Perleberge,
qui sutores vel calciparii appellantur, talem ipsis ac
ipsorum successoribus contulimus libertatem, videlicet ut
ius quod vulgo ininge vocatur eisdem percipere liceat
ac possidere ea scilicet ratione, ut unam partem nobis,
videlicet quatuor solidos [je ein weiteres Drittel der Stadt
und ihnen selbst] cedere et percipere non repugnent.
Ihren Söhnen und Enkeln, soweit sie
idem ius adepti fuerint,
wird dieselbe „libertas" gewährt. Darauf folgen die schon zitier-
525) Riedel, Codex diplomaticus I, Bd. XV, Nr. 74.
525 a) Vgl. dazu noch Anm. 550.
525 b) Oben Anm. 508 u. 519.
Innungsgebflhr. 211
ten Bestimmungen über die Zulassung der Fremden und die aus-
schließliche Gerichtsbarkeit ihres Meisters.
Eben in den Zahlungen, die für die Zulassung zu leisten
sind, findet auch das Innungsrecht der Obrigkeiten seinen präg-
nantesten Ausdruck: in eigentümlicher Nacktheit in den Urkunden
für eine Reihe kleiner Mecklenburgischer Städte, Parchim,
Plau, Goldberg, wo es überhaupt hur heißt:
§ 2. Huius eciam civitatis cultoribus dedimus omnem
proventum, qui vulgo sonat inninge^-^).
Aehnlich in dem Stadtrecht Bischof Heinrichs I. von Havel-
berg für Wittstock vom 13. September 1248:
Insuper tertiam partem quaestus, qui vocatur innunge,
quae iure principali ad nos pertinebat, libere laxavimus,
ita tamen, ut de hac portione et aliis oppidi proventibus
honestati et utilitati oppidi amplius intendatur»*^).
Wenigstens als „libertas" bezeichnet dagegen die Innung
das zweite Wittstocker Stadtrecht Bischof Heinrichs U. vom
24. Februar 1275:
Secundo ipsis dedimus quandam libertatem, quae vulgo
dicitur innunge, ut exinde emendent civitatis munitiones
et comparent quae videntur civitati ad commodum
perv^enire ^-^).
Wenn auch dabei die finanzielle Seite allein hervorgekehrt
erscheint, so entnimmt man doch aus dem weiteren, daß in der
Tat auch Einzelinnungen vorgesehen sind und daß jene Einkünfte
bestehen aus:
quicquid de omnibus supradictis innunge pro eorum
introitu obtinendo, sive pro gratia vel pro vadimonio
delinquentium datum fueriL
Davon soll die Hälfte an die Stadt abgeführt werden, die
Hälfte den Innungen verbleiben.
Die abweichende Verteilung in der älteren Urkunde wird
sich am besten dadurch erklären, daß der Bischof zu gunsten
der Gemeinde auf das ihm als Marktherrn — „iure principali" —
526) Mecklenburgisches Urkundenbuch, Bd. I, Nr. 319; Stadtrecht für
Parchim a. [1225 — 1226], bestätigt Nr. 337 a. [1227] und Nr. 476 a. 1238, und
übertragen auf Plau, Nr. 428 a. 1235 und Goldberg, Nr. 599 a. 1^48.
527) J. P. de Ludewig, Reliquiae Manuscriptorum Diplomatum etc., tom. VIII
(Krankfurt und Leipzig 1727), S. 270.
528) A. a. O. S. 274.
14*
2 12 Zunftzwang und Einung.
regelmäßig zukommende Drittel verzichtet, während sie auf zwei
Drittel ihrerseits in dem früher dargelegten Sinne einen Rechts-
anspruch hatte ^-"). Die Stadt, unter Bischof Wilhelm (12 19 — 1244)
angelegt, war damals noch im Werden begriffen •'•^"j. Nachdem
man aber weiter zur Einrichtung von Innungen vorgeschritten
war, wurden die Gesamtin nungseinkünfte zwischen diesen und
der Stadtverwaltung neuerdings verteilt.
Eigentümlich ist die Ausdehnung des Begriffes Innung
= Gebühr über das Normale hinaus, so daß auch die Bußen für
Gewerbevergehen einbegriffen erscheinen. Darin liegt wiederum
ein Hinweis auf den engen Zusammenhang zwischen der ein für
allemal erteilten Konzession und der täglich oder wöchentlich er-
neuten Kontrolle. Es erinnert an eine ähnliche Ungenauigkeit
des x\usdrucks in der Rechtsaufzeichnung für Wiener-Neustadt
von etwa 13 10, wo wir Grund zu der Annahme hatten, daß die
angeblich für die Konzession, also die „Innung", jedoch entgegen
dem bei der „Innung" allein üblichen Brauch, dreimal oder ein-
mal jährlich geleisteten Zahlungen der Handwerker in Wirklich-
keit einer Umwandlung des Gewettes entstammten •''^^). Gar
nicht unmöglich ist es indes, daß in jenen mecklenburgischen
Urkunden der Begriff ebensoweit genommen ist.
Regelmäßig und von Rechts \vegen erstreckt sich die Be-
deutung von Innung = Gebühr natürlich nur auf die Konzessions-
abgabe; und ihr Erwerb durch den einzelnen Handwerker wird
dann wohl geradezu als die Innung kaufen bezeichnet.
In diesem wSinne ist besonders willkommen — auch weil
sie von einem mehr im Innern Deutschlands gelegenen Orte
stammt — die Aufzeichnung über die Rechte des Schultheißen
in Hameln aus den Jahren 1237 — 1247^32) Yoj^ Autonomie
der Handwerker ist da, wie schon bemerkt, sehr wenig zu sehen.
Der Schultheiß hält mit den einzelnen Gewerken dreimal jährlich
seine „Sprache'^ Von Zunftmeistern ist keine Rede. Und wenn
auch zwei Drittel der Innungskaufgelder an die Gewerbegenossen
fallen, nur ein Drittel der Schultheiß bezieht, so unterliegt es
529) Oben S. 130 f.
530) Ludewig, a. a. O. S. 268.
531) Vgl. oben Anm. 405.
532) Vgl. oben S. 151 und Anm. 400.
Kauf der Innung. 2 1 3
doch keiner Frage, daß er die Genehmigung erteilt, wenn ein
Bäcker, Fleischer oder Weber
comparare voluerit, quod dicitur Teutonice innigge^^').
Deutlicher in § 5:
Ouicunque etiam pistor vel carnifex alicui suo cognato
suam innigge dare voluerit, cum consensu sculteti dare
potent.
Als eine Generation später sein eigenes Amt von der Stadt
angekauft worden ist, liegt die Verleihung der Innung in den
Händen des Rates ^^^). Die Sache . aber bleibt dieselbe: Stadt-
recht Herzog Albrechts von Braunschweig vom 28. Oktober 1277:
§ 5. Item omnes officiales vel operarii manuales habe-
bunt officia sua, que vocantur inninge, a consulibus.
Das heißt nicht, daß die Innungen der Stadt durch den Rat ge-
stiftet worden sind, was ja auch gar nicht richtig sein würde,
sondern, daß der Rat dem einzelnen Handwerker sein Amt, seine
Innung verleiht.
Alles das findet sich denn auch bestätigt durch die Ver-
merke in dem „Donat" genannten Stadtbuch aus dem 14. Jahr-
hundert über die Höhe der von den einzelnen Handwerkern zu
zahlenden Innungsgelder, die einfach in die Worte gekleidet sind:
„Dit is der hokere (knokenhauwere, kuterere,
smede, wevere, korsenewerten, scrodere, platen-
mekere, beckere) inninghe"^35j
Seine Erklärung findet das in einer vorangehenden ausführlicheren
Eintragung:
.... ghesatet, dat der Wleminghe werc nement an-
tasten ne scal, he ne gheve deme rade twelef scillinge
tho ininge, de oc syn wader ghehat hevet [anderenfalls
mehr] ^^%
Gebrauchen jene Notizen das Wort kurz im Sinne einer Gebühr,
so zeigt die über die Fläminger, daß es sich dabei um die
Berechtigung zur Ausübung des Gewerbes handelt, die auch der
Sohn erkaufen muß, wenn der Vater sie gehabt hat.
533) A. a. O. § 3, § 4, § 8.
534) Oben Anm. 384. — Vgl. noch Meinardus a. a. O. S. 571: „Quilibet
instilor babens officium dictum inninghe dabit duos solidos in festo Michaelis
dictos stedepenninghe". Das ist aber natürlich nicht die Innungsgebühr, sondern ein
besonderes Marktstandgeld.
535) Meinardus, a. a. O., im Anhang §§ 15—18, 5; — 59, 61, 64.
536) A. a. O. § 10; vgl. § 103 u. § 201.
214 Zunftzwang und Einung.
Indes kannte man in Hameln auch die andere Weiter-
entwickelung- des Begriffes in dem Sinne des Verbandes der Be-
rechtigten, in dem es von den Hökern heißt:
Wan se nemande enhebbet, de ore ynninghe ghewunnet
heft deme ore ghelscap bore to denende, so moghet
se oren ghelscap umme denen also andere ynninghe^^^).
In dem ersten Falle ist Innung die Gewerbekonzession, an der
zweiten Stelle dagegen der Verband. Gilde ist das jährliche
F'est, Gildschaft die Verpflichtung, es zuzurüsten, der, wer die
Innung neu gewonnen hatte, für nächste Pfingsten unterlag. War
einmal ein Neuling nicht vorhanden, so sollte die Gildschaft der
Reihe nach übernommen werden, wie in anderen Innungen.
Eigentümlich ist noch, wie bei den Gewandschneidern
oder „koplüden" an Stelle des Ausdrucks Innung der der
„Schere" tritt:
So welc borghere to Hamelen de scere wint, des vader
se nicht enhadde
[u. s. w.];
heft he inninghe, de scal he vorreden vor dem rade^'*'^).
„Die Schere gewinnen" ist bei den Gewandschneidern genau das-
selbe, wie bei den Handwerkern „die Innung gewinnen". Es
leuchtet ein, daß „Schere" höchstens einmal in übertragenem
Sinne Gesellschaft, Verein, bedeuten kann. Die vornehmen Ge-
wandschneider müssen nur auch in Aeußerlichkeiten stets etwas
Besonderes haben. Bei Handwerkern und Krämern ^^s») allein wird
die Konzession Innung genannt: dadurch scheidet man sich von
ihnen aufs schärfste.
Noch ein anderer Ausdruck für die Handelskonzession in
Hameln ist „copfart". Der Bürger, der seine „burscap" auf-
gegeben, später aber wiedergewonnen hat:
wel he inynge hebben, de mach he winnen , ift he
wep39).
Seine inzwischen geborenen Kinder
de mosten ore burscap, copfart unde ininge gewinnen.
537) A. a. O. § 15.
538) A. a. O. § 78. Wenn er Söhne, geborene Büi^er hat, ,,de volghet der
schere male umme eyn punt".
538a) Vgl. Anm. 534.
539) Meinardus, Nr. 406 des Urkundenbuches ; meine Urkunden Nr. 180.
Die „Innung" in Hameln. 2 I 5
Hatte er die Stadt als Feind verlassen und war zu Gnaden wieder
aufgenommen,
so scholde he sine burscap unde sine copfart weder
winnen alse en gast.
Es ist klar, daß „copfart" und „ininge" da als synonym ge-
braucht werden, wenngleich „copfart" sich jedenfalls auch auf
die „scere" erstrecken kann.
Ueberblicken wir noch einmal die ganze Entwickelung in
Hameln, so zeigt uns das Schulzenrecht des 13. Jahrhunderts die
Handwerker ämterweise gruppiert. Mit jedem Amt hält der
Schultheiß als herrschaftlicher Beamter dreimal im Jahr eine
„Sprache" und erteilt den Neulingen die „Innung". Das Stadt-
recht von 1277 setzt Amt des einzelnen „operarius manualis" und
Innung gleich und verlegt übrigens die Ordnung des Gewerbe-
wesens in die Hand des Rates. Schon jene frühesten Aemter
müssen zugleich Vereine mit geselligen und frommen Zwecken
gebildet haben, wie sich daraus ergibt, daß ihnen zwei Drittel
der Konzessionsgebühren zufallen, die ein Aufnahmegeld dar-
stellen und in jener Weise Verwendung gefunden haben müssen ^*^).
Die Gewandschneider werden, wie überall, nicht als „operarii
raanuales" betrachtet, wollen kein „Amt" versehen und keine
„Innung" haben ^*^), während die ihnen nach Art ihres Betriebes
ähnlichen Krämer sich mit der Einreihung unter die Hand-
werker auch hier zufrieden geben müssen.
Von besonderem Interesse sind die schlesi sehen Städte
mit ihren neuen Einrichtungen, an denen man die ganze Ent-
wickelung in einen einzigen Blick fassen kann.
So wird Breslau von Herzog Heinrich IV. 1273 erlaubt,
32 Brotbänke, von denen die Stadt auch den Zins erhält, und
eine beliebige Anzahl Schuhbänke zu erbauen; ferner das
scrodambacth
verliehen, das
540) Bei der Fronleichnamsprozession trug jedes Handwerk seine Kerze. Ihnen
folgend die Kaufleute. Der Ausdruck Brüderschaft wird dabei auf kein Gewerbe an-
gewandt. Meinardus, Donat Nr. 196; meine Urkunden S. 298.
541) Es entspricht das zwar dem über die Entwicklung der „Aemter*' Gesagten,
die sich mit der der „Innung" kreuzt, allein das Innungsrecht war von Hause aus ja
auch für die Gewandschneider in Frage gekommen imd so erscheint ihre Abweisung
des Ausdrucks von ihren Beziehimgen als reine Großmannssucht. Uebrigens hatte der
neuaufgenommene Gewandschneider noch eine Zahlung an die „hensegreven" zu
machen. A. a. O. §. "8.
2 I 6 Zunftzwang und Einung.
officium, quo vasa de curribus ad alia loca trahuntur,
jedoch mit der Bedingung,
quod omnia et singula vasa ad castrum et ad curiam
nostram pertinencia ducent gratis
(wie würde man, wenn nicht die Umstände der Verleihung be-
kannt wären, in dieser Klausel ein Zeichen hofrechtlichen Ur-
sprungs proklamiert haben!); endlich die Wage
qua plumbum libratur^'^^j
Kurz, die Stadt wird ermächtigt, die üblichen Markteinrichtungen
zu treffen. Sie wird Marktherrin und erhält damit auch das-
Recht, gegen bestimmte Zahlungen zum Gewerbebetrieb auf dem
Markte zuzulassen. Und das findet seinen Ausdruck in den Worten:
ut id habeant quod ,inonghe' vulgariter appellatur, sed
non carius quam pro tribus fertonibus vendi debet ^^•^).
Einer davon soll
ad utilitatem hominum illius artificii, cuius emptor existit,.
verwendet werden, die andern beiden zum Nutzen der Stadt.
Wenn man die Verleihung des Innungsrechtes danach als
das Recht, Innungen zu errichten, erklärt hat, so kann das also
nur sehr cum grano salis gelten s**). Zunächst ist das Recht der
Zulassung zum Markt ein ganz allgemeines, wie wir es aus einer
ganzen Reihe von Urkunden sächsischer Städte kennen gelernt
haben. Und nur insofern nach den verschiedenen Handwerken
542) Codex diplomaticus Silesiae, Bd. VIII: Geo, Korn, Schlesische Urkunden
zur Geschichte des Gewerberechts (Breslau 1867), Nr. I, §§ i — 4 und § 9. Hier
wird auch der Ausbau der ,, Bänke" zu Häusern vorgesehen: „si iidem cives racione
structure edificiorum aliquid superlucrari poterunt, ipsis bene concedimus et favemus"..
— Zu dem Schrotamt vgl. Iura et institutiones Treverice civitatis § 3 : „Item
qui pro pretio ducunt in civitate plaustra, diem unum inducendo feno vel annona d.
archiepiscopo servire debent. Et hy procurandi sunt in victualibus." Lacomblet,
Archiv, Bd. I, S. 259. Dazu S. 260 „vinum ementes et plaustra educentes" ; und
S. 262 „si plaustrum ad educendum vinum advenit."
543) A. a. O. § 6.
544) Frensdorff in seiner Besprechung von Schmoller, Straßburg zur Zeit
der Zunftkämpfe, in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik, Bd. XXVI
(1876), S. 226: „und von den in dieselben Eintretenden eine bestimmte Gebühr zu
erheben". Ich besitze noch das Manuskript einer Seminararbeit, einer sehr eingehenden
Kritik von Nitzch' Abhandlungen in den Berliner Monatsberichten, wo ich, ohne
Frensdorff s Rezension zu kennen, gegen Nitzsch, I, S. 15 f., das Breslauer
Innungsrecht in demselben Sinne zu deuten suchte wie er. Allein gerade die Worte
(das Recht) „Innungen einzurichten" hat mein Lehrer "Weiland mir kräftig durchs
strichen. Vgl. noch oben S. 213 bei Hameln.
Die „Innung" in Schlesien. 2 1 7
die Gebühr zweifelsohne verschieden bemessen wurde und auch
hier die Gruppierung der Handwerker eine unabweisliche Folge
der Marktordnung war, mußte in der Folge eine Differenzierung
zu Einzelinnungen stattfinden.
Wie wenig man aber bei dem Worte Innung ohne weiteres
an einen Verband dachte, spricht sich noch mit besonderer
Schärfe darin aus, daß ein Drittel der Gebühr nicht etwa
ad utilitatem illius inonghe
oder auch nur
illius artificii,
sondern
ad utilitatem hominum illius artificii
überwiesen wird; noch schärfer als in Hameln, wo es hieß:
dabit pistoribus — carnificibus — textoribus:
kurz als ob diese „homines" nur lauter koordinierte, aber durch-
aus nicht irgendwie unter sich verbundene Einheiten wären.
Genau so wie in Breslau ist es in dem kleinen Weidenau,
nur daß hier alle Gewalt in die Hände des Erbvogts, des
Gründers und Lokators der Stadt, gelegt wird, und alle Verhält-
nisse noch ursprünglicher erscheinen ^^^). Der Vogt soll Fleisch-
scharren, Brot- und Schuhbänke in der Stadt erbauen, Ge-
treidemühlen, Walkmühlen und Lohmühlen sowie Schleif-
steine am Flusse errichten, ferner Badestuben; die Töpfer der
Stadt sollen ihm wöchentlich je acht Töpfe oder Krüge, die
Fleischscharren dem Bischof jährlich einen Stein Unschlitt
liefern; endlich aber wird dem Vogt ]Macht gegeben,
ibidem ius civile dandi omnibus advenis ac ad Universi-
täten! civium, pannicidarum, textorum, sutorum, carnificum,
pistorum, sartorum recipiendi vel quorumcunque artis
mechanice operatorum, que Innunge Theutonice nomi-
nantur, gratis vel mediante pecunia in dicta civitate se-
cundum suum arbitrium,
sowie die Ratleute der Stadt und die Meister der verschiedenen
,,opifices" auszuwählen und einzusetzen. Die Ausdrucksweise ist
eine ungenaue; „Innung" scheint schon auf die „Gemeinschaften"
545) Tzschoppe und Stenzel, Urkundensammlung zur Geschichte des Ur-
sprungs der Städte ... in Schlesien und der Oberlausitz, S. 411 ff., vom- 26. Juli 1291,,
Bestätigung des von Herzog Heinrich IV (1266—1290) und Bischof Thomas I. von
Breslau (1232 — 1268), wie es scheint, gemeinsam erteilten Rechtes durch Bischof
Thomas II.
2l8 Zunftzwang und Einung.
übertragen: allein die ursprüngliche Bedeutung ist aus dem Auf-
nahinerecht des Vogtes noch recht wohl zu erkennen 5*<').
Dagegen in dem Sinne von Konzessionsgebühr ist, wie
schon Schmoller bemerkt hat^*'), das Wort Innung gefaßt in
■dem Rechtsbrief für Neumarkt von 1235, durch den man sich
recht lebhaft an die parallelen Bestimmungen des ungefähr gleich-
altrigen Hameler Schulzenrechtes erinnert findet:
§ 36. Hec est Innunge pistorum civium in Hallo.
Si aliquis alienus vult societatem pistorum, quod [wohl
bemerkt, nicht que] Innunge dicitur, ille dabit duas
marcas et due partes spectabunt ad civitatem, una pars
ad pistores.
§ 39. Hec est Innunge carnificum. Si aliquis vult
habere Innunge ipsorum, dabit tres fertones: [Ver-
teilung wie vorhin].
§ 41. Innunge sutorum constat ex If fertonibus:
III lotti cedunt ad civitatem, dimidius ferto ipsis sutoribus,
lottus magistro ipsorum ^^^j.
Es kann kein Zweifel sein, daß auch hier die Stadt das
Kaufgeld nicht passiv hinnimmt, sondern wie in Hameln anfangs
der Schultheiß, später der Rat, damit den einzelnen Handwerker
zum Gewerbebetrieb zuläßt. „Societas" ist in demselben Sinne
546) Eine eigentümliche Wendung des Ausdrucks für dasselbe Recht findet
sich in dem Recht für Wohlau vom 12. Nov. 1292 (Tzschoppe und Stenzel,
Nr. 88, S. 417 f.), wo dem Vogt zugewiesen werden: „et intronisationes, quod
vulgariter dicitur iniungere, apud omnes et singulos technicarum artifices, videlicet
carnifices, sutores, pistores, fabros et sartores et alios, quibuscunque nominibus, qui de
novo ius suum et easdem artes ibidem volunt exercere". Offenbar ist , .iniungere" auf
•eine etymologisierende Verdrehung von ,, Innung" zurückzuführen. Dementsprechend
■wird die Ausübung des Handwerks als „ius" bezeichnet.
547) Tucherzunft, S. 383: „im Sinne der Niederlassungs- und Konzessions-
gebühr". Das erste natürlich nur, sofern es heißen soll „Niedei lassung als Hand-
werker". Mit der Niederlassung als Bürger hat es nichts zu tun. Auch im
weiteren ist manches nicht ganz richtig. In den Frankfurter Urkunden, die er am
gleichen Ort anzieht, heißt „einung" nur sehr indirekt „Strafsatz" und „Geldstrafe" :
■der Nachdruck liegt auf dem Ansatz nach Vereinbarung. Da ist Einung also im
ursprünglichsten Sinne gebraucht.
548) Tzschoppe und Stenzel, S. 298 f. ; Laband, Magdeburger Reclits-
•quellen, S. 12. Merkwürdigerweise hält Laband in § 41 an der Lesart,, II. fertonibus"
fest, obgleich bereits Stenzel darauf hingewiesen hatte, daß die Rechnung nur stimmt,
"wenn man mit der Breslauer Handschrift „If fertonibus" liest. Die Schuhmacher
haben außerdem noch die oben Anm. 503 erwähnte Lieferung an den Bischof:
vielleicht hängt damit die besondere Verteilung des Innungsgeldes bei ihnen zusammen.
Das Recht von Halle für Xeumarkt. 2 1 9
gebraucht, wie „communio" in dem Briefe der Magdeburger
Schildmacher, nicht als Verein, sondern als die Gemeinschaft der
Berechtigten: das „societatem velle," Mitglied sein, wird als
Innung bezeichnet, nicht die „societas" selbst ^^^).
Die Innungsgebühr für die Haupthandwerke wird hier als
ein wichtiger Bestandteil des eigenen Rechtes von einer älteren
Stadt einer neuen mitgeteilt Denn es handelt sich um die
Uebermittlung des Hallenser Rechtes an Neumarkt. Hätte
Innung, wie es an dieser Stelle gebraucht ist, die Bedeutung
eines bloßen Eintrittsgeldes in an erster Stelle Innung genannte
Genossenschaften gehabt, so würde ihm in der Rechtsmitteilung
ganz gewiß nicht ein solcher Platz zugewiesen worden sein ^^oj
Dabei ist auch die Gegenüberstellung von „civis" und
„allen US" nicht zu übersehen. Der „alienus" erwirbt die
^Innunge civium": er tritt durch Zahlung einer Gebühr ein in
die nach Gewerben differenzierte Marktgemeinschaft der Bürger.
Daß auch ein Bürger die „Innung" erst erwerben sollte, ist gar
nicht in Betracht gezogen 5^^), Nur für den Sohn eines Bürgers
kann das in Frage kommen. Dann aber wird es anders
ausgedrückt :
§ 37. Si pistor aliquis habens Innunge [ein Gehilfe
würde sie nicht haben und als Hauskind auch nicht
Bürger sein] et moritur, filius ipsius dabit solidum magistro
pistorum et budello ipsorum sex denarios.
549) Vgl. oben S. 206 f.
550) Es sei gestattet zu bemerken, daß Schmollers Aeußerung, Tucherzunft
S. 383, „die Identität von Innung luid Fratemitas spricht die Stendaler Tuchmadier-
urkunde von 1233 aus*', auf Irrtum beruht. Erst in der zweiten, 18 Jahre jüngeren
Urkunde kommen diese Worte vor (Riedel I, Bd. XV, Xr. 14; meine Urkunden
Nr. 107 b § i). Die ältere Urkunde kennt nur „fratemitas", „consorcium fraternitatis'"
und „officium". Auch die zweite operiert häuptsächlich mit ,,offiaum" und „fratemitas".
Zweifellos aber soll in dem „ininge" eine Neuerung liegen, und zwar spricht sich
jiese darin ans, daß jetzt Eintritts- und Strafgelder zwischen Stadt und fratemitas ge-
teilt werden, während sie vorher sämtlich an die Stadt fielen. Man sieht aber auch,
wie es dem Konzipisten schwer wird, den neuen Begriff neben dem wohlbekannten
Amt (des Webens) und Brüderschaft unterzubringen. Vgl. übrigens noch die folgende
Anmerkung.
551) In der älteren der beiden in der vorigen Anmerkung angezc^enen Stendal er
Urkimden bestimmt § 5 : „Quicunque autem alienus hoc officio uti voluerit, primitus
civilitatem acquiret et postmodum consorcium fratnmi cum viginli tribus solidis
inlrabit" [wie jeder Bürger außer den Mitb^ründem und den Söhnen von Mitbrüdern].
Nach Einführung der „Innung" diu-ch die Urkunde von 1251 ist diese Verordnung
über den Erwerb des Büi^errechtes fortgefallen. Das Eintrittsgeld Lst auf 6 s. eraiäßigt.
2 20 Zunftzwang und Einung.
Die Stadt bekäme dann also nichts: in die Marktgemein-
schaft der Bürger hinein wird der Sohn geboren. Es darf
bezweifelt werden, ob es dabei geblieben ist. Jedenfalls ergibt
sich auch daraus, daß Innung hier noch den Sinn hatte, den wir
aus den Braunschweiger Urkunden ermittelten. Dazu aber
stimmt auf des Beste, daß das Hallenser Recht ganz allgemein
auf dem Magdeburger beruht und wir uns also auch so in
die Ursprungsgegenden des Innungsrechtes zurückgeführt finden.
Eine andere Frage ist es, wie weit den einzelnen Hand-
werkschaften bei der Zulassung eine Mitentscheidung zufiel. Darauf
läßt sich eine allgemeine, für alle Fälle gültige Antwort jedoch nicht
geben. Nur so viel kann gesagt werden, daß sie dabei, seit es
„Aemter" unter eigenen Meistern gab, wenn auch nicht stets das
letzte, so doch jedenfalls das erste Wort zu sprechen hatten ^'*^'').
Auch die Prüfung, ob der Handwerker, der die Innung zu er-
langen wünschte, auch die nötige Befähigung besaß, muß im
Zusammenhang damit ihnen obgelegen haben. Schon in dem
Basler Bäckerrecht von 1256 ist das ausgesprochen, wenngleich
dort bei einem „serviens", der
pistorum forum sibi postulat indulgeri,
allein die ,,bona fama" beansprucht zu werden scheint ^^2) 5;^
liegt darin natürlich die Uebertragung einer wichtigen Verwal-
tungsbefugnis. Da aber dieses Problem mehr die Verhältnisse
des ausgebildeten Zunftwesens als seine Entstehung betrifft, so
müssen wir uns ein weiteres Eingehen darauf versagen.
Indes, wie weit die Grenzen der Autonomie den gewerb-
lichen Korporationen an dieser oder jener Stelle gezogen sein
mögen: im Prinzip und als Regel in der Praxis bleibt die Be-
fugnis der Obrigkeit, mit andern Worten des Rates, das gesamte
Wirtschaftswesen der Stadt zu ordnen und zu leiten, und damit
auch die der Verleihung des Rechtes des Gewerbebetriebes an die
551a) Vgl. oben S. 200 ff. die Beispiele aus den Innungsurkunden. Ferner
unten S. 225.
552) Meine Urkunden Nr. 270 § il. Vgl. oben S. 159 ff. — Im übrigen
Neuburg, Zunftgerichtsbarkeit und Zunftverfassung, S. 34ff.J Schönberg, Zur
wirtschaftlichen Bedeutung des deutschen Zunftwesens (Hildebrands Jahrbücher, Bd. IX),
S. 54 ff. Als früheste Erwähnung eines Meisterstückes gilt die in der unten
Anm. 557 zitierten Berliner Bäckerurkunde von 1272: „Vortin wi dat werk
wynnet, di sal vor des meisters oven baken, dat men besyet, ofte he syn werk kan."
Stieda, Zur Entstehung des deutschen Zunftwesens, S. 113.
Gewerbekonzession in Lül)ock. 2 2 1
einzelnen Arbeiter und also auch der Zulassung zur Mitgliedschaft
der einzelnen Innungen.
Je nach Umständen wurde diese Befugnis mit größerer oder
geringerer Strenge gehandhabt. Ich verweise nur auf die lehr-
reichen Mitteilungen Wehrmanns über Lübeck, wo zu unter-
scheiden sind^-"^): erstens diejenigen Korporationen — und zwar die
Mehrzahl — „die ihre Mitglieder selbst aufnahmen", bei denen
aber „doch eine gewisse Konkurrenz des Rates stattfand, eine
Genehmigung und Bestätigung erfordert wurde"; zweitens ge-
wisse Aemter, bei denen der Rat es sich besonders vorbehalten
hatte, „wem er bei eintretendem Todesfalle die dadurch vakant
werdende Stelle wieder verleihen wolle, z. B. bei den Kerzen-
gießern, seit dem Aufruhr von 1384 auch bei den Knochen-
hauern''^-**); drittens aber solche Gewerbtreibende, die über-
haupt nicht zu Korporationen verbunden waren, wie die Stock-
fischweicher, die Hanfspinner, bei denen also überhaupt nur
die unmittelbare Erteilung der persönlichen Berechtigung in Frage
kam. Hier, bei diesen Vertretern meist niederer Gewerbe, stehen
wir gleichsam noch einmal auf dem Boden der einfachen städti-
schen Marktordnung. Von irgend einer Autonomie ist bei ihnen
keine Rede, ein von ihnen selbst ausgeübter Zunftzwang kann
gar nicht ins Spiel kommen, und doch unterliegt jeder einzelne
einem Zwange, muß sich den gleichen von der Obrigkeit ge-
stellten Bedingungen unterwerfen, wird mit seinem Amte belehnt.
Ueberhaupt zeigt Lübeck, wo die Regierung, wie in keiner
zweiten deutschen Stadt, in den Händen der eigentlich kauf-
männischen, man darf sagen großhändlerischen Kreise lag, den
stadtwirtschaftlich organisierten Kleingewerben, dauernd selbst
den Gewandschneidem kein Anteil daran gegönnt wurde ^=^), in
diesen Dingen einen konservativen Charakter. Es ist nicht aus-
geschlossen, daß sich das sogar in dem Fehlen oder Unterdrücken
des Ausdrucks Innung ausspricht, der zu sehr nach dem Rechte
freier Vereinbarung riechen mochte. Xur ein Amt haben die
553) C. Wehrmann, Die älteren Lübeckischen Zunftrollen* (1872), S. 26.
554) Kerzengießerrolle, allerdings erst von 1508, Wehrmann, S. 249,
§ 2: „ unde schal syn ampt escken unde dat bydden van den hern."
Knochenbauerrolle vom 2. April 1385, Wehrmann, S. 260, § 2: „Vortraer
wan dar leede [Laden = Buden, Wehrmann, S. 513] loes sinl, de schal de rael bezetien
unde vorlenen, wan se willen unde weme se willen; unde wem se de raet vorlenet,
den scholen de anderen knokenhowere mit nenerleye koste beschatten edder beswaren."
355) Hansische Gesch.-Bl., Jahrgang 1901, S. 123.
222 Zunftzwang und Einung.
Handwerker, wie in den frühesten Zeiten, und das leiht ihnen die
Obrigkeit.
Statt Amt konnte man auch Werk sagen. Es scheint sogar,
daß das in Lübeck der ältere Brauch war »56). Dadurch kam noch
klipp und klarer zum Ausdruck, daß es die Berechtigung zum
Betriebe des Handwerks war, die der Rat zu vergeben hatte.
Auch die Berliner Zunfturkunden des 13. Jahrhunderts sagen
meist „opus", einmal dafür „Ingynge" 007) Y)\q Form erinnert an
das Wohlauer „iniungere": als ob man in Berlin das Wort selbst
mit „Eingang", „Zulassung" in Verbindung gebracht hätte ■''•^*).
In Straßburg trat, wie wir gesehen haben, im 13, Jahr-
hunderfc „antwerk" an Stelle des früheren „officium": als ob hier-
mit unliebsame Erinnerungen an bischöfliche Anmaßungen ver-
knüpft gewesen wären ^^o).
Das Braunschweiger Stadtrecht aus derselben Zeit da-
gegen braucht „werk" und „inninghe" synonym ^eo)^ Besser ge-
sagt: Innung hat hier geradezu die Bedeutung „durch Innungs-
zwang, Konzessionszwang geschütztes Handwerk" angenommen,
wenn es heißt :
556) Vgl. noch Lübecker Urk.-Buch, Bd. I, S. 252b, städtisches Einkünfte-
verzeichnis von 1262: „cum aliquis pistorum acquirit civitatem, dabit pro opere suo
et civitate XVIII solides, si non est incola civitatis; sed si est incola, dabit pro opere
suo XII solidos tantum. Idem faciunt carnifices: dant XII s. pro opere; sed pro
civitate, secundum quod divites sunt et habere possunt, in gracia."
557) Fidicin, Historisch -diplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt
Berlin, Bd. II, Nr. 3, Innungsbrief für die Schuhmacher vom 2. Juni 1284. In
dem Brief für die Kürschner vom 22. März 1280, a. a. O. Nr. 2, ist die Rede
von dem „alienigena .... acquirens opus nostre civitatis pelliparium", und von dessen
Söhnen, die ,,opus nostre civitatis acquirere tenebuntur". Das Letzte erinnert, venn
auch nur das Kürschnerwerk gemeint ist, an den die Gesamtwirtschaft der Stadt um-
fassenden Begriff der Innung, innerhalb deren vom Gesichtspunkt der Obrigkeit aus
die Einzelinnungen nur SpeziaHtäten bearbeitende Abteilungen darstellen. Bei den
Schneidern, 10. April 1288, a. a. O. Nr. 4, wird außerdem noch besonders der
Erwerb der ,,burscaph" verlangt. Vgl. auch Brief für die Wollenweber vom
28. Oktober 1295, a. a. O. Nr. 7, wo von „profectus tocius officii et operis" die
Rede ist. In dem Bäckerbrief vom 18. Juni 1272 steht „dat werk wynnen".
Ludewig, Reliquiae Manuscriptorum .... Diplomatum, vol. XI, p. 631 (dazu
Fidicin, a. a. O. Bd. I, S. 65).
558) Vgl. oben Anm. 546.
559) Vgl. oben S. 166.
560) Stadtrecht der Herzöge Albrecht und Johann vom 10. Okt. 1265 und das
angebliche Stadtrecht Ottos I. (vgl. oben Anm. 500), beide in § 55. Ebenso das
davon abhängige Stadtrecht von Duderstadt von 1279: Jäger, Urkundenbuch der
Stadt Duderstadt, Nr. 6 § 60.
,4nnung*' in Osnabrück und Lüneburg. 2 23
Neman nemach sich nenere inninge oder werk es under-
winden, he ne do it mit dere meistere oder mit dere werken
orlove.
Dagegen erscheint das Wort noch einmal als Gebühr für die
Konzession in der Leggeordnung der Wollenweber zu Osna-
brück vom 2 o. . September 1471:
Item de wulners, de up der oldenstat wonet, de solen
ynnynge geven dem rade up der oldenstat, unde de up
der nyenstat wonet, solen ynnynge geven dem rade up
der nyenstat ^^\).
Die Genossenschaften wurden in Osnabrück dagegen „Aemter"
genannt
Kaum irgendwo aber tritt eben der Unterschied zwischen
Amt und Innung und die Bedeutung dieses letzten Ausdrucks
dank einem reichlichen Material so klar hervor wie in Lüneburg.
Zwar für Bodemanns Aussage, daß unter den 32 Lüne-
burger Aemtern, die er aufführt, gerade die Hälfte als „Innungen*^
unterschieden worden wären, weil nur sie vom Rate das Rechte
„die Waaren und Produkte in Schaufenstern und Laden auslegen
und verkaufen zu dürfen" gewonnen hätten, vermisse ich den
Belegt''-). Daß es aber eben diese „gracia emendi et vendendi" war
— Bodemann erinnert mit Recht an die Brau n seh weiger Ur-
kunden, von denen wir unsern Ausgangspunkt nahmen — was
man auch in Lüneburg recht eigentlich unter Innung verstand,
das zeigt schon das Verzeichnis der (Gebühren, die von den Mit-
gliedern der elf ältesten jener „Innungen" für die „Innung" an
den Rat zu Zcihlen waren ^*'^).
Ferner steht in Beziehung hierzu, daß „Gracie date ynninghen'^
im ältesten Stadtbuche der Abschnitt aus der Zeit von 1350 — 1375
überschrieben ist, in dem die Berechtigungen verschiedener, unter
561) Philippi, Die ältesten CJsnabiückischen Gildeurkunden, S. 44. In seinem
Wortverzeichnis S. 90 bringt auch Philippi die Innung dieser Stelle in Beziehung zu
der „gralia emendi et vendendi nach dem Pri\-il^um Ottos des Kindes von 1245".
562) E. Bodemann, Die älteren Zunfturkunden der Stadt Lünebiug (Quellen
und Darstellungen ziu- Geschichte Niedersachsens, Bd. I), S. XXIII f.
563) Bodemann, a. a. O. S. XII: „Institores, dum acquirunt innige contra
consoles civitatis, dabunt viginti quatuor solidos; penestid viginti quatuor s. ; pistores-
36; pellind (!) 24; sutores 36; camifices 36; cerdones 36; fabri 18; craterarii 18;
textotes 18; sartores 24". — Bodemann übersetzt craterarii mit Kannengießer, von
denen eine Rolle aus dem 16. Jahrhundert vorliegt, Reinecke (vgl. nächste Anm.)-
S 433 dagegen mit Bechermacher, aber ohne sidi mit seinem Vorgänger auseinander-
zusetzen.
2 24 Zunftzwang und Einung.
•einander verwandter Gewerbe, wie der Schuster und Gerber,
der Schmiede und Scheidenmacher, vor allem der Krämer
und der Handwerker, mit denen sie in Konkurrenz zu treten
pflegten, zum Verkauf gewisser Waren gegeneinander abgegrenzt
sind 5*'^).
Ausschlaggebend aber ist in demselben Stadtbuch in den
jährlichen Neubürger -Verzeichnissen der Hunderte von Malen
wiederkehrende Zusatz zum Namen des Aufgenommenen „habet
inninghe", oft mit Angabe des Gewerbes „habet inninghe insti-
torum" u. s. w.; es gewährt die unmittelbarste Anschauung von
-der Tätigkeit des Rates auf diesem Gebiete, die man sich
Avünschen kann^"^).
Was aber die in Lüneburg von der „Innung" unterschiedenen
Ausdrücke „Amt" und „Gilde" betrifft, so führt das zu der Frage,
welche praktische Bedeutung überhaupt einer solchen Unter-
scheidung innew^ohnte: mit andern Worten, wir kommen noch
einmal auf die durch verschiedene Namen — nur freilich durch-
aus mit keiner strengen Regelmäßigkeit — gekennzeichneten
-Seiten der Vereinsbetätigung.
Schon bei Gelegenheit der „Brüderschaft" bemerkte ich.
daß, so sicher auch die Gleichheit des Gewerbes den Ausgangs-
punkt zur Entstehung der Korporation abgegeben hat, die Zünfte
dennoch den Beitritt auch Personen offen hielten, die das Gewerbe
nicht auszuüben gedachten, die nur an der Geselligkeit, dem Gottes-
dienst und den wohltätigen Zwecken des Vereins sich zu beteiligen
wünschten^*'*').
Die Sache hat aber auch noch eine andere Seite: der Kern
der Frage zeigt sich erst bei der Aufnahme der Söhne, der Ver-
erbung des Amtes.
Regelmäßig enthalten die Zunftbriefe eine Bestimmung, die
den Eintritt des Sohnes eines Mitbruders an Zahlungen und
manchmal auch Formalitäten dem Fremder gegenüber nicht un-
wesentlich erleichtert. Die Mitgliedschaft scheint dann gewöhn-
lich auch das Recht zum Gewerbebetrieb in sich zu schließen,
und vielfach ist das ohne Zweifel auch so gewesen. Doch kann
564) W. Rein ecke, Lüneburgs ältestes Stadtbuch und Verfestungsregister
(Quellen und Darstellungen z. G. N.-Sachsens, Bd. VIII), S. 234 ff.; aus der Zeit
von 1350—1375-
565) Reinecke, a, a. O., Sachregister imter „Innung", S. 435 f.
566) Oben S. 181 f.
Die Vvrerbung der Innung. ^^ ^ ;
es SO allgemein höchstens von dem. was man die goldene Jugend-
zeit der Zünfte nennen könnte, gegolten haben, als noch jeder
Arbeiter willkommen war.
Eine Erschwerung bildete es schon, sobald zum Gewerbe-
betrieb Bürgerschaft verlangt wurde: denn nicht jeder erwachsene
Sohn eines Bürgers ist ohne weiteres ebenfalls Bürger; es ist eine
förmliche Aufnahme nötig und es gehört eine materielle Qualifi-
kation dazu ^*^.
Eine weitere Beschränkung lag darin, daß der Betrieb mancher
Gewerbe an den Besitz bestimmter Baulichkeiten, bestimmter Ge-
schäftsräume geknüpft war, die sich nicht beliebig schaffen ließen,
wie Backhäuser, Fleischscharren, Tuchgaden ^^*). Es gibt mancherlei
Verordnungen, die diese Verhältnisse regeln sollen und die auch
mancherlei Schwierigkeiten, mit denen dabei zu kämpfen war,
enthüllen.
Indessen kann auch diese Frage hier nicht zu ausführlicher
Darstellung gelangen. Es genügt, darauf hingewiesen zu haben,
und nur eine Lüneburger Urkunde will ich anführen, weil sie
zugleich in Vervollständigung des früher Gesagten am besten
zeigt, wie man den Empfang der „Innung", der Konzession zum
Gewerbebetrieb, durch den Rat unterschied von der Aufnahme
in den Verein oder, wie man diesen hier nannte, das „Amt."
Am 4. April 1477 beschwerten sich die Schuhmacher von
Lüneburg vor dem Rate, daß der Sohn ihres Kollegen Hans
van Kampen ein eigenes Auslegebrett beanspruche, obgleich er
mit seinem Vater Haus und Küche und Rauch teile. Eigener
Rauch, (He Gewähr eigener Bürgerschaft, sollte also zur BedingTjng
der Ausübung des Handwerks gemacht werden. Und nicht mit
Unrecht; denn was Kampen \'erlangte, lief allen anerkannten
Prinzipien entgegen, auf doppelten Gewerbebetrieb durch eine
Person, die Anfänge eines „kapitalistischen" Betriebes mit relativ
verminderten Unkosten, hinaus. Dennoch entschied" der Rat:
nach deme male, dat he deme ampte hedde gedan alle
plicht unde hedde ok de inninge van deme rade entfangen
unde syn geld utgegeven, so mach he ok sin lot leggen
laten [die Bretter wurden verlost] unde bruken sines
bredes alleyne unde ok syn vader synes bredes alleyne.
567) Ueber das Bürgerrecht als Vorbedingung der Aufnahme in die Zunft:
Neu bürg, a. a. O. S. 21 ff., aber ohne prinzipielle Erörterung.
568) Vgl. hierzu oben S. 147 und das nächste Kapitel.
Keutgen, .Aeniter und Zünfte. i~)
220 Zunftzwang und Einung.
Offenbar war der Casus, wenigstens seit Menschengedenken, in
Lüneburg nicht vorgekommen: wer im Handwerk „sines sulves
werden" wollte, hatte stets zunächst ein eigenes Anwesen be-
gründet. Aber gegen die Aufnahme des Haussohnes in das
„Amt", d. h. hier den Verein, hatten die Schuhmacher nichts ein-
zuwenden gehabt ^^^).
Nur hierdurch erklärt es sich ferner, daß es in manchen
Städten schon früh zur Ausbildung einer förmlichen Erbordnung
in Bezug auf die Gewerbeberechtigung gekommen ist.
In Hameln gibt bei den Knochenhauern der jüngste
Sohn drei Schillinge für die Innung, während die anderen Söhne
sie für i8 Schillinge und ein Bockfell gewinnen und „den Wer-
ken" drei Pfund Wachs dazu geben. Bei den Schneidern „erbt"
die Innung an den jüngsten, auch wenn er der einzige ist: die
anderen erhalten sie für Y2 Pfund 5^^).
Auch in Halberstadt wird der jüngste Sohn bevorzugt.
So nach dem Innungsprivileg Bischof Volrads für die Hut-
macher vom 14. September 1284:
quicumque in hac fraternitate constitutus habuerit pueros,
qui in societate voluerint permanere, iunior puer habebit
integrum artificium, senior vero dimidium obtinebit-^'^).
Natürlich bleibt auch der ältere Bruder, der nur das halbe Hand-
werk erhält, mit ganzer Person Mitglied der Brüderschaft.
569) Bodemann, a. a. O. S. 235 f. Wenn man unter Amt die Gewerbe-
genossenschaft verstand, so war Gilde der gesellig-religiöse Verband. Bodemann,
S. XXIII, besonders S. 23 f.: die Bader wollen 1431 eine Frau, die vor der Ehe
ein Kind gehabt hatte, nicht in ihrer Gilde dulden, wenn sie auch den Mann „to
deme ampte wolden se en gerne staden."
570) Meinardus, a. a. O. S. 565 f. § 16 und S. 577 § 59. Die 3 s. des
jüngsten Kindes bei den Knochenhauern entsprechen jedenfalls der ganzen Zahlung der
älteren, nicht etwa bloß den 3 Pfd. Wachs, die den Genossen für ihre Lichte zu
reichen sind.
571) Schmidt, a. a. O. Bd. I, Nr. 187. Es bedeutet nicht, wie man an-
zunehmen geneigt sein könnte, daß, während der Jüngste die ganze Berechtigung erbt,
die Aelteren sie zur Hälfte erben und zur Hälfte kaufen müssen, mit andern Worten,
daß für sie der Erwerb der Innung halb so viel kostet, wie für jemand, der keinerlei
Erbanspruch aufweisen kann. Daß es sich in der Tat nur um eine' halbe Betriebsbe-
rechtigung handelt, beweist die unten Anm. 574a zitierte Straßburger Urkunde von
1264, nach der man entweder die ganze Einung für 12 Schillinge oder die halbe für
6 Schillinge kaufen kann. Indessen wird es dem Sohne des Halberstädter Hut-
machers ohne Zweifel freigestanden haben, sich die fehlende Hälfte hinzuzukaufen.
Innxing und Gilde. 227
Noch klarer wird zwischen dem Verband, hier g-hylscap
genannt, und der Gewerbeberechtigung der Innung unterschieden
in den Statuten der Schneider von Helmstedt vom 24. Mai
1301, wonach der jüngste Sohn nach des Vaters Tode
societatem que vulgariter dicitur Inige
ohne weiteres erhält, während jeder der älteren Söhne ein Ein-
trittsgeld von 1 8 d. erlegen muß. Dagegen hat der jüngste Sohn
communitatem que vulgariter dicitur ghylscap
in gleicher Weise wie die älteren für 2 s. und ein Pfund Wachs
einzulösen 5^-).
In manchen Statuten wird überhaupt nur die Nachfolge
des Sohnes nach des Vaters Tode ins Auge gefaßt, was doch
unmöglich einen Ausschluß von den g^uten Werken der Brüder-
schaft bis zu diesem Zeitpunkte bedeuten kann^^^.
Aehnlich steht es mit der Mitgliedschaft der Frauen*^*).
572) Lichtenstein, Epistola nona, Helmstedt 1751 (vgl. oben Anm. 517),
dankenswerterweise abgedruckt von Eberstadt, Magisterium, S. 239 f. Auf die
Gleichung „Inige = societas", ,^hylscap = communitas", vermag ich keinen "Wert zu
legen. Die Urkunden von 1258 und 1278 stehen in Epistola VIII, nicht VII.
Statt „XVn denarüs" (Eberstadt, S. 240 oben) lies „XVTII denariis".
573) Vgl. die soeben zitierte Helmstedter Schneiderurkunde. Da man
audi die ,^hylscap" erst nach des Vaters Tode „redimere" mußte, so ist anzunehmen,
daß bis dahin die Kinder wie die Frau ihre Vorteile ohne weiteres mitgenossen, wie
sie ja auch mittelbar an dem Innungsrechte des Vaters Anteil hatten. — In Hameln heißt
es bereits 1237 — 1247 § 5 (meine Urkunden Nr. 149): „quicunque camife.x moritur,
succedente filio loco patris". Demgemäß im 14. Jahrhundert bei den Knochenhauein
(Meinardus „Donat" § 16) und bei den Schneidern (§ 59) „wes vader se hadde";
ähnlich bei den Vlämingen (§ 10). Dagegen bei den Hökern (§ 15) ,,wes vader
se hadde eder heft". U. s. w. Ein Unterschied wird manchmal gemacht, je nach-
dem der Vater die Innung schon vor der Geburt der Söhne oder erst später gewonnen
hatte. — Femer Rechisbrief von Halle für Neumarkt (Tzschoppe und Stenzel,
S. 298, vgl. oben S. 218) § 37. „Si pistor aliquis habens Innunge et moritur,
filius if>sius dabit". Aehnlich bei den Fleischern § 40. Im übrigen vgl. Stieda,
Zimftwesen, S. 116.
574) Eine eigentümliche Stellung nehmen die Weberfrauen ein, die ihren
Männern bei der Arbeit stark an die Hand gingen. Hameln 1237 — 1247, meine
Urkunden Xr. 149 § 8: „si vero mulieri suae innigge comparare voluerit, dabit tres
solidos" (wenn für sich selbst, sechs). Im Donat im 14. Jahrhundert butet es
(Meinardus, S. 577 § 57): „Dit is der wevere inninghe. We se wint, heft he ene
\Tuwen, he gift 24 sol, heft he neue, he ghift 12 sol." Auch einem Knecht konnte
die Innung gekauft werden (Urkunden a. a. O.; vgl. Donat § 57): kurz für jede
Person, die einen Webstuhl für sich handhaben konnte. — Vgl. noch Neuburg,
S. 49 ff.
15*
228 Zunftzwang und Einung.
Die Geschichte der „Innung" hat sich abgespielt in den
nordösthchen Gegenden Deutschlands, einschließlich des zuge-
hörigen Kolonisationsgebietes. Es ist eine besondere Form des
Durchgangs von der Marktordnung mit ihrer Handelsfreiheit
einerseits, ihrem Amtszwang andererseits, zum exklusiv stadtvvirt-
schaftlichen Zunftzwang. Ein Verlauf, der eigenartig bedingt ist
durch die besonderen historischen Verhältnisse der bezeichneten
Landschaften und wobei die un erschütterte Macht der Obrigkeit
an erster Stelle als maßgebend anzuerkennen sein wird.
Anders verliefen die Dinge daher in den alten Kultur-
gebieten des Südwestens. Hier war ja — ohne jedoch Goslars
zu vergessen — der eigentliche Kampfplatz um die städtische
Selbständigkeit auf allen Gebieten. Auf sie beziehen sich in erster
Linie die von den Bischöfen erwirkten kaiserlichen Verbote aller
Arten von städtischen Vereinigungen, Städtebünde, Räte, Innungen ;
hier hätte alle Autonomie und politische Freiheit völlig unter-
drückt werden sollen. Allein hier gelang es am wenigsten.
Hier fehlte es vielmehr, und zumal in den "großen Bischofs-
städten, bald aber auch in den königlichen Städten, als im Osten
an einer festen landesherrlichen Gewalt. Die Grundlagen städtischer
Macht und .Selbständigkeit waren schon viel zu sicher gelegt,
als der Kampf losbrach. So wenig wie die selbstgewählten Räte
und die Städtebündnisse ließen sich darum die eigentümlichen
über das Aemtersystem hinausgehenden Bestrebungen der Hand-
werker unterdrücken. Mit anderen Worten, die Ausschließung
der Fremden vom Markte, außer an Jahrmärkten und sonst noch
etwa unter schweren Beschränkungen, wurde ohne weiteres er-
reicht und das Ergebnis ist die Aufrichtung des Zunftzwanges
sofort in schärfster Form: die liberalere norddeutsche „Innung'"
als Zwischenstufe bleibt unbekannt.
Nicht aber darum der gleiche Begriff Innung an sich, als
Mitberechtigung zum Gewerbebetrieb, unterschieden von der Mit-
gliedschaft der Brüderschaft. Den Beweis liefert die Urkunde
über den Innungszwang der Backhäuser in Straßburg vom
23. Februar 1264, wonach die Bürger, die Backhäuser besitzen,
gezwungen sind, für diese von den Bäckern das
ius quod dicitur einung
zu erkaufen. Daß jene Bürger dadurch Mitglieder des Bäcker-
Die Einung im Südwesten. 229
amtes geworden wären, ist durch den Wortlaut der Urkunde aus-
geschlossen *^**).
Ganz selbstverständlich ist, daß, wenn manche Urkunden
Wendungen gebrauchen, die den Beitritt zur Zunft anscheinend
freistellen, wie
Hanc v^ero fraternitatem eo iure habebunt, quod qui-
cunque karpentarius, id est dreslere, preconcessam frater-
nitatem adipisci voluerit ^^•') ;
oder
oder
oder
oder
quicunque ipsorum consortium impetrare voluit^^^);
si quis supradictam fraternitatis unionem, quod innung
vulgariter appellatur habere desiderat 5^^);
qui eorum societatem inire voluerit*"*);
quicumque ab hoc die ipsorum confraternitatem intrare
voluerit ^^'^''):
durchaus nicht bedeuten, daß Jemand das betreffende Gewerbe in
der betreffenden Stadt habe ausüben können, ohne der fraglichen
Zunft beigetreten zu sein, daß sie also den Zunftzwang ver-
neinen 5^*).
Die Wendungen wollen nichts anderes besagen, wie wenn
es in der Urkunde für die Lederer von St. Polten (um 1260)
heißt:
§ 7. Item qui fieri vult magister operis eorum, dabit etc^so).
574a) Wiegand, Urk.-B. d. Stadt Straßburg, Bd. 1 Nr. 549; meine Ur-
kunden Nr. 290. Man konnte auch die halbe Einung kaufen: vgl. oben An-
merkung 571. Auch war die Einvmg zur Hälfte vererbbar an eins der Kinder. —
Uebrigens vgl. oben S, 193 und S. 205.
575) Kölner Drechsler, um 1180, meine Urkunden Nr. 256; vgl. oben
S. 175, wo es sich aber natürlich nur um den Zwang gegen Mitglieder handelt.
576) Würzburger Schuhmacher [1128], meine Urkunden Nr. 254; vgl.
oben S. 174 f.
577) Magdeburger Schwertfeger 1244, Hertel, Bd. I Nr. 107; vgl.
oben S. 208 f,
578) Helmstedter Krämer 1247; vgl. oben S. 207.
578a) Halberstädter Hutmacher 1284, Schmidt, Bd. I Nr. 187. Vgl.
noch oben S. 226. Femer die Weber 1283, a. a. O. Nr. 177, und oben S. 202.
5"9> Vgl. auch noch Recht von Halle für Neumarkt 1235, ' Tzschoppe
xmd Stenzel, S. 298 § 39 (Fleischer). Bei den Bäckern § 36 steht: „Si aliquis
alienus vult societatem pistorom, quod Innunge diatur." Vgl. noch oben S. 2l8.
580) Winter, Beiträge, S. 18; meine Urkunden Nr. 268 § 7.
230 Zunftzwang und Einung.
Ebenso wie hier unterlassen ist, eigens zu konstatieren, daß
der selbständige Handwerker der Zunft beitreten muß, und man
sich begnügt hat anzugeben, was die Konzession kostet; so ist
an den vorher zitierten Stellen als ebenso selbstverständlich nicht
eigens bemerkt: welcher Drechsler der Brüderschaft aber nicht
beitreten will, der kann nicht Meister werden. Ich erwähne die
Sache überhaupt nur, weil der Versuch gemacht worden ist, aus
jenen Stellen eine eigene Gruppe von Handwerkerverbänden ohne
Zunftzwang zu konstruieren ^si).
Es giebt aber eine Stadt, w^o man — vielleicht dank der
Schulung des bischöflichen Kanzlisten — vorsichtig genug ge-
wesen ist, dem ganzen Gedanken Ausdruck zu verleihen:
§ 6. Et quicumque ex ipsorum opere in ipsorum soci-
etate et confraternitate voluerint Interesse, in introitu suo
decem solides persolvant;
§ 7. Qui vero ex ipsorum opere in eorum societate,
prout superius dictum est, noluerint Interesse, ab officio
operandi pro suo arbitrio et a foro emendi et vendendi
et a tota communione eorum penitus excludantur.
So heißt es in Basel bei den Kürschnern 1226, und ähnlich
bei den Bauarbeitern und den Metzgern 12485«-').
Trotzdem fabelt Eberstadt auch hier: „Die nichtzünftigen
Handwerker des gleichen Gewerbs sind der zünftlerischen Zwangs-
gewalt nicht unterworfen". „Die ausgedehnte Lohn- und Haus-
arbeit bleibt unabhängig" ^^^). Hausarbeit, sofern sie überhaupt
581) Eberstadt, Magisterlum, S. 177 ff., Zunftwesen, S. 127 ff. Dazu die
Magisterium S. 235 f. unter der Rubrik ,, Privilegierungen ohne jede Zwangsfomiel"
zusammengestellten Urkunden.
582) Vgl. oben S. 173 und S. 158 ff.
583) Eberstadt, Magisterium, S. 187, S. 188; Zunftwesen, S. 129 f. Gee-
ring, Basel, S. 3, sieht ebenso unrichtig in dem „suum arbitrium" den Gegensatz zur
Arbeit für den Hof. Dem Bäckerrecht von 1259 sind alle Basler Bäcker unter-
worfen: trotzdem leugnet Eberstadt auch bei ihnen jeden Zwang. Klassisch, d. h. für
Eberstadts Methode bezeichnend, sind folgende Sätze, Zunftwesen, S. 128: „Das
Magisterium kennt regelmäßig kein besonders verliehenes Zwangsrecht, obwohl gerade
die Magisterien durchweg finanzielle Leistungen aufzubringen und beizutreiben haben
(vgl. unten S. 130); es genügt auch hierzu das überlieferte Recht des Amtes. Der
größere Teil gerade der ältesten Handwerkergenossenschaften besteht also [!] ohne den
Zunftzwang bezw. Amtszwang." Ist das „Recht" „beizutreiben" eiwa kein ,, Zwangs-
recht"? Und wenn „das überlieferte Recht" einmal nicht „genügte", soll da kein
Zwang auf den Widerspänstigen haben ausgeübt werden können? Die ganze Ordnung
wäre sofort zusammengebrochen. Was macht es dem gegenüber aus, ob in dieser oder
jener Zunfturkunde der Zwang nicht ausdrücklich „verliehen" ist?
Die Kölner Gilde.
23'
nicht gewerbsmäßig war, selbstverständlich! Von einer unab-
hängigen Lohnarbeit wissen wir nichts. Die Worte: „pro suo
arbitrio" aber bezeichnen doch nur die Arbeit des Meisters im
Gegensatze zu der des Knechtes.
Einen Punkt nur sei es zum Schluß dieses Kapitels noch
zu erwähnen gestattet.
Bei den genannten Lüneburger Xeubürger- Verzeichnissen
mit der so häufig darin notierten Verleihung der „Innung" an
die Aufgenommenen ^^*), kann man gar nicht umhin an die viel-
besprochenen Kölner Gilde- und Bürgerlisten aus dem
12. Jahrhundert erinnert zu werden, namentlich an den in den
BürgerUsten einzelnen Namen hinzugefügten Vermerk „gilda"
oder ,,fraternitas" ^*^). Von den bisherigen Erklärungen der Be-
deutung dieser Listen, auch der neuesten von Lau, ist wohl niemand
wirklich befriedigt ^*^. Lau fehlt namentlich in dem Schlüsse,
den er aus der Zahl der Namen zieht. Er meint, sie sei „viel zu
gering, als daß sie die Gesamtheit aller am Kölner Handel und
Verkehr Beteiligten" darstellen könne. Demgegenüber ist zu
bemerken, daß für jeden mit „mittelalterlichen" Methoden Ver-
trauten die Idee eines vollständigen Verzeichnisses, einer Liste
aller gleichzeitigen Mitglieder, von vornherein so gut wie aus-
geschlossen ist Es kann sich, und der Augenschein lehrt es
bei diesen Listen ebenfalls, nur um die nach und nach einge-
tragenen Xamen Xeuberechtigter handeln. So hat man ja noch
lange Jahrhunderte hindurch überall bei uns die Bürgerlisten
geführt, ohne, wenn man sie anlegte, zunächst einmal alle vor-
584) Vgl. oben S. 224.
585) Hoeniger, Schreinsurkunden, Bd. II, 2, S. 4 ff.
586) Lau, Verfassung vmd Verv^altung von Köln, S. 224 ff., will die „frater-
nitas mercatorum gilde" des 12, Jahrhunderts mit der Weinbrüderschaft identifizieren,
die jedoch erst seit 1356 belegt ist (Lau, S. 226). Meine Urkunden Xr. 182;
Stein, Akten, Bd. I Nr. 21. Einen Zusammenhang hatte auch schon Hoeniger,
a. a. O. S. 9 f., als möglich hingestellt. Zu bemerken ist aber noch, daß ,,mercatores*'
eine sehr sonderbare Kennzeichnung für die Weinbrüder schlechthin gewesen wäre:
handelte es sich doch großenteils um den Ausschank eigenen Gewächses, nicht um ein
Gewerbe. Der Weinhandel im Kleinen nahm eben in Weingegenden überhaupt vielfach
eine Sonderstellung ein, und zwar eine Stellung aulkrhalb des zünftisch geordneten
Gewerbes. Vgl. Stadirecht von Löwenberg, 121", Tzschoppe und Stenzel,
Nr. 4, S. 27": „daz si win sullen schenken und nimande nicht davon- gebin; da in
sal ouch nimmer kein voitdinc inne gesin, noch innunge." „Innung" heißt da aber
kaum „Zunft", sondern „Einung" : eine Abrede, durch die, wer Wein schenken* wollte,
irgend einem Zwangsrecht unterworfen worden wäre.
21)2 Zunft/Avang und Eiming.
handenen Bürger aufzuschreiben. Für die Größe der Zahl käme
es also nur darauf an, durch wie lange Zeit man das Verzeichnis
fortgesetzt hat.
Auf alle Einzelfragen, die durch die Kölner Listen angeregt
werden, ist hier nicht der Ort einzugehen. Alles in allem aber
spricht die größte Wahrscheinlichkeit dafür, daß in der Mitte des
12. Jahrhunderts die städtische Behörde in Köln neben einem
Verzeichnis aller Neubürger ein solches aller zum Handelsbetrieb
neu Zugelassenen geführt hat: aller derer, denen sie erteilte, was
man etwas später, in jünger erschlossenen Gegenden die „Innung"
nannte. Nur kannte man diesen Begriff damals noch nicht.
Man stand noch vor den Einungskämpfen der Handwerker. Es
waren die Zeiten eines noch relativ freien Verkehrs, die letzten
Tage der alten Kaufmannsgilden. Wenn es gerechtfertigt ist,
für Tiel und Dortmund in früher Zeit freie Gilden aller dort
tätigen Kaufleute anzunehmen, so muß auch in Köln einst eine
solche bestanden haben: eine Gilde, die nicht Kölner Bürger
allein, sondern auch Fremde umfaßt hatte. Das war ja ursprüng-
lich auch bei der Innung der Fall gewesen. Aber mit dem
Unterschied. Die Innung war ein obrigkeitliches Institut gewesen,
durch das auch Fremden gegen Zahlung einer Gebühr der schon
sich „stadtwirtschaftlich" abschließende Markt offen gehalten
wurde. Die Gilde dagegen ein freier Verein der sich außerhalb
der stadtwirtschaftlichen Bande haltenden, nur der Ordnung des
jeweilig von ihnen besuchten Marktes unterworfenen Kaufleute.
Mitte des 12. Jahrhunderts aber muß in einer Stadt wde Köln
ein solches Institut in seiner ursprünglichen Form bereits über-
lebt gewesen sein. Die Idee der Gilde zwar, wie es scheint,
hielt sich noch. Aber doch nur einen Augenblick. Schon fing-
der Verkehr an, von der Bürgerbehörde geleitet, sich Stadt wirt-
schaftlich abzuschließen. Die städtische Behörde legte nun ein
Verzeichnis aller derer an, die sie zur „Gilde," wie derer die sie
zur Bürgerschaft zuließ. Bald aber erübrigte sich auch das.
Verkehrsfreiheit für das ganze Jahr gab es jetzt nur noch für
den Bürger, und auch für den Bürger nur, so fern, er sich in
ein bestimmtes Amt, die Brüderschaft derer von seinem Gewerbe
aufnehmen Heß.
Letztes Kapitel.
Abschließende Cendenzen.
Wenn die ausführliche Schilderung der ausgebildeten Formen^
des Zunftwesens jenseits der Aufgabe liegt, die ich mir diesmal
gestellt habe, so bleiben doch noch gewisse Bewegungen zu be-^
rühren, die teils mit ihren Anfängen in die Frühzeit der Handwerks-
organisationen zurückreichen, teils zum volleren Verständnis der
Ausgestaltung, die die städtische Gesamtwirtschaft genommen hat,
noch mehr ins Licht gerückt werden müssen.
Zu den Erscheinungen der ersten Art gehört das „Schließen"
der Zünfte.
In der späteren Zeit des Zunftwesens, als die Blüte des
stadtwirtschaftlichen Systems bereits zu welken begonnen hatte:
da wurde Veranlassung zur Beschränkung und selbst Herabsetzung
der Mitgliederzahl der Amtsberechtigten der Umstand, daß die
vorhandene Arbeitsgelegenheit nicht mehr auszureichen schien,
alle Bewerber oder auch nur alle bereits zugelassenen zu er-
nähren ^*'). Allein das ist, wenn auch die am weitesten ver-
breitete, doch nur eine Modalität. Lange ehe Xahrungssorgen an-
gefangen hatten, nach Abhülfe zu rufen, kannte man unter Um-
ständen die Erscheinung der geschlossenen Zunft.
Manchmal hatten politische Gründe den Anlaß gegeben,
wie bei den Kölner Webern 1372^^'') und bei den Lübecker
587) fälle bei Neuburg, a. a. O. S. 52 ff. Bei den Hamburger Bött-
chern ist die Jahreszahl 1375 ein Irrtum (Neuburg S. 53): erst durch Ratsbeschluß
vom 22. Mai 1437 wurde ihre Zahl auf 200 festgelegt (Rüdiger, Die ältesten Ham-
bui^ischen Zunftrollen, S. 33): immerhin ein für die Geschichte des Niederganges der
Zünfte recht erheblicher Unterschied. Vielleicht hatte er die Fischer im Sinne, bei
denen aber andere Momente mitsprechen. Vgl. unten Anm. 601 am Schluß und den
Text dazu.
588) Stein. .iVkten, Bd. I, S, 89, Nr. 11; meine Urkunden Nr. 293 § li-
Zehn Jahre später wurde die zulässige Zahl wieder von 200 auf 300 erhöht. Stein,
.1. a. O. S. 126 Nr. 9; Urkunden § 9. Dazu Hegel, Verfassungsgeschichte von.
Köln, S. 158 ff. (Städtechroniken, Köln, Bd. IH, S. CFV).
^34
Abschließende Tendenzen,
Knochenhauern 1385 5*^^): wenn sich das Gewerbe durch die
Zahl seiner MitgHeder dem Rate gefährlich erwiesen hatte.
Unter ganz eigentümlichen Umständen dagegen vollzog sich
die Schließung der Zunft der Würzburger vSchuhmacher schon
im Jahre 1169. Während in der Urkunde von 11 28 noch von
keiner Beschränkung ihrer Zahl die Rede war^*^"), wird jetzt auf
einmal ihr
collegium
als
inter vicenarium numerum definitum
bezeichnete-'^); und aus dem Zusammenhange kann man nur
schließen, daß diese Beschränkung eine Bedingung der Kanoniker
von Neumünster gewesen ist, die gegen ein festes Honorar von
5 s. jährlich die feierliche Bestattung verstorbener Genossen über-
nahmen. Schon für ihre PYauen wurde ein weiteres Opfer vor-
gesehen '^^-). Es ist ein eigenartiger Fall geistlichen Geizes. Ob
aber später die Konkurrenzfurcht der Schuster eine Revision des
Vertrages zugelassen hat, darf, wenn nicht etwa der Rat im
öffentlichen Interesse den nötigen Druck ausübte, andererseits
ebenfalls bezweifelt werden.
Doch von Bedeutung für die Fragen, die uns interessieren,
sind nicht diese besonderen Fälle, sondern allein diejenigen, die mit
gewerblichen, wenn auch zufälligen Umständen zusammenhängen
und die sich auf aus der alten Marktordnung resultierende
Bedingungen zurückführen lassen oder in ihr geradezu be-
gründet sind.
Wir haben gesehen, wie bei Anlage der Märkte für einige
■der Hauptgewerbe besondere Budenreihen angelegt zu werden
pflegten. Ihre Zahl ließ sich nicht immer ohne weiteres beliebig
vermehren. Nur jedoch wer eine Bude in der Reihe inne hatte,
konnte das Gewerbe ausüben. Waren also die vorhandenen Plätze
besetzt, so fand ein natürlicher Schluß der Organisation statt, der
so lange dauerte, bis man sich wie etwa bei den Frankfurter
589) Wehrmann, Zunftrollen, S. 259, S. 26; vgl. noch oben S. 221.
590) Vgl. oben S. 174 ff.
591) Gramich, Verfassung und Verwaltung von "Würzburg, S. 69: ,,ut qui-
■cunque de ipsoram collegio inter vicenarium numerum definito intra muros urbis more-
retui", etc.
592) „Porro mulieres ipsorum ab hac humanitate non excipientes nee ab eis nee
ab maritis earum aliquam oblationem nisi sponte [!] oblatam pro impenso huiusmodi
officio recipiendam decrevimus."
Frühe Fälle von Zunftsperrungen. 235
Gewandschneidern 1334, dazu aufraffte, eine zweite Budenreihe
für dasselbe Gewerbe zu eröffnen '''■'^).
Nicht immer aber hat man diesen Schritt getan. Wenigstens
unter der unmittelbaren Verwaltung des bischöflichen Stadtherrn
ließ ein Gewerbe sich wohl die Beschränkung der Zahl der zur
Ausübung Berechtigten von der Obrigkeit als besondere Begün-
stigung gewährleisten, auch ohne daß Furcht vor Nahrungs-
mangel ins Spiel zu kommen brauchte. Wir haben gesehen, wie
schon 1239 die Mainzer Tuchhändler ein absolutes Monopol
für ihre 48 Gaden erlangten 5»*). Bei diesem vornehmen Gewerbe
finden solche Bestrebungen auch sonst einen gewissen Ausdruck
in dem Titel, den sich seine Angehörigen beilegen als die Ge-
wandschneider unter den Gaden ^^^).
Wenn aber der Betrieb eines Gewerbes gar in ein Kaufhaus
oder ein Werkhaus verlegt worden war, wo der Raum eine Grenze
zog, so erfolgte auch ein Abschluß der Benutzungsberechtigten
gewissermaßen mit Naturnotwendigkeit. Fast jede beliebige Kauf-
hausordnung bestätigt das.
Hierher gehört auch, wenn wie in Trier bei Fleischern
und Bäckern der Betrieb des Gewerbes an den Besitz bestimmter
Häuser geknüpft war«''*^.
Und wenigstens dieselbe Tendenz verrät es, wenn nicht
wenige Zunftrollen den Eintritt des Sohnes erst nach dem Tode
des Vaters
loco patris
vorsehen ^^'').
Wie es indes auf ganz zufällige, „historische" Umstände zu
schieben ist, wenn an einem Orte die Zahl der Theilnehmer an
einem bestimmten Gewerbe beschränkt wird, an einem benach-
barten Orte bei demselben Gewerbe nicht: das zeigt ein Vergleich
der Gründungsurkunde einiger schlesischer Städte.
Denn wenn sonst bei einer Stadtanlage zwar die Zahl der
zu errichtenden Fleischbänke oder Brotbänke angegeben wird,
593) Vgl. oben Anm. 380.
594) Vgl. oben S. 145.
595) Hans. G.-Bl., Jahrgang 1901, S. -6.
596) Vgl. oben Anm. 373.
597) ,,Succedente filio loco patris" heißt es vom Erwerb der Fleischerinnung
in Hameln in dem Schulzenrecht von [1237 — 1247]: meine Urkunden Nr. 149 § 5.
Vgl. im übrigen das im vorigen Kapitel über die Vererbung des Innungsrechtes
Ausgeführte.
236 Abschließende Tendenzen.
jedoch ohne ausgesprochene Beschränkung für die Zukunft, zeigen
in dieser Hinsicht einen merkwürdigen Gegensatz die Urkunden
für Trachenberg vom 15. Mai 1253 und für Strehlen vom
30. November 1292. Während nämlich für Trachenberg Herzog
Heinrich III. von Breslau dem Locator erlaubt,
ut officinas carnium et panum, stubas balniares, molen-
dina, piscinas construat, quodquod voluerit pro sua
omnimodis utilitate, et simili modo curiam, in qua peccora
mactantur ^^^) ;
heißt es in dem Privileg Bolkos I. von Oppeln für den Vogt des
ebenfalls neugegründeten Strehlen ''^^):
et unam stupam balnialem ibidem, preterea sedecim
macella carnium, que in universo sunt triginta quatuor,
item viginti quatuor macella panum, que in universo sunt
XXX*''' duo, item quatuordecim macella sutorum, que in
universo sunt XXX '^j racione locacionis innovate predicte
nostre civitatis, contulimus hereditarie possidenda.
Von jedem macellum sollen der Vogt und seine Erben einen
jährlichen Erbzins von einem halben scotus beziehen, ferner aber:
Volumus eciam, ut ultra predictorum numerum
macellorum nulla ulterius astruantur, nisi nostro ac
eiusdem advocati speciali fuerit de consensu.
Dieses Verbot mußte immerhin auch eine erwünschte Ver-
mehrung erheblich erschweren. Daß aber im ganzen anfängUch
gerade 34 Fleischbänke, 32 Brotbänke und 30 Schuhbänke erbaut
worden sind, wnrd teils mit dem verfügbaren Räume, teils mit
der Zahl der Bewerber zusammenhängen.
Als normal kann dagegen die Urkunde Herzog Heinrichs III.
von Glogau für den Vogt von Wohlau vom 12. November des-
selben Jahres 1292 gelten, wonach:
si civitas eadem Wolaw in tantum profecerit, quod
pluribus macellis seu scamnis panis vel sutoricis indiget
sive balneo, haec omnia idem advocatus hereditarius ac
sui legitimi successores construent pro suis usibus et bene-
placito voluntatis ''°^).
598) Tzschoppe und Stenzel, Nr. 41, S. 329. Es kann kein Zweifel sein,,
daß mit dem „quodquod" des Textes ,,quotquot" gemeint ist.
599) A. a. O., Nr. 89 S. 418 f.
600) A. a. O., Nr. 88 S. 417 f. Vgl. dazu oben Anm. 546. Gedruckt steht
„cum tantum" statt „in tantum", wie es jedenfalls heißen muß. „Fartorium" ist
Die W'ormscr Fisclier.
23:
Ob die eine Badestube, die je 12 Fleisch-, Bäcker- und Schuster-
bänke und die Wurstmacherei (fartorium), die der Vogtei zuge-
wiesen werden, die sämtlichen ursprünglich in der Stadt vorge-
sehenen waren, läßt sich aus dem Wortlaut nicht entnehmen.
Eigentlich interessant sind indes nur die Fälle, wo der Be-
sitz einer solchen bevorzugten Marktbude weitere Rechtsfolgen
nach sich zog.
Jedoch auch ohne daß die Raumfrage ins Spiel gekommen
wäre, konnte die Obrigkeit Gründe haben, die Zahl der Mitglieder
eines Gewerbes zu normieren. So wenn im Jahre 1106 oder 1 107
Bischof Adalbert in Worms an 23 Fischer das vererbliche Amt
des Fischfangs und des Fischhandels mit den üblichen Aufsichts-
befugnissen erteilte "°*). Die Anzahl der zufällig in Worms vor-
vielleicht adjektivisch und „macellum" zu ergänzen. Die Bäcker- und Schusterbänke
sind diesmal als ,,scamna" von den ,,macella camis" imterschieden.
601) Boos, Quellen z. Gesch. d. Stadt Worms, Bd. I, Nr. 58; meine Ur-
kunden Nr. 253. An meinen Ausführungen über diese Urkunde, Zeitschrift für Sozial-
und Wirtschaftsgeschichte, Bd. VII, S. 355 — 364, habe ich höchstens das C. Koehnc
<lafür erteilte Lob einzuschränken, daß er die „piscatores" der Urkunde als „Fischhändler*'
erkannt habe. Die Worte der Urkunde, „XXIII piscatores Wormatie constituit", können
nur heißen: ,,ei setzte in Worms 23 Fischer ein" — mag sie im übrigen auch vorzugsweise
den Fischhandel r^eln. Die Fischerzunft hat eben überall das Monopol des Fischhandels ;
Fischer und Fischmenger sind deshalb identisch, aber die Bezeichnung Fischer wiegt gemäß
ihrer eigentümlichsten Tätigkeit vor. Fische fangen dürfen indes unter Umständen auch
andere, zunächst zum eigenen Verbrauch, manchmal aber auch zum Verkauf nach der
Formel ,,vendere quae sibi creverint" (Straßburger Stadtrecht, § 52) oder, mit den
üblichen Beschiänkungen, Fremde. So kann auch die Wormser Urkunde nur ver-
standen werden, deren Verbot sich gegen das „emisse causa venditionis" und gegen
das ,,emere" von Seiten der Fischer „ante primam" richtet, das bei ihnen ebenfalls niu-
ein Kaufen zum Wiederverkauf sein kann. Dies ist das Kennzeichen des Fischhandels,
den in dieser Form aber auch die Fiscberzunft vor der Prime nicht ausüben, die so-
lange auch nur selbstgefangene Fische verkaufen darf. Das ganze ist wieder ein Beleg
dafür, daß die Zunftordnung in erster Linie auf die merkantile Seite des Gewerbes
geht. — Zu vergleichen sind z. B. die Rollen der Lüneburger Fischer-Fisch-
menger bei Bodemann, S. 64 ff. Besonders bezeichnend ist S. 65 § 3: „Unde efl
hir fremde vischere quemen mit vischen, den schall nemand van unsen vischeren afkopen
uppe vorkop, noch hire in de stad noch buten, eft se na Luneborg varen wolden".
Ferner für Lübeck, Wehrmann, a. a. O. S. 477 ff. Einer Trennung der beiden
Gewerbe entgegen tritt hier S. 477 § 3: „nen borger noch nen gast mot des andeien
Nyske vorkopen ; mer dejenne de se in unse Stadt brjnget, de schal se sulven vorkopen".
Dazu Lüneburg S. 65 § 2, § 3. Bezeichnend ist in der Hamburger Rolle
Rüdiger, S. 60 ff.) S. 61 § 7: ,,Welk man en sulveshere is in deme ammethe, de
mach wol hebben twe schepe ghande uppe kopenschop". Und S. 62 § 12: „Welk
man ut deme ammete vische vanghet edder koft edder kopen let" u. s. w. Eine Zeit-
238 Abschließende Tendenzen.
handenen Fischer wird der Grund der P"ixierung auf gerade 23
gewesen sein, wie in Mainz der verfügbare Raum für die An-
setzung von gerade 48 legitimen Tuchgaden. Daß aber die Zahl
der Fischer und Fischhändler überhaupt festgelegt wurde, hängt
ohne Frage mit den ihnen über den Bezirk der Stadt und Rhein-
ufer erteilten Polizeibefugnissen zusammen, — derselbe Grund
der anzunehmen ist für die — vielleicht auch nur erneute —
Festsetzung der Zahl der Weinschröter in Würzburg am 28.
Oktober 1250 auf 24 ^"^^
Bei gewissen Gewerben, wie diesem weitverbreiteten der
Weinschröter, dem der „Kisten sitzer" in Köln, der Unter-
käufer tritt der öffentlich-rechtliche, der Amtscharakter auch
für unsere Anschauungsweise greifbar hervor. In der Tat würden
ihre Funktionen zum Teil heutzutage überhaupt nicht privaten
Unternehmern, sondern wirklichen öffentlichen Beamten übertragen
werden. Da erscheint denn die Festlegung ihrer Zahl auch uns
verständlich. Nach dem alten Wirtschaftsystem der Markt-
ordnung, den mit ihr verwachsenen Anschauungen, nach denen
alle Berufe in gleicher Weise als öffentliche Aemter galten, aber
gab es zwischen ihnen und den übrigen Gewerben in diesem
Punkte im Grunde keinen Unterschied.
Das Bewußtsein, daß man ein Amt im Namen des allge-
meinen besten bekleidete, hat freilich erst später eine Rolle ge-
spielt. Aber als Beamte fühlten sich, wie schon ausgeführt, die
Handwerker doch, und als Beamte scheint sie auch der Stadtherr
gerade in der Frühzeit betrachtet zu haben, und zwar im Sinne
der Marktverwaltung. Eben diejenigen Handwerker, denen einst
bei der ersten bischöflichen Markteinrichtung in einer Stadt die
erste Budenreihe für Waren ihres Gewerbes zugewiesen worden
war, lange ehe die große Einwanderung begann, und die dafür
grenze für den Anfang des Kaufes zum Wiederverkaufe kennt Lübeck, S. 477 § 4.
Fischfang zum Selbstverbrauch wird Bürgern erlaubt, Hamburg S. 61 § 8. Endlich
mag noch die Trierer Fischerordnung von vielleicht 1323 (Lacomblet, Archiv,
Bd. I, S. 388) § 6 herangezogen werden. — Das Hamburger Fischeramt erscheint
auch bereits 1375 auf 50 Personen beschränkt (Rüdiger, S. 61 § 3): immerhin be-
trächtlich vor der Zeit, wo der Zunftschluß aus Nahrungsmangel an der Tagesord-
nung ist.
602) Lorenz Fries, Historie der gewesenen Bischoffen zu Wirtzburg (Ausgabe
von J. P. Lud ewig, Geschichtschreiber von dem Bischof fthum Wirtzburg, Frankfurt
17 13), S. 565 f., im Auszug. Die Besetzung der erledigten Stellen wurde dem Dom-
kustos zugewiesen. Vgl. oben Anm. 397.
Die Kürschner in Stralihurj;. 23O
gewisse Dienstleistungen aus dem Bereiche ihres Gewerbes zu
übernehmen hatten : sie erschienen als recht eigentliche stadtherr-
liche Beamte und waren stolz auf diesen Titel, auch später noch
gegenüber der Masse der plebeischen Zuwanderer vom Lande^
die dasselbe Gewerbe ergriffen und mit denen sie es sich ge-
fallen lassen mußten, in demselben Marktamte zusammengefaßt
zu werden.
Das gäbe also eine Erklärung für die
duodecim officiati inter pellifices,
wie sich die zwölf, mit besonderen Verpflichtungen gegen den
Bischof belasteten Kürschner in Straßburg noch 1240 nannten,
wobei sie mehrere Ratsherren unter sich zählten ''*^-^). Hier wären
die sieben Kammerherren unter den Kürschnern und den
Schustern in Trier, wo Titel und Amt ja noch das 14. und
15. Jahrhundert hindurch geführt wurden. Hier die acht Schuster
und vier Handschuhmacher von Straßburg*^^^j. Freilich ist
es nur eine Hypothese. Aber am Ende eine, die sich wohl hören
lassen kann, nachdem die alte Theorie durch den Nachweis ein
für allemal hinfällig geworden ist, daß schon im Anfange des
12. Jahrhunderts allgemein ein scharfer Strich gezogen war
zwischen den Arbeitern, die nur ihren Herren dienten, also nicht
dem Publikum und nicht dem Kaiser, und denen, die die öffent-
lichen Lasten trugen, weil sie certi et publici mercatores waren *^*'5).
Eben weil diese Handwerker ohnehin als öffentliche Beamte
galten, konnten ihnen auch nach unserer Anschauung öffentliche
Befugnisse ohne weiteres übertragen werden, wie das Schiffs-
zöllneramt in Worms, das Heimburger- und das Schenkenamt
den Webern in Mainz, das Büttelamt den Webern m Worms,
das Gefangen Wärteramt den Wurstmachern in Augsburg*^**^),^
poUzeiliche Funktionen, die mit dem eigenen Gewerbe unmittelbar
zusammenhängen jenen Fischern in Worms und später den
Zünften überhaupt. So wurden auch zehn von jenen Würz-
603) Vgl. oben S. 165 und Anm. 436.
604) Vgl. das V. Kapitel.
^05) ^'iX- ob^n Kapitel IV. — Nicht um städtische Handwerker, sondern um
bloße Hofbedienstete, die zu der Burg gehören, handelt es sich anscheinend in der
Urkunde Bischof Conrads H. von Hildesheim vom 3. Juli 1235, Doebner Urk.-
Buch der Stadt Hildesheim I Nr. 136: „advocatiam urbis in dvitate Hyldensemensi
cum novem officiis, videlicet duobus officiis loture et IUI officiis braxatorum et lapicide
et pistoris VI»« ferie et camere nostre, que thesauraria camera dicitur".
606) Vgl. oben Anm. 456.
240
Abschließende Tendenzen.
burg-er Wein Schrötern insbesondere mit dem Läuten der Dom-
glocken, der I'euervvache und Reinigung des Domes betraut.
Kein Zeugnis aber beleuchtet entfernt so die Art, wie die
ursprünglich durch nichts als örtliche, topographische Umstände
verursachte Beschränkung nachwirkte, auch nachdem der lokale
Rahmen durch eine unvermeidliche Zunahme der Gewerbemit-
glieder gesprengt war, wie die Urkunde über die Streitigkeiten der
Cordovaner, Gademer und Schreiner in Regensburg vom
Jahre 1244 mit den Schuhfiickern '^<''). Die an erster Stelle ge-
nannten drei Gewerbe, sowie sämtliche Schuhmacher der .Stadt,
^einerlei wo sie sitzen , die neue Schuhe machen , werden be-
zeichnet als
ius trium stratarum videlicet Chudruwanorum, Gademaer
et Schrienaer habentes.
Diese drei Gewerbe haben also ursprünglich drei Markt-
straßen ausschließlich inne gehabt. Aber sie haben sich jetzt über
die Stadt verbreitet, wenn das auch nur v^on den Schustern, für
die die Urkunde eigentlich ausgestellt ist, ausdrücklich erwähnt
wird. Umgekehrt nehmen alle ihre Gewerbsgenossen in der ganzen
Stadt an dem ursprünglich auf dem Wohnsitz in einer der drei
Straßen beruhenden Rechte teil. Dieses Recht bleibt als Grund-
lage ihrer Verbindung, wenn auch die Gleichheit des Gewerbes
das Band ist, das sie persönlich zusammenhält. Nach wie vor
aber findet jenes Recht seinen Ausdruck darin, daß sie, d. h. zu-
nächst also die Schuster, ihre Waren an ihren Werkstätten und
607) Nach M. V. Freyberg, Sammlung histor. Schriften ii. Urkunden, Bd. V
S. 91 ff. (Stuttgart 1836) abgedruckt und dadurch wie manche andere seltenere Urkunde
in dankenswerter Weise zugänglicher gemacht durch Eberstadt, Magisterium, S. 237,
unter der Formel: , .Privileg ohne Innungsklausel mit lediglich territorialer Abgrenzung".
Vgl. übrigens auch Gengier, Beiträge zur Rechtsgeschichte Baierns, Bd. III, S. 48.
— Leider scheint die Urkunde sehr schlecht überliefert. Es ist z. B. klar, daß es
„eo loco quo" (nicht „quod") heißen muß, ferner daß die Worte „presentibus eisdem
sutoribus" vor „sollempnius" gehören. Der Hauptfehler aber ist das zwischen
„Schrienaer" und „habentes" eingeschobene „non", das nicht nur den rechten Sinn in
sein Gegenteil verkehrt, sondern, was zu der Verbesserung das Recht gibt, die ganze
Stelle unverständlich macht. Die deutsche Neuausfertigung vom Jahre 13 15 (abge-
druckt bei Gengier, a. a. O. S. 49 f. und Freyberg, S. 89 ff.) läßt glücklicher-
weise über den Inhalt keinen Zweifel. Die Mangelhaftigkeit im Ausdruck der latei-
nischen Urkunde gegenüber der deutschen enthüllt sich in den weiter im Text zitierten
Stellen. — Was das Wort „gademer" betrifft, so erklärt Gengier es ais Zimmer"
leute, darin Seh melier, Bayer. Wörterbuch, folgend, der aber auch nur diese Stelle
.zu kennen scheint.
Das „Recht der drei Slralien'*. 24 1
nur dort verkaufen dürfen. Im Gegensatz zu ihnen haben die
Altschuster das Recht, ihr Werk
ad forum vel quocumque vellent deferrent locorum.
Die relative Bedeutung der beiden Handwerke spricht sich
darin aus, daß die Neuschuster den Kämmerern des Burggrafen
und des bischöflichen Vogtes dreimal im Jahre eine „Losung"
von 12 d. zu zahlen haben, die Altschuster dagegen nur dreimal
I d. Ferner haben die Chudruwaner , Gademer und Schreiner
einen Meister aus ihrer Zahl, der die Losung einsammelt, die Ge-
werbekontrolle ausübt und Exzedenten durch den öffentlichen
Fronboten vor den Richter, dem er zugehört, d. h. entweder den
herzoglichen oder den bischöflichen, fordern läßt.
Dasselbe Recht wurde noch 13 15 durch eine deutsche Ur-
kunde neu bestätigt, ihrem Inhalt nach eine Uebersetzung der
lateinischen von 1244, durch die wir aber erfahren, daß das
ex se magistrum habere debere
bedeutet
deu gewalt, daz si gemeiniglich auz in einen meister nemen
schullen,
und die femer die Worte
eundem magistrum falsos operarios et transgressores iuris
pretacti ad suuni quo spectarent per legitimum nuntium
accusare debere
ohne Frage richtig auslegt :
Ez schol auch derselb ir meister al den gebresten und
al den valsch, der under in uferstet, suchen und pezzern
nach seiner genozzen rat; und swer under in dez nit
wolde undertänig seyn, so schol ir meister mit des richters
fronboten u. s. w.
Die Urkunde ist einzig in ihrer Art, aber zweAellos von weit-
reichender Bedeutung. Und nur als an eine entfernt analoge
Erscheinung, insofern auch da sich an die Inhaberschaft von be-
stimmten Marktstellen gewisse Vorrechte knüpfen, sei noch an
die Verpflichtung der Freiburger Ratherren, je eine Bude unter
den alten I^uben der Stadt zu besitzen, erinnert ''"ä).
Alle diese Urkunden interessieren uns zunächst nur, inso-
fern sie die Entstehung des Zunftwesens beleuchten helfen: die
Stellung der Handwerker innerhalb des städtischen Gesamt-
608) V^gL oben S. 146.
Keiitgen, Apmier uii<] ZQnftf. ItJ
2A.2 Abschließende Tendenzen.
Organismus in der Frühzeit, das Verhalten der Stadtobrigkeit, die
enge Verknüpfung mit der Marktorganisation bis auf die Ein-
richtungen topographischer und baulicher Art hinab. Indes
bieten sie in ihren Beschränkungen der Mitgliederzahl gewisser
Verbände auch Ansatzpunkte für die späteren mit dem Verfall
angeordneten Schließungen oder Sperrungen der Zünfte, in ähn-
licher Weise, wie es die Herstellung von organisierten Hand-
werkergruppen für die Zünfte selbst getan hat. Denn alles
geschichtlich Werdende knüpft an Gegebenes an, so sehr
dieses auch seinem innersten Wesen nach jenem häufig fremd
sein mag.
Von noch größerer Bedeutung für das Verständnis der
Zünfte überhaupt, insbesondere ihre Stellung zur ausgebildeten
Stadtwirtschaft, sind vielleicht die Betrachtungen, die uns zum
Schluß beschäftigen sollen.
Die autonomistischen Bestrebungen der Handwerker waren
von Hause aus, wie wir zum Teil schon zu beobachten Gelegen-
heit gehabt haben, in ihren Zielen mit denen der Obrigkeit
keineswegs in allen Punkten identisch. Wenn das bei dem Aus-
maß der Autonomie, der Höhe der Abgaben auf der Hand
liegt, so kommen doch noch andere Dinge ins Spiel, die den
Kern der ganzen Frage weit näher berühren. Im weitesten
Sinne handelt es sich um den Widerstreit zwischen den An-
sprüchen der Einzelnen und denen der Gesamtheit: alle die Ein-
richtungen, die auf den Schutz des Publikums, die Sicherung
der Güte der Waren und ähnliches abzielen, die eine ganze Seite
des Zunftwesens, die Hälfte seines Daseinszweckes ausmachen,
können nicht in den angestammten Absichten der Handwerker
selbst gelegen haben.
Ich machte schon darauf aufmerksam, daß man von der
Mitwirkung der im Gewerbegericht unter dem marktherrlichen
Beamten versammelten Handwerker, zumal einer captiösen Recht-
sprechung gegenüber, eine ebenso einseitige Vertretung der
Interessen der Gewerbegenossen hätte erwarten sollen ; und wie
nur die Eifersucht unter ihnen es gewesen ist, die das Verfahren
praktikabel erhielt und es schließlich sogar möglich gemacht hat,
die Ausübung der Gewerbekontrolle ihren Verbänden selbst in
der Hauptsache zu überantworten. Gegenseitige Eifersucht auf
der einen, offensichtliche Interessengemeinschaft auf der anderen
Motive der Handwerker.
^43
Seite wirkten hier zur Hervorbringung eines im ganzen gedeih-
lichen Zustandes zusammen.
Aber man fragt sich doch: wie kam es, nachdem einmal —
nicht zum geringsten Teile dank dem von oben ausgeübten
Drucke — ein engerer, seiner gemeinschaftlichen Interessen v'oll
bewußter Verband hergestellt war, daß da das Ergebnis gemein-
samer Verabredung nicht die um so sicherer betriebene Aus-
beutung des Publikums war, oder etwas in der Art eines modernen
Ringes oder Trusts?
Es ist falsch, zu glauben, daß die gewerblichen Arbeiter des
Mittelalters den kanonischen Satz vom „pretium iustum" sämtlich
mit der Muttermilch eingesogen hätten, so daß sie mit Ausnahme
einiger schlechter Kerle gar nicht mehr dagegen hätten verstoßen
können. Sie waren vielmehr, wie ihre übrigen Zeitgenossen,
Kraftmenschen, die sich durch ihre natürlichen Triebe ebenso
sehr hinreißen ließen, gegen die von ihnen wenn auch gläubiger
angehörten Lehren der Kirche zu verstoßen, wie ihre mehr skep-
tischen Nachkommen.
Man hat sich gar zu sehr täuschen lassen durch den Geist
der zahllosen und so wohlbekannten Vorschriften, durch die in
den Zunftrollen einem unlauteren oder auch einem nach unseren
Begriffen unanfechtbaren Wettbewerb hat entgegengetreten werden
sollen, wodurch so sehr der Eindruck einer eingefleischten Bieder-
keit erweckt worden ist.
Man hat nicht beachtet, daß jene Vorschriften sich nicht
immer und immer wiederholen würden, wenn das Uebel,
das sie bekämpften, nicht ein schweres und unausrottbares ge-
wesen wäre. Gegenteilige Zeugnisse hat man nicht als .Symptome
eines allgemeinen Zustandes, sondern als Ausnahmen hingenom-
men. Auch hier wirkt die alte, romantische Auffassung des
„Mittelalters" nach.
Und doch reden die Urkunden überall eine hinreichend
deutliche Sprache, und man hätte weit mehr Anlaß zu staunen,
wie raffiniert bereits die Schädigung der Mitmenschen systematisch
betrieben wurde.
Aus der Handelsgeschichte ist der ausgedehnte Betrug in
den Xahrungsmittelge werben wohl bekannt, von der Kunst, alte
und kleine Heringe in die Mitte der Tonnen zu packen*®*) bis
zur Fälschung des Weines durch
609) Vgl. meine Beziehungen der Hanse zu England, S. 42.
16«
244
Abschließende Tendenzen.
arzen mit kalke oder mit eygerklor
oder Mischung des guten mit faulem Wein *'"*).
In der Weberei brachte man es fertig, fremde Stoffe, wie
Werg und Haare verschiedenster Tiere der Wolle beizumengen.
Der scheinbar so moderne Begriff des „Shoddy," des aus von
zerzupften Lumpen gewonnener Wolle gewebten Tuches wäre
also nicht so ganz unerhört gewesen •'^^).
Aber auch untereinander mißhandelten die fromm vereinten
„Brüder" sich durch unschönes Abspannen der Gesellen und
Wegmieten der Häuser ^^2).
Das eigentlich Wesentliche jedoch sind nicht diese und
ähnliche Ausschreitungen der Individuen, so sehr sie nach der
Regelmäßigkeit der Verbote an der Tagesordnung gewesen sein
müssen ; sondern vielmehr die unbegrenzte Rücksichtslosigkeit,
mit der ganze Handwerkerverbände ihre Stellung nicht nur
gegen Konkurrenten, sondern zum schweren Schaden der Oeffent-
lichkeit ausnutzten, und das offenbar in voller Ueberzeugung ihres
Rechtes. Wir sehen das aus den Auflösungsgeboten, mit denen
der Rat die Innungen namentlich der Fleischer und Bäcker
in einer ganzen Reihe von Städten heimzusuchen sich veranlaßt
gesehen hat'''^). Würzburger Vorgänge des Jahres 1279
zeigen, daß auch andere Gewerbe nicht fleckenlos dastehen.
610) Meine Urkunden Nr. 340 und Nr, 341, 14. Jahrhundert.
6 1 1 ) Tucherordnung für Speyer von etwa 1280 § 9: Hilgard, Urkunden
Nr. 199 und S. 505; meine Urkunden Nr. 278. Während die Verwendung der
Haare gänzlich verboten wird, dürfen an Werg auf ein 42 Pfund wiegendes Stück
,,pheit"-Tuch drei Pfund genommen werden (§ i). Die Marktordnung von Lands-
hut von 1256 kennt Tuch aus Werg (rupfein), von dem drei Ellen für i d. gegeben
werden müssen, während von dem besten grauen Tuch eine Elle 10 d., also das
Dreißigfache kostet: meine Urkunden Nr. 231 § 22, § 2. ^ — Vgl. noch z. B. oben
S. 209 das „mullipliciter*' bei den Magdeburger Schwertfegern, das ,,multo-
ciens'' bei den Stendaler Leinwebern, das ,,cogi" bei den Halberstädter Filz-
machern.
612) Den Knecht z. B. bei den Basler „Marienbrüderschaften" der Kürsch-
ner 1226, der Bauarbeiter 1248, Knecht und Haus bei den Fleischern 1248.
Meine Urkunden Nr. 271 § 3, Nr. 272 § 2, Nr. 273 § 3.
613) In Köln die Brüderschaft der Fleischer 1348: vgl. oben S. 205. Der
Rat wollte das Fleisch gewesen haben, was die Fleischer ablehnten. — In Erfurt
löste der Rat im Einvernehmen mit dem Erzbischof 1264 die , .Innungen" der
Fleischer und Bäcker auf, was zur Folge hatte, daß jeder Einheimische wie Fremde
sein Fleisch und Biot'nach Erlegung des Zolles frei verkaufen konnte und dabei wie
jeder andere Bürger dem Gerichte des Schullheilkn unterworfen war. Zu Ausübung
Aufhebung; excedierender Zünfte. 245
Da dir l.^rkuiiden von erheblichem Interesse sind, sei es
gestattet, dabei zu verweilen.
Am II. August 1279 hob Bischof Berthold von Würzburg
auf das Geschrei aller Klassen der Einwohnerschaft hin '•'^) sämt-
liche Zünfte der Stadt '^•^) als schädhch auf^^^), besonders da sie
id efficiant, ne rerum commertia in predicta nostra civi-
tate libere valeant exerceri.
Zwei Tage nach dem Zeitpunkt, an dem die Verordnung
in Kraft treten sollte, am 2. Dezember desselben Jahres, ließ er
sie freilich wieder zu — aus Dankbarkeit für geleistete Kriegs^
dienste, aber unter Beschränkungen, die uns belehren, worin ihre
Uebergriffe eigentlich bestanden hatten ^^^).
Allgemein hatten die Zünfte ihre Gerichtsbarkeit über-
schritten und sie auf Prozesse über Schulden ihrer Mitglieder
gegenüber Fremden und selbst auf Kriminalsachen ausge-
dehnt ^i«).
Was aber ihr Verhalten im Gewerbsleben betrifft, so hatten
die Bäcker nicht täglich fnsch gebacken ^^^), die Roggenbäcker
nicht bloß im Brothause verkauft ^2^) und dort statt der allein
zulässigen Tische verschlossene Kisten eingerichtet ^^^), in denen
sie vermutlich das nichtverkaufte aufheben wollten, um es am
der Polizei aber schwur der Rat fürder jährlich zwei Fleischer und zwei Bäcker ein.
Eine Entschädigung des Erzbischofs für die bisherigen Einkünfte aus der Innung über-
nahm die Stadt. Beyer, Urkundenbuch der Stadt Erfurt, Bd. I (Gqu. der Prov.
Sachsen, Bd. XXIII) Nr. 185; meine Urkunden Nr. 291.
614) „Clamor validus .... ex parte prelatorum, cleri et populi civitatis". Mon.
Boica, Bd. XXX VU Nr. 433.
615) „Societates, corpora sive collegia civitatis que \TiIgariter zumpfte
nuncupantur."
616) „Quod per societates .... non solum clericis, laids et toti populo, verum
etiam divitibus pauperibus et omnibus dictam dvitatem nostrara frequentantibus, dis-
pendia, incomoda et gravamina generantur."
617) A. a. O. Nr. 435.
618) ,.Omnes societates pro omnibus debitis in quibus fuerint obligati cuicunque
persone, que fuerit extra ipsorum societatem, necnon pro vulneribus et omnibus ex-
cessibus qui vrevele nuncupantur, iuri Stent et pareant coram iudicibus nostris Herbi-
polensibus."
619) „Similatores et alii pistores singulis diebus non feriatis pistent, quod recens
panis albus et niger ab omnibus qui habere voluerint inveniatur."
620) „Pistores qui rockener dicuntiu' panem suum in domo- panis tantum
vendant."
621) „Ne aliquas dstis vel alias clausiuas habeant in ipsa domo, sed tantum-
modo scamna sua habeant, in quibus panem suum vendant."
246 Abschließende Tendenzen.
folgenden Tage noch alt an den Mann zu bringen *^^'^). Ferner
hatten sie die fremden Bäcker in ihrem Recht gekränkt, dreimal
die Woche von früh bis spät mit Weiß- und Schwarzbrot zu
Verkauf zu stehen "^s).
Ebenso hatten es die städtischen mit den fremden Fleischern
gemacht, die, wie die Würzburger selbst, ihre altgewohnte Ver-
kaufstätte in der Stadt besaßen *''2i). Ihnen das Fleisch zum
Wiederverkauf abzukaufen, wurde den Würzburger Fleischern
verboten, wie auch der Einkauf von mehr Vieh, als der einzelne
bezahlen konnte, und jede Vorbeschlagnahme von Vieh durch
irgend welche Künste und Behinderung der fremden Händler.
Die Zimmerleute sollten niemand hindern dürfen, an
seinem Bau einen fremden Zimmermann zu beschäftigen.
Die Schmiede mußten zugeben, daß jeder seine Pferde
beschlagen und sonst besorgen ließe, wo und wie er wollte, auch
wenn er einem von ihnen verschuldet war.
Die zünftigen Eierhändler sollten Eier, Hühner, Wild und
Käse von ihren fremden Kollegen erst mittags und nur auf dem
öffentlichen Markte kaufen und vor allem nicht in der Um-
gegend der Stadt. Den fremden dagegen , den „Reflfträgern"
ist die „Hofstatt" als Verkaufsplatz von alters zugewiesen.
Auch die Fischer sollen an Festtagen vor Mittag keinem
Fremden Fische abkaufen.
Besonders merkwürdig aber ist die Bestimmung, daß, wenn
ein Schuhmacher bessere Schuhe zu machen verstehe als ein
anderer in der Zunft, er nicht deshalb seinen Genossen zu irgend-
welchen Diensten verpflichtet sein solle.
Endlich werden noch die Beitrittsbedingungen geregelt.
Die Ratleute sind es, auf deren Bitten der Bischof die
Zünfte so wieder zuläßt; doch scheint ihr Fortbestand auch seinem
eigenen Wunsche entsprochen zu haben. Denn in der ersten
Urkunde verpflichtet er sich, sie vom 30. November ab aufzu-
622) ,,Ut cistas et alias clausuras, si quas iam habent in predicla domo, destrii-
ant et non presumant alias edificare."
623) „Extranei pistores, qui voluerint, album et nigrum panem tribus diebus
in qualibet septimana ducant ad civitatem Herbipolensem et ibi Stent, si voluerint,
a mane usque in sero."
624) Es genüge, die Bestimmungen über die Bäcker im Wortlaut angeführt
zu haben.
Der Ausgleich der Gegensätze. 2^J
heben ''*5). Es wird sich dabei zum Teil um Einkünfte gehandelt
haben, die ihm aus Eintritts- utid Strafgeldern zugeflossen sein
mögen. Allein sie bildeten auch ein unentbehrliches Werkzeug
seiner städtischen Marktordnung, für die es ganz etwas anderes
bedeutete, ob, wie in Erfurt zwei oder gleich alle Zünfte aufge-
hoben werden sollten. Deshalb standen hier Stadtherr und Rat
zusammen. Nur die unverständige Menge hoher und niederer
Kreise wollte das Kind mit dem Bade ausgeschüttet sehen.
Jedoch eine Beschneidung üppigster Auswüchse hatte sich immer-
hin als unabweisbar gezeigt.
Das eben ist es, was ich hervorheben möchte. Die Ausge-
staltung der schönen Harmonie des vollentwickelten Zunftwesens
hatte des Kampfes widerstrebendster, ei genützigster Mächte bedurft:
auch hier ist, wie so vielfach in der Geschichte, die Kraft an
der Arbeit gewesen, die stets das Böse will und stets das Gute
schafft.
Die Handwerker waren ihren eigenen Interessen nachge-
gangen, wo nur ihr Wettbewerb ihrem Eigennutz die verderbliche
Spitze abbrechen konnte. In ihren Verbänden jedoch hatte es
den Einzelnen zuerst zur Besinnung auf das Wohl größerer Ge-
meinschaften geführt.
Auch die Obrigkeit hatte mit ihrer Marktorganisation ihre
besonderen Zwecke verfolgt, die freilich zugleich für eine Ord-
nung im Sinne des allgemeinen Besten den Grund legte, aber in
ihrer schematischen Art für eine gedeihliche Entwicklung des
Erwerbslebens durchaus nicht genügte. Die Bestrebungen der
Handwerker erst trugen das nötige Element der Freiheit hinein,
Bestrebungen jedoch, die, völlig sich selbst überlassen, schlechthin
zum Chaos geführt haben würden "^e).
Einen Innern Ausgleich fanden die Gegensätze erst, als der
Rat das Heft in die Hand genommen hatte. Indem die städti-
schen Behörden die Motive der Handwerker, soweit sie mit dem
625) A. a. O. Nr. 433, S. 508 (Aufschub bis Andreae): „Quo elapso revo-
cationem huiusmodi cum effectu promisimus fide data ad manus . . prepositi et . .
decani capituli nostri nomine ipsius capituli et per presentes promittimus publicare et
quantum possumus dare operam efficacem, ut corpora . . . dissolvantur." Vorher noch
„nos et nostros successores ad hoc .... obligantes."
626) Schmollers vielbesprochener Satz, „das Zunftwesen ist nationalökonomisch
überhaupt nicht zu erklären" (Straßburg z, Z. der Zunftkämpfe, S. 8), ist unanfecht-
bar, wenn er, wie man doch annehmen muH, heißen soll, daß das Zunftwesen nicht
das Ei^ebnis eines bloßen Spieles wirtschaftlicher Kräfte war.
248 Abschließende Tendenzen.
öffentlichen Interesse vereinbar waren, sich zu eigen machten,
fand die Entwickelung ihren natürlichen Abschluß.
Der Rat war es, der sich die Wahrnehmung des Lebcns-
wohles aller Klassen der Bürger in gleicher Weise angelegen
sein ließ: ganz anders als der beste, doch immer neben persön-
lichen Interessen mehr von hohlen Theorien geleitete Bischof.
Der aus den erfahrensten und einsichtigsten Bürgern gewählte
Rat besaß allein das wahre Verständnis für das, was not tat.
Er erst war durch die Natur seines Amtes und durch seine
eigene, im besten Sinne freie Herkunft in der Lage, die Voraus-
setzungen dafür zu schaffen und zu regulieren, daß die Produzen-
ten ihr gleichmäßiges Auskommen hatten, wie daß die Konsu-
menten an Qualität, Menge und Preis befriedigende Waren
erhielten. Er ließ ebensowenig Preisdrückerei wie Preistreiberei
zu, noch die völlige Aussperrung von Händlern mit Dingen,
die in der Stadt nicht oder nicht so hergestellt werden keimten.
Die Bedeutung der Schöpferkraft des ersten Gedankens
dieses Systems der Billigkeit für Alle soll dabei nicht verkannt
sein. Allein ohne den rechten Boden vermag der Same nichts.
Da aber fragt es sich noch, ob in der Tat in den städtischen
Körperschaften die kanonische Lehre es gewesen ist, die so
treffliche Früchte getragen hat; oder ob es nicht im Grunde
vielmehr das ausgestaltetere Weiterwirken der uralt deutschen
Gemeindefürsorge war, die einst nach dem Berichte der Römer
jedem der Dorfgenossen jährlich sein gleichgewürdigtes Stück
Ackerland zugemessen hatte.
Endlich jedoch mußten diese Gedanken, die sie durch ihre
frei gesetzte Obrigkeit täglich betätigen sahen, auch bei den
Handwerkern Eingang finden. Es mußte den Einsichtigeren
unter ihnen einleuchten, daß nur, wenn man darin den Intentionen
der für die ganze Stadt besorgten Herren genau entsprach, den
Zünften die eigene Handhabung der Gewerbepolizei und alles
dessen, was damit zusammenhing, überlassen bleiben konnte. Ja,
bald auch, daß nur bei wahrer Pflichterfüllung gegen die Mit-
bürg-er, nur bei möglichster Gleichmäßigkeit in der Güte der
gelieferten Arbeit und Ware von selten aller für Genossen-
schaften so eigentümlicher Art wirklicher Bestand zu erhoffen
war. Nun auch erst schlug in den Gemütern die Idee Wurzel,
daß man in seiner Arbeit in der Tat eines Amtes walte zum
öffentlichen Besten. Allein, das alles war nichts Selbstverständ-
Abschluli der Stadtwirtschaft.
249
liches: man muß eben auch hier stets auf die lebendigen Men-
schen und ihre Motive zurückgehen. Dadurch allein wird sonst
Befremdliches uns verständlich: denn die Menschen waren damals
nicht anders als heute.
Daher sehen wir denn, daß auch in der Folge der Rat
stets die Zügel straff halten muß: eine Lockerung läßt sogleich
die eigensüchtigen Triebe von neuem die Oberhand gewinnen.
Ja, man kann es recht gut verfolgen, wie nach anfänglicher Ueber-
lassung weitest g^ehender Autonomie es sich später nötig zeigte,
die Ratsaufsicht bei den einzelnen Verbänden neuerdings zu
verschärfen ^*^).
Ob der Rat freilich auf die Dauer, eine solche Herrschaft
auszuüben, sich in der Lage befand, das war in der einzelnen
Stadt reine Machtfrage *'**). Auf die späteren Zunftkämpfe und
ihre Anlässe einzugehen, ist hier jedoch nicht der Ort.
Was aber die Gegensätze der Entstehungszeit betrifft, so
war es, wie gesagt, der Rat, unter dessen verständnisvoller
Herrschaft sie zu harmonischem Abschluß gelangten.
Aber — dem Rate lag nur das Wohl seiner Stadt am
Herzen: das Opfer wurden die Fremden. Hatte einst, nachdem
dem einheimischen Gewerbe zu Liebe mit dem älteren Freihandels-
system gebrochen worden war, der Erwerb der „Innung" im
Prinzip den Fremden noch die ungehinderte Beteiligung an dem
städtischen Verkehr fürder ermöglicht, so sollte bald — wahr-
scheinlich schon sehr bald — die Errichtung der „Innung" für
627) Bezeichnend ist, wie in Hildesheim den vereinigten Krämern,
Harnischmachern, Handschuhmachern und Riemenschneidern bei Ver-
leihung der Innung am 27. Mai 13 10 (vgl. Anm. 629) gestattet wird, sich jährlich
zwei Aeltermänner, ,,senatores", zu wählen, während bei dem gleichen Anlaß noch in
demselben Jahre den Hut- und Filzmachern und am 16. März 1328 selbst den
Kürschnern, deren Amt
ab antiquo dignius et magis gratum aliis officiis habebatur,
der Rat den Aeltermann jährlich zu setzen sich vorbehält Do ebner, Urkundenbuch
der Stadt Hildesheim, Bd. I, Nr. 6t 2, Nr. 617, Nr. 786. Auf das gröliere oder ge-
ringere Ansehen der Zunft also kam es dabei nicht an. — Nachträglich bemerke ich
zu meiner Vermutung oben S. 146, daß im Jahre 1246 die Stadt Hildesheim 14 „hallos
sutorias" und l'^ „hailas ad mercatorum negocium deputatas" g^en einen Jahreszins
von 28 s. vom Johannisstift gekauft hatte. Doebner, Nr. 195. Das macht den
Erwerb auch der nach der Urkunde von I195 dem Andreasstift geschenkten nur um
so wahrscheinlicher.
628) Uebrigens war politische Macht der Zünfte im ganzen durchaus nicht
gleichbedeutend mit weiter Autonomie der einzelnen Verbände. Vgl. namentlich
Fromm, Frankfurts Tex tilge werbe, bes. die Tabelle auf S. 40.
250
Abschließende Tendenzen.
ein Gewerbe gerade umgekehrt den Ausschluß der betroffenen
Gäste vom Markte der Stadt bedeuten. Es ist nicht uninteressant,
wie noch im Jahre 13 lo in Hildesheim die vereinigten Krämer,
Harnischmacher, Handschuhmacherund Riemen Schneider
sich eben zu diesem Zwecke vom Rate die Innung verleihen
lassen *'2^). Und bei den nicht so ausführlich motivierten Ver-
leihungen an die Hut- und Filzmacher in demselben Jahre, so-
wie an die Kürschner 1328 muß man doch wohl annehmen, daß
die Wirkung dieselbe gewesen ist. Bei all diesen Gewerken hatte
also in Hildesheim bis in das 14. Jahrhundert der Markt den
Fremden zum Verkaufe noch völlig offen gestanden. Man sieht,
wie spät im Grunde erst das Stadt wirtschaftliche System zum Ab-
schluß gekommen ist.
Die Aussperrung der Fremden jedoch war der erste Schritt
vom Wege.
Es währte nicht mehr lange, bis auch im Innern der Bürger-
schaft die abschließenden Tendenzen immer mehr die Oberhand
gewannen. Nun wurden die Aufnahmebedingungen erschwert,
die Mitgliederzahl der Zünfte eingeschränkt. Es war der Sieg
des Eigennutzes. Es war mehr: es war der Abfall von dem
Prinzip, dem die Zunft und das Handwerk selbst ihre Blüte ver-
dankt hatten.
Dies Prinzip war das der Freiheit gewesen.
Die Obrigkeit hatte den allgemeinen Rahmen der äußeren
Ordnung und der Rechtssicherheit geliefert. Das Aufblühen hatte
beruht auf wirtschaftlicher Unabhängigkeit und dem Streben
nach größerer Bewegungsfreiheit. Die freudige Unternehmungs-
lust war eingeschlafen. An ihrer vStelle hörte man den Ruf nach
Schutz, Schutz des heimischen Gewerbes. Die wirtschaftliche Un-
abhängigkeit schränkte man jetzt ein.
629) „Quamvis isti sint de diversis officiis, volumus tarnen eos omnes vocari
institores et pro institoribus haberi, officium cum sit unum." Die Genannten be-
schweren sich beim Rat : „quod hospites de diversis terminis huc venirent et in pre-
iudicium Ipsorum hie sua mercimonia venderent, ilHs venditis recederent et nulluni ius
nee aliqua debita nostre facerent civitati." Als Schutz dagegen erlangen sie vom Rat
,,unionem", also die Innung, was sich darin äußert: „ne aliquis sc intromittat
nunc inantea de eorum officio" außer gegen Zahlung von 30 s. an den Rat und i %
an die Krämer, worauf sie den Betreffenden vor dem Rat in ihre Innung aufnehmen
und er den beiden ebenfalls nunmehr von ihnen gewählten ,,senatores" und ihren "Will-
küren gehorsam sein muß. Vgl. Anm. 627.
Rekapitulation. 25 1
Das Vorhandene, in seiner Weise bis dahin freih'ch durch-
aus unentbehrh'che, sollte geschützt werden. Aber es konnte ge-
schützt werden nur auf Kosten aller frischen, jetzt erst von unten
aufstrebenden Elemente. Alles Vorhandene stirbt ab, mag es einst
noch so groß gewesen sein. Die Schutzmaßregeln aber, mit denen
man das Ueberlebte trotz allem zu erhalten suchte, haben nur
bewirkt, daß nichts Neues, Lebensfähiges rechtzeitig an seine
Stelle trat.
Unabhängige Handwerker hatte es in Deutschland von je-
her gegeben.
In den Städten wurde von deren Anfängen an, oder, was
ziemlich auf dasselbe hinausläuft, seit das karolingische Ge-
schlecht die Ordnung des Volkslebens zum ersten Male ener-
gisch in die Hand nahm, ihre Tätigkeit der Aufsicht durch die
öffentlichen Beamten unterworfen. Diese Kontrolle war ein Teil
der Marktkontrolle; denn es handelte sich dabei um die gelieferte
Ware. Mit der gesamten städtischen Regierung ging auch dieser
Teil in die Hände der Bischöfe über. Die Bischöfe, wie andere
große Herren hielten sich zwar Hofhandwerker für den un-
mittelbaren täglichen Bedarf, aber sie waren nie auf deren Dienste
angewiesen, wie die Klöster auf dem Lande, die auch die Ordens-
regel verpflichtete, ihre Lebensbedürfnisse nach Möglichkeit inner-
halb der Mauern zu decken. Die Exemption der Hof hand werker
von den öffentlichen Lasten aber bewirkte ihren Ausschluß vom
Markt und ihre Beschränkung auf den Herrendienst
Die Ausübung der Marktkontrolle führte zur Gruppierung
der Verkäufer nach ihren Waren, der ansässigen aber nach ihrem
Gewerbe und somit zur Scheidung der Bürger und Gäste. J)!®.
Gewerbej5olizei und Gerichtsbarkeit lag anfangs dem ordentlichen
Stadtrichter ob. wurdg_Uäufig aber auch einem besonderen Ver-
waltungsbeamten,wie dem Kämmerer, übertragen, und das
Gericht bildeten regelmäßig dreimal jährliche Versammlungen.
Das Anwachsen der Handwerkerzahl infolge der Einwande-
rung benötigte jedoch eine Verschärfung der Gliederung. Die
Aemter erhielten eigene Meister, die nun Gericht hielten und,
häufig unterstützt von einem Ausschuß, die Polizei übten. Dem
ministerialischen Beamten blieb nur eine allgemeine Aufsicht.
Die geistlichen Oberherren aber begünstigten den engeren Zu-
sammenschluß in der Form frommer Brüderschaften.
2^2 Rekapitulation,
Jedoch die städtischen Handwerker wünschten, wie einst
die Hofarbeitcr, so nun auch die Fremden vom städtischen Markt
ausgeschlossen zu sehen. Das war der Inhalt ihrer Einungen,
die von der Obrigkeit verboten wurden. Es scheint, daß es in
Norddeutschland, wo die „Innung" weiteste Verbreitung fand,
durch sie auch beitretenden Gästen der Markt noch eine Zeitlang
offen zu halten gelungen ist. Das Ende aber war hier wie
überall die Herrschaft der stadtwirtschaftlichen Idee, wonach die
Fremden sich die lästigsten Beschränkungen gefallen lassen
mußten.
Daß innerhalb der Stadt der Zunftzwang auf so wenig
Widerstand gestoßen ist, erklärt sich aus dem Marktzwang, dem
jeder von Anfang an in ähnlicher Weise unterworfen gewesen
war: weshalb wir ihn denn auch in Städten ausgeübt sehen, in
denen es gar keine selbständigen Zünfte gab, sondern die Obrig-
keit sich die unmittelbare Regelung des Gewerbewesens dauernd
vorbehalten hatte. Im übrigen war es nur Mittel zum Zweck.
Der stadtwirtschaftliche Abschluß aber, so wenig er sich je
hat vollständig durchführen lassen, die Konkurrenzfurcht, die ihn
bewirkte, bedeutete nur den Anfang immer wachsender ungesun-
der Schutz- und Absperrungsmaßregeln auch im Innern, die
endlich die Verkümmerung des ganzen Instituts und den Zu-
sammenbruch des deutschen Handwerks bewirkt haben.
Im übrigen ist das nur ein Teil der allgemeinen Ab-
sperrungsneigungen aller Kreise des deutschen Volkes gegen-
einander.
Und so spiegelt die Geschichte des deutschen Handwerkis
nur im kleinen die der Nation wieder, deren Geschicke es auch
im großen geteilt hat.
Register.
Die Zahlen bedeuten, wenn nicht ausdrücklich „n." davor steht, die Seite.
Aachen: Capitulare, Hofordnung i6f. ;
Kirchenbau n. 58 ; Edictum Pistense
44; Stifthandwerker 67.
Allensbach: Gründung 46 f.; villani
mercatores 68, 73, n. 176.
Altenmünster: Stifthandwerker n. 173.
Arras: adulterina servitus n. 170.
Asnapium: Krongut 13 ff., n. 37, n. 40.
Augsburg: Handelsgericht des Burg-
grafen n. 160; Gewerbegericht 151,
n. 400; Gelegenheitshändler n. 169;
Hof- und Heerfahrt n. 230; Aemter
137; Zünfte 151, 190; gwander,
kramer, hüter, wizmaler n. 386;
Fleischer n. 386, n. 400; Bäcker
n. 400 ; Wurstmacher n. 400, n. 456,
239; Zunftzwang 190.
Basel: Bürgerfron 78 , 85 , n. 232 ;
gewerf n. 232; Viztum 157, 159 ff.,
n. 4 1 2 ; Ministerialen 1 58 ff. ; Kürschner
n. 338a, 158 f-^ 173' ^30, n- ^12;
Bauarbeiter etc. i^J., ibj f.~ 173,
230, n. 612; Metzger n. 338a, 15KI.,
173, 230, n, 612; Bäcker 159^ 173,
220, n. 583; Gärtner etc. 163 f., 173;
Weber 163 f., 173; Schneider 164,
173; „Marienbrüderschaften" 173 ff.,
17O; Zunftmeister 161 f.; Schultheiß,
Handelsgericht n. 421; Lehnbuch n,
408 ff. ; Bulgenampt n. 410; Doppel-
zünftigkeit 182; Einung 193.
Berlin: Bäcker n. 557 (Meisterstück n.
552); Kürschner, Schuster, Schneider,
Wollweber n. 557 ; Innung, opus 222.
Bödeken: Klosterhandwerker 39 f.
Br.a4inschweig: Vt^t 19O: Alte Wik
196 f.; inninge 196 ff., n. 510, 222 f.;
Antiqua Civitas 1 96 f., 207 ; Hagen
197; I^kenmacher 197, 207, 209;
Goldschmiede 207 f.; vetk 222; un-
echtes Sladtrecht n. 300.
Bremen: Hakenstraße n. 381.
Breslau: Brot- und Schuhbänke 215;
Schrotamt 215 f.; Wage 216; Innung
216 f.
Breisgau: Weinhandel n. 144.
Corbie: pisüis n. 39; Klosterhandwerk
30 ff.
Corvey: magister carpentariorum n. 61;
Landhandwerker n. 1 23 a.
Deutz: Wollen weber, Schauhäuser 147.
Dortmund: Reinholdsgilde 187, 232.
Duderstadt: Bäckerhaus 148; Innung,
Werk n. 560 ; Stadtrecht n. 500, n. 560.
Duisburg: Fischhandel 37; Pelzhandel
168.
Elsaß: Weinhandel n. 144.
Erfurt: gadimen , tuguria 145; Auf-
lösung der Fleischer- und Bäcker-
innung n. 613.
Essen: Hofämter n. 61.
Farfa: Klosterhandwerker 28 f., 33.
Frankfurt: Gewandschneider 184, 235;
Einung n. 547.
Freiburg i. B. : Leistungen der Hand-
werker zur Hof- und Heerfahrt n. 230,
87 ; lobiae, macelli, bancbi panum.
Ratmannen 1 46.
F r e i s i n g (Weihenstephan) : Stifthand-
werker 71,
Friemersheim: Krongut n. 10.
Geisenfeld: Hausgenossen n. 50 ;
Pfründenordnung n. 130.
Gersdorf: OfTiciales, Schmiede, Schuster,
Weber, Schneider, Bäcker, Fleischer,
Kürschner, Brauer, Wirte n. 509.
Goldberg: Innung 211.
Goslar: Innung, Brüderschaft, Gilde,
254
Register.
kumpenye 194 f., 203; Münzer 194;
Zimmerleute 195 ; Weber 195, 203,
n. 509.
Hagenau: magistratus und locus n. 382.
Halberstadt: Verwaltung von Mal5 und
Gewicht 128 f, ; Kämmerer n. 258;
Schuhmacher n. 258, 202, 207, 209;
"Wollenwebern. 258, 202, 203, n. 509,
n. 578a; Hutmacher n. 258, 226, 229,
n. 578a; Krämer 153; Filzer 209,
n. 611.
Halle: Schuhmacher n. 503; Recht für
Neumarkt (Innung der Bäcker, Fleischer,
Schuster) 218 ff., n. 573, n. 579,
Hamburg: Maf^ und Gewicht 130;
Böttcher n. 587 ; Fischer n. 601.
Hameln: Schultheiß 151 n, 400, 215;
sprake n. 402, 212, 215; Innung
(Kauf) 212 lt., 217, (VererlDung) 226;
of ficia, operarii manuales 213; copfart
214 f . ; burscap 2 1 4 f . ; Knochenhauer
n. 400, 213, 226, n. 573, n. 597;
Bäcker n. 400, 213; Weber n. 400,
213, (Frauen) n. 574; Schneider 213,
222, n, 573; Höker 213 f., n. 573;
Fläminger 213, n. 573; Krämer 215,
n. 534 ; Wandschneider 214 f . ; Kuterer,
Schmiede, Kürschner, Harnischmacher
213-
Hannover: Maß und Gewicht 130.
Heidingsfeld: Einung 193.
Helmstedt: Krämer 207, 209, 229;
Schneider 227.
Hildesheim: area, loca, magister suto-
rum 146; forum panis 146; Leineweber
153; Aemter der Neustadt 1 54 ; Damm-
stadt n. 399 ; Krämer, Harnischmacher,
Handschuhmacher , Riemenschneider ,
Hut- und Filzmacher , Kürschner
(Meisler) n. 627, (Innung) 250; fremde
Händler 250,
Koblenz: Hofämler n. 61; ungemessene
Dienste n. 135; Zöllner 153, n. 400,
n. 403 ; Schuhmacher n. 4P0, n. 403.
Köln: Hofhalt des Erzbischofs 42 f.;
Edictum Pistense 44; Marktplatz,
Budenreihen zahlreicher Gewerbe 1 40 ff. ;
Eigentum am Marktplatz 142 f.;
Trockenlegung 179; Backhäuser n. 362 ;
Wollenweber 233, (Deutz) 147;
Drechsler 175 f., 181, n. 482, 229;
Bettziechenweber 177 ff., 184, n. 482;
Hutmacher 177, n. 482; Kistensitzer
238; Fleischer (Einung, vleishampt)
205, n. 613 ; Gilde 231 f., in England
i8b, n. 477.
Konstanz: Hof band werker n. 165.
Landshut: Maß und Gewicht 130;
Marktordnung 131 f.; Tuchordnung
n. 611; Einungen 190, 194; Zunft-
zwang 190; Bäcker, Becherer, Schlachter,
Scbuhflicker , Walker , Weber 1 90 ,
(noch andere Gewerbe 131 f.),
Leisnig: Burggraf 203 f. ; Innung 203 f.
Löwenberg: Weinverkauf n. 586.
Lübeck: Hofbäcker 73; Kämmerer n.
258 ; Gewerbekonzession 221 f. ; Kerzen-
gießer, Hanfspinner, Stockfischweicher
221; Bäcker n. 556; Knochenhauer
n. 258, 221, n. 556, 234; Fischer,
Fischhändler n. 601 ; Lübecker in
England 186,
Lüneburg: Innung n. 510, 223 ff.; n.
224, 225 ; Höker, Bäcker, Kürschner,
Fleischer, Weber, Schneider, craterarii
n. 563 ; Krämer 224, n. 563 ; Gerber
224, n. 563; Schuster 224, n. 563,
225 f.; Schmiede 224, n. 563; Scheiden-
macher 224; Fischer n. 601; Neu-
bürger-Verzeichnisse 224, 231.
Lüttich: Hofdiener und Markthändler
63 ; Zollfreiheit 68.
Maastrecht: Hofdiener und Markt-
händler 63.
Magdeburg: Innungsrecht 220; Schild-
macher und Sattler 177 f., 206, 207;
Schuster 201 f., 207; Schwertfeger
208 f., 229, n. 61 1; Gewandschneider
200, n. 521; Gerber n. 503; Burg-
graf n. 502.
Mainz: Gewandschneidergaden 145, 235,
238; Schuhmachermarkt 145; Weber
174, 176, 239; Domkustos 174.
Mecklenburgische Städte und Innung
21 1 f.
Meschede: macellum n. 363.
Minden: macellum n. 363; Bäcker-,
Scharren-, Hokenstraße n. 381.
Mühlhausen: Burggraf 202; Hutfilzer
202.
Muri: pisilis 16; Bauarbeiter n. 57;
Handwerker n. 85 a; Einkäufe im El-
saß und Breisgau n. 144.
Neu markt: Innung der Bäcker, Fleischer,
Schuster 218 ff., n. 503, n. 573, n.
579.
Neuweiler: Klosterhandwerker n. 173.
Osnabrück: Gildeurkunden n. 338a;
Schneider, Schuster, Gerber, Kürschner,
Gewandschneider , Krämer auf dem
Markt, Bäcker und Heischer im Rat-
hause n. 381; Fleischer n. 446;
Wollenweber (Innung) 223.
Register.
255
Parchim: Innung 211.
Perlebcrg: Schuhmacher 207 — 211, n.
508, n. 509.
Petershausen: Klosterhandwerkern. 86.
Plau : Innung 21 1.
Prüm: Back- und Brauhäuser n. 47;
Wein- und Sialzhandel n. 146.
Quedlinburg: Weber 203, n. 509.
Regensburg: Kämmerer n. 258; inter
tonsores 1 40 ; Gademer, Kordovaner,
Schreiner, Schuhmacher, Schuhflicker
(ius trium stratarum) 240 f.
Reichenau: Handwerker (Fischer,
Bäcker, Köche, Walker, Winzer) 19,
46; Verkehr mit Italien 26; Stadt-
gründungen 46.
Saint-Germain: Hörige Handwerker n.
85 d.
Saint-Riquier: Stadtanl^^e n. 113.
Saint-Trond (Kloster): husgenot n. 50;
fenestrarius n. 54 ; Klosterhandwerker
38 ff.; Stärke des Konvents n. loi ;
Ablösung der Handwerkerpräbenden 53.
Saint-Trond (Stadt): Bäcker, Brauer,
Gerber 38 ff., n. 404 ; Walker und
Tuchscheerer 39, 180 f.; Kustos n.
469, 181 ; Walkhaus 181.
St. Gallen: Turmbau n. 56; Kloster-
handwerker 25 ff.
St. Maximin: carpentarius n. 54; Bau-
fron n. 55; Dienstlehen n. 131.
St. Polten: Lederer 229 f.
Schlesische Städte : Fleisch-, Brot- und
Schuhbänke 146, 215 ff., n. 586, 235 f.
Selz: Klosterhandwerker 72.
Soest: Maß und Gewicht 129 f.
Speyer: Exemption der Hofdiener 62;
Freiheit der Bürger 76 f.; Tuchordnung
n. 611.
Staffelsee: Klosterhandwerker 30.
Stendal: Krämer, fremde, n. 340a;
domus pellificum, macella carnificum,
theatrum 148; Gilde 182; Gewand-
schneider n. 521; Weber („Innung")
n. 550 f. ; Leinweber 209, n. 611.
Straß bürg: Haushalt des Steitemeisters
43 ; Edictum Pistcnse 44 ; bäuerliche
Händler n. 126; Weinbann n. 143,
75; Weinhandel n. 144; Stiftsdiener
63 ff., n. 234; Ministerialen n. 156,
65 ff.; Burggraf 157, 161, 165 f. und
Schultheiß 65 f., 152; Zollfreiheit 68 ;
Bürgerfion 77 ff; Leistungen der H.ind-
werker 79 ff.; burggräflicbe Handwerke
nach dem Stadtrecht und nach dem
Vertrag von 1263 82 ff.; „mercatores"
84 f. ; Hof- und Heerfahrt 85 ff. ; keine
Steuer erwähnt n. 233 ; „sumptus de
re publica" 87 ; Stellung der Münzer
88, (Münzverwallung 90 ff.) ; Becherer
des Bischofs 88 f. ; Aemter 137, n. 406 ;
antwerk 166, 222; Meisler, magistratus
165 ff. ; familia 88, 166 f.; officia
publica 166 f.; officiati inter pellifices
165 ff., 239; Zunftzwang 190; Back-
häuser und ihre Einung n. 338a, 193,
228, n. 571.
Strehlen: Fleischbänke u. ä. 236.
Tiel: Gilde 186 f., 232.
T-rachenberg: Fleischbänke u. ä. 236.
Treola: Krongut n. 31 f.
Trier: Bürger, Inhaber von St. Maxim iner
Dienstlehen n. 131 ; cives exempti a
inrisdictione sculteti 70 ; Bürgerfron 78 f.,
85, n. 248, 97; Liber annalium iurium
92 ff., (Datierung loi ff.); Kammer-
handwerker 93 ff. , 239 ; Kämmerer
94 ff., 153; Münze 94; Juden 95,
Krämer 95 ; Schultheiß 95 f. ; Iura et
instilutiones 97, (Datierung 102 ff.);
„Kammerherren" der Loher und Schuh-
macher 97 ff., n. 503; Aemter 137;
Zunftzwang 1 90 ; Meister der Kürschner
etc. 167 f.; Brot- und Fleischhäuser
und -gassen 147, 235, n. 362; Schrot-
amt n. 542 ; Frischer n. 601 ; Ungeld 106.
Ulm: Gäuweber n. 126.
W^eidenau: Innung, Fleisch-, Brot-,
Schuhbänke, Korn-, Walk-, Loh-,
Schleifmühlen, Badestuben, 217 f.
W^eihenstephan : Stifthandwerker 71..
Werden (Abtei): Hof Friemersheim n.
10; Hofhandwerker 35 ff., n. 173a;
Landhandwerker n. 123a; Lieferungen
der Außenhöfe n. 146; Geldzinse n.
148; Ueberschüsse n. 149a; die
„Meister" 158.
Werden (Stadt): Handwerker auf Abtei-
gut n. 173 a.
Wien: Kämmerer 94, 153; Flandrer
94. 153.
Wiener-Neustadt: iudex 152, n, 400,
n. 405 ; Fleischhacker, Füttrer, Schwert-
feger, Leinwandhändler, Altschuster,
fremde Krämer, Schuhmacher, Bäcker,
Färber, Walker, Weißgerber, Wagner
und Schreiner, Seiler, Faßbinder, Bier-
brauer, Oelhändler, Hutniacher, Woll-
weber n. 400 ; Fragner n. 400, n. 405 ;
Zunftzwang 191 ; Innung 212.
Wittstock: Innung 211 f.
! Wohlau: intronisationes, iniungere n. 546,
222 ; Fleischbänke u. ä. 236 f.
256
Register.
Worms: homines fiscales (Edikt Bur-
chards I) 62, n. 4156; ministri und
publici mercatores 67 ; Freiheit der
Bürger 76 f. ; Schiffszöllner, Büttel
n. 456, 239; Weber n. 456, 239;
Fischer 237, 239.
Würz bürg: Backhäusern. 362; Kämmerer
n. 258 ; SchultheiH n. 258 ; officium
magistri pistorum n. 437 a; Domkustos
n. 602; Schuhmacher n. 258, 174 ff.,
229, 234, 246; Schuhmacherflauen 234;
Weinschröter 238, 239 f.; Aufhebung
aller Zünfte 244 ff. ; Bäcker 245 f. ;
Fleischer, Zimmerleutc, Schmiede, Eier-
händler, Reffträger, Fischer (Fisch-
händler), fremde Händler 246 ; Lein-
wandhaus 148; s. a. Heidingsfeld.
Verbesserungen.
S. 86 Anm. 232: „fünftägige" zu streichen.
S. 96 Anm. 258: statt „VII" lies „VHI S. 156".
S. 153 Anm. 392 und S. 156: vgl. auch noch den Trierer Schultheißen
oben S. 95 f.
S. 183.^0: lies ,,Ge Werbegerichtsbarkeit".
S. 191,,: lies „insofern".
DiiKk von Aiit. Kämpfe, Jona.
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