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Full text of "Albrecht Thaer als Nationalökonom"

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ZUR  ERLANGUNG  DER  DOKTORWÜRDE  DER  HOHEN 
PHILOSOPHISCHEN  FAKULTÄT  DER  UNIVERSITÄT  BERN 

VORGELEGT  VON 


AUGUST  WERTH 

  AUS  SIEGBURG   


BORNA-LEIPZIG 

BUCHDRUCKEREI  ROBERT  NOSKE 
1905. 


VON  DER  PHILOSOPHISCHEN  FAKULTÄT  AUF  ANTRAG 
DES  HERRN  PROF.  ONCKEN  ANGENOMMEN. 


BERN,  DEN  19.  JULI  1904. 


DER  DEKAN: 
PROF.  DR.  CARL  FRIEDHEIM. 


MEINER  MUTTER 

GEWIDMET 


Inhaltsverzeichnis 


Einleitung 
I.  Kapitel 


II.  Kapitel ; 

III.  Kapitel : 

IV.  Kapitel 

V.  Kapitel: 
VI.  Kapitel; 
VII.  Kapitel: 

VIII.  Kapitel 


Seite 

  1 

Albrecht  Thaer  und  die  Physiokraten  in  landwirtschaftlich- 
technischer Hinsicht   8 

Zusatz:  Die  landwirtschaftlichen  Ideen  Patullos  in 

ihrer  Ähnlichkeit  mit  denen  Thaers   17 

Thaers  nationalökonomische  Grundsätze  in  seinem  „Leit- 
faden zur  allgemeinen  landwirtschaftHchen  Gewerbslehre"  22 
Thaers  Stellung  zu  Klein-  und  Großgrundbesitz     ...  28 

Thaers  Getreidepohtik   37 

Thaers  Ansichten  über  die  Grundrente   49 

Albrecht  Thaer  und  Johann  Heinrich  von  Thünen     .    .  55 

Adam  Müller  und  Albrecht  Thaer   70 

Thaers  Stellung  zu  den  Hauptsystemen  der  französischen 

und  englischen  Nationalökonomie  seiner  Tage    ....  81 

a)  zu  den  Physiokraten   82 

b)  zu  Adam  Smith   92 

c)  zu  Robert  Malthus   99 


Einleitung. 


,, Nicht  ruhen  soll  der  Erdenkloß, 
Am  wenigsten  der  Mann !  — " 
Goethe  an  Thaer,  — 

Bei  seinem  goldenen  Doktor- Jubiläum  am  16.  Mai  1824  wurde 
Thaer  von  Goethe  in  einem  Gedichte  gefeiert,  das  in  kurzer  Prägnanz 
den  geistigen  Entwicklungsgang  von  Tliaers  landwirtschaftlichen  Ideen 
zum  Ausdruck  bringt.    Das  Lied  schließt: 

,, Gewiß,  ihr  fragt  nicht,  wie  Er  heißt, 
Sein  Name  lebe  fort!" 

Das  Goethewort  ist  in  Erfüllung  gegangen,  Thaers  Name  lebt 
und  wird  leben,  solange  es  eine  Wissenschaft  des  Landbaues  gibt. 

Die  Urkunde,  die  man  in  das  Fundament  des  1843  zu  Leipzig 
errichteten  Thaerdenkmals  gelegt,  zeugt  in  lebendiger  Weise  vom 
Wirken  des  landwirtschaftlichen  Reformators.    Hier  ihre  Worte : 

„Alb.  Thaer,  geboren  den  14.  Mai  1752  zu  Celle,  gestorben 
den  26.  Oktober  1828  zu  Möglin,  Doktor  der  Heilkunde,  könighch 
preuß.  Staatsrat  im  Ministerium  des  Innern,  Stifter  der  landwirt- 
schaftlichen Anstalt  zu  Celle,  Begründer  und  Leiter  der  Akademie 
des  Landbaues  zu  Möglin,  Ritter  mehrerer  Orden,  Verfasser  zahlreicher 
höchst  bedeutungsvoller  Schriften  und  Abhandlungen  über  Heilkunde, 
Naturwissenschaften,  Landwirtschaft,  dem  Begründer  der  Landwirt- 
schaftslehre, Förderer  der  Wechselwirtschaft,  des  Kartoffelbaues,  der 
Schafzucht,  dem  tapfern,  siegreichen  Vorkämpfer  für  Freiheit  des 
landwirtschaftlichen  Gewerblebens,  dem  Ausstreuer  fruchtbaren  Samens 
zur  mannigfaltigen  Verbreitung  von  Wohlstand  und  Bildung,  dem 
tiefen,  dem  scharfen  Denker,  dem  kühnen,  dem  großartigen  Schöpfer, 
dem  ruhmgekrönten  Vollbringer,  dem  anerkannten  Muster  deutscher 
Schreibart,  dem  unendlich  Verdienten,  Deutschlands  hoher  Zier, 
Deutschlands  gerechtem  Stolze,  Ihm,  dem  Großen  setzt  im  Geiste 
deutscher  Einheit  zu  Leipzig,  im  Mittelpunkte  Deutschlands,  an  der 
Geburtsstätte  der  deutschen  Jahresversammlung  dieses  eherne  Denk- 
mal die  Wandergesellschaft  deutscher  Land-  und  Forstwirte. 

Leipzig  am  9.  September  1843." 


—    2  — 


Wenn  wir  das  Wirken  und  die  Verdienste  Thaers  recht 
schätzen  und  beurteilen  wollen,  so  ist  es  unbedingt  erforderlich,  einen 
Blick  auf  den  damaligen  Stand  der  Landwirtschaft  sowohl,  wie  nicht 
minder  auf  die  wirtschaftliche  Lage  der  Stätte,  wo  Thaer  wirkte, 
zu  werfen. 

Was  die  Landwirtschaft  als  Wissenschaft  anbelangt,  wenn  wir 
überhaupt  von  einer  solchen  vor  Thaer  sprechen  können,  so  haben 
wir  drei  Schulen  zu  unterscheiden,  die  der  landwirtschaftlichen 
Kameralisten,  der  Empiriker  und  endUch  die  Schule,  die 
Thaer  begründete,  die  der  Rationellen. 

Die  kameralistische  Schule  hat  für  die  Wissenschaft  der  Land- 
wirtschaft äußerst  wenig  geleistet,  ihre  Erfolge  liegen  hauptsächlich 
auf  agrarisch-legislativem  Gebiete;  sie  hat  den  künftigen  Agrar- 
reformen den  Weg  gebahnt. 

Weit  mehr  Verdienste  für  die  praktische  und  wissenschaftliche 
Landwirtschaft  hat  die  Schule  der  Empiriker.  Thaer  selbst  sagt, 
daß  die  Werke  von  Hagedorn,  Ekhart  und  Leopold  zu  den 
immer  noch  (1807)  brauchbaren  Werken  gehörten. 

Auf  der  Basis  des  bereits  Gegebenen  konnte  Thaer  aufbauen, 
und  was  immer  er  auch  Neues  gegeben,  sein  Hauptverdienst  beruht 
doch  darin,  daß  er  das  bereits  Gegebene  und  das  von  ihm  selbst 
neu  Geschaffene  wissenschaftlich  begründete,  und  die 
deutsche  Landwirtschaft  in  rationelle  Bahnen  lenkte.  Daß 
ihm  hauptsächlich  das  letzere  gelingen  konnte,  daß  er  in  Wirklichkeit  der 
Reformator  der  deutschen  Landwirtschaft  werden  konnte, 
verdankt  er  neben  seinem  Genie  zum  Teil  auch  den  ihm  zu  Hilfe 
kommenden  Verhältnissen.  Anfangs  hatte  er  allerdings  gegen  die- 
selben zu  kämpfen,  und  er  tat  es  mit  Mut  und  Begeisterung.  Durch 
die  französische  Revolution  war  eine  Gärung  im  Wirtschafts-  und 
politischen  Leben  eingetreten,  ein  frischer  Zug  machte  sich  auf  allen 
Gebieten  desselben  bemerkbar,  neues  Leben  begann  allenthalben  zu 
keimen.  Zwar  war  in  dem  Teile  Deutschlands,  wo  Thaer  schaffte, 
außer  der  gesteigerten  Nachfrage  nach  den  Produkten  des  Ackerbaues 
anfangs  noch  wenig  von  dem  Vorerwähnten  zu  merken,  es  bedurfte 
noch  vieler  Arbeit,  um  wenigstens  einen  Teil  der  besseren  Ideen  auch 
in  Nordostdeutschland  zur  Tat  werden  zu  lassen.  Thaer  hat  regen 
Anteil  an  dieser  Arbeit.  Eine  Mitteilung  Körtes  ist  geeignet,  sowohl 
Thaers  Standpunkt  zu  beleuchten,  als  auch  ein  Schlaglicht  auf  die 
ganze  damalige  Situation  zu  werfen.  Es  heißt'  in  der  Thaer- 
biographie  : 

„Als  einige  Jahre  nachher  die  französische  Revolution  ausge- 
brochen war,  und  anfänglich  aucli  ihn  (Thaer),  wie  alle  edler  denken- 
den Zeitgenossen,  für  ihre  erhabenen  Tendenzen  mit  Leidenschaft 
einnahm,  ward  ihm  im  hannö verschen  Lande  der  Spitzname  eines 
Demokraten  und  Jakobiners  umsomehr  beigelegt,  da  er  den  Grund- 
satz der  Menschenrechte  aufs  lebhafteste  verteidigte,  von  dem  Riesen- 


—    3  — 


kämpfe  für  Freiheit  der  Völker  die  wohltätigsten  Früchte  erwartend. 
Der  Gedanke  an  Aufhebung  aller  Fronen,  an  die  Befreiung  der 
Bauern  von  den  feudalen  Fesseln  begeisterte  ihn  über  alles."  ^) 

Der  letzte  Gedanke  ist  in  der  Tat  ein  Leitmotiv  von  Thaers 
ganzer  Tätigkeit  gewesen,  denn  er  sah  selir  wohl  ein  und  betonte 
es  allenthalben,  daß  nur  eine  von  allen  Fesseln  befreite  Landwirt- 
schaft nach  seinen  Ideen  wirtschaften  könne.  Doch  gleichzeitig  be- 
tonte er  nicht  minder,  daß  die  Befreiung  nur  „ohne  jemandes 
Gefährde"  und  mit  gerechter  Entschädigung  der  durch  die 
Befreiung  wirtschaftlich  Benachteiligten  geschehen  dürfe.  Und  hierin 
unterscheidet  sich  Thaer  von  andern,  insbesondere  von  der  Art  der 
Befreiung  der  Landwirtschaft  in  der  französischen  Revolution,  die 
in  der  Versammlung  vom  11.  Oktober  1791  ohne  jegliche  Entschädi- 
gung den  Zehnten  abschaffte,  Die  Ansicht  Thaers  waltete  auch  in 
der  späteren  preußischen  Agrarreform  unter  Stein  und  Hardenberg 
vor.  Doch  wie  sah  es  zu  Beginn  der  Tätigkeit  Thaers  in  der 
deutschen  Landwirtschaft  aus?  Frondienste,  Hand-  und  Spann- 
dienste, kurz  alle  Phasen  der  Leibeigenschaft,  der  Zehnte,  die  Un- 
freiheit des  bäuerlichen  Landes,  die  unzähligen  Formalien  und  Be- 
dingungen des  Pachtes  und  Besitzes,  die  Gemeinheiten,  der  Flur- 
zwang, alles  in  allem  ein  übermächtiger  Hemmschuh,  hinderte  das 
Emporkommen  einer  besseren,  vernunftgemäßen  Bewirtschaftung  des 
Bodens.  Mit  Handel  und  Gewerbe  stand  es  mancherorts  nicht  viel 
besser.  In  diese  schwüle,  stagnierende  Atmosphäre  kam  nun  ein 
frischerer  Zug.  Doch  das  nationale  Unglück  mußte  erst  über  Deutsch- 
land hereinbrechen,  um  aus  demselben  heraus  Freiheit  und  Wohl- 
stand des  Volkes  zu  gebären;  dann  allerdings  ging  es  vorwärts  auf 
allen  Linien,  hier  schneller,  dort  langsamer,  und  die  Landwirtschaft 
blieb  nicht  zurück.  Eine  große  Nachfrage  nach  den  Produkten  des 
Landbaues  entstand.  Die  vielen  Kriege  vermehrten  diese  Nachfrage 
noch,  die  Kontinentalsperre  begünstigte  den  Anbau  von  Handels-, 
gewächsen,  und  manche  landwirtschaftliche  Industrie  verdankt  dieser 
Sperre  ihre  Entstehung.  Das  Aufblühen  der  Industrie  stand  wieder 
in  günstiger  Wechselwirkung  zur  Landwirtschaft.  Die  entfesselten 
Gewerbsinteressen  rissen  auch  die  Landwirtschaft  mit  sich  fort; 
dann  kamen  die  mannigfachen  Agrarreformen,  die  eine  freie,  indi- 
viduelle Tätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Landwirtschaft  ermöglichten, 
und  mit  einem  Führer  wie  Thaer  an  der  Spitze  durfte  sie  den 
Kampf  auf  wirtschaftlichem  Gebiete  aufnehmen.  Die  Ideen  Thaers 
fanden  jetzt  den  geeigneten  Boden  und  konnten  wachsen  und  auf- 
blühen zum  Wohle  der  gesamten  deutschen  Nation. 

Durch  Thaer  und  vollends  durch  L  i  e  b  i  g  wurde  die  Land- 
wirtschaft das,  wozu  sie  mit  unabwendbarer  Notwendigkeit  kommen 


1)  Bei  Wilhelm  Körte,  Albrecht  Thaer,    Leipzig,  1839  S.  55. 


—    4  — 


mußte,  wenn  sie  nicht  gänzlich  zugrunde  gehen  sollte,  sie  wurde 
ein  Gewerbe,  wie  jedes  andere. 

Immer  wieder  hatte  Thaer  es  betont,  daß  die  Landwirtschaft 
ein  Gewerbe  sei,  und  als  solches  mit  Kapital  und  intensiver  Arbeit 
betrieben  werden  müsse.  Weil  Thaer  aber  die  Landwirtschaft  als 
Gewerbe  betrachtete,  war  er  geradezu  auf  die  Nationalökonomie  an- 
gewiesen ;  wie  weit  er  aber  Nationalökonom  war,  soll  in  nachfolgen- 
der Arbeit  zu  zeigen  versucht  werden. 

Was  Thaer  als  Landwirt  geleistet  hat,  kann  hier  nicht  aus- 
führlich dargelegt  werden;  nur  eine  knappe  Orientierung,  wie  sie 
zum  Verständnis  des  Ganzen  nötig  ist,  sei  zunächst  gegeben. 

Ähnlich  wie  die  politische  Lage  Deutschlands  zu  Ende  des  18. 
und  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  war  auch  die  ökonomische 
bezw.  landwirtschaftliche  Lage.  Dieselbe  Zerfahrenheit,  Uneinigkeit 
und  daraus  resultierende  Schwäche,  die  man  bei  jener  findet,  zeigt 
sich  auch  in  dieser.  Was  Thaer  auch  immer  geschaffen  hat,  sein 
Hauptverdienst  wird,  neben  der  Erfindung  der  Statik,  die 
Vereinigung  aller  bisher  gefundenen  und  seiner  eigenen  Resultate 
in  Wissenschaft  und  Praxis  des  Landbaues  zu  einem  einheit- 
lichen Ganzen,  zu  einem  vollkommenen  Lehrgebäude, 
und  dessen  wissenschaftliche  Begründung  sein,  ferner  die 
allgemeine  Verbreitung  seiner,  zum  Teil  nicht  neuen,  aber 
neu  ans  Licht  gebrachten  und  so  geradezu  wieder  geborenen  Ideen 
und  Lehren  der  Landwirtschaft.  Das  ist  eben,  wie  schon  gesagt, 
das  Hauptverdienst  Thaers,"  in  klarer,  leicht  verständlicher,  zu- 
sammengefaßter Darstellung  Altes  und  Neues,  Eigenes  mit  wissen- 
schaftlicher Begründung  dem  deutschen  Landwirt  dargeboten  zu 
haben.  Auf  Grund  dieser  Darstellung  konnte  sich  die  bessere, 
rationelle  Ausübung  der  Landwirtschaft  überallhin,  wo  es  not  tat, 
verbreiten;  dem  Bauer  kam  es  zum  Bewußtsein,  was  er  an  seinem 
•  Acker  habe,  was  er  aus  demselben  machen  könne. 

Wollen  wir  auf  das,  was  Thaer  geschaffen,  eingehen,  so  haben 
wir  zuerst  der  Fruchtwechselwirtschaft  zu  gedenken. 

Wenn  auch  Fruchtwechselwirtschaft  in  mancherlei  Form  schon 
vor  Thaer  in  verschiedenen  Gegenden  Deutschlands  getrieben  wurde, 
insbesondere  in  den  höher  kultivierten  w^estlichen  und  südlichen  Ge- 
bieten, wie  an  Rhein  und  Mosel,  im  Elsaß  und  besonders  im  be- 
nachbarten Belgien  und  weiter  in  England,  so  ist  doch  als  der 
eigentliche  Begründer,  gewissermaßen  als  der  Vater  dieses  Systems, 
Thaer  anzusehen,  denn  der  großen  Allgemeinheit  der  deutschen 
Landwirte  war  diese  Wirtschaftsart  fremd.  Erst  als  Thaer  den 
vielen  Variationen  der  Fruclitwechselwirtschaft  eine  einheitliche, 
systematische  Gestalt  gegeben  und  ihr  seine  empfehlende  Stimme 
mit  auf  den  Weg  gab,  fand  die  Fruchtwechselwirtschait  allgemeine 
Anerkennung  und  Verbreitung. 


—    5  — 


Was  die  Fruchtwechsel  Wirtschaft  für  den  Landwirt 
und  den  Nationalökonom  bedeutet,  zeigt  die  gesteigerte  Produktion 
an  Landbauerzeugnissen,  die  bei  Einführung  des  neuen  Systems 
möglich  wurde.  Während  vorher  bei  der  fast  allgemein  üblichen 
Dreifelderwirtschaft  der  Boden  jedes  dritte  Jahr  unbenutzt 
brach  liegen  mußte,  braucht  der  Boden  bei  der  Wechselwirtschaft 
überhaupt  nicht  zu  ruhen.  Durch  Einschiebung  einer  Blattfrucht 
zwischen  zwei  Halmfrüchte  und  zweckmäßige  Düngung  und  Be- 
arbeitung kann  von  demselben  Acker  alljährlich  eine  Ernte  gewonnen 
werden.  Die  eingeschobenen  Blatt-  oder  Wurzelgewächse  gewähren 
zweierlei  Vorteile,  sie  lassen  den  Boden  in  einem  vorzüglichen  physi- 
kalischen Zustande  zurück  und  geben  ferner  eine  solche  Menge 
Futterstoffe  für  das  A^ieh,  daß  eine  wichtige  Wirtschaftsweise,  die 
früher  nur  den  Besitzern  ausgedehnter  Wiesen  möglich  war,  jetzt 
allgemein  einführbar  wurde,  nämlich  die  Stallfütterung.  Durch  diese 
wurde  sowohl  eine  ausgedehntere  Viehhaltung,  als  auch  eine  größere 
Düngererzeugung  möglich.  Die  größere  Düngererzeugung  hatte  hin- 
wiederum Verbesserung  des  Ackers  und  ertragreichere  Ernten  zur 
Folge.  Unter  den  Blattfrüchten  usw.  stand  den  Landwirten  eine 
große  Auswahl  zur  Verfügung.  Es  seien  hier  nur  2  Arten  erwähnt 
die  neben  ihrer  Verwendung  als  menschliche  Nahrungsmittel  und 
als  Futter  für  das  Vieh  auch  zum  mächtigen  Aufblühen  zweier 
Industriezweige  geführt  haben,  die  Kartoffel  und  die  Zuckerrübe, 
erstere  für  Spiritus-,  letztere  für  Zuckerindustrie.  Ferner  konnten; 
bei  Fruchtwechselwirtschaft  alle  Arten  von  Handelsgewächsen 
angebaut  werden. 

Daß  mit  dem  Aufblühen  der  Viehzucht  eine  erhöhte  Erzeugung 
von  tierischen  Produkten  und  damit  die  Verstärkung  einer  wichtigen 
Erwerbsquelle  für  den  Landwirt  Hand  in  Hand  ging,  bedarf  wohl 
keiner  näheren  Erwähnung.  ^)  Dieser  ganze  Zweig  der  Landwirtschaft 
nahm  durch  die  Reformen  Thaers  einen  erhöhten  Aufschwung.  Ganz 
besonders  ist  es  die  Schafzucht,  die  Thaer  eine  gewaltige  För- 
derung verdankt.  Er  gilt  als  der  Meister  dieser  Epoche  der  Tier- 
zucht,  inslaesondere  der  ,, edlen  Schafzucht '^   der  Rassenveredlung. 

Auch  um  den  Wiesenbau,  der  zur  Tierzucht  ja  unumgänglich 
nötig  ist,  hat  Thaer  hervorragende  Verdienste.  Ein  erneuerter  Auf- 
schwung begann  mit  ihm  in  der  Kultur  der  Wiesen. 

Der  Kart  off  elb  au  ,  einer  der  Hauptfaktoren  unserer  heutigen 
Landwirtschaft,  verdankt  Thaer  eine  solche  Förderung,  daß  man  ihm 

^)  Die  Bedeutung  der  Schafzucht  für  damals  schon  kann  man  daraus 
ermessen,  daß,  nachdem  Thaer  die  Schafzucht  in  die  Höhe  gebracht  hatte, 
im  Jahre  1820  in  Preußen  außer  der  von  Handwerkern,  wie  Kürschner, 
Posamentierer,  Hutmacher,  Strumpfwirker  usw.  verbrauchten  Wolle  noch 
18200000  Pfund  Wolle  auf  den  Webstuhl  kamen.  Der  Gesamtwert  der 
daraus  hergestellten  Tuchfabrikate  betrug  30  MilUonen  Taler  (s.  Körte: 
Albrecht  Thaer,  Leipzig  1839,  S.  226).  Nicht  mit  Unrecht  nannte  man  Thaer 
den  Wollmarktskönig. 


—    6  — 


häufig  eine  zu  starke  Betonung  dieses  Zweiges  der  Landwirtschaft 
zum  Vorwurf  machte. 

Dem  landwirtschaftlichen  Gerätewesen  widmete  Thaer  be- 
sondere Sorgfalt,  denn  wie  wäre  eine  intensive  Kultur  möglich  ohne 
zweckmäßige  Gerätschaften.  Thaer  gebührt  das  Verdienst,  durch 
Abbildung,  Beschreibung  und  Empfehlung  von  praktischen  Maschinen 
der  Landwirtschaft  auch  hierin  die  nötige  Unterstützung  gegeben  zu 
haben.  ^) 

Wie  Thaer  auf  den  meisten  Gebieten  bahnbrechend  vorging,  so 
auch  auf  dem  des  land wirtschaf tlicheen  Unterrichtswesens 
und  der  periodisch  erscheinenden  Landwirtschaftsliteratur. 
Unermüdlich  betonte  er  die  Notwendigkeit  landwirtschaftlicher  Unter- 
richtsanstalten, Ja  in  den  ländlichen  Volksschulen  verlangte  er  geradezu 
Pflege  des  Landwirtschaftsunterrichts  neben  dem  eigentlichen  Unter- 
richte. Schon  1802  unterhielt  er  eine  landwirtschaftliche  Lehranstalt 
zu  Celle,  zu  deren  Schülern  u.  a.  auch  J.  H.  von  Thünen  gehörte. 
Dieser  Anstalt  folgte  1806  die  von  Thaer  gegründete  Akademie 
des  Landbaues  zu  Möglin,  der  ersten  höheren  Lehranstalt  für 
Landwirtschaft.  Von  der  Gründung  landwirtschaftlicher  Zeitschriften 
spricht  Thaer  schon  frühe.  In  seiner  ,, Einleitung  zur  Kenntnis 
der  englischen  Landwirtschaft",  1798,  fordert  er  zur  Schaffung 
von  Zeitschriften  nach  Art  der  Youngschen  ,,Annalen  des  Acker- 
baues" auf.  Schon  1799  erschienen  Thaers  ,,Annalen  der 
niedersächsischen  Landwirtschaft",  die  er  bis  1804  fortsetzte. 
Diesen  folgten  ,, Vermischte  landwirtschaftliche  Schriften" 
bis  1806,  von  1805 — 1810  ,,Annalen  des  Ackerbaues",  6  Jahr- 
gänge in  12  Bänden;  sie  wurden  abgelöst  von  den  ,,Annalen  der 
Fortschritte  der  Landwirtschaft  in  Theorie  und  Praxis", 
1811 — 1812,  4  Bände,  denen  dann  die  größte  landwirtschaftliche 
Zeitschrift  Thaers,  die  ,,Möglinschen  Annalen  der  Landwirt- 
schaft", folgten  und  die  er  bis  1823  selbst  redigierte;  ein  Augen- 
leiden zwang  ihn,  die  Redaktion  an  seinen  Schwiegersohn  zu  über- 
tragen. 

Alle  bisher  geschilderten  Fortschritte  und  alle  Aufklärung  in 
bezug  auf  die  Landwirtschaft  würden  sehr  wenig  oder  gar  nichts 
genützt  haben,  wenn  nicht  die  hemmenden  Schranken  der  bäuer- 
lichen Unfreiheit  gefallen  wären.  Das  sah  Thaer  nur  zu  wohl  ein, 
und  so  trat  er  mit  allem  seinem  Einfluß  für  die  Befreiung  der 
Landwirtschaft  von  den  einengenden,  ihren  Fortschritt  lähmenden 
Fesseln  ein. 

Es  bleibt  uns  noch  einer  Errungenschaft  Thaers  zu  gedenken, 
die  als  wichtigste  für  uns  hier  in  Betracht  kommt,  nämlich  seine 
Lehre  von  der  Statik  des  Ackerbaues,  durch  die  er  die  Land- 


1)  Es  sei  nur  an  Thaers  „Abbildung  und  Beschreibung  der  nützUchsten 
Ackergerätschaften"  erinnert.    Hannover  1803—1806. 


—    7  — 


Wirtschaft  in  Wirklichkeit  als  einen  Zweig  der  Nationalökonomie 
aufgestellt  hat.  Durch  die  Statik,  oder  die  Lehre  vom  Ersatz  der 
dem  Boden  durch  die  Ernte  entnommenen  Stoffe  wurde  die  Land- 
wirtschaft ein  Gewerbe,  ein  Faktor  in  der  Berechnung  des  wirt- 
schafthchen  Lebens. 

Über  das  Wesen  der  Statik  sei  kurz  folgendes  bemerkt.  Während 
man  vor  Thaer  über  Pflanzenernährung  noch  teilweise  ganz  naiven 
Anschauungen  huldigte,  es  sei  nur  an  Tull  und  seine  Methode  der 
feinsten  Zermalmung  der  Erdpartikelchen,  welche  alle  Düngung  er- 
setzen sollte,  erinnert,  wies  Thaer  auf  den  Wert  und  die  Notwendig- 
keit der  organischen  Düngung  hin.  Durch  jede  Ernte  wird  dem 
Boden  ein  Teil  der  Nahrungsstoffe  entzogen,  diese  müssen  unbedingt 
ersetzt  werden,  wenn  der  Acker  nicht  dauernd  erschöpft  werden 
soll.  Thaer  glaubte  den  Ersatz  durch  den  im  tierischen  Dünger 
enthaltenen  Humusstoff  vollständig  leisten  zu  können;  er  gibt 
zwar  zu,  daß  die  Pflanze  auch  andere  Stoffe  zu  ihrem  Aufbau  ver- 
werte, doch  legt  er  diesen  nicht  entfernt  die  Wichtigkeit  bei,  wie 
dem  Humus.  ^)  Doch  kommt  es  hier  für  uns  nicht  so  sehr  darauf 
an,  wie  der  Ersatz  zu  geschehen  habe,  sondern  daß  vollkommener 
Ersatz  geleistet  werden  müsse,  und  dies  ist  das  Moment,  wo- 
durch Thaer  die  Landwirtschaft  als  Gewerbe  in  die  Nationalökonomie 
eingeführt  hat ;  genau  soviel  wiedergeben  als  man  nimmt,  eine  voll- 
kommen gewerbliche  Berechnung.  ^) 

Doch  nicht  immer  hat  Thaer  diesen  Standpunkt  der  möglichen 
vollkommenen  Erschöpfung  des  Bodens  durch  die  Ernten  vertreten. 
In  dem  1809  erschienenen  1.  Bande  seiner  ,, Grundsätze  usw."  spricht 
er  von  einer  nach  der  Rotation  von  Ernten  zurückbleibenden 
, »nährenden  Kraft  des  Bodens",  die  selten  oder  nie  so  gering  sei, 
daß  sie  nicht  noch  etwas  hervorbringen  könnte.  Diese  nährende 
Kraft  nennt  er  die  ,, natürliche  Kraft  des  Bodens",  und  diese 
Annahme  der  restierenden  ,, natürlichen"  Kraft  stellt  Thaer  auf  den 
Standpunkt  der  Physiokraten^),  deren  ,,don  de  la  nature" 
gleichbedeutend  mit  der  Thaerschen  ,, natürlichen  Kraft  des 
Bodens"  ist;  selbst  bis  auf  die  Benennung  geht  die  Übereinstimmung. 
Allerdings  hat  Thaer  seine  Meinung  in  dieser  Beziehung  später 
geändert.^)  Da  nun  auch  von  Thaer  das  physiokratische 
Prinzip  des  Reinertrages  an  die  Spitze  der  Landwirtschaft  gestellt 
wurde,  so  dürfte  es  nicht  uninteressant  sein,  den  Beziehungen  Thaers 
zu  den  landwirtschaftlichen  Ansichten  Quesnays,  des  Stifters  der 
physiokratischen  Doktrin,  etwas  näher  zu  treten,  zumal  da  manche 
Anschauungen  Quesnays  mit  denen  Thaers  parallel  laufen. 

^)  s.  hierüber:  Thaer,  „Grundsätze  d.  rat.  Landw."  1.  Aufl.  Bd.  1 
§§  248,  249,  Berlin  1809. 

2)  Thaer,  Leitfaden  zur  landwirt.  Gewerbslehre,  Berlin,  2.  unverän- 
derte Auflage  §§  178,  179—187. 

2)  Aug.  Oncken,  Entstehen  u.  Werden  der  physiokrat.  Theorie  S.  62. 

4)  Thaer,  Gewerbslehre  §§  178,  179,  182. 


Albrecht  Thaer  und  die  Physiokraten 
in  landwirtschaftlich -technischer  Hinsicht. 


Der  Hauptgedanke  der  agrikulturtechnischen  Anschauungen 
Quesnays  ist  folgender^):  ,,An  Stelle  der  in  Frankreich  fast  aus- 
schließlich herrschenden  Kleinpaclit  (metayage)  mit  den  Gewöhnungen 
der  Naturalherrschaft,  welche  den  Bauer  zu  ewiger  Armut  verdamme, 
gelte  es,  die  in  England  übliche  Großpacht  (fermage)  einzuführen,  wo 
der  Landbau  ein  freies  Handelsgewerbe  ist,  das  auf  Gewinn  abzielt, 
und  wodurch  allein  bewirkt  werden  könne,  daß  dem  Grundeigen- 
tümer eine  angemessene  Rente  zuteil  wird.  Mit  dieser  doppelten 
Verfassung  des  Landbaues  ist  auch  eine  doppelte  Kulturbetätigung 
verknüpft,  nämlich  die  sogenannte  ,grande  culture*  einerseits,  welche 
mit  Pferden  wirtschaftet,  und  die  ,petite  culture'  anderseits,  welche 
sich  der  Ochsen  als  Arbeitstiere  bedient."  Mit  andern  Worten: 
Quesnay  verlangt  intensiven  Großbetrieb  nach  Art  industrieller  Unter- 
nehmungen für  die  Landwirtschaft,  Betrieb  mit  großem  Aufwand  von 
Arbeit  und  Kapital  auf- ausgedehnten  Gütern. 

Für  die  ,,grande  culture"  sind  nun  nach  Quesnay  bedeutend 
größere  Kapitalien  nötig,  als  für  die  ,,petite  culture",  weshalb  der 
Staat  sein  vornehmstes  Augenmerk  auf  die  Vermehrung  der  Betriebs- 
kapitalien, ,,richesses  d'exploitation",  richten  müsse.  Um  Großbetrieb 
einführen  und  pflegen  zu  können,  verlangt  Quesnay  die  Zusammen- 
legung der  kleinen  Landgüter  zu  großen.^) 

Diese  Ansichten  Quesnays  decken  sich  zum  Teil  mit  den  Aus- 
führungen Thaers.  Die  Forderung  nach  Großbetrieb  stellte  auch 
Thaer  im  Anfange  seiner  wissenschaftlichen  Laufbahn,  später  stand 
er  auf  einem  relativen  Standpunkte.'^)  Er  vergleicht  die  Land- 
wirtschaft mit  den  Fabriken,  wo  Großbetrieb  auch  lohnender  sei, 
als  Kleinbetrieb,  insbesondere  lasse  sich  die  mehr  Gewinn  bringende 

^)  Aug.  Oncken,  Entstehen  und  Werden  der  physio- 
kratischen  Theorie  S.  17.  Sonderabdruck  aus  der  „Vierteljahrsschr. 
für  Staats-  u.  Volkswirtsch.  usw."  von  K.  Frankenstein;  alle  hier  angeführten 
Zitate,  die  physiokratischen  Anschauungen  betreffend,  sind  Jenem  vorge- 
nannten Werke  und  der  ,,Geschichte  der  Nationalökonomie"  des- 
selben Verfassers  entnommen. 

"^j  Oncken,  Enstehen  u.  Werden  S.  19. 

'■^)  Es  sei  in  dieser  Beziehung  auf  das  besondere  Kapitel  ,, Thaers 
Stellung  zu  Klein-  und  Großgrundbesitz"  verwiesen. 


—    9  — 


Arbeitsteilung  bei  ersterer  Art  in  größerem  Umfange  einführen. 
„Bei  der  Landwirtschaft  aber,  zumal  wenn  sie  ihr  Material,  d.  h. 
ihren  Grund  und  Boden,  aufs  höchste  benutzen  will,  sind  Arbeiten 
und  Handgriffe  so  verschieden  und  erfordern,  wenn  sie  geschickt 
ausgeübt  werden  sollen,  eine  solche  Übung,  wie  bei  irgend  einer 
Fabrik.  Daher  hat  die  große  Wirtschaft  eben  die  Vorteile,  wie  die 
große  Fabrik  vor  der  kleinen."  Benutzung  zweckmäßiger  Werkzeuge 
und  Maschinen  sei  dem  großen  Landwirt  eher  möglich  als  dem 
kleinen,  das  für  die  Maschinen  aufgewendete  Kapital  bezahle  sich 
dem  ersteren  durch  Arbeitsersparung  und  höheren  Reinertrag  bald 
wieder,  während  der  kleine  Wirt  die  Maschinen  zu  wenig  gebrauche, 
wenn  er  auch  das  Kapital  dafür  aufwenden  könne. ^) 

Vor  allem  aber  verlangt  Thaer  hinreichende  Kapitalien  und 
intensive  Arbeit  für  die  Landwirtschaft,  dies  seien  neben  dem  Boden 
und  der  Intelligenz  die  ausschlaggebenden  Faktoren  im  rationellen 
landwirtschaftlichen  Betriebe.^)  Also  mit  Ausnahme  der  Intelligenz 
ganz  dieselben  Forderungen,  die  Quesnay  stellt. 

Die  Notwendigkeit  größerer  Betriebskapitalien  für  die  Land- 
wirtschaft, die  Quesnay  betont,  wird  von  Thaer  in  den  ,, Grundsätzen 
der  rationellen  Landwirtschaft"  auf  das  bestimmteste  hervorgehoben. 
Es  heißt  dort^) :  ,, Nächst  der  Fähigkeit  des  die  Landwirtschaft  be- 
treibenden Subjekts  ist  das  Kapital  die  wesentlichste  Bedingung  des 
Betriebes ;  denn  der  Vorteil  und  Erfolg  steht  bei  gleichen  Talenten 
des  Betreibenden  immer  im  Verhältnis  mit  dem  dazu  angelegten 
Kapital.  Deshalb  ist  auch  nächst  der  Unfähigkeit  der  Subjekte  der 
Mangel  des  in  die  Landwirtschaft  belegten  Kapitals  der  Hauptgrund 
ihrer  UnvoUkommenheit  gewesen."  Jede  Erleichterung  in  der  Er- 
langung des  Kapitals  würde  den  Zustand  der  Landwirtschaft  am 
sichersten  heben,  eine  höhere  Produktion  und  dadurch  Überfluß  und 
Wohlfeilheit  der  Produkte  bewirkt  werden.^) 

Da  Quesnay  und  Thaer  beide  so  sehr  die  Notwendigkeit 
größerer  Kapitalien  für  die  Landwirtschaft  betonen,  so  dürfte  die 
Frage  wohl  am  Platze  sein,  was  denn  beide  unter  landwirtschaft- 
lichem Kapital  verstehen.  Es  ergibt  sich  bei  Prüfung  beider  An- 
sichten eine  merkwürdige  Übereinstimmung. 

Bekanntlich  unterschied  der  Stifter  der  Physiokratie  drei  Haupt- 
klassen der  Bevölkerung,  ^)  nach  Art  ihres  Besitzes  und  ihrer  daran 
geknüpften  Berufstätigkeit;  eine  vierte,  besitzlose  Schicht  kommt  nur 
durch  ihre  Arbeit  und  Konsumtion  in  Betracht.  Die  sozial  am 
höchsten  stehende  Klasse  ist  nach  Quesnay  die  Klasse  der  Grund- 


^)  Thaer,  Einleitung  zur  Kenntnis  der  engl.  Landwirtschaft  I,  85 — 87. 
2)  Thaer,  Gewerbslehre  §  7. 
^)  Grundsätze  usw.  I,  464. 
*)  Thaer,  Grunds.  §  51  Bd.  1. 

^)  vgl.  hierzu  Aug.  Oncken,  Geschichte  der  Natiönalökonomie,  Leipzig 
1902,  S.  360. 


—    10  — 


besitzer,  classe  des  proprietaires,  classe  disponible;  diese  habe  eine 
doppelte  Lebensaufgabe,  eine  politische  und  eine  soziale.  In  ihre 
soziale  Aufgabe  fällt  der  Ackerbau,  den  sie  (die  Grundbesitzer)  zwar 
nicht  selbständig  betreiben  (sie  verpachten  ihren  Grundbesitz),  wohl 
aber  durch  Hergabe  des  Grund  und  Bodens,  den  ßie  urbar  gemacht 
und  Gebäude  darauf  errichtet  haben,  sowie  durch  Ausführung  von 
Meliorationen  und  Korrektion  der  Bewässerungsverhältnisse  usw. 
mittelbar  betreiben  und  im  Stand  halten.  Es  ist  die  „höhere 
Administration",  der  sie  obliegen,  während  der  Pächter  den  An- 
bau des  Bodens  besorgt.  Ohne  diese  erheblichen  Grundauslagen, 
die  ,,depenses  foncieres"  wäre  Ackerbau  nicht  möglich. 

Was  Quesnay  hier  ,,depenses  foncieres"  nennt,  ist 
nichts  anderes  als  das  Thaersche  ,,Gr  un  dkapit  al".  ^)  Thaer 
definiert  das  Grundkapital  als  solches,  wodurch  der  Landwirt  sich 
in  den  Besitz  des  Grund  und  Bodens  setzt,  die  Wirtschaftsgebäude 
errichtet,  Meliorationen  ausführt  usw. 

Weiterhin  gliedert  Quesnay  das  landwirtschaftliche  Kapital-)  in 
,,richesses  d'exploitation  de  la  culture  du  cru",  als  das  Kapital, 
von  dem  der  eigentliche  Umtrieb  in  der  Landwirtschaft,  die  Pro- 
duktion in  Gang  gesetzt  wird.  Diesen  Teil  des  Landwirtschafts- 
kapitals haben  die  Pächter  zu  stellen,  und  von  der  Höhe  desselben 
hängt  die  Intensität  des  Betriebes  ab.  Auf  die  besondere  Stärkung 
dieser  Kapitalsart  habe  der  Staatsmann  sein  besonderes  Augenmerk 
zu  richten.  Quesnay  teilt  diese  Kapitalskategorie  in  zwei  Ab- 
teilungen, in  die  ,,avances  primitives"  und  die  ,,avances  annuelles". 
Aus  den  ersteren  werden  die  dauernden  Betriebsmittel,  wie  Maschinen, 
Geräte,  Vieh  usw.  unterhalten,  die  letzteren  dienen  zur  Beschaffung 
des  Saatgutes  und  Bestreitung  des  Arbeitslohnes. 

Diese  beiden  Teile  der  ,,richesses  d' expl  oitations" 
entsprechen  genau  dem  Thaerschen  stehenden,  und  dem  um- 
laufenden oder  Betriebskapital.^)  Die  ,,avances  primi- 
tives" sind  das  stehende  Kapital  oder  Inventarium  Thaers, 
wovon  das  Zug-  und  Nutzvieh,  die  Ackergeräte  und  das  Geschirre 
bestritten  werden  sollen,  während  die  ,,avances  annuelles"  dem 
„umlaufenden"  oder  „Betriebskapital"  Thaers  entsprechen. 
Mit  dem  umlaufenden  Kapital  sollen  das  Gesinde,  die  Arbeiter, 
die  anzukaufenden  Bedürfnisse,  Saatgut,  Mastvieh  usw.  bestritten 
werden.  Wie  man  sieht,  besteht  in  den  Anschauungen  Thaers 
und  Quesnays  vollkommene  Übereinstimmung.  Nur  was  die  Ver- 
zinsung dieser  Kapitalien  anbelangt,  tritt  ein  kleiner  Unterschied  zu- 
tage, und  zwar  in  der  Weise,  daß  Thaer  die  beiden  letzten  Kapitals- 
arten höher  verzinst  wissen  will,  als  Quesnay. 


^)  Thaer,  Grunds,  usw.  I  §  49. 

2)  Oncken,  Geschichte  d.  Nat.-Ökon.  S.  362. 

3)  Thaer,  Grunds.  I  §  50. 


—   11  — 


Quesnay  verlangt  in  seinem  Artikel  ,,Grains"^)  zum  pro- 
duktiveren Betriebe  die  Zusammenlegung  der  kleinen  Güter  zu  großen 
Pachtungen  (grosses  fermes).  Thaer  ist  hierin  derselben  Ansicht, 
doch  drückt  er  sich  vorsichtiger  aus.  Er  will  nicht  gerade  direkte 
Einziehung  der  kleinen  Bauerngüter  zu  größeren  Wirtschaften,  ein 
Eingriff  ins  Eigentum  dürfe  nicht  geschehen,  Recht  und  Eigentum 
müsse  geschützt  bleiben.  ,,Ich  glaube  aber  ebensowenig,"  fährt  er 
dann  fort,  ,,daß  man  dem  Laufe  der  Dinge  wehren  müsse,  wenn  die 

Zusammenziehung  nach  Recht  und  Billigkeit  erfolgen  kann  

Dann  wird  von  selbst  diejenige  Verteilung  des  Grundes  und  Bodens 
erfolgen,  welche  nach  Zeit  und  Ortsverhältnissen  in  Rücksicht  auf 
Produktion,  Nationalreichtum  und  Bevölkerung  die  vorteilhafteste  ist."'-^) 

In  dem  Artikel  ,,Fermiers"  ^)  beschreibt  Quesnay  die  beiden 
Kulturarten  ,,avec  des  cheveux"  und  ,,avec  des  boeufs"  näher. 
Die  Landgüter,  die  mit  Pferden  bewirtschaftet  würden,  (,,grande 
culture")  seien  in  3  Felder  oder  Schläge  eingeteilt.  Das  erste  Drittel 
werde  mit  Korn,  das  zweite  mit  Hafer  bestellt,  das  dritte  verbleibe 
in  Brache.  Die  Bebauung  mit  Hilfe  von  Ochsen  (,,petite  culture") 
zerfalle  bloß  in  2  Schläge,  wovon  der  eine  mit  Korn  besät,  der 
andere  gebracht  wird.  Wenig  Hafer  und  sonstige  Sommerfrüchte 
werden  bei  dieser  Bebauungsart  gesät,  man  bedarf  derselben  zur 
Nahrung  der  Ochsen  nicht,  diese  suchen  sich  ihr  Futter  selbst  auf 
der  Weide.  In  6  Jahren  erhält  man  hier  3  Ernten  Korn,  3  Jahre 
erntet  man  nichts,  wogegen  man  bei  der  ,,grande  culture"  zwar 
nur  2  Ernten  Korn  in  6  Jahren,  dafür  aber  noch  2  Ernten  Sommer- 
frucht erhalte,  die  Brache  nimmt  nur  2  Jahre  in  Anspruch. 

Diese  beiden  von  Quesnay  beschriebenen  Betriebssysteme  sind 
höchst  extensiv,  und  er  würde,  wenn  er  sich  auf  diese  beschränkt 
hätte,  im  Gegensatz  zu  Thaer  und  der  damals  schon  weiter  vor- 
geschrittenen Landwirtschaft  gestanden  haben.  Doch  Quesnay  bleibt 
hier  nicht  stehen.  Da  er  die  Landwirtschaft  nicht  allein  zum  Zwecke 
des  Getreidebaues  betrieben  sehen  will,  sondern  auch  die  Viehzucht 
zum  Zwecke  der  Fleisch-  und  Milchproduktion  gebührend  berück- 
sichtigt. Ja  sogar  der  Getreideproduktion  als  ebenbürtig  zur  Seite 
gestellt  wissen  will,  so  wird  er  geradezu  zu  einer  Erweiterung  seiner 
vorher  beschriebenen  Systeme  gedrängt.  Denn  bei  dem  bloßen  Ge- 
treidebau, wie  ihn  die  Zwei-  und  Dreifelderwirtschaft  Quesnays  mit  sich 
brachte,  konnte  durchaus  kein  größerer  Viehstapel  zum  Zwecke  der 
Fleisch-  und  Milchproduktion  gehalten  werden.  Um  zur  ausge- 
dehnteren Viehhaltung  die  rationellere  Stallfütterung  durchführen  zu 
können,  mußte  er  unbedingt  zum  Putterbau  übergehen,  zu  welchem 
er,  wie  Oncken  sagt,  durch  Studium  der  englischen  Landwirtschafts- 


Onken,  Entstehen  u.  W.  S.  19.  ' 
-}  Thaer,  Einleitung  usw.  IV,  94. 
3)  Oncken,  Enstehen  u.  W.  S.  54—55. 
Werth.  2 


_     12  — 


Schriftsteller  gelangte.  In  dem  Artikel  ,,Fermiers"  heißt  es:  ,,Die 
nämlichen  Bodenstücke  können  vorteilhafter  genutzt  werden  durch 
den  Anbau  von  Hülsenfrüchten,  Wurzelgewächsen  und  Gräserarten, 
oder  durch  Verwandlung  in  künstliche  Wiesen  zum  Zwecke  der  Er- 
nährung des  Viehs.  Je  mehr  man  auf  solche  Weise  die  Tiere  im 
Stalle  zu  füttern  vermag,  desto  leichter  kann  man  infolgedessen  auch 
den  Viehstand  vermehren,"  In  dem  Artikel  ,,Grains"  empfiehlt 
Quesnay  noch  besonders  den  Anbau  von  Hanf,  Flachs,  Rüben,  von 
Gemüse  und  Kartoffeln.  Alles  dieses  bedeutet  einen  großen  Fort- 
schritt in  der  französischen  Landwirtschaft.  Durch  den  Wechsel 
der  verschiedenen  Pflanzen  wird  der  Boden  in  chemischer  und  physi- 
kalischer Hinsicht  verbessert. 

Thaer  ging,  als  er  sein  System  der  Fruchtwechselwirtschaft 
schuf,  von  denselben  Gesichtspunkten  und  Erwägungen  aus  wie 
Quesnay.  Durch  Not,  Mangel  an  Futter,  kam  Thaer  auf  den  Wechsel 
zwischen  Halm-  und  Blattfrucht,  dann  aber  baute  er  sein  System 
weiter  aus  als  Quesnay,  das  aber  im  Grunde  genommen  genau  das- 
selbe ist  wie  jenes,  und  gab  ihm  dann  eine  sichere  praktische  und 
wissenschaftliche  Begründung.  Später  erst  fielen  Thaer  englische 
Schriftsteller  in  die  Hand,  aus  denen  Quesnay  ja  zum  Teil  ge- 
schöpft. 

Wie  schon  vorher  erwähnt,  will  Quesnay  auch  die  Viehzucht 
gebührend  berücksichtigt  wissen.  Spezielle  Ausführungen  hierüber 
finden  sich  in  dem  Artikel  ,,Fermiers".  Er  sagt  dort  in  betreff  der 
Viehzucht  folgendes^):  ,,I)ie  Landwirtschaft  dürfe  nicht  bloß  unter 
dem  Gesichtspunkte  des  Getreidebaues,  sondern  müsse  auch  unter 
demjenigen  der  Viehzucht  mit  Einbeziehung  der  Fleisch-  und  Milch- 
produktion betrachtet  werden.  Übertreffe  der  Ertrag  dieses  Pro- 
duktionszweiges doch  in  England  denjenigen  des  Getreidebaues.  Der 
Futterbau  trete  demgemäß  ebenbürtig  neben  den  Körnerbau,  die 
Stallfütterung  habe  die  Weidefütterung  zu  verdrängen. 

Die  nämlichen  Bodenstücke  können  vorteilhafter  genützt  werden 
durch  den  Anbau  von  Hülsenfrüchten,  W^urzelgewächsen  und  Gräser- 
arten oder  durch  Verwandlung  in  künstliche  Wiesen  zum  Zwecke 
der  Ernährung  des  Viehs.  Je  mehr  man  auf  solche  Weise  die  Tiere 
im  Stalle  zu  füttern  vermag,  desto  mehr  erhält  man  Mist  zur 
Düngung  des  Bodens,  desto  reicher  wieder  werden  die  Ernten  an  Korn 
und  Futterpflanzen,  desto  leichter  kann  man  infolgedessen  auch  den 
Viehstand  vermehren." 

Wie  man  sieht,  sind  es  dieselben  Ansichten  und  Prinzipien,  die 
bei  Thaer  obwalten.  Insbesondere  ist  es  die  Stallfütterung,  der  Thaer 
das  Wort  redet.  Er  nennt  sie  einen  Triumph  der  Deutschen", 
woraus  man  schon  ersehen  kann,  welches  Gewicht  er  ihr  beilegt. 


^)  Oncken,  Entstehen  u.  W.  S.  56. 


—     13  — 


„Wenigstens  drei  ^tück  Vieh",  so  führt  Thaer  aus,  „ebenso 
stark  und  ebenso  kräftig  von  derselben  Ackerfläche  zu  füttern,  wor- 
auf nur  ein  Stück  hinreichende  Weide  hat,  und  von  jedem  dieser 
Stücke  ungleich  mehr  an  Dünger  zu  erhalten,  wie  von  einem  Stück 
Weidevieh,  ist  das  große  Problem,  welches  diese  Wirtschaft  völlig 
befriedigend  auflöst.  Welche  große,  welche  unermeßliche  Folgen 
dieses  auf  die  Landeskultur  haben  müsse,  kann  jeder  überdenken."^) 
Die  Stallfütterung  mit  einem  guten  Feldsystem  verbunden  ist  ihm  der 
höchste  Gipfel  der  Landwirtschaft.  -) 

In  einer  andern  wichtigen  Frage  des  landwirtschaftlichen  Be- 
triebes gehen  die  Ansichten  Quesnays  und  Thaers  weit  auseinander, 
es  ist  dies  die  Brauchbarkeit  der  Ochsen  gegenüber  den  Pferden  als 
Arbeitstiere.  Bei  seinen  Berechnungen  stützt  sich  Quesnay  auf  die 
Daten  von  Dupre  deSaint-Maur.  Mit  4  Pferden  könne  man  soviel 
Arbeit  leisten  als  mit  12  Ochsen;  mit  andern  Worten:  Die  Ochsen 
sind  als  Arbeitstiere  einer  intensiven  landwirtschaftlichen  Betriebs- 
weise hinderlich.  Diese  Ansicht  wurde  schon  von  einem  Mitarbeiter 
Quesnays  widerlegt,  und  zwar  mit  denselben  Argumenten,  mit  denen 
Thaer  eine  Zeit  später  gegen  dieselbe  Ansicht  auftritt.  Dieser  Mit- 
arbeiter Quesnays  war  der  Schotte  Patullo,  der  ein  seiner  Zeit 
weit  vorausgeeiltes  Buch  über  Landwirtschaft  geschrieben  hat;  es 
ist  dies  „Essay  sur  l'amelioration  des  terres".  Da  wir 
noch  in  einem  besondern  Abschnitt  auf  dies  Werk  und  seine  Be- 
ziehungen zu  Thaer  zurückkommen  werden,  so  sei  hier  nur  in  Kürze 
die  Thaersche  Ansicht  über  die  Brauchbarkeit  der  Ochsen  gegenüber 
den  Pferden  wiedergegeben. 

Während  die  Pferde  zu  allen  landwirtschaftlichen  Arbeiten  ge- 
eignet sind  und  in  Jeder  Witterung  benutzt  werden  können,  ist  dies 
bei  den  Ochsen  nicht  der  Fall.  Auch  haben  die  Pferde  einige  Arbeits- 
tage mehr  als  die  Ochsen.  Dagegen  sind  die  Unterhaltungskosten 
der  Ochsen  gegenüber  den  Pferden  bedeutend  geringer,  dazu  leisten 
sie  den  größeren  Teil  der  landwirtschafthchen  Arbeiten  ebensogut 
wie  die  Pferde  und  können,  wenn  sie  zur  Arbeit  nicht  mehr  tauglich 
sind,  noch  gemästet  und  geschlachtet  werden,  was  bei  den  Pferden 
wegfällt.  Das  Verhältnis  der  Pferde  zu  den  Ochsen,  was  Arbeits- 
leistung und  Unterhaltskosten  betrifft,  verhalte  sich  wie  2:3,  oder 
höchstens  5  :  6. 

Eine  weitere  Ansicht  Quesnays,  durch  Patullo  ausgesprochen, 
stimmt  wieder  mit  Thaer  überein.  Es  ist  dies  die  Forderung  nach 
Einhegung  der  großen  Güter  nach  englischem  Muster,  da  dies  zu 
intensiverem  Betriebe  der  Landwirtschaft  nötig  sei.*) 


1)  Thaer,  Einleitg.  z.  engl.  Ldw.  II,  271. 

2)  Ibid.  IV,  13;  VI,  139. 

3)  Thaer,  Grundsätze  I  §  166. 

*)  Oncken,  Entstehung  u.  W.  S.  60. 

2* 


14  — 


Über  diesen  Punkt  verbreitet  sich  Tliaer  des  öfteren.  Er  ver- 
steht unter  Einhegung  alles  das,  was  die  Engländer  ,,inclosures" 
(Einschließung,  Hegeland)  nennen,  ferner  aber  auch  die  Zusammen- 
legung der  getrennt  liegenden  Grundstücke  zwecks  Vereinfachung 
und  Verbilligung  des  Betriebes.  Zusammenlegung  und  Einhegung 
bedeutet  für  Thaer  einen  großen  Fortschritt  in  der  Landwirtschaft.  ^) 
Erst  die  Verkoppelung  ermöglicht  dem  Landwirt,  mit  seinen  Feldern 
zu  machen,  was  er  will.  Die  alte  Feldeinteilung  zwang  ihn  bei  der 
alten,  extensiven  Wirtschaft  zu  verharren.  ,, Trägheit  und  Dumm- 
heit", so  sagt  Thaer,  ,,kann  nun  den  Fleiß  und  die  Talente  nicht 
mehr  fesseln.  Meine  Felder  liegen  beieinander,  ich  kann  sie  abteilen, 
sie  verbinden  und  trennen  wie  ich  will.  Ich  kann  kreuz  und  quer 
pflügen  ....  den  feuchten  Boden  entwässern,  den  trockenen  durch 
Hecken  und  Bäume  gegen  Wind  und  Sonne  schützen  ....  meine 
Stoppel  und  Brache  benutze  ich  nach  Gefallen,  und  in  gut  verzäunten 
Koppeln  geht  mein  Vieh  ohne  Hirten  .  .  ."  ^)  Von  den  wirtschaft- 
lichen Vorzügen  der  Verkoppelungen  sagt  Thaer,  daß  sie,  wo  sie 
vorgenommen  wurden,  die  Renten  der  Gutsbesitzer  aufs  Dreifache 
gesteigert,  den  Vorteil  des  Pächters  vergrößert  hätten.  Die  vor- 
maligen Gemeinheiten,  auf  denen  nur  Gänse  lebten  und  das  Vieh 
verkümmerte,  gäben  nun  30 mal  höheren  Ertrag. 

,,Und  so  wird  wohl  niemand  behaupten  können,"  fährt  Thaer 
fort,  ,,daß  das,  was  den  Vorteil  eines  jeden  einzelnen  Besitzers  so 
befördert,  was  den  Wert  des  Grundes  und  Bodens  nach  den  in  den 
englischen  Reports  angegebenen  Verhältnissen  steigert,  die  Produktion 
und  die  Bevölkerung  vermindere,  oder  dem  Staate  nachteilig  sei." 

In  dem  Artikel:  ,,Questions  interessantes  sur  la  population, 
l'agriculture  et  le  commerce'',  der  von  Quesnay  und  de  Mariveit 
gemeinsam  ausgearbeitet  wurde ,  findet  sich  ein  Ausdruck, 
der  später  in  der  Theorie  des  Fruchtwechsels  eine  große  Rolle 
spielte,  nämlich  der  Ausdruck  ,,  Humus".  Thaer  hat  bekanntlich 
die  Lehre  von  der  Statik  der  Pflanzennährstoffe  begründet,  und  in 
dieser  Lehre  nimmt  der  Humus  eine  Hauptstellung  ein,  weshalb 
die  Lehre  auch  Humustheorie  genannt  wird.  Quesnay  hat  den 
Ausdruck  ,, Humus"  schon  vor  Thaer  gebraucht,  wenn  auch  nicht 
genau  in  derselben,  so  doch  in  sehr  ähnlicher  Bedeutung.  Thaer 
versteht  unter  Humus  die  Fruchtbarkeitssubstanz  an  sich,  während 
Quesnay  den  Begriff  Humus  etwas  verallgemeinert  und  darunter  die 
den  Humus  enthaltende  Erdschicht  versteht;  er  nennt  sie  auch 
,,terre  vegetative".  Ganz  dieselbe  Auffassung  vom  Humus  wie 
Quesnay  besaßen  noch  zu  Thaers  Zeiten  sehr  viele  Landwirte  und 
selbst  einige  wissenschaftliche,  agronomische  Schriftsteller.  ,,Damm- 

1)  Thaer,  Grunds.  III  §  214. 

2)  Thaer,  Einleitg.  IV,  310. 

3)  Thaer,  Einleitung  IV,  312. 

^)  Oncken,  Entstehen  und  Werden  S.  61. 


_    15  — 


erde"  nannten  sie  den  Humus,  bezw.  die  Quesnaysche  ,,terre  vege- 
tative". Thaer  machte  der  Verwirrung  in  dieser  Beziehung  ein 
Ende  und  präzisierte  den  Ausdruck  ,, Dammerde"  (terre  veget.)  in 
..Humus",  das  ist  kohlenstoffhaltige  Fruclitbarkeitssubstanz,  die  im 
Stallmist  ihren  Hauptsitz  habe.  Der  Schwede  Wallerius  hatte  schon 
lange  vor  Thaer  eine  ähnliche  Behauptung  aufgestellt. 

Auf  diesem  Humus  baut  Thaer  seine  Lehre  von  der  Statik  auf, 
die  sogenannte  Humustheorie,  und  stellte  dadurch  die  Landwirtschaft 
als  Gewerbebetrieb  hin.  Die  dem  Boden  durch  die  Ernte  entzogenen 
Stoffe  müßten  demselben  durch  den  Stallmist,  bezw.  durch  den  in 
demselben  enthaltenen  Humus  wiederersetzt  werden.  Dieselbe  Sentenz, 
gleichsam  einen  Anfang  von  Statik,  finden  wir  bei  Quesnays  Mit- 
arbeiter PatuUo.  In  dem  Kapitel  ,,Des  Engrais"  sagt  er,  man 
solle  sich  wohl  hüten,  Stroh  und  Heu  durch  Verkauf  dem  Landgut 
zu  entfremden.  Alles  das  müsse  im  Stalle  verfüttert  werden,  wor- 
aus dann  wieder  die  vermehrten  Ernten  entstünden. 

Indessen,  so  fährt  Thaer  fort,  komme  dem  Boden  noch  eine 
nach  einer  Rotation  von  Ernten  zurückbleibende  Kraft  zu,  die  er  die 
,, natürliche  Kraft"  nennt. ^)  Es  klingt  diese  Behauptung  von 
der  ,, natürlichen  Kraft"  etwas  an  die  Quesnaysche  Lehre  vom 
,,presentde  la  nature"  an.  Thaer  hätte,  wenn  er  bei  dieser  Auf- 
fassung von  der  natürlichen  Kraft  stehen  geblieben  wäre,  seine  Be- 
hauptung von  der  Landwirtschaft  als  Gewerbe  wieder  eingeschränkt. 
Doch  Thaer  änderte  seine  Meinung  hierüber  und  stand  später,  wie 
wir  noch  sehen  werden,  auf  einem  andern  Standpunkt. 

Quesnay  und  später  Thaer  glaubten  in  der  Fruchtwechsel- 
wirtschaft —  Thaer  zog  noch  die  Humustheorie  mit  herein  — 
das  ,,non  plus  ultra"  der  Landwirtschaft  zu  besitzen;  beide 
haben  sich  in  dieser  Beziehung  geirrt.  Der  Irrtum  Thaers  liegt  in 
dem  Umstände,  daß  er  glaubte,  dem  Boden  durch  den  Stallmist, 
bezw.  durch  den  in  demselben  enthaltenen  Humus  vollkommenen 
Ersatz  für  die  dem  Boden  durch  die  Ernte  entzogenen  Stoffe  leisten 
zu  können.  Hierin  liegt  auch  der  Grund,  warum  in  Thaers  Lehre 
von  der  Statik  eine  Lücke  blieb;  im  Prinzip  hatte  Thaer  den  rich- 
tigen Standpunkt  inne,  nur  in  den  Mitteln  des  Ersatzes  irrte  er. 

Mit  der  Humustheorie  sank  auch  die  Lehre  der  Physiokratie 
vom  ,,produit  net"  als  ,,don  de  la  terre",  ,,present  de  la  nature", 
welcher  Lehre  Thaer  in  gewissem  Grade  eine  Zeitlang  gehuldigt 
hatte. 

Thaer  verglich,  wie  schon  erwähnt,  die  Landwirtschaft  mit 
einem  industriellen  Fabrikbetriebe,  kam  hierbei  jedoch  nicht  auf  den 
Kern  der  Sache,  wie  später  Lieb  ig.  Derselbe  sagt  in  dieser  Be- 
ziehung folgendes:  ,, Der  landwirtschaftliche  Betrieb  ist  seiner  Grund- 
lage nach  in    keiner  Weise  verschieden   von   einem  gewöhnlichen 


1)  Thaer,  Grundsätze  I,  257. 


—    16  — 


industriellen  Betriebe.  Der  Fabrikant  und  Manufakturist  weiß,  daß 
seine  Anlage  und  Betriebskapital  dauernd  nicht  abnehmen  darf,  wenn 
sein  Geschäft  nicht  ein  Ende  nehmen  soll,  und  so  setzt  der  ver- 
nünftige landwirtschaftliche  Betrieb  voraus,  daß  der  Landwirt  die 
Summe  der  wirkenden  Dinge  im  Boden,  mit  welchen  er  seine  Pro- 
dukte erzeugt,  wenn  er  höhere  Ernten  haben  will,  vermehren  müsse."  ^) 
Mit  andern  Worten:  Durch  die  Thaersche  Fruchtwechselwirtschaft 
wird  unvollkommener  Ersatz  geleistet,  aber  die  Landwirtschaft  muß 
eben  wie  Jedes  Gewerbe  vollkommenen  Ersatz  haben,  wenn  sie  nicht 
untergehen  soll.  Der  vollkommene  Ersatz  aber  wird  erst  durch  die 
,,freie  Wirtschaft"  mit  Hilfe  von  künstlichen  Düngemitteln  ge- 
leistet. Der  frühere  Irrtum  Thaers  von  der  natürlichen  Kraft 
des  Bodens,  der  die  Lehre  von  der  Statik  wieder  über  den  Haufen 
geworfen  haben  würde,  ist  in  einem  späteren  Werke  Thaers  nicht 
mehr  vorhanden,  bezw.  ausgeglichen.  Er  sagt  da  in  Beziehung  auf 
die  selbständige  Fruchtbarkeit  des  Bodens  über  den  Humus,  bezw. 
Gewächserde  folgendes^):  ,, Diese  (Gewächserde)  ist  in  Quantität  und 
Qualität  immer  wandelbar,  völlig  zerstörbar  und  gibt  den  Pflanzen 
alle  diejenige  Nahrung,  welche  sie  nebst  dem  Wasser  aus  dem  Boden 
ziehen." 

Also  völlig  zerstörbar  ist  der  Humus  im  Ackerboden,  es 
muß  daran  festgehalten  werden,  da  er  nach  Thaer  der  Träger  der 
Pflanzennahrung  ist,  und  wenn  er  völlig  zerstörbar  ist,  bleibt  eine 
selbständige  Fruchtbarkeit,  eine  natürliche  Kraft  nicht  mehr 
zurück.  Noch  deutlicher  sagt  er  dies  in  folgendem:  ,,Der  auflösbare 
und  mit  Hilfe  der  Beackerung  in  diesem  Zustand  zu  versetzende 
Teil  wird  also  durch  jede  Kornernte  in  verschiedenem  Grade  ver- 
ändert und  endlich  so  erschöpft,  daß  keine  Frucht  mit  Vorteil  weiter 
auf  dem  Felde  bestellt  werden  kann,  bis  jener  ersetzt  ist."  ^) 

Demnach  kann  wohl  keine  Rede  mehr  von  selbständiger  Frucht- 
barkeit sein,  und  Liebig  hat  der  Lehre  von  der  Statik  in  der  Tat 
nur  die  Mittel  hinzugefügt,  in  denen  Thaer  sich  irrte.  Daß  Thaer 
glaubte,  durch  den  Stallmist  allen  Ersatz  leisten  zu  können,  war 
ein  Irrtum,  der  durch  den  damaligen  Stand  der  chemischen  Wissen- 
schaft vollkommen  entschuldbar  ist.  Liebigs  Spott  über  diesen  Irr- 
tum Thaers  war  recht  billig. 

Was  Thaer  theoretisch  in  der  Statik  lehrte,  hat  Liebig  wissen- 
schaftlich begründet,  dem  Thaerschen  Fruchtwechselsystem  folgte 
das  Liebigsche  System  der  ,, freien  Wirtschaft"  oder  des  ,, industriellen 
Betriebs". 


^)  Liebig,  Einleitung  zur  Chemie  in  ihrer  Anwendung  auf  Agrikultur 
und  Physiologie  S.  82. 

2)  Thaer,  Leitfaden  zur  allgemeinen  landwirtschaftlichen  Gewerbs- 
lehre 2.  unveränderte  Aufl.,  Berlin  1836,  §§  178ff. 

3)  Ibid.  §  18a. 


—    17  — 


Die  Ähnlichkeit  mancher  Ideen  Th  a  e r  s  und  Q u  e  s  n  ay  s  ,  die  in 
diesem  Kapitel  wiedergegeben  wurden,  ist  unverkennbar.  Man  dürfte 
wohl  zu  dem  Schlüsse  berechtigt  sein ,  daß  Thaer  die  physio- 
kratischen  Schriften  wenigstens  teilweise  gekannt  hat.  Da  nun  Thaer 
die  Enzyklopädie  von  Diderot  und  d'Alembert  kannte,  so 
ist  es  unzweifelhaft,  daß  er  auch  über  die  Quesnayschen  Ansichten, 
soweit  sie  in  der  Enzyklopädie  vertreten  sind,  aus  eigenem  Studium 
unterrichtet  war.  Bekanntlich  hat  Quesnay  einige  landwirtschaftliche 
Artikel  für  die  Enzyklopädie  geschrieben,  ^)  und  diese  Abhandlungen 
haben  hier  als  Unterlage  gedient  für  die  agrikulturtechnischen  An- 
schauungen Quesnays ;  es  sind  dies  die  Artikel:  ,,Fermier",  ,,Grains" 
und  ,,Questions  interessantes  sur  l'agriculture'*.  Ferner  ist  hier  noch 
der  Patullosche  ,, Essay"  berücksichtigt.  Wenn  man  nun  beachtet,  daß 
Thaer  einer  Auflage'^)  seiner  ,, Englischen  Landwirtschaft",  ein  Zitat 
aus  einem  Quesnayschen  Artikel  voransetzt,  so  dürfte  die  Verwandt- 
schaft der  beiderseitigen  Ideen  wohl  hinreichend  erklärt  sein,  wobei 
jedoch  noch  eine  gemeinsame  Quelle  beider,  die  englischen  Schrift- 
steller über  Landwirtschaft,  nicht  unerwähnt  bleiben  dürfen. 


Zusatz:  Die  landwirtschaftlichen  Ideen  Patullos  in  ihrer 
Ähnlichkeit  mit  denen  Thaers. 

Es  ist  merkwürdig,  wie  wenig  man  in  der  landwirtschaftlichen 
Literatur  den  Namen  des  Quesnayschen  Mitarbeiters  P atull o  findet, 
obwohl  sein  vorzügliches  Werk:  ,, Essay  sur  TameHoration  des  terres", 
Paris  1759,  gewissermaßen  als  Vorläufer  der  Thaerschen  Ideen  in 
Frankreich  betrachtet  werden  kann  und  seiner  Zeit  weit  vorausgeeilt 
war.  Eine  deutsche,  allerdings  unvollständige  und  dazu  noch  ziem- 
lich mangelhafte  Übersetzung  erschien  1763  in  Frankfurt  a.  M.  bei 
J.  A.  Raspe. 

Fr  aas  erwähnt  in  seiner  Geschichte  der  Landwirtschaft  die 
Verdienste ,  die  sich  Patullo  um  den  Futterbau  erworben ,  und 
wie  sich  Anfänge  der  Fruchtwechselwirtschaft  bei  ihm  finden.^) 
Auch  Thaer  spricht  von  ihm  und  setzt  sein  Werk  als  bekannt 
voraus.*) 

Es  finden  sich  nun  in  den  Ansichten  Patullos  und  den  Ideen 
Thaers  so  viele  Übereinstimmungen,  daß  es  wohl  berechtigt  sein 
dürfte,  etwas  näher  auf  dieselben  einzugehen.  Da  Patullo  Schotte 
war  und  Thaer  sowohl  die  damaligen  englischen  landwirtschaftlichen 
Werke,   als  auch  Patullos  Schrift  kannte,   so  dürfte  diese  Überein- 


^)  s,  Aug.  Oncken,  Entstehen  und  Werden  S.  54. 
^)  Albr.  Thaer,  Einleitung  zur  Kenntnis  der  enghschen  Landwirt- 
schaft, Grätz  1802—1805. 

2)  Fraas,  Geschichte  der  Landwirtschaft,  Prag  1852,  S.  478  und  751. 
Thaer  a,  a.  0.,  Annalen  d.  A. 


—    18  — 

Stimmung  leicht  zu  erklären  sein.  Immerhin  ist  zu  berücksichtigen, 
daß  Patullo  ungefähr  ein  halbes  Jahrhundert  vor  Thaer  seine  Ideen 
veröffentlichte. 

Das  erste  im  PatuUoschen  Buche,  worauf  wir  aufmerksam 
werden,  ist  ein  Abschnitt  über  Bodenkunde.  Von  geringerer  Be- 
deutung ist  die  Übereinstimmung  der  Ansichten  beider  in  bezug  auf 
Verbesserung  des  Bodens  und  Düngung  desselben.  Die  betr.  Aus- 
führungen sind  bei  Thaer  besser  und  ausführlicher.  Auch  die 
Klassifikation  und  Bonitierung  des  Bodens  ist  von  Thaer  exakter 
ausgeführt. 

Größere  Übereinstimmung  zeigen  beide  in  den  Abhandlungen 
über  die  Umzäunung  der  Felder.  Patullo  behauptet,^)  daß  ein 
eingezäuntes  Feld  den  doppelten  Wert  eines  uneingezäunten  von 
gleicher  Güte  besitze,  es  trage  doppelt  höhere  Pacht.  Mauerwerk 
empfiehlt  er  nicht  zur  Umzäunung,  Bau-  und  Reparaturkosten  seien 
hierfür  zu  groß;  am  zweckmäßigsten  sei  ein  Graben  mit  einer  Dorn- 
hecke. Die  umzäunten  Felder  seien  vor  dem  Weidegange  des  Viehes 
geschützt.  Der  größte  Vorteil  sei  Schatten  und  Schutz,  den  sie  den 
Feldfrüchten  vor  der  Strenge  der  Witterung,  und  dem  Vieh  auf  der 
Weide  vor  rauhen  Winden  oder  gegen  die  brennende  Sonne  ge- 
währten.   Die  Gräben  dienten  als  Wasserabzug. 

Ganz  dieselben  Ansichten  spricht  Thaer  aus  in  seiner  ,, Ein- 
leitung zur  Kenntnis  der  englischen  Landwirtschaft",  wie  dies  schon 
in  vorgehender  Abhandlung  erwähnt  wurde. 

Ganz  vorzüglich  für  seine  Zeit  ist  das  Kapitel  in  dem  PatuUo- 
schen Werke  über  die  Verbesserung  des  Ackerbaues.^)  Besondere 
Aufmerksamkeit  verdienen  seine  Ausführungen  über  den  Kleebau.^) 
Er  rät  den  Klee  nach  dreijährigem  Körnerbau  im  Herbste  in  gut 
bearbeitetes  Feld  zu  säen,  im  Winter  zu  düngen,  und  den  Klee 
drei  Jahre  auf  dem  Felde  zu  belassen.  Hierdurch  werde  man  in 
den  Stand  gesetzt,  die  vorteilhafte  Stallfütterung  einzuführen.  Man 
könne  den  Klee  sowohl  mähen,  als  auch  auf  dem  Felde  verfüttern. 
Im  dritten  Kleejahre  wird  der  Boden  im  Herbste  umgepflügt,  noch- 
mals im  Frühjahr  und  dann  Gerste  gesät,  welche  eine  sehr  gute 
Ernte  liefere.  In  den  beiden  folgenden  Jahren  säe  man  bei  fleißigem 
Umpflügen  Weizen,  wobei  man  gute  Ernten  erzielen  werde.  Im 
dritten  Jahre  sei  im  Herbste  wieder  Klee  zu  säen,  und  so  wechsel- 
weise fortzufahren ;  so  könne  man  ohne  Brache  den  Acker  für  ewige 
Zeiten  fruchtbar  erhalten.  Da  Patullo  an  anderer  Stelle  noch 
Blattpflanzen,  Hackfrüchte,  insbesondere  Rüben  als  Zwischenfrucht 
empfiehlt,  so  kann  man  seine  Methode  als  einen  Ansatz  zur  Frucht- 
wechselwirtschaft auffassen.   Auf  Mittelboden  rät  er  Luzernebau  an, 


0  Patullo,  Essay  sur  etc.,  Paris  1759,  S.  30 ff. 
2)  Patullo,  Essay  sur  etc.  S.  36 ff. 
«)  Ibid.  S.  rj4ff. 


—  •  19  — 


den  man  in  Frankreich  10 — 15  Jahre  stehen  lasse;  doch  sei  es 
vorteilhaft,  das  Kleefeld,  sobald  es  verunkraute,  umzubrechen  und 
Gerste  hineinzusäen,  dann  Weizen  und  hierauf  v^ieder  Gerste.  Ferner 
solle  man  bei  Kleesaat  jedes  dritte  Jahr  eine  Düngung  geben  usw. 
Dieser  Anbau  sei  so  vorteilhaft,  daß  man  auf  einen  so  bebauten 
Morgen  Landes  zwei  Pferde,  oder  drei  Ochsen  oder  Kühe,  oder 
12 — 13  Hammel  das  ganze  Jahr,  im  Sommer  mit  Grünfutter,  im 
Winter  mit  Heu  (nebst  dem  nötigen  Stroh)  füttern  könne.  In  Eng- 
land gelte  ein  so  bearbeiteter  Morgen  Landes  3 — 4  andere  Morgen. 
Kleeheu  dürfe  gleich  nach  dem  Mähen  nicht  naß  werden,  da  es  sonst 
schwarz  werde,  usw. 

Wie  man  sieht,  hat  man  es  hier  mit  Prinzipien  zu  tun,  wie 
sie  nachher  überall  zur  Geltung  kamen,  in  Deutschland  hauptsächlich 
durch  Schubart  vom  Kleefeld.  Die  Kleefolge  mußte  allerdings 
etwas  mehr  in  ihrer  Häufigkeit  eingeschränkt  werden,  als  Patullo 
verlangt.  Thaer  spricht  über  den  Kleebau  wiederum  ausführlicher 
als  Patullo,  aber  seine  Prinzipien  sind  dieselben. 

Patullo  macht  umfangreiche  Berechnungen,  um  zu  zeigen, 
welch  hoher  Gewinn  dabei  herauskomme,  wenn  man  von  dem  alten 
Schlendrian  der  bisherigen  Wirtschaft  ablasse  und  nach  der  von 
ihm  gezeigten  Methode  wirtschafte. 

Auch  Thaer  fordert  dringend  zu  landwirtschaftlichen  Berech- 
nungen auf,  damit  man  sich  über  seinen  eigentlichen  Verdienst  klar 
werde,  genaue  Buchführung  sei  für  rationellen  Betrieb  der  Landwirt- 
schaft unbedingt  erforderlich.  Patullo  verlangt  ferner,  daß  man 
dort,  wo  Getreidebau  wegen  zu  weiter  Entfernung  vom  Markte  sich 
nicht  lohne,  Viehzucht  treibe,^)  denn  das  Vieh  könne  immer  nach 
den  größeren  Märkten  getrieben  werden,  so  weit  diese  auch  entfernt 
seien. 

Daß  und  wie  Thaer  für  die  Viehzucht  eingenommen  ist,  braucht 
hier  nicht  näher  dargelegt  zu  werden,  weil  schon  vorher  ausführlich 
darüber  berichtet  wurde. 

Fünf  Hauptsätze  stellt  Patullo  auf,  von  denen  er  sagt,  daß 
sie  nicht  neu,  sondern  schon  zum  Teil  in  einem  Heinrich  IV.  von 
Frankreich  zugeschriebenen  Buche  ,,Theätre  d'agriculture",  1600, 
enthalten  seien.    Es  sind  dies  folgende  ^)  : 

1.  Verbesserung  der  Äcker  durch  verschiedene  Bodenarten; 
richtige  Anwendung  der  verschiedenen  bekannten  Düngemittel. 

2.  Einzäunung  sämtlicher  Felder  und  Einteilung  aller  Güter  in 
gesonderte  und  eingezäunte  Abteilungen. 

3.  Verwendung  der  Hälfte  oder  von  zwei  Dritteln  des  Bodens 
zu  Futterbau  und  Wiesenkultur. 


1)  Patullo,  Essav  S.  114. 

2)  Ibid.  S.  123. 


—    20  — 


4.  Abwechslung  in  der  Bebauung  der  Felder  zwischen 
Körner-  und  Futterbau. 

5.  Größere  Viehhaltung,  Stallfütterung  zum  Zwecke  größerer 
Düngerproduktion. 

Alle  diese  Sätze,  insbesondere  die  letzten  drei,  stimmen  genau 
mit  den  Thaerschen  Forderungen  überein. 

In  dem  Kapitel  über  die  Brache  ^)  spricht  Patullo  die  Behaup- 
tung aus,  daß  die  Brache  entbehrlich  sei,  sie  sei  zwar  zur  Lockerung 
des  Bodens  und  Vertilgung  des  Unkräuter  sehr  vorteilhaft,  doch  könne 
man  beides  durch  zweckmäßige  Wirtschaftsweise  auch  ohne  Brache 
erreichen,  so  daß  keine  Ernte  verloren  gehe.  Nach  Klee  Winter- 
brache, dann  Rüben  oder  Hülsenfrüchte  genüge  vollkommen. 

Auch  in  diesem  Punkte  geht  Thaer  mit  Patullo  zusammen.  Ins- 
besondere die  Ausführung  über  Brache  von  Patullo  könnte  von 
Thaer  geschrieben  sein. 

Über  den  Gebrauch  der  Ochsen  als  Arbeitstiere  an  Stelle  der 
Pferde  verbreitet  sich  Patullo  in  längerer  Ausführung  in  einem  be- 
sonderen Kapitel,  -)  wie  auch  Thaer  dieser  Materie  ein  ausführliches 
Kapitel  gewidmet  hat.  Patullo  widerlegt  die  Ansicht  Quesnays, 
daß  die  Arbeit  der  Pferde  besser  und  rationeller  sei  als  die  der 
Ochsen;  allerdings,  bei  der  damals  üblichen  Haltung  und  Pflege  der 
Ochsen,  im  Sommer  auf  magerer  Weide,  ermüdeten  sie  schon  beim 
Futtersuchen,  und  die  Wintermonate  bei  Strohfutter,  da  könnten  die 
Ochsen  allerdings  nichts  leisten.  Aber  bei  Stallfütterung  und  der 
nötigen  Ruhe  leisteten  die  Ochsen  ebensoviel  wie  die  Pferde.  Sie 
könnten  das  ganze  Jahr  hindurch  zweimal  täglich  angespannt  werden, 
von  morgens  bis  abends,  mittags  eine  Unterbrechung  von  2  Stunden 
zur  Ruhe.  Bei  Stallfütterung  lieferten  die  Ochsen  ebensoviel  Dünger 
wie  die  Pferde.  Ferner  könnten  die  Ochsen  nach  ihrer  Abnutzung 
noch  geschlachtet  werden,  was  bei  den  Pferden  wegfiele.  Um  den 
Vorzug  der  Ochsen  vor  den  Pferden  zahlenmäßig  zu  beweisen,  stellt 
Patullo  weitläufige  Berechnungen  an,  wie  sie  Thaer  ganz  ähnlich 
ausführt,  und  kommt  zu  einem  für  die  Arbeit  mit  Ochsen  günstigen 
Resultate. 

Die  Thaerschen  Ausführungen  über  dieses  Problem  sind  etwas 
ausführlicher  und  präziser,  als  die  Patullos,  stimmen  aber  im  meisten 
mit  denselben  überein;  sie  seien  hier  kurz  wiedergegeben.  Thaer 
beginnt  mit  einem  Hinweis  auf  den  neuerdings  wieder  heftig  ent- 
brannten Streit  über  die  Vorzüge  des  einen  Arbeitstieres  vor  dem 
andern.  ,,Über  den  Vorzug  der  Pferde  oder  Ochsen  ist  oft  und 
lange  Streit  geführt  worden,  aber  mit  zu  einseitiger  Ansicht  von 
beiden  Teilen,  und  zuweilen  mit  zu  großer  Animosität,  weshalb  er 
dann   auch   nicht   beigelegt  und  die  Sache  zu  einem  sicheren  Re- 


1)  Patullo.  Essay  S.  135. 
'2)  Ibid.  S.  150. 


—    21  — 


siiltate  gebracht  werden  konnte."  ^)  Im  weiteren  wägt  Thaer 
die  Vorteile  der  beiden  Arten  gegeneinander  ab  und  macht  da- 
bei eine  Bemerkung,  die  mit  Patullo  etwas  sehr  Ähnliches  hat,  er 
sagt:  ,,Es  versteht  sich,  daß  bei  dieser  Vergleichung  solche  Pferde 
und  Ochsen  gegeneinander  gestellt  werden  müssen,  deren  Verhältnis 
in  Ansehung  ihrer  Beschaffenheit  und  ihrer  Verpflegung  nicht  un- 
gleich ist,  und  die  beiderseits  so  beschaffen  sind,  wie  sie  es  nach 
den  Regeln  einer  guten  Wirtschaft  sein  müssen."  ^)  Das  Resultat 
der  Thaerschen  Betrachtungen  ist  andern  Worten  folgendes : 

Vorzug  der  Pferde:  Sie  passen  zu  allen  landwirtschaftlichen 
Arbeiten,  auf  allen  Wegen  und  bei  jeder  Witterung,  sind  schneller 
und  ausdauernder  als  Ochsen. 

Vorzug  der  Ochsen:  Sie  verrichten  den  größeren  Teil  der 
landwirtschaftlichen  Arbeiten  ebenso  gut,  als  die  Pferde,  und  man 
kann  in  einer  gewöhnlichen  Tagesarbeit  von  Ochsen,  wenn  sie  gut 
genährt  sind,  ebensoviel  verlangen,  als  von  Pferden.  Pflugarbeiten 
verrichten  sie  besser.  Die  Unterhaltungskosten  für  Ochsen  sind  be- 
deutend geringer,  bei  Ankauf  sind  die  Tiere  billiger,  Geschirr  und 
Nahrungsmittel  ungleich  billiger.  Ein  Hauptvorzug  der  Ochsen: 
Bei  guter  Pflege  und  nicht  zu  langer  Benutzung  vermindern  sie  sich 
in  ihrem  Werte  nicht  wie  die  Pferde,  sondern  verbessern  sich  meisten- 
teils, so  daß  ihr  Verkaufspreis  höher  zu  stehen  kommt,  als  ihr  Ein- 
kaufspreis, mithin  durch  den  Überschuß  das  Kapital  verzinst  wird, 
was  bei  den  Pferden  nicht  der  Fall  ist,  und  deren  Wert  bei  Außer- 
dienststellung fast  gleich  Null  ist.  Auch  sind  die  Ochsen  weniger 
Gefahren  und  Zufälligkeiten  ausgesetzt  als  die  Pferde. 

Jedoch  nicht  alle  Arbeiten  können  vorteilhaft  durch  Ochsen  ver^ 
richtet  werden,  auch  gibt  es  Wirtschaften,  deren  besondere  Verhält- 
nisse, merkantilische  oder  geographische  Lage  es  vorteilhaft  er- 
scheinen lassen,  gar  keine  Ochsen  zu  halten.  Es  kommt  immer 
darauf  an,  daß  der  Landwirt  die  Verhältnisse  seiner  Wirtschaft 
kennt  und  die  richtigen  Maßregeln  zu  treffen  weiß.  Arbeitstage  bei 
Ochsen  250,  bei  Pferden  300.  Das  Verhältnis  der  Pferde  zu  den 
Ochsen,  was  Arbeitsleistung  und  Unterhaltungskosten  betrifft,  würde 
sich  wie  2  :  3  oder  höchstens  5  :  6  stellen. 

Wie  man  sieht,  besteht  eine  große  Übereinstimmung  bei  beiden 
Autoren,  die  ihren  Grund,  wie  schon  vorher  erwähnt,  in  der  gemein- 
samen Quelle  haben  dürfte. 


1)  Thaer,  Grundsätze  Bd.  1  ^  16L 

2)  Ibid.  §  163. 


—    22  — 


Thaers  nationalökonomische  Grundsätze  in  seinem 
.^Leitfaden  zur  allgemeinen  landwirtschaftlichen 
Gewerbslehre". 

Zu  seinen  Vorlesungen  an  der  Berliner  Universität  hatte  Thaer 
einen  Leitfaden  geschrieben,  der  in  konzentrierter  Form  die  leitenden 
Gedanken  seiner  land-  und  volkswirtschaftlichen  Ansichten  enthielt.^) 
Die  letzteren  sind  zwar  nur  kurz  angedeutet,  doch  genügen  sie,  um 
in  engem  Rahmen  ein  Bild  von  seinen  allgemeinen  nationalökono- 
mischen Grundsätzen  zu  zeichnen.  Ein  ausführlicheres  Bild  erhält 
man  erst  durch  das  Studium  sämtlicher  Werke  Thaers,  das  auch 
einen  tieferen  Einblick  in  seine  Ansichten  über  Spezialfragen  der 
Nationalökonomie  gewährt.  Über  diese  soll  in  besonderen  Kapiteln 
berichtet  werden.  Fügt  man  noch  hinzu,  daß  Thaer  selbst  gesagt 
hat,  er  hätte  in  der  „Gewerbslehre"  das  allgemein  Nationalökono- 
mische nur  angedeutet,^)  so  liegt  es  auf  der  Hand,  daß  man  in  der- 
selben kein  ausführliches  System  mit  neuen  Ideen  erwarten  darf. 
Die  ,, Gewerbslehre"  ist  ein  in  dogmatischer  Form  kurz  abgefaßtes 
Lehrbuch  und  nichts  anderes.  Von  diesem  Standpunkte  aus  haben 
wir  sie  zu  betrachten  und  zu  behandeln. 

Bevor  wir  nun  zur  Darstellung  der  aus  genanntem  Werke  sich 
ergebenden  nationalökonomischen  Grundsätze  Thaers  übergehen,  sei 
noch  folgendes  vorausgeschickt: 

Bekanntlich  hat  die  ,, historische  Schule"  den  älteren  national- 
ökonomischen Schriftstellern  '»einseitigen  Dogmatismus"  vorgeworfen. 
Die  älteren  Schriftsteller  hätten  alles  dogmatisiert,  und  zwar  für 
alle  Zeiten  und  Völker.  Demgegenüber  ist  hier  darauf  hinzuweisen, 
daß  Thaer  an  mehreren  Stellen  mit  allem  Nachdruck  betont,  wie 
notwendig  es  sei.  auf  Verschiedenheit  von  Zeit,  Ort,  Verhältnissen 
und  Umständen  zu  achten  und  Rücksicht  zu  nehmen.^)  Darin  liegt 
nun  gar  nichts  Auffallendes,  denn  ein  Mann  wie  Thaer,  dessen  wirt- 
schaftliche Weltanschauung  sich  auf  dem  Standpunkt  des  Relativis- 
mus aufbaut,  wie  von  uns  noch  an  mehreren  Stellen  nachgewiesen 
wird,  konnte  auch  hier,  d.  h.  in  der  Gewerbslehre,  keinen  andern 
Standpunkt  vertreten,  als  den  des  Relativismus.  Hierauf  ist  zu 
achten,  wenn  wir  sagen,  die  ,, Gewerbslehre"  sei  in  dogmatischer 
Form  abgefaßt. 

Nun  zu  den  in  der  ,, Gewerbslehre"  enthaltenen  nationalökono- 
mischen Grundsätzen. 

Thaer  geht  von  dem  Standpunkte  aus,  daß  die  Landwirtschaft 
ein  Gewerbe  sei.    Er  sagt  unter  anderm : 

^)  Thaer,  Leitfaden  zur  allgemeinen  landwirtschaftlichen  Gewerbs- 
lehre, Berlin,  1.  Aufl.,  1815,  2.  unveränderte  Aufl.  1836,  Vorrede  S.  IIL 

2)  Ibid.  S.  IV. 

3)  Gewerbslehre  S.  3,  14,  88  und  a.  a.  0. 


—    23  — 


,, Manche  haben  die  Landwirtschaft  nicht  als  Gewerbe,  sondern 
als  Staatsbürgerpflicht,  besonders  für  die  Klasse  der  Gutsbesitzer, 
betrachten  und  ihr  ein  anderes  vermeintlich  höheres  Ziel  vorstecken 
wollen;  aber  irrig  und  verleitend  in  Hinsicht  auf  das  allgemeine 
Beste  sowohl,  als  für  den  einzelnen."^) 

Wie  man  sieht,  vertritt  Thaer  die  Meinung,  daß  die  Landwirt- 
schaft nicht  als  eine  politische,  sondern  als  eine  ö k o  n o  m i  s  c h e 
Institution  zu  betrachten  sei.  Wegen  dieser  Auffassung  der  Land- 
wirtschaft ist  Thaer  mit  Adam  Müller  in  Streit  geraten.  Da  die 
Landwirtschaft  ein  Gewerbe  sei,  müsse  man  alle  Faktoren  betrachten, 
aus  denen  sie  besteht,  nämlich:  ,, Arbeit,  Kapital,  rohes  Material  und 
Intelligenz  (Kenntnis  und  Künstlertalent) ".^)  Das  Verhältnis  dieser 
Elemente  zueinander  lasse  sich  nur  relativ  berechnen,^)  und  des- 
wegen könne  man  nur  von  einer  relativen  Vollkommenheit 
sprechen.  Das  Verhältnis  von  Kapital  und  Arbeit  zum  Grund  und 
Boden  bestimme  den  Unterschied  zwischen  extensiver  und  inten- 
siver Wirtschaft,^)  denn  die  Fruchtwechselwirtschaft  sei  eine  Be- 
wirtschaftungsweise auf  kapitalistischer  Grundlage,  wo  die  Exten- 
sivität und  Intensivität  ab-  und  zunehme  je  nach  der  Betriebs-  und 
Bebauungsweise;  also  das  Kapital  spielt  hier  eine  sehr  bedeutende 
Rolle,  denn  Arbeit  verrichtet  niemand  umsonst,^)  sie  muß  bezahlt 
werden.  Der  Preis  der  Arbeit  wird  bedingt  durch  das  Verhältnis 
der  Nachfrage  zum  Angebot,^)  das  ist  der  Marktpreis.*^)  Aber  wie 
der  Preis  jeder  Sache,  so  habe  auch  der  Preis  der  landwirtschaft- 
lichen Arbeit  einen  Punkt,  worauf  er  zurückzukommen  strebe,  weil 
sich  Nachfrage  und  Angebot  hier  ins  Gleichgewicht  setzen,  und  dieser 
Punkt  sei  der  natürliche  oder  Produktionspreis.'^)  .Nach 
Thaer  gibt  es  also  einen  Marktpreis  der  Arbeit,  der  durch  Angebot 
und  Nachfrage  bestimmt  wird,  und  einen  natürlichen  oder  Produktions- 
preis, der  von  den  Herstellungskosten  bedingt  wird.  Den  letzteren 
definiert  Thaer  wie  folgt: 

,,Dies  ist  derjenige,  wobei  der  kunstlos  und  unangestrengt 
arbeitende  Mensch  sich  erhalten  und  vermehren,  sich  und  wenigstens 
zwei  Kinder  ernähren  kann,  —  der  Preis,  wofür  arbeitende  Menschen 
produziert  werden  können."^)  Mit  einem  Wort:  das  Existenz- 
minimum! Allein  es  muß  betont  werden,  daß  das  Existenzminimum 
oder  der  natürliche  Preis  der  Arbeit,  wie  Thaer  es  versteht,  immer- 
hin ein  relativ  anständiger  Lohn  ist,  da  er  ihn  berechnet  für  einen 
Menschen,  der  un  an  gestrengt  arbeitet.  Die  Frage,  ob  es  sich 
in  der  Wirklichkeit  so  vollzieht,  mag  hier  dahingestellt  bleiben.  Daß 
Thaer  sich  mit  jener  Berechnung  das  Zeugnis  ausstellt,  daß  er  kein 
einseitiger  Vertreter  der  besitzenden  Klassen  war,  das  geht  aus  dieser 
Ausführung  klar  genug  hervor. 

^)  Gewerbslehre  S,  3. 

2)  Ibid.  S.  4. 

3)  Ibid.  S.  5. 


—    24  - 


Zwischen  Existenzminimum  und  Marktpreis  der  Arbeit,  zwischen 
diesen  beiden  Polen  schwankt  der  Arbeitslohn.  Da  nun  aber  das 
Angebot  der  Arbeit  dringender  sei,  als  die  Nachfrage,  so  sei  der 
Preis  der  Arbeit,  der  Arbeitslohn,  in  der  Regel  das  Minimum  dessen, 
was  zur  Erhaltung  der  Arbeiter  erforderlich  sei.^)  Thaer  meint,  was 
man  gegen  dieses  Lohngesetz  anzuführen  pflege,  sei  unbegründet.^) 
Eine  Auseinandersetzung  darüber  finden  wir  bei  ihm  nicht;  Aus- 
nahmen gesteht  er  aber  zu.^)  Auch  was  das  Lohngesetz  anbetrifft, 
ist  Thaer  kein  einseitiger  Dogmatiker. 

Thaer  bekämpft  die  Meinung,  der  zufolge  die  Aufhebung  der 
Fronarbeit  eine  Steigerung  des  Arbeitslohnes  nach  sich  ziehe. ^) 
Er  sagt: 

,, Umgekehrt  muß  ein  großer  Arbeitseffekt  erfolgen,  wenn  der 
freie  Arbeiter  mehr  leistet,  als  der  gezwungene,  folglich  ein  Plus 
entstehen  und  dadurch  die  Arbeit  wohlfeiler  werden.^) 

Wie  man  sieht,  steht  Thaer  auf  dem  Standpunkt  von  Adam 
Smith.  Schon  dieser  betont,  daß  die  Arbeit  des  Sklaven  kost- 
spieliger sei,  als  die  des  freien  Mannes.  Diese  Ansicht  durchzieht 
fast  die  ganze  damalige  Strömung  der  Literatur,  handelte  es  sich 
doch  zu  jener  (Thaers)  Zeit  um  das  große  Werk  der  Bauernbefreiung. 
Jene  Motivierung  hat  die  Ausführung  der  Befreiung  kräftig  befür- 
wortet und  unterstützt. 

Der  Begriff  der  Arbeit  ist  bei  Thaer  ein  zweifacher:  phy- 
sische Arbeit  und  Intelligenz  - Arbeit.  Unter  die  Faktoren  der 
Produktion  zählt-  er,  wie  schon  gesagt,  Arbeit,  Kapital,  Rohmaterial 
und  Intelligenz.-^)  Der  Begriff  der  Intelligenz  ist  nicht  nur  als 
,, gelernte  Arbeit"  zu  verstehen,  wie  wir  es  bei  Smith  finden,  sondern 
er  ist  ein  viel  weiterer,  er  ist  auch  im  Sinne  geistiger  Arbeit  zu 
verstehen,^)  wie  Kunst,  geschickte  Verwaltung  usw.*'*)  Daß  geistige 
Arbeit  auch  ökonomisch  produktiv  sei,  betont  Thaer  immer  mit 
großem  Nachdruck.  Indem  wir  diesen  Punkt  berühren,  gilt  es  hier 
einen  Vorwurf  zurückzuweisen,  den  Wilhelm  Roscher  Thaer 
gemacht  hat.    Roscher  sagt  folgendes : 

,,Wenn  er  (Thaer)  unter  den  Produktionsfaktoren  die  Intelligenz 
der  Arbeit  entgegensetzt,  so  bemerkt  schon  F.  G.  Schulze,  dies 
hieße  doch  eigentlich  den  aristotelischen  Grundsatz  wieder  einführen, 
welcher  die  Sklaverei  rechtfertigt."^)  Auf  diese  Äußerung  Roschers 
ist  vor  allem  zu  bemerken,  daß  Thaer  die  Intelligenz  der  Arbeit 
überhaupt   gar   nicht   entgegengesetzt,  hat,    sondern  im 


^)  Gewerbslehre  S.  6. 
2)  Ibid.  S.  8. 
■■')  Ibid.  S.  3. 
Ibid.  S.  41. 

'*)  Thaer,  Grundsätze  der  rationellen  Landwirtschaft  Bd.  1,  Berlin 
1831,  S.  28. 

^)  Roscher,  Geschichte  der  Nationalökonomie  S.  699. 


—    25  — 


Gegenteil  gerade  hervorkehrt,  daß  Intelligenz  auch  produktiv  sei. 
Die  Belegstelle,  die  Roscher  gegen  Thaer  anführt,  sagt  gar  nichts 
für  die  Roschersche  Auffassung  Thaers,  d.  h.  daß  ,, Thaer  die 
Intelligenz  der  Arbeit  entgegengesetzt";  die  betr.  Stelle  sei  hier 
angeführt : 

,,Das  vierte  Element  des  landwirtschaftlichen  Gewerbes  ist 
Intelligenz,  die  in  der  Wirklichkeit  in  diesem  Fache  mehrenteils 
weniger,  wie  in  andern,  angetroffen  wird,  aber  in  keinem  so  unbe- 
grenzt in  ihrer  Anwendung  ist,  wie  in  diesem."^)  Wie  man  sieht, 
beruht  die  Roschersche  Ansicht  auf  Oberflächlichkeit.  Ferner,  gesetzt 
der  Fall,  Thaer  hätte  der  Arbeit  die  Intelligenz  ,, entgegengesetzt", 
so  folgt  daraus  logisch  keineswegs  das  Prinzip  der  Sklaverei, 
denn  man  kann  von  denselben  Prämissen  entgegengesetzte  Schlüsse 
ziehen.  Die  aristotelische  Schlußfolgerung  ist  für  Thaer  gar 
nicht  obligatorisch.  Mag  man  immerhin  die  Intelligenz  der  Arbeit 
entgegensetzen,  so  braucht  man  daraus  noch  nicht  das  Prinzip  der 
Sklaverei  zu  folgern,  denn  man  kann  wohl  sagen:  Die  Intelligenz 
ist  historisch  je  nach  Umständen  bedingt,  keiner  Klasse 
angeboren.  Kurz,  weder  logisch  noch  sachlich  ist  Roscher  Thaer 
gerecht  geblieben. 

Nehmen  wir  den  Faden  der  Untersuchung  nun  wieder  auf. 

,,Der  Effekt  der  Arbeit  wird  erstaunlich  vermehrt  durch  zwei 
mächtige  Hebel :  Teilung  der  Arbeit  und  Maschinen.-)  Die  Benutzung 
beider,^)  meint  Thaer  fortfahrend,  hätten  die  meisten  Schriftsteller 
über  ,, Nationalwirtschaftslehre"  dem  Landbau  abgesprochen,  weil  die 
Arbeiten  bei  den  Produkten  desselben  nicht  in  eins  fortgingen,  sondern 
in  Stillstand  kämen  und  wieder  begännen,  daher  keine  Teilung  der 
Arbeit,  sondern  beständige  Abwechslung  derselben  stattfände.  Dem- 
gegenüber meint  Thaer: 

,,Aber  diese  Schriftsteller  haben  den  Gang  der  landwirtschaft- 
lichen Arbeiten  im  ganzen  und  im  großen  nicht  beachtet;  sonst 
würden  sie  eingesehen  haben,  daß  das,  wovon  der  Vorteil  der  Arbeits- 
teilung abhängt  —  die  Übung  in  gewissen  Handgriffen  und  die  Er- 
sparung des  Zeitverlustes  beim  Übergange  von  einer  Arbeit  und  von 
einem  Werkzeuge  zum  andern  —  bei  größern  Wirtschaften,  wo 
mancher  Arbeiter  sein  einzelnes  Geschäft  hat,  oder  doch  lange  das 
einzige  fortsetzt,  ebenfalls  eintrete."^) 

Diese  Meinung  harmoniert  nicht  mit  der  von  Adam  Smith,  wie 
an  anderer  Stelle  von  uns  gezeigt  wird,  und  worauf  hiermit  ver- 
wiesen sei.  Was  die  Maschinen  und  deren  Bedeutung  für  den 
Ackerbau  anbetrifft,  so  meint  Thaer,  daß,  wenn  eine  Maschine  ein 
Werkzeug  sei,  vermittelst  dessen  andere  Kräfte  erspart  und  der 
,, Effekt"  wohlfeiler  erreicht  werden  könne,    so  sei  der  Pflug  eine 


1)  Thaer,  Gewerbslehre  S.  167. 

2)  Ibid.  S.  9. 


—    26  — 


Maschine,  wodurch  mehr  Arbeit  erspart  und  ein  größerer  ,, Effekt" 
bewirkt  worden,  als  durch  alle  Maschinen  der  Fabriken  zusammen- 
genommen, Was  würde  Thaer  in  seiner  Meinung  noch  bestärkt 
worden  sein,  wenn  er  einen  modernen  Dampfpflug  oder  eine  Auto- 
mobilmähmaschine bei  der  Arbeit  gesehen  hätte ! 

Diese  Auffassung  Thaers  in  bezug  auf  Anwendbarkeit  von 
Arbeitsteilung  und  Maschinen  in  der  Landwirtschaft  steht  in  konse- 
quentem und  logischem  Zusammenhange  mit  seiner  gesamten  Auf- 
fassung der  Landwirtschaft.  Die  Landwirtschaft  ist  ein  Gewerbe  — 
das  ist  der  Hauptgrundsatz  Thaers,  also  hat  sie  den  Zweck  der 
Ökonomik,  nicht  der  Politik.  Dies  ist  darauf  zurückzuführen, 
daß  die  Landwirtschaft  alle  Eigenschaften  der  Industrie  besitzt,  d.  h. 
die  Prinzipien,  welche  der  Industrie  zugute  kommen,  unterstützen 
auch  die  Landwirtschaft,  nämlich  Arbeitsteilung,  Maschinen  und 
kapitalistischer  Betrieb.  Es  ist  hier  klar  ersichtlich,  daß  die 
Thaersche  Befürwortung  der  Anwendung  von  Arbeitsteilung  eigent- 
lich eine  logische  Ergänzung  seines  Grundsatzes  ist,  daß  Land- 
wirtschaft ein  Gewerbe  sei.  Diese  Ergänzung,  welche  nicht  hoch 
genug  geschätzt  werden  kann,  verleiht  Thaers  Standpunkt  seine  Er- 
habenheit und  Größe.  Es  zeigt  sich  hier  wirklich  der  ,, klassische" 
Begründer  der  Landwirtschaftswissenschaft.  Nun  zum  Begriff  vom 
Kapital  bei  Albrecht  Thaer.    Er  sagt  unter  anderm: 

,,Den  richtigen  Begriff  vom  Kapital  hat  der  unsterbliche  Er- 
finder der  Nationalwirtschaftslehre,  Adam  Smith,  und  die  ihm  nach- 
folgenden Schriftsteller  angegeben."^) 

Jedes  Kapital,  fährf  Thaer  fort,  entstehe  nach  Smith  durch 
Arbeit  und  durch  Ersparung  im  Genüsse  des  Arbeitsprodukts.  ^) 
Kapitalien  werden  verzehrt  oder  zum  Betriebe  der  Gewerbe  angelegt.  ^) 
,,Im  letzteren  Falle  heißen  sie  Verlagskapitale."  ^)  Da  ohne  Kapitalien 
kein  Gewerbe  betrieben  werden  könne,  so  hänge  die  Größe  der 
Gewerbsbetriebe  von  der  Größe  der  Kapitalien  hauptsächlich  ab  und 
von  der  Art,  wie  sie  verteilt  seien.  ^)  Thaer  unterscheidet  zwei 
Arten  von  Kapitalsprofit,    Er  meint: 

,,Der  Profit,  den  Verlagskapitale  geben,  kann  betrachtet  werden 
im  Verhältnis  zu  der  Größe  des  Kapitals,  und  wir  nennen  ihn  dann 
den  relativen  Profit;  oder  ohne  Rücksicht  auf  die  Größe  des- 
selben, und  er  heißt  dann  absoluter  Profit.  Kleine  Kapitale 
geben  oft  einen  relativ  größeren  Profit ;  aber  ihr  absoluter  Profit  ist 
dennoch  klein  gegen  den,  welchen  große  geben."  ^)  Er  sagt  ferner, 
daß  die  Verwechslung  dieser  beiden  Ansichten  Irrungen  in  der  Land- 
und  Staatswirtschaftslehre  veranlaßt  hätte.  ^) 

Was  die  sonstigen  Begriffe  vom  Kapital  bei  Thaer  anbetrifft, 
so  sei  hier  auf  diesbezügliche  Ausführungen  in  dem  Kapitel  ,, Thaers 

^)  Gewerbslehre  S.  10. 
2)  Ibid.  S.  16. 
Ibid.  S.  17. 


—    27  — 


Stellung  zur  Grundrente"  verwiesen,  wo  diese  Materie  ausführlicher 
behandelt  wurde. 

Betrachtet  man  die  in  diesem  Kapitel  angeführten  national- 
ökonomischen Grundsätze  etwas  näher,  so  muß  man  ihnen  Originalität 
absprechen.  Allein,  Thaer  macht  hier  auch  keinen  Anspruch  darauf, 
denn  er  sagt  ausdrücklich,  daß  er  in  der  Gewerbslehre"  einen 
Leitfaden  für  seine  Zuhörer  geschrieben  habe.  ^) 

Bevor  wir  diesen  Abschnitt  schließen,  mag  hier  noch  Platz 
finden,  was  Thaer  über  Zinsgesetze  gesagt  hat.  Die  Zinsen, 
meint  er,  könnten  nie  so  hoch  sein,  als  der  mit  dem  Kapitale  zu 
machende  Gewinn,  weil  man  es  sonst  nicht  anleihen  würde. ''^j  Sie 
stiegen,  wenn  weniger  Kapitalien  angeboten  oder  mehr  gesucht 
würden  und  der  damit  zu  machende  Profit  größer  sei;^^)  sie  fielen, 
wenn  mehr  angeboten  oder  weniger  gesucht  würden,  weil  sie  minder 
vorteilhaft  anzulegen  seien.^)  ,,Es  setzt  sich  daher  in  einem  Lande 
und  zu  einer  Zeit  ein  gewöhnlicher  Zinssatz  fest,  der  nur  in  einzelnen 
Fällen  nach  der  Sicherheit  und  Bequemlichkeit  des  Verleihers  und 
dem  Bedürfnis  des  Borgers  eine  Abänderung  leidet."  ^) 

Es  ist,  was  Thaer  hier  sagt,  lediglich  von  den  Prinzipien  des 
Angebots  und  der  Nachfrage  abgeleitet,  und  deswegen  darf  es  nicht 
wundernehmen,  wenn  er  meint:  ,,Weil  ein  niedriger  Zinsfuß  der  Er- 
weiterung des  Gewerbsbetriebes  günstig  ist,  so  haben  die  meisten 
Gesetzgebungen  die  Steigerung  desselben  durch  gesetzliche  Bestim- 
mungen verhindern  wollen.  Sie  sind  aber  nicht  nur  vergeblich,  weil 
sie  eludiert  werden,  sondern  auch  nachteilig,  weil  derjenige,  der  ein 
Kapital  besser  benutzen  könnte ,  aber  ohne  höhere  Zinsen  keines 
erhalten  kann,  nun  daran  verhindert  wird,  oder  sich  einem  gesetz- 
widrigen, wucherlichen  Kontrakte  unterwerfen  muß.  Weil  sich  Jedoch 
gemachte  Fehler  nicht  zu  jeder  Zeit  wieder  gut  machen  lassen,  so 
kann  auch  die  Aufhebung  dieses  Gesetzes  zu  einer  Zeit,  wo  mehr 
Kapitale  gesucht  als  angeboten  werden,  nachteilig  wirken,  indem  es 
die  Rentierer  als  einen  Aufruf  ansehen,  ihre  Zinsen  zu  erhöhen.  ^) 
Wie  man  sieht,  ist  Thaer  für  völlige  Zinsfreiheit,  er  steht  in  dieser 
Beziehung  im  Gegensatz  zu  Adam  Smith,  dessen  Stellung  zu  Her 
Zinsfrage  eine  Auseinandersetzung  seitens  Benthams  veranlaßt 
hat.  Allein  Thaer  will  keineswegs  auf  einmal  die  Zinsgesetze 
aufheben,  und  in  dieser  Hinsicht  tritt  bei  Thaer  der  Praktiker 
zum  Vorschein.  Er  wußte  sehr  wohl,  daß  in  dem  so  komplizierten 
Wirtschaftsleben  nicht  alles  mit  einem  Schlage  gut  gemacht  werden 
kann,  sonst  schadet  man  mehr,  als  man  verbessert.  Auch  hier 
zeigt  sich  Thaer  als  Relativist  im  vollen  Sinne  des  Wortes. 


^)  Gewerbslehre  Vorrede  S.  IIL 

2)  Ibid.  S.  22. 

3)  Ibid.  S.  22—23. 

Vierth.  3 


—    28  — 


Alles  in  allem  ergibt  sich,  daß  die  hier  geschilderten  national- 
ökonomischen Grundsätze  nicht  über  das  Niveau  des  Eklektikers 
hinausgehen,  was  wir  zur  Zeit  Thaers  fast  in  der  ganzen  national- 
ökonomischen Literatur  Deutschlands  vor  uns  haben.  Immerhin 
muß  aber  zum  Lobe  Thaers  gesagt  werden,  daß  er,  der  Landwirt- 
schaftler, sich  in  der  nationalökonomischen  Literatur  immer  genau 
zu  informieren  gesucht  hat.  In  andern  Punkten  dagegen  war  Thaer 
wiederum,  was  Nationalökonomie  anbelangt,  originell  und  Vorläufer 
eines  der  wichtigsten  nationalökonomischen  Werke,  wie  im  Verlaufe 
dieser  Arbeit  noch  gezeigt  werden  soll. 


Thaers  Stellung  zu  Klein-  und  Großgrundbesitz. 

,,Der  Streit,  ob  größere  oder  kleinere  Pachtungen  für  die  National- 
wohlfahrt im  ganzen  zuträglich  seien",  —  sagt  Thaer  in  der  ,, Ein- 
leitung zur  Kenntnis  der  englischen  Landwirtschaft"  —  ,,ist  neuer- 
lichst wieder  in  England  sehr  lebhaft  betrieben  worden;  und  man 
hat  abermals  im  Parlamente  eine  Bill,  um  die  Zusammenziehung 
mehrerer  kleinen  Pachtungen  in  eine  große  zu  verhindern,  und  die 
geschehenen  wieder  zu  trennen,  in  Vorschlag  gebracht.  Die  Korn- 
teuerung gab  dazu  wieder  die  Veranlassung.  Ob  sich's  nun  gleich  bald 
erweisen  ließ,  daß  der  Vorwurf,  als  wären  die  großen  Pächter  die 
Urheber  der  Kornteuerung,  nur  der  Nachhall  staatswirtschaftlicher 
Reden  in  Tee-  und  Tabagiegesellschaften  sei,  und  jener  Vorschlag 
also  aus  den  bereits  angeführten  Gründen  keinen  Eingang  fand ;  man 
vielmehr  einsah,  daß  die  Kornscheuren  und  Fimmen  großer  und  ver- 
mögender Landwirte  noch  das  einzige  Magazin  der  Nation  waren, 
nachdem  die  Ernten  kleinerer  Wirte  längst  verzehrt  waren  — ,  so 
sind  doch  bei  dieser  Gelegenheit  die  Vorzüge  der  großen  und  kleinen 
Wirtschaften  heller  ins  Licht  gestellt  worden.  Da  diese  Frage  auch 
bei  uns  mehrmals  aufgeworfen  ist,  und  bei  ihrer  Untersuchung  sich 
manches  ergibt,  was  den  Landwirt  nicht  minder  wie  den  Gesetz- 
geber interessiert,  so  will  ich  das,  was  für  die  kleinen  und  für  die 
großen  Wirtschaften  gesagt  worden  oder  meines  Ermessens  gesagt 
werden  könnte,  hier  kurz  anführen."^) 

Diese  äußeren  Umstände  veranlaßten  also  Thaer,  die  oben  um- 
schriebene Frage  zu  erörtern. 

Thaer  versteht  unter  großen  Wirtschaften  Güter  von  500  bis 
1000  Äckern  kultivierten  Landes;  unter  kleinen  solche,  die  20  bis 
80  Äcker  haben.^) 

^)  Thaer,  Einleitung  zur  Kenntnis  d.  engl.  Landwirtsch.  Bd.  2  I.Abs., 
Hannover  1801,  neue  Aufl.  S.  91—92. 
2)  Ibid.  S.  92. 


—    29    —  • 

In  folgendem  sollen  nun  Thaers  Ausführungen  über  vorbe- 
uanntes  Thema  näher  beleuchtet  werden.  Bei  der  Untersuchung  dieses 
Problems  erörtert  Thaer  sorgfältig  pro  und  contra,  um  schließlich 
zu  einem  endgültigen  Resultate  zu  gelangen.  Die  Beweisführungen 
zugunsten  der  kleinen  Wirtschaften  lassen  sich  nach  Thaer  folgen- 
dermaßen zusammenfassen : 

Der  kleine  Pächter  oder  Bauer  mit  Weib  und  Kind  und  etwa 
etlichen  Knechten  und  Mägden,  welcher  selbst  die  Arbeit  verrichtet, 
wird  fleißiger  als  jeder  Lohnarbeiter  sein,  und  seine  Gehilfen  müssen 
ihm  hierin  folgen.  Er  ist  bei  allen  Geschäften  der  erste,  arbeitet 
vor,  weiß,  was  Jeder  leisten  kann,  versteht  die  Kunst,  seine  Mit- 
arbeiter in  Atem  zu  halten,  die  Art  und  Weise,  mit  seinesgleichen 
umzugehen  und  sie  aufzumuntern.  Seine  Leute  wissen,  daß  er  ihre 
Arbeit  aus  eigener  Erfahrung  zu  schätzen  weiß;  sie  sind  ihm  auch 
zugetan,  sie  fühlen  sich  ihm  näher,  arbeiten  also  gewiß  gutwilliger, 
als  sie  es  allein  nur  um  des  Lohnes  und  Brotes  willen  tun  würden ;  da- 
her wird  mit  denselben  Händen  in  einer  kleinen  Wirtschaft  mehr  aus- 
gerichtet als  in  einer  großen.  Ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  Zugvieh ;  es 
muß  leisten,  was  es  ohne  irgendwelchen  Nachteil  für  sich  selbst  tun 
kann,  wird  aber  nicht  überanstrengt,  denn  sein  Eigentümer  führt  es 
selbst.  Es  wird  alles  aufs  beste  benutzt,  sparsamer  mit  den  ver- 
schiedenen Materialien  umgegangen,  weil  Wirt  und  Wirtin  alles 
unter  eigenen  Händen  haben.  ^)  ,,Er"  (der  Wirt)  sagt  Thaer,  ,, wartet 
seine  Pferde,  sie  (die  Wirtin)  ihre  Kühe  selbst,  gibt  ihnen,  was  sie 
zu  jeder  Zeit  brauchen,  aber  nicht  mehr,  und  spart  daher  mehr 
Futter  auf,  als  in  großen  Wirtschaften  unter  den  Händen  der  Knechte 
und  Mägde  würde  geschehen  sein."  ^)  Da  der  kleine  Wirt  jeden 
einzelnen  Fleck  seines  Ackers  kennt,  so  weiß  er  ihn  aufs  beste  zu 
bearbeiten  und  zu  benutzen;  damit  erzielt  er  den  möglichst  höchsten 
Ertrag.^)  Demgemäß  werden  sowohl  die  Kräfte  der  Menschen  als 
auch  die  des  Viehes  und  Grund  und  Bodens  in  kleinen  Wirtschaften 
aufs  höchste  benutzt.  Dies  führt  natürlich  zum*  Vorteil  des  Staates. 
Dabei  kommt  noch  ein  Moment  in  Betracht :  Die  Verteilung  des  Grund 
und  Bodens  unter  viele  kleine  Wirtschaften  und  Familien  begünstigt 
sehr  die  Bevölkerungsvermehrung.  Es  werden  mehr  Ehen  geschlossen, 
mehr  Kinder  erzeugt  und  aufgezogen  werden,  als  wenn  der  Acker 
durch  ledige  Knechte  und  kümmerliche  Tagelöhner  bebaut  wird.-) 
,,Da  der  Ackerbau"  —  sagt  Thaer  —  ,,die  Hauptstütze  der  allge- 
meinen Wohlfahrt  ist,  so  ist  alles  daran  gelegen,  daß  es  nicht  an 
Menschen  zu  seiner  Betreibung  fehle.  Je  mehr  kleine  Wirtschaften 
es  aber  gibt,  desto  mehr  Menschen  werden  auf  dem  Lande  bleiben 
und  sich  weniger  nach  den  Städten  ziehen.  Man  wird  also  nicht 
das  Klagen  der  großen  Wirte  mehr  hören,  daß  der  Acker  nicht  ge- 

1)  Thaer,  Einleitung  zur  Kenntnis  d.  engl.  Landwirtsch.  2.  Bd.  1.  Abt. 
Hannover  1801,  neun  Aufl.  S.  93-94. 

2)  Ibid.  S.  94. 

3* 


—    30  — 


hörig  angebaut,  die  Ernten  nicht  eingescheuert,  das  Korn  nicht  ab- 
gedroschen werden  kann,  weil  es  ihnen  an  Leuten  fehlt.  Die  Familien 
des  Landmannes  werden  aus  Liebe  zum  väterlichen  Herd  zusammen- 
bleiben, solange  sie  Arbeit  und  Nahrung  haben."  ^) 

Wie  man  sieht,  stellt  sich  Thaer  die  Sache  folgendermaßen 
vor:  Der  kleine  Wirt  erzielt  durch  Fleiß,  Sparsamkeit  und  Sorgfalt 
den  möglichst  höchsten  Ertrag;  die  Produktion  begünstigt  die  Ver- 
mehrung der  Bevölkerung,  die  letztere  wieder  die  Vermehrung  der 
Produktion  der  Landwirtschaft,  desjenigen  Zweiges  der  Staats  Wirt- 
schaft, welcher  die  Hauptstütze  der  allgemeinen  Wohlfahrt  ist.  Da- 
durch entsteht  immer  ein  Überschuß  gesunder,  abgehärteter,  unver- 
dorbener Leute  unter  dem  Landvolke,  woraus  der  Staat  seine  Armeen 
rekrutieren  kann,  ,,ein  Schlag  von  Leuten"  —  wie  Thaer  sich  ziem- 
lich scharf  ausdrückt  — ,  ,,die  man  in  den  Städten  und  unter  ledig- 
losem Gesindel  vergeblich  sucht  — ,  der  sein  Vaterland  liebt,  und 
für  seinen  väterlichen  Herd  gern  streitet."^) 

Schließlich  sind  noch  die  kleinen  Wirtschaften  vom  sozialen 
Standpunkt  aus  betrachtet  von  großer  Bedeutung.  Dies  hat  schon 
Thaer  seinerzeit  bemerkt,  indem  er  meinte,  daß  dadurch,  auf  dem 
Lande  wenigstens,  eine  ebenmäßigere  Verteilung  des  Vermögens  statt- 
finden würde. ^)    ,, Mehrere  Menschen  werden  ihre  reichliche  Nahrung 

und  Notdurft,   ihre  angemessene  Erquickung  finden  Weniger 

Menschen  werden  aus  Üppigkeit  in  Trägheit  und  Vernachlässigung 
ihrer  Geschäfte  verfallen;  weniger  aber  auch  aus  Hunger  und  Kummer 
unfähig  zur  Arbeit  werden."  ^)  Es  handelt  sich  hier  bei  Thaer  um 
die  Erhaltung  des  ländlichen  Mittelstandes,  dessen  günstige 
wirtschaftliche  Lage  auch  für  die  ländlichen  Arbeiter  von  guten 
Folgen  sei. 

Soweit  die  Ausführungen  Thaers  über  den  Vorzug  der  kleinen 
Wirtschaften.  Nun  haben  wir  uns  mit  dessen  Darlegungen  über  den 
Vorzug  der  großen  Wirtschaften  zu  befassen. 

Thaer  ist  der  Meinung,  daß  es  sehr  unrichtig  sei,  die  Land- 
wirtschaft den  Fabriken  entgegenzusetzen.  ^)  ,, Objektivisch  betrachtet", 

—  sagt  er  —  ,,niag  man  die  Erzeugnisse,  die  jene  liefert,  Produkte, 

—  die  Erzeugnisse  von  diesen  Fabrikate  nennen,  subjektivisch  sind 
sie  sich  völlig  gleich,  und  dieselben  Maximen,  welche  bei  Betreibung 
von  Fabriken,  wenn  sie  emporkommen  sollen,  befolgt  werden  müssen, 
finden  ihre  Anwendung  auch  bei  der  Landwirtschaft,  wenn  sie  zu 
einiger  Vollkommenheit  gedeihen  soll." 

Thaer  vergleicht  die  Landwirtschaft  mit  der  Industrie,  indem 
als  das  Rohmaterial  der  Landwirtschaft  der  Grund  und  Boden  zu  be- 
trachten sei ;  ihre  Fabrikate  seien  das,   was  man  Produkte  nennt, 

^)  Thaer,  Einleitung  zur  Kenntnis  d.  engl.  Landwirtsch.  2.  Bd.  1.  Abt. 
Hannover  1801,  neue  Aufl.  S.  95. 
2)  Ibid.  S.  96. 
3j  Ibid.  S.  97. 


—    31  — 


welche  eine  erstaunliche  Verschiedenheit  nach  Quantität  und  Qualität, 
Kunst,  Arbeit  und  Kapital  besitzen.  Er  bestreitet  die  Meinung,  die 
dahin  geht,  den  Ackerbau  als  ein  Handwerk  anzusehen.  Die  Land- 
wirtschaft sei  etwa  als  eine  verwickelte  Fabrik  zu  betrachten,  und 
bei  ihrer  Betreibung  seien  alle  die  Regeln  zu  unterlegen,  worauf  auch 
der  glückliche  Erfolg  der  Fabriken  beruht.^)  Wie  die  Fabrik  von 
der  Arbeitsteilung  sehr  begünstigt  wird,  so  auch  die  Landwirtschaft. 
Und  wie  auf  dem  Gebiete  der  Arbeitsteilung  die  große  Fabrik  vor 
der  kleinen  im  Vorteil  ist,  ebenso  auch  die  großen  Wirtschaften  vor 
den  kleinen;  in  den  großen  Wirtschaften  kann  sich  die  Arbeitsteilung 
entfalten,  dadurch  werden  die  Arbeiten  pünktlicher,  sauberer  und 
ordnungsmäßiger,  schneller  und  besser  verrichtet,  die  Handgriffe  ver- 
vollkommnet.'-^j  ,,Sowie  ferner"  —  meint  Thaer  —  ,, große  Fabriken 
einen  mächtigen  Vorteil  vor  den  kleinen,  vermöge  der  Mannigfaltig- 
keit zweckmäßiger  Werkzeuge  und  Maschinen  haben,  deren  Erfindung, 
Anschaffung  und  Unterhaltung  den  kleinen  zu  kostspielig  wird ,  so 
ist  dies  bei  den  Wirtschaften  eben  der  Fall."  ^) 

Unerachtet  aber  in  großen  Wirtschaften  mit  denselben  Menschen- 
händen mehr  ausgerichtet  werde,  wie  in  kleinen,  so  folge  daraus 
nicht,  daß  weniger  Hände  gebraucht  werden:  die  Landwirtschaft  sei 
so  unendlicher  Verfeinerungen  und  Vervollkommnungen  fähig,  daß 
der  große  Landwirt,  der  Geist  und  Vermögen  dazu  hat,  nach  Ver- 
hältnis seiner  Ackerfläche  immer  mehr  Menschen  anstellen  könne, 
als  der  kleine,  der  an  solche  Verbesserungen  nicht  einmal  denken 
dürfe.  Thaer  hat  hier  vorzugsweise  Meliorationen  und  sonstige 
Verbesserungen  im  Auge,  steht  also  in  dieser  Beziehung  gerade  auf  dem 
entgegengesetzten  Standpunkte  wie  Adam  Smith,  wie  wir  später  noch 
sehen  werden.  Der  große  Landwirt  werde  Verbesserungen  vornehmen, 
habe  manche  Gelegenheit,  den  Arbeitern  die  Arbeit  zu  erleichtern 
und  zu  vereinfachen;  folglich  werden  auf  derselben  Fläche  Landes 
mehr  Menschen  Verdienst  und  Unterhalt  bei  großen  Wirtschaften 
finden  als  bei  kleinen.  Da  der  große  Landwirt  durch  seine  Arbeiten 
mehr  verdient,  als  der  kleine  (hier  zeigt  sich  schon  der  Keim  zu 
der  späteren  Ansicht  Thaers,  daß  die  größeren  Wirtschaften  das 
aufgewendete  Kapital  höher  verzinsen  als  die  kleinen),  so  werde  er 
sie  auch  besser  bezahlen  können.  Der  Lohn  werde  steigen  und  die 
Lebensmittel  bei  vermehrter  Produktion  wohlfeiler  werden.  Es  folge 
hieraus  notwendig  Vermehrung  der  Bevölkerung.  ^)  Denn  Thaer  meint : 

,, Tagelöhnerfamilien,  die  ihren  Unterhalt  finden,  werden  sich 
stärker  vermehren  wie  Bauernfamilien,  wo  nur  ein  Sohn   den  Hof 


^)  Thaer.  Einleitung  zur  Kenntnis  d.  engl.  Landwirtsch.  2.  Bd.  1.  Abt. 
Hannover  1801,  neue  Aufl.  S.  97-98. 

2)  Ibid.  S.  98—100. 

3)  Ibid.  S.  101. 

4)  Ibid.  S.  102. 

5)  Ibid.  103-104. 


—    32  — 


wiedererhalten  kann."  Er  scheint  hier  lediglich  Gegenden  mit  An- 
erbenrecht im  Auge  zu  haben. 

Es  wird  zugunsten  der  kleinen  Wirtschaften  häufig  der  Umstand 
in  Erwägung  gezogen,  daß  eine  Arbeit  besser  von  statten  gehe,  wenn 
der  Wirt  vorarbeite.  Thaer  meint,  das  sei  doch  nur  bei  einzelnen 
Arbeiten  der  Fall.  ,, Hilft  der  Wirt  oder  Wirtschaftsvorsteher  bei 
der  einen,  so  ist  keine  Aufsicht  bei  der  andern,  oder  diese  andere 
Arbeit  wird  ausgesetzt  und  geschieht  demnächst  zu  spät  oder  gar 
nicht."  ^)  Nirgends  komme  es  mehr  als  bei  der  Landwirtschaft 
darauf  an,  daß  alles  auf  den  rechten  Zeitpunkt  geschehe.  Es  sei 
ein  nicht  ungewöhnlicher  Fehler  solcher  Verwalter,  die  vormals 
Knechte  oder  Bauern  gewesen  sind,  daß  sie  bei  einem  Geschäfte 
ordentlich  mitarbeiten.  Darüber  versäumen  sie  mehrenteils  die  Auf- 
merksamkeit auf  ein  anderes  und  tun  weit  mehr  Schaden  damit, 
als  sie  Vorteil  schaffen."-)  Der  Aufseher  bei  einer  Wirtschaft  dürfe 
so  wenig  mitarbeiten,  als  der  Offizier  mitfeuern,  weil  die  Aufmerk- 
samkeit auf  die  Untergebenen  dabei  wegfällt.  Er  müsse  höchstens 
zeigen,  daß  er  es  könne. 

Was  das  Argument  der  Sparsamkeit  und  Sorgfalt  anbetrifft, 
so  findet  es  mehr  in  den  großen  Wirtschaften ,  da  das  Liegen- 
bleibende, das  Unverzehrte  oft  in  den  kleinen  Wirtschaften  so  wenig 
sei,  daß  niemand  daran  denke,  es  zu  erhalten,  daß  es  sich  des  Wegs 
nicht  verlohne.^)  ,, Dreißig  Personen  an  einem  Tische  brauchen 
weniger  als  dieselbe  Zahl  an  zehn  Tischen."  ^) 

Vom  sozialen  Standpunkte  hat  Thaer  folgendes  für  die 
großen  Wirtschaften  anzuführen : 

,, Gleichmäßigere  Verteilung  des  Vermögens  mag  ein  Wunsch 
sein,  der  bei  manchem  aus  einem  menschenfreundlichen  Herzen  ent- 
springt. Aber,  ohne  Rücksicht  auf  die  Frage  zu  nehmen,  ob  die 
Masse  von  Glückseligkeit  in  der  menschlichen  Gesellschaft  dabei 
größer  oder  geringer  werden  möchte ,  kommt  es  hier  nur 
darauf  an,  ob  der  Betrieb  jedes  Gewerbes,  folglich  auch  die 
Landwirtschaft  und  folglich  die  Produktion  dabei  gewinnen  oder 
verlieren  würde."  ^)  Also  der  Ausgangspunkt  ist  Thaer  zufolge  haupt- 
sächlich der  der  Vermehrung  der  Produktion,  und  nicht 
die  Verteilung  der  Güter.  Wir  haben  hier  mit  demjenigen 
Prinzip  zu  tun,  welches  später  in  der  Nationalökonomie  böses  Blut 
gemacht  hat,  und  welches  man  vom  Standpunkte  einer  ,, ethischen" 
Nationalökonomie  aus  bekämpfen  zu  sollen  glaubte.  Das  Auftreten 
des  nationalökonomischen  Romantikers  Adam  Müller  gegen  das 
Thaersche  Prinzip  ist  in  dieser  Beziehung  nicht  als  Zufall  zu  be- 


^)  Thaer,  Einleitung  zur  Kenntnis  d.  engl.  Landwirtsch.  2.  Bd.  1.  Abt. 
Hannover  1801,  neue  Aufl.  S.  104. 

2)  Ibid.  S.  105. 

3)  Ibid.  S.  106. 


—    33  — 


trachten,  wenn  auch  Thaers  Gesamtanschauung  durchaus  nicht  gegen 
die  Ethik  gerichtet  ist. 

Thaer  fährt  fort  mit  Bezug  auf  das  oben  angeregte  Thema  der 
Vermögensverteilung:  ,,Ein  Land,  worin  eine  fast  gleiche  Verteilung 
des  Vermögens  stattfände,  möchte  vielleicht  ein  schönes  Arkadien 
sein,  aber  einen  höchst  ohnmächtigen  Staat  ausmachen  und  bei 
einiger  Bevölkerung  bald  in  den  Fall  zu  verhungern  kommen."^) 

,,Der  Luxus"  —  sagt  Thaer  weiterhin  —  ,, behauptete  auch 
ein  Teil  der  französischen  Ökonomisten,  stehe  der  Aufnahme  des 
Ackerbaues  im  Wege.  Aber  der  Luxus,  den  sie  meinen,  war  der 
in  Paris,  welcher  alles  Vermögen  dorthin  zog  und  auf  dem  Lande, 
besonders  in  den  entlegenen  Provinzen,  lauter  Armut  hinterließ.  Der' 
Ackerbau  ging  in  diesen  Provinzen  zugrunde,  weil  kein  Luxus  da 
war  und  die  Produkte  nach  guten  Ernten  keinen  Absatz  fanden. 
Wo  Luxus  und  Ausfuhr  dem  Überfluß  keinen  Absatz  verschafft,  da 
wird  kein  Überfluß  erzeugt;  und  wo  kein  Überfluß  in  guten  Jahren 
ist,  da  entsteht  Mangel  in  schlechten  Jahren.  Luxus  aber  und 
Handel  kann  nur  bei  ungleich  verteiltem  Vermögen  statt- 
finden." -) 

Auch  meint  Thaer,  daß  die  Verbesserung  der  Viehzucht,  Ver- 
edelung des  Schlages  nur  von  großen  und  vermögenden  Landwirten 
unternommen  würde. 

,,Also"  —  folgert  er  —  ,,die  Wohlfahrt,  die  Stärke,  der 
Reichtum  des  Staates  erfordert,  wenigstens  zum  Teil,  große  Wirt- 
schaften." ^) 

Indessen  ist  Thaer  weit  entfernt,  die  Einziehung  der  kleinen 
Wirtschaften  und  die  Zusammenschmelzung  derselben  in  größere 
geradezu  anzuraten.  ,,Daß  kein  Eingriff  ins  Eigentum  geschehen 
dürfe,  verstehe  sich  von  selbst."*)  Er  glaubt  aber  ebensowenig, 
daß  man  dem  Laufe  der  Dinge  wehren  müsse,  wenn  die  Zusammen- 
ziehung kleiner  Höfe  nach  Recht  und  Billigkeit  erfolgen  könne.  ,,Will 
der  armselige,  verschuldete  Bauer  seinen  Hof  freiwiUig  an  einen 
größeren  Gutsbesitzer  verkaufen  und  dieser,  wie  sicli's  versteht,  alle 
und  jede  Prästanda  davon  übernehmen,  so  wird  Produktion  und 
Bevölkerung  und  folglich  der  Staat  mehr  dabei  gewinnen  als  ver- 
lieren. Wenn  nur  Recht  und  Eigentum  geschützt  sind,  so  überlasse 
der  Regent  die.  freie  Übertragung  derselben  der  Willkür  eines  jeden 
und  räume  die  Hindernisse  veralteter  Formen,  jedoch  ohne  Jemandes 
Gefährde,  aus  dem  Wege.  Dann  wird  von  selbst  diejenige  Verteilung 
des  Grund  uud  Bodens  erfolgen,  welche  nach  Zeit  und  Ortsverhält- 
nissen in  Rücksicht  auf  Produktion,  Nationalreichtum  und  Bevölkerung 

1)  Thaer,  Einleitung  zur  Kenntnis  d.  engl.  Landwirtsch.  2.  Bd.  l.  Abt. 
Hannover,  neue  Aufl.  S.  107. 

2)  Ibid.  S.  108-109. 
Ibid.  S.  110. 

4)  Ibid.  S.  III. 


—    34  - 


die  vorteilhafteste  ist.  Zu  große  Güter  werden  parzelliert,  zu  kleine 
zusammengeschmolzen  werden.  ^) 

Nach  dem  bisher  Gesagten  ergibt  sich  folgendes:  Thaer  bevor- 
zugt große  Wirtschaften,  will  aber  die  Verteilung  des  Grundbesitzes 
dem  freien  Laufe  der  Dinge  überlassen  wissen.  Diese  Auffassung 
hat  er  später  teilweise  geändert,  wie  wir  sofort  sehen 
werden. 

Zunächst  müssen  wir  uns  mit  seinen  ,, Reflexionen"  beschäftigen, 
welche  als  Bemerkungen  einem  anonym  gedruckten  Aufsatz,  der  in  den 
Thaerschen  ,,Annalen  des  Ackerbaues"  1806  erschien,  begefügt  sind. 

Auf  die  Frage  über  die  zweckmäßigste  Größe  der  Wirtschaften, 
die  Zerschlagung  der  größeren  und  die  Zusammenziehung  der  kleineren 
antwortet  Thaer,  daß  diejenige  Größe  der  Wirtschaften  in  jeder  Hin- 
sicht die  beste  sei,  welche  an  dem  Orte  und  zu  der  Zeit  am 
meisten  gesucht  und  folglich  am  teuersten  bezahlt  werde.  ^)  Wir 
haben  es  also  mit  einem  relativen  Standpunkte  zu  tun.  Nachdem 
Thaer  die  Vorzüge  der  großen  Wirtschaften  aufgezählt  hat,  sagt  er, 
daß  unter  entgegengesetzten  Umständen  in  der  Regel  die  kleinen 
Wirtschaften  den  großen  den  Vorzug  abgewinnen  werden,  und  daß 
lauter  kleine  oder  lauter  große  Höfe  in  einer  Gegend  ent- 
stehen, möge  nur  in  seltenen  P^ällen  für  das  Ganze  vorteilhaft  sein.  ^) 
Ein  ,, entweder  —  oder"  gibt  es  also  hier  für  Thaer  nicht.  Eine  solche 
Ausschließlichkeit  der  einen  oder  andern  Art  werde  aber  auch 
nirgends  auftreten.  In  einem  andern  Zusammenhang  sagt  er  aus- 
drücklich : 

,,Ich  muß  nach  meiner  Überzeugung  die  großen  und  die  kleinen 
Wirtschaften  gegen  ihre  Gegner  und  gegen  einseitige  Gründe  ver- 
teidigen, weil  ich  sie  beide  nach  den  Umständen  für  vor- 
teilhaft halte,  und  nicht  nur  glaube,  daß  sie  mit-  und  neben- 
einander sehr  gut  bestehen,  sondern  auch  sich  sehr  wohltätig 
unterstützen  können."*) 

In  der  3  Jahre  später  (nach  diesem  Ausspruch)  erschienenen 
,, Gewerbslehre"  hat  er  seine  Ansicht  noch  weiter  modifiziert  bezw. 
erweitert.  Hier  unterscheidet  er  drei  Arten  von  Landgütern,  große, 
mittlere  und  kleine  Güter,  die  alle  drei  vorteilhaft  sein  können. 
Größere  Wirtschaften  haben  den  Vorteil  der  Arbeitsteilung  für  sich, 
kleinere  den  der  besseren  Bearbeitung,  mittlere  den  der  besseren  und 
genaueren  Beaufsichtigung.^) 


^)  Thaer,  Einleitung  und  Kenntnis  d.  engl.  Landwirtsch.  2.  Bd.  1.  Abt. 
Hannover  18Ü1,  neue  Aufl.  S.  112. 

2)  Annalen  des  Ackerbaues,  1806,  S.  41—42. 

3)  Ibid.  S.  78. 

*)  Thaer,  Annalen  der  Fortschritte  der  Landwirtschaft  Bd.  3  1812 
S.  541. 

Thaer,  Leitfaden  zur  allgemeinen  landwirtsch.  Gewerbslehre  2.  un- 
veränderte Aufl.,  Berlin  1S36,  §  150  (1.  Aufl.  erschien  1815). 


—    33  — 


Alles  in  allem  ergibt  sich  aus  den  bisher  mitgeteilten  Stellen: 
Thaer  betrachtet  die  kleinen  wie  die  großen  Wirtschaften  als  relativ 
gleichberechtigt  und  ist  g e g e  n  Jedwede  Ausschließlich- 
keit einer  dieser  Formen  des  Grundbesitzes. 

•Er  hat  ferner  den  Unterschied  gemacht,  daß  die  kleinen  Wirt- 
schaften den  absolut  höchsten  Rohertrag  (der  kleine  Bauer  rechne 
seine  eigne  Arbeit  weniger),  die  größeren  den  absolut  höchsten  Rein- 
ertrag lieferten. 

Allein,  wenn  Thaer  seinen  Standpunkt  in  bezug  auf  die  Größe 
der  Wirtschaften  etwas  geändert  hat,  so  hat  er  doch  einen  beträcht- 
lichen Teil  seiner  alten  Auffassung  zurückbehalten.  Wir  wissen 
schon  von  früher,  daß  er  die  Einmischung  der  Staatsgewalt  in  die 
Verteilung  des  Grundbesitzes,  in  die  Zusammenziehung  wie  in  die 
Parzellierung  desselben  bekämpft.  Es  soll  dies  dem  freien  Lauf  der 
Dinge  überlassen  bleiben.  Dieselbe  Auffassung  befürwortet  er  auch 
später.  Er  sagt  unter  anderm:  ,, Eine  völlige  Freiheit  folglich,  kleinere 
Güter  zusammenzuziehen  oder  mit  einem  großen  zu  vereinigen,  und 
wiederum  große  Güter  in  Parzellen  von  beliebiger  Größe  zu  zer- 
schlagen, und  zu  wählen,  was  Jedem  nach  seiner  individuellen  Lage 
am  vorteilhaftesten  scheint,  wird  für  die  Produktion  und  die  allge- 
meine Wohlfahrt  am  vorteilhaftesten  sein."^) 

Allein  auch  hier  macht  er  eine  Ausnahme,  indem  er  sagt:  ,,lch 
gebe  zwar  zu,  daß  einmal  entstandene  besondere  politische,  kon- 
stitutionelle und  rechtliche  Verhältnisse  dieser  Freiheit  entgegenstehen 
können.  Dies  kann  Ausnahmen  nötig  machen."  ^)  Den  absoluten 
,, Manchestermann"  werden  wir  also  in  Thaer  vergebens  suchen,  da 
er  Ausnahmen  mit  Bezug  auf  die  Staatsintervention  zugesteht. 

Die  Ansichten  Thaers  über  großen  und  kleinen  Grundbesitz 
haben  wir  nun  kennen  gelernt;  wir  sahen,  daß  er  früher  für  die 
großen  Wirtschaften  mehr  eingenommen  war,  später  aber,  im  Sinne 
der  Stein-Hardenbergschen  Reformen,  an  denen  er  im  weiteren  persönlich 
mitwirkte,  seinen  Standpunkt  geändert  hat,  und  zwar  in  der  Weise, 
daß  sowohl  kleine  als  auch  große  Güter  relativ  vorteilhaft  sein 
können.  Es  ist  deswegen  verfehlt,  wenn  man  sich  neuerdings  auf 
Thaer  beruft  als  auf  den  Befürworter  der  kleinen  Wirtschaften.  Bei 
Thaer  handelt  es  sich  nicht  um  eine  Ausschließlichkeit,  nicht  um 
ein  entweder  —  oder",  sondern  um  ein  ,, sowohl  —  als  auch", 
mit  andern  Worten:  um  den  Standpunkt  der  Relativität. 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  es  gestattet,  eine  kurze  Betrachtung 
über  das  Verhältnis  Smiths  und  der  Physiokraten,  denen  Thaer  nicht 
fernstand,  zu  dem  obigen  Problem  anzustellen. 

Bekanntlich  war  Thaer  der  Meinung,  daß  auch  in  die  Land- 
wirtschaft, wie  in  die  Fabriken,  Arbeitsteilung  sehr  wohl  eingeführt 
werden  könne.    Diese  Ansicht  hat  er  auch  später  noch  vertreten, 


1)  Thaer,  Aniialon  fl.  Ackcrb.  1806  Bd.  4  S.  42—43. 


—    36  — 


indem  er  in  seiner  ,, Übersicht  der  Anleitung  zur  Kenntnis  der  bel- 
gischen Landwirtschaft  von  J.  N.  Schwerz",  welche  in  den  ,,Annalen 
der  Fortschritte  der  Landwirtschaft"  erschien,  unter  anderm  sagt: 
,,Der  Abbe  Man  versucht  zwar  8.  481  ad  III  die  Wirkung  der 
Arbeitsteilung  bei  der  Landwirtschaft  lächerlich  zu  machen,  indem 
er  sie  mit  einer  Stecknadelfabrik  vergleicht.  Aber  wenn  sie  gleich 
nicht  in  dem  Maße  wie  bei  dieser  anwendbar  ist,  so  findet  sie 
doch  in  allen  großen  Wirtschaften  statt,  und  um  so  mehr,  je  größer 
die  Industrie  und  Intelligenz  ist,  womit  sie  betrieben  werden."^) 
Weiter  geht  aber  Adam  Smith  bezüglich  des  Unterschiedes  zwischen 
der  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft  und  in  den  Fabriken,  indem 
er  meint:  ,,Das  Wesen  der  Landwirtschaft  läßt  allerdings  nicht  so 
viele  Unterabteilungen  der  Arbeit  und  eine  so  vollständige  Trennung 
der  einzelnen  Zweige  zu,  wie  die  Fabrikation  oder  das  Handwerk."^) 
Und  weiter:  ,,Und  in  dieser  Unmöglichkeit  einer  vollständigen  Trennung 
der  einzelnen  Arbeiten  in  der  Landwirtschaft  liegt  vielleicht  der  Grund, 
weshalb  die  Fortschritte  in  derselben  denen  der  Fabrikation  nicht 
gleichkommen."-) 

Thaer  und  Smith  stimmen  mehr  überein,  indem  sie  das  Land- 
wirtschaftsgewerbe als  eine  verwickelte  Kunst  betrachten.  Die  dies- 
bezügliche Ansicht  Thaers  haben  wir  kennen  gelernt,  die  gleiche  ist 
die  Adam  Smiths,  indem  er  sagt:  ,,Nie  hat  man  daran  gedacht,  daß 
eine  Lehrlingszeit  zur  Erlernung  der  Landwirtschaft,  dem  großen 
ländlichen  Gewerbe  nötig  sei,  und  doch  gibt  es  vielleicht  keines 
nächst  den  schönen  und  freien  Künsten  und  Wissenschaften,  das  so 
mannigfaltiger  Kenntnisse  und  Erfahrungen  bedürfte."-) 

Die  Ansichten  Adam  Smiths  über  großen  und  kleinen  Grund- 
besitz gehen  nicht  mit  denen  Thaers  zusammen,  indem  ersterer  aus- 
schließlich für  Kleingrundbesitz  eingenommen  ist.  Nach  Smith  seien 
die  ausgedehnten  Besitztümer  für  die  Entwicklung  der  Kultur  un- 
günstig, weil  man  von  deren  Eigentümern  für  die  Verbesserung  des 
Bodens  kaum  etwas  erwarten  könne.  Anders  steht  es  mit  dem 
kleinen  Grundeigentümer;  da  er  jeden  Teil  seines  Gebietes  kenne 
und  mit  aller  Liebe  betrachte,  deswegen  sei  er  der  betriebsamste, 
einsichtsvollste  und  glücklichste  Verbesserer  der  Landwirtschaft. 

Sowohl  die  ältere  Meinung  Thaers,  nach  welcher  die  großen 
Wirtschaften  bevorzugt  wurden ,  als  auch  die  spätere ,  dergemäß 
kleine  und  große  Wirtschaften  als  gleichberechtigt  zu  betrachten  sind, 
deckt  sich  nicht  mit  der  von  Adam  Smith. 

Mit  den  Physiokraten  stimmt  jene  Ansicht,  an  der  er  früher 
festgehalten  hatte,  überein.  Denn  die  Physiokraten  waren  für  den 
Großbetrieb  bezw.  Großgrundbesitz,  denn  nur  dieser  erzielte  nach 
ihrer  Ansicht  den  ,,produit  net",  den  höchsten  Reinertrag. 

^)  Thaer,  Neue  Annalen  d.  Ldw.  1811  Bd.  1  S.  225. 
2)  Adam  Smith,  Wealth  of  nations  etc.    In  Übers,  von  Garbe» 
Breslau  1794,  I  S.  11. 


—    37  — 


Thaers  endgültige  Stellung  ist  weder  rein  physiokratisch,  noch 
rein  smithianisch,  er  nimmt  eine  unabhängige  Stellung  ein,  nämlich 
zwischen  den  Physiokraten  und  Adam  Smith  hält  er  die  Mitte,  oder 
mit  andern  Worten :  sein  Standpunkt  ist  der  vermittelnde.  Kleine 
wie  große  Wirtschaften  haben,  Zeit  und  Ort  entsprechend,  ihre  Be- 
rechtigung, Von  einem  absoluten  Vorzug  einer  oder  der  andern 
Form  kann  keine  Rede  sein.  Demgemäß  sind  beide  Formen  unent- 
behrlich für  die  allgemeine  W^ohlfahrt.  Der  höchste  ,, Reinertrag", 
welcher  als  Ausgangspunkt  des  Landwirtschaftsbetriebes  nach  Thaer 
zu  gelten  hat,  kann  bei  beiden  Formen  des  Grundbesitzes  stattfinden, 
weil  die  Vorzüge  Jedes  Systems  nicht  absolut,  sondern  relativ, 
d.  h.  an  gewisse  Verhältnisse  und  Bedingungen  geknüpft  sind.  Da 
aber  die  Verhältnisse  und  Bedingungen  an  jedem  Ort  verschieden 
sich  gestalten,  so  folgt  logischerweise,  daß  die  Form  des  Grundbe- 
sitzes, sei  es  nun  eine  ,, große"  oder  ,, kleine"  Wirtschaft,  nicht  eine 
einzige,  allgemeingültige  sein  kann.  Thaer  war  ein  zu  guter 
Kenner  des  konkreten  Lebens,  als  daß  er  alles  unter  eine  Schablone 
hätte  bringen  wollen.  Er  war  zu  sehr  vertraut  mit  der  Kompliziert- 
heit der  Landwirtschaft  nach  allen  ihren  Modifizierungen  hin.  Fügen 
wir  noch  hinzu,  daß  sein  Standpunkt  überhaupt  der  der  Relativität 
war,  so  liegt  die  Erklärung  seiner  Stellung  zu  der  besprochenen 
Frage  auf  der  Hand.  Es  muß  noch  daran  erinnert  werden,  daß  dies 
Problem  bei  Thaer  volkswirtschaftlich,  das  heißt  vom  Stand- 
punkte der  landwirtschaftlichen  Produktion  betrachtet  werden 
muß.  In  politischer  Beziehung  hat  Thaer  bekanntlich  an  der 
Agrarreform  mitgearbeitet. 

Fassen  wir  die  Ergebnisse  unserer  Untersuchung  über  Thaers 
Stellung  zu  kleinen  und  großen  Wirtschaften  zusammen,  so  ergibt 
sich:  Kleine  und  große  Wirtschaften  sind  beide  zweck- 
mäßig, je  nach  den  Bedingungen,  unter  denen  sie  sich 
befinden.  Es  findet  kein  absoluter  Vorzug  statt.  Das 
Entscheidende,  Ausschlaggebende  dieser  oder  jener  Form  des  Grund- 
besitzes sind  die  örtlichen  und  zeitlichen  Bedingungen,  die  Lage  zum 
Markte  und  die  jeweiligen  Konjunkturen  desselben. 


Thaers  Stellung  zur  Getreidezollpolitik. 

Thaer  liebt  es,  zur  Begründung  mancher  seiner  Ideen  geschicht- 
liche Momente  und  Erfahrungen  anzuführen.  Ganz  besonders  bringt 
er  diese  Methode  bei  seiner  Stellungnahme  zur  Getreidezollfrage  in 
Anwendung.  Bei  Besprechung  derselben  sagt  er,  daß  es  unbedingt 
nötig  sei,  um  richtige  Maximen  für  die  Korngesetzgebung  aufstellen 
zu  können,  in  der  Geschichte  nachzusehen  und  aus  ihr  zu  lernen. 
Insbesondere  die  Geschichte  der  englischen  Kornlegislatur  biete  für 


• 


—    38  — 


diese  Frage  reichhaltiges  Material.  Er  gibt  selber  in  längerer  Aus- 
führung^) ein  Bild  Jener  Periode,  aus  der  hier  ein  kurzer  Auszug 
wiedergegeben  werden  soll;  es  ist  dies  aus  dem  Grunde  nötig,  weil 
Thaer  in  die  Schilderung  der  Geschichte  seine  eigenen  Ansichten  ein- 
streut, und  man  daher,  um  diese  zu  würdigen,  jene  kennen  muß. 

Vor  und  im  14.  Jahrhundert  beschäftigen  sich  alle  Kornpolizei- 
verordnungen in  England,  abgesehen  von  der  Einführung  eines  all- 
gemein richtigen  Maßes,  mit  dem  Verbote  des  Kornaufkaufes.  Die 
Kornhändler  oder  Kornjuden,  wie  das  Volk  sie  damals  nannte,  waren 
die  bestgehaßten  Leute  im  Lande.  Und  doch  waren  sie,  wie  Thaer 
sagt,  nützliche  Leute,  die  wahren  Vormünder  des  Volkes,  welche 
das  Getreide  ebenmäßig  durch  das  Land  und  durch  die  Zeit  von 
einer  Ernte  bis  zur  andern  verteilten,  die  nach  einer  unzureichenden 
Ernte  durch  höhere  Preise  anfangs  die  Konsumenten  zut  Sparsamkeit 
zwangen,  und  dadurch  Hungersnot  am  Ende  des  Jahres  verhüteten. 
Warum  aber  haßte  man  diese  Leute?  Der  König,  die  Lords  und  die 
Stadtobrigkeiten  verloren  durch  den  Kornhandel  außerhalb  der  Märkte 
ihre  Zölle  und  Gefälle,  der  Bürger  meinte,  die  Vorkäufer  müßten 
allein  schuld  sein,  wenn  der  Landmann  nicht  einen  Überfluß  von 
Korn  auf  den  Markt  brächte,  oder  nicht  mit  den  niedrigsten  Preisen 
zufrieden  wäre.  Leben  und  Eigentum  der  Kornhändler  waren  zu 
Zeiten  vor  der  Wut  des  englischen  Pöbels  nicht  sicher. 

Schwere  Strafen  ruhten  nach  Einführung  des  Zwischenhandel- 
verbotes auf  dem  Kornzwischenhandel  —  man  kann  sich  also  denken, 
daß  es  keinem  vermögenden  und  unternehmenden  Manne  einfallen 
konnte,  diesen  Haß  und  diese  Strafen  auf  sich  zu  ziehen,  und  daß 
d^her  aller  Zwischenhandel  aufhörte,  alle  Kornböden  wegfielen.  Was 
war  die  Folge  hiervon?  Der  Bauer  mußte  für  nichts  besorgter  sein, 
als  daß  mehr  Getreide  in  seiner  Gegend  gebaut  würde,  wie  zur  un- 
umgänglichen Subsistenz  nötig  war.  Denn,  wurde  sein  nächster  Markt 
mit  Getreide  überfahren,  so  konnte  er  sein  Korn  nicht  los  werden, 
er  mußte  unter  Produktionspreis  verkaufen;  wenn  auch  in  einer 
andern  Gegend  des  Landes  Hungersnot  herrschte,  so  durfte  es  doch 
keiner  wagen,  Getreide  in  jene  Gegend  zu  transportieren,  Obrigkeit 
und  Pöbel  würden  ihm  die  Lust  schon  ausgetrieben  haben.  Also : 
Der  Landmann  baute  nur  das  allernötigste  Korn,  und  dieser  Um- 
stand hatte  in  guten  Jahren  enormen  Preisrückgang,  in  schlechten 
Jahren  Hungersnot  und  dadurch  insgesamt  riesige  Preisschwankungen 
zur  Folge.  In  jenen  Zeiten  stieg  oft  das  Getreide  von  einem  Mittel- 
preise auf  das  Zehn-  bis  Achtzehnfache,  und  fiel  dann  wieder  auf 
ein  Viertel  des  Mittelpreises  herunter. 

Gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  kam  ein  Schimmer  Licht  in 
diese  kornpolitische  Finsternis.    Bei  Erlegung  eines  gewissen  Aus- 


1)  Thaer,  Einleit.  z.  Kenntn.  d.  engl.  Landwirtsch.  1801  Bd.  2  2.  Abt. 
S.  114—252. 


—     39  — 


fulirzolles  ward  die  Ausfuhr  gestattet,  jedoch  mit  der  Einschrän- 
kung, daß  der  König  und  sein  Rat  die  Ausfuhr  beschränl^en  könne, 
wenn  er  es  für  gut  befände.  Und  König  und  hochweiser  Rat  fanden 
es  für  vernünftig,  in  Rücksicht  auf  die  ihnen  sonst  entgehenden  Gefälle 
der  inneren  Märkte  die  Ausfuhr  in  der  Regel  zu  verbieten  und  nur 
in  seltenen  Fällen  Konzessionen  zur  Ausfuhr  zu  erteilen. 

Mit  dem  Jahre  1436  sollte  in  diesem  Zustand  eine  Erleichte- 
rung geschaffen  werden.  Es  erschien  eine  Parlamentsakte  ,, zur  Auf- 
helfung des  verfallenden  Ackerbaues",  worin  Ausfuhrfreiheit  erteilt 
wurde,  wenn  der  Weizen  nicht  über  6  Schilling  8  Pence  stände. 
Man  fand  dies  so  wohltätig  für  das  Reich  und  für  den  Ackerbau, 
daß  1444  das  Gesetz  bestätigt  und  auf  10  Jahre  verlängert  wurde. 
Hierbei  hob  sich  der  Ackerbau  so  sehr,  daß  der  Ge- 
treidepreis in  einerReihe  vonJahren  w  eni  g  s  chwankte 
und  immer  auf  einem  mäßigen  Standpunkte  stehen 
blieb.  Es  ist  zu  beachten,  daß  die  Einfuhrfreiheit  vom  Aus- 
lande her  in  keiner  Weise  beschränkt  war.  Die  nach- 
teiligen Folgen  dieses  Verhältnisses  sollten  denn  auch  nicht  aus- 
bleiben. Da  sich  zu  dieser  Zeit  auch  der  Ackerbau,  ebenso  wie  die 
Industrie  der  Niederländer  infolge  größeren  Kapitalreichtums  ungemein 
hob,  so  wurden,  wenn  in  England  der  Preis  des  Getreides  infolge  einer 
schlechten  Ernte  etwas  stieg,  sofort  von  Holland  solche  Massen  Getreide 
eingeführt  und  gegen  Wolle  und  halbfertiges  wollenes  Tuch  einge- 
tauscht, daß  der  englische  Ackerbau  nicht  Preis  halten  konnte  und 
vom  Markte  verdrängt  wurde.  Der  Getreidebau  wurde  also  wieder 
vernachlässigt  und  mehr  Schafzucht  getrieben,  das  heißt,  extensive 
Wirtschaft  auf  Kosten  der  vorgeschrittenen  intensiven  Betriebsweise 
der  englischen  Urproduktion  aufgedrängt. 

Die  Regierung  sah  ein,  daß  der  Ackerbau  durch  die  starke  Ge- 
treideeinfuhr zugrunde  gerichtet  werde,  und  gab  ein  Gesetz,  wodurch 
die  Einfuhr  von  Getreide  verboten  wurde,  solange  bis  der  Weizen 
über  6  Schilling  8  Pence,  Roggen  über  4  Schilling  und  Gerste  über 
3  Schilling  stände. 

Dieses  Gesetz  nennt  Thaer  die  Morgenröte  einer  weisen 
Gesetzgebung  in  Ansehung  des  Kornhandels,  ,,  sie  waren 
der  Samen  des  nachmaligen  fruchtreichen  Stammes,  wozu  der  englische 
Ackerbau  anwuchs",  sie  hätten  den  nachfolgenden  Gesetzgebern 
einen  Fingerzeig  gegeben,  ,,was  sie  zu  tun  hätten,  um  den  Acker- 
bau zu  heben,  daß  dieser  eine  Vermehrung  der  Menschenzahl,  die 
daraus  folgende  Industrie  und  den  Nationalreichtum  in  späteren 
Zeiten  hervorbringen  konnte." 

Doch  bei  diesem  guten  Anlauf  blieb  man  bald  wieder  stehen, 
Ja  man  machte  sogar  wieder  Schritte  nach  rückwärts.  1552  kam 
eine  merkwürdige  Akte  heraus :  Es  ward  die  Einfuhr  verboten,  wenn 
der  Weizen  auf  6  Schilling  8  Pence  stände,  oder  auch  inländischen 
Weizen  von  einem  Orte  zum  anderen  zu  fahren,  oder  ihn  zum  Ver- 


40  — 


kaufe  aufzuschütten.  Die  Einfuhr  war  ja  bei  jenem  Preise  über- 
haupt verboten  und  die  Ausfuhr  gestattet.  Es  scheint  hier  nur  auf 
das  Wort  ,,auf"  oder  ,,über"  anzukommen.  In  der  früheren,  dies- 
bezüglichen Akte  hieß  es,  ,,bis  der  Preis  über  6  Schilling  8  Pence 
stände,  sei  die  Einfuhr  verboten";  doch  man  muß  berücksichtigen, 
daß  der  Münzfuß  sich  während  dieser  Zeit  so  verändert  hatte,  daß  man 
nun  aus  einem  Pfund  Silber  60  Schilling  schlug,  während  in  der 
vorhergehenden  Periode  nur  37  Schilling  6  Pence  darauf  gingen. 
Auch  war  der  Zinsfuß  von  16^7^,  auf  12*^/^  gefallen.  6  Schilling 
8  Pence  galten  (nach  dem  Münzfuß  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
ausgerechnet)  im  Jahre  1463  1:15:2  Pfd.,  im  Jahre  1552  dagegen 
nur  0:16:6,  ein  Preis,  wofür  in  England  kein  Korn  produziert 
werden  konnte.  Folglich  ward  das  ganze  damalige  System  über 
den  Haufen  geworfen,  nicht  nur  die  Produktion,  sondern  auch 
der  Kornhandel  bekam  wieder  einmal  einen  tödlichen  Stoß,  denn  das 
Korn  mußte  unter  Produktionspreis  fallen,  der  Produzent  mußte  sich 
dazu  bequemen,  unter  Produktionspreis  zu  verkaufen,  wenn  er 
überhaupt  angesichts  der  billigen  Preise  des  eingeführten  Getreides 
seine  Ware  an  den  Mann  bringen  wollte. 

Dieser  Fehler  war  um  so  unverzeihlicher ,  weil  seit  40  Jahren 
kein  Kornmangel  entstanden  und  der  Preis  immer  sehr  mäßig  ge- 
wesen war.  In  den  Jahren  vor  dieser  Verordnung,  die  1554  noch 
verschärft  wurde,  hatte  der  Preis  des  Weizens  8  Schilling  betragen, 
war  also  zu  wohlfeil  für  den  Landmann  gewesen,  und  doch  be- 
schwert man  sich  am  Eingang  der  Akte  über  den  ,,wund  ervoll 
teuren  Preis,  der  durch  den  Kornwucher  hervor- 
gebracht würde". 

Hierzu  äußert  sich  Thaer  in  längerer  Darstellung,  von  der  das 
Treffendste  herausgehoben  sei :  ,, Diese  kurzsichtigen  Gesetzgeber",  so 
sagt  Thaer,  ,, wähnten  also,  das  sicherste  Mittel,  Überfluß  zu  er- 
halten, sei:  wenn  man  alles  einheimische  Korn  zu  Hause  behielte, 
und  soviel  wie  möglich  vom  fremden  einführte.  Es  fiel  ihnen  nicht 
ein,  daß  gerade  hierdurch  auf  die  Folge  teure  Preise  bewirkt  werden 
müßten,  indem  der  Ackerbauer  kein  Korn  zum  Verkaufe  erzielen 
konnte,  wenn  das  Korn  weniger  galt,  als  es  ihn  kostete;  daß 
folglich  Mangel  und  Hungersnot  erfolgen  müsse,  wenn  der  Bauer 
dies  fühlte  und  die  Vorräte  erschöpft  wären.  Den  Unterschied  des 
vormaligen  und  jetzigen  Wertes  derselben  Nennmüuze  hatten  sie 
vermutlich  aus  den  Augen  verloren ;  bedachten  nicht,  daß  Tagelohn 
und  alle  Bedürfnisse  den  Landmann  jetzt  dreimal  soviel  kosteten." 

„Daß  der  Ackerbau  sich  hebe  und  einen  Überfluß  von  Korn 
erzeuge,  wenn  immer  ein  freier  offener  Markt  da  ist;  daß  mit  dem 
fleißigen  Anbau  des  Feldes,  mit  der  Verführung  und  dem  Handel 
von  Produkten  mehrere  Menschen  nützlich  beschäftigt  werden;  daß 
Menschen  sich  schnell  vermehren,  wenn  Nahrungsmittel  und  Arbeit 
vorhanden  sind,  daß  diese  Menschen  auf  neue  Industriezweige  sinnen; 


—    41  — 


daß  diese,  sowie  der  Ackerbau  selbst,  dann  mehr  hervorbringen,  als 
im  Lande  gebraucht  werden  kann;  daß  eine  vorteilhafte  Handels- 
balanz  für  den  Staat  entstehe,  und  daß  sein  Reichtum  und  seine 
Macht  anwachse,  —  daß  sich  folglich  alles  dies  in  größeren 
Staaten  auf  den  emporkommenden  Ackerbau  gründe, 
dies  war  den  Staatsmännern  damaliger  Zeit  noch  zu  verwickelt,  und 
ist  den  unsrigen  zum  Teil  —  zu  einfach  und  natürlich." 

Der  Ackerbau  dauerte  aus  Not  und  Gewohnheit  in  England 
noch  fort,  wenn  auch  immer  kümmerlicher. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  wurde  die  Not 
jedoch  unerträglich,  in  den  siebziger  Jahren  trat  fortdauernde  Teuerung 
und  Kornmangel  ein,  die  Preise,  welche  bisher  zwischen  3 — 8  Schilling 
geschwankt  hatten,  stiegen  auf  45,  60,  80  Schilling,  denn  die  Aus- 
länder machten  sich  die  englische  Not  zunutze.  Innerhalb  weniger 
Jahre  betrug  die  Einfuhr  von  Korn  45  Millionen  Livres  Tournois. 
Das  Erschrecken  über  den  verfallenden  Ackerbau  war  nun  auf  selten 
•der  Regierung.  Die  Königin  Elisabeth  ordnete  1562  an,  daß  alle 
unbebauten  Höfe  bebaut  werden  sollten,  widrigenfalls  sie  dem 
nächsten  Erben,  der  sie  bebaute,  dann  dem  Gutsherrn,  und  endlich 
der  Königin  anheimfallen  sollten.  Auch  erlaubte  sie  die  Ausfuhr, 
wenn  der  Quarter  Weizen  nicht  über  10  Schilling  stände.  Aber  nie- 
mand hatte  Lust,  unter  diesen  Bedingungen  die  Höfe  zu  bebauen, 
und  die  Königin  am  allerwenigsten. 

1570  erschien  eine  Akte  „zur  Beförderung  des  Ackerbaues  und 
zur  Vermehrung  der  Schiffahrt  und  der  Matrosen".  Thaer  sagt  über 
diese  Akte:  „Die  Tendenz  war  gut,  doch  die  Zusätze  verhinderten 
alle  Wirkung."  Es  ward  erlaubt,  Getreide  auf  englischen  Schiffen 
mit  englischer  Bemannung  auszuführen,  wenn  —  die  Ausfuhr  nicht 
durch  Regierung  oder  Distriktsobrigkeit  untersagt  sei.  Die  ver- 
schiedenen Magistratspersonen  sollten  nach  einer  Konferenz  mit  den 
Einwohnern  ihres  Distrikts  aus  eigenem  Ermessen  bestimmen,  ob  die 
Ausfuhr  freizugeben  sei,  oder  nicht.  Das  glich  einem  völligen  Aus- 
fuhrverbote, denn  Einwohner  und  Magistratspersonen  kaprizierten 
sich  auf  den  alten  Preis  von  8  Schilling.  Zudem  war  der  Aus- 
fuhrzoll auf  20  festgesetzt,  und  hierbei  konnte  der  Engländer 
nirgends  Preis  halten. 

1593  ward,  um  den  Ackerbau  aufzumuntern,  die  Ausfuhr  er- 
laubt, wenn  der  Weizen  nicht  über  ein  Pfund  stand.  Nun 
stand  aber  der  Preis  1594  ^uf  2  Pfund  16  Schilling,  1596  auf 
4  Pfund,  und  1597  auf  5  Pfund  4  Schilling.  Dabei  gestattete  man 
die  Ausfuhr,  wenn  der  Kornpreis  nicht  über  ein  Pfund  stände! 
„Solche  Preise,  sagt  Thaer,  „waren  demnach  die  Folgen 
des  durch  Erschwerung  des  Kornhandels  unterdrückten 
Ackerbaues  und  der  Abhängigkeit  von  Fremden  in  An- 
sehung des  notwendigsten  Bedürfnisses.  1604  setzte  man 
den  Preis  auf  26  Schilling  8  Pence,  1632  auf  32  Schilling  fest,  aber 


—    42  — 


immer  mit  einem  Ausfuhrzoll  von  2  Schilling;  auch  hob  man  die 
Strafgesetze  gegen  Aufkäufer  auf,  wenn  der  Preis  nicht  höher  stände. 
Unter  Karl  II.  wurde  1660  die  Ausfuhr  erlaubt,  wenn  der  Weizen 
nicht  über  2  Pfund  stände,  zugleich  wurde  aber  eine  Abgabe  von 
2  Pfund  daraufgelegt.  Dies  glich  wiederum  beinahe  einem  Ausfuhr- 
verbote, daneben  aber  wurde  ein  Einfuhrzoll  von  2  Pfund  auf  Jeden 
Quarter  gelegt,  wenn  er  am  Einfuhrsorte  nicht  über  2  Pfund 
4  Schilling  galt.  Stand  also  der  Weizen  und  im  Verhältnis  anderes 
Korn  im  Lande  niedriger,  so  glich  diese  Abgabe  einem  völligen  Ein- 
fuhrverbote. 

Diese  Maßregel  hätte  den  Landbau  heben  können,  wenn  man 
ihr  nur  hätte  trauen  dürfen,  doch  der  Landwirt  war  durch  das  viele 
Laborieren  an  den  Korngesetzen  mißtrauisch  geworden  und  versprach 
sich  keine  lange  Dauer  dieses  Gesetzes. 

Der  Ackerbau  verkam  mehr  und  mehr.  Alle  Pächter  und  Bauern 
waren  so  verarmt,  der  Bedarf  an  auswärtigem  Korn  so  groß  und 
der  Preis  so  hoch,  daß  man  im  Parlamente  stutzig  wurde.  1663 
erschien  eine  neue  Akte.  Interessant  ist  die  Einleitung,  da  sie  zeigt, 
daß  man  im  Parlamente  den  Ackerbau  wohl  zu  schätzen  wußte. 
Sie  erkennt  an,  daß  der  Ackerbau  eine  ganz  besondere  Auf- 
merksamkeit verdiene;  um  ihn  zu  heben,  müsse  man  ihnein- 
träglich  machen.  Eine  große  Menge  Ackerland,  die  jetzt  wüst  und 
ertraglos  daliege,  könne  sehr  verbessert  und  mit  großem  Vorteil  be- 
baut werden  und  dadurch  Produktion  wie  Population  sehr  befördert 
werden,  „wenn  man  sicher  wäre,  die  darauf  verwendeten 
Kosten  und  Arbeit  wieder  bezahlt  zu  erhalten".  Nach- 
dem man  zu  dieser  sehr  richtigen  und  nützlichen  Erkenntnis  ge- 
kommen war,  verordnete  man  folgendes:  1.  ,,Wenn  das  Quarter 
Weizen  nicht  über  48  Schilling  stände,  sollte  freie  Ausfuhr  erlaubt 
sein  und  keine  höhere  Abgabe  als  5  Schilling  4  Pence  davon  be- 
zahlt werden.  2.  Bei  obigem  Preise  solle  jeglicher  Kornhandel  ge- 
stattet und  die  darauf  ruhenden  Strafen  aufgehoben  sein.  3.  Wenn 
das  Getreide  den  vorerwähnten  Preis  nicht  übersteige,  soll  für  das 
Quarter  eingeführten  Weizens  nur  5  Schilling  4  Pence  an  Einfuhr- 
zoll bezahlt  werden."  Der  letzte  Passus  ist  nun  ein  Monstrum. 
Es  konnte  doch  unmöglich  die  Absicht  der  Gesetzgeber  sein,  die 
Einfuhr  von  Korn  zu  erschweren,  wenn  dasselbe  teuer  im 
Lande  war,  und  wenn  es  billig  war,  die  Einfuhr  zu  be- 
günstigen. Es  mußte  bei  dem  dritten  Satze  das  Wort  „nicht" 
zufälliger-  oder  hinterlistigerweise  sich  eingeschlichen  haben.  Wie 
vorher  bemerkt,  hatte  man  1660  auf  die  Einfuhr  einen  Zoll  von 
2  Pfund  gelegt,  wenn  der  Preis  nicht  über  2  Pfund  4  Pence  galt. 
Und  nun  bei  niedrigen  Preisen  der  niedrige  Einfuhrzoll! 
Übrigens  gab  man  in  Schottland,  wo  man  alle  staatswirtschaftlichen 
Einrichtungen  mit  den  englischen  übereinstimmend  machte,  zur  selben 
Zeit  dasselbe   Gesetz   und  ließ  das  Wörtchen   „nicht"    aus.  Die 


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Einfuhr  dauerte  also  bei  niedrigen  Preisen  lustig  fort,  und  der  Bauer 
saß  nach  wie  vor  auf  dem  Trocknen. 

Die  Ausgaben  für  fremdes  Korn  und  der  fortdauernde  Verfall 
des  inländischen  Ackerbaues  wurden  aber  nachgerade  so  empfindlich, 
daß  man  1670  ein  neues  Gesetz  erließ:  ,,Akte  zur  Beförderung  des 
Ackerbaues  usw."  Das  ominöse  VVörtchen  ,,nicht"  ließ  man  Jetzt 
weg ,  die  hohe  Einfuhrabgabe  ward  festgesetzt ,  wenn  der 
Weizen  unter  48  Schilling  im  Lande  stände.  Diesen  effektiven  Preis- 
stand sollte  der  Preis  auf  dem  nächsten  Markte  eines  jeden  Hafens 
bestimmen.  Dadurch  wurde  der  Zweck  des  Gesetzes  wieder  ver- 
eitelt, der  Kaufmann,  der  Getreide  einführen  wollte,  machte  sich 
den  ihm  passenden  Preis  durch  ein  einfaches  Börsenmanöver ;  er  ließ 
sein  eignes  Korn  von  Gehilfen  zu  hohen  Preisen  aufkaufen,  nahm 
eine  Bescheinigung  hierüber  auf  und  führte  gegen  niedrigen  Zoll 
ein.  Der  englische  Bauer  war  wiederum  betrogen.  Dieser  Betrug 
wurde  nun  1685  erschwert  durch  einen  Zusatz:  ,,Die  durchschnitt- 
lichen Preise  sollen  durch  Quartalssitzungen  auf  Eid  mehrerer 
Personen,  die  aber  weder  Kaufleute  noch  Faktors  sondern 
wohlhabende  Pächter  und  Gutsbesitzer  seien,  bestimmt 
werden.  So  verbesserte  man  die  Maßregel  allmählich.  1686  ward 
man  böse  im  Parlament,  verbot  alle  Einfuhr  gänzlich  und 
ordnete  die  Zerstörung  alles  eingeführten  fremden  Korns 
an.    Das  half,  die  Preise  fingen  an,  beträchtlich  zu  fallen. 

Bei  der  Thronbesteigung  Wilhelms  von  Oranien  erschien  1688 
eine  Akte:  ,,Die  Kornausfuhr  zu  befördern".  Galt  der  Weizen 
nicht  über  44  Schilling,  so  betrug  der  Einfuhrzoll  40  Schilling,  galt 
er  nicht  über  53  Schilling  6  Pence,  so  belief  sich  der  Zoll  auf 
16  Schilling,  und  bei  nicht  über  80  Schilling  sollte  die  Einfuhr  bis 
auf  eine  kleine  Zertifikationsgebühr  frei  sein.  Ferner,  und  das  ist 
das  wichtigste,  sollte,  wenn  der  Weizen  nicht  über  48  Schilling 
stände  (anderes  Getreide  nach  Verhältnis),  die  Ausfuhr  auf  eng- 
lischen Schiffen  mit  ^/^  englischer  Bemannung  vollständig  frei 
sein,  und  zudem  für  Jedes  Quarter  Weizen  (anderes  Getreide  nach 
Verhältnis)  eine  Prämie  von  5  Schilling  bezahlt  werden.  Man  ver- 
suchte verschiedentlich  das  Gesetz  zu  umgehen,  der  Pöbel  wider- 
setzte sich  der  Ausfuhr,  vernichtete  die  Kornfuhren,  prügelte  die 
Fuhrleute,  zerstörte  Kornmagazine,  warf  ganze  Schiffsladungen  Korn 
über  Bord  ,,und  glaubte  dadurch  den  Kornvorrat  im  Lande  zu  ver- 
mehren". Man  versäumte  ferner  die  Preise  auf  die  vorgeschriebene 
Art  auszumitteln,  ließ  fremdes  Korn  fast  zollfrei  ein,  unter  dem  Vor- 
wande,  daß  die  Preise  nicht  gesetzmäßig  bestimmt  wären,  kurz,  man 
suchte  auf  alle  mögliche  Art  und  Weise  sich  an  dem  Gesetze  vorbei 
zu  drücken.  Doch  man  sah  diesmal  strenge  auf  die  Durchführung 
dieser  Akte  und  bestrafte  die  Schuldigen.  Dies  Gesetz  hatte  endlich 
die  beabsichtigte  Wirkung.  Thaer  nennt  es  ,,ein,  wie  der  Erfolg 
lehrte,  richtig  berechnetes  System,  das  Überfluß  und  mäßigere, 
Werth.  4 


—    44  — 


gleichere  Preise,  wie  sie  je  bestanden  hätten,  zur  Folge  gehabt  habe. 
Vermutlich  hätten  die  Gesetzgeber  selbst  nicht  einen  solchen  Über- 
fluß an  Getreide  und  Lebensmitteln  erwartet". 

Der  Ackerbau  hob  sich  also  nach  jener  Akte  ungemein.  Der 
Preis  des  Getreides  stieg  anfangs  höchstens  um  ^/^  des  Mittelpreises 
und  fiel  dann  von  10  zu  10  Jahren  immer  mehr,  oi3gleich  Konsumtion 
und  Reichtum  immer  mehr  zunahmen.  ,,Wer  da  weiß,"  sagt  Thaer, 
,,wie  hoch  man  die  Fruchtbarkeit  eines  Ackers  bei  einem  guten 
Wirtschaftssystem  und  zweckmäßig  daran  verwandtem  Kapital  treiben 
kann:  dem  wird  dieser  Erfolg  sehr  natürlich  erscheinen.  Die  meisten 
Staatsmänner  und  Schriftsteller  über  Staatswirtschaft  kennen  dies 
aber  nicht,  und  beurteilen  den  Ackerbau  nur  so  en  gros,  wie  er 
landüblich  getrieben  wird.  Wenn  sie  sonst  erwägen  wollten,  daß 
durch  einen  tätigen  Ackerbau  —  wie  dies  gewiß  geschehen  kann  — 
statt  sechs  Körner  neun  Körner  erzeugt  werden  können,  und  daß 
nach  Abzug  des  Saatkorns  und  der  Konsumtion  des  Landwirtes  im 
ersten  Falle  drei,  im  letzteren  sechs  Körner,  also  das  Doppelte,  zum 
Verkauf  kommen,  so  müßten  sie  sich  leicht  überzeugen  können,  daß 
ohnerachtet  aller  möglichen  Ausfuhr,  die  ein  Ackerbau  treibendes 
Land  nur  haben  kann,  doch  ein  größerer  Überfluß  im  Lande  bleiben 
müsse,  als  vorher.  Wenn  nun  dazu  die  neuen  Urbarmachungen,  die 
ein  tätiger  Haushalt  unternimmt,  kommen  —  denn  Raum  fehlt  fast 
nirgends  — ,  so  wird  man  leicht  einsehen,  daß  alle  Ausfuhr  nicht 
zureiche,  um  den  Überfluß  aus  einem  beträchtlichen  Staate  fort- 
zuschaffen. Dazu  gehört  aber,  daß  das  Gewerbe  der  Landwirtschaft 
einträglicher  werde  (als  es  z.  B.  bei  uns  in  Niedersachsen  —  die 
letzten  sechs  Jahre  etwa  ausgenommen  —  gewesen  ist),  und  daß 
der  Wiederertrag  des  ztj  Verbesserungen  verwandten  Kapitals  ge- 
sichert sei." 

Sinkende  Preise  bei  begünstigter  Ausfuhr,  Zufriedenheit  und 
vermehrter  Wohlstand  der  Landwirte  bei  sinkenden  Preisen  sind  nach 
Thaer  die  Folgen,  wenn  man  die  Ausfuhr  begünstigt.  Daß  der 
Ackerbau  damals  so  sehr  aufblühte,  ist  für  Thaer  durchaus  kein 
Wunder,  man  schämte  sich  nun  dieses  Gewerbes  nicht  mehr.  ,,Mit 
Kapital  in  den  Händen  und  richtigen  Begriffen  im  Kopfe,  entlockte 
man  nun  allen  Äckern  einen  bisher  unerhörten  Ertrag,  wandelte  un- 
fruchtbare Wüsten  in  reiche  Felder  um,  legte  künstliche  Wiesen  an, 
verwandelte  die  Viehrassen,  erfand  bessere,  den  Kraftaufwand  er- 
sparende Werkzeuge.  So  entstand  denn  nach  aufgehobener  Einfuhr 
und  reichlicher  Versorgung  des  Inlandes  die  beträchtliche  Ausfuhr. 


Einfuhr 

Ausfuhr 

1711  — 

1720 

71000  Quarter 

449  193  Quarter 

1721— 

-1730 

73  262 

447  968 

1731— 

1740 

4  690 

549  447 

1741— 

-1750 

15  943 

848  660 

1751— 

1760 

37  397 

582  837 

—    45  — 


Die  Einfuhr  bestand  meist  in  Hafer,  die  Ausfuhr  in  Weizen. 

1757  änderte  man  zum  ersten  Male  an  dem  weisen  Gesetze 
von  1688;  die  vorjährige  Ernte  war  sehr  schlecht  gewesen,  statt 
der  durchschnittlichen  Ausfuhr  von  848  660  Quarter  waren  nur 
80  000  Q.  ausgeführt  worden,  die  Einfuhr  betrug  161301  Q.  Der 
Abschlag  belief  sich  auf  rund  1  Million,  dadurch  wurde  der  auf 
3  Pfund  gestiegene  Preis  vollkommen  gerechtfertigt;  doch  das  Volk 
fing  wieder  einmal  an  zu  revoltieren,  zerstörte  Kornfuhren  und  Korn- 
magazine ;  dazu  kam  der  unglückliche  Anfang  des  Krieges  —  die 
Regierung  hatte  alle  Ursache,  sich  mit  dem  Volke  gut  zu  halten  — ,  und 
so  verbot  man  denn  bis  zum  25.  Dezember  jede  Ausfuhr,  gab  da- 
gegen die  Einfuhr  frei. 

Diese  Maßregel  nennt  Thaer  ungerechtfertigt,  denn  so  groß  war 
die  Not  nicht,  die  Einfuhr  hatte  die  Ausfuhr  nur  um  87  301  Q. 
überwogen,  und  damit  schien  die  Nation  reichlich  versorgt.  Bei  der 
geringsten  Sparsamkeit  hätte  man  das  Defizit  wieder  gut  machen 
können.  Die  Ausfuhr  hätte  von  selbst  aufgehört,  und  die  Einfuhr 
hätte  selbst  bei  dem  alten  System  bei  diesen  Preisen  stattgefunden. 
Wäre  aber  auch  der  Preis  noch  etwas  höher  gegangen,  so  hätte 
sich  der  Ackerbau,  durch  die  Aussicht,  schlechte  Ernten  desto  besser 
bezahlt  zu  erhalten,  so  gehoben,  daß  das  kleine  Defizit  auf  immer 
gedeckt  gewesen  wäre.  Wenn  der  Ackerbau  nicht  durch  das  alte 
System  so  kolossal  in  die  Höhe  getrieben  worden  wäre,  welche 
Hungersnot  würde  wohl  damals  in  England  entstanden  sein?  Zufuhr 
von  einer  Million  Quarter,  die  nötig  gewesen,  hätte  damals  unmöglich 
herbeigeschafft  werden  können.  Diese  erste  Änderung  am  alten  System 
war  der  Anfang  vom  Ende ;  man  operierte  noch  eine  Zeitlang  hin 
und  her,  doch  das  Handelsinteresse  siegte  im  Parlamente  immer 
mehr  über  das  landwirtschaftliche,  es  zeigte  sich  dies  in  der  Gesetz- 
gebung, es  zeigten  sich  die  Folgen  im  verfallenden  Ackerbau.  Wenn 
Zahlen  reden,  so  genügt  die  Bemerkung,  daß  England  1796  inner- 
halb dreier  Jahre  91/2  Millionen  Pfund  Sterling  für  fremdes  Getreide 
ausgegeben  hatte.  Hierzu  kam  noch  eine  Menge  Reis .  die  zum 
Brotbacken  benutzt  wurde,  und  eine  Menge  fremden  Branntweins, 
der  sonst  auch  aus  inländischem  Getreide  hergestellt  worden  wäre, 
und  im  Jahre  1799  veranschlagte  man  im  Parlamente  die  nötige 
Einfuhr  für  das  Jahr  1800  auf  5^/^  Millionen  Pfund  Sterling.  Man 
suchte  im  Parlamente  nach  allerhand  Gründen  für  diese  Erscheinung; 
Thaer  gibt  als  einzig  richtigen  Grund  an:  Verfall  des  Acker- 
baues! Und  weshalb  verfiel  der  Ackerbau  ?  Er  schien  nicht  mehr 
vorteilhaft,  verlor  infolgedessen  seinen  Kredit  und  zog  sich  ohne 
Zweifel  dadurch  das  veränderte  System  der  Gesetzgebung  zu. 

,, Erzwungen  niedrige  Preise  sind  eine  Anleihe  auf  Wucherzinsen," 
sagt  Thaer,  ,,sie  kommen  einem  Volke  so  wenig  zugute,  wie  diese 
dem  Verschwender.  Wenn  das  Kapital  in  Schwelgerei  und  Trägheit 
vergeudet  ist,    so  muß  es  durch  Hunger  und  Not  wiederbezahlt 

4* 


—    46  — 


werden.  Erkünstelte  hohe  Preise  sind  bei  einem  betriebsamen  Acker- 
bau und  freiem  Kornhandel  unmöglich."  Bei  der  furchtbaren  Teue- 
rung im  Jahre  1800  wurde  vor  allem  auf  die  bösen  Farmer  und 
Kornhändler,  als  die  alleinige  Ursache  der  Not,  losgedroschen.  ,, Jeder- 
mann schrie  über  eine  allgemeine  Verschwörung  der  Farmer  und 
Kornhändler  im  ganzen  Reiche.  Man  gab  ihnen  Schuld,  daß  sie  ihr 
Getreide  verderben  ließen  und  zerstörten,  um  es  nicht  auf  die  Märkte 
zu  bringen  und  so  künstliche  Teuerung  und  Hungersnot  zu  erregen. 
Man  machte  sie  nach  beliebter  Art  .zu  Jakobinern,  welche  mittelst 
der  erregten  Teuerung  und  Hungersnot  die  Regierung  zu  einem 
schimpflichen  Frieden  zwingen  wollten."  Ein  besonders  patriotischer 
Graf,  Warwick  nannte  sich  der  Herr,  verkündigte  sogar  seinen 
Pächtern  in  einem  höchst  entrüsteten  Briefe,  ,,er  sähe  ihr  Betragen 
mit  Abscheu  an,  er  sei  willens,  andere  Pächter  an  ihre  Stelle  zu 
setzen,  wenn  sie  nicht  ihr  Korn  sogleich  zu  Markte  brächten  und 
zu  einem  solchen  Preise  verkauften,  der  ihren  Nebenkreaturen  er- 
laubte, zu  existieren,  wobei  sie  immer  noch  einen  größeren  Vorteil 
hätten,  als  ihnen  als  Pächter  gebühre".  Dazu  bemerkt  Thaer :  ,,Die 
Farmers  müßten  Ja  samt  und  sonders  toll  geworden  sein,  wenn  sie 
Jetzt  bei  den  schrecklich  hohen  Preisen  nicht  verkauften,  da  das 
Korn ,  wenn  wirklich  nur  die  Notdurft  bis  zur  Ernte  vorhanden 
wäre,  bei  den  Aussichten  zu  einer  besseren  Ernte  und  zum  Frieden, 
wahrscheinlich  bald  über  die  Hälfte  im  Preise  fallen  würde."  Die 
Ursache  des  Kornmangels  wird  nach  Thaers  Erachten  durch  die 
Worte  des  Surveyer  von  Yorkshire  völlig  aufgedeckt.  Dieser  hatte 
schon  vor  ein  paar  Jahren  gesagt:  ,,Wir  werden  so  lange 
fechten,  hämmern  und  weben,  bis  wir  kein  Brot  mehr 
zu  essen  haben!" 

Thaer  sagt  noch  hierzu:  ,,Die  Aufmerksamkeit,  die  Industrie 
und  das  Kapital  der  Nation  ist  dem  Ackerbau  in  den  neuesten  Zeiten 
zu  sehr  entzogen  worden,  da  Krieg,  Handel  und  Manufakturen  zu 
schnelle  Mittel,  reich  zu  werden,  darboten.  Die  dem  Ackerbau  ge- 
widmete Fläche  ist  im  Verhältnis  der  Population  zu  klein,  als  daß 
sie  anders  als  mittelst  einer  höchst  industriösen  Kultur  das  erforder- 
liche Getreide  liefern  kann." 

Thaer  entwickelt  seine  Ansichten  nicht  in  zusammenhängender 
Darstellung,  sondern  einzelne,  bei  den  verschiedenen  Gesetzen  ein- 
geflochtene Bemerkungen  müssen  gesammelt  und  zu  einem  Ganzen 
vereinigt  werden: 

Die  Basis  der  inneren  Stärke  eines  Staates,  die  Quelle  alles 
Wohlstandes  ist  nach  Thaer  der  Ackerbau.  Da  nun  sinkende 
Preise  der  Ackerbauprodukte  dem  Landwirte  durchaus 
keine  Anregung  zur  intensiven  Betreibung  seines 
Gewerbes  geben  (also  ganz  der  entgegengesetzte  Standpunkt, 
wie  ihn  L.  Brentano  in  seiner  ,, Agrarpolitik"  pag.  144  vertritt,  der 
,,den  Druck  der  auswärtigen  Konkurrenz"  als  einen  An- 


—    47  — 


sporn  zu  intensiverem  Betriebe  in  der  Landwirtschaft  darstellt),  so 
liegt  es  auf  der  Hand,  was  ein  Staat  zu  tun  hat,  um  zu  Wohlstand 
und  Macht  zu  gelangen,  resp.  dieselben  zu  behaupten.  Ein  an- 
gemessener Preis  für  die  Ackerbauprodukte  ist  nach 
Thaer  in  erster  Linie  zu  erstreben,  damit  der  Ackerbau  die  nötige 
Aufmunterung  erfahre.  Vor  allem  ist  eins  zu  beachten:  Thaer 
betrachtet  hohe  Getreidepreise  gewissermaßen  als 
ein  Erziehungsmittel  zu  niedrigen  Preisen;  mit  andern 
Worten:  Ein  gesunkener  oder  auf  niedriger  Stufe  stehender  Acker- 
bau bedarf  unbedingt  hoher  Getreidepreise ,  um  auf  eine  höhere 
Kulturstufe  zu  gelangen.  Hat  er  diese  durch  das  Mittel  der  hohen 
Preise  erreicht,  so  wird  es  ihm  möglich,  auch  bei  sinkenden  Preisen 
vorteilhaft  zu  produzieren. 

Unbedingte  Freiheit  des  Handels  und  Wandels  will  Thaer,  un- 
beschränkte K;ornein-  und  Ausfuhr,  ,,laisser  faire  —  laissez  passez" 
auch  in  der  Landwirtschaft,  Jedoch  nur  unter  der  Bedingung, 
daß  diese  Maxime  überall  beobachtet  und  nirgends  eine 
Ausnahme  gemacht  werde.  Hat  man  aber  einmal  bei  irgend 
einem  Gewerbe  eine  Ausnahme  gemacht,  so  muß  allen  andern  Ge- 
werben, wenn  sie  es  bedürfen,  dieselbe  Hilfe  geleistet  werden.  Da 
man  damals  in  England  den  Fabrikwaren  bei  Ausfuhr  die  sogen. 
Drawbaks  (Rückzahlung  des  Ausfuhrzolles)  bewilligt  hatte,  so  seien 
solche  auch  für  Getreideausfuhr  nötig  gewesen,  sagt  Thaer,  denn 
auf  welcher  Ware  ruhte  damals  eine  höhere  Taxe ,  als  auf  den 
Landbauprodukten?  Der  Landbau  hatte  die  Armentaxe,  die  Land- 
taxe, den  Zehnten  und  alle  andern  Auflagen,  die  der  Bauer  tragen 
mußte,  zu  ersetzen. 

Ganz  besonders  ist  nun  Thaer  für  die  Beförderung  der  Getreide- 
ausfuhr. In  dieser  Beziehung  setzt  er  sich  mit  zwei  englischen 
Nationalökonomen  auseinander,  nämlich  mit  John  Steuart  und  Adam 
Smith.  Von  ersterem  ist  Thaer  nicht  sehr  erbaut,  er  sagt  von  ihm 
mit  anderen  Worten,  daß  derselbe  nicht  viel  von  Landwirtschaft 
verstehe  und  infolgedessen  falsche  Rechenexempel  angestellt  habe. 
,, Dächte  sein  sich  in  alles  mischender  Regent  nicht  mehr  nach,  so 
würde  er  den  Ackerbau  bald  völlig  zugrunde  richten."  Mit  Smith 
ist  Thaer,  was  die  Kornpolitik  betrifft,  ebenfalls  nicht  einverstanden. 
,,Hält  Smith",  so  sagt  Thaer,  ,,für  Fabrikwaren  diese  Prämien  oder 
Rückgaben  (die  vorerwähnten  Drawbaks)  für  nötig,  so  ist  das  eng- 
lische Getreide  ihrer  noch  weit  mehr  bedürftig,  wenn  England  Ge- 
treide ausführen  soll  —  was  nun  vielleicht  nie  wieder  der  Fall 
sein  wird  — .  Denn  bei  einer  Nation,  die  wie  die  englische,  durch 
Bevölkerung,  Kunstfleiß  und  Nationalreichtum  in  den  Stand  gesetzt 
ist,  Fabriken  mit  größter  Energie  zu  betreiben,  bedürfen  Fabrikwaren 
keiner  Rückgabe.  Der  englische  Fabrikant  kann,  wie  die  Erfahrung 
zeigt,  ohnerachtet  der  Teuerung  der  Lebensmittel  und  Arbeit,  seine 
Waren  wohlfeiler  geben,   als  Jede  andere  Nation.    Eine  polnische. 


—    48  '  — 


russische  oder  ungarische  Fabrik  wird,  ohnerachtet  aller  Wohlfeilheit 
des  Landes,  vorerst  gegen  keine  englische  aufkommen.  Mit  dem 
Ackerbau  aber  verhält  sich's  ganz  anders.  Der  Russe  und  Pole 
wird  sein  Korn  selbst  in  England  im  Durchschnitt  wohlfeiler  ver- 
kaufen können,  als  der  Engländer.  Warum  ?  Das  rohe  Material 
der  Fabriken  läßt  sich  verfahren,  und  der  Engländer  hat  die  Ge- 
legenheit und  das  Vermögen,  es  zu  kaufen,  besser  wie  der  Russe 
und  Pole,  aber  das  rohe  Material  des  Ackerbaues,  der  Grund  und 
Boden,  fehlt  nach  Verhältnis  der  Bevölkerung  mehr  wie  in  Polen 
und  ist  viel  teurer.  Smith  würde  hierauf  antworten:  ,,Nun,  so  ist 
es  nicht  gut,  daß  der  Pole  vorerst  Fabriken,  und  daß  der  Engländer 
Ackerbau  treibe." 

,,Aber  der  Engländer",  sagt  Thaer,  ,,muß  essen,  und  er  kann 
mit  polnischen  Lebensmitteln  nicht  so  leicht  versorgt  werden,  wie 
der  Pole  mit  englischen  Fabrikwaren.  Wollte  man  sagen,  er  solle 
nicht  mehr  bauen,  als  er  gerade  konsumiert,  so  bewiese  das  eine 
unverzeihliche  Unwissenheit.  Denn  wenn  eine  Nation  in  sclilechten 
Jahren  die  Notdurft  heben  will,  so  muß  sie  in  guten  Jahren  Über- 
fluß haben.  Wenn  dieser  Überfluß  aber  nur  mit  Verlust  ab- 
gesetzt werden  kann,  wenn  sein  Preis  auf  Jedem 
Markte  niedriger  steht,  als  dem  Engländer  die  Produktion 
kostet,  so  kann  und  wird  er  keinen  Überfluß  hervor- 
bringen, und  so  wird  Mangel  in  schlechten  Jahren  eintreten. 
Daher  war  eine  Vergütung  des  Verlustes,  oder  die  Aus- 
fuhrprämie das  einzige  Mittel,  die  Nation  in  schlechten  Jahren 
gegen  Mangel  zu  schützen. 

Eine  freie  Einfuhr  des  ausländischen  Getreides  aus  solchen 
Ländern,  wo  dasselbe  mit  geringeren  Kosten  produziert 
werden  kann,  würde  der  Schiffahrt  ohnerachtet,  den  Preis  auf 
den  englischen  Märkten  so  herabgesetzt  haben,  daß  ein  betriebsamer 
Ackerbau  nicht  hätte  bestehen  können.  Daher  mußte,  um  diesen  zu 
erhalten,  die  Einfuhr  eingeschränkt  werden.  In  seiner  Gewerbslehre 
fordert  Thaer  sogar,  daß  die  Regierung  die  Ausfuhr  des  Getreides^) 
in  schlechten  Jahren  tätiger  befördere,  als  den  auswärtigen  Absatz 
der  Fabrikate. 

Jedoch  ist  Thaer  keineswegs  so  einseitig,  dem  Ackerbau  allein 
alles  Heil  im  Staate  zuzuschreiben ;  er  ist  im  Gegenteil  dualistisch, 
Landwirtschaft  auf  der  einen,  Industrie  auf  der  anderen  Seite 
müssen  mit  gleicher  Sorgfalt  vom  Staate  gepflegt  werden. 

Fassen  wir  Thaers  Anschauungen  über  Getreidehandelspolitik 
zusammen,  so  erhalten  wir  kurz  folgendes:  Vor  allem  verlangt  Thaer 
einen  guten  und  ganz  besonders  einen  ständigen,  nicht 
schwankenden  Getreidepreis.  Dieser  wird  schließlich  von  selbst 
zu  niedrigen  Preisen  führen,  indem  durch  die  hohen  Preise  der  Land- 


1)  s.  dort  §  94. 


—    49  — 


wirt  instand  gesetzt  wird,  ein  besseres  Kultursystem  einzuführen, 
und  dadurch  einen  höheren  Reinertrag  zu  erzielen;  hohe  Preise 
führen  endlich  zu  niedrigen,  und  zwar  sowohl  zugunsten  der  kon- 
sumierenden, als  auch  der  produzierenden  Bevölkerung. 

Wenn  Thaer  einen  freien  Handel  und  Wandel  fordert,  mit 
andern  Worten  die  laissez  faire-Parole  der  Handelspolitik  als  Leit- 
stern setzen  möchte,  so  will  er  damit  keineswegs  das  Eingreifen 
des  Staates  verwerfen,  sondern  nur  gegen  einseitige  Gesetzgebung 
auftreten,  weil  die  Gesetzgeber  seines  Erachtens  nach  meistens  ein- 
seitig verfahren  wären,  indem  sie  das  Geldinteresse  auf  Kosten  des 
Landinteresses  bevorzugten.  Gegen  diese  Einseitigkeit  allein  sträubt 
sich  Thaer ;  wenn  der  Staat  in  die  Handelspolitik  eingreife,  so 
müsse  er  sowohl  Landwirtschaft  als  auch  Industrie 
schützen;  eins  auf  Kosten  des  andern  zu  unterstützen,   sei  falsch. 

Land  Wirtschaft  und  Manufakturen  gehen  nur  Hand 
in  Hand  sicher  vorwärts.  Sie  müssen  mit  gleicher 
Sorgfalt  vom  Staate  gepflegt,  in  gleicher  Höhe  und  Kraft 
nebeneinander  erhalten  werden.  Um  eins  zu  heben ,  das  andere 
niederdrücken  wollen,  heißt:  einen  Fuß  lähmen,  damit  der 
andere  besser  fortschreiten  könne.  Es  ist  ein  frivoler 
Streit  um  den  Vorzug  der  Fabriken  und  des  Ackerbaues  für  die 
Staatswohlfahrt,  den  aber  praktische  und  theoretische  Staatsmänner 
in  neueren  Zeiten  so  häufig  geführt  haben."  ^) 


Thaers  Stellung  zur  Grundrente. 

Die  Grundrententheorie  war  von  jeher  das  ,, Schmerzenskind" 
der  Nationalökonomie.  Mehrere  Durchgangsstadien  hatte  sie  zu 
durchlaufen,  ehe  sie  eine  präzise  und  genaue  Begriffsformulierung 
annahm.  Smith,  Anderson,  Malthus,  Ricardo,  Thünen 
und  Carey,  das  sind  die  Namen,  die  aufs  innigste  mit  der  Grund- 
rententheorie verknüpft  sind. 

In  nachfolgender  Ausführung  muß  es  mir  selbstverständlich  fern 
liegen,  die  diesbezüglichen  Theorien  der  hier  genannten  Autoren  zu 
behandeln.  Worauf  es  hier  ausschließlich  ankommt,  ist  die  Stellung 
Thaers  zu  diesen  Problemen. 

Es  muß  von  vornherein  bemerkt  werden,  daß  Thaer  weder 
eine  exakt  ausgebildete  Grundrententheorie  aufgestellt,  noch  eine  der 
alten  sich  ganz  zu  eigen  gemacht  hat.  Finden  wir  auch  bei  Thaer 
Anklänge  an  verschiedene  Theoretiker,  so  kann  man  bei  näherem 
Eingehen  auf  seine  Ansichten  doch  nicht  verkennen,    daß   er  eine 


^)  s.  Thaer,  Einleitung  zu  Kenntnis  der  englischen  Landwirtschaft. 
1801,  Bd.  2  2.  Abt.  S.  162. 


—    50  — 


ziemlich  selbständige,  von  den  bisherigen  Anschauungen  abweichende 
Meinung  über  die  Grundrente  hat.  Thaer  gebraucht  statt  „Grund- 
rente" meist  den  Namen  ,, Landrente",  welchen  Ausdruck  auch 
Thünen  zu  dem  seinigen  gemacht  hat,  und  den  er  wohl  von  seinem 
Lehrer  übernommen  haben  dürfte.  Wenn  wir  Thaers  Schriften,  nicht 
nur  seine  zusammenhängenden  Werke,  sondern  auch  die  hier  und 
da  verstreuten  Bemerkungen  genau  ins  Auge  fassen,  so  erhalten  wir 
ein  klares  Bild  von  seiner  Auffassung  der  Grundrente.  Ohne  eine 
solche  Zuhilfenahme  wäre  dies  nicht  gut  möglich,  denn  man  muß 
sich  bei  diesem  Autor  hüten,  seine  Ideen  aus  den  Hauptschriften 
kennen  lernen  zu  wollen,  denn  er  hat  vielfach  in  späteren,  kleinen 
Arbeiten  und  Bemel-kungen  Gelegenheit  genommen,  seiner  veränderten 
oder  modifizierten  Meinung  Ausdruck  zu  geben. 

Vorerst  kommt  nun  hier  in  Betracht,  was  Thaer  in  seinen 
,, Grundsätzen  der  rationellen  Landwirtschaft"  geäußert  hat.  Zum 
Verständnis  der  Thaerschen  Ansicht  über  die  Grundrente  ist  es  un- 
bedingt nötig,  die  Ideen  Thaers  über  das  Kapital  bezw.  das  in  der 
Landwirtschaft  tätige  Kapital  kennen  zu  lernen. 

Thaer  versteht  unter  Kapital  im  allgemeinen  Vermögen,^)  ein 
jedes  Gut,  welches  durch  eigenen  Gebrauch,  oder  durch  Ausleihen 
an  andere  dem  Eigentümer  eine  Einnahme  oder  Rente  gibt.  Er  sieht 
davon  ab,  wie  dies  Einkommen  bezw.  Rente  ursprünglich  hervor- 
gebracht wurde,  ob  durch  die  Wirkung  der  Natur,  oder  durch  Arbeit, 
wie  Smith,  Ricardo  und  Carey  definieren;  die  Entstehung  der  Rente 
wird  von  Thaer  einfach  dahingestellt,  er  geht  nicht  näher  darauf  ein. 

Das  im  Ackerbau  angelegte  Kapital,  sagt  Thaer,  ist  nach  seiner 
Bestimmmung  dreierlei  Art:  das  I.Grundkapital,  2.  das  stehende 
Kapital,  3.  das  umlaufende  oder  Betriebskapital.^) 

Das  Grundkapital  ist  dasjenige,  wodurch  sich  der  Land- 
wirt ,,in  Besitz  eines  Landgutes  gesetzt  hat  oder  setzen  kann". 
Hierunter  werden  auch  die  Wirtschaftsgebäude  und  alles  auf  dem 
Boden  Feststehende  gerechnet.^)  Dies  ist  die  erste  Kapitalskategorie 
des  landwirtschaftlichen  Gewerbes.  Zur  zweiten  Kategorie  zählt 
Thaer  das  stehende  Kapital.  Es  besteht  in  dem  Werte  der  zum 
Betriebe  der  Landwirtschaft  notwendigen  Dinge  und  ist  zu  deren 
Ankaufe  verwendet  worden.  ^)  Sein  Name  drückt  schon  den  Zweck 
des  Kapitals  aus  —  Inventariura.  Schließlich  das  umlaufende 
oder  Betriebskapital,  womit  das  Gesinde,  die  Arbeiter,  die  an- 
zukaufenden Gegenstände,  das  wechselnde  Mastvieh  usw.  bezahlt 
werden,  besteht  in  dem  Geldvorrate,  der  in  der  Kasse  vorhanden 
sein  muß,  oder  in  den  Naturalvorräten,  die  man  bereit  liegen  hat, 
um  das    betreffende  Geld   daraus  lösen  zu   können.*)    Von  diesem 


^)  Grundsätze  der  rat.  Ldw.  I  24. 

2)  Ibid.  S.  25. 

3)  Ibid.  S.  26. 


—    51  — 


Kapitale  muß  auch  die  Unterhaltung  des  Inventars,  das  sich  seiner 
Natur  nach  immer  verschlechtert,  bestritten  werden.  Endlich  werden 
in  der  Regel  daraus  auch  die  Kosten  gedeckt,  welche  zur  Ver- 
mehrung des  Grundkapitals  oder  zur  Verbesserung  des  Gutes  ent- 
stehen. 

Das  Betriebskapital  ist  nach  Thaer  die  bewegende  Kraft 
der  ganzen  Wirtschaft.  Von  demselben  wird  die  Arbeit  bedingt, 
welche  eigentlich  den  Ertrag  des  landwirtschaftlichen  Gewerbes  her- 
vorbringt. Daher  steht  der  Ertrag  nächst  den  Talenten  und  dem 
Fleiße  des  Betreibers,  besondere  Glücks-  und  Unglücksfälle  ab- 
gerechnet, immer  im  Verhältnis  zu  dem  Betriebskapital,  ^)  Thaer 
meint,  daß  die  Schwierigkeit,  das  Betriebskapital  zu  erhalten,  die 
Höhe  der  Zinsen,  die  man  dafür  zahlen  müsse,  oder  die  Gelegenheit, 
mit  seinem  Kapitale  in  anderen  Gewerben  einen  höheren  Gewinn 
machen  zu  können,  das  sei,  was  die  Landwirtschaft  und  folglich  die 
Produktion  des  Grund  und  Bodens  am  meisten  zurückhalte.  Da- 
gegen wird  Jede  Erleichterung  in  der  Beschaffung  dieses  Kapitals 
und  jeder  Anreiz,  seine  Kapitalien  in  diesem  Gewerbe  anzulegen, 
den  Stand  der  Landwirtschaft  am  sichersten  heben ;  und  da  hier- 
durch notwendig  eine  höhere  Produktion  bewirkt  werde,  so  müsse 
durch  die  Wohlfahrt  des  Landmannes  und  durch  den  Gewinn,  den 
ihm  sein  Gewerbe  gibt  —  denn  nur  dadurch  kann  er  bewogen 
werden,  das  erworbene  Vermögen  in  seinem  Gewerbe  stehen  zu 
lassen  — ,  Überfluß  und  Wohlfeilheit  der  Produktion  gegen  die 
Meinung  der  meisten  Kurzsichtigen  bewirkt  werden.^) 

Diese  drei  Kategorien  des  landwirtschaftlichen  Kapitals  geben 
verschiedene  Renten.  Das  Grundkapital  kann  nach  Thaer  als  ein 
mit  höchster  Sicherheit  auf  Zinsen  gelegtes  Kapital  angesehen  werden, 
und  muß  daher  auch  die  Zinsen  geben,  die  man  von  einem  mit 
höchster  Sicherheit  ausgeliehenen  Kapital  erwarten  kann,  ,,ein  mehreres", 
sagt  Thaer,  ,,kann  man  von  demselben  nicht  verlangen.'' 

Das  stehende  Kapital  ist  immer  größeren  Gefahren  aus- 
gesetzt, als  das  Grundkapital,  ^)  da  es  Unglücksfällen  ausgesetzt  sei, 
bei  denen  der  Eigentümer  Gefahr  laufe,  das  Kapital  zu  verlieren, 
weshalb  man  es  häufig  durch  ,,Assekuration''  zu  versichern  pflege. 
,, Wären  die  Zinsen  des  Grundkapitals  zu  4^/^  anzunehmen,  so 
müßten  sie  für  dieses  zu  6  ^/^  berechnet  werden."^) 

Das  umlaufende  oder  Betriebskapital  sei  den  größten 
Gefahren  unterworfen,  deshalb  müsse  es  hohe  Zinsen  tragen  und 
meistens  zu  12  ^/^  angerechnet  werden.^) 

Thaer  schätzt  zuerst  den  Grund  und  Boden  ab,  und  dann  setzt 
er  die  Zinsen  fest,  und  nicht  umgekehrt.  Dies  geschieht  aus  folgen- 
der Erwägung:  ,,In  England,"  sagt  Thaer,  ,,wo  merkantilischer  Kalkül 


^)  Grundsätze  der  rat.  Ldw.  S.  27. 
2)  Ibid.  S.  27. 


—    52  — 


und  Scharfsinn  sicli  am  meisten  über  alle  Gewerbe  verbreitet  hat, 
nimmt  man  an,  daß  das  Betriebskapital,  worunter  man  aber  daselbst 
das  stehende  Kapital  mitbegreift,  sieben-  bis  neunmal  so  stark  sein 
müsse,  als  die  Zinsen  des  Grundkapitals  oder  die  Landrente.  Wer 
ein  Gut  von  Jährlich  1000  Reichstalern  pachtet,  muß  7  bis  9000 
Reichstaler  disponibles  Vermögen  haben.  Man  berechnet  dann  den 
Gewinn  seines  Gewerbes  nicht  nach  der  Pacht,  sondern  nach  diesem 
Betriebskapitale  und  nimmt  an,  daß  man  12  "/^^  davon  haben  müsse, 
von  9000  Reichstaler  also  1080  Reichstaler  über  die  Pacht.  Ist  er 
Eigentümer,  so  zieht  er  vom  reinen  Ertrage  erst  Jene  Pacht  oder  Land- 
rente ab,  die  er,  ohne  Wirtschaft  zu  betreiben,  auch  haben  könnte,  und 
das  übrige  rechnet  er  als  Gewinn  des  Gewerbes.  Er  wird  aber  nie  so 
fehlerhaft  schließen:  Weil  mir  die  Wirtschaft  auf  diesem  Gute  1080 
Reichstaler  einträgt,  so  ist  der  Kapitalwert  des  Gutes  gleich  der 
Summe,  die  ich  durch  Multiplikation  mit  25  aus  Jenem  Wirtschafts- 
ertrage erhalte.  Und  hieraus  erhellt,  wie  fehlerhaft  es  sei,  aus  dem 
Ertrage  eines  Gutes  direkt  auf  dessen  Wert  zu  schließen,  wie  den- 
noch bei  den  gewöhnlichen  Anschlägen  geschieht.  Man  sucht  den 
Fehler  zwar  durch  einen  andern  Fehler  wieder  auszugleichen,  indem 
man  den  Ertrag  weit  geringer  annimmt,  als  er  bei  einer  gehörigen 
Bewirtschaftung  sein  könnte.  Nichtsdestoweniger  aber  bleibt  diese 
Veranschlagung  unbestimmt,  verleitend  und  von  den  nachteiligsten 
Folgen  für  das  Gewerbe."^) 

Faßt  man  die  hier  dargelegten  Ansichten  etwas  näher  ins  Auge, 
so  muß  man  gestehen,  daß  sie  etwas  dogmatisch  sind.  Thaer  er- 
klärt uns  nicht  die  Entstehungsgründe  dieser  Erscheinungen,  führt 
auch  keine  Beweisgründe  für  seine  Behauptungen  an;  es  ergibt  sich 
aus  seiner  Auffassung,  daß  er  Zinsen  von  Rente  nicht  unterscheiden 
zu  müssen  glaubt.  Der  landwirtschaftliche  Betrieb  wird  im  großen 
und  ganzen  als  kapitalistische  Unternehmung  betrachtet,  welche 
Zinsen  abwirft;  dieses  landwirtschaftliche  Kapital  ist  nun,  wie  schon 
oben  ausgeführt,  dreierlei  Art,  Grundkapital,  stehendes  Kapital  und 
umlaufendes  oder  Betriebskapital.  Rente  und  Zins  unterscheiden 
sich  bei  Thaer  nicht  prinzipiell,  sondern  graduell  Die  Zinsen 
des  Grundkapitals  sind  als  die  Smith  sehe  Grundrente  zu  be- 
trachten, indem  Thaer  die  Wirtschaftsgebäude  als  mit  dem  Boden 
zusammengehörend  betrachtet,  während  Ricardo  und  Thünen  die 
Wirtschaftsgebäude  von  der  Landrente  trennen,  weil  beide  eine  andere 
Begriffsbestimmung  der  Landrente  aufstellen.  Insofern  ist  die  An- 
sicht Thaers  der  Smithschen  entsprechend,  als  sie  die  Zinsen  der 
Wirtschaftsgebäude  mit  denen  des  Grund  und  Bodens  als  eine  Kate- 
gorie betrachtet;  sie  ist  aber  ganz  und  gar  nicht  die  Smithsche, 
indem  sie  die  Zinsen  des  Ganzen  in  der  Landwirtschaft  tätigen 
Kapitals  mit  der  Rente  identifiziert. 


^)  Grundsätze  der  rat.  Ldw.  S.  28. 


—    53  — 


Es  ist  bereits  betont  worden,  daß  Tliaer  die  Entstehung  der 
Rente  nicht  erklärt  hat,  ijnd  dies  ist  dadurch  erklärlich  und  begreif- 
lich, weil  er  die  Rente  als  Zins  betrachtet.  Allein,  wir  finden  bei 
ihm  einen  Passus,  der  für  unser  Problem  große  Wichtigkeit  besitzt. 
Thaer  ist  der  Meinung,  daß  überhaupt  der  allgemeine  Zuwachs  der 
Bevölkerung  dem  Grundbesitz  und  dem  Landbau  bessere  Aussicht 
für  die  Zukunft  sichere.^)  ,,Man  hat  zwar  gesagt,  meint  Thaer,  daß, 
weil  jeder  mit  dem  Landbau  beschäftigte  Mensch  mehr  hervorbringen 
könne,  als  er  verzehre,  so  folge  daraus,  daß  die  Produktion  sich 
um  so  stärker  vermehren  werde,  je  mehr  Landbauer  entstehen;  daß 
mithin  die  Preise  der  Produkte  dadurch  nicht  zunehmen  würden, 
wo  ein  Teil  dieser  Menschen  nicht  anderweitige  Beschäftigung  er- 
hielte."^) ,, Allein,"  antwortet  er  darauf,  ,, wenn  die  Kultur  des  Bodens 
durch  mehr  darauf  verwandte  Arbeit  zunimmt,  so  muß  sein  Wert 
steigen,  und  wenn  der  unfruchtbare  Boden  kultiviert  wird,  so  muß 
der  fruchtbare  im  Verhältnis  dieser  höheren  Fruchtbarkeit  eine  höhere 
Rente  geben. Wir  haben  hier  bei  Thaer  einen  Zug  der  Ricard o- 
schen  Rententheorie  vor  uns.  Auch  dieser  glaubt,  daß  durch  den 
Anbau  des  unfruchtbaren  Bodens  die  Rente  des  fruchtbaren  Bodens 
steige ;  allein,  wir  dürfen  auf  diese  Analogie  nicht  allzuviel  Gewicht 
legen,  denn  obwohl  Thaer  und  Ricardo  in  diesem  Punkte  über- 
einstimmen, d.  h.  bezüglich  des  Steigens  der  Rente,  so  sind  sie 
doch  grundverschieden  und  himmelweit  voneinander  entfernt.  Bei 
Ricardo  steigt  die  Rente  infolge  der  Kargheit  des  Bodens;  bei 
Thaer  hingegen  verursacht  die  Fruchtbarkeit  als  solche  die 
Rente  des  Bodens.  Ricardo  will  durch  diesen  Kalkül  die  Entstehung 
der  Rente  erklären ;  Thaer  liegt  dies  hingegen  fern,  denn  darüber, 
ob  der  Anbau  des  Bodens  vom  guten  zum  schlechten  Boden,  wie 
Ricardo  meint,  oder  umgekehrt  vom  schlechten  zum  guten,  wie 
Carey  sagt,  übergegangen  sei,  finden  wir  bei  Thaer  kein  Wort. 
Und  ganz  natürlich!  Thaer  hat  eine  „rationelle  Landwirtschaft"  für 
Landwirte  schreiben  wollen;  sein  Ausgangspunkt  ist  die  Taxations- 
lehre,  die  ja  ihre  Entstehung  ebenfalls  Thaer  verdankt;  er  verlangt 
für  jeden  bebauten  Acker  eine  Rente,  indem  er  sagt:  „Jeder  Acker, 
der  nicht  mit  zureichender  Sicherheit  die  auf  ihn  verwandte  Arbeit 
samt  der  Landrente  zu  zahlen  verspricht,  bleibe  liegen."-)  Also  will 
er  für  jeden  Acker  eine  Rente  gesichert  wissen;  diese  kann  aber 
nur  durch  einen  guten  Getreidepreis  erzielt  werden.-)  Allein  nach 
Thaer  führen  schheßlich  gute  Getreidepreise  zu  niedrigen,^)  weil  durch 
den  guten  Preis  des  Getreides  der  Ackerbau  sich  verbessern  kann, 
indem  der  hohe  Getreidepreis  Einführung  besserer  Wirtschaftssysteme 
ermöglicht.    In  diesem  Punkte  trifft  Thaer  zusammen  mit  Anderson 


1)  Mo  gl  in  sehe  Annalen  der  Landwirtschaft  1824  Bd.  13  S.  106. 

2)  Ibid.  S.  117. 

3)  Einleitung  zur  Kenntn.  d.  engl.  Ldw.  Bd.  4  S.  143,  1802. 


—    54  — 


und  Oncken,^)  welche  ebenfalls  der  Meinung  sind,  daß  hohe  Ge- 
treidepreise schließlich  zu  niedrigen  führen,  und  zwar  zugunsten  der 
ganzen  Gesellschaft.  Mit  fortschreitender  Kultur  führt  also  der  hohe 
Getreidepreis  zu  niedrigen,  die  Rente  wird  aber  nach  Thaer  sinken 
müssen,  da  er  die  Rente  nach  der  Sicherheit  des  landwirtschaftlichen 
Kapitals  abschätzt.  Hat  der  Ertrag  zugenommen,  so  vergrößert  sich 
das  Betriebskapital,  aus  welchem  die  Mittel  für  Meliorationen  ge- 
nommen werden;  durch  die  Meliorationen  usw.  wird  das  Grund- 
kapital wiederum  sicherer,  und  da  die  Zinsen  nach  der  Sicherheit 
abgeschätzt  werden,  so  werden  sie  natürlicherweise  sinken  müssen. 
Nach  Thaer  trägt  die  Rente  bezw.  die  Zinsen  keinen  Monopolcharakter. 
Schon  in  diesem  Punkte  unterscheidet  er  sich  von  Smith;  aber 
dieser  Unterschied  geht  noch  weiter.  Während  nach  Smith  eine  Jede 
Vermehrung  des  wirklichen  Wohlstandes  der  Gesellschaft  unmittel- 
bar zu  einer  Erhöhung  der  wirklichen  Bodenrente  führt, ^)  ist  es  bei 
Thaer  umgekehrt,  wie  schon  vorher  bemerkt  wurde.  Nach  Smith 
ist  hohe  Bodenrente  Wirkung  hoher  Getreidepreise.^)  Thaer  steht 
hier  schon  auf  dem  Standpunkte,  den  nach  ihm  schon  Carey  ein- 
nahm, daß  mit  fortschreitender  Kultur  die  Rente  bis  zu  einem 
gewissen  Punkte  abnehmen  müsse.  Thaer  sagt  es  nicht  ausdrücklich, 
aber  die  Konsequenzen  seiner  Lehre  dürften  wohl  in  diesem  Sinne 
gezogen  werden. 

Thaer  hat,  wie  schon  bemerkt,  keine  Rententheorie  aufgestellt, 
und  zwar  jedenfalls  deshalb  nicht,  weil  er  Rente  als  Zins  betrachtete  und 
hier  den  Standpunkt  der  Taxationslehre  zugrunde  legte.  Nichtsdesto- 
weniger nimmt  er  Stellung:  Die  Rente  wird  nicht  und  kann  nicht 
verschwinden,  weil  sie  nichts  anderes  ist  als  Zins  für  das  in  der 
Landwirtschaft  angelegte  Kapital.  Dieser  Zins  ist  niedrig,  wenn  das 
Kapital  sicher  ist,  hingegen  hoch,  wenn  es  unsicher  ist.  Ist  ein 
guter  Getreidepreis  erzielt,  so  führt  er  schließlich  zu  niedrigen  Ge- 
treidepreisen, zu  einer  niedrigen  Grundrente  bezw.  niedrigen  Zinsen, 
weil  die  Sicherheit  des  in  der  Landwirtschaft  angelegten  Kapitals 
steigt.  Die  Sicherheit  spielt,  wie  man  sieht,  die  ausschlaggebende 
Rolle.  Um  sie  zu  erreichen,  müsse  zuerst  ein  guter  Getreidepreis 
erzielt  werden,  welcher  zur  Verbesserung  der  Wirtschaftssysteme 
führt,  was  wiederum  einen  niedrigen  Getreidepreis  und  eine  größere 
Sicherheit  zur  Folge  hat.  Die  bessere  Sicherheit  führt  aber  wieder 
zu  einer  niedrigeren  Grundrente  bezw.  niedrigeren  Zinsen  für  das 
landwirtschaftliche  Kapital,  und  zwar  zugunsten  der  ganzen  Gesell- 
schaft. 


^)  Aug.  Oncken,  Was  sagt  die  Nationalök.  als  Wissensch,  usw.,  Berlin. 
2)  Ad.  Smith,  Wealth  of  nations.  Deutsch  von  Asher  Bd.  1  S.  239. 
^)  vgl.  Lexis,   Handwörterbuch   der  Staatswissensch.  2  Aufl.  Bd.  4 
S.  881,  Artikel  Grundrente. 


—    55  — 


Das  ist  der  leitende  Gesichtspunkt,  unter  welchem  wir  Thaers 
Stellung  zur  Rente  zu  betrachten  haben.  Ob  Thaer  damit  das 
Rentenproblem  gelöst  habe,  Tst  eine  andere  Frage,  mit  der  wir  uns 
hier  nicht  weiter  zu  beschäftigen  haben. 


Albrecht  Thaer  und  Joh.  Heinrich  von  Thünen. 

,,Wenn  irgend  worin  das  Axioma  gilt:  Umstände 
verändern  die  Sache:  so  ist  dies  bei  dem  Feldbau 
und  überhaupt  bei  allen  ökonomischen  Dingen,  wo 
oft  der  kleinste  Umstand  die  größten  Veränderungen 
bewirkt." 

Annalen  des  Ackerbaues  Bd.  1,  1806,  S.  226. 

Johann  Heinrich  von  Thünen  war  bekanntlich  ein  Schüler 
Albrecht  Thaers.  Thünen  sagt  selbst:  ,,Adam  Smith  war  in  der 
Nationalökonomie,  Thaer  in  der  wissenschaftlichen  Landwirtschaft 
mein  Lehrer.^)  Zu  wiederholten  Malen  hebt  Thünen  dies  nach- 
drücklich hervor.  Allein,  wenn  es  wahr  sein  sollte,  daß  der  große 
Schüler  dem  Meister  Ehre  und  Ruhm  verschaffe,  so  haben  wir  bei 
Thaer  und  Thünen  Jene  Ausnahme  vor  uns,  die  ja  die  Regel  zu 
ihrer  Bestätigung  verlangt.  Man  würde  nicht  zu  weit  gehen,  wenn 
man  behaupten  wollte,  daß  hier  gerade  das  Gegenteil  eingetreten 
sei,  denn  niemand  hat  soviel  Veranlassung  zur  Verkennung  der  rich- 
tigen und  wahren  Auffassung  Thaers  gegeben,  als  eben  Thünen. 

Es  gibt  keinen  größeren  und  gefährlicheren  Gegner  eines  Meisters, 
als  dessen  Schüler,  der  ihn  mißversteht  und  verkennt;  denn  die 
Nachwelt  beruft  sich  meist  auf  den  Schüler,  in  der  Überzeugung, 
bei  letzterem  die  Wiedergabe  und  Darstellung  der  Lehren  des  Meisters 
am  richtigsten  und  treuesten  anzutreffen.  Viel  bequemer  und  weniger 
zeitraubend  ist  ja  diese  Art  der  Kenntnisnahme  irgendwelcher  Theorien 
und  Lehrmeinungen,  jedoch  wird  auf  diese  Weise  das  Quellenstudium, 
das  Studium  der  betr.  Lehren  aus  erster  Hand,  aus  den  Werken  und 
Schriften  des  Autors  selbst,  vernachlässigt.  Vorliegende  Abhandlung 
wird  noch  reichlich  Zeugnis "  dafür  ablegen,  wie  wenig  man  sich 
selbst  auf  die  berühmtesten  Schüler  eines  Meisters  verlassen  darf, 
wenn  sie  die  Ansichten  ihres  Lehrers  wiedergeben.  Der  Irrtum  wird  dann 
noch  durch  den  Umstand  vergrößert,  wenn  der  Interpret  die  verkehrte 
Auffassung  durch  neue  Deduktionen  in  die  Höhe  treibt.  Das  Falsche 
wird  leicht  zur  gangbaren  Münze,  und  hat  der  Irrtum  sich  einmal 


^)  s.  Johann  Heinrich  von  Thünen,  Der  isolierte  Staat  in  Beziehung 
auf  Landwirtschaft  und  Nationalökonomie   3.  Aufl.   herausgegeben  von 

H.  Schumacher- Zarchlin,  Berlin  1875,  2.  Bd.  1.  Abt.  S.  3,  Einleitung,  auch 

I.  Teil  S.  381  Bemerkg.  7  zu  §  26. 


—    56  — 


eingenistet,  so  dürfte  es  meist  sehr  schwer  halten,  ihn  auszutilgen, 
zu  berichtigen. 

Gehen  wir  nun  zu  unserm  Problem  über,  bezw.  der  Stellung 
Thünens  zu  Thaer,  so  können  wir  den  Kernpunkt  desselben  und 
damit  zugleicji  auch  den  Hauptirrtum  Thünens  durch  einen  Ausspruch 
Richard  Passows  treffend  charakterisieren.   Letzterer  sagt,  nämlich :  ^) 

,,Man  charakterisiert  das  innerste  Wesen  des  ersten  Teiles  des 
isolierten  Staates  am  besten,  wenn  man  ihn  eine  Streitschrift  gegen 
Albrecht  Thaers  und  seiner  Anhänger  Lehre  von  der  Fruchtwechsel- 
wirtschaft nennt,  eine  Streitschrift  freilich,  deren  polemischer  Ton 
durch  die  außerordentliche  Verehrung,  die  Thünen  seinem  Lehrer 
Thaer  entgegenbrachte,  so  sehr  herabgestimmt  wird,  daß  nur  das 
aufmerksame  Ohr  ihn  hie  und  da  erklingen  hört." 

Der  Streit  besteht  kurz  in  folgendem:  Nach  Thaer  sei  die 
Fruchtwechselwirtschaft  vor  den  übrigen  Ackerbausystemen  absolut 
zu  bevorzugen,  während  Thünen  beweisen  will,  daß  der  Vorzug  der 
verschiedenen  Systeme  kein  absoluter,  sondern  lediglich  ein  relativer 
sei.  Thünen  sagt  ausdrücklich:  ,,Es  findet  also  kein  absoluter 
Vorzug  der  Koppelwirtschaft  vor  der  Dreifelderwirtschaft  statt, 
sondern  es  wird  durch  die  Getreidepreise  bedingt,  ob  dieses  oder  Jenes 
Wirtschaftssystem  in  der  Anwendung  vorteilhafter  §ei.  Sehr  niedrige 
Kornpreise  führen  zur  Dreifelder-,  höhere  Preise  zur  Koppelwirtschaft. 
—  Bei  einem  Kornpreise,  der  so  niedrig  ist,  daß  in  der  Koppel- 
wirtschaft die  Kosten  nicht  mehr  bezahlt  werden,  kann  das  Land 
durch  die  Dreifelderwirtschaft  noch  mit  Vorteil  angebaut  werden.-'^) 
Dieses  Relativitätsgesetz  gilt  für  alle  Systeme  der  landwirtschaft- 
lichen Produktion,  also  auch  für  die  Fruchtwecliselwirtschaft.  ^)  Das 
ist  eben  die  Haüptidee,  die  Thünen  seinem  isolierten  Staate  (erster 
Teil)  zugrunde  gelegt  hat.  Es  ist  leichtverständlich,  daß  Rodbertus 
dieses  Gesetz  als  das  Gesetz  der  relativen  Vorzüglichkeit 
Jedes  Wirtschaftssystems  bezeichnet  hat.  Demnach  hätten  wir 
also  bei  Thaer  und  Thünen  zwei  entgegengesetzte  Prinzipien  vor 
uns,  ins  Praktische  übertragen  wird  es  lauten:  Nach  Thaer  überall 
ausschließliche  Fruchtwechselwirtschaft,  nach  Thünen  hingegen  hat 
Jedes  System,  den  Orts-  und  Zeitverhältnissen  gemäß,  seinen  Platz. 
Thaers  Ansicht  ist  eine  starre  Dogmatik,  Thünens  die  der 
Relativität;  Thaer  setzt  sich  über  Zeit  und  Ort,  wie  auch  über 
alle  Lokalverhältnisse  hinweg,  Thünen  aber  legt  alle  diese  Faktoren 
seinem  System  zugrunde.  Und  in  der  That  war  es  auch  so  von 
Tliünen  gemeint.  ^)   Hiermit  ist  die  angebliche  Meinungsverschiedenheit 

^)  vgl.  Zeitschr.  f.  d.  ges.  Staatswissensehaften,  Tübingen  1902,  S.  3—4. 
2)  vgl.  Isol.  Staat  T.  1  p.  116,  Berlin  1875. 

vgl.  R.  Passow  in  Zeitschr.  f.  d.  ges.  Staatswsch.  S.  16  Anm.,  1902. 
*)  Rodbertus  in  einem  Briefe  vom  29.  Sept.  1840  an  Thünen;  vgl. 
H.  Schumacher,  J.  H.  v.  Thünen,  Ein  Forscherleben  S.  172,  Rostock  1868. 
^)  vgl.  Passow  ibid. 


57  — 


zwischen  Thaer  und  Thünen,  bezw.  wie  Tliaer  von  Thünen  auf- 
gefaßt wurde,  gekennzeichnet.  Es  bleibt  nun  noch  übrig,  zu  unter- 
suchen, ob  Albrecht  Thaer  wirklich  absolut  und  an  Jeder  Stelle 
der  Fruchtwechselwirtschaft  den  Vorzug  vor  allen  übrigen  Systemen 
gegeben  hat.  Mit  der  Richtigkeit  oder  Unrichtigkeit  dieser  Auffassung 
steht  und  fällt  natürlich  die  ganze  Sache  Thaers. 

Schließlich  entsteht  noch  die  Frage :  Hat  Thaer  überhaupt  einen 
absoluten  Standpunkt  vertreten,  oder  läßt  sich  nicht  vielmehr 
nachweisen,  daß  gerade  Thaer  es  war,  der  den  Standpunkt  der 
Relativität  in  der  Landwirtschaft  aufgestellt  und  hervorgehoben  hat? 

Wir  haben  diese  Frage  an  der  Hand  der  Schriften  Thaers,  die 
bis  zum  Jahre  1826,  dem  Erscheinungsjahre  des  , »isolierten  Staates", 
veröffentlicht  wurden,  zu  prüfen.  Allein ,  man  könnte  nun  noch 
geneigt  sein,  wenn  die  Werke  von  Thaer  die  Behauptungen  von 
der  angeblich  absoluten  Vorzüglichkeit  der  Thaerschen  Frucht- 
wechselwirtschaft nicht  rechtfertigen,  einzuwenden:  Da  Thünen  die 
Vorlesungen  Thaers  besucht  hat,  so  ist  es  möglich,  daß  Thaer  die 
ausschließliche  Frucht  Wechselwirtschaft  gerade  in  den  Vorlesungen 
allzusehr  hervorgehoben  hat.  Was  diesen  Punkt  anbelangt,  von  der 
Berechtigung  emes  Einwandes  dieser  Art  ganz  abgesehen,  mag  es 
vorläufig  genügen,  zu  betonen,  daß  gerade  in  Thaers  Vorlesungen 
sein  Relativitätsstandpunkt  mit  großer  Deutlichkeit  hervortritt,  wie 
sich  dies  im  Laufe  der  Auseinandersetzung  noch  zeigen  wird. 

Zuerst  muß  die  Frage  gestellt  werden :  Was  hat  denn  Thünen 
veranlaßt,  seine  Ideen  über  Landwirtschaft  zu  veröffentlichen.  Diese 
Frage  würde  nicht  aufgerollt  werden,  wenn  sie  nicht  in  innigem 
Zusammenhange  mit  dem  uns  hier  beschäftigenden  Problem  stände. 
Es  findet  sich  hierüber  bei  Thünen  folgender  Aufschluß:  ,,Von  Essens 
Aufsatz  in  den  (Möglinschen)  Annalen^)  hat  mich  auf  einmal  so  in 
Harnisch  gebracht,  daß  ich  den  heroischen  Entschluß  gefaßt  habe, 
meine  Ideen  über  Landwirtschaft  drucken  zu  lassen.  Wenn  mein 
Eifer  nicht  wieder  nachläßt,  so  wirst  du  Ostern  ein  Buch  von  mir 
haben.  Während  hier  eine  Wechselwirtschaft  nach  der  andern  unter- 
geht, herrscht  sie  despotisch  in  den  Büchern.  Aber  noch  nie  sind 
in  ihrer  Wirkung  so  unsinnige  Sätze  angegeben,  wie  durch  Herrn 
von  Essen.  Auffallend  ist  es,  daß  dies  unter  Thaers  Augen  geschrieben 
und  gedruckt  ist,  und  daß  er  dazu  stillschweigt.  Sollen  die  großen 
Zahlen  auf  dem  Papiere  die  kleinen  in  der  Wirklichkeit  verdecken?"^) 

Zunächst  sei  hier  bemerkt,  daß  Thaer  zu  dem  betr.  Aufsatze 
nicht  stillgeschwiegen  hat.  Er  hat  die  Abhandlung  v.  Essens  in 
der  „Vorerinnerung"  als  eine  „merkwürdige,  belehrende  und  vollendete 

^)  Dieser  Aufsatz  ist  betitelt:  ,,Der  Übergang  aus  gewöhnlichen  Drei- 
felderwirtschaften in  eine  nach  Thaerschen  Grundsätzen  geordnete  Frucht- 
wechselwirtschaft", veröff enthebt  in  den  von  Thaer  herausgegebenen  ,,Annalen 
■des  Ackerbaues"  1809. 

2)  vgl.  Schumacher,  J.  H.  von  Thünen  S.  33,  Rostock  1868. 


—    58  ^ 


Schrift"  bezeichnet.^)  Jedoch  gegen  gewisse  Sätze  erhebt  er  Einspruch. 
Er  sagt  im  nachfolgenden  2.  Bande  desselben  Jahrganges  der  Annalen 
des  Ackerbaues,  daß  von  Essen  oft  zu  weit  ginge,  ^)  und  daß  der 
Eckstein ,  worauf  das  ganze  Gebäude  beruhe ,  unzuverlässig  sei. 
Thünen,  welcher  an  diesem  Aufsatze  Anstand  genommen  und  be- 
schlossen hatte,  gegen  die  angeblich  „ausschließliche"  Frucht- 
wechselwirtschaft Thaers  aufzutreten,  hätte  doch  das  Vorerwähnte 
in  Betracht  ziehen  müssen,  zumal  da  er  den  „Isolierten  Staat"  16 
Jahre  später  erst  der  Öffentlichkeit  übergab.  Aber  sei  dem,  wie  ihm 
wolle,  wenden  wir  uns  einmal  dem  Aufsatze  von  Essens  selbst  zu, 
um  ihn  in  bezug  auf  die  r e  1  ati v e  Vorzüglichkeit  der  Ackergesetze, 
wie  auch  auf  die  Ausschließlichkeit  der  Fruchtwechselwirtschaft 
hin  zu  prüfen. 

Es  sei  noch  vorher  bemerkt,  daß  hier  die  Zitate  aus  von  Essens 
Aufsatz  wörtlich  wiedergegeben  werden.  Wenn  sie  etwas  länger  aus- 
fallen, so  liegt  dies  im  Interesse  der  Beweisführung. 

„Wir  sind  durch  den  Herrn  Staatsrat  Thaer  belehrt"  —  sagt 
von  Essen  — ,  „daß  eine  mit  Brachfruchtbau  vereinte  und  mannig- 
faltig zu  modifizierende  Fruchtwechselwirtschaft,  teils  mit, 
teils  ohne  Stallfütterung,  das  sicherste  Mittel  ist,  dessen  wir  uns  zur 
Verbesserung  solcher  hilfsbedürftigen  Wirtschaften  bedienen  können. 
Aber  man  würde  durchaus  irren,  wenn  man  glaubte,  derselbe  wolle 
diese  als  ein  einziges  Wirtschaftssystem  für  alle  Länder,  für  alle 
Bodenarten  und  für  alle  Lokalverhältnisse  angewendet  wissen,  oder 
er  gestatte  es,  irgend  einen  Wirtschaftsplan  oder  eine  Fruchtrotation 
zuvor  zu  projektieren,  um  solche  nachher  dem  Boden  anzupassen. 
Er  empfiehlt  vielmehr,  zuerst  die  Eigenschaften  des  Bodens  genau 
kennen  zu  lernen;  alle  Lokalverhältnisse  sorgfältig  zu  beurteilen,  nach 
deren  Beschaffenheit  allein  den  allgemeinen  Wirtschaftsplan  zu  bilden, 
darnach  die  Rotation  der  zu  erbauenden  Früchte  zu  bestimmen,  unter 
Erwägung  aller  Hindernisse  und  veranstalteter  Wegräumung  derselben, 
zuletzt  zur  Ausführung  zu  schreiten.  Er  will  die  so  sehr  verschiedene 
Erdfläche  nur  als  verschiedenes  Material  angesehen  wissen,  das  der 
Landmann  als  Gewerbsmann  mit  allumfassender  Sachkenntnis,  durch, 
ganz  verschiedene  Behandlungsweisen ,  zu  mancherlei  Zwecken  be- 
arbeitet, um  dadurch  den  höchsten  und  nachhaltigsten  Gewinn  aus 
jeder  kulturfähigen  Bodenart  zu  erhalten.  Kurz  jeder  Unterschied 
des  Bodens,  und  das  in  Rücksicht  des  Landwerts,  der  vorhandenen 
oder  nicht  vorhandenen  natürlichen  Hilfsmittel,  der  Bevölkerung,  der 
Arbeits-  und  Produktenpreise  und^'des  anzuwendenden  Betriebskapitals 
so  sehr  verschiedene  Lokal  erfordert,  nach  dem  Thaerschen  System 

^)  vgl.  Annalen  des  Ackerbaues  Bd.  9  1809. 

^)  vgl.  Thaer,  Zur  Berichtigung  des  von  Essenschen  Überganges  aus 
gewöhnlichen  Dreifelderwirtschaften  in  Fruchtwechselwirtschaft,  Annalen 
d.  Ackerb.  Bd.  10  S.  518  1809. 

3)  Ibid.  S.  525. 


—    59  — 


auch  jedesmal  eine  andere  Feldeinteilung,  eine  andere  Art  von  Kultur 
oder  Ackersystem,  und  eine  andere  Beliandlungsweise.  Um  das 
einzig  passende  und  zweckmäßigste  Kultursystem  ausfinden  zu  können, 
macht  er  seine  Zuhörer  mit  allen  Wirtschaftsarten,  vorzüglich  mit 
den  Dreifelderwirtschaften,  Koppelwirtschaften  und  den  mannigfaltigen 
Wechselwirtschaften  genau  bekannt,  lehret  durch  Wort  und  Tat  sie 
nach  rationellen  Grundsätzen  zu  prüfen,  ihre  Vorteile  und  Nachteile, 
ihre  Beschwerlichkeiten  und  Hindernisse  erwägen;  und  zeigt  ihnen, 
wie  jene  Wirtschaftsarten  nach  Verschiedenheit  der  Umstände,  ent- 
weder einzeln  oder  teilweise  zusammengeschmolzen,  vervollkommnet 
zur  Erreichung  des  höchsten  reinen  Gewinns,  in  jedem  örtlichen 
Verhältnisse  praktisch  anzuwenden  sind."^) 

,,Daß  es  auf  keine  Weise"  —  fährt  von  Essen  fort  —  ,,mit 
dem  Thaerschen  landwirtschaftlichen  System  harmoniert,  für  jedes 
Lokal  nur  eine  einzige  allgemein  passen  sollende  Wirtschaftsart  anzu- 
wenden, wird  offen  darliegen,  wenn  die  Grundsätze  des  ratio- 
nellen Ackerbaues  im  Druck  erschienen  sind  .  .  . 

Als  Beleg  dafür,  daß  nicht  ein  und  dasselbe  Wirtschaftssystem 
für  jedes  landwirtschaftliche  Lokal  anwendbar  ist,  bin  ich  so  frei, 
einige  Paragraphen  aus  diesem  Werke,  die  der  Verfasser  seinen 
Zuhörern  als  Diktate  zu  seinen  Vorlesungen  mitteilt,  hier  anzuführen. "  ^) 
von  Essen  führt  drei  Paragraphen  an,    die  folgendermaßen  lauten: 

,, Dieses  Verhältnis  des  Arbeitspreises,  gegen  den  Preis  des 
Grund  und  Bodens,  trägt  zur  Begründung  der  verschiedenen  Acker- 
systeme vieles  bei.  Man  kann  diese  in  ihren  Extremen  die  exten- 
siven und  intensiven  nennen.  Wo  nämlich  der  Boden  wohlfeil,  die 
Arbeit  aber  teurer  ist,  da  wird  man  eine  gewisse  Masse  von  Pro- 
dukten auf  einer  großen  Fläche,  oder  mit  möglichst  geringer  Arbeit 
hervorzubringen  versuchen  müssen ;  —  wo  dagegen  der  Preis  des 
Bodens  hoch  ist,  Arbeit  aber  in  genügsamer  Menge  und  zu  billigen 
Preisen  sich  darbietet,  da  wird  man  auf  einer  kleinen  Ackerfläche 
denselben  Wert  von  Produkten,  durch  verstärkte  Anwendung  der 
Arbeit  zu  erzielen  suchen.  —  Wenngleich  die  Extreme  von  sehr 
wohlfeilem  Acker  und  sehr  teurer  Arbeit,  und  umgekehrt  in  Deutsch- 
land selten  oder  gar  nicht  vorkommen,  so  sind  doch  mannigfaltige 
Gradationen  dieses  Verhältnisses  in  verschiedenen  Provinzen  und 
Distrikten  vorhanden,  die  man  bei  der  Einrichtung  einer  Wirtschaft 
wohl  zu  erwägen  hat,  um  sich  darnach  für  ein  mehr  oder  minder 
intensives  oder  extensives  Wirtschaftssystem  zu  bestimmen.  Dort 
wird  die  Koppelwirtschaft  mit  langer  Ruhe  des  Ackers  und  Weide- 
dünger Arbeit  ersparen;  hier  wird  jährlicher  Fruchtwechsel  mit  Futter- 
bau und  Stallfütterung  die  Arbeit  vorteilhaft  vermehren  und,  der 


^)  von  Essen,  Der  Übergang  aus  gewöhnlichen  Dreifelderwirtschaften 
in  eine  nach  Thaerschen  Grundsätzen  geordnete  Fruchtwechselwirtschaft, 
in  Annalen  d.  Ackerb.  Bd.  9  1809. 


Werth. 


5 


—    60  — 


höheren  Kosten  ungeachtet,  den  reinen  Ertrag  beträchtlich  vergrößern. 
Dieses  gerechte  Verhältnis  zwischen  Qualität  und  Quantität  des  Grund 
und  Bodens,  Arbeit  und  Düngung,  begründet  das  Feldsystem.  Wo 
man  Arbeit  und  Dünger  zu  jeder  Zeit,  so  viel  man  gebraucht,  von 
auswärts  her  vorteilhaft  haben  kann,  da  bedarf  es  gar  keines  be- 
stimmten Ackersystems,  und  die  ganze  Kraft  des  Ackerbaues  be- 
schränkt sich  auf  die  Manipulation  und  auf  die  Auswahl  der  Früchte, 
welche  der  Acker  in  dem  Zustande,  worin  er  eben  ist,  am  vorteil- 
haftesten tragen  kann.  In  Wirtschaften,  welche  diese  Vorteile  haben, 
ist  selbst  die  Verbindung  der  beiden  Hauptzweige  der  Landwirtschaft, 
des  Ackerbaues  und  der  Viehzucht,  nicht  notwendig,  sondern  es  kann 
jede  für  sich,  und  selbst  vorteilhafter  getrennt,  für  sich  betrieben 
werden.  Dies  gehört  aber  unter  die  seltenen  Fälle  und  findet  nur 
in  der  Nachbarschaft  großer  Städte  oder  in  höchst  bevölkerten 
Gegenden  statt."  ^) 

Nach  den  von  Essen  hier  mitgeteilten  Paragraphen  aus  einem 
Vorlesungsheft  folgert  er,  daß  nach  den  Grundsätzen  Thaers  Drei- 
felderwirtschaft sich  denken  lasse  ;^)  von  Essen  kennt  solche  Drei- 
felderwirtschaften, von  welchen  er  sagt:  ,,In  diesen  Dreifelderwirt- 
schaften, beim  richtigen  Betriebe  der  einzelnen  Teile,  wird  wohl 
aus  dem  Gesichtspunkt  rationeller  landwirtschaftlicher  Grundsätze 
wenig  zu  tadeln  und  nicht  viel  zu  verbessern  sein.^) 

von  Essen  wiederholt  n 

,,Man  wird  aus  dem  bereits  Gesagten  sich  erinnern,  daß  nur  der 
Beschaffenheit  des  Bodens  und  der  örtlichen  Verhältnisse  gemäß, 
für  Jedes  Gut  ein  eigener  Wirtschaftsplan  entworfen  werden  müsse, 
und  daß  es  den  rationellen  landwirtschaftlichen  Prinzipien  durchaus 
widerspricht,  einen  willkürlich  abgefaßten  Plan  auf  jede  umzuändernde 
Wirtschaft  anzuwenden.  Es  ist  sonach  auch  unmöglich,  hier  den 
Übergang  aus  jeder  Dreifelderwirtschaft  in  die  bessere  durch  ein 
allgemein  passendes  Schema  anzugeben."^) 

Wie  wir  sahen,  ist  bei  von  Essen  von  einem  absoluten  Vor- 
zug der  Fruchtwechselwirtschaft  durchaus  nicht  die  Rede;  auch  dürfte 
es  nach  ihm  als  unzweckmäßig  betrachtet  werden,  überall  das 
Fruchtwechselsystem  anzuwenden;  denn  jedes  System  des  Ackerbaues 
wird  von  Zeit-  und  Orts-  und  andern  Lokalverhältnissen  bedingt, 
also  kann  es  sich  um  keinen  absoluten  Standpunkt  handeln.  In 
dieser  Beziehung,  d.  h.  was  den  relativen  Standpunkt  anbetrifft, 
hatte  Thünen  keinen  Grund,  über  Thaer  herzufallen.  Damit  ist  die 
Veranlassung  Thünens,  gegen  die  angeblich  ausschließliche  Frucht- 
wechselwirtschaft Thaers  aufzutreten,  gekennzeichnet.    Zugleich  haben 


1)  Ibid.  S.  538—540. 

2)  Ibid.  S.  540. 

3)  Ibid.  S.  540  ff. 

4)  Ibid.  S.  542. 


—    61  — 


wir  gesehen,  daß  Thaer  schon  in  seinen  Vorlesungen  den  relativen 
Standpunkt  vertreten  hat ;  also  gaben  auch  die  Vorlesungen  Thaers  seinen 
Zuhörein  durchaus  nicht  die  Berechtigung,  ihren  Lehrer  des  absoluten 
Vorzuges  der  Fruchtwechselwirtschaft  zu  zeihen. 

Gehen  wir  nun  zu  Thaers  Schriften  selbst  über,  um  sie  inbezug 
auf  das  uns  hier  beschäftigende  Problem  zu  prüfen. 

Vor  allem  ist  zu  bemerken,  daß  wir  uns  auf  den  kleinsten 
Teil  der  Thaerschen  Äußerungen  beschränken  müssen;  es  würde  uns 
sonst  zu  weit  führen,  wollten  wir  hier  alle  bezüglichen  Stellen  mit- 
teilen. 

Zuerst  wird  uns  seine  Einleitung  zur  Kenntnis  der  englischen 
Landwirtschaft"^)  beschäftigen.  Thünen  hat  seinem  Urteil  über  dieses 
Werk  in  folgenden  Worten  Ausdruck  gegeben : 

,,Die  Einleitung  schrieb  ein  Mann  von  großem  Geist,  aber  ohne 
praktische  Kenntnis  von  der  Landwirtschaft,  Phantasie  und  Enthusias- 
mus stellten  klar  die  Vorzüge  einzelner  Methoden  dar;  nachdem  man 
sie  gelesen,  schien  es  leicht,  sich  über  alle  praktischen  Landwirte  zu 
erheben  und  in  kurzer  Zeit  ein  reicher  Mann  zu  werden."^) 

Dies  Urteil  mag  vielleicht  davon  herrühren,  daß  Thünens  Schwager 
Schröder,  der  vor  ihm  Tellow,  das  spätere  Besitztum  Thünens,  bewirt- 
schaftete, nachdem  er  Thaers  Englische  Landwirtschaft"  gelesen, 
jubelnd  gemeint  hatte,  die  ihm  so  erwünschte  Geldquelle  gefunden 
zu  haben,  und  nun,  voller  guten  Hoffnungen,  Fruchtwechselwirtschaft 
einführte.  Aber  die  erwarteten  günstigen  Resultate  blieben  gänzlich 
aus,  so  daß  Schröder  in  sehr  bedrängte  Lage  geriet.^)  Es  wird  sich 
aber  noch  herausstellen,  daß  Thaer  auch  in  der  Einleitung  ganz  und 
gar  von  dem  Standpunkte  der  Relativität  ausgeht.  Hier  hat  Thünen, 
man  darf  wohl  sagen,  unwissenschaftlich  verfahren,  indem  er  das 
Mißverständnis  seines  Schwagers  mit  der  Ansicht  Thaers  identifizierte. 
Man  kann  doch  wohl  nicht  gut  einen  Autor  dafür  verantwortlich 
machen,  wenn  beschränkte  Leser  ihn  mißverstehen  und  dann  un- 
glücklich wirtschaften;  viel  weniger  noch  darf  man  nach  der  Auf- 
fassung dieser  Leser  die  Lehren  des  Autors  beurteilen  bezw.  ver- 
urteilen. 

Schon  im  Anfang  der  ,, Einleitung"  macht  Thaer  darauf  aufmerk- 
sam, daß  in  England  die  allgemein  anerkannte  höhere  Landwirt- 
schaft ,, modifiziert  nach  dem  Boden  und  der  Lage"  ausgeübt  werde.^) 


^)  Die  erste  Auflage  ist  1798  erschienen ;  wir  zitieren  nach  der  zweiten 
Auflage,  deren  beide  ersten  Bände  1801  erschienen,  der  3.  Bd.  erschien  1804, 
Hannover. 

2)  vgl.  Schumacher,  J.  H.  von  Thünen.  Ein  Forscherleben,  Rostock 
1868,  S.  35. 

^)  Nach  Passow  (Methode  der  nat.-ökon.  Forschung,  J.  H.  v.  Thünen) 
bei  Schumacher,  Forscherleben  S.  43. 

*)  Einleitung  zur  Kenntnis  der  enghschen  Landwirtschaft  S.  12  Bd.  1, 
Hannover  1801. 

5* 


—    62  — 


,,Mit  einigem  Scharfsinne"  —  sagt  Thaer  —  ,,wird  man  leicht 
unterscheiden  können,  was  in  jeder  Gegend  und  jeder  Wirtschafts- 
methode Aufmerksamkeit  und,  unter  gehörigen  Verhältnissen,  Nach- 
ahmung verdiene."^)  Dies  ist,  wie  mir  scheinen  will,  doch  wohl 
deutlich  genug.  Doch  schärfer  noch  tritt  sein  Standpunkt  hervor 
indem  er  sagt:  ,,Denn  es  läßt  sich  die  Art  und  Weise  der  Engländer, 
Ackerbau  und  Viehzucht  zu  betreiben,  ohne  jene  Kenntnis  nicht  ge- 
hörig würdigen,  und  könnte  uns  entweder  zu  einer  blinden,  unsern 
Verhältnissen  nicht  angemessenen  Nachahmung  verleiten,  oder  unsern 
ebenso  unbegründeten  Tadel  erregen."^)  Man  sieht  klar  genug,  wo 
Thaer  hinaus  will :  weder  blinde  Nachahmung,  noch  unbegründeten 
Tadel,  sondern  eigene,  selbständige  Prüfung  und  klares,  richtiges  Denken; 
denn:  ,,nur  für  denkende  Landwirte  schreibe  ich",  sagt  er  a.  a.  0. 
ausdrücklich. 

Als  Charakteristikum  für  Thaers  Auffassung  dürfte  das  oben 
Angeführte  am  besten  dienen,  indem  er  selber  die  ,, blinde  Nach- 
ahmung" geradezu  tadelt. 

Wir  vernehmen  ferner  von  Thaer:  ,,Man  wird  mir  die  Torheit 
nicht  zumuten,  hier  ein  positives,  allgemein  anwendbares  Wirtschafts- 
System  aufstellen  zu  wollen.  Nein!  ich  bin  weit  von  dem  Gedanken 
entfernt,  eine  Maschine  zu  erfinden,  die  jeder  nur  mechanisch  nach- 
zumachen brauchte,  und  die  für  jedes  Lokal  passen  sollte.  Hätte 
ich  je  eine  solche  Idee  haben  können,  so  hätten  mich  die  vielen 
Unterredungen  und  Korrespondenzen  mit  Landwirten  aus  den  ver- 
schiedensten Gegenden  davon  geheilt,  und  insbesondere  hätte  mich 
der  mündliche  Vortrag,  den  ich  meinen  erfahrenen  Zuhörern  aus  allen 
Gegenden,  wo  deutsche  Sprache  herrscht,  tun  mußte,  gegen  diese 
Einseitigkeit  geschützt.' 

In  einem  Kapitel,  betitelt:  ,,Über  das  Charakteristische  der 
englischen  Landwirtschaft  im  Verhältnis  gegen  die  deutsche", 
sagt  er,  daß  er  seine  ,, Einleitung"  ,,für  denkende  —  nicht  für  un- 
wissende, blindlings  nachahmende  Landwirte"  ^)  schreibe,  und  daß 
man  auf  dem  deutschen  Boden  die  englische  Wirtschaftsweise  nur 
unter  gewissen  Modifikationen  verpfanzen  könne. ^)  Er  betont  aus- 
drücklich ,  daß  die  Verbesserung  nur  unter  gewissen  Umständen 
nützlich  sein  könne.^) 

Es  könne  ferner  eine  große  Masse  landwirtschaftlicher  Kennt- 
nisse unter  einem  Volke  verbreitet,  die  Betriebsamkeit  desselben  sehr 


^)  Einleitung  zur  Kenntnis  der  englischen  Landwirtschaft  S.  12  Bd.  1, 
Hannover  1801. 

2)  Ibid.  Bd.  2  Abt.  2  S.  4  Vorerinnerung. 

Ibid.  Bd.  3,  Hannover  1804,  Vorrede  S.  10-11. 

Ibid.  Bd.  3  S.  10. 
■')  Ibid.  S.  11. 
«)  Ibid.  S.U. 


—    63  — 


groß  sein,  ohne  daß  sich  dieses  aus  der  Benutzung  des  Bodens  und 
der  Stärke  der  Produktion  so  geradezu  wahrnehmen  ließe.  ,, Fehler- 
hafte statistische  und  politische  Verhältnisse",  motiviert  Thaer,  ,, setzen 
der  Energie  des  Landvolkes  oft  unübersteigliche  Hindernisse  in  den 
Weg.  Es  ist  dann  der  schwerste  Teil  unserer  Kunst,  diese  Verhält- 
nisse so  gut  zu  benutzen,  oder  vielmehr  so  unschädlich  zu  machen, 
wie  es  unsere  Lage  erlaubt.  Wir  müssen  unsere  Wirtschaftsein- 
richtung mit  beständiger  Rücksicht  auf  jene  Verhältnisse  drehen  und 
wenden."^) 

,,Kaum  wird  genau  dasselbe  Wirtschafts-System"  —  sagt  Thaer 
—  ,,was  auf  des  Nachbars  Hofe  unverbesserlich  ist,  auf  meinem 
Hofe  in  seinem  ganzen  Umfange  das  vorteilhafteste  sein.  Bei  ge- 
nauer Erwägung  werde  ich  mich  immer  zu  einigen  Abänderungen 
veranlaßt  finden,  und  eine  jede  sklavische  Nachahmung  wird  ihre 
Fehler  haben."-)  Sehr  häufig  betont  Thaer  die  Wichtigkeit  der  Lage 
eines  Gutes,  wie  schon  früher  angeführt  wurde;  er  wird  nicht  müde, 
das  ,, blinde,  mechanische  Nachahmen"  zu  tadeln.  Schließlich  sei 
noch  gestattet,  eine  Äußerung  Thaers  bezüglich  der  Brache  anzu- 
führen.   Er  sagt  unter  anderm  folgendes: 

,,Man  hat  mir  die  Meinung  zugeschrieben  —  und  ich  mag 
Veranlassung  dazu  gegeben  haben  —  (nebenbei  sei  bemerkt,  daß 
diese  Zeilen  mehr  als  zwei  Dutzend  Jahre  früher  veröffentlicht  wurden, 
als  der  Thünen'sche  ,,Jsolierte  Staat"),  daß  ich  die  Brache  in  allen 
und  jeden  Fällen  für  unnötig  und  nachteilig  hielte.  Dies  war  in- 
dessen meine  Meinung  nie,  denn  ich  weiß,  daß  es  Fälle  gibt,  wo 
ein  verwilderter  Boden  nur  durch  ein  häufiges  und  durchdringendes 
Sommerpflügen  wieder  in  Kultur  gesetzt  werden  kann."^) 

W^ie  wir  zur  Genüge  sahen,  hat  Thaer  schon  in  seiner  ,, Ein- 
leitung zur  Kenntnis  der  englischen  Landwirtschaft"  keineswegs  die 
ausschließliche  Fruchtwechselwirtschaft  vertreten,  vielmehr  be- 
fürwortete er  gerade  den  Standpunkt  der  Relativität. 

Man  hat  den  »isolierten  Staat"  als  eine  Streitschrift  gegen 
Thaers  und  seiner  Anhänger  Lehre  von  der  Fruchtwechselwirt- 
schaft" bezeichnet.^)  Der  Grund  zu  dieser  Stellungnahme  Thünens 
ist  nach  vorgehendem  nicht  recht  ersichtlich.  Insbesondere  wäre  dies 
unerklärlich,  wenn  Thünen  die  vielen  Äußerungen  Thaers  über  Frucht- 
wechselwirtschaft im  speziellen  und  Relativität  im  allgemeinen  ge- 
kannt hat,  wie  diese  so  häufig  sich  in  Thaers  Schriften  finden. 
Sehr  charakteristisch  sind  einige  Bemerkungen,  die  Thaer  zu  einem 
in  den  ,,Annalen  des  Ackerbaues"  erschienenen  Aufsatze  von  A.  Hoff- 


1)  Ibid.  S.  23. 

2)  Ibid.  Bd.  3  S.  128. 
3}  Ibid.  VI  S.  307. 

^)  Passow,  Die  Methode  der  nat.-ökon.  Forschungen  J.  H.  v.  Thünen, 

S.  3. 


—    64  — 


mann,  Ilm,  macht.  In  diesem  Aufsatze  sagt  Hoff  mann. ^)  ,,Man 
kann  bei  der  Fruchtwechselwirtschaft,  als  Vorzug  derselben  vor  der 
Dreifelderwirtschaft,  sei  es  gesagt,  die  Umstände  nie  reiflich  genug 
überlegen,"  man  müsse  die  näheren  Verhältnisse  der  verschiedenen 
Lokalitäten  kennen  lernen  usw.  Hieran  knüpft  Thaer  eine  längere 
Bemerkung,  die  ihrer  Wichtigkeit  wegen  hier  vollständig  angeführt 
werden  soU:^) 

,, Ich  weiß  nicht,  ob  es  der  Sache  (gemeint  ist  die  Fruchtwechsel- 
wirtschaft) Vorteil  getan  hat,  daß  man  ihr  einen  bestimmten  Namen 
und  damit  das  Ansehen  eines  positiven  Systems  gab. 

Ich  wollte  nur  aus  den  Erfahrungen,  welche  besonders  die  Eng- 
länder darüber  gemacht  hatten,  Grundsätze  abziehen,  und  diese  durch 
rationelle  Gründe  bekräftigen,  durch  Beispiele  erläutern,  übrigens 
aber  die  Anwendung  dieser  Grundsätze  auf  das  Lokale  einem  jeden 
nachdenkenden  Wirte  überlassen.  Meine  Absicht  ist  es  nie  gewesen, 
Leisten  zu  schnitzen.  Ich  habe  das  Wort  Wechselwirtschaft  in 
diesem  Sinne  erst  später  von  andern  annehmen  müssen.  Eigentlich 
bin  ich  gegen  alle  Systeme  in  allen  Wissenschaften.  Nach  ihrer 
theoretischen  Tendenz  schränken  sie  das  Denkvermögen  ein  und  sind 
nur  für  schaale  Köpfe,  die  gern  schwatzen,  nicht  denken  mögen. 
In  praktischer  Hinsicht  müßte  man  einem  jedem  Menschen  nach 
seinen  Kräften  und  seinem  Lokale  ein  eigenes  System  machen,  wenn 
er  es  selbst  nicht  kann.  In  spekulativen  Wissenschaften  mag  man 
damit  tändeln;  sie  werden  nie  beträchtlichen  Einfluß  auf  das  bürger- 
liche Leben  bekommen,  zumal  da  in  unsern  Zeiten  eins  das  andere 
über  den  Haufen  bläst.  Aber  in  praktischen  Erfahrungswissenschaften, 
besonders  der  Arznei  und  Landwirtschaftskunde,  wünschte  ich  die 
Systeme  —  oder  vielmehr  die  Sekten,  die  ein  solches  System  zu 
ihrem  einzigen  Credo  machen  —  alle  verbannen  zu  können.  Ver- 
dienstlich, wohltätig  für  die  Menschheit  ist  es,  aus  der  Summe  der 
Erfahrungen  allgemeine  Grundsätze  abzuziehen,  um  diese  dann  wieder 
der  Probe  genauer  Versuche  zu  unterwerfen.  Dies  aber  ist  noch  kein 
System.  Man  kann  auch  Beispiele  geben,  wie  man  nach  diesen 
Grundsätzen  unter  bestimmten  Umständen  zu  verfahren  und  solche 
anzuwenden  habe.  Will  man  aber  unbedingte  Folgerungen  daraus 
ziehen  und  positive  Regeln  daraus  ableiten,  so  stößt  derjenige,  der 
uns  diese  vor  Augen  gestellt  hat,  allenthalben  an,  weiß  sich  nicht 
zu  helfen  und  läuft  mit  dem  Kopf  gegen  die  Mauer.  Gegen  die 
Dreifelderwirtschaft  habe  ich  mich,  besonders  als  System,  erklärt, 
als  ein  ganz  Europa  beherrschendes,  für  unverbesserlich  geachtetes 
System,  welches  der  Produktion  im  ganzen,  eben  der  vielen  Neben- 
hilfen wegen,  die  es  haben  muß,  nachteilig  ist.    Daß  sonst  mancher 


^)  Annalen  des  Ackerbaues,  herausgegeben  von  Albrecht  Thaer^ 
I.  Jahrg.  1.  Bd.,  Berhn,  Wien  1805,  S.  504-506. 
2)  Ibid.  Anmk.  5  S.  504-506. 


—    65  — 


gescheute  Landwirt,  unter  seinen  Verhältnissen,  und  bei  den  nicht 
besser  zu  benutzenden  Nebenhilfen,  die  seine  Wirtschaft  hat,  nichts 
besseres  tun  könne,  als  bei  seiner  Dreifelderwirtschaft  in  der  Haupt- 
sache zu  bleiben  und  von  den  Grundsätzen  des  Fruchtwechsels  nur 
so  viel  anzuwenden,  als  seine  Lokalität  erlaubt,  gebe  ich  sehr  gern  zu." 

Das  ist  nun  die  Ansicht  Thaers  über  Fruchtwechselwirtschaft 
und  Dreifelderwirtschaft,  über  Systeme  und  deren  Berechtigung  bezw. 
Anwendung!  Und  nicht  einmal  der  Name  „Fruchtwechselwirtschaft 
stammt  von  ihm !  —  Das  alles  aber  hinderte  nicht,  daß  Thaer  zum 
absoluten  Fruchtwechselwirten  gestempelt  wurde;  in  eine  Klasse 
oder  Rubrik  muß  nun  einmal  jeder  hinein,  und  Thaers  Spottwort  von 
den  „. .  .  ianern"  ^)  hatte  nur  zuviel  Berechtigung,  er  fiel  der  Rubri- 
zierungs-  und  Systemsucht  der  kleinen  Geister  selber  zum  Opfer. 
Irgend  einem  „...ismus"  oder  „...schaff  muß  ja  jeder  angehören, 
auch  Thaer  entging  diesem  Verhängnis  nicht. 

In  demselben  Bande  nimmt  Thaer  Gelegenheit,  den  Vorwurf 
des  Anglomanismus",  der  ihm  ebenfalls  gemacht  wurde,  zurück- 
zuweisen. Spottend  ruft  er  jemand,  der  eine  Annäherung  der  süd- 
preußischen Wirtschaft  an  die  englische  versuchen  will,  zu: 

,,Wenn  es  möglich  ist,  noch  lieber  zur  chinesischen!  —  Ich 
verlange  gar  nicht,  daß  wir  uns  englische  Wirtschaft  im  allgemeinen 
als  das  einzige  und  höchste  Ideal  aufstellen."^) 

Wenden  wir  uns  nun  den  ,, Grundsätzen  der  rationellen  Land- 
wirtschaft" zu,  um  dieselben  ebenfalls  zu  prüfen;  es  sollen  hieraus 
jedoch  nur  einige  wenige  Stellen  angeführt  werden. 

Auch  in  diesem  Werke  betont  Thaer  ausdrücklich  die  Not- 
wendigkeit auf  die  Verschiedenheit  der  Verhältnisse  und  des  Bodens 
bei  der  Wirtschaftsweise  Rücksicht  zu  nehmen.'^) 

,,So  wie  man  die  Lehre  von  der  Landwirtschaft"^)  —  sagt 
Thaer  —  ,,mehr  wissenschaftlich  zu  behandeln  anfing,  es  jedoch  noch 
an  einem  richtigen  Überblick  aller  Verhältnisse  fehlte,  sind  daher 
auch  die  Meinungen  über  die  vorteilhafteste  Art  des  Feld  Systems 
nicht  bloß  immer  mehr  geteilt  worden  —  denn  dies  war  natürlich, 
da  die  Verschiedenheit  der  Lage  für  jeden  ein  anderes  Ackersystem 
vorteilhafter  und  ratsamer  machen  konnte,  —  sondern  man  hat  sich 
über  den  Vorzug  des  einen  vor  dem  andern  im  allgemeinen  mit 
einem  Eifer  gestritten,  der  manchmal  dem  religiösen  Sekteneifer  gleich 
kam.  Dieser  Streit  ward  um  so  verwickelter,  da  die  meisten  die 
Verschiedenheit  der  Lage  und  Verhältnisse  nicht  beachteten  und  die 


1)  Annalen  des  Ackerbaues  1806  Bd.  3  S.  145. 

2)  Ibid.  S.  527  Anm.  K. 

3)  Die  erste  Auflage  erschien  1809—1812,  Berlin,  4  Bde. 
^)  Grundsätze  I.  5, 

5)  Grundsätze  I,  224. 

«)  Grundsätze  I,  296  S.  286. 


—    66  — 


Gründe  verkannten,  worauf  ein  jedes  Wirtschaftssystem  —  soll  es 
diesen  Namen  verdienen  —  eigentlich  beruht." 

,,Die  bisher  angegebenen  Data"  —  so  fährt  er  in  demselben 
Zusammenhange  weiter  fort  —  ,, Verhältnisse  und  Berechnungen  werden 
uns  in  den  Stand  setzen,  die  Hauptarten  dieser  Ackersysteme  nicht 
nur,  sondern  auch  ihre  mannigfaltigen  Modifikationen  gründlich  be- 
urteilen und  auch  bestimmen  zu  können,  auf  welchem  Areal  und  auf 
welchen  Ortsverhältnissen  ein  Jedes  von  ihnen  unter  Jeder  Modifikation 
das  angemessenste  sei,  und  den  Jedesmaligen  Zweck  des  höchsten 
reinen  Ertrages  erreichen  müsse." 

Und  mehr  noch:  nicht  nur  in  Beziehung  auf  die  Ackersysteme 
ist  Thaers  Standpunkt  der  der  Rel  ati  vit  ät;  ich  verweise  auf  seine 
Stellungnahme  bezüglich  der  Rentabilität  der  Pferde-  und  Ochsen- 
arbeit, der  großen  und  kleinen  Güter;  auch  betreffs  der  Verwendung 
der  verschiedenen  Vieharten  verfährt  Thaer  durchaus  relativ.  Er 
meint,  daß  der  größere  Vorteil  der  einen  oder  der  andern  Viehart 
teils  von  Ort  und  Zeitverhältnissen,  teils  aber  auch  von  der  Industrie 
und  Intelligenz,  womit  man  eine  Jede  behandele,  abhänge.-^) 

,,Man  hat  die  Schafzucht  —  sagt  Thaer  — ,  in  Verhältnis  der 
übrigen  Viehzucht  zuweilen  zu  sehr  herabgesetzt,  zuweilen  zu  sehr 
erhoben.  Die  Lokalitäten  abgerechnet,  die  allemal  über  den  höheren 
Vorteil  der  einen  oder  andern  in  konkreten  Fällen  entscheiden  müssen, 
haben  die  Zeiten  und  die  sich  damit  verändernden  merkantilischen 
Konjunkturen  einen  großen  Einfluß  auf  den  mehreren  oder  minderen 
Vorteil  der  einen  oder  anderen  Art  gehabt." 

Die  merkantilischen  Konjunkturen,  die  von  den  politischen  ab- 
hängig seien,  hätten  schon  seit  längerer  Zeit  durch  die  hohen  Woll- 
preise die  Schafzucht  begünstigt;  bei  der  Frage,  welche  Viehart, 
Schafe  oder  Rindvieh,  rentabler  sei,  seien  außer  den  Gegenden  auch 
noch  andere  Verhältnisse  in  Rücksicht  zu  ziehen,  so  insbesondere 
die  Zeitumstände.^) 

Es  erübrigt  nun  noch,  Thaers  ,, Leitfaden  zur  allgemeinen  land- 
wirtschaftlichen Gewerbs-Lehre"-^)  in  Hinsicht  auf  das  hier  behandelte 
Thema  einer  näheren  Prüfung  zu  unterziehen.  Thaer  hielt  diese 
Schrift,  welche  nur  ein  Leitfaden  für  seine  Berliner  Vorlesungen  sein 
sollte,  für  sein  bestes  Werk;  er  nannte  sie  ,,die  Quintessenz  aus  den 
beiden  ersten  Teilen  der  rationellen  Landwirtschaft".^) 

Hier  hätten  Thünen  und  alle  Bekämpfer  des  ,, absoluten  Frucht- 
wechselwirten" es  sehr  bequem  gehabt,  sich  über  den  Gegenstand 
ihres  Ärgernisses  zu  orientieren,  und  der  Stein  des  Anstoßes  wäre 
von  selbst  verschwunden,  Thünens  Freude  über  die  kommende  Zeit, 


')  Grundsätze  etc.,  Berlin  1812,  Bd.  4  §  99  S.  391. 
2)  Ibid.  Bd.  4  §  99  S.  392-393. 

Dieselbe  erschien  in  erster  Auflage  Berlin  1815.    Wir  zitieren  nach 
der  2.  1836  Berlin  erschienenen  unveränderten  Auflage. 
^)  W.  Körte,  Albrecht  Thaer  Leipzig  1839,  S.  238. 


—    67  — 


wo  ,, nicht  mehr  Autorität  die  Geister  gefangen  halte",  wäre  aller- 
dings zu  Wasser  geworden  und  ,,die  Krisis  der  Systeme"  hätte  sich 
nicht  zu  nahen  brauchen.^) 

Bei  der  von  Schumacher  hervorgehobenen  großen  Vorliebe  Thünens 
für  die  Thaerschen  Schriften-)  ist  es  unerklärlich,  daß  Thünen  diese 
und  alle  die  andern  zitierten  Stellen  nicht  gekannt  haben  soll. 

Thaer  meint  in  bezug  auf  die  Fruclitwechselwirtschaft  in  seiner 
Gewerbslehre"  folgendes: 

,,Der  Verfasser  hat  dieses,  nach  Orts-  und  Zeitverhältnissen 
mannigfaltig  zu  modifizierende  und  selbst  eine  jährliche  Abänderung 
—  jedoch  mit  Beachtung  der  Grundsätze  —  mehr  als  irgend  ein 
anderes  gestattende  System  (nämlich  die  Fruchtwechselwirtschaft) 
als  das  absolut  vollkommenste,  wodurch  dem  Mittelboden  der 
höchste  Ertrag  mit  den  verhältnismäßig  geringsten  Kosten  ab- 
gewonnen werden  könne,  verkündigt,  und  er  wird  um  so  weniger 
davon  abweichen,  da  alles,  was  wohl-  und  übelwollend,  mit  Sorg- 
samkeit und  mit  Leidenschaft,  mit  Aufrichtigkeit  und  Schikane  da- 
gegen gesagt  worden,  entschieden  auf  Mißverstand  oder  Unverstand 
beruhet.  Gegen  wenige,  durch  offenbare  Fehlgriffe  verunglückte  Ver- 
suche stehen  so  viele,  trotz  der  Schwierigkeit  der  Zeiten,  in  ihrer 
vollen  Herrlichkeit."^)    Er  fährt  dann  aber  fort: 

,, Daraus  aber,  daß  es  das  absolut,  das  idealisch  voll- 
kommenste System  ist,  folgt  nicht,  daß  es  das  relativ  beste  für 
Jeden  sei:  und  hierin  liegt  der  Irrtum;  aber  nicht  durch  meine 
Schuld,  denn  ich  habe  es  oft  und  bestimmt  ausgesprochen:  daß 
Orts-,  Zeit-  und  persönliche  Verhältnisse  seiner  Einführung  wider- 
streben können,  und  gegen  Verkennung  derselben  und  Übereilung 
immer  gewarnet.  Dieser  ganze  Vortrag  weiset  auf  die  Wege  und 
Bedingungen  hin,  unter  welchen  jeder  sich  dem  Vollkommensten 
nähern  müsse,  was  er  wirklich  erreichen  kann."*) 

Wir  haben  nun  zur  Genüge  gesehen,  wie  fern  der  absolute 
Standpunkt  Thaer  lag.  Wir  müssen  uns  noch  erinnern,  daß  selbst 
Thünen  dem  Ideal  der  Fruchtwechselwirtschaft  gehuldigt  hat,  indem 
er  unzählige  Mal  wiederholt:  niedrige  Getreidepreise  führen  zur 
Dreifelderwirtschaft,  hohe  Getreidepreise  zur  Frucht  Wechsel  Wirtschaft.^) 
Der  Irrtum,  den  man  in  die  Thaersche  Auffassung  hinein  gebracht 
hat,  ist  dadurch  entstanden,  daß  man  das  Ideal  mit  der  Wirk- 
lichkeit verwechselt  hat.    Ähnliches  finden  wir  bei  den  Physiokraten. 


^)  Schumacher,  Forscherleben  S.  36. 
2)  Ibid.  S.  16. 

^)  Leitfaden  zur  allgemeinen  landwirtschafthchen  Gewerbslehre,  Berlin 
1836,  §  249  S.  163-164. 
4)  Ibid.  S.  164. 

°)  Über  Thünen  vgl.  Oncken,  was  sagt  die  Nationalökonomie  als 
Wissenschaft  über  die  Bedeutung  hoher  und  niedriger  Getreidepreise  ? 
Berlin  1901,  S.  53-54. 


—    68  — 


Auch  bei  ihnen  haben  nur  die  falschen  Nachbeter  den  „ordre  naturel" 
mit  dem  „ordre  positive"  verwechselt. 

Thaer  selbst  stand  mit  vollem  Bewußtsein  auf  dem  Standpunkt 
der  Relativität,  und  in  dieser  Beziehung  hat  Thünen  wirklich 
nichts  Neues  gesagt,  und  noch  viel  weniger  ist  er  Thaer  gerecht 
geblieben.  Den  besten  Beweis  für  die  Relativität  Thaers  liefert, 
abgesehen  von  den  hier  schon  angeführten  Stellen,  die  Thaersche 
Besprechung  des;,,Isolierten  Staates",  1)  welche  sich,  einige  rein  land- 
wirtschaftlich-technische Beanstandungen  ausgenommen,  voll  und 
ganz  mit  den  Konsequenzen  des  Thünenschen  Werkes  einverstanden 
erklärt.  Von  einer  Bekämpfung  der  Relativität  ist  nicht  die  Spur 
vorhanden.  Die  Ursache  hiervon  hegt  aber  auf  der  Hand.  Thaer 
hatte  nicht  ahnen  können,  daß  der  „Isolierte  Staat"  gegen  ihn  ge- 
richtet sein  sollte,  eben  weil  er  selber  auf  dem  Boden  der  Relativität 
stand.  Er  sah  vielmehr  in  den  Grundgedanken  des  „Isolierten 
Staates"  die  Fortbildung  seiner  eigenen  Ideen  und  Lehren.  Dem 
Thünenschen  Werke  aber  spendet  er  so  viel  Lob,  wie  es  eben  im 
Bereiche  der  Möglichkeit  Thaers  lag.  In  seiner  Rezension  über  den 
„Isolierten  Staat"  sagt  Thaer  folgendes:^)  „.  .  .  so  bin  ich  nicht 
nur  nach  meiner  Erwartung,  sondern  weit  darüber  hinaus  befriedigt. 
Es  ist  ein  Werk  von  solcher  Tiefe  und  Fülle,  von  so  leuchtender, 
sich  über  die  ganze  Sphäre  der  Landwirtschaft  verbreitender  Klarheit,' 
daß  ich  ihm  keins,  im  Fache  dieser  Wissenschaft,  an  die  Seite  zu 
setzen  wüßte,  außer  v.  Wulffens  Schriften  über  die  Statik  des 
Landbaues." 

Sonderbarerweise  genügte  einigen  diese  Kritik  nicht,  sie  machen 
ihrem  Groll  gegen  Thaer  in  Briefen  an  Thünen  Luft;  die  betreffenden 
Stellen  gibt  Schumacher  wieder. Einer  von  diesen  Übereifrigen  ist 
nun  von  einer  etwas  merkwürdigen  Logik;  Lukas  Andreas  Stau- 
dinger  ist  sehr  ungehalten  über  Thaer  und  redet  wieder  von 
dessen  „früheren  unbedingten  Anpreisung  der  englischen  Wirtschafts- 
art, insbesondere  der  Fruchtwechselwirtschaft".^)  Dann  aber  findet 
sich  in  der  Thünen-Biographie  ein  Brief,  der  die  Schumachersche 
Behauptung  von  der  ungenügenden  Rezension  Thaers  nicht  recht  zu 
stützen  geeignet  ist.  Es  ist  dies  ein  Brief  desselben  Staudinger, 
der  vorher  so  böse  über  Thaer  war,  und  dessen  Brief  über  eben 
dieselbe  Rezension  handelt.  In  demselben-^)  heißt  es  wörtlich:  ,,Da 
hörte  ich  (in  den  Högl.  Ann.)  Thaer  Dein  Werk  fast  so  preisen  und 
erheben,  wie  ich  es  im  Hamburger  Korrespondenten  ausposaunt 
hatte,   den  Du  phlegmatischer  Mathematikus  nicht  einmal  gelesen 

iQorr  'L?'^i^-r.""?^^^®^"^  „Möghnschen  Annalen  d.  Landw.",  Berlin 

iöz<,  tJa.  rj  b.  1 — 67. 

^)  Möglinsche  Annalen  19.  Bd.  1827  S.  2. 
^)  Schumacher,  Forscherleben. 
^)  Ibid.  S.  55. 
Ibid.  S.  89. 


—    69  — 


hast.  Der  Baron  las  mir  zwei  Stunden  aus  dieser  Thaerschen 
Rezension  Deines  Werks  vor,  und  gestern  abend  haben  wir  die 
Lektüre  erst  beendigt.  Gewiß  ist  es,  daß  Deinem  Werke  dadurch 
ein  Dienst  geleistet  worden  ist,  den  man  nicht  hoch  genug  anschlagen 
kann,  denn  durch  Thaers  Empfehlung  kommt  es  in  die  Hände  der- 
jenigen, welchen,  wie  ich  in  meiner  Anzeige  sagte,  eine  Stimme  bei 
der  Verminderung  der  Auflagen  zusteht."  —  Dies  zur  Charakteristik 
der  Art  und  Weise,  wie  man  häufig  gegen  Thaer  vorging. 

Unsere  Skizze  wäre  nicht  vollständig,  wenn  wir  nicht  eines 
Umstandes  noch  erwähnten.  Im  Zeitalter  Thaers  sehen  wir  im 
landwirtschaftlichen  Betriebe  zwei  entgegengesetzte,  geradezu  extreme 
Wirtschaftsweisen.  Die  eine,  auf  dem  alten  Wirtschaftssystem  be- 
harrend, will  von  den  Neuerungen  absolut  nichts  wissen.  Dies  hat 
Thaer  am  trefflichsten  in  seiner  „Einleitung  zur  Kenntn.  d.  e.  Ldw." 
geschildert.  Die  andere  Weise  beschäftigt  sich  mit  der  „mechanischen 
blinden  Nachahmung"  der  neuen  Wirtschaftsart.  Gegen  diese  beiden 
einseitigen  Richtungen  kämpfte  Thaer,  er  wies  Jedem  System  seinen 
Platz  an.  Das  war  die  große  Tat  des  genialen  Reformators  der 
Landwirtschaft.  Nur  Thaer  allein  konnte  dies  beginnen,  weil  er  in 
Wirklichkeit  vom  Standpunkte  der  Relativität  ausging,  indem  er  die 
Mannigfaltigkeit  der  mitwirkenden  Verhältnisse  und  Bedingungen 
seinem  System  zugrunde  gelegt  hat.  Und  wenn  blinde  Nachbeter 
Thaers  seine  Lehre  falsch  ausgelegt  haben,  und  Thünen  ungerechter- 
weise gegen  Thaer  auftrat,  so  bleibt  uns  dies  nur  auf  das  „errare 
humanum  est"  zurückzuführen.  Thaer  selber  hat  an  diesem  „errare" 
keine  Schuld,  er  hat  häufig  genug,  wie  schon  erwähnt, 
seinen  Standpunkt  klar  dargelegt  und  vor  blinder  Nachahmung 
gewarnt. 

Wenn  wir  nun  Thaer  von  einem  Vorwurfe  entlasten  müssen,  der, 
sei  es  direkt  oder  indirekt,  durch  die  ganze  nachfolgende  literarische 
Entwicklung  der  Wirtschaftsgeschichte  gegen  ihn  erhoben  worden 
ist,  so  soll  doch  auch  nicht  unterlassen  werden,  darauf  hinzuweisen, 
daß  wir  dem  geschilderten  Mißverständnisse  die  Existenz  eines  der 
wichtigsten  ökonomischen  Werke  verdanken,  nämlich  die  des  „Isolierten 
Staates"  von  Thünen.  Es  tut  diesem  Werke  keinen  Eintrag,  daß 
es  nunmehr  nicht  als  Gegensatz,  sondern  als  Ergänzung  der  Thaer- 
schen  Theorie  erscheint.  In  diesem  Sinne  mögen  die  vorstehenden 
Erörterungen  aufgefaßt  werden. 

Der  Thünensche  ,, Isolierte  Staat",  oder  wie  Passow  sagen  zu 
müssen  glaubte,  ,,die  Streitschrift  gegen  Thaers  absolute  Frucht- 
wechselwirtschaft", war  lediglich  an  die  falsche  Adresse  gerichtet. 
Der  ,, Absolutismus"  der  Fruchtwechselwirtschaft  existierte  bei  Thaer 
nicht,  wohl  aber  lag  der  Gedanke  an  etwas  Ähnliches  in  der  Luft^ 
und  dieser  Zug  des  ,, Absolutismus"  ging  von  den  ,,Physiokraten" 
aus,  deren  ,,grande  culture"  nichts  weiter  als  Fruchtwechsel- 
wirtschaft ist,    und    deren   absolute  Gültigkeit   zur   Erzielung  des 


—    70  — 


,,produit  net",  bezw.  des  „höchsten  Reinertrags"  im 
Thaerschen  Sinne  von  den  Physiokraten  gepredigt  wurde  ^) 

Zum  Schlüsse  dieser  Abhandlung  sei  noch  bemerkt,  daß  Thünen 
zu  seiner  negativen  Rente  durch  Thaer  gekommen  ist,  indem 
Thaer  in  seiner  Besprechung^)  des  ,,Isol.  Staates"  schon  darauf 
hinwies,  daß  nach  der  Rentendefinition  Thünens  ein  negativer  Boden- 
wert vorkommen  könne.  Die  negative  Rente  Thünens  findet  sich 
in  der  ersten  Auflage  des  ,, Isolierten  Staates"  nicht  vor,  wohl  aber 
in  den  späteren.  Wie  man  sieht,  ist  Thünen  von  Thaer  angeregt 
worden,  und  Thünen  hat  dann  seine  negative  Rente  erst  später  be- 
arbeitet. Merkwürdig  aber  ist  es,  daß  Thünen  von  dieser  Anregung 
gar  nicht  spricht. 


Adam  Müller  und  Albrecht  Thaer. 

,,Fast  alle  Verfassungen,  wenn  wir  etwa  die  einiger  griechischer 
Repubhken  und  der  römischen  ausnehmen,  sind  nicht  durch  Weis- 
heit, sondern  durch  das  Schicksal,  welches  sein  Spiel  wunderbar 
mit  den  Leidenschaften  der  Menschen  treibt,  gebildet,  und  die  In- 
stitutionen des  Mittelalters  machen  davon,  wie  einige  Kenntnis 
seiner  Geschichte  beweist,  keine  Ausnahme.  Indessen  ist  es  ein 
beseligender  Glaube,  daß  dem  blinden  Schicksale  ein  Plan 
höherer  Weisheit  unterliege,  um  die  Menschheit  im  ganzen 
durch  manche  Umwege  zur  Vollkommenheit  hinzuführen.  Und  so 
mögen  die  Institutionen  des  damaligen  Zeitalters  jenem  hohen 
Zwecke  auch  angemessen  gewesen  sein.  Aber  für  unser  Zeitalter 
sind  sie  es  nicht  mehr,  und  wir  würden  dem  Geiste  desselben  — 
der,  er  werde  durch  Leidenschaften  oder  durch  Vernunft  getrieben, 
nicht  minder  im  Plane  der  Gottheit  liegt  —  mit  einem  unsehgen 
^  Erfolge  entgegenstreben,  wenn  wir  sie,  trotz  selbigem,  zu  erhalten' 
versuchen  wollten.  Wir  haben  weder  die  Tugenden  noch  die 
Laster,  weder  die  Stärke  noch  die  Schwäche  jenes  Zeitalters  mehr; 
wir  haben  andere  Laster  und  Tugenden,  andere  Schwächen 
und  andere  Stärke,  es  werden  andere  Institutionen  notwendig 
um  unsere  Tugenden  und  Kräfte  zu  benutzen,  und  vor  unsern 
Lastern  und  Schwächen  uns  zu  sichern." 

A  Thaer 

Annalen  des  Ackerbaues  Bd.  11  1810  S.  474-475. 

Einen  Dogmenstreit  vor  100  Jahren  könnte  man  vorliegende 
Abhandlung  betiteln,  und  bei  dem  gegenwärtig  zunehmenden  Interesse 
für  die  älteren  Dogmen  und  Lehren  der  Nationalökonomie  dürfte  es 
wohl  als  zweckmäßig  betrachtet  werden,  diesem  Streite  eine  be- 
sondere Abhandlung  zu  widmen,  zumal  da  er  zwischen  zwei  so  an- 
gesehenen und  einflußreichen  Männern  wie  Adam  Müller  und  Albreclit 


^)  s.  Aug.  Oncken,  Entstehen  und  Werden  der  physiokratischen 
Theorie,  Sonderabdruck  aus  der  Vierteljahrschr.  für  Staats-  und  Volkswirt- 
schaft, herausgegeben  v.  Kuno  Frankenstein,  S.  62,  66;  ferner  A.  Oncken, 
Geschichte  der  Nationalökonomie,  Leipzig  1902,  S.  323. 

2)  Möglin.  Ann.  Bd.  19  1827  S.  10—11. 


—    71  — 


Thaer  aiisgefochten  wurde.  Bekanntlich  haben  diese  Männer,  frei- 
lich jeder  auf  seinem  Gebiete,  für  die  Wissenschaft  neue  Wege  ge- 
bahnt. Der  erstere ,  unter  den  sogen,  „national  -  ökonomischen 
Romantikern"  der  bedeutendste,  durch  seine  Beeinflussung  der  deut- 
schen Nationalökonomie  bezw.  der  historischen  Methode  im 
19.  Jahrhundert,  während  der  letztere,  um  mit  Thünen  ^)  zusprechen, 
,,der  Begründer  der  wissenschaftlichen  Landwirtschaft"  war. 

Es  ist  von  vornherein  zu  betonen,  daß  es  sich  im  folgenden 
nicht  um  eine  Parteiergreifung,  ein  pro  oder  contra  für  den  einen 
oder  anderen  handelt.  Wir  beschränken  uns  lediglich  auf  eine  ob- 
jektive Darstellung  und  Wiedergabe  des  Streites,  ohne  dabei  einer 
persönlichen  Meinung  bezw.  einem  Urteil  darüber  Ausdruck  zu  geben. 
Nicht  willkürlich  wurde  diese  Art  der  Darstellung  gewählt,  sondern 
in  der  bestimmten  Absicht,  die  objektiv-wissenschaftliche  Klarlegung 
nicht  durch  Parteilichkeit  zu  trüben  (eine  Parteilichkeit,  in  die  man 
um  so  leichter  hätte  verfallen  können,  da  Müller  verschiedentlich  rein 
landwirtschaftlich  praktische  Erwägungen  zur  Stützung  seiner  Position 
heranzieht,  Ausführungen,  die  zur  Kritik  und  Parteiergreifung  geradezu 
herausfordern).  Und  geht  man  vollends  von  der  geschichtsphilosophi- 
schen  Betrachtungsweise  aus,  so  kann  es  sich  hier,  d.  h.  bei  diesem 
Streite,  ebensowenig  um  ein  absolutes  ,,für"  als  absolutes 
,, gegen"  handeln.  Jeder  der  beiden  Gegner  kann  in  bestimmten 
Grenzen  für  bestimmte  Verhältnisse  recht  behalten.  Aber  diese 
Grenz-  und  Verhältnisfeststellung  wird  von  dem  voreingenommenen 
Parteistandpunkte  nicht  unbeeinträchtigt  bleiben  können.  Hier  wird 
das  rein  Subjektive  tonangebend  bleiben. 

Bevor  wir  zu  unserer  Darstellung  übergehen,  haben  wir  einen 
in  seiner  Fassung  etwas  gehässigen  Angriff,  der  auf  Adam  Müller 
mit  Unrecht  gemacht  wurde,  abzuweisen.  Derselbe  stammt  aus  der 
Feder  des  Biographen  und  Bruder  des  Schwiegersohnes  von  Thaer, 
nämlich  von  Wilhelm  Körte.  Indem  der  letztere  auf  Adam  Müller 
zu  sprechen  kommt,-)  sagt  er,  Müller  nach  sei  die  Dreifelderwirt- 
schaft auf  die  ,, heilige  Dreieinigkeit"  begründet!  Dabei  verweist 
Körte  auf  die  ,, agronomischen  Briefe"  im  ,, Deutschen  Museum  von 
1812".  Dieser  Ausdruck  kommt  weder  an  dem  verwiesenen  Ort 
noch  sonst  irgendwo  bei  Müller  vor.  Vorhanden  ist  dieser  Ausdruck 
wohl,  aber  nicht  bei  Adam  Müller,  sondern  bei  dem  königlich 
preußischen  Landrat  Wilhelm  von  Schütz^)  in  einem  ,, Sendschreiben 
an  den  Hofrat  Ad.  Müller",  das  ebenfalls  im  ,, Museum"  veröffentlicht 
wurde.    Schütz   sieht  die  Dreifelderwirtschaft  ,, abgeteilt  nach  der 


^)  vgl.  dessen  ,,Der  isolierte  Staat  etc."  S.  3  Einleitung  II.  Teil  I.  Abt. 
3.  Aufl.,  Berlin  1875. 

■-)  vgl.  dessen  „Albrecht  Thaer"  S.  106  Anm.,  Leipzig  1839. 

^)  vgl.  „Das  deutsche  Museum",  herausgeg.  von  Fr.  Schlegel,  Bd.  2 
S.  158,  Wien  1813. 


—    72  — 


Dreylieit  in  Gott".  ^)  Aus  leichter  Hand  hat  Körte  einen  Satz,  der 
in  einem  Briefe  an  Müller  vorkommt,  mit  einem  Briefe  Müllers 
selbst  verwechselt,  zumal  alle  diese  Briefe,  d.  h.  sowohl  die  von 
Müller  als  auch  die  von  Schütz,  in  einem  und  demselben  Jahrgang 
des  vorgenannten  ,, Deutschen  Museums"  zum  Abdruck  gelangten. 

Wenn  wir  nun  zum  Streite  ,, Müller — Tliaer"  übergehen,  so  be- 
darf es  zuvor  noch  einer  kurzen  Bemerkung.  Man  könnte  meinen, 
indem  wir  von  einem  Streite  zwischen  Müller  und  Thaer  sprechen, 
daß  Thaer  mit  Müller  in  einer  Polemik  sich  auseinandergesetzt  hätte. 
Allein  dies  ist  nicht  der  Fall.  Thaer  hat  auf  die  Angriffe  und  die 
Polemik  Müllers  in  einer  besonderen  Abhandlung  nicht  geantwortet. 
Wohl  aber  finden  wir  hier  und  da  gelegentlich  zerstreute  Bemerkungen 
über  den  Standpunkt  von  Müller.  Dieselben  enthalten  zum  größten 
Teil  nicht  einmal  den  Namen  Müllers,  beziehen  sich  aber  auf  dessen 
Meinungen,  wie  dies  für  den,  der  sich  mit  dieser  Kontroverse  näher 
befaßt,  leicht  wahrzunehmen  ist.  Diese  Nichtauseinandersetzung  von 
Seiten  Thaers  mag  auf  den  ersten  Blick  befremdlich  erscheinen,  doch 
wird  dies  Verhalten  wohl  begreiflich,  wenn  man  das  große  Ansehen 
und  die  Autorität  im  Auge  behält,  deren  Thaer  sowohl  in  Regierungs- 
und Fachkreisen  als  auch  unter  den  Landwirten  sich  bewußt  war. 
Thaer  hat  es  wahrscheinlich  nicht  für  nötig  gefunden,  sich  mit 
Adam  Müller  auseinanderzusetzen ,  denn  in  theoretischen  Streitig- 
keiten kommt  es  nicht  sowohl  auf  die  Person  des  Streitenden  an, 
als  vielmehr  auf  den  theoretischen  Kernpunkt  der  Sache  selbst. 
Was  das  letztere  anbetrifft,  so  war  die  Sache  Thaers  nach  allen 
Seiten  hin  so  gut  wie  gesichert.  Müller  mit  seinen  Anhängern  hat 
die  Theorie  Thaers  nicht  erschüttern  können.  Und  in  der  Tat  hat 
Thaers  Ansicht,  wie  wir  wissen,  auch  in  der  Praxis  gesiegt;  es  sei 
nur  an  die  Reformen  Stein-Hardenberg  erinnert,  an  denen 
Thaer  tätigen  Anteil  hat.  Daß  Thaer  Adam  Müller  nicht  direkt  ge- 
antwortet, hat  zum  Teil  auch  darin  seinen  Grund,  daß  ersterer  ein 
Gegner  des  Polemisierens  war ;  er  antwortete  auf  Angriffe,  die  gegen 
ihn  gerichtet  waren,  überhaupt  nicht,  oder  nur  in  den  allerseltensten 
Fällen.  Seine  Freunde  haben  ihm  hieraus  häufig  einen  Vorwurf 
machen  wollen,  doch  er  war  der  Ansicht,  daß  man  die  auf  Streite- 
reien verwandte  Zeit  nutzbringender  anwenden  könnte. 

Wir  gehen  nun  zu  dem  hier  vorgesteckten  Problem  über. 
Vorerst  haben  wir  es  mit  den  ,, agronomischen  Briefen"  Adam 
Müllers  zu  tun.  Er  beginnt  damit,  daß  die  Verschiedenheit^)  zwischen 
den  Wirtschaftsbedingungen  Englands  und  denen  des  kontinentalen 
Europa  auch  zu  einer  verschiedenen  Wirtschaftsweise  führen  müsse. 
Alle  landwirtschaftlichen  Gebiete  seien  in  England  durch  Natur  und 


Ibid.  S.  166. 

2)  vgl.  Adam  Müller,  Agronomische  Briefe  I,  Deutsches  Museum  Bd.  1 
S.  54-55,  Wien  1812. 


—    73  — 


Kunst  in  Nachbarschaft  gebracht  worden,  während  die  kontinental- 
europäischen  isoliert  seien.  Diesen  Vergleich  zieht  Müller  natürlich 
deswegen,  weil  die  rationelle  Landwirtschaft  von  England  nach  dem 
Kontinent  herübergebracht  worden  ist.  Es  gibt  also  nach  A.  Müller 
zwei  Gattungen  von  Wirtschaften :  , .solche,  die  fast  ganz  in  sich  ruhen, 
von  sich  selbst  zehren,  und  also  vom  Welthandel  und  seinen  Schick- 
salen unabhängig  sind ;  und  dann  solche,  die  von  einem  bestimmten 
Markt  und  vom  Absatz  ihrer  Produkte,  also  auch  von  den  großen 
Weltbegebenheiten  abhängiger  bleiben."^)  Bei  der  ersten  Gattung 
von  Wirtschaften  sind  persönliche  und  erbliche  Dienstverhältnisse 
vorherrschend,  bei  der  zweiten  Tagelöhnerverhältnisse  und  eine 
größere  Abhängigkeit  vom  Gelde.  Naturalwirtschaft  und  Geldwirt- 
schaft, Fideikommisse  und  freies  Grundeigentum,  das  sind  die  Haupt- 
merkmale, welche  diese  Wirtschaften  voneinander  unterscheiden. 

Adam  Müller  ist  der  Meinung,  daß  beide  Gattungen  von  Wirt- 
schaften nebeneinander  existieren  können  und  sollen ;  er  sagt 
ausdrücklich  :  -) 

,, Während  nämlich  zuvörderst  Lokal  und  Geschichte,  sodann  aber 
auch  die  innere  Notwendigkeit  der  Sache  uns  überzeugen,  daß  beide 
Gattungen  der  Landwirtschaft  zu  beiderseitigem  Nutzen  und  Bestände 
nebeneinander  fortdauern  müssen;  während  es  sich  als  töricht 
erweist,  sowohl  der  isolierten  Landwirtschaft  einen  unnatürlichen 
Verkehr,  als  der  merkantilischen  Landwirtschaft  einen  ebenso  un- 
natürlichen feudalistischen  und  Unveräußerlichkeits-Charakter  aufzu- 
dringen ;  während  die  isolierte  Landwirtschaft  die  erste  Gewährleisterin 
der  Unabhängigkeit  des  Vaterlandes  und  die]  merkantilische  die  ge- 
rechteste Vermittlerin  zwischen  der  Produktion  des  In-  und  Auslandes 
bleibt;  während  also  beide  gleich  wesentliche  Dienste  leisten  — 
nährt  man  den  großen  Irrtum,  als  ob  die  erste  Gattung  eine  Aus- 
geburt der  Trägheit,  der  Gewohnheit,  des  Herkommens,  die  zweite  hin- 
gegen der  Vernunft,  des  Fleißes  und  des  wahren  politischen  Kalküls  sei: 
kurz,  man  unterscheidet  hier,  wie  in  so  vielen  Fällen,  als  alte  und 
neue  Lehre,  was  nur  nebeneinander  und  in  Verbindung  richtig  ist; 
man  findet  von  vornherein  unvereinbar,  was  gründlich  zu  vereinigen 
das  einzige  Problem  der  Politik  ist."  Aber  die  nach  der  britischen 
Leiste  geschnitzte  rationelle  Theorie  der  Landwirtschaft  gehe  nach 
Müller  davon  aus,  die  Vermehrung  des  jährlichen  reinen  Ertrages, 
insbesondere  des  Geldertrages,  soweit  wie  möglich  in  die  Höhe  zu 
treiben.  Dies  führe  dazu,  daß  die  Arbeit  des  Volkes  wie  auch  das 
Bedürfnis  desselben  sich  nicht  etwa  untereinander,  wie  es  gebühre, 
bedingen  und  verschlingen,  sondern  daß  jeder  einzelne  Arbeiter  für 
sich  mit  den  Bedürfnissen  des  Weltmarktes  in  abgesonderten  Verkehr 
trete,   während  sein  besonderes  Vaterland  diesen  Verkehr  zu  ver- 


Ibid. 

2)  Ibid.  S.  57—58. 


—    74  - 


bürgen  immer  unfähiger  würde. ^)  Man  müsse  vielmehr  den  Fort- 
schritten der  merkantilischen  Landwirtschaft  durch  eine  tüchtige 
Vindikation  der  alten  isolierten  oder,  wie  er  sie  am  liebsten  nennt, 
der  nationalen  Landwirtschaft  wahre  Schranken,  d.  h.  eine  gehörige 
Bürgschaft  geben. ^) 

Die  vorgeblich  rationelle  Landwirtschaft  (Müller  versteht  unter 
dieser  und  ähnlichen  Bezeichnungen  immer  die  Wirtschaftsweise  nach 
Thaerschen  Prinzipien)  gehe  aber  darauf  aus,  alle  nationale  Land- 
wirtschaft in  merkantilische  zu  verwandeln.  Das  Geschäft  des  Land- 
baues selbst,  seinem  Ursprünge  nach  gemäß  der  Auffassung  Müllers, 
Dienst  des  Staates  und  nichts  Geringeres,  wird  dadurch  (nämlich 
durch  die  rationelle  Landwirtschaft)  durchaus  zum  Gewerbe  herab- 
gewürdigt und  dem  großen  Mechanismus  der  Industrie  einverleibt.-) 

Die  nationale  Landwirtschaft  sei  aber  eigentlich  Stamm  und 
Wurzel  alles  politischen  Lebens,^)  deswegen  hat  man  sie  nicht  als 
Gewerbe  aufzufassen,  sondern  als  politische  Institution,  bezw.  sie 
hat  nicht  den  Zweck  der  Ökonomik,  sondern  den  der  Politik 
zu  erfüllen. 

Müller  spricht  von  Thaer  mit  aller  Hochachtung,  man  müsse 
Thaer  ,, große  Verdienste  zugestehen",^)  es  sei  ein  ,, vorurteilsfreier, 
zu  guter  Kopf"^)  usw.  Aber  aus  den  hier  angeführten  Angriffen  auf 
die  rationelle  Landwirtschaft  macht  Müller  Thaer  zum  Vorwurfe,  er 
lasse  die  vielen  Wesentlichkeiten,  die  England  von  Thaers  Vater- 
lande trennen,  in  seinen  Betrachtungen  der  Landwirtschaft  unbeachtet.^) 

Müller  bekämpft  nebenbei  die  Theorien  des  Eigennutzes,  die 
nach  ihm  der  neuen  Lehre  zugrundeliegen. '^)  In  diesem  Punkte  wendet 
er  sich  hauptsächlich  gegen  Adam  Smith,  welchen  er  als  den  Theore- 
tiker des  Eigennutzes  hinstellt.  Diese  Theorie  entspringt  wohl  nach 
Müller-  aus  dem  Geld-  und  Industriesysteme,  aus  der  städtischen 
Ökonomie.  Von  der  letzten  sei  die  rationelle,  bezw.  die  merkanti- 
lische Landwirtschaft  in  der  Nachahmung  von  den  Engländern  abge- 
leitet und  übernommen  worden.  Dies  System  führe  aber  zu  Schulden, 
zur  Spekulation,  zur  Unsicherheit,  zur  allgemeinen  Zerrüttung.^) 
Allein,  er  verwirft  nicht  die  merkantilische  Landwirtschaft  schlecht- 
hin, sondern  will  sie  in  bestimmten  Grenzen  gelten  lassen.  Er  sagt 
nämlich  unter  anderem: 

,, Demnach  bin  ich  der  erste,  der  einer  Nation  zu  dem  wirklichen 
und  dauerhaften  Gedeihen  der  merkantilischen  Landwirtschaft 


Ibid.  S.  59-60. 

2)  Ibid.  S.  60. 

3)  Ibid.  S.  69. 

4)  Ibid.  S.  72. 
••)  Ibid.  S.  73. 
«)  Ibid.  S.  74. 

Ibid.  Bd.  2  3.  Brief  S.  234. 

«)  Ibid.  S.  219. 


—    75  — 


Glück  wünscht,  weil  ich  darin  ein  untrügliches  Zeichen  sehe,  daß 
sie  über  ihre  dringenden  Lebensbedürfnisse,  über  ihre  Erhaltung,  über 
ihren  Nationalverband  durch  ein  altes  agronomisches  System  längst 
sichergestellt  sein  muß.  Und  weil  ich  die  echten  Fortschritte  der 
Landwirtschaft  und  selbst  den  Spekulationsgeist  im  Gebiete  der 
ländlichen  Ökonomie  bis  auf  einen  gewissen  Grad  will,  so  verteidige 
ich  die  Hauptbedingung  aller  wahren  Fortschritte  und  alles  dauer- 
haften Merkantilismus,  nämlich  das  alte  agronomische  System.^) 

Müller  meint,  er  bekämpfe  nur  die  ausschließlich  merkantilische 
Landwirtschaft,  weil,  wie  er  sagt:  „Die  gesamte  Landwirtschaft  eines 
Landes  zu  merkantilisieren,  wäre  also  ein  ebenso  widersinniges  Beginnen, 
als  wenn  der  einzelne  Mensch  aus  Passion  für  den  Handel  sich  selbst 
und  seine  angewachsenen  Glieder  zugleich  mit  seinen  übrigen  Ver- 
käuflichkeiten  auf  den  Markt  bringen  wollte."^)  Also,  was  er  be- 
kämpft, ist  eigentlich  das  ausschließliche  Herrschen  der  merkan- 
tilischen  Landwirtschaft.    Dies  tut  Müller  aus  folgenden  Erwägungen: 

„Die  merkantilische  Landwirtschaft  —  sagt  er  weiter  —  ist 
nichts  anderes,  als  unter  den  vielen  Fabriken,  welche  der  feudalistische 
Boden  des  Vaterlandes  nähren  und  tragen  muß,  eine  der  bedeutendsten. 
Nehmen  Sie  unseren  Anglomanen  diesen  Boden  unter  den  Füßen 
weg;  mit  anderen  Worten:  merkantilisieren  Sie  die  gesamte  Land- 
wirtschaft; heben  Sie  alle  persönlichen,  unverkauften  und  unverkäuf- 
lichen Dienstverhältnisse  auf:  zerstören  Sie  die  alte,  träge,  erbliche 
und  deshalb  unsterbliche  Verbindung  der  Menschen  untereinander  und 
mit  der  Scholle,  dieses  einzig  sichere  Kapital  der  Landwirtschaft  — 
so  stürzen  Fabriken  und  Handel  und  Maschinen  und  Freiheit  und 
alles,  was  die  leichtsinnige  Vernunft  unserer  Generation  für  Wesent- 
lichkeiten des  Nationalglücks  geachtet  hat,  unfehlbar  zusammen.""^) 
Nach  Müller  würde  die  merkantilische  Landwirtschaft  allein  nicht 
existieren  können.  Begreiflich  ist  es,  wenn  er  den  Schluß  zieht, 
der  folgendermaßen  lautet: 

„Sobald  aber  die  merkantilische  Landwirtschaft  anerkennt,  daß 
sie  nur  der  feudalischen  gegenüber  möglich  ist,  daß  ein  Teil  der  Ökonomie 
in  Verkehr  mit  dem  Weltmarkte  treten  kann ,  nur  inwiefern  ein 
anderer  größerer  Teil  in  den  nationalen  Schranken  verharrt;  kurz, 
sobald  sie  nur  nicht  Regel  werden,  nicht  mit  Rationalität  und  Wissen- 
schaftlichkeit prahlen,  und  sich  nicht  in  die  Gesetzgebung  des  Acker- 
baues mischen,  oder  das  agronomische  Kapital,  das  tief  in  den 
Boden  verwachsene  Netz  von  Eigentum  antasten  will,  ist  sie  nicht 
bloß  zu  dulden,  sondern  in  allen  erlaubten  Wiegen  zu  befördern  und 
für  den  lebendigen  Fortschritt  der  gesamten  Staatshaushaltung  kaum 
zu  entbehren.    W^eit  davon  entfernt  also,  ein  Feind  der  Freiheit  und 


1)  Ibid.  S.  219. 

2)  Ibid.  S.  220. 

3)  Ibid.  S.  221. 

Werth.  6 


—    76  — 


der  Vernunft  zu  sein,   verdiene  ich,  indem  ich  die  Unentbehrlichkeit  j 
der  feudalistischen   Landwirtschaft  erweise,   für  einen  eifrigen  und  ' 
gründlichen  Verteidiger  der  Freiheit  anerkannt  zu  werden,   und  für 
einen  Wortredner  der  ewigen  Vernunft  in  Staatssachen  zu  gelten, 
wenn  ich  mich  auch  gerade  nicht  in  die  dermalen  beliebte  Vernunft- 
form zu  bequemen  weiß."^) 

Wir  haben  hier  die  landwirtschaftlichen  Ansichten  Adam  Müllers 
in  den  ,, agronomischen  Briefen"  kennen  gelernt.  Müller  kommt  des 
weiteren  auf  diesen  Punkt  zu  sprechen  in  den  anderen  von  ihm  ver- 
öffentlichten Schriften.  Wissenscliaftlich  Haltbares  in  bezug  auf  die 
Landwirtschaftslehre  bezw.  auf  die  auf  letzterer  basierende  Agrar- 
politik enthalten  sie  nicht. 

Müller  bekämpft  in  denselben  die  von  Thaer  begründete  Taxations- 
lehre, wie  auch  die  Humustheorie,  weil  der  Gutsherr  selbst  nach 
dieser  Theorie  keine  Person  sei,  denn  von  Liebe,  Anhänglichkeit, 
Väterlichkeit,  Gewohnheit,  wahrer  Freiheit  sei  nicht  die  Rede.  Der 
Gutsherr  sei  nach  der  rationellen  Theorie  der  Landwirtschaft  nichts 
anderes,  als  die  rationelle  Rechenmaschine  für  das  Ganze.^)    Er  sagt: 

,,Der  Zweck  der  Wirtschaft  nach  diesen  Theorien  ist  ferner 
ausschließlich  jener  dritte  Zweck  der  wahren  Wirtschaft:  der  sogen, 
reine  Ertrag,  der  Überschuß  von  verkäuflichen  Sachen,  welchen 
das  Treiben  der  Maschine  zurückläßt ,  also  von  verkauften  Sachen, 
also  von  der  Sache  par  excellence,  also  vom  Gelde,  wonach  dann 
das  ganze  fromme  und  ehrenvolle  Amt  des  Landbaues  zu  einem 
gemeinen  und  verächtlichen  Gewerbe*^)  herabsinkt."  Er  meint, 
man  habe  am  ersten  nach  dem  Reiche  Gottes  und  seiner  Gerechtigkeit 
zu  trachten,  und  der  reine  Ertrag  werde  uns  dann  von  selbst  zu- 
fallen.^) Soweit  Müller  in  seiner  ,, Theologischen  Grundlage  der  ge- 
samten Staatswissenschaften".  Wie  man  sieht,  hat  sich  hier  sein 
religiöses  Gefühl  sehr  gesteigert.  Haben  wir  in  den  Briefen  doch 
noch  irgendwelche  Ökonomik,  mag  sie  auch  feudalische  heißen,  vor 
uns  gehabt,  so  ist  es  hier  eigentlich  eine  Theologie,  aus  welcher 
die  rationelle  Landwirtschaft  bezw.  ihr  Endzweck  bekämpft  wird. 
Während  in  den  ,, Briefen"  sein  Standpunkt  hauptsächlich  von  der 
Feudalität  getragen  wird,  so  ist  der  Standpunkt  der  ,, Theologischen 
Grundlage"  auf  der  Kasuistik  aufgebaut. 

Wir  haben  uns  nun  mit  der  Stellungnahme  Thaers  zu  be- 
schäftigen. Wie  von  vornherein  betont  wurde,  wissen  wir,  daß 
Thaer  sich  mit  Müller  nicht  speziell  auseinandergesetzt  hat.  Wohl 
aber  finden  wir  hier  und  da  kurze  Auslassungen,   zum  Teil  Müller 


Ibid.  S.  223. 

^)  vgl,  Adam  Müller,  Von  der  Notwendigkeit  einer  theologischen  Grund- 
lage der  gesamten  Staatswissenschaften  usw.,  Leipzig  1819,  S.  50. 
unter  anderem: 

3)  Ibid.  S.  5L 

4)  Ibid.  S.  219. 


—    77  — 


mit  Namen  genannt,  zum  größten  Teil  aber  nur  auf  ihn  hingedeutet. 
In  folgendem  sei  das  Wichtigste  mitgeteilt. 

In  den  ,,Möglinschen  Annalen  der  Landwirtschaft"^)  hat  das 
Albertsche  Projekt,  welches  mit  Beilagen  von  Ad.  Müller  erschien, 
eine  Besprechung  Koppes  gefunden.  Diese  Besprechung  hat  Thaer 
mit  Noten  versehen,  in  welchen  er  Müller  etwas  spöttisch  abfertigt. 
Nachdem  Thaer  in  knappen  Worten  die  Tendenzen  Müllers  charak- 
terisiert, fügt  er  folgendes  hinzu:  ,,Der  Trieb  der  Menschen  zur  Er- 
werbung des  Eigentums  ist  bei  dem  Jetzigen  Stande  der  Zivilisation 
das  einzige,  was  sie  in  Tätigkeit  setzt,  und  wobei  die  bürgerliche 
Welt  und  der  Staat  bestehen  kann.  Nur  die  Einwohner  von  Paraguay 
lassen  es  sich  gefallen,  von  Dr.  Francia  wie  das  Vieh  gefüttert  und. 
zur  Arbeit  angehalten  zu  werden,  weil  sie  von  den  Jesuiten  dazu 
gewöhnt  waren;  mit  Europäern  wird  man  es  vergeblich  versuchen."^) 

Thaer  sagt  weiter,  daß  an  den  Orten,  wo  die  Landwirtschaft 
nach  den  Grundsätzen  des  Gewerbes  betrieben  wird,  auch  die 
Moralität  des  Menschen  sich  verbessert  habe.  ^) 

Thaer  betrachtet  die  Landwirtschaft  als  ein  Gewerbe,  welches 
zum  Zweck  hat,   durch  Produktion  Gewinn  zu  erzeugen  oder  Geld 
zu  erwerben,^)  und  zwar  den  möglichst  höchsten  r  e  i  n  e  n  Gewinn. 
Mit  Bezug  auf  die  mittelalterliche  Auffassung  sagt  er  unter  anderem 
folgendes : 

,,Wir  glauben  vielmehr,  daß  derjenige,  welcher  keinen  inneren 
Beruf  zur  Landwirtschaft  fühlt,  für  sich  selbst  und  für  das  all- 
gemeine Beste  rätlich  handele,  wenn  er  sich  aus  seinem  Landgute 
auf  irgend  eine  Weise  eine  gehörige  Rente  zu  sichern  sucht,  solches 
aber  einem  andern  zu  bewirtschaften  überläßt.  Jene  Meinung  über 
die  Pflicht  des  Gutsbesitzers,  sein  Gut  selbst  zu  bewirtschaften, 
konnte  sich  nur  auf  einen  gewissen,  strengen  Begriff  vom  Lehns- 
systeme gründen,  der  gegenwärtig  fast  in  keinem  Staate  Europas  mehr 
stattfindet  und  vom  merkantilischen  Geiste  der  Zeit  verdrängt  ist."  ^) 

Die  Verschiedenheit  der  Prinzipien,  von  welchen  Müller  und 
Thaer  ausgehen,  können  wir  in  folgendem  zusammenfassen: 

Müller  geht  von  dem  Standpunkte  aus,  daß  die  Landwirtschaft 
nicht  eine  wirtschaftliche,  sondern  eine  politische  und  nationale 
Institution  sei,  welche  nicht  auf  Sachen-,  sondern  auf  Personal- 
dienstverhältnissen beruht;  sie  ist  kein  Gewerbe,  sondern  ein  Amt, 
und  deswegen  kann  ihr  Zweck  nicht  bloß  der  des  hohen  Ertrages 
sein.  Da  man  nach  Müller  die  Landwirtschaft  politisch  aufzufassen 
hat,  so  ist  es  selbstverständlich,  daß  sie  einer  größeren  Sicherheit 
bedarf.     Dies  kann  nur  geschehen,   wenn  ihr  Unabhängigkeit  ge- 


^)  Möglinsche  Annalen,  Bd.  13,  1824.  Berhn. 

2)  Ibid.  S.  471-472  Note. 

3)  Ibid.  S.  476  Note. 

^)  vgl.  Grundsätze  d.  rat.  Ldwsch.  Bd.  1  S.  3,  Berlin  1831. 
Ibid.  Bd.  1  S.  31-32. 

6* 


—    78  — 


sichert  wird.  Die  letztere  kann  nur  dadurch  erlangt  werden,  daß 
ihr  Schicksal  nicht  mit  den  Schwankungen  des  Weltmarktes  ver- 
knüpft ist.  Der  Weltmarkt  gilt  für  Müller  als  etwas  Unsicheres, 
Unstätes.  Macht  auch  Müller  der  neueren  Ordnung  der  Dinge  Kon- 
zessionen, so  sind  diese  doch  nicht  sehr  weitgehend.  Er  unter- 
scheidet, wie  schon  bemerkt,  zwei  Gattungen  von  Landwirtschaft, 
1.  die  nationale  und  2.  die  merkantilische  bezw.  die  rationelle  im 
Sinne  Thaers.  Läßt  er  die  zweite  gelten,  so  ist  sie  doch  nach  ihm 
nur  insoweit  von  Bedeutung,  als  sie  die  nationale  bezw.  feudalistische 
unterstützen  kann.  Die  letztere  ist  die  Hauptsache,  der  Grundstock 
der  Nation,  des  Gemeinwesens. 

Müller  ist  gegen  die  Veräußerlichkeit  des  Grund  und  Bodens, 
weil  die  merkantilische  Landwirtschaft  ihr  auf  dem  Fuße  folgt,  sie 
zur  Bedingung  hat,  zugleich  aber  auch  zur  Knechtschaft  der  Person, 
nämlich  der  Abhängigkeit  vom  Gläubiger  führt.  Unbedingte  Ver- 
äußerlichkeit des  Grund  und  Bodens,  ausschließlich  merkantilische 
Landwirtschaft  und  Knechtschaft  der  Person  fallen  nach  Müllers  Auf- 
fassung zusammen.  Wie  gesagt,  sind  seine  Konzessionen  nicht 
weitgehend,  dies  ersieht  man  auch  aus  folgendem :  Müller  bestrebt 
sich  immer,  die  Berechtigung  der  Feudalwirtschaft  gerade  durch  die 
rationelle  Wirtschaftsweise  zu  begründen,  indem  er  die  Unmöglichkeit 
der  alleinigen  Existenz  der  rein  rationellen  Landwirtschaft  zu  zeigen 
sich  bemüht.  Die  rationelle  Wirtschaft  ist  nach  ihm  in  der  feudalen 
Landwirtschaft  interessiert;  allein  ist  sie  unmöglich,  wohl  aber 
in  der  Verbindung  mit  der  feudalen;  die  feudale  Landwirt- 
schaft ist  primär,  die  rationelle  sekundär,  und  zwar  innerhalb  der 
feudalen.  Müller  ist  ganz  erbittert  gegen  das  Neue ;  wenn  er  es 
auch  teilweise  duldet,  so  tut  er  das  deswegen,  weil  er  nicht  anders 
kann.  Sein  Ideal  ist  eigentlich  Rückkehr  zum  Mittelalter,  zu  den 
Wirtschaftsprinzipien  der  katholischen  Kirche.  Er  steht  auf  dem 
Standpunkte  einer  spiritualistischen  Weltanschauung;  den  Egoismus 
will  er  verbannt  wissen ;  Egoismus,  Privateigentum,  das  römische 
Recht,  ausschließlich  rationelle  Landwirtschaft,  hängen  nach  ihm 
zusammen.  Müller  ist  deswegen  gegen  alles  dies,  weil  die  neuere 
Auffassung  des  Wirtschaftslebens  mit  seiner  ganzen  Weltanschauung 
geradezu  kollidiert,  ihr  ganz  und  gar  entgegengesetzt  ist.  In  seinem 
Streite  gegen  Thaer  platzen  nicht  zwei  Geister  aufeinander,  nicht 
zwei  Menschen,  sondern  zwei  Weltanschauungen,  Mittelalter 
und  neuere  Zeit,  Feudalismus  und  Kapitalismus  bezw.  kapitalistisch  be- 
triebene Landwirtschaft,  kirchliche  Autorität  und  freier  Individualismus, 
Jenseits  und  Diesseits,  mystische  Romantik  und  Realismus,  Feudal- 
eigentum und  freies  Privateigentum ,  Naturalwirtschaft  und  Geld- 
wirtschaft,  das  sind  die  Signaturen,  um  die  sich  das  Ganze  dreht. 

Thaers  Auffassung  ist  die  der  neueren  Zeit:  die  Landwirtschaft 
ist  ein  Gewerbe,  der  Egoismus  ist  legitim.  Wir  begreifen  Müller 
und  Thaer  am  besten,   wenn  wir  von  der  geschichtsphilosophischen. 


Betrachtungsweise  ausgehen,  d.  h.  wenn  wir  ihre  Theorien  von  den 
zu  ihrer  Zeit  vorhandenen  Bedingungen  zu  erklären  suchen,  denn 
jedes  Wirtschaftssystem  veranlaßt  zu  einer  neuen  Theorie,  neue  Be- 
dingungen rufen  neue  Theorien  hervor.  Das  deutsche  Wirtschafts- 
leben war  zu  jener  Zeit  in  einem  Übergangsstadium  begriffen,  es 
vollzog  sich  damals  ein  Gärungsprozeß.  Was  Thaer  eigentlich  tat, 
war  nichts  anderes,  als  eine  Anpassung  an  die  neuen,  reif  ge- 
wordenen Bedingungen.  Er  hatte  eingesehen,  daß  man  mit  der  alten 
Ordnung,  dem  „alten  Schlendrian"  aufräumen  mußte.  Das  Mittel 
hierzu  sah  er  in  der  Durchführung  der  rationellen  Landwirtschaft, 
und  die  Ausbreitung  dieser  wiederum  war  nur  mit  Hilfe  einer  Agrar- 
reform möglich,  die  denn  auch  zu  jener  Zeit  geschaffen  wurde. 

Müller  dagegen  in  Sorge  vor  Revolution  und  in  seiner  Ver- 
urteilung der  ,, Umwertung  der  Werte"  fand  das  Heilmittel  nicht 
vorwärts,  sondern  rückwärts,  ich  möchte  sagen,  in  einer  Reaktion 
ethischer  Natur.  Er  wollte  der  landwirtschaftlichen  Not  durch 
einen  Neofeudalismus  abhelfen,  den  , , neuen  Kurs"  des  Wirt- 
schaftslebens aber  nicht  mitmachen,  weil  er  Schrecken  vor  dem 
Industriestaate  hegte.  In  dieser  letzteren  Beziehung  war  er  nicht  der 
einzige  unter  den  theologisierenden  Nationalökonomen. 

Fast  drei  Jahrzehnte  später  vernehmen  wir  Ähnliches  von  einem 
protestanstischen  Theologen  zu  Menslage,  nämlich  von  Pastor  Funke: 
,,Es  ist  ein  Drängen  und  Treiben  eingetreten"  —  urteilt  derselbe  —  , 
,,bei  dem  alle  sittlichen  Bande,  welche  die  einzelnen  Individuen  an 
Familie  und  Vaterland  knüpfen,  allmählich  völlig  gelöst  werden 
müssen."^)  Und  weiter:  ,,Der  moderne  Zeitgeist,  welcher  überall 
die  vorhandenen  sittlichen  Bande  zerreißt,  hat  auch  hier  verderblich 
«ingewirkt;  die  alten  Sitten  und  Gewohnheiten,  welche  das  Leben 
fester  zusammen  erhalten  als  die  bestimmenden  Gesetze,  schwinden, 
und  die  Einfachheit  des  alten  und  doch  ewig  neuen  Glaubens  ist 
oft  nur  zu  sehr  verloren  gegangen,  weshalb  denn  auch  die  alle 
Lebensverhältnisse  verklärende  und  die  Menschen  überall  in  Liebe 
einigende  Gewalt  fehlt."  ^) 

Wie  man  sieht,  war  der  Protest  gegen  das  Neue,  gegen  den 
Fortschritt,  keine  Einzelerscheinung  in  der  Nationalökonomie. 

Da  Thaer,  wie  schon  bemerkt,  in  längerer  Ausführung,  ich 
möchte  fast  sagen  ,, offiziell",  auf  die  Angriffe  Müllers  nicht  ge- 
antwortet hat,  so  herrschte  vielfach  die  Meinung  vor,  Thaer  sei  in 
diesem  Streite  unterlegen.  Diesem  Gedanken  tritt  etwa  ein  Jahrzehnt 
nach  dem  Tode  Thaers  ein  Mann  aus  Müllers  eignem  Lager  ent- 
gegen, wenn  man  den  ,,anthropologisierenden"  Nationalökonomen 
F.  G.  Schulze^)  dorthin  verpflanzen  darf.    In  einer  Versammlung 

^)  Funke  zitiert  bei  Sombart,  Der  moderne  Kapitalismus  Bd.  2  S.  144. 

2)  Fraas  nennt  ihn  den  ,, philosophierenden  Nationalökonom  und 
ästhetischen  Landwirt,  den  Hodegetiker  und  Methodisten",  s.  dessen 
Geschichte  der  Landwirtschaft,  1852,  S.  123. 


—    80  — 


deutscher  Landwirte  zu  Dresden  im  Oktober  1837  widerlegt  Schulze 
die  Meinung  von   der  Niederlage  Thaers.    Er  führt  u.  a.  dort  aus: 

,,In  der  Landwirtschaft  kämpft  der  Mensch  mit  der  Erde,  mit 
den  Naturkräften  streiten  Menschenkräfte.  Je  mehr  Bildung  im 
Volke  verbreitet  ist,  um  so  mannigfaltiger  sind  die  Bedürfnisse  an 
irdischen  Gütern,  und  um  so  schwieriger  ist  ihr  Kampf.  In  unserer 
Zeit  sind  die  Bedürfnisse  so  gestiegen,  daß  die  Menschen  zur  Be- 
friedigung derselben  die  Natur  nur  dann  zwingen  können,  wenn  sie 
wissenschaftlich  über  diesen  Kampf  nachdenken.  Schon  im 
vorigen  Jahrhundert  begann  das  Nachdenken  über  Landwirtschaft, 
aber  eine  Wissenschaft  davon  besteht  erst  seit  jener  Zeit,  wo  ihr 
Thaer  mit  Begeisterung  für  das  Wahre  und  Gute  seine  tiefen  und 
umfassenden  Forschungen  zuwendete.  Jedoch  richtete  er  dieselben 
fast  nur  auf  die  Natur,  inderp  für  menschenwissenschaftliche  Unter- 
suchungen seine  Zeit  noch  nicht  vorbereitet  war.  Eine  solche  Vor- 
bereitung ist  erst  in  der  neueren  Zeit  durch  die  Nationalökonomie 
bewirkt  worden."^) 

Nachdem  Schulze  auf  die  Notwendigkeit  des  Studiums  der 
Nationalökonomie  in  Verbindung  mit  der  Philosophie  für  den  Land- 
wirt hingewiesen  hat,  fährt  er  fort: 

Jedoch  nicht  minder  unentbehrlich  ist  sie  (Nationalökonomie) 
für  die  irdischen  Bedürfnisse,  für  die  Erlangung  des  größten  Geld- 
gewinnes. Nach  Reinertrag  soll  der  Landwirt  streben  durch  An- 
schläge und  Buchhaltung  die  Grundrente,  Arbeits-  und  Kapitalrente 
berechnen.  Über  diese  Begriffe  gibt  uns  ja  nur  die  Nationalökonomie 
Aufklärung  ..."  Ferner:  ,,Bei  der  Einführung  eines  neuen  Wirt- 
schaftssystems ist  vorzüglich  Rücksicht  zu  nehmen  auf  das  Ver- 
hältnis der  Arbeit  zum  Boden  und  zum  Kapital,  auf  die  Bevölkerung 
und  die  merkantilischen  Verhältnisse,  auf  Bildung  der  Arbeiter,  über 
welche  Gegenstände  die  Nationalökonomie  wissenschaftliche  Be- 
lehrung gewährt.  Demnach  w^erden  die  Landwirte  durch  diese 
Wissenschaft  wie  das  öffentliche  Interesse  auch  ihr  Privatinteresse 
fördern."  ^) 

Hier  erkennt  Schulze  also  an,  daß  durch  das  Streben  nach  dem 
größten  Reinertrag  auch  das  öffentliche  Wohl  gefördert  werde.  Da 
man  diese  Ausführungen,  die  ja  den  Ideen  Thaers  vollkommen  ent- 
sprechen, mißverstanden  hatte,  kam  Schulze  an  einem  späteren  Tage 
vor  derselben  Versammlung  auf  seine  frühere  Rede  zurück  und 
zwar  nimmt  er  hier  direkt  Stellung  zu  der  im  vorliegenden  Kapitel 
geschilderten  Kontroverse  zwischen  Thaer  und  Adam  Müller. 
Schulze  führt  nun  folgendes  aus: 

,,Der  Herr,  der  vor  dem  Herrn  Vorsteher  gesprochen,  hat  sich 
auf  den  Vortrag  bezogen,  welchen  ich  gestern  gehalten  habe.  Es 

^)  s.  Amtlicher  Bericht  über  die  Versammlung  deutscher  Landwirte 
in  Dresden  im  Oktober  1837,  Dresden  1838,  S.  116. 
Ibid.  S.  119. 


—    81  — 


sei  mir  erlaubt,  einem  Mißverständnisse  zu  begegnen,  das  vielleicht 
durch  denselben  veranlaßt  worden  ist.  Man  glaubt  vielleicht,  daß 
ich  damit  habe  aussprechen  wollen,  es  solle  der  Landwirt  den 
Reinertrag,  den  Geldgewinst  vernachlässigen,  weil  er  nicht  der 
höchste  Zweck  des  Lebens  sei,  und  behauptet  dagegen,  daß  der 
Mensch  gerade  bei  der  Landwirtschaft  darüber  nachdenken  müsse, 
wie  Geldgewinst  zu  erlangen  sei.  Ich  verkenne  die  Wichtigkeit 
des  Gelderwerbs  keineswegs ;  nur  reichen  wir  mit  ihm  allein  nicht 
aus,  wir  müssen  auch  darauf  sehen,  auf  welche  Weise  derselbe  auf 
den  höchsten  Ertrag  gebracht  wird.  Meiner  Ansicht  steht  nicht 
entgegen,  was  der  verstorbene  Staatsrat  Thaer  darüber  gesagt  hat, 
sondern  es  ist  dies  vielmehr  mit  dem,  was  ich  vorgetragen  habe, 
leicht  in  Einklang  zu  bringen.  Adam  Müller  hat  gerügt,  daß 
Thaer,  indem  er  den  höchsten  Reinertrag  als  den  Hauptzweck  des 
landwirtschaftlichen  Gewerbes  ausgebe,  eine  Ansicht  habe,  die  ge- 
fährlich sei,  weil  sie  die  Moralität  verletze.  Es  ist  noch  kein  Ver- 
teidiger Thaers  aufgetreten,  und  Adam  Müller  hat  sonach  vor 
den  Augen  der  Welt  recht  behalten,  darum  mußte  ich  zur  Recht- 
fertigung Thaers  darauf  hinweisen,  daß  das  Streben  nach  Geld- 
gewinn recht  gut  neben  sittlicher  Vervollkommnung  bestehen  könne; 
daß  aber  allerdings  die  Sittlichkeit  im  Volke  untergraben  werden 
müßte,  wenn  man  den  Gelderwerb  als  den  einzigen  und  höchsten 
Lebenszweck  aufstellte."^) 

Das  letztere  zu  behaupten,  ist  Thaer  auch  niemals  eingefallen, 
sondern  er  folgert  immer,  da  die  Landwirtschaft  ein  Gewerbe  sei, 
so  sei  ihr  Zweck  eben  der  eines  Jeden  Gewerbes,  der  möglichst 
höchste  Reinertrag. 

Interessant  und  zur  Charakterisierung  der  Richtung  Schulz  es 
sehr  geeignet  dürfte  dessen  Forderung  sein,  daß  der  Landwirt  eine 
,, ästhetische  Bildung,  die  den  Geist  empfänglich  macht  für  alles  Hohe, 
Schöne,  göttlich  Sitthche",  haben  müsse.  Er  wolle  keinem  Verwalter 
die  Bewirtschaftung  seines  Gutes  anvertrauen,  ,,der  nicht  fleißig  in 
die  Kirche  ginge  und  einen  echt  religiösen  Sinn  zeigte".^) 

Thaers  Stellung  zu  den  Hauptsystemen  der  französischen 
und  englischen  Nationalökonomie  seiner  Tage. 

Wenn  wir  den  Entwicklungsgang  der  natialökonomischen  Ideen 
Thaers  treffend  und  kurz  charakterisieren  wollen,  so  müssen  wir 
zwei  nationalökonomische  Systeme  nennen,  die,  gleichsam  Stadien 
seiner  Entwicklung,  die  Hauptlehrer  Thaers  gewesen  sind,  nämlich 
das  physiokratische  und  das  Smith  sehe  System.  Wennsich 


1)  Ibid.  S.  46. 
2j  Ibid.  S.  47. 


—    82  — 


auch  Thaer  keinem  dieser  Systeme  ganz  angeschlossen  hat,  so  hat 
er  doch  von  beiden  gelernt. 

In  der  ersten  Zeit  seiner  landwirtschaftlichen,  mehr  theoretischen 
Tätigkeit  dürfte  er  wohl  etwas  physiokratisch  gesinnt  gewesen 
sein,  wie  ihm  denn  auch  die  physiokratischen  Schriftsteller  zum  Teil 
aus  direktem  Studium  bekannt  gewesen  sind,  wie  schon  früher  aus- 
geführt wurde.  Später,  als  Thaer  sich  mit  der  landwirtschaftlichen 
Praxis  mehr  und  in  größerem  Umfange  beschäftigte  und  er  ihr  manche 
Konzessionen  auf  Kosten  der  Theorie  machen  mußte,  finden  wir 
mehr  Neigung  zu  Smith  bei  ihm  vor,  welchem  Autor  er  denn  auch 
für  die  Folge  den  Vorzug  gab,^)  vergleicht  er  ihn  doch  gar  mit 
Newton. 

Wenn  auch  Thaers  Hauptlehrer  die  Engländer  gewesen  sind,  so 
hat  er  doch  auch  vielfach  französische  Werke  studiert,  manche  seiner 
Rezensionen  behandeln  französische  Autoren  auf  dem  Gebiete  der 
Landwirtschaft.  Die  landwirtschaftlichen  Ansichten  Pa tu  11  o  s  sind, 
wie  schon  gezeigt,  den  Ideen  Thaers  nahe  verwandt. 

Daß  Thaer  sich  keinem  der  beiden  genannten  Systeme  ange- 
schlossen hat,  liegt  zum  Teil  darin  begründet,  daß  er  ein  viel  zu 
selbständiger  Geist  war,  als  daß  er  nur  in  einer  einzigen  Richtung 
das  Universalheilmittel  für  Allgemeinwohlfahrt,  die  er  immer  als 
letztes  Ziel  im  Auge  hielt,  gesucht  hätte.  Sein  universelles  Genie, 
das  sowohl  die  Geisteswissenschaften,  wie  auch  die  praktischen 
beherrschte,  überschaute  alles  und  nahm  das  Gute,  wo  es  zu  finden 
war,  um  es  für  seine  Zwecke  zu  verwerten,  und  eben  hieraus 
erklärt  sich  auch  der  Relativitätsge  danke  ,  der  Thaers  An- 
schauungen überall  durchzieht. 

a)  Zu  den  Physiokraten. 

Es  bedarf  wohl  kaum  der  Erwähnung,  daß  es  hier  lediglich 
darauf  ankommt,  die  Stellung  Thaers  zu  den  Physiokraten  zu  kenn- 
zeichnen, nicht  aber  die  Frage  zu  erörtern,  wie  sich  Thaer  zu  den 
gesamten  Lehren  der  Physiokratie  verhalten  würde. 

Die  Physiokraten  gehen  bekanntlich  von  dem  Standpunkte  aus, 
daß  der  Grund  und  Boden  die  einzige  Q u e  11  e  des  Reichtums,-)  und 
nur  die  Arbeit,  die  auf  Grund  und  Boden,  d.  h.  auf  Ackerbau  ver- 
wendet werde,  produktiv  sei,  weil  Produktivität  eben  einzig  und 
allein  dem  Boden  eigen  sei.  Fragen  wir  nun,  wie  stellt  sich  Thaer 
zu  dieser  Auffassung  der  Volkswirtschaft? 

^)  Etwas  Analoges,  wenigstens  was  die  Reihenfolge  anbetrifft,  finden 
wir  in  Thaers  Erziehung.  Zuerst  las  er,  und  zwar  verhältnismäßig  früh, 
etwa  im  Alter  von  14  Jahren,  Voltaire  und  die  französischen  Enzykloplädisten, 
erst  später,  nachdem  er  auch  die  enghsche  Sprache  gelernt,  die  englischen 
Freigeister. 

^)  s.  Näheres  darüber  bei  Aug.  Oncken,  Geschichte  der  National- 
ökonomie, Leipzig  1902. 


—    83  — 


Bevor  wir  auf  diese  Frage  eingehen,  haben  wir  noch  folgendes 
in  Erinnerung  zu  bringen :  Wie  bekannt,  hatte  sich  zur  Zeit  der 
Physiokraten  ein  Dogmenstreit  zwischen  der  Schule  Gournays  und 
der  Quesnays  in  den  Jahren  1765 — 1766  entsponnen.^)  Der  Streit- 
punkt war  der,  ob  der  Handel  auch  produktiv,  bezw.  eine  Quelle 
des  Einkommens  sei.  Die  Schule  Gournays  bejahte  dies,  indem  sie 
Ackerbau  und  Handel  zugleich  als  Quellen  des  Reichtums  betrachtete, 
während  die  Schule  Quesnays  den  Ackerbau  als  die  einzige  Quelle 
betrachtete.  Hiernach  ist  das  Verhalten  dieser  beiden  Schulen  zu 
Ackerbau,  Handel  und  Industrie  leicht  ersichtlich.  Sehen  wir  nun, 
was  Thaer  bei  einer  ähnlichen  Frage  darüber  sagt. 

,,Doch"  —  meint  Thaer  in  Beantwortung  dieser  Frage  —  wir 
wollen  den  Manufakturen,  dem  Handel  und  der  Seemacht  ihren  Wert 
keineswegs  absprechen.  Aber  war  nicht  die  Landwirtschaft  ihre 
einzige  Mutter,  ihre  erste  Ernährerin?  Würde  sich  die  Bevölkerung 
bei  dem  Zustande,  worin  sich  der  Ackerbau  vor  dieser  Epoche  be- 
fand. Je  so  haben  vermehren  können,  daß  Manufakturen,  Kunstfleiß 
und  Schiffahrt  emporgekommen  wären?  Ackerbau  erzeugte,  Acker- 
bau ernährte,  Ackerbau  erzog  das  ganze  Volk  zur  Arbeitsamkeit  und  Aus- 
dauer. Er  verschaffte  den  Städten,  den  Schiffen,  den  neuen  Kolonien 
die  Nahrungsmittel  zu  mäßigen  Preisen.  Die  Kornausfuhr  gab  den 
Matrosen  Beschäftigung  und  vermehrte  die  Anzahl  der  Schiffe,  trug 
also  auch  von  dieser  Seite  dazu  bei,  die  Seemacht  zu  ihrer  gegen- 
wärtigen Höhe  zu  bringen."-) 

Hieraus  könnte  man  entnehmen,  daß  Thaer,  wenn  er  auch  unter 
die  strengen  Physiokraten  nicht  zu  zählen  ist,  weil  er  den  ,, Manufakturen, 
dem  Handel  und  der  Seemacht"  ihre  produktive  Kraft  nicht  abspricht, 
doch  als  ein  etwas  modifizierter  Physiokrat  zu  betrachten  sei,  denn 
nach  ihm  ist  die  Landwirtschaft  die  ,, erste  Ernährerin",  die  ,, Mutter" 
aller  andern  Erwerbszweige.  Dieser  Auffassung  Thaers  gemäß  wird 
man  behaupten  dürfen,  die  Landwirtschaft  sei  primär,  der  Handel 
aber  sekundär,  also  komme  der  Vorzug  der  Landwirtschaft  zu. 

Dennoch  ist  es  nicht  ganz  so.  Thaer  sagte  das  vorhin  Er- 
wähnte in  einer  Betrachtung  über  die  Entstehung  des  englischen 
Nationalreichtums.    Im  Anschlüsse  hieran  führt  er  weiter  aus: 

„Ich  leugne  Jedoch  keineswegs,  daß  die  Landwirtschaft  den  Fabriken 
und  dem  Handel  wieder  vieles  zu  verdanken  habe.  Die  vermehrte 
Konsumtion  im  Lande  gab  ihr  gewiß  mehreren  Anreiz  zu  größerer 
Produktion,  wie  die  Ausfuhr.  Der  Reichtum,  den  der  Handel  ins 
Land  brachte,  hielt  die  Preise  der  Konsumtion  in  die  Höhe.  Die  starke 
Fleischkonsumtion  machte  die  Viehzucht  einträglicher  und  vermehrte 
dadurch  den  Dünger  auf  dem  Acker.    Man  lernte  von  den  Fabriken 


1)  Ibid.  S.  303  ff. 

2)  Albrecht  Thaer,  Einleitung  zur  Kenntnis  usw.  Bd.  2  S.  161, 
Hannover  1801. 


—    84  — 


auch  Landwirtschaft  fabrikmäßig  treiben,  lernte  von  ihnen  Menschen- 
hände und  Arbeit  durch  Werkzeuge  und  Maschinen  ersparen.  Land- 
wirtschaft und  Manufakturen  gehen  nur  Hand  in  Hand  sicher  vor- 
wärts. Sie  müssen  mit  gleicher  Sorgfalt  vom  Staate  gepflegt,  in 
gleicher  Höhe  und  Kraft  nebeneinander  erhalten  werden.  Um  eins 
zu  heben,  das  andere  niederdrücken  zu  wollen,  heißt:  einen  Fuß 
lähmen,  damit  der  andere  besser  fortschreiten  könne. 

Den  Kampf  um  den  Vorrang  auf  wirtschaftlichem  Gebiete  ent- 
schieden verurteilend,  fährt  Thaer  fort:  ,,Es  ist  ein  frivoler  Streit 
um  den  Vorzug  der  Fabriken  und  des  Ackerbaues  für  die  Staats- 
wohlfahrt, den  aber  praktische  und  theoretische  Staatsmänner  in 
neuen  Zeiten  so  häufig  geführt  haben."-) 

Wie  wir  sehen,  kann  hier  von  ,, primär"  und  ,, sekundär"  in- 
bezug  auf  Landwirtschaft  und  Industrie  überhaupt  nicht  die  Rede 
sein.  Sein  Standpunkt  ist  ein  rein  dualistischer.  Der  Streit 
um  den  Vorzug  des  einen  oder  andern  Zweiges  der  Volkswirtschaft 
ist  für  Thaer  eben  frivol".  Das  entspricht  vollkommen  seinem  all- 
gemeinen Standpunkte,  dem  der  Relativität,  welchen  wir  in  der 
Folge  noch  deutlicher  werden  hervortreten  sehen.  Dies  ist  der  Standpunkt 
Thaers  in  seiner  ,, Einleitung  zur  Kenntnis  der  englischen  Land- 
wirtschaft". 

In  folgendem  wollen  wir  uns  nun  mit  dem  schon  oben  er- 
wähnten Problem,  nämlich  der  Frage  von  der  ausschließlichen  Pro- 
duktivität des  Bodens,  und  ob  der  Boden  die  einzige  Quelle  des 
Reichtums  sei,  des  näheren  befassen,  um  Thaers  Stellung  hierzu 
genauer  zu  charakterisieren. 

In  der  Einleitung  zu  dem  4.  Bande  der  Grundsätze  der 
rationellen  Landwirtschaft"  vernehmen  wir  von  Thaer  etwa  folgendes: 
Man  setze  Produktion  und  Fabrikation  gewöhnlich  einander 
entgegen  und  glaube,  daß  sie  in  physischer  Hinsicht  nicht  nur,  sondern 
auch  in  ökonomischer  oder  gewerblicher  dermaßen  einander  entgegen- 
ständen, daß  die  Grundsätze,  die  bei  letzterer  gültig  seien,  bei  ersterer 
durchaus  keine  Anwendung  fänden,  und  daß  folglich  der  Produzent 
sowohl  als  auch  der  Staats wirt,  in  Ansehung  beider,  ganz  verschiedene 
Maximen  annehmen  müsse.^)  Beide  Zweige  seien  -allerdings  ver- 
schieden, und  Jede  habe  ihre  Eigentümlichkeit.  ,,Aber  dies  Eigen- 
tümliche ist  nicht  so  antipolarisch  und  nicht  auf  eine  so  grelle  Weise 
verschieden,  wie  man  gewöhnlich  angibt.  Noch  Aveniger  ist  der 
Unterschied  in  Ansehung  der  entgegengesetzten  Grundsätze  begründet, 
die  man  nur  zu  häufig  zum  Nachteil  der  ersten  genommen  hat."^^ 
Man  wird  hier  anzunehmen  geneigt  sein,  daß  Thaer  eigentlich 
sagen  will,  die  Landwirtschaft  sei  ebenso  fähig  wie  die  Fabrikation, 

Ibid.  S.  161-162. 
2)  Ibid.  S.  162. 

'^j  Thaer,  Grundsätze  der  rationellen  Landwirtschaft,  Berlin  1312^ 
Bd.  4  S.  3. 


—    85  — 


Erfindungen  und  Vervollkommungen  sich  anzueignen,  und  daß  die 
erstere  auch  Vorteile  davon  ziehen  könne,  wenn  sie  nach  dem  Muster 
der  Fabrikation  betrieben  würde.  Hier  handele  es  sich  also  lediglich 
um  die  Befürwortung  der  ,, ländlichen  Industrie",  d.  h.  des  industrie- 
mäßigen Betriebes  der  Landwirtschaft.  Allerdings  ist  es  richtig,  daß 
Thaer  ebenso  gut  wie  die  Physiokraten  den  kapitalistischen  Geist 
des  Betriebes  aufs  Land  übertragen  möchte.  Allein  gerade  bei  diesem 
scheinbaren  Zusammengehen  mit  den  Physiokraten  erfahren  wir,  was 
Thaer  eigentlich  von  den  Physiokraten  trennt. 

Thaer  meint,  daß  hier^)  über  Gleichheit  und  Verschiedenheit 
von  Produktion  und  Fabrikation  nicht  gerade  zur  unrechten  Zeit 
ein  Wort  zu  sprechen  sei.  Er  beginnt  die  Untersuchung  mit  folgenden 
Worten,  die  für  unser  Problem  von  Wichtigkeit  sind : 

,,Man  hat  gesagt:  die  Fabrikation  wandle  die  Materialien  nur 
um  in  eine  andere  Form ;  Produktion  bringe  jene  hervor  —  wie 
dies  in  den  Worten  zu  liegen  scheint."-)  Thaer  antwortet  darauf, 
daß  auch  Produktion  keine  neue  Schöpfung  aus  nichts  sei.^)  Das 
Material  zur  Ausbildung,  zum  Wachstum  und  zur  VollenduHg  der 
Pflanze  wie  des  Tieres  müsse  da  sein.  Der  Produzent  wie  der 
Fabrikant  müsse  es  aufsuchen,  und  jener  wie  dieser  es  meistenteils 
herbeischaffen  und  oftmals  künstlich  vorbereiten.  Nur  aus  den 
schon  vorhandenen  Stoffen  kann  Produktion  wie  Fabrikation,  indem 
sie  solche  zersetze  und  zu  neuen  Formen  umbilde,  ihre  Produkte 
erzeugen.  Thaer  bleibt  aber  dabei  nicht  stehen.  Er  vertieft  sich 
weiter  in  dies  Problem. ^) 

,, Diese  Umbildung  aber",  fährt  Thaer  fort,  ,,sagt  man,  geschehe 
bei  der  Produktion  durch  die  Kraft  der  Natur,  bei  der  Fabrikation 
durch  die  Kraft  der  Kunst  der  Menschen".  Auch  dies  Argument 
läßt  Thaer  nicht  gelten.  Er  meint,  daß  auch  bei  der  Fabrikation 
der  Mensch  durch  den  Gebrauch  der  Naturkräfte  wirke  und  ohne 
diese  wenig  Fabrikate  hervorbringen  würde. ^)  ,,Bei  einigen  leitet  er 
sie  zwar  mehr  und  wendet  sie  ganz  nach  seiner  Willkür  an,  bei 
andern  muß  er  die  Natur  ganz  nach  ihren  eigenen  Gesetzen  wirken 
lassen ;  bei  allen  denen,  nämlich  wo  ein  chemischer  Prozeß  erforder- 
lich ist,  z.  B.  bei  der  Färberei,  der  Wein-,  Bier-,  Branntwein-  usf. 
Erzeugung,  wo  er  diese  Naturwirkung  nur  ordnen  und  moderieren 
kann."^)  Thaer  verwirft  weiter,  daß  die  Natur  an  der  Produktion 
einen  weit  größeren  Anteil  habe,  als  an  der  Fabrikation.  Ebenso 
läßt  er  die  Behauptung  fallen,  nach  welcher  der  Anteil  der  Kunst 
bei  der  Fabrikation  größer  sei  als  bei  der  Produktion.^) 

Damit  haben  wir  seinen  Standpunkt  festgelegt,  welcher  ihn 
von  den  Physiokraten  trennt.    Wir  behalten  uns  vor,  die  Folgerungen 


^)  nämhch  in  der  Einleitung  zu  Bd.  4  der  „Rationellen  Landwirtsch." 

2)  Grunds,  d.  r.  Ldw.  IV  S.  3. 

3)  Ibid.  S.  4. 


—  Be- 


erst am  Schlüsse  der  Darstellung  zu  ziehen,  um  die  Übersicht  nicht 
zu  stören. 

Thaer  hat  eine  Besprechung  über  das  Werk  Leopold  Krugs: 
,, Beobachtungen  über  den  Nationalreichtum  des  preußischen  Staates 
und  über  den  Wohlstand  seiner  Bewohner",  das  im  Jahre  1805 
erschien,  veröffentlicht.  Krug  gehörte  bekanntlich  zu  den  ,,physio- 
kratischen  Nachzüglern"^)  in  Deutschland;  mithin  dürfte  die  Stellung 
Thaers  zu  Krug  für  uns  von  großem  Interesse  sein. 

Thaer  sagt  in  den  einleitenden  Worten  von  dem  Werke  Krugs, 
es  sei  ihm  kein  Werk  bekannt,  in  welchem  Theorie  und  Praxis  so 
glücklich  vereinigt,  die  Grundsätze  so  rein  entwickelt  und  zugleich 
auf  eine  besondere  Staatsverfassung,  nach  der  gründlichen  Kenntnis, 
die  der  Verfasser  sich  davon  erworben  habe,  so  treffend  angewendet 
wären,  wie  in  diesem.    Dann  fährt  Thaer  fort: 

,,Den  theoretisch  zur  Genüge  erwiesenen,  aber  noch  immer  ver- 
kannten Satz:  daß  die  Kultur  des  Grundes  und  Bodens  die  einzige, 
allein  sichere  und  zureichende  Quelle  des  National-Reichtums  und 
der  allgemeinen  und  individuellen  Wohlfahrt  sei,  setzt  er  (Krug) 
nach  echten,  archivalischen  Nachrichten  in  Ansehung  des  preußischen 
Staates  durch  das  ganze  Werk  so  hell  ins  Licht,  daß  die  absolute 
Notwendigkeit  der  tätigen  Anwendung  jenes  obersten  Prinzips  auf 
den  Ackerbau  daraus  hervorgehet;  wogegen  der  Nachteil  unnützer 
Künsteleien,  wodurch  man  diesen  oder  jenen  Zweig  durch  besondere 
Aufmunterungen,  Unterstützungen  und  Anordnungen  fast  immer  auf 
Kosten  der  übrigen  zu  befördern  sucht,  gezeigt  wird."^)  Dieser 
Satz  ist  ganz  im  Geiste  der  Physiokraten  geschrieben.  Ebenso  finden 
wir  in  demselben  Zusammenhange  noch  mehrere  Anklänge  an  die 
Physiokraten.^)  Aber  zugleich  sagt  Thaer,  daß  er  nicht  beipflichten 
könne,  wenn  Krug  das  Geld  und  die  angehäuften  Geldkapitalien  der 
Rentiers  als  unproduktiv  ansehe  ;*)  auch  ist  er  für  Handel  und 
Manufakturen  im  Gegensatz  zu  Krug  eingenommen,*)  was  allerdings 
nicht  in  gutem  Einklänge  steht  mit  dem  eingangs  angeführten  Zitate 
Thaers  über  Krugs  Schrift,  doch  durch  den  Relativitätsstandpunkt 
Thaers  einigermaßen  erklärlich  ist.  Schließlich  sei  noch  eine  Stelle 
angeführt:  ,,Daß  der  Herr  Verfasser",  so  sagt  Thaer  über  Krug, 
,,sich  zum  physiokratischen  Finanzsysteme  hinneige,  und  die  Abgaben 
unmittelbar  vom  Grund  und  Boden  erhoben  haben  will,  läßt  sich 
wohl  aus  dem  Vorgesagten  vermuten.  So  gewiß  und  unverkennbar 
es  mir  scheint,  daß  die  Physiokraten  —  bei  allen  Staaten,  die  ihr 
Einkommen  zum  größten  Teile  aus  ihrem  eigenen  Grund  und  Boden 
ziehen,  darin  recht  haben,  daß  alle  Abgaben  auf  diesen  doch  wieder 


1)  Erschienen  in  den  Annalen  des  Ackerbaues  1805  Bd.  2. 

2)  Annalen  d.  Ackerb.,  BerhQ.1805,  Bd.  2  S.  105. 

3)  Ibid.  S.  119,  136. 

4)  Ibid.  S.  121. 


—    87  — 


zurückfallen,  und  nur  durch  die  komplizierte  Erhebungsart  kost- 
spieliger, unsicherer,  schwerer  und  größer  werden,  so  glaube  ich 
dennoch  nicht,  daß  dies  System  ohne  Ruin  der  Grundbesitzer  in 
einem  Staate  einzuführen  sei,  wo  die  Summe  der  Staatsbedürfnisse 
in  einem  so  großen  Verhältnisse  zu  dem  reinen,  echten  Einkommen 
steht,  wie  jetzt  in  den  meisten  Staaten  der  Fall  ist.  Die  ganze 
Last  würde  zu  plötzlich  auf  die  Grundbesitzer  fallen,  und  das  ohne- 
hin zu  schwache  Betriebskapital,  welches  sie  in  Händen  haben, 
erschöpfen;  der  Ackerbau  also  einen  tödlichen  Schlag  erleiden!  Jetzt 
wird  der  größte  Teil  dieser  Summe  von  dem  Zirkulationseinkommen 
wenigstens  vorgeschossen  und  nur  allmählich  von  dem  Ertrage  des 
Bodens  zurückgezahlt.  Könnte  aber  durch  eine  höhere  Benutzung 
der  Domänen  der  Anteil,  welchen  das  Privat  -  Grundeigentum  zu 
tragen  hat,  beträchtlich  vermindert  werden,  so  hat  es  wohl  keinen 
Zweifel,  daß  ein  Staat  bei  diesem  Systeme  unaussprechlich  glücklich 
werden  könnte  .  .  ."  ^)  Wie  man  sieht,  im  Prinzip  mit  dem  System 
der  Einsteuer  einverstanden  weist  Thaer  dasselbe  zurück  in  Anbe- 
tracht der  vorhandenen  Verhältnisse. 

Ein  anderes  Werk  von  Krug:  ,, Abriß  der  Staatsökonomie  oder 
Staatswirtschaftslehre",  erschienen  im  Jahre  1808,  hat  Thaer  in  seinen 
,,Annalen"  ebenfalls  angezeigt,^)  doch  da  diese  Anzeige  Prinzipielles 
nicht  enthält,  so  kommt  sie  hier  nicht  in  Betracht. 

Die  ,, Einsteuer"  der  Physiokraten  hat  Thaer  mehrmals  be- 
schäftigt und  sehr  häufig  kommt  er  auf  dieselbe  zu  sprechen.  Es 
dürfte  Avohl  angebracht  sein,  noch  einige  diesbezügliche  Stellen  hier 
anzuführen. 

,,Ich  gestehe,"  meint  Thaer,  ,,daß  ich  mich  nicht  von  der  Un- 
richtigkeit des  letzteren  (d.  h.  der  Einsteuer)  in  seinen  Grund- 
prinzipien überzeugen  könne,  d.  h.  wenn  der  Ackerbau  und  alle  seine 
Verhältnisse  einmal  in  dem  Stande  wären,  worin  die  Physiokraten 
sie  haben  wollen.  In  dem  jetzigen  Zustande  der  Dinge  ging  freilich 
schon  eine  Annäherung  zum  Auflagensystem  der  Physiokraten  auf 
einen  gänzlichen  Ruin  des  Ackerbaues,  auf  eine  Verwüstung  des 
Grundes  und  Bodens  und  auf  eine  gänzliche  Auflösung  des  Staates 
der  bürgerlichen  Gesellschaft  und  der  Vertilgung  des  Menschen- 
geschlechtes durch  Hunger  hinaus :  nicht  deshalb,  weil  der  Ackerbau 
die  Last  der  Auflagen  nicht  tragen  könnte,  sondern  weil  es  ihm 
schon  an  Kapital  zu  dem  notwendigsten  Betriebe,  noch  mehr  an  dem 
Vorschusse  fehlt,  den  er  hierzu  tun  müßte." ^) 

Und  in  einer  andern  Rezension  ^)  vernehmen  wir  von  Thaer : 


1)  Ibid.  S.  134—135. 

2)  Thaer  in  den  Annalen  des  Ackerbaues  Bd.  8  1808  S.  169—185. 

.  ^)  vgl.  Thaer  in  ,, Annalen  der  Fortschritte  der  Landwirtschaft"  usw., 
Berlin  1812,  Bd.  3  S.  630-631. 

^)  Diese  Rezension  bezieht  sich  auf  das  langtitelige  Buch :  ,, Freimütige 
Betrachtung  über  Steuerwesen  und  Steuerrektifikation,  Staatsschulden  und 


—    88  — 


,,Der  Verfasser  kennt  es  (das  physiokratische  System),  wie  die 
meisten,  nur  hinsichtlich  seiner  Folgerungen  auf  das  Steuerwesen, 
und  da  ist  es  denn  befremdend,  wie  seine  Erfinder  und  Anhänger 
den  Landbau  über  alles  setzen  und  ihn  doch  durch  die  Einführung 
ihrer  einzigen  Territorial  -  Abgabe  in  den  meisten  unserer  be- 
stehenden Staaten  zugrunde  richten  würden,  indem  sie  den  ganzen 
Grundbesitz  nötigten,  sich  bankrott  zu  erklären.  Aber  die  Physio- 
kraten  hatten  nur  ihr  Ideal  vor  Augen,  von  einem,  durchaus  nach 
ihren  Grundsätzen  eingerichteten  und  dabei  abgerundeten ,  großen 
Staate."  ^)  Thaer  fährt  in  dieser  Ausführung  weiter  fort  und  sagt 
unter  anderm,  daß  die  praktischen  Physiokraten,  z.  B.  Turgot,  diesem 
Ideale  zwar  allmählich  sich  nähern  wollten,  sie  wären  aber  weit  ent- 
fernt, es  gleich  in  der  Wirklichkeit  darstellen  oder  von  hintenzu  mit 
der  Erfindung  der  einzigen  Steuer  auf  den  reinen  Bodenertrag  an- 
fangen zu  wollen.  ^)  Auch  hier  sucht  Thaer  zu  zeigen,  daß  das 
System  für  den  gegenwärtigen  Zustand  nicht  angebracht  sei,  oder 
m.  a.  W.  die  Ein  Steuer  würde  nur  für  die  ,, natürliche  Ordnung" 
passen,  aber  für  die  ,, positive**  sei  sie  zu  verwerfen. 

Im  folgenden  wollen  wir  nun  zu  andern  prinzipiellen  Punkten 
übergehen,  die  Thaers  Stellung  zu  den  physiokratischen  Lehren  zu 
charakterisieren  geeignet  sind. 

Es  ist  bereits  angeführt  worden^  daß  Thaer  den  Grundsatz  der 
Physiokraten  bekämpft,  in  der  Landwirtschaft  habe  die  Natur  den 
ausschließlichen  Anteil  an  der  Produktivität.  Damit  natürlich 
fällt  die  Behauptung  der  Physiokraten,  nur  die  Arbeit,  die  auf  den 
Ackerbau  verwendet  wird,  sei  produktiv. 

Thaer  meint,  es  sei  eine  irrige,  bei  einigem  Nachdenken  auf- 
fallend irrige,  aber  dennoch  ziemlich  allgemein  verbreitete  und  als 
Grundsatz  angenommene  Meinung,  daß  die  Produktion  aus  dem 
Grund  und  Boden  allein  hervorgehe.  Aus  diesem  falschen  Grund- 
satze seien  nur  zuviel  unwahre  und  nachteilige  Polgerungen  gezogen 
worden.'^)  Er  ist  der  Ansicht,  daß  in  milden  Klimaten  der  Boden 
allenfalls  genug  produziere,  um  ^  einzelne  Menschen,  wenn  sie  auf 
weiten  Räumen  umherstreifen,  zu  ernähren.^)  ,,Der  Mann  braucht 
höchstens  das  Wild  zu  erlegen,  das  Weib  die  Früchte  des  Waldes 
zu  sammeln.  Nomadische  Stämme  müssen  in  Klimaten  gleich  den 
unsrigen  schon  für  Fütterung  des  Viehes  auf  den  Winter  und  für 
Obdach  sorgen,   folglich  Arbeit  anwenden."*)    Und  weiterhin:  ,,Mit 

deren  Tilgung,  Kreditanstalten  und  andere  Gegenstände  der  Staatshaus- 
haltung, den  Volksvertretern  der  deutschen  Stämme  bei  ihren  Versamm- 
lungen auf  den  Landtagen  vorgelegt"  von  einem  fränkischen  Landwirt  1819. 
Thaers  Rezension  ist  erschienen  in  den  „Möghnschen  Annalen  der  Land- 
wirtschaft" 1819  Bd.  3. 
Ibid.  S.  370. 

2)  Thaer  in  den  „Möglin.  Annal.  d.  Ldw.*'  Bd.  3  1819  S.  370. 

3)  vgl.  „Annalen  des  Ackerbaues"  1806  Bd.  4  S.  36. 

4)  Ibid.  S.  36. 


—    89  — 


dem  ersten  Anfange  der  Vereinigung  zu  Nationen  und  dadurch 
bewirkter  größerer  Volkszahl  können  zureichende  Früchte  nur  durch 
Kunst  und  Arbeit  dem  Boden  abgewonnen  werden."^)  Je  mehr  die 
bürgerliche  Gesellschaft  fortschreitet  und  die  Bevölkerung  sich  ver- 
mehrt, müsse  Kunst  und  Arbeit  in  höherem  Maße  auf  die  landwirt- 
schaftliche Produktion  angewendet  werden;^)  also  der  höhere  Ertrag 
entsteht  nach  Thaer  nicht  aus  der  Natur,  sondern  aus  Kunst  und 
Arbeit. 

Thaer  glaubt  ferner,  daß,  solange  noch  immer  Boden  da  wäre, 
der  vom  Anbeginn  unserer  physischen  Erdepoche  durch  das  Ab- 
sterben der  immer  neu  erzeugten  Pflanzen  und  Tiere  mit  vegetabi- 
lischen Nahrungsstoffen  bereichert,  nur  des  Urbarmachens  bedürfte, 
um  reiche  Ernten  zu  geben,  solange  noch  alte  Äcker  umzubrechen, 
Holzungen  zu  roden  oder  abzubrennen,  reiche,  angeschlemmte  Niede- 
rungen zu  entwässern  wären,  bedürfte  es  im  ganzen  minderer  Kunst 
und  Arbeit,  um  die  erforderliche  Produktion  zu  bewirken.  Man  ließe 
den  alten  ausgetragenen  Acker  ruhen,  statt  ihn  durch  höhere  Kraft- 
anstrengung schnell  wieder  instand  zu  setzen,  weil  der  neue,  oder 
der  lange  geruhte  Acker  bei  geringerer  Anstrengung  genug  produziere, 
um  die  Bedürfnisse  des  Volkes  zu  befriedigen,  und  zu  wohlfeil 
produziere,  um  höhere  Anstrengungen  auf  dem  alten  Acker  zu  be- 
zahlen.-^) 

Thaer  sucht  zu  erklären,  wie  man  dazu  gekommen  sei,  zu  be- 
haupten, daß  ,, Produktion"  allein  aus  Grund  und  Boden  erfolge.  Er 
sagt  fortfahrend: 

,,Dazu  kam,  daß  man  ein  gewisses,  damals  zureichendes  Quantum 
von  Arbeit,  seit  Entstehung  unserer  Verfassung ,  dem  Grund  und 
Boden  anhängig  dachte.  Der  glebae  adscriptus  und  Arbeit  ward 
mit  dem  Boden  erworben,  vererbt,  verkauft.  Ein  Land<j;ut  produzierte 
genug,  ohne  weitere  Anstrengung  und  Kosten  des  Besitzers,  be- 
arbeitete sich  selbst,  und  es  bedurfte  höchstens  nur  einige  Aufsicht, 
um  die  Kräfte  der  Maschine  in  Bewegung  zu  erhalten.  Immerhin 
konnte  man  also  annehmen,  daß  Produktion  allein  aus  Grund  und 
Boden  erfolge,  und  daß  der  reine  Ertrag  einzig  und  allein  durch 
diesen  bestimmt  werde."*)  Jetzt  sei  es  aber  anders.  Die  Bedürf- 
nisse des  einzelnen  haben  sich  vermehrt,  die  Volksmenge  vergrößert. 
Die  träge  Arbeit  des  entnervten  Fröners  reiche  nicht  mehr  aus,  aus 
dem  erschöpften  Acker,  besonders  in  schlechten  Jahren,  die  Pro- 
duktion hervorzubringen,  deren  der  Staat  bedürfe ;  °)  Arbeit  werde 
nötig;  Vorschuß  von  Arbeit  auf  künftige,  selbst  entferntere  Jahre, 
folglich  Kosten  und  Kapital;  und  da  diese  auf  mannigfaltige  Weise, 

1)  Ibid.  S.  36. 

2)  Ibid.  S.  36—37. 

3)  Ibid.  S.  37. 
Ibid.  S.  87-38. 

5)  Ibid.  S.  38. 


—    90  — 


mehr  oder  minder  zweckmäßig  angewendet  werden  können  —  Kennt- 
nisse und  Weisheit !  ^) 

,,Eine  Produktion  also"  —   folgert  Thaer  —  ,,wie  sie  unsere 

Zeiten  erfordern  ist  durchaus  nicht  mehr  als  das  Produkt 

des  Grundes  und  Bodens  allein  zu  betrachten,  sondern  der  zusammen- 
gesetzte Erfolg  aus  Boden,  Arbeit,  Kapital  und  Verstand."^) 

Thaer  meint  ferner,  daß,  wenn  von  dem  Acker  nur  wenig  pro- 
duziert werden  solle,  an  diesem  Wenigen  der  Grund  und  Boden  einen 
größeren  Anteil,  als  die  Kunst  und  Arbeit  habe.'^)  ,, Sowie  aber 
mehr  produziert  werden  soll,  vermindert  sich  bei  dem  Mehreren  der 
Anteil  des  Bodens,  und  der  Anteil  der  Kunst  und  der  Arbeit  wird 
größer."^)  Wie  wir  sehen,  haben  wir  hier  mit  einer  andern  Meinung 
zu  tun  als  mit  der  physiokratischen ;  Thaer  ist  gerade  der  ent- 
gegengesetzten Ansicht  als  die  Physiokraten.  Bei  diesen  gibt  die 
,,grande  culture",  in  Thaers  Sprache  die  Fruchtwechselwirt- 
schaft,den  reinen  Ertrag,  welcher  ausschließUch  vermöge  der 
Produktivität  des  Bodens  schlechthin  entsteht ;  gerade  hier,  d.  h.  bei 
der  Bewirtschaftung  mit  Kapital,  vergrößert  sich  der  Anteil  des 
-  Bodens  nach  der  Ansicht  der  Physiokraten,  während  nach  Thaer 
hingegen  bei  der  Fruchtwechselwirtschaft  der  Anteil  des  Grund  und 
Bodens  am  reinen  Ertrag  sich  vermindert.  Sowohl  nach  den  Physio- 
kraten als  auch  nach  Thaer  führt  ein  höheres  Kultursystem  der 
Landwirtschaft  zum  höheren  Reinertrag,  aber  mit  einem  Unterschied : 
Nach  der  physiokratischen  Ansicht  höherer  Reinertrag  durch  den 
Anteil  der  Produktivität  des  Grund  und  Bodens,  nach  Thaers  An- 
sicht aber  durch  den  Anteil  der  Arbeit,  Kunst  und  des  Kapitals. 
Hier  gehen  also  beide  Meinungen  auseinander.*) 

Es  erübrigt  uns,  noch  einen  Gedankengang  Thaers  zu  verfolgen, 
Tim  über  des  Autors  Stellung  zur  Physiokratie  ins  Klare  zu  kommen. 
Dieser  Gedankengang  wird  imstande  sein,  viel  Licht  über  die  hier 
aufgeworfenen  Fragen  zu  verbreiten.  An  einer  Stelle  streift  Thaer  die 
wirtschaftlichen  Interessentengruppen,  deren  Tendenzen  und  Wünsche, 
wie  auch  den  Gegensatz,  welcher  zwischen  allen  obwaltet,  mit  Bezug 
auf  eine  Handelspolitik.  Diese  Gedankenreihe  läßt  sich  kurz  wie 
folgt  zusammenfassen: 

Die  Zudringlichkeit  und  die  einseitige  Ansicht  der  vier  Interessen  — 
das  Geldinteresse,  das  Agrikultur-,  das  Manufaktur-  und  das  Mer- 
kantilinteresse — ,  welche  die  Staatsbürger  teilen,  ziehen  ihre  Auf- 
merksamkeit geteilt  an  sich,   und  sie  glauben  dem  einen  Interesse 


1)  Ibid.  S.  39. 

2)  Ibid.  S.  39-40  Anm. 

vgl.  August  Oncken,  Geschichte  der  Nationalökonomie,  Leipzig 
1902,  Bd.  1  S.  323. 

^)  Weitere  Belege  für  die  Thaersche  Ansicht  finden  sich:  ,,Annalen 
des  Ackerbaues"  1807  Bd.  5  S.  658,  Bd.  6  S.  78.  Ferner  Thaer,  Grund- 
sätze der  rationellen  Landwirtschaft,  Berlin  1809,  Bd.  1  S.  99. 


-    91  — 


nachgeben  zu  müssen,  wenn  es  sich  über  die  Nachteile,  die  ihm 
durch  Begünstigung  des  andern  erwachsen,  beklagt.^)  Das  In- 
teresse der  ,,Rentenirer  und  Besoldeten"  verlange,  daß  die 
Werte  des  Geldes  immer  höher  steigen  und  alles  wohlfeil  werde, 
und  da  sie  am  nächsten  stehen  und  gebraucht  werden,  finden  sie 
zu  leicht,  wenn  auch  nur  geheimes.  Gehör. ^)  Die  Landeigen- 
tümer und  ihre  Pächter  wünschen  den  vorteilhaftesten  Absatz  der 
inländischen  Produkte  und  Erhöhung  ihres  Preises,  und  dringen 
deshalb  auf  Fernhalten  der  ausländischen  Konkurrenz.^)  Das  Manu- 
fakturinteresse wolle  niedrige  Preise  der  Lebensmittel,  damit 
seine  Arbeiter  und  das  Rohmaterial  ihm  weniger  kosten,  weil  es 
dann  auch  auf  den  ausländischen  Märkten  andere  durch  wohlfeilere 
Preise  verdrängen  könne,  und  zugleich  wolle  es  das  Monopol  auf 
dem  einheimischen  Markte.-)  Das  Merkantilinteresse  wolle  das 
letztere  nicht,  weil  es  fühle,  daß  ohne  Warenumtausch  kein  be- 
deutender Handel  stattfinden  könne.  So  stehen  diese  einander  ent- 
gegen, und  wenn  heute  das  eine  begünstigt  worden  sei,  so  müsse 
morgen  das  andere  es  werden,  um  das  Gleichgewicht  herzustellen, 
was  man  aufgehoben  hätte,  und  einen  Fehler  durch  den  andern  gut 
zu  machen  suchen,  und  so  entstehe  das  Regulativ-System,  welches 
anfangs  den  Machthabern  sehr  schmeichle,  sie  bald  aber  in  die 
größten  Verlegenheiten  verwickle.-)    Thaer  sagt  fortfahrend: 

,, Unwahrscheinlich  ist  es  nicht,  daß  der  Druck  der  Jetzigen 
Zeit  selbst  zu  klarer  Ansicht  führe,  daß  die  Rentenirer  erkennen,  die 
Quelle  ihrer  Renten  —  der  Gewerbsbetrieb  der  Nation  —  müsse 
versiegen;  daß  die  Landeigentümer  einsehen,  ihr  Boden  könne  nur 
Rente  tragen  in  dem  Verhältnisse,  wie  die  Industrie  andere  in  den 
Stand  setze,  ihre  Produkte  zu  bezahlen;  die  Manufakturisten  be- 
greifen, daß  der  produzierende  Landbauer  ihr  vorzüglichster  Kunde 
sei,  und  daß  sich  der  Ertrag  ihres  Gewerbes  nach  dem  Wohlstande 
richte,  worin  sich  diese  befindet;  die  Kaufleute  endlich,  daß  sie 
keine  inländische  Waren  austauschen  können,  wo  sie  keine  aus- 
ländischen Waren  eintauschen.  Und  so  werden  dann  auch  die 
Regierungen  sich  von  den  Täuschungen  frei  machen,  welche  in  einer 
so  klaren  Sache  nur  die  Dazwischenkunft  des  Geldes  als  Austausch- 
mittels beim  Umsätze  der  Natur-  und  Industrie-Produkte  Jedes 
Landes  veranlaßt.  Die  praktischen  Finanzmänner  werden  ihre  Augen 
nicht  bloß  auf  die  Geldkassen,  sondern  auch  auf  den  Wohlstand  der 
Nation  richten,  wodurch  die  Industrie  belebt  wird  und  Jene  allein 
gefüllt  werden  können."  ^) 

Dieser  Auseinandersetzung  Thaers  zufolge  können  wir  seine 
Auffassung    der    Volkswirtschaft    die    organische    nennen.  Alle 

^)  vgl.  Thaer  in  den  Möglinschen  Annalen  der  Landwirtschaft  Bd.  13, 
1824.  S.  100. 

2)  Ibid.  S.  101. 

3)  Ibid.  S.  102. 

Werth.  7 


—    92  — 


Zweige  der  Volkswirtschaft  müssen  sich  harmonisch  verbinden,  es 
gibt  keinen  Vorzug  eines  Zweiges  vor  dem  andern;  sie  können  nur 
nebeneinander  und  durcheinander  bedingt  bestehen.  Jeder  Zweig 
hat  seinen  Platz  und  seine  Berechtigung,  alles  ist  relativ.  Die 
angeblich  widerstreitenden  Interessen  der  Gruppen  und  Kreise  der 
volkswirtschaftlichen  Gemeinschaft  können  und  müssen  und  sollen 
ihren  harmonischen  Ausgleich  finden.  Dies  kann  nur  dann  geschehen, 
wenn  sie  nicht  ein  einseitiges  und  extremes  Streben  zeigen,  wenn 
sie  einsehen,  wie  weit  sie  einander  bedingen,  unterstützen  können, 
und  zwar  nicht  nur  ohne  Schaden,  sondern  mit  großem  Vorteil. 

THaers  Ziel  war  die  Hebung  der  Landwirtschaft  und  die  Be- 
tonung ihrer  Gleichberechtigung  mit  der  Industrie.  Wenn  hier  und 
da  seine  Betonung  zugunsten  der  Landwirtschaft  etwas  schärfer 
wird,  so  ist  dies  darauf  zurückzuführen,  daß  er* seine  landwirt- 
schaftliche Laufbahn  in  einem  solchen  Zeitalter  begann,  wo  man 
dem  industriellen  Merkantilsystem  gewogen  war.  Gradeso  wie  die 
Physiokraten  wurde  auch  Thaer  durch  die  ihn  umgebenden  Umstände 
und  Bedingungen  veranlaßt,  seine  Tätigkeit  zu  entfalten;  aber  mit 
einem  großen  Unterschiede :  Bei  den  Physiokraten  trieb  es  zu  einem 
entgegengesetzten  System  bezw.  zur  Reaktion  gegen  das  Merkantil- 
system, bei  Thaer  zu  einem  synthetischen  Gesichtspunkte, 
zu  einer  harmonischen  Verbindung  und  Vereinigung  der  verschiedenen 
Zweige  der  Volkswirtschaft.  Dadurch  wurde  er  mehrmals  gezwungen, 
die  landwirtschaftlichen  Interessen  mehr  zu  betonen,  weil  sie  mehr 
in  den  Hintergrund  gedrängt  waren,  bezw.  weil  die  Politik  merkan- 
tilisch  gesinnt  und  geneigt  war,  gemäß  der  zu  Jener  Zeit  vor- 
herrschenden Strömung  in  der  Volkswirtschaftspolitik.  Nur  der 
Relativitätsstandpunkt  hat  Thaer  vor  Einseitigkeiten  zu  schützen 
-vermocht;  zudem  war  er  ein  viel  zu  guter  Realpolitiker  und  hatte 
einen  zu  feinen  Sinn  für  den  wirklichen  Stand  der  Dinge,  um  ein- 
seitig zu  werden. 

b)  Zu  Adam  Smith. 

Thaer  war  ein  großer  Verehrer  von  Adam  Smith,  wie  dies  aus 
mehreren  Stellen  seiner  Schriften  und  »Aufsätze  hervorgeht,  die  noch 
im  Laufe  dieser  Abhandlung  Erwähnung  finden  werden.  Es  soll  in 
folgendem  versucht  werden,  Thaers  Stellung  zu  Adam  Smith  zu 
charakterisieren.  Nun  wird  es  begreiflich  sein,  daß  wir  uns  haupt- 
sächlich auf  diejenigen  Punkte  beschränken,  über  welche  er  mit 
Smith  sich  auseinander  setzen  zu  müssen  glaubte.  Für  die  Dar- 
stellungsweise wird  es  empfehlenswert  sein,  mit  dem  Freihandel  zu 
beginnen. 

Die  Auffassung  der  Smithschen  Lehren  von  selten  Thaers  ist 
zum  Teil  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Smithforschung  gemäß  als 
unzutreffend  zu  erklären.     Dessenungeachtet   dürfte   es   wohl  von 


-    93  — 


wissenschaftlichem  Interesse  sein,  dieselbe  kennen  zu  lernen,  schon 
aus  dem  Grunde,  weil  sie  aus  Jener  Zeit  stammt,  wo  Smiths  Werk 
in  Deutschland  aufgenommen  wurde  und  die  Begeisterung  für  den 
großen  Schotten  gerade  damals  erst  begann.  Vielleicht  wird  unsere 
Darstellung  einen  kleinen  Beitrag  liefern  können,  um  begreiflich  zu 
machen,  warum  und  wie  man  gerade  später  in  demselben  Deutsch- 
land Smiths  Lehren  verkannt  und  mißverstanden  hat.  Damit  soll 
natürlich  die  Aufgabe  dieser  Abhandlung  nicht  erschöpft  sein. 
Wir  wollen  zugleich  die  Thaerschen  Ansichten  kennen  lernen,  wie 
sich  dieselben  in  seinem  Kopfe  abgespiegelt  haben,  und  wie  er  sich 
seine  volkswirtschaftliche  Weltanschauung  zurechtgelegt  hat,  damit 
wir  derselben  in  ihrer  Totalität  möglichst  gerecht  werden. 

In  seiner  Ausführung,  in  der  Thaer  die  Lehren  Smiths  kurz 
darzulegen  sucht,  den  er  als  den  ,, Scharfsinnigen  und  Konsequenten"  ^) 
preist,  meint  er  unter  anderm,  daß  Smith  liberale  Maximen  habe 
und  unbedingte  Freiheit  des  Handels  und  Wandels  wolle.  ^)  Die 
Regierung  solle  sich  nach  Smith  durchaus  nicht  in  den  Gang  der 
Gewerbe  mischen,  ^)  sie  solle  ihnen  freien  Lauf  lassen,  sie  nur 
beschützen  und  allenfalls  Schwierigkeiten,  die  sonst  nicht  gehoben 
werden  können,  aus  dem  Wege  räumen.  Es  sei  immer  fehlerhaft, 
die  Industrie  der  Nation  und  ihr  Vermögen  durch  Prämien  oder  Auf- 
lagen irgend  einem  Gewerbe  zuleiten  zu  wollen,  weil  jeder  einzelne 
schon  ausfinden  werde,  wohin  er  seinen  Fleiß  und  sein  Kapital  am 
vorteilhaftesten  richten  könne.  Jede  andere  Richtung  aber,  die  nicht 
den  Vorteil  des  einzelnen  mit  sich  bringe,  werde  dem  Ganzen 
schädlich,  indem  die  Industrie  einem  andern  Gewerbe  entzogen 
werde,  wo  sie  nützlicher  sein  würde.  Die  Wirkung  aller  solchen 
Mittel  könne  nur  die  sein :  die  Industrie  in  einen  Kanal  zu  zwängen, 
der  weit  weniger  vorteilhaft  sei,  als  der,  worin  sie  sich  natürlicher- 
weise von  selbst  würde  ergossen  haben.  Nach  einer  kurz  gefaßten 
Darstellung  der  Smithschen  Lehren  meint  Thaer,  daß  Smith  in  vor- 
genannten Ausführungen  ohne  Zweifel  recht  habe,  jedoch  nur  unter 
der  Bedingung,  daß  diese  Maxime  ganz  allgemein  beobachtet  und 
gar  keine  Ausnahme  gemacht  werde.  ^) 

,,Hat  die  Regierung  sich  einmal  in  die  Leitung  und  Beförderung 
eines  Gewerbes  eingelassen"  —  meint  Thaer  —  ,,so  muß  sie  ihre 
Aufmerksamkeit  wenigstens  auch  auf  alle  diejenigen  richten,  die  für 
die  Wohlfahrt  des  Staates  von  unumgänglicher  Notwendigkeit  sind."") 
Nun  hätten  in  England  —  und  vielleicht  in  allen  anderen  Staaten  — 
unzähhge  Gewerbe,  Privilegien  und  Aufmunterungen  genossen,  folg- 
lich wäre  auch  der  Ackerbau  gewissermaßen  berechtigt,  dieselben 


^)  vgl.  Thaers  Einleitung  zur  Kenntnis  d.  engl.  Landw.  2.  Bd.  2  Abt. 
S.  165  ff.,  neue  Aufl.  Hannover  1801. 

2)  Ibid.  S.  166. 

3)  Ibid.  S.  166-167. 

7* 


—    94  — 


Privilegien  usw.  für  sich  zu  fordern,  sobald  er  sie  brauche.  Auch 
müsse  ihm  ein  Gegengewicht  gegeben  werden,  um  sich  von  der  ge- 
waltsamen Unterdrückung,  worunter  er  bisher  in  England  zu  leiden 
gehabt  hätte,  erheben  zu  können.^) 

Smith  wolle  nach  seinen  Grundsätzen,  sagt  Thaer,  völlige  Frei- 
heit des  Kornhandels  und  uneingeschränkte  Ein-  und  Ausfuhr  des  Ge- 
treides. Im  allgemeinen  sei  dies  für  den  Ackerbau  genug,  aber  nicht 
bei  den  damaligen  Verhältnissen  in  England.  Natürlich  sei,  wie  Thaer 
meint,  Smith  also  mit  jener  Akte  von  1688  nicht  zufrieden  und 
halte  sie  für  schädlich.  Smith  sage,  sie  sei  damals  durch  das  Über- 
gewicht der  Grundeigentümer  im  Parlament  durchgesetzt  worden, 
und  ein  Werk  des  Privatinteresses  gewesen.  Bei  dem  Übergewichte, 
welches  das  Handelsinteresse  gegen  das  Landinteresse  in  den  siebziger 
Jahren  bekam,  verkündige  er  ihr  Schicksal  voraus.^)  ,,Wenn  dem 
so  ist,"  fährt  Thaer  fort  —  ,,so  wäre  die  alte  goldene  Maxime, 
bei  jeder  Staatsangelegenheit  lieber  den  Grundeigentümer  als  den 
,, Kaufmann  und  Manufakturisten  zu  hören,  hierdurch  wieder  be- 
stätigt".^) 

Thaer  setzt  sich  bei  dieser  Gelegenheit  ausführlicher  mit  Smith 
auseinander: 

Smith  halte  nach  Thaers  irriger  Meinung  niedrige  Kornpreise  für 
nützlich  in  Hinsicht  auf  die  Wohlfahrt  des  Ganzen.  Er  könne  aber 
nicht  leugnen,  daß  die  Preise  gefallen  seien,  sobald  die  Akte  ihre 
Wirkung  tun  konnte,  und  daß  die  Preise  niemals  im  Durchschnitt 
niedriger  und  — ,  was  für  die  Wohlfahrt  des  Ganzen  vielleicht  wichtiger 
sei,  niemals  gleichmäßiger  gestanden  hätten,  wie  in  den  ersten 
60  Jahren  des  Jahrhunderts.^)  ,,Aber  er  (Smith)  sagt",  so  argumentiert 
Thaer,  ,,dies  sei  trotz  der  Akte,  nicht  ihr  zufolge  geschehen. 
Dies  sagt  er,  weil  —  er  nicht  begreift,  wie  diese  Akte  geringere 
Preise  hatte  bewirken  können.  Wer  freilich  die  Wirkung  der  Akte 
durch  das  Medium  des  Handels  erklären  will,  der  kann  das  nicht 
begreifen,  aber  durch  das  Medium  des  verbesserten  Ackerbaues  ist 
nichts  natürlicher  zu  erklären."^) 

Die  Nützlichkeit  der  Ausfuhrprämie  könne  und  wolle  Smith 
nach  seinem  System  durchaus  nicht  zugestehen,  er  sei  also  vornehm- 
lich gegen  die  Prämie  auf  die  Kornausfuhr.  Indessen  gebe  er  die 
sogen.  Drawbaks  zu,  nämlich  die  Rückzahlung  der  Auflage,  der 
eine  auszuführende  Ware  im  Lande  unterworfen  war,  weil  der  Aus- 
länder ,,sich  nicht  werde  taxieren  lassen",  und  die  Ware  sonst  im 
Auslande  nicht  Preis  halten  könne.^) 

,,Aber'  —  sagt  Thaer,  —  , welche  Ware  ist  in  England  einer  höheren 
Taxe  unterworfen,  als  das  Getreide?    Ruhet  auf  solchem  nicht  die 


1)  Ibid.  S.  167. 

2)  Ibid.  S.  168. 

3)  Ibid.  S.  169. 


—    95  — 


Landtaxe,  der  Zehnten,  die  enorme  Armen-Taxe;  alle  die  andern 
Auflagen,  welche  der  Ackerbauer  mit  tragen  muß,  ungerechnet?"*) 
Und  ferner:  ,,HäIt  Smith  für  die  Fabrikwaren  diese  Prämien  oder 
Rückgaben  nötig,  so  ist  das  englische  Getreide  ihrer  noch  weit  mehr 
bedürftig,  wenn  England  Getreide  ausführen  soll  —  was  nun  aber 
vielleicht  nie  wieder  der  Fall  sein  wird.  —  Denn  bei  einer  Nation, 
die,  wie  die  englische,  durch  Bevölkerung,  Kunstfleiß  und  National- 
Reichtum  in  den  Stand  gesetzt  ist,  Fabriken  mit  größter  Energie  zu 
betreiben,  bedürfen  Fabrikwaren  keiner  Rückgabe.^)  Der  englische 
Fabrikant  könne,  wie  die  Erfahrung  zeige,  ungeachtet  der  Teuerung 
der  Lebensmittel  und  der  Arbeit,  seine  Waren  biUiger  verkaufen,  als 
Jede  andere  Nation.  Eine  polnische,  russische  oder  ungarische  Fabrik 
werde  trotz  aller  Wohlfeilheit  des  Landes  vorerst  gegen  keine  eng- 
lische aufkommen.  Mit  dem  Ackerbau  verhalte  sich's  ganz  anders. 
Der  Russe  und  Pole  werde  sein  Korn,  selbst  in  England  im  Durch- 
schnitt billiger  verkaufen  können,  als  der  Engländer.  Denn:  ,,Das 
rohe  Material  der  Fabriken  läßt  sich  verfahren,  und  der  Engländer 
hat  die  Gelegenheit  und  das  Vermögen,  es  zu  kaufen,  besser,  wie 
der  Russe  und  Pole.  Aber  das  rohe  Material  des  Ackerbaues  — 
der  Grund  und  Boden  —  fehlt  nach  Verhältnis  der  Bevölkerung 
mehr,  wie  in  Polen,  und  ist  viel  teurer."^) 

,, Smith"  —  fährt  Thaer  fort' —  ,, würde  hierauf  antworten: 
nun  so  ist  es  nicht  gut,  daß  der  Pole  vorerst  Fabriken,  und  daß  der 
Engländer  Ackerbau  betreibe."^)  Aber,  meint  Thaer,  der  Engländer 
müsse  essen,  und  er  könne  mit  polnischen  Lebensmitteln  nicht  so 
leicht  versorgt  werden,  wie  der  Pole  mit  englischen  Fabrikwaren.^) 
Wollte  man  sagen,  er  solle  nicht  mehr  bauen,  als  er  gerade  kon- 
sumiert, so  bewiese  das  eine  unverzeihliche  Unwissenheit.  Denn, 
wenn  eine  Nation  in  schlechten  Jahren  die  Notdurft  heben  will,  so 
muß  sie  in  guten  Jahren  Überfluß  haben."*)  Wenn  aber  dieser 
Überfluß  nur  mit  Verlust  abgesetzt  werden  könne,  wenn  sein  Preis 
auf  jedem  Markte  niedriger  stehe,  als  dem  Engländer  die  Produktion 
desselben  koste,  so  könne  und  werde  er  keinen  Überfluß  hervor- 
bringen, und  so  werde  Mangel  in  schlechten  Jahren  eintreten.  ,, Daher 
war  eine  Vergütung  des  Verlustes,  oder  die  Ausfuhr-Prämie,  das 
einzige  Mittel,  die  Nation  in  schlechteren  Jahren  gegen  Mangel  zu 
schützen."^) 

Thaer  folgert  weiter,  daß  eine  freie  Einfuhr  des  ausländischen 
Getreides  aus  solchen  Ländern,  wo  dasselbe  mit  geringeren  Kosten 
produziert  werden  könne,  der  Schiffahrt  ungeachtet,  den  Preis  auf 
dem  englischen  Märkten  so  herabgesetzt  haben  würde,  daß  ein  betrieb- 


1)  Ibid.  S.  169. 

2)  Ibid.  S.  170. 

3)  Ibid.  S.  170. 

*)  Ibid.  S.  170—171. 
5)  Ibid.  S.  171. 


—    96  — 


samer  Ackerbau  nicht  hätte  bestehen  können.  Daher  hätte  damals, 
um  diesen  zu  erhalten,   die  Einfuhr  eingeschränkt  werden  müssen.^) 

Thaer  meint  im  weiteren  Verlaufe  seiner  Auseinandersetzung, 
Smith  sei  der  Meinung,  wenn  die  Getreidepreise  niedriger  würden, 
so  würde  der  Landmann  bei  diesen  geringeren  Preisen  ebensogut, 
ja  besser  bestehen  können,  als  bei  höheren,  denn  nach  dem  Preise 
des  Korns  richte  sich  der  Preis  der  Arbeit,  nach  dem  Preise  der 
Arbeit  aber  der  Preis  der  Manufakturen  und  Jedes  Artikels  der  In- 
dustrie. Der  Preis  der  Arbeit  und  jedes  Dinges,  welches  der  Boden 
und  der  Kunstfleiß  hervorbringe,  müsse  im  Verhältnisse  des  Korn- 
preises fallen  und  steigen.  Jeder  im  Staate  werde  daher  bei  niedrigen 
Kornpreisen  gewinnen  und  der  Landwirt  wenigstens  nicht  verlieren. 
Denn  wenn  er  gleich  weniger  Geld  erhalte,  so  werde  dies  Geld  doch 
eine  höhere  Kaufkraft  haben;  sein  Vermögen,  sein  Verdienst  blieben 
daher,  was  sie  jetzt  seien,  ob  sie  gleich  durch  eine  geringere  Quan- 
tität von  Silber  bezeichnet  würden.  -)  Steigere  man  dagegen  den 
Preis  des  Korns,  so  vermehre  man  dadurch  das  wahre  Vermögen 
des  Grundeigentümers  nicht,  man  ermuntere  dadurch  den  Landwirt 
nicht  zu  einer  besseren  Bestellung  seines  Ackers,  weil  man  ihn  da- 
durch nicht  in  den  Stand  setze,  mehr  Arbeiter  anzustellen,  als  jetzt.  ^) 
Dieses  „Raisonnement"  habe  erstaunlich  starken  Eindruck  gemacht 
und  sei  hundertmal  nachgesprochen  worden.  Es  sei  auch  sehr 
konsequent,  nur  —  der  Vorder satz  sei  nicht  wahr!*)  ,,Nach 
dem  Kornpreise  sollten  sich  die  Preise  der  Arbeit  und  aller  Dinge 
richten  ?  Die  Erfahrung  aller  Orten  und  aller  Zeiten  widerlegt  das ! 
Freilich,  wenn  man  sich  einen  Staat  in  einem  stillstehenden,  völlig 
permanenten  Zustande  denkt,  wo  Bevölkerung,  Vermögen  des  Staats 
und  des  einzelnen,  Geldumlauf,  Regierungs  -  Prinzipien,  Sitten  und 
Tlharakter  der  Bürger,  Industrie,  Handel,  auswärtige  Verhältnisse 
vollkommen  dieselben  bleiben,  oder  letztere  vielmehr  ganz  wegfallen; 
so  läßt  sich  annehmen,  daß  auch  die  Preise  aller  Dinge  in  gleichem 
Verhältnisse  bleiben  werden.  Aber  selbst  hier  könnte  man  mit  ebenso 
vielem  Rechte  sagen :  der  Preis  der  anderen  Dinge  bestimme  den  Preis 
des  Korns,  als  umgekehrt.  Wo  gibt  es  aber  einen  solchen  Staate 
wenn  man  China  etwa  ausnimmt?" 

Thaer  wendet  gegen  Smith  weiter  ein,  daß  in  jedem  Staate, 
wo  Bevölkerung,  Industrie  usw.  steige  oder  falle,  alle  Preise,  auch 
die  der  Arbeit  und  des  Getreides  ihre  Verhältnisse  veränderten.  Er 
begründet  dies  wie  folgt:  Gesetzt,  es  höben  sich  in  der  einen  oder 
anderen  großen  Stadt  die  ,, Handlung"  und  Fabriken;  letztere  erhielten 
stärkere  Bestellungen  unter  vorteilhafteren  Bedingungen;  sie  brauchen 


1)  Ibid.  S.  171. 
^)  Ibid.  S.  171-172. 
3)  Ibid.  S.  172. 
1)  Ibid.  S.  172-173. 
Ibid.  S.  173. 


—    97  — 


daher  mehr  Menschen.  Weil  sich  für  den  gewöhnlichen  Lohn  nicht 
mehr  einfinden,  so  müssen  und  können  sie  den  Lohn  erhöhen.  Durch 
diese  Lohnerhöhung  ziehen  sie  Landarbeiter  heran,  und  der  Landwirt 
sieht  sich  gezwungen,  den  Lohn  ebenfalls  zu  erhöhen.  Wenn  nun 
der  Kornpreis  hiernach  stiege,  so  wäre  das  doch  eine  Folge  des  er- 
höhten Arbeitslohnes,  also  Wirkung,  nicht  Ursache  desselben.  Es 
werde  Jedoch  eine  Steigerung  des  Kornpreises  nicht  immer  eintreten, 
denn  Konsumtion  und  Nachfrage  nach  Korn  werden  darum  nicht 
immer  größer,  vielleicht  gar  geringer;^)  ,,denn  der  besser  bezahlte 
Arbeiter  ißt  nun  mehr  Fleisch,  weniger  Brot  und  Mehlbrei;  er  trinkt 
mehr  Kaffee,  Tee,  Rum,  vielleicht  Wein,  statt  seines  vormaligen  Biers 
und  Branntweins."  ^)  Thaer  will  damit  zeigen,  daß  nicht  der  Korn- 
preis allein  der  treibende  Faktor  bei  der  Lohnerhöhung  sei.  Aus- 
drücklich betont  er  des  weitern:  ,,Und  wie  viele  andere  Ursachen 
^ibt  es,  die  den  Arbeitslohn  steigern,  ohne  daß  Kornpreise  daran 
schuld  sind,  und  ohne  daß  sie  in  die  Höhe  gehen!  Öffentliche  Bauten, 
Wegbau,  Ziehung  von  Kanälen  —  Neigung  reicher  Privatpersonen 
zum  Bauen,  zu  großen  Gartenanlagen  — ,  starke  Werbung  und  Aus- 
nahme, auch  Ausmarsch  des  Kriegsheeres  gehören  hierher.  Der  Arbeiter 
muß  zwar  das  verdienen,  was  er  notwendig  braucht;  aber  er  richtet 
sich  in  dem,  was  er  für  seine  Arbeit  fordert,  nicht  nach  seinen  Be- 
dürfnissen, sondern  nach  dem,  was  er  erhalten  kann.  Und  er  weiß 
sehr  gut,  daß  er  mehr  erhalten  kann,  wenn  es  mehr  Arbeit  als  Arbeiter 
^ibt.  Wo  die  freien  Drescher  nicht  vermöge  eines  besonderen  Miets- 
Akkords verpflichtet  sind,  um  einen  gewissen  Scheffel  zu  dreschen, 
da  verlangen  sie  mehr,  wenn  das  Korn  wohlfeil  ist  und  Arbeit  ge- 
sucht wird."  ^) 

Es  ist  ziemlich  klar,  wo  Thaer  hinaus  will.  Er  verlangt  einen 
guten  Preis  für  Getreide,  zugleich  will  er  uns  zeigen,  daß  derselbe 
nicht  mit  dem  allgemeinen  Wohle  kollidiert.  Aus  diesem  Grunde 
allein  bekämpft  er  Adam  Smith,  allerdings  ganz  unnötigerweise,  da 
Thaer  Smith  mißverstanden  hat,  denn  letzterer  war  eben  für  hohe 
Getreidepreise  eingenommen,  da  er  der  Meinung  war,  daß  mit  dem 
Fortschreiten  der  Kultur  die  Getreidepreise  steigen  müssen.*) 

Es  liegt  also  auf  der  Hand,  daß  die  Ausführungen  Thaers  gegen 
Smith  unnötig  waren,  Thaer  hätte  sich  vielmehr  grade  auf  Smith 
berufen  können.  Doch  steht  Thaer  mit  diesem  Mißverständnis  nicht 
4illein  da.  In  anderen  Punkten  dagegen  zeigt  Thaer  ein  sehr  richtiges 
Yerständnis  für  die  Lehren  von  Adam  Smith,  wie  wir  noch  sehen 
werden. 


Ibid.  S.  173-174. 

2)  Ibid.  S.  173—174. 

3)  Ibid.  s.  175-176. 

*)  s.  August  Oncken,  Was  sagt  die  Nationalökonomie  als  Wissen- 
schaft über  die  Bedeutung  hoher  und  niedriger  Getreidepreise,  Berlin  1901. 


—    98  — 


Man  würde  indessen  fehlgehen,  wenn  man  Thaer  für  einen 
Agrarier  halten  wollte.    Allerdings  hat  er  den  Ausspruch  getan: 

,,.  .  .  erzwungene  niedrige  Preise  sind  eine  Anleihe  auf  Wucher- 
zinsen. Sie  kommen  dem  Volke  so  wenig  zugute,  wie  diese  dem 
Verschwender."^)  Aber  zugleich  erklärt  er  sich  gegen  ,, erkünstelte 
hohe  Preise".^)  Das  gleiche  gilt  von  seiner  Stellung  zum  Industrie- 
Schutzzoll.    Er  meint  u.  a. : 

,,Aber  so  wenig  wie  wir  glauben,  daß  die  so  emsig  betriebene 
Sperrung  und  die  Isolierung  Deutschlands  seine  Industrie  im  all- 
gemeinen beleben  würde  —  obwohl  einzelne  Personen  und  Fabrik- 
städte für  den  Moment  Gewinn  davon  haben  möchten  — ,  ebenso- 
wenig glauben  wir,  daß  eine  Sperrung  der  Korneinfuhr,  welche  von 
manchen  als  unbedingt  nötig  zur  Erhaltung  unseres  Landbaues  an- 
gesehen wird,  diesem  wahrhaft  nützen  würde  und  für  das  allgemeine 
Beste  —  was  immer  auch  das  Beste  des  Grundbesitzers  ist  —  rat- 
sam sei:  Eine  Sperrung  der  Einfuhr  würde  notwendig  auch  eine 
Sperrung  der  Ausfuhr,  vielleicht  in  kurzer  Zeit  nach  sich  ziehen  und 
das  unsichere  Prohibitivsystem  —  was  in  der  Regel  lauter  Mißgriffe 
macht,  die  Spekulation  tötet  und  die  Industrie  lähmt  —  wieder  ein- 
treten müssen.  Die  unselige  Erfindung  der  Briten  kann  nur  ihnen 
nutzen ,  weil  ihre  ganze  Staats-  und  bürgerliche  Verfassung  ein 
Organismus  ist,  der  aus  lauter  Fehlern  besteht,  wovon  einer  den 
andern  wieder  gut  macht;  weswegen  sie  der  Verbesserung  Jedes  an 
sich  anerkannten  Fehlers  widerstreben.  Auch  macht  es  ihre  geo- 
graphische Lage  und  Seemacht,  wodurch  sie  sich  immer  heLfen 
können,  leichter  ausführbar  und  minder  gefährlich.  Der  Industrie 
und  dem  Wohlstande  aller  andern  europäischen  Nationen  hat  die 
Nachahmung  geschadet."^)  Das  Prohibitivsystem  bekämpft  Thaer 
hei  verschiedenen  Gelegenheiten.^) 

Thaers  Stellung  zur  Handelspolitik  wird  kurz  folgendermaßen 
zu  charakterisieren  sein: 

Thaer  ist  entschieden  gegen  jeden  absoluten,  für  alle  Ewigkeit 
gelten  sollenden  Grundsatz  in  der  Handelspolitik,  er  bekämpft  am 
allerschärfsten  die  blinde  Nachahmung,  man  müsse  alles  nach  Zeit 
und  Ortsverhältnissen  erwägen,  kurzum,  in  allen  Stücken  ist  er 
relativ.  Er  ist  sowohl  gegen  das  Prohibitivsystem,  als  auch  gegen 
absolute  Handelsfreiheit.  Ein  Gleichgewicht  will  er  zwischen 
Ackerbau  und  Industrie,  beide  seien  gleicherweise  zu  berücksichtigen, 
ein  harmonischer  Ausgleich  zwischen  beiden  sei  zu  erstreben;  einen 


^)  Albrecht  Thaer,  Einleitung  zur  Kenntnis  der  englischen  Land- 
wirtschaft Bd.  2  2.  Abt.  S.  215. 

2)  Ibid.  S.  215. 

3)  Vgl.  Thaer,  MögUnsche  Annalen  d.  Ldw.  Bd.  6  1820  S.  341—342. 
Thaer,  Möglinsche  Annalen  d.  Ldw.  Bd.  13  1824  S.  97,  Bd.  15  1825 

S.  205. 


I 


—    99  — 


ijcmäßigten  Schutzzoll  für  den  Fall  der  Not  verwirft  Thaer  nicht 
unbedingt. 

Es  wurde  schon  vorher  einmal  betont,  daß  Thaer  in  einigen 
Punkten,  die  vielfach  mißverstanden  worden  sind,  ein  richtiges  Ver- 
ständnis für  die  Lehren  Ad.  Smiths  zeigt.  Dies  kommt  'unter 
anderem  in  folgendem  zum  Ausdruck.  In  einer  Auseinandersetzung 
iiegen  die  Fabrikanten  beruft  er  sich  ^)  gerade  auf  Adam  Smith,  als 
auf  denjenigen  Nationalökonomen,  der  für  die  Kapitalisten  nicht  ein- 
genommen sei.  In  diesem  Punkte  begegnet  sich  Thaer  mit  der  Auf- 
fassung Smiths,  die  August  Oneken  dargelegt  hat.-)  Des  weiteren 
l)ezieht  sich  Thaer  auf  Smith  als  denjenigen  Schriftsteller,  der  die 
Präponderanz  der  Landwirtschaft  vor  dem  Handel  hervorgehoben 
habe.^)  Auch  hier  ist  Thaers  Auffassung  entsprechend  dem  Jetzigen 
Stande  der  Smith-Forschung,*)  was  hoch  angeschlagen  zu  werden 
verdient. 

c)  Zu  Malthus. 

Eine  eigentümliche  Stellung  nimmt  Thaer  Malthus  gegenüber 
ein :  er  bekämpft  und  befürwortet  Malthus  zugleich.  In  einer  Note, 
die  wahrscheinlich  mit  Bezug  auf  die  Malthussche  Bevölkerungs- 
theorie niedergeschrieben  ist,  meint  Thaer  in  seiner  bekannten  und 
vielfach  auch  gefürchteten,  satirischen  Weise,  daß  Staats  wirtschaft- 
liche Schriftsteller  das  Problem,  dem  Menschen  Nahrung  zu  ver- 
schaffen, durch  den  Rat  gelöst  hätten,  ihn  sterben  zu  lassen.'^) 
Trotz  dieser  Schärfe  des  Ausdruckes  hat  Thaer  die  Autorität  Malthus' 
anerkannt.^)  Übrigens  ist  Thaer  kein  prinzipieller  Gegner  der  Malthus- 
schen  Bevölkerungslehre.  Er  sagt  ausdnicklich,  daß  die  Nation  sich 
nicht  durch  die  Zunahme  der  Volksmenge  bereichere,")  und  stimmt 
Malthus  darin  bei,  daß  die  Vermehrung  der  Lebensmittel  der  Volks- 
vermehrung voranzugehen  habe.'^) 

,,Es  war  eine  Zeit"  —  sagt  Thaer  —  ,,wo  man  in  der  Staats- 
kunst nur  Vermehrung  der  Bevölkerung  zum  obersten  Prinzip 
und  zum  einzigen  Ziele  machte,  weil  man  annahm,  daß  Produktion, 
Nationalreichtum  und  Stärke  des  Staates  ganz  davon  abhängig  seien. 
Nachdem  eine  Zeitlang  die  Beförderung  der  möglichst  höchsten 
allgemeinen  Glückseligkeit  an  der  Tagesordnung  gewesen 


1)  Thaer,  Möglinsche  Ann.  d.  Ldw.  Bd.  1  1.  Stück,  Berlin  1817,  S.  579. 
-)  vgl.  dessen :  Was  sagt  die  Nationalökonomie  als  Wissenschaft  usw., 
Berlin  1901. 

3)  Thaer,  Möglinsche  Ann.  d.  Ldw.  Bd.  1  1817  S.  551  und  S.  577. 

Aug.  Oneken,  Was  sagt  die  Nationalökonomie  usw. 
^)  vgl,  Thaers  Note  in  den  Annalen  des  Ackerbaues  Bd.  2  1805  S.  24. 
.vgl.  Thaers  Aufsatz:  ,,Über  Getreide-Politik"  in  den  Moglin,  Annalen 
etc.  Bd.  1  1.  Stück  1817  S.  576. 

Thaer,  Annalen  des  Ackerbaues  Bd.  9  1809  S.  195. 
Thaer,  Högl.  Annalen  Bd.  7  1821  S.  688. 


—    100  — 


war,  so  IimI  man  neulich  mehr  den  finanziellen  Gesichtspunkt  ge- 
wählt und  die  Vermehrung  des  Nationalreichtums  oder  des 
reinen  Einkommens  der  Nation  als  das  einzige  Objekt  der  Staats- 
wirtscliaft  dargestellt.^)  Und  weiter:  ,,Ich  halte  dieses  Prinzip  unter 
den  bisher  aufgestellten  allerdings  für  das  siclierste."-) 

In  der  Populationistik  ist  Thaer  Anhänger  der  Piiysiokraten, 
aus  welchen  jedenfalls  auch  Malthus  geschöpft  liat.^)  Schon  in  einer 
Besprechung  über  den  deutschen  Piiysiokraten  L.  Krug  sagt  Thaer: 

,,In  vielen  einzelnen  Bemerkungen,  die  der  Verfasser  (Krug) 
über  Bevölkerung  macht,  trete  ich  ilini  zwar  vollkommen  bei.  Nicht 
darum  wird  ein  Staat  reich  und  wohlhabend,  Aveil  seine  Bevölkerung 
steigt,  sondern  darum  steigt  seine  Bevölkerung,  weil  er  reich  und 
wohlhabend  wird.  Eine  widernatürliche,  durch  Kunst  hervorgebrachte 
Bevölkerung  wird  den  Staat  eher  arm  als  wohlhabend  machen,  weil 
man  den  auf  künstliche  Weise  lierbeigezogenen  Abmschen  selten  eine 
reinen  Ertrag  gebende  Arbeit  verscliaffen  kann."^) 

Es  ist  klar,  daß  Thaer  dieser  Bevölkerungslehre  huldigt;  allein 
nicht  so  ohne  weiteres  und  ganz  absolut,  auch  hier  macht  er 
Konzessionen.  Und  gerade  in  seinen  Konzessionen  zeigt  er  sich, 
wemi  auch  n  u  r  zum  Teil,  als  Gegner  von  Malthus.  Er  sagt  bei 
irgend  einer  Gelegenheit  u.  a.  folgendes:  ,,Die  Besorgnisse,  welche 
Malthus  wegen  Übervölkerung  erregte,  sind  faktisch  gehoben,  indem 
es  sich  in  England,  wo  sie  am  stärksten  waren,  zeigt,  daß  bei  einer 
enormen  Volksvermehrung  die  Produktion  mit  der  Konsumtion  nicht 
nur  Schritt  gehalten,  sondern  vorgeeilt  sei  und  ihr  durch  Erhöhung 
der  Landkultur  noch  lange  gleich  bleiben  könne,  obwohl  in 
diesem  Reiche  nur  der  dritte  Teil  mit  dem  Landbau  beschäftigt  ist 
.  und  mit  seinem  Produkte  zwei  andere  ernähren  muß.  Hypothetisch 
, —  d.  Ii.  wenn  kein  anderes  Hindernis  der  Menschenvermehrung  in 
den  Weg  tritt  —  scheint  mir  jedoch  sein  Satz,  daß  die  Bevölkerung 
in  geometrischer  Progression  (2.  4.  8.  16.  32.  usw.),  die  Produktion  nur 
in  arithmetischer  (2. 3.  4.  5.  6.  usw.)  fortschreiten  könne,  —  seine 
Richtigkeit  zu  haben,  ungeachtet  solcher  von  mehreren  neueren  Schrift- 
stellern für  ganz  unbegründet  erklärt  wird.  Aber  sein  Endresultat 
liegt  in  unabsehbarer  Ferne,  zumal  wenn  wir  die  Nationen  als  ein 
Menschengeschlecht  und  die  Oberfläche  des  Erdballes  als  sein  Eigen- 
tum betrachten."^) 


vgl.  Thaer,  Annaleii  des  Ackerb.  Bd.  4  1806  S.  43-44.  ' 
•-)  Ibid.  S.  44. 

vgl.  AugustOncken,  Geschichte  der  Nationalökonomie  I  S.  380. 
^)  vgl.  Thaers  Besprechung  über  L.Krugs  „Beobachtungen,  den 
Xationalreichtum  des  preußischen  Staates  usw."  in  Ann.  des  Ackefb.  Bd.  2 
1805  S.  125. 

■')^  vgl.  Thaers  Aufsatz:  Ansicht  unserer  Zeit  in  be/ug  auf  das  landwirt- 
schaftliche Gewerbe  in  den  Möglinschen  Annalen  der  Landwirtschaft 
Hd.  13  S.  101,  Herlin  1824. 


Wie  man  sieht,  geht  Thaer  hier  wiederum  mit  Malthus  zu- 
sammen, er  stimmt  Malthus  zu,  daß  die  Produktion  die  Bevölkerung 
bedinge,  aber  sein  ,. Endresultat"  ist  nicht  ganz  das  Malthussche. 
Die  Gefahr  der  Übervölkerung  ist  und  bleibt  bestehen,  doch  liegt 
dieselbe  in  so  weiter  Ferne,  daß  man  jetzt  noch  keine  Angst  zu 
haben  braucht. 

Interessant  ist  es  immerhin,  daß  gerade  der  Mann,  welcher  der 
deutschen  Landwirtschaft  die  Wege  zu  einer  gewaltigen  Steigerung 
der  Produktion  gezeigt  hat.  die  Möglichkeit  zugesteht,  daß  die 
Steigerung  der  Produktion  in  Proportion  der  Vermehrung  der  Menschen 
einmal  ein  Ende  habe. 

Thaer  hat  die  weitere  Malthussche  Konsequenz  nicht  gezogen, 
d.  h.  dem  Menschen  das  Recht  auf  Existenz  nicht  bestritten;  darüber 
hat  Thaer  sich  gar  niclit  ausgelassen.  Die  Bemühungen,  bezüglich 
dieses  Punktes  bei  ihm  Aufschluß  zu  finden,  waren  vergeblich.  Wir 
dürfen  wohl  annehmen,  daß  Thaer  in  dieser  Beziehung  Malthus  nicht 
folgen  würde,  weil  er  sich,  wie  früher  angeführt  wurde,  gegen  ähn- 
liches scharf  ausgesprochen  hat,  indem  er  sagte,  man  rate,  den 
Menschen,   anstatt  ihm  Nahrung  zu  verschaffen,    sterben  zu  lassen. 


Spezialdruckerei  für  Dissertationen,  Robert  Noske,  Borna-Leipzig. 


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