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Full text of "Aemter und zünfte. Zur entstehung des zunftwesens"

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K-^'bS'boue. 


Aemter  und  Zünfte. 


Zur 

Entstehung  des  Zunftwesens 


von 


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DK  K  KEUTGEN 

a.  o.  Professor  an  der  Universität  Jena. 


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Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 
1903. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Goswin  Freiherrn  von  der  Ropp, 

meinem  verehrten  Lehrer, 


gewidmet 


Inhalt 


Seite 
Einleitung i — 5 

Allgemeine  Ueberschätzung  der  Gnindhenschalten  i  ff.  —  Mit  ihr 
steht  und  fällt  die  Lehre  von  dem  hofrechtlichen  Ursprung  der  Zünfte 
2  f.  —  Kein  Gegensatz  zwischen  historischer  und  nationalökonomischer 
oder  juristischer  Methode  3.  —  Inhalt  jener  Lehre  3  ff.  —  Lücken 
der  G^enbeweisführung  5. 

L  Kapitel.     Die  Handwerker  im  Capitulare  de  Villis 6 — 17 

Keine  Handwerksorganisationen  7  ff.  —  Bedeutung  der  Ausdrücke 
niagistet  8  —  servus  9  —  iunior,  ministerialis  10  —  ministcrium 
10  f.  —  officium  II.  —  Die  arlifices  1 1  f f .  —  Die  Genitien  11.  — 
Andere  gewerbliche  Anstallen  12.  —  Freie  Handwerker,  provendarii 
und  beneficiati  12  f.  —  Die  Brevium  Exempla  13.  —  Bedeutung  von 
pisilis   15.  —  Andere  karolingiscfae  Ordnungen   16  f. 

n.  Kapitel.     Die  Handwerker  der  Grundherrschaften 18 — 47 

Die  Frage  18.  —  Das  Handwerk  auf  dem  Lande  überhaupt  18  f.  — 
Spezialisierung  in  großen  Betrieben.  Walker  19.  —  Rei9henau  19.  — 
Bäcker  und  Brauer  19  —  (in  Prüm  Anm.  47).  —  Diese  Handwerker 
ein  Teil  der  Hausdiener  20.  —  Meister  und  Gehülfen  21  ff.  —  Die 
Hofämter  24.  —  Die  Handwerker  im  Kloster  St.  Gallen  25  ff.  — 
in  Farfa  28  f.  —  in  Staffelsee  30  —  in  Corbie  30  ff.  —  (in 
Muri  Anm.  85a).  —  Die  Benediktinerregel  34  f.  —  Die  Handwerker 
(in  Reichenau  und  Petershausen  Anm.  86)  —  in  Werden 
35  ff.  —  in  Saint-Trond  38  f.  —  in  Bödeken  39  f.  —  (Mit- 
gliederzahl bei  „Amt",  „Magisterium",  „Bruderschaft"  Anm.  102).  — 
Gegensatz   klösterhcher   und   bischöflicher  Wirtschaft   41  f.    —   Haus- 


VI  Inhalt. 

Seite 
halt  des  Erzbischofs  von  Köln  42  f.  —  Unabhängige  städtische  Hand- 
werker    seit    dem     9.    Jahrhundert    43  f.    —    Wirtschaftspolitik    der 
Bischöfe  44  f.  —  Klosterstädte:    Saint-Riquier,  Aliensbach  48. 

III.  Kapitel.     Die  grundherrliche  Wirtschaftsweise  und  der  Markt  .  48 — 60 

Uebergang  vom  Herrendienst   zur   freien  Arbeit  fiir  den  Markt  48  ff. 

—  Lex  Burgundionum  49  f.  —  Gemessene  oder  ungemessene 
Dienste  ?  50  ff.  —  Zwei  Klassen  von  unfreien  Handwerkern  50  ff.  — 
Die  hörigen  Landhandwerker  und  der  städtische  Markt  52.  — 
Dienst  und  Amt  53  f.  —  (Geisenfeld  Anm.  130,  St.  Maximin 
Anm.  131).  —  Persönliches  und  korporatives  Amt  55.  —  Die 
Grundherrschaft  kein  geschlossener  Wirtschaftskreis  56  ff.  —  Ver- 
kauf der  Ueberschüsse  56  ff.  —  (Weinbann  Anm.  143).  —  Ein- 
käufe in  der  Ferne  57.  —  Geldzinse  58.  —  (Geldgeschäfte  Anm. 
149a).  —  Ausdehnung  des  Fronhofhandwerks  58  f.  —  Warum 
keine  Klosterindustrie?  59. 

IV.  Kapitel.     Hofhandwerker  und  Markthandwerker 61 — 73 

Exemption  der  Hofhandwerker  von  öffentlichen  Lasten  61  ff.  — 
Edikt  Burchards  von  Worms  62.  —  Privileg  Heinrichs  IV.  für 
Speyer   62.   —  Heinrichs  V.  für  Lüttich  und  Maastrecht  63. 

—  Heinrichs  V.  und  Friedrichs  I.  für  Straßburger  Stifter  63  ff. 

—  Exemption  nach  dem  Straßburger  Stadtrecht  64  ff.  —  (Markt- 
gericht in  Augsburg  Anm.  160).  —  Reichsgerichtsurteil  für 
Worms  und  alle  Kirchen:  „certi  et  publici  mercatores"  66  f. 

—  Privileg  Ottos  IV.  für  Aachen  67.  —  (Die  Stadt-  und  Hof- 
handwerker in  Konstanz  Anm.  165).  —  „mercator  esse  velle"  in 
Straßburg  und  AUensbach  68.  —  Zollbefreiungen  des  Straß- 
burger Stadtrechts  68.  —  „emeie  gratia  lucri"  69.  —  (Gelegen- 
heitshändler in  Augsburg  Anm.  169).  —  jjpro  subterfugio  coUecte" 
69  ff.  —  (in  Arras  Anm,   170).  —  „Hoflieferanten"  in  Trier  70. 

—  Freising,  Weihenstephan  71.  —  Selz  71  f.  —  (Neu- 
weiler und  Altenmünster  Anm.  173.  —  Städtische  Hand- 
werker in  Werden  Anm.  173a.  —  Hofbäcker  in  Lübeck 
Anm.    173  a). 

V.  Kapitel.     Die  Handwerker  in  Straßburg  und  Trier 74 — 106 

Die  Hofbandwerker  vom  Marktverkehr  ausgeschlossen  74.  —  Bischöf- 
liche Versuche  gegen  die  Freiheit  der  Bürger  75  f.  —  Privilegien 
für  Speyer  und  Worms  77.  —  Allgemeine  Bürgerfron  in  Straß- 
burg, Trier,  Basel  77  f.  —  Kompensative  Lasten  der  Hand- 
werker? 79  ff.  —  Maß  der  Dienste  80.  —  Widerspruchsvolle 
Listen  der  Straßburger  Handwerker  81  ff.  —  Der  Burggraf  83  f. 

—  Die  24  mercatores  84  f.  —  Ursprung  der  gewerblichen  Leistungen 
85  f.  —  (Heer-  und  Hofsteuer  in  Freiburg  und  Augsburg  Anm. 
230.  —  „gewerf"  in  Basel  Anm.   232).   —  Leistungen    der  Hand- 


Inhalt.  VII 

Seite 
werker   zur   Heerfahrt   in   Freiburg  87.  —  Nur  die  Münzer  An- 
gehörige  der  familia  88.   —   Eigene  Becherer  des  Bischofs  88  f.   — 
Auch    die    zwölf  Kürschner  u.  s.  w.    können  nicht  Hofhandwerker 
sein  89.  —   Besonderheit  der  Münzverwaltung  90  ff. 

Der  „Liber  annaiiuni  iurium  archiepiscopi  Trevirensis"  92  ff. 

—  „Kammerhandwerker'  in  Trier  93  ff.  — Stellung  des  Kämmerers 
94  ff.  —  Die  „Flandrer'  und  der  Kämmerer  in  Wien  94.  —  Ur- 
sprüngliches Gericht  des  Schullheilien  in  Trier  95  f.  —  (Kämmerer 
in  Würzburg,  Halberstadt,  Regensburg,  Lübeck  Anm. 
258).  —  „Kammeiherren"  der  Gerber  und  Schuster  in  Trier  im 
14.  Jahrhundert  97  ff. 

An  bang.     Datierung  der  Trierer  Rechtsaufzeichnungen loi  — 106 

Sowohl  der  „I^iber  annalium  iurium"  wie  die  „Instilutiones  Treverice 
civitatis"  gehören  ins  12.  Jahrhundert  lOi  ff.  —  Trierer  Ungeld- 
tarif  von   1248    105  f. 

VI.  Kapitel.     Der  städtische    Ursprung   der  Gewerbeordnung.     Maß 

und  Gewicht 107  — 132 

Das  Ergebnis  bis  hierher.  —  Schwache  Seiten  der  bisherigen  Lehre 
vom  freien  Ursprung  der  Zünfte  107  ff.  —  Kein  Verhältnis  zu  den 
Straßburger  Aemtern  108.  —  Die  weitere  Aufgabe  109.  — 
Charakter  der  Gemeinde.  Landgemeinde  und  Stadtgemeinde.  Be- 
fugnisse des  Rates  110  f.  —  Staat  und  Gemeinde  112.  —  Ver- 
waltung von  Maß  und  Gewicht  im  merowingischen  Staate    113. 

—  Mangel  an  Organen  im  karolingischen  Staate  113.  —  Das 
Fiasko  hat  einen  älteren  anarchischen  Zustand  zur  Voraussetzung 
114.  —  Maße  in  der  Frühzeit  115  f.  —  Verwendung  außerhalb 
des  Handels  116.  —  Gesichtspunkte  der  karolingischen  Gesetz- 
gebung 117  ff.  —  Schließliche  Beschränkung  auf  das  Erreichbare 
120.  —  Karl   der  Kahle   nimmt   die  Gemeinden  in  Anspruch   122. 

—  Von  da  bis  zum  Sachsenspiegel  124.  —  Verwaltung  der  Maße 
auf  dem  Markte  125  ff.  —  Der  städtische  Markt  127.  —  Auftreten 
der  Kaufleute  127  f.  —  Kaufleute  und  Bürger  128.  —  Verwaltung 
in  Halberstadt  128  f.  —  in  Soest  129  f.  —  in  Hannover, 
Hamburg,  Landshut  130.  —  Aufsicht  über  das  Handwerk 
131.  —  Vier  Bestandteile  der  Marktkontrolle  131.  —  Edictum 
Pistense   131.   —   Marktordnung  von   Landshut   131  f. 

Vn.  Kapitel.     Der  Markt  und  die  Aemter 133 — 150 

Ungenügende  Berücksichtigung  der  kommerziellen  Seite  des  Hand- 
werks: der  Handwerker  als  mercator  133.  —  Das  Wesentliche  die 
Ware  134.  —  (Straßburg,  Osnabrück,  Basel  Anm.  338a). 
Die  Gewerbeordnung  ein  Teil  der  Marktordnung  134.  —  Besonder- 
heit  des    städtischen  Marktes   135.   —  Ansässige   und  Fremde   135. 

—  Eindringen  der  Warenprüfung  in  die  Werkstatt   135.  —  Forma- 


VIII  Inhalt, 

Seite 
lismus  des  älteren  Gewerbegerichts  136.  —  Abteilung  der  Hand- 
werker in  Gruppen  137.  —  Begriff  Amt  138.  —  Einrichtung  des 
Marktplatzes  139.  —  Marktstralden  in  Köln  140  ff.  —  Der  Erz- 
bischof Marktherr  142  f.  —  Anfänge  der  Auflösung  144.  —  (Back- 
häuser Anm.  362).  —  Marktstraßen  in  Westfalen  144.  —  Buden- 
reihen in  Erfurt,  Mainz  145  —  in  Hildesheim,  Schlesien, 
Freiburg  146.  —  Markthäuser  in  Trier  147.  —  Schauhäuser  der 
Deutzer  Wollenweber  147.  —  Kaufhäuser  148.  —  Wirkung  der 
Einwanderung  149.  —  (Marktstraßen  in  Osnabrück,  Minden, 
Bremen  Anm.  381)  —  (H  agenau:  magistratus  und  locus 
Anm.  382), 

VIII.  Kapitel.     Die  Amtsmeister 151  — 168 

Abschluß  der  Bildung  der  Handwerksämter  durch  Einsetzung  der 
Meister  151.  —  Vorher  sämtliche  Handwerker  unter  dem  Schult- 
heißen in  Hameln  151  —  dem  Burggrafen  in  Augsburg  151  — 
dem  Richter  in  Wiener- Neustadt  152  —  den  ministri  rei 
publicae  n.  d.  Edictum  Pistense  152.  —  Gewisse  Handwerker 
unter  dem  Bruggrafen  in  Straßburg  152  —  dem  Kämmerer  in 
Trier  und  Wien,  dem  Zöllner  in  Koblenz,  dem  Bischof  in 
.Halberstadt  und  Hildesheim  153  —  dem  Domkuslos  in 
Würzburg,  dem  Dompropst  in  Hildesheim  154.  —  Gewerbe- 
gerichte 155.  —  (Mahlzeiten  Anm.  403).  —  Das  formale  Recht 
hindert  den  technischen  Fortschritt  156.  —  Ablösung  des  Gewerbes 
156.  —  Eigene  Meister  157.  —  Beschränkte  Befugnis  des  Straß- 
burger Burggrafen  und  Basler  Viztums  157  f.  —  Die  Amismeister 
von  Anfang  an  Handwerker  158  ff.  —  Handwerksämter  und  Meister 
in  Basel  158  ff.  —  (Basler  Lehnbuch  Anm.  408  ff.)  —  Aufgabe 
des  Ministerialen  und  des  Zunftmeisters  161  —  (des  Straß  burger 
Burggrafen  Anm.  414).  —  Charakter  der  Bäckerurkunde  162.  — 
Zunftausschuß  163.  • —  Meisterwahl  164.  —  Amtsmeister  in  Straß- 
burg 165  ff.  —  in  Trier  167  f.  —  (Magister  pistorum  in  Würz- 
burg Anm.  437a). 

IX.  Kapitel.     Die  Brüderschaft 169 — 182 

Brüderschaften  als  besondere  Gruppe  von  Handwerker  verbänden  ? 
169  ff. — Idee  der  Brüderschaft  170  f.  — Motive  171.  —  Koalitions- 
freiheit? 172.  —  Die  religiöse  Seite  der  Vereine  auch  nicht  rein 
privat  172  ff.  —  Bei  den  Basler  Marienbrüderschaften  173  —  den 
Mainzer  Webern  174  —  den  Würzburger  Schuhmachern  174  f. 
—  den  Kölner  Drechslern  175.  —  Keine  religiöse  „Vorgeschichte" 
der  „Brüderschaften"  175  ff.  —  Basler  Marienbrüderschaften,  Kölner 
Drechsler,  Würzburger  Schuhmacher,  Mainzer  Weber  176.  — 
(Schenken-  und  Heimburgenamt  der  Weber  und  ähnliches  Anm. 
456).     —     Kölner    Bettziechenweber    und    Hutmacher,    Magde- 


Inhalt.  IX 


burger  Schildinacher  1/7  ff.  —  „pia  spe  perennis  vitae"  178  f.  — 
Walker  und  Tuchscherer  in  Saint-  Trond   180  f. 

X.  Kapitel.     Zunftzwang  und  Einung 183 — 232 

„Amt*'  und  „Zunft"  183  f.  —  Kaufniannsgildcn  184  ff.  —  Weckung 
des  autonomistischen  Geistes  bei  den  Handwerkern  188  f.  —  Ur- 
sprung des  Zunftzwanges  189.  —  Zunftzwang  ohne  Zünfte  190  f.  — 
AbschlieUungsgelüste  der  Handwerker  und  die  Stellung  der  Fremden 
191  f.  —  Idee  der  Einung  193.  —  Verbot  der  Einungen  194  f.  — 
Ihre  Gewährung  und  Bedeutungswechsel  195  f.  —  .,Innung"  in 
Braunschweig  196  f.  —  (Unecht^heit  des  „Ottonianum"  Anm. 
500).  —  Verleihung  des  Innungsrechtes  an  eine  Stadt  198  ff.  — 
Das  Innungsrecht  die  Grundlage  der  Stadtwirtschaft  199.  —  Innung 
der  Magdeburger  Wandkrämer  und  Schuhmacher  200  ff.  —  der 
Halberstädter  Schuhmacher  und  Wollen weber,  der  Mühlhäuser 
Hutfilzer  202.  - —  Fremde  in  der  Innung  in  Goslar,  Halberstadt, 
Quedlinburg,  Perleberg,  Leisnig  203.  —  Bedeutung  der 
Innung  204  f.  —  (Nitzsch  Anm.  510).  —  Einung  der  Kölner 
Fleischer  205.  —  (Straßburger  Bäcker  Anm.  512.)  —  Magde- 
burger Schildmacher  206.  —  Innungsmeister  in  Magdeburg, 
Braunschweig,  Helmstedt,  Halberstadt,  Perleberg  207  f. 

—  {Stendaler  Gewandschneider  Anm.  521.)  —  Gewerbepolizei  als 
Zweck  der  Innung  in  Magdeburg,  Halberstadt,  Stendal  209. 

—  (Morgensprache  Anm.  522.)  —  Kontrolle  eingeführter  Leinwand 
in  Stendal  209  f.  —  Innung  als  Gebühr  in  Perleberg,  Parchim, 
Plau,  Goldberg,  Wittstock  211  f.  —  Erweiterung  des  Be- 
griffs 212.  —  Kauf  der  Innung  vom  Rat  in  Hameln  212  ff.  — 
(„Schere"  der  Gewandschneider,  „copfart"  und  „ininge"  2 14  f.)  — 
Der  Verlauf  in  Hameln  215.  —  „Innung"  in  Breslau  215  ff.  — 
Weidenau  217  f.  —  Wohlau  (iniungere)  Anm.  546  —  Halle- 
Neu  markt  218  If.  —  (Gegensatz  der  beiden  Weberurkunden  in 
Stendal  Anm.  550  f.)  —  Aufnahmerecht  der  Genossenschaft 
(Bäcker  in  Basel  und  Berlin)  220.  ^-  Ausübung  der  Konzession 
in  Lübeck  221  f.  —  „Werk"  („antwerc")  in  Lübeck,  Berlin, 
Straßburg,  Braunschweig,  Dudersladt  222.  —  Verleihung 
der  „Innung"  in  Osnabrück,  Lüneburg  223  f.  —  Vererbung 
von  „Amt"  (Innung)  und  „Brüderschaft"  224  ff.  —  in  Lüne- 
burg 225  f.  —  in  Hameln,  Halberstadt  226  —  Straßburg 
Anm.  571  —  Helmstedt  227.  —  Weberfrauen  Anm.  574.  — 
Nord-  und  süddeutscher  Verlauf  228.  —  Innungszwang  der  Back- 
häuser in  Slraßburg  228.  —  Wendungen,  die  Freiwilligkeit  des 
Beitritts  anzuzeigen  scheinen  229.  —  Unzweideutigkeit  in  Basel 
230.   —  Die  Kölner  Gilde  231  f. 

XI.  Kapitel.     Abschließende  Tendenzen 2-'3— 2-2 

Frühe  Anlässe  zum  Schließen  von  Zünften  233  ff.  —  Köln, 
Lübeck    233  f.  —  Würzburg  234.  —  Mainz,    Trier  235.  — 


X  Inhalt. 

Seit« 
Markteinrichtungen  in  Trachenberg,  Strehlen,  Wohlau  235  ff. 

—  Fischer  in  Worms,  Lüneburg,  Lübeck,  Hamburg,  Trier 
237  f.,  Anm.  601.  —  Weinschröter .  in  Würzburg  u.  ä.  Halb- 
beamte 238  ff.  —  Die  zwölf  Kürschner  in  Straßburg  239.  — 
Das  „ius  trium  stratarum"  in  Regensburg  240  f. 

Gegensätzliche  Bestrebungen  der  Handwerker  und  der  Obrigkeit  242  ff. 

—  Romantische  Auffassung  des  „Mittelalters"  243.  —  Betrügereien 
243  f.  —  Ausbeutung  des  Publikums  244  ff.  —  Aufhebung  von 
Zünften  in  Köln,  Erfurt,  Würzburg  244  ff.  —  Ausgleich  der 
Gegensätze  und  Durchführung  des  stadtwirtschaftlichen  Prinzips  unter 
dem  Rat  247  ff.  —  Aufhebung  des  freien  Verkehrs:  Niedergang  des 
heimischen  Gewerbes,  die  Folge  250  f.  —  Rekapitulation  251  f. 


Einleitung. 


Von  Zeit  zu  Zeit  pflegt  sich  die  Notwendigkeit  zu  ergeben, 
unsere  Auffassung  bald  dieses,  bald  jenes  Komplexes  historischer 
Vorgänge  einer  erneuten  Prüfung  zu  unterwerfen,  je  nachdem 
sich  im  Fortgang  der  Forschung  das  Urteil  über  die  allgemeinen 
Zusammenhänge  verschoben  hat. 

Mit  dem  romantischen  Bilde,  das  man  sich  ehemals  all- 
gemein von  dem  sogenannten  Mittelalter  machte,  hängt  ohne 
Zweifel  auch  die  übertriebene  Bedeutung  zusammen,  die  man  den 
Grundherrschaften  beigelegt  hat.  Die  unbefriedigenden  politischen, 
wirtschaftlichen  und  künstlerischen  Zustände  der  eigenen  Gegen- 
wart in  den  ersten  zwei  Dritteln  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
zauberten  glänzende  Träume  von  der  längst  entschwundenen 
„Kaiserzeit"  hervor,  und  die  Hilflosigkeit,  der  sich  ein  Teil  der 
Bevölkerung  infolge  der  neuen  wirtschaftlichen  Ungebundenheit 
ausgesetzt  sah,  ließ  manche  die  Vergangenheit  wieder  herbei- 
sehnen, in  der  wohlwollende  und  weise  Grundherren  um  das 
leibliche  wie  das  geistige  Wohl  ihrer  F^amiliae  in  gleicher  Weise 
stetig  besorgt  gewesen  sein  sollten.  Namentlich  den  geistlichen 
Grundherrschaften  ward  diese  Hochschätzung  zu  teil.  Bei  ihnen 
sollte  die  ganze  Masse  der  kleinen  Leute  Schutz  gefunden  haben, 
soweit  sie  sich  noch  irgend  vor  den  Vergewaltigungen  der  welt- 
lichen Machthaber  hatte  retten  können:  daher  auch  die  Idee  einer 
allgemeinen  Verbreitung  der  Hörigkeit 

Diesen  Grundherrschaften  wäre  sodann  die  Neubegründung 
eines  geordneten  W^irtschaftslebens  nach  den  Verwüstungen  der 
Völkerwanderung  und  wiederum  nach  den  Beutezügen  der  Nor- 
mannen und  Ungarn  und  all  den  übrigen  Kriegen  fast  allein  zu 
verdanken   gewesen,    und  das    nicht   bloß   auf  dem    Gebiete    der 

Keutgen,  Aeniter  und  Züiifie.  1 


2  Einleitung. 

Landwirtschaft,  sondern  in  fast  noch  höherem  Grade  im  Hand- 
werk und  selbst  im  Handel.  Erst  nachdem  durch  zunehmenden 
Verkehr  diese  Bande  zum  Teil  gelockert  worden  waren,  wäre 
neben  das  grundherrschaftliche  ein  anderes,  unabhängig  bürger- 
liches System  getreten,  das  stadtwirtschaftliche. 

Mochte  an  diesem  Bilde  manches  richtig  sein,  so  war 
anderes  schlechthin  falsch,  und  als  ganzes  bedeutete  es  eine  un- 
geheure Uebertreibung.  Nicht  mit  Unrecht  hält  Rietschel  „die 
Tendenz,  möglichst  alle  für  die  wirtschaftliche  Entwicklung  be- 
deutsamen Faktoren  in  der  Grundherrschaft  zu  suchen,  für  den 
Hauptfehler  der  modernen  Wirtschaftshistoriker", 

Es  ist  wohl  ohne  weiteres  klar,  daß  die  letzte  Schuld  daran 
die  Beschaffenheit  unserer  Quellen  trug:  die  sämtlichen  erzählen- 
den waren  von  Mitgliedern  der  geistlichen  Grundherrschaften 
verfaßt  worden,  die  nicht  Rühmens  genug  zu  machen  wußten 
von  den  Segnungen,  mit  denen  die  Verwaltung  ihres  Heiligen 
die  Landschaft  überschüttet  hatte.  Die  urkundlichen  Quellen 
betreffen  eben  diese  Verwaltung  und  wurden  in  den  Klöstern 
aufbewahrt:  über  das  Leben  der  Privaten  schweigen  sie.  So  ist 
es  auf  dem  Lande,  so  für  die  ältere  Zeit  auch  in  den  Städten. 

Eben  in  der  Erklärung  des  Ursprungs  der  städtischen 
Wirtschaftsformen  und  der  Stadtverfassung  überhaupt  hatte  die 
grundherrliche  Theorie  das  Hauptfeld  ihrer  Fruchtbarkeit  gefunden. 
Allein  eine  Position  nach  der  anderen  sah  sie  sich  im  Laufe  der 
letzten  Jahrzehnte  gezw^ungen  preiszugeben.  Weder  die  Herleitung 
des  Stadtgerichtsbezirks  von  der  Immunität  des  Kirchenguts, 
noch  die  anfängliche  Hörigkeit  der  gesamten  Bürgerschaft,  noch 
der  Ministerialenrat,  noch  der  hof rechtliche  Ursprung  der  freien 
städtischen  Leihe  ^)  erwiesen  sich  als  haltbare  Stücke,  und  auch 
die  Lehre  von  der  hofrechtlichen  Herkunft  der  Zünfte  mußte  vor 


i)  Nachdem  der  erste  Teil  meiner  Abhandlung  im  wesentlichen  bereits  abge- 
schlossen war,  ging  mir  Siegfried  Rietschels  sehr  interessanter  Aufsatz  über  ,die 
Entstehung  der  freien  Erbleihe'  zu  (Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung,  Germanist.  Ab- 
teilung, Bd.  XXII),  der  ich  auch  die  angeführten  Worte  über  die  Tendenz  unserer 
Wirtschaftshistoriker  entnommen  habe  (S.  207  ').  Der  Verfasser  spricht  darin  von  der 
Theorie  von  dem  hofrechtlichen  Ursprung  der  freien  Erbleihe  als  der  noch  herrschenden 
und  zu  beseitigenden :  ich  hätte  nicht  geglaubt,  daß  sie  noch  viele  Anhänger  zählte. 
Dem  Wert  der  positiven  Ergebnisse  seiner  Schrift  geschieht  damit  natürlich  kein 
Abbruch. 


Ursprung  der  hofrechtlichen  Theorie.  ^ 

V.  Belows  Argumenten  dahinschwinden-).  Sie  ist  nur  ein  Teil 
des  ganzen  Systems  und  nur  in  ihm  begründet,  aber  eben  dieser 
Teil  wurde  am  zähesten  verteidigt  Mit  national-ökonomischen 
Formeln  und  juristischen  Deduktionen  ließ  sich  da  scheinbar 
vieles  erreichen ;  allein  man  vergaß,  daß  man  eine  historische  Erschei- 
nung nur  begreifen  kann  auf  Grund  einer  allseitigen  Würdigung- 
des  gesamten  Tatsachenzusammenhanges,  in  den  sie  hineingehört. 

Man  kann  dabei  gar  nicht  einmal  sagen,  daß  es  sich  um 
einen  Gegensatz  zwischen  historischer  Anschauung  und  Methode 
einerseits,  juristischer  oder  nationalökonomischer  andererseits 
handelte:  wenigstens  Juristen  ließen  sich  eine  ganze  Anzahl  nennen, 
die  in  diesen  Fragen  im  wesentlichen  mit  den  Historikern  auf 
einer  Seite  stehen  3).  Auch  wir  Historiker  wünschen  durchaus 
ein  scharfes  begriffliches  Erfassen  der  Erscheinungen  und  eine 
Ergründung  ihrer  inneren  Abfolge.  Jedoch  es  muß  bei  jedem 
erneuten  Versuch,  den  Dingen  auf  den  Grund  zu  kommen,  aus- 
gegangen werden  von  den  Tatsachen  selbst,  soweit  sie  uns  über- 
liefert sind;  und  namentlich  darf  man  nie  außer  acht  lassen,  ob 
das,  was  man  neu  gefunden  zu  haben  glaubt,  nicht  in  unverein- 
barem Widerspruch  steht  zu  allem  bisher  als  sicher  Geltenden. 
Denn,  ist  das  der  Fall,  so  wird  man  entweder  seine  Entdeckungen 
selbst  mit  äußerster  Skepsis  zu  betrachten  haben  oder  man  ist 
verpflichtet,  ihr  Verhältnis  zu  dem  übrigen  Tatsachensystem,  in 
das  sie  hineingehören,  gebührend  zu  erörtern^). 

Die  hofrechtliche  Theorie  von  der  Entstehung  der  Zünfte 
lehrt,  kurz  gesagt,  daß  die  größeren  Grundherrschaften  des  frühen 
Mittelalters  ihre  zahlreichen  Handwerker  in  zunftartigen  Ver- 
bänden,  sogenannten   Aemtern,   unter  je   einem    Meister   organi- 


2)  Georg  V.  Below,  Hist.  Zeitsch.  Bd.  LVIII,  S.  213  ff.,  wiederabgedruckt 
in  »Territorium  und  Stadt'  S.  308  ff.;  ders.,  ,Die  Entstehung  der  deutschen  Stadt- 
gemeinde', S.  20  ff.;  ders.,  ,Der  Ursprung  der  deutschen  Stadtverfassung',  S.  116; 
dere.,  ,Die  Entstehung  des  Handwerks  in  Deutschland',  Zeitsch.  f.  Sozial-  und  Wirt- 
schaft^eschichte,  Bd.  V. 

3)  Unter  den  Xationalökonomen  jedenfalls  Gothein:  Wirtschaftsgeschichte  des 
Schwarzwaldes,  Bd.  I,  S.  309(1.    Ueberv.  Inama-Sterneggs  Stellung  vergl.  Anm.  7. 

4)  Das  gegensätzliche  Verfahren  besteht  dann,  daß  man,  wie  der  jüngste  Be- 
arbeiter des  Themas,  Rudolf  Eberstadt,  ein  gekünsteltes  Begriffsschema  an  die 
Spitze  stellt,  in  dem  die  Thatsachen  gewaltsam  untergebracht  werden  müssen:  Magiste- 
rium  und  Fratemitas,  eine  verwaltungsgeschichtiiche  Darstellung  der  Entstehung  des 
Zunftwesens  (Schmollers  Forschimgen,  1897,  Bd.  XV,  2);  ders.,  Der  Ursprung  des 
Zunftwesens  und  die  älteren  Handwerkerrerbände  des  Mittelalters,  Leipzig   1900. 


4  Einleitung. 

sierten;  daß  später,  als  bei  zunehmender  Menge  die  Leistungs- 
fähigkeit dieser  Organisationen  den  Bedarf  der  Herrschaft  an 
Handwerkserzeugnissen  zu  übersteigen  anfing,  die  Arbeiter  Er- 
laubnis erhielten,  ihre  überschüssige  Arbeitskraft  für  eigene  Rech- 
nung zu  verwenden;  daß  im  weiteren  ihre  Verpflichtungen  gegen 
die  Herrschaften  limitiert  wurden,  und  nun  das  Schwergewicht 
für  sie  auf  die  freie  Arbeit  für  den  Markt  fiel;  bis  endlich  die 
ganzen  „Aemter"  die  grundherrliche  Abhängigkeit  überhaupt  ab- 
warfen und  als  autonome  Zünfte  dastanden.  Andere  Zünfte 
sollen  wenigstens  in  Anlehnung  an  hofrechtliche  Verbände  oder 
in  ihrer  Nachahmung  entstanden  sein. 

Manche  Zweifel  an  der  Möglichkeit  einer  solchen  „Entwicke- 
lung"  werden  dem,  der  nicht  geneigt  ist,  sich  durch  den  Schein 
der  Ideen  über  die  Wirklichkeit  wegtäuschen  zu  lassen,  schon 
beim  Lesen  dieser  Sätze  aufstoßen:  sie  ist  gar  zu  plausibel. 

Nach  V.  Belows  Arbeiten  ^j  aber  könnte  es  überhaupt  über- 
flüssig erscheinen,  noch  einmal  auf  die  Frage  zurückzukommen, 
wenn  nicht  neuerdings  der  Versuch  aufgetaucht  wäre,  die  alte 
Theorie  durch  Einfügung  einiger  unbekannten  Begriffe  noch  ein- 
mal ins  Leben  zurückzurufen*'),  und  es  sich  nicht  an  dem  Bei- 
spiele des  Verfassers  unserer  einzigen  deutschen  Wirtschaftsge- 
schichte gezeigt  hätte,  daß  ihre  Dialektik  auch  auf  einen  ausge- 
zeichneten Gelehrten  einen  gewissen  Eindruck  zu  machen  wohl 
imstande  gewesen  ist^). 


5)  Vgl.  oben  Anm.    2. 

6)  Vgl.  Anm.  4. 

7)  V.  In.ima-Sternegg,  auf  dessen  wertvolle  Zustimmung  zu  seiner  Theorie 
-von  Magisterium  und  Fraternitas  sich  Eberstadt  (Ursprung  des  Zunftwesens,  S.  94*) 
beruft,  der  aber  doch  auf  einem  wesentlich  anderen  Standpunkte  steht.  Schon  1892 
hatte  V.  Inama  die  hofrechtliche  Herkunft  der  Zünfte  ausdrücklich  verneint  (Zeitsch, 
f.  Volkswirtschaft,  Sozialpolitik  und  Verwaltung,  Bd.  I,  S.  562).  An  der  von 
Eberstadt  angezogenen  Stelle,  Deutsche  Wirtschaftsgeschichte,  Bd.  III  (i),  S.  124 f., 
macht  er  jener  Theorie  freilich  wieder  starke  Zugeständnisse,  fügt  jedoch  hinzu:  „Aber 
große  Bedeutung  hat  diese  Institution  [das  Magisterium]  auf  deutschem  Boden  nicht 
erlangt",  während  Ebersiadt  a.  a.  O.  das  Magisterium  als  „gerade  an  der  vitalsten 
.Stelle  der  Zunftgeschichte"  stehend  bezeichnet.  Nicht  ganz  abgeklärt  ist  v.  Inamas 
Auffassung  in  dem  neuesten  Bande  seiner  Wirtschaftsgeschichte  (1901,  Bd.  III  (2), 
S.  1 6  ff.).  Er  erklärt :  ,,Ebenso  rudimentär  wie  in  den  ländlichen  Fronhöfen  und  in 
■den  Landgemeinden  bleibt  die  grundherrliche  Verfassung  der  Gewerbe  in  den  Städten." 
Dann  aber  läßt  er  „die  Grundherrschaft  auch  in  der  Stadt  noch  lange  über  ge- 
-werbliche  Leistungen  der  in  der  Stadt  angesiedelten  Handwerker"  verfügen.  Wieder 
in  gewissen!  Gegensatz    hierzu   heißt  es  S.   19:  ,,Von  ungleich  größerer  Tragweite  für 


Die  Aufgabe.  c 

Das  ist  ein  Fingerzeig-,  daß,  wenn  auch  negative  Beweise 
ofegen  den  hofrechtlichen  Ursprung  der  Zünfte  in  reichlichem 
.\[aße  bereits  zur  Verfügung  stehen,  die  Zustände  hüben  und 
drüben  positiv  dennoch  nicht  mit  genügender  Schärfe  gezeichnet 
sind.  Es  käme  darauf  an,  ein  klares  Bild  zu  gewinnen  zunächst 
von  dem  Handwerk  auf  den  Grundherrschaften  selbst;  dann  die 
SteUung  des  Handwerkes  auf  dem  städtischen  Markt  in  dessen 
frühesten  Zeiten  ins  Auge  zu  fassen;  die  Frage  aufzuwerfen, 
welcherlei  Beziehungen  zwischen  beiden  bestanden  haben  mögen; 
ob  danach  von  einem  Uebergang  der  hörigen  Handwerker  von 
der  Fronarbeit  zur  freien,  für  eigene  Rechnung  auf  dem  Markte 
zu  verwertenden  Arbeit  —  der  beliebten  Formel,  die  alles  er- 
klären soll  —  sich  Spuren  finden;  die  Anfänge  der  Organisation 
des  städtischen  Handwerkes  wären  noch  einmal  zu  untersuchen; 
die  ausschlaggebenden  Vorgänge  bei  dem  Entstehen  der  autonomen 
Verbände. 

Gelingt  es  so,  alle  einzelnen  Faktoren  an  sich  und  in  ihren 
Beziehungen  zueinander  sicher  zu  erfassen,  so  würde  sich  unter 
anderem  auch  ergeben,  auf  Grund  welcher  Tatsachen  ehedem 
kluge  und  gelehrte  Männer  zu  ihren  hofrechtlichen  Anschauungen 
haben  gelangen  können.  Die  Bekämpfung  der  hofrechtlichen 
Theorie,  die  uns  zunächst  beschäftigen  wird,  hat  nämlich  in  der 
Hauptsache  nur  methodischen  Wert.  Für  die  Entstehung  der 
städtischen  Organisationen  läßt  sich  eine  völlig  ausreichende 
Erklärung  ganz  ohne  Rücksicht  auf  jene  finden. 


die  Entwickelung  der  städtischen  Gewerbeverfassung  ist  der  Einfluß,  weichen  die  Grund- 
herren als  Stadtherren  .  .  .  .  auf  die  Ordnung  des  Gewerbewesens  ausgeübt 
haben,"  indem  sie  die  Handwerke  als  herrschaftliche  Aemter  behandelten,  die  aber 
nur  „vereinzelt"  sich  „bis  zu  einem  ausgebildeten  zunftähnlichen  Organismus"  ent- 
wickelt haben  (S.  21).  „Ganz  anders  in  Frankreich"  (S.  24')  —  unter  Berufung  auf 
Eberstadt.  Immerhin  sind  bei  v.  Inama  die  wenigen  „Magisterien",  die  er  in 
Deutschland  hat  entdecken  können,  nicht  eigentlich  hofrechtlichen  Ursprungs,  und  er 
fährt  fort  (S.  24):  „Alles,  was  sonst  auf  die  erste  Ausgestaltung  der  städtischen  Ge- 
werbeverfassung entscheidenden  Einfluß  genommen  hat,  ist  wesentlich  dem  ureigenen 
Boden  städtischen  Lebens  entsprossen." 


Kapitel  I. 

Die  Handwerker  nach  dem  Capitulare  de  Villis. 

Als  das  klassische  Zeugnis  für  die  Existenz  von  Hofhandvverks- 
ämtern,  und  zwar  schon  in  früher  Zeit,  wird  regelmäßig  Karls 
des  Großen  Capitulare  de  Villis  betrachtet:  es  bildet  die  Basis 
für  den  ganzen  Feldzug  ^). 

Im  folgenden  soll  nun  kein  Wert  darauf  gelegt  werden, 
daß  die  Zustände,  die  es  zur  Voraussetzung  hat,  am  Anfange 
des  9.  Jahrhunderts  nur  in  einem  kleinen  Teile  Deutschlands  be- 
standen haben  können^).  Auch  will  ich  nicht  weiter  urgieren, 
daß  die  Organisation  der  Krongüter  erheblich  von  der  gewöhn- 
licher Grundherrschaften  abwich,  insofern  nämlich  die  Fisci  be- 
deutende zusammenhängende  Gebiete  darstellten,  innerhalb  deren 
für  das  Vorhandensein  von  Handwerkern  der  verschiedensten 
Art  notwendig  Vorsorge  getragen  werden  mußte  ^^) :  ich  halte 
mich  allein  an  das  Dokument  selbst. 


8)  Herausgegeben  von  Boretius,  Mon.  Germaniae,  Legum  Sectio  11,  Capitu- 
laria,  Bd.  I,  S.  82 — 91;  sowie  neuerdings  in  handlichem  Format  und  mit  Erläuterungen 
von  Gareis,  Die  Landgüterordnung  Karls  des  Großen,  Berhn  1895.  "~  ^^  seinen 
.Bemerkungen  zu  Kaiser  Karls  des  Großen  Capitulare  de  Villis'  (Gennanistische  Ab- 
handlungen zum  LXX.  Geburtstag  Konrad  von  Maurers),  S.  211  ff.  sucht  G  a  r  e  i  s 
mit  beachtenswerten  Gründen  das  Jahr  812  als  das  Entstehungsjahr  des  Capitulare 
festzulegen,  gegen  Boretius'  Datierung  auf  ,,800  vel  ante?"  (Vgl.  auch  seine  , Land- 
güterordnung', S.   10  ff.)     Für  unsern  Zweck  ist  eine  Erörtenmg  der  Frage  nicht  nötig. 

9)  Bemerkungen,  S.  238  ff.  sucht  Gareis  das  Geltungsgebiet  des  Capitulare  de 
Villis  festzulegen  und  findet  als  solches  am  wahrscheinlichsten  das  salfränkische 
Stammland,  wo  „die  Hauptmasse  der  in  den  Lebensbeschreibungen  Karls  des  Gr. 
erwähnten  Hofgüter  gelegen  war"  (S.  241).  Immerhin  wird  man  annehmen  müssen, 
daß  auch  außerhalb  dieses  Hauptgebietes  überall  da,  wo  der  allgemeine  wirtschaftliche 
Zustand  es  gestattete,  die  Anwendung  der  in  dem  Capitulare  niedergelegten  Grund- 
sätze ins  Auge  gefaßt  worden  sei. 

10)  Ueber  die  Ausdehnung  der  Fiskalgüter  in  Karolingischer  Zeit  Lamprecht, 
Deutsches    Wirtschaftsleben,    Bd.  I    (2),    S.    713  ff.       Danach    bildeten    die    einzelnen 


Keine  fiskalischen   Handwerkei^-erbänck.  y 

Da  aber  ist  von  vornherein  zu  erklären,  daß  in  ihm  von 
einer  Organisation  der  Handwerker  ämterweise  nirgends 
die  Rede  ist.  Xur  durch  einen  Rückschluß  von  den  späteren 
städtischen  Handwerksämtern,  die  man  früher  unter  der  Herr- 
schaft der  hofrechtlichen  Auffassung  fast  aller  Verhältnisse  des 
wirtschaftlichen  Lebens  für  grundherrliche  hielt,  hat  man  auf  eine 
derartige  Idee  verfallen  können.  Xur  wenn  aus  anderen  Quellen 
feststände,  daß  zur  Zeit  des  Capitulare  in  den  Grundherrschaften 
oder  auf  den  Krongütern  die  Handwerker  innungsartig  verbunden 
waren,  nur  dann  könnte  man  es  allenfalls  als  berechtigt  gelten 
lassen,  wenn  jemand  auch  in  dem  Capitulare  de  Villis  Spuren 
solcher  Verbände  erkennen  wollte. 

Dennoch  beherrscht  jene  Auffassung  die  Literatur  allgemein  ^^). 
TatsächUch  steht  aber  nicht  einmal  über  die  Zahl  der  Handwerker, 
die  sich  von  jeder  Art  auf  den  königlichen  Gütern  vorfinden 
sollten,  in  dem  Capitulare  etwas  zu  lesen,  auch  nicht,  daß  sie  „in 
hinreichender  Anzahl"  zu  halten  waren,  wie  wohl  behauptet  wird  ^-), 
geschweige  denn  in  so  großer  Menge,  daß  jede  Kategorie  einen 
Verband  für  sich  hätte  bilden  können:  auch  dieser  Anhaltspunkt 
also  fehlt. 

Auch  die  neueste  Abhandlung,  die  dem  Capitulare  de 
Villis    besonders   gewidmet   ist   (von   Gar  eis  ^^)),   weicht  von   der 


königlichen  Domänen  geschlossene  Territorien  „von  ein  bis  zwei,  im  Ausnahmefall 
sc^ar  von  fünf  bis  sechs  Quadratmeilen"  (S.  717).  Angaben  über  Fisci  in  anderen 
Teilen  Deutschlands  als  den  Rhein-  und  Moselgegenden  S.  717^.  Die  Verwaltung 
nach  dem  Cap.  de  Villis  S.  7 19  ff.  Den  Unterschied  zwischen  der  Organisation  der 
Fiskalterritorien  und  der  des  giundherrlichen  Streubesitzes  betont  Lamprecht  beson- 
ders S.  718.  Immerhin  sind  auch  ganze  Fisci  in  den  Besitz  von  Kirchen  übei^egangen. 
Vgl  über  das  ehemalige  Krongut  Friemersheim:  Rudolf  Kölzschke,  Studien  zur 
Verwaltungsgeschichte  der  Großgrundherrschaft  Werden  an  der  Ruhr  (Leipzig  1901), 
S.  8  ff.  Das  für  uns  dabei  Wesentliche,  der  Bestand  an  Handwerkern  auf  dem 
Haupthole  beim  Kloster  selbst,  wird  den  Gegenstand  der  Untersuchung  des  folgenden 
Kapitels  bilden. 

11)  Eine  Ausnahme  finde  ich  allein  bei  G.  L.  v.  Maurer,  Geschichte  der 
Städteverfassung,  Bd.  II,  S.  323:  „Ob  die  Handwerker  und  Künstler  selbst  zur 
Karolingischen  Zeit  schon  nach  ihrer  gleichartigen  Beschäftigung  in  Aemter  (officia) 
eingeteilt  waren,  kann  mit  Bestimmtheit  nicht  nachgewiesen  werden."  —  Vgl.  auch 
unten  Anm.  17. 

12)  G.  L.  v.  Maurer,  Geschichte  der  Fronhöfe,  Bd.  I,  S.  244,  §  83;  ebenso 
Schönberg,  Zur  wirtschaftlichen  Bedeutung  des  deutschen  Zunftwesens  im  Mittelalter 
<Hildebrands  Jahrbücher,  Bd.  IX),  S.   166  f. 

13)  Landgüterordnung  Karls  des  Großen,  S.  8,  S.  41  Anm.  ,,niagister" ;  ders., 
Bemerkungen  S.  246,  §  7. 


8  Das  Capitulare  de  Villis. 

allg-emeinen  Auffassung  nicht  ab,  auch  sie  erkennt  dort  „die  deut- 
lichen Anfänge  des  späteren  Zunftwesens,  der  obligatorischen 
Innungen  des  deutschen  Mittelalters".  „Für  jedes  Handwerk",  so 
erklärt  der  Verfasser,  „sind  Vorgesetzte  (magistri,  Handwerks- 
meister) und  Untergeordnete  (juniores)  bestellt";  ferner,  daß  „die 
Magistri  —  Handwerksmeister  —  für  ihr  Amt  (Handwerk,  offi- 
cium, ministerium)  dem  königlichen  Amtsvorsteher  Bericht  zu  er- 
statten und  Rechnung  zu  stellen  haben",  unter  Berufung  auf  c.  63; 
endlich,  daß  „denselben  Meistern  die  Vertretung  ihrer  Handwerks- 
genossen,  Gehilfen  und  Untergebenen  in  deren  Rechtsansprüchen 
zukommt  und  obliegt  (c.  2g,  57)". 

Diese  Darstellung  erheischt  in  allen  wesentlichen  Punkten 
Berichtigung.  In  dem  Capitulare  findet  sie  ihrem  Kerne  nach 
durchaus  keinen  Halt.  Sie  beruht  auf  der  ganz  willkürlichen 
Annahme,  daß  die  dort  genannten  „magistri"  schlechthin  Handw^erks- 
meister,  auf  der  ebenso  willkürlichen,  daß  die  „iuniores"  überhaupt 
Handwerksgehilfen  sind. 

Die  Bedeutung,  in  der  diese  beiden  Ausdrücke  tatsächlich 
in  dem  Capitulare  gebraucht  werden,  haben  wir  zunächst  festzu- 
stellen; dann  die  der  Ausdrücke  „officium"  und  „ministerium".  , 

Was  zunächst  die  „magistri"  betrifft,  so  werden  sie  in  Be- 
ziehung zu  einem  Gewerbe  nur  einmal  genannt:  zufolge  c.  61 
nämlich  sollen  mit  dem  zu  hefernden  Malz  „magistri"  an  die 
Königspfalz  entsandt  werden, 

qui  cervisam  bonam  ibidem  facere  debeant. 
Wer  wird  aber  dabei  an  Vorsteher  von  Handwerkerämtern  denken? 
Es  ist  klar:  als  Meister  werden  jene  Männer  bezeichnet,  weil  sie 
ihr    Geschäft    aus    dem    Grunde    verstehen;    nur  solche  sollen  den 
königlichen  Haushalt  bedienen,  nicht  pfuschende  Gehilfen  '•^^). 

Indes  ist  dies,  wie  gesagt,  das  einzige  Mal,  daß  in  dem 
Capitulare  „magistri"  überhaupt  in  solcher  Verbindung  vorkommen. 

An  den  beiden  andern  Stellen,  wo  sie  erwähnt  werden, 
sind  sie  ganz  allgemein  Vorgesetzte,  entsprechend  dem  französi- 
schen „maitre",  dem  englischen  „master"  —  nämlich  in  den  beiden 
zuletzt  von  Gareis  zitierten  Kapiteln  29  und  57,  wo  „magistri" 
und  „servi"  einander  gegenübergestellt  werden.  '  Danach  soll 
einmal   der   „magister"   die   Ansprüche   der  „servi"  außerhalb  der 


13a)    Vgl.    hierzu    die    „vitrei    magistri"     in  Farfa,    unten    Seite    29.      Ferner 
Anin.  86. 


Magistri  und  Servi,  g 

l'isci  vertreten,  während  andererseits  dem  „servus",  der  über  seinen 
..magister"  zu  klagen  hat,  zum  Könige  der  Weg  nicht  verlegt 
werden  darf.  Gewiß  braucht  es  an  sich  nicht  ausgeschlossen  zu 
sein,  daß  diese  Bestimmungen  auch  auf  das  Verhältnis  der  Hand- 
werksmeister zu  ihren  Gehilfen  Anwendung  finden  konnten;  in 
erster  Linie  aber  wird  der  Gesetzgeber  das  zwischen  den  Land- 
arbeitern und  ihren  Vorgesetzten  im  Auge  gehabt  haben.  Denn 
dies  war  eben  doch  in  der  Bewirtschaftung  der  Krongüter  das 
weitaus  wichtigste  derartige  Verhältnis,  das  daher  auch  zuerst 
der  Regelung  bedurfte  •*). 

In  Wirklichkeit  ist  es  wahrscheinlich,  daß  die  Handwerks- 
meister vielmehr  zu  den  „servi"  im  Sinne  dieser  Stellen  gerechnet 
worden  sind  als  zu  den  „magistri."  „Servn"  sind  das  gesamte 
niedere  Personal  der  Höfe.  Wir  haben  nicht  den  geringsten 
Anlaß  zu  glauben,  daß  die  Handwerker  über  dessen  Niveau  er- 
haben gewesen  seien.  Denn  ihre  Lage  wird  sich  auf  den  Kron- 
gütem  nicht  wesentlich  von  der  ihrer  Kollegen  in  den  Klöstern 
der  Zeit  unterschieden  haben,  die  wir  als  eine  durchaus  abhängige 
noch  kennen  lernen  werden.  Es  ist  daher  eine  unberechtigte 
\'orstellung,  als  wäre  der  Handwerksmeister  die  gegebene  und 
selbständige  ^littelsperson  zwischen  dem  Handwerksgehilfen  und 
dem  Könige  gewesen.  Der  Instanzenzug  ging  vielmehr  zunächst 
an  den  „maior"  und  „iudex".  Diese  Beamten  waren  in  der  Lage, 
ihren  Untergebenen  den  Weg  zum  Könige  zu  versperren  und 
sie  nach  außen  zu  vertreten.  Sie  sind  es,  an  die  in  den  c.  2g 
und  c.  57  bei  dem  Ausdruck  „magistri"  zuerst   zu   denken   ist^^). 


'4)  Vgl.  den  Gebrauch  von  „magister"  in  Hincmarus  de  ordine  palatii,  c.  28 
i.NfG,  Capitularia,  Bd.  II,  S.  526;  Handausgabe  von  Krause,  S.  20);  femer  den 
magister  operis  zu  Erkeln:  Verzeichnisse  Cor vey scher  Güter  und  Einkünfte  aus  dem 
12.  und  13.  Jahrh.;  Wigand,  Archiv  I  (4),  S.  52  f.;  sowie  den  magister  operis  in 
Berse,  der  die  Kelter  unter  sich  hat:  13.  Jahrh.,  Grimm,  Weistümer,  Bd.  I,  S.  693,, 
694.     (Stott  „properabit"  muß  es  dort  wohl  heißen  „propinabit"). 

15)  c.  29     „ Et   si  habuerit  servTis  noster  forinsecus  iustitias  ad  que- 

rendum,  magister  eius  cum  omni  intentione  decertet  pro  eins  iustitia;  et  si  aliquo  loco 
minime  eam  accipere  valuerit,  tarnen  ipso  servo  nostro  pro  hoc  fatigare  non  permittat, 
sed  magister  eius  per  semetipsum  aut  suum  missum  hoc  nobis  notum  facere  studeaL" 
Ich  vermag  nicht  einzusehen,  wie  ein  Handwerksmeister  —  auch  in  seiner  Anmerkung 
zu  der  Stelle  spricht  Gareis  von  einem  solchen  —  Ansehen  genug  besitzen  konnte,^ 
um  einen  Untergebenen  vor  einem  auswärtigen  Gerichte  mit  Erfolg  zu  vertreten.  Das 
vermochte  nur  eine  dem  Vogt  der  Kirchengüter  entsprechende  Person,  mithin  der 
..iudex"  oder  allenfalls  der  „maior".  Ebenso  ist  unwahrscheinlich,  daß  ein  anderer 
als  der  „iudex"   den    „missus"   an  den  König  abzusenden  gehabt  hätte,   außer  in  dem. 


lO  Das  Capitulare  de  Villis. 

In  dem  von  Gareis  angezogenen  c.  63  findet  sich  der 
Ausdruck  „inagister"  überhaupt  nicht. 

Ganz  irreführend  ist  es  nämlich,  wie  Gareis  „magistri" 
und  „iuniores"  in  Verbindung  bringt,  während  in  dem  Capitu- 
lare selbst  jenen  lediglich  „servi"  gegenübergestellt  werden.  Nun 
ist  sofort  klar,  daß,  nachdem  Gareis  erst  die  „magistri"  zu 
Handwerksmeistern  gestempelt  hat,  im  weiteren  ein  ganz  ver- 
schiedenes Licht  auf  ihr  Verhältnis  zu  ihren  Untergebenen  fallen 
muß,  je  nachdem  diese  schlechthin  ., servi"  heißen  oder  als  jener 
„iuniores"  bezeichnet  werden.  Tatsächlich  sind  die  „iuniores" 
nach  dem  Capitulare  die  verschiedenen  Untergebenen  des  „iudex", 
unter  anderem  die  „maiores",  die  Meier,  die  Vorsteher  der  von 
■dem  Haupthof  des  Fiskus  abhängigen  Nebenhöfe'*').  Wenn  aber 
nach  c.  62  der  Amtmann  neben  vielen  sonstigen  auch  über  die 
Leistungen  der  Handwerker  Rechenschaft  abzulegen  hat  und  es 
im  folgenden  Kapitel  heißt,  daß,  wie  von  ihm  der  König,  so  er 
diese  von  seinen  „iuniores"  fordern  soll,  so  wird  es  ganz  gewiß 
■nicht  gestattet  sein,  diese  „iuniores"  darum  sofort  als  Häupter 
von  innungsartigen  Verbänden  der  Handwerker  anzusprechen. 

Eine  andere  Bezeichnung  für  Diener  der  verschiedensten 
Art,  vom  höchsten  Beamten  abwärts,  ist  „min ister ialis".  In  c.  16 
werden  des  Königs  Seneschall  und  Schenk  so  genannt,  in  c.  10 
die  Meier,  Förster,  Stallmeister,  Kellerer,  Zöllner,  in  c.  47  die 
Jäger  und  Falkner,  in  c.  41  die  Diener  in  Stall,  Küche,  Back- 
haus und  Kelter,  in  c.  45  die  Handwerker:  den  besonderen  Be- 
^ifF  des  Beamten  gibt  es  eben  noch  nicht,  alle  sind  in  gleicher 
Weise  des  Königs  Diener, 

Dementsprechend  ist  „ministerium"  der  Dienst,  so  in  c.  10: 
häufiger  aber  wird  der  Ausdruck  in  dem  Capitulare  in  lokaler 
Uebertragung  gebraucht.  In  cc.  9,  17,  45,  50,  53,  56  bezeichnet 
•er  den  Amtsbezirk  des  „iudex",  in  c.  26  den  des  „maior",  in  c.  27 
den  des  „comes"  —  gilt  somit  nicht  bloß  für  die  Güterverwaltung, 


Falle  der  Rechtshinterziehiing  durch  den  ,, iudex"  selbst  (c.  57).  An  dieser  letzten 
Stelle  faßt  denn  auch  Gareis  mit  Recht  die  „iuniores  illius"  als  diejenigen  des  ,. iudex'' : 
nach  seiner  Erklämng  von   ,,rationes"  zu  urteilen. 

16)  c  58:  „iunioribus  suis,  id  est  maioribus  et  decanis  vel  cellerariis''.  Vgl. 
c.  16,  57,  63;  femer  den  Schluß  der  vorigen  Anm.  Damit  ist  natürlich  nicht  aus- 
geschlossen, daß  in  einer  anderen  Quelle  emmal  der  Hilfskoch  oder  Küchenjunge  als 
•der  „iunior"  des  „coquus"  bezeichnet  wird.  Vgl.  unten  Anm.  53.  Es  folgt  daraus 
nur,  daß  auch  aus  der  Bezeichnung  ,, iunior"  in  keinem  Falle  auf  ein  Verhältnis  ähn- 
Jich  dem  der  gewöhnlichen  Meister  zum  Zunftmeister  geschlossen  werden  könnte. 


Juniores,  minislerialcs,  nünisteriiiin,  ariifices,  geniiia.  I  i 

sondern  wird  auch  auf  einen  öffentlich-rechtlichen  Bezirk  ang^e- 
wandt.  Einen  Personal  verband  bedeutet  er  nirgends  ^^.  „Offi- 
cium" kommt  nur  einmal  vor,  und  zwar  werden  in  c.  41  die  Ge- 
schäfte der  Hausdiener  ganz  allgemein  so  bezeichnete^). 

Die  Handwerker  speziell  heißen  „artifices"  (c.  45):  gute 
„artifices"  soll  jeder  „iudex"  in  seinem  „ministerium"  haben,  und 
zwar  Eisen-,  Gold-  und  Silberschmiede,  Schuhmacher,  Drechsler, 
Stellmacher  e^),  Schildner,  Fischer,  Vogelsteller,  Seifensieder,  Brauer 
von  Bier,  Apfel-  oder  Birnwein  und  andern  Getränken,  Semmel- 
bäcker für  den  Hof  („ad  opus  nostrum"),  Xetzmacher  für  Jagd, 
Fisch-  und  Vogelfang 

necnon    et    reliquos    ministeriales,    quos    adnumerandum 
longum  est. 

Die  auffallende  Einreihung  der  P'ischer  und  Vogelsteller 
unter  lauter  Handwerker  kennzeichnet  den  ländlichen  Zuschnitt, 
während  das  Fehlen  von  Ausübern  mancher  notwendiger  Tätig- 
keiten sich  ebendaher  erklärt,  nämlich  weil  ihr  Vorhandensein  auf 
jedem  ländlichen  Anwesen  sich  von  selbst  verstand.  Daher  werden 
nicht  Bäcker  überhaupt,  sondern  nur  Semmelbäcker  bestellt.  Anderes 
lajf  den  Frauen  ob  in  ihren  „Genitien"  (Gynäceen,  c.  43,  c.  31) 
namentlich  die  ganze  Tucherei,  von  Wolle  wie  von  Leinen;  und 
nicht  bloß  das  Spinnen  und  Weben,  sondern  auch  das  Kämmen, 
Karden,  Walken,  Färben,  —  wie  aus  den  Materialien  sich  ergiebt, 
die  ihnen  zu  liefern  waren  (c.  43)  -*>). 


17)  V.  Below  sagt,  Hist.  Zeitschr.,  Bd.  LVIII,  S.  214  (Territorium  und  Stadt. 
S.  308),  „ministerium"  sei  an  den  angeführten  Stellen  der  terminus  technicus  für  den 
hofrechtlichen  Handwerkerverband.  Das  ist  ein  Irrtum.  —  Vgl.  noch  Capitularc 
Aquisgranense ,  Boretius,  I,  S.  170  ff.,  §  8:  „Ut  vicarii  luparios  habeant,  unus- 
quisque  in  suo  miristerio  duos."  Femer  Capitulare  de  disciplina  palatii  Aquisgranensis. 
a.  a.  O.,  S.  298,  §  2:  „per  suum  ministerium,  id  est  per  domos  servorum  nostronim, 
tarn  in  Aquis  quam  in  proximis  villulis  nostris  ad  Aquis  pertinentibus". 

18)  „Ut  aedificia  intra  curtes  nostras  vel  sepes  in  circuitu  bene  sint  custoditae, 
et  stabula  vel  coquinae  atque  pistrina  seu  torcularia  studiose  praeparatae  fiant,  quatenus 
ibidem  condigne  ministeriales  nostri  officia  eorum  bene  niiide  peragere  possinL" 

IQ)  Das  ist  die  Grundbedeutung  von  „carpentarius",  die  hier  besser  paßt  als 
■die  spätere  ,, Zimmermann",  da  es  sich  um  Männer  besonderer  Kunstfertigkeit  handelt. 
Vielleicht  sind  es  auch  Schreiner,  die  Verfertiger  der  „scrinia"  des  c.  62.  Vgl.  im 
übrigen  über  den  „carpentarius"  unten  Anm.  54. 

20)  Boretius,  Capitularia,  Bd.  I,  S.  87  '*•,  und  Gareis,  Landgüterordnung, 
S.  48  Anm.,  übersetzen  „pectinos  laninas"  mit  Weberdistel;  Klumker,  Der  friesische 
Tuchhandel  z.  Z.  Karls  des  Grossen,  S.  36 '',  dagegen  mit  Wollkamm.  Da  außerdem 
noch    .jCardones"    genannt    werden,    wird  Klumker    recht    haben.     Jedoch  aus  einem 


I  2  Das  Capitulare  de   Villis. 

Noch  an  einer  Stelle  ist  in  dem  Capitulare  von  Handwerkern 
die  Rede:  in  c.  62,  bei  Aufzählung  all  der  Dinge,  über  die  der 
Amtmann  Rechenschaft  ablögen  soll.  Eine  generelle  Bezeichnung 
fehlt  hier  jedoch.  Neu  hinzugekommen  sind  die  Sattler.  Ferner 
werden  erwähnt  an  gewerblichen  Anstalten  Mühlen,  Eisenhütten-^), 
Eisen-  und  Bleigruben --).  In  c.  42  werden  neben  Hausgerät  auch 
verschiedene  Werkzeuge  aufgeführt,  die  sich  in  jeder  Villa  vor- 
finden sollen:  damit  ist  aber,  was  in  dem  Capitulare  über  das 
Handw'erk  vorkommt,  erschöpft. 

Ein  Punkt  bleibt  aber  noch  zu  berühren. 

Es  wird  dem  Amtmann  vorgeschrieben,  Sorge  zu  tragen, 
daß  die  genannten  Handwerker  sich  in  seinem  Ministerium  vor- 
finden 23).  Das  aber  war,  wie  wir  gesehen  haben,  ein  quadrat- 
meilengroßer  Bezirk,  der  außer  dem  Haupthof  noch  Nebeiihöfe 
(Vorwerke)  und  ausgetane  Hufen,  „mansioniles",  in  sich  begriff. 
Seine  Bevölkerung  war  eine  mannigfach  zusammengesetzte  und 
umfaßte  außer  den  Unfreien  verschiedener  Art  auch  Freie,  „Franci",. 
,,ingenui",  „liberi"  ^i).  Solche  konnten  z.  B.  die  Pferdehirten,  „pole- 
drarii"  sein'^-^).  Ebenso  w^urde  nur  ein  Teil  unmittelbar  beköstigt, 
„provendarii",  während  die  übrigen  „mansi"  oder  „beneficia"  inne 
hatten  '^^). 

Dem  gegenüber  ist  es  w-ohl  möglich,  daß  es,  neben  den  auf 
den  königlichen  Höfen  im  Handwerk  beschäftigten  Knechten,  in 


Verbot  der  Karde  in  der  Champngne  im  14.  Jahrhundert  zu  schließen,  daß  der  Woll- 
kamm  übeihaupt  in  der  Wollbearbeitung  früher  gebräuchlich  gewesen  sei  als  die  Karde, 
ist  nicht  statthaft.     Der  Gebrauch  beider  Werkzeuge  ist  auch  nicht  derselbe. 

21)  So  deutet  Gareis  das  ,,de  ferrariis''  wohl  mit  Recht. 

22)  In  demselben  c.  62  werden  auch  Einkünfte  „de  proterariis"  erwähnt,  womit 
niemand  recht  etwas  anzufangen  weiß.  Gareis,  Landgüterordnung,  S.  57  Anm., 
zitiert  verschiedene  Konjekturen:  petrariis  =  Steinbrüche,  petariis  =  Torfstiche,  proter- 
rariis  vielleicht  =  Neubruch. 

23)  c.  45. 

24)  c.  4:  ,, Franci  autem,  qui  in  fiscis  aut  villis  nostris  commanent".  c.  52: 
„de  fiscal[in]is  vel  servis  nostris  sive  de  ingenuis,  qui  per  fiscos  aut  villas  nostras 
commanent".  c.  62  (Abrechnung):  ,,quid  de  liberis  hominibus  et  centenis,  qui  partibus 
fisci  nostri  deserviuni''.     Vgl.  die  folgende  Anm. 

25)  c.  50:  ,,Et  ipsi  poledrarii,  qui  liberi  sunt  et  in  ipso  ministerio  beneficia  habuerint, 
de  illoium  vivant  beneficiis;  similiier  et  fiscalini,  qui  mansas  habuerint,  inde  vivantr 
et  qui  hoc  non  habuerit,   de  dominica  accipiat  provendam". 

26)  Vgl.  die  vorige  Anm.  ,, Provendarii''  c.  31.  —  Gareis'  Deutung  der 
„deputati"  c.  17  in  demselben  Sinne  scheint  mir  höchst  anfechtbar:  es  sind  doch  wohl 
nur  die  mit  der  Bienenzucht  ausschließlich  ,,beauftragten"  Leute. 


Freie  Arbeiter.     Brevium  Exempla.  ix 

dem  weiteren  Bezirk  des  „niinisterium",  wie  Märkte  2^"),  so  auch 
einem  Handwerk  obliegende  freie  Bewohner  gegeben  hat.  Sie 
gehören  in  den  Gesamtorganismus  des  Krongutes  mit  hinein. 
Denn  dem  Kaiser  kam  es  ja,  wenn  wir  dem  Wortlaute  trauen 
dürfen,  nur  darauf  an,  daß  innerhalb  des  Ministerium  die  nötigen 
Handwerker,  also  gleichgültig  welchen  Standes,  zur  Verfügung 
w'aren.  Die  Bedeutung  einer  Klasse  in  irgend  einem  Sinne  freier 
Handwerker  für  die  Gesamt  Wirtschaft  wird  uns  später  beschäftigen. 
Denn  unmittelbar  interessieren  uns  nur  die  handarbeitenden  Knechte, 
die  zu  dem  Inventar  der  Höfe  selbst  gehörten. 

Zur  vollständigen  Würdigung  des  Capitulare  de  Villis  ist 
indes  noch  eine  Quelle  heranzuziehen.  Das  Capitulare  enthält  ein 
Programm,  es  stellt  das  Ideal  auf,  dessen  Reahsierung  man 
wünschte.  Wie  es  aber  in  der  Wirklichkeit  aussah,  was  man  auf 
den  Krongütern  auch  nur  tatsächUch  zu  finden  erwartete,  das 
lehren  uns  die  Brevium  Exempla  ad  Describendas  Res 
Ecclesiasticas  et  Fiscales,  das  Muster,  nach  dem  die  kaiser- 
lichen ]\Iissi  bei  Beschreibung  der  einzelnen  Fisci  zu  verfahren 
hatten-').  Einzelne  Wendungen  zeigen  uns,  dass  die  Vorschriften 
des  Capitulare  bei  Abfassung  des  Formulars  zur  Richtschnur  ge- 
dient haben-**),  w'ährend  die  Nennung  wirklicher  Namen  beweist, 
daß  man  andererseits  tatsächliche  Verhältnisse  zu  Grunde  legte -^). 
Da  sieht  es  denn  kläglich  genug  aus. 

Am  glänzendsten  ausgestattet  präsentiert  sich  der  Fiscus 
Asnapium.     Er  besitzt: 

salam  regalem  ex  lapide  factam  optime. 


2b a)  c.  62;  vgl.  c.  54. 

27)  Boretius,  Capitularia,  Bd.  I,  S.  250  ff.,  spezieller  S.   254  ff. 

28)  Den  Beweis  liefern  die  Worte  „aurifices  neque  argentarios ,  ferrarios, 
neque  ad  venandum",  die  eine  geradezu  sklavische  Anlehnung  an  den  Handwerker- 

aragraphen  (45)  des  Capitulare  de  Villis  zeigen,  wo  ebenfalls  mit  den  verschiedenen 
■schmieden  angefangen  wird  und  es  zum  Schlüsse  heißt  „retiatores,  qui  reiia  bene 
facere  sdant,  tarn  ad  venandum  quam  ad  piscandum  sive  ad  aves  capiendum".  So 
wie  die  gesperrten  Worte  in  den  Brevium  Exempla  stehen,  haben  sie  keinen  Sinn 
und  erhalten  ihn  erst  durch  die  Ergänzung  aus  dem  Capitubre.  Dadurch  wird  das 
Verhältnis  beider  Dokumente  außer  Zweifel  gestellt,  gegen  Gar  eis,  Landgüterordnung, 
S.  12,  der  die  Priorität  der  Brevia  für  wahrscheinlicher  hält 

29)  Dies  meint  auch  Boretius,  a.  a.  O.  S.  250,  während  Gareis,  Landgüter- 
ordnung, S.  II,  es  wenigstens  für  möglich  hält.  Im  Grunde  macht  es  nicht  allzuviel 
aus,  ob  die  Beschreibung  der  Güter,  die  man  den  Formularen  zu  Grunde  legte,  wirk- 
lichen Zuständen  entnommen  war  oder  nur  wahrscheinlichen. 


14  Das  Capituiaie  de  Villis. 

Dem  entsprechen  die  übrigen  Baulichkeiten  und  das  ganze  In- 
ventar, die  abhängigen  „villae"  mit  ihren  Scheuern  und  Baum- 
gärten, sowie  die  „mansionilia",  die  teils  zu  diesen,  teils  zum 
Haupthof  gehören  ^*'). 

Allein  sobald  man  auf  die  Handwerker  kommt,  heißt  es: 
§  29  .  .  .  Ministeriales  non  invenimus  aurifices  neque 
argentarios,  ferrarios,  neque  ad  venandum,  neque  in  reli- 
quis  obsequiis. 

Bei  den  übrigen  Fisci  aber,  die  geschildert  werden,  und  die 
nach  der  Bauart  des  Wohnhauses  und  allem  Zubehör  einen  be- 
scheideneren Eindruck  machen"^'),  ist  dieser  Punkt  überhaupt  mit 
Stillschweigen  übergangen.  Wenn  dann  aber  gleichwohl  offenbar 
ein  genaues  Inventar  aufgenommen  ist,  auch  die  vorgefundenen 
Handwerkszeuge  aufgezählt  werden  ^2),  so  wird  man  gewiß  nicht 
mit  V.  Maurer  schließen  dürfen,  daß  die  Handwerker  selbst  nur 
deshalb  nicht  erwähnt  sind,  weil  ihr  Bestand  genau  den  Vor- 
schriften   des    Capitulare    entsprach  3'^).      Das  Wahrscheinliche    ist 

30)  Di6  Beschreibung  von  Asnapium  fährt  nach  ,,optime''  fort:  ,, Cameras  III, 
solariis  totani  casam  circumdatam,  cum  pisilibus  XI ;  infra  cellarium  I ;  porticus  II  ; 
alias  casas  infra  curtem  ex  ligno  factas  XVII  cum  totidem  cameris  et  ceteris  appen- 
diciis  bene  conposilis ;  stabokm  i  I ;  coquinam  I ;  pistrinum  I ;  spicaria  II ;  scuras  III. 
Curtem  tunimo  strenue  munitam,  cum  porta  lapidea,  et  desuper  solarium  ad  dispen- 
sandum."  U.  s.  w.  —  Asnapium  läßt  sich  nicht  mehr  identifizieren.  Nach  Eccards 
Vorgang  hat  man  es  früher  für  Gennep  gehalten,  und  die  von  Asnapium  abhängige 
Villa  Grisio  für  das  ebenfalls  in  der  Nähe  von  Cleve  gelegene  Griet,  Boretius, 
S.  254  ■"•''^.     Andere  Vermutungen  äußert  Gareis,  Landgüterordnung,  S.    1 1  ■■. 

31)  §  30  „domum  regalem,  exterius  ex  lapide  et  interius  ex  ligno  bene  con- 
structam,  ....  pisile  cum  camera  I  ordinabiliter  constructum ;  .  .  .  .  coquina  et 
pistrinum  in  unum  tenentur''.  §  32  ,, casam  regalem  cum  cameris  II  totidemque 
caminatis"  (etc.);  aber  auch  ,,capellam  ex  lapide  bene  constructam".  §  34  domum 
regalem  ex  ligno  ordinabiliter  constructam,  cameram  I"  (etc.).  §  36,  ,,in  Treola  .... 
casam  dominicatam  ex  lapide  optime  factam" ;  hier  auch  allein  ein  „murus"  um 
den   Hof. 

32)  §  25  (Asnapium),  secures  II,  dolatoriam  I,  terebros  II,  asciam  I,  scal- 
prum  I,  runcinam  I,  planam  I  =1  Beile,  Bandmesser,  Bohrer,  Axt,  Schnitzmesser  (nach 
Gareis,  Landgüterordnung,  S.  48  Anm.),  verschiedene  Hobel.  Aehnlich  in  §  32 
und  §  34;  in  §  36  (Treola)  nichts.  Die  meisten  der  genannten  Werkzeuge  sind,  wie 
andere  nach  den  Breven  vorgefundene  Utensilien,  vorschriftsmäßig  nach  Cap.  de  viUis  42. 
Vgl.  auch  Capitulare  Aquisgranense,  Boretius,  Bd.  I,  S.  i/o  ff.,  §10,  die  Werkzeuge, 
die,  wie  der  König,  so  auch  die  Großen  in  ihrem  Heeresgepäck  führen  sollen. 

33)  Fronhöfe,  Bd.  I,  S.  244  f. :  „Wo  dieselben  auf  einem  Königshofe  nicht  in  hin- 
reichender Anzahl  vorhanden  waren  oder  ganz  fehlten,  mußte  es  in  den  jedes  Jahr  zu 
verfertigenden  Breviarien  bemerkt  werden.''  Das  gibt  eine  falsche  Vorstellung:  es 
wurde  vielmehr  alles'  aufgeschrieben,  was  da  war,  und  nur  ausnahmsweise  besonders 
bemerkt,  was  fehlte. 


Brevium  Exempla.     Pisilis.  je 

vielmehr,  daß  man  bei  den  weniger  bedeutenden  Plaupthöfen  auf 
das  Vorhandensein  von  technisch  ausgebildeten  Leuten  im  Grunde 
überhaupt  nicht  rechnete,  während  die  genannten  Werkzeuge 
jeder  Bauer  zu  handhaben  verstand. 

Ein  gewisser  Mißbrauch  ist  hierbei  noch  mit  dem  Worte 
„pisiüs"  getrieben  worden. 

In  Asnapium  sind  bei  dem  Saal  elf  „pisiles".  v.  Maurer 
übersetzt  „eilf  Arbeitshäuser",  „off  enbar  Arbeitshäuser  der  Frauen"  '*), 
während  er  an  einer  anderen  Stelle  desselben  Buches  auf  Grund 
desselben  Ausdruckes  schlankweg  behauptet:  „Auch  auf  dem 
Königshofe  zu  Asnapium  u.  a.  m.  arbeiteten  die  Männer  [!}  ge- 
meinschaftlich miteinander  in  solchen  Kammern  3^"). 

Das  ist  rein  aus  der  Luft  gegriffen.  Von  Arbeitsräumen 
ist  gar  nicht  die  Rede.  „Pisilis",  „pisalis"  ist  nur  ein  heizbarer 
Raum  3^).  Solche  kommen  in  den  Genitien  vor,  z.  B.  nach  c,  49 
des  Capitulare  de  Villis,  und  darauf  hat  v.  Maurer  seine  folgen- 
schwere Behauptung  basiert.  Ob  aber  Werkstätten  der  Hand- 
werker jemals  so  bezeichnet  worden  sind,  ob  sie  mit  Heizanlagen 
versehen  waren,  bleibt  überhaupt  in  hohem  Grade  zweifelhaft. 
Nicht  ohne  Ironie  aber  ist  es,  daß  gerade  in  Asnapium,  wo  die 
Missi  ausdrücklich  keinerlei  Handwerker  fanden,  dennoch  elf  heiz- 
bare Arbeitsräume  für  sie  bereitgestellt  gewesen  sein  sollen  2''). 


34)  Geschichte  der  Fronhöfe,  Bd.  I,  S.  122  f.  Aehnlich  erklärt  Boretius, 
S.  254^-  zu  dieser  Stelle,  „mulierum  camerae";  dagegen  S.  87^',  zu  Cap.  de  Villis, 
c.  49,  richtig,  „camerae  caminis  instructae."     Vgl.  unten  Anm.  36. 

35)  A.  a.  O.  S.   246.     Vgl.  übrigens  auch  unten  Anm.  37. 

;6)  Es  wird  hergeleitet  von  „pensiUs".  „Balneae  pensiles"  werden  als  Bade- 
zimmer mit  heizbarem  Fußboden  erklärt  (Georges,  Handwörterbuch,  unter  „pensilis"). 
Lex  er,  Handwörterbuch,  unter  ..phiesel'*,  scheint  freilich  die  Form  „pensale"  vorzu- 
ziehen und  das  Wort  von  „pensum"  herleiten  zu  wollen,  gestützt  auf  W.  Wacker- 
nagel, Die  Umdeutschung  fremder  "Wörter.  Das  ist  aber  nach  der  überwiegenden 
Verwendungsweise  unmöglich;  denn  überall,  wo  ein  Begriff  dabei  erkennbar  wird,  ist 
es  der  der  Heizbarkeit.  So  auch  Kluge,  Etymologisches  Wörterbuch,  unter  Stube. 
Französisch  poele,  Ofen,  wird  ebendaher  abgeleitet.  Vgl.  auch  Gar  eis,  Landgüter- 
ordnung, S.  5 1   Anm.,  sowie  meine  nächsten  Anmerkungen. 

37)  Ebenso  grundlos  ist  es  daher  in  den  „camerae"  der  17  Holzhäuser  im  Hofe 
von  Asnapium  Räume  zu  sehen,  in  denen  die  männliche  Dienerschaft  zusammen 
arbeitete  (wie  v.  Maurer  S.  123).  Wahrscheinhch  waren  diese  „casae"  zu  Quartieren 
für  ein  größeres  Gefoige  und  für  fremde  Besucher  bestimmt,  wenn  der  König  zu 
Asnapium  Hof  hielt.  Vgl.  noch  unten  Anm.  40.  —  Dem  gegenüber  kann  nicht  in 
Betracht  kommen,  daß  an  sich  freilich  die  unfreien  Handwerker,  wo  sie  vorhanden 
waren,  in  „camerae"  zu  arbeiten  pfl^ten.     Vgl.  unten  bei  Anm.  64  u.  85. 


H  6  Das  Capitulare  de  Villis. 

Trotzdem  hat  die  Ideenverbindung  „pisalis"  =  Arbeitsraum  so 
sehr  von  v.  Maurer  Besitz  genommen,  daß  er  auch  in  einet 
„pisalis",  die  sich  unter  dem  Schlafzimmer  der  Mönche  von  Muri 
befand,  ohne  weiteres  einen  Arbeitssaal  sieht ^^).  Aber  gerade 
aus  dieser  Verbindung  von  „dormitorium"  und  „pisilis",  die  sich  in 
den  Klöstern  mit  einer  gewissen  Regelmäßigkeit  wiederfindet, 
-ergibt  sich,  daß  es  sich  dabei,  dem  Wortsinn  entsprechend,  eben 
um  nichts  als  um  einen  heizbaren  Raum  handelt,  in  dem  die 
Mönche  sich  an  kalten  Tagen  aufzuhalten  hatten ,  solange  sie 
•nicht  anderswo  beschäftigt  waren  3^),  wie  er  aber  auch  in  den 
Arbeitshäusern  der  Frauen  und,  in  der  Mehrzahl,  in  einer  Pfalz 
wie  Asnapium  zu  Wohnzwecken  am  Platze  war**^). 

Das  Ganze  zeigt,  wie  tief  falsche  Einzelvorstellungen  ein- 
gewurzelt sein  können,  die  erst  ausgerottet  werden  müssen,  ehe 
für  neue  Anschauungen  überhaupt  nur  Platz    zu  gewinnen  ist*"). 

Demselben  Wirtschafts-  und  Gedankenkreise,  wenn  auch 
nicht  in  so  unmittelbarer  Abhängigkeit  wäe  die  Brevium  Exempla, 
gehören  noch  einige  andere  Quellen  an,  in  denen  man  Angaben 
über  die  Hofhandwerkerschaften  zu  finden  erwarten  würde,  wenn 
diese  an  den  Karolingischen  Höfen  wirklich  von  der  Bedeutung 
gewesen  wären,  die  man  ihnen  zugeschrieben  hat.  Dahin  gehört 
das  Capitulare  Aquisgranense,   zumal  §   19,    wo   den  „villici" 


38)  A.  a.  O.  S.  246.  Acta  Murensia  (neuere  Ausgabe  in  Quellen  zur 
-Schweizer  Geschichte,  Bd.  111  (3)),  S.  23:   „edificavit .  .  .  dormitorium,  subtus  autem 

pisalem  congruaque  habitacula    alia    fratribus    constituit".     Der  Pfisel  war,  wie  üblich, 
unter  dem  Schlaf  räum,  nicht  umgekehrt,  wie  v.  Maurer  sagt. 

39)  In  der  Klosterordnung  für  Corbie  von  822  (S.  318,  vgl.  unten  Anm.  78) 
finden  sich  genaue  Vorschriften  für  das  Verhalten  der  Mönche  ,,in  piselo",  als  dem 
Tagesaufenthalt  im  Winter. 

40)  Ich  verstehe,  daß  die  „XI  pisiles''  wie  die  „111  camerae"  in  dem  von 
Söllern  umgebenen  und  mit  zwei  Vorhallen  geschmückten,  als  „sala"  bezeichneten 
Hauptgebäude  waren,  im  Gegensatz  zu  den  „aliae  casae  infra  curtem  ex  ligno  factae 
XVll  cum  tolidem  cameris". 

41)  „Tunimus",  mag  dabei  bemerkt  werden,  ist  von  Boretius,  S.  254''^ 
mit  ,,Zaun"  wohl  auch  nicht  gut  übersetzt.  Vgl.  S.  255,  §  30:  „curtem  tunimo 
circumdalam  desuperque  spinis  munitam'';  §  34  „curtem  tuniino  circumdatam  et 
desuper  sepe  munita[m]''.  Danach  scheint  es,  als  ob  tunimus  vielmehr  ein  Wall 
wäre:  nicht  ohne  Interesse  in  Anbetracht  der  Rolle  die  ,,iün"  in  der  englischen  Ver- 
fassungsgeschichte spielt.  Ein  Zaun  würde  ,.sepes"  sein,  womit  die  Höfe  der  ein- 
fachen Villae  umgeben  sind:  §§  26 — 28,  32.  Nur  der  Hof  des  Fiscus  Treola  hat 
eine  Mauer,  §  36.  In  Bezug  auf  ,, desuper"  vgl.  §  35:  ,,porta  lapidea  et  desuper 
Solarium." 


Die  Pfalz  zu  Aachen. 


17 


kurze,  aber  umfassende  und  genaue  Vorschriften  gemacht  werden 
über  alles,  wofür  sie  zu  sorgen  haben*-),     ü.  a.  heißt  es: 

Et  ut  feminae  nostrae,   quae   ad  opus   nostrum    sunt  ser- 

vientes,   habeant   ex    partibus   nostris   lanam    et   linum  et 

faciant  sarciles  et  camisiles. 
Von  Handwerkern  ist  dagegen  mit  keinem  Worte  die  Rede. 
Femer  wäre  das  Capitulare  de  Disciplina  Palatii  Aquis- 
granensis   von    l^udwig   dem    Frommen   heranzuziehen,  wo  eine 

inquisitio  per  domos  servorum   nostrorum   tam   in  Aquis 

quam   in   proximis  villulis  nostris  ad  Aquis  pertinentibus, 
ferner 

per  scruas  et  alias  mansiones  actorum  nostrorum, 
sowie  endlich 

per  mansiones  omnium  negotiatorum 
angeordnet  wird  ^^).     Irgend  welcher  Handwerker  geschieht  dabei 
nicht  besonders  Erwähnung. 

Und  endlich  erweist  sich  selbst  Erzbischof  Hincmars  be- 
rühmte Schrift  über  die  Ordnung  der  Pfalz  gänzlich  unergiebig**). 
Warum  aber  sind,  wird  man  fragen,  die  Bestimmungen  des 
Capitulare  de  Villis  nicht  durchgeführt  worden?  Auf  den  länd- 
lichen Gütern  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  Handwerker  noch 
weniger  als  Soldaten  sich  aus  dem  Boden  stampfen  lassen.  Bei 
der  Pfalz  Aachen  aber  wird  ein  anderer  Umstand  den  Ausschlag 
gegeben  haben,  auf  den  ich  später  zu  sprechen  komme. 


42)  Boretius,  Capitularia,  Bd.  J,  S.  l"off.;  vgl.  oben  Anm.  17.  Ueber  die 
Bedeutung  von  „camisilis"  und  „sarcilis"  vgl.  meinen  Aufsatz  ,.Der  Großhandel  im 
Mittelalter",  Hansische  Geschichtsblätter,  Jahi^.   1901   (Leipzig  1902),  S.  91  ®'. 

43)  Boretius,  S.  298,  §  2.  Daß  die  erwähnten  Händler  („sive  in  mercato 
sive  aliubi  negotientur,  tam  Christianorum  quam  et  ludaeorum")  einen  eigenen  Vor- 
stand gehabt  hätten,  wie  v.  Maurer,  Fronhöfe,  Bd.  I,  S.  245,  behauptet,  ist  wieder 
ein  übereilter  Schluß. 

44)  Hincmarus  de  ordine  palatii,  vgl.  oben  Anm.  14.  Hier,  etwa  in  c.  28, 
hätte  man  am  sichersten  etwas  erwartet. 


£eutgen,  Aemter  und  Zünfte. 


II.  Kapitel. 

Die  Handwerker  der  Grundherrschaften. 

Indes:  kannten  die  Krongüter  keine  Handwerkerverbände,  so 
ist  damit  noch  nicht  bewiesen,  daß  sie  auch  auf  den  Gütern  der 
geisthchen  Grundherren  gefehlt  haben.  Auf  diese  können  wir 
uns  beschränken :  denn  für  die  weltlichen  Grundherrschaften  mangelt 
es  an  Zeugnissen  aus  älterer  Zeit;  und  es  ist  auch  in  keiner  Weise 
anzunehmen,  daß  sie  ausgiebiger  organisiert  gewesen  sein  sollten 
als  jene,  die  überhaupt  in  der  ganzen  Streitfrage  allein  eine  Rolle 
spielen. 

Kaum  braucht  wohl  betont  zu  werden,  daß  es  niemand 
einfällt,  das  Vorhandensein  von  unfreien  Handwerkern  auf  den 
Fronhöfen  an  sich  zu  leugnen.  Man  darf  es  vielmehr  geradezu 
als  Voraussetzung  für  unsere  Untersuchungen  betrachten,  und  in 
sofern  behält  auch  für  diese  die  Klarlegung  der  Zustände  auf 
den  karolingischen  Krongütern  nicht  bloß  negativen  Wert.  Wenn 
also  auf  diesen  Punkt  noch  eingegangen  wird,  so  kann  es  sich 
nur  um  die  Frage  handeln,  ob  die  einzelnen  Handwerkergattungen 
so  stark  auf  dem  Fronhofe  vertreten  waren,  daß  eine  innungs- 
artige Organisation  denkbar  wäre,  auch  wo  sonst  von  ihr  keine 
Spur  zu  sehen  ist. 

Zunächst  aber  sind  die  allgemeinen  Voraussetzungen  des 
Handwerks  in  ländlichen  Verhältnissen  kurz  zu  erörtern. 

Auf  jedem  Bauernhofe  werden  von  Zeit  zu  Zeit  Verrich- 
tungen nötig,  die  in  der  Stadt  von  mancherlei  Handwerkern  aus- 
geführt werden,  die  aber  auf  dem  Lande  der  Bauer  mit  seiner 
Familie  und  seinen  Knechten  selbst  besorgt,  unter  Umständen 
mit  Hilfe  seiner  Nachbarn.  Der  Bauer  ist  sein  eigener  Bau- 
arbeiter, im  Hause  werden  die  Kleider,  einschließlich  der  Stoffe, 
hergestellt,  werden  die  hölzernen  Geräte  geschnitzt.  Auf  den 
Fronhöfen  ist  es  zunächst  nicht  anders.     Dieselben  Knechte  und 


Handwerker  auf  dem  Lande. 


19 


Mägde,  die  für  gewöhnlich  landwirtschaftliche  Arbeiten  verrichten, 
werden,  soweit  sie  anstellig  genug  sind,  auch  im  Handwerk  ver- 
wandt. 

Bei  einem  größeren  Betriebe  wird  jedoch  eine  Differenzierung 
eintreten.  Ist  der  Bedarf  stark  und  regelmäßig  genug,  und  haben 
die  Ansprüche  auf  bessere  Ware  sich  gehoben_,  so  werden  einzelne 
Knechte  zu  förmlichen  Handwerkern  ausgebildet  und  als  solche 
regelmäßig  beschäftigt. 

Dazu  gehören  in  erster  Linie  die  Meister  der  feineren 
Künste  innerhalb  der  Tucherei,  vor  allem  die  Walker,  die  die 
\on  den  hörigen  Bauern  gelieferten  groben  Gewebe  weiter  zu 
bearbeiten  haben.  Darum  werden  gerade  sie  unter  den  Dienern 
der  Mönche  von  Reichenau  genannt,  deren  Aufenthalt  auf  der 
Klosterinsel  König  Heinrich  IV.  allein  für  unumgängHch  und 
deshalb  statthaft  hält*^). 

Noch  früher  werden  Bäcker  und  Brauer  anzusetzen  sein. 
Einen  Senimelbäcker  lernten  wir  schon  aus  dem  Capitulare  do 
\'illis  kennen'*'^).  Doch  wird  auch  das  Backen  des  täglichen 
Brotes  bald  ständige  Beschäftigung  bestimmter  Personen  geworden 
sein:  für  Bäcker  und  Brauer  hatte  man  regelmäßige  Arbeit,  und 
nötig  war  dazu  ein  Back-  und  Brauhaus.  Uebrigens  brauchte 
ihre  Kunst  nicht  über  das  hinauszugehen,  was  jeder  Bauer,  jede 
Bäuerin  konnte*'). 

45)  Dümge,  Regesta  Baden&ia  Nr.  57  a.  1065;  Brandi,  Kritisches  Ver- 
zeichnis der  Reichenauer  Urkunden  des  VIII. — XII.  Jahrhunderts,  Nr.  64.  Das 
Wohnen  auf  der  Insel  wird  nur  ,,monachonim  piscatoribus,  pistoribus,  cocis,  fulloni- 
bus,  vinearum  cuitoribus"  erlaubt.  Den  Fischern  und  Winzern  konnte  es  nicht  ohne 
Abbruch  der  Fischerei  und  des  Weinbaues,  also  zum  Schaden  des  Klosters,  untersagt 
werden;  Bäcker  und  Köche  mußte  man  im  Hause  haben:  daß  außerdem  gerade  noch 
die  Walker  zugelassen  werden,  erklärt  sich  aus  den  im  Text  angegebenen  Gründen. 
Vgl.  zu  der  Sachlage  noch  den  Schluß  des  Kapitels. 

46)  Vgl.  oben  S.    11. 

47)  Instruktiv  ist  folgende  Stelle  aus  dem  Kommentar  des  Abtes  Caesarias 
on  1222)  zu  dem  Urbar  von  Prüm  von  893,  Mittelrhein.  ÜB.,  Bd.  I,  S.  144': 
In  qualibet   curia   potest  dominus  abbas   cambam   suam    sicut   et  molendinum  habere. 

Cambam  vulgariter  appellamus  bahchus  et  bruhus.  In  illa  camba  tenentur  homines 
ibidem  manentes  panem  fermentatum  coquere  et  cervisiam  braxare.  Pieterea,  si  domi- 
nus abbas  illuc  est  ventiuns,  et  si  mansionariis  a  maiore,  id  est  villico,  sive  a  nundo 
abbatis  precipitur,  tenentur  frumentimi  de  curia  dominica  ad  molendinum  deducere  et 
molere  et  ad  cambam  dominicam  reportare  et  panem  facere  et  coquere  similiter  et 
cer\'isiam  braxare.  Preterea,  quando  familia  operatur  opera  dominica,  unde  acceptura 
est  panem  et  cer^•isiam,  illum  panem  ac  cervisiam  ipsa  familia  in  suo  ordine  tenetnr 
et  coquere  et  brazare." 


20  Die  Handwerker  der  Grundherrschaften. 

Jedoch  ein  rechtlicher  Unterschied  in  ihrer  Stellung-  gegen- 
über den  anderen  Knechten  wird  durch  diese  Sonderbeschäftigung 
nicht  geschaffen.  Erst  später  verknüpft  sich  damit  die  Idee 
eines  Amtes ^*).  Allein  auch  dann  gilt  das  für  alle  Hausdiener 
gleichmäßig.  Einen  Unterschied  zwischen  „eigentlichen  Haus- 
dienern" und  Hofhandwerkern  giebt  es  nicht^").  Nur  zwischen 
ihnen ,  den  gelernten  Dienern ,  und  der  Masse  der  gemeinen 
Arbeiter  auf  dem  Felde,  die  es  nicht  zu  besonderen  Aemtern 
gebracht  hatten,  wäre  von  einem  solchen  zu  reden.  Auch  die 
Handwerker  gehören  zum  Hausgesinde^").  Recht  bezeichnend 
aber  ist  es,  daß  stets,  wenn  es  in  der  wissenschaftlichen  Dis- 
kussion auf  ein  möglichst  starkes  Aufgebot  von  Hofhandwerkern 
ankommt,  die  regelmäßig  vorhandenen  Köche,  sowie  die  ihnen 
nahe  verwandten  Brauer  und  Bäcker  mit  paradieren  müssen. 

Daß  in  alledem  bereits  ein  Argument  gegen  die  Wahr- 
scheinlichkeit der  Sonderentwickelung  eines  Teiles  dieses  Gesindes 
zu  der  Stellung  von  selbständigen  Gewerbetreibenden  liegt, 
darauf  braucht  einstweilen  nur  hingewiesen  zu  werden  ^^).  Zu- 
nächst haben  wir  die  Zusammensetzung  und  angebliche  Organi- 
sation dieses  Hofgesindes  näher  kennen  zu  lernen. 


48)  Unten  in  Kapitel  III.  Dabei  kommt  auch  das  Maß  der  Dienste  zur  Dis- 
kussion. 

49)  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben,  Bd.  I  (2),  S.  820,  braucht  ein- 
mal die  Wendung :  „die  eigentlichen  Hausdiener,  etwa  den  Gärtner,  den  Schmied,  den 
Zimmermann,  in  den  Klöstern  ferner  den  Barbier,  den  Pförtner,  sowie  die  niederen 
Kirchendiener."  Er  rechnet  also  auch  eigentliche  Handwerker  zu  den  Hausdienern. 
Das  entspricht  durchaus  der  Auffassung  der  Quellen  selbst.  Vgl.  im  übrigen  unten 
die  Personalverzeichnisse  der  Klöster  St.  Gallen,  Corbie,  Werden,  Saint-Trond, 
Bödeken.  —  Ueber  die  ländlichen  Gewerke  als  „Anhang  der  Landwirtschaft"  vgl. 
auch  Lamprecht,  a.  a.  O.,  Bd.  I  (i),  S.  584  ff. 

50)  ,, Nomina  officiatorum  seu  ministerialium  vel  potius  ministrorum,  qui  Teutonice 
husgenot    appellantur".      (Le    livre    de    l'abbe    Guillaume    de    Ryckel    1249 — 1272. 

Polyptyque  et  comptes  de  l'abbaye  de  Saint-Trond publies  par  H.  Pirenne, 

Gent  1896,  S.  93).  Darunter  auch  die  Handwerker:  vgl.  unten  den  Text  zuAnm.  93. 
Femer  „diu  reht  des  gotshuss  ze  Gysenvelt"  (13.  Jahrh.  —  Wittmann,  in  Quellen 
und  Erörterungen  z.  bayer.  und  deutschen  Geschichte,  Bd.  I,  S.  414  u.  S.  415  §  i): 
auch  hier  wird  „husgnozzen"  in  ähnlichem   Begriffsumfang  gebrauchte 

51)  Die  ,, selbständigeren  Handwerker",  „deren  Entwicklung  bald  eigene 
Bahnen  einschlug",  von  denen  Lamprecht  unmittelbar  vor  der  in  der  vorletzten  An- 
merkung angeführten  Stelle  spricht,  gehören  von  vornherein  nicht  zum  Gesinde  und 
verdanken  ihre  Sonderentwickelung  nur  diesem  Umstände,  nicht  ihrem  Berufe,  wie  es 
dort  scheinen  könnte. 


Hausdiener  und  Handwerker.    Organisation.  21 

Doch  ist  wiederum  erst  noch  eine  prinzipielle  Frage  zu  er- 
örtern, nämlich,  was  man  sich  unter  einer  Organisation  des 
Handwerks  auf  den  Fronhöfen  überhaupt  vorzustellen  hätte. 

Als  Organisation  in  einem  hier  tauglichen  Sinne  kann  es 
natürlich  nicht  gelten,  wenn  dem  Meister  eines  Handwerkes  ein 
oder  einige  Gesellen  oder  Lehrlinge  zur  Seite  stehen.  Meister 
in  diesem  Sinne  hatten  wir  ja  bereits,  wenigstens  bei  der  Brauerei, 
im  Capitulare  de  Villis  unterschieden^-).  Im  Vorbeigehen  sei  be- 
merkt, daß  sich  auch  in  dieser  Hinsicht  kein  Unterschied  zwischen 
eigentlichen  Handwerkern  und  gewöhnlichen  Hansdienern  konsta- 
tieren läßt.  Der  Oberkoch  hat  seine  Kücheniungen^,  wie  der 
Braumeister  seine  Braugehilfen,  der  Schmied  seine  Gesellen. 

Inwieweit  es  sich  im  einzelnen  Falle  um  ein  derartiges  Ver- 
hältnis handelt,  wenn  auf  einem  Fronhofe  zwei,  drei  oder  vier 
\'ertreter  eines  Handwerks  aufgezählt  werden ,  muß  freilich 
dahingestellt  bleiben.  Man  kann  auch  an  das  eines  Werkführers 
und  gewöhnlicher  Arbeiter  denken,  aber  man  braucht  überhaupt 
kein  Subordinationsverhältnis  anzunehmen.  Die  meisten  Gewerbe 
sind  zwar  von  der  Art,  daß  ein  Einzelner  sie  nicht  ausüben 
kann.  Doch  kann  in  anderen  Fällen  die  Höhe  des  Bedarfs  es 
erklären,  wenn  ein  Kloster  etwa  mehrere  Schuhmacher  beschäftigt. 
Mit  alledem  ist  man  jedenfalls  noch  weit  entfernt  von  einer 
Organisation  des  Handwerks  auf  den  Fronhöfen,  wie  die  hof- 
rechtliche Theorie  sie  braucht. 

Ein  Zusammenwirken  mehrerer  Arbeiter  ohne  förmliches 
Meister-  und  Gesellen  Verhältnis  findet  namentlich  statt  im  Bau- 
gewerbe, und  gerade  besondere  Bauarbeiter  gehören  zum  regel- 
mäßigen Bestände  der  Fronhöfe**).    Zu  Erneuerungen  ihrer  kunst- 

52)  Vgl.  oben  S.  8. 

53)  Schon  Leges  Alamannorum  (Ausgabe  von  K.  Lehmann,  MG.  LL. 
Sectio  I  tom.  V.  Lex  LXXIV  (codd,  B  LXXIX)  §  3 :  „coquus,  qui  iuniorem  habet;" 
§  4  ebenso  ,,pistor". 

54)  Vgl.  unten  die  Personalverzeichnisse.  —  Ueber  den  carpentarius  bringt 
Lamprecht  viel  Material  bei,  Wirtschaftsleben,  I  (i),  S.  588,  I  (2),  S.  776'.  Wenn 
er  aber  meint,  daß  die  Stellmacherei  sich  aus  seinem  Gewerkc  entwickelt  hat.  so 
ist  das  wohl  nur  bedingt  richtig.  Denn  die  Grundbedeutung  des  Wortes  ist  eben 
Stellmacher  und  dessen  kunstvollere  Technik  wird  sich  auch  eher  zu  einem  besonderen 
Gewerbe  entwickelt  haben,  als  die  Zimmerei.  Vielleicht  weisen  darauf  auch  die  von 
Lamprecht,  I  (2),  S.  776^  aus  dem  St.  Maximiner  Urbar,  Anfang  des  13.  Jahr- 
hunderts, angeführten  Stellen  hin,  wonach  der  carpentarius  die  Ernte  in  die  Scheune 
zu  führen  hat,  eine  Garbe  de  curru,  de  plaustro  empfangt  (MR.  ÜB.,  Bd.  U,  S.  437). 


2  2  Die  Handwerker  der  Grundherrschaften. 

volleren  Baulichkeiten  war  das  Bauernvolk  eben  technisch  nicht 
ausgebildet^'^).  Nur  zu  Handlangerdiensten,  namentlich  wenn  es 
auf  den  Kraftaufwand  großer  Massen  ankam,  konnte  es  gebraucht 
werden^");  während  zu  neuen  Prachtbauten  man  besondere  Meister 
und  Arbeiter  von  auswärts  aufbieten  mußte ^').  Eben  deren  ge- 
legentliches Zusammenwirken  giebt  aber  den  schlagendsten  Beweis 
an  die  Hand,  wie  sehr  man  sich  bei  der  Erwähnung  von  „ma- 
gistri  et  öpifices"  hüten  muß,  sogleich  an  einen  innungsartigen 
Verband  zu  denken,  der  ja  bei  ihnen,  die  nur  kurze  Zeit  in  einem 
Dienstverhältnis  zu  dem  Bauherrn  standen,  völlig  ausgeschlossen  ist  ■'*). 
Eins  aber  muß  noch  betont  werden.  Wenn  bei  einem 
Fronhofe  mehrere  Vertreter  einzelner  Handwerke  aufgezählt 
werden,  so  sind  das  —  darüber  läßt  die  Art  ihrer  Erwähnung- 
keinen  Zweifel  —  alle  von  ihrer  Art,  die  vorhanden  waren,  und 
es  ist  daher  durchaus  unstatthaft,  mit  G.  L.  v.  Maurer  anzu- 
nehmen, daß,  wenn  nur  einer  genannt  wird,  er  noch  mehrere 
Untergebene  gehabt  haben  müsse  ^'*)- 


Für  den  Gebrauch  von  carpentum  gleich  Wagen  führt  Lamprecht  (II,  S.  248') 
selbst  eine  Stelle  an  aus  Vita  Uodalrici  5,  MG.  SS.,  Bd.  IV,  S.  393.  —  Neben  den 
,,carpentarii"  und  „cementarii"  besonders  hervorzuheben  sind  die  „f enestrarii, 
operarii  fenestraium".  Vgl.  unten  bei  Saint-Trond.  Die  Erklärung  von  Du  cange: 
,,fenestrarius,  cui  fenestrae  seu  per  fenestram  res  traducendi  curia  incumbii"  genügt 
also  nicht;  wenngleich  der  „fenestrarius"  der  unten  in  Kap.  IV  citierten  Urkunde 
Ott05  IV.  für  Aachen  in  diesem  Sinne  zu  fassen  sein  wird.  —  Vgl.  noch  die  ,,vitrei 
magistri"  unten  bei  Farfa. 

55)  Daher  werden  die  Bauarbeiter  des  Klosters  Bödeken  als  „ad  novam 
structuram"  bezeichnet.  Unten  bei  Anm.  100.  —  Vgl.  auch  St.  Maximiner  Urbar, 
Anfang  des  13.  Jahrhunderts  (MR.  ÜB.,  Bd.  II,  S.  452,  auch  angezogen  von 
Lamprecht,  Wirtschaftsleben,  Bd.  I,  S.  588'),  wonach  es  zu  den  Aufgaben  der 
Bauern  gehört :  ,,horreum  nostrum  usque  ad  tectum  construunt." 

56)  Z.  B.,  als  in  Sankt  Gallen  ein  zu  einem  Turmbau  nötiger  gewaltiger 
Stein  nur  durch  die  Zugkraft  von  500  Menschen  und  40  Ochsen  fortgeschafft  werden 
konnte.     MG.  SS.,  Bd.  II,  S.   166. 

57)  Vgl.  Acta  Murensia  (Qu.  z.  Schweizerg.,  Bd.  III  (3),  S.  25):  ,,adiuvit 
eum  [den  Propst  Reginbold  beim  Ausbau  des  Klosters]  satis  bene  cometissa  Iia  in 
Omnibus  que  potuit,  tam  cementarios  acquirendo  et  illos  hie  pascendo  et  mercedem 
dando."  Es  -waren  demnach  freie  Arbeiter,  die  nur  während  des  Baues  in  Muri 
blieben    und  Beköstigung    und  Lohn  empfingen.     Siehe  auch  die  folgende  Anmerkung. 

58)  Von  Karl  dem  Großen  erzählt  der  Mönch  von  Sankt  Gallen  beim  Bau  der 
Basilika  in  Aachen:  ,,Ad  cuius  fabricam  de  omnibus  cismarinis  regionibus  magistros 
et  öpifices  omnium  id  genus  artium  advocavit".  MG.  SS.  II,  S.  744,  Mon.  Sangall. 
Lib.  I,   c.  28. 

59)  Fronhöfe  II  S.  336.  Ueber  die  Amtsqualität  später.  —  Vgl.  auch  v.  Be- 
low,    Zeitschr.  f.  Soz.  u.  Wirtschaf tsg.,    Bd.  V,    S.   146,  der  indessen  in  sehr  großen 


Organisation  des  Hofgesindes.  23 

Wenn  v.  Maurer  sagt: 

„Die  damaligen  Bäckermeister,  Schneidermeister  und  anderen 
Werkmeister  haben  sich  daher  von  unseren  heutigen  Handwerks- 
meistern, deren  jede  Zunft  immer  mehrere  hat,  wesentlich  dadurch 
unterschieden,  daß  sie  allein  die  Herren  und  Meister,  die  übrigen 
Arbeiter  dagegen  nur  ihre  Diener  waren",  so  ist  das  zunächst  — 
wenn  auch  ein  richtiger  Gedanke  dabei  vorgeschwebt  hat**®)  —  sehr 
unklar  gedacht.  Denn  die  von  ihm  geschilderten  Bäckermeister 
und  Schneidermeister  unterscheiden  sich  ja  eben  nicht  von  den 
heutigen,  die  doch  auch  Untergebene  haben;  sondern  beide  stehen 
im  Gegensatz  zu  alten  und  neuen  Innungsmeistern.  Man  mag 
es  jedoch  als  Beleg  dafür  anziehen,  daß  auch  v.  Maurer,  trotz 
seines  Glaubens,  hofrechtliche  Zünfte  nirgends  hat  entdecken 
können. 

Wenn  er  dann  aber  fortfährt:  „Daher  mag  es  sich  erklären, 
warurn  ursprünglich  auf  jedem  Fronhofe  immer  nur  eines  einzigen 
Schneiders,  Bierbrauers,  Gerbers,  Metzgers,  Webers  u.  s.  w.  Er- 
wähnung getan  wird,  indem  darunter  jedesmal  der  Meister  des 
Handwerks  oder  der  eigentliche  Beamte  (officiatus)  verstanden 
werden  muß",  so  ist  das  einfach  falsch.  Denn  wir  sehen  schon 
und  werden  es  noch  besser  erfahren,  daß  durchaus  nicht  „auf 
jedem  Fronhofe  immer  nur  eines  einzigen  .Schneiders  ...  u.  s.  w. 
Erwähnung"  geschieht,  sondern  oft  genug  mehrerer.  Wird  also 
nur  einer  genannt,  so  w'ar  auch  nur  einer  da.  Höchstens  für  eine 
ganz  späte  Zeit,  die  uns  nicht  mehr  interessiert,  mag  v.  Maurers 
Beobachtung  Gültigkeit  haben. 

Den  Gipfel  der  Verkehrtheit  aber  erreicht  er,  wenn  er  Zustände, 
wie  sie  die  später  zu  besprechenden  Straßburger  und  Trierer 
Aufzeichnungen  aus  dem  12.  Jahrhundert  offenbaren,  als  eine 
frühe  Milderung  „dieser  strengen  Aemterverfassung"'  hinstellt. 
Nichts  könnte  ein  grelleres  Schlaglicht  werfen  auf  die  Haltlosig- 


Grundherrschaften  in  besonderen  Verbänden  organisierte  Handwerker  immerhin  für 
möglich  zu  halten  scheint.  Es  wäre  aber  sehr  wichtig  solche  nachzuweisen.  Der  von 
ihm  Anm.  57  konstatierte  magister  carpentariorum  ist  ein  führendes  Konvenis- 
mitglied,  und  mithin  weder  Innimgsmeister  noch  Geseilenmeister  (vgl.  unten  Anm.  '•!(, 
und  der  magister  domus  textrinae  ist  ein  Konverse.  Beide  außerdem  aus  .in er 
Zeit,  wo  das  städtische  Innungswesen  längst  ausgebildet  war. 

60)  Nämlich,  daß  das  Verhältnis  eines  Meisters  zu  seinen  Gesellen  durchaus 
verschieden  ist  von  dem  des  Innungsmeisters  zu  den  selbständigen  Handwedcern,  die 
die  Innung  bilden. 


/ 


24 


Die  Handwerker  der  Grundherrschaften. 


keit  der  ganzen  Theorie.  Um  es  kurz  zusammenzufassen: 
V.  Maurer  findet  an  den  meisten  Höfen  stets  nur  einen  Meister 
des  einzelnen  Handwerks;  dieser  Meister  hat  manchmal  einige 
Gehilfen  neben  sich;  in  ganz  späten  Hofrechten  führte  er  die 
Bezeichnung  officiatus,  erscheint  als  förmlicher  Würdenträger; 
und  da  nun  in  ein  paar  Städten  schon  früh  Meister  an  der  Spitze 
von  innungsartigen  Verbänden  auftreten  —  die  v.  Maurer  in  einer 
Voreingenommenheit,  die  ihm  nach  dem  Stande  der  Forschung 
zu  seiner  Zeit  allerdings  nicht  verübelt  werden  darf,  ohne  weiteres 
für  hof rechtlichen  Ursprungs  hielt  —  hier  also  der  Hauptmeister 
andere  Meister,  nicht  bloße  Gehilfen,  gewissermaßen  unter  sich 
hat:  so  spricht  v.  Maurer  von  einer  Milderung  jenes  Verhält- 
nisses, ohne  zu  beachten,  daß  die  angebliche  Milderung  wesent- 
lich älteren  Datums  ist  als  die  strenge  Form! 

Dagegen  kennt  jede  bedeutendere  grundherrschaftliche  Ver- 
waltung die  Organisation  nach  den  vier  großen  Hofämtern  des 
Truchsessen,  des  Schenken,  des  Kämmerers  und  des  Marschalls, 
neben  denen  häufig  noch  Keller-  und  Küchenmeister  und  ähn- 
liche vorkommen.  Manchmal  führt  freilich  auch  ein  Mitglied 
des  Konventes  selbst  einen  Teil  des  Haushaltes  ^i).  Dem  einen 
oder  anderen  dieser  Beamten  pflegen  nun  die  etwa  vorhandenen 
Handwerker  unterstellt  zu  sein:  nicht  durchaus  alle  einem,  sondern 
häufig  geteilt,  je  nachdem  sie  in  den  einzelnen  Departements 
Verwendung  fanden.  Auch  das  hätte  einer  Organisation  der 
Handwerker  selbst,  wäre  sie  in  Frage  gekommen,  entgegen- 
gestanden '''^). 

Wir  werden  zunächst  einen  Einblick  in  den  Personal- 
bestand mehrerer  größerer  Grundherrschaften  nehmen,  wo  uns 
besondere  Gunst  der  Quellen  das  ermöglicht. 

6i)  Nach  einer  Essener  Urkunde  von  1164  (abgedruckt  bei  Kindlinger,  Gesch. 
der  Hörigkeit,  S.  238)  z.  B.  wird  die  Stelle  eines  Kustos  von  der  Nonne  Elisabet 
bekleidet;  zu  ihrem  „officium"  gehören  nach  der  Zeugenliste  ein  Bäcker  und  zwei 
Kürschner;  vorher  kommen  die  ,,officiales"  Truchseß,  Kämmerer,  Schenk,  Marschall 
und  ,,pabularius",  denen  also  die  genannten  Handwerker  nicht  unterstellt  waren.  — 
Vgl.  noch  Jura  prepositi  S.  Castoris  in  Confluentia,  Anfang  des  13.  Jahrh. 
(Mittelrhein.  U.  B.,  Bd.  II,  S.  357,  cit.  von  v.  Below,  Zeitschr.  f.  Soz.-  u.  Wirt- 
schaftsg.,  Bd.  V,  S.  I44*'-):  die  Bäcker,  der  Koch  und  der  carpentarius  der  Kirche  unter- 
steben dem  cellerarius.  Dieser  ist  ein  Kanoniker  (MR.  ÜB.,  Bd.  II,  No.  194  a.  1201). 
—  In  Corvey  war  Ende  des  14.  Jahrhunderts  ein  Konventsmitglied  magister  carpen- 
tariorum  (Westf.  ÜB.,  Bd.  IV,  No.  2321,  2425,  2433,  2434;  vgl.  oben  Anm.  59). — 
Femer  unten  über  Corbie  und  Werden. 

62)  Vgl.  namentlich  unten  bei  Werden. 


Oi]ganisation .     Sankt   Gallen.  25 

Die  Aufzeichnung,  die  ich  an  die  Spitze  stellen  will,  trägt 
freilich,  wie  das  Capitulare  de  Villis,  im  Grunde  nur  den  Cha- 
rakter eines  Programms.  Belehrt  sie  uns  aber  demnach  nicht 
über  einen  Tatbestand,  so  möchte  man  ihr  dafür  eine  über  den 
Einzelfall  hinausgehende  allgemeine  Bedeutung  zuzuschreiben 
geneigt  sein.  Es  handelt  sich  um  den  berühmten  Bauriß,  der 
um  das  Jahr  820  von  einem  uns  Unbekannten  dem  Abte  Gozpert 
für  den  Neubau  des  Klosters  Sankt  Gallen  übersandt  worden,, 
und  auf  dem  in  außerordentlicher  Vollständigkeit  für  die  Be- 
friedigung aller  erdenklichen  Bedürfnisse  eines  Klosters  Fürsorge 
getroffen  isf*^). 

Neben  der  ansehnlichen  Kirche  und-  den  Gebäuden  für  den 
Aufenthalt  und  die  Verpflegung  der  Mönche,  des  Abtes,  der 
Kranken,  der  Novizen  und  der  Fremden  finden  wir  da  Baulich- 
keiten und  Einrichtungen,  die  dem  Landwirtschaftsbetriebe  dienen, 
der  mannigfaltigsten  Art.  Allein  damit  nicht  genug,  fast  noch 
eingehender  wird  für  alle  Gattungen  des  Handwerks  Vorsorge 
getroffen ! 

Inmitten  eines  Gebäudes  von  ungefähr  627,  bei  56  Fuß 
Grundfläche*'*),  das  gekennzeichnet  wird  durch  den  Titelvers: 

haec  sub  se  teneat  fratrum  qui  tegmina  curat, 
befinden  sich  „domus  et  officina  camerarii";  um  diese  herum  Räume 
für  „sutores,  sellarii,  emundatores  vel  politores  gladiorum,  scutarii, 
tornatores ''^),  coriarii";  weiter  für   „aurifices,  fabri  ferramentorum, 


63)  Die  beste  mir  bekannte  Ausgabe  ist  die  von  Ferdinand  Keller,  Bauriß 
des  Klosters  St.  Gallen  vom  Jahre  820,  im  Faksimile  herausgegeben  und  erläutert 
(Zürich  1844).  Die  Größe  des  Orginals,  s'/^xs'  ,  Fuß,  ist  hier  um  nur  ein  Fünftel 
verkleinert.  J.  v.  Schlosser,  Die  abendländische  Klosteranlage  des  früheren  Mittel- 
alters (Wien  1889),  S.  23  ff.  Für  Mitteilung  der  Kellerschen  Ausgabe  und  des  Buches 
von  Schlosser  habe  ich  meinem  Kollegen  P.  Weber  zu  danken. 

64)  Die  Größenverhältnisse  auf  dem  Grundrisse  sind  übrigens  keineswegs  zu- 
verlässig und  für  die  geplante  Wirklichkeit  maßgebend.  Die  Breite  des  Hauptschiffes 
der  Kirche  wird  auf  40  Fuß,  die  jedes  Seitenschiffes  auf  20  Fuß  bestimmt.  Wenn 
man  aber  auf  dem  Plane  das  Verhältnis  zu  der  auf  200  Fuß  angegebenen  Länge  der 
Kirche  abmißt,  so  erhält  man  für  die  Breite  der  Schiffe  nur  30  und  15  Fuß,  Bei 
den  übrigen  Gebäuden  ist  die  Größe  nicht  angesetzt:  wahrscheinlich  hat  der  Verfasser 
sie  örtlichen  Bedürfnissen  überlassen  wollen.  Die  im  Text  angegebene,  nach  der  Längen- 
ausdehnung der  Kirche  abgemessene  Größe  der  Grundfläche  des  Handwerkergebäudes 
besitzt  also  nur  sehr  bedingten  Wert. 

65)  Diese  „tomatores"  erklärt  Keller,  S,  30,  im  Unterschiede  von  den  mit 
den  „tunnarii**  zusammen  genannten  „tomarii",  für  „Schnitzer,  Bildhauer,  Verfertiger 
von  Kunstwerken  in  getriebener  Arbeit". 


20  I^i^  Handwerker  der  Grundherrschaften. 

fullones":  neben  jeder  Werkstätte  aber  sind  vorgesehen  „eorundem 
mansiunculae." 

In  einem  kleineren  Hause  daneben  finden  wir  vereint 
Brauerei  und  Bäckerei  *^'^),  wiederum  mit  „Ruhestätten  der  Sklaven' 
i(„vernarum  repausationes"). 

In  drei  noch  kleineren  Räumlichkeiten  sind  Mühlen  („molae"), 
Stampfmühlen  („pilae")  und  die  Fruchtdarre  untergebracht:  auch 
hier  fehlen  „eorundem  famulorum  cubilia"  nicht. 

Endlich  giebt  es  noch  eine  „domus  tunnariorum"  und  „tornari- 
•orum"  ebenfalls  mit  „famulorum  cubilia"  und  dem  Titulus: 
hie  habeat  fratrum  semper  sua  vota  minister. 

Schlafräume  für  die  Diener  sind  ebenso  bei  jedem  der  Ställe 
der  verschiedenen  Vieharten,  sogar  für  den  Wächter  der  Hühner 
und  dem  der  Gänse  ausgesondert. 

Der  Plan  ist  in  dieser  Form  nicht  zur  Ausführung  ge- 
kommen. Es  ist  längst  anerkannt,  daß  der  Grundriß  nicht  den 
tatsächlichen  Verhältnissen  St.  Gallens  entsprochen  hat,  dem 
Neubau  dieses  Klosters  nicht  wirklich  zu  Grunde  gelegt  worden 
ist**').  Ja,  wir  müssen  noch  weiter  gehen,  wir  müssen  uns  vor 
der  Vorstellung  hüten,  als  wäre  er  von  den  Einrichtungen  eines 
anderen  Klosters  abgezogen.  Und  hinzu  kommt,  daß  er  wahr- 
scheinlich nicht  einmal  aus  Deutschland  oder  Frankreich,  sondern 
aus  Italien  stammt. 

V.  Schlosser  möchte  einen  Insassen  des  mit  Italien  in  leb- 
haftem Verkehr  stehenden  Reichenau  als  Autor  annehmen'''^). 
Auf  Italien  soll  die  Grundform  der  Profangebäude  weisen. 
Man  glaubt  in  dem  Viereck,  das  in  der  Mitte  der  meisten  dieser 
Bauten  auffällt,  ein  „atrium  testudinatum"  erkennen  zu  sollen. 

Da  wird  man  doch  heber,  statt  auf  dem  Umweg  über 
Reichenau,  unmittelbar  nach  Italien  hinübergreifen.  Wenn 
Italien  für  Reichenau  zugänglich  war,  warum  nicht  für  St.  Gallen? 
Wollte  man  sich  nach  Reichenauer  Muster  richten,  so  hätte  man 
sogleich  die  Bauleute  von  dort  entlehnt  ^^).     Das  war  das  übliche 

66)  Hierzu  vgl.  oben  Anm.  47 :  ,,cambam  vulgariter  appeliamus  bahchus  et 
bruhus".     Also  ein  Haus  für  beides  die  Regel. 

67)  Keller,  a.  a.  O.  S.  4;  v.  Schlosser,  S.  25;  Springer,  Bilder  aus  der 
neueren  Kunstgeschichte,  Bd.  I,  S.  58. 

68)  A.  a.  O.  S.  25,  28. 

69)  Vgl.  Paul  Weber,  Hirsau — Paulinzella — Thalbürgel  (Zeitschrift  des  Vereins 
■für  thüringische  Geschichte  und  Altertumskunde,  Bd.  XX,  N.F.  Bd.  XII,  S.  620 
i)is  632). 


Sankt  Gallen. 


21 


Verfahren,  und  man  hätte  sich  dann  wohl  die  Zeichnung  und 
Einsendung  eines  so  kunstvollen  Planes  gespart.  Anders  wenn 
die  Idee  aus  Italien  stammte!  Dann  muß  sie  aber  auch  dort, 
nicht  erst  in  Reichenau,  zu  Pergament  gebracht  worden  sein. 

Freilich  finden  sich  auch  Anklänge  an  das  Capitulare  de 
Villis.  Die  Obstbäume,  mit  denen  der  Friedhof  des  Klosters 
bepflanzt  gedacht  wird,  entsprechen  fast  genau  denen,  die  Kaiser 
Karl  für  seine  Krongüter  verlangt^"),  und  wenn  die  Ueberein- 
stimmung  bei  den  Gewächsen  des  Küchen-  und  des  Heilkräuter- 
gartens nicht  so  vollkommen  ist,  so  läßt  sich  das  damit  erklären, 
daß  auf  dem  beschränkten  Räume,  den  der  Plan  bot,  für  so  zahl- 
reiche Namen  nicht  Platz  war. 

Immerhin  sind  diese  Zusammenklänge  zu  beachten.  Es 
würde  sich  fragen ,  woher  der  Verfasser  des  Capitulare  seine 
pomologischen  und  pharmakologischen  Kenntnisse  hatte.  Manche 
von  den  Obstbäumen  sind  südländischer  Art.  Und  wenn  man 
sich  nun  erinnert,  wie  abhängig  gerade  in  seinen  baukünstlerischen 
Bestrebungen  Karl  der  Große  von  Italien  war,  so  werden  auch 
auf  dem  Wege  die  Spuren  zuletzt  nach  diesem  Lande  führen, 
und  es  sich  zugleich  noch  einmal  erweisen,  daß  die  Grundlagen 
für  die  Abfassung  auch  des  Capitulare  de  Villis  zum  Teil  theo- 
retischer Natur  waren.  Stammte  aber  der  Sankt  Gallener  Bauriß 
aus  Italien,  so  würde  sein  Inhalt  für  die  Kenntnis  deutscher  Zu- 
stände noch  um  einige  Grad  minder  als  maßgebend  zu  gelten  haben. 

In  anderen  Dingen  und  gerade  in  dem  was  uns  interessiert, 
der  Aufzählung  der  Handwerker,  ist  dagegen  die  Verschiedenheit 
zu  groß,  als  daß  an  eine  Abhängigkeit  von  dem  Capitulare  ge- 
dacht werden  könnte.  Hier  wie  dort  hat  man  offenbar  die  Hand- 
werkerarten hergenannt,  deren  Vorhandensein  unter  diesen  und 
jenen  Umständen  man  sich  erwünschte.  Das  auffallendste  aber 
bleibt  an  dem  Sankt  Gallener  Plan,  wie  man  es  für  nötig  er- 
achtete, jedem  einzelnen  Handwerk  einen  besonderen  Arbeitsrauni 
und  bei  jedem  eine  eigene  Schlafstätte  mit  einem  Zugang  nur 
von  der  Werkstatt  aus  einzurichten,  und  das,  obgleich  die  ver- 
schiedensten Werkstätten  unter  einem  Dache  vereinigt  und  einem 
Beamten  unterstellt  waren.  Dem  ist  in  dem  Capitulare  nichts  zu 
vergleichen,  als  höchstens  das  schon  angeführte  Kapitel  über  die 
sorgfältige  Herrichtung  und  Einfriedung  der  Arbeitsräume,  damit 


70)  Capitulare  de  Villis  §  70;  Keller,  a.  a.  O.  S.  35. 


> 


28  I^'6  Handwerker  der  Grundherrschaften. 

die  Diener  ihre  Geschäfte  „bene  nitide"  ausführen  können  ^^i.  Das 
ist  verständlich  und  vernünftig.  Das  Sankt  Gallener  System  da- 
gegen macht  den  Eindruck  einer  vollendeten  Sklaven  Wirtschaft 
-  ich  erinnere  noch  an  die  „vernae"  gegenüber  den  Karolingischen 
„ministeriales"  —  einer  Sklavenwirtschaft,  aus  der  kein  Weg  auch 
nur  zu  der  freieren  Lage,  in  der  wir  die  Klosterdienerschaft  später 
finden,  führte.  Getrennt  von  den  Kollegen,  eingeschlossen  von 
der  Klostermauer  —  keine  Möglichkeit  sich  auszudehnen ,  sich 
frei  zu  regen,  sich  zu  vereinigen.  Entspricht  dieses  Bild  irgend- 
wie und  irgendwo  der  Wirklichkeit? 

Angesichts  der  Wahrscheinlichkeit  italienischer  Herkunft  oder 
mindestens  starker  italienischer  Beeinflussung  bei  dem  Sankt  Galler 
Bauriß  ist  es  da  willkommen,  daß  wir  auch  aus  Italien  selbst  ein 
Dokument  über  Bauart  und  Einrichtung  eines  Klosters,  wenn 
auch  nur  ein  um  zwei  Jahrhunderte  jüngeres  beibringen  können. 
Es  ist  die  Bauordnung  für  Farfa  aus  den  Jahren  1039 — 1048: 
„de  positione  seu  mensuratione  officinarum"  ^■^).  Dem  „aus- 
deutenden Wort"  hat  wahrscheinlich  auch  in  diesem  Falle  ein  Bau- 
riß zu  Grunde  gelegen  ~^).  Allein,  haben  wir  es  demnach  hier  so 
wenig  wie  in  Sankt  Gallen  mit  der  Beschreibung  vorhandener 
Baulichkeiten  zu  tun,  so  ist  in  Farfa  die  Vorschrift  doch  den 
örtlichen  Verhältnissen  angepaßt. 

Zu  den  sehr  eingehenden  Angaben  über  Länge  und  Breite, 
seltener  auch  über  die  Höhe  der  Räumlichkeiten,  kommt  hier 
eine  Aufzählung  der  wichtigsten  Ausrüstungsstücke,  wie  Betten, 
Tische,  Glasfenster,  hinzu. 

Auffallend  ist'  nun,  daß  für  Handwerkerräume  nur  sehr 
wenig  Vorsorge  getroffen  ist,  während  andererseits  das  Detail 
der  Bestimmungen  das  Vertrauen  in  ihre  Vollständigkeit  erweckt. 

Außer  dem  Backhaus,  pistrinum,  nämlich,  wenn  man  das 
mitrechnen  will,  gibt  es  nur  ein  Haus,  domus,  mit  einer  Grund- 
fläche von  45   bei  30  Fuß: 

et    ibi    sedeant    omnes    sartores    et   sutores    ad    suendum 
quod  camerarius  eis  precipit, 
wobei   ihnen  zwei    sieben  Fuß   breite  Tische,  einer  davon  dreißig- 
Fuß  hing,  zur  Verfügung  stehen  sollen.  —  Ferner 


71)  Vgl.  oben  Anm.   i8. 

72)  Schlosser,  a,  a.  O.  S.  44ff. ;  der  Text  abgedruckt  S.  45*. 

73)  Schlosser,  S.  46,  49. 


Farfa.  29 

alia  cella,  ubi  aurifices  vel  inclusores  seu  vitrei   magistri 
convcniant  ad  faciendam  ipsam  artem. 
Andere  Handwerker  werden  nicht  erwähnt. 

Dabei  ist  aber  noch  folgendes  zu  bemerken. 

Farfa  war  ein  häufiges  Absteigequartier  vornehmer  Herr- 
schaften mit  zahlreichem  Gefolge  auf  dem  Wege  von  und  nach 
Rom'-*).  Daher  also  die  Größe  des  Gebäudes  für  die  Schuster 
und  Schneider,  daher  wohl  auch  die  Goldschmiede  und  „inclu- 
sores" —  Fasser -von  Gemmen  ^^j  oder  Emailarbeiter  — ,  während 
die  Glasermeister  sich  aus  dem  förmlichen  Luxus  erklären,  der 
hier  bereits  mit  Glasfenstern  getrieben  worden  zu  sein  scheint: 
denn  die  Kirche  hatte  deren  allein  160,  das  Dormitorium 
97  u.  s.  w. 

Femer  ist  zu  beachten,  daß  hier  die  Handwerker  dem  Wort- 
laut nach  w^enigstens  nicht  in  den  Arbeitshäusern  auch  ihre 
Schlafstätten  zu  haben  scheinen.  Und  das  „conveniant"  bei  den 
Glasern,  Goldschmieden  und  Juwelieren  macht  es  sogar  nicht  un- 
möglich, daß  diese  Arbeiter  überhaupt  nicht  dem  Kloster  ange- 
hörten, sondern  aus  Rom  kamen,  also  frei  waren,  und  nur  an- 
gesichts des  hohen  Wertes  des  ihnen  anvertrauten  Materiales  ihre 
Arbeit  unter  Aufsicht  im  Kloster  verrichten  sollten. 

Der  Gegensatz  dieser  der  Wirklichkeit  angepaßten  Anord- 
nungen zu  den  rein  systematischen  von  Sankt  Gallen  bleibt  auf  alle 
Fälle  gerade  bei  der  unverkennbaren  Gleichheit  der  Voraussetzungen 
höchst  auffällig.  Man  könnte  geneigt  sein,  neben  den  Eigen- 
tümlichkeiten, für  die  wir  in  der  Lage  Farfas  bei  Rom  eine  Er- 
klärung suchten ,  die  zwei  Jahrhunderte,  die  dazwischen  liegen, 
dafür  verantwortlich  zu  machen.  Allein  nehmen  wir  jetzt  Ein- 
sicht in  den  Personalbestand  einiger  Klöster  nördlich  der  Alpen 
aus  dem  9.  Jahrhundert,  so  bestätigt  die  Uebereinstimmung.  die 
wir  hier  in  allem  Wesentlichen  mit  Farfa  finden,  daß  diese  Alut- 
maßung  irrtümlich  sein  würde.  Die  auffälligen  Besonderheiten 
des  Sankt  Gallener  Planes  entsprechen  also  auch  italienischen 
Zuständen  nicht. 

Wir  kehren  zuerst  noch  einmal  zu  den  Brevium  exempla 
ad  describendas  res  ecclesiasticas  et  fiscales  zurück,  denen 
wir  bereits    so   wichtige   Aufklärungen    verdankten.     Dem   Titel 


74)  Schlosser,  a.  a.  O.  S.  42,  59  f. 

75)  So  Schlosser,  S.  61"*.    Vielleicht  ist  besser  an  Cloisonn6  zu  denken. 


30 


Die  Handwerker  der  Grundherrschaften. 


gemäß  liefern  sie  auch  ein  ausführliches  Muster  für  die  Be- 
schreibung eines  geistlichen  Besitztumes,  des  zum  Bistum  Augs- 
burg gehörigen  Fronhofes  des  Klosters  Staffelsee '").  Wie  im 
Capitulare  de  Villis,  fehlt  es  auch  hier  nicht  an  einem  „genitium": 
es  arbeiten  darin  24  Frauen  Wollen-  und  Leinenstoflfe.  Der 
P'lachs  wird,  vielleicht  nicht  ausschheßlich,  von  sechs  der  zuge- 
hörigen mansi  ingenuiles  geliefert.  Außerdem  haben  die  Frauen 
von  19  unfreien  Hüfnern  je  ein  Stück  Wollzeug  und  ein  Stück 
Leinwand  zu  verfertigen ,  sowie  zu  malzen  utid  zu  backen  ^"). 
Dagegen  wird  von  Handwerkern  nichts  gesagt,  und  wir  müssen 
daher  annehmen,  daß  dieses,  wie  sein  Landbesitz  und  sein  Kirchen- 
und  Bücherschatz  beweisen,  zwar  nicht  arme,  aber  immerhin 
kleinere  Kloster  keine  eigenen  ausgebildeten  Handwerker  besaß. 
Ganz  anders  freilich  das  reiche  Corbie,  nach  dem  Brevis 
seines  Abtes  Adalhard,  des  Vetters  Karls  des  Großen,  vom  Jahre 
822"^),  gegen  dessen  Heranziehung  zum  Vergleich  gewMß  nichts 
einzuwenden  ist,  in  so  vielen  wichtigen  Punkten  die  französischen 
Verhältnisse  sonst  sich  von  den  deutschen  abweichend  gestaltet 
haben  mögen.  Die  öfter  zitierte  Stelle  enthält  so  viel  des  wich- 
tigen, daß  sie  eingehende  Würdigung  erheischt  ''^). 

Es  handelt  sich  um  die  Verpflegung  aller  Insassen  und  An- 
gehörigen des  Klosters  und  zwar 

per  singulas  officinas. 
Zuerst  w^erden  die  „provendarii"  aufgezählt, 

qui  omni  tempore   aequaliter  et  pleniter  in  nostris  diebus 

esse  ^ebent;  et  si  unus  ex  eis  mortuus  fuerit,  statim  alter 

restituendus  est. 
Ihre    Gesamtzahl    wird    auf    150    angegeben*''),    die    aller    regel- 
mäßigen Brotempfänger  aber  auf  zwischen  300  und  420**^). 


76)  Staphinseie,  MG.,  LL.,  Sectio  II,  Capilularia  I,  S.   250 — 252,  §§  2 — 9. 

77)  §  8.  Diese  Frauen  können  nicht  zu  denen  im  Gynäceum  gehören.  Die 
im  Gynäceum  arbeitenden  sind  vielmehr  als  in  den  72  , .provendarii"  des  §  7  mit  ein- 
begriffen zu  erachten.  Ueber  , .provendarii"  oben  bei  Anm.  26,  sowie  sogleich  bei 
Corbie. 

78;  Statuta  antiqua  abbatiae  Sancti  Petri  Corbeiensis.  Abgedruckt 
im  Appendix  zum  Polyptyque  de  l'Abbe  Irminon  (herausgegeben  von  M.  B. 
Guerard,  Paris  1844),  Bd.  II,  S.  306—335.  Es  handelt  sich  um  Corbie,  nicht 
Korvei,  wie  v.  Maurer,  Fronhöfe,  Bd.  I,  S.  246,  und  nach  ihm  Schönberg, 
Hildebrands  Jahrbücher,  Bd.  IX,   S.    167-^'"',  sagen. 

79)  A.  a.  O.  S.  306  f.     Liber  primus,  caput  I. 

80)  A.  a.  O.  S.  306. 

81)  A.  a.  O.  S.  311. 


Staffelsee.     Corbie.  ^I 

Die  provendarii  sind  teils  Geistliche,  teils  Laien.  Unter  sieben 
von  jenen  ist  die  Aufsicht  über  den  Keller,  die  Waschanstalt 
der  Brüder,  die  „curticula"  des  Abtes  und  das  Krankenhaus  ver- 
teilt, während  die  übrigen  zwölf,  die  als  „pulsantes"  bezeichnet 
werden**),  die  sonstigen 

necessitates  quas  clerici  facere  debent 

besorgen. 

Unter  42  Laien,  die  nun  folgen,    werden   zwölf    als   „inatri- 
cularii"  hervorgehoben.    Ein  solcher  wäre  nach  dem  Herausgeber 
qui    in    matriculam   monasterii   inscribitur  subque  servitiis 
quibusdam    monasterio   praestandis    inibi   tectum,   victum, 
vestitum  invenit*'). 
Es  gäbe  also  unter  den  vom  Kloster  gefütterten  Laien  eine  drei- 
fache Stufenfolge:  Empfänger  einer  Ration  Brot  von  wechselnder 
Zahl    außerhalb    des    Klosters;    ihnen    gegenüber    innerhalb    der 
Klosterw^irtschaft   die    voll    ernährten    provendarii,    die    zum    Teil 
als  matricularii  besonders  charakterisiert  werden. 

Was  ist  zwischen  diesen  beiden  der  Unterschied? 
In  ihrer  Beschäftigung  scheint  er  nicht  zu  liegen.    Denn  ia 
deren  Spezialisierung  werden  sie  nicht  getrennt: 

Item  de  Laicis:  Matricularii  duodecim,  laici  triginta.  Ad 
primam  cameram  sex:  sutores  III,  cavalarii  II,  fullo  I.  Ad 
secundam  cameram  decem  et  Septem:  ex  his  ad  cameram 
unus,  fabri  grossarii  sex,  aurifices  duo,  sutores  duo,  scu- 
tarii  duo,  pargaminarius  I,  saminator  I,  fusarii  tres.  Ad 
tertiam  cameram  III.  Ad  cellarium  et  dispensam  portarii 
duo;  ad  domum  infirmorum  unus;  gararii  duo;  ad  ligna- 
rium  in  pistrino  unus;  ad  portam  medianam  unus;  ad 
portam  Sancti  Albini  unus;  carpentarii  quatuor;  mationes 
quatuor;  medici  duo;  ad  casam  vasallorum  duo.  Isti 
sunt  infra  monasterium. 


82)  Nach  Guerard  Novizen.  Vgl.  aber  a.  a.  O.  S.  313,  bei  Austeilung  des. 
Brotes:  quinta  pulsanlium  vel  schobriorum.  Kurz  vorher  heißt  es:  Nam  de  pulsantis, 
de  scolariis,  de  reliquis  dericis  seu  laicis  —  so  daB  ein  Unterschied  zwischen  pulsantes 
und  scolarii  gemacht  zu  werden  scheint.  Femer  S.  308,  bei  Anordnung  der  Kleidung: 
Haec  sunt  quae  clericis  nostris  canonicis  suprascriptis,  qui  spedaliter  pulsanti  dicuntur, 
dari  debent. 

83)  A.  a.  O,  S.  454.  —  Bei  der  Verteilung  des  Brotes  ist  der  erste  Teil 
„famulorum  nostrorum  vel  matriculariorum,  qui  semper  aequaliter  habendi  sunt."  VgL 
noch  unten  Anm.  85  b. 


^2  Die  Handwerker  der  Grundberrschaften. 

Das  sind  schon  wesentlich  mehr  als  42 ;  trotzdem  scheinen  aber 
auch  noch  die  folgenden  in  dieser  Zahl  einbegriffen  werden  zu 
sollen,  woran  man  sich  aber  nicht  stoßen  wird. 

Isti  vero   extra  monasterium :  Ad  molendinum  duodecim ; 

ad  piscariam  sex;  ad  stabulum  duo;   ad  hortos   octo;    ad 

buriam  septem;  ad  vineam  unus;   ad  vivarium    unus;   ad 

arboretam  novam  duo;  berbicarii  duo^*). 
Hausdiener  und  Handwerker  innerhalb  des  Klosters,  Garten- 
und  landwirtschaftliche  Arbeiter  außerhalb  erscheinen  hier  alle  in 
gleicher  Stellung,  übrigens  gruppiert  nach  den  Oertlichkeiten 
ihrer  Arbeit.  Daß  sie  an  diesen  Arbeitsstellen  auch  schliefen, 
ist  jedoch  abzulehnen.  Wäre  es  bei  einigen,  z.  ß.  den  beiden 
Türhütern  —  das  sind  doch  wohl  die  „ad  portam  medianam" 
und  „ad  portam  Sancti  Albini"  —  an  sich  wahrscheinlich,  so 
macht  es  bei  anderen  —  den  „ad  piscariam",  „ad  hortos"  „ad 
arboretam"  —  Schwierigkeiten. 

Wieder  andere,  wie  die  Zimmerleute  und  Maurer,  und  neben 
ihnen  die  beiden  Aerzte,  ermangeln  jeder  Lokalisierung,  gemäß 
ihrem  nicht  an  eine  Werkstatt  zu  bindenden  Beruf  **^).  Das  er- 
laubt den  Schluß,  daß  es  bei  den  übrigen  sich  nur  um  die 
Arbeitsstätte,  nicht  um  _  den  Schlafraum  handelt,  dessen  doch 
Aerzte  und  Bauarbeiter  so  wenig  wie  sie  entraten  konnten  *^5''). 


84)  Ein  cavalarius  wäre  nach  Guerard  (Glossar,  S.  449),  qui  cum  equo  militat 
vel  famulatur,  nach  Fagniez  (Documents  relatifs  ä  l'histoire  de  l'industrie  et  du 
commerce,  Bd.  I,  Paris  1898,  Bd.  II,  1900)  ein  palefrenier  (Glossaire,  Bd.  II,  S.  317). 
Was  haben  die  aber  in  der  Werkstätte  zu  tun?  Vielleicht  Sattler?  —  Sami- 
nator ,  samiator  ein  Scbwertfeger;  fusarius  wohl  richtiger  mit  Fagniez  ein  Ver- 
fertiger von  fusae,  Spindeln,  als  ein  fusor  (Gu6rard);  gararius  „Ducangio  custos  vel 
lignarius  sector,  Acherio  qui  nemoribus  secandis  praeest,  unde  vox  vernacula  grurier" 
(Guerard);  buria  nach  Guerard  eine  Wagenremise,  vielleicht  richtiger  Kuhstall,  prov. 
Englisch  ,,bire''. 

85)  Unrichtig  ist  es,  wenn  Schönberg,  a.  a.  O.,  die  vier  Zimmerleute,  vier 
Steinmetzen  und    beide  Aerzte  in  dem  dritten    „Arbeitssaal''  zusammen  tälig  sein  läßt. 

85a)  Vgl.  das  ,, ibidem  manentes"  von  den  Arbeitern  im  Brau-  und  Backhaus 
von  Prüm  aus  dem  Ende  des  9.  Jahrhunderts,  das  sich  aber  wohl  auf  die  ,, curia", 
nicht  auf  die  ,,camba"  bezieht:  oben  Anm.  47.  —  Dagegen  scheint  ein  Wohnen  in 
-den  Werkstätten  an  folgender  Stelle  angezeigt:  Acta  Murensia,  Quellen  zur 
Schweizer  Geschichte,  Bd.  III  (3),  S.  61:  „Sei-vis  etiam,  qui  in  cella  per  officinas 
morantur  et  serviunt,  magna  cura  appendi  debet  a  prepositis  celle,  ut  possint  cum  bona 
voluntate  et  disciplina  ac  fideliter  servire  fratribus,  quia  sine  victus  et  vestitus  como- 
ditate  non  possimt  servire  illis".  Doch  bleibt  die  Möglichkeit,  daß  „officina"  hier  wie 
in  Corbie,   wo   es   sich    ebenfalls  um  die  Verpflegung    ,,per  singulas  officinas"  handelt, 


Corbic.  ^j 

Trotz  der  großen  allgemeinen  Aehnlichkeit  mit  den  Sankt 
^lallener  Zuständen,  die  namentlich  in  jener  Zuweisung  eines  Teiles 
der  Handwerker  zu  gewissen  camerae  liegt,  dürfen  wir  uns  darum 
gerade  in  diesem  Punkt  noch  mehr  an  das  Capitulare  de  Villis 
erinnert  finden.  Dort  und  in  Corbie  haben  wir  überhaupt  im 
Vergleich  mit  Sankt  Gallen  weit  weniger  System  und  Gleich- 
förmigkeit und  damit  mehr  Freiheit!  Handwerker  ganz  ver- 
schiedener Gattung  arbeiten  zusammen  in  einer  Kammer,  Schuh- 
macher, cavalarii*^'),  ein  Walker;  und  wiederum  in  einer  zweiten 
Grob-  und  Goldschmiede,  Schumacher,  Schildmacher,  ein  Perga- 
menter, ein  saminator***),  drei  Spindler.  Dagegen  ist  das  Gewerbe 
der  Schumacher  auseinandergerissen,  drei  von  ihnen  sind  in  der 
ersten,  zwei  in  der  zweiten  Kammer  eingestellt. 

Wer  sind  aber  nun  die  „matricularii"  ?  Ist  des  gelehrten 
Herausgebers,  Guerards  Erklärung  richtig,  so  müßten  sie  als 
freie  Arbeiter  angesprochen  werden,  Arme,  die  dauernd  in  den 
Dienst  des  Klosters  getreten  sind^^*').  Auch  hier  also  würde,  wie 
wir  bei  Farfa  vermuteten,  der  Bestand  an  unfreiem  Gesinde  des 
Klosters  durch  unabhängige  von  außen  ergänzt  worden  sein, 
wie  auch,  wenngleich  jedesmal  in  anderer  Weise,  in  dem  Capi- 
tular,  während  ein  Hinausgehen  über  die  Klostermauern  dem 
Sankt  Gallener  System  durchaus  fremd  wäre. 

So  scheint  denn  alles  in  allem  die  Aehnlichkeit  zwischen 
Corbie  und  Farfa  und  selbst  den  Einrichtungen  der  Krongüter 
in  allem  Wesentlichen  größer  als  zwischen  ihnen  und  Sankt  Gallen. 
Dort  ist  alles  in  freier  Weise  gegebenen  Verhältnissen  angepaßt 
und  damit  einer  gewissen  Weiterbildung  fähig:  in  Sankt  Gallen 
starres  System. 

Worauf  ist  dies  nun  aber  zurückzuführen?  Man  kann  diese 
ausgebildete  Regelmäßigkeit  unmöglich  aus  einer  Rückständigkeit 
allemannischer  Zustände  gegenüber  den  gleichzeitigen  Xordfrank- 
reichs  erklären,  wenn  man  auch  etwa  geneigt  sein  möchte,  die 
von  Farfa  als  das  Ergebnis  weiterer  Entwickelung  anzusprechen? 

und    an    der    unten  Anm.    113    angeführten    Stelle    aus    Mabillon    im   Sinne  einer  Ver- 
n altungsabieilung  gebraucht  ist.     Vgl.  übrigens  noch  Gu^rard,  S.  314  c.  I. 

85b)  Vgl.  noch  Ducange:  „Matricularii:  pauperes  in  matriculam  rebti".  ,.Ex 
matriculariis  pauperibus  quidam  seligebantur  ad  viliora  ecclesianim  adiacentium  munia, 
verbi  gratia,  qui  campanas  pulsarent,  ecclesiarum  custodiae  invigilarent,  eas  scoparent  ac 
mundarent  et  huiusmodi,  ita  ut  deinceps  in  alimoniae  mercedem  ecclesiarum  obsequiis 
totos  se  darent." 

Keutgon,  Aenilt-r  und  Zünfte.  3 


ß^  Die  Handwerker  der  Grundherrschaften. 

In  der  Tat  ist  ihre  Heimat  Italien,  wenn  auch  nicht  ein 
lebendes  Vorbild.  Es  ist  die  Regel  des  heiligen  Benedikt,  auf 
die  wir  uns  verwiesen  sehen,  die  im  66.  Kapitel  das  Halten 
eigener  Handwerker  vorschreibt  mit  den  Worten: 

Monasterium    autem,   si   fieri   potest,   ita   debet   construi, 
ut    omnia    necessaria,    id   est    aqua,   molendinum,    hortus, 
pistrinum   vel   artes   diversae   intra   monasterium    exer- 
ceantur,  ut  non  sit  necessitas  monachis  vagandi  foras^^*^). 
Da  also  haben  wir  den  Schlüssel!    Nach  diesem  Programm 
ist  der  Bauriß  für  das  Sankt  Gallener  Kloster  entworfen  worden. 
Er  ist  das  Produkt  mönchischer  Phantasie,   mönchischer  S3-stem- 
macherei  und  Tüftelei,  wie  etwa  den  Vorschriften  des  ehrwürdigen 
Ordensgründers   in   einem   Idealbau   nachzukommen   sein   möchte. 
Dessen  also  hat  man  sich,  will  man  den  Sankt  Gallener  Bauplan 
für  die   Kenntnis  der  Wirtschaftsverfassung  des   9.  Jahrhunderts 
verwenden ,    ständig    zu    erinnern.      Nicht    als    ob    der    Künstler 
gänzlich  von  aller  Wirklichkeit  abgesehen  hättet     Allein  nur  so- 
weit der  Bauplan   dem   aus  anderen  Nachrichten   bekannten   ent- 
spricht, ist  er  als  Quelle  brauchbar:  in  allem,  was  darüber  hinaus- 
geht, in  den  Einzelheiten,  der  Vollständigkeit,  der  Regelmäßigkeit, 
dem  ausgebildeten  System  ist  er  ein  Kunstwerk;   aber  wie  es  in 
Wahrheit   in    den    Klöstern    aussah,    darüber    kann    er    in    diesen 
Punkten  nur  irreführen. 

Aber  noch  eins  muß  hervorgehoben  werden.  Ließen  die 
Größen  Verhältnisse  des  St.  Gallener  Plans  keinen  sicheren  Schluß 
auf  die  Menge  der  in  den  einzelnen  Werkstätten  zu  beschäftigenden 
Arbeiter  zu,  konnte  man  höchstens  annehmen,  daß  von  jeder 
Gattung  nur  auf  wenige  gerechnet  wurde:  hier  in  Corbie  haben 
wir  Zahlen,  aber  in  keinem  Falle  sind  sie  von  der  Art,  daß  sie 
für  zunftmäßige  Verbände  eine  Grundlage  abgeben  könnten ''■^'^). 
Noch  weniger  ist  von  Meistern,  Vorstehern  irgend  einer  Organi- 

85c)  L.  Holstenii,  Codex  Regulanim  Monasticarum  et  Canonicarum,  Ausg. 
von   Brocke,  Aug.  Vind,    1759,  Bd.  I,  S.    134. 

85  d)  An  der  Vollzähligkeit  kann  nach  der  ganzen  Art  der  Urkunde  kein 
Zweifel  sein.  Die  Brauer  imd- Bäcker,  die  man  vielleicht  vermißt  hat,  werden  an 
einer  anderen  Stelle  berücksichtigt,  S.  334 :  ,,Pistores  dominici,  bratsatores  dominici." 
Ferner  S.  318  ff. :  „Ordinatio  refectorii  sive  coquinae  fratnim".  —  Das  Polyptychon  von 
Saint-Germain  selbst  berücksichtigt  das  Hofgesinde  nicht,  sondern  nur  grundhörige 
Handwerker,  von  diesen  allerdings  eine  ganze  Anzahl  auf  verschiedenen  Gütern  des 
Klosters  zerstreut  und  darunter  auch  solche,  die  hölzerne  und  metallene  Geräte  (Ambos, 
Kessel,  Lanzen)  zu  liefern  hatten. 


Die  Benediktiner-Regel.     Werden.  ae 

sation  die  Rede.  Nur  einen  Kämmerer  fanden  wir  in  Farfa  und 
in  Sankt  Gallen  als  der  Handwerker  Vorgesetzten:  vielleicht 
nimmt  in  Corbie  der  an  der  Spitze  der  Handwerker  der  zweiten 
Kammer  als  „ad  cameram"  Bezeichnete  eine  der  des  „camerarius", 
der  in  Sankt  Gallen  in  dem  Handwerkerhaus  wohnen  sollte, 
ähnliche  Stellung  ein,  also  nicht  als  Meister  eines  Handwerkes, 
sondern  als  Aufseher  über  eine  ganze  Reihe  verschiedener. 

Erst  drei  Jahrhunderte  später,  erst  aus  dem  12.  Jahrhundert 
haben  wir  wieder  einen  Bericht,  der  sich  dem  über  Corbie  vom 
Q.  an  Ausführlichkeit  und  Wichtigkeit  an  die  Seite  stellen  ließe ^^). 
Drei  Jahrhunderte  von  größter  Bedeutung  für  unsere  Frage! 
Denn  inzwischen  hat  sich  das  städtische  Wesen  entwickelt,  es 
^y^eht  bereits  Zünfte. 

Leider  beschränkt  sich  unsere  Kenntnis  der  Wirtschaft  der 
Abtei  Werden  an  der  Ruhr  einstweilen  auf  die  vorläufigen  Mit- 
teilungen Rudolf  Kötzschkes,  die  freilich  dankenswert  und 
allem  Anschein  nach  zuverlässig  sind,  aber  einen  Einblick  in  die 
demnächst  von  ihm  zu  erwartende  Publikation  des  Urbars  selbst 
nicht  ganz  ersetzen  können^').  Unter  den  Punkten,  über  die 
man  näheren  Aufschluß  haben  müßte,  befindet  sich  namentlich 
der,  daß  nach  Kötzschke  ein  Teil  des  Gesindes  der  Abtei  in  der 
Ortschaft  Werden,  die  bei  dem  Kloster  entstanden   war,   wohnte 


86)  Ueber  das  Reichenauer  Gesinde  nach  der  Urkunde  Heinrichs  IV.  von 
1065  vgl.  unten  am  Schluß  des  Kapitels.  —  Aus  dem  12.  Jahrhundert  stammt  die 
Vita  des  995  gestorbenen  Bischofs  Gebhard  von  Konstanz,  der  bei  der  Gründung  des 
Klosters  Petershausen  ,,convocatis  servis  suis  elegit  ex  eis  oplimos  quosque  et 
constituit  ex  eis  coquos  et  pistores,  caupones  et  fullones,  sutores  et  hortulanos,  carpen- 
tarios  et  singularum  artium  magistros,  et  constituit,  ut  eo  die  quo  fratribus  servirent  de 
annona  quoque  fratrum  in  pane  reficerentur,  ^quia  dignus  est  operarius  dbo  suoc". 
MG.  SS.  X,  S.  588.  Daß  die  Worte  „singularum  artium  magistros"  mit  „Meister  je 
der  sonstigen  Künste"  zu  übersetzen  und  nicht  als  „Meister  der  verschiedenen  vorher- 
genannten Künste"  zu  fassen  sind,  als  ob  von  diesen  ganze  Amtsverbände  mit  je 
einem  Meister  an  der  Spitze  dem  Kloster  überwiesen  worden  wären,  haben  bereits 
G.  V.  Below  (Zeitschrift  für  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte,  Bd.  V,  S.  144)  und 
mit  größerer  Entschiedenheit  Ernst  Mayer  (Deutsche  und  französische  Verfassungs- 
geschichte, Bd.  II,  S.  179'')  bemerkt  Mayers  treffende  Alimente  wären  nur  durch 
die  Frage  noch  weiter  zu  unterstützen,  was  wohl  die  dreizehn  Mönche  —  denn  um 
mehr  handelt  es  sith  bei  der  Stiftung  nicht  —  mit  ganzen  Verbänden  von*  S^uhmachem 
u.  s.  w.  anfangen  sollten. 

87)  Vgl.  Rudolf  Kötzschke,  Studien  zur  Verwaltungsgeschichte  der  Groß- 
grundherr schaft   Werden    an    der  Ruhr.    Leipzig    1901,    S.   120  ff.     Leider   war  es  mir 

-t  zu  spät  mf^lich,  Einblick  in  die  Druckb(^en  zu  erlangen:  vgl.  Anm.  173a. 

3* 


2  5  Die  Handwerker  der  Grundherrschaften. 

„in  je  einem  zu  besonderem  Gebrauch  ihnen  vergebenen  Hause", 
während  nur  „ein  kleinerer  Teil"  „in  den  Abteigebäuden  selbst 
Unterkunft"  fand**^). 

Man  müßte  wissen,  welche  von  den  im  weiteren  aufge- 
zählten Arbeitern  zu  diesem,  welche  zu  jenem  Teile  gehörten; 
vor  allem  aber,  ob  die  in  mehreren  Häusern  in  der  Ortschaft 
lebenden  in  der  Tat  einen  Bestandteil  des  Gesindes  bildeten  oder 
vielmehr  in  der  Hauptsache  wirtschaftlich  unabhängige  Hand- 
werker waren,  die  nur  zu  gewissen  Arbeitsleistungen  oder 
Lieferungen  für  den  Abt  verpflichtet  waren. 

Daß  die  letzte  Deutung  richtig-  ist,  dafür  spricht,  daß 
Kötzschke  dieses  Draußen -wohnen  nur  von  den  Arbeitern  des 
Abtes  berichtet,  nicht  von  denen  der  Mönche.  Der  Abt  aber  war 
in  der  Stadt  Werden  Gerichtsherr,  wie  der  Bischof  von  Straßburg 
in  seiner  Stadt,  und  städtische  Werdener  Handwerker  konnten 
daher  für  ihn  fronen  müssen,  ohne  daß  sie  zu  seinem  Gesinde 
•gehört  hätten,  wie  das  in  einem  späteren  Kapitel  an  dem  Bei- 
spiele von  Straßburg  ausführlicher  dargelegt  werden  soll.  Ganz 
anders  die  Mönche,  die  nur  Grundherren  waren.  Und  so  böte 
denn  das  eine  Werden  in  diesem  Nebeneinander  den  trefflichsten 
Beleg  dafür,  wie  jede  der  beiden  Wirtschaftsformen  in  ihren 
eigenen  Bahnen  verharrt. 

Sehen  wir  also  ab  von  jenen  in  der  Stadt  wohnenden,  wahr- 
scheinlich dem  Gesinde  überhaupt  nicht  angehörigen  Handwerkern, 
so  wirtschaftet  man  in  Werden  im  12.  Jahrhundert  noch  genau 
so,  wie  in  Corbie'  im  neunten.  Nach  wie  vor  fmden  wir  eine 
große  Abtei  im  Besitze  zahlreicher  eigener  Handwerker.  Von 
Wichtigkeit  ist  nur  die  eine  Neuerung:  Abts-  und  Konventsgut 
sind,  wie  schon  angedeutet,  g"etrennt,  und  jede  große  Gruppe  des 
Gesamtgutes  hat  auch  ihre  eigenen  Wirtschaftsräume  und  ihr 
eigenes  Handwerkerpersonal.  Die  Verwaltung  des  Abtsgutes 
liegt  in  den  Händen  der  großen  Hofbeamten,  und  auch  diese 
wiederum  verfügen  je  gesondert  über  die  Arbeiter,  deren  sie 
bedürfen. 

Da  hat  der  Drost  unter  sich  je  vier  Köche,  Bäcker  und 
Fischer,  einen  Küchenknecht  und  einen,  der  die  Fische  zu  holen 
hatte;  der  Schenk  vier  Bierbrauer  und  einen  Kellerknecht;  der 
Marschalk  einen  Sattler,  einen  Läufer,  vier  reitende  Boten, 
einen    Schmied   und    einen    Kürschner.     Außerdem   aber   hat   der 


5)  A.  a.  O.  S.   121.  —  Zum  folgenden  vgl.  unten  Kapitel  III. 


Werden  a.  d.  Ruhr. 


37 


Abt  sechs  Schmiede,  vier  Bauarbeiter  und  neun  Kammerbediente, 
diese  unter  je  einem  Meister  —  das  alles  natürlich  unter  dem 
erörterten  Vorbehalt.  Der  Kämmerer,  der  zwar  vorhanden  war, 
wird,  soviel  sich  sehen  läßt,  nicht  zu  ihnen  in  Beziehung  ge- 
setzt*"'). 

Die  ganze  Verwaltung  des  Konventsguts  dagegen  leitet 
allein  der  Propst.  Höchstens  daß  ihm  ein  Kellerer  dabei  hilft ^'>). 
So  stehen  ihm  denn  zur  Verfügung  vier  Köche  und  vier  Bier- 
brauer unter  je  einem  Meister,  vier  Bäcker,  vier  Fischer,  drei 
Weinschröter,  zwei  Gärtner,  vier  Bader,  zwei  Bauarbeiter,  zwei 
Schuster,  fünf  Boten  und  einer,  der  die  Fische  von  Duisburg 
herüberzubringen  pflegte. 

Man  sieht,  das  Gesinde  ist  ziemlich  gleichmäßig  verteilt. 
Höchstens  fällt  auf,  daß  nur  die  Mönche  Weinschröter  und  Schuster 
haben  (ein  Bader  für  den  Abt  mag  unter  seinen  Kammerbedienten 
inbegriffen  sein),  während  ihnen  dafür  Schmiede  gänzlich  fehlen. 

Was  uns  aber  mehr  interessiert,  ist,  daß  gewisse  Arbeiter- 
gruppen Meistern  unterstellt  sind. 

Es  handelt  sich  um  die  Schmiede,  die  Bauarbeiter  und  die 
Kammerdiener  des  Abtes,  sowie  die  Köche  und  Bierbrauer  der 
Mönche. 

Die  hofrechtliche  Theorie  sieht  sich  da  gegenüber  einer 
Reihe  von  Rätseln.  Warum  sind  gerade  diese  Arbeiter  so  orga- 
nisiert, warum  hüben  und  drüben  ein  Teil,  warum  nicht  alle? 
Warum  die  Köche  und  Brauer  des  Propstes  und  nicht  die  an 
Zahl  gleichen  des  Abtes?  Warum  die  Bäcker  und  Fischer  über- 
haupt nicht?  Abgesehen  von  den  Schmieden  fehlen  die  Meister 
gerade  den  Beschäftigungen,  die,  wie  Bäcker  und  Fischer,  in  den 
Städten  zuerst  in  selbständigen  Verbänden  auftreten.  Denn  daß 
Kammerdiener,  Köche  und  selbst  Bierbrauer  bei  der  Entstehung 
des  Zunftwesens  eine  besondere  Rolle  gespielt  hätten,  wird  man 
nicht  behaupten  können.  Auch  ist,  abgesehen  etwa  von  den 
Kammerdienern,  die  Zahl  der  Mitglfeder  bei  den  ehizelnen  Be- 
schäftigungen  viel   zu   gering^'),   als   daß   an   innungsartige  Ver- 

89)  Kötzschke  sagt  von  ihm  nur,  a.  a.  O.  S.  121,  daß  ihm  ,,die  Sor^e  für 
das  Bekleidungswesen  u.  ähnliches"  zukam.  „Im  12.  Jahrhundert  begegnet  endlich 
ein  Vitztum-Propst.  ohne  daß  über  seine  Stellung  etwas  verlautet":  S.  122.  Außer 
dem  männlichen  Personal  hatte  der  Abt  sechs  Mägde  zu  Diensten:  S.   121. 

90)  S.   124,  S.   125. 

91)  Vgl.  hierzu  unten  Anm.   102. 


«8  I^i^  Handwerker  der  Grundherrschaflen. 

bände  zu  denken  wäre.  Daß  auch  die  Zuteilung  von  Handwerkern 
einer  Technik  an  verschiedene  Hofämter  einem  solchen  Zusammen- 
schluß im  Wege  stand,  darauf  ist  bereits  hingewiesen'*-). 

So  wird  denn  die  Antwort  auf  jene  Fragen  die  sein,  daß 
es  sich  um  eine  zufällige,  in  einzelnen  Zweigen  der  Werdener 
Verwaltung  getroffene,  keineswegs  aber  maßgebende  Einrichtung 
handelt:  vorausgesetzt,  daß  nicht  ein  Einblick  in  das  Urbar  selbst 
noch  Aufschlüsse  bringt. 

Doch  zeigen  auch  die  späteren  Nachrichten  aus  anderen 
Klöstern,  die  nun  noch  folgen  sollen,  daß  im  wesentlichen  alles 
unverändert  bleibt. 

Wieder  ein  Jahrhundert  später  nämlich  erhalten  wir  authen- 
tischen Bericht  über  die  Zusammensetzung  des  Handwerkerstabes 
des  Klosters  Saint-Trond  oder  Sankt  Truijen  bei  Lüttich. 

Abt  Wilhelm  von  Ryckel,  der  1249 — 1272  regierte,  selbst 
ist  es,  der  unter  der  Ueberschrift  „Nomina  officiatorum  seu  mini- 
sterialium  vel  potius  ministrorum,  qui  Teutonice  husgenot  appellan- 
tur"  in  seinem  Wirtschaftsbuch  folgende  Personen  aufführt ^^): 
den  Marschall,  Truchseß,  Schenken,  Kämmerer;  den  „villicus 
curie",  den  „scultetus  seu  iudex",  den  „subcellerarius";  vier  Köche 
des  Konvents,  einen  des  Abtes;  zwei  Wäscher,  zwei  Schneider, 
zwei  Weißbrotbäcker,  zwei  Roggenbäcker,  zwei  Brauer  („bressarii"): 
einen  „hospitarius  seu  stabularius",  den  „forestarius  de  Emberen 
seu  villicus  de  Hobant'"-'^);  einen  Müller  und  vier  „operarii 
fenestrarum". 

Hierbei  ist  bemerkenswert  einmal  die  völlig  gleichmäßige 
Einbeziehung  der  gemeinen  Hausdiener  und  Handwerker  mit 
den  Vorstehern  der  vier  Hofämter  unter  dem  Begriff  der  „Haus- 
genossen", des  Gesindes.  Es  mag  mit  den  nachdrücklichen  Be- 
strebungen des  Abtes,  eine  strengere  Ordnung  einzuführen,  zu- 
sammenhängen, daß  er  auf  sie  alle  die  Formel  anwendet: 
„officiati  seu  ministeriales  vel  potius  ministri"  ^''). 

Was  die  Urkunde  jedoch  für  uns  noch  wichtiger  macht,  ist 
der  Umstand,   daß   schon   seit    länger  als   einem  Jahrhundert  das 

92)  Oben  S.   24. 

93)  Le  livre  de  l'Abbe  Guillaume  de  Ryckel,  Public  par  H.  Pirenne, 
(Gent  1896),  S.  93.  —  Ueber  die  weiteren  Schicksale  dieses  Personals  vgl.  das  nächste 
Kapitel. 

94)  Auf  S.   94  druckt  Pirenne:   Hobamt. 

95)  Hierüber  Pirennes  interessante  Einleitung  und  Hist.  Zeitschr.,  Bd.  LXXX 

s.  513  f. 


Saint-Trond. 


39 


Vorhandensein  von  selbständigen  Handwerkern  in  der  Stadt 
Saint-Trond,  die  der  Gerichtsherrlichkeit  des  Abtes  unterworfen 
war,  urkundlich  überliefert  ist.  Damals,  im  Jahre  1112,  schloß 
Abt  Rudolf  mit  den  Bäckern,  Bierbrauern,  Gerbern  —  das  sind 
wahrscheinlich  die  „sutarii"  — 

et  qui  alias  huiusmodi  merces  vendunt  super  rostrum  in 
oppido  nostro, 
einen  Vertrag  ab  über  die  Ablösung  des  Gewettes,  das  sie  im  Ge- 
werbegericht zu  zahlen  verpflichtet  waren  ^*'). 

Zwölf  Jahre  vor  Abt  Wilhelms  Regierungsantritt  wissen 
wir  ferner  von  einer  Bruderschaft  der  Walker  und  Tuchscheerer*^^. 
Hier  haben  wir  also  städtische  Handwerker  und  Hofhandwerker 
gleichzeitig  nebeneinander  am  selben  Orte,  unter  demselben 
Herrn!  Wie  stellt  sich  die  hofrechtliche  Theorie  dazu?  Und 
doch  glaubt  Eberstadt,  dem  freilich  Abt  Wilhelms  Wirtschafts- 
buch unbekannt  geblieben  zu  sein  scheint,  gerade  hier,  d.  h.  in  der 
Gerichtsuntertänigkeit  der  Handwerker  der  Stadt  Saint-Trond,  eine 
besondere  Stütze  für  seine  Anschauungen  gefunden  zu  haben. 

Wir  können  imn  wieder  ein  Jahrhundert  überspringen,  um 
auch  noch  im  fünfzehnten  eine  geistliche  Grundherrschaft  zu 
finden,  das  Chorherrenstift  Bödeken  in  Westfalen,  das  sich  zahl- 
reiche Handwerker  unter  seinem  Dienstpersonal  hielt '■'''). 

An  diesem  waren  im  Hause  vorhanden:  vier  Köche,  ein 
Kellerer,  fünf  Bäcker,  drei  Zimmerleute,  ein  Pförtner,  zwei 
Kürschner,  vier  Schuhmacher,  fünf  Schneider,  drei  Schmiede,  ein 
Barbier,  ein  Maler,  ein  „hospitalarius",  „ad  communes  labores  IX", 
die    den    neun    Kammerbedienten    des    Abtes    von    Werden    ent- 


96)  Piol,  Cartulaire  de  l'Abbaye  de  Saint-Trond  (Brüssel  1870),  Bd.  I,  S.  38  f. 
—  Wie  Piot  zu  der  Uebersetzung  ,, sutarii  =  fabricants  de  malt''  gekommen  ist,  die 
auch  Eberstadt,  Ursprung  des  Zunftwesens,  S.  38,  übernimmt,  habe  ich  nicht  fest- 
stellen können.  Ich  vermute  einstweilen  „sutorii"  (vgl,  die  Wörterbücher)  statt 
,,sutores",  oder  besser  ,,sudarii",  französisch  „sueurs",  Gerber  (vgl.  das  Wörterbuch 
von  Sachs-Villatte  und  Eberstadt,  Magisterium,  S.  46,  wo  aber  die  Uebersetzung 
Rindschuster  unrichtig  scheint).  Eberstadt  hat  von  Piot  auch  das  sinnlose  „nostrum" 
statt  „rostrum"  übernommen,  Zunftwesen,  S.  39'   (vgl.  Ducange). 

97)  Piot,  Bd.  I,  No.  159;  auch  abgedruckt  Fagniez,  Documents,  Bd.  I, 
No.   158. 

98)  Wigand,  Archiv,  Bd.  IV,  S.  271  f.  Das  Canonessen-Stift  Bödeken  wurde 
danach  (S.  271  Anm.)  „im  Jahre  1409  in  ein  Manns-Closter  regulärer  Canonici  ver- 
wandelt".    Das  Personalverzeichnis  stammt  aus  dieser  späteren  Zeit. 


40 


Die  Handwerker  der  Grundherrschaften 


sprechen  haben  mögen '*^),  und  „ad  novam  structuram  IV",  offen- 
bar Maurer  oder  Steinmetzen  i**'). 

In  Anbetracht  dessen,  daß  Bödeken  ein  ziemlich  unbe- 
deutender Konvent  war^"'),  ist  das  im  Verhältnis  zu  berühmten 
Abteien  wie  Corbie,  Werden  und  Saint-Trond  viel  und  man 
möchte  schon  schheßen,  daß  unter  Umständen  die  Zahl  der 
eigenen  Handwerker  eher  zugenommen  als  sich  vermindert  hätte. 

Ich  glaube,  aus  diesen  Beispielen  wird  man  zur  Genüge 
entnehmen  können,  wie  es  um  das  Handwerkerpersonal  stand, 
das  sich  größere  Grundherrschaften  im  Mittelalter  zu  halten 
pflegten.  Handwerker  sind  vorhanden  im  ganzen  in  nicht  un- 
beträchtlicher Zahl,  von  jeder  Art  oft  mehrere,  aber  doch  nicht 
in  genügender  Menge,  als  daß  sich  innungsartige  Verbände  aus 
ihnen  hätten  bilden  lassen.  Eine  größere  Zahl  nämlich  verlangt 
die  Theorie,  damit  die  Bildung  eines  Hofhandwerkeramtes  mög- 
lich sei  ^^-).  Dabei  ist  sich  der  Zustand  die  langen  Jahrhunderte 
hindurch   gleich   geblieben,   bis  weit   über   die  Zeit  der  zünftigen 


99)  Landwirtschaftliche  Arbeiter  verschiedener  Art  werden  in  demselben  Ver- 
zeichnis ebenfalls  aufgezählt.  Außerdem  befinden  sich  in  der  Grangia  Tyndelen 
2  Priester  mit  2  Köchen. 

100)  Vgl.  oben  Anm.   55. 

101)  Wigand,  a.  a.  O.  S.  272,  über  die  Stärke  des  Konvents.  Vgl.  damit 
die  von  Saint-Trond,    Pire'nne,  S.  90  f. 

102)  Nachdem  Eberstadt  (Ursprung  des  Zunftwesens,  S.  95)  bemerkt  hat, 
daß  für  die  Sicherstellung  der  Vereinstätigkeit  einer  Bruderschaft  schon  „eine  geringe 
Anzahl  von  Personen  genügt",  und  daß  die  Bildung  solcher  Vereine  „selbst  unter  den 
kleinsten  Verhältnissen"  keine  Schwierigkeiten  bot,  fährt  er  fort:  „Ganz  anders  und 
viel  enger  begrenzt  sind  schon  die  Vorbedingungen  für  das  (mechanische)  Handwerkeramt. 
Um  ein  Handwerkeramt  zu  bilden,  mußte  die  Handwerkerschaft  eines  bestimmten 
Berufs  bereits  zahlreich  genug  sein,  damit  sie  für  sich  abgeteilt  und  einem  eigenen 
Magister  unterstellt  werden  konnte,"  Ferner:  „Das  so  geschaffene  Handwerksamt 
konnte  sich  unter  günstigen  Umstanden  zu  einem  Magisterium  umbilden.  Die  Voraus- 
setzung hierfür  ist  eine  doppelte;  zunächst  mußte  die  Handwerkerschaft  von  hin- 
reichender Größe  und  Bedeutung  sein ,  um  den  gesamten  Apparat  für  die  Recht- 
sprechung und  für  die  Verwaltung  des  Gewerbewesens  zu  tragen".  In  einer  An- 
merkung S.  96'  fuhrt  Eberstadt  das  noch  weiter  aus,  so  daß  kein  Zweifel  bleibt, 
daß  er  mit  der  „in  einem  Magisterium  zusammenzufassenden  Handwerkerschaft"  die 
Vertreter  eines  einzelnen  Handwerks  meint.  War  eine  Handwerkerschaft  nicht  zahl- 
reich genug,  so  blieb  die  Möglichkeit  der  „Vereinigung  mehrerer  schwächerer  Gewerko 
unter  einem  solchen  Amt".  Großenteils  wörtlich  gleichlautend  schon  in  ,, Magisterium 
und  Fraternitas''  S.  10  f.  und  S.  106.  Es  ist  ohne  weiteres  klar,  daß  diese  Voraus- 
setzung bei  den  grundherrlichen  Handwerkerschaften ,  die  wir  kennen  gelernt  haben, 
durchaus  fehlt.     Die  zweite  Voraussetzung  berührt  uns  hier  nicht. 


Die  Gründe  der  klösterlichen   Wirtschaftsweise. 


41' 


Entwickelung  hinaus:  im  12.  und  im  15.  Jahrhundert  ist  es  wie 
im  neunten. 

Eine  Hauptsache  aber  ist  dabei  noch  gar  nicht  berührt. 
NämHch  die,  daß  alle  diese  Fronhofwirtschaften,  die  sich  mit 
Handwerkern  so  wohl  ausgestattet  erwiesen,  klösterliche  waren, 
nicht  bischöfliche.  Nur  für  Klöster  aber  galt  die  Vorschrift 
Sankt  Benedikts  über  den  Betrieb  der  zum  Leben  nötigen  Kunst- 
fertigkeiten innerhalb  der  Mauern.  Konnte  sie  auch  nicht  so 
pedantisch  verwirklicht  werden,  wie  der  Autor  des  Baurisses  für 
Sankt  Gallen  es  sich  ausgedacht  hatte:  soweit  möglich  hat  man 
ihr  nachgelebt,  vergessen  hat  man  sie  nie;  und  es  unterliegt 
keinem  Zweifel,  daß  die  Einrichtungen  der  Klöster  dauernd  da- 
durch beeinflußt  worden  sind^*'^). 

Zu  der  religiösen  Norm  aber  gesellten  sich  wirtschaftliche 
Erwägungen.  Was  ist  denn  der  Grund,  warum  die  bäuerliche 
Wirtschaft  gewisse  Handwerksleistungen  in  sich  schließt?  Offen- 
bar, weil  und  insofern  Berufshandwerker,  die  um  Lohn  zu  be- 
schäftigen wären  oder  denen  man  ihre  fertigen  Erzeugnisse 
abkaufen  könnte,  nicht  zur  Verfügxing  stehen.  Dasselbe  gilt  für 
die  klösterliche  Fronhofwirtschaft.  Bedarf  diese  also  technisch 
höher  ausgebildeter  Leute,  so  muß  sie  sie  nach  den  zur  Zeit 
üblichen  Normen  selbst  halten.  Eben  daher  erklärt  es  sich, 
warum  das  tief  im  Walde  versteckte,  von  städtischen  Hilfs- 
mitteln abgeschnittene  Bödekeni^^)  noch  im  15.  Jahrhundert 
einen  so  starken  eigenen  Bestand  an  Handwerkern  nötig  fand. 
Man  sieht  sofort,  daß  auch  in  diesem  Punkte  die  Lage  der 
bischöflichen  Residenzen  eine  durchaus  abweichende  war  und  es 
also  nicht  angeht,  gerade  von  dem  Wirtschaftssystem  der  Klöster 
weitgehende  Schlüsse  auf  die  allgemeinen  wirtschaftlichen  Zustände 
zu  ziehen. 

Für  die  bischöflichen  Hofhaltungen  in  den  Städten  kommen 
die  für  die  Existenz  der  Klosterhandwerkerschaften  entscheidenden 
Gründe  also  überhaupt  nicht  in  Betracht.  Nun  sind  es  aber  ge- 
rade die  angeblichen  Handwerkerschaften  der  bischöflichen, 
städtischen  Fronhöfe,  auf  die  die  zünftische  Organisation  zurück- 
geführt wird.  Genügte  nun  schon  der  Bestand  an  Handwerkern, 
den  wir  in  den  Klöstern  fanden,  ganz  und  gar  nicht,  um  den 
hofrechtlichen    Folgerungen    als    Ausgangspunkt    zu-  dienen,    so 

•03)  Vgl.  unten  Anm.   113. 
104)  Wigand,  a.  a.  O.  S.  271. 


^2 


Die  Handwerker  der  Grundherrschaften. 


müßte  über  bischöfliches  Handvverkspersonal  eine  geradezu  er- 
drückende Beweislast  beigebracht  werden,  ehe  es  möglich  sein 
würde,  die  Theorie  von  dem  hofrechtlichen  Ursprung  der  Zünfte 
•einigermaßen  wieder  auf  die  Füße  zu  stellen.  Daran  aber  ge- 
bricht es  vollständig.  Nur  einzelne  täglich  unentbehrliche  Hand- 
werker haben  auch  die  Bischöfe  sich  unter  ihrem  Hausgesinde 
gehalten. 

Glücklicherweise  sind  wir  in  diesem  Punkte  jedoch  nicht 
auf  bloße  Deduktion  angewiesen:  über  die  Zusammensetzung  des 
Hofhaltes  gerade  des  glänzendsten  Kirchenfürsten  in  der  größten 
und  betriebsamsten  Stadt  Deutschlands  besitzen  wir  eben  aus 
-der  kritischen  Zeit  die  vollständigste  und  sicherste  Nachricht  ^"'^). 

Wenn  irgend ^vo,  so  würde  man  am  Hofe  des  Kölner  Erz- 
bischofs einen  zahlreichen  Bestand  an  Hofhandwerkern  zu  finden 
erwarten.  Hier  müßte  das  Rhodos  der  hofrechtlichen  Theorie 
sein.  Zahlreiche  Arbeiter  der  verschiedensten  Kategorien,  wohl- 
organisiert, vielleicht  früh  zum  Marktverkehr  zugelassen,  aber 
noch  der  Hofverwaltung  unterstellt,  mindestens  mit  deutlichen 
-Spuren  ihrer  ehemaligen  Abhängigkeit:  wenn  irgendwo,  so  müßte 
das  in  Köln  zu  finden  sein. 

Nichts  von  alledem!  Freilich  ein  zahlreiches  Gesinde  hat 
■sich  der  Erzbischof  an  seinem  Hofe  gehalten,  ein  ungewöhnlich 
zahlreiches  sogar.  Da  sind  der  Truchseß,  zwei  Kämmerer,  der 
-Schenk  und  der  Marschall;  ein  Küchenmeister  mit  fünf  „anderen" 
Köchen;  ein  Kellerer,  der  Butigler  mit  zwei  Dienern;  ein  Bäcker, 
ein  Tortenbäcker  und  ein  Oblatenbäcker;  der  Kämmerer  hat 
einen  Diener,  der  in  des  Erzbischofs  Kemnate  das  Feuer  anmacht, 
der  Marschall  zwei  Pferde  Wächter;  es  sind  Wasserträger  da,  ein 
Schüsselbewahrer,  ein  Brotkorbbewahrer,  ein  Bewahrer  der  Bett- 
decken, mehrere  Wäscher;  ferner  ein  „procurator  panis",  ein  Vor- 
-steher  des  Fleischhauses,  ein  Bärenhüter,  ein  Gärtner,  mehrere 
Boten.  Alle  diese  werden  am  Hofe  verpflegt.  Außerdem  eine 
Reihe  von  Personen,  die  nicht  zum  eigentlichen  Gesinde  gehören: 
■der  „capellarius",  der  „advocatus  maior",  der  „sculthetus",  der  Vor- 
steher des  Gefängnisses;  auswärtige  Herren,  die  sich  am  Hofe 
aufhalten,  wie  der  Graf  von  Jülich ;  die  Schultheißen,  „qui  serviunt 
cum  piscibus",  und  die  westfälischen,  die  Schinken  bringen;  endlich 


105)  Am  besten  ediert  von  Frensdorff  in  Höhlbaums  Mitteilungen  a.  d. 
Stadtarchiv  in  Köln,  Bd.  I,  Heft  2,  S.  59  ff.,  im  Anschluß  an  das  lateinische  und 
•das    deutsche  Recht  der  Dienstmannen  des  Erzbischofs  von  Köln,    a.  a.  O.  S.   i — 58. 


Der  Hofhalt  des  Erzbisdiofs  von  Köln. 


43 


Brüder  vom  Hospital  des  Heiligen  Lupus  und  „qui  trahunt  vehi- 
culum  in  nocte  natalis  Domini". 

Aber  von  Handwerkern?  Nur  ein  „bachararius",  ein  „tunna- 
rius",  ein  „nauta",  und  eine  Mehrzahl  nur  von  Bauarbeitern  „ope- 
rarii,  cementarii  scilicet  et  carpentarii",  und  zwar  auch  diese, 
wohlbemerkt,  als  echter  Bestandteil  des  Gesindes  im  Empfang 
des  „servitium  cotidianum". 

Es  liegt  keine  Berechtigung  zu  der  Annahme  vor,  in  früherer 
Zeit  hätten  die  Kölner  Erzbischöfe  vollständige,  in  orthodoxer 
Weise  oganisierte  Handwerkerschaften  besessen;  am  Anfang  des 
12.  Jahrhnnderts  wäre  hier  schon  die  ganze  Stufenleiter  durch- 
laufen, jede  Spur  der  ehemaligen  hofrechtlichen  Abhängigkeit 
bereits  verschwunden.  Bei  der  Stätigkeit  gerade  des  Aemter- 
wesens  im  Mittelalter  ist  das  ausgeschlossen.  Der  Hofhalt  des 
Erzbischofs  ist  denn  auch  genau  so  organisiert  wie  gleichzeitig 
der  des  Straßburger  oder  irgend  eines  anderen  Bischofs,  die  alle 
■damals  und  später  noch  gewisse  Handwerker  unter  ihr  Gesinde 
aufnahmen,  und  wie  auch  andere  größere  städtische  Haushaltungen, 
2.  B.  die  des  Straßburger  Stettemeisters.  über  das  Maß  des 
heute  üblichen  hinaus  zu  tun  pflegten  ^^'^). 

Nur  die  Stadt  Köln  hatte  eine  unendlich  reichere  Ver- 
gangenheit als  irgend  eine  andere  in  Deutschland  und  ihre 
städtischen  Organisationen  sind  deshalb  bereits  unvergleichlich 
freier  gestaltet.  Wirtschaftlich  unabhängige  Handwerker  aber 
standen  allen  Bischöfen  in  ihren  Städten  von  Anfang  an  zur 
Verfügung. 

Dafür  hat  den  Nachweis  an  einer  Reihe  von  Einzelpersonen 
und  mit  allgemeinen  Gründen  bereits  v.  Below  gegeben  '*'^). 
Den  eigentlichen  Beweis  aber,  daß  so  in  allen  Städten  der 
herrschende  Wirtschaftszustand  war,  liefert  die  folgende  Stelle  aus 
■dem  Edictum  Pistense  von  864 '<>*): 

Similiter  per  civitates  et  vicos  atque  per  mercata  ministri 
rei  publicae  provideant,  ne  illi  qui  panem  coctum  aut 
carnem  per  deneratas  [=  denariatas]  aut  vinum  per  sex- 


106)  „deheins  stettemeisters  vischer,  metziger,  wescherin,  noch  dem  koche." 
Neuordnung  des  Straßburger  Stadthaushalts  von  1405,  meine  Urkunden  zur  städti- 
schen Verfassiuigsgeschichte,  Nr.  214  §  5. 

IG")  In  den  schon  mehrfach  angeführten  Aulsätzen  über  die  Entstehung  des 
Handwerks  in  Deutschland  in  der  Zeitschrift  für  Sozial-  imd  Wirtschaftsgeschichte,  Bd.  V. 

108)  MG.  LL.,  Sectio  IL     Capitularia  Bd.  II,  S.  319. 


44 


Die  Handwerker  der  Grundherrschaften. 


taria  vendunt,  adulterare  et  minuere  possint.     Sed   quan- 
tos    mensurabiles   panes   in    unaquaque   civitate    de    iusto 
modio    episcopi    vel    abbaüs    seu    comitis    ministeriales    a 
pistoribus    suis    recipiunt,    tantos    mensurabiles    panes    de 
aequo  modio  a  pistoribus,  qui  panem  vendunt,  fieri  faciant. 
Diese  Stelle  allein   entscheidet  im   Grunde   die   Hauptfrage: 
nebeneinander  haben  wir  hier  auf  der  einen  Seite  die  Ministerialen 
der    verschiedenen    Stadtherren    mit   ihren    Hofbäckern ,    auf    der 
anderen  wirtschaftlich  selbständige  Bäcker,    Fleischer  und  Wein- 
verkäufer,   die   nur   im    öffentlichen   Interesse   der  Aufsicht  jener 
Beamten  unterstellt  sind. 
'  Freilich  gilt  das  Edikt  nur  für  das  Reich  Karls  des  Kahlen, 

das  heißt  zunächst  Frankreich.  Aber  es  kann  kein  Zweifel  sein, 
daß,  gegenüber  der  größeren  Verbreitung  der  Hörigkeit  in  diesem 
Lande,  seine  Voraussetzungen  für  Deutschland,  soweit  es  hier 
bereits  Städte  gab,  also  am  linken  Rheinufer,  in  Köln,  Straßburg, 
Aachen  erst  recht  zutreffen  mußten  ^'^^).  Dagegen  würde  die  An- 
nahme, als  wären  diese  freien  Handwerker  nach  dem  g.  Jahr- 
hundert erst  sämtlich  in  die  Hörigkeit  des  Stadtherrn  geraten, 
eine  Wiederbelebung  der  Hypothese  von  dem  hofrechthchen  Ur- 
sprung der  gesamten  Stadtverfassung  bedeuten ,  die  zur  Stunde 
gewiß  nicht  mehr  berücksichtigt  zu  werden  braucht. 

Was  jedoch  die  neuen,  binnenländischen  Bischofssitze  be- 
trifft, so  sind  auch  sie  nur  in  engstem  Anschluß  und  lebhaftester 
Wechselbeziehung  zu  den  bei  ihnen  gleichfalls  neu  begründeten 
Marktansiedelungen  denkbar.  So  kann  es  auch  hier  an  selb- 
ständigen Handwerkern  nicht  gefehlt  haben.  Und  da  die  Wirt- 
schaftspolitik der  Bischöfe  durchaus  auf  das  Gedeihen  der  neuen 
Städte  gerichtet  war,  die  ja  ohne  ihre  Förderung  gar  nicht  hätten 
ihr  Dasein  fristen  können,  so  ist  es  ausgeschlossen,  daß  sie  durch 
Heranziehen  einer  großen  Hofhandwerksorganisation  ihre  wert- 
vollste Schöpfung  im  Keime  zu  ersticken  versucht  haben  sollten. 
So  hat  denn  hier  die  Theorie  von  dem  hofrechtlichem  Ur- 
sprung der  Zünfte  erst  recht  kein  Feld.  Wo  es  Städte  gab,  wo 
das  Marktrecht  galt,   gab  es  auch  unabhängige  Handwerker,  und 


109)  Die  alte  Ansicht,  als  hätte  in  den  Römerstädten  längere  Zeit  eine  voll- 
ständige Unterbrechung  städtischen  Gewerbslebens  stattgefunden,  kann  ja  wohl  als 
aufgegeben  gelten.  Was  uns  in  dem  Capitulare  de  Disciplina  Palatii  Aquisgranensis 
(vgl.  oben  Anm.  43)  über  den  Marktverkehr  bei  der  Pfalz  überliefert  wird,  rechtfertigt 
die  Nennung  auch  Aachens  in  diesem  Zusammenhang. 


Klösterliche  und  bischöfliche  Wirtschaftsweise. 


45 


kein  städtischer  Grundherr  dachte  daran,  ihnen  gegenüber  ein 
zahlreiches,  einer  komplizierten  Organisation  und  besonderer  Ge- 
richtsbarkeit unterworfenes  Handwerkspersonal  in  seinem  täglichen 
Brote  zu  erhalten. 

Auch  die  Klöster  sind  nicht  stets  in  ländlicher  Abgeschieden- 
heit \erharrt.  Mehrfach  sind  bei  ihnen  Märkte  und  Städte  ent- 
standen, angelegt  worden.  Die  Handwerker,  die  man  hier  an- 
siedelte, unterlagen  jedoch  ebensowenig  dem  Hofrecht,  standen 
ebensowenig  innerhalb  der  Fronhofwirtschaft,  wie  in  den  Bischofs- 
städten ^^%  Dann  aber  hat  sich  auch  die  Klosterwirtschaft  den 
neuen  Bedingungen  angepaßt.  Es  erschien  bequemer,  wirtschaft- 
licher, sich  von  den  neuen  städtischen  Handwerkern  bedienen  zu 
lassen,  das  eigene  Personal  zu  beschränken. 

Mit  der  Ordensregel  war  es  auch  in  diesem  Punkte  nicht 
schwer,  sich  abzufinden.  Buchstäblich  ließ  sie  sich,  zumal  sobald 
ein  Kloster  ausgedehnte  Ländereien  besaß,  ja  doch  nicht  inne- 
halten. Und  St.  Benedikt  selber  hatte,  gemäß  der  oft  ge- 
rühmten praktischen  Richtung  seines  Geistes,  seiner  Vorschrift 
ein  „si  fieri  potest"  hinzugefügt  ^^^). 

Es  gibt  zu  denken:  wenn  der  Heilige  selbst  für  Italien  mit 
seinem  alten  Handwerk  und  seiner  langgewohnten  Sklavenwirt- 
schaft zweifelte,  ob  stets  die  Handwerker,  deren  ein  Kloster  be- 
nötigte, zu  beschaffen  sein  würden,  w-ie  viel  schwieriger  noch 
mußte  es  in  Deutschland  sein.  Erinnern  wir  uns,  wie  die  Bre- 
vium  exempla  die  Unausführbarkeit  der  Wünsche  des  Capitulare 
de  Yillis  zeigten  ^i-'). 

Wo  daher  die  Sache  zu  unbequem  war,  hat  man  in  echt 
institutionellem  Geiste,  und  die  spätere  geschichtliche  Auffassung 
verwirrend,  jedoch  den  Schein  retten  wollen.  Die  Mauern  der 
Stadt  mußten  dann  für  die  des  Klosters  stehen,  mochte  eben  jene 
auch  in  reichem  Maße  die  Gefahren  bergen,  vor  denen  die 
„draußen  schweifenden"  Mönche  zu  behüten  gewesen  wären. 
Dieser  Denkprozeß  war  zu  sehr  in  Fleisch  und  Blut  übergegangen. 


lio)  Dieser  Satz  gilt  freilich  nicht  uneingeschränkt.  Manche  Klöster  haben 
versucht,  Städte  zu  hofrechtlichen  Bedingungen  zu  gründen.  Solchen  Gründungen  ist 
aber  keine  Blüte  beschieden  gewesen.  Beispiele  bei  Goihein,  Wirtschaftsgeschichte 
d'S  Schwarzwaldes,  Bd.  I. 

iii)  Vgl.  oben  S.  34. 

112)   Vgl.  oben  S.    14. 


46  Die  Handwerker  dei   Gmndherrschaften. 

als  daß  nicht  selbst  ein  Mann  wie  Mabillon  sich  ihm  hätte 
unterwerfen  müssen  *i"). 

Wie  einsichtige  Aebte  tatsächlich  verfahren  sind,  lehrt 
die  Geschichte  Reichenaus,  auf  die  ich  deshalb  noch  einmal 
zurückkomme  1^^). 

Heinrich  IV.  hatte  im  Jahre  1065  jedermann  den  Aufenthalt 
auf  der  Insel  verboten,  mit  Ausnahme  der  Fischer,  Bäcker,  Köche, 
Walker  und  Winzer  der  Mönche.  Wenn  Hegel  von  Fischern, 
Bäckern,  Köchen,  Walkern  und  Winzern  schlechthin  redet  und 
sagt,  daß  „keine  anderen  Gewerbetreibenden"  dort  wohnen  sollten, 
so  wird  die  Sachlage  in  ein  falsches  Licht  gerückt i'^).  Bei  ihm 
erscheint  die  Maßregel  des  Königs  als  unerklärte  Willkür.  Da- 
gegen habe  ich  bereits  ausgeführt,  warum  gerade  diese  Klassen 
von  Arbeitern  so  begünstigt  wurden.  Für  andere  lag  keine  Not- 
wendigkeit für  einen  Aufenthalt  auf  der  Insel  oder  in  unmittel- 
barer Nähe  des  Klosters  vor^^ß). 

Die  Marktgründung  des  Jahres  1075  wird  deshalb  nur  in 
fernem  Zusammenhang  mit  jener  königlichen  Verordnung  stehen, 
wie  die  von  998  und  die  von  iioo^^').  Ich  möchte  auch  nicht 
annehmen,  daß  Abt  Alawich  sich  das  Marktprivileg  für  Allens- 
bach    von    Otto   III.   nur   auf   Vorrat  habe   ausstellen    lassen  1^*). 


113)  In  seinen  Annales  Ordinis  S.  Benedicti  II,  S.  333  sagt  Mabillon  von  dem 
Kloster  Saint-Riquier:  „monasterium  ad  praescriptum  sanctae  regulae  ita  dispositum 
erat,  ut  artes  omnes  atque  omnia  opera  necessaria  intra  loci  ambitum  exercerentur". 
Was  er  dann  aber  schildert,  ist  die  Stadt  Saint-Riquier,  wobei  er  noch  die  verschämte 
Wendung  gebraucht :  ,,opidum  ipsum  varias  artificum  habebat  regiones  seu  vicos,  veluti 
totidem  monaslerii  officinas."  Seine  Quelle  ist :  Scriptum  Henrici  abbatis  de  proven- 
tibus  monasterii  S.  Richarii  ex  ipso  oppido  Centula.  Acta  Sanctorum  Febr.  tom.  III, 
S.  105.  Abgedruckt  bei  Ernst  Mayer,  Zoll,  Kaufmannschaft  und  Markt  (Germanist. 
Abhandlungen  für  Konrad  v.  Maurer),  S.  403  ■'. 

114)  Vgl.  zu  dem  folgenden  oben  Anm.  45. 

115)  Entstehung  des  deutschen  Städtewesens,  S.    125  f. 

116)  Auch  Brandi,  Reichenauer  Urkunden,  S.  8,  faßt  die  Genannten  richtig 
zusammen  als  „die  Handwerker  und  Diener  der  Mönche". 

117)  Vgl.  meine  Urkunden  zur  städtischen  Verfassungsgeschichte  Nr.  99  und 
Nr.    100.     Ferner  unten  Anm.    176. 

118)  So  dem  Sinne  nach  Hegel,  a.  a.  O.,  und  Gothein,  Wirtschaftsgeschichte 
des  Schwarz  Waldes,  Bd.  I,  S.  67.  Abgesehen  davon,  daß  das  an  sich  unwahrscheinlich 
istj  geht  auch  aus  Abt  Eggehards  Worten  das  Gegenteil  hervor:  „Nos  vero,  quoniam 
tale    donum    regia    munificentia    nostro    monasterio    conlatum    antecessorum    nostrorum 

incuria  sive  neglegentia  destructum  invenimus, ad  meliorem  statum  perducimus". 

Durch    die  Nachlässigkeit    der    früheren  Aebte    war  also  der  ^Markt  wieder  zu  Grunde 
gegangen. 


Klösterliche  Marktgründlingen.  a-j 

Aber  der  Zusammenhang  ist  doch  interessant  genug!  Der  König 
hielt  nur  die  ständige  Verfügung  über  gewisse  Handwerker  den 
Mönchen  für  nötig  und  erfreute  sich  dabei  zweifellos  des  vollsten 
Einvernehmens  mit  dem  Abte.  Als  aber  die  Aebte  das  Kloster 
in  der  Beschaffung  der  übrigen  Hand  Werkserzeugnisse  von  Kon- 
stanz unabhängig  machen  wollten,  da  ließen  sie  nicht  etwa  an- 
stellige Hörige  in  den  verschiedenen  Künsten  ausbilden,  sondern 
sie  versuchten  es  mit  der  Gründung  von  Märkten  und  Ansiede- 
lungen zu  freiem  Marktrecht.  Und  darin  ließen  sie  auch  trotz 
zweimaligem  Mißerfolg  nicht  nach.  Denn  so  gebot  es  die  ge- 
sunde Wirtschaftsweise. 

Damit  ist  aber  die  Antwort  auf  die  Frage,  die  uns  im 
nächsten  Kapitel  beschäftigen  soll,  im  Grunde  bereits  vorweg- 
genommen. 


IIT.  Kapite  1. 

Die  grundherrliche  Wirtschaftsweise  und  der  r\arkt. 

Im  vorigen  Kapitel  habe  ich  den  Nachweis  gebracht,  daß 
von  Fronhofs-Handwerkerverbänden ,  wie  sie  die  Theorie  von 
dem  hofrechtlichen  Ursprung  der  Zünfte  braucht,  nicht  nur  in 
«den  Quellen  nichts  überliefert  ist,  sondern  ich  glaube  auch  mit 
ausreichenden  Gründen  dargetan  zu  haben,  daß  sie  in  der  Tat 
nicht  haben  existieren  können  ^i^").  Das  aber  überhebt  uns  nicht 
der  Notwendigkeit,  auch  den  zweiten  Hauptsatz  der  hofrechtlichen 
Theorie,  nämlich  die  Lehre  von  dem  angeblichen  Uebergang  der 
unfreien  Handwerker  vom  Dienst  für  die  Grundherrschaft  zum 
freien  Erwerbe  auf  dem  Markte,  sei  es  nun  einzeln  oder  korpo- 
rationsweise, an  sich  und  ohne  Rücksicht  auf  das  vorher  Gefundene 
einer  Prüfung  zu  unterziehen. 

Es  ist  das  eine  P>age,  der  v.  Below  besondere  Aufmerk- 
samkeit gewidmet  hat.  Er  weist  darauf  hin,  „daß  die  Immuni- 
täten in  den  Städten  das  ganze-  iMittelalter  hindurch  unfreie 
Handwerker  gehabt  habep",  und  fragt:  „warum  nimmt  man  nicht 
wahr,  daß  diese  beständig  in  allmählicher  Entwnckelung  zur  Frei- 
heit übergehen?"  weshalb   erfolgen  „nicht   beständig  neue  Evolu- 

Ii8a)  Uebrigens  hat  bereits  v.  Inama-Sternegg,  ehe  er  sich  durch  Eber- 
stadt irreführen  Heß,  im  II.  Bande  seiner  deutschen  Wirtschaftsgeschichte  S.  322  den 
Unterschied  zwischen  ländhchem  und  städtischem  Handwerk,  der  „in  der  ganz  ver- 
schiedenartigen Organisation''  liegt,  mit  wenigen  kräftigen  Strichen  vortrefflich 
gezeichnet.  „Nirgends  findet  sich  eine  Spur  sogenannter  Innungen;  schon  der  Um- 
stand stand  einer  derartigen  Bildung  als  unübersteigliches  Hindernis  entgegen,    daß  die 

Hauptmasse    der    zu    gewerblichen  Verrichtungen    bestimmten    Arbeiter nach 

ihrer  ganzen  sozialen  und  ökonomischen  Lage  kein  Material  für  die  Bildung  einer  Ge- 
nossenschaft gleichberechtigter  und  gleichinteressierter  Arbeiter  bilden  konnten.  Der 
«igenllichen  berufsmässigen  Handwerker  aber  waren  selbst  auf  reich  ausgebildeten  Fron- 
liöfen  viel  zu  wenig,  als  daf^  unter  ihnen  ein  Bedürfnis  nach  einer  eigenen  handwerks- 
noäßig  gegliederten  Genossenschaft  hätte  aufkommen  können."    U.  s.  w. 


Die  I.cx  Burgundionuni.  ^n 

tionen  von  hofrechtlichen  Verbänden  zu  freien  Innungen?"  i'-').  Nun 
ließe  sich  freilich  auf  diese  Fragen  einwenden,  daß  es  an  sich 
wohl  möglich  wäre,  daß  wir  in  dem  stabilen  Zustande,  den  uns 
die  späteren  Quellen  zeigen,  das  Ergebnis  ewet\  abgeschlossenen 
Entwickelung  zu  sehen  hätten;  daß  erst,  nachdem  eine  älteste 
Schicht  von  hörigen  Handwerkern  die  Freiheit  errungen  gehabt 
hätte  und  damit  den  Grundherren  verloren  gegangen  wäre,  diese 
einer  Wiederholung  eines  solchen  Vorganges  vorzubeugen  gelernt 
hätten;  daß  nunmehr  die  freigewordenen  Handwerker  ebenfalls 
für  die  Aufrechterhaltung  der  Schranke,  die  sie  jetzt  von  ihren 
früheren  Herrschaften  trennte,  Sorge  getragen  hätten ;  daß  also 
aus  dem  Zustande,  wie  wir  ihn  kennen,  nur  ein  Rückschluß  auf 
ein  ehemaliges  Gegenteil  gestattet  wäre:  diese  Einwände  wären 
an  sich  ohne  Zweifel  zulässig.  Allein  die  Quellen  werden  uns 
belehren,  daß  sie  als  wirklich  stichhaltig  nicht  gelten  können. 

Eins  ist  vor  allen  Dingen  festzustellen,  daß  wir  ein  echtes 
Zeugnis  für  den  Uebergang  der  Handwerker  vom  Fröndienst 
zur  Marktarbeit  überhaupt  nicht  besitzen.  Denn  die  Lex  Bur- 
gundionum  hat  aus  der  Diskussion  schlechterdings  auszu- 
scheiden 120).  Ist  es  schon  methodisch  unzulässig,  einen  Tatbe- 
stand vom  Jahre  etwa  500  als  Uebergangsstufe  zu  behandeln  von 
den  Zuständen  der  Zeit  um  800  (der  des  Capitulare  de  Villis) 
zu  denen  des  12.  Jahrhunderts ^-i),  so  kommt  sachlich  hinzu, 
daß  das  genannte  Volksrecht  überhaupt  einer  andersartigen 
Epoche  angehört:  es  beruht  auf  den  wirtschaftlichen  Voraus- 
setzungen nicht  der    werdenden  Neuzeit,  sondern  auf    denen    der 


119)  Territorium  und  Stadt,  S.  318. 

120)  MG.  LL.  Sectio  I,  tom.  II,  i.  Leges  Burgundionum  ed.  de  Salis,  p.  60. 
Liber  Constitutionum  XXI,  §  2 :  „Quicumque  vero  servum  suum  aurificem,  argen- 
tarium,  ferrarium,  fabrum  aerarium,  sartorem  vel  sutorem  in  publice  adtributum  artifi- 
cium  exercere  permiserit,  et  id,  quod  ad  faciendam  ojjeram  a  quocumque  suscepit, 
fortasse  everterit,  dominus  eius  aut  pro  eodem  satisfaciat  aut  servi  ipsius,  si  maluerit. 
faciat  cessionem."  —  Das  Literar.  Centralblalt,  1902,  Sp.  14 12,  bringt  eine  >(achricht 
über  in  burgundischen  Gräbern  bei  Tavaux  gefundene  ,, ziselierte  und  versilberte  Täfel- 
chen, die  einen  Schluß  auf  die  bewundernswerte  künstlerische  Arbeit  der  damaligen 
Zeit  zulassen".  Es  wäre  nicht  uninteressant,  zu  wissen,  ob  es  sich  um  burgundische 
oder  römische  Technik  handelt 

121)  Vgl.  Eberstadt,  Ursprung  des  Zimfiwesens,  S.  2:  „nimmt  ein  allmäh- 
liches Aufsteigen  der  Handwerker  von  der  Hörigkeit  zur  Freiheit  an,  wie  es  in  zeit- 
licher Folge  [!]  dargestellt  wird  durch  das  Kapitular  de  villis,  die  lex  Burgundionum, 
das  erste  Straßburger  Stadtrecht  und  die  Sententia  Kaiser  Friedrichs  für  Worms  vom 
Jahre   1182." 

Keutgen,  Aemtor  und  ZQnfte.  4 


^O  I^ie  grundherrliche  Wirtschaftsweise  und  der  Markt. 

untergehenden  römischen  Welt.  Trotzdem  hat  die  hofrechtUche 
Theorie  gerade  hier  suchen  müssen,  sich  anzuklammern! 

Nehmen  wir  statt  dessen  unsern  Ausgangspunkt  noch 
einmal  am  Beginn  des  9.  Jahrhunderts  —  und  das  tun  ja 
schliesslich  auch  die  Gegner  —  so  ist  in  der  Tat  die  Stabilität 
der  Verhältnisse  augenscheinlich.  Ich  brauche  nur  zu  erinnern 
an  die  besprochenen  Hof  Verwaltungen :  im  g.,  im  12.,  im  13.,  im 
15.  Jahrhundert,  überall  fanden  wir  Handwerker  unter  der 
Dienerschaft  der  Fronhöfe,  ohne  erhebliche  Schwankungen  nach 
Art  und  Zahl.  Wenn  aber  von  einem  vollkommenen  Stillstande 
gleichwohl  nicht  die  Rede  sein  kann,  so  schlug  die  Entvvickelung 
vielmehr  eine  von  der  angeblichen  durchaus  abweichende  Rich- 
tung ein. 

Wir  wollen  uns  indes  an  diesem  äusseren  Ansehen  nicht 
genügen  lassen:  es  wird  vielmehr  nötig  sein,  einen  zutreffenden 
Begriff  von  dem  ganzen  Wirtschaftssystem  der  Grundherrschaften 
zu  gewinnen.     Und  zwar   unter  einem   doppelten  Gesichtspunkte. 

Die  erste  Frage,  die  sich  erhebt,  ist  die,  in  welchem  Um- 
fange die  Grundherrschaften  über  die  Arbeitskraft  ihrer  Unfreien 
verfügen  konnten. 

Hier  wird  eine  Unterscheidung  zwischen  zwei  Klassen  von 
Hörigen  von  grundlegender  Bedeutung,  die  in  Zusammenhang 
mit     unserem    Thema    noch    nicht    genügend    gewürdigt    ist^-"-). 


122)  Der  Vorwurf  trifft  vor  allem  G.  L.  v.  Maurer,  der  seinen  mit  be- 
wundernswerter Gelehrsamkeit  gesammelten  Stoff  leider  nicht  immer  in  streng  metho- 
discher Weise  verwendet  hat.  Vgl.  z.  B.  v.  Below,  Zeitschrift  f.  Sozial-  und  Wirt- 
schaftsgesch.  V,  S.  131  ff.,  wegen  Maurers  Citate  über  grundherrschaftliche  Hand- 
werker. —  Dagegen  kennt  Schönberg,  Hild^brands  Jahrbücher  IX,  S.  155,  den 
Unterschied  wohl:  „Der  Handwerker  liefert  dem  Fronherrn  entweder  als  Colone  sein 
Arbeitsprodukt  als  Gegenleistung  für  den  ihm  gewährten  Fundus  oder  Schutz,  oder  er 
arbeitet,  als  Höriger  auf  dem  Fronhofe  wohnend,  wie  der  römische  .Sklave  Gebrauchs- 
werte für  den  Fronherrn."  Aber  abgesehen  von  der  nicht  zutreffenden  Gegenüber- 
stellung von  Colonen  und  Hörigen,  zieht  er  aus  seiner  Unterscheidung  keinen  Nutzen 
für  das  Problem :  „In  beiden  Fällen  ist  die  Arbeit  noch  nicht  vom  Grundbesitz  ge- 
trennt." Es  liegt  das  an  seiner  Abhängigkeit  von  Rodbertus'  Theorie  über  den 
historischen  Entwicklungsgang  der  Freiheit  der  Arbeit  und  ihres  Rechtes  gegenüber 
dem  Besitz  (a.  a.  O.  S.  153'®*).  Danach  mußten  die  Früchte  der  Arbeit  des  unfreien 
Arbeiters  dem  Besitzer  des  Arbeiters  resp.  des  Grund  und  Bodens  gehören.  Dies  aber 
trifft  für  die  von  Schönberg  als  Colonen  bezeichnete  Klasse  nicht  zu.  Denn  hier 
wird  der  von  v.  Below  mit  Recht  so  nachdrücklich  hervorgehobene  Gegensatz  zwischen 
persönlicher  und  wirtschaftlicher  Abhängigkeit  wirksam  und  die  von  demselben  betonte 
feste    Begrenzung    der    Leistungen    eben    der    mit   Grundbesitz    ausgestatteten    Hörigen. 


Hofgesinde  und  hörige  Hüfnor.  e  I 

Die  eine,  bei  weitem  zahlreichere  Klasse  umfasst  die  Hörigen, 
die  im  Besitz  eines  Anwesens  sind,  das  in  den  Hofverband  ge- 
hört, das  den  verschiedensten  Umfang  bäuerlicher  Besitztümer 
haben  kann,  und  von  dem  gewisse  Abgaben  oder  Dienste  zu 
leisten  sind. 

Diese  Leistungen  können  in  das  Gebiet  des  Handwerks  fallen. 
Außerordentlich  zahlreich  sind  da  Lieferungen  von  Stücken  Woll- 
tuch oder  Leinwand,  die  diese  Hörigen  schulden,  und  auch  von 
Erzeugnissen  der  Holzindustrie  ^^^).  Und  neben  diesen  Dingen, 
die  zwar  auf  dem  Markte  verwertbar,  aber  in  jeder  Bauernwirt- 
schaft herzustellen  waren,  enthalten  die  Urbare  ebenfalls  regel- 
mäßig, wenn  auch  der  Natur  der  Sache  nach  immer  nur  bei 
einzelnen  Personen,  Forderungen  von  Metallgegenständen,  Kesseln, 
Flaschen,  Messern.  Pflugscharen  u.  s.  w.,  die  nur  das  Erzeugnis 
besonders  ausgebildeter  Dorfhandwerker,  Dorfschmiede,  gewesen 
sein  können,  wie  es  deren  von  den  frühesten  Zeiten  an  Hörige 
wie  Freie  gegeben  haben  muß  ^-3*). 

Von  dieser  Klasse  gelten  die  wichtigen,  von  v.  Below, 
wenn  auch  eben  nicht  unter  Beschränkung  auf  sie,  formulierten 
Sätze:  daß  „die  Unfreiheit  im  deutschen  Mittelalter  fest  begrenzt 
ist";  daß  der  Unfreie  „bestimmte  Pflichten"  hat,  „im  übrigen  aber 
über  seine  Kräfte  nach  seinem  Ermessen  verfügen"  kann  ^-*). 

Nun  kommt  aber  diese  Klasse  für  die  Frage,  die  uns  augen- 
blickhch  vorliegt,  nicht  in  Betracht.  Denn  die  Handwerker  unter 
diesen  Unfreien  können  eben  wegen  der  festen  Begrenzung  ihrer 
Pflichten    „trotz    ihrer   persönlichen  Unfreiheit   sich  in  ihrer  wirt- 


Für  die  genannte  Theorie  aber  ergibt  sich  daraus,  daß  das  Eigentum  an  dem  von  den 
Hörigen  (=  Schönbergs  Colonen)  besessenen  Grund  und  Boden  zwischen  ihnen  und 
dem  Grundherrn  geteilt  war  imd  keineswegs  diesem  allein  angehörte.  Ein  Umstand, 
der  für  die  dort  in  Frage  kommende  Lehre  von  allergrößter  Bedeutung  ist,  wie  bei- 
läufig bemerkt  sein  mag. 

123)  Jede  urbariale  Aufzeichnung  liefert  Belege  in  Fülle.  Auch  z.  B.  Brevium 
exempla  (oben  Anm.  27  ff.)  §  8:  die  Frau  eines  jeden  der  Inhaber  von  19  mansi 
serviles  „facit  camisilem  I  et  sarcilem  I,  conficit  biacem  et  coquit  panem". 

123a)  Vgl.  oben  Anm.  85  d,  Lieferungen  an  Saint-Germain.  Ebenso  in 
Deutschland  Wigand,  Archiv  f.  Gesch.  Westfalens  I  (4),  S.  52,  Corvey'sche  Ein- 
künfte im  12.  u.  13.  Jahrb.:  IV  rasoria,  III  cultellos,  HI  forfices.  Lamprecht, 
Wirtschaftsleben  Bd.  I  (i),  S.  555,  Bd.  II,  S.  179.  Werdener  Urbare,  heraus- 
gegeben von  R.  Kötzschke,  z.  B.  S.  140  f.  cupa,  iaguena,  lebes.  Die  „craterae",  die 
gleich  dutzendweise  zu  liefern  sind,  werden  eben  deshalb  nicht  von  Metall  gewesen 
sein,  so  wenig  wie  die  zahlreichen  „scutellae". 

124)  Territorium  und  Stadt,  S.  300.     Vgl.  jedoch  unten  Anm.   197. 

4* 


5  2  I^ie  grundherrliche  Wirtschaftsweise  und  der  Markt. 

schaftlichen  Tätigkeit  in  der  Hauptsache  frei  bewegen";  sie  sind 
/  „als  Handwerker  nicht  unfrei,  sondern  frei"  ^^s^. 

Anders  verhält  es  sich  mit  der  zweiten  Klasse  von  Unfreien. 
Es  ist  die,  mit  der  wir  uns  im  vorigen  Kapitel  ausschließlich  be- 
schäftigt haben:  das  Hausgesinde,  mit  Inbegriff  der  Hofhand- 
werker, ist  auch  wirtschaftlich  unfrei,  seine  Dienste  sind  unge- 
messene. 

Es  bedarf  keiner  Ausführung,  daß,  wie  diese  Klasse,  wenn 
sie  zahlreich  genug  gewesen  wäre,  allein  für  eine  innungsartige 
Organisation  in  Betracht  kommen  konnte,  so  es  sich  auch  nur 
um  sie  handelt  bei  der  Frage  nach  dem  Uebergang  aus  dem 
Dienst  der  Herrschaft  zur  freien  Arbeit  für  den  Markt. 

Denn  bei  den  übrigen  stand  dieser  ohnehin  nichts  im  Wege. 
Aus  der  Klasse  der  zu  bestimmten  Leistungen  auf  dem  Gebiete 
des  Handwerks  verpflichteten  Hörigen  hat  sich  fraglos  ein  grosser 
Teil  der  städtischen  Handwerkerschaft  zusammengesetzt.  Aus 
diesen  Kreisen  wird  in  großem  Umfange  die  eingewanderte 
Bevölkerung  der  Städte  stammen.  Sie  waren  es,  die  in  der 
Stadt  für  ihre  Geschicklichkeit  bessere  Verwendung  erwarten 
durften:  wie  sie  dort  denn  auch  noch  während  ihrer  Ansässig- 
keit auf  dem  Lande  Absatz  für  ihre  Erzeugnisse  gefunden  haben 
werden,  soweit  die  Zunftordnung  es  gestattete  ^^e^  j)je  Regelung 
des  Verhältnisses  dieser  Einwanderer  zu  ihren  Herren  unter  den 
neuen  Umständen  ist  zu  oft  dargestellt  worden,  als  daß  es  vieler 
Worte  bedürfte  127).  Dem  Herrn  brauchte  von  ihren  Spezial- 
leistungen  nichts  verloren  zu  gehen,  da  der  Abziehende  auf  seinem 
Hofe  einen  Ersatzmann  hinterlassen  mußte.  Auch  sie  selbst 
brauchten,  wenn  sie  mit  Erlaubnis  ihres  Herrn  abgezogen  waren, 
nicht  sofort  aller  Verpflichtungen  ledig  zu  sein.  Das  Verhältnis 
aber,  in  das  sie  zu  dem  Stadtherrn  traten-,  wird  uns  später  be- 
schäftigen. 


< 


T25j  V.  Below,  a.  a.  O. 

126)  Vgl.  ältestes  Straßburger  Stadtrecht  §  52  unten  im  Text  bei  Anm.  169. 
Ein  bemerkenswertes  Beispiel  sind  die  berühmten  Ulmer  „Gäuweber":  Nübling, 
Ulms  Baumwoliweberei  im  Mittelalter  (Schmoll ers  staatswissenschaftliche  Forschungen, 
Bd.  IX  [5]).  Die  Zollrollen  lassen  im  allgemeinen  keine  Unterscheidung  zwischen 
Bauern  und  fremden  Händlern  erkennen,  abgesehen  von  den  Verkäufern  ländlicher 
Lebensmittel,  die  man  jenen  zurechnen  mag.     Vgl.  auch  unten  bei  Anm.   148. 

127)  Das  Hauptwerk  über  die  hier  berührten  Fragen  ist  das  von  August 
Knieke,  Die  Einwanderung   in    den  westfäüschen  Städten  bis   1400.     Münster   1893. 


Gemessene  und  ungemessene  Dienste.  ^^ 

Im  Augenblick  kommt  es  allein  darauf  an,  eine  genauere 
Vorstellung  von  dem  Umfang  der  Dienstbarkeit  des  Hofge- 
sindes zu  gewinnen,  von  der  ich  sag^e,   daß  sie  ungemessen  sei. 

Gareis  glaubt  bereits  in  dem  Capitulare  de  Villis  die 
Gemessenheit  der  Dienste  als  allgemeine  Regel  zu  finden"*). 
Aber  er  versteht  darunter,  daß  es  den  Beamten  verboten  war, 
die  Leistungsfähigkeit  ihrer  Untergebenen  in  despotischer  Weise 
auszunutzen,  d.  h.  für  ihre  privaten  Zwecke  auszubeuten.  Ob 
aber  nicht  für  die  Herrschaft  selbst  die  Kräfte  des  Gesindes  unter 
Umständen  beliebig  angespannt  wurden  und  nach  damaliger  Rechts- 
auffas^ung  angespannt  werden  durften,  ist  eine  andere  Frage  ^^). 

Im  allgemeinen  wird  man  sich  dem  unfreien  Hausgesinde 
gegenüber  ursprünglich  ähnlich  verhalten  haben,  wie  heute  gegen- 
über der  freien  Dienerschaft:  so  daß  zwar  nicht  von  jedem  jede 
Art  von  Dienst  verlangt  wird,  wohl  aber  von  dem  einzelnen  sein 
Dienst  nach  Bedarf  und  nur  nicht  im  Uebermaß;  wobei  die  Ab- 
messung der  Billigkeit  und  Klugheit  der  Herrschaft  überlassen 
bleibt  nach  dem  Maßstabe  des  am  Orte  Ueblichen  —  also  einer 
Art  Gew^ohnheitsrecht,  das  aber  durchaus  nicht  bindend  ist.  Im 
Mittelalter  aber  war  die  Gewohnheit  auch  innerhalb  eines  privaten 
Dienstverhältnisses  in  weit  höherem  Grade  wirklich  Recht  bildend: 
darauf  beruht  der  Vorgang  der  Entstehung  der  Hof-  und  Dienst- 
rechte. 

Hierbei  spielt  aber  ein  Umstand  eine  Hauptrolle,  der  der 
Theorie  von  dem  hofrechtlichen  Ursprung  der  Zünfte  besonderen 
\;orschub  geleistet  hat,  daß  nämlich  jeder  regelmäßige  Dienst 
als  Amt  aufgefaßt  zu  werden  pflegte,  das  seinen  Träger  mit 
ganz  bestimmten,  seinen  Pflichten  entsprechenden  Rechten  aus- 
stattete. Der  Unterschied  ist  übrigens  auch  in  diesem  Punkte 
gegenüber  dem  heutigen  Volksempfinden  nicht  groß.  Nicht  bloß 
im  öffentlichen  Dienst,  wo  feste  Dienstvorschriften  bestehen, 
sondern  ebenso  im  Privatdienst,  wo  das  weniger  der  Fall  ist, 
sucht  doch  jeder  Beamtete  vom  einfachen  Dienstboten  aufwärts 
den  Kreis  seiner  Pflichten,  für  deren  Erfüllung  er  die  Verant- 
wortung trägt,  gegen  seine  Kollegen  abzugrenzen  und  empfindet 
jeden  Eingriff  als  Rechtskränkung.  In  primitiveren  Zuständen, 
wo  jede    Aeußerung    der    Persönlichkeit   eines   starken    formalen 

128)  Landgüterordnung  Karls  des  Grossen,  S.  6. 

129)  Vgl.  hierzu  vor  allen  Dingen  Jakob  Grimm,  Deutsche  Rechtsaltertümer* 
I,  S.  485  ff.     Zahlreidie  Bel^e  ferner  bei  Waitz,  Verfassungsgeschichte  V,  S.  209  ff. 


V 


54  ^^^  grundherrliche  Wirtschaftsweise  und  der  Markt. 

Schutzes  bedarf,  ist  dieser  Hang  nur  noch  schärfer  ausgeprägt 
und  findet  öffenthch  Anerkennung.  So  gelangten  denn  im  Mittel- 
alter auch  die  Dienste  des  unfreien  Hausgesindes  zur  Regelung. 
Der  Vorgang  ist  bei  den  höheren  Schichten  der  Be- 
diensteten oft  geschildert  worden  und  bekannt  genug:  Aus- 
stattung mit  Dienstlehen,  abwechselnder  Dienst  mehrerer  In- 
haber derselben  Stelle,  Beköstigung  während  der  Dienstzeit  — 
um  nur  die  Hauptzüge  zu  nennen.  Bei  dem  niederen  Personal, 
mit  dem  wir  zu  tun  haben,  war  es  nicht  wesentlich  anders, 
wenn  auch  das  Endziel  später  erreicht  wurde  und  es  statt  der 
Dienstlehen  häufig  nur  Präbenden  gab^'^°).  Aber  wie  die  Ixhen, 
wurden  auch  die  Präbenden  Vermögensobjekte;  der  Inhaber 
kann  sich  im  Dienste  vertreten  lassen;  die  Stellen  und  ihre  Ein- 
künfte gehen  in  die  Hand  von  Leuten  über,  die  in  keiner  per- 
sönlichen Abhängigkeit  von  der  Grundherrschaft  stehen  i^').  Wir 


130)  Einen  prinzipiellen  Unterschied  gibt  es  nicht.  Vgl.  Wittmann,  Quellen 
z,  bayrischen  und  deutschen  Geschichte  I,  S.  413  ff.:  Pfründe-Ordnung  des  vormaligen 
Klosters  Geisenfeld,  13.  Jahrhundert.  Hier  sind  2  Köche,  die  abwechselnd  je 
4  Wochen  dienen  (§  40);  ebenso  2  Bäcker  (§  43).  Während  seiner  Dienstzeit  erhält 
jeder  wöchentlich  drei  „Fleisch"  und  7  Brote.  Ebenso  wird  den  Frauen  das  wöchent- 
liche Bad  alle  vierzehn  Tage  abwechselnd  von  einem  der  beiden  ,,lautnaer''  (so  muß  es 
doch  wohl  heißen,  nicht  „lantnaer",  wie  auch  Lexer,  Handwörterbuch,  übernommen 
hat,  ohne  das  „laut"  zu  erklären)  bereitet.  Will  eine  Frau  in  der  Zwischenzeit  baden 
und  nicht  das  „feile  Bad"  besuchen,  so  hat  der  Bader  vom  Dienst  es  ihr  gegen  Be- 
zahlung herzurichten  (§  45,  §  15).  Vgl.  auch  die  folgende  Anm.  —  Auch  diesen  ab- 
wechselnden Dienst  nennt  man  noch  „cotidianum  servitium",  worauf  Frensdorff, 
Kölner  Mitteilungen  I  (2),  S.  64  hinweist.  Dem  entspricht  denn  auch,  dass  der  täg- 
liche Unterhalt  nicht  wirklich  täglich  gereicht  zu  werden  braucht.     Vgl.  auch  Brevium 

exempla,  Boretius,  Bd.  I,  S.  250  ff.,  §  7 ,,De  annona dedimus  pro- 

vendariis  carradae  XXX;  qui  sunt  provendati  usque  ad  missam    S.  Johannis;  et    sunt 

Lxxn. 

131)  Sehr  lehrreich  ist,  was  Lamprecht,  W^irtschaftsleben,  Bd.  I  (2),  S.  821  f. 
und  S.  853  ff.  über  die  10  Dienstlehen  in  S.  Maximin  mitteilt:  4  für  den  Kirchen- 
dienst unter  dem  Gustos,  2  Bäcker-,  2  Koch-,  2  Schmiedelehen  unter  dem  Kellner. 
In  einem  eigenen  Weistum  von  um  1450  (a.  a.  O.,  S.  853  ff.)  werden  die  Inhaber  als 
die  „zehen  lehenlude"  bezeichnet.  Sie  bilden  eine  Genossenschaft  mit  eigener  Gerichts- 
barkeit. Die  Lehen  sind  vererblich  auch  an  Witwen  und  Töchter  und  frei  verkäuflich 
und  vergebbar.  Von  den  „zwei  kochelehen"  heißt  es,  „die  sin  schuldig  einen  knechte 
dem  convent  zu  schicken,  ihre  erwis  zu  kochen,  abe  sie  es  nit  selber '  doin  enwoUen, 
in  des  convents  kuechen  von  des  convents  erwis  und  aller  irer  gereitschaft,  die  zu  den 
erwissen  horent."  Um  1520  werden  sie  noch  als  die  „feuda  servilia"  im  Gegensatz 
zu  „feuda  liberalia"  bezeichnet  (S.  855).  Das  erste  und  wichtigste  Kirchendienstlehen 
war  in  die  Hände  eines  Godefridus  de  Meisenburgh  gekommen,  dann  in  die  seines 
Schwiegersohnes    Henricus    apothecarius    civis    Trevericus    und    schliesslich    in    die    von 


Das  Amt  der  Hofhandwerker. 


55 


sehen  eine  tüchtige  Verwaltung,  wie  die  des  Abtes  von  Saint- 
Trond,  die  teuren  Präbenden  von  den  Inhabern  zurückkaufen 
und  frische  Diener  zu  zweifellos  bequemeren  Bedingungen  neuer- 
dings anstellen  * 5-).  Aber  anstatt  eines  verstärkten  Handwerks- 
betriebes, der  den  einzelnen  in  die  Reihen  der  Markthandwerker 
geführt  hätte,  sehen  wir  die  alten  Hofhandwerker  vielmehr  sich 
in  Rentner  verwandeln.  Und  das  Amt  ist  und  bleibt  ein  per- 
sönliches: eben  das  findet  seinen  Ausdruck  in  dem  Dienst- 
wechsel. Das  Amt  der  städtischen  Handwerker  dagegen  ist  ein 
korporatives:  die  Dienste  werden  nicht  einzeln,  im  Wechsel, 
sondern  gemeinsam,  korporatiop.sweise  geleistet.  Und  wenn  es 
beim  Hofgesinde  zu  Genossenschaftsbildungen  kommt,  so  pflegt 
eine  Genossenschaft  das  gesamte  Personal  zu  umfassen  —  Bäcker, 
Köche,  Schmiede.  Kirchendiener;  während  in  der  Stadt  jedes 
Gewerk  eine  Zunft  für  sich  bildet. 

Im  Capitulare  de  Villis  fanden  wir  keinen  Unterschied 
zwischen  den  höchsten  königlichen  Hofbeamten  und  den  Knechten 
auf  den  einzelnen  Fiskalgütern  ^•■''^).  Und  in  der  Tat  haben  die 
Herren  nie  den  Standpunkt  aufgegeben,  wonach  auch  die  „Be- 
amten" nichts  weiter  als  Diener  waren  ^^*).  Deren  Stellung  aber 
kennzeichnet  sich  schon  durch  ihre  Xamen.  Sie  sind  die  „dage- 
scalki",  die  „cotidie  servientes",  die  „semper  ad  servitium  parati"'  ^^•'). 


dessen  drei  Sdiwiegersöhnen  loannis  Quetzpennick  consul  Trevericus,  Cuno  de  Koppen- 
stein scabinus  Treverinus  und  Xicolaus  de  Siemera  coniunctim.  Der  älteste  Schwiqjer- 
sohn  läfk  durch  einen  famulus  den  Dienst  versehen  und  empfängt  dafür  wöchentlich 
20  Pfd.  Weizenbrot  (S.  856).  Auch  diese  je  zwei  Bäcker,  Köche  und  Schmiede 
dienten  offenbar  abwechselnd.  Von  den  vier  Lehenleuten  unter  dem  Küster  sind  drei 
„schuldig  iglicher  ein  dritteil  von  dem  jähr  des  nachtes  in  dem  monster  zu   schlafen". 

132)  Auf  das  oben  S.  38  angeführte  Verzeichnis  der  Diener  folgt  die  Be- 
merkung: „De  predictis  prebendis  offidatorum  habet  ecclesia  XVI  prebendas,  quas 
diversis  temporibus  acquisivit,  scilicet:  III  prebendas  coquine,  I  hospitarii  seu  stabu- 
larii,  IV  prebendas  pistorum,  II  prebendas  sartorum,  I  bressarii,  I  molendinarii,  I  scul- 
teti,  I  lautoris,  I  villici  de  Hobamt,  I  Arnoldi  fenestrarii."  Darauf  folgt  ein  Ver- 
zeichnis: „Numerus  famulorum,  quibus  cotidie   et   annis    singulis    indigemus 

summa  XVI  famuli  preter  famulos  abbatis."  Es  sind  die  Diener,  die  nunmehr  die 
Dienste  der  ehemaligen  Inhaber  der  zurückerworbenen  Präbenden  versehen:  z.  B. 
„famulus  cocus  et  garsio  in  coquina",  „duo  famuli  ad  molendinum",  „duo  famuli  ad 
pistrinum  et  ad  cambam";  für  den  „lautor"  ist  zeitweise  eine  „lotrix"  da,  u.  s.  w. 

133)  Vgl.  oben  S.  10. 

'34)  Vgl.  die  Ueberschrift  zu  dem  Personalverzeichnis  von  Saint-Trond:  „Nomina 
officiatorum  seu  ministerialium  vel  potius  ministrorum". 

135)  Mittelrhein.  ÜB.,  Bd.  II,  S,  357,  Iura  prepositi  S.  Castorfs  in  Con- 
fluentia,  Anfang   13.  Jahrh. ;  „Pistores  quoque  ecclesie,  coais  et  carpentarius    singuli 


c6  ^Jc  grundherrliche  Wirtschaftsweise  und  der  Markt. 

Was  zuerst  geregelt  und  damit  limitiert  wird,  ist  die  \er- 
pflegüng:  in  dieser  Richtung  werden  die  x\nsprüche  der  Diener 
gesichert.  Der  Dienst  aber  bleibt  ein  voller,  hier  legt  die  Herrschaft 
sich  keine  Beschränkung  auf;  und  dabei  bleibt  es,  auch  wenn  der 
Inhaber  einer  Stelle  sich  vertreten  läßt,  und  für  den,  der  an  der 
Reihe  ist ,  auch  da ,  wo  zwei  Diener  abwechselnd  fungieren. 
Augenfällige  Aeußerungen  der  Willkür  haben  nie  ganz  aufge- 
hört^^**).  Indeß  interessieren  uns  diese  späteren  Zustände  nicht 
einmal.  Für  uns  kam  es  nur  darauf  an,  festzustellen,  daß  ur- 
sprünglich, und  nicht  nur  ganz  kurze  Zeit,  die  Herrschaft  über 
die  Dienste  des  unfreien  Gesindes  in  vollem  Umfange  verfügen 
konnte. 

Die  Wichtigkeit  dieser  Tatsache  wird  sich  zeigen,  wenn  wir 
nun  dem  Problem  noch  von  einer  anderen  Seite  nahe  zu  kommen 
suchen:  bildete  die  einzelne  Grundherrschaft  einen  geschlossenen 
Wirtschaftskreis  oder  kaufte  und  verkaufte  sie  auch,  vor 
allem  produzierte  sie  auf  Ueberschüsse? 

Daß  die  Lehre  von  der  „Selbstgenügsamkeit  des  Hauses" 
auf  die  Grundherrschaften  des  Mittelalters  nicht  zutrifft,  hat  eben- 
falls V.  Below  bereits  gezeigt ^^'').  Und  zwar  zu  keiner  Zeit! 
Den  Verkauf  der  Ueberschüsse  ordnet  bereits  das  Capitulare  de 
Villis  an  ^'^^),  wie  es  umgekehrt  auch  den  Ankauf  selbst  von  Saat- 
korn vorschreibt  ^^^).  Eine  strengere  Abgeschlossenheit  in  der 
Folgezeit  ist  nirgend  anzunehmen:  es  kam  vielmehr  allein  darauf 
an,  inwieweit  die  einzelne  Grundherrschaft  Absatzfähiges  produ- 
zierte. 


in  opere  sui  officii  se  paratos  seniper  exhibebunt  ad  servicium  prepositi  sicut  fratrum, 
dum  tantum  eorum  servitio  non  inpediantur."  Zitiert  von  v.*  Below,  Zeitschr.  f. 
Sozial-  u.  Wirtschaf tsg.,  Bd.  V,  S.  144°".  Der  Zusatz  ist  nicht  ohne  Interesse  als 
Anfang  einer  Rechtsbildung,  sowie  in  Hinsicht  auf  analoge  Bestimmungen  in  Stadt- 
rechten über  die  Gerichtsfolgepflicht.  —  Ferner  Waitz,  Verfassungsgeschichte, 
Bd.  V-,  S.  209  ff. 

136)  Beispiele  bei  Grimm,  a.  a.  O. 

137)  Zeitschrift  für  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte,  Bd.  V,  S.  147  ff.,  wo 
die  ausführliche  Begründung  mit  zahlreichen  Belegen.  Femer  Territorium  und  Stadt, 
S.   299  f.  und  bereits  Entstehung  der  deutschen  Stadtgemeinde  (1889),  S.   18  f. 

138)  Cap.  33,  39,  65.  . 

139)  Cap.  32.  —  In  c.  54  und  62  werden  mercata  erwähnt.  Auch  die  Ein- 
künfte aus  ihnen  sind  zu  verrechnen.  Dabei  wird  an  Marktabgaben  von  selten  unab- 
hängiger Händler  zu  denken  sein.  Doch  werden  diese  der  Verwaltung  der  iudices 
unterliegenden  Märkte  auch  der  Domanial wirtschalt  selbst  zu  Kauf  und  Verkauf  ge- 
dient haben. 


Dv!    Vcikauf  der  Ueberschüsse. 


57 


In  der  karolingischen  Gutsverwaltung  kommen  neben  land- 
wirtschaftlichen Erzeugnissen,  wie  in  den  angeführten  Kapiteln, 
jedenfalls  auch  die  Erträgnisse  aller  der  Anstalten  beim  Verkauf 
in  Frage,  deren  Verrechnung  in  c.  62  angeordnet  wird,  also 
namentlich  der  Blei-  und  Eisengruben  '^®).  Solche  gab  es  natürlich 
nicht  überall,  doch  wird  sich  aus  dem  Eisenreichtum  der  Um- 
gegend von  Werden  die  auffällige  Zahl  der  dortigen  Schmiede 
erklären  ^^').  Neben  Metallen  und,  wie  es  nach  dem  soeben  an- 
geführten Beispiele  scheinen  möchte,  daraus  hergestellten  Waaren, 
kommt  an  Bodenschätzen  das  Salz  in  Frage '^-). 

Die  häufigsten  Verkaufsgegenstände  der  Grundherrschaften 
bildeten  aber  jedenfalls  Wein  und  Getreide.  Vom  Wein  ist 
begreiflicherweise  häufiger  die  Rede,  der  Gewinn  wird  größer 
gewesen  sein,  er  wurde  auch  auf  weitere  Entfernungen  verkauft 
Ich  erinnere  nur  an  den  Weinbann,  um  die  Wichtigkeit  dieses 
Artikels  zu  erweisen  ^■*-^).  Weinarme  Stifter,  umgekehrt,  schickten 
ihre  Hörigen  zu  regelmäßigen  Zeiten  weit  hinaus,  um  das  unent- 
behrliche Getränk  zu  holen,  wie  von  Muri  ins  Elsaß  bis  Straß- 
burg und  in  den  Breisgau  ^*^). 

Dieser  Zug  im  Bilde  ist  wichtig.  Der  Verkauf  fand  vor 
der  Türe  statt,  den  Transport  besorgte  der  ferne  Käufer**^). 
Wäre  es  umgekehrt  gewesen,  so  würde  der  dann  planmäßiger 
organisierte  Handel  in  den  Quellen  eine  unvergleichlich  größere 
Rolle  spielen.     Die  zerstreute   Lage  des  Besitzes  wirkte  in  der- 


140)  Vgl.  oben  Text  zu  Anm.   22. 

141)  Vgl.  oben  S.  37. 

142)  Vgl.  z.  B.  unten  Anm.  146.  Ferner  Lamprecht,  Bd.  II,  S.  328!.; 
V.  Inama-Sternegg,  Bd.  II,  S.  338  ff.  und  über  den  Bergbau  S.  332,  S.  332', 
Beispiele  von  Lieferungen  von  Eisen  von  Seiten  Höriger. 

143)  Der  Weinverkauf  auch  im  Kleinen  muß  für  die  Großgnmdherrschaften 
schon  früh  eine  bedeutende  Einnahmequelle  gebildet  haben.  Sonst  würde  der  Wein- 
bann in  den  ältesten  Allensbachcr,  Speyerer,  Straßburger  und  Basler 
Rechtsaufzeichnungen  keine  so  große  Rolle  spielen:  meine  Urkunden  im  Register. 
Die  Erscheinung  ist  umso  auffallender,  je  mehr  die  Kundschaft  bereits  durch  die 
konkurrierenden  Bürger  beschiänkt  wurde,  —  Noch  wesentlich  früher  ist  der  Wein- 
handel im  großen  mit  den  Friesen  bezeugt.  (Vgl.  meinen  Grosshandel,  Hansische 
Geschichtsblätter,  Jahi^ng   1901,  S.  90). 

144)  Acta  Murensia,  Qu.  z.  Schweizer  Gesch.,  Bd.  III  (3),  S.  63:  „[Huobarii] 
in  autumno  vegitant  cum  plaustris  vinum  de  Alsatia  sive  Brisgoye  aut  quocunque 
ducimtur  ös  Argentinam  civitatem".  Auch  andere  Dinge,  „que  necessaria  fuenmt" 
muß  der  mansionarius  „cum  plaustro  adducere". 

145)  Vgl.  auch  die  eiidiaufenden  Fliesen.     Anm.   143  am  Schluß. 


c8  I-*i^  grundherrliche  Wirtschaftsweise  und  der  Markt. 

selben  Richtung:  die  Ueberschüsse  der  einzelnen  Höfe  oder 
Komplexe  wurden  nicht  alle  an  die  Zentralstelle  überführt,  sondern 
häufig"  auf  dem  nächsten  Markte  losgeschlagen  ^*^). 

Ohne  Zweifel  hat  Lamprecht  recht,  wenn  er  sagt,  daß  die 
Wirtschaft  den  Grundherrschaften  „vielmehr  Lebens-  als  spezi- 
fisch Erwerbsart"  blieb  ^^0-  Aber  durch  alles  das  wird  die  Tat- 
sache, daß  als  ganz  stehende  Einrichtung  Ueberschüsse  erzielt 
und  verkauft  wurden,  nicht  affiziert.  Ist  dasselbe  wenigstens  in 
der  Nähe  der  Städte  doch  selbst  von  den  Bauern  anzunehmen. 
Oder  wie  war  es  ihnen  möglich  Geldzinse  zu  entrichten,  wie  sie  in 
Westdeutschland  schon  seit  der  karolingischen  Zeit  vorkommen  ^^'^)? 
Ohne  ein  solches  Angebot  konnten  ja  auch  die  Städte  nicht  be- 
stehen ^i^).  Ich  glaube  doch,  daß  diese  Beziehungen  noch  nicht 
genügend  gewürdigt  werden  i*^^). 

Allein,  wie  verhielt  es  sich  mit  den  Erzeugnissen  des  Fron- 
hofhandwerks?  Karl  der  Große  verlangt  Abrechnung,  wie 
über  alle  anderen  Erträge,  ebenso  auch  über  das, 

quid  de  piscatoribus,  de  fabris,  de  scutariis  vel  sutoribus, 

quid    de   huticis    et   cofinis   id   est  scriniis,   quid   de  torna- 

toribus  vel  sellariis  ....  habeamus  ^''"). 

Daraus  geht  hervor,  daß  diese  Handwerker  nicht  bloß  zur  Deckung 

des   unmittelbaren  Bedarfes   arbeiteten.     Allein  hier  galt  in  noch 


146)  Hierüber  Lamprecht,  Wirtschaftsleben,  Bd.  I  (2),  S.  815.  —  Dieses 
System  hat  es  ohne  Zweifel  verschuldet,  daß  später  die  Aussenhöfe  der  Zentralstelle 
nur  zu  bestimmten  Lieferungen  verpflichtet  waren.  Vgl.  Kötzschke,  Großgrund- 
herrschaft  Werden,  S.  25  f.  Eine  interessante  Stelle  findet  sich  in  dem  Prüm  er 
Urbar  von  893  (Mittelrhein.  ÜB.,  Bd;  I),  S.  148:  ,.De  Walmersheym:  De  feodis 
ministerialiurn.  Sunt  ibi  scararii  XII:  .  .  .  .  Vinum  et  sal,  si  eis  precipitur,  omnes  ven- 
dunt".  Dazu  bemerkt  Caesarius  (a.  1222;  a.  a.  O.,  Anm.  i):  „Antiquitus  tanta  copia 
vini  ac  salis  proveniebat  ecclesie  de  curtibus  nostris,  quod  oportebat  quasi  de    necessi- 

tate  superflua  venundare Sic    etiani    obser\'atur   adhuc    hodie,    quod    homines 

nostri  in  curiis  nostris  vinum  nostrum,  si  volumus,  cum  banno  debent  vendere". 

147)  A.  a.  O.  —  Vgl.  auch  noch  die  Bilanz  über  Einnahmen  und  Ausgaben 
des  Klosters  S.  Emmeram  im  Jahre  1325/26  bei  v.  Inama-Sternegg,  Wirt- 
schaf t;ggeschichte,  Bd,  III  (i),  S.  451. 

148)  Z.  B.  Kötzschke,  Verwaltungsgeschichte  von  Werden  an  der  Ruhr, 
S.   15,  S.   19.     Vgl.  auch  oben  S.  52. 

149)  Meine  „Untersuchungen",  S.   182  ff. 

149a)  Es  ist  längst  bekannt,  daß  im  früheren  Mittelalter  die  Klöster  Geld- 
geschäfte machten.  Wenn  die  Landwirtschaft  keine  Ueberschüsse  verkaufte ,  fehlt 
durchaus  jede  Grundlage  dafür.     Vgl.  jetzt  auch  Kötzschke,  Werden,  S.   123. 

150)  Capitulare  de  villis,  c.  62. 


Die  Beschränktheit  des   F'ronhofhaiidwerks.  ^g 

höherem  Grade  der  soeben  als  für  die  grundherrliche  Wirtschaft 
charakteristisch  angeführte  Grundsatz.  Wir  haben  gesehen,  daß 
auf  den  Fronhöfen  doch  nur  wenige  Handwerker  gehalten  wurden. 
Mochte  in  gewissen  Gegenden  vielleicht  mit  Erzeugnissen  der 
Eisenindustrie  Handel  getrieben  werden,  in  anderen  mit  Textilien  '^'): 
im  allgemeinen  haben  erst  die  Cistercienser  ein  förmliches  klöster- 
liches Gewerbe  von  kommerzieller  Bedeutung  ausgebildet,  also 
zu  einer  Zeit,  wo  das  städtische  Handwerk  bereits  auf  völlig 
festen  Füssen  stand  ^*-). 

Das  aber,  worauf  es  uns  ankommt,  ist  das  Prinzip:  wenn  in 
der  Landwirtschaft,  im  Getreide-  und  Weinbau  Ueberschüsse  er- 
zielt und,  wie  die  Erträge  der  Bergwerke  und  Salinen,  verkauft 
worden  sind,  so  ist  an  sich  kein  Grund  einzusehen,  warum  es 
nicht  mit  den  Waaren  der  Hofhandwerker  ebenso  gemacht  worden 
sein  sollte. 

Mit  anderen  Worten:  wenn  die  Leistungsfähigkeit  der 
Hofhandwerker  den  Eigenverbrauch  der  Grundherr- 
schaften irgend  wesentlich  überstieg  und  wenn  ein 
Markt  für  ihre  Erzeugnisse  da  war,  so  hinderte  nichts, 
ihre  Arbeitskraft  für  die  herrschaftliche  Rechnung 
selbst  voll  auszunutzen. 

In  dieser  Absicht  läge  auch  die  einzige  Erklärung,  warum 
die  Grundherrschaften  so  massenhafte  Handwerker,  wie  die  hof- 
rechtliche Theorie  will,  in  ihrem  Brote  gehalten  hätten.  Die 
Theorie  schlägt  sich  also  selbst:  entweder  die  Dinge  lagen,  wie 
soeben  angedeutet,  und  dann  war  kein  Anlaß,  all  den  angeb- 
lichen Gruppen  der  unfreien  Handwerker  plötzlich  zu  erlauben, 
ihre  beste  Arbeitskraft  im  eigenen  Interesse  zu  verwenden ;  oder 
aber  das  Hofhandwerk  war  so  unbedeutend,  daß  die  Grund- 
herrschaft keinen  nennbaren  Verlust  erlitt,  wenn  sie  einzelnen 
Dienern  gestattete,  einen  kleinen  Handel  anzufangen. 

Hier  eben  beruht  einer  der  scheinbaren  Stützpunkte  der 
hofrechtlichen  Theorie:  so  erklärt  es  sich,  dass  wir  eigene  Hand- 
werker   der   städtischen  Grundherren    mit    den    bürgerlichen    Ge- 


151)  Man  könnte  darauf  aus  der  grossen  Menge  der  allgemein  von  Hörigen  zu 
liefernden  Stücke  Tuch  und  Leinwand  schließen,  die  den  Eigenbedarf  eines  Klosters 
und  seiner  Dienerschaft  anscheinend  übersteigen  würden. 

152)  Das  von  Insassen  der  Klöster,  Nonnen  oder  Konversen  betriebene  Hand- 
werk kann  natürlich  für  unsere  Frage  garnicht  in  Betracht  kommen. 


6o  I^i^  grundherrliche  Wirtschaftsweise  und  der  Markt. 

werbetreibenden  in  Konkurrenz  treten  sehen.  Aber  es  handelt 
sich  für  sie  lediglich  um  einen  Nebenerwerb  einzelner  Personen: 
volkswirtschaftliche  Umwälzungen  konnte  das  nicht  bewirken. 
Und  die  unabhängigen,  städtischen  Handwerker  waren  zuerst  auf 
dem  Platze.  Das  hat  uns  schon  das  Edictum  Pistense  gelehrt  ^'^^). 
Oder  für  wen  sind  denn  die  Märkte  gegründet  worden? 

Doch  damit  berühre   ich  den  Punkt,   über   den    das  nächste 
Kapitel  Aufklärung  bringen  soll. 


153)  Vgl.  oben  S.   43  f. 


IV.  Kapitel. 

Hofhandwerker  und  Markthandwerker. 

Wir  verlassen  nun  die  ländlichen  Gnindherrschaften  und 
ihren  Wirtschaftsbetrieb  und  wenden  uns  den  Dingen  in  der 
Stadt  zu. 

Schon  w'urde  angedeutet,  daß  auf  dem  städtischen  Markte 
es  nicht  ganz  gefehlt  hat  an  einem  Wettbewerb  zwischen  ein- 
zelnen hofhörigen  Handwerkern  und  den  städtischen  Gewerbe- 
treibenden. 

Durch  die  bisherigen  Untersuchungen  aber  haben  wir  die 
Grundlage  gewonnen  für  das  Verständnis  einer  Reihe  von  Ur- 
kundenstellen, die  sich  eben  mit  dieser  Frage  beschäftigen,  und 
durch  die  andererseits  jene  Ergebnisse  auch  wieder  vollkommene 
und  für  weiteres  fruchtbarste  Bestätigung  erfahren. 

Ihrem  Wortlaut  nach  scheinen  sie  einzeln  meist  ziemlich 
klar  und  sind  übrigens  oft  besprochen.  Doch  wollen  sie  sich 
erst  jetzt  so  in  den  allgemeinen  Zusammenhang  befriedigend  ein- 
reihen lassen,  daß  ihre  volle  Bedeutung  erhellt. 

Ich  gehe  aus  von  den  einfachsten,  was  denn  auch  der  zeit- 
lichen Reihenfolge  entspricht 

Die  geistlichen  Gnindherrschaften  in  der  Stadt  beanspruchten 
für  ihre  Diener  Freiheit  von  den  öffentlichen  Lasten,  von  Hof- 
und  Heersteuer,  und  Exemption  vom  Stadtgericht.  Das  entsprach 
dem  Begriff  der  Immunität.  Trotzdem  erhoben  sich  Streitig- 
keiten mit  den  städtischen  Behörden.  Und  in  mehreren  Fällen 
sah  man  sich  gezwungen,  König  oder  Kaiser  um  Entscheidung 
anzurufen.  Offenbar  hatte  die  Geistlichkeit  den  Begriff  der 
..servnentes"  über  das  Mass  ausgedehnt:  eben  dessen  Umfang 
interessiert  ja  auch  uns. 


02  Hofhandwerker  und  Markthandwerker. 

An  die  Spitze  sei  eine  Satzung  Bischof  Burchards  I.  von 
Worms  gestellt,  die  das  Prinzip  festlegt: 

§  2g    Lex    erit:    si    episcopus   fiscalem    hominem    ad  ser- 
vitium    suum    assumere   voluerit,    ut    ad    aliud   servitium 
eum   ponere    non   debeat  nisi  ad  camerarium  aut  ad  pin- 
cernam  vel  ad  infertorem  vel  ad  agasonem  vel  ad  mini- 
sterialem.     Et  si   tale   servitium   facere    noluerit,    quatuor 
denarios   persolvat  ad  regale  servitium  et  VI  ad  expedi- 
tionem;  et  tria    iniussa  placita  querat  in    anno  et   serviat 
cuicunique  voluerit ^^^). 
Das  heisst  also:  man  steht  entweder  im  Dienste  eines  Herrn 
oder  man  zahlt  Hof-   und  Heersteuer  und    sucht   das  öffentliche 
Gericht,  kann  übrigens  aber  über   sich  verfügen ,  d.  h.   ist   wirt- 
schaftlich selbständig.     Dass  der  Herr  in  diesem  Falle  der  Bischof 
ist,    bedingt   keinen  Unterschied    gegenüber   andern   Immunitäts- 
Herren.  —  Die  Vorzugsstellung  innerhalb  des  bischöflichen  Dienstes, 
auf  die  der  Klasse   der  Fiskalinen    ein  Vorrecht   zuerkannt  wird, 
interessiert  uns  weiter  nicht. 

Diesem    Grundsatz    entsprechend    entscheiden     alle    anderen 
Stellen  den  berührten  Streit. 

Voran  steht  unter  diesen  ein  Privileg  Heinrichs  IV.  für  die 
Kanoniker  von  Speyer  vom   lo.  April  iioi: 

Si  quis  illorum  serviens,  hospicio  et  convictu  alicuius 
eorum  cotidiano  participans,  aliquam  contra  ius  civium 
iniusticiam  fecerit,  non  in  forum  neque  ius  publicum  sicud 
alii  ex  precepto  tribuni  vocentur;  ymo  tribunus  episcopi, 
in  claustrum  ante  decanum  veniens,  et  sibi  et  ei  qui  lesus 
fuerit    satisfactionem    postulet    et   accipiat,    hac    videlicet 

racione: Si    vero    aliquis   fratrum    alium,  neque 

ipsius  hospicio  neque  cottidiano  victu  utentem 
servientem  in  urbe  habeat,  communi  civium  iuri 
subiaceat  ^^^). 


154)  Weiland,  MG.,  Constitutiones  I  No.  438;  Boos,  Quellen  z.  Gesch.  der 
Stadt  Worms,  Bd.  I,  No.  48;  meine  Urkunden  No.  10.  —  Dem  Umstände, 
den  Zeumer,  Die  deutschen  Städtesteuern  (Schmollers  Forschungen,  Bd.  I,  2)  S.  52, 
hervorhebt,  daß  nach  dem  Wortlaut  dieser  Stelle  es  sich  nicht  nur  um  die  städtischen 
sondern  um  alle  Fiskalinen  handelt,  vermag  ich  für  das  weitere  keine  Bedeutung 
beizumessen. 

155)  Hilgard,  Uikimden  z.  Gesch.  der  Stadt  Speyer,  No.  13;  meine 
Urkunden,  No.   11. 


Servientes  und  publici  mercatores.  53 

Hier  erfahren  wir  also  das  wichtige  Neue:  es  gibt  Diener, 
Unfreie,  der  Kanoniker  in  der  Stadt,  die  nicht  unter  dem  Dache 
ihres  Herrn  leben,  nicht  in  seinem  Brote  stehen,  nicht  zu  seinem 
}lofgesinde  gehören.     Sie  unterliegen  dem  öffentlichen  Recht 

Was  aber  sind  das  für  Leute?  Wovon  leben  sie,  da  sie 
nicht  von  ihren  Herren  den  Unterhalt  empfangen?  Was  treiben  sie? 

Darüber  belehrt  uns  zuerst  das  Privileg  Heinrichs  V.  für 
die  Kanoniker  von  Lüttich  vom  23.  Dezember  1107  und  das 
im  wesentlichen  gleiche  desselben  Königs  für  das  Maastrechter 
Kapitel  von   1109^^^. 

Die  Lütticher  Urkunde  lautet: 

§  2.  Item  si  alicuius  canonici  serviens,  qui  in  convictu 
suo  sit,  aiiquid  in  civitate  peccaverit,  nullum  forense  iu- 
ditium  sustinebit,  nisi  publicus  mercator  fuerit. 

Die  den  öffentlichen  Verpflichtungen  unterworfenen  „servientes" 
sind  also  „mercatores":  d.  h,  selbstredend  —  denn  darüber  herrscht 
heute  wohl  Einverständnis  —  nicht  lauter  Kaufleute  oder  Händler, 
sondern  in  der  Hauptsache  die  für  den  Markt  arbeitenden  Hand- 
werker. 

Und  dadurch  wird  auch,  wenn  es  noch  nötig  war,  der  Streit 
über  die  Straßburger  Privilegien  -  Reihe  entschieden:  das 
Heinrichs  V.  von  1122  für  die  Servientes  des  Domkapitels,  die 
sich  dabei  auf  altes  Herkommen  und  das  gleiche  Recht  ihrer 
Kollegen  beim  Bischof  berufen,  und  das  Friedrichs  L  für  die 
von  St  Thomas  und  St  Peter  von  1156;  für  alle  drei  bestätigt 
II 96,  also  Ende  wie  Anfang  des  Jahrhunderts  gültig*^'). 

Die  Diener  dieser  Stifter 

antecessorum  suorum  consuetudinibus  contenti  suis  dominis 
serviendo    satisfaciant ,    de    publico   autem    civitatis   iure 


156)  Waitz,  Urkunden  z.  deutschen  Verfassungsgeschichte-,  No.  15  und  16. — 
In  dem  Privileg  für  Maastrecht,  das  in  seinen  meisten  Paragraphen  sich  eng  an 
die  Urkunde  für  Lattich  anlehnt  —  weshalb  auch  Waitz  beide  parallel  druckt  — 
ist  der  Diener  näher  definirt  als  „ser\iens  proprius  vel  precio  conductius,  qui  in  coti- 
diana  sua  familia  et  in  convictu  suo  sit".  Die  Exemption  erhält  hier  aber  auch 
„aliqais  mintsterialis  prepo^iti  famulus,  qui  de  familia  aecclesiae  fuerit  vel  benefidum 
aecclesiae  de  manu  prepositi  habuerit,  sive  apud  villas  sive  in  Traiecto  manens".  Das 
sind  also  die  Ministerialen,  die  nach  dem  Straßburger  Stadtrecht,  §  10  ebenfalls 
von  dem  Schultheilkngericht  befreit  sind  und  auch  für  ihre  Behausungen  Immunität 
genossen  {§  37).     Vgl.  unten  S.  65. 

157)  Wiegand,  Urkundenbuch  der  Sudt  Straßbui^,  Bd.  I.  No.  75,  No.  106, 
No.   134;  meine  Urkunden  No.   12. 


64  Hofhandwerker  und   Markthandwerlcer. 

omnino    alieni    existant;    sed solis  dominorum 

suorum    utilitatibus   insistentes   ab  omni  iure  fiscali 
deinceps sint  absoluti. 

Unmittelbar  mit  Handel,  Handwerk  und  Markt  hat  das 
natürlich  nichts  zu  thun  und  mit  Zollfreiheit  überhaupt  nichts  ^''"*). 
Dem  Wortlaut  nach  ist  es  einfach  eine  Bekräftigung  des  Grund- 
satzes, den  wir  zuerst  ein  Jahrhundert  früher  in  Worms  ausge- 
sprochen fanden :  Dienst  im  Hause  sichert  vor  den  öffentlichen 
Verpflichtungen.     Denn  was  soll  das 

solis  dominorum  suorum  utilitatibus  insistere 
anders  heißen  als  Beschränkung  auf  den  Herrendienst?  Solche 
Beschränkung  aber  schließt  —  das  liegt  in  der  Sache,  und  wir 
wissen  es  ja  auch  schon  —  von  selbständigem  Gewerbebetrieb 
aus.  Und  so  ergiebt  sich  auch  hier  der  Schluß:  wenn  die  Straß- 
burger Kanoniker,  wie  ihre  Brüder  in  Speyer,  Lüttich  und 
Maastrecht  andere  Unfreie  ihr  eigen  nannten,  die,  sich  dem  kaiser- 
lichen Spruche  nicht  fügend,  eigenem  Erwerb  nachgingen,  so 
hatten  diese  auf  die  Begünstigung  des  Privilegs  keinen  Anspruch, 
sondern  verfielen  dem  öffentlichen  Recht  als  „pubhci  mercatores". 

Durch  die  übrigen  Quellen  findet  diese  Auffassung  weitere 
Bestätignng. 

Da  ist  zuerst  das  älteste  Straßburger  Stadtrecht  aus  dem 
12.  Jahrhundert,  das  zu  den  soeben  behandelten  Privilegien  für 
den  Klerus  derselben  Stadt  die  erw^ünschte  Ergänzung  liefert  i-^^). 

Hier  werden  die  in  Speyer  und  die  in  Lüttich-Maastrecht 
konstatierte  Ausnahme  von  der  Befreiung  —  die  gegen  den  aus- 
wärts wohnenden  vmd  die  gegen  den  einem  Gewerbe  obliegenden 
Serviens  gerichtete  —  je  in  einem  besonderen  Paragraphen  be- 
handelt. Es  brauchen  ja  auch  in  der  Stadt  nicht  alle  außerhalb 
der  Tisch-  und  Wohngemeinschaft  stehenden  Hörigen  eines  Stifts- 
herrn Handwerker  oder  Kaufleute  zu  sein.  Es  können  in  den 
reicher  entwickelten  Verhältnissen  Handwerker  und  Kaufleute, 
die  Hörige  eines  Stifts  sind,  bereits  in  Häusern  wohnen,  die 
nicht  nur  von  ihren  Herren  nicht  bewohnt  werden,  sondern  ihnen 
überhaupt  nicht  gehören.  Das  ändert  an  dem  Prinzipe  nichts, 
beide  Kategorien  unterliegen  dem  öffentlichen  Recht, 


158)  Soweit  sind  Eberstadts  Ausführungen  (Zunftwesen,  S.  44  f.)  gegen 
Gothein  richtig;  doch  hatte  ich  das  bereits  in  meinen  Untersuchungen  über  den 
Ursprung  d.  d.  Stadtverfassung,  S.  139*,  bemerkt.  Alles  weitere  bei  Eberstadt 
ist  falsch. 

159)  Wiegand,  a.  a.  O.  No.  616;  meine  Urkunden  Xo.    126. 


Der  Slraßburger  Schultheiß.  6j 

Allerdings  ist,  dem  Gesichtskreis  dieser  Rechtsaufzeichnung 
gemäß,  nur  der  Gerichtsstand  in  Frage  gezogen,  nicht  auch  die 
Steuerpflicht. 

So  heißt  es  denn: 

§  37.  In  omnes  curias  fratrum  de  claustris  vel  ministe- 
rialium,  in  quibus  ipsi  corporaliter  non  habitaverint,  ius 
habet  scultetus  vel  iudex  vocandi  ad  iudicium  et  cogendi 
inhabitatorem. 

§  38.  Similiter  et  ministros  fratrum  de  quocunque  claustro 
ius  habet  iudicandi  de  ipsis,  scilicet  in  causis  pertinentibus 
ad  mercaturam,  si  volunt  esse  mercatores. 
Dabei  bedeutet  §  37  insofern  eine  Erweiterung  des  ursprüng- 
lichen Prinzips,  als  die  Möglichkeit  ins  Auge  gefaßt  erscheint,  daß 
Höfe,  die  Klosterbrüdern  oder  Ministerialen  gehören,  an  Bewohner 
vergeben  sind,  die  überhaupt  nicht  in  einem  Hörigkeitsverhältnis 
zu  ihnen  stehen:  alle  Höfe  der  Klosterbrüder  und  Ministerialen, 
in  denen  sie  nicht  selbst  wohnen,  sind  der  Immunität  entzogen, 
mag  ihr  Bewohner  übrigens  sein,  was  er  will. 

Die  Erklärung  ist  jedoch  einfach  genug.  Als  Ausgangs- 
punkte sind  zu  betrachten  auf  der  einen  Seite,  daß  die  Bewohner 
der  Immunitäten  von  dem  öffentlichen  Gericht  eximiert,  auf  der 
anderen,  daß  alle  mercatores  ihm  unterworfen  sind.  Dann  haben 
Gerichtsständige  des  Schultheißen  ihre  Wohnung  in  Häusern  ge- 
nommen ,  die  Geistlichen  gehörten  und  deshalb  immun  waren. 
Das  bedeutete  eine  bedrohliche  Minderung  des  öffentlichen  Rechts. 
Da  wurde  denn  die  Exemption  auf  das  Hausgesinde  der  Geist- 
lichen beschränkt.  So  wird  man  sich  den  Verlauf  vorzustellen 
haben. 

Dagegen  sind  in  §  38  die  Worte  „scilicet  in  causis  pertinen- 
tibus ad  mercaturam"  ein  singulärer  Zusatz,  eine  Beschränkung 
der  Gerichtsbarkeit  des  Schultheißen,  die  in  Widerspruch  mit 
allem  sonst  Ueberlieferten  steht  —  in  anscheinendem  Widerspruch 
auch  mit  dem  Stadtrecht  selbst.  Denn  nach  §  44  hat  wenigstens 
die  Gewerbegerichtsbarkeit  der  Burggraf,  und  die  würde  einen 
wichtigen  Teil  der  „causae  pertinentes  ad  mercaturam"  doch  wohl 
umfassen.  Wenn  aber  eine  Teilung  an  sich  auch  nicht  auffällig 
wäre,  so  müßte  man  in  §  38  doch  eine  Andeutung  davon  er- 
warten ^^% 

160)  Vgl.    Stadtrecht    von  Augsburg    von   1276  {Meyer,  Das  Siadtbuch  von 
Augsburg),    S.  204,    Art.  CXXV:     „Der   burggrafe    sei    rihten    alle    keufe  unde  swaz 
Keutgen,  Aemter  und  ZOnfie.  O 


66  Hofhandwerker  und  Markthandwerker. 

Da  ist  man  versucht,  die  schlechte  Ueberlieferung  dieser 
Quelle  doch  einmal  heranzuziehen,  sowie  unsere  Unbekanntschaft 
mit  den  Umständen  der  Aufzeichnung  ^^i):  es  handelt  sich  um 
ein  offenbares,  wenn  auch  möglicherweise  frühes  Einschiebsel  zu 
gunsten  der  Stiftsherren  und  ihrer  Leute,  das  dem  sonst  gültigen 
Rechte  widerspricht. 

Auch  der  verderbte  Satzbau  zwingt  geradezu,  dieses  Aus- 
kunftsmittel anzuwenden.  Der  Accusativ  „ministros"  ist  mit  dem 
„de  ipsis"  schlechterdings  unvereinbar. 

Da  gibt  die  von  Schilter  überlieferte  Lesart  einen  Wink^^-): 
similiter  et  in  ministros  fratrum  ....  ius  habet,  scili- 
cet  iudicandi  de  ipsis,  scilicet  (etc.). 

Das  „in"  entspricht  dem  „in"  des  vorangehenden  Paragraphen 
und  ist  durchaus  gerechtfertigt:  „gegen  sie"  hat  der  Schultheiß 
ein  Recht,  nämlich  „iudicandi  de  ipsis".  Dann  ist  auch  das 
Schilt  er  eigentümliche  erste  „scilicet"  am  Platze.  Um  so  ver- 
dächtiger aber  wnrd  der  von  dem  zweiten  „scilicet"  eingeleitete 
Zwischensatz,  und  die  echte  Fassung .  würde  also  lauten: 

§    38.      Similiter   et    in    ministros    fratrum    ius    habet: 
scilicet  iudicandi  de  ipsis,  si  volunt  esse  mercatores  ^*'^). 

Wie  man  sich  indessen  auch  mit  dieser  Abweichung  von 
der  Norm  abzufinden  geneigt  sein  mag:  an  dieser  selbst,  an  dem 
Kern  der  Sache  wird  nichts  geändert. 

Den  Ausschlag  und  Abschluß  gibt  ein  Reichsgerichts- 
urteil Friedrichs  1.  vom  31.  Mai  1182,  erlassen  auf  die  Klage 
der  Kanoniker  von  Worms,  deren  „ministri"  von  den  Wormser 
Bürgern  gedrängt  worden  waren 


clage  von  kaufen  kumt;  ane  umbe  den  furkauf,  daz  sol  ein  vogt  rihten."  Hier  wird 
dem  Vogt  der  kriminelle  Teil  zugewiesen  und  der  wird  in  Stral^burg  dem  Schuit- 
heiiJen  zugefallen  sein. 

161)  H.  Bloch,  Die  Ueberlieferung  des  ersten  Straßburger  Stadtrechtes,  Zeit- 
schrift f.  d.  Gesch.  d.  Oberrheins,  N.  F.,  Bd.  XIV,  S.  271—298;  derselbe.  Zum 
ersten  Straßburger  Stadtrecht,  a.  a.  O.,  Bd.  XV,  S.  464 — 466;  Keutgen,  Die  Ueber- 
lieferung des  ältesten  Straßburger  Stadtrechts,  Histor.  Vierteljahrsschiif t ,  Bd.  III, 
S.  78—86. 

162)  Schilters  Lesarten  gibt  Wiegand  unter  dem  Text. 

163)  Man  möchte  annehmen,  daß  Grandidier  an  dem  doppelten  „scilicet", 
das  er  wie  Schilter  in  seiner  Vorjage  fand,  Anstoß  genommen  und  deshalb  das  erste 
,, scilicet"  und  in  Verbindung  damit  auch  das  ,,in"  vor  „ministros"  geglaubt  hat  aus- 
merzen zu  müssen. 


Der  certus  et  publicus  mercator.  67 

ad  solvendas  de  suo  pecuHo  collectas,  que  in  civitate  ad 
nostrum  fiunt  obsequium  ^^^). 
Das    Urteil    befreit,    und    zwar    mit    Gültigkeit    für    alle 
Kirchen,  die  Diener  von  diesen  Steuern: 

hü  videlicet,  qui  fratribus  et  ecclesie  cottidie  in  propria 
persona  deserviant  nee  mercimoniis  operam  dant 
nee  foro  rerum  venalium  Student  nee  pro  subterfugio 
nostre  coUecte  obsequio  fratrum  se  applicant.  Nos  itaque 
omnes  huiusmodi  ecclesie  Wormaciensis  ministros,  qui 
certi  et  publici  mercatores  non  sunt,  ab  omnibus 
angariis  et  parangariis,  ab  exactionibus  et  coUectis 
auctoritate  imperiali  absolvimus,  et  ut  ecclesie  ac  fratri- 
bus libere  servire  possint  ac  devote,  immunes  esse  decer- 
nimus. 
Das  bedarf  weiter  keines  Kommentars. 

Sollte  aber  trotz  allem  noch  jemand  zweifeln,  ob  unter  dem 
Hofgesinde,  wie  wir  es  hier  überall  den  „mercatores"  gegenüber- 
gestellt finden,  unter  diesen  „servnentes"  und  „ministri"  die  Hof- 
handwerker mit  einbegriffen  sind,  so  braucht  er  nur  verwiesen  zu 
werden  auf  die  Urkunde  Ottos  IV.  für  das  Marienstift  in  Aachen, 
worin  es  heißt: 

decernimus,   ut   ministri   eiusdem  ecclesie,  videlicet  cam- 

panarii,    pistor,     cocus,    brassator,    claustrarius, 

fenestrarius  ab  omni  exactione  publica  liberi  sint  .... 

Judicium  quoque  civile,  si  prefati  ministri   ab  aliquo  con- 

veniantur,  ecclesie  reservamus  ^^^). 

Das  Wesentliche,     was   für   uns    bei    dieser    Untersuchung 

herausspringt,  ist  die  absolute  Gegenüberstellung  des  „serviens  in 

canonici  convictu",   des    „fratribus   et    ecclesie    cottidie   in   propria 

persona  deserviens"    und   des  „publicus  mercator",    des  „certus  et 


164)  Weiland,  a.a.O.,  Xo.  283;  Boos,  a.a.O.,  Xo.  89;  meine  Ur- 
kunden, No.  13. 

165)  Bresslau,  Diplomata  centum,  No.  53;  vgl.  auch  v.  Below,  Histor. 
Zeitschr-,  Bd.  LVIII,  S.  206*.  Daß  auch  in  diesem  Falle  das  Steuerprivileg  nach 
damaliger  Auffassung  den  Ausschluß  vom  Markte  bedeutete,  aber  sich  von  seilen  der 
Stadt  nicht  immer  durchsetzen  ließ,  ergibt  sich  aus  dem  späteren  Verhalten:  Hoeffler, 
Entwicklung  der  kommunalen  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt  Aachen  (^^ar- 
burger  Dissertation  1901),  S.  14^.  —  Vgl.  auch  den  Vertrag  zwischen  Bürgerschaft 
und  Bischof  in  Konstanz,  durch  den  1255  des  Bischofs  Meßner,  Pfister.und  Amdeute 
von  der  Bürgerschaft  ausgeschlossen  und  für  steuerfrei  erklärt  wurden.  Gothein, 
Wirtschaf tsgesch.,  Bd.  I,  S.   143,  S.  327, 

5* 


68  Hofhandwerker  und  Marklhandwerker. 

publicus  mercator",  wie  es  noch  schärfer  in  der  Urkunde  von 
1 182  heißt.  Ebendasselbe  besagt  das  Straßburger  „si  mercatores  esse 
volunt",  das  dem  „mercimoniis  operam  dare",  dem  „foro  rerum 
venalium  studere'*  (1182)  entspricht,  was  eben  die  Hofhandwerker 
nicht  tun.  Es  ist  auch  nichts  anderes,  als  wenn  es  bereits  in  der 
Allensbacher  Urkunde  von    1075  heisst: 

eiusdem  oppidi  villanis  mercandi  potestatem  concessimus, 
ut  ipsi  et  eorum  posteri  sint  mercatores'*'*"). 
Durch  förmliches  Rechtsgeschäft  konnte  selbstverständlich 
jeder  Grundherr  einen  oder  mehrere  seiner  Hofdiener  wie  seiner 
Hörigen  aus  dem  Hofverbande  entlassen.  Aber:  man  ist  ent- 
weder das  eine  oder  das  andere:  ein  allmählicher  Uebergang 
bleibt  ausgeschlossen. 

Einige  Worte  wären  noch  zu  sagen  über  zwei  Paragraphen 
des  Straßburger  Stadtrechts,  die  von  gewissen  Zollbefrei- 
ungen handeln.  Zollbefreiungen  sind  nicht  in  dem  Begriff  der 
Immunität  mit  eingeschlossen.  Doch  gehören  sie  zu  den  an 
Kirchen  regelmäßig  erteilten  Privilegien  und  oft  citiert  sind  gerade 
die  Urkunden  Karls  des  Großen  und  Ludwigs  des  Frommen 
hierüber  für  die  „homines"  der  Straßburger  Kirche  1*''^).  Mit  ihnen 
stehen  die  folgenden  Bestimmungen  des  Stadtrechts  indes  nicht 
mehr  in  Einklang: 

§  52.    Quicunque  de  familia  ecclesie  huius,  vir  vel  mulier, 
vendiderit    in    hac    civitate    res,    quas    vel   manibus   suis 
fecerit,  vel  que  creverint  ei,  non  dabit  theloneum.     Et  si 
quid    emerit   ad   opus   suum,    quod    gracia   lucri   vendere 
noluerit,  similiter  theloneum   non  dabit  .... 
§  53.    Si  quis  emerit  vel  vendiderit  citra  quinque  solidos, 
theloneum  non  dabit. 
Von     einer     Zollbefreiung     war     in     den     Urkunden,      die 
Exemption    von    öffentlichen    Leistungen    und    dem    Stadtgericht 
gewährten,  nicht  die  Rede:    es  ist  das  eine  Sache  für  sich.     Nur 
in  dem  Lütticher  Privileg  wird  hinzugefügt: 
nullum  vero  theloneum  solvet. 


166)  Vgl.  noch  unten  Anm.    176  sowie  oben  Anm.   117. 

167)  Die  Urkunde  Karls  des  Großen  von  775,  wie  sie  bei  Wiegand,  a.a.O. 
No.  15  abgedruckt  ist  und  danach  in  meinen  Urkunden  No.  68,  ist  nach  Bloch, 
Neues  Arch.,  Bd.  XXV,  S.  252,  No.  120  eine  Fälschung  Grandidiers.  Doch 
bestätigt  das  Diplom  Ludwigs  vom  6.  Juni  831  (Wiegand,  No.  23  fast  gleich- 
lautend) eine  Vorurkuiide  Karls. 


Luai  gratia  emere.  69 

Auch  werden  sich  die  Begriffe  „familia  ecclesie"  und  „ministri 
fratrum"  nicht  decken.  Ferner  genießen  Zollbefreiung  ja  wenig- 
stens später  allgemein  und  grundsätzlich  gerade  die  Bürger. 

Gleichwohl  interessiert  die  Frage:  wie  verhält  sich  die 
„familia  ecclesie"  des  §  52  zu  den  „mercatores"  in  §  38?  Die 
Antwort  liegt  in  dem 

emere  quod  gracia  lucri  vendere  voluerit: 
denn  das  tut  der  Handwerker.  Jeder  der  gewerbsmäßig  „die  An- 
schaffung und  Weiterveräußerung  von  beweglichen  Sachen 
(Waren)"  betreibt,  „ohne  Unterschied,  ob  die  Waren  unverändert 
oder  nach  einer  Bearbeitung  oder  Verarbeitung  weiter  veräussert 
werden"  *•**),  der  ist  „certus  et  publicus  mercator".  Nicht  dazu 
gehören,  die  nur  gelegentlich  etwas  verkaufen,  wie  die  „cotidie 
serVientes";  nicht  die  Bauern,  die  in  die  Stadt  kommen,  um  länd- 
liche Erzeugnisse  und  Werke  des  Hausfleißes  feil  zu  bieten:  und 
solche  w^erden  eben  im  wesentlichen  die  „viri  vel  mulieres  de 
familia  ecclesie"  gewesen  sein^*"*). 

Der  §  53  dagegen  gilt  natürlich  für  Jedermann.  Doch  wird 
man  immerhin  in  den  5  s.  die  Wertgrenze  sehen  dürfen,  die  von 
den  Verkäufen  der  Gelegenheitshändler  nicht  überschritten  zu 
werden  pflegte. 

Friedrich  I.  spricht  in  dem  Reichsgerichtsurteil  von  1182 
auch  von  denen,  die 

pro  subterfugio  nostre   collecte  obsequio  fratrum  se 
applicant. 

Das  kennzeichnet  also  eine  Bewegung  in  gerade  umge- 
kehrter Richtung  zu  der  von  der  hofrechtlichen  Theorie  ange- 
nommenen. Wenn  Landleute  in  die  Stadt  zogen,  um  neben 
einer  Besserung  ihrer  wirtschaftlichen  Lage  Befreiung  aus 
drückender  Hörigkeit  zu  erlangen;  wenn  unfreie  Diener  Dienst- 
und Hausgemeinschaft  ihrer  geistlichen  Herren  verliessen  und 
bereit  waren,  dafür  sich  den  öffentlichen  Lasten  zu  unterwerfen, 
um     dem     Gewerbe    eines    „mercator"    obliegen    zu    können:    so 


168)  Handelsgesetzbuch  für  d;is  Deutsche  Reich  vom    10.  Mai    1897,  §   l,   i. 

169)  Auch  das  Stadirecht  von  Augsburg  von  1276  gewährt  eine  Erleichterung 
für  die  Gelegenheitshändler  (Christian  Meyer,  Das  Stadtbuch  von  Augsbui^,  1872, 
S.  42,  §  12):  „Unde  ob  ein  armiu  frowe  oder  ein  man  worhte  ein  bulellm  oder  ein 
gurtellin,  die  lihte  eins  taechers  niht  verlegen  mohten,  die  mugent  daz  wol  verkaufen 
swem  si  welJent".     Sonst  durfte  unter  einem  Decher  verkaufen  nur,  wer  „ze  krame  stat". 


yo  Hofhandwerker  und  Markthandwerker. 

haben    umgekehrt  andere  die  Dienstbarkeit  auf  sich   genommen, 
nur  um  sich  der  Steuerpflicht  zu  entziehen  i^**). 

Um  die  Stellung  eines  „Hoflieferanten"  zu  erlangen,  die 
von  den  öffentlichen  Lasten  befreite  und  zugleich  eine  sichere 
Versorgung  gewährleistete,  waren  viele  bereit,  ihre  Bürgerwürde 
daranzugeben.  In  späterer  Zeit,  als  die  Gegensätze  viel  von 
ihrer  Schroffheit  verloren  hatten,  trug  ihre  Lage  manchmal  einen 
zwitterhaften  Charakter.  So  veröffentlicht  Lamprecht  aus  der 
Mitte  des  14.  Jahrhunderts  aus  dem  Trierer  Urbar  ein  Ver- 
zeichnis von 

census    ad    vitam    cedentes  domino   archiepiscopo    Treve- 
rensi  in   die  beati  Martini  solvendi  a  quibusdam  civibus 
civitatis    Treverensis,    qui    exempti    sunt    a    iurisdic- 
tione  sculteti  et    iustiti[a]  secularis  pretorii  Treverensis, 
qui    coram    domino   Treverensi  vel   eius  cellerario   palatii 
tenentur  respondere^^^). 
Die    städtischen    Stifter    haben   eben  die  Uebung,  sich   eine 
Anzahl  eigene  Handwerker  zu  halten,  das  ganze  Mittelalter  hin- 
durch nicht  aufgegeben.     Und  diese  haben  nach  wie  vor,  wo  sie 
konnten,    einen    Nebenerwerb    in    Konkurrenz    mit   den    Bürgern 
auf   dem    offenen    Markte  gesucht  und  sind    in  diesem   Beginnen 
von  ihren  Herren  geschützt  und  unterstützt  worden.    Die  säuber- 
liche  Scheidung   zwischen    dem    „cottidie  in   propria   persona   der_^ 
serviens"  und  dem  „publicus  mercator"  unternahmen  Interessierte 
stets    von    neuem    zu    verwischen.      Um    aber    diese    Bewegung 
nicht  überhand   nehmen  zu  lassen,  um  die  städtischen   Einkünfte 
in  ihrem  Bestände,   die  Bürger  gegen  solch'  unlauteren   Wettbe- 


170)  In  Arras,  wo  im  Gegensatz  zu  Straßburg  auch  die  „mercatores"  der 
„familia"  (S.  Vedasti)  Anteil  an  deren  Zollfreiheit  hatten,  haben  im  12.  Jahrhundert, 
um  von  dieser  zu  profitieren,  zahllose  Personen  sich  in  solche  „adulterina  servitus" 
ergeben.  Hier  waren  es  die  Mönche,  die  sich  beschwerten  (nicht  „das  Kloster"!); 
denn  der  Zoll  war  „victui  suo  antiquitus  appositum",  während  der  Kopfzins  der 
familia  in  die  Hände  des  Abtes  gmg.  Urkunde  Karls  von  P'landern  von  1122  nach 
Guimanns  Cartulaire  de  l'abbaye  de  Saint-Vaast,  S.  182,  herausgegeben  von  van 
Drival,  Arras  1875,  citiert  von  v.  Below,  Zeitschr.  f.  Sozial-  und  W'irtschaftsgesch., 
Bd.  V,  S.  138,  und  von  Zeumer  in  Waitz,  Deutsche  Verfassungsgesch.,  Bd.  V', 
S.  242^.  —  Vgl.  auch  rmten  bei  Anm.   172. 

171)  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben,  Bd.  I  (2),  S.  1243  ff.  Von 
den  so  pflichtig  gewordenen  heißt  es:  „fecerunt  se  domino  censuales  ad  eorum  vitam 
causa  protection is".  Natürlich  ,,protectio"  gegen  die  gesetzlichen  Ansprüche  der 
städtischen  Behörden. 


Die  rückläufige  Bewegung.  -- 1 

werb  zu  schirmen,  bemühte  sich  der  Rat,  wenigstens  die  Zahl 
solcher  zweideutigen  Hpthandwerker  zu  beschränken. 

Hierher  gehört  die  Urkunde  Ottos  von  Freising  für 
Weihenstephan  von  1146  (oder  1144)  —  mag  sie  nun  echt 
sein  oder  gefälscht,  um  den  darin  geschilderten  Tatbestand  zu 
retten^'-)  —  wonach  der  Bischof  festsetzt,  daß  das  Kloster  in 
der  Stadt  je  einen  Bierbrauer,  Gerber,  Fleischer,  Weber,  Schuh- 
macher, Kürschner,  Böttcher,  Krämer,  Bäcker^^*),  Fischer, 
Schmied  und  Stellmacher,  sowie  in  einem  seiner  Häuser  eine 
Weinschenke  haben  dürfe,  die  Freiheit  vom  Marktzoll  geniessen 
sollen. 

Hierher  auch  ein  von  v.  Maurer  angeführtes,  aber  nicht 
richtig  verwandtes  Weistum  von  Selz  von   13 10: 

172)  Mon.  Boica,  Bd.  IX,  S.  5035.  —  Graf  Hundts  Gründe,  die  Urkunde 
für  ein  ,,spätes  und  ungeschicktes  Machwerk"  zu  erklären,  sind  das  Vorkommen  des 
Wortes  „Hofmarchia''  und  der  Umstand,  daß  das  Jahr  1146  nicht  zu  dem  6.  Re- 
gierungsjahre Bischof  Ottos  paßt  (Abhandl.  d.  Münchener  Ak.,  Hist.  Cl.,  Bd.  XIV 
(2)  (1878),  S.  41).  Es  ist  doch  wohl  sehr  zweifelhaft,  ob  das  zur  Verwerfung  der 
Urkunde  ausreicht.  Inzwischen  hat  Ernst  Mayer  (Mittelalter!.  Verl'assungsgesch.  I, 
Bd.  II,  S.  2*)  ein  paar  frühere  Fälle  des  Vorkommens  von  Hofmark  nachgewiesen 
und  vorgeschlagen  (a.  a.  O.,  S.  177')  statt  MCXLVI  zu  lesen  MCXLIV,  wonach 
auch  das  Regierungsjahr  stimmen  würde,  —  v.  Belows  Angabe,  die  Urkunde  sei 
zum  ersten  Mal  i.  J.  1 29 1  nachweLsbar  (Zeitschr.  f.  Sozial-  und  Wirtschaftsgesch., 
Bd.  V,  S.  130'''),  beruht  auf  einem  Mißverständnis  von  Hundts  Worten.  Dieser 
sagt  (a.  a.  O.,  S.  41*):  ,,  In  dem  Zweitältesten  Urbar  des  Klosters  im  R.  A.  Xo.  II, 
gefertigt  unter  Abt  Conrad  1291,  findet  sidi  f.  45  im  späteren  Nachtrage  eine  von 
dem  apostolischen  Notar  Arsacius  Prunner  ohne  Datum  gefertigte  Abschrift."  Er  gibt 
dann  deren  von  dem  Druck  in  den  Mon.  Boica  abweichende  Lesarien  an.  Jene  Ab- 
schrift ist  eben  nicht  die  Vorlage  der  Mon.  Boica,  sondern  sie  haben  diese  angeblich  „ex 
Kaiendario  vetustissimo  perpetua  serie  ab  anno  1030.  ad  annum  usque  1350.  ab  autoribus 
coaevis  continuato"  (Mon.  Bo.,  Bd.  IX,  S.  344  f.).  Im  übrigen  kommt  nicht  viel 
darauf  an:  die  in  der  Urkunde  geschilderten  Zustände  sind  ebensowohl  im  12.,  wie 
im  13.  oder  14.  Jahrhundert  möglich.  —  Zur  Würdigung  ist  zu  erinnern,  daß  es  sidi 
hier  nicht  um  Handwerker  des  Stadtherrn  handelt.  Daher  erhalten  die  Beamten  der 
Siadtherrschaft  (,,officiales  dominii'")  für  den  V^erlust  des  Zolles  ein  Ehrengeschenk  von 
Filzschuhen,  fünf  Hühnern  und  zwei  Gänsen.  Die  Bürger  leiden  aber  imter  der 
Konkurrenz  der  nicht  vom  Zolle  Beschwerten.  Gleichzeitig  wird  entschieden,  daß  das 
Kloster  im  übrigen  seine  Brau-  und  Schenkgerechtigkeit  anstatt  in  Freising  nur  noch 
in  der  Hofmark  Vetting  ausüben  soll.  Diese  Beschränlnmg  klösterlichen  Rechts  kann 
man  beiläufig  auch  als  einen  Umstand  betrachten,  der  für  die  Echtheit  der  Urkunde 
spridit.     In  einer  gefälschten  wäre  sie  übel  angebracht. 

172a)  Es  steht  „pictorem".  Da  aber  ein  „pictor*'  unwahrscheinlich  ist,  dagegen 
ein  „pistor '  vermißt  wird,  so  wird  die  Emendation  erlaubt  sein,  zumal  die  Lesarten 
auch  sonst  unsicher  sind.     Vgl.  darüber  Hundt   a.  a.  O. 


7  2  Hof  Handwerker  und  Markthandwerker. 

Darnah  teilent  die  scheffen,  daz  ein  abbet  unt  daz  closter 
von  Selse  von   einme   ieclichen  antwergke    ein    antwerg- 
man  haben  sülent.     Sitzent  die  in  des  closters  ettirn,  die 
sülent  bettenfrie  sin  und  sülent  mit  den  bürgeren  dekeincn 
dienest  dun,  unt  solnt  doch  vvalt,  weide  unt  almende  mit 
den  bürgeren  nutzen*'-'^). 
Noch  manche  ähnliche  Beispiele  Hessen  sich  anführen. 
Doch  das  sind  Auswüchse.  Die  königlichen  Entscheidungen 
des    12.  Jahrhunderts   erwiesen  sich  eben    auf  die  Dauer   nur   da 
kräftig     genug,    die    Hofhandwerker    von     der    Beteiligung    am 
öffentlichen  Wettbewerb  völlig  auszuschliessen,    wo   der   Rat  die 
Macht  besaß,  dem  anerkannten  Rechte  wirklich  Geltung  zu  ver- 
schaffen.    In  der  Hauptsache  aber  haben  sie  ihre  Gültigkeit  be 
halten  und  für  die    Selbständigkeit    des   städtischen    Handwerkes 
gerade    in    der  Zeit,    in    die    seine    ersten    organisatorischen    Be- 
strebungen fallen,  gaben  sie  den  Ausschlag ^'^'^'''). 


173)  Grimm,  Weistümer,  Bd.  I,  S.  763,  §  33.  Vgl.  auch  das  Weistum  von 
Neuweiler  im  Elsaß,  a.  a.  O.  S.  754.  ■ —  v.  Maurer,  Fronhöfe,  Bd.  II,  S.  317, 
führt  beide  nur  als  Belege  für  das  Vorhandensein  von  Hofhandwerkern  an,  — 
Interessant  ist  in  dem  Selzer  Weistum  noch,  wie  die  Anschauung  Ausdruck  findet, 
daß  Anteil  am  Genuß  der  Ahnende  bedingt  wird  durch  Uebernahme  der  Bürger- 
pflichten, daß  sie  also  der  Gemeinde,  niemanden  aber  weniger  als  dem  Grundherrn 
und  seinen  Leuten  gehört.  —  Ferner  Gen  gier,  Beiträge  z.  bayr.  Rechtsgesch.,  Bd.  II, 
S.  i8''\  Weistum  von  Altenmünster,  15.  Jahrhimdert,  Text  B,  §  8,  wonach  je  ein 
weinprobst,  taefernaer,  kelnaer,  zinsmeister,  preu,  choch,  pfister,  ziegler,  weber,  drescher 
bloß  herbststeuerpflichtig  sind;  besitzt  einer  von  ihnen  aber  Erb  und  Eigen  im  Etter, 
im  Markt,  so  muß  er  das  auch  versteuern. 

173  a)  Noch  während  des  Druckes  erhalte  ich  durch  die  Güte  Herrn  Dr. 
Kötzschkes  die  Druckbogen  seiner  Ausgabe  der  Werdener  Urbare,  sofern  sie  sich 
auf  die  dortigen  Handwerker  beziehen.  Der  Aufzählung  des  Gesindes  habe  ich  danach 
nichts  hinzuzufügen,  außer,  daß  die  Uebersetzung  ,,camerarii  =  Kammerbediente"  zu  Be- 
denken Anlaß  geben  könnte.  Als  zweifellos  unrichtig  muß  ich  aber  des  Verfassers 
Auffassung  (Großgrundherrschaft,  S.  121)  bezeichnen,  wonach  ein  größerer  Teil  des 
Gesindes  des  Abtes  in  der  Ortschaft  Werden  gewohnt  hätte,  „in  je  einem  zu  be- 
sonderem Gebrauch  ihnen  vergebenen  Hause",  wo  es  ,,sich  auch  auf'er  dem  Dienste 
des  Abts  eine  Nahrung  gesucht  und  geschaffen  haben"  möchte. 

Es  handelt  sich  darum,  daß  die  Abtei  m  der  Stadt  (civitas !)  Werden  73 
,,fundi"  besitzt,  von  denen  21  dem  Barkhofamt  unmittelbar  zinsen,  der  Rest  an 
Ministerialen  (zwei  übrigens  auch  an  einen  Priester)  ausgeliehen  ist , '  und  die  zum 
guten  Teil  von  Handwerkern,  einige  aber  von  den  Ministerialen  selbst,  die  übrigen 
von  mit  Namen  genannten  Personen  unbekannten  Berufs  bewohnt  sind.  Es  kann  keinem 
Zweifel  unterliegen ,  daß  diese  „fundi"  städtische  Grundstücke  von  der  sonst  als 
„areae"  bekannten  Art  sind.  Die  21  dem  Barkhof  unmittelbar  verpflichteten  fundi 
zahlen    einen  Geldzins    von    zwei    bis    sieben,    regelmäßig  vier,   zusammen  89  Pf. ;    nur 


Frcisjng.     SeU.     Werden.  j  r 

einer  auch  zwei  Hühner.  Dieser  Zins  liefert  den  Beweis ,  daß  die  Inhaber  die 
Grundstücke  nach  stidüscbem  freiem  Leiherecht  inne  haben,  daß  aber  nicht  ihnen 
die  „Häuser",  von  denen  nichts  dasteht,  „zu  besonderem  Gebrauche  vergeben"  sind. 
Nach  dem  Zusammenhange  müssen  die  an  Ministerialen  verliehenen  52  fundi,  deren 
Zins,  als  die  Abteiverwaltung  nicht  interessierend,  nicht  angegeben  ist,  von  derselben 
-Vrt  sein. 

Von  den  Handwerkern,  die  axif  diesen  fundi  wohnen,  werden  zwei  als  ,,pistor 
•itrum"  bezeichnet,  bei  allen  andern  fehlt  dagegen  jede  Andeutung  irgend  einer  per- 
sonlichen Beziehung,  sei  es  zum  Abt,  sei  es  zum  Konvent.  Es  sind  außer  den  beiden 
genannten  noch  je  zwei  Bäcker,  Weber,  Schuster,  Köche  und  je  ein  Gärtner,  Wirt, 
Fischer,  mercator,  Zimmermann,  moiiitor  (monetarius),  argen tarius,  Kürschner,  Schmied. 
Mit  andern  Worten,  es  handelt  sich  um  Werdener  bürgerliche  Gewerbetreibende,  die 
der  Abtei  gehörige  Grundstücke  (einige  liegen  „super  forum"!)  nach  freiem  Erbleihe- 
recht übernommen  haben.  Mit  dem  Gesinde  des  Abts  haben  sie  nichts  gemein :  das 
wohnt  im  Kloster.  Von  besonderem  Interesse  aber  sind  die  beiden  pistores  iralrum: 
Bäcker  des  Konvents,  die  aber  nicht  auf  dem  ausgesonderten  Konventsgut,  sondern 
auf  Grund  und  Boden  der  Abtei  und  zwar  in  der  Stadt  zu  freier  Leihe  wohnen,  denen 
also  vermutlich  von  ihren  Herren  die  ,,potestas''  concediert  worden  ist,  „ut  ipsi  et 
eon^  posteri  sint  mercatores"  (Aliensbach  1075),  ^^^  die  damit  aus  dem  Gesinde- 
verbande ausgeschieden  sind,  aber  in  der  Stellimg  als  ,, Hoflieferanten",  wie  die  von 
Weihenstephan,  verblieben  sein  mögen.  Uebrigens  hielten  Klöster  sich  solche 
Lieferanten  auch  in  völlig  freien  Städten,  wie  z.  B.  ein  „lohannes  pistor  dominanmi 
in  Hucstrate"  in  Lübeck  für  einen  Schuhmacher  bürgt,  der  das  Bürgerrecht  erwirbt. 
Lübecker  Urk.-B.,  Bd.  II,  S.  23,  a.  1259.  Dieser  Hofbäcker  war  ohne  Zweifel  selbst 
Bürger  und  zahlte  Steuern.     Vgl.  noch  oben  Anm.   165. 


V.  Kapitel. 

Die  Handwerker  in  Straßburg  und  Trier. 

Es  käme  nun  darauf  an,  zu  untersuchen,  ob  die  Berichte 
über  städtische  Gewerbeorganisationen  mit  den  bisherigen  Aus- 
führungen in  unlösbarem  Widerspruch  Stehendes  enthalten,  die 
hauptsächlich  als  Beweise  für  den  hofrechtlichen  Ursprung  der 
Handwerkerverbände  betrachtet  zu  werden  pflegen:  die  Dar- 
stellung in  dem  ältesten  Straßburger  Stadtrecht^'*)  aus  dem 
12.  Jahrhundert,  sowie  die  etwa  gleichzeitige  in  dem  Liber 
annalium  iurium  archiepiscopi  et  ecclesie  Trevirensis  ^^•''). 

Eine  Grundlage  und  einen  Ausgangspunkt  für  unsere  Be- 
trachtungen, zunächst  der  Straßburger  Zustände,  haben  wir 
bereits  in  dem  vorigen  Kapitel  gewonnen.  Meine  Ausführungen 
ließen,  ich  glaube  das  behaupten  zu  dürfen,  darüber  keinen  Zweifel, 
.4aß_hiStraßburg  und  allen  Städten  von  ähnlicher  Vergangenheit 
die  Hofhandwerker  der  Immunitäten  vom  Marktverkehr  gesetzlich 
ausgeschlossen  waren,  daß  dagegen  die  Markthandwerker  w'^HT 
persönlich  unfrei  sein,  aber  eben  nicht  zum  Gesinde  irgend  eines 
Fronhofes  gehören  konnten ,  da  wirtschaftliche  Selbständigkeit 
eins  ihrer  wesenthchen  Merkmale  ist.  Auf  die  persönUche  Freiheit 
oder  Unfreiheit  der  einzelnen  kommt  es  bei  ihnen  für  die  Frage, 
die  uns  beschäftigt,  nicht  an,  und  wir  wissen  darüber  in  diesem 
besonderen  Falle  urkundlich  nichts. 

Wir  wissen  nur  allgemein,  daß  die  Einwohnerschaft  der 
wachsenden  Städte  sich  zu  einem  großen  Teile  aus  Einwanderern 
zusammengesetzt  hatte,  von  denen  viele  unfreier  Herkunft  mit 
oder    auch    ohne    Erlaubnis   ihrer    Herren    in    die  Stadt    gezogen 


174)  Vgl.  oben  Anm.    159. 

175)  Mittelrhein.  Urkundenbuch,  Bd.  II,  S.  399—401;  Lacomblet, 
Archiv  für  die  Geschichte  des  Niederrheins,  Bd.  I,  S.  319 — 322;  meine  Urkunden 
Nr.   131.     Ueber  die  Datierung  vgl.  den  Anhang  zu  diesem  Kapitel. 


Die  Bischöfe  und  ihre  Untertanen. 


75 


waren.     Dort   ist   es  ihnen   regelmässig  gelungen,   die  Unfreiheit, 
früher  oder  später  abzustreifen.    Eben  wegen  dieser  Gefahr  sind, 
wie  ebenfalls  bekannt  ist,  die  Stadtherren  selbst  einer  Beteiligung 
ihrer    eigenen    Hörigen    an    dieser   Bewegung   meist    entgegen- 
getreten *"•'). 

Allein  wir  haben  auch  gesehen,  daß  in  Straßburg  tatsächlich 
Jiörige  der  verschiedenen  Stifter  —  Leute,  die  den  Stiftern  eigene, 
aber  von  den  Kanonikern  nicht  selbst  bewohnte  Höfe  innehatten 
—  sich  am  Marktverkehr  beteiligten  und  dem  öffentlichen  Ge- 
richte unterworfen  waren  _^^^).  Frei  von  jeder  hofrechtlichen  Ab- 
hängigkeit waren  sie  darum  noch  nicht  Allein  es  war  voraus- 
zusehen, daß  ein  derartiger  Zwitterzustand  sich  auf  die  Dauer 
nicht  würde  halten  lassen:  zumal  wenn  —  eine  Folge  desselben 
Marktrechtes  —  diese  städtisch-eingeborenen  Handwerker  in  den- 
selben Gewerbeämtem  sich  zusammentrafen  teils  mit  freien 
Kollegen,  teils  mit  solchen  eingewanderten,  die  eben  hier  in  der 
Stadt   zur    Freiheit   sich    emporzuschwingen    im   Begriff    standen. 

Dieses  allgemeine  Streben  nach  Befreiung,  dem  wir  auf  dem 
Lande  nichts  Aehnliches  an  die  Seite  zu  setzen  haben,  mußte  noch 
verstärkten  Antrieb  erhalten  durch  die  entgegengesetzten  Ver- 
suche der  Stadtherren ,  die  Freiheit  der  gesamten  Bürgerschaft 
zu  mindern  oder  zu  mißachten  oder  doch  ihr  neue  unerhörte 
Lasten  aufzuerlegen  ^^*^). 

Eben  der  Umstand,  daß  die  Bischöfe  stets  geneigt  waren, 
die  Grenzen  der  verschiedenen  Rechtskreise  ihrer  Gerichtsunter- 
tanen zu  verwischen,  ist  ein  Moment,  das  bei  der  Beurteilung 
jener  Zustände  noch  immer  nicht  genug  berücksichtigt  wird.  Und 
doch  wissen  wir  von  der  mißbräuchlichen  Ausdehnung  des  bischöf- 
lichen Weinhannes  in  Strassburg^'^);  wir  kennen  vor  allen  Dingen 

176)  Wenn  ein  Grundherr  eine  Stadt  oder  einen  Marktort  erst  anlegte,  so 
mußte  er  natürlich  einer  Anzahl  seiner  Hörigen  den  Uebertrilt  für  das  einemal  gestatten. 
So  in  Aliensbach,  vgl.  oben  den  Text  zu  Anm.  117:  „Omnibus  eiusdem  oppidi  villanis 
mercandi  potestatem  concessimus,  ut  ipsi  et  eorum  posteri  sint  mercatores,  exceptis  his 
<^ui  in  exercendis  \-ineis  vel  a[gr]is  occupantur."  —  Es  ist  das  eine  Parallele  zu  der  seit 
dem  13.  Jahrhundert  so  häufigen  Erhebung  ganzer  Dörfer  zu  Städten  durch  Bc Wid- 
mung mit  Sudtrecht,  von  dem  natürlich  die  übrigen  Hörigen  desselben  Herrn  nichts- 
-destoweniger  ausgeschlossen  blieben. 

'77)  Vgl.  das  vorige  Kapitel,  S.  65. 

178)  Hierzu  noeine  Untersuchungen  über  den  Ursprung  der  deutschen 
Stadtverfassung,  S.   154  ff. 

179)  Straßburger  Urkundenbudi,  Bd.  I,  Nr.  74;  meine  Urkunden  Nr.  19, 
Nr.   20. 


76  D'c  Handwerker  in  Slraßburg, 

die  Kämpfe  der  Bürgerschaften  um  ihre  Freiheit  in  Speyer ^^°) 
und  in  Worms i*^').  Wir  sehen  hier,  zu  welchen  Mißständen  es 
führte,  wenn  auf  der  einen  Seite  die  Vögte  auswärtiger  Grund- 
herren über  ihre  Hörigen,  die  in  die  Stadt  gezogen  waren,  die 
alten  hofrechtlichen  Ansprüche  geltend  machen  wollten:  es  ging 
das  so  weit,  daß  sie  selbst  davor  nicht  zurückschreckten,  in  der 
Stadt  mit  Nichtgenossen  eingegangene  Ehen  einfach  als  ungültig 
zu  erklären  ^^^).  Und  auf  der  andern  Seite  sehen  wir  den  Bischof 
von  Speyer  der  gesamten  Bürgerschaft  die  Abgabe  des  Haupt- 
rechts auferlegen  und  damit  den  Versuch  machen,  sie  als  seine 
Hörigen  zu  behandeln. 

Man  hat  wohl  eingeworfen,  daß  die  Bischöfe  die  verschie- 
denen Rechtssysteme  und  ihre  Grenzen  recht  gut  kennen  mußten. 
Bis  zu  einem  gewissen  Grade  ohne  Zweifel!  Allein  es  ist  zu  be- 
denken, daß  es  sich  um  eine  Zeit  handelt,  in  der  die  Zustände 
flüssig,  die  Rechtsnormen  überhaupt  noch  nicht  auf  der  ganzen 
Linie  streng  fixiert  waren,  wo  namentlich  das  städtische  \"or- 
zugsrecht  sich  erst  bildete.  Im  allgemeinen  waren  die  Bischöfe 
doch  vorzugsweise  in  grundherrlichen  Anschauungen  emporge- 
kommen und  mussten  die  natürliche  Neigung  haben,  die  gesam.te 
misera_  contribjjens  plebs_  von  diesem  Standpunkt  aus  zu  be- 
trachten. Wie  leicht  neigen  selbst  heute  juristisch  geschulte 
Beamte  zu  büreaukratischen  Uebergriffen !  Der  Standpunkt  ist 
nicht  derselbe,  wohl  aber  die  menschliche  Schwäche,  auf  die  er 
zurückgeht.  In  den  Bischofsstädten  sassen  zudem  die  Einge- 
wanderten zweifellos  zum  großen  Teil  auf  Kirchenland,  was  allein 
schon  Anlaß  geben  mußte,  eine  persönliche  Abhängigkeit  zu  präsu- 
mieren :  denn  die  freie  Bodenleihe,  die  keine  solchen  Folgen  nach  sich 
zog,  war  doch  auch  erst  dabei,  sich  als  allgemeines  städtisches 
Institut  von  staatsrechtlicher  Bedeutung  auszubilden  und  durchzu- 
setzen ^^3). 


i8o)  Hilgard,  Urkunden  z.  G.  d.  Stadt  Speyer,  Nr.  14,  Xr.  18;  meine 
Urkunden  Nr.  21,  Nr.  22. 

181)  Boos,  Quellen  z.  G.  d.  Stadt  Worms,  Bd.  I,  Nr.  62,  Nr.  90;  meine 
Urkunden  Nr.   23,  Nr    24. 

182)  In  den  angeführten  Wormser  Urkunden.  Dazu  meine  Unter- 
suchungen S.   158. 

183)  G.  Caro  hat  neuerdings  die  Existenz  einer  freien  Erbleihe  in  deutschen 
Städten  bereits  in  karolingischer  Zeit  nachgewiesen:  Historische  Vierteljahrschrift, 
Bd.  V  (1902),  S.  387  ff..  Ohne  Zweifel  hat  das  Vorhandensein  dieses  privatrecht- 
lichen auch  auf  die  Entwickelung    der    staatsrechtlichen    Verhältnisse    kräftigend    einge- 


Persönliche  und  wirtschaftliche  Freiheit. 


77 


Das  Ende  war,  daß  Heinrich  V.  zunächst  für  Speyer  und 
Worms,  aber  fraglos  mit  allgemeiner  Gültigkeit,  die  Unfreiheit 
bedeutenden  Todesfallsabgaben  für  die  gesamte  Bürgerschaft  be- 
seitigte. Allein  der  Kampf  war  damit  noch  nicht  beendigt,  noch 
das  ganze  12.  Jahrhundert  hat  er  fortgedauert,  noch  Friedrich 
Barbarossa  hat  gegen  Ende  seiner  Regierung  die  Privilegien 
seines  Großoheims  bekräftigen  und  das  volle  Ausmaß  ihrer  Be- 
deutung festlegen  müssen  ^^^). 

So  waren  denn  die  Bürger  der  verschiedensten  Herkunft 
gleichmäßig  frei.  Indes  mit  den  Handwerkerverbänden  als 
solchen  hat  das  so  gut  wie  nichts  zu  tun;  oder  höchstens  insoweit, 
als  sie  ein  Mittel  gewesen  sein  mögen,  den  Widerstand  ihrer 
Mitglieder  gegen  alle  Bedränger  zu  stärken,  dem  die  vereinzelten 
zu  leicht  erlegen  wären.  An  sich  stehen  die  Verbände  zu  der 
Freiheit  der  Einzelnen  in  keiner  Beziehung.  Das  erhellt  schon 
daraus,  daß  auf  diese  Frage  —  und  es  ist  wichtig,  das  fest- 
zustellen —  in  der  Schilderung  der  Straßburger  Organisation 
keine  Rücksicht  genommen  ist:  sie  kam,  nachdem  die  Hof- 
handwerker  der  Straßburger  Stifter  ein  für  aHemaT  vom  Markt-^ 
verkehr  ausgeschlossen  waren,  für  die  städtische  Gewerbe- 
ordnung nicht  weiter  in  Betracht. 

Mit  der  Festlegung  dieses  Ausgangspunktes  ist  meine  Ant- 
wort auf  die  Hauptfrage  bereits  gegeben. 

Allein  es  liegt  uns  nichtsdestoweniger  ob,  unabhängig  davon 
den  Ursprung  und  die  Xatur  der  Leistungen  zu  untersuchen, 
die  nach  dem  ältesten  Straßburger  Stadtrecht  den  dortigen  Hand- 
werksämtern auferlegt  waren  **5). 

Di^e  gesamte  Bürgerschaft,  um  mit  dem  allgemeinsten  an- 
zufangen, war  mit  wenigen  Ausnahmen  einer  jährlichen  fünf- 
tägigen Fron  für  den  Bischof  unterworfen  ^'^^").  Daß  diese  Fron 
nicht  hof rechtlichen  Charakter  trägst  —  wonach  die  ganze  Bürger- 
wirkt Aber  diese  staaisrechtliche  Bedeutung  der  städtischen  freien  Erbleihe  war  erst 
eine  Folge  der  neuen  politischen  Gestaltungen  innerhalb  der  Städte.  Vgl.  über  den 
Ursprung  der  freien  Erbleihe  noch  die  oben  Anm.  i  angeführte  Abhandlung 
Rietschels;  ferner  K.  Beyerle,  Grundeigentumsverhältnisse  und  Büi^errecht  im 
mittelalterlichen  Konstanz,  Bd.  I  (i),  das  Salmannenrecht,  Heidelberg  1900. 

184)  Vgl.  Anm.  180  u.  181.  —  Vgl.  noch  Ernst  Mayer,  a.  a.  O.,  Bd.  III.S.  2. 

185)  Aeltestes  Straßburger  Stadtrecht  (Wiegand,  Bd.  I.  Nr.  6id;  meine  Ur- 
kunden Nr.    126):  im  wesentlichen  §§   102— 118. 

185a)  A.  a.  O.  §  93. 


78  I^ie  Handwerker  in  Straßburg. 

Schaft  aus  Hörigen  des  Bischofs  bestanden  haben  würde  — 
darüber  sind  seit  Gaupp  wohl  ziemlich  alle  Forscher  einig ^^*''). 
Auch  Eberstadt  pflichtet  hier  der  allgemeinen  Ansicht  bei '*^^). 
V.  Below  und  Gothein  haben  jene  Last  mit  dem  Obereigentum 
des  Bischofs  an  der  Allmende  in  Verbindung  gebracht,  was  etwas 
für  sich  hat  ^**^).  In  Trier,  wo  die  Bürger  im  12.  aber  ebenso 
noch  am  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  für  den  Erzbischof  drei 
Tage  Heu  einfahren ,  einen  Tag  Brotkorn  („annona")  und  einen 
Tag  Hafer  mähen  müssen,  geschieht  das  als  Gegenleistung  dafür, 
daß  der  Erzbischof  ihnen 

fluentes  aquas  et  ad  incidendum  ligna,  quod  volgari  Ane- 

hou  dicitur, 
gewährt  ^^■*).  Die  Bürger  verrichten  übrigens  die  Arbeit  nicht 
selbst,  sondern  schicken  ihre  Boten,  die  dafür  allabendlich  ein 
Brot  erhalten,  deren  dreißig  sich  aus  einem  Trierer  Malter  backen 
lassen.  Ebenso  ist  in  Basel  im  13.  Jahrhundert  von  jedem 
Bürgerhaus  ein  „ahtsniter"  zu  stellen ,  der  in  derselben  Weise 
entlohnt  wird^^°).  In  dieser  Radizierung  auf  die  Häuser  tritt  viel- 
leicht das  gemeinderechtliche  besonders  scharf  hervor. 

Mit  dieser  Beurteilung  der  Frontage  ist  aber  schon  wesent- 
liches gewonnen:  weil  damit  wenigstens  die  prinzipielle  Möglich- 


186)  Gaupp,  Deutsche  Stadtrechte  des  Mittelalters  (1851/52),  Bd.  I,  S.  42  f., 
der  auch  bereits  die  den  Handwerkern  obliegenden  Verpflichtungen  aus  persönlicher 
Unfreiheit  herzuleiten  für  ungerechtfertigt  hält. 

187)  Zunftwesen,  S.  6o^ 

188)  V.  Below,  Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung  (Hist.  Z.  Bd.  LVIIl), 
S.  220  (=  Territorium  und  Stadt,  S.  314);  ders..  Die  Entstehung  der  deutschen 
Stadtgemeinde,    S.    36;    Gothein,    Wirtschaftsgeschichte    des    Schwarzwaldes,    Bd.    I, 

s.  314- 

189)  Lacomblet,  Archiv  f.  d.  G.  d.  Niederrheins,  Bd.  I:  „Iura  et  institu- 
tiones  Treverice  civitatis  et  villarum  que  libere  sunt  a  theoloneo",  S.  258,  §§  i  u.  2. 
Diese  Aufzeichnung  gehört  dem  12.  Jahrhundert  an,  erst  die  handschriftlich  damit  ver- 
bundene über  die  „Census  d.  archiepiscopi  secundum  quod  coUecti  fuerunt  anno  13 19", 
Lacomblet,  S.  268  ff.,  dem  14.  Jahrhundert.  Vgl.  darüber  den  Anhang  zu  diesem 
Kapitel.  Daß  die  Pflicht  wenigstens  des  Heumachens  von  den  Bürgern  auch  im 
14.  Jahrhundert  •  noch  beansprucht  wurde,  ergibt  sich  aus  „Iura  d.  archiepiscopi  aiti- 
nentia  Pallatio  Treverensi  inquisita  prout  melius  fieri  poterant  a.  d.  MCCCXXII  die 
XX.  mensis  lanuarii"  §   12,  a.  a.  O.,  S.  378. 

iqo)  W.  Wackernagel,  Das  Bischofs-  und  Dienstmannenrecht  von  Basel; 
meine  Urkunden  Nr.  132,  §  15.  Ueber  die  Zahl  der  etwa  schuldigen  Tage  ist  in 
dem  Baseler  Recht  nichts  angegeben.  Vermutlich  ergab  sich  das  aus  dem  Umfang 
der  allen   Betroffenen  wohlbekannten  ,,ähte". 


Die  allgemeine  Bürgerfron.  jg 

keit  zugegeben  wird,  daß  auch  die  besonderen  Lasten  der  Hand- 
werker anderen  als  hofrechtlichen  Ursprungs  waren. 

In  der  Tat  hat  man  diese  meistens  als  kompensativ  aufge- 
faßt,  „weil",  wie  Gothein  sagt,  „es  nützlicher  scheinen  mußte, 
den  Schmied  Hufeisen  und  den  Sesselmacher  Sänften  machen 
zu  lassen,  als  sie  aufs  Feld  hinter  den  Pflug  zu  stellen"  *^i).  Auch 
in  Trier  sind  die  besonders  verpflichteten  Handwerker,  die  so- 
genannten „camerarii^j  von  der  allgemeinen  Fron  befreit i^'"). 

Dagegen  weist  Eberstadt  darauf  hin,  daß  die  von  der  all- 
gemeinen Fron  befreiten  Handwerker  doch  nur  zum  Teil  identisch 
sind  mk  den  besonders  belasteten,  indem  einerseits  eine  ganze 
Anzahl  zu  gewerblichen  Leistungen  verpflichteter  Arbeiter  von 
der  fünftägigen  Fron  gleichwohl  nicht  eximiert  ist  —  wenigstens 
nicht  ausdrücklich  —  während  andererseits  einige  Gewerke  über- 
haupt gänzlich  frei  auszugehen  scheinen  ^^^}.  Femer  meint  Eber- 
stadt, daß  die  einzelnen  Gewerbedienste  weitaus  die  Bedeutung 
einer  fünftägigen  Arbeit  übersteigen. 

Berücksichtigen  wir  zunächst  den  letzten  Punkt,  so  mag 
das  Angeführte  zwar  in  manchen  Fällen  zutreffen;  doch  wird 
sich  im  einzelnen  der  Umfang  der  Belastung  sehr  schwer  nach- 
weisen lassen  ^'-'^  i. 

Nehmen  wir  z.  B.  die  zwölf  Kürschner,  deren  Belastung 
Eberstadt  als  eine  verhältnismäßig  schwere,  weil  nicht  genau 
begrenzte  ansieht  —  sie  müssen  auf  des  Bischofs  Kosten  Pelze 
und  Pelzwerk  herrichten,  so  viel  er  nötig  hat^"*^)  — :  woher  wissen 
wir,  daß  das  für  den  einzelnen  eine  wesentlich  größere  Arbeits- 
last  bedeutete   als   fünf    Frontage,    selbst   wenn    wir   noch  hinzu- 


191)  A.  a.  O. 

191a)  Neben  ihnen  femer  die  Schöffen.   Ueber  die  „camerarii"  vgl.  näheres  unten. 

192)  Näheres  weiter  unten  im  Text.  —  Eberstadt,  a.  a.  O.  S.  60  ff.  —  Die 
Besprechung  des  Straßburger  Stadtrechts,  a.  a.  O.  S.  40—67,  bezeichnet  Eberstadt 
selbst  als  den  Mittelpunkt  seiner  Darstellung.  In  der  Tat  hängt  für  ihn  so  gut  wie 
alles  von  der  Beurteilung  der  Straßburger  Aemter  ab.  Deshalb  wendet  er  auch  keinen 
geringen  Scharfsinn  auf,  um  mit  Hilfe  juristischer  Definitionen  hier  zu  seinem  Ziele  zu 
gelangen.  Für  mich  bedeuten  diese  Paragraphen  dagegen  nur  ein  immerhin  er- 
wünschtes Beispiel :  was  ich  zu  sagen  habe,  besteht  auch  ohne  sie. 

193)  Umgekehrt  erscheinen  Gothein  die  Leistungen  als  Aequivalent  für  fünf 
Tage  Handarbeit  niedrig,  was  gewiß  bezeichnend  ist  für  die  Schwierigkeit,  sie  zu  be- 
werten: a.  a.  O.  S.  314. 

194)  Stadtrecht  §  102.  Vgl.  auch  unten  über  die  ähnlich  belasteten  Kürschner 
in  Trier. 


So  I^ic  Handwerker  in  Straßburg. 

rechnen,  daß  einige  von  ihnen  den  Amtsmeister  zum  Einkauf  des 
Rohmaterials  nach  Mainz^oder  Köln  zu_begleiten  hatten?  Und 
'aHnlich  verhält  es  sich  mit  den  übrigen  Gewerken.  In  der  Zu- 
lassung zu^Sonderdiensten  war  auf  alle  Fälle  eine  Begünstigung 
zu  erblicken,  für  die  durch  eine  höhere  Leistung  bezahlt  werden 
mußte  —  mochte  auch  die  Reise  des  Kürschnermeisters  nach 
Köln  nicht  ohne  Gefahren  sein'"*^). 

Unrichtig  ist  es  ferner,  wenn  Eberstadt  sagt^^^),  daß  bei  allen 
Aemtern,  die  Schenkwirte  ausgenommen,  die  Dienste  ungemessene 
seien.  Unbestimmte  zum  Teil  ja!  Aber  wo  keine  bestimmte  Zahl 
der  zu  liefernden  Gegenstände  festgesetzt  ist,  da  birgt  doch  der  be- 
sondere Zweck,  dem  sie  zu  dienen  haben,  für  den  Umfang  der 
Leistung  die  Norm  in  sich^^^).  Es  steht  dem  Bischof  keineswegs 
frei,  die  Kräfte  dieser  Handwerker  nach  Belieben  auszunutzen; 
der  Handwerker  muß  nicht  tun,  „quantum  ei  iubetur",  „quantum 
ei  iniungitur",  wie  es  in  dem  Urbar  des  Abtes  von  Saint-Germain 
heißt ^^^).  Es  würde  durchaus  willkürlich  sein,  das  auch  nur  aus 
dem  Paragraphen  über  die  Kürschner  herauszulesen;  und  es  liegt 
nicht  der  geringste  tatsächliche  Anhalt  vor  für  Eberstadts  Be- 
hauptung i"^):  „Bei  einzelnen  Aemtern  sind  die  Verpflichtungen 
derart,  daß  sie  überhaupt  nur  ausgeführt  werden  können  unter 
der  Voraussetzung,  daß  den  Handwerkern  eine  Dienststelle  mit 
Grundbesitz  oder  mit  Amtsbezügen  zugeteilt  war". 

Was  ist  das  überhaupt  für  ein  widersinniges  Argument! 
Wo  bliebe  da  ihre  Eigenschaft  als  selbständige  Gewerbetreibende, 
wo  auch  nur  die  Möglichkeit  des  „Ueberganges  zum  Markt- 
verkehr", des  Angelpunktes  der  hofrechtlichen  Theorie,  wenn 
diese  Straßburger  Handwerker  so  sehr  mit  Verpflichtungen  für 
die  Herrschaft  überbürdet  waren,  dass  sie  sich  für  ihren  Unter- 
halt auf  Dienstbezüge  oder  ein  Lehen  angewiesen  sahen?  Das 
schlägt  sich  selbst. 

195)  Es  ist  dies  ein  Punkt,  auf  den  Eberstadt  besonderes  Gewicht  legt,  um 
die  Schwere  der  Belastung  zu  erweisen.     A.  a.  O.  S.  56'. 

196)  A.  a.  O.  S.  66. 

197)  Diese  liegt  selbst  in  dem  ,, quantum  episcopus  habuerit  necesse".  —  Auch 
bei  den  begrenzten  Leistungen  der  hörigen  Hofbesitzer  auf  dem  Lande  erfolgt  die 
Normierung  häufig  nach  demselben  Prinzip.  Lamprecht,  Wirtschaftsleben,  Bd.  I  (2), 
S.  779.  Den  Gegensatz,  auf  den  es  ankommt,  bildet  die  unbegrenzte  Arbeitspflicht 
des  Hausgesindes. 

198)  Le  polj'ptyque  de  l'Abbe  Irminon  (oben  Anm.  78),  Bd.  II,  p.  3  §  HI 
p.  6  §  2;  p.  24  §  2;  p,  52  §  3. 

199)  Zunftwesen,  S.  65. 


Der  Umfang  der  Verpflichtungen.  gl 

Indessen  ist  es  richtig,  daß  man  sich  nicht  damit  begnügen 
darf,  die  Verpflichtungen  der  Gewerbetreibenden  einfach  als  Gegen- 
leistungen für  die  Befreiung  von  der  allgemeinen  Fron  zu  erklären: 
es  spielt  da  vielmehr  verschiedenes  hinein  -®*). 

Wesentlich  ist,  daß  wir  zunächst  eine  vollständige  Ueber- 
sicht  über  das  Straßburger  Handwerk  erlangen! 

Aus  dem  ältesten  Stadtrecht  lassen  sich  vier  verschiedene 
Listen  von  Gewerbetreibenden  zusammenstellen. 

Erstens,  überhaupt  genannt  werden  fünfzehn  verschiedene 
Gewerbe:  die  der  Bäcker 202),  Fleischer'®^),  Kürschner*®*), 
Schmiede*<>5),  Schuster^««),  Handschuhmacher^^),  Satt- 
ler-*os),  Schwertfeger^o^),  Becherer^i«),  Böttcher"»),  Wirte^»^), 
Müller«»^*),  Fischer«»^),  Zimnierleute'»^),  Obsthändler^««). 

Von  diesen  sind,  zweitens,  zu  besonderen  Leistungen  ver- 
pflichtet sämtliche  mit  Ausnahme  von  1.  und  15.,  den  Bäckern 
und  den  Obstverkäufern:  von  3.,  5.  und  6.,  den  Kürschnern, 
Schustern  und  Handschuhmachern,  freilich  nur  je  zwölf, 
acht  und  vier  Personen  ^i^). 


201)  Ueber  verschiedene  Möglichkeiten  für  den  Ursprung  solcher  Lasten  vgl. 
auch  V.  Below,  Entstehung  der  Sudtverfassung,  HisL  Zeitschrift  Bd.  L VIII,  S.  219  ff., 
Territorium  und  Stadt,  S.  3 1 3  ff . 

202)  Panifices,  Stadtrecht  §  93. 

203)  Carnifices,  Stadtrecht  §  93,  §   loi. 

204)  Pellifices,  Stadtrecht  §  44,  §  93,  §   102. 

205)  Fabri,  Stadtrecht  §  44,  §  93,  §§   103  — 107. 

206)  3utores,  Stadtrecht  §  44,  §  93,  §   108. 

207)  Cyrothecarii,  Stadirecht  §  44,  §  93,  §   109. 

208)  Sellarii,  Stadtrecht  §  44,  §  93,  §   iio. 

209)  Qui  purgant  (poiiunt)  gladios,  Stadirecht  §  44,  §   iii. 

210)  Becherarii  (qui  faciunt  picarios),  Stadtrecht  §  44,  §   112. 

211)  Cuparii   (vinariorum  vasorum,   qui  faciunt  vasa  vinaria),    Stadirecht  §  44, 

§  93,  §  "3  (§  "2). 

212)  Caupones,  Stadtrecht  (§  98),  §  114. 

213)  Molendinarii,  Stadtrecht  (§  84,  §  98),  §  115. 

214)  Piscatores,  Stadtrecht  §§   115  — 117. 

215)  Carpentarii,  Stadtrecht  §  93,  §   118. 

216)  Qui  vendunt  poma,  Stadtrecht  §  44. 

217)  Stadtrecht  §§  loi  — 118.  Von  den  Müllern  und  den  Wirten  hat  außer- 
dem je  der  Amtsmeister  in  der  Ernte  einen  Schilling  zum  Broteinkauf  beizusteuern 
(§  98).  Das  kann  man  nicht  eigentlich  zu  den  Verpflichtungen  der  Handwerker 
redinen,  da  diese  Zahlung  vermutlich  mit  der  ihnen  verliehenen  Würde  zusammen- 
hingt, wie  die  fünf  Schillii^,  die  jeder  der  beiden  Unterricbter  bei  demsdben  Anlaß 
hergibt. 

Keutgen,  Aemler  und  Zilnfte.  6 


82  Die  Handwerker  in  Straßburg. 

Dagegen  sind  drittens  von  der  fünftägigen  P'ron  befreit. 
ebenfalls  zwölf  Kürschner,  acht  Schuster,  vier  Handschuh- 
macher, alle  Fleischer,  Schmiede,  Sattler,  Böttcher  und 
Zimmerleute,  sowie  vier  Bäcker,  mithin  Nr.  i — 7,  10  und 
14  218).  Danach  wären  die  Schwertfeger,  Becherer,  Wirte, 
Müller  und  Fischer  doppelt  belastet,  während  vier  Bäcker 
gänzlich  frei  ausgingen.  Auch  daß  die  übrigen  Bäcker,  sowie 
das  Gros  der  Kürschner,  Schusterund  Handschuhmacher  zur 
Ackerfron  herangezogen  werden,  anstatt  dass  auch  sie  etwas  in 
ihrem  Handwerk  für  den  Bischof  leisteten,  stimmt  wenigstens 
nicht  ohne  weiteres  zu  Gotheins  Hypothese. 

Endlich,  viertens,  aber  sind  folgende  Gewerbe  der  Gerichts- 
barkeit  des  Burggrafen  unterstellt,  -der  auch  ihre  Amtsmeister 
einsetzt:  Nr.  3—  1 2  und  Nr.  15,  und  zwar  auch  die  Kürschner, 
Schuster  und  Handschnbm^rhpr  sämtlich  ohne  Ausnahme  21''). 


Zeigen  nun  aber  schon  diese  4  Verzeichnisse  die  merkwürdigsten 
Abweichungen  voneinander,  so  werden  die  angeregten  Zweifel 
noch  mehr  belebt,  sobald  man  die  Aufzählung  der  Handwerker 
heranzieht,  die  nach  dem  Vertrage  zwischen  Bischof  Heinrich  IV. 
und  der  Stadt  vom  Jahre  1263  der  burggräflichen  Jurisdiktion 
unterliegen  220).  Es  sind  von  den  bisherigen  Nr.  4,  5,  7,  8,  10, 
12  und  15:  smide,  rintsüter,  satteler,  swertfeger,  küffer, 
mülner  und  oleylüte.  Dagegen  sind  hinzugekommen  die 
zimberlüte  (Nr.  14  der  Gesamtliste)  und  als  überhaupt  neue 
Handwerke  die  kurdewener  (16)221)^  in  einem  Amt  mit  den 
Schustern,  und  die  schilter  (17)222),  vielleicht  ebenfalls  mit  den 
Sattlern  zu  einem  Amte  verbunden.  Was  aber  noch  wichtiger 
ist:  die  Kürschner,  Handschuhmacher,  Becherer  und  Wirte 


218)  Stadtrecht  §  93. 

219)  Stadtrecht  §  44. 

220)  Straßburger  Urkundenbuch,  Bd.  I.  Nr.  519;  meine  Urkunden  Nr.  128  §  3. 
22 ij  Die  Kurdewener  kommen  übrigens  stets  als  den  Schustern  verwandte  vor 

und  werden  wohl  geradezu  mit  ihnen  identifiziert. 

222)  Die  Schilter  stehen  am  Schluß  der  Aufzählung.  Es  ist  daher  nicht  klar, 
ob  dem  „und",  das  sie  den  unmittelbar  vorhergenannten  Sattlern  anfügt,  dieselbe  Be- 
deutung beizumessen  ist,  die  dem  die  Corduaner  mit  den  Schustern  verbindenden  „und" 
offenbar  zukommt.  Im  Stadtrecht  (§  iio)  haben  die  Sattler  nicht  etwa  Schilde,  sondern 
Saumsättel  zu  liefern. 


Die  vier  Handwerkerlisten. 


83 


erscheinen    ihm    dafür    entzogen.     Die   angefügte   Tafel   wird   die 
Uebersicht  erleichtern  -•^). 

Zieht  man  all  das  Angeführte  in  betracht,  so  wird  man 
von  vornherein  jeden  Versuch  aufgeben,  die  verschiedenen  Ver- 
zeichnisse in  exakte  Beziehungen  zu  einander  zu  setzen  und  aus- 
einander zu  erklären.  Und  zu  einer  so  skeptischen  Haltung  wird 
die  Unsicherheit  der  Fassung  des  §  44  des  Stadtrechts  noch  bei- 
tragen. Denn  danach  setzt  der  Burggraf  „magistros  omnium 
officiorum  fere  in  urbe"  ein,  worauf  aber,  mit  „scilicet"  eingeleitet, 
wie  wir  gesehen  haben,  von  fünfzehn  dem  Stadtrecht  bekannten 
nur  elf  genannt  werden,  vier,  mehr  als  der  vierte  Teil,  fehlen. 
Das  deutet  auf  eine  Unvollständigkeit  der  Aufzählung,  deren  sich 
der  Verfasser  bewußt  war  und  gegen  deren  mögliche  Folgen  er 
sich  durch  das  „fere"  decken  wollte.     Er  sagt  „so  ziemlich  alle" 


223) 


Geweibe  des  ersten 
Stral^jurger  Stadtrechts 

Davon  zu 
besonderen 
Leistungen 
verpflichtet 

Fronfrei 

Dem 
Burggrafen 
unterstellt 

Dem   Burg- 
grafen unter- 
stellt nach  dem 
Vertrag  V.  1263 

I 

Bäcker 

4 

2 

Fleischer 

alle 

alle 

3 

Kürschner 

12 

12 

alle 

4 

Schmiede 

alle 

alle 

alle 

smide 

5 

Schuster 

8 

8 

alle 

rindsüter 

6 

Handschuhmach. 

4 

4      ■ 

alle 

7 

Sattler 

alle 

alle 

alle 

satteler 

8 

Schwertfeger 

alle 

alle 

swertfeger 

9 

Becherer 

alle 

alle 

10 

Böttcher 

alle 

alle 

alle 

küffer 

II 

Wirte 

alle 

alle 

12 

Müller 

alle 

alle 

mülner 

«3 

Fischer 

alle 

«4 

Zimmerleute 

alle 

alle 

zimberiüte 

15 

Obsthändler 

alle 

oleylüte 

16 

kurdewener 

17 

schilter 

18 

mercatores 

24  ausgewählte 

84  I^iß  Handwerker  in  Straßburg. 

Gewerbe  unterstehen  der  Aufsicht  des  Burggrafen,  „nämlich"  — 
und  nun  führt  er  an,  die  ihm  in  den  Sinn  kommen  —  „jedenfalls 
diese,  es  können  aber  auch  noch  andere  dazu  gehören".  Es  handelt 
sich  um  einen  Mangel  an  geistiger  Energie,  der  sich  bei  unseren 
älteren  Rechtsaufzeichnungen  häufig  erkennen  läßt,  die  von  an 
intensive  Geistesarbeit  nicht  gewohnten  Männern  ausgegangen 
sind,  und  den  wir  bei  der  Kritik  in  Rechnung  zu  stellen  haben. 
Ich  erinnere  nur  daran,  wie  überraschend  lückenhaft  in  der  Be- 
rücksichtigung der  verschiedenen  Gebiete  des  Rechtslebens  unsere 
älteren  Stadtrechte  sich  durchweg  erweisen:  da  darf  bei  dem 
Straßburger  Recht  der  verhältnismäßig  große  Reichtum  an  Be- 
stimmungen nicht  über  das  Vorhandensein  dieses  gemeinsamen 
Zuges  auch  hier  hinwegtäuschen.  Es  muß  jedoch  bemerkt  werden, 
daß  die  so  sehr  abweichende  Aufzählung  der  burggräflichen 
Handwerker  in  der  Friedensurkunde  von  1263  eine  solche  Deu- 
tung nicht  zuläßt.  Denn  hier  ist  von  „ungefähr''  keine  Rede; 
•  sondern  nachdem  die  Befugnisse  des  Burggrafen  angegeben, 
worden  sind,  steht  klar  und  knapp:  „Diz  sint.  aber  die  antwerk". 
Und  das  ist  um  so  wichtiger,  da  ihre  Zahl  geringer  ist  als  die 
gleichgestellten  des  Stadtrechts. 

Aber  der  Kreis  der  Schwierigkeiten  ist  noch  um  ein 
weniges  zu  erweitern. 

Es  hätte  nichts  im  Wege  gestanden,  auch  die  im  §  88  und 
§  89  des  Stadtrechts  erwähnten  „mercatqresl^  in  die  Betrachtung 
einzubeziehen,  die  dem  Bischof  24  Mann  zu  Botendiensten  inner- 
halb des  Bistums  zu  stellen  haben  224).  Nur  ist  niemand  auf  den 
Gedanken  gekommen ,  auch  die  Gilden  der  Kaufleute  aus  Fron- 
hofs-Amts  verbänden  abzuleiten,  obgleich  sich  auch  das  ja  machen 
ließe -2-^).  Auch  ergibt  sich  aus  dem  Stadtrecht  nicht,  dass  sie 
irgendwie  organisiert  gewesen  wären,  wenn  auch  der  Umstand, 
daß  sie  aus  ihren  Reihen  jene  Boten  auswählen  mußten,  E b er- 
st ad  ts  Hypothese  ausschließt,  als  wäre  unter  diesen  „mercatores" 
wie   in   §  38 -^^j   die  Gesamtheit   der   Gewerbetreibenden    zu    ver- 

224)  Jeder  hat  jährlich  drei  Reisen  zu  machen. 

225)  Ich  erinnere  an  die  Nitzsch'schen  scararii.  Warum  sollten  die  Agenten, 
die  für  die  Grundherrschaften  Einkäufe  und  Verkäufe  abschlössen,  nicht  ähnlich  organi- 
siert gewesen  sein,  wie  es  angeblich  die  Handwerker  waren  ?  Oder  ist  der  Haken, 
daß  die  Kaufleute,  außer  den  Krämern,  später  nicht  „Aemter"  bilden  (vgl.  meinen 
Großhandel,  Hans.  Geschichtsblätter,  Jahrgang   1901,  S.   "4  ff.)? 

226)  Oben  S.  65. 


Die  Straliburger  Kauflcutc.  35 

Stehen"').  Denn  diese  bildeten  keine  Gemeinschaft,  aus  der  sich 
ohne  weiteres  24  Mann  hätten  ausheben  lassen:  angesichts  ihrer 
strengen  Einzelorganisation  wäre  eine  Verteilung  auf  die  ver- 
schiedenen Aemter  unumgänglich  gewesen. 

Wichtiger  ist,  daß  auch  diese  Kaufleute  nicht  von  der 
Ackerfron  ausgenommen  erscheinen  —  was  auch  durchaus  stimmt 
zu  dem,  was  wir  über  die  gleiche  Fron  in  Basel  und  Trier 
wissen  -*^). 

Alles  in  allem  wird  man  anzunehmen  geneigt  sein,  dass 
eine  Befreiung  von  der  fünftägigen  Bürgerfron  dort  eintrat,  wo 
anderseits  eine  besonders  schwere  Belastung  vorlag:  nur  darf  es 
nicht  wunder  nehmen,  wenn  auch  diese  Hypothese  nicht  voll- 
kommen stichhält. 

Was  jedoch  den  Ursprung  der  besonderen  gewerblichen 
Leistungen  betrifft,  so  scheint  mir  trotz  Hegels  Opposition--") 
nach  wie  vor  der  Umstand  von  wesentlicher  Bedeutung,  daß  bei 
alle  den  Ge werken,  die  ihrer  Natur  nach  dabei  in  Frage  kommen 
können,  den  Grundstock  ihrer  Leistung  eine  solche  für  die  kaiser- 


227)  Eberstadts  Erklärung  der  beiden  Paragraphen  (Zunftwesen,  S.  50  ff .) 
läuft  auf  lauter  Spitzfindigkeiten  hinaus.  Seine  Uebersetzung  der  Worte  „ut  eisdem 
hominibus  suis  eo  notiores  efficiantur"  mit  , .damit  sie  gegenüber  seinen  Leuten  als  die 
desto  angeseheneren  er\»'iesep  werden",  ist  ganz  verkehrt.  Die  alte,  allgemein  ange- 
nommene Wiedergabe  mit  „daß  sie  seinen  Leuten  desto  besser  bekannt  werden",  ist 
die  einzig  mögliche,  wie  mir  auch  von  latinislischer  Seite  versichert  wird. 

228)  Vgl.  oben  Anm.   189— 191a. 

229)  Entstehung  des  Städtewesens,  S.  119-;  meine  „Untersuchungen",  S.  149. 
—  Auch  Zeumer,  Die  deutschen  Städtesteuern  (Schmollers  Forschungen,  Bd.  I,  2), 
S.  54  bringt  diese  Leistungen  mit  der  Hof-  und  Heersteuer  in  Verbindung.  Aber  unter 
dem  Einfluß  von  Nitzsch  sieht  er  gleichwohl  in  ihnen  den  „letzten  bedeutenden  Rest 
der  einstigen  Hofhörigkeit  der  städtischen  Gewerke".  Wie  wenig  stichhaltig  aber 
dieser  Rückschluß  ist,  ergibt  sich  sogleich,  wenn  Zeumer  ein  wenig  unüberlegt  fort- 
fährt: „ein  Rest,  der  aber  noch  im  12.  Jahrhimdert  so  sehr  zu  dem  Charakter  der- 
selben gehörte,  daß  selbst  in  den  auf  so  freien  Grundlagen  gestifteten  zähringischen 
Städten  Naturalleistungen  der  Gewerbe  zur  Reichsheerfahrt  des  Grafen  nicht  vergessen 
waren".  Die  Schlußfolgerung  hätte  mit  umgekehrter  Wirkung  vielmehr  von  den  sicher 
freien  Zähringischen  Städten  auf  die  zweifelhaften  Verhältnisse  der  Bischofsstädte 
geführt  werden  müssen.  Vgl.  unten  im  Text.  Welches  die  rechtlichen  Grundlagen 
der_Yf'"  7^..>v^.»r  pt^pnfaljs  berührten  Hof-  und  Heersteuern  waren,  die  seitens  der 
Herren  auf  dem  Lande  erhoben  wurden,  haben  wir  hier  nicht  zu  untersuchen  (Zeumer, 
S.  49  ff.).  Doch  gehen  auch  diese  unzweifelhaft  in  letzter  Linie  auf  eine  öffentliche 
Verpflichtung  zurück.  Für  uns  kommt  es  darauf  an,  daß  es  sich  in  Straßburg  nicht 
um  eine  privatrechtliche  Verpflichtung  handelte. 


86  I^ic  Handwerker  in  Straßburg. 

liehe  Hof-  und  Heerfahrt  des  Bischofs  bildet  ^'^°).  Es  sind  die 
Schmiede,  Schuster,  Handschuhmacher,  Sattler,  Schwert- 
feger,  Becherer  und  Böttcher.  Bei  den  Kürschnern  mag 
die  ausdrückliche  Erwähnung  des  Zweckes  unterblieben  sein,  da 
sie  ohnehin  alles  Pelzwerk  zu  bearbeiten  hatten,  das  der  Bischof 
brauchte.  Es  ist  dabei  meist  eine  ganz  bestimmte  Leistung,  die 
Lieferung  von  einer  festen  Zahl  fertiger  Erzeugnisse  vorgeschrieben, 
_zu  der  bei  Redarf  eine  unbestimmte  Arbeitsleistung  auf  Kostpn 
des  Bischofs  hinzutritt  ^^^).  Dagegen  konnten  die  Nahrungsmittel- 
gewerbe —  Obsthändler,  Wirte,  Müller,  Fischer,  Fleischer, 
Bäcker  —  und  auch  die  Zimmerleute  für  die  Ausrüstung  zu 
weiten  Fahrten  weniger  in  Frage  kommen,  und  so  fällt  denn 
auch  bei  ihnen  diese  Begründung  fort.  Erinnern  wir  uns  nun, 
dass  in  allen  Bischofsstädten  die  Bürger  zim-Z.-jhluntr  einer  Hof- 
und  HeersteuPir  vr>n  p  <?irVi t;wp>gpn  verpflichtet  waren^^^).  so  wird 
man  annehmen  dürfen,  dass  bei  den  geeigneten  Handwerken  an 
Stelle  einer  Geldzahlung  für  diesen  Zweck  eine  Lieferung  von 
Handwerkserzeugnissen    getreten    ist,    die   der  Bischof   sonst  erst 


230)  Schröder,  Deutsche  Rechtsgeschichte*,  S.  625,  lehrt:  ,, Wie  diese  Heer- 
steuer, so  galten  auch  die  regelmäßigen  Jahressteuern  und  die  außerordentlichen  Beden 
immer  als  Gemeindelast,  die  von  der  Korporation  aufgebracht  werden  mußte".  Das 
ist  natürlich  nur  der  schließlich  erreichte  Zustand,  nachdem  die  Stadtgemeinde  ein 
gewißes  Maß  der  Organisation  und  Selbständigkeit  erreicht  hatte.  Ursprünglich  wiu-den, 
wie  auch  Zeumer,  a.  a.  O.  S.  53,  ausführt,  die  Steuern  auch  in  den  Städten  von 
den  einzelnen  erhoben,  d.  h.  so  lange  eben  die  Steuererhebung  noch  in  den  Händen 
von  stadtherrlichen  Beamten  und  noch  nicht  in  denen  des  Rats  lag.  Die  Lieferung 
von  Handwerkserzeugnissen  für  den  Hof-  und  Heerdienst  durch  die  Handwerksämter, 
anstatt  ihrer  Forderung  von  den  einzelnen  Handwerkern,  wird  man  formal  als  Zwischen- 
stufe betrachten  können.  In  Freiburg  im  Breisgau  geschah  die  Erhebung  Mitte  des 
12.  Jahrhunderts  noch  von  den  einzelnen  Gewerbetreibenden.  Vgl.  unten  Anm.  235. 
Die  Stelle  ist  aus  der  von  Hegel,  Zeitschrift  f.  die  G.  des  Oberrheins,  N.  F.  Bd.  XI, 
S.  277  —  287,  als  erste  vor  1178  angesetzten  Reihe  von  Zusätzen.  Dagegen  kennt 
das  Augsburger  Stadtrecht  von  1156  (Meyer,  Zeitschr.  d.  hist.  Vereins  f.  Schwaben 
und  Neuburg,  Bd.  IV,  S.  289 — 293  und  das  Stadtbuch  von  Augsburg,  Beilage  I; 
meine  Urkunden,  No.  125)  §  12  bereits  die  Zahlung  einer  runden  Summe  durch 
die  Bürgerschaft,  einer  festen,  10  Pfund,  bei  der  Hoffahrt  und  einer  nicht  fixierten 
—  „prout  apud  eos  poterit  obtinere"  —  bei  der  Fahrt  nach  Rom,  sei  es  im  Heere, 
sei  es  zur  Weihe  des  Bischofs. 

231)  Diese  wird  man  als  außerordentliche  Bede  charakterisieren  können. 

232)  Vgl.  die  vorigen  Anmerkungen.  Ferner  das  Bischofsrecht  des  nahe  ver- 
wandten Basel,  das  keine  Gewerbetronen  kennt  —  nur  die  fünftägige  Ackerfron  — 
dafür  aber  die  Pflicht  der  Bürger  zur  Zahlung  des  Gewerfs  fast  an  erster  Stelle  nennt. 
Meine  Urkunden,  No.   132,  §  2. 


Die  Steuer  zur  Heer-  xind  Hof  fahrt.  87 

von  ihnen  für  ihr  eigenes  Geld  hätte  kaufen  müssen.    Auch  dabei 
darf  man  indessen  nicht  zu  genau  rechnen  ^33). 

Nun  gewinnen  auch  die  besprochenen  Nachrichten  über  den 
Kampf  der  Bürger  mit  den  Dienern  der  Grundherrschaften  um 
die  „diversa  publica  servitia"  neue  Beleuchtung  2»*). 

Auf  alle  Fälle  aber  beweist  es  die  öfifentlich-rechtliche  Natur 
gerade  dieser  Leistungen,  daß  auch  in  einer  Stadt  wie  Freiburg 
in  Breisgau,  in  der,  ihrer  Gründungsgeschichte  gemäß,  jeder  Ge- 
danke an  hof rechtliche  Verpflichtungen  ausgeschlossen  ist,  nach 
Stadtrecht  §  9, 

si    dux    in    regalem    expeditibnem    ibit,    minister    eius  in 
publice    foro    ante    unumquemque  sutorem    [post   primos 
meliores]    soculares,    quoscunque    voluerit.    ad   opus    ducis 
accipiat.       Similiter     et    ante    incisores    caligarum     post 
meliores  caligas  quascunque  voluerit  accipiat*'^). 
In    dasselbe    Gebiet    fallen    auch    gewisse    Leistungen   beim 
Besuch    des    Kaisers    in     Straßburg -36).       Und    auch,    wenn    die 
Schmiede    die    Schlösser    und    Ketten    für  die    Stadttore  ^37)^    die 
Schmiede    Pfeile,    die    Schuster    und    Handschuhmacher    Leder- 
arbeiten bei  Belagerungen   von  Burgen  ^ss),  die  der  Bischof  unter- 
nimmt   oder    erleidet,    zu    liefern    haben,    so    sind    das    öffentlich- 
rechtliche Verpflichtungen,  für  die  der  Gesichtspunkt  der  Landes- 
verteidigung maßgebend  ist.     Dabei    widerlegt  der   geringfügige 
Umstand,  daß  die  Schlösser  und  Ketten  der  Stadttore  auf  öffent- 
liche Kosten 

datis  sibi  de  re  publica  sumptibus  et  expensis 
zu    verfertigen   sind,   allein  schon   Eberstadts  Behauptung,    daß 


233)  Zu  den  bemerkenswerten  Zügen  der  sonst  so  reichhaltigen  Straßburger 
Rechtsaufzeichnung  wird  man  zählen  müssen,  daß  die  Verpflichtung  der  übrigen  Büi^er 
zur  Zahlung  einer  collecta  oder  petitio  nirgends  erwähnt  wird.  Man  wird  das  daraus 
erklären  dürfen,  daß  es  sich  dabei  um  etwas  ganz  Selbstverständliches  und  Bekanntes 
handelte,  wie  etwa  die  Pflicht,  die  Mauern  zu  bewachen  und  zu  verteidigen,  die  das 
Stadtrecht  auch  nicht  nennt 

234)  Vgl.  oben  bei  Anm.  157.  Die  „servientes"  der  Domherren  hatten  sich  be- 
klagt über  gewisse  „rectores",  „qui  eos  ad  diversa  publica  servicia  non  debiu  com- 
pellerent,  que  sufferre  nequireoL" 

235)  Meine  „Urkunden"  Nr.   133.     Vgl.  oben  Anm.  230. 

236)  Stadtrecht  §  113.  Bei  der  Anwesenheit  des  Kaisers  oder  Königs  lag 
femer  allen  Bürgern  ob,  seine  Pferde  einzustellen :  §  92. 

237)  Stadtrecht  §   107. 

238)  §   106,  §   108,  §   loq. 


88  Die  Handwerker  in  Straßburg. 

die  Artikel  über  die  Handwerker  mit  den  vorhergehenden  über 
den  bischöflichen  Stadelhof  zusammen  ein  „in  sich  abgeschlossenes 
Bild  einer  mittelalterlichen  Hofwirtschaft  und  Hofhaltung"  dar- 
bieten 239), 

Für  den  Ueberschuß  an  Lasten  aber,  der  nach  Berück- 
sichtigung eines  Aequivalents  für  die  fünftägige  Fron  und  der 
Hof-  und  Heersteuer  bei  diesem  oder  jenem  Gewerbe  noch  sich 
herausklügeln  lassen  möchte,  wird  man  auf  eine  Erklärung  billig 
verzichten  2^^^). 

Wie  es  nun  aber  mit  dem  Ursprung  der  Handwerkerlasten 
sich  auch  verhalten  haben  mag:  jedenfalls  enthält  das  Stadtrecht 
an  zwei  Stellen  den  nicht  umzudeutenden  Beweis  einmal,  daß 
die  Handwerker  nicht  zur  familia  der  Straßhurger  Kirche  ge- 
hörten, und  zweitens,  daß  der  Bischof  a.v  seinem  Hofe  zn  täg-_ 
lieber  Bedienung  andere  eigene  Handwerker  besaß,  ^genau 
so  wie  gleiclizelLi^  der  ErzbiscEofvon  K.öln. 


Bei  der  Aufzählung  der  von  der  allgemeinen  fünftägigen 
Bürgerfron  befreiten  Gewerke  werden  ausdrücklich  einzig  und 
allein  die  Münz^r  als  Mitglieder^  der  familia  ecclesie  bezeichnet, 
in  deutlichem  Gegensatz  zu  allen  anderen  eximierten,  den  Sattlern, 
Schmieden,  Zimmerleuten,  Fleischern,  Böttchern  und  auch  den 
zwölf  Kürschnern,  den  acht  Schustern,  den  vier  Handschuh- 
machern und  vier  Bäckern  2*o).  Gehören  also  die  Münzer  zur 
familia,  so  tun  es  diese  Handwerker  nicht. 

Analog  werden  den  Becherern,  die  zu  Leistungen  zur  Hof- 
und  Heerfahrt  verbunden  sind,  Becherer  des  Bischofs  gegen- 
übergestellt 211).  Sonderbarerweise  will  Eberstadt  diese  Iriecherer, 
die  täglich  für  den  Bischof  arbeiten,  mit  den  zwölf  Kürschnern, 
acht  Schustern,  vier  Handschuhmachern  und  vier  Bäckern,  die 
eine    Sonderstellung    einnehmen,    auf    eine    Linie    stellen.      Allein 


239)  Zunftwesen,  S.  54. 

239a)  Ueber  die  Extralasten,  die  schatzpflichtigen  Personen  kraft  öffentlichen 
Rechtes,  aber  verschieden,  je  nach  der  Erwerbs lätigkeit  des  Einzelnen  in  den  Terri- 
torien auferlegt  zu  werden  pflegten:  v.  Below,  Territorium  und  Stadt,  S.  315  f. 
(Histor.  Zeitschrift  Bd.  LVni,  S.   221  f.). 

240)  §  93 : exceptis  monetariis  omnibus,  qui  sunt  de   familia    ecclesie, 

et  exceptis  duodecim  inter  pellifices"  etc. 

241)  §  112.  Becherarü  omnes  becharios,  quoscunque  necessarios  habuerit  epis- 
copus  vel  in  curia  sua  vel  imperatoris,  cum  eum  adierit  vel  proficiscens  ad  curiam 
imperatoris,  de  sumptibus  et  expensis  ipsius  facient.  Magister  autem  cupariorum  dabit 
materiam  lignorum.     Preterea  cotidie  dabit  ligna  becherarüs  episcopL 


Die  eigenen   Handwerker  des  Bischofs.  gn 

diese  stehen  ja  gerade  mit  den  nur  für  die  Hof-  und  Heerfahrt 
beschäftigten  Becherern  in  einer  Reihe  und  damit  fällt  sein  ganzes 
Argument  zu  Boden.  Nur  einem  Zufall  verdanken  die  bischöflichen 
Hofbecherer  in  der  städtischen  Rechtsordnung  ihre  Erwähnung, 
da  es  nämlich  zu  den  Verpflichtungen  des  Böttchermeisters  gehört, 
ihnen  das  Holz  zu  liefern.  Dieser  Zufall  aber  genügt,  wie  jene 
Gegenüberstellung  der  Münzer  und  der  Handwerker,  ganz  allein 
zu  dem  schlagenden  Beweise,  daß  die  ämterweise  organisierten. 
Handwerker,  deren  Verpflichtungen  in  dem  Stadtrecht  verzeichnet 


sind,   eben    nicht   in  dem  Hofrecht  des  Risrhofs  stphpn  und  auch, 
nie  gestanden  haben,  sondern  daß  der  Ursprung  ihrer  Organisation 
anderswo  gesucht  werden  muß. 

Dem  gegenüber  aber  muß  auch  die  Vermutung,  zu  der  auf 
den  ersten  Anhieb  jemand  sich  vielleicht  versucht  fühlen  könnte, 
fallen,  daß  wenigstens  die  Ausnahmestellung  einer  bestimmten 
Anzahl  von  Mitgliedern  gewisser  Gewerke,  jener  zwölf  Kürschner, 
acht  Schuster,  vier  Handschuhmacher  und  der  vier  fronfreien 
Bäcker  von  einer  ehemaligen,  aber  dann  schon  lange  vor  dem 
Privileg  Heinrichs  V.  für  die  servientes  des  Domkapitels  ge- 
trennten  Zugehörigkeit  zum  Gesinde  des  Bischofs  herrühre  und 
daß  dadurch  auch  das  Ausmaß  ihrer  Leistungen  beeinflußt  worden 
sei.  Man  wird  daher  die  Hoffnung  nicht  aufgeben,  daß  im 
weiteren  Verlauf  der  Untersuchung  auch  auf  den  Ursprung  ihrer 
Ausnahmestellung  noch  aus  anderer  Richtung  vielleicht  ein  Licht- 
strahl fällt. 

Und  jedenfalls  sind  sie  aufgegangen  in  den  Gesamt  verbänden 
ihrer  Gewerke :  über  alle  Kürschner,  Schuster,  Handschuhmacher 
richtet  der  Burggraf  in  Gewerbesachen,  nicht  nur  über  die  zwölf, 
acht  und  vier,  wie  über  all e_ Schmiede,  ^attl^r,  Schwertfeger, 
Becherer,   Böttcher,   Wirte,   IVIüller   und  Obsthändler,   und  wie  er 


auch  den  Gesamt  verbänden  die  Meistersetzt.  Das  aber  ist,  was 
im  Grunde  allein  interessiert.  Ob  unter  den  Mitgliedern  dieses 
oder  jenes  Gewerkverbandes  neben  von  altersher  Freien  und 
neben  ehemaligen  Hörigen  anderer  Grundherrn  sich  auch  die 
Nachkommen  früherer  Bediensteten  des  Bischofs  befänden,  würde 
nebensächlich  sein,  selbst  wenn  diese  Beziehung  Spuren  hinter- 
lassen hätte. 

Gerade    hierüber    geben    uns   die    Nachrichten    aus    Trier 
weiteren  Aufschluß. 


-^- 


go  Die  Handwerker  in  Straßburg. 

Ehe  wir  aber  uns  ihnen  zuwenden,  sei  noch  an  unsere  Unter- 
suchung der  Straßburger  Verhältnisse  eine  kurze  Zwischenerörterung 
zu  knüpfen  gestattet. 

Besonders  geeignet,  Klarheit  über  den  Kern  der  Frage  zu 
verschaffen,  wird  ein  Beispiel  „e  contrario"  sein,  wie  es  eine  Be- 
trachtung der  Münzverwaltung  liefern  kann. 

Das  Münzrecht  ist  Regal,  das  ist  nie  bestritten  worden:  es 
ist  nie  Ausfluß  der  Grundherrlichkeit.  Es  dient  auch  nie  —  was 
damit  enge  zusammenhängt  und  für  uns  im  Augenblick  die  Haupt- 
sache ist  —  jyrundherrlichen  Zwecken,  sondern  stets  öffentlichen. 
Die  Ausübung  des  Münzregals  kann  einer  Person ,  die  auch 
Grundherr  ist,  übertragen  werden,  aber_es  geschieht  nie,  um  eine 
Grundherrschaft  in  den  Stand  zu  setzen,  das  ungeprägte  Silber, 
das  sie  etwa  in  ihrem  Besitz  hat,  für  ihre  privaten  Zwecke  in 
Münzen  zu  verwandeln,  sondern  einzig  und  allein,  um  Geld  für 
den  öffentlichen  Verkehr  zu  beschaffen. 


Der    Münzherr    übt    also    ein    öffentliches    Amt.      Trotzdem 


^überträgt  er  die  praktische  Ausübung  an  Personen,  die  zu  ihm 
in  grundherrlicher  Abhängigkeit  stehen,  an  Mitglieder  seiner 
hörigen  Familia,  und  zwar  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  ihm 
^andere  nicht  zur  Verfügung  stehen  —  weil  das  frühe  Mittel- 
alter es  gar  nicht  anders  kennt.  Ganz  ebenso,  wie  die  übrigen 
Beamten  der  bischöflichen  Stadtverwaltung  —  in  Straßbur^  z.  B. 
der  Schultheiß,  der  Burggraf,  der  ^Zöllner  —  so  ist  auch  der 
Münzmeister  ein  unfreies  Mitglied  der  bischöflichen  Familia. 

Der  Münze  eTgentumiicn  ist  aber.  daid_unter  dem  Münz-^ 
meister  i\i  der  Verwaltung  dieses  öffentlichen  Amtes^eine  ganze 
Genossenschaft  von  Münzern  tätig  ist,  die  ebenfalls  regelmäßig; 
in  hofrechtlichem  Verhältnis  zum  Münzherrn  stehen.  Der  Grund 
ist  genau  der  gleiche,  wie  für  den  Münzmeister  selbst,  der  not- 
wendig Unterbeamte  haben  mußte.  Erst  in  der  städtischen  Blüte- 
zeit,  als  die  Genossenschaft  einen  höheren  Grad  von  Selb- 
ständigkeit erreicht  hatte,  wurden  auch  freie  Bürger  zu  Mit- 
gliedern  aufgenommen.  

Da  wäre  nun  scheinbar  ein  augenfälliger  Analogieschluß 
auf  den  hofrechtlicheji  Ursprimg  de£  Handwerkerverbände  an  die 
Hand  gegeben,  die  ja  ebenfalls  anfangs  der  Aufsicht  eines  un- 
freien Beamten,  —  in  Straßburg  des  Burggrafen  —  unterstellt 
sind.  Allein,  abgesehen  davon,  daßj'a  nur  die  Münzer  persönlich, 
nicht   das   Münzinstitut  dem   hofrechtHchen  Verbände   angehören, 


Die  Münz  Verwaltung.  g  i 

wird  sich  bei  genauerer  Betrachtung  sofort  ein  fundamentaler 
Unterschied  in  der  Stellung  beider  ergeben,  und  zwar  liegt  es 
darin  begründet,  daß  die  Münze  ein  Monopol  ist"^. 

Man  kann  unterscheiden  zwischen  zwei  Arten  von  Monopolen, 
natürlichemund  künstlichen.^Die  natürlichen  Monopole  beziehen  sich 
auf  Tätigkeiten,  die  ihrer  Xatur  nach  innerhalb  eines  gewissen  Ge- 
bietes vernünftig  gleichzeitig  nur  von  Einem,  dazu  Bevorrechteten  aus- 
geübt werden  können./Solche  sind  der  Betrieb  von  Eisenbahnen 
und  Straßenbahnen,  Wasser-  und  Gasleitungen.  Es  können  nicht 
vernünftigerweise  mehrere  konkurrierende  Gesellschaften  neben- 
einander oder  neben  dem  Staat  oder  der  Stadtverwaltung  auf 
einer  und  derselben  Strecke  Eisenbahnen  bauen  und  Züge  fahren 
lassen,  in  einem  und  demselben  Stadtviertel  Wasserleitungen  und 
Gasleitungen  anlegen.  Zu  einem  künstlichen  Monopol  kann 
dagegen  durch  den  Staat  so  ziemlich  jede  Tätigkeit  erhoben 
werden,  die  an  sich  recht  gut  durch  mehrere  neben  und  unab- 
hängig voneinander  ausgeübt  werden  könnte  und  gewöhnlich 
ausgeübt  wird.  Solche  Monopole,  mögen  sie  nun  vom  Staate 
selbst  oder  mit  seiner  Erlaubnis  von  andern  genutzt  werden, 
können  oft  finanziell  einträglich  sein,  doch  sind  damit  meist  wirt- 
schaftliche Schädigungen  für  die  Allgemeinheit  verbunden.  Als 
Monopole  dieser  Art  wären  zu  nennen  Tabakmonopol.  Dynamit- 
monopol, der  mittelalterliche  Weinbann  und  ähnliches. 

Nicht  nur  ein  behauptetes  Regal,  sondern  zugleich  ein 
natinjirlips  Monopol  ist  auch  die  Münze.  Nur  durch  einen  privi- 
legierten Einzelnen  oder  eine  geschlossene  Gesellschaft  kann  das 
Münzrecht  ausgeübt  werden.  Daß  die  Personen,  die  unter  heutigen 
Verhältnissen  von  dem  Münzmeister  angestellte  Unterbeamte 
und  Arbeiter  sein  würden,  sich  damals  zu  einer  Genossenschaft 
zusammenschlössen,  entspricht  dem  mittelcdterlichen  Geiste,  liegt 
in  den  mittelalterlichen  Sitten  und  gesellschaftlichen  Notwendig- 
keiten. Dagegen  war  die  Ausübung  eines  der  zunftmäßigen 
Handwerke  weder  ein  Regal  noch  jemals  ein  natürliches  Monopol. 


242)  Auch  V.  Inama-Sternegg  bemerkt  (Wirtschaftsgeschichte,  Bd.  III.  2, 
S.  23)  gegen  Eberstadt,  daß  „die  besonders  gearteten  Verhältnisse  der  Münzerhaus- 
genossen" „doch  nicht  wohl  unter  den  Gesichtspunkten  der  Gewerbeordnung  genügend 
gewürdigt  werden"  können,  trotzdem  er  sie  .gleichfalls  [!]  einen  herrschaftlich-magiste- 
rialen  Amtsorganismus  aufweisen"  läßt.  v.  Inama  hat  eben  doch  herausgefühlt,  daß 
beide  Oi^nisationen  von  Grund  aus  verschieden  sind. 


g2  Die  Handwerker  in  Straßbui^  und  Trier. 

Freilich  haben  die  Zünfte  selbst  mit  Genehmigung  des  Rates 
die_einzelnen  Handwerke  später  fast  zu  Monopolen  eines  be- 
schränkten Kreises  von  Zugelassenen  gemacht,  d.  h._zw  künst- 
lichen Monopolen.  Aber  selbst  dann  blieben  die  Betriebe  der 
einzelnen  Meister  wirtschaftlich  unabhängig  von  und  neben- 
einander. Von  Hause  aus  jedoch  stand  es  jedem  frei,  ein  Hand- 
werk zu  treiben,  der  „es  konnte":  die  Bedingung,  der  Zunft  bei- 
zutreten, ändert  daran  nichts.  Wurde  daher  auch  über  den  vor- 
schriftsmäßigen Betrieb  des  Gewerbes  eine  Kontrolle  durch  einen 
Beamten  geführt  und  hat  man  die  Ausübvmg  eines  Handwerkes 
auch  wohl  in  idealem  Sinne  als  ein  dem  Gemeinwohl  dienendes 
Amt  aufgefaßt,  niemals  handelte  es  sich  doch  um  eine  stadtherr- 
liche Veranstaltung  — vyon  grundherrlich  nicht  zu  reden^—  nie  um 
einen  Betrieb  dumh  stadtherrliche  Beamte  für  herrschaftliche  oder, 
wie  es  bei  der  Münze  meist  war,  zwischen  Herrn  und  Genossen- 
schaft geteilte  Rechnung, 

Umgekehrt  haben  die  Münzergenossenschaften  sich  niemals 
zu  Zünften  entwickelt  und  entwickeln  können. 

Wenn  nun  trotzdem  eine  nicht  nur  unter  der  Aufsicht  eines 
unfreien  Beamten  stehende,  sondern  sich  aus  lauter  dem  Hofrecht 
unterworfenen  Personen  zusammensetzende  Genossenschaft  aus- 
schließlich öffentlich-rechtlichen  Zwecken  ihre  Entstehung-  verdankt^^ 
^po  als  Gpnn«;Qpnt;pViaff  nicht  hofrechtliclien,  sondern  öffentlich- 
rechtlichen  Ursprunges  ist:  so  wird  man  bei  Verbänden ,  deren 
freiheitliche  Natur  schon  dadurch  gegeben  ist,  daß  sie  aus  wirt- 
schaftlich und  regelmäßig  auch  persönlich  unabhängigen  T.euten 
bestehen,  gewiß  nicht  auf  hofrechtliche  Herkunft,  d.  h.  Veran- 
staltung zu  den  privaten  Zwecken  eines  Grundherrn,  bloß  deshalb 
schließen  dürfen,  weil  sie,  wie  ja  die  ganzen  Bürgerschaften,  einem 
Aufsichts-  und  Gerichtsbeamten  unterstellt  waren,  der  nach  Maß- 
gabe der  damaligen  Verhältnisse  gar  nicht  anders  als  unfrei  sein 
konnte. 

Man  wird  vielmehr  auch  bei  diesen  Verbänden  sich  nach 
einem  öffentlich-rechtlichen  Ursprung  umsehen. 


Die  Schilderung  der  Verhältnisse  des  Handwerks  in  dem 
„Liber  annalium  iurium  archiepiscopi  et  ecclesie  Trevi- 
rensis"  wäre  allein  nicht  eingehend  genug,  als  daß  man  nur  von 
dieser  Grundlage  aus  zu  sicheren  Ergebnissen  über  die  rechtliche 


Die  Trierer  Kamtnerhandwerker.  gi 

Stellung  der  Gewerbetreibenden  gelangen  könnte-'^').  Jedoch 
entspricht  sie  in  allem  Wesentlichen  den  Straßburger  Zuständen 
so  genau,  daß  es  ohne  weiteres  gestattet  ist,  die  dort  gewonnenen 
Schlüsse  auf  sie  zu  übertragen.  Wenn  sie  also  auch  unter  der 
Rubrik  Iura  camere  archiepiscopi  sich  verzeichnet  finden,  so 
wissen  wir  dennoch,  dass  auch  in  Trier  die  dem  Erzbischof  zu 
besonderen  Diensten  verpflichteten  Handwerker  nicht  in  hofrecht- 
licher Abhängigkeit  von  ihm  gestanden  haben  können. 

Sieben  Kürschner,  von  denen  einer  der  Meister  ist,  haben 
des  Erzbischofs  Kleider  zu  nähen  und  die  rohen  Felle  zuzubereiten, 
die  der  Meister  in  Köln  oder  in  Duisburg  für  den  Erzbischof 
gekauft  hat.  Die  übrigen  Kürschner  in  Trier  müssen,  wenn  nötig, 
den  sieben  helfen,  oder  sich  loskaufen -^^).  „Der  Schuhmacher 
sind  dieselben  Rechte"2^5^.  Die  Schmiede  müssen  alle  Schmiede- 
arbeit verrichten,  die  der  Erzbischof  zur  Hof-  und  Heerfahrt  oder 
in  seinen  Burgen  braucht 2^'^).  Der  Meister  der  Fleischer  über- 
nimmt Botengänge  für  den  Erzbischof  im  Umkreise  von  sechs 
Meilen  um  Trier  2^^).  Doch  geht  er  nicht  selbst,  wenn  es  auch 
heißt  „ipse  ibit";  sondern  er  stellt  nur  den  Boten,  und  zwar  einen 
Fußgänger  -^^). 

243)  Vgl.  oben  Anm.   175   und  den  Anhang  zu  diesem  Kapitel. 

244)  A.  a.  O.  §  3. 

245)  A.  a.  O.  §  4:  „Sutorum  iura  eadem  sunt  quam  peüificum."  Aus  diesen 
Worten  hat  man  geschlossen,  daß  auch  die  Zahl  der  Pflichtigen  Schuhmacher  dieselbe 
ist  wie  die  der  Kürschner:  Bär,  Forschungen  z.  Deutschen  Geschichte,  Bd.  XXIV 
(Zur  Geschichte  der  deutschen  Handwerksämler),  S.  236.  Gustav  Croon,  Zur  Ent- 
stehung des  Zunftwesens  (Marburger  Dissertation  1901),  S.  24*.  Spätere  Nachrichten 
über  das  Schuhmacheramt  bestätigen  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung.  Vgl.  unten, 
besonders  auch  Anm.   265. 

246)  §  5  „Eadem  die  fabri  tenentiir  facere  omne  opus  fabrile  archiepiscopo 
necessarium  ad  curias  imperatorum  vel  expeditiones  aut  urbes,  ubi  archiepiscopus 
habet  vigiles  aut  portitores,  sine  mercede".  —  Falsch  ist  Bars  Erklärung  des  „ad 
curi&s  imperatorum"'  als  „für  die  früher  etwa  kaisei  liehen,  nunmehr  erzbischöflichen 
Baulichkeiten";  ebenso  der  „e.xpediiiones"  als  „Reisen"  und  der  „urbes"  als  „Städte". 
A.  a.  O.  S.  236. 

247)  A.  a.  O.  §  6:  „Scultetus  Trevirensis  constituet  magistrum  carnificum,  qui 
camerarli  discipulus  est.  Et  ipse  ibit  ex  precepto  camerarii  in  legationem  archiepiscopi 
ad  sex  miliaria  circa  Treverim." 

248)  „Item  ad  legationem  d.  archiepiscopi  ferendam  magister  carnificum  ad  sex 
miliaria  peditem  nundum  sibi  providere  debet" :  so  nach  den  Iura  et  institutiones 
Treverice  civitatis,  Lacomblet,  Archiv,  Bd.  I,  S.  262  §  10.  Das  „sibi"  geht  auf 
den  Schultheißen,  der  ja  auch  nach  dem  Liber  annaliura  iurium  den  Fleischermeister 
einzusetzen  hatte.  Vgl.  die  vorige  Anm.  Trotz  alledem  steht  „ipse  ibit"  auch  noch 
in  der  Abschrift  des  Liber  annalium  iuritun  aus  dem    14.   Jahrhundert.     „Ipse"   heißt 


94 


Die  Handwerker  in  Trier. 


Eine  ähnliche  Lückenhaftigkeit  der  Angaben,  wie  hierdurch 
und  durch  die  FormuHerung  der  Verpflichtung  der  Schuster, 
kennzeichnet  sich  auch  in  der  Bestimmung,  daß  die  Schmiede 
ihre  Arbeit  „eadem  die''  zu  machen  haben.  Dem  Zusammenhange 
nach  hieße  das  am  Sonntag  Quinquagesima,  wo  den  Kürschnern 
und  Schustern  eine  Mahlzeit  gereicht  wird.  Das  kann  nicht  ge- 
meint sein;  doch  fehlt  jeder  Schlüssel 2*9).  ' 

Daß  in  der  Unterstellung  unter  den  Kämmerer  anstatt 
unter  den  Burggrafen  wie^n_Straßburg  'söjkein  Moment  hof- 
rechtlicher Abhängigkeit  liegt,  beweist  am  schlagendsten  eine 
Wiener  Urkunde,  das  Privileg  Herzog  Leopold  VI.  für  die  so- 
genannten Flandrer,  d.  i.  Färber,  vom  Jahre  1208,  wonach  diese 
„burgenses" 

in  officio  suo  iure  fori  nostri 

in    der  Stadt  Wien    und  dem  Lande   des  Herzogs  sich  derselben 

Freiheiten  und  Rechte   erfreuen   sollen,   wie    die  übrigen  Bürger. 

Preterea  ipsos  ab   officio  iudicis    nostri  in  Wiena  ita  exi- 

mimus,    ut   super   quibuscumque    querimoniis    coram   ipso 

non    respondeant,    set    coram    camerario    monete    nostre 

trahantur  in  causas  speciali  exceptione  de  omnibus  respon- 

suri  -■^1). 

Als   besondere  Vergünstigung   also  wird   diese  Gruppe  von 

Gewerbetreibenden    dem    Gericht   des  Stadtrichters   entzogen  und 


dem  des  Kämmerers  unterstellt.  Das  Recht,  nach  dem  sie  leben 
und  sich  in  ihrem  Gewerbebetrieb  zu  richten  haben,  bleibt  nichts- 
destoweniger das  Stadt-  und  Marktrecht. 

Wie    in    Wien,   so   ist   auch    in    Trier    dem  Kämmerer  die 
Münze    unterstellt  252).     Er   ist   ferner   „magister  ludeorum",  unter 


eben  nicht  „selbst"  sondern  ,,er".  Es  ist  ein  Seitenstück  zu  Iura  et  institutiones  §  i, 
wo  auf  die  Worte  ,,et  hoc  fenum  debent  congregare  burgenses,  exceptis  scabinis  et 
camerariis"  sogleich  folgt:  „Cuilibet  vero  nuncio    burgensi".     Vgl.    oben    Anni.    189. 

249)  Croon  schlägt  vor,  das  „eadem  die"  als  Anfangstermin  der  Arbeitszeit 
aufzufassen  (S.   27',  S.   28').     Das  geht  doch  kaum. 

250)  A.  a.  O.  §§  3 — 7.  —  Der  Gerichtsbarkeit  des  Kämmerers  sind  alle 
Fleischer  unterstellt  (§  7),  aber  nur  ihr  von  dem  Schultheißen  eingesetzter  „magister" 
hat  einen  besonderen  Dienst  (Anm.  247,  248).  Auch  das  eigentümlich:  die  Dienste 
der  Fleischer  nach  Hofrecht  beständen  in  —  nichts! 

251)  V.  Schwind  u.  Dopsch,  Urkunden  zur  Verfassungsgeschichte  d.  deutsch- 
österreichischen Erblande  Nr.  23;  meine  Urkunden  Nr.  265.  Die  Gerichtsbarkeit 
des  Trierer  Kämmerers  erstreckt  sich  übrigens  nicht  so  weit:  „violare  pacem"  ist  aus- 
genommen (§  7). 

252)  A.  a.  O.  §   I. 


Der  Kämmerer. 


95 


ihm  steht  ihr  „episcopus":  will  man  etwa  auch  den  Juden-Episkopat 
für  ein  erzbischöfliches  Hofamt  erklären  ? -53).  Endlich  zinsen  ihm 
auch  die  fremden  Krämer  auf  den  Trierer  Jahrmärkten,  bei  denen 
natürlich  jeder  Gedanke  an  Abhängigkeit  vom  Erzbischof  aus- 
geschlossen ist -5*). 

Der  „Liber  annalium  iurium  archiepiscopi  et  ecclesie  Trevi- 
rensis"  ist  ein  Verzeichnis  aller  regelmäßigen  Jahreseinkünfte  der 
erzbischöflichen  Verwaltung.  Ein  Teil  dieser  Einkünfte,  solche, 
die  unmittelbar  im  erzbischöflichen  Haushalt  verwandt  werden 
sollen ,  mögen  sie  nun  aus  Bargeld ,  Naturalien  oder  Dienst- 
leistungen bestehen,  sind  der  Karmnerverwaltung  zugewiesen. 
Dem  Kämmerer  fällt  die  Verantwortung  für  die  Richtigkeit  der 
Eingänge,  die  Güte  der  gelieferten  Waren  zu.  Das  erklärt  es 
einfach  genug,  warum  ihm  auch  die  Gewerbegerichtsbarkeit  über 
die  fraglichen  Handwerker  zugeteilt  ist.  Daneben  aber  darf  man 
in  dieser  Exemption  von  dem  ordentlichen  Gerichte  gerade  wie 
in  Wien  ein  Privileg  sehen  ^^^).  Das  ist  ja  einer  der  merkwürdig- 
sten Züge  und  wirksamsten  Faktoren  in  der  Geschichte  jener  Zeit: 
das  ewige  Streben  nach  Sonderstellungen,  Befreiungen  von  nor- 
malen Jurisdiktionen,  das  jedes  aus  allgemeinen  Grundsätzen  auf- 
gebaute Schema  einer  Gerichtsverfassung  immer  wieder  durch- 
bricht 

Auch  in  Trier  fehlt  es  keineswegs  an  dem  deuthchen  Hin- 
weis, daß  der  Schultheiß  auch  bei  den  nun  eximierten  Hand- 
werken der  ursprüngliche  wie  der  normale  Richter  gewesen  ist 
Denn  die  „Iura  et  institutiones"  berichten: 

Item    magister   sutorum  dat  sculteto  X  solidos  pro  quo- 
dam  regimine  in  suos    subditos  ....    Item  magister 

textorum  dat  IV  s Item  carnifices  in  vigilia  Aposto- 

lorum  Petri  et  Pauli  dant  sculteto  VII  s.  '^^. 


253)  A.  a.  O.  §  2. 

254)  Iura  et  institutiones,  Lacomblet,  Archiv,  Bd.  I,  S.  265  §  16:  „liem 
in  amialibus  festis  quicumque  extranei  herbarii,  qui  Cremere  dicuntur,  hie  tenloria  fixe- 
rint,  quilibet  denarium  dabit.  Item  de  mensa  in  foro  posita  obulum.  Huius  theo- 
lonii  tertia  pars  est  camerarü".  Vgl.  auch  §  i".  Andere  Zölle  fallen  an  den  Schult- 
heißen und  an  den  „officiatus  ad  cyppum". 

255)  Eulenburg,  Das  Wiener  Zunftwesen,  Zeitschr.  f.  Sozial-  und  Wirt- 
schaft^esch.,  Bd.  I,  S.  26b*. 

256)  Lacomblet,  Archiv,  Bd.  I,  S.  268  §  19,  und  Bär,  Forschungen, 
Bd.  XXIV,  S.  245'.  Die  Stellen  über  die  Weber  und  die  Fleischer  sind  bei  La- 
comblet ausgeCallen  tmd    von   Bär   aus   der    Handschrift   ergänzt.     Der  dritte  Teil  der 


q6  Die  Handwerker  in  Trier. 

Und    an    einer    anderen  Stelle    heißt    es    in    derselben  Rechtsauf- 
zeichnung: 

Item  sutores  in  civitate  pro  redemptione  cuiusdam  placiti 
in  feria  quarta  Pasche  quilibet  dat  sculteto  IX  denarios  2^^). 
Es  handelt  sich  bei  dieser  Ablösung  um  Vorgänge,  auf  die 
noch  zurückzukommen  sein  wird,  die  den  Kämmerer  nicht  un- 
mittelbar betreffen  25«).  Allein  die  Voraussetzung  ist,  daß  der 
Schultheiß  einst  allgemein  die  Gewerbegerichtsbarkeit  hatte,  auch 
wenn  von  den  „Kammer"handwerken  an  dieser  Stelle  nur  zwei 
genannt  sind. 


Zahlungen  fällt  an  den  Vogt,  z.  Z.  der  Aufzeichnung  der  Pfalzgraf  bei  Rhein.  Ebenso 
von  der  in  der  nächsten  Anm.  zitierten.  Daß  dieser  Teil  der  ,,Iura  et  institutiones" 
ins  12.  Jahrhundert  gehört,  also  mit  dem  ,.Liber  annalium  iurium"  mindestens  gleich- 
altrig ist,  ergibt  sich  also  unmittelbar. 

257)  Lacomblet,  a.  a.  O.  S.  267  §  19.  —  Nach  §  7  des  „Liber"  ist  der 
Kämmerer,  wohlbemerkt,  der  Richter  sämtlicher  Kürschner,  Schuster,  Schneider  und 
Fleischer. 

258)  Vgl.  unten  Kapitel  VII.  In  einer  ähnlichen  Zwitterstellung  neben  dem 
Schultheißen  befindet  sich  der  Kämmerer  in  Würzburg  nach  der  Urkunde  für  die 
Schuhmacher  von  1128,  wobei  noch  zwischen  einem  „camerarius  civitatis"  und  einem 
„familiaris  camerarius  episcopi"  unterschieden  zu  werden  scheint.  Gramich,  Ver- 
fassung und  Verwaltung  von  Würzburg,  S.  68;  meine  Urkunden  Nr.  254.  —  Bei 
der  Erneuerung  des  Rechtes  der  Innung  für  die  Schuhmacher  von  Halberstadt 
am  15.  März  1230  wiederholt  Bischof  Friedrich,  „quod  ....  dare  debereni  ad  usus 
camere  taientum  unum  et  camerario  nostro  ac  uxori  sue  [!]"  zweimal  ,,duo  paria  calce- 
orum".  So  haben  auch  die  Halberstädter  Weber  1283  beim  Eintritt  in  ihre  Innung 
eine  Abgabe  an  die  bischöfliche  Kammer,  die  Hutmacher  1284  an  den  Kämmerer 
zu  entrichten:  Schmidt,  Urkundenbuch  der  Stadt  Halberstadt,  Bd.  I,  Nr.  26,  Nr.  177, 
Nr.  187.  In  Regensburg  haben  1244  und  ebenso  noch  1315  die  Kämmerer  des 
herzoglichen  Burggrafen  und  des  bischöflichen  Vogts  dreimal  im  Jahr  die  ,, Losung" 
von  den  Schuhmachern  für  ihre  Herren  zu  empfangen:  M.  v.  Freyberg,  Samm- 
lung histor.  Schriften  u.  Urkk.,  Bd.  V,  S.  92,  S.  90.  Hier  tritt  am  deutlichsten  hervor, 
daß  sie  reine  Finanzbeamte  sind.  Es  braucht  aber  nicht  ausgeführt  zu  werden,  wie 
leicht  sich  damit  die  W^irksamkeit  eines  Kontrolibeamten  und  Richters  verband.  In 
dieser  Stellung  finden  wir  denn  Handwerken  gegenüber  selbst  städtische  Kämmerer, 
Beamte  des  Rats:  so  in  Lübeck,  Rolle  der  Knochenhauer  vom  2.  April  1385, 
Wehrmann,  Die  älteren  Lübeckischen  Zunftrollen,  S.  260  §  3.  Es  sind  das  alles 
nur  einige  Zeugnisse  dafür,  daß  es  ein  oberflächliches  und  mechanisches  Verfahren  ist, 
wenn  man  von  der  Stellung  eines  Verwaltungsbeamten  auf  die  der  seiner  Verwaltung 
Unterworfenen  schließt  —  gerade  als  müßten  sie,  wie  er,  auch  Beamte  sein,  wie  es 
die  hofrechtliche  Theorie  eben  in  ihrer  neuesten  Phase  will.  Vgl.  auch  noch  Waitz, 
Verfassungsgeschichte,  Bd.  VIII,  S.  218  ff.,  über  königliche  und  landesherrliche 
Kammern. 


Die  Schuhmacher-Kammerheiren. 


97 


Die  Sache  ist  klar,  sobald  man  sie  ernsthaft  ins  Auge  faßt. 
Indes  stehen  uns  über  die  der  Kammer  speziell  zugewiesenen 
Handwerker  noch  weitere  Nachrichten  zur  Verfügung. 

Die  „Iura  et  institutiones  Treverice  civitatis"  eximieren 
von  der  fünftägigen  Bürgerfron  des  Heumachens  und  des  Roggen- 
und  Hafermähens  außer  den  Schöffen  allein  die  „camerarij"  *^^) : 
aus  ungedruckten  Urkunden  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  über 
das  Amt  der  Loher  und  Schuhmacher,  aus  denen  Bär  Mit- 
teilungen macht,  erfahren  wir,  daß  so  —  deutsch  „Kämmerer"  oder 
„Kammerherren"  —  die  Handwerker  bezeichnet  wurden,  die  zur 
Kammer  in  besonderem  Verhältnis  standen  -^%  Auch  in  der  Auf- 
zeichnung über  die  „Census  d.  archiepiscopi"  vom  Jahre  13 19 
kommen  „magistri"  der  „cerdones  et  calcifices"  vor  „qui  dicuntur 
camerarii"  2**).  Hier  nur  zwei.  Aber  es  sind  nicht  Zunftmeister: 
denn  neben  ihnen  erscheint  der  eine  gemeinsame  „magister  eorum". 
Später  sind  es  wieder  sieben,  wie  im  12.  Jahrhundert  "^^-j,  endlich 
1460  vierzehn,  also  wohl  je  sieben  aus  Gerbern  und  Schuh- 
machern -^3). 

Sie  sind  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  und  so  auch  noch  1460 
vom  Gericht  zu  Trier  eximiert  und  stehen  dafür  unter  dem 
obersten  Kämmerer  des  Palastes.  Aber  sie  gehören  zum  allge- 
meinen Amt  der  Gerber  und  Schuster,  sie  bekennen,  darin  nicht 
mehr  Gewalt  und  Gerechtsame  zu  haben  als  andere  Brüder  und 
Amtsgenossen,  und  sie  versprechen,  den  „Löwermeister",  den 
Amtsmeister,  nach  Vermögen  zu  fördern  und  ihm  in  „unserm" 
Amt  Gehorsam    zu  leisten-*'^).     Nur  behalten  sie  sich  das  „Recht 


259)  Lacomblet,  Archiv,  Bd.  I,  S.  258  f.  §§  i,  2.  —  Was  das  Vorkommen 
der  Bezeichnung  „camerarii"  an  dieser  Stelle  mit  Hinsicht  auf  die  Dalierungsfrage 
betrifft,  insofern  sie  für  die  Kammerhandwerker  sonst  nur  aus  einigen  Urkunden  des 
14.  Jahrhunderts  bekannt  ist,  so  verdient  bemerkt  zu  werden,  daß  gerade  der  Nachtrag 
vom  20.  Januar  1322  zum  „Liber  annalium  iurium",  der  die  Bestimmung  über  das 
Heumachen  der  Bürger  als  im  „Liber  antiquus  domini"  enthalten  übrigens  bestätigt, 
die  „camerarii*'  nicht  erwähnt  (a.  a.  O.,  S.  378  §   12). 

260)  Forschungen,  Bd.  XXIV,  S.  246  ff. 

261)  Lacomblet,  a.  a.  O.,  S.  268  §  20. 

262)  Erzbischöfl.  Urkunde  von  etwa  1350,  Bär.  S.  248;  Vergleich  zwischen 
den  „Kammerherren"  und  dem  Gerber-  imd  Schuhmacheramt  vom  7.  Afai  1379, 
Bär,  S.  247. 

263)  Bär,  S.  248 3, 

264)  Vergleich  der  „Kammerherren"  mit  den  Lohgerbern  imd  Schuhmachern 
vom  31.  Januar  1336,  transsumiert  in  Urkunde  vom  29.  Dez.   1378,  Bär,  S.  246. 

Keutgen,  Aemter  und  Zünfte.  7 


q8  Die  Handwerker  in  Trier. 

der  Kammer"  vor,  das  also  als  ein  Vorzug  gilt,  und  mit  dem, 
wenn  Arbeiten  für  den  Erzbischof  ^cs),  so  doch  auch  gewisse 
Emolumente  verbunden  sind  '^^).  Ein  andermal  aber  versprechen 
sie  ihren  Amtsbrüdern  die  Kammerei  fürder  zu  halten  und  zu 
erhalten,  stet  und  festiglich  bis  auf  ihre  Nachkommen,  als  ob  es 
ein  Besitz,  eine  Ehre  für  das  ganze  Amt  ist^«^).  Demgemäß 
wird  auch  jeder  neue  „Kämmerer"  an  Stelle  eines  Verstorbenen 
von  dem  Amt  gewählt  ^^s):  jene  Nachkommen  sind  also  nicht 
leibliche,  und  die  Stellen  nicht,  wie  Hofämter,  vererblich. 

Soviel  also  ist  klar:  das  Amt  der  „Kämmerer"  wird  stets 
nur  mit  freien  Handwerkern,  Mitghedern  der  Zunft,  besetzt 
und  ist  eine  von  ihnen  begehrte  Würde.  Der  Zugang  liegt  in 
der  Hand  der  Gerber-  und  Schusterzunft  und  ihres  Zunftmeisters, 
der    über    die  Aufnahme  in    die  Zunft    selbst  zu  entscheiden  hat. 


265)  Nach  den  erzbischöflichen  Urkunden  von  circa  1350  und  1460  ist  ihre 
Aufgabe,  die  für  die  Reisen  des  Erzbischofs  nötigen  ,,waytsecke"  und  „bullen"  anzu- 
fertigen. Bär,  S.  248.  Das  also  verbarg  sich  unter  dem  „Sutorum  iura  eadem  sunt 
quam  pellifieum"  des  Liber  annalium  iurium.  Leider  läßt  sich  aus  Bars  Mitteilung 
nicht  ersehen,  ob  mit  den  „Reisen"  nicht  auch  hier  militärische  gemeint  sind.  Nach 
seiner  Uebersetzung  von  „expeditiones''  im  Liber  annalium  iurium  mit  „Reisen"  (vgl. 
oben  Anm.  246)  ist  es  gerechtfertigt,  hier  dasselbe  Mißverständais  zu  vermuten.  Die 
Wichtigkeit  des  Unterschiedes  leuchtet  ein.  Betreffs  der  „bullen"  ist  an  die  Straß- 
burger „bulgae"  (erstes  Stadtrecht  §  108)  und  das  Basler  ,,Bulgenamt"  (unten 
Anm.)  zu  erinnern. 

266)  Nach  den  ,,Census  d.  archiepiscopi"  von  1319  (Lacomblet,  a.  a.  O. 
S.  268  §  20)  erhalten  die  beiden  ,,camerarii"  von  dem  Zins  von  9  d.,  den  jeder 
Gerber  oder  Schuhmacher  am  Mittwoch  nach  Ostern  an  den  Erzbischof  zu  ent- 
richten hat,  12  d.  zurück.  Ebenso  empfangen  sie  Martini  5  d.  Vermutlich  außerdem 
nach  wie  vor  gemäß  dem  ,, Liber  annalium  iurium"  am  Sonntag  Quinquagesima  eine 
Urne  Wein  und  einen  Schinken,  was  bei  der  Aufzeichnung  der  Zinse  des  Erzbischofs 
so  wenig  zu  erwähnen  Veranlassung  war,  wie  etwas  über  ihre  Arbeitspflicht.  Ueber 
eine  besondere  Zollfreiheit  der  Kammerarbeiter,  von  der  Bär,  S.  248,  spricht,  finde 
ich  nichts :  nach  der  Zollfreiheit  der  an  der  Fron  beteiligten  Dörfer  wäre  vielmehr  anzu- 
nehmen, daß  alle  „dves"  (vgl.  unten  S.  105)  diesen  Vorzug  genossen.  Demgemäß  wird 
nach  den  „Iura  et  institutiones"  Zoll  mehrfach  ausdrücklich  nur  von  Fremden  erhoben: 
z.  B.  §  10  „advenientes  herbarii";  §  12  „si  advena  est"  „cives  Colonienses  et  Worma- 
censes  et  Spirenses  et  cives  de  Bingen  et  habitantes  circa  rivum  Moseile,  quod  Ham 
didtur"  (Ham  =  die  Moselhalbinsel  zwischen  Bullay  und  Pünderich,  nach  Lamp- 
recht, Wirtschaftsleben,  Bd.  I,  S.  234);  §  13  „si  advene  fuerint".  Besonders  aber 
§  14  „de  theoloneo  inter  pellifices",  wo  eine  besondere  Zollfreiheit  der  Kammer- 
kürschner hätte  erwähnt  werden  müssen,  statt  dessen  aber  nur  die  zollpflichtigen  ,, cives 
Metenses"  und  ,,Epternacenses"  genannt  sind. 

267)  Bär,  a.  a.  O.  S.   246  f. 

268)  Bär,  S.  247:  Vertrag  vom  7.  Mai  1379. 


Die  Schuhmacher-Kamnierherren.  qq 

auch  wenn  nur  zwei  Brüder  anwesend  sind'^^).  Die  „Kämmerer" 
aber  haben  darüber  zu  wachen,  daß  ihre  Würde  und  ihre  Rechte 
nicht  gemindert  werden,  wozu  wohl  gehört,  daß  der  Erzbischof 
seine  Arbeiten  nicht  an  Zunftfremde,  z.  B.  aus  seinen  Eigenleuten, 
vergibt.  Es  ist  kein  Grund  zur  Annahme,  daß  das  Verhältnis 
je  wesentlich  anders  gewesen  sei-^*'). 


269)  Bär,  S.  246:  Verträge  von   1336  und   1378. 

270)  Zum  guten  Teil  unrichtig  ist  CroonS  Darstellung  der  Verpflichtungen 
der  Trierer  Handwerker,  Zunftwesen,  S.  23  ff.  Schon  die  Angabe  über  die  Leistung 
der  Kürschner  auf  S.  23  wäre  durch  das  auf  S.  27  Mitgeteilte  zu  ergänzen.  Die 
Schmiede  haben  nicht  „alle"  Schmiedearbeit  zu  machen  (S.  24).  Falsch  aber  vor 
allem  ist,  daß  „sämtliche  Handwerker  Triers  dem  Bischof  zu  bestimmten  Leistungen 
verpflichtet  sind",  die  ,, Pflicht  auf  der  Gesamtheit  liegt",  „doch  in  der  Praxis  eine 
gewisse  Anzahl  von  Handwerkern  für  diese  Arbeiten"  genügt,  „alle  übrigen  sich  los- 
kaufen" können  (S.  24),  Diesen  Sätzen  fehlt  teils  überhaupt  jede  Grundlage,  teils 
beruhen  sie  auf  einer  unrichtigen  Auffassung.  Nicht  beliebige  sieben  Kürschner  und 
sieben  Schuster  haben  die  regelmäßigen  Arbeiten  für  den  Erzbischof  zu  machen, 
sondern  ganz  bestimmte,  ein  für  allemal  bestellte.  Es  ist  deshalb  auch  ganz  verkehrt, 
daß  „diese  Pflichtigen  dasselbe  Recht"  haben,  „sich  loszukaufen,  wie  die  andern 
Handwerker"  (S.  24*).  Daß  bei  den  Schmieden  die  Zahl  der  Beschäftigten  sich  nach 
dem  Bedarf  richtete  (S.  24*),  ist  eine  ganz  unbegründete  Annahme ;  in  noch  höherem 
Grade  aber  die  gleiche  Behauptung  von  den  Fleischern  (a.  a.  O.),  von  deren  Ver- 
pflichtung zu  irgend  welchen  Diensten  überhaupt  nichts  gemeldet  wird.  Im  Widerspruch 
damit  meint  denn  auch  Croon,  S.  27,  es  würden  „keine  andern  Pflichten  für  die 
Fleischer  angegeben",  weil  die  Botengänge  ihres  Meisters  ein  „hohes  Maß  von  Zeit 
und  Kraft  in  Anspruch"  genommen  hätten.  Ganz  unbegreiflich  ist,  wie  Croon  zu  der 
Annahme  kommt,  daß  außer  den  vier  dem  Kämmerer  unterstellten,  auch  alle  übrigen 
Handwerke  (vgl.  oben  ,,sämtliche")  dem  Erzbischof  zu  bestimmten  Leistungen  ver- 
pflichtet gewesen  seien.  Es  soll  dadurch  bewiesen  werden,  daß  „die  speziell  mit  den 
Diensten  Beauftragten"  „sich  also  ihrem  Stande  nach  nicht  von  dem  der  Gesamtheit" 
unterschieden.  Es  ist  aber  nicht  erlaubt,  sich  den  Beweis  einer  an  sich  richtigen  Sache 
durch  willkürlich  angenommene  Prämissen  zu  erleichtern.  Ferner  ist  unrichtig,  daß 
von  den  Fleischern  nur  der  Meister  dem  Gericht  des  Kämmerers  unterstanden  habe 
(Croon,  S.  26):  in  §  7  ist  vielmehr  von  den  Fleischern  schlechthin  die  Rede;  ebenso 
auch  von  den  Kürschnern,  Schustern,  Schmieden,  und  nicht  bloß  von  den  „Hof- 
lieferanten".    Eine  Angabe  darüber,  wo  die  „Iura  et  institutiones"  ,, betonen,   daß  nur 

die arbeitspflichtigen  Handwerker    dem  Kämmerer   im  Gericht  zu  unterstehen 

haben",  wäre  en^ünscht:  offenbar  hat  Croon  (S.  26)  die  Mitteilungen  Bars  über  die 
ungedruckten  Urkunden  aus  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  mißverstanden.  Die 
Hauptsache  ist  jedoch  die  Schlußfolgerung  zu  der  Croon  auf  Grund  der  vorhin  mit- 
geteilten Sätze  kommt  (S.  29).  Da  nach  ihm  jeder  Handwerker  gleichmäßig  arbeits- 
pflichtig ist,  jeder  aber  auch  das  Recht  hat,  sich  loszukaufen,  so  schließt  Croon,  dal^ 
zur  Zeit  des  „Liber  annalium  iurium"  es  bereits  Zünfte  gegeben  habe,  da  „doch  eine 
Ordnung  unter  den  Handwerkern  vorhanden  sein  muß,  die  dafür  sorgt,  daß  immer 
die  nötige  Zahl  von  Handwerkern  für  die  bischöflichen  Arbeiten  zur  Verfügung  steht, 

7* 


lOO  Die  Handwerker  in  Straßburg  und  Trier. 

Damit  schließe  ich  den  ersten  Hauptabschnitt  meiner  Unter- 
suchungen, der  sich  auf  alles  das  erstreckt,  was  auf  die  Stellung 
der  Großgrundherrschaften  zum  Handwerk  irgend  Licht  zu  werfen 
geeignet  schien. 

Das  Ergebnis  ist,  soweit  das  städtische  Handwerk  und  die 
Entstehung  der  Zünfte  in  Frage  kommen,  ein  negatives. 

Von  Handwerkerverbänden  auf  den  Krongütern  der  karo- 
lingischen  Zeit  fand  sich  keine  Spur.  Das  Hofgesinde  der  Klöster 
erwies  sich  als  nicht  zahlreich  genug,  als  daß  von  einer  Amts- 
organisation der  einzelnen  Handwerke  hätte  die  Rede  sein  können. 
Erst  spät  vereinigt  sich  wohl  die  gesamte  Hausdienerschaft  zu 
einer  Genossenschaft,  aber  stets  nur  zu  einer  einzigen,  die  sie 
insgesamt  umfaßt.  Das  „Amtsrecht"  ihrer  Mitglieder  besteht  in 
dem  Genüsse  gewisser  Präbenden,  sowie  darin,  daß  die  dem 
gleichen  Dienstzweige  angehörigen ,  wie  z.  B.  in  der  Mehrzahl 
vorhandene  Köche,  ihren  Dienst  abwechselnd  versehen.  Die  so 
gewonnene  Muße  verwenden  sie  jedoch  keineswegs  zur  Ent- 
faltung lebhafterer  gewerblicher  Tätigkeit  für  eigene  Rechnung: 
sondern  sie  betrachten  ihr  Amt  als  Vermögensobjekt,  sie  ver- 
wandeln sich  in  Rentner  und  lassen  selbst  den  mit  ihrem  Amte 
nun  einmal  verbundenen  Dienst  durch  Knechte,  Mietlinge  ver- 
sehen; hierin  dem  Vorbilde  ihrer  geistlichen  Herren  getreulich 
nachfolgend.  In  der  Hofluft  wächst  eben  nicht  leicht  ein  kräftiger, 
ins  Freie  strebender  Unternehmungsgeist. 

Wenn  ferner  unter  dem  Hofgesinde  der  Klöster  Handwerker 
noch  verhältnismäßig  zahlreich  waren,  so  zeigte  sich  der  Grund 
erstens  in  einer  Vorschrift  der  Benediktinerregel,  zweitens  in  den 
besonderen  wirtschaftlichen  Verhältnissen  gerade  dieser  Klasse 
von  Grundherrschaften.  Wo  immer  die  Umstände  es  erlaubten, 
haben  dagegen  auch  die  größten  Grundherren  es  vorgezogen, 
ihren  Bedarf  an  Handwerksleistungen  durch  unabhängige  Ge- 
werbetreibende decken  zu  lassen.  In  dieser  Lage  befanden  die 
städtischen  Grundherren,  namentlich  also  die  Bischöfe  sich  von  An- 
fang an.  Sie  haben  sich  demnach  unter  ihren  übrigen  Dienern 
nur    für    den    täglichen    Gebrauch    auch    einzelne    nötige    Hand- 


daß  sich  also  nicht  jeder  loskauft".  Das  beruht,  wie  gesagt,  auf  einer  ganz  falschen 
Auffassung.  Es  war  nötig  alle  diese  Unrichtigkeiten  aufzudecken,  da  das  Bild,  das 
man  sich  von  der  Entstehung  der  Zünfte  überhaupt  zu  machen  hat,  durch  sie  wesent- 
lich verfälscht  wird,,  und  sie  umso  gefährlicher  sind,  gerade  weil  Croon  nicht  auf 
dem  Boden  der  hofrechtlichen  Theorie  steht. 


Ergebnisse  des  ersten  Hauptteik  der  Untersuchung.  lOI 

werker  gehalten ,  im  übrigen  entweder  auf  den  freien  Markt 
zurückgegriffen  oder  aber  mit  Vorliebe  ihre  stadtherrlichen  Rechte 
in  der  Weise  genutzt,  daß  sie  von  den  städtischen  Handwerkern 
an  Stelle  anderer  öffentlicher  Leistungen,  vor  allem  ihres  Beitrags 
zur  Hof-  und  Heersteuer,  handwerkliche  Dienste  heischten. 

Das  Vorhandensein  wirtschaftlich  freier,  für  eigene  Rechnung 
und  Gefahr  arbeitender  Handwerker  in  beträchtlicher  Menge  so- 
gleich seit  den  ersten  Anfängen  der  Städte  in  Deutschland  — 
die  Voraussetzung  städtischen  Entstehens  überhaupt,  einerlei,  ob 
in  den  Gegenden,  die  bereits  eine  römische  Städtekultur  gesehen 
hatten  oder  in  dem  jungfräulichen  Innerdeutschland  —  das  ist 
das  Ausschlaggebende  auch  für  die  Frage,  die  uns  beschäftigt. 


Anhang. 

Zur  Datierung  des  „Liber  Annalium  lurium  Archie- 
piscopi  et  Ecclesie  Trevirensis*'  und  der  „Iura  et  Insti- 
tutiones  Treverice  Civitatis  et  Villarum  que  Libere  sunt 
a  Theoloneo". 

Der  „Liber  Annalium  iurium"  wird  mit  Berufung  auf  Lacomblet, 
Archiv  f.  d.  Geschichte  d.  Niederrheins  Bd.  I,  S.  297  f.,  allgemein  auf  c. 
1220  datiert.  So  im  Mittelrheinischen  Urkundenbuch  von  Beyer 
Eltester  u.  Goertz  Bd.  II,  S.  391;  von  Bär,  Forschungen  z.  Deutschen 
Geschichte,  Bd.  XXIV,  S.  235;  von  Schoop,  Verfassungsgeschichte 
von  Trier  (Westdeutsche  Zeitschr.  f.  Geschichte  und  Kunst,  Ergänzungs- 
heft I)  S.  93.  S.   125*,  auf  12 19. 

Lacomblet  selbst  spricht  nur  vom  zweiten  Decennium  des  13. 
Jahrhunderts.  Allein  schon  aus  seinen  eigenen  Angaben  geht  herxor, 
dass  auch  dieser  Ansatz  zu  spät  ist 

Lacomblets  Hauptargument  ist  die  Schrift,  die  aber  selbstver- 
ständlich keine  genaue  Datierung  zulässt.  Dagegen  en^ähnt  er  einen 
Zusatz  zu  dem  Grundtext  aus  dem  Jahre  1215  (Lacomblet,  S.  334 
§  9;  MR.  ÜB.  II,  S.  407)  und  einen  andern  Zusatz  über  einen  Zins 
von  einem  Acker,  „qui  ager  in  nullo  fuit  utilis  archiepiscopo  usque  ad 
tempora  archiepiscopi  Theodorici,  qui  eundem  agrum  concessit  ad  colen- 
dum"  (Lacomblet,  S.  319  §  9;  MR.  ÜB.  II,  S.  399),  woraus  sich  er- 
gibt, dass  die  ursprüngliche  Aufzeichnung,  die  jenen  Acker  nicht  kennt, 
selbst  entstanden  ist,  ehe  infolge  von  Theoderichs  Konzession  es  zweckent- 
sprechend geworden  war,  den  Acker  mit  aufzuführen.     Natürlich  wissen 


I02  Der  Liber  annalium  iurium  archiepiscopi  Treverensis. 

wir  nicht,  ob  die  Konzession  bereits  in  Theoderichs  erstes  Regierungs- 
jahr fällt:  sonst  hätten  wir  als  terminus  ad  quem  das  Jahr   12 12. 

Dagegen  lassen  sich  die  Personennamen,  die  Lacomblet  weitere 
Anhaltspunkte  liefern,  seit  dem  Erscheinen  des  Mittelrheinischen  Ur- 
kundenbuches  noch  besser  nutzbar  machen.  Der  Archidiakon  Johannes 
und  der  Kantor  Cuno,  vor  denen  nach  einem  Zusatz  (Lacomblet,  S.  332 
§  6;  MR.  ÜB.  Bd.  II,  S.  406)  ein  mansus  übertragen  wird,  und  die 
Lacomblet  im  Jahre  12 12  nachweisen  konnte,  lassen  sich  jetzt  bis 
12 10  zurückverfolgen  (MR.  ÜB.  Bd.  II,  S.  483  f). 

Wichtiger  sind  die  beiden  Ministerialen  Walterus  de  Palatio 
nnd  sein  Neffe  Hermann,  die  im  Text  der  ursprünglichen  Aufzeichnung 
als  gemeinsame  Inhaber  eines  Beneficiums  aufgeführt  werden  (Lacomblet, 
S.  318  §  i;  MR.  ÜB.  Bd.  II,  S.  398  f.)  Da  Lacomblet  Walther  aus 
Urkunden  nur  in  den  Jahren  1 1 60 —  1 1 8 1  nachweisen  konnte,  so  lag 
schon  darin  ein  Grund,  den  „Liber"  nicht  wesentlich  später  anzusetzen, 
mochte  auch  Hermann  erst  1 2 1 2  vorkommen.  Nach  dem  sehr  reich- 
lichen Material^  das  jetzt  das  Mittelrheinische  Urkundenbuch  bietet,  tritt 
Walther  von  11 57 — 11 83  über  zwei  Dutzend  Mal,  d.  h.  ziemlich  jährlich 
einmal,  als  Zeuge  auf,  um  dann  völlig  zu  verschwinden;  während  sein 
Neffe  Hermann  von  1192  an  ebenfalls  sehr  häufig  erscheint.  Die  Be- 
zeichnung „Hermannus  frater  Walteri"  im  Register  des  zweiten  Bandes 
des  MR.  ÜB.  (S.  507)  ist  nicht  richtig.  Walthers  Bruder  Hermann 
kommt  zuletzt  1 157  vor  (MR.  ÜB.  Bd.  I,  S.  663).  Der  im  zweiten  Bande 
von  1192  an  so  oft  genannte  Hermann  wird  an  keiner  Stelle  als 
Walthers  Bruder  bezeichnet,  und  ebensowenig  Walther  noch  als  Bruder 
Hermanns.  Der  jüngere  Hermannus  de  Palatio  darf  also  mit  dem 
„fratruelis"  des  „Liber  iurium"  identifiziert  werden,  den  beiläufig  das 
Register  ebenfalls  zu  Walthers  Bruder  macht.  Danach  kann  man  den 
Liber  iurium  etwa  11 80 — 1190  ansetzen:  je  nachdem  man  annehmen 
will,  dass  Walther  noch  sieben  Jahre  nach  seinem  Rücktritt  von  den 
Geschäften  lebte;  oder  einen  Zeitpunkt  vorzieht,  wo  Hermann  wegen 
seiner  Jugend  noch  nicht  als  Zeuge  zugezogen  zu  werden  pflegte,  wohl 
aber  in  der  Güterbeschreibung  neben  seinem  Oheim  als  Lehnsberech- 
tigter  aufzuführen  war.  Die  Rechtsaufzeichnung  wäre  damit  um  30  bis 
40  Jahre  höher  hinaufgerückt. 

Ungefähr  aus  derselben  Zeit  aber  stammt  auch  ihr  Gegenstück,  die 
„Iura  et  institutiones  Treverice  civitatis  et  villarum  que  libere 
sunt  a  theoloneo". 

Max  Bars.  Erläuterung  dieser  „Iura  et  institutiones"  in  den  For- 
schungen zur  Deutschen   Geschichte,    Bd.    XXIV,  erheischt,  so  dankens- 


Die  Iura  et  insdtutiones  Trererice  dTiutis.  103 

wert  sie  seiner  Zeit  war,  heute  eine  eingehendere  Kritik,  als  ihr  bisher 
zu  teil  geworden.  Bär  schrieb  vor  dem  Erscheinen  der  von  Below- 
schen  Arbeiten  zur  Stadtverfassungsgeschichte  vrie  derer  von  Schröder, 
Schulte  und  Sohm  über  das  Marktrecht  und  es  kann  ihm  daher 
kein  Vorwurf  daraus  gemacht  werden,  dass  er  auf  dem  Boden  des  Hof- 
rechtes stand.  Dadurch  aber  wird  in  seiner  Abhandlung  nicht  bloss  die 
Lösung  des  Problems  des  Urspnmgs  der  Zünfte  alteriert  Denn  er 
scheint  überhaupt  nur  eine  Art  Herrschaft  auf  Seiten  des  Stadtherm 
und  nur  eine  Begründung  für  die  Leistungen  oder  Zahlungen  der 
Bürger  zu  kennen,  nämlich  das  Hofrecht,  Hinzu  aber  kommt,  dass 
sein  Datierungsversuch  der  genannten  Rechtsaufzeichnung  durchaus  un- 
genügend ist.  Paragraphen,  die  um  über  ein  Jahrhvmdert  auseinander- 
liegenden Epochen  angehören,  behandelt  er  als  gleichzeitige.  Vermöge 
dieser  doppelten  Vereinfachung  bringt  er  durchaas  heterogene  Dinge 
unter  einen  Gesichtspimkt.  Sehr  mit  Dank  zu  begrüssen  ist  dagegen, 
dass  er  fehlerhafte  Lesarten  Lacomblets  (in  dessen  Neuem  Archiv 
Bd.  I,  S.  258  ff.)  mehrfach  verbessert. 

Die  „Iura  et  institutiones  Terverice  civitatis"  sind  erhalten  in  einer 
Handschrift  aus  dem  dritten  Jahrzehnt  des  14.  Jahrhunderts  (Lacomblet, 
a.  a.  O.,  S.  298  f.).  Sie  folgen  in  dem  Kodex  auf  die  von  derselben  Hand 
aufgezeichneten  Gefälle  des  Palastes  zu  Trier  und  einer  Reihe  erzbischöflicher 
Domänen  aus  den  Jahren  1322  vmd  1323  und  mit  diesen  auf  den  soeben 
von  mir  den  Jahren  1 1 80 —  1 1 90  zugewiesenen  „Liber  annalixun  iurium  archie- 
piscopi  et  ecclesie  Trevirensis".  Die  Abschrift  einer  Urkunde  von  1285 
und  ein  undatiertes  Weistum  von  Lirschberg  machen  den  Schluss. 

Nim  hat  bereits  Bär,  S.  235  mit  Recht  darauf  hingewiesen,  dass 
§  19  der  „Iura  et  institutiones"  (bei  Lacomblet,  S.  267  f.)  mit  der 
Ueberschrift  „Hec  sunt  iura  domini  Palatini  vel  alius  advocati  in  villis 
circumiacentibus"  spätestens  1197  verfasst  sein  kann,  in  welchem  Jahre 
Pfalzgraf  Heinrich  die  Vogtei  niedergelegt  hat.  Er  irrt  jedoch,  wenn 
er  aus  den  Worten  „vel  alius  advocati"  eine  zweite  Kodifikation  folgert 
Solange  sonst  keine  Gründe  vorliegen,  ist  dieser  Zusatz  nur  dem  Ab- 
schreiber zuzuschreiben,  an  dem  Inhalt  des  Paragraphen  auf  keine  Ver- 
änderung zu  schliessen. 

Wichtiger  ist  ein  anderes. 

Bär  fährt  mit  der  Bemerkung  fort,  dass  somit  die  Möglichkeit 
nicht  ausgeschlossen  sei,  dass  auch  andere,  undatierte  Abschnitte  der 
„Iura  et  institutiones"  nicht  gerade  am  Anfange  des  14.  Jahrhunderts 
entstanden  zu  sein  brauchen,  erklärt  das  aber  für  die  Frage,  die  ihm 
vorli^;t,  für  unerheblich,  „weil  die  unsere  Materie  berührenden  An- 
gaben .      .  .  fast  ausnahmslos  datierte  Ueberschriften  tragen". 


I04  ^^^  I"'"^  ^t  institutiones  Tieverice   civitalis. 

Hier  eben  liegt  der  Fehler. 

Auf  den  Paragraphen  über  die  Rechte  des  Pfalzgrafen  oder  anderen 
Vogtes  folgt  ein  ganz  neues  Kapitel  mit  der  Ueberschrift:  „Hy  sunt 
census  d.  Archiepiscopi  secundum  quod  collecti  fuerunt  anno 
13 19".  Besser  gesagt,  eine  Rechtsaufzeichnung  für  sich,  die  gar 
nicht  zu  den  „Iura  et  institutiones"  gehört,  nur  in  der  Handschrift  un- 
mittelbar auf  sie  folgt.  Von  den  vorangehenden  „Iura  et  institutiones" 
aber  ist  gar  nichts  datiert. 

Wenn  man  also  sieht,  dass  die  in  sich  eine  geschlossene  Einheit 
bildenden  „Iura  et  institutiones"  mit  den  „Iura  d.  Palatini"  aus  dem 
Ende  des  12.  Jahrhunderts  schliessen;  dass  ihre  Bestimmungen  über  die 
Gewerbtreibenden  mit  denen  des  Kapitels  „Census  d.  Archiepiscopi"  von 
13 19  entweder  gar  keine  Berührungspunkte  haben,  oder  ihnen  wider- 
sprechen; dass  femer  in  dem  vom  20.  Januar  1322  datierten  ersten 
Nachtrag  zu  dem  „Liber  annalium  iurium"  die  Stelle  über  die  Heupflicht 
der  Bürger  auf  dem  Brühl  (vgl.  oben  Anm.  189;  „Iura  et  institutiones'' 
§  i)  als  „prout  in  libro  antiquo  domini  continetur"  angezogen  wird 
(Lacomblet,  Arch.  Bd.  I,  S.  378  §  12);  endlich  dass  zum  Ueberfluss  in 
dem  ganzen  Kodex,  mit  Ausnahme  der  notwendig  datierten  Urkunde 
von  1285,  nur  die  aus  dem  Anfange  des  14.  Jahrhunderts  stammenden 
Stücke  datiert  sind:  so  ergibt  sich  mit  vollendeter  Sicherheit,  dass  die 
ganzen  „Iura  et  institutiones",  wie  ich  sie  soeben  enger  abgegrenzt  habe, 
d.  h.  Lacomblets  §§  i  — 19,  nicht  in  den  Anfang  des  14.,  sondern 
spätestens  in  das  Ende  des  12.  Jahrhunderts  gehören,  in  die  Regierungs- 
periode der  Pfalzgrafen  von  1075 — 1197-  Es  müsste  denn  sein,  dass 
sich  einzelne  Zusätze  nachweisen  Hessen,  von  denen  ich  aber  durchaus 
keine  Spuren   entdeckt  habe. 

Dass  ein  Abschreiber  eine  ältere  Rechtsaufzeichnung,  die  nach  dem 
grössten  Teile  ihres  Inhalts  noch  in  Kraft  stand,  auch  in  den  Punkten 
unverändert  wiederholt  hat,  die  etwa  veraltet  waren,  und  nur  an  einer 
auffälligen  Stelle  die  nötige  und  leichte  Verbesserung  anbrachte,  wird 
niemand  befremden. 

Wie  mechanisch  man  bei  der  Abschrift  alter  urbarialer  Aufzeich- 
nungen zu  ^'erfahren  pflegte,  ergibt  sich  daraus,  dass  in  einer  nach 
Mittelrhein,  U.  B.  Bd.  II,  S.  391  etwa  um  1348  hergestellten  zweiten  Aus- 
fertigung des  „Liber  annalium  iurium"  jene  seit  loo — 150  Jahren  toten 
Ministerialen  Walterus  de  Palatio  cum  fratruele  suo  Hermanno  immer 
noch  als  Inhaber  jenes  Lehens  figurieren.  Und  doch  kopierte  der  Ab- 
schreiber nicht  gedankenlos.  Vor  Besserungen  im  Ausdruck,  Ersatz  alter 
Ortsnamenformen  durch  neue,  selbst  vor  einem  „ordo  quandoque  muta- 


Die  Iura  et  institutioncs  Treverice  civitatis. 


105 


tus"  ist  er  nicht  zurückgeschreckt.  Finden  wir  aber,  davon  abgesehen, 
diese  im  1 4.  Jahrhundert  gefertigte  Abschrift  in  genauer  Uebereinstimmung 
mit  ihrem  Original  aus  dem  12.  Jahrhundert,  so  sind  wir  gezwungen  eine 
ebenso  grosse  Uebereinstimmung  zwischen  der  ebenfalls  im  14.  Jahr- 
hundert gemachten  Abschrift  der  „Iura  et  institutiones"  und  ihrem  Original 
anzunehmen,  das  uns  nicht  mehr  vorliegt. 

In  einem  eigentümlichen  Insal  befindet  sich  auch  Schoop,  Ver- 
fassungsgeschichte von  Trier,  S.  Q3  f.  (Westdeutsche  Zeitschrift,  Ergänzungs- 
heft I;  wie  Bäis  Abhandlung  1884  erschienen).  Auch  er  folgt 
Lacomblet  in  der  Annahme  der  Abfassung  der  „Iura  et  institutiones" 
im  14,  Jahrhundert;  auch  er  sieht,  wie  Bär,  dass  die  Angaben  über 
die  Befugnisse  des  Pfalzgrafen  in  diese  Zeit  nicht  passen;  darüber  hinaus 
kennt  er  die  Stelle,  in  der  der  „Liber  antiquus  domini"  angezogen  wird; 
er  möchte  die  Abfassung  dieses  „Liber  antiquus"  in  die  Jahre  1 1 60  bis 
1170  verlegen,  die  Zeit  des  Streites  mit  dem  Pfalzgrafen  Konrad:  allein 
er  hält  den  „Liber  antiquus"  für  verloren;  denn  er  sieht  nicht,  dass  er 
ihn  eben  in  den  ,.Iura  et  institutiones"  vor  sich  hat. 

Trotzdem  gibt  Schoop  selbst  ein  weiteres  Mittel  zur  Datierung 
an  die  Hand.  Nach  ihm  (S.  145)  verschwindet  seit  dem  Anfang  des 
13.  Jahrhunderts  die  Bezeichnung  „burgenses"  für  die  Bürger  von  Trier 
vor  dem  Ausdruck  „cives":  nun,  „burgenses"  werden  sie  genannt  sowohl 
in  den  „Iura  et  institutiones"  (§§  i,  2),  wie  in  den  „Iura  camere  archi- 
episcopi"  (§  i).  Dagegen  wird  im  Eingang  der  „Iura  et  institutiones" 
§  I  der  Ausdruck  „cives"  für  die  Untertanen  des  Erzbischofs,  städtische 
wie  ländliche,  gebraucht,  wenn  es  heisst,  dass  der  Erzbischof  seinen 
^.cives"  fliessendes  Wasser  und  „Anhau"  zu  gewähren  hat,  wofür  „illi  de 
Manepach  et  hy  de  Herebüren  et  hy  de  Semou  et  hy  de  Ulmoit  et 
hy  de  Starchenberch"  die  Hälfte  des  Brühl  mähen,  von  dem  die 
„burgenses"  das  Heu  einfahren   (congregare). 

Schoops  Bemerkung  (S.  142),  dass  der  Triersche  Centurio  ur- 
kundlich zuerst  1272  nachweisbar  ist,  kann  gegen  ein  höheres  Alter  der 
„Iura  et  institutiones",  wo  derselbe  Beamte  (§§  i  und  5 — 7)  vorkommt, 
nicht  ins  Feld  geführt  werden.  Das  Amt  muss  ein  weit  älteres  sein. 
Es  ist  das  des  Hunnen  und  entspricht  dem  der  Centurionen  der  Dörfer, 
die  gleichfalls  dem  Gericht  des  Trierer  Schultheissen  unterworfen  sind 
(§§  4.  5'   18,   19). 

Auch  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben,  Bd.  II,  S.  3162  (vgl. 
auch  die  Anmm.  auf  S.  323)  hat  nicht  bemerkt,  dass  die  „Iura  et  institu- 
tiones" und  die  „Census  d.  archiepiscopi"  zwei  verschiedene  Rechtsauf- 
zeichnungen   sind.      Aus    seinem    Glauben  an  ihre  Einheitlichkeit  erklärt 


Io6  I^i^  Iura  et  Institutiones  Treverice  civitatis. 

sich  seine  Ansicht,  dass  zum  Verständnis  der  „umfassenden  Tarifierungen 
der  Iura  archiepiscopi  Treverensis",  wie  er  die  „Iura  et  institutiones 
Treverice  civitatis"  recht  ungenau  zitiert,  „eine  genaue  Untersuchung  der 
Verfassungsentwicklung  der  Stadt  Trier  von  nöten"  sei.  Darin  liegt 
immerhin  eine  Skepsis,  die  Bär  mangelt.  Aber  dadurch,  dass  diese 
Skepsis  nicht  zur  Kritik  vordringt,  entgeht  Lamprecht  diese  höchst 
interessante  Zollrolle  aus  dem  12.  Jahrhundert  für  seine  tarifgeschicht- 
lichen Untersuchungen.  Das  Verhältnis  zu  dem  Trierer  Tarif  vom 
6.  Januar  1248,  Mittelrhein.  ÜB.  Bd.  III  Nr.  932,  den  Lamprecht  be- 
spricht, hätte  sich  dann  auch  nicht  schwer  herstellen  lassen.  Warum 
man  in  diesem  „für  die  Summe  seiner  Auflagen  einen  zusammen- 
fassenden Namen  nicht  gefunden  hat",  im  Text  des  Tarifs  „nur  von 
»subscripta«  bzw.  »premissa«  die  Rede"  ist  (Lamprecht,  S.  315), 
hätte  sich  wie  einiges  andere,  was  Lamprecht  Bedenken  macht,  wohl 
aus  der  Urkunde  selbst  erklären  lassen.  Es  handelt  sich  darum,  dass 
die  Stadt  vom  Erzbischof  die  Erlaubnis  erhalten  hat,  zum  Ausbau 
der  Stadtbefestigung  ein  Ungeld  zu  erheben,  mit  strenger  Beschränkung 
auf  vier  Jahre.  Wenn  man  sich  nun  erinnert,  wie  widerwärtig  den 
Stadtherren  die  Erhebung  eines  Ungeldes  durch  die  Bürgerschaften  war, 
wie  jene  gerade  im  13.  Jahrhundert  das  äusserste  taten,  um  ein  Recht 
dazu  nicht  aufkommen  zu  lassen;  wenn  man  ferner  bedenkt,  wie  leicht 
das  einmal  gewährte  einen  dauernden  Rechtsanspruch  begründete:  so 
liegt  es  auf  der  Hand,  dass,  wenn  ein  Stadtherr  ausnahmsweise  sich 
veranlasst  sah,  zu  einem  bestimmten  Zwecke  die  Erhebung  einer  solchen 
Steuer  zu  genehmigen,  man  doch  um  jeden  Preis  den  Ausdruck  Un- 
geld und  jeden  ähnlichen  in  der  Urkunde  zu  vermeiden  suchte;  wodurch 
sich  denn  die  lahmen  Bezeichnungen  „subscripta"  et  „premissa"  aufs 
beste  erklären. 


VI.  Kapitel. 

Der  städtische  Ursprung  der  Gewerbeordnung. 
Maß  und  Gewicht. 


Als  Ergebnis  meiner  Untersuchungen  bis  zu  diesem  Punkte 
kann  ich  es  hinstellen,  daß  die  Erklärung  der  Zünfte,  ihrer  Ent- 
stehung und  ihres  Wesens  aus  dem  städtischen  Rechts-  und 
Wirtschaftsleben  allein  heraus  gefunden  werden  muß.  Diese 
Forderung  ist  nicht  neu^^i).  Wenn  aber  die  Lehre  von  dem,  im 
Gegensatz  zum  hofrechtlichen,  freien  Ursprung  der  Zünfte  nicht 
schon  zu  unbedingter  Herrschaft  gelangt  ist,  so  liegt  das  weniger 
an  einer  sachlichen  als  an  einer  methodischen  Schwäche.  Man 
hat  auf  die  Stabilierung  eines  bestimmten  juristischen  Prinzips 
nicht  Wert  genug  gelegt,  aus  dem  ihre  Entstehung  herzuleiten 
wäre. 

Freilich  hat  Sohm  wie  die  ganze  Stadt  Verfassung,  so  auch 
das  Gewerberecht  des  Mittelalters  aus  dem  Marktrecht  erklärt-"). 
Und    V.    Below    läßt   „die    Ordnung    des    Gewerbewesens,    also 
auch  des  Zunftwesens,  aus  der  Sorge  für  Maß  und  Gewicht  her-^ 
vorgegangen"  sein,  die  er  auf  Gemeindekompetenz  zurückführt  2^'). 


271)  Vgl.  u.  a.  auch  v.  Inamas  ursprüngliche  Anschauung,  oben  Anm.  7 
am  Schluß,  wobei  nur  in  dem  „sonst"  die  Kontamination  durch  Eberstadts  neue 
Lehren  zum  Ausdruck  kommt.  —  Auch  Geering,  Handel  und  Industrie  der  Stadt 
Basel,  S.  3,  sieht,  daß  ,,der  interne  städtische  Markt  ursprünglich  und  seinem  tiefsten 
Wesen  nach  öffentlichen  Rechtes"  war,  daß  er  „sich  deutlidj  als  Emanation  der 
öffentlich-rechtlichen  Stellung  des  Bischofs"  erweist  (S.  4).  Aber  im  Glauben  an  das 
Hofrecht  groß  geworden,  läßt  er  gleichwohl  den  Bischof  eist  nachträglich  im  10.  und 
II.  Jahrhundert  mit  dem  privaten  Hofrecht  brechen  (S.  2),  das  starre  Hofrecht  lösen 
(S.  3),  mit  der  Eröffnung  des  freien  Marktes  einen  Keil  in  das  Hofrecht  treiben,  an 
dem  es  verbluten  konnte  (S.  4).     Vgl.  noch  unten  Anm.  340. 

272)  Entstehung  des  deutschen  Städtewesens,  S.  88  f. 

273)  Ursprung  d.  d.  Sudtverfassung ,  S.  57  f.  Entstehung  d.  d.  Sudt- 
genieinde,  S.  71. 


Io8  Aemter  und  Zünfte. 

Allein  weder  die  eine  noch  die  andere  Erklärung  genügt  in 
jeder  Hinsicht.  Es  handelt  sich  dabei  nur  um  die  nachträgUche 
obrigkeitliche  Ordnung,  nachdem  man  die  Zünfte  selbst  aus 
freiem  Genossenschaftstrieb  hat  hervorgehen  lassen,  worauf  ihnen 
durch  die  Obrigkeit  die  zu  ihrer  Zweckerfüllung  unentbehrlichen 
Zwangsbefugnisse  verliehen  wurden  -'^^).  Mit  dem  „Prinzip  der 
freien  Einung",  dem  „lebhaften  Associationstrieb",  hat  man  es 
immer  noch  zu  leicht  genommen,  seiner  schöpferischen  Kraft  immer 
noch  zu  viel  zugetraut.  Das  haben  ohne  Zweifel  die  Anhänger 
der  hofrechtlichen  Theorie  herausgefühlt;  und  namentlich  ist  es 
wohl  die  Empfindung  dieser  Schwäche  bei  seinen  Gegnern  ge- 
wesen, die  Eberstadt  zu  seinem  neuen  Begründungsversuch 
und  seinem  Eiertanz  zwischen  „Hand  werker  verbänden  über- 
tragenen Rechts"  und  solchen  „eigenen  Rechts",  seinen  „Bruder- 
schaften", „Aemtern",  und  „Magisterien"  geführt  hat 2'^). 

Jene  Schwäche  wird  mit  einem  Schlage  deutlich,  sobald 
man  die  Straßburger  Handvverksämter,  deren  nicht  grundherr- 
lichen Ursprung  ich  im  vorigen  Kapitel  nach  so  manchem  Vor- 
gänger noch  einmal  erwnes,  nunmehr  von  dieser  Seite  ins 
Auge  faßt.  Für  Zünfte,  die  aus  freiem  Einungstriebe  sich  ge- 
bildet haben,  kann  sie  niemand  erklären  wollen  2^^).  Das  geht 
schon  deshalb  nicht,  weil  die  Zünfte,  wie  der  geschichtliche  Ver- 
lauf zeigt  und  wie  allgemein  anerkannt  ist,  in  jeder  Stadt  nur 
nach  und  nach  sich  auftun,  eine  nach  der  andern,  wie  das  Be- 
dürfnis bei  den  einzelnen  Gewerben  sich  meldet.  Hier  in  Straß- 
burg stoßen  wir  dagegen  im  12.  Jahrhundert  auf  eine  voll- 
ständige und  gleichmäßige  Organisation  der  gesamten  Hand- 
werkerschaft   der    Stadt  2")    und    sicher    nicht    als    auf    eine  neue 


274)  Mehr  meint  v.  Below  auch  an  der  zuletzt  zitierten  Stelle  (Stadtgemeinde, 
S.  71)  nicht:  „Die  Zunft  ist  ein  unter  Sanktion  der  Gemeindegewalt  errichteter  Zwangs- 
verband." Vgl.  Wörterbuch  der  Volkswirtschaft,  Bd.  II,  S.  978  b.  Ferner  Sohm, 
a.  a.  O. 

275)  Zunftwesen,  S.  3. 

276)  Gothein,  Wirtschaf tsgesch.  d.  Schwarzwaldes,  Bd.  I,  S.  23,  hält  die 
Einteilung  der  Straßburger  Handwerker  nach  Aemtern  für  eine  in  erster  Linie  mili- 
tärische Organisation  —  wegen  ihrer  Unterstellung  unter  den  Burggrafen  —  fühlt  aber 
selbst,  daß  er  damit  nicht  weit  kommt.  Einen  Versuch,  ein  festes  Verhältnis  zwischen 
ihnen  und  den  Zünften,  die  auf  freier  Einung  beruhen,  herzustellen,  macht  auch  er 
nicht.     Vgl.  auch  a.  a.  O.  S.  312  ff.   und  unten  Anm.  391. 

277)  Ein  fauler.  Einwand  würde  der  sein,  daß  man  nicht  wissen  kann,  ob  es 
außer  den  in  dem  Stadtrecht  genannten  organisierten  Handwerken    nicht    noch    andere, 


Die  weitere  Aufgabe.  lOQ 

Erscheinung,  auch  wenn  das  Stadtrecht  erst  Ende  dos  Jahr- 
hunderts aufgezeichnet  worden  sein  sohte-^^).  Sind  aber  diese 
„Aeniter"  hofrechthchen  Ursprungs  tatsächHch  nicht,  als  was  erklärt 
man  sie  dann?  Die  Lücke  ist  offenbar,  und  recht  bezeichnend  hat 
Croon  bei  seinem  Versuche  an  der  Hand  der  Nachrichten  aus 
einer  langen  Reihe  von  Stä«]ten  die  Entstehung  der  Zünfte  in 
jeder  einzelnen  zu  ergründen,  die  Straßburger  Aemter  ausdrück- 
lich ausgeschlossen  —  doch  offenbar  nur,  weil  er  mit  ihnen  nichts 
anzufangen  wußte,  weil  sie  in  sein  Schema  nicht  hineinpaßten  2^^). 
Und  dennoch  gehören  die  von  ihm  behandelten  Trierer  und 
Augsburger  Verbände  in  genau  dieselbe  Kategorie.  Sie  alle 
schweben  einstweilen  theoretisch  in  der  Luft. 

Hier  also  lieg^  die  weitere  Aufgabe:  hoffentlich  eine  weniger 
undankbare  als  die  in  der  Hauptsache  negativ  gerichtete,  die 
uns  soweit  beschäftigt  hat.  Wir  werden  aber  außerdem  ver- 
suchen müssen,  überhaupt  ein  etwas  lebensvolleres  Bild  von  den 
Anfängen  des  Zunftwesens  zu  gewinnen.  Man  hat  da  mit  gar 
zu  wenigen,  dürren  Begriffen  auskommen  zu  können  geglaubt. 
Man  hat  wohl  im  Prinzip  zugegeben,  daß  die  Entstehung  der 
einzelnen  Zünfte  hier  und  dort  durch  zufällige  Umstände  ver- 
schieden beeinflußt  worden  ist,  aber  der  ganzen  Mannigfaltigkeit 
des  Lebens  ist  man,  scheint  mir,  gerade  auf  dieser  Seite  durch- 
aus noch  nicht  gerecht  geworden. 

Bei  alledem  aber  zwingt  uns  die  Verschiedenheit  des  Stand- 
punktes zwischen  einigen  Vertretern  der  Lehre  von  der  freien 
Herkunft  der  Zünfte,  die  ich  vorhin  schon  andeutete,  noch  ein- 
mal an  eine  Untersuchung  über  die  Quellen  wichtiger  Funk- 
tionen des  städtischen  Lebens  überhaupt  heranzutreten:  über 
die  rechtlichen  Grundlagen  der  Tätigkeit  der  Stadtgemeinde 
und  ihrer  Organe. 


unorganisierte  gegeben  habe.  Die  Urkunde  läfk  keinen  Zweifel  darüber,  daß  alle  Ge- 
werbe der  Stadt  von  irgend  welcher  Bedeutung  der  gleichen  Organisation  unter- 
worfen waren,  nur  daß  nicht  alle  dem  Burggrafen  unterstanden. 

278)  Aus  dem  ,.sehr  hohen  Grad  der  Entwicklung"  des  Handwerks  mit 
Rietschel,  Deutsche  Zeitschrift  f.  Geschichtswissenschaft,  N.  F.  Bd.  I  (Vierteljahrs- 
hefte), S.  42',  auf  die  Spätheit  des  Straßburger  Stadtrechts  zu  schließen,  geht  aus 
später  zu  entwickelnden  Gründen  nicht  an.  Die  Organisation  der  Basler  bischöflichen 
Verwaltung  kann  man  nicht  als  Maßstab  verwenden.     Vgl.  unten  Kap.  VIII. 

279)  Entstehung  des  Zunftwesens,  S,  2'. 


IIO  Die  Gemeindebefugnisse. 

Darüber  herrscht  jetzt  ja,  dank  v.  Belowscher  Kritik,  Ein- 
stimmigkeit, daß  die  Stadtgemeinde  eine  Ortsgemeinde  ist,  in 
ihrem  rechtlichen  Wesen  identisch  mit  der  Landgemeinde.  Sie 
ist  eine  Realgemeinde,  nicht  eine  auf  gewillkürtem  Zusammen- 
treten ihrer  Mitglieder  beruhende  Personalgemeinde ^*°).  Daß 
die  meisten  Städte  im  inneren  Deutschland  erwachsen  sind  aus 
künstlich  geschaffenen  Ansiedlungen  von  Händlern  und  Hand- 
werkern, nicht  sich  allmählich  aus  bäuerlichen  Gemeinden  in 
bürgerliche  umgewandelt  haben,  ändert  daran  nicht  das  geringste  ^^), 
so  wenig  wie  eine  verschiedene  Größe  der  Allmende  oder  das 
Fehlen  oder  Vorhandensein  von  Ackerland  282),  Ebensowenig  ist 
Streit  darüber,  daß  der  Rat  das  Organ  eben  der  Gemeinde 
ist,  daß  aus  ihren  Befugnissen  daher  der  Kern  seiner  Befugnisse 
stammt.  Nur  sind  sie  in  der  Stadt,  gemäß  ihrem  reicher  ent- 
falteten Leben,  unvergleichlich  vielseitiger  geworden,  als  die  einer 
Landgemeinde  und  ihrer  Organe  es  waren   oder  je  sein  konnten. 

Jedoch  eben  diese  reiche  Entfaltung  muß  uns  warnen,  gar 
zu  einseitig  jene  sogenannte  Landgemeindetheorie  durchzuführen. 
Der  städtische  Rat  hat  häufig  genug,  wenn  das  auch  keineswegs 
zu  seinem  notwendigen  Wesen  gehört,  öffentlich-rechtliche,  ja 
landesherrliche  Funktionen  übernommen.  Eben  deshalb  können 
wir  nicht  alle  Aeußerungen  seiner  Tätigkeit  auf  die  Befugnis 
der  Ortsgemeinde  schlechthin  zurückführen. 

Erwägungen  solcher  Art  sind  es,  die  uns  zu  leiten  haben, 
wenn  wir   die  Rechtsquellen    der  Ordnung  des  städtischen  Wirt- 


280)  Eine  solche  würde  sie  ihrem  Ursprung  nach  sein,  wenn  eine  Gilde  ihr 
Ausgangspunkt  wäre.  In  den  französischen  Kommunen  kommt  das  Element  personaler 
Vereinigung  nachträglich  zu  dem  realen,  das  die  Ortsgemeinde  bereits  bot,  hinzu.  Vgl. 
darüber  meine  Besprechung  von  Hegel,  Städte  und  Gilden,  English  Historical  Review 
VIII,  S.  123  f..  und  meine  Auseinandersetzung  mit  Pirenne  und  seiner  Schule,  Neue 
Jahrbücher  f.  d.  klass.  Altertum,  Bd.  III  (i),  S.   296. 

281)  Deshalb  betont  auch  Rietschel,  dem  jener  Nachweis  (Markt  u.  Stadt 
in  ihrem  rechtlichen  Verhältnis)  verdankt  wird,  die  „begriffliche  Gleichstellung  von 
Stadt-  und  Landgemeinde",  a.  a.  O.  S.  163'.  Femer:  „Die  Funktionen  dieser  Stadt- 
gemeinde sind  begrifflich  dieselben    wie    die  Funktionen    der  Landgemeinde",    S.   162. 

282)  Das  Zurücktreten  der  Allmende  bei  der  Stadt  ist  ein  Punkt,  den  Uhlirz  in 
seiner  übrigens  wertvollen  Besprechung  von  v.  Belows  Arbeiten,  MIÖG.  Bd.  XV  (1894), 
S.  493,  mit  Unrecht  urgirt.  Unverständlich  ist  auch  sein  Satz :  „Dazu  kommt,  daß 
das  Wort  Landgemeinde  an  sich  einen  Gegensatz  zur  Stadtgemeinde  bezeichnet,  daß 
man  also  von  Landgemeinden  erst  nach  der  Ausbildung  der  Stadtgemeinde  sprechen 
sollte."  Wenn  es  vor  der  Entstehung  der  Städte  nur  Landgemeinden  gab,  warum  soll 
man  sie  nicht  so  nennen  ? 


Gemeinde  und  Staat.  III 

Schaftslebens  untersuchen.  Versteifen  wir  uns  hierbei  darauf,  daß 
der  Rat  das  Organ  der  Stadtgemeinde,  die  Stadtgemeinde  in 
ihrem  Wesen  der  I^ndgemeinde  gleich  ist,  zu  deren  Befugnissen 
aber  die  Ordnung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  gehört,  wie 
es  an  sich  ohne  Zweifel  wahr  ist:  so  müssen  wir  freilich  zu  dem 
Ergebnis  kommen,  daß  auch  die  Ordnung  des  Marktes,  sobald 
der  Rat  sie  in  die  Hand  nimmt,  die  Maß-  und  Gewichtspolizei 
und  die  Regelung  des  Zunftwesens  auf  dieser  Grundlage  beruhen. 
Sehen  wir  aber,  daß  unter  Umständen  auch  der  Staat  in  diese 
Dinge  eingreift,  so  ergibt  sich,  daß  wir,  ohne  vorhergehende  er- 
neute allgemeine  Festlegung  der  Beziehungen  von  Staat  und 
Gemeinde,  über  die  Geschichte  der  Ordnung  des  Zunftwesens  nichts 
wissen.  Jene  Festlegung  ist  daher  für  uns  Voraussetzung.  Die 
Zunftgeschichte  aber  will  in  ihrem  eigenen  Zusammenhange  be- 
trachtet werden;  von  ihrem  Standpunkte  aus  mögen  die  Funktionen 
jener  beiden  Potenzen  unter  neuen  Gesichtswinkeln  erscheinen: 
aber  sie  selbst  läßt  sich  nicht  der  Geschichte  der  Befugnisse,  sei 
es  nun  der  Gemeinde,  sei  es  des  Staates  a  priori  unterordnen. 

Zu  dem  Wesen  der  Gemeinde  gehört,  daß  sie  ein  eigenes 
Recht,  eigene  Befugnisse,  eigene  Organe,  kurz  Autonomie  besitzt. 
Ich  sage,  das  gehört  zu  ihrem  Wesen  und  es  beruht  darauf,  daß 
sie  nicht  eine  künstliche  Abteilung  des  Staates  ist,  wie  es  Pro- 
vinzen, Regierungsbezirke,  Kreise  sind,  an  deren  Spitze  er  eigene 
Beamte  mit  bestimmten  Aufträgen  stellt.  Der  Gemeinde  kann 
freilich  der  Staat  ebenfalls  eigene  Beamte  mit  von  ihm  bestimmten 
Befugnissen  vorsetzen;  aber  sie  bildet  eine  natürliche  Gemein- 
schaft —  auch  nicht  bloß  eine  historisch  gewordene,  wie  sie  etwa 
einer  Provinz  zu  Grunde  gelegt  werden  kann  —  bei  der  die 
Evidenz  der  unlöslichen  Zusammengehörigkeit  ihre  Mitglieder  in 
einzigartiger  Weise  zur  Selbstwahrung  ihrer  gemeinsamen  Inter- 
essen trotz  aller  möglichen  Eingriffe  des  Staates  geradezu  zwingt. 

Eben  hierauf  beruht  im  letzten  Grunde  die  für  die  Erkennt- 
nis der  älteren  deutschen  Rechtszustände  und  besonders  für  die 
Geschichte  der  Stadtv^erfassung  so  unermeßlich  bedeutsame  Gegen- 
überstellung von  Gemeindekompetenzen  und  öffentlichen  Kompe- 
tenzen, Gemeindegericht  und  öffentUchem  Gericht,  wie  sie  in 
seiner  fränkischen  Reichs-  und  Gerichtsverfassung  So  hm  durch- 
geführt hat.  Allein  doch  auch  in  diesem  Falle  läßt  das  lebendige 
geschichtliche  Leben  ein  starres  logisches  Festhalten  an  dem 
Gegensatz,  ein  mechanisches  Operieren  mit  den  Begriffen  nicht  zil 


112  Maß  und  Gewicht. 

„Man  kann  doch  nicht  sagen ,  daß  gewisse  Kompetenzen 
mit  dem  Begriffe  der  Gemeinde,  andere  mit  dem  der  Staats- 
gewalt ein  für  allemal  verknüpft  seien '-^^3)."  Denn  soweit  die 
Natur  keine  Schranken  zieht,  ist  die  Kompetenz  des  Staates  un- 
begrenzt. Das  Maß  der  Gemeindeautonomie  beruht  auf  Duldung, 
mag  nun  diese  Duldung  zu  ihrem  Grunde  haben  Anarchie  oder 
bewußte  Absicht  des  Staates '^^^).  Deshalb  kann  man  auch  sagen: 
die  Befugnis  der  Gemeinde  begreift  solche  Dinge  in  sich,  für 
deren  Handhabung  dem  Staate  das  Interesse  oder  die  Organe 
fehlen.  Der  Streit  aber  darüber,  ob  dies  und  jenes  prinzipiell  zu 
den  Kompetenzen  des  Staates  oder  der  Gemeinde  gehört,  er- 
innert einigermaßen  an  die  Diskussion,  ob  das  Marktrecht  von 
Hause  aus  ein  Regal  gewesen  sei.  Schöpfer  der  Märkte  war 
der  Staat  nicht  und  so  hat  es  denn  das  ganze  Mittelalter  hin- 
durch und  darüber  hinaus  Märkte  gegeben,  die  außer  aller  Beziehung 
zu  ihm  standen,  grundherrliche  und  die  bei  Kirchweihen  gehalten 
wurden,  von  denen  er  gar  keine  Notiz  nahm.  Aber  es  konnte 
der  Zeitpunkt  eintreten  —  und  er  trat  sehr  früh  ein  —  wo  ge- 
wisse Märkte  in  irgend  einer  Hinsicht  eine  solche  Bedeutung  an- 
nahmen, daß  für  sie  eine  staatliche  Regelung  unabw^eislich 
wurde. 

So  verhält  es  sich  auch  mit  dem  Inbegriff  der  Gemeinde- 
kompetenzen und  der  Frage,  die  uns  speziell  interessiert,  der  nach 
der  Regelung  des  Maß-  und  Gewichtsweseus. 

Georg  Küntzel  ist  es  gewesen,  der  zuerst  mit  durch- 
schlagendem Erfolge  die  Betätigung  des  altdeutschen  Staates 
auf  dem  Gebiete  des  Maß-  und  Gewichtswesens  erwiesen  hat  2^^). 
Indes  können  doch  auch  seine  Ausführungen,  so  dankenswert  sie 
sind,  noch  nicht  als  letztes  Wort  in  der  Frage  gelten.  Er  be- 
schäftigt sich  zu  ausschließlich  damit,  die  Theorie  von  der  ein- 
seitigen Kompetenz  der  Gemeinde  zu  widerlegen  und  das  Ein- 
greifen staatlicher  Gewalten  nachzuweisen,  ohne  zu  einer  historisch- 


283)  Meine  Untersuchungen  S.  210. 

284)  Unter  Anarchie  verstehe  ich  hier  nicht  nur  die  im  Gefolge  der  Auflösung 
eines  Staatswesens,  sei  es  durch  Krieg  oder  Revolution,  eintretende,  sondern  ebenso  gut 
die  primäre,  der  Ausbildung  des  Staates  vorangehende. 

285)  Ueber  die  Verwaltung  des  Maß-  und  Gewichtswesens  in  Deutschland 
während  des  Mittelalters  (Schmollers  Staats-  und  sozialwissenschaftliche  Forschungen, 
Bd.  XIII,  2,  Leipzig  1894).  Dazu  v.  Below  in  Zeitschrift  f.  Sozial-  u.  Wirtschafts- 
geschichte, Bd.  III,  S.  481  ff. 


Der  merowingische  Staat.  I  i  j 

sicheren  Abgrenzung  der  Wirkungskreise  beider  Potenzen 
durchzudringen. 

Im  fränkischen  Reiche  erwachte  ein  Interesse  des  Staates 
an  der  Regelung  des  Maß-  und  Gewichtswesens  unter  den  großen 
Herrschern  aus  dem  Arnulfingischen  Hause. 

Mögen  die  merowingischen  Könige  auch  als  Erben  aller 
Machtvollkommenheit  der  römischen  Imperatoren  auf  diesem  Ge- 
biete wie  auf  manchem  andern  zu  betrachten  sein;  und  mögen 
sie  in  den  von  ihnen  eroberten  Provinzen  ein  außerordentliches 
Beispiel  der  Eing^riffe  der  Staatsgewalt  in  alle  Gebiete  des  wirt- 
schaftlichen Lebens  vorgefunden  haben :  so  fehlt  es  uns  doch  durch- 
aus an  Nachrichten,  daß  sie  solchen  Aufgaben  gerecht  zu  werden 
auch  nur  versucht  hätten;  während  andererseits  der  allgemeine 
wirtschaftliche  wie  kulturelle  Niedergang,  der  die  ganze  mero- 
wingische Epoche  kennzeichnet,  auch  nicht  den  mindesten  Zweifel 
an  ihrer  Undurchführbarkeit  zuläßt  *^"''). 

Auch  dem  karolingischen  Staate  fehlte  es  an  zulänglichen 
Organen  und  Mitteln.  Durch  die  eindringende  Genauigkeit 
mancher  Bestimmungen  darf  man  sich  darüber  nicht  täuschen 
lassen.     Es  wiederholt  sich  hier  die  Erfahrung,  die  wir  schon  bei 


286)  Die  Stelle,  die  Küntzel  S.  10  aus  dem  Edikt  Chilperichs  über  „das 
alte  Herkommen  im  Gewichtswesen"  anführt,  ist  nichts  weniger  als  „ein  unzweideutiges 
Zeugnis'*.  In  Boretius  Kapitnlarienausgabe,  Bd.  I,  S.  10  §  11,  lautet  das  von 
Küntzel  mit  „tronica"  wiedergegebene  Wort  „tronia".  Die  Lesart  ist  zweifelhaft. 
Boretius  glaubt  an  eine  Korruption  von  „trustis"  und  vermutet  eine  Bestätigung 
des  Pactus  Childeberti  et  Chlotharü  pro  Tenore  Pacis,  a.  a.  O.  S.  ",  über 
die  Verfolgung  der  Räuber,  was  viel  für  sich  hat.  —  Verordnungen  für  Italien, 
mögen  sie  nun  von  Justinian  oder  von  Theoderich  erlassen  sein  (Küntzel,  S.  10'  u.  *), 
können  nicht  dienen,  da  sich  dort  noch  ein  unvergleichlich  höherer  Grad  wirtschaft- 
licher Kultur  erhalten  hatte.  —  In  Karls  des  Kahlen  Edictum  Pistense  von  864 
findet  sich  in  dem  Absatz  über  die  Bestrafung  der  Verwendung  unrechter  Maße  und 
Gewichte  die  Bestimmung:  „In  Ulis  autem  regionibus  in  quibus  secundum  legem 
Romanam  iudicantur  iudicia,  iuxta  ipsom  legem  committentes  talia  iudicentur;  quia 
super  Ulam  l^em  vel  contra  ipsam  legem  nee  antecessores  nostri  quodcumque  capitulum 
statuerunt  nee  nos  aliquid  statuimus  (Boretius-Krause,  Bd.  II,  S.  318  f.;  vgl.  Be- 
rufung auf  dieselbe  lex  bei  Münz-  und  Metallvergehen,  dort  S.  315  §  13,  S.  316  §  16, 
S.  320  §  23).  Das  römische  Recht  hatte  also  in  gewissen  Teilen  des  Reiches  auch 
in  dieser  Materie  andauernd  gegolten,  aber,  wie  sich  ziemlich  klar  ei^bt,  nur  in  for- 
maler Weise,  d.  h.  ohne  daß  die  Regierung  bis  dahin  seiner  Handhabung  Aufmerk- 
samkeit geschenkt  hätte.  Für  die  Lande  deutschen  Rechts  aber  —  und  das  ist  das 
Wesentliche  —  hatten  die  fränkischen  Könige  für  die  Ordnung  von  Maß,  Gewicht  und 
verwandten  Dingen  aus  dem  römischen  Recht  demnach  überhaupt  keine  Be- 
fugnisse entnommen. 

Keutgen,  Aeniter  und  ZQnftc.  ° 


114 


Maß  und  Gewicht. 


der  Würdigung  des  Capitulare  de  Villis  gemacht  haben 2*'"). 
Und  ein  volles  Eingeständnis  bringen  die  Klagen  der  Bischöfe 
gegenüber  Ludwig  dem  Frommen  vom  Jahre  829: 

De  mensurarum  namque  inaequalitate  et  modus  inuistis 
et  sestariis,  ....  qualiter  res  ad  certam  correctionem  per- 
duci  possit,  non  satis  perspicue  nobis  patet^**^). 

Die  während  zweier  Generationen  unermüdlich  festgehaltenen 
Bestrebungen  waren  also  erfolglos  geblieben:  man  konnte  es  sich 
nicht  länger  verhehlen,  daß  man,  wie  zu  Werke  zu  gehen  wäre, 
nicht  wußte.  Falsch  aber  ist  es,  hier  eine  „schon  unter  Ludwig 
dem  Frommen...  gar  nicht  mehr  zu  bekämpfende  Unsicherheit 
und  Verschiedenheit  der  Maße  und  Gewichte"  konstatieren  zu 
wollen  ^^'*).  Vergangen  war  freilich  die  idealische  Energie,  mit 
der  ein  Karl  zur  Ausrottung  ureingewurzelten  Mißstandes  sich 
stets  von  neuem  gegürtet  hatte.  Wären  aber  seine  Maßregeln 
zu  seinen  Lebzeiten  nur  irgendwie  von  Erfolg  gekrönt  gewesen, 
so  würden  unter  seinem  Sohne  die  Bischöfe  auf  ihn  vei wiesen, 
nicht  ihre  völlige  Ratlosigkeit  eingestanden  haben. 

Die  Bemühungen  Karls  des  Großen,  auch  auf  dem  Gebiete 
des  Maß-  und  Gewichtswesens  endlich  Ordnung  zu  schaffen, 
haben  etwas  unbeschreiblich  Großartiges.  Sie  sind  zu  verstehen 
nur  als  ein  Teil  der  ganzen  „karolingischen  Renaissance",  nicht 
einfach  als  fortgesetzte  Uebung  altüberkommener  Rechte,  über 
die  uns  nur  seit  jener  Epoche  die  Ueberlieferung  reichlicher  flösse. 
Andererseits  waren  sie  den  Zeiten  und  ihren  Möglichkeiten  weit 
voraus.  Die  Tätigkeit  der  Gemeinden  aber  auf  diesem  Felde 
—  und  neben  ihnen  die  anderer  lokaler  Gewalten  —  kann  man 
nicht  erst  als  im  Gefolge  des  Niederganges  und  Unterganges 
des  karolingischen  Weltreiches  eingetreten  betrachten. 

Die  karolingische  Gesetzgebung  hat  vielmehr  einen  Zustand 
lokaler  Betätigung  geradezu  zur  Voraussetzung.  Er  ist  es,  den 
sie  bekämpft.     Es  ist  unvorstellbar,  daß,  wenn  bis  zu  ihr  es  nichts 


287)  Vgl.  oben  S.   13  ff. 

288)  Boretius-Krause,  Bd.  II,  S.  44,6  ff.  Dazu  unten  S.  120. 

289)  So  Küntzel,  S.  13.  Schief  ist  es  auch,  wenn  er  S.  13  f.  ,,eine  aus 
dem  Interesse  der  allzu  selbständigen  Beamten,  vielleicht  auch  der  Gnmdherren  sich 
herleitende  Opposition",  die  sich  ,, unter  dem  schwächeren  Königtum"  ,,geregt"  hätte, 
für  die  allgemeine  Unsicherheit  auf  dem  Gebiete  des  Maß-  und  Gewichtswesens  ver- 
antwortlich machen  will.  Eine  so  vornehme  Charakterisierung  verdient  die  ganz  ele- 
mentare, eingefleischte  Ausbeutimg  der  Schwachen  nicht. 


Gebrauch  in  der  Frühzeit. 


"5 


Derartiges  gegeben,  wenn  sie  eine  unbeschriebene  Tafel  vor- 
gefunden, wenn  sie  Maße  und  Gewichte  erst  geschaffen  hätte, 
daß  dann  so  rasch  die  allgemeine  Anarchie  eingerissen  sein  sollte. 
Die  Anfänge  dieser  Dinge  liegen  eben  viel  weiter  zurück. 

Es  mag  ja  schwer  sein,  einen  genaueren  Einblick  zu  ge- 
winnen, inwieweit  in  ganz  einfachen  ländlichen  Verhältnissen,  in 
karolingischer  oder  vorkarolingischer  Zeit,  ein  Gebrauch  geaichter 
Maße  und  Gewichte  überhaupt  in  Frage  kam.  Gefehlt  haben 
kann  es  daran  jedoch  nirgends.  Es  war  nicht  etwa  irgend  ein 
Handelsaustausch  dazu  nötig.  Schon  als  der  „servus"  den 
Tacitus  kannte,  seinem  Herrn  „frumenti  modum"  entrichtete-^"), 
kann  es  ohne  eine  Bemessung  des  Maßes,  eine  noch  so  rohe 
Aichung  nicht  abgegangen  sein.  Ob  aber  hier  die  Willkür  des 
Herrn,  also  des  Grundherrn,  verfügte,  oder  ob  die  Gemeinde 
bestimmend  eingriff,  wie  wenn  die  Hörigen  allgemein  ihrem 
Schutze  unterstanden,  wissen  wir  nicht.  Jedenfalls  kann  nur  von 
der  Gemeinde  die  jährliche  Zumessung  des  Ackerlandes  an  die 
einzelnen  Mitglieder  ausgegangen  sein.  Und  spätestens  von  dem 
Augenblicke  an,  wo  man  zu  Dreifelderwirtschaft  und  dauernder 
Zuteilung  des  Ackerbodens  überging,  müssen  die  Seile  (repe), 
mit  denen  die  einzelnen  Ackerstreifen  abgemessen  wurden,  der 
Kontrolle  der  Gemeinde  unterstanden  haben  ^^i). 

Ob  diese  Gemeinde  aber  die  Völkerschafts-,  die  Gau-  oder 
die  Dorfgemeinde  war  oder  die  „Markgenossenschaft",  ist  prak- 
tisch von  keiner  Bedeutung:  wir  wären  sonst  zu  einer  Erörterung 
über  die  Anfänge  der  Völkerschaften  selbst  gezwungen.  Eine 
dauernde   Kontrolle    der    in    den    Einzelgemeinden    angewandten 

290)  Gennania   c.  25. 

291)  Ueber  Maßseile  und  Maßruten  in  althochdeutscher  Zeit  vgl.  auch  Grimm, 
Rechtsaltertümer-',  Bd.  II,  S.  67  f.  ('-*  S.  541).  Mit  den  im  dritten  Kapitel  der 
Einleitung  zu  den  Rechtsaltertümem  in  so  großer  Zahl  zusammengestellten  Belegen 
über  die  Verwendung  von  Xaturmaßen  ist  leider,  eine  so  anregende  Lektüre  sie  ge- 
währen, für  unsere  Zwecke  so  gut  wie  nichts  anzufangen.     Sie  tragen  nicht  einmal  die 

icwähr    der  Altertümlichkeit  in  sich,    wie  No.  23  der    ,,Vermisditen    Fälle"    beweist: 

./^wei    pipen    tobak    wit".     Mit   andern  Worten,    zu    solchen  natürlichen  Bemessungen 

Whantasiemaße  möchte  man  sie  nennen)  greift  das  Volk  immer  wieder,  auch  wenn  es 

sich    im  Ernst    der  Geschäfte    längst   genauer  Maße    bedient.     In    anderen  Fällen  wird 

Sf^r    für    das  ,,Naiur"meßwerkzeug  die  Größe  genau  bemessen:    B.  Berührung  No.  7 

..ein  recht  gemezzen  sper*';  No.  8  „eine  gleven  van  18  voeten**  und  „eine.gelave , 

die  sali  sin  16  voet  lank";  No.  ii  ,,ene  axe,  de  stiel  ener  ehien  lang";  No.  14  „mit 
einer  bylen,  dat  helf  einen  eilen  lang" ;  u.  s.  w.  Es  wäre  eine  gründliche  Sichtung 
vonnöten,  nach  Quellen  und  Verwendungsumständen. 


j  1 5  Maß  und  Gewicht, 

Maße  durch  die  Völkerschaft  war  ausgeschlossen.  Inzwischen 
hatte  die  Völkerschaft  aufgehört  zu  existieren  und  so  blieb  auf 
alle  Fälle  die  ganze  Angelegenheit  den  Händen  der  Dorf- 
gemeinden und  der  Markgenossenschaften ,  kurz  der  lokalen 
Körperschaften  überlassen,  neben  denen  bald  auch  die  größeren 
Fronhöfe  sich  eigenmächtig  bezeigten.  So  konnte  also  die  größte 
lokale  Verschiedenheit  nicht  ausbleiben.  Diesem  Zustande,  der 
unerträglich  erst  in  dem  Augenblicke  strafferer  staatlicher  Zu- 
sammenfassung wurde,  wollte  die  karolingische  Gesetzgebung  ein 
Ende  machen.  Allein  es  war  noch  viel  zu  früh:  die  historischen 
Mächte  waren  noch  viel  zu  stark. 

Der  Fehler  ist  eben  auch  hier,  daß  man  bei  der  Erörterung 
dieser  Dinge  auf  Grund  der  karolingischen  Kapitularien ,  trotz 
aller  Warnungen,  di6  das  Material  selbst  bietet,  fast  ausschließlich 
auf  die  Verwendung  von  Maßen  und  Gewichten  im  Handel  sein 
Augenmerk  gerichtet  hat-'*'^).  Die  Aichung  der  Maße  und  Ge- 
wichte für  den  Markt  war  indes  nur  ein  akuter  Fall.  Hier 
werden  im  Verkehr  zwischen  Händlern  und  Konsumenten  — 
denn  Händler  untereinander  sehen  sich  in  diesem  Punkte  selber 
vor,  wie  gegenüber  jeder  anderen  Art  von  Ueber vorteilung  — 
Betrügereien  freilich  oft  genug  vorgefallen  sein  und  kamen  am 
leichtesten  zu  öffentlicher  Kenntnis,  machten  am  lautesten  von 
sich  reden.  Allein  für  die  Masse  des  Volkes  standen-  sie  nach 
damaligen  Verhältnissen  an  Bedeutung  keineswegs  an  erster  Stelle. 

Der  handelspolizeiliche  Gesichtspunkt  steht  deshalb  auch  in 
den  Kapitularien  durchaus  nicht  im  Vordergrunde.  Es  handelt 
sich  vielmehr  in  erster  Linie  um  eine  Fürsorge  für  die  „Armen", 
wo  immer  diese  sich  gegen  einen  Mißbrauch  ungleicher  Maße 
und  Gewichte  durch  Mächtigere  nicht  zu  wahren  vermochten. 

Das  zeigt  schon  die  einzige  Verordnung  Pippins,  die  sich 
mit  diesen  Dingen  beschäftigt,  wenn  man  die  Stelle  vollständig 
zitiert.     Jeder  Bischof 

per    omnes    civitatis   legitimus    forus    et   mensuras    faciat 
secundum  habundatia  temporis-'*^). 

292)  Vgl.  Küntzel,  S.  11^:  ,,Aber  es  wird  dadurch  [das  unten  zitierte  Capi- 
tular  Pippins]  klar,  wo  man  eine  öffentliche  Beaufsichtigung  brauchte,  während  das 
Land  bei  dem  fast  gänzlich  fehlenden  Verkehr  vollkommen  in  den  Hintergrund  trat." 
Mit  dem  Verbrauch  von  Münzen,  worauf  Küntzel  sich  weiter  bezieht,  verhält  es  sich 
eben  durchaus  anders. 

293)  Capitulare  Suessionense  744,  März  2,  Boretius,  Bd.  I,  S.  30  §  6. 
Küntzel,  S.    n',  läßt  die  letzten  drei  Worte  weg. 


Verwendung  außerhalb   des   Marktverkehrs.  1 1  n 

Der  König  befiehlt,  daß,  je  nach  dem  Ausfall  der  Ernte, 
jeder  für  sein  Geld  sein  gerechtes  Maß  erhalten  soll:  von  der 
Verwendung  eines  gleichen  königlichen  Normalmaßes  in  allen 
Städten  ist  hier  so  wenig  die  Rede,  wie  von  einer  allgemeinen 
Einrichtung  von  Märkten  in  der  Art,  wie  es  etwa  später  durch 
die  Marktprivilegien  geschah. 

In  wie  mannigfacher  Weise  aber  im  Leben  der  Menschen 
damals  Maße  und  Gewichte  viel  häufiger  zur  Verwendung  kamen, 
als  in  irgend  einer  Form  des  Handelsverkehrs,  darüber  unter- 
richten uns  die  Kapitularien  an  verschiedenen  Stellen. 

Einmal  bei  der  Zahlung  von  Bußen:  da  haben  wir  eine  aus- 
gedehnte Verwendung  für  ein  legalisiertes  Maß  z.  B.  auch  unter 
den  einfachen  wirtschaftlichen  Verhältnissen  der  Sachsen -•'*). 

Sodann  bei  der  Entrichtung  aller  Arten  von  Abgaben  und 
Leistungen,  öffentlicher '^^^)  wie  privater '»^  und  kirchlicher-*^  in 
der  Lorm  von  Getreide.  Gerade  hier  belehren  uns  die  Kapitu- 
larien, wie  durch  Verwendung  ungleichen  Maßes  die  Schwächeren 
vergewaltigt  zu  werden  pflegten.  Und  hier  handelt  es  sich  um 
Dinge,  die  das  ganze  Volk,  auf  dem  Lande  noch  mehr  als  in 
der  Stadt,  und  in  seinem  regel massigsten  Lebensgange  trafen. 


294)  Capitulare  Saxonicum  vom  28.  Oktober  797  §  11  (Boretius,  Bd.  I, 
S.  72):  Umrecfaniuig  der  nach  solid!  bemessenen  Bußen  in  scapUi  Getreide  und  siglae 
Honig.     Vgl.  Lex  Saxonum   §  66,  MG.  LL.  V,  S.  83  f. 

295)  Z.  B.  Capitulare  Aquisgranense  801 — 813,  Boretius,  Bd.  I, 
S.  171  §  8 :  alle  Gerichtspflichtigen  sollen  den  beiden  Wolfjägem  der  Hundertschaft 
„modium  unum  de  annona"  liefern.  Femer  Darbietung  bestimmter  „modii"  Getränk 
an  die  Missi  und  Futter  für  ihre  Pferde:   Bd.  1,  S.  291   §  29  a.  819. 

296)  Es  genügt  der  Hmweis  auf  jegliche  Aufzeichnung  über  die  Einkünfte  von 
Klöstern  und  Kirchen.  Vgl.  aber  auch  die  folgende  Anm.  —  Uebrigens  kennt 
Küntzel  alle  diese  Verhältnisse  wohl,  wenn  er  sie  auch  falsch  bewertet.  Vgl.  oben 
Anm.  289. 

297)  Z.  B.  bei  Entrichtung  des  Zehnten.  Auch  die  Geistlichkeit  war  über  die 
Verwendung  falscher  Maße  und  Gewichte  durchaus  nicht  erhaben.  Concilium 
Moguntinum,   i.  Oct.  847,    Boretius-Krause,  Bd.  II,  S.    179  J?   13  (nach  Conc. 

Mc^.  von  813):     ,,De   clericonmi    vita    sive  monachorum pondera    iniusta  vel 

mensuras  habere".  Vgl.  auch  die  Verordnung  der  Führung  rechter  Malk  gerade  in 
Klöstern,  Admonitio  generalis  von  789  unten  S.  119.  Femer  Capitula  ad 
Lectionem  Canonum  et  Regulae  S.  Benedict!  pertinentia,  802,  Oct.  (?), 
Boretius,  Bd.  I,  S.  108  §  20:  .,De  pauperibus  hominibus  considerandum  est,  sub 
quali  mensura  censa  debeant  solvere  annua".  -  Vgl.  auch  noch  Brevis  Adalhards 
für  Corbie  (oben  Anm.  78),  S.  311  cap.  VI:  jährlich  sollen  750  Körbe  „de  spelta 
bene  ventilata  et  mundata"  einkommen,  „unusquisque  corbus  habens  modia  XII  bene 
coagitata  et  rasa,  ad  istum  novum  modium  quem  domnus  imperator  posuit". 


I  1 8  Maß  und  Gewicht. 

Wie  sehr  aber  gerade  diese  Verhältnisse,  die  zum  Handel 
in  keiner  Beziehung  stehen,  bei  der  Regelung  des  Maß-  und 
Gewichts  Wesens  den  Gesetzgeber  in  allererster  Linie  beschäftigten, 
das  zeigt  vor  allem  eine  merkwürdige  Stelle,  die  stets  als  ein 
besonders  schlagender  Beweis  für  die  Vorsorglichkeit  des  Staates 
für  Gerechtigkeit  im  Verkehr  angeführt  worden  ist.  Ich  spreche 
von  dem  Briefe,  den  Ludwig  der  Fromme  8i6  oder  817  an  die 
Erzbischöfe  seines  Reiches  —  unter  den  erhaltenen  Exemplaren 
befindet  sich  das  für  Arno  von  Salzburg  bestimmte  —  gerichtet 
hat  und  worin  er  bekannt  gibt,  daß  er  dem  Empfänger  Gewicht 
und  Maße  schickt 

secundum  quae  clericis  et  sanctimonialibus  panis  et  potus 
aequaliter  tribuenda  sunt  2^^). 

Also  deshalb,  damit  Kleriker  und  Nonnen  ihr  Deputat  an 
Brot  und  Trank  erhalten,  deshalb  muß  der  Kaiser  sämtlichen 
Erzbischöfen  geaichte  Maße  und  Gewichte  senden! 

Indes  darf  man  auch  die  Häufigkeit  der  Anlässe  zum  Ein- 
kauf und  Verkauf  gerade  von  Getreide  keineswegs  unterschätzen 
—  Transaktionen,  die  aber  nicht  als  auf  die  Märkte  beschränkt 
zu  denken  sind,  sondern  jedenfalls  auf  dem  Lande  unter  Nach- 
barn zu  gelegener  Zeit  auch  unter  der  Hand  stattfanden  -^^).  Auch 

298)  Boretius,  Bd.  I,  S.  342.  —  Demnach  war  es  also  neuerdings  not- 
wendig geworden,  auch  an  die  Erzbischöfe  Normalmaße  zu  versenden,  die  nebst  den 
Bischöfen  somit  regelmäßig  mit  der  Verwaltung  von  Maß  und  Gewicht  nichts  zu  tun 
hatten.  Die  mit  dieser  regelmäßig  betrauten  Beamten  —  „comes  et  rei  publicae 
ministri  ac  ceteri  fideles  nostri"  (Edictum  Pistense  §  20,  Boretius-Krause, 
Bd.  II,  S.  318)  —  scheinen  ihre  Maße  in  der  Pfalz  aichen  oder  von  dort  Normal- 
maße   sich    haben    kommen    lassen    müssen.       „Mensuram de    palatio    nosiro 

accipiant",  heißt  es  a.  a.  O. :  sie  werden  aufgefordert,  empfangen  nicht  ohne  weiteres 
wie  jene  Erzbischöfe.  Unten  Anm.  508.  Entsprechend  war  auch  nach  dem  Capi- 
tulare  de  Villis  §  9  für  die  Domänen-Amtmänner  das  Halten  von  Gemäßen,  wie 
sie  an  der  Pfalz  im  Gebrauch  waren,  Vorschrift.  Demgemäß  Brevium  exempla 
§  29  (Asnapium,  Boretius,  Bd.  I,  S.  255):  ,, Mensuram  modiorum  et  sestariorum  ita 
invenimus,  sicut  et  in  palatio".  Hier  wird  aber  auch  zweimal  das  Vorhandensein  von 
Getreide  „modii  ad  minorem  mensuram"  erwähnt  (S.  254  §  25) :  vgl.  dazu  unten 
Anm.   304. 

299)  Synodus  Francofurtensis,    794  Juni,    Boretius,  Bd.  I,  S.   74  §  4: 

i,ut  nullus  homo carius  vendat  annonam,  sive  tempore  abundantiae  sive  tempore 

caritatis"  etc.     ,,Si  vero  in  pan  evendere  voluerit"  etc.     Capitulare  Missorum  von 

Nymwegen,    806  März,    Boretius,    Bd.  I,    S.   132  §   18  (Hungersnot):   „si 

annonam  habuerit  et  venundare  voluerit,  non  carius  vendat"  etc.  —  Auch  von  den 
Domänen  wurde  Getreide  verkauft.  Boretius,  Bd.  I,  S.  74  §  4 :  ,,De  vero  anona 
publica  domni  regis,  si  venundata  fuerit"  etc.     Vgl.  Cap.  de  Villis,  oben  S.  56. 


Der  Kern  der  Gleichheitsforderung.  I  1  g 

die  Kunst.  Getreide  und  Wein  zur  Erntezeit  aufzukaufen,  um  es 
^ßät^Jjeuer  zu  verkaufen,  war  bereits  bekannt '"<'),  Jedoch  be- 
durfte man  zur  landesüblichen  Form  des  Wuchers  wiederum 
nicht  der  Intervention  des  Geldes:  man  borgte  Getreide,  um  ein 
grösseres  Quantum  zurückzuerhalten  ^'*^). 

Wenn  nun  aber  auch  aus  allen  diesen  Gründen  ein  gleiches 
Maß  und  gleiches  Gewicht  für  das  ganze  Reich  von  Karl  dem 
Großen  eingeführt  wurde,  so  blieb  doch  daß  wichtigste,  daß 
kein  Doppelmaß  von  den  einzelnen  verwandt  wurde.  Das  ist 
das  einzige,  was  sich  mit  Sicherheit  als  seine  früheste  For- 
derung in  diesen  Dingen  erkennen  läßt,  wenn  er  in  der  Ad- 
monitio  generalis  vom   23.  März  789  verlangt: 

§  74.  Ut  aequales   mensuras  et  rectas  et  pondera  iusta  et 

aequalia  omnes  habeant,  sive  in  civitatibus  sive  in  mona- 

steriis,   sive   ad   dandum    in  illis   sive  ad  accipiendum^*^-). 

Der  Nachdruck  liegt  auf  den  letzten  Worten,  die  die  ersten 

erklären  sollen.     Und  so  wird  man  auch  in  der  Folge  den  Kern 

der   stets   wiederholten    Forderung    gleichen  Maßes  und  gleichen 

Gewichtes  3°3)    in    der    Gleichheit   im    Geben   und  Nehmen    sehen 

müssen,    wenn     auch    die    versuchte    Einführung     gleichmäßiger 

Maße    und    Gewichte    für    das    ganze   Reich,    die   aber   erst    794 

stattfand,    dazu    die    einzig     zuverlässige     Grundlage     gewähren 

sollte  30*). 


300)  Boretius,  Bd.  I,  S.  132  §  17  (a.  806):  „Quicumque  enim  tempore 
messis  vel  tempore  vindeniiae  non  necessilate  sed  propter  cupiditatem  comparat  annonam 

aut    vinum et    servat    usque    dum    iterum    venundare   possit"  etc.     „Si    autem 

propter  necessitatem  comparat,  ut  sibi  habeat  et  aliis  tribuat"  etc.  Wenigstens  der 
Aufkauf  in  spekulativer  Absicht  wird  kaum  auf  öffentlichem  Markte  stattgefunden 
haben:  Bd.  I,  S.  152,  a.  809:  §  12  „De  illis  qui  ^-inum  et  annonam  vendunt  antequam 
colligantur  et  per  hanc  occasionem  pauperes  effidantur*'. 

301)  Boretius,  Bd.  I,  S.  132  §  11.  „Multiplicia  atque  innumera  usurarum 
genera"  werden  Bd.  II,  S.  43  §  54  gerügt. 

302)  Boretius,  Bd.  I,  S.  60.  —  Es  lag  daran,  daß  neben  Beamten  und 
Handeltreibenden  vor  allem  die  Grundherren  gerechte  Malie  besaßen.  Daher  die  Her- 
vorhebung der  Klöster.     Vgl.  oben  Anm.  297. 

303)  Vgl.  noch  Boretius,  Bd.  I,  S.  104  §  44  a.  802  (?) ;  S.  115  §  8  a.  803; 
S.  146  §  10  a,  803—813;  S.  174  §  13  a.  813;  und  die  folgenden  Anm^.  Femer 
Boretius,  Bd.  I,  S.   150  §  8,  a.  809:  S.   152  §  8  a.  809. 

304)  Im  Juni  794,  Frankfurter  Synode,  Boretius,  Bd.  I,  S.  74  §  4, 
ist  zuerst  von  dem  „modius  publicus  it  no\'iter  statutus"  die  Rede.  Vgl.  auch 
Capitulare  Missorum  von  Nymwegen,  März  806,  Boretius,  Bd.  I,  S.  132 
§  18:    ,,Et   ipsum    modium  sit,    quod  omnibus  habere  constitutum  est".     Es  versteht 


120  Maß  und  Gewicht. 

Besonders  auffällig  bestätigt  findet  sich  das  in  dem  Nym- 
wegener  Capitulare  Missorum  vom  März  806,  wo,  nachdem 
soeben  erinnert  ist,  daß  die  angesetzten  Teuerungspreise  sich 
von  dem 

modium,  .  .  quod  omnibus  habere  constitutum  est, 
verstehen,  der  Gesetzgeber  mit  der  Begründung  fortfährt: 

ut    unusquisque    habeat    aequam    mensuram    et   aequalia 

modia^'^s^. 
Dies  ist  der  Zweck:  das  „modium  constitutum"  nur  das  Mittel. 

Jene  ratlosen  Bischöfe  aber  unter  Ludwig  dem  Frommen 
beschränken  resigniert  ihre  Wünsche  überhaupt  auf  diesen  allein 
wesentlichen  Punkt: 

ut   saltem    nullus    duplices    mensuras   in    sua  dominatione 

aut  habeat  aut  haberi  permittat  ^o"). 
Und    bald    war    man    zufrieden,    wenn     im    öffentlichen    Verkehr 
wenigstens    an   jedem   Ort    ein    anerkanntes,    geaichtes    Maß    zur 
Anwendung  kam: 

mensura,   quae  publica  et  probata  ac  generalis  seu  legi- 

tima    per    civitatem    et    pagum    atque    vicinitatern 

habetur  30-). 


sich  jedoch,  angesichts  der  öffentlichen  Zahlungen  in  Getreide,  daß  es  ein  im  groben 
gleiches  Maß  bereits  gegeben  haben  muß.  Und  zwar  verhielt  es  sich  zu  dem  neuen 
wie  2  zu  3  :  Capitulare  Missorum  (802  ?),  Boretius,  Bd.  I,  S.  104  §  44:  „qui 
antea  dedit  tres  modios,  modo  det  duos".  Die  alten  lokalen  Abweichungen  waren 
natürlich  nur  lelative.  Die  Einführung  eines  ganz  neuen,  wesentlich  verschiedenen 
Maßes  aber  mochte  der  sicherste  Weg  scheinen,  mit  der  bisherigen  Verwirrung  aufzu- 
räumen. Daß  daneben  selbst  auf  den  Domänen  noch  das  alte  Maß  in  Gebrauch  blieb, 
darüber  vgl.  oben  Anm.  298.  —  Natürlich  ist  mir  wohlbekannt,  daß  die  Maß-  und 
Gewichtsreform  auch  zu  der  Münzreform  in  Beziehung  steht.  Bei  der  Durchführung 
der  Gleichheit  der  Maße  und  Gewichte  im  ganzen  Reiche  kommt  dieser  Gesichtspunkt 
jedoch  nicht  in  Frage.  Es  liegt  deshalb  auch  kein  Anlaß  zu  Auseinandersetzungen 
mit  Soetbeers  Untersuchungen,  Forschungen  z.  d.  Geschichte,  Bd.  I,  II,  IV  und  VI 
vor.     Vgl.  jedoch  unten  Anm.  307  am  Schluß  und  Anm.  311  ff. 

305)  Boretius,  Bd.  I,  S.    132  §   18. 

306)  Boretius  -  Krause,  Bd.  II,  S.  44,9.  Vgl.  oben  S.  114.  Wieder 
mit  der  Begründung:  „quoniam  hac  occasione  mullos  pauperes  adfligi  in  plerisque  locis 
cognovimus".  Vgl.  auch  Episcoporum  ad  Hludowicum  Imperatorem  Re- 
latio  circa  820,    Boretius,    Bd.  I,  S,  367  §  7  :     ,,Ut    aequales  mensurae  et  iuste  in 

omnibus    provinciis    imperii    vestri   sint Quapropter  diversitatem  mensurarum  in 

multis  pauperes  valde  gravantur.  Census  tamen  singularum  provinciarum  antiquitus 
constitutus  huius  rei  occasione  pauperibus  non  augeatur". 

307)  Capitulare  Septimanicum,  Juni  844,  Boretius-Krause,  Bd.  II, 
S.  256  §  2,     —    In   diesem    Zusammenhange    wäre    auch     das    Capitular  Lotbars    für 


Beschränkung  der  Ansprüche.  1 2  i 

Karl  der  Kahle  hat  noch  einmal  energisch  die  ganze  An- 
gelegenheit in  die  Hand  genommen.  Er  verlangt,  daß  die 
Diener  des  Staates  das  Maß  von  der  Pfalz  kommen  lassen.  Aber 
die  Gesichtspunkte  sind  wieder:  einmal,  daß  sie  nicht  von  den 
Zensiten  ein  zu  großes  Maß  verlangen;  dann,  daß  bei  Kauf  und 
\'erkauf  in  Stadt  und  Land  ein  gerechtes  und  gleiches  Maß  zur 
Anwendung  komme ^o«).  Daß  aber  der  Erfolg  ein  besserer  ge- 
wesen sei  als  unter  Karls  Großvater,  wird  niemand  glauben. 
Vielmehr  war  eine  weitere  Maßregel,  die  der  Sicherung  lokaler 
Gleichförmigkeit  zu  dienen  bestimmt  war  und  deren  historische 
Bedeutung  wir  sogleich  einsehen  werden,  nur  die  interlokale  Un- 
gleichheit zu  fördern  geeignet.  Ja  sie  mußte  sie  sogar  legali- 
sieren; und  auf  der  Kraft,  die  sie  als  karolingisches  Gesetz  be- 
saß, beruht  es,  daß  sie  auch  in  Deutschland  wirksam  wurde. 


Ehe  wir  dieser  Maßregel  aber  näher  treten,  ehe  wir  sie 
zu  würdigen  unternehmen,  müssen  wir  uns  noch  einmal  ver- 
gegenwärtigen, was  bei  dieser  ganzen  Untersuchung  über  Maße 
und  Gewichte  in  der  Frühzeit  sich  als  das  Wesentliche  darstellt: 
ein  Doppeltes. 

Erstens,  daß  die  größte  lokale  Verschiedenheit  der  Maße 
und  Gewichte  im  fränkischen  Reiche  bereits  in  vorkarolingischer 
Zeit  bestand  und  daß  sie  durch  die  karolingische  Gesetzgebung 
ganz  und  gar  nicht  hat  beseitigt  werden  können.  Zweitens  aber, 
daß  es  im  damaligen  täglichen  Leben  für  jeden  mittelbaren  wie 
unmittelbaren  Staatsbürger  regelmäßige  Anlässe  zum  Gebrauch 
von  Maßen  und  Gewichten  gab,  bei  denen  kein  Handelsaustausch 

Italien  vom  Februar  832  zu  erwähnen,  Boretius-Krause,  Bd.  II,  S.  63  (womit 
Boretius  das  von  Küntzel,  S.  14  noch  Ludwig  IL  zu  856  zugeschriebene  iden- 
tifiziert) §  3  :  „Ut  missi  nostri  per  singulas  ci\-ilates  mensuram  antiquam  inquirant,  et 
nemo  neque  emere  neque  vendere  praesumat  nisi  ad  ipsam  mensuram."  Dieses  alte 
Maß,  das  die  Missi  in  jeder  einzelnen  Stadt  durch  Liquisitions-Verfahren  feststellen 
sollen,  kann  trotz  Soetbeer,  FDG.,  Bd.  VI,  S.  79,  nicht  Karls  Reichsmaß,  sondern 
nur  das  alte  Ortsmaß  sein. 

308)  Boretius-Krause,  Bd.  II,  S.  318  §  20:  „provideant,  quatenus  >iustus 
modius  aequusque  sextarius«  secundum  sacram  scripturam  et  capitula  praedecessorum 
nostrorum  in  civitatibus  et  in  vicis  et  in  villis  ad  vendendum  et  emendum  fiat 
et  mensuram  secundum  antiquam  consuetudinem  de  palatio  nostro  accipiaot,  et  non  pro 
hac  occisione  a  mansuariis  vel  ab  his,  qui  censum  debent,  maior  modius,  nisi  sicut 
consuetudo  fuit,  exigatur".  —  Die  Bibelstelle  in  Anführungszeichen  ist  nach  S-  318'** 
aus  Leviticus   19,  36. 


1122  Maß  und  Gewicht. 

mitspielte,  und  daß  ihre  Verwendung  auf  dem  Markte  nur  einen 
ganz  speziellen  Fall  darstellt. 

Hiermit  ist  für  die  weitere  Entwickelung  ein  doppeltet 
Ausgangspunkt  gegeben:  es  ist  getrennt  zu  halten  die  Ver- 
waltung von  Maß  und  Gewicht  im  Gerneindeleben  und  ihre 
Verwaltung  auf  dem  Markte. 

Die  Städte  aber  sind  sowohl  Gemeinden  wie  Stätten  des 
Marktverkehrs.  So  ist  anzunehmen,  daß  für  sie  beide  Reihen 
■der  Entwicklung  von  Bedeutung  geworden  sind  und  es  fragt 
^ich  nur,  wie. 


Die  Maßregel  Karls  des  Kahlen  von  864,  auf  die  soeben 
angespielt  wurde,  nennt  als  die  regelmäßigen  Beamten,  denen  die 
Aufsicht  über  die  Maße  und  Gewichte  anvertraut  wird, 

comes  et  rei  publicae  ministri  ac  ceteri  fideles  nostri^'^'*). 
Unter  ihnen  aber  wird  jetzt  für  jede  Gemeinde,  einerlei  ob  in 
■Stadt  oder  Land,  eine  eigene  Behörde  eingesetzt,  die  die  unmittel- 
bare Aufsicht  (es  heißt  in  beiden  Phallen  „provideant")  auszu- 
üben hat: 

Et  ipsi  homines,  qui  per  villas  de  denariis  provi- 

dentiam  iurati  habebunt,  ipsi  etiam  de  mensura,  ne  adul- 
teretur,  provideant. 
Von   diesen  „homines"    war   schon    an    einer    früheren    Stelle   die 
Rede,  auf  die  das  Edikt  sich  bezieht.     Da  hieß  es  nämlich: 

§  8 Et    in    Omnibus   civitatibus   et   vicis   ac   villis, 

tarn  nostris  indominicatis  quam  et  in  his  quae  de  immu- 
nitate  sunt  vel  de  comitatibus  atque  hominum  nostrorum 
sive  cuiuscunque  sint,  per  omne  regnum  nostrum  a  iudi- 
cibus  nostris  et  ab  eis,  quorum  villae  sunt,  una  cum 
ministris  rei  publicae  secundum  quantitatem  locorum  et 
villarum  tanti  ac  tales  de  ipsis  incolis  et  inibi  manentibus 
constituantur,  qui  inde  providentiam  habeant,  ne  boni 
denarii  reiciantur  et  non  nisi  meri  et  bene  pensantes 
accipiantur^^°). 
Es  sind  also  durch  die  königlichen  Beamten  aus  den  Orts- 
•eingesessenen  . — 

de  ipsis  incolis  et  inibi  manentibus  ^^^), 


'■  309)  Boretius-Krause,  Bd.  II,  S.  318  §  20. 

310)  A.  a.  O.  S.  314. 

311)  Die    „inibi    manentes"    können    nicht    wohi    die    „sich    dort    aufhaltenden 
iremden  Kaufleute"  sein,  wie  Soetbeer,    FDG.,    Bd.  VI,    S.   10,    übersetzt.      Wahr- 


Einsetzung  von  Gemeindcaufsehcrn.  123 

also  nicht  etwa  aus  Ministerialen,  nicht  aus  Dienern  der  Beamten 
—  Körperschaften  zu  bilden,  von  verschiedener  Stärke  je  nach 
der  Größe  der  lokalen  Einheit  ^^'-).  die  wie  über  den  Umlauf  der 
Münze  (nicht  etwa  die  Prägung)  ^i^j,  so  auch  über  die  Verwen- 
dung des  Maßes, 

ne  adulteretur, 
die  unmittelbare  Aufsicht  ausüben  sollen.  Sie  sind  also  keine 
unmittelbaren  Staatsbeamten,  sind  selber  keine  „ministri  rei 
publicae"  •''**),  sind  auch  nicht  etwa  den  Münzerhausgenossenschaften 
an  die  Seite  zu  setzen  •'''5).  Vielmehr  lassen  sie  sich  nur  charak- 
terisieren als  Gemeindebeamte  mit  staatlichem  Auftrag, 

Diese  ihre  Eigenschaft  ist  bisher,  soviel  ich  sehe,  unerkannt 
geblieben  3 '6).     Ihre  Wichtigkeit   für   die   Erfassung   der   späteren 


scheinlich  dient  der  Ausdruck  nur  zur  Verstärkung.  Vgl.  noch  folgende  Stellen :  „in 
proprietate  manere"  und  „foris  m.",  Boretius,  Bd.  I,  S.  323  §  l,  §  2;  „sub  canonica 
vita  m.",  S.  230  §  44;  „per  veraces  homines  circa  manentes  per  sacnunentum  in- 
quirere",  S.  139  §  3;  ..sui  manentes,  qui  in  eadem  parohia  comanentes  sunt  (decimam 
donent)",  S.  336  §  8.  Feiner  „vel  ludei  vel  ceteri  ibi  manentes  negotiatores'' : 
Otto  I.  für  Magdeburg,  meine  Urkunden  Nr.  6.  —  Ebensowenig  handelt  es  sich  um 
..Sachverständige"  und  um  ,,Orte,  wo  ein  lebhafter  Verkehr  stattfindet".  Soetbeer 
hatte  eben  offenbar  auch  zu  sehr  Handelsverhältnisse  im  Sinne. 

312)  So  werden  die  Worte  „secundum  quantitatem  locorum  et  villanim  tanti 
ac  tales"  zu  verstehen  sein. 

313)  Irgend  eine  £invüi;kung  auf  die  Münzanstalten  und  Prägebehörden  haben 
sie  nicht,  wie  Soetbeer,  FDG.  Bd.  VI,  S.  10  („um  der  lokalen  Münzanstalt  u.  s.  w.'*) 
anzunehmen  scheint.  Der  Widerwille,  auf  den  die  neuen  guten  Münzen,  wie  schon 
nach  Kapitularien  Karls  des  Großen,  z.  B.  Boretius,  Bd.  I,  S.  74  §  5,  in  der  Be- 
völkerung stielen,  ist  vielmehr  dem  aus  Tacitus,  Germania,  c.  V,  bekannten  MüV 
trauen  der  Germanen  gegen  alle  außer  den  „serrati  bigatique"  zu  vergleichen.  Hier 
handelt  es  sich  nun  in  der  Tat  um  die  Benutzung  im  privaten  Kauf  und  Verkauf: 
„in  aliquo  negotio  emptionis  vel  venditionis",  Boretius  a.  a.  O.;  „aiium  denarium 
negotiandi  causa  protulerit",  Bd.  II,  S.  315  §  10,  Edictum  Pistense.  Wie  sollten 
<lie  „incolae"  auch  wohl  gegen  die  Beamten  voi^ehen  können?     Vgl.  noch  Anm.  315. 

314)  Diesen  werden  sie  ausdrücklich  gegenübergestellt:  vgl.  das  im  Text  folgende 
zu  Ed.  Pist.  §  9. 

315)  Soetbeer,  FDG.  Bd.  VI,  S.  14,  will  in  diesen  Bestimmungen  sowie  in 
den  ganz  verschieden    gerichteten    des    §    13    merkwürdiger\veise    die    „Grundlagen    der 

späteren Hausgenossenschaften  der  Münzer**  sehen.     Daß  auch  §  13  nicht  eine 

Mehrzahl    von    Münzem    an    einem  Ort    im  Auge    hat,    zeigt    ziemlich    deutlich  §   14: 

„unusquisque  comes suum  monetarium",  der  aber   immerhin  Gehülfen    gehabt 

haben  mag.     Vgl.  auch  Waitz^  Bd.  IV-,  S.  99. 

316)  Küntzel,  S.  22,  meint,  man  möchte  zu  diesen  Vertrauensmännern  die 
„Dorfvorsteher"  genommen  haben.  Das  ist  aber  ausgeschlossen:  einmal,  weil  es  sich 
nadi  dem  Wortlaut  in  jeder  Gemeinde  um  eine  Mehrzahl  handelt;   und  zweitens,  weil 


124 


Maß  und  Gewicht. 


Zustände  und  Beleuchtung  der  zwischenliegenden,  sonst  dunklen 
Entwickelung  braucht  indes  kaum  noch  betont  zu  werden. 

Kam  den  Aufsichtsmännern  nach  dem  Edikt  irgend  eine 
Gerichtsbarkeit  auch  nicht  zu  —  denn  die  Schuldigen  hatten  sie 
„ministris  rei  publicae"  anzuzeigen  ^^^)  —  so  lag  in  der  bloßen 
Polizei  doch  bereits  der  Keim  zu  sehr  weitgehenden  Befugnissen; 
und  zwar  Befugnissen,  die,  insofern  sie  sich  auf  Grund  eigener 
Tätigkeit  nach  und  nach  entfaltet  haben,  nur  als  autonome  zu 
bezeichnen  sind. 

Nur  vom  Grafen,  den  „rei  publicae  ministri  ac  ceteri  fideles 
nostri"  heißt  es  zwar,  daß  sie  das  Maß  nach  alter  Gewohnheit 
von  der  Pfalz  empfangen  sollen  s^*^). 

Allein  tatsächlich  mußte  es  doch  den  Aufsichtsmännern  zur 
Verfügung  stehen.  Diese  Verfügung  aber  wurde  eine  um  so 
freiere,  je  weniger  in  jeder  „villa",  jedem  „vicus"  ein  königliches 
Normalmaß  unterhalten  worden  sein  kann,  man  sich  also  mit 
Normalien  zweiter  Hand  begnügen  mußte.  Anderenfalls  wäre 
für  die  Maßanarchie  ja  keine  Stätte  gewesen.  Wie  soll  man  sich 
die  Sache  aber  sonst  vorstellen,  als  daß  die  Aufsichtsmänner  in 
den  Dörfern  dann  auch  die  Aichung  der  im  Besitz  Privater  be- 
findlichen Maße  besorgt  haben?  Die  Gemeindekompetenz  für 
die  Verwaltung  von  Maß  und  Gewicht  ist  damit  vollständig  er- 
reicht, wenn  auch  noch  keine  Gerichtsbarkeit. 

Jedoch  auch  zu  dieser  ist  der  Weg  nun  nicht  mehr  schwer 
zu  finden,  wenn  sie  gleich  erst  aus  der  nächsten  Epoche,  in  der 
nach  der  karolingischen  die  Rechtsquellen  zum  ersten  Mal  wieder 
reichlich  fließen,  belegt  ist. 

Aus  dem  Sachsenspiegel  wissen  wir,  daß  der  Bauer- 
meister das  Recht  hatte,  über  Maß-  und  Gewichtvergehen  bis  zu 
einer  Strafhöhe  von  drei  Schillingen  zu  richten,  vorausgesetzt, 
daß   es   nicht   „overnachtich   wirt   na  der   klage  ^^^)."     Was  dabei 

das  dann  einfach  ausgesprochen  sein  würde.  Damit  fallen  für  uns  seine  Betrachtungen 
über  die  Existenz  von  Dorfvorstehern  und  Dorfgerichten  in  karolingischer  Zeit. 

317)  Edictum  Pistense  §  9,  Boretius-Krause,  Bd.  II,  S.  314. 

318)  A.  a.  O.,  S.  318,  §  20.     Vgl.  oben  Anm.  298. 

319)  Küntzel,  S.  17,  will  dem  Bauermeister  des  Sachsenspiegels  nur  ein 
Gewette  von  6  Pf.  zubilligen.  Das  ist  zwar  sein  gewöhnliches  Gewette  (Landrecht,. 
Buch  III,  64  §  II);  aber  bei  Gericht  „over  unrechte  mate  unde  unrechte  wage"  verfällt 
das  höhere  von  3  s.  wie  bei  der  Lösung  von  Haut  und  Haar  (a.  a.  O.  und  Buch  II, 
13  §  i).  Oder  was  bedeuten  die  Worte:  „dit  selve  gerichte"  (Buch  II,  13  §  3)? 
Plancks   Definition  der  bauermeisterlichen  Gerich Isgewalt     (Das  deutsche  Gerichtsver- 


Der  Sachsenspiegel.  125 

zunächst  interessiert,  ist  die  Möglichkeit  eines  so  niedrigen  Straf- 
maßes bei  einem  Vergehen ,  auf  das  nach  der  karolingischen 
Ciesetzgebung  schlechthin  der  Königsbann  von  60  Schillingen 
stand.  Darin  ist  ein  wichtiger  Fingerzeig  für  den  Verlauf  der 
Entwickelung  in  dem  Sinne  einer  Differenzierung  gegeben.  Aus 
der  bloßen  Aufsicht  ist  eine  Gerichtsbarkeit  geworden,  auf  dem 
Wege  dahin  liegt  die  X'erwaltung;  aber  während  die  ursprüng- 
liche Aufsicht  unbeschränkt  war,  ist  die  zuerkannte  Gerichtsbar- 
keit eine  engbegrenzte,  eine  Begrenzung  eben  erst  eingeführt^*""). 

Das  also  wäre  in  groben  Strichen  die  Geschichte  der  Ver- 
waltung von  Maß  und  Gewicht  in  der  Gemeinde. 

Anders  aber  verlief  sie  an  jener  andern  Stelle,  wo  die  Ver- 
waltung eine  weit  intensivere  war,  auf  dem  Markte. 

Denn  warum  hat  sich  die  denselben  \"ertrauensmännern  aus 
der  Gemeinde  gleichzeitig  übertragene  Aufsicht  über  die  um- 
laufenden Münzen  nicht  zu  gleicher  Bedeutung  entwickelt?  Sehr 
einfach,  weil  auf  diesem  Gebiete  das  unmittelbare  Eingreifen  der 
..ministri  rei  publicae"  ihre  Tätigkeit  gar  nicht  erst  aufkommen  ließ. 

f.ahren  im  Mittelalter,  Bd.  I,  S.  1 1  -')  als  in  ihrer  Ausübung  vom  landrechtlichen  Sund- 
punkte aus  gleich  der  „eines  schiedsrichterlichen  Sühneverfahrens,  bei  dessen  Mißlingen 
die  eigentliche  Gerichtsgewalt  des  Landrichters  eintritt"  nach  Sachsenspiegel,  Landrecht, 
Buch  III,  8  b  §  I,  2,  paßt  nur  für  Fälle,  wo  die  Bauerschaft,  wie  a.  a.  O.,  selbst 
Partei  ist.  Ein  Doktrinarismus,  den  Küntzel  S.  17  mutmaßt,  ist  in  einer  Frage  von 
täglicher  praktischer  Bedeutung,  wie  die  Angabe  der  Höhe  des  Gewetles  des  Bauer- 
nieisters,  ausgeschlossen.  —  Falsch  ist  auch  Küntzels  Interpretation  (S.  18)  von  Ssp. 
Ldr.,  Buch  III,  79  §  2,  daß  danach  über  Fremde,  die  falsches  Maß  gaben,  das  Dorf- 
gerichi  nicht  kompetent  gewesen  wäre.  Es  steht  da  niu-,  daß  der  Auswärtige  nicht 
pflichtig  ist,  zu  antworten  „na  irme  sunderliken  dorprechte",  wohl  aber  ,,na  geme- 
neme  landrechte",  wozu  die  r^elmäßige  Kompetenz  des  Bauermeisters  natürlich  gehört. 
Sonst  würde  sie  nicht  im  Sachsenspiegel-Landrecht  behandelt.  Wie  das  „sonderliche 
Dorfrecht"  zu  verstehen  ist,  darüber  Pknck  S.  12,  den  Küntzel  offenbar  mißver- 
standen hat.  Es  gilt  davon  auch,  was  Eike,  Landrecht,  Buch  III,  42  §  2,  vom  Dienst- 
mannenrecht  s^.  —  An  Stelle  des  Begriffes  der  handhaften  Tat  tritt  bei  Maß-  und 
Gewichtsvergehen  der  des  „over^ündich"  sein  (Landr.,  Buch  II,  13  §  3),  insofern 
bereits  der  Besitz  falscher  Maße  und  Grewichte  ein  Delikt  konstituierte. 

319a)  Es  versteht  sich,  daß  dem  Bauermeister,  mochte  er  auch  zehnmal  Ge- 
meindebeamter und  Vertreter  der  Gemeindeautonomie  sein,  das  Maß  seiner  Befugnisse 
irgendwann  einmal  von  einer  höheren  Instanz  zugewiesen  worden  sein  muß.  Näheres 
wissen  wir  darüber  natürlich  nicht  Aber  wir  sehen,  daß  die  karolingische  Gesetz- 
gebung schließlich,  da  alle  anderen  Mittel  sich  als  ungenügend  erwiesen  hatten,  auch 
die  Gemeinden  ziu-  Selbsttätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Regelung  der  Maße  heranzc^; 
daß  man  aber  von  einer  Gerichtsbarkeit  der  Gemeindevorsteher,  wie  sie  der  Sachsen- 
spiegel kennt,  nichts  wußte.  Dieser  Fortechrilt  der  lokalen  Selbstregierung  muß  also 
in  die  Zwischenzeit  fallen. 


120  ^laß  und  Gewicht. 

Normalmaße  und  Normalg-ewichte ,  mochten  sie  noch  so 
schlecht  sein,  brauchte  man  in  jedem  Dorfe:  Münzstätten  gab 
es  dort  nicht.  Die  Münze  warf  einen  regelmäßigen  bedeutenden 
Gewinn  ab,  der  durch  die  häufigen  Münzverrufe  ins  ungeheuer- 
liche gesteigert  wurde:  die  Zahlungen,  die  etwa  für  Benutzung 
der  Normalmaße  auf  dem  Lande  zu  entrichten  waren,  bedeuteten 
wenig.  Darum  hielten  Grafen  und  Bischöfe  an  dem  Münzrecht 
fest:  die  Verwaltung  der  Dorfmaße  war  nur  eine  Last. 

Auch  ist  der  Modus  der  Kontrolle  ein  verschiedener.  Die 
Münze  wird  nicht  wie  ein  geaichtes  Maß  ein  für  allemal  aus- 
gegeben. Ihre  Prägung  in  regelmäßigen  Abständen  erheischt 
die  fortwährende  schärfste  Aufmerksamkeit  des  Münzherrn  und 
seiner  Beamten.  Die  Prägebehörde  war,  als  die  Münzen  sich 
immermehr  differenzierten,  allein  imstande,  eine  wirkliche  Kon- 
trolle auszuüben.  So  mußte,  während  dort  die  Aufsichtsbehörde 
auch  die  Verwaltung  an  sich  zog,  hier  vielmehr  der  Verwaltungs- 
stelle auch  die  Aufsicht  anheimfallen.  Es  waren  eben  überall 
lebendige  Kräfte,  die  den  Ausschlag  gaben,  nicht  juristische 
Prinzipien  oder  tentatorische  Gesetze. 

Wie  mit  der  Münze  verhält  es  sich  auch  mit  dem  Markte 
selbst  und  allen  übrigen  Zweigen  seiner  Verwaltung. 

Es  ist  bekannt,  wie  begehrenswert  Marktprivilegien  den 
Großen  des  Reiches  stets  erschienen  sind. 

Bei  all  den  Diskussionen  über  „Marktrecht",  „Marktbann", 
„Marktregal"  aber  haben  wir  meist  viel  zu  ausschließlich  an  die 
Wahrung  des  Marktfriedens  gedacht,  nicht  an  die  Verwaltung 
des  Marktes  selbst  —  an  etwas  Negatives,  nicht  an  das  Positive 
der  Sache. 

Ein  Hauptbestandteil  der  Marktverwaltung  aber  liegt  in  der 
Handhabung  von  rechtem  Maß  und  Gewicht  auf  dem  Markte. 
Wenn  ein  Markt  ohne  Münze  nicht  viel  Vitalität  besessen  hätte, 
so  würde  er  ohne  Berechtigung  zur  Maß-  und  Gewichtspolizei  über- 
haupt keinen  Sinn  gehabt  haben.  Auf  dem  Markte  allein  warf  auch 
sie  einen  namhaften  Gewinn  ab:  sei  es  in  Gestalt  der  Taxe,  die 
etwa  für  Benutzung  einer  öffentlichen  Wage  zu  entrichten  war; 
sei  es  in  der  der  Bußen,  die  von  abweichenden  oder  auch  nur 
ungenauen  Maßen  und  Gewichten,  selbst  bei  Ausschluß  be- 
trügerischer Absicht  in  ihrer  Benutzung,  notwendig  häufig  ver- 
fallen   mußten.     So    ist   denn    die    Aufsicht   über  Maße   und    Ge- 


Verwaltung  auf  dem  Markte.  I2T 

Wichte  ein  unveräußerlicher  Bestandteil  der  Marktverwaltung  und 
Marktgerichtsbarkeit  geblieben. 

Wir  haben  also  eine  zwiefache  Entwickelung  der  Maß-  und 
Gewichtsverwaltung:  eine  in  der  Gemeinde,  eine  auf  dem  Markte. 
Konnte  es  aber  dabei  bleiben?  Wie  gestaltete  sich  das  Ver- 
hältnis der  Stadtgemeinden  zu  den  städtischen  ^lärkten? 

Wir  müssen  uns  erinnern,  daß  von  Hause  aus  alle  Märkte 
schlechthin  periodische  sind. 

Auch  in  den  Städten  ist  und  bleibt  der  Markt  ein  perio- 
discher, mag  er  nun  Jahrmarkt  oder  Wochenmarkt  heißen.  Auch 
der  „tägliche  Markt",  der  eigentlich  hur  ein  täglich  gehaltener 
„Wochenmarkt"  ist,  wird  jeden  Morgen  eröffnet,  jeden  Abend 
oder  Mittag  geschlossen.  Noch  das  Reichsweistum  von  1218 
kennt  nur  Wochen-  und  Jahrmärkte,  obgleich  es  längst  Ort-^ 
Schäften  gab,  die  ebenfalls  als  „fora"  bezeichnet  wurden.  So  lag 
denn  auch  in  den  Städten  die  Aufsicht  über  Maße  und  Gewichte 
auf  den  Märkten  in  den  Händen  des  Marktherm ,  d.  h.  des 
Stadtherrn. 

Allein  wir  haben  schon  gesehen,  daß  Maße  und  Gewichte 
auch  unter  anderen  Verhältnissen  als  zu  Kauf  und  Verkauf  regel- 
mäßig zur  Verwendung  kamen.  Das  war  in  der  Stadt  nicht 
anders  als  auf  dem  Lande;  und  so  gehört  dieser  Zweig  der  Maß- 
verwaltung auch  in  der  Stadt  der  Gemeinde. 

Ein  solcher  Zwitterzustand  jedoch  konnte  nicht  bleiben,, 
wenn  auch  Reste  davon  sich  hier  und  da  erhielten.  Er  konnte 
uirj  so  weniger  bleiben,  eine  je  größere  Rolle  jetzt  die  „Kauf- 
leute" unter  den  Gemeindemitgliedern  zu  spielen  anfingen.  Mit 
ihnen  tritt  ein  neues  Element  in  den  Vordergrund. 

Es  ist  bereits  an  anderer  Stelle  nachgewiesen  worden  ^^o), 
wie  eben  in  jenen  frühen  Zeiten,  ehe  sich  der  feste  Begriff  eines 
Bürgerstandes  gebildet  hatte,  die  „Kaufleute"  für  sich,  für  ihre 
Geschäfte  die  Gültigkeit  eines  Sonderrechtes  in  Anspruch  nahmen, 
eines  Gewohnheitsrechtes,  das  sich  auf  Handelssachen  bezogt-*), 
für    das    die    „Kaufleute"    der    einzelnen    Städte    aber    auch    von 


320)  Mdne  Untersuchungen  S.   213  ff. 

321)  Vgl.  die  so  häufig,  auch  a.  a.  O.,  angezogenen  Worte  Notkers  des 
Deutschen:  „Xegotiale  ist  ter  stril"  u.  s.  w.  Piper,  Germanischer  Bücherschatz,. 
Bd.  VIII,   I,  S.  69;  meine  Urkunden  Nr.  74. 


128  Maß  und  Gewicht. 

Königen  und  Kaisern -^^z)  sowie  ihren  Stadtherren  ^^s)  Bestätigung 
erlangten.  Sie  entschieden  unter  sich  auf  dem  Markte  über  die 
Gültigkeit  von  Kauf  und  Verkauf.  Dabei  aber  mußte  die  Frage 
der  Richtigkeit  der  gebrauchten  Maße  eine  Hauptrolle  spielen: 
handelte  es  sich  doch  oft  um  auswärtige,  nach  denen  die  impor- 
tierten Waren  an  ihrem  Herkunftsorte  bemessen  worden  waren, 
also  nur  den  Kaufleuten,  nicht  aber  dem  Marktherrn  oder  der 
Ortsgemeinde  bekannte. 

Ab{?r  je  mehr  an  die  Stelle  des  beweglichen  ,, Kaufmanns" 
der  seßhafte  „Bürger"  trat,  der  Bürger  sich  vom  Fremden  schied, 
und  als  Kauf  und  Verkauf  auch  außerhalb  des  Marktes  mehr 
und  mehr  eine  Sache  des  täglichen  Lebens  geworden  waren,  ist 
schließlich  die  ganze  Marktverwaltung  in  die  Hände  der  bürger- 
Jichen  Behörde,  des  Rates  übergegangen.  Nur  die  wichtigsten, 
einträglichsten  und  auch  abtrennbaren  Zweige,  die  Münzver- 
waltung, den  Zoll  und  die  Friedensgerichtsbarkeit  behielten  die 
Stadtherren,  wenigstens  vorläufig,  noch  zurück. 

Ueber   die   einzelnen    Vorgänge  sind   wir  leider  so  gut  wie 
gar  nicht   unterrichtet.      Doch  läßt  sich  noch  ein    Uebergangszu- 
-stand  aus  der  Urkunde  Bischof  Friedrichs  von  Halberstadt  von 
1105  für  die  „cives  forenses"  erkennen,  wo  es  heißt: 

Ut  per  omnem  hanc  villam  in  illorum  potestate  et  arbi- 
trio  sicut  antea  consistat  omnis  censura  et  mensura  sti- 
pendiorum     carnalium   vendendo    et    emendo.      Et    quod 


322)  Alpert,  de  diversitate   temporum,    über    die  Kaufleuce    von    Tiel    (MG. 
■  SS.,  Bd.  IV,  S.  718  Nr.  20;  meine  Urkunden  Nr.   75):    „hoc  ab  imperatore    karta 

traditum  et  confirmatum  dicunt."  —  Privilegien  Konrads  II,  von  1038  und  Hein- 
richs III,  von   1042  für  die  Kaufieule  von  Quedlinburg  nach  dem  Muster  derer  von 

•Goslar  und  Magdeburg  (Janicke,  Urk.-Buch  d.  Stadt  Quedlinburg,  Bd.  I;  Ge- 
schichtsquellen d.  Provinz  Sachsen,  Bd,  II,  i,  Nr.  8,  Nr.  9;  meine  Urkunden  Nr.  78a; 
dazu  Bresslau,  Jahrbücher  unter  Konrad  II.,  Bd.  II,  S.  322^):    „et  ut    de   omnibus 

•que  ad  cibaria  pertinent  inter  se  iudicent".  Ferner  die  Bestätigung  Lothars  von  1134 
(Janicke  Nr,  10;  Urkunden  Nr.  78b),  wo  bereits  anstatt  „negotiatores"  ,, cives" 
steht  —  Vgl.  auch  die  Berner  Handfeste  Friedrichs  II.  von  1218  (Urkunden 
Nr,  134)  V  §  2:.,, Et  si  aliqua  disceptatio  tempore  fori  inier  burgenses  et  mercatores 
orta  fuerit,  non  stabit  in  meo  vel  rectoris  mei  iudicio,  sed  pro  cpnsuetudinario  iure 
mercatorum  et  maxime  Coloniensium  a  civibus  düudicetur." 

323)  Privileg  Abt  Eggehards  für  Allensbach  von  1075,  meine  Urkunden 
Nr.  99,  S.  62 :  „Ipsi  autem  mercatores  inter  se  vel  inter  alios  nuUa  alia  faciant  iudicia, 
praeterquam  quae  Constantiensibus,  Basiliensibus  et  omnibus  mercatoribus  ab 
antiquis  temporibus  sunt  concessa."  —  Urkunde  Bischof  Friedrichs  von  Halberstadt 

-von   I105  für  die  „cives  forenses'',  nächste  Anm. 


Verwaltung  in  der  Stadt.  I  20 

iuxta  rusticitatem  vel  vulgaritatem  lingne  „burmal"  vocant, 
ipsi    diligenter   observent.      Pondus   et    mensuram    equam 

faciant Si   quid   autem  natum   fuerit   questionis  et 

illicite  presumptionis  de  venditione  et  emptione  iniusta, 
ipsi  vel  quos  huic  negotio  preesse  voluerinl,  hoc  secun- 
dum  iustitiam  exigendo  diiudicent  et  corrigant'-*). 
Das  Burmal  ist  die  Versammlung  der  Bürger;  die  Stadt  Halber- 
stadt ist  wie  die  meisten  anderen  binnendeutschen  Städte  aus 
einer  Ansiedlung  von  „Kaufleuten"  hervorgegangen,  denen  eben 
hier  das  Privileg  erteilt  wird:  aber  die  eigentümlich  ineinander 
geschachtelten  Bestimmungen  weisen  auf  einen  Ursprung  aus 
verschiedener  Wurzel  und  das  Maß  der  Befugnisse  geht  über 
die  der  einfachen  Landgemeinde  hinaus  =^-^). 

Ganz  deutlich  jedoch  zeigt  den  ursprünglichen  zwiespältigen 
Zustand  das  Stadtrecht  von  Soest  aus  dem  12.  Jahrhundert'-^). 
Denn  während  >;  36  bestimmt: 

Si   quis   inventus    fuerit  habere  pondera   iniusta  vel  fiini- 
culos    iniustos,    mensurationes   iniustas    vini    et    olei,    hie 
vadiabit  in  domo  consulum  dimidiam  libram  burgensibus; 
lautet  §  37: 

Iniuste  mensurationes  et  mensure  corrigende  pertinent  de 
annona  et  de  cervisia  iudicibus  illisqui  dicuntur  „burrihtere" ' 
in  viculis  illis  qui  dicuntur  „ty". 

324)  G.  Schmidt,  Urk.-Buch  d.  Sudt  Halbersudt,  Bd.  I  (Gesdiichtsquellen 
d.  Provinz  Sachsen,  Bd.  VII,    i),  Nr.  4;  meine  Urkunden,  Nr.  Jjd. 

325)  Vgl,  Rietschel,  Markt  und  Stadt,  S.  65  ff.,  S.  71  ff.  Ich  bestreite 
also  nicht  etwa,  daß  das  burmal  nur  die  Versammlung  der  Marktansiedlung  war;  es 
war  also  nicht,  wie  ich  früher  angenommen  hatte,  die  einer  ursprünglichen  Bauerschaft 
Halberstadt,  deren  Fortdauer  neben  jener  Rietschel  nachweist.  Aber  die  Befugnisse, 
die  in  der  Urkunde  von  1105  den  „cives  forenses"  zugewiesen  werden,  sind  größere 
als  die,  die  ihnen  als  ,,buren",  als  Ortsgemeindemitgliedem  zukamen.  Hierin  ist  die 
Einwirkung  des  alten  kaufmännischen  Gewohnheitsrechts  zu  erblicken. 

326)  Ilgen.  Städtechroniken,  Bd.  XXIV,  S.  CXXIX— CXLII;  meine  Ur- 
kunden Nr.  139.  —  Ilgens  und  Hegels  Annahme  (vgl.  Ilgen,  S.  CXXII),  daß 
™'^  §  35  ^i"  neutr  Abschnitt  beginnt,  kann  ich  durchaus  nicht  beipflichten.  Die 
Uebertragung  der  Grundstücke  geschieht  vor  dem  Schultheißen;  deshalb  erhält  er  die 
..vorhure"  (§  33).  Mit  der  Einbeziehung  der  Zinse  (§  35)  hat  er  gewiß  nidits  zu 
tun,  umso  weniger,  als  er  auf  alle  Fälle  der  Richter  ist,  vor  dem  der  säumige 
..possesor'  sich  zu  rechtfertigen  haben  würde.  Eis  kann  nicht  der  geringste  Zweifel 
sein,  daß  gerade  die  §§  32 — 35  auf  das  engste  zusammengehören.  Die  übrigen  Ein- 
wände sind  erst  recht  Scheingründe.  In  §  22  vor  dem  Blutgericht  kann  der  Rat  gar 
nicht  ins  Spiel  kommen.  Ich  habe  deshalb  in  meinem  Abdruck  erst  nadi  §  52  einen 
Abschnitt  gemacht. 

Keutgen,  Aemter  und  ZQ&fte.  9 


I30 


Mass  und  Gewicht. 


Es  sind  dieselben  Richter  und  dieselben  „conventionalia", 
denen  nach  dem  jüngeren  Teile  des  Stadtrechtes  §§  6i,  62  auch 
das  Gericht  über  Diebstähle  bis  zu  izd.  und  Schulden  bis  zu  6d. 
zusteht'^-'),  alles  also,  abgesehen  von  den  Beträgen,  im  Einklang 
mit  den  Angaben  des  Sachsenspiegels-^'^**). 

Stehen  sich  also  in  jenen  Paragraphen  eine  alte  ländliche 
Gemeindekompetenz  und  eine  jüngere  bürgerliche,  wesentlich 
kaufmännischen  Ursprungs  gegenüber,  so  kommt  der  ursprüng- 
liche Anspruch  des  Marktherrn  darin  zum  Ausdruck,  daß  von 
dem  auf  dem  Rathaus  verhängten  Gewette  dem  Richter  ein  Dritt- 
teil zufällt •^'-•*).     Ebenso  gehen  in  Hannover,  wo 

magister  civium  corriget  omnes  indebitas  mensuras  sub 
pena  V  solidorum, 
ein  Dritteil  dieser  Buße  an  den  Vogt,  zwei  Dritteile  an  die 
Stadt;  es  sei  denn,  daß  der  Vogt  dem  Bürgermeister  zuvorkommt, 
so  daß  er  die  Sache  richtet  und  allein  den  Gewinn  davon  trägt  ■^■^^). 
Und  auch  in  Hamburg  fallen  von  den  Strafgeldern  für  un- 
gerechtes Maß  an  Bier,  Brot  und  Fleisch'^^^),  in  Landshut  beim 


327)  Hiermit  deckt  sich  auch  Dgens  Auffassung  der  „burrichter"  (a.  a.  O. 
S.  XCVIII).  Mit  der  auch  von  Rietschel  (S.  170)  übernommenen  Meinung  (Ilgen, 
S.  XXVIII),  \Vonach  die  Hoven,  deren  Gerichtsstätten  eben  die  „ty"  sind,  eine  künst- 
liche Einteilung  wären,  braucht  sie  nicht  in  Widerspruch  zu  stehen.  Nachdem  man 
die  ursprüngliche  Gemeinde  in  Teilgemeinden  zerlegt  hätte,  wären  den  Vorstehern 
dieser  Teilgemeinden  die  Befugnisse  üt)erwiesen  worden,  die  ursprünglich  der  eine  Bur- 
richter der  Gesamtansiedlung  besessen  hätte. 

328)  Oben,  S-.   124  f. 

329)  A.  a.  O.  §  36,  §  38.  —  Vgl.  auch  Planck,  Das  deutsche  Gerichtsver- 
fahren im  Mittelalter,  Bd.  I,  S.  34,  S.  150,  der  allerdings  das  Drittel  des  Richters 
nur  im  allgemeinen  als  Entschädigung  für  die  ihm  durch  die  konkurrierende  Rats- 
gerichtsbarkeit erwachsende  Einbuße  ansieht.  Demgegenüber  ist  jedoch  darauf  hinzu- 
weisen, daß  den  älteren  Stadtrechten  die  Teilung  in  das  Strafgeld  und  die  daraus  für 
die  Vergangenheit  zu  erschließende  oder,  wie  in  Hannover,  noch  bestehende  Kon- 
kurrenz eben  nur  bei  dieser  Materie  bekannt  ist.  Erst  nach  und  nach  hat  der  Rat 
seine  Konkurrenz  auch  auf  andere  Gebiete  ausgedehnt. 

330)  Grotefend,  Urkundenbuch  der  St.  Hannover  (Urk.-B.  d,  histor.  Vereins  f. 
Niedersachsen,  Bd.  V),  Nr.  iia;  Doebner,  Die  Städteprivilegien  Herzog  Ottos  des 
Kindes  (Hannover  1882),  S.  23:  Privileg  für  Hannover  von  1241.  Mit  Frensdorff, 
Hans.  Geschichtsblätter,  Jahrgang  1882,  S.  8^,  gegen  Doebner,  S.  12  f.,  sehe  ich 
keinen  Grund,  die  Fassung  A  zu  verdächtigen. 

331)  Privileg  Friedrichs  I.  vom  7.  Mai  1189;  meine  Urkunden  Nr.  104b 
§  7.  Dieser  Satz  steht  in  dem  echten  Privileg  des  Kaisers:  vgl.  Hasse,  Zeitschr.  d. 
Gesellschaft  f.  Schleswig-Holstein-Lauenburgische  Geschichte,  Bd.  XXIII.  S.  251 — 270. 


Die  Vielseitigkeit  der  MarktkontroUe:  Landshut.  Ijl 

Bier*«*)  zwei  Dritteile  an  die  Stadt,  ein  Dritteil  an  den  Richter, 
ohne  daß  in  diesen  Fällen  angegeben  wäre,  wer  das  Gericht 
abhält. 

So  stammt  aus  einer  dreifachen  Wurzel  die  Gerichtsbarkeit 
les  Rates  über  unrechte  Maße  und  Gewichte.  Der  wichtigste 
Strang  aber  ist  der,  der  in  sich  schloß  das  Gericht  über  unrechten 
Kauf  und  unrechten  Verkauf  und  die  Kontrolle  der  feilgebotenen 
Waren.  Man  mag  diese  mit  v,  Below  speziell  an  die  Sorge  für 
Maße  und  Gewichte  anknüpfen'««)  oder  nicht:  jedenfalls  bildet 
auch  sie  einen  notwendigen  Bestandteil  der  Marktverwaltung. 
Der  Erlaß  von  Bestimmungen  über  die  Schwere  des  feilgebotenen 
Brotes,  die  Frische  des  Fleisches,  über  die  Breite  der  Tuche, 
über  Fadenzahl  und  Fadenstärke  ihres  Zettels  und  ihres  Ein- 
schlages läßt  sich  sehr  wohl  als  eine  feinere  Anwendung  der 
Maß-  und  Gewichtspolizei  charakterisieren,  während  der  Streit 
zwischen  Käufer  und  Verkäufer  über  die  Richtigkeit  der  ge- 
lieferten Ware  unmittelbar  vor  das  Marktgericht  gehört. 

Mit  der  Warenschau  aber  sind  w^ir  zugleich  bei  der  Auf- 
sicht über  das  Handwerk  angelangt.  Denn  man  mag  welche 
Marktordnung  man  will  nehmen:  überall  finden  sich  diese  vier 
Bestandteile,  Kontrolle  von  Maß  und  Gewicht,  Preisbestimmung, 
Warenprüfung,  Beaufsichtigung  der  Handwerker,  auf  das  innigste 
verflochten.  So  ist  es  in  dem  Edictum  Pisten se*«^);  so  ist  es 
noch  vier  Jahrhunderte  später  in  der  Marktordnung  Herzog 
Heinrichs  I.  von  Xiederbayern  für  Landshut  vom  Jahre  1256, 
auf  die  ich  als  auf  ein  glänzendes  Beispiel  für  die  Vielseitigkeit 
dessen,  was  unter  den  Begriff  der  Marktverwaltung  fiel  —  und 
nicht  etwa  erst  unter  der  wohlausgebildeten  Fürsorge  des  städti- 
schen Rates  —  hier  noch  besonders  hinweise  ^2^).  Diese  herzog- 
liche Marktordnung  enthält  nicht  nur  marktfriedenspolizeiliche 
Bestimmungen  3«^)   und  (zweitens)  Verbote   gewisser   Formen    des 


332)  MG.  LL.  Sectio  IV  Constitutjones  Bd.  II  Nr.  439;  meine  Urkunden 
Nr.  231   §   16.     Die  Stadt  erhält  60  d.,  der  Richter  28. 
333>  Vgl.  oben  S.  7. 

334)  Vgl.  oben  S.  43  f;  .,per  denamtas,  per  sextaria  vendere";  ,,adulterare  et 
minuere";  ,,tantos  panes  de  iusto,  de  aequo  modio";  „a  pistoribus,  quj  panem  ven- 
duni,  fieri  faciant". 

335)  Weiland,  MG.  Constitutiones  II  Nr.  439.     Meine  Urkunden  Nr.  231. 

336)  §  I  Verbot  des  Tragens  der  Schwerter,  Gnippen  und  schädlichen  Messer; 
§  20  der  „lotrici  et  vagi  scolares".     Vgl.  auch  §   18  und  §  21. 

9* 


»32 


Mass  und  Gewicht. 


Handels  337)^  sondern  (drittens)  auch  Preistaxen  und  Fixierungen 
des  zulässigen  Gewinnes  ^^^)  und  (viertens)  Vorschriften  über  die 
Beschaffenheit  und  Herstellung  der  verschiedensten  Waren ''^^). 


337)  §  'O  Verbot  des  Aulkaufes  der  Waren,  ehe  sie  den  Markt  erreichen  und 
der  Käufe  der  Pfragner  in  der  Stadt;  §  6  des  Aufkaufes  von  Unschlitt  in  der  Stadt 
zur  Ausfuhr;  §  17  des  Vei Steckthal tens  gefangener  Fische:  §  4  der  Wucherer,  Vor- 
käufer und  der  ,,societates  que  vulgo  diaintur  einung". 

338)  §  2  Preis  des  grauen  Tuches;  §  5  des  Rind-,  Schaf-  und  Ziegenfleisches; 
§  6  des  Unschlitts;  §11  der  Würste;  §  13  des  Brotes;  §§  14—16  von  Wein, 
Met  und  Bier;  §  22  der  Gewebe  aus  Werch,  ausgekämmter  Wolle  und  Flachs 
(„rupfein,  achambin,  herwein'');  §  23  für  das  Vorbeschuhen  und  Besohlen.  §§  7 — 9 
über  den  zulässigen  Verdienst  der  Futterhändler,  Pfragner  und  Krämer.  Beim  Bier 
wird  der  Preis  der  Brauer  und  der  der  Schankwirte  unterschieden :  §   1 6. 

339)  §  2  Festsetzung  der  Breite  des  grauen  Tuches;  §  3  Bestrafung  der  Walker 
und  Weber  „contra  iusticiam  follentes"  oder  ,,texentes";  §  11  Vorschrift  über  die 
Herstellung  der  Würste;  §  12  über  den  Verkauf  minderwertigen  Fleisches;  §  13  über 
die  Bäckerei;  §  14  Unterscheidung  verschiedener  Weinsorten  und  Verbot  der  Mischung; 
§§   14 — 16  Maßvorschriften;  §  19  über  die  Herstellung  der  Maße  durch  die  Becherer. 


VII.  Kapitel. 

Der  flarkt  und  die  Aemter. 

Es  ist  ein  Kardinalfehler  gewesen,  daß  man  bei  der  Frage 
nach  dem  Ursprung_der_städtischen  Ge\Ygrhgordrmng,  die  die 
nach  der  Entstehung  der  Zünfte  in  sich  schließt,  sein  Augenmerk 
stets  vorzugsweise  auf  die  manufaktorische  Seite  gerichtet  hat. 

Freilich  beruht  ja  auf  der  Handarbeit  das  eigentliche  Wesen 
des  Handwerks,  das  bei  Beteiligten  wie  Zuschauern  zuerst  und 
am  anhaltendsten  die  Aufmerksamkeit  fesselt:  nicht  die,  die  ein 
gewisses  Produkt  an  den  Mann  bringen,  sondern  die,  die  ein 
Handwerk  „können",  fühlen  sich  als  Genossen.  Bei  dem  Krämer, 
der  etwa  die  gleiche  Ware  führt,  sind  nicht  nur  die  Aeußerlich- 
keiten  seines  Berufs,  sondern  auch  die  Produktionsbedingungen 
andere  als  bei  dem  Handwerker;  und  er  erscheint  auch  deshalb 
nicht  als  ein  auf  derselben  Bahn  Mitwerbender,  sondern  als  feind- 
licher Konkurrent. 

So  war  das  Versehen  verständlich,  und  es  lag  noch  näher, 
so  lange  allgemein  die  hofrechthche  Theorie  herrschte.  Hier 
eben  rächt  es  sich,  daß  diese  ausging  von  der  Arbeit  für  den 
Herrn,  \-on    dem    gebundenen  Handwerker,    für  den   ein  „Ueber- 


gang  zur  Arbeit  für  den  Markt"  erst  konstruiert  werden  mußte. 
Der  wirtschaftlich  freie  Handwerker  dagegen  ist  von  vorn- 
herein  „mercatqr".  Die  Anschauung,  daß  das  freie  Handwerk 
anfangs  wesentlich  „Kundenarbeit"  gewesen  sei,  ist  eben  so  falsch, 
wie  die,  die  es  für  .JLchnwerk"  ausgeben  möchte.  Die  Arbeit 
für  den  Markt,  für  unbekannte,  erhoffte  Käufer,  ist  vielmehr  von 
Anfang  an  das  Charakteristikum  des  deutschen  Handwerks.  Wer 
das  nicht  begreift,  dem  muß  jedes  Verständnis  für  die  Rolle,  die 
die  „mercatores"  in  den  Anfängen  des  deutschen  Städtewesens 
gespielt  haben,  verschlossen   bleiben.     Eben   als  „mercator"  aber 


IXd.  Der  Markt  und  die  Aemter. 

unterliegt    auch    der    Handwerker    Her    Warenkontrnllp    auf  dem 
Markt. 

Denn  das,  worauf  es  der  Behördfi  ankommt  —  sei  diese 
der  alte  Marktherr  oder  spätei^der  Rat  —  ist  nur,  daß  das 
fertige  Erzeugnis  ihren  Anforderungen  entspricht,  daß  das  Publi- 
kum erhält,  was  es  braucht.  Hier  dreht  sich  in  der  Tat  alles 
um  das,  was  zum  Austausch  kommt,  darum,  daß  dieses  richtig, 
vollwertig  ist:  kurz  es  handelt  sich  bei  der  Kontrolle  auch  des 
Handwerks  allein  um  die  Ware^^^^^*). 

Damit  ist  aber  die  Zurückführung  des  ganzen  Systems  der 
Gewerbeordnung-  auf  die  Marktordnung  bereits  gegeben. 

Eben  hierbei  zeigt  sich  die  ausschlaggebende  Bedeutung 
jenes  Gesichtspunktes,  den  wir  in  allem,  was  den  Markt  betrifft, 
bei  keinem  Schritte  außer  Augen  lassen  dürfen,  des  Gesichts- 
punktes nämlich,  daß  jeder,  auch  der  städtische  ^arkt,  nur  ein 
.periodischer  ist.  Denn  gerade  daraus  folgt  ohne  weiteres,  daß 
auch  .bei_der_KpntrQlle  der  auf  dem  Markte  feilbietenden  Hand- 
werker es  sich  schlechterdings  nur  um  eine  Prüfung  der  feil^ 
gebotenen  "Ware  handeln  kann.  Denn  der  periodische  Markt 
kennt  nur  Händler  und  Waren.  Wie  die  Waren  entstanden  sind, 
entzieht  sich  seiner  Kenntnis. 


338a)  Sehr  deutlich  kommt  der  Unterschied  zwischen  der  manufaktorischen  imd 
der  kommerziellen  Seite  des  Handwerks  und  die  Bedeutung  dieser  bei  der  Bäckerei 
zum  Ausdruck.  Backhäuser  zum  "eigenen  Gebrauche  besitzen  viele  Bürger,  die  darum 
aber  noch  nicht  Bäcker  sind,  da  sie  das  Brot  nicht  verkaufen.  Vgl.  unten  Anm.  362. 
Ferner  zweites  Straßburger  Stadtrecht  von  1214:  meine  Urkunden  Nr.  127  §  29. 
Die  dort  genannten  „pistores"  besorgen  das  Backen  für  die  Bürger,  die  ,,pistrina"  be- 
sitzen, wie  umgekehrt  heute  Bürger  ihren  Kuchenteig  in  den  Ofen  des  Berufsbäckers 
schicken.  Das  Bäckerhandwerk  setzte  es  aber  durch,  daß  die  Bürger  für  ihre  Back- 
häuser, durch  die  ihnen  ja  immerhin  Abbruch  geschah,  „ius  quod  dicitur  einung"  er- 
würben. Urkunde  vom  23.  Februar  1264:  meine  Urkunden  Nr.  290;  Wiegand, 
Bd.  I,  Nr.  549.  Vgl.  dazu  unten  Kapitel  X.  —  Sehr  richtig  hat  Philippi  be- 
obachtet, Die  ältesten  Osnabrückischen  Gildeurkunden  (Osnabrück  1890)  S.  V: 
„die  ältesten  im  folgenden  mitgeteilten  Vereinbarungen  und"  Entscheidungen  beSChäf-' 
tigen  sich  mehr  mit  der  Berechtigung  zum  Verkauf,  als  zur  Anfertigung  gewisser 
Waren."  —  Ferner  vgl.  z.  B.  Basler  Kürschnerurkunde  von  1226,  Wacker- 
nagel und  Thommen,  Urkundenbuch  der  Stadt  Basel,  Bd.  I,  Nr.  108,  meine  Ur- 
kunden Nr.  271  §  2:  „Nee  ahcui  alteri  persone  quam  de  ipsorum  opere  in  emendo 
et  vendendo  ea  que  ad  eorum  opificium  pertinere  dinoscuntur  condictum  eorum  in- 
fringere  licebit."  Basler  Metzgerurkunde  von  1248,  Wackernagel  u.  Thommen, 
Bd.  I,  Nr.  221,  meine  Urkunden  Nr.  273  §  7:  „.  .  •  .  nichil  in  communibus 
maceliis  quantum  in  vendendo  carnes  agere  habeant."     U.  s.  w. 


Die  Besonderheit  des  slädlischen  Marktes.  I35 

Sogleich  aber  macht  sich  ein  neuer,  für  das  Künftig-e  funda- 
mentaler Unterschied  geltend:  der  zwischen  dem  Markte  alter 
Ordnung  und  dem  Markte  in  der  Stadt. 

Der  alte  Markt,  der  Markt  schlechthin,  kennt,  wie  gesagt,  nur 
Händler,  nur  Besucher,  nur  Fremde,  entsprechend  seinem  eigenen 
ephemeren  Charakter,  die  mit  ihm  wieder  verschwinden.  Der 
städtjsche  Markt  dagegen  hat  das  besondere,  daß  ein  großer,  ein 
wichtigster  Teil  der  auf  ihm  aktiven  Verkäufer  ortsansässig  ist: 
als  Folge  die  Scheidung,  die  Klassifizierung  der  Händler  nach 
Stadtangehörigen  und  Stadtfremden. 

Diese  Sonderung  findet  einen  ersten  handgreiflichen  Aus- 
druck darin,  daß  zwar  die  Fremden  nach  wie  vor  sich  mit  beweg- 
lichen Marktständen,  Enden,  Tischen  begnügen  müssen,  während 
jene  ihre  festen  Verkaufsstellen,  und  soweit  sie  Handwerker  sind 
und  meist  damit  verbunden,  zugleich  ihre  Werkstätten  haben  33»). 

Damit  aber  wird  die  Sonderung  der  Verkäufer  in  Orts- 
ansässige  und   Fremde   auch  für    die  Warenkontrolle  bedeutend. 

Auf  dem  schlichten  Markt  können,  wie  gesagt,  der  Markt- 
herr und  seine  Beamten  die  Waren  nur  prüfen,  so  wie  sie  aus- 
gelegt sind.     Die  Herstellung  entzieht  sich  ihrer  Macht. 

Das  wird  nun  anders. 

Die-Prüfung  dringt  ein  in  die  Werkstatt,  greift  zurück  auf 
die  Erzeugung.  Es  liegt  auf  der  Hand,  wie  sehr  sie  dadurch  an 
Sicherheit  zunimmt. 

Jetzt  erst  können  Vorschriften  erlassen  werden  für  die  wirklich 
gleichmäßige  Herstellung  jeder  einzelnen  Warengattung  in  der 
Stadt.  Jetzt  ist  auch  durch  Aufstellung  verschiedenartiger  Normen 
in  verschiedenen  Städten  der  Grund  gelegt  für  die  ErzeugTing 
von  Spezialitäten:  die  Tücher  von  Speyer  unterscheiden  sich  von 
denen  aus  Straßburg,  die  von  Poperinghen  von  denen  aus  Dix- 
muiden  oder  aus  Ypern. 

Hiermit  aber  ist  auch  gegeben,  daß  die  städtischen  Hand- 
werker bei  der  Kontrolle  viel  schärfer  herangenommen  werden 
als  die  Händler  mit  Waren  von  auswärts,  die  Krämer  und  die 
Verkäufer  fremder  Tuche.  Die  fremden  Tuche  können  von  ver- 
schiedenster Art,  Breite,  Länge,  Feinheit  Stärke,  Farbe  sein :  für 


339)  Auf  den  periodischen  Märkten,  während  deren  auch  die  ansässigen  Ver- 
käufer Tische  auf  den  Marktplatz  stellen  können,  wird  der  Unterschied  zwischen 
Büi^em  und  Fremden  zeitweise  wieder  aufgehoben.    —   Vgl.    noch    unten    Anm.  371. 


1^6  Der  Markt  und  die  Aemter. 

die  einheimischen  sind  ganz  bestimmte  Verhältnisse  vorgeschrieben. 
AehnHch  bei  den  importierten  Kleinwaren,  die  die  Krämer  ver- 
treiben. Bald  wird  auch  die  Zulassung  zum  Markt  für  die  Hand- 
werker wesentHch  strenger  werden:  der  Neuling  wird  sich  darüber 
ausweisen  müssen,  daß  er  ,,das^IIandwerk_JcamiiL. 

Diese  Forderung  der  Gleichmäßigkeit  der  Ware  ist  nichts 
als  eine  notwendige  Folge  der  Marktkontrolle,  ist  in  ihr  gegeben. 
Eine  bestimmte  Güte  konnte  nicht  vorgeschrieben  werden,  ohne 
Maßstab,  der  wieder  die  Gleichheit  zur  Voraussetzung  hat.  Die 
Freiswertheit  des  Brotes  richtet  sich  nach  dem  gleichen  Gewicht, 
die  des  Tuches  nach  der  gleichen  Zahl  gleicher  Fäden  innerhalb 
gleicher  Länge  und  Breite.  Und  genau  so  wurde  auch  bei 
Dingen,  die  sich  nicht  so  einfach  wiegen,  zählen  und  messen 
liessen,  ein  bestimmter  Maßstab  der  Güte,  der  Preisgerechtigkeit 
zu  Grunde  gelegt. 

Das  Ganze  geht  hervor  aus  jener  Fürsorge,  die  in  der  karo- 
lingischen  Gesetzgebung  über  diese  Dinge  wie  ein  roter  Faden 
entgegenleuchtete.  Und,  beiläufig,  auch  für  sie  bietet  die  hof- 
rechtliche Theorie  keine  Erklärung.  Denn  was  ging  es  den 
Grundherrn  an,  ob  das  Publikum  von  seinen  Leuten  ehrlich  be- 
dient wurde  3^*^)? 

In  seiner  Ausgestaltung  ist  es  aber  auf  das  innigste  ver- 
wachsen mit  dem  ganzen  Formalismus  des  älteren  Rechts.  Wie 
im  Prozeßverfahren  für  jeden  Formfehler,  so  wurde  auch  bei  der 
Warenschau  auf  dem  Markte  für  jede  technische  Abweichun^^ 
einGewette_erhobfinJ^*^^).  Eben  deshalb  mußten  auch  hier  die 
Vorschriften  hart  und  scharf  sein,  auch  hier  eine  feste  Norm 
aufgestellt  werden,  die  zugleich  einfach  genug  war,  daß  der 
technisch  nicht  fein  ausgebildete  Beamte  sie  mechanisch  hand- 
haben konnte. 


340)  Sehr  merkwürdig  läßt  Geering,  der  immer  dem  Rechten  auf  der  Spur 
ist,  aber  von  der  hofrechtlichen  Voreingenommenheit  sich  nicht  losreißen  kann,  „die 
Fürsorge  des  Meiers  und  der  Officialen"  „sich  in  die  Marktpolizei"  verwandeln.  Handel 
und  Industrie  der  Stadt  Basel,  S.  3. 

340a)  Auch  der  Ausdruck  ,,vare",  der  in  dem  Prozeßrecht  eine  so  große  Rolle 
spielt,  findet  sich  in  diesem  Zusammenhang:  Stendaler  Krämerbrief  vom  i.  August 
1299:  „Nostri  quidem  institores  debent  institoribus  secum  stantibus,  scilicet  extraneis, 
varam  in  omnibus  adhibere,  et  si  falsa  apud  eos  invenerint,  ad  dominos  consules  hanc 
producent,  et  quicquid  de  talibus  usi  fuerint",  erhält  die  Stadt  zwei  Drittel,  die  Brüder- 
schaft ein  Drittel.  Riedel,  Codex  diplomaticus  Brandenburgensis  I,  Bd.  XV, 
Nr.  60,  S.  47. 


Erste  Ausgestaltung  der  Gcwerbekontrolle.  ixT 

In  dieses  System  hinein  paßt  nun  auch  das  der  Abgaben  und 
Arbeitsleistungen,  wie  wir  es  vorläufig  aus  dem  Straßburger 
Recht  kennen  lernten.  Oft  genug  mögen  schon  die  gewerbe- 
rechtlichen Strafen  statt  in  Geld  in  Natura  eingezogen  worden 
sein.  Es  braucht  hier  nicht  ausgeführt  zu  werden,  eine  wie  außer- 
ordentliche  Rolle  bei  der  ungenügenden  Menge  barer  Umlaufs- 
mittel im  Rechts-  und  Wirtschaftsleben  jener  Zeit  das  Pfänden 
gespielt  hat.  Das  brachte  es  noch  näher,  als  es  ohnehin  gelegen 
hätte,  auch  die  Steuern  in  Waren  und  Leistungen  zu  erheben 
und  sie  in  dieser  Form  sogar  ein  für  allemal  zu  fixieren.  Ein 
weiterer  Schritt  war  es  nur,  sie  gruppenweise  umzulegen.  Zu- 
nächst heißt  es,  jeder  Schmied  hat  zur  Heersteuer  vier  Hufeisen 
mit  den  Nägeln  zu  liefern.  Dann  aber:  zur  Arbeit  auf  die  Pfalz 
kommen  sie  alle;  die  Arbeit  wird  dort  erst  verteilt.  Und  wenn 
der  Bischof  eine  Burg  belagert,  so  machen  sie  ihm  insgesamt 
dreihundert  Pfeile 3*i). 

Das  aber  wird  nun  die  Hauptsache.  Das  ganze  Kontroll- 
wesen macht  eine  Einteilung  in  Gruppen  nötig,  die  auch  dem 
Abgabenwesen  aufs  beste  paßt.  Alle  Schmiede,  alle  Bäcker,  alle 
Schuster  haben  nur  Waren  ganz  genau  der  gleichen  Art  auszu- 
bieten und  herzustellen.  Die  Kontrolle  funktioniert  am  besten^ 
kann  gut  nur  funktionieren,  wenn  sie  die  ganze  Gruppe  auf  ein- 
mal vornimmt.  Für  die  Schmiede,  die  Schuster,  die  Fleischer 
sind  gewerbliche  Vorschriften  erlassen,  für  alle  die  gleichen.  Und 
wenn  ursprünglich  für  alle  Bürger  in  der  ganzen  Stadt  die  Steuern 
und  Fronen  gleich  bemessen  sind,  so  werden  sie  für  die  Hand- 
werker gruppenweise  gleich  in  Leistungen  aus  ihrem  Fache  ver- 
wandelt. Es  gibt  keinen  reichen  Schmied,  der  mehr  zu  ver- 
steuern hätte,  als  sein  ärmerer  Kollege,  oder  es  wird  doch  so 
wenig  wie  bei  der  Bürgerfron  darauf  Rücksicht  genommen:  der 
Schmied  ist  eben  nur  .Schmied  und  alle  Schmiede  sind  vor  dem 
Gesetze  gleich. 

In  diesen  Gruppen  also  haben  wir  die  Straßburger 
Aemter  und  ebenso  die. Trierer  und  Augsburger.  Dies  ist 
_  der  Ursprung  der  ältesten  Organisation  des  deutschen  Hand-  ^.y^^ 
Werks.  Es  sind  nicht  mit  obrigkeitlicher  Sanktion  aus  freiem 
Antrieb  geformte  Verbände,  sondern  es  sind  einstweilen  nur  Ab- 
teilungen, die  von  der  Obrigkeit  selbst  gebildet  sind  zu  deren 
Zwecken. 


341)  Straßburger  Stadtrecht  §§   103 — 106,  vgl.  §  107. 


1^8  Der  Markt  und  die  Aemter. 

An  den  Ausdruck  Amt  braucht  man  sich  nicht  sehr  zu 
«toßen.  Mehrere  Umstände  sind  zusammengetroffen,  die  gemein- 
sam zur  Einbürgerung  jener  technischen  Bedeutung  beigetragen 
haben.  Zunächst  ist  es  damit  nicht  anders  als  mit  unserem  Worte 
Beruf.  Wenn  die  Beamten quaHtät  der  mittelalterhchen  Hand- 
werker uns  nicht  immer  ohne  weiteres  einleuchten  will,  so  hat 
man  ebenfalls  oft  genug  Veranlassung  sich  zu  fragen,  welchen 
^,Beruf"  denn  mancher  heutige  Handwerker  zu  seinem  Gewerbe 
aufweisen  kann.  In  einem  unserm  „Beruf"  analogen  Sinne  kennt 
„offidumj'  bereits  das  Capitulare  de  Villis^^-).  Jeder,  den  seine 
besondere  Tätigkeit  aus  der  gemeinen  Menge  heraushebt,  fühlt 
sich  im  Besitze  eines  „Amtes":  und  es  macht  da  wenig  aus,  ob 
die  ersten  solchen  Aemter,  die  das  deutsche  Volk  gekannt  hat, 
die  waren,  durch  deren  Verleihung  ein  germanischer  Häuptling 
einzelne  seiner  freien  Gefolgsleute,  oder  die,  durch  die  er  Tacitus' 
„liberti"  auszeichnete  (die  fürstlichen  Erzämter  zeigen,  daß  der 
Sinn  derselbe  ist);  oder  aber,  ob  es  ein  selbstergriffenes  war.  Das 
„Amt"  der  Schmiede  also  bildeten  mit  leichtem  Uebergang  alle, 
die  diesem  Berufe  oblagen. 

Dann  mag  noch  hinzugekommen  sein,  daß  manchmal,  z.  B. 
in  Basel,    wie    es    scheint  ■^^^),    an    die  Spitze  eines  solchen  Amtes 


ein  bischöflicher  Beamter,  ein  Ministerial  gestellt  wurde,  der,  und 
mit  ihm  sein  Herr,  die  seiner  Aufsicht  anvertraute  Handwerker- 
gruppe gewissermaßen  als  ein  Zubehör  seines  Amtes  betrachtet 
haben  mag.  Allein  ausschlaggebend  kann  das  schon  deshalb 
nicht  gewesen  sein,  weil  regelmäßig  die  Aufsicht  über  alle  pder 
die  meisten  Aemter  der  Handwerker  zusammen  nur  einem  Be- 
amten, wie  dem  Straßburger  Burggrafen,  dem  Trierer  Kämmerer 
unterlag.  Die  Stellung  des  Amtsmeisters  aber  erhob  sich  nicht 
so  sehr  über  die  der  übrigen  Handwerker  und  war  nicht 
ursprünglich  genug,  als  daß  die  Bezeichnung  auf  sein  Amt 
zurückgeführt  werden  könnte.  Und  hinzu  kommt,  daß  dieser 
Name  sich  für  Handwerkerverbände  oder  -gruppen  auf  dieser 
Stufe  der  Entwickelung  keineswegs  überall  findet  3^*).  Die  förm- 
liche Auffassung  als  Amt  pro  bono  publico  endlich  gehört  nicht 
■der  ursprünglichen  Epoche  an. 


342)  Oben  Anm.    i8. 

343)  Vgl.  das  nächste  Kapitel. 

344)  Belege  im  weiteren  Verlauf  der  Darstellung. 


Der  Betcriff  „Ami".  I  -ig 

Die  Organisation  des  städtischen  Handwerkes  nach  Aemtern 
—  wenn  wir  diesen  Ausdruck  trotzdem  als  quasi  technisch  einmal 
festhalten  wollen  —  erweist  sich  also  als  ein  natürlicher  Ausfluß 
der  Marktordnung-.  Nur  diejenigen  Gewerbe  bleiben  außerhalb, 
die  an  Zahl  ihrer  Vertreter  noch  zu  unbedeutend  sind,  als  daß 
sich  eine  besondere  Grugpenbildung_  lohnte.  Auf  diese  Ordnung- 
aber  arbeitet  bereits  die  erste  Einrichtung  des  Marktplatzes  hin: 
denn  man  wird  nicht  zweifeln  dürfen,  daß,  seitdem  es  überhaupt 
ein  Marktrecht,  eine  Marktkontrolle,  eine  Marktordnung  gegeben 
hat,  das  erste,  wie  es  der  städtische  Markt  bestätigt,  eine  äußer- 
liche Gruppierung  der  Händler  nach  ihren  Waaren  gewesen  ist. 
Die  Sache  bringt  es  notwendig  mit  sich-^*^). 

Wie  der  gesamte  Handel  —  mit  den  Einschränkungen,  die 
sich  im  weiteren  ergeben  werden  —  zwecks  Beaufsichtigung  auf 
dem  Markte  konzentriert  wird,  so  erhalten  wiederum  die  Verkäufer 
jeder  einzelnen  Warengattung  ihre  Plätze  in  zusammenhängender 
Reihe^an^ewiesen.    Ja,  selbst  Bänke  und  Buden  stellt  der  Markt- 

345)  Es  sei  trotz  aller  Bedenken  gegen  Analogieschlüsse  hier  einmal  gestattet, 
zu  ^\•iederhoien,  was  Schurtz,  Urgeschichte  der  Kultur  (Leipzig  u.  Wien  1900), 
S.  164  f.,  über  die  Ordnung  des  Marktwesens  im  Innern  Afrikas  mitzuteilen  weiß: 
„Vielleicht  gibt  den  ersten  Anstoß  zu  geselligem  Zusammenschluß  der  Gewerbtreibenden 
das  Marktwesen,  das  ja  besonders  in  Afrika  sehr  ausgebildet  ist  und  ganz  von  selbst 
<iazu  drängt,  daß  die  Verkäufer  gleicher  Waren  auch  nebeneinander  ihre  Sitze  auf- 
schlagen, um  von  den  Kunden  leichter  aufgefimden  zu  werden.  Wo  Marktordnungen 
bestehen,  wird  dieser  Brauch  zum  festen  Gesetze,  su  nach  den  Angaben  Ramseyers 
und  Kühnes  in  Aschanti.  Im  Sudan  kommt  es  dann  schon  ^^elfach  so  weit,  daß 
■die  Handwerker  Gesellschaften  bilden,  an  deren  Spitze  Obermeister  oder  Aufseher 
stehen,  die  meist  nicht  von  den  Zunftgenossen,  sondern  vom  Fürsten  ernannt  werden 
imd  die  Abgaben  der  Handwerker  einzutreiben  haben;  in  den  größeren  Städten  wohnen 
-dann  auch  die  Angehörigen  einer  Zunft  gern  in  einem  besonderen  Quartiere  zusammen, 
wie  in  Kätsena  nach  Barths  Bericht  die  Schuhmacher,  Weber  und  Sattler,  in  Kano 
<lie  Goldschmiede.  Staudinger  fand  in  Sana  die  Grobschmiederei  in  den  Händen 
einer  „Gewerkschaft",  die  Abgaben  an  einen  Obermeister  zahlte;  dieser  letztere  fert^e 
aufierdem  mit  seinen  Söhnen,  Verwandten  und  Gesellen  die  feineren  Schmiedearbeiten 
an;  alle  Schmiede  aber  bewohnten  zusammen  ein  bestimmtes  Stadtviertel.  Auch  im 
Bazarwesen  der  islamitischen  Welt  sind  die  Berufsgenossen  in  bestimmten  Gassen  ver- 
einigt, ohne  daß  in  der  Regel  ein  Zwang  von  oben  her  dazu  nötig  ist.'"  [Ursprüng- 
lich möchte  die  Einrichtung  des  Bazars  und  die  Einweisimg  der  Händlergruppen  in 
seine  verschiedenen  Quartiere  doch  wohl  „von  oben  her'*  veranlaßt  sein!]  Femer 
S.  278:  „Entstehen  endlich  aus  den  periodischen  Märkten  dauernde  Verkaufsstellen, 
wie  die  Bazare  im  Orient  imd  Nordafrika,  dann  wohnen  auch  meist  die  Handwerker 
zusammen.  Von  oben  her  werden  ihnen  daim  Aufseher  gesetzt,  die  natürlich  zunächst 
<lie  Aufgabe  haben,  die  Gewerbesteuern  einzutreiben,  die  aber  zugleich  die  Vertreter 
■des  Handwerks  beim  Hofe  sind." 


140 


Der  Markt  und  die  Aemter. 


herr  für  die  Händler  mit  den  wichtigsten  Lebensdürfnissen,  für 
Fleischer,  Bäcker,  Schuster  und  Tuchhändler  her.  Es  macht 
dabei  nichts  aus,  ob  der  Marktplatz  ursprünglich  sein  privat- 
rechtliches Eigentum  war,  wie  in  den  neubegründeten  Städten 
mit  dem  gesamten  Areal,  auf  dem  er  die  Stadt  anlegte;  oder  ob 
es  sich  um  alt-öffentliches  Gelände  handelte,  wie  in  den  ehe- 
maligen Römerstädten  und  im  inneren  Deutschland  an  Punkten, 
die  für  den  Handel  schon  Bedeutung  gew^onnen  hatten,  ehe  die 
Obrigkeit  sich  seiner  annahm  und  der  verkehrsreiche  Platz  etwa 
zum  Bischofssitz  erkoren  wurde '^^") :  die  Wirkung  der  Unterstellung 


unter  das  Marktrecht  war  in  beiden  Fällen  dieselbe.  Das  gilt 
von  den  Rechtsverhältnissen,  den  realen  und  den  personalen  — 
und  noch  einmal  zeigt  sich  da  in  vollem  Glänze  die  Torheit  des 
Versuches,  jene  alte  Theorie  wieder  ins  Leben  zu  galvanisieren, 
die  einst  bei  einer  erst  oberflächlichen  Kenntnis  aller  städtischen 
Verhältnisse  begreiflich  war.  Das  gilt  auch  von  den  praktischen 
Anordnungen. 

Daß  den  nach  Gewerben  benannten  Straßen  ihre  Namen, 
wie  wohl  ausgesprochen  worden  ist,  nur  zufällig  und  spät  durch 
den  Volksmund  beigelegt  worden  wären,  mag  hie  und  da  zu- 
treffen, läßt  sich  jedoch  angesichts  zahlreicher  überlieferter  Tat- 
sachen als  allgemeingültig  nicht  aufrecht  erhalten. 

Ein  in  seiner  Reichhaltigkeit  freilich  einziges  Material 
hierüber    bietet   Köln    in   seinen   Schreinsuxkiinden   aus   dem 


12.  Jahrhundert'^'^'). 

Bei   zahllosen   Häusern   und  Grundstücken,  von   denen   dort 

Besitzübertragungen  gebucht  sind,  wird  die  Lage,  mit  „intej:"  und 

dem    Namen    einer    Handwerkergattung    bezeichnet.     Es    würde 

wenig    bedeuten,    wenn    nur    gelegentlich   wie   in    Regensburg 

einmal  ein 

Gozwm  mter  tonsores 

vorkäme 3^s).     Aber  hier  in  Köln  handelt  es  sich  nicht  allein  um 


346)  Hierüber  Rietschel,  Markt  und  Stadt,  S.  19,  S.  33  ff.  Dazu  Neue 
Jahrbücher  f.  d.  klassische  Altertum,  Geschichte  und  deutsche  Literatur^  Bd.  III_.(j.9op), 
I,  S.  293  ff. 

347)  Kölner  Schreinsurkunden  des  12.  Jahrhunderts,  herausgegeben  von  Robert 
Hoeniger  (Publikationen  der  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  I),  Bd.  I 
u.  II  (i  u.  2),  1884 — 1894.  —  Die  Einzelbelege  sind  mit  Hilfe  des  Topographischen 
Registers,  Bd.  II,  2,  S.  284  ff.,  leicht  aufzufinden. 

348)  Wittmann,  Schenkungsbuch  von  St.  Emmeramm,  Quellen  und  Er- 
örterungen z.  bayer.  Geschichte,  Bd.  I,  S.    120,  CCXXXV. 


Der  Marktplatz  in  Köln.  1  i  i 

Ortsangaben,  auf  deren  Zuverlässigkeit  bei  dem  Rechtsgeschäft 
so  gut  wie  alles  ankam:  die  Menge  dieser  Bezeichnungen  ist  er- 
drückend^ Für  die  Rhein vorstadt,  die  „ursprünglich  einen  einzigen 
großen  Marktplatz"  gebildet  hat^*'*).  ließe  sich,  da  häufig  auch 
das  Angrenzen  der  Verkaufsstelle  eines  Handwerks  an  die  eines 
anderen  vermerkt  ist,  danach  geradezu  ein  Schema  des  ganzen 
Straßennetzes  entwerfen.  Man  wird  keinen  Einblick  gewinnen, 
wenn  ich  nicht  wenigstens  die  wichtigsten  dieser  Ortsbezeichnungen 
zusammenstelle. 

Da  werden  Häuser  übertragen 

inter  calciatores  (caligatores,  sutores,  venditores,  factores 
calciarum,  qui  vendunt  calcios);  inter  cirothecarios  (sutores, 
venditores  cirothecarum);  inter  coriarios  (coreorum  inci- 
sores);  inter  gladiatores;  inter  venditores  gularum;  inter 
hastatores  (hastarios);  iuxta  venditores  Hmborum;  inter 
linmengere  (lineorum  pannorum  venditores);  inter  macella 
(carnificesj ;  versus  pabulum  vendentes;  inter  pannorum 
venditores  (incisores,  vvaitschrodere  u.  ä.);  inter  pellifices 
(locus  contra  pellifices  de  suburbio  situs);  inter  pilleatores; 
inter  venditores  salis  (Salzgasse,  vicus  salis);  inter  sellatores; 
inter  solearios  (venditores  solearum);  inter  ferrarios  (qui 
ferrum  vendunt.  isinmen gerin). 
Bei  anderen  Eintragungen  lautet  die  Formel,  wenn  möglich 
noch  unmißverständlicher,  „locus,  ubi  venditur",  z.  B.: 

decem  loca  sita  ante  portam  Martis  ubi  calcii  puerorum 
venduntur;  ubi  haste  raduntur  in  foro;  scampnum  in  quo 

o 

carnes  silvestres,  »wlbreyt«.  venduntur;   ante   Marportam 
ubi  venduntur  species;  versus  cubicula  pannicidarum ;  loca, 
stationes   ubi    stant   pellifices;   in    introitu   platee  ubi  pisa 
venditur;  quarta  pars  littoris  in  quo  fabri  manent. 
Unter   Umständen   haben    diese   Verkaufsstellen    schon    den 

Charakter   eigener   Märkte,   Sondermärkte,    innerhalb    des    einen 

großen  Marktes  angenommen: 

forum  butiri  (vgl.  iuxta  butiri  venditores);  Hunremarcht, 
forum  pullorum  (in  quo  pulli  et  alia  volatilia  venduntur); 
forum  ubi  pelles  venduntur;  forum  piscium;  domus  sita 
in  loco  ubi  sal  venditur;  sita  versus  Rhenum  in  foro 
ubi  venditur  ferrum. 


349)  H.  Keussen,  Untersuchungen    zur    älteren  Topographie    und    Verfassung 
m  Köln.     Westdeutsche  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Kunst,  1901,  Bd.  XX,  S.  60. 


1^,2  Der  Markt  und  die  Aemter. 

Freilich,  wenn  der  Kölner  Markt  in  einer  Weise  reich  ge- 
^gliedert  ist,  daß  sich  ihm  kein  zweites  Beispiel  an  die  Seite  stellen 
läßt,  so  sind  auch  die  übrigen  Verhältnisse  weit  über  den  Grad 
hinaus  frei  entwickelt,  der  in  irgend  einer  anderen  Stadt  bereits 
erreicht  worden  war.  Als  Grundeigentümer  des  Platzes  grerieren 
si ch  di e  Gememdeti i^^)  von  St.  Martin  und  Brigiden,  während  andere 
Teile  einzelnen  Stiftern  wie  St.  Maria  ad  Gradus  gehören  •^^^). 
Ebensowenig  läßt  sich  nachweisen,  daß  die  Aufteilung  unter  die 
zahlreichen  Gewerbe  von  dem  Erzbischof  herrührt.  Im  Gegen- 
teil sehen  wir  bereits  gegen  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  Hand- 
werkerverbände zusammenhängende  Marktstellen  selbständig  von 
der  Martinsgemeinde  erwerben.  Zu  der  durch  die  Urkunde  über 
die  Begründung  der  Bettziechenbrüderschaft  vom  Jahre  114g  be- 
kannten Schreinseintragung,  die  uns  das  von  den 

venditores  peplorum  et  tegumentorum  pulvinarium  (id  est 

sciza) 
meldet -^^2),  kommt  die  folgende  gleichzeitige: 

N.    s.   q.  illi  qui   vendunt   lanea    fila   conduxerunt   locum 

iuxta  aqueductum  et  macellos  situm  a  parrochianis^^^). 
Zugleich  eine  Vermehrung  ältester  Zunftnachweise. 

Allein  es  ist  ausgeschlossen,  daß  dieses  als  das  für  Köln 
von  Anfang  an  t3^pische  Verfahren  zu  gelten  hätte.  Auch  hier 
muß  eine  mit  Autorität  ausgestattete  Hand  die  erste  Ordnung^ 
geschaffen    haben.     Und    auch   in    Köln_Jst_Maxkth£]X-^er    Erz- 

»bischol     In    der    Tat   steht   mitten auf  dem    alten    Alarkt    seine 

Münze^'»*).     Rings  um  sie  herum  gehört  der  Boden  ihm  ^^^).     Hier 


350)  Vgl.  Anm.  352  und  353. 

351)  Lau,  Entwicklung  der  kommunalen  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt 
Köln,  S.  48  f.;  Hoeniger,  a.  a.  O.  Bd.  II  (i),  S.  271  ff. 

352)  Hoeniger,  a.  a.  O.  Bd.  I,  S.  43:  Martin  3  I,  Nr.  36.  „Sciza"  =  , (Un- 
beholfene Schreibung  für  zicha",  a.  a.  O,  Bd.  II  (2),  S.  313. 

353)  Hoeniger:  Martin  3  I,  Nr.  34,  also  zwei  Eintragungen  vor  jener. 
Während  aber  die  Wollgarnhändler  die  Stelle  (locus)  nur  gemietet  haben,  heißt  es  von 

den  venditores  peplorum  et  tegumentorum:   ,, locum acquisiverunt  a  parrochianis 

S.  Martini,  ita  ut  deinceps  libere  et  hereditario  iure  eum  in  sua  possessione  obtineant." 
Ich  weiß  nicht,  wie  Hoeniger  I,  S.  43',  danach  sagen  kann,  daß  der  Marktstand 
vorher  ausschließlich  den  Leinewebern  gehörte.     Vgl.  noch  unten  Anm.  468. 

354)  Keussen,  a.  a.  O. 

355)  Keussen,  a.  a.  O.;  Lau,  a.  a.  O.  S.  63  f.  Vgl.  ferner  Bungers, 
Beiträge  z.  mittelalterlichen  Topographie,  Rechtsgeschichte  und  Sozialstatistik  der  Stadt 
Köln  (Leipzig  1897)  über  den  Ladenkomplex  „Interlan",  der  von  Erzbischof  Anno 
dem  Zöllner  Ludolf  erblich  verliehen  war. 


Der  Erzbischof  und  der  Kölner  Marktplatz.  143. 

liegt  also  der  Kern  des  Marktplatzes,  der  Ausgangspunkt  war  in 
Köln  genau  wie  überall.  Nur  ist  hier  in  der  Zeit,  wo  die  Quellen 
einsetzen,  der  Verkehr  bereits  seit  langem  hinausgewachsen  über 
die  erste  Anlage  auf  das  Gemeindeland  und  das  Eigentum  anderer 
Grundherren,  ja  selbst  bis  in  die  neue  Vorstadt  Xiederich-^-''^).  So 
entspricht  es  auch  seiner  außerordentlichen  Spezialisierung''^^). 

Daß  aber  auch  in  Köln  der  Erzbischof  sich  als  eigentlichen 
Eigentümer  des  gesamten  Marktplatzes  betrachtete,  das  ergibt 
sich  aus  dem  Abkommen,  das  Philipp  von  Heinsberg  am  27.  Juli 
II 80  mit  der  Stadt  traf^^**),  wonach  ihm  von  jeder  auf  dem  Markt 
oder  anderem  Gemeindeland^'^-')  bebauten  „area"  je  nach  ihrer 
Größe  zwei  oder  vier  Pfennige  jährlichen  Zinses  gezahlt  werden 
mußten: 

ita   [edificiaj    permanebunt    hereditario    iure    in   posterum 

possidenda   ab   his,    qui    ea    sine  auctoritate   nostra    prius 

possederant. 

Wie    er    denn    auch    seine  Marktherrlichkeit   darin   zu    erkennen- 

gibt,    daß   er  jede  Veränderung  an  den  Markthäusern,   also  den 

Läden  der  Handwerker  und  sonstigen  Händler,  verbietet,  mochten 

sie   eine  „uzfanc"  genannte  Vorhalle  bereits  besitzen    oder   nicht. 

Einen   besonderen  Wert   aber  erhält  die  Kenntnis  dieser  so 

ins  Detail  durchgeführten  Ordnung  noch  dadurch,  daß  sich  schon 

Anfänge   einer  Auflösung  beobachten  lassen,   daß  sie  nicht  mehr 

mit  Strenge  innegehalten  wird.    Nicht  nur,  daß  es  nötig  geworden 

ist.   bereits  ein  „novum  forum"  mit  eigenen  „macella"  im  Westen 

der  Stadt  anzulegen:   demgegenüber   gewisse  Handwerkerstraßen 

in  der  Altstadt 

inter  aurifabros,  inter  cordewanarios,  vicus  campanariorum. 
(Clocnergasse),  vicus  clippeorum  oder  scutorum,  sowie  die 
Juden  gasse 


356)  Z.  B.  die  „I^regaze",  Niederich  6,  III,  8. 

35")  ^'g'-  außer  den  Wollgamverkäufem  und  Bettziechenwebem  —  im  Jahre 
I149  <iie  beiden  jüngsten  Abzweigungen  —  noch  die  „venditorcs  solearura"  und 
namentlich  die  „qui  vendunt  calcios  puerorum", 

358)  Ennen  und  Eckertz,  Quellen  z.  G.  d.  Stodt  Köln,  Bd.  I,  Xr.  94. 

359)  "I"  alJo  loco  publico".  Andere  ,,edificia,  que  in  veteri  foro.  parrochiani 
S.  Martini  et  parrochbni  S.  Brigide  et  illi  de  Oversburg  absque  iure  hereditario  hac- 
tenus  tenuerunt",  sollen  sie  der  ,,universitas  civium"  zu  Erbrecht  übertragen,  der  der 
Erzbischof  sie  erbrechtlich  bestätigen  wird,  unter  der  Bedingung,  „ut  nobis  debitum. 
censum  et  vorhuram  de  his  sicut  de  ceteris  areis  persolvant". 


144 


Der  Markt  und  die  Aemter. 


auf  einen  ältesten  Zustand  zurückgehen  mögen,  ehe  noch  der 
Erzbischof  vor  der  Mauer  nach  dem  Rheine  zu  den  Markt  er- 
•öffnet  hatte  ^'''*).  Gewisse  Bestimmungen  in  einzelnen  der  Besitz- 
wechsekirkunden ,  die  es,  wenn  auch  nur  auf  Grund  privater 
Wünsche,  verbieten,  zeigen,  daß  es  nicht  mehr  als  ganz  unmöglich 
galt,  die  Häuser  in  den  Handwerkergassen  auch  anderen  Zwecken 
zuzuwenden,  als  wozu  sie  erbaut  worden  waren,  wie  wenn  in 
•diesem  oder  jenem  Hause  der  Betrieb  der  Fleischerei  untersagt 
wird  3*^1),  oder  wenn  der  Veräußerer  einer  „statiuncula"  die  Be- 
dingung stellt: 

nulluni    alium    imponant    nisi    talem    qui    vendat    merces, 
sericum  videlicet  et  species  et  zonas  et  similia^"^). 

Erschließen  sich  uns  aber  somit  in  den  reichentwickelten  Kölner 
Verhältnissen  in  einem  günstigen  Augenblicke  auf  einmal  wie 
die  ältesten  so  auch  die  neuesten  Bildungen,  die  bestimmt  waren, 
•die  strenge  Marktordnung  abzulösen,  so  gewähren  andere  Städte 
eine  Reihe  Beispiele,  an  denen  sich,  wenn  sie  zum  Teil  auch 
«der  Zeit  nach  jünger  sind,  dennoch  der  ursprüngHche  Zustand, 
auf  den  es  ankommt,  im  einzelnen  vielleicht  noch  sicherer  er- 
kennen läßt. 

Mit  Glück  hat  Philipp!  in  den  westfälischen  Bischofs- 
■städten  Fleischer-  und  Bäckerstraßen_als  älteste  Anlagen 
neben  den  Domburgen  nachgewiesen  ^''3). 

360)  In  römischer  Zeit  war  die  ganze  Marktgegend  zwischen  Stadtmauer  und 
Rhein  Ueberschwemmungsgebiet:  Rud.  Schnitze  und  Carl  Steuernagel,  in 
Colonia  Agrippinensis,  Festschrift  zum  43.  Philologentag  (Bonner  Jahrbücher,  Heft 
XCVIII,   1895),  S.  5  f.     Spätestens  in  der  ersten  Hälfte  des   10.  Jahrhunderts  ist    sie 

jedoch  in  die  Stadtbefesligung  mit  einbezogen.  Keussen,  a.  a.  O.  S.  56.  Vgl. 
noch  unten  Anm.  468. 

361)  Mailin  3,  VH,  4;   9,  I,    16. 

362)  Martin  8,  VI,  21.  —  In  den  verschiedensten  Parochien  zerstreut 
finden  sich  Backhäuser,  pistrinae,  als  Zubehör  beliebiger  Wohnhäuser  —  ganz  ein- 
fach, weil,  wie  schon  Anm.  338a  ausgeführt,  viele  Bürger  für  den  eigenen  Bedarf 
iucken.  Die  Bäcker  aber  hatten,  wie  die  übrigen  Handwerker,  ihre  bestimmte  Ver- 
kaufsstätte. Es  ist  deshalb  grundlos,  mit  Hoeniger  die  „halla  panificum", 
Brigiden  3,  X,  3,  in  eine  „halla  pannicidarum"  verwandeln  und.  das  Wort  ,,panes" 
in  Martin  12,  III,  5,  durch  ,,panni"  ersetzen  zu  wollen.  —  Vgl.  noch  in  Trier 
-„domus  furni  in  nova  platea'',  Mittelrhein.  Urk.-B.,  Bd.  II,  Nr.  254  a.  1174 — 1209; 
und  „pistrine  domus  in  platea  carniflcum  sita",  a.  a.  O.  Bd.  III,  Nr.  256  a.  1225.  — 
Ferner  über  Würzburg  Gramich,  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt  Würz- 
burg, S.  43;  Ordnungen  Bischof  Otto  II.  (1333 — 1345)  §  80  (Archiv  d.  h.  V.  f. 
Unterfranken,  Bd.  XI,  2),  S.   104. 

363)  Philippi,  Zur  Verfassungsgeschichte  der  westfälischen  Bischofsstädte 
(Osnabrück     1894),     S.    6  ff.     Für    Minden    ordnet    das     Privileg    Ottos    II.     von 


Marktstraßen  in  Westfalen,  Erfurt,  Mainz.  I^^ 

Solche  Budenreihen  für  bestimmte  Waren  sind  auch  die 

gadimen uffe  deme  vrige  des  ertzebischoves 

unter  denen  in  Erfurt  allein  Tuch  geschnitten  werden  durfte  »•*•), 
sowie  die 

tuguria,  in  quibus  inciditur  lineus  pannus,  ante  Gradus 
in  derselben  Stadt,  die  ebenfalls  Eigentum  des  Erzbischofs 
waren  ^^^). 

Femer  gehören  hierher  in  Mainz  selbst  die  Gaden  der 
GewandschneiHpr  am  nr>m  die  beim  Neubau  dieser  Kirche 
im  Jahre  1239  abgerissen  werden  mußten  und,  48  an  der  Zahl, 
aul^rhalb  der  Immunität  auf  dem  Fleck,  den  bis  dahin  die 
Schuhmacher  inne  gehabt  hatten,  zu  Lasten  des  Erzbischofs 
wieder  aufgebaut  wurden,  dessen  Eigentum  sie  auch  blieben  ■^^^. 
Die  Inhaber  zahlten  ihm  jeder  jährlich  ein  Pfund  und  erhielten 
dafür  das  Monopol  ^es_Tuchschnitts  in  der_Sta(it..  Und  wenn 
die  Schuhmacher  noch  keine  unbeweglichen  Buden  besaßen,  so 
war  ihnen  doch  ebenfalls  eine  ganz  bestimmte  Marktstelle  zur 
Benutzung  zugewiesen. 


977  (MG.  DO.  n  Nr.  147)  die  Errichtung  eines  ,jiiacelluin"  an,  während  MG. 
DO.  I  Nr.  190  von  958  für  Meschede,  es  schon  als  vorhanden  voraussetzt-  In 
beiden  Fällen  steht  macellum  schlechthin  für  den  Markt  mit  offenbar  festen  Buden. 
Vgl.  auch  unten  Anm.  381. 

364)  Kirchhoff,  Die  ältesten  Weistümer  der  Stadt  Erfurt,  über  ihre  Stellung 
zum  Erzstift  Mainz  (Halle  1870),  Weistum  von  1289,  S.  28  §  54:  „Nieman  sal 
gewant  sniden  zu  Erforte  danne  uffe  deme  vrige  des  ertzebischoves  undir  den  gadimen." 
,. Vrige  des  ertzebischoves"  ist  von  Schmoller,  Tucherzunft  S.  391,  nicht  treffend 
mit  des  Erzbischofs  „Freigut"  übersetzt-  „Vrige"  heißt  hier  Freiheit,  Immimiiät. 
■worauf  Kirchhoif  S.  28 '•^-  richtig  hinweist-  Der  Zins,  der  von  den  Gaden  entrichtet 
A%-urde,  war  aber  natürlich  auch  hier  ein  Freizins  (Kirchhoff  a.  a.  O.).  Die  Zahl 
der  Gaden  wird  hier  nidit,  wie  fünfzig  Jahre  früher  in  Mainz  (vgL  unten  Anm.  366), 
beschränkt. 

365)  Kirchhoff,  a-  a.  O.  S.  29"',  „bald  nach  1250".  Vgl.  Beyer,  Ur- 
kundenbuch  d.  Stadt  Erfurt  (Gqu.  d.  Provinz  Sachsen  XXIII),  Bd.  I,  Nr.  318  a.  1282: 
der  Rat  restituirt  dem  Erzbischof  „apotecas  sive  domos  illas  sitas  Erfordie  ante  Gradus 
in  quibus  ftannus  lineus  vendi  solet.'' 

366)  Der  „Gadenbrief"  vom  Jahre  1 239,  enthalten  in  deutscher  Uebersetzung  in 
der  Chronik  von  Mainz,  Hegel,  Städtechroniken,  Bd.  XVH,  Mainz  I,  S.  5.  Das  Un- 
zuträgliche lag  nicht  darin,  wie  Hegel  S.  5*  meint,  daß  die  Gaden  auf  der  Immunität 
der  welllichen  Gerichtsbarkeit  entzogen  waren;  sondern  sie  „irrten"  die'  Immunität, 
weil  sie,  als  dem  Stadtrecht  unterworfen,  fort^^'ährend  deren  Durdibrechung  nötig 
machten-  Zu  bemerken  ist  noch,  daß  der  Besitz  als  erblicher  nur  so  lange  gelten 
sollte,  bis  der  Erzbischof  die  Baukosten  erstattet  hatte. 

Keutgen,  Aemt«-  und  Z&nfte.  10 


146  I^cr  Markt  und  die  Aemter. 

Auch  die  ..aree"  in  Hildesheim  sind  hier  zu  nennen,  von 
denen  schon  vor  den  Zeiten  Bischof  Bernos  (1190 — 1194)  der 
magister  sutorum  jährlich  am  Martinstage  einen  Zins  von  10  s. 
zu  entrichten  hatte  •^''^).  Später,  am  9.  August  1268,  hat  der  Rat 
die  .,loca  sutorum",  die  er  „ad  usus  communes  civitatis"  brauchte» 
nach  langen  Verhandlungen  gegen  eine  andere  „area"  von  den 
Schuhmachern  eingetauscht,  die  sie  von  nun  an  zinsfrei  besitzen 
sollten,  y, 

ad  sua  mcrcimonia  in  ea  tute  ac  libere  exercenda  2*'*^). 
Es  ergiebt  sich,  daß  auch  die  alten  „locai^'-elae-zusairuiien hängende 
Stätte    bildeten.     Auch    ein    „foru_m_  panis"    wird    in  der  erstge- 
nannten Urkunde  erwähnt. 

Am  genauesten  sind  wir  über  die  Errichtung  von  Reihen 
von  Fleisch-,  Brot-  und  Schuhbänken  durch  die  Urkunden 
über  die  Anlage  der  schlesischen  Städte  unterrichtet,  worauf 
ich  in  anderem  Zusammenhange  zurückkomme  3*^^).  Aus  dem 
alten  Deutschland  sei  nur  noch  als  die  eigentliche  klassische 
Stelle  die  Bestimmung  des  Freiburger  „Rotels"  angeführt  über 
die  drei  Lauben   — 

inferiores  macelli,  lobia  prope  hospitale,  banchi  panum  — 

que    per    iuramentum    a    prima    fundatione    civitatis    sunt 

institute, 
und    unter    denen  jeder   Ratmann  verpflichtet   ist,   eine   Bank  zu 
besitzen^''*'). 

367)  Doebner,  Urkundenbuch  der  Stadt  Hildesheim,  Bd.  I  Nr.  47,  vom 
5.  Dezember  1195.  Der  Zins  ist  anzusehen  als  der,  den  entweder  die  Innung  ins- 
gemein für  ihre  Verkaufsplätze  schuldete,  oder,  wahrscheinlicher,  den  der  Amtsmeister 
von  den  einzelnen  Schuhmachern  einzusammeln  hatte. 

368)  Doebner,  a.  a.  O.  Nr.  315.  Daraus,  daß  die  Stadt  die  Schuhmacher 
,,ulterius'*  zu  keinem  Zins  von  der  neuen  area  zwingen  soll,  folgt,  daß  von  den  alten 
loca  Zins  gezahlt  wurde  und  es  mithin  wohl  dieselben  waren,  deren  Zins  Berno  ver- 
schenkt hatte.  Wahrscheinlich  hatte  der  Rat  diesen  seit  1195  aufgekauft,  um  ihn 
nicht  in  geistlichen  Händen  zu  lassen. 

369)  Vgl.  unten  Kap.  X  u.   XI. 

3701  Meine  Urkunden  Nr.  133  IV  §  78,  §  77.  —  Gothein,  Wirtschafts- 
geschichte des  Schwarzwaldes,  Bd.  I,  S.  331,  bezeichnet  die  dritte  Laube,  neben  der 
Fleischbank  und  der  Brotbank,  als  Kramlaube.  Ich  weiß  nicht,  mit  welcher  Begrün- 
■  düng.  Wenn  auch  diese  Laube  einer  bestimmten  Warengattung  zugeeignet  war,  so 
kann  es  sich  kaum  um  etwas  anderes  als  um  eine  Tuchlaube  gehandelt  haben.  Vgl. 
Hans.  Geschichtsblätter,  Jahrgang  1901,  S.  82  f.  Die  macella  wird  man  in 
diesem  Falle  dagegen  unbedenklich  als  Fleischscharren  ansprechen  können.  Unrichtig 
ist,  wenn  Gothein  S.  497  sagt,  daß  jeder  der  Vierundzwanziger  in  jeder  Laube  je 
eine  Bank  erhalten  habe.     Vgl.  auch  Götting.  Gelehrte  Anzeigen    1893,  S.   555. 


Marktreihen  in  Hildesheim,  Freibarg,  Trier.  I^y 

Wie  aber  im  Anschluß  an  die  Reihen  der  Tische  auf  dem 
Markte  Straßen  bewohnbarer  Häuser  entstanden  sind,  das  be- 
leuchtet eine  Notiz  aus  dem  Testament  des  dominus  Livezeiz  in 
Trier  von  der  Wende  des  12.  Jahrhunderts,  der  unter  anderm 
vermacht 

domum  retro  mensas  carnificum  et  mensem  ad  eandem 
domum  pertinentem^"^). 
Die  Tische  der  F1pi«irhf>r  aUn  stehen  an  hf^stim"itf>m  Orf^  und 
sjnd  unbeweglich,  die  Wohnhäuser  gleich  dahinter,.  Wenig  später 
werden  eine  „platea  carnificum",  eine  „patea  piscatorum".  eine 
..Brotgaze"  erwähnt^^^.  Und  wenn  wieder  etwas  später  die 
Aufnahme  in  das  Bäcker-  oder  Fleischeramt  an  den  Erwerb  eines  «^. 
der  Häuser  geknüpft  ist,  auf  denen  der  Gewerbebetrieb  beruhte, 
so  ist  das  in  letzter  Linie  ebenfalls  auf  die  alte  Marktordnung 
zurückzuführen  ^'% 

Auch  dafür,  daß  man  sich  der  Wichtigkeit  der  Zugäng- 
lichkeit des  Verkaufslokals  für  die  (Tcwerbekontrolle  sehr  wohl 
bewußt  war,  sei  ein  Beleg  gegeben.  Gut  kommt  das  zum  Aus- 
druck in  der  Urkunde  Erzbischof  Heinrichs  I.  von  Köln  vom 
18.  März  1230,  durch  die  er  die  Aufsichtsbefugnisse  des  Kölner 
Wollen  web  eramtes  über  die  Deutzer  Wollenweber  ordnet: 

Preterea    sepiusdicti     Tuicienses     apud    domesticos    suos 

Colonienses,  in  quorum    domibus  pannos   suos  venditioni 

exposuerint,  procurabunt  et  tales  habebunt  eosdem,  quod 

sine    contradictione   et  impedimento  visitationem  superius 

expressam  in  domibus  suis  fieri  permittant  etc.^^^). 

Das  spiegelt  einen  späteren  Zustand.   Den  Deutzer  Webern  konnte 

es   nicht    vorgeschrieben    werden,  sich  in    Köln    nur  solche   ,.do- 

mestici"  für  den  Verkauf  ihrer  Tuche  auszusuchen,  deren  Häuser 

371)  Mittelrhein.  Urfc.-B.,  Bd.  II   Nr.   254  a.    1 174— 1209. 

372)  A.  a.  O.  Bd.  III  Nr.  256  a.  1225;  Nr.  433  a.  1231;  Nr.  832  a.  1245. 
Nachgewiesen  von  Schoop,  a.  a.  O.  S.  141.  Vgl.  femer  Lacoroblet,  Archiv, 
Bd.  I,  S.  269  §  21  „censiis  de  qaibusdam  domunculis  iiucta  macellum",  S.  273  §  30 
..certi  census  de  qaibusdam  niaceilis",  beides  aus  den  „Census  dni.  archiepiscopi"  von 
13 19.     Man  möchte  vermuten,  daß  die  macella  des  §  30  neue,  zu   dem    macellum  des 

2 1   hinzugekommene  Scharren  gewesen  seien.  —  Ueber  das  Backhaus  in  der  Fldscher- 
j;as.se  vgl.  oben  Anm.  362  u.  338a. 

373)  Bär,  Forschungen,  Bd.  XXIV,  S.  254,  wie  es  scheint  nach  angedruckten 
Zunftordnungen. 

374)  Ennen  und  Eckertz,  Bd.   II,   Nr.    117. 

10* 


148  ^^^  Markt  und  die  Aemter. 

und  Läden  in  einer  Reihe  nebeneinander  lagen.  Wo  es  sich 
jedoch  um  eine  erste  Einrichtung  handelte,  entsprach  eine  solche 
Anordnung  ein  für  allemal  dem  Zwecke  am  besten. 

Noch  kräftiger  jedoch  bewirkte  den  Zusammenschluß  der 
Gruppe,  wenn  für  ein  Gewerbe  ein  Jjesonderes  Kaufhau_a.  ein 
,,th£.alrjimj'.  errichtet  wurde.  Auch  das  ist  vielfach  als  im  Ver- 
folg der  ersten  Anlage  der  Stadt  geschehen  zu  erachten.  Natür- 
lich können  auch  davon  hier  nur  ein  paar  beispielshalber  nach- 
gewiesen werden. 

So  besaßen  Johann  I.  und  Otto  III.  von  Brandenburg  in 
Stendal  eine 

domus  ^eUi£icijnx^ 
in   der   sie   im  Jahre  1227    den  Bürgern   13  „camerae"   überließen 
neben  dem 

usus  macellorum  nostrorum  carnificum, 
die  also  auch  von  den  Markgrafen,  und  zwar  ohne  Zw^eifel  so- 
gleich bei  der  ersten  Anlage  durch  Albrecht  den  Bären  errichtet 
worden  waren '^^s).  Ob  das  „theatrum",  das  dieselben  Markgrafen 
sechzehn  Jahre  später  der  Stadt  übereigneten,  ebenfalls  dem  Handel 
mit  einer  einzelnen  Ware,  etwa  dem  Tuchhandel,  diente  oder  für 
verschiedene  eingerichtet  war,  erhellt  nicht ^^*').  Jedenfalls  wird 
aber  auch  in  diesem  Falle  jeder  Warengattung  ein  besonderer 
Raum  oder  Raumteil  zugewiesen  worden  sein. 

Nach  und  nach  wurden  auch  diese  Einrichtungen  weiter 
ausgebaut.  So  wird  in  Würzburg  1253  ein  Haus  am  Markte 
als  neuerrichtet  erwähnt 

in  qua  pannus  lineus  exponitur  ad  vendendum^^^). 
Und    in   dem  kleinen    Duderstadt  überließ    1273   der  Rat   den 
Bäckern   ein   neugebautes  Haus,  wovon   ihr  Meister  jährlich   in 
zwei  Raten  für  sie  den  Erbzins  an  die  Stadt  abzuführen  hatte ^''^). 


375)  Riedel,    Codex   dipl.    Brandenburgensis,    I.    Hauptteil,   Bd.  XV,  Nr.  6; 
meine  Urkunden  Nr.    107c.     Vgl.  Riedel  Nr.  3;  Urkunden  Nr.   107a. 
376;  Riedel  Nr.    11;  Urkunden  Nr.    I07d. 

377)  Monumenta  Boica,  Bd.  XXXVII,  Nr.  322.  Dazu  Gramich,  Ver- 
fassung und  Verwaltung  der  Stadt  Würzburg,  S.  42.  Nach  dem  Zusammenhang  der 
Urkunde  könnte  man  allerdings  glauben,  daß  es  sich  nicht  sowohl  um  den  Markt  in 
Würzburg  als  um  den  in  Randersacker  handelte.  Ueber  die  Errichtung  von  Reihen 
von  Kramläden,  Brotbänken  und  von  Kaufhäusern  für  verschiedene  Waren  in  Würzburg 
vgl.  Gramich,  S.  40  ff. 

378)  J.  Jaeger,  Urkundenbuch  der  Stadt  Duderstadt,  Hildesheim   1883,  Nr.  4. 


Kaufhäuser  in  Stendal,  Würzburg,  Duderstadt.  I^g 

Vielleicht  war  es  kaum  nötig,  so  viele  Worte  über  die  Sache 
zu  machen,  denn  Tuchgaden,  Brotbänke  und  Fleischscharren  sind 
ja  hinreichend  bekannte  Dinge  und  es  versteht  sich,  daß  sie  nicht 
in  bunter  Mischung  durcheinander  lagen.  Aber  der  prinzipiellen 
Bedeutung  wegen  mußte  der  Sachverhalt  einmal  festgestellt 
werden  ^^^). 

Auf  der  anderen  Seite  soll  natürlich  nicht  behauptet  werden, 
daß  ein  für  allemal  sämtliche  Gewerbetreibende  ausschließlich 
in  bestimmten  Straßen  oder  Reihen  ihre  Buden  hatten  oder  gar 
wohnten.  Die  erste  Anlage  konnte  die  spätere  Größe  der  Stadt 
nicht  in  Betracht  ziehen.  So  mußten  denn,  als  unter  der  Ein- 
wanderung die  Zahl  der  Vertreter  der  einzelnen  Gewerbe  wuchs, 
die  Xeuhinzukommenden  suchen,  wo  sie  Unterkunft  fänden  und 
sich  auch  mit  weniger  günstig  gelegenen  Läden  begnügen:  denn 
nicht  immer  wird  es,  wie  wohl  von  den  Tuchhändlern  berichtet 
wird,  in  späterer  Zeit  dazu  gereicht  haben,  zweite  Gadenreihen 
zu  bauen  •^*<>).  Und  noch  weniger  ließ  sich  in  den  einfachen  An- 
fängen die  ferne  Spezialisierung  der  Handwerke  voraussehen: 
es  entstanden  neue  Gewerbe,  deren,  vielleicht  w^enig  zahlreiche, 
Vertreter  keinem  der  vorhandenen  Aemter  sich  einordnen  ließen. 
Und  hatte  ein  solches  Gewerbe  aus  häuslicher  Gelegenheitsarbeit 
sich  entwickelt,  so  blieb  der  Neuerer  mit  dem  Betriebe  in  seiner 
alten  Wohnung.  Umgekehrt  konnte  wohlhabenden  Gewerbe- 
treibenden nicht  verwehrt  werden,  in  anderen  Teilen  der  Stadt 
sich    geräumigere  Häuser    zu    bauen  ^si).     Wiederum  sahen  z.  B. 

379)  Vgl.  weiter  v.  Below,  Das  ältere  deutsche  Städtewesen  und  Bürgertum, 
S.  54  ff.;  Gengier,  Deutsche  Stadtrechtsaltertümer,  Kapitel  IX,  X,  XVI;  G.  L. 
V.  Maurer,  Städteverfassung,  Bd.  II,  S.  54  ff. 

380)  Z.  B.  in  Frankfurt  am  Main  im  Jahre  1334.  Fromm,  Frankfurts 
Textilgewerbe  im  Mittelalter  (Archiv  f.  Frankfurts  Geschichte  und  Kunst,  3.  Folge, 
Bd.  VI),  S.  49. 

381)  Philippi,  Westfälische  Bischofsstädte,  S.  12,  teilt  mit,  daß  in  Osna- 
brück die  Handwerker  imd  Händler,  und  zwar  insbesondere  die  Schneider, 
-jQuster,  Gerber,  Kürschner,  Gewandschneider  vmd  Krämer  im  15.  Jahr- 
lundert  ihre  Stände,  die  bis  dahin  gassen weise  den  heutigen  MarktplaU  bedeckt  hätten, 

aufgaben  und  sich  in  ihren  Wohnungen  in  andern  Straßen  Läden  einrichteten.  Aehn- 
lich  die  Bäcker,  die  wie  die  Fleischer  unten  im  Rathause  auslegten  (vgl.  auch 
Mitteilungen  des  Histor.  Vereins  zu  Osnabrüdi,  Bd.  XVH,  S.  12,  S.  20).  In 
Minden  dagegen  wurden  aus  den  Budenreihen  die  Bäcker-  und  die  Scharren- 
straße (Bischofsstädte,  S.  13).  Und  die  dortige  Hohnstraße  wird  doch  wohl  als 
Hokenstraße  zu  deuten  sein:  vgl.  die  Hakenstraße  längs  der  Westseite  des  ^larktes 
in  Bremen.    Vgl.  von  Bippen,  Geschichte  der  Stadt  Bremen,  Bd.  I,  S.  378. 


I50 


Der  Markt  und  die  Aemter. 


die  Loher  sich  durch  ihr  Gewerbe  selbst  genötigt,  ihre  Arbeits- 
stätte an  den  Fluß  oder  Bach  zu  verlegen.  Der  natürliche  Zwang 
der  Dinge  brachte  eben  die  größte  Mannigfaltigkeit  hervor,  aber 
die  Bedeutung  des  Prinzips  wird  dadurch  nicht  gemindert  '^^-). 


382)  Ein  überraschendes  Licht  würde  auf  die  Bedeutung  der  lokalen  Gruppierung 
für  die  Organisation  der  Aemter  H.  Wittes  Erklärung  des  §  i  des  Hagenauer 
Rechts  von  11 64  werfen,  wobei  er  sich  auf  §  23  und  die  deutsche  Uebersetzung  aus 
dem  14.  Jahrhundert  stützt,  die  er  in  der  Zeitschrift  f.  d.  Geschichte  d.  Oberrheins, 
Bd.  LH  (N.  F.  Bd.  XIII)  mitteilt:  „de  mobilibus  autem  magistratui  suo  respondeat 
et  loco  ad  quem  se  transtulit";  deutsch:  „siner  meisterschaft  und  der  stat  zu  der  er 
sich  gemachet  het."  „Locus  bedeutet  hier  die  Stätte,  d.  h.  Körperschaft  der  Ge- 
werbetreibenden, der  sich  der  Neubewohner  angeschlossen  hat"  (Witte,  S.  411  •*). 
Meine  Urkunden  Nr.   135. 


VIII.  Kapitel. 

Die  Amtsmeister. 

Die  Bildung  der  Handwerks,, ämter"  findet  ihren  Abschluß 
mit  der  Einsetzung  von  Amtsmeistern. 

Solche  stehen  selbstverständlich  nicht  von  Anfang  an  an 
der  Spitze  der  einzelnen  Gruppen,  in  die  die  Marktord n u n g"  ,die_ 
gesamten  Gewerbetreibenden  geteilt  hatte.  Das  Ursprüngliche 
war,  daß  die  Handwerkerschaften  ohne  eigene  Führer  zusammen 
unmittelbar  einem  Beamten  des  Marktherrn  unterstellt  w'urden, 
der  aber  natürlich  auch  n^ch  Einsetzung  der  Meister  wenigstens 
formell  in  seiner  Stellung  blieb.  Auf  den  Titel  dieses  Beamten 
kommt  es  nicht  an :  es  handelt  sich  um  ein  Nebenamt,  das  mit 
seinen  Einkünften  diesem  oder  jenem  Ministerialen  übertragen 
werden  konnte. 

In  einfachen  Verhältnissen  unmittelbar  zuständig  war  der 
Schultheiß  oder  welche  Bezeichnung  sonst  der  ordentliche  Stadt- 
und  Marktrichter  im  einzelnen  Falle  führte.  Ihn  finden  wir  in 
dieser  Stellung  in  Hameln  nach  der  Aufzeichnung  über  seine 
Rechte  aus  den  Jahren  1237 — 1247^8^);  während  30  oder  40 
Jahre  später,  nachdem  die  Stadt  das  Schultheißenamt  käuflich 
erworben  hatte,  der  Rat  selbst  das  Handwerk  regiert  3«^), 

In  Augsburg  übt  im  12.  Jahrhundert  ebenfalls  der  ordent- 
liche Stadtrichter,  der  prefectus_urbis  oder  Burggraf,,  die  Gewerbe- 
gerichtsbarkeit:  von  Amtsmeistern  ist  dabei  so  wenig  die  Rede 
wie  in  Hameln  ^*^).  Und  da  man  in  Augsburg  bis  zur  Zunft- 
revolution    von     1368    die    Bildung    von    Handwerkerverbänden 


383)  Meinardus,  ürkundenbuch  des  Stiftes  und  der  Stadt  Hameln  Nr.  22; 
meine  Urkunden  Xr.  149.  Ueber  die  Bedeutung  des  Innungsrechtes  in  dieser  Ur- 
kunde vgl.  unten  Kap.  X. 

384)  Meinardus  Nr.  79;  Urkunden  Nr.   150  §  5,  §  9:  a.   1277. 

385)  Stadtrecht  von  1156.  Meine  Urkunden  Nr.  125  §  21  ff.  Vgl.  noch 
unten  Anm.  400. 


152 


Die  Amtsmeister. 


Stets  hintangehalten  hat,  so  ist  es  bis  dahin  denn  auch  dabei  g-e- 
blieben  ^««). 

Ebenso  kennt  die  Aufzeichnung  über  die  Rechte  und  Ab- 
gaben der  Gewerbetreibenden  zu  Wiener-Neustadt  von  etwa 
13 lo  nur  den  „richter"  als  ihren  Vorgesetzten •^*^^).  Ueberhaupt 
wird  sich  ergeben,  daß  dieser  Zustand  ein  viel  stärker  verbreiteter 
gewesen  ist,  als  man  nach  den  landläufigen  Darstellungen  des 
Zunftwesens  annehmen  sollte. 

Dagegen  hat  bereits  die  Entwickelung  der  Marktgerichts- 
barkeit im  allgemeinen  gezeigt,  wje  leicht  ^^rh  nnt-pr  TJmstpnden 
von  der  Stadtgerichtsbarkeit  die  Gewerbekontrolle  abzweigen 
konnte,  und  mehrfach  sahen  wir  den  iudex  nur  noch  im  Em- 
pfang eines  Anteils  an  den  Bußen '^s**). 

Jedoch  eine  solche  Spaltung  war  nicht  nur  da  möglich,  wo 
die  Gewerbepolizei  in  die  Hände  der  Gemeindeorgane  überging: 
ebenso  gut  ließ  sie  sich  einem  besonderen  Beamten  des  Markt- 
herrn übergeben.  Und  auch  das  scheint  bereits  im  Edictum 
Pisten se  vorgesehen,  wo  sie  ganz  allgemein  den  „ministri  rei 
publicae"  empfohlen  wird^**'*). 

In  dieser  Stellung  fanden  wir  in  Straßburg  einer  großen 
Anzahl  der  wichtigsten  Gewerbe  gegenüber  den  Burggrafen, 
während  der  Schultheiß  die  allgemeine  Marktgerichtsbarkeit  be- 
saß, der  ja  noch  ein  weiter  Spielraum  blieb  3'*^).  In  Anlehnung 
an  Gothein  ließe  sich  für  die  Sonderstellung  jener  Aemter  eine 
Erklärung  vielleicht  in  ihren  Lieferungen  für  die  Hof-  und  Heer- 
fahrt des  Bischofs  finden  ^^i). 


386)  Vgl.  Chroniken  der  deutschen  Städte  Bd.  IV,  Augsburg  Bd.  I,  S.  135. 
Erst  jetzt  werden  aus  den  Handwerken  zu  poHtischen  Zwecken  Zünfte  gemacht,  ,.der 
iecHchiu  einen  Zunftmeister  haben  sol".  Vgl.  Chroniken  Bd.  XXII,  Augsburg  Bd.  III, 
S.  339'.  In  dem  ausführlichen  Stadtrecht  von  1276  heißt  es  denn  auch  stets  nur  „die 
gwander",  „die  kramer",  ,,die  flaishmanger",  „die  hüter",  „die  wizmaler"  u.  s.  w. 
Und  die  Gewerbegerichtsbarkeit  hat  nach  wie  vor  der  Burggraf.  Meyer,  Das  Stadt- 
buch von  Augsburg,  S.  38  ff.,  S.   192  ff. 

387)  Winter,  Urkundliche  Beiträge  zur  Rechtsgeschichte  ober-  imd  nieder- 
österreichischer Städte,  S.   70  ff.;  meine  Urkunden  Nr.   269. 

388)  Vgl.  oben  S.  230  f. 

389;  Boretius-Krause,  Bd.  II,  S.  319  §  20;  oben  S.  43. 

390)  Vgl.  oben  S.  65. 

391)  Wirtschaftsgeschichte  des  Schwarzwaldes,  Bd.  I,  S.  312  ff.  Allerdings 
betont  Gothein  den  militärischen  Charakter  der  Organisation  etwas  zu  stark.  Vgl. 
übrigens  oben  S.  85  ff. 


Gewerbegerichtsbarkeit  in  einer  Hand.  je» 

In  Trier  und  andern  Städten  dagegen  war  es  d£iL_bischü£-. 
liehe  Kämmerer,  der  als  regelmäßiger  Empfänger  der  Lieferungen 
ihrer  Erzeugnisse,  die  Handwerke  beaufsichtigte  ^"2), 

Wieder  in  anderen  ist  es,  wie  in  Koblenz.,  aus  ebenfalls 
leicht  erklärlichen  Gründen,  der  Zöllner  ^^-^j. 

Und  endlich  handelt  es  sich  nicht  selten,  wie  wir  nament- 
lich bei  den  Wiener  ^lajüjrejn"  sahen,  bloß  darum ^••^),  daß 
einzelne  Gewerbe,  gemäß  der  damals  so  tief  eingewurzelten 
Neigung  zu  Sonderstellungen,  eine  Vergünstigung  darin  erblickten, 
wenn  sie  dem  ordentlichen  Richter  entzogen  und  einem  eigenen 
zugewiesen  wurden:  eine  Neigung,  die  aber  durchaus  nicht  auf 
ein  bloßes  Spiel  der  Phantasie  zurückgeführt  werden  darf,, 
sondern  die  stets  reale,  wenn  auch  superindividualistische,  oft 
kleinliche  Beweggründe  hatte.  Es  sind  Vorgänge,  die  sich  bei 
günstiger  Gelegenheit  noch  unter  dem  Ratsregiment  wiederholen 
können  und  geradezu  eine  rückläufige  Bewegung  darstellen,  wenn, 
wie  in  Halberstadt  im  Jahre  ^^258,  der  Bischof  die  Krämer, 
offenbar  auf  ihren  Wunsch,  von  der  Aufsicht  des  Rates  eximiert 
und  seiner  eigenen  unmittelbaren  unterstellt^^).  Aehnlich,  wenn 
in  Hildesheim  1292  der  Bischof  die  Leineweber  in  der  Aus- 
übung   des    Innungsrechtes    gegen    die    Ansprüche    des    Rates 

392)  Vgl.  oben  S.  95. 

393)  Höhlbaura,  Hansisches  Urkundenbuch,  Bd.  I,  Nr.  3;  Mitlelrhein, 
Urk.-B.,  Bd.  T,  Xr.  409;  meine  Urkunden  Xr.  80:  von  1104.  In  Koblenz  hatte 
die  große  Bedeutung  des  Schiffszolls  die  Stellung  des  Zöllners  wohl  auch  auf  dem 
Markt  gehoben. 

394)  Oben  S.  94. 

395)  Schmidt,  Urk.-B.  d.  Stadt  Halberstadt,  Bd.  H  (Gqu.  d.  Prov.  Sachsen, 
VII,  2),  S.  443,  Xr.  XXIX  vom  24.  Okt.  1258:  „nee  in  eorum  constitutionibus  sive 
iustitiis  eos  teneri  volumus  aliqualenus  arbitrio  sive  iudicio  consulum  civitatis  predicte, 
sed  ipsos  nobis  in  agendis  ipsorum  inmediate  volumus  subiacere."  Wahrscheinlich  ist 
dieser  Vorgang  in  Beziehung  zu  setzen  zu  der  Urkunde  vom  2.  Febr.  1253,  Schmidt 
a.  a.  O.  Nr.  XXVIH,  durch  die  der  Rat  bescheinigt,  ,,quod  iustitores  de  suo  arlificio, 
quod  vulgariter  didtur,  ,inninche',  VHII  marcas  dvitati  prestitenmt'*.  Der  Umstand, 
daß  die  VHII  „offenbar  aus  einer  früheren  Zahl  korrigiert,  später  durchstrichen  und 
novem  et  dimidiam  übergeschrieben  und  wieder  von  späterer  Hand  (s.  XIV  ex.)  auch 
dies  durchgestrichen  und  XI  marcas  et  dimidiam  untei^eschrieben"  ist  (Schmidt 
a.  a.  O.),  zeigt,  daß  es  sich  nicht  um  eine  einmalige  Zahlung  oder  gar  ein  Darlehn 
handelt,  sondern  um  eine  regelmäßige,  nach  und  nach  erhöhte  Leistung,  gegen  die 
auch  die  bischöfliche,  übrigens  nur  „quoadusque  vixeritnus"  gewährte  Intervention  auf 
die  Dauer  nicht  schützte.  Auch  die  Korroborationsformel  „ut  rata  permaneant"  ist 
nicht  die  einer  Quittimg.  —  Vgl.  noch  die  folgende  Anm. 


154 


Die  Amtsmeister. 


schützt  39'').  Was  scherte  es  die  Leineweber,  ob  sie  um  geringen 
Vorteils  willen  die  mühsam  errungene  städtische  Selbständigkeit 
wieder  erschütterten!  Dem  Bischof  freilich  war  ihr  Vorgehen  nur 
willkommen. 

Auch  einem  Geistlichen  konnte  ein  Amt  unterstellt  werden, 
wie  in  Würzburg  kraft  besonderer  bischöflicher  Verleihung  die 
Schröter  dem  Domkustos ^^'j. 

Etwas  anders  ist  die  Stellung  des  Dompropstes  in  der 
Neustadt  Hildesheim,  dem  König  Heinrich  am  22.  November 
[1226]  das  Recht  verleiht: 

in   eadem   civitate  ordinäre   officia  in   mechanicis   et  aliis 

professionibus    et  magistros    officiorum  instituere,   qui   ad 

ipsum  habeant  respectum  et  eius  tantum   observent  iudi- 

cium^^**). 

Er  ist   hier   in  der  Neustadt   der  Stadtherr  3'*")  und  offenbar 

•der   Stadtgründer:  wir  haben   hier  also  einen  guten   Beleg  dafür, 

wie    man    bei    Anlage    einer    neuen    Stadt    selbst    in    kirchlichen 

Kreisen  die  sofortige  Organ isatimi  c\^r  H^nrlv\:^rker_m  Aemtorn 

als    selbstverständlich    erachtete    und    nicht    abwartete,    bis    nach 

und    nach    Zünfte    sich  aus   freiem  Antriebe  auftaten.     Aber  in- 

-sofern    ähnelt  die    Stellung  dieses    geistlichen    Herrn    der    seines 

Würzburger    Konfraters,    als  auch  er  es  nicht  für  nötig  gehalten 


396)  Doebner,  Urk.-B.  d.  Stadt  Hildesheim,  Bd.  I,  Nr.  460  vom  25.  Mai 
1292:  „Item  consulibus  civitatis  nostre  Hildensem  non  recognoscimus  aliquid  in  iure 
illo  texiorum,  quod  in  vulgari  vocatur  inninghe."  Eine  ähnliche  Vergünstigung  scheint 
zwanzig  Jahre  früher  auch  den  Schuhmachern  zu  teil  geworden  zu  sein.  Mag  auch 
,,die  Tripartita  demonstratio  etc.  (Hildesh.  1691)  S.  139  gedruckte  Urkunde  .  .  sich 
in  dieser  Form  als  Fälschung  aus  neuerer  Zeit"  erweisen  (Doebner,  S.  161'),  so 
wird  an  der  Richtigkeit  des  Inhalts  doch  kaum  zu  zweifeln  sein.  —  Auch  in  der  vorher 
besprochenen  Halberstädter  Urkunde  von  1258  werden  die  Krämer  ausdrücklich 
„in  suis  iuribus  que  vulgariter  ,innigge'  dicuntur"  bestätigt. 

397)  Gramich,  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt  Würzburg,  S.  47,  nach 
<lem  Auszug  der  Urkunde  vom  28.  Okt.  1250  bei  Lorenz  Fries,  Chronik  der  Bischöfe 
Ton  Würzburg  (Ausg.  von  Ludewig,  Frankfurt  a.  M.  1713),  S.  565.  Unbegreiflich, 
wie  Gramich  auch  hierin  ein  Zeichen  der  Hofrechtlichkeit  erblicken  kann!  Vgl.  weiter 
unten  Anm.  437  a  und  469. 

398)  Doebner,  a.  a.  O.,  Nr.  96;  bestätigt  von  König  Wilhelm  am  26.  Febr. 
1252,  Nr.   221. 

399)  „Sed  soli  preposito  maiori  qui  fuerit  pio  tempore  quoad  omnem  utilitaiem 
et  reverenciam  semper  subsint."  Vgl.  auch  Urkunde  Bischof  Koniads  II.  von  1246, 
a.  a.  O.,  Nr.  193:  „homines  de  Novo  oppido  prepositi  maioris".  Der  Vogt  Luppold 
ist  dann  mit  der  berühmten  Gründung  der  Dammstadt  seinem  Beispiel  gefolgt: 
a.  a.  O.,  Nr.   122  vom   11.  Mai   1232. 


Gewerbegerichtsversaminlungen.  les 

ZU    haben    scheint,    die    Aufsicht    über    die    Handwerker    einem 
Ministerialen  als  Zwischeninstanz  zu  übertragen. 

Mit  den  ihm  untergebenen  Handwerken  hielt  der  markt- 
herrliche Gewerbebearnte  in  Ausübung  seiner  Funktionen  Yer.- 
sammlungen  ab,  regelmäßig  dreimal  im  Jahre:  sie  sind  das  un- 
sj^ebotene  Ding  in  Gewerbeangelogonheiten^"")./  Zunftversamm- 
lungen, wie  Hegel  bei  Gelegenheit  der  Koblenzer  Schuh- 
macher tut,  kann  man  diese  Sitzungen  noch  nicht  nennen*"*). 
Mit  den  späteren  „Morgensprachen"  der  Zünfte  haben  sie  nur 
€ine  entfernte  Aehnlichkeit.  wenn  diesen  auch  unter  der  Herr- 
schaft des  Rats  ebenfalls  ein  Ratsmitglied  beizuwohnen  pflegte*"-). 
Trotzdem  sind  sie  ein  .sehr  wichtiges  Glied  in  der  zünftischen 
Entwickelung.  Denn  hier  trat  jedes  Gewerk  zum  ersten  Male 
als  geschlossene  Gemeinschaft  auf;  hier  übte  es,  wenn  auch  unter 
herrschaftlicher  Leitung,  die  Anfänge  der  Autonomie;  hier  konnte 
CS  seine  Wünsche  auch  gegen  den  Richter  geltend  machen.  An- 
fangs mochten  freilich  die  Verhandlungen  in  ruhigem  Flusse  ver- 
laufen, die  Amtsführung  des  Richters  zur  Erregung  autono- 
mistischcr  Velleitäten  keinen  Anlaß  geben:  die  Bewirtung,  die 
er  hie  und  da  seinen  Handwerkern  zukommen  läßt,  mag  sie  auch 
gesetzlich  fixiert  erscheinen,  deutet  darauf  hin,  daß  das  Verhältnis 

.joo)  Z.  B.  Scfauhmacber  in  Koblenz  a.  1104:  „ter  conveniunt  ad  placitum 
iniiiS2>i"  (vj;l.  oben  Anm.  393).  Bäcker,  Fleischer  und  Weber  in  Hameln, 
meine  Urkunden  Nr.  149  (oben  Anm.  383)  5?§  i,  2,  4,  8,  9.  Fleischhacker, 
Fragner,  Füttrer,  Schwertf eger,  Leinwandhändler,  Altschuster,  fremde 
Krämer,  Schuhmacher,  Bäcker  in  Wiener-Neustadt  (oben  Anm.  3871. 
Andere  Gewerix;  kamen  dagegen  nur  einmal  im  Jahr  ziu-  Versammlung.  So  in 
Wiener-Neustadt  die  Färber,  Walker,  Weißgerber,  Wagner  und  Schreiner. 
iJeiler,  Faßbinder,  Bierbrauer,  Oelverkäufer,  Hutmacher  (vielleicht  die 
Wollweber).  Auch  in  Augsburg  scheinen  nach  dem  Stadtrecht  von  1156  die 
regelmäßigen  gewerbegerichtlichen  Sitzungen  des  Bui^grafen  mit  den  Bäckern  (§  23) 
und  Fleischern  (§  25)  dreimal,  mit  den  Wurstmachern  (§  26)  zweimal  im  Jahre  ge- 
halten worden  zu  sein.  Die  polizeiliche  Kontrolle  mußte  natürlich  öfter  vorgenommen 
werden :  daher  die  Brotprobe  monadich.  In  der  Handhabung  der  ordentlichen  Ge- 
richtsbarkeit saß  der  Burggraf  täglich  zu  Gericht-  Die  2^1ungen  an  den  Vogt  zu  den 
drei  echten  Dingen  (§  20)  entstammen  vielleicht  einer  Bede.  Diese  echten  Dinge 
v.aren  ja  die  einzigen  Gel^enheiten,  wo  der  Vogt  die  Stadt  amtlich  betreten  durfte 
(>}  18).  Vgl.  übrigens  noch  oben  Anm.  160,  wonach  der  Vogt  über  Fürkauf  zu 
richten  hatte. 

401)  Städtewesen,  S.   u8*. 

402)  Der  Name  „sprake"  kommt  für  sie  allerdings  vor:  Hameln  §  4  („coilo- 
quium"  §§  i,  4,  8,  9).  Aber  der  ist  ja  überhaupt  nicht  bloß  für  Zunftversamm- 
lungen üblich. 


I  c5  Die  Amtsmeister. 

lange  Zeit  sich  als  normales,  in  der  Form  freundschaftliches 
kennzeichnete *^3).  Allein  es  liegt  in  der  Natur  der  Dinge,  daß 
es  dabei  nicht  bleiben  konnte:  daß  auf  der  einen  Seite  das  Recht 
mitzureden  Opposition  und  den  Wunsch  nach  größerer  Selb- 
ständigkeit erzeugte;  daß  auf  der  andern  mancher  Richter  es 
bald  als  seine  eigentliche  Aufgabe  ansah,  möglichst  oft  die  feil- 
gebotenen Waren  zu  bemängeln,  um  möglichst  reichliche  Bußen 
eintreiben  zu  können  —  hatte  er  sich  auch  formell  nach  dem  Spruch 
der  Versammlung  zu  richten.  Ja,  der  strenge  Formalismus  des 
alten  Rechts  mußte  geradezu  jede  Neuerung  und  damit  jeden 
technischen  Fortschritt  in  ähnlicher  Weise  unterbinden,  wie 
später  die  starren  Zunftwillküren.  Alles  drängte  nach  einer 
Aenderung  des  Verfahrens.  --i— ^^*-^ V*^ 

Das    Gewette    wurde    abgelöst-      An    Stelle    der    bei   jedem 

Verstoß   extorquierten   traten    regelmäßige,   hegrpnzi-p Zahlungren 

an  jedem  Gerichtstage ^°^).  Das  wird  der  Ursprung  der  meisten 
der  Zahlungen  sein,  die  uns  in  den  Rechtsaufzeichnungen  so 
häufig  allein  von  dem  Bestehen  einer  Gewerbegerichtsbarkeit 
Kunde  geben:  woraus  sich,  beiläufig,  ebenfalls  ergibt,  daß  die 
Einnahme  deiL_Richtern  die  Haüptsarhe.  geworden  war.  Das 
wird  im  wesentlichen  ihr  Ursprung  sein,  auch  wo  sie  unter 
anderem  Namen  erscheinen  und  nebenher  eine  x\blösung  oder 
einen  Entgelt  für  noch  andere  Berechtigungen  einschlössen  *•**). 

403)  Bezeichnend  für  das  Prekäre  des  Verhältnisses  ist  aber  folgende  Stelle  aus 
der  Erneuerung  der  oben  Anni.  393  angeführten  Koblenzer  Urkunde:  „Post  festum 
.  .  S.  Martini  theloneario  et  villico  dabunt  sutores  Confluentie  eis  et  scabinis  servitium 

laudabile Quod  si  laudabile  non    fuerit    servitium,    satisfacient    theloneario    et 

villico  secundum  quod  scabini  iudicaverint Si  vero    sutores    aliquam    scutellam 

vel  aliquid  vas  vinarium  vel  aliquid  mensale  vel  manutergium  ruperint,  tenentur 
satisfacere  theolenario."  Vom  13.  Juni  1209,  Mittelrhein.  U.-B.,  Bd.  II,  Nr.  242. 
Auch  daß  der  Zöllner  ihnen  zu  der  Mahlzeit,  die,  wie  sich  ergibt,  von  ihnen  mit  den 
Gästen  gemeinsam  eingenommen  wurde,  jetzt  soviel  Käse  beisteuert,  „quantum  for- 
tissimus  eorum  una  manu  levare  poterit",  zeigt,  daß  Streitigkeiten  eine  genauere  Be- 
stimmung nötig  gemacht  halten.  Denn  hundert  Jahre  früher  hieß  es  nur:  „caseum, 
qui  manu  una  possit  levari." 

404)  Eberstadt,  Zunftwesen,  S.  38  ff.,  hat  auf  die  oben  S.  39  besprochene 
Urhunde  von  1 1 1 2  für  die  Bäcker,  Brauer,  Gerber  und  andere  Gewerbetreibenden  von 
Saint-Trond  aufmerksam  gemacht,  deren  Gegenstand  die  Umwandlung  des  Gewettes  in 
eine  Gesamtzahlung  von  18  s.  an  jedem  Gerichtstag  ist.  Mit  Hofrecht  oder  Grund- 
herrlichkeit hat  das  aber,  wie  man  sieht,  nichts  zu  tun. 

405)  Vgl.  z,  B.  „dez  richters  recht"  von  Wiener-Neustadt,  oben  Anm.  387. 
„Daz  sind  dez  richters  recht,  deu  mit  gewalt  und  mit  verhengnusse  der  purger  zer- 
gangen   und    aufgesazt    sind,    und    doch    der   gemain    die    in  der  stat  sind  und  in  den 


Die  Einsetzung  von  Amtsmeislern.  I57 

Das  wichtigste  aber,  was  man  erstrebte  und  errang,  war  das 
Recht,  einen  eigenen  Meister  zu  haben.  Dieser  Meister  konnte 
den  Zins  für  die  Marktstände  einsammeln;  er  sorgte  für  die 
richtige  Ablieferung  sonstiger  Schuldigkeiten  an  den  Marktherm 
oder  seinen  Beamten:  die  Hauptsache  aber  war,  daß  man  nun 
erst  wirklich  frei  wurde  von  den  Chikanen  des  Richters.  Im 
Kreise  der  eigenen  Genossen  allein,  unter  Leitung  eines  Ge- 
nossen —  mochte  er  auch  vom  Herrn  ausgewählt  und  eingesetzt 
sein  —  übte  man  jetzt  die  Gewerbepolizei  nach  eigenem  Er- 
messen. 

Der  Ministerial  wie  der  Marktherr  blieben  zwar  als  höhere 
Instanzen.  Aber  man  braucht  kein  allzu  gründlicher  Kenner 
mittelalterlicher  Verhältnisse  zu  sein,  um  zu  wissen,  daß,  sobald 
die  Höhe  der  Einkünfte  von  dem  Eifer,  mit  dem  der  x\mtstätig- 
keit  obgelegen  wurde,  unabhängig  geworden  war,  man  das  Amt 
als  Sinekur  zu  behandeln  anfing  und  im  Grunde  nur  noch  als 
Einnahmequelle  betrachtete  ^^^a^  Vielleicht  würde  es  zu  weit  ge- 
gangen sein,  wenn  man  eine  derartige  Tendenz  bereits  aus  der 
Formulierung  des  §  44  des  Straßburger  Stadtrechts  herauslesen 
wollte,  wo  es  vom  Burggrafen  heißt: 

et  de  eisdem  habet  potestatem  iudicandi. 
Denn  aus  den  folgenden  beiden  Paragraphen  muß  man  doch 
wohl  schließen,  daß  er  diese  „potestas"  auch  auszuüben  pflegte. 
Im  Jahre  1263  jedenfalls  ist  ihm  nur  die  Befugnis,  die  Meister 
einzusetzen,  geblieben,  deren  jeder  jetzt  allein  das  Richten  in 
seinem  Handwerk  besorgt*"^**).  Und  auch  der  Baseler  Viz- 
tum  ist  etwa  gleichzeitig  bloße  Rekursinstanz*®*''). 

Die  Einsetzung  der  Meister  aber  gewährleistete  auch  allein 
eine  wirklich  zweckmäßige  und  genaue  Gewerbekontrolle.     Dazu 


gegenten  und  auch  in  den  dorfem  die  darumb  gelegen  sind,  grozzer  schad  isL"  Diese 
Einleitung  läßt  vermuten,  daß  die  im  weiteren  aufgeführten  Zahlungen  ihren  Ursprung 
nicht  wirklich  oder  doch  nicht  allein  der  Verleihung  des  Innungsrechtes  verdanken,  wie 
bei  einigen  unter  ihnen  behauptet  wird.  Das  Innungsrecht  pflegt  der  Handwerker 
durch  eine  einmalige  Zahlung  zu  erkaufen,  nicht  durch  eine  jährlich  oder  dreimal  jähr- 
lich wiederholte.     Vgl.    unten  Kapitel  X.      Der    wahre    Sachverhalt    ergibt    sich    denn 

auch  wohl  aus  §  2 :  „Die  fragner  gewent  dem  richter  jarleich  VIII  pfunt  pfenning 
darumb,  daz  man  seu  auf  chain  ander  recht  nicht  entwing." 

405a)  Vgl.  auch  oben  S.  54  f. 

405b)  Der  Vertrag  zwischen  Bischof  imd  Stadt  darüber,  oben  Anm.  220. 
Vgl.  noch  unten  S.   166. 

405c)  Vgl.  unten  Anm.  412  und  S.   ibi  f. 


1  cg  Die  Amtsmeister. 

gehörten,  seitdem  sie  auf  die  Herstellung  der  Waren  in  der 
Werkstatt  zurückgriff,  technische  Kenntnisse,  wie  sie  ein  Burg- 
graf, ein  Viztum  oder  ein  anderer  Ministerial  nicht  besaß.  So 
wurde  auch  in  dieser  Hinsicht  durch  die  Ernennung  von  Amts- 
meistern ein  Fortschritt  errungen.     Denn  diese  Amtsmeister  sind 

—  nach  dem  ausgeführten  wird  niemand  daran  zweifeln   können 

—  von  vornherein  selber  Handwerker. 

Gewiß  würde  überhaupt  niemand,  der  nicht  im  Banne  der 
hofrechtlichen  Theorie  gestanden  hätte,  je  auf  den  Gedanken  ge- 
kommen sein,  dass  es  anders  hätte  sein  können.  Was  sollten 
wohl  zwei  Ministerialen  übereinander  als  Richter  in  Handwerks- 
angelegenheiten? Aber  für  die  hofrechtliche  Theorie  ist  das  ein 
Kauptstück.  Es  genügt  ihr  eben  deshalb  auch  nicht,  in  den 
Meistern,  wie  wir  sie  etwa  in  Werden  an  der  Spitze  der  Hof- 
schiniede  kennen  lernten,  bloße  Vorarbeiter  zu  sehen:  auch  in 
einem  solchen  Falle  muß  der  „magister"  ein  Ministerial  sein,  der 
dem  „Amt"  der  Schmiede  vorsteht. 

Es  bleibt  uns  deshalb  nichts  übrig,  als  uns  auch  unserer- 
seits mit  dem  Charakter  der  Amtsmeister,  die  in  Straßburg 
den  Burggrafen,  in  Trier  dem  Kämmerer,  in  Basel  verschiedenen 
Ministerialen  unterstellt  sind,  näher  zu  beschäftigen. 

Die  Basler  Handwerkerurkunden  aus  der  Mitte  des  13. 
Jahrhunderts  liefern  das  Material  dazu,  wenn  auch  inzwischen 
die  „Aemter"  hier  sich  zum  Range  von  „Zünften"  weitergebildet 
haben. 

Die  Organisation  des  Handwerks  in  Basel  in  älterer  Zeit 
weicht  von  der  Straßburger  vor  allen  Dingen  darin  ab,  daß  nicht 
die  sämtlichen  Handwerksgruppen  oder  deren  große  Mehrheit 
einem  einzigen  bischöflichen  Ministerialen  unterstellt  sind,  wie  in 
Straßburg  dem  Burggrafen,  sondern  der  Bischof  für  jedes  Amt 
einen  eigenen  ministerialischen  Vorsteher  setzt.  So  belehren  uns 
die  Zunfturkunden  der  Kürschner  von  1226,  der  Maurer, 
Gipser,  Zimmerleute,  Böttcher  und  Wagner  (im  folgenden 
kurz  „Bauarbeiter")  von  1248,  der  Metzger  ebenfalls  von  1248^''*'). 


406)  Meine  Urkunden  Nr.  271  §  10,  Nr.  272  §  8,  Nr.  273  §  9;  Wacker- 
na gel  u.  Thommen,  Urk.-Buch  d.  Stadt  Basel,  Bd.  I,  Nr.  108,  Nr.  iqg,  Nr.  221. 
—  Eberstadt,  Zunftwesen  S.  49,  nimmt  freilich  an,  daß  in  Straßburg  die  Bäcker, 
Metzger,  Zimmerleute  und  Fischer,  die  nach  dem  ersten  Stadtrecht  §  44  nicht 
zu  den  burggräflichen  gehören,  „unter  besondem  Aemtern",  d.  h.  in  seinem  Sinne 
Ministerialen,  gestanden  hätten,  also  wie  in  Basel.     Davon  wissen  wir  aber  schlechter- 


Die  Amumeister  Handwerker.  1^^ 

Bei  den  Bäckern,  Urkunde  von  1256,  nimmt  der  Vi/tum 
die  Stelle  ein*<>^). 

Rund  ein  Jahrhundert  später  ist  es  nach  den  beiden  von 
Wackernagel  und  von  Mone  veröffentlichten  Verzeichnissen 
der  bischöflichen  Aemter  aus  der  ersten  Hälfte  des  14,  Jahr- 
hunderts bei  den  Bäckern  noch  ebenso*"*),  während  das  Bau- 
arbeiteramt geteilt  ist  in  eins  der  Zimmerleute  und  eins  der 
Maurer  ^°^),  Kürschneramt  und  Metzgeramt  jedoch  fehlen  ^i"). 

dings  nichts.  Und,  was  die  Zimmerleute  betrifft,  so  vgl.  auch  oben  bei  Anm.  223. 
—  Es  muß  indes  darauf  hingewiesen  werden',  daß  selbst  in  Basel  der  Wortlaut  der 
Urkunden  die  Möglichkeit  nicht  ausschließt,  daß  ein  und  derselbe  Minisierial  einer 
Mehrzahl  von  Aemtem  vorgestanden  hat.  Denn  der  Bischof  sagt  nur  (a.  a.  O.):  „Ad 
hec  omnia  unum  ex  ministerialibus  ecclesie  nostre  concedinnis  annualim,  ut  omnia  ut 
prescripta  sunt  |>er  ipsum  iusto  moderamine  statuantur  et,  si  necesse  fuerit,  conigantur." 
Das  ist  auch  bei  dem  Fehlen  gewisser  Aemter  in  dem  Anm.  408  ff.  besprochenen 
Verzeichnis  zu  berücksichtigen. 

407)  Meine  Urkunden  Nr.  270;  Wackernagel  und  Thommen,  Bd.  I, 
Nr.  302. 

408)  Ein  großes  Verdienst  hat  sich  Rietschel  damit  erworben,  daß  er  zwei- 
mal auf  die  Dublette  des  von  W.  W^ackernagel,  Das  Bischofs-  und  Dienstmannen- 
recht  von  Basel,  S.  1 1  ff.,  1852  besprochenen  Basler  Lehnbuchs  hingewiesen  hat, 
die  zehn  Jahre  später  Mone  in  der  ZGOR.,  Bd.  XIV,  S.  17  ff.  veröffentlicht  hatte 
(DZG.,  N.  F.,  Bd.  I,  189697,  Vierleljahrshefte,  S.  42'  und  DLZ..  1902,  Sp.  743). 
Der  Wert  der  von  Mone  gefundenen  Aufzeichnung  liegt  darin,  daß  sie  datiert  ist, 
und  zwar  von  frühestens  1341.  Denn  Rietschels  Zweifel,  ob  1341  oder  1313,  er- 
scheint ungerechtfertigt  gegenüber  der  Stelle  Mone,  S.  12:  „Anno  dom.  1341  in  die 
b.  Urbani  conputatis  et  defalcatis  predictis  omnibus  mventum  est."  Unmittelbar  vor- 
her wird  zweimal  auf  Zustände  des  Jahres  1340  als  auf  schon  vergangene  verwiesen. 
Die  Aufschrift  des  Heftes:  „Documentum  de  antiquis  redditibus  et  officiis  ecclesiac 
Ba>iliensis  sub  episcopo  Gerhardo,  qui  vixit  anno  dom.  13 13",  kann  danach  und  nach 
der  Erklärung,  die  Mone  S.  2  dalür  gibt,  nicht  in  Betracht  kommen.  Sie  wird  schon 
dadurch  als  eine  nachträgliche  und  nur  aus  der  von  Mone  berührten  Urkunde  ge- 
schöpfte gekennzeichnet,  daß  Bischof  Gerhard  nicht  bloß  1313  ,, lebte",  sondern  von 
'309 — 1325  regierte.  (In  seine  Zeit  würde  also  auch  das  Aussterben  der  Grafen  von 
Pfirt  fallen:  vgl.  Rietschel  a.  a.  O.)  Indes  ist  für  den  uns  interessierenden  Teil 
der  Handschrift  allerdings  eine  doppelte  Datierung  insofern  anzusetzen,  als  ja  bei  den 
niederen,  nicht  erblichen  Aemtem  ( Bischofsrecht,  meine  Urkunden  Nr.  132  §  4)  außer 
den  augenblicklichen  Inhabern  auch  ihre  Vorgänger  angegeben  sind.  In  dieser  Nennung 
der  Amtsinhaber,  die  bei  Wackemagel  fehlt,  besteht  eben  ein  Hauptunterschied 
zwischen  beiden  Aufzeichnungen.  Daß  aber  beide  sich  zeitlich  sehr  nahe  stehen 
müssen,  dvin  hat  Rietschel  fraglos  recht. 

409)  Die  Trennung  des  Bauarbeiter-Amtes  ist  also  der  jüngere,  die  Vereinigung 
des  ganzen  in  einer  Hand  der  ältere  Zustand,  wie  auch  natürlich,  und  nicht  umge- 
kehrt, wie  Geering,  Handel  und  Indust.ie  der  Stadt  Basel,  S.  9'  bei  seinem  Datie- 
ningsversuch  ohne  weiteres  annimmt.     Vgl.  übrigens  unten  bei  Anm.  411   und  427, 

4 IG)  Unsicher  bleibt,  was  es  mit  dem  -hnlpenampt"  auf  sich  hat.  Ist  es 
ein  Amt  der  Lederarbeiter  (Geering,  S.  9),    so  würde  das  also  auch  ein    neues  Amt 


1  6o  Die  Amtsmeisler. 

Auffällig  mag  dem  gegenüber  erscheinen,  daß  in  der 
■deutschen  Bestätigung  der  Bauarbeiterurkunde  von  1271  von 
"dem  ministerialischen  Vorsteher  nicht  mehr  die  Rede  ist*^^) 
Doch  ist  die  Erklärung  nicht  schwer  zu  finden.  Denn  man  wird 
in  der  Annahme  nicht  fehlgehen,  daß  vor  der  freieren  Selbst- 
verwaltung in  dieser  und  anderen  Zünften  das  Amt  des  Mini- . 
«terialen  zu  einem  formalen^eworden  ist  und  nur  noch  in  dem 
Bezug  gewisser  Einkünfte  weiter  bestanden  hat^^^j  D^nn  der 
Ministerial  ist  aus  seiner  Tätigkeit,  geringfügig  wie  sie  von  An-' 
fang  war,  verdrängt  worden  durch  den  Zunftmeister  und  den 
Ausschuß. 

Den  Zunftmeister  nämlich  ernennt  in  Basel  nicht  er,  sondern 
der    Bischof   selbst *^'^).      Dem    Basler  Ministerial,    der    nur    einer 


über  eine  Zunft  sein.  Mit  den  Kürschnern  könnte  man  sie  kaum  identifizieren  (aber 
auch  nicht  mit  den  Gerbern,  Gothein,  Wirtschaf tsg.,  B4-  I,  S.  322',  von  denen 
Geering  in  dieser  Verbindung  übrigens  gar  nicht  spricht).  Wackernagel,  Bischofs- 
recht, S.  12,  meint,  es  handele  sich  um  das  Käramereramt  (wohl  nur  einen  Unter- 
unterkämmerling,  da  schon  vorher  der  Herzog  von  Teck  als  Erbkämmerer,  die  Divites 
als  subcamerarii  genannt  sind?)     Jedenfalls  kann  man  nicht  mit  Rietschel,  a.  a.  O., 

S.  43,  „dem  einzigen  Baseler  bulgenampt nicht  weniger    als    vier  Straßburgef 

Aemter,  nämlich  die  officia  der  sellarii,  pellifices,  cyrothecarü,  cerdones"  entsprechen 
lassen  und  aus  einer  ,, derartig  fortgeschrittenen  Arbeitsteilung"  auf  späte  Abfassung 
des  Straßburger  Rechtes  schließen.  Denn  die  Gliederung  der  städtischen  Handwerker- 
schaft selbst  steht  zu  der  der  bischöflichen  Hofverwaltung  ja  in  keiner  direkten  Be- 
ziehung. 

411)  Meine  Urkunden  Nr.  277;  Wackernagel  und  Thommen,  Bd.  II, 
Nr.  77. 

412)  Die  Einkünfte  des  Viztums  aus  dem  Bäckeramt  sind  von  seiner 
Tätigkeit  unabhängig  und  gleichwohl  nichts  weniger  als  unbedeutend.  Der  größte 
Teil  der  Gerichtsgefälle  kommt  ihm  zu,  und  das  auch,  wenn  er  nicht  eingreift.  Außer- 
dem erhält  er  Andreae  vom  Zunftmeister  zwei  Schweine  (die  Bäckerschweine  sind  ja 
als  bevorzugte  bekannt)  im  Werte  von  vier  Schillingen  oder  vierundzwanzig  Schillinge 
(§  5)  (eine  sonderbare  Gleichung);  von  jedem  Bäcker,  der  auf  dem  Markt  verkauft, 
viermal  jährlich  12  d.  (§  6);  von  jedem  durch  einen  Bäcker  neu  eröffneten  Backofen 
in  der  Stadt  5  s.  (§  10);  und  ebensoviel  bei  jeder  Meisteraufnahme  eines  Gesellen 
(§  11).  Außerdem  empfängt  er  Ostern  12  s.  von  dem  Meister  für  Lammfleisch  (§  9). 
Dagegen  hat  er  an  den  vier  Terminen  des  §  6  den  Bäckern  2  Quart  Wein  anzuweisen 
und,  wie  es  scheint,  .außerdem,  wenn  sie  ,,eosdem  dare  denarios  premonentur"  (§  7)- 
—  Man  ist  meist  viel  zu  sehr  geneigt,  aus  Amtseinkünften  ohne  weiteres  auf  eine 
Amtstätigkeit  imd  Auktorität  zu  schließen.  Das  Basler  Bäckerrecht  und  die  Basiei- 
Amtslisten  des  14.  Jahrhunderts  liefern  uns  einmal  den  willkommenen  Beweis,  da('> 
ein- solcher  Schluß  unberechtigt  ist. 

413)  Meine  Urkunden  Nr.  271  §  4,  Nr.  273  §  4.  In  der  Urkunde  für  die 
Bauarbeiter  (meine  Nr.  272)  fehlt  ein  entsprechender  Paragraph.     Allein  im  §  2   wird 


Verhiltnis  zum  Ministerialen  in  Basel.  l5l 

Zunft  vorsteht,  ist  eben  nicht  eine  Gewalt  gleichen  Umfanges 
eingeräumt,  wie  einem  Beamten  von  der  Stellung  des  Straß- 
burger  Burggrafen  ^'^).  Und  einer  gewiß  nicht  heilsamen  Zer- 
splitterung wurde  vorgebeugt,  indem  der  Bischof  jene  wichtige 
Befugnis  in  der  eigenen  Hand  zurückbehielt. 

Dem  weiteren  Verlauf  aber  ist  damit  und  durch  den  engen 
Kreis  der  (jeschäfte,  wie  sie  ihm  neben  dem  Meister  schon  die 
älteren  Urkunden  zuerkennen,  die  Bahn  bereits  vorgezeichnet. 

Danach  ist  es  nämlich  die  Aufgabe  des  Ministerialen, 

ut  omnia,  ut  prescripta  sunt  [der  Inhalt  des  Zunftbriefes] 
per   ipsum    iusto    moderamine    statuantur    et,    si    necesse 
fuerit,  corrigantur^'^). 
Dagegen  wird  die  Stellung  des  Zunftmeisters,  des 
magister  de  ipsorum  opere 
in  die  Worte  gefaßt: 

cuius    magisterio  et  licentia  operari  et  regi  teneantur*^^). 

Noch    schärfer    ist    die    Stellung    beider    Beamten    in    der 

Bäckerurkunde  umschrieben  und  die  Tätigkeit  des  Viztums  noch 

deutlicher  auf  die  einer  bloßen  Definitionsinstanz  beschränkt,  von 

der  aber  weiter  an  den  Bischof  appelliert  werden  kann*^-^). 

Es  heißt  §   i: 

Quicquid  inter  panifices,  molendinarios  et  eorum  ser\'ientes 
ortum  fuerit  questionis,  preter  violencias  et  maleficia  que 
penam  sanguinis  irrogant,  ipsorum  magistri  debet  iudicio 


der  Magister  gelegentlich  in  richterlicher  oder  polizeilicher  Funktion  erwähnt,  und  nach 
der  Bestätigung  des  Zunftbriefes  von  1271  (meine  Nr.  277  §  2)  wird  er  auch  bei 
diesem  Gewerk  von  dem  Bischof  ernannt.  Bei  der  andere  Zide  verfolgenden  Auf- 
zcichnimg  über  die  Bäckerrechte  erfahren  wir  über  die  Ernennung  des  Zunftmeisters 
nichts.  Doch  decken  sil:h  seine  Funktionen,  wie  sich  zeigen  wird,  mit  denen  der  andern 
Meister  und  ebenso  ist  sein  Verhältnis  zu  seinem  Voi^esetzten,  dem  Viztum,  dasselbe. 
414J  Eine  Aehnlichkeit  zwischen  der  Stellung  des  Straßburger  Burggrafen 
g^enüber  den  Aemtem  und  der  des  Basler  Viztums  zur  Bäckerzimft  spricht  sidi 
übrigens  darin  aus,  daß  wie  der  Bur^raf  keinen  Bann  hat  und  deshalb  notfalls  an 
den  Bischof  rekurrieren  muß  (erstes  Stadtrecht  §  46,  §  12),  so  auch  von  dem  Viz- 
tum an  den  Bischof  appelliert  werden  kann  (unten  bei  Anm.  417).  Bei  den  übrigen 
Ministerialen  hat  sich  der  Bischof  femer  das  Redit  jährlicher  Ernennung  vorbehalten  (vgl. 
Anm.  406  am  Schluß),  wenn  er  es  auch  regelmäßig  nidit  zur  Tat  gemacht  haben  wird. 

415)  V};1.  oben  Anm.  406. 

416)  Vgl.  oben  Anm.  413.     Ueber  die  Stellung  des   Meisters    der   Bauarbeiter 
nach  der  Bestätigung  von   1271    unten  Anm.  427. 

417)  Vgl.  oben  Anm.  407. 

Keutgen,  Aemter  and  Zünfte.  11 


102  I^ie  Amtsmeister. 

diffiniri.  Quod  per  illum  terminari  non  poterit,  ab  ipso 
ad  vicedominum  et  ad  nos  a  vicedomino  referetur. 

Das  einzige,  was  der  Viztum  noch  zu  tun  hat,  neben  dem 
passiven  Bezug  reichlicher  Sportein,  ist,  die  Ermächtigung  zu 
erteilen,  wenn  ein  Bäcker  von  der  Norm  abweichendes  Brot, 
Brote  zu  zwei  oder  anderthalb  Pfennigen,  zu  backen  wünscht*^^). 

fVeilich  wird  in  der  Bäckerurkunde  nicht  in  Worten  mit- 
geteilt, daß  auch  bei  ihnen  wie  bei  den  andern  Zünften  der 
Meister  selbst  Handwerker  ist,  und  auch  nicht,  wer  ihn  ernennt. 
Da  aber  seine  Stellung  der  der  übrigen  Zunftmeister  entspricht, 
so  liegt  kein  Anlaß  und  keine  Berechtigung  vor,  zu  zw^eifeln, 
daß  auch  in  jenen  Punkten  seine  Lage  dieselbe  gewesen  ist.  Das 
Fehlen  dieser  Bestimmungen  erklärt  sich  sehr  einfach  aus  dem 
besonderen  Zweck,  der  bei  der  Aufzeichnung  des  Bäckerrechtes 
verfolgt  wurde.  Denn  es  handelt  sich  hier  nicht  um  einen  Zunft- 
brief, sondern  um  Feststellung  der  relativen  Rechte  des  Viztums, 
des  Bäckerzunftmeisters  und  der  Bäcker '*i^).    Eben    deshalb  wird 


418)  A.  a.  O.  §   12.     Also  Gesetzgebung,    wie    bei    den    anderen  Ministerialen. 

419)  Deshalb  hören  wir  auch  nichts  von  ihrem  Gottesdienst,  ihrer  Gesellig- 
keit u.  s.  w.,  dem  was  bei  den  Kürschnern  und  Metzgern  als  „confratemia  eorum, 
quod  in  vulgari  dicitur  zhunft"  bezeichnet  wird  (meine  Nr.  271  §  5,  N.  273  §  5), 
außer  daß  auch  bei  den  Bäckern  (§  1 1)  ein  Teil  der  Aufnahniegelder  „ad  lumen  B. 
Virginis"  verwandt  wird.  Vgl.  das  nächste  Kapitel.  Es  würde  aber  verkehrt  sein, 
darum  daran  zu  zweifeln,  daß  die  Bäcker  im  Jahre  1256  bereits  eine  Zunft  bildeten, 
wenn  wir  freilich  auch  nicht  wissen,  daß  sie  um  jene  Zeit  auch  einen  Zunftbrief  erhalten 
haben.  Dieser  aber,  das  Statut,  die  Abredung,  ist  es,  was  in  erster  Linie  mit  con- 
dictum  bezeichnet  wird  -^  also  das,  um  was  es  sich  bei  den  anidern  Urkunden  eben 
handelt.  Vgl.  die  Wendungen  „condictum  super  operibus  ipsorum"  (Nr.  271 — 273 
in  den  Einleitungssätzen),  ,, condictum  infringere"  (Nr.  271  §  2,  Nr.  273  §  2),  ,, contra 
condictum  excedere''  (Nr.  271  §  5,  Nr.  273  §  5).  Denselben  Sinn  muß  also  „con- 
dictum" auch  in  Nr.  271  §  8  haben,  „quod  sub  hoc  condicto  non  solum  viri,  verum 
etiam  mulieres,  que  eiusdem  operis  sunt,  comprehenduntur" :  daß  also  die  Frauen 
demselben  Gesetz  unterworfen,  nicht,  daß  auch  sie  Mitglieder  der  Zunft  sind.  (Vgl. 
auch  die  andern  Stellen  unter  „condictum''  in  meinem  Register,  wo  jedoch  Nr.  273 
§  8  wegfallen  muß.)  Die  Maurer,  Gipser,  Zimmerleute,  Böttcher  und  Wagner  haben 
nur  ein  „condictum",  aber  eine  Mehrzahl  von  „confraterniae"  (Nr.  272  §  3,  §  6; 
„condictum"  in  der  Einleitung).  Deshalb  findet  sich  in  der  Bäckerurkunde  auch  keine 
Nr.  271  §  5  und  Nr.  273  §  5  entsprechende  Bestimmung  über  Strafen  für  Bruch  des 
„condictum",  deren  von  allem  bei  den  Bäckern  vorkommenden  abweichende  Ver- 
teilungsarf  nicht  etwa  für  eine  von  der  des  Viztums  verschiedene  Stellung  des  Kürschner- 
und  des  Metzger-Ministerials  urgiert  werden  darf.  Später  scheint  das  Wort  außer  Ge- 
brauch gekommen  zu  sein;  wenigstens  fehlt  es  in  den  jüngeren  Urkunden,  während 
,, Zunft",  das  ursprünglich,  wie  Eberstadt  (Zunftwesen,  S.  19,  S.  21)  richtig  bemerkt, 
denselben    Sinn    hatte,    bereits   1226    (Nr.  271    §  5)  auch  von  der  Gesellschaft  gesagt 


Verhältnis  zum  Viztum.  163 

uns  hier  ein  um  so  besserer  Einblick  in  die  Verwaltung  des 
Marktes  gewährt  und  wir  erfahren  ausführlicher,  worin  denn 
eigentlich  das  Regiment  des  Meisters  sich  äußerte. 

Dafür  aber,  daß  in  der  Tat  auch  der  Zunftmeister  der 
Bäcker  aus  dem  Handwerk  selbst  hervorgegangen  ist,  dafür 
spricht  außer  allem  übrigen  auch,  wie  mit  ihm  ein  Ausschuß  von 
drei  ehrlichen  Bäckern  zu  der  Regierung  der  Zunft  zusammen- 
wirkt. Sie  entscheiden  mit  ihm  über  die  Straffälligkeit  und  ver- 
treten ihn  in  der  Zeit  vom  13.  Juli  bis  18.  September  sogar  völlig 
in  der  Aufsicht  über  den  Brotmarkt ^2*^)^2^). 

Die  Zunfturkunden  aus  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts 
kennen  einen  solchen  Ausschuß  nicht.  Kurz  darauf  aber  tritt 
er  in  den  deutschen  Urkunden  verstärkt  an  Zahl  und  mit  voller 
Befugnis  ausgerüstet  auf  als  die 

sechse,  mit  der  rate  der  meyster  ir  zunft  und  ir  almüsen 
verrichte. 
vSo  bei  den  Gärtnern,  Obstern  und  Menkellern  [1264 — 1269], 
den   Webern   und   Leinwettern    1268    und   auch   den    Bauar- 
beitern in  ihrer  neuen  Urkunde  von   1271*22), 

Aber  auch  die  Gemeinde  besitzt  bei  den  Bäckern  einen 
Anteil  an  der  Regierung.  Sie  wird  versammelt,  um  die  Auf- 
nahme von  Gesellen  unter  die  Zunftmitglieder  zu  beschließen*-^). 
Auch  kommt  ihr  ein  bedeutender  Anteil  an  der  Aufnahmezahlung 
sowie  an  den  Strafgeldern  zu*'^*). 


wird.  Im  übrigen  vgl.  über  die  verschiedenen  Termini  die  folgenden  Kapitel,  über  die 
Beteiligung  der  Bäckergemeinde  an  den  öffentlichen  Aufgaben  der  Zunft  aber  bei 
Anm.  423. 

420)  Bäckerurkunde  §  2 :  Idem  magister  ter  in  ebdomada  videat  et  consideret 
forum  panis  et,  si  quid  ei  videbitur  emendandum,  in  domum  suam  deferri  faciat  unum 
panem,  adiunciisque  sibi  tribus  honestis  pistoribus,  per  eotum  discutiat  iuramentum,  si 
ad  emendam    panifex    qui    panem    huiusmodi  foro    exposuit    teneatur.     Quem  si    reum 

iudicarint §  3 :  Prelibatus    magister   a  festo  Margarethe  usque  ad    nativitatem 

B.  Virginis  de  foro  panis  non  discutiat,  sed  medio  tempore  sibi  substituat  tres  hone- 
stos,  qui  de  foro  precipiant  panes  emendabiles  deportari.  —  Also  nicht  „in  der  Zeit 
vor  Weihnachten",  wie  Gothein,  Wirtschaftsgeschichte,  Bd.  I  S.  323  sagt. 

421)  Aufierdem  hat  mit  einem  Ausschuß  von  vier  „honesti  super  hoc  iurati" 
—  doch  wohl  auch  Bäckern  —  der  Schultheiß  im  Auftrage  des  Bischofs  eine 
Prüfung  des  „debitum  incrementum",  des  gerechten  Verdienstes,  vorzunehmen.  Bäcker- 
urkunde §   13,  §   14. 

422)  Meine  Urkunden  Nr.  275 — 277  §  2;  Wackernagel  und  Thommen, 
Bd.  I,  Nr.  430,  Bd.  II,  Nr.  9,  Nr,  77. 

423)  Nr.  270  §  II. 

11* 


1^4  ^'®  Amtsmeister. 

Seit  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  erhalten  die  neuen 
Zünfte  nun  auch  das  Recht,  ihren  Meister  selbst  zu  wählen,  zuerst 
die  Schneider  schon  1260*-^)  und  ebenso  die  Gärtner  und  die 
Weber  nach  den  soeben  zitierten  Zunftbriefen  *-'^),  während  es 
bei  den  älteren,  wie  den  Bauarbeitern  1271,  bei  dem  bischöflichen 
Ernennungsrecht  bleibt '*-"),  Von  dem  Ministerial  dagegen  wissen 
dip  Urkunden  der  jüngeren  Zünfte  nichts.  Es  wird  aber  nicht  wunder 
nehmen,  daß  auch  bei  den  älteren  seine  Amtstätigkeit,  wie  sein 
Nichterwähnen  bei  den  Bauarbeitern  1271  erweist^-**),  nun  völlig 
dahingeschwunden  ist:  man  darf  annehmen,  daß  die  zielbewußt 
nach  ausgedehntester  Autonomie  strebenden  Handwerker  nicht 
häufig  von  der  Entscheidung  des  Meisters  und  des  Ausschusses 
an  seine  In.stanz  appelliert  haben  werden.  Selbst  dem  Rat 
gegenüber  bleibt  ja  in  Basel  die  Autonomie  der  Zünfte  bis  ins 
16.  Jahrhundert  eine  möglichst  unumschränkte*-^). 


424)  Nr.  270  §  II,  §  2,  §  15.  —  Vgl.  auch  ihren  „pedellus"  (§  ii),  den 
sie  wie  die  Schneider  besitzen  (Nr.   274  §  4,  §  6). 

425)  Meine  Urkunden  Nr.  274,  Wackernagel  u.  Thommen,  Bd.  I, 
Nr.  388  §  2:  Liceatque  eis  magistrum  quem  voluerint  accipere  de  anno  in  annum,  si 
placuerit,  cuius  operentur  magisterio  et  regantur  et,  si  quid  excesserint,  castigenlur. 

426)  Meine  Urkunden  Nr.  275,  Nr.  276;  Wackernagel  u.  Thommen, 
Bd.  I,  Nr.  430,  Bd.  II,  Nr.  9 :  §  2.  „Und  irloben  inen  einen  meyster  zi  nemende 
mit  der  meren  volge,  diu  allewege  under  inen  sol  für  sich  gan.  Zu  dcme  sülen  si 
tiemen  sechse  .  .  .  ."  u.  s.  w.     Bei  den  Webern  steht  beide  Male  „Zunftmeister". 

427)  VgL  oben  Anm.  411:  §  2:  „Und  geben  inen  einen  zunfmeister,  zu  deme 
suUin  si  nemen  sehse,  mit  der  rate"  u.  s.  w.  Der  Ministerial,  wie  gesagt,  ist  jedoch 
auch  bei  ihnen  verschwunden,  trotzdem  im  14.  Jahrhundert,  wie  wir  gesehen  haben, 
sein  Amt  noch  bestand  und  sogar  zweigeteilt  worden  war. 

428)  Vgl.  oben  Anm.  413. 

429)  E.  Fromm  (Frankfurts  Textilgewerbe  im  Mittelalter,  Archiv  f.  Frankfurts 
Geschichte  u.  Kunst,  3.  Folge,  Bd.  VI,  Frankfurt  1899),  S.  25.  —  Geradezu  unbe- 
greiflich ist,  wie  Fromm  in  seinen  sonst  so  sorgfältigen  Untersuchungen  S.  24  sich 
zu  folgenden  Sätzen  versteigen  konnte:  „Diese  Zeit  [13.  Jahrh.]  kennt  in  Basel  die 
Zunftautonomie  in  zwei  Abstufungen,  entsprechend  den  zwei  in  ihrem  Ursprung  ver- 
schiedenen Arten  von  Handwerkergenossenschaften.  Die  alten  »officia«  unterstehen 
der  Leitung  durch  einen  hohen  bischöflichen  Ministerialen  und  unter  diesem  der 
eigentlichen  Führung  durch  einen  niederen  Mhiisterialen ;  bei  den  »offenen  Hand- 
werken« steht  gleich  bei  ihrer  Konstituierung  zur  Zunft  unter  dem  bischöflichen 
Offizialen  ein  vom  Bischof  gesetzter  magister  de  ipsorum  opere.  Schon  bald  nach 
1250  fällt  in  diesen  Verbänden  der  Offizial  weg  und  nicht  viel  später  erlangen  sie  das 
Recht,  den  magister  de  ipsorum  opere  selbst  wählen  zu  dürfen."  U.  s.  w.  Was 
Fromm  da  von  den  „offenen  Handwerken"  (um  bei  seinem  terminus  zu  bleiben)  sagt, 
paßt  vielmehr  in  der  Hauptsache  auf  die  ,, alten  officia'',  während  seine  Darstellung 
der  Verfassung  dieser  nur  auf  Irrtum  beruhen  kann.     Die  neuen  Zünfte,  seine  „offenen 


Wahl  durch  die  Zunft  in  Basel.  155 

Um  aber  die  Hauptsache  noch  einmal  hervorzuheben:  schon 
in  den  ältesten  Basler  Zunfturkunden,  die  wir  besitzen,  liegt  die 
eigentliche  Regierung  in  der  Hand  des  Meisters  de  ipsorum 
opere,  während  der  vorgesetzte  Ministerial  nur  ausnahmsweise  in 
Tätigkeit  tritt  Wir  haben  nicht  den  geringsten  Anhaltspunkt 
dafür,  daß  es  früher  anders  oder  gar,  daß  jemals  der  Meister 
kein  Handwerksmeister  gewesen  sei. 

Im  Lichte  dieser  Ergebnisse  betrachten  wir  nun  die  uns  in 
anderer  Hinsicht  schon  so  wohl  bekannten  Straßburger  Ver- 
hältnisse. 

Wie  in  Straßburg  an  Stelle  dieser  verschiedenen  Mini- 
sterialen der  Burggraf  die  Aufsicht  über  die  in  „Aemtern"  organi- 
sierten Handwerker  führt,  so  wird  man  auch  nicht  zweifeln,  daß 
die  Straßburger  „magistri"  unter  ihm  den  Basler  Amtsmeistern 
entsprechen,  mit  anderen  Worten,  daß  sie  wie  diese  Handwerker 
waren  *''\).     Doch    fehlt  es   auch  an  heimischen  Zeugnissen  nicht. 

Mindestens  aus  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  liefert 
für  die  Kürschner  den  Beweis  die  Urkunde  von  1240,  wonach 
die  aus  dem  ersten  Stadtrecht  wohlbekannten  zwölf,  jetzt  als  die 
„duodecim  officiati  inter  pellifices",  durch  die  Hand  ihres  „magister" 
Konrad  Virnekorn  eine  zu  ihrem  „officium"  gehörige  Baustelle 
verleihen  ^•^'-).  Denn  am  Schlüsse  der  Urkunde  wird  als  erster 
unter  den  zwölf  eben  der  Meister  Konrad  Virnekorn  genannt*'^). 


Handwerke"  aber  haben  nie  einen    Offizialen    an    der   Spitze   gehabt    und    das    Recht, 
ihren  Meister  selbst  zu  wählen,  von  Anfang  an  („bald  nach   1250")  besessen. 

431)  Aekestes  Stadtrecht  §  44:  Straßbarger  Urk.-BUch,  Bd.  I,  Nr.  616; 
meine  Urkunden  Xr.   126. 

432)  Strattburger  Urkundenbuch,  Bd.  I,  Nr.  268,  mit  dem  Nachtrag  von 
Schulte  in  Bd.  IV  (l),  S.  211  Nr.  38.  Vgl.  darüber,  auch  über  die  Bezeichnung 
als  „offidati"  noch  unten  bei  Anm.  603. 

433)  Eben  auf  diese  Urkunde  verweist  Eberstadt,  Zunftwesen,  S.  49',  nach-, 
dem  er  von  Straßbiu-g  gesagt  hat:  „Noch  im  dreizehnten  Jahrhundert  gehörten  die 
Magistri  nicht  dem  Handwerk  an."  Offenbar  ist  ihm  der  Nachtrag  im  IV.  Bande  des 
Urkundenbuches  entgangen.  Im  übrigen  kann  ich  nur  vermuten,  daß  ihn  die  Worte 
..per  manus  magistri  eorum"  zu  seiner  Auffassung  bestimmt  haben:  es  würde  das  dem 
durchweg  bei  ihm  üblichen  Verfahren  der  Deduktion  aus  gewissen  juristischen  Formeln 
entsprechen.  Dann  aber  lieferte  uns  die  Urkunde  den  willkommenen  Beweis,  daß  auch 
in  anderen  Fällen  aus  einer  ähnlichen  Formel  ein  ähnUcher  Schhiß  nicht  zu  ziehen 
wäre.  —  Freilich  braucht  Eberstadt  bei  seinem  Hinweis  ein  einschränkendes  „auch". 
Irgend  einen  zweiten  Beleg  für  seine  Behauptung  finde  ich  aber  bei  ihm  nicht. 


I  66  Die  Amtsmeister. 

Noch  bündiger  aber  bestimmt  der  PYiedensvertrag  zwischen 
Bischof  Heinrich  von  Geroldseck  und  der  Stadt  vom  Jahre  1263 
für  alle  burggräflichen  Handwerke: 

der  burcgrave  sol  in  öch  geben  von  ieclicheme  antwerke, 

der  er   pfliget,   einen  meister  der  daz  antwerk  kan^'^^). 
Und  wenn  das  als 

ir  reht  unde  ir  gewonheit 
bezeichnet   wird,   so   darf  man   gewiß    nicht   behaupten,   daß    die 
von    mir   gesperrten  Worte   gleichwohl   eine  Neuerung  bedeuten; 
sondern    man  wird   schHeßen,    daß    öfter   mißbräuchlich  von   dem 
Recht  und  der  Gewohnheit  abgewichen  worden  war. 

Eberstadts  Anschauung,  daß  die  magistri  der  burggräf- 
lichen und  anderen  Handwerksämter  nicht  nur  zur  Zeit  der  Auf- 
zeichnung des  ersten  Stadtrechts,  sondern  ebenso  „noch  im  drei- 
zehnten Jahrhundert",  „noch  mehr  als  hundert  Jahre"  später,  also 
wohl  bis  zu  dem  Krieg  von  Hausbergfen,  gleichwohl  Ministerialen, 
Nichthandwerker,  Mitglieder  der  „familia  ecclesie"  gewesen  seien  ^'^'^), 
beruht,  außer  auf  seiner  allgemeinen  Theorie  über  die  Entwicke- 
lung  des  Aemterwesens,  auf  den  Paragraphen  5  und  6  des  Stadt- 
rechts.    Nämlich: 

§  5.     Omnes    magistratus    huius    civitatis   ad    episcopi 

spectant  potestatem,   ita    quod    vel   ipsemet   eos   instituet, 

vel  illi  quos  ipse  statuit.   Maiores  enim  ordinabunt  minores, 

prout  sibi  subiecti  sunt. 

§  6.     NuUi    autem    episcopus   officium    publicum    com- 

mittere  debet,  nisi  qui  sit  de  familia  ecclesie  sue. 
Es  folgt  aber  aus  diesen  Paragraphen,  wenn  man  die  Ungenauig- 
keit  der  Ausdrucksweise  aller  unserer  älteren  Rechtsdenkmäler 
in  Betracht  zieht,  nicht  mit  Notwendigkeit,  daß  die  Unterbeamten  des 
§  5  gemäß  der  Vorschrift  des  §  6  für  die  unmittelbar  vom 
Bischof  eingesetzten  Beamten  ebenfalls  Angehörige  der  familia 
sein  mußten.  Wir  wissen  nicht,  daß  auch  die  Amtsmeister- 
schaften als  „officia  publica"  im  Sinne  des  §  6,  als  „magistratus"  im 
Sinne  des  §  5  galten.  „Magister"  und  „magistratus",  —  die  Be- 
ziehung liegt  zwar  sehr  nahe  und  auf  sie  stützt  sich  zum 
großen  Teil  Eberstadts  Theorie.  Allein  so  wenig,  mit  Ausnahme 
des   Münzmeisters,    die    unzweifelhaften    „magistratus"    der    Stadt 

434)  Straßb.  Urk.-B.,  Bd.  I,  Nr.  519;  meine  Urkunden  Nr.  128  §  3.  Vgl. 
oben  Anm.  223. 

435)  Zunftwesen,  S.  49. 


In  Straßburg  und  in  Trier.  167 

Burg-graf,  Schultheiß  und  Zöllner,  und  die  Unterbeamten  wie  die 
„iudices"  (J;  8),  die  „heyrhburgen"  und  der  „custos  cippi"  (5j  9)  je 
als  „magistri"  bezeichnet  werden  und  bezeichnet  worden  wären, 
so  wenig  muß  man  umgekehrt  die  „magistri"  der  Handwerker 
als  unter  jene  „magistratus"  miteinbegriffen  erachten.  Was  sich 
aber  aus  den  beiden  Paragraphen  ganz  gewiß  nicht  ergibt,  ist, 
daß  die  Vorsteher  der  Handwerksämter  keine  Handwerker  sein 
sollten.  Will  man  also  daran  festhalten,  daß  bei  den  magistratus, 
die  den  Angehörigen  der  familia  reser\'iert  werden,  auch  an  sie 
gedacht  ist.  so  würde  sich,  alles  in  Betracht  gezogen,  als  Schluß 
ergeben,  daß  der  Burggraf  zu  diesen  Stellen  Männer  erhob,  die 
auf  Kirchenland  saßen,  der  Kirche  zinsten  und  ins<5fern  der 
Familie  zugerechnet  werden  mochten,  die  aber  als  wirtschaftlich 
unabhängige,  den  städtischen  öffentlichen  Lasten  unterworfene 
Handwerker  Mitglieder  der  städtischen  Handwerks  verbände 
waren. 

Es  ist  dabei  aber  noch  zu  berücksichtigen,  daß  auch  der 
Begriff  „familia"  ein  äußerst  dehnbarer  ist.  Es  fragt  sich,  was 
die  Bestimmungen  der  §§  5  und  6  bezwecken.  Nach  dem  Zu- 
sammenhang offenbar  die  Sicherung  der  Stadt  und  ihrer  Rechte, 
zu  denen  auch  die  der  städtischen  Beamten  gehören.  Kein 
Fremder  soll  in  die  Regierung  der  Stadt  eingeschmuggelt  werden, 
der  ihrer  „bonos"  zu  nahe  treten  könnte.  In  diesem  Sinne  fasse 
ich  die  „familia"  des  §  6. 

Auch  das  ist  nicht  zu  übersehen,  daß  im  13.  Jahrhundert 
drei  von  den  zwölf  „officiati  inter  pellifices",  darunter  der  Meister, 
Straßburger  Ratsherren  waren ^•^^). 

Was  auf  anderem  Wege  sicher  ermittelt  worden  ist,  kann 
durch  den  zweifelhaften  Wortlaut  jener  beiden  Paragraphen  jeden- 
falls nicht  umgestoßen  werden.  Handwerksmeister,  die  keine 
Handwerker  gewesen  wären,  sind  bisher  noch  in  keiner  Stadt  nach- 
gewiesen worden.  Und  wenn  es  noch  eines  Beweises  bedürfte, 
so  liefert  ihn  Trier.  Der  ,^Liber  annalium  iurium  archiepiscopi 
Trevirensis"  hat  stets  als  letzte  Zuflucht  der  Theorie  von  dem 
hofrechtlichen  Ursprung  der  Handwerksämter  gegolten.  Wenn 
irgendwo,  so  müßte  man  also  hier  an  der  Spitze  der  einzelnen 
Verbände  unter  dem  Kämmerer  einen  Ministerialen,  der  selbst 
nicht  Handwerker  ist,  finden.     Allein  wie  lautet  es? 

436)  Cnnradus  Vimecom,  Cunradus  Rebestoc,  Heinricus  filius  Marsilii;  zur 
Zeit  der  Ausstellui^  der  Urkunde.     Siraßb.  Urk.-B.,  Bd.  IV  (i),  S.   2H,  Xr.  38. 


l58  Die  Amtsmeister. 

VI  sunt  pellifices  et  septimus  est  magister  eorum,  qui, 
pertinentes  ad  cameram,  archiepiscopi  vestes  tenentur 
consuere^-'''). 
Wer  wird  zweifeln,  daß  die  Stellung  seines  Straßburger  Kollegen 
genau  die  gleiche  war?  So  hatten  denn  auch  beide  auswärts,  in 
Köln,  Mainz  oder  Duisburg,  die  nötigen  Pelze  einzukaufen,  was 
ebenfalls  niemand  als  einem  erfahrenen  Kürschner  anvertraut 
werden  konnte. 

Damit  ist,  hoffe  ich,  eine  Legende  beseitigt,  die  merkwürdig 
lange  gläubig  hingenommen  wurde ^•^^'*). 


437)  Meine  Urkunden  Nr.  131  §  3.  Zur  erzbischöflichen  Kammer  gehören  auch 
die  unbezweifelt  freien  „Kammerherren"  des  14.  Jahrhunderts,  die  von  ihren  Genossen 
in  der  Zunft  ohne  Mitwirkung  des  Kämmerers  zu  diesem  einträglichen  Ehrenposten 
erwählt  werden.     Vgl.  oben  S.  98  f. 

437a)  Ueber  das  letzte  Schicksal  eines  solchen  ministerialischen  Amtsvorsteher- 
amtes unterrichtet  vielleicht  die  Urkunde  des  Würzburger  Domkapitels  vom  3.  Nov. 
1281  (Mon.  Boica,  Bd.  XXXVIl  Nr.  455),  wonach  dei^  Dompropst  auf  die  Wieder- 
verleihung des  „officium  magistrj  pistorum"  nach  dem  Tode  des  letzten  Inhabers  ver- 
zichtet, wenn  man  natürlich  auch  nicht  mit  Gramich  (a.  a.  O.  S.  49)  daraus  auf  eine 
frühere  hofrechtliche  Abhängigkeit  der  Würzburger  Bäckerinnung  vom  Domstift  schließen 
kann.  Praktische  Bedeutung  hatte  das  Amt  nicht  mehr.  Daher  beschloß  das  Stift, 
die  „fructus,  proventus  et  utilitates  predicti  officii  ad  usus  ecclesie  nostre  convertere 
meliores",  d.  h.  „ad  prebendarum  nostrarum  subsidium",  anstatt  sie  noch  weiter  in 
die  Tasche  eines  Ministerialen  fließen  zu  lassen.  Aber  es  ist  ebenso  gut  möglich,  daß 
es  sich  um  ein  einfaches  Hofamt  und  seine  Präbende  handelt.  Für  die  erste  A>if- 
fassung  würde  hauptsächlich  sprechen,  daß  nach  Gramich  Brot  in  Würzburg  noch 
unter  Bischof  Gerhard  (1372 — 1400)  „außer  im  Brothause  und  unter  d^n  Toren  nur 
auf  der  Dompropstei  verkauft  werden  durfte".  Der  Dompropsl  wäre  dann  selbst  in 
die  Stelle  des  Ministerialen  eingerückt. 


z 


IX-  Kapitel. 

Die  Brüderschaft 

Die  Marktordnung  also  ist  der  Ausgangspunkt  der  städtischert 
Gewerbeordnung,  der  Organisation  der  Handwerker  von  selten 
der  Obrigkeit  nach  Aemtern. 

Aber  diese  marktherrlichen  Handwerkerämter  sind  noch 
keine  Zünfte.     Denn  das  Prinzip  der  Zunft  ist  dift   frpie   Fi  nun  g-. 

Die  Fäden,  die  zwischen  den  freien  Einungsbestrebungen 
der  Handwerker  und  der  obrigkeitlichen  Ordnung  hin  und  her 
laufen,  zu  verfolgen;  zu  prüfen,  wie  weit  beide  Elemente  zur 
Ausgestaltung  der  vollkommenen  Zunftordnung  mitgewirkt  haben : 
das  wird  im  weiteren  die  Aufgabe  sein. 

Zwei  Gruppen  von  Motiven  sind  zunächst  in  den  Einungs- 
bestrebungen   der   Handwerker  zu   unterscheiden:  die  auf  gottes-      ^ 
dienstliche,^  wohltätige  und  gesellige  Zwecke  gerichteten   und  die 
gewerblichen   und    gewerbepolitischen.      Welche    Rolle    ist  jeder 
dieser  beiden  Gruppen  bei  der  Entstehung  der  Zunft  zugefallen? 

Indem  ich  jedoch  von  Motiven  spreche,  gerate  ich  sogleich 
von  neuem  in  Widerspruch  mit  der  jüngsten  Darstellung  dieser 
Vorgänge,  der  von  Eberstadt.  ^  Denn  wo  ich  nur  Motive  neben 
anderen  sehe,  glaubt  Eberstadt  eine  besondere  ausschließlich  gottes- 
dienstlich-wohltätige Zwecke  verfolgende  Gruppe  von  Handwerker- 
verbänden erkennen  zu  sollen,  die  „Brüderschaften",  die  er  mit 
den  „Aemtern"  zusammen  als  die  „Hand  werker  verbände  über- 
tragenen Rechts"  den  „Magisterien",  als  „Handwerker\-erbänden 
eigenen  Rechts",  gegenüberstellt.  Mit  dieser  Auffassung  der 
„Brüderschaft"  werden  wir  uns  also  vorerst  auseinanderzusetzen 
haben. 

Ehe  ich  mich  jedoch  einer  Untersuchung  der  einzelnen 
Handwerkerverbände  zuwende,  die  Eberstadt  in  seinem  Sinne 
als  Brüderschaften  charakterisiert,  gilt  es  eine  methodische  Frage 
allgemeinerer  Art  zu  erledigen. 


lyo 


Die  Brüderschaft. 


Ich  möchte  es  als  das  einseitig  philologische  Verfahren  be- 
zeichnen, das  bei  den  Termini  sogleich  Halt  macht  und  schließt, 
daß  verschiedenen  Wörtern  auch  verschiedene  Sachen,  also  ver- 
schiedenen Bezeichnungen  für  Handwerkerverbände  auch  ver- 
schiedene Arten  von  Verbänden  entsprechen  müssen.  Es  ist  das 
Verfahren,  das  besonders  Nitzsch  in  seinen  berühmten  Abhand- 
lungen über  niederdeutsche  Genossenschaften  in  den  Monatsbe- 
richten der  Berliner  Akademie  zur  Anwendung  gebracht,  wo- 
durch er  sich  im  Verfolg  seiner  Untersuchungen  so  sehr  ge- 
schadet hat.  Gerade  ihm  gegenüber  hat  v.  Below  betont: 
ij}  „Zwischen  Zunft,  Gilde,  Amt,  Innung,  Brüderschatt  besteht  kein 
.  •  .      anderer  Unterschied  als  der  des  Namens '^^8)." 

Allein  so  gewiß  das  richtig  ist,  sofern  es  sich  um  eine 
Unterscheidung  der  ausgebildeten  Institute  handelt,  so  bleibt  doch 
die  Möglichkeit,  ^aßjursprün glich  durch  den  einen  oder  andern 
jener  Ausdrücke  der  Verband  unter  einem  besonderen  Gesichts- 
punkt  oder,  angesichts  der  so  mannigfaltigen  Zwecke  des  Ver- 
bandes, eine  seiner  Seiten  vor  dir\der\\JhzX_g^si\r\7(^\rhn(^f  wt^rAf^n 
sollen.  Sofern  den  verschiedenen  Wörtern  ein  verschiedener 
Wortsinn  zu  Grunde  liegt,  wird  sich  das  Problem,  das  sich  daraus 
■ergibt,  schlechterdings  nicht  abweisen  lassen. 

Den  Ausdruck  „Amt"  habe  ich  bereits  im  vorletzten  Kapitel 
in  diesem  Sinne  behandelt  und  ihn  als  quasitechnisch  für  Hand^ 
_werkerverbände  auf  einer  gewissen  Stufe  der  Entwickelung  zum 
wissenschaftlichen  Gebrauche  vorgeschlagen;  wobei  jedoch  so- 
gleich zu  erinnern  war,  daß  er  keineswegs  überall  dafür  ur- 
kundlich ist:  allein  schon  ein  Beweis  dafür,  daß  man  nicht  in 
dem  Begriff  Amt  die  besondere  verbandbildende  Kraft  suchen 
•darf. 

Aehnlich  verhält  es  sich  mit  der  „Brüderschaft". 

Da   es    dem    Wortsinn  entspricht,   und   zumal   da   es  in  der 

Tat  zahlreiche  Vereine,  nur  nicht  besondere  HanHwprkervereirie.  ge- 

•■  — ■ 

geben  hat,  die  ausschljeßlich  Zwecke  der  ersten  Gruppe,  gottes- 
dienstliche,  wohltätige  und  religiöse,  verfolgten  und  sich  Brüder- 
schaften nannten:  so  wird  es  gestattet  sein,  auch  bei  den  Han^ 
Werkerverbänden  dieseSeite  als  die  brüderschaftliche,  sie  unter 
•diesem  Gesichtspunkte  als  Brüderschaften  zu  bezeichnen.  Nur 
muß   sogleich   bemerkt    werden,   daß  es   bei  dem   Worte   an  sich 


438)  "Wörterbuch  der  Volkswirtschaft,  Bd.  II,  S.  977. 


Idee  der  Brüderschaft.  1 7  1 

ebensowohl  wie  an  die  christliche  Brüderlichkeit,  an  das  Band 
zu  denken  möglich  ist,  das  die  Gemeinsamkeit  des  Gewerbes 
lieferte.  Denn  den  in  irgend  einem  Sinne  „Nächsten"  als  Bruder 
zu  betrachten,  ist  eine  germanische  Idee,  die  nicht  erst  auf  christ- 
liche Einflüsse  zurückgeführt  werden   kann  *'••). 

Durchaus  falsch ^ber  ist  .die  Annahme,  ^s  hätten  je  die 
Genossen  eines  Handwerkes  sich  ursprünglich  ausschließlich  zu 
gottesdienstlich- w^ohltätigen  Zwecken^  zusammengetan,  zu  einem 
"^rein  rein  privater  Art,  der  erst  nach  längerem  Bestehen  auch 
gewerbliche  Ziele  unter  obrigkeitlicher  Sanktion  in  sein  Programm 
aufgenommen  hätte.  Eben  auf  diesem  Wege  jedoch  gelangt 
Eberstadt  zur  Aufstellung  jener  zweiten  Kategorie  von  Hand- 
werkerverbänden „übertragenen  Rechtes"  die  er  als  „Brüder- 
schaften" neben  seine  „Aemter"  stellt. 

Den  Ausgangspunkt  der  Vereinsbildung  bei  den  Handwerkern 
liefert  stets  die_Gleichheit  des  Ge^A-erb^s.  Wo  es  sich  um  einen 
ganz  neuen  freien  Verein  handelt,  stehen  daher  gewerbliche 
Zwecke  stets_  im  Vordergrunde,  mit  denen  aber  die  religiösen 
und  geselligen  sofort  Hand  in  Hand  gehen.  Gerade  für  die  in 
den  alten  „Aemtern"  der  Marktordnung  zu  gewerblichen  Zwecken 
schon  vereinigten  Handwerker  jedoch  mußte  die  Uebernahme 
religiöser  Zwecke  sich  als  willkommenes  Hilfsmittel  darstellen, 
aus  dem  Zustand  einer  obrigkeitlichen  „Abteilung"  in  den  eines 
freien  Vereins  hinüber  zu  gelangen.  Die  „Brüderschaft"  bot  hierzu 
die    Eorm,    an    der    um    so   mehr    lag,  je    mehr   es   den   aus  den^^ 


heterogensten  Elementen,  freien  und  früher  unfreien,  stadtein- 
gesessenen und  zugewanderten  gemischten  Amtsmitgliedern  an 
jeder  altererbten  Gemeinschaft,  wie  die  hofrechtliche  Theorie  sie 
ihnen  andichten  möchte,  gebrach^  Unter  den  Bestrebungen  der 
Handwerker  aber,  die  auf  freie  Vereinsbildung  abzielten,  mußten 
die  religiösen^  ihren  geisthchen  Herren  immerhin  noch  die  will- 
kommensten sein:  ja,  sie  wird  selbst  manchmal  dazu  den  Anstoß 
gegeben  haben.  Und  wenn  auch  nicht  behauptet  werden  darf, 
daß  es  den  Handwerkern  nur  als  Deckmantel  für  ihre  gewerbe- 


439)  Gegen  Hegel,  Srädte  und  Gilden,  Bd.  I,  S.  10  f.  Nach  der  chi istlichen 
Lehre  ist  jeder  Mensch  ohne  Unterschied  unser  Nächster  oder,  wie  Tertullian  an 
der  von  Hegel  angeführten  Stelle  sagt,  Bruder.  Dem  Germanen  dagegen  gellen  als 
Brüder  nur  durch  ein  besonderes  Band  an  ihn  Gekettete  und  das  ist  auch  nach  dem 
Sinne  der  miUelalterlichen  Brüderschaften.  Vgl.  noch  English  Historical  Review, 
vol.  VIII,  p.    126. 


1-2  I^'e  Brüderschaft. 

politischen  Zwecke  gedient  habe  —  denn  ein  Verein  ohne 
religiöse  Fundierung  war  in  jenen  Zeiten  schlechterdings  undenk- 
^bar  —  so  haben  sie  sich  doch  durch  ihr  frommes  Bezeigen  die 
Genehmigung  ihrer  weitergehenden  Selbständigkeitsbestrebungen 
ohne  Zweifel  wesentlich  erleichtert. 

Da  jedoch  für  die  Eberstadtische  Theorie  so  gut  wie 
alles  auf  den  rein  privaten  Charakter  seiner  anfangs  ausschließlich 
religiösen  Handwerkervereine  ankommt,  so  ist  auch  dieser  Punkt 
zu  untersuchen. 

Die   Frage,   inwieweit    unter   mittelalterlichen   Verhältnissen 
A,^^2cU\,'    überhaupt    von    einer    Koalitionsjreiheit   zu    reden    ist,    kann   hier 
jdr       -^^^  nicht  erörtert  werden.     Ein  Koalitionsrecht,  wie  es  durch  moderne 
,      ^i^^ Verfassungen    gewährleistet   wird,   bestand  jedenfalls    nicht.     Die 
.         Obrigkeit  besaß,  soweit  nicht  Sonderverträge  im  Wege  standen, 
a^ia^aJ^^^  zw^eifellos  das  Recht,  jeden  Vereiti^ohne  weiteres  aufzulösen.    Ich 
n^  /i.<^  erinnere  nur  an  die  allgemeinen  Verbote  der  Gilden  und  Brüder- 
ttJjU^  r  y^lgjt^a^—  die    von    der    karolingischen    Zeit    abwärts    wiederholt 
erfolgt  sind.   Ganz  besonders  aber  gilt  das  von  der  Kirche.   Wenn 
^"'^C^^^  ein  Verein  mit  gottesdienstlichen   Zwecken   außerhalb  der    allge- 
meinen   Kirche    ein    als   wider    Gottes    Weltordnung   verstoßend 
schlechthin  Unzulässiges  war,  so  besaß   innerhalb    die^kirchüche- 
ObrigkeiL-in  vollstem  Umfange  di^_Befugnis,  ihn  zu  genehmigen_ 
oder    zu  verbieten.     Ja,    genauer   konnte   er   überhaupt   nur   mit 


ihrer  Genehmigung  gegründet  werden  und  bei  der  Verwirklichung 
seiner  Zwecke  bedurfte  er  der  Mitwirkung  geistlicher  Personen 
und  des  Benutzungsrechtes  an  kirchlichen  Gebäuden  und  Grund- 
stücken, über  das  sie  verfügte.  Aber  auch  für  die  gewerblichen 
Vereine  bedeutete  die  obrigkeitliche  Genehmigung  nach  alledem 
noch  etwas  mehr  als  Uebertragung  von  Zwangsbefugnissen. 

Darüber  hinaus  aber  erscheint  es  überha:upt  frag44ch,  ob  die 
gottesdienstlichen  Zwecke  der  mittelalterlicheii.  Brüderschaften 
Anspruch  darauf  haben,  als  „rein  private"  zu  gelten.  Die  viel 
berufene  „Gebun^enheit"_  alleoL.  Verhälinisse .  widerstrebt  dieser 
Vorstellung  ohnehin.  Denn  jeder  Verein,  mochten  seine  Zwecke 
anscheinend  noch  so  intime  sein,  beanspruchte  irgendwie  eine 
Sonderstellung-innerhalb  der  größeren  Lebensgemeinschaft,  der 
""Seine  Mitglieder  angehörten.  Und  deshalb,  mochte  er  auch 
keinerlei  Zwang  gegen  Außenstehende  ausüben  wollen,  er  konnte 
nicht  umhin,  es  mittelbar  dennoch  zu  tun.  Von  den  religiösen 
Vereinen,  den  Brüderschaften  mit  gottesdienstUchen  Zwecken,  gilt 


Die  Frage  der  Koalitionsfreiheit.  ly^ 

das  aus  zum  Teil  bereits  angedeuteten  Gründen  in  verstärktem 
Maße.  Und  so  auch  von  der  gottesdienstlichen  Tätigkeit  der 
Handwerkerverbände. 

Wir  brauchen  nur  wenige  Urkunden  heranzuziehen,  um  uns 
sofort  davon  zu  überzeugen. 

Bei  den  Basler  „Marienbrüderschaften"^^^).  den  Zünften 
der  Kürschner,  der  Maurer,  Gipser,  Zimmerleute,  Faß- 
binder, Wagner,  Wanner  und  Drechsler,  der  Fleischer, 
der  Schneider,  der  Gärtner,  Obster  und  Menkeller.  end- 
lich der  Weber  und  Leinwetter  äußert  sich  der  gottp.sdipnst- 
liche  Zweck  darin,  daß  sie  zu  Ehren  Gottes  und  der  Jungfrau 
Maria  den  Kronleuchter  im  BaslerDom  mit  Lichten  versehen  ^*^). 
Aber  nicht  nur,  daß  sie  eine  solche  Absicht,  wie  auf  der  Hand 
liegt,  ohne  Genehmigung  der  Kirchenbehörde  schlechthin  nicht 
ausführen  können,  wird  sie  ihnen  vielmehr  von  dem  Bischof  in 
ihren  Zunftbriefen  als  Pflicht  auferlegt^  a)s  Gegenleistung  für  die 
Gewährung  von  Zunftprivilegien^ja  es  wird  ihnen  vorgeschrieben, 
welche  Einnahmen  sie  dazu  verwenden,  besser,  daß  sie  bestimmte 
Zahlungen  von  ihren  Mitgliedern  zu  diesem  Zwecke  erheben  sollen. 
Bei  den  Bäckern,  die  nach  dem  Eberstadtschen  Schema  im 
Gegensatz  zu  jenen  keine  Brüderschaft,  sondern  ein  Amt  bilden, 
besteht  eine  entsprechende  Anordnung"-). 

Auch  die  Bestimmungen  über  die  Pflicht,  Begräbnissen  von 
•^toprüdern  beizuwohnen  und  die  Aufwendung  von  Brüderschafts- 
mitteln  dabei    sind    in    die  Zunftbriefe  aufgenommen:  es  ist  ganz 
klar,    daß   auch   hierzu   allein    die    Obrigkeit    der    Zunft    Zwangs-_ 
befugnis  verleihen  konnte  ^^'') . 

Noch  einleuchtender,  wenn  auch  in  anderer  Weise,  tritt  die 
Abhängigkeit  der  Brüderschaften  in  ihren  geistlichen  Zwecken 
von    den   kirchlichen  Behörden   in  dem  Vertrage  hervor,  den  die 


440)  Um    einen  Eberstadtschen  Ausdruck    zu    gebrauchen:    Zunftwesen,    S.    21. 

44  n  Meine  Urkunden  Nr.  271  §  5,  ;j  q:  Xr.  272  §  2,  §  3,  §  5,  §  7:  Xr. 
273  §5-^8;  Nr.  274  §  6;  Nr.  275  §  12;  Xr.  276  §  9;  Nr.  277  §  4  —  7.  ;>  9. 
Vgl.  das  vorige  Kapitel.  Die  Eintrittsgelder  sind  deshalb  zum  Teil  in  Wachs  ange-. 
setzt:  Xr.  275  §  4,  Nr.  276  §  4,  §   10.      Vgl.  Xr.   272  §  6. 

442)  Meine  Urkunden  Xr.  270  $  11:  ,.datis  ad  lumen  B.  Vii^inis  viginti 
s."  als  Hauptteil  des  Eintrittsgeldes.  Nichts  könnte  schlagender  die  Willkürlichkeit 
von  Eberstadts  Schema  beleuchten.     Vgl.  dazu  noch  oben  S.   161  ff. 

4431  Meine  Urkunden  Xr.  272  §  6;  Xr.  275  §  10,  §  11 :  X't.  276  §  ii; 
Xr.  277  j}  II.  Ausstol^n  des  ungehorsamen  Mitghe^eg.  das  Zwangsmittel  privater 
\'ereine,  hätte    hier    für    den    Betroffenen  Verlust  seines  Gewerbes    nach  sich  gezc^en. 


1^4  ^*^  Brüderschaft. 

Mainzer  Weber  im  Jahre  ioqq  unter  Vermittelun^r  des  Erz- 
_bischofs  mit  dem  dortigen  Stephansstift  schlössen  —  der  ältesten 
Zunfturkunde,  die  wir  überhaupt  besitzen  ■'^■*).  Es  handelt  sich 
hier  um  die  .Eiiiräumung  eines  eigenen  Begräbnisplat/f.s  hei  dftr 
Stephanskirche.  Dagegen  übernehmen  die  Weber  denn ,  das 
Westportal  und  das  Kirchendach  in  stand  zu  halten  und  der 
Kirche  mit  Lichten  und  anderen  guten  Werken  zu  dienen  *^-'). 
Zugleich  zeigt  sich  indem  Verlangen  nach  einem  eigengii__Eluha- 
platz  selbst  für  die  Verstorbenen  die  Neigung  zur  Absonderung 
und  zur  Erwerbung  exklusiver  Rechte,  auch  wo  diesen  kaum 
ein  praktischer  Wert  zugeschrieben  werden  kann,  mit  besonderer 
Schroffheit,  der  jedoch  nichts  Verletzendes  innewohnt**»^). 

Ein  ganz  neuer  Zug  aber  tritt  in  dieser  Urkunde  noch 
hinzu.     Ihre  „Dispositio"  schließt  mit  den  Worten: 

et  in  obsequio  suo  impendendo  custodem  eiusdem  ecclesie 

habeant  monitorem  et  magistrum. 
Die  Leistung  an  Lichten  und  guten  Werken  —  das  ist  unmittel- 
bar  vorher    als  „obsequium   impendere"   bezeichnet   —   unterliegt 
also   sogar   laut    ausdrücklicher   Abmachung   der  Kontrolle   eines 
bestimmten  kirchlichen  Beamten^ 

.Nicht  anders  als  in  diesen  Fällen  verhält  es  sich  mit  den 
Würzburger  Schuhmachern,  die  1128  eine  jährliche  Lieferung 
von  44  Pfund  Wachs  zu  einem  Lichte  in  der  Kilianskrypta  und 
Zahlungen  von  40  d.  an  den  Priester  des  Altars  und  von  8  d.  ^n 
die  Domherren  übernehmend^')  und  die   1 1 69  mit  dem  Stift  Neu- 


444)  Meine  Urkunden  Nr.  252  a;  erneuert,  jedoch  ohne  die  Verpflichtung 
zur  Reparatur  von  Portal  und  Dach,  a.    1175,  a.  a.  O.  Nr.  252  b. 

445)  „Porticus"  ist  wohl  besser  mit  „Portal"  zu  übersetzen,  als  mit  „Vorhalle". 
Nach  der  Bestätigungsurkunde  von  11 75  finden  die  Begräbnisse  „ad  eaudem  ecclesiam" 
statt.  So  wird  wohl  das  „in  eo"  der  Urkunde  von  1099  auch  besser  auf  „mona- 
sterium",  anstatt  wie  Hegel,  Verfassungsgeschichte  von  Mainz  (Städtechroniken,  Bd. 
XVIII,  2)  S.  33  tut,  auf  „porticus"  bezogen.  Das  weibliche  Geschlecht  von  „por- 
ticus" bringt  keine  Entscheidung,  da  das  Wort  hier,  sofern  der  mangelhaften  Ueber- 
lieferung  zu  trauen  ist,  bald  männlich  („qui  est",  ,,per  quem"),  bald  weiblich  (,,predic- 
tam")  gebraucht  ist.  Allein  einen  „Begräbnisort"  der  Weber  in  der  Vorhalle,  selbst 
wenn  man  diese  ältere  Uebersetzung  von  porticus  beibehalten  will,  wird  man  kaum 
annehmen,  und  „tecta  eius"  bezieht  Hegel  selbst  auf  ,.das  Dach  der  Kirche". 

446)  Zu  vergleichen  ist  noch  das  Sonderrecht  der  Fleischer  in  Osnabrück, 
l>ei  dem  Dom  bestattet  zu  werden:  Philippi,  Bischofsstädte  S.  49,  S.  92,  Urk.  v. 
23.   Februar   1278. 

447)  Meine  Urkunden  Nr.  254;  Gramich,  Verfassung  und  Verwaltung  der 
Stadt  Würzburg  (Würzburg  1882),  S.  68. 


Zwang  bei  frommen  Werken.  lyc 

münster  einen  Vertrag  über  Fürbitten  und  feierliches  Begräbnis 
für  ihre  Mitglieder  abschließen"**).  Von  Wichtigkeit  für  meine 
These  ist  dabei  noch,  daß  dem  Stadtpfarrer  und  seinem  Koadjutor 
von  jedem  Begräbnisse  eine  Entschädigung  von  30  d.  für  die 
Kränkung  seiner  Rechte  durch  jenen  Vertrag  zugewiesen  wird. 
Daß  aber  bei  den  gottesdienstlichen  Handlungen  auf  die 
Mitglieder  auch  ein  Zwang  ausgeübt  wird,  das  spricht  besonders 
schroff  —  um  noch  eine  der  von  Eberstadt  als  typisch  hin- 
gestellten   „Bruderschaften"   heranzuziehen  ^^''j    der   Zunftbrief   der 

Kölner  Drechsler   von    rund    11 80   aus.     Bei  Strafe  wird   hier 

"■  — - — ■ ^ — 

bestimmt: 

ad   eins  sepulturam  viri  ac  mulieres  homines  fratemitatis 
existentes  venire  universaliter  compellentur^^^). 

Und   dabei    wird   das   nötige    Zwangsrecht    sogar   von   einer  rein 

weltlichen    Behörde,    den    Bürgernieistem    und    der    Rieberzeche. 

verliehen  ^51), 

Ist  es  also  unrichtig,  dieseBrüderschaf ten .  soweit  ihre  gottes- 
dienstlichen Ziele  in  Frage  kommen,  als  rein  private  Vereine 
darzustellen,  so  muß  als  vollends  verkehrt  die  Behauptung  be- 
zeichnet werden,  es  hätten  diese  Handwerkerverbände  als  kirch- 
liche  Brüderschaften  schon  geraume  Zeit  existiert,  ehe  sie  auch 
gewerberechtliche  Zwecke  übernahmen,  wodurch  sie  denn  „aus 
dem  Kreis  des  privaten  in  den  des  öffentlichen  Rechts  hinüber"^ 
getreten  wären  *^^). 


448)  Gramich,  a.  a.  O.  S.  69.     Vgl.  noch  unten  Anm.  590 ff. 

449)  Zunftwesen,  S.  10,  S.  18.  Ueber  die  Frage,  ob,  wie  er  a.  a.  O.  meint,. 
der  Eintritt  in  die  Brüderschaft  frei  gestanden  hat,  unten  Kap.  X  gegen  Schluß. 

450)  Meine  Urkunden  Nr.  256;  Knipping,  Westd.  Zeitschr.  1892,  Korre- 
spondenzblatt Sp.  116  ff.  Die  Stelle  fährt  fort:  .,Qui  vero  vigilare  [bei  der  Leiche], 
cum  sibi  iniunctum  fuerit,  neglexerit,  II  d.  pro  satisfactione  dabit.  Qui  etiam  sepul- 
ture  fralris  defuncti  vel  sorons  [adesse],  sicut  premissum  est,  noluerit,  totidem  persol- 
vet."  —  Neu  herausgegeben  von  v.  Loesch  in  Kölner  Zunfturkunden  (Publikationen 
der  Gesellschaft  f.  rhein.  Geschichte),  Bd.  I,  S.  34  f.  Icli  verdanke  den  Einblick  in 
d;e  Aushängebogen  der  Liebenswürdigkeit  des  Herausgebers  und  Herrn  Professor 
Hansens. 

451)  Vgl.  hierzu  noch  unten  Anm.  466. 

452)  Eberstadt,  Zunftwesen,  spez.  S.  21.  Vgl.  auch  noch  S.  24:  „Hier- 
mit"' [d.  h.  durch  die  angebliche  Umwandlung  der  Brüderschaft  aus  einer  kirchlichen 
in  eine  gewerbliche  Einrichtung,  die  der  Verleihung  des  Innungsrechtes  vorausgegangen 
wäre]  „ist  indessen  die  Bruderschaft  noch  keineswegs  eine  Zunft  (im  späteren  Sinne) 
geworden;  denn  sie  steht,  trotz  ihrer  Tätigkeit  auf  gewerblichem  Gebiet,  noch  völlig 
innerhalb  des  Privatrechts  und  sie  entbehrt,    trotz  ihrer  gemeinsamen  Unternehmungen, 


irr 6  Die  Brüderschaft. 

Gewerberechtliche  Zwecke  werden  freilich  nicht  in  Jeder 
der  besprochenen  Urkunden  angegeben:  sehr  begreiflich,  da  es 
«ich  in  manchen  Fällen  nur  um  Ordnung  der  gottesdienstlichen 
Pflichten  handelt.  Allein  das  Substrat  bildet  überall  der  Hand-, 
\verksverband.  Wie  sollte  auch  wohl  die  Religion  stets  „gerade 
■die  gleichartigen  Gewerbe  zusammengeführt  haben"  *53)?  Wie 
sollten  vollends  in  Basel  ein  halbes  Dutzend  oder  mehr  Marien- 
brüderschaften sich  gebildet  haben,  die  zwar  je  die  Genossen 
•eines  und  desselben  Handwerkes  umfaßt,  aber  erst  nachträglich 
gewerbliche  Interessen  „aufgegriffen"  hätten *54jp 

Wie  die  Briefe   der_Basler   Zünfte,   so   enthält  auch  der  für 
die  Kölner  Drechsler  gewerberechtliche  Bestimmungen *^^). 

In    dem    älteren   für   die  Würzburger  Schuhmacher  er- 
wähnt der  Bischof 

iura   quedam    ab    antecessoribus    nostris    sibi    antiquitus 
tradita  ....  quorundam  iudicum  cupiditate  inmutata. 
Was  für  andere  Rechte  als  gewerbliche  sollen  das  wohl  sein? 

Und    dieMainzer   Weber   werden    doch   wenigstens    von 
gemeinsamen  städtischen  Verpflichtungen  befreiL  die,  ehe  sie  die 
"in   der    Urkunde    festgesetzten   kirchlichen    übernahmen,    für   sie 
bestanden,   d.  h.   doch   nur  für  sie  als  geschlossene  Handwerker^ 

)e^   als  Amt -in    dem  von   mir   im  VII.  Kapitel   dargelegten 


noch  des  Verbandswillens  und  der  korporativen  Rechts-  und  Handlungsfähigkeit.  Die 
Absprachen  beruhen  auf  freier  Vereinbarung  und  ihre  Durchführung  kann  rechtlich 
nicht  erzwungen  werden."     Die  Urkunden  belehren  uns  des  Gegenteiles! 

453)  Sehr  richtig  bemerkt  schon  von  G.  L.  v.  Maurer,  Geschichte  der 
5tädteverfassung,  Bd.  II,  S,  401. 

454)  So  Eberstadt,  Zunftwesen,  S.   21. 

455)  Croon,  Zur  Entstehung  des  Zunftwesens,  S.  12,  meint  sogar,  die  welt- 
.lichen  Bestimmungen  überragen  bei  weitem.  Das  ist  doch  zu  viel  gesagt.  Denn  die 
Eintrittsbedingungen  kann  man  nicht  der  einen  oder  andern  Kategorie  besonders  zu- 
rechnen. 

456)  „Relaxamus  .  .  eisdem duo  officia heimburgen    amt    et 

-schechen  amt"  (1099).  „Officium  ....  heimburgo  et  aliud  officium  ....  skenko 
plenarie  remittimus''  (1175).  Eberstadts  Interpretation  des  Erlasses  dieser  beiden 
Aemter  als  einer  ,, Befreiung  von  den  Abgaben  an  das  Schenkenamt  und  an  das  Heim- 
burgenaml"  (Zunftwesen  S.  1 1)  ist  durchaus  willkürlich,  erklärlich  nur  auf  Grund 
meiner  allgemeinen  Konstruktionen.  Seine  Auseinandersetzungen,  Magisterium  und 
Fraternitas  S.  162  ff.,  sind  dem  Wortlaut  der  Urkunden  gegenüber  unhaltbar.  Hegels 
Erklärung  des  Schenkenamtes  als  des  der  „Aufsicht  über  den  öffentlichen  Weinschank'' 
(Verfassungsgeschichte  von  Mainz,  S.  34)  hat  etwas  für  sich,  die  Richtigkeit  der  Lesart 
•vorausgesetzt.     Im    übrigen    ist    zu    erinnern    an    die    Satzung    Bischof   Burchards    von 


Die  gewerbliche  Grundlage.  lyy 

In  den  Urkunden  der  Kölner  Bettziechenweber  von 
1149'^*!.  der  Magdeburger  Schildmacher  von  ii97***)und 
der  Kölner  Hutmacher  von  1225^^9^,  die  Eberstadt  ebenfalls 
liierherzieht,  schließlich,  ist  von  gottesdienstlichen  Verrichtungen 
überhaupt  nicht  die  Rede*''").  Eberstadt  aber  glaubt  aus  den 
Wendungen 

fraternitatem  in  domo  civium  confirmatam  susceperunt 
bei  den  Bettziechenwebern  und 

fraternitatem  iure  civitatis  concessimus,  wie  er  falsch  citiert, 
bei  den  Hutmachern,  schlankweg  folgern  zu  dürfen,  daß  hier 
schon  vorher  bestehende  „Brüderschaften"  „nur  nach  Stadtrecht 
bestätigt",  d.  h.  daß  ihnen  jetzt  die  noch  fehlenden  gewerberecht- 


Worms  §  29  über  die  Verpflichtung  der  „homines  fiscales"  zum  Dienit  als  Kämmerer, 
Schenk,  Truchsess,  Marschall  oder  Ministerial.  Vgl.  oben  S.  62.  Ferner  an  die  Verpflich- 
tung der  Wormser  Weber,  jährlich  die  beiden  städtischen  Büttel  zu  stellen  (Meine 
Urkunden  Nr.  129;  Boos,  Quellen  z.  Geschichte  d.  Stadt  Worms,  Bd.  III,  S.  225). 
Auch  der  Villicus,  die  beiden  Amtmänner  und  16  Heimburgen  wiirden  in  Woims 
aus  den  Bürgern  gewählt  (a.  a.  O.,  vgl.  Urkunden  Nr.  130.  Boos,  Bd.  III, 
S.  226  ff.).  In  Augsburg  hatten  die  Wurstmacher  die  Gefangenen  zu  bewachen 
<Stadtrecht  von  1156  §  27;  meine  Urkunden  Nr.  125).  Kurz,  an  der  regelmäßigen 
Besetzung  dei  artiger  Aemter  mit  Bürgern  ist  nicht  der  leiseste  Zweifel.  Die  Sucht 
jedoch,  sich  ihnen  zu  entziehen,  ist  ebenfalls  bekannt  genug.  Ich  erinnere  nur  an  die 
Befreiung  der  Wormser  Bürger  von  der  Verpflichtung,  das  Schiffszöllneramt  zu  ver- 
sehen, durch  Heinrich  V.  11 14  und  Friedrich  I.  1184  (meine  Urkunden  Nr.  23, 
Nr.  24;  Boos,  Bd.  I,  Nr.  62,  Nr.  90).  Und  daß  die  Einkünfte  aus  solchen  Aemtem 
nicht  gerade  in  verlockender  Reichlichkeit  zu  fließen  brauchten  (vgl.  Eberstadt, 
Magisterium  S.  163,  ,,Vorzug  in  sozialer  wie  in  pekuniärer  Hinsicht"*,  geht  aus  den- 
selben Stellen  hervor.  Man  muß  eben  das  Bild,  das  die  ganze  Mannigfaltigkeit  der 
Quellen  bietet,  vor  Augen  haben:  kühne  Deduktionen  auf  Grund  weniger  führen  nicht 
zum  Ziel. 

457)  Meine  Urkunden  Nr.  255;  Ennen  unff  Eckertz,  Quellen,  Bd.  I, 
S.  329  f.;  Lacomblet,  Niederrhein.  Urk.-B.,  Bd.  I,  Nr.  366:  v.  Loesch,  Kölner 
Zunfiurkunden,  Bd.  I,  S.  25  f:   „Decklakenweber". 

458)  Meine  Urkunden  Nr.  259;  Hertel,  Urkundenbuch  d.  Stadt  Magde- 
bui^,  Bd.  I  ^Geschichtsquellen  d.  Provinz  Sachsen,  Bd.  XXVI),  Nr.  65. 

459)  Ennen  und  Eckertz,  Bd.  1,  S.  330  f.  —  Hier  wird  überhaupt  nur  be- 
stimmt, daß  sie  ihre  Brüderschaft  „iure  civitatis  et  modo  competenti"  halten,  und  daß 
sie  den  „officiales"  der  „Richercegheide"  gehorchen  sollen.  Der  einzige  Hinweis  auf  den 
Inhalt  der  Vereinigung  liegt  also  darin,  daß  die  Brüderschaft  eben  ,,operariis  pilleorum, 
qui  vulgo  dicuntur  vilcmhüde"  gewährt  wird  —  ein  völlig  genügender  Beleg  für  ihren 
gewerberechtlichen  Zwedc.  —  v.  Loesch,  Zunfiurkunden,  Bd.  I,  S.   106  f. 

460)  Ueber  die  Worte  „pia  spe  perhennis  vite"  in  der  Bettziechenweberurkunde 
vgl.  unten  im  Te.\t  S.    178  f. 

Keutgen.  Aemter  und  Zünfte.  '2 


I  7  8  Die  Brüderschaft. 

liehen  Zwangsbefugnisse  verliehen  worden  sind^^^).  Denn  da  es 
für  ihn  feststeht,  daß  „fraternitas"  im  12.  und  bis  in  das  13.  Jahr- 
hundert hinein  nur  eine  ganz  bestimmte  technische  Bedeutung 
hat;  daß  sie  gewerbliche  Ziele  erst  aufnahm,  nachdem  sie  bereits 
längere  Zeit  als  rein  kirchlicher  Verband  bestanden  hatte;  daß 
aber  die  obrigkeitliche  Bestätigung  nichts  anderes  als  die  Ver- 
leihung von  Zwangsrechten  bedeuten  kann:  so  muß  aus  der  Be- 
stätigung einer  „fraternitas''  auf  dem  Rathause  mit  Notwendigkeit 
alles  dieses  folgen.     Man  sieht:  ein  vollendeter  Zirkelschluß. 

Und  dabei  schließt  die  Urkunde  für  die  Bettziechenweber 
mit  den  Worten: 

Jnchoata  est  h^c  fraternitas  anno  ab  incarnatione 
Dommi  millesimo  centesimo  quadragesimo  nono  etc., 
was  natürlich  auch  als  Datum  der  Ausstellung  der  Urkunde  und 
somit  der  Bestätigung  der  Zunft  zu  gelten  hat:  sonst  wäre  diese 
Datierung  ja  sinnlos.  Bei  den  Schildmachern  aber,  bei  denen 
nicht  einmal  das  Wort  Brüderschaft  vorkommt,  genügt  ihm  die 
Vorschrift 

nee   aliquis    numero   eorum   vel  societati  in  faciendo  ipso 
opere  accedat,  nisi  prius  eorum  communione  quod  vulgo 
inninge  [!]  dicitur  acquisita 
zur  Erschließung  eines  analogen  Vorganges ■*^'^). 

Auch  der  übrige  Inhalt  der  Urkunde  für  die  Kölner  Bett- 
ziechen weber  zu  nft^  die  Eberstadt  als  „das  typische  Beispiel 
eines  Handwerkerverbandes  mit  nachweisbarer^Vorgeschichte"^*^^) 
an  die"  Spitze  seiner  Ausführungen  stellt,  als  sicheren  Baugrund 
für  alles  weitere,  berechtigt  in  keinem  Punkte  zu  der  Behauptung, 
daß  die  Genossen  „schon  lange  vor  1149  verbunden"  waren,  die 
Brüderschaft  „also  geraume  Zeit  vor  1149  in  ihrem  privatrecht- 
lichen Wirkungskreise  bestanden"  hatte^*^^).  Aus  allgemeinen 
Gründen  ist  es  freilich  als  sicher  anzunehmen,  daß  sie  auch  kirch- 
liche Zwecke  verfolgte.  Allein,  wovon  man  sich  schon  längst 
aus  Hoenigers  Schreinsurkunden  hätte  überzeugen  können, 
nicht  einmal  die  Worte 

pia  spe  perhennis  vite  (fr^ternitatem  conformasse) 

461)  Zunftwesen  S.    i8  f.     Vgl.  noch  unten  Anm.  466. 

462)  Zunftwesen  S.  19.  Seit  wann  heilet  ,, Innung"  geistliche  Brüderschaft? 
Vgl.  darüber  unten  Kapitel  X,  besonders  S.   206. 

463)  Zunftwesen  S.   10. 

464)  Zunftwesen  S.  8,  S.  9. 


Die  angebliche  Vorgeschichte.  fjg 

beweisen  das.  Denn,  wie  sich  aus  ein  paar  eben  aus  dieser  Zeit 
glücklich  erhaltenen  Eintragungen  des  Schöffenschreins  ergibt, 
sind  sie  eine  bloße  Formel,  eine  Art  Devotionsformel,  für  die  der 
damalige  Stadtschreiber  von  Köln  eine  Vorliebe  hatte  *^5)^  Ujn 
im  Ernste  fromme  Absichten  der  Weber  bei  der  Stiftung  ihrer 
Brüderschaft  zu  erkennen  zu  geben,  wäre  die  Wendung  wohl 
auch  etwas  dürftig  gewesen. 

Der  übrige  Wortlaut  der  Urkunde  zeigt  auf  unzweideutige 
Weise,  daß  die  „conformatio"  erst  unmittelbar  vor  der  Bestätigung 
auf  dem  Rathause  st^ittp-efunden  hat: 

Xon  lateat, quosdam  viros fraternitatem  tex- 

torum    cucitrarum   pulvinarium  pia  spe  p.  v.  conformasse 

et  in  Domo  Civium confirmatam  suscepisse. 

Diesen  klaren  Worten  heißt  es  Gewalt  antun,  wenn  man  etwas 
anderes   daraus   entnehmen    will,    als    daß    die    Weber    sich    ihre 

soeben    verabredete    Brüderschaft   haben    auf   dem   Rathause  be- 

<—  I  I  . — 

stätigen  lassen:  selbstredend  die  „Brüderschaft",  welchen  Sinn 
man  auch  mit  dem  Worte  verbinden  mag**'^). 

Und  ebenso  unberechtigt  ist  es,  aus  dem,  was  noch  weiter 
folgt,  zu  schließen,  daß  ein  Verband  der  Bettziechenweber,  sei 
es  nun  ebenfalls  als  fromme  Brüderschaft,  wie  Eberstadt,  sei 
es  im  Gegenteil  als  rein  gewerbliche  Innung,  wie  Hegel  will, 
schon  vorher  bestanden  habe**'^).  Denn  das  „commune  bonum".  aus 
dem  die  Brüderschaft  den  „textores  peplorum"  eine  Unterstützung 
gewährt  hat,  entsteht  im  Augenblick  ihres  Zusammenschlusses 
selbst.  Die  Trockenlegung  einer  Stelle  des  Marktes  aber 
congerie  lapidum  minutorum  et  lignorum 

465)  Schreinsurkunden,  Bd.  II,  i  S.  293,  Schöffenschrein  i,  Bd.  I,  Nr.  2: 
,.Xotum  sit  tam  futuris  quam  presentibus  pia  spe  perennis  vite,  quod  Hupertus  et 
uxor  eius  Gilla  mancipaverunt  sibi  et  suis  heredibus  predium"  ....  Nr.  3:  „Notum 
sit  omnibos  tarn  futuris  quam  presentibus  pia  spe  vite  perennis  mercatores  Virdonenses 
institutas  thelonii  exactiones  more  suorum  antecessorum  confirmasse."  Hoeniger 
hatte  bereits  S.  280*  auf  die  Wiederkehr  der  Formel  in  der  Urkunde  von  1149  hin- 
gewiesen. 

466)  Hauptgrund  Eberstadts  für  die  gegenteilige  Annahme  scheint  der  Um- 
stand zu  sein,  daß  die  Urkimde  gewerbliche  Bestimmungen  und  selbst  den  Zunftzwang 
enthält  (a.  a.  O.  S.  9*  und  S.  9):  woraus  sich  denn  mit  Hilfe  der  oben  S.  178  aus- 
geführten Deduktion  alles  weitere  ergibt.  —  Ein  bloßer  Auswuchs  seiner  Theorien  ist 
auch  die  Behauptung  (S.  9^),  daß  einer  Nötigung  zur  Beteiligung  an  frommen  Werken 
eine  Bestätigung  auf  dem  Bürgerhause,  d.  h.  durch  die  städtische  Behörde,  nicht  habe 
dienen  können.     Die  Drechsleriu-kunde  beweist  das  Gegenteil. 

46")  Aehnlich  Croon.     Ueber  beide  vgl.  die  folgende  Anm. 

12* 


1 8o  I^is   Brüderschaft. 

braucht  auch  bloß  wenige  Stunden  in  Anspruch  genommen  zu 
haben  und  hat  auf  alle  Fälle  nur  ein  Moment  innerhalb  der  in 
einem  Zuge  verlaufenden  Gründungsgeschichte  der  Brüderschaft 
abgegeben  ^*'^). 

Ein    besonders    lehrreiches   Beispiel    dafür,    bis  zu    welchem 
Aeußersten  eine  geistliche  Behörde  den  Einfluß,  ^en_sie  in  kirch- 


lichen  Dingen  besaß,  zu  einem  Zwange  auch  in  den  gewerblichen 
Angelegenheiten  eines  Handwerkerverbandes  ausnutzen  konnte, 
liefert  schließlich  der  Vertrag  der  Walker  und  Tiirh<;rVif>rAr 
von  Saint-Trond  mit  der  Abtei  vom  12.  März  1237  ^•'9).  Nach- 
dem sämtliche  Walker  und  Scherer  sich  zur  Beobachtung  be- 
schriebener guter  Werke,  soweit  sie  aus  Zahlungen  an  die  Kirche 

468)  „Locum  fori  quo  pepla  venduntur  congerie  1.  m.  et  i.  exsiccasse."  Eber- 
stadt übersetzt  das:  „einen  Rheinaim  trocken  gelegt  und  auf  dem  gewonnenen  Grund 
und  Boden  Marktverkaufstände  errichtet."  Vollständig  bona  fide !  Denn  er  gibt  den 
ganzen  Text  in  der  Anmerkung  (Zunftwesen  S.  9).  Dabei  wurden  die  pepla  ja  schon 
an  der  Stelle  verkauft!  Wie  kann  ein  Leser  solcher  Führung  weiter  folgen?  — 
Keussen,  Untersuchungen  z.  älteren  Topographie  u.  Verfassungsgeschichte  von  Köln 
(Westdeutsche  Zeitschr.,  Bd,  XX,  S.  57)  bezieht  die  Stelle  auf  einen  Graben,  der 
sich,  aus  römischer  Zeit  stammend,  in  der  Gegend  dahinzog.  Hinzuweisen  ist  zur 
Erklärung  noch  auf  das  „Gericht  der  Hausgenossen  von  Mariengraden  auf  den  Dielen", 
das  „an  einer  mit  Bohlen  gedielten  Stelle  unterhalb  der  Kirche  ad  Gradus"  gehalten 
wurde:  Lau,  Entwicklung  der  kommunalen  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt 
Köln,  S.  48.  —  In  den  Kölner  Schreinsurkunden  (Hoeniger,  Bd.  I,  S.  43  f.) 
Martin  3,  I,  36,  findet  sich  aus  dieser  Zeit  die  Eintragung:  ,,Venditores  peplo- 
rum  et  tegumentorum  pulvinarium  (id  est  sciza)  locum  contra  pellifices  de  suburbio 
situm  acquisiverunt  a  parrochianis  S.  Martini,  ita  ut  deinceps  libere  et  hereditario  iure 
eum  in  sua  possessione  obtineant"  Aus  dem  ,, deinceps"  kann  man  unmöglich  mit 
Croon,  Zunftwesen  S.  7,  folgern,  daß  derselbe  Besitz  vorher  nach  anderem  als  freiem 
Besitz  in  den  Händen  der  Weber  und  daher  ihr  Verband  schon  vor  1 1 49  vorhanden 
gewesen  sei.  Ebensowenig  aus  dem  ,,permanere"  der  Urkunde  von  1149.  Vgl. 
dazu  noch  oben  S.  142  und  Anm.  353.  Auch  dafi  die  grammatische  Konstruktion 
statt  „exsiccasse"  verlangt  „exsiccatum  esse"  (Croon,  S.  7'*),  ist  nicht  richtig  und 
führt  zu  Widersinnigkeilen.  —  Hegel,  Städlewesen  S.  121,  will  im  Gegensatz  zu 
Eberstadt  die  Bettziechenweber  nur  als  gewerbliche  Innung  bereits  vor  I149  be- 
stehen lassen.  Damals  sei  ihnen  das  Recht  der  Brüderschaft,  des  Zwanges  zur  Be- 
teiligung an  den  frommen  Werken  verliehen  worden.  Das  beruht  ebenfalls  auf  einer 
Ueberschätzung  der  Sonder bedeutung  des  Wortes  Brüderschaft.    Vgl.  Anm.  482. 

469)  Piot,  Cartulaire  de  l'abbaye  de  Saint-Trond,  tome  I,  Nr.  159.  —  Eber- 
stadts  Darstellung,  Zunftwesen  S.  40,  ist  auch  in  diesem  Falle  zu  beanstanden.  Die 
„vier  Geschworenen"  stehen  nicht  unter  dem  Kustos  als  „Obermeister".  Sie  haben 
nur  die  Rüge  im  Sendgericht  und  allein  darauf  bezieht  sich  ihr  Eid.  An  der  Spitze 
des  Verbandes  stehen  „magistri",  vermutlich  je  einer  für  die  Walker  und  die  Scheerer. 
Diesen  gegenüber  befindet  sich  der  Kustos  allerdings  in  einer  analogen  Stellung  wie 
die  Ministerialen  den  Zünften  in  Basel,  der  Burggraf  in  Straßburg. 


Geistliche  Ausbeutung  in  Saint-Trond.  lgl 

bestehen,  eidlich  verpflichtet  haben,  müssen  ihre  Meister  noch 
besonders  schwören: 

nee    aliquem    de    fullonibus    secum    operari    permitterent, 

qui  in  aliquo  modo  predictorum  fidem  suam  violare  pre- 

sumeret. 
Ferner    "sollen    sie   niemand    zur    Verbandsmeisterschaft    zulassen, 
der   nicht  vorher   vor    dem  Kustos  der  Kirche  und  anderen  vom 
Kustos    berufenen    jenen    Eid    geleistet    hat.      Uebernimmt    aber 
einer  die  Meisterschaft  und  verweigert  den  Eid,  so 

inhibebitur  fullonibus  sub  prestito  iuramento  ne  in  domo 

operentur: 
so  wird  ihnen  also  das  Walkhaus  verschlossen.  An  dem  Tage 
an  dem  ein  Walker  begraben  wird,  müssen  alle  übrigen  feiern^ 
Auf  Schwänzen  des  monatlichen  Sendgerichts  vor  dem  Kustos 
und  dem  ihnen^  alljährlich  zugewiesenen  Priester  steht  eine  Geld- 
strafe. Und  wer  nach  dreimaliger  Ermahnung  seinen  Lebens- 
wandel  nicht  bessert : 

a  communione  aliorum  penitus  amoveatur. 
Jeder  Streit  unter  ihnen  endlich 

de  consilio  custodis  et  presbiteri  eorum  solvetur. 
Wir  haben  hier  also  den  Zunftzwang  in  schärfster  Form  zu       ^„^^ 
rein    geistlichen    Zwecken.     Ja   man    kann    überhaupt    von    einer  ^ 

freiwillig  geschlossenen  Brüderschaft  in  diesem  Falle  kaum  noch 
reden:  man  wird  nicht  wohl  zweifeln  dürfen,  daß  das  Ganze  eine 
Veranstaltung  der  geistlichen  Behörde  war. 

Eine  ganz  andere  Frage  ist  es,  ob  der  „Brüderschaft"  auch 
Personen  beitreten  konnten,  die  das  „Amt"  nicht  ausüben  wollten. 
Daß  diese  Frage  zu  bejahen  ist,  zeigt  schon  die  Kölner  Drechs- 
lerurkunde von   1182  in  dem  Satze: 

Alii   vero   qui  de    officio    eorum    fratrum    non    fuerint    et 

predictam   fraternitatem   habere  curaverint,  XXIV  d.  pro 

eadem  fraternitate  dabunt  ■*""). 
Die  Aufnahmegebühr  für  Drechsler   dagegen  war  12  Schillinge, 
für  Lehrlinge  4    Schillinge.     Es  lag  kein   Grund  vor,    warum    an 
den   guten    Werken    und    der    Geselligkeit   des   Verbandes    nicht 
auch    Xichthandwerker    teilnehmen    sollten:     taten    es    doch    die 


Frauen  und  übrigen    Angehörigen  der  Mitglieder    ohnehin.     Das 
ist  eine  weitverbreitete  Sitte  gewesen:  ich   erinnere   noch   an    die 


470)  Vgl.  oben  S.    175  ff. 


I  8  2  Nicht-Handwerker  in  der  Brüderschaft. 

Stendaler  Gilde,  die  auch  Geistliche  und  Ritter  umfaßte*"^), 
und  an  die  Doppelzünftigkeit,  die  in  Süddeutschland  im  späteren 
Mittelalter  eine  so  große  Rolle  gespielt  hat,  durch  die  es  aber 
freilich  auch  möglich  gemacht  wurde,  mehr  als  ein  Gewerbe  aus- 
zuüben* ^2)^ 

Insofern  ist  allerdings  den  beiden  Seiten  des  Verbandes, 
die  durch  die  beiden_Gruppfen  von  Motiven^  die  bei  seinem  Ent- 
stehen mitgewirkt  hatten,  charakterisiert  werden,  dauernd  eine 
gewisse  Selbständigkeit  zuzuerkennen  und  wird  es  gerechtfertigt 
sein,  die  gottesdienstliche  Seite  unter  Umständen  als  die  „Brüder- 
schaft" zu  unterscheiden.  Allein  den  Ausgangspunkt  und  die 
Gi^andlage  hatte  allemal  die  gewerbliche  Gemeinschaft  gebildet. 
Inwiefern  jene  Unterscheidung  aber  gerade  für  diese  und  die 
schärfere  Ausbildung  des  Zunftwesens  Bedeutung  erhalten  sollte, 
werden  wir  später  sehen. 


471)  Riedel,  Codex  diplomaticus  Brandenburgensis  I,  Bd.  XV,  S.  85,  a.  1328. 

472)  Vgl.  namentlich  über  Basel  Geering,  a.  a.  O.,  S.  49  ff. 


X.  Kapitel. 

Der  Zunftzwang  und  die  Einung. 

Die  Brüderschaft  bot  den  Handwerkern  die  Form,  an  der 
es  bis  dahin  noch  gefehlt  hatte,  für  einen  intimeren  Verein, 
als  ihn  das  bloße  „Amt"  abgab.  Darüber  hinaus  war  sie  ein 
Vehikel,  um  der  durch  geistliche  Personen  repräsentierten  Obrig- 
keit das  Risiko  größerer  Selbständigkeitsbestrebungen ,  die  als 
Folge  jenes  engeren  Zusammenschlusses  zu  befürchten  waren, 
annehmbarer  zu  machen.  Richtiger  noch  wird  es  sein,  die  Grün- 
dung der  Brüderschaften  in  der  Hauptsache  vielmehr  auf  geist- 
liche Anstiftung  zurückzuführen,  wie  sie  ja  in  ihren  Betätigungen 
geistlicher  Leitung  ständig  unterworfen  blieben. 

Muß  man  somit  den  kirchlichen  wie  den  geselligen  Bestrebungen 
eine  gewisse  Bedeutung  für  die  Entstehung  der  Zünfte  zuerkennen, 
wenn  auch  nur  die  eines  mithelfenden  Momentes  —  während 
allein  ausschlaggebend  die  gewerblichen  sind  und  waren:  so  er- 
scheint wesentlicher  die  Wahrnehmung,  daß  in  beiden  Richtungen 
der  Obrigkeit  ein  weit  größeres  Maß  der  Einwirkung  zuzu- 
schreiben ist,  als  man  bisher  anzunehmen  pflegte.  Allein  ein 
marktherrliches  Handwerkeramt,  wenn  auch  unter  einem  Meister, 
der  einstweilen  doch  nur  von  der  Obrigkeit  gesetzt  war,  und  mit 
einer  gewissen  zugebilligten  Erwerbsgerichtsbarkeit,  ist  noch  keine 
Zunft:  zur  Zunft  gehören  eine  ausgesprochenere  Autonomie  in 
Gewerbesachen;  wenigstens  ein  gewisses,  wenn  auch  durch  die 
Voraussetzung  obrigkeitlicher  Genehmigung  in  jedem  Einzelfall 
beschränktes  Gesetzgebungsrecht  —  das  Recht  zu  „Willküren"; 
vor  allem  aber  eigene  Handhabung  des  Zunftzwanges.  So  un- 
gefähr wird  man  einstweilen  den  Unterschied  ausdrücken  können, 
während  eine  genaue  Formulierung  bei  der  ^[enge  der 
lokalen  Verschiedenheiten  und  Uebergangsstufen  kaum  mög- 
lich ist. 

Kehren  wir  noch  einmal  zur  Marktordnung  zurück. 


184  Zunftzwang  und  Einung. 

Ist  es  nötig,  zu  betonen,  daß  nicht  jede  „Zunft",  wenn  wir 
diesen  Ausdruck  zur  Bezeichnung  des  vollausgebildeten  Instituts 
zurückbehalten  wollen,  aus  einem  „Amt"  hervorgegangen  ist? 
Die  Kölner  Bettziechenweber  haben  uns  gezeigt,  daß  das 
nicht  der  Fall  zu  sein  braucht  in  einer  Stadt,  die  freilich  allen 
anderen  weit  voraus  war,  das  bereits  Mitte  des  12.  Jahrhunderts 
nicht  mehr  der  Verlauf  ist.  Es  wurde  bei  der  Gelegenheit  schon 
darauf  hingewiesen,  daß  die  obrigkeitliche  Marktordnung  ja  an 
keinem  Ort  von  vornherein  erschöpfend  sein  konnte,  daß  die  fort- 
schreitende Spezialisierung  des  Gewerbes  neue  Gruppen  er- 
stehen ließ,  die  sogleich  von  sich  aus  zu- frischer  Vereinsbildung 
schritten. 

Hinzu  kommt,  daß  die  Umbildung  der  bloßen  jSIarktgruppen 
zu  Aemtern  unter  Meistern,  die  auf  der  Erweiterung  der  bloßen 
Warenschau  zu  einer  Beaufsichtigung  und  Regelung  der  Waren- 
erzeugung beruhte,  ja  nur  die  Handwerker  traf,  nicht  die  eigent- 
lichen Händler,  mit  Namen  die  Gewandschneider,  die  zwar  der 
allgemeinen  Marktordnung  unterworfen  waren,  aber  diese  beson- 
dere Wandlung  nicht  mitmachten,  die  wir  deshalb  unter  den  alten 
Aemtern  nicht  treffen  und  die  sich  manchmal,  wie  in  Frank- 
furt, einem  wohlgegliederten  Handwerk  gegenüber  erst  spät 
ähnlich  gewerblich  abschließen  ^^3). 

So  wäre  es  an  sich  wohl  denkbar,  daß  die  Zünfte  überhaupt 
ohne  die  vorhergehende  Marktordnung  aus  eigener  Einsicht  und 
ganz  freiem  Entschluß  hätten  entstehen  können:  aber  eben  doch 
nur  abstrakt  denkbar,  ohne  Rücksicht  auf  die  geschichtlichen 
Umstände. 

In  diesem  Zusammenhange  aber  sei  auch  kurz  gestreift  das 
Problem  der  „Kauf man nsgilden". 

Niemand  glaubt,  wenn  er  es  vorher  getan  hatte,  seit  Hegels 
großem  Werke  über  die  „Städte  und  Gilden  der  germanischen 
Völker"  mehr,  daß  irgendwo  die  Stadt  Verfassung  sich  aus  einer 
Kaufmannsgilde  entwickelt  "habe.  Ebensowenig  kann  die  Rede 
davon  sein,   daß  die  Innungen    der  Handwerker  entstanden  seien 


473)  Fromm,  Frankfurts  Textilgewerbe  im  Mittelalter,  S.  2  ff.,  'S.  6ff. ;  dazu 
Hansische  Geschichtsblätter,  Jahrgang  1901,  S.  108  ff. ;  meine  Urkunden  No.  175  ff. 
Daß  die  „Kaufleutezünfte"  oder  aber  die  Gewandschneiderinnungen  überhaupt  jünger 
sind  als  die  Handwerkerverbände,  kann  man  aber  nicht  sagen.  Es  sind  dabei  ver- 
schiedene Umstände  zu  unterscheiden.  Vgl.  im  folgenden.  Ferner  Hans.  Gbl.,  a.  a. 
O.  S.  74  ff. 


Kaufmannsgilden.  1 85; 

infolge  des  Auflösungsprozesses  einer  „Großen  Gilde",  die  ur- 
sprünglich die  Gesamtheit  der  Gewerbetreibenden  einer  Stadt 
umfaßt  habe.  Abgesehen  von  der  Unzulänglichkeit  der  einzelnen 
Beweisstücke,  die  v.  Below  aufgedeckt  hat,  ist  ein  solcher  Vor- 
gang auch  darum  ausgeschlossen,  weil  dessen  Annahme  gänzlich 
absieht  von  einer  Grundtatsache  der  städtischen  Geschichte  gerade 
in  der  kritischen  Zeit:  der  Einwanderung.  Die  Masse  der 
städtischen  gewerbetreibenden  Bevölkerung,  die  soeben  durch 
Einwanderung  erst  zusammengekommen  war,  hätte  in  die  Gilde 
eintreten  müssen,    nur  um  sich  sofort  wieder  von  ihr  zu  trennen. 

Allein  etwas  ganz  anderes  ist  es  —  und  darin  liegt  die 
richtige  Idee,  der  Nitzsch  nur  auf  falschen  Wegen  nachgegangen 
ist  —  ob  in  der  Frühzeit,  ehe  noch  von  einer  Stadtverfassung- 
und  einem  Bürgerstande  geredet  werden  kann,  in  der  Zeit  der 
Herrschaft  des  „ius  negotiale",  des  „mercatorius  usus",  die  noch 
sehr  fluktuierende  kaufmännische  Bevölkerung  sich  hier  und  da 
zu  Gilden  zusammengeschlossen  hat.  Das  ist  ein  Gedanke,  der 
sich  gar  nicht  abweisen  läßt,  und  nicht  nur  für  ein  „hier  und  da"» 
sondern  überall,  wo  sie  einmal  in  genügender  Menge  auf  kürzere 
oder  längere  Zeit  den  P'uß  zu  Boden  gesetzt  hat. 

Von  jeher  haben  sich,  wo  die  Verhältnisse  es  erforderten» 
Berufsgenossen  zu  Vereinen  zusammengetan  zur  Förderung  ihrer 
Berufsinteressen,  zur  Geselligkeit  und  zu  gegenseitiger  Unter- 
stützung in  der  Not,  und  regelmäßig  werden  sie  sich  auch  einen 
Schutzpatron  erwählt  haben.  Für  die  Annahme  einer  frühen 
Existenz  gerade  von  Kaufmannsgilden  ist  man  indes  nicht  auf 
allgemeine  Betrachtungen  und  Analogien  angewiesen.  Schon  die 
Gilden  zur  Wohltätigkeit  und  zur  Versicherung  gegen  Brand 
und  Schiffbruch,  die  zu  beschwören  Karl  der  Große  verbietet, 
können,  soweit  der  Schiffbruch  in  Frage  kommt,  doch  wohl  nur 
solche  von  Kaufleuten  gewesen  sein^^*). 

Mit  voller  Sicherheit  aber  ist  aus  dem  Anfange  des  1 1 .  Jahr- 
hunderts  eine    Kauf  man  nsgilde   belegt,   und   zwar   in   Tiel.     Das 

474)  Boretius,  Capitularien,  Bd.  I,  No.  20,  §  16  vom  März  779:  „De 
sacramentis  per  gildonta  invicem  coniuranübus,  ut  nemo  facere  praesimiat.  Alio  ver» 
modo  de  illorum  elemosinis  aut  de  incendio  aut  de  naufragio,  quamvis  convenentias 
fadant,  nemo  in  hoc  iurare  praesumat."  Ich  verstehe,  daß  nur  das  Beschwören  der 
Uebereinkunft  verboten  wird.  „Naufragium"  kam  natürlich  auch  auf  Binnengewässern 
vor.  Vgl.  meine  Urkunden  im  Register.  Die  Beziehung  auf  Pilger  ist  abzu- 
lehnen. 


t86  Zunftzwang  und  Einung, 

ist  von  um  so  größerer  Wichtigkeit,  als  Tiel  damals  noch  einer 
-der  Haupthäfen  des  Reichs  war,  eine  der  Hauptzollstätten,  die  in 
•den  üblichen  Zollbefreiungsprivilegien  stets  reserviert  wurde, 
Hauptübergangshafen  nach  England.  Alles  das  findet  auch  in 
der  Nachricht  über  die  dortige  Gilde  Ausdruck.  Die  Tieler  Kauf- 
leute gehen  häufig  den  König  mit  Klagen  an:  wenn  er  sie  nicht 
gegen  die  Seeräuber  schütze,  die  sich  in  der  Nähe  eingenistet 
hatten,  so  können  weder  sie  nach  England,  noch  die  Engländer  zu 
ihnen, 

et  ideo  vectigalia  sibi  [dem  König]   ut  oportebat,   plenius 

pro  venire  non  posse*''^). 

Dadurch  erhält  auch  Alperts  übriger  Bericht  dokumentarische 
Würde. 

Aus  dem  Stadtrecht  Friedrichs  IL  für  Lübeck  von  1226 
ist  bekannt,  daß  damals  die  Tieler  neben  den  Kölnern  in  Eng- 
land den  Lübeckern  Schwierigkeiten  bereiteten  ^^^).  Eben  urh 
Gilden  von  der  Art,  wie  sie  die  Deutschen  an  verschiedenen 
englischen  Handelsplätzen  errichtet  haben,  handelt  es  sich.  Der 
•einzeihe  war  Mitglied,  solange  seine  Geschäfte  ihn  an  den  Ort 
banden,  was  einmal  auf  kurze  Zeit  oder  in  regelmäßiger  Wieder- 
holung oder  andauernd  sein  konnte.  Solche  Gilden  sind  aber 
nicht  erst  im  13.  Jahrhundert  erfunden  worden  oder  im  12.,  wo 
zuerst  von  einem  Hause  der  Kölner  in  London  die  Rede  ist*"). 
Zu  dieser  Zeit  war  in  den  deutschen  Städten  kein  Anlaß  mehr 
zu  Gründungen  dieser  Art.  Vergangen  waren  hier  die  Zustände, 
denen  sie  einst  ihr  Dasein  verdankt  hatten.  Bürgersein  war  an 
die  Stelle  des  Kaufmannseins  getreten.  Grund-  oder  Hausbesitz 
war  es,   was  Gemeindemitgliedschaft  verlieh.     Man    gehörte  jetzt 


475)  Aus  Alpert  von  Metz,  De  diversitate  temporum :  MG.  SS.,  Bd.  IV, 
S.  718  f.,  No.  20;  meine  Urkunden  No.  75.  Die  ,,insula"  kann  dem  Zusammen- 
ihange  nach  nur  England  sein :  „neque  se  causa  negotiandi  in  insulam  venire,  neque  ad 
se  Britannos  commeari  posse."  Ueber  Tiel  als  Zollstätte  z.  B.  a.  a.  O.  No.  71 
(a»  975).  No.  78  b  (a.  1134),  No.  152  §  32  (a.  1219).  Auch  die  „loca  compertinentia'', 
•die  in  Koblenz  1 104  gleichen  Zoll  mit  den  Tielern  entrichten,  sprechen  für  die  Be- 
■deutung   dieses  Platzes   als  Handelsmittelpunkt.     Meine  Urkunden  No.  80,   S.  49,6. 

476)  Meine  Urkunden  Nr.  154  §  8:  „Insuper  burgenses  Lubicenses  predict[os] 
■euntes  quandoque  in  Angliam  ab  illo  pravo  abusu  et  exactionis  onere  quod  Colonienses 
et  Telenses  et  eorum  socii  contra  ipsos  invenisse  dicuntur  omnino  absolvimus,  ilium 
penitus  delentes  abusum." 

477)  Meine  Urkunden  No.  431,  um  1157.  In  einer  Ueberlieferung  der 
Urkxinde  wird  das  Haus  als  ,,gildhalla  sua"  bezeichnet. 


Gilden  im  Ausland.  l8y 

ein  für  allemal  einer  bestimmten  Stadt  an.  Aber  ehedem  war 
der  deutsche  Kaufmann  auch  an  deutschen  Handelscentren  fremd 
gewesen  oder  nur  vorübergehend  heimisch.  Und  gerade  wie  im 
Ausland  hatte  auch  hier  die  Genossen  von  seiner  Nationalität 
die  Gleichheit  des  Berufes  zu  einander  gezogen. 

Der  Uebergang  vom  meist  wandernden  zum  seßhaften 
Händler  kann  nur  ein  allmählicher  gewesen  sein*^*).  Irgend  einen 
Platz  im  Rahmen  der  Verfassung  der  neuen  städtischen  Gemeinden 
aber  gab  es  für  seine  Genossenschaften  nicht  Zwangsrechte, 
■öffentliche  Rechte  fehlten  ihnen  gänzlich.  Nur  durch  Verrufen 
und  „Hänseln"  konnten  sie  einen  Druck  ausüben,  wie  jene  Kölner 
und  Tieler  gegen  die  Lübecker.  In  den  nach  bestimmtem 
Schema  mit  in  den  Grundzügen  schon  befestigtem  Stadtrechte 
angelegten  Städten  w^ar  für  sie  von  vornherein  keine  Stelle.  Sehr 
wahrscheinlich  aber  ist  die  Dortmunder  Reinholdsgilde 
solchen  Ursprungs*^**),  und  ich  halte  es  gar  nicht  für  unmöglich, 
daß  sich  auch  noch  an  anderen  Orten  Spuren  der  Existenz  ähn- 
licher Vereine  werden  nachweisen  lassen. 

Diese  Gilden  stehen  ihrem  Wesen  nach  in  schroffem  Gegen- 
satz zu  den  Verbänden  der  Handwerker.  Keine  Brücke  führt 
von  den  einen  zu  den  anderen.  Sie  sind  wirklich  private  und 
sie  vereinen  in  sich  nicht  bloß  Händler  mit  einer  Ware*****).  Auch 
politisch  stehen  sie  den  Bestrebungen  der  Handwerker  fem,  Sie 
entstammen  einem  älteren  Zustande,  einem  Stande  der  Dinge, 
dem  gerade  in  der  jüngsten  wirtschaftsgeschichtlichen  Literatur 
jedoch  nicht  überall  gebührende  Würdigung  zu  teil  geworden  ist 
In  der  Zeit  des  ausgebildeten  Städtewesens  sind  ihnen,  außer  den 
Gilden  in  der  Fremde,  nur  die  Gesellschaften  der  Flandernfahrer, 
der  Englandfahrer  und  ähnliche  vergleichbar,  die  ebenfalls  außer- 
halb   der    stadtwirtschaftlichen    Ordnung   des    Gewerbes    bleiben. 

Nur  des  Gegensatzes  halber  also  mußten  sie  berührt  werden. 

Was  aber  die  Verbände  der  Handwerker  betrifft,  so  bleibt 
für  sie  die  Tatsache  wichtiger  obrigkeitlicher  Präformationen  be- 


478)  Vgl.  hierüber  auch  Hans.    Gbl.,  Jahrgang  1901,  S.  79 ff. 

479)  Die  Kaufleute  der  Reinhold^lde  sind  nicht  aus  Bauern  hervorgegangen, 
sondern  umgekehrt  haben  sich  die  ursprünglichen  Kaufleute  und  ihre  Nachkommen 
in  Grundbesiuer  ven»-andelt.     Hans.   Gbl.,  a.  a.  O.  S.  88^°. 

480)  Mitglieder  der  Dortmunder  Reinholdsgilde  waren  picht  bloß  die  Tuch- 
händler,  sondern  auch  Weinhändler.  Frensdorff,  Dortmunder  Statuten  und  Urteile, 
S.  LHI. 


l88  Zunftzwang  und  Einung. 

Stehen.  Und  mit  dieser  geschichtlichen  Tatsache,  dem  Charakter 
dieser  Vorbildungen ,  der  Art  und  Tragweite  dieses  Einflusses 
auf  die  Bildung  der  mit  ausgedehnter  Autonomie  und  Zunftzwang 
begabten  Verbände,  der  „Zünfte",  hat  sich  die  Geschichte  schlechter- 
dings allein  zu  befassen.  Denn  absolute  Notwendigkeit  kommt 
bei  diesen  Vorgängen  schlechthin  nicht  in   Frage. 

Wir  haben  sie  zum  Teil  bereits  näher  kennen  lernen. 

Wenn  durch  die  Einrichtung  der  Aemter  und  die  Ein- 
setzung von  Meistern  die  Obrigkeit  die  äußere  Form  der  gewerb- 
lichen Verbände  geliefert  hatte;  wenn  ohne  ihre  Genehmigung 
keine  Zunft  ihre  Zwecke  erreichen  oder  überhaupt  nur  existieren 
konnte;  wenn  w^enigstens  im  Prinzip  von  ihr  abhing,  welches 
Ausmaß  von  Autonomie  sie  gewähren  wollte:  so  sahen  wir  auch 
bereits,  wie  sie  in  ihrer  Marktordnung  noch  weiter  durch  Hand- 
lungen ,  bei  denen  jeder  Gedanke  an  die  Schöpfung  von  selb- 
ständigen Handwerkerverbänden  fehlte,  einen  autonomistischen 
Geist  geweckt  und  den  autonomistischen  Bestrebungen  die  Bahn 
gebrochen  und  auch  dadurch  dem  Entstehen  der  Zünfte  nach 
verschiedenen  Richtungen  vorgearbeitet  hatte. 

Die  Gruppierung  der  Verkäufer  auf  dem  Markte,  die  Zu- 
weisung der  Marktstellen,  der  Budenreihen  an  die  Gruppen,  oder 
gar  eines  Kaufhauses,  mußte  gegenüber  allen  Konkurrenzgelüsten 
mit  Nachdruck  auf  die  Gemeinsamkeit  der  Interessen  aller  An- 
gehörigen einer  Gruppe  hinweisen.  Ja,  neue  gemeinsame  In- 
teressen waren  durch  die  günstige  oder  ungünstige  Lage  der 
Marktstelle,  den  Zustand  der  Gebäude  soeben  geschaffen  worden  :. 
die  Trockenlegung  des  Marktplatzes  in  der  Gründungsgeschichte 
der  Kölner  Bettziechenweberzunft  lieferte  ein  bedeutsames 
Beispiel. 

Aehnlichen  Einfluß  übte  es,  daß  die  Obrigkeit  Gleichheit, 
gleiche  Güte  der  Waren  vorschrieb,  Abweichungen,  Betrug  bei 
Herstellung  und  Verkauf  bestrafte:  sie  leitete  dadurch  die  Ge- 
werbegenossen von  selbst  zu  gegenseitigem  Ueberwachen,  nach- 
haltiger noch  als  durch  die  formelle  Pflicht  der  Mitwirkung  in 
den  alten  drei  Dingen  zu  selbständiger  Ausübung  der  Gew^erbe- 
polizei  an.  Die  Eifersucht  war  da  ein  Agens,  das  der  Versuchung,, 
dem  Richter  gegenüber  nur  die  gemeinsamen  Interessen  des  Ge- 
werks  zu  verfechten,  Verfehlungen  der  Genossen  darum  zu  ver- 
heimlichen, mit  Uebergewicht  entgegen  trat. 


Amtszwang  und  Zunftzwang.  i8q 

Und  in  derselben  Weise  wirkten  die  Lasten,  denen  die 
Handwerkerschaften  sich  unterworfen  sahen,  einerlei,  ob  sie  dem 
Amt  gemeinsam  auferlegte  oder  von  den  einzelnen  Genossen  auf- 
zubringen waren. 

Alles  das  aber  berührt  sich  schon  auf  dcis  engste  mit  dem, 
was  erst  dem  ganzen  Zunftsystem  den  Halt  gibt,  sein  eigent- 
liches Existenzprinzip  ist,  ohne  das  es  nicht  bestehen  kann:  dem 
Zunftzwang,  Denn  auch  den  Zunftzwang  liefert  der  Zunft  be- 
reits die  Marktordnung. 

Schon  unter  der  obrigkeitlichen  Ordnung  des  periodischen 
Marktes  versteht  es  sich  von  selbst,  daß  jeder  Händler  der 
äußeren  Ordnung,  jeder  der  gleichen  Warenkontrolle,  jeder  den- 
selben Abgaben  unterworfen  ist.  In  der  dauernden,  städtischen 
^larkt-  und  Gewerbeordnung  ist  es  nicht  anders,  nur  daß  jetzt  auch 
in  dieser  Hinsicht  die  Einrichtung  eine  dauernde  wird.  Und  auch 
nachdem  Meister  an  die  Spitze  der  Aemter  gestellt,  ihnen  die 
Gewerbepolizei  wie  die  Aufbringung  der  Abgaben  überlassen 
worden  waren,  konnte  darin  kein  Wechsel  eintreten.  Kurz,  der 
Beitrittszwang  war  ein  so  notwendiges  Element  der  Organisation 
des  Gewerbes,  ja  man  kann  sagen  der  städtischen  Wirtschafts- 
ordnung überhaupt,  daß  es  von  minderer  Wichtigkeit  erscheint, 
ob  in  dieser  oder  jener  der  älteren  Handwerkerurkunden  der 
Zunftzwang,  sei  es  explicite,  sei  es  implicite,  enthalten  ist  oder 
nicht***).  Auch  wo  es  sich  nur  um  gottesdienstliche  und  brüder- 
liche Verpflichtungen  handelte,  zeigte  sich  ja  bereits  der  gleiche 
Zwang**-). 


481)  Sehr  richtig  bemerkt  auch  Lau,  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt 
Köln,  S.  207 ' :  „Immerhin  scheint  es  mir  überhaupt  mißlich,  aus  den  nicht  immer 
scharf  und  logisch  stilisierten  Zunftbriefen  und  Ordnungen  bindende  Schlüsse  auf  das 
Bestehen  und  Nicht-Bestehen  des  Zunftzwanges  ziehen  zu  wollen."  Vgl.  zu  dem  be- 
sonderen von  Lau  berührten  Falle:  Hans.  Gbl.,  Jahrgang   1901,  S.  93*^-. 

482)  Hegel,  Hist.  Zeitsch.  Bd.  LXXXH  (1898),  S.  130  und  Städtewesen. 
S.  120 f.,  beanstandet  gegen  Lau,  Köln  S.  77,  die  Anwendung  des  Ausdruckes  Zunft- 
zwang, wenn  es  sich  um  die  „Verleihung  der  Brüderschaft"  handelt  wie  bei  den  Kölner 
Bettziechen  Webern,  Drechslern  und  Hutniachern.  Es  ist  ja  gewiß  gut,  daß  er  zwischen 
der  geselligen  Seite  und  dem  Gewerbebetrieb  unterscheidet;  aber  so  streng  technisch 
darf  man  den  Ausdruck  Brüderschaft  doch  nicht  nehmen,  daß  man  daraufhin  dies  den 
Bettziechenwebern  verliehene  Recht  niu-  „die  Nötigung,  daß  alle  Einheimische  und 
Fremde  desselben  Gewerbes  der  Brüderschaft  beitreten  sollten"  bedeuten  ließe  und 
„nicht  den  Zunftzwang,  der  den  Gewerbebetrieb  betroffen  hätte".  Immerhin  anerkennt 
er  die  Gleichheit  des  Gewerbes,  das  .,Amt",  wie  er  es  nennt,  als  den  Kern  der 
'.Brüderschaft".     Vgl.  übrigens  das  vorige  Kapitel,   besonders  Anm.  468. 


igo  Zunftzwang  und  Einung. 

Wenn  trotzdem  eine  Meinungsverschiedenheit  über  die  Be- 
deutung des  Zunftzwanges  herrscht,  so  kann  sie  nur  daher  ent- 
sprungen sein,  daß  man  Mittel  und  Zweck  verwechselt  hat.  Denn 
Selbstzweck  ist  der  Zunftzwang  natürlich  nicht.  Mit  seiner  Hilfe 
sollen  nur  die  eigentlichen  Ziele  der  Handwerkerverbände  erreicht 
werden.  So  erklären  sich  die  so  vielfach  angefochtenen  Aeusse- 
rungen  Schmollers**^^).  Aber  der  Zunftzwang  war  freilich 
so  sehr  das  gegebene  Mittel,  daß  mit  einer  gewissen  Selbstver- 
ständlichkeit er  überall  im  Vordergrunde  steht. 

Deshalb  geht  denn  auch  das  Verbreitungsgebiet  des  „Zunft- 
zwanges" weit  über  das  der  Zünfte  selbst  hinaus.  Wir  finden 
ihn  ausgesprochen  auch  da,  wo  freie  Verbände  der  Handwerker 
ausdrücklich  verboten  werden,  wie  in  der  Landshuter  Ordnung 
von    1256,  wo  es  in  §  4  heißt: 

societates  que  vulgo  dicuntur  einung  sub  pena  V  librarum 
inhibemus, 
und  doch  den  gewerberechtlichen  Bestimmungen,  wie  denen  über 
die  Weberei  (§§  2,  3,  22),  die  Walkerei  (§  3),  die  Schlachterei 
(§§  5,  II,  12),  die  Bäckerei  (§  13),  die  Schuhflicker  (§  23),  die 
Becherer  (§  19)  und  die  übrigen  Verkäufer  verschiedenster  Waren, 
notwendig  alle  Genossen  der  einzelnen  Gewerbe  unterworfen  ge- 
wesen sein  müssen '*^^). 

Ebenso  wird  niemand  auch  nur  einen  Augenblick  zweifeln, 
daß  etwa  in  Augsburg  den  zahlreichen  und  ausführlichen  Be- 
stimmungen des  Stadtrechtes  von  1276  stets  alle  Vertreter  der 
einzelnen  Gewerbe  unterworfen  waren,  und  ebenso  den  dürftigen 
nach  dem  Stadtrecht  von   1156*^^). 

Auch  in  Straßburg  versteht  es  sich  ganz  von  selbst,  daß 
sämtliche  in  der  Stadt  vorhandene  Kürschner,  Schmiede,  Sattler 
u.  s.  w.  den  Aemtern  angehören  mußten,  auch  wo  es  nicht  aus- 
drücklich heißt  „omnes".  Ebenso  in  Trier^*«).  Und  genau  so 
verhält  es  sich,  um  noch  einen  möglichst  entgegengesetzten  Fall 


483)  Namentlich  in  „Straßburg  zur  Zeit  der  Zunftkämpfe".  Vgl.  da-su  Frens- 
Horff,  Hildebrands  Jahrbücher  Bd.  XXVI,  S.  225  ff.  —  Unrichtig  ist  die  Abfolge 
der  verschiedenen  Momente  und  damit  die  Art,  wie  sie  sich  bedingen,  in  dem  neuesten 
Bande  von  v.  Inamas  Wirtschaftsgeschichte  dargestellt,  besonders  S,  29  ff. 

484)  Vgl.  oben  S.    131  f.  und  S.    I30f. 

485)  Vgl.  oben  S.   151   und  Anm.  400. 

486)  Vgl.  Kapitel  V  und  VIII. 


Zunftzwang  ohne  Zünfte.  igt 

ZU  nehmen,  mit  den  Handwerkern  von  Wiener-Neustadt  nach  der 
Aufzeichnung  von  etwa   1310*^').  -^ 

Daher  war  es  denn  auch  möglich,  wie  es  so  oft  aus  irgend   ' 
welchen  Gründen  geschehen  ist,  Zünfte  aufzuheben,  ohne  daß  da- 
durch die  städtische  Wirtschaftsordnung  zerstört  worden  wäre***)> 
Das  Fundament  blieb  liegen,    nur   der  Oberbau,   die  Autonomie^  J 
wurde  beseitigt. 

Nur  deshalb  ferner,  weil  der  Zunftzwang  nichts  als  ein 
Erbstück  aus  der  Marktordnung  war,  stieß  er  auf  so  wenig 
Widerstand. 

Nicht  nur,  insoforn  wir  die  Obrigkeit  regelmäßig  bereit  sehen, 
den  Vereinen  der  Gewerbetreibenden  das  Recht  des  Zunftzwanges- 
zu  verleihen:  trotz  aller  offenkundigen  Vorteile  des  Zusammen- 
schlusses würden  sich  zweifellos  unter  den  Handwerkern,  nament- 
lich den  erst  neuerdings  zuziehenden,  Elemente  gefunden  haben,, 
die  einem  Zunftzwange,  der  soeben  erst  dem  Kopfe  der  poli- 
tischer denkenden  unter  ihren  Genossen  entsprungen  wäre^*^),. 
aller  obrigkeitlichen  Genehmigung  unerachtet  den  hartnäckigsten 
Widerstand  entgegengesetzt  hätten,  wie  es  später,  als  die  allge- 
meinen wirtschaftlichen  Voraussetzungen  sich  verwandelt  hatten^ 
ständig  geschah.  Ohne  die  geschilderten  Voraussetzungen  hätte 
man  auch  in  der  früheren  Periode  an  einem  Erfolg  der  Bewegung 
unter  derartigen  Umständen  trotz  alier  obrigkeitlichen  Begünsti- 
gung billig  zweifeln  dürfen. 

Allein  wenn  soweit  Wünsche  und  Ziele  von  Handwerkern 
und  Obrigkeit  übereinstimmten,  so  zeigt  sich  eben  beim  Zunft- 
zwang, daß  ihre  Gesichtspunkte  und  Motive  und  damit  ihre- 
letzten  Zwecke  recht  weit  auseinandergingen:  kann  man  doch 
mit  demselben  Hammer  ähnliche  Nägel  an  recht  verschiedenen 
Stellen  einschlagen! 

Was  waren  denn  die  Motive  der  Obrigkeit  bei  der  regel- 
mäßigen Handhabung  der  Marktordnung? 

Neben  dem,  was  sich  allgemein  als  gute  Regierung  be- 
zeichnen läßt,  handelte  es  sich  insbesondere  um  zweierlei:  Für- 
sorge für  das  Publikum  und   finanziellen  Vorteil  für   sich   selbst. 


487)  Vgl.  S.    152  und  Anm.  400. 

488)  Vgl.  Kapitel  XI. 

489)  Croon,  S.  88,  betont  die  Wichtigkeit  der  Initiative  von  ,, einzelnen  klar- 
sehenden Handwerkern,  die  die  Gesamtheit  ihrer  Genossen  durch  den  Hinweis  ant 
gemeinsame  Ziele  za  einem  Ganzen  zusammenschließen". 


qQ2  Zunftzwang  und  Einung. 

Denn  die  Sorge  für  die  „Nahrung",  das  Auskommen  der  Handwerker 
gehört  einer  späteren  Epoche  an.    Also  neben  möglichst  guter,  mög- 
lichst   reichlicher    Versorgung    des    Marktes    mit   Waren,    reich 
lichste  Einkünfte  aus   dem  Markte    und    allem    was  mit  ihm   zu 
sammenhängt. 

Das  bedeutet  aber  weiter  möglichst  freie  Zulassung  auch 
fremder  Händler,  fremder  Verkäufer,  auch  von  Fleisch,  Brot  und 
Handwerkserzeugnissen:  wie  es  sich  nach  der  Vorgeschichte  der 
Märkte  ja  von  selbst  verstand. 

Wir  haben  nun  schon  gesehen,  wie  die  bürgerlichen  Ge- 
werbetreibenden, mit  der  Begründung,  daß  sie  allein  Steuern 
zahlten,  sich  gegen  die  Konkurrenz  der  Hofhandwerker  wehrten 
und  sie  mit  Hilfe  des  Königs  niederschlugen. 

Dasselbe  Prinzip  ließ  sich  binnen  gewisser  Grenzen  auch 
gegen  die  fremden  Händler  kehren,  die  man  freilich  als  „publici 
et  certi  mercatores"  gelten  lassen  mußte,  die  aber  doch  wenigstens 
.nicht  in  dieser  Stadt  die  Lasten  mittrugen. 

Daß  sie  dafür  mit  Zöllen  beschwert  wurden,  von  denen  die 
-eigenen  Mitbürger  frei  gingen  —  damit  mochte  die  Obrigkeit 
das  Gleichgewicht  wieder  hergestellt  wähnen:  den  Handwerkern 
schien  es  nicht  genug. 

Jene  trugen  nicht  mit  an  den  schweren  Lasten  für  den  Ge- 
werbeverein. Ihre  Waren  unterlagen  höchstens  zum  Teil  einer 
gleich  scharfen  Kontrolle.  Auf  alle  Fälle  waren  es  Fremde. 
Ihre  Konkurrenz  schien  unerträglich.  Dagegen  mußten  Maß- 
regeln ergriffen  werden.  In  demselben  Gedankengange  mußte, 
wer  sich  etwa  von  Einheimischen,  von  Neuzugewanderten  der 
Vereinsmitgliedschaft  entziehen  wollte  —  und  je  stabiler  die  Ver- 
hältnisse wurden,  desto  häufiger  war  das  zu  erwarten  —  zum 
Beitritt  gezwungen  werden  können. 

Eben  in  dem  Wunsche  der  Beschränkung  der  Konkurrenz 
gehen  die  Bestrebungen  der  Gewerbetreibenden  am  wesent- 
lichsten über  das  marktherrliche  System  hinaus:  aber  selbst- 
redend im  allgemeinen  noch  nicht  der  Konkurrenz  überhaupt, 
sondern  nur  der  anscheinend  unfairen,  weil  günstiger  gestellten  i''"). 


490)  Thomas  Stolze  hat  in  seiner  Marburger  Dissertation,  Die  Entstehurg 
•  des  Gästerechts  in  den  deutschen  Städten  des  Mittelalters,  in  dankenswerter  Weise  die 
allmähliche  Verschärfung  der  gegen  die  Fremden  auf  den  städtischen  Märkten  ergriffenen 
Maßregeln  im  einzelnen  nachgewiesen.  Aber  die  Rolle,  die  der  Uebergang  von  dem 
Markt  alter  Art  zu  der  städtischen  Wirtschaftsordnung  dabei  gespielt  hat,  ist  ihm, 
glaube  ich,  doch  entgangen. 


Urspnuig  der  Idee  der  Einung.  ig3 

Hier  setzt  die  Idee  der  Einung  ein. 

Was  ist  der  Kern  des  dem  Begriff  Einung  zu  Grunde 
liegenden  Gedankens,  der  die  Bedeutungswandlungen  des  Aus- 
drucks erklärt? 

„Innung",  „Einung",  „unio"  ist  nicht  an  erster  Stelle  „Ver- 
ein", Körperschaft",  wenngleich  der  Bedeutungsübergang  sich 
früh  vollzogen  hat.  Ebensowenig  kommt  der  Ausdruck  aus- 
schließlich den  Vereinigungen  der  Gewerbetreibenden  zu.  Viel- 
mehr ist  die  ursprüngliche  Bedeutung  ganz  allgemein  die  de§ 
Uebereinkommens,  der  Abrede.  Eine  Abrede  aber  erfolgt  stets 
zu  bestimmten  Zwecken,  wodurch  der  Begriff  sich  ferner  von 
der  der  Brüderschaft  zu  Grunde  liegenden  Idee,  der  allgemeiner 
brüderlicher  Unterstützung,  unterscheidet. 

Solche  Einungen  sind  die  Landfriedenseinungen,  eine  solche 
ist  die  der  Bauern  im  Dorfe  Heidingsfeld  bei  Würzburg: 

vina  quieti  colligant   prout   einunge,   quam  homines    pre- 
dicte  ville  statuerint*^^). 
In    demselben    Sinne    wird    das    Wort    gebraucht    in    dem 
Friedensvertrag  zwischen  Straßburg   und   seinem    Bischof   vom 
2  1.  April   1263: 

§  8.  So  ist  ouch  ir  reht  unde  gewonheit:  swenne  ire 
stat  not  unde  kumber  angät,  daz  si  einunge  unde  andre 
satzunge  umbe  ire  stette  not  machen  mügent,  ane 
menliches  Widerrede  ^^-). 
Ebenso  in  dem  ungefähr  gleichzeitigen  Basler  Stadtrecht 
(1260 — 1262). 

§  3.  unde    sol    man    nikein  ungelt  noch   einunge  setzen 
ane  sinen  [des  bischofs]  willen  unde  sin  urloup^^^). 
Es  steht  also  dem  niederdeutschen  ..köre"  nahe,   wenn  dessen 
Grundidee  auch  eine  andere  ist. 

Von  solcher  Art  endlich  sind  auch  die  Einungen,  die  in 
den  Städten  die  Gewerbetreibenden  geschlossen  hatten  und  die 
vcm  den  Obrigkeiten  verboten  wurden. 


491)  Mon.  Boica,  Bd.  XXXVII,  No.  404,  S.  46",  vcan  29.  Juli   1276,  mit 
Benifung  auf  die  Zeit    der  Bischöfe  Hermann  (1225  — 1254)  und  Ihring  (1254—1260) 

ind  ohne  Zweifel  identisch  mit  der  „unitas"  in  der  Urkunde  Hermanns  vom  2.  März 
1252,  a.  a.  O.  No.  318,  S.  357.  von  deren  Bruch  zwei  Drittel  dem  Schultheißen,  «n 
Drittel  den  ,,cives"  zufallen. 

492)  Wiegand,  Bd.  I,  No.   519;  meine  Urkunden  No.    128. 

493)  Urkunden  No.    132. 

Keutgen,  Aeinter  und  Z&nfle.  13 


IQA  Zunftzwang  und  Einung. 

So  geschah  es  am  13.  Juli  12 19  durch  Friedrich  IL  in  der 
Reichsstadt  Goslar,  wo  der  §  38  des  umfassenden  Stadtrechts 
bestimmt: 

quod    nulla    sit    coniuratio    nee    promissio    vel     societas 
que    Theotonice    dicitur    eninge   vel    gelde,    nisi    solum 
monetariorum ,     ea     de     causa,     ut     caveant     de     falsis 
monetis^^^). 
Man  sieht,  wie  der  Verfasser  mit  der  Schwierigkeit  der  Be- 
griffsbestimmung ringt.      Die    Münzerhausgenossenschaft   konnte 
nicht  entbehrt  werden.     Ebensowenig  aber  war  daran  zu  denken, 
die   alte    Marktordnung,    die    Gewerbekontrolle   mit  der  Aemter- 
ordnung  und    dem    Amtszwang,    die   sie   mit  sich  brachte,   aufzu- 
heben.    Was  verboten    wird,    muß   also   darüber   hinausgegangen 
sein.     Es  sind  „coniurationes"  oder  „promissiones",  die  die  Hand- 
werker geschlossen  hatten,  auf  deutsch  „Einungen";  und  insofern 
sie  von  Dauer  sind,  haben  sie  bereits  den  Charakter  von  „Gilden", 
von  „societates"  angenommen,  die  der  Gesetzgeber,   so  sonderbar 
es  uns    scheinen    mag,    begrifflich    nicht    mehr    deutlich    von    der 
Gesellschaft    der    Münzer    zu    unterscheiden    vermochte.  —  Auch 
die  frommen  Stiftungen  der  Handwerker  können  unmöglich  auf- 
gehoben worden  sein. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  der  schon  mehrfach  zitierten 
Marktordnung  von  Landshut  vom   16.  November  1256: 

§  4.     Usurarios,  preemptores,  societates  que  vulgo  dicun- 
tur  einung   sub   pena  V  librarum    inhibemus   et  insuper 
ipsos  exleges  iudicamus  *-'^). 
Und  doch  enthält,  wie  wir  gesehen  haben,  diese  Rechtsauf- 
zeichnung die  strengste  Gewerberegelung,   und  zwar   eine  Rege- 
lung von  der  Art,   daß  ohne  den  §  4  die.  meisten  Leser   fraglos 
auf  das  Vorhandensein    einer   ganzen  Anzahl    Zünfte   daraus   ge- 
schlossen haben  würden  ^^^^). 

Gleich  darauf  aber  sehen  wir,  wenigstens  in  Norddeutsch- 
land,  die  Obrigkeit  selbst   einzelnen  Gewerken,   namentlich   aber 


494)  Bode,  Urkundenbiich  der  Stadt  Qoslar,  Bd.  I  (Gqu.  der  Provinz  Sachsen, 
Bd.  XXIX),  Nr.  401;  meine  Urkunden  No.   152. 

495)  Weiland,  Constitutiones,  Bd.  II,  No.  439;  meine  Urkunden  No.  231. 
Vgl.  dazu  oben  S.  131  f.  und  S.  190.  Ferner  Rosenthal,  Beiträge  zur  deutschen 
Stadtrechtsgeschichte  (Heft  I,  Zur  Rechtsgeschichte  der  Stadt  I^ndshut)  S.  36  ff. 

495")  Vgl.  auch  noch  unten  S.  205  f.,  das  Verbot  der  Einung  für  die  Kölner 
Fleischer  im  Jahre   1348. 


Verbot  der  Elinungen.  ige 

ganzen  Bürgerschaften    „das   Recht,   das  Innung    genannt   wird", 
verleihen  als  eine  „gratia". 

Das  heißt  nicht,  daß  nun  die  soeben  auch  verbotenen  Gesell- 
schaften —  Innungen  im  späteren  Sinne  —  genehmigt  werden.  Wie 
das  ausgedrückt  sein  würde,  zeigt  der  Schlußsatz  der  Bestätigung 
des  Goslar  er  Stadtrechts  durch  König  Heinrich  vom  14.  Sep- 
tember 1223,  der  jenen  §  38  ersetzt: 

§  52.  Ok  wille  we  .  ,  .  .,  dat  de  broderschoppe,  de  gel- 
den  gheheten  sint,  in  der  stad  to  Gosler  in  den  ersten 
stat  wedder  ghebracht  werden,  utbescheiden  der  tymmer- 
lude  unde  der  wevere  kumpenye  *^''). 

Auch  läßt  es  sich,  wie  wir  sehen  werden,  nicht  einfach  als 
das  Recht,  Innungen  einzusetzen,  deuten. 

Daß  jetzt  erlaubt  würde,  nach  freiem  Belieben  Einungen, 
Satzungen  zu  errichten,  ist  ohnehin  ausgeschlossen. 

So  bleibt  denn  nur  übrig,  daß  jetzt  das  Ziel  selbst,  das  die 
verbotenen  Einungen  erstrebt  hatten,  der  Inhalt  der  Abrede,  von 
den  Stadtherren  als  zu  Recht  bestehend  anerkannt  wurde;  als  zu 
Recht  bestehend  jedoch  nur  kraft  ihrer  Gnade,  nicht  beruhend 
auf  der  Willkür  der  Handwerker;  deshalb  regelmäßig  in  die  Hand 
der  regierenden  städtischen  Behörde,  das  Rates  gelegt,  nur  aus- 
nahmsweise und  vorübergehend  einzelnen  Handwerkerverbänden 
ausgeliefert:  ein  Vorgang,  wie  er  sich  so  manchmal  wiederholt 
hat,  indem  eine  Obrigkeit  oktroyiert,  was  sie  angesichts  einer  revo- 
lutionären Bewegung  nicht  länger  verweigern  kann;  ein  Vorgang, 
der  sich  noch  besonders  vergleichen  läßt  mit  der  Unterdrückung 
des  frei  errichteten  und  der  gleich  darauf  folgenden  Zulassung  eines 
unter  den  Anspielen  des  Bischofs  gewählten  Rates.  Mit  dem 
materiellen  Rechtsinhalt  wurde  der  Xame  Innung  übernommen. 
Und  in  der  Folge  sind  auch  die  Handwerkerverbände,  denen  der 
Rat  das  Innungsrecht  verlieh,  neuerdings  vielfach  als  Innungen 
bezeichnet  worden. 

Die  alte  Idee  der  Einung  also  ist  dahin.  Nur  in  modifi- 
zierter Form  lebt  sie  fort,  zu  erkennen  nur,  wenn  man  zurück- 
geht bis  auf  das,  was  jeder  Einung  wie  einem  so  großen  Teil  des 
mittelalterlichen  Rechtslebens  überhaupt  zu  Grunde  liegt,  die  Idee 
des  Friedens.  Wir  würden  sagen:  der  Sicherheit  im  Genuß  ge- 
wisser   Rechte   ausschließlich    für    die    zu    dem  Rechtskreise   ge- 


496)  Bode,  Bd.  I,  No.  430;  meine  Urkunden  S.  183, 

13* 


ig5  Zunftzwang  und  Einung. 

hörenden,  hier  die  an  der  Einung  beteiligten  Personen.  Dieser 
Gedanke  hat  auch  der  städtischen  Innung  weiter  und  andauernd 
zu  Grunde  gelegen.  Aber,  wenn  es  sich  einst  gehandelt  hatte 
um  die  Zusicherung  eines  Rechtsgenusses  durch  die  Handwerker 
gegenseitig,  so  geht  diese  jetzt  von  der  Obrigkeit  aus.  Die  Hand- 
jwerkerschaften  sind  nur  noch  Mittel,  man  könnte  sagen,  Organ 
dabei:  eine  „Einung"  also  wäre  es  jetzt  meist  nur  noch  zwischen 
dem  Rat  (Marktherrn)  und  dem  einzelnen  aufgenommenen  Hand- 
werker. Ausnahmsweise  wird  gewissermaßen  der  ursprüngliche 
Zustand  unter  Sanktion  der  Obrigkeit  wieder  erreicht. 

Nur  wenn  man  diese  ganze  Gedankenentwickelung  im  Auge 
behält,  sind  die  Urkunden  in  denen  von  dem  Recht  der  Itmung 
die  Rede  ist,  unter  einen  einheitlichen  Gesichtspunkt  zu  bringen 
und  zu  verstehen. 

Was  war  nun   der  materielle  Rechtsinhalt  jener  Einungen? 
In     der    Urkunde,    die    Hermann    von    Börssum,    Vogt    in 
Braunschweig,    im    Namen    Ottos    des    Kindes    im   Jahre   1240 
den  Bürgern  der  Alten  Wik  ausstellt,  wird  es  definiert  als: 

quandam  gratiam  vendendi  que  vulgariter  dicitur  inninge 
....  habere  .  .,  ita  ut  dictam  gratiam  nullus  habeat,  nisi 
tantum  sit  de  consensu  et  voluntate  burgensium  preno- 
minatoriirn  *'*^). 
Und  in  der  Urkunde  des  Herzogs  selbst  von  1245  heißt  es: 
talem  graciam  que  vulgariter  dicitur  inninge,  ut  possint 
ibi  emere  et  vendere  pannum,  quem  ipsi  parant,  et  alia 
omnia,  sicut  in  Antiqua  Civitate  Bruneswich'*^*). 


497)  Hänselmann,  Urkundenbuch  der  Stadt  Braunschweig,  Bd.  I,  No.  4; 
meine  Urkunden  No.  262a. 

498)  Hänselmann,  a.  a.  O.  Bd.  I,  No.  5;  Urkunden  Nr.  262b.  Hegel, 
Städte  und  Gilden,  Bd.  II,  S.  418 ^  irrt,  wenn  er  sagt:  ,,die  Worte  et  alia  omnia 
gehören  nicht  zu  emere  und  vendere,  sondern  hängen  von  damus,  d.  i.  wir  verleihen 
ihnen  alle  anderen  Rechte  wie  in  der  Altstadt.''  Dies  ist  ja  durch  den  weiter  folgenden 
Satz :  „Et  per  omnia  tale  ins  damus  ipsis  quod  habent  nostri  burgenses  Antique  Civitatis.'' 
Deshalb  ist  es  auch  falsch,  wenn  er  und  ebenao^Xroon,  Zunftwesen  S.  "]"],  die  Ur- 
kunde von  1245  für  ein  den  Lakenmachern  erteiltes  Privileg  erklären,  und  Croon 
sogar  folgert,  die  Lakenmacher^unft  sei  zwischen  1240  und  1245  gegründet  worden. 
Beide  Privilegien  gelten  der  ganzen  Bürgerschaft  der  Alten  Wik  und  der  Tuchausschnitt 
für  die  Tuchmacher  wird  nur  wegen  seiner  besonderen  Wichtigkeit  in  der  zweiten 
Urkunde  hervorgehoben.  Diese  ist  im  übrigen  nur  als  eigene  herzogliche  Bestätigung 
des  fünf  Jahre  früher  im  Namen  des  Herzogs  von  dem  Vogte  beurkundeten  Rechts 
aufzufassen.  —  Vgl.  auch  noch  unten  S.  216  das  Stadtrecht  für  Breslau  von  1273  §  6: 
„ut  id  habeant,  quod  ,inonghe'  vulgariter  appellatur". 


Gewährung  des  Innungsrechtes.  \q-j 

Ganz  dasselbe  ist  es,  auch  ohne  daß  das  Wort  Innung  ge- 
nannt würde,  wenn  Herzog  Albrecht  von  Braunschweig  1268 
den  Wolltuchmachern  des  Hagens  ihr  angeblich  schon  von 
Heinrich  dem  Löwen  verliehenes  Recht  bestätigt, 

ut  .  .  .  .  pannum  licite   possint   incidere   in   domibus  suis 
et  vendere  vel  in  foro  aut  ubicumque  melius  eis  placet*^'*). 

Es  handelt  sich  also  um  das,  sei  es  nun  einer  ganzen  Bür- 
gerschaft, sei  es  einer  einzelnen  Gruppe,  erteilte  Recht,  ihre 
Waren  ungestört  zu  verkaufen,  zugleich  aber,  und  das  ist  das 
Wesentliche  dabei,  alle  anderen  von  dem  Verkauf  auszuschließen. 

Dieses  Ausschlußrecht  wird  ausgesprochen  nur  in  der 
ersten  der  drei  Urkunden;  aber  es  ist  das,  was  der  ganzen  Ver- 
leihung erst  Sinn  gibt.  Wenn  in  der  zweiten  Urkunde  das  Recht, 
selbstgefertigtes  Tuch  zu  verkaufen  —  natürlich  im  Ausschnitt  — 
besonders  hervorgehoben  wird,  und  wenn  es  sich  in  der  dritten, 
eben  Webern  verliehenen,  nur  darum  handelt:  so  wird  man  darin 
eine  Abwehr  exklusiver  Ansprüche  der  Gewandschneider  auf 
allen  Tuchausschnitt,  den  der  einheimischen  wie  der  von  ihnen 
importierten  Tuche  nicht  verkennen.  Jedoch  das  ist  ein  zufälliges, 
lokales  Moment,    das  mit  der  Sache  selbst   nichts   zu  tun  hat  5°°). 


499)  Hänselmann,  Bd.  I,  Xo.  7;  meine  Urkunden  No.  260.  —  Hier,  wo 
das  Privileg  einer  einzelnen  Gruppe  verliehen  wird^  kommt  nur  noch  hinzu :  „Habebunt 
tarnen  duos  magistros,  qui  iudicabunt  omnem  excessum,  qui  in  illo  officio  fuerit  inventus" 
—  mit  Rekurs  an  den  „iudex".  An  der  Bedeutung  des  im  Texte  angeführten  Satzes 
wird  dadurch  nichts  geändert.  —  Unter  ,, Laken"  versteht  man  in  Braunschweig 
wollene  Tuche. 

500)  Mit  dem  §  55  des  sogenannten  „Ottonianum"  von  angeblich  1227 
(Hänselmann,  Urk.-B.  Bd.  I,  S.  7)  —  ,, Neman  ne  mach  sich  neuere  ininge  noch 
Werkes  underwinden,  he  ne  do  it  mit  dere  meistere  oder  mit  dere  werken  orlove"  — 
ist  in  diesem  Zusammenhange  nichts  anzufangen.  Croon  (S.  74 ff.)  will  aus  der 
Voraussetzung  einer  Mehrzahl  von  Innungen  in  jenem  Satz  folgern,  daß  die  „talis 
gracia  que  vulgariter  dicitur  inninge,  ut  possint  ibi  emere  et  vendere  etc.",  in  dem 
Privileg  für  die  Altewik  von  1245,  das  sich  auf  ein  „sicut  in  Antiqua  Civitate"  be- 
ruft, einfach  die  Verleihung  -eines  Zunftprivilegs  für  die  Lakenmacher  bedeute.  Das 
ist  nach  dem  Wortlaut  doch  unmöglich.  Außerdem  nimmt  weder  er  noch  Eberstadt 
(Zunftwesen  S.  124)  irgend  welche  Notiz  von  der  Kontroverse  zwischen  Frcnsdorff 
und  Hänselmann  über  die  Datierung  und  den  Ursprung  des  „Ottonianum" .  (Hans. 
G.-Blätter,  Jahrg.  1876,  S.  117  ff.  u.  Jahrg.  1892,  S..  3 — 57).  Hänselmanns  aus- 
führliche Erwiderung  und  erneute  Verteidigtmg  der  Verleihung  des  Stadtrechts  an  die 
Altstadt  im  Jahre  1227  kann  Frensdorffs  wohlbegründete  Einwände  nicht  entkräften. 
Unbegreiflich  ist,  wie  Hänsclmann  (G.-blätter  1892,  S.  22  f.,  S.  30  ff.)  behaupten 
kann,  das  Siegel  des  Stadtrechts  („Ottonianum")  und  das  der  in  das  Jahr  1227  ver- 
legten   „Iura   Indaginis"    seien    „aus    demselben  Typare    geprägt.'"     Ein    Blick    auf    die 


'^ 


ig8  Zunftzwang  und  Einung. 

Es  handelt  sich  bei  der  Verleihung  des  Innungsrechts  an 
eine  Bürgerschaft  also  nicht  um  die  Einsetzung  einer  Anzahl  von 
„Innungen"  durch  den  Herzog;  aber  die  Verleihung  des  gleichen 
Rechts  an  eine  einzelne  Gruppe  mußte  deren  Konstituierung  als 
Innung  zur  sofortigen  Eolge  haben,  welchem  Umstand  durch  den 
weiteren  Inhalt  der  Urkunde  denn  auch  Rechnung  getragen 
wird.  Ebensowenig  wird  der  Bürgerschaft  unmittelbar  das  Recht 
verliehen,   selbst   „Innungen",   Zünfte   einzusetzen;    nur  wird   man 


offenbar  sehr  sorgfältigen  Abbildungen  in  seinem  Braunschweiger  Urkundenbuchc  zeigt 
die  greifbarsten  Unterschiede,  z.  B.  in  dem  Schwanzbusche  und  der  rechten  Hinterklauc 
des  Löwen,  dem  Kreuze  vor  und  dem  G  in  „Sigillum",  um  von  weniger  leicht  zu 
definierenden,  aber  doch  unverkennbaren  Verschiedenheiten  der  allgemeinen  Linien- 
führung abzusehen :  Abweichungen  aber  nur  gerade  so  groß,  wie  sie  einem  Fälscher 
fast  notwendig  unterlaufen.  Daß  Hänselmann  dies  nicht  gesehen  hat,  muß  Mißtrauen 
auch  gegen  seine  Schriftvergleichung  erwecken,  so  minutiös  sie  ist:  die  jedoch  in  keinem 
Falle  etwas  entscheidet.  Durchaus  abzulehnen  ist  ferner  die  Vorstellung,  als  hätte  die 
so  sorgfältig,  in  schöner  Bücherschrift  auf  wohlgezogenen  Linien  in  drei  Spalten  in 
abgesetzten  Paragraphen  mit  roten  Anfangsbuchstaben  hergestellte  Urkunde  (Facsimile 
im  Urk.-Buche)  eigentlich  nur  als  Vorlage  dienen  sollen,  um  erst  in  der  herzoglichen 
Kanzlei  „auf  die  Formen  des  fürstlichen  Kanzleistils  und  .  .  .  auf  lateinischen  Aus- 
druck" gebracht  zu  werden,  wozu  denn,  da  der  Herzog  eben  zur  Schlacht  von  Born- 
hövede  aufzubrechen  auf  dem  Sprunge  stand,  es  an  Zeit  gefehlt  hätte  (S.  24),  Recht 
zu  geben  ist  Hänselmann  nur  darin,  daß  angesichts  des  weit  stärker  abweichenden 
Typus  der  späteren  Siegel  Ottos,  die  von  Frensdorff  als  möglich  zugegebene  Be- 
siegelung  durch  diesen  Fürsten  in  seinen  letzten  Lebensjahren  hinfällig  wird.  So  bleibt 
denn  nur  die  Besiegelung  zu  noch  späterem  Zeitpunkte  mit  einem  gefälschten  Siegel. 
Als  Anlaß  könnte  man  den  Zusammenschluß  der  drei  "Weichbilde  Altstadt,  Hagen  und 
Neustadt  (Urkunde  vom  18.  Nov,  1269,  Urk.-B,  Bd.  I,  No.  8)  vermuten.  Denn  über  die 
Abfassung  in  der  städtischen  und  zwar  altstädtischen  Schreibstube  herrscht  ja  Einver- 
ständnis. Das  zweite,  von  Albrecht  und  Johann  besiegelte  Stadtrecht  mit  der  frag- 
würdigen Datierung  1265  würde  dann  derselben  Gelegenheit  entstammen.  Will  man 
hier  die  Datierung  und  Besiegelung  jedoch  als  echt  annehmen,  so  wäre  das  Wahr- 
scheinlichste, daß  der  Rat  der  Altstadt  das  „Ottonianum"  mit  dem  falschen  Siegel  an- 
fertigen ließ,  als  er  sich  von  den  jungen  Herzögen  Bestätigung  erbat  und  ihnen  das 
„Alberto-Johanneum",  das  ja  mit  einer  kleinen  Abweichung  in  §  15  nur  eine  Abschrift 
des  „Ottonianum"  ist,  zur  Besiegelung  unterbreitete.  (Vgl.  dazu  Hänselmann,  Urk.-B. 
Bd.  II,  S.  131,  wie  Duderstadt  sich  1279  zu  gleichem  Zwecke  eine  Aufzeichnung 
des  Braunschweiger  Rechts  schicken  ließ.)  Mit  anderen  Worten:  um  für  das  selbst- 
verfaßte, wenn  auch  fraglos  gültiges  Recht  enthaltende  „Stadtrecht"  eine  legitime  Be- 
siegelung zu  erlangen,  hat  der  Rat  gleichzeitig  ein  angeblich  von  dem  verstorbenen 
Herzog  Otto  besiegeltes  Duplikat  verfertigen  und  vorlegen  lassen.  Am  Ende  ist  dieser 
Erklärung  der  Vorzug  zu  geben :  wesentlich  ist  jedoch  nur,  daß  die  Abfassung  des 
Ottonianum,  wie  Frensdorff  dargetan  hat,  nicht  vor  die  Mitte  des  Jahrhunderts  fällt. 
—  Vgl.  auch  noch  Uhlirz,  Mitteilgg.  des  Instituts  f.  Oesterr,  G.-Forschung  Bd.  XVII 
.(T896),  S.  337  f. 


Das  Innungsrecht  als  Grundlage  der  Stadtwirtschaft.  igg 

die  Inanspruchnahme  auch  dieses  Rechts  als  eine  gewissermaßen 
notwendige  Folge  der  weiteren  Ausbildung  des  „Innungsrechtes" 
betrachten  können. 

Bei  diesem,  dem  Innungsrechte  selbst,  handelt  es  sich  un- 
mittelbar nur  um  die  Beseitigimg,  die  Zerstörung  der  allgemeinen 
Marktfreiheit  und  Handelsfreiheit,  wie  sie  in  dem  alten  markt- 
herrlichen System  gelegen  hatte,  wonach  jeder,  der  Zoll  und 
andere  Marktabgaben  zahlte,  zu  gleichem  Rechte  zum  Handel  auf 
dem  Markte  zugelassen  war:  jener  Marktfreiheit,  die,  wie  wir 
sahen,  zum  ersten  Mal  nicht  eigentlich  eine  Beschränkung,  aber 
doch  eine  Differenzierung  erfahren  hatte,  als  im  Gegensatze  zu 
den  Fremden  die  Bürger  angesichts  ihrer  Steuerbelastung  vom 
Zolle  befreit  worden  waren. 

Jetzt  wurde  es  in  die  Hand  der  Bürger  selbst  gelegt,  wen 
sie  zum  Markte  zulassen  wollten:  das  heißt,  den  Fremden  wurde 
der  Zutritt  gewehrt,  oder,  da  man  sie  doch  nicht  ganz  entbehren 
konnte,  nur  unter  lästigen  Beschränkungen  bewilligt,  ihre  alte 
Handelsfreiheit  geraubt.  Es  kann  keine  Frage  sein,  daß  eben 
das  es  gewesen  war,  was  die  alten  Einungen  erstrebt  hatten, 
im  Gegensatz  zu  dem  bis  dahin  von  der  Obrigkeit  befolgten 
System.  Deshalb,  und  weil  ihr  Streben  einen  Eingriff  in  die 
einseitig  geübten  Rechte  der  Obrigkeit  bedeutete,  waren  sie 
unterdrückt  worden.  Jetzt  wurde  den  selbständigeren  Bürger- 
schaften eben  diese  Konzession  gemacht.  Es  bedeutet  eine  neue 
Stufe  in  der  städtischen  wirtschaftlichen  Entwicklung:  das  In- 
nungsrecht ist  die  Grundfeste  des  Systems  der  soge- 
nannten Stadtwirtschaft 

In  einem  Punkte  zeigt  sich  jedoch  dieses  Innungsrecht,  wie 
wir  es  zunächst  aus  den  Braunschweiger  Urkunden  erschlossen, 
milder  als  das  volle  Zunftrecht.  Grundsatz  der  Zünfte  war  und 
blieb  es,  außer  dort,  wo  eine  stark  demokratische  Richtung  zwang, 
bloßen  Beiwohnem  gegenüber  ein  Auge  zuzudrücken,  niemand 
aufzunehmen,  der  nicht  vorher  das  Bürgerrecht  der  Stadt  er-  / 
worben  hatte.  Das  entsprach  nur  der  alten  Aemterorganisation, 
unter  der  es  sich  von  selbst  verstanden  hatte,  daß  sie  nur  Bürger 
umfaßte,  die  allein  den  Lasten  und  der  Gewerbekontrolle  unter- 
worfen werden  konnten.  Bei  dem  Innungsrecht  aber  handelte 
es  sich  eben  nicht  um  die  Organisation  der  Handwerke,  sondern 
um  die  Regelung  der  Zulassung  zum  Markt  gegenüber  Fremden 
wie  Bürgern,  und  deshalb  finden  wir   in  den  Urkunden,  die  von 


200  Zunftzwang  und  Einung. 

dem  Innungsrecht  einer  Stadt  handeln,  als  Bedingung  jener  Zu- 
lassung nicht  die  Zugehörigkeit  zur  Bürgerschaft,  sondern  den 
Erwerb  der  Innung  ausgesprochen.  Das  ist  es  eben,  worauf  sich 
jene  Interpretation  des  Innungsrechtes  stützt. 

So  erklären  sich  auch  die  oft  besprochenen  Urkunden,  die 
unter  Berufung  auf  das  Innungsrecht  nach  alter  Interpetration  den 
Zunftzwang  allein  oder  vorzugsweise  gegenüber  den  Fremden 
auszusprechen  schienen,  was  so  wenig  Sinn  hatte  und  wofür  man 
als' Erklärung  nur  die  Formel  wußte,  daß  für  alle  Einheimischen 
der  Beitritt  zu  den  Zünften  sich  noch  von  selbst  verstanden 
hätte  ^01). 

An  die  Spitze  sind  zwei  Urkunden  zu  stellen  zwar  von 
fragwürdiger  Ueberlieferung,  für  deren  wesentliche  Echtheit 
aber  gerade  die  Aufnahme  des  Innungsrechtes  in  einer  frühen 
Form  spricht. 

Zuerst  die  nur  in  später  Uebersetzung  erhaltene  Urkunde 
Erzbischof  Wichmanns  für  die  Wandkrämer  von  Magdeburg 
von    1183: 

dat  neyn  inwoner  edder  frombder  sik  ore  kopmanschaz 
schal  bruken  edder  gewant  tho  schnyden  sik  schal  under- 
winden,  id  en  sie  denne  dat  he  orer  innige  sie  togefüget 
und  van  ohn  de  macht  und  fulborth  hebbe  eyn  sodan 
tho  donde502). 

501)  Eberstadt  hat,  Magisterium  S.  232  ff.,  mehrere  davon  unter  der  Rubrik 
„Zwangsrechte  gegenüber  den  Stadtfremden"  abgedruckt. 

502)  Hertel,  Urk.-B.  der  Stadt  Magdeburg  Bd.  I  (G.-Qu.  d.  Prov.  Sachsen  Bd. 
XXVI)  No.  55;  meine  Urkunden  No.  257.  —  Hagedorn,  G.-Blätter  f.  Stadt  und  Land 
Magdeburg  Bd.  XVII  (1882),  S.  13"^  hat  ebenfalls  keine  Bedenken  gegen  den  Inhalt, 
hält  aber  „die  Urkunde  in  der  P'orm,  in  welcher  wir  sie  besitzen,  für  die  aus  der  Er- 
innerung angefertigte  Reproduktion  des  von  Wichmann  ausgestellten,  aber  verloren  ge- 
gangenen Originals,  in  welcher  die  Zeugenreihe  aus  einem  anderen  Präcept  entnommen 
ist."  Seine  Gründe  sind,  daß  der  unter  den  Zeugen  an  erster  Stelle  genannte  Burg- 
graf Gebhard  erst  1190  seinem  Bruder  Burchard  IV.  im  Amte  gefolgt  sei  und  daß 
zwei  andere  Zeugen,  die  Ministerialen  Konrad  von  Pokeritz  und  Wiehart  von  Schartau, 
sonst  in  Urkunden  Wichmanns  nicht  nachweisbar  sind.  Der  letzte  Grund  ist  mir  un- 
verständlich :  können  die  beiden  Ministerialen  in  einer  „aus  einem  anderen  Präcept 
entnommenen"  Zeugenreihe  vorkommen,  warum  nicht  in  der  zu  der  Wandkrämer- 
urkunde gehörigen  ?  Daß  sie  sonst  nirgends  erscheinen  (übrigens  Konrad  von  Pokeritz 
doch  in  einer  freilich  ebenfalls  nicht  ganz  einwandfreien  Urkunde  Ludolfs  von  1200 
bis  1203  als  bisheriger  Besitzer  von  14  Hufen  in  Pokeritz:  v,  Mülverstedt,  Regesta 
Archiepiscopatus  Magdeburgensis  II,  S.  84)  spricht  eher  für  die  Echtheit,  da  ein 
Fälscher  sich  wohl  an  bekannte  Zeugen  gehalten  hätte.  Was  Gebhard  betrifft,  so 
würde    ich    vermuten,    daß  er  seinen  nach  Ausweis  der  Regesten  (v.  Mülverstedt  a.  a. 


Richtung  gegen  die  Fremden.'  20I 

Schärfer  noch  verleiht  dem  fraglichen  Punkte  Ausdruck 
das  Privileg  wohl  desselben  Erzbischofs  für  die  Magdeburger 
Schuhmacher  in  den  Worten: 

ne  alienigene  opus  suum  opcratum  ad  forum  non 
deferant,  nisi  cum  omnium  eorum  voluntate  qui  iuri  illo 
quod  inninge  appellatur  participes  existunt  ^°3). 

O.)  häufig  abwesenden  Bruder  vertreten  habe,  wie  er  es  nach  dessen  Autbruch  nach 
Syrien  im  Jahre  1189  sicher  getan  hat  (Hagedorn,  a.  a.  O.  S.  HO;  vgl.  auch 
Holstein,  Geschichtsblätter,  Bd.  VI)  und  daß  er  in  dem  Original  der  Urkunde  des- 
halb unter  den  Zeugen  an  erster  Stelle  als  „fraier  burcgravü"  figiuiert  habe,  daß  es  also 
in  der  Uebersetzung  hätte  lauten  müssen  „mit  willen  Gevchardo  des  borchgraven  broders". 
Die  lateinischen  Ablative  der  sämtlichen  Zeugennamen  in  der  deutschen  Ueberlieferung 
setzen  das  Vorhandensein  einer  lateinischen  Vorlage  außer  Frage.  Das  Versehen  in 
dem  einen  Namen,  das  Uebersehen  des  Wortes  ,,fratre"  beim  Uebersetzen  kann  nicht 
zur  Verwerfung  dienen.  Was  aber  eine  Aufzeichnung  des  Textes  aus  dem  Ge- 
dächtnis betrifft,  so  müßte  das  ein  so  wortgetreues  Gedächtnis  gewesen  sein,  daß  sie 
einer  Abschrift  gleichgekommen  wäre.  Für  die  Zuverlässigkeit  spricht  endlich  noch 
auf  das  nachdrücklichste  der  Umstand,  daß  die  in  gleicher  Weise  in  denselben  Copiaren 
überlieferte  Bestätigung  von  Wichmanns  Privileg  diurch  Albrecht  vom  26.  April  1214 
durchaus  abweichende  Wendungen  gebraucht  (Hertel  Bd.  I,  Nr.  77).  Gregen  die 
Benutzung  des  Inhalts  ist  keinenfalls  etwas  einzuwenden. 

503)  Hertel,  a.  a.  O.  Bd.  I,  Nr.  62;  meine  Urkunden  Nr.  258.  Mit  der 
Frage  der  Echtheil  dieses  Privilegs  hat  sich  Eberstadt,  Magisterium,  S.  149  ff.,  ein- 
gehend beschäftigt.  Die  nur  in  einem  Copiar  überlieferte  Urkunde  fängt  an  mit  der 
Arenga  und  hört  auf  mit  der  Corroboratio ;  sie  nennt  also  vor  allen  Dingen  keinen 
Aussteller.  Die  Stellen  aus  dem  Chronicon  archiepiscoponun  Magdeburgensium  („Nam 
ipse  [Wichmannus]  fedt  primo  imtones  institorum  pannicidarum")  und  der  Schöppen- 
chronik  („he  makede  der  wantsnider  und  der  kremer  inninge  erst"  [offenbare  Ueber- 
setzung!] kann  man  gewiß  nicht  mit  Eberstadt,  S.  151,  als  Beweis  dafür  anziehen, 
daß  Wichmann  nicht  auch  andere  Innungen  gestiftet  kabe.  Ferner  ist  nicht  aus- 
drücklich gesagt,  in  welcher  Stadt  den  Schuhmachern  das  Privileg  verliehen  wird.  Da 
ist  es  ebenfalls  verkehrt,  in  dem  Umstände,  daß  später  die  Schuhmacher  mit  den 
Gerbern  zu  einem  Amte  verbunden  waren,  den  Beweis  finden  zu  wollen,  daß  es  in 
Magdeburg  niemals  eine  Schuhmacherinnung  gegeben  habe.  Wir  haben  ja  den  gleichen 
Vorgang  —  Schuhmacheramt  im  12.  Jahrhundert,  spätere  Vereinigung  mit  den  Gerbern 
—  in  Trier  kennen  gelernt  (oben  S.  97  f.).  Nur  für  den  jedoch,  der  das  ganze 
Eberstad tische  System  übernommen  hat,  schließt  der  folgende  Satz  überhaupt  einen 
Sinn  in  sich :  „Obwohl  es  nun  hierfür  an  jedem  Beispiel  in  der  Entwicklung  und  Um- 
bildung der  Magisterien  fehlt,  so  wäre  es  doch  nicht  grundsätzlich  unmöglich,  daß  den 
Schustern  das  Innungsrecht  noch  vor  der  förmlichen  Aufhebung  ihres  Magisteriums 
verliehen  wurde"  (S.  152;  vgl.  dazu  noch  unten  Anmerk.  516).  Dagegen  ist 
Eberstadt  darin  Recht  zu  geben,  daß  die  Worte  „offida  civitatis  nostre"  nur  die 
Aemter  der  Metropole  im  Auge  haben  können  (S.  154),  und  daß  gegen  die  An- 
sprüche von  Halle  die  Verschiedenheit  der  Zahlungen  der  dortigen  Schuhmacher  be- 
weisend ist.  Denn  während  nach  der  besprochenen  Urkunde  die  Schuhmacher  „ad 
recognoscendum  se"    durch    ihren  Meister  dem  Erzbischof  jährlich  zwei  Talente  zahlen 


202  Zuntl/.wang  und  Kinung. 

Allein  man  ist  auf  diese  beiden  Urkunden,  so  schätzbar  sie 
sind,  nicht  etwa  angewiesen;  denn  noch  deutlicher  wird  das 
Innnungsrecht  beschrieben  in  völlig  einwandfreien,  wie  dem 
Privileg  Bischof  Friedrichs  11.  vom  15.  März  1230  für  die  Schuh- 
macher von  Halberstadt: 

cum  calcifices  civitatis  nostre  Halb,  a  prima  civitatis  eius- 
dem  histitutione  ius  illud  quod  .inninge'  dicitur  habuissent 

privilegiis pbntificum  communitum,  ita  quod  nulli 

extraneo  eiusdem  officii  licitum  esset  in  civitate  illa  idem 

officium     exercere,    non     communi     eorum     licentia     im- 

petrata  etc.  ^^^). 

Und  mit  ähnlicher  Schärfe  heißt  es  in  der  Urkunde  Bischof 

Volrads     von     1283     für     die     Halberstädter    Wollenweber 

wiederum  allein  mit  Bezug  auf  die  Fremden 

nee    quisquam  extra  civitatem,    nisi  societatis   mem- 
brum    sit,    idem    opificium   operari    debeat,    quod   faciant 
textores  ^os). 
Auf   die  Möglichkeit,   daß  unter  dem  Innungsrechte  damals 
noch  neben  den  Bürgern  auch   die   Fremden   unter   gleichen  Be- 
dingungen   in    die  Innung  Aufnahme   finden   konnten    und  damit 
zu  vollem  Rechte  des  Gewerbebetriebs,  des  Verkaufs  ihrer  Gewerbe- 
erzeugnisse in  der  Stadt   zugelassen    wurden,   kommt  es  bei  alle- 
dem an,  wie  es  in  einer  Urkunde  des  Burggrafen  Swiker  für  die 
Hutfilzer  von  Mühlhausen  von  1131  heißt: 

ut  ipsi  inter  se  utpote  alii  mercatores  quandam  facerent 
unionem,  sed  tah  forma,  ut  nullus  vel  civis  vel  advena 
predicto  insistat  operi,  nisi  se  ipsorum  ingerat  unionem  5^*^). 

sollen,  hat  der  Meister  der  Hallenser  Schulimacher  nach  dem  Schöffenbrief  von  1235 
§  42  dem  Bischöfe  ,,marcam"  und  zweimal  je  ein  Paar  „stivales"  {,,estivales"  und 
„hyemales")  und  ein  Paar  „calcios"  zu  geben  (so  bei  Tzschoppe  und  Stenzel, 
Urkundensammlung  zur  Geschichte  des  Ursprungs  der  Städte  in  Schlesien,  S.  299, 
während  Laband,  Magdeburger  Rechtsquellen,  S.  12,  statt  „marcam"  die  Lesart 
„nostro"  vorzieht,  obgleich  er  sonst  Stenzel  folgt  [S.  7]),  außer  den  Zahlungen  der 
einzelnen  Schuhmacher  (vgl.  unten  S.  2i8).  Schließlich  kommt  auch  Eberstadt  zu 
dem  Ergebnis,  daß  der  Inhalt  der  Urkunde  zu  benutzen  ist  (S.    154). 

504)  Schmidt,  Urk.-B.  der  Stadt  Halberstadt,  Bd.  I  (G.-Qu.  d.' Prov.  Sachsen, 
Bd.   Vn,    I),  Nr.  26. 

505)  Schmidt,  a.  a.  O.,  Nr.  177.  Das  „dimidium  florenum",  noch  dazu 
„eiusdem  argenti",  ist  mehr  als  bloß  „verdächtig",  kann  aber  dem  Excerpisten,  dem 
wir  allein  die  Kenntnis  der  Urkunde  verdanken,  in  die  Schuhe  geschoben  werden 
(vielleicht  statt  fertonem?),  ohne  daß  darum  der  übrige  Inhalt  zu  verwerfen  wäre. 

506)  Herquet,  Urk.-B.  der  Stadt  Mühlhausen  (G.-Qu.  der  Provinz  Sachsen, 
Bd.  III)  Nr.   77. 


Zulassung  der  Fremden.  203 

Ergibt  sich  aber  hieraus,  wie,  wenn  auch  weniger  unmittel- 
bar, aus  einigen  der  vorher  zitierten  Urkunden,  daß  das  Innungs- 
recht für  die  PVemdeii  nicht  bloß  negative,  sondern  auch  praktische 
Bedeutung  hatte,  daß  es  dabei  nicht  eigentlich  auf  ihren  Aus- 
schluß abgesehen  war,  wenn  sie  nur  die  Kosten  der  Innung  mit- 
trugen, so  beleuchtet  eine  Urkunde  Bischof  Volrads  von  Halber- 
stadt vom  10.  Januar  1291  die  wirkliche  Ausübung,  indem  er 
auf  Grund  einer  vom  Rat  von  Goslar  erhaltenen  Rechtsweisung 
einen  Streit  zwischen  den  Bürgern  von  Halberstadt  und  denen 
von  Quedlinburg  in  dem  Sinne  entscheidet, 

quod    nullus    textor    potest    vel    debet    in    aliqua    civitate 

nullo    etiam   tempore,    ubi     non     habet  consortium    mer- 

catorum     quod     vulgariter     ,ignige'     appellatur,     pannos 

incidere  '=^'). 

Also  selbst  dem  Weber  ist   es   möglich,   durch  Erwerb   der 

„Innung"    der     Gewandschneider     einer     fremden    Stadt     das 

Recht  der  Beteiligung  am  Tuchausschnitt  dort  zu  erlangen  5*'^). 

Glaubt  man  aber  hier  schon  stark  die  Neigung  zu  gänz- 
licher Abweisung  der  Fremden  zu  spüren,  so  sieht  man  dafür 
das  alte  Innungsrecht  noch  in  vollem  Schwünge  in  einer  Urkunde 
des  Burggrafen  Albero  von  Leisnig  für  die  Bewohner  der  be- 
nachbarten villa  Gersdorf,  worin  er  erkennt, 

ut  quicunque  de  officialibus  qui  in  praedicta  villa  commorati 
fuerint,  de  suis  operibus  in  foro  Liznic  venundare  voluerint, 
ibidem  communitatem  quae  vulgo  inunge  dicitur  acqui- 
rant  et  sie  vendendi  liberam  ibidem  habeant  facultatem  ^*'^). 


507)  Erster  Druck  nach  dem  Original  Schmidt,  a.  a.  O.,  Bd.  II,  S.  447, 
Nr.  XXXVI  a  (G.-Qu.,  Bd.  VII,  2). 

508)  Auch  die  Urkunde  Johannes  Gans'  vom  26.  März  1239  für  die  Schuh- 
macher von  Perleberg  (Riedel,  Codex  diplom.  I,  Bd.  I,  S.  123;  Eberstadt, 
Magisterium,  S.  233)  wäre  hier  anzuziehen,  wo  es,  nachdem  die  Erhebung  gewisser 
Beträge  für  die  Erlangung  des  „ius  quod  wlgo  ininge  vocatur"  angeordnet  ist,  es 
sogleich  weiter  heißt:  „Item  nemo  alienus  de  quocumque  fuerit  opido  absque  eorum 
consensu  in  Perleberghe  caldos  presumat  vendere  vel  exponere  ad  vendendum." 

509)  Schöttgen  und  Kreysig,  Diplomataria  .  .  .  medü  aevi,  Bd.  II,  S.  197  ; 
Eberstadt,  Magisterium  S.  233  f.  Der  Burggraf  hatte  vorher  erfolglos  das  Recht 
angefochten,  „quod  in  praedicta  villa  Gerardisdorf  officiales  diversarum  artium,  sdlicet 
fabti,  sutores,  textores,  sartores,  pistores,  camifices,  pellifices,  braziatores,  tabemarii 
cunctanunque  artium  executores  artes  suas  exercentes  et  de  suis  operibus  venundantes 
esse  debeant,"  Die  Urkunden  für  Perleberg  („alienus  de  quocumque  fuerit  opido") 
und  Halberstadt-Quedlinburg  zeigen,  daß  es  sich  bei  dem  Innungsrecht  der  Aus- 
wärtigen nicht  etwa  um  bloße  Regelung  des  „Vorortverkehrs"  handelt,  wie  man 
vielleicht  gegenüber  nur  der  Leisnig-Gersdorfer  Urkunde  einwenden  möchte. 


2  04  Zunftzwang  und  Einung. 

Das  Recht  der  Innung,  ius  quod  innunge  dicitur,  bedeutet 
also  zunächst  nichts  als  das  Recht  der  Zulassung  zum  Markte, 
dann  die  Zulassung  selbst  als  Grundlage  für  den  freien  Gewerbe- 
betrieb. Dieses  Recht  wurde  von  den  Marktherren,  sei  es  Bürger- 
schaften zu  weiterer  Handhabung,  sei  es  einzelnen  Gewerben 
verliehen.  Einst  hatten  die  Handwerkerschaften  der  Städte 
Einungen  geschlossen,  um  alle  Stadtfremden,  außer  etwa  an  den 
Jahrmärkten,  von  dem  Verkauf  auf  dem  städtischen  Markte  und 
in  der  Stadt  überhaupt  auszuschließen.  Dem  hatte  die  Obrigkeit 
im  eigenen  finanziellen  und  im  öffentlichen  Interesse  opponiert, 
die  Einungen  unterdrückt.  Eine  Konzession  der  Obrigkeit  ist 
seinem  Wesen  nach  das  Innungsrecht,  nach  dem  die  Fremden  die 
Innung-,  sei  es  die  der  Stadt,  sei  es  die  ihres  Gewerbes,  erlangen 
müssen,  um  nach  wie  vor  auf  dem  Markte  verkaufen  zu  können. 

Gewahrt  hat  die  Obrigkeit  sich  und  ihnen  damit  die  Mög- 
lichkeit ihrer  Zulassung.  Zugleich  aber  ist  es,  und  wohl  selbst- 
verständlich, ein  Recht,  das  auch  der  Einheimische  erst  erwerben 
muß^^°).     Die  Spezialisierung,   die  Verleihung   mit  Beschränkung 


510)  Nitzsch,  in  seiner  Abhandlung  über  die  niederdeutschen  Genossenschaften 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts  (Monatsberichte  der  Berliner  Akademie  1879)  S.  16, 
faßt  das  Innungsrecht  der  Braunschweiger  Privilegien  von  1240  und  1245  in  dem 
Sinne,  daß  dadurch  „sämtlichen  Bürgern  der  alten  Wik  wie  fiüher  denen  der  Altstadt 
das  Recht  des  freien  Verkehrs  in  der  Weise  verliehen  wurde,  daß  nur  die  Bürger- 
schaft über  die  Zulassung  neuer  Ankömmlinge  zu  diesem  Recht  entscheiden  sollte", 
und  fährt  fort :  „Steht  diese  Bedeutung  für  diese  beiden  Braunschweigschen  Weichbilder 
fest,  so  können  meiner  Ansicht  nach  die  Verleihungen  des  Innungsrechts  an  mecklen- 
burgische, schlesische  und  märkische  Städte  auch  nicht  anders  gefaßt  werden."  Weiter 
erklärt  er  (S.  16 f.):  „Die  Gesamtverleihung  des  Innungsrechts  an  die  Stadt  befähigt., 
die  städtischen  Behörden  nicht  allein,  das  Verkehrsrecht  im  allgemeinen  jedem  Bürger, 
sondern  auch  den  einzelnen  Gewerben  für  ihre  Produkte  zu  verleihen,  d.  h.  in  dem 
später  alleingültigen  Sinne  gewerbliche  Innungen  zu  organisieren";  während  daneben 
auch  die  Fürsten  (S.  16)  „einzelnen  Gewerben  in  einzelnen  Städten  mit  dem  Recht 
der  Innung  eben  jene  ,gracia  vendendi  et  emendi'  für  deren  Produkte"  verleihen.  — 
Soweit  scheint  alles,  abgesehen  von  der  unpräzisen  Formel  „Recht  des  freien  Verkehrs", 
recht  gut  und  sich  im  wesentlichen  mit  meinen  Ausführungen  zu  decken.  Allein  mit 
Erstaunen  liest  man  unmittelbar  darauf  (S.  1 7)  die  Worte :  „Was  bedeutete  diese 
,gratia  emendi  et  vendendi',  die  Verleihung  einer  allgemeinen  Kauf-  und  Verkauffreiheit 
für  Gemeinden,  die  doch  überhaupt  ohne  eine  solche  nicht  gedacht  werden  konnten  ?" 
Indem  Nitzsch  zu  vergessen  scheint,  daß  er  vorher  das  Recht  der  „Zulassung  neuer 
Ankömmlinge"  keineswegs  übersehen  hatte,  sieht  er  sich  gezwungen,  nach  einer  neuen 
Motivierung  der  Verleihung  der  „Verkehrsfreiheit"  zu  suchen,  und  verfällt  auf  die  Er- 
findung seiner  „Kaufgilden",  deren  bisheriges  „Monopol"  „durch  das  älteste  Innungs- 
recht   gebrochen"    werden    sollte.     Mit   Recht    verwirft    Hegel,    Städte   und    Gilden, 


Die  Prinzipion  des  Inuungsrechies.  205 

auf  ein  einzelnes  Handwerk  —  der  Inhalt  der  Verleihung  der 
Innung  an  einzelne  Handwerkerschaften  —  aber  war  nichts  als 
eine  notwendige  Folge  des  alten  Aemtersystems ,  das  ja  für  die 
Einheimischen  bereits  einen  Zunftzwang  mit  sich  gebracht  hatte, 
aber  alle  fremden  Besucher  des  Marktes  frei  ließ. 

Daher  die  Empörung  der  Handwerker,  daher  der  neue  Aus- 
w^eg.  Daher  aber  auch  die  scheinbare  Gleichsetzung  von  Amt 
und  Innung,  die  sich  manchmal  findet,  ohne  daß  doch  eine  wirk- 
liche Verwechslung  stattgefunden  hätte.  Die  an  der  Innung  für 
ein  Gewerbe  teil  hatten,  bildeten  eine  Interessengemeinschaft: 
das  Innungsrecht,  das  ja  gleichbedeutend  war  mit  einem  er- 
weiterten, auch  auf  die  Fremden  ausgedehnten  Zunftzwang,  er- 
schien der  Handwerkerschaft  und  war  schließlich  auch  der  Kern- 
zweck ihrer  Verbindung.  Daher  ging  der  Name  über  auf  die 
Verbindung  selbst,  und  nun  kann  Innung  wie  Brüderschaft  die 
Genossenschaft  bezeichnen  im  Gegensatz  zum  Beruf,  zum  Amt, 
das  als  obrigkeitliche  Organisation  weiter  besteht,  auch  wenn  aus 
irgend  welchen  Gründen  die  Genossenschaft  einmal  aufgehoben 
worden  ist. 

So  geschah  es  im  Jahre  1348  den  Kölner  Fleischern 
wegen  Widersetzlichkeit  gegen  den  Rat,  weshalb  weder  die 
damaligen  Mitglieder  der 

-  broiderschaf  der  vleismenger noch  Ire  naykomelynge 

noch  nummer  geyne  andere  persone,  die  vleishampt  oevent, 
gein    samenunge,    einunge   noch  rait  noch  broyderschaf 

noch  meystere  noch  boyden  noch  deynst  noch  essen 

haven  en  solen ^^^. 


Bd.  II,  S.  417  f.,  diese  Fragestellung  und  erklärt  seinerseits,  jene  gratia  bedeute  nichts 
anderes  „als  das  öffentliche  Feilbieten  von  Erzeugnissen  oder  Waren",  wozu  das 
Recht  also  „den  Bürgern  der  Alten  Wik  in  der  Weise  verliehen"  wurde,  „daß  niemand 
es  ohne  ihre  Zustimmung  in  ihrem  Weichbild  ausüben  sollte".  Allein  nach  seiner 
Weise  bleibt  Hegel  an  diesen  beiden  und  einigen  Lüneburger  (S.  418,  S.  429) 
Urkundenstellen  haften ,  ohne ,  wie  Nitzsch  es  mit  Recht  unternimmt ,  von  diesen 
festen  Punkten  aus  Linien  zu  ziehen,  die  zu  einer  allgemeinen  Erklärung  der  ver- 
einzelten Erscheinungen  führen  könnten.  Vgl.  auch  Hegel,  Städtewesen,  S.  123  f.  — 
511)  Stein,  Akten  zur  Geschichte  der  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt 
Köln  (Publikationen  der  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde,  X),  Bd.  I, 
S.  59,  Nr.  12.  Die  Ueberschiift  „Aufhebung  des  Fleischamts"  ist  daher  nicht  ganz 
glücklich  gewählt.     Meine  Urkunden  Xr.   292. 


2o6  Zunftzwang  und  Einung. 

Deshalb : 

Vort  sal  das  vleysampt  gemeyn  sin. 
Das  „Fleischamt"  existiert  eben ,  solange  noch  jemand 
schlachtet  und  das  Fleisch  verkauft.  Und  im  Sinne  der  alten 
Marktordnung,  zu  der  das  Verbot  ihrer  Einungen  für  die  Fleisch- 
hauer eine  Rückkehr  bedeutet,  wird  man  sagen  können,  daß  auch 
jetzt  die  Gesamtheit  derer,  die  „das  Fleischamt  üben",  das  Fleisch- 
amt bildet.  Die  Folge  der  Aufhebung  der  „Brüderschaft",  des 
Verbotes  jeder  „Einung"  —  dieses  Wort  erscheint  hier  noch  ein- 
mal im  ursprünglichen  Sinne  —  unter  den  Fleischern  aber  ist 
keineswegs,  daß  nun  jeder  Beliebige  ohne  weiteres  „das  Fleisch- 
amt üben"  kann:  die  Wirkung  ist  nur, 

also  dat  yeclich  vleysheuwer  verkoifen  sal  watkune  vleysh 

ind  wie  mannicherleye  dat  hey  wilt. 
Aber  dazu  bedarf  es  für  jeden  einzelnen  der  Genehmigung  durch 
die  Aufsicht  führende  Marktbehörde,  die  des  Rechtes  waltet,  das 
nicht  bloß  im  Osten  ^^-j  technisch  als  das  der  Innung  bekannt  war. 
Ein  außerordentlich  reiches  Material  würde  dazu  gehören, 
wenn  es  möglich  sein  sollte,  die  Wandlungen  in  der  Bedeutung 
des  Wortes  Innung  chronologisch  zu  verfolgen.  In  der  Tat  waren 
die  Uebergänge  zum  Teil  so  naheliegend  und  natürlich,  daß  sie 
sehr  früh  erfolgten  und  daher  die  meiste  Zeit  die  verschiedensten 
Bedeutungen  nebeneinander  in  Gebrauch  waren.  So  liefert  ein 
hübsches  und  zugleich  frühes  Beispiel  von  dem  bevorstehenden, 
aber  noch  nicht  vollzogenen  Wechsel  von  der  Bezeichnung  für 
die  Gesamtheit  der  Berechtigten  zu  der  für  ihren  Verein  das 
Privileg  Erzbischof  Ludolfs  für  die  Magdeburger  Schild- 
macher und  Sattler  von   1197: 

nee    aliqüis   numero    eorum  vel  societati  in   faciendo  ipso 

opere  accedat,  nisi  prius  eorum  communione  quod   vulgo 

inninge  dicitur  acquisita  5^^). 
„Innung"  also  bedeutet  die  „Gemeinschaft",  die  erworben  werden 
muß,    damit  man    das  Amt  üben  kann;    „Gesellschaft"   „societas", 
—  man  darf  sich  durch  den  neueren  Sinn  nicht  verführen  lassen  — 
ist  dagegen  die  äußerliche  Gesamtheit,  „numerus",  der  von  selbst 


512)  Vgl.  den  analogen  Gebrauch  in  der  Straßburger  Bäckerurkunde  von 
1264  unten  S.   228. 

513)  Hertel,  Urk.-B.  der  Stadt  Magdeburg,  Bd.  I,  Nr.  65;  meine  Urkunden 
Nr.  259.  —  V.  Inama-Sternegg,  Wirtschaftsgeschichte,  Bd.  III  2,  S.  30*,  bringt  diese 
Urkunde  mit  der  für  die  Schuster  (oben  S.   201)  durcheinander. 


Die  Innungsmeister.  207 

jeder  angehört,  der  das  Amt  tatsächlich  übt.  Damit  ist  aber  an 
sich  nicht  gesagft,  daß  jene  „Gemeinschaft"  sich  auch  bereits  zu 
einem  engeren  Vereine,  einer  Zunft  oder  Bruderschaft  konsti- 
tuiert hatte. 

Daß  das  gleichwohl  der  Fall  war,  erfahren  wir  jedoch  aus 
dem  unmittelbar  vorhergehenden  Satze: 

indulgemus,  ut,  inter  se  magistrum  de  communi  consilio 
eligentes,  exercendi  operis  sui  liberam  habeant  facultatem. 
Diese  Wendung  ist  bezeichnend  und  bestätigt  das  früher  Aus- 
geführte: erst  der  Besitz  eines  eigenen  Meisters  gewährleistet 
eine  „freie",  eine  durch  keinen  Rechtsformalismus  und  keine  Chi- 
kanen  eines  bloßen  Verwaltungsbeamten  unterbundene  Ausübung 
des  Gewerbes. 

Es  versteht  sich,  daß  auch  diesen  Innungen  das  Recht  zugestan- 
den wurde,  „einen  (oder  zwei)  Meister  zu  haben,"  auf  Grund  der 
Ent Wickelung  der  Aemter,  wie  sie  früher  geschildert  worden  ist. 
So  den  Lakenmachern  in  Braunschweig-Hagen   1268 

habebunt  tamen  duos  magistros^"); 
so  den  Goldschmieden  in  Braunschweig-Altstadt  1231 

magisterium  operis  sui  dedimus  et  concessimus  eternaliter 
possidendo  ^'^). 

Man  wird  nicht  zweifeln,  daß  die  Verleihung  auch  in  dieser 
Form  den  weiteren  Fortschritt  in  sich  schloß,  das  Recht,  den 
Meister  selbst  zu  wählen,  wie  ausdrücklich  außer  bei  den  Magde- 
burger Schildmachern  auch  bei  den  Magdeburger 
Schustern  ^^").  den  Helmstedter  Krämern    1247^^^). 

Wieder  in  andern  Privilegien  wird  bei  Verleihung  der 
Innung  das  gleichzeitige  Vorhandensein  des  Meisters  gleichsam 
als  selbstverständlich  angenommen,  wie  bei  den  Halberstädter 
Schuhmachern    1230^''^),  den  Perleberger  Schuhmachern 

514)  Vgl.  oben  Anm.  499. 

515)  Hänselmann,  Urk.-B.,  Bd.  I,  Nr.  3:  meine  Urkunden  N.  261.  Vgl. 
nächste  Seite. 

516)  Vgl.  oben  S.  201.  Vorher  heißt  es:  „ius  et  magisterium  sutorum  ita 
consjstere  volumus,  ut  nullus  magistraluni  super  eos  habeat,  nisi  quem  ipsi  ex  com- 
muni consensu  magistrum  sibi  elegerinL," 

517)  Lichtenstein,  Epistola  septima  obsenratiunculas  historico-iuridicas  ex  dip- 
lomatibus  Helmstidiensibus  sistens.  Helmstadt  1750:  „Magistrum  quoque  inter  se 
eligant,  qui  inter  eos  iudicet  et  dirimat  questiones  quales  dirimere  convenit  ab  antiquo." 
Danach  Eberstadt,  M.-\gisterium,  S.  236. 

518)  Vgl.  ol>en  Anm.   504   und  unten  Anm.   524. 


2o8  Zunftzwang  und  Einung. 

£23Q^i!»),  den  Magdeburger  Schwertfegern  1244^-°),  in 
Wendungen,  die  ebenfalls  auf  Selbstwahl  schließen  lassen.  Die 
Innung  ist  eben  ohne  Meister  nicht  zu  denken,  wie  denn  in  der 
soeben  zitierten  Braunschweiger  Goldschmiede-Urkunde 
von  1231  als  Zweck  oder  Folge  der  Verleihung  des  ,,magisterium" 
eben  das  angegeben  wird,  was  wir  sonst  als  eigentlichsten  Inhalt 
des  Innungs rechtes  kennen  lernten: 

ut  nullus  contra  voluntatem  ipsorum  et  licenciam  in  opere 
eorum  operando  se  intromittere  presumat,  nisi  prius  statu- 
tam  eorum  iusticiam  ad  voluntatem  ipsorum  eis  persolvat. 
Das  regelmäßige,  der  Abschluß  der  normalen  Entwickelung 
aber    ist    die    freie    Wahl.     Wird   der  Meister    eingesetzt,   so    be- 
deutet das  entweder  einen  Zustand  zurückgehaltener  Entwickelung 
oder  die  Entziehung  früher  besessener  Freiheit. 

Nur  bei  den  Gewandschneidern  zeigt  sich  ein  Meister 
wahrscheinlich  regelmäßig  erst,  seitdem  die  Innungen  politische 
Gebilde  geworden  sind  —  entsprechend  ihrem  rein  kaufmännischen 
Charakter,  demgemäß  sie  ja  auch  nie  ein  Amt  gebildet  haben, 
und  man  auch  die  einzelnen  Gewandschneider  nie  als  Meister 
bezeichnet  hat^^^). 

Die  Motive  der  Obrigkeit  gingen,  neben  ihren  finanziellen 
Absichten,  auch  bei  diesen  Bildungen  auf  möglichst  wirksame 
Handhabung  der  Gewerbepolizei  und  einfachste  Schlichtung  von 
Streitigkeiten  unter  den  Gewerbegenossen :   das    war    für   sie  der 


519)  Vgl.  oben  Anm.  508.  Die  Urkunde  fährt  fort:  „Item,  si  inter  prefatos 
sutores  rancor  aut  discordia  mutuo  fuerit  exorta,  ulpote  in  suis  confraternitatibus  vel  in 
servis  conducticiis,  quocumque  tempore  vel  loco  sine  proclamatione  vulgari  vel  sangwinis 
effusione,  ipsis  coram  eorum  raagistro  conponere  liceat,  advocato  nostro  penitus  hinc 
remoto."  Eigentümlich  ist  der  Zusatz :  ,,Iudicium  vero  predicti  eorum  magistri  decem 
solides  non  excedet." 

520)  Vgl.  unten  Anm.  522.  Nach  Ansetzung  des  Eintrittsgeldes  heißt  es  ein- 
fach :   „de  quo  talento  magister  eorum,  qui  pro  tempore  fuerit,  dabit"  etc. 

521)  Bezeichnend  ist,  daß  unter  den  vier  erhaltenen  Magdeburger  Innungs- 
Stiftbrieten  aliein  in  dem  der  Gewandkrämer  von  einem  Meister  nicht  die  Rede  ist: 
beiläufig  ein  Umstand,  der  auch  für  die  Zuverlässigkeit  des  Inhalts  spricht.  Ebenso- 
wenig auch  in  der  Bestätigungsurkunde  vom  26.  April  1214  („der  koplude  de  want  in 
der  stat  snydehde  sint",  Hertel,  Urk.-B.  Bd.  I,  Nr.  77.  In  der  ältesten  erhaltenen 
Ratsurkunde  dagegen,  die  von  den  Meistern  der  fünf  großen  Innungen  mitbeglaubigt 
ist,  erscheint  an  deren  Spitze  der  „magister  mercatorum"  (Hertel,  Urk.-ß.  I,  Nr.  154, 
S.  84,  a.  1281;  dazu  Hertel,  Verfassungsgeschichte,  Geschichtsblätter,  Bd.  XX, 
S.  82  ff.).  Freilich  auch  schon  1231  in  der  Siendaler  Gewandschneiderurkunde 
§  8,  §  9,  die  sich  auf  Magdeburger  Recht  beruft. 


Gewerbepolizei  als  Zweck  der  Innung.  20Q 

Daseinszweck  wie  der  Innung  selbst,  so  des  Innungsmeisters,  und 
darauf  eben  beruht  die  üntrennbarkeit  dieses  Doppelinstituts. 

Den  Magdeburger  Schwertfegern  verleiht  der  Rat  1244 
fratemitatis  unionem,  quod  innung  vulgariter  appellatur, 
besonders 

ad  evitandas  fraudes  et  falsa  opera,  que  quondam  inter 
ipsos  niultipliciter  augeri  videbantur '--): 
also  eben  das,  was  sonst  als  Aufgabe  des  Meisters  bezeichnet 
wird,  wie  bei  den  Perleberger  Schuhmachern  1239,  den 
Helmstedter  Krämern  1247,  ^®n  Braunschweiger  Laken- 
machern 1268  5-^.  Treffend  verleiht  der  Gemeinsamkeit  des 
Zweckes  Ausdruck  das  Privileg  für  die  Halberstädter  Schuh- 
macher von  1230  in  dem  Zusatz,  der  ihnen  die  Filzer 
angliedert: 

addentes,    ut  hi  qui  filtra  facere  consueverunt  in  fraterni- 

tate  et  communitate  eorum  esse  debeant  et  idem  cum  eis 

ius  habere  et  cogi  per  magistratum    ipsorum  ad   bona  et 

honesta  sicut  unus  eorum  ^-*). 

In  mehrfacher  Hinsicht  noch    lehrreicher   ist   aber   vielleicht 

eine  Urkunde    vom    18.  Mai   1309,   in    der  Waldemar   der   Große 

von  Brandenburg  mit  der  Begründung, 

cum  di versa  genera  falsitatum  in  opere  lineorum  tex- 
torum  multociens  fiant  in  nostra  terra,  de  quibus  nostri 
homines  dampna  recipiunt  satis  magna,  nos  igitur  huius- 
modi  pravitates  ad  statum  meliorem  reducere  cupientes, 
den  Ratmannen  von  Stendal  erlaubt  und  sie  beauftrag^: 

quatenus  suis  concivibus,  videlicet  lineis  textoribus, 
fraternitatem  que  vulgariter  inninge  nuncupatur  tribuant, 
tali  iure,  et  [=ut?],  si  quid  falsitatis  in  opere  eorum  in- 
ventum  factum  fuerit  per  eosdem,  hoc  predicti  consules 
secundum  iuris  ordinem  iudicent  et  rigorem  et,  si  de  villis 

522)  Hertel,  Urk.-B.,  Bd.  I,  Xr.  107;  vgl.  oben  Anm.  520.  Im  weiteren 
heilU  es:  „Preterea  si  quis  contra  muros  nostte  civitatis  et  eius  ambitum  et  in  die 
fori  plures  gladios  quam  unimi  aut  duos  portaverit  vel  etiam  ante  se  ad  vendendum 
posuerit,  illis  servi  cousulum  toUent  et  accipient  et  illos  nobis  [den  Ratleuten]  represen- 
tent."  Das  scheint,  da  die  Innungsbrüder  nicht  ausgenommen  werden,  nicht  den 
Zunftzwang  bedeuten  zu  können,  sondern  auf  die  öffentliche  Sicherheit  abzuzwecken. 
Zuletzt  wird  noch  eine  Strafe  auf  Widerspenstigkeit  gegen  die  Beschlüsse  der 
Morgensprache  gesetzt. 

523)  Vgl.  oben  Anm.  519,  517,  499. 

524)  Vgl.  oben  Anm.  504  Und  Anm.  518. 

Keiitgen,  Aemter  imd  ZQnfte.  14 


2  I  o  Zunftzwang  und  Einung.  ' 

similiter  fuerit  in  civitatem  Stendale  importatum,  modo 
simili  iudicabunt  ^^-'j. 
Durch  die  Errichtung  einer  Innung  soll  also  auch  hier  die 
Kontrolle  über  die  Leinwanderzeugung  erleichtert  werden.  Wenn 
aber,  wie  es  scheint,  Mitgheder  der  Innung  nur  noch  die  städti- 
schen Weber  sind,  so  ergibt  sich  doch,  daß  auch  die  Aufsicht 
über  die  importierten  Erzeugnisse  der  Landweber  irgendwie  zu 
jener  Maßregel  in  Beziehung  gesetzt  wird. 

So  gewiß  aber  das  Wort  Innung  den  Begriff  eines  Ver- 
bandes von  Gewerbegenossen  mit  Zunftzwang  und  regelmäßig  mit 
Meisterwahl  und  Gewerbegerichtsbarkeit  angenommen  hatte  ^-s*), 
so  sicher  ist  doch  auch,  daß  die  Bedeutung  als  Zulassung  zum 
Markte  nie  verloren  gegangen  ist. 

In  diesem  Sinne  verleiht  auch  später  noch  die  Marktobrig- 
keit, sei  es  ein  herrschaftlicher  Beamter,  sei  es  der  Rat,  den  ein- 
zelnen Handw^erkern,  die  sich  in  die  betreffenden  Aemter  haben 
aufnehmen  lassen,  die  Innung.  In  vollstem  Ausmaße  privili- 
girte  Innungen  besitzen  das  Recht  dazu  freilich  selbst.  Da  sich 
aber  in  solchen  Fällen  meist  nicht  so  leicht  zwischen  der  Ver- 
leihung der  Gewerbekonzession  und  der  Aufnahme  in  den  Ver- 
band unterscheiden  lässt,  so  sind  besser  nur  Zeugnisse  heranzu- 
ziehen, nach  denen  jenes  Sache  der  Obrigkeit  war. 

Recht  erwünscht  zeigt  indes  die  schon  mehrfach  angeführte 
Urkunde  für  die  Schuster  in  Perleberg  vom  27.  März 
I23g525b^^  daß  auch  bei  der  Verleihung  an  ein  einzelnes  Amt  das 
Innungsrecht  in  diesem  Sinne  sehr  wohl  unterschieden  wurde, 
indem  der  Aussteller  disponiert: 

Quod  nos  ad  instantiam  civium  nostrorum  in  Perleberge, 
qui  sutores  vel  calciparii  appellantur,  talem  ipsis  ac 
ipsorum  successoribus  contulimus  libertatem,  videlicet  ut 
ius  quod  vulgo  ininge  vocatur  eisdem  percipere  liceat 
ac  possidere  ea  scilicet  ratione,  ut  unam  partem  nobis, 
videlicet  quatuor  solidos  [je  ein  weiteres  Drittel  der  Stadt 
und  ihnen  selbst]  cedere  et  percipere  non  repugnent. 
Ihren  Söhnen  und  Enkeln,  soweit  sie 

idem  ius  adepti  fuerint, 
wird  dieselbe  „libertas"  gewährt.     Darauf  folgen  die  schon  zitier- 

525)  Riedel,  Codex  diplomaticus  I,  Bd.  XV,  Nr.  74. 
525  a)  Vgl.  dazu  noch  Anm.   550. 
525  b)  Oben  Anm.   508  u.  519. 


Innungsgebflhr.  211 

ten  Bestimmungen  über  die  Zulassung  der  Fremden  und  die  aus- 
schließliche Gerichtsbarkeit  ihres  Meisters. 

Eben  in  den  Zahlungen,  die  für  die  Zulassung  zu  leisten 
sind,  findet  auch  das  Innungsrecht  der  Obrigkeiten  seinen  präg- 
nantesten Ausdruck:  in  eigentümlicher  Nacktheit  in  den  Urkunden 
für  eine  Reihe  kleiner  Mecklenburgischer  Städte,  Parchim, 
Plau,  Goldberg,  wo  es  überhaupt  hur  heißt: 

§  2.     Huius   eciam    civitatis    cultoribus    dedimus    omnem 
proventum,  qui  vulgo  sonat  inninge^-^). 
Aehnlich  in  dem  Stadtrecht  Bischof  Heinrichs  I.  von  Havel- 
berg für  Wittstock  vom   13.  September  1248: 

Insuper  tertiam  partem  quaestus,  qui  vocatur  innunge, 

quae  iure  principali  ad   nos   pertinebat,  libere   laxavimus, 

ita  tamen,  ut  de  hac  portione   et  aliis  oppidi  proventibus 

honestati  et  utilitati  oppidi  amplius  intendatur»*^). 

Wenigstens   als    „libertas"    bezeichnet   dagegen    die    Innung 

das   zweite   Wittstocker   Stadtrecht   Bischof   Heinrichs   U.  vom 

24.  Februar  1275: 

Secundo   ipsis   dedimus   quandam  libertatem,   quae   vulgo 

dicitur  innunge,  ut  exinde  emendent  civitatis  munitiones 

et    comparent    quae     videntur     civitati     ad     commodum 

perv^enire  ^-^). 

Wenn  auch  dabei  die  finanzielle   Seite   allein  hervorgekehrt 

erscheint,  so  entnimmt  man  doch   aus  dem  weiteren,   daß  in  der 

Tat  auch  Einzelinnungen  vorgesehen  sind  und  daß  jene  Einkünfte 

bestehen  aus: 

quicquid    de    omnibus    supradictis    innunge    pro    eorum 
introitu  obtinendo,  sive  pro  gratia  vel  pro  vadimonio 
delinquentium  datum  fueriL 
Davon  soll   die  Hälfte   an  die  Stadt  abgeführt   werden,   die 
Hälfte  den  Innungen  verbleiben. 

Die  abweichende  Verteilung  in  der  älteren  Urkunde  wird 
sich  am  besten  dadurch  erklären,  daß  der  Bischof  zu  gunsten 
der  Gemeinde  auf  das  ihm  als  Marktherrn  —  „iure  principali"  — 


526)  Mecklenburgisches  Urkundenbuch,  Bd.  I,  Nr.  319;  Stadtrecht  für 
Parchim  a.  [1225  — 1226],  bestätigt  Nr.  337  a.  [1227]  und  Nr.  476  a.  1238,  und 
übertragen  auf  Plau,  Nr.  428  a.   1235  und  Goldberg,  Nr.  599  a.   1^48. 

527)  J.  P.  de  Ludewig,  Reliquiae  Manuscriptorum  Diplomatum  etc.,  tom.  VIII 
(Krankfurt  und  Leipzig   1727),  S.  270. 

528)  A.  a.  O.  S.   274. 

14* 


2  12  Zunftzwang  und  Einung. 

regelmäßig  zukommende  Drittel  verzichtet,  während  sie  auf  zwei 
Drittel  ihrerseits  in  dem  früher  dargelegten  Sinne  einen  Rechts- 
anspruch hatte  ^-").  Die  Stadt,  unter  Bischof  Wilhelm  (12 19 — 1244) 
angelegt,  war  damals  noch  im  Werden  begriffen  •'•^"j.  Nachdem 
man  aber  weiter  zur  Einrichtung  von  Innungen  vorgeschritten 
war,  wurden  die  Gesamtin nungseinkünfte  zwischen  diesen  und 
der  Stadtverwaltung  neuerdings  verteilt. 

Eigentümlich  ist  die  Ausdehnung  des  Begriffes  Innung 
=  Gebühr  über  das  Normale  hinaus,  so  daß  auch  die  Bußen  für 
Gewerbevergehen  einbegriffen  erscheinen.  Darin  liegt  wiederum 
ein  Hinweis  auf  den  engen  Zusammenhang  zwischen  der  ein  für 
allemal  erteilten  Konzession  und  der  täglich  oder  wöchentlich  er- 
neuten Kontrolle.  Es  erinnert  an  eine  ähnliche  Ungenauigkeit 
des  x\usdrucks  in  der  Rechtsaufzeichnung  für  Wiener-Neustadt 
von  etwa  13 10,  wo  wir  Grund  zu  der  Annahme  hatten,  daß  die 
angeblich  für  die  Konzession,  also  die  „Innung",  jedoch  entgegen 
dem  bei  der  „Innung"  allein  üblichen  Brauch,  dreimal  oder  ein- 
mal jährlich  geleisteten  Zahlungen  der  Handwerker  in  Wirklich- 
keit einer  Umwandlung  des  Gewettes  entstammten  •''^^).  Gar 
nicht  unmöglich  ist  es  indes,  daß  in  jenen  mecklenburgischen 
Urkunden  der  Begriff  ebensoweit  genommen  ist. 

Regelmäßig  und  von  Rechts  \vegen  erstreckt  sich  die  Be- 
deutung von  Innung  =  Gebühr  natürlich  nur  auf  die  Konzessions- 
abgabe; und  ihr  Erwerb  durch  den  einzelnen  Handwerker  wird 
dann  wohl  geradezu  als  die  Innung  kaufen  bezeichnet. 

In  diesem  wSinne  ist  besonders  willkommen  —  auch  weil 
sie  von  einem  mehr  im  Innern  Deutschlands  gelegenen  Orte 
stammt  —  die  Aufzeichnung  über  die  Rechte  des  Schultheißen 
in  Hameln  aus  den  Jahren  1237  — 1247^32)  Yoj^  Autonomie 
der  Handwerker  ist  da,  wie  schon  bemerkt,  sehr  wenig  zu  sehen. 
Der  Schultheiß  hält  mit  den  einzelnen  Gewerken  dreimal  jährlich 
seine  „Sprache'^  Von  Zunftmeistern  ist  keine  Rede.  Und  wenn 
auch  zwei  Drittel  der  Innungskaufgelder  an  die  Gewerbegenossen 
fallen,    nur    ein    Drittel    der    Schultheiß    bezieht,   so    unterliegt  es 


529)  Oben  S.    130  f. 

530)  Ludewig,  a.  a.  O.  S.   268. 

531)  Vgl.  oben  Anm.  405. 

532)  Vgl.  oben  S.   151   und  Anm.  400. 


Kauf  der  Innung.  2  1 3 

doch    keiner   Frage,   daß  er    die  Genehmigung   erteilt,    wenn  ein 
Bäcker,  Fleischer  oder  Weber 

comparare  voluerit,   quod  dicitur    Teutonice  innigge^^'). 
Deutlicher  in  §  5: 

Ouicunque   etiam    pistor  vel  carnifex    alicui    suo    cognato 
suam  innigge  dare  voluerit,  cum  consensu  sculteti  dare 
potent. 
Als  eine  Generation  später  sein  eigenes  Amt  von  der  Stadt 
angekauft  worden    ist,   liegt   die   Verleihung   der  Innung  in  den 
Händen   des    Rates ^^^).      Die   Sache .  aber  bleibt  dieselbe:    Stadt- 
recht Herzog  Albrechts  von  Braunschweig  vom  28.  Oktober  1277: 
§  5.    Item    omnes   officiales    vel   operarii    manuales   habe- 
bunt officia    sua,    que  vocantur   inninge,    a  consulibus. 
Das  heißt  nicht,   daß  die  Innungen  der  Stadt  durch  den  Rat  ge- 
stiftet worden    sind,    was   ja   auch   gar  nicht   richtig  sein   würde, 
sondern,  daß  der  Rat  dem  einzelnen  Handwerker  sein  Amt,  seine 
Innung  verleiht. 

Alles  das    findet   sich   denn    auch   bestätigt   durch  die  Ver- 
merke  in    dem  „Donat"    genannten  Stadtbuch  aus   dem   14.  Jahr- 
hundert über   die  Höhe  der  von   den    einzelnen  Handwerkern  zu 
zahlenden  Innungsgelder,  die  einfach  in  die  Worte  gekleidet  sind: 
„Dit    is     der     hokere     (knokenhauwere,     kuterere, 
smede,  wevere,  korsenewerten,   scrodere,  platen- 
mekere,  beckere)  inninghe"^35j 
Seine  Erklärung  findet  das  in  einer  vorangehenden  ausführlicheren 
Eintragung: 

....  ghesatet,   dat   der  Wleminghe   werc   nement   an- 
tasten   ne  scal,    he  ne    gheve  deme   rade  twelef  scillinge 
tho  ininge,  de  oc  syn  wader  ghehat  hevet  [anderenfalls 
mehr]  ^^% 
Gebrauchen  jene  Notizen  das  Wort  kurz  im  Sinne  einer  Gebühr, 
so    zeigt    die   über    die  Fläminger,    daß   es   sich   dabei  um    die 
Berechtigung  zur  Ausübung  des  Gewerbes  handelt,  die  auch  der 
Sohn  erkaufen  muß,  wenn  der  Vater  sie  gehabt  hat. 

533)  A.  a.  O.  §  3,  §  4,  §  8. 

534)  Oben  Anm.  384.  —  Vgl.  noch  Meinardus  a.  a.  O.  S.  571:  „Quilibet 
instilor  babens  officium  dictum  inninghe  dabit  duos  solidos  in  festo  Michaelis 
dictos  stedepenninghe".  Das  ist  aber  natürlich  nicht  die  Innungsgebühr,  sondern  ein 
besonderes  Marktstandgeld. 

535)  Meinardus,  a.  a.  O.,  im  Anhang  §§   15—18,  5; — 59,  61,  64. 

536)  A.  a.  O.  §   10;  vgl.  §   103  u.  §  201. 


214  Zunftzwang  und  Einung. 

Indes  kannte  man  in  Hameln  auch  die  andere  Weiter- 
entwickelung- des  Begriffes  in  dem  Sinne  des  Verbandes  der  Be- 
rechtigten, in  dem  es  von  den  Hökern  heißt: 

Wan  se  nemande  enhebbet,  de  ore  ynninghe  ghewunnet 

heft    deme    ore    ghelscap    bore    to    denende,  so  moghet 

se  oren  ghelscap  umme  denen  also  andere  ynninghe^^^). 
In  dem  ersten  Falle  ist  Innung  die  Gewerbekonzession,  an  der 
zweiten  Stelle  dagegen  der  Verband.  Gilde  ist  das  jährliche 
F'est,  Gildschaft  die  Verpflichtung,  es  zuzurüsten,  der,  wer  die 
Innung  neu  gewonnen  hatte,  für  nächste  Pfingsten  unterlag.  War 
einmal  ein  Neuling  nicht  vorhanden,  so  sollte  die  Gildschaft  der 
Reihe  nach  übernommen  werden,  wie  in  anderen  Innungen. 

Eigentümlich  ist  noch,  wie  bei  den  Gewandschneidern 
oder  „koplüden"  an  Stelle  des  Ausdrucks  Innung  der  der 
„Schere"  tritt: 

So  welc  borghere  to  Hamelen  de  scere  wint,  des  vader 

se  nicht  enhadde 
[u.  s.  w.]; 

heft  he  inninghe,  de  scal  he  vorreden  vor  dem  rade^'*'^). 
„Die  Schere  gewinnen"  ist  bei  den  Gewandschneidern  genau  das- 
selbe, wie  bei  den  Handwerkern  „die  Innung  gewinnen".  Es 
leuchtet  ein,  daß  „Schere"  höchstens  einmal  in  übertragenem 
Sinne  Gesellschaft,  Verein,  bedeuten  kann.  Die  vornehmen  Ge- 
wandschneider müssen  nur  auch  in  Aeußerlichkeiten  stets  etwas 
Besonderes  haben.  Bei  Handwerkern  und  Krämern  ^^s»)  allein  wird 
die  Konzession  Innung  genannt:  dadurch  scheidet  man  sich  von 
ihnen  aufs  schärfste. 

Noch  ein  anderer  Ausdruck  für  die  Handelskonzession  in 
Hameln  ist  „copfart".  Der  Bürger,  der  seine  „burscap"  auf- 
gegeben, später  aber  wiedergewonnen  hat: 

wel    he    inynge    hebben,    de    mach   he    winnen ,    ift    he 

wep39). 

Seine  inzwischen  geborenen  Kinder 

de  mosten  ore  burscap,  copfart  unde  ininge  gewinnen. 


537)  A.  a.  O.  §  15. 

538)  A.  a.  O.  §  78.     Wenn  er  Söhne,    geborene  Büi^er  hat,    ,,de  volghet  der 
schere  male  umme  eyn  punt". 

538a)  Vgl.  Anm.  534. 

539)  Meinardus,  Nr.  406  des  Urkundenbuches ;  meine  Urkunden  Nr.   180. 


Die  „Innung"  in  Hameln.  2  I  5 

Hatte  er  die  Stadt  als  Feind  verlassen  und  war  zu  Gnaden  wieder 
aufgenommen, 

so    scholde   he   sine   burscap   unde   sine   copfart    weder 
winnen  alse  en  gast. 
Es  ist  klar,   daß    „copfart"    und    „ininge"    da   als    synonym   ge- 
braucht  werden,    wenngleich    „copfart"   sich  jedenfalls   auch    auf 
die  „scere"  erstrecken  kann. 

Ueberblicken  wir  noch  einmal  die  ganze  Entwickelung  in 
Hameln,  so  zeigt  uns  das  Schulzenrecht  des  13.  Jahrhunderts  die 
Handwerker  ämterweise  gruppiert.  Mit  jedem  Amt  hält  der 
Schultheiß  als  herrschaftlicher  Beamter  dreimal  im  Jahr  eine 
„Sprache"  und  erteilt  den  Neulingen  die  „Innung".  Das  Stadt- 
recht von  1277  setzt  Amt  des  einzelnen  „operarius  manualis"  und 
Innung  gleich  und  verlegt  übrigens  die  Ordnung  des  Gewerbe- 
wesens in  die  Hand  des  Rates.  Schon  jene  frühesten  Aemter 
müssen  zugleich  Vereine  mit  geselligen  und  frommen  Zwecken 
gebildet  haben,  wie  sich  daraus  ergibt,  daß  ihnen  zwei  Drittel 
der  Konzessionsgebühren  zufallen,  die  ein  Aufnahmegeld  dar- 
stellen und  in  jener  Weise  Verwendung  gefunden  haben  müssen  ^*^). 
Die  Gewandschneider  werden,  wie  überall,  nicht  als  „operarii 
raanuales"  betrachtet,  wollen  kein  „Amt"  versehen  und  keine 
„Innung"  haben  ^*^),  während  die  ihnen  nach  Art  ihres  Betriebes 
ähnlichen  Krämer  sich  mit  der  Einreihung  unter  die  Hand- 
werker auch  hier  zufrieden  geben  müssen. 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  schlesi sehen  Städte 
mit  ihren  neuen  Einrichtungen,  an  denen  man  die  ganze  Ent- 
wickelung in  einen  einzigen  Blick  fassen  kann. 

So  wird  Breslau  von  Herzog  Heinrich  IV.  1273  erlaubt, 
32  Brotbänke,  von  denen  die  Stadt  auch  den  Zins  erhält,  und 
eine  beliebige  Anzahl  Schuhbänke  zu  erbauen;  ferner  das 

scrodambacth 
verliehen,  das 


540)  Bei  der  Fronleichnamsprozession  trug  jedes  Handwerk  seine  Kerze.  Ihnen 
folgend  die  Kaufleute.  Der  Ausdruck  Brüderschaft  wird  dabei  auf  kein  Gewerbe  an- 
gewandt.    Meinardus,  Donat  Nr.   196;  meine  Urkunden  S.  298. 

541)  Es  entspricht  das  zwar  dem  über  die  Entwicklung  der  „Aemter*'  Gesagten, 
die  sich  mit  der  der  „Innung"  kreuzt,  allein  das  Innungsrecht  war  von  Hause  aus  ja 
auch  für  die  Gewandschneider  in  Frage  gekommen  imd  so  erscheint  ihre  Abweisung 
des  Ausdrucks  von  ihren  Beziehimgen  als  reine  Großmannssucht.  Uebrigens  hatte  der 
neuaufgenommene  Gewandschneider  noch  eine  Zahlung  an  die  „hensegreven"  zu 
machen.     A.  a.  O.  §.  "8. 


2  I  6  Zunftzwang  und  Einung. 

officium,  quo  vasa  de  curribus  ad  alia  loca  trahuntur, 
jedoch  mit  der  Bedingung, 

quod    omnia    et    singula   vasa   ad  castrum   et   ad    curiam 

nostram  pertinencia  ducent  gratis 
(wie  würde  man,    wenn    nicht  die  Umstände   der  Verleihung  be- 
kannt   wären,   in    dieser  Klausel    ein    Zeichen    hofrechtlichen  Ur- 
sprungs proklamiert  haben!);  endlich  die  Wage 

qua  plumbum  libratur^'^^j 
Kurz,  die  Stadt  wird  ermächtigt,  die  üblichen  Markteinrichtungen 
zu    treffen.     Sie    wird    Marktherrin    und    erhält    damit    auch    das- 
Recht,  gegen  bestimmte  Zahlungen  zum  Gewerbebetrieb  auf  dem 
Markte  zuzulassen.   Und  das  findet  seinen  Ausdruck  in  den  Worten: 

ut  id  habeant   quod  ,inonghe'  vulgariter  appellatur,   sed 

non  carius  quam  pro  tribus  fertonibus  vendi  debet  ^^•^). 
Einer  davon  soll 

ad  utilitatem  hominum  illius  artificii,  cuius  emptor  existit,. 
verwendet  werden,  die  andern  beiden  zum  Nutzen  der  Stadt. 

Wenn  man  die  Verleihung  des  Innungsrechtes  danach  als 
das  Recht,  Innungen  zu  errichten,  erklärt  hat,  so  kann  das  also 
nur  sehr  cum  grano  salis  gelten  s**).  Zunächst  ist  das  Recht  der 
Zulassung  zum  Markt  ein  ganz  allgemeines,  wie  wir  es  aus  einer 
ganzen  Reihe  von  Urkunden  sächsischer  Städte  kennen  gelernt 
haben.     Und    nur  insofern   nach  den  verschiedenen   Handwerken 


542)  Codex  diplomaticus  Silesiae,  Bd.  VIII:  Geo,  Korn,  Schlesische  Urkunden 
zur  Geschichte  des  Gewerberechts  (Breslau  1867),  Nr.  I,  §§  i — 4  und  §  9.  Hier 
wird  auch  der  Ausbau  der  ,, Bänke"  zu  Häusern  vorgesehen:  „si  iidem  cives  racione 
structure  edificiorum  aliquid  superlucrari  poterunt,  ipsis  bene  concedimus  et  favemus".. 
—  Zu  dem  Schrotamt  vgl.  Iura  et  institutiones  Treverice  civitatis  §  3  :  „Item 
qui  pro  pretio  ducunt  in  civitate  plaustra,  diem  unum  inducendo  feno  vel  annona  d. 
archiepiscopo  servire  debent.  Et  hy  procurandi  sunt  in  victualibus."  Lacomblet, 
Archiv,  Bd.  I,  S.  259.  Dazu  S.  260  „vinum  ementes  et  plaustra  educentes" ;  und 
S.  262  „si  plaustrum  ad  educendum  vinum  advenit." 

543)  A.  a.  O.  §  6. 

544)  Frensdorff  in  seiner  Besprechung  von  Schmoller,  Straßburg  zur  Zeit 
der  Zunftkämpfe,  in  den  Jahrbüchern  für  Nationalökonomie  und  Statistik,  Bd.  XXVI 
(1876),  S.  226:  „und  von  den  in  dieselben  Eintretenden  eine  bestimmte  Gebühr  zu 
erheben".  Ich  besitze  noch  das  Manuskript  einer  Seminararbeit,  einer  sehr  eingehenden 
Kritik  von  Nitzch'  Abhandlungen  in  den  Berliner  Monatsberichten,  wo  ich,  ohne 
Frensdorff s  Rezension  zu  kennen,  gegen  Nitzsch,  I,  S.  15  f.,  das  Breslauer 
Innungsrecht  in  demselben  Sinne  zu  deuten  suchte  wie  er.  Allein  gerade  die  Worte 
(das  Recht)  „Innungen  einzurichten"  hat  mein  Lehrer  "Weiland  mir  kräftig  durchs 
strichen.     Vgl.  noch  oben  S.  213  bei  Hameln. 


Die  „Innung"  in  Schlesien.  2  1 7 

die  Gebühr  zweifelsohne  verschieden  bemessen  wurde  und  auch 
hier  die  Gruppierung  der  Handwerker  eine  unabweisliche  Folge 
der  Marktordnung  war,  mußte  in  der  Folge  eine  Differenzierung 
zu  Einzelinnungen  stattfinden. 

Wie  wenig  man  aber  bei  dem  Worte  Innung  ohne  weiteres 
an  einen  Verband  dachte,  spricht  sich  noch  mit  besonderer 
Schärfe  darin  aus,  daß  ein  Drittel  der  Gebühr  nicht  etwa 

ad  utilitatem  illius  inonghe 
oder  auch  nur 

illius  artificii, 
sondern 

ad  utilitatem  hominum  illius  artificii 
überwiesen  wird;  noch  schärfer  als  in  Hameln,  wo  es  hieß: 

dabit  pistoribus  —  carnificibus  —  textoribus: 
kurz  als  ob  diese  „homines"  nur  lauter   koordinierte,   aber  durch- 
aus nicht  irgendwie  unter  sich  verbundene  Einheiten  wären. 

Genau  so  wie  in  Breslau  ist  es  in  dem  kleinen  Weidenau, 
nur  daß  hier  alle  Gewalt  in  die  Hände  des  Erbvogts,  des 
Gründers  und  Lokators  der  Stadt,  gelegt  wird,  und  alle  Verhält- 
nisse noch  ursprünglicher  erscheinen ^^^).  Der  Vogt  soll  Fleisch- 
scharren, Brot-  und  Schuhbänke  in  der  Stadt  erbauen,  Ge- 
treidemühlen, Walkmühlen  und  Lohmühlen  sowie  Schleif- 
steine am  Flusse  errichten,  ferner  Badestuben;  die  Töpfer  der 
Stadt  sollen  ihm  wöchentlich  je  acht  Töpfe  oder  Krüge,  die 
Fleischscharren  dem  Bischof  jährlich  einen  Stein  Unschlitt 
liefern;  endlich  aber  wird  dem  Vogt  ]Macht  gegeben, 

ibidem  ius  civile  dandi  omnibus  advenis   ac  ad  Universi- 
täten! civium,  pannicidarum,  textorum,  sutorum,  carnificum, 
pistorum,    sartorum    recipiendi    vel    quorumcunque   artis 
mechanice  operatorum,   que    Innunge  Theutonice  nomi- 
nantur,  gratis  vel  mediante   pecunia   in  dicta  civitate  se- 
cundum  suum  arbitrium, 
sowie  die  Ratleute  der  Stadt  und   die  Meister  der  verschiedenen 
,,opifices"  auszuwählen  und    einzusetzen.     Die  Ausdrucksweise  ist 
eine  ungenaue;  „Innung"  scheint  schon  auf  die  „Gemeinschaften" 


545)  Tzschoppe  und  Stenzel,  Urkundensammlung  zur  Geschichte  des  Ur- 
sprungs der  Städte  ...  in  Schlesien  und  der  Oberlausitz,  S.  411  ff.,  vom-  26.  Juli  1291,, 
Bestätigung  des  von  Herzog  Heinrich  IV  (1266—1290)  und  Bischof  Thomas  I.  von 
Breslau  (1232 — 1268),  wie  es  scheint,  gemeinsam  erteilten  Rechtes  durch  Bischof 
Thomas  II. 


2l8  Zunftzwang  und  Einung. 

übertragen:  allein  die  ursprüngliche  Bedeutung  ist  aus  dem  Auf- 
nahinerecht  des  Vogtes  noch  recht  wohl  zu  erkennen  5*<'). 

Dagegen  in  dem  Sinne  von  Konzessionsgebühr  ist,  wie 
schon  Schmoller  bemerkt  hat^*'),  das  Wort  Innung  gefaßt  in 
■dem  Rechtsbrief  für  Neumarkt  von  1235,  durch  den  man  sich 
recht  lebhaft  an  die  parallelen  Bestimmungen  des  ungefähr  gleich- 
altrigen Hameler  Schulzenrechtes  erinnert  findet: 

§  36.  Hec  est  Innunge  pistorum  civium  in  Hallo. 
Si  aliquis  alienus  vult  societatem  pistorum,  quod  [wohl 
bemerkt,  nicht  que]  Innunge  dicitur,  ille  dabit  duas 
marcas  et  due  partes  spectabunt  ad  civitatem,  una  pars 
ad  pistores. 

§  39.  Hec  est  Innunge  carnificum.  Si  aliquis  vult 
habere  Innunge  ipsorum,  dabit  tres  fertones:  [Ver- 
teilung wie  vorhin]. 

§    41.     Innunge    sutorum     constat    ex    If     fertonibus: 

III  lotti  cedunt  ad  civitatem,  dimidius  ferto  ipsis  sutoribus, 

lottus  magistro  ipsorum  ^^^j. 

Es    kann    kein    Zweifel   sein,   daß   auch   hier   die   Stadt   das 

Kaufgeld  nicht  passiv  hinnimmt,  sondern  wie  in  Hameln  anfangs 

der  Schultheiß,  später  der  Rat,  damit  den  einzelnen  Handwerker 

zum   Gewerbebetrieb   zuläßt.     „Societas"   ist   in    demselben    Sinne 


546)  Eine  eigentümliche  Wendung  des  Ausdrucks  für  dasselbe  Recht  findet 
sich  in  dem  Recht  für  Wohlau  vom  12.  Nov.  1292  (Tzschoppe  und  Stenzel, 
Nr.  88,  S.  417  f.),  wo  dem  Vogt  zugewiesen  werden:  „et  intronisationes,  quod 
vulgariter  dicitur  iniungere,  apud  omnes  et  singulos  technicarum  artifices,  videlicet 
carnifices,  sutores,  pistores,  fabros  et  sartores  et  alios,  quibuscunque  nominibus,  qui  de 
novo  ius  suum  et  easdem  artes  ibidem  volunt  exercere".  Offenbar  ist  , .iniungere"  auf 
•eine  etymologisierende  Verdrehung  von  ,, Innung"  zurückzuführen.  Dementsprechend 
■wird  die  Ausübung  des  Handwerks  als  „ius"  bezeichnet. 

547)  Tucherzunft,  S.  383:  „im  Sinne  der  Niederlassungs-  und  Konzessions- 
gebühr". Das  erste  natürlich  nur,  sofern  es  heißen  soll  „Niedei lassung  als  Hand- 
werker". Mit  der  Niederlassung  als  Bürger  hat  es  nichts  zu  tun.  Auch  im 
weiteren  ist  manches  nicht  ganz  richtig.  In  den  Frankfurter  Urkunden,  die  er  am 
gleichen  Ort  anzieht,  heißt  „einung"  nur  sehr  indirekt  „Strafsatz"  und  „Geldstrafe" : 
■der  Nachdruck  liegt  auf  dem  Ansatz  nach  Vereinbarung.  Da  ist  Einung  also  im 
ursprünglichsten  Sinne  gebraucht. 

548)  Tzschoppe  und  Stenzel,  S.  298  f. ;  Laband,  Magdeburger  Reclits- 
•quellen,  S.  12.  Merkwürdigerweise  hält  Laband  in  §  41  an  der  Lesart,,  II.  fertonibus" 
fest,  obgleich  bereits  Stenzel  darauf  hingewiesen  hatte,  daß  die  Rechnung  nur  stimmt, 
"wenn  man  mit  der  Breslauer  Handschrift  „If  fertonibus"  liest.  Die  Schuhmacher 
haben  außerdem  noch  die  oben  Anm.  503  erwähnte  Lieferung  an  den  Bischof: 
vielleicht  hängt  damit  die  besondere  Verteilung  des  Innungsgeldes  bei  ihnen  zusammen. 


Das  Recht  von   Halle  für  Xeumarkt.  2  1 9 

gebraucht,  wie  „communio"  in  dem  Briefe  der  Magdeburger 
Schildmacher,  nicht  als  Verein,  sondern  als  die  Gemeinschaft  der 
Berechtigten:  das  „societatem  velle,"  Mitglied  sein,  wird  als 
Innung  bezeichnet,  nicht  die  „societas"  selbst  ^^^). 

Die  Innungsgebühr  für  die  Haupthandwerke  wird  hier  als 
ein  wichtiger  Bestandteil  des  eigenen  Rechtes  von  einer  älteren 
Stadt  einer  neuen  mitgeteilt  Denn  es  handelt  sich  um  die 
Uebermittlung  des  Hallenser  Rechtes  an  Neumarkt.  Hätte 
Innung,  wie  es  an  dieser  Stelle  gebraucht  ist,  die  Bedeutung 
eines  bloßen  Eintrittsgeldes  in  an  erster  Stelle  Innung  genannte 
Genossenschaften  gehabt,  so  würde  ihm  in  der  Rechtsmitteilung 
ganz  gewiß  nicht  ein  solcher  Platz  zugewiesen  worden  sein  ^^oj 
Dabei  ist  auch  die  Gegenüberstellung  von  „civis"  und 
„allen  US"  nicht  zu  übersehen.  Der  „alienus"  erwirbt  die 
^Innunge  civium":  er  tritt  durch  Zahlung  einer  Gebühr  ein  in 
die  nach  Gewerben  differenzierte  Marktgemeinschaft  der  Bürger. 
Daß  auch  ein  Bürger  die  „Innung"  erst  erwerben  sollte,  ist  gar 
nicht  in  Betracht  gezogen  5^^),  Nur  für  den  Sohn  eines  Bürgers 
kann  das  in  Frage  kommen.  Dann  aber  wird  es  anders 
ausgedrückt : 

§  37.  Si  pistor  aliquis  habens  Innunge  [ein  Gehilfe 
würde  sie  nicht  haben  und  als  Hauskind  auch  nicht 
Bürger  sein]  et  moritur,  filius  ipsius  dabit  solidum  magistro 
pistorum  et  budello  ipsorum  sex  denarios. 

549)  Vgl.  oben  S.  206  f. 

550)  Es  sei  gestattet  zu  bemerken,  daß  Schmollers  Aeußerung,  Tucherzunft 
S.  383,  „die  Identität  von  Innung  luid  Fratemitas  spricht  die  Stendaler  Tuchmadier- 
urkunde  von  1233  aus*',  auf  Irrtum  beruht.  Erst  in  der  zweiten,  18  Jahre  jüngeren 
Urkunde  kommen  diese  Worte  vor  (Riedel  I,  Bd.  XV,  Xr.  14;  meine  Urkunden 
Nr.  107  b  §  i).  Die  ältere  Urkunde  kennt  nur  „fratemitas",  „consorcium  fraternitatis'" 
und  „officium".  Auch  die  zweite  operiert  häuptsächlich  mit  ,,offiaum"  und  „fratemitas". 
Zweifellos  aber  soll  in  dem  „ininge"  eine  Neuerung  liegen,  und  zwar  spricht  sich 
jiese  darin  ans,  daß  jetzt  Eintritts-  und  Strafgelder  zwischen  Stadt  und  fratemitas  ge- 
teilt werden,  während  sie  vorher  sämtlich  an  die  Stadt  fielen.  Man  sieht  aber  auch, 
wie  es  dem  Konzipisten  schwer  wird,  den  neuen  Begriff  neben  dem  wohlbekannten 
Amt  (des  Webens)  und  Brüderschaft  unterzubringen.  Vgl.  übrigens  noch  die  folgende 
Anmerkung. 

551)  In  der  älteren  der  beiden  in  der  vorigen  Anmerkung  angezc^enen  Stendal  er 
Urkimden  bestimmt  §  5  :  „Quicunque  autem  alienus  hoc  officio  uti  voluerit,  primitus 
civilitatem  acquiret  et  postmodum  consorcium  fratnmi  cum  viginli  tribus  solidis 
inlrabit"  [wie  jeder  Bürger  außer  den  Mitb^ründem  und  den  Söhnen  von  Mitbrüdern]. 
Nach  Einführung  der  „Innung"  diu-ch  die  Urkunde  von  1251  ist  diese  Verordnung 
über  den  Erwerb  des  Büi^errechtes  fortgefallen.     Das  Eintrittsgeld  Lst  auf  6  s.  eraiäßigt. 


2  20  Zunftzwang  und  Einung. 

Die  Stadt  bekäme  dann  also  nichts:  in  die  Marktgemein- 
schaft der  Bürger  hinein  wird  der  Sohn  geboren.  Es  darf 
bezweifelt  werden,  ob  es  dabei  geblieben  ist.  Jedenfalls  ergibt 
sich  auch  daraus,  daß  Innung  hier  noch  den  Sinn  hatte,  den  wir 
aus  den  Braunschweiger  Urkunden  ermittelten.  Dazu  aber 
stimmt  auf  des  Beste,  daß  das  Hallenser  Recht  ganz  allgemein 
auf  dem  Magdeburger  beruht  und  wir  uns  also  auch  so  in 
die  Ursprungsgegenden  des  Innungsrechtes  zurückgeführt  finden. 

Eine  andere  Frage  ist  es,  wie  weit  den  einzelnen  Hand- 
werkschaften bei  der  Zulassung  eine  Mitentscheidung  zufiel.  Darauf 
läßt  sich  eine  allgemeine,  für  alle  Fälle  gültige  Antwort  jedoch  nicht 
geben.  Nur  so  viel  kann  gesagt  werden,  daß  sie  dabei,  seit  es 
„Aemter"  unter  eigenen  Meistern  gab,  wenn  auch  nicht  stets  das 
letzte,  so  doch  jedenfalls  das  erste  Wort  zu  sprechen  hatten  ^'*^''). 
Auch  die  Prüfung,  ob  der  Handwerker,  der  die  Innung  zu  er- 
langen wünschte,  auch  die  nötige  Befähigung  besaß,  muß  im 
Zusammenhang  damit  ihnen  obgelegen  haben.  Schon  in  dem 
Basler  Bäckerrecht  von  1256  ist  das  ausgesprochen,  wenngleich 
dort  bei  einem  „serviens",  der 

pistorum  forum  sibi  postulat  indulgeri, 
allein  die  ,,bona  fama"  beansprucht  zu  werden  scheint ^^2)  5;^ 
liegt  darin  natürlich  die  Uebertragung  einer  wichtigen  Verwal- 
tungsbefugnis. Da  aber  dieses  Problem  mehr  die  Verhältnisse 
des  ausgebildeten  Zunftwesens  als  seine  Entstehung  betrifft,  so 
müssen  wir  uns  ein  weiteres  Eingehen  darauf  versagen. 

Indes,  wie  weit  die  Grenzen  der  Autonomie  den  gewerb- 
lichen Korporationen  an  dieser  oder  jener  Stelle  gezogen  sein 
mögen:  im  Prinzip  und  als  Regel  in  der  Praxis  bleibt  die  Be- 
fugnis der  Obrigkeit,  mit  andern  Worten  des  Rates,  das  gesamte 
Wirtschaftswesen  der  Stadt  zu  ordnen  und  zu  leiten,  und  damit 
auch  die  der  Verleihung  des  Rechtes  des  Gewerbebetriebes  an  die 


551a)  Vgl.  oben  S.  200  ff.  die  Beispiele  aus  den  Innungsurkunden.  Ferner 
unten  S.   225. 

552)  Meine  Urkunden  Nr.  270  §  il.  Vgl.  oben  S.  159  ff.  —  Im  übrigen 
Neuburg,  Zunftgerichtsbarkeit  und  Zunftverfassung,  S.  34ff.J  Schönberg,  Zur 
wirtschaftlichen  Bedeutung  des  deutschen  Zunftwesens  (Hildebrands  Jahrbücher,  Bd.  IX), 
S.  54  ff.  Als  früheste  Erwähnung  eines  Meisterstückes  gilt  die  in  der  unten 
Anm.  557  zitierten  Berliner  Bäckerurkunde  von  1272:  „Vortin  wi  dat  werk 
wynnet,  di  sal  vor  des  meisters  oven  baken,  dat  men  besyet,  ofte  he  syn  werk  kan." 
Stieda,  Zur  Entstehung  des  deutschen  Zunftwesens,  S.   113. 


Gewerbekonzession  in  Lül)ock.  2  2  1 

einzelnen  Arbeiter  und  also  auch  der  Zulassung  zur  Mitgliedschaft 
der  einzelnen  Innungen. 

Je  nach  Umständen  wurde  diese  Befugnis  mit  größerer  oder 
geringerer  Strenge  gehandhabt.  Ich  verweise  nur  auf  die  lehr- 
reichen Mitteilungen  Wehrmanns  über  Lübeck,  wo  zu  unter- 
scheiden sind^-"^):  erstens  diejenigen  Korporationen  — und  zwar  die 
Mehrzahl  —  „die  ihre  Mitglieder  selbst  aufnahmen",  bei  denen 
aber  „doch  eine  gewisse  Konkurrenz  des  Rates  stattfand,  eine 
Genehmigung  und  Bestätigung  erfordert  wurde";  zweitens  ge- 
wisse Aemter,  bei  denen  der  Rat  es  sich  besonders  vorbehalten 
hatte,  „wem  er  bei  eintretendem  Todesfalle  die  dadurch  vakant 
werdende  Stelle  wieder  verleihen  wolle,  z.  B.  bei  den  Kerzen- 
gießern,  seit  dem  Aufruhr  von  1384  auch  bei  den  Knochen- 
hauern''^-**);  drittens  aber  solche  Gewerbtreibende,  die  über- 
haupt nicht  zu  Korporationen  verbunden  waren,  wie  die  Stock- 
fischweicher, die  Hanfspinner,  bei  denen  also  überhaupt  nur 
die  unmittelbare  Erteilung  der  persönlichen  Berechtigung  in  Frage 
kam.  Hier,  bei  diesen  Vertretern  meist  niederer  Gewerbe,  stehen 
wir  gleichsam  noch  einmal  auf  dem  Boden  der  einfachen  städti- 
schen Marktordnung.  Von  irgend  einer  Autonomie  ist  bei  ihnen 
keine  Rede,  ein  von  ihnen  selbst  ausgeübter  Zunftzwang  kann 
gar  nicht  ins  Spiel  kommen,  und  doch  unterliegt  jeder  einzelne 
einem  Zwange,  muß  sich  den  gleichen  von  der  Obrigkeit  ge- 
stellten Bedingungen  unterwerfen,  wird  mit  seinem  Amte  belehnt. 

Ueberhaupt  zeigt  Lübeck,  wo  die  Regierung,  wie  in  keiner 
zweiten  deutschen  Stadt,  in  den  Händen  der  eigentlich  kauf- 
männischen, man  darf  sagen  großhändlerischen  Kreise  lag,  den 
stadtwirtschaftlich  organisierten  Kleingewerben,  dauernd  selbst 
den  Gewandschneidem  kein  Anteil  daran  gegönnt  wurde  ^=^),  in 
diesen  Dingen  einen  konservativen  Charakter.  Es  ist  nicht  aus- 
geschlossen, daß  sich  das  sogar  in  dem  Fehlen  oder  Unterdrücken 
des  Ausdrucks  Innung  ausspricht,  der  zu  sehr  nach  dem  Rechte 
freier   Vereinbarung   riechen    mochte.      Xur   ein    Amt   haben    die 

553)  C.   Wehrmann,  Die  älteren  Lübeckischen  Zunftrollen*  (1872),  S.   26. 

554)  Kerzengießerrolle,   allerdings    erst   von   1508,  Wehrmann,    S.   249, 

§    2:    „ unde    schal    syn    ampt    escken    unde    dat   bydden    van    den    hern." 

Knochenbauerrolle  vom  2.  April  1385,  Wehrmann,  S.  260,  §  2:  „Vortraer 
wan  dar  leede  [Laden  =  Buden,  Wehrmann,  S.  513]  loes  sinl,  de  schal  de  rael  bezetien 
unde  vorlenen,  wan  se  willen  unde  weme  se  willen;  unde  wem  se  de  raet  vorlenet, 
den  scholen  de  anderen  knokenhowere  mit  nenerleye  koste  beschatten  edder  beswaren." 

355)  Hansische  Gesch.-Bl.,  Jahrgang  1901,  S.   123. 


222  Zunftzwang  und  Einung. 

Handwerker,  wie  in  den  frühesten  Zeiten,  und  das  leiht  ihnen  die 
Obrigkeit. 

Statt  Amt  konnte  man  auch  Werk  sagen.  Es  scheint  sogar, 
daß  das  in  Lübeck  der  ältere  Brauch  war  »56).  Dadurch  kam  noch 
klipp  und  klarer  zum  Ausdruck,  daß  es  die  Berechtigung  zum 
Betriebe  des  Handwerks  war,  die  der  Rat  zu  vergeben  hatte. 
Auch  die  Berliner  Zunfturkunden  des  13.  Jahrhunderts  sagen 
meist  „opus",  einmal  dafür  „Ingynge"  007)  Y)\q  Form  erinnert  an 
das  Wohlauer  „iniungere":  als  ob  man  in  Berlin  das  Wort  selbst 
mit  „Eingang",  „Zulassung"  in  Verbindung  gebracht  hätte  ■''•^*). 

In  Straßburg  trat,  wie  wir  gesehen  haben,  im  13,  Jahr- 
hunderfc „antwerk"  an  Stelle  des  früheren  „officium":  als  ob  hier- 
mit unliebsame  Erinnerungen  an  bischöfliche  Anmaßungen  ver- 
knüpft gewesen  wären  ^^o). 

Das  Braunschweiger  Stadtrecht  aus  derselben  Zeit  da- 
gegen braucht  „werk"  und  „inninghe"  synonym  ^eo)^  Besser  ge- 
sagt: Innung  hat  hier  geradezu  die  Bedeutung  „durch  Innungs- 
zwang, Konzessionszwang  geschütztes  Handwerk"  angenommen, 
wenn  es  heißt : 


556)  Vgl.  noch  Lübecker  Urk.-Buch,  Bd.  I,  S.  252b,  städtisches  Einkünfte- 
verzeichnis von  1262:  „cum  aliquis  pistorum  acquirit  civitatem,  dabit  pro  opere  suo 
et  civitate  XVIII  solides,  si  non  est  incola  civitatis;  sed  si  est  incola,  dabit  pro  opere 
suo  XII  solidos  tantum.  Idem  faciunt  carnifices:  dant  XII  s.  pro  opere;  sed  pro 
civitate,  secundum  quod  divites  sunt  et  habere  possunt,  in  gracia." 

557)  Fidicin,  Historisch -diplomatische  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt 
Berlin,  Bd.  II,  Nr.  3,  Innungsbrief  für  die  Schuhmacher  vom  2.  Juni  1284.  In 
dem  Brief  für  die  Kürschner  vom  22.  März  1280,  a.  a.  O.  Nr.  2,  ist  die  Rede 
von  dem  „alienigena  ....  acquirens  opus  nostre  civitatis  pelliparium",  und  von  dessen 
Söhnen,  die  ,,opus  nostre  civitatis  acquirere  tenebuntur".  Das  Letzte  erinnert,  venn 
auch  nur  das  Kürschnerwerk  gemeint  ist,  an  den  die  Gesamtwirtschaft  der  Stadt  um- 
fassenden Begriff  der  Innung,  innerhalb  deren  vom  Gesichtspunkt  der  Obrigkeit  aus 
die  Einzelinnungen  nur  SpeziaHtäten  bearbeitende  Abteilungen  darstellen.  Bei  den 
Schneidern,  10.  April  1288,  a.  a.  O.  Nr.  4,  wird  außerdem  noch  besonders  der 
Erwerb  der  ,,burscaph"  verlangt.  Vgl.  auch  Brief  für  die  Wollenweber  vom 
28.  Oktober  1295,  a.  a.  O.  Nr.  7,  wo  von  „profectus  tocius  officii  et  operis"  die 
Rede  ist.  In  dem  Bäckerbrief  vom  18.  Juni  1272  steht  „dat  werk  wynnen". 
Ludewig,  Reliquiae  Manuscriptorum  ....  Diplomatum,  vol.  XI,  p.  631  (dazu 
Fidicin,  a.  a.  O.  Bd.  I,  S.  65). 

558)  Vgl.  oben  Anm.  546. 

559)  Vgl.  oben  S.   166. 

560)  Stadtrecht  der  Herzöge  Albrecht  und  Johann  vom  10.  Okt.  1265  und  das 
angebliche  Stadtrecht  Ottos  I.  (vgl.  oben  Anm.  500),  beide  in  §  55.  Ebenso  das 
davon  abhängige  Stadtrecht  von  Duderstadt  von  1279:  Jäger,  Urkundenbuch  der 
Stadt  Duderstadt,  Nr.  6  §  60. 


,4nnung*'  in  Osnabrück  und  Lüneburg.  2  23 

Neman  nemach  sich  nenere  inninge  oder  werk  es  under- 
winden,  he  ne  do  it  mit  dere  meistere  oder  mit  dere  werken 
orlove. 
Dagegen    erscheint    das  Wort   noch   einmal   als   Gebühr   für   die 
Konzession  in  der  Leggeordnung  der  Wollenweber  zu  Osna- 
brück vom  2  o. .  September   1471: 

Item  de  wulners,  de  up  der  oldenstat  wonet,  de  solen 
ynnynge  geven  dem  rade  up  der  oldenstat,  unde  de  up 
der  nyenstat  wonet,  solen  ynnynge  geven  dem  rade  up 
der  nyenstat  ^^\). 
Die  Genossenschaften  wurden  in  Osnabrück  dagegen  „Aemter" 
genannt 

Kaum  irgendwo  aber  tritt  eben  der  Unterschied  zwischen 
Amt  und  Innung  und  die  Bedeutung  dieses  letzten  Ausdrucks 
dank  einem  reichlichen  Material  so  klar  hervor  wie  in  Lüneburg. 
Zwar  für  Bodemanns  Aussage,  daß  unter  den  32  Lüne- 
burger Aemtern,  die  er  aufführt,  gerade  die  Hälfte  als  „Innungen*^ 
unterschieden  worden  wären,  weil  nur  sie  vom  Rate  das  Rechte 
„die  Waaren  und  Produkte  in  Schaufenstern  und  Laden  auslegen 
und  verkaufen  zu  dürfen"  gewonnen  hätten,  vermisse  ich  den 
Belegt''-).  Daß  es  aber  eben  diese  „gracia  emendi  et  vendendi"  war 
—  Bodemann  erinnert  mit  Recht  an  die  Brau n seh  weiger  Ur- 
kunden, von  denen  wir  unsern  Ausgangspunkt  nahmen  —  was 
man  auch  in  Lüneburg  recht  eigentlich  unter  Innung  verstand, 
das  zeigt  schon  das  Verzeichnis  der  (Gebühren,  die  von  den  Mit- 
gliedern der  elf  ältesten  jener  „Innungen"  für  die  „Innung"  an 
den  Rat  zu  Zcihlen  waren  ^*'^). 

Ferner  steht  in  Beziehung  hierzu,  daß  „Gracie  date  ynninghen'^ 
im  ältesten  Stadtbuche  der  Abschnitt  aus  der  Zeit  von  1350 — 1375 
überschrieben  ist,  in  dem  die  Berechtigungen  verschiedener,  unter 

561)  Philippi,  Die  ältesten  CJsnabiückischen  Gildeurkunden,  S.  44.  In  seinem 
Wortverzeichnis  S.  90  bringt  auch  Philippi  die  Innung  dieser  Stelle  in  Beziehung  zu 
der  „gralia  emendi  et  vendendi  nach  dem    Pri\-il^um   Ottos   des   Kindes   von    1245". 

562)  E.  Bodemann,  Die  älteren  Zunfturkunden  der  Stadt  Lünebiug  (Quellen 
und  Darstellungen  ziu-  Geschichte  Niedersachsens,  Bd.  I),  S.  XXIII  f. 

563)  Bodemann,  a.  a.  O.  S.  XII:  „Institores,  dum  acquirunt  innige  contra 
consoles  civitatis,  dabunt  viginti  quatuor  solidos;  penestid  viginti  quatuor  s. ;  pistores- 
36;  pellind  (!)  24;  sutores  36;  camifices  36;  cerdones  36;  fabri  18;  craterarii  18; 
textotes  18;  sartores  24".  —  Bodemann  übersetzt  craterarii  mit  Kannengießer,  von 
denen  eine  Rolle  aus  dem  16.  Jahrhundert  vorliegt,  Reinecke  (vgl.  nächste  Anm.)- 
S  433  dagegen  mit  Bechermacher,  aber  ohne  sidi  mit  seinem  Vorgänger  auseinander- 
zusetzen. 


2  24  Zunftzwang  und  Einung. 

•einander  verwandter  Gewerbe,  wie  der  Schuster  und  Gerber, 
der  Schmiede  und  Scheidenmacher,  vor  allem  der  Krämer 
und  der  Handwerker,  mit  denen  sie  in  Konkurrenz  zu  treten 
pflegten,  zum  Verkauf  gewisser  Waren  gegeneinander  abgegrenzt 
sind  5*'^). 

Ausschlaggebend  aber  ist  in  demselben  Stadtbuch  in  den 
jährlichen  Neubürger -Verzeichnissen  der  Hunderte  von  Malen 
wiederkehrende  Zusatz  zum  Namen  des  Aufgenommenen  „habet 
inninghe",  oft  mit  Angabe  des  Gewerbes  „habet  inninghe  insti- 
torum"  u.  s.  w.;  es  gewährt  die  unmittelbarste  Anschauung  von 
-der  Tätigkeit  des  Rates  auf  diesem  Gebiete,  die  man  sich 
Avünschen  kann^"^). 

Was  aber  die  in  Lüneburg  von  der  „Innung"  unterschiedenen 
Ausdrücke  „Amt"  und  „Gilde"  betrifft,  so  führt  das  zu  der  Frage, 
welche  praktische  Bedeutung  überhaupt  einer  solchen  Unter- 
scheidung innew^ohnte:  mit  andern  Worten,  wir  kommen  noch 
einmal  auf  die  durch  verschiedene  Namen  —  nur  freilich  durch- 
aus mit  keiner  strengen  Regelmäßigkeit  —  gekennzeichneten 
-Seiten  der  Vereinsbetätigung. 

Schon  bei  Gelegenheit  der  „Brüderschaft"  bemerkte  ich. 
daß,  so  sicher  auch  die  Gleichheit  des  Gewerbes  den  Ausgangs- 
punkt zur  Entstehung  der  Korporation  abgegeben  hat,  die  Zünfte 
dennoch  den  Beitritt  auch  Personen  offen  hielten,  die  das  Gewerbe 
nicht  auszuüben  gedachten,  die  nur  an  der  Geselligkeit,  dem  Gottes- 
dienst und  den  wohltätigen  Zwecken  des  Vereins  sich  zu  beteiligen 
wünschten^*'*'). 

Die  Sache  hat  aber  auch  noch  eine  andere  Seite:  der  Kern 
der  Frage  zeigt  sich  erst  bei  der  Aufnahme  der  Söhne,  der  Ver- 
erbung des  Amtes. 

Regelmäßig  enthalten  die  Zunftbriefe  eine  Bestimmung,  die 
den  Eintritt  des  Sohnes  eines  Mitbruders  an  Zahlungen  und 
manchmal  auch  Formalitäten  dem  Fremder  gegenüber  nicht  un- 
wesentlich erleichtert.  Die  Mitgliedschaft  scheint  dann  gewöhn- 
lich auch  das  Recht  zum  Gewerbebetrieb  in  sich  zu  schließen, 
und  vielfach  ist  das  ohne  Zweifel  auch  so  gewesen.     Doch  kann 


564)  W.    Rein  ecke,    Lüneburgs    ältestes    Stadtbuch    und    Verfestungsregister 
(Quellen  und  Darstellungen  z.  G.  N.-Sachsens,    Bd.    VIII),    S.    234  ff.;    aus    der    Zeit 

von  1350—1375- 

565)  Reinecke,  a,  a.  O.,  Sachregister  imter  „Innung",  S.  435  f. 

566)  Oben  S.   181  f. 


Die  Vvrerbung  der  Innung.  ^^  ^  ; 

es  SO  allgemein  höchstens  von  dem.  was  man  die  goldene  Jugend- 
zeit der  Zünfte  nennen  könnte,  gegolten  haben,  als  noch  jeder 
Arbeiter  willkommen  war. 

Eine  Erschwerung  bildete  es  schon,  sobald  zum  Gewerbe- 
betrieb Bürgerschaft  verlangt  wurde:  denn  nicht  jeder  erwachsene 
Sohn  eines  Bürgers  ist  ohne  weiteres  ebenfalls  Bürger;  es  ist  eine 
förmliche  Aufnahme  nötig  und  es  gehört  eine  materielle  Qualifi- 
kation dazu  ^*^. 

Eine  weitere  Beschränkung  lag  darin,  daß  der  Betrieb  mancher 
Gewerbe  an  den  Besitz  bestimmter  Baulichkeiten,  bestimmter  Ge- 
schäftsräume geknüpft  war,  die  sich  nicht  beliebig  schaffen  ließen, 
wie  Backhäuser,  Fleischscharren,  Tuchgaden  ^^*).  Es  gibt  mancherlei 
Verordnungen,  die  diese  Verhältnisse  regeln  sollen  und  die  auch 
mancherlei  Schwierigkeiten,  mit  denen  dabei  zu  kämpfen  war, 
enthüllen. 

Indessen  kann  auch  diese  Frage  hier  nicht  zu  ausführlicher 
Darstellung  gelangen.  Es  genügt,  darauf  hingewiesen  zu  haben, 
und  nur  eine  Lüneburger  Urkunde  will  ich  anführen,  weil  sie 
zugleich  in  Vervollständigung  des  früher  Gesagten  am  besten 
zeigt,  wie  man  den  Empfang  der  „Innung",  der  Konzession  zum 
Gewerbebetrieb,  durch  den  Rat  unterschied  von  der  Aufnahme 
in  den  Verein  oder,  wie  man  diesen  hier  nannte,  das  „Amt." 

Am  4.  April  1477  beschwerten  sich  die  Schuhmacher  von 
Lüneburg  vor  dem  Rate,  daß  der  Sohn  ihres  Kollegen  Hans 
van  Kampen  ein  eigenes  Auslegebrett  beanspruche,  obgleich  er 
mit  seinem  Vater  Haus  und  Küche  und  Rauch  teile.  Eigener 
Rauch,  (He  Gewähr  eigener  Bürgerschaft,  sollte  also  zur  BedingTjng 
der  Ausübung  des  Handwerks  gemacht  werden.  Und  nicht  mit 
Unrecht;  denn  was  Kampen  \'erlangte,  lief  allen  anerkannten 
Prinzipien  entgegen,  auf  doppelten  Gewerbebetrieb  durch  eine 
Person,  die  Anfänge  eines  „kapitalistischen"  Betriebes  mit  relativ 
verminderten  Unkosten,  hinaus.     Dennoch  entschied"  der  Rat: 

nach  deme  male,  dat  he  deme  ampte  hedde  gedan  alle 
plicht  unde  hedde  ok  de  inninge  van  deme  rade  entfangen 
unde  syn  geld  utgegeven,  so  mach  he  ok  sin  lot  leggen 
laten  [die  Bretter  wurden  verlost]  unde  bruken  sines 
bredes  alleyne   unde  ok  syn  vader  synes  bredes  alleyne. 

567)  Ueber  das  Bürgerrecht  als  Vorbedingung  der  Aufnahme  in  die  Zunft: 
Neu  bürg,  a.  a.  O.  S.  21  ff.,  aber  ohne  prinzipielle  Erörterung. 

568)  Vgl.  hierzu  oben  S.   147  und  das  nächste  Kapitel. 
Keutgen,  .Aeniter  und  Zünfte.  i~) 


220  Zunftzwang  und  Einung. 

Offenbar  war  der  Casus,  wenigstens  seit  Menschengedenken,  in 
Lüneburg  nicht  vorgekommen:  wer  im  Handwerk  „sines  sulves 
werden"  wollte,  hatte  stets  zunächst  ein  eigenes  Anwesen  be- 
gründet. Aber  gegen  die  Aufnahme  des  Haussohnes  in  das 
„Amt",  d.  h.  hier  den  Verein,  hatten  die  Schuhmacher  nichts  ein- 
zuwenden gehabt  ^^^). 

Nur  hierdurch  erklärt  es  sich  ferner,  daß  es  in  manchen 
Städten  schon  früh  zur  Ausbildung  einer  förmlichen  Erbordnung 
in  Bezug  auf  die  Gewerbeberechtigung  gekommen  ist. 

In  Hameln  gibt  bei  den  Knochenhauern  der  jüngste 
Sohn  drei  Schillinge  für  die  Innung,  während  die  anderen  Söhne 
sie  für  i8  Schillinge  und  ein  Bockfell  gewinnen  und  „den  Wer- 
ken" drei  Pfund  Wachs  dazu  geben.  Bei  den  Schneidern  „erbt" 
die  Innung  an  den  jüngsten,  auch  wenn  er  der  einzige  ist:  die 
anderen  erhalten  sie  für  Y2  Pfund  5^^). 

Auch  in  Halberstadt  wird  der  jüngste  Sohn  bevorzugt. 
So  nach  dem  Innungsprivileg  Bischof  Volrads  für  die  Hut- 
macher vom   14.  September   1284: 

quicumque  in  hac  fraternitate  constitutus  habuerit  pueros, 
qui  in  societate  voluerint  permanere,   iunior  puer  habebit 
integrum  artificium,  senior  vero  dimidium  obtinebit-^'^). 
Natürlich  bleibt  auch  der  ältere  Bruder,  der  nur  das  halbe  Hand- 
werk erhält,  mit  ganzer  Person  Mitglied  der  Brüderschaft. 


569)  Bodemann,  a.  a.  O.  S.  235  f.  Wenn  man  unter  Amt  die  Gewerbe- 
genossenschaft verstand,  so  war  Gilde  der  gesellig-religiöse  Verband.  Bodemann, 
S.  XXIII,  besonders  S.  23  f.:  die  Bader  wollen  1431  eine  Frau,  die  vor  der  Ehe 
ein  Kind  gehabt  hatte,  nicht  in  ihrer  Gilde  dulden,  wenn  sie  auch  den  Mann  „to 
deme  ampte  wolden  se  en  gerne  staden." 

570)  Meinardus,  a.  a.  O.  S.  565  f.  §  16  und  S.  577  §  59.  Die  3  s.  des 
jüngsten  Kindes  bei  den  Knochenhauern  entsprechen  jedenfalls  der  ganzen  Zahlung  der 
älteren,    nicht    etwa    bloß  den    3  Pfd.   Wachs,    die    den  Genossen    für    ihre  Lichte   zu 

reichen  sind. 

571)  Schmidt,  a.  a.  O.  Bd.  I,  Nr.  187.  Es  bedeutet  nicht,  wie  man  an- 
zunehmen geneigt  sein  könnte,  daß,  während  der  Jüngste  die  ganze  Berechtigung  erbt, 
die  Aelteren  sie  zur  Hälfte  erben  und  zur  Hälfte  kaufen  müssen,  mit  andern  Worten, 
daß  für  sie  der  Erwerb  der  Innung  halb  so  viel  kostet,  wie  für  jemand,  der  keinerlei 
Erbanspruch  aufweisen  kann.  Daß  es  sich  in  der  Tat  nur  um  eine'  halbe  Betriebsbe- 
rechtigung handelt,  beweist  die  unten  Anm.  574a  zitierte  Straßburger  Urkunde  von 
1264,  nach  der  man  entweder  die  ganze  Einung  für  12  Schillinge  oder  die  halbe  für 
6  Schillinge  kaufen  kann.  Indessen  wird  es  dem  Sohne  des  Halberstädter  Hut- 
machers ohne  Zweifel  freigestanden  haben,  sich  die  fehlende  Hälfte  hinzuzukaufen. 


Innxing  und  Gilde.  227 

Noch  klarer  wird  zwischen  dem  Verband,  hier  g-hylscap 
genannt,  und  der  Gewerbeberechtigung  der  Innung  unterschieden 
in  den  Statuten  der  Schneider  von  Helmstedt  vom  24.  Mai 
1301,  wonach  der  jüngste  Sohn  nach  des  Vaters  Tode 

societatem  que  vulgariter  dicitur  Inige 
ohne  weiteres  erhält,   während  jeder  der  älteren  Söhne  ein  Ein- 
trittsgeld von   1 8  d.  erlegen  muß.    Dagegen  hat  der  jüngste  Sohn 

communitatem  que  vulgariter  dicitur  ghylscap 

in  gleicher  Weise  wie  die  älteren  für  2  s.  und  ein  Pfund  Wachs 
einzulösen  5^-). 

In  manchen  Statuten  wird  überhaupt  nur  die  Nachfolge 
des  Sohnes  nach  des  Vaters  Tode  ins  Auge  gefaßt,  was  doch 
unmöglich  einen  Ausschluß  von  den  g^uten  Werken  der  Brüder- 
schaft bis  zu  diesem  Zeitpunkte  bedeuten  kann^^^. 

Aehnlich  steht  es  mit  der  Mitgliedschaft  der  Frauen*^*). 


572)  Lichtenstein,  Epistola  nona,  Helmstedt  1751  (vgl.  oben  Anm.  517), 
dankenswerterweise  abgedruckt  von  Eberstadt,  Magisterium,  S.  239  f.  Auf  die 
Gleichung  „Inige  =  societas",  ,^hylscap  =  communitas",  vermag  ich  keinen  "Wert  zu 
legen.  Die  Urkunden  von  1258  und  1278  stehen  in  Epistola  VIII,  nicht  VII. 
Statt  „XVn  denarüs"  (Eberstadt,  S.  240  oben)  lies  „XVTII  denariis". 

573)  Vgl.  die  soeben  zitierte  Helmstedter  Schneiderurkunde.  Da  man 
audi  die  ,^hylscap"  erst  nach  des  Vaters  Tode  „redimere"  mußte,  so  ist  anzunehmen, 
daß  bis  dahin  die  Kinder  wie  die  Frau  ihre  Vorteile  ohne  weiteres  mitgenossen,  wie 
sie  ja  auch  mittelbar  an  dem  Innungsrechte  des  Vaters  Anteil  hatten.  —  In  Hameln  heißt 
es  bereits  1237 — 1247  §  5  (meine  Urkunden  Nr.  149):  „quicunque  camife.x  moritur, 
succedente  filio  loco  patris".  Demgemäß  im  14.  Jahrhundert  bei  den  Knochenhauein 
(Meinardus  „Donat"  §  16)  und  bei  den  Schneidern  (§  59)  „wes  vader  se  hadde"; 
ähnlich  bei  den  Vlämingen  (§  10).  Dagegen  bei  den  Hökern  (§  15)  ,,wes  vader 
se  hadde  eder  heft".  U.  s.  w.  Ein  Unterschied  wird  manchmal  gemacht,  je  nach- 
dem der  Vater  die  Innung  schon  vor  der  Geburt  der  Söhne  oder  erst  später  gewonnen 
hatte.  —  Femer  Rechisbrief  von  Halle  für  Neumarkt  (Tzschoppe  und  Stenzel, 
S.  298,  vgl.  oben  S.  218)  §  37.  „Si  pistor  aliquis  habens  Innunge  et  moritur, 
filius  if>sius  dabit".  Aehnlich  bei  den  Fleischern  §  40.  Im  übrigen  vgl.  Stieda, 
Zimftwesen,  S.   116. 

574)  Eine  eigentümliche  Stellung  nehmen  die  Weberfrauen  ein,  die  ihren 
Männern  bei  der  Arbeit  stark  an  die  Hand  gingen.  Hameln  1237 — 1247,  meine 
Urkunden  Xr.  149  §  8:  „si  vero  mulieri  suae  innigge  comparare  voluerit,  dabit  tres 
solidos"  (wenn  für  sich  selbst,  sechs).  Im  Donat  im  14.  Jahrhundert  butet  es 
(Meinardus,  S.  577  §  57):  „Dit  is  der  wevere  inninghe.  We  se  wint,  heft  he  ene 
\Tuwen,  he  gift  24  sol,  heft  he  neue,  he  ghift  12  sol."  Auch  einem  Knecht  konnte 
die  Innung  gekauft  werden  (Urkunden  a.  a.  O.;  vgl.  Donat  §  57):  kurz  für  jede 
Person,  die  einen  Webstuhl  für  sich  handhaben  konnte.  —  Vgl.  noch  Neuburg, 
S.  49  ff. 

15* 


228  Zunftzwang  und  Einung. 

Die  Geschichte  der  „Innung"  hat  sich  abgespielt  in  den 
nordösthchen  Gegenden  Deutschlands,  einschließlich  des  zuge- 
hörigen Kolonisationsgebietes.  Es  ist  eine  besondere  Form  des 
Durchgangs  von  der  Marktordnung  mit  ihrer  Handelsfreiheit 
einerseits,  ihrem  Amtszwang  andererseits,  zum  exklusiv  stadtvvirt- 
schaftlichen  Zunftzwang.  Ein  Verlauf,  der  eigenartig  bedingt  ist 
durch  die  besonderen  historischen  Verhältnisse  der  bezeichneten 
Landschaften  und  wobei  die  un erschütterte  Macht  der  Obrigkeit 
an  erster  Stelle  als  maßgebend  anzuerkennen  sein  wird. 

Anders  verliefen  die  Dinge  daher  in  den  alten  Kultur- 
gebieten des  Südwestens.  Hier  war  ja  —  ohne  jedoch  Goslars 
zu  vergessen  —  der  eigentliche  Kampfplatz  um  die  städtische 
Selbständigkeit  auf  allen  Gebieten.  Auf  sie  beziehen  sich  in  erster 
Linie  die  von  den  Bischöfen  erwirkten  kaiserlichen  Verbote  aller 
Arten  von  städtischen  Vereinigungen,  Städtebünde,  Räte,  Innungen  ; 
hier  hätte  alle  Autonomie  und  politische  Freiheit  völlig  unter- 
drückt werden  sollen.     Allein  hier  gelang  es  am  wenigsten. 

Hier  fehlte  es  vielmehr,  und  zumal  in  den  "großen  Bischofs- 
städten, bald  aber  auch  in  den  königlichen  Städten,  als  im  Osten 
an  einer  festen  landesherrlichen  Gewalt.  Die  Grundlagen  städtischer 
Macht  und  .Selbständigkeit  waren  schon  viel  zu  sicher  gelegt, 
als  der  Kampf  losbrach.  So  wenig  wie  die  selbstgewählten  Räte 
und  die  Städtebündnisse  ließen  sich  darum  die  eigentümlichen 
über  das  Aemtersystem  hinausgehenden  Bestrebungen  der  Hand- 
werker unterdrücken.  Mit  anderen  Worten,  die  Ausschließung 
der  Fremden  vom  Markte,  außer  an  Jahrmärkten  und  sonst  noch 
etwa  unter  schweren  Beschränkungen,  wurde  ohne  weiteres  er- 
reicht und  das  Ergebnis  ist  die  Aufrichtung  des  Zunftzwanges 
sofort  in  schärfster  Form:  die  liberalere  norddeutsche  „Innung'" 
als  Zwischenstufe  bleibt  unbekannt. 

Nicht  aber  darum  der  gleiche  Begriff  Innung  an  sich,  als 
Mitberechtigung  zum  Gewerbebetrieb,  unterschieden  von  der  Mit- 
gliedschaft der  Brüderschaft.  Den  Beweis  liefert  die  Urkunde 
über  den  Innungszwang  der  Backhäuser  in  Straßburg  vom 
23.  Februar  1264,  wonach  die  Bürger,  die  Backhäuser  besitzen, 
gezwungen  sind,  für  diese  von  den  Bäckern  das 

ius  quod  dicitur  einung 
zu   erkaufen.     Daß  jene  Bürger   dadurch  Mitglieder   des  Bäcker- 


Die  Einung  im  Südwesten.  229 

amtes  geworden  wären,  ist  durch  den  Wortlaut  der  Urkunde  aus- 
geschlossen *^**). 

Ganz  selbstverständlich  ist,  daß,  wenn  manche  Urkunden 
Wendungen  gebrauchen,  die  den  Beitritt  zur  Zunft  anscheinend 
freistellen,  wie 

Hanc  v^ero  fraternitatem  eo  iure  habebunt,  quod  qui- 
cunque  karpentarius,  id  est  dreslere,  preconcessam  frater- 
nitatem adipisci  voluerit  ^^•') ; 


oder 
oder 

oder 
oder 


quicunque  ipsorum  consortium  impetrare  voluit^^^); 

si   quis   supradictam    fraternitatis   unionem,   quod   innung 
vulgariter  appellatur  habere  desiderat  5^^); 

qui  eorum  societatem  inire  voluerit*"*); 


quicumque   ab   hoc    die   ipsorum    confraternitatem  intrare 

voluerit  ^^'^''): 
durchaus  nicht  bedeuten,  daß  Jemand  das  betreffende  Gewerbe  in 
der  betreffenden  Stadt  habe  ausüben  können,  ohne  der  fraglichen 
Zunft   beigetreten    zu    sein,    daß    sie   also   den    Zunftzwang   ver- 
neinen 5^*). 

Die  Wendungen  wollen  nichts  anderes  besagen,  wie  wenn 
es  in  der  Urkunde  für  die  Lederer  von  St.  Polten  (um  1260) 
heißt: 

§  7.  Item  qui  fieri  vult  magister  operis  eorum,  dabit  etc^so). 


574a)  Wiegand,  Urk.-B.  d.  Stadt  Straßburg,  Bd.  1  Nr.  549;  meine  Ur- 
kunden Nr.  290.  Man  konnte  auch  die  halbe  Einung  kaufen:  vgl.  oben  An- 
merkung 571.  Auch  war  die  Einvmg  zur  Hälfte  vererbbar  an  eins  der  Kinder.  — 
Uebrigens  vgl.  oben  S,   193  und  S.  205. 

575)  Kölner  Drechsler,  um  1180,  meine  Urkunden  Nr.  256;  vgl.  oben 
S.   175,  wo  es  sich  aber  natürlich  nur  um  den  Zwang  gegen  Mitglieder  handelt. 

576)  Würzburger  Schuhmacher  [1128],  meine  Urkunden  Nr.  254;  vgl. 
oben  S.  174  f. 

577)  Magdeburger  Schwertfeger  1244,  Hertel,  Bd.  I  Nr.  107;  vgl. 
oben  S.  208  f, 

578)  Helmstedter  Krämer   1247;  vgl.  oben  S.   207. 

578a)  Halberstädter  Hutmacher  1284,  Schmidt,  Bd.  I  Nr.  187.  Vgl. 
noch  oben  S.   226.     Femer  die  Weber   1283,    a.  a.  O.  Nr.    177,    und    oben  S.   202. 

5"9>  Vgl.  auch  noch  Recht  von  Halle  für  Neumarkt  1235, '  Tzschoppe 
xmd  Stenzel,  S.  298  §  39  (Fleischer).  Bei  den  Bäckern  §  36  steht:  „Si  aliquis 
alienus  vult  societatem  pistorom,  quod  Innunge  diatur."     Vgl.  noch  oben  S.   2l8. 

580)  Winter,  Beiträge,  S.    18;  meine  Urkunden  Nr.  268  §  7. 


230  Zunftzwang  und  Einung. 

Ebenso  wie  hier  unterlassen  ist,  eigens  zu  konstatieren,  daß 
der  selbständige  Handwerker  der  Zunft  beitreten  muß,  und  man 
sich  begnügt  hat  anzugeben,  was  die  Konzession  kostet;  so  ist 
an  den  vorher  zitierten  Stellen  als  ebenso  selbstverständlich  nicht 
eigens  bemerkt:  welcher  Drechsler  der  Brüderschaft  aber  nicht 
beitreten  will,  der  kann  nicht  Meister  werden.  Ich  erwähne  die 
Sache  überhaupt  nur,  weil  der  Versuch  gemacht  worden  ist,  aus 
jenen  Stellen  eine  eigene  Gruppe  von  Handwerkerverbänden  ohne 
Zunftzwang  zu  konstruieren  ^si). 

Es  giebt  aber  eine  Stadt,  w^o  man  —  vielleicht  dank  der 
Schulung  des  bischöflichen  Kanzlisten  —  vorsichtig  genug  ge- 
wesen ist,  dem  ganzen  Gedanken  Ausdruck  zu  verleihen: 

§  6.     Et  quicumque   ex   ipsorum    opere   in   ipsorum  soci- 
etate  et  confraternitate  voluerint  Interesse,  in  introitu  suo 

decem  solides  persolvant; 

§  7.  Qui  vero  ex  ipsorum  opere  in  eorum  societate, 
prout  superius  dictum  est,  noluerint  Interesse,  ab  officio 
operandi  pro  suo  arbitrio  et  a  foro  emendi  et  vendendi 
et  a  tota  communione  eorum  penitus  excludantur. 
So  heißt  es  in  Basel  bei  den  Kürschnern  1226,  und  ähnlich 
bei  den  Bauarbeitern  und  den  Metzgern   12485«-'). 

Trotzdem  fabelt  Eberstadt  auch  hier:  „Die  nichtzünftigen 
Handwerker  des  gleichen  Gewerbs  sind  der  zünftlerischen  Zwangs- 
gewalt nicht  unterworfen".  „Die  ausgedehnte  Lohn-  und  Haus- 
arbeit  bleibt   unabhängig"  ^^^).     Hausarbeit,   sofern   sie  überhaupt 


581)  Eberstadt,  Magisterlum,  S.  177  ff.,  Zunftwesen,  S.  127  ff.  Dazu  die 
Magisterium  S.  235  f.  unter  der  Rubrik  ,, Privilegierungen  ohne  jede  Zwangsfomiel" 
zusammengestellten  Urkunden. 

582)  Vgl.  oben  S.   173  und  S.   158  ff. 

583)  Eberstadt,  Magisterium,  S.  187,  S.  188;  Zunftwesen,  S.  129  f.  Gee- 
ring,  Basel,  S.  3,  sieht  ebenso  unrichtig  in  dem  „suum  arbitrium"  den  Gegensatz  zur 
Arbeit  für  den  Hof.  Dem  Bäckerrecht  von  1259  sind  alle  Basler  Bäcker  unter- 
worfen: trotzdem  leugnet  Eberstadt  auch  bei  ihnen  jeden  Zwang.  Klassisch,  d.  h.  für 
Eberstadts  Methode  bezeichnend,  sind  folgende  Sätze,  Zunftwesen,  S.  128:  „Das 
Magisterium  kennt  regelmäßig  kein  besonders  verliehenes  Zwangsrecht,  obwohl  gerade 
die  Magisterien  durchweg  finanzielle  Leistungen  aufzubringen  und  beizutreiben  haben 
(vgl.  unten  S.  130);  es  genügt  auch  hierzu  das  überlieferte  Recht  des  Amtes.  Der 
größere  Teil  gerade  der  ältesten  Handwerkergenossenschaften  besteht  also  [!]  ohne  den 
Zunftzwang  bezw.  Amtszwang."  Ist  das  „Recht"  „beizutreiben"  eiwa  kein  ,, Zwangs- 
recht"? Und  wenn  „das  überlieferte  Recht"  einmal  nicht  „genügte",  soll  da  kein 
Zwang  auf  den  Widerspänstigen  haben  ausgeübt  werden  können?  Die  ganze  Ordnung 
wäre  sofort  zusammengebrochen.  Was  macht  es  dem  gegenüber  aus,  ob  in  dieser  oder 
jener  Zunfturkunde  der  Zwang  nicht  ausdrücklich  „verliehen"  ist? 


Die  Kölner  Gilde. 


23' 


nicht  gewerbsmäßig  war,  selbstverständlich!  Von  einer  unab- 
hängigen Lohnarbeit  wissen  wir  nichts.  Die  Worte:  „pro  suo 
arbitrio"  aber  bezeichnen  doch  nur  die  Arbeit  des  Meisters  im 
Gegensatze  zu  der  des  Knechtes. 

Einen  Punkt  nur  sei  es  zum  Schluß  dieses  Kapitels  noch 
zu  erwähnen  gestattet. 

Bei  den  genannten  Lüneburger  Xeubürger- Verzeichnissen 
mit  der  so  häufig  darin  notierten  Verleihung  der  „Innung"  an 
die  Aufgenommenen  ^^*),  kann  man  gar  nicht  umhin  an  die  viel- 
besprochenen Kölner  Gilde-  und  Bürgerlisten  aus  dem 
12.  Jahrhundert  erinnert  zu  werden,  namentlich  an  den  in  den 
BürgerUsten  einzelnen  Namen  hinzugefügten  Vermerk  „gilda" 
oder  ,,fraternitas"  ^*^).  Von  den  bisherigen  Erklärungen  der  Be- 
deutung dieser  Listen,  auch  der  neuesten  von  Lau,  ist  wohl  niemand 
wirklich  befriedigt  ^*^.  Lau  fehlt  namentlich  in  dem  Schlüsse, 
den  er  aus  der  Zahl  der  Namen  zieht.  Er  meint,  sie  sei  „viel  zu 
gering,  als  daß  sie  die  Gesamtheit  aller  am  Kölner  Handel  und 
Verkehr  Beteiligten"  darstellen  könne.  Demgegenüber  ist  zu 
bemerken,  daß  für  jeden  mit  „mittelalterlichen"  Methoden  Ver- 
trauten die  Idee  eines  vollständigen  Verzeichnisses,  einer  Liste 
aller  gleichzeitigen  Mitglieder,  von  vornherein  so  gut  wie  aus- 
geschlossen ist  Es  kann  sich,  und  der  Augenschein  lehrt  es 
bei  diesen  Listen  ebenfalls,  nur  um  die  nach  und  nach  einge- 
tragenen Xamen  Xeuberechtigter  handeln.  So  hat  man  ja  noch 
lange  Jahrhunderte  hindurch  überall  bei  uns  die  Bürgerlisten 
geführt,  ohne,  wenn  man  sie    anlegte,    zunächst    einmal    alle    vor- 

584)  Vgl.  oben  S.  224. 

585)  Hoeniger,  Schreinsurkunden,  Bd.  II,   2,  S.  4  ff. 

586)  Lau,  Verfassung  vmd  Verv^altung  von  Köln,  S.  224  ff.,  will  die  „frater- 
nitas  mercatorum  gilde"  des  12,  Jahrhunderts  mit  der  Weinbrüderschaft  identifizieren, 
die  jedoch  erst  seit  1356  belegt  ist  (Lau,  S.  226).  Meine  Urkunden  Xr.  182; 
Stein,  Akten,  Bd.  I  Nr.  21.  Einen  Zusammenhang  hatte  auch  schon  Hoeniger, 
a.  a.  O.  S.  9  f.,  als  möglich  hingestellt.  Zu  bemerken  ist  aber  noch,  daß  ,,mercatores*' 
eine  sehr  sonderbare  Kennzeichnung  für  die  Weinbrüder  schlechthin  gewesen  wäre: 
handelte  es  sich  doch  großenteils  um  den  Ausschank  eigenen  Gewächses,  nicht  um  ein 
Gewerbe.  Der  Weinhandel  im  Kleinen  nahm  eben  in  Weingegenden  überhaupt  vielfach 
eine  Sonderstellung  ein,  und  zwar  eine  Stellung  aulkrhalb  des  zünftisch  geordneten 
Gewerbes.  Vgl.  Stadirecht  von  Löwenberg,  121",  Tzschoppe  und  Stenzel, 
Nr.  4,  S.  27":  „daz  si  win  sullen  schenken  und  nimande  nicht  davon-  gebin;  da  in 
sal  ouch  nimmer  kein  voitdinc  inne  gesin,  noch  innunge."  „Innung"  heißt  da  aber 
kaum  „Zunft",  sondern  „Einung" :  eine  Abrede,  durch  die,  wer  Wein  schenken*  wollte, 
irgend  einem  Zwangsrecht  unterworfen  worden  wäre. 


21)2  Zunft/Avang  und  Eiming. 

handenen  Bürger  aufzuschreiben.  Für  die  Größe  der  Zahl  käme 
es  also  nur  darauf  an,  durch  wie  lange  Zeit  man  das  Verzeichnis 
fortgesetzt  hat. 

Auf  alle  Einzelfragen,  die  durch  die  Kölner  Listen  angeregt 
werden,  ist  hier  nicht  der  Ort  einzugehen.  Alles  in  allem  aber 
spricht  die  größte  Wahrscheinlichkeit  dafür,  daß  in  der  Mitte  des 
12.  Jahrhunderts  die  städtische  Behörde  in  Köln  neben  einem 
Verzeichnis  aller  Neubürger  ein  solches  aller  zum  Handelsbetrieb 
neu  Zugelassenen  geführt  hat:  aller  derer,  denen  sie  erteilte,  was 
man  etwas  später,  in  jünger  erschlossenen  Gegenden  die  „Innung" 
nannte.  Nur  kannte  man  diesen  Begriff  damals  noch  nicht. 
Man  stand  noch  vor  den  Einungskämpfen  der  Handwerker.  Es 
waren  die  Zeiten  eines  noch  relativ  freien  Verkehrs,  die  letzten 
Tage  der  alten  Kaufmannsgilden.  Wenn  es  gerechtfertigt  ist, 
für  Tiel  und  Dortmund  in  früher  Zeit  freie  Gilden  aller  dort 
tätigen  Kaufleute  anzunehmen,  so  muß  auch  in  Köln  einst  eine 
solche  bestanden  haben:  eine  Gilde,  die  nicht  Kölner  Bürger 
allein,  sondern  auch  Fremde  umfaßt  hatte.  Das  war  ja  ursprüng- 
lich auch  bei  der  Innung  der  Fall  gewesen.  Aber  mit  dem 
Unterschied.  Die  Innung  war  ein  obrigkeitliches  Institut  gewesen, 
durch  das  auch  Fremden  gegen  Zahlung  einer  Gebühr  der  schon 
sich  „stadtwirtschaftlich"  abschließende  Markt  offen  gehalten 
wurde.  Die  Gilde  dagegen  ein  freier  Verein  der  sich  außerhalb 
der  stadtwirtschaftlichen  Bande  haltenden,  nur  der  Ordnung  des 
jeweilig  von  ihnen  besuchten  Marktes  unterworfenen  Kaufleute. 
Mitte  des  12.  Jahrhunderts  aber  muß  in  einer  Stadt  wde  Köln 
ein  solches  Institut  in  seiner  ursprünglichen  Form  bereits  über- 
lebt gewesen  sein.  Die  Idee  der  Gilde  zwar,  wie  es  scheint, 
hielt  sich  noch.  Aber  doch  nur  einen  Augenblick.  Schon  fing- 
der  Verkehr  an,  von  der  Bürgerbehörde  geleitet,  sich  Stadt  wirt- 
schaftlich abzuschließen.  Die  städtische  Behörde  legte  nun  ein 
Verzeichnis  aller  derer  an,  die  sie  zur  „Gilde,"  wie  derer  die  sie 
zur  Bürgerschaft  zuließ.  Bald  aber  erübrigte  sich  auch  das. 
Verkehrsfreiheit  für  das  ganze  Jahr  gab  es  jetzt  nur  noch  für 
den  Bürger,  und  auch  für  den  Bürger  nur,  so  fern,  er  sich  in 
ein  bestimmtes  Amt,  die  Brüderschaft  derer  von  seinem  Gewerbe 
aufnehmen  Heß. 


Letztes  Kapitel. 

Abschließende  Cendenzen. 

Wenn  die  ausführliche  Schilderung  der  ausgebildeten  Formen^ 
des  Zunftwesens  jenseits  der  Aufgabe  liegt,  die  ich  mir  diesmal 
gestellt  habe,  so  bleiben  doch  noch  gewisse  Bewegungen  zu  be-^ 
rühren,  die  teils  mit  ihren  Anfängen  in  die  Frühzeit  der  Handwerks- 
organisationen zurückreichen,  teils  zum  volleren  Verständnis  der 
Ausgestaltung,  die  die  städtische  Gesamtwirtschaft  genommen  hat, 
noch  mehr  ins  Licht  gerückt  werden  müssen. 

Zu  den  Erscheinungen  der  ersten  Art  gehört  das  „Schließen" 
der  Zünfte. 

In  der  späteren  Zeit  des  Zunftwesens,  als  die  Blüte  des 
stadtwirtschaftlichen  Systems  bereits  zu  welken  begonnen  hatte: 
da  wurde  Veranlassung  zur  Beschränkung  und  selbst  Herabsetzung 
der  Mitgliederzahl  der  Amtsberechtigten  der  Umstand,  daß  die 
vorhandene  Arbeitsgelegenheit  nicht  mehr  auszureichen  schien, 
alle  Bewerber  oder  auch  nur  alle  bereits  zugelassenen  zu  er- 
nähren ^*').  Allein  das  ist,  wenn  auch  die  am  weitesten  ver- 
breitete, doch  nur  eine  Modalität.  Lange  ehe  Xahrungssorgen  an- 
gefangen hatten,  nach  Abhülfe  zu  rufen,  kannte  man  unter  Um- 
ständen die  Erscheinung  der  geschlossenen  Zunft. 

Manchmal  hatten  politische  Gründe  den  Anlaß  gegeben, 
wie   bei  den  Kölner  Webern   1372^^'')  und  bei  den  Lübecker 


587)  fälle  bei  Neuburg,  a.  a.  O.  S.  52  ff.  Bei  den  Hamburger  Bött- 
chern ist  die  Jahreszahl  1375  ein  Irrtum  (Neuburg  S.  53):  erst  durch  Ratsbeschluß 
vom  22.  Mai  1437  wurde  ihre  Zahl  auf  200  festgelegt  (Rüdiger,  Die  ältesten  Ham- 
bui^ischen  Zunftrollen,  S.  33):  immerhin  ein  für  die  Geschichte  des  Niederganges  der 
Zünfte  recht  erheblicher  Unterschied.  Vielleicht  hatte  er  die  Fischer  im  Sinne,  bei 
denen  aber  andere  Momente  mitsprechen.  Vgl.  unten  Anm.  601  am  Schluß  und  den 
Text  dazu. 

588)  Stein.  .iVkten,  Bd.  I,  S,  89,  Nr.  11;  meine  Urkunden  Nr.  293  §  li- 
Zehn  Jahre  später  wurde  die  zulässige  Zahl  wieder  von  200  auf  300  erhöht.  Stein, 
.1.  a.  O.  S.  126  Nr.  9;  Urkunden  §  9.  Dazu  Hegel,  Verfassungsgeschichte  von. 
Köln,  S.   158  ff.  (Städtechroniken,  Köln,  Bd.  IH,  S.  CFV). 


^34 


Abschließende  Tendenzen, 


Knochenhauern    1385  5*^^):   wenn    sich   das  Gewerbe   durch   die 
Zahl  seiner  MitgHeder  dem  Rate  gefährlich  erwiesen  hatte. 

Unter  ganz  eigentümlichen  Umständen  dagegen  vollzog  sich 
die  Schließung  der  Zunft  der  Würzburger  vSchuhmacher  schon 
im  Jahre  1169.  Während  in  der  Urkunde  von  11 28  noch  von 
keiner  Beschränkung  ihrer  Zahl  die  Rede  war^*^"),  wird  jetzt  auf 
einmal  ihr 

collegium 
als 

inter  vicenarium  numerum  definitum 
bezeichnete-'^);  und  aus  dem  Zusammenhange  kann  man  nur 
schließen,  daß  diese  Beschränkung  eine  Bedingung  der  Kanoniker 
von  Neumünster  gewesen  ist,  die  gegen  ein  festes  Honorar  von 
5  s.  jährlich  die  feierliche  Bestattung  verstorbener  Genossen  über- 
nahmen. Schon  für  ihre  PYauen  wurde  ein  weiteres  Opfer  vor- 
gesehen '^^-).  Es  ist  ein  eigenartiger  Fall  geistlichen  Geizes.  Ob 
aber  später  die  Konkurrenzfurcht  der  Schuster  eine  Revision  des 
Vertrages  zugelassen  hat,  darf,  wenn  nicht  etwa  der  Rat  im 
öffentlichen  Interesse  den  nötigen  Druck  ausübte,  andererseits 
ebenfalls  bezweifelt  werden. 

Doch  von  Bedeutung  für  die  Fragen,  die  uns  interessieren, 
sind  nicht  diese  besonderen  Fälle,  sondern  allein  diejenigen,  die  mit 
gewerblichen,  wenn  auch  zufälligen  Umständen  zusammenhängen 
und  die  sich  auf  aus  der  alten  Marktordnung  resultierende 
Bedingungen  zurückführen  lassen  oder  in  ihr  geradezu  be- 
gründet sind. 

Wir  haben  gesehen,  wie  bei  Anlage  der  Märkte  für  einige 
■der  Hauptgewerbe  besondere  Budenreihen  angelegt  zu  werden 
pflegten.  Ihre  Zahl  ließ  sich  nicht  immer  ohne  weiteres  beliebig 
vermehren.  Nur  jedoch  wer  eine  Bude  in  der  Reihe  inne  hatte, 
konnte  das  Gewerbe  ausüben.  Waren  also  die  vorhandenen  Plätze 
besetzt,  so  fand  ein  natürlicher  Schluß  der  Organisation  statt,  der 
so  lange   dauerte,   bis  man  sich   wie  etwa  bei  den  Frankfurter 

589)  Wehrmann,  Zunftrollen,  S.   259,  S.   26;  vgl.  noch  oben  S.   221. 

590)  Vgl.  oben  S.   174  ff. 

591)  Gramich,  Verfassung  und  Verwaltung  von  "Würzburg,  S.  69:  ,,ut  qui- 
■cunque  de  ipsoram  collegio  inter  vicenarium  numerum  definito  intra  muros  urbis  more- 
retui",  etc. 

592)  „Porro  mulieres  ipsorum  ab  hac  humanitate  non  excipientes  nee  ab  eis  nee 
ab  maritis  earum  aliquam  oblationem  nisi  sponte  [!]  oblatam  pro  impenso  huiusmodi 
officio  recipiendam  decrevimus." 


Frühe  Fälle  von  Zunftsperrungen.  235 

Gewandschneidern  1334,  dazu  aufraffte,  eine  zweite  Budenreihe 
für  dasselbe  Gewerbe  zu  eröffnen  '''■'^). 

Nicht  immer  aber  hat  man  diesen  Schritt  getan.  Wenigstens 
unter  der  unmittelbaren  Verwaltung  des  bischöflichen  Stadtherrn 
ließ  ein  Gewerbe  sich  wohl  die  Beschränkung  der  Zahl  der  zur 
Ausübung  Berechtigten  von  der  Obrigkeit  als  besondere  Begün- 
stigung gewährleisten,  auch  ohne  daß  Furcht  vor  Nahrungs- 
mangel ins  Spiel  zu  kommen  brauchte.  Wir  haben  gesehen,  wie 
schon  1239  die  Mainzer  Tuchhändler  ein  absolutes  Monopol 
für  ihre  48  Gaden  erlangten  5»*).  Bei  diesem  vornehmen  Gewerbe 
finden  solche  Bestrebungen  auch  sonst  einen  gewissen  Ausdruck 
in  dem  Titel,  den  sich  seine  Angehörigen  beilegen  als  die  Ge- 
wandschneider unter  den  Gaden  ^^^). 

Wenn  aber  der  Betrieb  eines  Gewerbes  gar  in  ein  Kaufhaus 
oder  ein  Werkhaus  verlegt  worden  war,  wo  der  Raum  eine  Grenze 
zog,  so  erfolgte  auch  ein  Abschluß  der  Benutzungsberechtigten 
gewissermaßen  mit  Naturnotwendigkeit.  Fast  jede  beliebige  Kauf- 
hausordnung bestätigt  das. 

Hierher  gehört  auch,  wenn  wie  in  Trier  bei  Fleischern 
und  Bäckern  der  Betrieb  des  Gewerbes  an  den  Besitz  bestimmter 
Häuser  geknüpft  war«''*^. 

Und  wenigstens  dieselbe  Tendenz  verrät  es,  wenn  nicht 
wenige  Zunftrollen   den  Eintritt  des  Sohnes  erst  nach  dem  Tode 

des  Vaters 

loco  patris 
vorsehen  ^^''). 

Wie  es  indes  auf  ganz  zufällige,  „historische"  Umstände  zu 
schieben  ist,  wenn  an  einem  Orte  die  Zahl  der  Theilnehmer  an 
einem  bestimmten  Gewerbe  beschränkt  wird,  an  einem  benach- 
barten Orte  bei  demselben  Gewerbe  nicht:  das  zeigt  ein  Vergleich 
der  Gründungsurkunde  einiger  schlesischer  Städte. 

Denn  wenn  sonst  bei  einer  Stadtanlage  zwar  die  Zahl  der 
zu  errichtenden  Fleischbänke  oder  Brotbänke  angegeben  wird, 

593)  Vgl.  oben  Anm.  380. 

594)  Vgl.  oben  S.   145. 

595)  Hans.    G.-Bl.,  Jahrgang   1901,  S.  -6. 

596)  Vgl.  oben  Anm.  373. 

597)  ,,Succedente  filio  loco  patris"  heißt  es  vom  Erwerb  der  Fleischerinnung 
in  Hameln  in  dem  Schulzenrecht  von  [1237  — 1247]:  meine  Urkunden  Nr.  149  §  5. 
Vgl.  im  übrigen  das  im  vorigen  Kapitel  über  die  Vererbung  des  Innungsrechtes 
Ausgeführte. 


236  Abschließende  Tendenzen. 

jedoch  ohne  ausgesprochene  Beschränkung  für  die  Zukunft,  zeigen 
in  dieser  Hinsicht  einen  merkwürdigen  Gegensatz  die  Urkunden 
für  Trachenberg  vom  15.  Mai  1253  und  für  Strehlen  vom 
30.  November  1292.  Während  nämlich  für  Trachenberg  Herzog 
Heinrich  III.  von  Breslau  dem  Locator  erlaubt, 

ut  officinas  carnium  et  panum,  stubas  balniares,  molen- 
dina,  piscinas  construat,  quodquod  voluerit  pro  sua 
omnimodis  utilitate,  et  simili  modo  curiam,  in  qua  peccora 
mactantur  ^^^) ; 
heißt  es  in  dem  Privileg  Bolkos  I.  von  Oppeln  für  den  Vogt  des 
ebenfalls  neugegründeten  Strehlen ''^^): 

et  unam  stupam  balnialem  ibidem,  preterea  sedecim 
macella  carnium,  que  in  universo  sunt  triginta  quatuor, 
item  viginti  quatuor  macella  panum,  que  in  universo  sunt 
XXX*'''  duo,  item  quatuordecim  macella  sutorum,  que  in 
universo  sunt  XXX '^j  racione  locacionis  innovate  predicte 

nostre  civitatis,    contulimus   hereditarie possidenda. 

Von  jedem  macellum  sollen  der  Vogt  und  seine  Erben  einen 
jährlichen  Erbzins  von  einem  halben  scotus  beziehen,    ferner  aber: 
Volumus    eciam,    ut    ultra    predictorum    numerum 
macellorum    nulla    ulterius    astruantur,    nisi    nostro    ac 
eiusdem  advocati  speciali  fuerit  de  consensu. 
Dieses  Verbot   mußte   immerhin  auch  eine  erwünschte  Ver- 
mehrung erheblich  erschweren.     Daß    aber  im  ganzen  anfängUch 
gerade  34  Fleischbänke,  32  Brotbänke  und  30  Schuhbänke  erbaut 
worden    sind,    wnrd   teils   mit   dem   verfügbaren  Räume,   teils  mit 
der  Zahl  der  Bewerber  zusammenhängen. 

Als  normal  kann  dagegen  die  Urkunde  Herzog  Heinrichs  III. 
von  Glogau  für  den  Vogt  von  Wohlau  vom  12.  November  des- 
selben Jahres   1292  gelten,  wonach: 

si  civitas  eadem  Wolaw  in  tantum  profecerit,  quod 
pluribus  macellis  seu  scamnis  panis  vel  sutoricis  indiget 
sive  balneo,  haec  omnia  idem  advocatus  hereditarius  ac 
sui  legitimi  successores  construent  pro  suis  usibus  et  bene- 
placito  voluntatis ''°^). 

598)  Tzschoppe  und  Stenzel,  Nr.  41,  S.  329.  Es  kann  kein  Zweifel  sein,, 
daß  mit  dem  „quodquod"  des  Textes  ,,quotquot"  gemeint  ist. 

599)  A.  a.  O.,  Nr.  89  S.  418  f. 

600)  A.  a.  O.,  Nr.  88  S.  417  f.  Vgl.  dazu  oben  Anm.  546.  Gedruckt  steht 
„cum    tantum"    statt    „in    tantum",    wie    es   jedenfalls    heißen    muß.     „Fartorium"    ist 


Die  W'ormscr  Fisclier. 


23: 


Ob  die  eine  Badestube,  die  je  12  Fleisch-,  Bäcker-  und  Schuster- 
bänke und  die  Wurstmacherei  (fartorium),  die  der  Vogtei  zuge- 
wiesen werden,  die  sämtlichen  ursprünglich  in  der  Stadt  vorge- 
sehenen waren,  läßt  sich  aus  dem  Wortlaut  nicht  entnehmen. 

Eigentlich  interessant  sind  indes  nur  die  Fälle,  wo  der  Be- 
sitz einer  solchen  bevorzugten  Marktbude  weitere  Rechtsfolgen 
nach  sich  zog. 

Jedoch  auch  ohne  daß  die  Raumfrage  ins  Spiel  gekommen 
wäre,  konnte  die  Obrigkeit  Gründe  haben,  die  Zahl  der  Mitglieder 
eines  Gewerbes  zu  normieren.  So  wenn  im  Jahre  1106  oder  1 107 
Bischof  Adalbert  in  Worms  an  23  Fischer  das  vererbliche  Amt 
des  Fischfangs  und  des  Fischhandels  mit  den  üblichen  Aufsichts- 
befugnissen erteilte  "°*).     Die   Anzahl  der  zufällig  in  Worms  vor- 


vielleicht    adjektivisch    und  „macellum"  zu    ergänzen.     Die    Bäcker-  und  Schusterbänke 
sind  diesmal  als  ,,scamna"  von  den  ,,macella  camis"  imterschieden. 

601)  Boos,  Quellen  z.  Gesch.  d.  Stadt  Worms,  Bd.  I,  Nr.  58;  meine  Ur- 
kunden Nr.  253.  An  meinen  Ausführungen  über  diese  Urkunde,  Zeitschrift  für  Sozial- 
und  Wirtschaftsgeschichte,  Bd.  VII,  S.  355 — 364,  habe  ich  höchstens  das  C.  Koehnc 
<lafür  erteilte  Lob  einzuschränken,  daß  er  die  „piscatores"  der  Urkunde  als  „Fischhändler*' 
erkannt  habe.  Die  Worte  der  Urkunde,  „XXIII  piscatores  Wormatie  constituit",  können 
nur  heißen:  ,,ei  setzte  in  Worms  23  Fischer  ein"  —  mag  sie  im  übrigen  auch  vorzugsweise 
den  Fischhandel  r^eln.  Die  Fischerzunft  hat  eben  überall  das  Monopol  des  Fischhandels ; 
Fischer  und  Fischmenger  sind  deshalb  identisch,  aber  die  Bezeichnung  Fischer  wiegt  gemäß 
ihrer  eigentümlichsten  Tätigkeit  vor.  Fische  fangen  dürfen  indes  unter  Umständen  auch 
andere,  zunächst  zum  eigenen  Verbrauch,  manchmal  aber  auch  zum  Verkauf  nach  der 
Formel  ,,vendere  quae  sibi  creverint"  (Straßburger  Stadtrecht,  §  52)  oder,  mit  den 
üblichen  Beschiänkungen,  Fremde.  So  kann  auch  die  Wormser  Urkunde  nur  ver- 
standen werden,  deren  Verbot  sich  gegen  das  „emisse  causa  venditionis"  und  gegen 
das  ,,emere"  von  Seiten  der  Fischer  „ante  primam"  richtet,  das  bei  ihnen  ebenfalls  niu- 
ein  Kaufen  zum  Wiederverkauf  sein  kann.  Dies  ist  das  Kennzeichen  des  Fischhandels, 
den  in  dieser  Form  aber  auch  die  Fiscberzunft  vor  der  Prime  nicht  ausüben,  die  so- 
lange auch  nur  selbstgefangene  Fische  verkaufen  darf.  Das  ganze  ist  wieder  ein  Beleg 
dafür,  daß  die  Zunftordnung  in  erster  Linie  auf  die  merkantile  Seite  des  Gewerbes 
geht.  —  Zu  vergleichen  sind  z.  B.  die  Rollen  der  Lüneburger  Fischer-Fisch- 
menger  bei  Bodemann,  S.  64 ff.  Besonders  bezeichnend  ist  S.  65  §  3:  „Unde  efl 
hir  fremde  vischere  quemen  mit  vischen,  den  schall  nemand  van  unsen  vischeren  afkopen 
uppe  vorkop,  noch  hire  in  de  stad  noch  buten,  eft  se  na  Luneborg  varen  wolden". 
Ferner  für  Lübeck,  Wehrmann,  a.  a.  O.  S.  477  ff.  Einer  Trennung  der  beiden 
Gewerbe  entgegen  tritt  hier  S.  477  §  3:  „nen  borger  noch  nen  gast  mot  des  andeien 
Nyske  vorkopen ;  mer  dejenne  de  se  in  unse  Stadt  brjnget,  de  schal  se  sulven  vorkopen". 
Dazu  Lüneburg  S.  65  §  2,  §  3.  Bezeichnend  ist  in  der  Hamburger  Rolle 
Rüdiger,  S.  60 ff.)  S.  61  §  7:  ,,Welk  man  en  sulveshere  is  in  deme  ammethe,  de 
mach  wol  hebben  twe  schepe  ghande  uppe  kopenschop".  Und  S.  62  §  12:  „Welk 
man   ut  deme  ammete  vische  vanghet  edder  koft  edder  kopen  let"  u.  s.  w.     Eine  Zeit- 


238  Abschließende  Tendenzen. 

handenen  Fischer  wird  der  Grund  der  P"ixierung  auf  gerade  23 
gewesen  sein,  wie  in  Mainz  der  verfügbare  Raum  für  die  An- 
setzung  von  gerade  48  legitimen  Tuchgaden.  Daß  aber  die  Zahl 
der  Fischer  und  Fischhändler  überhaupt  festgelegt  wurde,  hängt 
ohne  Frage  mit  den  ihnen  über  den  Bezirk  der  Stadt  und  Rhein- 
ufer erteilten  Polizeibefugnissen  zusammen,  —  derselbe  Grund 
der  anzunehmen  ist  für  die  —  vielleicht  auch  nur  erneute  — 
Festsetzung  der  Zahl  der  Weinschröter  in  Würzburg  am  28. 
Oktober   1250  auf  24  ^"^^ 

Bei  gewissen  Gewerben,  wie  diesem  weitverbreiteten  der 
Weinschröter,  dem  der  „Kisten sitzer"  in  Köln,  der  Unter- 
käufer tritt  der  öffentlich-rechtliche,  der  Amtscharakter  auch 
für  unsere  Anschauungsweise  greifbar  hervor.  In  der  Tat  würden 
ihre  Funktionen  zum  Teil  heutzutage  überhaupt  nicht  privaten 
Unternehmern,  sondern  wirklichen  öffentlichen  Beamten  übertragen 
werden.  Da  erscheint  denn  die  Festlegung  ihrer  Zahl  auch  uns 
verständlich.  Nach  dem  alten  Wirtschaftsystem  der  Markt- 
ordnung, den  mit  ihr  verwachsenen  Anschauungen,  nach  denen 
alle  Berufe  in  gleicher  Weise  als  öffentliche  Aemter  galten,  aber 
gab  es  zwischen  ihnen  und  den  übrigen  Gewerben  in  diesem 
Punkte  im  Grunde  keinen  Unterschied. 

Das  Bewußtsein,  daß  man  ein  Amt  im  Namen  des  allge- 
meinen besten  bekleidete,  hat  freilich  erst  später  eine  Rolle  ge- 
spielt. Aber  als  Beamte  fühlten  sich,  wie  schon  ausgeführt,  die 
Handwerker  doch,  und  als  Beamte  scheint  sie  auch  der  Stadtherr 
gerade  in  der  Frühzeit  betrachtet  zu  haben,  und  zwar  im  Sinne 
der  Marktverwaltung.  Eben  diejenigen  Handwerker,  denen  einst 
bei  der  ersten  bischöflichen  Markteinrichtung  in  einer  Stadt  die 
erste  Budenreihe  für  Waren  ihres  Gewerbes  zugewiesen  worden 
war,   lange   ehe   die  große  Einwanderung  begann,  und  die  dafür 


grenze  für  den  Anfang  des  Kaufes  zum  Wiederverkaufe  kennt  Lübeck,  S.  477  §  4. 
Fischfang  zum  Selbstverbrauch  wird  Bürgern  erlaubt,  Hamburg  S.  61  §  8.  Endlich 
mag  noch  die  Trierer  Fischerordnung  von  vielleicht  1323  (Lacomblet,  Archiv, 
Bd.  I,  S.  388)  §  6  herangezogen  werden.  —  Das  Hamburger  Fischeramt  erscheint 
auch  bereits  1375  auf  50  Personen  beschränkt  (Rüdiger,  S.  61  §  3):  immerhin  be- 
trächtlich vor  der  Zeit,  wo  der  Zunftschluß  aus  Nahrungsmangel  an  der  Tagesord- 
nung ist. 

602)  Lorenz  Fries,  Historie  der  gewesenen  Bischoffen  zu  Wirtzburg  (Ausgabe 
von  J.  P.  Lud  ewig,  Geschichtschreiber  von  dem  Bischof  fthum  Wirtzburg,  Frankfurt 
17 13),  S.  565  f.,  im  Auszug.  Die  Besetzung  der  erledigten  Stellen  wurde  dem  Dom- 
kustos zugewiesen.     Vgl.  oben  Anm.  397. 


Die  Kürschner  in  Stralihurj;.  23O 

gewisse  Dienstleistungen  aus  dem  Bereiche  ihres  Gewerbes  zu 
übernehmen  hatten :  sie  erschienen  als  recht  eigentliche  stadtherr- 
liche Beamte  und  waren  stolz  auf  diesen  Titel,  auch  später  noch 
gegenüber  der  Masse  der  plebeischen  Zuwanderer  vom  Lande^ 
die  dasselbe  Gewerbe  ergriffen  und  mit  denen  sie  es  sich  ge- 
fallen lassen  mußten,  in  demselben  Marktamte  zusammengefaßt 
zu  werden. 

Das  gäbe  also  eine  Erklärung  für  die 
duodecim  officiati  inter  pellifices, 
wie  sich  die  zwölf,  mit  besonderen  Verpflichtungen  gegen  den 
Bischof  belasteten  Kürschner  in  Straßburg  noch  1240  nannten, 
wobei  sie  mehrere  Ratsherren  unter  sich  zählten ''*^-^).  Hier  wären 
die  sieben  Kammerherren  unter  den  Kürschnern  und  den 
Schustern  in  Trier,  wo  Titel  und  Amt  ja  noch  das  14.  und 
15.  Jahrhundert  hindurch  geführt  wurden.  Hier  die  acht  Schuster 
und  vier  Handschuhmacher  von  Straßburg*^^^j.  Freilich  ist 
es  nur  eine  Hypothese.  Aber  am  Ende  eine,  die  sich  wohl  hören 
lassen  kann,  nachdem  die  alte  Theorie  durch  den  Nachweis  ein 
für  allemal  hinfällig  geworden  ist,  daß  schon  im  Anfange  des 
12.  Jahrhunderts  allgemein  ein  scharfer  Strich  gezogen  war 
zwischen  den  Arbeitern,  die  nur  ihren  Herren  dienten,  also  nicht 
dem  Publikum  und  nicht  dem  Kaiser,  und  denen,  die  die  öffent- 
lichen Lasten  trugen,  weil  sie  certi  et  publici  mercatores  waren  *^*'5). 

Eben  weil  diese  Handwerker  ohnehin  als  öffentliche  Beamte 
galten,  konnten  ihnen  auch  nach  unserer  Anschauung  öffentliche 
Befugnisse  ohne  weiteres  übertragen  werden,  wie  das  Schiffs- 
zöllneramt in  Worms,  das  Heimburger-  und  das  Schenkenamt 
den  Webern  in  Mainz,  das  Büttelamt  den  Webern  m  Worms, 
das  Gefangen  Wärteramt  den  Wurstmachern  in  Augsburg*^**^),^ 
poUzeiliche  Funktionen,  die  mit  dem  eigenen  Gewerbe  unmittelbar 
zusammenhängen  jenen  Fischern  in  Worms  und  später  den 
Zünften    überhaupt.      So    wurden    auch    zehn    von   jenen   Würz- 

603)  Vgl.  oben  S.   165  und  Anm.  436. 

604)  Vgl.  das  V.  Kapitel. 

^05)  ^'iX-  ob^n  Kapitel  IV.  —  Nicht  um  städtische  Handwerker,  sondern  um 
bloße  Hofbedienstete,  die  zu  der  Burg  gehören,  handelt  es  sich  anscheinend  in  der 
Urkunde  Bischof  Conrads  H.  von  Hildesheim  vom  3.  Juli  1235,  Doebner  Urk.- 
Buch  der  Stadt  Hildesheim  I  Nr.  136:  „advocatiam  urbis  in  dvitate  Hyldensemensi 
cum  novem  officiis,  videlicet  duobus  officiis  loture  et  IUI  officiis  braxatorum  et  lapicide 
et  pistoris  VI»«  ferie  et  camere  nostre,  que  thesauraria  camera  dicitur". 

606)  Vgl.  oben  Anm.  456. 


240 


Abschließende  Tendenzen. 


burg-er  Wein  Schrötern  insbesondere  mit  dem  Läuten  der  Dom- 
glocken, der  I'euervvache  und  Reinigung  des  Domes  betraut. 

Kein  Zeugnis  aber  beleuchtet  entfernt  so  die  Art,  wie  die 
ursprünglich  durch  nichts  als  örtliche,  topographische  Umstände 
verursachte  Beschränkung  nachwirkte,  auch  nachdem  der  lokale 
Rahmen  durch  eine  unvermeidliche  Zunahme  der  Gewerbemit- 
glieder  gesprengt  war,  wie  die  Urkunde  über  die  Streitigkeiten  der 
Cordovaner,  Gademer  und  Schreiner  in  Regensburg  vom 
Jahre  1244  mit  den  Schuhfiickern '^<'').  Die  an  erster  Stelle  ge- 
nannten drei  Gewerbe,  sowie  sämtliche  Schuhmacher  der  .Stadt, 
^einerlei  wo  sie  sitzen ,  die  neue  Schuhe  machen ,  werden  be- 
zeichnet als 

ius  trium  stratarum  videlicet  Chudruwanorum,  Gademaer 
et  Schrienaer  habentes. 

Diese  drei  Gewerbe  haben  also  ursprünglich  drei  Markt- 
straßen ausschließlich  inne  gehabt.  Aber  sie  haben  sich  jetzt  über 
die  Stadt  verbreitet,  wenn  das  auch  nur  v^on  den  Schustern,  für 
die  die  Urkunde  eigentlich  ausgestellt  ist,  ausdrücklich  erwähnt 
wird.  Umgekehrt  nehmen  alle  ihre  Gewerbsgenossen  in  der  ganzen 
Stadt  an  dem  ursprünglich  auf  dem  Wohnsitz  in  einer  der  drei 
Straßen  beruhenden  Rechte  teil.  Dieses  Recht  bleibt  als  Grund- 
lage ihrer  Verbindung,  wenn  auch  die  Gleichheit  des  Gewerbes 
das  Band  ist,  das  sie  persönlich  zusammenhält.  Nach  wie  vor 
aber  findet  jenes  Recht  seinen  Ausdruck  darin,  daß  sie,  d.  h.  zu- 
nächst   also  die  Schuster,    ihre  Waren  an  ihren  Werkstätten  und 


607)  Nach  M.  V.  Freyberg,  Sammlung  histor.  Schriften  ii.  Urkunden,  Bd.  V 
S.  91  ff.  (Stuttgart  1836)  abgedruckt  und  dadurch  wie  manche  andere  seltenere  Urkunde 
in  dankenswerter  Weise  zugänglicher  gemacht  durch  Eberstadt,  Magisterium,  S.  237, 
unter  der  Formel:  , .Privileg  ohne  Innungsklausel  mit  lediglich  territorialer  Abgrenzung". 
Vgl.  übrigens  auch  Gengier,  Beiträge  zur  Rechtsgeschichte  Baierns,  Bd.  III,  S.  48. 
—  Leider  scheint  die  Urkunde  sehr  schlecht  überliefert.  Es  ist  z.  B.  klar,  daß  es 
„eo  loco  quo"  (nicht  „quod")  heißen  muß,  ferner  daß  die  Worte  „presentibus  eisdem 
sutoribus"  vor  „sollempnius"  gehören.  Der  Hauptfehler  aber  ist  das  zwischen 
„Schrienaer"  und  „habentes"  eingeschobene  „non",  das  nicht  nur  den  rechten  Sinn  in 
sein  Gegenteil  verkehrt,  sondern,  was  zu  der  Verbesserung  das  Recht  gibt,  die  ganze 
Stelle  unverständlich  macht.  Die  deutsche  Neuausfertigung  vom  Jahre  13 15  (abge- 
druckt bei  Gengier,  a.  a.  O.  S.  49  f.  und  Freyberg,  S.  89  ff.)  läßt  glücklicher- 
weise über  den  Inhalt  keinen  Zweifel.  Die  Mangelhaftigkeit  im  Ausdruck  der  latei- 
nischen Urkunde  gegenüber  der  deutschen  enthüllt  sich  in  den  weiter  im  Text  zitierten 
Stellen.  —  Was  das  Wort  „gademer"  betrifft,  so  erklärt  Gengier  es  ais  Zimmer" 
leute,  darin  Seh  melier,  Bayer.  Wörterbuch,  folgend,  der  aber  auch  nur  diese  Stelle 
.zu  kennen  scheint. 


Das  „Recht  der  drei  Slralien'*.  24  1 

nur   dort    verkaufen   dürfen.     Im  Gegensatz   zu   ihnen   haben   die 
Altschuster  das  Recht,  ihr  Werk 

ad  forum  vel  quocumque  vellent  deferrent  locorum. 
Die  relative  Bedeutung  der  beiden  Handwerke  spricht  sich 
darin  aus,  daß  die  Neuschuster  den  Kämmerern  des  Burggrafen 
und  des  bischöflichen  Vogtes  dreimal  im  Jahre  eine  „Losung" 
von  12  d.  zu  zahlen  haben,  die  Altschuster  dagegen  nur  dreimal 
I  d.  Ferner  haben  die  Chudruwaner ,  Gademer  und  Schreiner 
einen  Meister  aus  ihrer  Zahl,  der  die  Losung  einsammelt,  die  Ge- 
werbekontrolle ausübt  und  Exzedenten  durch  den  öffentlichen 
Fronboten  vor  den  Richter,  dem  er  zugehört,  d.  h.  entweder  den 
herzoglichen  oder  den  bischöflichen,  fordern  läßt. 

Dasselbe  Recht  wurde  noch  13 15  durch  eine  deutsche  Ur- 
kunde neu  bestätigt,  ihrem  Inhalt  nach  eine  Uebersetzung  der 
lateinischen  von   1244,  durch  die  wir  aber  erfahren,  daß  das 

ex  se  magistrum  habere  debere 
bedeutet 

deu  gewalt,  daz  si  gemeiniglich  auz  in  einen  meister  nemen 
schullen, 
und  die  femer  die  Worte 

eundem  magistrum  falsos  operarios  et  transgressores  iuris 
pretacti  ad  suuni  quo  spectarent   per  legitimum    nuntium 
accusare  debere 
ohne  Frage  richtig  auslegt : 

Ez   schol  auch  derselb  ir   meister  al  den   gebresten    und 
al  den  valsch,  der  under  in  uferstet,  suchen  und  pezzern 
nach   seiner   genozzen    rat;   und   swer   under   in    dez    nit 
wolde  undertänig  seyn,  so  schol  ir  meister  mit  des  richters 
fronboten  u.  s.  w. 
Die   Urkunde   ist   einzig   in    ihrer  Art,  aber  zweAellos   von  weit- 
reichender   Bedeutung.      Und    nur   als  an    eine   entfernt   analoge 
Erscheinung,  insofern  auch  da  sich  an  die  Inhaberschaft  von  be- 
stimmten   Marktstellen    gewisse  Vorrechte  knüpfen,   sei    noch   an 
die  Verpflichtung  der  Freiburger  Ratherren,  je  eine  Bude  unter 
den  alten  I^uben  der  Stadt  zu  besitzen,  erinnert ''"ä). 

Alle  diese  Urkunden  interessieren  uns  zunächst  nur,  inso- 
fern sie  die  Entstehung  des  Zunftwesens  beleuchten  helfen:  die 
Stellung    der    Handwerker    innerhalb    des    städtischen    Gesamt- 


608)  V^gL  oben  S.   146. 
Keiitgen,  Apmier  uii<]  ZQnftf.  ItJ 


2A.2  Abschließende  Tendenzen. 

Organismus  in  der  Frühzeit,  das  Verhalten  der  Stadtobrigkeit,  die 
enge  Verknüpfung  mit  der  Marktorganisation  bis  auf  die  Ein- 
richtungen topographischer  und  baulicher  Art  hinab.  Indes 
bieten  sie  in  ihren  Beschränkungen  der  Mitgliederzahl  gewisser 
Verbände  auch  Ansatzpunkte  für  die  späteren  mit  dem  Verfall 
angeordneten  Schließungen  oder  Sperrungen  der  Zünfte,  in  ähn- 
licher Weise,  wie  es  die  Herstellung  von  organisierten  Hand- 
werkergruppen für  die  Zünfte  selbst  getan  hat.  Denn  alles 
geschichtlich  Werdende  knüpft  an  Gegebenes  an,  so  sehr 
dieses  auch  seinem  innersten  Wesen  nach  jenem  häufig  fremd 
sein  mag. 

Von  noch  größerer  Bedeutung  für  das  Verständnis  der 
Zünfte  überhaupt,  insbesondere  ihre  Stellung  zur  ausgebildeten 
Stadtwirtschaft,  sind  vielleicht  die  Betrachtungen,  die  uns  zum 
Schluß  beschäftigen  sollen. 

Die  autonomistischen  Bestrebungen  der  Handwerker  waren 
von  Hause  aus,  wie  wir  zum  Teil  schon  zu  beobachten  Gelegen- 
heit gehabt  haben,  in  ihren  Zielen  mit  denen  der  Obrigkeit 
keineswegs  in  allen  Punkten  identisch.  Wenn  das  bei  dem  Aus- 
maß der  Autonomie,  der  Höhe  der  Abgaben  auf  der  Hand 
liegt,  so  kommen  doch  noch  andere  Dinge  ins  Spiel,  die  den 
Kern  der  ganzen  Frage  weit  näher  berühren.  Im  weitesten 
Sinne  handelt  es  sich  um  den  Widerstreit  zwischen  den  An- 
sprüchen der  Einzelnen  und  denen  der  Gesamtheit:  alle  die  Ein- 
richtungen, die  auf  den  Schutz  des  Publikums,  die  Sicherung 
der  Güte  der  Waren  und  ähnliches  abzielen,  die  eine  ganze  Seite 
des  Zunftwesens,  die  Hälfte  seines  Daseinszweckes  ausmachen, 
können  nicht  in  den  angestammten  Absichten  der  Handwerker 
selbst  gelegen  haben. 

Ich  machte  schon  darauf  aufmerksam,  daß  man  von  der 
Mitwirkung  der  im  Gewerbegericht  unter  dem  marktherrlichen 
Beamten  versammelten  Handwerker,  zumal  einer  captiösen  Recht- 
sprechung gegenüber,  eine  ebenso  einseitige  Vertretung  der 
Interessen  der  Gewerbegenossen  hätte  erwarten  sollen ;  und  wie 
nur  die  Eifersucht  unter  ihnen  es  gewesen  ist,  die  das  Verfahren 
praktikabel  erhielt  und  es  schließlich  sogar  möglich  gemacht  hat, 
die  Ausübung  der  Gewerbekontrolle  ihren  Verbänden  selbst  in 
der  Hauptsache  zu  überantworten.  Gegenseitige  Eifersucht  auf 
der  einen,  offensichtliche  Interessengemeinschaft  auf  der  anderen 


Motive  der  Handwerker. 


^43 


Seite  wirkten  hier  zur  Hervorbringung  eines  im  ganzen  gedeih- 
lichen Zustandes  zusammen. 

Aber  man  fragt  sich  doch:  wie  kam  es,  nachdem  einmal  — 
nicht  zum  geringsten  Teile  dank  dem  von  oben  ausgeübten 
Drucke  —  ein  engerer,  seiner  gemeinschaftlichen  Interessen  v'oll 
bewußter  Verband  hergestellt  war,  daß  da  das  Ergebnis  gemein- 
samer Verabredung  nicht  die  um  so  sicherer  betriebene  Aus- 
beutung des  Publikums  war,  oder  etwas  in  der  Art  eines  modernen 
Ringes  oder  Trusts? 

Es  ist  falsch,  zu  glauben,  daß  die  gewerblichen  Arbeiter  des 
Mittelalters  den  kanonischen  Satz  vom  „pretium  iustum"  sämtlich 
mit  der  Muttermilch  eingesogen  hätten,  so  daß  sie  mit  Ausnahme 
einiger  schlechter  Kerle  gar  nicht  mehr  dagegen  hätten  verstoßen 
können.  Sie  waren  vielmehr,  wie  ihre  übrigen  Zeitgenossen, 
Kraftmenschen,  die  sich  durch  ihre  natürlichen  Triebe  ebenso 
sehr  hinreißen  ließen,  gegen  die  von  ihnen  wenn  auch  gläubiger 
angehörten  Lehren  der  Kirche  zu  verstoßen,  wie  ihre  mehr  skep- 
tischen Nachkommen. 

Man  hat  sich  gar  zu  sehr  täuschen  lassen  durch  den  Geist 
der  zahllosen  und  so  wohlbekannten  Vorschriften,  durch  die  in 
den  Zunftrollen  einem  unlauteren  oder  auch  einem  nach  unseren 
Begriffen  unanfechtbaren  Wettbewerb  hat  entgegengetreten  werden 
sollen,  wodurch  so  sehr  der  Eindruck  einer  eingefleischten  Bieder- 
keit erweckt  worden  ist. 

Man  hat  nicht  beachtet,  daß  jene  Vorschriften  sich  nicht 
immer  und  immer  wiederholen  würden,  wenn  das  Uebel, 
das  sie  bekämpften,  nicht  ein  schweres  und  unausrottbares  ge- 
wesen wäre.  Gegenteilige  Zeugnisse  hat  man  nicht  als  .Symptome 
eines  allgemeinen  Zustandes,  sondern  als  Ausnahmen  hingenom- 
men. Auch  hier  wirkt  die  alte,  romantische  Auffassung  des 
„Mittelalters"  nach. 

Und  doch  reden  die  Urkunden  überall  eine  hinreichend 
deutliche  Sprache,  und  man  hätte  weit  mehr  Anlaß  zu  staunen, 
wie  raffiniert  bereits  die  Schädigung  der  Mitmenschen  systematisch 
betrieben  wurde. 

Aus  der  Handelsgeschichte  ist  der  ausgedehnte  Betrug  in 
den  Xahrungsmittelge werben  wohl  bekannt,  von  der  Kunst,  alte 
und  kleine  Heringe  in  die  Mitte  der  Tonnen  zu  packen*®*)  bis 
zur  Fälschung  des  Weines  durch 

609)   Vgl.  meine  Beziehungen    der  Hanse  zu  England,  S.  42. 

16« 


244 


Abschließende  Tendenzen. 


arzen  mit  kalke  oder  mit  eygerklor 
oder  Mischung  des  guten  mit  faulem  Wein  *'"*). 

In  der  Weberei  brachte  man  es  fertig,  fremde  Stoffe,  wie 
Werg  und  Haare  verschiedenster  Tiere  der  Wolle  beizumengen. 
Der  scheinbar  so  moderne  Begriff  des  „Shoddy,"  des  aus  von 
zerzupften  Lumpen  gewonnener  Wolle  gewebten  Tuches  wäre 
also  nicht  so  ganz  unerhört  gewesen  •'^^). 

Aber  auch  untereinander  mißhandelten  die  fromm  vereinten 
„Brüder"  sich  durch  unschönes  Abspannen  der  Gesellen  und 
Wegmieten  der  Häuser  ^^2). 

Das  eigentlich  Wesentliche  jedoch  sind  nicht  diese  und 
ähnliche  Ausschreitungen  der  Individuen,  so  sehr  sie  nach  der 
Regelmäßigkeit  der  Verbote  an  der  Tagesordnung  gewesen  sein 
müssen ;  sondern  vielmehr  die  unbegrenzte  Rücksichtslosigkeit, 
mit  der  ganze  Handwerkerverbände  ihre  Stellung  nicht  nur 
gegen  Konkurrenten,  sondern  zum  schweren  Schaden  der  Oeffent- 
lichkeit  ausnutzten,  und  das  offenbar  in  voller  Ueberzeugung  ihres 
Rechtes.  Wir  sehen  das  aus  den  Auflösungsgeboten,  mit  denen 
der  Rat  die  Innungen  namentlich  der  Fleischer  und  Bäcker 
in  einer  ganzen  Reihe  von  Städten  heimzusuchen  sich  veranlaßt 
gesehen  hat'''^).  Würzburger  Vorgänge  des  Jahres  1279 
zeigen,  daß  auch  andere  Gewerbe  nicht  fleckenlos  dastehen. 


610)  Meine  Urkunden  Nr.  340  und  Nr,  341,   14.  Jahrhundert. 

6 1 1 )  Tucherordnung  für  Speyer  von  etwa  1280  §  9:  Hilgard,  Urkunden 
Nr.  199  und  S.  505;  meine  Urkunden  Nr.  278.  Während  die  Verwendung  der 
Haare  gänzlich  verboten  wird,  dürfen  an  Werg  auf  ein  42  Pfund  wiegendes  Stück 
,,pheit"-Tuch  drei  Pfund  genommen  werden  (§  i).  Die  Marktordnung  von  Lands- 
hut von  1256  kennt  Tuch  aus  Werg  (rupfein),  von  dem  drei  Ellen  für  i  d.  gegeben 
werden  müssen,  während  von  dem  besten  grauen  Tuch  eine  Elle  10  d.,  also  das 
Dreißigfache  kostet:  meine  Urkunden  Nr.  231  §  22,  §  2.  ^ —  Vgl.  noch  z.  B.  oben 
S.  209  das  „mullipliciter*'  bei  den  Magdeburger  Schwertfegern,  das  ,,multo- 
ciens''  bei  den  Stendaler  Leinwebern,  das  ,,cogi"  bei  den  Halberstädter  Filz- 
machern. 

612)  Den  Knecht  z.  B.  bei  den  Basler  „Marienbrüderschaften"  der  Kürsch- 
ner 1226,  der  Bauarbeiter  1248,  Knecht  und  Haus  bei  den  Fleischern  1248. 
Meine  Urkunden  Nr.  271   §  3,  Nr.  272  §  2,  Nr.  273  §  3. 

613)  In  Köln  die  Brüderschaft  der  Fleischer  1348:  vgl.  oben  S.  205.  Der 
Rat  wollte  das  Fleisch  gewesen  haben,  was  die  Fleischer  ablehnten.  —  In  Erfurt 
löste  der  Rat  im  Einvernehmen  mit  dem  Erzbischof  1264  die  , .Innungen"  der 
Fleischer  und  Bäcker  auf,  was  zur  Folge  hatte,  daß  jeder  Einheimische  wie  Fremde 
sein  Fleisch  und  Biot'nach  Erlegung  des  Zolles  frei  verkaufen  konnte  und  dabei  wie 
jeder  andere  Bürger   dem  Gerichte   des  Schullheilkn    unterworfen    war.     Zu  Ausübung 


Aufhebung;  excedierender  Zünfte.  245 

Da  dir  l.^rkuiiden  von  erheblichem  Interesse  sind,  sei  es 
gestattet,  dabei  zu  verweilen. 

Am  II.  August  1279  hob  Bischof  Berthold  von  Würzburg 
auf  das  Geschrei  aller  Klassen  der  Einwohnerschaft  hin  '•'^)  sämt- 
liche Zünfte  der  Stadt '^•^)  als  schädhch  auf^^^),  besonders  da  sie 
id  efficiant,  ne  rerum  commertia  in  predicta  nostra  civi- 
tate  libere  valeant  exerceri. 

Zwei  Tage  nach  dem  Zeitpunkt,  an  dem  die  Verordnung 
in  Kraft  treten  sollte,  am  2.  Dezember  desselben  Jahres,  ließ  er 
sie  freilich  wieder  zu  —  aus  Dankbarkeit  für  geleistete  Kriegs^ 
dienste,  aber  unter  Beschränkungen,  die  uns  belehren,  worin  ihre 
Uebergriffe  eigentlich  bestanden  hatten  ^^^). 

Allgemein  hatten  die  Zünfte  ihre  Gerichtsbarkeit  über- 
schritten und  sie  auf  Prozesse  über  Schulden  ihrer  Mitglieder 
gegenüber  Fremden  und  selbst  auf  Kriminalsachen  ausge- 
dehnt ^i«). 

Was  aber  ihr  Verhalten  im  Gewerbsleben  betrifft,  so  hatten 
die  Bäcker  nicht  täglich  fnsch  gebacken  ^^^),  die  Roggenbäcker 
nicht  bloß  im  Brothause  verkauft  ^2^)  und  dort  statt  der  allein 
zulässigen  Tische  verschlossene  Kisten  eingerichtet  ^^^),  in  denen 
sie  vermutlich  das    nichtverkaufte    aufheben    wollten,    um    es    am 


der  Polizei  aber  schwur  der  Rat  fürder  jährlich  zwei  Fleischer  und  zwei  Bäcker  ein. 
Eine  Entschädigung  des  Erzbischofs  für  die  bisherigen  Einkünfte  aus  der  Innung  über- 
nahm die  Stadt.  Beyer,  Urkundenbuch  der  Stadt  Erfurt,  Bd.  I  (Gqu.  der  Prov. 
Sachsen,  Bd.  XXIII)  Nr.   185;  meine  Urkunden  Nr.  291. 

614)  „Clamor  validus  ....  ex  parte  prelatorum,  cleri  et  populi  civitatis".  Mon. 
Boica,  Bd.  XXX VU  Nr.  433. 

615)  „Societates,    corpora    sive    collegia  civitatis que   \TiIgariter  zumpfte 

nuncupantur." 

616)  „Quod  per  societates  ....  non  solum  clericis,  laids  et  toti  populo,  verum 
etiam  divitibus  pauperibus  et  omnibus  dictam  dvitatem  nostrara  frequentantibus,  dis- 
pendia,  incomoda  et  gravamina  generantur." 

617)  A.  a.  O.  Nr.  435. 

618)  ,.Omnes  societates  pro  omnibus  debitis  in  quibus  fuerint  obligati  cuicunque 
persone,  que  fuerit  extra  ipsorum  societatem,  necnon  pro  vulneribus  et  omnibus  ex- 
cessibus  qui  vrevele  nuncupantur,  iuri  Stent  et  pareant  coram  iudicibus  nostris  Herbi- 
polensibus." 

619)  „Similatores  et  alii  pistores  singulis  diebus  non  feriatis  pistent,  quod  recens 
panis  albus  et  niger  ab  omnibus  qui  habere  voluerint  inveniatur." 

620)  „Pistores  qui  rockener  dicuntiu'  panem  suum  in  domo-  panis  tantum 
vendant." 

621)  „Ne  aliquas  dstis  vel  alias  clausiuas  habeant  in  ipsa  domo,  sed  tantum- 
modo  scamna  sua  habeant,  in  quibus  panem  suum  vendant." 


246  Abschließende  Tendenzen. 

folgenden  Tage  noch  alt  an  den  Mann  zu  bringen  *^^'^).  Ferner 
hatten  sie  die  fremden  Bäcker  in  ihrem  Recht  gekränkt,  dreimal 
die  Woche  von  früh  bis  spät  mit  Weiß-  und  Schwarzbrot  zu 
Verkauf  zu  stehen  "^s). 

Ebenso  hatten  es  die  städtischen  mit  den  fremden  Fleischern 
gemacht,  die,  wie  die  Würzburger  selbst,  ihre  altgewohnte  Ver- 
kaufstätte in  der  Stadt  besaßen  *''2i).  Ihnen  das  Fleisch  zum 
Wiederverkauf  abzukaufen,  wurde  den  Würzburger  Fleischern 
verboten,  wie  auch  der  Einkauf  von  mehr  Vieh,  als  der  einzelne 
bezahlen  konnte,  und  jede  Vorbeschlagnahme  von  Vieh  durch 
irgend  welche  Künste  und  Behinderung  der  fremden  Händler. 

Die  Zimmerleute  sollten  niemand  hindern  dürfen,  an 
seinem  Bau  einen  fremden  Zimmermann  zu  beschäftigen. 

Die  Schmiede  mußten  zugeben,  daß  jeder  seine  Pferde 
beschlagen  und  sonst  besorgen  ließe,  wo  und  wie  er  wollte,  auch 
wenn  er  einem  von  ihnen  verschuldet  war. 

Die  zünftigen  Eierhändler  sollten  Eier,  Hühner,  Wild  und 
Käse  von  ihren  fremden  Kollegen  erst  mittags  und  nur  auf  dem 
öffentlichen  Markte  kaufen  und  vor  allem  nicht  in  der  Um- 
gegend der  Stadt.  Den  fremden  dagegen ,  den  „Reflfträgern" 
ist  die  „Hofstatt"  als  Verkaufsplatz  von  alters  zugewiesen. 

Auch  die  Fischer  sollen  an  Festtagen  vor  Mittag  keinem 
Fremden  Fische  abkaufen. 

Besonders  merkwürdig  aber  ist  die  Bestimmung,  daß,  wenn 
ein  Schuhmacher  bessere  Schuhe  zu  machen  verstehe  als  ein 
anderer  in  der  Zunft,  er  nicht  deshalb  seinen  Genossen  zu  irgend- 
welchen Diensten  verpflichtet  sein  solle. 

Endlich  werden  noch  die  Beitrittsbedingungen  geregelt. 

Die  Ratleute  sind  es,  auf  deren  Bitten  der  Bischof  die 
Zünfte  so  wieder  zuläßt;  doch  scheint  ihr  Fortbestand  auch  seinem 
eigenen  Wunsche  entsprochen  zu  haben.  Denn  in  der  ersten 
Urkunde  verpflichtet  er  sich,  sie  vom  30.  November  ab  aufzu- 


622)  ,,Ut  cistas  et  alias  clausuras,  si  quas  iam  habent  in  predicla  domo,  destrii- 
ant  et  non   presumant  alias  edificare." 

623)  „Extranei  pistores,  qui  voluerint,  album  et  nigrum  panem  tribus  diebus 
in  qualibet  septimana  ducant  ad  civitatem  Herbipolensem  et  ibi  Stent,  si  voluerint, 
a  mane  usque  in  sero." 

624)  Es  genüge,  die  Bestimmungen  über  die  Bäcker  im  Wortlaut  angeführt 
zu  haben. 


Der  Ausgleich  der  Gegensätze.  2^J 

heben ''*5).  Es  wird  sich  dabei  zum  Teil  um  Einkünfte  gehandelt 
haben,  die  ihm  aus  Eintritts-  utid  Strafgeldern  zugeflossen  sein 
mögen.  Allein  sie  bildeten  auch  ein  unentbehrliches  Werkzeug 
seiner  städtischen  Marktordnung,  für  die  es  ganz  etwas  anderes 
bedeutete,  ob,  wie  in  Erfurt  zwei  oder  gleich  alle  Zünfte  aufge- 
hoben werden  sollten.  Deshalb  standen  hier  Stadtherr  und  Rat 
zusammen.  Nur  die  unverständige  Menge  hoher  und  niederer 
Kreise  wollte  das  Kind  mit  dem  Bade  ausgeschüttet  sehen. 
Jedoch  eine  Beschneidung  üppigster  Auswüchse  hatte  sich  immer- 
hin als  unabweisbar  gezeigt. 

Das  eben  ist  es,  was  ich  hervorheben  möchte.  Die  Ausge- 
staltung der  schönen  Harmonie  des  vollentwickelten  Zunftwesens 
hatte  des  Kampfes  widerstrebendster,  ei  genützigster  Mächte  bedurft: 
auch  hier  ist,  wie  so  vielfach  in  der  Geschichte,  die  Kraft  an 
der  Arbeit  gewesen,  die  stets  das  Böse  will  und  stets  das  Gute 
schafft. 

Die  Handwerker  waren  ihren  eigenen  Interessen  nachge- 
gangen, wo  nur  ihr  Wettbewerb  ihrem  Eigennutz  die  verderbliche 
Spitze  abbrechen  konnte.  In  ihren  Verbänden  jedoch  hatte  es 
den  Einzelnen  zuerst  zur  Besinnung  auf  das  Wohl  größerer  Ge- 
meinschaften geführt. 

Auch  die  Obrigkeit  hatte  mit  ihrer  Marktorganisation  ihre 
besonderen  Zwecke  verfolgt,  die  freilich  zugleich  für  eine  Ord- 
nung im  Sinne  des  allgemeinen  Besten  den  Grund  legte,  aber  in 
ihrer  schematischen  Art  für  eine  gedeihliche  Entwicklung  des 
Erwerbslebens  durchaus  nicht  genügte.  Die  Bestrebungen  der 
Handwerker  erst  trugen  das  nötige  Element  der  Freiheit  hinein, 
Bestrebungen  jedoch,  die,  völlig  sich  selbst  überlassen,  schlechthin 
zum  Chaos  geführt  haben  würden  "^e). 

Einen  Innern  Ausgleich  fanden  die  Gegensätze  erst,  als  der 
Rat  das  Heft  in  die  Hand  genommen  hatte.  Indem  die  städti- 
schen Behörden  die  Motive  der  Handwerker,  soweit  sie  mit  dem 

625)  A.  a.  O.  Nr.  433,  S.  508  (Aufschub  bis  Andreae):  „Quo  elapso  revo- 
cationem  huiusmodi  cum  effectu  promisimus  fide  data  ad  manus  .  .  prepositi  et  .  . 
decani  capituli  nostri  nomine  ipsius  capituli  et  per  presentes  promittimus  publicare  et 
quantum  possumus  dare  operam  efficacem,  ut  corpora  .  .  .  dissolvantur."  Vorher  noch 
„nos  et  nostros   successores  ad  hoc  ....  obligantes." 

626)  Schmollers  vielbesprochener  Satz,  „das  Zunftwesen  ist  nationalökonomisch 
überhaupt  nicht  zu  erklären"  (Straßburg  z,  Z.  der  Zunftkämpfe,  S.  8),  ist  unanfecht- 
bar, wenn  er,  wie  man  doch  annehmen  muH,  heißen  soll,  daß  das  Zunftwesen  nicht 
das  Ei^ebnis  eines  bloßen  Spieles  wirtschaftlicher  Kräfte  war. 


248  Abschließende  Tendenzen. 

öffentlichen  Interesse  vereinbar  waren,  sich  zu  eigen  machten, 
fand  die  Entwickelung  ihren  natürlichen  Abschluß. 

Der  Rat  war  es,  der  sich  die  Wahrnehmung  des  Lebcns- 
wohles  aller  Klassen  der  Bürger  in  gleicher  Weise  angelegen 
sein  ließ:  ganz  anders  als  der  beste,  doch  immer  neben  persön- 
lichen Interessen  mehr  von  hohlen  Theorien  geleitete  Bischof. 
Der  aus  den  erfahrensten  und  einsichtigsten  Bürgern  gewählte 
Rat  besaß  allein  das  wahre  Verständnis  für  das,  was  not  tat. 
Er  erst  war  durch  die  Natur  seines  Amtes  und  durch  seine 
eigene,  im  besten  Sinne  freie  Herkunft  in  der  Lage,  die  Voraus- 
setzungen dafür  zu  schaffen  und  zu  regulieren,  daß  die  Produzen- 
ten ihr  gleichmäßiges  Auskommen  hatten,  wie  daß  die  Konsu- 
menten an  Qualität,  Menge  und  Preis  befriedigende  Waren 
erhielten.  Er  ließ  ebensowenig  Preisdrückerei  wie  Preistreiberei 
zu,  noch  die  völlige  Aussperrung  von  Händlern  mit  Dingen, 
die  in  der  Stadt  nicht  oder  nicht  so  hergestellt  werden  keimten. 

Die  Bedeutung  der  Schöpferkraft  des  ersten  Gedankens 
dieses  Systems  der  Billigkeit  für  Alle  soll  dabei  nicht  verkannt 
sein.  Allein  ohne  den  rechten  Boden  vermag  der  Same  nichts. 
Da  aber  fragt  es  sich  noch,  ob  in  der  Tat  in  den  städtischen 
Körperschaften  die  kanonische  Lehre  es  gewesen  ist,  die  so 
treffliche  Früchte  getragen  hat;  oder  ob  es  nicht  im  Grunde 
vielmehr  das  ausgestaltetere  Weiterwirken  der  uralt  deutschen 
Gemeindefürsorge  war,  die  einst  nach  dem  Berichte  der  Römer 
jedem  der  Dorfgenossen  jährlich  sein  gleichgewürdigtes  Stück 
Ackerland  zugemessen  hatte. 

Endlich  jedoch  mußten  diese  Gedanken,  die  sie  durch  ihre 
frei  gesetzte  Obrigkeit  täglich  betätigen  sahen,  auch  bei  den 
Handwerkern  Eingang  finden.  Es  mußte  den  Einsichtigeren 
unter  ihnen  einleuchten,  daß  nur,  wenn  man  darin  den  Intentionen 
der  für  die  ganze  Stadt  besorgten  Herren  genau  entsprach,  den 
Zünften  die  eigene  Handhabung  der  Gewerbepolizei  und  alles 
dessen,  was  damit  zusammenhing,  überlassen  bleiben  konnte.  Ja, 
bald  auch,  daß  nur  bei  wahrer  Pflichterfüllung  gegen  die  Mit- 
bürg-er,  nur  bei  möglichster  Gleichmäßigkeit  in  der  Güte  der 
gelieferten  Arbeit  und  Ware  von  selten  aller  für  Genossen- 
schaften so  eigentümlicher  Art  wirklicher  Bestand  zu  erhoffen 
war.  Nun  auch  erst  schlug  in  den  Gemütern  die  Idee  Wurzel, 
daß  man  in  seiner  Arbeit  in  der  Tat  eines  Amtes  walte  zum 
öffentlichen  Besten.     Allein,    das    alles  war  nichts  Selbstverständ- 


Abschluli  der  Stadtwirtschaft. 


249 


liches:  man  muß  eben  auch  hier  stets  auf  die  lebendigen  Men- 
schen und  ihre  Motive  zurückgehen.  Dadurch  allein  wird  sonst 
Befremdliches  uns  verständlich:  denn  die  Menschen  waren  damals 
nicht  anders  als  heute. 

Daher  sehen  wir  denn,  daß  auch  in  der  Folge  der  Rat 
stets  die  Zügel  straff  halten  muß:  eine  Lockerung  läßt  sogleich 
die  eigensüchtigen  Triebe  von  neuem  die  Oberhand  gewinnen. 
Ja,  man  kann  es  recht  gut  verfolgen,  wie  nach  anfänglicher  Ueber- 
lassung  weitest  g^ehender  Autonomie  es  sich  später  nötig  zeigte, 
die  Ratsaufsicht  bei  den  einzelnen  Verbänden  neuerdings  zu 
verschärfen  ^*^). 

Ob  der  Rat  freilich  auf  die  Dauer,  eine  solche  Herrschaft 
auszuüben,  sich  in  der  Lage  befand,  das  war  in  der  einzelnen 
Stadt  reine  Machtfrage  *'**).  Auf  die  späteren  Zunftkämpfe  und 
ihre  Anlässe  einzugehen,  ist  hier  jedoch  nicht  der  Ort. 

Was  aber  die  Gegensätze  der  Entstehungszeit  betrifft,  so 
war  es,  wie  gesagt,  der  Rat,  unter  dessen  verständnisvoller 
Herrschaft  sie  zu  harmonischem  Abschluß  gelangten. 

Aber  —  dem  Rate  lag  nur  das  Wohl  seiner  Stadt  am 
Herzen:  das  Opfer  wurden  die  Fremden.  Hatte  einst,  nachdem 
dem  einheimischen  Gewerbe  zu  Liebe  mit  dem  älteren  Freihandels- 
system gebrochen  worden  war,  der  Erwerb  der  „Innung"  im 
Prinzip  den  Fremden  noch  die  ungehinderte  Beteiligung  an  dem 
städtischen  Verkehr  fürder  ermöglicht,  so  sollte  bald  —  wahr- 
scheinlich  schon    sehr   bald   —   die  Errichtung  der  „Innung"  für 

627)  Bezeichnend  ist,  wie  in  Hildesheim  den  vereinigten  Krämern, 
Harnischmachern,  Handschuhmachern  und  Riemenschneidern  bei  Ver- 
leihung der  Innung  am  27.  Mai  13 10  (vgl.  Anm.  629)  gestattet  wird,  sich  jährlich 
zwei  Aeltermänner,  ,,senatores",  zu  wählen,  während  bei  dem  gleichen  Anlaß  noch  in 
demselben  Jahre  den  Hut-  und  Filzmachern  und  am  16.  März  1328  selbst  den 
Kürschnern,  deren  Amt 

ab  antiquo  dignius  et  magis  gratum  aliis  officiis  habebatur, 
der  Rat  den  Aeltermann  jährlich  zu  setzen  sich  vorbehält  Do  ebner,  Urkundenbuch 
der  Stadt  Hildesheim,  Bd.  I,  Nr.  6t  2,  Nr.  617,  Nr.  786.  Auf  das  gröliere  oder  ge- 
ringere Ansehen  der  Zunft  also  kam  es  dabei  nicht  an.  —  Nachträglich  bemerke  ich 
zu  meiner  Vermutung  oben  S.  146,  daß  im  Jahre  1246  die  Stadt  Hildesheim  14  „hallos 
sutorias"  und  l'^  „hailas  ad  mercatorum  negocium  deputatas"  g^en  einen  Jahreszins 
von  28  s.  vom  Johannisstift  gekauft  hatte.  Doebner,  Nr.  195.  Das  macht  den 
Erwerb  auch  der  nach  der  Urkunde  von  I195  dem  Andreasstift  geschenkten  nur  um 
so  wahrscheinlicher. 

628)  Uebrigens  war  politische  Macht  der  Zünfte  im  ganzen  durchaus  nicht 
gleichbedeutend  mit  weiter  Autonomie  der  einzelnen  Verbände.  Vgl.  namentlich 
Fromm,  Frankfurts  Tex  tilge  werbe,  bes.  die  Tabelle  auf  S.  40. 


250 


Abschließende  Tendenzen. 


ein  Gewerbe  gerade  umgekehrt  den  Ausschluß  der  betroffenen 
Gäste  vom  Markte  der  Stadt  bedeuten.  Es  ist  nicht  uninteressant, 
wie  noch  im  Jahre  13 lo  in  Hildesheim  die  vereinigten  Krämer, 
Harnischmacher,  Handschuhmacherund  Riemen  Schneider 
sich  eben  zu  diesem  Zwecke  vom  Rate  die  Innung  verleihen 
lassen  *'2^).  Und  bei  den  nicht  so  ausführlich  motivierten  Ver- 
leihungen an  die  Hut-  und  Filzmacher  in  demselben  Jahre,  so- 
wie an  die  Kürschner  1328  muß  man  doch  wohl  annehmen,  daß 
die  Wirkung  dieselbe  gewesen  ist.  Bei  all  diesen  Gewerken  hatte 
also  in  Hildesheim  bis  in  das  14.  Jahrhundert  der  Markt  den 
Fremden  zum  Verkaufe  noch  völlig  offen  gestanden.  Man  sieht, 
wie  spät  im  Grunde  erst  das  Stadt  wirtschaftliche  System  zum  Ab- 
schluß gekommen  ist. 

Die  Aussperrung  der  Fremden  jedoch  war  der  erste  Schritt 
vom  Wege. 

Es  währte  nicht  mehr  lange,  bis  auch  im  Innern  der  Bürger- 
schaft die  abschließenden  Tendenzen  immer  mehr  die  Oberhand 
gewannen.  Nun  wurden  die  Aufnahmebedingungen  erschwert, 
die  Mitgliederzahl  der  Zünfte  eingeschränkt.  Es  war  der  Sieg 
des  Eigennutzes.  Es  war  mehr:  es  war  der  Abfall  von  dem 
Prinzip,  dem  die  Zunft  und  das  Handwerk  selbst  ihre  Blüte  ver- 
dankt hatten. 

Dies  Prinzip  war  das  der  Freiheit  gewesen. 

Die  Obrigkeit  hatte  den  allgemeinen  Rahmen  der  äußeren 
Ordnung  und  der  Rechtssicherheit  geliefert.  Das  Aufblühen  hatte 
beruht  auf  wirtschaftlicher  Unabhängigkeit  und  dem  Streben 
nach  größerer  Bewegungsfreiheit.  Die  freudige  Unternehmungs- 
lust war  eingeschlafen.  An  ihrer  vStelle  hörte  man  den  Ruf  nach 
Schutz,  Schutz  des  heimischen  Gewerbes.  Die  wirtschaftliche  Un- 
abhängigkeit schränkte  man  jetzt  ein. 


629)  „Quamvis  isti  sint  de  diversis  officiis,  volumus  tarnen  eos  omnes  vocari 
institores  et  pro  institoribus  haberi,  officium  cum  sit  unum."  Die  Genannten  be- 
schweren sich  beim  Rat :  „quod  hospites  de  diversis  terminis  huc  venirent  et  in  pre- 
iudicium  Ipsorum  hie  sua  mercimonia  venderent,  ilHs  venditis  recederent  et  nulluni  ius 
nee  aliqua  debita  nostre  facerent  civitati."  Als  Schutz  dagegen  erlangen  sie  vom  Rat 
,,unionem",  also  die  Innung,  was  sich  darin  äußert:  „ne  aliquis  sc  intromittat 
nunc  inantea  de  eorum  officio"  außer  gegen  Zahlung  von  30  s.  an  den  Rat  und  i  % 
an  die  Krämer,  worauf  sie  den  Betreffenden  vor  dem  Rat  in  ihre  Innung  aufnehmen 
und  er  den  beiden  ebenfalls  nunmehr  von  ihnen  gewählten  ,,senatores"  und  ihren  "Will- 
küren gehorsam  sein  muß.     Vgl.  Anm.  627. 


Rekapitulation.  25 1 

Das  Vorhandene,  in  seiner  Weise  bis  dahin  freih'ch  durch- 
aus unentbehrh'che,  sollte  geschützt  werden.  Aber  es  konnte  ge- 
schützt werden  nur  auf  Kosten  aller  frischen,  jetzt  erst  von  unten 
aufstrebenden  Elemente.  Alles  Vorhandene  stirbt  ab,  mag  es  einst 
noch  so  groß  gewesen  sein.  Die  Schutzmaßregeln  aber,  mit  denen 
man  das  Ueberlebte  trotz  allem  zu  erhalten  suchte,  haben  nur 
bewirkt,  daß  nichts  Neues,  Lebensfähiges  rechtzeitig  an  seine 
Stelle  trat.  

Unabhängige  Handwerker  hatte  es  in  Deutschland  von  je- 
her gegeben. 

In  den  Städten  wurde  von  deren  Anfängen  an,  oder,  was 
ziemlich  auf  dasselbe  hinausläuft,  seit  das  karolingische  Ge- 
schlecht die  Ordnung  des  Volkslebens  zum  ersten  Male  ener- 
gisch in  die  Hand  nahm,  ihre  Tätigkeit  der  Aufsicht  durch  die 
öffentlichen  Beamten  unterworfen.  Diese  Kontrolle  war  ein  Teil 
der  Marktkontrolle;  denn  es  handelte  sich  dabei  um  die  gelieferte 
Ware.  Mit  der  gesamten  städtischen  Regierung  ging  auch  dieser 
Teil  in  die  Hände  der  Bischöfe  über.  Die  Bischöfe,  wie  andere 
große  Herren  hielten  sich  zwar  Hofhandwerker  für  den  un- 
mittelbaren täglichen  Bedarf,  aber  sie  waren  nie  auf  deren  Dienste 
angewiesen,  wie  die  Klöster  auf  dem  Lande,  die  auch  die  Ordens- 
regel verpflichtete,  ihre  Lebensbedürfnisse  nach  Möglichkeit  inner- 
halb der  Mauern  zu  decken.  Die  Exemption  der  Hof hand werker 
von  den  öffentlichen  Lasten  aber  bewirkte  ihren  Ausschluß  vom 
Markt  und  ihre  Beschränkung  auf  den  Herrendienst 

Die  Ausübung  der  Marktkontrolle  führte  zur  Gruppierung 
der  Verkäufer  nach  ihren  Waren,  der  ansässigen  aber  nach  ihrem 
Gewerbe  und  somit  zur  Scheidung  der  Bürger  und  Gäste.  J)!®. 
Gewerbej5olizei  und  Gerichtsbarkeit  lag  anfangs  dem  ordentlichen 
Stadtrichter  ob.  wurdg_Uäufig  aber  auch  einem  besonderen  Ver- 
waltungsbeamten,wie  dem  Kämmerer,  übertragen,  und  das 
Gericht  bildeten  regelmäßig  dreimal  jährliche  Versammlungen. 

Das  Anwachsen  der  Handwerkerzahl  infolge  der  Einwande- 
rung benötigte  jedoch  eine  Verschärfung  der  Gliederung.  Die 
Aemter  erhielten  eigene  Meister,  die  nun  Gericht  hielten  und, 
häufig  unterstützt  von  einem  Ausschuß,  die  Polizei  übten.  Dem 
ministerialischen  Beamten  blieb  nur  eine  allgemeine  Aufsicht. 
Die  geistlichen  Oberherren  aber  begünstigten  den  engeren  Zu- 
sammenschluß in  der  Form  frommer  Brüderschaften. 


2^2  Rekapitulation, 

Jedoch  die  städtischen  Handwerker  wünschten,  wie  einst 
die  Hofarbeitcr,  so  nun  auch  die  Fremden  vom  städtischen  Markt 
ausgeschlossen  zu  sehen.  Das  war  der  Inhalt  ihrer  Einungen, 
die  von  der  Obrigkeit  verboten  wurden.  Es  scheint,  daß  es  in 
Norddeutschland,  wo  die  „Innung"  weiteste  Verbreitung  fand, 
durch  sie  auch  beitretenden  Gästen  der  Markt  noch  eine  Zeitlang 
offen  zu  halten  gelungen  ist.  Das  Ende  aber  war  hier  wie 
überall  die  Herrschaft  der  stadtwirtschaftlichen  Idee,  wonach  die 
Fremden  sich  die  lästigsten  Beschränkungen  gefallen  lassen 
mußten. 

Daß  innerhalb  der  Stadt  der  Zunftzwang  auf  so  wenig 
Widerstand  gestoßen  ist,  erklärt  sich  aus  dem  Marktzwang,  dem 
jeder  von  Anfang  an  in  ähnlicher  Weise  unterworfen  gewesen 
war:  weshalb  wir  ihn  denn  auch  in  Städten  ausgeübt  sehen,  in 
denen  es  gar  keine  selbständigen  Zünfte  gab,  sondern  die  Obrig- 
keit sich  die  unmittelbare  Regelung  des  Gewerbewesens  dauernd 
vorbehalten  hatte.     Im  übrigen  war  es  nur  Mittel  zum  Zweck. 

Der  stadtwirtschaftliche  Abschluß  aber,  so  wenig  er  sich  je 
hat  vollständig  durchführen  lassen,  die  Konkurrenzfurcht,  die  ihn 
bewirkte,  bedeutete  nur  den  Anfang  immer  wachsender  ungesun- 
der Schutz-  und  Absperrungsmaßregeln  auch  im  Innern,  die 
endlich  die  Verkümmerung  des  ganzen  Instituts  und  den  Zu- 
sammenbruch des  deutschen  Handwerks  bewirkt  haben. 

Im  übrigen  ist  das  nur  ein  Teil  der  allgemeinen  Ab- 
sperrungsneigungen aller  Kreise  des  deutschen  Volkes  gegen- 
einander. 

Und  so  spiegelt  die  Geschichte  des  deutschen  Handwerkis 
nur  im  kleinen  die  der  Nation  wieder,  deren  Geschicke  es  auch 
im  großen  geteilt  hat. 


Register. 

Die  Zahlen  bedeuten,  wenn  nicht  ausdrücklich  „n."  davor  steht,  die  Seite. 


Aachen:  Capitulare,  Hofordnung  i6f. ; 
Kirchenbau  n.  58 ;  Edictum  Pistense 
44;  Stifthandwerker  67. 

Allensbach:  Gründung  46  f.;  villani 
mercatores  68,  73,  n.    176. 

Altenmünster:  Stifthandwerker  n.  173. 

Arras:  adulterina  servitus  n.   170. 

Asnapium:  Krongut  13  ff.,  n.  37,  n.  40. 

Augsburg:  Handelsgericht  des  Burg- 
grafen n.  160;  Gewerbegericht  151, 
n.  400;  Gelegenheitshändler  n.  169; 
Hof-  und  Heerfahrt  n.  230;  Aemter 
137;  Zünfte  151,  190;  gwander, 
kramer,  hüter,  wizmaler  n.  386; 
Fleischer  n.  386,  n.  400;  Bäcker 
n.  400 ;  Wurstmacher  n.  400,  n.  456, 
239;  Zunftzwang   190. 

Basel:  Bürgerfron  78 ,  85 ,  n.  232 ; 
gewerf  n.  232;  Viztum  157,  159  ff., 
n.  4 1 2 ;  Ministerialen  1 58  ff. ;  Kürschner 
n.  338a,  158  f-^  173'  ^30,  n-  ^12; 
Bauarbeiter  etc.  i^J.,  ibj  f.~  173, 
230,  n.  612;  Metzger  n.  338a,  15KI., 
173,  230,  n,  612;  Bäcker  159^  173, 
220,  n.  583;  Gärtner  etc.  163  f.,  173; 
Weber  163  f.,  173;  Schneider  164, 
173;  „Marienbrüderschaften"  173  ff., 
17O;  Zunftmeister  161  f.;  Schultheiß, 
Handelsgericht  n.  421;  Lehnbuch  n, 
408  ff. ;  Bulgenampt  n.  410;  Doppel- 
zünftigkeit   182;  Einung    193. 

Berlin:  Bäcker  n.  557  (Meisterstück  n. 
552);  Kürschner,  Schuster,  Schneider, 
Wollweber  n.  557  ;  Innung,  opus  222. 

Bödeken:  Klosterhandwerker  39 f. 

Br.a4inschweig:  Vt^t  19O:  Alte  Wik 
196  f.;  inninge  196  ff.,  n.  510,  222  f.; 
Antiqua  Civitas  1 96  f.,  207  ;  Hagen 
197;  I^kenmacher  197,  207,  209; 
Goldschmiede  207  f.;  vetk  222;  un- 
echtes Sladtrecht  n.  300. 


Bremen:  Hakenstraße  n.  381. 
Breslau:     Brot-    und    Schuhbänke    215; 

Schrotamt   215  f.;    Wage   216;   Innung 

216  f. 
Breisgau:  Weinhandel  n.    144. 

Corbie:    pisüis    n.    39;    Klosterhandwerk 

30  ff. 
Corvey:   magister   carpentariorum  n.  61; 

Landhandwerker  n.   1 23  a. 

Deutz:    Wollen weber,    Schauhäuser    147. 
Dortmund:  Reinholdsgilde   187,   232. 
Duderstadt:    Bäckerhaus   148;    Innung, 

Werk  n.  560 ;  Stadtrecht  n.  500,  n.  560. 
Duisburg:    Fischhandel    37;    Pelzhandel 

168. 

Elsaß:  Weinhandel  n.   144. 

Erfurt:  gadimen ,  tuguria  145;  Auf- 
lösung der  Fleischer-  und  Bäcker- 
innung n.  613. 

Essen:  Hofämter  n.  61. 

Farfa:  Klosterhandwerker  28  f.,  33. 

Frankfurt:  Gewandschneider  184,  235; 
Einung  n.  547. 

Freiburg  i.  B. :  Leistungen  der  Hand- 
werker zur  Hof-  und  Heerfahrt  n.  230, 
87 ;  lobiae,  macelli,  bancbi  panum. 
Ratmannen   1 46. 

F  r  e  i  s  i  n  g  (Weihenstephan) :  Stifthand- 
werker 71, 

Friemersheim:  Krongut  n.    10. 

Geisenfeld:  Hausgenossen  n.  50 ; 
Pfründenordnung  n.   130. 

Gersdorf:  OfTiciales,  Schmiede,  Schuster, 
Weber,  Schneider,  Bäcker,  Fleischer, 
Kürschner,  Brauer,  Wirte  n.  509. 

Goldberg:  Innung  211. 

Goslar:     Innung,     Brüderschaft,     Gilde, 


254 


Register. 


kumpenye  194  f.,  203;  Münzer  194; 
Zimmerleute  195  ;  Weber  195,  203, 
n.   509. 

Hagenau:  magistratus  und  locus  n.  382. 

Halberstadt:  Verwaltung  von  Mal5  und 
Gewicht  128  f, ;  Kämmerer  n.  258; 
Schuhmacher  n.  258,  202,  207,  209; 
"Wollenwebern.  258,  202,  203,  n.  509, 
n.  578a;  Hutmacher  n.  258,  226,  229, 
n.  578a;  Krämer  153;  Filzer  209, 
n.  611. 

Halle:  Schuhmacher  n.  503;  Recht  für 
Neumarkt  (Innung  der  Bäcker,  Fleischer, 
Schuster)  218  ff.,  n.  573,  n.   579, 

Hamburg:  Maf^  und  Gewicht  130; 
Böttcher  n.   587  ;   Fischer  n.   601. 

Hameln:  Schultheiß  151  n,  400,  215; 
sprake  n.  402,  212,  215;  Innung 
(Kauf)  212  lt.,  217,  (VererlDung)  226; 
of ficia,  operarii  manuales  213;  copfart 
214  f . ;  burscap  2 1 4  f . ;  Knochenhauer 
n.  400,  213,  226,  n.  573,  n.  597; 
Bäcker  n.  400,  213;  Weber  n.  400, 
213,  (Frauen)  n.  574;  Schneider  213, 
222,  n,  573;  Höker  213  f.,  n.  573; 
Fläminger  213,  n.  573;  Krämer  215, 
n.  534 ;  Wandschneider  214  f . ;  Kuterer, 
Schmiede,    Kürschner,  Harnischmacher 

213- 

Hannover:  Maß  und  Gewicht   130. 

Heidingsfeld:   Einung    193. 

Helmstedt:  Krämer  207,  209,  229; 
Schneider  227. 

Hildesheim:  area,  loca,  magister  suto- 
rum  146;  forum  panis  146;  Leineweber 
153;  Aemter  der  Neustadt  1 54  ;  Damm- 
stadt n.  399  ;  Krämer,  Harnischmacher, 
Handschuhmacher ,  Riemenschneider , 
Hut-  und  Filzmacher ,  Kürschner 
(Meisler)  n.  627,  (Innung)  250;  fremde 
Händler  250, 

Koblenz:  Hofämler  n.  61;  ungemessene 
Dienste  n.  135;  Zöllner  153,  n.  400, 
n.  403  ;  Schuhmacher  n.  4P0,  n.  403. 

Köln:  Hofhalt  des  Erzbischofs  42  f.; 
Edictum  Pistense  44;  Marktplatz, 
Budenreihen  zahlreicher  Gewerbe  1 40  ff. ; 
Eigentum  am  Marktplatz  142  f.; 
Trockenlegung  179;  Backhäuser  n.  362  ; 
Wollenweber  233,  (Deutz)  147; 
Drechsler  175  f.,  181,  n.  482,  229; 
Bettziechenweber  177  ff.,  184,  n.  482; 
Hutmacher  177,  n.  482;  Kistensitzer 
238;  Fleischer  (Einung,  vleishampt) 
205,  n.  613  ;  Gilde  231  f.,  in  England 
i8b,  n.  477. 

Konstanz:  Hof  band  werker  n.    165. 


Landshut:  Maß  und  Gewicht  130; 
Marktordnung  131  f.;  Tuchordnung 
n.  611;  Einungen  190,  194;  Zunft- 
zwang 190;  Bäcker,  Becherer,  Schlachter, 
Scbuhflicker ,  Walker ,  Weber  1 90 , 
(noch  andere  Gewerbe   131  f.), 

Leisnig:  Burggraf  203  f. ;  Innung  203  f. 

Löwenberg:  Weinverkauf  n.  586. 

Lübeck:  Hofbäcker  73;  Kämmerer  n. 
258 ;  Gewerbekonzession  221  f. ;  Kerzen- 
gießer, Hanfspinner,  Stockfischweicher 
221;  Bäcker  n.  556;  Knochenhauer 
n.  258,  221,  n.  556,  234;  Fischer, 
Fischhändler  n.  601  ;  Lübecker  in 
England   186, 

Lüneburg:  Innung  n.  510,  223  ff.;  n. 
224,  225  ;  Höker,  Bäcker,  Kürschner, 
Fleischer,  Weber,  Schneider,  craterarii 
n.  563  ;  Krämer  224,  n.  563  ;  Gerber 
224,  n.  563;  Schuster  224,  n.  563, 
225  f.;  Schmiede  224,  n.  563;  Scheiden- 
macher 224;  Fischer  n.  601;  Neu- 
bürger-Verzeichnisse  224,   231. 

Lüttich:  Hofdiener  und  Markthändler 
63  ;  Zollfreiheit  68. 

Maastrecht:  Hofdiener  und  Markt- 
händler 63. 

Magdeburg:  Innungsrecht  220;  Schild- 
macher und  Sattler  177  f.,  206,  207; 
Schuster  201  f.,  207;  Schwertfeger 
208  f.,  229,  n.  61 1;  Gewandschneider 
200,  n.  521;  Gerber  n.  503;  Burg- 
graf n.   502. 

Mainz:  Gewandschneidergaden  145,  235, 
238;  Schuhmachermarkt  145;  Weber 
174,    176,    239;   Domkustos    174. 

Mecklenburgische  Städte  und  Innung 
21 1  f. 

Meschede:  macellum  n.  363. 

Minden:  macellum  n.  363;  Bäcker-, 
Scharren-,   Hokenstraße  n.  381. 

Mühlhausen:  Burggraf  202;  Hutfilzer 
202. 

Muri:  pisilis  16;  Bauarbeiter  n.  57; 
Handwerker  n.  85  a;  Einkäufe  im  El- 
saß und  Breisgau  n.    144. 

Neu  markt:  Innung  der  Bäcker,  Fleischer, 
Schuster    218  ff.,    n.    503,    n.    573,    n. 

579. 
Neuweiler:    Klosterhandwerker  n.    173. 

Osnabrück:  Gildeurkunden  n.  338a; 
Schneider,  Schuster,  Gerber,  Kürschner, 
Gewandschneider ,  Krämer  auf  dem 
Markt,  Bäcker  und  Heischer  im  Rat- 
hause n.  381;  Fleischer  n.  446; 
Wollenweber  (Innung)  223. 


Register. 


255 


Parchim:  Innung  211. 

Perlebcrg:    Schuhmacher    207  — 211,    n. 

508,  n.  509. 
Petershausen:  Klosterhandwerkern.  86. 
Plau  :  Innung  21 1. 
Prüm:    Back-     und    Brauhäuser    n.    47; 

Wein-  und  Sialzhandel  n.   146. 

Quedlinburg:   Weber  203,  n.  509. 

Regensburg:  Kämmerer  n.  258;  inter 
tonsores  1 40 ;  Gademer,  Kordovaner, 
Schreiner,  Schuhmacher,  Schuhflicker 
(ius  trium  stratarum)   240  f. 

Reichenau:  Handwerker  (Fischer, 
Bäcker,  Köche,  Walker,  Winzer)  19, 
46;  Verkehr  mit  Italien  26;  Stadt- 
gründungen 46. 

Saint-Germain:  Hörige  Handwerker  n. 
85  d. 

Saint-Riquier:  Stadtanl^^e  n.    113. 

Saint-Trond  (Kloster):  husgenot  n.  50; 
fenestrarius  n.  54 ;  Klosterhandwerker 
38  ff.;  Stärke  des  Konvents  n.  loi  ; 
Ablösung  der  Handwerkerpräbenden  53. 

Saint-Trond  (Stadt):  Bäcker,  Brauer, 
Gerber  38  ff.,  n.  404 ;  Walker  und 
Tuchscheerer  39,  180  f.;  Kustos  n. 
469,   181  ;   Walkhaus   181. 

St.  Gallen:  Turmbau  n.  56;  Kloster- 
handwerker 25  ff. 

St.  Maximin:  carpentarius  n.  54;  Bau- 
fron n.  55;  Dienstlehen  n.    131. 

St.  Polten:  Lederer  229  f. 

Schlesische  Städte :  Fleisch-,  Brot-  und 
Schuhbänke  146,  215  ff.,  n.  586,  235  f. 

Selz:  Klosterhandwerker  72. 

Soest:  Maß  und  Gewicht   129  f. 

Speyer:  Exemption  der  Hofdiener  62; 
Freiheit  der  Bürger  76  f.;  Tuchordnung 
n.  611. 

Staffelsee:  Klosterhandwerker  30. 

Stendal:  Krämer,  fremde,  n.  340a; 
domus  pellificum,  macella  carnificum, 
theatrum  148;  Gilde  182;  Gewand- 
schneider n.  521;  Weber  („Innung") 
n.  550  f. ;  Leinweber  209,  n.  611. 

Straß  bürg:  Haushalt  des  Steitemeisters 
43 ;  Edictum  Pistcnse  44 ;  bäuerliche 
Händler  n.  126;  Weinbann  n.  143, 
75;  Weinhandel  n.  144;  Stiftsdiener 
63  ff.,  n.  234;  Ministerialen  n.  156, 
65  ff.;  Burggraf  157,  161,  165  f.  und 
Schultheiß  65  f.,  152;  Zollfreiheit  68 ; 
Bürgerfion  77  ff;  Leistungen  der  H.ind- 
werker  79  ff.;  burggräflicbe  Handwerke 
nach  dem  Stadtrecht  und  nach  dem 
Vertrag  von  1263  82  ff.;  „mercatores" 


84  f. ;  Hof-  und  Heerfahrt  85  ff. ;  keine 
Steuer  erwähnt  n.  233 ;  „sumptus  de 
re  publica"  87 ;  Stellung  der  Münzer 
88,  (Münzverwallung  90  ff.) ;  Becherer 
des  Bischofs  88  f. ;  Aemter  137,  n.  406 ; 
antwerk  166,  222;  Meisler,  magistratus 
165  ff. ;  familia  88,  166  f.;  officia 
publica  166  f.;  officiati  inter  pellifices 
165  ff.,  239;  Zunftzwang  190;  Back- 
häuser und  ihre  Einung  n.  338a,  193, 
228,  n.  571. 
Strehlen:  Fleischbänke  u.  ä.  236. 

Tiel:  Gilde   186  f.,  232. 

T-rachenberg:    Fleischbänke   u.    ä.   236. 

Treola:  Krongut  n.  31  f. 

Trier:  Bürger,  Inhaber  von  St.  Maxim iner 
Dienstlehen  n.  131  ;  cives  exempti  a 
inrisdictione  sculteti  70 ;  Bürgerfron  78  f., 
85,  n.  248,  97;  Liber  annalium  iurium 
92  ff.,  (Datierung  loi  ff.);  Kammer- 
handwerker 93  ff. ,  239  ;  Kämmerer 
94  ff.,  153;  Münze  94;  Juden  95, 
Krämer  95 ;  Schultheiß  95  f. ;  Iura  et 
instilutiones  97,  (Datierung  102  ff.); 
„Kammerherren"  der  Loher  und  Schuh- 
macher 97  ff.,  n.  503;  Aemter  137; 
Zunftzwang  1 90 ;  Meister  der  Kürschner 
etc.  167  f.;  Brot-  und  Fleischhäuser 
und  -gassen  147,  235,  n.  362;  Schrot- 
amt n.  542 ;  Frischer  n.  601 ;  Ungeld  106. 

Ulm:  Gäuweber  n.   126. 

W^eidenau:  Innung,  Fleisch-,  Brot-, 
Schuhbänke,  Korn-,  Walk-,  Loh-, 
Schleifmühlen,  Badestuben,   217  f. 

W^eihenstephan :  Stifthandwerker  71.. 

Werden  (Abtei):  Hof  Friemersheim  n. 
10;  Hofhandwerker  35  ff.,  n.  173a; 
Landhandwerker  n.  123a;  Lieferungen 
der  Außenhöfe  n.  146;  Geldzinse  n. 
148;  Ueberschüsse  n.  149a;  die 
„Meister"    158. 

Werden  (Stadt):  Handwerker  auf  Abtei- 
gut  n.    173  a. 

Wien:     Kämmerer    94,     153;     Flandrer 

94.   153. 
Wiener-Neustadt:  iudex  152,  n,  400, 
n.  405  ;  Fleischhacker,  Füttrer,  Schwert- 
feger,     Leinwandhändler,     Altschuster, 
fremde  Krämer,  Schuhmacher,  Bäcker, 
Färber,  Walker,  Weißgerber,  Wagner 
und  Schreiner,  Seiler,  Faßbinder,  Bier- 
brauer, Oelhändler,  Hutniacher,  Woll- 
weber n.  400 ;  Fragner  n.  400,  n.  405 ; 
Zunftzwang   191  ;  Innung  212. 
Wittstock:  Innung  211  f. 
!    Wohlau:  intronisationes,  iniungere  n.  546, 
222 ;  Fleischbänke  u.  ä.  236  f. 


256 


Register. 


Worms:  homines  fiscales  (Edikt  Bur- 
chards  I)  62,  n.  4156;  ministri  und 
publici  mercatores  67 ;  Freiheit  der 
Bürger  76  f. ;  Schiffszöllner,  Büttel 
n.  456,  239;  Weber  n.  456,  239; 
Fischer  237,  239. 

Würz  bürg:  Backhäusern.  362;  Kämmerer 
n.  258 ;  SchultheiH  n.  258 ;  officium 
magistri  pistorum  n.  437  a;  Domkustos 


n.  602;  Schuhmacher  n.  258,  174  ff., 
229,  234,  246;  Schuhmacherflauen  234; 
Weinschröter  238,  239  f.;  Aufhebung 
aller  Zünfte  244  ff. ;  Bäcker  245  f. ; 
Fleischer,  Zimmerleutc,  Schmiede,  Eier- 
händler, Reffträger,  Fischer  (Fisch- 
händler), fremde  Händler  246 ;  Lein- 
wandhaus  148;  s.  a.  Heidingsfeld. 


Verbesserungen. 


S.     86  Anm.   232:   „fünftägige"  zu  streichen. 

S.     96  Anm.   258:  statt  „VII"  lies   „VHI  S.    156". 

S.   153  Anm.    392    und   S.    156:    vgl.    auch    noch    den  Trierer  Schultheißen 

oben  S.  95  f. 
S.   183.^0:  lies  ,,Ge Werbegerichtsbarkeit". 
S.   191,,:  lies  „insofern". 


DiiKk  von  Aiit.  Kämpfe,  Jona. 

Printtd  in  Gerniaiiy 


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