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ZUR ERLANGUNG DER DOKTORWÜRDE DER HOHEN
PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT BERN
VORGELEGT VON
AUGUST WERTH
AUS SIEGBURG
BORNA-LEIPZIG
BUCHDRUCKEREI ROBERT NOSKE
1905.
VON DER PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT AUF ANTRAG
DES HERRN PROF. ONCKEN ANGENOMMEN.
BERN, DEN 19. JULI 1904.
DER DEKAN:
PROF. DR. CARL FRIEDHEIM.
MEINER MUTTER
GEWIDMET
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Kapitel
II. Kapitel ;
III. Kapitel :
IV. Kapitel
V. Kapitel:
VI. Kapitel;
VII. Kapitel:
VIII. Kapitel
Seite
1
Albrecht Thaer und die Physiokraten in landwirtschaftlich-
technischer Hinsicht 8
Zusatz: Die landwirtschaftlichen Ideen Patullos in
ihrer Ähnlichkeit mit denen Thaers 17
Thaers nationalökonomische Grundsätze in seinem „Leit-
faden zur allgemeinen landwirtschaftHchen Gewerbslehre" 22
Thaers Stellung zu Klein- und Großgrundbesitz ... 28
Thaers Getreidepohtik 37
Thaers Ansichten über die Grundrente 49
Albrecht Thaer und Johann Heinrich von Thünen . . 55
Adam Müller und Albrecht Thaer 70
Thaers Stellung zu den Hauptsystemen der französischen
und englischen Nationalökonomie seiner Tage .... 81
a) zu den Physiokraten 82
b) zu Adam Smith 92
c) zu Robert Malthus 99
Einleitung.
,, Nicht ruhen soll der Erdenkloß,
Am wenigsten der Mann ! — "
Goethe an Thaer, —
Bei seinem goldenen Doktor- Jubiläum am 16. Mai 1824 wurde
Thaer von Goethe in einem Gedichte gefeiert, das in kurzer Prägnanz
den geistigen Entwicklungsgang von Tliaers landwirtschaftlichen Ideen
zum Ausdruck bringt. Das Lied schließt:
,, Gewiß, ihr fragt nicht, wie Er heißt,
Sein Name lebe fort!"
Das Goethewort ist in Erfüllung gegangen, Thaers Name lebt
und wird leben, solange es eine Wissenschaft des Landbaues gibt.
Die Urkunde, die man in das Fundament des 1843 zu Leipzig
errichteten Thaerdenkmals gelegt, zeugt in lebendiger Weise vom
Wirken des landwirtschaftlichen Reformators. Hier ihre Worte :
„Alb. Thaer, geboren den 14. Mai 1752 zu Celle, gestorben
den 26. Oktober 1828 zu Möglin, Doktor der Heilkunde, könighch
preuß. Staatsrat im Ministerium des Innern, Stifter der landwirt-
schaftlichen Anstalt zu Celle, Begründer und Leiter der Akademie
des Landbaues zu Möglin, Ritter mehrerer Orden, Verfasser zahlreicher
höchst bedeutungsvoller Schriften und Abhandlungen über Heilkunde,
Naturwissenschaften, Landwirtschaft, dem Begründer der Landwirt-
schaftslehre, Förderer der Wechselwirtschaft, des Kartoffelbaues, der
Schafzucht, dem tapfern, siegreichen Vorkämpfer für Freiheit des
landwirtschaftlichen Gewerblebens, dem Ausstreuer fruchtbaren Samens
zur mannigfaltigen Verbreitung von Wohlstand und Bildung, dem
tiefen, dem scharfen Denker, dem kühnen, dem großartigen Schöpfer,
dem ruhmgekrönten Vollbringer, dem anerkannten Muster deutscher
Schreibart, dem unendlich Verdienten, Deutschlands hoher Zier,
Deutschlands gerechtem Stolze, Ihm, dem Großen setzt im Geiste
deutscher Einheit zu Leipzig, im Mittelpunkte Deutschlands, an der
Geburtsstätte der deutschen Jahresversammlung dieses eherne Denk-
mal die Wandergesellschaft deutscher Land- und Forstwirte.
Leipzig am 9. September 1843."
— 2 —
Wenn wir das Wirken und die Verdienste Thaers recht
schätzen und beurteilen wollen, so ist es unbedingt erforderlich, einen
Blick auf den damaligen Stand der Landwirtschaft sowohl, wie nicht
minder auf die wirtschaftliche Lage der Stätte, wo Thaer wirkte,
zu werfen.
Was die Landwirtschaft als Wissenschaft anbelangt, wenn wir
überhaupt von einer solchen vor Thaer sprechen können, so haben
wir drei Schulen zu unterscheiden, die der landwirtschaftlichen
Kameralisten, der Empiriker und endUch die Schule, die
Thaer begründete, die der Rationellen.
Die kameralistische Schule hat für die Wissenschaft der Land-
wirtschaft äußerst wenig geleistet, ihre Erfolge liegen hauptsächlich
auf agrarisch-legislativem Gebiete; sie hat den künftigen Agrar-
reformen den Weg gebahnt.
Weit mehr Verdienste für die praktische und wissenschaftliche
Landwirtschaft hat die Schule der Empiriker. Thaer selbst sagt,
daß die Werke von Hagedorn, Ekhart und Leopold zu den
immer noch (1807) brauchbaren Werken gehörten.
Auf der Basis des bereits Gegebenen konnte Thaer aufbauen,
und was immer er auch Neues gegeben, sein Hauptverdienst beruht
doch darin, daß er das bereits Gegebene und das von ihm selbst
neu Geschaffene wissenschaftlich begründete, und die
deutsche Landwirtschaft in rationelle Bahnen lenkte. Daß
ihm hauptsächlich das letzere gelingen konnte, daß er in Wirklichkeit der
Reformator der deutschen Landwirtschaft werden konnte,
verdankt er neben seinem Genie zum Teil auch den ihm zu Hilfe
kommenden Verhältnissen. Anfangs hatte er allerdings gegen die-
selben zu kämpfen, und er tat es mit Mut und Begeisterung. Durch
die französische Revolution war eine Gärung im Wirtschafts- und
politischen Leben eingetreten, ein frischer Zug machte sich auf allen
Gebieten desselben bemerkbar, neues Leben begann allenthalben zu
keimen. Zwar war in dem Teile Deutschlands, wo Thaer schaffte,
außer der gesteigerten Nachfrage nach den Produkten des Ackerbaues
anfangs noch wenig von dem Vorerwähnten zu merken, es bedurfte
noch vieler Arbeit, um wenigstens einen Teil der besseren Ideen auch
in Nordostdeutschland zur Tat werden zu lassen. Thaer hat regen
Anteil an dieser Arbeit. Eine Mitteilung Körtes ist geeignet, sowohl
Thaers Standpunkt zu beleuchten, als auch ein Schlaglicht auf die
ganze damalige Situation zu werfen. Es heißt' in der Thaer-
biographie :
„Als einige Jahre nachher die französische Revolution ausge-
brochen war, und anfänglich aucli ihn (Thaer), wie alle edler denken-
den Zeitgenossen, für ihre erhabenen Tendenzen mit Leidenschaft
einnahm, ward ihm im hannö verschen Lande der Spitzname eines
Demokraten und Jakobiners umsomehr beigelegt, da er den Grund-
satz der Menschenrechte aufs lebhafteste verteidigte, von dem Riesen-
— 3 —
kämpfe für Freiheit der Völker die wohltätigsten Früchte erwartend.
Der Gedanke an Aufhebung aller Fronen, an die Befreiung der
Bauern von den feudalen Fesseln begeisterte ihn über alles." ^)
Der letzte Gedanke ist in der Tat ein Leitmotiv von Thaers
ganzer Tätigkeit gewesen, denn er sah selir wohl ein und betonte
es allenthalben, daß nur eine von allen Fesseln befreite Landwirt-
schaft nach seinen Ideen wirtschaften könne. Doch gleichzeitig be-
tonte er nicht minder, daß die Befreiung nur „ohne jemandes
Gefährde" und mit gerechter Entschädigung der durch die
Befreiung wirtschaftlich Benachteiligten geschehen dürfe. Und hierin
unterscheidet sich Thaer von andern, insbesondere von der Art der
Befreiung der Landwirtschaft in der französischen Revolution, die
in der Versammlung vom 11. Oktober 1791 ohne jegliche Entschädi-
gung den Zehnten abschaffte, Die Ansicht Thaers waltete auch in
der späteren preußischen Agrarreform unter Stein und Hardenberg
vor. Doch wie sah es zu Beginn der Tätigkeit Thaers in der
deutschen Landwirtschaft aus? Frondienste, Hand- und Spann-
dienste, kurz alle Phasen der Leibeigenschaft, der Zehnte, die Un-
freiheit des bäuerlichen Landes, die unzähligen Formalien und Be-
dingungen des Pachtes und Besitzes, die Gemeinheiten, der Flur-
zwang, alles in allem ein übermächtiger Hemmschuh, hinderte das
Emporkommen einer besseren, vernunftgemäßen Bewirtschaftung des
Bodens. Mit Handel und Gewerbe stand es mancherorts nicht viel
besser. In diese schwüle, stagnierende Atmosphäre kam nun ein
frischerer Zug. Doch das nationale Unglück mußte erst über Deutsch-
land hereinbrechen, um aus demselben heraus Freiheit und Wohl-
stand des Volkes zu gebären; dann allerdings ging es vorwärts auf
allen Linien, hier schneller, dort langsamer, und die Landwirtschaft
blieb nicht zurück. Eine große Nachfrage nach den Produkten des
Landbaues entstand. Die vielen Kriege vermehrten diese Nachfrage
noch, die Kontinentalsperre begünstigte den Anbau von Handels-,
gewächsen, und manche landwirtschaftliche Industrie verdankt dieser
Sperre ihre Entstehung. Das Aufblühen der Industrie stand wieder
in günstiger Wechselwirkung zur Landwirtschaft. Die entfesselten
Gewerbsinteressen rissen auch die Landwirtschaft mit sich fort;
dann kamen die mannigfachen Agrarreformen, die eine freie, indi-
viduelle Tätigkeit auf dem Gebiete der Landwirtschaft ermöglichten,
und mit einem Führer wie Thaer an der Spitze durfte sie den
Kampf auf wirtschaftlichem Gebiete aufnehmen. Die Ideen Thaers
fanden jetzt den geeigneten Boden und konnten wachsen und auf-
blühen zum Wohle der gesamten deutschen Nation.
Durch Thaer und vollends durch L i e b i g wurde die Land-
wirtschaft das, wozu sie mit unabwendbarer Notwendigkeit kommen
1) Bei Wilhelm Körte, Albrecht Thaer, Leipzig, 1839 S. 55.
— 4 —
mußte, wenn sie nicht gänzlich zugrunde gehen sollte, sie wurde
ein Gewerbe, wie jedes andere.
Immer wieder hatte Thaer es betont, daß die Landwirtschaft
ein Gewerbe sei, und als solches mit Kapital und intensiver Arbeit
betrieben werden müsse. Weil Thaer aber die Landwirtschaft als
Gewerbe betrachtete, war er geradezu auf die Nationalökonomie an-
gewiesen ; wie weit er aber Nationalökonom war, soll in nachfolgen-
der Arbeit zu zeigen versucht werden.
Was Thaer als Landwirt geleistet hat, kann hier nicht aus-
führlich dargelegt werden; nur eine knappe Orientierung, wie sie
zum Verständnis des Ganzen nötig ist, sei zunächst gegeben.
Ähnlich wie die politische Lage Deutschlands zu Ende des 18.
und zu Anfang des 19. Jahrhunderts war auch die ökonomische
bezw. landwirtschaftliche Lage. Dieselbe Zerfahrenheit, Uneinigkeit
und daraus resultierende Schwäche, die man bei jener findet, zeigt
sich auch in dieser. Was Thaer auch immer geschaffen hat, sein
Hauptverdienst wird, neben der Erfindung der Statik, die
Vereinigung aller bisher gefundenen und seiner eigenen Resultate
in Wissenschaft und Praxis des Landbaues zu einem einheit-
lichen Ganzen, zu einem vollkommenen Lehrgebäude,
und dessen wissenschaftliche Begründung sein, ferner die
allgemeine Verbreitung seiner, zum Teil nicht neuen, aber
neu ans Licht gebrachten und so geradezu wieder geborenen Ideen
und Lehren der Landwirtschaft. Das ist eben, wie schon gesagt,
das Hauptverdienst Thaers," in klarer, leicht verständlicher, zu-
sammengefaßter Darstellung Altes und Neues, Eigenes mit wissen-
schaftlicher Begründung dem deutschen Landwirt dargeboten zu
haben. Auf Grund dieser Darstellung konnte sich die bessere,
rationelle Ausübung der Landwirtschaft überallhin, wo es not tat,
verbreiten; dem Bauer kam es zum Bewußtsein, was er an seinem
• Acker habe, was er aus demselben machen könne.
Wollen wir auf das, was Thaer geschaffen, eingehen, so haben
wir zuerst der Fruchtwechselwirtschaft zu gedenken.
Wenn auch Fruchtwechselwirtschaft in mancherlei Form schon
vor Thaer in verschiedenen Gegenden Deutschlands getrieben wurde,
insbesondere in den höher kultivierten w^estlichen und südlichen Ge-
bieten, wie an Rhein und Mosel, im Elsaß und besonders im be-
nachbarten Belgien und weiter in England, so ist doch als der
eigentliche Begründer, gewissermaßen als der Vater dieses Systems,
Thaer anzusehen, denn der großen Allgemeinheit der deutschen
Landwirte war diese Wirtschaftsart fremd. Erst als Thaer den
vielen Variationen der Fruclitwechselwirtschaft eine einheitliche,
systematische Gestalt gegeben und ihr seine empfehlende Stimme
mit auf den Weg gab, fand die Fruchtwechselwirtschait allgemeine
Anerkennung und Verbreitung.
— 5 —
Was die Fruchtwechsel Wirtschaft für den Landwirt
und den Nationalökonom bedeutet, zeigt die gesteigerte Produktion
an Landbauerzeugnissen, die bei Einführung des neuen Systems
möglich wurde. Während vorher bei der fast allgemein üblichen
Dreifelderwirtschaft der Boden jedes dritte Jahr unbenutzt
brach liegen mußte, braucht der Boden bei der Wechselwirtschaft
überhaupt nicht zu ruhen. Durch Einschiebung einer Blattfrucht
zwischen zwei Halmfrüchte und zweckmäßige Düngung und Be-
arbeitung kann von demselben Acker alljährlich eine Ernte gewonnen
werden. Die eingeschobenen Blatt- oder Wurzelgewächse gewähren
zweierlei Vorteile, sie lassen den Boden in einem vorzüglichen physi-
kalischen Zustande zurück und geben ferner eine solche Menge
Futterstoffe für das A^ieh, daß eine wichtige Wirtschaftsweise, die
früher nur den Besitzern ausgedehnter Wiesen möglich war, jetzt
allgemein einführbar wurde, nämlich die Stallfütterung. Durch diese
wurde sowohl eine ausgedehntere Viehhaltung, als auch eine größere
Düngererzeugung möglich. Die größere Düngererzeugung hatte hin-
wiederum Verbesserung des Ackers und ertragreichere Ernten zur
Folge. Unter den Blattfrüchten usw. stand den Landwirten eine
große Auswahl zur Verfügung. Es seien hier nur 2 Arten erwähnt
die neben ihrer Verwendung als menschliche Nahrungsmittel und
als Futter für das Vieh auch zum mächtigen Aufblühen zweier
Industriezweige geführt haben, die Kartoffel und die Zuckerrübe,
erstere für Spiritus-, letztere für Zuckerindustrie. Ferner konnten;
bei Fruchtwechselwirtschaft alle Arten von Handelsgewächsen
angebaut werden.
Daß mit dem Aufblühen der Viehzucht eine erhöhte Erzeugung
von tierischen Produkten und damit die Verstärkung einer wichtigen
Erwerbsquelle für den Landwirt Hand in Hand ging, bedarf wohl
keiner näheren Erwähnung. ^) Dieser ganze Zweig der Landwirtschaft
nahm durch die Reformen Thaers einen erhöhten Aufschwung. Ganz
besonders ist es die Schafzucht, die Thaer eine gewaltige För-
derung verdankt. Er gilt als der Meister dieser Epoche der Tier-
zucht, inslaesondere der ,, edlen Schafzucht '^ der Rassenveredlung.
Auch um den Wiesenbau, der zur Tierzucht ja unumgänglich
nötig ist, hat Thaer hervorragende Verdienste. Ein erneuerter Auf-
schwung begann mit ihm in der Kultur der Wiesen.
Der Kart off elb au , einer der Hauptfaktoren unserer heutigen
Landwirtschaft, verdankt Thaer eine solche Förderung, daß man ihm
^) Die Bedeutung der Schafzucht für damals schon kann man daraus
ermessen, daß, nachdem Thaer die Schafzucht in die Höhe gebracht hatte,
im Jahre 1820 in Preußen außer der von Handwerkern, wie Kürschner,
Posamentierer, Hutmacher, Strumpfwirker usw. verbrauchten Wolle noch
18200000 Pfund Wolle auf den Webstuhl kamen. Der Gesamtwert der
daraus hergestellten Tuchfabrikate betrug 30 MilUonen Taler (s. Körte:
Albrecht Thaer, Leipzig 1839, S. 226). Nicht mit Unrecht nannte man Thaer
den Wollmarktskönig.
— 6 —
häufig eine zu starke Betonung dieses Zweiges der Landwirtschaft
zum Vorwurf machte.
Dem landwirtschaftlichen Gerätewesen widmete Thaer be-
sondere Sorgfalt, denn wie wäre eine intensive Kultur möglich ohne
zweckmäßige Gerätschaften. Thaer gebührt das Verdienst, durch
Abbildung, Beschreibung und Empfehlung von praktischen Maschinen
der Landwirtschaft auch hierin die nötige Unterstützung gegeben zu
haben. ^)
Wie Thaer auf den meisten Gebieten bahnbrechend vorging, so
auch auf dem des land wirtschaf tlicheen Unterrichtswesens
und der periodisch erscheinenden Landwirtschaftsliteratur.
Unermüdlich betonte er die Notwendigkeit landwirtschaftlicher Unter-
richtsanstalten, Ja in den ländlichen Volksschulen verlangte er geradezu
Pflege des Landwirtschaftsunterrichts neben dem eigentlichen Unter-
richte. Schon 1802 unterhielt er eine landwirtschaftliche Lehranstalt
zu Celle, zu deren Schülern u. a. auch J. H. von Thünen gehörte.
Dieser Anstalt folgte 1806 die von Thaer gegründete Akademie
des Landbaues zu Möglin, der ersten höheren Lehranstalt für
Landwirtschaft. Von der Gründung landwirtschaftlicher Zeitschriften
spricht Thaer schon frühe. In seiner ,, Einleitung zur Kenntnis
der englischen Landwirtschaft", 1798, fordert er zur Schaffung
von Zeitschriften nach Art der Youngschen ,,Annalen des Acker-
baues" auf. Schon 1799 erschienen Thaers ,,Annalen der
niedersächsischen Landwirtschaft", die er bis 1804 fortsetzte.
Diesen folgten ,, Vermischte landwirtschaftliche Schriften"
bis 1806, von 1805 — 1810 ,,Annalen des Ackerbaues", 6 Jahr-
gänge in 12 Bänden; sie wurden abgelöst von den ,,Annalen der
Fortschritte der Landwirtschaft in Theorie und Praxis",
1811 — 1812, 4 Bände, denen dann die größte landwirtschaftliche
Zeitschrift Thaers, die ,,Möglinschen Annalen der Landwirt-
schaft", folgten und die er bis 1823 selbst redigierte; ein Augen-
leiden zwang ihn, die Redaktion an seinen Schwiegersohn zu über-
tragen.
Alle bisher geschilderten Fortschritte und alle Aufklärung in
bezug auf die Landwirtschaft würden sehr wenig oder gar nichts
genützt haben, wenn nicht die hemmenden Schranken der bäuer-
lichen Unfreiheit gefallen wären. Das sah Thaer nur zu wohl ein,
und so trat er mit allem seinem Einfluß für die Befreiung der
Landwirtschaft von den einengenden, ihren Fortschritt lähmenden
Fesseln ein.
Es bleibt uns noch einer Errungenschaft Thaers zu gedenken,
die als wichtigste für uns hier in Betracht kommt, nämlich seine
Lehre von der Statik des Ackerbaues, durch die er die Land-
1) Es sei nur an Thaers „Abbildung und Beschreibung der nützUchsten
Ackergerätschaften" erinnert. Hannover 1803—1806.
— 7 —
Wirtschaft in Wirklichkeit als einen Zweig der Nationalökonomie
aufgestellt hat. Durch die Statik, oder die Lehre vom Ersatz der
dem Boden durch die Ernte entnommenen Stoffe wurde die Land-
wirtschaft ein Gewerbe, ein Faktor in der Berechnung des wirt-
schafthchen Lebens.
Über das Wesen der Statik sei kurz folgendes bemerkt. Während
man vor Thaer über Pflanzenernährung noch teilweise ganz naiven
Anschauungen huldigte, es sei nur an Tull und seine Methode der
feinsten Zermalmung der Erdpartikelchen, welche alle Düngung er-
setzen sollte, erinnert, wies Thaer auf den Wert und die Notwendig-
keit der organischen Düngung hin. Durch jede Ernte wird dem
Boden ein Teil der Nahrungsstoffe entzogen, diese müssen unbedingt
ersetzt werden, wenn der Acker nicht dauernd erschöpft werden
soll. Thaer glaubte den Ersatz durch den im tierischen Dünger
enthaltenen Humusstoff vollständig leisten zu können; er gibt
zwar zu, daß die Pflanze auch andere Stoffe zu ihrem Aufbau ver-
werte, doch legt er diesen nicht entfernt die Wichtigkeit bei, wie
dem Humus. ^) Doch kommt es hier für uns nicht so sehr darauf
an, wie der Ersatz zu geschehen habe, sondern daß vollkommener
Ersatz geleistet werden müsse, und dies ist das Moment, wo-
durch Thaer die Landwirtschaft als Gewerbe in die Nationalökonomie
eingeführt hat ; genau soviel wiedergeben als man nimmt, eine voll-
kommen gewerbliche Berechnung. ^)
Doch nicht immer hat Thaer diesen Standpunkt der möglichen
vollkommenen Erschöpfung des Bodens durch die Ernten vertreten.
In dem 1809 erschienenen 1. Bande seiner ,, Grundsätze usw." spricht
er von einer nach der Rotation von Ernten zurückbleibenden
, »nährenden Kraft des Bodens", die selten oder nie so gering sei,
daß sie nicht noch etwas hervorbringen könnte. Diese nährende
Kraft nennt er die ,, natürliche Kraft des Bodens", und diese
Annahme der restierenden ,, natürlichen" Kraft stellt Thaer auf den
Standpunkt der Physiokraten^), deren ,,don de la nature"
gleichbedeutend mit der Thaerschen ,, natürlichen Kraft des
Bodens" ist; selbst bis auf die Benennung geht die Übereinstimmung.
Allerdings hat Thaer seine Meinung in dieser Beziehung später
geändert.^) Da nun auch von Thaer das physiokratische
Prinzip des Reinertrages an die Spitze der Landwirtschaft gestellt
wurde, so dürfte es nicht uninteressant sein, den Beziehungen Thaers
zu den landwirtschaftlichen Ansichten Quesnays, des Stifters der
physiokratischen Doktrin, etwas näher zu treten, zumal da manche
Anschauungen Quesnays mit denen Thaers parallel laufen.
^) s. hierüber: Thaer, „Grundsätze d. rat. Landw." 1. Aufl. Bd. 1
§§ 248, 249, Berlin 1809.
2) Thaer, Leitfaden zur landwirt. Gewerbslehre, Berlin, 2. unverän-
derte Auflage §§ 178, 179—187.
2) Aug. Oncken, Entstehen u. Werden der physiokrat. Theorie S. 62.
4) Thaer, Gewerbslehre §§ 178, 179, 182.
Albrecht Thaer und die Physiokraten
in landwirtschaftlich -technischer Hinsicht.
Der Hauptgedanke der agrikulturtechnischen Anschauungen
Quesnays ist folgender^): ,,An Stelle der in Frankreich fast aus-
schließlich herrschenden Kleinpaclit (metayage) mit den Gewöhnungen
der Naturalherrschaft, welche den Bauer zu ewiger Armut verdamme,
gelte es, die in England übliche Großpacht (fermage) einzuführen, wo
der Landbau ein freies Handelsgewerbe ist, das auf Gewinn abzielt,
und wodurch allein bewirkt werden könne, daß dem Grundeigen-
tümer eine angemessene Rente zuteil wird. Mit dieser doppelten
Verfassung des Landbaues ist auch eine doppelte Kulturbetätigung
verknüpft, nämlich die sogenannte ,grande culture* einerseits, welche
mit Pferden wirtschaftet, und die ,petite culture' anderseits, welche
sich der Ochsen als Arbeitstiere bedient." Mit andern Worten:
Quesnay verlangt intensiven Großbetrieb nach Art industrieller Unter-
nehmungen für die Landwirtschaft, Betrieb mit großem Aufwand von
Arbeit und Kapital auf- ausgedehnten Gütern.
Für die ,,grande culture" sind nun nach Quesnay bedeutend
größere Kapitalien nötig, als für die ,,petite culture", weshalb der
Staat sein vornehmstes Augenmerk auf die Vermehrung der Betriebs-
kapitalien, ,,richesses d'exploitation", richten müsse. Um Großbetrieb
einführen und pflegen zu können, verlangt Quesnay die Zusammen-
legung der kleinen Landgüter zu großen.^)
Diese Ansichten Quesnays decken sich zum Teil mit den Aus-
führungen Thaers. Die Forderung nach Großbetrieb stellte auch
Thaer im Anfange seiner wissenschaftlichen Laufbahn, später stand
er auf einem relativen Standpunkte.'^) Er vergleicht die Land-
wirtschaft mit den Fabriken, wo Großbetrieb auch lohnender sei,
als Kleinbetrieb, insbesondere lasse sich die mehr Gewinn bringende
^) Aug. Oncken, Entstehen und Werden der physio-
kratischen Theorie S. 17. Sonderabdruck aus der „Vierteljahrsschr.
für Staats- u. Volkswirtsch. usw." von K. Frankenstein; alle hier angeführten
Zitate, die physiokratischen Anschauungen betreffend, sind Jenem vorge-
nannten Werke und der ,,Geschichte der Nationalökonomie" des-
selben Verfassers entnommen.
"^j Oncken, Enstehen u. Werden S. 19.
'■^) Es sei in dieser Beziehung auf das besondere Kapitel ,, Thaers
Stellung zu Klein- und Großgrundbesitz" verwiesen.
— 9 —
Arbeitsteilung bei ersterer Art in größerem Umfange einführen.
„Bei der Landwirtschaft aber, zumal wenn sie ihr Material, d. h.
ihren Grund und Boden, aufs höchste benutzen will, sind Arbeiten
und Handgriffe so verschieden und erfordern, wenn sie geschickt
ausgeübt werden sollen, eine solche Übung, wie bei irgend einer
Fabrik. Daher hat die große Wirtschaft eben die Vorteile, wie die
große Fabrik vor der kleinen." Benutzung zweckmäßiger Werkzeuge
und Maschinen sei dem großen Landwirt eher möglich als dem
kleinen, das für die Maschinen aufgewendete Kapital bezahle sich
dem ersteren durch Arbeitsersparung und höheren Reinertrag bald
wieder, während der kleine Wirt die Maschinen zu wenig gebrauche,
wenn er auch das Kapital dafür aufwenden könne. ^)
Vor allem aber verlangt Thaer hinreichende Kapitalien und
intensive Arbeit für die Landwirtschaft, dies seien neben dem Boden
und der Intelligenz die ausschlaggebenden Faktoren im rationellen
landwirtschaftlichen Betriebe.^) Also mit Ausnahme der Intelligenz
ganz dieselben Forderungen, die Quesnay stellt.
Die Notwendigkeit größerer Betriebskapitalien für die Land-
wirtschaft, die Quesnay betont, wird von Thaer in den ,, Grundsätzen
der rationellen Landwirtschaft" auf das bestimmteste hervorgehoben.
Es heißt dort^) : ,, Nächst der Fähigkeit des die Landwirtschaft be-
treibenden Subjekts ist das Kapital die wesentlichste Bedingung des
Betriebes ; denn der Vorteil und Erfolg steht bei gleichen Talenten
des Betreibenden immer im Verhältnis mit dem dazu angelegten
Kapital. Deshalb ist auch nächst der Unfähigkeit der Subjekte der
Mangel des in die Landwirtschaft belegten Kapitals der Hauptgrund
ihrer UnvoUkommenheit gewesen." Jede Erleichterung in der Er-
langung des Kapitals würde den Zustand der Landwirtschaft am
sichersten heben, eine höhere Produktion und dadurch Überfluß und
Wohlfeilheit der Produkte bewirkt werden.^)
Da Quesnay und Thaer beide so sehr die Notwendigkeit
größerer Kapitalien für die Landwirtschaft betonen, so dürfte die
Frage wohl am Platze sein, was denn beide unter landwirtschaft-
lichem Kapital verstehen. Es ergibt sich bei Prüfung beider An-
sichten eine merkwürdige Übereinstimmung.
Bekanntlich unterschied der Stifter der Physiokratie drei Haupt-
klassen der Bevölkerung, ^) nach Art ihres Besitzes und ihrer daran
geknüpften Berufstätigkeit; eine vierte, besitzlose Schicht kommt nur
durch ihre Arbeit und Konsumtion in Betracht. Die sozial am
höchsten stehende Klasse ist nach Quesnay die Klasse der Grund-
^) Thaer, Einleitung zur Kenntnis der engl. Landwirtschaft I, 85 — 87.
2) Thaer, Gewerbslehre § 7.
^) Grundsätze usw. I, 464.
*) Thaer, Grunds. § 51 Bd. 1.
^) vgl. hierzu Aug. Oncken, Geschichte der Natiönalökonomie, Leipzig
1902, S. 360.
— 10 —
besitzer, classe des proprietaires, classe disponible; diese habe eine
doppelte Lebensaufgabe, eine politische und eine soziale. In ihre
soziale Aufgabe fällt der Ackerbau, den sie (die Grundbesitzer) zwar
nicht selbständig betreiben (sie verpachten ihren Grundbesitz), wohl
aber durch Hergabe des Grund und Bodens, den ßie urbar gemacht
und Gebäude darauf errichtet haben, sowie durch Ausführung von
Meliorationen und Korrektion der Bewässerungsverhältnisse usw.
mittelbar betreiben und im Stand halten. Es ist die „höhere
Administration", der sie obliegen, während der Pächter den An-
bau des Bodens besorgt. Ohne diese erheblichen Grundauslagen,
die ,,depenses foncieres" wäre Ackerbau nicht möglich.
Was Quesnay hier ,,depenses foncieres" nennt, ist
nichts anderes als das Thaersche ,,Gr un dkapit al". ^) Thaer
definiert das Grundkapital als solches, wodurch der Landwirt sich
in den Besitz des Grund und Bodens setzt, die Wirtschaftsgebäude
errichtet, Meliorationen ausführt usw.
Weiterhin gliedert Quesnay das landwirtschaftliche Kapital-) in
,,richesses d'exploitation de la culture du cru", als das Kapital,
von dem der eigentliche Umtrieb in der Landwirtschaft, die Pro-
duktion in Gang gesetzt wird. Diesen Teil des Landwirtschafts-
kapitals haben die Pächter zu stellen, und von der Höhe desselben
hängt die Intensität des Betriebes ab. Auf die besondere Stärkung
dieser Kapitalsart habe der Staatsmann sein besonderes Augenmerk
zu richten. Quesnay teilt diese Kapitalskategorie in zwei Ab-
teilungen, in die ,,avances primitives" und die ,,avances annuelles".
Aus den ersteren werden die dauernden Betriebsmittel, wie Maschinen,
Geräte, Vieh usw. unterhalten, die letzteren dienen zur Beschaffung
des Saatgutes und Bestreitung des Arbeitslohnes.
Diese beiden Teile der ,,richesses d' expl oitations"
entsprechen genau dem Thaerschen stehenden, und dem um-
laufenden oder Betriebskapital.^) Die ,,avances primi-
tives" sind das stehende Kapital oder Inventarium Thaers,
wovon das Zug- und Nutzvieh, die Ackergeräte und das Geschirre
bestritten werden sollen, während die ,,avances annuelles" dem
„umlaufenden" oder „Betriebskapital" Thaers entsprechen.
Mit dem umlaufenden Kapital sollen das Gesinde, die Arbeiter,
die anzukaufenden Bedürfnisse, Saatgut, Mastvieh usw. bestritten
werden. Wie man sieht, besteht in den Anschauungen Thaers
und Quesnays vollkommene Übereinstimmung. Nur was die Ver-
zinsung dieser Kapitalien anbelangt, tritt ein kleiner Unterschied zu-
tage, und zwar in der Weise, daß Thaer die beiden letzten Kapitals-
arten höher verzinst wissen will, als Quesnay.
^) Thaer, Grunds, usw. I § 49.
2) Oncken, Geschichte d. Nat.-Ökon. S. 362.
3) Thaer, Grunds. I § 50.
— 11 —
Quesnay verlangt in seinem Artikel ,,Grains"^) zum pro-
duktiveren Betriebe die Zusammenlegung der kleinen Güter zu großen
Pachtungen (grosses fermes). Thaer ist hierin derselben Ansicht,
doch drückt er sich vorsichtiger aus. Er will nicht gerade direkte
Einziehung der kleinen Bauerngüter zu größeren Wirtschaften, ein
Eingriff ins Eigentum dürfe nicht geschehen, Recht und Eigentum
müsse geschützt bleiben. ,,Ich glaube aber ebensowenig," fährt er
dann fort, ,,daß man dem Laufe der Dinge wehren müsse, wenn die
Zusammenziehung nach Recht und Billigkeit erfolgen kann
Dann wird von selbst diejenige Verteilung des Grundes und Bodens
erfolgen, welche nach Zeit und Ortsverhältnissen in Rücksicht auf
Produktion, Nationalreichtum und Bevölkerung die vorteilhafteste ist."'-^)
In dem Artikel ,,Fermiers" ^) beschreibt Quesnay die beiden
Kulturarten ,,avec des cheveux" und ,,avec des boeufs" näher.
Die Landgüter, die mit Pferden bewirtschaftet würden, (,,grande
culture") seien in 3 Felder oder Schläge eingeteilt. Das erste Drittel
werde mit Korn, das zweite mit Hafer bestellt, das dritte verbleibe
in Brache. Die Bebauung mit Hilfe von Ochsen (,,petite culture")
zerfalle bloß in 2 Schläge, wovon der eine mit Korn besät, der
andere gebracht wird. Wenig Hafer und sonstige Sommerfrüchte
werden bei dieser Bebauungsart gesät, man bedarf derselben zur
Nahrung der Ochsen nicht, diese suchen sich ihr Futter selbst auf
der Weide. In 6 Jahren erhält man hier 3 Ernten Korn, 3 Jahre
erntet man nichts, wogegen man bei der ,,grande culture" zwar
nur 2 Ernten Korn in 6 Jahren, dafür aber noch 2 Ernten Sommer-
frucht erhalte, die Brache nimmt nur 2 Jahre in Anspruch.
Diese beiden von Quesnay beschriebenen Betriebssysteme sind
höchst extensiv, und er würde, wenn er sich auf diese beschränkt
hätte, im Gegensatz zu Thaer und der damals schon weiter vor-
geschrittenen Landwirtschaft gestanden haben. Doch Quesnay bleibt
hier nicht stehen. Da er die Landwirtschaft nicht allein zum Zwecke
des Getreidebaues betrieben sehen will, sondern auch die Viehzucht
zum Zwecke der Fleisch- und Milchproduktion gebührend berück-
sichtigt. Ja sogar der Getreideproduktion als ebenbürtig zur Seite
gestellt wissen will, so wird er geradezu zu einer Erweiterung seiner
vorher beschriebenen Systeme gedrängt. Denn bei dem bloßen Ge-
treidebau, wie ihn die Zwei- und Dreifelderwirtschaft Quesnays mit sich
brachte, konnte durchaus kein größerer Viehstapel zum Zwecke der
Fleisch- und Milchproduktion gehalten werden. Um zur ausge-
dehnteren Viehhaltung die rationellere Stallfütterung durchführen zu
können, mußte er unbedingt zum Putterbau übergehen, zu welchem
er, wie Oncken sagt, durch Studium der englischen Landwirtschafts-
Onken, Entstehen u. W. S. 19. '
-} Thaer, Einleitung usw. IV, 94.
3) Oncken, Enstehen u. W. S. 54—55.
Werth. 2
_ 12 —
Schriftsteller gelangte. In dem Artikel ,,Fermiers" heißt es: ,,Die
nämlichen Bodenstücke können vorteilhafter genutzt werden durch
den Anbau von Hülsenfrüchten, Wurzelgewächsen und Gräserarten,
oder durch Verwandlung in künstliche Wiesen zum Zwecke der Er-
nährung des Viehs. Je mehr man auf solche Weise die Tiere im
Stalle zu füttern vermag, desto leichter kann man infolgedessen auch
den Viehstand vermehren," In dem Artikel ,,Grains" empfiehlt
Quesnay noch besonders den Anbau von Hanf, Flachs, Rüben, von
Gemüse und Kartoffeln. Alles dieses bedeutet einen großen Fort-
schritt in der französischen Landwirtschaft. Durch den Wechsel
der verschiedenen Pflanzen wird der Boden in chemischer und physi-
kalischer Hinsicht verbessert.
Thaer ging, als er sein System der Fruchtwechselwirtschaft
schuf, von denselben Gesichtspunkten und Erwägungen aus wie
Quesnay. Durch Not, Mangel an Futter, kam Thaer auf den Wechsel
zwischen Halm- und Blattfrucht, dann aber baute er sein System
weiter aus als Quesnay, das aber im Grunde genommen genau das-
selbe ist wie jenes, und gab ihm dann eine sichere praktische und
wissenschaftliche Begründung. Später erst fielen Thaer englische
Schriftsteller in die Hand, aus denen Quesnay ja zum Teil ge-
schöpft.
Wie schon vorher erwähnt, will Quesnay auch die Viehzucht
gebührend berücksichtigt wissen. Spezielle Ausführungen hierüber
finden sich in dem Artikel ,,Fermiers". Er sagt dort in betreff der
Viehzucht folgendes^): ,,I)ie Landwirtschaft dürfe nicht bloß unter
dem Gesichtspunkte des Getreidebaues, sondern müsse auch unter
demjenigen der Viehzucht mit Einbeziehung der Fleisch- und Milch-
produktion betrachtet werden. Übertreffe der Ertrag dieses Pro-
duktionszweiges doch in England denjenigen des Getreidebaues. Der
Futterbau trete demgemäß ebenbürtig neben den Körnerbau, die
Stallfütterung habe die Weidefütterung zu verdrängen.
Die nämlichen Bodenstücke können vorteilhafter genützt werden
durch den Anbau von Hülsenfrüchten, W^urzelgewächsen und Gräser-
arten oder durch Verwandlung in künstliche Wiesen zum Zwecke
der Ernährung des Viehs. Je mehr man auf solche Weise die Tiere
im Stalle zu füttern vermag, desto mehr erhält man Mist zur
Düngung des Bodens, desto reicher wieder werden die Ernten an Korn
und Futterpflanzen, desto leichter kann man infolgedessen auch den
Viehstand vermehren."
Wie man sieht, sind es dieselben Ansichten und Prinzipien, die
bei Thaer obwalten. Insbesondere ist es die Stallfütterung, der Thaer
das Wort redet. Er nennt sie einen Triumph der Deutschen",
woraus man schon ersehen kann, welches Gewicht er ihr beilegt.
^) Oncken, Entstehen u. W. S. 56.
— 13 —
„Wenigstens drei ^tück Vieh", so führt Thaer aus, „ebenso
stark und ebenso kräftig von derselben Ackerfläche zu füttern, wor-
auf nur ein Stück hinreichende Weide hat, und von jedem dieser
Stücke ungleich mehr an Dünger zu erhalten, wie von einem Stück
Weidevieh, ist das große Problem, welches diese Wirtschaft völlig
befriedigend auflöst. Welche große, welche unermeßliche Folgen
dieses auf die Landeskultur haben müsse, kann jeder überdenken."^)
Die Stallfütterung mit einem guten Feldsystem verbunden ist ihm der
höchste Gipfel der Landwirtschaft. -)
In einer andern wichtigen Frage des landwirtschaftlichen Be-
triebes gehen die Ansichten Quesnays und Thaers weit auseinander,
es ist dies die Brauchbarkeit der Ochsen gegenüber den Pferden als
Arbeitstiere. Bei seinen Berechnungen stützt sich Quesnay auf die
Daten von Dupre deSaint-Maur. Mit 4 Pferden könne man soviel
Arbeit leisten als mit 12 Ochsen; mit andern Worten: Die Ochsen
sind als Arbeitstiere einer intensiven landwirtschaftlichen Betriebs-
weise hinderlich. Diese Ansicht wurde schon von einem Mitarbeiter
Quesnays widerlegt, und zwar mit denselben Argumenten, mit denen
Thaer eine Zeit später gegen dieselbe Ansicht auftritt. Dieser Mit-
arbeiter Quesnays war der Schotte Patullo, der ein seiner Zeit
weit vorausgeeiltes Buch über Landwirtschaft geschrieben hat; es
ist dies „Essay sur l'amelioration des terres". Da wir
noch in einem besondern Abschnitt auf dies Werk und seine Be-
ziehungen zu Thaer zurückkommen werden, so sei hier nur in Kürze
die Thaersche Ansicht über die Brauchbarkeit der Ochsen gegenüber
den Pferden wiedergegeben.
Während die Pferde zu allen landwirtschaftlichen Arbeiten ge-
eignet sind und in Jeder Witterung benutzt werden können, ist dies
bei den Ochsen nicht der Fall. Auch haben die Pferde einige Arbeits-
tage mehr als die Ochsen. Dagegen sind die Unterhaltungskosten
der Ochsen gegenüber den Pferden bedeutend geringer, dazu leisten
sie den größeren Teil der landwirtschafthchen Arbeiten ebensogut
wie die Pferde und können, wenn sie zur Arbeit nicht mehr tauglich
sind, noch gemästet und geschlachtet werden, was bei den Pferden
wegfällt. Das Verhältnis der Pferde zu den Ochsen, was Arbeits-
leistung und Unterhaltskosten betrifft, verhalte sich wie 2:3, oder
höchstens 5 : 6.
Eine weitere Ansicht Quesnays, durch Patullo ausgesprochen,
stimmt wieder mit Thaer überein. Es ist dies die Forderung nach
Einhegung der großen Güter nach englischem Muster, da dies zu
intensiverem Betriebe der Landwirtschaft nötig sei.*)
1) Thaer, Einleitg. z. engl. Ldw. II, 271.
2) Ibid. IV, 13; VI, 139.
3) Thaer, Grundsätze I § 166.
*) Oncken, Entstehung u. W. S. 60.
2*
14 —
Über diesen Punkt verbreitet sich Tliaer des öfteren. Er ver-
steht unter Einhegung alles das, was die Engländer ,,inclosures"
(Einschließung, Hegeland) nennen, ferner aber auch die Zusammen-
legung der getrennt liegenden Grundstücke zwecks Vereinfachung
und Verbilligung des Betriebes. Zusammenlegung und Einhegung
bedeutet für Thaer einen großen Fortschritt in der Landwirtschaft. ^)
Erst die Verkoppelung ermöglicht dem Landwirt, mit seinen Feldern
zu machen, was er will. Die alte Feldeinteilung zwang ihn bei der
alten, extensiven Wirtschaft zu verharren. ,, Trägheit und Dumm-
heit", so sagt Thaer, ,,kann nun den Fleiß und die Talente nicht
mehr fesseln. Meine Felder liegen beieinander, ich kann sie abteilen,
sie verbinden und trennen wie ich will. Ich kann kreuz und quer
pflügen .... den feuchten Boden entwässern, den trockenen durch
Hecken und Bäume gegen Wind und Sonne schützen .... meine
Stoppel und Brache benutze ich nach Gefallen, und in gut verzäunten
Koppeln geht mein Vieh ohne Hirten . . ." ^) Von den wirtschaft-
lichen Vorzügen der Verkoppelungen sagt Thaer, daß sie, wo sie
vorgenommen wurden, die Renten der Gutsbesitzer aufs Dreifache
gesteigert, den Vorteil des Pächters vergrößert hätten. Die vor-
maligen Gemeinheiten, auf denen nur Gänse lebten und das Vieh
verkümmerte, gäben nun 30 mal höheren Ertrag.
,,Und so wird wohl niemand behaupten können," fährt Thaer
fort, ,,daß das, was den Vorteil eines jeden einzelnen Besitzers so
befördert, was den Wert des Grundes und Bodens nach den in den
englischen Reports angegebenen Verhältnissen steigert, die Produktion
und die Bevölkerung vermindere, oder dem Staate nachteilig sei."
In dem Artikel: ,,Questions interessantes sur la population,
l'agriculture et le commerce'', der von Quesnay und de Mariveit
gemeinsam ausgearbeitet wurde , findet sich ein Ausdruck,
der später in der Theorie des Fruchtwechsels eine große Rolle
spielte, nämlich der Ausdruck ,, Humus". Thaer hat bekanntlich
die Lehre von der Statik der Pflanzennährstoffe begründet, und in
dieser Lehre nimmt der Humus eine Hauptstellung ein, weshalb
die Lehre auch Humustheorie genannt wird. Quesnay hat den
Ausdruck ,, Humus" schon vor Thaer gebraucht, wenn auch nicht
genau in derselben, so doch in sehr ähnlicher Bedeutung. Thaer
versteht unter Humus die Fruchtbarkeitssubstanz an sich, während
Quesnay den Begriff Humus etwas verallgemeinert und darunter die
den Humus enthaltende Erdschicht versteht; er nennt sie auch
,,terre vegetative". Ganz dieselbe Auffassung vom Humus wie
Quesnay besaßen noch zu Thaers Zeiten sehr viele Landwirte und
selbst einige wissenschaftliche, agronomische Schriftsteller. ,,Damm-
1) Thaer, Grunds. III § 214.
2) Thaer, Einleitg. IV, 310.
3) Thaer, Einleitung IV, 312.
^) Oncken, Entstehen und Werden S. 61.
_ 15 —
erde" nannten sie den Humus, bezw. die Quesnaysche ,,terre vege-
tative". Thaer machte der Verwirrung in dieser Beziehung ein
Ende und präzisierte den Ausdruck ,, Dammerde" (terre veget.) in
..Humus", das ist kohlenstoffhaltige Fruclitbarkeitssubstanz, die im
Stallmist ihren Hauptsitz habe. Der Schwede Wallerius hatte schon
lange vor Thaer eine ähnliche Behauptung aufgestellt.
Auf diesem Humus baut Thaer seine Lehre von der Statik auf,
die sogenannte Humustheorie, und stellte dadurch die Landwirtschaft
als Gewerbebetrieb hin. Die dem Boden durch die Ernte entzogenen
Stoffe müßten demselben durch den Stallmist, bezw. durch den in
demselben enthaltenen Humus wiederersetzt werden. Dieselbe Sentenz,
gleichsam einen Anfang von Statik, finden wir bei Quesnays Mit-
arbeiter PatuUo. In dem Kapitel ,,Des Engrais" sagt er, man
solle sich wohl hüten, Stroh und Heu durch Verkauf dem Landgut
zu entfremden. Alles das müsse im Stalle verfüttert werden, wor-
aus dann wieder die vermehrten Ernten entstünden.
Indessen, so fährt Thaer fort, komme dem Boden noch eine
nach einer Rotation von Ernten zurückbleibende Kraft zu, die er die
,, natürliche Kraft" nennt. ^) Es klingt diese Behauptung von
der ,, natürlichen Kraft" etwas an die Quesnaysche Lehre vom
,,presentde la nature" an. Thaer hätte, wenn er bei dieser Auf-
fassung von der natürlichen Kraft stehen geblieben wäre, seine Be-
hauptung von der Landwirtschaft als Gewerbe wieder eingeschränkt.
Doch Thaer änderte seine Meinung hierüber und stand später, wie
wir noch sehen werden, auf einem andern Standpunkt.
Quesnay und später Thaer glaubten in der Fruchtwechsel-
wirtschaft — Thaer zog noch die Humustheorie mit herein —
das ,,non plus ultra" der Landwirtschaft zu besitzen; beide
haben sich in dieser Beziehung geirrt. Der Irrtum Thaers liegt in
dem Umstände, daß er glaubte, dem Boden durch den Stallmist,
bezw. durch den in demselben enthaltenen Humus vollkommenen
Ersatz für die dem Boden durch die Ernte entzogenen Stoffe leisten
zu können. Hierin liegt auch der Grund, warum in Thaers Lehre
von der Statik eine Lücke blieb; im Prinzip hatte Thaer den rich-
tigen Standpunkt inne, nur in den Mitteln des Ersatzes irrte er.
Mit der Humustheorie sank auch die Lehre der Physiokratie
vom ,,produit net" als ,,don de la terre", ,,present de la nature",
welcher Lehre Thaer in gewissem Grade eine Zeitlang gehuldigt
hatte.
Thaer verglich, wie schon erwähnt, die Landwirtschaft mit
einem industriellen Fabrikbetriebe, kam hierbei jedoch nicht auf den
Kern der Sache, wie später Lieb ig. Derselbe sagt in dieser Be-
ziehung folgendes: ,, Der landwirtschaftliche Betrieb ist seiner Grund-
lage nach in keiner Weise verschieden von einem gewöhnlichen
1) Thaer, Grundsätze I, 257.
— 16 —
industriellen Betriebe. Der Fabrikant und Manufakturist weiß, daß
seine Anlage und Betriebskapital dauernd nicht abnehmen darf, wenn
sein Geschäft nicht ein Ende nehmen soll, und so setzt der ver-
nünftige landwirtschaftliche Betrieb voraus, daß der Landwirt die
Summe der wirkenden Dinge im Boden, mit welchen er seine Pro-
dukte erzeugt, wenn er höhere Ernten haben will, vermehren müsse." ^)
Mit andern Worten: Durch die Thaersche Fruchtwechselwirtschaft
wird unvollkommener Ersatz geleistet, aber die Landwirtschaft muß
eben wie Jedes Gewerbe vollkommenen Ersatz haben, wenn sie nicht
untergehen soll. Der vollkommene Ersatz aber wird erst durch die
,,freie Wirtschaft" mit Hilfe von künstlichen Düngemitteln ge-
leistet. Der frühere Irrtum Thaers von der natürlichen Kraft
des Bodens, der die Lehre von der Statik wieder über den Haufen
geworfen haben würde, ist in einem späteren Werke Thaers nicht
mehr vorhanden, bezw. ausgeglichen. Er sagt da in Beziehung auf
die selbständige Fruchtbarkeit des Bodens über den Humus, bezw.
Gewächserde folgendes^): ,, Diese (Gewächserde) ist in Quantität und
Qualität immer wandelbar, völlig zerstörbar und gibt den Pflanzen
alle diejenige Nahrung, welche sie nebst dem Wasser aus dem Boden
ziehen."
Also völlig zerstörbar ist der Humus im Ackerboden, es
muß daran festgehalten werden, da er nach Thaer der Träger der
Pflanzennahrung ist, und wenn er völlig zerstörbar ist, bleibt eine
selbständige Fruchtbarkeit, eine natürliche Kraft nicht mehr
zurück. Noch deutlicher sagt er dies in folgendem: ,,Der auflösbare
und mit Hilfe der Beackerung in diesem Zustand zu versetzende
Teil wird also durch jede Kornernte in verschiedenem Grade ver-
ändert und endlich so erschöpft, daß keine Frucht mit Vorteil weiter
auf dem Felde bestellt werden kann, bis jener ersetzt ist." ^)
Demnach kann wohl keine Rede mehr von selbständiger Frucht-
barkeit sein, und Liebig hat der Lehre von der Statik in der Tat
nur die Mittel hinzugefügt, in denen Thaer sich irrte. Daß Thaer
glaubte, durch den Stallmist allen Ersatz leisten zu können, war
ein Irrtum, der durch den damaligen Stand der chemischen Wissen-
schaft vollkommen entschuldbar ist. Liebigs Spott über diesen Irr-
tum Thaers war recht billig.
Was Thaer theoretisch in der Statik lehrte, hat Liebig wissen-
schaftlich begründet, dem Thaerschen Fruchtwechselsystem folgte
das Liebigsche System der ,, freien Wirtschaft" oder des ,, industriellen
Betriebs".
^) Liebig, Einleitung zur Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur
und Physiologie S. 82.
2) Thaer, Leitfaden zur allgemeinen landwirtschaftlichen Gewerbs-
lehre 2. unveränderte Aufl., Berlin 1836, §§ 178ff.
3) Ibid. § 18a.
— 17 —
Die Ähnlichkeit mancher Ideen Th a e r s und Q u e s n ay s , die in
diesem Kapitel wiedergegeben wurden, ist unverkennbar. Man dürfte
wohl zu dem Schlüsse berechtigt sein , daß Thaer die physio-
kratischen Schriften wenigstens teilweise gekannt hat. Da nun Thaer
die Enzyklopädie von Diderot und d'Alembert kannte, so
ist es unzweifelhaft, daß er auch über die Quesnayschen Ansichten,
soweit sie in der Enzyklopädie vertreten sind, aus eigenem Studium
unterrichtet war. Bekanntlich hat Quesnay einige landwirtschaftliche
Artikel für die Enzyklopädie geschrieben, ^) und diese Abhandlungen
haben hier als Unterlage gedient für die agrikulturtechnischen An-
schauungen Quesnays ; es sind dies die Artikel: ,,Fermier", ,,Grains"
und ,,Questions interessantes sur l'agriculture'*. Ferner ist hier noch
der Patullosche ,, Essay" berücksichtigt. Wenn man nun beachtet, daß
Thaer einer Auflage'^) seiner ,, Englischen Landwirtschaft", ein Zitat
aus einem Quesnayschen Artikel voransetzt, so dürfte die Verwandt-
schaft der beiderseitigen Ideen wohl hinreichend erklärt sein, wobei
jedoch noch eine gemeinsame Quelle beider, die englischen Schrift-
steller über Landwirtschaft, nicht unerwähnt bleiben dürfen.
Zusatz: Die landwirtschaftlichen Ideen Patullos in ihrer
Ähnlichkeit mit denen Thaers.
Es ist merkwürdig, wie wenig man in der landwirtschaftlichen
Literatur den Namen des Quesnayschen Mitarbeiters P atull o findet,
obwohl sein vorzügliches Werk: ,, Essay sur TameHoration des terres",
Paris 1759, gewissermaßen als Vorläufer der Thaerschen Ideen in
Frankreich betrachtet werden kann und seiner Zeit weit vorausgeeilt
war. Eine deutsche, allerdings unvollständige und dazu noch ziem-
lich mangelhafte Übersetzung erschien 1763 in Frankfurt a. M. bei
J. A. Raspe.
Fr aas erwähnt in seiner Geschichte der Landwirtschaft die
Verdienste , die sich Patullo um den Futterbau erworben , und
wie sich Anfänge der Fruchtwechselwirtschaft bei ihm finden.^)
Auch Thaer spricht von ihm und setzt sein Werk als bekannt
voraus.*)
Es finden sich nun in den Ansichten Patullos und den Ideen
Thaers so viele Übereinstimmungen, daß es wohl berechtigt sein
dürfte, etwas näher auf dieselben einzugehen. Da Patullo Schotte
war und Thaer sowohl die damaligen englischen landwirtschaftlichen
Werke, als auch Patullos Schrift kannte, so dürfte diese Überein-
^) s, Aug. Oncken, Entstehen und Werden S. 54.
^) Albr. Thaer, Einleitung zur Kenntnis der enghschen Landwirt-
schaft, Grätz 1802—1805.
2) Fraas, Geschichte der Landwirtschaft, Prag 1852, S. 478 und 751.
Thaer a, a. 0., Annalen d. A.
— 18 —
Stimmung leicht zu erklären sein. Immerhin ist zu berücksichtigen,
daß Patullo ungefähr ein halbes Jahrhundert vor Thaer seine Ideen
veröffentlichte.
Das erste im PatuUoschen Buche, worauf wir aufmerksam
werden, ist ein Abschnitt über Bodenkunde. Von geringerer Be-
deutung ist die Übereinstimmung der Ansichten beider in bezug auf
Verbesserung des Bodens und Düngung desselben. Die betr. Aus-
führungen sind bei Thaer besser und ausführlicher. Auch die
Klassifikation und Bonitierung des Bodens ist von Thaer exakter
ausgeführt.
Größere Übereinstimmung zeigen beide in den Abhandlungen
über die Umzäunung der Felder. Patullo behauptet,^) daß ein
eingezäuntes Feld den doppelten Wert eines uneingezäunten von
gleicher Güte besitze, es trage doppelt höhere Pacht. Mauerwerk
empfiehlt er nicht zur Umzäunung, Bau- und Reparaturkosten seien
hierfür zu groß; am zweckmäßigsten sei ein Graben mit einer Dorn-
hecke. Die umzäunten Felder seien vor dem Weidegange des Viehes
geschützt. Der größte Vorteil sei Schatten und Schutz, den sie den
Feldfrüchten vor der Strenge der Witterung, und dem Vieh auf der
Weide vor rauhen Winden oder gegen die brennende Sonne ge-
währten. Die Gräben dienten als Wasserabzug.
Ganz dieselben Ansichten spricht Thaer aus in seiner ,, Ein-
leitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft", wie dies schon
in vorgehender Abhandlung erwähnt wurde.
Ganz vorzüglich für seine Zeit ist das Kapitel in dem PatuUo-
schen Werke über die Verbesserung des Ackerbaues.^) Besondere
Aufmerksamkeit verdienen seine Ausführungen über den Kleebau.^)
Er rät den Klee nach dreijährigem Körnerbau im Herbste in gut
bearbeitetes Feld zu säen, im Winter zu düngen, und den Klee
drei Jahre auf dem Felde zu belassen. Hierdurch werde man in
den Stand gesetzt, die vorteilhafte Stallfütterung einzuführen. Man
könne den Klee sowohl mähen, als auch auf dem Felde verfüttern.
Im dritten Kleejahre wird der Boden im Herbste umgepflügt, noch-
mals im Frühjahr und dann Gerste gesät, welche eine sehr gute
Ernte liefere. In den beiden folgenden Jahren säe man bei fleißigem
Umpflügen Weizen, wobei man gute Ernten erzielen werde. Im
dritten Jahre sei im Herbste wieder Klee zu säen, und so wechsel-
weise fortzufahren ; so könne man ohne Brache den Acker für ewige
Zeiten fruchtbar erhalten. Da Patullo an anderer Stelle noch
Blattpflanzen, Hackfrüchte, insbesondere Rüben als Zwischenfrucht
empfiehlt, so kann man seine Methode als einen Ansatz zur Frucht-
wechselwirtschaft auffassen. Auf Mittelboden rät er Luzernebau an,
0 Patullo, Essay sur etc., Paris 1759, S. 30 ff.
2) Patullo, Essay sur etc. S. 36 ff.
«) Ibid. S. rj4ff.
— • 19 —
den man in Frankreich 10 — 15 Jahre stehen lasse; doch sei es
vorteilhaft, das Kleefeld, sobald es verunkraute, umzubrechen und
Gerste hineinzusäen, dann Weizen und hierauf v^ieder Gerste. Ferner
solle man bei Kleesaat jedes dritte Jahr eine Düngung geben usw.
Dieser Anbau sei so vorteilhaft, daß man auf einen so bebauten
Morgen Landes zwei Pferde, oder drei Ochsen oder Kühe, oder
12 — 13 Hammel das ganze Jahr, im Sommer mit Grünfutter, im
Winter mit Heu (nebst dem nötigen Stroh) füttern könne. In Eng-
land gelte ein so bearbeiteter Morgen Landes 3 — 4 andere Morgen.
Kleeheu dürfe gleich nach dem Mähen nicht naß werden, da es sonst
schwarz werde, usw.
Wie man sieht, hat man es hier mit Prinzipien zu tun, wie
sie nachher überall zur Geltung kamen, in Deutschland hauptsächlich
durch Schubart vom Kleefeld. Die Kleefolge mußte allerdings
etwas mehr in ihrer Häufigkeit eingeschränkt werden, als Patullo
verlangt. Thaer spricht über den Kleebau wiederum ausführlicher
als Patullo, aber seine Prinzipien sind dieselben.
Patullo macht umfangreiche Berechnungen, um zu zeigen,
welch hoher Gewinn dabei herauskomme, wenn man von dem alten
Schlendrian der bisherigen Wirtschaft ablasse und nach der von
ihm gezeigten Methode wirtschafte.
Auch Thaer fordert dringend zu landwirtschaftlichen Berech-
nungen auf, damit man sich über seinen eigentlichen Verdienst klar
werde, genaue Buchführung sei für rationellen Betrieb der Landwirt-
schaft unbedingt erforderlich. Patullo verlangt ferner, daß man
dort, wo Getreidebau wegen zu weiter Entfernung vom Markte sich
nicht lohne, Viehzucht treibe,^) denn das Vieh könne immer nach
den größeren Märkten getrieben werden, so weit diese auch entfernt
seien.
Daß und wie Thaer für die Viehzucht eingenommen ist, braucht
hier nicht näher dargelegt zu werden, weil schon vorher ausführlich
darüber berichtet wurde.
Fünf Hauptsätze stellt Patullo auf, von denen er sagt, daß
sie nicht neu, sondern schon zum Teil in einem Heinrich IV. von
Frankreich zugeschriebenen Buche ,,Theätre d'agriculture", 1600,
enthalten seien. Es sind dies folgende ^) :
1. Verbesserung der Äcker durch verschiedene Bodenarten;
richtige Anwendung der verschiedenen bekannten Düngemittel.
2. Einzäunung sämtlicher Felder und Einteilung aller Güter in
gesonderte und eingezäunte Abteilungen.
3. Verwendung der Hälfte oder von zwei Dritteln des Bodens
zu Futterbau und Wiesenkultur.
1) Patullo, Essav S. 114.
2) Ibid. S. 123.
— 20 —
4. Abwechslung in der Bebauung der Felder zwischen
Körner- und Futterbau.
5. Größere Viehhaltung, Stallfütterung zum Zwecke größerer
Düngerproduktion.
Alle diese Sätze, insbesondere die letzten drei, stimmen genau
mit den Thaerschen Forderungen überein.
In dem Kapitel über die Brache ^) spricht Patullo die Behaup-
tung aus, daß die Brache entbehrlich sei, sie sei zwar zur Lockerung
des Bodens und Vertilgung des Unkräuter sehr vorteilhaft, doch könne
man beides durch zweckmäßige Wirtschaftsweise auch ohne Brache
erreichen, so daß keine Ernte verloren gehe. Nach Klee Winter-
brache, dann Rüben oder Hülsenfrüchte genüge vollkommen.
Auch in diesem Punkte geht Thaer mit Patullo zusammen. Ins-
besondere die Ausführung über Brache von Patullo könnte von
Thaer geschrieben sein.
Über den Gebrauch der Ochsen als Arbeitstiere an Stelle der
Pferde verbreitet sich Patullo in längerer Ausführung in einem be-
sonderen Kapitel, -) wie auch Thaer dieser Materie ein ausführliches
Kapitel gewidmet hat. Patullo widerlegt die Ansicht Quesnays,
daß die Arbeit der Pferde besser und rationeller sei als die der
Ochsen; allerdings, bei der damals üblichen Haltung und Pflege der
Ochsen, im Sommer auf magerer Weide, ermüdeten sie schon beim
Futtersuchen, und die Wintermonate bei Strohfutter, da könnten die
Ochsen allerdings nichts leisten. Aber bei Stallfütterung und der
nötigen Ruhe leisteten die Ochsen ebensoviel wie die Pferde. Sie
könnten das ganze Jahr hindurch zweimal täglich angespannt werden,
von morgens bis abends, mittags eine Unterbrechung von 2 Stunden
zur Ruhe. Bei Stallfütterung lieferten die Ochsen ebensoviel Dünger
wie die Pferde. Ferner könnten die Ochsen nach ihrer Abnutzung
noch geschlachtet werden, was bei den Pferden wegfiele. Um den
Vorzug der Ochsen vor den Pferden zahlenmäßig zu beweisen, stellt
Patullo weitläufige Berechnungen an, wie sie Thaer ganz ähnlich
ausführt, und kommt zu einem für die Arbeit mit Ochsen günstigen
Resultate.
Die Thaerschen Ausführungen über dieses Problem sind etwas
ausführlicher und präziser, als die Patullos, stimmen aber im meisten
mit denselben überein; sie seien hier kurz wiedergegeben. Thaer
beginnt mit einem Hinweis auf den neuerdings wieder heftig ent-
brannten Streit über die Vorzüge des einen Arbeitstieres vor dem
andern. ,,Über den Vorzug der Pferde oder Ochsen ist oft und
lange Streit geführt worden, aber mit zu einseitiger Ansicht von
beiden Teilen, und zuweilen mit zu großer Animosität, weshalb er
dann auch nicht beigelegt und die Sache zu einem sicheren Re-
1) Patullo. Essay S. 135.
'2) Ibid. S. 150.
— 21 —
siiltate gebracht werden konnte." ^) Im weiteren wägt Thaer
die Vorteile der beiden Arten gegeneinander ab und macht da-
bei eine Bemerkung, die mit Patullo etwas sehr Ähnliches hat, er
sagt: ,,Es versteht sich, daß bei dieser Vergleichung solche Pferde
und Ochsen gegeneinander gestellt werden müssen, deren Verhältnis
in Ansehung ihrer Beschaffenheit und ihrer Verpflegung nicht un-
gleich ist, und die beiderseits so beschaffen sind, wie sie es nach
den Regeln einer guten Wirtschaft sein müssen." ^) Das Resultat
der Thaerschen Betrachtungen ist andern Worten folgendes :
Vorzug der Pferde: Sie passen zu allen landwirtschaftlichen
Arbeiten, auf allen Wegen und bei jeder Witterung, sind schneller
und ausdauernder als Ochsen.
Vorzug der Ochsen: Sie verrichten den größeren Teil der
landwirtschaftlichen Arbeiten ebenso gut, als die Pferde, und man
kann in einer gewöhnlichen Tagesarbeit von Ochsen, wenn sie gut
genährt sind, ebensoviel verlangen, als von Pferden. Pflugarbeiten
verrichten sie besser. Die Unterhaltungskosten für Ochsen sind be-
deutend geringer, bei Ankauf sind die Tiere billiger, Geschirr und
Nahrungsmittel ungleich billiger. Ein Hauptvorzug der Ochsen:
Bei guter Pflege und nicht zu langer Benutzung vermindern sie sich
in ihrem Werte nicht wie die Pferde, sondern verbessern sich meisten-
teils, so daß ihr Verkaufspreis höher zu stehen kommt, als ihr Ein-
kaufspreis, mithin durch den Überschuß das Kapital verzinst wird,
was bei den Pferden nicht der Fall ist, und deren Wert bei Außer-
dienststellung fast gleich Null ist. Auch sind die Ochsen weniger
Gefahren und Zufälligkeiten ausgesetzt als die Pferde.
Jedoch nicht alle Arbeiten können vorteilhaft durch Ochsen ver^
richtet werden, auch gibt es Wirtschaften, deren besondere Verhält-
nisse, merkantilische oder geographische Lage es vorteilhaft er-
scheinen lassen, gar keine Ochsen zu halten. Es kommt immer
darauf an, daß der Landwirt die Verhältnisse seiner Wirtschaft
kennt und die richtigen Maßregeln zu treffen weiß. Arbeitstage bei
Ochsen 250, bei Pferden 300. Das Verhältnis der Pferde zu den
Ochsen, was Arbeitsleistung und Unterhaltungskosten betrifft, würde
sich wie 2 : 3 oder höchstens 5 : 6 stellen.
Wie man sieht, besteht eine große Übereinstimmung bei beiden
Autoren, die ihren Grund, wie schon vorher erwähnt, in der gemein-
samen Quelle haben dürfte.
1) Thaer, Grundsätze Bd. 1 ^ 16L
2) Ibid. § 163.
— 22 —
Thaers nationalökonomische Grundsätze in seinem
.^Leitfaden zur allgemeinen landwirtschaftlichen
Gewerbslehre".
Zu seinen Vorlesungen an der Berliner Universität hatte Thaer
einen Leitfaden geschrieben, der in konzentrierter Form die leitenden
Gedanken seiner land- und volkswirtschaftlichen Ansichten enthielt.^)
Die letzteren sind zwar nur kurz angedeutet, doch genügen sie, um
in engem Rahmen ein Bild von seinen allgemeinen nationalökono-
mischen Grundsätzen zu zeichnen. Ein ausführlicheres Bild erhält
man erst durch das Studium sämtlicher Werke Thaers, das auch
einen tieferen Einblick in seine Ansichten über Spezialfragen der
Nationalökonomie gewährt. Über diese soll in besonderen Kapiteln
berichtet werden. Fügt man noch hinzu, daß Thaer selbst gesagt
hat, er hätte in der „Gewerbslehre" das allgemein Nationalökono-
mische nur angedeutet,^) so liegt es auf der Hand, daß man in der-
selben kein ausführliches System mit neuen Ideen erwarten darf.
Die ,, Gewerbslehre" ist ein in dogmatischer Form kurz abgefaßtes
Lehrbuch und nichts anderes. Von diesem Standpunkte aus haben
wir sie zu betrachten und zu behandeln.
Bevor wir nun zur Darstellung der aus genanntem Werke sich
ergebenden nationalökonomischen Grundsätze Thaers übergehen, sei
noch folgendes vorausgeschickt:
Bekanntlich hat die ,, historische Schule" den älteren national-
ökonomischen Schriftstellern '»einseitigen Dogmatismus" vorgeworfen.
Die älteren Schriftsteller hätten alles dogmatisiert, und zwar für
alle Zeiten und Völker. Demgegenüber ist hier darauf hinzuweisen,
daß Thaer an mehreren Stellen mit allem Nachdruck betont, wie
notwendig es sei. auf Verschiedenheit von Zeit, Ort, Verhältnissen
und Umständen zu achten und Rücksicht zu nehmen.^) Darin liegt
nun gar nichts Auffallendes, denn ein Mann wie Thaer, dessen wirt-
schaftliche Weltanschauung sich auf dem Standpunkt des Relativis-
mus aufbaut, wie von uns noch an mehreren Stellen nachgewiesen
wird, konnte auch hier, d. h. in der Gewerbslehre, keinen andern
Standpunkt vertreten, als den des Relativismus. Hierauf ist zu
achten, wenn wir sagen, die ,, Gewerbslehre" sei in dogmatischer
Form abgefaßt.
Nun zu den in der ,, Gewerbslehre" enthaltenen nationalökono-
mischen Grundsätzen.
Thaer geht von dem Standpunkte aus, daß die Landwirtschaft
ein Gewerbe sei. Er sagt unter anderm :
^) Thaer, Leitfaden zur allgemeinen landwirtschaftlichen Gewerbs-
lehre, Berlin, 1. Aufl., 1815, 2. unveränderte Aufl. 1836, Vorrede S. IIL
2) Ibid. S. IV.
3) Gewerbslehre S. 3, 14, 88 und a. a. 0.
— 23 —
,, Manche haben die Landwirtschaft nicht als Gewerbe, sondern
als Staatsbürgerpflicht, besonders für die Klasse der Gutsbesitzer,
betrachten und ihr ein anderes vermeintlich höheres Ziel vorstecken
wollen; aber irrig und verleitend in Hinsicht auf das allgemeine
Beste sowohl, als für den einzelnen."^)
Wie man sieht, vertritt Thaer die Meinung, daß die Landwirt-
schaft nicht als eine politische, sondern als eine ö k o n o m i s c h e
Institution zu betrachten sei. Wegen dieser Auffassung der Land-
wirtschaft ist Thaer mit Adam Müller in Streit geraten. Da die
Landwirtschaft ein Gewerbe sei, müsse man alle Faktoren betrachten,
aus denen sie besteht, nämlich: ,, Arbeit, Kapital, rohes Material und
Intelligenz (Kenntnis und Künstlertalent) ".^) Das Verhältnis dieser
Elemente zueinander lasse sich nur relativ berechnen,^) und des-
wegen könne man nur von einer relativen Vollkommenheit
sprechen. Das Verhältnis von Kapital und Arbeit zum Grund und
Boden bestimme den Unterschied zwischen extensiver und inten-
siver Wirtschaft,^) denn die Fruchtwechselwirtschaft sei eine Be-
wirtschaftungsweise auf kapitalistischer Grundlage, wo die Exten-
sivität und Intensivität ab- und zunehme je nach der Betriebs- und
Bebauungsweise; also das Kapital spielt hier eine sehr bedeutende
Rolle, denn Arbeit verrichtet niemand umsonst,^) sie muß bezahlt
werden. Der Preis der Arbeit wird bedingt durch das Verhältnis
der Nachfrage zum Angebot,^) das ist der Marktpreis.*^) Aber wie
der Preis jeder Sache, so habe auch der Preis der landwirtschaft-
lichen Arbeit einen Punkt, worauf er zurückzukommen strebe, weil
sich Nachfrage und Angebot hier ins Gleichgewicht setzen, und dieser
Punkt sei der natürliche oder Produktionspreis.'^) .Nach
Thaer gibt es also einen Marktpreis der Arbeit, der durch Angebot
und Nachfrage bestimmt wird, und einen natürlichen oder Produktions-
preis, der von den Herstellungskosten bedingt wird. Den letzteren
definiert Thaer wie folgt:
,,Dies ist derjenige, wobei der kunstlos und unangestrengt
arbeitende Mensch sich erhalten und vermehren, sich und wenigstens
zwei Kinder ernähren kann, — der Preis, wofür arbeitende Menschen
produziert werden können."^) Mit einem Wort: das Existenz-
minimum! Allein es muß betont werden, daß das Existenzminimum
oder der natürliche Preis der Arbeit, wie Thaer es versteht, immer-
hin ein relativ anständiger Lohn ist, da er ihn berechnet für einen
Menschen, der un an gestrengt arbeitet. Die Frage, ob es sich
in der Wirklichkeit so vollzieht, mag hier dahingestellt bleiben. Daß
Thaer sich mit jener Berechnung das Zeugnis ausstellt, daß er kein
einseitiger Vertreter der besitzenden Klassen war, das geht aus dieser
Ausführung klar genug hervor.
^) Gewerbslehre S, 3.
2) Ibid. S. 4.
3) Ibid. S. 5.
— 24 -
Zwischen Existenzminimum und Marktpreis der Arbeit, zwischen
diesen beiden Polen schwankt der Arbeitslohn. Da nun aber das
Angebot der Arbeit dringender sei, als die Nachfrage, so sei der
Preis der Arbeit, der Arbeitslohn, in der Regel das Minimum dessen,
was zur Erhaltung der Arbeiter erforderlich sei.^) Thaer meint, was
man gegen dieses Lohngesetz anzuführen pflege, sei unbegründet.^)
Eine Auseinandersetzung darüber finden wir bei ihm nicht; Aus-
nahmen gesteht er aber zu.^) Auch was das Lohngesetz anbetrifft,
ist Thaer kein einseitiger Dogmatiker.
Thaer bekämpft die Meinung, der zufolge die Aufhebung der
Fronarbeit eine Steigerung des Arbeitslohnes nach sich ziehe. ^)
Er sagt:
,, Umgekehrt muß ein großer Arbeitseffekt erfolgen, wenn der
freie Arbeiter mehr leistet, als der gezwungene, folglich ein Plus
entstehen und dadurch die Arbeit wohlfeiler werden.^)
Wie man sieht, steht Thaer auf dem Standpunkt von Adam
Smith. Schon dieser betont, daß die Arbeit des Sklaven kost-
spieliger sei, als die des freien Mannes. Diese Ansicht durchzieht
fast die ganze damalige Strömung der Literatur, handelte es sich
doch zu jener (Thaers) Zeit um das große Werk der Bauernbefreiung.
Jene Motivierung hat die Ausführung der Befreiung kräftig befür-
wortet und unterstützt.
Der Begriff der Arbeit ist bei Thaer ein zweifacher: phy-
sische Arbeit und Intelligenz - Arbeit. Unter die Faktoren der
Produktion zählt- er, wie schon gesagt, Arbeit, Kapital, Rohmaterial
und Intelligenz.-^) Der Begriff der Intelligenz ist nicht nur als
,, gelernte Arbeit" zu verstehen, wie wir es bei Smith finden, sondern
er ist ein viel weiterer, er ist auch im Sinne geistiger Arbeit zu
verstehen,^) wie Kunst, geschickte Verwaltung usw.*'*) Daß geistige
Arbeit auch ökonomisch produktiv sei, betont Thaer immer mit
großem Nachdruck. Indem wir diesen Punkt berühren, gilt es hier
einen Vorwurf zurückzuweisen, den Wilhelm Roscher Thaer
gemacht hat. Roscher sagt folgendes :
,,Wenn er (Thaer) unter den Produktionsfaktoren die Intelligenz
der Arbeit entgegensetzt, so bemerkt schon F. G. Schulze, dies
hieße doch eigentlich den aristotelischen Grundsatz wieder einführen,
welcher die Sklaverei rechtfertigt."^) Auf diese Äußerung Roschers
ist vor allem zu bemerken, daß Thaer die Intelligenz der Arbeit
überhaupt gar nicht entgegengesetzt, hat, sondern im
^) Gewerbslehre S. 6.
2) Ibid. S. 8.
■■') Ibid. S. 3.
Ibid. S. 41.
'*) Thaer, Grundsätze der rationellen Landwirtschaft Bd. 1, Berlin
1831, S. 28.
^) Roscher, Geschichte der Nationalökonomie S. 699.
— 25 —
Gegenteil gerade hervorkehrt, daß Intelligenz auch produktiv sei.
Die Belegstelle, die Roscher gegen Thaer anführt, sagt gar nichts
für die Roschersche Auffassung Thaers, d. h. daß ,, Thaer die
Intelligenz der Arbeit entgegengesetzt"; die betr. Stelle sei hier
angeführt :
,,Das vierte Element des landwirtschaftlichen Gewerbes ist
Intelligenz, die in der Wirklichkeit in diesem Fache mehrenteils
weniger, wie in andern, angetroffen wird, aber in keinem so unbe-
grenzt in ihrer Anwendung ist, wie in diesem."^) Wie man sieht,
beruht die Roschersche Ansicht auf Oberflächlichkeit. Ferner, gesetzt
der Fall, Thaer hätte der Arbeit die Intelligenz ,, entgegengesetzt",
so folgt daraus logisch keineswegs das Prinzip der Sklaverei,
denn man kann von denselben Prämissen entgegengesetzte Schlüsse
ziehen. Die aristotelische Schlußfolgerung ist für Thaer gar
nicht obligatorisch. Mag man immerhin die Intelligenz der Arbeit
entgegensetzen, so braucht man daraus noch nicht das Prinzip der
Sklaverei zu folgern, denn man kann wohl sagen: Die Intelligenz
ist historisch je nach Umständen bedingt, keiner Klasse
angeboren. Kurz, weder logisch noch sachlich ist Roscher Thaer
gerecht geblieben.
Nehmen wir den Faden der Untersuchung nun wieder auf.
,,Der Effekt der Arbeit wird erstaunlich vermehrt durch zwei
mächtige Hebel : Teilung der Arbeit und Maschinen.-) Die Benutzung
beider,^) meint Thaer fortfahrend, hätten die meisten Schriftsteller
über ,, Nationalwirtschaftslehre" dem Landbau abgesprochen, weil die
Arbeiten bei den Produkten desselben nicht in eins fortgingen, sondern
in Stillstand kämen und wieder begännen, daher keine Teilung der
Arbeit, sondern beständige Abwechslung derselben stattfände. Dem-
gegenüber meint Thaer:
,,Aber diese Schriftsteller haben den Gang der landwirtschaft-
lichen Arbeiten im ganzen und im großen nicht beachtet; sonst
würden sie eingesehen haben, daß das, wovon der Vorteil der Arbeits-
teilung abhängt — die Übung in gewissen Handgriffen und die Er-
sparung des Zeitverlustes beim Übergange von einer Arbeit und von
einem Werkzeuge zum andern — bei größern Wirtschaften, wo
mancher Arbeiter sein einzelnes Geschäft hat, oder doch lange das
einzige fortsetzt, ebenfalls eintrete."^)
Diese Meinung harmoniert nicht mit der von Adam Smith, wie
an anderer Stelle von uns gezeigt wird, und worauf hiermit ver-
wiesen sei. Was die Maschinen und deren Bedeutung für den
Ackerbau anbetrifft, so meint Thaer, daß, wenn eine Maschine ein
Werkzeug sei, vermittelst dessen andere Kräfte erspart und der
,, Effekt" wohlfeiler erreicht werden könne, so sei der Pflug eine
1) Thaer, Gewerbslehre S. 167.
2) Ibid. S. 9.
— 26 —
Maschine, wodurch mehr Arbeit erspart und ein größerer ,, Effekt"
bewirkt worden, als durch alle Maschinen der Fabriken zusammen-
genommen, Was würde Thaer in seiner Meinung noch bestärkt
worden sein, wenn er einen modernen Dampfpflug oder eine Auto-
mobilmähmaschine bei der Arbeit gesehen hätte !
Diese Auffassung Thaers in bezug auf Anwendbarkeit von
Arbeitsteilung und Maschinen in der Landwirtschaft steht in konse-
quentem und logischem Zusammenhange mit seiner gesamten Auf-
fassung der Landwirtschaft. Die Landwirtschaft ist ein Gewerbe —
das ist der Hauptgrundsatz Thaers, also hat sie den Zweck der
Ökonomik, nicht der Politik. Dies ist darauf zurückzuführen,
daß die Landwirtschaft alle Eigenschaften der Industrie besitzt, d. h.
die Prinzipien, welche der Industrie zugute kommen, unterstützen
auch die Landwirtschaft, nämlich Arbeitsteilung, Maschinen und
kapitalistischer Betrieb. Es ist hier klar ersichtlich, daß die
Thaersche Befürwortung der Anwendung von Arbeitsteilung eigent-
lich eine logische Ergänzung seines Grundsatzes ist, daß Land-
wirtschaft ein Gewerbe sei. Diese Ergänzung, welche nicht hoch
genug geschätzt werden kann, verleiht Thaers Standpunkt seine Er-
habenheit und Größe. Es zeigt sich hier wirklich der ,, klassische"
Begründer der Landwirtschaftswissenschaft. Nun zum Begriff vom
Kapital bei Albrecht Thaer. Er sagt unter anderm:
,,Den richtigen Begriff vom Kapital hat der unsterbliche Er-
finder der Nationalwirtschaftslehre, Adam Smith, und die ihm nach-
folgenden Schriftsteller angegeben."^)
Jedes Kapital, fährf Thaer fort, entstehe nach Smith durch
Arbeit und durch Ersparung im Genüsse des Arbeitsprodukts. ^)
Kapitalien werden verzehrt oder zum Betriebe der Gewerbe angelegt. ^)
,,Im letzteren Falle heißen sie Verlagskapitale." ^) Da ohne Kapitalien
kein Gewerbe betrieben werden könne, so hänge die Größe der
Gewerbsbetriebe von der Größe der Kapitalien hauptsächlich ab und
von der Art, wie sie verteilt seien. ^) Thaer unterscheidet zwei
Arten von Kapitalsprofit, Er meint:
,,Der Profit, den Verlagskapitale geben, kann betrachtet werden
im Verhältnis zu der Größe des Kapitals, und wir nennen ihn dann
den relativen Profit; oder ohne Rücksicht auf die Größe des-
selben, und er heißt dann absoluter Profit. Kleine Kapitale
geben oft einen relativ größeren Profit ; aber ihr absoluter Profit ist
dennoch klein gegen den, welchen große geben." ^) Er sagt ferner,
daß die Verwechslung dieser beiden Ansichten Irrungen in der Land-
und Staatswirtschaftslehre veranlaßt hätte. ^)
Was die sonstigen Begriffe vom Kapital bei Thaer anbetrifft,
so sei hier auf diesbezügliche Ausführungen in dem Kapitel ,, Thaers
^) Gewerbslehre S. 10.
2) Ibid. S. 16.
Ibid. S. 17.
— 27 —
Stellung zur Grundrente" verwiesen, wo diese Materie ausführlicher
behandelt wurde.
Betrachtet man die in diesem Kapitel angeführten national-
ökonomischen Grundsätze etwas näher, so muß man ihnen Originalität
absprechen. Allein, Thaer macht hier auch keinen Anspruch darauf,
denn er sagt ausdrücklich, daß er in der Gewerbslehre" einen
Leitfaden für seine Zuhörer geschrieben habe. ^)
Bevor wir diesen Abschnitt schließen, mag hier noch Platz
finden, was Thaer über Zinsgesetze gesagt hat. Die Zinsen,
meint er, könnten nie so hoch sein, als der mit dem Kapitale zu
machende Gewinn, weil man es sonst nicht anleihen würde. ''^j Sie
stiegen, wenn weniger Kapitalien angeboten oder mehr gesucht
würden und der damit zu machende Profit größer sei;^^) sie fielen,
wenn mehr angeboten oder weniger gesucht würden, weil sie minder
vorteilhaft anzulegen seien.^) ,,Es setzt sich daher in einem Lande
und zu einer Zeit ein gewöhnlicher Zinssatz fest, der nur in einzelnen
Fällen nach der Sicherheit und Bequemlichkeit des Verleihers und
dem Bedürfnis des Borgers eine Abänderung leidet." ^)
Es ist, was Thaer hier sagt, lediglich von den Prinzipien des
Angebots und der Nachfrage abgeleitet, und deswegen darf es nicht
wundernehmen, wenn er meint: ,,Weil ein niedriger Zinsfuß der Er-
weiterung des Gewerbsbetriebes günstig ist, so haben die meisten
Gesetzgebungen die Steigerung desselben durch gesetzliche Bestim-
mungen verhindern wollen. Sie sind aber nicht nur vergeblich, weil
sie eludiert werden, sondern auch nachteilig, weil derjenige, der ein
Kapital besser benutzen könnte , aber ohne höhere Zinsen keines
erhalten kann, nun daran verhindert wird, oder sich einem gesetz-
widrigen, wucherlichen Kontrakte unterwerfen muß. Weil sich Jedoch
gemachte Fehler nicht zu jeder Zeit wieder gut machen lassen, so
kann auch die Aufhebung dieses Gesetzes zu einer Zeit, wo mehr
Kapitale gesucht als angeboten werden, nachteilig wirken, indem es
die Rentierer als einen Aufruf ansehen, ihre Zinsen zu erhöhen. ^)
Wie man sieht, ist Thaer für völlige Zinsfreiheit, er steht in dieser
Beziehung im Gegensatz zu Adam Smith, dessen Stellung zu Her
Zinsfrage eine Auseinandersetzung seitens Benthams veranlaßt
hat. Allein Thaer will keineswegs auf einmal die Zinsgesetze
aufheben, und in dieser Hinsicht tritt bei Thaer der Praktiker
zum Vorschein. Er wußte sehr wohl, daß in dem so komplizierten
Wirtschaftsleben nicht alles mit einem Schlage gut gemacht werden
kann, sonst schadet man mehr, als man verbessert. Auch hier
zeigt sich Thaer als Relativist im vollen Sinne des Wortes.
^) Gewerbslehre Vorrede S. IIL
2) Ibid. S. 22.
3) Ibid. S. 22—23.
Vierth. 3
— 28 —
Alles in allem ergibt sich, daß die hier geschilderten national-
ökonomischen Grundsätze nicht über das Niveau des Eklektikers
hinausgehen, was wir zur Zeit Thaers fast in der ganzen national-
ökonomischen Literatur Deutschlands vor uns haben. Immerhin
muß aber zum Lobe Thaers gesagt werden, daß er, der Landwirt-
schaftler, sich in der nationalökonomischen Literatur immer genau
zu informieren gesucht hat. In andern Punkten dagegen war Thaer
wiederum, was Nationalökonomie anbelangt, originell und Vorläufer
eines der wichtigsten nationalökonomischen Werke, wie im Verlaufe
dieser Arbeit noch gezeigt werden soll.
Thaers Stellung zu Klein- und Großgrundbesitz.
,,Der Streit, ob größere oder kleinere Pachtungen für die National-
wohlfahrt im ganzen zuträglich seien", — sagt Thaer in der ,, Ein-
leitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft" — ,,ist neuer-
lichst wieder in England sehr lebhaft betrieben worden; und man
hat abermals im Parlamente eine Bill, um die Zusammenziehung
mehrerer kleinen Pachtungen in eine große zu verhindern, und die
geschehenen wieder zu trennen, in Vorschlag gebracht. Die Korn-
teuerung gab dazu wieder die Veranlassung. Ob sich's nun gleich bald
erweisen ließ, daß der Vorwurf, als wären die großen Pächter die
Urheber der Kornteuerung, nur der Nachhall staatswirtschaftlicher
Reden in Tee- und Tabagiegesellschaften sei, und jener Vorschlag
also aus den bereits angeführten Gründen keinen Eingang fand ; man
vielmehr einsah, daß die Kornscheuren und Fimmen großer und ver-
mögender Landwirte noch das einzige Magazin der Nation waren,
nachdem die Ernten kleinerer Wirte längst verzehrt waren — , so
sind doch bei dieser Gelegenheit die Vorzüge der großen und kleinen
Wirtschaften heller ins Licht gestellt worden. Da diese Frage auch
bei uns mehrmals aufgeworfen ist, und bei ihrer Untersuchung sich
manches ergibt, was den Landwirt nicht minder wie den Gesetz-
geber interessiert, so will ich das, was für die kleinen und für die
großen Wirtschaften gesagt worden oder meines Ermessens gesagt
werden könnte, hier kurz anführen."^)
Diese äußeren Umstände veranlaßten also Thaer, die oben um-
schriebene Frage zu erörtern.
Thaer versteht unter großen Wirtschaften Güter von 500 bis
1000 Äckern kultivierten Landes; unter kleinen solche, die 20 bis
80 Äcker haben.^)
^) Thaer, Einleitung zur Kenntnis d. engl. Landwirtsch. Bd. 2 I.Abs.,
Hannover 1801, neue Aufl. S. 91—92.
2) Ibid. S. 92.
— 29 — •
In folgendem sollen nun Thaers Ausführungen über vorbe-
uanntes Thema näher beleuchtet werden. Bei der Untersuchung dieses
Problems erörtert Thaer sorgfältig pro und contra, um schließlich
zu einem endgültigen Resultate zu gelangen. Die Beweisführungen
zugunsten der kleinen Wirtschaften lassen sich nach Thaer folgen-
dermaßen zusammenfassen :
Der kleine Pächter oder Bauer mit Weib und Kind und etwa
etlichen Knechten und Mägden, welcher selbst die Arbeit verrichtet,
wird fleißiger als jeder Lohnarbeiter sein, und seine Gehilfen müssen
ihm hierin folgen. Er ist bei allen Geschäften der erste, arbeitet
vor, weiß, was Jeder leisten kann, versteht die Kunst, seine Mit-
arbeiter in Atem zu halten, die Art und Weise, mit seinesgleichen
umzugehen und sie aufzumuntern. Seine Leute wissen, daß er ihre
Arbeit aus eigener Erfahrung zu schätzen weiß; sie sind ihm auch
zugetan, sie fühlen sich ihm näher, arbeiten also gewiß gutwilliger,
als sie es allein nur um des Lohnes und Brotes willen tun würden ; da-
her wird mit denselben Händen in einer kleinen Wirtschaft mehr aus-
gerichtet als in einer großen. Ähnlich verhält es sich mit dem Zugvieh ; es
muß leisten, was es ohne irgendwelchen Nachteil für sich selbst tun
kann, wird aber nicht überanstrengt, denn sein Eigentümer führt es
selbst. Es wird alles aufs beste benutzt, sparsamer mit den ver-
schiedenen Materialien umgegangen, weil Wirt und Wirtin alles
unter eigenen Händen haben. ^) ,,Er" (der Wirt) sagt Thaer, ,, wartet
seine Pferde, sie (die Wirtin) ihre Kühe selbst, gibt ihnen, was sie
zu jeder Zeit brauchen, aber nicht mehr, und spart daher mehr
Futter auf, als in großen Wirtschaften unter den Händen der Knechte
und Mägde würde geschehen sein." ^) Da der kleine Wirt jeden
einzelnen Fleck seines Ackers kennt, so weiß er ihn aufs beste zu
bearbeiten und zu benutzen; damit erzielt er den möglichst höchsten
Ertrag.^) Demgemäß werden sowohl die Kräfte der Menschen als
auch die des Viehes und Grund und Bodens in kleinen Wirtschaften
aufs höchste benutzt. Dies führt natürlich zum* Vorteil des Staates.
Dabei kommt noch ein Moment in Betracht : Die Verteilung des Grund
und Bodens unter viele kleine Wirtschaften und Familien begünstigt
sehr die Bevölkerungsvermehrung. Es werden mehr Ehen geschlossen,
mehr Kinder erzeugt und aufgezogen werden, als wenn der Acker
durch ledige Knechte und kümmerliche Tagelöhner bebaut wird.-)
,,Da der Ackerbau" — sagt Thaer — ,,die Hauptstütze der allge-
meinen Wohlfahrt ist, so ist alles daran gelegen, daß es nicht an
Menschen zu seiner Betreibung fehle. Je mehr kleine Wirtschaften
es aber gibt, desto mehr Menschen werden auf dem Lande bleiben
und sich weniger nach den Städten ziehen. Man wird also nicht
das Klagen der großen Wirte mehr hören, daß der Acker nicht ge-
1) Thaer, Einleitung zur Kenntnis d. engl. Landwirtsch. 2. Bd. 1. Abt.
Hannover 1801, neun Aufl. S. 93-94.
2) Ibid. S. 94.
3*
— 30 —
hörig angebaut, die Ernten nicht eingescheuert, das Korn nicht ab-
gedroschen werden kann, weil es ihnen an Leuten fehlt. Die Familien
des Landmannes werden aus Liebe zum väterlichen Herd zusammen-
bleiben, solange sie Arbeit und Nahrung haben." ^)
Wie man sieht, stellt sich Thaer die Sache folgendermaßen
vor: Der kleine Wirt erzielt durch Fleiß, Sparsamkeit und Sorgfalt
den möglichst höchsten Ertrag; die Produktion begünstigt die Ver-
mehrung der Bevölkerung, die letztere wieder die Vermehrung der
Produktion der Landwirtschaft, desjenigen Zweiges der Staats Wirt-
schaft, welcher die Hauptstütze der allgemeinen Wohlfahrt ist. Da-
durch entsteht immer ein Überschuß gesunder, abgehärteter, unver-
dorbener Leute unter dem Landvolke, woraus der Staat seine Armeen
rekrutieren kann, ,,ein Schlag von Leuten" — wie Thaer sich ziem-
lich scharf ausdrückt — , ,,die man in den Städten und unter ledig-
losem Gesindel vergeblich sucht — , der sein Vaterland liebt, und
für seinen väterlichen Herd gern streitet."^)
Schließlich sind noch die kleinen Wirtschaften vom sozialen
Standpunkt aus betrachtet von großer Bedeutung. Dies hat schon
Thaer seinerzeit bemerkt, indem er meinte, daß dadurch, auf dem
Lande wenigstens, eine ebenmäßigere Verteilung des Vermögens statt-
finden würde. ^) ,, Mehrere Menschen werden ihre reichliche Nahrung
und Notdurft, ihre angemessene Erquickung finden Weniger
Menschen werden aus Üppigkeit in Trägheit und Vernachlässigung
ihrer Geschäfte verfallen; weniger aber auch aus Hunger und Kummer
unfähig zur Arbeit werden." ^) Es handelt sich hier bei Thaer um
die Erhaltung des ländlichen Mittelstandes, dessen günstige
wirtschaftliche Lage auch für die ländlichen Arbeiter von guten
Folgen sei.
Soweit die Ausführungen Thaers über den Vorzug der kleinen
Wirtschaften. Nun haben wir uns mit dessen Darlegungen über den
Vorzug der großen Wirtschaften zu befassen.
Thaer ist der Meinung, daß es sehr unrichtig sei, die Land-
wirtschaft den Fabriken entgegenzusetzen. ^) ,, Objektivisch betrachtet",
— sagt er — ,,niag man die Erzeugnisse, die jene liefert, Produkte,
— die Erzeugnisse von diesen Fabrikate nennen, subjektivisch sind
sie sich völlig gleich, und dieselben Maximen, welche bei Betreibung
von Fabriken, wenn sie emporkommen sollen, befolgt werden müssen,
finden ihre Anwendung auch bei der Landwirtschaft, wenn sie zu
einiger Vollkommenheit gedeihen soll."
Thaer vergleicht die Landwirtschaft mit der Industrie, indem
als das Rohmaterial der Landwirtschaft der Grund und Boden zu be-
trachten sei ; ihre Fabrikate seien das, was man Produkte nennt,
^) Thaer, Einleitung zur Kenntnis d. engl. Landwirtsch. 2. Bd. 1. Abt.
Hannover 1801, neue Aufl. S. 95.
2) Ibid. S. 96.
3j Ibid. S. 97.
— 31 —
welche eine erstaunliche Verschiedenheit nach Quantität und Qualität,
Kunst, Arbeit und Kapital besitzen. Er bestreitet die Meinung, die
dahin geht, den Ackerbau als ein Handwerk anzusehen. Die Land-
wirtschaft sei etwa als eine verwickelte Fabrik zu betrachten, und
bei ihrer Betreibung seien alle die Regeln zu unterlegen, worauf auch
der glückliche Erfolg der Fabriken beruht.^) Wie die Fabrik von
der Arbeitsteilung sehr begünstigt wird, so auch die Landwirtschaft.
Und wie auf dem Gebiete der Arbeitsteilung die große Fabrik vor
der kleinen im Vorteil ist, ebenso auch die großen Wirtschaften vor
den kleinen; in den großen Wirtschaften kann sich die Arbeitsteilung
entfalten, dadurch werden die Arbeiten pünktlicher, sauberer und
ordnungsmäßiger, schneller und besser verrichtet, die Handgriffe ver-
vollkommnet.'-^j ,,Sowie ferner" — meint Thaer — ,, große Fabriken
einen mächtigen Vorteil vor den kleinen, vermöge der Mannigfaltig-
keit zweckmäßiger Werkzeuge und Maschinen haben, deren Erfindung,
Anschaffung und Unterhaltung den kleinen zu kostspielig wird , so
ist dies bei den Wirtschaften eben der Fall." ^)
Unerachtet aber in großen Wirtschaften mit denselben Menschen-
händen mehr ausgerichtet werde, wie in kleinen, so folge daraus
nicht, daß weniger Hände gebraucht werden: die Landwirtschaft sei
so unendlicher Verfeinerungen und Vervollkommnungen fähig, daß
der große Landwirt, der Geist und Vermögen dazu hat, nach Ver-
hältnis seiner Ackerfläche immer mehr Menschen anstellen könne,
als der kleine, der an solche Verbesserungen nicht einmal denken
dürfe. Thaer hat hier vorzugsweise Meliorationen und sonstige
Verbesserungen im Auge, steht also in dieser Beziehung gerade auf dem
entgegengesetzten Standpunkte wie Adam Smith, wie wir später noch
sehen werden. Der große Landwirt werde Verbesserungen vornehmen,
habe manche Gelegenheit, den Arbeitern die Arbeit zu erleichtern
und zu vereinfachen; folglich werden auf derselben Fläche Landes
mehr Menschen Verdienst und Unterhalt bei großen Wirtschaften
finden als bei kleinen. Da der große Landwirt durch seine Arbeiten
mehr verdient, als der kleine (hier zeigt sich schon der Keim zu
der späteren Ansicht Thaers, daß die größeren Wirtschaften das
aufgewendete Kapital höher verzinsen als die kleinen), so werde er
sie auch besser bezahlen können. Der Lohn werde steigen und die
Lebensmittel bei vermehrter Produktion wohlfeiler werden. Es folge
hieraus notwendig Vermehrung der Bevölkerung. ^) Denn Thaer meint :
,, Tagelöhnerfamilien, die ihren Unterhalt finden, werden sich
stärker vermehren wie Bauernfamilien, wo nur ein Sohn den Hof
^) Thaer. Einleitung zur Kenntnis d. engl. Landwirtsch. 2. Bd. 1. Abt.
Hannover 1801, neue Aufl. S. 97-98.
2) Ibid. S. 98—100.
3) Ibid. S. 101.
4) Ibid. S. 102.
5) Ibid. 103-104.
— 32 —
wiedererhalten kann." Er scheint hier lediglich Gegenden mit An-
erbenrecht im Auge zu haben.
Es wird zugunsten der kleinen Wirtschaften häufig der Umstand
in Erwägung gezogen, daß eine Arbeit besser von statten gehe, wenn
der Wirt vorarbeite. Thaer meint, das sei doch nur bei einzelnen
Arbeiten der Fall. ,, Hilft der Wirt oder Wirtschaftsvorsteher bei
der einen, so ist keine Aufsicht bei der andern, oder diese andere
Arbeit wird ausgesetzt und geschieht demnächst zu spät oder gar
nicht." ^) Nirgends komme es mehr als bei der Landwirtschaft
darauf an, daß alles auf den rechten Zeitpunkt geschehe. Es sei
ein nicht ungewöhnlicher Fehler solcher Verwalter, die vormals
Knechte oder Bauern gewesen sind, daß sie bei einem Geschäfte
ordentlich mitarbeiten. Darüber versäumen sie mehrenteils die Auf-
merksamkeit auf ein anderes und tun weit mehr Schaden damit,
als sie Vorteil schaffen."-) Der Aufseher bei einer Wirtschaft dürfe
so wenig mitarbeiten, als der Offizier mitfeuern, weil die Aufmerk-
samkeit auf die Untergebenen dabei wegfällt. Er müsse höchstens
zeigen, daß er es könne.
Was das Argument der Sparsamkeit und Sorgfalt anbetrifft,
so findet es mehr in den großen Wirtschaften , da das Liegen-
bleibende, das Unverzehrte oft in den kleinen Wirtschaften so wenig
sei, daß niemand daran denke, es zu erhalten, daß es sich des Wegs
nicht verlohne.^) ,, Dreißig Personen an einem Tische brauchen
weniger als dieselbe Zahl an zehn Tischen." ^)
Vom sozialen Standpunkte hat Thaer folgendes für die
großen Wirtschaften anzuführen :
,, Gleichmäßigere Verteilung des Vermögens mag ein Wunsch
sein, der bei manchem aus einem menschenfreundlichen Herzen ent-
springt. Aber, ohne Rücksicht auf die Frage zu nehmen, ob die
Masse von Glückseligkeit in der menschlichen Gesellschaft dabei
größer oder geringer werden möchte , kommt es hier nur
darauf an, ob der Betrieb jedes Gewerbes, folglich auch die
Landwirtschaft und folglich die Produktion dabei gewinnen oder
verlieren würde." ^) Also der Ausgangspunkt ist Thaer zufolge haupt-
sächlich der der Vermehrung der Produktion, und nicht
die Verteilung der Güter. Wir haben hier mit demjenigen
Prinzip zu tun, welches später in der Nationalökonomie böses Blut
gemacht hat, und welches man vom Standpunkte einer ,, ethischen"
Nationalökonomie aus bekämpfen zu sollen glaubte. Das Auftreten
des nationalökonomischen Romantikers Adam Müller gegen das
Thaersche Prinzip ist in dieser Beziehung nicht als Zufall zu be-
^) Thaer, Einleitung zur Kenntnis d. engl. Landwirtsch. 2. Bd. 1. Abt.
Hannover 1801, neue Aufl. S. 104.
2) Ibid. S. 105.
3) Ibid. S. 106.
— 33 —
trachten, wenn auch Thaers Gesamtanschauung durchaus nicht gegen
die Ethik gerichtet ist.
Thaer fährt fort mit Bezug auf das oben angeregte Thema der
Vermögensverteilung: ,,Ein Land, worin eine fast gleiche Verteilung
des Vermögens stattfände, möchte vielleicht ein schönes Arkadien
sein, aber einen höchst ohnmächtigen Staat ausmachen und bei
einiger Bevölkerung bald in den Fall zu verhungern kommen."^)
,,Der Luxus" — sagt Thaer weiterhin — ,, behauptete auch
ein Teil der französischen Ökonomisten, stehe der Aufnahme des
Ackerbaues im Wege. Aber der Luxus, den sie meinen, war der
in Paris, welcher alles Vermögen dorthin zog und auf dem Lande,
besonders in den entlegenen Provinzen, lauter Armut hinterließ. Der'
Ackerbau ging in diesen Provinzen zugrunde, weil kein Luxus da
war und die Produkte nach guten Ernten keinen Absatz fanden.
Wo Luxus und Ausfuhr dem Überfluß keinen Absatz verschafft, da
wird kein Überfluß erzeugt; und wo kein Überfluß in guten Jahren
ist, da entsteht Mangel in schlechten Jahren. Luxus aber und
Handel kann nur bei ungleich verteiltem Vermögen statt-
finden." -)
Auch meint Thaer, daß die Verbesserung der Viehzucht, Ver-
edelung des Schlages nur von großen und vermögenden Landwirten
unternommen würde.
,,Also" — folgert er — ,,die Wohlfahrt, die Stärke, der
Reichtum des Staates erfordert, wenigstens zum Teil, große Wirt-
schaften." ^)
Indessen ist Thaer weit entfernt, die Einziehung der kleinen
Wirtschaften und die Zusammenschmelzung derselben in größere
geradezu anzuraten. ,,Daß kein Eingriff ins Eigentum geschehen
dürfe, verstehe sich von selbst."*) Er glaubt aber ebensowenig,
daß man dem Laufe der Dinge wehren müsse, wenn die Zusammen-
ziehung kleiner Höfe nach Recht und Billigkeit erfolgen könne. ,,Will
der armselige, verschuldete Bauer seinen Hof freiwiUig an einen
größeren Gutsbesitzer verkaufen und dieser, wie sicli's versteht, alle
und jede Prästanda davon übernehmen, so wird Produktion und
Bevölkerung und folglich der Staat mehr dabei gewinnen als ver-
lieren. Wenn nur Recht und Eigentum geschützt sind, so überlasse
der Regent die. freie Übertragung derselben der Willkür eines jeden
und räume die Hindernisse veralteter Formen, jedoch ohne Jemandes
Gefährde, aus dem Wege. Dann wird von selbst diejenige Verteilung
des Grund uud Bodens erfolgen, welche nach Zeit und Ortsverhält-
nissen in Rücksicht auf Produktion, Nationalreichtum und Bevölkerung
1) Thaer, Einleitung zur Kenntnis d. engl. Landwirtsch. 2. Bd. l. Abt.
Hannover, neue Aufl. S. 107.
2) Ibid. S. 108-109.
Ibid. S. 110.
4) Ibid. S. III.
— 34 -
die vorteilhafteste ist. Zu große Güter werden parzelliert, zu kleine
zusammengeschmolzen werden. ^)
Nach dem bisher Gesagten ergibt sich folgendes: Thaer bevor-
zugt große Wirtschaften, will aber die Verteilung des Grundbesitzes
dem freien Laufe der Dinge überlassen wissen. Diese Auffassung
hat er später teilweise geändert, wie wir sofort sehen
werden.
Zunächst müssen wir uns mit seinen ,, Reflexionen" beschäftigen,
welche als Bemerkungen einem anonym gedruckten Aufsatz, der in den
Thaerschen ,,Annalen des Ackerbaues" 1806 erschien, begefügt sind.
Auf die Frage über die zweckmäßigste Größe der Wirtschaften,
die Zerschlagung der größeren und die Zusammenziehung der kleineren
antwortet Thaer, daß diejenige Größe der Wirtschaften in jeder Hin-
sicht die beste sei, welche an dem Orte und zu der Zeit am
meisten gesucht und folglich am teuersten bezahlt werde. ^) Wir
haben es also mit einem relativen Standpunkte zu tun. Nachdem
Thaer die Vorzüge der großen Wirtschaften aufgezählt hat, sagt er,
daß unter entgegengesetzten Umständen in der Regel die kleinen
Wirtschaften den großen den Vorzug abgewinnen werden, und daß
lauter kleine oder lauter große Höfe in einer Gegend ent-
stehen, möge nur in seltenen P^ällen für das Ganze vorteilhaft sein. ^)
Ein ,, entweder — oder" gibt es also hier für Thaer nicht. Eine solche
Ausschließlichkeit der einen oder andern Art werde aber auch
nirgends auftreten. In einem andern Zusammenhang sagt er aus-
drücklich :
,,Ich muß nach meiner Überzeugung die großen und die kleinen
Wirtschaften gegen ihre Gegner und gegen einseitige Gründe ver-
teidigen, weil ich sie beide nach den Umständen für vor-
teilhaft halte, und nicht nur glaube, daß sie mit- und neben-
einander sehr gut bestehen, sondern auch sich sehr wohltätig
unterstützen können."*)
In der 3 Jahre später (nach diesem Ausspruch) erschienenen
,, Gewerbslehre" hat er seine Ansicht noch weiter modifiziert bezw.
erweitert. Hier unterscheidet er drei Arten von Landgütern, große,
mittlere und kleine Güter, die alle drei vorteilhaft sein können.
Größere Wirtschaften haben den Vorteil der Arbeitsteilung für sich,
kleinere den der besseren Bearbeitung, mittlere den der besseren und
genaueren Beaufsichtigung.^)
^) Thaer, Einleitung und Kenntnis d. engl. Landwirtsch. 2. Bd. 1. Abt.
Hannover 18Ü1, neue Aufl. S. 112.
2) Annalen des Ackerbaues, 1806, S. 41—42.
3) Ibid. S. 78.
*) Thaer, Annalen der Fortschritte der Landwirtschaft Bd. 3 1812
S. 541.
Thaer, Leitfaden zur allgemeinen landwirtsch. Gewerbslehre 2. un-
veränderte Aufl., Berlin 1S36, § 150 (1. Aufl. erschien 1815).
— 33 —
Alles in allem ergibt sich aus den bisher mitgeteilten Stellen:
Thaer betrachtet die kleinen wie die großen Wirtschaften als relativ
gleichberechtigt und ist g e g e n Jedwede Ausschließlich-
keit einer dieser Formen des Grundbesitzes.
•Er hat ferner den Unterschied gemacht, daß die kleinen Wirt-
schaften den absolut höchsten Rohertrag (der kleine Bauer rechne
seine eigne Arbeit weniger), die größeren den absolut höchsten Rein-
ertrag lieferten.
Allein, wenn Thaer seinen Standpunkt in bezug auf die Größe
der Wirtschaften etwas geändert hat, so hat er doch einen beträcht-
lichen Teil seiner alten Auffassung zurückbehalten. Wir wissen
schon von früher, daß er die Einmischung der Staatsgewalt in die
Verteilung des Grundbesitzes, in die Zusammenziehung wie in die
Parzellierung desselben bekämpft. Es soll dies dem freien Lauf der
Dinge überlassen bleiben. Dieselbe Auffassung befürwortet er auch
später. Er sagt unter anderm: ,, Eine völlige Freiheit folglich, kleinere
Güter zusammenzuziehen oder mit einem großen zu vereinigen, und
wiederum große Güter in Parzellen von beliebiger Größe zu zer-
schlagen, und zu wählen, was Jedem nach seiner individuellen Lage
am vorteilhaftesten scheint, wird für die Produktion und die allge-
meine Wohlfahrt am vorteilhaftesten sein."^)
Allein auch hier macht er eine Ausnahme, indem er sagt: ,,lch
gebe zwar zu, daß einmal entstandene besondere politische, kon-
stitutionelle und rechtliche Verhältnisse dieser Freiheit entgegenstehen
können. Dies kann Ausnahmen nötig machen." ^) Den absoluten
,, Manchestermann" werden wir also in Thaer vergebens suchen, da
er Ausnahmen mit Bezug auf die Staatsintervention zugesteht.
Die Ansichten Thaers über großen und kleinen Grundbesitz
haben wir nun kennen gelernt; wir sahen, daß er früher für die
großen Wirtschaften mehr eingenommen war, später aber, im Sinne
der Stein-Hardenbergschen Reformen, an denen er im weiteren persönlich
mitwirkte, seinen Standpunkt geändert hat, und zwar in der Weise,
daß sowohl kleine als auch große Güter relativ vorteilhaft sein
können. Es ist deswegen verfehlt, wenn man sich neuerdings auf
Thaer beruft als auf den Befürworter der kleinen Wirtschaften. Bei
Thaer handelt es sich nicht um eine Ausschließlichkeit, nicht um
ein entweder — oder", sondern um ein ,, sowohl — als auch",
mit andern Worten: um den Standpunkt der Relativität.
Bei dieser Gelegenheit sei es gestattet, eine kurze Betrachtung
über das Verhältnis Smiths und der Physiokraten, denen Thaer nicht
fernstand, zu dem obigen Problem anzustellen.
Bekanntlich war Thaer der Meinung, daß auch in die Land-
wirtschaft, wie in die Fabriken, Arbeitsteilung sehr wohl eingeführt
werden könne. Diese Ansicht hat er auch später noch vertreten,
1) Thaer, Aniialon fl. Ackcrb. 1806 Bd. 4 S. 42—43.
— 36 —
indem er in seiner ,, Übersicht der Anleitung zur Kenntnis der bel-
gischen Landwirtschaft von J. N. Schwerz", welche in den ,,Annalen
der Fortschritte der Landwirtschaft" erschien, unter anderm sagt:
,,Der Abbe Man versucht zwar 8. 481 ad III die Wirkung der
Arbeitsteilung bei der Landwirtschaft lächerlich zu machen, indem
er sie mit einer Stecknadelfabrik vergleicht. Aber wenn sie gleich
nicht in dem Maße wie bei dieser anwendbar ist, so findet sie
doch in allen großen Wirtschaften statt, und um so mehr, je größer
die Industrie und Intelligenz ist, womit sie betrieben werden."^)
Weiter geht aber Adam Smith bezüglich des Unterschiedes zwischen
der Arbeitsteilung in der Landwirtschaft und in den Fabriken, indem
er meint: ,,Das Wesen der Landwirtschaft läßt allerdings nicht so
viele Unterabteilungen der Arbeit und eine so vollständige Trennung
der einzelnen Zweige zu, wie die Fabrikation oder das Handwerk."^)
Und weiter: ,,Und in dieser Unmöglichkeit einer vollständigen Trennung
der einzelnen Arbeiten in der Landwirtschaft liegt vielleicht der Grund,
weshalb die Fortschritte in derselben denen der Fabrikation nicht
gleichkommen."-)
Thaer und Smith stimmen mehr überein, indem sie das Land-
wirtschaftsgewerbe als eine verwickelte Kunst betrachten. Die dies-
bezügliche Ansicht Thaers haben wir kennen gelernt, die gleiche ist
die Adam Smiths, indem er sagt: ,,Nie hat man daran gedacht, daß
eine Lehrlingszeit zur Erlernung der Landwirtschaft, dem großen
ländlichen Gewerbe nötig sei, und doch gibt es vielleicht keines
nächst den schönen und freien Künsten und Wissenschaften, das so
mannigfaltiger Kenntnisse und Erfahrungen bedürfte."-)
Die Ansichten Adam Smiths über großen und kleinen Grund-
besitz gehen nicht mit denen Thaers zusammen, indem ersterer aus-
schließlich für Kleingrundbesitz eingenommen ist. Nach Smith seien
die ausgedehnten Besitztümer für die Entwicklung der Kultur un-
günstig, weil man von deren Eigentümern für die Verbesserung des
Bodens kaum etwas erwarten könne. Anders steht es mit dem
kleinen Grundeigentümer; da er jeden Teil seines Gebietes kenne
und mit aller Liebe betrachte, deswegen sei er der betriebsamste,
einsichtsvollste und glücklichste Verbesserer der Landwirtschaft.
Sowohl die ältere Meinung Thaers, nach welcher die großen
Wirtschaften bevorzugt wurden , als auch die spätere , dergemäß
kleine und große Wirtschaften als gleichberechtigt zu betrachten sind,
deckt sich nicht mit der von Adam Smith.
Mit den Physiokraten stimmt jene Ansicht, an der er früher
festgehalten hatte, überein. Denn die Physiokraten waren für den
Großbetrieb bezw. Großgrundbesitz, denn nur dieser erzielte nach
ihrer Ansicht den ,,produit net", den höchsten Reinertrag.
^) Thaer, Neue Annalen d. Ldw. 1811 Bd. 1 S. 225.
2) Adam Smith, Wealth of nations etc. In Übers, von Garbe»
Breslau 1794, I S. 11.
— 37 —
Thaers endgültige Stellung ist weder rein physiokratisch, noch
rein smithianisch, er nimmt eine unabhängige Stellung ein, nämlich
zwischen den Physiokraten und Adam Smith hält er die Mitte, oder
mit andern Worten : sein Standpunkt ist der vermittelnde. Kleine
wie große Wirtschaften haben, Zeit und Ort entsprechend, ihre Be-
rechtigung, Von einem absoluten Vorzug einer oder der andern
Form kann keine Rede sein. Demgemäß sind beide Formen unent-
behrlich für die allgemeine W^ohlfahrt. Der höchste ,, Reinertrag",
welcher als Ausgangspunkt des Landwirtschaftsbetriebes nach Thaer
zu gelten hat, kann bei beiden Formen des Grundbesitzes stattfinden,
weil die Vorzüge Jedes Systems nicht absolut, sondern relativ,
d. h. an gewisse Verhältnisse und Bedingungen geknüpft sind. Da
aber die Verhältnisse und Bedingungen an jedem Ort verschieden
sich gestalten, so folgt logischerweise, daß die Form des Grundbe-
sitzes, sei es nun eine ,, große" oder ,, kleine" Wirtschaft, nicht eine
einzige, allgemeingültige sein kann. Thaer war ein zu guter
Kenner des konkreten Lebens, als daß er alles unter eine Schablone
hätte bringen wollen. Er war zu sehr vertraut mit der Kompliziert-
heit der Landwirtschaft nach allen ihren Modifizierungen hin. Fügen
wir noch hinzu, daß sein Standpunkt überhaupt der der Relativität
war, so liegt die Erklärung seiner Stellung zu der besprochenen
Frage auf der Hand. Es muß noch daran erinnert werden, daß dies
Problem bei Thaer volkswirtschaftlich, das heißt vom Stand-
punkte der landwirtschaftlichen Produktion betrachtet werden
muß. In politischer Beziehung hat Thaer bekanntlich an der
Agrarreform mitgearbeitet.
Fassen wir die Ergebnisse unserer Untersuchung über Thaers
Stellung zu kleinen und großen Wirtschaften zusammen, so ergibt
sich: Kleine und große Wirtschaften sind beide zweck-
mäßig, je nach den Bedingungen, unter denen sie sich
befinden. Es findet kein absoluter Vorzug statt. Das
Entscheidende, Ausschlaggebende dieser oder jener Form des Grund-
besitzes sind die örtlichen und zeitlichen Bedingungen, die Lage zum
Markte und die jeweiligen Konjunkturen desselben.
Thaers Stellung zur Getreidezollpolitik.
Thaer liebt es, zur Begründung mancher seiner Ideen geschicht-
liche Momente und Erfahrungen anzuführen. Ganz besonders bringt
er diese Methode bei seiner Stellungnahme zur Getreidezollfrage in
Anwendung. Bei Besprechung derselben sagt er, daß es unbedingt
nötig sei, um richtige Maximen für die Korngesetzgebung aufstellen
zu können, in der Geschichte nachzusehen und aus ihr zu lernen.
Insbesondere die Geschichte der englischen Kornlegislatur biete für
•
— 38 —
diese Frage reichhaltiges Material. Er gibt selber in längerer Aus-
führung^) ein Bild Jener Periode, aus der hier ein kurzer Auszug
wiedergegeben werden soll; es ist dies aus dem Grunde nötig, weil
Thaer in die Schilderung der Geschichte seine eigenen Ansichten ein-
streut, und man daher, um diese zu würdigen, jene kennen muß.
Vor und im 14. Jahrhundert beschäftigen sich alle Kornpolizei-
verordnungen in England, abgesehen von der Einführung eines all-
gemein richtigen Maßes, mit dem Verbote des Kornaufkaufes. Die
Kornhändler oder Kornjuden, wie das Volk sie damals nannte, waren
die bestgehaßten Leute im Lande. Und doch waren sie, wie Thaer
sagt, nützliche Leute, die wahren Vormünder des Volkes, welche
das Getreide ebenmäßig durch das Land und durch die Zeit von
einer Ernte bis zur andern verteilten, die nach einer unzureichenden
Ernte durch höhere Preise anfangs die Konsumenten zut Sparsamkeit
zwangen, und dadurch Hungersnot am Ende des Jahres verhüteten.
Warum aber haßte man diese Leute? Der König, die Lords und die
Stadtobrigkeiten verloren durch den Kornhandel außerhalb der Märkte
ihre Zölle und Gefälle, der Bürger meinte, die Vorkäufer müßten
allein schuld sein, wenn der Landmann nicht einen Überfluß von
Korn auf den Markt brächte, oder nicht mit den niedrigsten Preisen
zufrieden wäre. Leben und Eigentum der Kornhändler waren zu
Zeiten vor der Wut des englischen Pöbels nicht sicher.
Schwere Strafen ruhten nach Einführung des Zwischenhandel-
verbotes auf dem Kornzwischenhandel — man kann sich also denken,
daß es keinem vermögenden und unternehmenden Manne einfallen
konnte, diesen Haß und diese Strafen auf sich zu ziehen, und daß
d^her aller Zwischenhandel aufhörte, alle Kornböden wegfielen. Was
war die Folge hiervon? Der Bauer mußte für nichts besorgter sein,
als daß mehr Getreide in seiner Gegend gebaut würde, wie zur un-
umgänglichen Subsistenz nötig war. Denn, wurde sein nächster Markt
mit Getreide überfahren, so konnte er sein Korn nicht los werden,
er mußte unter Produktionspreis verkaufen; wenn auch in einer
andern Gegend des Landes Hungersnot herrschte, so durfte es doch
keiner wagen, Getreide in jene Gegend zu transportieren, Obrigkeit
und Pöbel würden ihm die Lust schon ausgetrieben haben. Also :
Der Landmann baute nur das allernötigste Korn, und dieser Um-
stand hatte in guten Jahren enormen Preisrückgang, in schlechten
Jahren Hungersnot und dadurch insgesamt riesige Preisschwankungen
zur Folge. In jenen Zeiten stieg oft das Getreide von einem Mittel-
preise auf das Zehn- bis Achtzehnfache, und fiel dann wieder auf
ein Viertel des Mittelpreises herunter.
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts kam ein Schimmer Licht in
diese kornpolitische Finsternis. Bei Erlegung eines gewissen Aus-
1) Thaer, Einleit. z. Kenntn. d. engl. Landwirtsch. 1801 Bd. 2 2. Abt.
S. 114—252.
— 39 —
fulirzolles ward die Ausfuhr gestattet, jedoch mit der Einschrän-
kung, daß der König und sein Rat die Ausfuhr beschränl^en könne,
wenn er es für gut befände. Und König und hochweiser Rat fanden
es für vernünftig, in Rücksicht auf die ihnen sonst entgehenden Gefälle
der inneren Märkte die Ausfuhr in der Regel zu verbieten und nur
in seltenen Fällen Konzessionen zur Ausfuhr zu erteilen.
Mit dem Jahre 1436 sollte in diesem Zustand eine Erleichte-
rung geschaffen werden. Es erschien eine Parlamentsakte ,, zur Auf-
helfung des verfallenden Ackerbaues", worin Ausfuhrfreiheit erteilt
wurde, wenn der Weizen nicht über 6 Schilling 8 Pence stände.
Man fand dies so wohltätig für das Reich und für den Ackerbau,
daß 1444 das Gesetz bestätigt und auf 10 Jahre verlängert wurde.
Hierbei hob sich der Ackerbau so sehr, daß der Ge-
treidepreis in einerReihe vonJahren w eni g s chwankte
und immer auf einem mäßigen Standpunkte stehen
blieb. Es ist zu beachten, daß die Einfuhrfreiheit vom Aus-
lande her in keiner Weise beschränkt war. Die nach-
teiligen Folgen dieses Verhältnisses sollten denn auch nicht aus-
bleiben. Da sich zu dieser Zeit auch der Ackerbau, ebenso wie die
Industrie der Niederländer infolge größeren Kapitalreichtums ungemein
hob, so wurden, wenn in England der Preis des Getreides infolge einer
schlechten Ernte etwas stieg, sofort von Holland solche Massen Getreide
eingeführt und gegen Wolle und halbfertiges wollenes Tuch einge-
tauscht, daß der englische Ackerbau nicht Preis halten konnte und
vom Markte verdrängt wurde. Der Getreidebau wurde also wieder
vernachlässigt und mehr Schafzucht getrieben, das heißt, extensive
Wirtschaft auf Kosten der vorgeschrittenen intensiven Betriebsweise
der englischen Urproduktion aufgedrängt.
Die Regierung sah ein, daß der Ackerbau durch die starke Ge-
treideeinfuhr zugrunde gerichtet werde, und gab ein Gesetz, wodurch
die Einfuhr von Getreide verboten wurde, solange bis der Weizen
über 6 Schilling 8 Pence, Roggen über 4 Schilling und Gerste über
3 Schilling stände.
Dieses Gesetz nennt Thaer die Morgenröte einer weisen
Gesetzgebung in Ansehung des Kornhandels, ,, sie waren
der Samen des nachmaligen fruchtreichen Stammes, wozu der englische
Ackerbau anwuchs", sie hätten den nachfolgenden Gesetzgebern
einen Fingerzeig gegeben, ,,was sie zu tun hätten, um den Acker-
bau zu heben, daß dieser eine Vermehrung der Menschenzahl, die
daraus folgende Industrie und den Nationalreichtum in späteren
Zeiten hervorbringen konnte."
Doch bei diesem guten Anlauf blieb man bald wieder stehen,
Ja man machte sogar wieder Schritte nach rückwärts. 1552 kam
eine merkwürdige Akte heraus : Es ward die Einfuhr verboten, wenn
der Weizen auf 6 Schilling 8 Pence stände, oder auch inländischen
Weizen von einem Orte zum anderen zu fahren, oder ihn zum Ver-
40 —
kaufe aufzuschütten. Die Einfuhr war ja bei jenem Preise über-
haupt verboten und die Ausfuhr gestattet. Es scheint hier nur auf
das Wort ,,auf" oder ,,über" anzukommen. In der früheren, dies-
bezüglichen Akte hieß es, ,,bis der Preis über 6 Schilling 8 Pence
stände, sei die Einfuhr verboten"; doch man muß berücksichtigen,
daß der Münzfuß sich während dieser Zeit so verändert hatte, daß man
nun aus einem Pfund Silber 60 Schilling schlug, während in der
vorhergehenden Periode nur 37 Schilling 6 Pence darauf gingen.
Auch war der Zinsfuß von 16^7^, auf 12*^/^ gefallen. 6 Schilling
8 Pence galten (nach dem Münzfuß zu Anfang des 19. Jahrhunderts
ausgerechnet) im Jahre 1463 1:15:2 Pfd., im Jahre 1552 dagegen
nur 0:16:6, ein Preis, wofür in England kein Korn produziert
werden konnte. Folglich ward das ganze damalige System über
den Haufen geworfen, nicht nur die Produktion, sondern auch
der Kornhandel bekam wieder einmal einen tödlichen Stoß, denn das
Korn mußte unter Produktionspreis fallen, der Produzent mußte sich
dazu bequemen, unter Produktionspreis zu verkaufen, wenn er
überhaupt angesichts der billigen Preise des eingeführten Getreides
seine Ware an den Mann bringen wollte.
Dieser Fehler war um so unverzeihlicher , weil seit 40 Jahren
kein Kornmangel entstanden und der Preis immer sehr mäßig ge-
wesen war. In den Jahren vor dieser Verordnung, die 1554 noch
verschärft wurde, hatte der Preis des Weizens 8 Schilling betragen,
war also zu wohlfeil für den Landmann gewesen, und doch be-
schwert man sich am Eingang der Akte über den ,,wund ervoll
teuren Preis, der durch den Kornwucher hervor-
gebracht würde".
Hierzu äußert sich Thaer in längerer Darstellung, von der das
Treffendste herausgehoben sei : ,, Diese kurzsichtigen Gesetzgeber", so
sagt Thaer, ,, wähnten also, das sicherste Mittel, Überfluß zu er-
halten, sei: wenn man alles einheimische Korn zu Hause behielte,
und soviel wie möglich vom fremden einführte. Es fiel ihnen nicht
ein, daß gerade hierdurch auf die Folge teure Preise bewirkt werden
müßten, indem der Ackerbauer kein Korn zum Verkaufe erzielen
konnte, wenn das Korn weniger galt, als es ihn kostete; daß
folglich Mangel und Hungersnot erfolgen müsse, wenn der Bauer
dies fühlte und die Vorräte erschöpft wären. Den Unterschied des
vormaligen und jetzigen Wertes derselben Nennmüuze hatten sie
vermutlich aus den Augen verloren ; bedachten nicht, daß Tagelohn
und alle Bedürfnisse den Landmann jetzt dreimal soviel kosteten."
„Daß der Ackerbau sich hebe und einen Überfluß von Korn
erzeuge, wenn immer ein freier offener Markt da ist; daß mit dem
fleißigen Anbau des Feldes, mit der Verführung und dem Handel
von Produkten mehrere Menschen nützlich beschäftigt werden; daß
Menschen sich schnell vermehren, wenn Nahrungsmittel und Arbeit
vorhanden sind, daß diese Menschen auf neue Industriezweige sinnen;
— 41 —
daß diese, sowie der Ackerbau selbst, dann mehr hervorbringen, als
im Lande gebraucht werden kann; daß eine vorteilhafte Handels-
balanz für den Staat entstehe, und daß sein Reichtum und seine
Macht anwachse, — daß sich folglich alles dies in größeren
Staaten auf den emporkommenden Ackerbau gründe,
dies war den Staatsmännern damaliger Zeit noch zu verwickelt, und
ist den unsrigen zum Teil — zu einfach und natürlich."
Der Ackerbau dauerte aus Not und Gewohnheit in England
noch fort, wenn auch immer kümmerlicher.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die Not
jedoch unerträglich, in den siebziger Jahren trat fortdauernde Teuerung
und Kornmangel ein, die Preise, welche bisher zwischen 3 — 8 Schilling
geschwankt hatten, stiegen auf 45, 60, 80 Schilling, denn die Aus-
länder machten sich die englische Not zunutze. Innerhalb weniger
Jahre betrug die Einfuhr von Korn 45 Millionen Livres Tournois.
Das Erschrecken über den verfallenden Ackerbau war nun auf selten
•der Regierung. Die Königin Elisabeth ordnete 1562 an, daß alle
unbebauten Höfe bebaut werden sollten, widrigenfalls sie dem
nächsten Erben, der sie bebaute, dann dem Gutsherrn, und endlich
der Königin anheimfallen sollten. Auch erlaubte sie die Ausfuhr,
wenn der Quarter Weizen nicht über 10 Schilling stände. Aber nie-
mand hatte Lust, unter diesen Bedingungen die Höfe zu bebauen,
und die Königin am allerwenigsten.
1570 erschien eine Akte „zur Beförderung des Ackerbaues und
zur Vermehrung der Schiffahrt und der Matrosen". Thaer sagt über
diese Akte: „Die Tendenz war gut, doch die Zusätze verhinderten
alle Wirkung." Es ward erlaubt, Getreide auf englischen Schiffen
mit englischer Bemannung auszuführen, wenn — die Ausfuhr nicht
durch Regierung oder Distriktsobrigkeit untersagt sei. Die ver-
schiedenen Magistratspersonen sollten nach einer Konferenz mit den
Einwohnern ihres Distrikts aus eigenem Ermessen bestimmen, ob die
Ausfuhr freizugeben sei, oder nicht. Das glich einem völligen Aus-
fuhrverbote, denn Einwohner und Magistratspersonen kaprizierten
sich auf den alten Preis von 8 Schilling. Zudem war der Aus-
fuhrzoll auf 20 festgesetzt, und hierbei konnte der Engländer
nirgends Preis halten.
1593 ward, um den Ackerbau aufzumuntern, die Ausfuhr er-
laubt, wenn der Weizen nicht über ein Pfund stand. Nun
stand aber der Preis 1594 ^uf 2 Pfund 16 Schilling, 1596 auf
4 Pfund, und 1597 auf 5 Pfund 4 Schilling. Dabei gestattete man
die Ausfuhr, wenn der Kornpreis nicht über ein Pfund stände!
„Solche Preise, sagt Thaer, „waren demnach die Folgen
des durch Erschwerung des Kornhandels unterdrückten
Ackerbaues und der Abhängigkeit von Fremden in An-
sehung des notwendigsten Bedürfnisses. 1604 setzte man
den Preis auf 26 Schilling 8 Pence, 1632 auf 32 Schilling fest, aber
— 42 —
immer mit einem Ausfuhrzoll von 2 Schilling; auch hob man die
Strafgesetze gegen Aufkäufer auf, wenn der Preis nicht höher stände.
Unter Karl II. wurde 1660 die Ausfuhr erlaubt, wenn der Weizen
nicht über 2 Pfund stände, zugleich wurde aber eine Abgabe von
2 Pfund daraufgelegt. Dies glich wiederum beinahe einem Ausfuhr-
verbote, daneben aber wurde ein Einfuhrzoll von 2 Pfund auf Jeden
Quarter gelegt, wenn er am Einfuhrsorte nicht über 2 Pfund
4 Schilling galt. Stand also der Weizen und im Verhältnis anderes
Korn im Lande niedriger, so glich diese Abgabe einem völligen Ein-
fuhrverbote.
Diese Maßregel hätte den Landbau heben können, wenn man
ihr nur hätte trauen dürfen, doch der Landwirt war durch das viele
Laborieren an den Korngesetzen mißtrauisch geworden und versprach
sich keine lange Dauer dieses Gesetzes.
Der Ackerbau verkam mehr und mehr. Alle Pächter und Bauern
waren so verarmt, der Bedarf an auswärtigem Korn so groß und
der Preis so hoch, daß man im Parlamente stutzig wurde. 1663
erschien eine neue Akte. Interessant ist die Einleitung, da sie zeigt,
daß man im Parlamente den Ackerbau wohl zu schätzen wußte.
Sie erkennt an, daß der Ackerbau eine ganz besondere Auf-
merksamkeit verdiene; um ihn zu heben, müsse man ihnein-
träglich machen. Eine große Menge Ackerland, die jetzt wüst und
ertraglos daliege, könne sehr verbessert und mit großem Vorteil be-
baut werden und dadurch Produktion wie Population sehr befördert
werden, „wenn man sicher wäre, die darauf verwendeten
Kosten und Arbeit wieder bezahlt zu erhalten". Nach-
dem man zu dieser sehr richtigen und nützlichen Erkenntnis ge-
kommen war, verordnete man folgendes: 1. ,,Wenn das Quarter
Weizen nicht über 48 Schilling stände, sollte freie Ausfuhr erlaubt
sein und keine höhere Abgabe als 5 Schilling 4 Pence davon be-
zahlt werden. 2. Bei obigem Preise solle jeglicher Kornhandel ge-
stattet und die darauf ruhenden Strafen aufgehoben sein. 3. Wenn
das Getreide den vorerwähnten Preis nicht übersteige, soll für das
Quarter eingeführten Weizens nur 5 Schilling 4 Pence an Einfuhr-
zoll bezahlt werden." Der letzte Passus ist nun ein Monstrum.
Es konnte doch unmöglich die Absicht der Gesetzgeber sein, die
Einfuhr von Korn zu erschweren, wenn dasselbe teuer im
Lande war, und wenn es billig war, die Einfuhr zu be-
günstigen. Es mußte bei dem dritten Satze das Wort „nicht"
zufälliger- oder hinterlistigerweise sich eingeschlichen haben. Wie
vorher bemerkt, hatte man 1660 auf die Einfuhr einen Zoll von
2 Pfund gelegt, wenn der Preis nicht über 2 Pfund 4 Pence galt.
Und nun bei niedrigen Preisen der niedrige Einfuhrzoll!
Übrigens gab man in Schottland, wo man alle staatswirtschaftlichen
Einrichtungen mit den englischen übereinstimmend machte, zur selben
Zeit dasselbe Gesetz und ließ das Wörtchen „nicht" aus. Die
— 43 —
Einfuhr dauerte also bei niedrigen Preisen lustig fort, und der Bauer
saß nach wie vor auf dem Trocknen.
Die Ausgaben für fremdes Korn und der fortdauernde Verfall
des inländischen Ackerbaues wurden aber nachgerade so empfindlich,
daß man 1670 ein neues Gesetz erließ: ,,Akte zur Beförderung des
Ackerbaues usw." Das ominöse VVörtchen ,,nicht" ließ man Jetzt
weg , die hohe Einfuhrabgabe ward festgesetzt , wenn der
Weizen unter 48 Schilling im Lande stände. Diesen effektiven Preis-
stand sollte der Preis auf dem nächsten Markte eines jeden Hafens
bestimmen. Dadurch wurde der Zweck des Gesetzes wieder ver-
eitelt, der Kaufmann, der Getreide einführen wollte, machte sich
den ihm passenden Preis durch ein einfaches Börsenmanöver ; er ließ
sein eignes Korn von Gehilfen zu hohen Preisen aufkaufen, nahm
eine Bescheinigung hierüber auf und führte gegen niedrigen Zoll
ein. Der englische Bauer war wiederum betrogen. Dieser Betrug
wurde nun 1685 erschwert durch einen Zusatz: ,,Die durchschnitt-
lichen Preise sollen durch Quartalssitzungen auf Eid mehrerer
Personen, die aber weder Kaufleute noch Faktors sondern
wohlhabende Pächter und Gutsbesitzer seien, bestimmt
werden. So verbesserte man die Maßregel allmählich. 1686 ward
man böse im Parlament, verbot alle Einfuhr gänzlich und
ordnete die Zerstörung alles eingeführten fremden Korns
an. Das half, die Preise fingen an, beträchtlich zu fallen.
Bei der Thronbesteigung Wilhelms von Oranien erschien 1688
eine Akte: ,,Die Kornausfuhr zu befördern". Galt der Weizen
nicht über 44 Schilling, so betrug der Einfuhrzoll 40 Schilling, galt
er nicht über 53 Schilling 6 Pence, so belief sich der Zoll auf
16 Schilling, und bei nicht über 80 Schilling sollte die Einfuhr bis
auf eine kleine Zertifikationsgebühr frei sein. Ferner, und das ist
das wichtigste, sollte, wenn der Weizen nicht über 48 Schilling
stände (anderes Getreide nach Verhältnis), die Ausfuhr auf eng-
lischen Schiffen mit ^/^ englischer Bemannung vollständig frei
sein, und zudem für Jedes Quarter Weizen (anderes Getreide nach
Verhältnis) eine Prämie von 5 Schilling bezahlt werden. Man ver-
suchte verschiedentlich das Gesetz zu umgehen, der Pöbel wider-
setzte sich der Ausfuhr, vernichtete die Kornfuhren, prügelte die
Fuhrleute, zerstörte Kornmagazine, warf ganze Schiffsladungen Korn
über Bord ,,und glaubte dadurch den Kornvorrat im Lande zu ver-
mehren". Man versäumte ferner die Preise auf die vorgeschriebene
Art auszumitteln, ließ fremdes Korn fast zollfrei ein, unter dem Vor-
wande, daß die Preise nicht gesetzmäßig bestimmt wären, kurz, man
suchte auf alle mögliche Art und Weise sich an dem Gesetze vorbei
zu drücken. Doch man sah diesmal strenge auf die Durchführung
dieser Akte und bestrafte die Schuldigen. Dies Gesetz hatte endlich
die beabsichtigte Wirkung. Thaer nennt es ,,ein, wie der Erfolg
lehrte, richtig berechnetes System, das Überfluß und mäßigere,
Werth. 4
— 44 —
gleichere Preise, wie sie je bestanden hätten, zur Folge gehabt habe.
Vermutlich hätten die Gesetzgeber selbst nicht einen solchen Über-
fluß an Getreide und Lebensmitteln erwartet".
Der Ackerbau hob sich also nach jener Akte ungemein. Der
Preis des Getreides stieg anfangs höchstens um ^/^ des Mittelpreises
und fiel dann von 10 zu 10 Jahren immer mehr, oi3gleich Konsumtion
und Reichtum immer mehr zunahmen. ,,Wer da weiß," sagt Thaer,
,,wie hoch man die Fruchtbarkeit eines Ackers bei einem guten
Wirtschaftssystem und zweckmäßig daran verwandtem Kapital treiben
kann: dem wird dieser Erfolg sehr natürlich erscheinen. Die meisten
Staatsmänner und Schriftsteller über Staatswirtschaft kennen dies
aber nicht, und beurteilen den Ackerbau nur so en gros, wie er
landüblich getrieben wird. Wenn sie sonst erwägen wollten, daß
durch einen tätigen Ackerbau — wie dies gewiß geschehen kann —
statt sechs Körner neun Körner erzeugt werden können, und daß
nach Abzug des Saatkorns und der Konsumtion des Landwirtes im
ersten Falle drei, im letzteren sechs Körner, also das Doppelte, zum
Verkauf kommen, so müßten sie sich leicht überzeugen können, daß
ohnerachtet aller möglichen Ausfuhr, die ein Ackerbau treibendes
Land nur haben kann, doch ein größerer Überfluß im Lande bleiben
müsse, als vorher. Wenn nun dazu die neuen Urbarmachungen, die
ein tätiger Haushalt unternimmt, kommen — denn Raum fehlt fast
nirgends — , so wird man leicht einsehen, daß alle Ausfuhr nicht
zureiche, um den Überfluß aus einem beträchtlichen Staate fort-
zuschaffen. Dazu gehört aber, daß das Gewerbe der Landwirtschaft
einträglicher werde (als es z. B. bei uns in Niedersachsen — die
letzten sechs Jahre etwa ausgenommen — gewesen ist), und daß
der Wiederertrag des ztj Verbesserungen verwandten Kapitals ge-
sichert sei."
Sinkende Preise bei begünstigter Ausfuhr, Zufriedenheit und
vermehrter Wohlstand der Landwirte bei sinkenden Preisen sind nach
Thaer die Folgen, wenn man die Ausfuhr begünstigt. Daß der
Ackerbau damals so sehr aufblühte, ist für Thaer durchaus kein
Wunder, man schämte sich nun dieses Gewerbes nicht mehr. ,,Mit
Kapital in den Händen und richtigen Begriffen im Kopfe, entlockte
man nun allen Äckern einen bisher unerhörten Ertrag, wandelte un-
fruchtbare Wüsten in reiche Felder um, legte künstliche Wiesen an,
verwandelte die Viehrassen, erfand bessere, den Kraftaufwand er-
sparende Werkzeuge. So entstand denn nach aufgehobener Einfuhr
und reichlicher Versorgung des Inlandes die beträchtliche Ausfuhr.
Einfuhr
Ausfuhr
1711 —
1720
71000 Quarter
449 193 Quarter
1721—
-1730
73 262
447 968
1731—
1740
4 690
549 447
1741—
-1750
15 943
848 660
1751—
1760
37 397
582 837
— 45 —
Die Einfuhr bestand meist in Hafer, die Ausfuhr in Weizen.
1757 änderte man zum ersten Male an dem weisen Gesetze
von 1688; die vorjährige Ernte war sehr schlecht gewesen, statt
der durchschnittlichen Ausfuhr von 848 660 Quarter waren nur
80 000 Q. ausgeführt worden, die Einfuhr betrug 161301 Q. Der
Abschlag belief sich auf rund 1 Million, dadurch wurde der auf
3 Pfund gestiegene Preis vollkommen gerechtfertigt; doch das Volk
fing wieder einmal an zu revoltieren, zerstörte Kornfuhren und Korn-
magazine ; dazu kam der unglückliche Anfang des Krieges — die
Regierung hatte alle Ursache, sich mit dem Volke gut zu halten — , und
so verbot man denn bis zum 25. Dezember jede Ausfuhr, gab da-
gegen die Einfuhr frei.
Diese Maßregel nennt Thaer ungerechtfertigt, denn so groß war
die Not nicht, die Einfuhr hatte die Ausfuhr nur um 87 301 Q.
überwogen, und damit schien die Nation reichlich versorgt. Bei der
geringsten Sparsamkeit hätte man das Defizit wieder gut machen
können. Die Ausfuhr hätte von selbst aufgehört, und die Einfuhr
hätte selbst bei dem alten System bei diesen Preisen stattgefunden.
Wäre aber auch der Preis noch etwas höher gegangen, so hätte
sich der Ackerbau, durch die Aussicht, schlechte Ernten desto besser
bezahlt zu erhalten, so gehoben, daß das kleine Defizit auf immer
gedeckt gewesen wäre. Wenn der Ackerbau nicht durch das alte
System so kolossal in die Höhe getrieben worden wäre, welche
Hungersnot würde wohl damals in England entstanden sein? Zufuhr
von einer Million Quarter, die nötig gewesen, hätte damals unmöglich
herbeigeschafft werden können. Diese erste Änderung am alten System
war der Anfang vom Ende ; man operierte noch eine Zeitlang hin
und her, doch das Handelsinteresse siegte im Parlamente immer
mehr über das landwirtschaftliche, es zeigte sich dies in der Gesetz-
gebung, es zeigten sich die Folgen im verfallenden Ackerbau. Wenn
Zahlen reden, so genügt die Bemerkung, daß England 1796 inner-
halb dreier Jahre 91/2 Millionen Pfund Sterling für fremdes Getreide
ausgegeben hatte. Hierzu kam noch eine Menge Reis . die zum
Brotbacken benutzt wurde, und eine Menge fremden Branntweins,
der sonst auch aus inländischem Getreide hergestellt worden wäre,
und im Jahre 1799 veranschlagte man im Parlamente die nötige
Einfuhr für das Jahr 1800 auf 5^/^ Millionen Pfund Sterling. Man
suchte im Parlamente nach allerhand Gründen für diese Erscheinung;
Thaer gibt als einzig richtigen Grund an: Verfall des Acker-
baues! Und weshalb verfiel der Ackerbau ? Er schien nicht mehr
vorteilhaft, verlor infolgedessen seinen Kredit und zog sich ohne
Zweifel dadurch das veränderte System der Gesetzgebung zu.
,, Erzwungen niedrige Preise sind eine Anleihe auf Wucherzinsen,"
sagt Thaer, ,,sie kommen einem Volke so wenig zugute, wie diese
dem Verschwender. Wenn das Kapital in Schwelgerei und Trägheit
vergeudet ist, so muß es durch Hunger und Not wiederbezahlt
4*
— 46 —
werden. Erkünstelte hohe Preise sind bei einem betriebsamen Acker-
bau und freiem Kornhandel unmöglich." Bei der furchtbaren Teue-
rung im Jahre 1800 wurde vor allem auf die bösen Farmer und
Kornhändler, als die alleinige Ursache der Not, losgedroschen. ,, Jeder-
mann schrie über eine allgemeine Verschwörung der Farmer und
Kornhändler im ganzen Reiche. Man gab ihnen Schuld, daß sie ihr
Getreide verderben ließen und zerstörten, um es nicht auf die Märkte
zu bringen und so künstliche Teuerung und Hungersnot zu erregen.
Man machte sie nach beliebter Art .zu Jakobinern, welche mittelst
der erregten Teuerung und Hungersnot die Regierung zu einem
schimpflichen Frieden zwingen wollten." Ein besonders patriotischer
Graf, Warwick nannte sich der Herr, verkündigte sogar seinen
Pächtern in einem höchst entrüsteten Briefe, ,,er sähe ihr Betragen
mit Abscheu an, er sei willens, andere Pächter an ihre Stelle zu
setzen, wenn sie nicht ihr Korn sogleich zu Markte brächten und
zu einem solchen Preise verkauften, der ihren Nebenkreaturen er-
laubte, zu existieren, wobei sie immer noch einen größeren Vorteil
hätten, als ihnen als Pächter gebühre". Dazu bemerkt Thaer : ,,Die
Farmers müßten Ja samt und sonders toll geworden sein, wenn sie
Jetzt bei den schrecklich hohen Preisen nicht verkauften, da das
Korn , wenn wirklich nur die Notdurft bis zur Ernte vorhanden
wäre, bei den Aussichten zu einer besseren Ernte und zum Frieden,
wahrscheinlich bald über die Hälfte im Preise fallen würde." Die
Ursache des Kornmangels wird nach Thaers Erachten durch die
Worte des Surveyer von Yorkshire völlig aufgedeckt. Dieser hatte
schon vor ein paar Jahren gesagt: ,,Wir werden so lange
fechten, hämmern und weben, bis wir kein Brot mehr
zu essen haben!"
Thaer sagt noch hierzu: ,,Die Aufmerksamkeit, die Industrie
und das Kapital der Nation ist dem Ackerbau in den neuesten Zeiten
zu sehr entzogen worden, da Krieg, Handel und Manufakturen zu
schnelle Mittel, reich zu werden, darboten. Die dem Ackerbau ge-
widmete Fläche ist im Verhältnis der Population zu klein, als daß
sie anders als mittelst einer höchst industriösen Kultur das erforder-
liche Getreide liefern kann."
Thaer entwickelt seine Ansichten nicht in zusammenhängender
Darstellung, sondern einzelne, bei den verschiedenen Gesetzen ein-
geflochtene Bemerkungen müssen gesammelt und zu einem Ganzen
vereinigt werden:
Die Basis der inneren Stärke eines Staates, die Quelle alles
Wohlstandes ist nach Thaer der Ackerbau. Da nun sinkende
Preise der Ackerbauprodukte dem Landwirte durchaus
keine Anregung zur intensiven Betreibung seines
Gewerbes geben (also ganz der entgegengesetzte Standpunkt,
wie ihn L. Brentano in seiner ,, Agrarpolitik" pag. 144 vertritt, der
,,den Druck der auswärtigen Konkurrenz" als einen An-
— 47 —
sporn zu intensiverem Betriebe in der Landwirtschaft darstellt), so
liegt es auf der Hand, was ein Staat zu tun hat, um zu Wohlstand
und Macht zu gelangen, resp. dieselben zu behaupten. Ein an-
gemessener Preis für die Ackerbauprodukte ist nach
Thaer in erster Linie zu erstreben, damit der Ackerbau die nötige
Aufmunterung erfahre. Vor allem ist eins zu beachten: Thaer
betrachtet hohe Getreidepreise gewissermaßen als
ein Erziehungsmittel zu niedrigen Preisen; mit andern
Worten: Ein gesunkener oder auf niedriger Stufe stehender Acker-
bau bedarf unbedingt hoher Getreidepreise , um auf eine höhere
Kulturstufe zu gelangen. Hat er diese durch das Mittel der hohen
Preise erreicht, so wird es ihm möglich, auch bei sinkenden Preisen
vorteilhaft zu produzieren.
Unbedingte Freiheit des Handels und Wandels will Thaer, un-
beschränkte K;ornein- und Ausfuhr, ,,laisser faire — laissez passez"
auch in der Landwirtschaft, Jedoch nur unter der Bedingung,
daß diese Maxime überall beobachtet und nirgends eine
Ausnahme gemacht werde. Hat man aber einmal bei irgend
einem Gewerbe eine Ausnahme gemacht, so muß allen andern Ge-
werben, wenn sie es bedürfen, dieselbe Hilfe geleistet werden. Da
man damals in England den Fabrikwaren bei Ausfuhr die sogen.
Drawbaks (Rückzahlung des Ausfuhrzolles) bewilligt hatte, so seien
solche auch für Getreideausfuhr nötig gewesen, sagt Thaer, denn
auf welcher Ware ruhte damals eine höhere Taxe , als auf den
Landbauprodukten? Der Landbau hatte die Armentaxe, die Land-
taxe, den Zehnten und alle andern Auflagen, die der Bauer tragen
mußte, zu ersetzen.
Ganz besonders ist nun Thaer für die Beförderung der Getreide-
ausfuhr. In dieser Beziehung setzt er sich mit zwei englischen
Nationalökonomen auseinander, nämlich mit John Steuart und Adam
Smith. Von ersterem ist Thaer nicht sehr erbaut, er sagt von ihm
mit anderen Worten, daß derselbe nicht viel von Landwirtschaft
verstehe und infolgedessen falsche Rechenexempel angestellt habe.
,, Dächte sein sich in alles mischender Regent nicht mehr nach, so
würde er den Ackerbau bald völlig zugrunde richten." Mit Smith
ist Thaer, was die Kornpolitik betrifft, ebenfalls nicht einverstanden.
,,Hält Smith", so sagt Thaer, ,,für Fabrikwaren diese Prämien oder
Rückgaben (die vorerwähnten Drawbaks) für nötig, so ist das eng-
lische Getreide ihrer noch weit mehr bedürftig, wenn England Ge-
treide ausführen soll — was nun vielleicht nie wieder der Fall
sein wird — . Denn bei einer Nation, die wie die englische, durch
Bevölkerung, Kunstfleiß und Nationalreichtum in den Stand gesetzt
ist, Fabriken mit größter Energie zu betreiben, bedürfen Fabrikwaren
keiner Rückgabe. Der englische Fabrikant kann, wie die Erfahrung
zeigt, ohnerachtet der Teuerung der Lebensmittel und Arbeit, seine
Waren wohlfeiler geben, als Jede andere Nation. Eine polnische.
— 48 ' —
russische oder ungarische Fabrik wird, ohnerachtet aller Wohlfeilheit
des Landes, vorerst gegen keine englische aufkommen. Mit dem
Ackerbau aber verhält sich's ganz anders. Der Russe und Pole
wird sein Korn selbst in England im Durchschnitt wohlfeiler ver-
kaufen können, als der Engländer. Warum ? Das rohe Material
der Fabriken läßt sich verfahren, und der Engländer hat die Ge-
legenheit und das Vermögen, es zu kaufen, besser wie der Russe
und Pole, aber das rohe Material des Ackerbaues, der Grund und
Boden, fehlt nach Verhältnis der Bevölkerung mehr wie in Polen
und ist viel teurer. Smith würde hierauf antworten: ,,Nun, so ist
es nicht gut, daß der Pole vorerst Fabriken, und daß der Engländer
Ackerbau treibe."
,,Aber der Engländer", sagt Thaer, ,,muß essen, und er kann
mit polnischen Lebensmitteln nicht so leicht versorgt werden, wie
der Pole mit englischen Fabrikwaren. Wollte man sagen, er solle
nicht mehr bauen, als er gerade konsumiert, so bewiese das eine
unverzeihliche Unwissenheit. Denn wenn eine Nation in sclilechten
Jahren die Notdurft heben will, so muß sie in guten Jahren Über-
fluß haben. Wenn dieser Überfluß aber nur mit Verlust ab-
gesetzt werden kann, wenn sein Preis auf Jedem
Markte niedriger steht, als dem Engländer die Produktion
kostet, so kann und wird er keinen Überfluß hervor-
bringen, und so wird Mangel in schlechten Jahren eintreten.
Daher war eine Vergütung des Verlustes, oder die Aus-
fuhrprämie das einzige Mittel, die Nation in schlechten Jahren
gegen Mangel zu schützen.
Eine freie Einfuhr des ausländischen Getreides aus solchen
Ländern, wo dasselbe mit geringeren Kosten produziert
werden kann, würde der Schiffahrt ohnerachtet, den Preis auf
den englischen Märkten so herabgesetzt haben, daß ein betriebsamer
Ackerbau nicht hätte bestehen können. Daher mußte, um diesen zu
erhalten, die Einfuhr eingeschränkt werden. In seiner Gewerbslehre
fordert Thaer sogar, daß die Regierung die Ausfuhr des Getreides^)
in schlechten Jahren tätiger befördere, als den auswärtigen Absatz
der Fabrikate.
Jedoch ist Thaer keineswegs so einseitig, dem Ackerbau allein
alles Heil im Staate zuzuschreiben ; er ist im Gegenteil dualistisch,
Landwirtschaft auf der einen, Industrie auf der anderen Seite
müssen mit gleicher Sorgfalt vom Staate gepflegt werden.
Fassen wir Thaers Anschauungen über Getreidehandelspolitik
zusammen, so erhalten wir kurz folgendes: Vor allem verlangt Thaer
einen guten und ganz besonders einen ständigen, nicht
schwankenden Getreidepreis. Dieser wird schließlich von selbst
zu niedrigen Preisen führen, indem durch die hohen Preise der Land-
1) s. dort § 94.
— 49 —
wirt instand gesetzt wird, ein besseres Kultursystem einzuführen,
und dadurch einen höheren Reinertrag zu erzielen; hohe Preise
führen endlich zu niedrigen, und zwar sowohl zugunsten der kon-
sumierenden, als auch der produzierenden Bevölkerung.
Wenn Thaer einen freien Handel und Wandel fordert, mit
andern Worten die laissez faire-Parole der Handelspolitik als Leit-
stern setzen möchte, so will er damit keineswegs das Eingreifen
des Staates verwerfen, sondern nur gegen einseitige Gesetzgebung
auftreten, weil die Gesetzgeber seines Erachtens nach meistens ein-
seitig verfahren wären, indem sie das Geldinteresse auf Kosten des
Landinteresses bevorzugten. Gegen diese Einseitigkeit allein sträubt
sich Thaer ; wenn der Staat in die Handelspolitik eingreife, so
müsse er sowohl Landwirtschaft als auch Industrie
schützen; eins auf Kosten des andern zu unterstützen, sei falsch.
Land Wirtschaft und Manufakturen gehen nur Hand
in Hand sicher vorwärts. Sie müssen mit gleicher
Sorgfalt vom Staate gepflegt, in gleicher Höhe und Kraft
nebeneinander erhalten werden. Um eins zu heben , das andere
niederdrücken wollen, heißt: einen Fuß lähmen, damit der
andere besser fortschreiten könne. Es ist ein frivoler
Streit um den Vorzug der Fabriken und des Ackerbaues für die
Staatswohlfahrt, den aber praktische und theoretische Staatsmänner
in neueren Zeiten so häufig geführt haben." ^)
Thaers Stellung zur Grundrente.
Die Grundrententheorie war von jeher das ,, Schmerzenskind"
der Nationalökonomie. Mehrere Durchgangsstadien hatte sie zu
durchlaufen, ehe sie eine präzise und genaue Begriffsformulierung
annahm. Smith, Anderson, Malthus, Ricardo, Thünen
und Carey, das sind die Namen, die aufs innigste mit der Grund-
rententheorie verknüpft sind.
In nachfolgender Ausführung muß es mir selbstverständlich fern
liegen, die diesbezüglichen Theorien der hier genannten Autoren zu
behandeln. Worauf es hier ausschließlich ankommt, ist die Stellung
Thaers zu diesen Problemen.
Es muß von vornherein bemerkt werden, daß Thaer weder
eine exakt ausgebildete Grundrententheorie aufgestellt, noch eine der
alten sich ganz zu eigen gemacht hat. Finden wir auch bei Thaer
Anklänge an verschiedene Theoretiker, so kann man bei näherem
Eingehen auf seine Ansichten doch nicht verkennen, daß er eine
^) s. Thaer, Einleitung zu Kenntnis der englischen Landwirtschaft.
1801, Bd. 2 2. Abt. S. 162.
— 50 —
ziemlich selbständige, von den bisherigen Anschauungen abweichende
Meinung über die Grundrente hat. Thaer gebraucht statt „Grund-
rente" meist den Namen ,, Landrente", welchen Ausdruck auch
Thünen zu dem seinigen gemacht hat, und den er wohl von seinem
Lehrer übernommen haben dürfte. Wenn wir Thaers Schriften, nicht
nur seine zusammenhängenden Werke, sondern auch die hier und
da verstreuten Bemerkungen genau ins Auge fassen, so erhalten wir
ein klares Bild von seiner Auffassung der Grundrente. Ohne eine
solche Zuhilfenahme wäre dies nicht gut möglich, denn man muß
sich bei diesem Autor hüten, seine Ideen aus den Hauptschriften
kennen lernen zu wollen, denn er hat vielfach in späteren, kleinen
Arbeiten und Bemel-kungen Gelegenheit genommen, seiner veränderten
oder modifizierten Meinung Ausdruck zu geben.
Vorerst kommt nun hier in Betracht, was Thaer in seinen
,, Grundsätzen der rationellen Landwirtschaft" geäußert hat. Zum
Verständnis der Thaerschen Ansicht über die Grundrente ist es un-
bedingt nötig, die Ideen Thaers über das Kapital bezw. das in der
Landwirtschaft tätige Kapital kennen zu lernen.
Thaer versteht unter Kapital im allgemeinen Vermögen,^) ein
jedes Gut, welches durch eigenen Gebrauch, oder durch Ausleihen
an andere dem Eigentümer eine Einnahme oder Rente gibt. Er sieht
davon ab, wie dies Einkommen bezw. Rente ursprünglich hervor-
gebracht wurde, ob durch die Wirkung der Natur, oder durch Arbeit,
wie Smith, Ricardo und Carey definieren; die Entstehung der Rente
wird von Thaer einfach dahingestellt, er geht nicht näher darauf ein.
Das im Ackerbau angelegte Kapital, sagt Thaer, ist nach seiner
Bestimmmung dreierlei Art: das I.Grundkapital, 2. das stehende
Kapital, 3. das umlaufende oder Betriebskapital.^)
Das Grundkapital ist dasjenige, wodurch sich der Land-
wirt ,,in Besitz eines Landgutes gesetzt hat oder setzen kann".
Hierunter werden auch die Wirtschaftsgebäude und alles auf dem
Boden Feststehende gerechnet.^) Dies ist die erste Kapitalskategorie
des landwirtschaftlichen Gewerbes. Zur zweiten Kategorie zählt
Thaer das stehende Kapital. Es besteht in dem Werte der zum
Betriebe der Landwirtschaft notwendigen Dinge und ist zu deren
Ankaufe verwendet worden. ^) Sein Name drückt schon den Zweck
des Kapitals aus — Inventariura. Schließlich das umlaufende
oder Betriebskapital, womit das Gesinde, die Arbeiter, die an-
zukaufenden Gegenstände, das wechselnde Mastvieh usw. bezahlt
werden, besteht in dem Geldvorrate, der in der Kasse vorhanden
sein muß, oder in den Naturalvorräten, die man bereit liegen hat,
um das betreffende Geld daraus lösen zu können.*) Von diesem
^) Grundsätze der rat. Ldw. I 24.
2) Ibid. S. 25.
3) Ibid. S. 26.
— 51 —
Kapitale muß auch die Unterhaltung des Inventars, das sich seiner
Natur nach immer verschlechtert, bestritten werden. Endlich werden
in der Regel daraus auch die Kosten gedeckt, welche zur Ver-
mehrung des Grundkapitals oder zur Verbesserung des Gutes ent-
stehen.
Das Betriebskapital ist nach Thaer die bewegende Kraft
der ganzen Wirtschaft. Von demselben wird die Arbeit bedingt,
welche eigentlich den Ertrag des landwirtschaftlichen Gewerbes her-
vorbringt. Daher steht der Ertrag nächst den Talenten und dem
Fleiße des Betreibers, besondere Glücks- und Unglücksfälle ab-
gerechnet, immer im Verhältnis zu dem Betriebskapital, ^) Thaer
meint, daß die Schwierigkeit, das Betriebskapital zu erhalten, die
Höhe der Zinsen, die man dafür zahlen müsse, oder die Gelegenheit,
mit seinem Kapitale in anderen Gewerben einen höheren Gewinn
machen zu können, das sei, was die Landwirtschaft und folglich die
Produktion des Grund und Bodens am meisten zurückhalte. Da-
gegen wird Jede Erleichterung in der Beschaffung dieses Kapitals
und jeder Anreiz, seine Kapitalien in diesem Gewerbe anzulegen,
den Stand der Landwirtschaft am sichersten heben ; und da hier-
durch notwendig eine höhere Produktion bewirkt werde, so müsse
durch die Wohlfahrt des Landmannes und durch den Gewinn, den
ihm sein Gewerbe gibt — denn nur dadurch kann er bewogen
werden, das erworbene Vermögen in seinem Gewerbe stehen zu
lassen — , Überfluß und Wohlfeilheit der Produktion gegen die
Meinung der meisten Kurzsichtigen bewirkt werden.^)
Diese drei Kategorien des landwirtschaftlichen Kapitals geben
verschiedene Renten. Das Grundkapital kann nach Thaer als ein
mit höchster Sicherheit auf Zinsen gelegtes Kapital angesehen werden,
und muß daher auch die Zinsen geben, die man von einem mit
höchster Sicherheit ausgeliehenen Kapital erwarten kann, ,,ein mehreres",
sagt Thaer, ,,kann man von demselben nicht verlangen.''
Das stehende Kapital ist immer größeren Gefahren aus-
gesetzt, als das Grundkapital, ^) da es Unglücksfällen ausgesetzt sei,
bei denen der Eigentümer Gefahr laufe, das Kapital zu verlieren,
weshalb man es häufig durch ,,Assekuration'' zu versichern pflege.
,, Wären die Zinsen des Grundkapitals zu 4^/^ anzunehmen, so
müßten sie für dieses zu 6 ^/^ berechnet werden."^)
Das umlaufende oder Betriebskapital sei den größten
Gefahren unterworfen, deshalb müsse es hohe Zinsen tragen und
meistens zu 12 ^/^ angerechnet werden.^)
Thaer schätzt zuerst den Grund und Boden ab, und dann setzt
er die Zinsen fest, und nicht umgekehrt. Dies geschieht aus folgen-
der Erwägung: ,,In England," sagt Thaer, ,,wo merkantilischer Kalkül
^) Grundsätze der rat. Ldw. S. 27.
2) Ibid. S. 27.
— 52 —
und Scharfsinn sicli am meisten über alle Gewerbe verbreitet hat,
nimmt man an, daß das Betriebskapital, worunter man aber daselbst
das stehende Kapital mitbegreift, sieben- bis neunmal so stark sein
müsse, als die Zinsen des Grundkapitals oder die Landrente. Wer
ein Gut von Jährlich 1000 Reichstalern pachtet, muß 7 bis 9000
Reichstaler disponibles Vermögen haben. Man berechnet dann den
Gewinn seines Gewerbes nicht nach der Pacht, sondern nach diesem
Betriebskapitale und nimmt an, daß man 12 "/^^ davon haben müsse,
von 9000 Reichstaler also 1080 Reichstaler über die Pacht. Ist er
Eigentümer, so zieht er vom reinen Ertrage erst Jene Pacht oder Land-
rente ab, die er, ohne Wirtschaft zu betreiben, auch haben könnte, und
das übrige rechnet er als Gewinn des Gewerbes. Er wird aber nie so
fehlerhaft schließen: Weil mir die Wirtschaft auf diesem Gute 1080
Reichstaler einträgt, so ist der Kapitalwert des Gutes gleich der
Summe, die ich durch Multiplikation mit 25 aus Jenem Wirtschafts-
ertrage erhalte. Und hieraus erhellt, wie fehlerhaft es sei, aus dem
Ertrage eines Gutes direkt auf dessen Wert zu schließen, wie den-
noch bei den gewöhnlichen Anschlägen geschieht. Man sucht den
Fehler zwar durch einen andern Fehler wieder auszugleichen, indem
man den Ertrag weit geringer annimmt, als er bei einer gehörigen
Bewirtschaftung sein könnte. Nichtsdestoweniger aber bleibt diese
Veranschlagung unbestimmt, verleitend und von den nachteiligsten
Folgen für das Gewerbe."^)
Faßt man die hier dargelegten Ansichten etwas näher ins Auge,
so muß man gestehen, daß sie etwas dogmatisch sind. Thaer er-
klärt uns nicht die Entstehungsgründe dieser Erscheinungen, führt
auch keine Beweisgründe für seine Behauptungen an; es ergibt sich
aus seiner Auffassung, daß er Zinsen von Rente nicht unterscheiden
zu müssen glaubt. Der landwirtschaftliche Betrieb wird im großen
und ganzen als kapitalistische Unternehmung betrachtet, welche
Zinsen abwirft; dieses landwirtschaftliche Kapital ist nun, wie schon
oben ausgeführt, dreierlei Art, Grundkapital, stehendes Kapital und
umlaufendes oder Betriebskapital. Rente und Zins unterscheiden
sich bei Thaer nicht prinzipiell, sondern graduell Die Zinsen
des Grundkapitals sind als die Smith sehe Grundrente zu be-
trachten, indem Thaer die Wirtschaftsgebäude als mit dem Boden
zusammengehörend betrachtet, während Ricardo und Thünen die
Wirtschaftsgebäude von der Landrente trennen, weil beide eine andere
Begriffsbestimmung der Landrente aufstellen. Insofern ist die An-
sicht Thaers der Smithschen entsprechend, als sie die Zinsen der
Wirtschaftsgebäude mit denen des Grund und Bodens als eine Kate-
gorie betrachtet; sie ist aber ganz und gar nicht die Smithsche,
indem sie die Zinsen des Ganzen in der Landwirtschaft tätigen
Kapitals mit der Rente identifiziert.
^) Grundsätze der rat. Ldw. S. 28.
— 53 —
Es ist bereits betont worden, daß Tliaer die Entstehung der
Rente nicht erklärt hat, ijnd dies ist dadurch erklärlich und begreif-
lich, weil er die Rente als Zins betrachtet. Allein, wir finden bei
ihm einen Passus, der für unser Problem große Wichtigkeit besitzt.
Thaer ist der Meinung, daß überhaupt der allgemeine Zuwachs der
Bevölkerung dem Grundbesitz und dem Landbau bessere Aussicht
für die Zukunft sichere.^) ,,Man hat zwar gesagt, meint Thaer, daß,
weil jeder mit dem Landbau beschäftigte Mensch mehr hervorbringen
könne, als er verzehre, so folge daraus, daß die Produktion sich
um so stärker vermehren werde, je mehr Landbauer entstehen; daß
mithin die Preise der Produkte dadurch nicht zunehmen würden,
wo ein Teil dieser Menschen nicht anderweitige Beschäftigung er-
hielte."^) ,, Allein," antwortet er darauf, ,, wenn die Kultur des Bodens
durch mehr darauf verwandte Arbeit zunimmt, so muß sein Wert
steigen, und wenn der unfruchtbare Boden kultiviert wird, so muß
der fruchtbare im Verhältnis dieser höheren Fruchtbarkeit eine höhere
Rente geben. Wir haben hier bei Thaer einen Zug der Ricard o-
schen Rententheorie vor uns. Auch dieser glaubt, daß durch den
Anbau des unfruchtbaren Bodens die Rente des fruchtbaren Bodens
steige ; allein, wir dürfen auf diese Analogie nicht allzuviel Gewicht
legen, denn obwohl Thaer und Ricardo in diesem Punkte über-
einstimmen, d. h. bezüglich des Steigens der Rente, so sind sie
doch grundverschieden und himmelweit voneinander entfernt. Bei
Ricardo steigt die Rente infolge der Kargheit des Bodens; bei
Thaer hingegen verursacht die Fruchtbarkeit als solche die
Rente des Bodens. Ricardo will durch diesen Kalkül die Entstehung
der Rente erklären ; Thaer liegt dies hingegen fern, denn darüber,
ob der Anbau des Bodens vom guten zum schlechten Boden, wie
Ricardo meint, oder umgekehrt vom schlechten zum guten, wie
Carey sagt, übergegangen sei, finden wir bei Thaer kein Wort.
Und ganz natürlich! Thaer hat eine „rationelle Landwirtschaft" für
Landwirte schreiben wollen; sein Ausgangspunkt ist die Taxations-
lehre, die ja ihre Entstehung ebenfalls Thaer verdankt; er verlangt
für jeden bebauten Acker eine Rente, indem er sagt: „Jeder Acker,
der nicht mit zureichender Sicherheit die auf ihn verwandte Arbeit
samt der Landrente zu zahlen verspricht, bleibe liegen."-) Also will
er für jeden Acker eine Rente gesichert wissen; diese kann aber
nur durch einen guten Getreidepreis erzielt werden.-) Allein nach
Thaer führen schheßlich gute Getreidepreise zu niedrigen,^) weil durch
den guten Preis des Getreides der Ackerbau sich verbessern kann,
indem der hohe Getreidepreis Einführung besserer Wirtschaftssysteme
ermöglicht. In diesem Punkte trifft Thaer zusammen mit Anderson
1) Mo gl in sehe Annalen der Landwirtschaft 1824 Bd. 13 S. 106.
2) Ibid. S. 117.
3) Einleitung zur Kenntn. d. engl. Ldw. Bd. 4 S. 143, 1802.
— 54 —
und Oncken,^) welche ebenfalls der Meinung sind, daß hohe Ge-
treidepreise schließlich zu niedrigen führen, und zwar zugunsten der
ganzen Gesellschaft. Mit fortschreitender Kultur führt also der hohe
Getreidepreis zu niedrigen, die Rente wird aber nach Thaer sinken
müssen, da er die Rente nach der Sicherheit des landwirtschaftlichen
Kapitals abschätzt. Hat der Ertrag zugenommen, so vergrößert sich
das Betriebskapital, aus welchem die Mittel für Meliorationen ge-
nommen werden; durch die Meliorationen usw. wird das Grund-
kapital wiederum sicherer, und da die Zinsen nach der Sicherheit
abgeschätzt werden, so werden sie natürlicherweise sinken müssen.
Nach Thaer trägt die Rente bezw. die Zinsen keinen Monopolcharakter.
Schon in diesem Punkte unterscheidet er sich von Smith; aber
dieser Unterschied geht noch weiter. Während nach Smith eine Jede
Vermehrung des wirklichen Wohlstandes der Gesellschaft unmittel-
bar zu einer Erhöhung der wirklichen Bodenrente führt, ^) ist es bei
Thaer umgekehrt, wie schon vorher bemerkt wurde. Nach Smith
ist hohe Bodenrente Wirkung hoher Getreidepreise.^) Thaer steht
hier schon auf dem Standpunkte, den nach ihm schon Carey ein-
nahm, daß mit fortschreitender Kultur die Rente bis zu einem
gewissen Punkte abnehmen müsse. Thaer sagt es nicht ausdrücklich,
aber die Konsequenzen seiner Lehre dürften wohl in diesem Sinne
gezogen werden.
Thaer hat, wie schon bemerkt, keine Rententheorie aufgestellt,
und zwar jedenfalls deshalb nicht, weil er Rente als Zins betrachtete und
hier den Standpunkt der Taxationslehre zugrunde legte. Nichtsdesto-
weniger nimmt er Stellung: Die Rente wird nicht und kann nicht
verschwinden, weil sie nichts anderes ist als Zins für das in der
Landwirtschaft angelegte Kapital. Dieser Zins ist niedrig, wenn das
Kapital sicher ist, hingegen hoch, wenn es unsicher ist. Ist ein
guter Getreidepreis erzielt, so führt er schließlich zu niedrigen Ge-
treidepreisen, zu einer niedrigen Grundrente bezw. niedrigen Zinsen,
weil die Sicherheit des in der Landwirtschaft angelegten Kapitals
steigt. Die Sicherheit spielt, wie man sieht, die ausschlaggebende
Rolle. Um sie zu erreichen, müsse zuerst ein guter Getreidepreis
erzielt werden, welcher zur Verbesserung der Wirtschaftssysteme
führt, was wiederum einen niedrigen Getreidepreis und eine größere
Sicherheit zur Folge hat. Die bessere Sicherheit führt aber wieder
zu einer niedrigeren Grundrente bezw. niedrigeren Zinsen für das
landwirtschaftliche Kapital, und zwar zugunsten der ganzen Gesell-
schaft.
^) Aug. Oncken, Was sagt die Nationalök. als Wissensch, usw., Berlin.
2) Ad. Smith, Wealth of nations. Deutsch von Asher Bd. 1 S. 239.
^) vgl. Lexis, Handwörterbuch der Staatswissensch. 2 Aufl. Bd. 4
S. 881, Artikel Grundrente.
— 55 —
Das ist der leitende Gesichtspunkt, unter welchem wir Thaers
Stellung zur Rente zu betrachten haben. Ob Thaer damit das
Rentenproblem gelöst habe, Tst eine andere Frage, mit der wir uns
hier nicht weiter zu beschäftigen haben.
Albrecht Thaer und Joh. Heinrich von Thünen.
,,Wenn irgend worin das Axioma gilt: Umstände
verändern die Sache: so ist dies bei dem Feldbau
und überhaupt bei allen ökonomischen Dingen, wo
oft der kleinste Umstand die größten Veränderungen
bewirkt."
Annalen des Ackerbaues Bd. 1, 1806, S. 226.
Johann Heinrich von Thünen war bekanntlich ein Schüler
Albrecht Thaers. Thünen sagt selbst: ,,Adam Smith war in der
Nationalökonomie, Thaer in der wissenschaftlichen Landwirtschaft
mein Lehrer.^) Zu wiederholten Malen hebt Thünen dies nach-
drücklich hervor. Allein, wenn es wahr sein sollte, daß der große
Schüler dem Meister Ehre und Ruhm verschaffe, so haben wir bei
Thaer und Thünen Jene Ausnahme vor uns, die ja die Regel zu
ihrer Bestätigung verlangt. Man würde nicht zu weit gehen, wenn
man behaupten wollte, daß hier gerade das Gegenteil eingetreten
sei, denn niemand hat soviel Veranlassung zur Verkennung der rich-
tigen und wahren Auffassung Thaers gegeben, als eben Thünen.
Es gibt keinen größeren und gefährlicheren Gegner eines Meisters,
als dessen Schüler, der ihn mißversteht und verkennt; denn die
Nachwelt beruft sich meist auf den Schüler, in der Überzeugung,
bei letzterem die Wiedergabe und Darstellung der Lehren des Meisters
am richtigsten und treuesten anzutreffen. Viel bequemer und weniger
zeitraubend ist ja diese Art der Kenntnisnahme irgendwelcher Theorien
und Lehrmeinungen, jedoch wird auf diese Weise das Quellenstudium,
das Studium der betr. Lehren aus erster Hand, aus den Werken und
Schriften des Autors selbst, vernachlässigt. Vorliegende Abhandlung
wird noch reichlich Zeugnis " dafür ablegen, wie wenig man sich
selbst auf die berühmtesten Schüler eines Meisters verlassen darf,
wenn sie die Ansichten ihres Lehrers wiedergeben. Der Irrtum wird dann
noch durch den Umstand vergrößert, wenn der Interpret die verkehrte
Auffassung durch neue Deduktionen in die Höhe treibt. Das Falsche
wird leicht zur gangbaren Münze, und hat der Irrtum sich einmal
^) s. Johann Heinrich von Thünen, Der isolierte Staat in Beziehung
auf Landwirtschaft und Nationalökonomie 3. Aufl. herausgegeben von
H. Schumacher- Zarchlin, Berlin 1875, 2. Bd. 1. Abt. S. 3, Einleitung, auch
I. Teil S. 381 Bemerkg. 7 zu § 26.
— 56 —
eingenistet, so dürfte es meist sehr schwer halten, ihn auszutilgen,
zu berichtigen.
Gehen wir nun zu unserm Problem über, bezw. der Stellung
Thünens zu Thaer, so können wir den Kernpunkt desselben und
damit zugleicji auch den Hauptirrtum Thünens durch einen Ausspruch
Richard Passows treffend charakterisieren. Letzterer sagt, nämlich : ^)
,,Man charakterisiert das innerste Wesen des ersten Teiles des
isolierten Staates am besten, wenn man ihn eine Streitschrift gegen
Albrecht Thaers und seiner Anhänger Lehre von der Fruchtwechsel-
wirtschaft nennt, eine Streitschrift freilich, deren polemischer Ton
durch die außerordentliche Verehrung, die Thünen seinem Lehrer
Thaer entgegenbrachte, so sehr herabgestimmt wird, daß nur das
aufmerksame Ohr ihn hie und da erklingen hört."
Der Streit besteht kurz in folgendem: Nach Thaer sei die
Fruchtwechselwirtschaft vor den übrigen Ackerbausystemen absolut
zu bevorzugen, während Thünen beweisen will, daß der Vorzug der
verschiedenen Systeme kein absoluter, sondern lediglich ein relativer
sei. Thünen sagt ausdrücklich: ,,Es findet also kein absoluter
Vorzug der Koppelwirtschaft vor der Dreifelderwirtschaft statt,
sondern es wird durch die Getreidepreise bedingt, ob dieses oder Jenes
Wirtschaftssystem in der Anwendung vorteilhafter §ei. Sehr niedrige
Kornpreise führen zur Dreifelder-, höhere Preise zur Koppelwirtschaft.
— Bei einem Kornpreise, der so niedrig ist, daß in der Koppel-
wirtschaft die Kosten nicht mehr bezahlt werden, kann das Land
durch die Dreifelderwirtschaft noch mit Vorteil angebaut werden.-'^)
Dieses Relativitätsgesetz gilt für alle Systeme der landwirtschaft-
lichen Produktion, also auch für die Fruchtwecliselwirtschaft. ^) Das
ist eben die Haüptidee, die Thünen seinem isolierten Staate (erster
Teil) zugrunde gelegt hat. Es ist leichtverständlich, daß Rodbertus
dieses Gesetz als das Gesetz der relativen Vorzüglichkeit
Jedes Wirtschaftssystems bezeichnet hat. Demnach hätten wir
also bei Thaer und Thünen zwei entgegengesetzte Prinzipien vor
uns, ins Praktische übertragen wird es lauten: Nach Thaer überall
ausschließliche Fruchtwechselwirtschaft, nach Thünen hingegen hat
Jedes System, den Orts- und Zeitverhältnissen gemäß, seinen Platz.
Thaers Ansicht ist eine starre Dogmatik, Thünens die der
Relativität; Thaer setzt sich über Zeit und Ort, wie auch über
alle Lokalverhältnisse hinweg, Thünen aber legt alle diese Faktoren
seinem System zugrunde. Und in der That war es auch so von
Tliünen gemeint. ^) Hiermit ist die angebliche Meinungsverschiedenheit
^) vgl. Zeitschr. f. d. ges. Staatswissensehaften, Tübingen 1902, S. 3—4.
2) vgl. Isol. Staat T. 1 p. 116, Berlin 1875.
vgl. R. Passow in Zeitschr. f. d. ges. Staatswsch. S. 16 Anm., 1902.
*) Rodbertus in einem Briefe vom 29. Sept. 1840 an Thünen; vgl.
H. Schumacher, J. H. v. Thünen, Ein Forscherleben S. 172, Rostock 1868.
^) vgl. Passow ibid.
57 —
zwischen Thaer und Thünen, bezw. wie Tliaer von Thünen auf-
gefaßt wurde, gekennzeichnet. Es bleibt nun noch übrig, zu unter-
suchen, ob Albrecht Thaer wirklich absolut und an Jeder Stelle
der Fruchtwechselwirtschaft den Vorzug vor allen übrigen Systemen
gegeben hat. Mit der Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Auffassung
steht und fällt natürlich die ganze Sache Thaers.
Schließlich entsteht noch die Frage : Hat Thaer überhaupt einen
absoluten Standpunkt vertreten, oder läßt sich nicht vielmehr
nachweisen, daß gerade Thaer es war, der den Standpunkt der
Relativität in der Landwirtschaft aufgestellt und hervorgehoben hat?
Wir haben diese Frage an der Hand der Schriften Thaers, die
bis zum Jahre 1826, dem Erscheinungsjahre des , »isolierten Staates",
veröffentlicht wurden, zu prüfen. Allein , man könnte nun noch
geneigt sein, wenn die Werke von Thaer die Behauptungen von
der angeblich absoluten Vorzüglichkeit der Thaerschen Frucht-
wechselwirtschaft nicht rechtfertigen, einzuwenden: Da Thünen die
Vorlesungen Thaers besucht hat, so ist es möglich, daß Thaer die
ausschließliche Frucht Wechselwirtschaft gerade in den Vorlesungen
allzusehr hervorgehoben hat. Was diesen Punkt anbelangt, von der
Berechtigung emes Einwandes dieser Art ganz abgesehen, mag es
vorläufig genügen, zu betonen, daß gerade in Thaers Vorlesungen
sein Relativitätsstandpunkt mit großer Deutlichkeit hervortritt, wie
sich dies im Laufe der Auseinandersetzung noch zeigen wird.
Zuerst muß die Frage gestellt werden : Was hat denn Thünen
veranlaßt, seine Ideen über Landwirtschaft zu veröffentlichen. Diese
Frage würde nicht aufgerollt werden, wenn sie nicht in innigem
Zusammenhange mit dem uns hier beschäftigenden Problem stände.
Es findet sich hierüber bei Thünen folgender Aufschluß: ,,Von Essens
Aufsatz in den (Möglinschen) Annalen^) hat mich auf einmal so in
Harnisch gebracht, daß ich den heroischen Entschluß gefaßt habe,
meine Ideen über Landwirtschaft drucken zu lassen. Wenn mein
Eifer nicht wieder nachläßt, so wirst du Ostern ein Buch von mir
haben. Während hier eine Wechselwirtschaft nach der andern unter-
geht, herrscht sie despotisch in den Büchern. Aber noch nie sind
in ihrer Wirkung so unsinnige Sätze angegeben, wie durch Herrn
von Essen. Auffallend ist es, daß dies unter Thaers Augen geschrieben
und gedruckt ist, und daß er dazu stillschweigt. Sollen die großen
Zahlen auf dem Papiere die kleinen in der Wirklichkeit verdecken?"^)
Zunächst sei hier bemerkt, daß Thaer zu dem betr. Aufsatze
nicht stillgeschwiegen hat. Er hat die Abhandlung v. Essens in
der „Vorerinnerung" als eine „merkwürdige, belehrende und vollendete
^) Dieser Aufsatz ist betitelt: ,,Der Übergang aus gewöhnlichen Drei-
felderwirtschaften in eine nach Thaerschen Grundsätzen geordnete Frucht-
wechselwirtschaft", veröff enthebt in den von Thaer herausgegebenen ,,Annalen
■des Ackerbaues" 1809.
2) vgl. Schumacher, J. H. von Thünen S. 33, Rostock 1868.
— 58 ^
Schrift" bezeichnet.^) Jedoch gegen gewisse Sätze erhebt er Einspruch.
Er sagt im nachfolgenden 2. Bande desselben Jahrganges der Annalen
des Ackerbaues, daß von Essen oft zu weit ginge, ^) und daß der
Eckstein , worauf das ganze Gebäude beruhe , unzuverlässig sei.
Thünen, welcher an diesem Aufsatze Anstand genommen und be-
schlossen hatte, gegen die angeblich „ausschließliche" Frucht-
wechselwirtschaft Thaers aufzutreten, hätte doch das Vorerwähnte
in Betracht ziehen müssen, zumal da er den „Isolierten Staat" 16
Jahre später erst der Öffentlichkeit übergab. Aber sei dem, wie ihm
wolle, wenden wir uns einmal dem Aufsatze von Essens selbst zu,
um ihn in bezug auf die r e 1 ati v e Vorzüglichkeit der Ackergesetze,
wie auch auf die Ausschließlichkeit der Fruchtwechselwirtschaft
hin zu prüfen.
Es sei noch vorher bemerkt, daß hier die Zitate aus von Essens
Aufsatz wörtlich wiedergegeben werden. Wenn sie etwas länger aus-
fallen, so liegt dies im Interesse der Beweisführung.
„Wir sind durch den Herrn Staatsrat Thaer belehrt" — sagt
von Essen — , „daß eine mit Brachfruchtbau vereinte und mannig-
faltig zu modifizierende Fruchtwechselwirtschaft, teils mit,
teils ohne Stallfütterung, das sicherste Mittel ist, dessen wir uns zur
Verbesserung solcher hilfsbedürftigen Wirtschaften bedienen können.
Aber man würde durchaus irren, wenn man glaubte, derselbe wolle
diese als ein einziges Wirtschaftssystem für alle Länder, für alle
Bodenarten und für alle Lokalverhältnisse angewendet wissen, oder
er gestatte es, irgend einen Wirtschaftsplan oder eine Fruchtrotation
zuvor zu projektieren, um solche nachher dem Boden anzupassen.
Er empfiehlt vielmehr, zuerst die Eigenschaften des Bodens genau
kennen zu lernen; alle Lokalverhältnisse sorgfältig zu beurteilen, nach
deren Beschaffenheit allein den allgemeinen Wirtschaftsplan zu bilden,
darnach die Rotation der zu erbauenden Früchte zu bestimmen, unter
Erwägung aller Hindernisse und veranstalteter Wegräumung derselben,
zuletzt zur Ausführung zu schreiten. Er will die so sehr verschiedene
Erdfläche nur als verschiedenes Material angesehen wissen, das der
Landmann als Gewerbsmann mit allumfassender Sachkenntnis, durch,
ganz verschiedene Behandlungsweisen , zu mancherlei Zwecken be-
arbeitet, um dadurch den höchsten und nachhaltigsten Gewinn aus
jeder kulturfähigen Bodenart zu erhalten. Kurz jeder Unterschied
des Bodens, und das in Rücksicht des Landwerts, der vorhandenen
oder nicht vorhandenen natürlichen Hilfsmittel, der Bevölkerung, der
Arbeits- und Produktenpreise und^'des anzuwendenden Betriebskapitals
so sehr verschiedene Lokal erfordert, nach dem Thaerschen System
^) vgl. Annalen des Ackerbaues Bd. 9 1809.
^) vgl. Thaer, Zur Berichtigung des von Essenschen Überganges aus
gewöhnlichen Dreifelderwirtschaften in Fruchtwechselwirtschaft, Annalen
d. Ackerb. Bd. 10 S. 518 1809.
3) Ibid. S. 525.
— 59 —
auch jedesmal eine andere Feldeinteilung, eine andere Art von Kultur
oder Ackersystem, und eine andere Beliandlungsweise. Um das
einzig passende und zweckmäßigste Kultursystem ausfinden zu können,
macht er seine Zuhörer mit allen Wirtschaftsarten, vorzüglich mit
den Dreifelderwirtschaften, Koppelwirtschaften und den mannigfaltigen
Wechselwirtschaften genau bekannt, lehret durch Wort und Tat sie
nach rationellen Grundsätzen zu prüfen, ihre Vorteile und Nachteile,
ihre Beschwerlichkeiten und Hindernisse erwägen; und zeigt ihnen,
wie jene Wirtschaftsarten nach Verschiedenheit der Umstände, ent-
weder einzeln oder teilweise zusammengeschmolzen, vervollkommnet
zur Erreichung des höchsten reinen Gewinns, in jedem örtlichen
Verhältnisse praktisch anzuwenden sind."^)
,,Daß es auf keine Weise" — fährt von Essen fort — ,,mit
dem Thaerschen landwirtschaftlichen System harmoniert, für jedes
Lokal nur eine einzige allgemein passen sollende Wirtschaftsart anzu-
wenden, wird offen darliegen, wenn die Grundsätze des ratio-
nellen Ackerbaues im Druck erschienen sind . . .
Als Beleg dafür, daß nicht ein und dasselbe Wirtschaftssystem
für jedes landwirtschaftliche Lokal anwendbar ist, bin ich so frei,
einige Paragraphen aus diesem Werke, die der Verfasser seinen
Zuhörern als Diktate zu seinen Vorlesungen mitteilt, hier anzuführen. " ^)
von Essen führt drei Paragraphen an, die folgendermaßen lauten:
,, Dieses Verhältnis des Arbeitspreises, gegen den Preis des
Grund und Bodens, trägt zur Begründung der verschiedenen Acker-
systeme vieles bei. Man kann diese in ihren Extremen die exten-
siven und intensiven nennen. Wo nämlich der Boden wohlfeil, die
Arbeit aber teurer ist, da wird man eine gewisse Masse von Pro-
dukten auf einer großen Fläche, oder mit möglichst geringer Arbeit
hervorzubringen versuchen müssen ; — wo dagegen der Preis des
Bodens hoch ist, Arbeit aber in genügsamer Menge und zu billigen
Preisen sich darbietet, da wird man auf einer kleinen Ackerfläche
denselben Wert von Produkten, durch verstärkte Anwendung der
Arbeit zu erzielen suchen. — Wenngleich die Extreme von sehr
wohlfeilem Acker und sehr teurer Arbeit, und umgekehrt in Deutsch-
land selten oder gar nicht vorkommen, so sind doch mannigfaltige
Gradationen dieses Verhältnisses in verschiedenen Provinzen und
Distrikten vorhanden, die man bei der Einrichtung einer Wirtschaft
wohl zu erwägen hat, um sich darnach für ein mehr oder minder
intensives oder extensives Wirtschaftssystem zu bestimmen. Dort
wird die Koppelwirtschaft mit langer Ruhe des Ackers und Weide-
dünger Arbeit ersparen; hier wird jährlicher Fruchtwechsel mit Futter-
bau und Stallfütterung die Arbeit vorteilhaft vermehren und, der
^) von Essen, Der Übergang aus gewöhnlichen Dreifelderwirtschaften
in eine nach Thaerschen Grundsätzen geordnete Fruchtwechselwirtschaft,
in Annalen d. Ackerb. Bd. 9 1809.
Werth.
5
— 60 —
höheren Kosten ungeachtet, den reinen Ertrag beträchtlich vergrößern.
Dieses gerechte Verhältnis zwischen Qualität und Quantität des Grund
und Bodens, Arbeit und Düngung, begründet das Feldsystem. Wo
man Arbeit und Dünger zu jeder Zeit, so viel man gebraucht, von
auswärts her vorteilhaft haben kann, da bedarf es gar keines be-
stimmten Ackersystems, und die ganze Kraft des Ackerbaues be-
schränkt sich auf die Manipulation und auf die Auswahl der Früchte,
welche der Acker in dem Zustande, worin er eben ist, am vorteil-
haftesten tragen kann. In Wirtschaften, welche diese Vorteile haben,
ist selbst die Verbindung der beiden Hauptzweige der Landwirtschaft,
des Ackerbaues und der Viehzucht, nicht notwendig, sondern es kann
jede für sich, und selbst vorteilhafter getrennt, für sich betrieben
werden. Dies gehört aber unter die seltenen Fälle und findet nur
in der Nachbarschaft großer Städte oder in höchst bevölkerten
Gegenden statt." ^)
Nach den von Essen hier mitgeteilten Paragraphen aus einem
Vorlesungsheft folgert er, daß nach den Grundsätzen Thaers Drei-
felderwirtschaft sich denken lasse ;^) von Essen kennt solche Drei-
felderwirtschaften, von welchen er sagt: ,,In diesen Dreifelderwirt-
schaften, beim richtigen Betriebe der einzelnen Teile, wird wohl
aus dem Gesichtspunkt rationeller landwirtschaftlicher Grundsätze
wenig zu tadeln und nicht viel zu verbessern sein.^)
von Essen wiederholt n
,,Man wird aus dem bereits Gesagten sich erinnern, daß nur der
Beschaffenheit des Bodens und der örtlichen Verhältnisse gemäß,
für Jedes Gut ein eigener Wirtschaftsplan entworfen werden müsse,
und daß es den rationellen landwirtschaftlichen Prinzipien durchaus
widerspricht, einen willkürlich abgefaßten Plan auf jede umzuändernde
Wirtschaft anzuwenden. Es ist sonach auch unmöglich, hier den
Übergang aus jeder Dreifelderwirtschaft in die bessere durch ein
allgemein passendes Schema anzugeben."^)
Wie wir sahen, ist bei von Essen von einem absoluten Vor-
zug der Fruchtwechselwirtschaft durchaus nicht die Rede; auch dürfte
es nach ihm als unzweckmäßig betrachtet werden, überall das
Fruchtwechselsystem anzuwenden; denn jedes System des Ackerbaues
wird von Zeit- und Orts- und andern Lokalverhältnissen bedingt,
also kann es sich um keinen absoluten Standpunkt handeln. In
dieser Beziehung, d. h. was den relativen Standpunkt anbetrifft,
hatte Thünen keinen Grund, über Thaer herzufallen. Damit ist die
Veranlassung Thünens, gegen die angeblich ausschließliche Frucht-
wechselwirtschaft Thaers aufzutreten, gekennzeichnet. Zugleich haben
1) Ibid. S. 538—540.
2) Ibid. S. 540.
3) Ibid. S. 540 ff.
4) Ibid. S. 542.
— 61 —
wir gesehen, daß Thaer schon in seinen Vorlesungen den relativen
Standpunkt vertreten hat ; also gaben auch die Vorlesungen Thaers seinen
Zuhörein durchaus nicht die Berechtigung, ihren Lehrer des absoluten
Vorzuges der Fruchtwechselwirtschaft zu zeihen.
Gehen wir nun zu Thaers Schriften selbst über, um sie inbezug
auf das uns hier beschäftigende Problem zu prüfen.
Vor allem ist zu bemerken, daß wir uns auf den kleinsten
Teil der Thaerschen Äußerungen beschränken müssen; es würde uns
sonst zu weit führen, wollten wir hier alle bezüglichen Stellen mit-
teilen.
Zuerst wird uns seine Einleitung zur Kenntnis der englischen
Landwirtschaft"^) beschäftigen. Thünen hat seinem Urteil über dieses
Werk in folgenden Worten Ausdruck gegeben :
,,Die Einleitung schrieb ein Mann von großem Geist, aber ohne
praktische Kenntnis von der Landwirtschaft, Phantasie und Enthusias-
mus stellten klar die Vorzüge einzelner Methoden dar; nachdem man
sie gelesen, schien es leicht, sich über alle praktischen Landwirte zu
erheben und in kurzer Zeit ein reicher Mann zu werden."^)
Dies Urteil mag vielleicht davon herrühren, daß Thünens Schwager
Schröder, der vor ihm Tellow, das spätere Besitztum Thünens, bewirt-
schaftete, nachdem er Thaers Englische Landwirtschaft" gelesen,
jubelnd gemeint hatte, die ihm so erwünschte Geldquelle gefunden
zu haben, und nun, voller guten Hoffnungen, Fruchtwechselwirtschaft
einführte. Aber die erwarteten günstigen Resultate blieben gänzlich
aus, so daß Schröder in sehr bedrängte Lage geriet.^) Es wird sich
aber noch herausstellen, daß Thaer auch in der Einleitung ganz und
gar von dem Standpunkte der Relativität ausgeht. Hier hat Thünen,
man darf wohl sagen, unwissenschaftlich verfahren, indem er das
Mißverständnis seines Schwagers mit der Ansicht Thaers identifizierte.
Man kann doch wohl nicht gut einen Autor dafür verantwortlich
machen, wenn beschränkte Leser ihn mißverstehen und dann un-
glücklich wirtschaften; viel weniger noch darf man nach der Auf-
fassung dieser Leser die Lehren des Autors beurteilen bezw. ver-
urteilen.
Schon im Anfang der ,, Einleitung" macht Thaer darauf aufmerk-
sam, daß in England die allgemein anerkannte höhere Landwirt-
schaft ,, modifiziert nach dem Boden und der Lage" ausgeübt werde.^)
^) Die erste Auflage ist 1798 erschienen ; wir zitieren nach der zweiten
Auflage, deren beide ersten Bände 1801 erschienen, der 3. Bd. erschien 1804,
Hannover.
2) vgl. Schumacher, J. H. von Thünen. Ein Forscherleben, Rostock
1868, S. 35.
^) Nach Passow (Methode der nat.-ökon. Forschung, J. H. v. Thünen)
bei Schumacher, Forscherleben S. 43.
*) Einleitung zur Kenntnis der enghschen Landwirtschaft S. 12 Bd. 1,
Hannover 1801.
5*
— 62 —
,,Mit einigem Scharfsinne" — sagt Thaer — ,,wird man leicht
unterscheiden können, was in jeder Gegend und jeder Wirtschafts-
methode Aufmerksamkeit und, unter gehörigen Verhältnissen, Nach-
ahmung verdiene."^) Dies ist, wie mir scheinen will, doch wohl
deutlich genug. Doch schärfer noch tritt sein Standpunkt hervor
indem er sagt: ,,Denn es läßt sich die Art und Weise der Engländer,
Ackerbau und Viehzucht zu betreiben, ohne jene Kenntnis nicht ge-
hörig würdigen, und könnte uns entweder zu einer blinden, unsern
Verhältnissen nicht angemessenen Nachahmung verleiten, oder unsern
ebenso unbegründeten Tadel erregen."^) Man sieht klar genug, wo
Thaer hinaus will : weder blinde Nachahmung, noch unbegründeten
Tadel, sondern eigene, selbständige Prüfung und klares, richtiges Denken;
denn: ,,nur für denkende Landwirte schreibe ich", sagt er a. a. 0.
ausdrücklich.
Als Charakteristikum für Thaers Auffassung dürfte das oben
Angeführte am besten dienen, indem er selber die ,, blinde Nach-
ahmung" geradezu tadelt.
Wir vernehmen ferner von Thaer: ,,Man wird mir die Torheit
nicht zumuten, hier ein positives, allgemein anwendbares Wirtschafts-
System aufstellen zu wollen. Nein! ich bin weit von dem Gedanken
entfernt, eine Maschine zu erfinden, die jeder nur mechanisch nach-
zumachen brauchte, und die für jedes Lokal passen sollte. Hätte
ich je eine solche Idee haben können, so hätten mich die vielen
Unterredungen und Korrespondenzen mit Landwirten aus den ver-
schiedensten Gegenden davon geheilt, und insbesondere hätte mich
der mündliche Vortrag, den ich meinen erfahrenen Zuhörern aus allen
Gegenden, wo deutsche Sprache herrscht, tun mußte, gegen diese
Einseitigkeit geschützt.'
In einem Kapitel, betitelt: ,,Über das Charakteristische der
englischen Landwirtschaft im Verhältnis gegen die deutsche",
sagt er, daß er seine ,, Einleitung" ,,für denkende — nicht für un-
wissende, blindlings nachahmende Landwirte" ^) schreibe, und daß
man auf dem deutschen Boden die englische Wirtschaftsweise nur
unter gewissen Modifikationen verpfanzen könne. ^) Er betont aus-
drücklich , daß die Verbesserung nur unter gewissen Umständen
nützlich sein könne.^)
Es könne ferner eine große Masse landwirtschaftlicher Kennt-
nisse unter einem Volke verbreitet, die Betriebsamkeit desselben sehr
^) Einleitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft S. 12 Bd. 1,
Hannover 1801.
2) Ibid. Bd. 2 Abt. 2 S. 4 Vorerinnerung.
Ibid. Bd. 3, Hannover 1804, Vorrede S. 10-11.
Ibid. Bd. 3 S. 10.
■') Ibid. S. 11.
«) Ibid. S.U.
— 63 —
groß sein, ohne daß sich dieses aus der Benutzung des Bodens und
der Stärke der Produktion so geradezu wahrnehmen ließe. ,, Fehler-
hafte statistische und politische Verhältnisse", motiviert Thaer, ,, setzen
der Energie des Landvolkes oft unübersteigliche Hindernisse in den
Weg. Es ist dann der schwerste Teil unserer Kunst, diese Verhält-
nisse so gut zu benutzen, oder vielmehr so unschädlich zu machen,
wie es unsere Lage erlaubt. Wir müssen unsere Wirtschaftsein-
richtung mit beständiger Rücksicht auf jene Verhältnisse drehen und
wenden."^)
,,Kaum wird genau dasselbe Wirtschafts-System" — sagt Thaer
— ,,was auf des Nachbars Hofe unverbesserlich ist, auf meinem
Hofe in seinem ganzen Umfange das vorteilhafteste sein. Bei ge-
nauer Erwägung werde ich mich immer zu einigen Abänderungen
veranlaßt finden, und eine jede sklavische Nachahmung wird ihre
Fehler haben."-) Sehr häufig betont Thaer die Wichtigkeit der Lage
eines Gutes, wie schon früher angeführt wurde; er wird nicht müde,
das ,, blinde, mechanische Nachahmen" zu tadeln. Schließlich sei
noch gestattet, eine Äußerung Thaers bezüglich der Brache anzu-
führen. Er sagt unter anderm folgendes:
,,Man hat mir die Meinung zugeschrieben — und ich mag
Veranlassung dazu gegeben haben — (nebenbei sei bemerkt, daß
diese Zeilen mehr als zwei Dutzend Jahre früher veröffentlicht wurden,
als der Thünen'sche ,,Jsolierte Staat"), daß ich die Brache in allen
und jeden Fällen für unnötig und nachteilig hielte. Dies war in-
dessen meine Meinung nie, denn ich weiß, daß es Fälle gibt, wo
ein verwilderter Boden nur durch ein häufiges und durchdringendes
Sommerpflügen wieder in Kultur gesetzt werden kann."^)
W^ie wir zur Genüge sahen, hat Thaer schon in seiner ,, Ein-
leitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft" keineswegs die
ausschließliche Fruchtwechselwirtschaft vertreten, vielmehr be-
fürwortete er gerade den Standpunkt der Relativität.
Man hat den »isolierten Staat" als eine Streitschrift gegen
Thaers und seiner Anhänger Lehre von der Fruchtwechselwirt-
schaft" bezeichnet.^) Der Grund zu dieser Stellungnahme Thünens
ist nach vorgehendem nicht recht ersichtlich. Insbesondere wäre dies
unerklärlich, wenn Thünen die vielen Äußerungen Thaers über Frucht-
wechselwirtschaft im speziellen und Relativität im allgemeinen ge-
kannt hat, wie diese so häufig sich in Thaers Schriften finden.
Sehr charakteristisch sind einige Bemerkungen, die Thaer zu einem
in den ,,Annalen des Ackerbaues" erschienenen Aufsatze von A. Hoff-
1) Ibid. S. 23.
2) Ibid. Bd. 3 S. 128.
3} Ibid. VI S. 307.
^) Passow, Die Methode der nat.-ökon. Forschungen J. H. v. Thünen,
S. 3.
— 64 —
mann, Ilm, macht. In diesem Aufsatze sagt Hoff mann. ^) ,,Man
kann bei der Fruchtwechselwirtschaft, als Vorzug derselben vor der
Dreifelderwirtschaft, sei es gesagt, die Umstände nie reiflich genug
überlegen," man müsse die näheren Verhältnisse der verschiedenen
Lokalitäten kennen lernen usw. Hieran knüpft Thaer eine längere
Bemerkung, die ihrer Wichtigkeit wegen hier vollständig angeführt
werden soU:^)
,, Ich weiß nicht, ob es der Sache (gemeint ist die Fruchtwechsel-
wirtschaft) Vorteil getan hat, daß man ihr einen bestimmten Namen
und damit das Ansehen eines positiven Systems gab.
Ich wollte nur aus den Erfahrungen, welche besonders die Eng-
länder darüber gemacht hatten, Grundsätze abziehen, und diese durch
rationelle Gründe bekräftigen, durch Beispiele erläutern, übrigens
aber die Anwendung dieser Grundsätze auf das Lokale einem jeden
nachdenkenden Wirte überlassen. Meine Absicht ist es nie gewesen,
Leisten zu schnitzen. Ich habe das Wort Wechselwirtschaft in
diesem Sinne erst später von andern annehmen müssen. Eigentlich
bin ich gegen alle Systeme in allen Wissenschaften. Nach ihrer
theoretischen Tendenz schränken sie das Denkvermögen ein und sind
nur für schaale Köpfe, die gern schwatzen, nicht denken mögen.
In praktischer Hinsicht müßte man einem jedem Menschen nach
seinen Kräften und seinem Lokale ein eigenes System machen, wenn
er es selbst nicht kann. In spekulativen Wissenschaften mag man
damit tändeln; sie werden nie beträchtlichen Einfluß auf das bürger-
liche Leben bekommen, zumal da in unsern Zeiten eins das andere
über den Haufen bläst. Aber in praktischen Erfahrungswissenschaften,
besonders der Arznei und Landwirtschaftskunde, wünschte ich die
Systeme — oder vielmehr die Sekten, die ein solches System zu
ihrem einzigen Credo machen — alle verbannen zu können. Ver-
dienstlich, wohltätig für die Menschheit ist es, aus der Summe der
Erfahrungen allgemeine Grundsätze abzuziehen, um diese dann wieder
der Probe genauer Versuche zu unterwerfen. Dies aber ist noch kein
System. Man kann auch Beispiele geben, wie man nach diesen
Grundsätzen unter bestimmten Umständen zu verfahren und solche
anzuwenden habe. Will man aber unbedingte Folgerungen daraus
ziehen und positive Regeln daraus ableiten, so stößt derjenige, der
uns diese vor Augen gestellt hat, allenthalben an, weiß sich nicht
zu helfen und läuft mit dem Kopf gegen die Mauer. Gegen die
Dreifelderwirtschaft habe ich mich, besonders als System, erklärt,
als ein ganz Europa beherrschendes, für unverbesserlich geachtetes
System, welches der Produktion im ganzen, eben der vielen Neben-
hilfen wegen, die es haben muß, nachteilig ist. Daß sonst mancher
^) Annalen des Ackerbaues, herausgegeben von Albrecht Thaer^
I. Jahrg. 1. Bd., Berhn, Wien 1805, S. 504-506.
2) Ibid. Anmk. 5 S. 504-506.
— 65 —
gescheute Landwirt, unter seinen Verhältnissen, und bei den nicht
besser zu benutzenden Nebenhilfen, die seine Wirtschaft hat, nichts
besseres tun könne, als bei seiner Dreifelderwirtschaft in der Haupt-
sache zu bleiben und von den Grundsätzen des Fruchtwechsels nur
so viel anzuwenden, als seine Lokalität erlaubt, gebe ich sehr gern zu."
Das ist nun die Ansicht Thaers über Fruchtwechselwirtschaft
und Dreifelderwirtschaft, über Systeme und deren Berechtigung bezw.
Anwendung! Und nicht einmal der Name „Fruchtwechselwirtschaft
stammt von ihm ! — Das alles aber hinderte nicht, daß Thaer zum
absoluten Fruchtwechselwirten gestempelt wurde; in eine Klasse
oder Rubrik muß nun einmal jeder hinein, und Thaers Spottwort von
den „. . . ianern" ^) hatte nur zuviel Berechtigung, er fiel der Rubri-
zierungs- und Systemsucht der kleinen Geister selber zum Opfer.
Irgend einem „...ismus" oder „...schaff muß ja jeder angehören,
auch Thaer entging diesem Verhängnis nicht.
In demselben Bande nimmt Thaer Gelegenheit, den Vorwurf
des Anglomanismus", der ihm ebenfalls gemacht wurde, zurück-
zuweisen. Spottend ruft er jemand, der eine Annäherung der süd-
preußischen Wirtschaft an die englische versuchen will, zu:
,,Wenn es möglich ist, noch lieber zur chinesischen! — Ich
verlange gar nicht, daß wir uns englische Wirtschaft im allgemeinen
als das einzige und höchste Ideal aufstellen."^)
Wenden wir uns nun den ,, Grundsätzen der rationellen Land-
wirtschaft" zu, um dieselben ebenfalls zu prüfen; es sollen hieraus
jedoch nur einige wenige Stellen angeführt werden.
Auch in diesem Werke betont Thaer ausdrücklich die Not-
wendigkeit auf die Verschiedenheit der Verhältnisse und des Bodens
bei der Wirtschaftsweise Rücksicht zu nehmen.'^)
,,So wie man die Lehre von der Landwirtschaft"^) — sagt
Thaer — ,,mehr wissenschaftlich zu behandeln anfing, es jedoch noch
an einem richtigen Überblick aller Verhältnisse fehlte, sind daher
auch die Meinungen über die vorteilhafteste Art des Feld Systems
nicht bloß immer mehr geteilt worden — denn dies war natürlich,
da die Verschiedenheit der Lage für jeden ein anderes Ackersystem
vorteilhafter und ratsamer machen konnte, — sondern man hat sich
über den Vorzug des einen vor dem andern im allgemeinen mit
einem Eifer gestritten, der manchmal dem religiösen Sekteneifer gleich
kam. Dieser Streit ward um so verwickelter, da die meisten die
Verschiedenheit der Lage und Verhältnisse nicht beachteten und die
1) Annalen des Ackerbaues 1806 Bd. 3 S. 145.
2) Ibid. S. 527 Anm. K.
3) Die erste Auflage erschien 1809—1812, Berlin, 4 Bde.
^) Grundsätze I. 5,
5) Grundsätze I, 224.
«) Grundsätze I, 296 S. 286.
— 66 —
Gründe verkannten, worauf ein jedes Wirtschaftssystem — soll es
diesen Namen verdienen — eigentlich beruht."
,,Die bisher angegebenen Data" — so fährt er in demselben
Zusammenhange weiter fort — ,, Verhältnisse und Berechnungen werden
uns in den Stand setzen, die Hauptarten dieser Ackersysteme nicht
nur, sondern auch ihre mannigfaltigen Modifikationen gründlich be-
urteilen und auch bestimmen zu können, auf welchem Areal und auf
welchen Ortsverhältnissen ein Jedes von ihnen unter Jeder Modifikation
das angemessenste sei, und den Jedesmaligen Zweck des höchsten
reinen Ertrages erreichen müsse."
Und mehr noch: nicht nur in Beziehung auf die Ackersysteme
ist Thaers Standpunkt der der Rel ati vit ät; ich verweise auf seine
Stellungnahme bezüglich der Rentabilität der Pferde- und Ochsen-
arbeit, der großen und kleinen Güter; auch betreffs der Verwendung
der verschiedenen Vieharten verfährt Thaer durchaus relativ. Er
meint, daß der größere Vorteil der einen oder der andern Viehart
teils von Ort und Zeitverhältnissen, teils aber auch von der Industrie
und Intelligenz, womit man eine Jede behandele, abhänge.-^)
,,Man hat die Schafzucht — sagt Thaer — , in Verhältnis der
übrigen Viehzucht zuweilen zu sehr herabgesetzt, zuweilen zu sehr
erhoben. Die Lokalitäten abgerechnet, die allemal über den höheren
Vorteil der einen oder andern in konkreten Fällen entscheiden müssen,
haben die Zeiten und die sich damit verändernden merkantilischen
Konjunkturen einen großen Einfluß auf den mehreren oder minderen
Vorteil der einen oder anderen Art gehabt."
Die merkantilischen Konjunkturen, die von den politischen ab-
hängig seien, hätten schon seit längerer Zeit durch die hohen Woll-
preise die Schafzucht begünstigt; bei der Frage, welche Viehart,
Schafe oder Rindvieh, rentabler sei, seien außer den Gegenden auch
noch andere Verhältnisse in Rücksicht zu ziehen, so insbesondere
die Zeitumstände.^)
Es erübrigt nun noch, Thaers ,, Leitfaden zur allgemeinen land-
wirtschaftlichen Gewerbs-Lehre"-^) in Hinsicht auf das hier behandelte
Thema einer näheren Prüfung zu unterziehen. Thaer hielt diese
Schrift, welche nur ein Leitfaden für seine Berliner Vorlesungen sein
sollte, für sein bestes Werk; er nannte sie ,,die Quintessenz aus den
beiden ersten Teilen der rationellen Landwirtschaft".^)
Hier hätten Thünen und alle Bekämpfer des ,, absoluten Frucht-
wechselwirten" es sehr bequem gehabt, sich über den Gegenstand
ihres Ärgernisses zu orientieren, und der Stein des Anstoßes wäre
von selbst verschwunden, Thünens Freude über die kommende Zeit,
') Grundsätze etc., Berlin 1812, Bd. 4 § 99 S. 391.
2) Ibid. Bd. 4 § 99 S. 392-393.
Dieselbe erschien in erster Auflage Berlin 1815. Wir zitieren nach
der 2. 1836 Berlin erschienenen unveränderten Auflage.
^) W. Körte, Albrecht Thaer Leipzig 1839, S. 238.
— 67 —
wo ,, nicht mehr Autorität die Geister gefangen halte", wäre aller-
dings zu Wasser geworden und ,,die Krisis der Systeme" hätte sich
nicht zu nahen brauchen.^)
Bei der von Schumacher hervorgehobenen großen Vorliebe Thünens
für die Thaerschen Schriften-) ist es unerklärlich, daß Thünen diese
und alle die andern zitierten Stellen nicht gekannt haben soll.
Thaer meint in bezug auf die Fruclitwechselwirtschaft in seiner
Gewerbslehre" folgendes:
,,Der Verfasser hat dieses, nach Orts- und Zeitverhältnissen
mannigfaltig zu modifizierende und selbst eine jährliche Abänderung
— jedoch mit Beachtung der Grundsätze — mehr als irgend ein
anderes gestattende System (nämlich die Fruchtwechselwirtschaft)
als das absolut vollkommenste, wodurch dem Mittelboden der
höchste Ertrag mit den verhältnismäßig geringsten Kosten ab-
gewonnen werden könne, verkündigt, und er wird um so weniger
davon abweichen, da alles, was wohl- und übelwollend, mit Sorg-
samkeit und mit Leidenschaft, mit Aufrichtigkeit und Schikane da-
gegen gesagt worden, entschieden auf Mißverstand oder Unverstand
beruhet. Gegen wenige, durch offenbare Fehlgriffe verunglückte Ver-
suche stehen so viele, trotz der Schwierigkeit der Zeiten, in ihrer
vollen Herrlichkeit."^) Er fährt dann aber fort:
,, Daraus aber, daß es das absolut, das idealisch voll-
kommenste System ist, folgt nicht, daß es das relativ beste für
Jeden sei: und hierin liegt der Irrtum; aber nicht durch meine
Schuld, denn ich habe es oft und bestimmt ausgesprochen: daß
Orts-, Zeit- und persönliche Verhältnisse seiner Einführung wider-
streben können, und gegen Verkennung derselben und Übereilung
immer gewarnet. Dieser ganze Vortrag weiset auf die Wege und
Bedingungen hin, unter welchen jeder sich dem Vollkommensten
nähern müsse, was er wirklich erreichen kann."*)
Wir haben nun zur Genüge gesehen, wie fern der absolute
Standpunkt Thaer lag. Wir müssen uns noch erinnern, daß selbst
Thünen dem Ideal der Fruchtwechselwirtschaft gehuldigt hat, indem
er unzählige Mal wiederholt: niedrige Getreidepreise führen zur
Dreifelderwirtschaft, hohe Getreidepreise zur Frucht Wechsel Wirtschaft.^)
Der Irrtum, den man in die Thaersche Auffassung hinein gebracht
hat, ist dadurch entstanden, daß man das Ideal mit der Wirk-
lichkeit verwechselt hat. Ähnliches finden wir bei den Physiokraten.
^) Schumacher, Forscherleben S. 36.
2) Ibid. S. 16.
^) Leitfaden zur allgemeinen landwirtschafthchen Gewerbslehre, Berlin
1836, § 249 S. 163-164.
4) Ibid. S. 164.
°) Über Thünen vgl. Oncken, was sagt die Nationalökonomie als
Wissenschaft über die Bedeutung hoher und niedriger Getreidepreise ?
Berlin 1901, S. 53-54.
— 68 —
Auch bei ihnen haben nur die falschen Nachbeter den „ordre naturel"
mit dem „ordre positive" verwechselt.
Thaer selbst stand mit vollem Bewußtsein auf dem Standpunkt
der Relativität, und in dieser Beziehung hat Thünen wirklich
nichts Neues gesagt, und noch viel weniger ist er Thaer gerecht
geblieben. Den besten Beweis für die Relativität Thaers liefert,
abgesehen von den hier schon angeführten Stellen, die Thaersche
Besprechung des;,,Isolierten Staates", 1) welche sich, einige rein land-
wirtschaftlich-technische Beanstandungen ausgenommen, voll und
ganz mit den Konsequenzen des Thünenschen Werkes einverstanden
erklärt. Von einer Bekämpfung der Relativität ist nicht die Spur
vorhanden. Die Ursache hiervon hegt aber auf der Hand. Thaer
hatte nicht ahnen können, daß der „Isolierte Staat" gegen ihn ge-
richtet sein sollte, eben weil er selber auf dem Boden der Relativität
stand. Er sah vielmehr in den Grundgedanken des „Isolierten
Staates" die Fortbildung seiner eigenen Ideen und Lehren. Dem
Thünenschen Werke aber spendet er so viel Lob, wie es eben im
Bereiche der Möglichkeit Thaers lag. In seiner Rezension über den
„Isolierten Staat" sagt Thaer folgendes:^) „. . . so bin ich nicht
nur nach meiner Erwartung, sondern weit darüber hinaus befriedigt.
Es ist ein Werk von solcher Tiefe und Fülle, von so leuchtender,
sich über die ganze Sphäre der Landwirtschaft verbreitender Klarheit,'
daß ich ihm keins, im Fache dieser Wissenschaft, an die Seite zu
setzen wüßte, außer v. Wulffens Schriften über die Statik des
Landbaues."
Sonderbarerweise genügte einigen diese Kritik nicht, sie machen
ihrem Groll gegen Thaer in Briefen an Thünen Luft; die betreffenden
Stellen gibt Schumacher wieder. Einer von diesen Übereifrigen ist
nun von einer etwas merkwürdigen Logik; Lukas Andreas Stau-
dinger ist sehr ungehalten über Thaer und redet wieder von
dessen „früheren unbedingten Anpreisung der englischen Wirtschafts-
art, insbesondere der Fruchtwechselwirtschaft".^) Dann aber findet
sich in der Thünen-Biographie ein Brief, der die Schumachersche
Behauptung von der ungenügenden Rezension Thaers nicht recht zu
stützen geeignet ist. Es ist dies ein Brief desselben Staudinger,
der vorher so böse über Thaer war, und dessen Brief über eben
dieselbe Rezension handelt. In demselben-^) heißt es wörtlich: ,,Da
hörte ich (in den Högl. Ann.) Thaer Dein Werk fast so preisen und
erheben, wie ich es im Hamburger Korrespondenten ausposaunt
hatte, den Du phlegmatischer Mathematikus nicht einmal gelesen
iQorr 'L?'^i^-r.""?^^^®^"^ „Möghnschen Annalen d. Landw.", Berlin
iöz<, tJa. rj b. 1 — 67.
^) Möglinsche Annalen 19. Bd. 1827 S. 2.
^) Schumacher, Forscherleben.
^) Ibid. S. 55.
Ibid. S. 89.
— 69 —
hast. Der Baron las mir zwei Stunden aus dieser Thaerschen
Rezension Deines Werks vor, und gestern abend haben wir die
Lektüre erst beendigt. Gewiß ist es, daß Deinem Werke dadurch
ein Dienst geleistet worden ist, den man nicht hoch genug anschlagen
kann, denn durch Thaers Empfehlung kommt es in die Hände der-
jenigen, welchen, wie ich in meiner Anzeige sagte, eine Stimme bei
der Verminderung der Auflagen zusteht." — Dies zur Charakteristik
der Art und Weise, wie man häufig gegen Thaer vorging.
Unsere Skizze wäre nicht vollständig, wenn wir nicht eines
Umstandes noch erwähnten. Im Zeitalter Thaers sehen wir im
landwirtschaftlichen Betriebe zwei entgegengesetzte, geradezu extreme
Wirtschaftsweisen. Die eine, auf dem alten Wirtschaftssystem be-
harrend, will von den Neuerungen absolut nichts wissen. Dies hat
Thaer am trefflichsten in seiner „Einleitung zur Kenntn. d. e. Ldw."
geschildert. Die andere Weise beschäftigt sich mit der „mechanischen
blinden Nachahmung" der neuen Wirtschaftsart. Gegen diese beiden
einseitigen Richtungen kämpfte Thaer, er wies Jedem System seinen
Platz an. Das war die große Tat des genialen Reformators der
Landwirtschaft. Nur Thaer allein konnte dies beginnen, weil er in
Wirklichkeit vom Standpunkte der Relativität ausging, indem er die
Mannigfaltigkeit der mitwirkenden Verhältnisse und Bedingungen
seinem System zugrunde gelegt hat. Und wenn blinde Nachbeter
Thaers seine Lehre falsch ausgelegt haben, und Thünen ungerechter-
weise gegen Thaer auftrat, so bleibt uns dies nur auf das „errare
humanum est" zurückzuführen. Thaer selber hat an diesem „errare"
keine Schuld, er hat häufig genug, wie schon erwähnt,
seinen Standpunkt klar dargelegt und vor blinder Nachahmung
gewarnt.
Wenn wir nun Thaer von einem Vorwurfe entlasten müssen, der,
sei es direkt oder indirekt, durch die ganze nachfolgende literarische
Entwicklung der Wirtschaftsgeschichte gegen ihn erhoben worden
ist, so soll doch auch nicht unterlassen werden, darauf hinzuweisen,
daß wir dem geschilderten Mißverständnisse die Existenz eines der
wichtigsten ökonomischen Werke verdanken, nämlich die des „Isolierten
Staates" von Thünen. Es tut diesem Werke keinen Eintrag, daß
es nunmehr nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung der Thaer-
schen Theorie erscheint. In diesem Sinne mögen die vorstehenden
Erörterungen aufgefaßt werden.
Der Thünensche ,, Isolierte Staat", oder wie Passow sagen zu
müssen glaubte, ,,die Streitschrift gegen Thaers absolute Frucht-
wechselwirtschaft", war lediglich an die falsche Adresse gerichtet.
Der ,, Absolutismus" der Fruchtwechselwirtschaft existierte bei Thaer
nicht, wohl aber lag der Gedanke an etwas Ähnliches in der Luft^
und dieser Zug des ,, Absolutismus" ging von den ,,Physiokraten"
aus, deren ,,grande culture" nichts weiter als Fruchtwechsel-
wirtschaft ist, und deren absolute Gültigkeit zur Erzielung des
— 70 —
,,produit net", bezw. des „höchsten Reinertrags" im
Thaerschen Sinne von den Physiokraten gepredigt wurde ^)
Zum Schlüsse dieser Abhandlung sei noch bemerkt, daß Thünen
zu seiner negativen Rente durch Thaer gekommen ist, indem
Thaer in seiner Besprechung^) des ,,Isol. Staates" schon darauf
hinwies, daß nach der Rentendefinition Thünens ein negativer Boden-
wert vorkommen könne. Die negative Rente Thünens findet sich
in der ersten Auflage des ,, Isolierten Staates" nicht vor, wohl aber
in den späteren. Wie man sieht, ist Thünen von Thaer angeregt
worden, und Thünen hat dann seine negative Rente erst später be-
arbeitet. Merkwürdig aber ist es, daß Thünen von dieser Anregung
gar nicht spricht.
Adam Müller und Albrecht Thaer.
,,Fast alle Verfassungen, wenn wir etwa die einiger griechischer
Repubhken und der römischen ausnehmen, sind nicht durch Weis-
heit, sondern durch das Schicksal, welches sein Spiel wunderbar
mit den Leidenschaften der Menschen treibt, gebildet, und die In-
stitutionen des Mittelalters machen davon, wie einige Kenntnis
seiner Geschichte beweist, keine Ausnahme. Indessen ist es ein
beseligender Glaube, daß dem blinden Schicksale ein Plan
höherer Weisheit unterliege, um die Menschheit im ganzen
durch manche Umwege zur Vollkommenheit hinzuführen. Und so
mögen die Institutionen des damaligen Zeitalters jenem hohen
Zwecke auch angemessen gewesen sein. Aber für unser Zeitalter
sind sie es nicht mehr, und wir würden dem Geiste desselben —
der, er werde durch Leidenschaften oder durch Vernunft getrieben,
nicht minder im Plane der Gottheit liegt — mit einem unsehgen
^ Erfolge entgegenstreben, wenn wir sie, trotz selbigem, zu erhalten'
versuchen wollten. Wir haben weder die Tugenden noch die
Laster, weder die Stärke noch die Schwäche jenes Zeitalters mehr;
wir haben andere Laster und Tugenden, andere Schwächen
und andere Stärke, es werden andere Institutionen notwendig
um unsere Tugenden und Kräfte zu benutzen, und vor unsern
Lastern und Schwächen uns zu sichern."
A Thaer
Annalen des Ackerbaues Bd. 11 1810 S. 474-475.
Einen Dogmenstreit vor 100 Jahren könnte man vorliegende
Abhandlung betiteln, und bei dem gegenwärtig zunehmenden Interesse
für die älteren Dogmen und Lehren der Nationalökonomie dürfte es
wohl als zweckmäßig betrachtet werden, diesem Streite eine be-
sondere Abhandlung zu widmen, zumal da er zwischen zwei so an-
gesehenen und einflußreichen Männern wie Adam Müller und Albreclit
^) s. Aug. Oncken, Entstehen und Werden der physiokratischen
Theorie, Sonderabdruck aus der Vierteljahrschr. für Staats- und Volkswirt-
schaft, herausgegeben v. Kuno Frankenstein, S. 62, 66; ferner A. Oncken,
Geschichte der Nationalökonomie, Leipzig 1902, S. 323.
2) Möglin. Ann. Bd. 19 1827 S. 10—11.
— 71 —
Thaer aiisgefochten wurde. Bekanntlich haben diese Männer, frei-
lich jeder auf seinem Gebiete, für die Wissenschaft neue Wege ge-
bahnt. Der erstere , unter den sogen, „national - ökonomischen
Romantikern" der bedeutendste, durch seine Beeinflussung der deut-
schen Nationalökonomie bezw. der historischen Methode im
19. Jahrhundert, während der letztere, um mit Thünen ^) zusprechen,
,,der Begründer der wissenschaftlichen Landwirtschaft" war.
Es ist von vornherein zu betonen, daß es sich im folgenden
nicht um eine Parteiergreifung, ein pro oder contra für den einen
oder anderen handelt. Wir beschränken uns lediglich auf eine ob-
jektive Darstellung und Wiedergabe des Streites, ohne dabei einer
persönlichen Meinung bezw. einem Urteil darüber Ausdruck zu geben.
Nicht willkürlich wurde diese Art der Darstellung gewählt, sondern
in der bestimmten Absicht, die objektiv-wissenschaftliche Klarlegung
nicht durch Parteilichkeit zu trüben (eine Parteilichkeit, in die man
um so leichter hätte verfallen können, da Müller verschiedentlich rein
landwirtschaftlich praktische Erwägungen zur Stützung seiner Position
heranzieht, Ausführungen, die zur Kritik und Parteiergreifung geradezu
herausfordern). Und geht man vollends von der geschichtsphilosophi-
schen Betrachtungsweise aus, so kann es sich hier, d. h. bei diesem
Streite, ebensowenig um ein absolutes ,,für" als absolutes
,, gegen" handeln. Jeder der beiden Gegner kann in bestimmten
Grenzen für bestimmte Verhältnisse recht behalten. Aber diese
Grenz- und Verhältnisfeststellung wird von dem voreingenommenen
Parteistandpunkte nicht unbeeinträchtigt bleiben können. Hier wird
das rein Subjektive tonangebend bleiben.
Bevor wir zu unserer Darstellung übergehen, haben wir einen
in seiner Fassung etwas gehässigen Angriff, der auf Adam Müller
mit Unrecht gemacht wurde, abzuweisen. Derselbe stammt aus der
Feder des Biographen und Bruder des Schwiegersohnes von Thaer,
nämlich von Wilhelm Körte. Indem der letztere auf Adam Müller
zu sprechen kommt,-) sagt er, Müller nach sei die Dreifelderwirt-
schaft auf die ,, heilige Dreieinigkeit" begründet! Dabei verweist
Körte auf die ,, agronomischen Briefe" im ,, Deutschen Museum von
1812". Dieser Ausdruck kommt weder an dem verwiesenen Ort
noch sonst irgendwo bei Müller vor. Vorhanden ist dieser Ausdruck
wohl, aber nicht bei Adam Müller, sondern bei dem königlich
preußischen Landrat Wilhelm von Schütz^) in einem ,, Sendschreiben
an den Hofrat Ad. Müller", das ebenfalls im ,, Museum" veröffentlicht
wurde. Schütz sieht die Dreifelderwirtschaft ,, abgeteilt nach der
^) vgl. dessen ,,Der isolierte Staat etc." S. 3 Einleitung II. Teil I. Abt.
3. Aufl., Berlin 1875.
■-) vgl. dessen „Albrecht Thaer" S. 106 Anm., Leipzig 1839.
^) vgl. „Das deutsche Museum", herausgeg. von Fr. Schlegel, Bd. 2
S. 158, Wien 1813.
— 72 —
Dreylieit in Gott". ^) Aus leichter Hand hat Körte einen Satz, der
in einem Briefe an Müller vorkommt, mit einem Briefe Müllers
selbst verwechselt, zumal alle diese Briefe, d. h. sowohl die von
Müller als auch die von Schütz, in einem und demselben Jahrgang
des vorgenannten ,, Deutschen Museums" zum Abdruck gelangten.
Wenn wir nun zum Streite ,, Müller — Tliaer" übergehen, so be-
darf es zuvor noch einer kurzen Bemerkung. Man könnte meinen,
indem wir von einem Streite zwischen Müller und Thaer sprechen,
daß Thaer mit Müller in einer Polemik sich auseinandergesetzt hätte.
Allein dies ist nicht der Fall. Thaer hat auf die Angriffe und die
Polemik Müllers in einer besonderen Abhandlung nicht geantwortet.
Wohl aber finden wir hier und da gelegentlich zerstreute Bemerkungen
über den Standpunkt von Müller. Dieselben enthalten zum größten
Teil nicht einmal den Namen Müllers, beziehen sich aber auf dessen
Meinungen, wie dies für den, der sich mit dieser Kontroverse näher
befaßt, leicht wahrzunehmen ist. Diese Nichtauseinandersetzung von
Seiten Thaers mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, doch
wird dies Verhalten wohl begreiflich, wenn man das große Ansehen
und die Autorität im Auge behält, deren Thaer sowohl in Regierungs-
und Fachkreisen als auch unter den Landwirten sich bewußt war.
Thaer hat es wahrscheinlich nicht für nötig gefunden, sich mit
Adam Müller auseinanderzusetzen , denn in theoretischen Streitig-
keiten kommt es nicht sowohl auf die Person des Streitenden an,
als vielmehr auf den theoretischen Kernpunkt der Sache selbst.
Was das letztere anbetrifft, so war die Sache Thaers nach allen
Seiten hin so gut wie gesichert. Müller mit seinen Anhängern hat
die Theorie Thaers nicht erschüttern können. Und in der Tat hat
Thaers Ansicht, wie wir wissen, auch in der Praxis gesiegt; es sei
nur an die Reformen Stein-Hardenberg erinnert, an denen
Thaer tätigen Anteil hat. Daß Thaer Adam Müller nicht direkt ge-
antwortet, hat zum Teil auch darin seinen Grund, daß ersterer ein
Gegner des Polemisierens war ; er antwortete auf Angriffe, die gegen
ihn gerichtet waren, überhaupt nicht, oder nur in den allerseltensten
Fällen. Seine Freunde haben ihm hieraus häufig einen Vorwurf
machen wollen, doch er war der Ansicht, daß man die auf Streite-
reien verwandte Zeit nutzbringender anwenden könnte.
Wir gehen nun zu dem hier vorgesteckten Problem über.
Vorerst haben wir es mit den ,, agronomischen Briefen" Adam
Müllers zu tun. Er beginnt damit, daß die Verschiedenheit^) zwischen
den Wirtschaftsbedingungen Englands und denen des kontinentalen
Europa auch zu einer verschiedenen Wirtschaftsweise führen müsse.
Alle landwirtschaftlichen Gebiete seien in England durch Natur und
Ibid. S. 166.
2) vgl. Adam Müller, Agronomische Briefe I, Deutsches Museum Bd. 1
S. 54-55, Wien 1812.
— 73 —
Kunst in Nachbarschaft gebracht worden, während die kontinental-
europäischen isoliert seien. Diesen Vergleich zieht Müller natürlich
deswegen, weil die rationelle Landwirtschaft von England nach dem
Kontinent herübergebracht worden ist. Es gibt also nach A. Müller
zwei Gattungen von Wirtschaften : , .solche, die fast ganz in sich ruhen,
von sich selbst zehren, und also vom Welthandel und seinen Schick-
salen unabhängig sind ; und dann solche, die von einem bestimmten
Markt und vom Absatz ihrer Produkte, also auch von den großen
Weltbegebenheiten abhängiger bleiben."^) Bei der ersten Gattung
von Wirtschaften sind persönliche und erbliche Dienstverhältnisse
vorherrschend, bei der zweiten Tagelöhnerverhältnisse und eine
größere Abhängigkeit vom Gelde. Naturalwirtschaft und Geldwirt-
schaft, Fideikommisse und freies Grundeigentum, das sind die Haupt-
merkmale, welche diese Wirtschaften voneinander unterscheiden.
Adam Müller ist der Meinung, daß beide Gattungen von Wirt-
schaften nebeneinander existieren können und sollen ; er sagt
ausdrücklich : -)
,, Während nämlich zuvörderst Lokal und Geschichte, sodann aber
auch die innere Notwendigkeit der Sache uns überzeugen, daß beide
Gattungen der Landwirtschaft zu beiderseitigem Nutzen und Bestände
nebeneinander fortdauern müssen; während es sich als töricht
erweist, sowohl der isolierten Landwirtschaft einen unnatürlichen
Verkehr, als der merkantilischen Landwirtschaft einen ebenso un-
natürlichen feudalistischen und Unveräußerlichkeits-Charakter aufzu-
dringen ; während die isolierte Landwirtschaft die erste Gewährleisterin
der Unabhängigkeit des Vaterlandes und die] merkantilische die ge-
rechteste Vermittlerin zwischen der Produktion des In- und Auslandes
bleibt; während also beide gleich wesentliche Dienste leisten —
nährt man den großen Irrtum, als ob die erste Gattung eine Aus-
geburt der Trägheit, der Gewohnheit, des Herkommens, die zweite hin-
gegen der Vernunft, des Fleißes und des wahren politischen Kalküls sei:
kurz, man unterscheidet hier, wie in so vielen Fällen, als alte und
neue Lehre, was nur nebeneinander und in Verbindung richtig ist;
man findet von vornherein unvereinbar, was gründlich zu vereinigen
das einzige Problem der Politik ist." Aber die nach der britischen
Leiste geschnitzte rationelle Theorie der Landwirtschaft gehe nach
Müller davon aus, die Vermehrung des jährlichen reinen Ertrages,
insbesondere des Geldertrages, soweit wie möglich in die Höhe zu
treiben. Dies führe dazu, daß die Arbeit des Volkes wie auch das
Bedürfnis desselben sich nicht etwa untereinander, wie es gebühre,
bedingen und verschlingen, sondern daß jeder einzelne Arbeiter für
sich mit den Bedürfnissen des Weltmarktes in abgesonderten Verkehr
trete, während sein besonderes Vaterland diesen Verkehr zu ver-
Ibid.
2) Ibid. S. 57—58.
— 74 -
bürgen immer unfähiger würde. ^) Man müsse vielmehr den Fort-
schritten der merkantilischen Landwirtschaft durch eine tüchtige
Vindikation der alten isolierten oder, wie er sie am liebsten nennt,
der nationalen Landwirtschaft wahre Schranken, d. h. eine gehörige
Bürgschaft geben. ^)
Die vorgeblich rationelle Landwirtschaft (Müller versteht unter
dieser und ähnlichen Bezeichnungen immer die Wirtschaftsweise nach
Thaerschen Prinzipien) gehe aber darauf aus, alle nationale Land-
wirtschaft in merkantilische zu verwandeln. Das Geschäft des Land-
baues selbst, seinem Ursprünge nach gemäß der Auffassung Müllers,
Dienst des Staates und nichts Geringeres, wird dadurch (nämlich
durch die rationelle Landwirtschaft) durchaus zum Gewerbe herab-
gewürdigt und dem großen Mechanismus der Industrie einverleibt.-)
Die nationale Landwirtschaft sei aber eigentlich Stamm und
Wurzel alles politischen Lebens,^) deswegen hat man sie nicht als
Gewerbe aufzufassen, sondern als politische Institution, bezw. sie
hat nicht den Zweck der Ökonomik, sondern den der Politik
zu erfüllen.
Müller spricht von Thaer mit aller Hochachtung, man müsse
Thaer ,, große Verdienste zugestehen",^) es sei ein ,, vorurteilsfreier,
zu guter Kopf"^) usw. Aber aus den hier angeführten Angriffen auf
die rationelle Landwirtschaft macht Müller Thaer zum Vorwurfe, er
lasse die vielen Wesentlichkeiten, die England von Thaers Vater-
lande trennen, in seinen Betrachtungen der Landwirtschaft unbeachtet.^)
Müller bekämpft nebenbei die Theorien des Eigennutzes, die
nach ihm der neuen Lehre zugrundeliegen. '^) In diesem Punkte wendet
er sich hauptsächlich gegen Adam Smith, welchen er als den Theore-
tiker des Eigennutzes hinstellt. Diese Theorie entspringt wohl nach
Müller- aus dem Geld- und Industriesysteme, aus der städtischen
Ökonomie. Von der letzten sei die rationelle, bezw. die merkanti-
lische Landwirtschaft in der Nachahmung von den Engländern abge-
leitet und übernommen worden. Dies System führe aber zu Schulden,
zur Spekulation, zur Unsicherheit, zur allgemeinen Zerrüttung.^)
Allein, er verwirft nicht die merkantilische Landwirtschaft schlecht-
hin, sondern will sie in bestimmten Grenzen gelten lassen. Er sagt
nämlich unter anderem:
,, Demnach bin ich der erste, der einer Nation zu dem wirklichen
und dauerhaften Gedeihen der merkantilischen Landwirtschaft
Ibid. S. 59-60.
2) Ibid. S. 60.
3) Ibid. S. 69.
4) Ibid. S. 72.
••) Ibid. S. 73.
«) Ibid. S. 74.
Ibid. Bd. 2 3. Brief S. 234.
«) Ibid. S. 219.
— 75 —
Glück wünscht, weil ich darin ein untrügliches Zeichen sehe, daß
sie über ihre dringenden Lebensbedürfnisse, über ihre Erhaltung, über
ihren Nationalverband durch ein altes agronomisches System längst
sichergestellt sein muß. Und weil ich die echten Fortschritte der
Landwirtschaft und selbst den Spekulationsgeist im Gebiete der
ländlichen Ökonomie bis auf einen gewissen Grad will, so verteidige
ich die Hauptbedingung aller wahren Fortschritte und alles dauer-
haften Merkantilismus, nämlich das alte agronomische System.^)
Müller meint, er bekämpfe nur die ausschließlich merkantilische
Landwirtschaft, weil, wie er sagt: „Die gesamte Landwirtschaft eines
Landes zu merkantilisieren, wäre also ein ebenso widersinniges Beginnen,
als wenn der einzelne Mensch aus Passion für den Handel sich selbst
und seine angewachsenen Glieder zugleich mit seinen übrigen Ver-
käuflichkeiten auf den Markt bringen wollte."^) Also, was er be-
kämpft, ist eigentlich das ausschließliche Herrschen der merkan-
tilischen Landwirtschaft. Dies tut Müller aus folgenden Erwägungen:
„Die merkantilische Landwirtschaft — sagt er weiter — ist
nichts anderes, als unter den vielen Fabriken, welche der feudalistische
Boden des Vaterlandes nähren und tragen muß, eine der bedeutendsten.
Nehmen Sie unseren Anglomanen diesen Boden unter den Füßen
weg; mit anderen Worten: merkantilisieren Sie die gesamte Land-
wirtschaft; heben Sie alle persönlichen, unverkauften und unverkäuf-
lichen Dienstverhältnisse auf: zerstören Sie die alte, träge, erbliche
und deshalb unsterbliche Verbindung der Menschen untereinander und
mit der Scholle, dieses einzig sichere Kapital der Landwirtschaft —
so stürzen Fabriken und Handel und Maschinen und Freiheit und
alles, was die leichtsinnige Vernunft unserer Generation für Wesent-
lichkeiten des Nationalglücks geachtet hat, unfehlbar zusammen.""^)
Nach Müller würde die merkantilische Landwirtschaft allein nicht
existieren können. Begreiflich ist es, wenn er den Schluß zieht,
der folgendermaßen lautet:
„Sobald aber die merkantilische Landwirtschaft anerkennt, daß
sie nur der feudalischen gegenüber möglich ist, daß ein Teil der Ökonomie
in Verkehr mit dem Weltmarkte treten kann , nur inwiefern ein
anderer größerer Teil in den nationalen Schranken verharrt; kurz,
sobald sie nur nicht Regel werden, nicht mit Rationalität und Wissen-
schaftlichkeit prahlen, und sich nicht in die Gesetzgebung des Acker-
baues mischen, oder das agronomische Kapital, das tief in den
Boden verwachsene Netz von Eigentum antasten will, ist sie nicht
bloß zu dulden, sondern in allen erlaubten Wiegen zu befördern und
für den lebendigen Fortschritt der gesamten Staatshaushaltung kaum
zu entbehren. W^eit davon entfernt also, ein Feind der Freiheit und
1) Ibid. S. 219.
2) Ibid. S. 220.
3) Ibid. S. 221.
Werth. 6
— 76 —
der Vernunft zu sein, verdiene ich, indem ich die Unentbehrlichkeit j
der feudalistischen Landwirtschaft erweise, für einen eifrigen und '
gründlichen Verteidiger der Freiheit anerkannt zu werden, und für
einen Wortredner der ewigen Vernunft in Staatssachen zu gelten,
wenn ich mich auch gerade nicht in die dermalen beliebte Vernunft-
form zu bequemen weiß."^)
Wir haben hier die landwirtschaftlichen Ansichten Adam Müllers
in den ,, agronomischen Briefen" kennen gelernt. Müller kommt des
weiteren auf diesen Punkt zu sprechen in den anderen von ihm ver-
öffentlichten Schriften. Wissenscliaftlich Haltbares in bezug auf die
Landwirtschaftslehre bezw. auf die auf letzterer basierende Agrar-
politik enthalten sie nicht.
Müller bekämpft in denselben die von Thaer begründete Taxations-
lehre, wie auch die Humustheorie, weil der Gutsherr selbst nach
dieser Theorie keine Person sei, denn von Liebe, Anhänglichkeit,
Väterlichkeit, Gewohnheit, wahrer Freiheit sei nicht die Rede. Der
Gutsherr sei nach der rationellen Theorie der Landwirtschaft nichts
anderes, als die rationelle Rechenmaschine für das Ganze.^) Er sagt:
,,Der Zweck der Wirtschaft nach diesen Theorien ist ferner
ausschließlich jener dritte Zweck der wahren Wirtschaft: der sogen,
reine Ertrag, der Überschuß von verkäuflichen Sachen, welchen
das Treiben der Maschine zurückläßt , also von verkauften Sachen,
also von der Sache par excellence, also vom Gelde, wonach dann
das ganze fromme und ehrenvolle Amt des Landbaues zu einem
gemeinen und verächtlichen Gewerbe*^) herabsinkt." Er meint,
man habe am ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit
zu trachten, und der reine Ertrag werde uns dann von selbst zu-
fallen.^) Soweit Müller in seiner ,, Theologischen Grundlage der ge-
samten Staatswissenschaften". Wie man sieht, hat sich hier sein
religiöses Gefühl sehr gesteigert. Haben wir in den Briefen doch
noch irgendwelche Ökonomik, mag sie auch feudalische heißen, vor
uns gehabt, so ist es hier eigentlich eine Theologie, aus welcher
die rationelle Landwirtschaft bezw. ihr Endzweck bekämpft wird.
Während in den ,, Briefen" sein Standpunkt hauptsächlich von der
Feudalität getragen wird, so ist der Standpunkt der ,, Theologischen
Grundlage" auf der Kasuistik aufgebaut.
Wir haben uns nun mit der Stellungnahme Thaers zu be-
schäftigen. Wie von vornherein betont wurde, wissen wir, daß
Thaer sich mit Müller nicht speziell auseinandergesetzt hat. Wohl
aber finden wir hier und da kurze Auslassungen, zum Teil Müller
Ibid. S. 223.
^) vgl, Adam Müller, Von der Notwendigkeit einer theologischen Grund-
lage der gesamten Staatswissenschaften usw., Leipzig 1819, S. 50.
unter anderem:
3) Ibid. S. 5L
4) Ibid. S. 219.
— 77 —
mit Namen genannt, zum größten Teil aber nur auf ihn hingedeutet.
In folgendem sei das Wichtigste mitgeteilt.
In den ,,Möglinschen Annalen der Landwirtschaft"^) hat das
Albertsche Projekt, welches mit Beilagen von Ad. Müller erschien,
eine Besprechung Koppes gefunden. Diese Besprechung hat Thaer
mit Noten versehen, in welchen er Müller etwas spöttisch abfertigt.
Nachdem Thaer in knappen Worten die Tendenzen Müllers charak-
terisiert, fügt er folgendes hinzu: ,,Der Trieb der Menschen zur Er-
werbung des Eigentums ist bei dem Jetzigen Stande der Zivilisation
das einzige, was sie in Tätigkeit setzt, und wobei die bürgerliche
Welt und der Staat bestehen kann. Nur die Einwohner von Paraguay
lassen es sich gefallen, von Dr. Francia wie das Vieh gefüttert und.
zur Arbeit angehalten zu werden, weil sie von den Jesuiten dazu
gewöhnt waren; mit Europäern wird man es vergeblich versuchen."^)
Thaer sagt weiter, daß an den Orten, wo die Landwirtschaft
nach den Grundsätzen des Gewerbes betrieben wird, auch die
Moralität des Menschen sich verbessert habe. ^)
Thaer betrachtet die Landwirtschaft als ein Gewerbe, welches
zum Zweck hat, durch Produktion Gewinn zu erzeugen oder Geld
zu erwerben,^) und zwar den möglichst höchsten r e i n e n Gewinn.
Mit Bezug auf die mittelalterliche Auffassung sagt er unter anderem
folgendes :
,,Wir glauben vielmehr, daß derjenige, welcher keinen inneren
Beruf zur Landwirtschaft fühlt, für sich selbst und für das all-
gemeine Beste rätlich handele, wenn er sich aus seinem Landgute
auf irgend eine Weise eine gehörige Rente zu sichern sucht, solches
aber einem andern zu bewirtschaften überläßt. Jene Meinung über
die Pflicht des Gutsbesitzers, sein Gut selbst zu bewirtschaften,
konnte sich nur auf einen gewissen, strengen Begriff vom Lehns-
systeme gründen, der gegenwärtig fast in keinem Staate Europas mehr
stattfindet und vom merkantilischen Geiste der Zeit verdrängt ist." ^)
Die Verschiedenheit der Prinzipien, von welchen Müller und
Thaer ausgehen, können wir in folgendem zusammenfassen:
Müller geht von dem Standpunkte aus, daß die Landwirtschaft
nicht eine wirtschaftliche, sondern eine politische und nationale
Institution sei, welche nicht auf Sachen-, sondern auf Personal-
dienstverhältnissen beruht; sie ist kein Gewerbe, sondern ein Amt,
und deswegen kann ihr Zweck nicht bloß der des hohen Ertrages
sein. Da man nach Müller die Landwirtschaft politisch aufzufassen
hat, so ist es selbstverständlich, daß sie einer größeren Sicherheit
bedarf. Dies kann nur geschehen, wenn ihr Unabhängigkeit ge-
^) Möglinsche Annalen, Bd. 13, 1824. Berhn.
2) Ibid. S. 471-472 Note.
3) Ibid. S. 476 Note.
^) vgl. Grundsätze d. rat. Ldwsch. Bd. 1 S. 3, Berlin 1831.
Ibid. Bd. 1 S. 31-32.
6*
— 78 —
sichert wird. Die letztere kann nur dadurch erlangt werden, daß
ihr Schicksal nicht mit den Schwankungen des Weltmarktes ver-
knüpft ist. Der Weltmarkt gilt für Müller als etwas Unsicheres,
Unstätes. Macht auch Müller der neueren Ordnung der Dinge Kon-
zessionen, so sind diese doch nicht sehr weitgehend. Er unter-
scheidet, wie schon bemerkt, zwei Gattungen von Landwirtschaft,
1. die nationale und 2. die merkantilische bezw. die rationelle im
Sinne Thaers. Läßt er die zweite gelten, so ist sie doch nach ihm
nur insoweit von Bedeutung, als sie die nationale bezw. feudalistische
unterstützen kann. Die letztere ist die Hauptsache, der Grundstock
der Nation, des Gemeinwesens.
Müller ist gegen die Veräußerlichkeit des Grund und Bodens,
weil die merkantilische Landwirtschaft ihr auf dem Fuße folgt, sie
zur Bedingung hat, zugleich aber auch zur Knechtschaft der Person,
nämlich der Abhängigkeit vom Gläubiger führt. Unbedingte Ver-
äußerlichkeit des Grund und Bodens, ausschließlich merkantilische
Landwirtschaft und Knechtschaft der Person fallen nach Müllers Auf-
fassung zusammen. Wie gesagt, sind seine Konzessionen nicht
weitgehend, dies ersieht man auch aus folgendem : Müller bestrebt
sich immer, die Berechtigung der Feudalwirtschaft gerade durch die
rationelle Wirtschaftsweise zu begründen, indem er die Unmöglichkeit
der alleinigen Existenz der rein rationellen Landwirtschaft zu zeigen
sich bemüht. Die rationelle Wirtschaft ist nach ihm in der feudalen
Landwirtschaft interessiert; allein ist sie unmöglich, wohl aber
in der Verbindung mit der feudalen; die feudale Landwirt-
schaft ist primär, die rationelle sekundär, und zwar innerhalb der
feudalen. Müller ist ganz erbittert gegen das Neue ; wenn er es
auch teilweise duldet, so tut er das deswegen, weil er nicht anders
kann. Sein Ideal ist eigentlich Rückkehr zum Mittelalter, zu den
Wirtschaftsprinzipien der katholischen Kirche. Er steht auf dem
Standpunkte einer spiritualistischen Weltanschauung; den Egoismus
will er verbannt wissen ; Egoismus, Privateigentum, das römische
Recht, ausschließlich rationelle Landwirtschaft, hängen nach ihm
zusammen. Müller ist deswegen gegen alles dies, weil die neuere
Auffassung des Wirtschaftslebens mit seiner ganzen Weltanschauung
geradezu kollidiert, ihr ganz und gar entgegengesetzt ist. In seinem
Streite gegen Thaer platzen nicht zwei Geister aufeinander, nicht
zwei Menschen, sondern zwei Weltanschauungen, Mittelalter
und neuere Zeit, Feudalismus und Kapitalismus bezw. kapitalistisch be-
triebene Landwirtschaft, kirchliche Autorität und freier Individualismus,
Jenseits und Diesseits, mystische Romantik und Realismus, Feudal-
eigentum und freies Privateigentum , Naturalwirtschaft und Geld-
wirtschaft, das sind die Signaturen, um die sich das Ganze dreht.
Thaers Auffassung ist die der neueren Zeit: die Landwirtschaft
ist ein Gewerbe, der Egoismus ist legitim. Wir begreifen Müller
und Thaer am besten, wenn wir von der geschichtsphilosophischen.
Betrachtungsweise ausgehen, d. h. wenn wir ihre Theorien von den
zu ihrer Zeit vorhandenen Bedingungen zu erklären suchen, denn
jedes Wirtschaftssystem veranlaßt zu einer neuen Theorie, neue Be-
dingungen rufen neue Theorien hervor. Das deutsche Wirtschafts-
leben war zu jener Zeit in einem Übergangsstadium begriffen, es
vollzog sich damals ein Gärungsprozeß. Was Thaer eigentlich tat,
war nichts anderes, als eine Anpassung an die neuen, reif ge-
wordenen Bedingungen. Er hatte eingesehen, daß man mit der alten
Ordnung, dem „alten Schlendrian" aufräumen mußte. Das Mittel
hierzu sah er in der Durchführung der rationellen Landwirtschaft,
und die Ausbreitung dieser wiederum war nur mit Hilfe einer Agrar-
reform möglich, die denn auch zu jener Zeit geschaffen wurde.
Müller dagegen in Sorge vor Revolution und in seiner Ver-
urteilung der ,, Umwertung der Werte" fand das Heilmittel nicht
vorwärts, sondern rückwärts, ich möchte sagen, in einer Reaktion
ethischer Natur. Er wollte der landwirtschaftlichen Not durch
einen Neofeudalismus abhelfen, den , , neuen Kurs" des Wirt-
schaftslebens aber nicht mitmachen, weil er Schrecken vor dem
Industriestaate hegte. In dieser letzteren Beziehung war er nicht der
einzige unter den theologisierenden Nationalökonomen.
Fast drei Jahrzehnte später vernehmen wir Ähnliches von einem
protestanstischen Theologen zu Menslage, nämlich von Pastor Funke:
,,Es ist ein Drängen und Treiben eingetreten" — urteilt derselbe — ,
,,bei dem alle sittlichen Bande, welche die einzelnen Individuen an
Familie und Vaterland knüpfen, allmählich völlig gelöst werden
müssen."^) Und weiter: ,,Der moderne Zeitgeist, welcher überall
die vorhandenen sittlichen Bande zerreißt, hat auch hier verderblich
«ingewirkt; die alten Sitten und Gewohnheiten, welche das Leben
fester zusammen erhalten als die bestimmenden Gesetze, schwinden,
und die Einfachheit des alten und doch ewig neuen Glaubens ist
oft nur zu sehr verloren gegangen, weshalb denn auch die alle
Lebensverhältnisse verklärende und die Menschen überall in Liebe
einigende Gewalt fehlt." ^)
Wie man sieht, war der Protest gegen das Neue, gegen den
Fortschritt, keine Einzelerscheinung in der Nationalökonomie.
Da Thaer, wie schon bemerkt, in längerer Ausführung, ich
möchte fast sagen ,, offiziell", auf die Angriffe Müllers nicht ge-
antwortet hat, so herrschte vielfach die Meinung vor, Thaer sei in
diesem Streite unterlegen. Diesem Gedanken tritt etwa ein Jahrzehnt
nach dem Tode Thaers ein Mann aus Müllers eignem Lager ent-
gegen, wenn man den ,,anthropologisierenden" Nationalökonomen
F. G. Schulze^) dorthin verpflanzen darf. In einer Versammlung
^) Funke zitiert bei Sombart, Der moderne Kapitalismus Bd. 2 S. 144.
2) Fraas nennt ihn den ,, philosophierenden Nationalökonom und
ästhetischen Landwirt, den Hodegetiker und Methodisten", s. dessen
Geschichte der Landwirtschaft, 1852, S. 123.
— 80 —
deutscher Landwirte zu Dresden im Oktober 1837 widerlegt Schulze
die Meinung von der Niederlage Thaers. Er führt u. a. dort aus:
,,In der Landwirtschaft kämpft der Mensch mit der Erde, mit
den Naturkräften streiten Menschenkräfte. Je mehr Bildung im
Volke verbreitet ist, um so mannigfaltiger sind die Bedürfnisse an
irdischen Gütern, und um so schwieriger ist ihr Kampf. In unserer
Zeit sind die Bedürfnisse so gestiegen, daß die Menschen zur Be-
friedigung derselben die Natur nur dann zwingen können, wenn sie
wissenschaftlich über diesen Kampf nachdenken. Schon im
vorigen Jahrhundert begann das Nachdenken über Landwirtschaft,
aber eine Wissenschaft davon besteht erst seit jener Zeit, wo ihr
Thaer mit Begeisterung für das Wahre und Gute seine tiefen und
umfassenden Forschungen zuwendete. Jedoch richtete er dieselben
fast nur auf die Natur, inderp für menschenwissenschaftliche Unter-
suchungen seine Zeit noch nicht vorbereitet war. Eine solche Vor-
bereitung ist erst in der neueren Zeit durch die Nationalökonomie
bewirkt worden."^)
Nachdem Schulze auf die Notwendigkeit des Studiums der
Nationalökonomie in Verbindung mit der Philosophie für den Land-
wirt hingewiesen hat, fährt er fort:
Jedoch nicht minder unentbehrlich ist sie (Nationalökonomie)
für die irdischen Bedürfnisse, für die Erlangung des größten Geld-
gewinnes. Nach Reinertrag soll der Landwirt streben durch An-
schläge und Buchhaltung die Grundrente, Arbeits- und Kapitalrente
berechnen. Über diese Begriffe gibt uns ja nur die Nationalökonomie
Aufklärung ..." Ferner: ,,Bei der Einführung eines neuen Wirt-
schaftssystems ist vorzüglich Rücksicht zu nehmen auf das Ver-
hältnis der Arbeit zum Boden und zum Kapital, auf die Bevölkerung
und die merkantilischen Verhältnisse, auf Bildung der Arbeiter, über
welche Gegenstände die Nationalökonomie wissenschaftliche Be-
lehrung gewährt. Demnach w^erden die Landwirte durch diese
Wissenschaft wie das öffentliche Interesse auch ihr Privatinteresse
fördern." ^)
Hier erkennt Schulze also an, daß durch das Streben nach dem
größten Reinertrag auch das öffentliche Wohl gefördert werde. Da
man diese Ausführungen, die ja den Ideen Thaers vollkommen ent-
sprechen, mißverstanden hatte, kam Schulze an einem späteren Tage
vor derselben Versammlung auf seine frühere Rede zurück und
zwar nimmt er hier direkt Stellung zu der im vorliegenden Kapitel
geschilderten Kontroverse zwischen Thaer und Adam Müller.
Schulze führt nun folgendes aus:
,,Der Herr, der vor dem Herrn Vorsteher gesprochen, hat sich
auf den Vortrag bezogen, welchen ich gestern gehalten habe. Es
^) s. Amtlicher Bericht über die Versammlung deutscher Landwirte
in Dresden im Oktober 1837, Dresden 1838, S. 116.
Ibid. S. 119.
— 81 —
sei mir erlaubt, einem Mißverständnisse zu begegnen, das vielleicht
durch denselben veranlaßt worden ist. Man glaubt vielleicht, daß
ich damit habe aussprechen wollen, es solle der Landwirt den
Reinertrag, den Geldgewinst vernachlässigen, weil er nicht der
höchste Zweck des Lebens sei, und behauptet dagegen, daß der
Mensch gerade bei der Landwirtschaft darüber nachdenken müsse,
wie Geldgewinst zu erlangen sei. Ich verkenne die Wichtigkeit
des Gelderwerbs keineswegs ; nur reichen wir mit ihm allein nicht
aus, wir müssen auch darauf sehen, auf welche Weise derselbe auf
den höchsten Ertrag gebracht wird. Meiner Ansicht steht nicht
entgegen, was der verstorbene Staatsrat Thaer darüber gesagt hat,
sondern es ist dies vielmehr mit dem, was ich vorgetragen habe,
leicht in Einklang zu bringen. Adam Müller hat gerügt, daß
Thaer, indem er den höchsten Reinertrag als den Hauptzweck des
landwirtschaftlichen Gewerbes ausgebe, eine Ansicht habe, die ge-
fährlich sei, weil sie die Moralität verletze. Es ist noch kein Ver-
teidiger Thaers aufgetreten, und Adam Müller hat sonach vor
den Augen der Welt recht behalten, darum mußte ich zur Recht-
fertigung Thaers darauf hinweisen, daß das Streben nach Geld-
gewinn recht gut neben sittlicher Vervollkommnung bestehen könne;
daß aber allerdings die Sittlichkeit im Volke untergraben werden
müßte, wenn man den Gelderwerb als den einzigen und höchsten
Lebenszweck aufstellte."^)
Das letztere zu behaupten, ist Thaer auch niemals eingefallen,
sondern er folgert immer, da die Landwirtschaft ein Gewerbe sei,
so sei ihr Zweck eben der eines Jeden Gewerbes, der möglichst
höchste Reinertrag.
Interessant und zur Charakterisierung der Richtung Schulz es
sehr geeignet dürfte dessen Forderung sein, daß der Landwirt eine
,, ästhetische Bildung, die den Geist empfänglich macht für alles Hohe,
Schöne, göttlich Sitthche", haben müsse. Er wolle keinem Verwalter
die Bewirtschaftung seines Gutes anvertrauen, ,,der nicht fleißig in
die Kirche ginge und einen echt religiösen Sinn zeigte".^)
Thaers Stellung zu den Hauptsystemen der französischen
und englischen Nationalökonomie seiner Tage.
Wenn wir den Entwicklungsgang der natialökonomischen Ideen
Thaers treffend und kurz charakterisieren wollen, so müssen wir
zwei nationalökonomische Systeme nennen, die, gleichsam Stadien
seiner Entwicklung, die Hauptlehrer Thaers gewesen sind, nämlich
das physiokratische und das Smith sehe System. Wennsich
1) Ibid. S. 46.
2j Ibid. S. 47.
— 82 —
auch Thaer keinem dieser Systeme ganz angeschlossen hat, so hat
er doch von beiden gelernt.
In der ersten Zeit seiner landwirtschaftlichen, mehr theoretischen
Tätigkeit dürfte er wohl etwas physiokratisch gesinnt gewesen
sein, wie ihm denn auch die physiokratischen Schriftsteller zum Teil
aus direktem Studium bekannt gewesen sind, wie schon früher aus-
geführt wurde. Später, als Thaer sich mit der landwirtschaftlichen
Praxis mehr und in größerem Umfange beschäftigte und er ihr manche
Konzessionen auf Kosten der Theorie machen mußte, finden wir
mehr Neigung zu Smith bei ihm vor, welchem Autor er denn auch
für die Folge den Vorzug gab,^) vergleicht er ihn doch gar mit
Newton.
Wenn auch Thaers Hauptlehrer die Engländer gewesen sind, so
hat er doch auch vielfach französische Werke studiert, manche seiner
Rezensionen behandeln französische Autoren auf dem Gebiete der
Landwirtschaft. Die landwirtschaftlichen Ansichten Pa tu 11 o s sind,
wie schon gezeigt, den Ideen Thaers nahe verwandt.
Daß Thaer sich keinem der beiden genannten Systeme ange-
schlossen hat, liegt zum Teil darin begründet, daß er ein viel zu
selbständiger Geist war, als daß er nur in einer einzigen Richtung
das Universalheilmittel für Allgemeinwohlfahrt, die er immer als
letztes Ziel im Auge hielt, gesucht hätte. Sein universelles Genie,
das sowohl die Geisteswissenschaften, wie auch die praktischen
beherrschte, überschaute alles und nahm das Gute, wo es zu finden
war, um es für seine Zwecke zu verwerten, und eben hieraus
erklärt sich auch der Relativitätsge danke , der Thaers An-
schauungen überall durchzieht.
a) Zu den Physiokraten.
Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß es hier lediglich
darauf ankommt, die Stellung Thaers zu den Physiokraten zu kenn-
zeichnen, nicht aber die Frage zu erörtern, wie sich Thaer zu den
gesamten Lehren der Physiokratie verhalten würde.
Die Physiokraten gehen bekanntlich von dem Standpunkte aus,
daß der Grund und Boden die einzige Q u e 11 e des Reichtums,-) und
nur die Arbeit, die auf Grund und Boden, d. h. auf Ackerbau ver-
wendet werde, produktiv sei, weil Produktivität eben einzig und
allein dem Boden eigen sei. Fragen wir nun, wie stellt sich Thaer
zu dieser Auffassung der Volkswirtschaft?
^) Etwas Analoges, wenigstens was die Reihenfolge anbetrifft, finden
wir in Thaers Erziehung. Zuerst las er, und zwar verhältnismäßig früh,
etwa im Alter von 14 Jahren, Voltaire und die französischen Enzykloplädisten,
erst später, nachdem er auch die enghsche Sprache gelernt, die englischen
Freigeister.
^) s. Näheres darüber bei Aug. Oncken, Geschichte der National-
ökonomie, Leipzig 1902.
— 83 —
Bevor wir auf diese Frage eingehen, haben wir noch folgendes
in Erinnerung zu bringen : Wie bekannt, hatte sich zur Zeit der
Physiokraten ein Dogmenstreit zwischen der Schule Gournays und
der Quesnays in den Jahren 1765 — 1766 entsponnen.^) Der Streit-
punkt war der, ob der Handel auch produktiv, bezw. eine Quelle
des Einkommens sei. Die Schule Gournays bejahte dies, indem sie
Ackerbau und Handel zugleich als Quellen des Reichtums betrachtete,
während die Schule Quesnays den Ackerbau als die einzige Quelle
betrachtete. Hiernach ist das Verhalten dieser beiden Schulen zu
Ackerbau, Handel und Industrie leicht ersichtlich. Sehen wir nun,
was Thaer bei einer ähnlichen Frage darüber sagt.
,,Doch" — meint Thaer in Beantwortung dieser Frage — wir
wollen den Manufakturen, dem Handel und der Seemacht ihren Wert
keineswegs absprechen. Aber war nicht die Landwirtschaft ihre
einzige Mutter, ihre erste Ernährerin? Würde sich die Bevölkerung
bei dem Zustande, worin sich der Ackerbau vor dieser Epoche be-
fand. Je so haben vermehren können, daß Manufakturen, Kunstfleiß
und Schiffahrt emporgekommen wären? Ackerbau erzeugte, Acker-
bau ernährte, Ackerbau erzog das ganze Volk zur Arbeitsamkeit und Aus-
dauer. Er verschaffte den Städten, den Schiffen, den neuen Kolonien
die Nahrungsmittel zu mäßigen Preisen. Die Kornausfuhr gab den
Matrosen Beschäftigung und vermehrte die Anzahl der Schiffe, trug
also auch von dieser Seite dazu bei, die Seemacht zu ihrer gegen-
wärtigen Höhe zu bringen."-)
Hieraus könnte man entnehmen, daß Thaer, wenn er auch unter
die strengen Physiokraten nicht zu zählen ist, weil er den ,, Manufakturen,
dem Handel und der Seemacht" ihre produktive Kraft nicht abspricht,
doch als ein etwas modifizierter Physiokrat zu betrachten sei, denn
nach ihm ist die Landwirtschaft die ,, erste Ernährerin", die ,, Mutter"
aller andern Erwerbszweige. Dieser Auffassung Thaers gemäß wird
man behaupten dürfen, die Landwirtschaft sei primär, der Handel
aber sekundär, also komme der Vorzug der Landwirtschaft zu.
Dennoch ist es nicht ganz so. Thaer sagte das vorhin Er-
wähnte in einer Betrachtung über die Entstehung des englischen
Nationalreichtums. Im Anschlüsse hieran führt er weiter aus:
„Ich leugne Jedoch keineswegs, daß die Landwirtschaft den Fabriken
und dem Handel wieder vieles zu verdanken habe. Die vermehrte
Konsumtion im Lande gab ihr gewiß mehreren Anreiz zu größerer
Produktion, wie die Ausfuhr. Der Reichtum, den der Handel ins
Land brachte, hielt die Preise der Konsumtion in die Höhe. Die starke
Fleischkonsumtion machte die Viehzucht einträglicher und vermehrte
dadurch den Dünger auf dem Acker. Man lernte von den Fabriken
1) Ibid. S. 303 ff.
2) Albrecht Thaer, Einleitung zur Kenntnis usw. Bd. 2 S. 161,
Hannover 1801.
— 84 —
auch Landwirtschaft fabrikmäßig treiben, lernte von ihnen Menschen-
hände und Arbeit durch Werkzeuge und Maschinen ersparen. Land-
wirtschaft und Manufakturen gehen nur Hand in Hand sicher vor-
wärts. Sie müssen mit gleicher Sorgfalt vom Staate gepflegt, in
gleicher Höhe und Kraft nebeneinander erhalten werden. Um eins
zu heben, das andere niederdrücken zu wollen, heißt: einen Fuß
lähmen, damit der andere besser fortschreiten könne.
Den Kampf um den Vorrang auf wirtschaftlichem Gebiete ent-
schieden verurteilend, fährt Thaer fort: ,,Es ist ein frivoler Streit
um den Vorzug der Fabriken und des Ackerbaues für die Staats-
wohlfahrt, den aber praktische und theoretische Staatsmänner in
neuen Zeiten so häufig geführt haben."-)
Wie wir sehen, kann hier von ,, primär" und ,, sekundär" in-
bezug auf Landwirtschaft und Industrie überhaupt nicht die Rede
sein. Sein Standpunkt ist ein rein dualistischer. Der Streit
um den Vorzug des einen oder andern Zweiges der Volkswirtschaft
ist für Thaer eben frivol". Das entspricht vollkommen seinem all-
gemeinen Standpunkte, dem der Relativität, welchen wir in der
Folge noch deutlicher werden hervortreten sehen. Dies ist der Standpunkt
Thaers in seiner ,, Einleitung zur Kenntnis der englischen Land-
wirtschaft".
In folgendem wollen wir uns nun mit dem schon oben er-
wähnten Problem, nämlich der Frage von der ausschließlichen Pro-
duktivität des Bodens, und ob der Boden die einzige Quelle des
Reichtums sei, des näheren befassen, um Thaers Stellung hierzu
genauer zu charakterisieren.
In der Einleitung zu dem 4. Bande der Grundsätze der
rationellen Landwirtschaft" vernehmen wir von Thaer etwa folgendes:
Man setze Produktion und Fabrikation gewöhnlich einander
entgegen und glaube, daß sie in physischer Hinsicht nicht nur, sondern
auch in ökonomischer oder gewerblicher dermaßen einander entgegen-
ständen, daß die Grundsätze, die bei letzterer gültig seien, bei ersterer
durchaus keine Anwendung fänden, und daß folglich der Produzent
sowohl als auch der Staats wirt, in Ansehung beider, ganz verschiedene
Maximen annehmen müsse.^) Beide Zweige seien -allerdings ver-
schieden, und Jede habe ihre Eigentümlichkeit. ,,Aber dies Eigen-
tümliche ist nicht so antipolarisch und nicht auf eine so grelle Weise
verschieden, wie man gewöhnlich angibt. Noch Aveniger ist der
Unterschied in Ansehung der entgegengesetzten Grundsätze begründet,
die man nur zu häufig zum Nachteil der ersten genommen hat."^^
Man wird hier anzunehmen geneigt sein, daß Thaer eigentlich
sagen will, die Landwirtschaft sei ebenso fähig wie die Fabrikation,
Ibid. S. 161-162.
2) Ibid. S. 162.
'^j Thaer, Grundsätze der rationellen Landwirtschaft, Berlin 1312^
Bd. 4 S. 3.
— 85 —
Erfindungen und Vervollkommungen sich anzueignen, und daß die
erstere auch Vorteile davon ziehen könne, wenn sie nach dem Muster
der Fabrikation betrieben würde. Hier handele es sich also lediglich
um die Befürwortung der ,, ländlichen Industrie", d. h. des industrie-
mäßigen Betriebes der Landwirtschaft. Allerdings ist es richtig, daß
Thaer ebenso gut wie die Physiokraten den kapitalistischen Geist
des Betriebes aufs Land übertragen möchte. Allein gerade bei diesem
scheinbaren Zusammengehen mit den Physiokraten erfahren wir, was
Thaer eigentlich von den Physiokraten trennt.
Thaer meint, daß hier^) über Gleichheit und Verschiedenheit
von Produktion und Fabrikation nicht gerade zur unrechten Zeit
ein Wort zu sprechen sei. Er beginnt die Untersuchung mit folgenden
Worten, die für unser Problem von Wichtigkeit sind :
,,Man hat gesagt: die Fabrikation wandle die Materialien nur
um in eine andere Form ; Produktion bringe jene hervor — wie
dies in den Worten zu liegen scheint."-) Thaer antwortet darauf,
daß auch Produktion keine neue Schöpfung aus nichts sei.^) Das
Material zur Ausbildung, zum Wachstum und zur VollenduHg der
Pflanze wie des Tieres müsse da sein. Der Produzent wie der
Fabrikant müsse es aufsuchen, und jener wie dieser es meistenteils
herbeischaffen und oftmals künstlich vorbereiten. Nur aus den
schon vorhandenen Stoffen kann Produktion wie Fabrikation, indem
sie solche zersetze und zu neuen Formen umbilde, ihre Produkte
erzeugen. Thaer bleibt aber dabei nicht stehen. Er vertieft sich
weiter in dies Problem. ^)
,, Diese Umbildung aber", fährt Thaer fort, ,,sagt man, geschehe
bei der Produktion durch die Kraft der Natur, bei der Fabrikation
durch die Kraft der Kunst der Menschen". Auch dies Argument
läßt Thaer nicht gelten. Er meint, daß auch bei der Fabrikation
der Mensch durch den Gebrauch der Naturkräfte wirke und ohne
diese wenig Fabrikate hervorbringen würde. ^) ,,Bei einigen leitet er
sie zwar mehr und wendet sie ganz nach seiner Willkür an, bei
andern muß er die Natur ganz nach ihren eigenen Gesetzen wirken
lassen ; bei allen denen, nämlich wo ein chemischer Prozeß erforder-
lich ist, z. B. bei der Färberei, der Wein-, Bier-, Branntwein- usf.
Erzeugung, wo er diese Naturwirkung nur ordnen und moderieren
kann."^) Thaer verwirft weiter, daß die Natur an der Produktion
einen weit größeren Anteil habe, als an der Fabrikation. Ebenso
läßt er die Behauptung fallen, nach welcher der Anteil der Kunst
bei der Fabrikation größer sei als bei der Produktion.^)
Damit haben wir seinen Standpunkt festgelegt, welcher ihn
von den Physiokraten trennt. Wir behalten uns vor, die Folgerungen
^) nämhch in der Einleitung zu Bd. 4 der „Rationellen Landwirtsch."
2) Grunds, d. r. Ldw. IV S. 3.
3) Ibid. S. 4.
— Be-
erst am Schlüsse der Darstellung zu ziehen, um die Übersicht nicht
zu stören.
Thaer hat eine Besprechung über das Werk Leopold Krugs:
,, Beobachtungen über den Nationalreichtum des preußischen Staates
und über den Wohlstand seiner Bewohner", das im Jahre 1805
erschien, veröffentlicht. Krug gehörte bekanntlich zu den ,,physio-
kratischen Nachzüglern"^) in Deutschland; mithin dürfte die Stellung
Thaers zu Krug für uns von großem Interesse sein.
Thaer sagt in den einleitenden Worten von dem Werke Krugs,
es sei ihm kein Werk bekannt, in welchem Theorie und Praxis so
glücklich vereinigt, die Grundsätze so rein entwickelt und zugleich
auf eine besondere Staatsverfassung, nach der gründlichen Kenntnis,
die der Verfasser sich davon erworben habe, so treffend angewendet
wären, wie in diesem. Dann fährt Thaer fort:
,,Den theoretisch zur Genüge erwiesenen, aber noch immer ver-
kannten Satz: daß die Kultur des Grundes und Bodens die einzige,
allein sichere und zureichende Quelle des National-Reichtums und
der allgemeinen und individuellen Wohlfahrt sei, setzt er (Krug)
nach echten, archivalischen Nachrichten in Ansehung des preußischen
Staates durch das ganze Werk so hell ins Licht, daß die absolute
Notwendigkeit der tätigen Anwendung jenes obersten Prinzips auf
den Ackerbau daraus hervorgehet; wogegen der Nachteil unnützer
Künsteleien, wodurch man diesen oder jenen Zweig durch besondere
Aufmunterungen, Unterstützungen und Anordnungen fast immer auf
Kosten der übrigen zu befördern sucht, gezeigt wird."^) Dieser
Satz ist ganz im Geiste der Physiokraten geschrieben. Ebenso finden
wir in demselben Zusammenhange noch mehrere Anklänge an die
Physiokraten.^) Aber zugleich sagt Thaer, daß er nicht beipflichten
könne, wenn Krug das Geld und die angehäuften Geldkapitalien der
Rentiers als unproduktiv ansehe ;*) auch ist er für Handel und
Manufakturen im Gegensatz zu Krug eingenommen,*) was allerdings
nicht in gutem Einklänge steht mit dem eingangs angeführten Zitate
Thaers über Krugs Schrift, doch durch den Relativitätsstandpunkt
Thaers einigermaßen erklärlich ist. Schließlich sei noch eine Stelle
angeführt: ,,Daß der Herr Verfasser", so sagt Thaer über Krug,
,,sich zum physiokratischen Finanzsysteme hinneige, und die Abgaben
unmittelbar vom Grund und Boden erhoben haben will, läßt sich
wohl aus dem Vorgesagten vermuten. So gewiß und unverkennbar
es mir scheint, daß die Physiokraten — bei allen Staaten, die ihr
Einkommen zum größten Teile aus ihrem eigenen Grund und Boden
ziehen, darin recht haben, daß alle Abgaben auf diesen doch wieder
1) Erschienen in den Annalen des Ackerbaues 1805 Bd. 2.
2) Annalen d. Ackerb., BerhQ.1805, Bd. 2 S. 105.
3) Ibid. S. 119, 136.
4) Ibid. S. 121.
— 87 —
zurückfallen, und nur durch die komplizierte Erhebungsart kost-
spieliger, unsicherer, schwerer und größer werden, so glaube ich
dennoch nicht, daß dies System ohne Ruin der Grundbesitzer in
einem Staate einzuführen sei, wo die Summe der Staatsbedürfnisse
in einem so großen Verhältnisse zu dem reinen, echten Einkommen
steht, wie jetzt in den meisten Staaten der Fall ist. Die ganze
Last würde zu plötzlich auf die Grundbesitzer fallen, und das ohne-
hin zu schwache Betriebskapital, welches sie in Händen haben,
erschöpfen; der Ackerbau also einen tödlichen Schlag erleiden! Jetzt
wird der größte Teil dieser Summe von dem Zirkulationseinkommen
wenigstens vorgeschossen und nur allmählich von dem Ertrage des
Bodens zurückgezahlt. Könnte aber durch eine höhere Benutzung
der Domänen der Anteil, welchen das Privat - Grundeigentum zu
tragen hat, beträchtlich vermindert werden, so hat es wohl keinen
Zweifel, daß ein Staat bei diesem Systeme unaussprechlich glücklich
werden könnte . . ." ^) Wie man sieht, im Prinzip mit dem System
der Einsteuer einverstanden weist Thaer dasselbe zurück in Anbe-
tracht der vorhandenen Verhältnisse.
Ein anderes Werk von Krug: ,, Abriß der Staatsökonomie oder
Staatswirtschaftslehre", erschienen im Jahre 1808, hat Thaer in seinen
,,Annalen" ebenfalls angezeigt,^) doch da diese Anzeige Prinzipielles
nicht enthält, so kommt sie hier nicht in Betracht.
Die ,, Einsteuer" der Physiokraten hat Thaer mehrmals be-
schäftigt und sehr häufig kommt er auf dieselbe zu sprechen. Es
dürfte Avohl angebracht sein, noch einige diesbezügliche Stellen hier
anzuführen.
,,Ich gestehe," meint Thaer, ,,daß ich mich nicht von der Un-
richtigkeit des letzteren (d. h. der Einsteuer) in seinen Grund-
prinzipien überzeugen könne, d. h. wenn der Ackerbau und alle seine
Verhältnisse einmal in dem Stande wären, worin die Physiokraten
sie haben wollen. In dem jetzigen Zustande der Dinge ging freilich
schon eine Annäherung zum Auflagensystem der Physiokraten auf
einen gänzlichen Ruin des Ackerbaues, auf eine Verwüstung des
Grundes und Bodens und auf eine gänzliche Auflösung des Staates
der bürgerlichen Gesellschaft und der Vertilgung des Menschen-
geschlechtes durch Hunger hinaus : nicht deshalb, weil der Ackerbau
die Last der Auflagen nicht tragen könnte, sondern weil es ihm
schon an Kapital zu dem notwendigsten Betriebe, noch mehr an dem
Vorschusse fehlt, den er hierzu tun müßte." ^)
Und in einer andern Rezension ^) vernehmen wir von Thaer :
1) Ibid. S. 134—135.
2) Thaer in den Annalen des Ackerbaues Bd. 8 1808 S. 169—185.
. ^) vgl. Thaer in ,, Annalen der Fortschritte der Landwirtschaft" usw.,
Berlin 1812, Bd. 3 S. 630-631.
^) Diese Rezension bezieht sich auf das langtitelige Buch : ,, Freimütige
Betrachtung über Steuerwesen und Steuerrektifikation, Staatsschulden und
— 88 —
,,Der Verfasser kennt es (das physiokratische System), wie die
meisten, nur hinsichtlich seiner Folgerungen auf das Steuerwesen,
und da ist es denn befremdend, wie seine Erfinder und Anhänger
den Landbau über alles setzen und ihn doch durch die Einführung
ihrer einzigen Territorial - Abgabe in den meisten unserer be-
stehenden Staaten zugrunde richten würden, indem sie den ganzen
Grundbesitz nötigten, sich bankrott zu erklären. Aber die Physio-
kraten hatten nur ihr Ideal vor Augen, von einem, durchaus nach
ihren Grundsätzen eingerichteten und dabei abgerundeten , großen
Staate." ^) Thaer fährt in dieser Ausführung weiter fort und sagt
unter anderm, daß die praktischen Physiokraten, z. B. Turgot, diesem
Ideale zwar allmählich sich nähern wollten, sie wären aber weit ent-
fernt, es gleich in der Wirklichkeit darstellen oder von hintenzu mit
der Erfindung der einzigen Steuer auf den reinen Bodenertrag an-
fangen zu wollen. ^) Auch hier sucht Thaer zu zeigen, daß das
System für den gegenwärtigen Zustand nicht angebracht sei, oder
m. a. W. die Ein Steuer würde nur für die ,, natürliche Ordnung"
passen, aber für die ,, positive** sei sie zu verwerfen.
Im folgenden wollen wir nun zu andern prinzipiellen Punkten
übergehen, die Thaers Stellung zu den physiokratischen Lehren zu
charakterisieren geeignet sind.
Es ist bereits angeführt worden^ daß Thaer den Grundsatz der
Physiokraten bekämpft, in der Landwirtschaft habe die Natur den
ausschließlichen Anteil an der Produktivität. Damit natürlich
fällt die Behauptung der Physiokraten, nur die Arbeit, die auf den
Ackerbau verwendet wird, sei produktiv.
Thaer meint, es sei eine irrige, bei einigem Nachdenken auf-
fallend irrige, aber dennoch ziemlich allgemein verbreitete und als
Grundsatz angenommene Meinung, daß die Produktion aus dem
Grund und Boden allein hervorgehe. Aus diesem falschen Grund-
satze seien nur zuviel unwahre und nachteilige Polgerungen gezogen
worden.'^) Er ist der Ansicht, daß in milden Klimaten der Boden
allenfalls genug produziere, um ^ einzelne Menschen, wenn sie auf
weiten Räumen umherstreifen, zu ernähren.^) ,,Der Mann braucht
höchstens das Wild zu erlegen, das Weib die Früchte des Waldes
zu sammeln. Nomadische Stämme müssen in Klimaten gleich den
unsrigen schon für Fütterung des Viehes auf den Winter und für
Obdach sorgen, folglich Arbeit anwenden."*) Und weiterhin: ,,Mit
deren Tilgung, Kreditanstalten und andere Gegenstände der Staatshaus-
haltung, den Volksvertretern der deutschen Stämme bei ihren Versamm-
lungen auf den Landtagen vorgelegt" von einem fränkischen Landwirt 1819.
Thaers Rezension ist erschienen in den „Möghnschen Annalen der Land-
wirtschaft" 1819 Bd. 3.
Ibid. S. 370.
2) Thaer in den „Möglin. Annal. d. Ldw.*' Bd. 3 1819 S. 370.
3) vgl. „Annalen des Ackerbaues" 1806 Bd. 4 S. 36.
4) Ibid. S. 36.
— 89 —
dem ersten Anfange der Vereinigung zu Nationen und dadurch
bewirkter größerer Volkszahl können zureichende Früchte nur durch
Kunst und Arbeit dem Boden abgewonnen werden."^) Je mehr die
bürgerliche Gesellschaft fortschreitet und die Bevölkerung sich ver-
mehrt, müsse Kunst und Arbeit in höherem Maße auf die landwirt-
schaftliche Produktion angewendet werden;^) also der höhere Ertrag
entsteht nach Thaer nicht aus der Natur, sondern aus Kunst und
Arbeit.
Thaer glaubt ferner, daß, solange noch immer Boden da wäre,
der vom Anbeginn unserer physischen Erdepoche durch das Ab-
sterben der immer neu erzeugten Pflanzen und Tiere mit vegetabi-
lischen Nahrungsstoffen bereichert, nur des Urbarmachens bedürfte,
um reiche Ernten zu geben, solange noch alte Äcker umzubrechen,
Holzungen zu roden oder abzubrennen, reiche, angeschlemmte Niede-
rungen zu entwässern wären, bedürfte es im ganzen minderer Kunst
und Arbeit, um die erforderliche Produktion zu bewirken. Man ließe
den alten ausgetragenen Acker ruhen, statt ihn durch höhere Kraft-
anstrengung schnell wieder instand zu setzen, weil der neue, oder
der lange geruhte Acker bei geringerer Anstrengung genug produziere,
um die Bedürfnisse des Volkes zu befriedigen, und zu wohlfeil
produziere, um höhere Anstrengungen auf dem alten Acker zu be-
zahlen.-^)
Thaer sucht zu erklären, wie man dazu gekommen sei, zu be-
haupten, daß ,, Produktion" allein aus Grund und Boden erfolge. Er
sagt fortfahrend:
,,Dazu kam, daß man ein gewisses, damals zureichendes Quantum
von Arbeit, seit Entstehung unserer Verfassung , dem Grund und
Boden anhängig dachte. Der glebae adscriptus und Arbeit ward
mit dem Boden erworben, vererbt, verkauft. Ein Land<j;ut produzierte
genug, ohne weitere Anstrengung und Kosten des Besitzers, be-
arbeitete sich selbst, und es bedurfte höchstens nur einige Aufsicht,
um die Kräfte der Maschine in Bewegung zu erhalten. Immerhin
konnte man also annehmen, daß Produktion allein aus Grund und
Boden erfolge, und daß der reine Ertrag einzig und allein durch
diesen bestimmt werde."*) Jetzt sei es aber anders. Die Bedürf-
nisse des einzelnen haben sich vermehrt, die Volksmenge vergrößert.
Die träge Arbeit des entnervten Fröners reiche nicht mehr aus, aus
dem erschöpften Acker, besonders in schlechten Jahren, die Pro-
duktion hervorzubringen, deren der Staat bedürfe ; °) Arbeit werde
nötig; Vorschuß von Arbeit auf künftige, selbst entferntere Jahre,
folglich Kosten und Kapital; und da diese auf mannigfaltige Weise,
1) Ibid. S. 36.
2) Ibid. S. 36—37.
3) Ibid. S. 37.
Ibid. S. 87-38.
5) Ibid. S. 38.
— 90 —
mehr oder minder zweckmäßig angewendet werden können — Kennt-
nisse und Weisheit ! ^)
,,Eine Produktion also" — folgert Thaer — ,,wie sie unsere
Zeiten erfordern ist durchaus nicht mehr als das Produkt
des Grundes und Bodens allein zu betrachten, sondern der zusammen-
gesetzte Erfolg aus Boden, Arbeit, Kapital und Verstand."^)
Thaer meint ferner, daß, wenn von dem Acker nur wenig pro-
duziert werden solle, an diesem Wenigen der Grund und Boden einen
größeren Anteil, als die Kunst und Arbeit habe.'^) ,, Sowie aber
mehr produziert werden soll, vermindert sich bei dem Mehreren der
Anteil des Bodens, und der Anteil der Kunst und der Arbeit wird
größer."^) Wie wir sehen, haben wir hier mit einer andern Meinung
zu tun als mit der physiokratischen ; Thaer ist gerade der ent-
gegengesetzten Ansicht als die Physiokraten. Bei diesen gibt die
,,grande culture", in Thaers Sprache die Fruchtwechselwirt-
schaft,den reinen Ertrag, welcher ausschließUch vermöge der
Produktivität des Bodens schlechthin entsteht ; gerade hier, d. h. bei
der Bewirtschaftung mit Kapital, vergrößert sich der Anteil des
- Bodens nach der Ansicht der Physiokraten, während nach Thaer
hingegen bei der Fruchtwechselwirtschaft der Anteil des Grund und
Bodens am reinen Ertrag sich vermindert. Sowohl nach den Physio-
kraten als auch nach Thaer führt ein höheres Kultursystem der
Landwirtschaft zum höheren Reinertrag, aber mit einem Unterschied :
Nach der physiokratischen Ansicht höherer Reinertrag durch den
Anteil der Produktivität des Grund und Bodens, nach Thaers An-
sicht aber durch den Anteil der Arbeit, Kunst und des Kapitals.
Hier gehen also beide Meinungen auseinander.*)
Es erübrigt uns, noch einen Gedankengang Thaers zu verfolgen,
Tim über des Autors Stellung zur Physiokratie ins Klare zu kommen.
Dieser Gedankengang wird imstande sein, viel Licht über die hier
aufgeworfenen Fragen zu verbreiten. An einer Stelle streift Thaer die
wirtschaftlichen Interessentengruppen, deren Tendenzen und Wünsche,
wie auch den Gegensatz, welcher zwischen allen obwaltet, mit Bezug
auf eine Handelspolitik. Diese Gedankenreihe läßt sich kurz wie
folgt zusammenfassen:
Die Zudringlichkeit und die einseitige Ansicht der vier Interessen —
das Geldinteresse, das Agrikultur-, das Manufaktur- und das Mer-
kantilinteresse — , welche die Staatsbürger teilen, ziehen ihre Auf-
merksamkeit geteilt an sich, und sie glauben dem einen Interesse
1) Ibid. S. 39.
2) Ibid. S. 39-40 Anm.
vgl. August Oncken, Geschichte der Nationalökonomie, Leipzig
1902, Bd. 1 S. 323.
^) Weitere Belege für die Thaersche Ansicht finden sich: ,,Annalen
des Ackerbaues" 1807 Bd. 5 S. 658, Bd. 6 S. 78. Ferner Thaer, Grund-
sätze der rationellen Landwirtschaft, Berlin 1809, Bd. 1 S. 99.
- 91 —
nachgeben zu müssen, wenn es sich über die Nachteile, die ihm
durch Begünstigung des andern erwachsen, beklagt.^) Das In-
teresse der ,,Rentenirer und Besoldeten" verlange, daß die
Werte des Geldes immer höher steigen und alles wohlfeil werde,
und da sie am nächsten stehen und gebraucht werden, finden sie
zu leicht, wenn auch nur geheimes. Gehör. ^) Die Landeigen-
tümer und ihre Pächter wünschen den vorteilhaftesten Absatz der
inländischen Produkte und Erhöhung ihres Preises, und dringen
deshalb auf Fernhalten der ausländischen Konkurrenz.^) Das Manu-
fakturinteresse wolle niedrige Preise der Lebensmittel, damit
seine Arbeiter und das Rohmaterial ihm weniger kosten, weil es
dann auch auf den ausländischen Märkten andere durch wohlfeilere
Preise verdrängen könne, und zugleich wolle es das Monopol auf
dem einheimischen Markte.-) Das Merkantilinteresse wolle das
letztere nicht, weil es fühle, daß ohne Warenumtausch kein be-
deutender Handel stattfinden könne. So stehen diese einander ent-
gegen, und wenn heute das eine begünstigt worden sei, so müsse
morgen das andere es werden, um das Gleichgewicht herzustellen,
was man aufgehoben hätte, und einen Fehler durch den andern gut
zu machen suchen, und so entstehe das Regulativ-System, welches
anfangs den Machthabern sehr schmeichle, sie bald aber in die
größten Verlegenheiten verwickle.-) Thaer sagt fortfahrend:
,, Unwahrscheinlich ist es nicht, daß der Druck der Jetzigen
Zeit selbst zu klarer Ansicht führe, daß die Rentenirer erkennen, die
Quelle ihrer Renten — der Gewerbsbetrieb der Nation — müsse
versiegen; daß die Landeigentümer einsehen, ihr Boden könne nur
Rente tragen in dem Verhältnisse, wie die Industrie andere in den
Stand setze, ihre Produkte zu bezahlen; die Manufakturisten be-
greifen, daß der produzierende Landbauer ihr vorzüglichster Kunde
sei, und daß sich der Ertrag ihres Gewerbes nach dem Wohlstande
richte, worin sich diese befindet; die Kaufleute endlich, daß sie
keine inländische Waren austauschen können, wo sie keine aus-
ländischen Waren eintauschen. Und so werden dann auch die
Regierungen sich von den Täuschungen frei machen, welche in einer
so klaren Sache nur die Dazwischenkunft des Geldes als Austausch-
mittels beim Umsätze der Natur- und Industrie-Produkte Jedes
Landes veranlaßt. Die praktischen Finanzmänner werden ihre Augen
nicht bloß auf die Geldkassen, sondern auch auf den Wohlstand der
Nation richten, wodurch die Industrie belebt wird und Jene allein
gefüllt werden können." ^)
Dieser Auseinandersetzung Thaers zufolge können wir seine
Auffassung der Volkswirtschaft die organische nennen. Alle
^) vgl. Thaer in den Möglinschen Annalen der Landwirtschaft Bd. 13,
1824. S. 100.
2) Ibid. S. 101.
3) Ibid. S. 102.
Werth. 7
— 92 —
Zweige der Volkswirtschaft müssen sich harmonisch verbinden, es
gibt keinen Vorzug eines Zweiges vor dem andern; sie können nur
nebeneinander und durcheinander bedingt bestehen. Jeder Zweig
hat seinen Platz und seine Berechtigung, alles ist relativ. Die
angeblich widerstreitenden Interessen der Gruppen und Kreise der
volkswirtschaftlichen Gemeinschaft können und müssen und sollen
ihren harmonischen Ausgleich finden. Dies kann nur dann geschehen,
wenn sie nicht ein einseitiges und extremes Streben zeigen, wenn
sie einsehen, wie weit sie einander bedingen, unterstützen können,
und zwar nicht nur ohne Schaden, sondern mit großem Vorteil.
THaers Ziel war die Hebung der Landwirtschaft und die Be-
tonung ihrer Gleichberechtigung mit der Industrie. Wenn hier und
da seine Betonung zugunsten der Landwirtschaft etwas schärfer
wird, so ist dies darauf zurückzuführen, daß er* seine landwirt-
schaftliche Laufbahn in einem solchen Zeitalter begann, wo man
dem industriellen Merkantilsystem gewogen war. Gradeso wie die
Physiokraten wurde auch Thaer durch die ihn umgebenden Umstände
und Bedingungen veranlaßt, seine Tätigkeit zu entfalten; aber mit
einem großen Unterschiede : Bei den Physiokraten trieb es zu einem
entgegengesetzten System bezw. zur Reaktion gegen das Merkantil-
system, bei Thaer zu einem synthetischen Gesichtspunkte,
zu einer harmonischen Verbindung und Vereinigung der verschiedenen
Zweige der Volkswirtschaft. Dadurch wurde er mehrmals gezwungen,
die landwirtschaftlichen Interessen mehr zu betonen, weil sie mehr
in den Hintergrund gedrängt waren, bezw. weil die Politik merkan-
tilisch gesinnt und geneigt war, gemäß der zu Jener Zeit vor-
herrschenden Strömung in der Volkswirtschaftspolitik. Nur der
Relativitätsstandpunkt hat Thaer vor Einseitigkeiten zu schützen
-vermocht; zudem war er ein viel zu guter Realpolitiker und hatte
einen zu feinen Sinn für den wirklichen Stand der Dinge, um ein-
seitig zu werden.
b) Zu Adam Smith.
Thaer war ein großer Verehrer von Adam Smith, wie dies aus
mehreren Stellen seiner Schriften und »Aufsätze hervorgeht, die noch
im Laufe dieser Abhandlung Erwähnung finden werden. Es soll in
folgendem versucht werden, Thaers Stellung zu Adam Smith zu
charakterisieren. Nun wird es begreiflich sein, daß wir uns haupt-
sächlich auf diejenigen Punkte beschränken, über welche er mit
Smith sich auseinander setzen zu müssen glaubte. Für die Dar-
stellungsweise wird es empfehlenswert sein, mit dem Freihandel zu
beginnen.
Die Auffassung der Smithschen Lehren von selten Thaers ist
zum Teil dem gegenwärtigen Stande der Smithforschung gemäß als
unzutreffend zu erklären. Dessenungeachtet dürfte es wohl von
- 93 —
wissenschaftlichem Interesse sein, dieselbe kennen zu lernen, schon
aus dem Grunde, weil sie aus Jener Zeit stammt, wo Smiths Werk
in Deutschland aufgenommen wurde und die Begeisterung für den
großen Schotten gerade damals erst begann. Vielleicht wird unsere
Darstellung einen kleinen Beitrag liefern können, um begreiflich zu
machen, warum und wie man gerade später in demselben Deutsch-
land Smiths Lehren verkannt und mißverstanden hat. Damit soll
natürlich die Aufgabe dieser Abhandlung nicht erschöpft sein.
Wir wollen zugleich die Thaerschen Ansichten kennen lernen, wie
sich dieselben in seinem Kopfe abgespiegelt haben, und wie er sich
seine volkswirtschaftliche Weltanschauung zurechtgelegt hat, damit
wir derselben in ihrer Totalität möglichst gerecht werden.
In seiner Ausführung, in der Thaer die Lehren Smiths kurz
darzulegen sucht, den er als den ,, Scharfsinnigen und Konsequenten" ^)
preist, meint er unter anderm, daß Smith liberale Maximen habe
und unbedingte Freiheit des Handels und Wandels wolle. ^) Die
Regierung solle sich nach Smith durchaus nicht in den Gang der
Gewerbe mischen, ^) sie solle ihnen freien Lauf lassen, sie nur
beschützen und allenfalls Schwierigkeiten, die sonst nicht gehoben
werden können, aus dem Wege räumen. Es sei immer fehlerhaft,
die Industrie der Nation und ihr Vermögen durch Prämien oder Auf-
lagen irgend einem Gewerbe zuleiten zu wollen, weil jeder einzelne
schon ausfinden werde, wohin er seinen Fleiß und sein Kapital am
vorteilhaftesten richten könne. Jede andere Richtung aber, die nicht
den Vorteil des einzelnen mit sich bringe, werde dem Ganzen
schädlich, indem die Industrie einem andern Gewerbe entzogen
werde, wo sie nützlicher sein würde. Die Wirkung aller solchen
Mittel könne nur die sein : die Industrie in einen Kanal zu zwängen,
der weit weniger vorteilhaft sei, als der, worin sie sich natürlicher-
weise von selbst würde ergossen haben. Nach einer kurz gefaßten
Darstellung der Smithschen Lehren meint Thaer, daß Smith in vor-
genannten Ausführungen ohne Zweifel recht habe, jedoch nur unter
der Bedingung, daß diese Maxime ganz allgemein beobachtet und
gar keine Ausnahme gemacht werde. ^)
,,Hat die Regierung sich einmal in die Leitung und Beförderung
eines Gewerbes eingelassen" — meint Thaer — ,,so muß sie ihre
Aufmerksamkeit wenigstens auch auf alle diejenigen richten, die für
die Wohlfahrt des Staates von unumgänglicher Notwendigkeit sind."")
Nun hätten in England — und vielleicht in allen anderen Staaten —
unzähhge Gewerbe, Privilegien und Aufmunterungen genossen, folg-
lich wäre auch der Ackerbau gewissermaßen berechtigt, dieselben
^) vgl. Thaers Einleitung zur Kenntnis d. engl. Landw. 2. Bd. 2 Abt.
S. 165 ff., neue Aufl. Hannover 1801.
2) Ibid. S. 166.
3) Ibid. S. 166-167.
7*
— 94 —
Privilegien usw. für sich zu fordern, sobald er sie brauche. Auch
müsse ihm ein Gegengewicht gegeben werden, um sich von der ge-
waltsamen Unterdrückung, worunter er bisher in England zu leiden
gehabt hätte, erheben zu können.^)
Smith wolle nach seinen Grundsätzen, sagt Thaer, völlige Frei-
heit des Kornhandels und uneingeschränkte Ein- und Ausfuhr des Ge-
treides. Im allgemeinen sei dies für den Ackerbau genug, aber nicht
bei den damaligen Verhältnissen in England. Natürlich sei, wie Thaer
meint, Smith also mit jener Akte von 1688 nicht zufrieden und
halte sie für schädlich. Smith sage, sie sei damals durch das Über-
gewicht der Grundeigentümer im Parlament durchgesetzt worden,
und ein Werk des Privatinteresses gewesen. Bei dem Übergewichte,
welches das Handelsinteresse gegen das Landinteresse in den siebziger
Jahren bekam, verkündige er ihr Schicksal voraus.^) ,,Wenn dem
so ist," fährt Thaer fort — ,,so wäre die alte goldene Maxime,
bei jeder Staatsangelegenheit lieber den Grundeigentümer als den
,, Kaufmann und Manufakturisten zu hören, hierdurch wieder be-
stätigt".^)
Thaer setzt sich bei dieser Gelegenheit ausführlicher mit Smith
auseinander:
Smith halte nach Thaers irriger Meinung niedrige Kornpreise für
nützlich in Hinsicht auf die Wohlfahrt des Ganzen. Er könne aber
nicht leugnen, daß die Preise gefallen seien, sobald die Akte ihre
Wirkung tun konnte, und daß die Preise niemals im Durchschnitt
niedriger und — , was für die Wohlfahrt des Ganzen vielleicht wichtiger
sei, niemals gleichmäßiger gestanden hätten, wie in den ersten
60 Jahren des Jahrhunderts.^) ,,Aber er (Smith) sagt", so argumentiert
Thaer, ,,dies sei trotz der Akte, nicht ihr zufolge geschehen.
Dies sagt er, weil — er nicht begreift, wie diese Akte geringere
Preise hatte bewirken können. Wer freilich die Wirkung der Akte
durch das Medium des Handels erklären will, der kann das nicht
begreifen, aber durch das Medium des verbesserten Ackerbaues ist
nichts natürlicher zu erklären."^)
Die Nützlichkeit der Ausfuhrprämie könne und wolle Smith
nach seinem System durchaus nicht zugestehen, er sei also vornehm-
lich gegen die Prämie auf die Kornausfuhr. Indessen gebe er die
sogen. Drawbaks zu, nämlich die Rückzahlung der Auflage, der
eine auszuführende Ware im Lande unterworfen war, weil der Aus-
länder ,,sich nicht werde taxieren lassen", und die Ware sonst im
Auslande nicht Preis halten könne.^)
,,Aber' — sagt Thaer, — , welche Ware ist in England einer höheren
Taxe unterworfen, als das Getreide? Ruhet auf solchem nicht die
1) Ibid. S. 167.
2) Ibid. S. 168.
3) Ibid. S. 169.
— 95 —
Landtaxe, der Zehnten, die enorme Armen-Taxe; alle die andern
Auflagen, welche der Ackerbauer mit tragen muß, ungerechnet?"*)
Und ferner: ,,HäIt Smith für die Fabrikwaren diese Prämien oder
Rückgaben nötig, so ist das englische Getreide ihrer noch weit mehr
bedürftig, wenn England Getreide ausführen soll — was nun aber
vielleicht nie wieder der Fall sein wird. — Denn bei einer Nation,
die, wie die englische, durch Bevölkerung, Kunstfleiß und National-
Reichtum in den Stand gesetzt ist, Fabriken mit größter Energie zu
betreiben, bedürfen Fabrikwaren keiner Rückgabe.^) Der englische
Fabrikant könne, wie die Erfahrung zeige, ungeachtet der Teuerung
der Lebensmittel und der Arbeit, seine Waren biUiger verkaufen, als
Jede andere Nation. Eine polnische, russische oder ungarische Fabrik
werde trotz aller Wohlfeilheit des Landes vorerst gegen keine eng-
lische aufkommen. Mit dem Ackerbau verhalte sich's ganz anders.
Der Russe und Pole werde sein Korn, selbst in England im Durch-
schnitt billiger verkaufen können, als der Engländer. Denn: ,,Das
rohe Material der Fabriken läßt sich verfahren, und der Engländer
hat die Gelegenheit und das Vermögen, es zu kaufen, besser, wie
der Russe und Pole. Aber das rohe Material des Ackerbaues —
der Grund und Boden — fehlt nach Verhältnis der Bevölkerung
mehr, wie in Polen, und ist viel teurer."^)
,, Smith" — fährt Thaer fort' — ,, würde hierauf antworten:
nun so ist es nicht gut, daß der Pole vorerst Fabriken, und daß der
Engländer Ackerbau betreibe."^) Aber, meint Thaer, der Engländer
müsse essen, und er könne mit polnischen Lebensmitteln nicht so
leicht versorgt werden, wie der Pole mit englischen Fabrikwaren.^)
Wollte man sagen, er solle nicht mehr bauen, als er gerade kon-
sumiert, so bewiese das eine unverzeihliche Unwissenheit. Denn,
wenn eine Nation in schlechten Jahren die Notdurft heben will, so
muß sie in guten Jahren Überfluß haben."*) Wenn aber dieser
Überfluß nur mit Verlust abgesetzt werden könne, wenn sein Preis
auf jedem Markte niedriger stehe, als dem Engländer die Produktion
desselben koste, so könne und werde er keinen Überfluß hervor-
bringen, und so werde Mangel in schlechten Jahren eintreten. ,, Daher
war eine Vergütung des Verlustes, oder die Ausfuhr-Prämie, das
einzige Mittel, die Nation in schlechteren Jahren gegen Mangel zu
schützen."^)
Thaer folgert weiter, daß eine freie Einfuhr des ausländischen
Getreides aus solchen Ländern, wo dasselbe mit geringeren Kosten
produziert werden könne, der Schiffahrt ungeachtet, den Preis auf
dem englischen Märkten so herabgesetzt haben würde, daß ein betrieb-
1) Ibid. S. 169.
2) Ibid. S. 170.
3) Ibid. S. 170.
*) Ibid. S. 170—171.
5) Ibid. S. 171.
— 96 —
samer Ackerbau nicht hätte bestehen können. Daher hätte damals,
um diesen zu erhalten, die Einfuhr eingeschränkt werden müssen.^)
Thaer meint im weiteren Verlaufe seiner Auseinandersetzung,
Smith sei der Meinung, wenn die Getreidepreise niedriger würden,
so würde der Landmann bei diesen geringeren Preisen ebensogut,
ja besser bestehen können, als bei höheren, denn nach dem Preise
des Korns richte sich der Preis der Arbeit, nach dem Preise der
Arbeit aber der Preis der Manufakturen und Jedes Artikels der In-
dustrie. Der Preis der Arbeit und jedes Dinges, welches der Boden
und der Kunstfleiß hervorbringe, müsse im Verhältnisse des Korn-
preises fallen und steigen. Jeder im Staate werde daher bei niedrigen
Kornpreisen gewinnen und der Landwirt wenigstens nicht verlieren.
Denn wenn er gleich weniger Geld erhalte, so werde dies Geld doch
eine höhere Kaufkraft haben; sein Vermögen, sein Verdienst blieben
daher, was sie jetzt seien, ob sie gleich durch eine geringere Quan-
tität von Silber bezeichnet würden. -) Steigere man dagegen den
Preis des Korns, so vermehre man dadurch das wahre Vermögen
des Grundeigentümers nicht, man ermuntere dadurch den Landwirt
nicht zu einer besseren Bestellung seines Ackers, weil man ihn da-
durch nicht in den Stand setze, mehr Arbeiter anzustellen, als jetzt. ^)
Dieses „Raisonnement" habe erstaunlich starken Eindruck gemacht
und sei hundertmal nachgesprochen worden. Es sei auch sehr
konsequent, nur — der Vorder satz sei nicht wahr!*) ,,Nach
dem Kornpreise sollten sich die Preise der Arbeit und aller Dinge
richten ? Die Erfahrung aller Orten und aller Zeiten widerlegt das !
Freilich, wenn man sich einen Staat in einem stillstehenden, völlig
permanenten Zustande denkt, wo Bevölkerung, Vermögen des Staats
und des einzelnen, Geldumlauf, Regierungs - Prinzipien, Sitten und
Tlharakter der Bürger, Industrie, Handel, auswärtige Verhältnisse
vollkommen dieselben bleiben, oder letztere vielmehr ganz wegfallen;
so läßt sich annehmen, daß auch die Preise aller Dinge in gleichem
Verhältnisse bleiben werden. Aber selbst hier könnte man mit ebenso
vielem Rechte sagen : der Preis der anderen Dinge bestimme den Preis
des Korns, als umgekehrt. Wo gibt es aber einen solchen Staate
wenn man China etwa ausnimmt?"
Thaer wendet gegen Smith weiter ein, daß in jedem Staate,
wo Bevölkerung, Industrie usw. steige oder falle, alle Preise, auch
die der Arbeit und des Getreides ihre Verhältnisse veränderten. Er
begründet dies wie folgt: Gesetzt, es höben sich in der einen oder
anderen großen Stadt die ,, Handlung" und Fabriken; letztere erhielten
stärkere Bestellungen unter vorteilhafteren Bedingungen; sie brauchen
1) Ibid. S. 171.
^) Ibid. S. 171-172.
3) Ibid. S. 172.
1) Ibid. S. 172-173.
Ibid. S. 173.
— 97 —
daher mehr Menschen. Weil sich für den gewöhnlichen Lohn nicht
mehr einfinden, so müssen und können sie den Lohn erhöhen. Durch
diese Lohnerhöhung ziehen sie Landarbeiter heran, und der Landwirt
sieht sich gezwungen, den Lohn ebenfalls zu erhöhen. Wenn nun
der Kornpreis hiernach stiege, so wäre das doch eine Folge des er-
höhten Arbeitslohnes, also Wirkung, nicht Ursache desselben. Es
werde Jedoch eine Steigerung des Kornpreises nicht immer eintreten,
denn Konsumtion und Nachfrage nach Korn werden darum nicht
immer größer, vielleicht gar geringer;^) ,,denn der besser bezahlte
Arbeiter ißt nun mehr Fleisch, weniger Brot und Mehlbrei; er trinkt
mehr Kaffee, Tee, Rum, vielleicht Wein, statt seines vormaligen Biers
und Branntweins." ^) Thaer will damit zeigen, daß nicht der Korn-
preis allein der treibende Faktor bei der Lohnerhöhung sei. Aus-
drücklich betont er des weitern: ,,Und wie viele andere Ursachen
^ibt es, die den Arbeitslohn steigern, ohne daß Kornpreise daran
schuld sind, und ohne daß sie in die Höhe gehen! Öffentliche Bauten,
Wegbau, Ziehung von Kanälen — Neigung reicher Privatpersonen
zum Bauen, zu großen Gartenanlagen — , starke Werbung und Aus-
nahme, auch Ausmarsch des Kriegsheeres gehören hierher. Der Arbeiter
muß zwar das verdienen, was er notwendig braucht; aber er richtet
sich in dem, was er für seine Arbeit fordert, nicht nach seinen Be-
dürfnissen, sondern nach dem, was er erhalten kann. Und er weiß
sehr gut, daß er mehr erhalten kann, wenn es mehr Arbeit als Arbeiter
^ibt. Wo die freien Drescher nicht vermöge eines besonderen Miets-
Akkords verpflichtet sind, um einen gewissen Scheffel zu dreschen,
da verlangen sie mehr, wenn das Korn wohlfeil ist und Arbeit ge-
sucht wird." ^)
Es ist ziemlich klar, wo Thaer hinaus will. Er verlangt einen
guten Preis für Getreide, zugleich will er uns zeigen, daß derselbe
nicht mit dem allgemeinen Wohle kollidiert. Aus diesem Grunde
allein bekämpft er Adam Smith, allerdings ganz unnötigerweise, da
Thaer Smith mißverstanden hat, denn letzterer war eben für hohe
Getreidepreise eingenommen, da er der Meinung war, daß mit dem
Fortschreiten der Kultur die Getreidepreise steigen müssen.*)
Es liegt also auf der Hand, daß die Ausführungen Thaers gegen
Smith unnötig waren, Thaer hätte sich vielmehr grade auf Smith
berufen können. Doch steht Thaer mit diesem Mißverständnis nicht
4illein da. In anderen Punkten dagegen zeigt Thaer ein sehr richtiges
Yerständnis für die Lehren von Adam Smith, wie wir noch sehen
werden.
Ibid. S. 173-174.
2) Ibid. S. 173—174.
3) Ibid. s. 175-176.
*) s. August Oncken, Was sagt die Nationalökonomie als Wissen-
schaft über die Bedeutung hoher und niedriger Getreidepreise, Berlin 1901.
— 98 —
Man würde indessen fehlgehen, wenn man Thaer für einen
Agrarier halten wollte. Allerdings hat er den Ausspruch getan:
,,. . . erzwungene niedrige Preise sind eine Anleihe auf Wucher-
zinsen. Sie kommen dem Volke so wenig zugute, wie diese dem
Verschwender."^) Aber zugleich erklärt er sich gegen ,, erkünstelte
hohe Preise".^) Das gleiche gilt von seiner Stellung zum Industrie-
Schutzzoll. Er meint u. a. :
,,Aber so wenig wie wir glauben, daß die so emsig betriebene
Sperrung und die Isolierung Deutschlands seine Industrie im all-
gemeinen beleben würde — obwohl einzelne Personen und Fabrik-
städte für den Moment Gewinn davon haben möchten — , ebenso-
wenig glauben wir, daß eine Sperrung der Korneinfuhr, welche von
manchen als unbedingt nötig zur Erhaltung unseres Landbaues an-
gesehen wird, diesem wahrhaft nützen würde und für das allgemeine
Beste — was immer auch das Beste des Grundbesitzers ist — rat-
sam sei: Eine Sperrung der Einfuhr würde notwendig auch eine
Sperrung der Ausfuhr, vielleicht in kurzer Zeit nach sich ziehen und
das unsichere Prohibitivsystem — was in der Regel lauter Mißgriffe
macht, die Spekulation tötet und die Industrie lähmt — wieder ein-
treten müssen. Die unselige Erfindung der Briten kann nur ihnen
nutzen , weil ihre ganze Staats- und bürgerliche Verfassung ein
Organismus ist, der aus lauter Fehlern besteht, wovon einer den
andern wieder gut macht; weswegen sie der Verbesserung Jedes an
sich anerkannten Fehlers widerstreben. Auch macht es ihre geo-
graphische Lage und Seemacht, wodurch sie sich immer heLfen
können, leichter ausführbar und minder gefährlich. Der Industrie
und dem Wohlstande aller andern europäischen Nationen hat die
Nachahmung geschadet."^) Das Prohibitivsystem bekämpft Thaer
hei verschiedenen Gelegenheiten.^)
Thaers Stellung zur Handelspolitik wird kurz folgendermaßen
zu charakterisieren sein:
Thaer ist entschieden gegen jeden absoluten, für alle Ewigkeit
gelten sollenden Grundsatz in der Handelspolitik, er bekämpft am
allerschärfsten die blinde Nachahmung, man müsse alles nach Zeit
und Ortsverhältnissen erwägen, kurzum, in allen Stücken ist er
relativ. Er ist sowohl gegen das Prohibitivsystem, als auch gegen
absolute Handelsfreiheit. Ein Gleichgewicht will er zwischen
Ackerbau und Industrie, beide seien gleicherweise zu berücksichtigen,
ein harmonischer Ausgleich zwischen beiden sei zu erstreben; einen
^) Albrecht Thaer, Einleitung zur Kenntnis der englischen Land-
wirtschaft Bd. 2 2. Abt. S. 215.
2) Ibid. S. 215.
3) Vgl. Thaer, MögUnsche Annalen d. Ldw. Bd. 6 1820 S. 341—342.
Thaer, Möglinsche Annalen d. Ldw. Bd. 13 1824 S. 97, Bd. 15 1825
S. 205.
I
— 99 —
ijcmäßigten Schutzzoll für den Fall der Not verwirft Thaer nicht
unbedingt.
Es wurde schon vorher einmal betont, daß Thaer in einigen
Punkten, die vielfach mißverstanden worden sind, ein richtiges Ver-
ständnis für die Lehren Ad. Smiths zeigt. Dies kommt 'unter
anderem in folgendem zum Ausdruck. In einer Auseinandersetzung
iiegen die Fabrikanten beruft er sich ^) gerade auf Adam Smith, als
auf denjenigen Nationalökonomen, der für die Kapitalisten nicht ein-
genommen sei. In diesem Punkte begegnet sich Thaer mit der Auf-
fassung Smiths, die August Oneken dargelegt hat.-) Des weiteren
l)ezieht sich Thaer auf Smith als denjenigen Schriftsteller, der die
Präponderanz der Landwirtschaft vor dem Handel hervorgehoben
habe.^) Auch hier ist Thaers Auffassung entsprechend dem Jetzigen
Stande der Smith-Forschung,*) was hoch angeschlagen zu werden
verdient.
c) Zu Malthus.
Eine eigentümliche Stellung nimmt Thaer Malthus gegenüber
ein : er bekämpft und befürwortet Malthus zugleich. In einer Note,
die wahrscheinlich mit Bezug auf die Malthussche Bevölkerungs-
theorie niedergeschrieben ist, meint Thaer in seiner bekannten und
vielfach auch gefürchteten, satirischen Weise, daß Staats wirtschaft-
liche Schriftsteller das Problem, dem Menschen Nahrung zu ver-
schaffen, durch den Rat gelöst hätten, ihn sterben zu lassen.'^)
Trotz dieser Schärfe des Ausdruckes hat Thaer die Autorität Malthus'
anerkannt.^) Übrigens ist Thaer kein prinzipieller Gegner der Malthus-
schen Bevölkerungslehre. Er sagt ausdnicklich, daß die Nation sich
nicht durch die Zunahme der Volksmenge bereichere,") und stimmt
Malthus darin bei, daß die Vermehrung der Lebensmittel der Volks-
vermehrung voranzugehen habe.'^)
,,Es war eine Zeit" — sagt Thaer — ,,wo man in der Staats-
kunst nur Vermehrung der Bevölkerung zum obersten Prinzip
und zum einzigen Ziele machte, weil man annahm, daß Produktion,
Nationalreichtum und Stärke des Staates ganz davon abhängig seien.
Nachdem eine Zeitlang die Beförderung der möglichst höchsten
allgemeinen Glückseligkeit an der Tagesordnung gewesen
1) Thaer, Möglinsche Ann. d. Ldw. Bd. 1 1. Stück, Berlin 1817, S. 579.
-) vgl. dessen : Was sagt die Nationalökonomie als Wissenschaft usw.,
Berlin 1901.
3) Thaer, Möglinsche Ann. d. Ldw. Bd. 1 1817 S. 551 und S. 577.
Aug. Oneken, Was sagt die Nationalökonomie usw.
^) vgl, Thaers Note in den Annalen des Ackerbaues Bd. 2 1805 S. 24.
.vgl. Thaers Aufsatz: ,,Über Getreide-Politik" in den Moglin, Annalen
etc. Bd. 1 1. Stück 1817 S. 576.
Thaer, Annalen des Ackerbaues Bd. 9 1809 S. 195.
Thaer, Högl. Annalen Bd. 7 1821 S. 688.
— 100 —
war, so IimI man neulich mehr den finanziellen Gesichtspunkt ge-
wählt und die Vermehrung des Nationalreichtums oder des
reinen Einkommens der Nation als das einzige Objekt der Staats-
wirtscliaft dargestellt.^) Und weiter: ,,Ich halte dieses Prinzip unter
den bisher aufgestellten allerdings für das siclierste."-)
In der Populationistik ist Thaer Anhänger der Piiysiokraten,
aus welchen jedenfalls auch Malthus geschöpft liat.^) Schon in einer
Besprechung über den deutschen Piiysiokraten L. Krug sagt Thaer:
,,In vielen einzelnen Bemerkungen, die der Verfasser (Krug)
über Bevölkerung macht, trete ich ilini zwar vollkommen bei. Nicht
darum wird ein Staat reich und wohlhabend, Aveil seine Bevölkerung
steigt, sondern darum steigt seine Bevölkerung, weil er reich und
wohlhabend wird. Eine widernatürliche, durch Kunst hervorgebrachte
Bevölkerung wird den Staat eher arm als wohlhabend machen, weil
man den auf künstliche Weise lierbeigezogenen Abmschen selten eine
reinen Ertrag gebende Arbeit verscliaffen kann."^)
Es ist klar, daß Thaer dieser Bevölkerungslehre huldigt; allein
nicht so ohne weiteres und ganz absolut, auch hier macht er
Konzessionen. Und gerade in seinen Konzessionen zeigt er sich,
wemi auch n u r zum Teil, als Gegner von Malthus. Er sagt bei
irgend einer Gelegenheit u. a. folgendes: ,,Die Besorgnisse, welche
Malthus wegen Übervölkerung erregte, sind faktisch gehoben, indem
es sich in England, wo sie am stärksten waren, zeigt, daß bei einer
enormen Volksvermehrung die Produktion mit der Konsumtion nicht
nur Schritt gehalten, sondern vorgeeilt sei und ihr durch Erhöhung
der Landkultur noch lange gleich bleiben könne, obwohl in
diesem Reiche nur der dritte Teil mit dem Landbau beschäftigt ist
. und mit seinem Produkte zwei andere ernähren muß. Hypothetisch
, — d. Ii. wenn kein anderes Hindernis der Menschenvermehrung in
den Weg tritt — scheint mir jedoch sein Satz, daß die Bevölkerung
in geometrischer Progression (2. 4. 8. 16. 32. usw.), die Produktion nur
in arithmetischer (2. 3. 4. 5. 6. usw.) fortschreiten könne, — seine
Richtigkeit zu haben, ungeachtet solcher von mehreren neueren Schrift-
stellern für ganz unbegründet erklärt wird. Aber sein Endresultat
liegt in unabsehbarer Ferne, zumal wenn wir die Nationen als ein
Menschengeschlecht und die Oberfläche des Erdballes als sein Eigen-
tum betrachten."^)
vgl. Thaer, Annaleii des Ackerb. Bd. 4 1806 S. 43-44. '
•-) Ibid. S. 44.
vgl. AugustOncken, Geschichte der Nationalökonomie I S. 380.
^) vgl. Thaers Besprechung über L.Krugs „Beobachtungen, den
Xationalreichtum des preußischen Staates usw." in Ann. des Ackefb. Bd. 2
1805 S. 125.
■')^ vgl. Thaers Aufsatz: Ansicht unserer Zeit in be/ug auf das landwirt-
schaftliche Gewerbe in den Möglinschen Annalen der Landwirtschaft
Hd. 13 S. 101, Herlin 1824.
Wie man sieht, geht Thaer hier wiederum mit Malthus zu-
sammen, er stimmt Malthus zu, daß die Produktion die Bevölkerung
bedinge, aber sein ,. Endresultat" ist nicht ganz das Malthussche.
Die Gefahr der Übervölkerung ist und bleibt bestehen, doch liegt
dieselbe in so weiter Ferne, daß man jetzt noch keine Angst zu
haben braucht.
Interessant ist es immerhin, daß gerade der Mann, welcher der
deutschen Landwirtschaft die Wege zu einer gewaltigen Steigerung
der Produktion gezeigt hat. die Möglichkeit zugesteht, daß die
Steigerung der Produktion in Proportion der Vermehrung der Menschen
einmal ein Ende habe.
Thaer hat die weitere Malthussche Konsequenz nicht gezogen,
d. h. dem Menschen das Recht auf Existenz nicht bestritten; darüber
hat Thaer sich gar niclit ausgelassen. Die Bemühungen, bezüglich
dieses Punktes bei ihm Aufschluß zu finden, waren vergeblich. Wir
dürfen wohl annehmen, daß Thaer in dieser Beziehung Malthus nicht
folgen würde, weil er sich, wie früher angeführt wurde, gegen ähn-
liches scharf ausgesprochen hat, indem er sagte, man rate, den
Menschen, anstatt ihm Nahrung zu verschaffen, sterben zu lassen.
Spezialdruckerei für Dissertationen, Robert Noske, Borna-Leipzig.
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