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^^K
UN[\T.RSirY OF CALIFORNIA
SAN FRANCISCO MEDICAL CENTER
LIBRARY
AECHIV
|^LßR,e;crtT NJÖtJ öteAFFG^ ^
fOb
OPHTHALMOLOGIE,
HSRAUBGXGBBBN
VON
Pbof. f. ARLT Prof. P. C. DONDERS
m Wm V UTBBOBT
UND
Prof. A. von GRAEFB
IM BERUH.
VIBIRZBSHNTER JABCHOANGh
ABTHBILUNO L
ODBR
VIERZKHNTBR BAND
ABTHBILC7NO L
IQT HOLSBCHNITTSH UND TAFKLll.
. , -BERLIN, 1868.
VB&LAG VON «[ERMlNN PBl*BBä.*'' '
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Inhalts-Verzeichniss
SU
Band XIV, 1. Abtheilung.
8elto
L Bemerkungen tu. der Abhandlung von Donders fiber
das binocnlare Sehen. Von Prof. Ewald Hering . . 1 — 12
II. Ueber Ophthalmotonometrie. Von Prof. Dr. H. Bor
in Bern 13—46
in. Zur Anatomie des menschlichen Auges. Von Dr.
e. Haaae in Tönning. Hierzu Tafel 1 47—72
1. Ueber das Hgamentum pectinatum Iridis ... 47
2. Zur Anatomie der Chorioidea 57
rV. Beiträge zur pathologischen Anatomie des Auges und
der Orbita. Von Prof. Boliieii-Oemiiiaiu in Basel
Hierzu Tafel II 7»— 96
1. Gliom der Betina, Fibrom der Chorioidea mit
wahrer Verknöcherung, fibröse Degeneration des
Glaskörpers, beginnende simpathische Erkrankung
des zweiten Auges 7S
2. Grosses cystoides Fibrom der Orbita, hochgradi-
ger Exophthalmus, Heilung mit Erhaltung des
Bulbus .87
3. Ausgedehnte Sderalnarbe , Verlust der Linse
sammt Kapsel, beginnende Phthisis, bindegewe-
biges Diaphragma zwischen Glaskörper und hu-
mor aqueus, Nachstaar, Iridercmie 91
V. Ein Fall von combinirtem Augenmuskelspasmus. Von
Dr. J. StUling in Cassel 97—106
VI. lieber Aceommodations-Beschriinkungen bei Zahnleiden.
Von Dr. HermAiui Sehmidt, Stabsarzt in Berlin . . 107-- 187
YIL Casuiatische Beitrage. Von Dr. Joiepli JmoobL Hierzu
Tafel IL 138—158
1. Ein Eisensplitter im Augenhintergrunde . . .138
2. Ein abgekapseltes Eisenstück in der Iris. Hierzu
Figur 2 142
3. Pigmentmassen in der Retina ohne Störung der
Sehfunctionen 144
4. Ophthalmoscopischer Befund bei fractura basis
cranii 147
5. Zwei Terschiedenailize Fälle von Keuritis optici 149
li^enartiz^ I
VI
YUI. Ueber Cataracten in Verbindang mit einer eigenthUm-
liehen Hautdegeneration. Von Prof. Angnat Bothmimd
jun. in Httnchen. Hierzu Tafel III I59 — 182
IX. Ueber Aderb auttnberkeln. Von A. t. Oraafe und
Th. Laber. Hienu Tafel L . . 188—206
X. üeber Verstopfung der Blutgefässe des Auges. Von
Prof. H. Knapp in Heidelberg 207—251
1. Einleitende Bemerkungen 207
2. Embolie der Centralarterie der Netihaut . . . 209
3. Affeotion des Sehorgans bei Thrombose der Him-
siuus 220
4. Embolie der Ciliararterien 287
XI. Ueber pathologische Pigmentbildnng in der Sehnerren-
soheibe und Netzhaut. Von Prof. H. Knapp in Hei-
delberg. Mit einer Tafel in Buntdruck 252—261
XII. Die Tortheilhalte Anwendung der künstlichen Beleuch-
tung bei Nachstaar- und anderen Augenoperaiionen.
Von Prof. E. Knapp in Heidelberg 262—266
XIII. Ueber einige neue, namentlich plastische Conjunoti-
Taloperationen. Von Prof. H. Knapp in Heidelberg. 267 — 284
1. Pterygiumoperationen durch doppelte Transplan-
tation des abgeldssten Flügelfelles und Deckung
des Defectes. Hierzu 6 Abbildungen .... 267
2. Operation eines Symblepharon totale des unteren
Lides 270
3. St^phylomabtragung und Vereinigung der Wunde
durch Bindehautnähte 278
4. Exstirpationen Ton episkleralen Neubilbungen
mit plastischer, conjuncti valer Deckung der Wunde 278
Entfemnng eines Cancroids am Limbus con-
junctiTae 280
Entfernung eines andern Cancroids am Limbus
conjunctivae 282
XIV. Bericht über ein zweites Hundert Staareztractionen
durch den Linearschnitt im Scleralbord. Von Prof.
H. Knapp in Heidelberg 285—817
1. OperationsYerfahren 285
2. Zufälle während des Operationsverlaufes . . . 299
3. Heilverlauf; Heildauer 301
4. EinflusB des Lebensalters, der Beschaffenheit des
Staares und des OperationsTerlaufes auf die Hei-
lung und Sehschärfe 306
5. Heil- und Seherfolge 814
Bemerkungen zu der Abhandlung von Donders
ttber das binocnlare Sehen.
(Dies. Archiv Bd. XIII, 8. 1.)
Von
Ewald Hering,
Prof. 4er Physiologie an der Joaepluacadeinie in Wien.
Wenn ich zu der Abhandlung von Donders, in welcher
der berühmte Ophthalmologe beweist, dass zur binocn-
laren Tiefenwahmehmung die Augenbewegungen zwar
sehr forderlich, aber nicht unentbehrlich sind, einige Be-
merkungen mache, so geschieht es keineswegs, um diesen
Satz irgendwie anzufechten; denn ich habe denselben auf
Grund zahlreicher Versuche und Beobachtungen selbst
wiederholt ausgesprochen. Vielmehr leitet mich dabei
der Wunsch, gewisse Einwendungen, welche Donders
gegen die Beweiskraft meiner Versuche gemacht hat, zu
AreUy für Ophtfajümologie, XIV, 1. 1
widerlegen, sowie eine irrthttmlicbe Auffassung zu corri-
giren, welche er sich über meine Ansichten vom Ein-
flüsse der Convergenzbewegungen auf die Tiefenwahr-
nebmung gebildet hat Donders hat in dem erwähnten
Aufsatze klar auseinandergesetzt, dass correspondirende
Stellen nicht in dem Sinne identisch sein können, in
welchem man es früher glaubte, weil es sonst gleich-
gültig sein müsste, ob ein Netzhautbild im rechten oder
linken Auge liegt. Letzteres ist aber bekanntlich nicht
der Fall; denn der stereoskopische Eindruck verkehrt
sich in den pseudoskopischen, wenn man die beiden
Hälften einer stereoskopischen Linearzeichnung mit ein-
ander vertauscht. Es war allerdings merkwürdig, dass
dieser wichtige Einwand gegen die Müller'sche Identi-
tätslehre lange Zeit übersehen werden konnte, und ich
habe ihn deshalb wiederholt ganz ausdrücklich hervor-
gehoben.*) Der einzige, wenigstens scheinbare Ausweg
für die Anhänger jener Lehre blieb also die Behauptung,
dass die binoculare Tiefenwahrnehmung nur mit Hülfe
der Augenbewegungen, nämlich durch die Aenderungen
in der Gonvergenz der Gesichtslinien zu Stande komme.
Diese Ansicht hielt ich jedoch schon damals fftr wider-
legt und habe mich also nicht weiter bei derselben auf-
gehalten, sondern nur beiläufig einige Versuche ange-
geben, durch welche man, ohne alle weitläufigen
Vorbereitungen und Apparate, den Beweis ihrer
Unrichtigkeit führen kann.
Diesen Versuchen hat Donders die hinreichende
Beweiskraft abgesprochen. Da er jedoch schliesslich dem
Satze, den ich dadurch erläutern wollte, durchaus bei-
^) Beiträge zur Physiologie S. SSO, und Reichert und Dabois
ArchiT 1865, S. 95 u. ff.
pflichtet, so würde ich jede weitere Discossion hierfiber
überflüssig finden, wenn nicht der eine dieser Versuche
ein practisches Interesse insofern hätte, als der Augen-
arzt durch denselben jederzeit leicht constatiren kann,
ob Jemand, z. B. ein Schielender, binocular sieht
oder nicht. Auch ist der Versuch hierzu schon von
mehreren Ophthalmologen benutzt worden, und ich habe
deshalb die Verpflichtung, ihn gegenüber den Einwen-
duDgen von Donders zu vertheidigen, weil ich dieselben
lür unbegründet halte.
Man lasse Jemand durch eine kurze, cylindrische
Röhre, weit genug, um beide Augen aufzunehmen, die
Spitze einer feinen, langen Nadel fixiren, welche in mittler
Sehweite so aufgestellt ist, dass ihre Spitze in die Mitte
des Gesichtsfeldes zu liegen kommt, ihr unteres Ende
aber durch die Röhre verdeckt wird. Lässt man dann
kleine Kugeln von verschiedener Grösse etwa zwölfmal
hintereinander bald vor, bald hinter der Nadel aus be-
liebiger Höhe herabfallen, so weiss ein binocular Sehen-
der, wenn er überhaupt aufmerksam ist, stets mit voller
Sicherheit anzugeben, ob die Kugel diesseits oder jen-
seits der fixirten Nadel herabgefallen ist, während Je-
mand, der nur das Netzhautbild des einen Auges perci-
pirt, sich sehr häufig täuscht oder unsicher ist. Der
Letztere kann nämlich, wenn anders vorsichtig experi-
mentirt wird, den FaUort der Kugeln nur errathen, und
irrt also nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit in der
Hälfte der Fälle. Selbstverständlich muss die Hand,
welche die Kugeln fallen lässt, ebenso wie der Boden,
auf den letztere fiUIt, dem Sehenden durch die Röhre
verdeckt sein; auch darf man die Kugel nicht so fallen
lassen, dass sie einem Auge die Nadel verdeckt oder
theilweise von ihr gedeckt wird, weil man sonst schliesßen
kann, dass die Kugel erstenfalls vor, letztenfalls hinter
1*
der Nadel gefallen ist; endlich muss man abwechselnd
grössere und kleinere Kugeln benutzen, weil man sonst
aus der Grösse des Netzhautbildes auf die Entfernung
der Kugel schliessen kann.
Da wegen der Baschheit des Falles keine Zeit ist,
sich durch Augenbewegungen über den Fallort der Kugel
zu unterrichten, so folgt, dass auch ohne solche die bin-
oculare Tiefenwahmehmung möglich ist Gegen die Be-
weiskraft dieses Versuchs macht Don der s folgende Ein-
wendungen :
Erstens sei es sehr die Frage, ob, wenn die Kugel
nicht aus sehr grosser Höhe herabfalle, eine Augenbewe-
gung ganz ausgeschlossen sei. Letzteres ist aber ent-
schieden der Fall. Gesetzt, man lässt die Kugel aus
einer Höhe von einem Fuss über der oberen Grenze des
durch die Röhre sichtbaren Raumes fallen, obgleich man
eine beliebig grössere Höhe wählen kann, so tritt sie
mit einer Geschwindigkeit von 30' in der Secunde in's
Gresichtsfeld. Beträgt der verticale Durchmesser des letz-
teren 1', so bleibt die Kugel nur etwa Vso Secunde lang
•sichtbar; hat man sie aus 2' Höhe herabfallen lassen, so
ist sie nur Veo Secunde sichtbar u. s. f. Die Zeit, welche
nöthig ist, um auf ein gegebenes, sichtbares oder hör-
bares Zeichen eine Handbewegung zu beginnen, beträgt
bei gespannter Aufmerksamkeit V?— Vi Secunde. Wir
dürfen also annehmen, dass von dem Momente, wo die Ku-
gel in's Gesichtsfeld eintritt, bis zu dem, wo eine dadurch
veranlasste Augenbewegung beginnen kann, mindestens
^/lo Secunde verstreichen wird. Dnterdess ist die Kugel
längst wieder verschwunden. Diese Zahlen sprechen
deutlich genug. Die geringe Verzögerung des Falles
durch den Widerstand der Luft kommt gar nicht in Be-
tracht; und wer sie dennoch furchten sollte, der nehme
Metallkugeln.
Man dürfte auch nicht einwenden, dass es sich hier
nidit um solche Angenbewegungen handle, welche erst
in Folge der Wahrnehmung der Kugel ausgelöst werden,
sondern am solche, welche schon im Gange sind, wenn
die Kugel eben in's Gesichtsfeld eintritt. Denn erstens
wird ja während des Versuchs ein bestimmter Punkt
fizirt, und es könnten also höchstens unwillkürliche*
Schwankungen der Convergenz in Betracht kommen, die
aber ohne Einfluss sein müssten, weil die Convergenz-
bewegungen nur dann über die Tiefenverhältnisse Auf-
schlnss geben können, wenn sie willkürliche sind, und
man also weiss, ob man die Convergenz eben erhöht
oder vermindert; und zweitens müssten die fraglichen
Schwankungen der Convergenz relativ grosse sein, um
merkliche Lateralverschiebungen der Netzhautbilder der
Kugel zu veranlassen, denn letztere bildet sich auf ex-
centrischen Netzhautstellen ab, deren Raumsinn viel zu
wenig fein ist, um sehr kleine Lagedifferenzen bemerken
zu lassen.
Ferner fragt Donders: „Sollte nicht die scheinbare
Schnelligkeit des Falles, welche, je nachdem sich die
Entfernung vom Auge vermindert, zunimmt, irgend
welche Belehrung geben?'' Dies ist unmöglich; denn,
abgesehen davon, dass so grosse Geschwindigkeiten Über-
haupt nicht mehr unterschieden werden können, so
müsste man, wenn der Grund der richtigen Bestimmung
des Fallortes in der Auffassung der Geschwindigkeit zu
suchen wäre, den Fallort eben so sicher bestimmen kön-
nen, wenn man den Versuch nur mit einem Auge an-
stellt. Dies ist nun aber erwiesenermassen nicht der
Fall, und deshalb kommt jener Einwand nicht in Be-
tracht. Aber, auch wenn er in Betracht käme, könnte
man ihn leicht dadurch beseitigen, dass man die Kugeln
ans wechselnden Höben herabfallen liesse.
6
Endlich wendet Donders ein: „Man weiss, dass
die durchlaufene Linie vertical ist, und für diese ist die
Neigung der Doppelbilder nicht dieselbe vor oder hinter
dem Fixirpunkte/' Allerdings kann eine jenseits des
fixirten Punktes liegende Verticallinie nach oben conver-
girende Doppelbilder geben, eine diesseits gelegene di-
Vergirende; aber dies kann nicht der Grund der rich-
tigen Localisation sein, schon deshalb nicht, weil es
ganz zufallig ist, ob eine verticale Linie in bestimmter
Lage nach oben convergirende oder divergirende Doppel-
bilder giebt. Es hängt dies nämlich von der zufälligen
Lage der Blickebene ode^ von der Haltung des Kopfes
ab. Denn mit der Lage der Blickebene relativ zum
Kopfe wechselt bei gleichbleibendem Fixationspunkte die
Lage der verticalen Trennungslinie; und ebenso wechselt
die scheinbare Lage der Doppelbilder mit der Lage der
Blickebene relativ zur verticalen Linie. Von diesen beiden
Bedingungen, die sich so vielfach variiren und combiniren
lassen, dass dem Beobachtenden jede Mitberücksichtigung
derselben bei dem Localisiren der Kugel unmöglich wird,
erweist sich aber das Ergebniss des Versuchs ganz un-
abhängig, wie vorauszusehen war. Endlich aber habe ich
auch dann, wenn die verticalen Trennungslinien wirklich
vertical lagen, den Versuch mit derselben Sicherheit aus-
geführt, obwohl dann die Doppelbilder stets parallel wa-
ren, gleichviel, ob die Kugel vor oder hinter dem fixirten
Punkte niederfiel.
Ich kann also keinen der gemachten Einwände gelten
lassen und muss behaupten, dass dieser höchst einfache
und jederzeit zu improvisirende Versuch durchaus eben
soviel beweist, wie die Versuche mit den electrischen
Funken. Ich schätze diese Versuche als eine wertlivoUe
Bestätigung, aber sie sind nicht unentbehrlich. Für den
Praktiker, in dessen Interesse ich den besprochenen Ver-
such 80 ausführlich erörtert habe, sind sie ohnehin nicht
wohl anwendbar. Ueberdies. kam es mir, als ich den
Versuch angab, nicht darauf an, den Satz von derMög-
iidikeit der binocularen Tiefenwahrnehmung ohne Mit*
hülfe der Aug^bewegungen zu beweisen, sondern durch
einen einfachen. Jedem zug&nglichen Versuch zu illustri-
reo. Denn ich hielt schon damals und halte noch heute
mehrere Versuche von Dove und von v. Beckling-
hausen für ganz beweiskräftige. Den schönsten und
schlagendsten Beweis aber habe ich stets in der Beob«
achtung Wheatstone's gefunden, dass auch dielfach-
bilder stereoskopischer Zeichnungen einen körperhaften
Eindruck geben; nui* muss man die Nachbilder der beiden
zu verschmelzenden Bilder nicht gleichzeitig, sondern
schnell nach einander erzeugen, erst das Nachbild des
einen Bildes in dnem, dann das des anderen Bildes im
anderen Auge .*) Das stereoskopische Bild kann sich
dann nicht schon bei der binocularen Betrachtung der
Bilder entwickeln, sond^n erst beim binocularen Nach-
bilde in dem Momente, wo beide Nachbilder eben ein-
mal gleichzeitig deutUch sichtbar sind. Der körperliche
Emdrack lässt sich also hier nicht daraus erklären, dass
die schon durch die beiden wirklichen Bilder gewonnene
Vorstellung noch nachklinge. Dieser Versuch jschliesst
die Attgenbewegung^ nicht, wie der mit d&OL electrischen
Funken, blos wegen der Kürze der Zeit, sondern so zu
sagen principiell aus.
*) Ich erteile aus Heimholt z'b phynologiMher Optik, dasi schon
Bog er • auf dieselbe Weise Terfabre^n ist (Silliman's Journal (2)
XXX. NoTember 1860). Leider erfordert der Versuch einen in derlei
Versuchen sehr geübten Beobachter und ist deshalb im Allgemeinen
nicht £U empfehlen.
8
Es giebt also zweifellos eine von den Convergenz-
bewegungen unabhängige Tiefenwabrnehmung. Aber Letz-
tere wird bekanntlich durch die willkürlichen Aende-
ningen der GouTergenz sehr gefördert, ganz ebenso wie
anch die Höhen- und Breitenwahmehmung durch Höhen-
und Seitenbewegungen des Blickes gefördert wird. Im
Betreff der Convergenzbewegungen sagt nun Donders,
ich schiene zu einem Urtheile Qber die Entfernung der
Dinge auf Grund der Convergenz der Gesichtslinien nicht
befähigt zu sein, und will daraus meine Opposition gegen
jene Theorie erklKren, welche ein Sehen nach den Rich-
tungslinien annimmt und welche er selbst noch immer
für die richtige hält Ich besitze aber die Befähigung
zur Beurtheilung der Entfernung aus der Convergenz
in demselben Grade, wie jeder Andere, worüber ich mich
wiederholt ausgesprochen habe. S. 140 meiner Beiträge
zur Physiologie habe ich gesagt: „Ich bin weit entfernt,
den Einfluss der Augenbewegungen auf die räumliche
Auslegung der Netzhautbilder zu verkennen. Wer jemals
mit beweglichen Bildern stereoskopische Versuche ge-
macht hat, wird diesen Einfluss kaum unterschätzen kön-
nen. Zwei Stricknadeln z. B., welche man parallel und
senkrecht vor die Augen hält und stereoskopisch ver-
schmilzt, geben, wenn man sie langsam einander nähert
oder von einander entfernt, ein nach der Dimension der
Tiefe wanderndes Sammelbild, das sich von uns zu ent-
fernen scheint, wenn die Convergenz der Sehaxen ab-
nimmt, während es mit wachsender Convergenz derselben
sich nähert. Gleichgültig ist hierbei, ob man das Sam-
melbild durch Kreuzung der Sehaxen vor oder hinter den
Nadeln erzeugt hat; nur ergiebt ersteren Falls das seit-
liche Auseinanderschieben der Nadeln eine Näherung,
das Zueinanderschieben eine Entfernung des Sammel-
bildes; während letzteren Falles die Tiefenbewegung des
Sammelbildes sich entgegengesetzt verhält. Dieser ein-
9
fiicbe Yersuch lässt sich mannigfach variiren; auf alle
Fälle zeigt er, dass die, durch Bewegungen der Objecte
and zum Zwecke stetiger Fixation derselben henrorge-
rofenen Augenbewegungen einen Einflnss auf die Locidi-
sation noch der Dimension der Tiefe haben. Aber diese
Bewegungen sind nur eines von den vielen Momenten,
welche den scheinbaren Ort eines Objectes bestimmen
imd, wie aben gezeigt wurde, nicht eben ein sicheres.*"
In § 123 und 127 habe ich femer die Bedeutung der
Convergenzbewegungen fQr die Localisation nach der Di-
mension der Tiefe ausffihrlich erörtert In der That ist
der Irrthum über meine Ansicht nur dadurch entstanden,
dass ich erstens die Existenz der Muskelgefühle geleug-
net, d. h. den damals sehr verbreiteten Irrthum bekämpft
habe, nadi welchem die Contraction der Augenmuskeln
mittelst einer Erregung sensibler Nerven Gefühle erzeu-
gen und uns auf diese Weise eine Kenntniss der jewei-
ligen Augenstellung vermitteln sollte; und dass ich zwei-
tens mich bemüht habe, möglichst viele Bedingungen zu
finden, unter welchen die identischen Bilder der Netz-
hautmitten nicht im Durchschnittspunkte der Gesichts-
linien, sondern ganz wo anders erscheinen, um damit zu
beweisen, dass die Gesichtslinien und überhaupt die Rich-
tungslinien nicht die wahren Sehrichtungen sind.
Aus meiner Opposition gegen die Muskdgefühle zog
man den Schluss, ich wolle leugnen, dass die willkür-
lichen Bewegungen der Augen ohne Einfluss auf die Lo-
calisation seien, obwohl ich diesen Einfluss selbst wieder-
holt besprochen habe. Daraus, dass ich zahlreiche Fälle
anfahrte, wo unter mehr oder weniger künstlichen Ver-
hältnissen das flxirte Object in falsche Entfernung loca-
lisirt wird, schloss man, dass ich nicht im Stande sei,
beim gewöhnlichen Sehen auf Grund der willkürlichen
Convergeaz annähernd richtig zu localisiren, während ich
10
doch nur beweisen wollte, dass letzteres nicht immer
der Fall sei, und dass deshalb auch die Regel, nach
welcher die Bilder der Netzhautmitten immer auf den
beiden Gesichtslinien erscheinen sollten, nicht gelten
können.
Allerdings habe ich (1. c. S. 32) gesagt — und hier-
aus ist wohl hauptsächlich der Irrthum entstanden —
die Sehferne hänge nicht von der Augenstellung ab; aber
kurz zuvor (S. 30) hatte ich gesagt: „Es ist irrig, wenn
man meint, die Augenstellung, d. h. der Spannungs-
zustand der verschiedenen Augenmuskeln, könne
uns in jedem Augenblicke zum Bewusstsein kommen."
Hieraus geht, wie auch aus dem Uebrigen, hervor,
dass ich nur jenen angeblichen, durch die Contraction
bedingten Muskelgef&hlen jeden Einfluss auf die Locali-
sation absprach. Wenn man beim gewöhnlichen Sehen
den Augen willkürlich eine gewisse Gonvergenz giebt,
so geht dieser Bewegung allemal die Anschauung oder
Vorstellung eines Objectes vorher, welches sich in einer,
dem angestrebten Convergenzgrade entsprechenden Lage
befindet, und überhaupt werden die Augen normaler
Weise nur von räumlichen Vorstellungen geleitet, und
jeder Augenbewegung geht eine räumliche Vorstellung
voran, welche die Art der Bewegung bestimmt Die
meisten Menschen können ihre Augen willkürlich gar
nicht anders als mit Hülfe räumlicher Vorstellungen in
Bewegung setzen. Wenn also Jemand den Augen will-
kürlich eine gewisse Stellung giebt, so ist damit schon
gesagt, dass er vorher eme entsprechende räumliche
Vorstellung hatte; und dass er dann das gesehene Ob-
ject entsprechend dieser Vorstellung localisirt, wenn
nicht besondere Hindemisse eintreten, ist selbstver-
ständlich. Also nicht der Spannungszustand der Mus-
keln und das dadurch angeblich erzeugte Muskelgefühl,
11
sondern die räumliche Vorstellung, durch welche erst
flieser Spannungszustand willkürlich herbeigeführt wurde,
ist hier das Motiv der Localisation. Wenn ich einen
Diener, auf den ich mich verlassen kann, nach X. ge-
schickt habe und in Folge dessen weiss, dass er sich
dort befindet, so ist doch nicht der Umstand, dass der
Diener wirklich in X. ist, der Grund, warum ich es
weiss, sondern vielmehr der Umstand, dass ich von
vornherein wusste, wohin ich den Diener schicken wollte.
Solche Diener, auf die man sich verlassen kann, sind
die Muskeln. Gehen sie aber einmal nicht dahin, wohin
man sie schickt, oder gehen sie ohne unsern Willen ir-
gend wohin, so localisirt man auch falsch, wie be-
kannt ist.
Wenn Donders übrigens meine Polemik gegen die
frühere Ansicht, nach welcher die Netzhautbilder auf
ihren Richtungslinien localisirt werden sollten, nicht be-
greiflich findet und nicht gelten lassen will, so hege ich
gleichwohl von einem so ausgezeichneten Beobachter die
Hoffnung, dass er hier seine Meinung ebenso ändern
wird, wie in Betreff der Tiefen Wahrnehmung. Denn das
von Pr^vost, Towne und mir vertheidigte Gesetz der
Sehrichtungen ist schon von zu vielen trefflichen For-
schern (Volkmann, Aubert, Funke, v. Betzold
und neuerdings auch von Helmholtz) als thatsächlich
zutreffend anerkannt worden, als dass ich nicht schon
hieraus jene Hoffnung schöpfen dürfte.
Andererseits freue ich mich, constatiren zu können,
dass Donders im Uebrigen und insbesondere in Betreff
der Frage, wie weit unser Vermögen ^er räumlichen
Wahrnehmung auf angeborenen Einrichtungen beruhe,
sich im Wesentlichen zu den von mir vertheidigten An-
sichten bekennt, im Gegensatz zu Helmholtz, welcher
neuerdings in seiner physiologischen Optik den geist-
12
reich paradoxen Versuch gemacht hat, alle angeborenen
Functionen des Gesichtssinnes zu bestreiten, als ob mit
einem Organe nicht zugleich auch seine Function in ihren
GrundzOgen gegeben wäre.
Ueber Ophthalmotonometrie.
Von
Prof. Dr. H. Dor, in Bern.
JNachdem ich nun während zwei Jahren mit dem von
mir zur Schätzung des intraocularen Druckes angege-
benen Instrumente experimentirt habe, scheint mir die
Zeit gekommen, die bis jetzt gewonnenen Resultate zu
yeröffentlichen.
Die Instrumente, die ich angewendet habe, sind
erstens das in „Zehender's Monatsblätter", 1865, p.
361 seq. beschriebene, und zweitens ein ähnliches mit
empfindlicherer Feder, wo die Einheiten der Eintheilung,
statt 1 Gramme, V« Gramme entsprechen und so eine um
soviel grössere Genauigkeit zulassen.
Dre^ Modificationen sind ausserdem an den letzten
Instrumenten gemacht worden. Es wurde er*
stens in jeder Schachtel ein normales Gewicht
von 15 gr. zugelegt, um mögliche Spannungs-
veränderungen der Feder gleich controliren zu
können*); zweitens wurde eine neue Hülse
ebenfalls hinzugethan, welche, statt der Sclera ^J« *•
*) Kehrt num das Instnunent um und schraabt das kleine Gewicht
an Ort und Stelle dee elfenbeinernen Stiftes, so seigt das Instrument
14
in4hrer ganzen Peripherie aufliegen zu müssen, dieselbe nur
in z^wei Punkten berührt, um so die Krümmungen in ver-
schiedenen Meridianen messen und berücksichtigen zu
können (Fig. 1); drittens endlich wurde ganz am oberen
Ende des Zifferblattes ein kleines Loch gebohrt, damit
man mittelst eines Seidenfadens das Instrument auf-
hängen könne, und es so durch seine eigene Schwere
wirken könne.
Diese letztere Methode der Anlegung, die ich später
wieder aufzunehmen gedenke, habe ich einstweilen nicht
fortgesetzt, weil sie am Lebenden etwas unbequem ist
und weil für meinen Zweck die frühere Anlegungsweisc
mit freiem Handdrucke vollkomiqen genügt. Ich muss
dies hier bemerken, weil meine Zahlen von denjenigen
anderer Gollegen di£feriren können, indem bei horizon-
taler Anlegung das Gewicht des Stiftes (5 grm.) vernach-
lässigt werden kann, während bei senkrechter Anlegung
dieses Gewicht dem Widerstände der Feder hinzugerechnet
werden muss.*)
Zur Vermeidung späterer Missverständnisse wieder-
hole ich noch einmal (Zehender's Monatsblätter I.e.),
dass das Instrument jedesmal auf den Nullpunkt zurück-
gebracht wird, dann nach Aufhebung der Feder hori-
zontal auf die Sclera aufgelegt wird, um die Krümmung
20^ i. 6, 20 gnn. an, weil das Gewicht des Stiftes selber 5 grm., das
hinzugeschraubte 15 grm. beträgt und natürlicherweise die beiden Sum-
men addirt werden müssen.
*) Die Einwendung Ton Dr. A. Weber (Arch. für Ophth. XII!, 1,
p. 202) , dass das Instrument jedesmal justirt werden müsse , kann ich
nicht begreifen. Die Eintheilung des Instrumentes entspricht ganz
genau der Excursion der Feder, resp. der Nadel, unter einem be-
stimmten Grammgewichte; 20* T bedeutet s. B., dass die Feder unter
dem gleichen Gewichte steht , als wenn 20 grm, (das eigene Gewicht
des Stiftes abgerechnet) auf dem Stifte lasten würden u. s. w. Den
Nutzen einer besonderen TabeUe kann ich nicht einsehen. Die Beduc-
tion in Quecksilber-MiUimeter ist dagegen selbstTerständlioh eine Con-
ditio sine qua non einer Temünftigen Anwendung des Instruments.
15
mit zu berücksichtigen. Der Punkt, wo dann der Stift
steht, wird ftbr jede einzelne Beohachtung als Ausgangs-
punkt der Messung angenommen, die Feder dann los-
gelassen, der Stift um. 2 volle Millimeter (arbiträre Zahl
T. Zehen der 1. c.) hervorgeschoben und erst dann wird
das Instrument zur Messung des intraocul&ren Druckes
angelegt
Auf diese Weise sind alle Messungen gemacht wor-
den, die auf den folgenden Seiten mitgetheilt werden.
Die weichsten Augen, die ich gemessen habe, zeigten
einen Grad der H&rte und Spannung, der 12^ T. (Tono-
meter) i. e. 12 grm. entsprach; die mittleren normalen
varürten von 26— 28®T. und das härteste kam bis
auf 42« T.
Dm aber einen Begriff zu haben, was diese Zahlen
wirklich bedeuten, muss man natQrlich ihren Werth auf
Quecksilbermillimeter reduciren. Dazu stellte ich zuerst
mit Hülfe meines Freundes, Prof. Ghauveau, in der
Lyouer Yeterinärschule Versuche an Pferden an, und
zwar solche, wo ich zuvor, so gut es bei diesen unru-
higen Thieren geht, den Druck im Leben gemessen hatte.
(Die Krümmungen sind nicht angegeben, weil ich zur
Zeit, wo ich die Messungen veranstaltete, noch nicht die
excentrische Scheibe angebracht hatte.) — Das Thier
wurde dann durch Durchschneidung des Rückenmarks
(verlängerten Marks) umgebracht und die Messungen un-
mittelbar nach dem Tode angestellt, um alle cadaverOsen
Veränderungen auszuschiiessen.
Ein Quecksilber-Manometer wurde mit einem T för-
migen Eautschoukschlauche versehen. Der eine kurze
Arm führte zum Manometer, der andere kurze durch
einen feinen, hohlen Trocard in das zu untersuchende
Auge; durch den dritten Arm endlich, an dem ein Hahn
zum Abschliessen angebracht wurde, wurde Luft mit Ge-
walt eingeblasen. Das Auge wurde härter und härter
16
und dem entsprechend stieg das Manometer. Bei jeder
neuen Insufflation wurde mit dem Tonometer gemessen
und gleichzeitig die manometrische Höhe notirt Es wax
mir nicht möglich bei der stärksten Insufflation das Mano-
meter höher als 126 Millim. steigen zu lassen. — Hatte
man die höchste Spannung erreicht, so wurde der Hahn
allmälig geöffnet und bei jedem Sinken des Manome-
ters wieder tonometrisch gemessen. Dass diese zweite
Zahlenreihe durchschnittlich geringere Tonometergrade
angiebt, wird nicht befremden, wenn man bedenkt, dass
die äusseren Hüllen des Auges durch die überstandene
hohe Spannung ein gewisses Quantum ihrer Elasticität
eingebüsst hatten. Auf diese Art wurden die drei ersten
Colonnen der Tabelle I. gewonnen. Es wurden dann, um
die von der Elasticität der Luft herrührenden Fehler in
den Angaben zu vermeiden, neue Versuche mit Wasser
gemacht, und zwar so, dass die Luft nicht mehr direct
in das Auge, sondern in eine mit 3 Hülsen versehene und
mit Wasser halbgefüllte Flasche eingeblasen wurde. Unter
dem Einflüsse des Luftdruckes gelangte dann das Wasser
in das Auge und vermehrte dessen Spannung und Härte.
Auf diese Weise wurden zwei neue Augen untersucht und
so die Zahlen der vierten und fünften Colonne gewonnen.
Das Tonometer wurde jedesmal direct auf der Hornhaut
aufgelegt, indem bei Pferden die durch das Oe£fnen der
Lider b^ossgelegte Stelle der Sklera für die Breite des
Aufsatzes zu gering ist. Die Augen far die Messungen
herauszunehmen, dazu konnte ich mich bei den günsti-
gen Umständen (es wurden mir 3 Pferde lebendig zur
Verfügung gestellt, die man sogleich nach den Messungen
am Lebenden für mich tödtete) nicht entschliessen, um
die Verhältnisse des beim Leben gemessenen Widerstan-
des, z. B. die Nachgiebigkeit des Fettpolsters der Or-
bita u. s. w. nicht zu verändern. — Bei den später
anzugebenden, an todten Menschenaugen gemachten
17
Messungen worden auch aus denselben Gründen die Augen
in situ untersucht Nur bei den Ochsenaugen, wo ich
zugleich die vom intraocularen Drucke hervorgebrachten
Yeränderungen der Krümmung an Cornea, hinterem Pole
und Aequator bulbi messen wollte, waren selbstTerstftnd-
lich die Augen herausgenommen.
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e«o<«Moooooo^'<4tOiOC0«9r«r«ooooa»o»oo*-4i-i4e4e<9
AkMt ftr Opbthalmolofit. ZIV, 1.
18
Bei allen diesen Messungen wurde aber eine Fehler*
quelle nicht corrigirt, nämlich der Einfluss der Krüm-
mung des Auges. Es ist selbstverständlich, dass bei
gleicher Spannung eine stärker gewölbte Stelle den Stift
mehr hereindrückt als eine flachere. Um diesen Fehler
zu beseitigen, Hess ich die schon beschriebene excen-
trische Scheibe anbringen (v. Zehender's Monatsbl. I.e.)«
Legt man nämlich das Instrument nach Aufhebung der
Feder an, so wird durch die blosse Krümmung des Auges
der Stift so weit in die Hülse zurückgetrieben, bis wir
drei fixe Punkte bekommen, welche vollkommen genügen,
um den Kreis zu bestimmen, welchem das gemessene
Segment angehört.
Um auf diesen Gegenstand später nicht zurückkom-
men zu müssen, will ich gleich jetzt diese Frage der
Messung der Krümmung genauer erörtern.
Nehmen wir an, das Instrument wäre auf einer
Sphäre aufgelegt, welche es mit der Hülse in ac, mit
dem Stift in d berühren würde. Das Zurücktreten des
Stiftes von b bis d giebt uns die Länge des Pfeiles bd an.
Mit diesen
beiden An-
gaben, Ent-
fernung von
a bis c, i. e.
Breite des
Ansatzes u.
Länge von
bd, das heisst
Zurücktre-
ten des Stif-
tes, können
wir den Kreis
ng. 2. construiren
und berechnen.
19
Es sei 0 (Fig. 2.) der Mittelpunkt des Kreises; Oa,
der gesuchte Radius, wird mit x und Ob mit y bezeich-
net Es sei femer e das andere Ende des durch d ge-
zogenen Durchmessers. Man verbinde nun durch gerade
Linien die Punkte ae und ad. Man weiss, dass die bei*
den Dreiecke ade und adb einander ähnlich sind und
folglich
ad_de
bd~ad *
oder weil de = 2x,
ad_2x
bd""ad *
woraus wir folgende Gleichung ziehen:
_äd»
^"" 2bd •
Weil aber das Dreieck abd in b rechtwinklig ist, so be-
kommen wir
id« = ab« + bd';
also
_ ab»-l-bd»
^ "" 2bd
Der Radius des Kreises wird so mittelst der bekannten
Grössen ab (die Hälfte der gegebenen Sehne) und bd,
bestimmt
Um obige Formel mit den gewöhnlichen Logarithmen-
tafehi zu berechnen, würde man sie folgendermassen
schreiben :
ab'
So lässt sich -^vj leicht durch Logarithmen berechnen,
aF*
weil log 2^ = 21og ab — log bd — log 2.
Was Ob anbetrifft, so ist es gleich x — bd, woraus
folgt
2bd~ Z«^^-
«•
20
Setzt maa also das Tonometer nach Hebung der
Feder an und zeigt es z.B. 20^1. an, so wissen wir,
dass die blosse Krümmung des Auges die Nadel von 10^
(Anfang der Eintheilung) bis 20^ also um 10 Eintheilungen
zurückgetrieben hat Da aber die Constante k (v. Ze-
hen der 1. c.) == 2 gr. = Vio Millim. ist, so ist der Stift
um Vio Millim. zurückgetreten. Mit Hülfe obiger Formel
und bei einer Hülse, deren Oeffnung wie bei meinem
Instrumente 9 Millimeter beträgt, bekommen wir durch
Ausrechnung:
Einthei- Zurück- Radius Diameter
lung. treten.
Millim. M'^^'™T M^^^^»».
T. 20» = »V«, .= 0.50 = 20.50 = 41.00 und femer
21« = »Vm = 0.55 = 18.68 = 37.36
22« = "/lo = 0-60 = 17.17 = 34.84
23« = »/»o = 0.65 = 15.90 = 31.80
24« = "/jo = 0,70 = 14.81 = 29.62
25« = «/„ =- 0.75 = 13.87 = 27.74
26« = "/«, = 0.80 = 13.05 = 26.10
27« = "/„ = 0.85 = 12.34 = 24.68
28« = "/„ = 0.90 = 11.70 = 23.40
29« = "/m = 0.95 = 11.12 = 22.24
30» - »/», = 1.00 = 10.625 = 21^5
31» = »Vm = 1.05 ^ 10.39 = 20.78
32« = *V«o = 1.10 = 9.75 = 19.50
33« = m/m = 1.15 =! 9.30 = 18.60
34» = "/w = 1.20 = 9.04 = 18.08
Ist dagegen die Oeffnung grösser (wie beim ersten
Instrumente, das in Händen des Herrn Prof. Douders ist),
so bekommen wir für Radius, Durchmesser und ebenfolls
für den Druck grössere Zahlen und umgekehrt, f&r eine
kleinere Oeffnung kleinere Zahlen.
Ist z. B. ac (Fig. 2.) = 8 Millimeter. So bekommen
wir fflr ein Zurücktreten des Stiftes um einen Millimeter
(30» T. == *>/„)
21
Radius = 8.5 Millim.
Diam. = 17 „
für eine OeflFnung ac = 7.5 Millim.
Radius = 5,781 Millim.
Diam. = 11 562 „
dagegen für eine OeflFnung ac = 10 Millim.
Radius = 13 Millim.
Diam. = 26 „
Anfangs wurde dieser Umstand nicht geug beachtet,
was zu verschiedenen Angaben führte. Der Uebelstand
lasst sich aber leicht ändern, indem man bei den alten
Instrumenten die Hülse verändert und bei allen eine
gleich grosse OeflFnung (9 Millim. zwischen den beiden
entgegengesetzten Berührungspunkten) atmimmt Aus
diesem Grunde der besseren Vergleichung der Angaben
bleibe ich bei dieser angegebenen Grösse des Ansatzes,
der mir in keinem Falle (höchstens für Kinder- Augen,
wo man sich eines kleineren bedienen kann) zu hoch
schien. Je weiter die 3 Punkte ade von einander ent-
fernt sind (Fig. 2), um so genauer die Berechnung der
Krümmung.
Es wird überhaupt, da das Auge wohl nie eine voll-
kommene Sphere bildet, diese Berechnung nur in einigen
Fällen von Wichtigkeit sein. Es war aber dringend noth-
wendig, diese Fehlerquelle zu beseitigen und wir glauben
durch die Anbringung der Scheibe diesem Bedürfnisse
vollkommen entsprochen zu haben.
Nachdem wir jetzt gesehen haben , wie das Instru-
ment zur Berechnung der Krümmungen benutzt werden
kann, will ich 2 Tabellen von Messungen an 6 enucleirten
Ochsenaugen mittheilen. Die Versuche sind auf der-
gleichen Weise angestellt, wie diejenigen von Tabelle I,
mit dem einzigen Unterschiede, dass jedesmal die Krüm-
mung mit in Berechnung gezogen wurde und darnach
das Instrument justirt. Ferner wurde, um den Druck
22
auszuüben, statt mit dem Munde zu blasen, eine Luft-
pumpe angewendet, wobei der Druck, der früher
126 Millim. nicht überstieg, bis auf 420 gebracht wurde.
Tabelle IL
ErQmmungen an Ochsenaugen.
4.
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Krümmunge
beim Nerv, op
am hinteren Po
Auge No.
l.|2.|8.|4.|ö.|
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23
Tabelle III.
Widerstand an Ochsenaugen.
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WidenUmd
der floinliAut
1
i
Widerstand
am Aequator
1
Widerttand
beim Nerr. opt.
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1.
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47
—
47
24
Aus der Tabelle II. ersieht man, dass die höchste
Krümmung fast durchgehends diejenige der Hornhaut ist;
diejenige des Aequator Bulbi ist immer geringer und
noch geringer die des hinteren Poles in der Gegend des
Austritts des Opticus.
Mit zunehmendem Drucke nehmen alle Krümmungen
bis zu einer gewissen manometrischen Höhe, die z. B.
für die Hornhaut 16 Quecksilber Centimeter betr^;
dann nimmt die Krümmung allmälig ab, wahrscheinlich
durch Nachgeben der Gewebe und dieses Nachgeben ist
sowohl an der Hornhaut als am Aequator Bulbi und am
hinteren Pole bemerkbar. Bei einzelnen Augen (N^ 5 z. B.)
giebt die Hornhaut vor dem Aequator nach, bei anderen
(N^3) umgekehrt.
In der III. Tabelle, derjenigen der Widerstände sehen
wir die Spannung unaufhörlich und regelmässig zuneh-
men, ohne dass diese Abflachung oder richtiger diese
Abnahme der Krümmung, das Nachgeben der Gewebe,
hier einen merkbaren Einfluss ausüben könnte. Diese
Thatsache erklärt sich sehr leicht, wenn man bedenkt,
dass bei jeder Messung der Einfluss der Krümmung
durch Abzug anuulirt wird. Im Allgemeinen ist bei der
Mittelzahl der Beobachtungen, wie bei jeder einzelnen
der Widerstand der Hornhaut am geringsten, der des
hinteren Poles am stärksten.
Die folgende Tabelle ergiebt die Besultate an vier
Menschenaugen einige Stunden nach dem Tode. Die
Messungen wurden, aus schon angegebenen Gründen, in
situ gemacht. Der in seiner Länge durchbohrte Troicart
wurde direct durch die Sclera in den Glaskörper einge-
führt und der Druck mittelst der Luftpumpe und der
Wasserflasche ausgeübt. Alle Zahlen sind wie überhaupt
bei fast allen übrigen Angaben die Mittelzahlen von
dreimaliger Anlegung des Instrumentes.
25
Tabelle IV.
ErOmmongen. Widerst&nde.
Manomet
in
FrLa
(1»J.)
Frl. 8t.
(19 J.)
g
Fräulein G.
Fräulein St
S
1
Ccntimet.
R.A.ILA.
Zwani
R.A.ILA.
sigstel
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K.A.
L.A.
K.A.
L,A.
1
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12
9
7
7
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20 »T.
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18]^ "T.
1
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12
14
29
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82
20\
7
— 16
—
14
15
30
31
33
32
31i
8
— 16
14
—
15
31
31
35
33
824
9
— 16
—
—
16
—
—
84
(34)
10
17 17
— .
—
17
32
82
—
34
82Si
11
— —
—
—
—
—
—
—
84
84
12
— ...
..
_
—
—
85
35
15
22 !18
—
—
20
40
40
—
36
m
20
— 24
20
20
m
—
44
39
39
m
2d
i ""
1
—
~"~
""
""*
""•
—
41
41
Diese Tabelle hat für uns viel mehr Bedeutung, in-
dem die Werthe unmittelbar mit denjenigen verglichen
werden können, die wir am Lebenden bekommen haben.
Die Auflegung des Instrumentes geschah auf vollständig
gleicher Weise, wie bei den später anzugebenden Unter-
suchungen während des Lebens.
Die Krümmungen wurden jedes Mal abgezogen und
sind hier nur pro memoria angegeben.
Wir ersehen aus dieser Tabelle, dass der normale
Druck, der, wie wir später sehen werden, ungefähr 27 ^ T.
entspricht, einer manometrischen Höhe von 4 Cent oder
genauer 37 Millim. Quecksilber correspondirt. Bei Phthisis
*) Kach Ansflius Ton 8 Tropfen humor aqnaeai.
26
Bnlbi, wo wir (vide supra) eine Herabsetzung des Drucks
bis 12^ T. gefunden haben, muss eine wirkliche Erwei-
chung oder Atrophie statt gefunden haben, denn der
blosse Widerstand des normalen todten Auges giebt
schon im Durchschnitt 1874^ T. an. Das dieses wirk-
lich der Fall ist, wird auch aus den Krümmungsangaben
(vide folgende Tabelle) erleuchten, die bei phthisischen
Augen bis auf V20 fallen. Dagegen entspricht die höchste
tonometrische Angabe von 42 ^T. einem Quecksilber-Druck
von mehr als 25 Gent
Auffallend ist es (man vergleiche z. B. das 4. Auge
in Tabelle IV), wie mit regelmässiger Zunahme des mano-
metrischen Druckes die tonometrischen Angaben unregel-
mässig steigen. Für 2 Gentimeter des Manometers
zwischen 1 und 3 bekommen wir ein tonometrisches
Steigen von 5« T. {20—25^ T.). Ebenfalls zwischen
Man. 3—5 (25^— 30®T.); um aber ein weiteres tono-
metrisches Steigen von b^ T. zu bekommen, sind jetzt
nicht 2, sondern 7 Centim. Quecksilber nothwendig,
(30—350 T. = 5-12 M.); für 5 weitere T.-Grade muss
man bis 22 M. C. steigen, d. h. um 10 Gentim. Mit
einem Worte, die Angaben des Tonometers sind nicht
dem manometrischen Drucke proportionell, sondern stei-
gen viel langsamer, als der letztere und verhältnissmässig
viel stärker bei niederem als bei höherem Quecksilber-
stande. Es dürfen daher die geringeren Unterschiede bei
erhöhtem Druck nicht befremden.
Nach diesen nothweudigen Vorbemerkungen kommen
wir nun zur eigentlichen Untersuchung von lebenden
Menschenaugen. Wir haben aus unseren Notizen circa
100 Fälle ausgesucht, bei deren Wahl wir keinen anderen
Gedanken gehabt haben, als möglichst verschiedene Zu-
stände in unserer Liste aufzunehmen. Die Classification
ist durch die Druckverhältnisse gegeben; das weichste
Auge ist das erste, das härteste das letzte. Die erste
27
Zahl vor dem Namen 1, 2, 3 etc. ist die laufende Num-
mer dieser Tabelle, die zweite Zahl dagegen die laufende
Nummer meines Journals, die für den Leser keinen Werth
hat, die ich aber für mich, der leichteren Orientirung
wegen, beibehalten möchte.
Tabelle V.
Untersuchungen von ca. 100 Menschenaugen
(mit dem letzten Tonometer, wo k = 2gr. == Vio Mm.)
Normaler Druck von 25— 29^ T. i. e. 25— 29 grm.
Mittelzahl aller Messungen f&r normalen Druck = 27<^ T.
Grösste Schwankungen zwischen dem weichsten und dem
härtesten Auge = 12<> T. bis 42<> T.
Ho. JOWBftl
T. •
1 i4756
2 5097
5160
5097
5147
5157
Frau F . . . R. A. Phlebitis Venae
ophthalmicae post Puerperium. —
Eiteransammluug unter der abge-
lösten, abernichtilottirenden Netz-
baut Phtbisis Bolbi incipieus.
(L.A. normal ^U. 28« T.)
Frftnl. S R. A. Pbthisis Bulbi
nach Iridocyclitis und zwei aus-
wärts versuchten Iridectomien.
Herr C R. A. lutraoculare Blu-
tung traumat Ursprungs, mit ver-
mnthlicher Netzhaut -Ablösung.
Fränl. S. . . . L. A, Iridochoroiditis
STagenachvoUfahrterlridectomie
(vord.Operat. 8. unten ««»/.o. 2öOT.)
Irönöe M . . . L. A. Ablösung der
Netzbaut mit consecutivem Staare.
8 » 0. Pbthisis Bulbi.
(R.A. Amblyopia ohne ophthal-
moskopischen Befund. 8 ^ ^Uv
"/«)• 28« T.)
Fränl. K . . . R. A. Phtbisis Bulbi
nach Iritis und Staar und früherer
Perforatio Corneae mit vorderer
Synechie.
(L. A.' (nach einer wegen Irido-
keratitis vollfabrten Iridectomie)
"/«>, 26« T.)
V«
V.
18/
/to
12
14
17
20
20
"/•
28
8
9
5100
5250
10
11
12
13
14
15
Ho-
spi-
tal.
5631
5182
5569
5600
Fräul. G
IriBvorfall.
(L. A. Büschelförm. Keratitis.
^U 30« T.)
Herr J . . . L. A. Iritis cum Syn-
echia post. Leucoma post hypop.
(R.A. normal »»/^. 27« T.)
Herr C . . . L. A. Aphakie, nach
angeborenem, wahrscheinlich
Schichtstaare, der vor mehreren
Jahren discidirt wurde. — Wegen
bleibenden Staarresten wurde eine
Iridectomie gemacht und derNach-
staar mit der Pincette entfernt
8. 1/8^ vor. */i nach der letzten
Operation.
R. A. desselben, ebenfalls früher dis-
cidirt. Die membranösen Staar-
reste wurden (ohne Iridectomie)
mit der Pincette durch eine kleine
Scleralöffnung entfernt. S vor Vio-
nach Vi-
Herr D . . . . R. A. In der ge-
schrumpften Linse steckt noch
ein bei Sprengung von Felsen vor
4 Jahren eingedrungener kleiner
Stein. 8. quantitativ.
(L. A. Cornea leicht getrübt,
enthält einige Pulverkörner. S Vs-
«Vao. 26» T.)
R. A. Phthisis Bulbi
'%
20. 28«T.)
c. Synech.
Frau M
traumatica.
(L.A. M. 1/8^. S.Vi
FrÄU C . . . L. A. Iritis
post
(R. A. normal ^^1^. 28« T.)
Herr J . . . R. A. Traumat. Ablö-
sung der Netzhaut. Panophthal-
mitis.
(L. A. Emmetrop. »V». 28«T.)
Herr C . . . L. A. Amblyopia pota-
tor. post Delirium tremens. An-
schwellung der Papille. Variköse
Venen. Gesichtsfeld frei nach
18/
1«/
»V«
15/
/2<
10/
720
"/«
/2O
22
22
22V2
23
23
237«
23V2
29
Na
JouraaX
23
16
5600
17
5185
18
621Ö
19
4653
ao
5042
21
5584
22
5097
5140
rechts hin,
12'
-10",
sonst beschränkt,
(id. post Atropin. 22Vt°T.)
Derselbe. R. A. Quantitative Seh-
kraft. Aehnlicher Befund.
Herr F R. A. Phthisis Bulbi
nach Verletzung durch ein Stück
Zündhütchen.
Herr B . . . R. A. Phthisis Bulbi.
(L. A. S. unten. Ablösung der
Netzhaut "/,o- 31^ T.}
Frau P. D . . . R. A. Ablös. eines
Drittels der ganzen Netzhaut.
(L. A. M. Vi. Ein kleiner Blut-
ergnss unter der Netzhaut. **f^.
27« T.)
Fräul. 8 . . . R. A. M. V,. Sclero-
Ghoroiditis post., Ablösung der
Netzhaut.
Frau M. G . . . L. A. Episclerltis
und Gyclitis.
(R. A. normal "/ao- 25« T.)
Frflui. 8 . . . L.A. Iiidocyclitis mit
hinteren Synechien. Leucoma in-
fer. post hypopion. Anfangende
Trübung der Linse.
(8 Tage nach Iridectomie ^/^.
2CfiT.)
Herr C . . . R. A. Amblyopla po-
tator. Ohne positiven Augen-
spiegel-Befund. 8. B Vis*
(L. A. Status idem; 8 -= Vs;
"/». 29« T.)
Krtta.
16/
15/
/90
V«.
"/
/»
SO
17/
IM
T.»
23V,
24
24
24
24
24
24
25
25
Die bis jetzt angegebenen Messungen gehören alle
zu solchen Augen, deren Spannung und Härte unter der
Norm steht Die jetzt folgenden schwanken innerhalb
der Grenzen des Normalen.
30
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
5612
5156
5440
5584
5187
5430
5440
5157
5114
5212
5166
Ho-
spi-
tal.
M. Vi«. S Vt.
V. supra. "/»
Herr Gl . . . RA.
(L. A. Cataracta.
290T.)
Herr B . • . R. A. Amblyopia con-
gestiva potatomm. 8 1/2^.
Derselbe. L.A. Stat. id. S. i/2f
Herr P . . . Schichtstaar. (An bei-
den Augen machte ich vor 4 Jahren
eine Iridectomie.) R. A. 8. l/ii^
Fräul. G . . . R. A. normal; E
(L. A. Episcleritis nnd Cyclitis.
"/«,. 24« T^.)
Kind G . . . 13 Jahre. L. A. normal.
Dasselbe. R. A. normal.
Frau Gl. . . . L. A. Iritis mit hin-
teren Synechien (abgelaufen). S
-1/2*.
(R. A. Iritis nnd Glaucoma.
"/,o. 31« T.)
Herr M. P . . . L. A. Iridocboroi-
ditis. Glaskörper-Trttbungen.
Derselbe. R. A. Status idem.
Herr P L. A. Schichtstaar,
nach Iridectomie, S i/s*.
Fräul. K . . . L. A. Iridokeratitis.
nach ausgeführter Iridect S Vjo-
(R.A.Phthi8isBulbi. "/to- 22« T.)
Fräul. H. B . . . R. A. Leucoma
partiale, Cataracta und Synechiae
posteriores, in Folge vor Jahren
abgelaufener skrofulöser Ophthal-
mien. S. quantitativ.
Fräul. de C ... (43 Jahre) R. A.
Asthenopia in Folge von Astig-
matismus hyperop. ■■ */ig. (Di-
vergenz 1« auf 20'.)
Dieselbe. L. A. AsH. ^Z,«.
Herr P . . . (16 Jahre). L. u. R. A.
normal und Emmetrop.
Herr D . . . L. A. Geheilte traumat.
Entzündung. In Linse, Iris und
Cornea stecken noch einige Pul-
verkömer. S Vs-
16/
16/
/so
/«O
n/
17/
/so
18/
/»
15/
16/
IS/
20/
/»
25
25
25
25
25
25
25V«
25Vt
25V«
26
26
26
26
26
31
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
5153
5189
5381
5179
5158
5153
5189
5100
5185
5277
5472
5412
5570
14/
Fmu G . . . L. A. Operirtes Glau-
com (1 Jahr nach d. ausgeführten
Iridectomie). 8 Vs«
(R. A. Status idem. S. quantit
_ 27^ T.)
Frftnl. P . . . L. A. normal
Herr P . . . L. A. Amblyop. 8 1/2^.
Trotz dem geringen, fast norma-
len Drucke wurde hier ein begin-
nendes Glaucom vermuthet, weil
das andere zuerst erkrankte Auge,
mit 8 Vei ^^^ wahrnehmbar be-
ffinnender Ezcavation des Opticus
31 0 T. angiebt (s. unten).
Frau G . . . L. A. Reifer grauer
Kemstaar.
Dieselbe. R. A. Bannender Staar.
M. Vio. S l/2t.
Hr. H . . . R. A. normal.
(L. A. Leichte Keratitis. »V,©.
28V,^ T.)
Frau G . . . K A. Operirtes Glau-
com (1 Jahr nach der Operation)
8. quantitativ.
(L.A. s. oben. 8 Vs- *•/«>. Se^T.)
Frftul. P . . . R. A. Hemiopia infe-
rior, ohne Netzhaut -Ablösung,
Atrophia alba optici incipiens.
(L.A. normal "/«^ 26^ T.)
Herr J . . . R. A. normal.
(L. A. Iritis cum Synech. poster.
"/«. 22« T.)
Herr F . . . L. A. Mjople Vg.
(R. A. PhthisisBulbi */^ 24« T.)
Frau P . . . R. A. M. V*. Sclero-
choroiditis posterior.
(L.A. 8Ut id.. «/to. 27V/ T.)
Herr Sh . . . L. A. norm. u. Emmet.
(R.A. Cattraumat "/«>. 31« T.)
Frau Gr. . . . L. A.} Keratoconns
incipiens. 8 » Vt*
(R.A. Entwickelter Keratocom.
S-Vi^"/«. 29V,« TO
Herr P ... (72 Jahre). R. A. und
L. A. Cataracta corticalis incip.
(R. A. Krflmmung llVt/wn)'
"/«.
•v«.
19
"/
/t(
18/
/to
"/«
26
26
26V,
26V.
26V,
26V,
27
27
27
27
27
27
27
27
32
55
5599
«
)i
56
5098
57
5099
»»
t»
58
5101
59
60
61
5114
4825
4653
5695
b)
63
64
5186
5276
Eiud Marie Jacq. . . R. A. normal.
Dieselbe. L. A. Staphyloma Com.
opacum.
Herr M . . . L.A. Myopie V24. Con-
junctivitis.
(R. A. Stat. id. «/20. 28« T.)
Fräul. B . . . L.A. Myop. V5 com-
binirt mit Asm. ^/ig.
Dieselbe. R A. Myopia 1/7^ com-
binirt mit Asm. Vis-
Fran J. ß . . . L. A. Gat. nnclear.
incipiens.
(R. A. Gatar. nnclear. matnra.
«»/-o. 28« T.)
Frflnl. ß . . . L. A. Alte abgelanf.
Iridocyclitis m. Keratitis. S. qnant.
Frau 0 . . . L. u. R.A. normal.
Frau P. D . . . L. A. M. Vi- Kleines
Blutextravasat unter der Netzhaut
ohne Ablösung,
(R. A. siehe oben Nr. 19. Ab-
lösung der Netzhaut «/ao- 240T.)
Frau F Alte Neuroretinitis.
Keine glaucomatöse Excavation.
Trotzdem wurde vor 3 Jahren,
wahrscheinlich ' wegen erhöhten
Druckes, in Paris eine Iridecto-
mie ausgeführt. S « V4-
(R. A. Neuroretinitis chronica.
Papille schmutzig- graugelb mit
etwas verwischten Rändern. —
Schlängelung der Venen. Arterien
normal. S Quantität, "/ao- 31« T.)
Herr Pf . . . (65 Jahre). R. A. Am-
blyopie ohne wahrnehmbare Ver-
änderung im Au^e. 8 «=» Vs- —
Wahrscheinlich blosse Zunahme
des Druckes, weil das schwerer er-
krankte linke Auge, mit 8 « */»•
Kr. "/20 tt- 30° T. angiebt. Oph-
thalmoskopischo Untersuchung d.
L. A. ebenfalls negativ.
Frau J . . . R. A. Cataracta nnclear.
senilis, fast reif.
Dieselbe. L. A. Aphakie (wahr-
scheinlich durch Reclinit. operirt.)
18/
/so
/to
10/
/20
15/
16/
27
27
27
27
27
27
27
27
27
IS/
18/
/ao
27
27V.
*V«
27V,
27V.
33
65
66
67
67a
68
70
71
72
78
74
75
76
77
5118
5150
4775
c)
5097
c)
5605
5671
5182
5631
5278
51UB
5088
5101
4756
Fränl. K . . . (19 Jahre). Atrophia
alba nach Hydrocephalos im 5*^
Lebensjahre. Sehkraft qnantitat.
(R. A.
Pran D . .
normal.
Fränl. L .
Herr B
Stat idem.
. (25Jahre).
/ao« *
R. n.
3«T.)
L.A.
, L. u. R.A. Myop. Vie-
L. A. Iritis chron. mit
gänzlicher Obliteration d. Pupille.
(R. A. normal 19»/,/«,. 28^T.)
E. W . . . (14 Jahre). L. A. Phlyc-
tennläre Keratitis.
Kind Ch . . . (10 Jahre). Amblyopia
aus Hypermetropie. 1/4^ beider
Augen. L. A.
(R. A. »V». 28« T.) — Die bei
Hypermetropie auffallend grosse
Krümmung rtthrtwohl nur von der
Kleinheit des ganzen Bulbus her,
was bei diesem Alter nicht auf-
fallend ist.
Herr P . . . (19 Jahre). L.A. M. V,o.
(R.A. M. Vi.. «^/«,. 29« T.)
Frau G . . . R. A. normal.
(L. A. Iritir chronica mit hinteren
Synechien. »Vqo. 24« T.)
Frau M . . . L. A. M. l/si- 8— Vi-
(R. A. Phthisis Bulbi traumatica
to/,0. 23« T.)
Frau A... R.A. Physiologische (?)
Excavation des Opticus. S Vi*
Dieselbe. L. A. Pathologische (?)
Excavation des Opticus. S i/^\.
Fräul. K . . . R. A. Atrophia alba
N. optici aus .centraler Ursache.
S. seit 14 Jahren Quantitativ.
Fräul. W ... L.A. Operirtes Glau-
com. Sehr kleines centrales Ge-
sichtsfeld. S Vioo-
(R. A. Status idem. Sekkraft
etwas schwächer. *»/». 30« T.)
Frau J. B . . . R. A. Cataracta nu-
clearis matura.
Frau F . . . L. A. normal.
(R. A. s. oben Nr. 1. V 12 «T.)
11/
18/
/so
18/
/»
SO
1«
Vio
19/
/so
17/
/so
SO/
/sc
SO/
/so
«7V,
27V.
27«/,
27V,
27!ä
27«/,
28*;
28;,-
28
28
28 'i
28 !
AreUr Ar Ophautlm.lo«l.. XIT, 1.
34
No.
Joanutl
Kiflm-
mimg.
T.»
78
79
80
81
83
84
85
5658
5158
5140
b)
5160
5612
5097
5671
5658
5674
d)
/ao«
Herr H
(RA,
Herr C
torum.
Herr R . . . L. A. Amblyopia pota-
torum. Neuritis optica. S » Vm-
(R.A. Statns nnd visus idem.
^90 T.)
. . L. A. Keratitis laevis.
normal "/^. 26V,** T.)
. . L. A. Amblyopia pota-
S - Ve.
(R. A. Status idem. S — Vu-
Herr 0 . . . L. A. normal.
(R. A. Tranmatische hämorrbae.
Ablösung der Netzbaut (?) s. ob.
V^ 170 T.)
Herr A . . . L.A. Cataracta Cortice.
nuclearis spontan. Leicbte Iritis.
(R.A. Myop.Vi6- S-Vi. "/«.
25« T.)
E. W . . . R. A. normal.
(L. A. Keratitis fascicular. ^Vso*
27V2** T. nach Atropin-Einträufe-
lung.)
Herr P . . . R. A. Myopia Vis-
(L.A. M. Vao. "/«,. 27Va^T.)
Herr R . . . R. A. Amblyop. potat
mit Neuritis. S ^/^
Herr G . . . L. A. Iridokeratitis u.
traumat. Staar durch Pulver- Ver-
letzung beim Sprengen eines Fel-
sens. Abgelaufener Process. S.
quantitativ.
19/
/so
'%
"/«
/«
16/
/ao
16/
im
«0/
/»
20/
/k
•V«
88V.
29
29
29
29
29
29
unter den von No. 24 bis 86. angeführten Beobach-
tungen befinden sich vergleichungshalber auch 15 von
ganz normalen nnd emmetropischen Aogen. — Die jetzt
f>lgenden sind alle von solchen Augen, die hftrter sind
als alle bis jetzt gemessenen normalen.
35
So.
Joaraml
Krttflii'*
T.«
87
88
89
90
91
5674
5413
5295
5186
5088
92
93
94
95
96
97
98
5093
b)
5695
5704
5430
Herr G . . . R. A. der Nr. 86. Ke-
ratitis. Einige PnlverkOmer in
der Linse. Keine Iritis. S Vie-
Frau 6 . . . . R. A. Keratocomns.
A.
(L. A. Keratocomns incipiens.
8 V«. "/«o. 27<> T. siehe No. 53.)
Herr B . . . R. A. Glaucoma inci-
piens (seit 6 Wochen).
Herr Pf . . . L. A. Amblyopia ohne
nachweisbare ophthalmosKopische
Verflndemng. S — V9.
(Siehe No. 63.)
FrÄul. W . . . R. A. Operirtes Qlati-
com. 8 Vioo* Sehr enges« cen-
trales Gesichtsfeld.
(L. A. s. oben No. 75.) Trotz-
dem die Bestimmung der Seh-
schärfe Vioo ^ beide Angen er-
giebt, so giebt docfi die fi[ranke
selbst an, mit dem rechten Auge
weniger zu. sehen. Daft Gesiehts-
• feld ist auch um etwas enger.
Frftul. G . . . L. A. Keratitis scro-
fulosa.
(R. A. Keratitis mit Hemia Iri-
dis. «>/^ 22« T.)
Herr H . . . R. A. M. Vi- Sehr lan-
ger und grosser Bulbus. Myode-
sopsie. Staphyloma postic. mit
leichter Sclerochoroidnis poster.
Derselbe. L. A. Status idem.
Frau F... (80 Jahre). L. A. Apha-
kie nach Recllnation. 8 Vy
Dieselbe. R. A. Aphakie nach Bx^
traction. 8 Vi-
Frau G . . . tl. A. Iritis mit c^lau-
comatdsen Druck- und anderen
Symptomen } Excavation, etc. S.
quantitativ.
(L. A. Iritis mit hinteren Syne-
chien, "/lo. 25Va** T.)
Herr B . . . L. A. Oiaucoma incip.
S « Va- (Gkmcoma slmplex.)
19
so/
29V,
29V,
30
30
30
30
•V«
30
30
30
30
31
31
36
"/«». 26Va^ TT
L. A. Ablösung d. Netz-
99 5295 Herr P R. A. Qlaucomatöse
Sehnerven-Excavation. S */«.
(L. A. weniger vorgeschritten.
Sl/2i. -
100 6215 Herr B .
haat.
Wegen der Härte des Bulbus
wurde die Gegenwart einer intra-
oculären Geschwulst angenommen.
Da der Patient vollkommen blind
war (das R. A. war phthisisch,
s. oben No.18 «.'/ao- 26 » T.), so
wollte er keine Operation zulas-
sen. Er stellte sich im Sept. 1867
vor; seitdem hörte ich nichts mehr
von ihm.
101 5695 Frau F R. A. Neuroretinitis.
S. quantitativ. Siehe oben No. 62.
(L. A. vide supra. ^Vao. 27^ T.)
102 5735 I Frau G . . . L. A. Glaucoma inci-
piens. S =« V2-
(R.A. Glauc. absol. 'Vm- 37oT.)
103 5728 Frau A . . . R. A. Sehr entwickeltes
Glauc. chron. Patientin hat jedoch
noch etwas qualitative Sehkraft,
sieht die Hand, zählt aber keine
Finger.
(L. A. Glaucoma completum.
Quantität. Sehkraft. ^/^. 34« T.)
104 5085 Fräul. J . . . R. A. Hydrophthalm.
und Staphyloma Sclerae racemos.
S = 0.
(L.A. Iritis u. occlusio pupillae.
Tonometrische Notiz verloren ge-
gangen.)
105 5728 Frau A . . . L. A. Glauc. absolut.
Quantitative Sehkraft.
(R. A. siehe oben No. 103.)
106 5232 Herr St . . . R. A. Glaucoma mit
entzündl. Erscheinungen. S. quant.
107 5735 Frau G . . . R. A. Glaucoma abso-
lutum. S « 0.
(L. A. siehe No. 102.)
108 5200 Frau B . . . L. A. Glaucoma absol.
S » 0. Die Exstirpation des Bul-
la/
17/
31
31
31
15/
1«/
12/
/2(
15/
/2(
32
33
34
34
37
37
No.
Jonnuil
Krflm-
T-«
109
110*
6097
»1
bus wurde auf Verlangen der Pa-
tientin wegen der Schmerzen vor-
genommen.
Frau G . . . L. A. Glaucoma absol.
oculorum amborum. S = o.
Dieselbe. R A. StatuB idem.
39
40
42
Fragen wir uns jetzt, welche Krankheiten der einen,
welche der anderen der von uns aufgestellten drei Ka-
tegorien (herabgesetzter, normaler, erhöhter Druck) ent-
sprechen, so kommen wir zu manchem Resultate, das
vorhergesehen werden konnte; einige Specialfalle ver-
dienen dagegen eine genauere Besprechung und exacterc
Würdigung.
In der ersten Kategorie sehen wir natürlicherweise
alle phthisischen Processe, sei es nach Eiterung im
Innern des Bulbus, nach Iritis, C}xlitis oder Iridocho-
roiditis, sei es nach Ablösung der Netzhaut. Als einzige
Ausnahme ist No. 100 hervorzuheben, die trotz der siche-
ren diagnostischen Merkmale einer Netzhaut-Ablösung
dennoch eine Härte von 31 ® T. zeigte. Wir glaubten
daher, auf Grund früherer und auch v. Graefe' scher
♦) Wenn wir 110 und nicht genau 100 Kammern genommen ha.
ben, so geschah dies , weil ungefähr 10 Augen vollkommen normal und
emmetropisch sind und wir 100 pathologische Fälle, unter welchen
z.B. eine Myopie auch inbegriffen ist, haben woUten.
38
Beobachtungen, auf die Gegenwart einer intraoculären
Geschwulst schliessen zu dürfen. Patient nahm die vor"
geschlagene Exstirpatio Bulbi bis jetzt noch nicht an.
Keratitis, Iritis, Iridochoroiditis finden wir
in den drei Kategorien. Dies ist auch leicht erklärlich
Der Grad der Spannung hängt von dem Grade der Ent-
zündung und ebenfalls davon ab, ob sie mehr acut oder
mehr chronisch auftritt — Während wir z. B. bei No. 92
eine Härte von 30 ^T. bei acuter Keratitis antreffen, sehen
wir bei No. 79 eine Erhöhung von nur 2« T. (287«^ T.)
mit dem gesunden Auge verglichen, und kommt es zvJ^
Perforation der Hornhaut und Irisvorfall, so sinkt der
Druck bis auf 22 T. (No. 7).
Aehnliches treffen wir bei Iritis. Iridochoroiditis und
Cyclitis an. Acute Formen dieser Krankheiten sind im-
mer mit Vermehrung des Druckes verbunden; dagegen
bei veralteten Synechien, altem plastischen Exsudates
in solchen Fällen, wo die Iris mürbe und leicht zerreiss-
lich ist, da nimmt auch der Druck ab, und wir wären
nicht entfernt anzunehmen, dass in allen Fällen von Iri-
tis, Choroiditis und Cyclitis, wo der Druck geringer als
der normale ist, diese phthisischen Processe schon ein-
geleitet sind, die, wenn sie nicht zur Zeit eingehalten
werden können, Atrophie einzelner Gewebe und früher
oder später Pbthisis Bulbi nach sich ziehen.
Eine genauere Besprechung scheint uns der subNo.21
bezeichnete Fall von Episcleritis und Cyclitis zu ver-
dienen. — Wenn wir Episcleritis und Cyclitis und nicht
bloss Episcleritis sagten, so will das darauf hindeuten,
dass wir es nicht mit dieser breiten, flachen Phlyctän
ähnlichen Entzündung, der allein Wecker den Namen
der Episcleritis zuerkennen will , sondern mit einer wirk-
lichen Scierocyclitis (der Sclerochoroiditis anterior, vide
Wecker) zu thun hatten. In diesem Falle finden wir
39
eine Herabsetzang des Druckes (allerdings nur um l^T.)
mit dem anderen Auge vei^lichen. Dieses Resultat fiel
uns auf und es wurden die Messungen 6 Mal vorgenom-
men; immer fand sich auf diesem Auge der Druck ge-
ringer als auf dem anderen. Die Krankheit hatte drei
Monate gedauert; die Sclera war etwas verdünnt, bläulich
geftrbt, aber noch nicht staphylomatös entartet. Es war
aber dies einer dieser Fälle, in welchen im weiteren Ver-
laufe Staphyloma racemosum und Hydrophthalmus sich
entwickeln und wo dann allerdings der intraoculare Druck
bedeutend zunimmt. Wir glauben daher, auf diese ge-
naue Untersuchung gestützt, der Ansicht Weck er 's ent-
gegentreten zu müssen, der alle diese Krankheitsprocesse
unter dem Namen ,,A£fections hydrophthalmiques'' mit dem
Glaucome („la plus importante des maladies hydrophthal-
miques'\ Wecker Etudes ophthalmologiques I, p. 258)
in einer und derselben Kategorie aufnehmen will. Hier
bei Episcleritis oder, wie man die Krankheit besser be-
zeichnen könnte, bei Sclerocyclitis beginnt die Affection
mit Herabsetzung des Druckes, wahrscheinlich mit atro-
phischer Choroiditis und Gyclitis, ähnlich wie bei der
Sclerochoroiditis posterior, und erst in der späteren Pe-
riode nimmt der Druck zu, der aber, umgekehrt wie
beim Glaucom, die Netzhaut resp. das Sehen weniger
beeinflusst. Wir sehen z. B. in No. 93 zwei exquisit
myopische Augen mit leichter Sclerochoroiditis posterior,
wo trotzdem der innere Druck schon 30^ T. beträgt, die
Sehschärfe normal ist, d. h. S = Vi. — Dass aber mit
der weiteren Entwickelung des Uebels der Druck zuneh-
men kann, sehen wir aus No. 104 (Hydrophthalmus
= 33» T.). Es verhält sich aber hier die Druckzunahme
wie beim allgemeinen Hydrops. Die Grundkrankheit,
Herz-, Nierenleiden etc., hat schon lange bestanden, ehe
es zur Wassersucht kommt, die in peripherischen Theilen
40
(Bi88knö€helD etc.) auftritt und erst allmählig höher und
bisher steigt, und wenn mit zunehmender Wassermenge
diaiBauchdecke sich auch so spannen kann, dass die
Piuiction nothwendig wird, so wird doch Niemand in dieser
Spannung den Hauptcharakter, das Wesen der Krankheit
erkennen. Daher können wir Wecker nicht zustimmen,
wenn er hier die Iridectomie empfiehlt und die guten
Erfolge dieser Operation rühmt Wir würden uns nur
dazu wie zu einer Function bei Ascitis entschliessen, das
heisst als Palliativ gegen das Symptom „Druck" und auch
von der Operation nichts anders als palliative Hülfe er-
warten; wir müssen daher die Operation so lange ab-
rathen, als noch für eine qualitative Erhaltung des Seh-
vermögens zu hoffen ist, und dieses um so mehr beto-
nen, als jeder erfahrene Augenarzt in solchen Fällen die
Gefahr einer Netzhautablösung erkennt, welche der blosse
operative Eingriff der Iridectomie hervorzurufen im
Stande ist.
Die hydrophthalmischen Erankheitsformen tragen mit
Recht ihren Namen und beruhen auf Stockungen im ve-
nösen Kreislauf, die dann an einem der betroffenen Theile
Atrophie derselben und Hydrops zur Folge haben. Ganz
anders verhält es sich beim Glaucom, der zu den activen
Congestionen zu rechnen ist. Dafür spricht das Auf-
treten der Drucksymptome mit dem Beginn der Krank-
heit, die grössere Yascularisation, die Ausdehnung der
vorderen Ciliararterien und, trotz des starken intraocu-
laren Druckes, der stärkere Kreislauf der Netzhaut-
gefässe.
Den Keratoconus würden wir viel eher mit dem
Glaucom in der gleichen Kategorie aufnehmen. Welche
Verhältnisse es mit sich bringen, dass die Hornhaut dem
Drucke nachgiebt und so der Opticus länger verschont
bleibt, das können wir allerdings nicht bestimmen; aus
41
mehreren Fällen können wir aber schliessen, dass die
Conicität der Hornhaut unter dem erhöhten Drucke einer
activen Congestion zunimmt (siehe z. B. No. 53 \l 88). —
Die Patientin, von welcher diese Angaben herrühren,
wohnt in Vevey und ich hatte Gelegenheit, sie öfters zu
untersuchen. Die Abnahme der Sehscharfe des R. A. be-
ruht nicht etwa auf Druckexcavation des Opticus, son-
dern einzig und allein auf die bedeutendere Conicität
dieses Auges und den davon herrOhrenden stärkeren un-
regelmässigen Astigmatismus.
Was den St aar anbetrifft, so habe ich viele Mes-
sungen voi^enommen und nur einige angeführt, weil ich
keinen Zusammenhang zwischen Staar und Druckverhält-
niss finden konnte; alle Formen des Staares, Kernstaar,
Corticalstaare, selbst Schichtstaare kamen bei Augen mit
£Eist oder gänzlich normalem Drucke vor; eine Ausnahme
machten nur die nach Netzhautablösung entstandenen
Staare, welche alle in weichen Augen vorkamen und
andererseits diejenigen nach Glaucom, wo der Bulbus
stets härter war. Solche Fälle wurden dann auch nicht
als Staare aufgezeichnet, sondern unter den ursächlichen
Krankheiten rubricirt.
Auffallend schien mir dagegen im Anfange meiner
Untersuchungen die Thatsache, dass bei Aphakie, sei
es nach Reclination oder nach Extraction, der Druck
in den meisten Fällen ein normaler (z. B. No. 64b.), ja,
selbst zuweilen erhöht war, wie bei No. 9ö u. 96. Solche
Fälle sind jetzt auch anderwärts beobachtet worden und
ich halte es daher für überflüssig, nach der Arbeit von
Heymann (lieber Glaucom in aphakischen Augen, Ze-
he nd er 's Monatsblätter 1867, p. 147) länger auf diesem
Punkt zu verweilen. — Auffallend dagegen bleiben mir
noch immer die Beobachtungen No. 9 und 10, wo trotz
einem so geringen Drucke (22 ^ T.) die Sehschärfe voll-
42
ständig normal (S = Vi) ist und dem jungen Manne er-
laubt, seinen Beruf als Hauslehrer fortzusetzen. —
Doch kommen wir jetzt zu den Fällen der dritten
Kategorie. Hier sind wir im Stande, die Angaben des
Instrumentes practisch zu verwerthen. Hier werden wir
durch die Druckzahlen den Beginn einer Krankheit, des
Glaucoms, erkennen, deren frühe Erkenntniss für den
späteren Erfolg einer ausgeführten Operation so wichtig
ist Aus den Zahlen können wir auch für die Prognose
wichtige Schlüsse ziehen. Aus ihnen ist ebenfalls die
Druck vermindernde Wirkung der Iridectomie handgreif-
lich illustrirt. — Die tonometrischen Werthe far Glaucom
variiren zwischen 30» T. (No. 89) bis 42<> T. (No. 110),
während alle Fälle von operirten Glaucomen bedeutend
kleinere Zahlen angeben; 26« T. No. 41, 27« T. No. 47,
28« T. No. 75 und 30» T. No. 91. Die Iridectomie wurde
durchschnittlich von einer bleibenden Abnahme des
Druckes von 5« T. gefolgt. Das Gleiche wurde auch nach
Iridectomien in anderen Krankheiten (8 Tage nach der
Operation) notirt.
Es mag Manchem auffallend sein, dass die Druck-
zunahme von dem anfangenden Glaucome, 30« T. No. 89.
bis zum härtesten aller gemessenen Augen, 42« T. No. 110,
für welches die gebräuchliche Bezeichnung „steinhart''
in keiner Weise übertrieben ist, nur 12 Tonometergrade
beträgt Vergleicht man dagegen diese Zahlen mit den-
jenigen der Tabelle IV, pag. 25, so wird man daraus er-
sehen, dass der manometrische Unterschied ein sehr be-
deutender ist. Während nach unseren Messungen der
normale Druck zwischen 4 und 5 Quecksilber-Centimetem
(Q.Ct) variirt, so entspricht schon 30« T. 6 Q.Ct.; 31« T.
sind = 6Vj Q.Ct.; 32« T. (No. 102 mit Sehschärfe = V2)
= 71/2 Q. Ct.; 34« T. = 11 Q. Ct.; 37« T. = ungefähr
14Q.Ct.; 39« T. = 18Q.Ct.; 40« T. = 19 und endlich
42« T. = mehr als 25 Quecksilber-Centimeter, das heisst
43
ist gleich einem Drucke, der den normalen um mehr
als das Fünffache übersteigt
Diesen Angaben hätte ich noch mehrere andere hin-
zufügen, die aus der Anwendung des Tonometers gewon-
nenen Resultate näher auseinandersetzen und schärfer
betonen können; den längeren Betrachtungen ziehe ich
aber die Sprache der Zahlen vor, und so mag das hier
Aufgezeichnete genügen, um die Druckverhältnisse beim
Glaucom zu charakterisiren.
Ein einziger Fall sei aber noch hier besonders er-
wähnt, es ist der von No. 62 und No, 101, wo ohne ir-
gend welche Symptome von Glaucom der Druck so ge-
steigert wurde, dass in Paris eine Iridectomie ausgeführt
wurde und die Sehschärfe in dem operirten Auge auf
V4 erhalten wurde, während auf dem zweiten nicht ope-
rirten Auge nur noch quantitative Lichtempfindung bleibt
Sollte dieser Fall zu den glaucomatösen Krankheiten mit-
gerechnet werden? Allerdings, wenn die Drucksymptome
allein maassgebend wären. Die ophthalmoskopische Unter-
suchung ergab aber nur das Bild einer Neuroretinitis und
Neuritis, d.h. keine Druckexcavation, Papille schmutzig
graugelb mit verwischten Rändern, geschlängelte Venen,
Arterien noch normal. Dabei Druck = 3VT. = 67, Q. Ct
Keine hydrophthalmische Symptome, nichts Abnormes an
der Form des Bulbus. — Ich weiss nicht, dass bis jetzt
Iridectomie bei Neuroretinitis versucht worden wäre und
möchte es auch durchaus nicht für andere Fälle empfehlen.
Wäre aber die Sehkraft besser als quantitativ gewesen,
so hätte mich trotzdem die tonometrische Untersuchung
dazu bewogen, wahrscheinlich zum grossen Vortheile der
Patientin, eine Iridectomie in diesem Falle auszufahren.
44
Aus all' dem Vorhergehenden ersieht man, dass das
Tonometer im Stande ist, sehr brauchbare und wichtige
Resultate zu geben. Handelt es sich nur darum, für
einen und denselben Operateur vergleichbare Werthe zu
bekommen, so entspricht das Instrument allen Anforde-
rungen, selbst wenn man den einfachen Handdruck be-
nutzt, der ziemlich leicht approximativ zu schätzen ist
und der nur wenig von einer gewissen Norm abweichen
kann. (Ich, z. B. schätze auf ungefähr 100 Grammen den
Druck, den ich gewöhnlich anwende.) — Dass selbst auch
die Resultate anderer Operateure mit den meinigen oder
unter sich vergleichbar sind, dafür spricht schon der
Umstand, dass Weber (Archiv für Ophthalmol. XIII, 1,
pag. 209) als normale Spannung der Sclera 26— 27öT.
angiebt, was mit meinen oben angeführten Angaben voll-
ständig stimmt, ein Werth, der auch für mich einem
Quecksilberdrucke von 30—46 Millim. (ungefähr 37)
entspricht. — Will man jedoch genauere Resultate be-
kommen, so muss man, was ich auch künftighin in allen
wichtigen Fällen thun werde, bloss das, 72 Grammen wie-
gende, Instrument durch seine eigene Schwere wirken
lassen. Der Patient muss aber dafür ruhig liegen und
die Krümmung muss selbstverständlich vorher bei sitzen-
der Stellung des Patienten und horizontaler Haltung des
Instrumentes untersucht werden, weil sonst der Stift
durch sein eigenes Gewicht (=5 Grammen) eine merk-
bare Depression in der Sclera ausüben wüi:de und so
zu fehlerhaften Angaben führen würde. — Ich werde
später 100 neue auf diese Art angestellte Messungen
veröffentlichen, wo dann die Tonometerzahlen sämmtlich
45
kleiner ausfallen werden, was bei dem geringeren
Drucke (72 Gramme statt 100) nicht befremden wird.
Natürlicherweise mnss aber dazu eine neue manome-
trische Yergleichungstabelle gegeben werden. Ich ver-
schiebe bis auf diese zweite Arbeit genaue Angaben
über verschiedene physiologische Versuche, die hier nur
pro memoria erwähnt werden, wie auch über den Efifect
der Atropin-Einträufelung und der Iridectomie. Ich
kann hier nur beiläufig mittheilen, dass nach vielen
Versuchen die Einwirkung' des Atropins eine stete Her-
absetzung des .Druckes um 1 — 3^T. verursacht. Wie
Weber (1. c. pag.250) 10— 14<> T. finden konnte, ist
mir unbegreiflich und muss auf einem Irrthum beruhen.
Nach Iridectomie fand ich durchschnittlich 8 Tage nach
der Operation eine Druckabnahme um 5^ T.
Ich war weniger zufrieden mit den Versuchen an
Thieren, was vielleicht aus der Schwierigkeit herrührt,
bei den unruhigen Thieren das Instrument gut anzu-
legen. Bei einem Pferde, dem ich die beiden Jugular-
venen unterbunden hatte, bekam ich 257» — 26^ T., vor
der Ligatur 24 — 25*^T.; bei einem zweiten Pferde nach
Durchschneidung des Sympathicus 32 — 35® T., vorher
32*^ T. Diese Zahlen sind aber, trotz wiederholter Ver-
suche nicht genau maassgebend, weil es unmöglich ist,
zumal bei so eingreifenden Verwundungen die Thiere
mhig zu halten.
Noch weniger sicher schienen mir die an Kaninchen
mit Beizung und Durchschneidung des Vagus angestell-
ten Versuche, weshalb ich sie einstweilen lieber über-
gehe. —
Zum Schluss glaube ich hier wiederholen zu dürfen,
was ich im Pariser Congresse ausgesprochen habe. Das
Tonometer in seiner jetzigen Gestaltung ist noch weit
46
davon entfernt, so genaue Angaben geben zu können,
dass man es als ein mathematisches Instrument betrach-
ten könne; dagegen genügt es vollkommen zu seiner
practischen und rein klinischen Bestimmung.
Zur Anatomie des menschlichen Auges.
1. lieber das ligamentom peetinatom Iridis.
Von
Dr. G. Haase in Tönning.
Hienu Abbildungen auf Tafel J.
Um die Iris mit in ihrer Lage zu befestigen, dient ein
zuerst von Hu eck („die Bewegung der Krystalllinse,
Leipzig 1841, pag. 71) mit dem Namen „ligamentum pe-
ctinatam Iridis'' belegter Apparat, welcher am Rande der
Hornhaut, als Fortsetzung der Descemet 'sehen Haut,
über den der vorderen Kammer zugewandten Theil des
musculns ciliaris wegzieht, in den Muskel bindegewebige
Seheiden hineinschickt und sich in das Oewebe der vor-
deren Irisfläche verliert
Das Ligamentum vermittelt so die Verbindung zwi-
schen Descemetis und Iris einerseits und zwischen Ciliar-
nmskel und Iris andererseits. •
Ueber die Beschaffenheit des das Ligamentum con-
stitnirenden Gewebes, sowie über den Zusammenhang
desselben mit der Descemet' sehen Haut gehen, wie
48
uns ciu kurzer Ueberblick über die diesen Gegenstand
betreffende Literatur zeigen wird, die Ansichten der Ana-
tomen noch auseinander, so dass bis jetzt eine Einigung
nicht erzielt werden konnte.
Reichert (Eölliker, Gewebelehre des Menschen,
IV. Auflage, Leipzig, S. 643.), der das Geflecht von
Fasern, in das die Descemet' sehe Haut sich am Bande
der Hornhaut auflöst, zuerst sah, hielt es für Binde-
gewebe. Bowman (Lectures on the parts concerned in
tbe Operations on the eye, and the structure of the re-
tina and vitreous humor. London 1840), der es zuerst
genauer beschrieb, reclmete es theils zum Binde-, theils
zum elastischen Gewebe.
Gerlach (Gewebelehre, Wien 1860, pag. 460) lässt
die Descemet 'sehe Haut vom lig. pect, entstehen und
erklärt das Gewebe für elastisches. Nach He nie (Hand-
buch der systematischen Anatomie des Menschen, Bd. IL
pag. 617 ff.) endet die innere Basalmembran der Horn-
haut zugeschärft an der inneren Fläche des sin. venös.
Iridis, zwischen der elastischen Wand desselben und
einer Lage elastischer Lamellen, welche von der Basal-
membran auf die der vorderen Augenkammer zugekehrten
Fläche des musc. ciliaris übergehen. Die am meisten
nach innen gelegene Lamelle ist nach Heule das ligam.
pectin. und besteht dasselbe aus einem weitläufigen Binde-
gewebsnetz. Das Epithel der Descemetis verliert sich
nach He nie noch diesseits der Anheftung jener Lamellen.
Frey (Handbuch der Histologie und Histochemie des
Menschen, II. Auflage, §. 670 u. §. 674 hält das ligamen-
tum seiner chemischen Reaction nach für elastisches Ge-
webe, während nach Kölliker's Untersuchungen (1. c.
p. 643) das Gewebe, des lig. eine Zwischenform zwischen
elastischem und Bindegewebe ist. Luschka (ebendas.)
rechnet die Fasern des ligam. zu dem von ihm mit dem
Namen der serösen Fasern belegten Gewebe.
49
Den Hauptpunkt, au dem bis jetzt eine Einigung der
Autoren scheiterte, bildete die Frage: Ist das Gewebe
elastischer oder bindegewebiger Natur? W&hrend die
Einen, wie wir sahen, das Gewebe zum Bindegewebe
zählen, rechnen Andere es zum elastischen, und noch
Andere halten es fttr eine Zwischenstufe zwischen beiden.
Ebenso zweifelhaft wie über die Zusammensetzung
des Gewebes war man bis jetzt über den Zusammenhang
des lig. mit der Descemet'schen Haut. Manche Auto-
reo lassen die Descemetis sich gegen den Band der Horn-
haut immer mehr zuschärfen; und sich dann entweder in
Lamellen auflösen oder so enden; nach Anderen beh<
sie bis zum directen Uebergang in das lig. pectinatum
dieselbe Dicke, die sie in der Mitte hat Nach H.
Müller's'*') Untersuchungen besitzt die Descemetis an
der Stelle, wo sie sich in die Lamellen spaltet, die grösste
Dicke.
Ich habe mich vorzugsweise mit der Untersuchung
der hier in Betracht kommenden Verhältnisse mensch-
licher Augen beschäftigt, und erst nachdem ich hier im
Klaren war, einige Thierklassen untersucht
Um sich zu orientiren, sind am besten Augen zur
Untersuchung geeignet, die in MO 11 er 'scher Flüssigkeit
oder einer Lösung von KaU bichromicum erhärtet sind.
Löst man hier die Iris mit einer Pincette aus ihren Ver-
bindungen mit dem processus ciliares und dem ligamen-
tum pectinatum, so kann man das letzere in Gestalt eines
bei Erwachsenen etwa 1 — IVs Mm. breiten Bändchens
Yon der Hornhaut abziehen. Gewöhnlich bleiben einzelne,
hinreichend grosse, abgerissene Fetzen der Descemet'-
schen Haut mit den Balken des ligamentum in Verbin-
*) H. Müller, Untenuchnngen über die Glasbänte des Auges,
insbeeondere die GltBlemeUe der Ohorioideft und ilire senileii Verind«-
nmgeiL ArehiT t Ophthalmologie II. Band 2.
ArafaW fSr Ophtbalnologie, XIY, 1. 4
50
dang, 80 dass man sich, nach gehöriger Präparation,
an Flächenansichten ganz gnt sowohl von dem Zusam-
menhang des lig. mit der Descemet'schen Haut, wie
von dem Verhalten des Epitels an dieser Stelle über-
zeugen kann. Am besten legt man die Präparate, nach-
dem sie gehörig mit Wasser ausgewaschen sind, in eine
Garminlösungf und setzt später, um das Epithel besser
hervortreten zu lassen, Essigsäure hinzu. Man sieht jetzt
ein sehr schönes Netzwerk von Balken, deren Durch-
messer etwa von 0,003—0,018 Mm. wechselt, und die von
sehr scharfen Gontouren begränzt sind. An einigen dieser
Balken lässt sich keine besondere Struktur erkennen,
sondern erscheinen dieselben beim ersten Blick nach Art
der sogenannten Glashäute gebaut, an anderen bemerkt
man aber auch schon ohne Zusatz von Essigsäure viele
Streifen verlaufen, von denen einzelne schärfer und mit
schwärzeren Linien hervortreten, wie andere. An Ver-
bindungsstellen einzelner Bälkchen durchkreuzen sich
diese Streifen häufig. Die Ursache dieser Streifenbildung
ist der faserige Bau des ligamentum. Die einzelnen
Fäserchcn oder Fibrillen scheinen durch eine Art Kitt
zu einer compacten Masse verbunden zu sein. In den
Maschen dieses Netzwerks finden sich häufig Kerne, die
einen Durchmesser von 0,007—0,009 Mm. haben, mit
Protoplasma umgeben, eingebettet, ohne dass man eine
Zellenmembran immer bemerkt. Einzelne dieser Kerne
sitzen den Balken wandständig an, andere sind in die
Substanz der Balken eingebettet als Ueberbleibsel der
bei der Entwicklung des ligamentum thätigen Zellen.
Durch das letztgenannte Merkmal lassen diese Kerne und
Zellen sich vom Epithel unterscheiden, welches nie in
die Substanz eingelagert, sondern nur über sie ausge-
breitet ist.
Das Pflasterepithel der Descemet'schen Haut wird
gegen den Rand der Hornhaut hin kleiner, runder, ohne
51
an einer bestimmten Stelle aufzuhören. Nach Heule
(I. c.) verliert sich, wie schon oben angegeben, das Epithel
der Descemetis noch diesseits der Anheftong jener La-
mellen. Ich habe die Stelle, an der das Iigamentum aus
der Descemetis hervorgeht, stets mit einem normalen
Pflasterepithel bedeckt gefunden (siehe Figur 1). Viel-
leicht kommen hier individuelle Verschieftnheiten vor.
Bei Erwachsenen findet man häufig gegen den Rand der
Hornhaut hin die Descemetis mit Warzen bedeckt, deren
Zahl und öfteres Vorkommen mit zunehmendem Alter
wächst Der Durchmesser dieser Warzen beträgt im
Alter von 20—30 Jahren an der Basis 0,01 Mm., in der
Höhe kaum so viel (Henle), während bei älteren Indi-
viduen der Durchmesser 0,02 Mm. und ihre Höhe 0,01
Mm. stark ist. Die Fasern des Iigamentum heften sich
an die Descemetis, indem sie sich zuweilen dichotomisch
theilen, fächerförmig ausbreiten, so, dass man an Flächen-
ansiehten ihren Uebergang in die Membram ganz unmerk-
lich vor sich gehen sieht (cf. Figur 1). Die Epithelzellen
werden jetzt, je näher man der Iris kömmt, immer kleiner,
unregelmässiger, indem sie den Charakter des Pflaster-
epithels verlieren, und schliesslich auf der Iris nur
reichlich die Grösse der Kerne der Epithelzellen der
De sc emetischen Haut beibehalten. Einzelne Züge des
Epithels kann man bis in das Irisepithel verfolgen, wäh-
rend an anderen Stellen das Balkengerüst des lig. nicht
von Epithel bedeckt zu sein scheint Wenn man nach
dem Verhalten der Thier- Augen (Kaninchen, Katze) einen
Schluss ziehen darf, so spricht die Vermuthung dafür,
dass an Menschen- Augen ein ununterbrochener, continuir-
licher Fortgang des Epithels der Descemet'schen Haut
auf die Iris statthabe, wie es von Valentin und Brücke
angegeben wird. An den Augen obengenannter Thiere,
namentlich an dem weissen Kaninchen, kann man dies
Verhalten des Epithels mit Sicherheit nachweisen, und
4*
52 _
habe ich mich hierzu der von Becklinghausen'schen
Versilberungsmethode bedient, wie sie auch von J. Ar-
nold*) zur Darstellung der Irisepithels angewandt wurde.
Im Ganzen haben die Balken des lig. einen mehr radiären
Verlauf, an der Verbindungsstelle mit der Iris treten quer
verlaufende Fasern hinzu, und bildet sich so ein sehr
eng verflochtenes Maschenwerk. Ganz feine, quer ver-
laufende Fasern trifft man auch an der Uebergangsstelle
des lig. in die Descemet'sche Haut.
Um die chemische Beschaffenheit des Gewebes näher
zu prüfen, muss man möglichst frische Augen unter-
suchen. Zerzupft man das aus einem solchen Auge ge*
wonnene lig. und setzt Essigsäure zu, so ,tritt sehr deut-
lich die schon oben beschriebene Streifung hervor, und
zwar bemerkt man dieselbe sowohl an den Balken stär-
keren, wie dünneren Kalibers. Die Fasern werden blasser
fangen nach längerer Einwirkung an, ihre scharfen Con-
touren zu verlieren und werden an manchen Stellen mit
rauhen Einbuchtungen versehen. An abgerissenen Enden
der Balken sieht man, wie dieselben sich in feine Fi-
brillen spalten. Nach Zusatz von 35 p. c. Kalilauge
treten ebenfalls die oben beschriebenen Erscheinungen,
nur noch schneller wie nach Zusatz von Essigsäure, auf.
In Carminlösung und Gampechenholztinctur wird das
Balkengerüst des lig. gefärbt
Durch diese Reactionen unterscheidet das Gewebe
sich unzweifelhaft von dem elastischen, welches auf diese
chemischen Beagentien nur sehr träge oder gar nicht
antwortet.
Eine weitere Stütze für die bindegewebige Natur
des ligamentum erhält man, wenn man die Augen neu-
geborener Kinder untersucht und den Entwickelungs-
*) lieber die Kenren und das Epithelium der Iris .Ton Dr. J alias
Arnold in Heidelberg. Virohow's ArohiT, Bd. XXYII.
53
yorga^g des lig. etwas genauer verfolgt An Angen nicht
ganz aasgetragener, reichlich 9 Monate alter Kinder findet
man eine bedeutende Anhäufung von Zellen in der Ge-
gend, wo sich später das lig. entwickelt. Während an
einzelnen Fasern die scharfen Gontouren hervortreten und
im Begriff sind, sich aus der streifigen Grundsnbstanz
heraus zu differenziren, kann man andere schon deutlicli
als dem Gewebe des ligam. angehörig erkennen. In den
schon ausgebildeten und mit scharfen Contouren verse-
henen Balken sitzen Zellen, der Längsrichtung der Balken
parallel in die Substanz derselben hier und da einge-
bettet, während die Wände ebenfalls von Zellen ange-
lagert sind. Dieselben sind oval und ebenfalls mit ihrer
Längsaxe parallel der Längsrichtung der Balken gestellt.
An einzelnen Stellen sind die Maschenräume, wahrschein >
lieh durch Spaltungen innerhalb der Grundsubstanz her-
vorgerufen, gebildet und dieselben mit Zellen und einer
feinkörnigen Masse fast ganz ausgefüllt (Fig. 3). Die in
den Maschenräumen und die den Balken anliegenden
Zellen haben einen grösseren Durchmesser als die in
dem Gewebe der Balken eingebetteten; erstere sind
durchschnittlich 0,012 Mm. lang. Vielleicht sind die in
der Substanz eingebetteten Zellen schon in regressiver
Metamorphose begriffen: denn je weiter die Entwickelung
des Balkengerüstes voranschreitet, desto sparsamer werden
die Zellen; bis man schliesslich bei Erwachsenen nur hie
and da, höchst sparsam vertheilt, Kerne eingebettet findet.
Dieser letztere Umstand scheint auch dafür zu sprechen,
dass die Zellen direct das Bildungsmaterial für das lig.
liefern. An der Substanz der Balken lässt sich ohne
Zusatz von Reagentien die fibrilläre Structur erkennen.
Einzelne Partien, die nut den schon vollendeten Balken
in Verbindung standen, zeigten den gewöhnlichen Ent-
wicklnngs Vorgang des Bindegewebes: streifige Grund-
substanz mit reihenweis eingelagerten Zellen (Figur 2).
54
Die Grundsubstanz liess sich von der der Balken nicht
unterscheiden. In der Umgebung dieser noch in der Bil-
dung begriffenen Gewebe und tbeilweise in ihnen selbst
verlaufend, finden sich viele feine GefiLsse vor, die von
äusserst dünnen Wandungen eingeschlossen werden und
das Material f&r den Aufbau des lig. liefern. Später ob-
literiren dieselben, denn beim Erwachsenen findet man
im lig. keine Gefässe mehr. Nach den verschiedenen so
eben beschriebenen Stadien 2u schliessen, scheint die £nt-
Wickelung des lig. nicht gleichen Schritt an allen Theilen
zu halten, einzebie sind in der Entwickelung weiter fort-
geschritten wie andere.
Bei neugeborenen Kindern ist die Bildung des lig.
schon weiter vorgeschritten. Die meisten Netze und
Balken sind vollständig gebildet, nur sind letztere noch
viel schmäler und zarter wie beim Erwachsenen. Wäh-
rend der mittlere Durchmesser bei letzteren etwa 0,009 Mm.
beträgt, erreicht er bei Neugeborenen nur eine Dicke von
0,005 Mm. Die Wandungen des Netzwerks sind noch mit
Zellen besetzt, die Kerne derselben oft ohne Anwendung
von Essigsäure nicht sichtbar; die Maschenräume und
das Balkengerast sind ebenfalls noch ziemlich ^reichlich
mit Zellen versehen. In diesem Stadium ist das Gewebe
viel weniger resistent gegen chemische Reagentien. Nach
dem Zusatz von Essigsäure lösen sich die Zellen schnell
auf; das Gewebe wird bald so blass, dass man kaum die
Contouren mehr erkennen kann. Nach längerer Einwir-
kung von Essigsäure oder Kalilauge lösen sich die Balken
ganz auf.
Kinder, die 10 Wochen alt sind, haben ein vollstän-
dig entwickeltes ligam. Zuweilen sieht man nur an den
Verbindungsstellen zweier Balken die Bildungszellen noch
so gehäuft liegen, dass man nicht erkennen kann, ob die
darunterliegenden Balken schon scharfe Contouren haben
und vollständig entwickelt sind (Figur 4). Man findet
55
auch jetzt noch die Zellen, reihenweis den Balken an-
sitzend and ebenfialls eine Anzahl in ihrem Gewebe ein-
gebettet Kölliker und Frey (1. c.) sprechen Beide die
Vermathung ans, dass sich das ligamentom pectinatum,
analog der Umwandlung von Netzen von Bindegewebs-
körperchen in kernlose Fasemetze bilde. Mit dieser
Vermathung der beiden eben genannten Forscher stimmt
der oben ausführlich beschriebene Entwicklungsvorgang
des ligam. nicht ganz überein.
Während das ligam. also kurze Zeit vor der Geburt
noch in der Entwickelung begrififen ist, hat sich die Des-
cemet'sehe Haut schon längst gebildet Interessant
wäre es, den Entwickelungsvorgang dieser Membran an
jüngeren Embryonen näher zu verfolgen. Vielleicht
würde sich ein ähnlicher Entwickelungsvorgang dort vor-
finden, denn ohne Zweifel ist auch die Descemet'sche
Haut ein Product des Bindegewebes.
Nach den Beactionen zu schliessen, die das lig. pect
auf chemische Reagentien: Essigsäure, Kalilauge, Carmin
und Campechenholz-Tinctur giebt, und gestützt auf die Ent-
wickelung desselben aus Zellen in einer streifigen Grund-
substanz, glaube ich das Gewebe des lig. für eine Art
resistenten Bindegewebes erklären zu müssen. Hiermit
stimmen auch die Resultate überein, die man an vielen
Thieraugen erhält Bei Wiederkäuern und Kaninchen
besteht das lig. aus Bindegewebe, welches viel weniger
resistent ist wie beim Menschen. Bei den Vögeln da-
gegen findet man reine elastische Fasern, welche sich
von der Hornhaut aus auf die Iris fortsetzen und so den
canalis Fontanae theilweise durchsetzen. Dieselben haben
keine Aehnlichkeit mit dem Gewebe, welches man im
lig. pect der Menschen findet
An Flächenansichten sieht man den Uebergang des
lig. in die Descemet'sche Haut so unmerklich vor sich
gehen, dass man glauben könnte, dass ein Theil der mit
56
ihr in Verbindung stehenden Lamellen direct durch eine
Spaltung dieser Membran herrorgegangen sei. Dies
ist nicht der Fall, und kann man sich an gut gelungenen
senkrechten Schnitten davon überzeugen. Zu beiden
Seiten der Descemetis, sowohl der Hornhaut als der vor-
deren Kammer zugewandt, inseriren sich Lamellen an
dieselbe, so dass man die scharfen Begränzungslinien
dieser Membran bis zu ihrem spitz zugeschärften Ende
verfolgen kann. Auf diese Weise liegt die Descemetis
schliesslich zwischen Lamellen, von denen die nach inneu,
der vorderen Kammer zugewandten, das ligamentum pe-
ctinatum Iridis bilden. Trotzdem ist die Verbindung des
lig. mit der Descemetis eine sehr feste. Trennt man letz-
tere, was meist leicht gelingt, von der Hornhaut und
zieht sie in der Richtung des lig. von der letzteren ab,
so zerreisst nie die Verbindungsstelle, sondern es wird
ein Theil des Balkengewebes mit der Descemetis hervor-
gezogen, bis letzteres an einer Stelle nachgiebt und ab-
reisst. Die das lig. constituirenden Bindegewebslamellen
schicken auf ihrem Wege zur Iris bindegewebige Scheiden
in die circulär verlaufenden Bändel des Ciliarmuskels und
bilden dort kreisförmige Maschenräume, während die
mehr auswärts verlaufenden Bindegewebszüge theils zur
inneren Wand des Schlemm 'sehen Kanals gehen, theils
in die meridionalen Muskelbündel Scheiden hineinschicken ,
theils nach innen unten vom Schlemm 'sehen Kanal, dem
Centrum der Hornhaut zu, kleine rundliche Maschenräume
bilden. Den Verlauf dieser Bindegewebszüge erkennt
man an einer schwärzlichen Färbung, welches nach Henie
(1. c.) von einer Pigmentirung des Bindegewebes herrührt,
und besonders im Bindegewebe des Ciliarkörpers stark
ausgeprägt ist. Von dieser Anordnung kann man sich
leicht überzeugen, wenn man senkrechte Schnitte in die
von F. £. Schnitze angegebene Lösung von Palladium-
chlorid legt. Lässt man Schnitte in dieser Lösung (1 : 1000)
57
24 Standen liegen, (es nimmt dann freilich auch das
Bindegewebe eine gelbe Farbe an, doch sind die Mnskei-
fiisem dunkler) behandelt sie dann mit Essigsäure und
%rbt sie mit Carmin, so nehmen die Bindegewebszüge
eine röthliche, mit Schwarz untermischte Farbe an, wäh-
rend die platten Muskelfasern schmutziggrfln aussehen. —
An manchen Präparaten sieht man frei in die vordere
Kammer vorspringende Balken, so dass es den Anschein
haben könnte, als ob dies auch während des Lebens
stattfinde, dies ist nicht der Fall. Im normalen Auge
liegen die Balken des lig. dicht aneinander, so dass man
an gut geführten Schnitten eine scharfe Linie von der
Descemetis zur Iris gehen sieht
Die Verbindungen des lig. einerseits mit dem Ciliar-
muskel, andererseits mit der Iris, sowie der eigenthüm-
liehe Bau desselben deuten darauf hin, dass es eine Rolle
mit beim Accommodationsvorgange spiele. Worin diese
bestehe, ob die peripherischen Theile der Iris durch den
auf die Fasern des lig. fortgepflanzten Zug des Ciliar-
muskels nach hinten gezogen werden (Donders); oder ob
die Iris durch Yermittelung des lig. an die Wand des
Schlemm 'sehen Kanals gelegt wird, während das Zu*
röckweichen der peripherischen Theile der Iris durch die
Spannung des dilatator verursacht wird (Helmholtz),
ist noch nicht endgültig entschieden.
2. Zur Anatomie der Ghorioidea.
Dem arteriellen Gefässverlauf im menschlichen Auge
entsprechend, kann man die Ghorioidea in zwei Abschnitte
eintheilen, einen hinteren, von der Eintrittsstelle der
58
Sehnerven bis zur ora serrata reichend, der hauptsäch-
lich nar von den kurzen hinteren Giliararterien versorgt
wird**"), und einen vorderen. Letzteren würde man aus
practischen Gründen in zwei Unterabtheilungen zerlegen;
in eine, die an der ora serrata beginnt, Giliarmuskel
und Processus ciliares in sich greift, und in die Iris.
Die Eintheilung der Chorioidea in zunächst zwei Ab-
schnitte hat auch in anderer Beziehung Berechtigung.
An der ora serrata hört die Choriocapillaris auf, die
Glaslamelle erleidet jenseits derselben Veränderungen,
und auch die zelligen Elemente der Stromaschicht er-
fahren eine Umwandlung, so dass es auch bei einer hi-
stologischen Beschreibung der Chorioidea zweckmassig
ist, diese auf den arteriellen Gefi&ssverlauf begründete
Eintheilung zu Grunde zu legen.
Im hinteren Abschnitt der Chorioidea, der hier allein
berücksichtigt wird, kann man drei histologisch verschie-
dene Schichten unterscheiden, und zwar von der äusseren
der Sclera zugewandten Seite nach innen gezählt: 1) die
Stromaschicht oder die Chorioidea propria, sämmtliche
Blutgefässe (ausser Capillaren), Nerven, Muskeln nnd
zelligen Elemente der Chorioidea enthaltend. 2) Die
Choriocapillaris, zusammengesetzt aus den Capillarge-
fässen und einer die Zwischenräume derselben ausfüllen-
den structurlosen Membran, und 3) die Glaslamelle. Da
sich das Pigmentepithel ans dem äusseren Blatt der pri-
mären Augenblase entwickelt, während die Retina mit
Stäbchen und Zapfen aus dem inneren Blatt derselben
hervorgeht, so ist es nach der Entwickelungsgescbichte
streng von der Chorioidea zu trennen (Babuchin**)
*) TJntennchungen über den Verlauf und Zasammenhang der Qo-
fasse im menBchlichen Auge Ton Dr. Th. Leber. ArchiT für Ophth.
Bd.Xl, 1. Seiteis.
**) Würzburger naturwissenschaftliche Zeitschrift lY. und Y. Band.
59
Max Schnitze'^), Eölliker**). Letztere entsteht ganz
unabhängig yon der primären Augenblase und geht auch
später nicht durch eine Proliferation des Pigmentepithels
hervor, denn die erste Anlage der Chorioidea besteht
aas einer dünnen Schicht farblosen Bindegewebes mit
Capillargefilssen, die sich von dem Pigment scharf ab-
hebt and viel enger mit der Sclera zusammenhängt. Eine
Pigmentirung der eigentlichen Chorioidea tritt erst einige
Tage später ein, und ist dieser Umstand von Wichtig-
keit bei der Frage von der Entstehung der pigmentirten
Stromazellen.
Zu diesen auf der Entwickelungsgeschichte des Auges
beruhenden Gründen kommen noch andere, sowohl ana-
tomische, die sich auf die Anordnung des Pigments und
die Scheiden, welche die Pigmentzellen zwischen die Stäb-
chen und Zapfen hineinschicken, beziehen, als auch phy-
siologische hinzu, die Max Schnitze (1. c) besonders
hervorgehoben hat, und durch die wir eben&Us gezwun-
gen werden, das Pigmentepithel als zur Retina gehörig
zu betrachten.
Die Stromaschicht oder Chorioidea propria ist von
den meisten Autoren in verschiedene Schichten einge-
theilt worden, die alle mehr oder weniger kOnstlich sind,
da keine der so entstandenen Schichten etwas für sich
charakteristisches hat, oder von den darunter oder dar-
über liegenden, auch nur einigermassen scharf ge-
trennt werden kann. Am geneigtesten könnte man noch
sein, die als Suprachorioidea der Autoren aufgeführte,
der Sclera zunächst gelegene Schicht als eine eigne Lage
der Chorioidea propria aufzuzählen. Wenn man aber be-
*) Zux Anatomie und Physiologie der Botina ron Max Scbaltie.
Arehir f&r mikroBkopiiolie Anatomie, Bd. JL S. 69 ff,
**) Untennclmngen über die Entwickelung der Wirbeltiiiere, pag.
35—72.
60
rücksicbtigt, dass das hier vorkommende Bindegewebs-
netz sich ununterbrochen in das darunter gelegene Stroma
fortsetzt, dass es an beiden Orten von gleicher Beschaffen-
heit ist, dass die hier vorhandenen zelligen Elemente,
bis auf einige unbedeutende, später zu erwähnende Ab-
weichungen, ganz dieselben wie im Stroma sind: so
scheint keine Veranlassung vorzuliegen, dieser Schicht
einen besonderen Namen beizulegen.
Den grössten Antheil an der Gonfiguration der Cho-
rioidea propria haben die Gejfässe. Die von letzteren
eingeschlossenen, oft inselartig angeordneten Zwischen-
räume sind von einem Bindegewebsgerttst ausgefüllt, iu
dem die oft anastomosenartig verbundenen pigmentirteu
Stromazellen und Nerven, so wie alle andern zelligen
Elemente eingebettet liegen. Ein Theil des Bindegewebes
folgt mit den Zügen glatter Muskelfasern dem Laufe der
GeiSässe. Das Bindegewebe der Chorioidea, welches sich
im Allgemeinen durch eine ziemlich grosse Resistenz
gegen chemische Reagentien auszeichnet, bildet in der
der Sclera zunächst angrenzenden Stromaschicht ein von
äusserst feinen, glattrandigen Bindegewebsfasern zusam-
mengesetztes Netzwerk, in dem einzelne Bindegewebs-
zellen, und einige, ein von den gewöhnlichen pigmentirteu
Stromazellen etwas abweichendes Verhalten darbietende
Pigmentzellen eingebettet liegen. Diese feinen Binde-
gewebsfasern, die sich übrigens in der ganzen Dicke der
Stromaschicht vorfinden, scheinen eine ähnliche chemische
Beschafiieuheit zu haben, wie die feinsten Blättchen des
ligamcntum pectinatum. Reines elastisches Gewebe habe
ich in der menschlichen Chorioidea nicht gefunden. In
der choriocapillaris ist dies Bindegewebsnetz zu einer,
die Zwischenräume der Capillaren ausfüllenden homo-
genen Membran verschmolzen.
Ausser den den Wandungen der grösseren Capillaren
anliegenden Kernen, die ich constant gefunden habe,
61
trifft man in der Choriocapillaris normaler Augen keine
zelligen Elemente. Die Chorioidea ist mit der Sclera
durch lockeres Bindegewebe verbunden; diese im Ganzen
laxe Verbindung wird nur in der Umgebung des Seh-
nerveneintritts eine etwas innigere.
Wenn man die Chorioidea von Kinder- Augen, die er-
härtet oder, noch besser, mit concentrirter Oxalsäure
behandelt sind, bei hinreichend starker Vergrösserung,
und nachdem man das derselben etwa noch anhaftende
Retinal- Pigment abgepinselt hat, von der Fläche her
untersucht, so dass die Glaslamelle dem Objectiv zu-
gekehrt ist, so kann man, da die Glaslamelle und die
Choriocapillaris in ihrer natfirlichen Lage ziemlich gut
übersehen. Zu dieser Untersuchung sind die Augen von
Kindern allein geeignet, weil bei ihnen, wie ich hier gleich
hervorheben will, die pigmentirten Stromazellen immer
kleiner und mit weniger und hellerem Pigment angefüllt
sind, wie bei Erwachsenen. Die Behandlung der Präpa-
rate mit Oxalsäure hat den Vorzug, dass sie das Binde-
gewebe durchsichtig macht und sich besonders zur Dar-
stellung der Nerven und Ganglien eignet Benutzt man
ertiärtete Augen, so lässt man vor der Untersuchung ver-
dünnte Essigsäure einwirken und färbt dies Präparat mit
Garmin.
Von den verschiedenen zelligen Elementen unter-
scheidet man zunächst pigmentirte und farblose. In den
mit langen unregelmässigen Fortsätzen versehenen pig-
moBitirten Zellen, von denen die grössten in der äusseren
Stromaschicht vorkommen, ist der Kern von mannigfacher
Gestalt Bald ist er rund, bald oval oder herzförmig, im
grössten Durchmesser ungefihr 0,01 Mm. messend. Für
die Grösse der Zellen oder die Länge ihrer Fortsätze
lässt sich kaum annähernd eine Durchschnittsgrösse an-
geben, da zu mannigfache Variationen vorkommen. Ebenso
verhält es sich mit der Zahl ihrer Fortsätze. Man trifft
62
Zellen mit einem und andere mit fünf und mehr Fortsätzen
an. Ohne Zweifel gehören die Zellen, wie es besonders von
V. Wittich"^) hervorgehoben ist, den Bindegewebszellen
an, bei denen das Protoplasma den im Blut im gelösten Zu-
stand befindlichen Farbstoff in sich aufgenommen hat Ihre
Entstehung verdanken sie den farblosen, spindelförmigen
oder ovalen Bindegewebszellen, wie dies schon aus den
oben gemachten, auf die Entwicklungsgeschichte bezüg-
lichen Angaben hervorzugehen scheint. Von der Richtig-
keit dieser Angaben kann man sich an Einder-Augen
überzeugen, bei denen man alle Uebergangsstadien von
spindelförmigen oder ovalen Bindegewebszellen in diese
Stromazellen vorfindet. Diese farblosen Bindegewebs-
zellen oder von Protoplasma umgebenen Kerne, die hier
gleich ihre Erledigung finden mögen, enthalten einen oft
erst nach Zusatz von Essigsäure sichtbaren Kern, nebst
Kemkörperchen, und einen feinkörnigen, blassen Inhalt.
Man findet sie constant in der ganzen Dicke der Stroma-
schiebt, ein Beweis für eine grössere Anhäufung von
Bindegewebe in der Chorioidea, als man gewöhnlich
anzunehmen geneigt ist. Unter diesen Zellen nun be-
merkt man einige, die einen kleinen Fortsatz bekommen,
der sich gleich mit Pigment füllt, an anderen sieht man
diese Färbung auch schon um den Kern herum ausge-
bildet, wieder andere haben schon 2 oder 3 Fortsätze und
sind zugleich bedeutend grösser geworden (cf. Figur Y.).
Diese Entstehung der gefärbten aus farblosen Stroma-
zellen schliesst nun keineswegs aus, dass nicht unter
Umständen auch eine selbstständige Wucherung in den
pigmentirten Zellen auftreten könne. .'Man kann in dieser
Beziehung zweierlei Formen unterscheiden. Tritt eine
Hyperplasie dieser Zellen ein, bei der ausser einer Ver^
*) Bindegewebs-Fett- und Pigmentzellen Ton Dr. t. Witt ich in
Königsberg. Virchow's Archiv IX. Band.
63
mehrung der Zellen eine stärkere Füllung derselben mit
Pigment vorkommt, so können die von Virchow*) mit
dem Namen der Melanome belegten Geschwülste in der
Chorioidea und Iris entstehen und selbstverständlich auch
in anderen Theilen, in denen in normalem Zustande pig-
mentirte Bindegewebszellen angetroffen werden. Bis jetzt
sind nur wenig Fälle der Art beobachtet. Sicher con-
statirt sind nur die beiden von v. Graefe**) beschrie-
benen Geschwülste, die in der Iris ihren Sitz hatten.
Mit derselben Berechtigung und in derselben Aus-
dehnung, in der die Gliome von den Sarcomen abge-
trennt sind, müssen auch die als Melanome zu benennen-
den Geschwülste von letzteren abgetrennt werden und
eine eigene Gruppe bilden. Nur ausnahmsweise kommen
freilich diese Geschwülste in so umschriebener Form im
Auge vor. Viel häufiger hat man Gelegenheit, die pig-
mentirten Zellen in anderen Tumoren vorzufinden, in
denen sie entweder einen Theil der Geschwulst aus-
machen oder in denen die ganze Neubildung aus pigmen-
tirten Zellen zusammengesetzt ist. Wenn man hier die
Entstehung dieser Zellen allein nach dem Vorgang von
Schiess-Gemuseus***) ableiten wollte, so würde man
bald in eine gewisse Verlegenheit gerathen. Nach der
Ansicht des genannten Autors soll bei diesen Tumoren
nämlich das Pigment, welches aus den normalen zu
Grunde gehenden Stromazellen austritt, nicht nur die
neugebildeten spindelförmigen Zellen theilweise anfüllen,
sondern auch noch frei zwischen den Zellen gelagertes
Pigment zurückbleiben. Berücksichtigt man aber, dass
die zum Theil oder ganz aus pigmentirten, spindelförmigen
Zellen bestehende Sarcome oft eine erhebliche Grösse er-
*) Virehow. Krankhafte OeschwUlste U. Bd. S. 120.
•♦) Arch. t Ophth. Bd. L 1, S. 474. Bd. VIL 2, S. So.
***) Zur Gasuistik der BulbuBgeschwülste, Arch. f. Ophth. Bd. X, 2.
64
reichen und so wohl einen 10 mal grösseren Gehalt an
Pigment wie die normale Chorioidea haben können, so
ist es einleuchtend, dass die obige Erklärung allein
nicht ausreichend sein kann. Damit soll das Vorkommen
von „Wandern" des Pigments keineswegs geleugnet wer-
den. Wucherungen der pigmentirten Stromazellen sind
bei entzündlichen Vorgängen öfter beobachtet, und habe
ich mich bei melanotischer Sarcomabildung in der Cho-
rioidea selbst hiervon überzeugen können. — Die grOss-
ten, mit dem dunkelsten und grobkörnigsten Pigment
gefüllten Zellen kommen in der äussersten, der Sclera
zugewandten Lage der chorioidea propria vor. Der
Kern ist hier meist durch besonders dunkel gefirbte
Pigmentkömer umgrän^t, die sich auch zuweilen mehr
gegen den Rand der Zelle hin anhäufen. Eine eigene
Zellenmembran fehlt diesen Stromazellen. Dagegen spricht
auch schon die eigenthümliche Form, die ganz unregel-
mässige Anordnung des oft in Klumpen zusammen lie-
genden Pigments, wie man es am ausgesprochensten in
den Fortsätzen der Zellen antrifft. Wir haben diese
Zellen als von Protoplasma umgebenen Kerne zu be-
trachten, die ohne von einer besonderen Membran nach
aussen abgegränzt zu sein, in dem sie umgebenden Binde-
gewebe eingebettet liegen. Wenn man mit diesen so ver-
schiedenartig gestalteten Zellen die Formen, welche die con*
tractionsfahigen oder wandernden Hornhautkörperchen
annehmen können, vergleicht; so drängt sich Einem der
Gedanke auf, ob diese pigmentirten Stromazellen nicht
auch zu den bewegungsfähigen Zellen gehören. Die Be-
wegungsfähigkeit pigmentirter Bindegewebszellen ist ja
längst bekannt. Vielleicht hat H. Müller*) auch diese
*) üeber glatte Muskeln und Nerrengefleohte in der Chorioidea im
mensohliclien Auge Ton H. Müller. Vorgetragen in der Sitsnug yom
29. Ootober 1859.
66
Zellen besonders im Ange gehabt, wie er im Jabre 1859
die Mittheilung machte, dass es ihm wahrscheinlich sei,
dass die Stromazellen der Chorioidea zu den bewegungs-
fihigen Zellen gehören. Eine directe Beobachtung des
Gestaltwechsels bei Menschen oder Säugethieren konnte
er damals noch nicht beibringen. Welche Art von Zellen
er hier gemeiiit hat, geht allerdings nicht ganz klar aus
seinen Andeutungen hervor. Weiter unten werden wir
sehen, dass unter den farblosen Zellen contractionsfthige
vorkommen. Bei den pigmentirten Stromazellen der
Chorioidea stehen einer directen Beobachtung leider
grosse, leicht begreifliche Schwierigkeiten entgegen.
Ausser diesen so eben beschriebenen Zellen kommt
noch eine andere Art pigmentirter Zellen in der Stroma-
schicht vor, und zwar wie es scheint, in unmittelbarer
Nähe der Choriocapillaris, die sich wenigstens durch ihre
Gestalt und das Pigment von den obigen unterscheiden
lassen. Die langen unregelmässigen Fortsätze fehlen
ihnen, oder sind doch lange nicht so entwickelt Ihre
Ecken sind mehr abgerundet, die Zellen sonst auch von
mannigfacher Form und Gestalt, nähern sich übrigens
mehr den epithelartigen Zellen. Das in ihnen enthaltene
Pigmept scheint feinkörniger und blasser zu sein.
Das Pigment löst sich am leichtesten nach Zusatz
von Salpetersäure, während es auf Kalilauge weniger re
agirt Nur wenn die Chorioidea mit Ueberosmiumsäure
behandelt war, kann man das Pigment schon durch sehr
stark verdOnnte Kalilauge auflösen, so dass die Nerven-
und Ganglienzellen von derselben nicht angegriffen werden.
Als Uebergang zu den farblosen Zellen kommen
sternförmige Zellen vor, denen das Pigment theilweise
oder ganz fehlt Ob letztere in regressiver Metamor-
phose befindliche pigmentirte oder gewöhnliche Binde-
gewebszellen sind, ist schwer zu entscheiden.
ArchiT f&r Ophfhalmolofto^ XIV. 1. 5
66
Von den farblosen Zellen haben wir die ovalen oder
spindelförmigen Bindegewebszellen und die mit oder ohne
Protoplasma vorkommenden Kerne schon erwähnt Es blei-
ben noch zwei andere Arten ttbrig. Die erste bilden Stroma-
Zellen, die mit den LymphkOrpem grosse Aehnlichkeit
haben und in der menschlichen Chorioidea constant itt
ziemlicher Anzahl sich finden. Dieselben haben einen
im Verhaitniss zu ihrer Grösse sehr grossen Kern, in
dem man ein oder mehrere, oft dunkelschwarz geflLrbte
Eemkörperchen sieht. Bald liegen sie so in dem Gewebe
eingebettet, dass man sie von der Fläche sieht und der
Kern fast ganz den Zellenraum einzunehmen scheint, bald
erblickt man sie mehr von der Seite und dann tritt ihre
kugelförmige Gestalt besser hervor. Die Grösse des
Kernes betragt durchschnittlich 0,007 Mm., die des Zellen-
durchmessers etwa 0,009 Mm. (Figur VI.). Ohne Zweifel
hat Henle*) diese Zellen vor Augen gehabt, wie er bei
Beschreibung der suprachorioidea die farblosen Zellen
dieser Schicht erwähnt, denn er beschreibt eine Art* der-
selben, die vereinzelt liegen, als kuglig oder elliptisch,
zum Theil kaum grösser als der Kern, den sie einschlies-
sen. Der Anblick dieser Zellen erinnert sehr an die
contractilen Homhautkörperchen, wie dies auch von
Cohnheim**) hervorgehoben wurde, und lag die Ver-
muthung nahe, dass man es hier in der Chorioidea mit
ähnlichen Gebilden zu thun habe.
Nachdem besonders durch W. Ktthne***) die Con-
tractionsfthigkeit der farblosen Bindegewebszellen, und
durch die Untersuchungen v. Recklingshausen'sf)
*) Handbuch der System Atisohen Anatomie, II. Bd. B. 616.
**) lieber Tubercnlose der Chorioidea. Virchow's Aroh. Bd. 89.
•••) Untersuchungen fiber das Protoplasma und die Contraotilitfit.
Leipzig 1864.
^t) lieber Eiter- und Bindegewebskörperohen. Virchow's Archiv.
Band 28.
67
das Wandern derselben am Frosch, bei S&ugethieren und
Menschen nachgewiesen war, lag es nahe, auch die oben
beschriebenen Stromazellen in dieser Hinsicht eina: nä-
heren PrOfung zu unterwerfen. Zu dieser Untersuchung
sind die Augen weisser Kaninchen sehr gut geeignet und
gelingt es auch ohne besondere Schwierigkeiten, sich
hier von dem Contractionsvermögen dieser Stromazellen
zu überzeugen.
Die Zellen scheinen hier nur etwas flacher zu sein,
während sie in der menschlichen Chorioidea mehr eine
kugelähnliche Gestalt hatten. Die Untersuchung nimmt
man am zweckmässigsten in folgender Weise vor. Aus
dem frisch geöfiheten Auge wird die Betina mit einem
Pinsel entfernt, und ein Stflck der Chorioidea in einen
Tropfen humor aqueus oder Jodserum vorsichtig auf ein
Deckgläschen ausgebreitet, welches nun so auf einen etwa
2 Mm. hohen Olasring, der mit Canadabalsam auf einen
gewöhnlichen Objectträger befestigt ist, aufgelegt wird,
dass das Präparat auf die untere Seite des Deckgläschens
zu liegen kommt Man hat so eine feuchte Kammer her-
gestellt, in der das Präparat weder zu schnell austrocknen
kann, noch gedrückt wird. Am besten legt man die Cho-
rioidea so auf das Deckgläschen, dass die der Sclera zu-
gewandte Seite dem Objectiv zugekehrt ist Fixirt man
jetzt eine der zahlreich im Stroma eingebetteten, oben
beschriebenen Zellen, so kann man sich nach kürzerer
oder längerer Zeit, oft gleich, oft erst nach einigen Mi-
nuten, überzeugen, dass sie mannig&che Formverände-
mngen eingehen. Letztere sind nicht so ausgiebig und
gehen nicht so schnell vor sich, wie an den contractilen
Zellen der Hornhaut des Frosches, doch kann man sich
bei einiger Geduld stets von Veränderungen der Gestalt
überzeugen. Die ursprünglich runden Kürperchen wer-
den dann bim- oder bisquitf&rmig, strecken kleine Fort-
sätze ans, ziehen sie wieder ein, wie es ausführlich schon
68
öfter beschrieben ist, so dass ich mir eine weitere Be-
schreibung sparen kann. Bemerken muss ich, dass ich
Ortsveränderungen, die an den Chorioidealzellen auch
ohne Zweifel vorkommen, nicht beobachtet habe. Die
Beobachtung der Formveränderung ist in der Ghorioidea
schwerer wie in der Hornhaut des Frosches, einmal weil
der Gestaltswechsel nicht so ausgiebig ist, und desshalb
weniger in die Augen springt; zweitens, weil die Verän-
derungen langsamer vor sich gehen; und drittens, weil
bei Beobachtung der Ghorioidea die Blutkörperchen öfter
Störung verursachen, die zuweilen noch V« Stunde nach
Herausschneiden des Präparats durch Disfosion in Be-
wegung gehalten werden. Letzteres ist allerdings nur
an den kleinen Blutgefässen der Fall Interessant zu
beobachten sind die Veränderungen, die mit den rothen
Blutkörperchen vor sich gehen, die bald ihre rothen Con-
touren verlieren und alle möglichen Formen annehmen.
Als letzte Gruppe der farblosen Sb-omazellen habe
ich noch Zellen zu erwähnen, die sich von den bisher
beschriebenen deutlich unterscheiden lassen, und wie ich
glaube, eine besondere Besprechung verdienen. Die
grössten derselben stellen meist grosse vierseitige Platten
dar, die in ihrem grössten Durchmesser etwa 0,02 Mm.
messen und einen kaum 0,007 Mm. grossen Kern, der ein
oder mehrere Eemkörperchen enthält, einschliessen.
Ausser diesen kommen noch kleinere Zellen derselben
Art vor, die etwa nur die halbe Grösse der vorigen er-
reichen, ihnen aber in Bezug auf Kern- und Zelleninhalt
ganz gleichen. Letzterer ist äusserst blass und feinkörnig.
Oft trifft man mehrere dieser Zellen neben einander lie-
gend an, so dass sie wie abgerissene Bruchstücke eines
Epitheliums aussehen. Nach Henle (1. c.) Uegen den
eben beschriebenen ähnliche Zellen, deren Grösse er zu
0,025 Mm. angiebt, in der von ihm als suprachorioidea
aufgeführten Schicht. Ich habe sie an dieser Stelle nicht
gefonden, sondern liegen die Zellen nach meinen Unter-
snchungen unter der Choriocapillaris, anf der Stroma-
schiebt. Durch Heben oder Senken des Tubus kann man
sich leicht tiberzeugen, dass die Zellen auch nicht auf der
Glaslamelle ausgebreitet liegen, um ein eigenes Epithel
dieser Membran darzustellen. Gerade der Ort ihres
Vorkommens scheint mir fOr die Bedeutung dieser
zeUigen Gebilde von Wichtigkeit zu sein. Vielleicht
werden wir einen Anhalt Ar die Bedeutung dieser
Zellen gewinnen, wenn wir einen kurzen vergleichend
anatomischen Blick auf die Chorioidea der Säugethiere
werfen. Bekanntlich liegt bei den ein tapetum führenden
Thieren dasselbe als eine der Chorioidea angehörige und
in ihrem Gewebe eingebettete Membran, zwischen Stroma
und Choriocapillaris, und zwar unmittelbar unter letzterer
eingebettet Ob die zwei Formen des tapetum, die man
seit Bracke' 8"^) Untersuchungen unterscheidet, nämlich
das tapetum cellulosum und fibrosum, wirklich diese
schroffe Trennung verdienen, dfirfte wohl zweifelhaft sein.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Natur, um einen und
denselben Zweck zu erreichen, nämlich eine Licht reflec-
tirende Sdiicht hinter der Retina herzustellen, sich zwei
so verschiedener Wege bedienen sollte. Es sprechen
nämlich manche Andeutungen dafür, dass hier Ueber-
gänge von einer Form zur andern vorkommen. Meine
Untersuchungen, die ich besonders in dieser Richtung
anstellte, sind noch nicht beendet, und werde ich später
vielleicht in der Lage sein, hierQber ausführlicher mit-
theilen können. Ich will desshalb auch die als tapetum
fibrosum auftretende Form, die unter anderen Thieren,
bei den Wiederkäuern, vorkommt, und bei denen das*
*) Anatomiiche üntersuchongen über die sogenannten lenchtenden
Angen bei den Wirbeltbieren Ton Ernst Brücke. ArchiT für Ana-
tomie Ton Job. Müller, Jahrgang 1845.
70
selbe, wie schon der Name andeutet, aus Fasern, und
zwar reinen Bindegewebsfasern, mit zahlreich einge-
streuten, etwa 0,005 Mm. grossen Kernen, besteht, hier
nicht weiter eingehen. Die das tapetum cellulosum der
reissenden Thiere, (als deren Repräsentanten ich Katze
und Hund untersuchte,) bildenden Zellen liegen als ein
einschichtiges, zusammenhängendes Pflasterepithel unmit-
telbar unter der choriocapillaris ausgebreitet, und wird
dies Epithel nur in ziemlich regelmässig wiederkehrenden
Abständen, von den die Choriocapillaris und Stromaschicht
verbindenden Gefässstämmchen durchbohrt Die Zellen,
die im längsten Durchmesser etwa 0,035 Mm. und in der
Breite 0,02 Mm. messen, besitzen einen verhältnissmässig
kleinen Kern, der ein bläschenförmiges Kemkörperchen
einschliesst Den Kern sieht man öfter von einem hellen
Hof umgeben. Die Farbe der Zellen ist bei durchfallen-
dem Licht schmutzig gelb, und bietet der Zelleninhalt ein
feinstreifiges Aussehen dar: die Zellenmembran ist äusserst
dQnn und zart, so dass sie bei Versuchen, die einzelnen
Zellen zu isoliren, was im frischen Zustande nur mit
grosser MQhe gelingt, leicht einreisst und der Kern aus-
tritt Nach Zusatz von Essigsäure oder Kalikuge schmel-
zen die Zellen, ebenso wie die das tap. fibrös, consti-
tuirenden Fasern, schnell zusammen, cf. Fig. VU u. VIII.
Wenn wir mit diesen Tapetalzellen, die in der
menschlichen Ghorioidea vorkommenden, grossen, pflaster-
epithelartigen Gebilde vergleichen, so lässt sich nicht
verkennen, dass zwischen diesen Zellen eine gewisse Aehn-
lichkeit besteht, und man könnte in der That die Frage
auf werfen, ob es sich nicht auch bei diesen Zellen der
menschlichen Ghorioidea um Ueberbleibsel der Tapetal-
zellen handele. Bis jetzt ist diese Ansicht freilich nur
eine Vermuthung; durch weitere Forschungen erst lässt
zeigen, ob sie berechtigt ist oder nicht
71
Schlieaslich gehören noch zu den zelligen Elementen
der Stromaschicht die glatten Maskel&sem nnd Oang-
lienzellen. Beide sind von H. Mfiller (1. c.) ansf&hrlich
beschrieben. Bemerken will ich nur, dass ich mich zur
Darstellung der Nerven und Ganglienzellen, deren Durch-
schnittsgrösse ich zu 0,036 Mm. bestimmte, mit Vortheil
concentrirter Lösungen (2. p. c) der Ueberosmiumsänre
bediente, in der man das möglichst frische Präparate nur
3—3 Stunden liegen Iftsst, um es dann sofort untersuchen
zu können.
Meine Untersuchungen habe ich im anatomischen
Institut zu Bonn gemacht und benutze mit Vergnügen
diese Gelegenheit, um meinem hochverehrten Lehrer,
Herrn Pro! Max. Schnitze für die vielen Beweise sei-
nes Wohlwollens meinen innigsten Dank auszusprechen.
Bonn, October 1867.
Erklärung der Abbildungen.
Fi gar I. Ligamentum peetinatum Iridis im Zuiammenhange mit
einem St&ek der Descemet'sehen Hnut. Bei a Insertion an die Dee-
eemetis; b Epithel, welohes hier über DeeoemetU nnd die Balkohen
des lig. gelagert ist
Figur II. und III. Von einem 9 Monate alten Bmbrjo. a in die
Balken eingelagerte ZeUen. b in den Hasehenrfiuinen liegende; letstere
sind mit einer feinkörnigen Masse angefüUt. e. Streifenbildung in den
Fasern.
Figur IV. Ligamentum Ton einem 10 Monate alten Kinde.
72
Figur y. 1. Bindegewebssellen. 2, 8, 4. Uebergang in pigmen*
tirte Stromaiellen (yom Kinde); 5, 6, 7, 8. yom Arwaobienen.
Figur VI. Den Lymphkorperehen Shnliohe Stromaiellen.
Figur yn. Epithelartige Zellen ans der meniohlichen Ghoiioidea.
Groeie und kleine Platten«
Figur yilL Tapetalzellen von der Katie.
Beitrage zur pathologischen Anatomie des Auges
und der Orbita.
Von
Prof. Dr. Schiess- Gemuseus in Basel.
(fiiereu Abbildungen auf Tafel U.)
L Gliom der Betma, Fibrom der Ghorioidea mit wahrer
YerknOcherong, fibrOee D^eneration des Glaskörpers, be-
gimiende sympathische Erkrankmig des zweiten Anges.
x!is ist bekanntlich das Verdienst von Virchow, darauf
mit Nachdruck hingewiesen zu haben, dass ein Theil der
Geschwülste des Auges, die man bis jetzt gewöhnlich
als Fungus oder Markschwamm bezeichnet und als von
der Aderhaut ausgegangen sich gedacht hatte, dem reti-
nalen Gewebe entstamme und zwar wesentlich der binde-
gewebigen Partie derselben, der Neuroglia, weshalb er
sie Gliome nannte. In Bezug auf die Literatur dieses
Gegenstandes verweise ich auf das Y i r c h o w ' sehe Werk *).
Die Anzahl genau beschriebener Fälle dieser Art ist aber
*) Yirchow, krankhafte Geschwülste. U. Bd. pag. 151 ff.
74
bis jetzt eine sehr geringe; es ist, soviel ich weiss, der
Fall von Sichel und Robin*), von Schweigger^),
Rindfleisch und Homer***), von Hulkef) und einige
F&lle, die Virchow an der oben citirten Stelle näher
beschreibt Szokalskiff) beschreibt ebenMs einen
Fall der Glioma malignum retinae, doch ist hier die
Wucherung bereits eine extraoculäre geworden und jede
Spur der inneren Häute geschwunden, so dass eigentlich
der directe Nachweis der Entstehung aus retinalem Ge*
webe nicht mehr geführt werden kann.
Ich erlaube mir deshalb nachfolgenden Fall mitzu-
theilen, der auch klinisch ein besonderes Interesse
gewährt.
Gustav B. von G., 9 Jahre alt, sehr kräftig und
gut entwickelt, wurde mir zuerst 1865 im Mai mehr
gelegentlich vorgestellt, da er mit dem linken Auge
etwas nach aussen schielte. Das Auge erschien äusser-
lich normal; doch hatten die Eltern schon in den ersten
Lebenamonaten einen glänzenden Reflex des Augen-
hintergmndes bemerkt und später constatirt, dass mit
dem Auge nicht viel gesehen wurde. Im ftlnften Jahre
stellte man den Knaben einem Augenarzte vor, welcher
fand, dass nach einer Seite hin noch Lichtempfindung
bestand. Als ich den Knaben zum ersten Male sah,
war jede Spur von Lichtempfindung geschwunden; vom
Angenhintergrnnde bekam ich einen sehr starken weissen
Lichtreflex, der von membranösen Gebilden herzurühren
schien; von Netzhaut oder Opticuseintritt war wegen
der weissen, unregelmässig in einander verlaufenden
Membran nichts zu sehen; da der Knabe absolut
keine Schmerzempfindungen oder entzündliche Erschei-
*} Sichel, gai. m6d. de Paris 1857, No. 89, p. 472.
**) Schweigger, Aich. für Ophthalm. Bd. VI, 2. p S24.
***) Kliniflche MonatebL f. Angenheilkimde, 1868, S. 841.
t) J. W. Hulke, Retinal glioma in each eye. Ophthalmie hoa-
pital reports. Vol V. part III. pag. 171.
tt) Siokalski, Klin. MonatsbL f. Aagenheilknnde 1865, S. 896.
75
nnngea diurbot, wurde er kein Gegenstand irgend einer
Behnndlnng. Ich glaubte es dazumal mit einem wahr-
scheinlich abgelaufenen Process zu thnn zu haben.
Am 4. April 1866 wurde mir der Kleine wieder vor-
gestellt; er hatte seit einigen Tagen über etwas Stechen
in beiden Augen und Ermfldnng beim Arbeiten geklagt.
Reehts: Sehschärfe nnd Acconunodation normal, das
linke Auge eine Spur weicher, Conj. bulbi ganz leicht
iiyicirt; Auge beim Druck nicht schmerzhaft, nach
innen eine ganz schwache parenchymatöse Homhaut-
trabnng. Bei der Augenspiegeluntersnchung wieder der
auffallende weisse Beflex; nur nach unten nnd rom
eine kleine Stelle, von der ein etwas r(}thlicher Beflex
ausging; die rOthliche Fürbung liess sich übrigens auch
bei schiefer Beleuchtung constatiren, stammt also wahr-
scheinlich von einem Extravasat. Pupille frei.
Ich verordnete Buhe und leichte locale Antiphlo-
gese, auf die nach einigen Tagen alle Erscheinungen
zurfiekgingen.
8. Mai. Wieder leichte Injection, Iris ganz leicht
verfilrbt; bei mydratischer PnpUlenerweitemng zeigen
sich mehrere Adhäsionen, die aber mit Hinterlassung
von etwas Pigment auf der Kapsel reissen. Atropin.
23. Mai. Die schleichende Iritis hat trotz Atropin
nnd Bnhe fortbestanden und es bleiben nur drei Adhä-
sionen zurttck. — Die Injection sehr unbedeutend, die
röthliche Färbung hinter der Linse geschwunden, Atro-
pin, ein jodhaltiges Wasser innerlich, das längere Zeit
fortgetmnken wird. So blieb sich der Zustand ungefähr
gleich; hier nnd da kam wieder etwas Lgection, die
jedesmal bei Buhe in einigen Tagen wieder schwand.
Im August war es möglich, .eine undeutliche Oe-
schwulstcontonr in der inneren Bulbushälfte zu unter-
scheiden; die Linse fängt an, sich etwas zu trttben; im
December bildeten sich bei einer frischen Exacerbation
wieder einige neue Adhäsionen, ohne dass rechts irgend
beunruhigende Symptome aufgetreten wären; die inner-
lichen Mittel hatten also nicht vermocht, der weiteren
Ausbreitung des Processes Einhalt zu thun.
Ende Jannar 1867 waren die unteren zwei Drittel
der Pupille adhaerent; die Trttbnng des Linsensystems
76
schreitet langsam vorwärts, so dass you den hinterlie-
genden Theilen nichts Deutliches mehr gesehen werden
kann. In der oberen Ciliargegend eine gegen Druck
etwas empfindliche Stelle. Im Februar hatte die Em-
pfindlichkeit wieder abgenommen und auch die R(}the
war geschwunden. Während einiger Monate trat nun
ein Stillstand ein; der Patient arbeitete wieder etwas
und die Eltern gaben sich bereits der Hoffnung hin,
dass der Process wieder zum Stillstand gekommen, was
ich freilich bei dem Verhalten der Iris nicht glaubte.
Am 17. Juli 1867 wurde mir der Knabe wieder vor-
gestellt, weil sich wieder eine frische Röthung links
eingestellt; neue Empfindlichkeit in der Ciliargegend
beim Druck; die Untersuchung des rechten Auges er-
giebt bedeutende Accommodatiosbeschränkung (A V'm)«
bei gutem 8ehverm(}gen (S. 1). Die Iris ist rechts ganz
intact; Qberhanpt zeigt das Auge a^ser der hochgradi-
gen Accommodatiosbeschränkung keinerlei Abnormität;
Pupillencontraction vollständig intact. Ich erblickte in
der auffallenden Accommodationsbeschränkung das erste
Symptom eines sympathischen Leidens und rieth daher
dringend zur Enucleation des primär erkrankten Auges.
22. Juli. Status idem: Accommodationsparese dauert
fort; Enucleation in der Chloroformnarkose ausgeffthrt,
die bei der engen Lidspalte und dem tiefen Stand des
Bulbus ungewöhnlich schwierig war.
Am 31. Juli konnte der Patient nach Hause ent-
lassen werden; in der Tiefe noch eine Granulation. —
Am 24. August stellte sich der Patient wieder vor; noch
eine kleine Granulation in der Tiefe; das rechte Auge
wieder vollständig normal, (A V«), die Accommodation
ganz gut. 23. September sehe ich den Kranken noch-
mals; er wird fetzt gänzlich aus der Behandlung ent-
lassen und angewiesen, ein künstliches Auge zu tragen.
Sectionsbericht.
Das Auge erscheint eher etwas kleiner als normal,
auch etwas weicher; ich eröflhe es durch einen äqua-
torialen Schnitt, wobei sich die Chorioidea schon von
selbst von der Sclera trennt, während sie mit den
tiefer liegenden Partien sehr innig zusammenhängt.
77
Schneidet man tiefer, so kömmt man unmittelbar unter
der Aderliant anf eine harte Masse von knoipeliger
Consistenz und weisslicher Farbe, die nach anssen aufs
Innigste mit der Ghorioidea zusammenhängt. Weiter
nach innen schliesst sich hieran an eine mehr gelbliche,
gefaltete Masse von weichem Gefllge und noch weiter
nach innen wieder eine weissliche Substanz von zäher
Consistenz. Von dieser Masse, aus obigen drei Com-
ponenten zusammengesetzt, wird das Cavum bulbi ge-
füllt. Betrachten wir das vordere Drittheil des Bulbus
von hinten, so sehen wir die Aftermasse im Durch-
schnitt und können sehr deutlich verfolgen, wie dieselbe
sich theilweise über die hintere Fläche des Linsen-
systems fortspinnt und ungefähr zwei; Drittheile der
pars ciliaris verdeckt, während das übrige Drittel frei
bleibt. (Siehe Figur.)
Nicht überall ist der Zusammenhang der Aderhaut
mit der unterliegenden Geschwulst ein so intensiver;
an einigen Stellen liegt die Geschwulst, mit glatter
Contour, nur schwach pigmentirt, nackt da; über ihr,
ohne Zweifel früher durch Flüssigkeit getrennt, die
Ghorioidea, die noch ihr Pigmentepithel trägt.
Der Opticus erscheint etwas atrophisch und durch-
bohrt als dünner Strang die Ghorioidea, um in der Ge-
schwulstmasse zu verschwinden. Nirgends findet eine
innigere Verbindung der Ghorioidea mit der Sclera statt
Betrachten wir die Geschwulstmassen etwas näher,
80 halten wir vor Allem an jener bereits oben erwähnten
Dreitheilung fest, die sich freilich nicht überall an jedem
einzelnen Punkte durchführen lässt, da an einzelnen
Orten die Verschmelzung bereits eine zu innige ge-
worden ist, als dass die Grenzen der einzelnen Factoren
noch auseinandergehalten werden könnten.
Also zunächst die äusserste, weissliche Par-
thie. — Sie tritt theilweise in innigen Zusammenhang
mit der Aderhaut, knirscht unter dem Messer wie Knorpel.
Unter dem Mikroskop zeigt sie ein durchaus fibröses
GefOge, ein derbes, dichtes Bindegewebe, von einzelnen
Streifen amorphen Pigmentes durchzogen, die hier und
da mit einer gewissen Begelmässigkeit wiederkehren,
und gerade diese Stellen sind es, die für diesen harten
78
Oeschwulsttheil die grösste Dicke weisen; hier ist auch
der Zusammenhang mit der Chorioidea am innigsten,
doch so, dass fiberall wem'gstens die äusseren Schichten
der Chorioidea sich mit der Pincette in continno ab-
ziehen lassen. Bei geringer Vergrösserong macht Einem
eine solche Stelle gerade den Eindruck, als wenn das
Stromapigment durch eine weissliche, fibrOse Masse
auseinandergedrängt wäre: in Wirklichkeit verhält sich
freilich die Sache anders.
Zwischen hinein kommen in den harten Stellen, die
ein eigentliches Fibrom darstellen, kleinere und grös-
sere Erweichungsherde vor mit vielem freien Fett, also
Stellen, wo bereits eine regressive Metamorphose ein-
geleitet worden. Je dichter und härter die Intercellular-
substanz sich gestaltet, desto schmaler und spärlicher
werden auch die Bindegewebszellen, und umgekehrt, je
zarter dieselbe, um so zahlreicher und rundlicher die
Zellen, so zwar, dass der Charakter des Fbroms auch
an diesen Stellen gewahrt wird.
Gerade an den dicken Theilen der Geschwulst lässt
sich dieselbe in feine Blätter auseinanderziehen, in denen
und zwischen denen dann einzelne Zellen sitzen, die
untereinander hier und da zu communiciren seheinen.
Untersuchen wir jene Stellen etwas näher, die eine
bedeutende Resistenz zeigte, so sind dies nicht gerade
immer diejenigen, wo die Geschwulst die grösste Dicke
erlangt. Hier finden sich dann kleinere Blättchen von
wahrem Knochengewebe mit wohlentwickelten Kno-
chenkörpem; diese kleinen Enochenscheiben gehören
der Geschwulstmasse selber an, nicht mehr der Cho-
rioidea, die nach aussen vor ihnen liegt.
Offenbar stammt dieser Theil der Geschwulst
von der Chorioidea her; es hatten mich zwar jene Theile«
wo eine flache, glatte Geschwulst Oberfläche durch ein
freies Intervall von einer mit Pigmentepithel bedeckten,
also relativ intacten und completen Aderhaut getrennt
ist, stutzig gemacht und mich zu der Annahme hinge-
drängt, dass die ganze Geschwulst ursprünglich von
der Retina ausgehe; jenes eigenthümliche, regelmässig
geschichtete Verhalten des Pigments dagegen und beson-
ders die Verknöcherung, femer die theilweise sehr in-
79
nige Verbindung mit der Aderhant brachte mich zn der
üeberzengong, dase dieser fibröse, weissliche Theil der
Geschwulst 'gewiss zum grössten Theil der Ghorioidea
sein Dasein verdanke. Es sind allerdings einige Fälle
von bedeutender, pigmentöser Wucherung der Retina
Yon Sämisch*) undOope**) beschrieben worden, die
aber immer nur auf einen beschränkten Theil der Re-
tina sich bezogen, und zu diesen kann man unsem Fall
wohl nicht zählen, da die Wucherung eine zu ausge-
dehnte ist; auch war das Verhalten der Ghorioidea
dabei ein anderes, gleichgflltigeres.
Geradezu entscheidend freilich ist das Verhalten in
der vordersten, jüngsten Partie der Geschwulst, die
wahrscheinlicherweise erst im Laufe des letzten Jahres
sich gebildet hat Hier lassen sich nämlich ganz scharf
drei Theile der Geschwulst im Ganzen unterscheiden,
von denen der innerste das grösste Volumen hat, näm-
lich eine weissliche, fibröse Masse, nach aussen in die
pars ciliaris chorioideae Qbergehend, nach innen durch
etwas Pigment von der gelblichen, der Retina entsprun-
genen Masse abgegrenzt, dann die retinale und dann
eine neue fibröse, ziemlich mächtige Masse, dem Glas-
körper angehörend.
Betrachten wir nun die Ghorioidea etwas näher,
so wurde schon erwähnt, dass ihr Zusammenhang mit
der Geschwulst ein intimerer sei, als mit der Sclera;
an manchen Stellen findet eine innige Verwachsung
statt, an anderen entfernt sich wieder die Aderhaut von
der äusseren Oberfläche der Geschwulst In der vor-
deren Giliarpartie, da, wo die Processus ciliaris anfangen
au6usteigen, hört die weitere Entwickelung der Ge-
schwulst auf und sind also die Processus ciliares zwar
theilweise, wie die Figur zeigt, von der Geschwulst-
masse bedeckt, aber nicht in sie hineingezogen; in droa
Va der pars dliaris erscheint die ganze pars ciliaris
noch frei.
^) Sittiieh, Beitrage zur Bonnalin und pathokM^iMheii
Amiomie d«i Angei. Leipng, 1tagf>1in>nn 1S62, p. 29 ff.
**) Gopt , Ophthftfanie koipital reporti. YoL IV. Part 1.
p.g.76.
80
Darchschnittlich zeigt sich die Aderhaut etwas
brflchiger als sonst; ausserdem findet sich besonders in
den mehr vorderen Partien eine sehr bedeutende Pro-
liferation der pigraentlosen Stromazellen, [die an
einzelnen Stellen so dicht aneinander liegen, wie bei be-
ginnender Eiterbildung. Ausserdem stossen wir auf eine
theilweise ziemlich weit geschrittene fettige Degenera-
tion, besonders der pigmentirten Stromazellen, die an-
fingen, in ihren Contouren undeutlich zu werden und
ihr Pigment zu verlieren. In den grosseren Ghorioidea-
gefiissen ist zudem eine Verdickung und Trübung der
Wandungen leicht nachweisbar, ohne dass ich eigentlich
obturirte Stellen hätte auffinden können.
Nirgends ist die Verwachsung mit dem unterliegen-
den, pigmentirten Fibrom so intensiv, dass nicht die
Aderbaut abgezogen werden könnte, wobei Chorioca-
pillaris und Gliommembran manchmal mit dem Mutter-
boden abgeht, während an anderen Stellen die Ghorio-
capillaris nicht mehr in den abgezogenen Partien nach-
zuweisen und zu präsumiren ist, dass sie in das Fibrom
übergegangen; an keiner einzigen Stelle sind also die
äusseren Schichten der Aderhaut in Geschwulstmasse
umgewandelt oder von derselben durchbrochen, so dass
also die Sclera nirgends von der Oeschwulst-
masse berührt wird.
Gehen wir nun zur zweiten Gomponenten der Ge-
sammtgeschwnlst über, so finden wir da eine gelbliche,
leicht zerzupfbare, weiche Masse, die in einzelnen Par-
tien aussieht wie eine dicke, gefaltete Membran, und
als solche sich nach innen und aussen isolirt, ^während
anderwärts ein ganz allmähliger üebergang und eine
innige Verwachsunp mit der äusseren, fibrösen Partie
stattfindet, so dass ganz leicht Querschnitte durch beide
Massen gemacht werden können; an einzelnen wenigen
Stellen findet keine Bedeckung durch die fibröse Masse
statt und der retinale Tumor ist nur durch eine Flüssig-
keitsschicht von der mit ihrem Epithel bekleideten Cho-
rioidea getrennt Sie bildet im Ganzen den grössten Theil
der Gesammtgeschwulst und ist es nicht unwahrschein-
lich, dass sie auch den ersten Anstoss zur Gesammt-
veränderung gegeben. Was nun die Natur dieser Masse
81
anbetiifit, so beweist sowohl die Lage und Farbe, als
auch die histologische ZnsammensetBiiiig, daas wir es
mit einem Olioma, mit einer Netzhantgeschwidst, zu
tfaun haben; besonders denüich in Bezug anf die Lage
spricht der jfingste Theil der Geschwulst, wo verän-
derter Glaskörper, verSnderte Retina nnd veränderte
Ghorioidea von innen nach aussen sich folgen. Die Ge-
schwulstmasse besteht aus einem Netzwerke von feinen
F&den, die in ihrer Dicke von 0,001— 0,003 Mm. va-
riiren, so zwar, dass ein und derselbe Faden manchr
mal ziemlich bedeutend in seiner Breite wechselt Con-
sistenz und Form dieser Fäden hat am meisten Aehn-
lichkeit mit den M All er 'scheu Fasern, deren Derivat
sie auch sein dflrften. Zwischen diesen Fasern sind dann
eine Anzahl von runden oder länglichen Zellen einge-
bettet von einem Durchmesser, der zwischen 0,0046 und
0,016 mm. wechselt und die die grösste Aehnlichkeit mit
den Körnern der Retina haben. An einzelnen Stellen
werden die Fasern breiter und scheinen mit einander
zu verschmelzen und ein Maschenwerk zu bilden, in
welchem die rundlichen und ovalen Zellen in grösserer
Anzahl eingebettet erscheinen. Das Verhältniss der
Zellen zu den Fasern ist nicht überall dasselbe; je
zellenreicher, desto weicher, je mehr die Fasern, be-
sonders die breiten und starren, vorwiegen, desto härter
ist die Geschwulst. Ausser den beiden angeftlhrten Ge-
webstheilen kommen noch sehr viele Geftsse vor, theils
GapiUaren, theils grössere GefUsse bis zu 0,05mm. Dlcke-
und zwar finden sich diese Gefässe in sehr auffallender
Anzahl, während dagegen in den fibromatösen Stellen
der Gesammtgeschwnlst die Geftsse fast vollständig feh-
len. Es fCLhrte also offenbar das Gliom ein sehr ge-
sichertes Dasein, und dieses reiche Gefitesnetz erhielt die
ganze Masse in derjenigen Succuienz, die eine mittlere
Consistenz des Bulbus ermögUchte.
Es bleibt nun noch flbrig, die innerste Partie der
(Geschwulst, die besonders in den vorderen Geschwulst-
theilen die grösste Masse ausmacht, zu betrachten. Es
lässt sich dieselbe flberall ziemlich leicht von der um-
gebenden, gliomatösen Masse ablösen; sie hat wieder
eine fibröse Beschaffenheit, ist hart, zähe und besteht
ArctalT für Ophfbalmologte^ XIV. 1. g
82
ebenfalls wieder aus ziemlich zähen Fasern mit mehr
oder weniger reichlichen Kernen besetzt Es ist diese
Masse, die anfängt, die Linse von hinten her zu über-
spinnen und ein eigenthümliches Faserwerk darstellt,
wie in der Figur zu sehen.
Zerzupft man diese harte Masse, die dem verminder-
ten Glaskörper entspricht, so findet sich ein starres,
sehr verfilztes Bindegewebe mit wenig Zellen; zwischen
einzelnen Blättern liegen jedoch Zellennetze, die ähn-
lich wie bei der Cornea eine Communication für die er-
nährende Flüssigkeit abgeben und das Leben der gan-
zen Masse erhalten. Freilich treten sie in ihrem Volu-
men sehr gegen die bindegewebige Orundsubstanz zu-
rück; die Vitritaa ist gänzlich geschwunden. Die jüngste
Wucherung ging mit Chorioideal- und Retinalwucherung
Hand in Hand und fand an der Zonula ihre Begränzung.
Von besonderem Interesse erschien mir noch die
Untersuchung der Ciliarnerven, denen man das
Amt einer Vermittelung sympathischer Affection zu-
schreibt. Ich fand sie makroskopisch nicht verändert,
dagegen ist allerdings eine fettige Degeneration der
einzelnen Fasern leicht zu constatiren. Die übrigen
Gebilde, wie Linse, Iris, Cornea, zeigen die bekannten
und schon oft beschriebenen Veränderungen einer chro-
nischen Entzündung, auf die ich daher nicht weiter
eingehen wiU; nur für die Processus ciliares bleibt zu
bemerken, dass sie etwas atrophisch sind. In dem
Kammerwasser sind membranöse Niederschläge von zer-
fallenden Epithelzellen nachzuweisen.
Epikrise.
Nach der vorausgehenden Beschreibung ist auch der
Verlauf der Krankheit ein ziemlich klarer. Die retinale
Geschwulst wird sich ohne Zweifel schon in den ersten
Monaten des Lebens entwickelt haben und nach und nach
die eigenthümliche Degeneration des Glaskörpers herbei-
geführt haben; doch scheint längere Zeit ein Theil der Retina
functionsfahig und ein Theil des Glaskörpers auch trans-
parent geblieben zu sein, da ja im 5. Jahre nach einer
83
Seite hin noch Liehtempfindong Torhanden war. Es ist
schon nach dieser Seite hin der ganze Verlauf ein nn-
gewöhnlicher, da solche Geschwülste, wenn sie überhaupt
schon in den ersten Monaten auftreten, gewöhnlich einen
Yiel rascheren Verlauf nehmen und öfters schon im ersten
Lebensjahre, oder doch im zweiten und dritten zur Per-
foration und fungöser Entwickelung in der Orbita und
damit auch öfters zu deletärem Ausgang führen. Ent-
zfindliche Erscheinungen waren in unserem Falle nie auf-
getreten; es hatten sich wahrscheinlich frühzeitig die
fibrösen Neubildungen in der innersten Schicht der Cho-
rioidea eingestellt mit beginnender theilweiser Verknöche-
rung und fibröser Umwandlung der Glaskörper. Diese
liessen natürlich einen üeberblick über das eigentliche
Gliom der Retina nicht zu und brachten den weissen
Beflex zu Wege bei der ophthalmoskopischen Unter-
suchung, der natürlich jedes bestimmte Urtheil über die
Veränderungen in den tiefen Gebilden des Auges geradezu
abschnitt
Der langsamen Entwickelung des Netzhauttumors
und der gleichzeitigen Schrumpfung im Glaskörper und
der fibromatösen Veränderung in der inneren Gho-
rioidalschicht ist es zuzuschreiben, dass die Bulbusten-
sion immer eine etwas verminderte blieb. Bekanntlich
ist eines der wichtigsten diagnostischen Kennzeichen für
Tumoren im Innern des Auges gegenüber einfacher Netz-
hantablösungen das, dass bei ersteren die Spannung des
Bulbus, respectiye der intraokuläre Druck wächst Unser
Fall bildete denn eine Ausnahme und er beweisst, dass
dieses pathognomonische Merkmal kein untrüg-
liches ist
0£Eenbar trat in unserem Auge, nachdem einmal der
grösste Theii der Netzhaut in eine gliomatöse Wucherung
sich umgewandelt^ nachdem der angrenzende Aderhauttheil
fibromatös degenerirt und in innige Beziehung zum Netz-
et
84
hautgliom getreten, der eingeschlossene Glaskörper sich
auch in eine fibröse Masse umgewandelt, ein Stadiam
der Buhe ein, in welchem ich das Augen vor zwei Jahren
beobachtet hatte.
Von da an schritt die Veränderung wieder langsam
vorwärts und zwar ziemlich gleichmässig in alle drei
Gomponenten der Geschwulst, Retina, Chorioidea und
Glaskörper, welcher letztere die das Linsensystem von
hinten überziehenden Fäden lieferte. Hand in Hand
mit diesem Wachsthum, das man auf der beigegebenen
Figur sehr gut übersieht, gingen die entzündlichen Vor-
gänge in der Regenbogenhaut, die schliesslich zu einer
sehr ausgedehnten Verklebung mit der Linsenkapsel führ-
ten und die, hätte man das Auge sich selbst überlassen,
gewiss zum vollständigen Pupillenabschluss geführt haben
würde.
Es ist zwar bei den Ophthalmologen eine längst be-
kannte Sache, dass Verletzungen der Ciliargegend be-
sonders fremde Körper in dieser Gegend ganz besonders
gefährlich für das zweite Auge sind, eine ganz besondere
Tendenz haben, eine sympathische Affection des zweiten
Auges hervorzurufen. Doch ist mir kein Fall erinner-
lich, wo es wenigstens genauer constatirt worden wäre,
dass bei Tumorenbildung erst in jenem Stadium, wo ein
Uebergreifen auf die pars ciliaris entstanden, die sym-
pathische Affection sich gezeigt habe, üeberhaupt ist es
selten, dass bei Geschwulstbildungen sympathische Oph-
thalmie sich zeigt. Es scheint, dass gerade die langsame
Entwickelung und die eigenthümliche fibroide Gestaltung
der Neubildung, insofern sie vom uvealen tractus aus-
ging, hier bestimmend wirkte. Gewiss ist der ganze
Verlauf ein neuer, schöner Beweis, wie bei chronischen
Reizungen eines Auges erst dann die sympatische Affec-
tion auftritt, wenn der Process sich gegen die Processus
ciliares hin erstreckt. In unserem Falle war die Neu-
85
bildnng in der Chorioidea bis zum Beginn des processos
ciliares vorgerfickt und gegen ihre innere Fl&che legte
sich bereits der fibrös degenerirte Glaskörper; auch
die Empfindlichkeit in der Ciliarkörpergegend, auf die
y. Graefe besonders an verschiedenen Orten aufmerksam
gemacht, fehlte bei uns nicht.
Ein Symptom sympathischer Affection, das bei uns
das einzige war, und das mir bis jetzt bei der Lehre
sympathischer Affection noch zu wenig scheint hervor-
gehoben zu werden, ist die hochgradige Accommo-
dationsparese; die Accommodation war von V4 &uf
V40 herabgesunken und kleinere Schrift konnte ohne
Brille nicht mehr gelesen werden, während die Seh-
prüfung für die Feme ein durchaus intaktes Sehvermögen
nachweise. Pagenstecher*) spricht zwar von einer
Einengung der Accommodationsbreite, ohne jedoch in der
beigegebenen Casuistik bestimmte Zahlen hierfür anzu-
geben, nur zuweilen bemerkend, dass in der Nähe nicht
mehr deutlich gesehen wurde, oder dass der Accommoda-
tionsbereich eingeengt sei. Mooren**) schreibt ihr nur
in Verbindung mit der Ciliameurose eine Bedeutung zu.
Die Beschränkung war in unserem Falle so bedeutend,
dass ich im ersten Momente an eine Atropinwirkung
dachte, welche freilich das völlig freie Pupillenspiel so-
gleich ausschloss. Ich habe übrigens seither einen ähn-
lichen Fall beobachtet, wo ebenfalls die Accommodations-
parese die einzige Erscheinung auf dem zweiten Auge
war. In Betreff der Augen eines Eisenarbeiters, das eine
perforirendeCornealwunde mit ringförmiger Irisverlöthung
und späterer Zerrung der Iris und offenbar auch des
Ciliarsystems durch secundäre Narbencontraction erlitt
«) Klinüehe Beobachtuiigen. WiesUden 1862, p. 49. »
**) Ophthalmiatritohe Beobaohtnngon. .Hirschwald, Berlin 1867
p«g. 152
86
Es war ihm wegen AccommodatioDsparese unmöglich,
seiner Arbeit nachzugehen, die er jetzt nach geschehener
Enucleation wieder ungestört verrichtet. Ich möchte mir
daher erlauben, die Aufmerksamkeit der Collegen etwas
mehr auf diesen Punkt zu richten.
Ueber die Recidivfahigkeit muss natürlich die Zu-
kunft entscheiden; doch glaube ich ffir meine Person
nicht an eine solche, da schon der langsame Verlauf und
die Beschaffenheit besonders auch des chorioidealen Ge-
schwulstantheils wenig dafür spricht. Ein Recidiv könnte
noch am ehesten vom opticus aus entstehen, aber seine
hochgradige Atrophie beim Durchtritt durch Sclera )ind
Chorioidea lassen dies auch nicht wahrscheinlich erschei-
nen. — Ich versprach mir von der Untersuchung der
Ciiiarnerven in diesem Falle einige Aufklärung über
die noch immer dunkle Art und Weise der Einwirkung
des erkrankten Auges auf das gesunde, konnte aber an
derselben, ausser der beginnenden Verfettung, Nichts
entdecken.
Erklärung der Abbildungen.
Vierfache. Lmearyergrössenmg , yorderee Drittel des Bulbus, durch
einen aeqnatorialen Schnitt von den hinteren Partien getrennt, um den
Fortschritt der Geschwulst über die pars ciHaris genauer zu übersehen.
aa. Solen.
bb. Pars ciliaris ohorioideae.
oc. Aeusserer Ton der Chorioidea herstammender Theil der Ge-
8chwulst|, aussen pigmentirt.
dd. Betinaler, gliomatoser Theil.
ee. Fibröser Glaskörper, der theilweise die Linse Ton hinten
Terdeckt.
f. Linse.
g. Processus ciliares.
87
n. Grosses cystoides Fibrom der Orbita, hoch-
gradiger Exo^thahnus, Heilimg mit Erhaltung
des Bnlbus.
Martin H. von Degenheim, 35 Jahre alt, stellte sich
im Juli 1867 wegen seines rechten hochgradig vorge-
triebenen Anges vor. Seine Eltern leben noch Beide,
hat 10 gesunde Geschwister. Sonst ganz gesund, erlitt
Patient 1860 im Walde einen heftigen Schlag auf die
rechte innere Angenbrauengegend dnrch einen herab-
fallenden Ast. Das Ange blieb einige Wochen geröthet;
seit jener Zeit besteht eine leichte Epiphora. Ungefähr
ein Jahr darauf bemerkte Patient in der betroffenen
Gegend einen kleinen Knoten, der sich unter den Or-
bitalrand erstreckte und allmahlig etwas vergrdsserte,
so dass zwei Jahre nach der Verletzung das Auge be-
reits ein wenig hervorstand. 1864 wurde auswärts der
Versuch einer Entfernung der Geschwulst gemacht,
welche aber, da sie ohne Chloroformnarcose begonnen
worden, nicht zum Ziele fahrte, sondern nur eine ver-
mehrte Schwellung der hinterliegenden Partien verur-
sachte, welche jedoch später zurückging. Seit jener
Zeit bemerkt Patient eine fortwährende langsame Ver-
grösserung der Geschwulst mit Vermehrung des Ex-
ophthalmus. Ungefähr vor 4 Jahren beobachtete Patient
eine allmäblige Abnahme des Sehvermögens rechts;
während ungefähr eines Jahres bestand auch Doppelsehen.
Status praesens. Das rechte Auge des Patienten
ist ungefähr 25 Mm. nach unten und aussen vorgedrängt,
so dass fast der ganze Bulbus ausserhalb der Orbita
liegt. Die Beweglichkeit ist hauptsächlich nach innen
beschränkt, während nach den übrigen Seiten ziemlich
ausgiebige Excursionen möglich sind; irrige Projection
der nach links liegenden Gegenstände. Das Auge di-
vergirt etwas; kein gemeinschaftlicher Sehact, keine
Doppelbilder hervorzurufen. Es kann ohne Mflhe durch
das sehr ausgedehnte obere Lid geschlossen werden;
Epiphora, leichte allgemeine Gonjunctivalinjection, am
unteren Cornealrande leichte Trübungen, Pupillarcon-
88
traotion auf Lichteinfall and bei accommodatiyer Thft
tigkeit noimal; brechende Medien durchsichtig, Papille
ziemlich roth mit etwas verwischten Grenzen , starke
üeberfftUimg der venösen Oefitose, leichte Ghorioideal-
atrophie; Sehvermögen herabgesetzt (8 ^^Ve)) geringe
Korzsichtigkeit (M Vso)» Spannung normal. Unterhalb
des inneren Orbitalrandcs ragt eine schon von aussen
leicht bemerkbare, nicht bewegliche, etwas höckerige
Geschwulst, über welche die Narbe der früheren Ope-
rationswunde verläuft; die Haut lässt sich über der Ge-
schwulst verschieben. Die Geschwulst setzt sich Iftngs
des Orbitabrandes nach aussen und hinter den Bulbua
fort und ist es hier nicht möglich, sie genauer zu um-
grenzen, nach unten von dem protrodirten Auge ist
nichts von Oeschwnlstmasse zu spüren, Compression der
Geschwulst nicht möglich; sie war nie schmerzhaft ge-
wesen. Linkes Auge normal.
19, Juli. Die Lidspalte wird nach aussen erweitert,
vom inneren Lidwinkel wird ein senkrechter Schnitt
nach oben geführt, das obere Lid zurückgeschlagen
und ein horizontaler Schnitt durch die Gegend der Ueber-
gangsfalte der Conjunctiva gemacht. Nun wird die Ge-
schwulst nach dem Bulbus hin möglichst rein präparirt,
wobei der Internus durchschnitten werden musste. Hier-
auf wird die frei liegende Geschwulst theils mit dem
Messer, mit der Cooper 'sehen Scheere, theils mit dem
Finger und einer stumpfen Sonde vom Orbitaldach, an
dem sie fest anliegt» ohne innigere Verwachsung, abge-
löst; dann die beiden Verbindungen gegen hintere Bul-
buspartie und Opticus getrennt, wobei der Opticus auf
eine ziemliche Strecke blossgelegt wird. Nun fasst man
die Geschwulst mit der Muzeux' sehen Zange und zieht
sie vor, wobei sie platzt und eine ziemliche Masse einer
hell gelblichen, klaren Flflssigkeit sich ergiesst und die
Geschwulst zusammenfällt. Jetzt gelang es leicht, die
Geschwulst von den hinterliegenden Partien zu trennen
und aus der Augenhöhle vollständig zu entfernen. Nach
geschehener Exstirpation überzeugt man sich, dass nichts
Fremdartiges mehr zurückgeblieben. Der Bulbus, der
nach Beseitigung des Tumors sich sogleich zurückzog,
wird möglichst in eine normale Lage zurückgebracht,
89
die beiden Enden des Internns durch Naht vereinigt;
Conjnnctiva nnd äussere Hant durch 18 Knopfhfthte zu-
sammengebracht; Druckverband« Bedeutendere Blutung
war keine aufgetreten. Die Heilung verlief ohne stö-
rende Zwischenfälle; in den ersten Tagen etwas Gon-
junctivaloedem; Schmers und Fieber nicht vorhanden;
die Behandlung bestand wesentlich in der Application
eines einfachen Druckverbaudes. — Am 6. August wurde
der Patient, der nie an eine Erhaltung seines Auges
geglaubt hatte, geheilt entlassen. Das Auge hat wieder
ziemlich seine normale Stellung eingenommen; die Be*
wegliehkeit nach innen freilieh hat gelitten, das obere
Lid ist schon bedeutend zusammengeschrumpft, die Lid-
spalte kann durch die Levatorwirkung 3 Mm. breit ge*
dfihet werden.
Die Geschwulst, die nach der Herausnahme bedeu-
tend zusammengefallen ist, zerfiUlt wesentlich in zwei
Theile: in eine vordere, kleinere, härtere Partie, die vor
der Operation bereits als harte, höckerige Geschwulst
unter der oberen inneren Orbitalwand zu fbhlen gewesen
war; und in eine grosse, jetzt zusammengefallene Cyste,
die eine Art von fibrösem Stiel gegen die hinteren Par-
tien des orbitalen Zellgewebes ausschickte, währenddem
die Cyste selber den grösseren Theil der Orbita aus-
fällte und den Bulbus nach vom i^id aussen verdrängte.
Wenden wir uns zunächst zur vordersten, consi-
stenten, harten Masse der Geschwulst, die zunächst in
der Gegend des Traumas sich entwickelt und daselbst
zuerst von dem Patienten ist wahrgenommen worden.
Wir finden hier in einer zähen, weisslichen Grundsub-
stanz einzelne weichere Stellen von einer mehr gelb-
lichen Färbung. Bespfllt man diese Partien mit einem
Wasserstrahle, so lassen sich die gelblichen Massen leicht
entfernen und es bleiben kleine Höhlungen zurück; es
sind dies offenbar ebenfalls die Anfllnge von kleinen
Cysten. Betrachtet man diese Partien unter dem Mi-
kroskope, so findet man eine streifige, fibröse Grund-
substanz in allen möglichen Uebergängen von der Struc-
tur eines reinen Fibroms mit verhältnissmässig seltenen
langspindeligen Zellen, bis zu Partien, wo die streifige
Grundsubstanz durch die Wucherungen der Zellen
90
schwindet. Gegen die gelblichen, erweichten Stellen
hin tritt immer mehr freies Fett auf, bis eine vollstän-
dige Anf lösnng des Oewebes mit Höhlenbildung auftritt
Mit der Zellenwucherung Hand in Hand geht eine stär-
kere Vascularisation, und obwohl die Wandungen der
Geftsse thcilweise auch in den Process hineingezogen
werden, bleiben sie doch länger verschont und durch-
ziehen frei den Höhlenraum. Ohne Zweifel wären diese
vorderen Höhlungen bei weiterer Entwickelung im Laufe
der Zeit ebenfalls zu grösseren Cysten aufgewachsen.
Der eigentliche flüssige Inhalt der grossen Cyste
hatte sich, wie bereits erwähnt, schon bei der Operation
entleert; jetzt treten uns bei weiterer Spaltung gelbe,
bröcklig blätterige Massen entgegen, die aber nirgends
einen eigentlichen Brei, wie bei atheromatösen Ge-
schwülsten, mit denen das Ganze eine oberflächliche
Aehnlichkeit hat, darstellen. Bringt man das Ganze
unter Wasser, so lösen sich beim Schütteln zwar ein-
zelne der gelben Conglomerate ab. Es sind dies eben
die innersten Partien, wo der fettige Zerfall bereits seine
Acme erreicht hat.
Die Hauptmasse dieses festen Inhaltes aber bleibt
mit der Wandung der Cyste in directem Zusammenhang,
untersuchen wir einzelne kleinere Stücke dieses Inhalts
unter dem Mikroskope, so finden wir in einem zellen-
reichen, bindegewebigen Stroma eine grosse Masse freien
Fettes, theilweise zu massenhaften Cholestearinplatten
crystallisirt. Alle Zellen des Stromas, die meistens rund-
lich sind, erscheinen mit vielem Fett gefüllt; die ganze
Masso ist durchzogen von vielen Gefässen kleineren und
grösseren Kalibers, die alle bereits in ausgebildeter fet-
tiger Degeneration begriffen sind, üeberall stehen die
Inhaltsmassen in directester Beziehung zur inneren Wand
der Cyste, so zwar, dass die blätterig aufgelockerte
Wandung direct in die weiss gelblichen, krümeligen
Massen des Inhaltes sich fortsetzt. Es zeigen diese
Massen nirgends einen epidermoidaien Charakter und
wir haben es daher gewiss weder mit einem Hygroma
noch mit einer foUiculären Cyste zu thun, sondern es
liegt uns hier eine eigentliche Erweichungscyste, se-
cundär in einem reinen Fibrom entstanden, vor. — Die
91
ümhttlluDg der Cyste, wenn wir sie Oberhaupt so nennen
dflrfen, ist theilweise eine doppelte, nnd setzt sich in
den oben erwähnten, nach hinten gehenden Stid fort
Sie enthftlt ziemlich viel elastisches Gewebe, ist IVa }>^
3 Mm. dick. Ihre innere Wandung ist, wie schon ge-
sagt, keineswegs glatt, sondern löst sich in überein-
anderliegende, unregelmässige Blätter auf, die nach
innen direct mit dem gelblichen Inhalt zusammenhängen.
Während die FoUicularcystcn ziemlich häufig beob-
achtet werden, kann ich für unsem Fall in der mir zu-
gänglichen Literatur nur ein einziges Analogon finden
in einem Falle, den Mackenzie*} anfthrt, wo in
einem orbitalen, von Critchett operirten Fibrom ausser
bedeutender Verknöcherung auch einige kleine Cysten
sich Torfanden.
ni. Ausgedehnte Sdeialnarbe, Verlust der Linse
sammt Kapsel, beginnende Fhthisis, bindegewebiges
Diaphragma zwischen Glaskörper und humor aqueus,
Nachstaar. Iiideremie.
Georg Jehly v. Malhausen, 56 Jahre alt, tritt am
26. September in unsere Anstalt, hatte zu ; Ostern einen
Messerstich in's linke Auge erhalten, klagt Aber einen
„Schein"' dieses Auges, das ihn beim Arbeiten genire
und wünscht deshalb die Enucleation.
Status praesens: Linker Bulbus entschieden klei-
ner, weich, beim Druck nicht empfindlich. Etwa 1 Mm.
vom Comealrand entfernt und eine starkes Drittel des-
selben umkreisend, eine stark eingezogene Scleralwunde.
Cornea kleiner als normal; vordere Kammer sehr tief.
Von der Iris ist nur nach unten noch ein kleiner Best
erhalten, sonst liegen die Köpfe der processus ciliares
frei da, und von ihnen spannt sich eine streifige, weiss-
liehe Membran quer durch den Bulbus, den Einblick in
die hinteren Theile des Auges verwehrend^ quantitative
Lichtempfindung, keine Projection.
*) Mackenzie. Ptactical Treatise on the diBeases of the
•j«. London 1864, pag. 8Sd.
92
Der BnlboB wird in der Chloroformnarcose enadeirt.
Sectionsbefnnd. Bnlbasdurchmesser: sagittaler
13 Mm., verticaler 15 Mm., horizontaler 15 Mm. Nach-
dem das Ange 14 Tage in Spiritus gelegen, wird es
durch einen ftqnatorialen Schnitt in zwei Hftlften ge-
theilt und jede wieder durch einen meridionalen Schnitt
gespalten; auffallend ist besonders die sehr verdickte
Sclera, deren Durchmesser an einzelnen Stellen bis auf
5 Mm. steigt, und zwar sind die verdickten Stellen
hauptsächlich äquatoriale.
Bei einer kurzen Beschreibung können wir die
Cornea ausser Acht lassen; nur ihre Peripherie bietet
durch ein starkes Eini^)ringett nach innen eine Bigen-
thftmlichkeit, auf die wir bei Betrachtung des binde-
gewebigen Nachstaars werden zu sprechen kommen.
Die vordere Kammer, deren Inhalt kein besonderes
Interesse gewährt, ist sehr tief und nach hinten nur an
einer Stelle durch einen spärlichen Best von Iris, sonst
überall durch ein starres, weissliches, membranartig
ausgespanntes Diaphragma begrenzt, das sich, von den
Processus ciliares ausgehend, quer durch den Bulbus
ausspannt Es sind dies jene balkig streifigen Massen,
die man schon am Lebenden gesehen und die ich als
veränderte Beste der Linsenkapsel aufgefasst hatte, als
einen Nachstaar, wenn man will. Pinselt man den
Detritus, der in den seitlichen Partien der Kammer
liegt, aus, so sieht man, wie oben von der vorderen
Fläche der Processus, die durch die Verletzung von der
hier entspringenden Iris losgerissen worden, diese Masse
entspringt, hier am mächtigsten ist und hier und da
durch stärker vorspringende, weissiiche Balken verstärkt
wird. Von der Linse und ihrer Kapsel ist keine Spur
mehr vorhanden. Es gelingt ziemlich leicht, Schnitte
durch diese Masse zu legen, und sind die Verhältnisse
ziemlich einfache; auch von der Zonula kann ich keine
deutlichen Spuren finden. Das Diaphragma, das zu-
nächst aus dem Corpus ciliare seinen Ursprung genom-
men, verdünnt sich allmählig gegen die Mitte hin und
lässt auch einzelne Lücken; es hat durchaus einen
bindegewebigen Charakter mit schmalen, spärlichen
Bindegewebskörpem. Nach hinten steht es in innigster
93
Beziehung zum Giliarkörper und ist das oberflächliche
Pigment desselben, sowohl in zerstreuten, amorphen
Körnern, als auch in langgestreckten, theilweise stern-
förmigen Zellen in dasselbe hineingewachsen, so dass
gar keine bestimmte Grenze mehr durchzuführen ist.
Offenbar fand hier in analoger Weise, wie es bei Iritis
in der Uvea stattfindet, eine eigentliche Wucherung vom
Pigment aus statt. — Es ist die neugebildete, weissliche
Masse, die jetzt statt des Linsensystems Glaskörper vom
Eammerwasser trennt, bereits in einem Schrumpfungs-
process begriffen. Während sie nach hinten in der
angegebenen Weise mit dem Ciliarkörper, dem sie ihr
Dasein verdankt, verwachsen ist, steht sie nach aussen
in innigster Beziehung zur Homhautperipherie, also zu
deijenigen Stelle, wo die Membr. Descemeti als deut-
liche Glaslamelle entspringt, und es erscheint diese
Stelle in auffallender Weise eben durch die bewusste
Schrumpfung nach innen gezogen.
Es sind übrigens nicht nur die vordersten Partien
der corpus ciliare, resp. die processus ciliares, welche
in Folge der bedeutenden Trauma's eine Aufquellnng
und oberflächliche Wucherung zeigen, sondern auch der
glatte Theil des Giliarkörpers hat eine ähnliche Ver-
änderung und Aufquellung aufzuweisen; gerade hier
findet sich ein freier Erguss zwischen Chorioidea und
Retina, üeberhaupt ist die ganze C h o r i o i d e a in einem
Zustande eines leichten Oedems.
Die Netzhaut erscheint faltig von der Aderhaut
• abgehoben und befindet sich besonders die Gegend der
Papille in einem Zustande bedeutender, seröser Infiltration,
so dass sie eine nicht unerhebliche Erhöhung in das
Cavum bulbi hinein darstellt. In der lamina cribrosa
markirt sich eine beginnende, fettige Degeneration des
Opticus.
Schon oben erwähnten wir der ganz übermässigen
Dicke der Sclera, wobei sich dieselbe in einzelne, über-
einanderliegende Blätter aufzulösen scheint mit einer
etwas dunkler gefärbten, weicheren Zwischensubstanz.
Es verschiebt sich dabei das innere Blatt über das
äussere und zeigt dabei eine eigenthümliche, wellige
Contour. Es scheinen also die äusseren Partien
94
der Sclera eine grössere Elasticität za be-
sitzen als die inneren. Die röthlich-braune, mehr
durchscheinende Substanz, welche die verschiedenen
Schichten, die übrigens keineswegs concentrisch wie
Zwiebelschalen verlaufen, trennt und theilweise etwas
pigmentirt ist, ist ein erweichtes, kaum mehr streifiges
Bindegewebe, in welchem theilweise die Oeftsse ver-
laufen, wohl. hauptsächlich die grossen, rückftlhrenden
Venen, da diese Interstitien theilweise mit der Cho-
rioidea zn communiciren scheinen und am ausgebildet-
sten in der äquatorialen Begion sind, wo auch die Dicke
der Sclera ihr höchstes Maass erreicht Glaskörper
normal, nur sehr vermindert.
Die Genese des ganzen Falles ist nach obiger Be-
schreibung klar. Grosse Scleralverletzangen durch welche
die Linse sammt der Kapsel entweicht, wohl mit einem
Theil des Glaskörpers, sammt der Iris; auch die Zonula
muss hierbei theilweise mitgegangen sein. Die Zerrung
der vordere Bulbusparthien, in specie des Ciliarkörpers
war so gross, dass eine starke reactive Wucherung, be-
sonders an der Stelle, von der die Iris abgerissen wurde,
entstand und sich, nachdem die Scleralwunde wieder ge-
schlossen, jene bindegewebige Wucherung einstellte, die
den bulbus wieder in eine vordere und hintere Parthie
schied und secundär durch ihre Schrumpfung ein Herein-
ziehen der Comealperipherie bewerkstelligte. Denken
wir uns die Verletzung weniger beträchtlich, so dass
z. B. nur das Linsensystem durch die Wunde entfernt
worden wäre, so wäre gewiss die Wucherung doch erfolgt
und wir hätten dann einen mit der Kapsel verwachsenen,
bindegewebigen Nachstaar. Bei der jetzt gebräuchlichen
Scleralextraction des grauen Staars wird bekanntlich
ebenfalls durch eine Scleralwunde das Linsensystem ent-
fernt, nachdem die Iris bis zn ihrem Ursprünge an der
betreffenden Stelle vom Ciliarkörper abgelöst worden;
es ist daher in ähnlicher Weise die Möglichkeit einer
solchen bindegewebigen Wucberang aus der Wunde des
95
Ciliarkörpera gegeben and es kommen auch in Wirklich-
keit solche feste Nachstaare vor, die in der Gegend des
Processus ciliares so innig anhaften, dass beim Versuch
der Extraction derselben die entsprechende Scleralparthie
eher sich einzieht, ehe sie reissen. Ich habe noch letzten
Herbst einen solchen Nachstaar mit glücklichem £rfolge
operirt.
In unserem Falle war die Schrumpfungstendenz der
neugebildeten Masse eine so beträchtliche, dass sie hin-
reicht, um selbst in der Configuration eines so festen
Gtewebes, wie die Cornea ist, Veränderungen hervorzu-
mrufen. Es ist demnach nicht zu yerwundern, dass,
wenn die Iris in den Bereich solcher bindegewebigen
Masse gelangt, auch bei der jetzt so breit angelegten
Iridectomie doch wieder YoUständige Pupillenanwachsung
zu Stande kommen kann.
Bekanntlich giebt es zwei Haupttypen der Nach-
staarbildung, Wucherung der intracapsulären
Zellen, wie ihn H. Müller*), Schweigger**) und
ich***) beschrie|)en und abgebildet haben, und binde-
gewebige Neubildungen von der Innenfläche der
Kapsel, resp. den intracapsulären Zellen oder der Iris
und vom corpus ciliare ausgehend. Mit Unrecht hat
Steffanf) die Wucherungen der intracapsulären Zellen
als Ursache des Nachstaars geleugnet, indem er sich
theils auf die Versuche von Ritter an Kaninchen, theils
auf Ivanoff^s Untersuchungen stützte. Nun sind aber
Untersuchungen über Nachstaar an Kaninchen überhaupt
nicht recht zu machen und nicht beweisend, da gerade
schleichende Entzündungen an Kaninchenaugen nicht
recht hervorzurufen sind und gerade bei schleichender
Iritis bekanntlich Nachstaare am ehesten auftreten. Auch
*) ArchiT f. Ophth. Bd. UL Abth. 1.
•♦) Archiv f. Ophih. Bd. VIIL Abth. 1.
*•*) Archiv t pathol. Anatomie. Bd. XXIY.
t) EzÜBJinmgen \l Stadien über die Btaaroperation. Erlangen 1867.
96
hat Ritter in der citirten Arbeit die Linsenverletzungen
Dur nebenbei behandelt; es war ihm um Henrormfang
von PanOphthalmitis zu thun, und dass hierbei kein
gttnstiges Terrain für Beobachtung der Wucherung intra-
capsulärer Zellen vorlag, leuchtet Jedermann ein. Was
die Untersuchungen von Ivanoff*) anbetriflft, so beziehen
sie sich durchaus nicht auf Nachstaare, sondern auf Lin-
sen, die entweder extrahirt werden oder in enucleirten
bulbis vorgefunden wurden; beim Nachstaar kann es sich
aber natQrlicherweise nur um Wucherung der in der
Kapsel zurückgebliebenen Zellen handeln, nachdem sie
dem Einflüsse des Kammerwassers ausgesetzt sind, und
davon handelt Ivanoff an der von Steffan angeführten
Stelle überhaupt nicht.
Als Hauptargument führt endlich Steffan an, dass
ja nach der Extracüon die Zipfel der vorderen Kapsel
sich zurückziehen, sich also im grössten Theil des Pu-
pillargebietes nur die keine Zelle fahrende hintere Kapsel
finde. Nun haben aber sowohl H. . Müller als
Schweigger am angeführten Orte nachgewiesen, dass
die Wucherungen der intracapsulären Zellen sich auf die
hintere Kapsel ausbreiten und Schweigger fand bei
der Section, einige Tage nach vorausgegangener Extrac-
tion, während sich die Kapsel nach der Peripherie zu-
rückgerollt, bereits neu gebildet, intracapsuläre Zellen
als feine Membran hinter der Iris auf dem Boden der
tellerförmigen Grube sich ausbreiten. Dass die intra-
capsulären Zellen sich wirklich theilen und wuchern, da-
von kann sich Jedermann überzeugen, der nur eine ge-
ringe Zahl von Nachstaaren genauer untersucht hat Bei
festen Nachstaaren werden freilich bindegewebige Neu-
bildungen sich stets zu diesen Zellenwucherungen gesellen.
*) Wiesbftdener kliniaohe Beobaohtangen, pag. 141. Wiesb. 1866.
Ein Fall von oombinirtdiii Awgjtnmiigfcjiii^jmi^
Von
Dr. J. Stilling ia CasseL
Ueber reine Augenmaskelspasmen ezistiren nur sehr
wenige Beobachtungen. In dem neuesten, sich durch
besonders vollständige Literaturangaben auszeichnenden
Handbuche der Ophthalmologie*) findet sich von hierher
gehörigen Autoren, ausser den filteren, Himly, Jflng-
ken, die FÜle von Spasmen sftmmtlicher Augenmuskeln
beschrieben haben, nur Alfred Graefe citirt, der zwei
F&lle von reinem Augenmuskelspasmus veröffentlicht
hat**) Die vorliegende Beobachtung dürfte daher viel-
leicht einiges Interesse darbieten.
Es handelt sich im Folgenden um einen combinirten
Spasmus des obliquus superior und rectus infe-
rior. Da das Symptomenbild des letzteren bereits von
Alfred Graefe gegeben ist, wird es zun&chst unsere
Aufgabe sein, das des ersteren gleich&lls zu construiren.
Indem wir hierbei von den übrigen Verhältnissen vorerst
absehen, berücksichtigen wir nur das Verhalten der Di-
ploplie. Dasselbe wird sich folgendermassen gestalten:
*) Wecker, Studei ophthalmologiqnee, Paris 1S66. Bd. IL p. 472.
**} Elmilohe Analjie der MoülitStMtdniii^n des Auges. Berlin 185S-
AreMT für Ophtlialaologle, XIV, 1. 7
98
1) Beim Blick nach innen unten erreicht die
Höhendistanz der Doppelbilder ihr Maximum. Das Bild
des kranken Auges steht höher. Schiefheit und Lateral-
abstand verwischen sich.
2) Beim Blick nach aussen unten erreichen La-
teral- und Meridianabweichung ihr Maximum. Die
Höhendistanz verwischt sich. Das Bild des kranken
Auges ist in negativem Sinne gegen das des gesunden
geneigt. Die Bilder sind gekreuzt
3) Bei forcirter Blickrichtung nach aussen unten,
i. e. in der Stellung, in welcher die Wirkung des obli-
quus superior der des rectus superior ähnlich wird, steht
das Bild des kranken Auges tiefer, seine Neigung schwin-
det oder kehrt sich um.
Da nun derObliquus superior in derselben Stel-
lung den grössten Einfluss auf die Meridianneigung aus-
übt, in der der Rectus inferior das Maximum seiner
Wirkung in Bezug auf die Höhenstellung erreicht und
umgekehrt, so resultirt aus der Combination der bei-
den bezüglichen Symptomenbilder ein drittes mit folgen-
dem Verhalten:
1) Beim Blick nach innen unten übereinander-
stehende Doppelbilder, von denen das Bild des kranken
Auges das höhere ist. Daselbe ist positiv gegen das
gesunden geneigt Die Bilder sind gleichnamig.
2) Beim Blick nach aussen unten übereinander-
stehende Doppelbilder, von denen das Bild des kranken
Auges das höhere ist Dasselbe ist negativ gegen das
des gesunden geneigt. Die Bilder sind gekreuzt
3) In Folge dessen wird eine Umkehr in
dem Stellungsmodus der Doppelbilder nirgends
stattfinden können.
Häufiger, oft plötzlicher Wechsel der Erscheinungen
scheint den spastischen Affectionen eigenthümlich zu sein.
Mit den Exacerbationen und Remissionen werden die
99
Deviationen grösser und kleiner, das Gebiet dns Doppel-
sehens weiter und enger, es kann das ganze Gesichtsfeld
einnehmen oder, sei es durch willkürliche Compensations-
anstrengang der associirten Muskeln, für kurze Zwischen-
momente auf Null reducirt werden.*)
Es bedarf also, falls nicht die erste Prüfung in auf-
£Eillender Weise vom Glück begünstigt ist, einer Reihe
von Beobachtungen an einem Kranken, um Alles best&tigt
zu finden, was wir a priori vorauszusetzen uns fQr be-
rechtigt halten dürfen. Ich erlaube mir desshalb, die
Krankheitsgeschichte des vorliegenden Falles etwas aus-
führlicher mitzutheilen.
G. K., 64 Jahre alt, Pförtner in der Karlsaue, con-
sultirte mich am 7. August d. J. Patient sieht seit etwa
IVs Jahren doppelt. Das Doppeltsehen tritt anfallsweise
auf; 3—4 Mal und öfter täglich. Es wird dasselbe ein-
geleitet und begleitet von Kopfschmerzen, die nur auf
der rechten Seite, besonders im rechten Orbicularis pal-
pebrarum ihren Sitz haben, dessen Grenzen Patient genau
mit dem Finger umschreibt Ausserdem klagt Patient
über rheumatische Schmerzen, die ihm ebenfalls seit
IVs Jahren Beschwerden verursachen, und zwar aus-
schliesslich in der rechten Körperhälfte. Im Uebri-
gen ist der Allgemeinzustand des grossen, verhältniss-
mässig noch jugendlich aussehenden Mannes normal.
Beim Verdecken des rechten Auges durch ein farbiges
Glas sieht Patient ein in 3—4' Entfernung gehaltenes
*) Wir flnden hier ein dem der paraljrtisclien Affeetionen entgegen-
geeetstes Yerhalten, Die auf einen paretuchen Muskel einwirkende Ter-
Btärkte WiUenethätigkeit übertriigt Bich anf den Sodas als excedirende
Seeondärablenknng. Hat dagegen ein spastisch contrahirter Maskel
einmal sein Contractionsmazimum erreicht, so kann eine yerstarkte
'VnUensthätigkeit auf ihn keinerlei Einfluss mehr ausüben, sondern nur
auf den assoeiirten Muskf^L » OieiSMBOi^n^ä^btenkiiAg ist kleiner
als die Primarablenkung, sie ist, so %a sagen,' negafciy.
100
Licht überall einfach, ausser in der rechten unteren Blick*
feldecke. Hier steht das Bild des rechten Auges höher
als das des linken. Anfangs sind die Bilder um 3 Zoll
von einander entfernt, rasch aber wächst dann ihre
Distanz bis auf IVs Fuss. Nach beendeter Prüfung be-
hauptet Patient auch in der Horizontalebene doppelt zu
sehen, jedoch nur sehr kurze Zeit. Bis zu einem ge-
wissen Grade kann Patient die Doppelbilder willkürlich
hervorrufen, „durch Richten der Augen". In der Meri-
dianlinie wird ein allm&hlich genährtes Licht bis auf 1
bis 2 Zoll Distanz einfach gesehen, dann treten gerade
übereinanderstehende Doppelbilder auf, von denen das
dem rechten Auge entsprechende das höhere ist.
12. August Die Doppelbilder eines 3—4 Fuss
entfernt gehaltenen Lichtes verhalten sich wie das erste
Mal. — Aufgefordert, die Spitze meines Fingers in IVs
bis 2 Zoll Distanz zu fixiren, giebt der Kranke überein-
anderstehende Doppelbilder an, verdeckt man dagegen
ein Auge durch ein farbiges Glas und lässt ein Licht in
derselben Distanz fixiren, so sieht er stets einfach.
21v August. Beim Blick gerade nach unten,
Behufs der Fixation der in die Medianlinie gehaltenen
Fingerspitze macht das rechte Auge eine deutliche
Radbewegung im Sinne des Trochlearis. Verdeckt man
beim Blick nach rechts unten das linke Auge, so macht
dasselbe, nach Hinwegnahme der deckenden matten Glas-
platte, eine kleine Drehung nach innen unten.*) Wenn
Patient der Auflforderung, die vorgehaltene Fingerspitze
zu fixiren, nachkommt, erreicht das rechte Auge die ge-
forderte Convergenzstellung nur mit grosser Anstrengung.
Einige Male sieht Patient bei diesen Versuchen doppelt.
*) Patient sieht in dem Augenblicke , in dem die das linke Auge
▼erdeokende Glasplatte fortgenommen wird, doppelt, dann (i. e. naeh
VoUfüIijrang 4Br.''0pElipenea|<<riecüen «Dve^ili^) ,;M>/brt einfach. Si mnsa
also in diiieia 3?'älld mit beiden Augen axceatzlbch flxirt werden.
101
meistens jedoch in allen Stellungen einüach, sowohl die
Spitze des Fingers, als auch die feinere eines glänzend
polirten Bistouri's. — Im Uebrigen verhalten sich die
Doppelbilder wie frfiher. Einmal sieht Patient an einer
innerhalb des Gebietes der Diplopie liegenden Stelle
plötzlich einfach. Von der äussersten rechten unteren
Blickfeldecke ausgehend, erweitert sich das Gebiet der
Diplopie, w&hrend es sich verengert, wenn man von der
Medianlinie ausgeht, in der einfach gesehen wird. —
Lateralabstände und Schiefheiten giebt Patient nicht an.
Das tieferstehende Bild wird in gewöhnlicher Weise fQr
das nähere gehalten.
28. August. Patient klagt über rheumatische
Schmerzen in der rechten Körperhälfte und über Schmer-
zen im rechten Auge, besonders aber über äusserst em-
pfindliche Spannung im Orbicularis, dessen Contour er
deutlich mit dem Finger umschreibt. Beim Druck auf
die Bulbi giebt er den rechten als den in schmerzhafter
empfindlichen an, ebenso die rechte Hälfte des Kopfes
bei der Percussion. An der Wirbelsäule sind keine auf
Druck empfindliche Punkte vorhanden. — Die Prüfung
der Doppelbilder ergiebt in der rechten unteren Ecke
des Blickfeldes eine Kreuzung derselben, die (in Folge
der längeren Fixation, die die spastische Contraction
steigert) nach der Seite des gesunden Auges eine kleine
Strecke hindurch zunahm. Von der rechten unteren
Blickfeldecke ausgehend lässt sich das Gebiet der Di-
plopie bis zur Medianlinie erweitern, in dieser und den
angrenzenden Stellungen stehen die Doppelbilder genau
übereinander, resp. nimmt die Kreuzung wieder ab. Von
der Medianlinie nach links hin wird überall einfach ge-
sehen. Vom Gebiete des Ein&chsehens ausgehend, kom-
men die Doppelbilder nur in der rechten unteren Blick-
feldecke zum Vorschein. Die in der Medianlinie und der
Horizontalebene vorgehaltene Fingerspitze wird heute
102
stetsdoppelt gesehen. Die beim Blick gerade nach nnten
das vorige Mal aufgetretene Raddrehung ist auch heute
deutlich zu constatiren. Dieselbe ist noch augenfälliger
als bei Oculomotoriuslähmungen.
5. September. Heute ist bei der an den Kranken
gerichteten Aufforderung, die in der Medianlinie in- oder
etwas unterhalb der Horizontalebene vorgehaltene Finger-
spitze zu fixiren, deutliches Ab- und Auswartsschielen
zu constatiren. Es bleibt dasselbe in allen Stellungen
deutlich, von der Mittellinie nach aussen hin, ausgenom-
men da, wo die Enge der Lidspalten die Beurtheilung
hindert. Nach jeder angestrengten Convergenzbewegung
macht das rechte Auge eine Baddrehung im Sinne des
Trochlearis. Das Gebiet der Diplopie .lässt sich heute
bis zur Medianlinie in der unteren Hälfte, für die obere
bis zu ungefähr der Stellung erweitern, in der die Augen-
axe mit der Drehungsaxe der Obliqui zusammenfilllt.
Die Bilder sind gekreuzt Die Fusion geht trotzdem
in allen Stellungen ziemlich leicht vor sich.
8. September. Patient klagt über Verschlechterung
seines Befindens und schiebt dasselbe auf die eingetretene
Witterungsveränderung. Die Diplopie unterhalb der Ho-
rizontalen durch das ganze Gesichtsfeld. Das Bild des
rechten Auges (das höhere) ist negativ gegen das untere
lothrechtstehende geneigt. Die Höhendistanzen neh-
men deutlich nach links, die Schiefheit nach
rechts zu (also im Sinne des Trochlearis). Innerhalb
dieses Rahmens jedoch sind die Erscheinungen sehr
wechselnd, indem zuweilen einen Augenblick lang einfach
gesehen wird, die Distanzen rasch wachsen und abnehmen.
Besonders beim forcirten Blick nach rechts
unten wechseln die Höhendistanzen fortwährend.
10. September. Beim Blick nach innen unten
ist deutliches Tieferstehen des rechten Auges zu
constatiren. Beim Verdecken derselben und darauf fol-
103
gendem Fixiren eines nach innen unten gehaltenen Ob-
jectes macht dasselbe eine kleine Einrichtungsdrehung
nach oben innen. Die Diplopie pr> sich nicht ganz
so scharf zu Gunsten des Trochlearis aus, als das
vorige Mal.
16. September. Die Diplopie geht heute mit Aus*
nähme einzelner Momente, in denen einfach gesehen wird,
durch den ganzen unteren Theil des Gesichtsfeldes. Im
Allgemeinen ist nach rechts unten zu eine Vergrösse-
rung der Höhendistanz bemerkbar, doch ist sie zuweilen
auf beiden Seiten gleich. Bei aufmerksamer Fixation
nimmt sie stets zu. Nach rechts hin sind die Bil-'
der leicht gekreuzt, die Flamme des höher-
stehenden in negativem Sinne geneigt, nach
links werden sie leicht gleichnamig und ver-
lieren die Shhiefheit. Beim Fixiren der Fingerspitze
dieselben Erscheinungen wie das vorige Mal. In 1 bis
IVs Zoll Distanz sieht Patient die Fingerspitze doppelt,
in grösseren Abst&nden einfach.'*')
19. September. Fat sieht Anfangs überall einfach,
kann jedoch durch längere Fixation Diplopie hervorrufen,
und zwar in der ganzen unteren Hälfte des Blickfeldes.
Die Bilder stehen überall übereinander (das des rechten
Auges höher), sind rechts unten gekreuzt (das
höhere in negativem Sinne geneigt), links unten
leicht gleichnamig (das höhere in positivem Sinne
geneigt)
Das hier Angeführte dürfte genügen, um den aus
den in verschiedener Weise eintretenden Exacerbationen
und Remissionen der Spasmen, wie ans den bald mehr,
*) Je weiter dM Auge behufs it&rkerer Co&Tergens iiBoh innen ge-
drelit wird, deeto mehr wirkt der Obliquae «uperior auf dieHShen.
itellnng, i e. deito mehr weicht es naoh nnten ab. Der reetns in-
ferior wirkt hier nur anf die Meridianstellnng und die hieraus resnl-
trende Abweichung kann Tcmachliseigt werden.
104
bald weniger zur Geltung kommenden Fusionstendenzen
hervorragenden mannigfachen Wechsel der der besproche-
nen Affection zukommenden Erscheinungen einigermassen
in's Licht zu setzen. MSge es nunmehr erlaubt sein,
einige therapeutische Bemerkungen dem bereits Gesagten
hinzuzufügen. In Bezug auf die Tenotomie der spastisch
Contrahirten Muskeln müssen wir dem, was Wecker*)
g^en die von Alfred Graefe ausgefahrten Operationen
vorbringt, beistimmen; bei Affectionen, deren Erschei-
nungen solchem Wechseln unterworfen sind, wie dies hier
der Fall ist, fillt die genaue Dosirung des Eflfectes einer
Tenotomie fort. In unserem Falle gelang es mit sehr
gutem Erfolge den lästigen Symptomen der Diplopie und
zum Theil auch den begleitenden schmerzhaften Empfin
düngen durch das Tragen passender Gläser abzuhelfen.
Zum Sehen in die Feme erhielt Patient eine pris-
matische Brille, und zwar vor das rechte Auge Prisma
4® mit der Basis nach innen oben, vor das linke (ge-
sunde) Auge Prisma 4^ mit der Basis nach unten. So-
bald der Kranke an den im Orbicularis eintrenden span-
nenden Schmerzen merkt, dass der Anfall im Anzug be-
griffen ist, setzt er die Brille auf. Er spürt sofortige
Linderung seiner Schmerzen und stellt den Kopf, den er
sonst um die sagittale Axe nach rechts gedreht trägt,
gerade.
Um dem Kranken das Lesen zu ermöglichen, das er
schon seit langer Zeit hat aufgeben müssen, können wir
den Spasmus des Bectus inferior, der ja während der
Convergenz nur auf die Meridianneigung wirkt, vernach-
lässigen. Patient bedarf die seinem Alter entsprechende
Presbyopie und eine geringe Hypermetropie zusammen-
genommen, einer Gonvexbrille Nro. 11 für die Lectflre.
Von den Gläsern derselben wurde das eine nach innen
*) Stades ophthiüinol. IL pAg. 475.
106
oben, das andere nach innen nnten so decentrirt, dass
die prismatische Wirkung der Brille einem Prisma 4^
gleich wnrde. Mit dieser Brille liest Patient ganz vor-
trefflich and nngestSrt. Einen Moment nach dem Auf-
setzen derselben sieht er doppelt, dann, da aufmerksame
Fixation den Spasmus herrorrnft, einfiich. Die Erschei-
nungen treten hier demnach in umgekehrter Weise auf^
als gewöhnlich; mit einer nicht decentrirten Convexbrille
liest Patient wohl einige Worte, muss aber dann sofort
sein Budi bei Seite legen, da die Buchstaben ver-
schwimmen.
Von dem Vorschlage Weckers*), längere Zeit hin-
durch Atropin-Eintr&ufelungen vorzunehmen, haben wir
abgesehen. Die den AnfiUlen vorausgehenden und wäh-
rend derselben andauernden schmerzhaften Empfindungen
in und in der Umgebung des Auges, sowie die speciell
in unserem Falle auf der dem kranken Auge correspon-
direnden Körperh&lfte gleichzeitig auftretenden rheuma-
toiden Schmerzen scheinen darauf hinzudeuten, dass der
Sitz der spastischen Augenmuskel-Gontractionen in einem
Nervencentrum (Pons, med. oblongata, med. spinalis) zu
suchen und die Spasmen selbst als Beflezoontractionen
aufzu&ssen sein. Als eigentliche Ursache ist in dem
hier beschriebenen Falle Malariainfection anzusehen. Die
Wohnung des Kranken befindet sidi dicht am Bande
eines sumpfigen Gewässers von ziemlich beträchtlicher
Längenausdehnung. An kühleren, klaren Tagen und im
Winter befindet sich Patient besser als an feuchten Begen-
tagen, die immer bedeutende Verschlimmerung im Ge-
folge haben, und im Sommer. Diese Diagnose bestätigt
die Erzählung des Kranken, dass einer seiner Nachbarn
an derselben Krankheit gelitten habe, jedoch ohne weitere
Therapie nach längerer Zeit davon befreit worden seL
106
Da88 die AUgemeinbehandluDg sich nach dem eben Ge-
sagten richten mass, ist selbstverständlich.
Wir können schliesslich die Vermuthung auszu-
sprechen nicht unterdrflcken, dass die gegen die Beob-
achtungen der älteren Autoren, die wir am Eingange
erwähnten, gerichtete Bemerkung Wecker 's*) nicht
völlig zu rechtfertigen sei. Es ist nicht einzusehen,
warum gerade die Bewegungsnerven des Auges nicht
ebenso gut durch pathologische Processe in den Zustand
der höchsten Erregung gebracht werden könnten, wie sie
in den Zustand völliger Paralyse versetzt werden. Sind
doch alle übrigen Bewegungs- wie Geftthlsnerven diesem
Gesetze unterworfen.
♦) I.e. pag.475.
Ueber Aceommodations-BeBdixftikaiigeii bei
Zahnleiden.
Von
Dr. Hermann Schmidt,
Stebunt in BerUn.
in neuerer Zeit ist, besonders durch Hutchinson,
Delgado und Wecker, wiederum die Aufmerksamkeit
auf die ursftchliche Verbindung gewisser Augenaifectionen
mit Zahnleiden gelenkt worden. Wenn auch ein Theil
der in der Litteratur niedergelegten Mittheilungen Aber
derartige Gomplicationen einer etwas strengeren Critik
gegenüber nicht stichhaltig erscheinen mag, so bleibt
doch noch eine nicht geringe Anzahl von Fallen flbrig,
bei denen ein Zusammenhang des Zahn- mit dem Augen-
leiden durchaus unabweisbar erscheint.
Dies veranlasste mich, in Verbindung mit einem mir
in der Praxis vorgekommenen Fall von Accommodations-
parese, die nach kurz vorangegangenen, heftigen Zahn-
schmerzen eingetreten war, (die Mittheilung dieser Beob-
achtung folgt weiter unten), — eine Reihe von Zahn-
leidenden auf ihre Sehschärfe, ihren Refractions- und
Accommodationszustand genauer zu untersuchen. Die
Gelegenheit hierzu fand ich in der Klinik für Mund-
und Zahnkrankheiten des Herrn Dr. Alb recht, der mir
108
in liberalster Weise das vorhandene, äusserst reichhal-
tige Material zu Gebote stellte und mich bei meinen
Untersuchungen auf das Freundschaftlichste unterstützte.
Ich ergreife gern die Gelegenheit, ihm dafür öffentlich
meinen Dank auszusprechen.
Die Unteräuchung erstreckte sich auf weit über
hundert F&Ue, doch konnte ich bei genauerer Durchsicht
zu meiner Arbeit nur 92 verwenden, da bei den übrigen
die, eine immerhin etwas subtilere Beobachtung erfor-
dernden Angaben zu schwankend erschienen.
Ich lasse diese 92 Fälle hierbei in Kürze folgen, um
Gelegenheit zu geben, meine aus den Beobachtungen ge-
zogenen Schlüsse mit diesen selbst zu vergleichen. Die
Accommodationsbreite wurde für jedes einzelne Auge
so gefunden, dass erst der Fempunkt durch Refractions-
besümmung auf circa 19 Fuss mit Anwendung der
Sn eilen 'sehen Tafeln gesucht, und dann der Nahepunkt
mit Hülfe des Stäbchen- Optometers festgestellt wurde*
Letzteres geschah so, dass das Optometer stets aus der
Entfernung dem Auge immer mehr und mehr genähert
wurde, bis der Punkt des Undeutlichwerdens eintrat
Es wird bei diesem Verfahren fast durchgehends das
punctum proximum dem Auge etwas näher, — und daher
richtiger, da es der stärksten Accommodations-Anstrengung
entsprechen soll, — angegeben, als wenn man umgekehrt
mit dem Stäbchen« Optometer vom Auge abgeht. In
letzterem Falle schwindet das Motiv, den schon deutlich
gesehenen Gegenstand auch noch ferner klar zuerkennen, —
und damit ein wesentliches Moment zur Aufbietung der
grösstmöglichen Accommodations-Ansta^engung.
Dessenungeachtet sind Schwankungen in den Anga-
ben bemerklich, wie sie wohl auch bei Betrachtung des
in Wirkung getretenen Mechanismus nicht anders er-
wartet werden können. Der dem Accommodationsmuskel
gegebene Nervenimpuls wird ebensowenig zu jeder Zeit
109
derselbe sein wie die dem Muskel selbst mögliche Con-
tractioDsbreite. Doch stellt sich heraas, dass fflr Be-
stimmung des Nahepunktes diese Differenz bei genauer
Beobachtung nur Vii höchstens Vt Zoll betragen dürfte.
In derartigen Fällen habe ich die durchschnittliche Mittel-
grösse der Entfernung angenommen. Dass aber solche
Differenzen nur bei ungenauer Beobachtung, Mangel an
Uebung etc. vorkämen, muss ich bestreiten, da auch sehr
geübte Beobachter bei Bestimmungen ihres Nahepunktes,
wie sich Jeder selbst leicht überzeugen kann, ähnlichen,
minimalen Schwankungen unterliegen. Doch haben die-
selben auf die Grösse der Accommodationsbreite natür-
lich nur da einen merklicheren Einfluss, wo das punc-
tum proximum dem Auge sehr nahe liegt, während sie
bei weiter hinausgerücktem Nahepunkt für die gesammte
Accommodationsbreite nur eine verschwindende Differenz
geben. Die Entfernung wurde vom Scheitel der Cornea
Atropininstillationen zur Bestimmung des Fempunk-
tes konnten aus nahe liegenden Gründen nicht ange-
wandt werden. Doch dürfte dies bei der grossen Zahl
der Untersuchten auch ohne wesentliche Bedeutung für
das gefundene Resultat sein. — Mit D habe ich in den
nachfolgenden Beobachtungen die Differenz zwischen der
vorhandenen Accommodationsbreite und der dem Alter
des Individuums, nach Donders Untersuchungen nor-
maler Weise zukommenden ausgedrückt War die Accom-
modationsbreite der beiden Augen verschieden, so wurde
die geringste der Bestimmung von D zu Grunde gelegt
Diese Differenzbestimmung macht der Natur der Sache
nach nur auf annähernde Richtigkeit Anspruch. Mit
d habe ich die Differenz in den Accommodations-
breiten der beiden Augen desselben Individuum bezeich-
net Die Sehschärfe habe ich nicht angef&hrt, trotzdem
110
sie überall bestimmt wurde, da hierbei sich keine wesent-
liche Abweichung von der Norm zeigte.
Individuen im Alter von 10—15 Jahren:
12. Martha W., 12 Jahr alt. Zahn-Affecüon: rechts
unten 3. Backzahn. Augen-Untersuchung: Emmetropie.
Rechts A V»t, links i/aj. D V», d Vio-
37. Max J., 14 J. Zahn- Äff.: rechts oben 1. Back-
zahn. Rechts M Vso; links M Veo* Rechts A Vie'» Unks
AVn. DV4, dVss.
68. Elisabeth F., 13 J. Zahn Äff. : links unten 3. Back-
zahn. Rechts H Vdo; links E. Rechts A Vi«; links AVis*
Individuen im Alter von lö — ^20 Jahren:
55. PaulW., 15 J. Zahn- Äff.: rechts oben 3. Back-
zahn. Rechts H V50 ; links H Vss* Rechts A V12; links
A Vii. D V4, d Vi32.
56. Carl R., 15 J. Zahn- Äff.: links oben 3. Back-
zahn. Emmetropie. Rechts A Vg; links A V^f D Vsi d Vso-
73. Oscar S., 15 J. Zahn Äff.: rechts unten 3. Back-
zahn, links unten 4. Backzahn. Rechts M Vio; ünks M Vs-
Rechts A Vi«; links A Vu- D V41 d V^.
7. Fräulein A. E., 16 J. Zahn- Äff.: links unten
3. Backzahn. Rechts Phthisis bulbi; links M Vs« A i/^v»*
24. Fräulein E. H., 16 J. Zahn- Äff.: rechts unten
4. Backzahn. Emmetropie. A Vs beiderseits. D=0.
48. Adolph B., 16 J. Zahn- Äff.: beiderseits 3. un-
tere Backzahn. Rechts H Vso^ links Emmetropie. Rechts
A Vö: links A i/ö^ D V^X, d Vw-
82. Hermann W., 16Vs J. Zahn- Äff.: rechts unten
4. Backzahn. Emmetropie. A Vs beiderseits. D ^/^
3. Fräulein 0., 17 J. Zahn- Äff.; rechts oben 3. Back-
zahn, links oben 2. Backzahn. M Ve- Rechts A Vg, links
AV18. DVe, dVu.
111
9. Fräulein S., 17 J. Zahn-Aff.: links unten 2. Back-
zahn. Rechts M V59 Unl^s M Vu- Rechts A ^l%'ii, links
A Vs- d V^i- Bessere A durchschnittlich als normal.
30. Gustav E., 17 Jahr. Zahn-Afi.: links und rechts
unten mehrere Backz&hne erkrankt M Vm« beiderseits
AVs. DV«.
69. Fraulein W., 17 J. Zahn- Äff.: rechts oben
3. Backzahn, links unten mehrere Backzähne. M Veo*
Rechts A V?; links A V9. D V&X, d Ysi-
17. Carl A., 18 J. Zahn- Äff.: rechts oben 3. Back-
zahn. Rechts H V50; Unks £. Rechts A V7*'>; Unks V^-
DVt, dVii.
22. Fräuleins., 18 J. Zahn-Aff.: rechts oben 4. Back-
zahn. Emmetropie. A ^/i^ beiderseits. D V15.
33. Herr L., 18 J. Zahn- Äff.: links unten 1. Back-
zahn. Rechts £; links M Veo- Rechts A V^i^ links
AVic DVe, dVBo.
49. Robert K., 18 J. Zahn- Äff.: links oben 3. Back-
zahn. Rechts H Vöo; links H Vj8. A Vs beiderseits. DVe-
52. Alexander S., 18 J. Zahn- Äff.: links oben Eck-
zahn. M Veo- A V5 beiderseits. D Vii*
53. Fräulein T., 18 J. Zahn- Äff.: links oben 1. Back-
zahn. H Vi4* A V? beiderseits. D V7.
87. Fräulein F., 18 J. Zahn- Äff.: rechts unten
3. Backzahn. Emmetropie. Rechts AVs; Unks A Ve-
D Ve, d 7*4.
47. Herr Gr., 19 J. Zahn- Äff.: links oben 2. und
4. Backzahn. Emmetropie. A 1/5^ beiderseits. D Vio-
88. Fräulein Li., 19 J. Zahn- Äff. : rechts oben 3. Back-
zahn. M Vfio- A 1/41 , beiderseits. D Vis*
83. Fräulein K, 19 J. Zahn- Äff. : links unten 3. Back-
zahn. Emmetropie. A Ve beiderseits. D Vt-
öl. Herr L., 19 J. Zahn- Äff., links oben 2. Schneide-
zahn. Emmetropie. A V? beiderseits. D 1/7^
112
Individuen im Alter von 20—25 Jahren:
21. Herr K., 20 J. Zahn- Äff.: rechts oben 3. und
4. Backzahn. M Vso- A Vi- I> = 0.
27. Fräulein A. K, 20 J. Zahn-Aff.: links oben
2. Schneidezahn. Emmetropie. Bechts A V? ; ünl^s A Vio-
2. Frau R., 20 J. Zahn^Aff.: links unten letzter
Backzahn. Emmetropie. Rechts A ^/6%; links A Vs*
D Vs, d Vs4.
14. Herr Pe., 20 J. Zahn- Äff.: rechts unten 2. Back-
zahn. M Veo* Rechts A V^X; Unks A V% D V^i» d V^V
38. Fräulein A. K., 20 J. Zahn- Äff.: links oben
2. Backzahn. Rechts K, links M V^. A Ve- I> VH-
77. Herr W., 20 J. Zahn- Äff.: links oben Eckzahn.
H Vto- A Vs beiderseits. D V7.
94t. Fräulein Bo.« 20 J. Zahn- Äff.: rechts unten
4 Backzahn. Rechts H V50, links H Vss- Rechts A V4,
links A 1/8*. D Vftt, d V«,.
6. Fräulein P. B., 21 J. Zahn- Äff.: links oben und
unten mehrere Backzähne. Emmetropie. Rechts A ysi;
links A V»4. D V7, d Vgo.
23. Fräulein B. H., 21 J. Zahn- Äff.: rechts 3. und
4 obere und untere Backzahn. Emmetropie. A y^ D Vso-
75. HerrW., 21J. Zahn- Äff.: rechts oben 3. Back-
zahn. M Vco. A 1/5*. D Vis.
19. Fräulein He., 22 J. Zahn -Äff.: rechts oben
2. Backzahn. Emmetropie. Rechts A Vh; ^^^ A V^*
DVu, dV«,.
11. Herr Gr. 22 J. Zahn- Äff.: beiderseits mehrere
obere Backzähne. H V^o- A Vt- D Ve-
44 Herr H. R., 22 J. Zahn- Äff. : rechts oben 2. Back-
zahn. H. Vso. A 1/64. D Vio.
76. Herr M., 22 J. Zahn-Aff.: rechts oben 3. Back-
zahn. HV70. AVö- DVw-
113
78. Herr K., 22 J. Zahn-Aflf.: rechts oben 3., links
unten 2. Backzahn. M ^,\^. Rechts A Vsi Ki^ks A i/ioi,.
92. Herr Fr., 22 J. Zahn-AflF.: links unten und
oben mehrere Backzähne. M Vio- A i/e^. D Vio-
63. Herr Fö., 22 J. Zahn Afif.: rechts oben und
unten 2. Backzahn, links oben und unten 4. Backzahn.
MVeo. A1/6S. DVio.
10. Herr Seh., 23 J. Zahn- Äff.: links Periostitis
des Unterkiefers. Emnietropie. Links A Vsi rechts A Ve-
D kleiner als Vs; d V24-
15. Herr Schti., 23 J. Zahn- Äff.: rechts oben Eck-
und 3. Backzahn. Emmetropie. Rechts A 1/5^, links
A i/5i. D ^/l3, d Vl26.
20. Herr A. M., 23 J. Zahn- Äff. : links unten 4. Back-
zahn. Emmetropie. A Vis- D 1/5^
26. Frau Cl., 23 J. Zahn- Äff.: links unten 3. Back-
zahn. Rechts Emmetropie, links H V70. Rechts A Vsi
links A 1/94. D Vt, d Vs«.
46. Herr Br., 23 J. Zahn- Äff. : rechts unten 3. Back-
zahn. Emmetropie. Rechts A V^tilJoks A Vs- D V7»d V50.
57. Fräulein Bl., 23 J. Zahn-Aff. : links unten 3. Back-
zahn. Emmetropie. A i/ej. D V?-
62. Herr Ju., 23 J. Zahn-Aff.: rechts oben 3. Back-
zahn. M ^/eo. A Vio. D V^
66. Herr St., 23 J. Zahn-Aff: links oben 3. Back-
zahn. Emmetropie. Rechts A Vsi Wi^ks A Vio- D V^Si d V^o-
84. Fräulein E., 23 J. Zahn-Aff.: rechts oben und
unten 2. Backzahn. Emmetropie. A Vs- D V12.
85. Herr Gü., 23 J. Zahn-Aff.: links oben 2. und
links unten 5. Backzahn. Emmetropie. A i/9(. D V?)^
86. Frau Bo., 23 J. Zahn-Aff.: rechts oben 4. Back-
zahn, rechts unten 4. und ö., links unten 5. Backzahn.
Rechts M Vii^ lints M V25. Rechts A Vso» links A Vi5V
D V5«, d V22.
Archiv Ar Ophthalmologie, XIY. 1. 8
114
89. Fräulein Wi., 23 J. Zahn -Äff.: rechts oben
5. Backzahn. M V2o- A Ve- D Vis-
93. Fräulein Ab., 23 J. Zahn- Äff.: rechts und links
unten 3. Backzahn. Emmetropie. A V5. D Vu-
95. Herr F., 23 J. Zahn- Äff.: links unten 4. Back-
zahn. Bechts M Veo, links M Vi- Rechts A ^/s%, links
A Vs- A besser als der normale Durchschnitt d Vie
zu Gunsten der leidenden Seite.
35. Fr. Fr., 24 J. Zahn- Äff.: links unten 4. und 5.,
rechts unten 5. Backzahn. Emmetropie. Bechts A ^At»
links A Vöt- D Vu, d Vis-
42. Fräulein M. H., 24 J. Zahn- Äff.: links untere
1. Backzahn. Emmetropie. Bechts H VöO) li^^ks E. Bechts
A Ve, links Vt- D V12, d V42-
43. Fräulein E., 24 J. Zahn -Äff.: rechts unten
5. Backzahn. Bechts H Vso; Unks E. Bechts A Vio* Unks
AVe- DVs, dVso.
60. Frau Ha., 24 J. Zahn- Äff.: rechts oben 2. Back-
zahn. Emmetropie. A Vn- D A-
65. Herr PI., 24 J. Zahn- Äff.: rechts unten 4. Back-
zahn. Emmetropie. A i/tj. D VH-
70. Herr Br., 24 J. Zahn- Äff.: links oben viele
cariöse Backzähne. Bechts E, links M Veo- Rechts
A Ve, links A Vio- D V^IK, d V90.
Individuen im Alter von 25—30 Jahren:
71. Herr Po., 25 J. Zahn- Äff.: rechts oben 1. und
2.. Backzahn. M Veo- A Vie- D Ve-
29. Frau He., 25 J. Zahn- Äff.: rechts unten 4. Back-
zahn. H Veo- A Ve- D Vß*.
32. Frau Ha., 25 J. Zahn- Äff.: links unten 2. Back-
zahn. Bechts M Vu, links M Vit- A Vw- D V^X-
18. Eräulein Er., 26 J. Zahn- Äff.: rechts unten
3. Backzahn, oben 3. und 4. H Vto- A V^, normal.
115
40. Herr Schul, 26 J. Zahn-A£P.: rechts oben 3. Back-
zahn, links oben 2. Backzahn. M Veo- A Vio- D ^/»V
16. Herr Schü., 27 J. Zahn- Äff. : rechts unten 5. Back-
zahn. Rechts H Vsoi links E. Rechts A Vs) ^inl^s A Vi;
normal, d Vso*
36. Herr See., 28 J. Zahn-Aff.: links oben 3. Back-
zahn. E. A Vs. D Vis-
50. Fräulein De., 28 J. Zahn- Äff. : rechts oben Eck-
und 2. Backzahn. E. A Vs- D Vis-
58. Frau See., 28 J. Zahn- Äff.: links unten 2. Back-
zahn. M Vit. Hechts A 1/6%, links A Vio- D Vio, d Vii-
72. Herr Hin., 29 J. Zahn- Äff.: links unten 5. Back-
zahn. M Vso- Rechts A Vs, links A l/il D Vn, d Vis-
74. Frau Bau., 29 J. Zahn- Äff.: links unten 2. Back-
zahn. E. A Vs) normal.
Individuen im Alter von 30—35 Jahren:
8. Frau J., 30 J. Zahn- Äff.: rechts oben 4. Backz.
Emmetropie. Rechts A ^/s^, links A i/2|; besser als
normal, d Ve-
5. Herr La., 30 J. Zahn- Äff.: rechts oben 3. Back-
zahn. M Veo- Rechts A Vto, links A V^V D Vtt, d Vzi.
28. Fräulein AI., 30 J. Zahn- Äff.: rechts oben und
unten 5. Backzahn. Rechts H Vto, links H Veo- Rechts
A VH) links A V^, normal, d ^/uf
79. Frau Ni., 30 J. Zahn- Äff.: links oben 4. Back-
zahn. Emmetropie. A i/6|, normal.
Frau Qui., 32 J. Zahn- Äff.: rechts oben S.Backzahn.
M Vw. A V». D Vm.
80. Fräulein Kr., 32 J. Zahn- Äff.: links unten 4.
Backzahn. M V20. A Vu. D V9.
91. Frau T., 32 J. Zahn- Äff.: rechts unten 4. Back-
zahn. Emmetropie. A V?, normal.
25. Frau Vo., 33 0. Zahn- Äff. : links oben 2. und
3. Backzahn. E. A Vit. D V»)t
s»
59. Frau Me., 34 J. Zahn-Afif.: links oben letzter
Backzahn. E. A ;^. D V40.
Individuen älter als 35 Jahre :
34. Fräulein E., 35 Jahr. Zahn-AflF.: Periostitis des
linken antrum Highmori. M Vs- A V7» normal.
Frau Kü., 37 J. Zahn-Aff.: links unten 3. Backzahn.
Rechts M Vw, links Emm. Rechts A VoJ- links A i/ö^.
besser als normal.
54. Herr Hu., 37 J. Zahn-AflF.; rechts oben cariöse
Backzähne, zur Zeit heftige Neuralgie des 2. Trigeminus-
astes. H V,a. A Vio. D V,5.
64. Herr Kae., 37 J. Zahn-AflF.: rechts oben zweiter
Schneidezahn. M Vm. A V15. D V17.
1. Herr M., 40 J. Zahn-AflF. i 4. Backzahn links oben
und rechts unten. H Vso. Rechts A Ve*. links A V7>>>;
besser als normal.
45. Herr Seh., 43 J. Zahn-AflF.: links unten 4. Back-
zahn. Emmetropie. A Vs; besser als normal.
41. Herr Mü., 46 J. Zahn-AflF.: rechts unten Perio-
stitis. E. A Vii, normal.
81. Herr Pf., 47 J. Zahn-AflF.: rechts unten 3. Back-
zahn , rechts oben und links oben 5. Backzahn. H V70.
A Vu, normal.
96. Herr Ma., 47 J, Zahn- Äff.: links oben 5. Back-
zahn. Emmetropie. A V12, normal.
90. Herr Ga., 61 J. Zahn-AflF. : links oben 4. Back-
zahn. Emmetropie. A V21, besser als normal.
Bei der Durchsicht dieser Beobachtungen fällt es
zuerst auf, dass nur in 19 Fällen die Accommodations-
breite eine normale (resp. bessere als normale) ist, wäh-
rend in den übrigen 73 Fällen sich dieselbe, und zwar
zum Theil ganz enorm, herabgesetzt zeigt Worin sollte
117
diese auffällige Tbatsache ihren Grund haben? Es liegt
natörlich nahe, das accommodationbeschränkende Moment
in dem gemeinsamen Erankheitsaffect, den Zahnschmerzen,
zu suchen. Diese Auffassung wird dadurch unterstützt,
dass zuweilen einige Tage nach Aufhören des Zahnweh
sich die Accommodationsbreite wieder vermehrte: es
wurde dies unter 8 Fällen, welche nach einiger Zeit zu
wiederholter Untersuchung kamen, 5 Mal evident con-
statirt. Der Satz: cessant« causa, cessat effectus, schien
sich hier zu bestätigen. Dass aber nicht stets mit dem
Schwinden des Zahnweh auch die Accommodations-
beschränkung weicht, ist leicht verständlich: die gesetzten
Veränderungen wirken eben noch, selbst nach Aufhören
der ihnen zu Grunde liegenden Ursache, in schädlicher
Weise fort.
Zur Illustration des Einflusses des Zahnweh resp.
der Trigeminusreizung auf die Accommodationsbreite
lasse ich hier Fall 88 und 14 ausführlich folgen.
88. Fräulein Elise L., 19 Jahre, leidet seit 4 Wochen
an einer Neuralgie der rechten Gesichtshälft, die auch
über die gleichseitige Stirn- und Kopfhälfte ausstrahlt.
Seit 3 Tagen sind die Schmerzen äusserst heftig gewor-
den, fast zum „wahnsinnig werden". Sie treten ruck-
weise auf, indem sie dann wieder kleinere schmerzfreie
Intervalle zwischen sich lassen. Das Gesicht zeigt sich
stark geröthet, die Augen leicht injicirt, besonders rechts.
Die rechte Gesichtshälfte ist auf Druck überall schmerz-
haft; bei der Prüfung mit Nadelstichen findet sieh eben-
daselbst Hyperästhesie; in der Empfindlichkeit der bei-
derseitigen Augäpfel ist jedoch kein Unterschied zu con-
statiren. Der Ausgangspunkt der Neralgie wird in dem
cariösen dritten Backzahne des rechten Oberkiefers ge-
funden. Die Untersuchung der Augen ergiebt bei M. Vso
und leichtem linksseitigen Strabismus divergens den
Nahepunkt in 4 Zoll Entfernung beiderseits. — Nach
118
der Aetzung des cariöseu Zahnes mit der gebräuchlichen
Arsenikpaste verschwand die Neuralgie. Am folgenden
Tage (1. October), wo Patientin vollkommen schmerzfrei
ist, erzielt die Untersuchung der Augen: M. Vso? beider-
seits Nahepnnkt in 3V4 Zoll. — Am 2. October hat
Patientin Vormittags wieder Zahnweh gehabt, doch nicht
so heftig als früher. Die Untersuchung ergiebt jetzt
wieder ein Hinausrücken des Nahepunktes auf 3^4 bis
4 Zoll. — Diese Beobachtung ist um so mehr beweis-
kräftig, da das junge Mädchen intelligent war und durch-
aus exacte Angaben machte.
Fall 14. Herr Louis P., 20 Jahre alt, leidet seit
circa vier Wochen an massigen Zahnschmerzen, veran-
lasst durch Caries des zweiten unteren Backzahnes der
rechten Seite. Die Untersuchung der Augen ergiebt M
V60 beiderseits; links S == 1, rechts etwas weniger. Nahe-
punkt links 3V2 Zoll, rechts 678 Zoll. Nach Aetzung
des Zahnes hören die Schmerzen auf. Am folgenden
Tage wird Patient wieder untersucht und es findet sich,
dass der Nahepunkt links gegen 4 Zoll, rechts b^/^ Zoll
entfernt liegt. Es zeigt sich demnach schon jetzt, nach
Sistirung der rechtsseitigen Trigeminusreizung während
circa 20 Stunden, ein deutliches Heranrücken des Nahe-
punktes um einen Zoll, während der linke eher etwas
hinausgerückt scheint.
Der Einfluss der Zahnschmerzen auf eine Verän-
derung der Accommodationsbreite ist nach alledem un-
verkennbar. Dass aber die beobachtete Accommodations-
schwäche etwa einfach die Folge einer allgemeinen Her-
absetzung der Muskel -Energie sei, ist schon durch Fall
14 sehr unwahrscheinlich gemacht, da hier die Accom-
modationsbeschränkung eben nur auf dem Auge der lei-
denden Seite eintrat Ueberhaupt ist dieser Einfluss für
die Accommodationsbreite gar nicht von so hoher iBe-
119
deutung, wie man von priori anzunehmen geneigt ist.
Folgendes Beispiel zeigt dies: %
Fall 12. Martha W., 12 Jahre alt, leidet seit längerer
Zeit an Zahnschmerzen, die im cariösen dritten Back-
zahne des rechten Unterkiefers ihren Sitz haben. Die
Untersuchung der Augen ergiebt: Emmetropie; S == 1.
Rechts Nahepunkte 3«/^ Zoll, links ^U Zoll entfernt. —
Extraction des Zahnes; das Kind ?rird ohnmächtig und,
nachdem es sich eben etwas zu erholen anfing, bei noch
bestehender Gesichtsblässe und fortdauernden Klagen
über Schmerzen in dem afficirten Kiefer von Neuem
untersucht: der Nahepunkt lag jetzt beiderseit in SVi
Zoll Entfernung.
Es ist femer gegen eine derartige Annahme einzu-
wenden, dass in sehr vielen Fällen die Zahnschmerzen
gar nicht so erheblich waren, um einen Eindruck auf
das Gesammtbefinden des Patienten hervnrzubringen, und
dennoch der Einfluss auf die Accommodationsbreite un-
verkennbar war. Am deutlichsten aber, wie schon an-
gedeutet, spricht die Thatsache, dass bei einseitigem
Zahnleiden fast jedesmal die Accommodationsbreite auf
der erkrankten Seite herabgesetzt war: unter 31 Fällen
von Differenzen zwischen den beiden Augen wurde nur
ein einziges Mal (Fall 95) das Gegentheil beobachtet.
Dass dies ein reiner Zufall wäre, kann wohl Niemand
glauben. Wohl aber könnte man es auffällig finden, dass
unter 92 Personen sich nicht mehrere befanden, bei denen
die Accommodationsbreite der kranken Seite a priori
eine so flberwiegend bessere gewesen sei, dass selbst der
neuralgische Einfluss sie nicht unter das Niveau der
gesunden habe bringen können. Wir erklären dies da-
mit, dass derartige Individuen sich entweder unter denen
befunden haben können, welche überhaupt keine Accom-
modationsdifferenz zwischen beiden Augen nachgewiesen
wurde, oder unter denen, wo beide Gesichtshälften neu-
120
ralgisch afficirt waren. Von den Ersteren können sehr
wohl eiuige a priori eine physiologisch bessere Accom-
modationsbreite auf dem Auge, welches der zur Zeit der
Untersuchung erkrankten Seite angehörte, besessen haben:
mit Beginn der Trigeminusreizung trat aber eine Be-
schränkung ein, die den vorher bestandenen Accommo-
dationsunterschied vollständig ausglich und demnach keine
Differenz (d) mehr erkennen liess. Ebenso können sich
derartige Individuen unter denen befunden haben, wo
Zahnaffectionen beider Seiten vorlagen, und eine wirk-
liche Differenz zwischen den beiderseitigen Accommoda-
tionsbreiten constatirt wurde. Es lässt sich hier natür-
lich nicht abwägen, wie gross der Einfluss der ein- oder
mehrseitigen Trigeminusaffection auf das Accommoda-
tionsvermögen gewesen ist.
Es bleibt demnach die Thatsache, dass unter 92 Un-
tersuchten, von denen einer monoculus war, 30 eine
Accommodationsdifferenz zu Ungunsten des Auges der
leidenden Seite zeigten: nur Einer in entgegengesetztem
Sinne. Bei 51 Individuen war keine Differenz nachweis-
bar, bei 9 waren beide Seiten mit Zahnleiden behaftet.
Der Unterschied der Accommodationsbreite zwischen
beiden Augen erscheint nicht immer sehr erheblich, falls
man nur den äquivalenten Linsenwerth in's Auge fasst-
Jedoch sind gerade einzelne Beobachtungen, in denen
dieser Werth gering ist, von überzeugender Beweiskraft
Es liegt dies daran, dass bei dem Ange sehr nahem
punctum proximum schon Vi bis Va Zoll grösseren oder
geringeren Annäherungsvermögens von enormer Bedeu-
tung für die Accommodationsbreite werden kann, während
bei femer liegendem punctum proximum selbst mehrere
Zoll Differenz nur einen unbedeutenden Einfluss haben
können. In ersterem Falle aber sind auch die Fehler-
quellen erheblicher, nach den schon im Anfange dieser
Arbeit angeführten Beobachtungen über das Wechseln
121
des Nahepunktes. Es wird daher, selbst bei geringerer
Accommodationsdifferenz (d), der Umstand, dass an der
neuralgisch afficirten Seite der Naheponkt um einen oder
mehrere Zolle hinausgerückt ist, für uns von grossem
Gewichte sein, da hier eben jeder Irrthum ausgeschlos-
sen ist
Ich führe deshalb einige derartige Fälle mit Angabe
des Nahepunktes an:
2. Frau R, 20 Jahre alt, leidet seit circa vier Mo-
naten abwechselnd an Zahnschmerzen, die ihren Sitz im
cariösen letzten Backzahne des linken Unterkiefers haben.
Die Untersuchung der Augen ergiebt beiderseits Emme-
tropie; S = 1. Nahepunkt links 8 Zoll, rechts 6Vs Zoll
vom Hornhautscheitel entfernt liegend.
27. Fräulein A. R, 20 Jahre alt, leidet seit circa
14 Tagen an Zahnschmerzen, die ihren Grund in einer
Periostitis chronica haben, ausgehend von dem zweiten
oberen Schneidezahne linkerseits. Die Untersuchung der
Augen ergiebt beiderseits Emmetropie, S = fast 1. Der
Nahepunkt liegt rechts in 7, links dagegen in 10 Zoll
Entfernung.
66. Herr St., 23 Jahre alt^ leidet seit 3 Tagen an
äusserst heftigen Schmerzen, welche von dem, durch Ca-
ries zerstörten dritten Backzahne des linken Oberkiefers
ausgehen und sich bis in die Schläfengegend verbreiten.
Patient klagt über Unbequemlichkeiten beim Arbeiten,
die besonders des Abends bei Lichte auftreten. Die Un-
tersuchung der Augen ergiebt: beiderseits Emmetropie
bei voller Sehschärfe. Bechts Nahepunkt 8 Zoll, links
10 Zoll entfernt.
Wir könnten, wie ein Blick auf die im An&ng mit-
geschichten lehrt, die Zahl dieser Beispiele bedeutend
mehren, doch scheint es auch so schon genügend fest-
gestellt, dass die beobachteten Accommodationsbeschrän-
122
kungen im innigsten Connex mit den Reizungsvorgftngen
in den Dentalästen des Qnintus stehen.
Es zeigt sich nun ferner, dass das Alter der Pa-
tienten auf ihr öfteres oder selteneres Auftreten von
dem entschiedensten Einflnss ist.
Um einen Einblick in diese Verhältnisse zu gewinnen,
empfiehlt es sich, geringere Differenzgrade zwischen der
zur Zeit der Zahnweh bestehenden und der dem Alter
der Patienten normaler Weise zukommenden Accommo-
dationsbreite auszuschliessen: wir setzen hierdurch auch
zugleich etwaige kleine Beobachtungsfehler ausser Rech-
nung. Ich habe nun, um eben keine zu geringe Differenz
(D) anzunehmen, Vs &ls Maassstab gewählt, doch würde
man, falls ein anderer Differenzwerth vorzüglicher er-
schiene, zu ähnlichen Resultaten gelangen.
Es stellt sich auf diese Weise Folgendes heraus:
Bei 3 Individuen, die im Alter von 10 — 15 Jahren
standen, betrug die Differenz zwischen der gefundenen
und der ihrem Alter physiologisch zukommenden Accom-
modationsbreite (D) jedesmal Vs resp. mehr als Vs- Be-
zeichnen wir diese Fälle also xar i'ioxfjy als Accommo-
dationsparesen, so haben wir 100^.
Unter 22 Individuen im Alter von 15—20 Jahren
fanden sich — bei Anwendung des gleichen Maasstabes
— 16 Accommodationsparesen: also 73 %.
Unter 37 Individuen im Alter von 20—25 Jahren
fanden sich 16 Paresen: circa 43%,
Unter 11 Individuen im Alter von 25 — 30 Jahren
fanden sich 2 Paresen: circa 18 %.
Unter 19 Individuen über 30 Jahre fand sich keine
einzige Accommodations-Beschränkung, die über Vs von
der normalen Breite differenzirte.
Hieraus ergiebt sich, dass erheblichere Accommoda-
tions-Beschränkungen in Folge von Zahnschmerzen am
häufigsten im Alter von 10—15 Jahren auftreten und
123
dann fast gleichmässig, ihrer Procentzahl nach, bis zum
30. Lebensjahre abnehmen. Nach dieser Zeit dürften sie
nor sehr selten zur Beobachtung kommen.
Ueber Individuen unter 10 Jahren habe ich keine
Erfahrung, doch l&sst sich auch wohl hier ein häufigeres
Auftreten annehmen. Jedenfalls dQrfte aber der Schluss,
dass bis zum 15. Lebensjahre stets derartige Paresen
eintreten, zu gewagt erscheinen. Doch springt, trotz
aller Reserve, die Abnahme des Einflusses der Zahn-
schmerzen auf die Accommodation mit zunehmendem
Alter zu anfflUlig in die Augen, als dass man an der
Richtigkeit dieses Gesetzes zweifeln könnte.
Was nun die anderen hier in Erwftgung zu ziehen-
den Momente betrifft, so haben wir zuerst auf das Ge-
schlecht der untersuchten Individuen gerichtet. Natür-
lich können wir nur die Personen, welche im Alter von
15—30 Jahren standen, in Rechnung ziehen, da bei den
Uebrigen nach unserer Untersuchung das Alter allein
sich maassgebend zeigte für das Zustandekommen von
Accommodationsparesen. Wir behalten auch hier als
Maasstab derselben D Vs bei.
Unter 33 Frauen finden sich bei 14 Paresen, dem-
nach bei circa 42 9(; unter 34 Männern bei 17, also
bei 50 %.
Ein erheblicher Einfiuss des Geschlechts auf grösseee
oder geringere Prädesposition zu dem in Rede stehenden
Leiden kann nicht erkannt werden.
Hinsichtlich der verschiedenen Zähne, bei deren Er-
krankung wir Accommodationsparesen gefunden, stellt
sich Folgendes heraus:
1) Affecte der zweiten oberen Schneidezähne: 2 mal
beobachtet. In beiden Fällen Accommodationsparesen.
2) Affecte der oberen Eckzähne: 4 mal beobachtet.
In drei Fällen keine Parese; in einem Falle, wo der 4.
Backzahn gleichfalls erkrankt war, Parese.
124
3) Afifecte der ersten Backzähne: 3 mal beobachtet.
In zwei Fällen Paresen; jedoch in einem dieser Fälle
gleichzeitige Erkrankung des 2. Backzahnes.
4) Aifecte der zweiten Backzähne: 18 mal beob-
achtet. In 8 Fällen Paresen, davon waren bei 4 Indivi-
duen noch andere Zähne afficirt. Ebenso fand bei 4 In-
dividuen von den 10, wo keine Paresen beobachtet, eine
Complication mit Leiden anderer Zähne statt.
5) Affecte der 3. Backzähne: 28 mal beobachtet.
In 16 Eällen Paresen, davon waren 3 mal noch andere
Zähne affizirt. Ebenso fand bei 3 Individuen von den
12, wo keine Parese beobachtet, eine Complication statt
6) Affecte der 4. Backzähne: 14 mal beobachtet.
In 3 Fällen Paresen, von denen ein Fall mit Leiden
anderer Zähne complicirt war. Von den 11 Fällen ohne
Parese waren 4 complicirt.
7) Affecte der 5. Backzähne: 9 mal beobachtet. In
4 Fällen, von denen einer mit Leiden anderer Zähne
complicirt war, Paresen. Von den 5 anderen Fällen
waren 2 complicirt.
Es scheinen hiernach Erkrankungen der Schneide-,
1., 3. und 5. Backzähne eher Accommodationsparesen
nach sich zu ziehen als die der Eck-, 2. und 4. Back-
zähne.
Was die Oesichtshälften betrifft, so war die linke
43 mal betroffen: hierbei 24 mal Accommodationsparesen;
die rechte 41 mal, hierbei 15 Accommodationsparesen.
Zähne des Oberkiefers waren 41 mal affiziii;, dabei
17 mal Accommodationsparesen; Zähne des Unterkiefers
waren 39 mal affizirt, dabei 19 Accommodationsparesen
beobachtet
Es stellt sich demnach nicht, wie man vielleicht zu
vermuthen geneigt wäre, ein überwiegender Einfiuss von
Zahnleiden des Oberkiefers auf Entstehung von Accommo-
dationsparesen heraus. Ebensowenig haben wir bemerken
125
können, dass die Form des Localprozesses, Caries oder
Periostitis oder secundäre Neuralgie, von Einfluss ge-
wesen wäre. Zwar wurde in der Mehrzahl der Fälle,
wo Periostitis bestand und die eben in ein Alter fielen,
in welchem wir überhaupt ein Einfluss auf die Accommo-
dation zu constatiren hatten, eine Beschränkung der
Accommodationsbreite nachgewiesen, doch war diese nicht
immer so hochgradig, dass wir grade der Periostitis
gegenüber der einfachen Caries eine überwiegende Be-
deutung zuzuschreiben vermöchten. Ein Gleiches gilt
von der grösseren oder geringeren Schmerzhaftigkeit
des Zahnleidens. Wir haben Fälle hockgradiger Paresen
bei massigen Schmerzen, und hingegen keine oder nur
geringe Beschränkung der Accommodationsbreite bei
äusserst heftigen Neuralgien beobachtet. So z. B. in dem
schon oben ausführlicher mitgetheilten Fall 88, wo D
nur Vis betrug: Ferner Fall 74. Frau Bau., 19 Jahr
alt, leidet seit 10 Tagen an äusserst heftigem Zahnweh,
das auch noch während der Untersuchung fortbesteht.
Emmetropie beiderseits; S = 1. Nahepunkt 5 Zoll; also
normale Accommodationsbreite.
Fall 23. Fräulein B. G., 21 Jahr alt, leidet seit
3 Wochen an Zahnschmerzen, die ihren Grund in Caries
des 3. und 4. Backzahn des rechten Ober- und Unter-
kiefers haben. Die Zahnschmerzen sind seit 3 Stunden
wieder erneut aufgetreten und zur Zeit der Untersuchung
sehr heftig. Emmetropie; S = 1. Nahepunkt 5 Zoll,
demnach nur V20 D.
Was nun die Differenzen (d) in der Accommoda-
tionsbreite zwischen beiden Augen desselben Individuums
betrifft, so haben wir oben gesehen, dass unter 81 Fällen
einseitiger Zahnerkrankungen eine Accommodationsdiffe-
renz (d) überhaupt 31 mal beobachtet wurde: hiervon
war 30 mal die Accommodationsbreite auf dem Auge
der leidenden Seite geringer als die des anderen. Nach
126
dem Alter vertheilen sich diese Fälle, bei denen das
Auge der leidenden Seite vorzugsweise affizirt war, fol-
gendennassen:
unter 3 Individuen im Alter von 10—15 Jahren:
3 (100 %);
unter 17 Individuen im Alter von 15—20 Jahren:
7 (c. 41 %);
unter 32 Individuen im Alter von 20—25 Jahren:
14 (c.^44 %);
unter 10 Individuen im Alter von 25—30 Jahren:
3 (c. 30 %);
unter 19 Individuen im Alter von 30 Jahren und
darüber: 3 (c. 16 %). Doch ist bei letzterer Aufstellung
in Erwägung zu ziehen, dass diese 3 Fälle Individuen
betrafen, die gerade im Alter von 30 Jahren standen.
Fall 1 und 39 blieb unbeachtet, da die Accommodations-
breite hier sogar etwas besser war, als sie dem ent-
sprechenden Alter in der Regel zukömmt, und die Diffe-
renz (d) zwischen beiden Augen nur circa V15& resp. V105
betrug.
Es zeigt sich auch hier wieder evident, dass mit
zunehmendem Alter Accommodationsparesen in Folge
von Trigeminusreizung immer seltener auftreten.
Hinsichtlich der subjectiven Beschwerden, welche
durch diese Zustände den Patienten verursacht werden
müssen, haben wir nur in wenig Fällen Klage gehört
Verschiedene Gründe erklären dies. Bei heftigeren Zahn-
schmerzen ist wohl Niemand geneigt, sich Arbeiten zu
unterziehen, bei denen er sein Accommodationsvermögen
anhaltend und energisch bethätigen müsste. Geschieht
dies dennoch und treten asthenopische Beschwerden
auf, so werden diese auf das Zahnweh geschoben; man
unterbricht die Arbeit So gab z. B. Frau Bo. (Fall 86),
die seit 14 Tagen an heftigen Zahnschmerzen litt, an,
dass sie die letzten Abende nicht mehr habe zeichnen
127
können, da ihr die einzelnen Linien der zu liefernden
Muster in einander verschwommen wären. Ihre Accom-
modationsbreite betrug bei einer Myopie Vu rechts nnd
links V» nur Vw resp. yit^
Man sieht zugleich aus diesem Falle, warum selbst
hochgradige Accommodationsbeschränknngen von einzel-
nen Individuen unverhältnissmässig leicht ertragen wer-
den können. Ist der Patient nämlich erheblich kurz-
sichtig, so kann er immerhin seine gewöhnlichen Arbei-
ten noch sehr wohl verrichten, da er eben nur die Ge-
genstände, Buchstaben etc. in die Nähe seines Fem-
punktes zu bringen braucht, wo sie ohne alle Accommo-
dations- Anstrengung ihm noch genügend grosse Netz-
hautbilder geben werden. Oder auch: es findet eine
erheblichere Accommodations- Beschränkung, wie uns
ja viele Beispiele gelehrt, nur auf der leidenden Seite
statt; es wird dann natürlicher Weise die Erkrankung
übersehen, da Patient allein mit den gesunden Augen
arbeiten kann und wird. Vor Allem aber ist beachtens-
werth, dass die Mehrzahl dieser Paresen nicht all zu
lange zu bestehen scheinen und so in ihren ephemeren
Auftreten den Patienten, die ja so häufig, besonders
wenn zur Klasse der Klinikenbesucher gehörig, in sich
selbst keinen zu grossen Antrieb zur Selbstbeobachtung
finden, gänzlich unbekannt bleiben. Doch selbst bei
längerem Bestehen lässt man diese Paresen wohl häufig
unbeachtet, wie nachstehender Fall zeigte, der mich
— nebenbei bemerkt — zuerst auf obige Verhältnisse
aufmerksam machte.
Knabe A. S., 10 Jahre alt, hatte in den Weihnachts*
tagen 1866 an mehrtägigen, heftigen Zahnschmerzen ge-
litten, die ihren Sitz im cariösen 4. Backzahn des linken
Oberkiefers hatten. Bald darauf schien es ihm, dass er
nicht mehr so gut lesen könnte als früher. Er erzählte
es seinen Eltern, doch wurde nicht darauf geachtet. Erst
128
als nach Ablauf der Ferien die Ansprüche der Schule an
die Augen des Knaben sich geltend machten und es sich
nun herausstellte, dass der Knabe kleinere Schrift über-
haupt nicht mehr lesen konnte, fühlte man sich veran-
lasst, den Arzt zu consultiren. Die Untersuchung ergab
eine bedeutende Accommodationsbeschränkung bei hoch-
gradig hyperopischen Bau. Nach circa 4 Wochen war
Heilung erfolgt.
Fälle, in denen die Paresen so lange bestehen, schei-
nen — wie gesagt — zu den Seltenheiten zu gehören;
es ist daher begreiflich, dass diese Zustände bisher der
Aufmerksamkeit der Aerzte entgangen sind. Vielleicht
auch hat man sie auf blosse Schilderung der Eltern hin
als Folge diphtheritischer Rachenaflfectionen aufgefasst.
Es handelt sich auch in unseren Beobachtungen,
ähnlich wie es Donders für die Paresen nach Diphthe-
ritis annimmt, nur um ein Hinausschieben des Nahe-
punktes ohne gleichzeitige Entrückung des Fernpunktes,
— wenigstens erlaubt das vorliegende Material keine an-
deren Schlüsse.
Unter 72 zahnleidenden Individuen (nach Ausschluss
des monoculus) im Alter bis zu 30 Jahren, also in der
Lebenszeit, in welcher sich vorzugsweise ein bemerk-
licherer Einfluss der Trigeminus-Reizung auf die Accom-
modation constatiren Hess, war 53 mal der Refractions-
zustand beiderseits gleich. Von den übrig bleibenden
19 fallen drei wegen doppelseitiger Zahnaffection aus
Rechnung. Von 16 aber mit ungleicher Refraction haben
nur 7 eine Herabsetzung der Brechkraft auf der leidenden
Seite, 9 dagegen eine Erhöhung. Es kann hieraus na-
türlich kein Schluss auf eine constantere Betheiligung
des Fempunktes gezogen werden. In gleicher Weise
entscheidet sich diese Frage, wenn wir die 36 Individuen
(wiederum nach Ausschluss des monuculus) allein in's
Auge fassen, bei denen wir eine Differenz zwischen der
129
vorhandenen und der ihrem Alter physiologisch zukom-
menden Accommodation (D) von Vs und darüber gefun-
den haben. Bei 24 von ihnen ist kein Unterschied in
der Befraction, bei 9 (3 fallen wegen beiderseitigen Zahn-
leidens aus) fand sich 5 mal eine Herabsetzung und 4 mal
eine Erhöhung des Brechungssustandes auf der leiden-
den Seite.
Wir glauben auf diese Weise constatirt zu haben,
dass es bei den hier in Betracht gezogenen Zust&nden
sich nur um ein HinausrQcken des Nahepunktes handelt.
Eine Mitbetheiligung der Iris wurde hier eben so
selten als bei den diphtheritischen Paresen beobachtet
Nur in zwei Fällen schien eine ungewöhnliche Pupillen-
weite und etwas trägere Beweglichkeit vorhanden, doch
keinenfalls so bedeutend, um hieraus auf Lähmung des
den Sphincter pupillae versorgenden Oculomotoriusastes
zu schliessen.
Ich bin überhaupt der Ansicht, dass wir die bei
Trigeminus-Affectionen auftretenden Accommodationsbe-
schränkungen anders als durch Annahme einer Parese
des Oculomatorius deuten müssen. Wenn Donders bei
den Folgezuständen der Diphtheritis eine derartige An-
nahme machte, so war er dazu vollständig berechtigt,
da uns die Erfahrung lehrt, dass in Folge allgemeiner
Blutmischungsverlnderung Paresen aultreten. Wie aber
sollten wir Lähmungen annehmen dürfen, die in Folge
von Reizung sensibler Nerven entstünden? Alles spricht
dagegen: wir sehen überall auf Reizung sensibler Nerven
auch Reizungserscheinung in den motorischen folgen.
So sagt v. Bezold und Uspenski (Centralblatt für die
medicinischen Wissenschaften, 7. September 67): „Wenn
man die hinteren Wurzeln der gleichen Seite durch In-
ductionsschläge mittelst der Helmholtz'schen Vorrich-
tung so stark erregt, dass hierdurch die vorderen Wur-
zeln an die Schwelle des Reflextetanus gebracht werden,
▲fcMT flLr OpMbalmologte. ZIV, 1. 9
130
80 findet man eine deutliche, obwohl schwache Erregbar-
keit der letzteren/' Eine alltägliche Beobachtung ist die
reflectorische Muskelcontraction nach Hautreizung. Doch
werden wir weiter unten noch speciellere physiologische
Beweise anbringen; hier möchte ich nur an die Beob-
achtungen V. Graefe's aus der Pathologie erinnern, nach
denen durch Reizungszustände in den Trigeminus-Aesten
Spasmen im Orbicularis und anderen Gesichtsmuskeln
angeregt werden können. Der experimentelle Nachweis
für dies ursächliche Moment ist von demselben Autor
zum Heile seiner Patienten in vielen Fällen geliefert wor-
den: Druck auf verschiedene Punkte im Verlauf der sen-
siblen Aeste brachte die Spasmen zum zeitweisen Auf-
hören, die Durchschneidung zum Verschwinden auf Nim-
merwiederkehr. In analoger Weise werden die Krämpfe
der Kinder zur Zeit des Zahnens wohl mit Recht als re-
flectorische in Folge von Reizungen sensibler, speciell
hier der Zahnnerven aufgefasst.
Können wir demnach auch- zur Erklärung unserer
Beobachtung nur auf reflectorisch erregte krampfhafte
Muskelcontractionen recurriren, so ist das Nächstliegende,
an die radiär verlaufenden Muskelpartien des tensor cho-
rioideae zu denken, welche ja einer etwanigen negativen
Accommodation vorstehen sollen. Doch leider wird diese
letztere von den bedeutendsten Physiologen der Neuzeit
(Donders, Helmholtz u. A.) bestritten, — wenn
auch auf die Möglichkeit derselben von anderer Seite
hingewiesen wurde. So sagt v. Oraefe"*") bei Gelegen-
heit der Mittheilung seiner Untersuchungen über die an-
tagonistische Wirkung des Opium und der Belladonna:
„Was die Erklärung der erwähnten Zustände anbetrifft,
so bleibt es wohl am Wahrscheinlichsten, dass die beiden
Mittel ffir die Muskeln des Tensor chorioideae eine an-
*) Deutsche Klinik, 1S61. S. 158.
131
tagonistisdie Wirkung haben, me sie eiue solche fbr die
Muskeln der Iris besitzen.^* Jedoch fehlen eben die
überzeugenden Beweise ffir eine derartige Wirkung und
schwindet selbst durch neuere Untersuchungen die Ana-
logie mit der Iris, da man das Vorhandensein eines Di-
ktator bekanntlich leugnet und deine Wirkung mit Zu-
htUfenahme der Geftssmuskulatur zu erklären sucht Im
Uebrigen könnten wir selbst beim besten Willen von der
zweifelhaften negativen Accommodation für die Erklärung
der von uns beobachteten Accommodationsbeschr&nkung
keinen ergiebigen Gebrauch machen, da bei ihrem Ein-
treten sieh auch ein Hinausrücken des Fempunktes —
was wir eben nicht constatireu konnten — bemerkbar
machen müsste.
Wenn demnach auch die Erklärung unserer Beob-
achtungen durch Paresen im Gebiete des Oculomotorius
oder durch Beizung einer fraglichen negativen Accommo«
dation unstatthaft erscheint, — so meinen wir (dennoch
dieselben in befriedigender Weise deuten zu können:
durch reflectorische Beizung vasomotorischer Nerven und
hierdurch bedingten vermehrten Blutdruck im Innern
Von grossem Werthe ist uns hierbei, dass gerade in
neuerer Zeit der Einfluss einer Beizung sensibler Nerven
auf die vasomotorischen, speciell den Sympathicus, von
verschiedenen Seiten constatirt wurde. Ich erinnere zu-
erst an die Arbeit von Nothnagel*). Derselbe weist
experimental nach, dass starke Beizung sensibler Nerven
eine Verengerung der Pia- Arterien bewirkt Unzweifel-
haft sei diese Verengerung eine reflectorische. Die Er-
regung werde in der MeduUa oblongata auf die vasomo-
torischen Nerven des Kopfes übertragen. Die Application
*) Die Tasomotorisclien Merren der Oehirng^fuse. Yirohow's
Aiebir. Band XL, 8. 208.
9»
132
der Electroden auf die Schenkelhaut, Gesichtshaut hatte
stets dieses Resultat „Weniger wirksam erwies sich die
Einwirkung auf die blossgelegten Nervenstämme des N.
cruralis, trigeminus, entsprechend der bekannten Erfah-
rung, dass Beflexwirkungen von den Endausbreitungen
der Nerven aus leichter erfolgen als von den Stämmen
her/' Wegner*) hat sogar direct auf Beizung des cen-
tralen Theiles des n. supraorbitalis Verengerungen der
Augengefasse beobachtet. Dies ist nach ihm die Folge
reflectorischer Sympathicuureizung, dessen Gef&ssfasern
sich an den Trigeminus anlegen.
Wir sind nach alle diesem vollständig zu der An-
nahme berechtigt, dass eine Reizung der vasomotorischen
Nerven des Auges bei Zahnleiden, in denen die Trige-
minusäste ja so erheblichen Irritationen unterliegen, als
Beflexerscheinung auftreten könne. Den Sitz dieses Re-
flexcentrums legt Wegner in das Rückenmark. „Doch
scheint es auch/' schreibt dieser Autor, ,,in manchen
Fällen Nervenanordnungen zu geben, in Folge deren ein
sensibler Reiz nur local eine Reflexaction der vasomo-
torischen Nerven auslöst, wie ich in einem Fall mit Be-
stimmtheit beobachtete. In diesem brachte die Reizung
des n. auricularis posterior nur die Gontraction der Ohr-
arterien derselben Seite hervor, während die der an-
deren durchaus nicht reagirten; dasselbe erwies sich
vice versa, als der Versuch am anderen Ohre angestellt
wurde.'' Dass diese physiologische Beobachtung uns eine
Erklärung filr die eben von uns angeführten Fälle an
die Hand giebt, bei denen nach einseitigem Zahnschmerz
gerade nur auf der entsprechenden Seite die Accommo-
dationsbeschränkung auftrat, ist leicht ersichtlich, falls es
eben gelingt, die.Accommodationsbeschränkung auf eine
Wirksamkeit der vasomotorischen zurückzuführen.
*) Experimentelle Beiträge sur Lehre rom Glaaoom. t. Orftefe's
ArchiT. Bd. XIX. Abth. 2, pag. 1 ff.
133
Wir glauben dies aber mit Zuhttlfenahme der intra-
ocnlaren Dnicksteigening zn können.
Wegner hat dnrch seine manametrischen Unter-
SQChangen gezeigt, dass bei Durcfaschneidung des Sym-
pathicus mit folgender LShmong des Geftsstonns eine
Verminderong des intraocalaren Druckes eintrat. Er
folgerte daraus, dass bei Reizung desselben Nerven eine
Vermehrung stattfinden müsse. Darauf hinzielende Ex-
perimente sind jetzt neuerdings von Adamük"^) und
Orflnhagen mit Erfolg gemacht worden. Beide haben
bei Reizung des Sympathicus den intraocularen Druck
steigen sehen. Grünhagen'*"*') giebt sogar an, dass,
wenn man die äussere Oberflftche des Auges mit einem
Aetzmittel (Nicotin, Greosot etc.) betupfe — also Trige-
minus&ste reize — , jedesmal ein Steigen der Quecksilber-
Säule im Manometer erfolge. Die Eridärung aber, welche
obige Autoren über die Ursache dieser Erscheinung ge-
ben, weichen sowohl von einander als von unserer An-
sicht bedeutend ab. Es ist jedoch hier nicht der Ort,
des AusfÜhrlich^en darauf einzugehen. Nur dies sei
hervorgehoben, dass sehr wohl eine intraoculare Druck-
vermehrung, wie schon Wegner 's Raisonnement nach-
gewiesen, in Folge der Verengerung der Arterien ein-
treten könne. Sollte dennoch Jemand die Secretions-
steigerung im Auge bei verringertem Geftsslumen für
unerklärt haltm, so braucht er deswegen immer noch
nicht mit Adamük den Accommodationsapparat als pri-
märe Ursache des vermehrten Druckes heranzuziehen: er
möge sich daran erinnern, dass auch ein Theil der secre-
torischen Nerven der Speicheldrüsen (die sympathischen)
verengend auf die Geiksse wirken und dennoch die Se-
cretion vermehrten (Bernard, Eckhard).
*) Zar Lehre rom Emfloss des SympathiooB auf den inneren Aogen-
drack. Centralblatt für die medicin. V^ssensch. No. 2S, Jalirg. 1867.
-) Heule u. Ffenfer's Zeitwloift XXVni. pag. 28S-4S.
134
Doch sei dem, wie ihm wolle. Es ist festgestellt
1) dass von Trigemintts-Aesten ans die yasomotorischen
Aeste des Sympathicns reflectorisch gereizt werden,
2) dass diese Reizung Yermehrnng des intraocolaren
Drnckes hervorbringen kann.
Wie aber eine Vermehrung des intraocalaren Druckes
der ausgiebigen Wirksamkeit des Accommodationsappa-
rates ein Hindemiss entgegensetzen mnss, ist leicht ein-
zusehen.
Nach Helmholtz etfolgt bei dem Accommodatious-
acte eine vermehrte Krümmung der Linse an ihrer Vorder*
und, wenn auch in geringerem Orade^ an ihrer Hinter-
fläche. Diese kommt bekanntlich so zu Stande, dass
durch Gontraction des Brücke 'sehen Muskels die Zonula
Zinnii erschlafift wird, und die Linse ihrer Elasticitftt
folgend sich stärker krümmt. Ist der ihr hierbei nun
entgegenstehende intraoculare Druck höher als normal,
so wird auch die erfolgende Krümmung nicht in ihrer
physiologischen Ausdehnung erfolgen können und damit
eine Beschränkung der normalen Accommodationsbreite
gegeben sein.
Noch ein anderes Baisonnement lässt sich anstellen.
Mit der Accommodation steigt der intraoculare Druck.
Dies ist experimentell bewiesen: Adamük sah nach Ein-
träufelung von Galabar-Extract, — das bekanntlich Accom-
modationskrampf hervorruft^ — den intraocularen Druck
erheblich zunehmen. Man darf nun wohl annehmen, dass
mit dem Grade der Accommodation auch die Steigerung
des intraocularen Druckes eine verschiedene sein wird,
dass bei Stärkstmöglicher Accommodation auch der intra-
oculare Druck relativ am Höchsten sein wird. Letzterer
steht nun wieder im engsten Connex mit der Spannung
der Bulbushäute: je weniger diese gespannt sind, um
so geringer; je mehr sie gespannt sind, um so höher
der intraoculare Druck. Besteht pathognomisch ein er^
136
höhter intraocnUrer Druck, so befinden sich auch die
Bolbnshftnte in einer vermehrten Spannung; soll diese
noch gesteigert werden, so erfordert dies nach physi-
kalischen Gesetzen eine sich unverhftltnissmissig ver-
grössernde Kraftanstrengung. Eine gewisse Kraft, welche
bei physiologischem {ntraocularen Dmdc schon eine be-
trächtliche Steigerung desselben und sehr vermehrte
Spannung der Bulbnshftute hervorbringt, wird bei pa-
thognomisch erhöhter nur eine sehr minime Veränderung
bewirken können. Nun ist aber die Accommodations-
kraft — der musculus Brflckianus — eine gleichblei-
bende, es wird daher bei schon a priori bestehendem,
höherem intraocularen Druck keine der stärksten Accom-
modation entsprechende Druckvennehrung eintreten kön-
nen : die Accommodation wird demnach nicht ihre volle
Höbe erreichen, sie wird beschränkt bleiben.
Vor AUem aber sprächen für den Einfluss des intra-
ocularen Druckes auf die Accommodationsbreite die Er-
fahrungen, welche an Oiaucomkranken gemacht sind.
Es ist hier die rasch zunehmende HerausrQckung des
Nahepunktes, die irfihzeitig auftretende Presbyopie ein
bekanntes und oft, wo andere Erscheinungen noch nicht
klar zu Tage liegen, fast pathognomisches Zeichen. Dass
bei dieser Affection auch zeitweise ein HinausrQckm
des Fempunktes beobachtet wird, spricht nicht gegen
die Analogie mit unseren Beobachtungen. Die Accom-
modationsbeschränkung bleibt immerhin auch beim Glau-
com das Wesentliche und am Häufigsten zu constatirende.
Wir sind demnach vollständig berechtigt die von
uns beobachteteten Accommodationsbesdiränkungen als
eine Folge vermehrten intraocularen Druckes anzuse-
hen: welcher letztere wiederum aus einer reflectorischen
Reizung der vasomotorischen Nerven resultirt.
Diese ' Deutung giebt uns auch die einfache Erklä-
rung für das häufigere Vorkommen solcher Zustände
136
im jugendlicheren Alter an die Hand. Der Einfluss der
vasomotorischeu Nerven auf die Geftsse, die elastischer
und weniger rigide sind, ist in der Jugend bedeutender
als in späterem Alter. Ich möchte hierbei Beispielweise
daran erinnern, wie jugendliche Indi?iduen viel leichter
erröthen, als ältere. —
Noch einen Einwand, den man früher gegen unsere
Ansicht hätte vorbringen können, wenn man die Unter-
suchungen von Fick und Gzermak in Betracht zog,
will ich hier wiederlegen. Nach diesen Autoren soll be-
kanntlich die stärkere oder geringere BlutfbUung der
Ciliarfortsätze Einfluss auf den Accommodations-Akt
haben. Und zwar sollte letztere (siehe Gzermack,
über das Accommodationsphosphen in v. 6 r a ef e 's Archiv)
die Accommodation für die Nähe erleichtem. Dieser
Fall würde nun in Folge der Beizung der vasomotorischen
Nerven eintreten. Jedoch ist jetzt zur Genüge festge-
stellt, dass die Giliarfortsätze bei der Accommodation
durchaus ohne Einfluss sind und nur einen regulatorischen
Apparat für die Blutf&Ue der Iris darstellen (v. Graefe,
Otto Becker). —
Auch für andere Vorgänge können wir mit Zugrunde-
legung der von uns gegebenen Erklärung eine annehm-
bare Deutung finden. So z. B. für die Entstdiung der
Schichtstaare zur Zeit des Zahnens. Die Beizung der
Zahnnerven bedingt reflectorisch die der vasomotorischen,
und hiermit veränderte Blutzufuhr zum Auge und ver-
mehrten intraocularen Druck. Ebenso wie bei Glaucom,
wo dieselben Zustände bestdien, Cataract sich bildet,
so können wir annehmen, dass in den kindlichen Augen
die während jener Zeit vom Kapselepithel sich bildenden
Linsenschichten cataractös werden. Nach Aufhören der
Zahnaffection und der dadurch hervorgerufenen intra-
ocularen Druckerhöhung, kann die Bildung der Linsen-
schiditen wieder regelmässig und normal von statten
137
gehen. Wir haben so eine Erklärung Ar die catarac-
töse Schale, den normalai Kern and die normale Gor-
ticalis des Schichtstaare.
Die von uns gewonnenen Resultate lassen sich kurz
dahin zusammenfassen:
1) Es treten in Folge von pathologischen Reizungen
der Dental- Aeste des n. trigeminus mehr oder weniger
bedeutende Beschränkungen des Accommodationsgebie-
tes aul
2) Dieselben sind ein- oder doppelseitig; in ersterem
Falle treffen sie stets das Auge der leidenden Seite.
3) Am häufigsten finden sich diese secundären Accom-
modationsbeschränkungen im jugendlichen Lebensalter.
Im höheren Alter kommen sie nie oder höchst selten
zur Beobachtung.
4) Sie erklären sich durch intraoculare Druckstei-
gerung, welche ausgeht von einer reflectorisch angeregten
Reizung der vasomotorischen Nerven des Auges.
OasuistiBohe Beitrage.
Von
Dr. Joseph Jacobi.
HUria AbbUdttngen auf Tafel 11.
L Ein Eisensplitter im Angenhintergnmde.
Figur I.
zeigt das ophthalmoscopische, umgekehrte Bild eines
rechten Auges, in welches am 1. Juli d. J. ein Stackchen
kalten Eisens eingedrungen ist Letzteres (Figur la.)«
durch den bl&ulichen Reflex kenntlich und wie es scheint
keilfönnig, steckt mit dem einen Ende in der Retina,
während das andere, dickere, schräg in den Glaskörper
hineinragt; es liegt nicht frei da, sondern wird einge-
hüllt und zugleich fixirt durch halbdurchsichtige, mem-
branöse Bildungen im Glaskörper, die eine Kapsel f&r
den fremden Körper bilden, welche am steilsten da auf-
steigt, wo der Yenenstamm verschwindet Reste von
Ecchymosen und Hypertrophie des Chorioidealpigments
machen den dunkeln Rand. Auch vor dem fremden
Körper liegen ein paar kleine Blutflecken.
139
Wo die Kapsel in das Niveau der Retina hinabsteigt,
endet scharf abgeschnitten ein Arterienzweig (b), der nur
bei genauer Einstellung als dfinner weisser Faden wahr-
zunehmen ist. Die Arterie e verl&uft über dem pigmen-
tirten Rande, von dem Yenenzweige d und von seinem
Stamme wird ein StQck durch die Kapsel verdeckt, ohne
comprimirt zu sein. An die feste Kapsel heftet sich ein
nur wenig beweglicher Schleier an (c), der die Bifurca-
tion der Vene leicht verhüllt.
Die Breite des fremden Körpers Iftsst sich nach der
Papille, deren Durchmesser bekanntlich unge&hr 2 Mm.
betragen, auf ca. V4 Mm. abschätzen, die Länge ist nicht
zu bestimmen, da man nicht weiss, wo das perforirende
Ende steckt
Im Uebrigen ist an dem Augapfel keinerlei Abnor-
mität wahrzunehmen. — Die centrale Sehschärfe ist durch-
aus vollkommen — S 1 bei Emmetropie; das Gesichtsfeld
auf 1' Entfernung gemessen, zeigt diese Configuration:
Jeder Theilftnoh eaUprieht |ZoU der Tafel
Es ist also ein ziemlich scharf umschriebener Defect
vorhanden, und zwar ist bei b und b' die Sdschärfe nur
herabgesetzt, bei a und c vollständig erloschen. Offenbar
entspricht die Stelle a dem Sitze des fremden Körpers,
der von hier ausgehende vollständige Defect c aber, der,
zuerst sirichförmig, sich zur Peripherie hin immer mdir
140
verbreitert, dem Ausfall des Bündels von Nervefifasem,
welches an der hinteren Retinalwunde direct getrofien
worden ist Hieran schliesst sich der Theil b', dem noch
ein Best der Ldtangsf&higkeit geblieben ist. Die Stelle b
entspricht genau der Olaskörpertrübung (Figur I. c),
welche sich an die Kapsel anheftet. Es ist bemerkens-
werth, wie das Gesichtsfeld den Verlauf der Nervenfasern
wiederspiegelt, die bekanntlich um die Macula lutea eine
ausbiegende Bogenlinie verfolgen.
Die Geschichte dieses Falles ist in Kürze folgende:
Patient kam am 1. Juli zu mir, wenige Minuten nachdem
er sich verletzt hatte. — Beim Hämmern einer Eisen-
platte hatte er plötzlich das Gefühl, als erhielte er einen
Faustschlag gegen di^ rechte Auge und alsbald sah er
alle Gegenstände wie im Nebel. Ich fand aussen am
Augapfel ca. 1"* nach innen vom Gomealrande und im
horizontalen Meridian eine frische, feine Stichwunde der
conjunctiva sclerae, (einen eingedrückten, blutig -rothen
Punkt mit verfärbtem Hofe,) und innen im Glaskörper
und zwar in seiner hinteren Hälfte ebenfalls eine frische
Blutung, deren optische Erscheinung mich zuerst sehr
frappirte, da sie sich ausnahm, wie ein Conglomerat stark
reflectirender, kleiner, schwarzer Glasperlen. Ausserdem
ging durch den ganzen Glaskörper eine leichte, diffuse
Trübung.
Am 3. Tage, als ich die Untersuchung wiederholte,
war schon das eingedrungene Eisenfragment deutlich im
Hintergrunde zu erkennen. Das damals gesehene Bild
zeigte die Verschiedenheiten von den in Fig. L, welches
4 Monate später aufgenommen wurde, dass der stahlblaue
Reflex weniger ausgedehnt, aber ungleich intensiver her*
vorleuchtete und eine Menge von frischen Ecchymosen
daneben in der Retina lagerten. Verdeckt war von dem
sichtbaren, blauen Reflexe (Fig. I. a), und zwar durch
Blntextravasate, die nach der Papille, resp, nach der Ar-
141
terie b zu liegende H&lfte, w&hrend die andere, mit in.
tensiv scbwarzblauem Rande endigend, frei zu Tage trat
Ganz unten in der Betina war ebenMs eine Menge von
Blutflecken siebtbar. Ausserdem inserirte sich bei c ein
Faden, der perlschnurartig mit Knötchen versehen und
beweglich durch den Glaskörper nach vom verlief in der
Richtung zur äusseren Wunde hin. Letztere selbst war
ein wenig geschwellt
Weiterhin verschwanden dann die Blutflecken all-
mählig; es bildete sich die Pigmentirung am Rande, es
entstand das kapselartige Gebilde im Glaskörper, das
den blauen Reflex schwächer durchscheinend machte.
Am 8. Tage trat noch einmal eine Blutung in den
Glaskörper ein, die sich aber bald wieder resorbirte.
Schmerzen und Symptome erhöhter nervöser Reizbarkeit
sind nie vorhanden gewesen.
Dass in unserem Falle kein Klaffen der Eingangs*
Öffnung existirte, hat nichts AufifUliges, wenn man be-
denkt, dass das Eisenstückchen, ca. Vi M^- breit und
keilförmig, mit der Spitze voran, pfeilschnell die Augen-
wandung durchbohrt hat Der Weg, den es im Auge
nahm, wurde optisch markirt durch den Glaskörperfaden,
der sich am Hintergrunde inserirte.
Ein besonders glücklicher, sonst seltener Umstand
bei unserem Falle ist der, dass die Linse unversehrt
blieb. Dass ein eingedrungener fremder Körper im
Augenhintergrunde stecken bleiben kann, ohne Entzün-
dung zu erregen und ohne das Sehvermögen wesentlich
zu beeinträchtigen, ist schon durch verschiedene Beob-
achtungen*) festgestellt; ausserordentlich selten dürfte
es indessen vorkommen, dass, wie im oben nütgetheilten
Falle, die centrale Sehschärfe sich vollständig normal erhält.
•) e£r. MxobiY f. OphtiuOm. IIL 2, p. 887 und XL 1, p. 129.
142
Gleichwohl bleibt die Prognose auch hier immer
zweifelhaft, da noch nach Jahren eine Entzandung und
Vereiterung des Bulbus durch den abgekapselten fremden
Körper hervorgerufen werden kann.
n. Ein abgekapseltes EisenstQck in der Iris.
Hierzu Figur II.
Der 60 Jahre alten Frau T. sprang vor 35 Jahren
ein explodirendes ZflndhQtchen gegen das linke Auge
und dieses wurde nach heftiger Entzündung in wenigen
Wochen stockblind. Ueber 34 Jahr lang hatte die Frau
dann keine Beschwerden an dem Auge, bis vor 4 Mona-
ten die heftigsten Ciliarschmerzen auftraten, die, ohne
Intermissionen bestehend, sie halb wahnsinnig machten
und schliesslich auch das rechte Auge in einen abnormen
Reizzustand versetzten. Ich fand auf dem letzteren bei
M Vso S nicht voll, das Gesichtsfeld intact Der linke
bulbus war leicht phthisisch, (weich und abgeflacht), die
vordere Kammer so trüb, dass von der Iris und Pupille
nichts sichtbar war, nur in ihrem nasalen, unteren Winkel
schimmerte eine weissliche Masse durch.
Ich enucleirte und zerlegte den bulbus in eine obere
und eine untere Hälfte, die in Figur II abgebildet sind:
A ist die obere Hälfte, B die untere. Die mikroskopi-
schen Angaben verdanke ich der Freundlichkeit des
Herrn Prof. Neumann in Königsberg.
Die weisslich durchschimmernde Masse in der vor-
deren Kammer erwies sich als eine Kapsel im Irisge-
webe (a), aus welcher bei der Praeparation ein c. 1'^' lan-
ges Stüdc eines Zündhütchenmantels herausfiel. An der
Innenfläche dieser Kapsel befindet sich eine etwas bröck-
lige, gelbe Masse, aus fettig degenerirten Eiterkörperchen
143
bestehend^ und ihre Wände sind durch ein geftssreiches
Granulationsgewebe gebildet — Die Iris ist auch in
weiteren Umfange mit Eiterzellen reichlich infiltrirt. Der
Ciliarkdrper ist auf der inneren Seite (b. b) ganz ausser-
ordentlich verdickt; die Retina, atrophisch, trichterförmig
abgelöst; innerhalb dieses Trichters der Rest des Glas-
körpers als structurlose, streifige Masse; von der Linse
scheint Nichts erhalten zu sein. Am hinteren Pole des
Auges befindet sich in der Chorioidea eine recht ansehn-
liche Knochenschale (d. d), in deren Ausdehnung die
Chorioidea selbst so degenerirt ist, dass ihre einzelnen
Schichten nicht mehr erkannt werden können, und die
Knochenplatte an ihrer oberen wie an ihrer unteren
Fl&che nur von einem derben Bindegewebstratum um-
hfiUt erscheint. In der Platte sind die sternförmigen
Enochenlacunen in sehr characteristischer Weise ent-
wickelt, dagegen konnte ein lamellöser Bau ebenso wenig
wie Geftsskanäle darin wahrgenommen werden.
Was aber diesen Fall neben den 35 Jahren und
neben der Iriskapsel besonders interessant macht, das
ist ein knorpelartig erscheinender dünner Stiel (c), der
von der inneren unteren Ecke der Knochenplatte nach
vom zieht zur abgelösten Netzhaut Dieser Stiel besteht
nicht aus wirklichem Knorpelgewebe, sondern aus einem
grobfaserigen, rigiden Bindegewebe mit sehr wenig ent
wickelten zelligen Elementen. Ein eben sotehes Gewebe
bilden die konischen Anschwellungen, mit denen erjsich
beiderseits inserirt..
Wie ich schon fr&her einmal gelegentlich angeführt*),
habe ich bei Schneller in Danzig 2 bulbi gesehn, in
denen ebenfalls solche Yerbindungsfäden zwischen der
Chorioidea und abgelösten Netzhaut vorhanden waren.
Ob diese Erscheinung auch sonst beobachtet worden ist,
■ I
*) efr. didtei ArcluT ZI. 8, p. 164 Anm.
144
weiss ich nicht; iu der mir zu Gebote stehenden Lite«
ratttr finde ich wenigstens keine Anführang derselben.
Es bleibt für die Entstehung solcher Fäden wohl keine
andere Erklärung als die, dass sich zuerst eine einfache
bindegewebige Adhaesion zwischen Retina und Chorioidea
an der entsprechenden circumscripten Stelle gebildet hat
und dass dann später, wenn eine amotio retinae eintritt,
die Adhaesion in einen mit der Zunahme der Abhebung
immer länger werdenden Faden ausgezerrt wird.
m. Pigmentmassen in der Betma ohne Störung der
Sehfunctionen.
Herr K. aus Gamsee, 25 Jahre alt, consultirte mich
wegen einer angeborenen, rechtsseitigen Cararact. Die
Cataract, halbweich und reif, erwies sich als irregulär
gebildet insofern, als ein oberer Sector sich auffallend
durch dichte Trübung und scharfe Grenzen gegen das
übrige Stück differenzirte. Die quantitative Lichtempfin-
dung war eine sehr gute.
Das linke Auge hat durchaus normale Sehschärfe
bei Emmetropie, Acc. > Va» volles Gesichtsfeld; nach
gröberer Probe zu urtheilen, guten Farbensinn und sieht
Sn XX auf 20' bei einer minimalen absoluten Helligkeit,
wie sie eben nah für ein gesundes Auge ausreichend
ist. Dabei zeigt der Hintergrund ganz ausserordentlich
starke Abnormitäten. In der Retina lagern grosse Stücke
kohlschwarzen Pigments, mehr weniger rundlich oder
eckig mit scharfen Grenzen, besonders in der mittleren
Zone, nach der Peripherie hin spärlicher, einzelne in der
nächsten Umgebung der Papille. Ausserdem zeigt auch
die Chorioidea Ungleichmässigkeiten in ihrem Pigment,
epithel, und zwar der Art, dass einzelne nicht scharf
146
lUBachriebene Stellen etwas heller erscheinen und in ihrem
Centruin eine dichtere Pigmentanhäufung haben; die
Entf&rbung ist aber nirgends so stark, dass die Gefasf^
des Stroma sichtbar werden. Pie macula lutea ist im
von jeglicher Veränderung, die Papille, die Gefisf» 4w^
gleichen. Ausser den angeffihrten Pigment- Abnormitätf^i^
ist überhaupt keine Besonderheit an deip Auge zu cppr
statiren. Dass die kohlschwarzen Massen, deren Lage
übrigens weder an die Nähe der Netzhautge&sse no^
an die der Chorioideaflecken gebunden erschien, in der
Retina und wahrscheinlich in den vordersten Schichten
derselben zu localisiren sind, war leicht durch Ver-
gleichung mit solchen i^iomalen Stellen des Pigment-
epithels zu erkennen, welche neben oder thoilweise unter
den ersteren liegen; die verschiedene Einstellung bei
Beobachtung des aufrechten Bildes und die starke par^
allactische Verschiebung bei Benutzung der Convexlinse
waren überzeugend.
Leider bot sich keine Stelle, wo ein Pigmentstück
mit einem Gefässe zusammentraf, so dass eines über
dem andern hätte beobachtet werden könui^n.
Patient ist dunkelblond, kräftig und hat an seinem
Körper fast keine Pigmentmale mit Ausnahme der linken
Iris, die, bräunlich, an mehreren Stellen ganz dunkle
Flecken zeigt. Sämmtliche Geschwister .'sind gesund,
die Eltern keine Blutsverwandte. Patient ist, abgesehen
von dem seit der Geburt angeblich unveränderten Zu-
stande des rechten Auges, niemals augenkrank gewesen
und hat mit seinem einzig brauchbaren linken ohne Stö-
rung anhaltend die feinsten Arbeiten verrichte können.
In der papilla optici kommen vereinzelte kleine
schwarze Pünktchen als anatomische Varietät häufiger
vor. Liebreich hat einmal auch eine stärkere Pigmen-
tirung derselben als offenbar angeborene Bildung auf
einem sonst normalen aber ausserordentlich pigment-
ArtlitT fOr OpkUiiÜBoloflt^ UV, l! 10
146
reichen Auge gesehn und abgebildet.'*') Schwarzes Pig-
ment in der Retina ist dagegen bis auf meinen Fall, so
viel ich weiss, nur immer unter krankhaften Verhält-
nissen, verbunden mit Functionsstörungen, beobachtet
worden, stammte aber auch dann häufiger aus der Gho*
rioidea, aus welcher es durch Infiltration, Hineinwachsen
oder mechanisches Hineinschieben (Junge, H. Müller,
Schweigger, Pagenstecher, Pope) in die Retina
gelangt war; — wenn man nicht etwa mit Max Schultze
das Pigmentepithel zur Retina rechnen und als Reti*
nalpigment bezeichnen will.**)
Die selbstständige Entwickelung von Pigment in der
Retina (Donders, Schweigger) scheint an die, dann
selbst pathologisch veränderten, Ge&sse gebunden zu
sein, um welche es sich netzförmig verbreitet Wenn
gleichzeitig Pigmentveränderungen in der Chorioidea be-
stehen und kohlschwarze Massen unregelmässig geformt
und zerstreut in der Retina liegen, so wird man das
Pigment in der letzteren wohl meistens für nicht autoch-
thones, sondern für eingewandertes halten müssen. Diese
Folgerung käme auch bei meinem Kranken zur Geltung,
wenn die Functionen seines Auges nur nicht so voll-
ständig intact sich erwiesen I
So aber erscheint mir der Schluss berechtigt, dass
die Pigmenteinlagerungen in meinem Falle eine ange-
♦) cfr. Liebreioh's Atla«, Tafel XJI, Fig. S und Zehender's
Uinisohe Monatsblätter 1864, p. 229.
**) Observationes de ret. straot penit 1859, p. 16 Anm. und „Zar
Anatomie und Physiologie der Retina" im Arcbiy für Mikrosk. Anat.
U. Bd. und als Separatabdruck 1866, p. 46 u. 69.
Vom Standpunkte der Anatomie und der Entwickelungsgeschiohte,
das weist IC. Schultze überzeugend nach, sind die Beziehungen der
Pigmentschioht zu der Betina yiel innigere als die zur Chorioidea. £s
wurden vielleicht viele Fälle sich besser erklären lassen, vor allen die
von sogenannter Betinitis pigmentosa, wenn auch die Pathologen die
Schultze 'sehe wohlbegründete Annahme adoptirten.
147
borene Anomalie sind, ebenso wie die leichten Differenzen
in der Dichtigkeit des Pigmentepithels. Gleichwohl
bleibt es aaffiAllend, dass durch den nicht unbeträcht-
lichen Ausfall Yon Perceptionsstellen, die von Pigment-
schollen gedeckt sind, keine nachweisbare Sehstörung ver-
anlasst ist.
lY. Ophthalmoscopischer Sefund bei fractura basis cranii.
Am 3. October dieses Jahres fiel einem Manne ein
Balken auf die rechte Seite des Kopfes. Er verlor das
Bewusstsein, blutete stark aus Nase, Mund und aus dem
linken Ohre und hatte sofort ein pralles Oedem des
rechten oberen Augenlids. Die nächsten Tage war er
vollkommen bei Besinnung, fQhlte sich leidlich wohl und
konnte ohne Hülfe aufstehen, um seine Bedürfhisse zu
befriedigen. Alhnählig schwand das Oedem des Lides,
doch als er das Auge öffnen konnte, fand er, dass er auf
demselben vollständig blind war.
Am elften Tage sah ich den Kranken. Er war sehr
matt, doch bei voller Besinnung, hatte bei geringer
Temperaturerhöhung einen sehr beschleunigten Puls und,
was für ihn das Quälendste war, einen wahrhaft uner-
sättlichen Durst (Diabetes insipidus?). Der Harn ent-
hielt weder Zucker noch Eiweiss. Spontan waren Kopf-
schmerzen nicht vorhanden, doch wurden sie hervorge-
rufen durch Anschlagen an die rechte Schläfe. Das Gehör
schien beiderseits gut zu sein. Abgesehen von den Augen
war keine Störung der Sensibilität noch der Motilität
vorhanden.
An den Augen zeigte sich Folgendes: linkerseits war
der abducens vollständig gelähmt, sonst Alles normal;
rechterseits bestand intacte Beweglichkeit. Das Sehver-
mögen des rechten Auges, nach der Angabe des Patienten
IG*
148
und nach den Beobachtungen des behandelnden Arztes
zuerst vollständig au^ehoben, hatte sich in den letzten
Tagen so weit erholt, dass jetzt die bewegte Hand auf
1' Entfernung erkannt wurde. Der Augenspiegel zeigte
um die Papille herum eine grosse Menge gelbweisser
und weisser Plaques, theil weise nicht scharf gegen ein-
ander abgegrenzt und selbst confluirend, auf denen hier
uud da kleine Blutextravasate sassen. Die Papille an
sich und die Gefässe, die über den Plaques hinzogen,
nirgends verschleiert, noch in ihren Contouren verwischt
Den 18ten erfolgte, nachdem sehr heftige Kopf-
schmerzen die letzten Tage qualvoll gemacht hatten, in
soporösem Zustande der Tod.
Die Section zeigte blutige Infiltration der Weich-
theile auf Schläfe und Stirn der rechten Seite, nach vom
hinreichend bis zum Unterhautzellgewebe des Oberlids.
In der Schlafengegend lagerte auf der Dura in der Aus-
dehnung eines Zweithalerstückes eine Masse von Blut-
gerinnseln; die entsprechende Partie des Grosshims war
in Folge der Compression anämisch im Verhältniss zu
den übrigen Theilen. In der Pia zeigten sich ganz kleine
circumscripte Eiterherde an vier verschiedenen Stellen,
offenbar thrombotischen Ursprungs. Endlich bestätigte
sich die Diagnose auf Fractur des Schädels : Von beiden
Seiten zogen Spalten heran zu genau correspondirendea
Punkten an den Seitenrändem des Türkensattels, rechts
mit feiner Fixur beginnend, nahe dem Scheitel und immer
stärker klaffend etwa zwischen ala magna und pars squa-
mosa hinabsteigend (dabei wurde auch ein Stück des
sulcus für die arteria meningea med. getroffen, welche
eine Strecke weit ganz losgelöst war), links verlief die
Fractur etwa auf der Grenze der pars squamosa gegen
die pars petrosa oss. temp. bis zur oberen Grenze des
Schläfenbeins. Im Körper des Keilbeins konnte trotz
genauestem Forschen kein Bruch entdeckt werden. In
149
der Gegend des linken sinus cavernosas lag ein Blnt-
coagulum. Die foramina optica, die nehri optici und die
orbitae erschienen unversehrt Vom rechtenBulbus wurde
der hintere Abschnitt herausgenommen: auch makrosko-
pisch zeigten sich deutlich rings um die Papille gelblich-
weisse Plaques, jetzt aber ohne frische Blutspuren,
unter dem Mikroskope hellten sich die trfiben Stellen
durch reichlichen Aetherzusatz bedeutend auf und es
waren dann mit Sicherheit keine anderen pathologischen
Erschänungen zu constatiren, als Conglomerate von
Eömchenkugeln in den mittleren Schichten der betrei-
fenden Retinal-Partien.
Man muss wohl annehmen, dass durch die intracra-
nielle Drucksteigerung, welche momentan durch die Com-
pression der Hirnschale beim AuffaUen des Balkens er-
zeugt wurde, ausgedehnte Blutungen in die rechte Retina
erfolgten, welche, als ich den Kranken am elften Tage
untersuchte, schon die bekannten substantiellen Verände-
rungen im Gewebe der Netzhaut indncirt hatten. Die
Ursache ffir die Lähmung des linken abducens habe ich
direct nicht auffinden können, dass Zerreissung, Zerrung
oder Compression desselben sehr leicht eintreten konn-
ten, zeigte indessen der Verlauf der Fractur und das
Extravasat am linken sinus cavernosus.
V. Zwei verschiedenartige Fälle von Neuritis optid.
1. Louise E., 13 Jahre alt, aus Tilsit, kam am 12.
Januar d. J. in meine Behandlung. Vor 6 Wochen waren
sehr heftige intermittirende Stimkopfschmerzen aufgetre-
ten, und zwar zuerst an der linken Seite, zu denen sich
Schwindelanfälle gesellten und wiederholtes Erbrechen.
150
Gleichzeitig hatte das bis dahin sehr gute Sehvermögen
begonnen abzunehmen. Das Aussehen des Mädchens war
ein ziemlich blühendes und ausser den angeführten liessen
sich Störungen der Rörperfunctionen nicht nachweisen.
Die Untersuchung dep Augen ergab folgende Re-
sultate:
Auf dem rechten Auge
Emmetropie, S Vis, C^-
Pupille gut reagirend,
ophthalmoskopisch
keine auffallende
Anomalie, Gesichtsfeld
(immer auf 1 ' Entfernung
gemessen)
auf dem linken Auge*
^/^) Emmetropie, S=.c. Vi»*)'
Pupille sehr träge rea-
girend, Papilla optici
weisslich — opak, Ge-
sichtsfeld ausserordent-
lich defect, so dass nur
eine kleine periphere
Stelle percipirt
2
(Der üebersichtlickeit halber reihe ich
hieran ganz kurz die Hauptmomente aus
dem weiteren Verlaufe.)
S V«, die Contouren (d- ^/i.) S Vu
der Papille sind etwas
verschleiert, Gesichtsfeld
/IM.
a
*) S *'iM bedeutet, dass meine Finger auf 1' Entfernung erkannt
und! gezählt werden konnten. Durch genauen Vergleich habe ich er-
mittelt, dass das einer No. 150 der 8 n eilen 'sehen Scala gleichkom-
men würde.
151
Auf dem rechten Auge: anf dem linken Auge:
SVso- (d. »«/i.) S »/«>
SVso y+ J
1
V..)
SV».
Status idem.
(d.
''-'^yM
(d.
S Vsoi sehr mangel
hafte OrientiruDg, das
fixirte weisse Kreuz auf
Status idem.
der schwarzen Tafel
er-
scheint grau
n
SVso, die Papille S "/,o, die PupiUe re-
ist jetzt röthlich - agirt in normaler Weise
grau, trübe Streifen (seit wann?),
decken ihren Rand
□1
S Vso, die Trübung ^^' ^^^'^ Status idem.
der Papille hat zugenom-
men, so dass jetzt das
ausgesprochenste Bild
der Neuritis optici
zur Erscheinung kommt
162
Auf dem rechten Ange: aof dem linken Augd:
SViii ophthalmoßko- (^ "/*) Status idem.
pfsch dasselbe
(d. *V )
S Vttf die Papille ist '^' Status idem.
weniger trQb.
S Vw, die PapUle ist ^** ^^'^ Status idem.
opak wie die des linken
Auges, nur innen (nasal-
wärts) gehm Mch trübe
Streifen tlto dfcn Rand.
Status liMt ^*- "/*^'^ Status idem.
Es ist demnadi auf dem linken Auge seit 8 Monaten,
auf dem rechten seit 5 Monaten keine Veränderung
weiter eingetreten — vielleicht bis auf eine Ausnahme.
Die macula lutea des rechten Auges zeigt n&mlich ge-
ringe Unregelmässigkeiten des Pigments, der Art, dass
sie wie leicht zerkratzt aussieht, und Idi wdli filAl, wie
lange diese Erscheinung schon besIlAt; in dfat Augen
gefallen ist sie mir, während ich sekr Oft lllid lilr ge-
nau von Anfang an untersncht habe, erst in den letzten
Monaten. Die macula lutea des linken Auges erscheint
ganz normal.
Hinsichtlich des Verlaufes ist noch anzufahren, dass
während der ersten 4 Wochen der Behandlung lebhafte
Photopsien und Frontalschmerzen häufig wiederkehrten,
späterhin aber nur noch im April einmal ein Anfall von
Schwindel und Erbrechen auftrat mit Schmerzen in der
linken Stirnhälfte. Seitdem lässt das Allgemeinbefinden
der Patientin nichtB zu wünschen übrig. Sie ist wohl-
genährt und kräftig, erscheint bis auf die Sehstörung
körperlich und geistig durchaus gesund. Die Menstrua-
tion ist noch nicht eingetreten. ^ Die Behandlung be-
stand neben Schutzmassregeln und angemessener Diät
zuerst in Deriyantien, dann in Jodkali und Ferrum.
153
Fassen wir die oben angefahrten Erscheinungen zu-
sammen, so ergiebt sich wohl zweifellos, dass denselben
ein intracranielles Leiden zu Grunde liegt, und zwar ist
dieses mit Wahrscheinlichkeit dahin zu präcisiren, dass
ein Tumor am Chiasma die beiden nervi optici in ihrer
Leitnngsi&higkeit beeinträchtigt und die inneren Faser-
zfige derselben yollständig gelähmt hat
Es ist bekannt genug, dass nervöse Functionsstö-
mngen, welche einem tumor cerebri ihren Ursprung ver-
danken, trotz dem Bestehen und Fortwachsen desselben
sich bisweilen bis zu einem beträchtlichen Grade zurück-
bilden. Direct fUr meinen Fall sind die Analogien am
meisten belehrend, welche sich in Beobachtungen von
Saemisch'*') und von Müller**) finden.
Bei dem 23jährigen Patienten von Saemisch ent-
wickelte sich neben leichtem Kopfweh und allgemehiem
Unbehagen innerhalb ca. 3 Wochen aiimählig absolute
Amaarose auf beiden Augen; diese blieb 19 Tage be-
stehen und dann restitnirte sich das Sehvennögen wie-
derum aiimählig in 4 Wochen bis auf 8 ■« Vi auf dem
rechten Auge und S « Vm auf dem linken Auge mit
beiderseitiger lateraler Hemiopie, ohne dass jemals das
Ophthalmoskop eine pathologische Veränderang zeigte.
Nach Verlauf von ca. 9 Monaten, in denen der
Befund derselbe geblieben war, traten plötzlich die Sym-
ptome einer acuten Meningitis auf, der Patient starb
und die Section ergab neben eiteriger Meningitis zwei
getrennte sarcomatöse Tumoren im Gehirn, von denen
der eine vor dem Chiasma lag und von den auseinander-
gedrängten Sehnerven, die fettig degenerirt waren und
hier und da Eemwucherungen im Neurilemma zeigten,
gablig umfasst wurde. — Bei Malier hatte eine Ver-
dunkelung der temporalen Hälften der Gesichtsfelder
die nach einigen Monaten constatirte, fast vollständige
Erblindung eingeleitet; sonstige subjective Störungen
*) cfr. Zehender'B klin. Monatsblätter 1S65, p. 51.
^) efr. dieiM AroluT YHI, 1. p. 160.
154 ^
fehlten und objectiv war nichts nachzuweisen. In eini-
gen Wochen hob sich alsdann die Sehkraft wieder anf
einen leidlichen Grad mit lateralen Hemiopien, und erst
nach VI2 Jahren verfiel sie wiederum, währenddem
auch schwere cerebrale Störungen sich hinzugesellten.
Es erfolgte der Tod und zeigte sich bei der Seetion als
Ursache eine „sarcomatdse Degeneration der Hypophy-
sis"', durch welche das Ghiasma und die Wurzeln der
Sehnerven in einen kaum mehr zu differenzirenden Brei
verwandelt waren.
Die Verwandtschaft der Fälle springt in die Augen;
eigenthümlich aber bleibt dem von mir beobachteten der
ophthalmoscopische Befund: auf dem linken Auge leichte
Atrophie des Sehnerven und auf dem rechten, mit Aus-
gang in denselben Zustand, eine Neuritis optici (descen-
dens), welche ausser directem Verhältniss zur Aende-
rung der centralen Sehschärfe und des Gesichtsfeldes
erst am Ende des 3. Monats zur Blütbe kam. Erschei-
nungen von mechanischer Einwirkung auf die Girculation
waren nicht vorhanden, es war also eine rein entzünd-
liche Neuritis, die ihren Quellpunkt wohl intra cranium
hatte und dem Verlaufe des Sehnerven bis in das Auge
gefolgt war.
Obwohl ich demnach bei meiner Patientin eine Aen-
derung und zwar eine verderbliche erwarte, tbeile ich
diese immerhin unvollständige Beobachtung jetzt mit,
weil ich nicht sicher bin, von dem Schicksale des Mäd-
chens noch Weiteres zu erfahren, und weil mir der bis-
herige Verlauf auch für sich allein interessant zu sein
schien.
2. Frau S., 34 Jahre alt, von anaemischem Aussehn
hatte seit 4 Wochen heftige Stirnkopfschmerzen, die
immer Morgens am stärksten waren, wo zugleich Frösteln
bestand. Diese Schmerzen beschränkten sich zuerst nur
auf die rechte Seite, scharf in der Mittellinie abschnei-
155
dend, gingen aber 8 Tage später auch auf die linke hin-
über. Dazu gesellte sieh Lichtscheu und Sehschwäche.
Befund : beiderseits S "/m bei Hyp. manif. Vjo, durch-
aus normales Gresicbtsfeld; der Spiegel zeigte Neuritis
optici und zwar weniger Trübung des Gewebes als viel-
mehr, und dies besonders auf dem rechten Auge, das
ausgesprochenste Bild der Stauungpapille mit steilem
Oedem der Papilla und hinaufkletternden stark gefüllten
und geschlängelten Venen. — Dabei war die Milz-
dämpfung verbreitert. Die Uterinfunctionen hatten keine
Störung erlitten.
Ich stellte eine sehr zweifelhafte Prognose und ver-
ordnete Chinium sulf. ij. und Aufenthalt im halbdunkeln
Zimmer. Am nächsten Tage schon blieben die Schmer-
zen aus und die Patientin fühlte sich sehr behaglich,
ohne dass der ophthalmoscopische Befund ein anderer
geworden war. Ich ordinirte nun Schonung und Ferrum.
Sechs Tage später kam die Frau wieder zu mir mit der
Klage, dass sie nun Tag um Tag des Morgens von
2 — 6 Uhr sehr heftigen linksseitigen Kopfschmerz gehabt
habe mit starkem Froste, dem Hitze folgte. Der Augen-
spiegel zeigte rechts dasselbe Bild wie vorher, links aber
hatte die Schwellung der Papille entschieden zugenom-
men. S war dem entsprechend rechts = ^/^ wie früher,
links jetzt = 7so) die Gesichtsfelder waren nach wie vor
normal. Von nun an brauchte die Patientin 4 Tage nach
einander Ghin. sull gr. xv pro die und danach fortlaufend
Chinin mit Ferrum, und unter dieser Behandlung konnte
ich feststellen, dass, während die Schmerzen fortblieben
und im Allgemeinen die Kräfte sich wesentlich hoben,
auch die patholi^schen Veränderungen der Papillen all-
mählig zurückgingen, die Sehschärfe wuchs und 4 Wo-
chen nach der ersten Vorstellung beiderseits S~l
war und rechterseits die Papille nebst den Gefitesen ganz
normale Verhältnisse zeigte. Die linke Papille, damals
156
noch ein wenig geschwellt, fand ich bei dem nächsten
Besuche, 14 Tage später, ebenfalls znr Norm zurück-
gekehrt
Seitdem ist ein halbes Jahr verflossen und in dem
Zustande der Frau, die ich noch mehrmals untersucht,
hat sich keine Störung wieder eingestellt
Mit Obigem ist also die Thatsache mitgetheilt, dass
eine ausgesprochene Neuritis optici oder, wenn man will,
ein Oedema papiilae, neben intermittirender Neuralgie
bestehend, in 4 Wochen bei Chiningebrauch sich voll-
ständig zurückbildete. Sollte es unwahrscheinlich sein,
dass diese Neuritis, die allerdings keine Intermissionen
zeigte, mit der malaria in directem ursftdilichen Zusam-
menhange stand? Ich glaube nicht Intermittirende Gon-
gestionen nach den verschiedensten Organen und Organ-
theilen, oder mit anderen Worten, intermittirende locale
Oefässerweiterungen sind ja bekannte Erscheinungen bei
der Malaria-Infection, am Auge selbst sind sie vielfach
an dem vorderen Abschnitte beobachtet worden. Ferner
können durch die Heftigkeit der congestiven Anfälle oder
durch die Häufigkeit derselben pathologische Verände-
rungen gesetzt werden — Extravasation und Entzün*
düng — , bei denen die vollständigen Intermissionen dann
ausbleiben. Griesinger berichtet von der sogenannten
Ophthalmia intermittens*): „Bei langer Dauer soll es zu
bleibender chronischer Ophthalmie, Trübung der Gon-
junctiva (?), Atrophie des Bulbus kommen können."
Andererseits sind ophthalmoskopische Bilder, wie sie
unser Fall darbot, sonst der Ausdruck für eine Stauung
in den Retinalgefössen, welche durch hochgradige Steige-
rung des intracraniellen Druckes bedingt wird. Auch
bei starken Drucksteigerungen intra cranium, die inter-
mittirend, aber mit kurzen Pausen und häufig einträten,
*) Infectionskranklieiteii. 2. Aufl. 1864, p. 48.
157
würde eine continuirliche Schwellung der Papillen wohl
erklärlich sein, und diese Drucksteigerung wiederum
könnte auf dem Boden der Malaria-Infection durch pe-
riodische Congestionszast&nde herbeigeführt werden, —
allein plötzliche starke Schwankungen des Hirndruckes
hatten ohne Zweifel noch andere Symptome hervorrufen
müssen als die beobachteten. Ich vermutbe daher, dass
die Ursache zu suchen ist direct in einer int^rmittirenden
starken Hyperämie der Gefässe der Retina und des Opti-
cus. Tritt diese Gefässerweiterung sehr tumultuarisch
auf, so kann (nach y. Graefe) sehr wohl eine Art In-
carceration des intraocularen Sehnervenendes im Scleral-
ringe erzeugt werden, die, wenn die Insulte sich mit
kurzen Pausen häufig wiederholen, permanent wird.
Wohl zu beachten ist, dass bei Frau S. bei der ersten
Vorstellung die Frontalneuralgie auf der rechten Seite
am längsten bestanden hatte und auch auf dem rechten
Auge die Neuritis stärker entwickelt war, dass femer,
als später allein auf der linken die Schmerzen auftraten,
das linke Auge auch eine entschiedene Zunahme der
Stauungserscheinungen erkennen liess. Es ist übrigens
die „Ophthalmia intermittens'' sonst sowohl mit als ohne
gleichzeitige Neuralgien beobachtet worden.
Die Literatur ist nicht arm an Beobachtungen von
intermittirenden Ophthalmien, die durch Chinin geheilt
wurden. Es finden sich da Fälle von Hyperämien der
Conjunctivalgefasse, der Ciliargeiässe, von Goiyunctivitis,
Iritis, Hypopium, von Innervationsstörungen der inneren
und äusseren Augenmuskeln (Spasmus orbicularis, Doppelt-
sehenl, Strabismus, Accommodationsparese), von Nycta-
lopie, Hemeralopie, Amblyopie und Amaurose*).
*) Gate ZoiammensteUangen geben neuerdings Zehender in den
Uxn. VToehenblfittem 1867, p. 288» und Eulen barg und Laudois
in der Wiener medicin. Wochenschrift 1867, No. 72, p. 1140.
158
Ich selbst habe noch einen Fall der Art behandelt«
in welchem täglich vom frühen Morgen bis gegen Mittag
auf dem rechten Auge eine starke Hyperämie der vor-
deren Ciliargefasse — genauer der vorderen Ciliarvenen,
des episcleralen Venennetzes und der vorderen Binde-
hautgefässe — bestand mit Lichtscheu, schwerfällig re-
agirender Papille und dififuser Trübung der vorderen
Kammer. Ein Versuch, mit Blutentziehungen und Atropin
war wirkungslos, Chinin beseitigte das Leiden vollständig.
El hing im November 1867.
üeber Cataracten in Verbindung mit einer eig^i-
thflmlichen Hantdegeneratioa
Von
Prof. Dr. August Rothmund, jun. in München.
(Hienu Abbildangeii auf Tafel III.)
Am 14. April 1866 wurde ein fBni^ähriger Knabe in
meine Klinik gebracht, der an einem Auge an Cataract litt,
welche nach Angabe der Eltern erst seit 14 Tagen ohne
vorhergegangenes Trauma bemerkt wurde und bei wel-
chem mir zu gleicher Zeit eine eigenthümliche Marmo-
rimng der Haut auffiel; als nun einige Wochen später
wieder zwei Kinder ebenfalls wegen kürzlich entstandener
Cataract und zwar aus derselben Gegend und mit ganz
derselben Hautdegeneration mir zugeführt wurden, er-
regte dies natüriich meine besondere Aufmerksamkeit,
einmal deshalb, weil die Eltern versicherten, es seien
noch mehrere solch' erblindeter Kinder mit ganz dem-
selben Exanthem in ihrer Gegend, und zweitens, weil
alle CoUegen, denen ich die merkwürdige Hautanomalie
vorführte, worunter erfahrene Specialisten, wie Prof. Dr.
Lindwurm, Dr. Kreuz und Dr. Wertheimber, ver-
sicherten, nie etwas Aehnliches gesehen haben. So be-
schloss ich denn die Sache in loco ^n besichtigen und
160
reiste im vorigen Herbst in das kleine Walserthal , die
Gegend, aus der alle diese Kinder zageführt worden.
Die Resultate dieses Besuches nebst der Beobach-
tung der aufgefundenen Fälle in meiner Klinik bilden
den Inhalt der folgenden Blätter.
Das kleine Walserthal im Bregenzerwalde (Voral-
berg, Gericht Bezau) ist ein kleines, von hohen Bergen'
umschlossenes, 3 Stunden langes, nur nach Norden gegen
das bayerische AUgftugebirge offenes Thal und ^athält
drei massig grosse Dörfer, Ritzeln, Kirachdc und Mittel-
berg. Es liegt 3816 Fuss und enthält .1500 Einwohner.
In jedem der Dörfer befand sich eine Familie
mit mehreren Kindern, welche immer Cataract
und Exathem zu gleicher Zeit darboten.
Der besseren Uebersicht wegen xmA um Wieder-
holungen zu vermeiden gehe ich nun zur Beschreibung
des Exanthems und der Augenerkrankung aber, wie sich
allen so erkrankten Kindern gemeinschaftlich zukam U|i4
lasse zuletzt das jedem Kinde Eigenthümliche in b^son*
deren Krankengeschichten nachfolgen.
Mein hiesiger College Dr. Kranz hat drei solcher
Kinder mehrere Wochen genau beobachtet und auch ein«-
zelne excidirte Hauttheile mikroskopisch untersucht und
ich erlaube mir daher be^ttglich des Ei^anthems hier seine
Beobachtungen beizufügen.
Diese Kinder sahen sich nicht nur in ihrem allge*
meinen Habitus sehr ähnlich, es ist auch ausser Zweifel,
dass der path. Hautprocess bei Allen der nämliche ist
Aus der Anamnese erfahren wir bezüglich der Haut«*
affection Folgendes: An den Eltern, sowie an den anderen
gesund gebliebenen Kindern der FamiUe ist keine Spur
von allgemeinem oder localen Leiden nachzuweisen, nur
eine der Grossmütter soll an einer ähnlichen Affection
gelitten haben, ohne jedoch zu erblinden.
161
Die hautkranken Kinder waren zum Theile von
Jagendkrankheiten befallen, so litten einige davon an
Masern, was aber auf unsere Krankheit keinen Einfloss
hatte, an anderen AUgemeinerkrankungen litten sie nie,
insbesondere nicht an Scrophulose, Syphilis etc.
Die Entwickelung der Hautkrankheit wird von den
Müttern folgendermaassen geschildert: Die Haut der
Kinder unterscheidet sich von der Geburt bis zur HUfte
des ersten Lebensjahres durch gar nichts von dem ge-
wöhnlichen Aussehen und Verhalten, in specie ist keine
stärkere Spannung derselben bemerkbar, auch kann durch
kein Zeichen im Gesammtorganismus während dieser
Zeit bestimmt werden, ob das Kind seine normale Haut
beibehalten werde oder nicht. Ist aber obiger Zeitraum
verflossen, so beginnt die Affection und zwar immer zu-
erst im Gesichte. Die Wangen erscheinen stärker iigi-
cirt, aber keineswegs gleichmässig, so dass sie etwa diffus
röther gefärbt erscheinen, sondern die Haut wird in ganz
eigenthümlicher Weise auf den Wangen „marmorirt'\
Es entstehen ganz feine, rothe Linien, die nicht über
das Niveau der Haut emporragen, sondern sich nach der
Fläche netzförmig ausbreiten, Bezirke von unregelmässig,
meist mehr rundlich gestalteten normalen Hauptpartien
einschliessen. Im weiteren Verlaufe werden diese Linien
mehr roth gefärbt und nehmen langsam an Breitendurch-
messer zu.
Nun entstehen auch an anderen Stellen der Körper-
oberfläche, am Knie, den Ohren und zuletzt an den Ex-
tremitäten, dieselben rothen, feinen Linien und zwar
immer in derselben Anordnung, indem die Streifen in
verschieden gekrümmten und sich mannigfach kreuzenden
Linien und Kurven verlaufend, wie ein rothes Netz auf
der Haut sichtbar werden und derselben das eigenthüm-
Uch marmorirte Ansehen geben. Sowohl während des
Beginnens, als auch während des Verlaufes der Affection
AtcUt Ar Ophthalmologto, ZT?. 1. n
162
treten niemals allgemeine oder locale Gomplicationen ein
mit alleiniger Ausnahme derer, welche das Aage be-
treffen, nie Fieber, nie Schonerz oder Gef&hl von Trocken-
sein, Jncken der Hant Am Ende des ersten Lebens-
jahres ist die Affection an allen Stellen, an welchen sie
jetzt sichtbar ist, wenn anch nur in ihren Anfängen vor-
handen. Die weitere Entwickelangsgeschichte dieser Li-
nien ist eine ganz ein&che. Nachdem sie allmählig voh
der Dtinnheit eines Haares bis zu 1—1,5 Mm. Breiten-
durchmesser zugenommen haben, sich während dieser
Zeit etwas abschuppen, ändern sie ihr rothes Aussehen
in eine leicht braunrothe, dann mehr gelbe Nuance um,
nehmen etwas an Durchmesser ab und schliessen als
feine, weisse Hautnarben, vollkommen stationär bleibend,
den Process ab.
Dadurch, dass die Krankheit mit Marmorirung der
Haut beginnt und jeder zu der Zeichnung beitragende
Streifen seinen oben bezeichnetai Entwickelungsgang
fortnimmt, sich jedoch in der Regel nicht so weit in
seiner Breite ausdehnt, dass zwei nebeneinder liegende
Streifen zusammenstossen und verschmelzen, sondern
immer noch ein Raum gesunder, von ihnen eingeschlos-
sener Haut bleibt, ändert sich auch die Anordnung des-
selben während des ganzen Prozesses nicht, sondern die
betreffenden Hautpartien sehen eigenthümlich areolirt
gezeichnet aus, welcher Umstand allerdings durch noch
später zu berfthrende Momente alterirt werden kann.
Wie lange nun die ganze Lebensgeschichte und Me-
tamorphose eines solchen Streifens braucht, lässt sich
nicht genau bestimmen. Streifen, welche Dr. Kranz
während eines Monates genau beobachtete, zeigten in
dieser Zeit weder quali- noch quantitative Veränderungen,
woraus wir annehmen dürfen, dass der Verlauf ein sehr
langsamer ist. Sicher ist, da an einer und derselben
Körperstelle stets feine, rothe Linien und Narben za
163
finden sind, also Anfänge und Ausgänge der einzelnen
Factoren der ganzen Krankheit, dass dieselbe fortwährend
langsame Nachschübe an den bereits ergriffenen Partien
macht. Sicher ist femer, dass, da niemals primäres oder
secundäres, durch Kratzen erzeugtes Blossliegen des
Coriums statt hat, auch nie Bildungsfluidum austritt und
in Gestalt von Borken oder sonst einer Umwandlung die
Streifen bedeckt, am allerwenigsten es aber irgendwo zu
einer Bildung von Eiter kommt
Man hat es bei diesen Fällen niemals mit Excoria-
tionen, Rhagaden und Krusten, nie mit Quaddeln, Papeln
oder Blasenbildung, sondern nur mit Streifen, Schüpp-
chen und Narben zu thun.
Betrachten wir nur den objectiven Befund, so zeigen
sich die Kinder von guter, geistiger und körperlicher
Entwickelung, ausser Auge und Haut ist kein Organ des
Körpers als erkrankt nachzuweisen; insbesondere zeigte
die Untersuchang der Lymphdrüsen, des Bachens und
der Leber, dass hier kein diagnosticirbares Leiden vor-
liege. Auch der Harn ist vollkommen normal, in specie
ohne Zucker.
Die Haut an den nicht erkrankten Stellen, d. l an
dem ganzen Bumpfe mit Hals und Genitalien, dem be-
haarten Kopfe und einzelnen Stellen im Gesichte, Knie-
und Ellenbogenbeage, vola manus et pedis ist ausser-
ordentlich zart und weich, sammetartig anzufühlen, doch
glatt, nicht chamois gefärbt, sondern weiss und so durch-
sichtig, dass selbst am Bücken Hautvenen nicht nur
durchschimmern, sondern selbst im weiteren Verlaufe
ziemlich deutlich zu verfolgen sind. Die Haut ist leicht
in Falten zu erheben; das Fettpolster stark. Die Flaum-
haare sind kaum zu sehen, weiss; Haupthaar flachsfarben,
reichlich. Nägel gut entwickelt, normal geformt, Iris blau.
Wenn die Kinder schwitzen, so geschieht dies haupt-
sächlich am behaarten Kopfe.
164
An den genannten Partien ist weder eine Acne,
Warze oder Pigmentfleck, noch irgend eine andere pa-
thologische Affection vorhanden. ZuflOlige Schnittwunden
bluten nicht übermässig und heilen rasch.
Afficirt sind in allen Fällen Wangen, Kinn, Helix
und hintere Fläche des Ohres ; bei einem Knaben ausser-
dem der obere Theil des Nasenrückens, und bei dem
ältesten Mädchen auch die Stirne; femer sind obere und
untere Extremitäten in allen Fällen Sitz der Krankheit
An ersteren beginnt die Affection auf der Höhe des Acro-
mions und verbreitet sich von da über die ganze Streck-
seite des Armes bis über den Handrücken. Die Beuge-
seite ist nicht vollkommen frei, sondern nur weniger
befallen. Frei ist nur, wie gesagt, vola manus und Ellen-
bogenbeuge, so dass an letzterer das intacte Hautstück
einer Raute von weniger als 1'' Seitenfläche entspricht;
die Haut ist dort sehr zart und durch einfache Injection
schwach marmorirt An dem Handteller, sowie an den
nicht ergriffenen Partien des Handrückens fällt besonders
auf, dass die Linien und Leisten sehr schwach, kaum
bemerkbar vorhanden sind. An der Aussenfläche des
Oberarmes finden sich deutliche Impfpockennarben.
An den unteren Extremitäten ist der Sitz der Krank-
heit ganz entsprechend, beginnt an der Trocbanteren-
gegend, verbreitet sich von dort über die unteren Partien
des Gesässes und mit gleichfalls stärkerer In- und Ex-
tensität auf der Streck- als Beugeseite bis zu den Zehen;
die fossa poplitea ist marmorirt, entschiedener als die
cubitalis.
Die Affection selber ist nun an aUen befallenen
Theilen ganz dieselbe und besteht nur in zahlreichen
Streifen, die zwar überall die nämliche Anordnung, aber
nicht dieselbe Structur und Farbe haben.
Die Mehrzahl dieser Streifen ist ca. 1 Mm. breit,
verschieden lang, von der nebenliegenden Haut ziemlich
165
scharf begrenzt; die Begreuznngslinie erscheint bei ge-
nauer Betrachtung nicht scharf geschnitten, sondern klein
gewellt; die Streifen lallen hauptsächlich durch ihren
starken, besonders bei schief aufEAllendem Licht sehr
deutlich hervortretenden Glanz und ihre hellrothe Fär-
bung auf; letztere ist bei vielen keineswegs dififus, son-
dern zeigt dadurch, dass man unter diesen Streifen Ca-
pillaren verlaufen und durchschimmern sieht, oft ein mit
dunklerem, fast sternförmig angeordneten Netzwerk ver-
sehenes Aussehen auf rosarothem Grunde.
Wie in allen ähnlichen Processen gehen auch diese
Streifen je nach den Temperaturverhaltnissen die be-
kannten Farbenveränderungen ein, indem sie bei höherer
Temperatur sich röther färben, bei niedrigerer einen
Strich in's Blaue bekommen und dann auch noch ent-
schiedener hervortreten. Auf selbst leisen Druck ver-
schwindet die rothe Farbe vollständig und macht, je nach
der Breitenausdehnung der Streifen, einer ganz weissen
oder mehr minder gelb glänzenden Platz. Alle sind mit
Epidermis, wenn auch nur sehr dünn bedeckt, und diese
schilfert sich überall, doch nur in unbedeutendem Grade
ab. Die Abschilferung geschieht entweder in kleinsten
Partikelchen oder in äusserst dünnen, unregelmässigen
Plättchen, die sich schwer loslösen lassen; unter den-
selben ist immer eine wieder durchsichtige Epidermis-
lage, so dass bei Loslösung eines solchen Plättchens
weder Serum noch Blut an die Oberfläche tritt Am
relativ häufigsten geschieht die Abschuppung dort, wo die
Streifen am dichtesten zusammenstehen, das ist am Knie
und Ellenbogen, bleiben aber auch hier in Bezug auf
Zahl und Mächtigkeit ganz unbedeutend. Es ist selbst-
verständlich, dass die Art der Abschuppung das Aus-
sehen der Streifen einigermassen verändert, indem ein
eben seines Plättchens beraubter glänzend roth und
durchsichtig aussieht, während ein noch davon bedeckter
166
matter gefärbt erscheint, and dort, wo die sich nnregel-
mässig von einander loslösenden Plättchen aneinander
stossen, wegen der weissen Färbung ihres Bandes eine
entsprechende Zeichnung erhält, andererseits durch die
kleinsten Schüppchen wie von Mehl fein bestäubt er-
scheinen kann: Umstände, die eben wegen der Gering-
fügigkeit der Abschilferung von unwesentlichem Werthe
sind. Keiner dieser Streifen prominirt nun über das
Niveau der Haut, sondern alle liegen unter demselben.
Diese NiveaudifFerenz ist aber so unbedeutend, dass sie
nur mit Mühe, bei genauer Betrachtung und günstiger
Beleuchtung wahrnehmbar wird.
Die Streifen fohlen sich gerade nicht so weich an,
als die gesunde Haut, doch kommt ihnen kein nur einiger-
maassen ausgesprochenes Gefühl der Härte zu; sie lassen
sich auch ebenso leicht an den relativen Stellen in die
Höhe heben, oder in Falten legen, als die letzten.
Die eben beschriebenen Striae bilden nun den Haupt-
factoren zur Zeichnung der Bilder, theils ihrer grossen
Anzahl, theils ihrer Breite halber, und weil sie, durch
ihre Färbung von den anderen Haupt|)arthien abstechend,
am bemerkbarsten hervortreten. Aber, wie schon be-
merkt, sind noch andere vorhanden: so zahlreiche, feine,
haardünne Linien, von rother Farbe, an welchen wir
weiter nichts bemerken ; dann sehen wir wieder Streifen
von einem Drittel* bis zu einem halben Millimeter Breite,
die sich übrigens von dem Verhalten der zuerst geschil-
derten ausser ihres geringeren Durchmessers nur wenig
unterscheiden; sie sind nicht so intensiv rotb als die
breiteren geftrbt oder erscheinen verfärbt, schilfern sich
kaum ab, stehen nicht nachweisbar unter dem Hautniveau,
werden auf Druck entweder weiss, oder, insbesondere die
verfärbten, entschieden gelblich; manche dieser Streifen
haben auch pigmentirte Umrandungen und Umgebungen,
167
sind nicht wie die anderen in ihrem YerUufe riemlich
gleich breit, sondern zeigen Einziehungen vom Rande her.
Endlich sind zahlreiche weisse liniäre Streifchen vor-
handen, die sich in ihrem ganzen Verhalten von feinen
Hautnarben nicht im Geringsten unterscheiden.
Auf keinem dieser Striae Mtzt ein Haar.
Alle diese Linien und Streifen, gleichviel ob in ihrem
Alter gleich- oder ungleichwertfaig, treten nun in der be-
sagten areolftren Anordnung zusammen, die dem Ganzen
dn so eigenthümliches BUd giebt, wie es nur bei wenigen
Hautaffectionen vorkommt und schon bei der ersten Be-
trachtung an etwas erinnert, was damit eine frappante
Aehnlichkeit besitzt, an die Striae gravidarum einer
Mehrgeb&renden. Wissen wir auch gleichwohl, dass die
beiden in Rede stehenden Processe ihrem Wesen nach
verschieden sind, und fehlen bei differenten Spannungs-
verhältnissen der Haut jenen Abschuppung und zum
Theil die areol&re Anordnung, so ähneln sich doch die
Producte derselben in ihren rothen, das Licht eigen-
thümiich brechenden, verschieden aften, mit Narben ver-
mischten Striae so sehr, dass sich der Leser kaum durch
irgend ein Object unsere Affection so vergegenwärtigen
kann, als eben durch den Bauch einer Mdurgeb&rendea,
oder die Haut, welche durch einen rasch wachsendes,
darunter liegenden Tumor ein analoges Aussehen be-
sitzen kann.
Unsere Affection kann durch den Sitz etwas modi-
ficirt werden, so z. B. treten jene rothen Streifen, welche
im Gesichte und in specie an den Wangen sich bilden,
wegen dem grösseren Blutreichthum jraer Stellen, nicht
so deutlich hervor, als jene an den Extremitäten, während
sich die Narben am erstgenannten Orte pronondren. Am
Ohr sieht die Krankheit dadurch, dass hier keine Areolen
gebildet werden, indem die ganze hintere Fläche des-
selben ergriffen ist, ebenfalls abwdchend aus.
168
Am Rande der Helix finden sich allerdings einige
lange, rothe Striemen in der Längsachse derselben ver-
laufend, von hier ab ist aber die ganze hintere Parthie
bis in die Gegend des Processus mast gleichmftssig
gelbbraun gefiLrbt, sieht pergamentähnlich aus und fühlt
sich auch so an. Endlich stehen am Knie und Ellen-
bogen die Streifen so dicht, dass eben&lls nur wenige
gesunde Hautparthien von ihnen eingeschlossen werden,
und daher diese Gegenden fast diffus roth gefärbt er-
scheinen; dass. aber auch hier zuerst Streifen auftreten,
die erst später an ihren BerOhrungspunkten nach bekann-
tem Gesetze zusammenfliessen, beweisen die verschiedenen
Farbennuancen, die, als von ungleich alten Streifen her-
rflhrend, in diesen Flecken striemartig verlaufen.
Zur Beurtheilung der Krankheit hielten wir eine ge-
naue mikroskopische Untersuchung der Haut für unum-
gänglich nothwendig. Es wurde daher am 22. Oct 1866
einem zur Operation der Linsendiscision chloroformirten
Mädchen ein solches Stack excidirt. Es wurde zu diesem
Behufe an der äusseren Seite des unteren Dritttheils des
rechten Vorderarmes eine mehr als Gentimeter lange,
3—4 Mm. hohe Hautfalte mit einer Pincette erhoben und
mit einer Scheere abgetrennt. Obwohl sich der Schnitt
bis zum Fettpolster erstreckte, blutete er doch massig
und heilte bald mit Narbengewebe zu. Das abgetrennte
Hautstück war so gewählt, dass es die charaktristischen
Symptome der Affection darbot, indem es einem solchen
rothen, auf der Höhe der Entwickelung stehenden Streifen,
wie derselbe Anfangs geschildert ist, entsprach; der Schnitt
wurde aber so verlängert, dass noch ein Theil normal
aussehender Haut mitgenommen wurde; denn wir hielten
es für nothwendig, mit dem Befunde der kranken auch
die der gesunden Haut zu vergleichen.
Das Ergebniss der unmittelbar darauffolgenden mik-
kroscopischen Untersuchung ist nun folgendes:
169
Die gesunden Hantpariien boten im Allgemeinen
nur wenige Unterschiede von ceteris paribis anderer. Die
Epidermis-Hornschichte normal, 0^—0,35 Mm. dick; der
Yerlanf derselben ist wellenf&rmig mit einer durchschnitt-
lichen Erhebung von 0,12 Mm.; reagirt auf Essigsäure
nonnaL
Die Schleimschichte, von der sie sich ziemlich deutlich
abgrenzt, hat eine Höhe von 0,08—0,12 Mm. Zellen und
Kerne gut entwickelt, ebenso Pigmentzellen normal; löst
sich leicht von den Gutispapillen los. Letztere sind zahl-
reich aber klein, 0,02, nur wenige 0,03 Mm. hoch. In
ihrer Form und Textur, in den Oeftssen, Nerven, Haaren
und Drüsen der Haut konnte ebensowenig als im Corium
eine Aenderung der normalen Verhältnisse gefundra
werden; nur schien es, als ob letzteres ärmer an elasti-
schen Fasern wäre, als es gewöhnlich zu sein pflegt —
Ergebniss der Untersuchung desjenigen Hautstückes,
welches den rothen Streifen entspricht:
Vor Allem Mt es auf, dass die Homschichte der
Epidermis nicht gewellt, sondern mit ebener Oberfläche
verläuft und ebenso auf der von ihr sich deutlich ab-
grenzenden Schleimscbichte aufsitzt; sie verjüngt sich vom
Bande gegen die Mitte des Streifens und ist hier nicht
dicker als bloss 0,0036 Mm.; dabei ist sie aufEallend
undurchsichtig, von dichtem Gefüge und quillt auch in
Essigsäure nur sehr wenig.
Die Schleimschichte zeigt zwar ein gleichartiges Ver-
halten, aber die Afifection ist gradweise verschieden, so
dass die mittleren Partien, das Centrum der Streifen am
stärksten, die periferen, am Bande gelegenen schwächer
dieselben Veränderungen zeigen.
Der Dickendurchmesser beträgt ungefihr 0,3 Mm.
Die Structur ist schwer zu erkennen, weil das ganze Bild
von einer Unzahl feinster Kömchen, aus welchen nur die
stärkeren Kerne dunkel hervorscheinen, getrübt ist; in
170
Essigsäure löst sich nur ein geringer Theil, und selbst
nach längerer Einwirkung dieses Reagens ist die Trübung
noch bedeutend. An den periferen Stellen des Streifens
nimmt die Schleimschichte an Dicke ab bis zur Hälfte
und darunter; wenn auch hier noch zahlreiche Moleküle
und Tropfen zwischen und in den Zellen liegen, so kann
hier doch deutlich erkannt werden, dass nur wenige Zell-
kerne dieses StnU;um8 intact, sondern die meisten der»
selben in Moleküle zerfallen sind.
Die Scbieimschicht geht theils ohne Abgrenzung in
das unter ihr liegende Gewebe über, indem letzteres
gruppenförmige Conglomerate der degenerirten Schleim-
schichtzellen umschliesst, theils sitzt sie eben auf dem-
selben, aber nirgend ist etwas von einem Hineinragen
einer Papille in dasselbe zu sehen; der PapillarkOrper
iehlt und an seine Stelle ist ein eigentbümliches Gewebe
getreten. Dasselbe besteht in einem unregelmässig breiten
Saume, der das Licht auffallend stark bricht, mit zahl-
reichen Molekülen, grösseren und kleiaeren Tropfen, hie
und da BlutfarbstoffschoUen und Geftsen durchsetzt, sonst
aber vollkommen structurlos erscheint; trennt man ihn
von der obenan liegenden Schleimschichte, so löst er sich
eben, ohne Zacken oder Erhebungen zu machen, ab, je-
doch nicht rein, indem mehr oder weniger von letzterer
daranklebt Zwischen den beiden Schichten treten Fett-
tropfen hervor.
Dieser Saum reagirt auf Essigsäure nicht; weder die
Moleküle, noch die Tropfen werden durch sie verändert
Wegen seines speckähnlichen Glanzes versuchte ich die
Chlorzinkjod- und Jod-Schwefelsäure-Reaktion; während
dadurch die anderen Gebilde mehr minder intensiv gelb
geftrbt wurden, blieb er weissglänzend, und wurde selbst
nach längerer Einwirirang nur an den Rändern leicht
strohgelb. Indigotinktur bläute den Saum ebenfalls nur
leicht; ebenso verhielt sich Carmin. — Erwärmte man nun
171
einige dfloDe Schnitte in absolutem Alcohol, legte sie dann
längere Zeit in Aether und hellte sie dann mit etwas Essig-
säure wieder auf, so zeigte sich folgendes: Die MolekiUe
sowohl als die Tropfen waren nun verschwunden, erwiesen
sich somit als Fett; das Gewebe trat deutlich hervor, in-
dem es sich als sehr feines Bindegewebsnetz pr&sentirte,
das sich auch an manchen Stellen in die Schleimschicht-
zellen hinandrängt Ausserdem wurden zahlreiche erwei-
terte und ausgedehnte Gef&sse, theils mit Blutkörperchen
gefUlt, sichtbar; ihre Wandungen sind so zart, dass sie
oft kaum naehweisbar sind ; auch in den grosseren Haut-
gefiLssen sind sie nicht verdickt, noch ist sonst in ihrer
Textur eine Einlagerung vorhanden.
An vielen Stellen folgt unmittelbar auf diesen so
beschaffenen Saum das starke elastische Fasemetz des
Unterhautbindegewebes, ebenfalls eine grosse Anzahl von
Fetttropfen bergend, sonst aber ohne merkliche Verän-
derung. Ich sah nur zwei Haarbälge, in beiden fehlte
das Haar selbst, so dass die inneren Haarbalgschichten
einander unmittelbar berührten; die TalgdrAsen waren
klein, mit grossen Fetttropfen gefbllt
An manchen Stellen wichen die Bünde des Unter«
hautzellgewebes etwas weiter auseinander (ca. 0,05 Mm.),
so dass dadurch ein alveolenartiger, auf den Horizontal-
durchschnitt sich meist spindelförmig projicirender Raum
gebildet wurde, welcher jedoch nicht leer, sondern immer
mit demselben Gewebe gefüllt befunden wurde, aus
wdchem jener oben besprochener Saum besteht
Aus dieser' Untersuchung resultirt also zunächst,
dass das Wesentliche der Erkrankung unseres heraus-
geschnittenen Hantstfickes in fettiger Degeneration des
Rete Malpighii und des Papülarkörpers mit zu Grunde
gehen des letzteren besteht; vergleichen wir hiemit die
S3rmptome und die Entwickelungsgeschichte der Krank-
heit, so stellt sich dieselbe als eine chronische paren-
172
ehjrmatöse Entzandong der Haat dar. Wir können an
derselben die dieser Art von Entzündung zukommenden
Stadien sehr leicht verfolgen. In den kleinen rothen,
an&ngs auftretenden Streifchen haben wir das der Hyper-
aemie mit allm&hliger Exsudation ins Parenchym, Ffillung
der Zellen mit Molekülen. Unter Abstossung der Epi-
dermis erreicht der Process in der fettigen Degeneration
der Partien die Höhe der Entwickelung und geht end-
lich, ohne dass es bei dem ganzen Process je zu einer
Bildung von Eiterzellen gekommen wäre, durch Resorp-
tion des Papillarkörpers in das dritte Stadium der Narben-
bildung über.
Was also z. B. Morbus Brightii in den Nieren, das
ist unsere Affection in der Haut und höchst wahrschein-
lich auch in der Linse.
Fragen wir nun, welchen Namen diese Hautentzün-
dung haben soll, wenn man mit der einfachen pathoL-
anatom. Bezeichnung nicht zufrieden sein sollte, so müssen
wir gestehen, dass wir keinen anderen dafür kennen; auch
die uns zu Händen liegende Litteratur lieferte uns zwar
ähnliche Fälle, aber keinen, der mit den unsrigen gleich-
artig wäre; schon das Mitei^riffensein der Linse, das in
unseren Fällen constant vorhanden ist, also dafür patho-
gnomonisch zu sein scheint, kommt sonst bei keiner der
uns bekannten Hautaffectionen vor.
Dass die Krankheit hereditär ist, steht ausser allem
Zweifel, weil sie eben nur in ein paar Familien vor-
kommt; und wir wüssten ausser der Vererbung, da die
Grossmutter hautkrank war, keinen anderen Grund her-
vorzuheben, als vielleicht den, welchen die Ehe unter
Nahverwandten auf die Nachkommenschaft ausübt.
Allerdings sind uns keine Fälle bekannt, dass die
Haut der durch derartige Ehen Erzeugten auf ähnliche
Weise leide; unter allen Umständen muss aber hervor-
gehoben werden, dass in unseren Fällen immer Haut-
173
und Sehorgan zugleich, oder keines von beiden beMen
wurde.
Ein^ weitere Frage, ob die Krankheit auf Bildnngs-
hemmung beruhe, so dass die Haut zu enge angeboren
und mit dem Wachsthnme der darunter liegenden Theile
nicht gleichen Schritt halten konnte, sich daher getrennt
habe, ist insbesondere wegen ihrer Aehnlichkeit mit den
Striae gravidarum und fthnlichen Processen naheliegend.
Es ergiebt sich jedoch aus dem Verlauf und der mikros-
kopischen Untersuchung, dass diese Ansicht kaum eine
richtige ist Denn bei unserer Krankheit ist zu keiner
Zeit eine abnorme Spannung der Haut vorhanden, die
doch einer Trennung derselben nothwendig vorausgehen
mfisste; anderseits fehlen bei den Striae etc. die Zeichen
einer Entzündung, Abschilferung etc. immer, die in un-
seren Fällen charakteristisch vorhanden sind. Anderseits
ist es aber dennoch auffallend, dass bei den ergrift^snen
Individuen der PapiUarkörper gering entwickelt ist, denn
es Uesse sich denken, dass es durch diesen Umstand zu
einer allmfthligen Ernährungsstörung der allgemeinen
Decke kommen könnte.
Suchen wir in der Literatur nach feineren Analogis,
so muss in erster Reihe das hieher gesetzt werden, was
V. Bärensprung'*') am Ende seiner Vitelligo-Arbeit
hinzufügt, und was Th. Addison und W. Gull**) Vitili-
goidia nennen. Es ist jedoch die Aehnlichkeit beider
Fälle weit, in den ersteren Fällen beschränkte sich die
erworbene, mit Dyscrasien verbundene Krankheit, ohne
das Auge selbst zu ergreifen, bloss auf die Augenum-
gegend. Die Aehnlichkeit liegt bloss im mikroskopischen
Befunde, der, obwohl Bauern sprung die Sache bloss
oberflächlich angab, auf fettiger Degeneration des Papil-
*) DeaUohe Kludk 1S55. 1 u. 2. IIL pg. 17.
••) Ouy'i hMp. Beportf. VoL Vm. part II.
174
larkörpers lautet In dem bezeichneten Falle war der
Papillarkörper noch erhalten, in dem unseren ist er re-
sorbirt.
Ebenso haben die Fälle von sog. Vitiligoidea nur
ganz entfernte Aehnlichkeit, sind Krankheiten, die mit
Leberleiden etc. zusammenhängen, im späteren Lebens*
alter auftreten und nicht selten tuberkulöse Knoten machen,
nie das Auge selbst aüficiren.
Diese letzte Krankheit hat eine entschiedene Aehn-
lichkeit und Verwandtschaft dadurch mit dem Keloid, dass
sie ohne Eiterbildung Narbengewebe in die Haut setzen,
ebenso unsere; sie unterscheidet sich jedoch wesentlich
dadurch, dass die von ihr gesetzten Producte niemals
eine Wucherung, die das Hautniveau überragt, eingeht
Eine nicht unbedeutende Aehnlichkeit scheint unsere
Krankheit insbesondere mit der Art der Ichthyosis zu
haben, welche Lebert^) Keratosis diffusa laevis bezeich-
net; letztere kommt angeboren unter ähnlichen Umständen
wie unsere vor; insbesondere treten dabei auch netzar-
tige Zeichnungen auf der Haut, allerdings durch Conti-
nuitätsstörung auf; diese netzförmigen Figuren schilfern
sich ferner auch ab, die Krankheit juckt ebenfalls nicht
Aber bei xUesen Formen ist die Epidermis rauh, trocken,
matt und pergamentartig, umgekehrt zu unseren Fällen,
bei denen auch die Entwickelung eine total andere ist,
und sich ein gerade entgegengesetztes mikroskopisches
Verhalten zeigt. Es lässt sich auch nicht annehmen, dass
in Bezug auf diese Verhältnisse im Verlauf der späteren
Lebenszeit der Kinder eine Aenderung eintreten wird.
Noch weniger kann unsere Krankheit für Syphilis
gehalten werden. —
Nach allem dem glauben wir annehmen zu dürfen,
dass diese Erkrankung der Haut, so lange bis wir hier-
*) üeber Keratoie Bres. 64. pg. 185.
175
Aber nicht eines Besseren belehrt werden, f&r eine noch
anbeschriebene anzusehen sei.
leh gebe nun cor Beschreibnng der LinsentrQbnng
über, welche bis jetzt bei Allen so afficirten Kindern
zwischen dem 4.-^6. Lebensjahre, nnd zwar in auffallender
schneller Weise sich entwickelte. Während das Exanthem
schon meist im dritten oder vierten Monate beobachtet
wird, beginnt die Linsentrübung erst im 4-— 6. Lebens-
jahre. Die Kinder sehen bis dahin vollkommen gut und
haben nach Aussage des dortigen Arztes (Dr. Ecker)
eine vollkommen schwarze Pupille, wie ich es selbst noch
bei den ganz Kleinen, schon mit dem Exanthem behaf-
teten, beobachten konnte.
Plötzlich nun zeigen isich am Rande der Linse ra-
diäre Streifen von ganz geringer Breite, in Form läng-
licher Dreiecke, deren Basis dem Linsenrande entspricht,
welche sich äusserst rasch vermehren, und in Zeit von
4 — 8 Tagen ist die ganze Linse getrübt und die Kinder
sind bis auf die Wahrnehmung von hell und dunkel er-
blindet. Betrachtet man nun eine solche getrübte Linse
bei seitlicher Beleuchtung, so zeigt sich die Trübung am
Sande am stärksten und breitet sich diese in Form
bläulich grauer, unter der Kapsel etwas schillernder
Streifen gegen das Linsencentrum aus. Die einzelnen
Streifen sind schmal (Vio^Vii^'' breit an der Basis) und
nicht völlig undurchsichtig, sondern so durchscheinend,
dass man mehrere solcher übereinander liegenden Schichten
unterscheiden kann. Sie unterscheiden sich in dieser
Hinsicht in nichts von den weichen, in der Corticalis be-
ginnenden Staaren.
Aufibllend von anderen Cataracten bei jugendlichen
Individuen ist nur ein sehr starkes Hervortreten der
vorderen Linsenconvexität, die Cataract ist offenbar ge-
176
bl&ht and deshalb auch die vordere Aagenkammer kleiner
und die Irisreaction träger. Die Trttbong wird nan all-
m&hlig dichter, die Streifen verwaschener, ohne jedoch
die relativ weisse FSrbung gewöhnlicher Cataracten bei
jagendlichen Individuen anzunehmen. Meist erkranken
beide Augen zu gleicher Zeit, manchmal das eine aber
nur 4—6 Wochen firüher, als das andere, nie bleibt die
Catarakt mono-lateral.
Nachdem ich nun die allen so erkrankten Individuen
zukommenden Symptome erörtert, gehe ich zur Beschrei-
bung der EinzeliäUe und der an ihnen vollführten Ope-
rationen fiber.
Wie schon im Anfange bemerkt, befindet sich in
jedem der 3 Dörfer des kleinen Melserthales je eine Fa-
milie mit solchen Kindern, und zwar:
I. In Mittelberg. Die Familie des Wirthes Drochsel.
Vater 44 J., Mutter 33 J., beide vollkommen gesund. Von
den Kindern sehen die beiden ältesten von 10 und 7
Jahren vollkommen gut und zeigen keine Spur einer
Hautanomalie. Das dritte Kind, Oswald, 6 Jahre alt, kam
ebenfalls gesund zur Welt, die Marmorirung der Haut
wurde im 6. Monat bemerkt und zwar zuerst an den
Wangen, später an den Extremitäten.
Die Cataractbildung trat im 5. Lebensjahre ein und
zwar zuerst am linken, einige Wochen später am rechten
Auge. Die Erblindung erfolgte beiderseits innerhalb 8
bis 10 Tagen. Dieser Knabe ist der zuerst gebrachte
und der Verlauf der Operation von den folgenden wesent-
lich abweichend. Am 15. April nahm ich die Discision
per comeam linkerseits vor und obwohl diese, wie jede
erstmalige, eine nur sehr wenig ausgiebige war, riss doch
nach Zurückziehung der feinen Nadel und Abfluss des
Humor aqueus die Kapselwunde so weit, dass die ganze
getrübte Linse durch die Pupille in die vordere Augen-
kammer trat und dieselbe sogleich vollkommen ausfüllte.
177
Bei Discisionen, vorzüglich bei Scliichtstaar, habe ich
öfter beobachtet, dass der Kern entweder sogleich, meist
aber nach einigen Tagen in die vordere Augenkammer
fiel, ein so rapides Heraussteigen der Linse in toto habe
ich noch nie beobachtet Die Resorption so prolabirter
Linsenkeme geht bekanntlich bei Kindern nicht ohne be-
sondere Reizerscheinungen vorüber und so glaubte ich
auch hier die Resorption einstweilen abwarten zu können;
doch schon am zweiten Tage zeigte sich starke Injection
des Limbus coqjunctivae, Enterbung des schmalen, hinter
der Linse noch kaum sichtbaren Irisrandes und am Cor-
nealrande entsprechend dem Einstiche eine eitrige In-
filtration. Unter diesen Umständen nahm ich sogleich
die lineare Extraction der geblähten Linse vor. Ein
Einstich mit einer breiten Lanze am äusseren Gomeal-
rande entleerte auch die breiige Linse vollkommen; die
Pupille zeigte sich massig schwarz, die Iris jedoch ver-
waschen und entfärbt, weshalb ich mit der Extraction
eine Iridectomie verband.
Der Erfolg dieser Eingriffe war jedoch keineswegs
befriedigend; am folgenden Tage traten heftige Schmerzen
auf, die eitrige Infiltration nahm die ganze untere Hälfte
der Hornhaut ein, dabei starke Rothung und chemotische
Schwellung der Bindehaut
Unter Zunahme der eitrigen Homhautinfiltration ging
die Hornhaut mit Ausnahme eines ganz schmalen Randes
zu Grunde und der Knabe wurde nach 30 Tagen mit
einem totalen Leukom entlassen.
Einige Tage vorher war das rechte Auge atropini-
sirt und untersucht worden und zeigte sich auf diesem
eine ganz feine streifige Randtrübung der Linse.
Am 16. October desselben Jahres brachte der Vater
den Knaben wieder, schon einige Tage nach der Entlas-
sung war das andere Auge erblindet
Der Vater motivirte das Kommen mit der treffenden
ArchlT fBr Ophthalmologi«, XIV, 1. 12
178
Bemerkung, er habe gelegentlich eines klinischen Vor-
trages an meine Zahörer gehört, dass es sich hier um
einen seltenen Fall handle und so glaube er, dass ich
die am ersten Auge gemachte Erfahrung bei der Ope-
ration des zweiten verwerthen könne, während ein an-
derer Arzt, mit den Gründen des üblen Ausganges un-
bekannt, am zweiten dasselbe Missgeschick haben könnte.
Gewiss könnte, wenn diese Ansicht nicht bei weitem die
seltenere wäre, manches Auge auf Grund gemachter Er-
fEihrungen gerettet werden, wenngleich nicht geleugnet
werden kann, dass erfahrungsgemäss beinahe immer das
zweiterblindete Auge die günstigeren Chancen bietet.
Ich beschloss, diesmal mit ganz besonderer Vorsicht
zu discidiren'*'). Mit einer ganz feinen Nadel wurde ein
*) Von der Ungefährlichkeit der modiflciiten Linearextraction über-
zeugt (unter 94 Sderalextraotioiien zahle ich in der ersten Hälfte rier,
in der zweiten nur einen Verlust, während nach einer Zusammenstel-
lung Ton 396 in meiner Klinik Torgenommenen Lappeneztractionen 48
unglückliche Ausgänge waren, also im ersteren Falle 5,3 %y im zweiten
12,2 ^), habe ich auch bei Kindern diese Operation statt der Discision
einigemal yorgenommen, da Jodermann zugeben wird, dass auch diese
bei der vorsichtigsten Manipulation nicht immer ohne üblen Ausgang ist
Abgesehen yon Linsenblähungen und hinteren Synechien, welche dann
doch eine weitere Operation yeranlassen, giebt es Fälle von angeborenen
Cataracten, bei denen sich der Discision die grössten Schwierigkeiten
bieten. Es zeigt sich nämlich oft bei solchen angeborenen Staaren eine
starke Verdickung der Vorderkapsel, gewöhnlich yerbunden mit einer
auf Atropin sich sehr gering erweiternden Pupille, bei denen bei stär-
keren Hebelbewegungen mit der Nadel eher ein Losreissen der Linse
yon der Zonula zinnii mit alF den schlimmen Folgen einer solchen Dis-
location, als ein Einreissen der Linsenkapsel erfolgt, auch der lang,
same Erfolg und die oft 8 — 6 mal nothwendigen Wiederholungen haben
besonders für zugereiste Patienten manches Missliche. Bis jetzt habe
ich 6 mal bei Kindern unter zehn Jahren die modificirte Linearextraction
versucht. Die Linsentrübungen waren theils angeboren, theils trauma-
tischer Natur und der Erfolg sowohl in Bezug auf Sehvermögen als
auf Zeitdauer der Heilung in aUen Fällen sehr günstig.
Das jüngste so operirte Kind war erst 9 Monate alt und hatte auf
beiden Augen angeborenen Totalstaar mit, wie die seitliche Beleuch-
tung leicht nachweist, stark verdickter VorderkapseL Die Operation
179
seichter Einstich vom Hornhautrande aus iu die Linse
gemacht und nach vorsichtigem, langsamem Zurückziehen
der Nadel zeigte sich nach dieser kaum punktförmigen
Verletzung der Vorderkapsel, welch' starke Tendenz hier
diese zum Weiterreissen besass. Sogleich traten kleine
Flöckchen in die Vorderkammer, zu einem Vorfall der
ganzen Linse kam es aber diesmal glücklicherweise nicht.
Das Auge blieb vollständig reizlos und da die Resorp-
tion ihren normalen Verlauf hatte, wurde der Knabe nach
23 Tagen, mit der Weisung, täglich eine Atropinlösung
einzuträufeln, nach Hause entlassen. Eine zweite, vier
Monate später, ebenfalls sehr wenig ausgiebige Discision
per comeam verlief ähnlich, und erst bei der nach aber-
mals drei Monaten vorgenommenen dritten Discision wurde
die Pupille nach einigen Tagen vollkommen schwarz und
der Knabe konnte, soweit bei einem solchen jugendlichen
Individuum Sehproben möglich sind, mit vollkommen
gutem Sehvermögen entlassen werden.
Das vierte Kind der Familie Drechsel in Mittelberg,
Katharina, 2 J. a., sah bei meinem dortigen Aufenthalte
noch ganz gut, hatte aber im Gesichte und an den Extre-
mitäten deutliche Marmorirung. Nach einem in diesem
Jahre erhaltenen Briefe ist das Kind seit einigen Tagen
ebenfalls erblindet und wird nächster Tage zur Opera-
tion kommen.
IL In dem eine kleine halbe Stunde von Mittelberg
entfernten Dorfe Hirscheck wohnt Lukas Drechsel,
4? J. a., Bauer, Bruder des Wirthes in Mittelberg. Beide
warde natürlich unter Chloroformnarkose, der Schnitt nor 2^*" gross
eemacht. Nach der Iridectomie wurde die yerdiokte Linsenkapsel mit
dem Weber 'sehen Doppelhaken herausgezogen, worauf sich äusserst
leicht die weiche Linse durch die Wunde entleerte. Die Heilung er-
folgte in 7 Tagen. Beim zweiten Auge, das 8 Tage später operirt
wurde, entstand ein kleiner Glaskörperrorfall, weil das Kind im dritten
Acte aus der Narkose erwachte. In 9 Tagen war auch hier die Heilung
ToUendet. Die Bulbi waren während der ganzen Zeit nahezu ToUkom-
men reizlos.
12»
180
Brüder haben zwei Schwestern geheirathet In
dieser Familie sind sieben Kinder. Das älteste Kind, Ana-
stasia, 17 J. a., hat yollkommen normale Haut und Augen.
Bei dem zweiten Kinde Carolina, 14 J. a., sind die
Augen ebenfalls ganz normal und dem äusseren Anscheine
nach auch die Haut; mit der Loupe kann man jedoch
deutlich an einzelnen Stellen der Wange die charakte-
ristischen Marmorirungen, wenn auch nur auf kleine
Stellen begrenzt, erkennen.
Beim dritten Kinde Bosamunda, 12 J. a., ist die
Marmorirung an Gesicht und Extremitäten sehr ausge-
prägt. Die Flecken wurden im dritten Monate beobachtet
Die Erblindung trat im sechsten Lebensjahre binnen acht
Tagen beiderseits ein. Dieses Kind wurde vor zwei
Jahren von einem anderen Arzte discidirt. Pupillen bei-
derseits yollkommen schwarz, links jedoch eine lineare
Hornhautnarbe mit einer kleinen vorderen Synechie,
wahrscheinlich die Folge einer Linearextraction. Mit
-h2V« beiderseits S = V2-
Auf dieses Kind folgen Zwillinge, Karl und Max,
8 J. a., beide ganz gesund und mit normalen Augen.
Das sechste Kind, Maria Katharina, 6 J. a., stark
marmorirt. Die Hautaffection entstand im 3. — 4. Monate,
die Erblindung des rechten Auges erfolgte am Ende des 5.,
die des linken am Anfange des 6. Jahres (3 Monate später).
Beiderseitige Discision per corneam, nach einmaliger
Wiederholung mit beiderseits schwarzer, runder Pupille
und normalem Sehvermögen entlassen.
Das siebente Kind, Karethina, 3 J. a., überall schon
marmorirt, die Augen aber mit Ausnahme eines leichten
Strabismus convergens nach volkommeu normal.
HI. In dem dritten Orte des kleinen Malserthales,
Ritzeln, findet sich eine Familie mit solchen Kindern
und zwar bei dem Bauern Christian Rigler, 36 J. a. Der-
selbe ist mit den beiden vorigen Familien nicht ver-
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wandt, hat aber eben&Ils eine Verwandtschaftsehe
eingegangen (seine Frau ist mit ihm Geschwisterkind).
Drei Kinder.
Rosamunde, 4 J. a. (hievon die beiliegende Abbildung),
stark marmorirt Erblindung im 4. Jahre, auf dem zweiten
Auge 18 Tage später. Nach zwei aaf beiden Augen von
mir vorgenommenen Discisionen vollständiges Sehver-
mögen. Das zweite Kind, 3 J. a., massig marmorirt, sieht
noch ganz gut; bei dem jüngsten, Vs 3. a., ist weder eine
Anomalie der Haut noch der Augen bis jetzt zu bemerken.
Vergeblich habe ich in der Literatur nach derartigen
Fällen gesucht, nirgends fand ich in den aetiologischen
Bedingungen zur Entstehung der Linsentrübungen Krank-
heiten der Haut, geschweige eine derartige erwähnt: eben-
sowenig habe ich bei Erkundigungen in den benachbarten
Gebirgsthälern des Bregenzerwaldes etwas hieher gehö-
riges auffinden können. Die Lebensweise der Bewohner,
die Lage und das Glima ist mit sehr Vielen anderen be-
nachbarten Thälem ganz analog.
Ein Hauptmoment erscheint mir die nach Aussage
des dortigen Geistlichen so häufige Verwandtschaftsehe
zu sein, deren nachtheilige Folgen wir ja schon bei ver-
schiedenen angeborenen Krankheiten kenneu.
Da die Linse, wie die Entwickelungsgeschichte zeigt,
aus einer Einstülpung der äusseren Haut entsteht, so ist
wohl die Annahme gerechtfertigt, dass die Anlage zu
dieser Anomalie in beiden Organen angeboren und den-
selben Ursprung habe, sich aber in dem einen früher, in
dem anderen später manifestire. CoUegen, welche einmal
gelegentlich einer Ferienreise dieses romantische Bre-
genzerthal besuchen, bitte ich nicht zu versäumen, diese
Kinder näher zu betrachten, vielleicht ist der Eine oder An-
dere in der Auffindung einer directen Ursache glücklicher.
NB. Beil. Abbildung iit Porträt der 4jShr. Bosamonde Rigler.
üeber Aderhanttaberkela
Von
A. y. Graefe und Th. Leber.
1/ie ErankheitsfoiiD, welche sich früher als tuberkulöse
Chorioiditis in der Nosologie halb und halb eingebürgert
hatte, ist neuerdings wieder fast aus derselben verschwun-
den. Man glaubte zur Zeit jenen Namen gewissen Ent-
zündungen der inneren Membranen beilegen zu dürfen,
welche zu plastischen Infiltrationen des Glaskörpers oder
zu subretinalen Ergüssen resp. Eiteransammlungen in
diesen Theilen mit k&siger und kalkiger Metamorphose
fahren, nicht selten während einer gewissen Periode durch
den hellen Reflex, welchen sie aus dem Augenhintergrunde
zurückwerfen, das Bild des amaurotischen Katzenauges
gewähren. und endlich zur Atrophia bulbi mit Cataracta
gypsea adhaerens führen. Da man jfür diese Erkrankungen,
die vorwiegend an Kindern vorkommen, keine anderen
Ursachen kannte, und da sie zuweilen mit Symptomen
von Scrophulose und Tuberculose coincidirten, so fanden
sich gewiegte Fachmänner, wie Arlt, geneigt, dieselben
als Ausflnss jener Allgemeinzustände zu deuten. Allein
eingehendere Forschungen haben diese Voraussetzungen
wenig unterstützt Es zeigte sich bei der Zergliederung
solcher Augen weder in den Erankheitsproducten eine
184
charakteristische Beschaffenheit, noch konnte ein nume-
rischer Nachweis über die Dependenz von jenen Allge-
meinzuständen gewonnen werden. Endlich erwies sich
für eine sehr grosse Quote eben dieser Fälle als Grund-
lage ein von Tuberculose nicht im mindesten abhängiger
Erankheitsprocess, die meningitis cerebro-spinalis. Wir
wollen indessen nicht soweit gehen, jedwede ursächliche
Beziehung der Scrophulose resp. Tuberculose zu jenen
Formen plastischer AderbautentzOndungen zu leugnen.
Im einzelnen Falle mag es vielmehr, angesichts der Ent-
wicklung des Uebels und des vorliegenden Symptomen-
complexes, gestattet sein, eine solche zu präsumiren ; aber
die Aufstellung eines typischen Erankheitsbildes, welches
das Gepräge der wirkenden Ursache in sich trägt, halten
wir bei dem heutigen Stande der Erfahrungen für unzu-
lässig.
Hierzu kommt, dass gerade in den exquisiten
Formen der Tuberculose, sowohl in der localisirten
Lungen- und Darmtuberkulose als in der verbreiteten
Mlliartuberculose, sich derartige plastische Aderhaut-
entzündungen nicht haben nachweisen lassen oder wenig-
stens nicht in einer Frequenz, welche irgend einen
Schluss auf Ursächlichkeit begründen könnte. S t e 1 1 w a g
(Lehrbuch, IIL Auflage, Abth. I. pag. 278) spricht freilich
wieder von dem Vorkommen „tuberculöser Panophthal-
mitides in den letzten Stadien der Phthisis tuberculosa"
und fügt die Bemerkung hinzu, „dass das Auge eines der
letzten Glieder in der Reihe der Organe sei, welche sich
an der allgemeinen Tuberculose zu betheiligen pflegen."
Allein ohne die betreffenden Beobachtungen unseres ge-
schätzten Fachgenossen bezweifeln zu wollen, glauben wir
einmal, dass der generalisirende Ausdruck, dessen er
sich hier bedient, zu dem irrigen Schlüsse führen
könne, jener Ausbruch panophthalmitischer Processe bilde
bei Tuberculose ein häufiges Yorkommniss, während
185
sich dies doch in keiner Weise heransstellt ; sodann
aber möchten wir nach S teil wag' s Beschreibung selbst
jene Erkrankungen nicht f&r eigentlich tuberculöse, son-
dern für, durch Thrombose entstandene metastatische
Ophthalmien ansprechen, wie sie im Verlaufe resp. am
Ende von Eiterfiebem der verschiedensten Abstammung
dann und wann beobachtet werden. Die erfolgende Ein-
dickung des Eiters und die sich hieran schliessende, kä-
sige Beschaffenkeit, welche* überhaupt nachgerade bei
der Deutung mit Vorsicht benutzt werden sollte, erscheint
uns vollends für die geschlossene Höhle des Auges fast
werthlos. Der grosse Widerstand, den die Sclera setzt,
erschwert im Allgemeinen den Durchbruch, und es hat
sich, selbst wenn dieser erfolgt, allemal ein grosser Theil
des Eiters bereits so eingedickt, dass die Entleerung nur
eine sehr unvollkommene bleibt. So beobachten wir denn
exquisit käsige Beschaffenheit zu einer bestimmten Pe-
riode &st jeder, auch der einfach traumatischen Panoph-
thalmitis.
Wenn die betreffende Entzündungsform so ziemlich
in den Hintergrund getreten ist, so sind andere Aufstel-
lungen tuberculöser Chorioiditis bei chronischer Lungen-
tuberculose, welche auf Grund ophthalmoskopischer Ergeb-
nisse versucht worden, jedenfalls noch auf unsicheren Füssen
gestützt Bereits Im Jahre 1855 hat E d. v. Ja eger (Oester-
reichische Zeitschrift fUr practische Heilkunde. Jahrg. I.
No.2) einige Wahrnehmungen an Aderhäuteu Tuberculöser
mitgetheilt, welche rücksichtlich auf die damalige Periode
gewiss alle Beachtung verdienen. Neben zerstreuten Knöt-
chen, welche auch zweimal anatomisch untersucht und
fQr Tuberkel angesprochen wurden, fanden sich zuweilen
ausgedehntere Entzündungsproducte indifferenten Cha-
rakters. Leider fehlen genauere Angaben über die Natur
und Verbreitung des Grundleidens und lässt uns auch
die Beschreibung in mehreren Puncten Zweifel darüber
186
zurück, ob Jäger ein mit der Miliartuberciüose der
Aderhaut identisches oder ein davon abweichendes, ent-
zündliches Leiden vor sich gehabt. Noch weniger Ueber-
zeugung verschaffen uns die aus neuester Zeit stammen-
den Angaben Galezowski's (s. Archives g^nörales de
mMecine, Septembre 1867), welchem die Jaeger'sche
Mittheilung unbekannt geblieben ist und welcher den
Mangel anatomischer Belege durch eine, den heutigen
Kenntnissen über Aderhautveränderungen keineswegs
entsprechende, Argumentation zu ersetzen sucht Mit
Rücksicht auf die negativen Resultate, welche Cohn-
heim bei dem massenhaften, ihm vorliegenden Unter-
suchungsmaterial für die Aderhäute der an chronischer
' Lungentuberculose Gestorbenen erhalten hat (s. unten),
und mit Rücksicht auf die wenig charakteristischen Merk-
male, die Galezowski angiebt, bleibt wohl die natür-
lichste Deutung der betreffenden Wahrnehmungen die,
dass eine zufallige Goincidenz disseminirter Chorioiditis
(der einen oder anderen Form) mit Lungentuberculose
stattgefunden habe, wie es zwischen zwei so überaus
häufigen Krankheiten dann und wann sich ereignen wird.
Dass es sich nicht etwa um Miliartuberkeln gehandelt
habe, (was übrigens Verfasser selbst nicht behauptet)
geht, abgesehen von der Natur des Allgemeinleidens, aus
der Beschreibung der Veränderungen selbst, insonderheit
ihrer Grösse und dem Verhalten des Pigmentes auf das
Bestimmteste hervor.
Nach alledem ist eine eigentlich tuberculöse Cho-
rioiditis der einen oder der anderen Form bis jetzt als
unerwiesen zu betrachten; dagegen hat ein anderer Be-
fund die Pathologie bereichert und zugleich eine wichtige
diagnostische Brücke geschlagen. Wir meinen das Auftreten
von Aderhauttuberkeln bei der acuten Miliartu-
berculose. Das Verdienst dieser Entdeckung gebührt
M a n z, welcher die erste einschlägige Beobachtung in diesem
187
Archive (A. f. 0. Bd. IV. 2, pag. 120) bereits vor 9 Jahren
niedergelegt, und 5 Jahre später (A. f. 0. Bd. IX. 3, p. 133)
durch zwei neue Fälle einen weiteren Beitrag zu dem
Gegenstand geliefert hat. Da es sich in sämmtlichen
drei angefahrten Fällen um disseminirte Knötchen im
hinteren Augenabschnitt handelt, welche aus dem Gewebe
der Aderhaut hervorgingen, ohne dass an dieser oder an
anderen Theilen des Auges irgend welche entzündliche
Veränderungen vorhanden waren, da femer eine gene-
ralisirte Miliartuberculose zugegen war, deren Producte
in jeder Beziehung mit den Aderhautknötchen überein-
stimmten, so war Manz durchaus berechtigt, die von
ihm aufgefundene Krankheit als Tube reu lose der
Ad erbaut der von früheren Autoren (vielleicht mit Aus-
nahme Jaeger's) angenommenen Chorioiditis gegen-
überzustellen.
Eine für die Diagnostik höchst wichtige Frage war
nun die, inwiefern die Chorioidaltuberkeln sich häufig
oder selten bei der acuten Miliartuberculose vorfinden.
Manz selbst lässt diese Frage, vermuthlich in Ermange-
lung eines beweiskräftigen Materials, offen; allein man
hätte wohl erwarten dürfen, dass, nachdem einmal die
Aufmerksamkeit rege geworden war, im Falle häufigeren
Vorkommens die Mittheilungen in der Literatur sich rasch
ansammeln würden. Als sich dies nicht ereignete und
während voller 8 Jahre ausser den drei von Manz be-
schriebenen Fällen nur noch ein einziger Fall von Busch
(Virchow's Archiv Bd. XXXVL pag. 448) mitgetheilt
ward, in welchem sich 23 hellgraue, transparente Knöt-
chen von Stecknadelkopfgrösse und darüber in der
Aderhaut (ebenfalls bei verbreiteter Miliartuberculose)
vorfanden; so neigte man bereits zu dem Schlüsse, dass
die Coincidcnz eine relativ seltene sei. Vor dieser irrigen
Annahme hat uns zum Glück die im verflossenen Jahre
erschienene Arbeit Cohnheim's (Virchow's Archiv
188
1867, Mai), welche über verschiedene Seiten der Krank-
heit Licht wirft, bewahrt Wir erfahren aus derselben,
dass in 7 von Gohnheim während eines Zeitraumes von
etwa 4 Monaten hintereinander secirten Fällen von Mi-
liartuberculose sich allemal Aderhauttuberkeln vorfan-
den. Seit dem Erscheinen jener Arbeit haben sich in
einem weiteren Zeiträume von 10 Monaten noch 11 Fälle
von Miliartuberculose im hiesigen pathologischen Institute
zur Section dargeboten, und auch in diesen war, wie
Gohnheim es uns freundlichst mitgetheilt hat, allemal
die Aderhaut einseitig oder doppelseitig be*
troffen, so dass die Goincidenz sich jetzt während eines
14monatlichen Zeitraumes in sämmtlichen 18 vorgekom-
menen Fällen von Miliartuberculose bewährt hat.*) Hier-
nach kann man sich gewiss dem Ausspruche des Ver-
fassers nur anschliessen, dass die Aderhaut (neben der
Thyrioidea)als constantester Ablagerungsplatz der Miliartu-
berculose anzusehen ist, welcher vielleicht nie, jeden£edls fast
nie, verschont bleibt. Es gewinnt durch diesen Fund die
Aderhauttuberculose eine eminent wichtige, diagnostische
Rolle bei einer Krankheit, deren Erkenntniss zuweilen
unüberwindlichen Schwierigkeiten unterliegt. Wir be-
sitzen nunmehr statt einer Reihe indirecter Störungen,
aus denen wir unsere Schlussfolgerungen bei der acuten
Miliartuberculose zu ziehen gezwungen waren, eine di-
recte Manifestation so zu sagen an der sichtbaren Ober-
fläche des Körpers, welche alle Verwicklungen lösf*"*)
*) Der Zusatz, den wir Gohnheim verdanken, dass er trotz con-
sequenter Aufmerksamkeit in keinem anderen FaUe, als in jenen 18 von
Miliartuberculose, namentlich in keinem Falle localisirter Lungen- und
Darmtuberculose , tuberculöse Aderhauterkrankung gefunden, ist gewiss
zur Feststellung der Anschauungen yon entscheidendem Werthe.
**) Eine, allerdings noch o£fene, aber desgleichen höchst wichtige
Frage ist die, zu welchem Termine des Allgemeinleidens die Aderhaut-
affection ausbricht. Möglicher Weise geschieht dies noch früher als
die schwereren Kopfsymptome auftreten, welche uns die Bedenkliohkeit
189
So wenigstens würden sich unsere Hoffnungen ge-
stalten, wenn auch in Zukunft die Regelmässigkeit der
Ghorioidalerkrankung sich bewährt und wenn andererseits
die ophthalmoskopische Entdeckung der Aderhauttuber-
keln, wo sie vorhanden sind, mit Ausschluss aller etwaigen
Irrthümer durchgesetzt werden kann. Ersteres zu ent-
scheiden müssen wir den wachsamen Anatomen der grossen
Hospitäler überlassen, welche es hoffentlich nicht verab-
säumen werden, die Aderhäute bei Miliartuberculose in
fortgef&hrter Weise zu untersuchen. Für die zweite
Hälfte der Aufgabe wird dagegen die Mitwirkung der
Ophthalmologen am Platze sein, um so mehr, als die
Gonstatirung ophthalmoscopischer Details bei Schwer-
erkrankten resp. Moribunden oft erheblichen Schwierig-
keiten unterliegt. — Ehe wir einen kleinen Beitrag in
dieser Beziehung liefern, zu welchem uns neulich geeig-
netes Material ward, erlauben wir uns noch auf dieje-
nigen Punkte hinzudeuten, welche laut den bisherigen
anatomischen Ergebnissen, besonders Gohnheim's, hier-
für in die Wagschale fallen dürften.
Zunächst ist es ein für die Entdeckung der Gho-
rioidaltuberkeln gewiss vortheilhafter Umstand, dass die
Knötchen mit Vorliebe den hinteren Augenabschnitt, d. h
die Umgebung des Sehnerven und der macula
lutea behaften. Gohnheim folgert aus seinen Fällen,
dass zwar, wenn eine zahlreiche Entwicklung stattfindet,
jenes Lieblingsterrain in allen Bichtungen und in weiten
Strecken überschritten wird, dass dessen Gränzen aber
im Falle solitären oder spärlichen Auftretens von Knöt-
des Zuttandei yemthen — ein umstand, der besonden die Prognostik
inilnenciren würde. Endlich könnten auch weitere Beobachtungen über
die Aderhauterkranknng lur Beantwortung der Frage beitragen, in wie-
fern der Ausbrach der Ifiliartuberkeln in yerschiedenen Organen ein gleich-
seitiger oder succeMiver ist
190
chen allemal eingehalten werden. Es ist also weder zu
fürchten, dass die Krankheit als ausserhalb des ophthal-
moscopischen Feldes gelegen sich entzieht, noch auch zu
besorgen, dass sie wegen unvollständiger Durchmusterung
des ophthalmoscopisch zugängigen Feldes übersehen wird,
wie es sich bei schwer Erkrankten fQr vereinzelte Ader-
hautveränderungen, die weit ab vom Sehnerven liegen,
wohl ereignen könnte.
Der zweite Umstand, der hier von Gewicht er-
scheint, liegt in der regelmässigen rundlichen Form
bei äusserst verschiedener Grösse. Das (schwer festzu-
stellende) Minimum dieser Grösse scheint sich auf einige
Zehntheile eines Millimeters zu belaufen. Von ganz
kleinen, nicht erhabenen Flecken mit Vs— V« Mm. Dia-
meter, welche sich nur als schwache Entfärbungen oder
überhaupt erst nach Entfernung des Pigmentepithels auf
der inneren Aderhautfläche verrathen, bis zu stark pro-
minenten, jedweder Pigmentirung entblössten Knötchen
von 2,5 Mm. Durchmesser, zeigen sich alle möglichen
Uebergänge; aber bei allen tritt die regelmässige oder
fast regelmässige runde Form hervor. Nun können wir
freilich nicht in Abrede stellen, dass auch andere Ader-
hautveränderungen, wie wir sie in der weitschichtigen
Classe der disseminirten Chorioiditis vorfinden, einen
gleichmässig runden Formentypus darbieten. Allein es
kommt derselbe meist nur den elementaren Herden zu,
während die grösseren, durch Gonfluenz entstehenden,
unregelmässige, ausgebuchtete, einspringende, zackichte
Contouren der verschiedensten Varietäten darbieten.
Der dritte Umstand knüpft sich desgleichen an den
Boden und den Entwicklungsmodus der Tuberkeln. Mögen
die Knötchen sich durch Kernwucherung aus der Adven-
titia der grösseren Gefasse bilden, wie es Manz zur Zeit
behauptet, oder aus den &rblosen Stromazellen, wie es
Busch vertheidigt, oder aus besonderen, in der Ader-
191
baut zerstreut liegenden lymphkörperartigen Gebilden
(Wanderzellen), wie esCohnheim dargethan bat, seist
jedenfalls das Gewebe der Aderbaat selbst deren Aus-
gangspunkt. Sie erreichen zunächst innerhalb derselben,
bei äusserst geringer Dicke, eine gewisse Flächenaus-
dehnung, erheben sich bei fortschreitender Dimension über
die innere Aderhautfläche, und drängen hierbei die an-
stossende Pigmentlage auseinander. Durch die Ausdeh-
nung der Pigmentlage entsteht zunächst eine geringere
Saturation des Pigmentcolorits; sodann kommt es zu
einem wirklichen Schwund der Pigmentmolecule, beson-
ders gegen die Mitte des Tuberkels und, endlich zu einer
Discontinuität resp. einem völligen Defect der Zellenschicht
selbst. Hieraus erklärt sich die fast proportional zur
Grösse der Tuberkeln steigende Entfärbung und in jedem
einzelnen Tuberkel der allmälige Zuwachs dieser EntfiLr-
bung gegen das Centrum hin. Freilich gehören auch bei
anderen disseminirten Aderhautveränderungen Enter-
bungen der inneren Aderhautfläche zu den gewöhnlichen
resp. regulären Vorkommnissen, allein es findet sich nicht
jener allmälige Uebergang des umringenden nor-
malen Colorits zu dem in maximo entfärbten
Centrum, sondern es handelt sich entweder um fleckige
Abwechselung entfärbter und abnorm saturirter Partieen,
oder es ist die entfärbte Partie mit dunkleren Pig-
menthöfen umsäumt. Bei den Tuberkeln scheinen, eben
weil die Pigmentlage,* wenigstens lange Zeit hindurch,
sich nur leidend verhält, jene Umsäumungen der entfärb-
ten Stellen mit dunkleren Figmentanhäufungen auszu-
bleiben. Wir finden eine vermehrte Pigmentirung um
die Knötchen herum nur in dem einen Falle (lY) Cohn-
heim's, in welchem bereits eine höhere Entwickelung
erfolgt war, und einen markirten dunklen Saum nur fQr
das eine Knötchen dieses Falles, welches den ungewöhn-
lichen Durchmesser von 2,5 Mm. erreicht hatte, erwähnt
192
Bei allen übrigen Fällen (nach mündlicher Mittheilung
auch in den 11 noch nicht publicirten) wurde lediglich
eine Abnahme der normalen Pigmentirung gegen das
Centrum der Knötchen wahrgenommen. Wo sich aus-
nahmsweise bei den Tuberkeln Pigmentsäume vorfinden,
könnte übrigens die für die grösseren Knötchen nicht
ausbleibende käsige Metamorphose (G oh n heim) zur
Unterscheidung angerufen werden, welche ein ophthal-
moscopisch gewiss sehr aufAUiges gelb-weisses opakes
Aussehen der centralen Partie bedingen muss.
Endlich viertens dürfte die Prominenz der grös-
seren Knötchen aufzuführen sein. Bei gewissen Formen
umschriebener Ghorioido-retinitis sehen wir freilich auch
ein Hervorspringen des Krankheitsherdes über das Ni-
veau des angrenzenden Augenhintergrundes, welches sich
durch die betreffende Parallaxe kennzeichnet. Allein es
sind dies Veränderungen von einem ganz anderen Ha-
bitus als die Tuberkeln. Die elementaren (durch ihre runde
Form etwa mit den Tuberkeln zu verwechselnden) Herde
disseminirter Aderhautentzündungen zeigen solche Pro-
minenz niemals. Nun ist es wahr, dass für die kleineren
Tuberkeln, welche 1 Mm. Diameter nicht erreichen, die
Prominenz über die innere Aderhautfläche in der Regel
unter derjenigen Grösse zurückbleibt, wekhe wir als
Minimum für die ophthalmoskopisch wahrzunehmende
Parallaxe (bei den Formverhältnissen der Tuberkeln unter
günstigen Nebenbedingungen, z. B. bei darüber hinziehenden
Netzhautgefässen etwa Ve M., unter ungünstigeren Um-
ständen nicht leicht über V4 Mm.) präsumiren; allein abge-
sehen davon, dass zuweilen auch kleinere Tuberkel relativ
prominiren (z. B. in dem sogleich zu beschreibenden Falle
am rechten Auge ein Tuberkel von 0,43 Mm.,; der bereits
etwas mehr als Ve Mm. prominirt), finden sich in den
meisten Fällen bereits einzelne, jenes Maass übersteigende
Knötchen vor, und kann das Symptom dann gerade be-
193
ziehungsweise zur Grösse einen erheblichen Werth er-
halten.
Das waren ungefähr die Gesichtspunkte, welche wir
uns aus den anatomischen Ergebnissen für die Auffindung
und Differenzirung der Chorioidaltuberkeln gebildet hatten,
und durch welche geleitet wir der Untersuchung eines
einschlägigen Falles intra vitam entgegensahen. Hierzu
fand sich sehr bald eine Gelegenheit durch die Güte des
Herrn Pro£ Griesinger, und stehen wir nicht an,
den betreffenden Fall etwas ausführlicher mitzutheilen,
da es zugleich der erste ist, in welchem miliare Ader-
hauttuberkeln mit dem Ophthalmoscop aufgefunden und
der Befund anatomisch geprüft wurde.
Der Krankengeschichte, welche wir den Herren
Prof. Griesinger und Dr. J. Sander verdanken, ent-
nehmen wir Folgendes:
Der Krauke, ein 32jähriger Mann von dürftiger Er-
nährung, ward am 6. April 1867 auf die Griesinger-
sche Abtheilung für Nervenkranke aufgenommen. Wegen
vollständiger Taubheit blieb die Anamnese unvollständig,
doch ward ermittelt, dass Patient Weihnachten 1866 ein
acutes Brustleiden mit ziemlich raschem Verlaufe über-
standen hatte. Nach scheinbarem Wohlsein während der
folgenden Monate war er vier Wochen vor der Aufnahme
unter heftigen Kopfschmerzen erkrankt, nachdem er be-
reits einige Tage über Flimmern vor den Augen zu klagen
gehabt. — Bei der Aufnahme hat Patient erhebliches
Fieber und klagt über starke Kopfschmerzen in der Stirn-
gegend; auf der linken Seite des Thorax ist vorn-oben
der Percussionsschall etwas tympanitisch, hinten -oben
gedämpft. Auf der ganzen linken Seite rauhe Inspiration
mit spärlichem Pfeifen; rechts vesiculäres Athmen, etwas
verschärft. Die Milz nicht zu percutiren. Geringe rechts-
seitige Facialisparese. Unter fortdauerndem Fieber, aber
AreUT für Ophthalmologie, XIV. L 18
194
nur massiger Beschleunigung der Bespiration fängt das
Bewusstsein an allmftlig benommen zu werden. Patient
stöhnt, knirscht mit den Zähnen u. s. w. — Auf Grund
dieses Symptomencomplezes wurde von Herrn Prof.
Qriesinger die Diagnose einer Miliartuberculose der
Pia gestellt, und erging an uns am 16. April die Auf-
forderung zur ophthalmoscopischen Untersuchung. Diese
unterlag bereits einigen Schwierigkeiten, da Patient sich
in tiefem Coma befemd. Es konnte indessen noch eine
vollkommene Durchmusterung der dem Sehnerven an-
gränzenden Begion stattfinden, wobei sich folgendes
ergab:
Links: sehr ausgesprochene venöse Hyperämie der
Netzhaut, welche sich durch gleichmässige UeberfÜUung,
auch etwas abnorme Schlängelung nicht bloss der grös-
seren, sondern auch der kleineren Venen bekundet (da-
bei das Netzhautgewebe selbst vollkommen intact, inson-
derheit frei von jedweder Trabung auch in der Nähe der
überfüllten Gei&sse). Im umgekehrten Bilde zeigen sich
nach innen und ein wenig nach unten von der Papille dicht
an einander zwei hellere Stellen von schätzungsweise
V4 Mm. Durchmesser, in deren mittlerem Bezirke das
Pigmentcolorit zu einem äusserst lichten gelblich-rosa er-
blasst ist, während der Band durch eine ringförmige
röthUche Zone von zunehmender Saturation in die an-
stossende normale Pigmentirung tibergeht Eine Promi-
nenz lässt sich an diesen Flecken, aber welche übrigens
keine gröberen Netzhautgef&sse hinweggehen, nicht con-
statiren. Die Form der Flecke ist fast regelmässig
rund. Ausser diesen beiden Flecken zeigt sich nach aussen
von der Papille etwa im Abstände von 2 Mm. von deren
Bande eine ganz ähnliche, aber etwas grössere Stelle
von schätzungsweise 1 Mm. Durchmesser. Obwohl ein
Netzhautgeftss über diese hinwegläuft, so lässt sich doch
195
auch hier eine Prominenz nicht mit Sicherheit nachiveisen.
In einem viel grösseren, aber bei den unruhigen Angen-
b^wegungen des Patienten nicht zu taxirenden Abstände
von der Papille und in derselben Richtung als der letzt-
erwähnte Fleck, liegt ein vierter, an welchem die
Enterbung sogar intensiver, nftmlidi deutlich gelblich-
weiss erscheint Auch dieser ist rund«
Andere Krankheitsherde wurden nicht wahi^enommen,
doch konnte deren Existenz in, von der Papille entfern-
teren Regionen keineswegs ausgeschlossen werden, da es
gerathen schien, den hinftUigen Patienten nicht durch
eine verl&ngerte Untersuchung zu ermfiden.
Rechts: zeigt sich bei weniger lebhafter Netzhaut-
hyperämie hart an der Papille und zwar nach aussen von
derselben (immer im umgekehrten Bilde) eine nur massig
angedeutete runde, blassrosa entftrbte Stelle von V4 Mm.,
deren Peripherie sich ebenfalls durch einen verschwom-
menen Saum in die nonnal pigmentirte Umgebung ver-
liert; in deren Nachbarschaft gewahrt man femer noch
eine ganz minimale Andeutung einer rundlichen Pigment-
lichtung, ofifenbar die allerersten Ansätze ähnlicher
Veränderungen darstellend. Ein etwas hellerer, eben
falls runder , weisser Fleck findet sich nach innen und
oben in einer etwas grösseren Entfernung von der Papille.
Am 17. April ward Patient aufs Neue untersucht:
Netzhauthyperämie links noch ausgesprochener als Tages
zuvor. Die Form und Grösse der entfärbten Stellen
scheint beiderseits ungefähr dieselbe; bei dem am linken
Auge nach aussen gelegenen Fleck scheint jetzt eine
Spur Parallaxe für eine geringe Erhebung zu sprechen.
Unter Zunahme des Goma*s, stark beschleunigter ster-
toröser Respiration bei subcrepitirenden klein-blasigen
Rhonchis Aber den ganzen rechten Thorax stirbt Patient
noch an demselben Tage.
IS»
196
Die von Herrn Gohnheim gemachte Section ergab
ältere Toberculose der Lungen und acute Ablagerungen
von Miliartuberkeln in fast allen. Organen des Kör-
pers, Lunge, Pleuren, Milz, Leber, Nieren, Neben-
nieren, Bronchial- und Mesenterialdrüsen, Schilddrüse,
Knochen und Chorioidea; Meningitis tuberculosa mit En-
cephalitis hämorrhagica.
Die anatomische Untersuchung der Augen (Leber)
lieferte folgendes Resultat: Die Netzhaut beider Augen
ist allenthalben von normaler zarter durchscheinender
Beschaffenheit, leicht cadaverös getrübt. Ihre Venen
sind bis zur Peripherie ziemlich stark mit Blut erfüllt,
die Arterien gleichfalls bluthaltig, aber sehr fein, mehr
gestreckt verlaufend als die Venen. — Durch die Netz-
baut schimmern am linken Auge in der Nähe der Pa-
pille einige hellere Flecke hindurch, zwei etwas kleinere
in der Richtung nach aussen oben, ganz nahe beisammen,
und ein etwas grösserer ziemlich gerade nach innen. Die-
selben entsprechen den mit dem Augenspiegel gesehenen
entfärbten Stellen der Aderhaut, in Bezug auf Form,
Aussehen, Grösse und Lage vollkommen. Nach Entfer-
nung der Netzhaut, wobei auch das Chorioidalepithel
grösstentheils abgestreift wurde, kommen noch eine grös-
sere Anzahl ähnlicher Stellen zum Vorschein, es lässt
sich aber nicht mehr entscheiden, welche von ihnen die
vierte, bei der Augenspiegeluntersuchung bezeichnete, re-
präsentirt. Im Ganzen befinden sich in diesem Auge
zwölf derartige Herde, von denen drei, nämlich die be-
reits erwähnten, in näherer Nachbarschaft der Seh-
nervenpapille (etwa in einem Bezirke von 4 Mm.
Radius um die Austrittsstelle der Geftsse) liegen,
während die anderen neun sich in den verschiedensten
Richtungen und in grösseren Abständen, selbst bis in
die Gegend des Aequators hin, vorfinden; die grössere
197
Zahl liegt anf der äusseren Hälfte der Aderfaaut. Der
Durchmesser der Flecke überschreitet kaum 1 Mm., be-
trägt bei den meisten zwischen 0,7 und 1 Hm. Bei
einigen ist nach Entfernung der Netzhaut eine leichte
Prominenz bereits mit blossem Auge genau zu Consta-
tiren, bei anderen ist sie sehr gering oder unmerklich.
Von den drei oben erwähnten, in der Nähe der Papille
befindlichen Tuberkeln hat der grossere, welcher gemessen
1,06 Mm. Diameter besitzt und sich genau, wie zu Pro-
tocoll gegeben, 2 Mm. nach innen vom Rande der Pa-
pille befindet, eine Prominenz von 0,18 Mm. An den
beiden anderen, deren Grösse und Abstand von der Pa-
pille ebenfalls auffällig mit der ophthalmoskopischen
Schätzung stimmt, war eine Prominenz mit blossem Auge
nicht wahrzunehmen ; dagegen stellt sich an Durchschnitten
eine Hervorragung, obwohl weit geringer als fQr jenen
heraus. Die makroskopischen und mikroskopischen Cha*
raktere stimmen übrigens genau mit denen der kleinen
grauen Miliartnberkelkömer. — Die Vortices in der
äusseren Hälfte der Chorioidea, wo sich, wie erwähnt,
auch die meisten Knötchen befanden, sind bis in ihre
feinsten Verzweigungen stark mit Blut gefüllt. An manchen
Stellen bieten Choriocapillaris, sowie die feineren und
gröberen Venen das schönste natürliche Injectionspräparat
dar, doch ist die Injection nicht vorzugsweise auf die
Umgebung der Tuberkeln localisirt, sondern mehr allge-
mein. In der inneren Hälfte sind die Venen nur wenig
gefüllt, von den Arterien enthalten nur wenige eine ge-
ringe Menge Blut.
Am rechten Auge ist das Verhalten der Netzhaut
und ihrer Gefässe wie links. Nach innen und etwas nach
unten dicht neben der Papille zeigt sich ein heller Fleck
von 0,97 Mm. Durchmesser und 0,23 Mm. Prominenz,
entsprechend der ophthalmoskopisch gesehenen blass rosa-
198
&rbenen Stelle (aar etwas grösser als geschätzt). Da-
neben ist ein kleinerer Fleck Ton 0,43 Mm. Diameter und
0,17 Mm. Prominenz (verhältnissmässig znm Diameter
sehr erhaben) eben&lls deutlich als kleines Miliartuberkel-
kom zu erkennen. Dieser entsprach der Stelle, wo der
Augenspiegel nur minimale Andeutungen von Ent&rbung
nachwies, und ist daher sehr zu vermuthen, dass der
Pigmentbelag über dieses kleine Knötchen noch relativ
intact war, so dass es sich ophthalmoskopisch nur schwach
markirte. Leider war bei der Herausnahme der Augen
— es ward nur erlaubt, den hinteren Abschnitt auszu-
lösen — das Pigmentepithel grösstentheils abgestreift
worden, so dass sich diese Verhältnisse nicht genau eruiren
liessen. Ausser den soeben erwähnten zwei Tuberkel-
körnern finden sich in diesem Auge noch sieben andere,
sechs in der äusseren, einer in der inneren Hälfte, darunter
mehrere sehr kleine, keiner über 1 Mm. im Durchmesser,
einige von nur 0,56 Mm., mehrere der kleineren Tuberkel-
körner boten keine Prominenz dar.
Diesem Befunde hätten wir noch folgende Bemer-
kungen anzuschliessen: Zunächst haben sich bei der
anatomischen Untersuchung noch eine Anzahl von Flecken
herausgestellt, welche der ophthalmoscopischen Unter-
suchung entgangen waren. Der Grund hiervon liegt sicher
nicht darin, dass diese Knötchen wegen zu geringen Di-
mensionen oder wegen zu geringer Veränderung des
Pigmentcolorits unter der Gränze des Wahrnehmbaren
geblieben wären, sondern lediglich darin, dass, wie oben
erwähnt, nicht das ganze ophthalmoscopisch zugängige
Feld in consequenter Weise durchmustert worden war.
Es kam uns, unter den für den Patienten gebotenen
Rücksichten, natürlich mehr darauf an, die Charaktere
der einmal aufgefundenen Flecke zu studiren, als sämmt-
199
liehe abzuzählen. Bei den vollkommen übereinstimmenden
anatomischen Charakteren Hesse sich in der That nicht
absehen, warum einzelne der Tuberkelkömer selbst von
grösserer Entwicklung entgangen wären, während doch
z. B. am rechten Auge der in der Nähe der Papille gelegene
Fleck von 0,43 Mm. Diameter, der kleinste von sämmtlichen
anatomisch aufgefundenen, sich, wenn auch mit schwachen
Zügen, intra vitam verratben hatte. Dagegen wollen wir
nicht leugnen, dass zwischen den ophthalmoskopischen
Erscheinungen und der anatomischen Entwicklung nicht
ein absolutes Yerhältniss bestehen mag. So kann viel-
leicht hart an der Papille, wo die Aderhaut nach der
einen Seite fixirt ist, die Entstehung der Knötchen ver-
hältnissmässig leichter zum Schwunde des Pigmentes
führen als in grosseren Abständen. Da es sich eben bei
der Coloritveränderung nicht allein um die aus der
Wölbung herzuleitende Ectasie des Pigmentepithels (und
dadurch verringerte FarbensaturationX sondern auch bald
um wirkliche Atrophie der Pigmentmolecüle resp. der
ganzen Pigmentlage handelt, so können auch begleitende
Umstände, z. B. das Verhalten der Circulation in der
Nachbarschaft von Einfluss sein. Es ist in dieser Be-
ziehung schon erwähnt worden, dass wir das genaue Ver*
halten des Pigmentbekges, welches gerade für den Ver-
gleich der anatomischen und ophthalmoskopischen Be-
funde von besonderem Interesse gewesen, hier nur unvoll-
kommen ermitteln konnten.
Im Ganzen ist wohl die Ueberzeuguug gerechtfertigt,
dass, sofern nur der beÜEÜlene Bezirk ophthalmoskopisch
durchmustert wird, sich intra vitam die Veränderungen deut-
lich, ja deutlicher zeigen, als wenn post mortem vor dem
Abziehen der Netzhaut mit blossem Auge oder auch mit
der Lupe untersucht wird. Eignet sich dochdieBeleuchtnng,
welche wir mit dem Augenspiegel benutzen, ganz beson-
200
ders zur Aufdeckung von Farbendifferenzen, auf die es
im Beginne der Veränderungen hier vorwaltend ankommt
Ferner bietet die ausgespannte, normal durchsichtige
Netzhaut ofifenbar ein weit geringeres optisches Hinder-
niss als die coUabirte und allemal schon etwas getrübte
cadaveröse. Wenn es sich selbst bei den kleinen Tuberkeln
(unter 0,6 Mm.) noch nicht um einen wirklichen Schwund
der Pigmentmolecüle, sondern lediglich um eine Aus-
dehnung des Pigmentepithels handelt, so würde, ange-
nommen, dass die Ausdehnung nur einer Flächenver-
grösserung von 10 7o (linear circa ö ^) entspräche, hieraus
bereits eine unter den günstigen Verhältnissen der Augen-
spiegeluntersuchung wahrnehmbare Differenz des Colorites
entstehen. Hierzu kommt aber, dass das Tuberkelkorn nicht
allein durch seine Wirkung auf die Pigmentlage die Erblas-
sung bewirkt, sondern dass es auch dem Stroma der Ader-
haut, resp. den dieses durchziehenden Gefilssen, den zu-
kömmlichen Beitrag zum Colorit raubt Dass der Dia-
meter, selbst der kleinsten anatomisch nachweisbaren
Tuberkeln, welcher immer mehrere Zehntheile eines
Millimeters betrug, niemals unter der Gränze des oph-'
thalmoskopisch Nachweisbaren zurückbleibt, braucht hier
kaum hervorgehoben zu werden.
Besonders zutreffend waren in unserem Falle die
beiden a priori präsumirten Charaktere der runden Form
aller Flecke und des allmähligen Uebergehens der er-
blassten Stelle durch eine Bandzone in das normale
Colorit der angrenzenden Theile. Letzteres wird sich
selbstverständlich mit zunehmender Dimension resp.
Prominenz der Tuberkeln um so deutlicher aussprechen,
weil dann überhaupt die Erblassung der centralen
Partie eine intensivere wird. Allein auch bei den mi-
nimalen rechtsseitigen Knötchen trat dieser Charakter
bereits hervor. Nirgends auch konnte, wie bei anderen
201
Aderhaataffectionen, eine stärkere Saturation des Colo-
rits um die entfibrbten Partien herum nachgewiesen werden.
Eine kleine Abweichung von den Prftsumptionen
dürfte hinsichtlich der Prominenz erwähnt werden. Wir
meinten dieselbe unter günstigen Verhältnissen (in Be-
rücksichtigung der den Tuberkeln zukonunenden Form)
nachweisen zu können, wenn sie mehr als Ve^iQ- Q^d
unter ungünstigen Verhältnissen, wenn sie gegen Vi Mm.
betrüge. Für das linke Auge schien allenfiills das ana-
tomische Resultat zutrefifend, denn bei dem einen grös-
seren Tuberkel von 1,06 Mm. Diameter, dessen gemessene
Prominenz 0,18 Mm. (etwas über Ve Mm.) betrug, hatten
wir Spuren von Prominenz bei der letzten Untersuchung
wahrzunehmen geglaubt, und die beiden anderen kleineren
Knötchen erhoben sich auf geeigneten Durchschnitten
nicht völlig Ve Mm. über die innere Aderhautfläche. Da-
gegen zeigte im rechten Auge der grössere, hart an der
Papille gelegene TuberiLcl eine Prominenz über die innere
Aderhautfläche von 0,22 Mm. (über Vs Mm.) und der klei-
nere eine Prominenz von 0,17 Mm. (circa Ve Mm.). £r-
sterer hätte nun schon die präsumirte Grenze selbst für
ungünstigere Bedingungen fast erreicht, und der letz-
tere, obwohl unter dieser Grenze, hätte bei seiner ge-
ringen Flächenausdehnung doch die Wahrnehmung einer
Parallaxe begünstigen müssen. Allein hier ist nicht zu
vergessen, dass in der Nachbarschaft der Papille, wo die
Dicke der Netzhaut noch eine sehr erhebliche ist, auch
zwischen der Prominenz des Tuberkelkoms über der
ilmeren Aderhautfläche, wie sie unter dem Mikroskop an
Durchschnitten gemessen wird, und zwischen der Hervor-
wölbung der inneren Netzhautfläche, welche uns, gerade
wenn ein Oeü&ss über die betrefifende Partie läuft, be-
sonders als ophthalmoskopischer Maassstab dient, eine
bedeutende Differenz obwalten kann (auf Grund von Ver-
202
düunung der dem Tuberkel anliegenden Netzhautpartie.)
Weitere Vergleiche der ophthalmoskopischen and ana-
tomischen Resultate in ähnlichen Fällen müssen nach-
weisen, bis zu welcher Feinheit die Untersuchung in
dieser Richtung gebracht werden kann. In allen übrigen
Punkten war die Uebereinstimmung der zu ProtocoU ge-
gebenen Maasse und der post mortem ermittelten eine
so scharfe, dass uns noch der Zufall, namentlich in der
Präsumption f&r die Grösse der Papille, die zum Maass-
stab genommen ward, begünstigt haben muss. Die
grösste Abweichung, welche ja auch noch keine excessive
genannt werden kann, betraf den einen Tuberkel des
rechten Auges, welcher auf V« Mm. geschätzt wurde,
während er 0,97 Mm. betrug.
Ausser dem oben ausführlich mitgetheiltenFalle hatten
wir kürzlich durch die Güte des Hm. Dr. B. Fränkel
Gelegenheit, einen zweiten Fall von Aderhauttuberculose
ophthalmoscopisch zu beobachten, und kurz darauf bei
der Section die Richtigkeit der Diagnose zu constatiren.
Dr. Fränkel hat über diesen Fall bereits in der hie-
sigen medizinischen Gesellschaft in der Sitzung vom
19. Februar eine Mittheilung gemacht und die beiden von
Miliartuberkeln befalleneu Aderhäute demonstrirt Da der
Fall in mehrfacher Beziehung von Interesse ist, so fügen
wir hier eine kurze Notiz über denselben bei.
Es handelte sich um ein Vij&hriges Kind, welches
nach vorübergegangener leichter Diarrhöe plötzlich an-
fing zu erbrechen und bald darauf soporös wurde. An
den Lungen war ausser Katarrh Nichts objectiv nachzu-
weisen. Die Respiration beschleunigt, unregelmässig, der
Puls gleichfalls beschleunigt, c. 100. Die Temperatur
nicht merklich erhöht Die Untersuchung des rechten
Auges hatte zuerst ein negatives Resultat, als aber einige
203
Tage nachher, am 11. Februar, auch das linke Auge oph-
thalmoscopisch untersucht wurde, fanden sich an diesem
eine Anzahl rundlicher entfärbter Flecke, welche alle oben
beschriebenen Charaktere der Aderhauttnberkeln darboten.
Dr. B. Frftnkel z&hlte deren 6->7 am linken Auge, am
rechten keinen; Tags darauf z&hlte der eine von uns
(Leber) mit Dr. Frftnkel zusammen links 8, rechts 2,
welche im ganzen Augenhintergrnnde zerstreut waren,
von denen aber die meisten in geringer Entfernung von
der Papille ihre Lage hatten. Die Untersuchung hatte
keine Schwierigkeit, da das Kind vollständig co-
matös war und sich ganz ruhig verhielt Die Flecke
schwankten zwischen Vs ^^^ Vt Papillendurchmesser,
waren meist von blassröthlicher Farbe, einige etwas
heller, und hatten alle einen verschwommenen Rand;
nirgends war eine Spur von abnormer Pigmentirung
um dieselben herum oder in der Nachbarschaft zu
bemerken. Ueber einigen war mit grosser Deutlich*
keit das rareficirte Pigmentepithel als eine zarte
bräunlicbe Punktirung zu erkennen. Am linken Auge
waren zwei derselben, die nach aussen und etwas nach
oben von der Papille ihre Lage hatten, mit ihren Rändern
confluirt, wodurch sich die Figur einer 8 herausstellte.
Eine parallaktische Verschiebung war an keinem der Flecke
mit Sicherheit nachzuweisen.
Am 13. Februar, wo wir beide mit Dr. B. Fränkel
das Kind wieder untersuchten, trat links an demjenigen
Tuberkel, welcher mit seinem Nachbar confluirt war, in
der Nähe der confluirenden Randpartie, ein hellerer,
weisser Fleck hervor, der Tags zuvor nicht bemerkt
worden war; auch zeigten einige der miliaren Herde
eine leichte parallaktische Verschiebung. Diese letztere
nahm in den näc&sten Tagen, während deren Herr Dr.
B. Fränkel das Kind regelmässig untersuchte, noch
204
mehr za, und war au den meisten der Flecke deutlich
zu erkennen.
Am 17. erfolgte der Tod, nachdem noch vorher to-
nische Krämpfe* sich eingestellt hatten. Die Section er-
gab allgemeine Miliartuberculose in all^ Organen, Lnngen,
Leber, Milz, Nieren, Herz, Schilddrase, Aderhaut, ferner
tuberculöse Basilarmeningitis, und einige käsig degene-
rirte Lymphdrüsen am Halse.
Die Lage, Zahl und Grösse der Aderhauttuber-
keln stimmte ganz genau mit dem während des Le-
bens notirten Befunde übereio. (S. Abbildung Tal L,
Fig. 9.) Nur fänden sich am iinken Auge ausser
den 8 während des Lebens beobachteten noch zwei wei-
tere Knötchen vor, von denen das eine ziemlich gross
war und ganz excentrisch nach aussen in der Gegend
des Aequators sass, das zweite dagegen nur klein, in
der Nähe von mehreren andern während des Lebens be-
obachteten seine Lage hatte. Das Aderhautepithel war
cadaverös macerirt, es liess sich desshalb nicht bestimmen,
ob letztere beide Knötchen durch dasselbe hindurch sicht-
bar waren oder nicht. Dies musste jedoch bei dem er-
steren derselben, in Anbetracht seiner Grösse, sicher der
Fall sein, so dass es uns wohl durch seine sehr excen-
trische Lage entgangen ist. Fttr das kleinere Knötchen
bleibt es aber ungewiss, ob es sich erst in den letzten
Tagen des Lebens entwickelt hatte, oder ob es uns gleich-
falls bei der Augenspiegeluntersuchung entgangen ist Bei
der Leichtigkeit, mit der die Untersuchung während des
Lebens vorgenommen werden konnte, bat die erstere An-
nahme die grössere Wahrscheinlichkeit, besonders da
das Knötchen ganz in der Nähe von anderen sass, die
deutlich gesehen wurden, und da auch andere Zeichen
fär eine ziemlich rasche Entwickelung der Knötchen
sprachen. Es sind dies das Auftreten des helleren weissen
205
Flecks aaf einem der zwei coDfluirten Tuberkeln, der am
Tage vorher noch nicht bemerkt worden war, und jeden-
falls auf beginnender Verfettung beruhte, dann die zuneh-
mende parallaktische Verschiebung entsprechend einer
wachsenden Prominenz der Knötchen.
Der Fall ist besonders dadurch von Interesse, dass
zum ersten Male an einem Kinde beim Fehlen ander-
weitiger beweisender Erscheinungen aus dem oph-
thalmoscopischen Befunde mit Sicherheit die Diagnose
der allgemeinen akuten Miliartuberculose gestellt wer-
den konnte. Er bestätigt femer das aus dem obigen
Falle abgeleitete Augenspiegelbild der Aderhauttuber-
culose in allen Punkten, und giebt zugleich, wie be-
reits hervorgehoben, einige Anhaltspunkte, die ein ziem-
lich rasches Wachsthum der miliaren Knötchen ver-
muthen lassen.
Noch ein fQr die Geschichte der Tuberculose inte-
ressantes Factum sei hier angereiht, zu dessen Veröfifent-
lichung uns Herr Gohnheim ermächtigt Es ist dem-
selben bei seinen Versuchen an Meerschweinchen gelungen,
neben der Miliartuberculose anderer Organe auch die
Eruption auf der Aderhaut zu erzeugen. So wurde uns
von demselben neulich ein Meerschweinchenpräparat
vorgelegt, welches den treuesten Ausdruck der am
Menschen beobachteten Tuberkelqualitäten darbot Wir
geben eine kleine Abbildung (s. Abbildung Taf. L, Fig. 10.)
eben dieses Präparates, welche wenigstens die Grösse
und die Gruppirung miliarer Aderhauttuberkeln anschau-
lich macht
Der Impfstoff, dessen sich Hr.G oh n heim bedienthatte,
war von einer käsigen tuberculösen Lymphdrüse genommen.
Das Meerschweinchen starb ungefähr 5 Wochen nach der
Impfung und die Section erwies ausser der Aderhautaf-
206
fection Eruptionen miliarer Tuberkeln in allen Organen,
Lungen, Leber, Nieren, Milz, serösen Häuten etc.
Da wir die Aderhauttuberkeln in ihrer carakteristischen
Erscheinungsweise bei dem jetzigen Stande der Erfah-
rungen als einen pathognomonischen Ausdruck der Miliar-
tuberculose ansehen können, und da besonders in der
Aderhaut nicht wie in manchen anderen Organen, kleinere
Herderkrankungen vorkommen, deren Deutung als Tu-
berkeln Zweifeln aussetzt, so dürfte dies Factum beson-
ders geeignet erscheinen, die Bedenken derer zu besei-
tigen, welche sich noch gegen die wirkliche Verimpfbar-
keit der Miliartuberculose sträuben.
üeber Ventopftmg der BlatgefibMe dM Auges.
Von
H. Knapp.
1. Emieitende Bemerkimgen.
Ueber die verschiedenen Arten der Oefässverstopfungen
am Auge sind unsere Kenntnisse noch recht mangelhaft.
Genauer bekannt ist eigentlich nur das von v. Qraefe
zuerst beobachtete und im Jahr 1859 beschriebene Krank-
heitsbild der Embolia art centralis retinae. Doch beschränkt
sich das hier vorliegende Beobachtungsmaterial auch noch
auf eine sdur spärliche Casuistik, so dass ich wohl einige
mir vorgekommene Fälle nicht ohne Nutzen f&r eine spä-
tere allgemeinere Behandlung dieses Gegenstandes hin-
zufügen dari^ zumal da sie nicht ohne neue Erfahrungen
sind. Ein Zuhörer von mir, Herr Dr. E. Münch aus
Viernheim, hat einen davon in meiner Klinik mitbeobachtet
und die ihm von mir gelieferten Krankengeschichten bei
seiner Doktordissertation zu Giessen bereits im Jahre
1866 verwerthet, wodurch dieselben eine genügende Ver-
öfifentlichung nicht erfiEthren konnten.
Ueber mehr oder minder reine Verletzungen
der Augengeftsse ist am Menschen kaum Etwas bekannt,
208
ebensowenig über traumatische oder mechanische
Gefässverstopfang, weshalb ein hierher gehöriger
Fall nicht ohne Interesse sein dürfte. Ueber Throm-
bosen der Vena ophthalmica liegen nur höchst spär-
liche Beobachtungen in der über Thrombosen der Sinus
durae matris handelnden Literatur vor. Ein hierher ge-
höriges Auge habe ich anatomisch untersucht und werde
der Seltenheit wegen noch die drei andern bis jetzt be-
kannten ähnlichen Fälle im Auszug mittheiien. Embo-
lien einzelner Gefässbezirke des Choroides bei
Herzleiden, auf die ich erst seit einem Jahre aufinerk-
sam wurde, scheinen nicht so selten vorzukommen, ge-
statten aber kein so ausgeprägtes Erankheitsbild als die
seltenere Embolie der Netzhautschlagader. Embolien
überhaupt sind, wie bekannt, um so seltener in einem
bestimmten Gefilssbezirk, je kleiner das Stammgefilss
desselben an und für sich ist und je mehr der Winkel,
unter welchem es den Hauptstamm verlässt, sich einem
rechten nähert, weil die fortgeschleppte Verstopfungs-
masse immer leichter den geraden, breiteren Canal zu
ihrer Fortbewegung nimmt, als den engeren, sich win-
kelig davon abzweigenden. Die A. ophthalmica entspringt
nun aber unter einem fast rechten Winkel aus der Ca-
rotis int, giebt in der Orbita die zahlreichen Giliarar-
terien ab, wovon ein winziges Aestchen die Sehnerven-
scheide durchbohrt, um als Gentralarterie sich in der
Netzhaut zu verbreiten und daselbst ein sehr abgeschlos-
senes Gef&sssystem zu bilden, welches nur am Eintritt
des Sehnerven Verbindungen mit dem Ciliargei&sssystem
eingeht Wenn also einmal Verstopfungsmassen in die
A. ophthalmica gelangt sind, so ist die Wahrscheinlich-
keit, dass sie im Ciliargef&sssystem eingekeilt werden,
eine unendlich viel grössere, als dass sie in die Netzhaut-
arterien gelangen. Daraus erklärt sich die grosse Selten-
heit solcher Beobachtungen. Gelangen aber Emboli in
209
die Gefässhaut des Auges, so werden sie daselbst viel
weniger störend auf die Structur und Funktion derselben
auftreten als in der Netzhaut, weil die ungemein reich-
lichen Anastomosen durch rasche Ausbildung eines col-
lateralen Blutlaufs die Störungen bald wieder ausgleichen.
So mag es kommen, dass man davon bis jetzt, meines
Wissens, nicht geredet hat, doch glaube ich, dahin ge-
hörige Beobachtungen gemacht zu haben und werde mir
schon darum erlauben, Einiges davon bekannt zu geben,
damit auch Andere diesem Gegenstande ihre Aufmerk-
samkeit zuwenden.
Da der Zweck der vorliegenden Veröffentlichung,
nebst Anregung zu weiteren Beobachtungen, nur der sein
soll, zu einer späteren allgemeinen Bearbeitung Beiträge
zu liefern, so wähle ich die Form gedrängter casuistischer
Mittheilung.
2. Embolie der Centralarterie der Netzhaut.
I. Fall.
Reine Embolie der Centralarterie der Netzhaut ohne
nachgewiesenes Gmndleiden.
Jacob Raumer von Mutterstadt bei Mannheim, 41
Jahre alt, zeigt sich am 18. Dec. 1863 in meiner Augen-
klinik wegen Verlust des Sehvermögens auf dem rechten
Auge. Er ist ein kräftiger Mann und nie erheblich krank
gewesen. Die Untersuchung ergiebt bei ihm eine Leber-
vergrösserung und Emphysem, beides nicht hochgradig;
sonst war am Körper, namentlich am Herzen, das mit
besonderer Aufmerksamkeit untersucht wurde, und an
den grösseren Gefässen nichts Abnormes wahrzunehmen.
Er erzählt, dass er früher zwei ganz gesunde Augen ge-
ArehlT flir Ophthalmologie, XIV. 1. i^
210
habt habe und das linke erweist sich denn auch in Bau
und Verrichtung vollkommen normal. Vor fünf Tagen
aber habe er bemerkt, als er sich gebückt, um
eine Last aufzuheben, dass sich sein rechtes
Auge plötzlich verdunkelte und binnen wenigen
Minuten völlig erblindet sei. Dabei habe er keiner-
lei Beschwerden, weder am Auge, noch sonst wo ver-
spürt. Am Auge sah man äusserlich nichts Auf&llendes;
die Pupille war gleichweit wie die des andern Auges
und bewegte sich bei Lichtwechsel, den man auf beide
Augen einwirken Hess, normal, dagegen träger, wenn
der Reiz nur das rechte kranke Auge allein traf. Die
Hornhaut und die brechenden Medien waren klar. Im
Augengrunde liess der Augenspiegel das characteristische
Bild der Embolie der Centralarterie erkennen. Die eigen-
thümlichsten Merkmale waren folgende:
a) Die Papille blasser wie die des anderen Auges,
jedoch nicht so sehnig weiss, wie bei Atrophia retinae.
b) Die Netzhautarterien dünn, fadeniSrmig; an ihrem
Ursprung in der Mitte der Papille waren sie am dicksten,
nahmen aber gegen die Peripherie hin sehr schnell ab,
so dass sie schon in kurzer Entfernung von der Papille
kaum noch erkenntlich blieben.
c) Die Venen waren' dunkler als normal, am Seh-
nerveneintritt am engsten und wurden allmälig dicker,
je mehr sie sich davon entfernten. Varicositäten konnten
an ihnen nicht wahrgenommen werden.
d) Da man durch Druck auf den Bulbus in jedem
Auge Arterienpuls erzeugen kann, so prüfte ich dieses
Auge darauf. Der Finger wurde auf den Bulbus gelegt
und damit ein immer stärkerer Druck ausgeübt, bis es
der durchaus nicht sehr empfindliche Kranke nicht mehr
ertragen konnte. Dabei wurde nun in dem Verhalten
der Gefässe nicht die geringste Aenderung wahrgenommen.
Die Venen wurden nicht dicker, die Arterien pulsirten
211
bei keiner Druckhöhe, ebenso wenig trat dabei eine
Aenderung der Blutfüllung in ihnen ein.
e) Die Netzhaut bot nur Eigenthamlichkeiten in der
Gegend des gelben Fleckes. Um diesen herum und von
ihm bis dicht zur Papille war die Netzhaut undurchsich-
tig geworden, graubläulich getrübt, leicht angeschwollen.
In diese getrübte Stelle waren zahlreiche streifen- und
fleckenf&rmige, rothe Figuren eingestreut, welche sich
deutlich als Hämorrhagieen erwiesen. Die Macula lutea
selbst war in der Trübung ganz verschwunden. Patient
hatte schwache quantitative Licchtempfindung.
Es wurden ihm Blutegel an die Schläfe und graue
Salbe an die Stirne verordnet, welche Mittel er zu Hause
in Anwendung brachte.
Nach 14 Tagen stellte er sich wieder in der Klinik
vor. Sein Sehvermögen war ganz dasselbe geblieben und
auch das übrige Befinden hatte sich nicht geändert. Mit
dem Augenspiegel aber fand man den Zustand der Netz-
haut in einigen Punkten wesentlich alterirt: Die Ar-
terien waren nicht mehr fadenförmig, sondern hatten etwa
Vs des Calibers derjenigen des gesunden Auges wieder
erlangt Auf Fingerdruck konnte man jetzt mit der
gFössten Leichtigkeit Arterienpuls hervorrufen. Die Ec-
chymosen waren blasser, die Netzhauttrübungen geringer,
man sah von der Seite her die Infiltration immer mehr
schwinden ; auch das Sehvermögen besserte sich in etwas.
Der Kranke wurde mit indifferenten Mitteln ent-
lassen und ihm gesagt, dass die Besserung nur eine vor-
übergehende sein werde.
Nach 2V2 Jahren wurde der Patient wiederum von
mir untersucht, wobei sich nur ein vollkommen amauro-
tisches Auge unter dem Bilde einer stark ausge-
sprochenen, weiss-sehnigen Sehnervenatrophie
darbot. Im Uebrigen hatte sich in dem Zustande des
Mannes nichts geändert.
212
IL Fall.
EmboHc der CeDtralarterie der Netzhaut mit Gefairnleiden
in Folge einer Affection (Aneurysma spontanenm) der
Carotis comunis.
Heinrich Meiss, 46 Jahr alt, Landwirth aus Wald-
michelbach im Odenwald, stellte sich in der Augenklinik
vor mit der Klage über Verlust des Sehvermögens auf
dem rechten Auge. Er ist ein kräftiger Mann und will
bis V* Jahr vor dem Eintritt der Erblindung stets ge-
sund gewesen sein. Drei Monate aber vor seinem Ein-
tritt in die Klinik wurde er häufig von Kopfweh, Schwindel,
Eingenommenheit des Kopfes, besonders linkerseits be-
fallen; dabei war er zerstreut, geistig abgespannt und
seine Gedächtnissschärfe sehr vermindert. Diese Er-
scheinungen traten anfallsweise auf, nahmen aber später
mehr den continuirlichen Charakter an, wozu sich noch
ein unangenehmes Gefühl, wie Ameisenkriechen, Jucken
und Kitzeln in der Haut des Armes und Beines der
linken Seite hinzugesellte, worauf eine gewisse Abnahme
der Muskelkraft daselbst verspürt wurde, so dass Patient
eine Zeit lang nicht gehen konnte; mit der Abnahme
der Kräfte war auch Sensibilitätsverminderung verbunden.
Was den Patienten aber am meisten beunruhigte, das
war eine über Nacht ohne alle Beschwerde aufgetretene
Erblindung des rechten Auges. Schon früher einmal
hatte sich dieses Auge plötzlich verdunkelt, in dem
Maase, dass nur noch grössere Gegenstände wahrge-
nommen werden konnten. Diese Störung hielt einige
Tage an, um gänzlich wieder zu verschwinden. Die jetzt
eingetretene Verdunkelung aber war so stark, dass er
nur hell und dunkel unterscheiden konnte, und blieb an-
haltend.
Am Auge war äusserlich nichts Auffallendes wahr-
zunehmen. Die Pupille reagirte auf Lichtreiz, der zu-
213
gleich auch das gesande Auge traf, normal, im entgegen-
gesetzten Falle etwas träger. Die brechenden Medien
waren klar. Der Augengrund bot das unzweifelhafte
Bild der Embolie der Centralarterie der Netzhaut Die
Arterien waren fadenförmig, einfach construirt, und Hessen
sich nicht weit über, die Papille hinaus verfolgen. Die
Venen dagegen in der Mitte der Papille am dünnsten,
wurden aber gegen den Aequator hin dicker. Ihre Fül-
lung war eine gleichmässige und es Hessen sich keine
Girculationserscheinungen warnehmen. Fingerdruck auf
den Augapfel bewirkte weder ein Arterienpuls noch
Stauungserscheinungen. Die Papille war blasser als nor-
mal, aber nicht von sehnigem Glanz. In der Gegend des
gelben Fleckes und von da bis zum Sehnerveneintritt
war die Retina getrübt und intumescirt. Um den gelben
Fleck herum sah man eine kirschrothe Stelle. Andere
Ecchymosen wurden nicht wahrgenommen.
In Bezug auf die Deutung dieses merkwürdigen
Krankheitsbildes Hess sich nur eines mit Gewissheit an-
nehmen, nämlich Embolie der Centralarterie der Netz-
haut. Um nun die Quelle des Embolus kennen zu lernen,
untersuchte ich das Herz, konnte daran aber nicht den
leisesten Fehler nachweisen. Darauf untersuchte ich die
grossen Gefässe am Halse, und fand an der Theilungs-
stelle der Carotis communis dextra ein sehr deut-
liches zischendes Geräusch, ähnHch dem, wie man es bei
Aneurysmen hört, auf der andern Seite aber hörte man
die Carotidentöne in ihrer ganzen Reinheit. Auf der
Seite, an der man das Geräusch hörte, fühlte man auch
eine umschriebene, teigige Anschwellung. Ich trat nun
mit dem behandelnden Arzte, Dr. Land mann zu Wald-
michelbach, in Verbindung und Letzterer theilte mir fol-
gendes mit: „Er habe die Erkrankung im Anfange als
Anfälle von in unregelmässigen Zwischenräumen wieder-
kehrenden und rasch vorübergehenden Symptomen einer
214
Gehirnapoplexie bezeichnet/ Eine acute Erkrankung, wie
etwa Gelenkrheumatismus mit nachfolgender Endocarditis
lag niemals vor. Der Patient nahm Jodcalium. Vier
Wochen nach seiner Vorstellung in der Augenklinik
konnte er helle Gegenstände, wenn sie ihm von der äus-
seren Seite dargeboten wurden, unvollkommen wahr-
nehmen. Zehn Tage darauf — schreibt Dr. Landmann
— schien mir eine Vene auf der Stirn, gegen die kranke
Seite zu, mehr mit Blut gefüllt als die Venen auf der
anderen Seite. Eine genauere Untersuchung machte mir
den Eindruck, ich möchte es nicht mit einer gefüllten
Vene, sondern mit einer mehr weniger verödeten Arterie
zu thun haben. Die Ausdehnung der Untersuchung in
dieser Richtung ergab nun, dass alle zugänglichen
Arterien der rechten Kopfhälfte nicht pulsirten.
Die Arteria temporalis und maxillaris externa Hessen sich
zwar noch durch den Tastsinn ermitteln, aber sie waren
schwächer als auf der andern Seite und ohne Pulsation.
In der Arteria carotis externa nnd interna war ebenfalls
keine Pulsation. An der Carotis comunis wird geringe
und an der Subclavia normale Ausdehnung resp. Pulsa-
tion constatirt Einen weichen, circa bohnengrossen,
isolirt vor der Arteria carotis communis liegen-
den Knoten abgerechnet, lässt sich keine weitere
Degeneration an der betreffenden Stelle entdecken. Der
Knoten ist bei Druck etwas schmerzhaft und scheint eine
Drüse zu sein (?). Seit gestern hat der Mann hef-
tigen Kopfschmerz auf der rechten Seite und
auch eine leichte Verdunkelung im äusseren
Theile des Sehfeldes des linken Auges. Die Aus-
cultation lässt in der Gegend der Theilung der Carotis
communis noch Pulsation hören, aber schwach und wahr-
scheinlich eine Fortpflanzung des Schalles aus dem
Truncus anonymus.''
Auf diesen Bericht nun schriebichHrn.Dr.Landmann
216
meine Beobachtung des blasenden Geräuschs an der Thei-
lungsstelle der Carotis communis, mit der Angabe, dass
ich den Fall für ein Aneurysma hielte.
Zehn Tage darauf gab mir Dr. Landmann wieder
Nachricht über den Patienten: „Der rechtseitige Kopf-
schmerz hatte sich vor einigen Tagen auf eine empfind-
liche Weise gesteigert. Längs des Verlaufe der Halsge-
f&sse entwickelte sich Schmerz bei der Berührung und
Drehung des Halses, zugleich bot diese Stelle einige
Härte und Anschwellung dar. Das Bewusstseiu ist nicht
gestört, der Schlaf aber durch schreckhafte Träume be-
unruhigt Sehvermögen wie früher, Schmerzen in ver-
schiedenen Theilen des Körpers, Appetit gestört. Gegen
diese Symptome wird ein Aderlass von 12 Unc. uod
Magnes. sulph. verordnet, in den folgenden Tagen Nitrum.
AUmftlige Verminderung der Schmerzen, die Empfindlich-
keit, Härte und Anschwellung der Carotis sind geringer,
und besteht noch ein Gefühl von Druck uDd Taubheit
auf der rechten Kopfbälfte.*^
Ich zog nun von Zeit zu Zeit Erkundigungen über
den Patienten ein und vernahm dabei, dass sein rechtes
Auge fast vollständig erblindet sei, nur nach aussen kann
er grosse Gegenstände undeutlich unterscheiden, während
alle übrigen Theile des Sehfeldes nur geringe quantitative
Lichtempfindung haben. Das Allgemeinbefinden ist im
Uebrigen normal Zuletzt trat vollkommene Amaurose
rechten Auges ein, während im Uebrigen die Schwäche
der linken Seite und die Schmerzen der rechten Kopf-
hälfte gänzlich verschwanden. Die Carotis blieb un-
wegsam.
216
JII. Fall.
Embolie der Gentralarterie der Netzhaut bei Atherom der
Arterien.
Frau Schott, 77 Jahr alt, von Heidelberg, leidet von
Zeit zu Zeit an heftigen Kopfschmerzen; sonst ist die-
selbe noch ziemlich rüstig und gesund. Keine Anomalie
des Herzeus; Arterien sehr rigid.
Am 9. Septbr. 1867 hielt dieselbe ein Mittags-
schläfchen, nachdem sie in den letzten Tagen ziemlich
heftiges Kopfweh gehabt.
Beim Erwachen bemerkt sie, dass sie am linken
Auge nichts mehr sehe.
Am 10. Septbr. kam sie zur Untersuchung. Auge
äusserlich normal, vollständige Beweglichkeit, durchsich-
tige Medien klar. Augeuspiegelbefund: Grenzen der Pa-
pille verwaschen, bis zur Macula lutea und darüber hin-
aus die Retina wie mit einem grauweissen Schleier be-
deckt, an der Macula lutea ein kleiner dunkelrother
Fleck. Dicht in der Nähe des oberen Randes der Pa-
pille eine Hämorrhagie, halb so gross wie die Papille.
Arterien sehr dünn, Venen ziemlich stark gefüllt, mit Un-
terbrechungen in der Füllung, welche sich verschoben.
Kein Arterienpuls durch Druck hervorzurufen. Spuren
von quantitativer Lichtempfindung.
Ein Paar Tage später waren die Veränderungen £Eist
dieselben; doch war der Fleck an der Macula lutea nicht
mehr so intensiv; die Hämorrhagie an der Papille war
kleiner geworden.
Keine Spur von quantitativer Lichtempfindung mehr.
Patientin giebt an, hier und da noch einen „Schein^ zu
haben.
Am 30. Septbr. war die Trübung der Netzhaut voll-
kommen geschwunden; Grenzen der Papille scharf; Ge-
isse ganz dünn.
217
Der Sehnerv beginnt, blass zu werden. Von der Hä-
morrbagie keine Spar mehr.
Am 29. Octbr.: Bild completer Atropie der Seh-
nerven.*)
IV. Fall.
Partielle Embolle mit günstigem Ausgang.
Eine Dame, A. L. aus Mannheim, erblindete plötz-
lich während des Theaters auf dem rechten Auge, ohne
dass Schmerzen oder ein Trauma vorausgingen. Nach
acht Tagen erst stellte sie sich mir in Heidelberg vor.
Seit dieser Zeit hatte sich das Sehvermögen wieder ge-
bessert, so dass sie im centralen Tbeile des Sehfeldes
Finger auf 3' Entfernung genau unterscheiden konnte.
Das Sehfeld zeigte sich nicht wesentlich eingeengt Mit
dem Augenspiegel wurden Abnormitäten an den Gefässen
den Netzhaut wahrgenommen. Die Arterien waren viel
dünner als am andern Auge, besonders der nach oben
gehende Hauptast, welcher an dem Papillarrand eine eigen-
thümliche Anschwellung zeigte, von wo denn die einzelnen
Aestchen als fadenförmige, einfach contourirte Streifen
verliefen. Die Venen erschienen etwas schwächer als
normal. Netzhauttrübung wurde nicht wahrgenommen.
Nach und nach füllten sich die Gefässe wieder, wobei zu-
gleich das Sehvermögen immer besser und nach zwei
Monaten normal wurde.
Embolie wurde in diesem Fall angenommen wegen
des plötzlichen Eintritts der Sehstörung, ohne dass ein
Trauma oder Gehirnerscheinung voraus gingen, sodann
weil man nirgends mit dem Ophthalmoscop einen Blut-
erguss in die Retina oder sonst Etwas wahrnahm, welches
*) yoTBtehender Fall wurde während meiner Abwesenheit im An-
fang Ton meinem Assistenzart Dr. F. Bergmann, in seinem weiteren
Verlaufe auch Ton mir beobachtet I^> Verf.
. 218
die plötzliche Störung im Sehen erklären konnte, schliess-
lich aber wegen des Verhaltens der Gefässe, besonders
weil der nach oben gehende Hauptast am Rande eine
Anschwellung erkennen liess, von welcher nur fedenfSr-
mige Streifchen statt gefüllter Gefässe ausgingen. Die
Quelle des Embolus wurde nicht entdeckt, indem weder
eine Krankheit des Herzens noch sonst eine Erkrankung
aufzuweisen war.
V. Fall.
Messerstich in die Orbita, gefolgt von Erblindung unter
dem Krankheitsbilde der Embolie der Centralarterie der
Netzhaut.
Polizeidiener Becker von Heidelberg, 28 Jahr alt,
von gesunder Constitution und kräftigem Körperbau,
wurde am 18. Febr. 1866 in einem Streite mit einem
Messer verletzt. In der Nähe des Nasenrückens zeigte
sich eine Wunde von 2 Millimeter Breite und 12 Mm.
Länge. Das Auge war vorgetrieben und zeigte am Tage
nach der Verletzung in allen Theilen des Sehfeldes schwache
quantitative Lichtempfindung. Beim Sondiren der Wunde
konnte man die Sonde bis tief in die Orbita einfahren.
Achtzehn Stunden nach der Verletzung constatirte ich
folgenden Krankheitszustand:
Das Auge ist vorgetrieben, seine Bewegung nicht be-
sonders gehindert, das obere Lid angeschwollen und
blauroth, das untere blass und bis in die Wangengegend
geschwollen, am äusseren Theile des Bulbus besteht eine
subconjunctivale Ecchymose.
Die Hornhaut ist klar, weniger empfindlich, die Pu-
pille starr und etwas weiter wie gewöhnlich.
Die Spannung des Augapfels und die Durchsichtigkeit
der Medien zeigen sich normal.
Mit dem Augenspiegel sieht man die Netzhautarte-
rien schmal, fadenförmig, manche Aestchen wie weisseideen
219
F&den, die Venen aber geschwellt und viel st&rker als
am gesunden Auge, stärker an der Papille als an
der Peripherie. Bei dem Drock auf den Bulbus
strömt das Blut in den Venen von dem Centrum gegen
den Aequator und beim Nachlassen wieder zurück; bei
Verstärkung des Druckes werden auch alle Arterien blut-
leer und es gelingt auf keine Weise, Pulsation zu er-
zeugen. Die Netzhaut ist getrübt und zwar in viel
grösserer Ausdehnung, als dieses bei der Embolie der
Fall ist
Die Trübung ist am stärksten in der Gegend des
gelben Fleckes, welcher selbst dunkelroth inmitten der-
selben erscheint
Zwei Tage darauf wird die Gonjunctiva noch stärker
unterlaufen gefunden, die Papille wie Tags zuvor, die
Gegend des gelben Fleckes noch trüber.
Die Diagnose wurde, weil im Anfange noch Licht-
empfindung vorhanden war, nicht auf Dnrchschneidung,
sondern nur auf Gompression des Opticus und der Gen-
tralarterie gestellt, und zwar durch den das Auge vor-
treibenden Bluterguss. Es wurde nun eine breite Iri-
dectomie gemacht Sie sollte den Zweck haben, den
intraoculären Druck herabzusetzen, damit das Blut bei
vermindertem Widerstände um so eher wieder in die
Retinalgef&sse gelangen könnte. Nach Verheilung der
dadurch entstandenen Wunde wurde, um den Erfolg zu
sehen, schon am Tage nach der Operation wieder mit
dem Ophthalmoscop untersucht, das Bild war jedoch das-
selbe geblieben. Druck, soweit er bei frisch vernarbten
Wunden gewagt werden könnte, veranlasste Blutleere in
den Gef&ssen, aber keine Pulsation. In den nächsten
Tagen nahm die Retinaltrübung zu, vom neunten Tage
an jedoch wieder ab und 14 Tage darauf bestand sie nur
noch an der Macula lutea, daselbst aber sehr stark. Der
kirschrothe Fleck war dunkler, und am Bande der jetzt
220 ,
scharf abgegrenzten Trübung zeigten sich sechs apoplek-
tische Flecken, welche am Ende kleiner Gefasse sassen.
Die Arterien hatten 7» ihres vorigen Volumens wieder
erlangt, und auf Druck konnte man jetzt leicht Pulsation
bewirken. In der folgenden Woche nahm die Trübung
noch mehr ab, die Extravasate erblassten, die Papille hatte
eine ganz normale Färbung erlangt, und blieb jede Licht
empfind ung aufgehoben. Später ward die Papille atrophisch.
Dieser Fall hatte also grosse Aehulichkeit mit einer
Embolie, nur verhielten sich die Venen entgegengesetzt
wie bei dieser, indem sie im Gentrum der Papille nicht
dünn waren.
3. Affection des Sehorgans bei Thrombose der
Himsinus.
VI. Fall.
Thrombose des Sinus cavernosus und der Vena jugularis
dextra, Vortreibung des Auges durch Orbitalödero,
Veränderung der Netzhaut.
Ende December 1863 hatte der unserer Wissenschaft
leider zu früh entrissene Prof. Heinrich Müller die
Gefälligkeit, mir zwei in chromsiyirem Eali erhärtete,
4 Wochen vorher bei einer Sektion erhaltene Augen zur
genauen Untersuchung zu übergeben. Die Krankenge-
schichte des Falles hat Herr Dr. A. Girard seiner Inau-
guraldissertion zu Grunde gelegt und ich erlaube mir
daraus das Wesentliche hier mitzutheilen.
N. Pfeflfermann, 30 Jahre alt, wurde am 22. Novbr.
1863 in die medicinische Klinik zu Würzburg aufgenom-
men. Ohne besondere wahrnehmbare Ursache war er vor
vier Tagen, nachdem er bis dahin ganz gesund gewesen
221
zu sein angiebt, von einem starken Schüttelfrost befallen,
auf welchen Hitze, starkes Kopfweh, besonders auf der
rechten Seite, Nasenbluten, Erbrechen und ein Gefühl
von Mattigkeit folgten. Diese Erscheinungen steigerten
sich mit jedem Tage und bei seiner Verbringung in die
Klinik bot er folgenden Zustand dar:
Patient ist ein mittelgrosser, starkgebauter Mann
mit gut entwickelter Musculatur. Seine Haut, besonders
die der Wangen, ist geröthet. Temperatur 40, 5^ C;
Puls 104, hart, voll. Das rechte Augenlid hängt schlaff
und unbeweglich über den stark hervorgetriebenen
Bulbus; die Pupille ist sehr erweitert und reagirt
nicht gegen Lichteinflüsse. Patient kann den Augapfel
gar nicht bewegen; alle Augenmuskeln erscheinen ge-
lähmt. Das Sehvermögen ist stark herabgesetzt; vorge-
haltene grössere Buchstaben behauptet er zu sehen, aber
verkleinert Die Bindehaut ist geschwollen und ge-
röthet Auch das linke Auge ist weniger beweglich als
normal, seine Pupille eng, jedoch nicht reagircnd auf
Lichtwechsel. Beim Sprechen und Lachen zeigt Patient
ein schiefes Gesicht, wobei die rechte Seite gelähmt
scheint Geruch und Geschmack sind stark geschwächt
Die Zunge neigt sich beim Herausstrecken nach der linken
Seite. Patient hört gut und hat auch weder Ohrenfluss
noch sonst eine Abnormität an seinem Gehörorgan. Die
Nackenmuskeln sind steif und schmerzhaft, weiter nichts
Abnormes am Halse. Die Untersuchung der übrigen
Körpertheile, namentlich der Lungen und des Herzens,
ergaben keine krankhaften Erscheinungen, namentlich ist
bemerkt, dass die Percussion des Brustkorbes überall
vollen und hellen Schall und die Auscultation schönes,
vesiculäres Athmen wahrnehmen liess. Patient ist etwas
schläfrig, antwortet aber in richtiger Weise.
Die Diagnose wurde auf Meningitis basilaris
gestellt: entzündlicher Anfang mit Frost, bedeutende
Höhe der Temperatur, heftiger Kopfschmerz, Erbrechen,
ungleiche Weite der Pupille, Somnolenz, Lähmungserschei-
nungen (Ptosis, Unbeweglichkeit des Auges, stammelnde
Sprache). Prognose lethal. Behandlung energisch an-
tiphlogistisch; Laxanzen (Calomel mit Rheum), Eisblase,
Enthaltung aller Speisen, Vermeidung aller Lichtreize.
Am folgenden Tage war Patient schon im Stadium
des Hirndrucks angelangt Theilnahmlos für seine Um-
gebung, taub für jede Frage, kurzathmend. Auch das
linke Auge ist jetzt gelähmt und seine ziemlich erweiterte
Pupille bleibt starr bei Lichtreiz. Die Bindehaut des
noch mehr vorgetriebenen rechten Auges, stark injizirt
und serös infiltrirt, bedeckt wie ein sulziger Wall den
sichtbaren Tbeil des Augapfels. Puls von 104 auf 88
herabgegangen, Temperatur von 40,5® C. auf 39,8. Weder
Brust noch Hals zeigen etwas Aussergewöhnliches.
Unter Zunahme aller dieser Erscheinungen, allge-
meiner Lähmung und ununterbrochener Bewusstlosigkeit
stirbt Patient am nächsten Morgen.
Sectio n (durch Prof. Förster gemacht): Schädel
massig dick und schwer, massig blutreich. In den Sub-
arachnoidalräumen ziemlich viel helle, wässerige Flüs-
sigkeit; diejenige in den Schädelgruben hellgelb. Die
Sinus cavernosi gefüllt mit weichen, eiterarti-
gen Gerinnselmassen. Das Zellgewebe um die
Glandula pituitaria und längs des Clivus bis
zum Foramen magnum eitrig serös infiltrirt,
verdickt und getrübt. Diese eitrig blutige Infiltra-
tion erstreckt sich von der Sella turcica aus auf beiden
Seiten nach der Fissura orbitalis superior, auf der rechten
in höherem Grade als auf der linken. Beide Bulbi er-
scheinen vorgetrieben, die Augenlider, insbesondere die
rechten, ödematös. Die Capsula Tenoni ist serös infil-
trirt, verdickt und verhärtet Die Arteria ophthalmica
und die Yenenplexus im Innern der Augenhöhle
zeigen sich leer und ohne Veränderung. Anden
Augenmuskeln und Augäpfeln selbst keine Veränderung.
Die Hirnsubstanz ist derb, massig blutreich; in den Hirn-
höhlen wenige Tropfen hellen Wassers; Pia mater blut-
reich, stark infiltrirt.
In beiden Lungen fanden sich zahlreiche, meist
nicht sehr grosse, theils scharf, theils unbestimmt um-
schriebene Infarkte, wovon manche dunkelroth, andere
röthlich gelb, in eitrigem Zerfall begriffen waren. In den
Lungenarterien frische Fibringerinnsel. Die Pleura an
verschiedenen Stellen mit gelblichen Exsudatmassen in-
filtrirt.
In der rechten inneren Jugularvene ein alter,
weicher, eiterartig zerfallender Thrombus, welcher nach
unten zu in ein dunkles Blutgerinnsel übergeht.
In den übrigen Körpertheilen keine wesentliche Ver-
änderung.
Die anatomische Diagnose lautet: Thrombose der
Sinus cavernosi u. der Vena jugularis dextra.
Metastatische Lungeninfarkte.
Herr Dr. Girard (und wohl auch seine Lehrer) er-
klärte diesen Fall als eine primäre, also spontane, aber
marantische Sinusthrombose. Dafür fehlt nun aber jeder
Anhaltspunkt. Der Patient war kräftig und bis zum Ein-
tritt seiner sehr acuten Krankheit keinerlei erschöpfenden
Einflüssen ausgesetzt. Die Krankheit selbst trat auf
und verlief unter dem Bilde einer acuten Basilarmenin-
gitis und die Section bestätigte dieses durch die Anwe-
senheit von serös eitriger Infiltration, Verdickung und
Trübung des Zellgewebes um die Glandula pituitaria und
rückwärts bis zum Foramen magnum. Das gleiche Krank-
heitsbild liefert freilich auch die Sinusthrombose. Diese
wird von Girard als primär, die Meningitis basilaris
demnach als consecutiv gehalten, eine Annahme, welche
mir der näheren Begründung zu entbehren scheint Die
224
ErfahruDgen über die EntstehuDg und den Verlauf der
Sinusthrombose lassen gerade im Gegentheil die Throm-
bose in unserem Falle abhängig erscheinen von der Me-
ningitis und deren leider nicht aufgefundenen Ursache.
Prof. V. Dusch hat bei Veröffentlichung einer eigenen
Beobachtung die bis dahin bekannten Fälle (57) von
Thrombosen der Sinus durae matris zusammengestellt
und kritisch geordnet Er leitet davon sehr beachtens-
werthe Sätze ab, die auch fQr die Beurtheilung des uns
vorliegenden Falles maassgebend sind. Danach betreffen
1. die primären Thrombosen vorzugsweise die unpaa-
rigen Sinus, namentlich den S. longitudinalis sup., weil
in diesen der Blutstrom am langsamsten ist, die secun-
dären (von Entzündungsheerden, Verletzungen, Com-
pression und fremden Körpern angeregten) befallen vor-
wiegend die paarigen Sinus und zwar denjenigen zuerst,
welcher dem ursprünglichen Erkrankungssitz am nächsten
liegt.
2. Bei den secundären Thrombosen sehen wir das
Gehirn und seine Häute mehr oder minder entzündet,
aber keine Hämorrhagien, während gerade diese sich bei
den spontanen Thrombosen vorfinden und zwar ohne
Entzündung des Gehirns und seiner Häute, v. Dusch
giebt davon folgende befriedigende Erklärung: Die se-
cundären Thrombosen entstehen als fortgeleitete, aus den
kleinen Venen der Diploe oder anderer entzündeten
Theile. Der Sinusthrombus entsteht auf diese Weise mehr
allmälig und bis er zum gänzlichen Verschluss kommt,
konnte sich ein mehr oder minder ausreichender Colla-
teralkreislauf entwickeln. Bei der maranthischen Throm-
bose beginnt die Gerinnung im Sinus selbst und schreitet
bei der langsamen Blutbewegung darin auch rasch fort.
Dadurch entsteht auf einmal bedeutende Spannung in
den kleineren Venen und Capillaren und als deren Folge
die Gef&sszerreissung.
226
Hyperämie und Oedem im Gehirn und seinen Häuten
kommt bei beiden Arten gleich vor, wie es auch in der
Natur der Sache liegt
3. Auch die metastatischen Infarkte sind bei
den secund&ren Thrombosen gewöhnlich, während sie bei
den primären völlig fehlen. Die in kleineren Venen ent-
stehenden Thromben sind weniger derb und lösen sich,
wie Yirchow gezeigt hat, leichter ab, als die in den
Sinus, in welchen der Blutstrom an und f&r sich abge-
schwächt ist und seine Zuflüsse nicht unter spitzen,
sondern unter nahezu rechten und stumpfen Winkeln
empfängt, was für die Fortspülung vorstehender Ge-
rinnselköpfe nicht so geeignet ist, als wenn der spitz-
winklig einmündende Seitenstrom diese selbst direct trifft
Damit in Uebereinstimmung finden wir auch, dass die
pyämischen Symptome während des Lebens, die Schüttel-
fröste mit nachfolgendem adynamischen Fieber, vorzugs-
weise bei secundären Sinusthrombosen vorkommen, da-
gegen bei den primären ganz fehlen.
Ziehen wir aus diesen Schlüssen, die v. Dusch in
wohldurchdachter Weise von der Statistik abgeleitet hat,
Nutzen fOr diesen Fall, so finden wir, dass die Integrität
der unpaarigen Sinus, das Fehlen der Hämorrhagien, die
eitrige Entzündung auf der Schädelbasis und endlich die
Metastasen in der Lunge die Annahme einer secundären
Thrombosirung des Sinus mit Fortsetzung auf die rechte
V. jugul. int erheischen. Ob die Basilarmeningitis selbst
eine primäre war, oder ob noch eine Enochenerkrankung
bestand, davon wird in der Section Nichts angegeben.
Ob darauf besonders geachtet wurde, namentlich ob die
Basis des Schädels und das Felsenbein untersucht worden
sind, möchte ich bezweifeln, da nur, wie im Anfange
eines jeden Sectionsprotokolles, eine kurze Angabe über
das massig verdickte und blutreiche Cranium gemacht
wird, welche wohl nur von der gewöhnlichen Durch-
ArthlT fBr OpkOudmologte» UV, 1. 15
226
BftgQBgsflSche hergenommen ist Von der Orbita ist der
Process nicht ausgegangen, denn daselbst sind keine
Eiterungen und Thrombosen gefunden worden, sondern
nur die dem Quellengebiet des betreffenden Sinus zu-
kommende Stauungshyperämie und seröse Exsudation.
Sehen wir ab von seiner Entstehungsursache, so
bietet uns das hier vorliegende Erankheitsbild einer
Thrombose des Sinus cavernosus und ihrer Fortleitung
bis zur Innern Drosselvene sehr beachten swerthe
Erscheinungen vonseiten des Sehorgans. Diese
sind: Reizbarkeit gegen Licht, Verminderung der Seh-
schärfe, Anfierngs enge, dann weite und starre Pupillen,
und, da die Sinusthrombosen nicht gern auf die andere
Seite übergehen, wenigstens nicht zur selben Zeit beider-
seitig auftreten, ungleiche Weite der Pupillen, ferner In-
jection, seröse Durchtränkung und Anschwellung der
Bindehaut, des Zellgewebes der Orbita und Lider, da-
durch verursacht Vortreibung des Augapfels, femer
Lähmungen verschiedener Augennerven, und selbst, wie
hier, vollkommene Unbeweglichkeit des Bulbus; ausser-
dem Veränderungen im Innern des Auges, die in Hyper-
ämie und Oedem bestehen und ophthalmoscopisch sich
besonders am Sehnerveukopf und der umgebenden Netz-
haut kund geben müssen, wie bei andern raumbeschrän-
kenden und den Rückfluss des Blutes durch die V. oph-
thalmica hemmenden Processen und Neubildungen in der
Schädelhöhle. Abgesehen von diesen Erscheinungen er-
gab die microscopische Untersuchung auch noch eine so-
gleich zu beschreibende Erkrankung des Retinalgewebes.
Der Comp lex jener Erscheinungen bezieht sich
freilich nur auf diejenigen Thrombosen der Blutleiter
der Dura mater, bei welchen der Sinus cavernosus mit
betheiligt ist; sie werden sich aßer in grösserer oder ge-
ringerer Zahl bei allen jenen Affectionen finden, welche
eine Behinderung des Blutstroms vom Sinus cavernosus
227
bis zu Vena jagnlaris interna verursachen. Jene Symptome
am Sehorgan sind ja als nichts Anderes au£zu&8sen, denn
als Mckstauung des Blutes im Gebiet der Vena ophthal-
mica cerebralis mit ihren Folgen, insbesondere der se-
rösen Transsudation in's Zellgewebe. Nur die Lähmungen
am Auge lasden sich auch durch Druck auf die Nerven-
stämme im Sch&del durch das periphlebitische Exsudat
erklären, so namentlich die Oculomotoriusparalyse, indem
dieser Nerv dicht auf der äusseren Seite des Sinus ca-
vernosus liegt Eine ophthalmoscopische Untersuchung
wird in keinem der wenigen bekannt gewordenen Fälle
von Thrombose des Sinus cavernosus erwähnt
Die anatomische Untersuchung der Augen un-
seres Patienten, welche ich in Heinr. Müller^s Labora-
torium vornahm, ergab am linken Auge nichts Abnormes,
und anch das rechte zeigte nichts Krankhaftes, mit Aus-
nahme der Gegend des gelben Flecks und ihrer
Nachbarschaft. Ueber derselben fand sich eine schleimige
Glaskörperschwarte, welche aber schon früher von Heinr.
Malier weggenommen worden war.
Von der Eintrittsstelle der Sehnerven bis
über die Macula lutea hinaus zeigte sich in einer
Längenausdehnung von 7 Mm. und einer Breite von 2
bis 3 Mm. die Oberfläche der Netzhaut uneben, rauh,
kleingrubig, zerfetzt, (oberflächlicher Zerfall).
Am andern Auge war die gewöhnliche Plica mit nor-
maler, vollkommen glatter Oberfläche. Die Gefässver-
zweigung und Füllung hatten nichts Abnormes. Ich
machte nun eine grosse Anzahl microscopischer Schnitte
durch die Netzhaut. Pathologische Veränderungen waren
nur in der bezeichneten Gegend der Macula lutea und
nach dem Sehnerven hin wahr zu nehmen. An derselben
bemerkte ich, aber recht spärlich, Körnchenkugeln in der
Nervenschicht In der Mitte jener Stelle fehlte die
Limitans, die übrigen Schichten der Netzhaut aber waren
15*
228
normal entwickelt, nur zeigte sich in der äusseren Körner-
schiebt und der Zwischenkömerschicht eine sehr aulbl-
lende Bildung eigner Art und die meines Wissens nur
von Junge ähnlich angegeben worden ist; nämlich die
Einlagerung blasser, schwachgelber, halbdurchsichtiger,
sehr fein getüpfelter, vollkommen gleichartiger Kugeln
oder Scheiben, deren Durchmesser IVi bis 2 Mal denje-
nigen der Körner der äussern Kömerschicht betrug. In
der Nähe der Limitans externa waren sie weit von ein-
ander zerstreut, wurden aber um so dichter unter die
äusseren Kömer gemischt, je mehr man sich der Zwischen-
kömerschicht näherte. Diese durchsetzen sie in ihrer
ganzen Breite, lagen an der Grenze der äusseren Körner
dicht neben- und fibereinander, wurden wieder zerstreuter
in der Nähe der Innern Kömerschicht, in welche selbst
sie nicht eingetreten waren. In der Zwischenkömerschicht
bemerkte man neben ihnen nur die ganz regelmässige,
streifige Zeichnung der Radiärfasern. An der Stelle des
gelben Flecks waren sie am dichtesten und nahmen nach
oben und unten sehr rasch ab, langsam dagegen nach
der Eintrittsstelle des Sehnerven, bis in deren dichte
Nähe sie zahlreich beobachtet wurden; nach der entgegen-
gesetzten Seite, über die Macula lutea hinaus, verloren
sie sich auch bald. Will man dieser eigenthümlichen
Einlagerung einen Namen geben, so mag man sie vor-
läufig als gelbliche, durchscheinende Scheiben oder Gol-
loidkugeln bezeichnen, die wohl Zellen sind, deren Proto-
plasmaleib den Kern verhüllt.
Das Merkwürdige an dieser Bildung war:
1. ihre Beschränkung auf die Gegend der Macula lutea
und die Strecke zwischen dieser und dem Sehnerven, was
genau übereinstimmt mit dem Bezirk, in welchem die
Netzhautveränderungen bei der Embolia arteriae centr.
ret. vorkommen;
229
2. das noch nicht beobachtete Auftreten solcher Ver-
änderungen bei Thrombose der Himsinus, und
3. die Erhaltung des Normalzustandes der flbrigen
Netzhautschichten, wobei indessen zu erwähnen bleibt,
dass über jenem af&cirten Bezirk der Retina, Glaskörper-
trübungen vorhanden waren, durch deren Wegnahme
auch die Limitans interna mit abgelöst wurde. — Neben
jenen fremdartigen Einlagerungen in die äussere Körner
und Zwischenkömerschicht war also auch noch Exsudat
in den Glaskörper durch die übrigen Netzhautschichten
und die Limitans interna ergossen. Dieses hätte sich im
Leben müssen ophthalmoscopisch nachweisen lassen und
zwar wahrscheinlich in Gestalt jener grauen Trübung, die
wir bei Embolie der Centralarterie der Netzhaut um den
gelben Fleck beobachten.
Sehen wir uns jetzt in der Literatur um, so finden
wir unter 92 bis zum Jahr 1864 von Ducheck gesam-
melten Fällen von Sinusthrombosen (dessen Handbuch
der spec. Path. u. Therap. L Bd. 2. Lieferung: die Krank-
heiten der Venen und Lympfgefasse) nur drei, bei welchen
das Auge und die Augenhöhle betheiligt sind. Da diese
hochwichtige Erkrankung bis jetzt von den Ophalmologen
anberücksichtigt geblieben ist, so mag eine kurze Mit-
theilung jener Fälle mit Quellenangabe gerechtfertigt sein
und dazu beitragen, unsere Aufmerksamkeit auch diesem
Capitel zuzuwenden. Der erste und prägnanteste Fall
ist von Castelnau- und Darrest (Recherches sur les
absc&s multiples. Paris 1840; p. 138) beschrieben und
im Auszug von Lebert wiedergegeben (Virchow's Ar-
chiv IX. p. 388 und 389).
Ein 27 jähriger gesunder Mann wurde im Monat
September 24 Standen lang vom Regen dnrchnässt, ohne
dass er seine Kleider wechseln konnte, und brachte kurz
darauf die Nacht in einem schlecht geschlossenen Räume
zu. Drei Monate nach jener Dnrchnässnng bekam er
230
heftiges Stechen und Schmersen im Kopfe mit nnregel-
massigen Frösten. Die Augen wurden schmerahaft^ das
Gesicht getrübt; Photopsien und Photophobie. Vermin-
derung des Appetits, Schlaflosigkeit und Steigerung des
Kopfschmerzes wfthrend der ersten Tagen der Erkran-
kung. Darauf häufige Schweisse, leichter Frost, hef-
tiger Kopfschmerz, besonders über den Augen. Sehver-
mögen auf beiden Augen vermindert, rechter Augapfel
hervorragend, Bindehaut ödematds, Pupillen normal;
sonore Oerftusche an der Basis beider Lungen; rechte
Halsgegend schmerzhaft, deshalb Kopfbewegungen un-
möglich. Puls 84. Am 14. Tage der Erkrankung sehr
heftiger Frostanfall, gefolgt von Hitze und Schweiss,
Aufregung, Delirien, Zuckungen in Armen und Beinen.
Puls 96. Darauf Mattigkeit und Schlafsucht, unwillkür-
liche Ausleerungen, viel Durst, trockene Zunge, heftiges
Fieber, keine Lflhmungen der Oliedmaassen, Sopor, Tod
am 23. Tage der Erkrankung. In den vier letzten
Tagen waren auch die Erscheinungen von Seiten des
Sehorgans stärker hervorgetreten. Auch das linke Auge
wurde chemotisch und schielte nach innen, die rechte
Pupille erweitert, aber contractu; Lahmung des linken
oberen Augenlides. Beide Augen werden nun immer
mehr nach vorn getrieben, starker chemotisch, die Pu-
pillen erweitert und unbeweglich.
Bei der Leichenöffnung fand man die Venen der
Diploö und die Meningen gesund, abgerechnet an der
Basis rechts, wo eine eitrige Entzündung der Pia mater
gefunden wird. Auch die Rindensnbstanz des Hirns ist
hier oberflächlich erweicht. An der vordem Fläche der
Medulla oblongata findet man ein dünnes Blutcoagulnm
von zwei bis drei Centimetem Länge. Die Arachnoidea,
welche den rechten Sinus cavernosus bedeckt, ist ge-
röthet, erweicht, mit der Dura mater verwachsen. Der
Sinus selbst ist voll von einem grauen, dicklichen Eiter;
seine Wände sind grau, die innere Haut verändert. Eine
kleine Hirnvene, welche in den Sinus mündet, enthält
einen grauen, eiterartigen Pfropf. Die Vena ophthal-
mica ist erweitert, voll Eiter, das umgebende
Zellgewebe der Orbita enthält mehrere Eiter-
heer de von der Grösse einer Erbse bis zu der einer
2S1
Bohne; der Biniis circiilarifl Ist mit Eiter g^efllUt, so wie
ftveh die Sinns petrosi nnd transversi, mehr rechts als
links. Man findet femer Eiter in den Jngnlarvenen, in
der rechten Vena brachio^Ksephalica nnd an mehreren
Stellen finden sich Pfropfe. Die Venen« welche sich
zwischen den Mnskeln des Nackens und des Halses be-
finden, sind erweitert nnd mit Eiter gefUlt, so wie anch
mehrere Venen des Wirbelkanals. Die Wand der kranken
Venen ist bald glatt, bald nneben nnd rauh. Auch in
den Lungen finden sieh, neben alter TnbercnlosCf meta-
statische Eiterheerde, so wie anch hAmorrhagische In-
ftrcte. Die Mils ist von doppeltem Umfang, Mass, sehr
weich. Die Nieren sind bleich und bedeutend vergrOs-
sert, eine derselben enthält einen haselnussgrossen Stein.
Leber t macht zu diesem Falle mit Becht die Be-
merkung: Wir begreifen nicht recht, weshalb die Au-
toren dieser Beobachtung gerade in der eitrigen Entzün-
dung der Halsvenen den Ausgang der Phlebitis suchen.
Viel wahrscheinlicher scheint uns nach dem ganzen Ver-
laufe die Vena öphthalmica deztra der Ausgangspunkt
der Symptome gewesen zu sein. Soviel aber ist gewiss,
dass, was die Entzündung der Sinus betrifft, wohl kaum
eine ausgedehntere beobachtet worden ist und scheint sie
uns hier eine fortgeleitete Entzündung von den nahge-
legenen Augenvenen zu sein.
Der zweite Fall ist von Pitha (Oesterr. Zeitschrift
f. prakt Heilkunde. Jahrgang 1869. Nr. 1.) und wird
anch von v. Dusch (1. c. p. 206) mitgetheilt
Ein 26Jähriger Husar erhielt 4 Sibelwunden auf die
linke Seite des Kopfes, die stellenweise bis auf den
Knochen gingen, ohne dass Frakturen oder Fissuren
nachzuweisen waren. Nach dem 4. Hiebe stürzte er be-
wusstlos zusammen und blieb zwei Tage im Halbschlafe.
Pnls sank auf 45 Schläge. Die Wunden vernarbten
rasch und eiterten nur an den Stellen, wo der Knochen
verletzt war, massig und gutartig. Am 12. Tage jedoch
zeigte sich auf ihnen ein dünner, grflngelblicher Beschlag,
232
der sieh nach drei Tagen anf Betupfen mit Lap. inf.
wieder verlor. Am 27. Tage Nachts heftiger Sdimerz
im linken Ohr, geschwollene, schmerzhafte Drflsen im
Nacken. Den folgenden Tag blutig tingirte Sputa,
Rasselgeräusche in der linken Lunge; mit der Sonde
dringt man von den Wunden aus auf einen rauhen
Theil des Warsenfortsataee. Am 23. Tage heftiger
Schüttelfrost mit nachfolgender Hitae. Puls 112. Darauf
in den folgenden Tagen Fortdauer der pneumonischen
Erscheinungen, grosse HinftUligkeit, tjphOses Fieber,
Milzvergrdsserung, Diarrhoe, Delirien, Secessns inscii,
CoUapsus und ikterische Hautfiirbung. Am 45. Tage
zeigte sich der rechte Bulbus her vorgetrieben
und gespannt; die Pupille starr und missig er-
weitert; Cornea glanzlos; leichtes Oedem der
Conjunctiva; völlige Blindheit Am folgenden
Morgen auch im linken Bulbus derselbe Zu-
stand; das Oedem der Gonjuctiva steigert sich,
verbreitet sich auf die Orbitalgegend und links
auf die Schläfe bis zum Winkel des Unterkie-
fers. Tod am 46. Tage.
Section. Sämmtliche Kopfwunden bis auf die vierte
geheilt. An der Wurzel des Processus mastoldeus ein
bohnengrosser Substanzverlust, indem dieCorticalschichte
zackig abgesprengt ist Der Grund dieser Knochen-
wunde mit grauem Eiter und feinkörnigem Exsudat be-
legt bis Qber das Emissarinm Santorini hinaus, dessen
Oeffnung mit derselben Exsudatschichte bedeckt ist.
Schädeldach, dura und pia mater normal, massig blut-
reich. Oehim völlig normal. Auf dem Theile der dura
mater, welcher die linke mittlere Schädelgrube und den
Clivus auskleidet, eine dOnne Exsudatschichte, die Hy-
pophysis von schmutzigem Eiter umgeben; der Sinus
sigmoideus sin., die Sin. petrosi, der Sin. Ridleyi und
beide Sin. cavernosi bis in die Vv. ophthalmi-
cae von dickem, gelb weissem Eiter strotzend; die gleich-
namigen Sin. der rechten Seite, sowie die beiden Vv.
Ophthalmie, thrombosirt und nur hier und da dicken
Eiter enthaltend. In den Übrigen Sinus theils geronne-
nes, theils flüssiges Blut Lobuläre, jauchige Pnau-
monie beider Lungen; rechts jauchige Pleuritis. Leber
233
und Mik vergröasert Die üntersaehmig der Augen er-
gftb eine vollständige Thrombose der Yv. Ophthalmie,
ohne Spar von Erweichung bis an die Bolbi.
Die Thrombose ist also hier als eine traumatisch-hä-
morrhagische aufzufassen. Das Blutgerinsel an der AusseiiT
fläche des Schädels setzte sich durch das biosliegende
Emissarium in den Sin. trausversus sin. fort, ging von
da auf die Sinus petrosi und cavernosus sin., von diesem
auf den Sin. circularis Ridleyi und Sin. cavem. dextra
Aber. Von beiden Sinus cavem. setzten sich die Ge-
rinsel in die Vv. Ophthalmie, fort und bedingten die an-
gegebenen Erscheinungen in der Orbita und den Augen.
Die Thrombosen in den Sinus veränderten sich längere
Zeit hindurch nicht, wodurch die Yerlangsamung des
Pulses zu erklären ist. Ihr Zerfall muss zur Zeit ein-
getreten sein, als das Fieber und die metastatische Pneu-
monie auftraten. Die Thrombosen der linksseitigen Sinus
erwiesen sich an ihrem eiterartigen Zerfiill als ältere,
jünger sind die weniger veränderten rechtsseitigen und
zuletzt entstandensn, die Gerinnungen in den Yv. oph-
tha!., woselbst sie kaum ange&ngen hatten, sich eiterartig
zu verändern.
Die Ursache der Sinusthrombose war hier eine lo-
cale, die unpaarigen Sinus blieben frei, Hämorrhagien
waren, trotz der grossen Ausdehnung, nicht vorhanden,
dagegen exsudative Meningitis und metastatische Pneu-
monie. Der Fall hat sehr viel Aehnlichkeit mit dem von
uns mitgetheilten, sein Sectionsbefund, die Erscheinungen
während den letzten sieben Tagen des Lebens waren
dieselben, nur dass die AlBfection der Augen und Orbitae
schon eine weiter fortgeschrittene war.
Der dritte hierhergehörige Fall ist von B. Cohn
(Klinik der embolischen GeAsskrankheiten. 1860. p. 196
und 197).
234
Ein 15jfthrigeB Dienstmädchen hatte wochenlang
multiple Abscesschen der linken Oberlippe. Darauf An-
Bchwellnng der Oberlippe, und intensive Röthe mitOedem
der linken Oesichtshftlfle. Puls 96. Massiges Fieber
mit Kopfschmerzen. Einschnitt in die Lippen entleert
Eiter und Blut Tags darauf Erysipel des ganzen Ge-
sichts, Oedem des rechten Augenlides, beide Bulbi vor-
gedrängt. Rechte Pupille unbeweglich, auf der Con-
junotiva Ecchymoeen. Puls 144. Delirien. Beidersei-
tige Pneumonie, ünbesinnlichkeit Puls 150. Respi-
ration 60. Kein Schüttelfrost; kein Icterus. Tod am
7. Tage nach den Einschnitten in die Lippen.
Section. Hirnhäute hyperämisch. In den Ven-
tikeln etwas Serum. Im Sin. longit. locker geronnenes
Blut. Im Sin. circ. Ridleyi rechts Eiter und zerfallener
Faserstoff, linkerseits altes geronnenes Blut Fortsetzung
der Thrombose nach dem Sin. petros. sup. In der rechten
Orbita keine Eiterablagerung, nur Oedem des Zellge-
webes. Im rechten Cavum pleurae eitrige, faserstoffige
Niederschläge. In der Lunge Metastasen durch Embo-
lie. An einzelnen Stellen Arteriitis, die selten perforirt
hatte. In der rechten Niere ein stecknadelkopfgrosser
Infarct
In diesem Falle hatte sich die Thrombose von dem
Lippenfurunkel auf die vena facialis, die v. ophalmica
cerebralis, den Sin. circularis Ridleyi in den Sin. petros.
sup. fortgesetzt, wie aus der Aufeinanderfolge der Er-
scheinungen hervorgeht.
Ueberblicken wir diese bis jetzt bekannten vier Fälle
von Sinusthrombosen, bei welchen das Auge und die Or-
bita betheiligt waren, so sehen wir bei zweien, dem von
Castelnau und Ducrest und dem von 6. Gohn, die
Thrombosirung durch die Orbitalvenen auf die Sinus
übergehen, bei den beiden andern Fällen, dem von Pitha
und uns mitgetheilten, umgekehrt von den Sinus auf die
Orbitalvenen.
Die kennzeichnenden Symptome: Vortreibung des
Bulbus, Hyperämie und Oedem des Orbitalzell-
235
gewebes und der Bindehaut, Lichtscheu, weite,
starre Pupille, Abnahme der Sehkraft und Augen-
muskellähmungen traten in jenen erstgenannten
F&llen im Anfang der ganzen Erkrankung auf, dagegen
in den letzgenannten zum Schluss, vereinigt mit den
schwersten anderweitigen Störungen. Da es mir nicht
bekannt ist, dass bei anderweitigen Erkrankungen des
Gehirns und seiner Bleute Exophthalmus, Oedem der Or-
bita und Conjunctiva und die genannten fibrigen Symptome
am Auge vorkommen, so halte ich diese fftr chaxacte-
ristisch bei der Diagnose einer Thrombose des Sinus ca-
vernosus, wenn diese schon durch andere Zeichen einer
Meningitis wahrscheinlich gemacht wird. Wir h&tten also
in diesen Augensymptomen höchst verwerthbai*e Stützen
für die so schwierige Diagnose der Sinustlirombose. Frei-
lich wird ihre Bedeutung wieder dadurch beträchtlich
herabgedrückt, dass sie nur da auftreten, wo der Sinus
cavernosus oder dessen Fortsetzungen zum Golf der Vena
jaguUris int, die beiden Sin. petrosi, unwegsam sind und
selbst in dem Falle könnte das Blut durch den Sin. cir-
cularis Ridleyi nach der andern Seite hin abfliessen. Im-
merhin werden alle diese Zustände eine Rückstauung des
Blutes im Quellengebiet der V. ophthalmica cerebralis
mit nachfolgendem Oedem und andern Erscheinungen zur
Folge haben, wenn auch nicht in so hohem Grade wie
bei dem Verschluss des Sin. cavernosus.
Aber nicht nur in diagnostischer, sondern autfi in
prognostischer Beziehung sind die genannten Erschei-
nungen am Sehorgan von hoher Bedeutung. Tritt ent-
zündlicher Exophthalmus zu irgend einer Entzündung
de*s Gesichtes hinzu, so ist eine Thrombosirung der
Augenhöhlenvenen und Uebergang auf die Sinus, also
ein lebensgefährliches Leiden zu fürchten, und auf diese
Weise wird sich der tödUiche Ausgang mancher Gesichts-
rose erklären lassen. Die Wahrscheinlichkeit eines sol-
236
eben Ganges der Entzündung wird durch das Hinzutre
ten von meningitisehen Erscheinungen gestützt Treten
aber die vorgenannten Augensymptome zu einer bereits fort-
geschrittenen, durch Otitis interna oder eine andere Ursache
bedingte Meningitis hinzu, so können wir, namentlich
wenn Lungenaffection und andere py&mische Erscheinun-
gen zugegen sind, den Schluss ziehen, dass es sich um
um Thrombosirung der Sinus durae matris handle, welche
bereits bis zum Sin. cavernosus nach vom gedrungen ist
und in aller Wahrscheinlichkeit bald tödlich endet. Wei-
ter können wir den Schluss ziehen, dass es sich in die-
sen Fällen nicht um primäre, marantische Thrombosen,
sondern um secundäre, meist wohl von den Knochenvenen
fortgeleitetete Gerinnung handelt.
Da das ganze von Virchow in so bewunderungswür-
diger Weise cultivirte Gebiet der Thrombosen noch jung
ist, so werden wir auch von ophthalmologischer Seite
demselben unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen,
denn ich zweifle nicht daran, dass manche schlimmen
Eälle von Erysipel, von phlegmonöser Entzündung des
Orbitalzellgewebes, von Periorbitis, von lethal verlaufen-
den Entzündungen nach Exstirpation des Augapfels auf
diese Weise ihre Deutung finden. Dabei vergesse ich
natürlich ebensowenig, dass alle die genannten Erkran-
kungen auch einfache exsudative oder eitrige Entzündun-
gen bleiben, als dass Gerinnungen in Venen gutartig
verlaufen können. Wenn zu den genannten Augenerkran-
kungen noch meningitische Erscheinungen hinzutreten,
so entsteht die Frage, ob diese durch Fortschreiten der
Entzündung in der Contiguität der Gewebe oder durch
fortgesetzte Thrombosimng in den Venen bedingt sind,
welche Frage am Lebenden wohl nur durch das Auf-
treten von Metastasen in der Lunge, und zwar zu Gun-
sten der Thrombosirung, zu entscheiden sein dürfte.
237
4. Embolie der Giliararterien.
VII. Fall.
Embolie der Centralarterie der linken Netzhaut mit vorüber-
gehenden Ghoriodealarterienembolien des rechten Auges bei
einem chronischen Herzfehler.
Jak. Schweinfurt, 35 J. alt, von Hilsbach bei Sins-
heim, leidet seit seinem 13. Jahre an einem chronischen
Herzleiden (Insuffizienz und Stenose der Aortenklappen
mit Hypertrophie des linken Ventrikels). Vor 6 Jahren
verlor er plötzlich das Gesicht auf dem linken Auge
ohne alle Schmerzen und Beschwerden. Er hatte den
Eintritt der Erblindung sehr genau bemerkt Er blickte
n&mlich mit dem linken Auge durch ein rundes Loch
in der Thtlre eines halbverdunkelten Euhstalles, um
darin ein vor sich gehendes Ereigniss ohne Störung zu
versuchen zu beobachten. Dabei bemerkte er, dass
plötzlich während weniger Augenblicke weisse Licht-
funken vor seinem Auge hin- und herflogen, und als er
gleich darauf den Kopf zurückzog, war ein dichter Nebel
vor diesem Auge, der in einigen Minuten sich in voll-
ständige Verfinsterung umwandelte. Trotz verschiedener
Heilversuche blieb diese bestehen, ohne dass sich im
äussern Aussehen des Auges Etwas geändert hatte oder
Entzündung jemals eingetreten war. Als ich ihn zur
Zeit seiner Verteilung in der Klinik mit dem Augen-
spiegel untersuchte, fand ich auf diesem Auge weiss-
sehnige Atrophie der Sehnerven mit gestreckten und
verdünnten Betinalgef&ssen, die Arterien bei Druck auf
den Augapfel pulsirend. Dieses Auge war demnach durch
Embolie der Netzhautschlagader erblindet, an welcher
Diagnose bei dieser Anamnese kein Zweifel obwalten kann.
Patient kam auch nicht dieses Auges wegen zu mir,
sondern wegen des andern, welches vor zwei Tagen an-
238
gefangen habe, sich erheblich zu verdunkeln, ohne ihm
besondere Beschwerden zu verursachen. Schon seit zwei
Monaten hatte er mehrmals ganz schmerzlose, leichtere
Verdunkelungen vor diesem Auge gehabt, welche aber
jedes Mal binnen Vs bis 3 Stunden wieder verschwanden.
Ich fand einen Anflug von episkleraler Injektion, auf der
hintern Hornhautwand eine geringe Anzahl kleiner, grauer
Punkte, den Glanz und die Feinheit der Zeichnung auf
der Iris etwas vermindert, die brechenden Medien leicht
diffus getrübt, wie sich ergab aus dem verwaschenen
Hauch, der beim Ophthalmoskopiren die Details des
Augengrundes verschleierte. Das Sehvermögen betrug
Ve des normalen. Patient bekam Infus. Digitalis, musste
das Bett hüten, leicht schwitzen und abf&hren. Das Lei-
den wurde als Iritis serosa bezeichnet. Es besserte sich
sehr rasch, in 2 bis 3 Wochen waren die Homhautpunkte
verschwunden, die brechenden Medien wieder klar und
und seine Sehsch&rfe Vs der normalen. 4 Wochen spä-
ter, im Jan. 1867, kam er wieder in meine Klinik und
klagte, dass er seit einigen Tagen wieder stärkeres
Herzklopfen habe, wozu sich Kopfweh gesellte, und seit
vorgestere bemerke er wieder eine Verdunkelung seines
Gesichts, so dass er gestern nicht im Stande gewesen
sei, die Menschen über 4 bis 5 Schritt hinaus zu er-
kennen. Ich untersuchte ihn und fand dieses Mal die
Hornhaut und vordere Kammer rein, aber einen Theil
• des Augengrundes, von der Gegend des gelben Flecks
bis über die Sehnervenscheibe hinaus, verschleiert. Das
Netzhautgewebe um den Sehnerv und dessen Eintritts-
stelle leicht geschwollen und deutlich difius grau getrübt
— ödematöse Infiltration. Die Netzhautgefiisse erschienen
massig hyperämirt. Die centrale Sehschärfe betrug Vioi
und Patient gab an, dass sein Sehfeld nach seiner rech-
ten Seite zu mehr verdunkelt sei, als nach der linken,
was der Trübung des Augengrundes entsprach. Die
239
Peripherie war gesuud and auch das excentrische Sehen,
mit Abrechnang jenes nebligen Skotoms, vollkommen
gut. Patient hatte eine Exacerbation seines Herzleidens,
erhielt Heurteloup'sche Blutentziehungen in der linken
Schläfe und Digitalis innerlich. Die Allgemeinbehandlung
war wie frflher. Dieses Mal hielt ich sein Leiden abhängig
von der Endokarditis* Ich nahm an, dass eine Embolie
einer hinteren Ciliararterie die Augenaffection be-
dingte. Das Verbreitungsgebiet derselben musste in der
Nähe der Sehnerven sein und die Gegend des gelben
Flecks mit einschliessen. Das Herzleiden, welches schon
öfter vorübergehende Anf&Ue von Kopfweh, Oesichtsver-
dunkelungen, sowie 6 Jahre zuvor die Embolie der rechten
Centnüarterie der Netzhaut hervorgerufen hatte, konnte
wohl auch Gerinnsel in die Ciliararterien absetzen. Wie-
wohl ich in der reichlich pigmentirten Aderhaut des
israelitischen Patienten mit schwarzem Haupthaar Nichts
entdecken konnte, so sprach doch das Oedem und die
Hyperamie am Sehnerven für die angegebene Diagnose :
denn wir wissen durch Longet, E. Jäger und Th.
Leber, dass nicht unbeträchtliche arterielle Anastomosen
bestehen zwischen den Art centralis retinae und den-
jenigen Ciliararterien, welche in der Nähe der Sehnerven
die Sklera durchbohren. Die Sehnervenhyperamie konnte
demnach als eine coUaterale aufgef&sst werden, mit con-
secutiver seröser Transsudation, wie wir dies ja in der
Nachbarschaft eines jeden unwegsamen GeüBlssgebietes
finden.
Die Sehstörung hatte hier wohl einen bestimmt be-
zeichneten Anfang, indem Patient aussagte, Tags zuvor
noch Nichts daran bemerkt zu haben, welche Angabe
um so mehr Vertraueu verdient, weil er als Einäugiger
aufinerksam auf die Funktion dieses Auges war und sein
musste; dennoch hatte das Gesicht bei weitem nicht mit
der Raschheit abgenommen, wie wie wir dieses so con-
240
stant bei der Netzhautarterienembolie beobachten. Auch
erreichte die Sehstömng weitaus nicht jene Höhe. Sie
schien am 2. Tage am intensivsten gewesen zu sein, nahm
dann etwas ab, auf S = Vio) steigerte sich wieder in den
drei nächsten Tagen bis auf S = Vso^ blieb .dann einen
Tag lang sich gleich und nahm jetzt wieder nach und
nach ganz regelmässig ab, so dass Patient nach 14 Tagen
mit S = V8 entlassen werden konnte. Das excentrische
Sehen hatte nie gelitten. Auch die Trübung und Hype-
rämie am Sehnerven hielten gleichen Schritt mit der
Veränderung des Sehvermögens, indem sie während der
ersten Tage sich noch etwas steigerten, wobei auch der
Glaskörper Theil zu nehmen schien, und sich dann all-
mälig wieder verloren.
Die ausserordentlich reichen Oefässanastomosen in
der Aderhaut machen den ganzen Verlauf dieses Erank-
heitsbildes vollkommen erklärlich. Die Verstopfung einer
Ciliararterie musste zu coUateraler Hyperämie und Ex-
sudation mehr noch in der Aderhaut selbst als in der
Netzhaut führen. Dadurch wurde die Ernährungs- und
Funktionsstörung der Stäbchen- und Zapfenschicht bedingt,
so wie die genannten sichtbaren Veränderungen im Netz-
hautparenchym. Jene Anastomosen vermögen aber auch
den Abschluss eines umschriebenen Stromgebietes un-
schädlich zu machen, indem sie die Kreislaufshemmnisse
daselbst bald wieder ausgleichen. Daher sehen wir auch
die eingreifenderen Folgeerscheinungen der Embolien,
die Infarktbildung, nicht zur Entwickelung gelangen, und
die ganze Störung endete mit Heilung.
Ich wundere mich nicht sehr, warum solche gut-
artig verlaufenden Embolien der Giliararterien bei Herz-
kranken nicht verzeichnet sind, denn sie können leicht
ausgeglichen und auch leicht übersehen werden. Wir
müssen einerseits nur bedenken, dass die kleine Gewebs-
membran 15 bis 18 Stämmchen mit den reichlichsten
241
YerbindttQgen untereinander besitzt. Wenn also eines
derselben obturirt wird, so sind mehr als ausreichende
collaterale Bahnen vorhanden. Anderseits machen wir
ganz gewöhnlich die Er&hrung, dass Skotome — und
zu grösseren Sehstörungen scheinen die Ciliararterien-
embolien nicht zu führen, — so gern ganz übersehen
werden, wenn sie fern von der Mitte des Sehfeldes ge-
legen sind, namentlich wenn das andere Auge gesund
ist Bei unserm Kranken war die Gelegenheit zur Beob-
achtung besonders günstig. Er hatte ein vorgerücktes,
chronisches Herzleiden, das andere Auge war durch eine
mir bekannte Embolie der A. centralis retinae erblindet,
und die Affektion dieses Auges begrilBf die Gegend des
gelben Flecks in sich.
Vor Kurzem, ein Jahr nach seiner letzten Erkran-
kung, bestellte ich den Kranken wieder zu mir und fand
das vorübergehend verdunkelte Auge ohne wahrnehm-
bare Veränderungen im Aeussem und Innern mit S=Vf
Auch war er während dieses Jahres gesund gewesen.
Sein Herzleiden bestand noch wie früher: Hypertrophie
des linken Ventrikels; lauter erster Mitralton; leichtes
diastolisches Blasen an der Mitralis; systolisches und sehr
lautes diastolisches Geräusch der Aortenklappen; schwache
Pulmonaltöne.
Seit ich auf diesen Gegenstand aufinerksam bin, habe
ich noch mehrere einschlägige Beobachtungen gemacht
Zunächst will ich erwähnen, dass auch einer der oben
beschriebenen Kranken (Fall H. pag. 7; Embolie der
Netzhaut in Folge eines Aneurysma der Carotis commu*
nis) zu einer Zeit hierher gehörige Erscheinungen dar-
bot. Nachdem nämlich schon 2 Monate lang verschie-
dene Erscheinungen von Gehimembolien vorangegangen
waren, welche die linke Körper -Seite betroffen hatten,
während das Aneurysma an der Theilungsstelle der rech-
ten Carotis communis bestand, verdunkelte sich eines
AreUT für Ophtludmologie. XIV, h 1$
242
Tages ohne alle Beschwerde das rechte Auge der Art,
dass Patient damit nur noch grössere Gegenstände er-
kannte. Diese Sehstörung hielt indessen nur mehrere
Tage an und verschwand dann allmälig wieder. 4 Wo-
chen darauf constatirte ich die früher beschriebene Er-
blindung desselben Auges durch Embolia a. centr. reti-
nae. Obgleich ich jenen früheren Anfall nicht beobachtete,
so zweifle ich nach der Anamnese doch nicht daran, dass
derselbe in einer Embolie im Auge bestand. Ob diese
aber eine choroideale oder partielle retinale war, vermag
ich nicht zu entscfaeidsa Es müsste da der Augenspie-
gelbefiind allein massgebend geworden sein. Auch könnte
man denken, dass die Sehstörung hier nicht intraocula-
ren, sondern cerebralen Ursprungs gewesen sei; doch
scheint mir dieses wenig wahrscheinlich. Wenngleich
neben den hier zahlreichen Embolien in der rechten Ge-
hirnhälfte, auch ein Gerinnsel aus dem aneurysmatischen
Sack der rechten Aorte leicht in das Wurzelgebiet des
N. opticus geschleudert werden konnte, so hätten wir
doch aller Wahrscheinlichkeit nach keine blos rechtsseitige
Sehstörung, sondern beiderseitige oder hemiopische Er-
scheinungen gehabt.
In welchem Umfang in der nicht speziell ophthal-
mologischen Literatur ähnliche Sehstörungen bei Herz-
leiden verzeichnet sind, ist mir nicht bekannt In neue-
ster Zeit werden sie erwähnt in einem Fall von Moos
(Virchow's Arch. Bd. XL. pag. 58 u. f ). Ein 19 Jahre
alter Student zog sich in Folge einer heftigen Erkältung
Rheumatismus articulorum acutus zu. Im weiteren Erank-
heitsverlauf entwickelten sich: Icterus mit vorübergehen-
der Vergrösserung der Leber, recidivirende Perikarditis,
Endokarditis, Zeichen von Embolien in den Arterien ver-
schiedener Eörpergegenden, capilläre Hautecchymosen in
der Herzgegend, linkseitige Schmerzen in der Kniekehle
und Wade, Erscheinungen der Embolie der a. mesente-
243
ricae, Pleuritis, Nephritis, Hydrops. Am 13. Tage der
Erkrankung erlitt Patient eine vorübergehende totale
Erblindung des rechten Auges. Als er in der Nacht
erwachte, konnte er bei verschlossenem linken Auge mit
dem rechten nicht einmal das brennende Licht sehen.
Dieser Zustand dauerte eine Stunde und verschwand
hernach wieder. In der nächsten Nacht will Patient mit
dem linken Auge (?) eine Stunde lang doppelt gesehen
haben. Drei Tage darauf bemerkte Patient im Laufe
des Nachmittags eine Verdunkelung des Sehfeldes (wie
es scheint, beider Augen — Referent), als wäre Alles
beschattet In der Nacht des nächsten Tages trat noch
einmal eine ähnliche Va standige Sehstörung au£ Andre
Erscheinungen von Seite des Auges wurden nicht beob*
achtet Von der Krankengeschichte will ich nur kurz
erwähnen, dass die mit wiederholten profusen Darmblu-
tungen, heftigem Fieber, höchstgradiger Erschöpfung ein-
hergehende Entzündung des Pericardiums und des linken
Endocardiums nach dreimonatlicher Dauer vorüberging
und Patient sich 5 Jahre darauf als vollkommen geheilt
wieder vorstellte. Er war während dieser Zeit gesund
gewesen und bei der Untersuchung war von seinem frü-
heren Leiden keine Spur mehr aufeuweisen. — Dass die
Endocarditis Embolien in den verschiedensten Gebieten
des grossen Kreislaufes gesetzt hatte, ist nach den Er-
scheinungen nicht dem leisesten Zweifel unterworfen.
Die angegebenen vorübergehenden Sehstörungen glaubt
Moos am besten durch die Annahme beschränkter Em-
bolie in den cerebralen Ursprungsstellen eines, später
beider n. optici erklären zu müssen. Auch das vor-
übergehende Doppelsehen des linken Auges wird durch
eine cerebrale Embolie am Ursprung des betreffenden
n. oculomotorius erklärt Schade ist's, dass eine genaue
Funktionsprüfung dieser Augen nicht gemacht werden
konnte. Es wäre namentlich von Wichtigkeit gewesen,
16*
244
wie weit peripherisch sich jene Verdunkelungen im Seh-
felde ausdehnten. Betraf dieselbe nämlich nur die Mitte
des einäugigen Sehfeldes — uud darauf beziehen sich ja
meistens nur die Selbstbeobachtungen der Patienten —
so wäre eine Embolie der Ciliararterie viel wahrschein-
licher. Als entschieden centralen Ursprungs dagegen
wäre die halbständige Verdunkelung in beiden Gesichts-
feldern zu betrachten, wenn Patient darüber richtige
Selbstbeobachtungen und Angaben gemacht hat. Eine
irrige Wahrnehmung einer vorübergehenden Beschattung
des Sehfeldes wäre nämlich bei einem so schweren All-
gemeinleiden ganz verzeihlich. — Wenn also dieser Fall
für die ophthalmologische Diagnose schwer verwerthbar
ist, so beweist er doch auch, dass bei der Endocarditis
embolische Sehstörungen nicht so ganz selten vorkommen.
Die Zeit der Ausgleichung derselben wird sich indessen
nach der Wichtigkeit und Ausdehnung des betroffenen
Arterienstammes richten. Unheilbar scheinen nach den
bis jetzt vorliegenden Beobachtungen nur die totalen
Embolien der A. centr. retinae zu sein. In den cerebra-
len Ursprüngen der Sehnerven und leichter noch in der
Choroides scheinen die embolischen Vorgänge sich häufig
wieder vollständig ausgleichen zu können. Der Moos'-
sche Fall war durch das rasche Verschwinden der Seh-
störung ausgezeichnet, ist indessen mit Bezug auf den
embolischen Ursprung derselben, mag er nun cerebral
oder ocular angenommen werden, keineswegs sicher, denn
es gibt noch eine Anzahl Ursachen temporärer Verdun-
kelungen des Gesichts, z. B. solche durch allgemeine
Anämie bedingte. Die ausgesprochene Endocarditis mit
den unbestreitbaren vielfachen Embolien in andern Thei-
len verleihen allerdings der Annahme, dass auch die
Sehstörungen durch Embolien veranlasst seien, einen
ziemlichen Grad von Wahrscheinlichkeit
Ich selbst habe, in Gemeinschaft mit den Herren
245
B. Molitor sen. and E. Maier zu Carlsrahe noch einen
andern in das Gebiet der Embolien schlagenden Fall
beobachtet, der nach verschiedenen Richtangen hin wich-
tige Erscheinungen darbot Ich sah als consaltirender
Arzt die Kranke nar alle 8 Tage, w&hrend Herr Dr. E.
Maier, der behandelnde Arzt, sie t&glich genau beob-
achtete und Qber den ganzen Krankheitsverlauf sorgfiU-
tige Aufzeichnungen gemacht hat, welche er mir zur
Ergänzung der meinigen und Benutzung an dieser Stelle
freundlichst mittheilte.
VIII. Fall.
Embolie von Giliararterien bei acuter Endocarditis.
Fräulein St, 20 J. alt, von Garlsruhe, litt vor 5 Jah-
ren an acutem Gelenkrheumatismus und vor 3 Jahren
an einem Recidiv desselben. Sie klagte seitdem wieder-
holt über, meist einseitige, Kopfschmerzen mit Flimmern
vor den Augen. Am 6. Juni 1867 trat plötzlich unter
starkem Schwindel eine Verdunkelung vor beiden Augen
auf, so dass sie ungefähr zwei Minuten lang völlig blind
gewesen sei und nach Aussagen der Mutter ein auffallend
verstörtes Aussehen hatte.
Das Sehvermögen des linken Auges stellte sich rasch
und vollständig wieder ein, r echt er s ei ts dagegen blieb
die Verdunkelung als eine, den Innern Theil der obern
Sehfeldhälfte deckende schwarze Wolke bestehen. Da-
bei war sie beständig von Flimmern vor den Augen be-
lästigt Acht Tage später, am 13. Juni, stellte sich die
Kranke Herrn Dr. Maier vor, und 2 Tage darauf sah
ich sie mit ihm in Gemeinschaft. Das linke Auge hatte
eine umschriebene, sichelförmige Atrophie um den Seh-
nerven, M = Vt« Sehfeld und Sehvermögen nicht gestört.
Das rechte Auge war emmetropisch und fähig, feinste
Schrift zu lesen, dagegen zeigte sich ein nahe am Fixa-
246
tionspunkt beginnender Sehfelddefekt, welcher den gan-
zen innem und obern Quadranten des Sehfeldes einnahm
und noch etwas über die horizontale Medianebene her-
unterreichte. Mit dem Augenspiegel beobachtete man
die Macula lutea selbst normal, dagegen um sie her-
um eine diffus graublaue TrQbung der Netzhaut,
welche unten und nach dem Sehnerven zu am dichtesten
war und auch den unteren und äusseren Rand der Pa-
pille leicht verschleierte, während sie nicht so weit schlä-
fenwärts über die Mac. lut. hinausreichte. Der über die
Trübung hinziehende Ast der Retinalvene und seine
Zweige waren stärker gefüllt und geschlängelt als nor-
mal. Die ganze grau getrübte Netzhaut war etwas nach
vorn geschoben, denn man konnte sie mit blossem Augen-
spiegel ohne Hülfsgläser deutlich wie einen hyperopischen
Augengrund erkennen, was in den übrigen Netzhaut-
abschnitten nicht der Fall war, auch verdeckte sie voll-
ständig die an andern Stellen sichtbaren Ghoroidalgefässe.
Die Lungen waren vollständig normal, die Querdämpfung
des Herzens nach rechts ausgedehnt, deutliches systoli-
sches Blasen, das aber den ersten Ton nicht vollständig
deckt, zweiter Pulmonalton etwas verstärkt. Puls regel-
mässig, 80.
In den nächsten 8 Tagen trat keine wesentliche
Aenderung des Zustandes ein; Herzklopfen, Congestion
nach dem Eopfe, Flimmern vor den Augen und der Seh-
felddefekt blieben bestehen. Am 24. Juni trat eine deut-
liche Verschlimmerung ein. Gefühl erhöhter Wärme im
Kopf, Klopfen in der Schläfe, heftige Palpitationen mit
hochgradiger Beklemmung, Zusammenschnüren im Halse,
Erstickungsgefühl , undeutliche lallende Sprache. Im
Auge Druckgefuhl; gelbe, grüne, blaue Kugeln und un-
regelmässig gestaltete farbige Figuren tanzen in rast-
loser Bewegung vor den Augen. Dieser Anfall dauerte
2 Stunden.
247
Einige Tage darauf heftige Schmerzen in der rech-
ten Schläfe, anhaltendes Flimmern, systolisches Blasen
stärker, so dass man den ersten Ton kaum noch durch-
hört Die schwarze Wolke ist vergrössert, indem sie
sich mehr nach abwärts senkte. Die diffuse Netzhaut-
trübung ist nach oben stärker geworden und hat sich
auch hier bis dicht an den Sehnerven heran ausgebreitet,
ist aber gerade über dem nicht betheiligten gelben Fleck
am intensivsten, woselbst auch die Retinalgefässe hype-
rämirt und mit ihrer Unterlage etwas nach vom gedrängt
erscheinen. Diese Trübung hielt einige Tage an, ver-
schleierte den ganzen temporalen Rand der Papille und
nahm nach 4 bis 5 Tagen constant and allmälig ab.
14 Tage nach jenem stärkeren Anfall von Herzklopfen
und der Verschlimmerung der andern Erscheinungen
trat auch heftiges linksseitiges Kopfweh auf. Auf
dem linken Auge jetzt unaufhörliches Flimmern, ab-
wechselnd mit Verdunkelungen, so dass Patientin bei
Verschluss des bisher allein ergriffenen rechten Auges
sehr trüb sieht Die Sehprüfung ergab indessen die
centrale Sehschärfe nicht erheblich gestört (IVs Sn. auf
1"). Oberhalb der Mac. lutea bemerkt man mit dem
Augenspiegel eine IVs Papillendurchmesser breite Stelle
diffus milchig getrübt Diese Erscheinungen im linken
Auge erreichten keinen hohen Grad und verschwanden
nach 3 Tagen.
Auch das rechte Auge besserte sich jetzt allmälig,
ebenso Hessen die Herzerscheinungen nach, der Sehfeld-
defekt wurde kleiner, verwandelte sich in all' seinen
Theilen in eine graue Wolke, welche immer lichter
wurde, doch jetzt, am 8. Febr. 1868, noch bemerkbar
ist, wenn die Patientin darauf achtet; sonst übersieht
sie dieselbe ganz und gar. Sie hat sich von der Peri-
pherie aus sehr eingeengt, ist auch nicht vollkommen
gleichmässig dicht in ihrer ganzen Ausdehnung, sondern
248
besitzt einen von oben nach unten gehenden heilern
Streifen, in welchem die Patientin die Gegenstände kla-
rer sieht Die Herzgeränsche sind verschwunden, ebenso
die Palpitationen.
Ueberblicken wir noch einmal rasch den Verlauf
dieser Erkrankung, so finden wir bei einer acuten Endo-
carditis Reizerscheinungen im Gehirn, plötzlich einge-
tretene Verdunkelung eines grösseren Abschnittes des
Sehfeldes, Hyperämie und Exsudation in der Netzhaut,
welche nicht ganz dem Sehfelddefekte entsprechen, son-
dern sich über dessen Grenze nach dem betreffenden
Sehnervenrande hinziehen. Nach 3 Wochen eine Ex-
acerbation der Endocarditis mit einer neuen Verdunke-
lung im Sehfelde desselben Auges unmittelbar unter je-
ner ersten. Trübung und Hyperämie dem entsprechend
an einem andern, anstossenden Netzhautabschnitt. Dabei
lebhaftes Flimmern, Farben- und Lichtsehen bei ziemlich
ungeschwächtem Sehvermögen in Centrum und den übri*
gen Sehfeldabschnitten. 4 Wochen nach dem ersten An-
fall, 8 Tage nach dem zweiten, objektive und subjektive
Symptome am schlimmsten, darauf allmälige Besserung.
Während dieser, in der 6. Woche der Erkrankung, aber-
malige Exacerbation der Endocarditis mit ähnlichen
Reizerscheinungen auf der andern (linken) Kopfhälfte
und 3 Tage anhaltender Verschleierung des andern (lin-
ken) Auges, wobei gleichfalls Retinalhyperämie und Trü-
bung constatirt wurde. Nach 2 Monaten die Besserung
so weit fortgeschritten, dass Patientin ausser Bett sein
kann; die Erscheinungen im Innern des Auges langsam,
aber stätig abnehmend; 5 Monate nach dem Beginn der
Erkrankung, nachdem Patientin längst wieder ausging
und sich nur im Allgemeinen noch vor Schädlichkeiten
hütete, die Verdunkelung im Sehfeld noch vorhanden,
wiewohl sehr licht, und die Gegend unterhalb des gelben
Flecks mit dem Augenspiegel noch leicht difiPus fleckig
249
zu 8eheo, was wieder 3 Monate später Yollkommen yer-
schwanden, überhaupt das Innere des Auges ganz nor-
mal war, obgleich Patientin bei genauer Aufinerksamkeit
noch immer eine leichte Umnebelung des früher am
stärksten verdunkelten Sehfeldabschnittes wahrnimmt
Die diagnostische Erklärung dieses Falles ist
meiner Ansicht nach folgende: Die Endocarditis hatte
zu verschiedenen Zeiten Gerinnsel in's (}ehim bald rechts,
bald links geschleudert, daher die cerebralen Reizerschei-
nungen. Gleichzeitig erfolgten Embolien in die Augen
und zwar 2 Mal in's rechte und 1 Mal in*s linke, was
jedes Mal bei Exacerbationen der Endocarditis geschah.
Es ist nicht möglich, dass diese Sehstörungen cerebraler
Natur waren, denn sie betrafen nur ein Auge jedes Mal
und auch nur einen Abschnitt desselben mit entsprechen-
den ophthalmoskopisch nachweisbaren Veränderungen.
Die directe Beobachtung der verstopften GefiLsse war
zwar wegen des undurchsichtigen Pigmentepithels nicht
gestattet, dagegen sprachen die Anamnese, plötzlicher
Eintritt bei Endocarditis, die locale Umgrenzung und
die coUaterale Hyperämie und Exsudation deutlich genug
f&r die Diagnose einer Embolie. Diese war auch nicht
retinal, denn sowohl Dr. Mai er, wie ich selbst, war
eifrig beflissen, die Netzhautarterien in ihrer ganzen
Verzweigung ophthalmoscopisch zu verfolgen, doch gelang
es keinem von uns, auch nur eine Spur von Abnormität
darin zu entdecken. Dass die Netzhauthyperämie und
Transsudation an der Peripherie des ergriffenen Qua-
dranten fehlte, dagegen erst in der Nähe der Macula
lutea anfing und sich bis zum anstossenden Sehnerven-
rande erstreckte, erkläre ich mir daraus, dass nur an
dieser Stelle Anastomosen zwischen den retinalen und
choroidealen Gefässen gefunden worden sind.
Idi will hier nicht unterlassen zu erwähnen, dass
ich schon öfters plötzlich auftretende sektorenförmige
260
Defekte im Sehfelde gefunden habe, bei denen eine sol-
che retinale Hyperämie und seröse Infiltration vom Seh-
nerven nach dem dem Sehfelddefekte entsprechenden
Quadranten des Augengrundes vorhanden war. Sie fingen
auch plötzlich an und zwar meist mit einer allgemeinen
Verdunkelung des Sehfeldes, welche sich später auf einen
sektorenförmigen Defekt zusammenzog, dessen Spitze
nach der Fixationsstelle hinsah, diese selbst aber frei
lässt Die Symptome waren ganz, wie in den beiden
hier ausführlicher mitgetheilten Fällen, nur war die Hei-
lung unvollständiger, indem der Sektor des Sehfeld-
defektes sich verkleinerte, jiber nicht wieder verschwand,
wiewohl die sehr deutliche Retinalveränderung sich rück-
bildete. Obwohl ich auch diese Fälle nicht anders zu
deuten weiss, denn als Verstopfungen von Ciliararterien,
so gehe ich vorerst nicht näher darauf ein, weil die
Endocarditis nicht nachzuweisen war. Ich habe solche
Fälle genau verzeichnet und erwarte von einer nicht
fernen Zukunft ihre anatomische Aufklärung.
So viel über die Diagnose dieser Embolien der
Ciliararterien. Es ist nicht meine Absicht, hier noch
auf die Gapillarembolien dieser Membran einzugehen,
wie wir dieselben bei pyämischen Erkrankungen mit so
deletärem Verlauf kennen ; ebenso wenig auf diejenigen,
welche bei Brightischer Krankheit zuweilen anatomisch
nachgewiesen und auch von mir gesehen worden sind*
Die Prognose der Embolie der Ciliararterien würde
nach dem Vorhergehenden sich sehr günstig gestalten,
doch bedarf das hier, wie mir scheint, zum ersten Male
angeregte Capitel noch viel weiterer Bebauung, um sichere
Anhaltspunkte zu liefern.
Die Behandlung ist eine allgemeine, speciell auf
das Herzierden bezügliche, somit selbstverständlich. Da-
her bin ich auch nicht näher darauf eingegangen.
Schliesslich will ich noch einmal hervorheben, dass
261
ich mir der Lücken in den obigen Mittheilungen voll-,
kommen bewasst bin. Mögen dieselben deshalb um so
mehr andere Nachforschungen anregen. Die ganze Frage
der Geftssverstopfungen lasst sich auch ezperimental
angreifen, wozu 0. Weber (Handbuch der Chirurgie,
redigirt von Pitha und Billroth, I. 1. pag. 87) und
B. Cohn (Klinik der embolischen GefiLsskrankheiten
pag. 411 u. l) den AnÜEing gemacht haben. Weisse
Thiere werden sich dazu am besten eignen, indem man
bei denselben die Veränderungen in den Ghoroideal-
gefässen direct mit dem Augenspiegel beobachten kann,
was bei pigmentarmen menschlichen Augen wohl auch
einmal der Fall sein dQrfte.
üeber pathologische Figmentbfldung in der
Sehnervenscheibe u. Netzhaut.
Von
H. Knapp.
Die Bildung grösserer Pigmentmengen innerhalb der
Sehnervenscheibe gehört zu den seltensten Vorkomm-
nissen. Nur zwei Fälle der Art sind bis jetzt veröffent-
licht worden, der eine von Ed. Jäger (Ueber Staar und
Staaroperationen, pag. 103, Fig. XXXI), der andere von
Liebreich (Pigment dans la papille du nerf optique,
Annal. d'Oculist T. LXX. p. 31 bis 35). Ersterer zeigt
in einer kleinen Abbildung einen bogenförmigen Pigment-
streifen innerhalb der Sehnervenscheibe, nicht weit von
deren Bande. Die ganze Beschreibung des Falles lautet:
Amaurosis completa bei einer 39iährigen Frau. Die Re-
tina ist massig gelbroth, der Sehnerve gleichförmig grell
gelb weiss gefärbt und in seinem Bereiche reichlich schwarzes
Pigment abgelagert — In dem Liebreich'schen Falle
waren beide Papillen atrophisch und die Augen erblindet.
Die 32 jährige Patientin war mit einem Wagen umge-
worfen worden, hatte aber davon keine Erschflttetung
des Kopfes verspürt. Die Unterdrückung ihrer Menses,
heftige Kopfschmerzen und Abnahme des Gesichts ver-
253
anlassten sie, im Spital Hfllfe zu suchen, wo sie 14 Tage
lang bewnsstlos wurde, und als sie wieder zur Besin-
nung kam, hatte sie nur noch Spuren von lichtempfin-
dung, welche binnen drei Tagen auch noch verschwanden.
Die Oberfl&che beider Papillen waren zur Hälfte bis drei
Viertel mit tief schwarzem, kömigem Pigment bedeckt,
während der freigebliebene Saum kreideweiss erschien.
Die Gefitese nicht verkleinert, einige derselben abei: von
weissen Linien begrenzt Die Choroides und Iris ver-
hielten sich normal und waren keineswegs reichlich pig-
mentirt Liebreich nimmt an, dass die schwarze
Färbung der Papille von pigmentirten Zellen herrühre,
welche sich entwickelt hätten in dem Bindegewebe, das
die NervenÜEisern bei der Atrophie des Opticus ersetze
Ich kann zu diesen Fällen den folgenden ganz ähn-
lichen hinzuffigen:
H« Fellhauer von Bauenberg bei Heidelberg, 23 Jahre
alt, kam am 3« Juni 1862 in meine Klinik und gab an,
dass sie vor 6 Jahren plötzlich das Gesicht beider Augen
gänzlich verloren habe. Früher war sie ganz gesund ge-
wesen, nur kurz zuvor hatte sie viel Kopfweh, Hitze und
geschwollene Füsse gehabt Am Abend vor der Erblin-
dung sah sie noch vollkommen gut, schlief die Nacht
ruhig, aber als sie am Morgen erwachte, war Alles finster
um sie herum. Dieses ist seitdem nie besser geworden,
wiewohl ihr Kopfweh ganz verschwunden war. Die Prüfung
ergab vollkommene Erblindung, leichte Divergenzstellung
des linken Auges, Nystagmus vibratorius, Spannung und
äusseres Aussehen der Augäpfel normal, Pupillen sehr
weit und starr. Augengrund normal, mit Ausnahme der
Papillen. Deren Flächen glänzend weiss, aber zu etwa
einem Dritttheil von tiefschwarzem, kömigem Pigment
bedeckt, was sich in dem peripherischen Bezirk abge-
lagert hatte. (Fig. I. u. U.) Die Grenzen der Seh-
nerven waren davon verdeckt, doch erkannte man an
254
einer kleinen, pigmentfreien Randstelle, dass das Pigment
fast ganz noch innerhalb der Sehnervenscheibe lag. Die
Geftsse zeigten keine wesentliche Abnormität. Ende 1866
sah ich die Patientin wieder, und &nd, dass der Zustand
ihrer Augen ganz unverändert geblieben war. — Wie ist
nun jenes Pigment in der Papille, welches wir so äus-
serst selten beobachten, entstanden? Ein auf Entzündung
gegrSndeter Ursprung desselben erscheint mir durchaus
unwahrscheinlich, denn bei der Häufigkeit der Entzün-
dungen der Sehnerven müssten wir dieses Produkt der-
selben gewiss öfters antreffen. Dass es an Zellen ge-
bunden sei, wie Liebreich annimmt, ist gänzlich unbe-
wiesen. Ueberhaupt führt er als Grund einer vorausge-
gangenen Betinalentzündung in dem von ihm beschrie-
benen Falle nur die weisse Einfassung zweier Gefasse an,
welche als eine Wucherung der Adventialzellen gedeutet
wird. Meiner Ansicht nach muss das sehr seltene Vor-
kommniss der pigmentirten Papille auch eine sehr seltene
anatomische Ursache haben und als solche scheint mir
eine Blutung in dem intervaginalen Raum des
Sehnerven, welcher von lockerem Binde^ und elasti-
schem, gefässhaltigem Gewebe ausgefüllt ist, das Wahr-
scheinlichste. Solchen Extravasaten bin ich auf meinen
Wegen durch anatomische Sammlungen zwei Mal begegnet,
das eine Mal bei Heinr. Müller, das andere Mal, wenn
ich mich recht erinnere, bei Iwan off. Sie stellten cylin-
drische, umschriebene Anschwellungen des OrbitaIstüc]ces
des Sehnerven dar, welche in der Nähe der Sclera sich
verdünnten, denn hier hört auch der intervaginale Raum,
in welchem sie sich befanden, auf, indem er von der
Lamina cribrosa abgeschlossen wird. Das Blut oder sein
Farbstoflf hat nur durch die Siebmambran zu dringen, um
zum intraoculareu Sehnervenende zu gelangen. Durch
den Blutklumpen werden die Centralgeßisse der Netzhaut
comprimirt, und wenn der Druck bis zur Unterbrechung
256
der arterialen Blutznführ steigt, so erfolgt die Erblindung
ebenso plötzlich und unter denselben Erscheinungen wie
bei der Embolie der a. centr. retinae, wie der von mir
weiter unten mitgetheilte Fall einer Orbitalverwundung
(Messerstich in die Orbita; Erblindung unter den Er-
scheinungen der Embolie der Centralarterie der Netz-
haut) beweist Das Pigment in der Sehnervenscheibe
wüi*de demnach von dem durchgesickerten Blute abstam-
men. OestQtzt wird diese Annahme noch durch den Ort
der Ablagerung desselben, nämlich inuner in dem peri-
pherischen Theile der Papille, der ja dem Zwischen-
scheidenraum des Sehnerven am nächsten liegt Die
Atrophie der Papille und Erblindung erklärte sich aus
der Compression des Sehnervenstammes, wie beide ja
auch immer auf die Embolia der Centralarterie der Netz-
haut folgen.
In den mitgetheilten Fällen von Liebreich und mir
war nun aber die Erblindung der Augen und Pigmen-
tirung der Sehnervenscheibe beiderseitig. Es ist deshalb
wohl sehr unwahrscheinlich, dass die Extravasation in die
orbitalen Theile beider Sehnerven erfolgte, sondern sie
muss als eine intracranielle angenommen werden und
ihr Sitz am Chiasma. Das Blut drängte sich längs der,
im Schädel allein vorhandenen, inneren Sehnervenscheide
durch die Foramina optica hindurch, und da das Periost
an deren äusserem Rande sich als äussere Scheide auf
den Sehnerven fortsetzt, so musste das Blut uothwendig
in den Scheidenzwischenraum gelangen. Für den intra-
craniellen Sitz der Blutung spricht auch der vorherge-
gangene Kopfschmerz. Dass aber Blut durch den inter-
vaginalen Scheidenraum des Sehnerven in das intraocu-
lare Sehnervenende und die anstossende Netzhaut gelangen
kann, das habe ich bei einer Schussverletzung direkt be-
obachtet Dieser Fall ist auch in anderen Beziehungen
266
80 wichtig, daas ich glaube, wegen seiner Mittheilung
nicht um Entschuldigung bitten zu müssen.
Kopp, K, von Mannheim, alt 18 Jahre, schoss sich
am 21. März 1867 in einem Selbstmordversuch mit einem
mit Schrotkömem geladenen Pistol, dessen Mündung er
dicht an die Haut hielt, in die rechte Schläfe. Ein grosser
Defect in Haut, Weichtheilen und Knochen war vor-
handen, als der behandelnde Arzt, Dr. Stephani, die
Freundlichkeit hatte, mir den Patienten im Mannheimer
Krankenhause zu zeigen. Die äussere Wand der Or-
bita fehlte in ihrem hinteren Abschnitt vollständig, so
dass der Mu^keltrichter frei gelegt war und von der
Seite und hinten her die Bewegungen des Bulbus, die
noch in beschränktem Maase möglich waren, wahrnehmen
Hess. Patient sah mit dem Auge Nichts mehr. Die Or-
bitalpyramide war mit Blut und Secretionsflüssigkeit bis
zur sichtbaren Eintrittsstelle des Sehnerven bespült. Mit
dem Augenspiegel zeigte sich nach unten und aussen ein,
die halbe Papille deckender, lebhaft rother Bluterguss,
welcher in mehreren breiten Streifen sich eine Strecke
weit über die Netzhaut fortsetzte. Die Gefässe waren
davon theilweise eingehüllt, die nach der andern Seite
verlaufende frei. Die brechenden Medien nicht ganz klar,
doch hatte man bei erweiterter Pupille eine deutliche
Ansicht des sonst nicht wesentlich veränderten Augen-
grundes. Nach 8 Tagen sah ich den Patienten wieder,
und fand den Befund nicht merklich verändert Die Wunde
granulirte schön. Heute, 5 Monate später, stellte sich
Patient mir wieder vor. Die Wunde ist ganz geschlossen,
das obere Lid gelähmt, das Auge etwas abwärts geschoben,
in Form, Aussehen und Spannung ungeändert, die Be-
wegung allseitig gestattet, nur etwas eingeschränkt; die
Pupille mittel weit und starr; vollständige Blindheit Die
brechenden Median sind ganz klar. Die innere obere
Hälfte des Sehnerven ist etwas weisser als normal ge-
267
firbt, aber regelmässig von Geftssen durchzogen.
(Fig. III.) Rechtes Auge, im aufrechten Bilde gezeichnet
Die äussere Htifte der Sehnervenscheibe ist vollständig be-
deckt von schwarzen und weissen Massen, welche bis
über den gelben Fleck hinaus im Augengrunde hinziehen.
Die Mitte derselben stellt eine weissbläuliche, feinflockige
und streifige Schwarte dar, welche unten und mehr noch
oben von tiefechwarzem Pigment umsäumt ist Die Netz-
hautgeftsse sind von dieser Schwarte vollständig bedeckt,
kommen aber am Rande derselben in regelmässigem Zuge
wieder zum Vorschein. Ein Oeftss indessen tritt mitten
in der weissen Masse an die Oberfläche, durchläuft die-
selbe ihrer ganzen Länge nach, theilt sich am Ende in
bflschelfdrmige Aeste, von welchen ein zweiter, kleinerer
Oefässstamm wieder rückläufig wird.
Da dieses Geftss mitten durch die Gegend der Ma-
cula lutea zieht, also kein Analogen in der gesunden
Netzhaut hat, so ist es ein in dem weissen, plastischen
Exsudat neugebildetes, welches sich nach Art einer
Gef&sspapille spaltet und einen rückläufigen Ast hat
Solche neugebildeten Gefässbüschel habe ich einige Mal
auf der Vorderfläche alter, glaucomatöser Cataracte ge-
sehen.
Weiter unten zeigte sich noch ein zweiter, sehr aus-
gedehnter, schwarzer Pigmentfleck, der an seiner oberen
Begrenzung von streifig-flockigem, blau-weissem Exsudat
mit verwaschener Begrenzung Qberlagert und durchsetzt
war. lieber diesen Fleck zogen die Retinalgefässe hin-
weg, dagegen waren die Choroidalgef&sse davon voll-
ständig gedeckt An einigen Stellen sah man aber auch
deutlich, dass die Retinalgefasse oberflächlich in der Masse
lagen, denn sie waren davon stellenweise dünn bedeckt,
doch so, dass man sie noch durchschimmern sah. Der
von der Mitte des Sehnerven ausgehende, breite, weisse
Streifen hatte Aehnlichkeit mit markhaltigen Nerven-
AnlilY für Opbtiuüjnologie, XIV, 1. 17
258
feLsern, war aber ganz gewiss etwas andres. Diese mflssten
sich sonst erst nach der Verletzung gebildet haben, denn
bei den ersten Untersuchungen, als das Blut noch sicht-
bar war, habe ich sie nicht gefunden. Wenn nach An-
deutungen einiger Histologen die Anbildung von dunkel-
randigen Nerven&sern in der Netzhaut als eine Möglich-
keit oflfen gelassen werden muss, so ist dies hier doch
nicht anzunehmen, weil dieselben weissen Massen auch
über dem andern Pigmentfleck lagen, dort aber ein streifig,
fleckiges Aussehen hatten, und zwar so, dass die Streifen
nicht mehr radiär vom Sehnerven aus, sondern nach allen
Seiten hin verliefen.
Der übrige Augengrund verhielt sich grösstentheils
normal, nur nach der Schläfenseite zu war das Choroi-
dealgewebe eine Strecke über die Exsudate hinaus in
seinen innersten Lagen gelockert, was man an der un-
gleichen Pigmentirungund dem ungleichenDurchschimmern
der grösseren Choroidealgefasse erkannte. Indessen gab
dieser Lockerungsprocess an keiner Stelle Veranlassung
zu Pigmentgruppen, die sich in Bezug auf Grösse nur
entfernt mit jenen auf der Papille und ihrer Umgebung
vergleichen Hessen.
Diese Pigmentflecken und die weissen Massen waren
deutlich erhaben. Wenn man sie mit dem binoculären
Spiegel betrachtete, so zeigten sie ein beträchtliches Be-
lief, sogar ziemlich steil ansteigende Bänder, und zwischen
beiden Pigmenthaufen eine Vertiefung, die im Niveau des
normalen Augengrundes lag. Die Netzhautgef&sse folgten
in wellenfi^rmigen Windungen diesen Erhebungen und
Senkungen des Augenhintergrundes, während sie auf dem
übrigen Augengrunde in derselben Ebene verblieben
Auch derjenige Theil des Augengrundes, welcher durch
die Lockerung des Choroidealgewebes ausgezeichnet war,
bot keine Oberflächenverschiedenheit dar. Schob man
die Objectivlinse des Augenspiegels hin und her, so er-
259
luelt man von den Erhabenheiten und Einsenkungen der
weissen and schwarzen WftUe die deutlichste Parallaxe,
ganz wie bei Excavationen. War es auf diese Weise leicht
festzustellen, dass erhabene und vertiefte Stellen im
Augengrunde vorhanden waren, so liessen sich diese auch
dem Grade nach mittels des Ophthalmoscops bestimmen.
Der von Flecken freie Augengrand stellte ein genau em-
metropisches Sehorgan dar. Alle Augenärzte, die es ernst-
lich versucht haben, den Grad der verschiedenen Befrac-
tionsfehler ophthalmoscopisch zu finden, — und gar manche
Bedürfhisse der Praxis zwingen uns dazu, — wissen es
recht gut, dass es möglich ist, die Ametropie mit dem
Augenspiegel fast ebenso sicher zu bestimmen als mit
optometrischen Prüfungen. Ich habe mir zu diesen Be-
stimmungen von Pätz & Flohr in Berlin ein für den
Augenspiegelgebrauch bestimmtes Brillenkftstchen machen
lassen, welches die gleichen Brillen enthält wie die ge-
wöhnlichen Brillenkasten, so dass ich dieselben leicht
hinter den Spiegel stecken kann. Mit dieser Unter-
suchungsweise fand ich nun, dass das stärkste Convex-
glas, mit welchem ich den erhabensten Theil der weissen
Masse im aufrechten Bilde noch vollkommen deutlich sah,
Nr. 20 war. Dieser erhabenste Theil lag noch über der
Sehnervenscheibe, dann fiel die Masse nach der Gegend
des gelben Flecks zu ab, Hess sich aber mit + 24 auch
noch deutlich sehen. In derselben Erhebung befanden
sich auch die weiter unten gelegenen schwarzen und weissen
Massen, während der Zwischenraum zwischen beiden,
ebenso wie die Sehnervenscheibe, in der Ebene des emme-
tropischen Augengrundes lagen.
Aus diesen Daten lässt sich nun auch die Dicke
der bindegewebigen und Pigmentablagerung bestimmen.
Nehmen wir für die vordere und hintere Brennweite des
Auges allgemeine Durchschnittswerthe an, so ist die vor-
dere Vereinigungsweite derjenigen Strahlen, welche sich
17*
260
auf der Höhe des weissen Exsudats in ihrem hinteren
Yereinigungspunkt sammeln, gleich 20^^ = 540 Mm. Dar-
aus kann die hintere Vereinigungsweite (f*), welche vom
zweiten Hauptpunkte des Auges bis zu den Exsudat
geht, gefunden werden nach der Formel
{% -^ fX ^'
Setzen wir far F^ und F* die mittleren Werthe ein,
wie ich sie durch direkte Messungen an lebenden Augen
bestimmt habe (mitgetheilt im Archiv für Ophthalm. VI, 2,
pap. 40 u. 41), oder die Werthe des von Listing und
Helmholtz berechneten schematischen Auges, nämlich
F^ = 14 Mm. und F* = 18,6 Mm. , so erhalten wir, -da
f 1 = 20'' = 540 Mm. und negativ zu setzen ist, aus obiger
Formel folgenden Ausatz:
14 , 18,6 _.
— 560 P ■"■
woraus sich f* = 17,98 Mm. berechnet
Da nun die hintere Brennweite, d. h. die Ebene der
Stäbchen und Zapfen vom zweiten Hauptpunkte des Auges
16,6 Mm. beträgt, so erhält man aus der Differenz dieser
und der hinteren Vereinigungsweite 0,62 Mm. als die
Dicke des weissen Exsudatflecks.
Nachdem wir auf diese Art die Ausdehnung, Lage
und Dicke der schwarzen und weissen Massen festgestellt
haben, dürfen wir nicht unterlassen, eine Diagnose über
ihre Natur und Entstehung zu machen.
Die Natur der schwarzen Flecken als angehäuften
Farbstoff und die weissen Plaques als bindegewebige, ge-
filsshaltige Membran anzunehmen, dürfte auf keinen Wider-
spruch stossen. Es bleibt die Entstehung derselben
zu erörtern. Ich nehme an, dass beide einer Blutung
ihren Ursprung verdanken.
Durch den Schuss wurde durch Ruptur oder
Quetschung Blut in die Sehnervenscheide ergossen.
261
Dieses pflanzte sich fort in dem reichlichen, lockeren,
elastischen Bindegewebe zwischen innerer und äusserer
Sehnervenscheide, gelangte auf diese Weise in's Auge
und floss da zwischen Aderhaut und Netzhaut dem nie-
drigsten Punkte des Auges zu und dieser ist bei Rücken-
lage des Patienten mit etwas erhöhtem Kopfe die Gegend
des gelben Flecks und diejenige zunächst unter ihm.
Daselbst zeigte sich auch das Blut bei den früheren
ophthabnoscopischen Untersuchungen. Später wurden
diese Stellen eingenommen von den beschriebenen Ver-
änderungen. Der schwarze Farbstoff stammte aus dem
Blute her, denn das Choroidalpigment war nur an um-
schriebenen Stellen macerirt und nicht merklich verschoben,
indem es an den gelockerten Choroidealst^llen in punkt-
und strichförmigen Anhäufungen ziemlich gleichmässig,
aber nie in grösseren Klumpen, zerstreut lag. Die
weissen Schwarten fasse ich als ein Entzündungsprodukt
auf^ zu welchem das Blut mit und ohne Gerinnung des
Fibrins den Anstoss gegeben hat Fibrin würde sich als
solches nicht so lange erhalten haben und eine Verfet^
tnng ist nicht anzunehmen, weil die feinstreifige Zeich-
nung und vor Allem die Anwesenheit von Gefi&ssen da-
gegen spricht Diese sind unzweifelhaft, wie oben ange-
deutet, als neugebildete zu betrachten, und darnach wäre
das Ganze als eine gefilsshaltige Pseudomembran aufzu-
bssen. Will man annehmen, dass das Blut bald nach
seinem Erguss geronnen sei, so hätte man zu dieser
Bildung von Schwarten ein Analogon in der Organisation
der Thromben in Gefässen.
Die YoriheQhafte Anwendung der kflnstliehen
Beleadhtnng bei Naohstaar- und andern
Angenoperationen.
Von
Prof. H. Knapp in Heidelberg.
Je mehr die Operationsmethoden des granen Staars an
Sicherheit der Heilung gewonnen haben, desto bestimm-
ter sind auch unsere Bestrebungen aui die Erzielung
guter Seherfolge gerichtet Es ist zwar noch nicht
lange her, dass die Praktiker sich damit zufrieden gaben,
einen staarblinden Menschen wieder sehend gemacht zu
haben. Jetzt genügt dieser allgemeine Ausdruck nicht
mehr, sondern wir fragen nach dem Grade des Sehver-
mögens, welchen ein Staaroperirter wieder erlangt hat
und anstatt der Ar das Laienpublicum wohl noch be-
rechtigten Bezeichnungsweise voller, mittlerer und ge-
ringer Seherfolge verlangen wir in den statistischen An-
gaben die genaue, am besten beim Fernsehen vorgenom-
mene Bestimmung des Bruchtheils der normalen
Sehschärfe. Da wir uns ferner nicht mehr mit dem
Anfangserfolge, wie er bei der Entlasaung des Ope-
rirten aofgezeichnet wurde, begnQgen, sondern darauf
achten, welcher Grad des Sehvermögens dem Patienten
dauernd wiedergegeben werden kann, so haben jetzt auch
die Nachstaaroperationen eine viel höhere Bedeu-
tung erlangt und werden häufiger geflbt als firOber. Sie
wflrden gewiss noch Öfter ausgeführt werden, wenn sie
nicht ihre Schattenseite hfttten, oftmlich, dass die wenig
eingreifenden Methoden der Discision mit einer oder zwei
Nadeln häufig das erstrebte Ziel nicht erreichen lassen
und die sicherer zum Ziele fahrenden der ganzen oder
theilweisen Extraction und Eidsion häufig nicht ohne
Gefehr sind. Eine geschickt ausgef&hrte, beide Klippen
vermeidende Technik muss sich ganz genau nach der
Beschaffenheit der Nachstaarn richten. Diese ist
aber am klarsten bei kflnstlicher Beleuchtung er-
kennbar und zwar einestheils bei der schiefen oder Fokal-
beleuchtung, andemtheils bei der Augenspiegelunter-
suchung. Dadurch sind wir am besten im Stande zu
beurtheilen, welchen Einfluss die Nachstaare auf die Er-
zeugung eines reinen und lichtstarken Retinalbildes aus-
flben, was, wie Bowman hervorhob, nicht allein von der
Dichtigkeit, sondern auch von der Oberfläche,
d. h. Glätte oder Faltung, der die Pupille ausfallenden
Trfibungen abhängt Diese sind nämlich als eine neue
Trennungsfläehe zwischen Kammerwasser und Glasfeuch-
tigkeit anzusehen und in Rechnung zu ziehen*
Bowman giebt in seiner neuesten Publikation aber
Staaroperationen in den Ophthalmie. Hosp. Beports den
Bath, unmittelbar vor einer jeden Nachstaaroperation das
Auge noch einmal bei künstlicher Beleuchtung zu unter-
suchen, damit man sich bei der Operation noch genau
an die Beschaffenheit der Pseudomembran erinnere.
Dieser Bath setzt voraus, dass man während der Opera-
264
tioD selbst den Nachstaar nicht so genau zn sehen im
Stande ist.
Nun liegt der Wunsch aber sehr nahe, dass man
die unbestreitbaren Yortheile der kflnstlichen Beleuchtung
auch bei der Nachstaaroperation selbst geniessen möchte,
und ich sehe keinen Grund ein, der uns daran verhindern
sollte. Doch nicht nur aus theoretischen Betrachtungen,
sondern auch durch wiederholte Erfiihrung kann ich die
Anwendung der schiefen Beleuchtung bei den verschie-
denen Nachstaaroperatiouen wann empfehlen. Indem es
sich hier nur um Nadelstiche oder kleinere Lanzenmesser-
wunden handelt, so kann man diese Operation ohne
Scheu und Oe&hr im Augenspiegelzimmer vornehmen
und den Patienten hernach in sein Zimmer nnd Bett
gehen lassen. Ich setze dabei den Kranken auf einen
Fi seherischen Operationsstuhl in der Nähe einer
grossen Gaslampe und lasse mir das Auge von einem
Assistenten mit einer grossen Sammellinse von 6--7''
Brennweite und etwas mehr als 2" Apertur erhellen.
Dieses gewährt mir zugleich ein vollkommen
freies Spiel der Hände und Instrumente, sowie
die klarste Ansicht der Pupillartrübungen wäh-
rend dem ganzen Verlauf der Operation, sodass
ich die Widerstände, Risse und Verschiebungen
der Schwarten genau verfolgen und darnach
meine Beweg[ungen mit den Instrumenten be-
messen kann. Der Einblick in die unmittelbare Wir-
kung der Manipulationen ist aber sehr viel befriedigender,
als wenn ich diese bloss nach einem vorher noch so ge-
nau festgestellten Plane ausführe, jedoch die Erreichung
des Gewollten durch den Augenschein nicht vollkommen
controUiren kann.
Das Verfahren selbst ist so einfach und zweckmässig,
dass ich mich durchaus nicht wundern wQrde, wenn es
266
auch schon von Andern eingeschlagen wnrde. Als Ans-
nahmsver&hren znr Herausnahme von fremden Körpern
aus dem Innern des Auges oder andern Zust&nden habe
ich es, und gewiss Manche mit mir, schon vor Jahren
geübt; bei Naehstaaren aber verdient es als Methode
empfohlen zu werden, und dieses ist, meines Wissens,
nodi nicht geschehen.
Nach dem Beispiele Hasner's habe ich künstliche
Beleuchtung schon yor einem Jahre öfters bei dem letzten
Act der Staareztraction, der Entfernung der Staarreste,
mit Vortheil angewandt, und diesen Winter bin ich so
weit gegangen, dass ich nicht nur künstliche Pupillenbil-
dung, sondern auch Staaroperationen, Discision und Ez-
traction bei der angegebenen künstlichen Beleuchtungs-
methode im Augenspiegelzimmer ausgeführt habe. Einen
andern Nachtheil, als dass man einen Assistenten mehr
und den Beleuchtungsapparat braucht, habe ich dabei
nicht entdecken können. YortrefFlich klar liess sich aber
das ganze Operationsgebiet überschauen, das ja ohnedies
nur sehr geringe Ausdehnung hat Ein- und Ausstich
des kleinen Messers, dessen Gang durch die vordere
Kammer, die Art der Kapselzerreissung, die Anwesen-
heit, Beschaffenheit und Beweglichkeit der Linsenreste
konnten zum Theil ebenso gut, zum Theil besser gesehen
werden, als bei dem herrlichsten Tageslicht Das Gleiche
gilt von Iridektomien bei angewachsener und in ihrem
Gewebe veränderter Regenbogenhaut Augenoperationen
bei Bettlage des Patienten zu machen ist nach den
jetzigen sicheren Methoden eine überflüssige Vorsicht
Daher schadet dem Patienten auch der Weg aus dem
Dunkelzinuner nach seinem Bette nichts.
-Kurz zusammenge&sst befolge ich mit Bezug auf
Beleuchtung bei der Vornahme von Augenoperationen
folgende Grunds&tEe: Staaroperationen und Iri-
dectomien mache ich bei hellem Wetter in ge-
wöhnlichem TageBlicht, bei trübem Wetter mit
Anwendung schiefer, künstlicher Belenchtung;
Nachstaare aber operire ich immer bei kfinst-
lichem Licht
üeber einige neue, namentlieh plastisehe
ConjimetioiudoperaticmeiL
Von
H. Knapp.
I.
Pterygimnoperation durch doppelte Transplantation des
abgelösten Flfigelfelles nnd JDecknng des Defectes.
Hlem 6 Abbildungen.
Seit 7 Jahren pflege ich Pterygien in einer von den
gewöhnlichen etwas abweichenden Methode 2u operiren,
und da ich während dieser Zeit nnd vorher zuweilen
auch andere Methoden versucht^ dieselben aber weniger
befriedigend gefunden habe, erscheint mir eine Beschrei*
bung des von mir eingeschlagenen Yerfidirens gerecht-
fertigt.
Weil die Pterygien nach dem einfiEichen Abtragen,
Abbinden u. dergl. nicht selten wieder nachwachsen und
so werden, wie sie frQher gewesen sind, gab Desmarres
an, die Wucherung nicht zu entfernen, sondern abzulösen
und in den Uebergangstheil der Bindehaut einzupflanzen,
wachse dann die Bildung weiter, so geschähe dieses
nach einer unschädlichen Richtung hin. Diesem Plane
268
bin ich Anfangs auch gefolgt, fand aber, dass bei gros
seren Pterygien ein unschöner Wulst sich im Augen-
winkel sichtbar machte, dass femer die eine Seite des
Fellchens eine Zerrung erlitt und zuweilen die gewollte
Verpflanzung in den Uebergangstheil nicht gelang, indem
das yerschobene FlQgelfell nicht anheilte. Diesen Uebel-
ständen kann man durch folgende Operationsweise ab-
helfen.
Das FlQgelfell wird mit einer breiten Hakenpincette,
wie sie zum Fixiren des Augapfels bei Staar- und an-
deren Operationen jetzt ziemlich allgemein gebräuchlich
ist, am Bande der Hornhaut gefasst, so viel als möglich
emporgehoben, mit einem Staarmesser yon der Hornhaut
reinlich und in grösseren Zügen, ohne zu schnitzeln oder
zu stechen, abgelöst bis zu seiner Basis; dann wird mit
einer aufs Blatt gekrümmten Scheere die Bindehaut
nach beiden üebergangstheilen hin eingeschnitten und
zwar in Bogenlinien, welche der oberen und unteren
Begrenzung des Pterygiums entsprechen, dessen Basis
ja immer mehr oder minder gekrümmt nach beiden
üebergangstheilen hin ausstrahlt. Nun schneide ich die
Spitze des abgelösten Flügelfelles ab, jedoch so, dass
nur wenig Gewebe verloren geht, und halbire das Stden-
bleibende durch einen in seiner Mitte verlaufenden hori-
zontalen Schnitt mit einer geraden Scheere. Weiterbil-
de ich zwei kleine viereckige Bindehautlappen, einen
oberen und einen unteren, um die wunde Stelle, auf der
das Flügelfell aufsass, zu decken, wie es auch schon
Andere gethan. Durch die Schrumpfung dieser abge-
lösten Bindehantlappen verbreitem sich die vorhin auf-
wärts und abwärts geführten Schnitte an der Basalgrenze
des Felles. In die beiden dadurch entstehenden, drei-
eckigen, wunden Räume werden dann die Hälften des
Flügelfelles festgenäht, wozu fQr jede gewöhnlich eine
Knopfnaht an der Spitze genügt Darauf wird eine Naht
durch die an der Cornea liegenden Winkel der abgelösten
Bindehautlappen gelegt und eine zweite durch die beiden
am Pterygium liegenden Winkel. Diese letzte wird zu-
gleich auch mit der Mitte des Pterygiums verbunden,
wodurch die Yereinigungslinie beider Bindehautlappen
etwas angespannt imd das schläfenw&rts liegende Ende
derselben von der Hornhaut
abgezogen wird. Die Verhält-
nisse, wie sie sich unmittel-
bar nach der Operation dar-
stellen, habe ich durch Figur I.
zu yeranschaulichen gesucht
Ein Jeder wird sich danach
leicht das erg&nzen können,
was in der Beschreibung nicht ^^ . *** ' ^ ^ .
^ PterjfflnmoperAtloB doreh dop-
genügend ausgesprochen wor- p^te Tmupiuitatioii and pimiimim
den sein mag. d«*««.
Beide Augen werden 2 Tage lang verbunden und
der Patient im Bette gehalten, damit die Heilung per
primam intentionem, die bei dieser Operation immer er-
folgt, nicht gestört werde. Alsdann entfernt man die
N&hte, und der Patient wird meist 2 Tage später ent-
lassen.
Die Operation erfordert etwas Geduld und zartes
Präpariren. Unmittelbar nach ihrer Vollendung sieht
das Operationsfeld ein wenig wulstig und unschön aus,
aber schon am nächsten Tage hat sich die Bindehaut
wieder geglättet und liegt nett an. Die Schmerzen bei
der Operation sind nur sehr gering, sodass man Chloro-
form nicht nöthig hat, und nachher fehlen sie ganz.
In Bezug auf die Erfolge dieser Operationsmethode
kann ich sagen, dass sich zuweilen ein Wulst wieder
eine kleine Strecke über die Sklera hinzieht, welcher
aber von der Hornhaut immer noch durch die transplan-
tirten Bindehautlappen getrennt bleibt. Ein eigentliches
270
Recidiv habe ich nach dieser Methode noch nicht gese-
hen, die Hornhaut bleibt immer frei, und auch cosmetisch
sind die Resultate meist befriedigend.
IL
Operation eines Symblepharon totale des unteren Lides.
W. F. Meier, 8 J. alt, von Weissenstein, erlitt vor
4 Monaten eine Verbrennung mit ungelöschtem Kalk.
Er hatte diesen in eine Medizinflasche gethan, Wasser
zugegossen und hineingesehen, bis der brennende Kalk
ihm in's Gesicht spritzte. Dieses und das recht« Auge
trugen keine schlimmen Folgen davon, aber am linken
hatte er zwei Monate lang eine äusserst heftige Entz&n-
dung. Als diese nach und nach wieder verging, blieb
eine Verwachsung des unteren Lides mit dem Bulbus
und ein fleischer Auswuchs auf dem Auge zurtkck. Des-
wegen kam er zu mir in die Klinik und bot folgenden
Zustand dar.
Die Lidspalte des unteren Auges konnte weniger
weit geöffnet werden, als die des gesunden rechten.
Wollte man das untere Lid abziehen, so fand man es
in seiner ganzen Breite mit dem Augapfel verwachsen.
Der Uebergangstheil fehlte
vollständig und auch der Lid-
theil der Bindehaut war ver-
schwunden bis auf einen 4 Mm.
breiten Streifen, der sich längs
des ganzen Lidrandes erhalten
hatte, wiewohl er von weissen
Fig. II. Narbensträngen dicht durch-
ZoBUnd de. Anfror der OperMlon. zogCU WUrdC (Fig. ILOO). VOU
271
der Mitte des Lides ging eine dicke Narben- und Ora*
nulationsmasse (Fig. IL c.) auf die Sklera und Hornhaut
über, der Art, dass sie das untere Dritttheil dieser ganz
verdeckte und sich dann mit flQgelartigen Fortsätzen
(Fig. n. d d3) über die Sklera nach beiden Lidwinkeln
hinzog. Die Mitte dieser Wucherung stellte eine kirsch-
kemgrosse, ziemlich derbe, röthliche Granulationsmasse
dar (Fig. H. c.\ welche auf Hornhaut und Sklera aufsass
und den Lidschluss unvollständig machte. Die Binde-
haut war demnach zerstört und durch Narbenmasse er-
setzt in dem ganzen Skleraltheil, der bei derLidöfifhung
frei liegt (bis etwas Aber dem horizontalen Meridian des
Bulbus), femer von da herunter bis zum üebergangstheil,
dieser selbst damit einbegriffen und femer der hintere
Streifen des Tarsaltheils am unteren Lid. Das untere
Dritttheil der Hornhaut war durch die Wucherung ver-
deckt und das mittlere und obere Drittheil derselben
geschwürig und diffus getrabt
Ich behielt den Knaben drei Tage in meiner Anstalt,
ohne etwas Anderes mit ihm vorzunehmen, als soi^ftl-
tige Reinigung, damit ich sehen konnte, ob und welche
reizende Wirkung auf die Anschwellung durch die bisher
angewandten Arzneimittel und die Reise ausgeübt wor-
den war. Als sich keine wesentliche Yerändemng zeigte,
so operirte ich das Auge auf folgende Art Wie man
Pterygien ablöst, so präparirte ich das Gewebe mit einem
Staarmesser von der Hornhaut und der Sk]era ab, bis
unter die Insertion des unteren geraden Augenmuskels.
Darauf schnitt ich alles unbrauchbare Narben- und Gra-
nulationsgewebe aus dieser abgelösten Partie weg, und
da blieb nur der 4 Mm. breite Streifen Bindehaut stehen,
welcher sich von der innera Lidkante zum Bulbus her-
über gebrückt hatte. Um den so entstandenen beträcht-
lichen Substan^verlust zu decken, präparirte ich die
Sklerabindehaut zu beiden Seiten von der Hornhaut
272
7 bis 9 Mm. aufwärts los, indem ich durch je zwei ver-
ticale Schnitte durch dieselbe zwei viereckige, etwas
nach der Schläfen-, beziehungsweise Nasenseite aufwärts
gerichtete Bindehautlappen (Fig.
^^ ^^^^ in. nn^ erhielt. Diese zog ich
nun der Art nach abwärts, dass
ihre inneren-untem Winkel (Fig.
III. a a^) mit einander in Be-
rührung kamen, nähte sie dicht
neben einander im mittleren
Fig. m. Punkte des neu herauspräparir-
ziitU]iddMAng«.j^voii«adetor ^g^, untercu üebcrgangstheiles
fest, indem ich zugleich den
mittleren Theil des noch erhaltenen Lidbindehautstreifens
mit einnähte. Dann heftete ich die unteren -äusseren
Winkel (Fig. III. b b^) gleichfalls durch Knopfhähte in
den entsprechenden Seitentheilen des neuen Uebergangs-
theiles fest, indem ich auch hier den nächstliegenden
Punkt der lospräparirten Lidbindehaut mit in die Naht
fasste.
Dieser Bindehautstreifen wurde dadurch in die Tiefe
gezogen und aberkleidete wieder vollständig die innere
Lidfläche. Das Lid stand nicht vom Bulbus ab, beide
Lider bewegten sich gut und ihr Schluss war vollkommen
und ohne Zerrung. Dabei lag sich überall nicht- wunde
Bindehaut gegenüber, nur an der kleinen dreieckigen
Stelle, welche zwischen unterem Homhautrande und den
inneren Rändern der herabgezogenen Bindehautlappen
einbegriflfen war, lag wunde Skleralfläche nicht-wunder
Lidbindehaut gegenüber.
Der Knabe wurde zwei Tage lang mit verbundenen
Augen im Bett gehalten. Die Vereinigung erfolgte über-
all per primam und 10 Tage später, als der Patient ent-
lassen wurde, war auch die kleine dreieckige Stelle unter
der Hornhaut mit gesunder Bindehaut überzogen, die
278
Hornhaut selbst hatte sich Y(Hl;refflich aufgehellt, war
aber an ihrem unteren Bande ein wenig von der herab-
gezogenen Bindehaut, die mit ihr yerwachsen war, yer-
deckt (Fig. IV. a). Der nar-
bige Lidbindehautstreifen war
überall fest angeheilt (Fig. I V.)«
er hing ohne Falte mit der
Bulbusbindehaut zusammen,
aber die Verhältnisse waren
so, dass die Funktion der Lider
und des Augapfels nicht mehr ^'^* ^^'
gehemmt und die Entstellung ^"*"' "^ ^'^ "^*^ derHenung.
beseitigt war. Unter der Hornhaut war die Sklera in
der Breite von 3 Mm. von gesunder Bindehaut über-
zogen, bis zu jener Linie nämlich, wo die Lidbindehaut
an die Bulbusbindehaut sich ansetzte (Fig. IV. gm).
Der eingeschlagene Operationsplan hatte vollständig
zum Ziele geführt, machte uns wegen seines Erfolges
viel Vergnügen und darf für ähnliche Fälle empfohlen
werden.
Drei Monate später zeigte der Knabe sich wieder,
und sein Auge war noch in demselben befriedigenden
Zustande, wie kurz nach der Operation.
m.
Staphylomabtragung und Vereinigung der Wunde durch
Bindehantnähte.
Vor Kurzem erzählten mir, bei einem Besuch im
Royal London Ophthalmie Hospital zu Moorfields, einige
meiner dortigen Fachgenossen, dass sie nach Staphylom-
amputation und Vereinigung der Wunde durch Sklerai-
AreMT fttr Opbthalmologi«. XIV, 1. 18
274
Dihte in 4«r bekannten Critchett'schen Weise sp&ter
innere Entzündang dieses nnd sympathischen Reizung des
andern Auges beobachtet hätten, welche Beizung sich
bereits bis zur exsudativen Iritis gesteigert und die Ex-
stirpation des früher staphylomatösen Auges nothwendig
gemacht hätte. Ob andere derartige Beobachtungen nach
Critchett'scher Staphylomoperation gemacht worden
sind, ist mir nicht bekannt. Ich selbst habe diese Ope-
ration nicht selten ausgef&hrt und meist eine reizlose
Heilung per primam intentionem, doch auch einige Mal
danach eitrige Ghoroiditis darauf folgen sehen. Wenn
nun auch letztere in solchen Fällen kein Unglück ist,
so hat doch die Beobachtung in Moorfields Augenspital
meine ursprünglichen Bedenken gegen diese Operation
Yon Neuem wachgerufen, Bedenken, die sich hauptsächlicli
an die Durchführung von 4 bis 5 Suturen durch die
Ciliarregion knüpften. Ich dachte mir, dass dieselben,
namentlich wenn sie 8 bis 14 Tage liegen bleiben, als
fremde Körper in dieser so reizbaren und gefährlichen
Gegend des Auges wirken könnten, wovon wir ja wissen,
dass sie zuweilen verderbliche sympathische Beizung des
andern Auges anregen.
Nun liegt der Gedanke sehr nahe, die Nähte, anstatt
durch die Sklera und den GUiarkOrper, blos durch die
Bindehaut zu führen und dadurch gleichfalls den Ver-
schluss der grossen klaffenden Wunde zu erzielen. Es
fragt sich nur, ob die dehnbare, dünne Bindehaut so zur
Naht benutzt werden kann, dass der Verschluss der
Wunde ausreichend ist Darüber entschied die Er-
fahrung in folgendem Falle, den ich am 29. Oct 1867
operirte.
Marg. Wolf von Wolfshausen, 26 Jahre alt, hatte
seit vielen Jahren ein stark entwickeltes conisches Sta-
phylom. Die ganze Hornhaut war eine weisse sehnige
Masse, der Anfang der Sklera bläulich, mit einer Anzahl
275
donkelblaoer, nicht erhabener Flecke in der Ciliargegend
derselben. Der Angapfel gespannt und von Zeit zu Zeit
ein wenig schmerzhaft and geröthet Das andere Auge
ganz gesund.
Die Lider wurden mit den gewöhnlichen Drahtlid-
haltem so weit als möglich auseinander gehalten und
dann zwei Nadeln durch die Bindehaut in einer etwas
eigenthümlichen Weise geführt 4 bis 5 Mm. über dem
Rande der Staphylombasis und ein wenig nach innen vom
verticalen Meridian wird eine feine Nadel eingestochen
(Fig. V. a), unter der Bindehaut quer nach der Nase zu
Fig. V.
SUpbylomabtragmiff und Yereinigiing durch BindebantBlhte.
geführt und yertical über dem innem Rande der Sta-
phylombasis wieder ausgestochen (Fig. Y. b); darauf wird
dieselbe Nadel mit demselben Faden so durch die Binde-
haut unterhalb des Staphyloms durchgeführt, dass ihr
Einsicht senkrecht unter dem innem Staphylomrande
(Fig. Y. c), ihr Ausstich in der N&he des yerticalen Me-
Meridians erfolgt (Fig. Y. d). Eine zweite Nadel wird
in ähnlicher Weise nach aussen vom Terticalen Meridian
durch die Bindehaut über und unter dem Staphylom
18»
276
durchgeführt (Fig. V. ef gh). Man sucht von der Binde-
haut und dem episkleralen Gewebe so viel als möglich
beim Durchstechen der Nadel zu fassen, damit sich die
Bindehaut möglichst wenig über der Sklera verschiebt und
diese kräftig nach der Mitte der Lidspalte hinzieht, wo-
durch ein guter Verschluss der Wunde erzielt wird.
Nun schl> man die durch die Bindehaut gezogenen
langen Fadenschlingen weit vom Operationsraum zurück,
damit man davon nicht gehindert werda Ein Beer'sches
Staarmesser wird in der Nähe des äusseren Staphylom-
randes (Fig. V. i) in die Sklera etwa 4 Mm. tief und so
eingestochen, dass seine Fläche in der horizontalen Me-
ridianebene des Auges liegt In die dadurch gemachte
Skleralöffnnng wird ein Blatt einer Scheere eingeführt
und mit dieser und einer Pincette das Staphylom abge-
tragen, indem man erst einen oberen, dann einen unteren
Schnitt von derselben Skleralöffnung an führt, welche
beiden Schnitte sich in demselben, an der Innenseite des
Staphyloms liegenden Skleralpunkte (Fig. V. k) vereini-
gen. Eine ziemliche Quantität Glaskörper fliesst bei die-
sem Manöver aus. Ist die Linse wie gewöhnlich noch
im Auge, was man nach Entfernung des Staphyloms
sieht, so reisst man ihre vordere Kapsel der Länge nach
ein und nimmt sie mit einem Löffel heraus. Nun zieht man
die Fäden an und findet, wie die Zeichnung veranschau-
licht, dass sich vier derselben quer über die Wunde aus-
spannen, von denen je zwei durch Anziehen der freien
Enden (Fig. Y. 1 und P, sowie m und m^) zusammen-
gezogen werden. Die zwei Knöpfe (Fig. V. n und o)
bringen also die Wundränder mittelst vier Fäden in Be-
rührung. Die Vereinigung der Wunde war vollkommen
und ähnlich wie bei der Cr itchett' sehen Abtragung,
nur dass die Wundränder nicht vollkommen in der Längs-
richtung aneinander lagen, sondern etwas faltig, nach
Art eines Tabaksbeutels, zusammengezogen waren. Da-
277
durch wurde aber auch der Stumpf schön rund und hatte
zu beiden Seiten nicht die vorspringenden Winkel, die
man manchmal nach Critchett'scher Operation sieht.
Will man indessen diese Art der Zusammenfaltung ganz
vermeiden, so lege man vier Suturen an; geringere Fal-
tung tritt dn, wenn die Fäden so durch die Bindehaut
gefUirt werden, dass die Knüpfung nicht in der Mitte,
sondern an den Seiten der Wunde geschieht
Die Heilung erfolgte per primam intentionem ohne
irgend welche nennenswerthe Beschwerden. Die N&hte
entfernte ich nach 3 bis 4 Tagen, worauf die leichte
Rdthe und Schwellung der Bindehaut rasch verschwand,
und die Patientin wurde mit vollständig verheilter Skle-
ralwunde 17 Tage nach der Operation entlassen, fast ohne
Bindehautii^ection; hätte auch schon früher entlassen
werden können, wenn ich nicht gewünscht hätte, sie noch
etwas länger zu beobachten.
Die angegebene Operationsweise scheint mir die
Gritchett'sche ersetzen zu sollen, weil sie viel weniger
eingreifend ist, als diese. Besonders spricht der Um-
stand zu ihren Gunsten, dass dabei kein fremder Körper
in's Innere des Auges eingeführt wird und zu sympa-
thischer Reizung Veranlassung geben kann. Auch die
vorübergehende Einlegung von Fäden durch den Ciliar-
körper OA bis 2 Wochen lang), wie es nach Critchett
geschieht, vermag im Auge Beizungnn zu erzeugen, welche
von längerer Dauer sein und, wie die obige Mittheilung
lehrte, auch dem anderen Auge gefihrlich werden
können.
278
IV.
Exstirpationen von episkleralen Neabildungen mit pla-
stischer, colgtmctivaler Deckung der Wunde.
Aehnlicbe Operationen, wie ich sie beim Pterygium
und Symblepharon angab, deren Grundsätze in Bezug
auf Deckung des Substanzverlustes bekannt genug sind,
können sehr zweckmässig nach Entfernung von verschie-
denen Geschwülsten, wie sie im Bereich der Bindehaut
vorkommen, angewandt werden. Gar häufig wird die
Wegnahme solcher Neubildungen zu lange hinausgescho-
ben, sogar sieht man nicht selten, dass verwerfliche
Heilungsversuche mit verschiedenen Aetzmitteln gemacht
werden, welche meistens die Entwickelung solcher Wu-
cherungen nur üppiger und rapider machen, bis zuletzt
so viel von Bindehaut und Augapfel in die fungusartigen
Bildungen hineingezogen worden ist, dass man sich zur
Exstirpatio bulbi entschliesst Diese führt man denn
auch zum ersten Male in der „schonenden'' und beque-
men Weise der Enucleation aus, während sich die secun-
dären Heerde schon im Orbital- und Lidzellgewebe ge-
bildet haben und in nicht langer Zeit locale Recidive
hervorbringen. Gegen diese wird dann natürlich die
totale Exstirpation des Orbitalinhaltes vorgenommen,
aber leider auch meist erst, wenn die Generalisation
des Pseudoplasmus bereits ihren Anfang genommen hat
Diese traurige Reihenfolge von ungenügenden operativen
Quälereien kennen alle beschäftigten Operateure zur
Genüge. Die Ohnmacht der operativen Eingriffe wird
dann mit der dem Gewächs innewohnenden, natürlichen
Bösartigkeit erklärt und entschuldigt. Wer dagegen mit
mir der innigen Ueberzeugung ist, dass nicht nur die
Gewebsgeschwülste gutartige Bildungen seien, sondern
dass auch die meisten Zellgeschwülste ein gutes Anfangs-
279
stadiam haben, das beisst, dass sie in ibrem frflbesteii
Stadiom noch rein locale Erzengnisse sind, der wird mit
mir anch beflissen sein, dieses frflheste Entwickelnngs-
stadinm anfEusuchen und die Neubildung bis Ober die
Grenzen ihrer ganzen Eeimstätte hinaus ohne
Zögern und Zagen hinwegzunehmen. Es liegt nicht in
meiner Absicht, hier über diesen wichtigen Gegenstand
zu reden, sondern ich möchte nur hervorheben, dass wir
am Auge ganz besonders begünstigt sind, GeschwfUste
in ihren kleinsten Anfingen zu beobachten und danach
unsere Maassregeln zu treffen. Entsteht am Augapfel
ein Tumor, so gehen die Patiraten sogleich nach Hülfe,
selbst wenn die Neubildung erst linsengross ist Ihr
oberflichlicher Sitz erleichtert dann ebenso ihre Entfer-
nung, als ihre Diagnose. An den meisten andern Kör-
perstellen, beispielsweise in der Mamma, fengen wir erst
an, eine Fremdbildung zu vermuthen, wenn diese schon
beträchtliche Grösse erreicht und das An&ngsstadiunif
in welchem sie noch als locales üebel besteht, l&ngst
überschritten hat Wie in so manchen andern Gapiteln,
so hat auch in dem der Tumoren die practische Ophthal-
mologie in ihren Leistungen viel vor den übrigen Zwei-
gen der Heilkunde voraus. Man erkenne die Geschwülste
am Auge nur recht frühzeitig, operire sie sofort und
zwar nach Methoden, die nicht nur sicher alles krank-
hafte und zu krankhafter Entwickelung fähige Gewebe
entfernen, sondern auch die Integrität des wichtigen Or-
gans erhalten.
Als Beispiele für diese Grundsätze will ich hier nur
zwei Fälle in Kürze mittheilen, um die Operationsweise
anzudeuten, welche ich flir die Entfernung kleiner, dem
Augapfel aufsitzender Geschwülste am geeignetsten halte.
Ich will keineswegs diese Fälle als dauernde Heilungen
hinstellen, ~ dann hätte ich erst nach 10 Jahren davon
reden dürfen — , sondern behaupte nur, dass auf diese
280
V
und ähnliche Weise dauernde Heilungen erzielt werden
können. Mein Wunsch dabei ist, dass dieser hochwich-
tige Gegenstand in der ophthalmologischen Praxis und
Literatur mehr in Aufnahme komme und mit den Hülfs-
mittein der neuen Wissenschaft bearbeitet werde.
Entfernung eines Gancroids am limbus conjunctivae.
J. Schmidt von Bermersheim in Rheinhessen, ein ge-
sunder, kräftiger Mann von 65 Jahren, bemerkte vor 9
bis 10 Wochen Schmerzen und Brennen im linken Auge,
wogegen er Augenwasser gebrauchte. Vor etwa 3 Wochen
beobachtete man im Limbus conjunctivae ein weisses
Knötchen, welches vor 14 Tagen als ein groschengrosser,
flacher, weisser, von vielen Gefiussen umg[ebener Knoten,
auf der Sclera dicht am äusseren Homhautrand sich
zeigte. Seit dieser Zeit nahm die Entzündung ab und
heute sieht man die Geschwulst
noch in derselben Grösse und
Form (Fig. VI). Sie greift
etwas auf die Hornhaut über,
ist von einem weissen, schlei-
migen, weichen Beleg über-
p.. y^ zogen, welcher sich mit den
ooneroid am Limbot conjunetivM. Lidem abstreifen lässt, worauf
die Oberfläche des flachen Knotens sich als ein Aggregat
von feinen, weisslichen Knötchen in Form einer Warze
darstellt. Die ganze Geschwulst erhebt sich etwas mehr
als 1 Mm. über die Scleraloberfläche, lässt sich auf der-
selben in ihrem ganzen Umfange, wiewohl in geringem
Maasse, verschieben, während ihr kleiner, cornealer Ab-
schnitt festsitzt Nach unten und innen von ihr bedeckt
eine flachere, graue, halbdurchschimmemde Schwarte die
281
Hornliaat In dieser Schwarte siiid einige weisse Punkte
eingebettet, namentlich sieht man an einem Rand die-
selben dicht beisammen liegen, so dass sie ein kleines
Knötchen bilden, ahnlich jenem Hauptknoten anf der
Sdera. Die Coigunctiva ist nicht geschwollen und sehr
unbedeutend geröthet; doch laufen zur Geschwulst hin
eine grosse Anzahl dicker, dunkelrother Gefiissstrange,
welche an ihrem Bande verschwinden. Die auf der Cor-
nea sitzende Schwarte reicht last bis zur Hälfte der Pu-
pille. Auge sonst normal. Sehkraft fast so gut wie die
des andern Auges.
Die Geschmulst wurde so entfernt, dass ich zuerst
mit Pincette und Scheere einen Bindehautwall um die-
selbe ganz im Gesunden lospräparirte und dann mit einem
Staarmesser das Ganze dicht von der Sclera, mit welcher
es nicht zusammenhing, und von der Hornhaut weg-
schnitt Mit der Hornhaut war die graue dttnnere Platte
fest verwachsen, daher schnitt ich es sammt einer dar-
unter befindlichen Schicht gesunden Homhautgewebes
aus. Es war an keiner Stelle auch nur die leiseste Spur
von Fremdbildung stehen geblieben.
Darauf prftparirte ich die Bindehaut nach oben und
unten ab und nähte sie durch zwei Knopfhähte mit chine-
sicher Perlseide zusammen, wodurch die frei liegende
Scleralstelle gedeckt wurde. Die Fadenenden schnitt ich
kurz ab, damit keines auf der entblössten Homhautsub-
stanz lag und schloss das Auge mit dem gewöhnlichen
CharpieFlanellverband. Die Heilung erfolgte per primam
intentionem, und jetzt, drei Viertel Jahre nach der Ope-
ration, ist an demselben, ausser einer leichten periphe-
rischen Narbentrfibung in der Hornhaut, nichts Patholo-
gisches zu entdecken.
282
Ebtfemiing eines andern Gancioids am Lunbns
coi^nnctivae.
Barbara Ziegler, 37 Jahre alt, von Neckarau, hatte
bis vor 4 Jahren gesunde Augen. Dann entstand uahe
am äusseren Homhantrande des linken Auges, Ober der
Sclera, ein Knötchen, welches einer Phlykt&ne gleich ge-
sehen habe. Es war roth, schmerzhaft; in seiner Um*
gebung conjunctivale Injection. 3'^ lang, wuchs es lang*
sam, erreichte die Grösse eines Kirschkerns und wurde
dann voriges Jahr auf der hiesigen Chirurg. Klinik durch
einfache Excision mit der Scheere entfernt Pat. wurde
nach 4 Tagen entlassen, hatte keine Schmerzen mehr im
Auge und dieses blieb V« J^f l<mg gesund. Dann bil-
dete sich etwas unter dem Sitz der frdheren Geschwulst
eine neue, welche unter periodischen, massigen Schmerzen
rascher als die frflhere wuchs.
Stat praes. Rechtes Auge vollkommen gesund;
linkes Auge dem rechten gleich bis auf die besagte Ge-
sehwulst Irisfarbe blau. An der unteren äusseren
Hornhautgrenze des linken Auges befindet sich die Mitte
einer fast haselnussgrossen Geschwulst (8 Mm. breit;
9 Mm. lang); Farbe röthlich, Consistenz weich. Die
Basis der Geschwulst ist nahezu so breit wie ihre grOsste
Ausdehnung; fest verwachsen mit der Hornhaut und
Sclera, nur die Bindehaut verschiebt so ein wenig an
ihrer unteren Grenze. Im inneren Abschnitt ein steck-
nadelkopfgrosser, schwarzer Fleck in der Geschwulstmasse.
Mit dem Augenspiegel in beiden Augen nichts Ab*
normes. Bechts S == 1; links S = Va«
Die Patientin wurde am 12. Decbr. 1867 in folgender
Weise operirt:
Lider durch den gewöhnlichen Draht-Lidhalter ge-
öffnet, Bindehaut im Umkreis der Geschwulst und 2 Mm.
von derselben entfernt bis auf die Sclera mit einer
283
Scbeere eingeschnitten, um die zu entfernende Partie
zu umgränzen. Darauf ward die Geschwulst selbst in
der Mitte mit einer breiten Hakenpincette gefosst, leicht
angezogen, wobei sich zeigte, dass sie mit Hornhaut und
Sclera innig verwachsen war, und mittelst eines Beer'-
sehen Staarmessers in langen Zflgen von oben her von
der Hornhaut und Sclera derart abgelöst, dass von dem
Homhautgewebe die oberflächlichsten, vom Sderalgewebe
aber selbst auch noch tiefere Schichten mit fortgenommen
wurden. Man sah nach der Abtragung, dass auf der
ganzen Geschwulstbasis eine dünne, weisse, ungefensterte
Sclerallage mit hin weggenommen worden war, was so
aussah, als ob die röthliche Geschwulst auf ein Blättchen
weisses Papier festgewachsen wäre.
Die blodiegende Sclera deckte ich durch zwei Con-
junctivallappen, wovon der eine schief nach oben und
aussen, der andere schief nach unten und innen gebildet
wurde. Eine Knopfhaht brachte die zwei oberen Lappen-
winkel an der unteren Hornhautgrenze zur Vereinigung,
eine zweite vereinigte die beiden unteren Lappenwinkel
mit einander und zugleich mit dem Mittelpunkt des un-
teren äusseren conjunctivalen Wundrandes, so dass da-
durch die obere Naht verhindert wurde, sich über die
wunde Hornhaut zu schieben und die Sclera an allen
Stellen mit Gonjunctiva bedeckt war.
Beide Augen liess ich zwei Tage lang durch einen
einfachen Verband geschlossen halten, entfernte dann die
Suturen, verband beide Augen noch einen Tag, das ope*
rirte Auge darauf noch zwei Tage und konnte hernach
die Patientin entlassen, indem die Wunde ohne alle ent-
zündliche Regung geheilt war. Jetzt, nach zwei Monaten,
Auge ganz normal.
Die anatomischeUntersuchung der beiden Ge-
schwülste erwies dieselben als Cancroide, auf deren Bau
und Entstehung ich später einmal im Zusammenhang mit
andern ähnlichen Neubildungen einzugehen gedenke.
284
Die beschriebeneo Operationen sind alle nach dem-
selben Princip der plastischen Deckung von episcleralen
und scieralen Substanzverlusten durch flbergelagerte
Bindehautlappen ausgejführt Blossliegende Scleralwunden
grannliren leicht und Qppig, häufig mit Anbildung be-
deutender WundknOpfe, wie man schon bei Schielopera-
tionen sieht Beim Pterygium bleibt damadi eine dau-
ernde, wulstartige Verdickung von stark gefilsshaUigem
Bindegewebe aber der Sclera und Hornhaut Ich lege
Gewicht darauf, dass die plastische Deckung episcleraler
Substanzverluste sorgfältig und vollkommen, und femer
dass die Heilung möglichst reizfrei per primam inten-
tionem geschehe. Auf diese Weise wurden die Recidive
conjnnctivaler Wucherungen am ehesten verbatet Daher
verbinde ich immer beide Augen bis die Anheilung er-
folgt ist, damit die prima intentio durch die Augenbewe-
gungen möglichst wenig gestört werde. Dieses gilt für
die Geschwulst-, fttr die Pterygium- und Symblepharon-
operationen.
Die Neubildungen in der Bindehaut, namentlich die
papillären Formen am Limbus corneae, dOrfen von prak-
tischer Seite, so lange sie noch bestimmt begrenzte Ge-
schwttlstchen darstellen, als locale Processe und somit gut-
artig angenommen werden. Nebst ihrer totalen Ent-
fernung durch herzhaftes Operiren im Gesunden, sowohl
in ihrer Peripherie als in ihrer Grundfläche, erscheint
mir die rasche und entzündungsfreie Heilung von
Einfluss auf die Verhütung von Recidiven zu sein. Ich
kann mir nämlich denken, dass Bildungszellen, welche in
der Nachbarschaft der Geschwulst noch vereinzelt und
ohne bestimmte Entwicklungstendenz abgelagert sind, bei
reizfreier Heilung nicht zu pathologischer Neubildung
führen, während sie bei gereiztem Zustande der Wunde
vielleicht dazu fähig sind.
Bericht ttber ein zweites Hundert Staaieztraetionen
durch den Idnearsohnitt im Sderalbord.
Von
H. Knapp in Heidelberg.
L Operationsyeifahren.
Seit November 1866, als ich die Ergebnisse des ersten
Hunderts meiner nach v. Gräfe^s Methode vollzogenen
Staarextractionen zasanmienstellte und im XUL Band
dieses Archivs mittheilte, habe ich Gelegenheit gehabt,
das Verfahren wieder an mehr als hundert Fällen zu
prüfen. Die grosse Wichtigkeit der Staaroperationen
überhaupt und das hohe Interesse, welches gerade die
bei diesem Verfahren in Anwendung gekommenen Ab-
änderungen der früheren Methoden allgemein erregt
haben, entschuldigt nicht nur eine getreue, möglichst
vorurtheilslose Veröffentlichung weiterer Erfahrungen,
sondern macht sie fast zur Pflicht. Seit jener Zeit sind
nicht nur einige weitere Abhandlungen über Staarope-
rationen erschienen, sondern gerade die v. Gräfe'schen
Vorschriften wurden von den verschiedensten und com-
petentesten Seiten dem Prüfstein des obersten Richters,
der Erfahrung, unterzogen. Auf dem im August d. J.
286
zu Paris abgehaltenen internationalen Gongresse der
Augenärzte fand gerade dieser Gegenstand eine ein-
gehende Besprechung, welche in dem of&ciellen Berichte
der Verhandlungen niedergelegt wird.
Wie aus jenen Verhandlungen hervorging und ich
mich auch auf einer längeren Reise an der Praxis vieler
französischer, englischer, amerikanischer und deutscher
Fachgenossen augenscheinlich zu überzeugen Gelegenheit
hatte, gehen die Meinungen Ober den Grund unserer
jetzt viel besseren Operationserfolge nach zwei Hauptrich-
tungen auseinander, nämlich: Liegt diegrössereSicher-
heit des Extractionsverfahrens in der linearen
Richtung des Schnittes, oder darin, dass dieser
nicht im Gorneal-, sondern im Scleralgewebe ge-
führt wird. Ich selbst neigte mich zu der Ansicht,
dass dieses letztere die Hauptsache sei, bin aber durch
meine Statistik nicht hinreichend im Stande, diese An-
sicht beweiskräftig genug zu begründen, denn ich f&hre
den Schnitt nicht nur streng im Scleralbord, sondern
auch gestreckt, der grössten Kreislinie sich nähernd,
aus. Zur Entscheidung der Frage kann also mehr von
deigenigen beigetragen werden, welche ratweder einen
reinen Bogenschnitt im Scleralbord machen, wie Jacob-
son und Pagenstecher, oder einen grössten Kreis-
schnitt rein in der Hornhaut Letzteres ist aber, so viel
mir bekannt, nur von Küchler ausgeführt worden,
welcher einen grössten Kreisscbnitt durdi das Hornhaut-
centrum führte. Diese Schnittrichtung scheint mir den
einzigen Vorzug zu haben, dass sie zur Entscheidung
der Frage geeignet ist: ist die Richtung der Schnitt-
linie in einem grössten Kreise wesentlich beider
Heilung der Eztractionswunde, und ist dann die Lage
de« Schnites, ob in der Hornhaut oder Sclera,
von untergeordneter Bedeutung, oder verhält es sich
umgekehrt?
287
Bowmann und Critchett, denen, wie ich gesehen
habe, auch Liebreich und Andere gefolgt sind, verlegen
die Enden eines linearen Schnittes in den Scleralbord,
die Schnittmitte aber nicht onbetrftchtlich, 1 Mm.
und noch darüber in die durchsichtige Hornhaut-
substanz. Arlt verfthrt ähnlich, nur kommt seine
Schnittmitte^ wie mir scheint, nicht ganz so weit in die
Hornhaut zu liegen, v. Gräfe bleibt ganz im Seiend*
gewebe, doch so, dass die Schnittmitte die durchsich-
tige Homhautgrenze tangirt, bei möglichster Annäherung
der Schnittrichung an einen grOssten Kreisbogen. Ja-
cobson und Pagenstecher machen reine und grosse
Bogenschnitte mit dem Beer 'sehen Staarmesser, aber
so peripherisch als möglich, d. h. der ganze Schnitt
wird so nahe als möglich an dem Irisansatze und parallel
der Irisebene ausgeführt
Wir finden also bei der Staarextraction heutzutage
noch Vertreter für alle denkbaren und möglichen Schnitt*
riehtungen, deren beide Extreme sind: einerseits der
gröBSte Kreisschnitt durch die Hornhautmitte von Kü ch-
lor und andererseits der Bogenschnitt im peripherisch-
sten Theile des Scleralbordes von Jacobson. Dieses
Auseinandergehen der Meinungen ist das sprechendste
Zeichen, dass wir diesen ersten Fundamentalpunkt der
Eztractionslehre noch nicht allgemein verstehen. Sobald
aber einmal die Fragestellung eine präcise geworden
ist, wird auch eine bestimmte Beantwortung möglich.
Es treten hier verschiedene Factoren mit einander
in Verbindung, und wenn wir den Einfiuss eines jeden
derselben kennen lernen wollen, so müssen wir ihn va«
riiren bei Gleichbleiben der anderen.
Untersuchen wir zuerst, welchen Einfiuss die Lage
des Schnittes auf die Heilung ausübt, so sind die Fragen
folgende:
288
1. Giebt ein Bogenschnitt in der Hornhaat oder ein
Bogenschnitt im Scleralbord, und
2. ein Linearschnitt in der Hornhaut oder ein Li-
nearschnitt in der Sclera sichere Heilungen?
Die Beantwortung dieser Fragen kann nur durch
grosse Statistiker geliefert werden.
Wenn ich meine eigenen Erfahrungen mit denen
von Jacobson und Pagenstecher vereinige, so l&sst
sich die erste Frage mit einer ausreichenden Statistik
beantworten. Bei dem Bogenschnitt in der Hornhaut
traten und dieses sind auch die Verhältnisse sehr zahl-
reicher anderer Operateure, ungefähr lO^o totale Ver-
luste oder nahezu so viel durch eitrige oder plastische
(iridocyklitische) Phthise des Augapfels ein. Ich muss
gestehen, dass dieser Procentsatz in meiner Praxis auch
noch bei der Combination der Iridektomie mit dem
Homhautlappenschnitt Geltung behauptete, indem er vor-
her selbst etwas höher ausfiel. Bei dem Scleralschnitte
aber stellte es sich bei Jacobson, Pagenstecher und
mir auf 2 bis 37o* Die Gesammtstatistik dazu stützt
sich, soweit sie mir bekannt ist, auf mehr als 300 Fälle.
Besonders wichtig ist dabei die Erfahrung von Jacob-
son, der den Scleralschnitt am reinsten ausübte und
Berichte über 150 Fälle in diesem Archiv veröffentlicht
hat Die Publication seiner weiteren Erfahrungen ist
deshalb von grossem Werthe.
Für die Beantwortung der 2. Frage, ob ein grösster
Ereisschnitt in der Hornhaut oder in der Sclera sicherer,
fehlt in der Literatur die Statistik. Küchler beschreibt
in der deutschen Klinik (Jahrgang 1866) seine Opera-
tionsmethode, gibt daselbst aber keine Einzelheiten be-
zügUch der Erfolge. Auf schriftliche Anfrage jedoch
war er so gefällig, mir eine Statistik von 24 Fällen zur
Benutzung zuzusenden. Unter diesen trat ein:
Waodheilung per primam .... 24 mal,
Eiterung 1 „
Vordere Synechien 6 „
Zurückbleiben von Staarresten und
hintere STnechien 3 „
Glaskörperfall 3 „
Er machte darauf secundäre Pupillen-
bildungen nach unten 7 „
Unter diesen 26 Fällen be&nden sich 4 von com-
plicirter Gataract.
Da eö mir nur darauf ankam zu wissen, wie leicht
ein meridional durch die Horuhautmitte geführter Schnitt
heilt, so unterliess ich es, mir von Herrn Küchler
Auskunft zu erbitten über das erzielte Sehvermögen und
über die Dauerhaftigkeit der Heilungen nach dieser
Methode, in welcher Beziehung mir die257o vorderer
Synechien bedenklich erscheinen. Das Hauptresultat ist,
dass nur 47o Vereiterungen auftraten, was gerade kein
ungünstiges Ergebniss genannt werden kann, doch hinter
dem dem Scleralschnitte zurückbleibt Indessen ist die
Zahl der Operationen noch eine zu beschränkte, um
daraus beweiskräftige Schlüsse zu ziehen, so werthvoU
mir auch das bis jetzt bekannte Resultat erschien«
In den drei letzten Jahren wurden nach dem Vor-
gange von V. Gräfe von verschiedenen Seiten viele
Staarextractionen durch Schnitte im Scleralbord gemacht,
die sich den grössten Kreisschnitten mehr oder
minder nähern und zwar auch nur mit 2 bis 37o Ver-
lusten, also ein ähnlicher Procentsatz wie bei den Bogen*
schnitten in dem Scleralbord. Von Arlt, Bowmann
Gritchett u. A. wurden grösste Kreisschnitte halb im
Scleralbord, halb im Homhautgewebe ausgeführt. Obgleich
deren Ergebnisse noch nicht ausführlich genug mitge-
theilt sind, so beweist das bereits darüber Bekannte
doch, dass sie wesentlich besser sind, als diejenigen der
ArehlT für Ophtfaalmologto, ZIV, 1. 19
290
Hornhautsdinitte, wenngleich sie nicht ganz so günstig
erscheinen, als diejenigen der reinen SclenUschnitte.
Williams in Boston sucht die 6e&hr des Hörn-
hautlappenschnittes in neuerer Zeit dadurch zu besei-
tigen, dass er mit einer sehr feinen Naht die Wunde
vereinigt. Unter 25 Fällen, die er (Ophthalmie Hospital
Beports, Moorfields, London, Vol. VI. pag. 28—36) mit-
theilt, sind (abgesehen von 2, wahrscheinlich erfolglos
operirten, complicirten Staaren) 20 gute, 2 mittlere Er-
folge und 1 Verlust eingetreten. Mit der Fortsetzung
seiner Operationsweise bis zu unge&hr jetzt 100 Extrac-
tionen erklärt er sich zufrieden, gibt aber keine näheren
Einzelheiten an.
Sehen wir vorläufig von diesem Verfahren ab, so
finden wir durch die Erfahrung die Thatsache
jetzt festgesetzt, dass die Scleralextraction
bessere Heil-Ergebnisse liefert, als die Gor-
nealextraction.
Welche von beiden Arten der Scleralextraction, die
bogenförmige oder die lineare, die vorzaglichere
sei, bleibt zu ermitteln. Gerade wie Jacobson fand
ich und habe dies bereits in meinem ersten Berichte
hervorgehoben, dass um so weniger Hornhautreaction
unter sonst gleichen Bedingungen eintrat, je peripheri-
scher der Schnitt in all* seinen Theilen gehalten wurde.
Nun hat die peripherische Schnittlage aber in der grös-
seren Leichtigkeit des GlaskörperverWles und ihren
Folgen eine sehr in's Gewicht fallende Schattenseite.
Die für den Glaskörperaustritt günstigste Stelle des
Schnittes ist dessen Mitte, weil hier dessen grösstes
Klaffen, also die geringsten Widerstände gegen das
Augeninhaltes liegen. Es ist deshalb vortheilhaft, diese
gefährlichste Stelle des Schnittes so weit nach innen zu
verlegen, als dieses mit Bücksicht auf die Sicherheit
der Wundheilung noch zulässig ist Dieses sollte aber,
291
nach meinen Erfahrungen, nicht bis zur Tangirung des
Homhautrandes gewagt werden, wobei ich einem etwaigen
Greisenbogen noch zur Hornhaut rechne, vielmehr sollte
die Schnittmitte noch Vt bis 1 Mm. von der durchsich-
tigen Hornhautgrenze entfernt bleiben.
Berücksichtigt man jetzt noch die andere ErfiEÜurungs-
wahrheit, dass die Wundheilung unter sonst gleichen
Bedingungen um so sicherer und reiner erfolgt, je leich-
ter und freier von Quetschung des Wundkanals der
Staar austritt, so ist damit auch die Grösse des Schnit-
tes vorgeschrieben. Mit der Lage und Grösse des
Schnittes ist aber auch dessen Form bestimmt
Ich machte demnach meine Extractionschnitte nadi
folgender schematischen Regel: Ein- und Ausstich
liegen so nahe ^Is* möglich am Irisansatze, die
Schnittmitte nähert sich höchstens bis auf Vt
Mm. an die durchsichtige Hornhautgrenze, und
die Grösse des Schnittes richtet sich nach dem
Umfange des dichten Theiles des Staares, wo-
bei der geradlinige Abstan^d des Innern Wund-
winkels für die allergrössten Staare 9 bis 9Vs
Mm. beträgt, wie ich hernach zeigen werde.
Daraus folgt, dass die kleinen Schnitte für weiche
Staare oder Staare mit weicher Rinde und kleinem Kern
rein linear, d. h. in grössten Kreiszügen geführt wer-
den, während die grössten Schnitte für vollständig er-
härtete Staare, oder für die Extraction der Linse mit un-
eröfifneter Kapsel schwach bogenförmig ausfallen müssen.
Die Schnittformen waren im Wesentlichen die v. Graf er-
sehen, weichen indessen darin etwas von denselben ab,
dass sie sich bei grossen Staaren in ihrer Mitte weniger
der Hornhaut nähern und dadurch bogenförmiger wur-
den. Ich sehe vollkommen ein, dass eine im grössten
Kreise angelegte Wunde weniger klafiFt, als jede gleich
ausgedehnte, aber in anderer Richtung geführte (wie es
19»
292
V. Or&fe angab und A. Weber sehr flberzeagend be-
wies), doch scheint mir die v. Gräfe 'sehe Schnittf&hrong
deshalb so ausgezeichnet zu sein, weil sie 1. sich inner-
halb der Sclera hält, also weniger zu stürmischen, d. h.
eitrigen Wundprocessen tendirt, und 2. die Schnittmitte
in die Nähe des Hornhautrandes verlegt, wodurch der
Olaskörperausfluss mit seinen Folgen vermieden wird.
Dieses Verfahren liefert nach einiger Uebung einen eben
so grossen Procentsatz normaler, d. h. von Qblen Zu-
fällen freien Operationen, als der gewöhnliche Hornhaut-
lappenschnitt Sie vereinigt also die Yortheile des
Jacobson'schen Scleralschnittes mit dem bisher üblichen
Bogenschnitt, ohne die Nachtheile zu theilen. Sie ver-
meidet die Grenzen der Gefahr nach beiden Seiten hin
in sehr glücklicher Weise. Sie geht — um es seiner
Wichtigkeit wegen noch einmal in andern Worten auszu-
sprechen, — so weit peripherisch, als man, ohne ge-
fährlichen Glaskörperfluss zu riskiren, gehen darf,
und nähert sich im Centrum der Hornhantgrenze
so sehr, als man sich, ohne Hornhauteiterung zu ris-
kiren, ihr nähern darf.
Das sorgfältigste Studium der Beschaffenheit des
Schnittes muss von allen Seiten fortgesetzt werden, denn
die Schnittführung ist das Wesentlichste bei dem ganzen
Operationsverfahren. Die Irisexcision ist dadurch eine
unvermeidliche Nothwendigkeit geworden, weil an eine
dauernde Reposition des Irisprolapsus wohl kaum zu
denken ist Die Kapseleröffnung wird in Ausdehnung
und der Art ihrer Ausführung wieder von der Scl^itt
läge und dem Colobom bedingt Ich habe, wie ich in
meiner früheren Mittheilung bereits angab, eine Zeitlang
die Gapseieröffnung vor der Irisexcision vorge-
nommen, um Linsenluxation und Glaskörperausfluss zu
vermeiden. Damals machte ich aber noch äusserst peri-
pherische Schnitte und hatte es gern, dass die dadurch
293
gefährdete Zonula so lange als möglich durch die davor
liegende Iris geschützt blieb. Seit ich indessen den
Schnitt in seiner Mitte weniger peripherisch anlege —
Vs bis 1 Hm. vom Homhautrande entfernt — gehören
jene Zui&lle unter normalen Yerh<nissen zu den Selten-
heiten, so dass ich jetzt immer die Gapselzerreisung nach
der Iridectomie vornehme. Dieses thne ich, wie frflher,
mit dem Gystotom oder dem A. Web er 'sehen Doppel-
hftkchen in sehr ergiebiger Weise. Beim Eingehen mit
den genannten Instrumenten suche ich jeden Druck auf
die Linsenkapsel, so wie jedes Hängenbleiben an der-
selben sorgfältig zu vermeiden und habe seither nicht
mehr über Verschiebung der Linse zu klagen.
Die Art der Herausbeförderung des Staars
mittels eines aussen auf die Hornhaut drückenden Löf-
fels, das sogenannte Sturzmanöver, wie es v. Gräfe
angab und in seiner letzten Veröffentlichung beschreibt,
ist eine ganz entschiedene Verbesserung des
Verfahrens. Ich hatte diesen Kunstgriff schon ge-
raume Zeit vor jener Publication, nachdem ich durch
mündliche Mittheilungen damit bekannt geworden war,
ausgeführt, und kann mich nur sehr zu seinen Gunsten
aussprechen. Bei demselben befolge ich indessen nicht
ganz dieselbe Technik wie v. Gräfe, indem ich nämlich
in denjenigen Fällen, in welchen der Staar auf den ersten
Druck sich nicht sogleich einstellt und die Wunde gut
klafft, die hintere Lippe dieser mit einem breiten, flachen
Löffel niederdrücke, v. Gräfe bemerk^ er habe gefun-
den^ dass dieses überflüssig sei, indem die Linse selbst,
wenn sie in passender Richtung dem Wundkanal zuge-
trieben werde, die Lippen desselben auseinander dränge.
So unbegrenzte Achtung ich auch vor dem ausgezeich-
neten Scharfblick und der unübertroffenen Erfsahrung des
grossen Meisters hege, so konnte ich mich dennoch bis
jetzt diesem Ausspruch nicht völlig anschliessen. Es
294
schien mir zweifellos, dass io vielen Fällen der Linsen-
anstritt durch Niederdrücken der hinteren Wundlippe,
was ja durch den leisesten Druck zu bewirken ist,
leichter und reiner geschähe. Häufig allerdings be-
obachtete ich, dass sich dieses ganz von selbst machte,
in andern Fällen geschah es aber nicht, die Wunde
klaffte mangelhaft und die hintere Lippe blieb starr in
ihrer Lage. Stärkeres Drücken mit dem Löffel auf den
unteren Homhautabschnitt trieb wohl die Linse in die
Wunde ein und diese mit Gewalt auseinander, aber da-
bei streiften sich von weicheren Staaren mehr Rinden-
reste ab und von härteren wurde der Wundkanal mehr
gequetscht als sonst Diese beiden Nachtheile kann man
durch leichtes Niederdrücken der hinteren Wundlippe
vermeiden. Ich überlasse deshalb auch während dem
Linsenaustritt die Fixirpincette dem Assistenten, weise
ihn aber an, dass er dabei dicht durch Zug an dem
Augapfel dem Löffeldruck entgegenwirkt, und wenn
ich sehe, dass sich die Wunde nicht gehörig öffnet, so
vermehre ich dieses, indem ich mit einem andern Löffel
gleichzeitig die hintere Wundlippe niederdrücke. Dadurch
wird die Wunde um ein Bedeutendes erweitert, selbst
wenn ihre Endpunkte während dessen sich ein-
ander gar nicht näher rücken, wie leicht einzusehen
ist Denkt man sich nämlich den Schnitt vollständig li-
near, d. h. als Bogen eines grössten Kreises, so wird ein
von innen austretender linsenförmiger Körper, dessen
Aequatorialebene mit der Schnittebene zusammenfällt,
beide Wundränder zunächst nach aussen zu drängen
suchen. Da dieses aber wegen der Unnachgiebigkeit der
fibrösen Augenkapsel nicht möglich ist, so schiebt er die
Wundlippen seitlich auseinander, wobei sich diese um
eine gemeinschaftliche, durch die Endpunkte des Schnittes
gehende Axe drehen. Dabei muss nun nothwendig eine
Entwicklung der Augenkapsel seitlich vom Wundrande
295
stattlBnden, was bei der geringen Anfüllung derselben
nach der Eröfinung des Bulbus leicht geschieht Dieses
wird far die vordere Wundlippe künstlich durch äus-
seren Druck bewirkt, wodurch auch noch gleichzeitig die
Linse nach der Wunde zu geschoben wird. Will man
sich den Mechanismus an einem Object aus dem gewöhn-
lichen Leben versinnlichen, so denke man sich eine runde
Geld- oder Reisetasche, deren Oeffnung von bogenför-
migen, an jedem Ende in einem Gelenk verbundenen,
starren BQgeln gebildet wird. Bei Oeffnung der Tasche
bewegen sich die beiden BQgel auch um diejenige Axe,
welche durch die Endpunkte der Oeffnungsspalte geht,
und nebenan knickt sich das Leder ein. Ohne Annähe-
rung der Spaltränder öffnet sich die Tasche vortrefflich.
Auch kann man mit zwei gekrtlmmten Sonden die hier
vor sich gehenden Bewegungen der Wundränder nach-
ahmen.
Reicht die durch Druck auf die Hornhaut erzeugte
Elaffung der Extractionswunde f&r die Dicke der Linse
aus, so kann die hintere Wundlippe ihre Lage ungeän-
dert beibehalten. Im andern Falle trägt auch sie dazu
bei, die Elaffung zu vermehren. Dieses kann auf zweier-
lei Art geschehen, erstens indem sie sich, wie die vor-
dere Lippe, um die gemeinschaftlicLe, durch die End-
punkte der Wunde gehende Axe auswärts dreht, wo-
bei der obere Theil der Sdera sich einknickt, (so ge-
schieht es meist, wenn man, nach v. Gräfe' s Vorsicht,
blos einen Druck auf die Hornhaut ausQbt,) oder zwei-
tens, indem sie sich nach der Mitte des Bulbus zu nieder-
senkt und einen nach dem Glaskörper zu convexen Bogen
bildet, was geschieht, wenn man die peripherische Wund-
lippe niederdrückt Die Wunde wird dann um doppelt
so viel erweitert, als ihre Bogenhöhe, der Sinus versus,
beträgt Bliebe die andere Wundlippe ungeändert in
ihrer ursprünglichen Lage, so würde durch jenes Nieder-
, 296
drücken der hinteren Wundlippe allein eine nicht uner-
hebliche Klaffung eintreten. Um dieselbe zu bestimmen,
denke man sich eine Ebene durch beide Wundwinkel
gelegt, welche zugleich senkrecht auf dem durch die
Schnittmitte gehenden Radius steht Dann erhebt sich
die vordere Wundlippe gerade um so viel über diese
Ebene, als sich die hintere unter dieselbe niederdrücken
lässt Dieses ist eine f&r die Dicke der meisten Staare
ungenügende Klaffung. Die Wunde muss also grösser
sein, damit sie durch Annäherung ihrer beiden
Enden bis auf die Länge des Aequatorialdurch-
messers des Staares eine fbr die Linsendicke ge-
nügende Klaffung erhält.
Bei Staaraustritt müssen wir, wie bekannt, die GrOsse
der Innern Wunde der Berechnung zu Grunde legen. Ist
der Schnitt im Scleralbord und als Bogen eines grdssten
Kreises angelegt, so lässt sich die durch Niederdrücken
der pherischen Wundlippe entstehende Klaffung leicht be-
rechnen. Der Badius der Innenfläche des Scleralbordes
ist nicht bekannt, kann aber annähernd auf 8 Mm. fest-
gesetzt worden. Der Radius der Aussenfläche der Horn-
haut beträgt 7,7 Mm. in der Mitte und wächst nach der
Peripherie zu stetig, so dass er im Aequator des Horn-
hautellipsoid's sich auf 9 Mm. berechnet. Der Radius
der Aussenfläche der Sclera beträgt 11 bis 12 Mm. Der
Scleralbord bildet den Uebergangsring zwischen beiden
krummen Oberflächen. Nehmen wir die Dicke der Gor-
neoscleralkapsel zu 1,3 Mm. an, und ziehen dieselben von
der Radienlänge ab, so dürfen wir für die Innenfläche
des Uebergangsringes mit genügender Annäherung eine
RadienläDge von 8 Mm. der Rechnung zu Grunde legen.
Machen wir nun die innere Wunde 9 Mm. lang, was dem
Aequatorialdurchmesser der grössten Staare entspricht,
so erhalten wir durch einfache Niederdrückung der peri-
pherischen Wundlippe eine Klaffung, welche der doppel-
297
ten Bogenhöhe gleich ist Die BogenhOhe ist aber nichts
Anderes, als der Lftngenanterschied zwischen dem Ra-
dius des Kreises und dem Abstand der Sehne vom Kreis-
mittelpunkt. Sic berechnet sich in unserm Beispiel zu
1,368 Mm. Die Klaffung einer 9 Mm. langen innem
Wunde durch Niederdrücken des hinteren Lappens be-
trägt demnach 2,77 Mm. Ich will hierbei bemerken, dass
dieselbe auch die grSsstmögliche Klaffung dar-
stellt, welche der Wunde ohne gleichzeitige An-
näherung ihrer Endpunkte oder Dehnung des
Gewebes ertheilt werden kann.
Sie reicht nicht aus filr den leichten Austritt grosser
und grOsster Staare. Letztere sind, wie bekannt, 9 Mm.
breit und 4 Mm. dick. Die praktische Aufgabe ist dem-
nach normal, die Wunde um so viel zu vergrOssern, dass
sie bei Annäherung ihrer Endpunkte bis auf 9 Mm. eine
Klaffung von 4 Mm. annimmt.
Die Schnittlänge lässt sich auf folgende Art bestim-
men: Wenn man beide Linsenoberflächen als Kngelba-
lotten von gleichem Badius annimmt, und den äquatorialen
Durchmesser der Linse als Sehne eines Meridankreises,
so lässt sich aus der Länge dieser Sehne (9 Mm.) und
ihrem Abstände wotk der Bogenmitte (2 Mm.), wie auch
A. Weber (Arch. f. Ophthal. XIII. 1. p. 236) gethan,
der Badius des Kreises zu 6,06 Mm. und der jener Sehne
angehttrige Bogen zu 10,14 Mm. berechnen*).
Die weitere Bestimmungist, abweichend von A.Weber
und richtiger, folgende:
Betrachten wir jenen Bogen als einen Faden und
lassen ihn seine Krümmung der Art ändern, dass er
*) Verbindet man ein Ende der Sehne mit beiden Enden des
Dnrchmeuera, lo steUt die halbe Sehne die mittlere Proportionale iwiechen
beiden von ihr anf dem Halbmesser abgeschnittenen Stücken dar, also
2r — 2 : 4,5 Ml 2, woraus r und mit Hülfe dessen der Bogen gefunden
werden kann«
298
einem Kreise von 8 Mm. Radiuslänge angehört, &o ist
die ihm aogebörige Sehue in diesem Kreise die Länge
unseres Linearschnittes im Scleralbord.
Die Länge dieser Sehne wird auf folgende Weise ge-
funden. Die ganze Pheripherie der Innenfläche des
Scleralbordkreises beträgt nach der Formel
2rn = 2.8. 3,1416 M. = Ö0;25 Mm.
Davon macht unser Bogen den HTjogg* ^^^^^ ^^^) ^^^
umspannt er auch einen Gentriwinkel, welcher der eben
so vielste Theil von den 360^ des ganzen Kreises ist,
nämlich 72,60<^ = 72<^36'. Halbiren wir denselben, so steht
die Halbirungslinie senkrecht auf der Mitte der Sehne
und diese ist, wie die einfache Construction zeigt, =
2.8.sin.36M8' = 9,47Mm.
Wenn wir also im Scleralbord einen Linearschnitt
von 9,5 Mm. machen, so hat die Wunde eine Bogen-
länge von 10,14 Mm. Drücken wir die hintere Wund-
lippe nieder und schieben durch gleichzeitigen Druck auf
den untern Hornhautabschnitt den Staar in die Wunde
ein, so werden deren Endpuncte sich bis zur Berührung
des Staaräquators einander nähern, wodurch die beiden
Schnittbogen in ihrer Mitte einen gegenseitigen Abstand
von 4 Mm. annehmen. Der Staar kann alsdann ohne
Quetschung der Wunde und ohne Abstreifung seiner Rinde
bequem durchtreten. Dabei ist die Dehnbarkeit der
Wunde vollständig ausser Rechnung gelassen. Dass wir
diese geometrischen Verhältnisse bei der Schnittbildung
gut verwerthen können, folgt von selbst und ich habe
sie hier ausgeführt, weil die Schnittlänge meistens, auch
von A. Weber, zu gross angegeben worden ist Die Er-
fahrung zeigte auch, dass kleinere Schnitte als 10 und
11 Mm. den grössten Staaren noch leichten Austritt ge-
statten, was man durch Dehnung der Wunde erklärte.
Bedenkt man weiter, dass nur wenige Staare jene Di-
299
mensionen Yoa 9 Mm. Breite und 4 Mm. Dicke erreichen
und dass eine jede Abweichung der Schnittrichtung von
einem grössten Kreise die Bogenlänge bei gleichbleibender
Sehne entsprechend vermehrt^ so sieht man ein, dass man
nicht nöthig hat, mit der Schnittlänge aber 9 bis 9Vs Mm.
hinauszugehen. Aus diesen Betrachtungen geht aber
ferner hervor, dass es möglich ist, nach der v. Graf e'schen
Technik einen vollkommen linearen Schnitt mit hinrei-
reichender Länge für den Austritt grosser Staare ganz
innerhalb des Scleralrandes zu führen. Die genaue Be-
zeichnung der Lage und Ausdehnung desselben für ver-
schiedene Staargrössen darf noch zum Gegenstand ana-
tomischer Studien gemacht werden, damit wir für den
Staarschnitt ebenso bestimmt präcisirte Anhaltspunkte
haben, als diese für viele chirurgische Operationen schon
aufgestellt sind. Ich kann hier nicht weiter auf diesen
Punkt eingehen, da ich für seine genauere Discussion
noch nicht hinreichend vorbereitet bin.
Noch Einiges über das Operationsverfahren werde
ich unten besprechen, weil es sich auf die Ergebnisse
der nun folgenden Mittheilungen gründet
n. Zufälle während des Operationsverlaufes.
Von den 100 Extractionen verliefen 72 normal, so
dass weder irgend ein Zufall dabei vorkam, noch Linsen-
reste im Auge zurückblieben. Letzteres wurde mit
schiefer Beleuchtung während der Operation selbst ge-
prüft
Unter den Zufällen kam nur Glaskörpervorfall und
Zurückbleiben von Linsenresten vor.
1. Glaskörpervorfall ereignete sich 18 Mal.
Dieser hohe Procentsatz ist, gegenüber andern Statisti-
ken, auffallend. Ich muss zu seiner Erklärung Einiges
beifügen. Obwohl ich am Schlüsse meines vorigen Be-
300
richtes schon ausgesprochen, dass ich die Schnittmitte
der Homhantgrenze bis auf Vs ^^^ ^ ^^* annähere, so
hielt ich mich doch auch bei dieser Operationsreihe
meistens an die letztere Grenze und ging nicht selten
mit der Schnittmitte noch peripherischer als 1 Mm. In-
dem ich das grOsste Gewicht auf die sclerale Lage der
Wunde legte, so wollte ich lieber Glaskörpervorfidl mit
in den Kauf nehmen, als der Hornhaut mit ihren ver-
derblichen Reactionen zu nahe treten. Femer bemerke
ich, dass alle Fälle von Glaskörpervorfall, auch die ge-
ringsten, vor oder nach dem Linsenaustritt, registrirt und
mitgezählt wurden.
In 12 Fällen war der GlaskOrpervor&ll rein, ohne
dass Linsenreste oder eine andere ComplicaUon dabei
vorgekommen wäre; 6 Mal blieben nach GlaskOrpervor-
fall Linsenreste im Auge zurQck.
2. Ueberhaupt blieben 16 Mal Liusenreste
im Auge zurück, nämlich ausser jenen 6 bei Glas-
körpervorfall noch 10 ohne andere Störungen. Die Ent-
fernung der Linsenreste wurde fast immer nur durch
streichende Lidbewegungen zu bewirken gesucht, indem
meine frühere Erfahrung mich lehrte, dass, wo dieselben
nicht zum Ziele ffthrten, mit Löffeln auch meist nichts
mehr erreicht wurde. Desshalb stehe ich lieber von der
Einführung solcher Instrumente ab'.
Störende Blutungen, Iridodialysis und andere Zu-
fälle kamen nicht vor. Bemerken will ich noch, dass
8 Operationen während meiner Herbstreise von meinem
ersten Assistenzarzt, Dr. F. Bergmann, ausgeführt wur-
den, 7 mit vollkommenem, 1 mit unvollkommenem Er-
folge. Sie sind in den Bericht mit eingereiht.
301
in. HeÜTerlauf; Heildaaer.
Nachoperationen.
In 84 Fällen war der Heilverlauf ein völlig normaler,
ohne irgend welche, durch unsere gewöhnlichen Beobach-
tungsmethoden nachweisbare Störungen. Die 16 Fälle
von abnormem Heilverlanf boten folgende krankhaften
Prozesse dar:
3 Mal reine, uncomplicirte Nachblutung. In
den beiden ersten Fällen war der Staar mit dem Löffel
unter Glaskörpeirerlust herausgeholt worden. Das Blut
saugte sich vollständig wieder auf und der erste Kranke
wurde 25 Tage nach der Operation mit S «= Vs« der an-
dere 16 Tage nach der Operation mit 8=^74 entlassen.
Im dritten Fall trat Nachblutung nach normalem Opera-
tionsverlauf auf. Der Kranke wurde 20 Tage nach der
Operation bei noch vorhandenen Blutresten im Glaskörper
mit 8 = Veo entlassen, hatte aber 6 Wochen später, als
er sich wieder vorstellte und das Blut verschwunden
war, S = V6.
9 Mal Iritis. Diese erfolgte in 2 Fällen nach
normalem Operationsvcrlaaf mit § = V40 und
8 = 74; ^^ ^ Fällen nach Glaskörpervorfall, wo-
bei 2 Mal Linsenreste zurückblieben und beide
Mal 8=740 bei der Entlassung nach 26, resp. 27 Tagen
erzielt wurde. Bei den drei andern Fällen, in
welchen Iritis nach Glaskörpervorfall ohne Zu-
rückbleiben von Linsenresten auftrat, war 8=7i6
nach 18 Tagen, später = 74 5 resp. 8 = 7ioo nach 13 Tagen;
Patient ein 79 jähriger, schwachsinniger Greis, der nach
der Operation beständig unruhig war, weinte, mehrmals
heimlich die Anstalt zu verlassen versuchte, zuletzt nicht
mehr zu halten war und bei kaltem Wetter die weite
Heimreise unternahm. Die Iritis hatte einen ganz gut-
artigen Charakter, verlief aber zu Hause schlechter, in-
302
dem Patient wiederkam mitHypopyon und einem dicken,
prominenten Eiterpflock in der Mitte der Pnpille, von
welchem strangförmige, weisse Trübungen zum Irisrande
zogen. Der zackig erweiterte Pupillenraum war an der
Peripherie, namentlich oben noch ziemlich frei und schwarz.
Wir hatten also nebst Iritis hier eine eitrige,
traumatische Capsulitis. Der Pupiliarpflock ver-
kleinerte sich rasch, das Hypopyon verschwand bald
wieder und Patient wurde schon 8 Tage darauf mit guten
Chancen für eine nachtrSgliche Pupillenbildung entlassen,
freilich in Anbetracht seiner Unruhe und Unzurechnungs-
fthigkeit Er stellte sich bis jetzt nicht wieder vor.
Im dritten Falle war 23 Tage nach der Operation
S===Vioo; die Pupille durch Schwarten getrflbt; gute
Chancen fQr Nachoperation.
In 2 weiteren Fällen erfolgte die Iritis nach
Zurückbleiben von Linsenresten, im ersten mit S^Vi
nach 22 Tagen und im zweiten mit S — V40 i^^ch 16 Tagen,
wobei beste Aussichten auf späteren, vollkommenen Erfolg.
2 Mal GlaskOrpertrübung, ophthalmoscopisch
nachweisbar, beide Mal nach normalem Operationsver-
lauf und mit 8 = 75-
2 Mal trat Hornhautsuppuration mit Panoph-
thalmitis ein. In beiden Fällen war der Operationsver-
lauf normal und ohne die geringste Störung. Der erste
betraf einen gesunden Mann von 68 Jahren mit einer
Cataracta Morgagniana. Der Schnitt war nicht sehr gross,
linear gerichtet; vollständig scleral, mit seiner Mitte
1 Mm. vom Homhautrande entfernt , die flüssige Binde
und der harte Kern entleerten sich sehr leicht und voll-
ständig; Sehprüfung und Beschaffenheit des Auges un-
mittelbar nach der Operation äusserst befriedigend. Die
Hornhaut fing am zweiten Tag an, sich am obern (Schnitt-)
Bande milchicht zu trüben, ebenso der Humor aqueus,
am nächsten Tage war der Bingabsc^ss vollständig und
303
das Auge ging anter den bekannten Symptomen zu Grande,
wobei in den ersten Tagen fiist gar keine Schmerzen
and nnr sehr geringe Lid- and Bindehantgeschwalst auf-
traten, also indolente, primitive, eitrige Schmelzang. Die
Beschaffenheit des Morgagni'schen Staars darf wohl als
Ursache dieser Panophthalmitis vermathet werden, indem
die Prodacte regressiver Metamorphose der verflüssigten
Binde reizend auf die Wände des Wandkanals und der
vorderen Kammer eingewirkt haben mögen. Die Beschaf-
fenheit des Staars anzuklagen wird in diesem Falle ge-
stützt durch den voUst&ndig normalen Heilverlauf des
zweiten, an gewöhnlichem reifen Staar leidenden und
gleichzeitig operirten Auges desselben Patienten. Ich
spreche dies nicht mehr als eine Yermuthung aus, denn
ich bin mir wohlbewusst, dass auch die meisten morga-
gnischen Staare gut heilen.
Der zweite Fall von Panophthalmitis purulenta be-
traf eine 52 jährige, etwas blasse, aber gesunde Frau,
deren anderes Auge ein Jahr zuvor anderwärts an Ca-
taract operirt worden und gleichfalls zu Grunde gegan-
gen war. Das von mir operirte Auge hatte einen völlig
reifen Staar mit hartem Kern und weicher Rinde. Der
Schnitt war scleral und linear, nicht sehr gross. Die
Bindenreste entfernten sich leicht und rein. Sehprfifiing
und Alles nach der Operation höchst günstig. Ueber-
haupt ging die Operation so musterhaft glatt, dass ich
übermüthig den Zuschauern zurief: „Wer Gataract besser
zu operiren weiss, der melde sich."" Die Nacht verlief
schmerzlos. Am nächsten Morgen zeigte sich eine leichte
Verfirbung der Iris, am Abend ein weisser, schmaler
Saum, rings um den Pupillarrand, darauf gelbgrünliche
und gelbe Färbung der Iris, Trübung des Kammerwas-
sers, der Pupille, dann diffuse Trübung der Hornhaut,
welch' letztere alsbald an der Peripherie ringförmig weiss
wurde und zur eitrigen Schmelzung des Bulbus führte.
804
Also auch nach der Unearen Scleralextraction kommt
Bupparative Panopthalmitis vor, und meine Ueberzeugung
ist, dass wir diese aacb nie gftnzlich fernhalten wer-
den, so lange unsere Instrumente noch mit Fleisch und
Blut zu ihun haben. Im ersten Hundert meiner Fälle
von linearer Scleralextraction kam ein Fall von eitriger
PanOphthalmitis vor und zwar mit Beginn durch eitrige
Glaskörperentzündung. In den beiden jetzigen Fällen
wurde sie im ersten von primitiver, eitriger Keratitis,
im zweiten von primitiver, eitriger Iritis eingeleitet
Dass auch die eitrige Capsulitis gelegentlich
einmal die Einleitung und Anregung zu eitriger Panoph-
thalmitis werden könne, scheint mir nach dem mitgetheil-
ten Falle nicht unwahrscheinlich. Eine Betheiligung der
intracapulären Zellen an der entzündlichen Wucherung
kommt in Verbindung mit Iritis gewiss nicht sehr selten
vor, wenngleich sie nur ausnahmsweise so hochgradig
auftreten wird, wie hier, wo sie entschieden das Haupt-
leiden darstellte. Sie hätte nach dem Spruche „a poti-
ori fit denominatio^ eigentlich nicht als Complication zu
Iritis aufgeführt werden sollen, doch wurde sie im kli-
nischen Journal so registrirt, weil bei der ersten Ent-
lassung des Patienten die Iritis noch das Vorwiegende
war, wogegen es sich später umgekehrt verhielt
Von reiner, eitriger Capsulitis, d. h. ohne
plastische Iritis, habe ich erst einen Fall, den in meinem
vorigen Bericht (Arch. f. 0. XIII. p. 107) mitgetheilten,
beobachtet Ich trage von dem Patienten nach, dass der
dadurch entstandene, dichte Nachstaar später durch par-
tielle Excision operirt wurde und bei der Entlassung ein
Sehvermögen = Vs lieferte.
Heildauer.
Die 100 Staaroperationen hatten 1887 Verpflegtage.
Die Kranken wurden durchgehends am Tage nach ihrer
ao5
Aaliiahine in die Anstalt operirt Die mittlere Heildauer
betrog demnaeh 17,8 Tage. Wurden beide Augen gleich-
zeitig op^rt, so erfaftlt jedes bei gewöbnliehem Heilyer-
laul dBe i^eiche Sttimme der Yerpflegtage angerechnet.
Nur ivenn dnes der beiden gleichzeitig operirtm Augen
abnenn langsam hdlte, z. B. bei Panophthalmitis in
40 Tagen, während das andere schon nadi kurzer Zeit,
z. B. 14 Tagen, frei von Bieactionserseheinungen war,
erhielt ersteres die höhere, letzteres die niedrigere Summe
Ton Verpflegtagen zugemessen.
Nachoperationen.
Die Zahl der Nachoperationen habe ich nicht ange-
stellt, weil die wirklich vorgekommenen keinen Maass-
stab für die nothwendigen oder wünschenswerthen ab-
gaben und die letzteren doch nicht als Operationen
gezählt werden konnten. Im Allgemeinen habe ich bei
diesen 100 Staarextractionen nur sehr wenig Iridecto-
mien oder Excisionen des Nachstaars gemacht In-
dicirt wäre dieselben höchstens 6 Mal gewesen, hätte
aber auch wohl davon noch 2 Mal durch Discision er-
setzt werden können. Discision selbst leichter Pupillar-
trübungen habe ich in letzter Zeit häufiger gemacht und
zwar sehen in der zweiten und dritten Woche nach der
Extraction. Bei einem Besuch in London im October
1867 erfuhr ich nämlich von Critchett, dasa er im
Boyal London Ophthalmie Hospital jetzt Brauch ist, fast
alle Staarextrahirten vor ihrer Entlassung noch einer
Kapseldisoision zu unterwerfen. Die Sehschärfe wttrde
dadurch immer gebessert, die Operaüen verliefe fast
immer reizlos und könne so früh nach dem ersten
Eingriff ohne grösseres Risieo als später gemacht
weü der Nachstaar dann noch sehr zart und resistenzlos
sei, weshalb er sich leichter und vollständiger zerreissen
lasse^ als später. Ich habe dieses in etwa 10 Fällen
AnhiT fBr OpkttaalaolofK XIV, 1. 20
306
nachgeahmt und kann die Angaben unserer CoUegen an
Moorfields Hospital yollkommen bestätigen. Es ist mir
eine angenehme Pflicht der Dankbarkeit gegen Gritchett
und Bowman, dieses hier öffentlich anzuerkennen und
meinen deutschen Fachgenossen als einen neuen Fort-
schritt anzuempfehlen, den wir dem practischen Scharf-
sinn jener beiden hochverdienten Männer verdanken, mit
welchen die deutschen Ophthalmologen schon so lange
in dem lebhaftesten Gedankenaustausch stehen. Dass ich
diese, sowie überhaupt alle Nachstaaroperationen bei
schiefer Beleuchtung ausführe und aus welchen Gründen
habe ich in einer vorstehenden Mittheilung in diesem
Bande des Archivs angegeben.
IV. Einfluas des Lebensalters , der Beschaffenheit des
Staares und des Operationsverlaufes auf die Heilung
und Sehschaxfe.
a) EinfloBS des Alters.
Von den 100 operirten Augen gehörten 14 solchen
Leuten an, die unter 60 Jahre alt waren, 22 fielen auf
die Jahre zwischen 50 und 60, weitere 47 zwischen 60
und 70 und 17 zwischen 70 und 80 Jahre. Ueberblicke
ich die Resultate der Operationen, so finde ich, dass das
Alt«r keinen wesentlichen Einfluss auf die Heilung der
Wunde hatte, wohl aber war die erzielte Sehschärfe im
hohen Alter unter scheinbar gleich günstigen dioptrischen
Verhältnissen durchgehends geringer, was übereinstimmt
mit der physiologischen Abnahme der Sehschärfe aller
Augen bei hohem Lebensalter.
307
b) EinflnsB der Beschaffenheit des Staares.
17 Staare waren überreif, deren Operation 7 Mal
Yon abnormem, mehr oder minder gestörtem Heilverlauf
gefolgt war. Die bei demselben erzielte Sehschärfe war
1 Mal = 0, 2 Mal = Vioo, 2 Mal = V^o, 2 Mal = V?»
4 Mal = Vei 3 Mal = V5, 3 Mal = Vi- Die Ergebnisse
überreifer Staare waren demnach dieses Mal die verh<-
nissmässig am wenigsten günstigen.
unreife Staare wurden 3 operirt, wovon 1 bei
normalem Operationsverlauf mit S = Vi und 2 mit Hin-
terlassung von Linsenresten ohne andere Störungen mit
je S = Vi0 9 aber mit besten Aussichten auf spontane
Besserung des Sehvermögens durch fortschreitende Re-
sorption der Staarreste.
Complicirte Staare wurden 5 operirt und
von vornherein in die Statistik aufgenommen, weil die
Sehprüfung bei ihnen keine merkliche Abnormität zeigte.
Sie betraf IFall von Cataracta tremulans mit Glas-
körperverflüssigung. Die Linse wurde sammt der Capsel
sofort mit dem Löffel entbunden, wobei Olaskörpervorfall
vorkam und S = Va erzielt wurde; 1 Fall mit lange vor-
her bestehender Trübung und Verflüssigung des
Glaskörpers. Operation und Heilung ohne Zufall. Die
erzielte S = Vio war unter den ersten Bedingungen ein
vortreffliches Resultat.
3 Fälle mit hinteren Synechien, einer nach Pulver-
verletzung, in welchem Linsenreste zurückbleiben, die in
der 2. Woche discidirt wurden; bei den beiden anderen
Operation und Heilung normal; bei allen dreien S==Vi-
Einige Fälle von complicirter Cataract wur-
den von vornherein von der Statistik ausge-
schlossen, weil die Sehprüfung merkliche Abnahme der
Sehschärfe oder aber Sehfelddefecte nachwies, oder weil
bei traumatischer Cataractbildung noch während des Ent-
20»
308
zündungsstadiums operirt werden musste. Die Gataract
stellte hier nicht das HaupÜeiden, sondern nur ein se-
cundäres dar und deshalb verdienen solche Fälle auch
aus den Statistiken der Staareperationen ausgeschlossen
zu werden. In meinem frühereu Berichte habe ich auch
sie mit aufgenommen, um die an ihnen gemachte Erfah-
rung mitzutheilen, nämlich dass auch sie bei der hier
befolgten Operationsmethode ein relativ sehr günstiges
Heilergebniss gewähren. Zu meinem Bedauern habe ich
erfahren müssen, dass man gegen die Methode die Un-
gerechtigkeit begangen hat, diese natürlich ungünstiger
ausfallende Statistik neben andere zu stellen, in welchen
alle complicirten Staare von vornherein ausgeschlossen
wurden. Max Esslinger (Beitrag zur Lehre von der
modificirten Linearextraction, Inaugural-Dissertation, Zü-
rich 1867) weist in der von ihm zusammengestellten
Tabelle wenigstens auf die ungleichen Grundlagen der
verschiedenen Statistiken hin, W. Zehender aber druckt
diese Tabelle in den Monatsheften für Augenheil*
künde (VI. Jahrgang pag. 27) einfach ab, ohne die zur
Beurtheilung wesentlichen Erläuterungen anzuführen.
In Bezug auf die Beschaffenheit des Staars muss
ich femer anführen, dass 3 von den 100 diabetisch wa-
ren. Sie hielten gut und boten 1 Mal S = Vi ^^^
2 Mal S = V».
72 Staare des Hunderts konnten im Allgemeinen
als reif und nicht complicirt bezeichnet werden. Sie lie-
ferten 11 abnorme Operationsverläufe, 1 Verlust, 8 S
zwischen Vg bis V40 und 63 S zwischen Vi ^^^ V«-
c) Einfluss des OperatioBBverlaufes.
Von 72 normal verlaufenden Operationen, in
welchen der Staar rein entfernt wurde, heilten 63, also
88 7o) obne die geringste Störung und lieferten vollkom-
men gute Sehschärfen. Unter den 9 nicht glatt heilen-
309
den Fällen kamen vor 2 totale Sappurationen und 1 Iritis
mit PnpillartrQbnng bei S = Vio« die andern Fälle hatten
nachweisbare, wiewohl leichte Irishyperämie und Iritis;
1 Fall Nachblutung; alle aber ein gutee Sehvermögen,
nämlich S von V? bis Vf Von den 72 normal operirten
Fällen kamen yor: 2 Verluste, 1 halber Erfolg mit
S *= Vioj der aber durch Nachoperation zu einem vol-
len Erfolge werden wird und 69, also 967o> volle
Erfolge schon bei der Entlassung. Diese Zahlen pre-
digen, wenn es noch nOthig wäre, laut genug, dass wir
nicht eifrig genug bestrebt sein können, den Operations •
verlauf immer mehr von Zufällen zu reinigen. Eine be-
sondere Aufmerksamkeit widmete ich dem Einfluss von
zurückbleibenden Linsenresten und fand, dass sie
die Sehschärfe in den ersten Wochen allerdings in merk-
barem Grade herabdrQcken, aber auf ein günstiges End
resultat kein wesentlich störendes Moment abgaben. Ich
war eifrig beflissen, die Reste nach den früher ange
gebenen Regeln so sorftltig als möglich zu entfernen,
und jeder Fall, in welchem dieses nicht gelang, wurde
notirt, wenn auch^sonst nichts Abnormes bei der Ope-
ration vorkam. Solches reine Zurückbleiben von
Linsenresten kam 10 Mal vor. Nur 2 Mal warder
Heilverlauf danach von iritischen Symptomen gestört mit
den Sehresultaten von Vio und V4 bei der Entlassung.
In den andern Fällen trat keine Reaction bei der Hei-
lung auf, und der Pupillarraum klärte sich durch regel-
mässige Resorption der Linsenreste in Wünschenswerther
Weise, so dass bei allen ein voller Seherfolg erzielt
wurde, der bei der Entlassung in sechs Fällen unter Vt
zurückblieb, nämlich 4 Mal S = Vio, 1 Mal S = V12 und
1 Mal S = 7,0.
Das Zurückbleiben von Linsenresten bei
Glaskörpervorfall stellte die ungünstigte Bedingung
des abnormen Operationsverlaufes dar, doch ohne ein
310
Auge zu Grunde zu richtea oder eine dauernde st&rkere
Amblyopie zu verursachen« 6 Fälle der Art wurden
beobachtet, wovon 4 einen normalen Heilverlauf mit
S = Ve» Vti Vi5 und Vw aufwiesen, alle mit besten Aus-
sichten auf spontane Besserung des Sehvermögens.
2 Fälle waren von Iritis gefolgt und zeigten bei der
Entlassung je S = Vioi ^^ Augen aber, abgesehen von
den Pupillartrübungen, so wohl erhalten, dass eine Nach-
operation vollen Seherfolg bei ihnen verspricht.
Reiner Glaskörpervorfall kam 12 Mal vor
und brachte 6 Mal keine Störung der Heilung und
die Erlangung eines vollen Seherfolges hervor. 2 Mal
trat danach Nachblutung in den Glaskörper auf,
welche vollkommen und rasch verschwand mit S = Vs
und S = Vi-
1 Mal trübte sich der Glaskörper ohne Blutung, und
Patient wurde mit S = Vio u^ fortschreitender Besserung
entlassen.
1 Mal kam Iritis mit Nachblutung darauf vor, welche
beide rasch heilten mit S = Vi) ^^'^
1 Mal kam intensivere Iritis vor mit stärkerer Vor-
legung der Pupille bei S = Viooi aber sehr günstigen
Aussichten für eine Nachoperation.
Ueberblicke ich nun übersichtlich die mitgetheilten
Thatsachen und suche daraus Gewinn und Anhaltspunkte
für die Zukunft zu ziehen, so liefern sie manches werth-
volle Material, besonders in Bezug auf die Opera-
rationstechnik.
Die beiden Fälle von Suppuration nach normal
verlaufener, ganz peripherisch im Scleralbord gehal-
tener Operation beweisen, dass die sclerale Lage
nicht vor Eiterungen deletärster Art schützt Im
vorigen Hundert meiner Staaroperation bestimmte mich,
ausser den an den früheren Hornhautbogenschnitten ge-
machten Erfahrungen, namentlich ein Fall für die recht
311
periphaisch anzulegende Wunde, weil partielle Hörn*
haatsappuration auftrat, nachdem die Schnittmitte nur
um ein Oeringes auf die Homhautsnbstanz selbst aber-
griff. Da dieses unter 100 der einzige Fall von prim&rer
Homhanteiterung war, so erschien er mir aufs Neue be-
weisend f&r die Gefthrlichkeit der Schnittlage in der
Honihaut selbst In diesen 100 F&llen berOhrte kein
Schnitt die Hornhaut und doch zwei totale Yereiterun*
gen. Obgleich diese Zahlen noch viel zu gering sind zur
AuüstelluDg Yon allgemeinen Sätzen, so werden sie mich
doch bestimmen, die oben angeführte Schnittf&hrung in
der Weise zu ändern, dass zwar fortgesetzt die Regel
gelten soll, die Schnittmitte zwischen Vs bis 1 Mm. vom
durchsichtigen Hornhautrande entfernt zu halten, doch
werde ich bestrebt sein, mich mehr an die Grenze von
Vs Mm. als an jene von 1 Mm. zu halten. Dass dadurch
die Procentzahl des Glaakörperrorfalls, den ich aus Furcht
vor Homhautentzflndung bei der peripherischen Schnitt'
fahrung mit in den Kauf nahm, sehr vermindert werden
wird, beweist nicht nur meine eigene, sondern auch zahl-
reiche fremde Erfahrungen. Dadurch wird dann auch
die Wunde linearer, der Linsenaustritt leichter und die
Schnittfährung ziemlich die v. Gräfe'sche. Ob ich mich
derselben ganz anschliessen und die Schnittmitte bis zur
Tangirung au die Hornhaut heranrücken soll, mtlssen die
Erfahrungen der Zukunft, ttber die ich, wie vorher, ge-
naue Buchf&hrung halten werde, lehren.
Fflr den theoretisch vollkommensten Schnitt halte
ich den Weber'schen. Er vereinigt die Vortheile des
grössten Ereisschnittes mit einer das Gewebe schräg
durchsetzenden Richtung: die Elaffung durch Hebung
der comealen Wundlippe wird durch die Lage im gross«
ten Kreisen und das seitliche Voneinanderweichen der
beiden Wundränder dadurch vermieden, dass der Druck
der Augenflflssigkeiten den hinteren schnabelartig zuge-
312
sebärften Wundrand an die corneale Wiindfläche anpresst
und einen ventilartigen Verschluss erzeugt, wie dieses
mdit selten physiologisch bei andierra Aperturen in haut-
artigen Organen des Körpers geschieht Dadurch wird
der Binnenraum des Auges m der kürzesten Zeit nach
der Operation und zugleich in der festesten Weise gegen
die Umgebung abgeschlossen. Der Wundkanal geaiesst
somit die Vortheile einer subcutanen Verletzung, ähn-
lich einer Tenotomie oder einer ein&cben Knodienfractur.
Wenn ich nicht sogleich dieses Verfahren adoptire, so
geschieht es, weil der Lanzenmesserschnitt immerhin
mehr durch Druck bewirkt wird, als der mit dem schma* .
len Messer und weil mir dieser in seiner Ausführung
bequem und sicher geworden ist Ich bin nämlich der
Ansicht, dass man nicht zu schnell mit seinen Operations-
methodeo wechseln soll, denn die Erfolge hängen doch
von der Gtowaudbeit des Operateurs ab. Wenn A. Weber
aber die Erfedirimgen seines Ver&hrens mit den vorge-
kommenen Zufällen der Operation und den Heilungsre*
sultaten mitgetlieilt haben wird und diese sich als gün*
stiger herausgestellt haben, dann wird es natürlich nicht
mehr erlaubt sein, sich von der Ausführusg seines Ver-
fiihrens fern zu halten, dessen Vorzüge in Bezug auf
Schnittlage und Richtung theoretisch klar sind und an-
erkannt werden müssen.
In meinem vorigen Bericht legte idi ein grosses
Gewicht auf die ausgiebige Zerreissung der vor-
deren Gapsei und erklärte deren Entfernung, wenn
mSglich, fQr einen grossen Fortschritt der Staarextrac«
tionslehre. Meine Meinung über diesen Punkt hat sich
nicht geändert. Eigene und fremde Versuche — ich
habe seitdem gesehen, dass man von verschiedenen Seiten
diesem Punkte Aufmerksamkeit zugewendet hat, — habe
indessen bis jetzt noch kein Verlhhren gezeigt, welches
der gangbaren Eapselzerreissung den Vorrang abge-
213
wdBne. Er&hnmgen nach zwei Seiten hin lassen mich
jetzt den Werth der Entfdniung der Vordericaped nicht
ganz so hoch anschlagen, wie dainals. Weitere Erlebnisse
aber die Staarextraetion mit der Kapsel haben
mir nimlich geeeigt, dass die Entfernung des ganzen
EristalUcSrpers nicht so absolnt vor Iritis schützt als
ich damals, gestützt anf weniger zahlreiche Fille, an-
nahm. Es trat nftmlioh in einem Falle von intentirter
nad gut verlanfener Extraation des Staars mit der Kapsel,
ausser der gewOhntichen Nachblutung in den Glaskörper,
eine ganz regelrechte und intensive plastische Iritis auf,
welche dichtere Pupillarschwarten setzte und nicht mehr
als S — Vm lieferte. Auf den Vortheil der Nachopera-
tionen und tlberiiaupt auf die Daoerhaitigkeit der Augen
nach der Extraction des Staars mit der Kapsel kann ich
nidit in gleicher Weise erwartungsvoll hinblicken als auf
die anders operirten Staare, denn der gar zu hftufige
und oft akht geringe OlaskOrpatmsfluss, und die Nach-
bhitung, welche jene Openitionsweise im Gefeige fahren,
verursachen doch wohl dauernde Syndiisis ccMporis vi-
trei, welche für weitere Verftaderungen der innem Mem*
brauen des Auges, vielleicht auch NetzhantablOsung prä-
diaponirend wirken dürfe. Meine Erfehrungen über diese
Methode sind noch zu jung und auch zu wenig zahlreich,
doch bin ich geneigt, die Indicationen derselben noch
weiter einzuschr&nken als dieses F. Bergmann in seiner
Veröffentlichung im XIIL Bande des Archivs p. 396 und
397 schon gethan hat Herr Hofraih A. Pagenstecher
zu Wiesbaden hat wohl die ausgedehntesten Erfehrungen
über diesen Gegenstand und würde gewiss Manchen durch
weitere Mittheilungen verpflichten.
Wenn so nach der mnen Seite hin die Extraction
mit der Kapsel nicht vollständig vor Iritis schützt (die
vorkommenden schUmmerea Glaskttrperprocesse lasse ich
uaerwäimt), so bietet mir auf der andern Seite die Mög-
314
liebkeit und Ungefäbrlichkeit der fTflhzeitigen
Nachstaardiscision ein willkommenes Mittel, am die
optischen Nachtheile der Kapseltrübongen und Ranze-
langen scbon in den ersten Wochen zam Verschwinden
za bringen, wodurch viele Patienten mit einem rollen
Operationserfolg enUassen werden kOnnen, welche ich
sonst Aber den halben Erfolg mit einer später Yorzn-
nehmenden Nachoperation tröstete, wobei dann Yiele den
Zweifel mit nach Hause nahmen, ob es nicht ein sog.
Doctorstrost gewesen sei. Jedenfidls stellen sich viele
von diesen mittleren Erfolges ihrem ersten Operateur
nicht mehr vor.
Ich will hier bemerken, dass in den hier abgehan-
delten 100 F&llen keine solchen von intentirter Extrac-
tion mit der Kapsel eingerechnet sind, und femer, dass
ich die frflhzeitige Eapseldiscision erst bei den letzten
25 F&llen da in Anwendung kommen liess, wo das Seh-
vermögen beim Nachlass der Beactionserscheinungen Ve
nicht erreicht hatte. Auch auf diesen Punkt werde ich
besonders aufmerksam sein, denn es ist za constatiren:
1. der Orad der Unschädlichkeit dieser frühen Nadistaar-
disdsion, 2. der beste Zeitpunkt derselben, 3. die anato-
mischen Bedingungen, bei welchen sie zulässig ist, und
4. die dadurch erzielte Besserung des Sehvermögens.
y. Heil- nnd Seherfolge.
Unter den 100 mitgetheilten Fällen traten nur 2 Ver-
luste auf, alle anderen wurden im Zustande mehr oder
minder fortgeschrittener, bei gewöhnlichem Verhalten aber
gesicherterHeilung entlassen. Die Sehschärfe wurde
vor der Entlassung geprüft und aufgezeichnet, also in
einem Zustande, wo noch keineswegs alle Reizerschei-
nungen abgelaufen waren. So lange aber äusserlich noch
315
Injection um die Cornea sichtbar ist, so lange diese selbst
noch streifige Trübungen zeigt, ist auch der Wundkanal
nicht völlig verheilt, sind der Glaskörper und das Eam-
merwasser nicht ganz geklärt und die nicht hinreichend
verdichtete Narbe bedingt eine später immer mehr ver-
schwindende Meridianasymmetrie der Hornhaut Verfolgt
man nun das Princip, diese vollständige Heilungsperiode
nicht abzuwarten, sondern die Patienten in dem Zustande
gesicherter, wenn auch nicht vollendeter Heilung zu ent-
lassen, so wird es begreiflich, dass bei frühzeitiger Prtt-
fung S = l entweder gar nicht, oder nur ausnahmsweise
erhalten wird. .Damach beurtheile man die von verschie-
denen Seiten aufgestellten Tabellen Aber Seherfolge und
urtheile nicht zu Ungunsten derjenigen, welche sich, wie
die meinigen, ausschliesslich auf frohzeitige Notirungen
gründen. Manche meiner günstig verlaufenden Fälle
wurden schon am neunten Tage entlassen, die Sehprüfung
meist Tags vorher gemacht, wo sie das Auge des Pa-
tienten immer noch mehr oder weniger reizte.
Ich würde gern eine Statistik der Enderfolge lie-
fern, wenn sie zu erlangen wäre. In Ermangelung dessen
bleibt also, der Gleichmässigkeit wegen, nur die Zusam-
menstellung der Anfangserfolge, denn eine Statistik der
Sehschärfe von theilweise frühzeitiger, theilweise späterer
Prüfung hat keinen comparativen Werth.
Noch will ich erwähnen, dass die Sehschärfe immer
durch Prüfungen beim Femsehen in einem massig erhell-
ten Zimmer festgestellt werde.
Sehschärfe bei Entlassung der Patienten aus der
Klinik:
316
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1
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V*
11
V«
4
Vt
9
VlO
1
Vi.
2
Vl5
1
Vw
4
V«
1
v«
2
Vioo
2
0
Stelle ich diese Fälle übersichtlich zasammen und
mache drei Rubriken, wie es y. Gräfe und Andere ge*
than, so ergiebt sich folgendes Resultat der 100 Extrac-
tionen:
Verluste 2
Unvollkommene Erfolge (S = Via — Vioo) 12
Vollkommene - (S = V2 — Vio) 86
Bei einigen dieser F&lle, sowie bei vielen der früher
operirten finden sich spätere Prüfungen verzeichnet, wor-
unter S = 1 in etwa 10 Fällen; 1 Mal stieg sogar spon-
tan S = Vio auf S = 1, ferner sehr häufig S == V^ auf
S =- 1 oder = Vs oder = V«; der Fall von S = Veo
wurde 6 Wochen später sponton zu S = Va» ^od jener
von S = Vi5 zu S = Vi- ^^^ unvollkommenen Exfolge
wurden also auf 10 herabgedrückt In allen Fällen, die
2 Verluste natürlich ausgenommen, waren die Augen in
solchem Zustande, dass keines einen vollkommenen Seh-
317
erfolg ausscbloss oder selbst nur unwahrscheinlich er*
achten liess. Von den 10 unvollkommenen Fällen hatten
4 Nachstaare mit iritischen Schwarten, die andern reine,
die Pupille noch mehr oder minder ausf&llende Linsen-
reste, welche mit aller Wahrscheinlichkeit bei fortschrei-
tender Resorption ohne jede Nachoperation mindestens
5 ==: Vio erreichen. Keines der Augen war irgendwie
phthisisch geworden, auch Cyclitis mit Vorbauchung der
Iris war nicht vorgekommen, überhaupt kein vollstän-
diger Pupülarverschluss. Nehme ich auch ein ganz un-
gQnstiges Wahrscheinlichkeitsverhältniss an, nämlich, dass
von jenen 10 unvollkommenen Erfolgen sich nur die
Hälfte in vollkommene umwandeln lasse, so ergiebt sich
folgendes Endresultat der erzielten Sehschärfe:
2 % Verluste,
5 % unvollkommene, und
93 % vollkommene Erfolge.
Bmiobägnng.
In meinem Anfifttie „Ueber Cornea-Bntiftndangen'' im ArehiT
f. 0. Xm. 2, pttg. 517, iet durch einen Gftpnu memoriae itatt Prot
Bothmnnd jnn. in Mfinehen Nniibaam fOr die Bmpfehlong der
Kochialsinjeetionen unter die GonjnnctiTa dtirt worden, welchen Irr-
thnm ich die Leeer m entechnldigen nnd m corrigiren bitte.
Boetock, im Fehmar 1868«
Dr. A. Classen.
Seite 267 dieies Bandes liei in der TTebenchrift Conjnncti-
Taloperationen itatt Gonjnnctionaloperationen.
Berlin, Oniek ron W. BOzenttela.
V
ARCHIV
FÜR
OPHTHALMOLOGIE
H£BAUSO£0£BEN
VOK
Prof. F. AELT Prof. F. C. DONDEES
m WIBN IN UTRECHT
UND
Prof. A. von GRAEPE
IN BERLIN
VHQRZBHNTER JAHRaANO
ABTHEILUNG IL
ODBR
VIERZEHNTER RAND
ABTHBILUNO U.
MIT H0LS8CHN1TTKN UND TAFKliH.
BEIJLIN, 1868
VERLAG VON HERMANN PETERS.
EU»c l'ebenetAonf in fremd« SprAclten behalleo »ich Verfaswr, uiul Verle(«T T»r.
IV
Seit«
VI. Fall von caTernösem Saorom der Aderhaut. Von Dr.
Th. Leber. Hierau Tafel VII 221—227
TU. Ueber das Vorkommeu von wahren RoUungen des Auges
um die Gesiohtslinie. Von Prof. A. Ha^l in Tübingen.
Mit Holzschnitten 228-246
VIII. Graefe's neueste Cataract-Extraction und die Verthei-
diger des GorneaUSchnittes. Von J. Jaoobaon« . . 247—274
IX. Beobachtungen über fremde Korper im Glaskörperraum.
Von Dr. B. Berlin. Hiersu Tafel VIII. IX. . . . 275—882
Beobachtungen 276
Gang des fremden Körpers 301
Pathologisch-anatomische Resultate .... 805
Diagnostisches und Therapeutisches . . . .819
Erklärung der AbbUdungen 831
X. Beitrage zur Eenntoiss der Neuritis des Sehnerven.
Von Dr. Th. Leber 888-878
Resultate der Untersuchung der Augen, Optici
und Abducenten 840
Befund der genaueren Untersuchung der Augen
und Sehnenren 856
Genauere Untersuchung der Augen und Seh-
nerren 867
Ueber ZentreunngsUlder auf der Netadiaut
Yon
Wilhelm von Bezold.
(Hienu Tafel L o« IL)
Wenn man einen leuchtenden Punkt aus einer Entfer-
nung betrachtet, für welche man nicht accommodirt hat
oder nicht accommodiren kann,f so erscheint er bekanntlich
als eine leuchtende Figur, welche sich bei den meisten
Augen nur wenig von der Gestalt eines Kreises entfernt
und deshalb der Zerstreuungskreis des Punktes genannt
wird. Eine Fläche von grösserer Ausdehnung zeigt unter
solchen Umständen verwaschene Contouren und erscheint
bei genflgender Grösse der Zerstreuungskreise häufig in
ganz veränderter Gestalt und sogar in veränderter Farbe
als Zerstreuungsbild.
Solche Zerstreuungsbilder können nun in manchen
Fällen selbst bei einer beträchtlichen Entfernung des
Objectes von dem Punkte des deutlichen Sehens den-
noch ziemlich scharfe Contouren zeigen, aber von
ganz anderer Lage als im Objecte, und können so
zur Entstehung von förmlichen Trugbildern Anlass
geben. So war mir z. B. schon seit Jahren aufgefallen,
ArehlT flir Oplithiamologl«. XIV, t. 1
dass mir kleine, ovale, sehr dunkle Photographien in
einem weissen Garton und dunklem, ovalem Rahmen
aus einer Entfernung von mehreren Füssen, d. i. aus
einer Entfernung, die jene meines Fempunktes (6 Zoll)
beträchtlich übertrifft, als milchweisse, ovale Flecken auf
dunklem Grunde erscheinen. Tapeten können unter den
gleichen Umstanden ein vollkommen anderes Muster
zeigen u. s. w.
Indem ich diese Trugbilder genauer studirte, gelang
es mir, einige so auffallende Versuche anzustellen, dass
sie mir einer Beschreibung und theoretischen Unter-
suchung werth erscheinen, und zwar um so mehr, da sie
zugleich ein ausserordentlich einfaches Mittel gewähren,
um den Nachweis der Farbenzerstreuung des Auges
selbst bei einem grösseren Auditorium zu liefern oder
sogar eine oberflächliche Analyse farbigen Lichtes mit
blossem Auge anzustellen.
Die folgenden Beschreibungen beziehen sich alle auf
ein kurzsichtiges Auge, da ich selbst an Myopie leide.
Ein normales Auge muss demnach, um dieselben Erschei-
nungen wahrzunehmen, ein passendes Gonvexglas anwen-
den. Ein übersichtiges Auge dagegen wird genau das-
selbe beobachten, wie ein kurzsichtiges, wenn man nur
dafür Sorge trägt, dass die Objecte anstatt ausserhalb
des Fernpunktes nun innerhalb des Nahepunktes ange-
bracht werden und mehr und mehr dem Auge genähert,
anstatt von demselben entfernt werden. Dies voraus-
gesetzt, sollen nun einige Versuche beschrieben werden.
§1.
Betrachtet man einen kreisrunden schwarzen Fleck
(Fig. 1) auf weissem Grunde zuerst aus der grössten
Distanz, für welche man noch accommodiren kann, und
entfernt sich dann allmälig immer weiter von demselben,
so scheint er sich immer mehr zusammenzuziehen, wäh-
rend eüi ihn umgebender grauer Hof fortgesetzt an Um-
fang gewinnt Mit einem Male verschwindet das schwarze
Gentrum vollständig und an seine Stelle tritt ein heller,
etwas blftulich weiss gefärbter Fleck, der bei zunehmen-
der Entfernung sich immer mehr ausdehnt, bis endlich
das Ganze nebelartig verschwimmt Diese Erscheinung
ist wenig auffallend und leicht nach bekannten Grund-
sätzen zu erklären.
Ganz anders gestaltet sich jedoch die Sache, wenn
man an die Stelle des unbegrenzten Grundes einen weis-
sen Ring (Fig. 2) treten lässt, wobei man den äusseren
Radius am besten dreimal so gross wählt, wie den des
schwarzen Kreises. Dann sieht man in der richtigen Ent-
fernung eine ziemlich gut begrenzte, entschieden bläulich
weisse Fläche an die Stelle des schwarzen Punktes treten,
umgeben von einem dunkleren, röthlich braunen Ringe,
dem abermals ein hellerer Ring folgt.
Die Figur ist demnach im Zerstreuuugsbilde voll-
ständig umgekehrt, an die Stelle eines hellen Ringes
mit dunklem Centrum ist ein dunkler mit hellem Cen-
trum getreten. Dieser helle centrale Fleck wächst bei
nahezu gleichbleibender Helligkeit, bis er die Ausdehnung
des ursprünglich gegebenen, schwarzen, erreicht hat
Entfernt man sich noch weiter, so nimmt er zwar an
Ausdehnung noch zu, aber an Helligkeit ab, das Centrum
wird abermals dunkel.
Viel schöner sieht man diese Periodicität, wenn man
eine Reihe abwechselnd heller und dunkler, concentrischer
Kreise dem Auge darbietet. Betrachte ich die Figur 3
aus verschiedenen Entfernungen, so kann ich zwei, ja
sogar drei Umkehrungen beobachten, dann aber nimmt
bei fortgesetzter Entfernung vom Objecto das Ganze eine
höchst eigenthflmliche Gestalt an. Die Kreislinien, die
bei der ersten Umkehrung noch ganz regelmässig er-
scheinen, zeigen bei der zweiten schon bedeutende Ab-
weichungen von ihrer ursprünglichen Form und gehen
endlich in ein System von mannigfaltig gekrOnmiten und
unterbrochenen Linien über. Bei binocularer Betrach-
tung sieht alsdann das Ganze einer Rose nicht unähnlich.
In Fig. 5 und Fig. 6 habe ich versucht, die Erschei-
nung zu zeichnen, wie sie sich bei einäugiger (Fig. 5)
und bei doppeläugiger (Fig. 6) Betrachtung darbietet
Uebrigens ist es kaum möglich, diese Trugbilder durch
eine Zeichnung festzuhalten, da ein einziger Lidschlag
genügt, um das Ganze wesentlich umzugestalten.
Aehnliche Erscheinungen kann man an Systemen
von gleich breiten, abwechselnd hellen und dunklen pa-
raUelen Streifen, wie sie Fig. 4 zeigt, wahrnehmen. Auch
dort treten in gewissen Entfernungen helle Streifen an
die Stelle der dunklen und umgekehrt.
Alle diese Zerstreuungsbilder sind mehr oder weni-
ger gefärbt, und zwar die hellen Theile bläulich, die
dunklen röthlich braun. Diese Färbungen, welche in
der Farbenzerstreuung des Auges ihren Grund haben,
werden um so lebhafter sichtbar, je rascher man sich
von der Figur entfernt, am Auffallendsten in dem Augen-
blicke der Umkehrung des Zerstreuungsbildes. Beob-
achtet man bei monochromatischer Beleuchtung, so fallen
die Veränderungen der Farben weg, und man hat es mit
blossen Helligkeitsänderungen zu thun. Man kann dem-
nach durch blosse Betrachtung der Figuren 3 und 4 ein
Urtheil über die Zusammensetzung des Lichtes gewinnen,
welches z. B. ein gefärbtes Glas, das man während der
Beobachtung vor's Auge hält, dnrchlässt In ähnlicher
Weise kann man mit blossem Auge das Licht analysiren,
welches Pigmente liefern, mit denen man die weissen
Ringe oder Streifen überstrichen hat.
Ganz ähnliche Erscheinungen, wie die bisher be-
schriebenen, beobachtet man auch, wenn man die Fig. 3
durch eine andere ersetzt, die aus sehr feinen schwarzen
und weissen concentrischen Riiigeo gebildet ist, und
wenn man diese Figur sehr nah an's Auge bringt In
dieser Form hat Helmholtz den Versuch bereits einmal
angestellt, aber dabei nur die eigenthOmlichen Verzer-
rungen der Kreislinien bemerkt, während ihm die inter-
essante Umkehrung der Figur, sowie die dabei auftre-
tenden Farben vollkommen entgangen sind. *) Dies ist
sehr leicht erkl&rlich, da der Versuch in dieser Weise
viel schwerer anzustellen ist; denn einersdts wirken die
Accommodationsanstrengungen, welche das Auge ganz
unwillkflrlich immer macht, wenn man ihm Gegenstände
so sehr nahe bringt, sehr störend, und andererseits ist
bei einer solchen Lage des Objectes gegen das Auge
kaum eine günstige Beleuchtung zu erzielen.
Eine eigentliche Erklärung hat Helmholtz nicht
versucht. Will man eine solche geben, so muss man
die Helligkeit an einer gegebenen Stelle des Zer-
streuungsbildes suchen. Vorschriften far solche Berech-
nungen finden sich ebenfalls in dem obengenannten
Werke. ♦*) Da diese jedoch für den hier zu erörternden
Fall nicht vollkommen hinreichend sind, so muss die
ganze Frage von Grund aus noch einmal behandelt wer-
den. Ich halte mich bei dieser Untersuchung an das
Schema eines kurzsichtigen Auges, da die später mit-
getheilten Beobachtungen sich auf ein solches beziehen.
Uebrigens bietet die Uebertragung der Beobachtungen
auf irgend ein anderes ametropisches oder ein mit Glä-
sern bewaffnetes emmetropisches Auge nicht die geringste
Schwierigkeit.
§2.
Nach den neueren Forschungen hat bekanntlich
Kurz- und Uebersichtigkeit ihren Grund vorzugsweise in
^) Handbuch der phyriologuchen Optik 8. 140.
•♦) A. B. 0. S. 130.
6
einer unrichtigen Lage der Netzhaut Man kann deshalb
auch für solche Augen das Listing' sehe Schema im
Allgemeinen beibehalten, wenn man nur der Netzhaut
die entsprechende Stelle anweist.
Sei nun in Fig. 7 H die brechende Fläche des redu-
cirten Auges, POP der Durchschnitt des Linsenbildes
der Pupille mit der Zeichnungsebene, nämlich PP die
Randpunkte, 0 der Mittelpunkt desselben, F' der erste
und F'' der zweite Brennpunkt, K der Ereuzungspunkt
der Bichtungslinien und N die Netzhautgrube. Alsdann
wird irgend ein ausserhalb des Fernpunktes gelegener
Punkt 81' ♦) sein Bild in einem zwischen F" und R be-
findlichen Punkte ä" der conjugirten Bildebene A'*W
entwerfen, wobei die Gerade ?l'8l" durch K geht. Alle
in W vereinigten Strahlen mussten die Pupille passiren,
also nach der letzten Berechung so verlaufen, als ob sie von
dem Linsenbilde der Pupille herkämen, sie müssen deshalb
sämmtlich in einem Kegel liegen, dessen Spitze A" und des-
sen Basis eben jenes Bild ist. Dieser Kegel schneidet die
Netzhaut in einem Kreise, dessen Durchmesser nn ist
Sucht man nun die Richtungslinie, welche dem Object-
punkte 91' entspricht, so findet man, dass sie nicht
durch das Gentrum oi dieses Kreises geht, son-
dern durch einen excentrisch gelegenen Punkt x.
Projicirt man nun diesen Kreis auf die Objectfläche, in-
dem man durch jeden seiner Punkte und durch K Gerade
(Richtungslinien) zieht und sie bis zum Durchschnitte
mit der Ebene 9('A' verlängert, so erhält man als Pro-
*} Dieser Punkt H'> sowie die übrigen, in der Objectfläche gele-
genen, müssten eigentlich in der Figur Tiel weiter nach links gerückt
und die Entfernungen A' %* u. s. w. dann entsprechend yergrössert wer-
den; aus Mangel an Platz unterblieb dies, und wurden nur die nach
den genannten Punkten fuhrenden Richtungslinien in die Figur aufge-
nonunen.
jection des za dem leachtenden Pankte 9(' gehörigen
ZerstreauDgskreises einen Kreis, dessen Centram in 0',
also zwischen V und A' liegt (Fig. 8). V soll das op-
tische Gentram des Kreises heissen.
Es handelt sich nun vor Allem darum, das geome-
trische Centrum 0' des zum optischen Centrum 9(' ge-
hörigen Zerstreuungskreises, beziehungsweise seiner Pro-
jection auf die Objectfläche, zu bestimmen. Wir führen
zu dem Ende die folgenden Bezeichnungen ein: HF' = f,
HF" = f', F'A' = 1', F'A"=.r und PO = p. Selbst-
verstandlich liegen die Pankte F' und F'' verschieden,
je nachdem man es mit Licht von dieser oder jener
Brechbarkeit zu thun hat, ich will deshalb in Fällen, wo
eine genauere Bezeichnung erforderlich ist, den Buch-
staben, welcher der Frauenhofer'schen Linie zukommt,
auf welche sich die Betrachtung bezieht, als Index an-
fügen, so dass z. B. F d den ersten Brennpunkt für das
Licht der Frauenhofer'schen Linie D bezeichnet. Um
die Rechnungen zu erleichtem, habe ich mir ein kleines
Täfelchen entworfen, welches die Entfernungen zweier
beliebiger Cardinalpunkte des reducirten Auges enthält
Da dieses Täfelchen Jedem, der sich mit ähnlichen Un-
tersuchungen beschäftigt, von Nutzen sein wird, so habe
ich es in einem Anhange mitgetheilt
Dies vorausgesetzt, ergiebt sich:
Nx A"«'' A'«' .,,„„ A''K.A'«' ,^
-jTg woraus A'%" = — j^ — folgt,
_ k''%" _ a;«; a;^
~ OA'' "■ A'K • A"0
_ KA^' . PN _ KA^^KN-f-KO)
"" KN . OA" "■ KN (KA'' -+- KO)
KA\KN -f- KA-\KO
KA^'.KN -^ KN.KO
NK— A"K -
ferner ist
NO
mithin
A'O'
N<»
Nx
8
Da nun KF'' < KA'' < KN und KF'' dem Werthe
von EN immer näher rackt, je weniger sich das Auge
Yon der Emmetropie entfernt, so wird sich der Quotient
A'O'
j^igi im Allgemeinen nicht viel von der Einheit unter*
scheiden. Er erreicht z. B. bei einem Auge, das mit
Myopie Ve behaftet ist, noch nicht einmal den Werth ^Vm-
So lange oi dem Netzhautcentrum so nahe liegt, dass N
noch in den Zerstreuungskreis fällt, bleibt auch das Ver-
hältniss -^^j—- oberhalb dieser Grenze, während es bei
«l TT
mehr excentrischer Lage unter dieselbe herabsinkt.
Die Helligkeit irgend einer Stelle des Zerstreuungs-
bildes, welches wir immer durch Richtungslinien auf die
Originalbildfläche projicirt denken, findet man nun fol-
gendermaassen: Der Punkt A, dessen Helligkeit be-
stimmt werden soll, gehört allen jenen Zerstreuungs-
kreisen an, welche von einem mit dem Radius 2R = 20V
(Fig. 8) um A beschriebenen Kreise eingehüllt werden.
Er erhält mithin Licht von den optischen Centren aller
dieser Kreise und zwar von jedem eine der Helligkeit
dieses Centrums proportionale Menge. Um nun den
geometrischen Ort aller dieser Punkte zu finden, suchen
wir das optische Centrum 9' eines Kreises, dessen Pe-
ripherie durch A (Fig. 8) geht. Dieses liegt auf der
durch A' und 0' gezogenen Geraden, und zwar ist
A' 8' N X
-T-7Ü = jj—' Zieht man nun durch Ä' eine Parallele
A' 0 N Ol
zu AO', welche die Gerade AA' in D durchschneidet,
so sieht man leicht, dass wegen der Aehnlichkeit der
Dreiecke A'D«' und AO'A' der Ort aller Punkte «' ein
Nx
um D mit dem Radius 8'D = =s^ R = R* beschriebe-
ner Kreis ist, und dass mithin die optischen Centren
aller Zerstreuungskreise, welche zur Erleuchtung von A
9
beitragen, innerhalb dieses Kreises za liegen kommen;
ich will ihn deshalb den Erlenchtungskreis oder daa«Er-
lenchtongsgebiet yon A nennen.
Bezeichnet man nnn die Helligkeit eines in diesem
Erleuchtnngskreise gelegenen Elementes du durch h, so
ist die Helligkeit H im Punkte A des Zerstreuungsbildes:
fhda
H = J-^^
Hat man es mit Objecten zu thun, welche nur aus
einzelnen, in allen Punkten gleich hellen, und anderen,
vollkommen dunklen Stücken bestehen, wie dies bei den
Figuren der Fall ist, mit denen die oben beschriebenen
Versuche angestellt wurden, und bezeichnet man die
Oberflächen der hellen StQcke, soweit sie in das Erleuch-
tungsgebiet fallen, durch c^i, o»,, . . . con, so ist ganz
ein&ch
Da es nun in den meisten Fällen erlaubt ist, den
Radius R* des Erleuchtungskreises dem Radius R des
Zerstreungskreises (ich spreche immer yon den Projec-
tionen auf die Objectfläche gleichzusetzen*),) so erhält
man fQr h = 1 und unter Einfahrung der Bezeichnun-
gen Si, Ss . • . sn für die dunklen Stücke, soweit sie in
den genannten Kreis fallen,
TT _ 2(a
Hieraus folgt, dass H > 72« wenn S(a>2s und dass
umgekehrt H< Vs« wenn 2w<iSs ist Diese Bemer-
kung wird später von Nutzen sein.
*) Diese Yereinficlinng wollen wir uns in der Folge immer ge-
sUtten.
10
§ 3.
Nach diesen Betrachtungen bietet es uns keine Schwie-
rigkeiten mehr, die Zerstreuungsbilder der beschriebenen
Figuren zu untersuchen, und zwar will ich mich gleich
zu der interessantesten derselben, nämlich zu Fig. 9
wenden. Man sieht leicht, dass sich die Helligkeit des
entsprechenden Zerstreuungsbildes an jedem beliebigen
Punkte in geschlossener Form muss darstellen lassen, da
man die Oberflächen der hellen und dunklen Zonen, welche
in einen bestimmten Erleuchtungskreis fallen, jederzeit
durch bekannte Formeln ausdrücken kann. Obwohl aber
demnach die Lösung theoretisch immer möglich ist, so
werden doch bei einer ganz allgemeinen Behandlung des
Problemes die Formeln so complicirt, dass eine elegante
Discussion derselben kaum gelingen dürfte. Ich werde
mich deshalb darauf beschränken, die Helligkeit des
Mittelpunktes der Figur für eine beliebige Grösse
der Zerstreuungskreise durch Formeln darzustellen und
die Ergebnisse dieser Analyse mit dem Versuche zu ver-
gleichen. Für die übrigen Punkte werde ich mich be-
gnügen, das Vorhandensein jener eigenthümlichen Perio-
dicität nachzuweisen, welche im ersten Augenblicke so
sehr überrascht.
Bezeichnet man den Halbmesser des innersten dunklen
Kreises durch r, so sind die Kreise, welche die hellen
und dunklen Ringe von einander trennen, der Reihe nach
mit den Radien 3r,5r...(2n+l)r beschrieben.
Man hat nun bei der Ermittelung der im Mittelpunkte
G der Figur herrschenden Helligkeit zwei Fälle zu unter-
scheiden: es filllt nämlich die Peripherie des um G be-
schriebenen Erleuchtungskreises entweder in einen dun-
kelen Ring oder in einen hellen.
11
1. Die Peripherie dieses Kreises fiUIt in eine dunkle
Zone, d. h. es ist
(4m+l)r>R>(4m — l)r
Dann wird
H= ^[(4m— 1)»— (4m— 3)«+(4m— 5)» - .. .-5»4-3»- 1]
■R«i
■AI
= ^, [ (4m- 1)« — (4m-5)» -4- . . . (2.4 - D» - (2.4 - 3)»
-(4-l)»-(4-3)«;
aber
(4m — 1)« — (4m — 3») = 16m — 8;
und mithin
H=^[16(H-24-...+m)— 8mJ=:^[8m(m+l)— 8ml
8r«m»
R»
2. Die Peripherie des Kreises ftllt in eine helle Zone,
d. h. es ist
(4m+3)r>R>(4m+l)r
dann hat man
„ R«— (4m+l)»r»-|-(4m— l)»r»+....7r«— 5r»+3r»— r»
H g5
=l-^(4m+l)«— (4m-l)«+...(4+l)»-(4-l)*+l];
und da
(4m + l)» — (4m— l)»=16m,
so ist
H = l — ^[1+16(1+2+3+. .. + m)]
=l-^fl+8m(m+l)]
Aus diesen Formeln ergiebt sich nun, dass fOr Werthe
von R, welche kleiner r sind, H=0 ist; von da ab
12
wächst es, bis ftr R = 3r, H=V9 wird. Wächst nun R
noch weiter, so nimmt H ab, bis man für B=5r, H=
Vss erhält, hierauf wird es wieder grösser und zwar er-
reicht es ein Maximum ftr R = 7r, wo H^'Vm ^^"^
u. 8. w.
Die Helligkeit des Centrums der Figur nimmt dem-
nach bei wachsenden Zerstreuungskreisen abwechselnd
zu und ab, ganz wie es der Versuch zeigt
Um aber eine Vergleichung mit den Resultaten der
Beobachtungen zu ermöglichen, muss man R als Function
der Entfernung des Auges von dem Objecto darstellen.
Dies ist leicht zu erreichen. Fällt nämlich in Fig. 7 der
eine der Punkte n nach N*), so hat man es mit einem
der äussersten Zerstreuungskreise zu thun, welche noch
Licht nach N liefern. Dann ist aber R = A'9' und für
A''«'- gilt die Relation
A"N ~0N-
Da nun anderseits
so ist auch
oder R = >^,^^ • A'K
P _ A^K A^^N _ KF^H-r H¥"—V'
" "■ A"K • ON ' P "" P * KF'^-l"* ON
Die Grössen V und 1" sind aber nach einem bekann-
ten Satze der Dioptrik durch die Gleichung
*) Die Conftraction, welche diesen Fall TeranBchaaliclien toU, ist
unterhalb KK ausgeführt, aber ohne Beifügung Ton Buchstaben, um
die Figur nicht bu sehr su überladen.
13
mit einander verbanden, so dass man schliesBlich er-
hält:
Man hat nun nur den Werth yon ON für irgend ein
gegebenes Auge zu berechnen und für die übrigen Con-
stanten die Werthe aus dem im Anhange mitgetheilten
Täfelchen zu entnehmen, um R berechnen zu können.
Diese Berechnung verein&cht sich jedoch ganz wesent-
lich, wenn man beachtet, dass für einigermassen grössere
Werthe F''N und yon 1', d. h. wenn F' die Einheit über-
sdireitet, und V>V V ist, R nahezu eine lineare Function
von V ist
Alsdann hat man nämlich
R = p[A+Br+^ + j^, + J,
wobei
. _F^^N.KF KF^— NF^^ ff
^""F'-K. ON (KFO» *0N
P_ F^N
F'K.ON
G, D u. s. w. hingegen sämmtlich vernachlässigt werden
dürfen.
Führt man schliesslich noch die Entfernung x des
Objectes von der Vorderfläche der Hornhaut ein, nämlich
x==l'-+-(f — 2,345)
weil die brechende Fläche des reducirten Auges um 2,345
Millimeter hinter der vorderen Homhautfläche des sche-
matischen liegt, und setzt man f — 2,345 = 13, was
vollkommen genügend ist, da in den später mitzutheilen-
den Messungsreihen der Werth von x nicht einmal auf
Bruchtheile von Gentimetern genau angebbar ist, so wird
R = p[A-hB(x — 13)1.
14
Da Dan H ein Maximum wird, so oft R = (4m — 1) r,
ein Minimum dagegen, so oft R=(4m-f-l) r ist; so er-
hält man die Werthe von x, welche einem Maximum oder
Minimum der Helligl^it des Gentrums entsprechen,
sSmmtlich aus der Gleichung
(2n-hl)r=p[A— 13B + Bx],
wenn man der Reihe nach für n alle ganze Zahlen setzt.
Diese Werthe von x, welche einem Maximum oder
Minimum der Helligkeit entsprechen, lassen sich nun
durch den Versuch ermitteln. Zu dem Ende habe ich
die Fig. 3, ausser in dem hier mitgetheilten Maassstabe,
wobei r=l,5 Mm., noch in einem grösseren Maassstabe
ausgeführt, nämlich mit T^2Jb Mm. Diese Figur, die
ich Raumersparniss halber hier nicht reproducire, will
ich durch Fig. 3* bezeichnen. Die Figuren wurden genau
in der Höhe meiner Augen an der Wand befestigt, und,
während ich mich nun allmälig entfernte und an den,
einem Maximum oder Minimum der Helligkeit entspre-
chenden Stellen stehen blieb, bestimmte ein Gehülfe die
Entfernungen von dem Objecte mit einem Bandmaasse.
Obwohl die Erscheinung sehr auffallend ist, so sind die
Beobachtungen doch nicht leicht anzustellen, da man die
betreffenden Punkte, während man sich entfernt, sogleich
rasch und fest fassen muss, da kleinere Bewegungen des
Kopfes hin und her nur zu Schwankungen der Accommo-
dation Anlass geben, die sich selbstverständlich in er-
höhtem Maasse auf das Zerstreuungsbild übertragen.
Um nun eine Vergleichung der Beobachtungen mit
den eben entwickelten Formeln zu ermöglichen, mussten
zunächst die Gonstanten A und B, beziehungsweise die
Gonstante ON für mein Auge bestimmt werden. Mein
Fernpunkt liegt für weisses Licht 150 Millimeter vor der
Hornhaut, und hieraus ergiebt sich, wenn man, nach dem
15
Vorgange yon Helmhol tz, das weisse Licht durch
der Frauenhof er 'sehen Linie D entsprechendes, d. h.
durch Licht aus der hellsten Region des Spectrums er-
setzt denkt: 0N = 20,976 und hieraus A = — 0,684 und
B = 0,007118. Die Maxima und Minima müssen sich
demnach fQr die Fig. 3, d. h. für r— 1,5 aus
x«?H±l 210,7 + 109,01
P
und für die Fig. 3*, d. h. für r=2,5 aus
X ^^^^^351,21 -hlOdfil
ergeben, p, d. i. der Halbmesser des Linsenbildes der
Pupille, habe ich erst nachträglich aus den Beobachtungen
berechnet, da es nicht wohl direkt zu ermitteln ist. Man
muss für p grössere Werthe erhalten, wenn die Beleuch-
tung des Objectes eine schwächere ist, geringere bei in-
tensiverem Lichte.
Ich lasse nun die Beobachtungen folgen. Die ersten
Columnen enthalten die Werthe von x, wie sie sich aus
dicht hintereinander angestellten Beobachtungsreihen er-
gaben, ich überschreibe sie desshalb mit x^, Xt und Xg,
je nachdem sie die erste, zweite oder dritte dieser Reihen
enthalten; unter M findet man die Mittel werthe und unter
ber. die nach der nachstehenden Formel berechneten
Werthe, alle in Gentimetern; es wurde deshalb statt
109 Mm. in den Formeln kurzweg 11 gesetzt
16
Beobachtungen an einem trüben Octobertage:
I. Pig. 8*
»1
S
*s
M.
ber.
A
50
48
—
49
47,9
1,1
Entet Minimiim
67
72
^
69
72,5
-8,5
Zweites ICuimiua
101
100
...
100
97,1
2^
Zweites Mintmiua
129
115
—
122
121,1
0,8
Formel: z ■■ 11 + (2ii -+ 1) 12,8 und p
n. Fig. 3..
2,9.
H
»1
^
M.
ber.
A
Erstes Maximam
81,0
82,0
—
31,5
82,8
-1,8
Erstes Ifiniminm
49,0
49,0
—
49,0
47,4
1.6
Zweites Maximum
62,5
61,0
—
61,8
62,0
-0,2
Formel: z ■■ 11 + (2n + 1) 7,8 und p » 2,9.
Beobachtungen an einem ziemlich trüben Decembertage :
III. Fig. 8*
^1
»2
*8
M.
ber.
A
Erstes Maximum
52,5
48,8
48,5
49,5
50,2
-0,7
Erstes Minimum
75,5
74,5
78,0
76,5
76,4
0,1
104,5
96,5
109,0
108,8
102,6
0,7
Formel: x « 11 + (2n -f- 1) 18,08 und p b 2,7.
Beobachtungen an demselben Tage, jedoch bei besserer
Beleuchtung:
IV. Fig. 8»
^
^«
»8
M.
ber.
A
Erstflp Maximum
52,5
50,5
51,5
56,0
-4,5
Erstes Minimum
80,7
86,7
—
88,7
86,0
-2,8
Zweites Maximum
120,5
121,5
—
120,7
116,0
H-4,7
Zweites Minimum
154,0
152,0
—
158,0
146,0
+ 7,0
Drittes Maximum
172,0
170,0
—
171,0
176,0
-5,0
Formel: x ■■ 11 + {2n + 1) 15,0 und p ■■ 2,8.
17
V. Fig.
8...
*i
««
*s
M.
ber.
A
BntM Maximum
41,0
87,7
—
89,8
41,1
-1.8
BntM ICnimiim
68,7
6S,0
—
68,8
61,2
+ U
Zw«itw Mazimam
8»,0
78,0
^
80,6
81,8
-0,8
Zweit«* Minimnm
108,5
103,6
—
108,0
101,4
i,e
Formel z ■■ 11 + (2n + 1) 10,05 und p b 2,1
Diese Beobachtangen stimmen mit der oben ent-
wickelten Theorie so gut überein, als man es bei derar-
tigen Messungen nur irgend erwarten kann. Erstens
lassen sich nämlich s&mmtliche Beobachtungsreihen mit
hinl&nglicher Genauigkeit durch Formeln von der gefor-
derten linearen Form darstellen. Die beträchtlicheren
Differenzen, welche bei den unter IV mitgetheilten Be-
obachtungen zwischen den 'gemessenen und den berechneten
Werthen auftreten, erklären sich leicht dadurch, dass
diese Beobachtungen unmittelbar nach den unter III yer-
zeichneten, aber in einem viel helleren Raum vorgenom-
men wurden, und dass deshalb die Pupille in Folge der
plötzlich geforderten Verengerung noch keine constante
Oe£fnung angenommen hatte. Dass ferner der Einfluss
der Helligkeit, beziehungsweise der Pupillarö£fnung sich
wirklich in der von der Theorie geforderten Weise gel-
tend macht, sieht man sehr schOn daraus, dass die bei
gleicher Beleuchtung, aber mit verschiedenen Objecten
angestellten Beobachtungen I und II, sowie IV und V
jedesmal gleiche oder nahezu gleiche Werthe der Pupillar-
öSnung ergaben, während bei den mit der gleichen
Figur, aber bei verschiedener Helligkeit gemachten Be-
obachtungen III und IV die Zunahme der HeUigkeit sich
sofort in der Verminderung der Pupillaröfihung kund
giebt
ArehlT fBr OphtliiüBOlocto. XIV, S. 2
18
§ 4.
Bisher wurde die ganze Untersuchung nur unter der
beschränkenden Voraussetzung gef&hrt, dass man bei ho-
mogenem Lichte der Linie D beobachte, oder dass man,
was Helligkeitsmaxima und Minima betrifft, solches Licht
dem weissen substituiren dürfe. Obwohl nun gerade die
eben gefundene üebereinstimmung zwischen den Beobach-
tungen und der Theorie die Berechtigung dieser Voraus-
setzung bestätigt, so sind doch noch immer die beglei-
tenden Farbenerscheinungen einer Erklärung gewärtig.
Um auch nach dieser Seite hin den Gegenstand zu
erörtern, habe ich für verschiedene Theile des Spectrums
und für yerschiedene Entfernungen die Helligkeit des
Centrums des Zerstreuungsbildes der Fig. 3.. berechnet
und dabei der Einfachheit wegen vorausgesetzt, dass
r =» IMm. und p = IMm. sei. Die folgende Tabelle ent-
hält in abgekürzter Form die Resultate dieser Rechnung.
Die Ueberschriften der Columnen schliessen sich genau^
den frQher eingeführten Bezeichnungen an, so dass unter
R der Radius des auf die Figur projicirten Zerstreuungs-
kreises, unter H die Helligkeit des Centrums und unter
Xp, x^, x^ die entsprechenden Entfernungen vom
Auge verstanden sind, je nachdem man es mit Licht der
Frauenhofer'schen Linien C, D oder G zu thun hat
K
H
»C
*D
*a
1
0,00
268
249
209
2
0,75
417
890
880
3
0,89
567
581
451
4
0,50
716
672
572
6
0,82
866
813
698
6
0,68
1015
964
814
7
0,66
1165
1096
935
8
0,50
1814
1286
1056
9
0,89
1464
1877
1177
10
0,51
1618
1518
1298
11
0,60
1763
1668
1419
19
Unter Zugrundelegung dieser Zahlen und noch meh-
rerer Zwischenwerthe wurde nun die Figur 9 construirt.
In dieser Figur sind die Werthe von x als Abscissen,
die von H als Ordinalen aufgetragen, und zwar bezieht
sich die gestrichelte Curve auf das violette Licht von G,
die ausgezogene auf das gelbe von D, und die punktirte
auf das rothe von G. Diese Curven lassen nun recht
klar erkennen, dass vor dem ersten Helligkeitsmaximum
des Centrums die violetten und blauen TOne bereits eine
sehr beträchtliche Intensität erreicht haben können, ehe
nur eine Spur von gelb oder roth merkbar wird, während
bei Annäherung und nach Ueberschreitung dieses Maxi-
mums ein erhebliches Uebergewicht der schwächer brech-
baren Farben vorhanden ist. Aehnliche Verhältnisse
zeigen sich bei der Annäherung an das zweite Maximum
von D. Nur ist das Roth hier noch schwächer, während
gelb und blau schon grössere Intensität besitzen, ebenso
sieht man, dass nach Erreichung des zweiten Maximums
die gelben Töne noch stärker vertreten sind, als dies
nach Ueberschreitung des ersten der Fall war. Wirklich
habe ich in meinem Journal, noch ehe ich die Theorie
entwickelt hatte, folgende Bemerkung Qber die
Nuancen der Farben des Centrums verzeichnet: Bläulich-
weiss, bräunlich, grünblau, gelbroth. Demnach stimmen
auch die Beobachtungen hinsichtlich der Färbungen voll-
kommen mit der Theorie überein, so dass hiermit die
Untersuchung über die Erscheinungen, welche das Cen-
trum der Figuren im Zerstreuungsbilde bietet, als abge-
schlossen zu betrachten sind. Ein Blick auf Fig. 9 ge-
nügt, um zu erkennen, wie ausserordentlich stark sich
bei diesen Beobachtungen die mangelnde Achromasie
des Auges geltend machen muss, und wie lebhafte Farben-
änderungen auftreten müssen, wenn man bei Licht be-
obachtet, welches nur aus wenigen einfachen Farben zu-
sammengesetzt ist.
2*
20
§ 5.
Um nun eine Erklärung für das eigenthfimliche
Verhalten der ganzen Figur zu liefern, muss man die
Untersuchung auch auf die excentrischen Punkte aus-
dehnen. Fassen wir zunächst die Umgebung von C in's
Auge. Denkt man sich in Fig. 10 einen Kreis so ein-
geschrieben, dass seine Peripherie ganz in eine heile oder
ganz in eine dunkle Zone zu liegen kommt, so ist das
Centrum c dieses Kreises höchstens um r von C ent-
fernt Für einen bestimmten Badius R dieses Kreises
nimmt die Entfernung Cc =(» ihren Maximalwerth an,
nämlich sobald R-f-(> = (2n — l)r ist, d. h. sobald der
Kreis die umschliessende oder umschlossene Zone gerade
berührt Ist nun dieser Kreis der Erleuchtungskreis von
c, so müssen alle in den kleinen, mit dem Radius q be-
schrieben Kreis fallenden Punkte gleich hell erscheinen,
denn 2fü hat für alle diese Punkte denselben Werth.
Man wird mithin im Allgemeinen im Centrum des Zer-
streuungsbildes eine gleichförmig erleuchtete Scheibe er-
blicken, deren Radius periodisch zwischen o und r hin
und her schwankt 9 wird =o, d. h. das Scheibchen
reducirt sich auf einen Punkt, so oft man es mit einem
Helligkeitsmaximum oder Minimum von C zu thun hat
In solchen Fällen ist also dieser Punkt auch heller oder
dunkler als die benachbarten Punkte, und nicht nur
heller oder dunkler als in den vorhergegangenen oder
nachfolgenden Augenblicken, wenn der Beschauer seinen
Standpunkt oder seine Accommodation allmälig ändert
Nehmen ^ir nun an, das Centrum c des Erleuch-
tungskreises bewege sich auf irgend einer durch C ge-
zogenen Graden und suchen wir die entsprechende Hel-
ligkeit. Sei etwa (Fig. 10) der Radius des Erleuch-
tungskreises R = 7r, so geht seine Peripherie, wenn
c mit C zusammenfällt, durch die Punkte ADB, wenn
21
c nach c' zu liegen kommt, durch A'B', sie umschliesst
also dann noch das dunkle, sichelförmige Stück BDB':^.
Die Oberfläche des Eileuchtungskreises ist aber nach
wie vor die gleiche geblieben und man hat demnach
H'<H der 2ü)*<^2ü)j wenn man durch die Accente die
auf c' bezüglichen Werthe ausgezeichnet.
Schreitet man nun mit c immer in demselben Sinne
weiter, so nimmt die Helligkeit immer ab, bis sie end-
lich in c'', d. i. auf dem mittleren Ringe der ersten
hellen Zone ein Minimum erreicht Geht man nämlich
noch weiter gegen c"' zu, so werden wieder helle Stücke
in den Kreis aufgenommen, welche die gleichzeitig ein-
tretenden dunklen an Grösse übertreffen, und es wird
demnach H"'>H". Schliesst man so weiter, so kommt
man zu dem Resultate, dass für R = (4m — l)r, d. h.
so oft man in C ein Helligkeitsmaximum hat, alle ur-
sprünglich dunklen Zonen im Zerstreuungsbilde eben-
£bJ1s Helligkeitsmaxima zeigen, während von den weissen
Zonen das Gegentheil gilt.
Es fällt mir nicht ein, eine Betrachtung, wie die
oben angestellte, von deren Richtigkeit man sich übri-
gens durch Rechnung sehr wohl überzeugen kann, mit
dem Namen eines Beweises zu belegen. Einen solchen
zu liefern, gelang mir nur für jene Fälle, in welchen der
Erleucbtungskreis den Punkt C nicht mehr umschliesst.
Sei ADB (Fig. 11) die Hälfte eines solchen Kreises,
dessen Gentrum c gerade in der Mitte einer dunklen
Zone liegt, während sein Radius R = (4m— 2) r ist, so
dass A und JB in die Mitten zweier hellen Zonen fallen.
Dann kann man jede einzelne Zone, insofern sie dem
Erleuchtungskreise angehört, in zwei Halbzonen theilen,
indem man durch Punkte, welche um 2r, 4r... (4m — 2)r
von c abstehen, Kreise zieht, deren Centrum G ist.
Errichtet man nun in jedem Punkte p der Graden AB
ein Perpendikel, und macht man dessen Länge pD'^pD^
22
d. i. die halbe Länge des mit dem Radius Cp aus C
beschriebenen Kreisbogens, sofern er in den Erleuch-
tungskreis fallt, so erhält man unterhalb AB eine Figur
AD'B, deren Oberfläche jener des Halbkreises ADB
gleich ist. Diese Figur wird durch Perpendikel, welche
man in den Durchschnitten der Zonengrenzen mit der
Geraden AB errichtet, ebenso in Zonen und Halbzonen
getheilt, wie der Kreis selber, und zwar sind die Ober-
flächen über und unter demselben Stücke von AB gele-
genen in Kreis und Figur einander gleich. Vergleicht
man jetzt die Halbzonen der Eigur AD'B mit einander,
indem man von A nach B und von B nach A zählend
jede ungeradzahlige auf die nächstfolgende geradzahlige
legt, so sieht man mit einem Blicke auf die Figur, dass
^8>^ai. Denn bezeichnet mau die übrig bleibenden
Stücke, je nachdem sie dunkel oder hell sind, der Reihe
nach durch ai<pi^ Sg 93 . . . aim— 2, so hat man doch
<^l>9l? ^«><3Pa U. S. W. und er4in-2> yim-S, <r4in-4>
<jp4m-5 u. s. w., wobei sogar einer der Werthe <p gleich 0
werden kann.*) Es sind demnach bei einer Figur, wie
der vorliegenden, die schwarzen Zonen m Uebergewicht
und mithin H < Va-
Genau das Umgekehrte gilt, wenn bei gleichem Gen-
trum c der Radius R = 4mr ist, dann wird H> Vs-
Fällt hingegen c in die Mitte einer hellen Zone, so
wird H > Vi für R == (4m — 2)r und H < V« für
R = 4mr.
*) Der Beweis ist hier nur soizzirt, wenn man ihn ToUständig ao«-
fÜhrt, so muM man kleine Modifioationen romehmen, je nachdem der
Mazimalwerth Ton Dp in eine helle oder dunkle Zone oder auf die
Grenze zweier Zon^n oder Halbzonen fallt. Man kann daa ganze Be-
weizrerfahren auch leicht in ein analytisches Gewand kleiden. Der
Kern des Ganzen liegt immer in dem umstände » dass Dp zwischen A
und B nur ein Maximum zeigt, nicht unendlich wird, und dass die
Curye AD'B weder Ecken noch Wendepunkte zeigt
23
Es muss demnach auch das Zerstreuungsbild eben
so wie das Original aus hellen und dunklen Ringen be-
stehen, nur mit dem Unterschiede, dass bei stetem Wachs-
thum der Zerstreuungskreise die einzelnen Theile in
periodischem Wechsel ihre Stellen tauschen.
Das zuletzt angewendete Beweisverfahren lässt sich
nach einigen geringfügigen Vereinfachungen auch zur
Erklärung der Umkehrungen benützen, welche die aus
parallelen, gleich breiten, weissen und schwarzen Strei-
fen gebildete Figur (4) im Zerstreuungsbilde zeigt. Er-
hält man ja doch diese Figur aus Figur 11, sobald man
Gc unendlich gross annimmt.
§5.
Wir haben jetzt sämmtliche Erscheinungen, wie man
sie bei einer massigen Grösse der Zerstreuungskreise
d. h. f&r R < 5r oder 7r beobachtet, erklärt, und auch
nach Maass und Zahl eine so gute Uebereinstimmung
zwischen Theorie und Thatsachen erhalten, wie man sie
bei derartigen Untersuchungen nur irgend erwarten
kann. Zum Schlüsse muss noch nachgewiesen werden,
weshalb dieser Einklang nur ffir eine massige Grösse
der Zerstreuungskreise stattlSndet, und warum bei einer
grösseren Ausdehnung derselben das Zerstreuungsbild
seinen regelmässigen Charakter verliert und eigenthQm-
liche Verzerrung zeigt
Bisher wurde immer vorausgesetzt, dass die Zer-
streuungskreise eines einfarbigen, leuchtenden Punktes
in allen Theilen gleich helle Flächen von genau kreis-
förmiger Begrenzung seien. Diese Voraussetzung ist
nur annäherungsweise richtig und zwar um so weniger
zulässig, je grösser die Zerstreuungskreise werden. Denn
je mehr man sich von der deutlichen Sehweite entfernt,
24
um so ganstiger gestalten sich die Verhältnisse für das
Zustandekommen der sogenannten entoptischen Erschei-
nungen und um so mehr machen kleine Unregelmässig-
keiten in den brechenden Medien oder in der Begren-
zung durch den Pupillarrand sich merkbar.
Um den Einfluss dieser Umstände zu erforschen,
nehme ich zunächst an, das Zerstreuungsbild eines Punk-
tes sei wirklich kreisförmig und im Allgemeinen gleich
hell, mit Ausnahme einer einzigen dunklen Stelle. Ein
solcher Fall tritt wirklich ein, wenn sich irgendwo in
den brechenden Medien ein opaker Körper befindet, und
zwar behält die Stelle ihre relative Lage und Grösse im
Zerstreuungskreis für jede Grösse und Lage des letzteren
bei, wenn sich der dunkle Körper gerade in der Pupillar-
ebene befindet. Eine Untersuchung unter diesen Vor-
aussetzungen wird genügen, um auch den einzuschlagen-
den Weg für jene Fälle vorzuzeichuen, in denen der
besagte Körper etwa nicht vollkommen undurchsichtig ist
oder eine andere Stelle der brechenden Medien einnimmt
Gesetzt nun, der Zerstreuungskreis projicire sich
als der um 0 beschriebene Kreis (Fig. 12) auf die Ob-
jectfläche; pqs sei die Projection der dunklen Stelle.
Ein auf dem Umfange dieses Kreises gelegener Punkt A
des Zerstreuungsbildes erhält alsdann von all' den Punk-
ten des Objectes Licht, welche innerhalb eines mit AO
um A beschriebenen Kreises liegen mit Ausnahme jener
Punkte 0', welche die dunklen Stellen, der ihnen ent-
sprechenden Zerstreuungskreise gerade nach A werfen.
Den geometrischen Ort p'q's' dieser Punkte 0' findet
man, indem man den zu A gehörigen Zerstreuungskreis
sucht und ihn 180^ um A dreht.*) Das Erleuchtungsgebiet
*) Diese ganze Betrachtung stüttt sich auf die in §. 2 gemachte
vereinfachende Annahme, dass 0' mit %* zusammenfalle.
25
von A ist demnach ein um diesen Punkt mit dem Ra-
dius OA beschriebener Kreis, aus dem man das Stück
p'q's' herausgenommen hat. Jetzt kann man untersuchen,
welche Eigenthamlichkeiten bei einer solchen Beschaffen-
heit des Erleuchtungsgebietes das Zerstreuungsbild der
Figur (3) darbieten wird. Nimmt man beispielsweise
den Halbmesser des Zerstreuungskreises B = 2r an und
fragt man ntm nach der Helligkeit irgend eines Punktes
A des Zersreuungsbildes, so sieht man leicht, dass bei
der vorausgesetzten Beschaffenheit des Erleuchtungs-
gebietes die Punkte Ai A« Aa, welche s&mmtlich um 3r
von G abstehen, genau ebenso hell erscheinen werden,
als wenn dasselbe ein Kreis ohne Lücke wäre, da die
Stellen PiQiSi, PsOs^si PaQsSs ohnehin nicht zur Erleuch-
tung von AiAsAs beitragen können. Ganz anders ver-
hält es sich jedoch mit einem Punkte A4, der zwischen
Ai und As liegt, da jetzt die Lücke PiQ^s« des Erleuch-
tungskreises ganz oder theilweise auf ein weisses Stück
der Originalfigur ftUt, das jetzt eben deshalb kein Licht
mehr nach A4 sendet Es wird demnach der Punkt A4
weniger hell erscheinen als Ai u. s. w. und man wird,
um auf einen ebenso hellen zu stossen, von A4 gegen C
zu einwärts fortschreiten müssen. Während also das
Stück AiAsAa des Kreises (man sieht wohl, dass in der
Figur für Ai und As Grenzlagen gewählt sind) eine Gurve
gleicher Helligkeit ist, so ist die Fortsetzung derselben
nach der Seite von A4 zu eine andere Gurve, deren Ge-
stalt von der des schwarzen Fleckens pqs abhängig ist
Man sieht daraus, dass die Gurven gleicher Helligkeit
nun keine Kreise mehr sind, wie dies bei vollkommen
homogenen Zerstreuungskreisen der Fall war.
Führt man in Gedanken das Erleuchtungsgebiet mit
seiner Lücke über die ganze Figur weg, so überzeugt
man sich leicht, dass beim Durchlaufen einer und der-
26
selben durch G gehenden Geraden nach wie vor ein pe-
riodischer Wechsel der Helligkeit eintreten wird, je nach-
dem das Gentrum eine helle oder eine dunkle Zone
durchschreitet, dass aber die Entfernung der einzelnen
Maxima und Minima von C im Allgemeinen auf den ver-
schiedenen Geraden (Radien) eine verschiedene sein wird.
Das Zerstreuungsbild muss demnach dem Beschauer eine
Reihe einander umschliessender, abwechselnd heller und
dunkler, mehr oder weniger von der Kreisform abwei-
chender Gurven darbieten.
Eine Unregelmässigkeit in der Begrenzung der Zer-
streuungskreise, d. h. des Pupillarrandes, muss ihren Ein-
fluss in ganz ähnlicher Weise geltend machen, da man
ja nur die oben vorausgesetzte dunkle Stelle, oder eine
Anzahl von solchen, in Gedanken an den Rand des Krei-
ses zu versetzen braucht, um eine beliebige Begrenzung
zu erhalten.
Durch diese Untersuchung sind mithin die eigen-
thümlichen Verzerrungen, welche die Kreislinien erfah-
ren, sobald die Zerstreuungskreise beträchtlicher werden
(Vgl. Fig. 5), vollkommen erklärt Der enge Zusammen-
hang, welcher in solchen Fällen zwischen der Gestalt
des Zerstreuungsbildes und den entoptischen Erschei-
nungen besteht, lehrt auch verstehen, weshalb alsdann
das ganze Bild so schwankend und veränderlich wird,
dass ein einziger Lidschlag genügt, um es wesentlich
umzugestalten. Die eigenthümliche Rosettenform, welche
man bei binocularer Betrachtung wahrnimmt, ergiebt sich
unter Anwendung der bekannten Gesetze für die bin-
oculare Verschmelzung, und unter Berücksichtigung der
hierbei auftretenden Gontrastwirkungen als eine einfache
Folge der für das einzelne Auge erklärten Erschei-
nungen.
Der Einfiuss einer unregelmässigen Begrenzung oder
27
einer dunklen Stelle im Zerstreaungsbilde eines Punktes
lässt sich leicht experimentell bestätigen. Man braucht
nur verschieden gestaltete kleine Diaphragmen, denen
man, wenn sie aus Stanniol auf Glasplatten bestehen,
auch leicht im Innern dunkle Fleckchen beifügen kann,
sehr nahe vor's Auge zu bringen und dann die Figuren
ebenso wie frfiher zu betrachten. Ich begnüge mich da-
mit, die verschiedenen recht hübschen Versuche, welche
man auf diese Weise machen kann, blos zu erwähnen,
da sie nichts Neues lehren und der geringfügige Gegen-
stand ohnehin schon über Gebühr Raum in Anspruch
genommen hat.
Schliesslich mag noch die Bemerkung Platz finden,
dass mir die Figur 3.., in verschiedenenGrössen ausge-
führt, ein ausserordentlich brauchbares Probeobject für
Fernrohre und Mikroskope abzugeben scheint Die Beob-
achtung der Zerstreuungsbildes, welche die Figur durch
Verstellen des Oculares liefert, lässt sofort erkennen, ob
man es mit einem über- oder untercorrigirten Instrumente
zu thun habe und ob die einzelnen Theile der Gläser in
gleichem Maasse zum Zustandekommen des optischen
Bildes beitragen, oder ob in dieser Hinsicht eine Asym-
metrie bestrebe. Anderweitige Arbeiten verhindern mich
diese Frage einer eingehenden Untersuchung zu unter-
werfen, und eben deshalb wollte ich hier wenigstens
darauf aufmerksam machen.
Fasst man die gewonnenen Resultate zusammen, so
ergiebt sich:
Figuren, welche aus hellen und dunklen Stücken
bestehen, können unter gewissen Umständen ziemlich gut
begrenzte, aber von dem Originale wesentlich abweichende
Zerstreuungsbilder liefern.
Greifen insbesondere die Zerstreuuugskreise der
28 .
Pankte, welche eine dunkle Stelle umgeben, übereinan-
der, 80 kann die ursprflnglich dunkle Stelle im Zer-
streuungsbilde heller erscheinen, als die hellen des Ori-
ginals.
Bei Figuren, welche aus gleich breiten hellen und
dunklen Streifen bestehen, verhält sich alsdann bei mono-
chromatischer Beleuchtung das Zerstreuungsbild zum
Original, wie ein negatives Bild zu einem positiven.
Werden die Zerstreuungskreise immer grösser, so wird
das Zerstreuungsbild dem Originale wieder ähnlicher, bis
es abermals in ein Negativum übergebt u. s. w.
Erreichen jedoch die Zertreuungskreise eine Grösse,
welche genügend ist, um die sogenannten entoptischen
Erscheinungen an ihnen wahrzunehmen, so zeigt das
Zerstreuungsbild eigenthümliche Verzerrungen, welche
ihren Grund nachweisbar in der ungleichen Helligkeit
der einzelnen Theile des einem leuchtenden Punkte ent-
sprechenden Zerstreuungskreises haben.
Da die Zerstreuungskreise für die verschiedenen
Theile des Spectrums sehr ungleiche Grössen haben, so
müssen die Zerstreuungsbilder bei nicht homogener Be-
leuchtung im Allgemeinen verschieden gefärbte Theile
zeigen. Bei passend gewählten Objecten macht sich die-
ser Umstand so geltend, dass man ohne irgend andere
instrumentale Hülfsmittel durch die blosse Betrachtung
der Zerstreuungsbilder über die Beschaffenheit der Licht-
quelle oder über die Absorptionswirkung gefärbter Gläser
ein Urtheil gewinnen kann.
München, im Februar 1868.
29
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§ 3.
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9 ^
»:
1
r
Anatomisehe üntenuchimgen über Glioma
retinae«
Von
Dr. J. Hirschberg.
(Hieran Fig. 1—9 auf Taf, HL u, IV.)
I. Einleitung.
Die Gasuistik des Glioma retinae — cf. Virchow,
Onkologie II, 123; 151—169^ — ist keineswegs eine so
reiche, als es diese interessante und gar nicht so seltene
Geschwulstform verdient.
Die höheren Entwicklungsstufen derselben sind aller-
dings schon lange bekannt: denn, wie sich aus den fol-
genden Untersuchungen ergeben wird, stellen die als
Fungus meduUaris oculi, Fung. haematodes o., Carcinoma
oculi, Cancer atrophicus o., Encephaloid, Pseudencepha-
loid *) u. s. w. beschriebenen Neoplasmen nichts anderes
als die späteren Stadien des Glioma retinae dar. Hin-
gegen existirt über die firüheren, in genetischer Hinsicht
*) Hinsichtlich der Siteren Literatur, auf welche genauer einzu-
gehen nicht in meinem Plane lag, yergl. Virchow L o. 151 fgdL
31
wichtigsten Phasen der Neubildongnur eine geringe Zahl von
genauen, namentlich auch denmikroskopischen*) Befund
berücksichtigenden Beschreibungen: nftmlich je ein Fall
von ET)bin**), Schweigger**'**), Horner und Rind-
fleisch!); sodann mehrere Fälle von Prof. Virchowft)
(im Ganzen 4), theils aus früheren, theils aus späteren
Stadien, auf welche derselbe seine Beschreibung des
Glioma retinae als einer besonderen Geschwulstgattung
begründet. Dies sind die Fälle, die ich im Folgenden
stets im Auge behalten und bei der Mittheilung meiner
eigenen zum Vergleich und zur Ergänzung heranziehen
werde.
Freilich sind in neuerer Zeit noch mehrere Fälle
als zum Glioma retinae gehörig oder demselben ver-
wandt mitgetheilt worden: dieselben sind aber entweder
mit Sarcomstructur complicirt (Gliosarcom), oder ihr
Ausgang von der Netzhaut ist zweifelhaft, oder es sind
gar keine geschwulstartigen), sondern vielmehr einfach
entzündliche Neubildungen. Auch das Umgekehrte ist
vorgekommen: dass man ein offenbares Glioma retinae
unter einer ganz anderen Bezeichnung beschrieben.
*) Sowohl bei Wardrop (On fungas liaematodes, Edinb. 1807) als
aneh bei Pannizza (Annotagione sol fnngo midoUare delF oocbio,
Paiia 1821) finden sieb bereite einige, freilich nur Bchüchteme Ver-
snehe, die Natur Ton hierher gebSiigen Geechwfilzten durch das Mi-
eroBoop genauer zu erforschen. Aber das Verdienst, den „Fungns
mednllaris ocnli" (Yirohow's Gliom) durch mikroskopische Unter-
snohnng Tom Krebs getrennt und als Hyp er plasia retinae bezeichnet
zu haben, hat, nie Vir oho w 1.0.156 herroigehoben, Prof. y.Langenbeck
(anno 1836) sich erworben. (De retina obserrat. anat path. Gotting. 1886.)
**) Iconographie ophthalmologique par J. Sichel, p. 582 folg.
PI. LXV. Vgl V. Graefe's Archiv VI. 2, 880.
«•♦) V. Graefe'8 Archiv VI. 2, 824.
t) Zehender's Elinüiche Monateblatter für Augenheilkunde 1863.
pag. 341.
tt) Onkologie H., 151—169.
32
A. Der Fall von Szokalski*) betrifft, me der
Autor selber hervorgehoben , ein sehr vorgerücktes
Gliosarcoma intra- et extraoculare.
B. Bei dem Fall von Prof. Knapp**), den er als
Gliosarcom kurz mitgetheilt, ist der Ausgang der Ge-
schwulst von der Netzhaut nicht dargethan; es wurde
neben Entartung der Netzhaut 'ein melanotisches Sarcom
der Aderhaut vorgefunden.
Auch der Fall von Schiess-Gemuseus im vori-
gen Hefte dieses Archiv's***) scheint mir sowohl hin-
sichtlich seines klinischen Verlaufes wie auch seines
anatomischen Verhaltens nicht uneriieblich von dem ty-
pischen Bilde des Glioma retinae abzuweichen.
C. Was Iwanoff als beginnende Gliome der Netz-
haut beschrieben, sind offenbar Producte einfach ent-
zündlicher Veränderungen (v. i.).
D. Der Fall, den Neumannf) als „Markschwamm
der Sclerotica'* sehr genau beschrieben, stellt ein Gliom
der Netzhaut im heteroplastischen Stadium dar (v. i).
Schliesslich will ich nicht unerwähnt lassen, dass,
nach brieflicher Mittheilung meines Freundes, Dr. Gepner
aus Warschau, mehrere Fälle in polnischer Sprache, in
den Berichten der Warschauer medicin. Gesellschaft, ver-
öffentlicht sind, welche mir nicht zugänglich waren.
Trotz dieser geringen Casuistik ist die in Rede ste-
hende Geschwulstform von grossem Interesse, weil sich
eine Reihe von noch unerledigten Fragen an sie knüpfen:
über die Aetiologie, die noch ganz im Dunklen liegt,
über die Art der Propagation, über die Natur und den
*) Zehender'B MonatsblStter 1865, p. 396.
^ yeThandliingen des natarluuitor.-iiiedie. Vereina lu Heidelberg.
Band 4. V. 179.
•^) V. Graefe's Aithiv XTV. 1.
t) ebendaselbst XI. 1, 154.
tt) ebendaselbst XU. 2, 278.
33
Grad der Malignit&t: Fragen, die auch f&r die allge-
meine onkologische Doctrin von der grOssten Wichtigkeit
sind, zumal wir hier eine scheinbar vollkommen homöo-
plastisch anhebende Geschwulst sowohl in anatomischer
Hinsicht den Typus der Heteroplasie gewinnen, als auch
klinisch das Bild ausgeprägtester Bösartigkeit annehmen
sehen.
Da Herr Prof. v. Graefe, mein hochverehrter Chef,
mir das reiche Material der von ihm im verflossenen
Jahre (1867) wegen Glioma retinae exstirpirten Bulbi
freundlichst zur Untersuchung überwiesen hat, — wofür
ich ihm meinen innigsten Dank ausspreche, — so ist es
mir ermöglicht worden, nicht nur die Casuistik dieser
Affection um einige bemerkenswerthe Fälle zu bereichern,
sondern auch, mit Benutzung der in der Literatur
vorfindlichen, genauer beschriebenen Fälle, eine Ent-
wicklungsgeschichte desGlioms der Netzhaut zu geben
von den frühesten Stadien, wo man sich, von der Rich-
tigkeit der Diagnose überzeugt, zar Enucleatio bulbi ent-
schliessen und auch die Patienten, resp. deren Ange-
hörige von der Nothwendigkeit derselben überzeugen
kann, bis zu den entwickeltsten Formen, die bei uns noch
zur Beobachtung gelangen.
Mein Material umfasst im Ganzen 8 Fälle (ausser
einer Recidivgeschwulst), welche 8 Individuen ange-
hören und zwar lediglich Kindern vom ersten bis zum
zehnten Lebensjahre. Rechnet man dazu noch 2 Fälle,
einen von doppelseitigem Gliom bei einem mehrjährigen
Kinde, wo die Operation nicht mehr proponirt wurde,
und einen, wo die Affection noch vollkommen ophthal-
moscopisch ist, und die Eltern sich noch nicht zur, Ope-
ration entschliessen konnten; so kommen auf die 6Ö00
Patienten, welche sich im Jahre 1867 in der v. Graefe'-
schen Klinik zum ersten Male vorstellten, 10 Fälle von
Glioma retinae, also c. 0,154 p. c. sämmtlicher Fälle.
ArdiiT für OpItÜuOmolocla^ XIV, S. 3
34
Erwähnung verdient noch, dass in diesem Jahre
1. kein Erwachsener mit Glioma retinae sich präsentirte,
(wohl aber mehrere mit intraocularem, von der Choroides
ausgegangenem Sarcom,) 2. an keinem Kinde unter zehn
Jahren eine andere intraoculare, aus der Tiefe des Augen*
Untergrundes entwickelte Geschwulstform vorkam.
Ich werde jetzt die einzelnen Fälle, nach der anato-
mischen Entwicklungshöhe geordnet, vorfahren; jedoch
nur die bemerkenswertheren ausführlicher beschreiben,
bei den übrigen kurz die Resultate der Untersuchung
angeben.
n. Gasuistik.
1. Fall.
Olioma retinae oironmscriptum taberoBuxn. Lediglich auf
eine ninichriebene Partie der ITetzhaut beschränkte, —
anscheinend hyperplastische — Wucherung der inneren
Kömerlage.
Ida G., ein öjähriges, brünettes Bauernmädchen von
sehr gesundem, ja blttliendem Aussehen, deren Mutter
in anamnestischer Hinsicht nichts mitzutheilen weiss,
als dass man seit c. 3 Wochen, ohne alle Entzündungs-
erscheinungen, an dem rechten Auge des Kindes eine
eigenthümliche Veränderung wahrgenommen, stellt sich
am 22. Novbr. 1867 in der v. Graefe'schen Augen-
klinik vor mit dem exquisiten Bilde eines rechtseitigen,
„amaurotischen Katzenauges''; d. h. durch die
massig weite, starre Pupille des rechten Auges schimmert
aus der Tiefe hervor ein intensiver, gelb-weisser Reflex,
der schon aus weiter Entfernung deutlich zu erkennen ist.
Die functionelle Prüfung ergiebt absolute Amaurose
des rechten Auges, an welchem Empfindlichkeit bei der
Betastung oder Vermehrung des intraocularen Druckes
nicht wahrzunehmen sind. Das linke Auge ist in jeder
Beziehung normal. Nach Atropinmydriasis lehrt die ge*
35
Dauere UntersnchiiDg des rechten Auges, — die ohne
weitere optische Hilfsmittel möglich ist, dnrch Lupen-
vergrössening und durch focale Beleuchtung immerhin
unterstfltzt wird, — dass hinter der durchsichtigen I^inse
3 Buckel sich vorfinden, aus der Tiefe des Auges ziem-
lich weit nach vorn hervorragend, einer nach oben, ein
zweiter nach aussen (lateralwärts), der dritte nach unten;
während die innere Seite von einer grünlich schimmerA-
den, durchscheinenden, gefalteten, mit geschUngelten und
dichotomisch verästelten Blutgefässen versehenen, bei
den Bewegungen des Auges deutlich flottirenden Netz-
hautablösung eingenommen wird, die so weit nach vorn
geschoben ist, dass sie schon bei focaler Beleuchtung
deutlich in ihren Details studirt werden kann. Bei ge-
radeaus gerichteter oder leicht gesenkter Blicklinie der
Patientin übersieht man bequem die obere, gewölbte
Begrenzungsfläche des unteren Buckels, die sich etwas
schräg von unten und vom nach oben und hinten er-
streckt, eine grauröthliche Farbe und ziemlich transparente
Beschaffenheit darbietet mit einzelnen Flecken, Strichen
und netzförmigen Zügen von weiss-gelblich opakem, kä-
sigem Aussehen. Von hinten nach vom ziehen theils
oberflächliche, theils tiefere, aus der durchscheinenden
und bis in eine gewisse Tiefe bei der focalen Unter-
suchung durchleuchtbaren Masse hervorschimmernde
Blutgefässe, die zum Theil gestreckt, zum Theil mehr
geschlängelt, streckenweise von den weissen Flecken
bedeckt, sich dichotomisch verästeln. Bei aufwärts ge-
richteter Sehachse der Kleinen präsentirt sich die untere
Fläche des oberen Buckels, die sich schräg von vom,
oben und aussen nach unten, hinten und innen erstreckt,
fast bis zum Scleralborde nach vorn reichend. Der hin-
tere, äussere Theil dieser Fläche ist von einem sehr
feinen, dichten Oefässnetze bedeckt, das durchaus von
dem Typus der Netzhautvascularisation abweicht und
mit einem nach vom convexeu Rande in capillare
Schlinged sich aufzulösen scheint. Weiter nach hinten
oben ziehen auf dieser Fläche 2 stark geschlängelte
Gefässe, die an der inneren Grenze dieses oberen Buckels
wie abgeschnitten aufhören, offenbar von Faltungen der
abgelösten Netzhaut bedeckt Der laterale Buckel ragt
8»
36
nicht so weit nach yorn, als die beiden andern, besitzt
ein etwas opakeres Aussehen nnd lAsst eine makrosko-
pische Vaskularisation nicht erkennen.
Da nach den Resultaten der Untersachang, — die
ich wegen ihres diagnostischen Werthes ausführlich mit-
getheilt habe, — mit Sicherheit ein Gliom der Retina
angenommen werden konnte, wurde am 25. Novbr. von
Herrn Prof. v. Oraefe die Enucleatio bulbi ausgeführt
(Ueber die Operationsmethode s. unten.)
Die Heilung der Wunde ging rasch von Statten;
schon nach wenigen Tagen konnte das Eand in seine
Heimath entlassen werden und befand sich — nach wieder-
holtem Bericht des Herrn Dr. Menger aus Sonneburg,
— noch am 1. März 1868 vollkommen wohl.
Die am frischen Präparat Torgenommene Unter-
suchung ergab folgendes:
Wenn man — (nach Schweigger *8 Vorgang, vgl.
dieses Archiv VI. 2, p. 324) — im dunklen Zimmer die
Cornea des enucleirten Auges einem Licht zuwandte, er-
hielt man ein, wenn gleich diffuses, doch noch erkenn-
bares Bild der Flamme von der gegenüber liegenden
Seite der Sclera, wodurch bewiesen wird, dass die Go-
tenta bulbi noch zum grossen Theile durchsichtig waren.
Die Grössenverhältnisse des Augapfels scheinen von
der Norm nicht erheblich abzuweichen (Sehaxe = 19 Mm.;
querer wie verticaler Durchmesser = 20 Mm.).
Bei der Durchschneidung (im horizontalen Diameter)
fliesst eine ziemliche Quantität klarer Flüssigkeit aus. So-
wohl die äussere sclerocorneale, wie die mittlere uveale
Augenhaut zeigen anscheinend vollkommen normale
Structur- und Lagerungsverhältnisse, ebenso die Linse
und auch der Sehnerv, dessen Länge von der Lamina cri-
brosa bis zur hinteren Schnittfläche 1 7s Mm. beträgt
Unmittelbar am Sehnerveneintritt beginnt eine trich-
terförmige, totale Netzhautablösung. Die hintere Partie
des Trichters ist zart, durchscheinend, mit normaler 6e-
f&ssvertheilung ausgestattet; vom beginnt fast der ganze
37
Mantel des Trichters, — mit Ausnahme des inneren und
innen oben gelegenen Antheils, — sich stark zu ver-
dicken und ein geschwulstartiges Aussehen anzunehmen.
So sieht man in der unteren Hälfte des Präparates
(welche auf Fig. 1,A scizzirt ist), wie die hinten ganz
dfinne Schnittfläche der abgelösten Netzhaut in diejenige
eines Knotens von 10 Mm. Länge und 4Vs Mm. Breite
übergeht, welche offenbar durch die untere Partie des
oberen Buckels gelegt ist, eine gleichmässig zarte, fast
hyaline Beschaffenheit, unc^eutlich lappigen Bau und eine
reiche, feine Vaskularisation erkennen lässt. Nach innen
(medianwärts) Ton dieser Schnittfläche folgt die obere
Grenzfläche des lateralen, dann die des unteren Knotens,
welche eine Breite von 5 und eine Länge von 6 Mm.
besitzt und sich nun mit ihren bereits geschilderten
Einzelheiten bequem präsentirt. Die mediale Circum-
ferenz des Augapfels ist von einfacher Netzhautablösung
eingenommen, unter welcher aber noch zahlreiche klei-
nere Knoten, an den letztgenannten sich anschliessend,
verborgen liegen.
An der oberen Hälfte des Präparats (v. Fig. 1,B)
kann man sich überzeugen, dass die abgelöste, zarte
Netzhaut sich nach aussen (lateralwärts) direct in die
Vorderfläche des oberen Knotens fortsetzt dergestalt,
dass ein grosses, stark geschlängeltes Blutgefäss der
ersteren auf die letztere übergeht und hier sofort in
zwei Aeste zcrf&llt, dieselben, welche vor der Exstirpa-
tion von aussen sichtbar waren (s. oben p. 36 u.); und
dass als continuirliche Fortsetzung der noch zarten Netz-
haut sich eine vordere, dünne Schicht von der inneren
Begrenzungsfläche des Knoten, abziehen lässt.
Nach Erhärtung des Präparates in Müller'scher
Lösung werden in der unteren Hälfte desselben die
Sclera und Choroides im Aequator durchschnitten. Die
Unterfläche des Netzhauttrichters, der nur an der Ein-
38
trittssteUe des Sehnenren und an der Ora serrata mit
der Choroides zusammenhängt *), zeigt vorn ein toU-
kommen blumenkohlähnliches Aussehen**) und deutlichen
Oeschwulsthabitus; aber auch nach hinten hin dehnt sich
die Veränderung viel weiter aus, als dies bei der An-
sicht von der Innenfläche des Trichters her vermuthet
werden konnte. Schon ganz in der Nähe des Sehnerven-
eintritts (c. IVs Mm. von demselben entfernt,) finden sich
einzelne, punktförmige, submiliare und miliare Knötchen,
gewissermassen der Aussenfläche der abgelösten Netzhaut
aufgelagert; weiter nach vorn treten sie dichter an ein-
ander und werden zugleich grösser, bis sie durch Gon-
flnenz die papilläre Aussenfläche der knotigen Partie
bilden.
In ophthalmoskopischer Hinsicht ist noch erwähnens-
werth, dass im frischen Zustand des Präparats die hin-
tere untere Partie des Netzhauttrichters, ~ in deren nach
aussen gelegenen Schichten sich die jüngsten fleck- wie
knötchenförmige Geschwulstheerde vorfanden, — bei der
Betrachtung von innen her ziemlich zart erschien; wor-
aus hervorgeht, dass die gliöse Zellenwucherung die
Transparenz der entsprechenden Netzhautstelle nicht völ-
lig vernichtet; und wenngleich bei der ophthalmosko*
pischen Untersuchung die optischen Verhältnisse günsti-
ger für die Wahrnehmung derartiger Veränderungen
sich gestalten, so werden dennoch die jüngsten Gliom-
heerde verhältnissmässig zarte Trübungen der äusseren
Netzhautlagen darstellen.
*) Jedoch zieht noch ein dünner Strang Ton der Choroides tum Tor-
deren Theil des gewacherten Netzhauttrichters, hei mikroskopischer
Untersuchung sich als ein Blutgefäss ausweisend mit stark yerdidkter
Wandung, dessen Adventitia in der an die Netshaut angrenzenden
Partie zahlreiche Rundzellen enthielt, welche mit den Elementen der
Netzhautgeschwulst identisch sind. Ein ähnliches Verhalten hat
Schweigger iu seinem Fall heohachtet, 1. c. 326 oben.
^) Aehnlich dem im Schweigger'tchen FaU, L o. 826.
39
Die mikroskopische Untersuchung zunächst von
frischen Zerzupfungspräparaten der Geschwulstmasse ergab
als wesentlichen Bestandtheil derselben dicht aneinander
gedrängte, äusserst fein granulirte, zarte, sehr fragile
Rundzellen tou 0,007 — 0,009 Mm., die meist einen rund-
lichen Kern von 0,005—0,007 Mm. enthalten, welcher
in den unveränderten Zellen nur undeutlich durchschim-
mert, nach A Zusatz klar hervortritt, in der Regel von
dem Zellcontour eng umschlossen wird. Einzelne von
den grössere Zellen enthalten zwei Kerne.
Zwischen den Zellen findet sich eine spärliche, weiche
wenig körnige Grundsubstanz und einzelne Fibrillen, zahl-
reiche Blutgefässe.
Nach der Erhärtung angefertigte Dickendurchschnitte
der makroskopisch normalen Partie des Netzhauttrichters
(innen oben) lassen keine andere Abweichung erkennen,
als das bei totaler Netzhautablösung nicht auffällige Feh-
len der Stäbchen- und Zapfenschicht, (was, beiläufig be-
merkt, nicht etwa erst durch die Manipulation des Prä-
parates bedingt ist, da vor der Operation S = 0). Die
anderen Schichten der Netzhaut sind vollkommen gut
erhalten, insbesondere auch die Ganglien- und die Ner-
venfaserschicht; die Radiärfasem scharf ausgeprägt
Dickendurchnitte durch die Uebergangspartien'*') zwi-
schen zarter und geschwulstartig verdickter Retina zeigen,
dass die Verdickung einer Zellenwucherung der
inneren Körnerschicht ihren Ursprung verdankt.
Fig. 2 stellt einen Theil eines derartigen Schnittes
dar. Eine kleine Partie nicht verdickter Retina mit
deutlich erkennbaren, wenngleich bereits etwas veränder-
ten Schichten, schwillt nach beiden Seiten hin ziemlich
*) Es wurden die Stücke auf Kork in Gummi eingebettet -> naeh
der Stricker 'sehen Methode — nnd so grosse Schnitte Ton hinrei-
chender Dfinnheit gewonnen.
40
plötzlich ungefähr auf das Doppelte ihrer Dicke an durch
Verbreiterung der inneren Körnerlage, welche, durch eine
nach aussen convexe Bogenlinie begrenzt, die äussere
Eömerlage mehr und mehr verdrängt, verschmälert und
schliesslich die freie Oberfläche erreicht; und, bei stärkerer
Vergrösserung, abgesehen von einer nicht unbeträchtlichen
Zahl von Blutgefässen, ganz und gar aus einer dichten An-
häufung von rundlichen oder etwas unregelmässig polyedri-
schen Zellen von c. 0,00&— 0,008 Mm. mit deutlich doppelt
contourirtem Kern von c. 0,006 Mm, Durchmesser, zwischen
denen nur ein spärliches Netz feiner Fibrillen sich vorfin-
det, zusammengesetzt erscheint.
Noch instructiver sind andere, durch die hintere,
untere Partie des Netzhauttrichters, wo in die im Ganzen
noch zarte Retina einzelne submiliare und miliare Knöt-
chen eingesprengt waren, angelegte Dickendurchschnitte,
auf welchen schon makroskopisch, bei gerade hinziehen-
der innerer Netzhautoberfläche, die äussere eine Reihe
kleinerer und grösserer, hügeliger Hervorwölbungen zeigt,
die sich natürlich bei geringen Vergrösserungen noch
deutlicher präsentiren. Aber die kleinsten — offen-
bar jüngsten — Heerde bewirken gar keine
merklichen Niveauveränderungen der Netzhaut-
oberflächen, — was natürlich für die Gestaltung
des ophthalmoskopischen Bildes von dem gröss-
ten Interesse ist, s. unten p. 45 u.—; sondern stel-
len sich bei der mikroskopischen Untersuchung
alscircumscripteAnhäufungen von Rundzellen in
der inneren Körnerschicht dar, jedoch mit einiger
Betheiligung der äusseren an dem Proliferationsprocess.
So beginnt der Schnitt, von dem ein Theil auf Fig. 3
abgebildet ist, mit einer ziemlich normalen Retina (ab-
gesehen vom Schwunde des Stractum bacillosum), die
eine Dicke von 0,48 Mm. besitzt, auf deren leicht wellig
gebogener limitans externa eine äussere Körnerschicht
41
von 0,108—0,132 Mm. Dicke, eine dünne Zwischeukörner-
schicht und eine innere Körnerschiebt von 0,084 bis 0,096
Mm. folgt, endlich die inneren Lagen, in welchen sich noch
wohl erhaltene Ganglienzellen andNerven&sem nachweisen
lassen. Nach einer kleinen Strecke zeigt sich der kleinste
Wncherungsheerd als ein nicht scharf begrenzter (bei
durchfallendem Licht danklerer) Fleck von 0,36 Mm. Breite ;
hierselbst hat die innere Körnerschicht eine geringe Ver-
dickong erfahren (bis auf 0,120 Mm.) nnd besteht aus einer
sehr dichten Zellenanhäufung, während die äussere Kör-
nerschicht eine wenngleich deutliche, so doch entschieden
geringere Vermehrung der zelligen Elemente aufweist
Nach einem kleinen, von Zellenvermehrung nicht ganz
freien Intervall folgt ein zweiter Heerd von dersel-
ben Beschaffenheit; dicht daran ein schon an der äusse-
ren Netzhautoberfläche deutlich hervorspringender Knoten
von 0,6 Mm.,^ der nach innen bis dicht an die längs-
fiaserige, innerste Netzhautschicht, die ihre bisherige
Dicke von 0,12 Mm. noch beibehalten, hinanreicht, dessen
seitliche Contouren aUmälig abfallend, continuirlich in die
äussere Begrenzung der inneren Körnerlagen zu verfol-
gen sind. Auf dem ganzen Schnitt sind die Radiär&sern
breiter und starrer als normal. An andern Knoten
von gleicher Grösse sieht man deutlich, dass die Her-
vorwölbung lediglich auf Rechnung der inneren Körner-
lage kommt,, Ober welche die in ihrer Dicke nur wenig
veränderte äussere hinwegzieht In den kleinsten Heer-
den tritt eine reihen- oder säulenförmige — von Prof.
Virchow mit der Structur der Maiskolben verglichene —
Anordnung der Zellen zwischen den wohlerhaltenen Ra-
diärfasern deutlich hervor, als Ausdruck der präexisti-
renden Retinalstructur: auch in den grösseren Knoten
sieht man noch Züge und Reihen, auch netzförmige An-
ordnungen, die wieder aus kleineren Nestern — Zellen-
häufen, — bestehen.
42 »
Da wo die Netzhaut bereits mehr gleichförmig, aber
noch nicht hochgradig (z. B. auf 2—3 Mm.) verdickt ist,
finden sich in dem Stroma der Radiärfasern und deren
zu engen Maschennetzen anastomosirenden Seitenästen die
Gliomzellen mit nach innen abnehmender Zahl angehäuft;
die innerste Schicht ist ein äusserst feinmaschiges, £Eist
zelienloses Fasemetz.*)
Dickendurchschnitte durch die grossen Knoten,
von deren Innenfläche sich die membrana limitans in-
terna als eine continuirliche, glashelle, homogene oder
schwach körnige Membran abziehen lässt, zeigen auch noch
das charakteristische Verhalten, dass die äusseren Partien
eine ganz dichte Anhäufung von Gliomzellen, mit spär-
lichen Fasern zwischen denselben und massig reichlichen
Blutgefässen darstellen, — auch hämorrhagische Pigment-
körncheuhaufen und solitäre oder nestförmig gruppirteKöm-
chenzellenhaufen kommen hier vor, — während die inneren
Partien etwas lockerer gewebt sind, auf der Flächeneinheit
eine kleinere Zahl von Gliomzellen enthalten, zwischen
denen ein, besonders an den Knotenpunkten kernhal-
tiges Fasernetz deutlicher hervortritt, und durch eine
äusserst reichliche Vaskularisation sich auszeichnen, die
bis an die innere Oberfläche hinanreicht, somit zu den
eigenthümlichen Bildern beiträgt, deren wir oben bei der
klinischen Beschreibung des Falles gedachten. Ausser zahl-
reichen kleineren, theils den Bau von Kapillaren besitzenden,
theils dickwandigeren Gefässen, finden sich viele grössere
mit Blutkörperchen meist vollgepropfte, (deren Querdurch-
messer z. B. 0,21 Mm. beträgt bei einer Wanddicke von
0,03 Mm., oder die, im Längsschnitt getroffen, eine Breite
von 0,12 Mm., eine Wanddicke von 0,015 Mm. aufzuweisen
haben,) also Gefässe, die das Galiber der Arteria centra-
*) Aehnlich dem von Iwanoff (Archir XI, 2. 135 ff.) alaProduot
der Betinltis interstitialiB beeohriebenen.
43
lis vor ihrer Tfaeilang theils erreichen, theils übertreffen.
Auf den Gefässreichthum des Olioma retinae
komme ich noch bei den späteren Fällen zurück, da er
sich in allen vorfindet.
Aneurysmatische Erweiterungen der Gefässe, wie sie
bei unserer Geschwulstform gar nicht selten sind, waren in
diesem Fall nur in spärlicher Zahl und geringer Entwick-
lung vorhanden. Die weissen Flecke an der Innenfläche
der Knoten sind besonders durch Kalkkömchenablage-
rung, sowie auch durch Verfettung der Geschwulstelemente,
(die immer mit Yergrösserung der Zellen verbunden ist,)
in den dicht unter der Oberfläche gelegenen Partien be-
dingt. An ausgepinselten Schnitten der lockerer geweb-
ten Massen entstand öfters der Anschein eines areolären
GefQges, wo gerade zahlreiche kleine, entleerte Blut-
gefässe im Querschnitt getroffen wurden. Das Stroma
dieser Abschnitte enthielt an manchen Stellen sehr zahl-
reiche in die Fibrillen und besonders deren Knotenpunkte
eingelagerte Längskerne oder auch spindelförmige, sowie
3 und 4eckige Zellen, so dass dasselbe mehr als ein
Zellennetz sich darstellte.
Die makroskopisch normalen Theile des Bulbus zeig-
ten sich — wie in der Regel, — auch bei der mikrosko-
pischen Untersuchung unverändert; insbesondere hatte der
Nervus opticus, der, wie sich später ergeben wird, in der
Regel frühzeitig erkrankt, vollkommen seine normale Struc-
tur noch behalten, so dass man diese Exstirpation als eine
im strengsten, histologischen Sinne reine betrachten kann.*)
Der eben beschriebene Fall ist von den in der
Literatur genauer mitgetheilten derjenige, welcher
das früheste Stadium der Geschwulstbildung dar-
*) Deshalb hat die weitere Beobachtung der kleinen Patientin ei^
erhebliches klinisches Interesse«
44
stellt, das zur anatomischen Untersuchung ge-
langt ist, insofern die Geschwulstmasse, etwa den
f&nften Theil des Olaskörperraumes ausf&llend, von einer
umschriebenen Partie der Netzhaut ausgeht (Olioma
retinae circumscriptum); ein grosser Theil der
letzteren nicht nur nicht verdickt, sondern auch mikro-
skopisch — abgesehen vom Fehlen der Stäbchenschicht —
vollkommen normal erscheint; während in dem ziemlich
ähnlichen, jedoch weiter vorgerückten, gewissermaassen
als die nächstfolgende Stufe in der Fortentwicklung zu
betrachtenden Fall von Schweigger*) die gleichüalls
trichterfl^rmig abgelöste Netzhaut, in ihrer Totalität ver-
dickt, c. Vs ^om Binnenraum des Augapfels einnahm.
Verändert war auch hier lediglich die Retina, die von der
ora serrata bis hinter den hinteren Pol der Linse zog,
von hier aus sich umschlug und einen engen, bis zum
Sehnerveneintritt verlaufenden Kanal bildete; von der
Eintrittsstelle des Sehnerven bis dicht hinter die Linse
war die Netzhaut geschwulstartig gewuchert (Glioma
retinae diffusum).
Ein ebenfallls noch auf die Retina beschränktes
Glioma retinae beschreibt Robin,**) welches jedoch von
den erwähnten beiden Fällen dadurch abweicht, dass die
gewucherte Retina der Ghoroides vollkommen anliegt
Die Ablösung der Netzhaut in dem ersten Stadium der
Gliombildung ist jedoch die Regel, was noch mehr durch
klinische Beobachtungen als durch anatomische That-
suchen erhärtet ist und für die Diagnostik von erheb-
licher Wichtigkeit wird. Natürlich muss, wenn auch
anfänglich Netzhautablösung bestanden, beim weiteren
Wachsthum der Geschwust die Aussenfläche der letzteren
schliesslich die Innenfläche der Aderhaut berühren, und
•) L. c.
•) L. c.
45
wird dann auch mit ihr verwachsen können. Vergl. den
Fall von Virchow, 1. c. p. 164.
Obwohl es eigentlich meinem Plane fern liegt, hier
die ältere Literatur über Gliom zu erörtern, so wäre es
doch ein entschiedenes Unrecht, wollte ich nicht erwäh-
nen, 1) dass wir bereits von Lincke*) die sowohl in
klinischer wie in anatomischer Hinsicht klassische Be-
schreibung eines Falles von „Fungus medullaris oculi*"
besitzen, der, meinem ersten Fall ausserordentlich ähnliich,
ja vollkommen analog, den Namen eines Glioma retinae
circumscr. tuberös, verdienen möchte, obwohl eine
mikroskopische Untersuchung nicht angestellt wurde;
2) dass Fälle von diffuser Verdickung der Netzhaut
durch „Fungus^ (bis zur Ausfüllung des ganzen Glas-
körperraumes) bei intacter Choroides und Sclera (also
wahrscheinlich G 1 i o m a r e t i n a e d i f f u s u m), in der älteren
Literatur sich mehrfach beschrieben finden, namentlich
in Wardrop^s vorzüglicher Monographie: On fungus
haematodes, Edinburg 1809,**) und in Pannizza's***)
sehr schätzenswerthen Arbeiten.
Da das Gliom mit fleckförmigen Zellenwucherungen
in der inneren Körnerschicht, welche die Niveauverhält-
nisse der Retina nicht wesentlich verändern, anhebt;
so müssen sich die Anfangsstadien ophthal-
moskopisch als weisse, retrovasculäre Netz-
hauttrübungen darstellen, was durch die klinischen
Erfahrungen von Prof. v. Graefe (s. dessen Archiv XII, 2.
p. 237) erhärtet und durch einen neuerdings in seiner Klinik
*) Tractatai de fnngo mednllari ooaU. Conscr. C. 6. Linoke.
ups. 1S84. p. 154 & 54.
**) Veigl daselbit den FdQ Ton Ware, 1. c. p. 66, und den Ton
A. Cooper, L o. Tab. VUI.
*^) Sul fnngo midoUare deU' occhio. Pana 1S26. p. 8^10.
46
zur Beobachtung gelangten Fall, den auch ich zu unter-
suchen Gelegenheit hatte, bestätigt wird.
Ehe ich zur Schildereining meines zweiten Falles
übergehe, in welchem die gliöse Wucherung bereits, die
Grenzen der Retina überschreitend, sich auf die benach-
barten Theile, Choroides und Nervus opticus, ausbreitet,
muss ich bemerken, dass die ersten Andeutungen dieses
zweiten heteroplastischen Stadiums sich in zwei
bereits beschriebenen Fällen vorfinden, welche demnach
gewissermaassen denUebergaug von den bisher (p.34 u. 44)
erwähnten Fällen zu meinem zweiten darstellen.
a) In dem Fall von Horner und Rindfleisch,*)
der ein Mädchen im 3. Lebensjahre betrifft, waren Sclera,
Cornea, Iris und Linse normal; der Binnenraum des
Auges durch eine Geschwulst eingenommen, deren trich-
terförmige Basis sich dicht hinter der Linse befindet,
deren convexe Aussenfläche der Choroides anliegt, nur
an einer Stelle durch einen zwischen Sclera und Choroi-
des entwickelten Knoten von 4'" Durchmesser, 1"' gröss-
ter Dicke einen flachen Eindruck erlitten hat. Dieser
sowie der retinale Tumor besitzen genau die von
Schweigger beschriebene Structnr, welche Rind-
fleisch als beweisend für Medullarsarcom anspricht.
Auf Längsschnitten des Opticus bis 1'" jenseits der La-
mina — 2'" weit war der Sehnerv mit entfernt worden, —
fanden sich rundliche oder längliche Heerde derselben
körnerartigen Zellen.
b) Etwas weiter vorgerückt war die retinale Neo-
plasie in dem von Virchow (1. c. p. 161 ff.) beschriebe-
nen Fall, wo eine markige Masse die ganze hintere
♦) L. 0.
47
Augenkammer ffillte, sich aber von einem in der Mitte
befindlichen, engen, membranösen Trichter vollkommen
abspülen Hess. Gleichzeitig ein (IV2'" dicker) glatter
Knoten in der sonst normalen Ghoroides. Opticus un-
verändert.
Diesen beiden Fällen schliesst sich ziemlich eng an
mein
2. Fall.
GHioma retinae diAumm, gliomata Beonndaria oironmsoripta
ehoroidis, microMopica n. optici; itaphyloma leleroohoroidale
Bapeiina
Am 16. December 1867 wird der 6jährige Banem-
knabe Fr. H. von Prof. v. Graefe in seine Klinik auf-
genommen.
Die Anamnese ergiebt, dass sich seit 6 Wochen
ohne EntzttnduDgserscheinungen eine Geschwulst des
linken Auges ausgebildet habe.
Status praesens. Das rechte Auge ist gesund.
Das linke zeigt, im Verhältniss su dem ersteren, eine
Protrusion von 3'^'. Seine Homhautachse weicht, bei ge-
radeaus gerichteter Blicklinie des rechten, um einen erheb-
lichen Winkel von der horizontalen Richtung nach unten hin
ab. Oberhalb der oberen Horuhautgrenze findet sich ein
haselnussgrosser, bläulicher Wulst, bei fokaler Beleuch-
tung ziemlich durchscheinend, und hierbei an seiner hin-
teren Grenze eine längsstreifige Zeichnung darbietend,
offenbar ein Intercalarstaphylom. *) Abgesehen von die-
sem ist der Bulbus nicht wesentlich vergrössert, seine
Spannung nur massig erhöht, seine Beweglichkeit ziem-
lich frei. Aus der stark erweiterten, starren Pupille der
atrophischen Iris schimmert ein gelblicher, durch eine
geringe* Linsentrübung etwas abgedämpfter Reflex von
*) Bin flaches, den oberen Homhantruid aberragendes, nach dem
Aeqnator zu aUmäblich yerstreichendes Staphjlom in der Gegend der
GiliarfoTtsStse Csnd sich aaoh in Schweig gor's Fall, t. Graefe's Arch.
YI, 2. S24, was immerhin in diagnostischem Interesse herrorgehoben
zn werden rerdient.
48
der Tiefe des AngenhintergrondeB hervor, in welchem
kleine, intensiv-weisse Punkte und Flecke wahrzuneh-
men fiind, sonst aber, auch bei fokaler Beleuchtung,
keine weiteren Details, insbesondere keine Blutgeftsse,
sich erkennen lassen. S » 0.
Es wurde von Herrn Prof. v. Oraefe die Ennc-
leatio bulbi mit vorausgeschickter Durchschneidung des
Sehnerven mittelst des Neurotoms in der Tiefe der
Orbita ausgeführt; jedoch gelang es wegen des Sta-
phyloms nicht, den Sehnerven in hinlänglicher Entfer-
nung von dem Augapfel zu dorohschnelden; deshalb
wurde, zumal die graue SchnittflAche des mit einer staik
verdickten Scheide versebenen Sehnerven suspect schien,
noch nachträglich ein Stück von demselben, c. 3'^' lang,
aus dem Orbitaltrichter excidirt
Die Heilung verzögerte sich durch eine interkur-
rente Parotitis [die merkwürdiger Weise auch noch in
einem anderen Falle (Nr. 7) beobachtet wurde].
Am 8. Januar 1868 wurde der kleine Patient in
gesundem Zustande entlassen.
Das Präparat misst in seinem längsten Durchmesser,
der schräg von vom und oben nach hinten und unten
gerichtet ist, 32 Mm.; die grösste Breite beträgt 21, die
grösste Dicke (Höhe) 25 Mm. Der dunkelbläuliche Wulst
ist durch eine halsartige Einschnürung gegen den sonst
in seiner Form erhaltenen Bulbus abgesetzt Die Schnitt-,
fläche des Sehnerven grau, seine Scheide verdickt
Bei der Durchschneidung des Präparates in der Sa-
gitallebene entleert sich eine ziemliche Quantität milchi-
ger Flüssigkeit Hierbei collabirt der Augapfel und
besonders der obere Wulst, dessen vorher rundlicher
Contour auf der Schnittfläche nun gefaltet erscheint
Vergl. Fig. IV.
Vom oberen Rande der Hornhaut beginnend ver-
dünnt sich die Sciera allmälig,* in 4 Mm. Entfernung
vom Scleralbord bis auf Vs ^^'i ^^^ bildet hier, mit
der gleichfalls verdünnten, successive pigmentärmer ge-
49
wordenen, schliesslich ganz entfärbten Choroides fest
verwachsen, die geSütete Wand des beschriebenen Wul-
stes, der ein Intercalarstaphylom darstellt, dessen Höhle
lediglich mit Flüssigkeit gef&llt war.
Abgesehen von der erw&hnten Verdannnnng erscheint
die Lederhaut normal; auch der Uvealtractus ist im
grössten Theil seiner Gircumferenz unverändert Jedoch
präsentirt sich in der lateralen Hälfte des Präparates
vor der Eintrittsstelle des Sehnerven die linsenförmige
Schnittfläche eines grossen (18 Mm. von oben nach un-
ten, 7 Mm. von vom nach hinten messenden) Knotens
der Aderhaut, welcher an seiner vorderen, convexen Grenz-
fläche mit einem rudimentären Pigmentbelag versehen,
an seiner hinteren Fläche zum grossen Theil mit der
Sclera verwachsen ist. Die Schnittfläche ist von weissem,
entschieden medullärem Aussehen, von vielen, sehr
zarten Gef&ssen durchzogen und von sehr weicher Gon-
sistenz, etwa wie die des Hirnmarks von Neugeborenen.
Die mediale Hälfte des Präparats zeigt ausser diesem
noch mehrere kleinere, linsengrosse Knoten der Gho-
roides (Glioma heteroplasticum uveae).
Den grössten Theil (aber Vs) des noch restirenden Bin-
nenraumes des Auges nimmt eine trichterförmig begrenzte
Masse ein, die in der Gegend der Ora serrata an der
Aderhaut haftet, nach hinten in der Gegend des Sehnerven-
eintritts sich zwischen dem grösseren und einem kleine-
ren Ghoroidalkuoten einsenkt und direct in den Opticus
fortsetzt, offenbar die von der Retina ausgehende
Primärgeschwulst, welche eine röthlich-weisse Farbe und
zerfliessende Weichheit besitzt, zahlreiche weisse fleck-
und strichförmige Einsprengungen von derberer Gon-
sistenz enthält und von einer sehr grossen Anzahl feiner,
dichotomisch verästelter, auch netzförmig anastomosiren-
der Gefltose durchzogen wird.
Die mikroskopische Untersuchung des frischen
ArcUr fftr OphtbAlmoIogto, XSY, %. 4
50
Präparates lehrt, dass die retinale Wucherung, wie
auch die choroidalen Knoten aus dem oben beschriebeneu
Gliomzellengewebe bestehen, dessen Elemente, was ich
besonders hervorhebe, in der überwiegenden Mehrzahl auch
die genannte Grösse von 0,008—0,012 Mm. besitzen und
in der Regel einen rundlichen Kern von 0,006 Mm. enthalten.
Nach 3 wöchentlicher Erhärtung, zuerst in verdünn-
ter Chromsäurelösung, dann in Mü Herrscher Flüssigkeit,
lassen sich aus Zerzupfungspräparaten von der retinalen
Geschwttlstmasse, welche jetzt eine weissgelbe, noch ziem-
lich weiche, faserig -krümlige, nicht recht schnittfäbige
Beschafifenheit darbietet, 2 schon makroskopisch erkenn-
bare Bestandtheile isoliren, die uns in fast allen den folgen-
den Fällen wieder begegnen werden, und welche darum
ein bequemes Hülfsmittel für die anatomische
Diagnose des Glioma retinae in seinem zweiten
diffusen Stadium darstellen:
1) Sandkorngrosse Kalkconcremente; 2) kleine»
verästelte, gelbweisse, resistente Fäserchen d. s. Blut-
gefässe.
Bei der mikroskopischen Untersuchung derartiger
Zerzupfungspräparate zeigte sich, dass der überwiegende
und zuvörderst in die Augen springende Antheil der
retinalen Masse, gewissermaasseu das Gerüst des Ganzen,
von äusserst zahlreichen Blutgefässen des verschieden-
sten Kalibers und Aussehens und auch varicösen Ver-
laufes gebildet wird.
Grosser Gefässreichthum wurde schon im ersten Fall
bemerkt und findet sich in allen folgenden wieder, sodass
man das Glioma retinae unbedingt als vasculo-
sum, resp. angiectodes bezeichnen kann. Dies ana-
tomische Factum verdient besonders hervorgehoben zu wer-
den, einmal für die klinische Diagnose, sodann zur Erklärung
mancher klinischen Tbatsachen, wie 1) der schnell auftre-
tenden glaukomatösen Zustände in derartigen Augen, da«
51
wenn die Blutgefisse, die hier einen nicht unbeträcht-
lichen Theil des intraocularen Binnenranmes einnehmen,
sich plötzlich erweitem, eine erhebliche Spannungs Ver-
mehrung erfolgen mnss*); 2) der (transitorischen) Phthisis
bulbi, die in manchen Fällen beobachtet ist, da natürlich
durch die reiche Vaskularisation sowohl das Zustande-
kommen heftigerer innerer Entzündungen, (welche nach
Prof. V. Gr aef e immer jener vorübergehenden Schrumpfung
vorausgehen,) als auch die Resorption regressiv zerfial-
lener Gewebselemente wesentlich erleichtert wird.
Die Gefässe besitzen theils capillaren Bau bei ent-
weder massiger Weite (z. B. von 0,012 Mm.), oder auch
ziemlich erheblichem, „kolossalem^' Kaliber (bis zu 0,09
Mm.); theils bei geschichteter Wandung einen sehr er-
heblichen Durchmesser (0,145 Mm. und* mehr), welcher
den der art central, vor ihrer Theilung erreicht oder
selbst übertrifft. Vielfach ist das Kaliber innerhalb kur-
zer Strecken äusserst wechselnd, so dass z. B. ein Ge-
ftss von einer Breite von 0,036 Mm. plötzlich auf 0,012
Mm. abfällt, um ebenso rasch wieder bis zu 0,150 Mm.
anzuschwellen.
Den zweiten Hauptbestandtheil der Zerzupfüngs-
präparate bilden äusserst zahlreiche Rundzellen. Sie
stellen das Parenchym der retinalen Neubildung dar
und liegen so dicht aneinandergedrängt, dass eine
besondere Intercellularsubstanz nicht wahrzunehmen ist,
wiewohl durch Auspinselung zwischen jenen ein zartes
Stroma sehr dünner, netzförmig sich vereinigender Faser-
eben und etwas kömige Substanz dargestellt werden
kann. Die Zellen sind meist sphärisch begrenzt oder
rundlich polyedrisch, manche auch nach einer Seite
hin ein wenig ausgezogen, resp. mit einem kurzen Fort-
*) Gerade wie plötiliche „Congestionen*' lehr gefusreicher Hirn-
tumoren apopleotiforme AnfSUe bedingen können.
4*
52
salz versehen; ihre Grösse beträgt 0,007—0,009 Mm.,
selten etwas mehr. Sie zeigen jetzt nach der Erhärtung
fast regelmässig einen randlichen, doppelt kontourirten,
glänzenden, 1 oder mehrere nucleoli fahrenden Kern,
dessen Grösse noch geringeren Schwankungen als die der
Zellen [meist nur zwischen 0,006—0,007 Mm.] unter-
worfen ist Selten sind mehrkemige Randzellen [von
0,012—0,016 Mm.]; selten auch kurzspindelige Zellen von
ungefilhr der nämlichen Grösse und mit einem runden
Kern, auch von c. 0,006 Mm. Grösse, ausgestattet
Die Kalke oncremente bestehen aus einer Ablage-
rung von amorphen, kleinen Kalkpartikelchen zwischen
geschrumpften Zellen, Kernen und Detritus. Die mikro-
chemische Reaktion weist darin die Anwesenheit von
kohlensaurem Kalk nach.*)
Die choroidalen Knoten bestehen aus den näm-
lichen Rundzellen wie die retinale Masse, jedoch mit etwas
reichlicherem Interstitialgewebe aus zahlreichen, etwas
starren Fasern, die in paralleler Richtung bündelweise
zwischen den Zellen verlaufen, aber auch vielfach mit
einander anastomosiren , sich durchflechten und in die
Adventitia der grösseren Blutgefässe übergehen. Es ent-
steht somit auch hier eine Art von reihenförmiger An-
ordnung der Zellen, die, obwohl sie an den histologi-
schen Bau mancher Sarcome erinnert, doch zum grossen
Theile wohl von der präexistirenden Structur der die
Matrix dieser Knoten abgebenden Aderhaut abhängen
mag. Von pigmentirten Stromazellen findet sich in der
Mitte der Knoten auf sehr zahlreichen Schnitten keine
Spur mehr vor; hier und da in das Gliomgewebe einge-
sprengte, grössere und kleinere, braune Flecke und Züge
erweisen sich als Anhäufungen von hämorrhagischem
Pigment
*) Bobin (1. c.) fand photphortaaren Kalk.
53
Auf Dickendurchscbnitten durch die Verwach-
sungsstelle des grSssereD Aderhaottamors mit der
Sciera sieht man einen ganz allmäligen Uebergang
der Geschwttlststructur des Knotens in das scle-
raie GefOge, indem die Zellen successive sparsamer,
die Fasern reichlicher werden; jedoch noch mitten in
der volllcommen faserigen Lederhaut finden sich ausser
eingesprengten, solitären Rundzellen kleine Gliomheerde,
so dass hier nach kurzer Zeit offenbar eine völlige
Durchwachsung und Bildung von episcleralen Knoten er-
folgt wäre.
Aber an einer andern Stelle war es schon wirklich
zu einer extrabulbären Propagation der Ge-
schwulstbildung, wenngleich erst in mikroskopischer
Form, gekommen, nämlich im Nervus opticus, welcher
bei der makroskopischen Betrachtung als suspect ange-
sprochen worden und nun bei der mikroskopischen Unter-
suchung folgende pathologische Veränderungen zeigte:
1. Verdickung seines bindegewebigen Antheils, der
beiden Scheiden, der Septa zwischen den Bündeln, der
Gefässumhüllungen, mit secundärer Atrophie der nervösen
Elemente;
2. Mikroskopische Gliomheerde bis an das centrale
Ende des an dem Bulbus haftenden Stückchens von
IVs Mm. Länge. (Glioma heteroplast. nervi optici.)
Auf Längsschnitten des Sehnerven sieht man bei
schwacher VergrOsserung zwischen helleren Zügen, welche
die Derivate der ursprünglichen Nervenfaserbündel dar-
stellen, grössere und kleinere, dunkler erscheinende,
rundliche und längliche Figuren, die in dem Interstitial-
gewebe des Sehnerven entwickelten Gliomzellenheerde,
welche besonders dem Laufe der grösseren Gefasse fol-
gen und namentlich die Lamina cribrosa als perivasculäre
Wucherungen durchdringen. Bei stärkeren Vergrösserungen
54
erkennt man , das8 auch zwischen den transversalen Fasern
der Lamina cribrosa viele Rundzellen sich vorfinden; dass
der Sehnerv seine normale Structur vollständig einge-
büsst hat, insofern zwischen den rundlichen oder läng-
lichen Gliomheerden, deren intercellulares Fasemetz reich-
licher als in der retinalen Masse entwickelt ist, ausser
zahlreichen Gefässen nur noch eine fein-fibrilläre, in Längs-
bündeln angeordnete Masse sich findet, welche offenbar
als Residuum der geschwundenen NervenfaserbQndel anzu*
sehen ist. Auf Querschnitten des Sehnerven — c. IMm. von
der Lamina cribrosa, — sieht man bei schwacher Vergrös-
serung zunächst die bedeutende Verdickung der Scheiden;
(die äussere misst 0,68 Mm., die innere 0,17 Mm., die
intermediäre Schicht ungefähr ebenso viel als die innere
Scheide.) Die centralen Gefilsse sind mit Blutkörperchen
dicht vollgepfropft, von starkem Caliber, dickwandig,
(die Art centr. hat einen Durchmesser von 0,3 Mm.,
ihre Wand eine Dicke von 0,036 Mm.); alle zusammen
noch von einer gemeinschaftlichen Scheide umgeben,
(deren Dicke circa 0,06 Mm. beträgt,) welche zusam-
mengesetzt ist aus einer schmaleren äusseren Zone
von concentrisch angeordneten, circulären Fasern, und
einer breiten inneren von lockerer gewebten, netz-
förmigen Fibrillen mit vielen runden wie spindelför-
migen Zellen. Durch die ganze Ausdehnung des Quer-
schnittes vertheilt finden sich zahlreiche, rundliche, po-
lyedrische oder unregelmässige Flecke, die, durch Aus-
läufer mit einander anastomosirend, ein nicht völlig ge-
schlossenes Maschennetz darstellen, dessen hellere Locken
ein sehr fein punktirtes Aussehen darbieten und den
wenig scharf abgegrenzten Opticusbündeln entsprechen.
Bei stärkerer Vergrösserung erweist sich die feine Punk-
tirung der Bündel als optischer Ausdruck einer dichten
Längsfaserung. In dem interfasciculären Maschennetz
finden sich ausser zahlreichen Gef&ssen, — die auch im
55
Centram der Bündel nicht fehlen, — sehr zahlreiche
Gliomzellen angehäuft.
An keiner Stelle dieses entschieden heteroplastiscben
Glioms fand sich eine abweichende Structur, etwa die
von typischem Sarcom, ein Punkt, auf den ich weiter
unten noch zurückkomme.
Nach dem geschilderten Verhalten des Sehnerven
kann in unserem Falle die Exstirpation als eine im his-
tologischen Sinne reine und vollständige nicht angesehen
werden, weshalb hinsichtlich der Recidivirung eine ungün-
stige Prognose gestellt werden muss.
Es resultirt aus dieser Beobachtung, wie aus den
oben (p. 46) citirten Fällen von Homer und von
Virchow, dass die weitere heteroplastische Pro-
pagation der gliösen Neubildung von der Netz-
haut aus zunächst nach 2 Richtungen fortzuschreiten pflegt:
1. zur Production von choroidalen Knoten; 2. zur
Einsprengung mikroskopischer Geschwulstheerde
in den Sehnerven.
Besonders das letztere Verhalten ist von
erheblicher praktischer Wichtigkeit und be-
dingt die Nothwendigkeit der von Professor
V. Graefe*) angegebenen Modification des ope-
rativen Verfahrens in allen Fällen, wo wegen
Glioma intraoculare die Enucleatio bulbi aus-
geführt wird.
UeberhauptistdieErkrankungdes Sehnerven
häufiger, als dies nach den bisher mitgetheilten Fällen
zu vermuthen wäre**). Während Prof. Virchow zufiU-
•) Berlin, klin. WoohenMhrift 1867, Ko. 819—821.
^ loh abfltrahiTe hier von der filteren litentor, in welcher tioh
sahlreiohe Fälle Ton Marksohwamm des Augee mit Erkrankung det
56
liger Weise unter seinen 4 Fällen nur einen hatte*^), wo
neben grossen chorioidalen und extrabulbären, markigen
Knoten sich eine Va'' I^oge, gänsekieldicke Anschwellung
des N. opticus vor&nd, bedingt durch eine feinzellige
Wucherung, war in meinen 8 Fällen der Sehnerv
6mal erkrankt und meist sehr erheblich entartet,
so dass derselbe sich als einen der hauptsächlichsten Leiter
fbr die heteroplastische Verbreitung des Gliomes ausser*
halb des Bulbus darstellt. Auch in einem neuerdings
(am 19. Febr. 1868) zur Exstirpation gelangten Falle
des Herrn Prof. v. Graefe, wo die Orbita frei von Ge-
schwulstknoten geblieben war, (wenigstens nach der Enu-
cleation der eingeführte Zeigefinger keine Spur abnormer
Verhärtung nachweisen konnte,") und auch am Präparat die
Aussenfläche der Sclera keine neoplastischen Entwicklun-
gen zeigt, war der in einer Länge von 6'^' im Augapfel
haftende Sehnerv verdickt, etwas derber als normal und
bei der mikroskopischen Untersuchung gliös entartet
Es ist dies Verhältniss bei der unmittelbaren Con-
tinuität der Gewebe des Sehnerven und der Netzhaut, bei
der gemeinsamen Vascularisation beider leicht begreiflich
und bedingt auch eine der Hauptgefahren des Glioms, da
durch den Opticus die Erkrankung leicht bis zum
Gehirn sich verbreiten kann.**)
Ein in dieser Beziehung sehr instructives Beispiel
Sehnerven veneichnet und abgebildet finden. Beiipielsweise wiU ich
nur enrahnen, dass in der Monographie Ton Wardrop über FonguB
haematodes eine Reihe derartiger Falle mitgetheilt werden und ebenso
bei Lincke: De fongo medulL ocaU, p 58.
♦) 1. c. p. 167 Note.
**) Die Indication, wegen einer (wohl hierher gehörigen) Neabildang
des Auges die Exstirpation zu unternehmen, ne per neryos vitium ad
oerebrum transiret, findet sich bereits bei Bartholinus (anno
1665). Cf. Lincke: de fungo medull. oculi, Leipzig 1834, p. 5; wie
denn überhaupt in therapeutischen Dingen die Prioritäten oft weit
höher hinaufreichen, als man glauben möchte.
57
mit bedeutender gliOser Wucherung des Sehnerven lie-
fert mein
3. Fall.
Olioma retinae, ehoiioidis, n. optiei, epiielerae. Szitni
letalis drei Woehen nach der Bzttirpatioii unter Hirn-
ijfBiptoiiien*
N. N., neunjähriges Mädchen aus Berlin, dessen
Eitern angeben, seit drei Monaten eine Hervortreibung
des rechten Augapfels bemerkt zu haben, wozu sich
in den letzten Tagen locale Entzflndungserscheinungen
und erhebliche Störung des Allgemeinbefindens, einmal,
nach Mittheilong des Herrn Dr. Gasper, ein Anfall
von Coma mit Gonvulsionen gesellt haben, zeigte am.
15. November 1867 starken Exophthalmus des rech-
ten Bulbus, dessen Spannung nicht wesentlich vermehrt
ist; AnfUlIung der vorderen Kammer mit Blut; halb-
mondförmiges, gelbes Homhautgeschwflr, entsprechend
der massig geöffneten Lidspalte, von dem Aussehen der
neuroparalytischen Affectionen *); Entwicklung von härt-
lichen Massen hinter dem Bulbus, wie die Palpation nach-
weist Dabei bleiches Aussehen, Abgeschlagenheit, Un-
ruhe, jedoch kein Fieber.
Es wurde ein intra- und retrobulbäres Neoplasma
angenommen und auf Wunsch der Eltern die Extirpa-
tion von Prof. v. Oraefe vorgenommen, um dem trau-
. rigen Ausgang in Perforation der Hornhaut und Ver-
jauchung der frei hervorwuchemden Massen, welcher
nahe bevorstand, zuvorzukommen, obwohl die Operation
nur als eine palliative angesehen und die Prognose
äusserst bedenklich gestellt werden mnsste.
Bei der Operation fahrte Prof. v. Oraefe wieder
das Neurotom, nach vollendetem Conjunctivalschnitt,
tief in die Orbita hinein längs des Daches derselben, um
vor der Herausnahme des Bulbus den Sehnerven mög-
lichst nahe dem Foramen opticum zu durchneiden, was
auch vollständig gelang (s. p. 58 o.).
*) Ein ähnlicher Zustand der Hornhaut fand lioh auch im vierten
Fall, T. i pag. 63.
58
Das Befinden der Patientin schwankte einige Tage
zwischen Besserung und Verschlimmerung, bis nach
circa drei Wochen anf ein ziemlich freies Intervall
plötzlich Hirnerscheinungen und am 7. December Exitus
letalis erfolgte.
Die Seetion wurde nicht gestattet«
Der exstirpirte Augapfel sammt der daran haftenden
retrobulbären Masse misst von vom nach hinten 36 Mm.;
davon kommen auf den Diameter anteroporterior des
Augapfels 22 Mm., 14 Mm. auf den äusserst ver-
dickten Sehnerven, dessen Breite hinten an der
Schnittfläche, exclusive der ebenfalls stark verdickten
Scheide, 8 Mm. beträgt.
Auf dem horizontalen Durchschnitt — vergl. Fig. 5
— erscheinen Sclera und Cornea unverändert; die vor-
dere Kammer ist mit klumpig geronnenem, dunklem Blut
gefüllt; die Iris in massigem Grade verdickt und ge-
lockert; die Pupille von einer durchscheinenden Exsuda-
tivmembran*) verschlossen; die Linse durchsichtig, in
ihrer wohlerhaltenen Kapsel liegend.
Der Glaskörperraum ist vollständig von
Geschwulstentwicklung eingenommen, und zwar
in seiner vorderen, grösseren Partie (über Vs) von einer
weichen, weissgelben, klumpigen Masse, die mit sehr
zahlreichen, intensiv- weissen, punktförmigen bis hirse-
komgrossen Kalkeinsprengungen versehen ist und durch
eine schmale, schwarze, wellenförmig verlaufende Linie
(Durchschnitt des Pigmentepithelbelags,) von der hinteren,
fleischfarbenen, homogenen, bis zur Sclera reichenden
Partie getrennt wird. Die letztere stellt, wie ein Blick
auf die Figur lehrt, die theils mehr gleichförmige Ver-
dickung, theils knotige Wucherung der (zum grösseren
Theil jedoch unveränderten, der Sclera anliegenden, mit
*) Eine weit höhere Stufe von iiitiichen Producten fand sich im
fünften FaU.
59
ihrem Kpithelbelag versehenen) Cborioides dar; der
grosse, in der Nähe des Sehnerveneintritts befindliche,
aus der Uvea hervorgegangene und mit Pigmentepithel
an seiner convexen Vorderfläche überkleidcte Tumor misst
im Diameter anteroposterior 9 Mm., im Diameter trans-
versus 11 Mm. Die erstere Partie, in den vorderen Vs
des Glaskörperraomes, ist als die von der Netzhaut
ausgegangene Primärgeschwulst zu betrachten,
welche, als der älteste Theil der Neubildung, schon in
offenbar regressiven Phasen begriffen ist.
Der verdickte Sehnerv hat ein etwas durch-
scheinendes, blassröthliches, entschieden fleischfarbenes
Aussehen und ist auf der Schnittfläche von zahlreichen,
grösseren und kleineren Hämorrhagien durchsetzt
In der oberen Hälfte des Präparats lassen sich die
der Sclera anhaftenden Gewebsmassen ziemlich leicht von
derselben trennen und erweisen sich als Muskeln, hämor-
rhagisch infiltrirtes Bindegewebe und Tela adiposa; an der
unteren Hälfte hingegen findet sich, dicht am Sehnerven-
eintritt, ein rundlich begrenzter, mit breiter Basis der
Sclera aufsitzender, flacher Knoten, welcher einen
Durchmesser von 6 Mm. besitzt, in seiner grössten Dicke
3 Mm. misst, auf dem Durchschnitt ein ganz hirnmark-
ähnliches Aussehen und sehr weiche Consistenz darbie-
tet, von einer zarten Bindegewebsmembran flberkleidet
ist, und dessen untere Fläche an der makroskopisch un-
veränderten und nicht perforirten Lederhaut festhaftet,
(Glioma episclerale).
Der Sehnerv lässt sich aus dem ihn umgebenden
orbitalen Fett- und Bindegewebe leicht herauslösen; nur
findet sich dicht an seiner hinteren Schnittfläche ein
seiner Scheide fest anheftender, erbsengrosse Tumor, der
auf dem Durchschnitt ein zart medulläres Aussehen dar*
bietet (Glioma orbitale.)
Die mikroskopische Untersuchung weist die gliöse
60
WucheruDg in der retinalen, wie in der uvealen Partie
der intraocularen Oeschwulstmasse nach.
Der zwischen beiden befindliche Pigmentepithelbelag
adhärirt fester an ersterer, als an letzterer, ist massig
verdickt und stellt eine Einlagerang der vermehrten,
mit abnorm schwarzen PigmentkOrnchen versehenen, zum
zum Theile zerfallenen Zellen in eine weiche, körnig
streifige (exsudative) Masse dar.
Der Sehnerv besteht überall, noch in seinen hintersten
Partien, aus dichter Anhäufung der gleichen Rundzellen,
wie sie die intraoculare Geschwulst zusammensetzen. Die-
selben sind auf Längsschnitten in breiteren und schmalen,
durch dünne, faserige Septa geschiedenen Bündeln ange-
ordnet Ausserdem zeigen sich die ichon bei der makro-
skopischen Beschreibung erwähnten, grossenHämorrhagien.
Auch auf Querschnitten ist die Anordnung der Zellen in
unregelmässig polygonalen Figuren recht deutlich; jedoch
confluiren diese vielfach, so die Wucherung der Zellen in
ganz diffuser Weise den Sehnerven einnimmt.
In den dem orbitalen Knoten entnommenen Schnitten
finden sich eigenthümliche Bilder durch interstitielle Gliom-
Zellenwucherung zwischen noch wohl erhaltenen, succes-
sive von einander abgedrängten, grossen Fettzellen, die
natürlich als Residuen der Tela adiposa der Orbita an-
zusehen sind. (Das gleiche Verhalten fand ich übrigens
in mehreren anderen Fällen, z. B. dem siebenten und dem
achten.)
Da die Section nicht gemacht werden konnte, bleibt
es dahingestellt, ob in diesem Falle die gliöse Neu-
bildung sich bis zum Hirn fortgepflanzt hatte
oder nicht. Doch enthält die erstere Annahme nichts
Unwahrscheinliches, da
1. in anatomischer Hinsicht noch die Schnittfläche
61
des dicht vor dem Foramen opticum getrennten Sehnerv
sich gliös entartet zeigte;
2. in klinischer Hinsicht der späte Eintritt des Exitus
letalis (drei Wochen nach der Operation, nach einem
freien Intervall) gegen die Annahme einer traumatischen
Meningitis*) zu sprechen scheint.
Die Kliniker — ich nenne Prof. v. Graefe, femer
Szokalski**), Stellwag***), Mackenzief), — sind
einig über die Annahme, dass das intraoculare Gliom
sich bis zum Gehirn fortpflanzen und hierdurch
tddtlichen Ausgang bedingen könne, ja dass
diese Fortpflanzung eine relativ häufige sei;
von anatomischer Seite könnten aber Bedenken er-
hoben werden und Prof. Virchowft) spricht sich sehr
reservirt und eher gegen diese Annahme aus; jedenfalls
ist der directe anatomische Nachweis bis jetzt noch nicht
geliefert
Zur Ausfüllung dieser Lücke in unseren anatomischen
Kenntnissen müssen vorläufig die gut beschriebenen
Fälle aus der älteren Literatur dienen, in denen natürlich
von mikroskopischer Untersuchung nicht die Rede ist
Vor Allem möchte ich hier auf einen sehr genau be-
schriebenen und abgebildeten Fall von Panizz äfft) hin-
weisen, welcher weniger beachtet zu sein scheint, als er
es verdient, wenigstens im Yircho waschen Geschwulst-
werk nicht citirt wird.
*) In Bttreif dieMr yergl« den Fall von Horner, 1. o.
••) L. 0.
***) Lehrbuch, p. 557, sowie sein grösseres Handbnoh.
t) L. c.
tt) L. 0. p. U6ö.
ttt) Annotagioni anntomioo ohiruigiehe sul Aingo midoUare dell' oo-
ebio et soUa depressione delU oateratta, de Bartolomeo Paniisa,
Paria 1821. Vergl. auch Chirurg. Eupfertafeln, Weimar 1826,
Tab. CLVn.
62
Bei einem an Fungns meduUaris des Auges und des
Hirns gestorbenen Kinde &nd sich:
1. in dem yom ulcerirten, der Hornhaut, Iris und
Linse beraubten Augapfel eine weiche Geschwulst, als
deren Ausgang die in ihrer Totalität degenerirte Netzhaut
erkannt wurde, während von der Aderhaut noch ein Theil
erhalten war;
2. spindelartige Verdickung und füngöse Degenera*
tion des Sehnerven;
3. die nämliche Entartung im Chiasma und an der
Basis des Mittelhims bis zu den Pedunculi, von der
Basis celebri nach oben durchschlagend bis in die Seiten-
ventrikel zu den Corp. striata, von denen namentlich das
rechte zum grössten Theil zerstört war.
Ich halte es nicht für eine zu kahne Annahme, dass
dieser Fall als ein von der Netzhaut ausgegangenes^
durch die Continuität des Sehnerven bis zum Hirn fort-
geschrittenes Gliom aufzufassen sei.
Nicht minder überzeugend, sowohl hinsichtlich des
klinischen Verlaufes als auch des anatomischen Befundes^
sind mehrere Fälle, welche Wardrop*), B. v. Langen-
beck**) und Lincke***) mitgetheilt haben.
Die beiden folgenden Fälle, die kurz nach einander
zur Exstirpation gelangten, zeigen einen ausserordentlich
ähnlichen Habitus und stellen in anatomischer Hin-
sicht eine weitere Fortentwicklung des im
dritten Fall geschilderten Zustandes dar, inso-
fern neben hochgradiger, intraoculärer Ge-
*} Wardrop, Ueber Fungns haematodet, deutadi ▼. Kuhn«
Leipsig 1817.
^) De retina, pag. 168.
*••) De fdngo mednUari ocuU p. 61,
63
sehttlstentwicklung eine bedeutende Wuche-
rung des Sehnerven und ausgedehnte orbitale
Tumoren sich vorfinden.
4. Fall.
Olioma retinae, chorioidisi n. optici, orbitae.
N. N., IVt jähriges Kind, war bereits im Mai 1867
mit dem Anfangsstadinm des Netzbautglioms auf dem
rechten Auge (sc. ohne Entzflndangscrscheinungen ent-
wickeltem gelben Reflex aus dem Hintergrund des nicht
vergrösserten Bulbus,) in die Klinik des Herrn Prof.
v.Graefe gebracht worden; der Vorschlag derEstirpation
wurde jedoch damals von den Eltern zurückgewiesen. In
den Herbstferien*— Ende August, — brachten sie das Kind
wieder mit stark vergrössertem, prominentem Angapfel
der in der Mitte der enorm gedehnten Hornhaut einen
trockenen Schorf*) trng, während in der vorderen
Kammer eine gelbe, stark reflectirende Masse, die sich
dicht an die Hornhaut andrängte, zu erkennen war; und
baten um die Entfernung des „Krebses'*.
Die Operation fahrte mein College und Freund
Dr. Leber am 29. August 1867 ans, welchem ich für
Ueberlassung des Präparates meinen Dank ausspreche.
Nachdem die horizontal durchschnittene Geschwulst
mehrere Wochen in verdünnter Ghromsäurelösung gele-
gen, ergab die makroskopische Untersuchung folgendes:
Der Augapfel ist in allen Dimensionen
gleichmässigvergrössert;diedrei Hauptachsen haben
eine ziemlich gleiche Länge, nämlich 26 Mm.
Dieektatische, verdünnte Hornhaut — vgl. Fig. 6,
— zeigt bei erhaltener Durchsichtigkeit eine centrale,
oberflächliche Erweichung; die gleichfalls verdünnte
Sclera umzieht die intraoculare, den Binnenraum des
Auges gänzlich ausfüllende Neubildung als eine vollständige
*) Yergl den dritten FaU, p. 57.
64
Kapsel, der in der Nähe der Opticusinsertion mehrere
erbsen-bisbohüengrosse extrabulbftre, mit dem stark
verdickten Sehneryen fest verwachsene Knoten
anhaften. Nach innen von der Sclera dringen eine Reihe von
Gesch wulstknoten, die aas dem Uvealtractus ent-
springen, gegen das Centrum des Auges vor. Auch von
der Giliargegend her schiebt sich jederseits ein solcher
in die vordere Kammer hinein vor die noch durchsichtige
KrystalUinse; die Iris participirt also an der Ge-
schwulstentwicklung — was nur noch im achten Fall
beobachtet wird, also im Allgemeinen selten zu sein scheint,
— und stellt einen sehr dickwandigen, kurzen Trichter
dar, welcher sich mit seiner Aussenfläche gegen die hin-
tere Fläche der durch die Geschwulstentwicklung in der
vorderen Kammer enorm gedehnten Hornhaut drängt,
dessen ganz enge Lichtung von einer lose darin liegen-
den weichen (exsudativen) Masse erfüllt ist
Alle die genannten Knoten, die eine markig homo-
gene Beschaffenheit und weiche Consistenzen zeigen,
werden von einem schmalen, schwarzen, continuirlichen
Saume nach innen begrenzt, der auf dem Durch-
schnitt in seiner Totalität eine unregelmässig poly-
gonale Figur mit nach innen gewölbten Seitenlinien dar-
stellt und offenbar dem uvealen Pigmentepithel entspricht
Der von dieser Pigmentlinie begrenzte retrolenticuläre
Raum wird von einer sehr weichen, gelblichen, auf der
Schnittfläche wie zerfressen aussehenden, zart vascularisir-
ten, mit eingesprengten Ktilkconcrementen versehenen Masse
eingenommen, welche innerhalb der pigmentirtenGrenzfläche
nur locker liegt, dagegen vorn an der Giliargegend und
hinten mit einer strangförmigen Yerschmälerung am Seh-
nerveneintritt festhaftet, und dieP rimärge s c h w ul s t, das
diffuse, jetzt regressive Netzhautgliom darstellt
Ein kleiner Theil dieser Masse dicht hinter der Linse (etwa
von Erbsengrdsse,) besitzt eine trockene, gelbe, käsige
Beschaffenheit.
66
Die Resultate der mikroskopischen Unter-
suchung sind in Kürze folgende:
1) Der retinale Trichter besteht aus den bekannten
Gliomzellen mit meist spärlichen, nur in einzelnen Partien
reichlicheren, intercellularen Fibrillen; mit eingesprengten
oder in kleineren und grösseren Heerden vorkommenden,
Fettkömchcuhaltigen Bundzellen, die regelmässig einen
grösseren Durchmesser (c. 0,015 Mm.) besitzen, und mit
sehr zahlreichen, theils kapillaren, theils dickwandigen, auch
enorme Schwankungen des Kalibers zeigenden Gefassen.
2) Choroidale, episclerale Knoten und Sehnerv be-
stehen aus der nämlichen Rundzellenwucherung.
Der Sehnerv hatte im frischen Zustand auf der ho-
rizontalen Schnittfläche eine eigenthümliche citrongelbe
Färbung dargeboten, welche, wie das Mikroskop nach-
wies, von kleinen gelben Pigmentkörnchen herrührt, die
meist eingeschlossen sind in Zellen von etwas grösserem
Durchmesser, als die kleinen Gliomzellen. Für die
Annahme, dass diese Pigmentirung hämorrhagischen Ur-
sprungs ist, spricht ausser ihrem ganaen Habitus der
Umstand, dass Hämorrhagien und deren Umwandlun-
gen in gliösen Wucherungen oft vorkommen und beson-
ders auch frische Blutungen in das Parenchym des gliös
entarteten Sehnerven im vorigen Fall notirt sind.
6. Fall.
Oiioma retinae, choroidis, n. optici, orbitae.
Das Präparat, das ich erst, nachdem es, horizontal
durchschnitten, einige Wochen in verdünnter Chrom-
säurelösung gehärtet worden, zur Untersuchung bekam,
misst in seinem grössten Längsdurchmesser 34 Mm.,
wovon 21 auf den Augapfel, 13 auf das an diesem
haftende Stück des stark verdickten Sehnerven kom-
men, in seinem grösssten Breitendurchmesser 31 Mm.,
AnUt fUr Ophthalmologie, ZIV, S. 5
66
wovon 22 dem Bulbus, 9 extraocularen, medianwärts von
dem Augapfel entwickelten Geschwulstmassen angehören.
Auf der Schnittfläche der unteren Hälfte, welche in
Fig. 7 dargestellt ist, präsentiren sich Hornhaut und die
— freilich in dem hinter dem Aequator gelegenen Ab-
schnitt etwas verdickte — Sclera als die verhältniss-
massig am wenigsten veränderten Theile des Augapfels.
Medianwärts von dem letzteren findet sich eine nach
Einwirkung der Chromsäure leicht bräunlich tingirte,
lappig- fetzige Geschwulstmasse, welche bei einer Breite
von 9 Mm. eine Länge von 25 Mm. besitzt und sich von
der Umschlagsstelle der Conjunctiva bis hinter die Ein-
trittsstelle des Sehnerven erstreckt.
Das an dem Bulbus haftende Stttck des Nerv, optic,
hat eine Länge von 13 Mm., einen Dickendurchmesser
von 8 Mm. in derjenigen kleinen, mittleren Strecke, wo
die Scheide beim Durchschneiden des Präparates unver-
sehrt geblieben, während vorn, wo dieselben zur Hälfte
entfernt und an der endständigen Schnittfläche wegen
des Hervorquellens der intravaginalen Substanz die Dicken-
durchmesser viel grösser erscheinen. Aus diesen Maas-
verhältnissen resultirt die klinisch nicht unwichtige That-
sache, dass eine derartige Massenzunahme des Sehnerven
auch ohne weitere Entwicklung von orbitalen Geschwulst-
knoten hinreichend ist, um einen ziemlichen Grad von
Potrusio bulbi hervorzurufen.
Die Uvealtractus ist auf der genannten Schnittfläche
nur in einer kleinen Strecke von normalem Aussehen,
nämlich auf der lateralen Hälfte zwischen Ciliarkörper
und Aequator. Von hier ab bis zum hinteren Pol be-
ginnt eine Verdickung der Choroides, die zunächst all-
mählich zunimmt bis zu Vs Mm., dann dicht vor der Seh-
nerveninsertion in einen grösseren Geschwulsknoten mit
convexer Vorderfläche übergeht; ein ähnlicher erhebt sich
medianwärts vom Sehnerveneintritt und reicht auf seiner
67
Seite bis zum Aequator; von da an verdQnnt sich die
Aderhaot ganz allmählich bis zum medialen Durchschnitt
des Giliarkörpers, wo ihre Dicke immer noch Vs Mm. beträgt.
Die vordere Begrenzungsfläche der beiden Knoten, die
buckeiförmig in das Innere des Auges vorspringen, und
ebenso die Qbrige Ghoroides zeigen einen ziemlich voll-
ständigen Pigmentbelag.
Die Substanz der beschriebenen Ghoroidaltumoren
wie des Sehnerven ist mit derjenigen der extrabulbären
Geschwulsmasse in makroskopis^er Hinsicht identisch.
Der vorderste Theil des Uvealtractus, Ciliarkörper
und Regenbogenhaut, participirt nicht an der Geschwulst-
bildung, ist aber in Folge von Irritativprocessen plasti-
scher Natur hochgradig entartet Vom Strahlenkörper
beiderseits beginnend, der Yorderfläche der Iris auf-
gelagert und die (nur massig verengte) Pupille somit
vollständig versperrend, zieht eine 7« Mm. dicke, derbe,
weissliche, auf der Schnittfläche streifige Membran quer
durch die verengte vordere Kammer. Hinter der Iris,
nur lose mit ihr verklebt, folgt die vordere Linsen-
kapsel, die auf ihrer Vorderfläche einen getreuen Pig-
mentabdruck der Iris (mit ausgesparter Pupille) trägt
[Eine so dicke, undurchsichtige Pseudomembran schneidet
natürlich jeglichen Einblick in das Innere des Auges ab
und könnte, zumal wenn sie sich schon in früheren Sta-
dien der Erkrankung, vor der Bildung extrabulbärer
Knoten, entwickelte, die klinische Diagnose nicht uner-
heblich erschweren.] Die Linse ist herausgefallen.
Von dem noch restirenden Glaskörperraum, d. h. so
weit er nicht von den Ghoroidaltumoren eingenommen
wird, füllt den kleineren Theil, etwa Vsi ^^^^ sehr weiche,
pulpöse, gelbliche Masse von trichterförmiger Gestalt, die
vorn mit breiter Basis sowohl mit der Hinterfläche der
Linsenkapsel als auch mit der Innenfläche des Giliar-
körpers und der vorderen Partie der Ghoroides zusam-
5*
68
menhäugt, nach hintcD zu strangförmig verschmälert, sich
in deD zwischen den beiden grossen Choroidalknoten ent-
stehenden Winkel einsenkt, um sich genau in die Mitte
des Sehnerveneintritts zu inseriren: offenbar dieinihrsr
Totalität abgelöste und diffus degenerirte Netzhaut, auf
die wir, in der Beschreibung von aussen nach innen fort-
schreitend, zuletzt stossen, während sie doch bekanntlich
den Ausgangspunkt der ganzen Geschwulstbildung dar-
stellt. Keineswegs aber bildet sie den der Masse nach
tiberwiegenden und der Configuration nach am meisten
in die Augen springenden Antheil an der intraocularen
Neoplasie, so dass man nur durch Vergleich mit den
Fällen aus den früheren Stadien in ihr die Primär-
geschwulst erkennt.
Die Schnittfläche der oberen Hälfte des Präparates
bietet fast genau dasselbe Aussehen dar, wie die untere;
nur springen hier die Knoten der Uvea stärker, als fast
haselnussgrosse Tumoren mit convexer, pigmentirter
Oberfläche, in den mit Flüssigkeit erfüllt gewesenen sub-
retinalen Raum hervor.
Die mikroskopische Untersuchung zunächst der
iridocyklitischen Entzündungsprodukte ergiebt folgende
Resultate :
Dickendurchschnitte durch die der Iris aufgelagerte
Membran sammt Regenbogenhaut und Linsenkapel leh-
ren, dass dieselbe durchweg aus dicht aneinander lie-
genden, der Oberfläche annähernd parallel ziehenden,
feinen Fibrillen besteht, welche durch ziemlich regel-
mässig angeordnete, dickere Fasern in einzelne Bündel
abgetheilt werden, deren im Ganzen 50 — 60 zu zählen
sind. Zwischen den Fibrillen treten an mit Carmin gefärb-
ten Schnitten einzelne längliche Kerne hervor. In der vor-
dersten Schicht der Pseudomembran verlaufen Blutgefässe,
darunter eines von 0,15 Mm. Durchmesser. Auf diese
fibrillärc Membran folgt als eine dicke Lage das proliferirte
und entfärbte Irisstroma, endlich ein unregelmässiger Pig-
mentzellenbelag. Die homogene, an sich unveränderte
vordere Linsenkapscl besitzt sowohl auf ihrer Aussen- wie
Innenfläche Auflagerungen, auf ersterer Pigmentzellen
und -Körnchen, in eine theils structurlose, theils fibrilläre
Masse eingebettet, auf letzterer eine fasrige, mit wenig
Kernen versehene Schicht, unter welcher ein stark ge-
wuchertes Epithel und dann Reste von zerfallener und
verkalkter Linsensubstanz sich vorfinden.
Zerzupfungspräparate aus dem retinalen Trichter
— aus welchen sich die bekannten Kalkkonkremente und
Blutgefässe, schon makroskopisch sichtbar, isoliren lassen,
— zeigen, dass die ganze Masse besteht: 1. aus dicht
gedrängten Gliomzellen (worunter viele durch Fettmeta-
morphose veränderte und, wie es regelmässig hierbei ge-
schiebt, vergrösserte,) mit spärlichen intercellularen Fi-
brillen; 2. aus sehr zahlreichen Blutge&ssen von ver-
schiedenem Kaliber und Bau, auch mit aneurysmatischen
Erweiterungen. In der strangfdrmigen Insertion des
Retinaltrichters finden sich lediglich zahlreiche Blut-
gefässe und die an deren, zum Theil stark verdickte
Wandungen sich unmittelbar anschliessenden Rundzellen-
anhäufungen.
Im Sehnerv ist das normale Gewebe durch gliöse
Wucherung vollständig verdrängt, die, obwohl meistens
von einem stark verdickten Perineurium internum um-
geben, doch stellenweise bis an die äussere Scheide hin-
anreicht; ja kleine^ nesterförmige Gliomzellenanhäufungen
durchdringen auch die letztere und werden somit Ver-
anlassung zu einer di£fuseren Erkrankung der Orbita.
Die Ghoroidalknoten bestehen aus der näm-
lichen Zellenanhäufung mit nur vereinzelten rundlichen
Körnchenzellen. Der Pigmentepithelbelag an ihrer Vor-
derfläche ist theils unverändert, theils von den bei der
Choroiditis ectatica (Schweigger) vorkommenden AI-
70
terationen betroffen. Unter ihm folgt die nicht wesent*
lieh verdickte, streifig gewordene Lamina elastica, die
stellenweise CoUoidkugeln zeigt. Die gliOse Wacherung
stösst theils direct an dieselbe, theils ist sie von ihr durch
Capillaren geschieden, (Reste der Choriocapillaris); an eini-
gen Stellen ist ausser der Gapillarschicht sogar noch die
Anordnung der mittleren Geiässlage der Ghoroides zu er-
kennen, wobei alle Zwischenräume zwischen den Gefässen
von Riindzellen vollgestopft und von gefärbten Stroma-
zellen keine Spuren mehr wahrzunehmen sind.
Dickendurchschnitte durch die Sclera an einer
Stelle, wo sie sowohl mit der extraocularen Geschwulst-
masse als auch mit einem der grossen Uvealtumoren
adhärent geworden, zeigen schon makroskopisch hier-
selbst eine bedeutende VerdQnnung der Lederhaut;
mikroskopisch lässt sich nirgends eine continuirliche
Durchwachsung, sondern nur eine Einsprengung von so-
litären und zu kleinen Nestern zusammengehäuften Gliom-
zellen mitten im fasrigen Scleralgefflge nachweisen.
Auch die extrabulbäre Geschwustmasse ist
lediglich aus dichter gliOser Wucherung mit wenig In-
tercellularsubstanz, sehr zahlreichen Gefässen, (darunter
auch „kolossalen*' Capillaren mit varikösem Verlauf,) zu-
sammengesetzt Die Gleichförmigkeit der mikroskopischen
Bilder wird nur durch die in disseminirter Anordnung
auftretende Verfettung der zelligen Elemente unter-
brochen.
Von Wichtigkeit scheint es mir, beson-
ders hervorzuheben, dass, ebenso wie im
dritten und vierten, so auch in diesem fQnf-
ten sehr vorgerQckten Fall, wo die von der
Primärgeschwulst ausgehende Infection der
Nachbarschaft bereits so erhebliche Dimen-
sionen angenommen hatte, sich auf keinem der
zahlreichen, von allen Partien des Präparates
71
hergenommenen Schnitte eine Abweichung von
der gliomatösen Structur erkennen Hess.
Insofern unterscheiden sich meine Fälle nicht uner-
heblich von andern, z. B. demjenigen von Szokalski
und Brodowski,*) welchen die Autoren mit Recht
als Gliosarcoma bezeichnen, insofern 1) die Zellen
(worauf ich nach sehr zahlreichen mikrometrischen Be-
stimmungen einiges Gewicht zu legen mich berechtigt
halte) die beträchtliche Grösse von 0,015 Mm., ihre
Kerne aber einen Durchmesser von 0,01 Mm. erreichten,
also die bei dem reinen Glioma vorkommenden Maasse
von 0,007--O,009 Mm. Rr die Zellen und von 0,006 Mm.
f&r die Kerne nicht unerheblich überschritten; und 2)
die Zellen in der extrabulbären Partie der Gewulst spin-
delförmig und körnig waren. Auch Prof. Vir chow (On-
kologie, 159 und 167) erwähnt Geschwülste, welche un-
mittelbare Uebergänge von dem Gliom zum
Sarcom darstellen.
Das typische, d. h. die charakteristische Anordnung,
Form und Grösse der Zellen und Kerne überall bewah-
rende Gliom, wenn es sich heteroplastisch ausbreitet, nach
Rindfleisches Vorgang**) schlechthin als kleinzelliges
Medullarsarcom zu bezeichnen, scheint nicht mehr zweck-
mässig und ist auch schon von Prof. Vir chow***)
zurückgewiesen.
Jedoch ist es eine für die onkologische
Doctrin i. A.^nicht unwichtige Thatsache, dass
genau dieselbe Structur, wie in meinem ersten
Falle, der doch kaum anders denn als circum-
scripte Hyperplasie der KOrnerschichten auf-
*) Zehender'B klin. MonatsbläUer fttr AugenbeUknnde, 1865,
p. S96 ff.
*^ Zehender's Monatobl., 1868, p. 848.
•^) Onkologe p. 167. Vergl. übrig«i» t. Oraefe's Arob. VII. 2. 45.
72
gefasst werden kann, sich auch in diesen drei
letzten Fällen ausgebreitetster heteroplasti-
scher Entwicklung vorfand.
6. Fall.
Olioma oonli et orbitae.
Die Geschwulst, welche einen grossen Theil der Or-
bita ausgefallt und bedeutende Hervortreibung des Aug-
apfels bewirkt hatte, ist 2" lang, ly»" breit, V/J" hoch.
Den Augapfel umschliesst der retrobulbäre Theil der Ge-
schwulst, welcher nur die Hornhaut und eine schmale,
vordere Zone 'der Lederhaut frei lässt, hinten von
einer dünnen Bindegewebsschicht überkleidet ist und
eine rothe, an manchen Stellen intensiv blau-rothe Farbe
und einen groblappigen Bau besitzt. Der Sehnerv ist an
seiner Schnittfläche etwas verdickt und von leicht gelb-
licher Tinction.
Auf dem sagittalen Durchschnitt erscheinen Hornhaut
und Sclera, Iris und Linse nicht erheblich verändert, was in
so vorgerücktem Stadium der Affection zu den Seltenheiten
gehört. Der ganze Glaskörperraum wird von Geschwulst-
masse eingenommen, deren vordere Partie, von weisslich-
medullärem Aussehen, stark vascularisirt, mit einge-
sprengten Kalkkörnchen versehen, uns das wohlbekannte
Bild des retinalen Glioms wiederholt, während die hintere
Masse, von etwas dichterer Consistenz, mit Pigmentbelag
auf der Vorderfläche, die secundär gewucherte Aderhaut
darstellt.
Das Mikroskop bestätigt die Diagnose eines glioma
retinae heteroplasticum. Der Sehnerv ist gleichfalls
gänzlich in gliöse Wucherung aufgegangen.
73
Der 7. Fall
bot keine von dem bisher Mitgetheilten abweichende Re-
sultate; nur fehlte die vordere Partie des protrudirten
Bulbus. Die vordere Begrenzungsfl&che der Geschwulst
war grünlich, stinkend und secemirend, also bereits pu-
trider Zerfall eingetreten. Ich stehe deshalb von einer
ausführlichen Beschreibung ab, um mich sofort zu meinem
achten Fall zu wenden, welcher mir die interes-
sante Gelegenheit bot, die kurze Zeit nach der ersten
Exstirpation aufgetretene und gleichfieills exstirpirte Reci-
divgeschwulst zu untersuchen und auch mehrere bemer-
kenswerthe histologische Data Ober die Propagationsweise
der gliOsen Wucherung lieferte.
8. Fall.
Olioma oouli et orbitae.
Die Geschwulst, welche Herr Prof. v. Graefe einem
3jährigen Bauermädchen am 8. März 1867 extirpirte, be-
sitzt eine Länge von 50, eine Breite von 30, eine Höhe
von 35 Mm. Ihr Gontour erscheint bei der Ansicht von
vom viereckig mit abgeioindeten Winkeln, entsprechend
der Gestalt der Orbita, welche sie vollständig ausgeflUIt
hatte, und mit vier den geraden Augenmuskeln ent-
sprechenden Eindrücken versehen. Die Mitte der vor-
deren Fläche wird von der noch durchscheinenden Cornea
eingenommen. Hinten besitzt die Neubildung einen stark
gelappten Bau.
Auf der sagittalen Schnittfläche zeigt sich eine über-
raschende Mannigfaltigkeit von Formen und Farben. An
eine dünne Schicht durchscheinender Homhautsubstanz
deren Dicke nicht über ^H Mm. beträgt, schliesst
sich continuirlich eine dickere, 2Va Mm. messende
Lage von undurchsichtiger, grauweisslicher, markiger
74
Beschaffenheit, deren hintere Fläche mit einem Pigment-
belag versehen ist, offenbar eine von Ciliarkörper und
Iris ausgehende, die vordere Kammer gänzlich erfüllende
und mit der Hornhaut verwachsene Wucherung, hinter
der sich die massig getrQbte Linse befindet. Der Glas-
körperraum, welchen der auf dem Durchschnitt als ein
unregelmässig -polyedrisch begrenzter, schwarzer Saum
erscheinende Pigmentepithelbelag der Uvea abschliesst,
wird von einer weichen, grauweissen, etwas durchschei-
nenden Masse erfüllt, in welcher äusserst zahlreiche, in
dem hintersten Theil des genannten Raumes dicht an-
einandergedrängte Kalkconcremente sich finden, während
sich dicht hinter der Linse eine grössere weissgelbe,
trockene, käsige Partie findet, ganz ähnlich wie dies be-
reits im vierten Fall (s. o.) beobachtet wurde. Der
beschriebene Antheil beträgt etwa V5 des ganzen Präpa-
rates; die übrigen Vs* <ii6 auf dem Durchschnitt einen
groblappigen Bau und ein exquisit medulläres Aussehen
besitzen, werden durch die stark verdünnte Sclera (resp.
die innere Lage derselben), deren Dicke die der übrigen
interlobulären Septa nicht viel übertrifft, in eine vordere
intraoculare, resp. choroidale und eine hintere extra-
oculare (und zum Theil intrasclerale) Partie getheilt:
in der letzteren finden sich ein Paar hellgelbe, trockene
Knoten.
Das Mikroskop zeigt überall gliöse Zellen mit
theils spärlicher, theils aber— in der Nähe der Septa —
ziemlich reichlicher Entwickung von intercellularen Fi-
brillen. Ich will die Einzelheiten nicht weiter ausführen
und nur hervorheben, dass Dickendnrchschnitte durch
die Hornhaut und die ihr adhärirende, geschwulstartig
verdickte Iris darthun, — cf. Fig. 8 — , wie unter dem
Epithel und der Bowman'sche Membran eine Schicht
ziemlich unveränderten Homhautgewebes folgt, an welche
sich unmittelbar, ohne Dazwischenkunft einer Elastica
75
posterior, die dichtzellige, indische Wucherung, welche
die vordere Kammer erfallt, anschliesst, so zwar, dass
in der durchscheinenden Homhautsnbstanz sich zahlreiche,
rundliche und längliche Heerde gliöser Zellen eingesprengt
finden, die wenigstens zum Theil Blutgefässe zu beglei-
ten scheinen.
Dies ist wieder eine beweisende Thatsache für die
oben erwähnte Eigenschaft des Glioms, bei seiner weite-
ren Verbreitung die verschiedenen Gewebe nicht etwa
blos mechanisch zu verdrängen, sondern durch neoplas-
tische Wucherung organisch zu ersetzen, ein Verhalten,
das bekanntlich ebenso in der älteren, wie in der neue-
ren, auf histologischer Basis begründeten Geschwulst-
doctrin als ein wichtiges Zeichen der Malignität ange-
sehen worden ist.
8^ Olioma orbitae reoidiviun.
Schon nach kurzer Zeit — Ende Mai 1867 — kehrte
die Patientin mit einem (freilieh prognosticirten) lokalen
Becidiv der Orbitalgeschwnlst zurück. Die letztere
wurde von Prof. v. Graefe am .31. Mai exstirpirt.
Das I^räparat stellt eine unregelmässig polyedrische
Masse dar von 25 Mm. Länge, 16 Mm. Breite und &st
gleicher Höhe. Die Geschwulst besitzt eine dünne Bin-
degewebsumhüUung und einen deutlich lappigen Bau,
welch' letzterer auch auf dem Durchschnitt hervortritt
wo zahlreiche, sich verästelnde Bindegewebssepta die
weiche, graulich-weisse Substanz der Neubildung durch-
ziehen.
Die mikroskopische Untersuchung des frischen
Präparates ergiebt an den verschiedensten Stellen eine
äusserst dichte Anhäufung sehr zarter, fein granulirter
Rundzellen von meist 0,007—0,010 Mm., in denen ein
Kern meist nicht deutlich zu erkennen ist, jedoch nach
Essigsäurezusatz mit scharfen Contouren hervortritt und in
76
der Regel einen Durchmesser von 0,006—0,007 Mm. zeigt»
Zwischen den Zellen findet sich nur ein spärliches Strome
von dQnnen Fasern, mit Ausnahme der von der Nähe
der Septa hergenommenen Schnitte, die eine stärkere
Entwicklung von Fibrillen darbieten. Zahlreiche, nadi
schwacher Erhärtung des Präparats in verdünnter Chrom*
Säurelösung angefertigte Schnitte zeigen, dass die glio-
matöse Structur sich in allen Partien der Geschwulst
vorfindet. An einzelnen Stellen sieht man eine Yerfet-
tung der zelligen Elemente. Die Blutgefässe sind ziem-
lich zahlreich und im Verhältniss zu ihrem Lumen dick-
wandig. In dem Gliomazellengewebe finden sich einge-
schlossen :
1. Tela adiposa, wie im dritten Fall.
2. Quergestreifte Muskelfasern, deren Vor-
kommen in einer Orbitalgeschwulst ebenso natürlich ist,
wie das des Fettzellgewebes.
Man sieht (Fig. 9), wie die einzelnen Primitivbündel
von den zwischen ihnen entwickelten, reihen- und colon-
nenweise angeordneten Rundzellen mehr und mehr aus-
einandergedrängt werden. Dabei ist die Querstreifung
der Muskelfasern fast überall wohl erhalten, nur hie
und da verwischt und durch eine feine, mehr diflfuse
Punktirung ersetzt. Oefters fand sich eine deutliche
Verschmälerung der Bündel bei ganz intacter Querstrei-
fung, — einfache (nicht durch fettige Metamorphose ver-
mittelte) Atrophie der Muskelprimitivbündel in Folge
der interstitiellen Neoplasie.
Innerhalb der Muskelprimitivbündel selber eine
Rundzellenwucherung zu beobachten, ist mir nicht ge-
lungen, — während G. 0. Weber '*') bekanntlich angiebt^
in einem Fall von Gliosarcoma nervi cruralis mit Durch-
•) Virohow'i Archi? Band 89, 2, 262.
77
wachsung des Musculus sartorins neben interstitieller Rund-
zellenwucherung auch eine deutliche Proliferation der
Muskelkörperchen resp. Umwandlung derselben in Ge-
fichwulstzellen innerhalb der Sarcolemmschläuche bei
gleichzeitigen Schwund der contractilen Substanz ge-
funden zu haben.
Uebergang zum Sarcomtypus konnte auch in der
Becidivgeschwulst nicht nachgewiesen werden ; überhaupt
war deren histologische Identität mit der primären nicht
zu verkennen.
Da die localen Recidive nach Exstirpation von Glioma
retinae bisher noch nicht genauer anatomisch untersucht
worden sind, so will ich nicht unterlassen hinzuzufSgen,
dass gerade, während ich diese Bogen revidire, ich
wiederum eine derartige Becidivgeschwulst von Professor
y. Graefe zur Untersuchung bekommen habe. Der
(oben nur beiläufig, in einer Anmerkung berührte) Fall
betri£ft ein dreijähriges Mädchen, dem wegen typischem
Glioma retinae der Augapfel nebst Sehnerv am 5. Febr.
1868 herausgenommen worden und wo die anatomische
Untersuchung neben dem regressiven Netzhauttumor se-
cundäre Ghoroidalknoten und Gliomzellenwucherung in
dem verdickten Sehnerven nachgewiesen hatte. Die Or-
bita schien nach der Operation dem palpirenden Finger
frei von Geschwulstentwicklung; auch war es zu episcle-
ralen Tumoren noch nicht gekommen.
Am 1. Mai 1868 wurde das locale Becidiv entfernt,
eine apfelgrosse Geschwulst, die bereits zwischen den
Lidern hervorwucherte, an ihrer vorderen, rothen, glatten
Oberfläche von einer ziemlich dicken Membran (Gon-
junctiva und deren Derivaten) überzogen, hinten lappig,
auf dem Durchschnitt markig, von der Gonsistenz eines
normalen Pankreas, und — weswegen ich die Beobachtung
78
besonders erwähne, — bei der mikroskopischen
Untersachnng durchaus von jenem bekannten
kleinzelligen Typus.
lU. Anatomische Resultate.
I. Ausgangspunkt des Glioma retinae.
Die wichtigste Frage ist zunächst die nach dem
Ausgangspunkt der in klinischer Hinsicht so wohl
charakterisirten und abgegrenzten Geschwulstform, welche
als iutraocularer Markschwamm des kindlichen Alters
schon lange bekannt ist: eine Frage, die natürlich nur
durch die anatomische Untersuchung von Fällen aus den
frühesten Stadien entschieden werden kann, während die
vorgerückteren Fälle mit secundärer Betheiligung der mei-
sten intraocularen Gebilde und vollends mit extrabulbärer
Verbreitung durch ihr complexes Verhalten sehr leicht
zu Täuschungen über den Ursprung der Neoplasie An-
lass geben. Da nun die ersteren Fälle nur sehr selten,
die letzteren relativ häufiger zur anatomischen Unter-
suchung gelangt sind, erklärt es sich, dass man die in
Rede stehende Geschwulstform von den verschiedensten
Theilen des Augapfels hat ausgehen lassen und noch
ausgehen lässt
1. Der Ursprung der Neubildung aus dem
Glaskörper findet sich in den älteren Schriften (War-
drop, L in cke) hie und da angedeutet, scheint aber
heutzutage kaum noch Vertreter zu finden; es dürften
auch hierbei Verwechselungen zwischen dem Gliom und
der entzündlichen (plastischen) Glaskörperinfiltration,
die ja bekanntlich auch einen metallischen Reflex aus
dem Augenhintergrunde veranlassen kann, untergelaufen
sein.
79
2. Vom Sehnerven lässt Mackenzie'*') (auch
Wardrop in einem Falle) das „Encephaloid'' ausgehen^
weil er bei der anatomischen Untersuchong eines Falles
aus dem „ersten Stadium"^, d. h. bei noch intraocolarer
Neoplasie, gefunden, dass die den Glaskörperraum fal-
lende Geschwulst durch einen Stiel mit der Eintritts-
stelle des (selber unveränderten) Sehnerven zusammen-
hing, also ein Verhalten, das offenbar für retinalen
Ursprung argumentirt.
Dass wirkliche Schwellungen des intraocuhiren Seh-
nervenendes, wie sie sich insbesondere bei der in Folge
von Hirntumoren eintretenden Stauungspapille (v.Graefe)
vorfinden, klinisch wie anatomisch vom Glioma retinae
durchaus verschieden sind, brauche ich den Lesern
dieses Archiv's nicht erst hervorzuheben.
3. Die immer noch, wie ich namentlich auch aus
mündlichen Mittheilungen sehr er&hrener Augenärzte
weiss, recht verbreitete Ansicht,'*'*) dass der im kind-
lichen Alter entstehende intraoculare Markschwamm in
der Regel von der Aderhaut ausgehe, dürfte sich
aus dem vorher erwähnten Umstände erklären, dass in
der Regel nur vorgerücktere Fälle zur anatomischen
Untersuchung gelangten, wo der Ursprung der Ge-
schwulst nicht mit so überzeugender Klarheit hervortritt.
Bei der weiteren (heteroplastischen) Entwicklung des
Glioms im Sehnerven, Aderhaut, Episclera u. s. w., wie
sie in der obigen Casuistik im Einzelnen geschildert
worden ist, braucht eben die retinale Primärgeschwulst
keineswegs den der Masse nach überwiegenden Theil der
*) TraiU des midadieB de Toeil par W. Maokensie, quatritaie
ediüon, traduite par Warlomont et Testelin« 1857. IL 281.
**) Vergl das Citat bei Neamann (y. Graefe's Aroh. XII. 2.
287 ff.) and dasselbe Arebiy YII. 2. 44.
80
ganzen Neubildung darzustellen; ja die besonders in dem
Netzhauttumor, dem relativ ältesten Theile der ganzen Pro-
duction,zunächsteintretenderegres8ive Verfettung undKalk-
ablagerung kann sogar eineVerkleinerung desselben herbei-
fflhren bei gleichzeitiger bedeutenderWucherung des secun-
dar befallenen Sehnerven, Aderhauttractus, Orbitalgewebes,
so dass auf dem Durchschnitt des Präparates der verhält-
nissmässig kleine Trichter der degenerirten Netzhaut keines-
wegs als der Ausgangspunkt der gesammten, oft so massenhaf-
ten Geschwulstbildung imponirt. Endlich kann diese breiige
oder selbst zerfliessende Substanz der in regressiver Me-
tamorphose befindlichen Netzhautgeschwulst beim Durch-
schneidendes Präparates leicht herausfallen und entweder
ganz verloren gehen, — in diesem Zustand fand Herr Prof.
Vircho w eines der ihm übergebenen Präparate*), — oder
als ein unscheinbares Elümpchen neben der grossen Ge-
schwulst in der Auf bewahrungsflüssigkeit schwimmen, —
so fand ich es in einem der mir überlieferten Fälle vor;
unter diesen Umständen dürfte es für einen Beobachter,
der zufällig die früheren Stadien nicht gesehen, sogar
schwierig sein, einen andern Ursprung der intraocularen
Neubildung als den von der Äderhaut resp. Innenfläche
der Sclera anzunehmen.
Natürlich, wenn man dasGlioma retinae mit dem Sarcoma
choroidis in eine einzige Kategorie unter dem Namen Fungus
oculi zusammenwirft, wie das allerdings in den Monogra-
phien von Wardrop, Lincke, aber auch noch bei Neueren
der Fall ist, dann kann es sehr leicht geschehen, dass man
die in Rede stehende Geschwulstform von der Aderhaut
ableitet.
4. Damit kein Theil des Auges eximirt sei, hat man
auch von der Sclera die Geschwustform entstehen lassen.
•) Onkologie, IL 167 Note.
81
Da diese Ansicht erst neuerdiogs (im Jahre 1866) von com-
peteuter Seite wieder ausgesprochen ist, so verdient sie
eine eingehende Erfirternng.
Neamann*)hat anter dem Namen „Markschwamm
der Sclerotica" die sehr genaue nnd sorg£Utige Be-
schreibung eines von Jacobson enncleirten Bulbus ge-
liefert, in einem Falle, wo die Erkrankung auf dem linken
Auge eines dreü&hrigen Kindes unter dem Bilde des
amaurotischen Katzenauges begonnen hatte und zur Zeit
der Exstirpation des bereits erheblich vergrOsserten linken
Augapfels nebst Inhalt der Orbita bereits auch auf dem
rechten Auge der metallische Beflez vom Augenhinter-
grunde sich ausprägte.
Das Präparat ist nach der ausfOhrlichen Schilderung
nicht nur in Bezug auf die Yertheilung der Geschwulstent-
Wicklung, sondern sogar auch hinsichtlich der secundftren
entzflndlichen Veränderungen in der Iris und im Pupillar-
gebiet dem oben von mir unter No. 5 mitgetheilten aus-
serordentlich ähnlich, indem auch dort der Trichter der
degenerirten Netzhaut (von Neumann in toto als Glas-
körper gedeutet,) Zeichen regressiven Yer&lles, Verfet-
tung und Verkalkung, zeigte; dazu von der Innenfläche
der Sclera sich eine diffuse, mehrere Linien dicke Ge-
schwulstbildung in das Cavum bulbi hineindrängte, an
ihrer inneren Oberfläche mit einem Pigmentüberzug be-
kleidet, (es ist die secundäre Ghoroidalwucherung, von
Neumann als Proliferation der inneren Sclerallagen an-
gesehen); endlich nach aussen von der Lederhaut eine
mächtige Geschwulstkapsel von markigem Aussehen den
grössten Theil des Augapfels umfasst hielt, in welche der,
wie aus dem abgebildeten Durchschnitt hervorgeht, stark
verdickte Sehnerv nach hinten sich einsenkt nnd untergeht
*) T. Graafa'i ArohiT, XBL S, p. S78.
AnliiT für Ophthalmolocta, ZIV, I.
82
Die mikroskopische Untersuchung der frischeren
Partien zeigte in einem sehr feinen, fiiserigen Stroma
kleine, zarte, runde, erst auf A Zusatz kernhaltig er-
scheinende Rundzellen von^der Grösse der weissen Blut-
körperchen.
Ich habe den Befund, sowohl den klinischen wie den
anatomischen, mit Absicht so ausfahrlich reproducirt,
weil daraus sofort hervorgeht, dass trotz der abweichenden
Bezeichnung der Fall zur Categorie des Glioms ge-
hört, (auf dessen wirkliche Ursprungsstelle ich sogleich
eingehen werde). Eine Ableitung der erwähnten Geschwulst
von der Sclerotica möchte schon darum nicht wahrschein-
lich sein, weil, wie der Autor selber' angiebt, „die mitt-
leren Lagen der Sclera vollkommen normale Beschaffen-
heit zeigen und nur die äussere und die innere prolife*
rirende zellige Elemente enthält".
Im Interesse der Vereinfachung und der Verstän-
digung auf dem so schwierigen Gebietender Onkologie
scheint es dringend geboten, die genau untersuchten
Fälle auch in die entsprechenden Categorien einzureihen
und nicht ohne Noth neue aufzustellen.
ö. Dass die Netzhaut der Ausgangspunkt des bös-
artigen intraocularen „Markschwammes", „Fungus hae-
matodes oculi'' u. s. w. der kindlichen Individuen ist,
war eine trotz des heftigen Kampfes auf diesem Gebiet*)
deiyenigen Augenärzten, welche uns mit monographischen
Arbeiten über diesen Gegenstand beschenkt haben, eigent-
lich vollkommen geläufige Thatsache. Wardrop**) und
Pannizza***) sprechen sich mit der grössten Bestimmt-
*) Hiniiohüioh der ältertn üterilar Tenreiie ich wiedemm auf
Yirohow L o.
♦•) L. c.
•^) L. c.
heit nach dieser Richtung hin aus und zwar auf Grund
sorgfiltiger anatomischer Studien. Lincke*) vollends
berichtet in gehobener und förmlich triumphirender
Stimmung, wie es ihm gelungen sei, in einem Falle, wo
er bei einem neunwöchentUchen Kinde das, nach seiner
Ansicht angeborene, amaurotische Katzenauge als eine
concave, glänzende, von Verzweigungen der arter. cen-
tral, retin. bedeckte Scheibe hinter der Pupille tief im
Augenhintergrunde beobachtet und bis zur Yerdeckung
durch secundäre Cataract verfolgt hatte, nach dem einige
Monate später durch eine accidentelle Krankheit erfolgten
Tode des kleinen Patienten bei der anatomischen Unter-
suchung, während alles Uebrige, Schädelinhalt, Sehnerv,
die beiden äusseren Augenhäute sich völlig intact er-
wiesen, als einzige Veränderung nachzuweisen, dass auf der
Aussenfläche der trichterförmigen und gefalteten Netzhaut
ein halbhaselnussgrosser, circumscripter Geschwulstknoten
von höckriger Oberfläche, weicher, pulpöser Beschaffen-
heit und weissem, hirnmarkähnlichem Aussehen aufisass.
Nach der Erhärtung in Alkohol fand sich auf einem lon-
gitudinalen Durchschnitt die Netzhaut rings um den Knoten
etwas verdickt, ihr grösster Theil aber von normalem
Durchmesser.
Ja, manche Autoren, wie Arlt **), wollen neben dem
retinalen einen choroidalen Markschwamm resp. „ Krebs '^
gar nicht zulassen.
Nachdem nun neuerdings von Robin***) und von^
Schweiggert) retinale Geschwülste als Hyperplasien der
Netzhaut beschrieben worden waren, schien man zunächst
*) L. e. IM, 159.
**) Die Knmkheiteii dei Auges, IL 286.
t)L. e.
84
geneigt, dieselben von den bösartigen Formen,deniFungiu
oder Encephaloid trennen za wollen, wie zum Beispid
J. Sichel*) die ersteren unter dem Namen des Pseoden-
cephaloids den letzteren, als den eigentlichen Encepha^
loiden, gegenfiberstellte nnd eine diflferentieile Diagnose
zwischen beiden zu begrftnden suchte; und selbst
Yirchow**) ist nicht geneigt, ohne Reserve sein Gliom
mit dem Markschwamm der Alten zu identificiren, wie-
wohl er Fälle von Glioma malignum und Gliosarcoma be-
schrieben; ja er fügt hinzu, dass „eine scharfe Grenze
zwischen Gliom und entzündlicher Neubildung der Netz-
haut nicht ezistirt''.
Nach der oben mitgetheilten Gasuistik, die sich auf
das Ungezwungenste als eine contuirliche Beihe von ver-
schiedenen Entwicklungsstufen der nämlichen Geschwulst-
form darstellt, indem aus dem bleibenden, fieist stereo-
typen Grundstock, der durch Wucherung kleiner Bund-
zellen bedingten retinalen Primärgeschwulst, durch die
successive Verbreitung auf die verschiedenen intra- uad
auch extraocularen Gebilde successive neue Glieder her-
vorwachsen, kann es für mich keinem Zweifel mehr unter-
liegen, dass die Hyperplasie oder besser das
Gliom der Netzhaut die früheren Stadien des
Fungus medullaris der älteren Autoren dar-
stellt Mit anderen Worten: Es giebt eine klinisch
wie anatomisch wohl begrenzte und einheitliche
Geschwulstform, welche im Augenhintergrund
kindlicher Individuen, ohne Entzündungser-
echeinungen und unter dem Bilde des amauro-
tischen Katzenauges, als ein umschriebener,
weicher, markiger, gefässreicher Tumor an der
•) L. c.
•♦) L. 0. 160.
86
AuBseDflftche der Netzhaut beginnt, (Glioma re-
tinae circaiB8criptam,)aaf die gewdhnlicheWeise
der Psendoplasmen, nämlich durch Dissemination
YOii kleinen Tochterknoten in die benachbarten
Theile der Netzhaut und schliessliche Confluenz
derselben allmählich wächst und zu einer Yer*
dickung der ganzenNetzhautfOhrt(01ioAa retinae
diffusum); endlich durch heteroplastischeVerbrei-
tunga«fdieNachbargewebe,(N.optic.,Ghorioide8,
Orbita,) ohne dass die Neoplasie ihre Natur und
ihren histologischen Bau zu ändern braucht, —
abgesehen von gewissen, in der retinalen Primärgeschwulst
regelmässig eintretenden regressiven Metamorphosen, —
zu jenen beträchtlicheuGeschwQlsten anwachsen
kann, welche sowohl durch Exophthalmia fungosa wie
durch Fortpflanzung auf die intracraniellen Theile das
Leben der kleinen Patienten gefihrden, und auch nach
der Ezstirpaiion in diesem Stadium der orbitalen Verbrei-
tung eine so grosse Tendenz zu localen Recidiven zeigen.
FreOich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Exi-
stenz von Uebergangsformen der Gliom- zur Sarcom-
structur (Gliosarcom) in diesen vorgerückten Formen
durch Yirchow's''') Autorität gestützt wird.**)
Nachdem der Ursprung der uns beschäftigenden Ge-
schwulstform in der Netzhaut gefunden ist, fragt es
sich, ob wir ihn in dieser, entsprechend ihrer Schichtung,
noch genauer zu localisiren vermögen***), was natürlich
•) L. 0.
**) Auch der FaU ron Siokaliki (L o.) gehört hierher.
^^^) Paasiiia L a» gab als den Bits der Neabildong die Snieere
Seite der Ketshaat an und lieM sie, sMh damaligen aaatoaueehen
Begriffen, Ton einer hier angenommenen eerdeen Membran aateebwitaen.
Lineke L e. läset eeine cireamtoripte Netihaatgeeehwnlft e me-
dnlla retinae herrorgehen, womit er doch wohl die äaieeren liegen
der Netihant gemeint hat.
86
nicht etwa eine müssige Subtilität ist, sondern mit Rfick-
siebt auf die ophthalmoskopische Diagnose eine grosse
Wichtigkeit hat.
In dieser Beziehung ist zunächst za bemerken, dass,
wenn Iwanoff*) angegeben hat, das Gliom könne
auch von der vorderen Fläche der Netzhaut ausgehen,
and diese Angabe ohne jeglichen Vorbehalt in die Lehr-
bücher*'*') übergegangen ist, doch die aus dichtem
Fasernetz bestehenden papillären Excrescenzen der vor-
deren Retinalfläche, Producte von Retinitis interstitialis,
die er in beliebigen, entzündlich veränderten Augäpfeln
gefunden und als beginnende Gliome bezeichnet, mit un-
serer Geschwulstform nichts gemein haben; wesshalb es
sich empfehlen möchte, den Namen des Gliom nicht auf
jene Bildungen auszudehnen.
Virchow***) setzt den Ursprung des Glioms in die
äusseren Lagen der Netzhaut und zwar betrachtet er die
bindegewebigen Elemente der Eömerlagen (Neuroglia re-
tinae) als Matrix der Neoplasie; daher der Name Gliom.
Schweiggert) hatte schon früher die Ausgangs-
statte noch enger zu umgränzen gesucht, indem er an-
gab, dass „der Wucherungsprocess wahrscheinlich von der
inneren Körnerlage" beginne; jedoch konnte er das nicht
mit Sicherheit entscheiden, weil die Entartung der Netz-
haut in seinem Fall bereits zu hochgradig war. Dagegen
gelang es in meinem ersten Falle den Nachweis zu führen,
dass das Gliom mit einer fleckförmigen Wuche-
•) T. Graefe'f Arohir, XT. 1, 1S6. 154.
**) Vgl.: 1. die neaeste (S.) Attfbge Ton Stellwag ron Garion*!
Lehrbuoh d. Augenbeilk. 1867. p. 654. 2. Weeker, Etadei oph-
thalmolog. IL 868.
♦♦•) L. 0.
t) L 0. 826.
87
rang von Randzellen in der inneren Körnerlage
der Netzhant anfängt (y. s.; vez^l. Fig. 2 a. 3).
Man sieht anf Dickendorchschnitten durch die Grenz-
partie des circnmscripten Tnmors gegen die unverdickte
Netzhaut hin, wie die letztere, deren Schichtung erhalten
geblieben, durch Anschwellung der Zwischenkömerschicht
in Folge dicht gedrängter Rundzellenanhäufung ziemlich
rapide an Dicke zuiymmt; und findet in der Nachbar-
schaft der Hauptgeschwulst mitten in noch zarter Retina
die kleinsten (jüngsten) Wucherungsheerde als umschrie-
bene, fleckförmige Zellenanhäufungen in der inneren Kör-
nerschicht, welche noch keine Hervorwölbung der äusseren
Netzhautoberfläche bedingen.
Insofern wir die zelligen Elemente des Bindegewebes
als die Matrix der meisten Pseudoplasmen betrachten,
(Yirchow, Onkolog.) stimmt dieser Ausgangspunkt des
Glioms sehr gut mit den Untersuchungen von Max
Schnitze (s. dessen Archiv, U. 175, fgd.) über den Bau
der Retina, da bekanntlich dieser Forscher in der äus-
seren Körnerlage ausser den Stäbchen- und Zapfenkör-
nem keine anderen Zellen oder Kerne gefunden; wohl
aber von den Elementen der inneren Eömerschicht einen
Theil zu dem interstitiellen Bindegewebe der Netzhaut
rechnet.
U. Entwicklungsgeschichte des Glioma
retinae.
1. Die Geschwulst beginnt als eine anscheinend hyper-
phistischeWuchemng(glioma retinae hyperplasticum)
der inneren Körnerlage der Netzhaut von umschriebener
Ausdehnung und flacher, die Niveauverhältnisse der Re-
tina zunächst nicht alterirender Beschafienheit, (gliom.
86
retin. circumscriptam planum), sich zuTörderst der
Fläche nach ausbreitend.
Die nur durch äusserst spärliche Intercellularsub-
stanz getrennten Zellen des Glioms sind yon den norma*-
len Körnern der Retina kaum zu unterscheidende Bund-
zellen von 0,006—0,009 Mm. Durchmesser mit einem Ton
dem Zellkontur meist eng umschlossenen Kern Ton c.
0,006 Mm.
Eine auf diese geringe Entwicklungshöhe beschränkte
Geschwulst ist bis jetzt noch nicht zur anatomischen Un-
tersuchung gelangt; doch fand sich das beschriebene Ver-
halten bei einem etwas weiter entwickelten Fall (meinem
ersten) an den jüngsten, vom Haupttumor aus in die
Nachbarschaft disseminirten Tochterknoten.
Ophthalmoskopisch ist dagegen dieses Stadium mehr-
fach von Prof. V. Graefe beobachtet worden.
2. Bei weiterem Wachsthum wölbt sich die hintere
Fläche der Retina hügelförmig hervor; die somit entste-
henden einzehien Knoten confluiren und bilden einen lap-
pigen, blumenkohlartigen Auswuchs der äusseren Fläche
der Netzhaut an einer immerhin noch umschriebenen Stelle
(glioma retinae circumscriptum tuberosum), wo-
bei schon eine ausgedehnte Dissemination von Tochterheer-
den in die Nachbarschaft erfolgt (Vgl. Fall 1 und den
von Lincke.)
3. Schliesslich verdickt sich die ganze Netzhaut ge-
schwulstartig (glioma retinae diffusum), wobei sie
in der Begel total abgelöst ist und einen dickwandi-
gen Trichter darstellt, der mit vorderer Basis an der
Ora serrata, mit hinterer, strangfiirmiger Insertion an
der papill. n. opt. festhaftet (So in Sehweigger's
Fall; in meinem zweiten Falle vertiielt sich die Netzhaut
analog, jedoch war es hier schon zu kleineu secundiren
Knoten in der Aderhaut u. s. w. gekommen.)
89
Seltener bleibt die Netzhaat hierbei der Ghoroides
anliegend, so dass sie eine verdickte Kngelschale reprä-
sentirt, (Fall von Robin ond Sichel); oder, wenn durch
weitere Yolamzanahme der Neoplasie das Corpus vitream
zum grössten Theile untergeht, eia^ feigenartige Gestalt
annimmt, (Fall von Homer und Bindfleisch, wo aber
ausserdem bereits heteroplastische Entwicklungen einge-
treten waren). Sie kann auch, als eine mehr kugelige Masse,
durch Aneinanderdrängen der einzelnen WtUste der ge-
wucherten Netzhaut entstanden, den ganzen Glaskörper-
lyum bis zur tellerförmigen Grube vollständig ausfüllen.
(Fall von Virchow 1. c. p. 162, Fig. 132.)
4. Später aber wird die Neubildung heteroplastisch,
(gliom. retin. heteroplastic), d. h. Heerde von einer
mit der Netzhautgeschwulst identischen Structur ent-
wickeln sich, in der Nachbarschaft der primär befallenen
Betina, aus einer mehr differenten Matrix, so aus demlnter-
stitialgewebe des Sehnerven, dem Stroma der Aderhaut.
In zwei Fällen, dem von Homer und Rindfleisch
und in meinem zweiten, waren neben grösseren und
kldneren, vom Pigmentepithel überzogenen Knoten der
Aderhaut mikroskopische Gliomheerde in den
Sehnerven eingesprengt.
Der Augapfel füllt sidi schliesslich ganz mit Ge-
schwulstmasse; während die retinale Primärgeschwulst
regelmässig in regressive Metamorphosen eintritt, zahl-
reiche Ealkconcremente und Heerde fettiger Umwandlung
der zelligen Elemente sich in ihr bilden, vergrOssem sich
diesecundären Aderhautknoten mehr und mehr, in-
dem sie mit convezer, vom Pigmentbelag überzogenerOber-
fläche in's Innere des Auges vorspringen.
So zeigt unser vierter Fall, (v. Fig. 6), abgesehen
von gliöeer Verdickung des Sehnerven und extrabulbftren
Tumoren, in dem bedeutend vergrOsserten Augapfel
90
eine lappige, zu diffuser Verdickang confluirende Wuche-
rung des gesammten Uvealtractus, einschliesslich Iris und
Giliarkörper; der Rest des GlaskOrperraumes wird von
der ebenfalls beträchtlich verdickten, aber bereits re-
gressiven Netzhaut eingenommen.
Aehnlich verhält sich Fall 3 (Fig. 5).
Es kann aber auch bei sehr hochgradiger Betheili-
gung der Nachbargebilde die Netzhautgeschwulst ihren
trichterförmigen Charakter bewahren, so im fünften Fall
(Fig. 7), wo ein subretinaler, mit Flüssigkeit erfüllter
Raum sie von der Aderhaut trennte, die nur an einzelnen
Stellen knotig angeschwollen war.
5. Bei der weiteren Entwicklung erkrankt der Seh-
nerv regelmässig; er bildet die erste Hauptstrasse, auf
welcher die zunächst intraoculare, von der Bulbuskapsel
gewissennassen sequestrirte Geschwulst sidi extrabulbär
in die Orbita ausdehnt und hier, in dem lockeren, an Blut-
gefässen und Lymphbahneu reichen Gewebe, schnell einen
mehr diffusen Charakter annimmt, (gl ioma extraoculare
8. orbitale) Beispiele: bei Yirchow. 1. c. p. 167 Note
und meine Fig. 5, 6, 7 (vom dritten, vierten und fünften
Fall). Im letzteren Fall erreichte die Verdickung des
Sehnerven einen Durchmesser von 8 Mm.
Ausserdem kommt es, in Folge einer zunächst mi-
kroskopischen Durchwachsung der Sclera an solchen
Stellen, wo die Choroidalgeschwulst derselben adhärent
geworden, zu episcleralen Knoten. (Der erste Beginn
eines solchen s. im dritten Fall.)
Die Orbita füllt sich endlich mit lappiger Ge-
schwulstmasse völlig aus. (Siehe d. 8. Fall und den von
Yirchow 1. c. 166.)
(Verwachsung mit den Knochen der Orbita und Usnr
derselben findet sich wohl in der älteren Literatur, aber
nicht in den neueren Fällen.)
91
6. Geschwulstartige Verdickung des Sehnerven bis
zum Foramen optic. ist nachgewiesen.
Die weitere Fortpflanzung der Geschwulst auf
das Geh im ist, wohl mehr zufalliger Weise, in keinem der
neuerdings mitgetheilten, mikroskopisch untersuchten
Falle von Glioma retinae erhärtet worden; (in unserem
dritten Fall war die Erlaubniss zur Section in keiner
Weise von den Eltern zu erlangen;) während zahlreiche
Beobachtungen dieser Propagation des „Fung. haematod.
oculi bei Kindern'' mit sehr genauen anatomischen Be-
schreibungen und Abbildungen in der älteren Literatur
sich vorfinden und die Erfahrungen der Kliniker nach
derselben Richtung hin argumentiren.
7. Ebenso gut wie nach hinten breitet sich die Ge-
schwulst auch in der Richtung nach vom über die
Grenzen der Orbita aus; es kommt zur Exophthalmia
fungosa, schliesslich zum Zerfall und zur Verjauchung
der aus der Orbita hervorgewucherten Masse (7. Fall).
Ob die kolossalen, über mannsfaustgrossen, aus der
Orbita sich hervordrängenden Markschwämme bei kind-
lichen Individuen, wie sie Pannizza*) und J. Sichel*'*')
abgebildet haben, dem Gliom oder dem Sarcom oder Misch-
und Uebergangsformen (Gliosarcom) zuzurechnen sind,
lässt sich nicht entscheiden.
8. Wirkliche Metastasen des Glioma retinae (in
den Lymphdrüsen, Lungen, Leber etc.) sind bis jetzt nicht
constatirt ; namentlich sind die Angaben vonMackenzie ***)
über Metastasen secundär nach intraocularem Encepha-
*) Sul ftingo middoUftre dall' ooohio, Pavia 1826. Vgl. Ghinirg.
Knpfcrtafeln, Weimar 1887, Tab. GXGIY.
^) leonogiaplda PI. LVn.
♦♦♦) L. 0. n. 288.
92
loid zu summarisch gehalten, als dass man eine positive
üeberzeugung gewinnen könnte.
(Die Anschwellung der Lymphdrüsen auf der Parotis
bei jauchender Exophth. fiingos, von der Wardrop be-
richtet, kann ein&ch irritativer Natur gewesen sein.)
9. Sehr bemerkenswerth, aber in anatomischer Hin-
sicht noch nicht genügend aufgeklärt, sind die mehrÜEudi
beobachteten Fälle YondoppelseitigemVorkommen
des Glioma retinae.
UI. Pathologische Veränderungen der einzelnen
Theile des Augapfels und seiner Umgebung bei
glioma retinae.
Nachdem wir soeben den Gang der Entwickliyg des
Glioma retinae scizzirt haben, wollen wir noch eine kurze
(zum Theil in diagnostischer Hinsicht wichtige) üeber-
sicht geben über die Art und Weise, in welcher die ein-
zelnen Theile des Augapfels und seiner Umgebung hier-
bei erkranken können.
Zuerst muss i. A. hervorgehoben werden, dass ausser
der directen Participirung an der neoplastischen Rund-
zellenwucherung in den verschiedenen Gebilden des Auges
auch Processe ein&cher Natur vorkommen, und zwar:
1. irritative, entzündliche;
2. regressive, atrophische.
Die entzündlichenVeränderungen sind zum Theil
eine dirccte Folge der durch die intraoculare Neubildung
gesetzten ezcessiven Drucksteigerung und haben demgemäss
eine gewisse Analogie mit den bei dem einfachen Glaueom
in den späteren Stadien „spontan*' auftretenden Irritativ-
Processen; zum Theil mögen sie auch äusseren Ursachen
93
ihren Ursprung verdanken, welche in einem mit der Ge-
schwulst behafteten und dadnrch prädisponirten, vielleicht
sogar mechanisch mehr exponirten Auge sich leichter zur
<7eltung bringen, als sonst wohl der Fall sein würde.
Jedenfalls soll man dieselben doch nicht ohne Noth
als „Geschwulstinfiltration mit späterer Necrobiose der
Geschwulstelemente*' deuten.
DieregressivenVeränderungen können, wiefiber-
all, so auch hier entweder aus entzflndlichen hervorgehen
oder direct auftreten; das letztere ist der Fall bei der
durch den Druck der wachsenden Geschwulst mittelbar
oder unmittelbar bedingten Resorption einzelner Theile.
1. Die Netzhaut, meist abgelöst, zeigt zuerst
oircumscripte, dann diffuse Verdickung durch
4ie neoplastiscfae Zellenwucherung. (Fall 1, 2 und die
folgenden.)
Zur Zeit der heteroplastischen Yerbrdtung des Glioms
auf Aderhaut, Sehnerv u. s. w. findet man regelmässig in
der retinalen Primärgeschwulst bereits Sparen regres-
siver Veränderungen (Verfettung und Verkalkung).
Die sandkomähnlichen Kalkconcremente gehören dann
zu dem regelmässigen Befunde in diesem Theile. (Fall 2
bis 8 incl.)
2. Hand in Hand mit der Ablösung und Verdickung
der Netzhaut geht natürlich eine Resorption des Glas-
körpers, dessen Reste gewöhnlich verflfissigt werden«
(Vergrösserung, Trübung der zelligen Elemente desselben
und die Anwesenheit von Cholestearinkrystallen fand
Schweigger.*)
Diese Resorption muss eine totale werden, wenn
die Geschwulstmasse den ganzen retrolenticnlären Raum
•) L. •. S2».
94
erfüllt (Vergleiche den Fall von Virchow 1. c. p. 162
und meinen dritten und vierten Fall.)
3. Die Choroides participirt zunächst durch cir-
cumscripte, flache Knoten secundärer Natur, die
von Pigmentepithel überzogen sind (Fall 2); weiterhin
bilden sich grössere Tumoren in derselben, auch diflfuse
Verdickung auf längere Strecken; schliesslich kommt es
zu einer continuirlichen, lappigen Wucherung, die nicht
selten den grösseren Theil der intraocularen Neoplasie
darstellt (Fall 4 und 5.)
Pigmentveränderungen des Epithels sind sehr häufig*
4. An der Iris lassen sich drei Reihen von Verän-
derungen constatiren:
a) Atrophie, welche dieselbe Form annehmen kann,
wie beim einfachen, typischen Glaucom, nämlich Reduction
der Regenbogenhaut auf einen ganz schmalen, bandför-
migen, entfirbten Saum (Fall 2), und die natürlich auch
auf die intraoculare Drucksteigerung zu beziehen ist.
b) Entzündungsprocesse, die alle möglichen
Grade darstellen können von feiner Pupillarexsudation
(Fall 3) bis zu den derbsten, undurchsichtigen, iritischen
Schwarten, welch' letztere die Linse und die hinter ihr
gelegenen Geschwulstbuckel völlig verdecken und so
unter Umständen diagnostische Schwierigkeiten bereiten
können. Hierzu gesellen sich exsudative und hämorrha-
gische Producte in der vorderen Kammer. (Fall 4)
c) Verdickung durch Theilnahme an der
Gliomzellenwucherung. (Fall 4 und 8.)
5. Die Linse kann ziemlich lange intact bleiben; in
der Regel aber wird sie beim Vorrücken der Geschwulst-
bildung nach vorn gedrängt und getrübt
Auch bei ziemlich weit gediehener Cataract kann
man noch den eigenthümlich gelben Reflex des Augen-
96
hintergrandes and die charakteristischen weissen Flecke
und ZQge, die von Verfettung and Verkalkung in dem
Netzhauttumor abh&ngen, wenngleich nur undeutlich, hin-
darch schimmern sehen. (Fall 2.) Freilich verdeckt diese
secundäre Cataractbildung manche vorher sichtbaren De-
tails, z. B. Geftssverzweigungen von retinalem Typus auf
den Greschwttlstknoten*), und kann immerhin unter Um-
stünden ein die Diagnose erschwerendes Moment abgeben,
(üeber die früher Öfters vorgekommene Verwechselung
von Gliom mit Cataract simpl. siehe unten, pag. 95.)
6. Die Sclera wird zunächst von mikroskopi-
schen Geschwulsthcerden durchsetzt (Fall 5); grö-
bere Perforation tritt wohl immer erst spät ein.*^)
Enorme Verdünnung in Folge sehr reichlicher, in-
traocularer Wucherung fand sich im vierten Fall, im
achten hingegen kolossale Verdicknng und Um-
wandlung in eiqe markige, nur von dünnen Septis durch-
zogene Masse, die gewissermassen durch die Zerspaltung
der Sclera in mehrere Lamellen und Infiltration von Ge-
schwulstgewebe zwischen dieselben entstanden zu sein
schien. Auch der erste Beginn der episcleralen
Wudierung (Fall 8) erscheint als ein flacher Knoten, der
gleichsam durch Einlagerung von Gliommasse zwischen
eine dünne, äusserste Lage der Lederhaut und deren
nach innen zurückbleibendem, dickeren Best gebildet wird.
7. Die Cornea bleibt ebenfalls in der Regel lange
verschont (Vergl. d. 5. Fall und die älteren Mittheilungen
bei Wardrop, Lincke u. s. w.)
Schliesslich aber (oft erst nach mehreren Jahren) er-
*) Vgl. den in dieter Hinaioht sehr initnietif«! Fall t. Linoke,
1. «. 154.)
^) Cf. Linoke p. 68.
96
folgt Trübung und Verschorfung (Fall 3 und 4),
dann Perforation (Fall 7 und viele ältere, namentlich
bei Wardrop).
Interessant ist die enorme Verdünnung, welche
die Cornea, wie auch die Sclera, bei massenhafter intra*
ocularer Oeschwulstbildung erleiden kann. (Fall 4).
Verwachsung der iridischen Gliomwucherung mit
der Hinterfläche der (uaurirten) Cornea und Durch -
Sprengung der letzteren mit mikroskopischen
Oeschwulstheerden wurde im achten Fall beobachtet
Insofern Wäre Lincke's Ausspruch "**): Nunquam
comeam in fungosam metamorphosin transiisse satis con-
stat, zu modificiren.
8. Die Erkrankung des Sehnerven, der Epi-
sclera, und des Orbital gewebes bestehen vornehm-
lich in der Theilnahme an der gliomatösen Wucherung.
Hierbei kann die Schnittfläche des Sehnerven makrosko-
pisch normal erscheinen, (Hörn er 1. c 349), oder grau-
lich verfärbt sein (Fall 2), während das Mikroskop be-
reits neoplastische Zellenbildung in demselben nachweist
Weiterhin kommt es zur Verdickung des Nerven, selbst
bis zu dem Umfange eines kleinen Fingers, (so im 3.,
4. und^. Fall und in dem von Virchow pag. 167,)
welche wegen der Einschnürung sowohl am Foramen
cribrosum sclerae wie am Foramen opticum eine Spin-
delform anzunehmen pflegt. Die Farbe des N. opt
kann von einer weisslichen bis zu einer fleischrothen
und citrongelben, (ofifenbar durch Hämorrhagien und
deren Metamorphosen bedingten,) die Gonsistenz, je nach
der interstitiellen Bindegewebsentwicklung, von fast zer*
fliessender Weichheit bis zu fleischiger und selbst fibröser.
•) L. 0. 67.
97
Consistenz wechseln. Der GefiLssreichthum ist ia der
Begel betr&chtlich. Auch fleckförmige H&morrhagien
werden beobachtet
Seltener ist Schrampfang des Sehnerven. (Fall von
Yirchow 1. c. p. 166.) Von den Alteren Autoren wird
auch erhebliche Verdflnnung und Dehnung desselben
beschrieben.*)
IV. Practische Folgerungen aus den anatomischen
Resultaten.
1. Die Diagnose des Netzhautglioms, auch der
firflhesten Stadien, ist jetzt durch das Zusammenwirken
klinischer wie anatomischer Erfahrungen hinl&nglich ge-
sichert
Statt des Versuches einer differentiellen Diagnostik
▼erweise ich hier auf die den einzelnen Fällen vorausge-
schickten Krankengeschichten, in welchen besonders die
klinische Verwerthung der anatomischen Merkmale her-
vorgehoben ist
Wenn die älteren Autoren, W a r d r o p ♦♦), L i n c k e ***)
und • G hei ins f), die Verwechselung von intraocnlarem
Markschwamm mit Gataract ausführlicher besprechen; ja
wenn noch Mackenzieff), gestützt auf die Ergebnisse
*) Linoke L o. 59.
•♦) L. 0.
•«^ U 0. «», SS.
t) Chinug. Knpfotal Weimar 1824. Tab. GVIIIL
tt) L. ö. n. «86 (a. 1867).
ArcblT flu OphtbiOmologle» XIV. f. 7
98
der Untersuchungen von Lawrence und Travers,
wegen der Unsicherheit in der Diagnose vor der Opera*
tion in der ersten intraocularen Periode geradezu warnt:
so kann man sagen, dass diese Bedenken bei unseren
jetzigen Untersuchungsmetiioden und bei den Resultaten
der vorliegenden Erfahrungen nicht mehr in Betracht
kommen.
2. Die Prognose ist natarlich lediglich einProduct
klinischer Erfahrung und fiUlt deshalb nicht in den
Rahmen unserer Betrachtung. Aber auch anatomisch
documentirt sich die Malignit&t der Gliome, (die ja
eine recht erhebliche ist, insofern bei spontanem Ablauf
exitus letalis die Regel bildet, und auch nach der Exstir-
pation Recidive in loco recht häufig, unglflcklicher Aus-
gang oft genug vorkommt,) in der ausgesprochenen
Neigung zur localen Infection der Nachbar*
Schaft und Absorption der verschiedensten Gewebe
durch die neoplastische Wucherung; und ist auch durch
den anatomischen Sitz der Affection wesentlich
mit bedingt, welcher einerseits die Möglichkeit der Fort-
pflanzung auf das Gehirn längs des Sehnerven und
damit das Leben bedrohende Cerebralerscheinungen, an-
dererseits Hervorwuchern zwischen den Lidern
und als mechanische Folge der Exposition einer so weichen
und zu regressiven Metamorphosen geneigten Geschwulst-
masse Verjauchung und deren unheilvolle Consequenzen
mit sich bringt
3. Für die Therapie folgt aus den anatomischen
Untersuchungen, was die klinische ErSahrung in reichstem
Maasse bestätigt, die Nothwendigkeit sowohl einer mög-
lichst frühzeitigen Exstirpation als auch einer recht voll-
ständigen Entfernung alles irgendwie Erkrankten; in
99
letzterer Hinsicht empfiehlt es sich — nach v. Oraef e*s
Vorgang, — auch bei den relativ frflhesten Stadien die
Enucleatio bolbi mit der Excision eines möglichst grossen
Stockes vom Sehnerven zu verbinden.
ErUanmg der Abbildnngen.
Figur 1 A. Untere Hälfte des horixonttl durohielmittencQ Bnlbne
Tom ersten Fall. (Mi)
C Mi Cornea.
8 M Sdera.
Ch Mi Chorioidea.
0 Mi N. opticus.
Bi M liinteie HSlfte des Trichters der abgelösten Ketshaut;
BS ■■ Seheerensehnitt durch dieelbe^ um deren Dfinne su leigen«
Et Mi innere Partie der Torderen Hallte des Trichters der abge*
losten Netihaut, gleichftlls nicht Tecdiekt.
Ts Mi SchnittflSohe des iweiten Geschwulstknotensy lu welchem
die laterale Seite der dftnnen Netshaut plotilich anschwillt
Ts f^ dritter Knoten.
Ti Mi erster Knoten.
(Linse und Iris sind ohne Beseichnuag lu erkennen.
Figur IB. (Ml)
Obere Hälfte desselben Präparates.
Cy 8, Gh, 0 wie oben.
R Mi innere (mediale) Partie der oberen Hälfte des Netshaut-
triohtess.
Tt Mi untere Begrensungsflfiche des sweiten Knotens, gegen die
dahinter liegende Schnittflache desselben sich mit rundUoher Begrensung
absetiend.
7*
100
Figur 2.
Schnitt durch eine Stelle des Ketihanttrichters Tom 1. Fall, wo
derselbe geschwulstartig sich lu verdicken beginnt.
Yergröuerung *••/,.
Die in der Mitte des Schnittes noch nicht erheblich verdickte Re
tin« schwillt nach beiden Seiten hin an durch eine Verdickung, welche
durch eine dichtgedrängte Bundxellenwucherung der innerenKomerschicht
bedingt ist Stabchenchicht fehlt, wie auch in Fig. S.
(Die äussere Komerchicht hat suföUiger Weise einen kleinen
Einriss.)
Figur 8.
Dickendurohschnitt von der hinteren unteren Partie des Ketshaut-
trichters, woselbst in die in toto noch zarte Ketihaut einzelne submi- ,
liare und miliare Knotehen eingesprengt, resp. der äusseren Flache
derselben aufgelagert scheinen.
Bechts 2 Wucherungsheerde der inneren Kömersohicht. Die äus-
sere Kömerschicht participirt an der Porliferation, — ohne Alteration
der NiyeauTerhaltnisse der deutlich geschichtetön Netihaut. Badiär-
fasem sehr ausgeprägt. Nach links au ein grosserer Knoten der in-
neren Kömersohieht, welcher durch Verdrängung der äusseren die freie
hintere Oberfläche der Ketihaut erreicht und herrorwölbt, nach innen
bis, an die Grense der Faserschicht hinanreioht und in dieselbe hinein-
reicht, eine aussen dichtere, innen etwas lockerer gewebte Bundzellen-
wucherung darstellt.
VergrÖsserung «j,.
Figur 4. Abbildung des Sagitalschnitts vom 2. Fall
C SB Cornea.
8 B Sdera.
St Mi Staphyloma.
oh iB Choroides nicht verdickt.
Ch SB Ghoroidalknoten im Augenhintergrund.
X ssa Epithelbelag von Ch.
B Mi Oeschwulstartig verdickter Netihanttrichter.
O SB N. opticus.
Figur 5. untere Hälfte des horizontal durchschnittenen Präpa-
rates vom dritten Fall.
C B Cornea.
S sa Sdera.
101
L Mi liste.
I ■■ IriB, deren Pupille verBobloBaen ift; tot denelben in der top-
deren Kammer geronnenes Blut.
B ^ retinale Primargeachwolat, welche den yordeien grosseren
Theil des Olaskörperramnes aoslttllt.
ch OB nicht Terdickte Ghoroides.
Ch Mi gesehwnlstartig Terdickte Ghoroides, die den hinteren Theil
des Olaskörpeiranmes einnimmt.
E BS Pigment-Bpithelbelag zwischen B. und Gh.
0 = N. opticus, stark verdickt, gliös entartet, mit parenchyma-
tösen Hämorrhagien.
y. o. SB Vagina n. opi, verdickt.
P BS Gesehwulstknoten, neben dem Opticus in der Orbita ge-
legen.
Figur 6. Untere Fläche des horizontal durchschnittenen Prä-
parates vom vierten FalL
G ^ Gomea, ektatisdh, verdünnt,
e Mi exsudative ICassen in der vorderen Kammer.
8 Mi Bdera, ektatisoh, verdünnt
^ B MB retinale PrimSrgeschwulst.
Tis Mi Sekundarknoten, vom hinteren Theil des üvealtraotns aus-
gehend. Dessgleiehen
Ui ^ vom vorderen Theil des üvealtractus (Ins et corp. ciliare)
E Mi episderale Knoten.
0 Mi N. opi, verdickt, glids.
V.o. ^ Yagin. n. opt., verdickt
Figur 7. Untere Fläche des horizontal durchschnittenen Prä-
parates vom fünften Fall.
G Mi Gomea.
j SS Gonjunct an der Umschlagstelle (nach innen).
8 » Sdera.
1 Mi Lritische Pseudomembranen, mit der Linsenkapsel verklebt
B ^ retinaler Geschwulsttriehter, inmitten des Optieuseintritts
strangförmig inserirt
Gh SB Ghoroidalknoten.
P BS Pigmentepithel der Ghoroid.
E MS Episolende Tumoren.
0 Mi N. optf gesohwuUtartig verdickt
V.o. » 8telle, wo die Yagin. opt ringförmig den Nerv, um-
schliesst.
102
Figur 8. IfikrotkopiBcher Sohnitt duroh die Honhaot ud di«
Bift tkgywwOunm iridiiehe GeMhiralftmASM dm tektenFaUi. Ver-
grSuenmg **ik
B ■■ HornlunitopiiheL
B Mi Bowman'Mhe Membran.
0 M Cornea,
g ■■ darin eingeiprengte OHomlieerde.
O Mi Olidee Wuohening der iridüoben OeeohwaUt
Figur 9. Mikroskopischer Schnitt aus der ReddiTgesehwulst Tom
achten Fall, intermasciilare Oliomwucherong darstellend. Yergrosse-
rnngiaij,.
Berlin, Januar 1868.
Zosatn ttber intraocalare TmnoreiL
Yon
A. V. Graefe.
Die von Dr. Hirschberg beschriebenen Fälle bestätigen
die Ansichten, welche ich hinsichtlich der Bedeutung der
Netzhautgliome aus Erfahrungen der früheren Jahre ge-
wonnen und bereits fheilweise in diesem Archive nieder-
gelegt habe. Es sei mir indessen im Anschlüsse an die
vorliegende Beobachtungsreihe, welche besonders dadurch
Werth erhält, dass sie sämmtliche innerhalb eines gewis-
sen Zeitraumes an Kindern beobachtete intraoculare Tu-
moren umfEisst, erlaubt, mich noch in einer positivere
Weise, als es fraher geschehen ist, über den Standpunkt
der Frage auszusprechen und einige allgemeine Bemer-
kungen Ober Augengeschwfilste hinzuzufügen.
Als die Befunde von Robin und von Schweigger
einliefen, nach denen manche von der Netzhaut aus-
gehende Geschwfilste einen homöoplastischen, von dem
Sarcom- und Carcinomtypus abweichenden Bau besitzen,*)
*) Die Aoftndug der ThatiMhe gehOrt im Grande B. t. Lan-
genbeek an, deeten fitere Bkgelmitse nni aagetiehti der neuen
Vendnng, weklie die Oliomfrage genomnen hat, ToUende bedev«
tnagiToU enehelnen. Er fand (De reäna obeerrattonee anatomieo-patbo-
104
neigte man zu der Schiassfolgerung, dass es sich hier-
bei um eine mehr ezceptionelle, bis dahin wenig beob-
achtete Oesch wulstform handle, die sich namentlich von
dem EncephaloKd oder Markschwamm der Netzhaut we-
sentlich unterscheide. Selbst als mit der Zeit Fälle zur
Eenntniss gelangten, welche die benigne Natur dieser
scheinbar homöoplastischen Geschwülste zweifelhaft er-
scheinen Hessen (zuerst der Fall von Kindfleisch und
Homer*), und als Virchow Netzhautgeschwfllste be-
schrieb, welche eine Combination des gliomatösen und
des sarcomatösen Baues darstellten,*'*') glaubten wir
immer noch an die Nothwendigkeit jener Unterscheidung.
logioae, Oöttingen 1886 pag. 168 — 170) in einem bereits Ton Mfihry
beseliriebenen Prfiparate Ton MarkecbwanuDy bei welchem die Degene-
ration bis zun Cbiasma aufgestiegen war, nichtB als bypertropbiscbe
Entwicklung der nerrSsenElemente, in dem intraocularenAbscbnitte
der Geschwulst besonders der ,,globuli nerrel, wie sie sich physiolo-
gisch in der Netzhaut vorfinden*^ Er ist hiernach geneigt den Mark-
schwamm als eine „maligne Hypertrophie*^ aufzufassen, ganz ebenso
wie wir es heute, nach yerfindertem Namen, mit den Gliomen machen.
Der Umstand, dass sich sowohl unsere anatomischen Anschauungen über
die Netahaut als das Gewand der Geschwulstlehre in den letzten De-
eennien sehr geändert haben, hielt, als d e Hyperplasie der Kömerlage
durch Robin wieder entdeckt ward, von einer Bezugnahme auf jene
früheren Ergebnisse ab — einer Bezugnahme, welche Tor demirrthum
geschfitst hStte, dass es sich hier um eine benigne Krankheit handele.
Der Langenbeck'sehe Befund giebt zugleich in gewissem Sinne eine mi-
kroskopische Bestätigung für die alte Lehre, nach welcher die Masse des
Markschwammes mit der Nerrensubstanz identisch sein soUte. Nur bezog
man früher diese Aehnlicfakeit nicht blos auf den Markschwamm des
Auges, sondern allgemeinhin auf die Markschwammsubstanz, während
V. Langenbeck beim Markschwamm eine Hypeiplasie des jedesma-
ligen Mutterboden 8 und deshalb für die Netzhaut Hyperplasie der
ihr snkSmmliehen Nerrensubstanz annimmt
•) Zehender's klinische MonatsbUltter 1868.
««) S. dessen Werk über die Gesehwülste Bd. II. 1. pag. 159. >-
Auch der A. f. 0. Bd. YU. S. pag. 45 nebst Yirehow's Ausspruch
▼on mir mitgetheilte Fall (damals als weiohes Medollarsareom betraeh-
tet) wird» wie das Citat ans den Gesohwülsten ergiebt, jetzt Ton V^ir-
ohow als Gliosarcoma dassiflcirt
105
Es fehlte zwar nicht an Aussprüchen, welche beide Krank-
heiten trotz der mikroskopischen Resultate in eine n&here
Beziehungbrachten(z.B.Mandl,v.Stellwag),aber es wurde
diesen Ansichten, die auch nicht auf einem in unserem Sinne
beweisenden anatomischen Materiale fussten, von anderer
Seite widersprochen, und es blieb im Allgemeinen dieUeber-
zeugung, dass die Gliomform einstweilen von dem Mark-
schwamme derNetzhaut(einem Äusserst weichenSarcom,nach
der herrschenden Vorstellung), der längst als maligne aner-
kannten Krankheit des kindlichen Alters zu trennen sei.
Ich glaube nun, nachdem ich seit mehreren Jahren
meine Aufinerksamkeit ganz besonders auf diesen Punkt
gelenkt, das Bekenntniss ablegen zu dürfen, dass
nicht bloss dieNetzhautgliome eine ausgespro-
chen maligne Geschwulstform darstellen, son-
dern dass sie genau das, und nicht im mindesten
etwas Anderes, repräsentiren, was früher als
£ncephalo][d der Netzhaut oder Markschwamm
der Netzhaut von denOphthalmologen beschrie-
ben wurde.*)
Das Gros der intraocularen Geschwülste, denen eine
maligne Entwicklungstendenz innewohnt, theilt sich in
zwei Gruppen: die eine hat ihren Boden im Aderhau t-
stroma,dieandere Inder retinalenNeuroglia. Durch-
greifende Merkmale, sowohl in anatomischer, als in kli-
nischer Beziehung differenziren diese beiden Geschwulst-
•) £a ttimmt diesM Ergebniis in seinem prakdsohen Reinltate mit
der frfiheren, namentUeh Ton Mannoir (s, deseen m^oire mr le
fonfi^s mMolkire et hfoiatode Paris 1S20) yerfoehtenen Markiohwamm-
lehre, nach weleher diese Geschwülste durch abnorme Bildung Ton
Kerrenbnbstans entstehen, einer Lehre, die in Ganstatt, t. Zim-
mermann n. A. Yertheidiger, in Scarpa and Paniisa eifrige Oeg-
ner fand. (VergL Linoke Tbraetai de fdngo medollari, das Capitel „de
sede, origine et indole Aingi mednllaris", pag. 117.) Mannoir hatte
anoh bereifii durch chemische Proben die Identitftt der betreffenden
Angengeschwülste mit der KerTcnsubstans nachsnweisen gesnchi
106
Formen. Die Aderhautgeschwfilste bekleiden vom
Anfange an den entwickelt -zelligen, meist grosse Elq*
mentemit grossen Kernen darbietenden, Sarcomtypus;
dabei variirt die Qoantit&t und die Aasbildung dcir
Intercellularsubstanz, so dass sie von den dichtesten
Fibrosarcomen (mit reichlicher fibrillftrer Intercellala?-
Substanz) bis zu fast breiig zerfliessenden Massen (mit
minimaler, amorpher Intercellularsubstanz) alle Ueber-
g&nge repräsentiren. Nur bei einer gewissen Quote der-
artiger Geschwülste sehen wir abschnittsweise den Zel-
lentypus (epithelial) und die Anordnung des Stroma's
(alveol&r) sich nach Art der Carcinome gestalten, so dass
das Ganze alsdann eine Combinationsgeschwulst zwischen
Sarcom und Carcinom darstellt*). Es ist ferner dne,
wenn auch nicht durchgreifende, doch dominirende Eigen-
schaft der Aderhautgeschwfilste pigmentirtzu sein. Ein
grosser Theil derselben, welcher den Namen der Mela-
nosen im strengeren Sinne führt, zeigt eine intensivere
und durch die ganze Masse verbreitete Pigmentirung,
bei anderen ist die F&rbung spärlicher oder nur auf ge-
wisse Abschnitte besehrftnkt. Höchst selten fehlt sie gänz-
lich, und dann handelt es sich, so weit meine persönlichen
Erfahrungen reichen, um noch beschränkte Neubildungen
(jüngere Spindelzellensarcome). Die Aderhautgeschwülste
sind dem kindlichen Alter fast fremd, noch fremder
als andere z. B. orbitale Sarcomformen. Ein Vorkommen
unter dem 15. Lebensjahre scheint zu den äussersten
Seltenheiten zu gehören, und erst vom 30. Jahre erlangen
sie eine grössere Frequenz. Obwohl wir im Interesse
einer völlig reinen Entfernung im Allgemeinen für eine
frühe Operation stimmen, so sind wir doch im ünsiche^
ren, bis auf welchen Punkt wir hierdurch das Leben der
•) S. Virchow'B Befemd A. f. 0. Z., 1. jpH^ l^S und Go-
•ohwttUU n., 1 pag. S86.
107
Patienten verlängern; denn die Aderbantsarcwie könneii
flieh bereits in der allerersten Entwicklongsperiode mit
Ablagerungen in der Leber, den Centraltheilen
des Nervensystems o. s. w. compliciren, Aber deren
eigentliches Verhalten zurPrim&rgesehwulst— ob wirkliche
Abhängigkeit oder successive Bethfttigung gemeinschaftli-
cher ürsache(07SCra8ie?),oderaachvielleichtsofortigeMal*
tiplicitftt — bis jetzt eine durchgreifende Entscheidung
nicht möglich ist So sahen wir Patienten nach Enu-
deatio bulbi wegen kirschkemgrosser scharf abgegrenz-
ter AderhautsarCQme bereits innerhalb IVs Jähen Leber-
sarcomen unterliegen; während wir oertliche Becidive
(flbrigens häufig gepaart mit Metastasen) vorwaltend da
beobaditeten, wo die Beinheit der Ezstirpation bereits
zu bezweifeln gewesen war.
Im Gegensatz zu den geschilderten Eigenthflmlich-
keitenbietendieNetzhautgeschwfllste vorwaltend, und
in ihrem Anfiemge vielleicht exclusive, den homogen-klein-
selligen Gliomtypus dar. Allerdings zeigte eine derartige
noch nicht abertrieben vorgerückte Geschwulst, die ich
1860 Herrn Prof. Virchow zur Untersuchung flbergab*),
in gewissen Abschnitten üebergänge zur Sarcomstructur,
in anderen Abschnitten sogar deutliche Entwicklung dieser
letzteren, woran sieh zunächst die Vermuthung schliessen
durfte, dass Netzhautgliome in ihrem weiteren Wachs-
thum eine Abänderung ihrer Wesenheit erleiden und
hierdurch auch eine maligne Tendenz annehmen können.
Allein die weiteren Beobachtungen — und ich verweise
hierbei am besten auf die acht von Hirschberg mitge-
theilten FäUe — haben herausgestellt, dass diese ümge-
ataltung resp. diese Combination mit Sarcom zu den
Ausnahmen gehört, und dass es jedenfalls derselben nicht
*) I« Ut 4ie pag. 104 in dtr AnaorkaBg «UirU.
108
bedarf*), um dem Netzhautgliom eine ausgesprochen maligne
Bichtong zu ertheilen; schon im Falle von Rindfleisch
zeigten die abgetrennt von dem Mutterboden gelegenen
Knoten (in Choriodea und Sehnerv) den streng glio-
matösen Bau, desgleichen ein in der Aderhaut gelegener
Knoten bei einem von Virchow 1864 aufgenommeneu
Befunde (1. c. pag. 165) und in den Hirschber gesehen
Fällen (bes. N. 3, 4, ö, die nach dieser Richtung hin in
allen Geschwulstabschnitten sorgsam untersucht wurden)
hatte^sich derselbe Bau, selbst bei der ausgebrei testen he-
tero-plastischen Entwicklung'*'*) unverändert erhalten. —
Die Pigmentirung, welche bei den Aderhautgeschwül-
sten entsprechend ihrem Mutterboden in einer vorherr-
schenden Weise beobachtet wird, fehlt (natürlich abge-
sehen von den sehr häufigen hämorrhagischen Yerfilrbungen)
bei den Netzhauttumoren resp. Gliomen in allen Stadien,
selbst da, wo sich etwa Secundärknoten in der Chorioidea
entwickelt haben. Es ist dies auch der Grund, weshalb
gerade die Netzhautgliome in bevorzugter Weise das
Zustandekommen eines hell weissen, leuditenden und
schillernden Reflexes aus der Augentiefe bedingen.
Die Aderhantsarcome stellen sich in ihrer Ent-
wicklnogsperiode für die KrankenbeobachtUDg sehr ver-
schieden dar, je nachdem sie mehr den vorderen oder
den hinteren Theil des Uvealtractas behaffcen. Im er-
steren Falle bilden sie meist bräunlich reflectirende
Buckel, die sich hinter der Linse in den Glaskörperraum
erheben***), auch wohl die Linse selbst dislociren oder
*) Wie übrigens aueh .Virohow bei der AnfeteUnng leiner in-
fectiösen Gliome (Geschwülste» 1. o. pag. 165—166) sugiebt
**) Gans so wie in dem von Virobow L o. pag. 166 abgebil-
deten malignen Gliom.
^*) Diese einfsehere Weise des Erscheinens (besiehungsweise snr
Verkappong durch NetshantablSsung) erklärt sich bei GUlaikörpersar-
oomen wohl doreh die innige Verbindung der Aderhaut mit der
Pars eiliaris retinae; doch scheint mir auch noch beim Ausgange Ton
109
endlich als schwarzbraune Massen in die Peripherie der
vorderen Kammer hineinwachsen; im letzteren pflegt
sich, wie ich bereits mehrfach erörtert habe nnd wie es
seitdem von anderen vielfach bestätigt worden ist, an
ihr erstes Auftreten eine flflssige Netzhautablösung zu
schliessen, welche die Diagnose oft längere Zeit ver-
httllt, bis die wachsende Geschwulst wieder die hin-
tere Fläche der Netzhaut erreicht. Während dieses
Wachsthums kann es sich nun freilich auch ereignen,
dass die abgelöste Netzhaut durch entzflndliche Vor-
gänge verdickt, resp. durch Fettmetamorphose in ihrem
Oolorit wesentlich verändert wird, und dass hierdurch
statt der bräunlichen oder ganz dunklen Fläche der
Geschwulst ein gelblicher Reflex zu Tage kommt. Aber
ein entschieden hell leuchtender, gelblichweisser oder
weisser Reflex bildet sich dabei nicht aus, und auch
ein intensives Schillern dflrfte zu den seltenen Aus-
nahmen gehören. Im Gegensatze hierzu liefert das
Netzhaulgliom die vollen Bedingungen ftlr das Zustan-
dekommen intensiver, oft schon in weiter Entfernung
aufiilliger Reflexe. Fast constant löst sich die entartete
Partie schon in frflher Krankheitsperiode durch Flflssig-
keit von der Aderhaut ab und liefert hierdurch, abgesehen
von der gliomatoesen Dickenzunahme der Netzhaut eine
vom natürlichen Augenhintergrund abstehende Fläche«
Bei dem Fehlen jeder dämpfenden Pigmentirung er-
scheint sie hierbei entweder als intensivweisse bucklige Pro-
minenz oder sie ist — gewöhnlich nur an einzelnen Stellen
mit einer sehr dichten, das Gepräge der Netzhautvas-
cularisation wesentlich verleugnenden Geflissbildung
den iqaatorial«n Aderhauttheilen die flfitiige KetshautaUöraiigy welohe
von der Compreiiion der Venen hennleiten let, öftere in fehlen. Die
betreffenden, in den Glaekorpemnm hineinrsgenden Bnekel können
•lidann Verweohslungen mit einfachen hämorrhagiscli - eerösen Chorioi-
dahkUAtnngen yenehnldett, von denen sie lieh indesten meiet daroh den
intenelT biannen Beflex nnd dnreh das Fehlen aller übrigen Proeeaee
im Angenhintezgninde kennaeiohnen. Verweohselnngen dieser Art er-
kliien die Tenneintliche Heilang melanotieoher OesohwiUste, Ton wel-
eher ans noeh neneidings Sichel' s loonographie ein Beispiel Torge-
fthrthat
HO
fiberzogen. Es wird denmach deren Reflex entweder
kreideartig -lenehtend, oder in'a Röthliehgelbe spie-
lend und etwas sehillemd (wenn die Orensfiflehe
zogleieh glatt ist) Wir haben insofern anch m dem
Ansspmeh der alten Aerzte znrflckznkehreni dass das
Bild des amanrotischen Katzenauges, dessen pathogne-
monische Bedentnng man nicht ohne Omnd discntirt
hat, weil ea in abgeschwächtem Maasse auch bei hy-
perplastischen Prozessen resp. E^terbildnngen in der
Tiefe des Auges und selbst bei seoundftren Metamor-
phosen abgelöster Netzhaut vorkommt, sich am exqui-
sitesten bei den Netzhautgliomen darstellt, die ja un-
serer Ansicht nach mchts anderes sind, als der firfihere
„Markschwamm*^ Wir können hinzusetzen, dass ein
intensiver weisser Reflex aus der Augentiefe kaum
anders als bei Netzhautgliomen beobachtet wird.
Das Netzhautgliom ist fast ebenso eine Krankheit
des Kindesalters wie das Aderhautsarcom der adulten
resp. vorgerflekteren Lebensperiode angehört, nur schien
mir die Ausnahme, dass Erwachsene von Netzhautge-
schwfUsten beCallen werden, etwas häufiger zu sein —
ich habe deren bis jetzt 4 beobachtet — als die umge-
kehrte, dass ein Kind ein Aderhautsarcom präsentirt —
ich besitze hiervon nur eine einzige Beobachtung au&
früherer Zeit, die mir jetzt noch obenein Zweifel einflOsst.
Es scheint das Netzhautgliom progressiv an Bösartigkeit
zuzunehmen, je länger es besteht und je weiter es sich
entwickelt bat In denjenigen Fällen, in welchen die
Exstirpationen sehr früh, bei völlig gesundem Sehnerven-
querschnitt gemacht wurden, kamen mir wenigstens keine
Recidive in kurzen Intervallen vor (s. unten); ob nach
Exstirpationen in der allerersten Bildungsperiode Reci-
dive überhaupt zu vermeiden sind, (was ich einstweilen be-
zweifle) soll die consequent fortgesetzte Beobachtung der
betreffenden Fälle erweisen. Wesentlich aber unter-
scheidet der klinische Verlauf das Gliom dadurch von
den Aderhautsarcomen, dass es nur örtliche Recidive
111
in der Orbita resp. im Sehnerven nnd der Sch&delhöhle
macht Metastasen an entfernten Orten wurden bis jetzt,
selbst wenn wir aus der Literatur Alles hinzuziehen,
was zum Oliom zu rechnen sein dürfte, nicht beobachtet
Wthrend wir also f&r die Aderhautgeschwfllste die
Tactik einer frflhen Operation nur mit halber lieber-
Zeugung empfehlen, m^ten wir fQr die Netzhaut-
gliome beim heutigen Stande der Erfahrungen dieselbe
auf das Wärmste bef&rworten. Ist einmal der Sehnerv,
der zunächst die Fortpflanzungsbahn bezeichnet, in grOs-
serem Um&nge ergriffen, so wird das örtliche Recidiv,
in welchem hier die Gefahr allein zu liegen scheint, nicht
hinge auf sich warten lassen — ein Ausspruch, den schon
Wardrop in seinem vortrefflichen Werke fiber den
Fungus hämatodes begründet hat Auch fOr die Oe«
schwulstlehre ist es von der grOssten Wichtigkeit zu
wissen, ob die Gliome, welche sich selbst überlassen
entschieden das Gepräge maligner Geschwülste annehmen,
vielleicht doch entgegengesetzt den Aderhautsarcomen,
bei recht früher Ausrottung, radicale Heilungen zulassen.
Geht aus dem Gesagten hervor, däss zwischen den
Netzhautgliomen und Aderhautsarcomen sehr
wesentliche nosologische Unterschiede bestehen, so hätten
wir mit einigen Worten zu der oben aufgestellten Be-
hauptung zurückzukehren, dass sich mit diesen beiden
Geschwulstformen das Gros der intraocularen Geschwülste
erschöpft Selbstverständlich bleiben bei dieser Behaup-
tung die als entschieden gutartig erkannten Tumoren,
wie die Cysten der Iris und Aderhaut, die Fibrome der
Sdera, die cavemoesen Geschwülste und Granulations-
geschwülste der Iris, meist Bildungen von sehr umschrie-
benen Dimensionen, ausgeschlossen. Handelt es sich
um die progressiven, in ihrem weiteren Wachsthume das
innere Auge ausfallenden Geschwulstbildungen, so glaube
112^
ich in der That jene Behauptung, die zugleich den lieber-
blick sehr vereinfacht, mit einigen Restrictionen aufrecht
erhalten z« können.
Zunächst ist mir in den letzten drei Jahren, während
welcher fast 40 intraoculare Tumoren exstirpirt wur-
den, keine einzige Geschwulst, deren Ausgangspunkt mit
Sicherheit in die Netzhaut zu verlegen gewesen, vorge-
kommen, welche nach Ansicht der competenten Fach-
männer einen rein sarcomatösen oder gar carcinomatösen
Bau dargeboten hätte'*'). Es waren alle entweder reine
Gliome, oder — und zwar im Ausnahmefall (s. Vir-
chow) — Gliosarcome. Wo reines -Sarcom resp. mit
carcinomatöser Beimischung den Bulbus erf&Ute, war
der Ausgangspunkt von der Netzhaut mindestens nicht
wahrscheinlich oder der ganzen Entwicklung nach unbe-
dingt abzuweisen. Als" Grundlage ftLr diese Ueberzeu-
gung kann sich übrigens bereits die Hirse hberg 'sehe
Casuistik geltend machen, welche sämmtlichen acht binnen
eines Jahres vorgekommenen Netzhauttumoren einen
streng gliomatösen Bau zuerkennt.
^) Unter den Mher exitirpirten Netihantgetohwfiliten finde ieh
«Uerding^i einige als Caroinome (s. A. f. 0. X., 1. pag. 219) nnd die
meiiten als „weiche Saroome** beieiohnet. AUein abgesehen daron,
dass es sich meist nm sehr TOigerftokte Krankheitsstadien handelte, in
denen cnweilen selbst Über den nrspr&ngliöhen Boden der Gesohwolst-
bildang nnd über eine spatere Transformation des Banes Zweifel tu
erheben waren, dehnte sich auch die Untersnchnng nicht ausreichend
über alle Ocsohwulsttheile ans nm Gombinationsgesohwülste ansin-
sehUessen. Ferner war damals die Anfinerksamkeit noch nicht mit der
gehörigen Sehirfe anf die Umstände gelichtet, welche bei Oliosareo-
men, wenn dieselben ein netiformiges Stroma dorchrieht, einen alreo-
ISren Bau rortäaschen können (s. Virchow L c. pag. 207), endlich
wurden damals die in ihrem Wesen noch onToUstfindig bekannten GUome
in Ermangeluig einer anderen Gategorie in die Bnbrik der weichen
(kleinieUigen) Saroome gebracht.
113
Am allergeeignetsten ftlr die Entseheiduog ttber dea
AuBgangspunkt der Oeschwnlst werden natflrlich solche
Fälle sein, in welchen die Oeschwnlstmasse sich noch
auf ihrem Hutterhoden nmschränkt, z. B. ezclnsive einen
Theil der ahgehohenen Netzhaut partiell hehaftet. Auch
wird sich bei Beginn der Geschwnlstbildnng der Verdacht
hinsichtlich nachträglicher ümlndemng des anatomischen
Habitns nicht eindrängen, — ein Verdacht, der nicht un-
begründet' ist, wenn wir gerade für die vorgerückteren
Geschwülste bei numerischen Zusammenstellungen an-
dere Ergebnisse gewinnen, als ftkr die beginnenden.
Ist einmal der grössere Theil des Bulbus mit Geschwulst-
masse ausgefüllt, oder ist die ganze Cavität desselben
völlig ausgestopft und ausserdem vielleicht noch eine
bedeutende extraoculare Entwicklung zugegen, so kann
die Frage über den Ausgangspunkt natürlich misslich
werden. Allein auch hier helfen, wenn man einmal im
Vergleichen solcher Augendurchschnitte einige Uebung
erlangt hat, meist fassliche Merkmale. Das Fehlen der
Pigmentirung bei Netzhautgeschwülsten, das fast aus-
nahmslose Vorkommen derselben bei vorgerückten Ader-
hautgeschwülsten; femer der Umstand, dass sich bei
Aderhautgeschwülsten die verdickte und abgelöste Netz-
hautweit länger markirt, sei es in Form des bekannten, vom
Sehnerveneintritt ausgehenden Stranges, sei es (wenn
dieser Strang abgerissen ist) als ein hinter der Linse
befindliches Convolut, während bei Netzhautgeschwül-
sten überhaupt das retinale Profil weit eher in die glio-
matoese Masse zerfällt und unkenntlich wird; endlich
das Alter der Patienten dürften besonders zu den Un-
terscheidungsmerkmalen zu rechnen sein.
Und fast ebenso wie das Gesammt der Netzhautge-
schwülste in die Gruppe der Gliome fällt, gehört das Ge-
sammtder Aderhautgeschwülste der Sarcomgruppe
an. Ich will indessen nicht verkennen, dass bei dieser
Classificirung etwas mehr Reserve nöthig ist. Zunächst
findet sich der Sai'combau häufig nicht durchgehende,
sondern nur in gewissen Abschnitten der betrefifenden
AtcMt für Ophttwlmologl«^ XIV. f. S
114
Geschwülste, während andere Abschnitte eine mehr
hyperplastische Structur zeigen. So habe ich selbst
Aderhautsarcome exstirpirt, deren äussere Lagen nach
dem Ausspruche der Untersncher einen fast rein fibromatösen
Habitus darstellten. Jwanoff hat neulich ein von der
Ciliarkörpergegend ausgehendes Sarcom beschrieben,
dessen äusserer Theil lediglich aus einer Hyperplasie
der glatten Muskelfasern bestand, und dem er deshalb
den Namen eines Myoms oder Myo-Sarcoms zuertheilt.
Leber fand in einem von mir wegen Tumor enucleirten
Auge eine umschriebene Aderhautgeschwulst, welche bei
sarcomatöser Grundlage zugleich einen dnrchaus cavemösen
Habitus darbot (mitgetheilt in diesem Hefte des Archivs.)
Inzwischen scheint mir bei allen diesen Varianten doch
immer der Sarcomtypus das eigentlich Dominirende und
auch den klinischen Verlauf Entscheidende zu sein. —
Ein anderer Umstand, der bereits oben angedeutet ward,
ist der, dass man namentlich bei vorgerückten Ader-
hautgeschwüsten nicht selten in einzelnen Abschnitten
einen deutlich alveolären Carcinombau, in anderen da-
gegen einfachen Sarcomhabitus findet (Virchow). Ob
hier von Anfang an eine Mischgeschwulst bestanden,
oder ob ein ursprQnglich reines Sacrom eine spätere
Transformation durchgemacht, muss noch durch ein reich-
licheres Material entschieden werden. Einstweilen spricht
der Umstand, dass man bei umschriebenen Aderhautge-
schwülsten, wie sie jetzt nicht selten bereits exstirpirt
werden, ausschliesslich den Sarcombau fand zu Gunsten
der letzteren Anschauung, mit welcher sich auch Vir-
chow einverstanden erklärt, jedoch mit dem Bemerken,
dass er hierbei nicht eine Umgestaltung der einmal zu
Sarcomzellen ausgebildeten Elemente, sondern ledig-
lich den Nachwuchs carcinomatöser Brut aus dem Mut-
tergewebe annehmen könnte. (1. c. pag. 182.) Es liegen
freilich auch vereinzelte Beobachtungen von Aderhaut-
115
geschwQlsten vor, in denen die Geschwulst als durchweg
carcinoniatös bezeichnet wird. Seit dem Nachweise der
Mischgeschwülste entsteht indessen das Bedenken, ob
hier überall die verschiedenen Abschnitte der Geschwülste
in aasreichender Weise durchuntersucht waren. Lassen
wir vor der Hand diese Frage offen, so glauben wir je-
denfalls aus dem Ueberblick über die zahlreichen Ader-
hautgeschwülste, die wir beobachtet, schliessen zu dür-
fen, dass es sich in dem bei weitem grösseren Theile um
Sarcome, in einem geringerem um Mischgeschwülste
zwischen Sarcom und Garcinom handelt, während das
Vorkommen eines dominirenden Garcinomtypus nur eine
Ausnahmsrolle spielt.
An das Ergebniss, dass die Netzhautgeschwülste in
Gesammt Gliome (nur selten Gliosarcome), die Aderhautge-
schwülste meist Sarcome (oder Mischgeschwülste zwischen
Sarcom und Garcinom) darstellen, knüpft sich zugleich eine
relative Einfachheit der Prognostik bei intraocularen
Tumoren, welche gegenüber den extraocularen resp. or-
bitalen Tumoren hervorzuheben ist. Bei diesen kommen,
abgesehen von dem weit häufigeren Auftreten wahrer
Garcinome, zu der weitscMchtiigen Sarcomgruppe gehörige
Tumoren von der allerverschiedensten prognostischen
Dignität vor: absolut maligne, relativ maligne und auch
solche, die wir wenigstens vor der Hand als vöUig gut-
artig aufzufassen geneigt sind, nämlich gewisse Fibro-
Sarcome und Myxo-Sarcome, bei denen ich, selbst wenn
sie zuvor eine grosse Ausdehnung erreicht hatten, nach
zehnjähriger Beobachtung weder örtliche Recidive noch
Recidive an entfernteren Orten beobachtet habe. Dage-
gegen stellen sich sämmtliche in der Aderhaut voricom-
mende Sarcome als entschieden maligne, zu Metastasen
disponirend, heraus, und es bleibt nur hinsichtlich des
Netzhautglioms, an dessen localer Malignität nicht mehr
s*
116
zu zweifeln ist, die Frage übrig, ob es unter Umständen
eine QueUe von Metastasen werden kann.
Noch einige Blicke will ich hier auf den klinischen
Verlauf der intraocularen Tumoren werfen, wobei
es sich mehr um die Ausfüllung kleinerer Lücken und
die Berichtigung einiger, immer noch auftauchender Irr-
tbümer als um eine neue Darstellung handeln kann.
Wenn Aderhautsarcome sich entwickeln, sei es, dass
sie, von den hinteren Theilen ausgehend, an die zuvor
durch Flüssigkeit abgelöste Netzhaut heranwachsen (s.
pag. 109), oder dass sie den Ciliartheilen entstammend in
den Glaskörperraum hineineinragen, so steigt hierbei
wenigstens in der Regel der intraoculare Druck'*'), und
es finden sich, abgesehen von der tastbaren Tension, die-
jenigen Zeichen ein, die ein chronisches Qlaucom charak*
terisiren: die Pupille wird weiter und starr nicht bjoss
auf Lichteinfall, sondern auf alle sie sonst erregenden
Impulse, die Hornhaut verliert an Empfindlichkeit, die
vordere Kammer wird flach, die subcoiyunctivalen
Venen erweitern sich, der Sehnerv, wo er noch zu
controlliren ist, zeigt sich excavirt, es entstehen Sta-
phylome der Sclera, die wir (als einfache Druckstaphy-
lome) dann sorgfältig (am besten mittelst Durchleuch-
*) Wenn ich frfiher den Sats rertheidigt habe, dass eine jede
NetihaatablSf ung, hei weicher der intraoealare Druök erhebHeh steigt,
•Qspeet auf dahinterUegenden Aderhaattumor sei, so kann ich auch
jetst den praktischen Werth dieser Begel aofreoht erhalten« Ich
mochte jedoch nicht das MissTerstSndniss erregen, dass hei Netihaui-
ablSsongen die Tension durchweg rerringert ist Fast eonstant findet dies
allerdings dann statt, wenn sieh später sn Netshautablösungen intraocu-
lare Entsiindungen, als Iridochorioiditides, hinsngesellen. Bis dahin kann
der Druck ebenfalls etwas rerringert sein, wahrend er in sehr rielen FiUen
durchaus normal, in einzelnen selbst temporär um ein weniges rer-
mehrt ist Es kommt hierbei auch wohl auf die Ursache der Neti-
hautablösung an. Nur eine dauernde und ausgesprochene Ver-
mehrung des Augendruckes mit Abflachung der vorder^i Kammer gebe
117
tong) von herrorwacbsenden Tamormassen za unterschei-
den haben u. s. w. Hierbei kann es bleiben, bis entweder
die Geschwulst an irgend einer Stelle den vorderen Scle-
ralabschnitt verdünnt und nach aussen durchbricht^ oder
bis eine Hervortreibung des Auges und Anomalien
der Beweglichkeit für eine retrobulbäre Entwicklung
sprechen. In anderen Fällen aber — und sie sind zahl-
reich und jetzt genugsam bekannt — tritt auf einer ge-
wissen Höhe dieser Drucksteigerung eine acute glau-
comatöse Entzündung hinzu , mit vehementen Irritations-
symptomen, ganz ebenso als wäre ein chronisches Glau-
com in ein acutes übergegangen.
Mehrfach habe ich constatirt, dass diese Umgestal-
tung vor sich geht, kurz nachdem man behufs der
besseren Untersuchung einen Tropfen Atropin eingeträu-
felt hat, und habe ich eine ähnliche Wahrnehmung
auch zu hänüg bei chronischen Glaucom gemacht, um
ein Spiel des Zufalls präsumiren zu können. Die Pa-
tienten sind dann wahrhaft entrüstet darüber, dass die
Einträuflnng sie so unmittelbar in eine lange Schmer-
zensperiode übergeführt hat. Schon deshalb erscheint
uns die Beobachtung, die übrigens auch in theoretischer
Beziehung zum Nachdenken auffordert, nicht bedeu-
tungslos nir den Praktiker, der, wenn möglich, die
Einträufinngen in solchen Fällen umgehen möge.
Solche heftigere Entzündungen pflegen sehr rasch
von einer Gataractbildung gefolgt zu sein, die sich all-
mähliger auch bei dem mehr schleichenden glaucoroatösen
den Verdacht einei Taraor Substaas und awar um eo nebr, wenn die
ionttigen, nnftohUcben Bedingungen Ton NetsbautablSeang fehlen,
wenn die Ablösung so Torgerftckt, retp. bereite mit inneren Bntittn-
dnngen gepaart, ist, dass das Gegentbeil (Spananngsrerminderung) in
erwarten wire. Nur iweimal habe ieh, wm fllr die spStere Entwiek-
lang Ton Tumoren die Begel ist, bei einfkehen prieiistirenden Netsab-
ISsnngen beohaehtet, dass nbnliob ansgesproöben glanoomatSse Prooeete
binratreten, wihrend in aUen anderen die spateren Entsttndnngen in
dem pbthisiseben Habitus disponirten.
118
Zustand einfiDdet , und es kann dann in der That das kranke
Auge für längere Zeit den Eindruck eines einfachen ab-
gelaufenen Glaucoms machen. Kommt hierzu, dass auch
die Anamnese nicht gerade schlagende Merkmale bietet,
so ist es ebenso begreiflich, dass unter diesem Bilde Ader-
hauttumoren übersehen \verden, als dass sie Anfangs un-
ter dem der Netzhautablösung entgehen. Wenn alsdann
bei etwaiger Enucleation der unvermuthete Tumor vor-
gefunden ward, so entstand wohl die Vermuthung dass
derselbe sich später in einem glaucomatös erkrankten
Auge entwickelt habe, eine Deutung, welche wir noch
neulig (gelegentlich einer Discussion im Pariser augen-
ärztlichen Congresse) von einem sehr verehrten CoUegen
anssprechen hörten. Sicher aber ist der Sachverhalt
umgekehrt: das scheinbare Glaucom war lediglich sym-
ptomatisch von einem präexistirenden Tumor.*) Zur
Diagnose kann übrigens meines Erachteus der Umstand
einigermassen verwerthet werden, dass die Beschwerden
sich periodisch in einer, bei abgelaufenen Glaucomen
doch höchst ungewöhnlichen Weise steigern. Wir finden
in dieser späten KrankLeitsphase des einfachen Glaucoms
sonst entweder völlige Indolenz oder continuirliche aber
massige Beschwerden, oder es sind wenigstens die At-
taquen weniger peinlich, als sie es beim Beginn der
acuten Anfälle waren.
*) Auch die Annahme einer entiflndUchen Entstehung der Me-
lanoeen, (rergL Virchow L o. pag. 249.) welcher man früher einen sehr
grossen Raam gah (s. s. B. Lawrence, Treatise of the diseass of the
eye, London 1888, pag. 686) dürfte hiemach sehr eininschranken sein.
Es sind gewiss nnr seltene Ausnahmen, wo das Auftreten dieser Ge-
«ohwfilste sofort unter dem Bilde einer Entsündung ror sich geht, und
nehme ich fhr die hei weitem grössere Zahl der in diesem Sinne in-
terpretirten FiUen an, dass man die ersten Krankheitsperioden üher-
sehen hat, und durch die coosecutiven Entsündungen luerst auf das
XTebel aufmerksam geworden ist.
119
Es dürfte dies daher rühren^ daaa die Beschwerden
mehr von Drnckznwachs als von constanter Erhö-
hung des Druckes herrühren. Ist ein selbst excessiver
Augendruck y dllig constant geworden, so pflegen die
Patienten nur noch wenig zu leiden, und dies ist es eben,
wodurch sich das secundftre Olancom, wie es bei Ader-
hautsarcomen fortbesteht, von dem einfachen Glaucom
unterscheidet, dass immer noch neue Schwankungen und
gewaltige Steigerungen des Druckes intercurriren.
Am unerträglichsten sind die Beschwerden der Pa-
tienten, wenn, wie es leicht kommt, intraoculare Hä-
morrhagien hinzutreten. Man kann solche aus dem
blitzähnlichen Eintritt der Drucksteigerung und ihrer
Sependenzen oft mit Sicherheit diagnosticiren, so we-
nig zugängig bereits die befallenen Theile f&r die Un-
tersuchang sind. Auch die mit einfachem Glaucom frei-
lich coincidireude, aber doch bei Tumoren zuweilen ganz
angewöhnlich starke Ausbildung und Schlängelung der
aabconjunctivalen Venen, kann neben dem Fortbestande
heftiger Paroxysmen zur Diagnose verhelfen. Aber wer
könnte es leugnen, dass dies Alles, bis etwa Durchbrüche
oder Exophthalmus entstehen, nur unsichere Anhalts-
punkte sind, und dass deshalb in dieser Periode ein dia-
gnostischer Irrthum nicht blos verzeihlich, sondern zu-
weilen unvermeidlich ist.
Es giebt noch einen anderen Hergang, gewisser-
massen entgegengesetzter Richtung, welcher, obwohl mit
geringerem Recht, Täuschungen zu veranlassen im Stande
ist Es kann nämlich ein mit Aderhautsarcom behafte-
tes Auge für eine gewisse Zeit phthisisch werden. Ohne
Zweifel können die inneren Entzündungen, welche ein
die Bulbushöhle noch unvollkommen ausfüllender Ader-
hauttumor erregt, unter Umständen derartig den ei-
trigen Charakter annehmen, dass sie (wie alle Arten
eitriger Chorioiditis) den Schwund der noch übrigen
Glaskörpersttbstanz und hiermit coUapsus bulbi einleiten.
120
Aber dieser Vorgang, den ich bei Netzhautgliomen mebr«-
fach constatirt habe, (s. A. f. 0. X. 1, pag. 218) ist, soweit
meine Beobachtungen reichen, für die temporäre Atro-
phie bei Aderhautsarcomen nicht der gewöhnliche, in-
dem hier die AderhautentzQndang den secretorischen
resp. hämorrhagisch* seroesen Charakter einhält Die
Phthisis entsteht vielmehr dadurch, dass es (vermuthlich
in Folge der Lähmung der Gomeanerven) zur Verschwä-
rang der Hornhaut kommt, welche sich auch, wie ich es
zweimal beobachtet habe, einer aus intraocularer Hämor-
rhagie hervorgehenden tumultuarischen Spannungsver-
mehrung direkt anschliessen kann. Der Homhautver-
schwärung folgen dann dieselben Zustände, wie wir sie
zu beobachten gewohnt sind, mehr oder weniger eitrige
PanOphthalmitis, und es bildet sich Phthisis soweit aus,
als die Höhle des Bulbus noch nicht durch solide Ge-
schwulstmassen ausgefüllt ist.
Es erfordert Achtsamkeit, um bei derartig phthi-
sischen Augen nicht in eine diagnostiche Falle zu
gehen, und will ich einige Umstände hervorheben, de-
ren Verwerthung mich in den letzten Jahren mehrere*
male gegen IrrthQmer geschützt hat. Zunächst tre-
ten an diesen Augen eigenthümliche vehemente
Schmerzparoxysmen auf, wesentlich anderer Art,
eis wir sie an phthisischen Augen unter etwa fort-
bestehender Cyclitis beobachten. Hier ist meist die
Empfindlichkeit bei der Betastung weit mehr hervor-
tretend als die spontanen Schmerzen, welche sich sogar
höchst selten bei veralteten Processen, zu eigentlioh
heftigen Paroxysmen steigern. Gerade umgekehrt ver-
hält es sich bei den sarcomhaltigen atrophischen Augen:
die Betastung des Bulbus resp. der Giliarkörpergegend
ist gänzlich oder fast unempfindlich, da die betreffende
Nervenendigungen durch die frühere Tensionsvermehrung
in ihrer Leitung gelitten haben, resp. bei der Panoph-
121
tbalmitis zerstört worden sind, während allenfalls nurdaa
Eindrücken der Fingerkuppe zwischen Bulbus und Or-
bitaldach mit Druck auf den Supraorbitalnerven empfind-
lich ist, yomebmlich aber vehemente Paroxysmen spon-
taner Schmerzen hervortreten. Sodann haben bei genauer
Betrachtung die sarcombaltigen phthisischen Augen
eine eigenthQmliche Form. Indem n&mlich der
collapsus bulbi zu einer Zeit erfolgte, wo der hintere
Abschnitt des Auges bereits durch Geschwulsjbmassen
ausgefallt war, findet vorwaltend eine Verkürzung der
Hauptaxe statt, ohne dass der Aequatorialkreis sich ent-
sprechend zusammenzieht Es entsteht also eine von
hinten nach vom abgeplattete Gestalt, welche gewisser-
massen im Areal der geöffneten Lidspalte eine grössere
Flftchenansicht des Bulbus als sonst bei Phthisis gew&hrt
Die Eindrücke, welche die geraden Augenmuskeln auch
hier hervorbringen, erscheinen deshalb mehr als sonst
bei Phthisis (gewissermassen als Kreuz mit l&ngeren
Armen) auf der Vorderfläche des Bulbus. Ein drittes
Moment, welches in der Regel mithilft, hängt mit einem
bemerkenswerthen Umstände in der Entwicklungsrichtung
zusammen, welche diese Geschwülste nach erfolgter Pan-
Ophthalmitis einschlagen. An die Ausgänge dieser letz-
teren knüpft sich bekanntlich mehr oder weniger Binde-
gewebsbildung in der Bulbushöble, und es scheint die
narbige Rctraction^ dieses Gewebes einen Damm für das
intraoculare Geschwulstwachsthum zu setzen. Es wäre
sonst zu erwarten, dass bei weiterer Volumszunahme
des Tumors nun zunächst der in seinem vorderen Ab-
schnitte collabirte Bulbus wieder praller ausgefällt wQrde.
Dagegen finden wir dies nicht, der Bulbus bleibt abgeflacht,
aber es tritt sehr bald retrobulbäre Geschwulst,
entweder längs des Sehnerven oder in der üblichen
Form als episclerale Auflagerung hinzu. Dass solche
retrobulbäre Geschwulstbildung bei einem phthisischen
122
Auge leichter entgehen kann, als bei normalem Augen-
volumen, weil eine auffallige Verrückung des Drehpunk-
tes sich nicht so leicht herausstellt, liegt auf der Hand,
aber es wird doch ein relativer Exophthalmus sich an-
knüpfen, wenn wir hierbei den Abflachungsgrad in Be-
tracht ziehen. Wenn beispielsweise bei einer ihrer Form
nach sehr ausgeprägten Abflachung des Auges der
Stand des Hornhautscheitels nur um ein äusserst gerin-
ges Quantum tiefer in der Orbita liegt, als auf der an-
deren Seite, so bedeutet dies einen solchen relativen
Exophthalmus und wir werden dann Geschwulstmassen
hinter dem Bulbus finden, welche übrigens ihrerseits
durch den Druck, den sie von hinten nach vom ausüben,
die obenerwähnte eigenthümliche Bulbusform noch mehr
ausprägen. An solche extraoculare Geschwulstbildung
knüpfen sich dann auch leicht Anomalien in der Beweg-
lichkeit, da die Drehpunktslage eine andere wird, als
wir sie sonst unter ähnlichen Verhältnissen der Phthisis
bulbi beobachten.
Ich glaube in Summa, dass, wenn man diese Mo-
mente mit Bedacht zusammenhält, das Uebersehen eines
Tumors an einem phthisischen Auge besser zu vermeiden
sein wird, als in dem Stadium der primordialen Netz-
hautablösuug und des secundären Glaucoms.*)
*) Binen recht interessanten Fall für die in Frage stehenden dia-
gnostischen Fehler hatte ich im vorigen FrQhjahr za heohachten. Von
einem ührigens sehr competenten CoUegen war die betreffende Frau
anfänglich an einer „Netshanfablösnng" behandelt worden» später war
das Auge „glaacomatös"« dann aber „phthisisch*' geworden. Der Arit
hatte es wohl begriffen, dass die Patientin während der glauoomatSsen
Periode arge Besehwerden gehabt, aUein es war ihm anklar, das« dieae
nun aneh sich in die Periode der Phthisis rerlängert hatten and swar in
so heftiger Weise, dass er mir deshalb die Patientin zur Enacleation über-
sandte. Bereits Tor der XTntersachung drängte sich mir nach dem Berichte
der Verdacht aaf, dass es sich hier am einen Tumor handele, denn data
ein mit einfacher Netthaatablösnng behaftetes Auge ausgesprochen glan-
123
Im Allgemeinen ist die intercurrente Phthisis bolbi
bei Aderbautsarcomen selten, ich vermuthe seltener als
bei Netzhantgliomen. Weit häufiger ist ein continuirliches
Fortbestehen des glaacomatösen Zustandes auch bei wei-
terer extraocttlari I' Entwicklung der Geschwulst Diese
letztere geht ent>veder so vor sich, dass wirkliche Durch-
brücbe der Sclera erfolgen und dann in der Regel im
vorderen Bulbusabschnitt, oder dass sich ohne Durch-
bruch Geschwulstmassen um die hintere Peripherie des
Bulbus ansetzen, oder endlich so, dass der Sehnerv auf-
schwillt und sarcomatös erkrankt, sich gewissermassen
zu einem dicken Geschwulstzapfen umwandelt. In dem
zweiten, relativ häufigsten Falle kann man sich bei den
verschiedensten Durchschnitten des Präparates überzeu-
gen, dass die völlig erhaltene Sclera den intraocularen
vom extraocttlaren Abschnitt des Tumors scheidet. Hin-
sichtlich des dritten Falles glaube ich, dass die Fort-
pflanzung von der Lamina cribrosa aus zunächst sich
dem inneren Umfange der Sehnervenscheide oder den
Septis des Perineuriums anschliesst, entgegengesetzt den
Gliomen, in denen der Nerv sofort in seiner ganzen
oomatös wird, ist bereits ein hSchst ausnahmsweiies Factam und dass
ToUends unter diesen Verhältnissen Phthisis eintritt mit Fortbestand
der vehementesten Sohmersparoxysmen, würde eine sweite Barität dar-
steUen, während ein Tumor die Snooession Töllig erklarte. Bei der
Untersuohung jenes phthisischen Auges fand ich nun alle die oben ge*
schilderten Kriterien, die ich nicht wiederholen will, so ausgeprägt, dass
ich mich Tor der Enudeation mit Toljler Sicherheit aussprechen konnte.
Der Irrthum, den der behandelnde GoUege in der ersten Periode des
Vebels (Ketchautablösung) begangen, war yermuthlich nicht su rermei-
den gewesen; dagegen hStte dieser Irrthum in der iweiten Periode
(Olauoom) yermuthlich bereits berichtigt und die Diagnose mit grösster
Wahrscheinlichkeit auf Tumor gesteUt werden können, selbst wenn die
ophthalmoscopis6he Untersuchung nicht mehr brauchbar war. Noch
grosser aber wäre mein eigener Irrthum gewesen, wenn ich in der
dritten Periode (Phthisis) die Antecedentien und auch die Details des
Statusquo nicht gehörig gewürdigt hätte.
124
Dicke erkrankt Ist einmal die Gesehwulstbildung im
Sehnerven sehr vorgerückt, so wird man hierüber freilieb
nicht mehr artheilen Jcönnen. Dagegen sah ich zweimal
wo intraoculare Melanosen erst jüngst in diese Entwick*
lungsphase eingetreten waren, auf dem Querschnitt des
Sehnerven einen Ring schwärzlicher Substanz die in-
nere Gontour der verdickten Sehnervenscheide begleiten,
und zugleich ein schmutzig aussehendes, gegen die Axe
mehr unterbrochenes Netz den Querschnitt des Perineuriums
bezeichnen.'*') Es ist ferner hervorzuheben, dass gerade die
Fortpflanzung auf den Sehnerven bereits dann (ebenso wie
bei Gliomen)^ hinzutreten kann, wenn erst der geringere
Theil des inneren Auges mit Geschwulstmasse gefüllt ist,
während sowohl die Auflagerungen auf die Aussenfläche
des hinteren Scleralabschnittes als die Durchbrüche des
vorderen Scleralabschnittes erst zu erfolgen pflegen, wenn
wenigstens der grössere Theil des inneren Auges mit
Geschwulstmasse ausgestopft ist
Bezüglich der Verlau&dauer scheint mir, dass die
Schwankungen für die Aderhauttumoren grösser sind als
für Netzhautgliome. 3o habe ich Augen enucleirt, welche
seit 10 Jahren und darüber erblindet waren, (vermuthlich
doch in Folge der Geschwulst,) ferner solche, in denen
ich 6 Jahre zuvor den Tumor bereits constatirt hatte,
und an welchen das Sarcom erst einen geringeren Theil
des Bulbus ausfüllte, während in anderen Fällen, wo die
Ausgangsperiode einen gewissen Termin nicht über-
schreiten konnte, die Krankeit bereits binnen wenigen
Jahren zu allgemeinen Metastasen führte.
Einen Beleg für eine derartige Entwicklung habe
ich noch jetzt unter Augen, und ist der Fall auch als
ein Beispiel traumatischer Entstehungsweise einer in-
traocularen Melanose von Interesse. Patient, ein gesun-
*) Vergl. einen lOinlieken Befand bei Virehow L e. pag. 288.
125 tfl •
der and kräftiger Arbeitsmann von 24 Jahren, kam am
2. Juni 1864 in die Klinik, eine halbe Stnnde nach einer
erlittenen Verletzung ; ein grobes Holzstück war beim
Abplatzen eines Tonnenbandes durch dasobere Augenlid
hindurch gegen den rechten Bulbus aufgeschlagen, aber
sofort wieder herausgezogen worden. Die Oewalt musste
eine ganz colossale gewesen sein: der Augapfel, aus
der Orbita hervorgetreten und gleichzeitig etwas nach
unten dislocirt, drängte sich über den unteren Augen-
höhlenrand auf die Wange herflber derart, dass dessen
Aequatorialkreis sich gerade in die Lidspalte ein-
klemmte, obwohl die Lider selbst durch Ecchymosi-
rangen stark hervorgetrieben waren. Von irgend einer
Bewegung des protradirten Bulbus oder auch der Augen*
lider war keine Rede, alle Theile zum Excess gespannt
durch massenhafte Blutaustritte. Jedwede Berflhrang
Ausserordentlich empfindlich, so dass die Sondirung der
Wunde rflcksichtlich auf die Gegenwart eines fremden
Körpers, welche flbrigens ein negatives Resultat gab,
nur in tiefer Chloroformnarcose angestellt werden
konnte. Cornea (theils wohl durch excessive Spannung)
rauchig, Kammerwasser hämorrhagisch getrttbt. In
der Gegend ^des oberen Aequator bulbi eine Scleral-
raptur, über deren Einzelnheiten indessen wegen der
blutigen Durchtränkung der Coujunctiva und des sub-
conjnnctivalen Gewebes nichts ermittelt werden konnte.
Keine Spur von Lichtempfindung. Ans dem Grade der
so plötzlich eingetretenen Protrasion (über S^'O wurde
damals auf Ruptur des Sehnerven, zugleich auf umfang-
reiche Ruptur der Augenmuskeln (avnlsio bulbi) ge-
schlossen. Wie vorauszusehen, trat eine sehr bedeu-
tende circumbulbäre und retrobulbäre Infiltration ein und
es kam zu ausgedehnten necrotischen Abstossungen or-
bitalen Gewebes; auch der Coi^unctivalsack necrosirte
grösstentheils, worauf sieb die Sclera mit Granulationen
bedeckte. Gleichzeitig war die Cornea verschwärt und
eitrige Cyditis hinzugetreten. Schliesslich sank der mas-
sig phthisische Bulbus wieder in seine Höhle zurück,
aber die Beweglichkeit war theils wegen des entwickel-
ten Symblepharons, vielleicht auch wegen der Zerstö-
rung der Muskeln resp. Muskelnerven eine sehr be-
126
schränkte. Umstände, welche das Tragen eines künst-
lichen Anges verhinderten.
Am 27. December desselben Jahres, demnach fast
sieben Monate nach der Verletzung, präsentirte sich Pa-
tient, der bis vor wenigen Tagen frei von allen Schmerzen
gewesen,aarsNeue mit einer ei trigenEntzttndnng des phthi-
sischenBnlbas, welche meinen urspranglichen Verdacht wie-
der wachrief, dass hier doch das Fragment eines fremden
Körpers vorhanden sein könnte, allein auch jetzt gelang
es nicht diesem Verdacht eine weitere Substanz zu geben,
die PanOphthalmitis verlief bei Cataplasipenbehandlnng
innerhalb drei Wochen mit Hinterlassung einer noch
stärkeren Phthisis bnlbi als sie vorher bestanden hatte,
und der Patient wurde aufs Nene entlassen.
Am 28. Juni des Jalires 1867 erschien er zum dritten
Male mit einem sehr erheblichen, etwa wie zwei Wall*
nüsse grossen Orbitaltumor, an dessen vorderem Ende
der phthisische Bulbus, bis auf eine kleine Fläche mit
Geschwulstmassen umwachsen, nur mühsam zu erkennen
war. Der Tumor drängte sich nach allen Seiten eng an
die Wandungen der Orbita, schien aber mit dieser selbst
nicht zusammenzuhängen, er war an einzelnen Stellen
so hart, dass ich irriger Weise Verkalkungen annahm.
Die Entstehungsperiode desselben konnte Patient nicht
genau angeben; eine entschieden grössere Fülle der
Augenhöhle war ihm seit einem Jahre bemerklich ge-
worden. Bei der Exstirpation zeigte sich eine voll*
kommen homogene, tief schwarze Melanose (Sarcom),
welche sowohl die Höhle des geschrumpften Bulbus aus-
fällte als die ganze übrige Geschwulstmasse constituirte.
Da der gesammte Knollen mit einer verdichteten Binde-
gewebsschicht gut abgeschlossen schien, so wurde die
Exstirpation für rein gehalten. — In der ziemlich raschen
Gonvalescenz bekommt Patient, nachdem einige Tage
zuvor sich Verdauungsstörungen und leichte Öedeme
der Füsse eingestellt hatten, einen Schüttelfrost mit
bedeutender Temperatursteigerung (40 C), welcher nach
24 Stunden einer fast völligen Intermission Platz macht,
sich aber innerhalb einer Woche noch zweimal wieder-
holt Gleichzeitig Blutliarnen und verbreitetes Oedem^
besonders an den unteren Extremitäten und im GesichtCi,
127
aber auch am Kampfe. Der Blntgehalt im Urin verrin-
gert sich, das Fieber hört anf, aber es bleibt eine sehr
starke Albnminnrie znrflck. Der Gatheter nnd die Unter-
suchung per anum zeigt eine starke Intnmescenz der
Prostata, besonders des mittleren Lappens. Ansserdem
nahmen wir als Orund der Erscheinungen Nierenmeta-
stasen mit secundArer Nephritis an. Wenige Monate
später zeigte sich eine Reihe von sehr harten Ge-
schwülsten (nuss- bis faustgross) in der Unterleibshöhle,
zunächst vorwaltend in der Blasengegend. Deren Wachs*
thum ging sehr rasch vor sich, so dass in kurzer Zeit
ein grosser Theil des Abdomens durch dieselben erfüllt
schien. Patient, obwohl noch am Leben, befindet sich
znr Zeit in einem äusserst elenden Zustande auf der
Charitö-Abtheilung des Prof. Traube.
Die Bolle, welche bei nachfolgenden Tumoren dem
Trauma zuftUt, ist in der Regel schwer festzustellen,
und wir kommen, abgesehen von zufiilligenGoincidenzen,
nicht selten zu der Anschauung, dass durch jene Ver-
anlassung mehr der Ort einer Geschwulst als deren
Ausbruch im Allgemeinen bestimmt wird. Auch in dem
vorliegenden Falle kann eine solche Anschauung nicht
absolut abgeschnitten werden. AUeiifdas ungewöhnliche
Gewaltsame der Verletzung, der Umstand, dass der
völlig gesunde Patient sich noch nicht in dem Alter
befand, in welchem Melanosen ihre relative Frequenz
erlangen, auch die Beschaffenheit der Residuen, nämlich
die Umklammerung des Bulbus durch Narbenmassen mit
erheblicher Zerrung der Theile, und endlich die gewiss
der Verletzung sich bald anschliessende Geschwulstbil-
dung müssen die natürliche Deutung dahin neigen , ein
wenn nicht erschöpfendes, doch directeres Causalitäts-
verhältniss als in den meisten „traumatischen" Fällen
zu statniren. Die PanOphthalmitis, wegen welcher Pa-
tient das zweite Mal nach dem Hospital kam, fasse ich
bereits als Rpiphänomen einer den Bulbus theilweise
ausfüllenden Melanose auf und bringe sie* in die Reihe
der oben (rOcksichtlich auf temporäre Phthisis) bespro-
chenen Vorgänge; denn es gehört sonst zu den Selten-
heiten, dass nach einmal erfolgter Vemarbung panoph-
thalmitischer Zustände sich neue PanOphthalmitis zeigt
Schliesslich bemerke ich, was rücksichtlich auf die
Parallele mit den Netzhautgliomen nicht werthlos er-
scheint, dass mir ein Fall von doppelseitigem Aderhaut-
sarcom bis jetzt noch nicht vorgekommen ist. Wohl
aber habe ich dreimal das Factum constatirt, dass bei
einseitigem Aderhautsarcom eine Erblindung des zweiten
Auges eintrat, bei welcher der Augenspiegel anfänglich
einen völlig negativen Befund, später atrophische Dege-
neration der Papille ergab. In zweien dieser Fälle wurde
die Section gemacht, und es fanden sich melanotische
Knollen an der Basis Granu mit Bückwirkung auf das
Chiasma resp. den Opticus der anderen Seite. Der intra-
cranielle Druck schien, soweit man aus den Sections-
resultaten schliessen konnte, nicht erheblich gesteigert
gewesen zu sein, was auch mit dem Verhalten der Pa-
tienten intra vitam übereinstimmte, und war vermuthlich
deshalb keine Stauungspapille, sondern lediglich weisse
Degeneration der Papille als Product der Leitungsunter-
brechung erfolgt. •
Stellen wir den im Vorstehenden mitgetheilten Be-
obachtungen über den Verlauf der Aderhautsarcome
nunmehr unsere Besultate über den Verlauf der Netz-
hautgliome gegenüber. Zunächst ergiebt sich, dass
das betreffende Leiden in seiner Entstehungsperiode
nicht wohl, wie ein Aderhautsarcom unter dem Bilde der
Netzhautablösung, unter dem Deckmantel einer anderen
verbreiteten Krankheit entgehen kann. Die allererste
Phase wird uns an jüngeren Kindern*, wo die Krankheit
am allerhäufigsten vorkommt, allerdings selten zur Be-
obachtung gebracht, da die kleinen Patienten die auf-
tauchenden Functionsstörungen nicht angeben und die
Aufinerksamkeit der Aeltern erst durch den eigenthüm-
lichen Reflex erregt wird, welchen die Pupille zurück-
wirft und welcher, wie bereits Wardrop hervorhebt, zu-
129
n&chst im Halbdunkel bei erweiterter Papille aufiBUlt.
Aber da, wo die Krankheit bereits an etwas filteren
Kindern oder ausnahmsweise gar an Adulten . auftritt,
kSnnen wir uns über deren Anlange Rechenschaft geben.
Es bilden sich auf der Netzhaut eigenthümliche, meist
zahlreiche weisse Plaques von verschiedener Grösse,
welche sich durch ihre Opacität, durch ihre Form
und Gruppirung wesentlich von dem unterscheiden,
was wir sonst bei Netzhautinfiltrationen der verschie-
densten Art beobachten. Diese Plaques liegen stellenweise
hinter den Netzhautgeftssen, stellenweise durchwachsen
sie die Netzhaut bis an ihre innere Fläche, wobei sie jede
Geftssfiguren unterbrechen und schon äusserst frOh
eine deutliche Erhabenheit zeigen.*) An deren Auf-
treten schliesst sich dann wohl immer bald eine flüs-
sige NetzhautablSsung^ deren Abgrenzung (zuweilen in
einem sehr spitzen Winkel, an dessen Scheitel gerade
eine Plaque sitzt) eben&lls etwas sehr Ungewöhnliches
hat — Hält man in diesem Stadium einen diagnostischen
Ausspruch noch zurück, so lässt sich natürlich nichts
hiergegen einwenden, besonders wenn der Befund dem
betreffenden Beobachter früher noch nicht in dieser Ge-
stalt begegnet war. Aber jedenfalls muss das Eigen-
thümliche, völlig Ungewohnte des Bildes den Verdacht
einerGeschwulstbildung erregen, der dann durch den steti-
gen Wachsthum der Neubildung, durch das Vorrücken der
Netzhautablösung, meist unter einiger Zunahme des intra-
ocularen Druckes, mehr und mehr an Wahrscheinlichkeit ge-
*) Zu den toh mir (A.f.O.XII. 2, ptg. 289 a. 242) betehriebenen FiU»
konnte ich jetzt noch ans dieser Periode iwei binziif8gen,welohe im we-
tentlioben duielbe Bild gewähren, dooh möchte ich Sohlfine hintiohtlieh
einiger bei diesen FfiUen obwaltenden NebenumstSnde erst liehen,
wenn meine Diagnose dnrch den weiteren Verlauf beetfttigt sein wird.
Der eine dieser Fülle wird jetst gemeinsohaltlioh mit mir Ton dem
OoUegen Sohirmer in Greifswald beobachtet
AnblT ftr OpbthiOmologle, XIY. t. 9
130
winnt. Es ist also nicht möglich, dass man fiber den Befand
des ersten Stadiums so arglos hinweggeht wie bei einem
nmschriebenen Aderhautsarcom; denn während dieses
durch die davor liegende flüssige Netzhautablösung oft
verdeckt wird, hebt bei Netzhautgliomen die dahinter
liegende Ablösung den Reflex der Geschwulst und die
Details der anomalen Oberfläche nur desto deutlicher
hervor.
Im weiteren Verlaufe theilt das Netzhautgliom mit
dem Aderhautsarcom häufig genug die Entwicklung eines
secundären Glaucoms, doch kann auch dann die Diagnose
weniger leicht entgehen, weil trotz der diffusen Trü-
bungen der brechenden Medien, selbst bei bereits ausge-
sprochener Cataractbildung, der leuchtende Reflex aus
der Tiefe sich noch verh<nissmässig gut markirt Auch
werden unsere Annahmen in dieser Periode durch den
Rückblick auf das Alter der Patienten gelenkt; denn da
an Kindern glaucomatöse Zustände als Primärübei fast
nie vorkommen, sondern nur als Folgeübel anderer
Erkrankungen (vorwaltend nach eingreifenden resp. per-
forirenden Homhautprocessen), so müssen wir bereits in
solchen Zuständen, beim Fehlen der üblichen Quellen,
etwas wesentlich Verdächtiges sehen.
Dass wie bei den Aderhautsarcomen auch bei den
Netzhautgliomen, und wohl noch häuflger, temporäre
Phthisis bulbi hinzutritt, ist bereits mehr&ch (auch
schon von Wardrop, dann von Bauer*) erwähnt wor-
den, und zwar stellt sich dieses Vorkommen hier weniger
als dort durch Vermittlung von Homhautvereiterung son-
dern dadurch heraus, dass intraoculare Entzündungen von
ausgeprägt eitrigem Charakter sich hinzugesellen.
Die Ursache dieser Differenz dürfte vielleicht da-
rin liegen, dass überhaupt bei den Netzhautgliomen
*) Disfertation tur le foogoi nMuUaire de Toeil. Paris 1880
131
der Stand des inirmocnlaren Drucks wemger rasche
Steigemngen durchmacht als hei den secretorischen oder
hämorrhagischen Schoben, die sich den Aderhantge-
schwalsten hinzngesellen. Dem entsprechend dOrfte auch
die Leitung in den trophischen HomhautnerFen weniger
leicht unterliegen. Möglicherweise giebt auch die grössere
Dehnbarkeit der Umhflllungshäute im kindlichen Alter
den Grund, dass diese Nerven durch die Druckaunahme
nicht in gleichem Maasse leiden. Mag dies sich ver-
halten wie es wolle, so scheint mir jedenfalls das häu-
fige Auftreten eitriger Chorioiditis bei den Netzhaut-
gliomen von dem eigenthttmlichen Zerfalle herzurflhren,
zu dem sie in hohem Orade neigen, bei welchem die
Gtoschwulstmasse sich mit unendlich vielen Herden fet-
tiger und kalkiger Metamorphosen durchsetzt und hierbei
in einen ungleichmässig körnigen und flockigen Brei zer-
fliesst. — Ist die Entstehung der Phthisis aus eitriger Cho-
rioiditis bei Gliomen offenbar das Häufigere, so leugne ich
indessen auch hier nicht deren Entwicklung aus den Folgen
von Homhauterweichung.
Einen modificirenden Einfiuss auf die weitere Ent-
wicklung des Glioms ttbt, wie mir scheint, die transito-
rische Phthisis nicht aas. Während ich bei den Aderhaut-
sarcomen zu dem Glauben gelangt bin, dass durch deren
Intercurrenz die extraoculare resp. retrobulbäre Ver-
breitung gefördert wird, könnte ich nach der Verlaufs-
dauer, welche Netzhautgliome nach transitorischer Phthi-
sis zeigten, eine ähnliche Annahme nicht inotiviren.
Eine sehr schlagende Differenz betrifft die Bahn der
extraocolareu Fortpflanzung selbst Ich möchte glauben,
dass diese hier exclusive oder fast exclusive durch
den Sehnerven erfolgt Wenigstens habe ich, abge-
sehen von der Hirschberg' sehen Beobachtnngsreihe,
noch eine Summe von F&llen aufzuweisen, in welchen
der Sehnerv hinter dem Bulbus in hohem Grade glio-
matös entartet war, während sich in den sonstigen extra-
ocularen Theilen noch nicht das mindeste krankhafte vor-
fand. Die Mitleidenschaft des Sehnerven kann allerdings
132
erst hervortreten, wenn fast das Totom des Auges mit
Gliommasse gefüllt ist; sie kann sich aber auch in einer
ominösen Weise ausprägen, wenn die intraoculare Gfe-
Schwulstbildung erst massig vorgerückt ist. Noch in
vergangener Woche exstirpirte ich ein derartiges Auge,
bei welchem kaum die H&lfte des Glaskörperraumes von
zerfliessender Gliommasse ausgefüllt war, und doch der
orbitale Theil des Sehnerven völlig gliomatös degenerirt
und hierdurch etwa bis auf ein Kaliber von 3''' aufge-
schwellt war. Stellen sich später Durchbrüche im Be-
reich des vorderen Bulbusabschnittes (und hiermit hä-
morrhagische Infiltraationen und das eigentlich fungöse
Gepräge) heraus, oder wird der Bulbus durch orbitale
Ablagerungen hervorgedrängt, so ist das Sehnervenleiden
sicher längst vorangegangen. Es kann dann inmitten
der orbitalen Geschwulstmasse der aufgeschwellte resp.
halb zerfallene Sehnerv völlig unkenntlich werden (im
Gegensatz zu fortgepflanzten Aderhautsarcomen, bei wel-
chen er sich viel länger kennzeichnet), und dies ist wohl
der Grund, weshalb man das Constante öder wenigstens
fast Constante dieser Fortpflanzungsweise (gerade in
neuerer Zeit) nicht gehörig anerkannt hat**"). Wenn ver-
muthlich (s. oben) bei Aderhautsarcomen die Degenera-
tion des Sehnerven, sofern sie die Fortpflanzung vermittelt,
zunächst der Scheide folgt, so nimmt bei NetzhautgUomen
die specifische Aufschwellung von Anfang an die Sub-
stanz der Nerven ein und die Scheide verdickt sich an-
fänglich nur in einer indifferenteren (hyperplastischen)
Weise — eine Verschiedenheit, welche dem Ausgangs-
punkte in natürlicher Weise entspricht.
*) Beobachtet war dieselbe bereits Ton den älteren Beobaohtemin
einer redit umfassenden Weise (rergl. Lincke 1. e. pag. 58 — 63), nur
hat man bei diesen Beobachtungen so manche, Termuthlich auf Ader-
hautsarcome bezugliche, Fälle aussusoheiden. Die häufige Entartung
des Sehnerren hat «ogar einzelne Beobachter zu der Annahme rerlei-
tet, dass das Uebel rom NerYcn aus in das Auge hineinwüchse^
133
Noch auf einige Annahmen über die Entwicklang
dieser Geschwülste, welche meist aus der älteren Mark-
schwammlehre stammen , aber in folgerechter Weise auf
die mit dem Markschwamm identischen Gliome zu über-
tragen wären, muss ich hier eingehen. Zunächst ist auch
hier behauptet worden, dass der Ausbruch des Uebels
sich zuweilen unter einem entzündlichen Bilde prä-
sentire. Eine derartige Beziehung der Entzündung zu
der ersten Periode der Geschwulstbildung existirt meiner
Meinung nach nicht, und erklären sich die betreffenden
Beobachtungen entweder aus dem Irrthume, dass man
Ausgänge innerer AugenentzOndungen, insonderheit pla-
stische Infiltrationen des Glaskörpers oder subretinale Ab-
lagerungen mit Geschwülsten verwechselt hat — ein
Irrthum, zu welchem auch das Vorkommen transitorischer
Phthisis buibi bei Netzhautgliomen immer wieder beitragen
konnte, — oder daraus, dass die ganze erstere Periode des
Uebels übersehen ward, und dass man dann die consecutive
Entzündungen, deren oben erwähnt ist, mit der Ausbruchs-
periode identificirte*). In allen Fällen von Gliomen, die
mir zur Beobachtung kamen, habe ich auf diesen Punkt
genau Rücksicht genommen, und bin immer zu dem Re-
sultate gelangt, dass, wo Augenentzündungen nach dem
gewöhnlichen Begriffe des Wortes eintraten, die Ge-
schwulstbildung bereits eingebürgert und weiter vorge-
rückt war.
Fällt hiernach eine ursächliche Beziehung des ent-
zündlichen Vorganges zur Gliombildung hinweg, an
welche man sonst vielleicht wegen der Gleichartigkeit
und der Form der constituirenden Elemente zu denken
einigen Grund hätte, so mag immerhin einmal die Prä-
*) Aueh kann et sieb, wi« ich selbit einnitl beieugt habe, ereig-
am, dui eine tofSUlige ftuMere Ophthalmie den Eltern lUDachst die
Veranlasfung giebt, das Aoge des Kindes genauer in prüfen, oder di«
InterTention eines Antet in reqniriren.
134
cedenz einer Entzündung constatirt werden. So gut als
früher völlig gesunde Augen von Gliomen beiallen wer-
den, können natürlich jauch Augen betroffen werden,
welche früher von inneren Entzündungen heimgesucht
wurden und deren Residuen einschliessen. Ja es wäre
vielleicht aus theoretischen Gründen zuzugeben, dass
das Bestehen einfach hyperplastischer Zustände, wie jed-
wede Abweichung von der normalen Structur, auch hier
die Disposition zur Geschwulstbiidung vermehrt. Allein
mit diesen principiellen Zugeständnissen verändert sich
die reale Sachlage wenig. Wenn ich bei der grossen
Summe von Netzhautgeschwfilsten, welche ich im Laufe
der Jahre beobachtet habe, noch nicht ein einziges Mal
die Ueberzeugung gewonnen habe, dass ein entzündlicher
Process der Gliombildung vorausging, so würde ich,
käme mir einmal ein derartiger Fall vor, lediglich auf
eine zufällige Colncidenz oder allenfalls eine ga^iz läse
und indirekte Beziehung in dem letzterwähnten Sinne
schliessen. Namentlich sei hier hervorgehoben, dass un-
ter den häufigen plastischen Chorioiditides, welche als
Complicationen resp. Besiduen der Meningitis cerebro«
spinalis beobachtet werden, nicht ein einziges Mal die
Succession gliomatöser Entartungen constatirt ward* In
prognostischer Beziehung scheint mir die Betonung die-
ses Satzes nicht ganz unwichtig, wie denn überhaupt
jedwedeAnnäherung der gliomat Ösen Entartung
an entzündlich-hyperplastische Prozesse die
Praxis nur verwirren kann.
Auch in dem klinischen Bilde unterscheidet sich
die auftretende Gliombildung ganz wesentlich von einem
entzündlich-hyperplastischen Prozesse. Der vorwaltend
weisse Farbenton, der beim Gliom, wo es nicht durch
Gefiissneubildungen überdeckt wird, hervortritt, sticht
zunächst gegen die allemal gelbe Tünchung ab, welche
eitrigen Producten zukommt Niemals ferner sehen wir
135
bei diesen letzteren eine so scharfe Umgrenzang wie bei
den ursprünglichen gliomatösen Plaques oder auch noch
sp&ter bei den partiel entarteten Buckeln der abgelösten
gliomatösen Membran. Niemals bleibt auch bei einer
entzündlichen Hyperplasie der Netzhaut der Glaskörper
so rein von Trübungen wie dies in der ersten Periode
des Glioms stattfindet Endlich hat zwar der Augenspiegel
gelehrt, dass wirkliche Entzündungsprozesse in den tie-
fen Theilen des Auges ohne Störungen in der änsserUch
wahmdimbaren Vascularisation sich einbürgern könnte,
aber es trifft dies nicht die ausgedehnteren eitrigen Zu-
stände, die ausserdem nicht lange ohne eine Verringerung
des intraocularen Druckes zu bestehen pflegen.
"Wenn ich hiermit die für gewisse Fälle behauptete
entzündliche Entstehungsweise desNetzhautglioms leugne,
so möchte ich mich gleich&lls aufs Bestimmteste gegen
die Anschauung erklären, dass sich zuweilen in dem
Gange des Uebels längere, selbst jahrelange (Mackenzie
und Andere) Stillstände einstellen. Wo mir Ge-
legenheit ward Gliome in regelmässigen Intervallen
zu untersuchen, habe ich im Allgemeinen einen ziem-
lich gleichmässigen Zuwachs wahrzunehmen geglaubt
Auffallender ist derselbe natürlich, wenn er in der Fläche
der degenerirten Netzhaut als wenn er lediglich in der
Dicke yor sich geht Im letzteren Falle wird zwar ge-
wöhnlich die Prominenz der betreffenden Partie sich stei-
gern, aber es kann auch, wenn ausgedehnte flüssige Netz-
hautablösung hinter dem Tumor zug^en war, der
Wachsthum vorwaltend in den subretinalen Raum hinein-
gehen, wobei lediglich der Grad der Opacität zunimmt
Für beide Umstände, namentlich für letzteren, erfordert
es, um das Wachsthum nicht zu übersehen, grosser Acht-
samkeit. Der Forschritt der Gliome scheint mir sogar
ein regelmässigerer zu sein als der der Aderhautsarcome.
Es kommen weder so schnelle, noch so langsame Ent-
136
Wickelungen wie bei jenen vor. Von der ersten Beob-
achtung des üebels ab, resp. von jenen Stadien, wo erst
ein sehr geringer Theil des inneren Auges mit Ge-
schwulstmasse geftUlt ist, vergehen meist ein bis drei
Jahre bis zu einer palpablen extraocularen Entwicklung.
Niemals habe ich dieselbe f&nf Jahre und darüber, wie
nach constatirten Aderhautsarcomen, ausbleiben sehen.
Wenn bereits in sehr Mher Lebensperiode, etwa nach
Verlauf des ersten Lebensjahres der auf solche Fort-
pflanzung deutende Exophthalmus eintritt, wofür einige
Belege vorhanden sind, so dürfte es sich vermuthlich um
angeborene Gliome handeln.
Vollends halte ich das Gliom nicht f&r eine Geschwulst,
welche einer Rückbildung fthig ist Auch dieser Irr-
thum stammt, wie die Annahme einer entzündlichen Ent-
stehung, theils aus der Verwechslung mit entzündlich-
hyperplastischen Prozessen, namentlich mit derjenigen
Chorioiditis, welche die Meningitis cerebro-spinalis com-
plicirt, theils aus der Wahrnehmung der transitorischen
Phthisis. Nur zu begreiflich war es, dass, wenn man sich
in einem concreten Falle mit der Annahme einer Ge-
schwulst längere Zeit herumgetragen hatte, wenn man
hierbei auch alle Kennzeichen, welche zur Diflferenzirung
von entzündlichen Prozessen dienen, genau in Erwägung
gezogen hatte, und alsdann den Eintritt von Atrophia
bulbi constatirte, dass man sich wieder der Annahme
einer Rückbildung zuwandte, zumal seitdem die Anato-
mie diese Geschwülste aus der Reihe der Carcinome und
Sarcome ausgeschieden und gewissermassen in ein gün*
stigeres Licht gestellt hatte. Nach den jetzt vorliegenden
Beobachtungen, welche den transitorischen Charakter je-
ner scheinbaren Rückbildung genugsam erwiesen haben,
brauche ich auf diesen Punkt nicht weiter einzugehen.
Der erste Eintritt retrobulbärer Fortpflanzung
ist aus den Symptomen äusserst schwer zu erkennen.
137
Sofern nämlicb, wie oben erörtert, die Fortpflanzong
allemal durch den Sehnerv vor sich geht, welcher mehr
als in der Länge in seinem Querschnitte zunimmt, so
wird hierdurch zun&chst keine auffallige Vordrängung
des Bulbus mit der einen oder anderen Nebenrichtung
bedingt, wie es geschieht, wenn gröbere Geschwulst-
massen sich im orbitalen Gewebe niederlassen. Be-
merkenswerth finde ich es indessen, dass, wenn die
Sehnervendegeneration erfolgt ist, vermuthlich wegen
Streckung resp. grösserer Unbiegsamkeit des Nerven,
ein leichtes Hervorspringen des Auges etwa um V4
bis V'^ längs der Orbitalaze und zugleich eine geringe
Steifheit bei den Bewegungen eintritt, so dass das Auge
bei den associirten Impulsen nach allen Richtungen um
ein Weniges znrQckbleibt und auch die Gontractions-
grenzen der Muskeln einen Defect von Vs bis 1''^ er-
weisen. Hierzu kommt, dass beim Gegendruck des Auges
gegen den Grund der Orbita sich ein etwas prallerer
Widerstand als am gesunde Auge zeigt, und dass die
natQrliche Einsenkung (circumbulbäre Grube) zwischen
Auge und Orbitalwand mehr verstrichen ist
Selbstverständlich darf man auch diese Symptome
nur erwarten, wenn bereits eine entwickelte Erkran-
kung des Sehnerven stattfindet, eine beginnende wird
symptomatisch entgehen, aber man wird immerhin Grund
haben dieselbe zu fürchten, wenn die Geschwulstbildnng
im Innern des Auges vorgerückt ist und schon seit län-
gerer. Zeit besteht
Schon diese Befttrohtung macht es räthlich, den Seh-
nerven nicht mit. der Schere hart hinter der Sclera,
sondern, wie ich es bereits anderen Ortes empfohlen
habe, mit dem Neurotom in einem gewissen Abstände
von der Sclera zu durchschneiden. Je älter und vor-
gerückter das intraoculare Uebel ist, eine desto tiefere
Stelle suche man mit dem Neurotom zu gewinnen ; wenn
vollends die Symptome der Sehnervenerkrankung, die
138
ich oben ange^ben habe, bereits Torliegen, 6o schlieBse
man das Nenrotom der Orbitalwand möglichst an, um
mit demselben in die Nfthe des Foramen opticnm zn
gelangen. Die Verletzung der bindegevebigen Theile,
in dieser Weise voUftlhrt, stört die Heilang wenig, und
wenn wirklich zuweilen eine etwas stärkere Infiltration ,
und eitrigere Absonderung der Wunde resnltirt, so ver-
schwindet dieser Nachtheil gegen den Vortheil, sieh
einer reinen Exstirpation mehr zu versichern. Auch wird
die Verletzung*) jedenfalls geringer als wenn wir nach-
träglich den gliomatösen Sehnerven fassen und reseci-
reu müssen. Letzteres soll jedenfalls geschehen, wenn
man den Nervenquerschnitt, mag er tiefer oder ober-
flächlicher liegen, krank oder suspect findet, und es fiust
sich ein gliomatOser Nerv wegen seines meist starken
Volumens und seiner grösseren Steifheit schliesslieh
besser als ein gesunder. Leider muss ich fibrigens be-
kennen, dass, wenn einmal die Degeneration einige
Linien weit vom Bulbus ab sich erstreckt, und in dieser
Strecke sehr ausgeprägt ist, auch fast immer der ganze
orbitale Nerv in geringerem Grade erkrankt ist, so dass
man einen mikroskopisch rdnen Durchschnitt nicht mehr
erreicht Natürlich ist alsdann die Exstirpation als un-
rein zu betrachten und ein baldiges Kecidiv zu progno-
sticiren. Es scheint hiemach, dass die Fortpflanzung
längs des Sehnerven verhältnissmässig rasch vorwärts
geht, und ist dies ein Grund mehr fttr die möglichst
frtthe Exstirpation. Ich hebe dies besonders deshalb
hervor, weil gerade der Satz, dass der Marksehwamm
der Netzhaut zuweilen „Jahre lang schlummere und
dann erst wieder wach werde'*, eine höchst bedenkliche
Exspectative verschulden könnte.
Für die späteren Perioden des Glioms wäre nur zu
erwähnen, dass die Entwicklung, wenn einmal das orbi-
tale Fettzellgewebe mit ergriffen ist, in sehr beschleunigter
*) Du spätere TVagen eines kanitliehen Auges wird dnreli die Re-
seoüoii des Nerren iiieht behindert Doeh gestatte ich es nsch Tu*
noren nicht gern, weil ich das Bedenken habe» dass es mm örtUdhen
BeeidiTe disponirt.
139
Weise vor sich geht, indem multiple Herde, die sich
hier eiDsprengen, rasch zu grösseren Geschwulstmassen
confluiren. Ebenso pflegen die Durchbruchpartien in dem
vorderen Augenabschnitte, wenn solche vorhanden, sehr
rasch an Umfaii^r /.uzunehmen, wobei sich ausser dem
Geschwulstwachsthum selbst auch die hämorrhagischen
uud entzündlichen Infiltrationen betheiligen. Der Knochen
bleibt verhältnissmässig lange intact, dagegen gewinnt
die Neubildung auf der Bahn des Sehnerven das Cavum
cranii, zunächst in continuirlicher Fortpflanzung, zu-
weilen aber auch, und wie es scheint besonders in
der späteren Periode, sprungweise vorrückend. Mir
selbst fehlt es über dieses Krankheitsstadium an
einem ausreichenden anatomischen Material, da ich zu
den betreff^enden Sectionen gewöhnlich nicht gelangte.
£s liegen indessen über die intracranielle Ausbreitung
schon von früherher ausreichende Beobachtungen (beim
Markschwamm) vor*), und bin ich mehrfach Zeuge ge-
wesen, dass Kinder, denen ich gliomatöse Geschwülste
in einer vorgerückten Periode operirt hatte, später an
Himsymptomen zu Grunde gingen. Einen exquisiten
derartigen Fall beobachtete auch B. v. Langenbeck;
die Geschwulst war bis in das Ghiasma vorgekrochen,
alsdann hatten sich massenhafte Herde, mit weissem
Brei gefüllt^ innerhalb der Bchädelhöhle hinzugesellt
Dieselben behafteten besonders in reichlicher Zahl die
c<Nivexe Fläche, und ist deren Abdruck noch jetzt an
dem conservirten Schädel, welchen mir v. Langenbeck
zu überlassen die Güte hatte, durch die entsprechenden
Yeri&rbungen sichtbar.
Noch einmal muss ich hier auf das Factum zurück-
*) Wftrdrop (Beob. Gber dan Fang, baemad., übenetst to^ Ettha.
Leipsig 1817. pag. 17) bat bereiti diese Fortpflaniungeii, in Beiag-
nabme auf mebrere der von ibm mitgetbeilten FfiUe, eingebend be-
sobrieben. Siebe auob Panniiia.
140
kommen, dass nach einmal ausgeprftgter Sehnerven-
entartung die örtlichen Recidive (vom Grande der
Orbita resp. vom Sehnervenstumpfe aasgehend) meist
in sehr karzem Zeiträume, von wenigen Monaten
zum Vorschein kamen. Constant geschah dies, wenn
der Sehnervenqaerschnitt sich nicht als makrosko-
pisch und mikroskopisch rein erwies; aber auch, wenn
nach etwa verrichteter Resection der erreichte Quer-
schnitt sich als rein darstellte, wurden mehrfach schon
innerhalb Jahresfrist orbitale Rückfälle beobachtet. Mög-
licherweise liegt alsdann eine discontinuirliche (sprung-
weise abgesetzte) Erkrankung des Sehnerven vor, so
dass der erreichte Querschnitt in ein verschontes Inter-
vall fiel. Möglich aber auch, dass bereits Ausstösse der
Geschwulstbildung in den zurQckgelassenen Theilen vor«
liegen, welche sich anatomisch noch nicht darstellen;
möglich endlich, dass die unbekannte Ursache, welche
überhaupt das Uebel erzeugt, mag man sie als Dyskra-
sie oder in einer anderen Weise auffassen, sich aufs
Neue in der Nachbarschaft der ursprünglichen Verän-
derung resp. der von der normalen Textur immerhin ab-
weichenden Narbe bethätigt Es wird indessen bei dem
jetzigen Stande der Erfahrung wohl gerathen sein, dieser
letzteren Annahme einen nicht allzu breiten Spielraum
zu gewähren, und die Recidive mehr auf die bereits
kranke Beschaffenheit der zurückgelassenen Theile, sei
sie eine ausgesprochene oder nur im Keime vorhandene,
zurückzuführen, denn abgesehen von der streng localen
Natur der Recidive stellt sich, wie bereits erörtert, eine
äusserst wichtige Differenz in deren Auftreten beziehungs-
weise zur Periode, in welcher exstirpirt ward, heraus.
Mit grösster Achtsamkeit verfolge ich besonders die-
jenigen Fälle, in welchen die Enucleatio bulbi bei
besdiränkter intraocularer Geschwulstbildung und bei
noch völliger Integrität des Sehnerven vorgenommen
141
ward. Ohne über das Schicksal dieser Patienten ein be-
stinimtes Urtheil f&Uen zu wollen, kann ich wenigstens
schon jetzt behaupten, dass Recidive in kurzen Inter-
vallen hier nicht vorkommen. Dies und das Ausblei-
ben von Metastasen an entfernten Orten motivirt ganz strict
den von den Alten f&r den Netzhautmarkschwamm em-
pfohlenen Grundsatz der möglichst frühen Exstirpation,
ein Grundsatz der gerade auf Basis der unleugbaren
diagnostischen Fortschritte auch in diesem Capitel jetzt
weit strenger als froher durchzufahren ist.
Ein für die Gliomlehre wichtiges Phänomen ist die
nicht gar seltene Doppelseitigkeit (im Gegensatz zum
Aderhautsarcom). Einschlägige Beobachtungen sind be-
reits in der älteren Literatur (Wardrop, obs. on fung.
haemat pag. 47, 193, cas. 8 u. 11. Lerche, in ver-
mischten Abhandlungen a. d. Gebiete der Heilkunde von
einer Gesellschaft praktischer Aerzte in St. Petersburg.
Erste Sammlung, pag. 180.) verzeichnet, und habe ich
selbst einiges hierher Gehörige (s. A. f. 0. X. 1, p.216) mit-
getheilt Es sind Fälle vorgekommen, in denen Kinder mit
beiderseitigen, noch streng intraocularem Gliom, jedoch
auf dem einen Auge vorgerückter als dem anderen, dem
Arzte zugeführt werden; ferner solche, in denen das eine
Auge wegen intraocularen Glioms exstirpirt ward, und
emige Zeit später das zweite frQher gesunde an „amau-
rotischem Katzenauge*" erblindete; endlich auch solche,
in denen das erst erkrankte Auge von transitorischer
Phthisis befallen war, während das zweite eine be-
ginnende Gliombildung darbot und in denen dann auf
jenem ersteren bereits extraoculare Fortpflanzung (Or-
bitalgeschwulst) sich einstellte, während das zweite in
transitorische Phthisis überging. Ich möchte für diese
doppelseitige Gliombildung vor der Hand vorwaltend den
Hergang der Symmetrie, wie er sich bei den entzünd-
lichen Prozessen der Augen in einer so eclatanten Weite
142
herausstellt, in Anspruch nehmen. Würden wir, von dieser
symmetrischenDisposition absehend, lediglich auf die gleich-
zeitige oder successiveBethätigung einer Dyskrasie zurück-
gehen, so bliebe hierbei dielmmunität aller übrigen Organe
unerklärt Noch bestimmter aber ist die Annahme zurück-
zuweisen, dass die Degeneration, wenn sie etwa vom ersten
Auge aus in aufsteigender Richtung das Chiasma erreicht
hat, sich dann in absteigender Sichtung auf den Sehner-
ven des zweiten Auges überträgt; denn es fand sich bei
den betreffenden Sectionen (s. den Saun der s'schen Fall,
den Wardrop als cas. 8. mittheilt, ferner den Fall von
Hayes, den W. als cas. 11 wiedergiebt) der Sehnerv
des zweiterkrankten Auges noch völlig gesund, während
die Degeneration den Sehnerven des erst erkrankten
Auges bis zum Chiasma herauf völlig zum Zerfall ge-
bracht hatte. — Fälle, in denen das zweite Auge
amaurotisch erblindet, durch Einwirkung basilarer, vom
ersten Auge fortgepflanzter Geschwulstmassen, wie ich
deren für die Aderhautsarcome angeführt, sind mir bei
Netzhautgliomen noch nicht vorgekommen, wohl aber An-
deren, wie ein Fall von E. Ford (Wardrop's cas. 12)
beweist
Schliesslich ist bei den Gliomen noch die zuweilen
(jedoch nicht gerade häufig) vorkommende Heredität
anzuführen. Es sind bereits von Lerche*) und
dann von Sichel**) Mittheilungen gemacht, welche
das mehrfache Vorkommen in einer und derselben Fa-
milie erweisen. Auch ich habe hiervon zwei Beispiele
aufzuweisen. In dem einen waren von einer grösseren
*) Yermiflohte AbhandluDgen ans dem Gebiete der HeUkunde Ton
einer GeBeUschaft praetiBeher Aerste in St. Petenborg 1821. Brate
Sammlimg Nr. 14. pag. 196.
^*) loonographie p. 574 — 582. Vier Kinder einer FamiUa unter-
lagen dem Netzhantenoepbaloid.
143
Reihe von Geschwistern (6 oder 7) zwei in dem kindli-
chen Lebensalter an Gliom erkrankt, bei einem anderen
Kinde waren mehrere Geschwister der Mutter in den
ersten Lebensjahren am „Augenkrebs'' zu Grunde ge-
gangen. — Die Heredit&t wird zuweilen allgemeinhin
den malignen Geschwülsten zugeschrieben, allein es
scheint, dass sie nur ganz bestimmte und bestimmt lo-
calisirte Species trifft So konnte ich in simmtlichen
Fällen von Aderhautsarcomen nicht ein einziges Mal
durch directe Beobachtungen oder durch Nachforschen
Wiederholungen der Krankheit in einer und derselben
Familie constatiren.
Das Material, auf welchem die vorstehenden Bemer*
kungen fussen, darf nach dem gewöhnlichen Maasstab
sich wohl bereits umfassend nennen; denn es wurden im
Laufe der Jahre gegen 150 Fälle intraocularer Tumoren,
von welchen etwa Va ^^^ Aderhautsarcomen, Vs den
Netzhautgliomen angehören dürften, in meinen Kranken-
journalen eingetragen und über hundert Mal Ezstirpa-
tion solcher Tumoren verrichtet, bei deren anatomischer
Beurtheilung ich mich der Unterstützung von Virchow,
V. Becklingshausen, Klebs, Cohnheim, neuerdings
von Leber und Hirschberg zu erfreuen hatte. Und
doch kann ich nicht leugnen, dass dieses Material lücken-
haft und selbst für die klinischen Hauptfragen unzurei-
chend ist; denn kaum in der Hälfte der zur Operation
gelangten Fälle waren Untersuchungen in längeren In-
tervallen resp. in den ersten Entwicklungsstadien vor-
ausgegangen; in einer noch weit geringeren Quote war
es mir gestattet, die Patienten eine ausreichende Zahl
von Jahren nach der Operation zu verfolgen. So ist
denn die Summe der wirklich vollständigen, vom An&nge
des Uebels bis zum Tode der Patienten fortgeführten
Beobachtungen, auf welche es am meisten ankommt, eine
144
verhältnissmässig beschränkte. Endlich wurden auch
manche Gesichtspunkte, die mir jetzt von Bedeutung er-
scheinen , erst im Laufe der letzten Jahre genauer ver-
folgt. Es könnte sich somit wohl ereignen, dass diese
oder jene der von mir, Qbrigens mit Rückhalt, aufge-
stellten Behauptungen, in Zukunft eine Berichtigung er-
fahre. Allein bei der grossen Haltlosigkeit, in welchem
sich die Lehre von den Geschwülsten in klinischer Be-
ziehung noch befindet, so glänzend die anatomische Seite
sich neuerdings entwickelt hat, scheint mir jedweder
Beitrag, welcher aus vorliegenden Erfahrungen bestimm-
tere Anhaltspunkte f&r die praktische Auffassung herzu-
leiten sucht, berechtigt zu sein. Nirgends thut gewiss,
gerade wegen der UnvoUständigkeit und Abgerissenheit
der meisten Beobachtungen, eine ergänzende Zusammen-
wirkung der Fachgenossen mehr Noth als eben hier, und
es ist, abgesehen von dem Fortschritte in der ganzen
Anschauungsweise schon dies ein hervorragendes Ergeb-
niss der Vi rcho waschen Geschwulstlehre, dass eine
durchgreifende Verständigung über die Natur der Tu-
moren, und hiermit auch eine eigentlich pathologische
Bearbeitung des Gegenstandes möglich geworden ist.
Die gewonnenen Resultate in dieser letzteren Richtung
sind allerdings noch gering, aber es kann dies bei dem
hohen Interesse und den grossen Schwierigkeiten des
Gegenstandes die noch jungen Bestrebungen nur um so
kräftiger anspornen.
F«ll von IGflsbOduiig am Ange.
(Coloboma palpebrae congenitum.)
Von
Prof. Manz in Frdburg.
(Hienu Tifel lY.)
Zur Veröfifentlichung nacherzfthlten Falles von theilwei-
sem Mangel des oberen Augenlides bewog mich nicht
nur der Umstand, dass bis jetzt, soweit mir wenigstens
die einschlägige Literatur bekannt ist, kein gleicher und
nur sehr wenige analoge beschrieben sind, sondern noch
mehr die Belehrung, welche, wie ich glaube, daraus fttr
eine Periode der Ophthalmogenese gewonnen werden
kann, die uns nur in den gröbsten Umrissen bekannt
ist Das Verst&ndniss nachfolgender Beschreibung wird
durch die Abbildung auf Tafel 4 wesentlich erleichtert
werden.
Der Inhaber der zu erwähnenden Missbildung,
Adam Seh. von Unterdihlbach im badischen Odenwalde,
18 Jahre alt, befindet sich seit längerer Zeit im hiesigen
Blindeninstitut, meist mit Korbflechten beschäftigt, in
welcher Kunst er sich vor allen andern Zöglingen her-
AnblT fttr Ovhthftliiiologte, XIV, t. Iq
146
Yorthut Er ist fQr sein Alter gross gewachsen, ziem-
lich kräftig gebaut; sein Schädel ist breit, nicht hoch,
die Haare braun und schlicht, die Stirne niedrig, die
Glabella breit, die Nasenfortsätze des Stirnbeins mächtig
entwickelt. Der meist gesenkte Kopf und die gerunzelte
Stirnhaut verrathen eine stete Besorgniss vor Blendung.
Die Nasenwurzel ist breit, der Nasenrücken flach, sogar
niedriger als jene, der Mund breit, die Zähne ziemlich
schlecht, ausser der an den Augen aber keine Miss-
bildung vorhanden. Augenbrauen zeigen sich nur
am inneren und äusseren Dritttheile der Arcus superci-
liorum (resp. Orbitalränder), im mittleren scheinen die-
selben völlig zu fehlen. Vom oberen Lide ist nun bei-
derseits nur etwa ein Dritttheil vorhanden, und zwar
das äussere (laterale), die medialen zwei Drittel fehlen
fast vollständig. Jeqes, am linken Auge 10, am rechten
12 Mm. breite und beiderseits 7 Mm. hohe Drittel prä-
sentirt sich aber als ein ziemlich regelmässig gebautes
Augenlid, versehen mit einem Tarsus und etwa 15 Cilien,
die am eigentlichen Lidrand stehen, an dem auch eine
etwas unregelmässige Reihe von Mündungen die Anwe-
senheit der Meibom'schen Drüsen anzeigt, während eine
ziemlich kräftige Hebung des defecten Lides auf die
Existenz eines Levator schliessen lässt. Jenes Lid setzt
medial mit einem wulstigen Rand plötzlich ab, an wel-
chem noch einige etwas feinere, eben dahin gerichtete
Wimpern sitzen; die Ecke, in welcher der eigentlich freie
Lidrand und dieser mediale zusammenstossen, ist stumpf;
das ganze vorhandene Lid etwas dick und steif An
der Stelle, wo das obere Lid fehlt, liegt aber der Bulbus
nicht bloss, sondern hier setzt sich aus der Stirnhaut ein
Hautlappen, der von oben und etwas von innen kommt,
direkt auf die Hornhaut fort, über deren grösste Ober-
fläche er sich ausbreitet, und mit welcher er theilweise
verschmilzt. Derselbe misst an seiner Basis (Wurzel) auf
147
dem linken Auge 13 Mm., auf dem rechten 11 Mm., ver-
schmälert sich etwas nach nnten nnd verschmAchtigt sich
zugleich hedeutend, wenigstens in seinem Gutistheile
während die Epidermis mit mehreren bei Aufwärtsbewe-
gung des Anges gebildeten Querfurchen noch in ziem-
licher M&chtigkeit bis zum unteren Dritttheil der Cornea
herunterzieht Diese Hautbrücke liegt nicht etwa Qber
den Bulbus flach ausgebreitet, sondern ragt mit freien,
nach beiden Seiten scharf abgesetzten Bändern über den-
selben hervor; ihre untere Wurzel, mit der sie auf der
Sclera aufsitzt, ist schmal, verläuft in einer Bichtung so
ziemlich gerade von vom nach hinten, und ist bekleidet
mit einer zarten Membran, welche ganz den Charakter
der Coujunctiva bulbi oder des „Uebergangstheils" be-
sitzt, in welche dieselbe ohne weitere Abgrenzung
übergeht Der Zusammenhang des defecten Augenlides
mit dem beschriebenen Hautlappen liegt erst in der Nähe
des Orbitalrandes. Meine Versuche, mit der Sonde unter
der Hautbrücke durchzukommen, gelangen nicht, es ist
dieselbe also, so beweglich sich der Bulbus auch unter
ihr zeigt, doch durchweg mit der Sclera verbunden. Die
Hornhaut stellt eine sehr niedrige Pyramide dar, mit
breiter, unebener Spitze; eigentlich sind aber von der-
selben nur zwei Drittel ihres Umfanges zu sehen, der
obere Theil ist von dem Hautlappen bedeckt, und
auch von dem sichtbaren Theil ist nur die Bandpartie
durchscheinend, von einem wenigstens corneaähnlichen
Aussehen; eine normale Stelle der Hornhaut ist beider-
seits nicht vorhanden; fast alles ist von einem rissigen,
da und dort sich abstossenden, weisslich-grauen, epider-
moidalen Epithelium bedeckt, das, von einigen Gefässen
durchzogen, direct in die Epidermis der Augenbrauen-
gegend sich fortsetzt In der Nähe dieses Uebergangs
erkennt man eine etwas unregelmässige, einen flachen,
nach oben convexen Bogen bildende Beihe von feinen,
10»
148
kurzeo, zusamniengekrümmten Härchen, welche von aus-
sen und oben nach innen und unten sieht und etwa l"'
über dem oberen Thränenpunkt endet. Diese Härchen-
reihe ist rechts viel deutlicher ausgebildet als links, wo
nur einzelne, ganz kleine zu erkennen sind. Die Rand-
partie der Hornhaut, durch welche die Iris bläulich durch-
schimmert, erscheint, mit der Loupe betrachtet, eben-
falls von einem etwas trüben Epithel überzogen, in und
unter welchem sehr viele Gefässe in radiärer Richtung
und sich in steifen Gabeln theilend gegen das Centrum
der Cornea verlaufen. Ausser diesen aus dem episcle^
ralen Bindegewebe ganz in der Nähe des Hornhautrandes
auftauchenden Gefässen fällt ein Bündel besonders auf,
wahrscheinlich der Mehrzahl nach aus Venen bestehend,
welches von unten und aussen aus dem Uebergangstheil
heraufläuft, einige Reiser dem Homhautrand entlang, ein
anderes quer über die Hornhaut hinüberschickt, wo ihm
ein von der inneren Hornhautgrenze kommendes begeg-
net, so dass quer über die Hornhaut herüber eine Ge-
fässbrücke hergestellt ist Ein wesentlicher Unterschied
besteht auch für diese Vascularisation nicht auf beiden
Augen, nur zeigt das linke überhaupt etwas mehr Ge-
fässe; Lage und Verlauf derselben sind aber beiderseits
gleich. Die Sclerotica hat eine schmutzig* weisse, etwas
in's Grünliche spielende Farbe. Von der Iris ist nur ein
schwacher bräunlich blauer Schimmer, von der Pupille,
selbst bei starker Beleuchtung der Hornhaut, Nichts zu
sehen, doch scheint die vordere Kammer ziemlich tief
zu sein. Die Conjunctiva palpebralis befindet sich
im Zustande des chronischen Catarrhs, zeigt starke
Schwellung und ein Ectropium am unteren Lid; der un-
tere Thränenpunkt ist kaum mehr zu finden, dagegen er
scheint der obere an der Spitze einer stumpfkegelför-
migen, von Schleimhaut überkleideten Papille, welche ge-
wissermassen das isolirte innere Ende des Oberlids be-
149
zeichnet; das betreffende Thr&nenröhrchen ist eng, aber
permeabel. An dem Vorhandensein der Thränendrttse ist
nicht zu zweifeln, zumal da Patient versichert, schon oft
geweint zu haben. Die Caroncula lacrymalis liegt sehr
tief, an der inneren Augenhöhlen wand. Die Beweglich-
keit des Bulbus ist nach allen Seiten gehemmt, am
meisten für das linke Auge, wenn nach links, fUr das
rechte, wenn nach rechts gesehen wird, da sich hierbei
die Hautbrücke am st&rksten spannt; übrigens ist auch
das Abwftrtsschauen dadurch sehr beeinträchtigt. Die
gewöhnliche Stellung der Augen ist eine etwas nach ein-
und aufwärts gerichtete, wobei eine stärkere Convergenz
dem linken Auge zufällt; das binoculäre Gesichtsfeld ist
aus diesen Gründen ein sehr beschränktes. Interessant
ist die Beobachtung der Schliessung der Augen: der
gewöhnliche Lidscbluss ist ein unvollständiger, indem
zwischen dem inneren Band des defecten Oberlids
(Lateralrand des Golobom) und dem inneren Augen-
winkel eine kleine Stelle des Bulbus unbedeckt bleibt,
welche der unteren Partie der Cornea entspricht. Der
for^irte Lidscbluss geschieht durch Beiziehung der Haut
von allen Seiten her, wobei dann namentlich das untere
Lid stark in die Höhe rückt (was übrigens auch beim
Aufwärtssehen der Fall ist, wobei die Thränenpapille sich
ganz nach hinten richtet), während der Band des Ober-
lids darüber herunterhängt.
Nach der gegebenen Beschreibung und einen Blick
auf die Abbildung würde man dem Patienten wohl nur
ein recht schlechtes, vielleicht gar nur quantitatives Seh-
vermögen zutrauen; dem entspricht aber zum Glück die
Probe nicht. Dieselbe ergibt für das rechte Auge ein
Fingerzählen auf 3', wobei der Kranke die innere Horn-
hautpartie, für das linke auf 2', wobei er die äussere
Rornhautpartie dem Objecte entgegenstellt. Entferntere,
150
grössere Gegenstande, Bäome, Menschen u. s. w. werden
in undeutlichen Umrissen erkannt Gläser verbessern
das Sehen nicht, auch durch stenopäische Vorrichtungen
wird dasselbe eher beeinträchtigt; dem entspricht, dass
der Kranke bei hellem Wetter besser als bei dunklem
zu sehen angiebt. In Bezug auf den „Verlauf* ist zu
bemerken, dass jener versichert, in der Kindheit viel
schlechter als jetzt gesehen zu haben.
Von fünf Geschwistern, welche er hat, erfreuen sich
alle guter Augen und einer normalen Körperbildung,
auch von seinen Eltern weiss Seh. nichts Anderes. Was
seine geistigen Fähigkeiten betrifft, so gehört unser Pa-
tient zu den intelligenteren Zöglingen des Instituts; dass
er in seiner Handarbeit sich vor den andern auszeichnet,
verdankt er seinem relativ ordentlichen Sehvermögen.
Oben beschriebene Missbildung an den Augen des
A. Seh. ist also im Wesentlichen ein Defect am Oberlide
(Colobom) und eine Verwachsung der äusseren ELaut mit
der Hornhaut Dass es sich hier nicht um Resultate
eines pathologischen Prozesses post partum handelt, das
bedarf wohl keines besonderen Beweises; es genügt, um
jeden solchen Verdacht sofort abzuweisen, der erste Blick
auf die vollkommene Symmetrie, welche auf beiden Augen
besteht, wie sie ein etwaiger EntzQndungs- oder Ver-
schwärungsprocess niemals herstellen würde. Ebendiese
Symmetrie spricht aber auch, wie ich glaube, ebenso
nachdräcklich gegen die Annahme, dass eine intra-uterine
Krankheit der Sache zu Grunde liegt, wenn auch bei
solchen, da äussere, zuftllige Einflfisse meistentheils aus-
geschlossen sind, eine analoge, bilaterale Erkrankung
gleichen Grades nicht so selten beobachtet wird. Wollten
wir aber auch eine solche fötale Erkrankung einen Augen-
blick annehmen, so würden wir alsbald in Verlegenheit
gerathen, dieselbe näher zu präcisiren: eine theilweise
Zerstörung des Oberlids, etwa in Folge von Gangrän,
151
und nachfolgende Verwachsung der Hornhautoberfläche
mit der Stimhaut mit völliger Erhaltung des Bulbus —
das wäre doch ein ungereimtes Krankheitsbild, zu dem
wir uns nur dann verstehen würden, wenn uns jede an-
dere Erklärung fehlte. Betrachten wir die Sache statt
dessen als eine Missbildung im engeren Sinne, suchen
wir jene Erklärung in der Entwicklung des Auges, so
erhalten wir eine bessere, wenn auch keine völlig ge-
nügende. Leider hat die Entwicklungsgeschichte des Seh-
organs, so bedeutend auch einige neuere dahin gehörige
Arbeiten sind, doch noch manche empfindliche Lücken
gelassen, wo wir uns bis jetzt noch mit ganz allgemeinen
Umrissen der Formung begnügen müssen, oder wo uns
überhaupt noch jedes sichere Beobachtuugsresultat fehlt,
— und in eine solche Lücke hinein fällt, wenigstens
theilweise, auch die uns vorliegende Missbildung, wie
aus dem Nachfolgenden hervorgehen wird.
lieber die Entwicklung der Augenlider finden wir,
wie Qs die relative Leichtigkeit der Beobachtung kaum
anders erwarten lässt, eine ziemliche Uebereinstiromung
der Autoren, welche sie aus eigener Anschauung be-
schrieben haben. Der Beginn der Lidbildung wird von
den meisten ungefähr in den dritten Monat verlegt, von
V. Ammon*) noch etwas weiter zurück, an das Ende des
zweiten Monats; doch ist er über das Alter des betref-
fenden Fötus nicht ganz sicher. Nach diesem Autor,
dem wir die ausführlichste Beschreibung verdanken, ent-
steht zuerst das untere Augenlid „als ein concav nach
oben, convex nach unten gestellter Hautwulst, der rechts
und links sich erstreckt, neben sich eine Querfalte bildet.
*) T. Ammon, „Die SBtwieklnngBgesohiohte des meneehliolien
Angeld S. diefee Archir» Bd. lY., Abth. 1.
162
Das ist meistens auf beiden Kopfeeiten des Embryo deut-
lichst zu sehen, bisweilen jedoch ist die eine Seite der
andern in der Bildung voraus*'.
Bald darauf, muss man annehmen, entwickelt sich
auf gleiche Weise das obere Lid, wie v. Ammon"^)
Taf. I. 8. b von einem Embryo aus dem Anfange des
dritten Monats gezeichnet hat.
Die Augenlider umschliessen den Bulbus anfangs
concentrisch, als circulaer gestellte Falten, erst sp&ter
bildet sich, durch Fizirung des inneren Augenwinkels an
den Orbitalrand (v. Ammon**), eine querliegende Augen-
lidspalte, welche wegen der Kürze der Lider klafR;, bis
diese sich etwa zu Ende des dritten Monats, zum Theil in
Folge ihres Wachsthums, zum grösseren Theil aber wegen
Zurücksinken des Augapfels in die sich in dieser Zeit
bildende Orbita mit den freien Bändern berühren und
dann für längere Zeit die Lidspalte geschlossen halten.
Dieser Schluss, der, wie die meisten neueren Autoren
annehmen, beim Menschen nicht durch Verwachsung, son-
dern nur durch Verklebung, nach Arnold***) wahr-
scheinlich durch das Secret der Meibom'schen Drüsen
erfolgt, ist nach Schweigger-SeideTst) neueren, ge-
naueren Untersuchungen doch etwas mehr, indem die
zwischen jene sich eindrängende Epidermisschicht in sich
Organe entwickelt, welche später integrirende Bestand-
theile der Lider ausmachen: nämlich die Gilien und die
Meibom'schen Drüsen. Durch Ausbildung der Ausfüh-
rungsgänge der letzteren wird die Zwischenschicht („ver-
einigende Zellschicht'') selbst angegriffen und beschränkt
*) T. Ammon, 1. c.
••) L. c p. 20.
***) Friedr. Arnold, „Anatomitohe nnd phjtiologifolie Unter-
snohongen ttber du Ange des Mentohen", p. 155. Heidelberg 1882.
t) Virohow'B ArduT XXXYIL, p. 228.
163
sich schliessIiGh auf die schmale Strecke zwischen den
Cilien und Oeffnungen der Meibom'schen Drflsen, die
dann wohl meistens bei Gelegenheit der Geburt leicht
gelöst wird.
Betrachten wir, mit diesen einfochen Thatsachen der
Augenlidbildung uns begnügend, nun unsern Fall, so
finden wir in der ganzen Reihe derselben kein Stadium,
welchem er entspräche, welches der Hauptsache nach in
der Entwicklung stillstehend als ein so scharf umschrie-
bener Defect des Oberlids, als ein Colobom desselben
später sich zeigen könnte. Da das Lid zu keiner Zeit
aus zwei seitlichen Hälften besteht, so kann eine senk-
rechte Lidspalte nicht ein Stehenbleiben auf einer frühen
Entwicklungsstufe bedeuten. Wir müssen also annehmen,
dass die Bildung des Lids im Falle eines Coloboma ein
ausnahms weises, specielles Hinderuiss fand, und gerade
unser Fall lässt uns, wie ich im Nachfolgenden darzuthun
versuchen werde, jenes Hinderniss am leichtesten in
einer Verbindung der äusseren Haut mit dem Bulbus
(resp. der Cornea) finden, welche entweder an und für
sich eine Abnormität war, oder es wenigstens durch ab-
norm langes Bestehen geworden ist. Befragen wir nun,
um über dieses Verhältniss klar zu werdexi, wiederum
die Entwicklungsgeschichte des Auges, so bemerken wir,
dass sie geradezu in Betreff der Punkte ungenau und
unvollständig geblieben ist, welche hierbei in Frage
kommen müssen, ich meine die Bildung der äusseren
Umhüllungshaut des Auges (Cornea, Sclera) und das
Verhalten der äusseren Haut (soweit eine solche schon
existirt) bei und namentlich nach der Anlage der Linse.
Es mag wohl theil weise in der Schwierigkeit der Be-
obachtung liegen, welche diese Verhältnisse bieten, dass
wir darüber nur so spärliche Kenntnisse besitzen, allein
der tiefere Grund dafür scheint mir der zu sein, dass
eben ein wichtiges Ereigniss, wie die Linsenbildung, das
154
ganze Interesse der Forscher absorbirte, die sich zur
Hauptaufgabe machten, die merkwürdige Huschke 'sehe
Entdeckung zu controlliren, während die neuesten Unter-
suchungen, wie das dem Gange der Embryologie ent-
sprach, fast ausschliesslich der Histogenese, namentlich
der inneren Theile des Augapfels zugewendet waren.
Stellen wir kurz zusammen, was die Literatur als Ant-
wort auf obige Fragen bietet, so bestätigen alle Beo-
bachter, dass in der ersten Zeit das Auge (die primäre
Augenbhise) von der primitiven EörperhüUe einfiich über-
zogen ist, was eigentlich kaum anders sein kann; schon
über das Verhalten nach Bildung der Linse aber stimmen
die ohnehin seltenen Beobachtungen nicht überein. Wäh-
rend nämlich Bemak*) behauptet, die Augen seien nach
jenem Ereigniss nur vom Hornblatt bedeckt, in welchem
der zur primären Linseuhöhlung führende Kanal eine
Zeit lang persistirt, hält KOlliker**) es für wahr-
scheinlicher, dass auch die Cutis in jenem lieber-
zug enthalten sei, so dass die Eop^latten nicht, wie
Remak meint, an der Stelle des Auges unterbrochen
seien. Unser Fall ist, denke ich, recht sehr geeignet,
diese Kölliker'sche Annahme zu illustriren. Der Zu-
sammenhang zwischen dem eigenthümlichen Hautlappen
und der Hornhaut ist, so mächtig auch die Epidermis
auf der Oberfläche der letzteren entwickelt sein mag,
doch im Wesentlichen durch das Bindegewebe der G^tis
vermittelt, jene Verbindungsbrücke gehört auch nach
äusserem Ansehen und Structur so vollständig der Cutis
an, geht auch so direct in die Conjunctiva über, dass
diese, wie im normalen Fall, eben nur eine Modification
jener vorstellt Umgekehrt ist aber auch nur jene
*) Bemak, „ üntenuehiiiii^eii ttber die Entwicklnng der Wirbel-
tbiere**, p. 91.
*«) KSUiker, ,,KBtwickliuigtgeieliielite'', p. 276.
1&6
Kölliker'sche Annahme im Stande, die uns vorliegende
Thatsache ao&ukl&ren, da wir gezwangen sind, einen
primftren Zasamm^ihang der äusseren Haat (Cutis) mit
der Cornea zu supponiren, wenn wir nicht zu der a pri-
ori so aweifelbafteii Erklärung durch eine pathologische
Verwachsung unsere Zuflucht nehmen wollen. Wir sehen
die fragliche Missbildung mithin als eine primäre, nor-
mal bestehende Verbindung an, die entweder nicht gelöst
worden ist oder eine von der Norm abweichende histo-
logische Umwandlung erfahren hat Es bleibt nftmlich
noch immer die Frage offen, ob die das Sehorgan ur-
sprünglich deckende Partie des Körperüberzugs auf der
Oberfläche des Augapfels ein&ch atrophirt, oder nur eine
histologische Metamorphose erleidet, die derselben den
Charakter der Bindehaut verleiht Die letztere Annahme
scheint um Vieles wahrscheinlicher, als die erstere, wenn
schon die Beobachter von einem Dünnerwerden jener
über dem Bulbus liegenden Hautpartie reden, da einer-
seits ein zeitweiliges Biossliegen der Sclerotica weder
beobachtet, noch a priori wahrscheinlich ist, andererseits
die secundäre Entstehung einer Conjunctiva nach Ent-
wicklung der Lider und Bildung des späteren Bindehaut-
sackes nicht annehmbar erscheint, wobei natürlich spä-
tere histologische Differenzirungen jener Membrane nicht
ausgeschlossen sind. In beiden Blättern der Bindehaut,
dem sogen, „parietalen und visceralen" mag immerhin
^ die histologische Entwicklung eine ungleichzeitige sein,
wie wenigstens v. Ammon*) behauptet, dass im dritten
und vierten Monat die Coi^junctiva bulbi schon sehr „aus-
gebildet", die C. palpebralis dagegen in ihrer Ausbildung
noch zurück sei. Mag übrigens das weitere Schicksal
der ursprünglichen Verbindung der Eörperdecke mit der
•) L. c p. 22.
166
Oberflfiche des Baibus eine Lösung derselben^ oder, wie viel
wahrscheinlicher ist, nur die Umwandlung zu einer, der spä-
teren Conjunctiva bulbi ähnlichen Membran sein, so ist jeden-
falls die cutisartigeMetamorphose eines Theils jenes Zu-
sammenhangs, ein abnormer Vorgang, der eine defective
Entwicklung des Lids, in unserem FaUe der Lage jener ab-
normen Verbindung gemäss, des oberen zur Folge haben
musste. Dasselbe konnte sich nur soweit gestalten, als jene
Baum dazu liess, nämlich nach aussen und innen von jener
Brflcke, an welch' letzterer Stelle allerdings nur noch
der mediale Rand des Lids mit dem ThränenrOhrchen
Platz fand. Die in der Beschreibung erwähnten unregel-
mässigen Reihen von kurzen, gekrümmten Härchen,
welche besonders auf dem rechten Auge auf jenem Haut-
lappen sitzen, sind wohl ffir verkümmerte Cilien zu halten,
die später sich hier unter ungünstigen Verhältnissen
entwickelt haben. Die Frage, warum die ursprüngliche
Verbindung zwischen Hautdecke und Bulbusoberfläche
sich gerade nur am oberen Theil dieser so eigenthümlich
modificirt hat, müssen wir freilich ganz unbeantwortet
lassen; die nach v. Ammon etwas früher begin-
nende Erhebung des unteren Lids, eine ohnehin un-
sichere Beobachtung, giebt uns keine Erklärung, auch
unsere sparsamen Kenntnisse der embryonalen Gefiissver-
hältnisse in der Augengegend (Gefässkranz um den
Bulbus) reichen dazu nicht aus. Der abnorme Entwick-
longsvorgaug brauchte natürlich auf die Entwicklung des'
Bulbus selbst keinen störenden Einfluss auszuüben, wie
denn auch in unserem, so auch einigen anderen analogen
Fällen eine abnorme Bildung desselben nicht beobachtet
wurde; wie es im Innern aussieht, konnten wir bei der
geringen Durchsichtigkeit der Cornea schwer erfahren,
doch erlaubt wohl das relativ gute Sehvermögen un-
seres Patienten gröbere Missbildungen auch hier auszu-
schliessen.
157^
Es sei gestattet, bevor wir uns, nach dem oben be*
schriebenen fihnlichen Falle, in der Literatur umsehent
in kurzen Worten unsere Ansicht ttber das Wesentliche
der beschriebenen Missbildung zusammenzufassen. Wir
halten dieselbe fQr begründet in einer histologisch -ab-
normen Umbildung einer ursprQnglich zwischen Oberflftche
des Augapfels und der allgemeinen Körperdecke beste-
henden novmalen Verbindung, welche die Ausbildung
eines vollständigen Oberlids verhindert hat
Die ältere, MissMldungen am Auge betreffende, Lite-
ratur enthält wenig, was das Verständniss unseres Falles
zu erweitern geeignet wäre; doch wollen wir einige Be-
obachtungen nicht übersehen, welche dadurch merkwür-
dig sind, dass sie gewissermassen ein Verharren auf jener
frühesten Stufe der Beziehung zwischen Eörperdecke und
Sehorgan darstellen. In diesen drei Fällen, von welchen
der eine von Vicq d'Azyr, der andere von Sprengel,
der dritte von Rudolfi beschrieben ist, „ging die Haut
von der Stirn ununterbrochen und unverändert in die
Wangen fort", woran, wie Arnold*), der diese Publi-
catiouen zitirt, (die Originalarbeiten sind mir leider nicht zu-
gänglich gewesen) vermuthet, die mangelhafte Entwicklung
des Augapfels die Schuld ge^vesen sei, obgleich er selbst
zugiebt. dass die Ausbildung der Lider nicht nothwendig
die des Bulbus voraussetzt, wofür eine Reihe von Be-
obachtungen aus älterer und neuerer Zeit den Beweis
liefern. So besassen, um nur einige der neuesten anzu-
führen, augenlose Missgeburten, die von Mooren**) und
Köder***) beschrieben worden sind, vollkommen ausge-
bildete Augenlider; Reste von solchen fanden sich auch
an dem theilweise scelettirten Kopf eines augenlosen
•) Arnold 1. o p. 145.
**) Mooren, y^Ophthalmiatrische Beobachtungen", p. 41.
•*•) Zehender's „Klinische MonaUbl&tter", 1S6S, p. 494.
168
Mädchens, welcher in der hiesigen anatomischen Samm-
lung aufbewahrt wird. Fälle von onvollständig ent-
wickelten Augenlidern, meist mit rudimentärem Bulbus,
sind einige publicirt, so einer von Seiler*), wo jene
kaum 1''' hohe, haarlose Hautfalteu vorstellten, zwischen
welchen eine breite Lidspalte den Einblick in den Binde-
hautsack gestattete. Wenn der Verf. hierbei von einem
ununterbrochenen Uebergang des Hautgewebes vom obem
in das untere Lid spricht, so ist das natürlich nicht im
Sinne der oben citirten Fälle und unserer froheren Dar-
stellung zu nehmen, da ja ein ausgebildeter Bindehant-
sack vorhanden und nur seine Form durch die rudimen-
täre Bildung des Bulbus eine abnorme war. In einem
andern Falle, den derselbe Autor beschreibt**), waren
die Lider ein wenig höher (IVs^'O und umfassten die
grossen Augäpfel „wie die Eichel ihre Schale''; die bei-
gegebene Abbildung lässt uns aber doch deutlich beide
Commissuren erkennen. Rudolfi betrachtete bei einem
menschlichen Monstrum eine gelappte Form der Lider.
Vollständiger Mangel derselben (Ablepharie) ist eben&lls
mehrmals gesehen worden, meistens in Verbindung mit
Anophthalmie oder einem verkümmerten Bulbus, vcm
Friderici***) aber auch bei vorhandenen Augäpfeln;
nach Cornazf) aber fehlten die Lider in diesem Falle
nicht ganz, sondern umgaben den Bulbus als kleine Haut-
wülste.
Unter den weniger extensiven, angeborenen Defecten
der Augenlider stossen wir nun auf das sogenannte Co-
*) Seiler, „ Beobaohtiuigen ursprünglicher Bildangtfehler und
gänzlichen Mangels der Augen*'.
*•) L. c. p. 7.
*♦♦) Seiler, l c p. 88.
t) Ed. Gornaz, „Des abnormit^s cong^niales des yeuz et de leurs
annezes", p. 44.
169
loboma palpebrale; no bftnfig daBselbe als acqairirtes,
traamatischea dem Wondarzte begegnet, so selten findet
es sich, wie es scheint, als angeborene Missbildang.
0. Becker*) hat gelegentlich der Veröffimtlichnng einer
eigenen einschlftgigen Beobachtung die in der Literatur
vorfindlichen Fälle aofgesacht ond fand deren nur fünf;
dazu kommt als sechster der von ihm beobachtete, als
siebenter ein von Horner**) beschriebener und abge-
bildeter Fall. Alle diese Golobome kamen nur auf einer
Seite, und den von v. Graefe beschriebenen Fall ausge-
nommen, nur an einem Lide und zwar am oberen vor;
die von mir abgebildete Missbildung unterscheidet sich
also von den schon früher bekannten dadurch, dass sie
eine doppelseitige ist, stimmt aber mit der grössten
Mehrzahl derselben darin überein, dass sie das Oberlid
betrifft. Die übrigen Aehnlichkeiten oder Verschieden-
heiten in Bezug auf rechts- oder linksseitige Lage, Gom-
plicationen etc. aufsuzfthlen, unterlasse ich, da Becker
schon eine solche Vergleichung angestellt hat, dann auch,
weil mehrere jener Eigenthtbnlichkeiten fQr uns noch
ganz unverständlich sind. Nur auf ein Moment möchte
ich die Aufmerksamkeit des Lesers lenken, das uns in
Bezug auf das Zustandekommen des Coloboms vorzugs-
weise interessiren muss, ich meine das Verhalten des de-
fecten Lides zur Com'unctiva und Hornhaut Da aber
dieses Verhältniss für die früheren Beobachter ein Gegen-
stand besonderen Augenmerks nicht war, so finden wir
in ihren Beschreibungen darüber keine oder nur spär-
liche Andeutungen. Was zunächst das Vorhandensein
eines zwischen den Schenkeln des Coloboms liegenden
Mittelstückes betrifft, so ist ein solches eigentlich nur
*) 0. Becker, „Aogeborenei Colobom des linken oberen Augen-
lids", Spitaheitang 16, 17, IS. 1S63.
**} Homer in Zehender'g klin« Monateheften 1868, p. 190.
16()
in den zwei neuesten Beobachtungen erwähnt; im
Becker 'sehen Falle hatte dieser Hautlappen die dop-
pelte Dicke und die halbe Länge eines normalen Lides,
eine stumpf-dreiseitige Form, keine Cilien und keinen
Tarsus, wie eine nach der Operation angestellte Unter-
suchung nachwies. Im Homerischen Falle lag im Co-
lobom ein rudimentäres MittelstQck, ein HautklQmpchen
mit langen weissen Cilien besetzt. Ueber die Verbindung
des Mittelstflckes mit dem Bulbus spricht sich keiner
der Autoren besonders aus, wie ja eines solchen über-
haupt nur in den beiden neuesten Beobachtungen
(Horner, Becker) gedacht wird, obschon kaum anzu-
nehmen ist, dass dasselbe in den früheren Fällen ganz
gefehlt haben sollte; es ist jedoch nicht zu zweifeln, dass
dieselbe durch eine Art von Conjunctiva vermittelt war,
wie denn auch Becker erwähnt, dass der Hautlappen
aussen von der Cutis, innen von der hypertrophischen
Schleimhaut überzogen gewesen sei, „die an den Bändern
des Lappens nach aussen übergeht, und ihn so mit einem
dunkelrothen Saum einfasste — ''; Cilien trug weder jener
noch die Ränder der Spalte. An ein eigentliches Bioss-
liegen der oberen Fläche des Bulbus ist also nicht zu
denken, dass aber fast alle Beobachter angeben, man
habe jene Fläche, also doch wohl einen Theil der oberen
Scleralpartie in grösserer Ausdehnung sehr gut sehen
können, beweist, was mir wichtig scheint, dass auch das
obere Ende des Coloboms eine gewisse, nicht unbeträcht-
liche Breite gehabt habe, was denn auch von Becker
besonders betont wird, indem er sagt: „Die Ränder
derselben (der Spalte nämlich) näherten sich nach oben
zu nicht, convergirt«n nicht, sondern wurden durch den
erwähnten Hautlappen auseinandergehalten, der von oben
her zwischen die Spaltränder sich eindrängte, so dass
diese Ränder nahezu parallel standen ''. Von v. Ammon
und C unier wjrd dem Colobom eine V förmige Form
161
zngeschriebeu, allein beider Beschreibung ist nicht klar
genog, am uns eine vollständige Einsicht in das uns zu*
meist interessirende Verhalten zu gestatten.
Sehen wir uns nach dem Zustande um, in welchem
die Hornhaut in den bekannten F&llen von angeborenem
Golobom gefunden wurde, so war sie im Beer'schen kegel-
ftrmig und durchsichtig, im t. Ammon'schen sehr ab«
geflacht und von oblonger Gestalt, im v. Graefe 'sehen
sass ein kleines Dermoid am inneren Homhantrand, im
Homerischen war ein dem inneren, unteren Hornhaut-
quadranten angehöriges Leucom vorhanden, ein Residuum
einer eitrigen Keratitis, wie er angiebt, im Becker'schen
endlich fanden sich kleine, weisse Maculae als Beste
wiederholter entzflndlicher Prozesse. Heyfelder und
G unier gedenken keiner Abnormität der Cornea. Vor-
bildungen des Bulbus sind erwähnt von Hejfelder (Ab*
flachung des oberen Segmentes) und von v. Ammon
(Mikrophthalmus). Eine aufiallende Zugabe waren im
Homerischen und Beck er 'sehen Falle OeschwQlste im
Bindehautsack, von welchen die in der Nähe des Hom-
faautrandes oder an diesem sitzenden die Charaktere eines
Dermoids zeigten (Homer), während die von der Cor-
nea entfernteren sich als Lipome erwiesen (Becker,
Homer). Wenn auch nicht flbersehen werden darf,
dass in diesen Fällen auch an dem zweiten Auge ohne
Colobom solche Tumoren vorkamen, so möchte ich des*
halb doch nicht ohne Weiteres einen genetischen Zu-
sammenhang zwischen dieser und jener Missbildung ab-
weisen, da es sich denn doch dabei um eine abnorme
Entwicklung von cutisartigen Gebilden während des Em-
bryonallebens handelt, also im Wesentlichen um ganz
denselben Process, den nach meiner Auffassung eine
Partie der das embryonale Auge deckenden Haut durch-
macht, dessen Product dann der zwischen den Rändern
des Coloboms liegende Hautlappen vorstellt.
ArikiT nr OpkttelMoloste^ ZIV. I. 11
162
Werfen wir noch einen Blick auf die Erklärungs-
versuche, welche frühere Autoren für das Zustande-
kommen des Coloboma palpebrae beigebracht haben, so
finden wir, abgesehen von der sublimen Theorie von
Himly jun.*), der dasselbe als das Resultat „eines
übermässig langen Wirkens des primitiven Dualismus '^
betrachtet, nur die Behauptung, dass dasselbe eine
„Hemmungsbildung'' sei. Legt man hierbei besonderes
Gewicht auf die, wenigstens in den neuesten Beobach*
tungen, constatirte Verbindung des defecten Lids mit dem
Bulbus, so möchte es scheinen, dass die Missbildung im
Wesentlichen als ein partielles, angeborenes Symblepharon
anzusehen sei. v. Ammon '*'''') hat sich gegen das Vor-
kommen eines solchen als eines Bildungsfehlers auf Grund
seiner Beobachtungen über die Lidbildung und der Unter-
suchungen von Seiler mit ziemlicher Bestimmtheit aus-
gesprochen. Wir brauchen uns übrigens seiner Beweis-
fOhrung für unsern Fall nicht einmal anzuschliessen, da
von einem Symblepharon wohl nicht gesprochen werden
kann, wo jenes Mittelstück des Coloboms eben kein
Augenlid ist
Das Golobom selbst aber, die Spalte, kann, wie wir
schon oben angedeutet haben, nicht ein Stehenbleiben
auf einer früheren Entwicklungsstufe bedeuten, wie das
im Begriff einer „Hemmungsbildung^' eingeschlossen ist
Gegen eine solche Auffassung des Coloboms spricht sich
auch Becker***) aus und bezeichnet dasselbe einfach
*) K. Himly, ,4^e Krankheiten und Hiisbildangen des mensch-
liehen Aoget und deren Heilung", herausgegeben von G. A. W. Himly,
p. 119.
^ T. Ammon, „Das Symblepharon", Dresden 1884, p. 6.
*^ L. e. p. 197. Himly meint allerdings, es konnten sich die
Augenlider auch einmal ausnahmsweise aus iwel seitlichen H&lften
entwi^eln — natfirlieh seiner Theorie zu Uebe.
als „Vitium primae formatioois''. Wenn wir trotzdem
OBserem FaUe den Namen einer Hemmongsbildang geben
wollten, so könnte das, wie ans obiger Auseinander-
setzung hervorgeht, nur in einem ganz anderen Sinne
geschehen, indem dadurch ausgedrückt würde, dass die
Lidbildung durch eine abnorme Metamorphose der ur-
sprünglichen Hautanlage in der Gegend des Auges „ge-
hemmt"' wurde.
11*
Beitrage zur KenntiuBS der atrophischen Ver-
jlnderungen des Sehnerven nebst Bemerkungen
über die normale Stmetar des Nerven.
Von
Dr. Th. Leber.
(Hienu Abbildungen auf Tafel IV— VI.)
Jjie Eenntniss der anatomischen Veränderungen, welche
der Sehnerv bei den Processen Erleidet, welche sich
ophthalmoskopisch unter dem Bilde der weissen Atrophie
oder atrophischen Excavation darstellen, bietet bis jetzt
noch erhebliche LQcken dar. Namentlich fehlen ausführ-
liche Mittheilungen von solchen Fällen, wo während des
Lebens die ophthalmoskopische Untersuchung vorgenom-
men wurde und wo demnach das Augenspiegelbild mit
den zu Grunde liegenden anatomischen Veränderungen
verglichen werden konnte.
Ausser diesem mehr speciell ophthalmologischen
Interesse der Deutung des Augenspiegelbefundes haben
aber genaue Untersuchungen der atrophischen Processe
des Sehnerven auch eine nicht geringe allgemein patho-
logische Wichtigkeit
166
Es ist bekannt, dass Atrophie des Sehnerven bei
den verschiedensten Affectionen der Centralorgane des
Nervensystems nicht selten zur Beobachtung kommt. Ein
ganz besonderes Interesse bietet jedoch das häufige
Vorkommen derselben bei der grauen Degeneration der
Hinterstränge des Rflckenmarks, bei welcher die Seh-
nerven eine in ihrem äusseren Aussehen und auch in
ihrem histologischen Befunde ganz ähnliche Veränderung
erleiden wie das Bfickenmaik selbst, welche Veränderung
daher auch mit dem Namen der grauen Degene-
ration der Sehnerven belegt wurde. In dieselbe
Kategorie gehört, wie wir durch die Untersuchungen von
Westphal wissen, die Atrophie der Sehnerven bei der
progressiven Paralyse der Irren. W e s t p h a 1 hat bekannt-
lich den Nachweis geliefert, dass die motorischen Stö-
rungen dieser Kranken in einer Reihe von Fällen den bei
Tabes dorsalis vollkommen analog sind und wie bei dieser
Krankheit auf einer grauen Degeneration der Hinter-
stränge des Bückenmarks beruhen, und dass in einer
anderen Reihe von Fällen (in der Regel als gewöhnliche
Paralytiker bezeichnet) gleichfalls constant eine Affection
des Rückenmarks, nämlich eine chronische Myelitis (Auf-
treten von KOmchenzellen) gewöhnlich in einem Theile
der Seitenstränge zur Beobachtung kommt.
Während nun in einer Reihe von Fällen cerebraler
Afifectionen die am intraocularen Ende auftretende Atro-
phie der Sehnerven durch einfache periphere Verbreitung
der Atrophie längs des Nervenstammes bedingt ist, sei
es von den zunächst gelegenen nervösen Centreu oder
von einer Stelle des intracraniellen Verlaufes aus, kann
natürlich bei den Spinalaffectionen. von einer einfachen
Fortleitung längs des Verlaufes der Nervenröhren nicht
die Rede sein, da sich kein Mittelglied zwischen beiden
erkrankten Partien auffinden lässt Es scheint vielmehr,
dass von einander entfernt gelegene Theile der Central-
166
Organe mehr selbstständig und unabhängig ^oh tsniauoei
analoge Veränderungen eingehen können. Dadurch ist
jedoch nicht ausgeschlossen, dass nicht nebenbei die Ver-
breitung der Atrophie längs der Nervenröhren gleichMls
eine Rolle spielen könne. Dies wird sich aber am Rücken-
mark wegen seines complicirten Baues wohl kaum mit
Sicherheit bestimmen lassen, während die Möglichkeit
nicht von der Hand zu weisen ist, dass am Sehnerven,
als einem kleinern und leichter zu übersehenden Gebiet,
durch eine grössere Reihe von genauer untersuchten
Fällen sich etwas in dieser Beziehung wird ermitteln
lassen.
Auch über das Wesen und die Natur des analogen
Processes im Rückenmark sind bekanntlich noch alle
aufgeworfenen Fragen controvers. Es lässt sich noch
nicht mit Sicherheit sagen, ob die Atrophie der nervösen
Elemente als eine primäre aufzufassen ist, oder ob sie
durch eine chronische Entzündung bedingt ist, wie denn
auch ein reichliches Auftreten von Eömchenzellen keines-
wegs von allen Seiten als Beweis einer chronischen Ent-
zündung anerkannt wird.
Obgleich ich erst über eine kleine Anzahl von Fällen
derart berichten kann, so wollte ich mir trotzdem erlau-
ben, die dabei erhaltenen Resultate mitzutheilen, da ich
hoffen kann, dieselben durch spätere Mittheilungen zu
vervollständigen. Ich verdanke die 3 unten mitgetheilten
Fälle der Güte des Herrn Geh.RathGriesinger, der mir
gestattete, dieselben ophthalmoskopisch zu untersuchen
und bei der Section die Augen zur genaueren Unter-
suchung mit grosser Liberalität überliess. Hierfür und
für die Benutzung der betreffenden Krankengeschichten
spreche ich Herrn Geh. Rath. Griesinger hiermit meinen
herzlichsten Dank aus, wie ich auch den Herren Dr.
Westphal und W. Sander für vielfache freundliche
Unterstützung bei der Untersuchung der Kranken und
167
Ueberlassung von Notizen zu grossem Danke verpflicfa-
tet bin.
Im Anschlüsse an diese Fftlle werde ich zuletzt noch
einige Notizen hinzufügen über die atrophischen Ver-
änderungen des Sehnerven an phthisischen Augen und
bei Netzhautablösung, welche nicht in allen Punkten mit
denen bei grauer Degeneration übereinstimmen.
Die folgenden Untersuchungen wurden theiis an fri-
schen, theils au in Mü Herrscher Flüssigkeit erhärteten
Präparaten ausgeführt Für die nervösen Elemente er-
wies sich die Goldbehandlung als ganz besonders vortheil*
haft und zwar in der von Ger lach für die Central-
organe des Nervensystems empfohlenen Weise, nach
welcher dünne Schnitte der erhärteten Nerven etwa einen
halben Tag lang in eine stark verdünnte und ganz leicht
angesäuerte Lösung von Goldchlorid eingelegt werden
(in der Regel diente eine VsoVo Lösung, welche auf die
Unze einen Tropfen conc. Essigsäure enthielt). Durch
diese Behandlung werden die Nervenbündel des normalen
Opticus sehr schön und intensiv dunkelviolett gefärbt,^
während im Anfange die bindegewebigen Elemente des
Nerven vollständig ungefärbt bleiben. Wenn die Schnitte
einen Tag lang in schwach angesäuertem Wasser zur
Entfernung des Ueberschusses der Goldlösung verweilt
haben, können sie in Glycerin oder nach Entwässerung
durch Alkohol in Firniss aufbewahrt werden. Einige
Zeit nachher fangen auch die bindegewebigen Elemente
an, sich zu färben, aber ihre Färbung ist immer schwä-
cher und von anderem Aussehen als die der Nervenbündel,
welche sich namentlich an Querschnitten ungemein deut-
lich hervorheben. In manchen Fällen nehmen die
zwischen den Bündeln verlaufenden bindegewebigen
168
Balken, besonders die centralen Partien derselben, eine
eigenthflmliche bläuliche F&rbang an, während die Ner*
ven ihre schon violette Eurbe behalten; an Fimisspräpa-
raten erhalten erstere und namentlich auch die innere
Scheide zuweilen einen braunrothen Ton. Alle diese
nachträglichen Färbungen than jedoch der Deutlichkeit
der Präparate nicht den mindesten Eintrag.
Es fragt sich nun, ob wir in pathologischen Fällen
aus dem Nichteintreten dieser Reaction . einen Schluss
auf den Zustand des Nerven zu machen berechtigt sind.
Diese Frage muss bei der absoluten Constanz, mit der
die betreffende Reaction an normalen Nerven eintritt^
entschieden b^aht werden, vorausgesetzt, dass die Prä*
parate vorher nicht allzu lange in der eriiärtenden Flüs-
sigkeit aufbewahrt wurden. Es ist eine sehr schätzbare
Eigenschaft dieser Reaction, dass sie auch an in chrom-
saurem Kali gehärteten Nerven noch in voller Sdiönheit
eintritt; ich habe sogar von Nerven, welche jedenfiiHa
über ein Jahr in Müller'scher Flüssigkeit gelegen hat*
ten, noch eine deutliche, wenn auch schwache Reaction
erhalten. Es ist übrigens zu vermuthen, dass bei noch
längerem Aufbewahren in der conservirenden Flüssigkeit
die Eigenschaft der Nerven das Goldchlorid zu redociren
immer mehr abnimmt und schliesslich ganz schwindet
Ob in Chromsäure oder Alkohol gehärtete Nerven
gleichfalls die Reaction geben, vermag ich nicht anzu-
geben.
Hat die Erhärtung nicht länger als einige Wochen
oder Monate gedauert, so tritt die Reaction an normalen
Nerven immer sicher ein, und ihr Ausbleiben kann mit
Bestimmtheit auf eine Veränderung des Nerven bezogen
werden. In allen Fällen und in allen Partien, wo die
Qoldreaction ausblieb, konnte immer auch mit anderen
Methoden der Verlust der normalen Nerven&sern nach-
gewiesen werden, kein anderes Mittel gab aber eine so
169
klare Einsicht in die Ansdehnong und den Grad dar
Atrophie als die Goldmethode.
Neben dem Goldchlorid habe ich auch die Osmium*
säure in Anwendung gezogen, ohne aber durch dieses
Mittel besondere Vortheile zu erlangen; im Gegentheil
waren die damit behandelten Präparate nicht so deutlich
und scharf als die Goldpr¶te. Ich hatte gehofft,
durch den Vergleich* der Wirkung beider Mittel etwas
aber das Verhalten der Axencylinder bei den atrojdii-
sehen Processen zu ermitteln. Das Goldchlorid ^filrbt
bekanntlich die Axencylinder und das Mark ganz gleich-
massig, wahrend die Osmiumsaure die Axencylinder un-
gefiü-bt l&Sst Es zeigte sich aber weder bei normalen
noch atrophischen Nerven ein Unterschied in der Wir-
kung beider Mittel, vielleicht wegen der bedeutenden
Feinheit der Axencylinder des Sehnerven, die deshalb
nicht deutlich zum Vorschein kommen. Dagegen hat mir
die Garminfärbung gute Dienste geleistet Während das
normale Nervenmark von Carmin ungefiLrbt bleibt und
nur die Axencylinder sich färben, nehmen die atrophi-
schen NervenbOndel ähnlich wie das Gewebe der grau
degenerirten Rttckenmarkstränge eine sehr lebhafte Gar-
minfärbung an. Die normal gebliebenen Partien heben
sich daher durch das Ausbleiben der Färbung von den
pathologisch veränderten sehr deutlich ab, und solche
Präparate geben dann eine wünschenswerthe Ergänzung
zu den Bildern, welche die Goldmethode liefert.
Bemerkungen Aber den normalen Bau des Sehnerven
und seiner Scheiden.
Ehe ich zur Mittheilung der pathologischen Fälle
übergehe, will ich mir erlauben, eine kurze Darstellung
170
der normalen Strncturverhältnisse des Sehnervenstamme»
zu geben und dabei auf einige Punkte aufmerksam zu
machen, welche mir bisher nicht genügend hervorgehoben
zu sein scheinen.
Der extraoculare Theil des Sehnerven von der La-
mina cribrosa an bis zum Foramen opticum besteht be-
kanntlich aus einem fest zusammengefügten Nervenstanun
mit zwei verschiedenen Scheiden, einer äusseren derben,
fibrösen und einer inneren zarten, welches leztere Ver-
halten Donders zuerst genauer beschrieben hat (s. dies.
Arch. I. 2, pag. 83 flF.).
Die äussere Scheide beginnt am Foramen opti-
cum und begleitet den Nerven bis zu seinem Eintritt in's
Auge, wo sie in die äusseren Lagen der Sciera übergeht
Sie ist ziemlich derb und fest, liegt dem Sehnerven nur
lose an und unterscheidet sich wesentlich durch ihre
Structur von der viel dünneren, fest mit dem Sehnerven
verbundenen inneren Scheide. Sie besteht nämlich aus
einem der Sciera ganz ähnlichen Gewebe, aus Lagen
dicht verflochtener und in den verschiedensten Rich-
tungen sich durchkreuzender, meist ziemlich schmaler,
etwas platter Bindegewebsbüudel von stark welligem
Verlauf; zwischen denselben befinden sich reichliche
Netze ziemlich feiner elastischer Fasern. Kerne oder
Zellen kommen nur in geringer Menge vor, abgesehen
von denjenigen, die der Adventitia der Gefässe ange-
hören; letztere sind in ziemlicher Menge vorhanden und
erzeugen durch die ganze Dicke der Scheide ein weit-
maschiges Netz, wobei in der Regel eine Arterie von
zwei Venen zu beiden Seiten begleitet ist
Die äussere Scheide enthält auch, wie vor Kurzem
Sappey*) gefunden hat und ich bestätigen konnte, einen
*) Siehe Sappey, ,,Structare de TeiiTeloppe flbreuae dei nerfii"
in Joura. de l'anftt. et de U pbyiiol.de Oh. Bob in. V. 1868. p. 47— 68.
171
ziemlichen Reichthum feiner Nervenplexns, welche mei*
stens dem Laufe der Geftsse folgen und wohl als Oe-
f&asneryen anzusprechen sein dürften. In der inneren
Scheide und län^s der Arteria centralis retinae konnte
ich ebensowenig als Sappey Nervenf&den auffinden.
Die innere Sehnervenscheide h&ngt mit der
äusseren durch ein lockeres Netz von Bindegewebsbalken
zusammen, durch welches die grosse Verscbiebbarkeit
des Nerven innerhalb der äusseren Scheide bedingt ist,
w&hrend die innere Scheide fest mit dem Nerven zu-
sammenhängt
Diese Balken sind die Träger der Blutgefässe, welche
zur inneren Scheide und zum Sehnerven nach innen ge-
hen; das von ihnen gebildete Netzwerk geht über in das
Gewebe der inneren Scheide, indem durch zunehmende
Theilung die Balken dünner und die Netze immer reich-
licher und dichter werden; die innere Scheide besteht
'aus einem flach ausgebreiteten, sehr dichten Maschennetz
von dünnen Bindegewebsbündeln. Ein Theil dieser Bal-
ken besitzt, wie auch schon Donders angibt, umspin-
nende elastische Fasern. Die meisten aber sind, wie
man leicht an in Müll er' scher Flüssigkeit gehärteten
Präparaten constatirt, überzogen von dünnen, homogen
und glashell aussehenden Scheiden, weiche ziemlich
grosse, ovale, fein granulirte Eeme einschliessen. Diese
Scheiden lassen sich beim Zerzupfen leicht im Zusam-
menhange isoliren, so dass man Präparate erhält, wo die
Scheide eine Streke weit von dem Balken abgelöst ist,
weiterhin aber in der gewöhnlichen Weise denselben
überzieht. Es macht zuweilen den Eindruck, als ob
dieselben nicht an allen Stellen gleichmässig die Balken
umgäben, sondern stellenweise unvollständig wären, wo-
durch gewissermassen Uebergänge zu den umspinnenden
elastischen Fasern gebildet würden. Die Vermuthung liegt
nahe, es möchte sich bei diesen Scheiden um verschmol-
172
zene Zellen haDdeln, deren Kerne deuUich wahrzanehmen
sind, es ist mir aber nicht gelangen, durch Behandlung
mit Silbersalpeter Zellenconturen an den betreffendeo
Membranen oder an der Oberfläche der Balken nachzu-
weisen. Die Scheiden folgen den Balken in ihren Veräste-
lungen, ich konnte aber nicht entscheiden, ob sie auf
die zarten Balkennetze der inneren Scheide übergehen.
Dies scheint übrigens nicht der Fall zu sein, es treten
nämlich in den Lücken der netzförmig Yerbundenen fei-
neren Bälkchen eine grosse Anzahl meist länglicher
Zellen auf mit ganz ähnlichen, grossen, ovalen, fein-grau-
lichen Kernen und zarten (am erhärteten Präparat)^
körnigem Protoplasma, welche entweder den Bindegewebs-
bttndeln anliegen oder mehr frei in den Maschen dea
Gewebs liegen. Die Menge der zelligen Elemente ist
ziemlich bedeutend, so dass, wenn man ein Stück der
sehr dünnen Scheide isolirt und nach Garminfärbung
und Essigsäurezusatz von der Fläche betrachtet, die
Kerne ziemlich dicht gedrängt liegen.
Ob die erst erwähnten Scheiden der Bindegewebs-
balken etwas mit dem Lymphgef&sssystem zu thun haben, so
dass etwa die Zwischenräume derselben als Lymphräume
zu betrachten wären, bin ich nicht^m Stande anzugeben.
Nach His, dessen weitere Mittheilungen über dieLymph-
geftsse der Netzhaut und des Sehnerven mir leider nicht
zugänglich sind, besitzt der Sehnerv einen grossen Reich»
thum an Lymphgefässen.
Der Sehnervenstamm selbst besteht, wie man am?
deutlichsten an Querschnitten erkennt, aus parallelea
Nervenfaserbündeln, die durch ein Gerüst von binde-
gewebigen Balken von einander getrennt werden. Auf
dem Querschnitt zeigen die Bündel eine unregelmässige
rundliche oder polygonale Gestalt und zerfallen die stär-
keren durch feinere Balken wieder in dünnere secundäre
Bündel.
173_
Bei Betrachtung von Qaerschnitten des Sehnervea-
stammes ist es nicht möglich, mit Bestimmtheit zu ent-
scheiden, ob die BindegewebszQge, welche die Bündel von
dnander trennen, als die Querschnitte von Scheiden
anzusehen sind, welche die Bündel ihrer ganzen L&nge
nach von einander abgrenzen, oder ob es sich nur um
querlaufende Balken handelt. Die L&ngsschnitte geben
aber sofortigen Au&chluss und zeigen, dass die Nerven-
bündel von einander getrennt sind durch ein Netz von
Bindegewebsbalken, die theils longitudinal zwischen den
Bündeln verlaufen, theils zahlreiche und schr&ge Ana-
stomosen zwischen ersteren herstellen. Dieses Netz von
Bindegewebsbalken ist der Träger der den Sehnerven
versorgenden Gef&sse, welche theils aus den Central-
gefässen, theils aus den Gefassen der inneren Sehnerven-
scheide herstammen. Dieselben bilden ein der Veräste-
lung dieser Balken entsprechendes ziemlich reiches Netz.
An der Lamina cribrosa, wo die längsverlaufenden
Balken von einem sehr reichen Netz von feineren, quer
verlaufenden Bindegewebszügen durchkreuzt und durch-
flochten werden, nehmen auch die Gefässe einen ganz
entsprechenden Vedauf und zeigen sehr dichte, in der
Querrichtung verlängerte Maschen, während die Papille
selbst ein aus mehr rundlichen und unregelmässigen
Maschen bestehendes, gleichfalls sehr reichliches Capillar-
netz besitzt.
Die ge&sstragenden Balken bestehen aus lockigem
Bindegewebe, das die im Inneren verlaufenden Gefässe
umhüllt und eine kleine Anzahl stark in die Länge ge-
zogener Kerne umschliesst. Die Balken isoliren sich
riemiich leicht von den Nervenbündeln und zeigen dann
ziemlich glatte Bänder, woraus hervorgeht, dass sie nicht
etwa direct in*s Innere der Nervenbündel zahlreiche Fort-
«ätze^ abgeben.
Trotzdem sind die Nervenbündel von einem zarten
174
biadegewebiKen Netzwerk durchzogen, das als die Neu-
roglia des Sehnerven anzusehen ist und jedenfalls zum
grössten Tbeil aus den Ausläufern sternförmiger ZeBen
besteht, welche theils am Rande der BQndel, theils inner-
halb derselben ihre Lage haben.
Dieses Netzwerk wurde bereits von Klebs be-
schrieben;*) derselbe fahrt an, dass die Bindegewebs-
balken überall feine Zweige ausschicken, die sich &st
augenblicklich in ein ausserordentlich feines Netzwerk
auflösen, das mit Kernen im Inneren der Nervenbündel
und mit den von Donders zuerst erwähnten zahl-
reichen Kernen in den Bindegewebsbalken selbst zu-
sammenhängt
Es ist nicht ganz leicht, eine deutliche Anschauung
über die Neuroglia des markhaltigen Theiles des Seh-
nerven zu erhalten, weil die Undurchsichtigkeit der Ner-
venfasern die Erkennung der zarten Bindegewebsnetze
verhindert. Die klarste Einsicht erhält man an Längs-
schnitten, die durch Terpentinöl aufgehellt sind. Man
sieht dann «in zartes Netz von meist quer gerichteten
Maschen, das deutlich zusammenhängt mit sternförmigen
Zellen, die thcüs im lunern der Bündel ihre Lage haben,
theils aber und hauptsächlich am Rande der Bündel zwi-
schen ihnen und den Bindegewebsbalken angelagert sind
(s.Taf.VLFig.5a). Schon anschnitten von inMüUer'-
scher Flüssigkeit gehärteten Nerven erkennt man meist
ziemlich deutlich, namentlich nach Carminfiirbung, dass
i)s sich nicht um freie Kerne, sondern um sternförmige
BindegewebskOrperchen mit Ausläufern handelt; dieselben
lassen sich aber auch durch Zerzupfen vollständig isolirt
darstellen (Taf. VL Fig. 5 a u. b). Diese Zellen sind nament-
*) Klebs, IUI normalen und pathologieehen Anatomie des Options.
Virohow's ijroh. XIZ. p. 886. ff.
176
lieh in der Nähe des Auges zwischen den Bündeln in
deutliche Längsreihen angelagert, in denen sie dicht ge-
drangt neben einander liegen. An Querschnitten sieht
man, dass nur die feineren zwischen den Balken verlau-
fenden Bälkchen Bindegewebszüge in's Innere derselben
absenden, die in das eben beschriebene Netzwerk über-
gehen, während die Ränder der gröberen Balken, wie schon
erwähnt, ganz glatt sind und nicht in directem Zusam-
menhange mit diesem Netzwerk stehen (s. Taf. IV. Fig. 4).
In der Lamina cribrosa treten bekanntlich derbere
querlaufende Faserzüge auf, während im intraocularen
Sehnervenende sehr zarte, gleichfalls die Nervenbündel
senkrecht durchkreuzende Fasern als Fortsetzung der
Müller 'sehen Radiär -Fasern der Netzhaut mit Leich-
tigkeit zu erkennen sind.
Die Nervenfasern selbst zeichnen sich bekanntlich
durch Feinheit und deutliche Varicositäten aus. Da
bei den feineren Nervenfasern des Gehirns, welche
mit denen des Opticus eine so grosse Aehnlichkeit ha-
ben, die Existenz einer selbstständigen Scheide noch
fraglich ist, so muss man sich auch die Frage aufwerfen,
wie es sich in dieser Beziehung mit den markhaltigen
Fasern des Opticus verhält An isolirten Fasern sieht
man nun gar nicht selten sowohl von ganz frischen als
von etwas erhärteten Nerven gegen das Ende der Faser
das Mark ausgeflossen, die Faser aa der Stelle plötzlich
blasser werden und sich allmälig bedeutend verjüngend
noch eine Strecke weit fortsetzen. Es kann sich hier
um nichts anderes handeln, lals um die zusammengefal-
lene Scheide, aus der das Mark ausgeflossen ist An
anderen Fasern sieht man dagegen an dem abgerissenen
Ende aus der Mitte den Azencylinder als sehr feinen
Faden hervorragen, der sich übrigens nicht in's Innere
der Faser verfolgen lässt Nach dieser Beobachtung
scheint mir die Existenz einer zarten isolirbaren Scheide
176
an den markhaltigen Opticusfasern nicht zweifelhaft. Die-
selbe enth< aber keine Kerne und muss auch feiner
sein, als bei gewöhnlichen peripheren Nerven; wenigstens
erhält man durch Behandlung mit Collodium nach der
PflOger'schen Methode, die doch sonst die Scheide und
den Axencylinder ausserordentlich klar zur Anschauung
bringt, gar keine deutlichen Bilder, sondern nur eine
feine Streifung, indem die dünnen Nervenfasern dabei
offenbar zu durchsichtig werden.
Die Axencylinder sind, wie schon bemerkt, ungemein
fein, weshalb man sie auch an in Glycerin aufgehellten
Querschnitten nicht deutlich erkennt, da sie durch die
starke Lichtbrechung des Markes verdeckt werden. An
Firnisspräparaten stellen sie sich auf dem Querschnitt
selbst bei starker Yergrösserung nur als feine Punkte
dar, welche von einem zarten Ringe, dem Contour der
Nerven&ser umgeben sind. Eine Carminfärbuug ist, wohl
ebenfalls wegen der grossen Feinheit, nicht deutlich an
denselben zu erkennen.'*')
*) Ich erwiniB« hMr beilliiiäg, daai am Sohnerrea det OohMD» dmi
iah ivr YergUIobiing OBterraiohte, sowohl die KarrenfMern aeU^st» all
anoh die Axencylinder merklich dicker sind als beim Menschen, wes-
halb auch die Bilder der Querschnitte mehr mit den an sonstigen ner-
T€ien Organen beobachteten ttbereinstimmen.
177
Graue D^neration des Sehnerven.
1. Fall.*)
Dualjtiiolier mMalim Baehy- und Laytownmingitit ehro-
niea mit Adhaoeni der Ha nit dem GeUn. Hftlttii
(Ktoncheniellen) in einem Zheil der Seiftemtringe. Onme
Degeneratien beider Seiinenren.
Aus der Krankengeschichte, welche ich der Oflte
des Herrn Geh.-Rath Griesinger und des Herrn Dr.
W. Sander verdanke, entnehme ich folgende Notizen:
Bei eindm 60jAhrigeii Manne trat plötslich, nachdem
Jahre lang Anftlle von reissenden Schmerzen in den
unteren Extremitäten roransgegangen waren, eine pey*
cUsche Störung auf mit Oröasenideen und erheblicher
Anfiregong. Die Schmerzen waren verschwunden; keine
motorische Störung ausser etwas langsamem, unbeholfe-
nem Gang. Keine AugenmuskelUhmung. Pupillen sehr
enge. —
wahrend des weiteren Verlaufs ausgesprochene
Orössendeürien, Abwechseln von Exaltation und apathi-
schen Zustanden. Etwa ein Jahr nach dem Auftreten
der Oeistesstörung beginnt die Sehkraft zu rerfallen;
wegen des psychischen Zustandes ist eine genauere Prfl-
fong des Sehvermögens nicht ausftlhrbar, doch Ifisst
sich eruiren, dass Patient noch ca. 4 Wochen vor seinem
Tode Finger auf einige Fnss Entfernung zahlt und die
Stellung der Zeiger einer Uhr angiebt
Um diese Zeit ergiebt der Augenspiegel beiderseits
*) Dieter Fall ist bereite Ton G. Wee tphal kuzs erwihiit, ebenio
wie der folgende Nr. 2, in leiner Arbeit über „den gegenwärtigen Stand-
punkt der Kenntnuiae Ton der allgemeinen progressiren Paraljae der
Irren." Griesinger'fArchiT für Psychiatrie eto. (Bd.L 1.) Separai-
abdmok p. 40 und 41 in der Note.
ArehiT fttr OphtHtlmoloti«, XIV. t. 12
178
flache atrophische Excayation des Sehnerren, rechts allen*
falls etwas markirter als links.
Zunehmender Verfall der psychischen Functionen.
Tod durch rechtsseitige Pleuro-Pnenmouie.
Die Section (Dr. Roth) ergab in den Centralorganen
im Wesentlichen Folgendes:
Verwachsang der Dura mater mit dem Knoehen
Iftngs der Falx aaf beiden Seiten, besonders Aber dem
Stirnbein. Starke Trflbnng der Pia an der CoaTeaat«;,
besonders Aber den Snlcis, und starkes Oedem derselben;
ihre Venen dickwandig und blutarm. Die Pia ist am
Frontaliappen mit der Oberfläche des Oehims, nament-
lich rechts sehr fest verwachsen, so dass selbst bei vor-
sichtigem Abziehen die oberflächliche Oehimschicht an
ihr haften bleibt; am Hinterlappen keine Adhärenzen«
An der Basis ist die Dura fest adhärirend, besonders in
der hinteren Schädelgrube; die Pia zart An beiden
Carotiden kleine Verdickungen. Qehim sehr weiche
blass, etwas ödematOs, der rechte Ventrikel beträchtlich
weiter als der linke, der von mittlerer Weite ist; der
vierte Ventrikel ebenfalls ziemlich weit.
Das Bflckenmark zeigte fOr das blosse Auge keine
Veränderungen. Die mikroskopische Untersuchung (Dr.
W e 8 tp h a 1 ) ergiebt Kömchenzelien in den Seitensträngen
und zwar beiderseits in den Partien neben dem Hinter-
hom. Sie sind am zahlreichsten im unteren Hals- und
oberen Bflckentheil, doch auch im Lendentheil sicher
vorhanden; im oberen Halstheil weniger zahlreich, in
der Medulla oblongata fanden sich keine mehr vor.
Von den beiden äusserlich ganz normalen Augen
wurden die hinteren Hälften zur Untehsuchung heraus-
genommen, ausserdem konnten noch die beiden Seh-
nerven, das Chiasma und der rechte Tractus opticus ge-
nauer untersucht werden, der linke Tractus, der äusser-
lich keine Veränderung darbot, war leider nicht auf-
bewahrt worden.
179
Beide Sehnervs waren etwas dflnn, ihre Scheide
schlaflf, ihr Durchschnitt von granlichem^ durchscheinen-
dem Aussehen.
In der N&he des Auges haben sie eine etwas spindel-
ftrmige Gestalt, indem sie gegen das Auge hin etwas
dicker werden, an der Eintrittsstelle selbst aber eine
leichte Einschnttrung darbieten. Diese Formverftnderung
kommt auf Rechnung der schlaff anliegenden äusseren
Scheide, die etwas verdickt und in Falten gelegt ist,
wobei das areoläre Balkengewebe zwischen ihr und der
inneren Scheide gleichfisdls etwas mehr entwickelt ist als
im normalen Zustand.
Die Abnahme der Dicke ist am linken Sehnerv etwas
bedeutender als am rechten, an beiden aber nur gering.
An in MüUer^scher FlQssigkeit gehärteten Präparaten
(wobei sich die Durchmesser jedenfalls nicht erheblich
ändern) betrugen die Durchmesser in der Entfemupg
einiger Linien vom Auge am rechten Sehnerv in einer
Richtung 3— 3V4 Mm., in der darauf senkrechten 2— 27^
Mm., am linken Sehnerv, dessen Durchschnitt mehr drei-
eckig war, 2^/4—3 Mm.; normale, auf dieselbe Weise be-
handelte Sehnerven massen in einer Richtung 37«— 4,
in der darnach senkrechten 3 — 37, Mm.; alle diese
Maasse haben natOrlich nur einen relativen Wertb, doch
können sie vergleichungsweise eine Idee von dem Grade
der Abnahme der Dicke des Sehnerven liefern.
Das Chiasma schien äusserlich nicht verändert, der
rechte Tractus etwas dünner als der der linken Seite.
Die Oberfläche der Papille ist flach ezcavirt,
rechts etwas tiefer als links und zwar in dem grössten
Theil ihrer Oberfläche. Die Excavation konnte schon bei
Betrachtung mit blossem Auge von der Fläche her be-
merkt werden, trat aber natürlich auf einem durch die
12*
180
Mitie der Papille geführten L&ngsschmtte noch deut-
licher hervor.
Die EzcaTation hat beiderseits nach innen einen
etwas steileren Band, während sie nach aussen geg&k
die Macula zu, ganz allmählig aufsteigt Ihre Ausdehnung
in horizontaler Richtung von der lateralen zur medialen
Seite beträgt ca. 1 Mm., so dass nur eine schmale Zone
am Rande im Niveau der Netzhaut liegt, am äusseren
Rande eine Spur breiter als am inneren.
Die tiefste Stelle der Ezcavation liegt rechts nur
etwas weniger tief als das Niveau der Aussenfläche der
Aderhaut, links ungefähr in gleichem Niveau; die Lamina
cribrosa bildet daher den Grund der Ezcavation. Die
deutliche Abgrenzung zwischen markhaltigem und mark-
losem Abschnitt des Sehnerven beim Durchtritt durch die
Lamina cribrosa fehlt wegen der grauen Degeneration,
in Folge deren die sonst markhaltigen SehnervenbQndel
sich nicht mehr durch ihre opake Beschaffenheit abheben.
Doch ist die Grenze trotzdem zu erkennen, indem in dem
sonst markhaltigen Theil des Nerven die Bflndel sich
deutlich von den zwischenliegenden Bindegewebsbalken
unterscheiden, aber da, wo die Lamina cribrosa beginnt,
von querlaufenden Bindegewebszügen unterbrochen wer-
den, durch welche man MQhe hat, zarte Faserbflndel
nach dem Ursprung der Netzhaut hin zu verfolgen.
Es handelte sich daher wahrscheinlich um eine prä-
existirende physiologische Excavation, die in Folge der
Atrophie sich noch etwas mehr in die Tiefe und Fläche
ausdehnte.
Die Netzhaut zeigt ausser einer nicht sehr hoch-
gradigen Atrophie der Nervenfaser- und der Ganglien-
zellenschicht keine merklichen Veränderungen. Die
Stäbchenschicht fehlte zwar überall, was aber mit Sicher,
heit als postmortale Veränderung anzusehen ist, zum
Theil auch bedingt durch die Art der Herausnahme, in-
181
dem das ohnehiii nieht ganz frische Auge im Aeqna-
tor geOfBoet wurde, um die vordere Hftlfte zurflcklassen
zu können. Die hierbei fiist nnvermeidliche Verschiebung
oder Faltung der Netzhaut hatte ohne Zweifel zur Ab-
streifung der so zarten St&bchenachicht geführt, was Übri-
gens in den meisten auf diese Art entfernten Augen der
FaU ist
Die Faserschicht ist schon dicht neben der Papille
dflnner als in der Norm und nimmt rasch in noch stär-
kerem Maasse ab, doch ist sie auch ganz an der Peri-
pherie fiberall noch, wenn auch yerdfinnt, erhalten.
In Vt Mm. Entfernung vom Rande der Papille betrug
ihre Dicke (an einem Präparate von der in Mfl Her' scher
Flflssigkeit erhärteten Netzhaut gemessen) am rechten
Auge 0,045, am linken in 1 Mm. Entfernung ebensoviel,
in 2 MuL Entfernung an beiden 0,03 Mm., während die
normalen Maasse nach H. Mflller in 1 Mm. Entfernung
0,1—0,12, in 2 Mm. 0,04—0,08 Mm. Dicke betragen.
Die Ganglienzellen sind nicht sehr deutlich zu er-
kennen und selbst in der Nähe der Papille ziemlich spär-
lich, nicht wie in der Norm dicht gedrängt In den pe-
ripherischen Partienr ist fast nichts davon zu erkennen.
Die übrigen Schichten der Retina bieten keine Anoma-
lien dar.
Die normale Beschaffenheit der äusseren Netzhaut-
lagen, wenigstens soweit Oberhaupt die Untersuchung
möglich war, bei Atrophie der Faser- und Ganglienschicht
stimmt vollständig flberein mit dem von H. Müller
zuerst so klassisch geschilderten Befunde von atrophi-
scher Excavation der Sehnerven.*)
Die mikroskopische Untersuchung des Sehnerven
•) H. Hliller, Anatom. Beiträge stur Ophtbalnologie. IH«
Arcb. m. 1. p. 99— 9S. '
182
Stammes zeigte beiderseits ein im Wesentlichen überein-
stimmendes Verhalten. Es ergab sich znnftehst eine
ziemlich hochgradige, aber nicht vollständige und nicht
gleichmässig anf den ganzen Durchschnitt verbreitete
Atrophie der nervösen Elemente der Sehnerven in ihrem
ganzen Verlauf, welche sich auch noch auf das Chiasma
und den linken Tractus opticus erstreckte. (Der rechte
Tractus wurde leider nicht untersucht)
Schon der Anblick frischer Durchschnitte der Nerven
hatte gezeigt, dass die graue Färbung keine ganz gleich-
massige war, sondern dass namentlich die centralen
Partien eine mehr weisse Farbe darboten. An feinen
Durdischnitten des gehärteten Nerven, welche mit Gold-
chlorid behandelt waren, und auch an carminisirten Prä-
parates liess sich nun die Ausdehnung der Atrophie über
die verschiedenen Partien des Nerven mit grosser Deut-
lichkeit erkennen.
Im Allgemeinen waren überall die centralen Par-
tie am besten erhalten, während die Degeneration
in 4ea Randpartien, namentlich der einen Seite, theil-
«mse m einem vollständigen Schwund aller nervösen
Elemente gef&hrt hatte. An Querschnitten bemerkte
man zunächst, dass überall die Abtheilung des Nerven
in Nervenfaserbündel und dazwischen verlaufende Binde-
gewebsbalken vollständig wie in der Norm erbalten war
(s. Tai IV. Fig. 2 und Taf. V. Fig. 3). Nur waren die Bündel
etwas dünner, unregelmässiger, zeigten eine mehr netz-
förmige Anordnung, wobei die grösseren Bündel meist
in eine Anzahl kleinerer getrennt waren; die zwischen
den Bündeln verlaufenden Balken waren etwas verbreitert,
von weniger gestrecktem sondern mehr gebogenem Ver-
lauf und an verschiedenen Stellen von ungleicher Dicke
(VergL Taf VI. Fig. 6, welche zwar, von dem folgenden Fall
genommen ist, aber trotzdem das Verhalten der Balken
auch für diesen Fall getreu wiedergibt). Der Unterschied
183
zwischen dem normalen Verbalten in Tal V. Fig. 4 ist deut-
lich in die Augen fallend.
Ein Theil der Nervenbandel enthielt, und dies wa-
ren^ wie schon erwihnt, vorzugsweise die am Bande
befindlichen I gar keine Spur normaler Nervenfasern
mehr und blieb demnach bei Behandlung mit Ooldchlorid
ungefärbt; andere dagegen enthielten noch eine mehr
oder minder grosse Menge derselben, welche entweder
nur sparsam und zerstreut über den Durchschnitt des
Bündels vertheilt waren oder aber mehr dicht gedr&ngt
standen (Taf. Y. Fig. 3). üeberall aber, selbst in den best-
erhaltenenen Stellen, waren noch kleine Lücken inner-
luUb der Bündel wahrzunehmen, nirgends standen die
Kerven&sem dicht neben einander, wie in der Norm.
Keines der Bündel bot daher nach Behandlung mit Gold-
chlorid die gleichmissige und ununterbrochene dunkel-
violette Färbung auf dem Querschnitt dar, welche stets
am normalen Nerven auftritt, sondern der Querschnitt
des Nerven gab den Anblick einer bald dichteren, bald
locker stehenden Punktirung und Fleckung.
Die vollständig atrophischen Bündel zeigten anfangs
gar keine Färbung mit Goldchlorid und erst später nah-
men sie eine leichte, hellrosarotbe Färbung an, während
zu gleicher Zeit auch die Bindegewebsbalken sich etwas,
aber in noch geringerem Grade färbten; dabei blieb aber
der Unterschied der Färbung von den normal geblie-
benen Partien in vollständig gleicher Deutlichkeit be-
stdien.
Mit Garmin gefi&rbte Präparate lieferten nun gewis-
semiassen eine Ergänzung zu den mit Gold behandelten,
indem die atrophischen Nervenbündel eine ziemlich leb-
hafte Garminftrbung annahmen, die normal erhaltenen
Stellen dagegen ungeftrbt blieben. An solchen Präpa-
raten, die mit Glycerin aufgehellt sind, treten deshalb
die normalen Nerven&serquerBchnitte in dem roth ge-
184
fibrbten Gewebe als heUe Stellen gleieh&Us sehr deatlieh
herror.
Ich brauche wohl nicht hinjEusuf&gen, dass ich mich
hier wie in allen folgenden Fällen durch Zerzupfiings-
Präparate auch immer direct von dem Vorkommen oder
Fehlen normaler Nerveniasem in den fraglichen Nerven*
Partien flbenseugt habe.
Während, wie schon bemerkt, die centralen Theile
des Nerven am besten erhalten waren, zeigte sich auch
in den Randpartien selbst ein Unterschied, indem auf
einer Seite die Atrophie in der Regel weitere Fortschritte
gemacht hatte, als auf der unteren. Leider Hess sich
Air die peripheren Abschnitte nicht mehr bestimmen,
nach welcher Seite hin diese am meisten atrophischen
Partien ihre Lage hatten, jedoch ergab sich, dass am
rechten Sehnerv, an der Stelle, wo die Gentralvene in
den Nervenstamm eintritt, die dieser Eintrittsstelle be-
nadibarten BQndel ebenso wie die centralen noch relativ
gut erhalten, während sie an der einen Seite fast voll-
ständig, an der anderen in hohem Grade atrophisch wa-
ren. Uebrigens eeigte sich selbst an Durchschnitten sehr
wenig entfernter Stellen des Nerven der Grad der Atro-
phie in den entsprechenden Partien merklich verschieden.
Kurz vor dem Chiasma, wo der Nerv stark abgeplattet
war, waren ausser den centralen Partien die lateralen
am besten, die medialen am wenigsten gut eriialten; die
peripheren Bfindel waren aber im ganzen Umfange des
Nerven wenigstens in einer schmalen Zone vollständig
atrophisch, nur erstreckte sich dies auf der medialen
Seite viel weiter in die Tiefe, als auf der lateralen.
Im rechten Tractus war besonders auffallend, dass
am äusseren unteren Rande eine kleine, ganz umschrie-
bene Partie normaler Bfindel verliefen, während sonst
die übrigen Randtheile gleicbfiiUs mehr verändert waren,
4s die centralen. Am linken Sehnerv waren in der Nähe
186
des ChiaBimt die anteren und die medialen Bündel am
stärksten atrophisch, im orbitalen Verlauf war vorwiegend
die eine Hüfte affidrt, wfthrend in der anderen die peri-
pheren Bflndel fast so gut erhalten waren, als in der
Mitte.
Was nun die feineren Veränderungen der atrophi-
renden Nervenbündel betrifft, so zeigte sich neben dem
Schwund der Nervenfitöcm eine Vermehrung der Bin-
degewebselemente, namentlich der Bindegewebs-
zellen innerhalb der Nervenbündel, und femer in den
dem Centralorgan näher gel^enen Partien, dem Tractns
opticus, dem Chiasma und dem daran grenzenden Theil
des Sehnerven Auftreten einer reichlichen Menge
von KOrnchenzellen.
Die vollständig atrophischen Nervenbündel bestanden
aus einem sehr feinfaserigen Gewebe, das, wie bereits
erwähnt, eine ziemlich intensive Carminfitarbung annahm.
Letztere Eigenschaft beruht nur zum Theil auf seinem
reichlichen Gehalt an zelligen Elementen, zum Theil auch
auf einer Färbung der Fibrillen selbst An Zerzupfungs-
präparaten gelingt es, zahlreiche kleine Zellen zu isoliren,
welche zum Theil rundlich und läoglich, zum Theil aber
auch mit zahlreichen feinen Fortsätzen versehen sind.
Querschnitte geben keinen deutlichen Aufschluss über
die Structur dieses Gewebes; ausser zahlreidien Kernen
sieht man meist nur eine sehr feine, etwas unregelmäs-
sige Punktirung, die Querschnittte der grOsstentheils mehr
der Länge nach verlaufenden Fibrillen.
Die Untersuchung von Längsschnitten lehrt dagegen,
dass das im normalen Zustande vorhandene zarte Netzwerk
bindegewebiger Fäden, welches die Nervenbündel meist in
smikrechterRichtung gegen die derNervenfiisem durchzieht,
bei weitem deutlicher und reicher ist, als die Norm. Na-
mentlich sind die Maschen enger, während die einzelnen
Fasern nicht stärker sind, als in der Norm; im Gewebe
186
finden sich ziemlich zahlreiche Kerne, welche den mehr
enrthnten kleinen Zellen angeboren (Taf. VI. Fig. 7).
Die Anzahl der Zellen innerhalb der Nervenbündel
ist entschieden grösser als in der Norm, aach wenn man
den Umstand in Betracht zieht, dass sie wegen der
Atrophie der nervösen Elemente an und f&r sich schon
relativ grOss^ erscheinen mnss. Die Kerne sind zum
Theil kleiner and randlicher als die im normalen Seh-
nerven vorkommenden.
Jedoch wird die Hauptmasse des Gewebes auch in
den voUstftndig atrophischen Bandeln nicht von dem
soeben beschriebenen Netzweric gebildet, sondern von
mehr der Länge nach laufenden, sehr feinen Fasern,
welche aus den Nervenfasern hervorgegangen zu sein
scheinen.
An Zerzupftingspräparaten von noch theilweise erhal-
tenen Bandeln kann man deutlich die allmSligeAtrophirung
der Nervenfasern studiren. Zwischen den normal aus-
sehenden Nervenfasern, die selbst hie und da etwas
dicker zu sein scheinen, als in der Norm, findet sich
eine grosse Anzahl zarter, blasser, sehr feiner vericOser
Fasern, die grosse Aehnlichkeit mit marklosen Fasern
haben, nur dass die Yaricositftten deutlicher ausgespro-
chen sind (Tal VI. Fig. 9 a). Der Inhält der varicösen An-
schwellungen nimmt eine deutliche Carmin&rbung an.
Letztere lassen wohl keinen Zweifel darüber obwalten,
dass man es wirklich mit Nervenfasern zu thun hat, die
demnach ihres Markes ganz oder grOsstentheils beraubt
sind, wfthi-end die Scheiden mit einem Theil des in sei-
ner Zusammensetzung veränderten Inhalts zurückgeblie-
ben sind. Wie sich der Axencylinder in diesen atrophi-
schen Nervenfftsem verhält, habe ich nicht eruiren können.
Gold ftrbt dieselben nur sehr schwach, Osmiumsäur^
ebenso; ersteres scheint dafür zu sprechen, dass auch
die Axencylinder bereits eine Veränderung er&hren ha-
187
ben, da sich dieselben mit Oold ebensowohl ftrben als
das normale Nervemaark. Im Innern dieser blassen
Nenrenfiis«m ist trotz der yerminderten Lichtbrechung
auch an den Varicosititen keine Andeotnng eines Axen-
cylinders sn erkennen^ es bleibt daher angewiss, auf
welche Art schliesslich der Axeocylinder zu Orande geht
Neben diesen deutlich als veränderte Nervenfiisem
erkennbaren zarten yaricOsen Fasern finden sich aber
andere, welche diese Herkunft nicht mehr mit Sicherheit
erkennen lassen. Dieselben machen in den yollstftndig
atrophischen Partien die weitaus Oberwiegende Mehrzdil
aus, während sie in den relativ besser erhaltenen Bfin-
dehi mit den anderen gemischt sind. Sie charakterisiren
sich als zarte, lange, nicht vollständig geradlinig verlau-
fende, sondern mit zahlreichen kleinen Einbiegungen und
Knickungen versehene, auch häufig mit feinen, glänzenden
Körnchen besetzte Fasern (Taf. VI. Fig. 9, b). Man beobachtet
Debergänge zwischen diesen und den zarten, varicösen
Fasern, indem letztere allmälig ihre Varicositäten verlie-
ren und ganz das Aussehen der ersteren annehmen. Es
ist beim blossen Anblick nicht möglich anzugeben, ob
es feine Bindegewebsfasern sind oder Reste von Nerven-
fasern; aber einmal die soeben erwähnten Uebergänge
zu deutlichen Nervenfasern und femer der Umstand, dass
die Fibrillen niemals Netze bilden, sondern sich in grosser
Länge unverästelt isoliren lassen, spricht sehr ftr die
Annahme, dass es sich dabei um Beste von Nerven&sem,
möglicherweise die zusammengefallenen Scheiden dersel-
ben handeln dflrfte.
Neben einer Vermehrung der zelligen Elemente im
Inneren der NervenbQndel findet sich auch die Zahl der-
selben in der inneren Scheide und in den Maschen des
lockeren Balkenwerkes zwischen letzterer und der äusse-
ren Scheide stellenweise nicht unerheblich vermehrt Ich
habe zwar oben den grossen Beichtham der inneren
188
Scheide an BindegewebszeUeii hervorgehoben, allein troti-
dem war eine Vermehmng anxweifelhaft nachweisbar,
Anch zeigten die Zellen zum Theil eine Abweichnng von
den normal vorkommenden, indrai es sich nm kleine,
rundliche Zellen mit einem etwas gUnzenden, nicht grana-
lirten Kern bandelte, während die Obrigen in Ueberein-
Stimmung mit dem normalen Verhalten etwas grosser»
von mehr lAnglicher Form and mit einem grossen, ova-
len, mehr blassen und fein granulirten Kern versehen
waren. Stellenweise fiind sich in der Umgebung einzel-
ner Gefi&sse, welche aus der inneren Scheide in den Sdi-
nerven fibertreten, eine sehr dichte Anhäuiung solcher
kleinen lymphkörperartigen Zellen.
Uebrigens muss noch hervorgehoben werden, dass
weder die innere Scheide, noch die Bindegewebsbalken
zwischen den NervenbQndeln, wenn letztere auch in Folge
der Atrophie der BQndel etwas st&rker entwickelt waren,
Zeichen von lebhafter Bindegewebswucherung darboten.
KOrnchenzellen fimden sich im intraorbitalen Theil
beider Sehnerven nur in geringer Menge und nur in der
Nfthe des Foramen opticum, wo sie in der inneren Scheide
noch etwas weiter peripherisch sich verbreiteten als im
Stamm desNervra selbst Dagegen waren sie ausserordent-
lich zahlreich vom Foramen opticum centralwirts, in dem
kurzen intracraniellen Stück derOptici, im Chiasma und dan
rechten Tractus. Ihre Form war grOsstentheils rundlich^
zum Theil auch länglich oder spindelförmig. Ausserdem
sah man zahlreiche kleinere und grössere, unregelmftssige
glftnzende Klumpen und KOmeraggregate, die vielleicht
aus KSmchenzellen hervorgegangen waren. Neben den
KOrnchenzellen fenden sich auch nicht fettig degenerirte,
demnach weit kleinere, meist rundliche Zellen in grosser
Menge vor.
In diesen, KOrnchenzellen enthaltenden, Abschnitten
189
boten auch zum Theil die kleineren Geftsse Verinderun-
gen dar. Viele derselben waren umgeben Ton einer Lage
Ton KSmchenzellen und kleiner Rondzellen, welche noch
deutlich Ton einer Äusseren zarten Halle eingeschlossen
waren, ganz entsprechend den Beschreibungen, welche
Bobin, Eis u. A. von den Lymphscheiden gegeben ha-
ben, welche die kleinen Gefitose des Gehirns umgeben
(Tai VI, Fig. 10). Auch hier scheinen ähnliche Scheiden zu
existiren, zwischen denen und der Blutgef&sswand sich
LymphkOrperchen und Kömchenzellen ansammeln kön-
nen. Dies Verhalten war auch an einzelnen Gef&ssen
der inneren Scheide unweit des Foramen opticum nach-
weisbar, während näher dem Auge und stellenweise in
der Umgebung der Geiässe, wie schon erwähnt, eine dicht
gedrängte Anhäufung kleiner Zellen vorkam. Jedoch liess
sich an solchen Präparaten natürlich nicht mit Bestimmt-
heit ermitteln, ob die Gef&sse wirklich von continuirlichen
Scheiden oder vielmehr von einem Netzwerk von breiten
und viehhch quer verbundenen Lymphgef&ssen umgeben
sindt wie dies von einigen Autoren an der Stelle der
perivasculären Lymphräume beschrieben wurde.
An den grösseren Gef&ssen, namentlich auch den
Centralgei&ssen der Netzhaut, war keine Anomalie nach-
weisbar.
2. Fall.
Paralytiseher BUMbdnn, vollständige Amaurose. Atrophia
oerebri, Hydrooephalus, Myelitis der Vorder-, Seiten- und
Histwsträage des Saekemnarks, graue Degeneration des
Options und Olfactorius.
Ueber den Erankheitsverlauf dieses Falles theile ich
folgende Notizen mit, die ich der Güte des Herrn Dr.
Westphal verdanke:
190
Der Kranke bot bei seiiier Anfhahme in die Cba-
t'M (Oct lfi65) bereite du Bild blödsiimiger SehwSelie.
Motorische Störungen bestanden weder in den oberen
noch unteren Extremitäten y ebensowenig Facialislfth-
mung, aber stark stammelnde Sprache und Zittern der
Lippen.
Eine im Dez. 1865 von Prof. v. Gräfe und Dr.
Westphal Yorgenommene Untersuchung der Augen er-
gab folgendes Resultat: Sehfunctionen vollständig auf-
gehoben, selbst quantitative Lichtempfindung bei Local-
beleuchtung nicht nachweisbar. Pupillen ungleich, zeigen
spontane Schwankungen, die zum Theil die Augenmuskel-
contractionen begleiten, zum Theil von Accommodations-
Impulsen abhängig sein mögen; eine Reation auf Licht
ist aber nicht zu constatiren. An den Augenmuskeln
keine wesentliche Anomalie. Sehnerven beiderseits atro-
phisch, Form der weissen opaken Atrophie; keine Reste
froherer Neuritis, weder an den Gefässen, noch in der
Substanz.
Wahrend der ganzen Dauer des Aufenthaltes gleich-
massiges Verhalten bis zu der letzten Zeit, wo Patient öfter
blödsinnige Aufregung zeigte, namentlich hochgradig
in den letzten Wochen; während der Aufregung Zittern
und Zucken in den oberen Extremitäten and krampf-
hafte Bewegungen des Mundes. Bis zum Tode (19/3 67)
keine sonstigen motorischen Störungen.
Die Section ergab Atrophia cerebri, Hydrocepha-
lus, Myelitis der Vorder-, Seiten- und Hinterstränge,
graue Degeneration der Optici und Olfactorii. Mikro-
skopisch zeigten die degenerirten Partien des Rücken-
marks zahlreiche Kömchenzellen. Die hinteren Wur-
zeln der.Rttckenmarksnerven sind mirkoskopisch normal.
Die Pia der Basis ist in der ganzen mittleren Re-
gion am Chiasma und Pous trfib und etwas dick. Beide
Sehnerven, der rechte mehr als der linke, sind abge-
plattet, grau, durchscheinend, ebenso das Chiasma äus-
serst platt, grau und durchscheinend. Weiterhin er-
streckt sich die Atrophie und das graue Aussehen in
191
beide TractoSf soweit sie von aussen zu prftpariren sind
und zwar erseheint der linke etwas platter und mehr
grau als der rechte.
Von den Augen, welche äusserlich nichts Abnormes
darboten, war mir nur die hintere Hfilfte des einen zur
Untersuchung Qbergeben worden. Im frischen Zustande
schien die Papille beider Augen in der Mitte leicht trich-
terfiimug excayirt, besonders links, die Netzhaut bereita
stark in Falten gelegt, übrigens zart und durchsichtig»
der Nerrenstamm wie der der andern Seite auf der gan-
zen Strecke zwischen Foramen opticum und Auge platt
und von gleichmassigem, grauem, durchscheinendem An-
sehen, seine Scheiden schlaff und seine Gestalt am Ein-
tritt in's Auge leicht spindelftrmig. In der N&he dea
Auges ist sein Stamm ohne die äussere Scheide 3 Mm. dick.
J^in durch die Eintrittsstelle des Sehnerven gelegter
Schnitt zeigt eine leichte centrale Excavation der Papille»
deren Rand nach innen etwas steiler, nach aussen hin
dagegen sehr allmälig ansteigt; jedoch ist das Ansteigen
des inneren Randes, wenn auch steiler, doch immer noch
sehr schräg. Der Grund der Vertiefung liegt in gleicher
Höhe mit der AussenflAche der Aderhaut Der Randtheil
der Papille, der nach innen zu namentlich noch ziemlich
breit ist, liegt im Niveau der Netzhaut und zeigt nicht
die in der Norm vorhandene leichte Hervorwölbung aber
dasselbe.
Die Netzhaut ist ziemlich dünn und zart, flberalL
durchsichtig. Sie zeigt eine ausgesprochene Atrophie der
Nerven&ser* und Ganglienzell^ischicht, wfthrend die
äusseren Schichten (mit Ausnahme der cadaverös verlo-
ren gegangenen Stftbchenschicht) gut erhalten sind.
Der Sehnervenstamm enth<, wie die genauere Un-
tersuchung ergibt, nirgend mehr eine Spur normaler
Nervenfiisem. Jedoch war auch in diesem Falle die Ab-
theilung des Nerven in durch gef&sstragende Balken ge-
192
trennte Bündel ganz vollkommen eit alten, aber die
Bündel bestanden nicht mehr aus Nervenfasern, sondern
aus einem zarten, feinfaserigen, zellenreichen Gewebe,
ganz ähnlich wie in den atrophischen Partien des vorigen
Falles. Der Durchmesser der Bündel war noch etwas
mehr reducirt als in letzterem Fall, jedoch war die Ver-
schm&lerung ebenso wie die des Gesammtdurchmessers
des Nerven im Vergleich zu dem voUstftndigen Verlust
aller nervüsen Elemente keine sehr bedeutende zu nen-
um (Tat VI, Fig. 6).
Nirgends ergab die Goldmethode eine Spur der charak-
teristischen dunkelvioletten Fftrbung; im An&nge blieben
die atrophischen Nervenbündel ganz ungefärbt, während
die zwischenliegenden Balken bereits eine leichte blass-
rothe oder bläuliche Farbe angenommen hatten, und erst
nach einiger Zeit f&rbten sie sich gleichfalls schwach
rothlich. Es waren aber alsdann die Bindegewebsbalken
meist dunkler gefärbt, als die Bündel selbst, indem sie
nach einiger Zeit, bei etwas längerer Einwirkung des
Goldsalzes eine dunklere blaue Farbe annahmen; es ka-
men dadurch Bilder zu Stande, welche die grftstmögliche
Abweichung von dem normalen Verhalten darboten.
Debereinstimmend hiermit ist das Verhalten des
Nerven gegen Garminlösung, indem die Bündel ganz
gleichmässig, wie im vorigen Falle in den atrophischen
Partien eine ziemlich lebludte Carmini&rbung annahmen,
wobei sich nirgends ungefärbte, mehr normal gebliebene
Partien erkennen lassen.
Das übereinstimmende Resultat dieser Untersuchungs*
methoden und der Umstand, dass auch an Zerzupfungs-
Präparaten sich nirgends Nervenfiisem isoliren lassen,
berechtigen wohl zu der Annahme eines vollständigen
Schwundes der nervösen Elemente. Hiermit stimmt
auch die während des Lebens constatirte vollständige
Amaurose überein.
193
Die feine Structur der atrophischen Nervenbündel
ist ziemlich dieselbe wie die der atrophischen Partien
im vorigen Falle. Das an die Stelle der Nervenfiftsem
getretene Gewebe besteht auch hier neben einer noch
etwas grösseren Menge von zeitigen Elementen ans fei*
nen Fasern, die in verschiedener Richtung sich durch-
kreuzen, und von denen die meisten mehr der Länge
nach verlaufen, so dass auf Querschnitten ein undeutlich
feinkörniges Aussehen resultirt Durch Zerzupfen isoliren
sich eine grosse Menge feiner, unverästelter, aber nicht voll-
kommen gestreckt verlaufender, sondern vielfiich winkelig
eingebogener und geknickter Fasern ganz ähnlich den im
vorigen Falle beschriebenen, welche dort für Reste der
Nervenfasern, und zwar vielleicht fflr die zurückgeblie-
benen Scheiden derselben betrachtet wurden, eine Er-
klärungsweise, die demnach auch hier maassgebend sein
dürfte. An Längsschnitten erkennt man, dass der Verlauf
der Fasern kein ausschliesslich longitudinaler ist, man
bemerkt nämlich meist nur eine undeutliche Längsstrei-
fung, offenbar weil die Fasern selbst nicht ganz gestreckt
verlaufen und von anderen in verschiedener Richtung
durchkreuzt werden (Fig. 8). Diese letzteren scheinen
nun grösstentheils Ausläufer der Zellen zu sein, welche
in dem Gewebe zerstreut liegen und sich an erhärteten
Präparaten auch ziemlich leicht isoliren lassen. Die Aus-
läufer sind ' meist sehr zahlreich und oft sehr fein und
durcheinander gewirrt, so dass man mitunter nicht mit
Sicherheit angeben kann, ob es sich um wirkliche Aus-
läufer von Zellen oder nur um denselben mechanisch
anhängende, sich durchkreuzende Fäserchen handelt. An
anderen Zellen sind dagegen die Ausläufer etwas spär-
licher, oft etwas blattartig verbreitet und sehr deutlich
und reich verästelt
Die Durchkreuzung des Ausläufersystems dieser
ArchtT fflr Opbthalmologl«, XIV. 8. 18
194
Zellen, vielleicht auch i^ioch mit Betheiiigttog eines zai--
texi bindegewelbigen Netzwerkes mit den Besten der Ner-
Tenfasern erzeugt ganz fthnlich wie in der MoUekuIar- und
Zwischeokörnerschicht der Netzbaut das bei oberfläcb-
lieber Betrachtung kömige Aussehen dieses Gewebes.
Hie und da sind in dasselbe auch einzelne kleine, moUe-
kulare Körnchen eingelagert, welche natürlich mit zu
diesem Aussehen beitragen mfissen. Die Hauptmasse
desselben ist aber auch in diesem Falle von den vor-
wiegend longitudiual verlaufenden unverästelten Fibrillen
gebildet.
Die Kerne sind grösstentheils länglich und mit ihrem
längeren Durchmesser der Axe des Nerven parallel, wes-
halb sie auf dem Querschnitt mehr rundlich erscheinen
(Fig. 8 und 6).
Die Blutgefisse innerhalb der Stützbalken des Ner-
ven, sowie in der Scheide sind durchgängig mit Blut
erfüllt Die Balken nur wenig verdickt und wie in dem
vorigen Fall in etwas ungleichmässiger Weise, zugleich
auch von weniger gestrecktem Verlauf (Fig. 6). Die in-
nere Scheide nicht merklich dicker, nur das lockere Ge-
webe zwischen ihr und der äusseren Scheide etwas mehr
entwickelt. Dagegen enthält die innere Scheide stellen-
weise eine dichtgedrängte Anhäufung kleiner Rundzellen
besonders in der Umgebung der Gefässe.
An den Gef&sswandungen ist keine Anomalie zu er-
kennen.
Kömchenzellen waren nicht vorhanden, doch war
leider das Chiasma und die Tractus nicht zur Unter-
suchung aufbewahrt worden.
195
3. Fall.
Multiple Erweidrangiheerde im GroMhirn, linkaieitige Con-
tractorexi« Schwachfliimigkeit Ghrane Degeneration der Bin-
tentrange des Bftokemnarks. Beginnende grane Degeneration
der Sehnerven, beeonden des linken.
Patient, zar Zeit seiner Anfhahme in die Charitö-
Abtheilnng für Geisteskranke des Herrn Geh. Rath. Orie-
singer, 63 Jahre alt, hatte schon seit 16 Jahren an
allmftlig eingetretenen Gontracturen der Extremitäten
der linken Seite gelitten. Der Zustand des linken Bei-
nes hatte sich allmälig gebessert, sodass Patient wieder,
wenn ancb mühsam, gehen konnte. In den letzten Jah-
ren entwickelte sich zunehmende Schwachsinnigkeit ohne
sonstige bemerkenswerthe Erscheinungen, wegen deren
Patient in der Charit^ Aufnahme fand.
Eine kurz vor dem Tode von Herrn Dr. W. San-
ders und mir vorgenommene ophthalmoscopische Unter-
suchung hatte folgendes Resultat:
Links: Deutliche und ziemlich gleichmässig über
die Papille verbreitete, jedoch nicht sehr hochgradige
weisse Färbung des Sehnerven ohne merkliche Exca-
vation.
Rechts war bei sehr mühsamer Untersuchung wegen
Unaufmerksamkeit des Patienten nicht mit Sicherheit
eine Veränderung am Sehnerven zu constatiren.
Es zeigte sich ein deutlicher Unterschied in der
Farbe des Sehnerven an beiden Augen, doch erschien
auch am rechten Auge die Färbung der Papille bereits
etwas Buspect
Es bandelte sich daher jedenfalls um beginnende
Atrophie des Sehnerven, welche links mit Sicher-
heit diagnosticirt werden konnte, während rechts die
Existenz der ersten Anfänge der Veränderung zweifelhaft
blieb.
18»
196
Eine Sehprttfung war bei dem blödsionigen Zastande
des Patienten nicht ausführbar, doch konnte eine sehr er-
hebliche Sehstörung ausgeschlossen werden. Aus dem-
selben Grunde war in diesem Stadium über das Ver-
halten der Sensibilität nichts mehr zu ermitteln.
Die Section (Dr. Gohnheim) ergab folgende Ver-
änderungen der Centralorgane:
Dura mater des Gehirns nur mit Gewalt vom
Schädel trennbar. Pia an der Convexität trflb und et-
was dick, weniger an der Basis des Gehirns. Sclero- ^
tische und kalkige Verdickungen, Verengerungen und
stellenweise spindelförmige Erweiterungen an den Ar-
terien der Hirnbasis.
Die Hirnventrikel alle stark dilatirt. In der rechten
grossen Hemisphäre ein grosser, alter, gelber Erweichungs-
heerd, der hauptsächlich die Gegend des Corpus stria-
tum einnimmt, nach innen bis in die Nähe des inneren
Randes, nach vorn bis zur Spitze des Corpus striatum,
nach hinten bis zur halben Dicke des Linsenkemes
reicht und nach aussen noch über Vj Zoll weit in die
angrenzenden Markmassen sich hinein erstreckt. Links
ein gelber, zelliger Erweichungsbeerd von beinahe
1 Zoll Länge in der Markmasse des Vorderlappens
dicht hinter der Spitze des Hirns, ein anderer nur etwa
linsengrosser im linken Thalamus, und endlich noch
einige ganz kleine in der Markmasse einiger Gyri des
linken Hinterlappens.
Zwischen Dura und Pia spinalis an der Hinterfläche
im oberen Dorsaltheil faden- uud bandförmige falsche
Ligamente. Pia von der Halsanschwellung nach unten
verdickt, im ganzen Dorsaltheil, schwächer im Lumbar-
theil. Die Seitenstränge des Marks an manchen Stelleu
(unregelmässig vertheilt) von verwaschenem grauem
Aussehen; im Halstheil sind die GolTschen Keilstränge
überall in eine graue, gelatinös durchscheinende Masse
verwandelt, hauptsächlich in ihrem peripherischen, dem
hinteren Rand der Medulla angrenzenden Theil. Im
Dorsaltheil erscheinen nur die äusseren Theile der
GoiPschen Keilstränge grau, und nur hier und da be-
197
merkt man in den angrenzenden Theilen graue Fleck-
chen; dagegen sind von der Lendenanschwellnng an bis
zum Apex die ganzen Hinterstränge in eine graue Masse
verwandelt, in welcher nur hier und da einzelne insel-
artige weisse Flecke zum Vorschein kommen.
An den Wurzeln ist keine makroskopische Verände-
rung zu constatiren.
Von den Nerven an der Hirnbasis zeigten nur die
Sehnerven eine Veränderung. Der linke Sehnerv war
am Foramen opticum stark abgeplattet und von theilweise
graulicher Farbe. Dies zeigt sich besonders im Vergleich
mit dem rechten Sehnerv, dessen Durchmesser unge-
fähr die normalen sind, obgleich auch an ihm sich der
Beginn grauer Degeneration erkennen lässt.
Das Chiasma und die Tractus bieten äusserlich keine
Anomalie; sie sind bereits etwas cadaverös erweicht
Nach der Erhärtung zeigen sich übrigens auch an ihnen
verschiedene giau degenerirte Partien.
Die graue Degeneration hat auch in diesem Fall
durchgebends mehr die oberflächlichen Partien beider
Nerven ergriffen, während die centralen am besten er-
halten sind. Jedoch ist die Veränderung nicht gleich-
massig auf die Peripherie der Nerven vertheilt, sondeni
erstreckt sich an den verschiedenen Seiten von der Ober-
fläche aus verschieden weit in die Tiefe, oder hat über-
haupt nur einen bestimmten Theil des Umfanges des
Nerven ergriffen.
Am linken Sehnerven war vom Eintritt in's Auge
bis zum Chiasma fast nirgends die oberflächliche Schicht
normal geblieben; in der Gegend des Foramen opticum
erstreckte sich aber die Veränderung besonders vom un-
teren Bande her in den Nerven hinein, der hier stark
abgeplattet war, während an den übrigen Seiten nur eine
dünne oberflächliche Schicht von der Degeneration er-
griffen war. Etwas näher nach dem Auge zu waren
198
neben dem unteren die beiden Seitenränder besonders
ergriffen, der obere nur in geringerem Grade; ganz in
der Nähe des Auges endlich hatte die Veränderung in
den oberen Partien des Nerven sich am weitesten nach
der Mitte zu verbreitet
Der Querschnitt des Nerven bot daher an verschie-
denen Stellen schon für das blosse Auge ein verschiedenes
Bild dar; im Allgemeinen war übrigens der Grad der Atro-
phie und ihre absolute Ausdehnung an den verschiedenen
Stellen des Verlaufes nicht wesentlich verschieden. Die
Degeneration erstreckte sich, wie man an Längsschnitten
durch die Papille erkennen konnte, bis in die Gegend
der Lamina cribrosa nach vorn.
Der rechte Sehnerv zeigt die ersten Anfänge der
grauen Degeneration, indem der grösste Theil seines
Querschnittes unverändert ist und nur an einem kleinen
Theil desselben sich eine grauliche Färbung bemerklich
macht Auch ist die Dicke des Nerven nicht merklich
verringert In der Nähe des Chiasma zeigt sich am un-
teren Rande eine leicht grauliche Färbung; vom Foramen
opticum dagegen bis zum Eintritt in's Auge ist an den
verschiedenen Durchschnitten am inneren Rande des
Nerven eine umschriebene, grau degenerirte Partie zu be-
merken, welche sich bald etwas mehr, bald etwas weni-
ger längs des Randes ausdehnt, aber nirgends mehr als
ungefähr ein Viertel des Umfanges umfasst. Auch am
Nerven dieser Seite reicht die Veränderung bis zur Ge-
gend der Lamina cribrosa nach vorn.
Das Niveau der Papille weicht beiderseits kaum
von dem normalen ab. In der Mitte zeigt sich nur eine
ganz leichte Vertiefung, bedingt durch das Auseinander-
weichen der Nervenfasern, aber keine Spur von atrophi-
scher Excavation. Höchstens ist, besonders am linken
Auge, die Papille etwas weniger prominent, als sie sonst
in der Norm zu sein pflegt, jedenfalls aber ist der Unter-
199
ftohied sehr gering uud bei der nicht sehr tollkommenen
Consärvirnng des Präparates (in Folge derOeflhung des
Aages beim Herausnehmen) nicht mit Sicherheit zu be-
stimmen.
Die Netzhaut an beiden Augen normal mit Aus-
nahme des cadaverösen Fehlens der St&bcbenschicht. Die
Ganglienzellen namentlich sehr vollständig erhalten und
auch die Nervenbserschiefat nicht merklich dflnner als
normal.
Die genauere Untersuchung ergab ferner, dass auch
an den beiden Tractus und dem Chiasma an verschie-
denen Stellen graue Degeneration bestand. Am linken
Tractus waren die am äusseren Rande liegenden BQndel
in etwas grösserer, die am inneren in nur geringer Aus-
dehnung von der Veränderung ergriffen; der rechte
Tractus zeigte solche Partien am unteren und unteren
äusseren Rande.
Die histologische Beschaffenheit der grau degenerir-
ten Partien stimmte im Wesentlichen mit der in den
beiden andern Fällen Qberein. Auch hier fand sich das
feine fibrilläre Gewebe, mit zahlreichen, sehr feinen,
blassen, zum grössten Theil varicösen, zum Theil auch
nicht varicOsen, der Länge nach laufenden Fasern
und einem sie durchkreuzenden sehr feinen Netzwerk.
Dagegen war in diesem Falle die Vermehrung der zelli-
gen Elemente innerhalb der Bündel jeden&lls nur eine
geringe. Es zeigte sich zwar auf Schnitten eine etwas
grössere Menge von Kernen, welche aber, wenn man den
verkleinerten Durchmesser der BQndel in Rechnung
brachte, doch nur einer geringen Vermehrung der abso-
luten Menge derselben entsprach.
Kömchenzellen fanden sich nur im Chiasma uüd
auch da nur in geringer Menge. Dagegen enthielten die
grau degenerirten Partien der beiden Tractus, des
Chiasma und der an letzteres angrenzenden Theile beider
200
Sehnenren eine sehr grosse Anzahl Corpuscula amylacea
in ziemlich gleichmässiger Vertheilang, welche sich mit
Jod allein nur gelb, mit Jod nnd Schwefelsäure aber
dunkel weinroth färbten.
An den Geftssen war nirgends eine Veränderung zu
bemerken, und ebensowenig an den Scheiden des Nerven*
Insbesondere zeigten diejenigen Partien der inneren
Scheide, welche den grau degenerirten Stellen des Nerven
anlagen, kein anderes Verhalten als die über den be-
nachbarten wohl erhaltenen Partien.
An den beiden Corpora genicul^ta ext war mit
blossem Auge keine Veränderung zu bemerken, eine mi-
kroskopische Untersuchung war nicht gemacht worden.
Fassen wir kurz die in den vorstehenden 3 Fällen
beobachteten Veränderungen zusammen, so handelte es
sich bei allen um ein gleichzeitiges Auftreten von Atrophie
des Sehnerven, Bflckenmarksaffection und psychischer
Störung. Die beiden ersten Fälle gehören in die zweite
der von Westphal aufgestellten 2 Kategorien der Rücken-
marksafifectionen bei paralytischem Irrsein, indem bei
denselben keine erheblichen motorischen Störungen auf-
getreten waren, anatomisch Körnchenzellen, beim ersten
in einem Theil der Seitenstränge, beim zweiten in allen
Strängen des Rückenmarks constatirt wurden. Im dritten
Falle dagegen war die psychische Störung durch Ence-
phalomalacie bedingt und gleichzeitig graue Degeneration
der Sehnerven und der Hinterstränge des Rückenmarks
aufgetreten. Die Rückenmarksaffection kann nun nicht
ohne Weiteres als directe Folge der Heerderkrankung
im Streifenhügel angesehen werden, da hierbei zwar nach
Türck secundäre Veränderungen in den Seitensträngen,
aber nicht in den Hintersträngen des Rückenmarks zur
Beobachtung kommen. Wenn auch nach der Anamnese
die Oehirnaffection wohl das primäre gewesen ist, so
201
ist man dadurch doch nicht eo ipso berechtigt, die des
Rückenmarks als secnndäre Affection durch Verbreitung
längs des Verlaufs der Nervenröhren aufzufassen, son-
dern hätte eher an einen mittelbaren Zusammenhang
beider zu denken. Dagegen könnte man die graue De-
generation des Sehnerven als Folge der directen Fort-*'
leitung der Atrophie vom Gentralorgan nach der Peri-
pherie ^ufiPassen wollen. Es fand sich allerdings im
linken Thalamus ein etwa linsengrosser Erweichungs-
heerd vor, allein dies genügt noch nicht, um die Affec-
tion der . Sehnerven als unmittelbare secnndäre Verän-
derung in Folge dieses Heerdes anzusehen; den Ent-
weichungsheerd im rechten Streifenhfigel wird man wohl
kaum als Ursache beschuldigen wollen, da der Streifen-
hügel nicht in directer Beziehung zur Sehnervenendigung
steht.
Gegen eine directe Fortleitung spricht zunächst, dass
sich in den Corpora geniculata keine Veränderungen
nachweisen liessen, sondern nur in den beiden Tractus.
Wollte man dagegen einwenden, dass feinere Verände-
rungen der Corpora geniculata der Untersuchung viel-
leicht entgangen wären, obgleich sie doch näher dem
Gentralorgan stärker ausgesprochen sein mussten, so
spricht ferner dagegen das beiderseitige Auftreten der
Veränderung an den Tractus und die Art und Weise
der Verbreitung über die verschiedenen Theile des Seh-
nervenquerschnitts, welche gar nicht der bei Hemiopie
vorkommenden entsprach.
Nach dem Princip der Fortpflanzung, entsprechend
der Faserrichtung, hätte bei einer einseitigen Affection
des Centralorgans nur der eine Tractus befallen sein
und die Veränderung der Sehnerven in den nach der-
selben Seite gekehrten Hälften auftreten müssen.
Es muss daher auch die Affection der Sehnerven
ebenso wie die des Rückenmarks entweder als einfache
Complication des Gehirnleidens oder nur in einer ent-
fernteren Beziehung zu demselben stehend gedacht werden.
In allen 8 Fällen waren in den Corpora geniculata
gröbere Veränderungen nicht vorhanden, eine feinere
jnicroscopische Durchforschung war aber leider nicht
vorgenommen worden.
Es sind dagegen aus der Literatur Fälle bekannt, wo
bei grauer Degeneration der spinalen Hinterstränge die
Atrophie des Sehnerven sich central bis auf die Cor-
pra geniculata fortsetzte. So berichtet, wie ich aus
dem Buch von Leyden über graue Degeneration
der hinteren Rückenmarksstränge (p. 55) entnehme,
Cruveilhier einen Fall von einem amaurotischen Mäd-
chen (Anatomie pathologique IV. p. 21) wo sich graue
Degeneration der Hinterstränge und zugleich beider Seh-
nerven vor und hinter dem Chiasma und graue Färbung
der äusseren Parthie der Corpora genic. vorfand.
Was nun die Veränderungen der Sehnerven selbst
betrifft, welche in den obigen Fällen constatirt wurden,
so fanden sich in in allen neben einer mehr oder
minder weit gediehenen Atrophie der Nerven-
fasern gleichzeitige Veränderungen der Neuroglia
des Nerven, nämlich reichlichere Entwickelung des
einen bindegewebigen Netzwerkes mit oder ohne deut-
lich nachweisbare Vermehrung der zelligeu Elemente
und Auftreten von Körnchenzellen oder von AmyloM-
körperchen.
Im Wesentlichen sind alle diese Veränderungen be-
reits bekannt, und namentlich von Virchow*) neben der
Atrophie der nervösen Elemente auch die Veränderungen
dei* Zwischensubstanz hervorgehoben, nachdem er schon
*) „Zur pathologischen Atfatomie der Netihaat und des Sefaneiv
Ten", Yirohow's Archiv X., p. 170 flF.
203
früher das reichliche Vorkommen von Corpuciila amyia-
eea in atrophischen Sehnenren beobachtet hatte.
Virchow bemerkt am angeführten Orte, dass bei
den betreflfenden Processen die Zwischensubstanz ent-
weder einfach ödematös wird, oder Corpuscula amylacea
oder Körnchenzellen in si(*h entwickelt. Er giebt zugleich
an, dass die Atrophie sich auf kleinere Abschnitte des
Nerven beschränken kann, wesshalb er eine totale und
eine partielle oder gefleckte Form der grauen Degene-
ration unterscheidet.
Wenn demnach auch in den oben mitgetheilten F&Ilen
keine wesentlich neuen Veränderungen zur Beobachtung
kamen, so lassen sich doch, wie mir scheint, aus den-
selben einige Folgerungen ziehen, die der Beachtung
werth sein dürften.
Zunächst fällt die grosse Analogie der Veränderun-
gen des Sehnerven mit der grauen Degeneration des
Rückenmarks auf, und zwar nicht allein in Bezug auf
die Natur, sondern auch die Ausbreitung und Vertheilung
der stattgehabten Veränderungen. In beiden obigen
Fällen, wo die Degeneration nicht die ganze Dicke des
Nervenstammes ergriffen hatte, hatte sie in den äus-
seren Schichten desselben ihre grösste Ent-
Wickelung erreicht, oder war auf dieselben be-
schränkt. Ganz analog ist die Atrophie der Hinter-
stränge des Rückenmarks im Anfangstadium, am stärksten
an der Peripherie, und setzt sich von hier aus zunächst
längs der hinteren Mittelliiiie fort; auch im späteren
Stadium ist sie immer an diesen Stellen am weitesten
gediehen, während gegen die hintere Commissur und die
grauen Hinterhömer Reste weisser Substanz stehen zu
bleiben pflegen. (Siehe Leyden, „Die graue Degenera-
tion der hinteren Rückenraarksstränge", pag. 133 u. 134.)
Ferner ist beiden Affectionen gemeinsam das fleck-
weise Auftreten, das, wie oben erwähnt, auch für den
204
Sehnerven bereits von Virchow hervorgehoben ist Wenn
der Schwnnd kein vollständiger ist, zeigen sich in der
Regel Theile des Querschnittes besonders ergriffen, an-
dere weniger, wobei das Verhältniss längs des Verlanfea
des Nerven oder des Rückenmarks sich an verschiedenen
Stellen verschieden gestalten kann. So war z. B. in
Fall 3 die Degeneration des Opticus der linken Seite an
einigen Stellen mehr vom unteren, an anderen auch von
den beiden Seitenrändern, an noch anderen Stellen von
oben her tiefer in den Nerven eingedrungen, während
der rechte Sehnerv vom Foramen opticum an ausschliess-
lich in der inneren Hälfte einen grauen Streifen enthielt,
dessen Ausdehnung aber gleichfalls wechselte; ähnlich
verhielt sich der erste Fall. Diese Erscheinung ist beim
Opticus durch eine einfache Fortpflanzung der Atrophie
nach der Richtung der Fasern nicht wohl zu erklären,
da die Faserbündel im Opticusstamm, wenigstens in eini-
ger Entfernung vom Auge, ziemlich parallel laufen und
nur sehr wenige Faserkreuzungen eingehen.
Beim Rückenmark sind natürlich die Verhältnisse
comf^licirter wegen des Eintretens von Fasern aus der
grauen Substanz und des Abgehens von solchen durch
die Nervenwurzeln, daher bei diesem Organ aus dem
fleckweisen Auftreten keine so einfachen Schlüsse zu
ziehen sind.
Auch in der Anordnung der in den atrophischen
Partien noch restirenden Nervenelemente zeigt sich eine
grosse Aehnlichkeit. Es wird übereinstimmend angegeben,
dass im Rückenmark die Nervenröhren in grössere Ab-
stände aus einander rücken und nur zu kleinen Gruppen
noch beisammen liegen; ganz dasselbe fand am Opticus
in Fall 1 und 3 statt und wurde namentlich im ersteren
Falle ausführlich beschrieben.
In anderen Fällen von atrophischen Veränderungen
des Sehnerven, die vom Auge ausgingen, und von denen
205
ich weiter unten einige im Detail mittheilen werde, habe
ich eine derartige Vertheilung der Atrophie niemals ge-
funden, sondern dieselbe hatte den ganzen Stamm oder
einzelne Bfindel desselben gleichmässig ergriffen.
Am RQckenmark treten zwischen den mehr zerstreut
liegenden, normal erhaltenen Nervenfasern, welche sogar
zum Theil erheblich verbreitert sind (Leyden 1. c. pag^
144), eine Anzahl viel dünnerer Fasern auf, welche oft
nur eine unmerkliche Markhülle umschliessen, oder nur
aus Axencylinder und Scheide bestehen. Auch am Seh-
nerven schienen einige der erhaltenen, markhaltigen Fa-
sern die normalen Durchmesser zu übersteigen, die Be-
obachtung konnte aber am frischen Präparate nicht mehr
controllirt werden. Dagegen kamen ebenfalls zahlreiche
blasse varicöse, marklose Fasern zur Beobachtung, na-
mentlich an Isolirungspräparaten , während sie an Quer-
schnitten wegen der grossen Feinheit der normalen
Axencylinder sich nicht deutlich nachweisen Hessen. Das
zwischen den Nervenfasern auftretende Gewebe besteht
beim Rückenmark aus einem sehr feinen Netzwerk mit
meistens sehr grossen, länglichen, feinkörnigen Kernen,
die ziemlich regelmässig vertheilt sind und den Nerren-
scheiden anzugehören scheinen, ausserdem finden sich
sparsamere kleine rundliche Kerne. Dieses Gewebe färbt
sich, wie beim Opticus, mit Carmin sehr lebhaft, es lässt
sich aber sehr schwer eruiren, wie viel an seiner Bil-
dung das stützende Fasergerüst und wie viel die etwa
zurückgebliebenen Scheiden der Nerven Antheil haben.
Die Kerne sind ziemlich regelmässig vertheilt, nicht in
Haufen gruppirt, und es finden sich keine Zeichen von
lebhafter Bindegewebswucherung mit Verdrängung der
Nervenfasern und nachheriger Retraction.
Auch beim Opticus ergab sich Nichts, das auf einen
lebhaften Wucherungsprocess des interstitiellen Gewebes
in irgend einem Stadium des Processes hindeutete. Das
206
feine Netzwerk der Neuroglia im Innern der Bündel war
zwar mehr entwickelt und namentlich in den beiden ersten
Fällen die Anzahl der Zellen deatlich vermehrt. Längs
den Gefässen und in der inneren Scheide fanden sich
stellenweise kleine Anhäufungen von rundlichen einker*
nigen Zellen. Im dritten Fall war mit Berücksichtigung
des durch den Ausfall der Nervenfasern bedingten Zu-
sammenrückens der präexistirenden Zellen jedenfalls nur
eine geringe Vermehrung derselben anzunehmen. Aus
dem feinfaserigen Netzwerk Hessen sich in allen Fällen
lange, unverästelte Fasern isoliren, die am wahrschein-
lichsten als Reste von Nervenfasern, vielleicht als die zu-
rückgebliebenen Scheiden derselben, angesehen werden
mussten.
Ob man die Vermehrung der zelligen Elemente^
ebenso wie das im ersten und letzten Falle beobachtete
Auftreten von Körnchenzellen, bereits als chronisch ent-
zündliche Veränderung aufzufassen hat, darüber dürfte
es schwer sein, ein Urtheil abzugeben. Wenn man aber
einstweilen ein massenhaftes Auftreten von Körnchen-
zellen in gewissen Theilen des Kückenmarks als chroni-
sche Myelitis und im Gehirn als Encephalitis bezeichnet,
so müsste man consequenter Weise auch namentlich in
unserem ersten Falle die Veränderung mit dem Namen
einer chronischen Neuritis belegen, wobei ich aber
keineswegs eine Verantwortlichkeit für diese Auffassung
aussprechen möchte.
Dass mit diesem Namen nicht viel gesagt wird, liegt
auf der Hand. Jedenfalls darf man sich die Atrophie
nicht etwa als die Folge der Compression der Nerven-
fasern durch ein entzündliches Exsudat vorstellen, son-
dern dieselbe Ernährungsstörung scheint einerseits die
Veränderungen im Zwischengewebe, andererseits in den
nervösen Elementen zur Folge zu haben.
Was ich dabei hervorheben möchte, ist nur der Um-
207
Stand, dass das Auftreten der EörnchenzeUen noch eine
weitere Analogie zwischen den Veränderungen des Seh-
nerven und denen des RQckenmarks herstellt.
Ueber die Deutung dieses Befundes kann man ver-
schiedener Ansicht sein, jedenfalls wird aber fQr beide
Organe dieselbe Anschauung massgebend sein müssen.
Im ersten und zweiten Falle wurden auch im RQcken-
mark Kömchenzellen gefunden, im letzteren graue Degene-
ration. (Das Rückenmark ist noch nicht mikroskopisch
untersucht worden.) Der Opticus enthielt im ersten Falle in
den centralen Partien eine sehr grosse Menge von Kömchen-
zellen, in den peripherischen keine, im zweiten Fall fan-
den sie sich wenigstens nicht im Opticnsstamm, und im
dritten in spärlicher Menge im Chiasma. Ob die Köm>
chenzellen in einem früheren Stadium der Erkrankung
constant auftreten, oder ob sie zuweilen von Anfang an
fehlen können, muss noch dahingestellt bleiben.
Amyloidkörperchen fanden sich auffallender Weise nur
im dritten Falle und nur in den central gelegenen
Theilen, dem Tractus, dem Chiasma und den daran gren-
zenden Stücken des Sehnerven vor.
Die Gefässe zeigten nur wenige Veränderungen. Ab-
gesehen von den hier und da bemerkten Anhäufungen
kleiner Zellen in ihrer Umgebung, besonders an den der
inneren Scheide, waren im ersten Falle Fettkörnchen-
zellen längs derselben und zwischen Gefässwandung und
Lymphscheide wahrzunehmen. Ausserdem könnte man noch
hierher rechnen die geringe Verdickung der gefässtra-
genden Balken, welche auf einer Zunahme des die Ge-
fässe umhüllenden lockigen Bindegewebes beruht und
wobei die Balken selbst einen etwas mehr gebogenen
Verlauf annehmen und einen viel weniger gleichmässigen
Durchmesser haben als in der Norm. Am Rückenmark
sind die Geiässe in manchen Fällen sel^r hochgradig er-
weitert, ihre Adventitia verdickt, die Wandung sclero-
208
tisch, längs ihres Verlaufes mitanter massenhafte Anhäu-
fungen von Kömchenzellen; in anderen Fällen finden sich
dagegen keine Yeränderuiigen der Geftsse.
Auch die Scheiden des Nerven zeigten keine beson-
deren Veränderungen, während man am Rückenmark
constant eine Verdickung und Trübung der Pia längs
der Hinterfläche und auch mitunter Zeichen chronischer
Pachymeningitis spinaiis beobachtet
Was zuletzt die Deutung des Ophthalmoskop
pischenBefundes betrifft, so bieten die beiden ersten
Fälle keine Schwierigkeit dar. Im ersten derselben fand
sich beiderseits, wie mit dem Augenspiegel diagnosticirt
war, eine flache atrophische Excavation, rechts etwas
tiefer als links. Im zweiten Fall war während des Lebens
weisse opake Sehnervenatrophie beobachtet worden, und
es zeigte sich anatomisch eine flache atrophische Exca-
vation von geringerer Ausdehnung als in dem vorher-
gehenden Falle. Die gewöhnliche Deutung der weissen
Farbe der Papille durch ein deutlicheres Hervortreten
der bindegewebigen Elemente im intraocularen Sehnerven-
ende und in der Lamina cribrosa in Folge des Schwun*
des der darüber liegenden marklosen Sehnervensubstanz,
ist daher für diese Fälle vollkommen ausreichend. Da-
gegen hält es schwer, im dritten Fall die beginnende
weisse Verfärbung des Sehnerven zu erklären, da sowohl
links als rechts das Niveau der Papille jedenfalls vom
Normalen nur sehr wenig, wenn überhaupt abwich, und
die Lamina cribrosa keineswegs frei zu Tage trat. Nun
ist oben angeführt, dass die graue Degeneration sich bis
in die Gegend der Lamina cribrosa nach vom erstreckte;
man könnte daher auf den Gedanken kommen, dass diese
Veränderung der markhaltigen Sehnervensubstauz sich
durch das intraoculare Sehnervenende hindurch bemerk-
lich gemacht und zur Entstehung der weissen Farbe Ver-
anlassung gegeben habe. Bedenkt man jedoch, dass die
209
grau, degenerirten Parthien jedeofi^s nicht st&rker, son-
dern weniger stark Licht reflectiren müssen, als die nor-
malen, so wird man diese Erkl&rang wohl nicht weiter
aufrecht erhalten können. Dagegen könnte man eher
vermuthen, dass vielleicht das intraoculare Sehnervenende
selbst in Folge von feineren Veränderungen stärker licht-
reflectirend geworden sei, obwohl sich dies keineswegs
direct constatiren liess. Beim Mangel bestinunt nach-
weisbarer Veränderungen dürfte in solchen Fällen wohl
dem .Blutgehalt der Papille ein Einfluss auf ihre Farbe
zuzuschreiben sein, ein Moment, auf welches zuerst von
Gräfe aufmerksam gemacht hat (vgl. klinische Vorträge
über Amblyopie und Amaurose mitgetheilt von Engel-
hart in Zehender 's Monatsblättern fUr Augenheilkunde).
In der That ist es wohl denkbar, dass eine Abnahme in
der Füllung der zahlreichen feinen Geftsse des Sehnerven
eine mehr weissliche Färbung der Papille zur Folge
haben könne.
Es ist bekannt, dass die Sehnervenatrophie ophthal-
moscopisch sich in 4er Regel zuerst in der äusseren
Hälfte der Papille durch eine mehr weisse Färbung be-
merklich macht, während die innere Hälfte noch längere
Zeit einen mehr röthlichen Ton bewahrt Es fragt sich
nun, ob man daraus den Schluss ziehen darf, dass in
der Kegel auch die äussere Hälfte des Sehnerven die
zuerst ergriffene ist. Unsere Fälle zeigen, dass sich ein
solches Verhalten keineswegs constant herausstellt, na-
mentlich der dritte Fall, bei dem am rechten Auge die
Affection gerade die innere Hälfte ausschliesslich ergriflfen
hatte, während am linken in der Nähe des Auges die
nach oben gerichteten Parthien am stärksten und in der
grössten Ausdehnung verändert waren. Leider ist nicht
notirt, ob ophthalmoscopisch links eine Verschiedenheit
der Färbung zwischen der inneren und äusseren Hälfte
AreUT für OphduUaoloffto, ZIV, S^ U
210
vorhanden war; rechts war die Atrophie überhaupt zwei-
felhaft
Es scheint daher, dass dieser Unterschied weniger in
der Ausbreitung der Atrophie selbst als in den prftexi-
stirenden Niveanverschiedenheiten der Papille begründet
ist. Die äussere Hälfte der Papille ist immer etwas
flacher, weil die Nervenfasern, die zu den jenseits der
Macula gelegenen Theilen der Netzhaut gehen, nicht ge-
rade nach aussen verlaufen, sondern die Macula bogen-
förmig umkreisen und schon in der Papille mehr oder
weniger schräg nach aufwärts oder abwärts abbiegen.
Der Beginn des Schwundes wird sich daher auch an
dieser schon normal m^r abgeflachteo Stelle am ersten
und deutlichsten zu ericennen geben.
In den bisher mitgetheilteu Fällen handelte es sich
um sog. spinale oder cerebrale Atrophie der Sehnerven.
Es ist aber bekannt, dass die Atrophie auch vom Auge
ausgehen und in centraler Richtung sich weiter verbrei-
ten kann. Bei seit längerer Zeit verloren gegangenen,
phthisischen Augen findet man die Sehnerven gleichfolls
häufig in dünne graue Stränge verwandelt, in welchen
Nervenfasern nicht mehr nachweiebar sind.
Schon Morgagni theilt einige Beobachtungen der-
art mit*). In 3 Fällen von phthisischen Augen war
der dem betreffenden Auge angehörige Sehnerv bis
zum Chiasma äusserst dünn und grau; die Verände-
rung setzte sich aber jenseits des Chiasma nicht
auf die Tractus fest, sondern diese wurden vollständig
normal gefunden. Morgagni erwähnt bei dieser Gele-
genheit, dass andere Anatomen, unter Anderen Vesal,
Fälle mitgetheilt hatten, in denen abweichend von den
*) Morgagni, de sedibn« et oftnsis morbomm Bbroduni 1769.
Spiet. XIII. Obe. 8 und 9 p. 302—804.
211
sdnigen, auch die Tractos atrophisch geliindeii worden ;
in einigen dieser Fälle scheint es sich, nach den beige-
fügten Notizen zu artheilen, um cerebrale Amaurosen
gehandelt zu haben, da an den Augen selbst nichts Krank-
haftes zu bemerken war.
Später wurden ähnliche Fälle von verschiedenen
Autoren mitgetheilt So beschreibt Virchow (Virch.
Arch. VI. p. 416) einen Fall von alter Atrophie des
Bulbus mit Ossification des Glaskörpers, wo der entspre-
chende Opticus bis zum Chiasma verkleinert und in einen
hellen, grau durchscheinenden, homogen aussehenden
Strang entartet war. Derselbe enthielt keine Spur von
Nerven&sem, sondern nur ein dichtes aus netzförmigen
Körperchen und einer faserigen Grundsubstanz bestehen-
des Bindegewebe, in welches eine weiche, der Nerven-
bindesubstanz ganz ähnliche mit zahllosen Corpuscula
amylacea durchsetzte Masse eingeschlossen war.
Es wäre nun von grossem Interesse, experimentell
diese Form der Atrophie des Sehnerven zu verfolgen,
um zu sehen, ob sie immer auf die Sehnerven selbst
beschränkt bleibt und sich nicht weiter central auf die
TractuB ausbreiten kann, und um die dabei auftretenden
Veränderungen des Nerven mit den bei Atrophie in Folge
von Affectionen der Gentralorgane zu vergleichen.
Einstweilen kann ich nur einen sehr kleinen Beitrag
in dieser Beziehung liefern durch einige Notizen fiber die
Befunde der Sehnerven bei verschiedenen Augenaflfec-
tionen, die zum Verlust der Sehkraft geführt hatten, na-
mentlich bei Netzhautablösung, Phtbisis bulbi und einigen
glaucomalösen Zuständen. Da die Untersuchungen meist
au enucleirten Augen gemacht sind, so konnte immer
nur ein sehr kleines Stück des Sehnerven untersucht
und über das Verhalten der weiter centi'al gelegeneu
Theile Nichts ermittelt werdeit.
In einigen Fällen von Phthisis bulbi mit totaler
14»
212
Netzhautablösung war der Sehnerv zum Theil sehr
bedeutend verdQnnt, aber nicht von grauer, sondern von
mehr oder minder ausgesprochen weisser Farbe. Die
BQndel waren namentlich gegen den Rand des Nerven
hin sehr erheblich verschmälert und von mehr uuregel-
massigem Querschnitt, enthielten aber allenthalben dicht
gedrängt stehende normale markhaltige Nervenfasern und
reagirten in der gewöhnlichen Weise auf Goldchlorid.
So war in einem Fall von maligner Iridocyclitis, die
im Verlaufe von 5 Jahren allmälig zu Phthisis bulbi mit
Netzhautablösung geführt hatte, der Sehnerv an der
Ausscnfläche der Sclera nur 1% Mm. dick (ohne äussere
Scheide) aber nicht von rein grauer, sondern mehr weiss-
lieber Farbe. Trotz der erheblichen Atrophie, welche
eine viel bedeutendere Veränderung des Durchmessera
hervorgebracht hatte, als z. B. in dem oben mitgetheilten
zweiten Falle, wo vollständiger Schwund aller Nerven-
fasern bestand und trotz der besonders am Rande sehr
bedeutenden Verschmälerung der Bündel, trat eine ganz
vollständige und gleichmässige Goldreaction ein.
In einem Falle von eiteriger Glaskörperinfil-
tration in Folge eines Trauma's mit beginnen-
der Phthisis und mit Netzhautablösung zeigte
der Sehnerv bereits 5 Wochen nach der Verletzung den
Anfang einer ganz ähnlichen Form der Atrophie. (Die
Netzbaut war nicht eitrig infiltrirt, sondern zeigte nur
hochgradige Veränderungen der Stäbchenschicht, von der
nur Rudimente vorhanden waren, und in der Umgebung
der Papille nur massige Verdickung und Wucherung der
äusseren Netzhautlagen.) Der Sehnerv war von rein
weisser Farbe, massig verdünnt, sein Durchschnitt an
der Sclera von dreieckiger Form und von etwas über
2 bis 2V2 Mm. Durchmesser in verschiedenen Richtungen.
Die Bündel gleichfalls am Rande stark verkleinert, rudi-
mentär, aber von normaler Goldreaction.
213
Id beiden Fällen waren die bindegewebigen Bidken
und die innere Scheide nur massig verdickt und ohne
Zeichen lebhafter Zellenproliforation oder Bindegewebe-
wucherung. Nur innerhalb des Scleralcanals fand sich
im zweiten Falle eine beträchtliche Vermehrung des
Zwischenbindegewebes und eine noch weiter vorgeschrit-
tene Reducirung des Volums der Bftndel als in dem an
das Auge angrenzenden Theil des Nervenstainmes.
Diese Fälle beweisen^ dass wenigstens in einem ge-
wissen Stadium eine erhebliche Atrophie des Nerven be-
stehen kann ohne graue Färbung desselben.
Während in den oben geschilderten Fällen die Atrophie
sowohl im Stamm als innerhalb der Bttndel fleckweise
auftritt und selbst bei vollständigem Verlust aller Nerven-
fasern die Bfindel selbst erbalten bleiben, muss in diesen
Fällen eine Anzahl BQndel vollständig verloren gegangen
sein, während andere erheblich verdünnt sind, ohne dass
aber die übrigbleibenden Fasern derselben degenerirte
Partien zwischen sich enthalten.
Der letzte Fall beweist, dass Netzhautablösung schon
sehr rasch zu Atrophie des Sehnerven führen kann. Die
Enucleation wurde 5 Wochen nach der Verletzung vor-
genommen und die Netzhautablösung erfolgte jedenfalls
erst einige Zeit nach der Verletzung in Folge der Re-
traction der plastischen Producte. Es war daher in we-
nigen Wochen schon zu einem ganz merklichen Grude
von Atrophie des Sehnerven gekommen. Leider war auch
in diesem Fall die Untersuchung nur auf ein kleines
Stück des Sehnerven, das mit dem Auge entfernt war,
beschränkt, so dass ungewiss bleibt, wie weit sich die
Atrophie in centraler Richtung bereits ausgedehnt hatte.
Uebrigens war,, wie bereits erwähnt wurde, in dem intra-
scleralen Stück des Sehnerven die Atrophie etwas weiter
gediehen, als in dem zunächst an das Auge angrenzenden.
In einem weiteren ganz ähnlichon Falle war nicht
214
ganz 4 Wochen nach der Verletzung noch nicht mit Si*
cherheit ein Beginn von Atrophie nachweisbar, obwohl
der Sehnerv etwas dünn war (3 Mm. Durchmesser an
der Aussenfläche der Sclera). Es handelte sich gleich-
falls um eitrige Glaskörperinfiltration mit totaler Netz-
faautablOsung, in Folge der Verletzung durch ein schwe-
res Stück Eisen, das am unteren Scleralrande eine per-
forirende Wunde mit Einklemmung der Iris zu Stande
gebracht hatte. Vierzehn Tage nach der Verletzung war
der früher noch erhaltene Rest von Lichtschein erloschen,
um welche Zeit wohl die Ablesung der Netzhaut erfolgt
sein mag durch die Retraction der im vorderen Theil des
Glaskörpers gebildeten Schwarten, welche zugleich eine
Anzerrung und Ablösung des Ciliarkörpers bewirict hatten.
In manchen FftUen scheint es aber selbst nach jahre-
langer Erblindung in Folge von Netzhautablösung nicht
zum vollständigen Verlust aller nervösen Elemente des
Sehnerven zu kommen.
So war in einem Fall von mehr als SOjähriger Er-
blindung seit Kindheit, Phthisis bulbi mit Iridocyclitis,
totaler Netzhautablösung, Verkalkung der Linse und Kalk-
ablagerungen an die Innenfläche der Aderhaut, der Seh-
nerv sehr erheblich verdünnt, sein Durchmesser an der
Sclera in einer Richtung 1 Mm., in einer anderen 0,5 Mm.,
aber trotzdem von weisser Farbe. Die Centralgefisse
lagen nicht in der Axe des Nerven, sondern ganz in der
Nähe des Randes. Die Nervenbündel grenzten sich in
der gewöhnlichen Weise von dem Zwischengewebe ab,
4ie Nervenfasern sahen zwar nicht normal aus, sondern
bestanden aus Reihen feiner Kömchen, das Myelin war aber
deutlich erhalten, wodurch auch offenbar die weisse Farbe
bedingt war. Eine genauere Untersuchung war aus Man-
gel an Material nicht möglich, weil der Sehnerv hart an
der Sclera abgeschnitten war.
Nach längerer 'Zeit wird aber an phthisischen Augen
215
wie schon erwähnt wurde, meist ein graues Aussehen
des Nerven mit Schwund aller Nerven&sem beobachtet.
Leider kamen mir in der letzten Zeit frische FiUe der-
art nicht zur Beobachtung. Bei einer Anzahl phthisischer
Augen, welche bereits längere Zeit in Mtt Herrscher
Flüssigkeit aufbewahrt worden waren und deren Dicke
bald mehr bald weniger stark abgenommen hatte, konnte
in der That von nenrOsen Elemaiten nichts mehr nach-
gewiesen werden. Es handelte sich meistens um hoch-
gradige Phthisis bulbi mit NetzhautablOsung und Ver-
knScberungeii an der Innenfläche der Aderhaut In diesen
Fällen zeigte sich constant eine deutliche Vermehrung
des Bindegewebs welche auch schon von Klebs beob-
achtet wurde. (Klebs, zur norm, und pathoL Anatomie
des Auges Yirch. brch. XXI. p. 171 ff.) Das die Central-
geftsse umhfilloide Bindegewebe war verdickt, die gefiUis-
tragenden Balken verbreitert, die frttheren NervenbQndel
mehr oder minder erheblich verschmälert und ohne deut-
lich erkennbare Beste von Nerven£E»em. An deren Stelle
trat ein reticuläres Bindegewebe, in dessen Maschen
ziemlich zahlreiche Kerne liegen. Das Aussehen dieses
iGewebes war ein ähnliches wie bei der grauen Degene-
ration bei vollständigen Schwund der Nervenfasern, nur
war die Gamim&rbung in der Begel weniger intensiv
«nd das Oewebe weniger feinfiiuserig.
Etwas anders zeigten sich in einer kleinen Zahl glau-
komatöser Zustände die Befunde am Sehnerven, welche
ich noch zum Schlüsse mittheilen will, indem hierbei die
Dicke des Nerven nicht oder nur wenig verringert und
trotzdem die nervösen Elemente mehr oder minder voll-
ständig geschwunden waren.
216
Grosses Giliarstaphylom, nicht traumatisclien Ursprangs
mit tiefer, totaler Sehnervenexcavation,
Der markhaltige Theil des Sehnerveo in seinem Durch-
messer nicht merklich verkleinert Dicht am Auge sind
die mehr central gelegenen Bändel vollständig atrophirt»
bis auf eine einfache, stellenweise mehrfache Reihe von
relativ normalen Bündeln in der ganzen Peripherie des
Nerven, welche sich^ von den centralen atrophischen Bän-
deln durch ihr opakes Aussehen sehr deutlich abheben.
Doch erbalten auch diese relativ bes^ erhaltenen BOn-
del durch Ooldchlorid kaum mehr eine Färbung, obwohl
das Reagens lauge genug eingewirkt hat, um die gefilss-
tragenden Balken ziemlich lebhaft zu färben.
Der Befund bleibt derselbe auch in einer kleinen
Entfernung vom Auge, soweit der Sehnerv mit dem Auge
entfernt worden war.
Da bei glaucomatösen Zuständen nie centrale Sco
tome auftreten, sondern die Peripherie des Gesichtsfeldes
immer früher erlischt als das Centrum, wenn auch zu-
weilen ein mehr nach aussen vom Centrum, aber doch
nicht sehr entfernt davon gelegener Theil des Gesichts-
feldes länger erhalten bleibt, als das Gentrum selbst, so
scheint aus dem eben mitgetheilten Befunde z,\x folgen,
dass die zu den peripheren Tbeilen der Netzhaut gehen-
den Fasern des Sehnerven mehr in der Axe, die zu den
centralen Theilen gehenden dagegen mehr in den Rand-
partien des Nerven ihren Verlauf nehmen, wenigstens in
der Nähe des Auges.
Hiermit scheint allerdings der Umstand nicht ganz
überein zustimmen, dass in den oben mitgetheilten Fällen
bei grauer Degeneration des Sehnerven die Veränderung
im Gegentheil in den peripheren Partien des Nerven ih-
. 217^
. r^ An&ng Dabm, und man klküsch bei dieser Affection,
wenn sie progressiv ist, neben einer Herabsetzung der
centralen Sehschärfe meist bald Defecte im excentrischen
Sehen beobachtet Da sich aber die Degeneration nicht
auf die peripherischen Partien beschränkt, sondern nach
dem Centruoi weiter schreitet, so konnte sich dieser Um-
stand mit der obigen Folgerung wohl vertragen.
Hierher gehört auch der Befund am Sehnerven bei
dem in diesem Hefte desArchiv's von mir mitgetheilten
Falle von cavernösem Sarcom der Aderhaut (p.221).
Trotz der normalen Dicke und dem normal weissen Aus-
sehen des Nerven wurde in diesem Fall mit Goldchlorid
nur eine ganz schwache aber gleichmässige Beaction er-
halten, und auch sonst konnten nirgends mehr normale
Nervenfasern nachgewiesen werden.
Das an die Stelle der Nervenfasern getretene Gewebe
unterschied sich nicht erheblich von dem bei den oben
beschriebenen Fällen von grauer Degeneration. Es war
nur im Ganzen opaker und die Fibrillen etwas derber,
wodurch die weisse Farbe bei Betrachtung mit blossem
Auge bedingt gewesen sein mag. Die Fibrillen hatten
meist einen leicht welligen Verlauf und waren sehr innig
unter einander verfilzt, dazwischen eine ziemliche Menge
von zerstreut liegenden Kernen. Ausserdem enthielt der
Nerv an einigen Stellen eine nicht unbedeutende Anzahl
von Amyloidkörperchen, und etwas hinter der Lamina
cribrosa rundliche und längliche gelbbraun pigmentirte
Zellen nebst einigen freien Pigmentklümpcben, wohl hä-
morrhagischen Ursprungs.
Dieser Fall beweist, dass nicht noth wendiger Weise
in jedem Stadium an den Verlust der normalen nervö-
sen Elemente auch das Auftreten der graulichen durch-
scheinenden Farbe des Nerven geknüpft ist, sondern dass
die Farbe unter Umständen auch mehr mit der normalen
Farbe übereinkommen kann.
218
Weitere Beobachtaogen mflsaen aber erat lebren, ob
dies öfters Torkommt, und welche Bediagangen dieser
Art der Degeneration des Nerven za Grunde li^;en.
Uebrigens ist bekannt, dass in anderen Fällen von Ta*
uorenbildang im Innern des Auges der Sehnerv eine ex-
quisit graue Beschaffenheit annehmen kann, wovon ich
mich selbst auch in einem Falle zu Qberzeugen die Ge-
legenheit hatte.
Erklärung der Abbildungen.
Figor 1.
Quariehnitt einof normalen Sehnarrett in der Kih« des
Aages.
VargrösMnuig w|,.
Si ist in bemerkan, dati Fig. 1 , 2 und 8 mit dem Zeiohenpriema
bei derselben VergToeaemng genau nacb der Natur geieiebnet aind;
nur ist in Folge einer etwas angleichen Btttfemmg der Zeiehnong die
Yergrosserung in Fig. 1 und 2 eine Spar geringer aoagefaUen ala in
Fig. S, so dasa Fig. ft einer wirkliehen Yecgrdsaeiiuig tob »i,, Fig. 1
and 2 aber einer tob etwa »*\^ entsprechen.
Die Figar leigt die innere Sehnenrenaeheide, mit daran hfingenden
Itesten des lockeren Balkongewebes xwisehen ihr and der iaaaereo Seheide.
In der Mitte die Darehschnitte der Centralarterie and GeBtralrene. Die
Grosse und Configaration der dunkel erscheinenden NerrenbQndel und
der dazwischen liegenden Bindegewebsbalken sind genau wiederge-
geben. Am Bande erkennt man die Darehsehnitte tahlreicher kleiner
Oefasae. ^
Figar 2 and S.
Querschnitt eines grau degenerirten Kerran.
(Beohter Opticus Ton FaU 1 )
Der Schnitt hat die Stelle getroffen, wo die Central?ene in den
Kenrenstanim eintritt; beide Fig^iren von gans benachbarten Stellen
des NerTcn, Vlg. 2 mit Garmin, Fig 2 mit Ooldchlorid behandelt
219
Die atrophiMlMa NerrrabSndel in Fig. 3 roth gefSrbt, würnnd
iuuii«iitlieli in dm Xitto mahr normal gtbliaben» Btadal lam Th«il
«agefirbt geblieban sind. Sehr deutlidi treten ia Fig. 8 die normal
geUiebeaea Partlea alt dunkle Stellaa herror. (Der SinllMUieit halber
lat hier die daakelTidette Farbe ftberall dnreh Sohwaia ereettt).
Figur 4.
StSek eines normalen injieirten Sehnerrenquertehnittee
(naeh Aufhellaag durch Terpentinöl).
VergrSteerung i»j^
Die Kerne lingi der feineren Biadegewebsbalhen und im Innen
4er B&ndel treten deutlieh herror (das Präparat war mit Carmin ge-
firbt); man erkennt auch eine Andeutung dee feintten bindegewebigen
Ketswerkee im Innen der BfindeL
a) Gefieee. Die Quereehnitte der Azfnejliader ereeheinen ala feine
Punkte, hier und da iet an den ttarktten aaeh die Gontur der Nenrea*
fMer eelbet all ein eehr larter Ring lu bemerken.
Fig. 6.
A. Langaeehnitt dee normalen Optieue.
Yergrfieeerung •>•],. (Firaiiipraparat )
a) Stärkerer langilaafender Bindegewebebalken;
b) lehmaler querrerlaufender „
c) Kene, an welchen man lum Theil lehr deutlieh bemerkt, daie
aie reraetelten Zellen angehören, deren Auilaufer mit einem larten
Hetiwerk im Innen dee Kerrenfaeerbfindele (d) lusammeahaagen.
B. leolirte Zellen mit Aufliufern aus derNeuroglia des
Herren.
Figur 6.
Querschnitt eines grau degenerirten Opticus.
(FaU 2.)
YergrSsserung «t^
Die Bindegewebsbalken ungleich rerdickt, Ton mehr gekrfimmtem
Terlanf , ihre Oefisse reichlich mit Blut gefUlt In dem undeutlich
•inkönig aussehenden Oewebe der Kerrenb&ndel sahlreiche Kene.
Fig. 7. Vergrosserung »»i^
Längsschnitt des rechten SehnerTcn Ton Fall 1.
(Finisspripant)
a) Atrophische Nerrenblndel mit sehr feinem und aiemlieh dich«
fem bindegewebigem Netiwerk, undeutlichen langslaufenden Fibrillen,
giemlich reichem Gehalt an Kenen;
b) Bindegewebsbalken mit bluthaltigea Gefaseen.
220
Fig. 8. Yerpröbseraag mj,.
Längstchnitt det SehnerTen Ton Fall 2,
etwas zerzapft. (GUceiinpräparat) ^
Undeutlich flbrilläres Gewebe mit vorwiegend longitadinalem Yer*
lauf der Fasern und oralen, gleichfalls der Lange naeh gerichtete
Kernen. Am Bande bei a eine isolirte, sternförmige Zelle mit eben-
solchem oralem Kern.
Fig. 9. Vergrösserung »«»,.
a) Isolirte, sehr feine atrophische Nerrenfasern mit feinen Yari-^
cositäten Ton Fall 1;
b) ähnliche FaAem ohne Yaricositäten ;
c) etwas stärkere, noch znm Theile markhaltige Nervenfaser;
d) normale Nerrenfasem;
6) Kömchenzellen;
f) kleine Kandzellen.
Fig. 10.
Oefäss aus dem rechten Tractus opt. Ton Fall 1 mit Körnchen^
Zellen und kleinen Randzellen zwischen Gtefässwand und Lymphscheide.
Yergrösserong Mn|j.
Fall von oavernöBem Sarcom der Aderhaut
Von
Dr. Th. Leber.
(Hierzu AbbUduag auf Taf. VII.)
Nachstehender Fall von intraocularer Geschwnlstbildung
dQrfte wohl dadurch das Interesse einer besonderen Mit-
theilung verdienen, als die Geschwulst einen ganz unge-
wöhnlichen und meines Wissens bei intraocularen Ge-
schwülsten noch nicht beobachteten cavemösen Bau dar-
bot, obwohl er in seinem klinischen Verlauf nicht we-
sentlich von dem der gewöhnlichen Aderhautsarcome ab-
weicht.
Anfangs August 1867 stellte sich in der v. Graefe'-
schen Klinik ein Mann aus den mittleren Lebensjahren
vor mit einer heftigen glaucomatOsen EntzQndung des
rechten, seit lange erblindeten Auges, die ihm lebhafte
■Schmerzen verursachte.
Vier Jahre vorher hatte das Sehvermögen dieses
Auges ganz allmfthlig und schmerzlos angefangen abzu-
nehmen, wobei nur ganz im Anfange eine vorabergehende
Entzündung desselben angetreten war.
222
Im Winter 1866/1867 war das SehvermSgen des be-
treflFenden Anges Yollkommen erloschen; aber erst etwas
später, ungefiUir vier Monate ehe sich Patient in der*
Klinik vorstellte, trat EntzAndang des Auges mit hefti-
gen Schmerzen hinzu. Vier Wochen nachher war eine
Iridectomie nach unten ausgefahrt worden, worauf zwar
die Schmerzen nachliessen, die Röthe des Auges sich
aber nicht verminderte. An&ngs August traten die
Schmerzen aufs Neue auf, und der Zustand des Auges
bei der kurz darauf erfolgten Vorstellung des Patienten
in der Klinik war folgender:
Starke Iigection der co^junctivalen und subcoiyunc-
tivalcn Oefilsse« Colobom nach unten, die SteUe der Iri-
dectomie stark vorgetrieben, Pupille weit, Linse nament-
lich in der hinteren Corticalis getrübt, keine Details des
Augenhintergrundes zu erkennen. Auge sehr hart, Licht*
schein vollständig erloschen.
Aus diesen Erscheinungen wurde die Existenz eines
intraocularen Tumors vermuthet, und da die Schmerzen
fortdauerten, den 19. August die Enucleation des Angea
vorgenommen.
Das Auge im horizontalen Meridian eröffnet, zeigt
im hinteren äusseren Abschnitt einen etwa haselnuss-
grossen Tumor von eigenthQmlich cavernOsem Bau, der
von der Aderhaut ausgeht; zugleich besteht totale Netz-
hautablösung. Der Raum zwischen der abgelösten Netz-
haut und der Aderhaut ist mit einer serösen, etwas
klebrigen Flüssigkeit erfdUt.
Der Tumor entspringt mit einer etwas verschmä-
lerten Basis am hinteren äusseren Theil der Aderhaut^
dicht neben dem äusseren Rande des Sehnerven, und ist
auf dem horizontalen Durchschnitt von unregelmässig vier-
eckiger Gestalt (s. Fig. auf Taf. VII.). Sein hinterer Rand
erstreckt sich von der Stelle an, wo er dicht neben dem
Sehnerven von der Aderhaut entspringt, in einer kleinen
228
Entfernong quer vor der Papille vorüber und schiebt die
b^en, didit aneinander liegenden Blätter der abgelös-
ten Netzhaut etwas nach der inneren Seite hinflber, um
dann erst in den ziemlich gerade von hinten nach vom
verlaofenden inneren Rand umzubiegen. Die beiden
Blätter der abgelösten Netzhaut entspringen auf der Pa-
pille dicht neben einander« indem das äussere ganz nach
innen hinfibergeschoben ersdieint; der äussere Abschnitt
der Papille zeigt eine deutliche Excavation, welche dem-
nach zwischen dem Rand des Sehnerven und der Inser-
tionstelle der Netzhaut ihre Lage hat. Die abgelöste
Netzhaut ist vom Sehnerveneintritt an allenthalben so
vollständig zusammengefaltet, dass die Glaskörperhöhle
ganz aufgehoben ist Man bemerkt auf dem horizontalen
Durchschnitt) dass sie ziemlich gleichmässig von hinten
nach vom in drei Längsfalten gelegt ist, die in der Mitte
zusammenstossen und deren beide Blätter je dicht an
einander liegen. Auf dem äquatorialen Durchschnitt bieten
diese Falten demnach die Form eines T dar, eine dersel-
ben ist nach unten, die anderen sind schräg nach aussen
und innen gerichtet Die nach unten gerichtete Längs-
ÜGÜte ist auf dem horizontalen Durchnitte der Länge nach
getroffen, so dass man sehr deutlich ihre beiden, sowohl
einander selbst als der Innenfläche des Tumors dicht an-
liegenden Blätter erkennt
Die Ablösung der Netzhaut ist so weit gediehen,
dass letztere sich nicht in der gewöhnlichen Weise nach
vom zu trichterförmig ausbreitet, um sich an der Ora
serrata zu inseriren, sondem dass sie bis zur Hinter-
fläche der Linse nach vom getrieben ist, und ausser
dieser auch der Innenfläche des Ciliarkörpers dicht anliegt
Man sieht demnach auf dem horizontalen Durchschnitt
die beiden Blätter der mehr erwähnten LängsÜEilte vom
vorderen Rande des Tumors an, immer noch an einander
liegend, zur Hinterfläche der Linse verlaufen, hier nach
224
beiden Seiten umbiegen, um über die Hinterfläche der
Linse und die Innenfläche der Ciliarfortsätze nach aus-
und rückwärts zu laufen und erst in der Gegend der Ora
serrata in die Pars ciliaris retinae umzubiegen.
Dies Verhalten beweist eine sehr bedeutende Stei-
gerung des Drucks zwischen Aderhaut und Tumor einer-
seits und der abgelösten Netzhaut andererseits.
Der Tumor hat von vom nach hinten, und in seit-
licher Richtung einen grOssten Durchmesser von 12 Mm.
Er ist von grauröthlicher Farbe, ziemlicher Consistenz
und von sehr zahlreichen anastomosireuden kleinen Hohl-
räumen durchsetzt, deren Ränder ein dunkles Aussehen
darbieten. Letztere enthalten zum Theil noch flüssiges
Blut und geben sich dadurch deutlich als cavemöse Oe-
fässräume zu erkennen. Das zwischen ihnen befindliche
Gewebe besteht durchgehends aus in die Länge getreck-
ten, meist spindelförmigen, theils auch mit mehreren
Ausläufern versehenen, einkernigen, selten mehrkernigen
Zellen,ohne nachweissbares bindegewebigesStroma. DieGe-
schwttlstist demnach als einSpindclzellensareom anzusehen
mit cavernösem Bau. Die cavernösen Räume haben keine
deutIichen,von dem umgebenden Gewebe abgegrenzten Wan-
dungen, es gelingt nur mit Mühe, hie und da eine ganz
dünne Schicht eines feinfaserigen, kernhaltigen Gewebes
zu isoliren, welche ihre Innenfläche überzieht. Ihre
nächste Umgebung ist durchgehends pigmentirt durch
ziemlich reichlieh auftretende, kleine, mehr rundlich oder
unregelmässig gestaltete, mit braunem Pigment erfüllte
Zellen, deren Pigment mit dem der Aderhaut die grösste
Aehnlichkeit hat. Diese Pigmentzellen treten nur in der
Umgebung der Gef&sse auf, wobei sie bald etwas mehr,
bald etwas weniger weit in das umgebende Gewebe des
Tumors infiltrirt sind. Die Hauptmasse der Geschwulst
ist aber pigmentlos.
An Durchschnitten durch die Basis der Geschwulst
225
lässt sich ihr UrspniDg aus der Adeiliaat sehr deatlich
erkennen. Die Geftsse der letzteren sind allenthalben
stark ausgedehnt; zwischen ihnen und den pigmentirten
Stromazeilen treten in den inneren Lagen allm&lig zahl-
reiche Spindelzellen auf; die Geftsse erweitem sich da-
bei noch etwas mehr und werden durch zuuehmende
Menge der Spindelzellen aus einander gedr&ngt, bis das
Gewebe das oben beschriebene cavemöse Aussehen an-
genommen hat
Die pigmentirten Stromazellen in der Umgebung der
Geschwulst zeigen keine Wucherung oder Eemvermeh-
rang, dagegen enthalten die meisten eine grosse An-
zahl kleiner Fetttröpfchen. Auch finden sich in der
Aderhaut eine Anzahl ähnlicher kleiner rundlicher, läng-
licher oder auch; mit Ausläufern versehener Pigment-
zellen, wie in der Umgebung der Geftssräume des Tu-
mors, die sich von den normalen pigmentirten Stroma-
zellen durch ihre Form unterscheiden.
Die Innenfläche der Aderhaut ist allenthalben von
einem ganz normalen, sehr dunklen Pigmentepithel über-
kleidet. ,
Die Netzhaut ist ganz atrophisch, verdünnt und ent-
hält nur geringe Reste von nervösen Elementen. Das
äussere der beiden Blätter, welche einander und der Innen-
fläche des Tumors anliegen, ist noch etwas mehr ver-
dünnt als das innere; seine Blutgefässe sind sehr stark
ausgedehnt, weit zahlreicher als in der Norm und ziem-
lich dicht neben einander gelegen. Die Innenfläche,
welche dem andern Blatte der Netzhaut zugekehrt ist,
zeigt kleine, papillenartige Hervorragungen, welche dem-
nach ihrer Lage nach der früheren Faserschicht ange-
hören würden. Nach aussen von dieser Schicht, welche
auch die stark ausgedehnten Gefasse enthält, findet sich
noch eine Eörnerlage mit einem ziemlich derben, netz-
förmig angeordneten, bindegewebigen Maschenwerk.
Archiv rar Opbtiullmoiogle» XIV. ?. I5
226
Das äussere Blatt adhärirt der Innenfläche des To^
mors ziemlich innig, ist noch stärker verdQnnt als das
innere, enthält gleichfalls zahlreiche weite Blutgefilsse
mit einem netzförmig angeordneten Bindegewebsgerüst
und zahlreichen grossen, meist gelbbraunes Pigment ent-
haltenden Zellen, und auch freien Pigmentklumpen. Das
Aussehen des Pigments und seine Farbe spricht fOr
einen hämorrhagischen Ursprung desselben.
Der Sehnerv war frisch von ziemlich normal*
weisser Farbe und normaler Dicke (3,6 Mm. im Durch-
messer ohne äussere Scheide). Trotzdem war bereits
eine hochgradige Atrophie der nervösen Elemente einge-
treten, welche gleichmässig Ober die ganze Dicke de;^
Nerven ausgedehnt war. Es fanden sich nirgends nor-
male Nervenfasern mehr vor, und mit Gold gaben die
Bündel durchweg eine nur äusserst geringe Reaction»
Sie bestanden aus einem fein fibrillären Gewebe mit
ziemlich zahlreichen Kernen, stellenweise auch mit reich-
lichen Amyloidkörperchen. Hinter der Lamina cribrosa
war der Sehnerv quer durchsetzt von einem Zug ähn-
licher kleiner Pigmentzellen nebst freien Pigmentklumpen,
wie sie in dem Tumor, in der atrophischen Netzhaut und
in der Aderhaut vorkamen.
Die etwas klebrige, zwischen Netzhaut und Aderhaut
enthaltene Flüssigkeit war ziemlich klar und enthielt nur
eine sehr geringe Menge von Flocken. Diese letzteren
bestanden aus kleinen Aggregaten von Körnchenzellen
von rundlicher, seltener etwas länglicher Gestalt, einige
der Zelle nenthielten auch Pigmentkörnchen in mehr oder
minder grosser Menge.
Die Flüssigkeit erstarrte beim Erhitzen und auch
schon durch Zusatz von Essigsäure vollständig, enthielt
demnach eine sehr grosse Menge eines eiweissartigen
Körpers. Eine genauere chemische Untersuchung liess
sich nicht mehr anstellen, da das Präparat beim Auf-
227
schneiden bereits einige Tage in Müll er 'scher Flüssig-
keit gelegen hatte and die Gegenwart der chromsaoren
Salze die Reactionen stört Durch weiteren Zusatz von
Essigsäure wurden die gefüllten Flocken am Bande
durchscheinend, lösten sich aber nicht Tollständig auf,
während Ammoniak im Ueberschuss eine vollständige
Lösung zu Stande brachte.
Auch in anderen Fällen von Netzhautablösung und
bei Verflüssigung des Glaskörpers habe ich einen sehr
bedeutenden Gehalt eines solchen, jedenMs dem Glo-
bulin nahe stehenden Eiweiskörpers gefunden, wie auch
schon vor längerer Zeit von Frerich's der bedeutende
Albumingehalt des verflüssigten Glaskörpers erwähnt
worden ist
15*
lieber das Vorkommen von wahren BdUnngen
des Auges um die Oesiöhtslinie.
Von
Professor A. Nagel in Tübingen.
Die unzweifelhaft angeborene Association der Bewegun-
gen beider Augen ist innerhalb gewisser Grenzen lösbar
durch die im Interesse des Sehactes erfolgenden Sonder-
bewegungen der Augen. Bei Neugebomen sehen wir,
dass beide Augen gleichzeitig nach rechts, nach links,
nach oben, nach unten, ebenso gleichsinnig in den dia-
gonalen Richtungen bewegt werden. Ohne Zweifel er-
folgen auch die sog. projicirten Baddrehungen, welche
allen zwischen den horizontalen und verticalen Bahnen
mitten inne liegenden Bewegungsrichtungen zukommen,
schon von Geburt an associativ in beiden Augen in glei-
chem Sinne und Grade. Allein der gemeinsame Gebrauch
beider Augen fordert behufs des Zusammenwirkens ihrer
Netzhautcentra gewisse Beschränkungen jenes ange-
bomen Associationsbestrebens, Beschränkungen, die sich
in symmetrischer Weise auf beide Augen vertheilen, so
dass sich gegenüber jener angebomen Gemeinsamkeit
und auf Kosten derselben eine neue, erlernte Gemein-
samkeit ausbildet. Dahin gehört die gleichzeitige Ein-
wärtswendung beider Augen zum Zweck der Fixation
229
luAer OegeDStände, dahin auch die damit wahrscheinlich
verbundene symmetrische Raddrehang beider Augen.
Die Herrschaft des Willens und der Uebung über die
Angenbewegung und die Ueberwindung der angebomen
Association geht indessen noch weiter; selbst Ober die
gewöhnlichen Bedingungen des binoculareu Sehens hinaus.
Dass man durch einige Uebung in den Stand gesetzt
wird, die Augen beliebig convergent und selbst über die
parallele Richtung hinaus divergent zu stellen, ist bekannt ;
dass auch eine verschiedene HOhenstellung beider Augen
bewirkt werden kann, ist von Donders durch Versuche
mit Prismen, von mir durch stereoskopische Versuche
festgestellt worden; dass endlich auch wahre Rollung
des Augapfels um die Gesichtslinie als Aze, eigentliche
Raddrehung, möglich sei und üactisch vorkomme, habe
ich gleichfalls vor 7 Jahren durch stereoskopische Ver-
suche bewiesen. *) Dieser Nachweis scheint H e 1 m h o 1 1 z
unbekannt geblieben zu sein, wenigstens thut er des-
selben in seiner physiologischen Optik keine Erwähnung,
während er durch complicirtere und schwieriger anzu-
stellende Versuche zu dem gleichen Resultate gelangt,
wie ich früher.
Da Hering in seinem neuesten Werke**) die Helm -
holtz^schen Resultate entschieden bestreitet und seine
Versuchsmethode nicht ganz ohne Grund bemängelt,
wiederholte ich nebst Helmholtz's Versuchen meine
früheren Versuche und suchte genauere Messungen damit
zu verbinden. Ich gelangte zu voller Bestätigung meiner
früheren Angaben, halte jedoch bei dem Zwiespalt der
Meinungen einige Bemerkungen über den in mehrfacher
Hinsicht Interesse bietenden Gegenstand nicht für unnütz.
*) Dm Sehen mit iwei Augen. Leipiig und Heidelberg 1861. pag. 51.
** Die Lehre rom Unoonlaren Sehen. Leipiig 186S. Ente lie-
Irning.
230
Es fragt sich, ob dominirende Contoaren in stereo-
skopischen Bildern durch den Drang znr Yerschmelzang
eine Rotation des Auges um seine Sehlinie zu bewirken
vermögen. Von zwei zusammengehörigen stereoskopischen
Bildern dreht man das eine um seinen Mittelpunkt nach
rechts oder ynks und untersucht, ob dessenungeachtet
die stereoskopische Verschmelzung mit der charakteristi-
schen Tiefenwirkung von statten geht Nicht alle Bilder
eignen sich zu solchen Versuchen, insbesondere nicht
solche mit vorherrschend verticalen Linien. Diese näm-
lich brauchen durch die erwähnte Drehung nicht an der
Verschmelzung gehindert zu werden, es wird nur der
stereoskopische Efifect geändert, indem die Verschmel-
zungslinien der Verticalen nicht mehr vertical, sondern
nach vorne oder hinten geneigt erscheinen. Wenn jedoch
horizontale Linien der Einzelbilder um ein Geringes
gegen einander geneigt werden, so entsteht kein eigent-
lich stereoskopischer Efifect, keine specifische Tiefenaus-
legung. Diejenige, gegen die Angesichtsfläche äusserst
stark geneigte, nahezu senkrecht stehende Linie, welche
nach den Gesetzen der Perspective das Verschmelzungs-
bild sein könnte, hat eine zu ungewohnte Lage, als dass
ihre Wahrnehmung sich aufdrängen sollte. Mit horizon-
talen Linien muss man also die Versuche anstellen.
Einfache Linien üben einen zu geringen Zwang zur Com-
bination aus. Viel kräftiger wirken Systeme horizontaler
Linien; am zweckmässigsten habe ich es gefunden, iden-
tische Drucke zu benutzen, da diese mit ihren vielen
Details einen starken Verschmelzungsdrang hervorrufen.
Ich lege die Blätter in geeignetem Abstände neben
einander, fixire die beiden Centra durch Stifte, um welche
jedes Blatt beliebig rotirt werden kann und setze das
Stereoskop darüber. Am besten ist es von der parallelen
Lage der Bilder auszugehen und während des Hinein-
blickens in's Stereoskop eines der Bilder ganz langsam
231
um seinen Mittelpunkt zu drehen. Die binoculare Oom-
bination bleibt dann ziemlieh lange erhalten, während
man im Auge das OefQhl eines gewissen Zwanges spürt,
das sich jedoch bei längerem Anschauen wieder yerliert
Ein kürzeres, secandenlanges Schliessen des Auges stört
die Verschmelzung der Bilder nicht, dagegen fallen sie
auseinander, wenn man die Augen etwas länger geschlossen
oder einen Blick in's Zimmer geworfen hat Dann ent-
steht ein Chaos von sich kreuzenden in lebhaftem Wett-
sti*eit sich verdrängenden Buchstaben, Worten und Zeilen,
und wenn man um sich blickt, macht sich für einen
kurzen Moment eine Art von Gesichtsschwindel bemerk-
lich. Oft gelingt es mir auch ohne von Neuem von der
Parallelstellung auszugehen, Ordnung in das Chaos zu
bringen und binoculare Verschmelzung zu bewerkstelligen^
am leichtesten, wenn ich von den Doppelbildern eines
bestimmten Wortes oder Zeichens ausgehe. Ich bemerke
alsdann eine deutliche allmälige Botation des Sehfeldes,
ganz analog der HOhenverschiebung desselben, wenn
man die Einzelbilder in der Sichtung der Verticalen
gegen einander verschoben hat Nach wenigen Uebungen
gelang es mir, den Drehungswinkel unbeschadet der voll-
kommensten Vereinigung auf den unerwartet hohen Be-
trag von 10 Grad zu bringen, und zwar in gleicher Weise
für die Drehung nach rechts wie nach links.
Dass das im Stereoskop einfach gesehene Bild wirk-
lich ein binoculares Verschmelzungsbild war, nicht etwa
«ines der Bilder vernachlässigt, d. h. im Wettstreit der
Sehfelder untergegangen war, liess sich mit Sicherheit
darthun. Einmal waren die unverkennbaren Zeichen der
stereoskopischen Combination vorhanden, das deut-
lichere Heraustreten der verbreiterten, vom Papier ge-
Wissermassen abgelösten Buchstaben, die charakteristische
Wölbung des Sehfeldes, auf welche ich früher aufinerk-
sam gemacht habe (die übrigens auch ohne Verwendung
des Prismenstereoskops beim Stereoskopiren mit freiem
Auge auftritt, Ton der Prismenwirkang also unabhftngig
ist). Sodann zeigt das Verschmekongsbild eine gewisse
Abweichung von der geraden Lage, die Zeilen scheinen,
wenigstens in der ersten Periode der Verschmelzung und
während der Drehung im Sinne der einseitig erfolgten
Botation, um ein Weniges geneigt, weit weniger freilich^
als die einseitige Bilddrehung betrug. Endlich fanden
sich die in den Einzelbildern angebrachten Marken im
Sammelbilde wieder und ein quer unter dem Rahmen
des Stereoskops ausgespannter Faden erschien in Doppel-
bildern, die sich unter spitzen Winkeln kreuzten.
Hiemach kann über die wirklich erfolgte binoculare
Verschmelzung kein Zweifel mehr bestehen.
Zum Behufe dieser Verschmelzung nun, der Deckung
der Sehfelder beider Augen, erfolgt offenbar eine Ver-
änderung der Augenstellung. Welcher Art diese sei,
ja selbst ihr Vorhandensein überhaupt lässt sich bei der
geringen Excursion begreiflicher Weise schwer objectiv
erweisen.
Das Gefühl der Anstrengung im Beginn, des Nach*
lasses derselben am Schluss des Versuchs, wenn es auch
deutlich genug ist, hat nicht zureichende Beweiskraft,
dagegen Yermögen wir durch Beobachtung von Doppel-
bildern und Nachbildern genügende Anhaltspunkte zu
gewinnen.
Spannt man quer unter den Rahmen des Stereoskops
einen horizontalen Faden, so dass er beide Sehfelder in
eine obere und eine untere H&lfte theilt, so erscheint
beim Durchblicken durch das Stereoskop der Faden ein-
fach. Setzt man nun das mit dem Faden versehene
Stereoskop auf die Druckproben und rotirt die eine der-
selben, so sieht man bei stereoskopischer Deckung der
Drucke den Faden in zwei Doppelbildern, welche si(A
in der Mitte unter dem Winkel der Drehung kreuzen
238
und kann ans der scheinbaren Lage der Doppelbilder
im Vergleich mit der wirklichen Lage der Netzhautbilder
die actnelle Stellang beider Aogen beartheilen. Gesetzt^
es sei das dem rechten Auge zukommende Bild um 10^
nach links gedreht, so ist die Lage der Doppelbilder
ungefiLhr folgende:
/. "^-^ - r ^ ^
/ r
Figur 1.
Der Winkel, unter dem beide Bilder sich kreuzen,
beträgt 10^ das Bild 11 gehört dem linken, das Bild rr
dem rechten Auge an, hh ist die wahre Horizontale.
Während langsamer Ausf&hrung der Drehung be<
merkt man, dass der horizontale Faden sich in zwei
Doppelbilder spaltet, welche sich in entgegengesetzter
Sichtung bewegen, so dass sie sich unter einem allmälig
wachsenden Winkel kreuzen. Das Doppelbild des linken
Auges dreht sich nach links. Da aber das vor dem
linken Auge befindliche Blatt seine Lage in Wirklichkeit
unverändert beibehält, so folgt aus der Scheinbewegung,
dass das linke Auge eine unwillkürliche nicht zum Be-
wusstsein gelangende Botation nach rechts erfiÜLrt, deren
Betrag = Ti^ hcl ist. Gleichzeitig dreht sich das Doppel-
bild des rechten Auges nach rechts. Auch diese Bewe-
gung ist eine Scheinbewegung, denn das dem rechten
Auge zugehörige Blatt dreht sich in Wirklichkeit nicht
nach rechts, sondern umgekehrt nach links. Hieraus
folgt, dass das rechte Auge gleichfalls eine willkfirliche,
nicht zum Bewusstsein kommende Bewegung ausfährt
— eine Raddrehung nach links, deren Betrag jedoch
geringer ist als die Blattdrehung, nämlich 2( rcl — ^ hcl
= 2^rch. In beiden Augen erfolgt mithin bei
dem Versuche eine unwillkQrliehe Raddrehun|g
nach innen.
234
Gleiches Resultat wie die Lage der Doppelbilder
ergiebt in Bezug auf die beiderseitigen Baddrehungen
die Lage von Nachbildern. Ich spannte auf einer Drack-
probe zwischen zwei Zeilen der Schrift einen schmalen
Sti*eifen von intensiv rother Farbe aus, welcher nach
erfolgter stereoskopischer Deckung beider Sehfelder so
lange fixirt wurde, bis sich ein deutliches Nachbild ent-
wickelt hatte. Der rothe Streifen wurde erst in dem
einen dann in dem andern Sehfelde angebracht Wurde
alsdann das Stereoskop mit den Drucken entfernt, und
betrachtete ich eine gerade vor mir befindliche horizon-
tale Linie, so befand sich das Nachbild nicht in Deckung
mit derselben, sondern erschien g^en dieselbe geneigt
Hieraus musste sich die frühere Stellung des Auges
während des Versuches ergeben. Wenn, wie im obigen
Beispiele, das fQr das linke Auge bestimmte Blatt seine
normale Lage behielt, das Blatt des rechten Auges nach
links gedreht wurde, so erschien das Nachbild, mochte
nun der rothe Streifen im rechten gedrehten oder im
linken ruhenden Bilde sich befinden, jederzeit etwas nach
links geneigt; in beiden Fällen in ungefähr gleichem
Grade (oder fQr das rechte Auge etwas stärker als fOr
das linke) unter einem Winkel, der auf etwa die Hälfte
des Drebungswinkels geschätzt werden konnte. Da nun
die Druckschrift des linken Auges in horizontaler Lage
verblieben, das Nachbild aber nach links geneigt schien,
so musa zur Zeit der Erzeugung des Nachbildes das
Auge nach rechts gedreht gewesen sein. Die Druck-
schrift des rechten Auges war um 10^ nach, links ge-
dreht Da aber das Nachbild dieses Auges nur um
etwa 5^ nach links geneigt scheint, so muss das rechte
Auge den Rest von 5® durch eine Linksdrehung ausge-
glichen haben.
Analog ergiebt sich sowohl durch die Beachtung der
Doppelbilder als der Nachbilder für die Rechtsdrehung
des rechten Einzelbildes, dass das binoculare Ein&ch-
sehen unter Raddrehung beider Augen nach aussen su
Stande kommt Beide Augen führen also unter dem
Emfluss der dominirenden Contouren Raddrehungen im
entgegengesetzten Sinne, d. h. in symmetrischer Weise
aus, beide einwärts, wenn die Bilder eine Einwärts-
drehung erfahren haben, beide auswärts, wenn die Bilder
eine Aaswärtsdrehung erfahren haben. Der Gesammt-
betrag der Raddrehungen ist gleich dem Betrage der
Blattdrehung (die Drehangswinkel in beiden Augen po-
sitiv gerechnet) und vertheilt sich anscheinend gleich-
massig oder unter Bevorzugung des der einseitigen
Drehung entsprechenden Auges auf beide Augen.
Nach mir hat Helm hol tz die im Interesse des
binocularen Sehacts erfolgende Rollung der Augen um
die Sehlinien auf anderem Wege erwiesen, der eine will-
kommene Ergänzung zu dem meinigen bildet. Er be-
nutzte nicht gesonderte, zu stcreoskopischer Vereinigung
bestimmte Bilder, sondern die Gegenstände selbst. Um
dem einen der beiden Netzhautbilder d. h. dem Sehfelde
^es einen Auges eine Raddrehung um den Fixii-punkt
als Mittelpunkt zu geben, bedient er sich der Combi-
nation zweier rechtwinkliger gleichseitiger Glasprismen.
Stellt man diese so auf, dass ihre Hypotenusenflächen
parallel sind und schaut längs derselben hindurch, so
erscheinen in Folge doppelter Spiegelung an beiden
Hypotenusenflächen die Objecto in unveränderter Lage
und Gestalt Dreht man alsdann eins der Prismen um
eine mit der Gesichtslinie zusammenfallende Axe, so er-
scheint das Sehfeld mit seinem ganzen Inhalt gedreht
um einen Winkel, der doppelt so gross ist als der Dre'
hungswinkel des Prismas. Betrachtet man nun an Ein-
zelnheiten reiche Objecto, z. B. ein kleines Tapetenmuster
oder eine Druckschrift mit beiden Augen, von denen das
eine frei blickt und die Objecto in ihrer wahren Lage
236
sieht, indesB das andere durch jene Prismencombinatioa
mit geringer Drehung hindurch die Gegenstände um einen
missigen Betrag gedreht sieht, so kreuzen sich anfisuigs
die beiden Bilder, allm&lich jedoch erfolgt die Unoculare
Deckung.
Hering bestreitet nicht nur das Resultat des Ver-
suchs, sondern greift auch das Arrangement desselben
an.*) Sein Widerspruch in letzterer Beziehung grflndet
sich auf eine altere Angabe von Helmholtz. Dieser
hatte in seiner ersten Mittheilung"^*) gesagt: „Um diese'^
(n&mlich die oben erwähnte) „Stellung der Prismen zu
„erhalten, kann man ganz einfach zwei Cathetenflächen
„der Prismen auf einander kitten, so dass die Hypote-
„nusenflächen nahehin parallel sind/^
Mit Recht macht Hering darauf aufmerksam, dass
hierin eine kleine Ungenauigkeit liegt, indem durch eine
solche Verbindung der Prismen nicht Mos eine Rad-
drehung, sondern zugleich eine geringe Höhen- und
Seitenverschiebung der durh dieselben hindurch gesehe-
nen Objectbilder bewirkt wird. Helmholtz hat indessen
jenen Satz in seiner physiologischen Optik fortgelassen,
und da die dortigen Angaben vollkommen correct sind,
so scheint kein Grund zu der Annahme vorzuliegen,
seine Experimente hätten unter jener wohl nicht unbe-
wussten Ungenauigkeit gelitten. Da jedoch das Ergeb-
niss Helmholtz^s von Hering vollkommen und ent-
schieden geleugnet wird, habe ich des Ersteren Versuche
wie sie pag. 477 und 478 der physiologischen Optik
beschrieben sind, wiederholt und kann Helmholtz's
Angaben in jedem Punkte bestätigen. Die aus denselben
zu ziehenden Folgerungen stimmen mit den von mir oben
auf anderem Wege erzielten Resultaten völlig flberein.
•*) HcidelbcTgw Jtlirbtteber 1S65 p^r- ^68.
237
Vor Erörterung des Zastandekommens des binocu-
lareo Einfachsehens unter so abnormen Umständen wird
es zweckmässig sein, sich zu Tergegenwärtigen, auf welche
Art, durch Contraction welcher Muskeln die Raddrehnng
des Auges um die Gesichtslinie als Axe bewerkstelligt
wird. Diese Frage lässt sich leicht beantworten, wenn
wir berflcksichtigen, dass die Drehnngsaxe fQr jene Be-
wegung, nämlich die Gesichtslinie, in der Listin g'schen
Primärstelluug, Ton der wir ausgehen wollen, und auf
deren Betrachtung wir uns beschränken können, in der
Ebene liegt, welche die Drehungsaxen der beiden Recti
superior und inferior und der beiden Obliqui enthält
Deshalb können nur diese Muskeln bei der AusfQhrung
wahrer Raddrehungen betheiligt sein, die Recti internus
und externus nicht, weil ihre gemeinsame Drehnngsaxe
auf jener erwähnten Ebene senkrecht steht
Es wird nun eine Baddrehung nur durch diejenigen
Muskeln vollführt werden können, deren Drehungshalb-
axen die Drehungshalbaxe der betreffenden Drehung zu-
nächst zwischen sich enthalten. Die Figur 2 stellt den
horizontalen Durchschnitt
des linken Auges in der
Primflrstellung dar, welcher
die Grundlinie LR, die Ge-
sichtslie VH und die Dre-
hungsaxen der vorhin er-
wähnten Muskelpaare eut-
hält CRs ist die Drehungs-
halbaxe des Rectus superior,
CRi die des Rect. inferior,
CDs die des Obliq. sup.,
COi die des Obliq. inf.
Die Halbaxe für die Raddrehung nach innen (oder
nach rechts) ist CU. Sie liegt zwischen CRs und CGb,
den Drehungshalbaxen für Rect sup. und Obliq. sup.
238
Diese beiden Muskeln werden es daher sein,
welche jene Raddrehung ausfahren. Das Ver-
hlltniss, in welchem beide th&tig sein mflssen, wird ge-
geben durch die Seiten des Parallelogramms CaHb,
Da Cb > Ca, wird der obere schiefe Augenmuskel sich
stärker contrahiren mfissen als der obere gerade. Das
Verhältniss zwischen Ca und Cb wird gleich sein dem
Verhältniss Sin HCb: Sin HCa = Sin 36«: Sin 70^
(nach Ruete) = 5736: 9397. Annähernd wird also das
Verhältniss der Contractionsstärke beider Muskeln sein
wie 2 : 3 oder etwas genauer wie 5 : 8, indem das Ueber-
gewicht auf Seite des Obliquus fällt
Die Vergleichung mit den Einzelwirkungen dieser
Muskeln bestätigt das Ergebniss. Beide Muskeln wirken
auf den HOhenstand der Hornhaut im entgegengesetzten
Sinne. Da der Obl. sup. aber bei gleicher Drehung
schwächer auf den Höhenstand der Hornhaut wirkt als
der Rect sup., muss er, um des Letzteren Wirkung in
dieser Hinsicht zu neutralisiren, entsprechend stärker
contrahirt werden. Auch in Bezug auf den Seitenstand
der Hornhaut wirken Rect. sup. und Obl. sup. sich ent-
gegen und neutralisiren sich bei entsprechender Con-
tractionsstärke. Zwar ist der Einfluss des Rect. sup.
auf den Seitenstand der Hornhaut (Zug nach innen)
geringer als der entgegengesetzte Einflnss des Obl. sup.
(Zng nach aussen) allein er erhöht sich bei zunehmender
Raddrehnng nach innen, weil dann seine oculare Inser-
tion sich nach innen vom Drehpunkt dislocirt und er
wird dadarch in den Stand gesetzt, selbst der über-
wiegenden Action des Obliq. sup., der in gleichem
Maasse von seiner Wirkung auf den Seitenstand der
Hornhaut einbüsst, das Oleichgewicht zu halten. Auf
den Stand des verticalen Meridians endlich wirken Rect.
sup. und Obl. sup. iu gleichem Sinne, nach innen nei-
gend, ihre Wirkung summirt sich daher allein in dieser
Beziehung, während sie sich in jeder andern Beziehung
aufhebt Der vorwiegende Einfluss in Hinsicht auf die
Raddrehung wird selbstTerständlich dem Obl. sup. zu-
239
fallen. Man wird eich den Effect des ZaBanimenwirkens
beider Muskeln leicht vorstellen können, wenn man
bedenkt, dass die Richtung beider Krftfte, des oberen
geraden Moskels nnd der Sehne des Trochlearis, von
innen nach aussen geht, ebenso die Richtung des Beet,
inf. und und ObL Inf. Erstere greifen ttber, letsrtere
unter dem Drehpunkt an. Das Experiment an der Leiche
bestätigt das Zustandekommen der Raddrehnng bei den
. erwähnten Gombinationen.
Wie die Raddrehung des zum Beispiel genommenen
linken Auges nach aussen, d. h. nach links zu Stande
kommt, lässt sich in ganz ähnlicher Weise ermitteln.
Dazu werden Rect inf. und Obliq. inf. erforderlich sein,
deren Drehungshalbaxen (Ri und Oi in Fig. 2) die Halb-
axe C V für die verlangte Raddrehung zwischen sich fassen.
Auch hier wird die Action des Obliquus überwiegen
massen, in dem nämlichen Verhältnisse und aus den
analogen Gründen wie die Action des Obliq. sup. bei der
entgegengesetzten Raddrehung. Ich brauche die ganz
entsprechende Deduction fdr diesen Fall nicht zu wie-
derholen.
Erinnern wir uns jetzt, dass in den obigen Experi-
menten eine entgegengesetzte Raddrehung in beiden
Augen stattfand. Das rechte rotirte nach links, das
linke nach rechts. Zu der Links-Raddrehung des rechten
Auges ist die Gontraction des Rect sup. und Obliq. sup.
erforderlich, zu der Rechts-Raddrehung des linken Auges
aber gleichfalls die Gontraction des Rect sup. und Obliq.
sup. dieses Auges. Also die Action der gleichnamigen
Muskeln beider Augen bewirkt Raddrehung in entg^en-
gesetztem Sinne in Hinsicht auf die Medianebene. D i e
gemeinsame Action des Rect sup. und Obliq.
sup. besorgt in beiden Augen die Raddrehung
nach innen, die Action des Rect inf. und Obliq.
inf. in beiden Augen die Raddrehung nach aussen.
240
Sehr wahrscheinlich treten auch — und das würde
das prompte Eintreten der Baddrehang unter abnormen
Bedingungen erklären — beim normalen Gebrauch der
Augen die erwähnten Muskelcombinationen in Wirksam-
keit Die meisten neueren Untersuchungen stimmen da-
rin ttberein, dass in den Augenbewegungen mit zuneh-
mender Convergenz der Augen immer deutlichere Ab-
weichungen vom Listing 'sehen Gesetze hervortreten,
welcher im Hinzutreten symmetrischer Raddrehungen nach
aussen bestehen. Hier müssen also nothwendig die uns
bekannt gewordenen Muskelgruppen thätig sein. Es
scheint sich mit der die Convergenz vermehrenden Con-
traction der Recti intemi einige Contraction des Bectus
und Obliquus inferior, mit der die Convergenz verrin-
gernden Contraction der Recti ezterni Contraction des
Rectus und Obliquus superior zu associiren. Es ist viel-
leicht nicht ohne Interresse zu wissen, dass in den so
überwiegend oft gebrauchten, abwärts gerichteten, con-
vergenten Augenstellungen nach dem Obigen beide Obli-
que gespannt sind, also ein Antagonistenpaar, welches
bei gemeinsamer Thätigkeit den Bulbus seitlich zu com-
primiren strebt und wohl geeignet scheint, bei vermin-
derter Resistenz der Scleralwand die die Myopie bedin-
gende Form Veränderung zu befördern.
Man wird bemerken, dass das Vorkommen wahrer
Raddrehungen nicht stimmt zu H er ing's Behauptung in
Betrefi der unlösbaren Gemeinschaft in der Thätigkeit
gewisser Augenmuskeln. Hering will Rectus sup. und
Obliquus inf. zusammen so zu sagen als eine einzige nach
oben ziehende Kraft betrachten und glaubt, dass beide
Muskeln sich nur gleichzeitig und immer in dem näm-
lichen Yerhältniss contrahiren. Diese Meinung ist durch
obige Beobachtungen genügend widerlegt.
Es dürfte au dieser Stelle Erwähnung verdienen,
dass es eine bekannte Form von Nystagmus giebt, bei
241
der die krampfhaften Bewegungen Torzugsweise in Rad-
drehangen um die Gesichtslinie als Axe bestehen.
Ohne erhebliche seittiche oder HOhenablenkung zu er-
&hren, drehen sich die Hornhäute in kurzen, schnellen
Zuckungen wie Rader um die Mittelpunkte der Pupillen.
Man hat diesen Nystagmus rotatorius irrthttmlich als
Nystagmus der schiefen Augenmuskeln bezeichnet Nicht
diese allein, sondern auch die geraden Augenmuskeln, su-
perior und inferior, müssen dabei betheiligt sein.
Wir kommen nunmehr zu der Frage nach der Be-
deutung der in unseren obigen Experimenten stattfin-
denden Baddrehung der Augen. Betrachten wir zunächst
den unmittelbaren Effect der auf beide Augen vertheilten
Baddrehung. Derselbe besteht darin, dass die zur ste-
reoskopischen Combination dargebotenen Druckschriften,
von denen die eine, wie oben angenommen, eine Drehung
erfahren hat, sich auf Netzhautstellen abbilden, welche
in gewissem Sinne correspondirend sind oder sein können,
insofern sie nämlich bei gewöhnlicher normaler Augen-
stellung die Bilder der gleichen in üblicher Stellung ge-
haltenen Druckschrift auftiehmen würden. Mit Helm-
holtz kann man hinzufügen, „dass die horizontalen
„Netzhautmeridiane so eingestellt werden, dass sie ent-
„sprechende gleiche Bilder empfangen '\
Aber es würde unrichtig sein, wenn man weiter gehen
und sagen wollte, die Bilder fallen auf identische oder
correspondirende Netzhautstellen in dem bekannten Sinne.
Dass dies eine mathematische Unmöglichkeit ist, ist längst
nachgewiesen.
Was ist nun durch die Verlegung der Bilder auf
andere Stellen der Netzhäute gewonnen? Der perspec-
tivischcn Deckung der Bilder scheint ja nach wie vor im
Wege zu stehen, dass zusammengehörige Projectionslinien
Arehir für OphUutlmoloslei XIY. B. 1$
242
der Netzhaatbilder nicht in gleicher Ebene liegen. Hier
jedoch tritt eine Yeränderang der Vorstellung Ton der
Angenstellang*) in's Mittel, indem nimlich die vollführ-
ten Raddrehungen, als unwillkürlich und unter dem Zwange
übereinstimmender Bilder mit stark dominirenden Con-
touren erfolgt, nicht zum Bewusstsein gelangen. Wir
wissen aus anderweitigen Experimenten, auf welchem
Wege eine solche Täuschung über die Augenstellung
möglich wird; z. B. wenn wir zwei neben einander lie*
gende, zu stereoskopischer Deckung bestimmte Ansichten
mit freiem Auge und parallel gerichteten Sehlinien zum
Verschmelzen bringen. Die Augen werden unter Leitung
dominirender Contouren in die geforderte Stellung über-
geführt und in derselben festgehalten, so dass die Bilder
auf im obigen Sinne correspondirenden Stellen der Netz-
häute entworfen werden. Da nun aber die unter abnor-
men Bedingungen so zu sagen zwangsweise geschehene
Augenbewegung für das Bewusstsein nicht existirt, so be-
steht die Vorstellung, als dauere die frühere convergi-
rende Augenstellung fort, und demgemäss erfolgt die
Localisation des Verschmelzungsbildes. Dass dem wirk-
lich so ist, dass in Wahrheit eine Täuschung über die
Augenstellung stattfindet, dafür liefert einen unzweideu-
tigen Beweis die Scheinbewegung der gesehenen Bilder.
Bei bewussten und gewollten Augenbewegungen behaupten
*) Um MiBBYentändnisfleii Tonabeugen, will ich bemerken, danr
ich, wenn ich ron einem Bewusstaein der Aagenstellnng ipreehe, dn-
mnter nichts Anderes rentehe als den in gewissem Grade objectiTirten
Innerrationsgrad der Aogenmnskeln, wie er der betreffenden Augen*
Stellung snkommt. Derselbe tritt freilich nicht als solcher, sondern
nur in der Localisation des Gesehenen in's Bewusstsein. Ss kann aber
-* und das ist ein wichtiges Brgebniss obiger Yenniehe •— mit einer
bestimmten Innervation sich eine abnorme, sonst nicht daran geknöpfte
YorsteUong ron der Augenstellung oder, anders ausgedrückt, eine ab*
norme Localisation der Sehobjecte rerbinden unter dem Einflüsse an-
derweitiger, die Uebermacht gewinnender Vorstellungen.
243
die Sehobjecte allemal ihren Platz*) im Sebraume, jede
Scheinbewegang des Sehfeldes ist ein Beweis, dass
die wirklich stattgefundene Angenbewegang nicht
zum Bewusstsein kommt Die Excorsion der Schein-
bewegung liefert einMaass für die stattfindende Täuschung,
der Ort, an den das in Wirklichkeit ruhende Sehobject durch
die Scheinbewegung zu gelangen scheint, giebt Auskunft
über die jeweils bestehende irrthftmliche Vorstellung von
der Augenstellung. Diese Sätze scheinen mir unbestreit-
bar, sie lassen sich z. B. durch Nachbilderversuche di-
rect erweisen. Wenden wir sie auf unsern vorliegenden
Fall an.
Nach Vollzug der nicht in's Bewusstsein gelangten
symmetrischen Raddrehung besteht die Vorstellung, dass
beide Augen sich in normaler Stellung befinden. Da
also in Bezug auf beide Augen ein Irrthum besteht, wird
das gesehene Bild von beiden unrichtig localisirt, beiden
erscheinen die Zeilen der Schrift in veränderter Lage.
Kommen wir nochmals auf obiges Beispiel zurück,
wo die dem rechten Auge gegenüberstehende Druckschrift
um 10^ nach links gedreht war und beide Augen behufe
der Deckung der Bilder einwärts gerollt wurden. Das
rechte Auge erfährt eine Raddrehung nach links um 5^
und sieht, da die Drehung nicht direct zum Bewusstsein
kommt, die Zeilen der rechten Druckschrift um 5^ we-
niger nach links geneigt, als sie es wirklich sind, also
nur um 6^ nach links geneigt Das linke Auge erfthrt
eine Raddrehung nach rechts um b^; und da diese gleich-
falls unbewusst erfolgt, wird das horizontale Netzhautbild
so nach aussen projicirt, als befinde sich der getroffene
Netzhautmeridian in der früheren um 5^ nach links ge-
*) Von blosa perspectiTiichen Yersehiebangen Mhe ich hier n»-
türlich ab, ebenso Ton den ron Tomherein ixrthümlicben Localisationen»
16*
244
neigten Stellang, also wiederam am b^ nach links ge-
neigt In dieser ttbereinstimmenden Stellung können sich
nun die Bilder beider Augen decken, sie halten sich
gleichsam in dieser erzwungeneu Lage gegenseitig fest,
so lange die abnorme Augenstellung dauerte Zum Zeichen
aber, dass die Vorstellung von der Lage der Augen sich
w&hrend der Verschmelzung ändert, sieht man die Bilder
behufs der Deckung Scheindrehungen in entgegengesetz-
tem Sinne, d. h. einander entgegen, machen. Dies kann
man freilich nur bei Drehungen von geringer Excursion
direct beobachten, weil andernfalls die Vereinigung nicht
spontan zu Stande kommt Geht man jedoch bei der
Ausfahrung des Versuchs von der Parallelstellung der
Zeilen allmälig weiter in die gedrehte über, so bemerkt
man keine Trennung der Bilder beider Augen, sondern
das Verschmelzungsbild der Zeilen erfährt ein gegen die
wirklich erfolgte Drehung um die Hälfte verlangsamte
Scheindrehung.
Hiemach scheint mir über den Hergang kein Zweifel
mehr obzuwalten. Es scheint mir sicher, dass die bino-
culare Deckung der in ungewöhnlicher Stellung befind-
lichen Netzhautbilder auf Kosten der richtigen Vorstel-
lung von der Lage der Augen geschieht; dass dieModi-
fication des Stellungsbewusstseins unter dem Einflüsse
der Uebereinstimmung von Bildern vor sich geht, welche
durch eine instinctiv erfolgende Bewegung auf gewöhn-
lich in gemeinsamer Function und in gegenseitiger Ab-
hängigkeit befindliche Stellen beider Netzhäute gebracht
werden.
Es drängt sich endlich noch die Frage auf, aus wel-
chem Grunde die zur binocularen Deckung erforderliche
Baddrehung sich auf beide Augen vertheilt Würde in dem
obigen Falle nur das der gedrehten Druckschrift gegen-
überstehende Auge eine ebenso grosse Drehung erleiden,
so könnte ja der gleiche Zweck erreicht werden. Dann
246
worden beide Bilder sich aaf sonst zusammengehSrigen
Netzhautregionen abbilden, es bedfirfte nur in Bezug auf
das eine Auge einer Modification des Stellungsbewnsst-
seins. Dem jedoch scheinen die InnerYationsverh<nisse
der Augenmuskttlatur entgegenzustehen. Die bei den sym-
metrischen Raddrehungen betheiligten Muskeln stehen ^n
innigem AssociationsverhUtniss, wenn auch fQr gewöhn-
lich in anderer Combination. Die Contraction der Recti
sup. erfolgt stets gemeinsam, ebenso die der Obliqui
sup., wenn auch erstere in der Regel mit den Obliqui
inf., letztere mit den Recti inf. gemeinsam wirken. Dazu
kommt, dass, wie schon erwähnt, symmetrische Rad-
drehungen geringerer Excursion sich schon mit den ge-
wöhnlichen Gonvergenzbewegungen verbinden und dass
die Neigung zu symmetrischen Muskelcontractionen am
ganzen Körper schon von Geburt an sehr ausgesprochen
ist. Auch wird man annehmen dürfen, dass, selbst wenn
eine einseitige Raddrehung möglich sein sollte, jeden-
falls ein gewisses Maass von Raddrehung, auf beide
Augen vertheilt, eine viel geringere Kraftanstreugung er-
fordern würde als bei der Beschränkung auf ein Auge.
Eine Anajogie für die Vertheilung der Raddrehung auf
beide Augen liefert übrigens die Vertheilung der ,Con-
traction der adducirenden und der abducirenden Augen-
muskeln bei Application seitwärts brechender Prismen,
wie sie von Hering*) hervorgehoben worden ist Wenn
man, während vor ein Auge ein Prisma mit der brechen-
den Kante nach innen gehalten wird, ein Object mit
beiden Augen betrachtet, so erfolgt zunächst in beiden
Augen eine assocürte Seitenbewegung .in Richtung der
prismatischen Bildverschiebung, die sich dann durch eine
beide Augen betreffende Convergenzbewegung beider
Augen soweit wieder corrigirt, dass binoculare Fixation
•) L. c. pftg. 140.
246
stattfindet Der wenigstens im ersten Moment irirkende
Impuls zur Accommodation fUr die Nftbe, die damit ver-
bundene Pupillarcontraction, der Umfang der Scheinbe-
wegung am Beginn und Ende des Vorganges liefern Be-
weise dafür.
Die vorstehende Analyse eines anscheinend einfoohen
Vorganges musste etwas ausf&hrlich ausfallen, weil sehr
falsche Vorstellungen über denselben verbreitet sind und
weil es sich dabei um eine noch viel zu wenig berück-
sichtigte Cardinalfrage aus der Lehre von der räumlichen
Oesichtswahmehmung handelt, die auch mit manchen pa-
thologischen Erscheinungen in enger Beziehung steht
Auf einige Anwendungen der gefundenen Resultate hoffe
ich in Zukunft zurückzukommen.
Ghrattfe's neuetfee Cataract-Extraetioii und dit
Vertheidiger des Goneal-Sehiiittes.
Von
J. Jacobson.
W&hrend die alte Lappen -Extraction durch zweckent-
sprechendere Methoden zurückgedrängt und für die all-
gemeine Beseitigung reif geworden ist, bringt die neueste
Literatur einige schriftstellerische Producte von frappanter
Aehnlichkelt mit denjenigen, welche der glficklich bestat-
teten Reclination das letzte Geleite gaben. Es scheint,
als ob der üebergang zu etwas Besserem in Denjenigen,
die sich der Unbequemlichkeit, fremde Ideen experi-
mentell zu prfifen, nicht gern unterziehen, gewisse Stim-
mungen hervorruft, welche zu ihrer Befriedigung eines
schriftstellerischen Ausdrucks bedürfen, und sich des-
halb immer von Neuem in ähnlicher Form wiederholen
— gleichviel, um welchen Gegenstand es sich handle.
Ich bitte um Nachsicht, wenn ich zur näheren Begrün-
dung den Lesern dieses Archivs in Kürze Einiges aus
der neuesten Geschichte skizzire, ohne ausdrücklich alle
die Namen und Schriften hervorzuheben, die Jedem be-
kannt sein müssen.
Im Anschlüsse an die Bestrebungen der Wiener
Schule hatte v. Graefe sich schon vor einer Reihe von
248
Jahren dahin ansgesprochen, dass die Reclination anf
sehr vereinzelte Fälle einzuschränken nnd nur als ein
trauriges Auskunftsmittel anzuwenden sei, wo von der
Extraction mit Comeal-Lappenschnitt dem Auge sichere
6e&hren drohen. Die Statistik erwies, dass die Procent-
zahl der durch Nadel-Operation zu Grunde gehenden
Augen mehr als doppelt so gross sei, als die Procent*
zahl der durch Extraction zerstörten, — ophthalmosko-
pische und anatomische Untersuchungen zeigten, dass
nicht constitutionelle Anlagen, nicht die Bewegungen der
operirenden Nadel, sondern dass das Verweilen der ent-
kapselten Linse im Auge die Ursache der unheilbaren,
deletären Entzündungen abgebe, kurz, dass man nicht
in der Operations-Technik, nicht in der Individualität der
Cataract oder des Patienten, sondern in dem eigent-
lichen Principe der Operation den Feind zu suchen
habe.
Nichts desto weniger wurde mit dem Principe durch-
aus nicht allgemein gebrochen, wie aus der grossen
Zahl der seitdem erschienenen Lehrbücher, aus medici-
nischen Zeitschriften, aus einer Reihe von klinischen nnd
Privat- Hospitalsberichten leicht zu ersehen ist Während
nämlich ältere Gegner der Reclination an den verschie-
densten Orten die Extractions-Methode in ihrer Praxia
zur einzigen erhoben hatten, — während die Graefe'sche
Schule*) in dem bei weitem grossesten Theile ihrer Ver-
treter sich nur noch mit der weiteren Cultur der Ex-
traction beschäftigte, tauchten in vereinzelten Schriften
feurige Empfehlungen der alten, „guten"" Methode wieder
auf, gleichsam, um einem erlöschenden Lichte durch ge-
waltsames Anfachen den alten Glanz wenigstens für einen
*) Ich halte diese Beieichnimg lehon der geographisohen Verhrei-
iang wegen fSr genauer nnd fiblicher, alt die Ton Hasner beliehte:
»die berliner Herren".
249
Augenblick wieder zu verleihen! — Daneben fand sich
eine grössere Anzahl von Ophthalmologen, die die Frage
gewissennassen auf dem Wege des Compromisses za
lösen versuchten: sie stellten Indicationen und Contrain-
dicationen für Nadel und Messer auf, zogen der Nadel
etwas ab und gaben dem Messer etwas zu, verzierten
ihr System mit theoretischen Scheingründen, die den
Gegnern unanfechtbarer Thatsachen noch nie gefehlt
haben, nnd schrieben Lehrbücher der Operations-Lehre
von dem höchst wissenschaftlichen Standpunkte, zwischen
zwei Gegensätzen niemals schwarz oder weiss zu sein,
sondern die Nuancirung des Grau ihrer individuellen
Weisheit und Erfahrung oder dem so genannten prak-
tischen Takte vorzubehalten. — Eine dritte Gruppe end-
lich meinte durch Veränderungen einzelner technischer
Handgrifife ein Operations- Ver&hren unschädlich machen
zu können, dessen Verderblichkeit, wie ich oben ange-
deutet habe, nicht in der Art der Ausführung, sondern
in dem Principe lag, dem man durch irgend eine Tech*
nik gerecht zu werden beabsichtigte.
Trotz aller dieser Bestrebungen ist die Reclination
geräuschlos zu Grabe gegangen: sie findet sich nicht,
mehr in den Berichten der meisten ophthalmologischen
Hospitäler, die Erfindung hat sich von dem unfrucht-
baren Gebiete der zweckmässigsten Nadelform abgewandt,
und nur einige Lehrbücher, deren Verfasser der Recli-
nation und Depression, anstatt sie in die historische
Rumpelkammer zu werfen, noch besondere Kapitel wid-
men, geben Zeugniss davon, wie lange Confusion durch
Compromisse auf wissenschaftlichen Gebiete unterhal-
ten wird.
Eine ähnliche Erscheinung wiederholt sich in den
letzten Jahren, seitdem man die schwachen Reiten der
250
Extraction mit Corneal-LappeDSchuitt kennen gelernt und
I)es8ere Methoden zur Beseitigung der Cataract gesucht
ond auch gefunden hat.
Die Statistik ergab, dass trotz aller operativen Ge-
schicklichkeit eine gewisse Anzahl von Augen durch
Bogenschnitt nicht hergestellt werden*), — klinische
Untersuchungen an frisch operirten Augen lehrten, dass
die Ursachen des Misslingens vorzugsweise in ungan-
stigen Gomeal- Heilungen und iritischen Processen zu
suchen seien. In Folge dessen wandte man sich von
dem alten Verfahren nach verschiedenen, fast nach ent-
gegengesetzten Richtungen ab; ja, nachdem der Eine in
diesem, der Andere in jenem Uebelstande des Bogen-
schnittes die Ursache schlimmer Ausgänge gefunden zu
haben glaubte, und trotzdem, dass man nach verschie-
denen Richtungen hin auseinander gegangen war, gelangte
man in verhältnissmässig kurzer Zeit zu dem erfreulichen
Resultate; Methoden vorlegen zu können, bei denen nicht
«ines von zehn, sondern nur eines von f&nfzig Augen zu
Gründe ging: Methoden, die, sehr verschieden in ihrem
Aussehen, in manchem Principiellen flbereinstimmten,
darin nämlich, dass die Wunde aus der Cornea in
die Scleral-Grenze verlegt, dass sie für den
spontanen Linsendurchtritt hinlänglich gross
gemacht, und dass ein breites StQck Iris bis
an den Giliarrand excidirt wurde.
Während sich nun eine grosse Zahl Ophthalmologen
der praktischen Prflfung der neuen Verfahren zuwendet
und durchgehends die Vorzüge derselben mit statistischen
Angaben der Heilungs-Resultate bestätigt, sehen wir —
gerade wie bei dem Kampfe gegen die Reclination —
neben Compromiss -Versuchen zwischen dem alten und
*) Nach Haan er «.neuesto Phase der Staaroperation" pag. 4 etwa
10 Procent.
251
i Verfahren auch eine leidenschaftliche Yertheidigong
4er Daviersdien Lappen- Extraction and endlich eine
•modificirte Technik des Gomealschnittes auftauchen.
Als Beispiel des Compromiss -Versuches citire ich
folgende Worte aus den annales d'oculistique*):
,iPonr les cataractes k nojan (Cataracta dore et
Cataracta mixte), le choix antra Textractioii k lambaan
et Taxtraction Unfaire modifi^a ne döpand plns da Tötat
de la Cataracta. Loperaiew se damandara d^abord
si ]*avantaga da conserver la pnpilla rögnli^rement ronda
est assaz grand ponr faire conrir anx malades las ris-
ques d'nne extraction k lambean. Ceux qui, comma
noos, soat d'ayis qua riridectomie, tont an changeant
la forma et la grandenr da la pnpilla, axarca k paine
nna infiaanca sur la nattatö da la vision, n*hMteront
pas k appliqnar Taxtraction linöaire modifiöa poor toutas
las cataractes k nojau sans distinction. Canx au con-
traira, qni attachant una granda importanca ä la con-
senration d'une pupilla r^gnli^rement ronda, maintiandront
Textraction k lambeau ponr las cas oA les eoHdÜimu lee
pius favoraUes de fäge^ de Im eatäi gimraU et de FoeU
augmenietU de beaueoup lee ehaneee de ceiie operaiüm.
Ponr les autres cas, nous crojons les Operateurs
Obligos de choisir Textraction modifi^, qni, avec les
conditions moins favorables, ne perd pas de chances
dans la m^ma proportion qua Textraction k lambeau/'
Mit bewundemswerther Galanterie gegen die Gegner
der Iridectomie schlQpft Liebreich Aber die eigentliche
Streitfrage fort und weiss auch für diejenigen Rath, die
durchaus die Iris unverletzt erhalten wollen. Er selbst
ist der Ansicht, dass die Iridectomie auf die Deutlich-
keit des Sehens kaum einen Einfluss ausübt und macht
also die Linear-Extraction; sollten aber Andere an das
Gegenthtil, n&mlach an die grosse Wichtigkeit einer runden
*) 1S67, pAg. 124 aui: Da dia|^oitie de la catarscte et de l'ap-
pr^etatioa det m^thodee optetoiret applicablei k sei diffSrentee formei
par le Dr. Liebi«iob.
262
Pupille glauben, so wird diesen gerathen, sie mögen nadi
Daviel extrahiren, wenn Alter, Gesundheit und
die Beschaffenheit des Auges günstige Chancen
geben. Ja wenn sie das nur vorher wQssten! Leider
haben sich gerade in diesem Punicte bis zum heutigen
Tage die Operateure aller Zeiten getäuscht, wie es die
unerklärten Gomeal -Eiterungen, die iritischen Processe
mit con^ecutiver Phthisis bulbi trotz günstig gestellter
Prognose hinlänglich beweisen. Mit dem guten Rathe
ist daher nicht viel anzufangen, zumal da man seine
Entscheidungen auf anderer Leute Kosten treffen soll,
denen das erhebende Bewusstsein, nach kunstgerechter
Abwägung zwischen den Vortheilen einer runden Pupille
und den Gefahren der Daviel'schen Operation operirt
zu sein, keinen Ersatz für den Verlust eines Auges ge-
währen wird.
Ist denn aber der optische Nachtheil der Iridectomie
bei der Extraction überhaupt der Art, dass man ihn als
eine Art offenen Glaubensai-tikels behandeln darf, in wel-
chem entgegengesetzte Ansichten sich toleriren sollen?*)
Wir werden der Beantwortung dieser Frage näher kom-
men, wenn wir das Gebiet des Compromisses und guten
Rathes en tout cas verlassen, uns zu Hasner's Ver-
nicbtungskampf gegen alle neueren Extractions-Bestre*
bungen wenden. In schneidendem Gontraste gegen die
oben citirten, gefiüligen Propositionen ruft er aus:**)
„Jede Cataract- Operation, welche die Iridectomie
zum Principe erhebt, ist ein entschiedener RttckschritL
*) Ich hab«) nur diesen einen Punkt- ans Liebreich'« Abhandlung
herrorgehoben, nm an ihm das Beetreben nach Yermittlnng entschied
dener Gegensatse naohsaweiien. Ein motirirtet Urtheil über den we»
eentlichen Inhalt, den ich mit Bezng auf die damalige Methode der
Linear-Extraotionen ffir Tollkommen nnbegrundet halte, gehört begreif-
licher Weise nicht hieher.
**) „Die neueste Phase der Staaroperatiou", Prag. 186S.
263
Auf diesem Satze nibt der unerachutteriiche Schwer-
punkt der Dayierschen Operation, dieser Satz ifit die
Achilles-Ferse der Oraef ersehen, diesen Satz als Mene
tekel laut und immer lauter in die Welt zu rufen, ist
die wesentliche Aufgabe der vorliegenden Zeilen/*
Wer es fOr der Mühe werth gehalten, in der reich-
haltigen Cataract- Literatur der letzten Jahre auch von
meinen Mittheilungen einige Notiz zu nehmen, wird sich
nicht wundern, mich unter Denjenigen zu finden, welche
durch Hasner's „lautes Rufen^ zu einer wiederholten
Prüfung ihrer bisherigen Ansichten und öffentlich aus-
gesprochenen Behauptungen angeregt werden mussten.
Ehe ich mich daran machte, hatte ich die von Hasner
gegen die Operation in's Feld geführten Argumente zu
würdigen; vielleicht waren sie schlagend genug, um mich
a priori von ferneren Iridectomien abzuschrecken. Zu
meinem Bedauern fand ich in der Brochüre selbst und
in den daselbst citirten „klinischen Vorträgen''*) nur
folgende Behauptungen:
„Dass die Sehschärfe durch grosse Golobome nicht
wesentlich leide, ist einfach unwahr. Die Iris hat eine
sehr wichtige und mehrfache Function. Die Correction
der sphaerischen Aberration der Cornea, die photome-
trlBche Action, der Anttieil an der Verminderung der
Zerstreuungskreise — ist das Alles gleichgültig? nament-
lich fflr ein aphakisches Individuum? Die Iris, wenn sie
ihrer Function erhalten bleibt, ersetzt ja zum Theil jene
der Linse." —
„Auch ich habe eine Zeit lang mindestens von 3
Cataractkranken immer zwei mit Iridectomie operirt,
überzeugte mich aber bald, dass dieses Verfahren weder
vor Gorneal-Malacie schütze, noch das Auftreten von
purulenten Formen der Iritis und Chorioiditis unbe-
dingt verhindert. Dagegen hat die Iridectomie in allen
Fällen den Nachtheil, dass sie den optischen Erfolg der
•) Pag. 288 u. ff.
254
Cataraet- Operation sehr erheblich herabdrttckt. Die'
Eisbnsse an SehschArfe bei solchen Individneni welche
nicht allein ihr Ange durch die Gataract-Operation all-
gemein gerettet, sondern auch wieder arbeitstflchtig zn
werden wünschten, bestimmte mich zuerst, die Iridectomie
zu restringiren/^
„Ich insistire durchaus nicht auf einer Excision des
Irisstlickes bis an den Ciliarrand. Deshalb ezcidire ich
eben nur so viel, als hinreicht, um den oben erwähnten
Indicationen zu genfigen. Je kleiner das excidirte Iris-
stück sein kann, um so besser wird nachträglich der
optische Erfolg der Operation sein/* —
Hasner's Angabe von dem Vorkommen purulenter
Iritis, Chorioiditis und Corneal-Malacie trotz Iridectomie
beweist nicht, was sie beweisen soll Wenn nämlich,,
wie es bei nicht vollkommen peripherer Lappenbildung
immer geschehen muss, die Iris nicht bis an den
Ciliarrand ausgeschnitten worden ist, und sich dann
deletäre Entzündungen entwickelt haben, so folgt daraus
nur, dass Excision eines kleinen Irisstfickes mitunter
den Entzündungen nach der Extraction nicht vorzubeugen
im Stande ist: eine Wahrheit, an der ich niemals ge-
zweifelt habe. Wollte Itasner sich zur peripheren
Schnittführung bequemen und die Iris bis an den Ci-
liarrand excidiren, so würde er sich überzeugen, dass
grosse, periphere Iridectomien eine andere prophylac-
tische Wirkung haben, als kleine, die ich — beiläufig
gesagt — nicht einmal immer für unschädlich halte. —
Mit dem ersten Argumente hat es demnach nicht
viel auf sich. Wir werden sehen, wie es mit dem näch-
sten bestellt ist, „der Einbusse an Sehschärfe für die-
jenigen, welche nicht allein ihr Auge durch die Cataract-
operation allgemein gerettet, sondern auch wieder arbeits-
tüchtig zu werden wünschen.''
Ich meinerseits bege nicht den geringsten Zweifel
an Hasner's factischen Angaben. Seine mit Iridec-
tomie extrahirten Staarkranken haben zu schlecht gesehen,
256
um für arbeitsfthig gehalten werden za können; solche
Misserfolge entmuthigen und schrecken leicht von einer
erst vor Kurzem empfohlenen und wenig geprüften Ope-
rationsmethode ab. Andererseits aber wird nicht faglich
bestritten werden können, dass andere Operateure sehr
viel gflnstigere Resultate gehabt haben. Zum Beweise
berufe ich mich auf eine Arbeit, die ich vor 3 Jahren
in diesem Archive XI b veröffentlicht habe. Sie enthält
eine ziemlich genaue Statistik der erreichten Sehschärfen^
auf die ich noch heute Gewicht l^e, weil ich sie durch
weitere, dreijährige Er&hrung bestätigen kann; die Re-
sultate haben sich trotz Iridectomie bei weiterer Uebang
und Ausbildung der Operationstechnik sogar gebessert.
Beispielshalber erwähne ich eine mit grossem Colobom
nach oben extrahirte Kranke, die bei Ectasia posterior
und ziemlich erheblichem Pigmentschwunde an der papilla
optica mit dem corrigirenden Glase Snellen XX auf 14
Fuss, mit dem Glase ftlr die Nähe Jaeger 1 auf 10
Zoll Distance liest: das würde heissen S. Vio ^uid gute
Arbeitsfähigkeit — Eine andere Kranke, der ich froher
nach meiner Methode ein breites (Kolobom nach unten
angelegt habe, sieht mit + 5 Snellen XX auf fast 16
Fuss, Jaeger 1 in 12 Zoll Entfernung, also& circa Vs-
Die Frau arbeitet von früh bis spät feine Stickereien
mit dem einen operirten Auge und verzichtet auf das
zweite, inzwischen gereifte, weil ihr Sehvermögen für
alle ihre Bedürfhisse vollkommen ausreicht— Ein Schicht-
staar-Patient, den ich auf dem rechten Auge ohne Iridec*
tomie, auf dem linken mit breiter Iridectomie nach aussen
extrahirt habe (beiderseits waren Discisionen vorange-
gangen) hat rechts S V^i links S Ceist Vs« während di^
Sehschärfen vor der Operation auf beiden Augen gleich
war. Da der Glaskörper beiderseits rein, die Kapsel-
reste ziemlich gleich durchsichtig sind, so will es mir
scheinen, als ob dem linken Auge die grössere Hellig-
256
keit der Netzhaatbeleuchtung fftr die Schärfe des Sehens
zu Gute kommt, die ungenauere Brechung dagegen
hinter dem richtigen Convexglase nicht weiter stört.
Hoffentlich werden mir die drei gelegentlich ange-
führten Fälle nicht den billigen Einwand zuziehen, dass
einzelne gute Resultate Nichts beweisen. Es würde
mir sehr leicht sein, eine grosse Anzahl ähnlicher Resul*
täte mit Namen und Zahlen zu belegen, wie ich es zur
Beruhigung einiger Zweifler schon vor drei Jahren in
diesem Archiv gethan habe. Damals wurde genaue Sta-
tistik gefordert, heute wird man sie mir hoffentlich er-
lassen, nachdem von den verschiedensten Seiten Bestäti-
gungen meiner damaligen Zahlenangaben vorliegen. Wer
den Gesammtzahlen nicht glauben mag, der kann die
einzelnen ebenso anzweifeln; wer die Augen krampfhaft
schliessen will, wird sie auch bei der Aussicht auf den
reizvollen Anblick einer statistischen Tabelle nicht öffnen.
Ich begnüge mich deshalb mit der Angabe, dass alle Ex-
trahirten, die keine zur Nachoperation auffordernde Ca-
taracta secundaria zurückbehalten, kein früheres Glas-
körper- oder Hintergrunds-Leiden natgebracht, eine Seh-
schärfe erlangt haben, die selten unter V«) ^^^ ^^^^
über Vi bis V» hinauf betrug.
Den angeführten Thatsacheu gegenüber erscheint
Hasner's unerwiesene Behauptung — „dass die Seh*
schärfe durch gewisse Colobome nicht wesentlich leide,
ist einfach unwahr" — jedenfalls gewagt. Es heisst dem
Leser einer Streitschrift viel Phantasie zumuthen, wenn
er sich in dem Gedanken an „die photometrischc Ac-
tion der Iris, an die Gorrection der sphärischen Aber-
ration der Cornea, an die Verminderung der Zerstreu-
ungskreise, an das theilweise Yicariiren der Iris für die
entfernte Linse" von dem erheblichen Nachtheile der
Iridectomie für das Sehvermögen .a priori überzeugen
soll, während ihn die tägliche Erfahrung das Gegen-
257
theil lehrt. Mit demselben Rechte würde uns ein an-
derer Fanaticus der Iris-Integrität vorhalten können, dass
die unberechtigte Verstümmelung eines so gefäss-
reichen Organes nicht ohne nachtheiligen Einfluss auf
die Gesammt-Girculation im Auge, dass die Unterbrechung
des Kreismuskels nicht unwesentlich f&r die Druckver-
hältnisse sein kann : — die Ophthalmologen, unter deren
Scheermesser nach Hasner seit zehn Jahren in Europa
Tausende von Begenbogenhäuten als Opfer gefallen sind,
würden dann nicht nur vom optischen und photometri-
schen, sondern auch vom musculären und circulatorischen
Standpunkte angreifbar sein und die Thatsache nicht
leugnen können, dass sie „ein sehr functionsreiches Or-
gan" verletzt haben.
Gegen all' diese schweren Vorwürfe wird man sich
immer auf das Experiment berufen können. Gäbe die
Extraction mit Iridectomie schlechtere Sehresultate, als
die alte Daviersche Operation (natürlich ohneHasner's
Glaskörperstich, der erst vor zu kurzer Zeit bekannt ge-
worden ist), — dann würde man mit Recht fragen, welche
Irisfunction so beeinträchtigt worden ist, dass das ge-
sammte Sehvermögen darunter gelitten. So lange aber
die Sehschärfen bei der neuen Methode hinter denen der
älteren nicht nur nicht zurückbleiben, sondern sie sogar
oft übertreffen, so wird der Schluss vollkommen berech-
tigt sein, dass die Sehschärfe eines durch Opera-
tion aphakisch gewordenen Auges durch die
Iridectomie nicht merklich verringert werde.
Aus eigener Erfahrung glaube ich dieser Behauptung
noch die Ansicht hinzufügen zu dürfen, dass manchen
Augen die grössere Helligkeit trotz ungenauer Strahlen-
brechung für das deutliche Erkennen förderlich ist.
Auf diesen und jenen streitigen Punkt in Hasner 's
Schrift werde ich weiter unten zurückkommen: für jetzt
ArcUT für Ophthalmologie, XIV. 2. ] 7
258
kam es mir nur darauf an, den Werth der Angriffswaffen
gegen die neueren Bestrebungen und die Stärke des
Fundamentes zu beleuchten, auf welchem der eifrigste
und kühnste Vertheidiger der DavieTschen Extraction
den Kampf fQr seine Methode trotz allen Thatsachen auf-
zunehmen versucht.
Kaum wird unsZeit gelassen, den Werth der Hasner'-
schen Gründe eingehend zu prüfen, da tischt uns schon
Küchler eine neue Methode des Cornealschnittes mitten
durch die Cornea und als Dessert 33 Aphorismen über
die Methode selbst auf.*) Also der Schnitt soll in der
Cornea bleiben, aber er soll linear werden und des nöthi-
gen Raumes, so wie des Accouchements der Linse wegen
quer durch die Mitte gehen! Was hat Küchler grade
jetzt bewogen, dieses neue Versuchsfeld zu betreten?
Etwa die Misserfolge der neuesten v. Graefe 'sehen Extrac-
tion? Durchaus nicht: denn diese zu prüfen war die
Zeit zu kurz. Es trieb ihn dazu ein gewisses Missver-
gnügen über die Bestrebungen der jüngeren Ophthalmo-
logen, dem er schon auf pag. 1 Ausdruck giebt :
„Ich spreche es aufrichtig und zu wiederholten Malen
aus: die ganze heute in unserer operativen Frage herr-
schende Richtung ge&Ut mir nicht. Sie steht im Wider-
spruch mit allen wohlgeprüften Grundsätzen, die unsere
^ Väter gelehrt haben. Es ist unchirurgisch, in kleinen
und kleinsten Schnittfahrungen das Heil der Operation
zu suchen. Es ist unchirurgisch, den Staarschnitt und
seine Dimensionen wie ein Damenschneider den Maassen
des Kernes anzupassen, der durch ihn getrieben werden
soll. Es ist unchirurgisch, wichtige Augenhäute ohne
Noth zu verstümmeln, um ein ganz einfaches Problem zu
lösen."
*) „Die Quer-Extraction des grauen Staars der JBrwaohBenen", von
Dr. Küchler.
259
Wenn ich den letzten Satz richtig verstanden habe,
so handelt es sich wieder um die Iridectomie, die man
nach den Erfahrungen des letzten Jahres jedenfalls fQr
ein mehr einladendes, als dankbares Angriffsobject an-
sehen muss. Ist diese Annahme richtig, so wird man
über Küchle r 's Toleranz staunen müssen, wenn er für
weniger geübte Operateure (und dazu wird sich wohl
jeder Jahre lang zählen müssen), als einzigen Varianten
der Querextraction folgendes Verfahren empfiehlt:
Pag. 21.: „Um die Gefahr des Aufspiessens der Iris
an der innem Pupillengrenze zu beseitigen, und, was viel-
leicht eben so schwer wiegt, gleichzeitig die Angst, diese
Klippe passiren zu müssen, — so könnte es erlaubt wer-
den, 8 bis 14 Tage vor der Ausführung der Opei^ation
eine Iridectomie an der inneren Seite des Apfels zu
machen."
Also weniger geübten Operateuren wird eine kleine
Verstümmelung einer wichtigen Augenhaut erlaubt? oder
ist etwa Küchler zum Ende seiner Broschüre nicht
mehr so unduldsam gegen die Iridectomie, als auf der
ersten Seite? Fast hat es den Anschein, denn auf der
Schlusstabelle, pag, 37, zähle ich unter 28 von ihm aus-
geführten Operationen zehn Verstümmelungen der Iris
durch secundäre Pupillenbildung, das wären also über
35 Procent. Nimmt man hierzu noch aus derselben Ta-
belle die Angabe, dass bei 28 Extractionen 6 mal der
Glaskörper vorfiel, dass 1 Auge durch Eiterung zerstört
wurde, so wird man zugeben müssen, dass die Querex-
traction gegenüber den verschiedenen Methoden des Scle-
ralschnittes kaum unvortheilhafter empfohlen werden
konnte, als durch die von ihrem Erfinder mitgetheilten
Resultate.
17»
260
Die Versuche, den Cornealschnitt in dieser oder jener
Form zu erhalten, stellten sich im Principe allen denje-
nigen Operationsmethoden gegenüber, bei welchen die
Wunde in die Sclera verlegt und ein breites Irisstück
bis an den Ciliarrand excidirt wird: unter diesen hat das
neueste, von Prof. v. Graefe empfohlene Verfahren der
„modificirten Linearextraction", unstreitig von allen bis-
her erdachten das vorzüglichste, sich scharfe AngriflFe
hauptsächlich von denen gefallen lassen müssen, die es
nie versucht haben.
Wer an Parallelen Geschmack findet, wird sich viel-
leicht nicht ohne Interesse erinnern, dass vor 5 Jahren
bald nach dem ersten Erscheinen einer Brochüre, der
ich den Titel „ein neues und gefahrloses Operationsver-
fahren zur Heilung des grauen Staares" gegeben hatte,
die Kritik sich vor allen Dingen damit beschäftigte, die
Richtigkeit des Titelblattes zu prüfen, und, da sie sich
weder mit der „Neuheit" noch mit der „Gefahrlosigkeit*'
des Verfahrens befreunden konnte, die Sache ungeprüft
ad acta legte. An v. Graefe's Schrift soll sich eine ähn-
liche Erscheinung wiederholen: ein Theil der Kritiker
bleibt schon am Titelblatte kleben ; über das Wort „linear*"
entwickelt sich eine kleine, ophthalmologisch -grammati-
kalische Literatur ; und wenn es nach dem guten Willen
einiger Fachgenossen ginge, so würde man die ganze
Methode, „da ja schon ihr Name unrichtig sei", einer
experimentellen Prüfung nicht für werth halten. Glück-
licher Weise ist dieses Mal mit der Scleral-Extraction
nicht so leicht fertig zu werden; die Vollkommenheit
der Methode und eine grosse Anzahl günstiger Resul-
tate, die von verschiedenen Operateuren übereinstimmend
erreicht worden sind, bilden schon heute eine Grundlage,
deren Festigkeit durch Angriffe gegen das Titelblatt
nicht mehr erschüttert werden kann. — Wenn ich in
dem Folgenden meine Ansicht über die Vorzüge der
261
Graefe'schen Extraction darzulegen versuche, so ge-
schieht es theils, um auch meinerseits nach Kräften un-
gerechtfertigten Vorwürfen und Angriffen entgegen zu
treten, die man gegen dieselbe gerichtet, theils um dem
Wunsche derjenigen zu entsprechen, die von mir selbst
erfahren wollten, in welchem Verhältnisse mir die neue
Methode zu der von mir früher proponirten, peripheren
Lappen-Extraction zu stehen scheine.
Die Sicherheit der Graefe'schen Operation,
ihre geringe Gefährlichkeit als Trauma, das ungemein
seltene Vorkommen eitriger Entzündungen in ihrem Ge-
folge liegt in der Verbindung des Scleral-Schnit-
tes mit einer Excision der Iris bis an den Gi-
liarrand. Diese Behauptung scheint mir durch Unter-
suchungen frisch operirter Augen leicht zu erweisen*).
*) In Bezug auf die von mir in diesem Archive (Bd. XI) beschrie-
benen HeilongBvorgänge nach der Extraction bemerkt Hasner in seinen
„klinischen Vorträgen", Abtheilung III, pag. Sil: „Das Studium der
Zufälle nach der Staaroperation datirt nicht erst von Jacobson's seit-
licher Beleuchtung; der Gegenstand wurde dadurch auch, obgleich des-
sen Untersuchungen nicht ohne Werth sind, nicht wesentlich klarer,
denn nur auf Grundlage anatomisoh-histologischer Forschungen ist eine
volle Einsicht in die Veränderungen des Auges während des ersten
I^eitraumes nach der Operation mögUch. Solche Untersuchungen fiber,
eben so wie klinische Beobachtungen, sind möglich und lagen auch be-
reits in ziemlicher Menge vor, ohne dass es der Empfehlung bedurft
hätte, die Augen recent Operirter mit seitlichem Lichte methodisch zu
untersuchen." — Dem gegenüber behaupte ich, bis mich Hasner durch
Nachweis seiner Literaturquellen (sollte sich vielleicht bei Plinius
etwas vorfinden ?) vom Gegentheil überzeugt haben wird, dass eine ge-
naue Beschreibung der Veränderungen des Auges unmittelbar nach der
Operation, wie ich sie gegeben, bisher nicht existirt hat, und nie
ohne Unterstützung mit seitlicher Beleuchtung geliefert
werden kann. Wer, wie Hasner von sich selbst sagt, das ope-
rirte Auge vor dem fünften bis sechsten Tage nicht untersucht, und
abwartet, bis auf Grundlage anatomisch-histologischer Forschungen eine
volle Einsicht in die Wundheilungs Verhältnisse möglich ist, der wird
— wie die meisten älteren Operateure — seine irdische Laufbahn be-
endigen, ohne von dem Zusammenhange zwischen seinen operativen
262
Von den entzündlichen Veränderungen der Cornea,
die ich im unmittelbaren Gefolge der „Extraction mit
peripherer Lappenbildung'' beobachtet und im 11. Bande
dieses Archivs beschrieben habe, treten einige beiOraefe's
Methode niemals, andere in ausserordentlich geringem
Grade auf. Unter die ersteren zähle ich die pag. 182
unter 1) und 2) beschriebenen horizontalen Trübungen
an der Basis des Lappens und Sprünge an der De sc e-
me tischen Haut, von denen ich annahm, dass sie durch
das Emporheben des Lappens und durch Reibung der
durchtretenden Linse gegen die hintere Fläche der Cornea
bewirkt wurden. Da bei dem Scieralschnitte die Bewe-
gung der austretenden Linse in der Richtung gerade
von unten nach oben erfolgt, in welcher die ruhende
Linse nach dem Abflüsse des Eammerwassers liegt, —
da hierbei keine Achsendrehung, kein Anstemmen gegen
die Cornea vorkommen darf, so erklärt sich das Aus-
bleiben der Corneal- Veränderungen bei Graefe's reinem
Scleralschnitt eben so leicht, wie sich bei den bisherigen
Methoden (die meinige nicht ausgenommen) die Trübun-
gen aus dem Andrängen der Linse gegen den Lappen
erklärten, welches für die Entbindung des Cataract eine
unerlässliche Bedingung war. — Von den sich unmittel-
bar an die Corneal - Schnittwunde anschliessenden Ent-
zündungen und Eiterungen habe ich bei Graefe's Me-
thode die suppuratio totalis noch nicht beobachtet, wie-
wohl ich die Möglichkeit derselben nach den Berichten
Anderer nicht in Abrede stellen kann; die Keratitis der
Eingriffen und deren nothwendigen Folgen am Auge eine richtige Vor*
steUung durch Aniohauuug bekommen zu haben.
Bei derselben (Gelegenheit bekämpft Hasner meine Empfehlung
der Untersuchung mit seitlicher Beleuchtung damit, dass er die schäd-
liche Einwirkung ▼ ollen Lichtes auf Staaroperirte als. etwas jeder-
mann aus Erfahrung Bekanntes Toruttssetzt. Tolles Licht und seitUche
Beleuchtung als ähnliche Schädlichkeiten!!!
263
Wundnachbarschaft aber und die Keratitis bei starkem
Collapsus ist so ausserordentlich geringfügig, dass sie
auch mit den günstigsten Heilungen weniger peripher
gelegener Schnitte nicht verglichen werden kann. In
dem oben citirten Aufsatze habe ich auf pag. 176 darauf
aufinerksam gemacht, dass die Lappenmitte in der Sclera
sehr Tiel glatter und reizloser heilt, als die Ein- und
Ausstichsstelle in der Cornealgrenze. Was dort für die
Lappenmitte galt, gilt für den Graefe'schen Schnitt in
seiner ganzen Ausdehnung. Ferner habe ich (pag. 189)
behauptet: „Die hohen Grade von collapsus corneae sind
an und für sich von keinem entscheidenden Einfiuss, in
Verbindung mit Corneal-Wunden geben sie eine ausser-
ordentlich bedenkliche Prognose. "^ Nach meinen jetzigen
Erfahrungen habe ich noch den Zusatz zu machen, dass
collapsus corneae bei der Extracüo per scleroticam nicht
mehr auf sich hat, als bei peripheren Iridectomien von
der Sclera aus. — Wenn ich mich aus allen diesen That-
Sachen überzeugt habe, dass diejenigen entzündlichen
Corneal Veränderungen, welche regelmässig derExtrac-
tion in der Cornealgrenze mit klaffendem Lappen folgen,
bei Graefe^s Methode ausbleiben oder einen sehr viel
geringereu Grad erreichen, — so halte ich mich zu dem
Schlüsse berechtigt, dass ein wesentlicher Grund für die
ausserordentliche geringe Reaction nach der Graef ersehen
-Methode in dem Scleral-Schnitte liegt: und zwar erstens,
weil der Staaraustritt durch eine Scleralwunde ohne Ach*
«endrehung und Comealquetschuag erfolgt, und zweitens,
weil Scleralwunden die nächst liegende Cornea wenig in
Mitleidenschaft ziehen und fast niemals suppui-ative
Vorgänge induciren.
Wie glatt und wie schnell der Scleralschnitt heilt,
hängt wesentlich von der Reinheit der Wunde ab. Ein-
264
klemmung kleiner Corticalstücke oder kleiner Partien
corpus vitreum bewirkt locale Wundeotzündung mit mas-
siger Betheiligung der Cornea; Einklemmung grösserer
Irispartien verzögert unter allen Umständen die Heilung
und kann ausserdem den Erfolg der Operation vereiteln.
In einigen Fällen nämlich bleibt die frische Narbe aus-
serordentlich reizbar, sie injicirt sich bei wiederholtem
Lidschlage, bei leichtem Fingerdrucke, bei hellem Lichte
und bei Versuchen mit Brillengläsern momentan, und wird
der Ausgangspunkt neuralgischer Schmerzen, die nach
den bekannten Nachbargebieten ausstrahlen; bei gehö-
riger Schonung und langem Lid verschlusse pflegt das^
Endresultat gut zu sein, wenn sich auch die Dauer der
Nachkur durch Monate fortschleppt In anderen Fällen
kann man in der Hornhaut Veränderungen, wie ich sie
im Band XL dieses Archiv's beschrieben, nachweisen,,
welche als unmittelbare Folgen des von der complicirtea
Wunde ausgehenden Entzündungsprocesses anzusehen
sind; sie führen zwar nicht zur suppuratio corneae, un-
terhalten aber eine langwierige Keratoiritis mit Trübung
des Kammer Wassers und Pupillargebietes. In den schlimm-
sten Fällen endlich schreiten die Wundproducte in das-
Innere des Auges fort, um sich hier entweder, nachdem
sie eine gewisse Entwicklung erreicht, durch Schrumpfung
zurückzubilden, oder unter Glaskörperschwund zur Pthi-
sis bulbi bei durchsichtiger Cornea, oder endlich zu
Eiterung des Glaskörpers oder zu Panophthalmitis za
führen.*)
*) Als Paradigma für diese Vorgänge kann man einige Entzün-
dungen nach Iridesis aufstellen, wegen deren die einst mit JSmphase
empfohlene Operation ad acta gelegt sein dürfte. So viel ich gesehen,
handelt es sich dabei um einen schleichenden Entzündungsprocess in
einer sehr reizbaren, complioirten Wunde, dessen Producte zum Theil
in die vordere Kammer, zum Theil längs der inneren Fläche der Pro-
cessus ciliares in den Glaskörper und in die Retina wachsen. Die trotz.
265
Nebeu diesen Gefahren der Iriseinklemmung besteht,
^ie Jedermann bekannt, die Möglichkeit späterer Narben-
ectasie, gegen die sich durch Abkappen der prominirenden
Stelle Hälfe schaffen lässt.
Wenn diese Thatsachen ätiologisch richtig aufgefasst
sind, so folgt daraus, das s derScleralschnitt, gleich-
viel welche Form er haben mag, schon wegen
der oft unvermeidlichen, primären oder secun*
dären, Iriseinklemmung nicht ohne Iridectomie
bis an den Ciliarrand gemacht werden darf.'*')
Auf der Verbindung des breiten Scleralschnittes mit
der Excision eines möglichst grossen Irisstückes bis an
den Ciliarrand beruht die Sicherheit der neuesten von
Graefe 'sehen Methode und die ausserordentlich niedrige
Procentziffer der Verluste, welche weder durch die alte
Extraction mit Corneallappenschnitt, noch durch die li-
nearen Schnitte von Bowman und Critchett, noch
aller Antiphlogoso, trotz Iridectomie und Medicamenten eintretende
Phthisls bulbl hat gewöhnlich nichts mit Iridochorioiditis zu schaffen,
sondern ist der Ausgang einer Glaskörperentzündung in Schrumpfung.
Es ist mir einige Male gelungen, durch Spaltung der Einklemmungs-
stelle und Extraction der durchsichtigen Linse den Process, trotzdem
er schon lange genug bestanden hatte, zu coupiren." Für die Extrac-
tion bestimmte mich die Annahme, dass sich entzündliche Producte
hinter der Iris nicht vorzugsweise durch anatomische Continuität auf
die Choroidea, sondern dahin verbreiten, wo sie den wenigsten Wider-
stand finden, also gewöhnlich längs dem Linsenrande auf die Hyaloidea,
in den Glaskörper, auf die Pars ciliaris retinae und in die Retina selbst
Wird die Linse entfernt und dadurch mehr Baum im vorderen Aug-
apfelabschnitte geschaffen, so scheint sich die Gefahr für die hintere
Augapfelhälfte zu vermindern. Ich habe dann die gelbe, von der Scle-
ndnarbe ausgehende Masse nach vom wachsen, sich vascularisiren und
endlich mit grauer Narbe schrumpfen gesehen, ähnlich wie wir es täg-
lich bei entzündlichen Vorgängen in der Cornea verfolgen können.
*) Wie Hasner zu der Behauptung gekommen ist, „die günstigen
Erfolge der Iridectomie bei acutem und subacutem Glancom geben
den Anstoss, die Iridectomie auch auf die Staaroperation allgemeiner
auszudehnen'^ ist mir ein BäthseL
iCG
endlich durch v. Graefe's eigene, ältere Methoden er-
reicht werden konnte. Die von unseren englischen Col-
legen vorgeschlagenen Lappenschnitte (gleichviel ob sie
nach Bowman in die Cornea oder nach Critchett in
die Scleralgrenze gelegt wurden) boten zwar auf der einen
Seite den Voilheil der breiten Iridectomie, brachten aber
andererseits die Jachtheile der Einführung von Tractions*
instrumenten, die wegen der Kleinheit der Wunde und
der geringen Elasticität der Cornea unentbehrlich waren;
Quetschung der Wundränder, der hinteren Corncalwand,
Iritis, Wucherungen in der Kapselhöhle, wohl auch Spren-
gung der Zonula Zinna waren die Folgen. Die Vorzüge
dieser Methoden vor der älteren Wald au 's waren kaum
der Rede werth: die Wunde war etwas grösser, aber
immer noch zu klein, Iridectomie war beibehalten, die
Aenderung der Löffelform mag für den Einen oder den
Anderen bequem gewesen sein, jedenfalls war sie unwesent-
lich, während das falsche Princip, die Cataracten durch
Oeffnungen hindurch zu quetschen, durch welche sie
spontan nicht hindurch treten können, beibehalten war.
Einen bedeutenden Schritt weiter that v. Graefe,
als er die Wunde in die Sclera legte und dem Wund-
canale durch Drehung des Messers eine möglichst steile
Richtung gab; auf diese Weise wurde die Wunde breiter,
sie lag in einem Gewebe, das elastischer als die Cornea,
also leichter auseinander zu drängen war, das ausserdem
erfahrungsgemäss selten eiterte. Ferner excidiite Prof.
V. Graefe ein Stück Iris*), und endlich verwarf er für
*) Ein Blick in die letzten Bände dieses Archiv's genügt, um eich
zu überzeugen, dasB ▼. Graefe, um die vollkomraensten Resultate zu
-erreichen, lange gezögert hat, ehe er sich entschlossr regelmassig breite
Iridectomie bis an den Ciüarrand zu machen; er hat sich sohliessUch
dafür entschieden, weil ihm wohl die Yortheile einer kleinen PupiUe
gegenüber den Nachtheilen einer Iriseinklemmnng, namentUch bei der
267
alle Fälle die löffelformigen Tractionsinstrumente und
fahrte für einzelne den weniger verletzenden Haken ein.
Auch diese Methode (von ihr allein kann in Liebreich's
oben citirter Abhandlung die Rede sein, da die neueste
V. Graefe'sche Extractiou damals noch nicht erfunden
war) verdiente vor der peripheren Lappenbildung mit
breiter Iridectomie sicher nicht den Vorzug, denn bei
dem sogenannten Schlittenmanoeuvre konnte es ohne
Quetschung nicht immer abgehen, die Einführung des
Hakens war schwierig und nicht ungefährlich, die Indi-
cationen dafür nicht präcise zu stellen, Iriseinklemmungen
und Ruptur der Zonula Hessen sich oft nicht vermeiden,
während die Gefahr der Wundeiterung allerdings ausser-
ordentlich vermindert war. Alle diese Uebelstände hat
V. Graefe nachträglich durch etwas grössere Ausdehnung
semes Scleralschnittes und durch Iridectomie in der ganzen
Breite der Wunde beseitigt, die Tractionsinstrumente sind
entbehrlich geworden, die Cornealquetschung ist auf ein
Minimum reducirt, die Iriseinklemmung kann bei einiger
Maassen exacter Technik vermieden werden: kurz, es sind
alle Fehler des alten Comeallappens und der früheren,
sogenannten Linearschnitte beseitigt und dafür eine neue
Extractiousmethodc geschaffen worden, die in Bezug auf
Ungefährlichkeit die „Extractiou mit Sclerallappen und
£xtraction noob oben, nicht in'« Gewicht in faUen lehienen. -^ Wunder-
bar ist, doss in der Literatur noch immer Stimmen auftauchen, die je-
dem Operateur, der bei irgend einer Gelegenheit die Iridectomie ror-
schlägt, ein Plagiat an y. Graefe insinuiren. Wenn man unbedingt
anerkennt, daes die ganie beutige Indicationslehre der Iridectomie, so-
fern sie nicht die Bildung einer neuen PupiUe hezweokt, durch von
Graefe theils geschaffen, theils angeregt worden ist, so wird man an-
dererseits nicht leugnen können, dass die regelmässige Verbin-
dung der Iridectomie mit der Extractiou und die Ezcision der Iris
his an den Ciliar ran d gerade zu einer Zeit empfohlen worden ist,
in welcher die allgemeine Tendenz dahin ging, die Iridectomie nur auf
gewisse oder Ungewisse F&Ue zu beschränken.
268
Iridectomie" erreicht und sie in vielen andern Bezie-
hungen, die in dem Folgenden erörtert werden sollen,
noch weit übertroffen hat.
Die Extrac^tion mit Sclerallappen und brei-
ter Iridectomie bis au den Ciliarrand ist, wie
ich glaube, von mir zuerst regelmässig ausgeführt wor-
den. Sollte sich aber irgend ein Prioritätsanspruch noch
hervorsucheu lassen, oder sollte sich in meinen bisheri-
gen Publicationeu eine Stelle finden, aus der geschlossen
werden könnte, dass ich eigentlich etwas anderes ausge-
führt, als was ich in Wirklichkeit täglich ausgeführt habe,
so erkläre ich hiemit im Voraus, dass ich auf alle schrift-
stellerischen Prioritätsrechte verzichte und mir nur das
geringe Verdienst vindicire, in einer Zeit, in der viele
Ophthalmologen kleine Cornealwunden und Tractionsin-
strumente vorzogen, gegen den Strom geschwommen zu
haben, indem ich durch die Vergrösserung der Ope-
rationswunden ihre Gefahr zu vermindern suchte. Ich
habe seit acht Jahren dieses Princip verfolgt, habe nach
den Verhandlungen in Heidelberg im Jahre 1864 die
ganze, mittlere Lappenbreite in die Sclera gelegt, die
Höhe des Lappens durch niedrigere Staarmesser vermin-
dert*), und endlich die Iris regelmässig vor dem Linsen-
durchtritte excidirt. Dass ich diese Aenderungen nicht
vor hinlänglicher Prüfung durch die Zeit publizirt habe,
werden alle diejenigen erklärlich finden, die von dem mo-
*) Da88 die Höhe des Lappens für verschieden grosse Staare ab-
nehmen müsse, die Breite dagegen sich nie verändern dürfe, habe ich
schon in meiner ersten Publication pag. 44 bemerkt. — lieber die
Heilung der Wunde in der Sclera finden sich Notizen im XI. Band
dieses Archivs.
269
dernen Mittel der „vorläufigen Bemerkungen zur Wah-
rung etwaiger Prioritätsansprüche '' keinen Gebrauch
machen.
Trotz der grossen Aehnlichkeit im Principe, die
meine Methode sehr bald nach ihrer ersten Veröffent-
lichung mit der jetzigen Methode v. Graefe's hatte,
trotz der Uebereinstimmung in den Verlustzahlen der
operirten Augen (etwa 2 bis 3 Procent), stehe ich nicht
an zu erklären, dass ich v. Graefe's Extraction, wenn
sie genau nach seinen Angaben ausgeführt wird"^),
der meinigen entschieden vorziehe und zur Sclerallappen-
bildung nur denjenigen anräthig bin, die sich wegen der
grösseren technischen Schwierigkeit zu dem Gebrauche
des schmalen Messers nicht entschliessen mögen. Die
Vorzüge des v. Graefe'schen Verfahrens aber scheinen
mir in jedem Operationsacte hervorzutreten, und etwa
folgende zu sein:
Im ersten Tempo behält der Operateur es in der
Hand, kleine Fehler bei dem Ein- und Ausstiche durch
grössere oder geringere Drehung der sehr schmalen
Messerklinge mit ihrem Rücken gegen die Iris zu ver-
ringern ; je breiter das Messer, desto geringer der Spiel-
*) Während ich den Schluss dieser Arbeit niederschreibe, kommt
mir „Ophthalmologisches aus dem Jahre 1867 TOn Dr. F. Hey mann"
zu Gesichte. In dem ürtheil über v. Graefe's Methode finde ich,
pag. 41 : ,,Durch tiefen Einstich und Ausstich des Messers eihfilt man
eher einen überflüssig grossen, als einen cu engen Schnitt, ohne dass
die Lappenhöhe 8'" Übersteigt"; — pag. 46: „etwas breitere
Messer, die sich allerdings in der Wirkung schon mehr dem
Keilmesser nähern, erleichtem die Schnittfuhrung ; — pag. 49 und
50 spricht H. Ton der Schwierigkeit der Kapselöffnung, dem leichten
Olaskörperausfluss während des Kapselspaltens ohne Fixation des
Bulbus, während t. Graefe die Fixation während der ganzen Ope-
ration ausdrücklich Torsohreibt — Wie soUen die Urtheile über den
Werth einer Methode übereinstimmen, wenn die yerschiedenen Opera-
teure es nicht einmal für der Muhe halten, genau nach den gegebenen
Vorschirften tu yerfahren?
270
räum, desto schwerer die Verbesserung eines Fehlers
bei der Punktion oder Gontrapunktion. Immer zeichnet
sich der Schnitt — mag man ihn linear oder scleral zu
nennen belieben, — durch seine grosse Breite und geringe
Höhe, die niemals mehr als höchstens eine Linie betragen
darf, aus; er erleichtert wesentlich den spontanen Pro-
lapsus Iridis und kommt hierdurch günstig zu Statten
für das
Zweite Tempo. Während nämlich bei steiler
Messer führung nach Durchtrennung der Sclera die
Iris sich in den Wundspalt der ganzen Breite nach
hinein zu legen pflegt oder durch leichten Druck in ihn
hinein getrieben wird, während also die Iridectomie in
der ganzen Breite der Wunde ohne Einführung von In-
strumenten in das Innere des Auges ausgeführt werden
kann, so macht sich das zweite Tempo bei Bildung grös-
serer Lappen durch breite, der Iris parallel geführte
Staarmesser viel schwieriger; bleibt die Iris an Ort und
Stelle, so muss man, um genug zu excidiren, mitunter
zwei Stücke nach einander hervorziehen, — folgt sie aber
nach der Richtung der Schnittöffnung, so liegt sie fast
nie frei in der Wunde, wie bei v. Graefe's Methode,
sondern ballt sich unter dem Lappen, den sie in die
Höhe hebt und faltet, zusammen. Bei abstehendem Lappen
aber ist die Aussicht auf Vortreten des Glaskörpers hinter
der Iris sehr viel grösser als beim Linearschnitt, des-
halb die Iridectomie schwerer und ohne Gefahr nur in
tiefer Narcose ausführbar.
Der Zweck des dritten Tempo, die Spaltung der
vorderen Linsenkapsel fast der ganzen Länge nach ohne
Verletzung der Zonula Zinnii, ist bei hohem Lappen
kaum zu erfüllen, weil dazu vollkommene ünbeweglich-
keit des Augapfels erforderlich ist; vollkommene Unbe-
weglichkeit aber erfordert eine während des ganzen Ope-
rationsactes anhaltende Fixation des Bulbus, die aus be-
271
kannten Gründen bei den leicht klaffenden Lappenschnitten
vermieden werden miiss, es sei denn, dass man in tiefer
Narcose extrahire. Für Operateure, welche aus irgend
welchen, guten oder schlechten Gründen kein Chloroform
anwenden, ist eine exaete Spaltung der Kapsel, die un-
zweifelhaft von grosser Wichtigkeit für die leichte und
vollkommene Entbindung des Staars, für die Retraction
der Zipfel aus dem Pupillargebiete, für die ganze Wund-
heilung ist, nur bei v. Graefe's niedrigem, nicht klaffen-
dem Scleralschnitte möglich, da derselbe eine continuir-
liche Fixation des Augapfels ohne Nachtheil gestattet.
Im vierten Tempo endlich entscheidet zu Gunsten
der Linearextraction : dass die Linse bei ihrem Durch-
tritte durch die peripherische Oeffnung keine Achsen-
drehung zu machen hat, dass sie daher weder die Cornea
knickt und faltet, noch gegen die Descemet 'sehe Haut
anstemmt, — ferner dass die umfangreiche Eröffnung der
Kapsel ein vollkommenes Austreten der Corticalis er-
möglicht, dass also die schwierigen und nicht immer er-
folgreichen Manipulationen zur nachträglichen Entfernung
von Resten eingeschränkt oder vermieden werden können.
Beobachten wir das Auge über die Operation hinaus
während der Wundheilung, so zeigt sich, wie ich oben
angedeutet, dass die den peripheren Lappenschnitt be-
gleitenden Entzündungssymptome an den Wundrändern
und in der eigentlichen Cornea bei v. Graefe's Methode
theils fehlen, theils auf einer geringeren Entwicklungs-
stufe stehen bleiben, dass Entzündungen der Iris und
Ausschwitzungen in's Pupillargebiet selten vorkommen,
dass die von Kapsel und Rinde ausgehenden Wucherungen
der vollständigeren Entfernung der Cataract entsprechend
gering sind. In Folge dieser geringen traumatischen
Reaction verbreitet sich die Ciliarhyperaemie kaum weit
über die Wundstelle hinaus, Neuralgieen und grosse
272
LichteiDpfindlichkeiten gehören zu den Seltenheiten, die
Heilung der Scieralwunde wird durch die günstige Be-
schaffenheit der Iris- und Kapsel wunde wenig gestört,
und die gesammte Heilungsdauer vermindert sich im Ver-
gleich mit der Lappenextraction fast auf die Hälfte der
Zeit. Nach acht Tagen sind die Patienten beim Linear-
schnitt fast eben so weit, als nach vierzehn Tagen beim
Lappenschnitt; man macht also nicht leichtsinnige Ver-
suche auf Kosten des Operirten, wenn man ihn früher
aus der Bückenlage und dem Aufenthalte im Dunkeln
befreit, sondern man verfährt gerade so gewissenhaft, wie
die Anhänger der alten Extraction einige Wochen später
verfahren: man schont das Auge so lange, als es der
vom Trauma abhängige Reizzustand erfordert, nicht länger
und nicht kürzer.
Zu den geringeren Vorzügen der v. Graefe 'sehen
Extraction, aber immer zu den Vorzügen, rechne ich die
durch die Fixation erleichterte Verlegung der Wunde
und Iridectomie nach oben und die Möglichkeit, in vielen
Fällen ohne Chloroform auszukommen. Die Chloroform-
Frage ist allmälig stillschweigend entschieden; die hef-
tigsten Gegner, die Tod, Erbrechen, Krämpfe und alle
Schrecken einer erhitzten Phantasie gegen die Narcose
in's Gesicht führten, sind nach und nach verstummt, nur
hier und da hält es ein Lehrbuch noch für nöthig, die
Verwerflichkeit der Narcose durch die grossen Gefahren
zu motiviren, an die kein Mediziner mehr ernsthaft
glaubt; andere, weniger leidenschaftliche Feinde der
Narcose haben sich dazu bequemt, sie bei unruhigen
Kranken zu acceptiren, bei ruhigen fflr entbehrlich, aber
nicht für gefahrlich und schädlich zu halten. Wenn
man nur immer die Unruhigen von den Ruhigen vor
der Operation unterscheiden könnte! Oft geht es zwar,
in einzelnen Fällen aber täuscht man sich, und dann
kann man mit dem Chloroform zu spät kommen.
273
Meiner Ansicht nach ist bei peripherem, hohem
Lappen aus den schon im Jahre 1863 angeführten Gründen
tiefe Narcose wegen der grossen Gefahren des Muskel-
druckes, des Iris- und des Glaskörpervorfalies bei ab-
stehendem Lappen unentbehrlich; sie ist ein sicheres,
untrügliches Mittel, um allen von Seiten der Kranken
drohenden, schlimmen ZufiiHen vorzubeugen. Bei von
Graefe's Schnitt, der fester zusammenschliesst und nie
80 weit abstehen kann, als ein hoher Lappen, mag man
€S ohne Narcose versuchen, es wird ohne Zweifel oft
gehen; wenn aber während des Irisfassens im zweiten
Tempo Unruhe eintritt, wenn sich der Augapfel vor Er-
^finung der Linsenkapsel spannt, und vor allen Dingen
wenn corpus vitreum vortritt, wird immer zum Chloro-
form gegriffen werden müssen. Allen, die noch nicht oft
«xtrahirt haben, die gezwungen sind, ihre volle Aufmerk-
samkeit der eigenen Technik zuzuwenden, in deren Aus-
übung sie durch keine unruhigen Bewegungen der Kranken
gestört sein wollen, wird man einen guten Rath ertheilen,
wenn man ihnen den regelmässigen Gebrauch des
Chloroforms dringend empfiehlt.
Als ich vor fünf Jahren meine Operationsmethode
publicirte, versuchte ich die Behauptung zu begründen,
dass die Reclination auch als Ausnahmever&hren nicht
mehr zu statuiren sei, und wenn ich heute aus den kli-
nischen Berichten der letzten Jahre schliessen darf, so
sind wohl die bei Weitem meisten Fachgenossen derselben
üeberzeugung. Wir dürfen jetzt weiter gehen, indem
wir sowohl die Linearmethoden mit Tractionsinstrumenten
als auch die alte Daviel'sche Corneal-Lappenextraction
in ihrer ursprünglichen Form ad acta legen. Es bleibt
idie Discision und die einfache Linearextraction mit Iri-
ArcUT für Ophthalmologie, XIV. 2. 18
274
dectomie für die bekannten Formen von weichen, häuti-
^en und partiellen Staaren, für alle consistenteren und
alle kernhaltigen sind wir auf die Scleralextraction mit
breiter Iridectomie bis an den Giliarrand hingewiesen,
und zwar wird nnter den bisherigen Methoden die vou
V. Graefe zuletzt vorgeschlagene als die bei weitem voll-
kommenste allen zu empfehlen sein, die sich an der
Schwierigkeit der Technik nicht stossen; wer an dem
schmalen Messer Anstand nimmt, wird eine etwas höhere
Lappenbildung wählen dürfen.
Ich bin weit davon entfernt, die Acten der Extrac-
tion für geschlossen zu halten und zu glauben, dass
nicht etwa Verbesserungen der neuesten Methoden nacb
demselben Principe oder neue Methoden nach anderen
Principien auftauchen und morgen beseitigen können,^
was uns heute das Beste geschienen; aber vorläufig halte
ich es für einen Gewinn, dass ein neuer Weg zur Ver-
minderung des operativen Trauma festgestellt, die Ge-
fahren der alten Extraction erkannt, und deshalb eine
Rückkehr zu derselben nicht mehr möglich ist. Die-
jenigen Autoren aber, — welche, trotzdem dass über-
einstimmende Zahlenbeweise von vielen, unabhängig von
einander beobachtenden Operateuren vorliegen, die neue
Methode nicht einmal eines Versuches, sondern nur der
Bespöttelung für werth halten, und a priori deduciren«.
dass gewisse Operirte um der Theorie Willen schlecht
sehen müssen, trotzdem, dass sie in praxi ausserordent-
lich gut sehen, — möchte ich an die vortrefflichen Worte
fyndalTs erinnern:
„Theorien sind uns unentbehrlich, aber zuweilea
wirken sie, wie ein Narcoticum auf den Geist. Man
gewöhnt sich daran, wie an den Genuss des Brannt-
weins, und fühlt sich aufgeregt und missvergnügt, wenn,
der Phantasie dieses Reizmittel entzogen wird".
Beobaohtuiigen über fremde Körper im.
Olaskörperraum.
Von
Dr. R Berlin.
beit der Beendigung meines Aufsatzes „lieber den Gang
der in den Glaskörperraum eingedrungenen fremden
Körper"*) (Ende Februar 1867) hatte ich Gelegenheit,
auf diesem Gebiete eine verh<nissmässig grosse Zahl
weiterer Beobachtungen zu machen, so dass sich die
Zahl der neuen Fälle auf 11 beläuft. 9 derselben stammen
aus meiner eigenen Praxis, es beträgt daher mit Hinzu-
rechnung der früheren 26 die Summe der von mir be-
obachteten Fälle 35. Um dieser Zahl einen einigermassen
statistischen Werth zu geben, will ich bemerken, dass
die Gesammtsumme der von mir behandelten Augen-
kranken sich auf 10,304 beziffert. Unter diesen befanden
sich 1116 Personen mit Augenverletzungen und somit
würden die fremden Körper im Glaskörperraum 3,17o
der Augenverletzungen ausmachen.
•) S. d. ArchiT Xm. 2, S. 278.
18»
276
Die absolute Gleichmässigkeit aller Fälle in Bezug
auf die Gardinalfrage, die Verwundung der hinteren
Bulbuswand, die interessanten pathologisch-anatomischen
Befunde, schliesslich die praktischen Anhaltspunkte,
welche sich für die Diagnose, in einzelnen Fällen auch
für die Therapie ergeben haben, veranlassen mich, die
Veröffentlichung der gewonnenen Resultate nicht mehr
aufzuschieben.
Verwundung der hinteren Bulbuswand war in allen
Fällen nachweisbar, welche auf die Frage hin überhaupt
untersucht wurden. Von unsem 11 Fällen konnte dies
lOmal geschehen.
Bei einem Fall kam das Auge nicht zur Autopsie,
weil hier die Extraction des fremden Körpers und somit
die Erhaltung des Bulbus gelang.
Die übrigen 10 Fälle zerfallen in 2 Hauptgruppen,
und zwar in solche, bei welchen die directe Verletzung
der hinteren Bulbuswand durch den fremden Körper von
vom herein nachgewiesen werden konnte, und in solche,
bei welchen zwar eine Verwundung der hinteren Bulbus-
wand vorhanden war, der Beweis aber, dass dieselbe
<ittrch den unmittelbaren Contact mit dem fremden Körper
hervorgerufen wurde, indirect geführt werden muss.
Von der ersten Gruppe besitze ich 2 Beispiele, und
zwar ein Präparat von Dr. Iwan off und einen klinischen
Fall aus eigener Praxis.
Beobachtungen.
1. Von der Geschichte des Iwanoffschen Falles ist
mir Nichts bekannt. Das Präparat selbst stellt einen
stark phthisischen linken Bulbus dar. Im äusseren un-
teren Quadranten der Hornhaut eine fast horizontale,
ziemlich geradlinige, über 2'" lange Narbe, dicht
277
unter der Hornbautmitte; am oberen inneren Umfange
der Sclera eine ausserordentlich tiefe Einziehung von
aussen bemerkbar.
Auf dem Durchschnitt zeigt sich die tiefste Stelle
der Einziehung als eine die ganze Dicke der Sclera
durchsetzende Narbe, in welche ein über 2'" langer
und etwa eben so breiter, scharfkantiger Eisensplitter
hineinragt. Derselbe ist von festen, bräunlichen Schwarten
umgeben, welche auch den vorderen Theil des Glaskörper-
raumes einnehmen. Der hintere Theil des durch totale
Netzhautablösung stark verkleinerten Glaskörperraumes
hat dünnflüssigen Inhalt. Auch die Chorioidea ist voll-
ständig abgelöst und nur an der unmittelbaren Umge-
bung der Scleralnarbe zeigen sich Sclera, Chorioidea und
Retina fest verwachsen; während sich überall sonst
zwischen Sclera und Chorioidea einerseits und zwischen
Chorioidea und Retina andererseits eine dünne, leicht
bräunlich tingirte Flüssigkeit vorfindet.
2. Am 8. Januar 1868 stellt sich der 24jährige
Knecht Christian Mönch von Emberg vor. Vor 8 Tagen,
in der Neujahrsnacht, hat er ein altes, blindgeiadenes
Gewehr losgeschossen; in demselben Augenblick fühlt er
etwas gegen sein rechtes Auge springen. Den anderen
Tag bemerkt er leichte Umneblung des Blicks bei sehr
geringen Entzündungs^rscheinungen. Die stetige Ab-
nahme des Sehvermögens veranlasste ihn, ärztliche Hülfe
/u suchen. Die Injection ist auch jetzt noch äusserst
gering; subjective Beschwerden sind nicht vorhanden.
Unmittelbar über dem unteren Homhautrand eine scharfe,
senkrechte, etwa 1 Mm. lange Narbe.
Linse diffus, aber unvollständig getrübt Der obere
Pupillarrand an einer ganz umschriebenen Stelle mit der
vorderen Linsenkapsel verwachsen; hier die intensivste
Trübung der Linse: etwa 5 Linien oberhalb des oberen
278
Hornhautrandes, ein wenig nach innen vom verticalen
Meridian, eine runde Hervorragung von etwa der Aus-
dehnung und Form einer menschlichen Linse, welche von
stark gerötheter Schleimhaut überzogen ist Diese Stelle
ist massig empfindlich gegen Berührung; Bewegungen
des Auges, auch die gerade nach oben, nicht schmerz-
haft Quantitative Lichtempfindung gut Gerade nach
unten ein kleiner, umschriebener Ausfall im Gesichts-
felde.
Nachdem während 3 Tagen absoluter Ruhe und
unter Anwendung von Atropin sich die Injection der
Conjunctiva bis auf die Stelle des Tumor und dessen
unmittelbare Umgebung verloren hatte, wird parallel dem
Verlaufe des Musculus rectus superior ein etwa 6"'
langer Einschnitt in die Conjunctiva gemacht Dabei
zeigt sich, dass der Tumor unterhalb der Sehne des
Muskels liegt Diese wird nun am äusseren Rande,
etwa auf 3''' der Länge nach eingeschnitten, worauf
die Spitze des Messers in eine kleine Höhle gelangt,
aus welcher ein Tropfen dicken Eiters und mit demsel-
ben ein kaum 1 Quadratmillimeter grosses Stück Zünd-
hütchen entfernt wird. Die Schleimhautwunde wurde mit
einer Sutur geschlossen und Patient nach 6 Tagen ent-
lassen.
Der Weg, den der fremde Körper in diesen Fällen
gemacht hatte, konnte kein anderer sein, als dass er
Hornhaut und Linse perforirte, dann den Glaskörperrauin
bis zur hinteren Bulbuswand durchmass und hier direct
Retina, Chorioidea und Sclera durchschlug. Im ersten
Falle war die Kraft mit dem Durchschlagen der Sclera
erschöpft, im zweiten brach sich dieselbe erst am Wider-
stand des Sehne des Musculus rectus superior.
Die zweite Gruppe von Fällen, in welcher die An-
wesenheit eines fremden Körpers im Glaskörperraum mit
279
TerwunduDg der hinteren Bulbuswand zusammentrifft,
.zerftllt in zwei Cnterabtheilungen, und zwar:
a) in solche Fälle, welche frisch zur Beobachtung
kommen, d. h. in welchen die Wunden der Retina,
meistentheils der Chorioidea und einmal der Sclera noch
als solche nachzuweisen waren; und
b) in alte Fälle, welche als Residuum der früher
stattgehabten Verwundung nur eine der Einschlagstelle
des fremden Körpers annähernd diametral gegenüber-
liegende Verwachsung der drei Augenhäute etc. auffinden
lassen. •
Von ef steren besitze ich 6 neue Präparate. Die be-
treffenden Bulbi wurden, was den Zeitraum zwischen
Verwundung und Operation angeht, der frischeste Fall
17 Stunden, die beiden nächsten je 48 Stunden, der vierte
7 Tage, der fünfte 8 Tage, der sechste 21 Tage nach
Einwirkung des Traumas enucleirt.
Von alten Fällen stehen mir 2 Bulbi zu Gebote; der
eine war 10 Monate, der andere 9 Jahre nach der Kata-
strophe entfernt worden. Letzteren verdanke ich der
Güte des Herrn Professor v. Bruns. Die Beschreibung
dieser weiteren Fälle lasse ich der Reihe nach folgen,
je nach dem Zeitraum, welcher zwischen Verwundung
und Operation verflossen ist.
3. Emil Eberenz, Arbeiter in der Maschinenfabrik
:su Esslingen, stellt sich am 17. April 1867 vor. Vor
17 Stunden ist ihm bei der Arbeit etwas in's rechte
Auge gesprungen: sofortige bedeutende Herabsetzung
des Sehvermögens; massiger Schmerz. Lebhafte Röthe der
€onjunctiva bulbi, keine Chemosis, Bulbus weich, Ciliar-
gegend nicht schmerzhaft bei Berührung. In der Horn-
haut eine grosse, ziemlich scharfe Wunde von etwas über
4"* Länge, oben zipfelförmig; sie verläuft fast senkrecht,
«in Minimum nach aussen vom verticalen Meridian; Linse
280
total getrübt Quantitative Lichtempfinduug gut; &8t
die ganze obere Hälfte des Gesichtsfeldes fehlt*)
Diagnose: Corpus alienum im Glaskörperraum, so-
fortige Enucleatio bulbi.
Der gleich nach der Operation geöffnete Bulbus zeigt
eine hochgradige Ansammlung von Blut im Glaskörper^
so zwar, dass die ganze untere Hälfte davon eingenommen
wird. Unterhalb dieser Blutmasse, auf dem Grunde des
Auges hart auf, liegt ein 5"' langer, bis zu 2V4
444-
*) Bei Untersuchung des Qesichtsfeldes dürfen wir tns in solchen
Fällen nicht mit einer oberflächlichen Prüfung der Orientirung, wie
solche bei gewöhnlichen Cataracten mit für die Praxis ausreichender
Genauigkeit gehandhabt wird, begnügen. Ich habe wiederholt eine ab*
solut sichere, wenn auch zuweilen etwas langsame Orientirung consta-
tirt, wenn ich eine gewöhnliche Lampe auf S— 4 Fuss vor dem Pa-
tienten schnell hin und her bewegte, während eine exaetere Methode
ausgebreitete Beschränkung des Gesichtsfeldes nachwies. Ss ist hier
durchaus nothwendig, dass das zu untersuchende Auge fixirt und die
excentrische Empfindlichkeit der Retina mit kleinen Lichtquellen durch-
mustert werde. Zu diesem Zwecke stelle ich etwa 4 Fuss vor dem Pa-
tienten eine recht heU brennende Lampe auf und lasse dieselbe onaue-
gesetzt fixiren, während ich eine möglichst kleine Lampe 2 — 3 Fuss-
Yor dem Gesichte durch das ganze Grebiet des Greslchtsfeldes hindurch
bewege; die Angaben über die Stellang dieser kleinen Lichtquelle, bei
abwechselnder Bedeokung derselben mit der Hand, lassen ein genaues
XJrtheil über Vorhandensein oder Nichtyorhandensein einer Gesichtsbe-
schränkung zu. Um eine möglichst kleine Lichtquelle zn erzielen, habe
ich auch wohl einen Cylinder yon geschwärztem Blech um die zweite
Lampe anbringen lassen, und in diesen in der Höhe der Flamme eine
Oeffnung gebohrt; es erhellt, dass man durch Modifioation in der Grösse
dieser Oeffnung, sowie durch Entfernung der Lampe eine ausserordent-
lich feine Scala yon Lichtquantitäten erzielen kann. Unter Umständen
habe ich mich auch des Augenspiegels bedient, so zwar, dass die zweite
Lampe hinter dem Rücken des Patienten aufgestellt wurde. DaroK
Steigerung der Entfernung zwischen Augenspiegel und dieser Lampe
kann man natürlich einen noch feineren Maassstab für die quantitatiye
Lichtempfindung gewinnen, allein wir yerlieren durch die Diffusion dee
reflectirten Lichtbildes den Vortheil einer kleinen conoentrirten lAtoht-
quelle. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass diese Untersuchungen
unter Umständen ein ungewöhnliches Maass von Geduld erfordern.
281
breiter Eisensplitter. Er liegt quer zur Augenaxe, zu
zwei DritttheiieD in der rechten Baibushälfte, sein vor-
derer Rand ist IVt, sein hinterer Z^U*'* vom Hornhaut-
rande entfernt
Nach vorsichtiger Entfernung des Blutes gewahrt
man an der hinteren Bulbus wand 3''' senkrecht unter-
halb des Sehnerveneintrittes einen klaffenden Spalt
in der Retina von IVa''' Länge und 1''' Breite;
die Rander etwas nach vorn gebogen; zwischen Retina
und Chorioidea hier ein wenig Blut. Die mikroskopische
Untersuchung der Spaltränder nach mehrwöchentlicher
Erhärtung des Präparates in M(i Herrscher Flüssigkeit
ergiebt, dass in unmittelbarer Nähe der Ränder meist
nur Rudimente der Netzhaut vorhanden sind. Die Retina-
schnitte, obgleich hier ziemlich in der Nähe des Sehner-
ven, zeigen sich sehr schmal, es fehlen ihnen meistens
die Stäbchen und Zapfen und ein verschieden grosser
Theil der KOrnerschichteo ; die Nervenfaserschichte ist
meist erhalten und mit ihr die Gefässe, welche ihr, wie
es scheint, als Stütze dienen. An manchen Stellen fin-
det sich eine starke, locale Verdickung beider Körner-
schichten, und es ist an solchen Präparaten die Zwischen-
körnerschicht meist geschwunden. Solche Bilder boten
sich indess zu wenig zahlreich dar, als dass dieser Punkt
einer genaueren Untersuchung hätte unterworfen werden
können. Ich lasse es daher dahingestellt, ob dieselben
nicht etwa durch partielle schräge Schnittrichtnng her-
vorgerufen wurden, wie solche bei den zerfetzten Rän-
dern ja so leicht entstehen konnten.
Aber ein anderes Bild, entschieden vitalen Ursprungs,
bot sich an den Spalträndern. Es finden sich nämlich
in einzelnen Schnitten in der Nervenfaserschicht und
zwar nur in dieser rundliche, ganz fein granulirte, matt
glänzende Kugeln ohne irgend eine Andeutung eines
Keines oder eines Kernkörperchens. Ihre Grösse schwankt
282
bedeutend, die kleinsten haben etwa den halben Durch-
messer eines Blutkörperchens, während die grössten den
3— 4fachen Durchmesser eines solchen erreichen; sie
sind ausserordentlich regelmässig rund oder oval und
finden sich meistens nur vereinzelt In einem einzigen
Präparat kamen sie in grösseren Gruppen vor; aus die-
sem gelang es, die Körper zu isoliren und ihren directeu
Zusammenhang mit Nervenfasern nachzuweisen, als deren
varicöse, kolbige Endanschwellungen sie sich darstellen.
(S. Fg. 7.) Welcher Seite des Spaltrandes diess Präpa-
rate angehörten, weiss ich nicht mehr anzugeben. Ich
fasse diese Anschwellungen als dieselben Gebilde auf,
welche in Fall IV. I.e. vorgefunden wurden, sie unter-
scheiden sich von jenen durch die geringere Quantität,
ihre geringere Grösse, den matten Glanz und ihre durch-
aus rundliche Form, sie sind eben als im Ganzen jün-
gere Gebilde au&ufassen, und ich will hier noch beson-
ders darauf hinweisen, dass der Bulbus 17 Stunden nach
der Verletzung entfernt wurde.
Was die übrige Retina angeht, so ist auch in der
weiteren Umgebung des Spaltes nichts Pathologisches zu
finden. Gegen den Aequator hin indessen und von hier
aus nach vorn zeigt die Retina überall eine Ansammlung
von Eiterkörperchen in der Nervenfaserschicht. Die Eiter-
körperchen sind durchaus auf diese beschränkt. Die
übrigen Schichten lassen nichts Pathologisches erkennen;
die Stäbchen fehlen zwar an einzelnen Präparaten, an
andern fehlen sie stellenweise, aber ihr fast regelmässi-
ges Vorbandensein und ihr normales Verhalten da* wo
sie sich finden, erlaubt den Schluss, dass sie in jenen
nur mechanisch durch die Präparation abgerissen wurden.
Die Stützfasern sind nicht verändert. Was die Form
des Eiters angeht, so fand ich ausschliesslich kleine,
runde, fein granulirte, scharf contourirte Körper, welche
auf Zusatz von A, wenn überhaupt, dann stets nur einen
283
Sern erkennen Hessen. Sie waren in grösserer Menge
unmittelbar an der iimitans zu finden, erstreckten sich
jedoch in fast allen Fällen bis zur Ganglienschicht. Ihre
rehitive Massenhaftigkeit war in allen Präparaten annä-
hernd die gleiche; mit der Abnahme derDitke der Ner-
venfaserschicht nahm natürlich die absolute Menge ab.
Die Pars ciliaris retinae war normal. An fast allen Prä-
paraten zeigte sich ferner schon makroskopisch, dass eine
kleine Schichte des zunächst gelegenen Glaskörpers an
der Retinae haften geblieben war. Diese Theile zeigen
sich dicht durchsetzt mit Eiterkörperchen derselben
Natur, wie sie in der Retina vorkommen. Nur in den
vordersten Theilen des Glaskörpers zeigten sich einzelne
ovale und spindelförmige Gebilde. Anders geformte zel-
lige Elemente wurden im Glaskörper nicht aufgefunden.
Die Chorioidea zeigte sich zunächst in dem dem Retinal-
spalt gegenüberliegenden Theile mit dicken Massen von
Blut besetzt Nach vorsichtiger Entfernung derselben
finden wir die darunter liegende Aderhaut zum Theil
ihres epitelialen Pigments beraubt; vielleicht ist dieser
Mangel hauptsächlich auf rein mechanische Weise durch
Abräumen der Blutmassen entstanden. Gegen das Licht
gehalten, zeigt hier die Aderhaut einen hufeisenförmigen
scharfen Riss, dessen Bänder fast völlig aneinander liegen
Die Gesammtlänge dieses Risses mag IVi'" betragen
An Querdurchschnitten, welche den Spalt senkrecht durch
schneiden, finden sich an den Rändern selbst keine be
merkenswerthcn Veränderungen ausser einer unregel
massigen Zerfetzung, wodurch in toto die Aderhaut auf
eine kleine Strecke dünner wird. Sonst ist diese Mem-
bran mit reichlichen Eiterkörperchen durchsetzt. Die
elastische Membran ist intakt, nur wellig gefaltet, die
Choriocapillaris zeigt geringgradige Anhäufung von Eiter-
körperchen, die grössere Menge liegt zwischen den mitt-
leren Gefässen; etwas weniger massenhaft, doch reich-
284
lieber als iu der Choriocapillaris findet sich Eiter in der
lamina fasca. Die verästelten Pigmentzellen sind unver-
ändert. Untersuchen wir die einzelnen Schichten für
sich, so finden wir in der Gefässschicht auf der Flächen*
ansiebt eine ausserordentlich reichliche Ausbreitung von
Eiterkörperchen. Dieselben zeigen hier nicht jene abso-
lut runden und scharfen Contouren, wie in der Netzhaut
und im Glaskörper, vielmehr scheinen ihre Ränder oft
mehr oder weniger rauh und zackig. Ausnahmslos fand
ich auch hier nach Zusatz von Ä nie mehr als einen
Kern. Die Eiterkörperchen liegen frei zwischen dem
übrigen Gewebe; eine besonders hervorragende Anhäu-
fung in der Nähe von Gefässen habe ich nicht beobach-
tet. Dagegen zeigten einzelne Gefässe vom kleinsten
Caliber, welche ich unmittelbar in Capillaren übergehen
sah, eine massenhafte Menge von weissen Blutkörperchen
zwischen den rothen (Fig. 1), zuweilen bei strotzender
Füllung: die Ansammlung der weissen Blutkörperchen
war an einzelnen Stellen so massenhaft, dass ich auf den
ersten Blick ein mit Eiterkörperchen gefülltes kleines
Gefäss zu sehen glaubte. (Fg. 2.) Die pigmentlosen Stroma-
zellen sind sehr deutlich. Nirgends fand sich an densel-
ben eine Kerntbeilung. Das die Gefässe begleitende Binde-
gewebe ist von durchaus normaler Beschaffenheit. (Fig. 3.)
Ganz vereinzelt im Stroma zerstreut finden sich grosse
ovale, fast runde Zellen mit stark granulirtem Inhalt und
nur einem, meistens undeutlich durchscheinenden, in der
Mitte der Zeile liegenden, grossen Kern. Diese Zellen
haben den 2- oft 3 fachen Durchmesser von Eiterkörper-
eben. (Fig. 1.) Die Choriocapillaris isolirt, zeigt, wie
schon an Querschnitten ersichtlich war, auch bei Flächen-
ansicht eine wesentlich geringere Ansammlung von Eiter-
körperchen. Dieselben sind durch ihre viel rundere
und schärfere Contour von denen der grösseren Gefäss-
schicht unterschieden. Bei genauerer Betrachtung zeigt
285
sieb, dass dieselbe nur vereinzelt in den Zwischenmaschen
der Gapillaren, dagegen vorwaltend innerhalb des Ca-
pillarrohres gelegen sind; sie sind hier oft zwischen den
Blutkörperchen zu 4, 5, 6 und mehr nahe bei einander
liegend anzutreffen und unterscheiden sich auf den ersten
Blick durch ihren stärkeren Glanz, ihre bedeutendere
Grösse und feine Granulirung, noch besser aber an car-
mingefärbten Präparaten durch ihre Rosafärbung von
dem grüngelben Colorit der Blutkörperchen. Die Kerne
der Capillaren verhalten sich durchaus normal (Fig. 1).
In den Zwischenmasseu der Haargefässe finden sich, wenn
auch nicht besonders häufig, doch reichlicher als in der
grossen Gefässschicht, die grossen oben beschriebenen
runden oder ovalen, stark granulirten Zellen.
Ganz analog wie die unmittelbare Umgebung des
Chorioideaspaltes verhält sich die Ghorioidea in ihrer
weiteren Ausbreitung mit dem Unterschied, dass über-
all sonst die Epitelialschicht sich als intakt erweist. Die
Menge der Eiteransammlung in der Ghorioidea nimmt
indessen, je mehr wir uns nach vorne begeben, ab, so
zwar, dass die vorderen Abschnitte der Ghorioidea und
zwar merkwürdiger Weise auch in unmittelbarer Nähe
des fremden Körpers gar keine Eiterkörperchen mehr
auffinden lassen, während hier umgekehrt zahlreiche
Eiterkörperchen in der Nervenfaserschicht der Retina
nnd in dem angrenzenden Theil des Glaskörpers gefun-
den werden. Der Giliarmuskel enthält keinen Eiter, da-
gegen ist die Iris mit zahlreichen rundlichen vmd ovalen
Zellen durchsetzt; sie scheinen am massenhaftesten an
der hinteren Wand unmittelbar vor der dicken Pigment-
läge vertreten zu sein.
4. Gottlieb Graeter, 19 Jahre alt, aus der Ma-
schinenfabrik in Esslingen, stellt sich am 17. Mai 1867
vor. Am 16. war ihm bei der Arbeit (Meissein von
28G
Gussstahl) etwas in's linke Auge geflogen, worauf rasche
Abnahme der Sehkraft, welche sich bis heute noch ver*
schlechterte, heftige Injection der Gonjunctiva des Bulbus.
Auf der Hornhaut etwa vom Centrum ausgehend, nach
oben und innen verlaufend eine scharfe Wunde der
Hornhaut von 3Vs''' Länge, welche sich etwas in die
Sclera erstreckt. Vordere Kammer aufgehoben, Iris oben
durchschnitten. Völlige Linsentrübung. Patient sieht
noch Bewegung der Hand. Quantitative Lichtempfindung
gut. Orientirung sicher aber langsam. Bei Prüfung mit
zwei Lichtquellen ergiebt sich ein ausgiebiger Defect des
Gesichtsfeldes nach oben und nach aussen. Ueber Em-
pfindlichkeit der Ciliarmuskelgegend ist nichts notirt
Diagnose: Corpus alienum im Glaskörper.
Am 18. Mai, gerade 48 Stunden nach stattgehabter
Verletzung, wird ein Versuch gemacht, den fremden Kör-
per zu extrahiren, aber ohne Erfolg; über denselben wird
weiter unten berichtet werden. Darauf sofortige Enuc-
leation. Der sogleich eröffnete Bulbus zeigt massenhafte
Ansammlung von Blut in der unteren Hälfte des Glas-
körpers, besonders aber unten und innen. Dieses Blut
hat eine bräunliche Färbung im Gegensatz zu frischen,
rothen Ergüssen, weiche sich zwischen Netzhaut und
Chorioidea einerseits und zwischen Chorioidea und Sclera
andererseits vorfinden. Unterhalb des Blutes im Fundus
findet sich hier ein glänzender, auf einer Seite ganz
scharfer Stahlsplitter von 872"' Länge und gut 1"'
Breite auf dem Grunde fest aufliegend. Er liegt etwa
2"* nach innen vom verticalen Meridian, sein vorderer
Rand ist 1'", sein hinterer 47« "' vom Hornhautrande
entfernt Die Retina bietet an ihrem unteren und
hinteren Umfange bis über die Höhe des Sehner-
ven verschiedene klaffende grosse und kleine Lücken
in Folge der bei den misslungenen Extractionsversuchen
vorgenommenen Sondirungen mit einer Knopfsonde. Es
287
ist daher anmöglich, besonders wegen der hier entstan-
denen frischen Blutungen, einen dieser klaffenden Spalten
als die ältere Retinawunde zu erkennen. Auch wurde
aus diesem Grunde eine mikroskopische Durchforschung
der zerfetzten Retina als voraussichtlich resultatlos unter-
lassen. Die Ghorioidea zeigt eine starke Linie nach oben
wn der Papille einen 2V4'" langen, fast wagerecht ver-
laufenden haarscharfen Spalt, der nur gegen das Licht
gehalten zu klaffen scheint Die ganze Ghorioidea ist
durch eine hintere dQnne, vorn mächtige Schichte frischen
Blutes von der Sclera abgelöst.
Die mikroskopische Untersuchung der Ghorioidea
nach Erhärtung in Müller' scher Flüssigkeit ergiebt an
senkrecht durch den Spalt gelegten Schnitten an den
Rändern nichts auffallend Abnormes, nur scheint die
elastische Membran sich etwas zurückgezogen zu haben,
wenigstens endet sie an fast allen Schnitten eine Strecke
vor dem freien Rande der Wunde, welche annähernd die
Dicke der Ghorioidea beträgt. Diese Schnitte sind dicht
durchsetzt mit Eiterkörpcrchen.
Was die Quantität dieser Eiterkörperchen angeht,
so ist dieselbe in unmittelbarer Nähe des Spaltes eine
ausserordentlich reichliche, aber auch auf Querschnitten,
welche gut 3'" von der Wunde entfernt angelegt sind,
lassen sich noch solche erkennen. Die Hauptmasse der-
selben zeigt sich überall in der Nähe der Ghoriocapillaris
in der Nähe der kleinen Gefasse.
Wenn bei einer Entfernung von circa 3''' von dem
Ghorioidealspalt die Menge der Eiterkörperchen be-
deutend abnahm, so sind sie doch in der ganzen Aus-
breitung der Aderhaut aufzufinden, ja noch vorne in der
Gegend der Ciliarmuskel finden sie sich wieder häufiger
und zwar nicht sowohl unten, in der Nähe des fremden
Körpers, sondern auch an den correspondirenden oberen
und seitlichen Abschnitten. Das Pigmentepithel ist über-
288
all intakt. Die Chorioidea in der unmittelbarsten Um-
gebung des fremden Körpers zeigt ein eigenthQmliches
Verhalten. Wenn man hier nach Abpinselung des Epithels
feine Lagen der Choriocapillaris darch Abzupfen der
Oeftssschicht präparirt, so bekommen wir ganz analoge
Bilder wie in dem vorhergehenden Falle: nämlich GefElsse
kleinsten Galibers, welche direkt in Capillaren übergehea^
zeigen eine reichliche Füllung mit Eiterkörperchen, viele
der Capillaren ebenfalls. Dazwischen sieht man die Blut-
körperchen minder deutlich, vielmehr oft nur feine detri-
tusähnliche Massen. Die Eiterkörperchen verhalten sich
durchaus verschieden wie in dem vorigen Fall; sie sind,
meistentheils auch diejenigen, welche noch innerhalb der
Oeiasslumina liegen, ausserordentlich gross, vielleicht das
2— 3 fache im Durchmesser wie die Blutkörperchen. Ihre
Gontouren sind durchgehends sehr undeutlich; sie sind
grob granulirt und auf Zusatz von A, ebenso nach Gar-
minimbibition zeigen sich in vielen 2 auch 3 Kerne.
Neben manchen der kleinen mit Eiterkörperchen
gefüllten Gef&sse lassen sich dicke Lagen von Bindege-
webe, fast immer von Zügen verästelter Pigmentzellen be-
gleitet, nachweisen, welche durchaus normal sind. Ebenso
verhalten sich die pigmentirten Stromazellen normal;
und an den pigmentlosen Stromazellen ist es mir kein
einziges Mal gelungen, irgend eine Form von Zelien-
wucherung aufzufinden. Im Corpus ciliare wenig, da-
gegen viel Eiter im Irisgewebe. Querschnitte durch die
Retina lassen nirgends mit Sicherheit Eiterkörperchen
erkennen. Vielmehr zeigen diese Schnitte, dass die Netz-
haut intakt ist. Die einzige pathologische Veränderung,
welche ich an ihr fand, welche aber über das ganze Re-
tinagebiet ausgedehnt war, betraf die Stäbchenschicht in
der Nähe des fremden Körpers. Die Stäbchen erschienen
zuweilen sehr ungleich in ihrer Dicke, zeigten hier und
da, besonders an ihrer Spitze, leicht knopfförmige An-
289
schwellcuigeD, an einzelnen Stellen in unmittelbarer N&he
des fremden Körpers sind nur noch kleine glänzende,
rundliche Rudimente der Stftbchenschicht zu erkennen,
dazwischen hart an der limitans externa grössere rund-
liche oder ovale Gebilde von der 2— 3 fachen Ausdehnung
eines Kerns der äusseren Schicht, welche nicht hell und
Btarkglänzend wie die sogenannten Schleimkugeln Rit-
ter's, sondern stark granulirt sind. Sie enthalten keinen
Kern. In der Pars ciliaris retinae fand ich keine Eiter-
bildung. Der Glaskörper enthält in seinem vor der Ora
serrata gelegenen Theile reichliche grosse Zellen mit
meist einem sehr grossen Kern; dieselben Gebilde finden
sich überall an dem der Retina in dünnen Schichten an-
haftendem Glaskörper. Zuweilen zeigen diese grossen
Zellen 2, selten mehr Kerne.
5. J. Schabel, 27 Jahr alt, Arbeiter in der Maschinen-
werkstatt zu Canstatt. Den 16. Januar 1868 fuhr ihm
beim Meissein von Gussstahl etwas in's rechte Auge;
sofortige starke Herabsetzung des Sehvermögens. Den
andern Tag wurde Patient in die Klinik aufgenommen.
Sehr starke subconjunctivale Injection. Zwischen
Homhautcentrum und innerem Homhautrande eine an-
nähernd senkrecht verlaufende, rauhrandige Wunde von
S^l^*'* Länge. Giliargegend überall gegen Berührung
äusserst empfindlich, oben mehr als unten. Totale Lin-
sentrübung. Quantitative Lichtempfindung äusserst ge-
ring, die Stellung der Lampe wird nur in einem kleinen
nach unten und aussen gelegenen Bereiche des Gesichts-
feldes erkannt
Diagnose: Corpus alienum im Glaskörperraum.
Im Laufe des Tages stellte sich Ciliameurose ein,
welche sich während der Nacht auf eine solche Höhe stei-
gerte, dass Patient am nächsten Morgen selbst die an-
ArdUr ftr Ophfbalmologle» ZTV. 1. 19
290
fiings verweigerte Eaucleation forderte. Erhebliche Che-
mosis.
Eoacleation 48 Stunden nach der Verwundung. Der
sogleich eröffnete Bulbus zeigt im unteren Um£ange und
nach hinten und innen Massen von Blut, daneben ziem-
lich dichte Eiterzüge, besonders in der vorderen
Hälfte. Auf dem Fundus hart auf liegt ein grosser
glänzender Stahlsplitter Sy^"' lang, über 2'" breit
und über y%"' dick; sein vorderer Band ist 3Vs'"
von dem vorderen Hornhautrande entfernt; dicht nach
aussen und unten vom Sehnerven zeigt sich eine staike^
bucklige Netzhautablösung durch Blut, welche etwa
die seitliche Ausdehnung von 2*" hat und sich nach
unten bis zum Fundus des Auges erstreckt Die Netz*
haut ist in dem oberen Dritttheil der Ablösung stark
zerfetzt, zeigt reichliche kleine Lücken. Bei starker
Lupenvergrösserung erkennt man, dass das Netzhautge-
füge hier vorwaltend aus den Gef&ssen besteht, an welchen
kleine Partien von Netzhautgewebe haften; unmittel*
bar unter dieser Stelle eine über V" dicke Lage von
Blut. Unterhalb dieses Blutes zeigt sich ein kleiner
scharfliniger Substanzverlust der Chonoidea. Diese Lücke
stellt etwa ein gleichschenkliges Dreieck dar, dessen
Schenkel die Länge von je c. Vs Mm. betragen. Ent-
sprechend dieser Lücke findet sich ein etwa Vs Mm. langer,,
nur bei Loupenvergrösserung deutlich sichtbarer, haar-
scharfer, nicht penetrirender Spalt in der Sclera. Die
mikroskopische Untersuchung der zerfetzten Betinapartie
bietet nichts Interessantes. Die übrige Betina, auch die
entferntesten Tbeile zeigen eine in hohem Grade ausge-
sprochene Atrophie der Stäbchen und Zapfen. In der
Nervenüaserscbicht, hart auf der Limitans, finden sich
wenig reichliche, runde, zeitige Gebilde, deren Natur
nicht mit Sicherheit festzustellen ist, welche aber mit
Wahrscheinlichkeit als Eiterkörperchen au&ufassra sind.
291
Der diesem Schnitte überall anhaftende Glaskörper bietet
ausserordentlich zahlreiche, grosse, runde Zellen mit 1,
2, 3, auch mehr Kernen.
Die Chorioidea zeigt zunächst auf Querschnitten eine
so massenhafte Ansammlung von Eiter, dass im Stroma
Nichts als Eiter und Pigmentzellen zu erkennen sind.
Die Lagen, fQr sich untersucht, zeigen m&ssige Ansamm-
lung von Eiter in der Suprachorioidea. Die Chorioca-
pillaris und grössere Oefilssschicht sind dicht infiltrirt.
Dieser Grad von Entzündung ist über das gesammte
Bereich der Chorioidea gleichml^sig verbreitet. An fein
zerzupften Präparaten der vorher isolirten Ghoriocapil-
laris finden sich kleine Gefasse, welche sich durch die
Dünne ihrer Wandungen und die sie begleitenden Züge
welligen Bindegewebes als Venen erkennen lassen, welche
auf den ersten Blick hin wie mit Eiter gefüllt erscheinen.
Es entsteht die Frage, ob diese Eiterkörperchen auf den
Gefässen resp. in seinen Wandungen haften, oder ob sie
innerhalb des GefiLssrohrs liegen. Versuche, durch Druck
auf das Deckglas Bewegung in die Masse zu bringen,
misslangen; selbst zweifellos in den Gefässen liegende
Säulen von Blutkörperchen machten keine Bewegungen
in der Richtung der Längsaxe des GefiLsses. Gegen die
Annahme aber, dass der Eiter auf den Gefässen oder in
den Wandungen seinen Sitz habe, spricht die Thatsache,
dass die Profilansicht der Wandungen nur wenige Spuren
zelliger Gebilde aufweist, während die Masse des Eiters
gerade das Lumen des Gefässes einnimmt. Ausserdem
ergeben Querschnitte zur Evidenz, dass das ganze Lumen
solcher Geftsse mit Eiterzellen ausgefüllt ist. Die Ge-
rinnung, welche der Bewegung in den Gefässen hinder-
lich entgegentrat, machte das Haftenbleiben in dem Quer-
schnitt möglich. Das Pigmentepithel ist mit Ausnahme
der unmittelbaren Umgebung der Chorioidawunde intact
19*
292
Die Kerne der Capillaren schienen fast alle verdickt und
an einzelnen glaube ich Theilung constatirt zu haben.
Der Ciliarmuskel enthalt reichliche Quantit&ten von Eiter-
körperchen. Das Irisgewebe ist ebenfalls reichlich mit
solchen durchsetzt.
6. Christian Weber, 30 J. alt, Kesselschmied in der
Eisengiesserei zu Berg, stellte sich am 25. Febr. 1868
bei mir vor. Vor 3 Tagen, bei der Arbeit, Morgens
gegen 8 Uhr (es wurde Stahl mit grosser Gewalt gegen
Stahl geschlagen,) meint Patient beobachtet zu haben,
dass bei einem schlecht geführten Schlag seines Mitar-
beiters Funken von dessen Hammer flogen. Er selbst
spürte unmittelbar darnach einen dunklen Strich vor dem
linken Auge, den er mehrmals wegzuwischen bemüht
war. Schmerz war keiner vorhanden. Erst mehrere
Stunden später beobachtete man Röthe des Auges. Am
Nachmittag gegen 3 Uhr fing das Sehvermögen an, sehr
rasch abzunehmen, und zwar so progressiv, dass am
nächsten Morgen dasselbe verschwunden gewesen sein
soll. Starke subconjunctivale Injection ; grosse Empfind-
lichkeit der ganzen Ciliarmuskelgegend. Hornhaut leicht
diffus getrübt; keine Wunde oder Narbe in ihr oder der
Sclera zu entdecken, auch nicht bei Vergrösserung; der
Lidkrampf erschwerte diese Untersuchung sehr. Durch
ein massiges Hypopyon, welches sowohl den untersten
Theil der vorderen Kammer, als auch das Pupillargebiet
einnahm, ist jede weitere Einsicht in den Zustand der
Iris, der Linse und tiefer unmöglich gemacht. Quanti-
tative Lichtempfindung gut. Orientirung für hellbren-*
nende Lampe nicht vorhanden.
Diagnose: Corpus alienum im Glaskörperraum.
Nachdem Patient 4 Tage lang auf seinen Wunsch
antiphlogistisch und symptomatisch behandelt worden
war, bewogen ihn die exorbitanten Schmerzen in die Enu-
293
^leation zu willigen. DieEntzüDdungserscheinangen hatten
sieh unterdessen beträchtlich gesteigert und es war be-
deutende Chemosis eingetreten. Die quantitative Licht-
empfindung hatte sich vermindert. 7 Tage nach der Ver-
letzung wurde die Enucleation vorgenommen.
Beleuchtung der Cornea am frisch ausgeschnittenen
Bulbus mittelst concentrirten Sonnenlichts lässt eine
scharfe, horizontale, etwas über Vs''' Isjige Narbe er-
kennen, welche etwa die Mitte des äusseren, unteren
Hornhautquadranten einnimmt Der sogleich geöffnete
Bulbus zeigt den Glaskörper ausserordentlich dicht mit
Eiter durchzogen. Die dichtesten ZQge nehmen den vor-
deren Glaskörperabschnitt ein. Ziemlich bedeckt von
Eiter zeigt sich hier ein kleiner, papierdünner Eisen-
splitter von rechteckiger Gestalt, etwas über y^"' lang,
etwas weniger als Vs''' breit Er liegt flach der hin-
teren Linseuwand auf und zwar etwa die Mitte des
äusseren unteren Quadranten einnehmend.
Die Macula lutea erscheint auf den ersten Blick als
eine horizontale, erhabene Plica. Bei genauer Betrachtung
zeigt sich indessen diese scheinbare Plica als ein haar-
feiner, c. V» Linie langer Riss in der Retina, dessen
Ränder ein wenig nach vom zu umgebogen sind. Eine
Verklebung der Retina mit der Chorioidea findet an dieser
Stelle nicht statt Ebenso wenig ist eine Chorioidea-
wunde nachzuweisen. Auch keine Verklebung der Cho-
rioidea mit der Sclera. Die Retina erweist sich, was zu-
nächst die Wundränder betrifft, fast gar nicht verändert,
selbst die Zapfen sind in unmittelbarer Nähe derselben
in grosser Ausdehnung intact Sonst ist die Retina in
den dem Glaskörper zunächst gelegenen Schichten bis in
die Nervenzellenschichte hinein, in massigem Grade mit
Eiterkörperchen durchsetzt In den anderen Schichten habe
ich mit Sicherheit keinen Eiter nachweisen können. Mit
Ausnahme der unmittelbaren Nähe der Wunde sind die
294
St&bchen- und Zapfenschicht sonst nirgens normal: hie
und da sind sie auf kleine kuglige Elemente reducirt,
an anderen Stellen ist noch annähernd ihre Form zu er-
kennen; sie sind hier aber stark granulirt, verbreitert,
an ihrem vorderen Ende nicht selten zu feiner, granu-
lirter Detritusmasse zerfisdlen. Die Ghorioidea ist in
ihrem ganzen Umfange mit sehr geringen Mengen von
Eiterkörperchen durchsetzt, selbst an der der Retina*
wunde correspondirenden Stelle zeigt sich keine hervor-
ragende Masse von Eiter in dieselbe eingebettet Der
Ciliarmuskel enthält reichliche Eiterkörperchen; die Iris
sehr reichlich; die Pars ciliaris retinae befindet sich in
einem Process üppiger Zellenwucherung. Es lassen sich
hier mikroskopisch 2 Züge von Eiter deutlich erkennen,
in ähnlicher Weise, wie dies von Knapp*) beschrieben
wurde, eine peripherische, radiär verlaufende (von der
Pars ciliaris retinae aus) und eine meridional verlaufende
von der Hyaloidea aus. Der ganze Glaskörper bildet
eine durchscheinend milchig getrübte Masse; Blut ist
keines vorhanden. Die milchige Trübung beruht auf
massenhafter Ansammlung von Eiterkörperchen, welche
sich in dem vorderen Abschnitt, besonders zwischen Re-
tina und Linse, so verdichtet, dass die Masse des Glas-
körpers hier absolut undurchsichtig ist
7. Ferdinand Stumpfrock, 27 Jahre alt, Schlosser
von Häslach, stellte sich vor am 13. Juli 1867. Vor
4 Tagen beim Probieren eines Gewehres hatte er das Ge-
fühl, als spränge ihm etwas in's linke Auge. Patient be-
merkte eine leichte Blutung am unteren Hornhautrande.
Unmittelbar nach der Verletzung starke Sehstörung, wie
wenn ein dicker Klumpen vor dem Auge läge; kein
Schmerz. Am nächsten Tage nahm die Sebstörung wieder
•) 8. d. AwhiT XUI. 1, 8. 151 u. ff.
295
etwas ab, um aber den folgenden Tag mit gleichzeitig
eintretender Entzündung wieder Bchnell zu wachsen.
Bei der Vorstellung zeigt sich unten am Limbus
corneae eine kleine, kaum Vs Linie grosse Narbe; leichtes
Hypopyum, Iritis, die Pupille durch ein Exsudat ver-
schlossen, keine Atropinwii^ung. Betastung der Ciliar-
muskelgegend sehr empfindlich, nur Spuren quantitativer
Lichtempfindang.
Patient, auf die Nothwendi^eit einer Enucleatio
bulbi aufmerksam gemacht, willigte erst 4 Tage später
in dieselbe, so dass die Operation 8 Tage nach der Ver-
letzung vorgenommen wurde.
Der unmittelbar nach der Enudeation eröffnete
Bulbus zeigt den Glaskörper mit dickem Eiter ausge-
füllt. Gerade an der obersten Kuppe des Bulbus c. 1 Vs '"
nach aussen« vom verticalen Meridian findet sich im Glas-
körper etwa' 1 Linie unterhalb der oberen Bulbuswand
in Eiter gehQllt ein dQnnes Plättchen eines ZündhQtchens
von annähernd quadratischer Form und gegen y^" lang
und breit. Unmittelbar oberhalb derselben sieht man
eine kleine Zusammenhangstrennung der Retina von
nicht ganz der Länge einer halben Linie. Dieser Riss
geht etwas schräg durch die Substanz der hier ausser-
ordentlich stark angeschwollenen Retina. Dieselbe ist
mit der Chorioidea fest verwachsen, die Ghorioidea mit
der Sclera verklebt
Querdurchschnitte durch die verwachsene Chorioidea
und Retina zeigen, dass auch die Chorioidea stark ange-
schwollen ist. Die Retina läset auf diesem Querschnitte
unmittelbar neben dem Risse nichts als Eiterkörperchen
erkennen, in kurzer Entfernung von demselben sind in-
dessen die Limitans und die Stützfasern, letztere auffal-
lend deutlich glänzend und bis in die Gegend der äus-
seren Kömerschicht nachzuweisen.
Die ganze Retina ist bis nach vorn zur Ora serrata
296
in der Art gleichmässig verändert, dass sich von St&bcheo
und Zapfen nor kleine, rundliche Rudimente vorfinden.
Die (Ihrigen Lagen bis zur Limitans inclusive sind fiber-
all nachzuweisen, aber sehr ungenau gegen einander dif-
ferencirt. In hinreichend dfinnen Schnitten kann man
die einzelnen Elemente der Schichten deutlich erkennen,,
ohne dass wesentliche Alteration an ihnen erkennbar wftre.
Die Statzfasem sehr deutlich, breit und glänzend. In
der Nerveniaserschicht zahlreiche Eiterkörperchen, be-
sonders hart an der Limitans. In einem Präparat glaube
ich im Querdurchschnitt kleine GefiLsse, vollgepfropft mit
Eiterkörperchen, gefunden zu haben. An der Chorioidea
erkennt man zunächst, entsprechend dem Betinariss, eine
scharfe Zusammenhangstrennung der Lage des Pigment-
epithels und der Lamina elastica; tiefer geht die Zusam-
menhangstrennuDg nicht. Das unmittelbar* darunterlie-
gende Gewebe im Zustande hochgradiger eitriger Infil*
tration. Die tieferen Schichten lassen das Stroma und
die verästelten Pigmentzellen als normal erkennen, sind
aber dicht mit Eiterkörperchen durchsetzt; die GeiässOr
auch solche von grösserem Galiber, enthalten zwischen
deutlichen, scharf contourirten Blutkörperchen zahlreiche
Eiterkörperchen von verschiedener Grösse und Form
(Fig. 4).
Schon in unmittelbarer Nähe der Ghorioideawunde^
etwa in der Entfernung von 1'^', ist die Quantität des
Eiters eine viel geringere; sie nimmt nach dem Aequator
zu noch mehr ab, um nach vom in unmittelbarer Nähe
des Musculus ciliaris wieder sehr beträchtlich zu werden.
Die Hauptmasse des Eiters ist überall an die der Chorio-
capillaris unmittelbar angrenzende Gefässschicht gebunden»
Einige kleine Venen zeigen sich in mehr oder minderem
Grade mit Eiterkörperchen gefüllt, welche die verschie*
densten Formen der weissen Blutkörperchen darstellen,
mit dem Unterschiede, dass die stark granulirten Zellen
297
besonders gross und zahlreich erscheinen. Auch lassen
sich in vielen mehrere Kerne nachweisen. Das Pigment-
epithel ist normal. Der Ciliarmaskel und die Iris sind
dicht mit Eiter durchsetzt
Auch die Pars ciliaris retinae zeigt, besonders im
oberen Bulbusabschnitt, eine ausserordentlich reiche An-
häufung von zelligen Elementen.
8. Gottlieb Eurrle, 16 Jahre alt, von Rothenberg,
stellte sich am 24. November 1867 vor. Vor 21 Tagen
ist ihm beim Abschiessen einer Pistole etwas in's rechte
Auge gesprungen. Bald darauf hat sich heftige Entzfln-
düng des Auges mit rascher Abnahme der Lichtempfin-
duflg eingestellt und nahm Beides bis zum heutigen Tage
allmftlig zu. In der Hornhaut, fast in der Mitte, eine
über 2"* lange, horizontale Narbe. Gegend des Ciliar*
muskels nach aussen und oben empfindlich. Keine quan-
titative Lichtempfindung. Noch am Tage der Vorstel-
lung, also 21 Tage nach der Verletzung, Enucleatio bulbi.
Unmittelbar nach der Operation Eröffnung des Bulbus.
Der Glaskörper ist ein absolut undurchsichtiger Eiterpfropf.
Etwas nach vom vor der Mitte derselben liegt ein grosses,
glänzendes Stück Kupferhütchen annähernd in der Höhe
des horizontalen Meridians (s. Fig. 9). Die Hyaloidea
ist total abgelöst; nur nach innen vom Sehnerveneintritt
zeigt sich eine Verwachsung der Hyaloidea mit der Re-
tina; ebenfialls eine Verwachsung dieser Membran mit
der Ghorioidea und der Ghorioidea ihrerseits mit der
Sclera. Auch die Betina ist bis auf diese Verwachsungs-
stelle total abgelöst. Ghorioidea überall anliegend.
Die mikroskopische Untersuchung der Verwachsungs-
stelle der Retinae, Ghorioidea und Sclera ergiebt in Be-
zug auf Ghorioidea, dass hier eine absolute Zusammen-
hangstrennung der vordersten Lagen derselben, bes. der
Schichte des Pigmentepithels und der Lamina elastica
fitattgefimdeii hat, wie im vorhergebeaden Fall- Die un-
mittelbar aagrenzenden Theile der Adeitaut, sowohl der
Fliehe nach als auch in der Tiefe zeigen eine dichte In*
filtration des Gewebes mit Eiterk&rperchen. Die tiefsten
Schichten lassen sich jedoch selbst an der Stelle der
unmittelbaren Verwundung wiener erkennen, wiewohl
auch sie mit Eiter imprägnirt sind. Schon die unmittel-
barste Nachbarschaft der Wunde, etwa Vs''' ^o^ ^^
entfernt, zeigt Eiterkörperchen nur vereinzelt, und zwar
verhält sich die grössere hintere H&lfte der Aderhaut so;
nur gegen vorne in der unmittelbaren Nähe des Corpus
ciliare wächst die Masse des Eiters wieder an, und selbst
die reichliche und hier lockere Suprachorioidea nimmt
in auffallendem Grade an dem Processe Theil. Die Pig-
mentschicht zeigt nirgends als in der unmittelbaren Nähe
der Wunde, wo die Epitelien etwas bleicher sind, irgend
eine Spur von Veränderung. Ebenso wenig ist irgendwo
sonst im Stroma oder Bindegewebe eine active Theil-
nähme aufeufinden.
Der Giliarmuskel zeigt massige Massen von Eiter-
k&rperchen, reichliche die Iris. Die Pars ciliaris ist in
massigem Grade mit Eiter durchsetzt. Die Retina zeigt
in der Nervenschicht reichlichen Eiter. Die übrigen
Schichten sind im Durchschnitt sehr undeutlich, die Stfitz-
fasern deutlich breit und weit nach hinten wahrnehmbar.
Von Stäbchen und Zapfen nur winzige kleine kömige
Ueberreste. Der Glaskörper bildet einen von seiner bis
zur ora serrata abgelösten Hyaloidea fest umschlossenen
Eitersack. Die ganz nach vorn gelegenen Theile zeigen
äusserst massenhafte Eiterzelien, zahlreiche sich in den
verschiedensten Richtungen kreuzende Fasern, in den
mittleren und hinteren Theilen haben die Fasern einen
der Augenachse parallelen Verlauf.
9. Otto Mangold, 6 Jahr, von Esslingea Vorgestellt
299
am 17. Septbr. 186& Vor 14 Tagen ist ihm beim Zer«
schlagen dnes Zündhütchens etwas in's linke Auge ge-
sprungen.
Unmittelbar am inneren Homhautrande eine kleine
Narbe. Dicht daneben in der Iris eine gelbliche tumor-
artige Hervorwölbung von nahezu halbkugliger Form
und etwa dem Durchmesser von IV»'''- Linse klar,
keine diffase Iritis. Im Augenhintergrnnd wurde nichts
Pathologisches mit dem Augenspiegel entdeckt. Massige
subconjunctivale Injection, welche hauptsftchlich die innere
Hälfte der Conjunctiva bulbi einnahm. Eine Sehstörung
konnte, soweit die Angaben des 6jährigen Knaben ver-
lässlich waren, nicht eruirt werden. Es wurde damals
die Diagnose Corpus alienum in der hintern Augenkammer
gestellt Nachdem am inneren Homhautrande ein breiter
Einstich wie zur Iridectomie gemacht worden war, wurde
die unmittelbar hinter dem gelblichen Tumor gelegene
Irispartie mit der Pincette gefasst und mit dieser ein
zusammengerolltes Kupferhfitchenstück von etwas über
V Länge extrahirt Die geringen Entzündungser-
scheinungen wichen jetzt schnell und am 21. October,
also 16 Tage nach der Operation, konnte Patient frei
von Entzündung entlassen werden. Vor der Entlassung
indessen wurde das Auge noch einmal einer genaueren
Untersuchung unterworfen. Jetzt zeigte sich gegen innen
unten aus der Tiefe des Auges heraufkommend ein weisser
Reflex; diese Stelle war nicht mit Geftssen überzogen,
das Sehvermögen erwies sich nicht mehr intact, doch
liess sich natürlich keine genauere Messung der Störung
des excentrischen und centralen Sehens anstellen. Im
Journal finde ich deshalb nur die Notiz: „Sehvermögen
mangelhaft". Ich selbst sah den Patienten erst 10 Mo-
nate später wieder. Das Auge war phthisisch, massig
entzündet; gegen Berührung äusserst empfindlich, keine
quantitative Lichtempfindung. Da auch das andere Auge
300
hie und da Lichtscheu und Thrfinentrftufeln gezeigt hatte,
so konnte ich nicht anders, als in die von dem behan-
delnden Arzte, meinem Freunde Dr. £. Späth in Ess-
lingen, vorgeschlagene Enucleation willigen. Derselbe
nahm die Operation alsbald vor und hatte die Güte, mir
den uneröffneten Bulbus zuzusenden.
An dem sehr phthisischen Bulbus fällt von aussen
eine äusserst tiefe Einziehung der Sclera auf, welche in
der Höhe des horizontalen Meridians an der Aussenseite
gelegen ist Ihre direkte Entfernung vom Homhautrande
beträgt 2^IJ". Auf dem Durchschnitt präsentirt sich
diese Stelle als eine Narbe der Sclera, welche so tief
eingezogen ist, dass die innerste Spitze derselben um
eine starke Linie dem Gentrum des Bulbus näher liegt,
als das innere Niveau der angrenzenden nicht eingezo-
genen Sclera.
Die Narbensubstanz selbst wird geliefert von den
aussen auf der Sclera liegenden Gebilden.'*') An der
Spitze der Scleraeinziehung findet eine Verwachsung der
3 Augenhäute statt; die Netzhaut ist &st total abgelöst
Das Innere des gebildeten Netzhauttrichters enthält
eine massig dicke Glaskörperschwarte, welche ebenfalls
an der Verwachsung participirt
Von der Mittheilung weiterer Details sehe ich ab,
nur will ich hervorheben, dass ich in diesem Falle, wenn
auch in massigem Grade, mehr weniger unregelmässige
Zellen im Giliarmuskel aufgefunden habe, und zwar meine
ich hier die nicht verwundeten Theile desselben.
10. Das letzte Präparat kann ich ganz kurz erwäh-
nen. Es stammt aus der Tübinger Klinik von einem
etwa 16jährigen Mädchen, welchem vor 9 Jahren ein
•) Vgl Lubinsky, d. AxchW Xnr. 2, S. S57.
301
Kupferhatchen in's Auge gesprangen sein soll Dei^
Bulbus ist ausserordentlich phthisisch, er hat gewiss
nicht V4 d^ normalen Volumens. In Mitte der abge-
lösten Retina findet sich ein kleines Kupferhütchenstück;
unmittelbar neben dem Sehnerveneintritt eine Verwach-
sung der 3 Augenhäute.
Qang des fremden Körpers.
An der Hand der vorstehenden Detailbeschreibungen
sind wir in der Lage, zuvörderst die Frage zu beant-
worten, auf welche Weise die beschriebenen Verwundun-
gen der hintern Bulbuswand zu Stande gekommen sind.
Es wurde mir vor längerer Zeit der Einwurf ge-
macht, dass diese Verwundungen durch indirekte Ein-
wirkung entstanden sein möchten. Obgleich der betref-
fende College sich durch die Einsicht meiner Präparate
von der Irrthümlichkeit seiner Deutungsweise überzeugte;
so ist mir doch die Thatsache, dass überhaupt von sach-
verständiger Seite ein solcher Einwurf gemacht wurde,
zu wichtig, als dass ich mich nicht dadurch veranlasst
sähe, diese Frage eingehender zu besprechen.
Ich schweige ganz von der Unmöglichkeit, dass auch
nur in einem einzigen unserer Fälle der positive Beweis
geliefert werden könnte, dass hier eine indirecte Ein-
wirkung jene Zusammenhangstrennung der Retina, der
Chorioidea, oft auch der Sclera hervorgerufen haben
sollte: ich will mich auch aller theoretischen Gründe
enthalten, welche gegen die Möglichkeit eines solchen
Vorganges unter den gedachten Umständen überhaupt
sprechen; dagegen will ich versuchen, für den einzelnen
Fall, aus den anatomischen Befunden den Beweis zu lie-
fern, dass die vorgefundene Zusammenhangstrennung
302
jedesmal die Folge dee directen Insultes der verletsten
Hembianen durch den fremden KOrper waren.
Im Fall 2 begegnen wir einer zweifachen Dorehboh-
rang der UmhüUongsmembranen durch den fremden Kör-
per mit Austritt des letzteren. Im Fall 1 eben&lls einer
zweifachen Trennung, aber mit Zurückhaltung des Kör-
pers in der zweiten Wunde. Bei Fall 9 weiter ist eine
Narbe der Sclera annähernd diametral gegenüber der
Einschlagsstelle vorhanden, während das eingedrangene
KupferhQtchen in unmittelbarer Nähe der Einschlagstelle
gefunden wurde. Dasselbe hatte also zweimal genau den*
selben Weg einmal vorwärts und einmal rückwärts
durchmessen.
Im Fall 5 ein nicht perforirender Spalt in der Sclera
bei gleichzeitiger Durchtrennung der Retina und Cho*
rioidea an der betreffenden Stelle.
Dreimal, Fall Schmid, Kurrle, Stumpfrock, finden
wir bei vorhandenen Retinawunden unvollständige Durch*
trennuDg der Chorioidea, einmal mit Eingetriebensein
von Retinalsubstanz (Fig. 8) in die Aderhaut.
Alle 7 Fälle entziehen sich von selbst jeder andern
Deutung, als dass die an der hintern Bulbuswand vor-
gefundenen Verletzungen nicht durch directe, gewaltsame
Einwirkung der jedesmal im Innern des Auges vorge-
fundenen fremden Körper hervorgerufen sein mussten.
Diese positiven Resultate wiegen schon sehr schwer ftr
die andern Fälle. Aber betrachten wir die restirenden
näher:
Sie zerfallen in 3 Gruppen:
Zu der ersten rechne ich diejenigen, in welchen zu*
gleich Retina- und Ghorioideawunden vorhanden sind;
in die zweite solche, welche blos Zusammenhangs*
trennung der Retina nachweisen lassen;
und die letzte bilden die alten Fälle, bei denen wir
303
nichts als eine locale Yerwachsnng der 3 Angeahäate
an irgend einer Stelle der hintern Bolbuswand vorfinden.
Die erste Hauptgmppe zeigt 3 constante gemein-
schaftliche Eigenthfimlichkeiten. Bei manchen Schwan-
kungen n&mlicb in Form nud GrOsse der Retinawunde,
welche ungezwungen auf die geringe Widerstandsfthig-
keit dieser Membran zurackzufOhren sind, fanden wir
niemals die Ghorioideawunde die Länge des fremden Kör-
pers überschreiten, vielmehr meistens bedeutend unter
derselben zurückbleiben. Femer fanden wir in keinem
einzigen Fall dieser Gruppe den Chorioideaspalt klaffen.
Im Gegensatz hierzu wird in der Literatur bei Cho-
rioidea-Bupturen gerade das Khiffen der Risse, welches
allerdings manchmal sehr schmal angegeben wird, als
das hauptsächlichste Kennzeichen für die ophthalmosko-
pische Untersuchung hervorgehoben, weil es nur dadurch
möglich wird, die unterliegende Sclera zu Gesicht zu
bekommen. Endlich beobachteten wir in der unmittel-
barsten Umgebung der Ghorioideawunde stets entzündliche
Yeränderungen, eine Reactionserscheinung, welche gewiss
auf einen stärkeren Reiz als blosse ^erreissung hindeutet,
um so mehr, da in der Regel die 3 Häute an der Stelle
der Verletzung sich verklebt zeigten.
Wenn nun jede der genannten Eigenschaften schon
für sich ein grosses Gewicht in Anspruch nehmen kann,
so glaube ich, dass das constante Zusammentreffen der-
selben in unserer ganzen Gruppe beweiskräftig genug
ist, um für dieselbe einen direkten Contact des fremden
Körpers mit der hintern Bulbuswand zu constatiren.
Die Kleinheit der Wunde und ihre Schärfe sind
gleichÜGills Eigenschaften der zweiten Gruppe, welche die
Fälle mit blossen Retinawunden in sich begreift. Solche
Fälle beobachtete ich 2. : Fall V. (1. c.) und Fall Weber
in diesem Aufeatz. Den ersten betreffend, so war die
Retinawunde so klein, dass nur wenige Schnitte behufs
304
mikroskopischer Untersuchung durch dieselbe geführt
werden konnten. Es ist übrigens wohl möglich, dass
ich bei der Kleinheit dieser Wunde eine unvollkommene
Zttsammenhangstrennung der Ghorioidea, wie ich später
im Fall Stumpfrock und Eurrle fand, übersehen habe.
Es ist dies um so eher denkbar, als hier zugleich an
der Stelle der Wunde eine Verwachsung der 3 Häute
statt&nd, was ich sonst nur bei Verletzung der Ghorioidea
beobachtete. Aber halten wir uns ganz an die Ausdeh-
nung und Form der Wunde. Abgesehen von ihrer ge-
ringen, ja winzigen Länge, klaffte sie durchaus nicht,
ihre Bänder liegen so hart an einander, dass sie nur
durch eine minimale Menge eitrigen Glaskörpers getrennt
sind. In derselben Prägnanz finden wir diese Eigen-
schaften im Fall Weber. Die Betinawunde ist hier
nicht ganz V2'" l&Qg und nur gegen das Licht ge-
halten, zeigt sie einen haarfeinen Spalt Gegenüber der
Thatsache, dass bis jetzt keine durch indirekten Einfluss
entstandene Betinaruptur beobachtet wurde, welche nicht
gerade durch stärkeres Klaffen der Bänder ihr Dasein
verrathen hätte, mus^** man gewiss zugeben, dass unsere
haarfeinen, kaum halblinienlangen Spalten durch direkte
Einwirkung des fremden Körpers entstanden sind.
Es bleiben von den gesammten 19 Fällen, welche
ich bis jetzt auf diese Frage untersuchen konnte, im
Ganzen noch 2, die letzte Gruppe, übrig, in welchen nur
eine Verwachsung der 3 Augenhäute aufgefunden wurde.
Dies sind die alten Fälle No. III 1. c. und No. 10. Diese
Verwachsungen sind zweifelsohne als die Besiduen frü-
herer Verwundungen aufzufassen, und wenn wir fftr alle
übrigen Fälle den Nachweis geliefert haben, dass die
vorgefundene Verwundung der hintern Bulbuswand auf
direkte Einwirkung des fremden Körpers zurückzuführen
sind, so glaube ich nicht zu weit zu gehen, wenn ich
305
diesen Zasammenhang auch fQr die beiden restirenden
Fälle in Ansprach nehme.
Ich glaube hiermit dargethan zu haben, dass bei 19
hintereinuider untersuchten Augen, in welchen ein frem-
der Körper im Glaskörper gefunden wurde, dieser fremde
Körper jedesmal die gegenüberliegende Bulbuswand er-
reicht hatte. Die Ausnahmslosigkeit dieses Befundes in
einer so grossen Zahl von Beobachtungen beweist end-
gültig, dass dieser Gang jfür alle diejenigen fremden
Körper die Regel ist, welche frei in den Glaskörperranm
gelangen. Im Ganzen hatte der fremde Körper 14 Mal
das Schicksal, von der hintern Wand zurQckgeschleudert
zu werden, 4 Mal blieb er stecken, einmal durchbohrte
er die gegenüberliegende Wand ganz und lag ausser-
halb des Bulbus.
Diese Zahlen bestätigen meine früher aufgestellte
Yermuthung, dass in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle der fremde Körper ricochettirt
Pathologisch -anatomische Resultate.
Die pathologisch -anatomischen Veränderungen im
Innern des Auges, welche in Folge des Eindringens des
fremden Körpers eintreten, sind einerseits abhängig von
der durch den fremden Körper gesetzten Verletzung,
andererseits von dem Reiz, welchen er auf den gesamm-
ten Bulbus ausübt Wir können dieselben demnach woU
in primäre und secundäre Veränderungen unterscheiden.
Ich will mich hier auf die Besprechung der oben ange-
führten frischen Fälle beschränken und für die alten
Fälle nur noch die hervorragenden Folgezustände berück-
sichtigen.
Was uns zuerst bei Erö£fhung des frisch ezstirpirten
Augapfels in die Augen fallt, ist der Zustand des Glas-
ArablT für Ophttiäbnologto, ZIV. S. 20
306
kl^rpers. In unsern 6 frischeB FUlen ianden wir drei-
mal aasgiebige Blutung. Die Quelle der Blutungen darf
wohl jedesmal hauptsächlich in der Verwundung der Ader*
baut gesucht werden, aber auch die Betinawunde liefert
einen nach umständen grösseren oder geringeren Beitrag
zu dieser Blutung. Einmal (Schabel) war eine hämorrha-
gische Netzhautablösung vorhanden; es ist dies der ein-
zige Fall unserer Kategorie, in welchem ich bis jetzt
eine primäre Netzhautablösung von macroskopischem
Umfang beobachtete. Dass die Blutungen ihrer Haupt-
masse nach den unteren Abschnitt des Auges einnahmen,
kann natürlich nicht auffallen, und ist ja für ausgiebige
Blutungen im Glaskörper überhaupt bekannt; aber auf
eine Thatsache glaube ich aufmerksam machen zu sollen,
nämlich darauf, dass die grösste Quantität des Blutes
immer in unmittelbarer Umgebung des fremden Körpers
gefunden wurde. Diese Thatsache erklärt sich wohl ein-
fach daraus, dass das Blut dem tiefsten Theile des Auges
zustrebt und dem fremden Körper um so leichter folgt,
als derselbe durch seinen doppelten Gang in dem schlei-
migen Glaskörper-Gefüge gewaltsam Bahn gebrochen hat
Dieser Vorgang, so einfach er erscheint, ist fikr die Diag-
nose von grosser Bedeutung.
In den genannten 3 Fällen war ausser der Blutung
secundäre Veränderung in Form von Eiterung nachzu-
weisen; bei Schabel sogar makroskopisch; diese secun-
däre Veränderung war bei Eberenz schon 17 Stunden
nach der Verletzung wahrnehmbar. Sie ist wohl jedes-
mal auf den Reiz des anwesenden fremden Körpers zu-
rückzuführen: und es ist bekannt, dass von den
hier vorgefundenen fremden Körpern die Fragmente
der Zündhütchen den grössten Entzündungsreiz aus-
üben, eine Beobachtung, welche auch unsere Fälle
bestätigen. Ausserdem glaube ich aber, dass dieser
Beiz in gewissem Grade von der Grösse des fremden
307
Körpers und dem Maasse der stattgehabten Erschflt-
teruDg abhängig ist So erklärt sich z. B. die mas-
senhafte Eiterbildung im Glaskörper, welche im Fall Enrrle
und Stampfrock angetroffen wurde, aus dem stärkeren
Entzündungsreiz der vorhandenen Zündhutstücke und
aus der längeren Dauer dieses Reizes; die Eiterung im
Fall Schabel vielleicht aus der Grösse des firemden Kör-
pers und aus der stattgehabten Erschütterung. Bei Fall
Weber indessen, wo ein so winziges Stück Eisen vorge-
funden wurde, treffen diese Erklärungsversuche nicht zu.
Die anatomische Lage des Splitters an der hintern Wand
der Linse giebt ebenfolls keinen genügenden Erklärungs-
grund. Ich glaube daher, dass wir, wie für die übrigen
Organe, besonders die Haut, so auch für den Glaskörper
eine induviduelle Verschiedenheit der Vulnerabilität an-
nehmen müssen; für Weber scheint mir diese Annahme
um so mehr berechtigt, da auch die Operationswunde
eiterte und eine gleichzeitige kleine Gontusion am linken
Zeigefinger eine phlegmonöse Entzündung zur Folge hatte.
Bei Stumpfrock mache ich auf die Ablösung der
Hyaloidea, wie solche jüngst von Iwan off*) beschrieben
wurde, aufinerksam; dieselbe ist in Fig. 9 in 2facher
Vergrösserung nach der Natur wiedergegeben.
Was die Retina angeht, so finden wir die Verwun-
dung derselben constant. Diese Wunden waren meisten-
theils scharf, ' wie geschnitten, nur 2 Mal deutlich klaf-
fend, fast alle mit etwas nach vom gebogenen Bändern.
Es erscheint auffallend, dass diese Verwundungen keine
unmittelbare entzündliche Reaction des Retinagewebes
hervorriefen, wenigstens waren die entzündlichen Verän-
derungen der Wundränder, wie sie sich im Fall V (1. c.)
Fall Stumpfrock und Fall Eurrle darstellten, immer mit
«) 8. „kliniiche MonatsUättor für Angenheilkiinde", Y., S. 292.
20«
308
starker entzündlicher Theilnahme des unmittelbar angren-
zenden Ghorioidea -Abschnittes und localen Verklebung
beider Häute yergesellschafbet. Aber eine eigenthümliche
und bestimmt auf die unmittelbare Folge der Verwun-
dung zurückzuführende Veränderung der Retina, wie sie
schon im Fall IV (1. c.) beobachtet wurde, finden wir auch
in einem der neuen Fälle (Eberenz) wiederholt, nämlich
varicöse Anschwellung der durchtrennten Nervenfasern.
Wenn diese Beobachtung auch kein unmittelbares
klinisches Interesse bietet, so will ich doch nicht unter-
lassen, darauf hinzuweisen, dass wir hier eine Verän-
derung auf traumatische Einwirkung hin, und zwar in
einemFalle 17 Stunden nach derselben, constatiren, welche
bis jetzt nur bei einem bestimmten Entzündungs(?)-Pro-
cess der Retina gefunden wurde und zwar bei Retinitis
im Gefolge Bright'scher Nierenerkrankung. Ich lasse
dahingestellt, ob nicht auch bei dieser Retinitisform me-
chanische Verhältnisse eine Rolle spielen, welche eine
Zusammenhangstrennung der Nervenfasern während des
Lebens bewirken können. In den reichlichen Blutungen,
welche diesen Frocess in der Retina begleiten, wäre viel-
leicht ein genügendes Moment zur Entstehung solcher
Rupturen gegeben. Gegenüber der Thatsche wenigstens,
dass nicht in allen Fällen von Morbus Brightii diese Ge-
bilde in der Retina nachgewiesen wurden, scheint es mir
nicht so ungerechtfertigt, jene Frage aufzuwerfen, und
ich glaube, dass zur Beantwortung derselben zunächst
das Augenmerk darauf zu richten sein wird, ob auch in
andern, mit reichlicher Blutung einhergehenden Retina-
erkrankungen varicöse Nervenfasern vorkommen.
Die hauptsächlichsten secundären Erkrankungen der
Retina, welche in unsern Fällen beobachtet wurden, stellten
sich dar als ein breiter und deutlicher ViTerden der
Müller 'sehen Fasern; in einem grösseren Procentver-
hältniss als eine Atrophie der Stäbchen- und Zapfen-
309
Schicht, welche sich gradweise als sehr verschieden kund-
gicbt ; und schliesslich als Eiteransammlung, welche haupt-
sächlich die Schicht der Nervenfasern betrat
Was den ersten dieser Befunde angeht, so ist der-
selbe hinreichend bekannt und ich brauche Nichts hin-
zuzufügen. Zum zweiten Punkt, der Atrophie der Stäb-
chen und Zapfen, will ich bemerken, dass dieser Befund
ausnahmslos mit einer hochgradigen Störung des Sehver-
mögens zusammenfiel, und dass der Grad der Atrophie
in directem Yerhältniss zur Sehstörung zu stehen schien.
Diese Befunde sind für die Diagnose wichtig. Der dritte
Punkt bedarf einer näheren Erörterung.
Bekanntlich hatRitter*)gegenüberSchweigger**),
welcher zuerst die eitrige Retinitis beschrieben hat, das
genuine Auftreten derselben bestritten. Schiess»**)
und Knappt) dagegen sprechen sich für die Selbsstän-
digkeit dieses Processes aus, allein die von ihnen mitge-
theilten Details möchten vielleicht noch nicht beweis-
kräftig genug erscheinen.
Meine Beobachtungen, welche sich auf verschiedene
Grade von Panophthalmitis und zwar nur auf mensch-
liche Augen beziehen, dürften zur Lösung dieser Frage
beitragen.
Bei Fall Eberenz begegnen wir 17 Stunden nach der
Verletzung einer sehr reichlichen Eiterbildung in der
Chorioidea und einer gleichfalls bedeutenden Eiteransamm-
lung in der Retina. Der hintere Abschnitt der Retina
zeigt aber diese Ansammlung von Eiter gar nicht, wäh-
rend hier gerade die bedeutendste in der Aderhaut statt-
findet. In dem mittleren Abschnitte der Netzhaut und
♦) 8. d. ArchiY VIII. 1, S. 80.
•♦) 8. d. ArchiT VL 2, S. 266.
•••) S. d. ArohiT IX. 1, 8. 88.
t) S. d. AroldT XUL 1, 8. 161.
310
Chorioidea, ein Bereich, in welchem die aneinanderlie-
genden Membranen beide im Zastand der eitrigen Ent-
zündung sind, finden wir bei vollkommener Integrit&t
des Pigmentepithels alle Schichten der Betina, selbst die
Stäbchen und Zapfen, intact und den Eiter wieder nur
auf die Ausdehnung der Nerven&serschicht beschränkt
Ja, in den vorderen Abschnitten sehen wir gar keinen
Eiter mehr in der Chorioidea, während die entsprechenden
Abschnitte der Retina resp. der Nervenfaserschicht gerade
sehr reichlich bedacht sind.
Für diesen Fall darf ich daher mit Recht die Unab-
hängigkeit der Eiterbildung in der Netzhaut von der
Chorioidea in Anspruch nehmen. Aber ich beanspruche
dieses ünabhängigkeitsverhältniss nicht bloss für diesen
Fall, sondern ich behaupte, dass dasselbe durchgehends
die Regel ist Für den Fall Eurrle ist dies z. B. mit
Sicherheit nachzu weissen; hier zeigt nur die allerunmit-
telbarste Umgebung der in der Nähe des Sehnervenein-
tritts gelegenen Chorioidea^unde Eiterinfiltration, die be-
nachbarten Theile schon nur vereinzelte Eiterkörperchen:
und doch ist gerade die Nervenfaserschicht des hinteren
Retinaabschnittes in hohem Grade mit Eiter infiltrirt.
Auch in allen übrigen Fällen von gleichzeitiger Eiter-
bildung in der Chorioidea und Retina fand ich niemals
wo anders Eiter als in der Nervenfaserschicht, höchstens
erstreckte sich derselbe bis an die Ganglienzellen. Die
übrigen Schichten bis auf die mehr oder weniger atro*
phischen Stäbchen und Zapfen nicht nachweisbar ver-
ändert. Es würde jedenfalls eine gewaltsame Nichtbe-
achtung der Thatsachen dazu gehören, zu glauben, dass
in allen diesen Fällen die Eiterkörperchen gleichsam nur
an ihrer Quelle, der Chorioidea, und am Ziele ihrer
Wanderung, der Nervenfiiserschicht , gefunden würden,
ohne dass auf dem weiten Wege dahin in allen den ver-
311
«chiedenen Aagen ein einziges Mal ein Eiterk(rpercliCB
mit Sicherheit anfgefanden wurde.
Somit, glaube ich, beweisen wenigstens meine F&lle,
dass der in der Retina vorgefundene Eiter aus der Cho-
rioidea nicht stammt. Es liegt auch gar kein Grund
vor, a priori die Behauptung aufeustellen, dass der in
der Nervenfaserschicht aufgefundene Eiter nicht auch in
derselben entstanden sein soll, da dieses Gewebe sowohl
hinsichtlich des Gef&ssreichthums, als auch der pr&exi-
stirenden zelligen Gebilde genügende Elemente der Eiter-
produotion besitzt. Wenn ich mich aber des ürtheils
aber die Quelle desselben in der Retina vorlftufig ent-
halte, so thue ich das in dem Bewusstsein, dass es bei
dem jetzigen Stand der allgemeinen Frage über die Ent-
stehung des Eiters sehr gewagt erscheinen dürfte, die-
selbe für alle Organe des menschlichen Körpers schon
entscheiden zu wollen.
Ich will übrigens hierbei daran erinnern, dass ich
einmal im Fall 7 einen Querschnitt zu Gesicht bekam,
in welchem mir ein kleines ReÜnagef&sschen mit Eiter-
fcörperchen erfüllt zu sein schien.
MUSS nun schon filr den Eiter in der Netzhaut ein
Abh&ngigkeitsverhältniss desselben von der Chorioidea
gel&ugnet werden« so ist dies um so mehr der Fall für
den Glaskörper; da ja der Eiter, um bis dahin zu ge-
langen, erst die Retina zu passiren hätte. Aber auch
für den Glaskörper ist die Frage, welche Elemente die
Quelle des Eiters abgeben, zur Entscheidung noch nicht
rei£ Fall Eberenz schien mir in dieser Hinsicht aus-
reichendes Material zu einer Hypothese zu bieten. Es
ist oben bemerkt, dass ausser einigen ovalen und spin-
delförmigen Zellen im vorderen Theil des Glaskörpers io
diesem Fall in dem hinteren, an der Retina liegenden
Theile nur kleine, scharf contourirte Zellen gefunden
wurden, welche nie mehr als einen Kern enthielten. Diese
312
gleichen den in der Betina vorgefundenen Eiterkörpercben
an Form and Grösse absolut und ebenso den in den Ge-
fitosen der Chorioidea yorgefundenen weissen Blutkörper-
chen. In diesem, 17 Stunden nach der Verletzung ent-
fernten Aiige bot auch der Glaskörper kein einziges
Gebilde, welches eine üebergangsform darstellte, wie sie
bei zelliger Neubildung vorkommen. Nach unserer Mei-
nung sollten, wenn hier der Eiter von präexistirenden
Zellen stammte (0. Weber), namentlich bei einer sa
kurzen Entwicklungsfrist die üebergangsformen nicht
allein vorhanden sein, sondern sie sollten vielleicht das
quantitative üebergewicht haben.
So machte es mir dieser Fall wahrscheinlich, dass
die Retina, resp. deren Gef&sse*), die Quelle jener durch-
aus gleichmässigen Gebilde abgegeben haben. Aber ein
späterer Fall, Gräter, scheint mir diese Hypothese umzu-
stossen; hier fand ich gar keinen Eiter in der Retina,
während die angrenzende Glaskörperschicht reichliche,
grosse, oft mehrkemige Zellen darbot Ich glaube daher,
dass allerdings die Zellen des Glaskörpers resp. die Zellen
der Hyaloidea an der Eiterproduction einen Antheil
nehmen.
Bei dieser Gelegenheit will ich nicht unerwähnt las-
sen, dass ich in allen meinen Präparaten die Pars ciliari&
retinae, auf deren Veränderung Knapp**) mit Recht
hingewiesen hat, untersuchte. Ich fand in 4 Fällen, und
gerade in denjenigen, welche reichliche Glaskörpereite-
rung boten, die Pars ciliaris retinae betheiligt und zwar
meist im Zustande flppigster Zellenwucherung.
Als einen der häufigsten Befunde der Retina, welcher
auch für die Diagnose von Wichtigkeit sei, habe ich die
Atrophie der Stäbchen und Zapfenschicht erwähnt
•) VergL Cohnheim, Virohow's ArchiT XL. 1.
••) AwbiY f, Ophth. Xia 1, S. 152.
313
Ich will hier auch noch daraaf hinweisen, dasB der
Grad der Atrophie meiBtentheils mit dem Grade der
Eiterinfiltration des Glaskörpers ziemlich gleichen Schritt
hielt
Wenn wir zu diesen Thatsachen hier noch die Be-
obachtungen an Fall Eberenz berücksichtigen, in welchem
gerade die Stäbchen und Zapfenschicht, selbst die der
hinteren Betinaabschnitte, intact gefunden wurde, welche
der am meisten mit Eiter infiltrirten Aderhaat unmittel-
bar anlagen, so scheint der Schlnss erlaubt, dass diffuse
eitrige Entzündung des Glaskörpers die Ernährung der
wichtigsten Retinaelemente mehr beeinträchtigt als acute
Entzündung der Aderhaut In einzelnen Präparaten,
Fall 5 1. c, Strumpfrock und Eurrle, fanden sich die
Ränder der Retinawände durch und durch in einem solchen
Grade von Eiter durchsetzt, dass auf kleine Strecken
von Retinagewebe nichts zu erkennen war. Diese Stellen
zeigten dazu die Eigenthümlichkeit, dass Retina und
Chorioidea unter einander verwachsen waren und die un-
mittelbar angränzende Chorioidea denselben Zustand üp-
pigster Eiterung erlitt In diesen Stellen der alier-
stärksten entzündlichen Reaction scheint mir eine Fusion
beider Processe der eitrigen Entzündung der Netzhaut
und der Chorioidea eingetreten zu sein ; und solche Bil-
der, d. h. wenn man nur Bilder von Entzündung ähnlichen
Grades sieht, könnten allerdings die Meinung eines Ab-
hängigkeitsverhältnisses der Retinaeiterung von der Cho-
rioidea aufkommen lassen. So verdienstvoll die mühe-
vollen Arbeiten von Ritter und Schiess sind, so musste
doch der hohe Grad der Entzündung, welchen sie durch
die lange Dauer des Reizzustandes in ihren Experimenten
erzielten, nothwendiger Weise das ürtheil über die Rollen,
welche die einzelnen Membranen spielen, wesentlich er-
schweren.
314
Unsere Fälle geben uns einen Fingerzeig, in welcher
Weise diese Experimente anzustellen sind, n&mlich, dass
vir die EntzündungsYorg&ngen auch in möglichst frohen
Phasen, und zwar hauptsächlich in diesen, zu studirea
haben: ein W^, den neulich Cohnheim (1. c) mit so
viel GlQck eingeschlagen hat
Wir kommen schliesslich zu den pathologisch-anato-
mischen Veränderungen des Uvealtractus.
Die Chorioideawunde war bis auf 2 Fälle immer
vorhanden; wie oben bemerkt, war sie wahrscheinlich
in einem dieser Fälle wegen ihrer Kleinheit übersehen
worden.
Alle Chorioideawunden zeichnen sich dadurch aus,
dass in ihrer Umgebung Verklebung der 3 Augenhäute
stattfand; der Beiz zu dieser entzündlichen Thätigkeit
ging wohl jedesmal von der Chorioidea aus; denn nur
in ihr fand man constante, unmittelbare Reaction auf die
Verwundung. Diese Reaction sprach sich immer durch
die Anwesenheit von Eiterkörperchen in der Chorioi-
dea aus.
Dem Grade dieser Eiteranhäufung und der Ausdeh-
nung des Bezirks nach, in welchem die Eiterkörperchen
aufgefunden wurden, fiemden wir die verschiedensten
Stufen; während z. B. im Fall Kurrle nur die alleron-
mittelbarste Umgebung der Wunde, deren Rayon kaum
Vs '" mass, deutliche Mengen von Eiterkörperchen
au&uweisen hat, finden wir das Eiterbereich bei Fall
Gräter und Eberenz auf 3 Linien und weiter von der
Wunde sich erstrecken. Zu dieser, ich darf wohl sagen,
primären oder reinen Wundentzündung der Chorioidea
gesellt sich dann, Hand in Hand mit der Entzündung
der übrigen Bulbustheile, eine secundäre Chorioiditis,
welche aber von dem vorderen Abschnitte der Chorioi-
dea ausgeht, und in der Regel mit Eiterung im Ciliar-
315
maskel, jedesmal mit EiterbiMung im Irisgewebe und mit
massenhafter Eiterung in den vorderen GlaskOrperab-
schnitten verbunden ist.
Dieses Bild stellt die eigentliche eitrige Iridocyclttis
dar; und die letztere scheint mir erst den Uebergang
zur wirklichen Panophthalmitis einzuleiten.
Ganz besonderes Interesse flössten mir diejenigen
Befunde ein, welche ttber die Entstehung des Eiters in
der Ghorioidea Au&chluss zu geben geeignet sind.
Am meisten sind diese Beobachtungen in dem viel-
&3h citirten Fall Eberenz; hier finden wir 17 Stunden
nach der Verwundung, abgesehen von Retina und Glas-
körper, reichliche Eiterung in der Choriodea. Was die
Lage der freien Eiterkörperchen angeht, so ist die Haupt-
ansammlung in der Gegend der kleinen, der Capillaris
angrenzenden Gefftsse, wie dies von Schweigger*) schon
längst hervorgehoben wurde. Das die Geütese beglei-
chende Bindegewebe aber ist durchaus normal (Fig. 3).
Dagegen zeigen sich kleine Venen, welche wie voll-
gepfropft mit Eiter sind (Fig. 2) und zahlreiche Ansamm-
lung weisser Blutkörperchen in den Capillaren (Fig. 1).
Auch die pigmentlosen Stromazellen, welchen Ritter
und Schiess die Hauptrolle in der Eiterproduction zu-
schreiben, sind unverändert.
Ich stehe nicht an, in diesem Falle ein Beispiel für
diejenige Entstehungsweise des Eiters in der Ghorioidea
des Menschen zu statuiren, welche Gohnhe im (1. c.) in
seinen Versuchen an dem Mensenterium von Fröschen
und Kaninchen gefunden hat
So viel mir bekannt, ist bis jetzt noch keine einzige
Beobachtung veröffentlicht worden, welche die Identität
^ Yerhandlimg der Yom 3.-6. September 1SÖ9 in Heidelberg rer-
fABimelten Augenante.
316
der Eiter- und weissen Blutkörperchen am Menschen
nachwiese, wiewohl die absolute morphologische Gleich-
heit dieser Gebilde schon früher*) mehrfach zu der Yer-
muthung jener Identität gef&hrt hatte. Es ist ein blei-
bendes Verdienst Gohnhe im 's, durch seine schönen Ex-
perimente die Emigration weisser Blutkörperchen durch
die Yenenwandung nachgewiesen und so das Yerständ-
niss von dem Wesen der frischen Eiterkörperchen ermög-
licht zu haben.
Es fragt sich nun zunächst, ob alle Eiterkörperchen,
welche wir in der Chorioidea finden, als emigrirte weisse
Blutkörperchen anzusehen seien, oder nicht Es muss
a priori die Möglichkeit zugegeben werden, dass eine An-
häufung der beweglichen Zellen der Chorioidea**) statt-
gefunden haben kann, wie dieser Yorgang fQr die beweg-
lichen Zellen der Cornea von Kremianzky***) nachge-
wiesen wurde. Indessen die Massenhaftigkeit der Eiter-
körperchen, wenigstens im Fall Eberenz, scheint mir zu
beweisen, dass den beweglichen Chorioideazellen höch-
stens ein kleiner Beitrag zu der Eiterung zugeschrieben
werden könnte. Aber auch Zellenneubildung könnte statt-
gefunden haben, wie solche neuerdings wieder Hoffmann
und V. Recklingshausen t). gegen Cohnheim eben-
falls bei experimenteller Hornhautentzündung gefunden
zu haben glauben. Für Fall Eberenz wieder glaube ich,
dass keine Zellenneubildung stattgefunden hat, und zwar
glaube ich dies aus dem Grunde, weil ich hier, ebenso
wie in der Retina und dem Glaskörper, auch in
der Chorioidea keine einzige Uebergangsform gefunden
habe.
•) Vergl. Virohow, „GeUuUurpathol", 1. Aufl., S. 140.
♦•) Vergl. Haas«, d. AnshiT XIV. 1.
'•*) 8. Wiener med. Wocheneclirift, 1S68, I. u. ff.
t) S. Centralblatt f. d. med. Wiesenscbaft, 1867, S. Sl.
317
In den späteren Fällen aber habe ich wiederholt im
Stroma grössere rundliche Zellen mit 2 und 3 Kernen,
andere mit bisquitförmig eingeschnürtem Kern, ferner
kleinere und grössere spindelförmige Zellen mit 2, auch
mehreren Kernen aufgefunden: Formen, welche wir ge-
wöhnt sind, als Froducte des Zellenneubildungsprozesses
au&ufassen. Ob diese Gebilde von den emigrirten weissen
Blutkörperchen herrühren, ob sie Froducte von Wuche-
rung der Bindegewebs- oder Stromazellen sind, ja ob sie
überhaupt als Beweise stattgefundener Zellenneubildung
aufzufassen sind, in diesen gewichtigen Fragen eine Ent-
scheidung abgeben, halte ich mich durch meine Beob-
achtungen nicht berechtigt Es genügt mir nachgewiesen
zu haben, dass in 4 Fällen eitriger Chorioideitis reich-
licher Eiter in den Venen vorhanden war, und dass dieser
Eiter innerhalb der Venen selbst Veränderung eingehen
kann, welche jedenfalls im Sinne des Wachsthums zu
deuten sind.
Der häufigste Ausgang unserer Augenverletzung ist
Phthisis bulbi. Diese fehlt allerdings zuweilen, aber in
allen älteren Fällen, welche ich zu beobachten Gelegen-
heit hatte, und in den mir frisch zu Gesichte^ gekom-
menen, deren Verlauf ich verfolgen konnte, trat mit der
Zeit immer Erblindung ein. In denjenigen erblindeten
Augen, welche ich anatomisch untersuchen konnte, fand
ich mit Ausnahme eines einzigen Falles Netzhautablösung.
Dieser Fall zeichnete sich durch einen aussergewöhnlichen
Gang des fremden Körpers aus. Derselbe war nämlich
etwa 3 Linien unterhalb des unteren Hornhautrandes
durch die Sclera eingedrungen und nicht nach hinten
geflogen, sondern hatte in der Richtung nach oben und
etwas nach innen einen ausserordentlich langen Wund-
kanal durch die Sclera gemacht Kaum an der inneren
Wundöfifnung hervorgekommen, welche der Hornhaut gut
um 1 *" näher lag als die äussere, war er unter
318
dem Corpns ciliare stecken geblieben« Wenn ich frfiber
die Verletzung der hintern Bolbnswand als Ursache von
Netzhantablösung anschuldigte, so steht dieser Auffassung
der letzterwähnte Fall durchaus nicht entgegen. Die
Verletzung der Aderhaut und der Netzhaut geschah hier
n&mlich in einem so weit nach vorn gelegenen Abschnitt,
dass dieselbe, wie erfahrungsmässig feststeht, nicht mehr
die Bedingungen zu späterer Netzhautablösung abgiebt,
denn wir befinden uns hier nicht weit von dem gewohn-
ten Operationstenain bei Cataracteztractionen und Iri-
dectomien.
Das Sehvermögen war in diesem Fälle auf geringe
Spuren quantitativer Lichtempfindung redudrt gewesen.
Als anatomisches Substrat dieser Funktionsstörung &nd
ich Atrophie der Stäbchen und Zapfen nebst ausgiebiger
Hypertrophie der Müller' sehen Fasern. Der Durch-
schnitt der Papille ergab keine Excavation. Der fremde
Körper hatte über ein Jahr im Innern des Auges gelegen
und wiederholt zu heftigen entzündlichen Anfiillen Ver-
anlassung gegeben. Ueberhaupt ist mir kein einziges
Mal irgend eine Form von Ectasie der Formhäute zur
Beobachtung gekommen. Ich will die Möglichkeit gern
zugestehen, dass bei unserer Art von Augenverletzung
besonders durch das Mittelglied der Linsenquellung glau-
comatöse Prozesse überhaupt eingeleitet werden können ;
die Thatsache aber, dass in 35 Fällen niemals solche
Formen zur Beobachtung kamen, spricht dafür, dass die
unmittelbaren Folgen und die consecutiven Veränderungen,
welche der in den Glaskörperraum eingedrungene firemde
Körper nach sich zieht, im Allgemeinen der Entwickdnng
glaucomatöser Prozesse nicht günstig sind.
Diese Beobachtung scheint mir nichts Befremdendes
zu haben, wenn wir bedenken, dass fast ausnahmslos
das Endresultat der Verletzung Netzhautablösung war.
319
«in Zustand, welchem bekanntlidi, wenn er in seiner
reinen Form auftritt, Spannungsverminderung der Form-
häute als integrirendes Symptom zukommt
Diagnostisches und Therapeutisches.
Schon vor Jahren hat y. Oraefe*) bei Gelegen-
heit der Besprechung einer Differentialdiagnose den diag-
nostischen Werth von Sehstörungen beim Vorkommen
fremder Körper im hinteren Theile des Glaskörpers be-
tont; allein dieser Wink scheint bis jetzt nicht diejenige
Würdigung gefunden zu haben, welche er verdient Ich
lege auf die genaue Prüfung des Sehvermögens in unsern
F&llen ein ganz besonderes Gewicht, aber ich will hier
noch einmal ausdrücklich hervorheben, dass nicht allein
die centrale Sehsch&rfe, sondern immer gleichzeitig mit
dieser dieLichtpercerption in den peripherischen Gesichts-
feldabschnitten einer sorgftltigen Untersuchung unter-
zogen werden mnss.
Schon wiederholt habe ich der Thatsache Erwähnung
gethan, dass bei allen älteren Fällen, welche ich beob-
achtete, schliesslich Erblindung eingetreten ist, und dass
sowohl die Sectionsresultate, wie auch einzelne Beobach-
tungen am lebenden Auge der Yermuthung Baum geben,
dass diese Erblindung fast immer durch Netzhautablösung
entsteht, ein Ausgang, welchen ich in vielen Fällen als
eine Consequenz der Verwundung der hintern Bulbus-
wand ansehe. Es würde in hohem Grade lehrreich sein,
wenn diejenigen Herren CoUegen, welche Fälle von Fremd-
körper im Glaskörperraum mit scheinbar dauernder In-
tegrität des Sehvermögens veröffenüichten, diese Fälle
weiter beobachten resp. über die etwaigen Veränderungen
•) S. d. ArchiT VI. 1, S. 186.
320
besonders des excentrischen Sehens Bericht erstatten
wollten.
Für die älteren Fälle scheint anch die Form der
Entzündung, wenn solche auftritt, nicht ohne diagnosti-
schen Werth zu sein, insofern als dieselbe auf dem Wege
der Iridocyclitis bald zu grösseren oder geringeren
Graden von Phthisis bulbi führt, während ectatische Pro-
zesse, wenn sie überhaupt vorkommen, jedenfalls zu den
Seltenheiten gehören. In den frischen Fällen sind die
Formen der Entzündung weniger verwerthbar; auch das
sonst so wichtige Symptom, die Empfindlichkeit der Gi-
liarmuskelgegend, hat darum hier untergeordneten Werth,
insofern es nur die Diagnose Iridocyclitis unterstützt.
Dagegen giebt uns in diesen frischen Fällen eine
genauere Prüfung des Sehvermögens über den Zustand
des Glaskörpers und der Retina so hinreichende Auf*
Schlüsse, dass dieselben fast ausnahmslos in Hinblick auf
die Anamnese und den gleichzeitigen Befund einer klei-
nen, penetrirenden Wunde die Diagnose entscheiden.
Ich weise noch einmal darauf hin, dass hier nur von
solchen Fällen die Rede ist, in denen starke optische
Hindemisse einen Einblick in den Glaskörperraum ver-
hindern.
Wie aus den oben mitgetheilten Krankengeschichten
hervorgeht, fanden wir in allen frischen Fällen hoch-
gradige Störungen des Sehvermögens. Die Formen und
Grade dieser Störungen standen mit den anatomischen
Befunden in einem so constanten Zusammenhange^ dass
ich in den späteren Fällen unter Berücksichtigung des
Erankheitsbildes den path. anatom. Befund wenigstens
des Glaskörpers mit annähernder Sicherheit diagnosti-
ciren konnte.
Die höchsten Grade der Sehstörung, sowohl des cen-
tralen als des excentrischen Sehens fanden sich nämlich
immer mit di£fuser Glaskörpereiterung vergesellschaftet,
321
ja es aberschritten diese Sehstörangen in der Regel, wie
dies besonders in Fall Weber und Schabel henrortritt,
selbst diejenigen Grade, welche als die rein optische
Störung von Seiten der Glaskörpertrübung erwartet
werden durften; die Atrophie der Stäbchen und Zapfen,
welche jedesmal bei diesen diffusen Eiterungsformen ge-
funden wurde, gab uns nachträglich die anatomische
Basis für die Erklärung dieser excessiven Functions-
Störungen. In einem vor mehreren Jahren beobachteten
frischen Falle fand ich allerdings eine so hochgradige
Störung des Sehvermögens, dass nur Spuren quantita-
tiver Lichtempfindung ohne Orientirungsvermögen vor-
handen war, während die anatomische Untersuchung des
Auges keinen Eiter, sondern complete Yerdrängong des
Glaskörpers durch Blut älteren und jüngeren Datums
nachwies. In diesem Fall fehlten aber im Erankheitsbild
die Symptome innerer Entzündung; so war insonderheit
keine erhebliche Iritis und gar keine Chemosis vorhanden.
Abgesehen von dieser excessiven Blutung habe ich
sonst bei blossen Glaskörperblutuugen niemals Herab-
setzung der centralen Sehschärfe gefunden; selbst bei
vollständiger Linsentrübung war die quantitative Licht-
empfindung derjenigen bei reiner Cataract entsprechend.
Dagegen fehlte niemals eine ausgiebige Gesichtsfeldbe-
schräukung und zwar nahm diese stets einen beträcht-
lichen Theil der oberen Gesichtsfeldhälfte ein. Diese
Blutungen fand ich nur bei Gegenwart von EiseuspUttem.
Es ist gewiss nicht vorauszusetzen, dass andere fremde
Körper, insbesondere Fragmente von Zündhütchen, nicht
eben so gut als sie Chorioideawunden hervorrufen, auch
Glaskörperblutungen veranlassen sollten, aber es scheint,
als wenn die Eiterbildung, welche dem chemischen Beiz
der Zündhütchen so schnell folgt, eine rapide Zerstörung
4er Blutkörperchen einleitet
In solchen frischen Fällen, welche kein Urtheil über
ilrchlT für Ophthalmologto, XIV. 2. 21
322
die Propulsivkraft, welche den fremden KOrper vorwärts
getrieben, zulassen, ist bei kleinen penetrirenden Horn-
haut- oder Sclerawunden der Nachweis einer bedeutenden
Gesichtsfeldbeschränkung f&r die Anwesenheit eines frem-
den Körpers im Glaskörperraum entscheidend. In der
Praxis kömmt uns die Wichtigkeit dieses Symptomsr
hauptsächlich zu Nutze, wenn es sich um Verletzung
mit Eisensplittem handelt, da gerade hier jeder Anhalts-
punkt für die Beurtheilung der Propulsivkraft meistens
fehlt Zu wiederholten Malen habe ich allein auf Grund
dieser Gesichtsfeldbeschränkung die Diagnose zwischen
einfacher Cataracta traumatica und Complication dieses
Zustandes mit Corpus alienum im Glaskörperraum dif-
ferenziren können. So consultirte mich fast gleichzeitig
mit Gräter (Fall IV) der Arbeiter Gottlieb Schiele aus
einer hiesigen Eisengiesserei. Beiden war während der
Arbeit, bei der sie mit grosser Gewalt Eisen zerschlagen
hatten, etwas in's Auge gesprungen; beide hatten ziem-
lich ausgedehnte Homhautwunden und völlige Linsen-
trübung, beide hatten vollkommene quantitative Licht-
empfindung; Gräter's Gesichtsfeld zeigte eine ausgedehnte
Beschränkung nach oben aussen, Schiele's excentrisches
Sehen dagegen keine Störung. Ich machte daher bei
diesem die Extraction der Cataract Die Operation heilte
ohne alle Störung, das Sehvermögen wurde gut und ist bis
jetzt so geblieben; mit dem Augenspiegel war nichts von
einem fremden Körper im Glaskörperraum zu entdecken.
Auch bis jetzt ist keine Art von Entzündung aufgetreten.
Bei Gräter fand sich entsprechend der Beschränkung
im äusseren oberen Theil des Gesichtsfeldes unten und
innen im Glaskörperraum eine grosse Menge von Blut,
und unter dessen Hauptmasse ein Eisensplitter von 2^1^*'*
Länge.
Aber nicht blos über die Anwesenheit eines fremden
Körpers im Glaskörperraum überhaupt, sondern auch über
323
dessen Lage sind wir im Stande, mit Berücksichtigung
des Ortes, welchen die Gesichtsfeldbeschränkung einnimmt,
unter Umständen einen sicheren Schluss zu ziehen. Zu
solchen Schlüssen führten in erster Linie die oben an-
geführten Beobachtungen, dass die fremden Körper, welche
im Grunde des Auges auflagen, stets von der grössten
Masse Blut umgeben gefunden wurden. Diese Thatsache,
welche mir in Fall IV I. c. und in Fall Eberenz so präg-
nant entgegengetreten war, drängte mir die Frage auf,
ob nicht etwa durch genauere Ermittelung des Ortes und
der Ausdehnung der Gesichtsfeldbeschränkung ein in so
weit ausreichender Schluss auf die Lage der vorhandenen
Blutung resp. des fremden Körpers gezogen werden dürfte,
dass auf diesen Befund hin Extractionsversuche mit Aus-
sicht auf Gelingen unternommen werden könnten.
Die Gelegenheit zur Untersuchung dieser Frage bot
sich im Fall Gräter. Wie gesagt, fand ich hier die Ge-
sichtsfeldbeschränkung nach aussen und oben. Ich schloss
daraus, dass die Hauptmenge des Blutes und mit ihr
der fremde Körper etwas nach innen vom verticalen
Meridian gelegen sei. Bei dieser Gelegenheit erinnerte
ich mich, dass ich die compacten fremden Körper resp.
Eisensplitter nicht an der anatomisch tiefsten Stelle des
Bulbus, sondern immer etwas vor derselben aufgefunden
habe. In Hinblick auf diese Thatsache schloss ich, dass
der fremde Körper im Innern untern Quadranten des
Bulbus etwas nach innen vom verticalen Meridian und
etwas nach vorn vom Aequator zu suchen sei. Ich machte
nun in der Weise, wie v. Graefe*) angegeben hat, einen
Scleraschnitt, welcher 4V2'" von der Hornhaut entfernt
am Rande des Musculus rectus inferior begann und sich
3''' nach innen erstreckte. Während der Ausführung des
•) 8. d. Archiv IX 2, S. 179.
21*
324
Schnittes f&hlte ich deutlich, dass das Messer einen harten,
rauben Widerstand berOhrtet und glaubte daher des frem-
den Körpers sicher zu seia Ich ging darauf mit einer
Pincette in der Richtung nach hinten in die Wunde ein,
und da ich hier nichts fand, entschloss ich mich zu drei-
sterer Durchsuchung der hintern Bulbushälfte mittelst
der Knopfsoude; auch diese Versuche, den fremden Kör-
per zu finden, blieben ohne Erfolg, und so musste ich
mich entschliessen, die Enucleation vorzunehmen. Der
enucleirte Bulbus wurde in der Art geö£fnet, dass von
der Einstichsöffnung aus ein dem Aequator paralleler
Schnitt das Auge in eine vordere und hintere H&lfle
zerlegte. Nun zeigte sich, dass der ursprQngliche Sciera-
schnitt gerade den hintern Band des fremden Körpers
tangirt hatta
Wenn gleich der vorliegende Extractionsversuch als
solcher unglQcklich ausfiel, so bewies er doch, dass die
Lage des fremden Körpers richtig erschlossen worden
war, und es ergab sich hieraus die Hoffnung, dass Mes-
sungen der jedesmaligen Lage der fremden Körper in
unsern frühem Präparate ein noch sichereres Urtheil'ffiir
ähnliche Fälle zulassen würden.
Diese Messungen hatten nun folgendes Resultat:
1. stellte sich heraus, dass sämmtliche compacte
Eisensplitter, welche nicht in der gegenüberliegenden
Bulbuswand haften geblieben waren oder durchgeschlagen
hatten, auf dem Grunde des Auges hart auflagen; aUe
flachen, blattartigen Körper, sowie ein Steinsplitter, hatten,
wenngleich sie meistentheils auch beträchtlich gesunken
waren, nie den Fundus erreicht, sondern wurden schwe-
bend im Glaskörper angetroffen;
2. die schweren, d. h. also die auf dem Grunde lie-
genden Fremdkörper, fanden sich alle (s. Fig. 10, Fig. 11,
12 u. 13) im vordem untern Quadranten. Eine genaue
Messung der Entfernung ihres vordem und hintern Endes
325
vom Hornbautrande ergab, dass ein 3"' vom Hörn-
hantrande gemachter Einstieb in die Sdera jedesmal
direct auf den fremden Körper gestossen wäre. Es sollte
sich bald Gelegenheit bieten, die praktische Tragweite
dieses Durchschnittsmaasses za erproben. Den 29. Joli
1867 stellte sich der 16j&hrige Schlosser Wilhelm Berg
aas Canstatt vor. Vor 4 Tagen war ihm bei der Arbeit
etwas in's linke Auge geflogen : gleich darauf bedeutende
Abnahme des Sehvermögens, welche sich allmälig mit
gleichzeitigem Auftreten leichter Entzündung des Auges
steigerte. Bei der Vorstlellung fand sich in der Horn-
haut dicht unter der Mitte eine scharfe, horizontale Narbe
von &st 3"' Länge. Linse total getrübt. Massige Injec-
tion der Coqjunctiva bulbi.
Quantitative Lichtempfindung gut. Gesichtsfeldbe-
schränkung nach innen und oben. Betastung der Ciliar-
gegend nur aussen und unten empfindlich.
Diesmal musste also aus der Oertlichkeit der Ge-
sichtsfeldbeschränkung geschlossen werden, dass der
fremde Körper in der linken Hälfte des Bulbus läge.
Diese Vermuthung wurde noch bekräftigt durch die lo-
cale Empfindlichkeit der Giliarmuskelgegend.
Gestützt auf die oben angegebenen Durchschnitts-
maasse machte ich nun 3"' von der Hornhaut ent-
fernt einen Einstich in die Sclera, und zwar gerade im
verticalen Meridian. Von hier aus wurde der Schnitt
4"' nach aussen verlängert. — Nachdem ich nun
die Sclerawunde ein klein wenig klaffend gemacht hatte,
kam an ihrer inneren Hälfte ein Eisensplitter zum Vor-
schein, welcher mit der Pincette leicht ausgezogen wer-
den konnte. Er war fast 3''' lang, ca. Vs''' breit und
von etwas geronnenem Blut umgeben, welches seiner
bräunlichen Farbe nach wohl an dem Tage der Verwun-
dung ergossen sein konnte. Der Augapfel wurde sehr
bald nach der Operation leicht pbthisisch und das Seh*
326
vermögen ging damit natQrlich verloren. Die Entzündung
wich allerdings und es hat sich bis jetzt keine solche
mehr eingestellt.
Diese beiden letzteren Beobachtungen beweisen also,
dass unter günstigen Umst&nden trotz des verhinderten
Einblicks in den Glaskörperraum die Lage des fremden
Körpers mit einer Genauigkeit bestimmt werden konnte,
welche erfolgreiche Extractionsversuche ermöglichte. Be-
stimmend für mich, diese Versuche zu machen, war die
wiederholte Beobachtung, dass die schweren Körper, und
bei Eisensplittern handelt es sich ja meistentheils um
solche, stets auf dem Grunde des Augapfels und zwar
vor dem Aequator liegend, gefunden wurden.
Diese Thatsache erkläre ich mir daraus, dass der
fremde Körper allerdings die physikalisch tiefste Stelle
des Auges anstrebt, diese aber nicht mit der anatomisch
tiefsten Stelle zusammenfällt Dadurch nämlich, dass
wir für gewöhnlich die Visirebene unter die horizontale
Ebene senken, resp. die Hornhaut etwas nach unten
rotiren, ist auch der untere Aeqnatorialabschnitt um
dasselbe Maass nach hinten gerückt und der physikalisch
tiefste Punkt des Auges liegt daher vor dem Aequator.
Die Senkung der schweren Splitter geht übrigens sehr
schnell; ich habe mit den im menschlichen Auge aufge-
fundenen Splittern Versuche an frischen Schweinsaugen
angestellt; die längste Dauer der Senkung durch etwa
% der ganzen Glaskörperschicht dauerte nie eine ganze
Minute. Man muss bei diesen Versuchen die Körper
ei*st in die Glaskörpermasse untertauchen.
Was die Behandlung im Allgemeinen angeht, so sind
es zwei Hauptindicationen, welche wir zu erfQllen haben:
Die Erhaltung des verletzten, sodann die des zweiten
Auges.
Die Erhaltung des verletzten Auges in dem umfiis-
senden Sinne des Wortes, die Integrität des Sehver-
327
inögens mit einbegriffen, ist ein ideales Ziel, hinter wel-
<:hem die Therapie mit den seltensten Ausnahmen leider
weit zarQckbleibt.
Wo wirklich einmal f&r längere Zeit ein gutes Seh-
vermögen conservirt wurde, F&lle, welche zu beobachten
ich keine Gelegenheit hatte, da sind wohl in der Regel
besonders günstige Umstände, hauptsächlich ausserordent-
liehe Kleinheit des Corpus alienum, an diesem Ausgange
mehr Schuld, als die gewissenhafteste Behandlung.
Ich glaube einen dauernden Bestand des Sehver-
mögens in unserer Krankheitsform Oberhaupt noch in
Zweifel ziehen zu mfissen, weil die regelmässige Ver-
letzung der hinteren Bulbuswand den Keim zu späterer
Erblindung in sich trägt.
Gelingt es uns aber nur in einer sehr geringen Pro-
centzahl, ein mittelmässiges und meist vorübergehendes
Sehvermögen zu erzielen; so ist doch ein anderes Ziel
der Therapie, welches wir in einer grossen Zahl der Fälle
mit Aussicht auf guten Erfolg anstreben können, die Er-
haltung der Form des verwundeten Augapfels.
Die rein symptomatische Behandlung erreicht diesen
Zweck nicht selten; aber sie ist dann, wenn wir den
Patienten nicht unter sicherer Aufsicht wissen, ein höchst
trügerisches Heilresultat wegen der Gefahr der sympa-
thischen Erkrankung des zweiten Auges, und darum ge-
rathen die beiden Hauptindicationen nicht selten mit
einander in Conflict.
Es ist zu natürlich, wenn der Patient und auch der
Arzt sich sträubt, eine Verstümmelung des menschlichen
Antlitzes vorzunehmen, wie sie die Enucleatiou hervor-
ruft. Allein welche Vorwürfe müssten wir uns machen,
wenn wir ein einziges Mal zögerten, eine conservirende
Behandlungsweise von rein kosmetischem Werth gegen-
über der capitaien Gefahr absoluter Erblindung au£zur
geben!
328
Wo ist aber die Grenze, bis zu welcher wir warten
dflifen? y. Graefe*) hat auch aof diesem Gebiete in
verdienstvoller Weise unser Wissen bereichert, indem er
uns auf den hohen prognostischen Werth der Schmerz*
haftigkeit der Giliarmuskelgegend, welche manchmal so-
gar im zweiten Auge auftritt, aufmerksam gemacht bat;
aüein auch dieses Symptom könnte uns unter Umstinden
zu spät warnen.
Von der Rapiditftt, mit welcher die sympathische
Erkrankung in die Erscheinung treten kann, bietet der
folgende Fall ein trauriges Beispiel:
Vor fttnf Jahren consultirte mich ein kräftiger,
blflhend aussehender Mann von 37 Jahren wegen Ent-
zündung des linken Auges. Die Untersuchung ergab Prall-
heit des Auges, erweiterte Pupille, starke Injection. Der
Augenspiegel liess nur einen rothbraunen Reflex aus dem
Innern gewahren. Ciliarmuskelgegend oben innen empfind-
lich.* Ich machte die Diagnose „Iridochorioiditis mit
Druckvermehrung" und verrichtete sofort die Iridectomie,
Die Art der Heilung, welche unter langem Elaffen der
Operationswunde vor sich ging, ermöglichte die Diagnose»
dass es sich um einen Tumor im Innern des Auges han-
delte; da indessen die Operation die excessive Ciliar*
nenrose beschwichtigt hatte, so glaubte ich dem Wunsehe
des Patienten nachgeben zu dürfen und entliess ihn
ihn 14 Tagen nach der Operation.
8 Tage nach der Entlassung stellte er sich wieder
vor. Die Schmerzbaftigkeit im linken Auge hatte sich
neuerdings eingestellt und ausserdem ein nicht näher de-
finirbares Gefähl von Spannung und Unannehmlichkeit
im rechten Auge. Dieses Gefühl will Patient erst seit
24 Stunden bemerken. Das Sehvermögen dieses Auges
«) 8. d. AichiT ZU. 2, 8. Iö2.
329
war Boch intact: A ==== Vs- AeusBerer Umstände wegen
lEorate ich den Patienten erst 3 Standen nach der Anf-
nahme operiren.
Diese kurze Zeit genügte, eine leidite sabcoi^anc-
tivale Injection des bis dahin gesunden Auges einzulei-
ten, fier enudeirte linke Bulbus zeigte einen melano-
tischen Tumor, von der Chorioidea ausgebend. Den Tag
nach der Operation war das Bild der Iridocyclitis am
rechten Auge schon begonnen und in Zeit von 6 Wochen
war trotz aller BemOhungen das Sehvermögen bis zu
schwacher quantitativer Lichtempfindung geschwunden.
Vor Kurzem ist der Patient in der Tübinger Klinik an
melanotischem Leberkrebs gestorben. Der rechte Bulbus
war phthisisch und zeigte die gewöhnlichen Veränderungen
der Iridochorioiditis.
Auf der andern Seite kann dauernde Empfindlich-
keit der Ciliar muskelgegend sowohl im verletzten, als
auch im zweiten Auge vorhanden sein, ohne dass dieses
Symptom den Beginn sympathischer Affection erzeugt
Am 20. Februar 1867 consultirte mich der 22jäbrige
Bauer Wilhelm Emmendörfer von Linzingen In seinem
fünften Lebensjahre hatte er das rechte Auge durch einen
Messerstich eingebflsst Der Bulbus ist pbtbisisch. Grosse
Empfindlichkeit des oberen Theiles der Ciliarmuskel*
gegend beider Augen. Sehvermögen des linken Auges
^ Vs (leichter myopischer Astigmatismus); A = Vs- Dem
Patienten wurde dringend gerathen, sich den phthisischen
Bulbus entfernen zu lassen, aber er konnte sich nicht
zur Operation entschliessen. 11 Monate später stellte
er sich wieder vor.
Es hatte sich bis jetzt keine Entzündung des Unken
Auges eingestellt, auch war das Sehvermögen durchaus
dasselbe geblieben, die Empfindlichkeit der Ciliarmuskel-
gegend bestand in derselben Weise wie früher.
Bei solcher Unsicherheit der Anhaltspunkte für den
330
Zeitpunkt, mit welchem die Iridochorioiditis eintritt, er-
scheint es gerechtfertigt, wenn der Arzt frühzeitig sich
zur Enucleation des verletzten Auges entschliesst, sobald
dieses erblindet ist. Ja, ich habe in einzelnen F&llen
nicht Anstand genommen, selbst dann schon zu enucle-
iren, wenn noch einiges Sehvermögen vorhanden war.
Wie viel Sehvermögen man sich berechtigt glaubt, zu
opfern, das muss der eigene Tact, das eigene Gewissen
entscheiden. Jedenfalls könnte ich mich nicht entschliessen,
einen noch irgendwie brauchbaren Grad von Sehvermögen
aufzugeben.
Zu solchen nicht mehr brauchbaren Graden rechne
ich die erhaltene quantitative Lichtempfindung bei gleich-
zeitiger Cataract, weil die Staaroperation unter diesen
Umständen durchaus ungünstige Chancen bietet Aus-
nahmsiUle'*') sind Raritäten, und solche können keine
Basis fßr therapeutische Grundsätze abgeben.
Aber immerhin fiällt der Entschluss, einen Bulbus
mit noch einigem Sehvermögen zu opfern, äusserst
schwer, und in diesem Gefühl halte ich es fQr Pflicht,
die conservirende Methode der Extraction des fremden
Körpers nach Möglichkeit zu cultiviren.
Diese Methode würde wenigstens eine leidliche Form
des Bulbus erhalten und die Gefahr sympathischer Ent-
zündung, wenn nicht in allen, so doch in den meisten
Fällen beseitigen. Freilich liegt eine grosse Schwierig-
keit darin, dass wohl nur in einer kleinen Gruppe von
Fällen die gefundenen diagnostischen Anhaltspunkte zur
Bestimmung der Lage des fremden Körpers führen
werden.
Aber wenn sich die Richtigkeit derselben im Allge-
meinen bestätigt, so werden auch die Schwierigkeiten
•) Vgl Jacobson, d. ArchiT X. 1, S. 129.
331
nicht unüberwindlich sein, einen Extractionsmodus zu
finden, welcher die unmittelbare Gefahr der Phthisis bulbi
auBSchliesst und die Erhaltung desjenigen Grades von
Sehvermögen ermöglicht, welchen die Natur der Verwun-
dung überhaupt zulässt.
Stuttgart, im Mai 1868.
Erklärung der Abbildungen.
Figur l. Kleinste Vene aua der Chorioidea in CapilUren über-
gehend, Tom Fall Eberenz, 17 Stunden naeh der Yerletzung. d ma
Vene; f »s Capillare; a sa weiBse Blutkörperchen; b ma rothe Blut-
körperchen ; 0 BS grosse granuHrte ZeUe in den Zwischenräumen der
Capillaren gelegen ; e bs Kerne der CapiUaren.
Figur 2. Vene, welche wie mit Eiter gefuUt erscheint, Ton FaU
Eberenz, 17 Stunden nach der Verletzung, a ma weisse Blutkörperehen;
b ma rothe Blutkörperchen; d ma Venenwand.
Figur S. Vene Ton kleinstem Galiber, 'umgeben von Zügen nor-
malen Bindegewebes, ron Fall Eberenz, 17 Stunden nach der Ver-
letzung, a BS weisse Blutkörperchen; bss rothe Blutkörperchen; das
Venen Wandung; g ma Bindegewebskörper; h ma verästelte Pigment-
zelle.
Figtir 4. Durchschnitt einer ChorioideaTene bei eitriger Chorio-
iditis Ton Fall Stumpfrock, 7 Tage nach der Verletzung, a, ä, a ^
▼ersehiedene Formen der weissen Blutkörperchen; b aa rothe Blut-
körperchen; d SB Venenwand.
Figur 5. Betinasohnitt von Fall Schmidt (1. c). Wundrand
der Retina 48 Stunden nach der Verletzung. Verdickung der Nerven-
faserschicht durch varieöse AnschweUung der Nervenfasern.
Figur 6, 6, 6. Nervenfasern mit varicösen AnschweUungen isolirt
332
Figar 7, 7. Varioöse Anfehwelliingeii der SehnervenfiMem an»
der Retinawande Ton Fall Eberens, 17 Stunden nach der Yerletanag.
Figur & Nieht penetrirende Ghorioideawiinde ^aa Fall Sehnidt
(L e.). Die BetinaealMians ist keilförmig in die Chorioidea eingetrieben,
a ma EiierkSrperehen der Chorioidea; b ma ausgetretene Blntkorperehen
der Retina; d »■ Oefässlumina ; b ma Terastelte PigmenteeUen ; s, s, a
mm Retina Zapfen.
Figur 9. Horisontaler Durehaebnitt des Auges Ton Fall Kuirle.
V HB Tordere Wunde; ▼ am Wunde an der hinteren Augenwand; e^
Corpus alienum im eitrigen Glaskörper. In diesem Falle ist die Retina
und gleichseitig die Hyaloidea abgelöst.
Figur 10, 11, 12, 13, U, 15. Schematisehe Sagittalduiehschnitte
der Augen von Schmidt (1* 0-)> Nots (L c), Eberens, Oräter, Beig.
Schabel, mit der gemessenen Orosse und Lage der fremden Koiper»
y ma Tordere Wunde; ▼ a* Wunde der hinteren Augenwand; c «k
fremder Körper.
Ss ist ersichtlich, dass alle diese schweren fremden Körper (es
bandelt sich in diesen Fallen um compacte Eisensplitter,) fest auf dem
Qrunde der Augen aufliegen, femer dass die fünf ersten gans, der sechste
zum grösseren Theil im rorderen, unteren Quadranten des Auges liegen«
Beitrage zur KenntniHB der Neuritis des Sehnerven.
Von
Dr. Th. Leber.
In Nachstehendem erlaube ich mir drei Fälle von Neu-
ritis des Sehnerven mitzutheilen, in denen während des
Lebens eine wiederholte ophthalmokopische Untersuchung
in den verschiedenen Stadien der Krankheit vorgenommen
werden konnte, und wo ich post mortem auch eine ge-
nauere anatomische Untersuchung der Augen zu machen
im Stande war. Dieselben stammen sämmtlich aus der
Nervenklinik des Hrn. Prof. Griesinger, wo sie län-
gere Zeit hindurch bis zum letalen Ausgang beobachtet
wurden. Für die Erlaubniss zur ophthalmokopischen und
anatomischen Untersuchung dieser Fälle, sowie zur Be-
nutzung der betreffenden Krankengeschichten fühle ich
mich verpflichtet, Herrn Prof. Griesinger, sowie dem
Assistenten der Klinik, Herrn Dr. J. Sander, hiermit
meinen besten Dank auszusprechen.
Fall L
GDiosarcom des Inftmdibulum u. Tuber oinereum. HeuritiB
optica. Beiderseitige Abducenilähmung.*)
Patient, ein 24jähriger Schlosser, wurde am 2. Nov.
1867 auf die Nervenklinik von Prof. Griesinger auf-
*) Obwohl dieser FaU bereits Tor Kursem ausführlicher mitgetheilt
wurde in der Dissertation des Hrn. Dr. Lewkowitsch, OliosarcoD des
334
genommen. Er will früher im Wesentlichen gesund ge-
wesen sein und giebt als Grund seiner jetzigen Krank-
heit an, dass ihm vor ca. 3 Wochen ein schweres Stück
Holz auf den Kofi gefallen sei. Genauere Erkundigungen
ergaben jedoch, dass der Anfemg der Krankheit schon
2—3 Monate zurück datirt und dass eine derartige Ver-
letzung höchst wahrscheinlich gar nicht stattgefunden
hat; auch nahm der bereits sehr gedächtnissschwache
Patient später selbst seine früheren Angaben wieder zu-
rück, um sie allerdings zeitweise wieder aufzunehmen.
Personen aus der Umgebung des Patienten hatten schon
seit 2 — 3 Monaten bemerkt, dass derselbe ein stilleres
Wesen annahm und auffallend schläfrig wurde; Nachts
delirirte er häufig, litt zeitweise an Erbrechen; auch soll
öfters stundenlange Bewusstlosigkeit vorgekommen sein.
Patient klagt über heftige andauernde Kopfschmer-
zen, die über den ganzen Schädel verbreitet sind ; er hat
in der letzten Zeit eine bedeutende Abnahme seines Ge-
dächtnisses und eine leichte Schwäche der Augen be-
merkt, besonders des linken; ferner leidet er an zeit-
weilig auftretendem Zittern in den Extremitäten, von
2— Sstündiger Dauer.
Patient befindet sich fast beständig in einem som*
nolenten Zustande, der nur zuweilen etwas wacheren
Perioden Platz macht. Er ist jedoch leicht aus diesen
Sopor zu erwecken; der Schlaf selbst ist meist unruhig,
unterbrochen, oft von lautem Sprechen und Delirien be-
Mondibulam u. Taber oinereum, so halte ich es doch nicht fax fiber-
flassigv denselben nochmals hier zu Teröffentlichen mit besonderer Be-
rfioksiohtigang des Befundes an den Äugten und der Ergebnisse der
anatomischen Untersuchung, weil die diagnostische Bedeutung desselben
mir Ton dem Autor nicht hinreichend gewürdigt scheint. Ich bin daiu
um so mehr berechtigt, als die anatomische Untersuchung der Augen
von mir herrührt, was bei der Mittheilung meiner darauf beaüglichen
Notizen in der erwähnten Dissertation durch ein Versehen zu bemerken
Tcrgessen wurde.
335
gleitet Die Eopftchmerzen dauern ununterbrochen in
grosser Heftigkeit fort. Anpochen an den Schädel ist
in der Stimgegend schmerzhaft, namentlich links. Beim
Aufrichten im Bette tritt leichter Schwindel ein, beson-
ders Morgens beim Aufstehen. Ausser den oben er-
wähnten Anfällen von Zittern der Extremitäten erfolgen
die Bewegungen der letzteren in normaler Weise, auch
die Sensibilität ist nicht gestört.
Im Facialis ist nicht mit Sicherheit eine Veränderung
nachweisbar, auch an den Augenmuskeln ist keine deut-
lich ausgesprochene Lähmung zu erkennen, nur gerathen
die Muskeln des linken Auges bei ausgiebigen Bewe-
gungen leicht in Zittern; auch scheint das linke Auge
etwas mehr prominent zu sein.
Die ophthalmokopische Untersuchung ergibt rechts
keine Anomalie. Links ist die Papille stärker geröthet
und deshalb weniger scharf von der Umgebung abgesetzt,
aber ohne merkliche Trübung des Gewebes; die Netz-
hautgeftsse weit In den übrigen Sinnesnerven besteht
keine Anomalie.
Die Untersuchung der Brust- und Unterleibsorgane
ergibt nichts wesentlich Abnormes. Der Puls ist sehr
verkngsamt, etwas unregelmässig und schwach.
Während der ersten 3 Wochen seines Aufenthaltes
im Erankenhause dauerten die genannten Erscheinungen
mit zunehmender Stärke fort; es tritt zeitweise Erbrechen
ein, der Leib stark eingezogen, fortwährende Obstipation.
Es stellt sich immer deutlicher eine Parese des rech-
ten Facialis heraus; femer eine Parese zuerst des
rechten, später beider Abducenten. Zugleich
leichte Conjunctivitis mit Thränen und Lidkrampf, be-
sonders am linken Auge. Im Laufe der zweiten Woche
hatte die Abducenslähmung einen so hohen Grad erreicht,
dass beide Augen kaum über die Mittellinie nach aussen
bewegt werden konnten. Patient gab spontan Doppel-
336
sehen an. Die rechte Pupille war weiter als die linke.
Während der dritten Woche stellten sich hie und da
Erampfanfälle von überwiegend tonischem Charakter ein.
Die Veränderungen an der Sehnervenpapille nahmen
in dieserWoche bedeutend zu. Die ophthalmoskopische Un-
tersuchung ergibt jetzt eine deutlich ausgesprochene
Neuritis; links ist die Grenze der Papille undeutlich,
durch eine granröthliche, stellenweise auch rein weisse,
etwas streifige Trübung, welche auch streckenweise die
Retinalgefässe auf der Oberfläche der Papille verdeckt;
dabei massige Schwellung der Papille, sehr starke ve-
nöse Hyperämie, und kleine streifenförmige Ecchymosai
auf der Papille selbst und in einem schmalen Bezirk in
ihrer Umgebung; rechts ähnlicher Befund, nur weniger
ausgesprochen, namentlich die Schwellung.
Centrale Sehschärfe noch ziemlich gut, (beiderseits
Jäger N. 3 mit 4- 6,) kein Gesichtsfelddefekt nachweisbar.
In der 4. Woche traten merkwürdige Zwangsbe-
wegungen nach rückwärts auf; als man eines Tages den
Patienten aus dem Bett genommen hatte. Der Grund
desselben fand sich in einer krampfhaften Hebung der
Zehen, wodurch Patient gezwungen wurde, auf den Fersen
zu stehen und schliesslich rückwärts zu gehen, um nicht
das Gleichgewicht zu verlieren. Es bildeten sich am
ganzen Körper zahlreiche kleine folliculäre Eiterungen.
Prof. V. Graefe coustatirte in dieser Woche neben
vollständiger Abducenslähmung eine leichte Energie Verrin-
gerung in sämmtlichen Oculomotoriusästen und im Troch-
learis, durch spurweise Herabsetzung der Escursions-
grenzen und durch stossweise Contraction nachweisbar.
Bechts leichte Mydriasis, jedoch mit noch erhaltener
Bewegung des Sphincters der Iris und erhaltener Ac-
commodation, soweit die Verringerung der Sehschärfe
eine Prüfung der letzteren erlaubte.
Bezüglich der ophthalmoskopischen Veränderungen
337
nahm Prof. v. Graefe links eine Mischform zwischen
Neuritis descendens und Stauungspapille an. In letzterer
Richtung fiel namentlich die sehr starke Ausdehnung der
Gefässe, selbst zweiter und dritter Theilung auf und die
ausgebreiteten Haemorrhagien , während die Schwellung
und die Steilheit des Abfalls nur eine mittlere war; für
Neuritis descendens sprach die etwas weitere Ausbreitung
sowohl der Trübungsheerde als der Hämorrhagien in die
Netzhaut hinein.
Auf dem rechten Auge schien der Ausgangspunkt
von der Sehnervenscheide ausser Zweifel, da sich die
stärksten Trübungen und Schwellungsheerde am Rande
der Papille befanden, während ihre Mitte grösstentheils
noch frei war; letzteres war wohl auch der Grund, wes-
halb die Sehschärfe dieses Auges sich noch ziemlich er-
halten zeigte (am linken Auge war sie bereits ziemlich
herabgesetzt).
In der 5. Woche besserte sich die Abducenslähmung
der rechten Seite etwas, während die linksseitige voll-
ständig blieb. Die Facialparese war in der letzten Zeit
des Lebens nicht mehr zu erkennen. Mit dem rechten
Auge las Patient noch Jäger No. 11, während mit dem
linken er sich beim Fingerzählen irrte und nur Buch-
staben von Nr. 20 entzifferte. Die Augenspiegelunter-
suchung ergab keine Veränderung des früheren Befundes.
Patient hielt die Augen meist geschlossen und war nur
mit Mühe dazu zu bewegen, sie zu öfinen. Beide Pu-
pillen reagirten schwach, die rechte war immer noch
weiter als die linke.
Die Unruhe und die Delirien des Patienten nahmen
jetzt bedeutend zu, er verfiel sichtlich und wurde Anfang
der 6. Woche von einer rechtseitigen Bronchopneumonie
hinweggeraflft.
Während der Agonie war von Prof. v. Graefe noch-
mals eine ophthalmoskopische Untersuchung vor-
ArchiT für Ophthalmologie, XTV. 2. 22
338
genommen worden; dieselbe ergab: Rechts die .Schwel-
lung der Papille und angrenzenden Theile fast völlig
in's normale Niveau herabgesunken (sie war demnach
vorwaltend seröser Natur), dagegen die weissliche Rand-
trübung an der innern Grenze der Papille noch immer
ausgesprochen, während die übrige Substanz der Papille
verhftltnissmftssig frei von Trübung war. Die Arterien
sehr dünn, Venen jedoch noch relativ überfüllt. Links
bestanden noch nach wie vor zahlreiche streifige Apo-
plexien in der Umgebung des Sehnerven, zwischen ihnen
weissliche, ebenfalls längliche Trübungsstreifen. Die
Schwellung der Papille war grösstentheils zusammen-
gesunken.
Die Section (Dr. Roth) ergab ausser den Verän-
derungen im Gehirn im wesentlichen nur eine frische
rechtsseitige Bronchopneumonie.
Es soll daher hier nur der auf den Befund im Ge-
hirn bezügliche Theil des SectionsprotokoUes etwas
genauer mitgetheilt werden.
Die Innenfläche des Schädels zeigte ausgesprochene
Impressionen, besonders zu beiden Seiten der Pfeilnaht,
die ganze Innenfläche ist gleichmässig von einer Osteo-
phytenlage bedeckt. Im seitlichen Umfange des rechten
Os parietale schimmern innen einige stark erweiterte
diploätische Venen hindurch, ebenso links.
Dura beider Hemisphären prall gespannt. Der Sinus
longitudinalis enthielt flüssiges Blut und nach hinten ein
gallertartiges Fibringeirnnsel. Zu beiden Seiten dessel-
ben schimmern stark erweiterte venöse Gefösse durch.
Gefässe der Dura nur wenig gefüllt. Längs der Sinns
zahlreiche Adhaerenzen mit den Venen der Pia, die zart
sind und leicht reissen. Ge&sse der Pia von massiger
Weite, schwach gefüllt. Die Gyri von ungleicher Breite,
besonders an der Basis des linken Schläfenlappens eng.
Am seitlichen Umfange der rechten Grosshirnhemisphäre
wölben sich zwei Hirnwindungen, einer starkem Impres-
sion des Parietalbeins entsprechend, etwas stärker hervor.
Das Gehirn nach der Herausnahme platt; die
339
Durchschnitte der weissen Substanz nur mit wenigen
Blutpunkten besetzt. Die Substanz überall zäh, ziemlich
trocken mit Ausnahme des Kleinhirns. Beide Seiten-
ventrikel mit Einschluss der Hirnhörner stark
erweitert und mit klarer Flüssigkeit gefüllt.
Das Ependym warzig verdickt, besonders am Corpus
striatum. Corpus callosum und Fomix sehr weich, fast
breiig und leicht reissend. Der 3. Ventrikel gleichfalls
erweitert, die Commissura mollis fehlt vollständig.
Chiasma und beide Sehnerven äusserlich normal. Beim
Abpräparirendes ersteren fällt auf, dass das Tuber cinereum
und die anliegenden Theile des Bodens des 3. Ventrikels
sehr weich und schmutzig roth verfärbt aussehen. Die
mikroskopische Untersuchung weist nach, dass es sich
um ein an dieser Stelle entwickeltes Gliosarcom han-
delt, das jedoch nicht durch scharfe Grenzen von der
umgebenden Himsubstanz abgesetzt ist, so dass sich der
Umfang der Geschwulst nicht mehr ganz genau ermit-
teln lässt. Mit Sicherheit sind zerstört : das Tuber cine-
reum, das Infundibulum und deren nächste Umgebung.
Die Geschwulst dringt nach oben gewiss bis an das
Ependym des dritten Ventrikels vor, hat dasselbe aber,
da es sehr verdickt ist, nicht durchbrochen. Nach unten
liegt sie der oberen Fläche des Chiasma nur auf, ohne
fest mit ihm verwachsen zu sein, nur am hintern Rande
hängt sie fest mit ihm zusammen und scheint auch eine
kleine Strecke weit ganz diffus in seine Substanz einzu-
dringen. Am vordem Rande des Chiasma findet sich
nach unten zu ein breiter grauer Streif, der, wie die
mikroskopische Untersuchung ergibt, nicht aus Geschwulst-
masse besteht, sondern durch graue Degeneration bedingt ist.
Die Dicke der Geschwulst überschreitet an den dicksten
Stellen, da wo dieselbe eine compacte Masse bildet,
sicher nicht 3—4 Linien.
Die Geschwulst besteht in ihrem grössten Theil
hauptsächlich aus sehr dicht gedrängt stehenden klei-
nen einkernigen Rundzellen, die nur sehr wenig
Intercellularsubstanz zwischen sich lassen. Verein-
zelt finden sich zwischen denselben spindelförmige
Zellen mit sehr langen Ausläufern; in sehr grosser
Menge kommen letztere vor in dem unmittelbar über
22*
34<)
dem Gbiasma liegenden Theil der Geschwulst, welcher
auch eine etwas bedeutendere Consistenz besitzt. An ein-
zelnen Stellen zeigt der Tumor starke fettige Degenera-
tion und enthält eine grosse Menge von Kömchenzellen.
Die Gefässe sind sehr zahlreich und zeigen hie und da
verhältnissmässig beträchtliche Erweiterungen; an ihren
Wandungen ist aber nichts Abnormes wahrzunehmen.
Blutungen waren nicht aufzufinden. Die Geschwulst war
bei ihrem grossen Blutreichthum, der Dünnwandigkeit
und den partiellen Erweiterungen der Gefösse gewiss
starker Schwellung fähig.
Resultate der Untersuchung der Augen, Optici und
Abducenten.
Von den Augen konnte nur die hintere Hälfte her-
ausgenommen werden. Die grauliche Trübung der Pa-
pille, die weissen Flecke und Extravasate auf derselben
und ihrer nächsten Umgebung waren deutlich zu er-
kennen, dagegen erschien die Prominenz nur gering und
es war überhaupt bei Betrachtung von der Fläche im
frischen Zustand nicht mit Sicherheit eine stärkere Her-
vorragung als in der Norm zu constatiren.
Bei Untersuchung der in Müller'scher Flüssigkeit
gehärteten Augen ergab sich jedoch an Durchschnitten
in der Axe des Nerven eine deutliche, wenn auch nur
massige Hervorragung über die Norm, und zwar auf-
fallender Weise rechts etwas bedeutender als links. Die
Entfernung der Grenze zwischen markhaltiger und mark-
loser Substanz des Nerven (an der Lamina cribrosa) von
der Mitte der Oberfläche der Papille beträgt rechts 1,4
links 1,08 Mm. Die Mitte der Papille zeigt beiderseits
eine kleine trichterförmige Vertiefung, links etwas tiefer
als rechts. Die Dicke der Netzhaut am Rande der Pa-
pille beträgt rechts 0,88—0,96 Mm., links 0,84-0/J,
341
während die normale Dicke in der Regel nur 0,3 — 0,4
Mm. beträgt und selten bis 0,6 Mm. steigt. Die am
stärksten prorainirenden Stellen der Papille ragen noch
etwas mehr über das Niveau der Aderhaut vor.
Die Schwellung des Gewebes ist bedingt, wie feine
Durchschnitte durch die Papille ergeben, zum Theil durch
eine Wucheruno; der bindegewebigen Elemente,
zum Theil durch die bekannte ganglienzellenartige
Hypertrophie der Nervenfasern.
Die Zöge bindegewebiger Radiärfasern, welche die
Nervenbündel quer durchsetzen, sind bedeutend verlän-
gert und gewuchert und enthalten eine grosse Menge
länglicher Kerne. Namentlich in der Umgebung der
Gefässe finden sich zahlreiche, zum Theil ganz dicht ge-
drängte, kleine rundliche Zellen mit ovalen Kernen; bei
einigen ist das Protoplasma äusserst zart und scheint
viele sehr feine Fortsätze zu besitzen. Die gröberen und
feineren Gefässe der Papille sind alle reichlich mit Blut
erfüllt.
Die bei der Augenspiegeluntersuchung bemerkten
und auch post mortem im frischen Zustande deutlich er-
kennbaren weissen Flecke auf der Papille und deren
nächster Umgebung sind hervorgebracht durch Nester
von theilweise sehr stark und keulenförmig verdickten
Nervenfasern. Die Fasern Hessen sich in grosser Länge
leicht isoliren und man bemerkte in ihrem Verlauf spindel-
förmige und varicöse Verdickungen von immer zuneh-
mendem Durchmesser, bis zu den bedeutenden Anschwel-
lungen, welche ganz die Grösse und Gestalt von Ganglien-
zellen erreichten. Die Dicke dieser Anschwellungen steigt
bis 0,035 Mm. und wohl noch darüber. Die Fasern waren
an den verdickten Stellen von ziemlich demselben Aus-
sehen wie an den nicht verdickten, boten einen matten
Glanz dar und erschienen nur an ersteren Stellen etwas
feinkörnig. Die stärkeren Anschwellungen enthielten nicht
542
selten im Inneren ein etwas heller glänzendes, kernähn-
liches Gebilde von rundlicher, länglicher oder mehr
unregelmässiger Gestalt Osmiumsäure färbt die An-
schwellungen nicht dunkel, sie bestehen daher aus einer
anderen Substanz als das Nervenmark, was auch ihr
viel geringeres Lichtbrechungsvermögen beweist
Die gleichfalls ophthalmoskopisch wahrgenommenen
Blutextravasate zeigten Anhäufungen ganz wohl erhal-
tener Blutkörperchen. In der Papille finden sich in der
Nähe dieser Extravasate in einigen Zellen kleine braune
Pigmentkörnchen, aber nur in sehr geringer Menge.
Nur am rechten Auge kommen in der Nähe der Gefasse
hie und da einige Fettkörnchenzellen vor, welche aber
zum Theil nur unvollständig mit Fetttröpfchen erfüllt
sind, am linken Auge lassen sich gar keine Körnchen*
Zellen auffinden. Die weissen Flecke sind daher jeden-
falls ausschliesslich durch ganglioforme Degeneration
der Nervenfasern und nicht durch Anhäufungen von
Eömchenzellen hervorgebracht.
Die Blutungen in der Papille selbst hatten sich wie
gewöhnlich längs des Verlaufs der Nervenfaserbündel
ausgebreitet, wodurch sie bei schwacher Vergrösserung
das bekannte streifige Aussehen erhielten. In den der
Papille benachbarten Theilen der Netzbaut dagegen, hatten
dieselben von der Fläche betrachtet, meistens keine strei-
fige Anordnung, sondern eine mehr unregelmässig fleckige
Configuration; Querschnitte der Netzhaut lehrten, dass
das Blut hier von einem grösseren in der Faserschicht
gelegenen Gefäss aus meist nach aussen in die mittleren
und äusseren Netzhautlagen gedrungen war, wobei die
Blutkörperchen reihenweise längs der Badiärfasem in
der innern und auch bis in der äusseren Körnerschicht
angelagert waren.
Die Verdickung der Netzhaut scheint hauptsächlich
auf Rechnung der Faserschicht zu kommen, schon in
343
sehr geringer Entfemong von der Papille ist aber ihre
Dicke bereits wieder die normale. Die übrigen Schich-
ten bieten, soweit sich dies bei der mangelhaften Gon-
servirung beurtheilen Iftsst, keine Veränderung dar. Die
Stftbchenschicht war beim Eröffnen der nicht mehr ganz
frischen Augen und durch die damit verbundene Verschie-
bung und Faltung der Netzhaut ziemlich überall verloren
gegangen, so dass sich über ihren Zustand keine Angaben
machen lassen. (Dieselbe dürfte jedoch kaum beson-
dere Veränderungen dargeboten haben, da Affectionen
des Opticus und der Faserschicht der Netzhaut die
Stäbchenschicht unbetheiligt zu lassen pflegen.) Ein
etwas ungleiches Niveau der äusseren Körnerschicht
schien auch auf die Faltung und die dadurch bedingte
ungleiche Einwirkung des Reagens geschoben werden zu
müssen. Sonst war in der Netzhaut mit Ausnahme der
Blutungen in den mittleren und äusseren Lagen Nichts
vota der Norm abweichendes zu bemerken.
Beide Sehnerven, das Ghiasma und die Trac-
tus optici sahen äusserlich ganz normal aus, auch er-
schienen die Durchschnitte beider Nerven am Foramen
opticum von normal weisser Farbe und normaler Dicke.
Dicht vor dem Ghiasma zeigte aber der rechte Sehnerv
auf seinem Querschnitt am untern Bande und an einer
etwas nach aussen von der Mitte gelegenen Stelle leicht
grauliche Flecke; ähnliche Flecke fanden sich auf dem
Querschnitt des linken Sehnerven besonders nach unten
und in der Mitte. Auf dem ganzen intraorbitalen Ver-
lauf beider Nerven zeigten jedoch alle Querschnitte eine
vollkommen gleichmässige, normal weisse Farbe.
Wie schon oben erwähnt, war auch am Ghiasma an
seinem vorderen unteren Bande ein breiter grauer Streif
zu bemerken, der auf grauer Degeneration seiner Sub-
stanz beruhte.
An Querschnitten der in Müll er 'scher Flüssigkeit
344
erhärteten Nerven liess sich durch Anwendung von
Ooldchlorid die Ausdehnung der grau degenerirten Par-
tien noch etwas genauer bestimmen. So zeigte sich auf
einem Durchschnitte des rechten Opticus in der Nähe
des Chiasma am untern Rande des Nerven ein schmaler
atrophischer Streif, in dessen Ausdehnung die dunkel-
violette Färbung bis auf einige kleine Inseln ausblieb,
welche letztere die Querschnitte normal erhaltener Bün-
del darstellten; eine ähnliche Stelle fand sich am Nnken
Opticus gleichfalls am unteren Rande aber in geringerer
Ausdehnung.
Ausserdem waren an diesen Querschnitten noch fleck*
weise vertheilt an verschiedenen Stellen kleine Partien
zu finden, wo die Goldreaction ausblieb; im Ganzen war
aber doch nur ein sehr kleiner Theil des Nervenquer-
schnittes von der Veränderung ergriffen. Am rechten
Sehnerv waren auch noch in der Nähe des Foramen
opticum an einer Stelle seiner Peripherie die Nervenböii-
del viel dünner und nicht wie normal von polyedriscbem
Querschnitt mit abgerundeten Ecken, sondern wie aus-
gezackt am Rande; sie enthielten aber hier wenigstens
zum allergrössten Theil normale Nervenfasern. Weiter-
hin war auch mit Goldchlorid keine Spur von Atrophie
des Nerven mehr nachzuweisen.
Die grau aussehenden Stellen enthielten anstatt der
markhaltigen Fasern viele sehr feine blasse Fasern«
welche sich leicht und in grosser Länge isoliren Hessen
und von denen die meisten sehr deutliche, aber gleich-
falls blasse Varicositäten besassen ; andere, übrigens ganz
ähnlich aussehende Fasern waren frei von Varicositäten
und zeigten hier und da kleine Einbiegungen und Kni-
ckungen; zwischen beiden kamen auch Uebergänge vor, so
dass man es wohl auch bei letzteren mit in Atrophie
begrififenen Nervenfasern zu thun hatte, ganz so wie man
es gewöhnlich bei grau degenerirten Sehnerven findet.
345
Uebrigens waren auch die nicht grau degenerirten Theile
des Sehnerven nicht ganz normal. Ihre Consistenz war
im frischen Zustande eine ziemlich geringe und auch
nach 14tägiger Aufbewahrung in Müller'scher Flüssig-
keit war die Substanz der Optici, sowohl als der Trac-
tus noch auffallend weich; nur in der Nähe der Augen
trat allmälich eine mehr normale Consistenz auf.
Beim Zerzupfen sowohl der ganz frischen Nerven,
als nach vorheriger Erhärtung erhielt man nur eine sehr
geringe Menge von Nervenfasern isolirt, dagegen sehr
viel Detritus, bestehend aus unregelmässig geformten,
körnigen und glänzenden Myelinmassen. Je näher dem
Chiasma, um so weniger Nervenfasern Hessen sich dabei
isoliren. Im Gewebe waren selbst an dünnen Präparaten,
die Nervenfasern nur schwer einzeln zu unterscheiden
wegen ihres krümeligen, stark glänzenden Inhalts. Auch
färbten sich die Nerven in ihren dem Centralorgan näher
gelegenen Partien, namentlich der rechte, etwas mit
Carmin, während normale Nerven keine Carminfärbung
annehmen. Es handelte sich daher wohl, um eine Art
Erweichungsprocess, vielleicht bereits um theil weisen
Zerfall der Nervenfasern mit krümeliger Umwandlung
ihres Inhaltes. Aus dem Umstände, dass die Nerven-
fasern sich nur in geringer Menge unzerstört isoliren
Hessen, darf natürlich nicht geschlossen werden, dass der
grösste Theil derselben bereits wirklich zerfallen ge-
wesen sei, dagegen muss jedenfalls eine, wenn auch
leichtere Veränderung derselben vorhanden gewesen sein,
die sich durch grössere Fragilität und das veränderte
.\ussehen des Inhalts kundgab.
Die in der Nähe des Auges gelegenen Partien bei-
der Nerven zeigten sich jedoch anch von letzterer Ver-
änderung frei. Ebenso war an den Scheiden keine
wesentliche AnomaUe zu bemerken: an einer Stelle des
einen Nerven war ein kleines • Gefäss thrombosirt.
346
aber sonst nirgends, weder an den Gefässen noch
an dem Gewebe Zeichen entzündlicher Yerändemng nach-
weisbar.
Die beiden Tractus waren im frischen Znstande eben-
falls etwas weich (wohl zum Theil cadaverös) und ent-
hielten allenthalben markhaltige Fasern mit gleichfalls
etwas krümeligem Inhalt.
Die beiden Nervi abducentes zeigten jeder an
der Stelle, wo er im Sinus cavernosus über die Carotis
interna hinüber läuft, ziemlich symmetrisch eine stark
verdünnte Stelle von etwas mehr graulichem Aussehen.
Der Nerv tritt daselbst mit feinen Zweigen des Plexus
caroticus in Verbindung und ist auch im normalen Zu-
stande etwas dünner als im sonstigen Verlauf. Unmittel-
bar davor (gegen die Peripherie zu) war er von normaler
Dicke und, wie im normalen Zustande, in mehrere, durch
lockeres Bindegewebe vereinigte Bündel getrennt. Die
verdünnte Stelle erschien aber deutlich viel feiner und
platter, als in der Norm, wie die Vergleichung mit
mehreren, besonders zu diesem Zwecke präparirten nor-
malen Nerven lehrte. Weiter central von der betreffen-
den Stelle war im Nerven keine Veränderung zu be-
merken. Bekanntlich zeichnen sich die Nervenfasern des
Abducens durch ihren ungemein starken Durchmesser
aus, wobei auch die Axencylinder eine erhebliche Dicke
besitzen.
Ebensowenig fanden sich peripherisch von der ver-
dünnten Stelle besondere Veränderungen in beiden Nerven.
Nur war auffallend, dass die Axencylinder, welche
sich durch Zerzupfen leicht und in grosser Länge iso-
lirten, an einigen Stellen ziemlich starke spindeliSrmige
Verdickungen darboten, wodurch ihr Durchmesser von
0,002--0,003 Mm. stellenweise bis auf 0,0075 Mm. zunahm.
An der verdünnten Stelle dagegen fand sich eine
347
deutliche Veränderung der Structur beider Nerven. Die
Zahl der normalen, markhaltigen Nervenfasern war nur
eine sehr geringe; an ihrer Stelle trat eine grosse An-
zahl feiner Fasern auf, welche entweder ganz marklos
waren, oder nur stellenweise etwas Mark enthielten. Sie
färbten sich mit Garmin ziemlich lebhaft, was die mark-
haltigen Fasern nicht thun und zeigten längs ihrer
Scheide eine grosse Anzahl länglicher Kerne. Die Dicke
dieser Fasern betrug 0,0045 — 0,006 Mm., die der nor-
malen Fasern im Mittel 0,02 Mm. Von einem ££fect
der Präparation konnte dabei nicht die Rede sein, da
das vorsichtigste Zerzupfen ganz dasselbe Resultat lieferte.
Osmiumsäure liess diese Nervenfasern ungefärbt, während
die dazwischen liegenden markhaltigen Fasern und die
im ersteren stellenweise auftretenden Portionen von Mark
dunkel gefärbt wurden. Die Kerne der Scheide lagen
ziemlich nahe beisammen, zuweilen auch zu zweien über
einander, so dass deren unzweifelhaft mehr waren als
an den normalen Fasern. Ob die rothe Färbung, welche
die Fasern durch Garmin annahmen, durch die Gegen-
wart eines Axencylinders bedingt war, musste dahinge-
stellt bleiben.
Sehen wir uns nach einer Deutung der während des
Lebens beobachteten Erscheinungen um, so haben un-
streitig die von Seiten der Augen, nämlich die beider-
seitige Neuro-Retinitis und die vollständige beiderseitige
Abducenslähmung, den grössten diagnostischen Werth;
allein auch sie, zusammengehalten mit den übrigen
Symptomen genügten nicht, um eine sichere Diagnose
zu begründen. Die übrigen Erscheinungen stellten sich
hauptsächlich als Zeichen des Hirndrucks dar, so nament-
lich der heftige, andauernde Kopfschmerz und die Som-
nolenz; die Reizerscheinungen traten dagegen sehr zurück
(Anfalle von Zittern der Extremitäten, Erbrechen, später
348
mehr tonische Krämpfe); die ausserdem noch vorhandene
spurenweise Ocutomotorius-LäLmung, die leichte rechts-
seitige Facialisparese, und das in der letzten Zeit des
Lebens beobachtete Rückwärtslaufen lieferten weder be-
züglich der Natur, noch des Sitzes der Affection entschei-
dende Anhaltspunkte.
Wenn die stark ausgesprochenen Symptome der Stei-
gerung des intracraniellen Druckes, namentlich der an-
haltende Kopfschmerz und ferner das gleichzeitige Auf-
treten von Neuritis die Anwesenheit eines Tumors wahr-
scheinlich machten, so sprach doch auf der anderen Seite
namentlich die Form der Neuritis nicht unbedingt dafür.
Es wurde oben schon bei der Wiedergabe der auf
die Augenspiegeluntersuchung bezüglichen Notizen ange-
führt, dass die Schwellung der Papille und die Steilheit
ihres Abfalls selbst am linken, stärker ergrififenen Auge
nur eine mittlere war, während allerdings eine sehr starke
Ausdehnung der Gefässe und ausgebreitete Blutungen
eine bedeutende Stauung des Venenblutes bewiesen. Die
Gewebstrübung und die weissen Plaques erstreckten sich
ebenso wie die Blutungen eine ziemliche Strecke in die
Netzhaut hinein, und am rechten Auge befanden sich
sogar die stärksten Trübungen und Schwellungsherde
gerade am Rande der Papille, während die Mitte der-
selben relativ frei war; ein Befund, wie er bei der Neu-
ritis descendeus, die sich von einer Meningitis basilaris,
längs des Nervenstammes bis zum Auge fortpflanzt, be-
obachtet wird. Prof. v. Graefe nahm daher wenigstens
am linken Auge eine Mischform zwischen Neuritis descen-
deus und Stauungspapille an, während der Befund des
rechten ihm mehr für erstere Form zu sprechen schien.
Die beiderseitige totale Abducenslähmung Hess sich mit
der P^xistenz einer Meningitis basilaris ganz wohl ver-
einigen, da man nicht daran zweifelte, dass sie durch
directen Druck bedingt sei nnd zwar entweder eines ent-
349
zündlichen Exsudates oder eines Tumors. Das Wahr-
scheinlichste war demnach die gleichzeitige Existenz eines
Tumors und einer Meningitis der Schädelbasis, obwohl
an eine sichere Diagnose, namentlich auch in Bezug des
' Sitzes des etwaigen Tumors nicht gedacht werden konnte.
Der anatomische Befund war nun in mehrfacher Be-
ziehung lehrreich. Er giebt zunächst einen weiteren Beleg
dafür, dass bei Drucksteigerung in der Schädel-
höhle ohne Fortleitung der Entzündung längs
des Sehnervenstammes eine Form der ophthal-
moscopischen Veränderung vorkommen kann,
wie sie sonst bei Neuritis descendens aufzu-
treten pflegt. Bekanntlich hat v. Gräfe selbst in
seiner letzten Arbeit über diesen Gegenstand*) einen
ähnlichen Fall berichtet, wo ausser der Neuritis der Pa-
pille eine ausgesprochene und sehr ausgedehnte AflFection
der Netzhaut mit zahlreichen weissen Plaques und der
bekannten gesprenkelten Figur in der Gegend der Ma-
cula vorhanden war, und wo die Section ein Myxom an
<ler hinteren Grenze der Convexität der rechten Hemi-
sphäre nachwies, ohne Veränderung der Sehnervenstränge
selbst, so dass sich die Erkrankung auf das intraoculare
Sehnervenende und die Netzhaut bescliränkte. Uebrigens
unterschied sich in diesem Falle das ophthalmoskopische
Bild von dem der Bright'schen Retinitis in wesentlichen
Punkten, namentlich durch eine steilere Hervorragung der
Papille nach unten, stärkere Schwellung der dieselbe zu-
nächst umgebenden Netzhautzono, sehr starke venöse
Hyperämie, und durch den Umstand, dass die Degenera-
tionsherde der Netzhaut sich viel dichter und geschlos-
sener an die Papille drängten als bei Bright'scher Re-
tinitis.
*) A. T. Graefe über Neuroretinitis und gewisse Fälle fulmini-
render .Erblindung, dies. Arch. XII, 2, p. 119—121.
350
V. Graefe hat ferner in zwei anderen Fällen den
allmäligen Uebergang der Stauungspapille in ein dem
eben beschriebenen ähnliches Erankheitsbild direct be-
obachtet und erklärt sich diesen Process dadurch, dass
die venöse Stauung im Scleralring eine Art Incarceration
des intraocularen Sehnervenendes erzeugt mit starker
Behinderung des arteriellen Blutzuflusses und Thromben-
bildung, welche Momente ihrerseits wieder in mehr selbst-
ständiger Weise, weiter auf die Netzhaut übergreifende
Veränderungen zur Folge haben. In unserem Falle
konnte nun die Entstehung des ophthalmoskopischen
Erankheitsbildes direct beobachtet werden und es ergab
sich, dass dasselbe sich nicht erst später aus dem
der typischen Stauungspapille herausbildete, sondern
gleich anfangs als solches auftrat. Die oben gegebene
Erklärung v. Graefe's dürfte daher für unseren Fall
nicht anwendbar sein; es hat aber keine Schwierigkeit
anzunehmen, dass die venöse Stauung mitunter ihre Wir-
kung gleich anfangs auf eine etwas grössere Entfernung
von der Papille ausdehnen und in einem etwas ausge-
dehnteren Bezirke Blutungen und secundäre Ernährungs-
störungen hervorbringen könne. (Es sei hier nur kurz
daran erinnert, dass nach v. Graefe auch eine ursprüng-
liche Neuritis descendens, wenn sie zu sehr starker
Schwellung der Papille führt, ein Mischbild zwischen
dem ophthalmoskopischen Befund der Stauungspapille
und der Neuritis descendens herbeiführen kann; diese
Möglichkeit wird aber in unserem Falle ausgeschlossen
durch das Fehlen einer Meningitis der Basis und von
activen, entzündlichen Veränderungen im Sehnervenstamm.)
In der That beschränkten sich die Veränderun-
gen der Optici bei der genauesten Untersuchung auf
sehr wenig ausgedehnte, fleckweise graue Degeneration
in ihrem intracraniellen Abschnitt und eine durch krüme-
lige Beschaffenheit des Markes und grössere Fragilität
351
der Nervenröhren sich kundgebende Ernährungsstörung,
gleichfalls hauptsächlich in den mehr central gelegenen
Partien beider Nerven. Die zunächst an das Auge an-
grenzenden Stücke, ebenso wie die Scheide in ihrer
ganzen Länge Hessen keine Veränderungen erkennen.
£s kann daher von einer Neuritis descendens überhaupt
nicht die Rede sein und die Neuritis deshalb ihre Er-
klärung nur in der Steigerung des intracraniellen Druckes
finden, welche sich auch bei der Section noch deutlich
kundgab; während des Lebens musste letztere noch in
viel höherem Grade vorhanden gewesen sein, da sie wäh-
rend der Agonie mit dem Nachlass der Gefassfüllung
sich wohl in ganz derselben Weise verminderte, wie dies
für die Schwellung der Papille die Augenspiegelunter-
suchung direct nachwies.
Es bleibt nun ferner die Entstehung der doppelsei-
tigen und wenigstens während einer gewissen Periode
ganz vollständigen Abducenslähmung zu erklären übrig.
Anatomisch fand sich, wie oben ausführlicher beschrieben
wurde, eine ganz umschriebene, nicht unerhebliche Ver-
dünnung mit Atrophie der Nervenfasern in ganz symme-
trischer Weise an derjenigen Stelle beider Nerven vor,
wo dieselben im Sinus cavernosus über die Carotis
interna hinüberlaufen. Bei dem Fehlen von Verän-
derungen an anderen Stellen des Nerven muss die er-
wähnte A£fection als die Ursache der Lähmung ange-
sehen werden, wofür sie auch ihrem Grade nach vollkom-
men ausreichend ist Ihre Entstehung kann nicht auf
den Druck eines entzündlichen Exsudates oder eines Tu-
mors zurückgeführt werden, da diese an der betreffenden
Stelle fehlten; dagegen muss man sich die Frage auf-
werfen, ob nicht auch hierfür die Steigerung des intra-
craniellen Druckes den Erklärungsgrund abgeben könne.
Und in der That lässt sich sehr wohl denken, dass der
Nerv an der betreffenden Stelle, wo er innerhalb des Sinus
352
cavernosus über die Carotis interna wegläuft, bei
verhindertem Abflüsse des Venenblutes einem er-
heblichen Drucke ausgesetzt sein muss. Namentlich
werden die Pulsationen der Carotis bei vorhandener
Raumbeengung fortwährend auf den Nerven losarbeiten,
und mit der Zeit eine Atrophie desselben durch mecha-
nischen Druck zu Stande bringen müssen. Dieser Er-
klärungsweise ist man um so mehr sich anzuschliessen
berechtigt, als sie die einzige ist, welche sich überhaupt
darbietet, welche aber auch vollkommen genügend ist
Auf diese Weise wird die Entstehung der doppel-
seitigen Abducenslähmung auf dasselbe Moment zurück-
geführt, wie die der Neuro-Retinitis, nämlich auf die all-
gemeine Drucksteigerung in der Schädelhöhle, und es
ergiebt sich daraus ferner der diagnostisch wichtige Satz,
da'^s selbst eine complete doppelseitige Abducenslähmung
bei anderweitigen Gehirnerscheinungen nicht absolut für
den Sitz der Erkrankung (sei es Tumor oder entzünd-
liches Exsudat) an der Basis cranii beweisend ist. Für
die Entstehung der leichten Oculomotorius- und Facialis-
parese fand sich kein Erklärungsgrund vor, doch ist ja
bekannt, dass auch sonst derartige unvollständige Pa-
resen bei den verschiedensten Erkrankungen der Central-
organe vorkommen, ohne dass denselben bestimmt nach-
weisbat-e materielle Veränderungen zu Grunde gelegt
werden könnten.
Fall 2.
LinksBeitiger Erweiohungsherd. Aphasie mit consecutivem
BlödiBinn. Leichte beiderseitige Nenritis optica in den letzten
Tagen des Lebens.
Patient, ein 42 jähriger Arbeiter in einer chemischen
Fabrik, hat seit 10 Jahren hier und da, im Ganzen 4mal,
an ausgesprochenen epileptischen Anfällen von ca. halb-
stündiger Dauer gelitten. Im Anfange März 1865 ver-
353
sagte ihm plötzlich die Sprache, worauf unmittelbar epi-
leptoide Krämpfe folgten; von diesem Anfall erholte sich
jedoch Patient bis auf eine leichte Schwäche im rechten
Fusse vollkommen. Die letztere verschlimmerte sich aber
allmälig immer mehr und ein neuer Anfall im September
desselben Jahres Hess aufs Neue eine Störung der Sprache
und zugleich eine Schwäche auch im rechten Arm zurück.
Am 17. Januar 1867 wird Patient auf die Abtheilung
von Prof. Griesinger aufgenommen. Er zeigt eine aus-
gesprochene Aphasie mit leichter Schwachsinnigkeit und
Schwäche beider Extremitäten der rechten Seite; Sensi-
bilität normal. Leichte Facialisparese rechts, nicht allein
in den Nasolabialästen, sondern auch im Orbicularis pal-
pebrarum, indem das rechte Xnge nicht so fest geschlossen
werden kann als das linke. Die Augenbewegungen schei-
nen normal; die Pupillen sind gleich weit. — Am Herzen
nichts Abnormes, die Gefässe kaum sclerotisch.
Die epileptiformen Krämpfe traten im Verlaufe der
nächsten Wochen allmälig immer häufiger auf, während
ihre Dauer bedeutend abnimmt. Die Aphasie nimmt noch
zu, Patient wird benommen, schwer besinnlich und schon
nach 4 Wochen hat sich ausgesprochener Blödsinn ent-
wickelt. Der Kranke giebt nur unarticulirte Laute von
sich , reagirt aber noch auf Anrufen. Es entwickelt sich
eine leichte Steifigkeit in den gelähmten Extremitäten
der rechten Seite, aber ohne eigentliche Contractur.
Eine am 26. Februar von Prof. v. Graefe und mir
vorgenommene ophthalmoskopische Unter suchung
hatte im Wesentlichen ein negatives Resultat. Die Ar-
terien der Netzhaut beiderseits etwas verdünnt, die klei-
neren Tbeilungen der Gefässe auf der Papille schwach
markirt, aber sonst keine Abweichung von der Norm.
Während des weiteren Verlaufes nimmt der Blödsinn
immer mehr zu, die Anfalle werden häufiger und kürzer.
Es tritt allmälig, anfangs nur während der Anfälle, später
ArchiT für Ophthalmologie, XIV. S. 23
354
auch ausserhalb derselben eine Neigung des Kopfes nach
der linken Schulter, mit gleichzeitiger Drehung des Ge-
sichts nach rechts und vorn ein ; die Neigung des Kopfes
nimmt zuletzt einen sehr hohen Grad an, die Stellung
der Augen während der Anfälle wechselte; meist waren
sie nach rechts gedreht , zuweilen auch nach links. (Be-
kanntlich wurde auf diese Drehung des Kopfes und der
Augen bei Gehirnkrankheiten in jüngster Zeit von Pr6-
vost besonders aufmerksam gemacht."^)) Während der
Anfälle zeigt sich auch zuweilen Nystagmus, und in der
letzten Zeit wurden auch die von dem paretischen Fa-
cialis versorgten Muskeln der rechten Gesichtshälfte er-
griffen, zum Theil auch die masticatorischen Muskeln
rechts; mitunter beschränkten sich sogar die Krämpfe auf
das Gebiet des rechten Facialis. Die Sensibilität der
rechten Seite stumpft sich etwas ab.
Am 14. April ergab die ophthalmoskopische Unter-
suchung zum ersten Male ein positives Resultat. Es war
zwar seit der ersten Untersuchung am 26. Februar noch
einmal mit negativem Resultate untersucht werden, aber
keine Notiz davon gemacht, so dass es ungewiss bleibt,
um welche Zeit die beobachteten Veränderungen ihren
Anfang nahmen; dieselben waren aber jedenfalls noch
ganz frisch, da sie am rechten Auge erst ganz leicht
ausgeprägt waren und innerhalb 24 Stunden deutlich zu-
nahmen.
Links zeigte sich eine deutliche Trübung der Pa-
pille und ihrer nächsten Umgebung, Erweiterung und
Schlängelung der Venen; rechts nur eine leichte Trü-
bung der Papillengrenze mit leichter Hyperämie und
Schlängelung der Venen. Am folgenden Tage, wo Patient
bereits anfing zu agonisiren, constatirte ich, dass diese
*) 8. Pr^TOBt, de la d^Tiatioii conjagu^e des yeox et de la rotation
de la t^te dans certains cae d'h^mipl^gie. Paris 1868.
355
Veränderungen beiderseits deutlich zugenommen hatten.
Einige Stunden später gab Prof. v. Graefe folgende An-
gaben zu Protokoll: Starke Ausdehnung der gröberen
und mittleren Venen. Leichte graulich-röthliche Trübung
der Papille und der angrenzenden Netzhautzone in der
Breite einiger Millimeter, sanft verlaufend. Deutliche,
aber doch im Aligemeinen flache Prominenz der befallenen
Partie, deren Gewebsveränderung jedenfalls nur zarterer
Art ist; die Veränderungen sind links stärker ausge-
sprochen al^ rechts. Im Wesentlichen ist der Befund als
Stauung mit Irritationsoedem aufzufassen und spricht für
Zunahme des intracraniellen Druckes, doch ist bei dem
Grade der Ausprägung desselben nicht mit voller Sicher-
heit zu entscheiden, ob es sich um Stauungspapille oder
Neuritis descendens handelt.
Am nächsten Tage dauerte die Agonie noch fort;
kurz vor dem um 12 Uhr Mittags erfolgenden Tod ist
der Augenspiegelbefund im Wesentlichen derselbe.
Die Section (Dr. Cohnheim) ergab ausser beider-
seitiger Bronchopneumonie, massigem, subacutem Milz-
tumor, leichter parenchymatöser Trübung der Leber und
der Rindensubstanz der Niere folgende Veränderungen
der Centralorgane :
In der linken Hemisphäre im Mark neben dem Hinter-
hom ein gelber Erweichungsherd von der Grösse
und Gestalt einer Dattel^ dessen Inneres aus gelbem, fädi-
gem Strickwerk besteht und kaum etwas einer milchigen
gelben Flüssigkeit enthält. Das übrige Hirn von guter
Consistenz, die Gyri etwas platt gedrückt, der Blutgehalt
massig; (demnach eine entschiec^lene, wenn auch nicht
sehr hochgradige Zunahme des intracraniellen Druckes).
Eine genauere mikroskopische Untersuchung des Gehirns,
von Herrn Dr. J. Sander ausgeführt, wies nach, dass
der Erweichungsherd sich auch noch bis in die linke Insel
erstreckte; die betreffenden Partien enthielten sehr zahl-
reiche Kömchenzellen, boten aber auch schon ftar das blosse
28«
356
Auge eine leicht gelbliche Verfärbung dar. Die Papille
des linken Auges ist im frischen Zustande etwas ge-
schwollen, trübe, milchig, mit verwaschener Begrenzung,
während an der rechten keine makroskopisch wahrnehm-
bare Abnormität hervortritt.
Beide Sehnerven makroskopisch von normalem Aus-
sehen und normaler Dicke (Durchmesser des linken z. B.
in 8 Mm. Entfernung vom Auge in zwei auf einander
senkrechten Richtungen 3, 5 und 4 Mm. ohne äussere
Scheide) letztere nicht merklich verdickt.
Befund der genaueren Untersuchung jder Augen
und Sehnerven.
a) Linkes Auge.
Die schon für das blosse Auge erkennbare Promi-
nenz der linken Sehnervenpapille wurde an Längsschnitten
durch die Eintrittsstelle des Sehnerven gemessen und
erwies sich dabei , entsprechend dem Befunde der Augen-
spiegeluntersuchung, nur als eine massige. In der Mitte
der Papille findet sich eine kleine und seichte trichter-
förmige Einziehung; die innere Hälfte der Papille pro-
minirt etwas mehr als die äussere. Der Abstand zwischen
der Grenze markhaltiger und niarkloser Nervensubstanz
von der Mitte der Oberfläche der Papille betrug 1,5 Mm.,
die Dicke der Netzhaut am inneren Rande der Papille
fast IV4 Mm., aussen circa 1 Mm. Schon in einer sehr
kleinen Entfernung vom Rande der Papille ist die Netz-
haut wieder von vollkommen normaler Structur und nor-
maler Dicke; nur gegen den Rand der Papille nimmt sie
an Dicke zu, wobei aber das Ansteigen ein sehr allmä-
liges ist. Diese Verdickung kommt ausschliesslich auf
Rechnung der Faserschicht der Netzhaut, während die
übrigen Schichten von normaler Dicke sind. Sie findet
ihren Grund, ebenso wie die Prominenz der Papille nicht
in Bindegewebsentwickelung, aber auch nicht allein in
seröser Durchtränkung des Gewebes, sondern gleichzeitig
357
hiermit und hauptsächlich in Hypertrophie der Ner-
venfasern. Die marklosen Nervenfasern sind nament-
lich gegen die Oberfläche der Papille und Netzhaut etwas
auseinander gerückt und isoliren sich ungemein leicht,
was einen gewissen Grad von oedematöser Durchtränkung
annehmen lässt Ein grosser Theil der Nervenfasern ist
mehr oder minder stark verdickt. Die bindegewebigen
Kadiärfasern und die Maschen des die Papille durch-
ziehenden Capiilarnetzes sind, entsprechend der Zunahme
des Volums, gestreckt, aber die bindegewebigen Elemente
nicht gewuchert oder stärker entwickelt als in der Norm.
Ein grosser Theil der Nervenfasern zeigt neben par-
tiellen spindelförmigen oder varicösen Anschwellungen,
welche aber auch fehlen können, eine leichte, mehr gleich-
massige Verdickung des Kalibers. Die Fasern lassen
sich auf eine sehr grosse Länge isoliren, wobei man be-
merkt, dass stärkere und schwächere Anschwellungen
und mehr gleichmässige Verdickung mit einander ab-
wechseln. Der Durchmesser der Anschwellungen wech-
selt sehr bedeutend, von 0,006 — 0,018 Mm. und darüber.
Die stärksten Anschwellungen finden sich auf der Papille
selbst und dicht daneben; sie haben hier ganz das öfter
beschriebene ganglienzellenähnliche Aussehen und die
grössten derselben enthalten auch im Inneren ein rund-
liches, zuweilen etwas unregelmässig geformtes kernähn-
liches Gebilde.
Das Aussehen der verdickten Fasern ist ganz das-
selbe, wie es bei Morbus Brightii und Neuro-Retinitis
bereits mehrfach beschrieben wurde; die Fasern sind
blass, von mattem Glanz und sehr fein und blass granu-
lirt, letzteres ist namentlich an den Varicositäten sehr
deutlich.
Jedoch bleiben überall zwischen den verdickten
Nervenfasern noch eine grosse Anzahl nicht verdickter
übrig; die Hypertrophie der Fasern tritt hier aber nicht
358
wie sonst in kleinen Nestern auf, sondern ist in mehr
diffuser Weise über die ganze Oberfläche der Papille
und die anstossende getrübte Netzhautzone verbreitet.
Auf Längsdurchschnitten durch die Papille erkennt
man ferner, dass die Verdickung der Nervenfasern nicht
schon an der Lamina cribrosa mit dem Uebergang in
den marklosen Zustand beginnt; im Gegentheil sieht man
hier in ganz normaler Weise die markhaltigen in mark-
lose Nervenbündel übergehen; erst in der Nähe der
Oberfläche der Papille, da wo die Fasern anfangen in
die horizontale Richtung einzubiegen, treten die Ver-
dickungen an denselben auf.
Längs der grösseren und kleineren Gefässe finden
sich in der Papille bis in die angrenzenden Bezirke der
Netzhaut sehr zahlreiche, stellenweise dicht gedrängte
kleine rundliche Zellen; dieselben liegen an den grobem
Gefiässen zum Theil innerhalb der Adventitia selbst, zum
Theil ausserhalb derselben. Die Gapillaren isoliren sich
sehr leicht und sind von normalem Kaliber und Aus-
sehen. Zwischen den verdickten Nervenfasern isoliren
sich hier und da einzelne Faserzellen mit sehr langen,
schmalen Ausläufern und länglichem Kern.
Während makroskopisch der Sehnervenstamm von
ganz normalem Verhalten zu sein schien, Hess sich mi-
kroskopisch eine deutlich ausgesprochene Neuritis inter*
stitialis und Perineuritis an demselben nachweisen. Wegen
des scheinbar normalen Aussehens war leider nur von
dem Sehnerven der linken Seite ein ungefähr 10 — 12 Mm.
langes Stück erhalten, die centraler gelegenen Partien
desselben und der Sehnerv der rechten Seite waren nicht
aufbewahrt worden. Das erwähnte Stück des linken
Sehnerven zeigte nun in seiner ganzen Länge ein voll-
kommen gleiches Verhalten, so dass wohl angenommen
werden kann, dass auch die mehr central gelegeneu
Partien ebenso verändert gewesen sein dürften.
?59
Die Anordnung der Nervenbündel und die nervösen
Elemente selbst wurden auch bei microscopischer Unter-
suchung ganz normal gefunden. Die Goldreaction der
NervenbQqdelquerschuitte war zwar etwas schwach, dies
konnte aber mit Sicherheit auf die zu lange Einwirkung
der Müller'schen Flüssigkeit (über 9 Monate) geschoben
werden. Dagegen ergiebt sich eine stellenweise sehr
bedeutende Anhäufung kleiner, meist rundlicher, zum
Theil auch länglicher oder spindelförmiger einkerniger
Zellen innerhalb der die Bündel trennenden Bindege-
websbalken, in der Umgebung und zum Thcil in der
Wandung der in diesen Balken enthaltenen Gefässe.
Diese Zellen sind ziemlich reichlich in der Umgebung
der Central gefässe angehäuft und das die letzteren um-
hüllende Bindegewebe ist, wohl in Folge der dadurch
bewirkten Raum Vermehrung, etwas verdickt. Am reich-
lichsten sind die erwähnten Zellen in einzelnen gefasshal-
tigen Balken in der Nähe der inneren Scheide zu finden,
wo sie stellenweise ganz massenhafte, dicht gedrängte
Anhäufungen bilden; auch die innere Scheide enthält
deren eine grosse Menge. Eine erhebliche Verdickung der
inneren Scheide findet nicht statt; die äussere Scheide
ist absolut normal. Die soeben beschriebene Zellenan-
häufung findet sich, wie schon bemerkt, gleichmässig auf
den ganzen Stamm des Sehnerven verbreitet, und auch am
intraocularen Ende ist bereits weiter oben ein ähnliches
Verhalten beschrieben worden. Dieser Befund macht
darauf aufmerksam, dass ein makroskopisch normales
Aussehen des Sehnerven keineswegs wichtige, mikros-
kopische sichtbare Veränderungen ausschliesst, dass dem-
nach die inicroscopische Untersuchung hier bei der Unter-
suchung allein entscheidend ist.
Wie schon bemerkt, wurde die Netzhaut in den von
der Papille entfernten Partien, und selbst in der Nach-
barschaft der Papille die übrigen Lagen mit Ausnahme
360
der Faserschicht normal gefunden, lieber die Stäbchen*
Schicht, welche grösstentheils cadaverös zerstört war, (es
war nur die hintere Hälfte der Augen ca. 24 Stunden
post mortem herausgenommen worden) Hess sich aller-
dings kein sicheres Urtheil abgeben, doch dürfte dieselbe
wohl kaum erheblich verändert gewesen sein. Dagegen
sei das ganz normale Verhalten, nicht nur der Körner-
lagen, sondern auch der Ganglienzellenschicht noch aus-
drücklich hervorgehoben.
b) Rechtes Auge.
Der anatomische Befund an diesem Auge war im
Wesentlichen derselbe wie an dem linken, nur weniger
ausgesprochen, wie dies auch bei der Augenspiegelunter-
suchung bemerkt worden war.
Die Schwellung der Sehnervenpapille war etwas ge-
ringer, die grösste Prominenz über das Niveau der Ader-
haut betrug ca. 1 Mm. Die Schwellung hatte auch hier
einen sanft ansteigenden Band und war nur auf die
allernächste Umgebung der Papille beschränkt. Auch
hier war die Volumszunahme im Wesentlichen durch
Hypertrophie der Nervenfasern bedingt, nur war die
Verdickung eine noch mehr gleichmässige, es zeigten sich
weniger und nicht so stark ausgesprochene varicöse An-
schwellungen; hier und da fanden sich allerdings auch
einige der stärkeren, ganglioformen Verdickungen. Da-
zwischen traten, wie links, noch zahlreiche nicht verdickte
Fasern mit sehr feinen Varicositäten auf.
Auch die Anhäufung kleiner Zellen längs der Gefässe
und die übrigen links genauer beschriebenen Einzeln-
heiten waren an diesem Auge in gleicher Weise zu er-
kennen, so dass die Vermuthung wohl gerechtfer-
tigt erscheint, dass auch der Sehnervenstamm dieser
Seite dieselbe Veränderung dargeboten habe, wie links.
Die Diagnose hatte in diesem Falle während des
361
Lebens nicht mit Sicherheit gestellt werden können, sie
schwankte zwischen einem Tumor in der Gegend der
linken Fossa Sylvii (in Anbetracht der Aphasie) und
zwischen einem linksseitigen Erweichungsherde. Die
Neuritis war erst in der letzten Zeit des Lebens aufge*
treten, wahrscheinlich erst in den letzten Lebenstagen,
da zur Zeit als sie bemerkt wurde (2 Tage vor dem
letalen Ausgang) die Veränderungen am rechten Auge
nur sehr leicht waren, innerhalb 24 Stunden deutlich
zunahmen, und auch die AfFection des rechten Auges nur
einen massigen Grad erreichte. Bei der geringen Höhe,
welche die ophthalmoskopischen Erscheinungen erreichten,
war nicht zu entscheiden, ob dieselben als Stauungs-
papille oder als Neuritis descendens aufzufassen waren, so
dass in diesem Falle der ophthalmoskopische Befund von
nicht sehr erheblicher diagnostischer Bedeutung war. Es
ist hier nicht der Ort, weiter auf die Deutung der ande-
ren während des Lebens beobachteten Symptome einzu-
gehen, dagegen verdient die Entstehung der Neuritis
optica noch eine besondere Betrachtung.
Wie oben ausführlich beschrieben wurde, waren die
Veränderungen nicht auf das intraoculare Ende des Seh
nerven beschränktt, sondern auch der Sehnervenstamm
zeigte in seiner ganzen Länge (wenigstens so weit er
untersucht werden konnte) eine sehr deutlich ausge-
sprochene Neuritis interstitialis mit leichter Perineuritis,
jedoch mit vollständig normal erhaltenen Nervenfaser-
biindeln. Die Entzündung der inneren Scheide beschränkt
sich auf eine mehr oder minder bedeutende Vermehrung
der zelligen Elemente ohne dass es bereits zu einer
Hyperplasie des Bindegewebes oder erheblicher Dicken-
zunahme gekommen wäre, was für einen sehr frischen
Process spricht, wie denn auch die ophthalmoskopischen
Veränderungen höchst wahrscheinlich nur wenige Tage
alt waren.
362
Die SectioD ergab nun keine Entzündung der Pia
an der Schädelbasis, dagegen ausser dem linksseitigen
Erweichungsherd eine entschiedene, wenn auch nicht sehr
hochgradige Zunahme des intracraniellen Druckes. Wenn
man daher die Neuritis nicht als zufällige Gomplication
ansehen will, wozu doch kein Grund vorliegt, so muss
man die ophthalmoskopischen Erscheinungen als Folgen
der Stauung auffassen, wobei denn natürlicher Weise die
Erkrankung des Sehnervenstammes auf dieselbe Ursache
zurückzuführen ist. Man würde dann anzunehmen haben,
dass ähnlich wie in dem vorigen Falle die Stauung des
Venenblutes genügte, um auch in grösserer Entfernung
von der Papille in der Netzhaut entzündliche Verände-
rungen hervorzubringen, dasselbe auch in dem Sehnerven-
stamm der Fall sein könne. Man könnte zwar auf den
Gedanken kommen, dass die Affection der Papille selbst
den Anstoss zu einer im Nervenstamm aufsteigenden
entzündlichen Veränderung gegeben habe; diese Erklä-
rung ist aber in unserem Falle entschieden nicht zulässig,
weil die Affection der Papille selbst nur wenig entwickelt
und sehr jungen Datums war, die Veränderung im Seh-
nervenstamm sich allenthalben ziemlich gleichmässig ent-
wickelt zeigte und nicht etwa gegen das Auge hin an
Intensität zunahm.
Mit der frischen Entstehung der Affection stimmt
auch der Befund der histologischen Untersuchung überein.
Allerdings war die Gewebstrübung und Schwellung der
Papille nicht ausschliesslich seröser Natur, sondern auch
wesentlich mit durch Hypertrophie der marklosen Nerven-
fasern hervorgebracht. Aus einer vor Kurzem mitge-
theilten Beobachtung von Berlin*) wissen wir aber, dass
die fraglichen Verdickungen unter Umständen sehr rasch
♦) R. Berlin, über den Gang der in den Glaskörperraum einge-
dnmgenen fremden Körper, dieses Arch. XIII. 2. p. 275 — 308.
3JJ3_
entstehen können; B. beobachtete dieselben nämlich in
ganz exquisiter Weise nach einer kleinen Verletzung der
Netzhaut durch einen eingedrungenen fremden Körper
und zwar schon 2 Tage nachdem die Verletzung statt-
gefunden hatte. Aus unserer Beobachtung folgt nun
gleichfalls eine ziemlich rasche Entstehung dieser Ver-
änderung; leider gestattete der Zustand des Kranken
nicht zu ermitteln, welchen Einfluss dieselbe auf das
Sehvermögen ausgeübt hatte.
Auch die Integrität der Ganglien- und der periphe-
rischen Partien der Faserschicht stimmt mit der frischen
Entstehung der Neuritis vollständig überein.
Fall 3.
Myxosarcom des Kleinhinui. Ansgesproohene Neuritifl beider
Sehnerven in das atrophisehe Stadium übergehend.
Absolute Amaurose.
Patient, 43 Jahre alt, Schneider, wurde am 8. No-
vember 1866, auf die Abtheilung von Prof. Griesingcr
in der Charite aufgenommen, wo er bis zu seinem circa
6 Monate später (15. Mai 1867) erfolgenden Tode ver-
blieb. Derselbe hatte seit Weihnachten 1865 an sehr
heftigen, Tag und Nacht dauernden Kopfschmerzen und
seit V4 Jahr an morgendlichem Erbrechen gelitten, welche
Erscheinungen aber in der letzten Zeit nachgelassen
hatten. Seit dem letzten Winter trat eine immer mehr
zunehmende Sehschwäche auf, anfangs mit Flimmern und
Mouches volantes, welche ihn im Juli 1866 zwang, die
Arbeit einzustellen, und zur Zeit der Aufnahme bereits
zu vollständiger Erblindung geführt hatte. Trotzdem
behauptet Patient, wenn auch undeutlich, zu sehen, was
aber nur auf Hallucinationen beruht. Seit vierzehn Tagen
sollen die Beine etwas schwächer geworden sein.
Die am 27. November vorgenommene Untersuchung
der Augen (Prof. v. Gräfe) ergab: „Beiderseits Neuritis
364
von derjenigen Form, wie sie sich bei Vermehrung des
intracranielleu Druckes findet, bereits in der Bückbil-
dung begriffen, die links weiter vorgeschritten ist als
rechts, wahrscheinlich ohne Fortsetzung auf den Stamm
des Opticus. Beiderseits vollständige Amaurose. Zu-
gleich scheint eine Beschränkung der Beweglichkeit der
Augen zu bestehen, namentlich an beiden Interni, und
zwar vorwiegend am linken; beide Pupillen sehr weit,
unbeweglich, die linke etwas weiter. Von sonstigen Er-
scheinungen sind hervorzuheben eine Störung der Mo-
tilität an den unteren Extremitäten; der Gang des Pa-
tienten ist etwas unsicher, und er weicht beständig von
der geraden Richtung ab, meist nach links hin; zu-
weilen läuft er in einer nach links gedrehten Spirale.
Diese Schwäche nahm später noch mehr zu, so dass der
Kranke zeitweise kaum oder gar nicht mehr allein stehen
konnte; eine Zeit lang trat beim Versuch zu stehen oder
vorwärts zu gehen ein ausgesprochenes Rückwärtslaufen
auf. Leichte Facialislähmung der linken Seite; Ischurie,
Herabsetzung der geschlechtlichen Potenz. Sensibilität
intact. Fast vollständige Taubheit rechts, welche aber
älteren Datums zu sein scheint. (Dr. Lucae constatirte
auf der betreffenden Seite eine milchige TrQbung des
Trommelfells.)
Die Kopfschmerzen treten noch ab und zu auf, be-
sonders im Hinterkopf, das Anpochen des Schädels in
dieser Gegend ist zeitweise schmerzhaft, namentlich rechts.
Erbrechen ist selten. Zunehmende psychische Stumpf-
heit, in der ersten Zeit nach der Aufnahme öfters Hallu-
cinationen. Es tritt allmälig eine eigenthümliche Haltung
des Kopfes ein, der ganz nach hinten übergebeugt und
nach links geneigt wird, das Gesicht etwas nach links
gedreht.
Den 16. April 1867 ergab die Augeuspiegelunter-
suchung noch im Wesentlichen dieselben Resultate, wie
365
früher. Das um diese Zeit von Prof. v. Graete dictirte,
etwas ausführlichere Protokoll lautet: Beiderseits exqui-
site Stauungspapille im üebergang in Atrophie des Seh-
nerven. Die Erhebung nicht mehr steil, aber deutlich:
bereits Rückbildung der kleineren arteriellen Gefässe
bei fortbestehender Ueberfüllung und Schlängelung der
grossen Venen. Gewebe bereits vorwaltend opak und
weiss, nur noch hier und da besonders gegen die Grenze
hin Reste röthlieh grauer Infiltration auf Apoplexien hin-
deutend. Ungefähr 4 Wochen später (11. Mai) fand ich
die weisse Trübung in der Umgebung der Papille an
beiden Augen in ihrer Ausdehnung verkleinert, so dass
sie nur noch sehr wenig die Grenze der Papille über-
ragte. Auch die Prominenz war geringer geworden als
früher. In den letzten Wochen des Lebens hatte sich
ausserdem noch eine Ptosis des linken Auges ausgebildet:
eine genauere Prüfung der Äugenbewegungen war aber
wegen des hohen Grades von Schwachsinnigkeit und
Benommenheit des Patienten nicht mehr ausführbar.
Die Section (Dr. Cohnheim) ergab, wie vorher
diagnosticirt worden war, eine Geschwulst des Klein-
hirns auf der rechten Seite; ausserdem Miliartuber-
culose der Lungen, tuberculösen Pyopneumothorax rechts
und chronische Hyperplasie der Milz.
Es bestand eine bedeutende Drnckzunahme in der
Schädelböhle; die Dura nnd Pia waren prall gespannt
und die Sulci auf beiden Hemisphären fast ganz ver-
strichen. Die Dura von normaler Dicke und auf der
Innenfläche ganz blass, die Pia dagegen trüb nnd matt,
läng3 den grossen Gefässen selbst sehnig. Das grosse
Gehirn wird abgetragen, so dass das Tentorinm und
der Vordertheil des Pous frei liegt; es zeigt sich nun,
dass die rechte Hälfte des Tentorium weiter vorragt als
die Unke, und dass der Pons, ebenso wie der Oberwurm
nach links hinüber gedrängt sind. Nach Abtrennung des
Tentorinm sieht man zwischen dem rechten Rande des
Kleinhirns und dem hinteren Rande des Felsenbeines
3G6
eine Tomormasse sich vorBcbieben, vorn fest, hinten
eine iluctuirende gelblich durchscheinende Cyste. Diese
Masse reicht nach vom bis ^j^* vor den Porus acnsticus,
nach hinten bis an die Umbiegungsstelle des horizon-
talen Theils des Sinns transversns in den gebogenen.
In der Gegend des Porus acnsticus hängt der Tumor fest
zusammen mit dem Felsenbein, und es zeigen sich da-
selbst nach Ablösung desselben 2 tiefe rundliche Gruben
in der Substanz des Felsenbeins. In der ganzen übri-
gen Ausdehnung hängt die Oberfläche der Geschwulst
mit der Innenfläche der Dura durch vielfache gefäss-
führende Adhäsionsfäden zusammen, die sich ohne
Schwierigkeit trennen lassen. Nach Herausnahme des
Kleinhirns zeigt sich die grösste Länge von vorn innen
nach hinten aussen 2*//', wovon IV2" *«f den festen
Theil des Tumors kommen, die grösste Breite in der
Richtung von innen nach aussen im festen Theil 2'', im
cystischen 1*//', die grösste Höhe im festen Theil 1* /',
im cystischen V*, Die ganze Geschwulst ist von einer
Fortsetzung der Pia überzogen, welche sich an vielen
Stellen ohne Schwierigkeit abtrennen lässt. Die Ober-
fläche ist im festen Theil höckerig und lappig und
schimmert durch die Pia theils graulichweiss , theils
gelblichweiss, hier und da selbst gelatinös, an anderen
Stellen hämorrhagisch durch; der cystische Theil er-
scheint gefässlos und ist von durchscheinendem, gelblich
grünem Aussehen. Auf dem Durchschnitt hat die Ge-
schwulst geringe, etwas elastische Consistenz; die Schnitt-
fläche zeigt namentlich an der Peripherie vielfach gela-
tinös durchscheinende Stellen, nach innen wird sie etwas
gelblich und im unteren Theile sieht man vielfach Durch-
schnitte erweiterter Gef^sse und punktförmige Hämorr-
hagien. Der cystische Theil hat nicht ganz Wallnuss-
grösse, trennt sich leicht von dem anderen und scheint
nur in geringer Ausdehnung fest mit ihm verwachsen zu
sein. Die genauere Untersuchung stellte fest, dass es
sich um ein Myxosarcom handelte. Nach innen lässt sich
die Geschwulst grösstentheils ohne Mühe vom Kleinhirn
und den Hirnschenkeln abtrennen, nur in der Gegend
des dritten oberen Lappens hängt sie innig mit der
Hirnsubstanz selbst zusammen. Der rechte Kleinhirn-
367
Schenkel ist durch dieselbe sehr gedehnt, abgeflacht und
verdünnt; auch der Trigeminus, zwischen Geschwulst
und Pons ist abgeplattet, doch ganz weiss. Die äusse-
ren Theile der 3 vorderen, oberen und unteren Lappen
der rechten Kleinhirnhemisphäre sind überall atrophirt,
zum Theil fehlt die Rindenschicht hier gänzlich, an
anderen Stellen ist sie sehr stark reducirt. Die angren-
zenden Theile des Marks vom Kleinhirn zeigen auf der
Schnittfläche keinerlei Veränderungen.
Das Hirn selbst zeigt Anämie, starke Dilatation
beider Ventrikel und AnfÜllung derselben mit klarer
Flüssigkeit.
Beide Sehnerven sind weiss, ziemlich rund. Am
rechten Auge sind frisch die Netzhautgefässe wenig sicht-
bar, die Papille erscheint etwas breit, geschwellt und
etwas prominirend, mattgrau gefärbt. Das linke Auge
wird nneröffnet herausgenommen und in Mü Herrsche
Flüssigkeit gelegt.
Genauere Untersuchung der Augen und Sehnerven,
a) linkes Auge.
Das Auge wird erst nach vollständiger Erhärtung
in Müller' scher Flüssigkeit eröffnet. Die Netzhaut zeigt
sich dabei für das blosse Auge gut erhalten und nirgends
in Falten gelegt, trotzdem ist die Stäbchenschicht bereits
cadaverös verändert, ihre Elemente zum Theil gequollen,
und fallen bei Anfertigung von Querschnitten grössten-
theils ab.
Die Sehnervenpapille zeigt auf dem Durch-
schnitt in der Axe des Nerven in der Mitte eine aus-
gesprochene centrale Excavation, während ihre periphe-
rischen Partien geschwellt sind. Die Excavation nimmt
ziemlich die Mitte des Nerven ein, hat eine Breite von
ca. Vi Mm. und reicht mit ihrer tiefsten Stelle fast bis
zum Niveau der Innenfläche der Aderhaut. Von da er-
hebt sich das Niveau in ziemlich gleichmässiger Weise
368
bis ZQ 0,72 Mm. aber die Innenfläche der Aderhaut, um
dann jenseits wieder allmälig in das normale herabzu-
sinken. Schon in V2 Mm. Entfernung vom Bande der
Papille ist die Netzhaut wieder von normaler Dicke.
An Längsschnitten durch die Eintrittsstelle des Seh
nerven fällt zunächst auf, dass in der Gegend der Lamina
cribrosa und im intraocularen Sehnervenende von den
normal immer sehr deutlich wahrnehmbaren Bandeln mark-
loser Sehnervenfasern nur wenig zu erkennen ist Im
markhaltigen Theil des Nerven sieht man wie gewöhnlich
die zwischen den Nervenbündeln verlaufenden Bindege-
websbalken (obwohl wie weiter unten genau beschrieben
werden soll, auch dieser Theil des Opticus bedeutende
Veränderungen darbietet); auch ist die Grenze zwischen
markhaltiger und markloser Sehnervensubstanz scharf
ausgeprägt. Man sieht aber an dieser Grenze die mark-
haltigen Nervenbündel nicht, wie gewöhnlich sich allent-
halben in zage markloser Fasern fortsetzen; das Ge-
webe besteht vielmehr von dieser Grenze an grössten-
theils aus dicht gedrängten querverlaufenden Faserzügen
der Lamina cribrosa, welche man nur hie und da spär-
liche und dünne längslaufende Faserbündel durchsetzen
sieht. Jenseits der Lamina cribrosa, im eigentlichen
intraocularen Sehnervenende besteht Jas Gewebe aus in
verschiedenen Richtungen, theils longitudinal, theils quer
und schräg verlaufenden, netzförmig verbundenen Binde-
gewebszügen, die zahlreiche, meist reichlich mit Blut
erfüllte kleine Gefässe mit verdickten Wandungen ein-
scbliessen und ebenso wie das Gewebe der Lamina cri-
brosa eine grosse Menge von Bindegewebszellen enthalten.
Zugleich finden sich hie und da einige offenbar von
Blutungen herrührende pigmentirte Zellen und amorphe
Pigmcntklümpclien. Auch hier sind die Nervenfaserzüge
erheblich geschwunden und weit spärlicher als in der
Norm; erst am Rand der Papille tritt in der Faserschicht
369
die gewöhnliche, von den Nervenfasern herrührende, der
Oberfläche parallele Streifang anf, was man sowohl von
der Fläche her, als anch an radiär gerichteten Dicken-
dnrchschnitten erkannt Dass diese Streifung durch die
Existenz wirklicher Nervenfasern bedingt ist and nicht etwa
dnrch dieselben ersetzende Bindegewebsfasern l&sst sich
durch Zerzupfen mit Sicherheit feststellen, wobei jedoch
nicht auszuschliessen ist, ob nicht ein Theil der Fasern
trotzdem zu Grande gegangen ist
Die Dicke der Faserschicht ist schon ganz am
Rande der Papille, wo selbst noch eine Erhebung über
das normale Niveau stattfindet, im Allgemeinen nicht
vermehrt, im Gegentheil eher eine Spur vermindert. So
betrug die Dicke an einem Schnitt ganz in der Nähe der
Papille 0,075—0,09 Mm. Nur längs einiger der grösseren
Gefasse, selbst noch eine ziemliche Strecke in die Netz-
haut hinein, (wo ophthalmoskopisch keine Anomalie mehr
wahrzunehmen war), war die Faserschicht um ca. das
Doppelte verdickt und zwar durch seröse Infiltration.
Die Radiärfasern zeigten sich gestreckt, verlängert und
zwischen ihnen grössere und kleinere Lücken, indem die
Nervenfaserbündel nicht genügten, um den vergrösserten
Raum auszufüllen.
Die Dickenzunahme des schmalen, zunächst an die
Papille grenzenden Netzhautbezirkes ist der Hauptsache
nach bedingt durch eine ziemlich erhebliche Verdickung
der äusseren und inneren Eörnerschicht Die
Dicke der ersteren erreicht 0,145, die der letzteren 0,136
Mm., während im normalen Zustande nach H. Müller
die betreffenden Masse 0,045-0,065 und 0,036—0,04 Mm.
betragen (erstcre Masse haben natürlich nur einen ganz
approximativen Werth), die Zwischenkörnerschicht stellt
nur eine dünne Lage zwischen beiden Körnerschichten
dar und ist nicht verdickt Die Verdickung beruht haupt-
sächlich auf einer Verlängerung der Radiärfasern, während
Archiv fttr Ophthalmologie, XIV. 2. 24
370
die Menge der Kömer anscheinend nicht zugenommen
hat; letztere sind auseinander gerQckt und mehr an den
Grenzen beider Lagen angehäuft, bei der äusseren Körner-
Schicht mehr an der äusseren Grenze gegen die Mem-
brana limitans externa, bei der inneren sowohl an der
äusseren gegen die Zwischenkömerschicht, als an der
inneren gegen die Molekularschicht gerichteten Grenze.
Es bleiben hierdurch stellenweise körnerfreie Lücken,
ähnlich wie bei der in den peripherischsten Theilen der
Netzhaut nicht selten auch an sonst normalen Augen
vorkommenden cystischen Degeneration der Zwischen-
körnerschicht, welche zuerst von Blessig und später
u. A. von Henle in seiner Anatomie des Menschen
(Band IL p. 668 bis 670) beschrieben wurde, und die
auch in unserem Fall in der Gegend der Ora ser-
rata in ausgesprochener Weise auftrat. Diese Ver-
änderung ist aber, wie man weiss, in ihren geringeren
Graden in den peripherischsten Partien der Netzhaut
auch an sonst ganz normalen Augen so häufig, dass sie
wohl kaum eine pathologische Bedeutung hat. In stär-
kerer Ausbildung dürfte sie dagegen auch an der Ora
serrata als etwas krankhaftes anzusehen sein; wovon
ich mich an Präparaten von Dr. Iwan off überzeugen
konnte.
In unserem Falle waren übrigens in der Nähe des
Sehnerven die Lücken in beiden Körnerschichten nieht
80 gross und regelmässig ausgebildet als in der Zwischen-
kömerschicht in der Nähe der Ora serrata; die Verän-
derung muss hier wohl als ein entzündliches Oedem der
betreffenden Schichten angesehen werden.
Zwischen Ora serrata und Aequator des Auges ian<
den sich ausserdem in der Faserschicht eine ziemliche
Menge kleiner Extravasate und brauner Pigmentklümp-
eben als Reste von solchen vor.
371
Von den Ganglienzellen ist kaum mehr eine
Spur zu entdecken; selbst in der Macula lutea, wo
im normalen Zustande die Ganglienzellen dicht ge-
drängt in mehreren Reiben übereinander liegen, fehlen
sie hier durchaus; nur ganz vereinzelt sieht man hier
und da einen etwas glänzenden Kern in der Schicht, die
sonst die Ganglienzellen enthält, welcher vielleicht als Rest
derselben anzusehen ist. Die Gegend der Macula war,
(mit Ausnahme der Stäbchenschicht) sehr gut erhalten und
ohne Falteubildung erhärtet, so dass es möglich war,
sehr gelungene Schnitte durch die Mitte der Fovea cen-
tralis zu führen, an welchen sich das Fehlen der Gang-
lienzellen in der Macula mit vollständiger Sicherheit
constatiren Hess. Die Faserschicht war hier jedenfalls
nur wenig verdünnt und die übrigen Schichten boten
nichts Abnormes dar.
Der Sehnerv hat am Eintritt in das Auge eine etwas
spindelförmige Gestalt, seine Scheide ist schlaff und in
leichte Falten gelegt. Auf dem Durchschnitt fallt sofort
eine erhebliche Verdickung und ein oedematöser Zu-
stand der inneren Scheide und des lockeren Balkenge-
webes zwischen äusserer und innerer Scheide auf. Nament-
lich ist letzteres bedeutend hyperplasirt und an den
meisten Stellen gleichsam zu einer intermediären Scheide
entwickelt, zwischen der und der äusseren Scheide ein
Zwischenraum besteht, der nur durch sparsame Verbin-
dungen unterbrochen wird, während gegen die innere
Scheide zu sehr zahlreiche lockere, membran- und balken-
förmige Verbindungen existiren. Die innere Scheide
selbst oder wenigstens ihre innerste Lage ist wie gewöhn-
lich fest mit dem Sehnei-ven verbunden, geht aber nach
aussen ohne scharfe Grenze in das hyperplasirte Balken-
gewebe über. Die äussere Scheide ist in ihrer Dicke
und Structur nicht verändert, sondern nur etwas mehr
ausgedehnt als in der Norm. Die innere Scheide besteht
24»
372
wie gewöhnlich aus groben und feineren, netzförmig ver-
bundenen Bindegewebsbalken, welche nar im Allgemeinen
ein etwas derberes Aussehen darbieten, mit zahlreichen
Zellen in den Zwischenräumen. Der Sehnerv ist, wie
schon bemerkt, im frischen Zustand von normal weisser
Farbe, und am erhärteten Präparat wenigstens in der
Nähe des Auges von ziemlich normaler Dicke (3^4 Mm.
in der einen, 3Vs Mm. in der anderen Richtung) nimmt
aber doch gegen das Foramen opticum in etwas
stärkerem Grade ab als in der Norm; er ist hier
etwas abgeplattet und hat 3 Mm. Dicke in der einen,
2Vi Mm. in der anderen Richtung. Doch ist die Ab-
nahme der Dicke nur eine geringe, wie sie denn auch
bei der Betrachtung des frischen Nerven nicht auf-
fällig war.
Der Nerv ist in seiner ganzen Länge auf das reich-
lichste mit Fettkörnchenzellen durchsetzt, welche fast
allenthalben ganz nahe beisammen liegen. Die Nerven-
fasern sind nur zu einem sehr kleinen Theil noch in
normaler Weise markhaltig, sondern fast alle atrophisch,
in sehr feine blasse, mit zarten Varicositäten versehene
oder mehr gleichmässig dünne Fasern umgewandelt;
dieselben enthalten übrigens noch sehr häufig Reste von
Mark in Form kleiner glänzenden Tröpfchen, wie auch
zwischen denselben sich feine Fetttröpfchen in Menge
vorfinden. Dieser Befund erklärt vollständig, warum trotz
der hochgradigen Atrophie der nervösen Elemente der
Sehnerv im frischen Zustande eine normal weisse Farbe
darbot, indem die massenhafte Anhäufung von Körnchen-
zelien, die Reste von Nervenmark und die zerstreuten
Fetttröpfchen genügten, um das Gewebe bei macrosco-
pischer Betrachtung opak weiss wie im normalen Zustande
erscheinen zu lassen. Begreiflicherweise ist die weisse
Farbe nur von der Zusammensetzung aus feinen, stark
lichtbrechenden Elementen abhängig und für die Be-
373
trachtuDg mit blossem Auge mass es gleichgültig sein,
ob diese Elemente markbaltige Nervenfasern oder Köru-
cheszellen u. dgl sind. Auch dieser Fall beweisst dem-
nach wieder den schon bei Gelegenheit des zweiten aus-
gesprochenen Satz, dass eine normale Farbe des Sehnerven
keineswegs genügt, um eine selbst hochgradige Verän-
derung desselben auszuschliessen.
Dieser Fall ist aber noch desshalb viel bedeutungs-
voller, weil es sich dabei nicht aliein um entzündliche
Veränderungen des interstitiellen Gewebes, sondern ganz
wesentlich um eine massenhafte Zerstörung nervöser Ele-
mente handelt.
In der Nähe des Auges, in einer Strecke von 3 bis
4 Mm., sind die Körnchenzellen etwas weniger zahlreich,
wobei aber an ihrer Stelle zahlreiche kleine, einkernige
Rundzellen auftreten. Namentlich fehlen hier die Körn-
chenzellen in den peripherischen Partien des Nerven,
wo auch die Atrophie der nervösen Elemente am wei-
testen gediehen ist. Stellenweise hat hier das Gewebe
eine sehr ausgesprochene fein netzförmige Structur mit
Kernen (oder Zellen) au den Knotenpunkten, durch stär-
kere Ausbildung des normalen die Bündel durch-
ziehenden bindegewebigen Netzwerks, wie bei grauer
Degeneration, mit welcher auch die weiter gediehene
Atrophie der peripherischen Bündel übereinstimmt. Das
Bindegewebe in der Umgebung der Centralgefässe im
Stamm des Opticus ist etwas verdickt, aber nur wenig;
an den Bindegewebsbalken zwischen den Nervenbündeln
ist keine Anomalie zu erkennen, namentlich ist keine
Vermehrung der zelligen Elemente derselben nachweisbar,
wie in Fall 2.
Was die Goldreaction anlangt, so wurde sie erst
an dem ziemlich lange Zeit erhärteten Präparat ange-
stellt, ihr Ausbleiben könnte daher nicht vollständig be-
weisend erscheinen; doch hat dieselbe in diesem Fall
374
bei dem Ergebniss der übrigen Untersuchungsmethoden
keine grosse Wichtigkeit. Es trat an den Nervenbün-
deln im Anfang gar keine Spur von Reaction auf, während
trotzdem die Bindegewebsbalken sich ziemlich intensiv
färbten; erst nach mehreren Tagen stellte sich eine mehr
gleichmässige violettrothe Färbung des ganzen Präparats
ein, wie sie aber bei fast allen organischen Geweben
nach längerer Zeit einzutreten pflegt, so dass die Re-
action ein entschieden negatives Resultat gab.
b) Rechtes Auge.
Die Veränderungen des rechten Auges stimmten in
den Hauptpunkten mit den eben beschriebenen des linken
überein und unterschieden sich nur iu Folgendem.
An der Papille war die regressive Metamorphose
etwas weniger weit gediehen als links, was auch bei
der Augenspiegeluntersuchung bemerkt worden war. So
war die Prominenz der Papille etwas bedeutender als
links (0,96 Mm. grösste Hervorragung über das Niveau
der Aderhaut), centrale Excavation mehr trichterförmig
und viel weniger tief, so dass ihr Grund noch 0,42 Mm.
über der Innenfläche der Aderhaut lag. Die stärkste
Hervorragung fand sich gerade am Rande der Papille,
von wo die Netzhaut sanft in ihr normales Niveau ab-
fiel, das sie aber doch schon in einer sehr kleinen Ent-
fernung vom Rande der Papille erreichte. Aehnlich wie
links ist die Substanz der Papille in Folge der Schwel-
lung etwas über den Aderhautrand hinüber gerückt, so
dass die eigentliche Netzhaut erst in einer kleinen Ent*
femung vom Chorioidalrande beginnt.
Die Schwellung der Papille war ebenso wie links
bedingt durch Entwickelung eines sehr kern- (oder
Zellen-) reichen Bindegewebes ; und es Hessen sich allent-
halben in diesem Gewebe die Züge markloser Nerven-
fasern, wenn auch dünner als im normalen Zustande er-
375
kennen, sehr deutlich im eigentlichen intraoculären Seh-
nervenende, aber auch durch die Lamina cribrosa
hindurch. Die Nervenfaserschicht der Netzhaut war
kaum dünner als in der Norm, im Gegentheil am
Rande der Papille etwas stärker, die Verdickung der
Körnerschichten, namentlich der äusseren, an die-
sem A^uge nur gering; die Zunahme der Dicke der
Netzhaut am Rande der Papille vertheilte sich dem-
nach auf die Faserschicht und die Körnerschichten.
Die Ganglienzellen fehlten auch an diesem Auge wie
am linken.
Der Sehnerv bot ganz dieselben Veränderungen
seiner Scheide und Substanz dar wie links, nur fanden
sich die Körnchenzellen in gleich reichlicher Menge durch
den ganzen Stamm bis an die Grenze der marklosen
Nervensubstanz und der Lamina cribrosa, während sie
links am Eintritt in's Auge weniger reichlich vorhanden
waren.
In diesem Falle hatte der Augenspiegelbefund, der
das exquisite Bild der Stauungspapille darbot, haupt-
sächlich dazu beigetragen, die Diagnose eines Tumor's
zu begründen, der auch durch die Section bestätigt
wurde.
Die Neuritis war, als Patient zuerst zur ophthal-
moscopischen Untersuchung kam, schon nicht mehr ganz
frisch und ging während der über sechsmonatlichen Be-
obachtungszeit allmälig in das ausgesprochene atrophische
Stadium über. Dass es sich hier um eine Entstehung ,
der Neuritis durch Steigerung des intracraniellen Druckes
handelt, kann nicht bezweifelt werden, zumal die Section
neben dem Tumor eine sehr ausgesprochene Volumszu-
nahme in der Schädelhöhle, Abplattung der Windungen,
starke Spannung der Gehirnhäute nachwies.
Dagegen bleibt die Entstehung der Neuritis des Seh-
nervenstammes zu erklären übrig. Die Veränderungen
376
bestanden hier in einer starken Verdickung mit Oedem
der Scheide, massenhaftem Auftreten von Körnchenzelleo
und gleichzeitigem Schwunde des grössten Theils der
Nervenfasern im Stamm des Nerven. Die Section wies
ausserdem Reste früherer entzündlicher Veränderungen
der Pia nach, Trübung und mattes Aussehen derselben,
selbst sehnige Verdickung längs der grösseren Greiässe.
Es ist daher ganz wohl möglich, dass hier eine Com-
plication der Stauungspapille mit descendirender Neuritis
vorlag, welche letztere von einer basilaren Meningitis
vermuthlich chronischer Art ihren Ursprung nahm. Denn
es ist doch fraglich, ob so hochgradige Veränderungen
des Sehnervenstammes, wie sie hier vorliegen, einfach
auf Rechnung der Stauung kommen können, was sich bei
der im vorigen Falle beschriebenen Form der Entzündung
des Sehnervenstammes, viel eher annehmen lässt, da diese
nur in einer reichlichen Anhäufung von jungen Zellen
im interstitiellen Balkengewebe und der inneren Scheide
in der nächsten Umgebung der Gefässe bestand.
Da der Process bereits seit lange in das atrophische
Stadium übergegangen war, so muss man daran denken,
ob nicht auch wenigstens ein Theil der Veränderungen
des Sehnervenstammes anf secundärer centripetaler Atro-
phie beruhen möchte. Es kann wohl keinem Zweifel
unterworfen sein, das die in diesem Falle aufgetretene
Entartung des Sehnervenstammes nur ein Vorstadium
von grauer Degeneration desselben darstellte. Bei weni-
ger massenhaften Eörnchenzellen und bei noch vollstän-
digerem Schwunde der zahlreich zerstreuten Reste von
Nervenmark hätte der Sehnerv unstreitig nach dem Grade
der Atrophie seiner Nerveuröhren ein exquisit graues
Aussehen darbieten müssen. Das massenhafte Auftreten
der Körnchenzellen spricht aber jedenfalls dagegen, dea
Process für eine einfache secundäre Degeneration zu
halten, da dies bei der centripetal fortschreitenden Atro-
377
phie des Sehnerven noch nicht beobachtet warde; bekannt-
lich findet man in der Regel Corpus scala amjlacea in
sehr grosser Zahl. Ob aber die secnndäre centripetale
Atrophie, ivelche nach Unterbrechung der Leitung oder
Zerstörung der Endapparate regelmässig einzutreten pflegt,
nicht mit bei dem Schwunde der Nervenfasern ihren
Antheil gehabt habe, dies lässt sich begreiflicher Weise
an diesem Falle allein nicht ermitteln.
Was die secundäre Atrophie der Netzhaut betrifft,
so war das fast vollständige Fehlen der Ganglienzellen bei
jedenfalls nur massiger Atrophie der Faserschicht sehr
bemerkenswerth. In der Papille selbst, namentlich aber
in der Lamina cribrosa wurde eine ziemlich vorgeschrit-
tene Atrophie der marklosen Nervenfasern beobachtet,
die am linken Auge eine sehr hochgradige war; weiterhin
in der Netzhaut war aber die Dicke der Faserschicht
links nur wenig, rechts kaum verringert, und das Vor-
handensein von marklosen Fasern liess sich durch Iso-
liren derselben direct nachweisen. Wenn man auch
annehmen kann, dass trotzdem eine grössere Anzahl von
Fasern zu Grunde gegangen sein konnte, so bleibt das fast
spurlose Verschwinden der Ganglienzellen selbst in der
sonst so reichlich damit versehenen Macula bei jeden-
falls unvollständiger Atrophie der Faserschicht doch
schwer erklärlich und man kann wohl nicht umhin, fei-
nere, unseren Mitteln der Beobachtung nicht zugängliche
Veränderungen auch in den noch erhaltenen Nervenfasern
anzunehmen. Im Uebrigen stimmt die Erhaltung der nach
aussen von der Ganglienschicht befindlichen Lagen mit
dem sonst bei einfacher Atrophie des Seheerven und bei
Opticusdurchschneidung an Thieren beobachteten Ver-
halten überein (in den Versuchen von Rosow wurde
nach Durchschneidung des Sehnerven bei Kaninchen selbst
nach 178 Tagen nur an der Nervenfaserschicht allein
eine Atrophie bemerkt.
378
Die Veränderungen der Papille bestanden entsprechend
dem späten atrophischen Stadinm des Processes ausser
dem bereits besprochenen Schwunde markloser Fasern
hauptsächlich in Entwickelung jungen, sehr zellenreichen
Bindegewebes, starker Verdickung der Wandungen be-
sonders der kleinen Geiässe, und Resten von Blutungen.
Die gleichmässige Schwellung und Vermehrung der zelli-
gen Elemente verbreitete sich nur auf die zunächst anlie-
genden Bezirke der Netzhaut, während längs der grösseren
Gefässe sich auch noch weiter hin in die Netzhaut eine
circumscripte, durch seröse Infiltration bedingte Ver-
dickung nachweisen Hess; in dem die Papille zunächst
umgebenden Bezirke waren auch die beiden Kömerlagen
durch entzündliches Oedem, namentlich links, nicht uner-
heblich verdickt.
Bemerkenswerth sind noch die am linken Auge ge-
fundenen, zahlreichen kleinen Blutungen in der Nähe der
Ora serrata, die mit dem Augenspiegel vermuthlich ihres
sehr excentrischen Sitzes wegen nicht beobachtet wurden,
und die einen neuen Beleg dafür bieten, dass eine erheb-
liche Blutstauung im Netzhautgefässsystem ihre Wir-
kungen auch in ziemlicher Entfernung von der Papille
äussern kann.
Berichtipmg.
Im XIY. Bd. Abtb. 1 des Archiv's sind in der Arbeit »,Ziur Ana-
tomie der Cborioidea" von Dr. O. Haase, S. 61 Zeile IS von oben,
hinter dem Worte „Choriocapillaris'', die Worte „durchsichtii^
• ind, die zelligen Elemente der Cborioidea" hincocufügen.
BerUa, Dnick too W. Bflseoiteüi.
i
i
/
Berlin, Druck von W. Bttseosteia.
\
ARCHIV
FÜE
OPHTHALMOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. F. ARLT Prof. F. C. DONDERS
IN WIEN IN UTRECHT
UND,
Prof. A. von GRAEFE
IN BERLIN
VHGRZEHNXER JAECROANGh
ABTHEILÜN6 m.
ODER
VIERZEHNTER BAND
ABTUEILUNG III.
MIT MOLZBOHNITTEN UND TAFELN.
BERLIN 1868.
VERLAG VON HERMANN PETERS.
Eine üebersctzniiff In fremde Sprachen behalten sich die Verfasser ror.
Inhalts-Verzeichniss
EU
Band XIV, 3. Abtheilung.
Seite
I. Historische Notü über die Operation des grauen
Staars durch die Methode des Aussaugens oder der
Aspiration. Von Dr. Sichel in Paris*) 1—25
*) Wir sind versichert, dass diese Abhandlung als die letzte Ver-
öffentUchung des um die Wissenschalt so hoch verdienten Verfassers
den Lesern des Archivs besonders theuer sein wird. Zu den hervor-
ragenden Eigen thumlichkeiten SicheTs gehörte gerade die innige
Durchdringung eines umfassenden empirischen Wissens und einer histo-
rischen Gelehrsamkeit» wie wir sie unter unseren Fachgenossen nur
selten vertreten finden. £s scheint schon in dieser Beziehung nicht
ohne Bedeutung, dass Sichel seine öffentliche Thätigkeit gerade mit
einer Arbeit geschlossen hat, welche die Entwickelungsgeschichte der
Augenheilkunde nahe berührt Aber noch eine höhere Bedeutung ge-
winnt der Hinblick auf diese Arbeit, wenn wir daran erinnern, wie
nahe vor dem Abschlüsse seiner irdischen Laufbahn der Verfasser die
letzten Federstriche an derselben machte. Bereits hart vor dem Ausgange
seines tödtlichen Leidens, an das Lager gefesselt, oftmals von peini-
genden Schmerzen heimgesucht, verrichtete er die Correcturen und
sandte uns dieselben in Hegleitung eines Briefes zu, der mit den Wor-
ten schlois: „Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Nachfrage nach meinem
Befinden. Es geht mir au fond herzlich schlecht; aber so lange der
Kopf noch klar ist, bin ich oben auf, denn ich kann arbeiten, und
das war stets das Glück meines Lebens." Kaum zwei Wochen nach-
dem diese Worte geschrieben, hatte die Ophthalmologie einen ihrer
tieuesten Arbeiter verloren, welchen begeisterte Liebe zur Wissenschaft
durch alle Phasen des Lebens geleitet und dessen Geist sie, wie es
am besten aus jenen Worten erhellt, in einer bewunderungswürdigen
Weise gestählt und geschützt hatte. — Wir bedauern es sehr, diese
wenigen Worte nicht an ihrem zukömmlichen Platze einschalten zu
können, da der Druck der Arbeit vollendet war, als uns die Trauer-
hotschaft zukam. Im Namen der Redaction
A. V. Graefe.
S«lt6
IL Klinische Mittheilongen aus Constantinopel Von
Dr. Xaniüiardt 26—50
1. £piscleritis und Pteryi^am 26
2. TraohoTD. Trichiasis. Symblepharon . . 30
3. Ketinitis pigmentosa 48
4. Cataractoperation 49
III. Ceber verschiedene Veränderungen des Astigmatismus
unter dem Einflüsse der Accommodation. Von Dr.
W. Dobrowsk7. (Aus der Klinik des Professor Ed.
Junge in St. Petersburg) 51 — 105
IV. Weitere Znsätze über das Verfahren des peripheren
Linearschnittes. Von A. Ton Oraafe 106—148
1. Name 106
2. Lappenbohe (Grad der Linearität) .... 108
3. Wundlage (Orad der Periphericität) . . . 120
4. Verhalten der Iris zur inneren Apertur des
Wundkanals. — Behandlung der Iris während
der Operation 126
5. Ueber anderweitige Applicationen des peri-
pherischen Linearschnitts 139
V. Zur Casuistik der an der Hornhantgrenze vorkommen-
den Cardnome und Sareome. Von Dr. HamiMUi
BartlLold, Assistenz-Arzt an der Augenklinik des Hm.
Prof. Foerster zu Breslau 149 — 158
VI. Ein Beitrag zur Histologie des Trachoms. Von Dr.
Wolfringy ordinirendem Arzt in der Abtheilung für
Augenkranko beim Militairhospital zu Warschau.
Hierzu Tafel 1 159—182
VII. Untersuchungen über den Drehpunkt des menschlichen
Auges. Von Dr. J. J. Müller in Zürich. Hierzu
Tafel II. und III 183—218
VIII. Ueber den Einfluss der Nerven auf die Höhe des intra-
ocularen Druckes. Von Dr. A. ▼. Hippel und Dr. A.
Oranhagen. Privatdocenten an der Universität zu
Königsberg IT 219—258
IX. Zur Theorie des Glaucoms. Von Dr. J. StUliag inCassel 259—266
X. Zur Behandlung der Thränenschlauchkrankheiten. Von
Professor Arlt. Hierzu Tafel IV 267—284
XI. Ein Fall von Sarcoma iridis. Von Dr. J. Hirschberg,
Hierzu Tafel 1 285—299
XIL Zur Eenntniss der Imprägnationsmethoden der Horn-
haut und ähnlicher Gewebe. Von Dr. Th. Leber . 300—316
Nachstehende reinhistorische Abhandlung wurde 1847
oder Anfangs 1848 von mir, nach Verabredung mit dem
verstorbenen Professor Henschel in Breslau, speciell
für dessen Zeitschrift „Janus"' abgefasst und ihm direct
übersandt. Nach seinem kurze Zeit darauf erfolgten all-
zufrühen Tode wurde mir das Manuscript vom Verleger
zurückgeschickt Seitdem blieb es unverändert und un-
berührt liegen, da keine andere so speciell medicinisch-
historische Zeitschrift existirte. In Cunier's „Annales
d'oculistique" hatte ich, schon einige Zeit vor Abfassung
dieser ausführlichen Arbeit, den Gegenstand in Kürze ab-
gehandelt, nach der Natur und dem Bedürfnisse dieser,
mehr der Praxis als der Geschichte der Augenheilkunde
bestimmten Zeitschrift.
Seitdem sind zwanzig Jahre verstrichen, während
welcher ich diesen geschichtlichen Punkt der Augenheil-
kunde und meine Abhandlung vollkommen aus dem Ge-
sichte verlor, bis er vor etwa anderthalb Jahren zufällig
zwischen meinem Freunde Prof. A. v. Graefe und mir
wieder zur Sprache kam. v. Graefe glaubte, es sei
der Mühe werth, diese von mir vergessene Arbeit in
einer von dem augenheilkundigen Publikum gelese-
nen Zeitschrift zu veröffentlichen. Sein Antrag wurde
von mir mit Vergnügen angenommen, denn welcher Vater
AreUT nir Ophthalmologie, XIV. 8. 1
lässt gern seine Geisteskinder eines frühen Todes ster-
ben, so unvollkommen und missgestaltet sie auch sein
mögen? Und so erscheint denn meine so lange bei Seite
gelegte und fast von mir selbst vergessene Abhandlung
hier ganz so, wie ich sie vor zwei Jahrzehnten geschrie-
ben. Es wird jedoch nicht überflüssig sein, ihr einige
kurze Bemerkungen vorauszuschicken.
Lau gier hat, so viel ich weiss, später nicht mehr
von seiner, von ihm als neu betrachteten Operationsme-
thode gesprochen, welche ich gleicli von vornherein als
eine höchst unpraktische Verwirklichung des Horazischen
„Multa renascentur quae jam cecidere" betrachtete. Doch
war es nie meine Art, solche Neugeborene, auch wenn
sie mir nicht lebensfähig erschienen, in der Geburt zu
ersticken; man sieht aber aus der Art, wie ich mich in
der ungedruckten Abhandlung und in dem bereits 1847
veröffentlichten kürzeren Artikel ausdrückte, dass ich der
als neu betrachteten Methode kein glänzendes Horoskop
stellte.
Was die in der hier folgenden Arbeit angeführten
Namen Pariser Aerzte betrifft, so ist Malgaigne seit-
dem leider auch gestorben. P^pin hat gegen das Ende
des Jahres 1848 Paris verlassen, um, wie man mir sagte,
nach Amerika auszuwandern; ich konnte also diesen höchst
unterrichteten und des Arabischen vollkommen kundigen
CoUegen über die dunklen Punkte meiner Arbeit nicht
zu Rathe ziehen. Die Literatur dieses Gegenstandes
hatte ich sehr vollständig vor Abfassung meiner Abhand-
lung durchforscht; daher ist auch seitdem nichts Neues
über denselben zu meiner Kunde gekommen, wesswegen
ich auch seine Form ganz unverändert lasse. Augen-
scheinlich wird es aber für alle Unbefangene sein, dass
meine Abhandlung, zur Zeit ihrer Abfassung, nicht im
Geringsten gegen Lau gier gerichtet war, welchem die
so alte Existenz seiner vermeintlich neuen Operations-
methode, zur Zeit wo er sie wiedererfand, vollkommen
unbekannt geblieben war.
Paris, 18. October 1868.
Dr. Sichel.
Historische Notiz über die Opeiatioii des gzanen
Staares durch die Methode des AQssaageiis oder
der Aspiration.
•Von
Dr. Sichel in Paris.
in Malgaigne's „Revue m6dico-chirurgicale", 1847*X
S. 18 — 26, hat Dr. Laugier, Wundarzt des Hospitals
Beaujon, eine neue, von ihm erfundene Staaroperations-
methode beschrieben, welche er die Methode „durch
Aspiration" nennt Sie besteht darin, dass eine hohle,
auf eine den Stiel vertretende kleine Pumpe oder Spritze
geschraubte Staamadel durch die Sclerotica und die hin-
tere Linsenkapsel in den unteren, äusseren und hinteren
Theil der Staarlinse eingestossen wird, so dass die vor-
dere Oeffnung des hohlen Ganges der Nadel sich im In-
nern des Staares befindet, und die Spitze des Instru-
mentes gleichMs in der Höhle der Linsenkapsel ruht,
ohne deren vordere Wand zu durchbohren. Die Nadel
wird unbeweglich gehalten, und man macht einen luft-
*) Oder 1S4S; die betreifonden Bände meiner Bibliothek sind im
▲ttgenblioke yerlegt.
leeren Raum, iodem man sanft den Stempel der Spritze
}n Bewegung setzt Die weichen oder flüssigen Tbeile
der Linse werden, nach Laugier 's Angabe, durch die
Nadel aspirirt und aus dem Auge gezogen, ohne dass
man die vordere Linsenkapsei berührt. Genauer in den
practischen und technischen Theil der Beschreibung des
Erfinders einzugehen, ist für den Zweck unserer rein hi-
storischen Untersuchungen unnütz.
Nachdem Lau gier diese Methode durch eigenes
Nachdenken erfunden, forschte er nach, ob nichts Aehn-
liches von Andern vor ihm versucht oder ausgeführt
worden sei, und fand eine Stelle in Albucasis' „Chi-
rurgie"', welche auf diese Methode Bezug hat „Hier
folgt'', sagt Lau gier (S. 24), „die Stelle des Albuca-
sis, sowie sie Dr. Pap in in einer neuen Uebersetzung,
deren Druck begonnen ist, nach dem besten Manuscript
der königl. Bibliothek übertragen hat."
„Man hat mir gesagt,'^ sagt Albucasis (Abul-
casem),„dass ein in der Augenheilkunde unter-
richteter Mann (un homme instruit dans l'oculistique),
ein Bewohner Irak's, erzählte, er wende (qu'il em-
ployait) eine hohle Staarnadel an, vermittelst
welcher er die Aussaugung des Wassers (aquam,
so nannten die Araber den grauen Staar) bewerkstel-
ligte. Ich habe niemals Jemand in unseren Ge-
genden (Albucasis wohnte in Spanien) ein solches
Verfahren anwenden sehen, und ich habe es in
den Schriften der Alten nicht angeführt gpfun*
den. Es ist möglich, dass dies eine neue Sache
ist" —
„Dieselbe Stelle des Albucasis," fährt Dr. Lau>
gier fort, „ist in Ha 11 er 's „Chirurgischer Bibliothek"
folgender Massen übersetzt: Esse, qui ex Alnyrach
(forte Alkahirat, foBCunda caecorum nutrice) ve-
niant, qui comeam tunicam perforent, atque
aquain (lentenj crystallinam) exsugant, quam ad-
ministrationem negat, se vidisse aot legisse.'^
^ier ist es also nicht mehr ein einziger Chirurg,
sondern mehrere, welche, nach Durchbohrung der Horn-
haut, den Staar ausgesaugt hätten. Es ist nicht die Rede
davon, dass dies verroittelst einer hohlen Nadel geschehe,
und Albucasis giebt ausdrücklich an, dass er nichts
gesehen oder auch nur gelesen habe, was die Wirklich-
keit eines ähnlichen Verfahrens beweise. Aber man kann
yielleicht die Uebersetzung des Dr. P6pin, welche viel
ausf&hrlicher und bestimmter ist, als genauer ansehen."
Zu diesem historischen Theile von Dr. Laugier's
Arbeit fügt der Redacteur der Zeitschrift, der geistreiche
und um die Geschichte der Wundarzneikunst hochver-
diente Dr. Malgaigne, noch folgende Details:
„Die Operations weise durch Aussaugen scheint viel
älteren Ursprungs zu sein. Man liest in der That bei
Rhazes (Contin., lib. II, Tract VI, cap. 2): Antyles
dixit: et aliqui aperuerunt sub pupilla, et ex-
traxerunt cataractam; et potest esse cum Ca-
taracta est subtilis; et cum est grossa non po-
terit extrahi, quoniam hirmor egrederetur cum
ea. Et aliqui loco instrumenti posuerunt con-
cilum vitreum; et sugendo eam suxerunt albu-
gineum cum ea."
„Nach Guy de Chauliac soll Avicenna dasselbe
Verfahren erwähnt haben: Einige der alten Griechen,
wie Albucasis und Avicenna angeben, machten
eine Oeffnung unter der Hornhaut, und zogen,
vermittelst einer gehöhlten (cannel(^e)Nadel,den
Staar durch Sangen (en ra^^t) heraus."
„Die lateinische Uebersetzung Avicenna's spricht
nicht vom Saugen; es ist übrigens wahrscheinlich, dass
woU Guido ein Wenig aus dem Kopfe citirt hat; denn
weder Avicenna noch Albucasis sprechen von den
alten Griechen."
„Die üebersetzung der Stelle des letzteren durch
Dr. P^pin stimmt nicht ganz mit den lateinischen Ueber-
setzungen überein. Hier ist zuerst die Gerard's von
Gremona, welcher Haller gefolgt ist: Etiam quidem
pervenit ad nos de quodam ex illis qui sunt de
Alayrach qui dixit quod factum fuit in Alayrach
Magdaan perforatum quo sugitur aqua. Verum
ego non vidi aliquem in terra nostra qui fece-
rit illud; neque legi illud in aliquo ex libris an-
tiquorum, et est possibile ut sit illud novum."
„Gleichlautend ist auch die lateinische Üebersetzung,
Venet, 1500, in fol."
,,Haller's Alnyrach ist ein Druckfehler; Alay-
rach bedeutet ganz einfach Irak oder Persien. Chan-
ning's üebersetzung stimmt in diesem Punkte mit der
P^pin's überein: Ex Iracensibus quis ad me ve-
nit quondam dixitque quod in Irak conficitur
Makdach perforatum, quo exsugitur aqua. In
regione nostra nunquam ejusmodi factum vidii
neque in aliquo antiquorum libro vidi scriptum.
Novum fortasse est inventum."
„Es kann Niemand entgehen, dass diese beiden voll-
kommen übereinstimmenden Versionen nicht von dem ge-
schickten Augenarzte sprechen, den Pepin in der
seinigen erwähnt."
Laugier's Erfindung und seine, sowie Malgaigne's
im Vorstehenden angeführten historischen Bemerkungen,
haben mich zu genaueren Untersuchungen über diesen
interessanten Gegenstand, besonders nach den arabischen
Quellen, veranlasst, welche für die Geschichte der Augen-
heilkunde vielleicht nicht uninteressant sein dürften.
Die Stelle des Abulkasem steht gegen das Ende
des 23. Kapitels des 2. Buches seiner Chirurgie, ed.
Channing, T. II, p, 172, lin. 2:
"ij VÄ5üi «Juö bjJLi ^ \iX^\ \j\ ^3 *m *J (jo^ LXiJL«
ü^- o' o^- "^-5 vkl^*^' v^ er vl^ (^ *^!;3
Zwischen den zwei ersten Worten ^y^ Jjj^ und
den zwei folgenden ü^L-*^' ^ fehlt offenbar das Wort
u!ö*J , welches auch die vortreffliche Handschrift der hie-
sigen Bibliothek nicht hat; denn in diesem Manuscripte,
welches Dr. P6pin aus meinen Händen erhielt, als er
sich mit Albucasem zu beschäftigen anfing, habe ich
alle auf Augenheilkunde bezüglichen Kapitel genau ver-
glichen, und finde über die betreffende Stelle in meinen
Noten keine verschiedene Lesart angemerkt. Ohne dies
Wort {J=^ (einer ^ ein gewisser) '\%i der Satz nicht correct.
Auch findet sich in einer sehr guten hebräischenUebersetzung
von Albukasem's Chirurgie, welche unter denManuscrip-
ten der hiesigen kaiserlichen Bibliothek vorhanden ist, das
streng gleichlautende Wort rOCpD. Die Stelle lautet auf
Deutsch folgender Maassen*): „Es ist mir zu Ohren
gekommen, dass einBewohner Iraks gesagt habe,
man verfertige in Irak eine hohle Staarnadel,
mit welcher man das Wasser aussauge. Ich habe
Niemand in unseren Gegenden gesehen, der auf
*) Die ersten Worte können auf mehrere Weise übersetzt werden; ich
erinnere mich, dass meine Uebersetzung von dem g^elehrten, Tor Eursem
verstorbenen Orientalisten Munck gelesen und gebilligt wurde. Folgende,
ungefähr gleichlautende, aber von der Pap in 's wesentlich verschiedene
VersiongiebtmeinFreand Dr. L.L6clerc (La Chirurgie d'Abulcasis,
Paris, 1S61, in 8®, p. 93): „J'ai rencontr^ un Persan, qui m'a affirm^ que
dans son pays on fabriquait un mikdah perford, au moyen duquel on as-
pirait la cataracte. Je u'ai rien vu faire de tel ches noas, et je n'ai
rien lu de pareil dans les Berits des Anciens. II est possible que ee soit
une invention reoente*'
8
diese Weise operirt habe, noch habe ich es in
irgend einem der Bücher der Alten gelesen. Es
ist möglich, dass dieses etwas Neues ist*'
Man sieht aus der Vergleichung des Originals mit
Dr. Pepin's Uebersetzung, dass er in der ersten Linie
des Textes die Genauigkeit der Eleganz des Styls ge-
opfert, indem er die Worte „ein in der Augenheil-
kunde erfahrener Mann" willkührlich eingeschoben;
dass er femer den Satz „dass man in Irak eine hohle
Nadel verfertigt (j^IjäIIj c^. »^l, im hebräischen MS.
D*2^ t3li^j, irriger Weise übersetzt hat: „dass er (der
Augenarzt) eine hohleNadel anwendete'*, als stände ^ä^oj
im Aktivum und ohne das Wort üj'^W. (Der Akkusativ
l^^^^ ist in dieser Construction ein häufiger Fehler der
Abschreiber.) Ein neu^r Beweis, wie wichtig es ist, sich
in Uebersetzungen immer so streng als möglich an den
Text zu halten, besonders wenn es sich darum handelt,
den Schleier zu lüften, welcher die frühesten schwanken-
den Schritte unserer Kunst in Dunkel hüllt Der Wider-
spruch zwischen P^pin*s Version und der seiner Vor-
gänger, so wie das Auffallende der von ihm in den Text
gesetzten Erwähnung eines geschickten Augenarztes,
istMalgaigne*s Scharfblick nicht entgangen. Was
Malgaigne*s Bemerkung über Guido's Citation be-
trifft, so hat der Chirurg von Chauliac in Bezug auf
Albukasem allerdings vollkommen Recht zu sagen, er
spräche von den alten Griechen. Denn das Wort:
%die Alten" (J^l^^t) bezieht sich bei den Arabern be-
kanntlich, mit wenigen Ausnahmen, auf die Griechen.
Beim Durchblättern einer sehr vollständigen arabi-
schen Handschrift (Pariser kaiserl. Bibliothek Nr. 1100),
des Buchs über die Augenkrankheiten von Isa-ben-Ali*),
*) Von dem Werke dieses Aogenantes hat Dr. Hille jan. in
Dresden eine Ansgabe unter der Feder, von der bereits ein Prodronmt
1
9^
der im neunten Jahrhundert Augenarzt zu S
Bagdad war, fand ich vor wenigen Tagen, ^
im Rande des Kapitels über den grauen jj*
Staar, eine kurze, aber höchst wichtige ^'
Note über die Operationsmethode durch die
Aussaugung, mit einer Zeichnung, von der
ich nebenstehend eine getreue Copie gebe.
Sie stellt, wie man sieht, eine hohle
Nadel vor, die an ihrem unteren Ende,
d. h. an dem der Spitze entgegengesetzten
Theile des Stieles, ofiFen ist Die Note
selbst ist nur die Erklärung der Figur und
lautet folgender Massen:
^3 ^yUjJ^J ef^-^5 ^>^f <^^ S^ ^^3,
^ e)i?*^^ \J^^ ^^ /^»» ^^
Dies ist die Gestalt der hohlen
Staarnadel, welche man die Chora-
sanische nennt. Sie zieht das Wasser
(den Staar) in sich (in ihre Höhlung), und
entleert es durch den Kopf der Na-
del (durch das Ende des Stieles). Doch
ist (diese Operationsweise) mit Gefahr
verbunden, denn sie könnte wohl das
Auge (durch Auslaufen der normalen Flüs-
sigkeiten) entleeren.
erschieneD. Ueber diesen Bowohl, als Über die Ausgabe
selbst, habe ich im Journal asiatiqae, 1S47, und in
den Annales d'Oeulistique, t 18, 1847, p. 280, be-
riebtet
10
Die Uebersetzung dieser Erklärung ist nicht ohne
Schwierigkeit, o-^ (Mihatt) ist eine Staamadel, scheint
aber, nach Avicenna, T. I. p. 353, ed. Rom., mit ^»^^
CMikdahh)Vi\^\it%zsvi gleichbedeutend. Wie dies letzte Wort
von ^cXi ^Aa^^aA^a/ eineFlüssigkeit ausschöpfen,
einen Brunnen reinigen, kommt das erste von v^ (hatta)^
eine Flüssigkeit ausgiessen. Beide sind also von
dem Grundbegriffe des Ausleerens einer Flüssig-
keit herp:eleitet, auf welchen wir weiter unten zurück-
kommen werden. Freitag, in dessen Wörterbuche leider
viele medicinische Kunstausdrücke fehlen, übergeht unter
der Wurzel vLv^ das Wort vi:^^ ganz, welches doch offen-
bar keinen anderen Ursprung haben kann, obgleich Ca-
stell es irrigerweise unter v;>^ gebracht. Meuinski
hat unter diesem und dem folgenden Worte nichts, was
die Frage weiter fördern könnte.
Unter den Bedeutungen von ^Jm finde ich bei Frei-
tag keine, die einen ganz klaren und befriedigenden Sinn
für obige Note gäbe. Aus dem Begriflfe des Aufgehe ns
der Sonne kann man den des Hervortretens, Her-
vorquellens ableiten; und so habe ich denn, dem Sinne
der Stelle nach, die zweite Form dieses Zeitwortes in
der Bedeutung von hervorquellen machen übersetzt.
Die Nadel macht den Staar nach innen, d. b. in
ihr Inneres, in ihre Höhlung, hervorquellen; die Ope-
rationsmetbode ist gefährlich, da sie das Auge, d. h.
seinen flüssigen Inhalt, hervorquellen machen kann.
Yielleicht kann man eine ähnliche Erklärung aus einem
anderen Grundbegriffe des Wortes „decerpsit fructum"
ableiten: „Die Nadel bricht den Staar ab, wie eine Frucht
vom Baume, zieht ihn hervor und heraus"; was mir aber,
11
da es sich von einer Flüssigkeit handelt, noch weniger
natürlich scheint als die erste Auslegung, ^jli', gleich-
sam alsob sie, ist wohl ein Schreibfehler für jü*!!, weil
sie das Auge entleeren kann. Der Vorwurf der Mög-
lichkeit des Auslaufens der Augenflüssigkeiten findet sich
auch bei Rhazes (s. oben S. 5).
Bei der Spitze der Nadel finden sich auf der Ab-
bildung die Worte: „Dieser Theil wird in's Auge
eingeführt" Beim offenen Ende des Stieles liest man:
.Durch diesen Ort steigt das Wasser herab"
(d. h. läuft aus).
Ohne allen Zweifel ist die Zeichnung und die Be-
schreibung dieser Nadel nicht von Isa-ben-Ali; denn
beide stehen im Rande des 73. Kapitels des zweiten Bu-
ches (Cap. 67 der lateinischen üebersetzung), in welchem
das Allgemeine über den Staar theoretisch abgehandelt
wird; und im folgenden Kapitel, wo von der Operation
die Rede ist, wird die Methode des Saugens weder in
der Pariser, noch in der Dresdener Handschrift, noch in
der lateinischen üebersetzung des Mittelalters (z. B. Ve-
net. 1500 in fol.) auch nur mit einer 3ylbe erwähnt
Dennoch ist diese Stelle von der grössten Wichtigkeit,
besonders wenn man den Namen Ghorasanische Na-
del, der ihr hier mit so grosser Bestimmtheit und gleich-
sam als etwas allgemein Bekanntes beigelegt wird, mit den
oben (S. 5) angeführten Worten desContinens und denen
Abulkasems vergleicht Rhazes, bekanntlich aus
Ras in Chorasan gebürtig, spricht auch von der Aussau-
gung als von etwas, wie es scheint, zu seiner persön-
lichen Kenntniss Gelangtem. Da Chorasan eine an Irak
grenzende Provinz Persiens ist, so darf man wohl aus
der Vergleichung der drei Stellen die Schlussfolgerung
ziehen: die Methode der Aussaugung der Cataracte sei
wahrscheinlich vor dem neunten Jahrhundert in Persien
12
häafig ausgeübt worden und vielleicht sogar w&hrend
einer gewissen Zeit ziemlich allgemein in diesem Lande
verbreitet gewesen.
Was die bereits oben (S. 5) angeführte Stelle des Con-
tinensdesRhazes betrifft,so mussdas unverständliche und
wahrscheinlich corrupte Wort concilum dem Sinne nach
eine Röhre, einen Tubulus bedeuten. Leider besitzt die
hiesige Bibliothek unter ihren unzähligen arabischen Ma-
nuscriptcn kein Original des EIhhävi; doch hat sie davon
eine handschriftliche lateinische Uebersetzung (6912, in-
foL); in dieser (fol. 79, verso, zu Anfange der zweiten
Spalte) wird das gleichfalls unverständliche couellum,
welches ebensowenig als concilum in Ducange's Gloss.
med. et infim. latinit angeführt ist, durch die im Rande
beigeschriebene Variante: „alii eumlam'' hinlänglich
erklärt, und concilum, so wie couellum sind wahr-
sdieinlich nur Schreibfehler für canulam. Die Worte:
„loco instrumenti posuerunt" sind meines Erach-
tens nicht so zu verstehen, als hätten die diese Methode
anwendenden Wundärzte anstatt des Staarinstru-
mentes ein, etwa spitziges, Röhrchen eingebracht,
sondern vielmehr so, dass sie in den Ort des Instru-
mentes, womit die Hornhaut unter der Pupille eröffnet
worden, das heisst in die Oeffnung der Cornea, die
Röhre einführten. Denkt man sich die angeführten
Worte arabisch : (yuau oder äJSi ^^\ ^ |Jl«:^> ^^
findet man in dem lateinischen Satze die vollkommen
wörtliche Uebersetzung, und man weiss ja, dass die Ueber-
setzer des Mittelalters das buchstäbliche Wiedergeben
der arabischen Originale bis zurUnverständlichkeit trieben.
Die Worte: Et aliqui, beweisen deutlich, Rhazes
habe nicht daran gedacht, die Aussaugung dem Antyllos
als Erfinder zuzuschreiben. Auch bei keinem anderen
griechischen Schriftsteller ist von dieser Methode, meines
Wissens, die Rede. Wenn also Billandeau (Gazette
13
des höpitaaz« 1847, n. 9, p. 38) ohne Weiteres sagt, die
Aspiration .des Staars stamme von den Griechen
her, so mass ich dies, bis er seinen Gewährsmann an-
führt, fQr einen Irrthum halten. Dass Rhazes, der
selbst die operative Augenheilkunde nicht practisch aus-
übte, seiner Landsleute nicht erwähnt und nichts Ge-
naueres über diese persische Yerfahrungsweise angiebt,
kann nicht auffallen.
Die Griechen kannten die Aussaugung des Staares
nicht; sie sprachen bloss von seiner Ausziehung. Anty II us
(bei Bhazes, s. S. 5) beschreibt diese letztere. Auch
Galen spielt auf die Extraction an in folgender Stelle,
welche nicht auf die Suction bezogen werden kann (Meth.
med., lib. XIV. c. 13, t X, p. 987, ed. Kühn): „Einige
versuchten auch, denStaar zu entleeren (xcfovx),
wie roh in den (nicht auf uns gekommenen) Büchern
über Chirurgie sagen werde."
Die Aussaugung wurde also von den Einen (nach
Abulkasem und der Note bei Isa ben-Ali) auf die gewöhn-
liche Weise, d. h. durch die Sclerotica, von den Anderen
durch die Hornhaut, verrichtet
Ist hier nicht das bekannte: Multa renascentur
quae jam cecidere, ganz an seinem Orte? Und wenn
ein denkender und.höchst erfahrener Wundarzt eine Ope-
rationsmethode erfindet, welche, ihm unbewusst, bereits
vor zehn Jahrhunderten in einer bedeutenden Provinz
ziemlich allgemein ausgeübt wurde, liefert dieser Umstand
nicht allein schon einen hinreichenden und praktischen
Beweis für die Wichtigkeit des Quellenstudiums der. Ge-
schichte unserer Wissenschaft? Es ist dies nicht das erste
Mal, dass in den Alten, deren Werth ich weit entfernt
bin zu überschätzen, und deren Werke wir ja keines-
wegs lesen, um uns zu ausübenden Aerzten zu bilden,
etwas vermeintlich Neuerfundenes vollkommen entwickelt
angetroffen wurde. Muss man also nur gleich mitleidig
_14
lächeln oder verächtlich die Achseln zucken, wenn ihre
medicinischen oder chirurgischen Heilmethoden auch auf
den ersten Anblick inauchmal ein wenig absonderlich
oder roh erscheiuen?
Sucht man sich nun zu erklären, auf welche Weise
die Araber auf die Operationsmethode des grauen Staars
durch die Aussaugung verfallen seien, so muss man ja
nicht glauben, es habe sie eine genaue Keuntniss der
verschiedenen Gonsistenz der Linsenstaare dahin gefOhrt.
Allerdings war ihnen bekannt, dass ein Staar von grösse-
rem Umfange und von bedeutenderer Dichtigkeit sei, als
der andere; doch wussteu sie hierüber Nichts, als was
sie von den Griechen gelernt hatten. Man muss es viel-
mehr ihrer Nomenclatur der Cataracte und einem der-
selben zu Grunde liegenden anatomischen und patholo-
gischen Irrthume zuschreiben, dass sie Versuche machten,
den Staar durch Saugen aus dem Auge zu schaffen. Es
ist bekannt, dass die Griechen, welchen die Araber in
der Anatomie und Pathologie fast ausschliesslich folgten,
den Linsenstaar Glaukom (yhxvxw^ia) nannten und als un-
heilbare Blindheit betrachteten, weil die Linse für sie das
unmittelbare Werkzeug des Gesichtes war; dass sie den
operirbaren grauen Staar hingegen als einen Erguss oder
eine Ausschwitzung einer wenigstens zuerst flüssigen Ma-
terie {vno/vfjLa^ suffusio) ansahen* Die Araber nahmen
diesen ungegründeten und sehr spät erst durch die pa-
thologische Anatomie widerlegten Begriff auf, und nannten
diesen, als das Product eines Ergusses betrachteten grauen
Staar bald das Niedersteigen oder Niedersinken
des Wassers im Auge, oder die Ansammlung
von Wasser im Auge (^^^1 ^J> JjUJt ^Ut)» bald das
im Auge niedergesenkte, herabgestiegene oder
angesammelte Wasser (c;v«if ^ pUI 6^yi>\)^ oder ab-
gekürzt, das Wasser (pUJt)* ^^^ Operation des Nieder-
15
legens der Cataracte wurde daher, wie schou gesagt, das
Ausschöpfen i^^) oder Ausgiesseu (o^) des
Wassers genannt. Später wurde dieses Niederfallen
des Wassers, als ein wirklicher Wasserfall, mit ca-
tarrhacta, Cataracta {xaja^dxttjg) übersetzt, welches
Wort bekanntlich bei den Griechen und Bömern in der
Bedeutung des Staars nicht vorkommt, und der Ursprung
des allgemein angenommenen Namens Cataracta ward.
Dass nun unter so Vielen, welche dieses vorgebliche
Wasser mit chirurgischen Werkzeugen zu heilen versuch-
ten, sich auch Einige fanden , welche auf den Gedanken
geriethen, es möchte wohl besser sein, diese trübe Flüs-
sigkeit durch Aussaugen wirklich ganz aus dem Auge zu
schaffen, hat nichts Allzuüberraschendes; mir wenigstens
scheint es, dass dies in der damaligen Zeit natürlicher
war als heutzutage, wo wir doch an Staaroperations-
methoden, deren Erfolg sicher genug ist, keinen Mangel
leiden. Diese Aussaugungsversuche, bei welchen, nach
den Einen, eine Nadel durch die Sclerotica eingeführt,
nach Anderen, wie unsRhazes überliefert, durch einen
Einstich an dem unteren Theile der Hornhaut eine feine
Röhre eingebracht wurde, können als eine Annäherung
zur Ausziehung des Staares, wenigstens zur theilweisen,
betrachtet werden, obgleich schon Antyllus viel früher
der Extraction Erwähnung thut.
Galeatius de sancta Sophia (opus medicinae
practicae .... in nonum tractatum libri Rhasis
ad Regem Almansorem . . . . , Haganoae 1533, fol.)
hat später die Operationsweise des Staars durch die Aus-
saugung folgendermassen ausführlich beschrieben (fol. 22,
verso): Vel alitcr fiat hie modus magistralis (der Staar-
operation), quem ego Galeatius de sancta Sophia jam du-
dum imaginatus fui. Primo ergo accipiatur una acus
aurea per totum subtiliter concavata prope cuspidem, et
dicta acus sit perforata usque ad concavitatem foraminis
16
parvL Quo facto perfora oculum ut supra dictum est, et cum
apposuisti acum intra illam aquam, tunc volve dictam acum
bis vel ter, et post ea extrahe flatum a superficie acus
superiori fortiter ad hoc ut dicta aqua ingrediatur con-
cavitatem acus. Et si tota aqua ingredi non posset,
acum bis vel ter trahendo, tunc bene ipsam preme infe-
rius ut nihil remaneat. Nam sie extrahendo dictam
aquam extra totum oculum est cura caeteris perfectior,
qua amplius dicta materia reverti non potest ad pupil-
lam. Dico tarnen quod haec cura fieri debet per Medi-
cum valde peritum in hac arte. Et quamvis hanc curam
hoc modo firri non vidi, ipsam tamen posui, quia mihi
possibile videtur esse. Facta igitur cvacuatione illius
materiae facientis cataractam extrahendo ipsam ad extra,
sive premendo intra corneam et uveam, tunc accipiatur
albumen ovi cum vitello etc. (Hier folgt die gewöhnliche
Nachbehandlung.)
Wie man sieht, giebt sich Galeatus als den Er-
finder dieser Methode an; doch scheint es mir sehr un-
wahrscheinlich, dass er vor Abfassung seines Commen-
tars über das neunte Buch von Rhazes Almansor
nicht vorher, zum besseren Verstandniss, wenigstens die
betreffenden Kapitel von dessen Continens gelesen haben
sollte. Auch gesteht er selbst, diese Operation nicht ver-
richtet zu haben, was die Aufrichtigkeit seiner Angabe
noch unwahrscheinlicher macht; denn wer das Bedürfniss
einer neuen Operation fühlt, versucht sie auch gewöhn-
lich gern zuerst
Galeatius war übrigens nicht der Einzige, der
sich die Erfindung dieser persischen Staaroperation zu-
schrieb; er hat inBochusMattioli einen Concurrenten,
dessen Verfahren Borri vervollkommnet zu haben vor-
giebt Der mailändisch'c Edelmann, Goldmacher und ge-
wiss auch Charlatan, Franz Joseph Borri, welcher
17
gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts durch seine vor-
gebliche Erfindung, den Wiederersatz der Brechungsflüs-
sigkeiten des Auges nach ihrem Ausfliesscn durch ärzt-
liche Heilmittel zu bewirken, grosses Aufsehen erregte,
und zuletzt in den Gefangnissen der römischen Inquisi-
tion sein Leben endete; Borri, der unter dem Namen
Burrhus bekannter war, sagt hierüber Folgendes in
seinem Buche: Epistolae ad Bartholinum artificio ocu-
lorum humores restituendi, Hafn. 1669, 4®, p. 51, sqq.
Barum instrumentum ad deponendas oculorum
Cataractas inventum a Nobili Domino Boccho
Mattioli^ Chirurgo Italo olim a servitiis (p. 52).
Archiducis Ferdinandi Garoli Austriaci... Ar-
tifex iste excogitaverat arundineam acum de-
sinefatem in vacuum mucronem, qua penetrare
oculos et per eam oris suctu extrahere posset
cataractas; sed cum exilis orificii angustia et
crassities membranae sugendae solertiam in-
geniös! artificis remorarentur in perficienda
operatione, ipsi Auetor fui includendi suo tu-
bulo aeneo acuminato in modum tenuis peni-
cilli subtilissima Auri textilis filamenta, quae
in girum acta ä contorquentibus digitis, dum
(53) acus tenebat medium orbitae, educerentur
quasi ex aenea vagina et humorum instar mem-
branam vel interciperent vel omnino in frus-
tilla discerperent, atque iterum post hoc offi-
cium retrahi possent ad angustias sai aenei in-
tegumenti. Votum eveutus felicissimus beavit,
quia cataractae per hoc instrumentum depositae
non ultra assurrexerunt ad eclipsandam lucem
radiorum, cum alioquin eae quae a vulgari aca
djemittuntur paulatim a motu oculorum, ut non-
dum divulsae a suis radicibus, eriguntur. Die
sehr undeutlichen Worte: et humorum instar etc. sind,
ArcUr fBr Ophthalmologie, Zrv. 1 2
18
glaube ich, so zu verstehen, dass die spitzigen und schnei-
denden GoldfiLden (d. h. feine Golddräthe), welche den
Pinsel bilden, beim Auseinander&hren die Linsenkapsel
entweder spannen, wie es die in ihr enthaltene Flüssig-
keit (ein flüssiger Staar) thun würde, oder dieselbe zer-
stückeln. Die HinzuftLgung des Golddrathpinsels zur
Saugnadel hat Chelius (trait^ d'ophthalmologie, t II,
p. 274, n. ö) irriger Weise Mattiolus zugeschrieben.
Borri giebt (p. 65, fig. I u. II) die Abbildung des von ihm
erfundenen Metallpinsels und des zugespitzten Röhrchens.
Die Schriftsteller des 15., 16. und 17. Jahrhunderts,
welche auf die Erfindung der Staaraussaugung Ansprudi
machen, verdienen auch desswegen schon keinen Glauben,
weil ihre Zeitgenossen diese Methode, so wie die Aus-
ziehung, häufig, als von den Griechen snd den Arabern
verrichtet, erwähnen. Man vergleiche z. B. folgende zwei
Stellen noch im vergangenen Jahrhundert vielgelesener
Schriftsteller.
Arculanus, des Bhazes Gommentator in der Mitte
des 15. Jahrhunderts, spricht sich folgender Massen aus
(Joh. Arculani, Practica, Venet 1557,*) in foL, c. 30
ad fin., p. 58E): Aliqui tarnen ex Graecis antiquist
ut recitat Albucasis et Avicenna, faciebant fo-
ramen subtus, scilicet corneam, quod forte me-
lius erat facere in conjunctiva cum acu canu-
lata, ut sugendo extrahant cataractam, quae
operatio est inconveniens, nisi aliquibus ob-
servatis conditionibus. Prima, ut aqua ipsa sit
citra uveam et non ultro. Secunda quod illa
aqua sit fluxibilis non confirmata, et quod ope-
ratio fiat paulatim, ne simul albugineus extra-
hatur. Et haec est propria cura saniei retro
•) Oder 1696. Die JaluresiaU meinet ManiuoripU iit bei einer
FeoenbranBt, sowie aach du Wort erat und einige andere Worte dee
Kandeiy rerbrannt.
19
corneanL Die letzten Worte bedeuten, die Operation
werde so yerrichtet, wie die des Hypopyon, d. b. durch
Eröffnen der Hornbaut mit dem Instrumente.
Andrea della Croce (Gbirurgia universale e per-
fetta, Venezia, 1573^^), in foL, p. 220) erwähnt gleicbMs
die bereits angeführte Stelle Abulkasem's, aber auf eine
solche Weise, dass man seine eigenen Worte nicht streng
von denen des arabischen Wundarztes unterscheiden
kann. Zugleich schiebt er diesem letzteren eine spe-
cielle Indicaüon für die Staaraussaugung unter, an welche
jener nicht gedacht hat Se vi sara humore di san-
gue 0 escreszentia di carne [diese Worte finden sich
nicht bei Abulkasem], dice Albucasi che alcuni
ritrovarono uno stilo forato (detto da lui Mag-
daam), col quäle si succhia commodamente Tac-
qua; della qualcosa pero nonne havendo gl'An-
tichi fatto mentione alcuna giammai, non so io
quello che dir mi debbo; riservandomi certo a
farne un giorno la pruova, e maggiormente che
alcuna yolta mi sono anco da me stesso cotesta
operatione imaginata. Also auch della Croce hatte
die Aussaugung erfunden, ohne seine Vorgänger gekannt
zu haben. Doch ist er ehrlich und aufrichtig genug,
diese letzteren zu nennen, und sich die Operation nicht
zuzuschreiben, was er eben so gut, als Galeazzo, Bon-
delet u. s. w. hätte thun können, welchen gewiss die
arabischen Urerfinder der Methode nicht vollkommen un-
bekannt sein konnten.
Zu den vorgeblichen Erfindern der Staaraspiration
gehört auch Bondelet, Professor derMedicin zu Mont-
pellier im 16. Jahrhundert Si Cataracta, sagt er
(Gulielmi Rondeletii Method. curandor. morbor....
Paris, Iö75,in8^, p. 135, verso, ad fin«), sit inprin-
*) Siehe die Torhergehende Note.
20
cipio adhuc, et tantum sit aqua, vel aqueus
quidam vapor appareat, potest resiccantibus et
digerentibus medicamentis carari, qualia sunt
Posset etiam curari manu, si componatur
tale intrumentum. Fiat acus cava, in$tar sjr-
ringae, et, ut facilius disecet corneam, et sub-
ingrediatur, paretur, ut calamus scriptorius,
mittatur intra oculum, exactissime jungatur
vulneri, nee aer attrahatur, et sugendo acum
attrahat per eam ex oculo aquam. Dies ist die
von Rhazes angegebene Operation durch die Hornhaut,
nur dass die Cornea nicht erst mit einem andern In-
strumente geöffnet, sondern gleich mit der hohlen röhren-
förmigen Staarnadel von Ghorasan, oder mit einem, wie
eine Schreibfeder zugespitzten und an den Seiten der
Spitze schneidenden Röhrchen, angestochen wird. Nähme
man das Wort syringa, mit seiner aus dem Zusammen-
hange gerissenen Umgebung, in dem Sinne einer Spritze,
welchen es heut zu Tage in der Wundarznei hat, und
mit welcher Bedeutung es auch in die französische Sprache
übergegangen ist (seringue), so könnte man darin die
erste Anwendung der, an Laugier 's Instrument ange-
brachten Spritze oder Pumpe zur Staaroperation finden
wollen. Dies wäre aber offenbar ein Irrthum; denn
syringa ist hier augenscheinlich gleichbedeutend mit
dem griechischen avgty^, fistula, eine Röhre. So
haben es z. B. die beiden sogleich anzuführenden Schrift-
steller verstanden, wie ihre Vergleichung dieses Röhr-
chens mit dem Catheter beweist. Rondelet hat zwei-
felsohne Yon Mattioli seinen zugespitzten Tubulus ent-
lehnt
Glaudini, der Ende des 16. und Anfangs des 17.
Jahrhunderts zu Bologna lebte, billigt Rondelet's Ope-
ration nicht lieber diese, so wie über die Staaraus-
ziehung, spricht er sich folgender Massen aus (J. G. Glau-
21
dini Empirie, rational. Bonon, 1653, p. 467, ad fin.):
Sed praeter has materias chirurgicas (Schröpf*
köpfe u. s. w), in Cataracta absoluta necessaria
est punctio, qua mediante, si materia tenuis ac
fluxilis existat, evacuatur sensibiliter; si vero
crassa, acu deponitur. Non ignoro, 6al. 14. Meth.
et Rhas. 2 Continentis affirmare fuisse quosdam
qui etiam crassam materiam tentarunt punctione
tfon transponere, sed evacuare et extrahere. Ve-
rum quia bic est maximum periculum, ne simul
evacuetur humoralbugineus, cum necessario in
tali casu foramen latius excitari debeat, ic-
Circo parvi facio eam operationem. Nee [der
Sinn erfordert: Nee non] et illam Rondeletii, qui
parva syringa oculis accommodata putat sensi-
bilem patrari posse evacuationem, ad similitu-
dinem ejus, quae in virgam immittitur, et per
eam impositam loco, ubi alias admonetur pro
transpositione, ore attrahenda materia; iisdem
enim facultatibus est obnoxia. [Rondelet's Me-
thode sei denselben Zufällen ausgesetzt als die Extrac-
tion und daher, gleich ihr, zu verwerfen.] Porro fit
punctio, ut in materia fluxili evacuanda, eo-
dem modo, et loco, quo in hypopyo fuit moni-
tum. ClaudinihatRondelet missverstanden; obgleich
der letzte Satz, durch die Vergleichung mit der Operation
des Eiterauges, Rondelet's an sich schon klare Angabe
der Punktion durch die Hornhaut noch klarer in's
Licht setzt, so spricht Clan dini doch noch von dem
Einstiche an dem bei der Niederlegung (transpositio)
gewöhnlichen Orte.
Hercules de Saxonia, Glaudini's Zeitgenosse,
führt gleichfalls Rondelet's Operationsweise an (Her-
cules Saxonia, Pantheum medieinae selectum, Franco*
fürt, 1603, in foL, 1. I, c. 9, p. 128, ad fin). In suffu-
22
sione, quae fit a materia adhuc in membranam
non conversa, atque eaquidem crassaadmodum
et lenta; ... materia omnino est attenuanda....
(p. 129.) übi attenuata est materia, digerenda
est ex sententia Bondeletii, et etiam evacuanda:
scribit ille, syringem conficiendam esse par-
vam oculo accommodatam in similitudinem il*
lius, quae in virgam immittitar, vultque illam
imponi oculo eo modo quo acus in depositione
suffusionis, et ore vult attrahi aquam. ütrum
ille feliciter sit expertus, ignoro, ego nunquam
probavi: forte excogitavit potius quam exper-
tus est Claudini scheint Rondelet's Worte nicht
selbst gelesen, sondern bloss Saxonia abgeschrieben zu
haben. Dass einer der zwei italienischen Professoren we-
nigstens den andern copirt habe, geht daraus hervor,
dass der Irrthum über den Einstich in die Sclerotica und
die von Rondelet nicht gemachte Vergleich ung der
Röhre mit dem Gatheter bei beiden mit denselben Worten
vorkommt. Dass Saxonia statt des von dem französi-
schen Arzte gebrauchten Wortes syringam das richti-
gere und unzweideutige syringem setzt, würde, wenn
dies nöthig wäre, noch strenger beweisen, dass von einer
Spritze nicht im Geringsten die Rede ist. Saxonia^s
Bemerkung: forte excogitavit potius etc. ist ganz
richtig. Hätte Rondelet seine Methode an Lebenden
oder auch nur an der Leiche versucht, so würde er wohl
statt: Posset etiam curari manu, gesagt haben:
Potest
Lamzweerde (Append. ad Sculteti Armament. Chi-
rurg., Amst, 1741, in 8», T. II, p. 413—433) hat Borri's
und Bartholin's Briefwechsel abgedruckt, und zu des
ersten Abbildungen und Beschreibung Zusätze geliefert
(tab. XIV. u. pag. 433 sq.), welche beweisen, dass er
auf diese Operationsweise grosse Hoffnungen setzte.
23
Nachdem das Röhrchen durch die Hornhaut eioReführt
und der Staar ausgesaugt worden, solle man, sagt Lamz-
weerde, in das Röhrchen den goldenen Pinsel einschie-
ben, durch Drehen des Kopfes oder Stieles desselben
die gleichsam lancettförmigen Goldblättchen zum Aus-
einanderweichen bringen, so den Staar sanft einschneiden
und abschaben (leniter incidant et abradant), und dann
von Neuem und bequemer aussaugen. Nöthigenfalls
wiederhole man die Operation, bis vom Staare nichts
mehr übrig bleibe. Dieses Ver£Ethren erfordere Geduld
von Seiten des Kranken, sei aber sicherer, da es das
Wiederaufsteigen der Gataracte verhüte; die Einschnei-
dung (Sectio) der Hornhaut sei übrigens ohne Gefahr.
Er empfehle allen Chirurgen diese Methode, obgleich sie
unerhört (inaudita), d. h. nagelneu sei. Es bleibt das
Neue stets ein relativer BegriflF, und vieles schon Vor-
handene wird erfunden, wenn man nicht der Mühe werth
hält, im Längstbestehenden, Veralteten und Vergessenen
nachzuforschen.
Es kann keinem Zweifel unterworfen sein, dass
Rochus Mattioli (oder Mattiolo), ein sonst unbe-
kannter Wundarzt, welchen man nicht mit dem, um un-
geflhr ein Jahrhundert früheren berühmten Arzte und
Botaniker Peter Andreas Matthioli verwechseln darf,
seine vorgebliche Erfindung von den Arabern und von
Rondelet entlehnt habe.
Der Vollständigkeit wegen sei hier noch erwähnt,
dass ein Ungenannter (FUnion m^dicale, 1847, no. 15)
p. 60) fQr Prof. Pecchioli in Siena die Erfindung der
Staamadel mit der Pumpe in Anspruch nimmt; dass aber
Dr. Laugier (ibid. n. 17, p. 66) mit Recht bemerkt,
Charriire's Instrumentenverzeichniss vom Jahre 1835
gebe zwar bei den Augeniustrumenten unter Nr. 6 eine
„aiguille ä pompe de M. Pecbioli" an; eine Beschreibung
24
derselben, so wie eine Angabe ibrer Bestimmung und
Anwendungs weise, finde sich aber nirgends vor.*)
Was nun die Aspirationsmethode betrifft, wie sie der
geschickte Chirurg des Hospitals Beaujon ausübt, so
muss ich gestehen, dass ich sehr bezweifle, sie werde,
neben der Ausziehung, der Niederlegung und der Zer-
stückelung, ein dauerhaftes Bürgerrecht in der Augen-
heilkunde behaupten. Auf jeden Fall ist es ofifenbar,
dass weder die harten noch die weichen oder selbst halb-
weichen Linsenstaare durch dieses Verfahren mit glück-
lichem Erfolge operirt werden können, und dass sie bloss
bei flüssigen Cataracten ihre Anwendung finden kann.
Aber wird selbst in diesen die vordere Linsenkapsel, nach
Ausleerung der in ihr enthaltenen undurchsichtigen Flüs-
sigkeit, nicht immer einen Nachstaar bilden, und eine
*) Folgende Kotiz, welche beweist, dass Feochioli's Instnunent
aUerdings siir Stoaraassaagung dienen kann, und attch TieUeicht dazu
bestimmt war, ist mir erst spater zn Augen gekommen. Da sie in
einem FeuiUeton versteckt lag, wo sie mir, trotz meiner Gewohnheit,
aUes Augenheilkundige in meinen Excerpten zu notiren, gänzlich ent
gangen war, so ist es nicht zu yerwundem, dass auch Dr. Laugier
sie nicht gekannt hat
Gazette mödicale de Paris, 1838, n. 1, p. 3: Fragments d'nn
Yoyage m^dical en Italie, par P^trequin. M. Pecchioli, de
Sienne, a invent^ ponr Top^ration de la cataraote une aiguille, qu'il
pzopose d'employer dans quelques circonstanoes; o'est un instnunent
semblable ä celui de Scarpa, avec cette diffdrence que la tige est creu-
B^e d'un petit canal, et que le manche renferme un piston destine k
faire le jeu d'une pompe aspirante. Ce vide qu'on forme dans le con-
duit central et le manche, aspire les liquides en contact ayec Torifioe
de la tige plao^ vers la lance.
On pourrait employer cette aiguille dans les cataractes fluides, qui
troublent, en s'^panchant, la vue de ce qui se passe dans Tobü qu'on
op^e; eUe agit, du reste, et peut serrir comme TaiguiUe ordinaire ä
abaissement.
Aus den vorhergehenden Zeilen scheint mir nicht herrorzugehen,
dass Pecchioli sein Instrument am Lebenden angewandt, noch dass er
bei seiner Erfindung ausschliesslich und bestimmt an die Staaraussau-
gung gedacht habe.
26
neue Operation erheischen? Ich meinerseits befürchte
es sehr, da ich nie nach einer Staaroperation die zurück-
gebliebene vordere Wand der Kapsel ihre Durchsichtig-
keit längere Zeit behalten sah. Nichts destoweniger habe
ich Laugier 's Abhandlung mit gro:i'sem Interesse ge-
lesen, und will das Verdienst seiner Methode auf keine
Weise schmälern, noch viel weniger die Fortsetzung sei-
ner Versuche und genauen Beobachtungen am Lebenden
missbilligen. Vielleicht führt diese, trotz meiner oben
gemachten Einwürfe, zu einigen speciellen Indicationen
in bestimmten Fällen, wo die übrigen bis heute bekann-
ten Verfahrungsweisen keinen oder wenigstens keinen so
guten Erfolg haben.
Während der Gorrectur dieses Bogens schrieb ich an
Laugier, um von ihm selbst zu erfahren, welchen Er-
folg er seit zwanzig Jahren von seiner Operationsme-
thode beobachtet, und ob er dieselbe beibehalten und
vervollkommnet oder aufgegeben; er war aber gerade
verreist. Vielleicht giebt er mir später eine, zu Ende
des gegenwärtigen Bandes einzurückende Note über das
Resultat seiner Er&hrung, welche gewiss diese rein hi-
storischen Untersuchungen auf eine praktische Weise
vervollständigen wird.
Klmiflohe MBtthefliuigeii aus ConstantiBopeL
Von
Dr. Mannhardt.
I. Episcleritis und Pterygium.
Das häufige Vorkommen von Pterygium hier in Constan-
tinopel war mir An£Etngs auffallend, da ich Aber die Ur-
sache zweifelhaft war, bis ich im letzten Winter, der
auffallend feucht und kalt war, Gelegenheit hatte, eine
grosse Anzahl Pterygien unter meinen Augen entstehen
zu sehen. Seitdem ist es mir zur Grewissheit geworden,
dass das Pterygium ausschliesslich die Folge eines be-
stimmten pathologischen Processes und zwar der Epi-
scleritis ist
Die Episcleritis ist eine bald chronisch bald acut
auftretende Entzündung des subconjunctivalen oder epi-
scleralen Bindegewebes und beschränkt sich fast aus-
schliesslich auf den Bezirk, welcher dem bei geöffneten
Lidern der Luft ausgesetzten Theile der Gonjunctiva
bulbi entspricht Da der nach innen vor der comea ge-
legene Theil derselben in grösserer Ausdehnung der Luft
exponirt ist, zeigt sich auch dort die Affection häufiger
und intensiver. Da zugleich die Beobachtung ergiebt,
dass solche Individuen, welche sich den Einflüssen rauher
27
Luft häufiger exponiren, also Männer and von diesen
besonders Seeleute, Soldaten u. s. w. auch häufiger be-
fidlen werden ; so liegt es nahe, die Erkrankung als eine
specifische Folge des dauernden Einflusses rauher und
feuchter Luft auf die Schleimhäute, für die bekanntlich
kalte Luft immer einen inäquaten Beiz bildet, anzusehen.
Warum im südlichen Europa diese Aflfection häufiger
vorkommt als in rauheren Elimaten, ist schwer zu er-
klären, wenn man nicht annehmen will, dass die Schleim-
häute hier durch die Hitze des Sommers empfindlicher
sind als im Norden.
Die chronische Form findet sich sehr häufig und be-
steht oft nur in chronischer Hyperämie der betreffenden
Partie des episcleralen Gewebes mit geringer Schwellung
in Folge von Hypertrophie oder Neubildung von Binde-
gewebe, welches (den Autoren über Pterygium zufolge)
reich an elastischen Fasern sein soll. Häufig bleibt es
bei diesem Verhalten ; öfter dagegen, besonders wenn die
Affection einigermassen bedeutend ist, bemerkt man nach
einiger Zeit die ersten Spuren einer Pterygiumbildung.
Oft ist auf einem Auge dieselbe schon sichtbar, während
sie auf dem andern noch fehlt Die Entstehung des Pte-
rygium macht den Eindruck, als ob durch Schrumpfung
des subconjunctivalen, hypertrophischen Gewebes, das
der Gonjunctiva adhärirt, diese vorwärts gezogen wurde.
Dafür spricht noch mehr die rasche Pterygiumbildung
bei acuter Episcleritis, wenn die oft sehr starke Schwel-
lung zurückgeht. Solcher Fälle kamen mir im letzten
Winter zahlreiche, namentlich aus dem Militair, zur Beob-
achtung. Theils nach vorangegangener chronischer Epi-
scleritis, theils ohne solche bildete sich plötzlich eine
starke Injection der betreffenden, der Lidspalte entspre-
chenden Conjunctivalpartie mit einer dem Gomealrande
benachbarten subconjunctivalen Geschwulst, die (beson-
ders am inneren Bande der comea) zuweilen von Bohnen-
28
grosse und schon bei geschlossenen Lidern sichtbar war.
Auf dem höchsten Punkte der stark gerötheten Geschwulst
bildet sich dann meist bald ein flaches graues Geschwür.
Es hat diese Affection mit phlyctänulärer (herpetischer)
Conjunctivitis einige Aehnlichkeit, unterscheidet sich aber
durch den bestimmten Sitz, durch die Grösse der gebil-
deten Geschwüre, durch das oft sehr beträchtliche tief-
liegende und unbewegliche Exsudat, durch den langsamen
Verlauf und durch das therapeutische Verhalten. Stell-
wag, welcher von Entstehung des Pterygium durch
Cornealherpes spricht, hat ofifenbar dessen Entstehung
bei acuter Episcleritis beobachtet. Es ist zu bemerken,
dass wenn auch die Affection regelmässig am stärksten
in der horizontalen Linie auftritt und immer stärker
nach innen als nach aussen von der Cornea, doch zu-
weilen bei sehr intensivem Process kleinere Exsudate
sich nachträglich auch nach unten und oben (jedoch
immer ziemlich nahe den Hauptablagerungen) bilden;
dies ist aber eine Ausnahme, die wie bemerkt nur bei
hochgradiger Affection und nebenbei vorkommt. Häufig
bilden sich entsprechend dem subconjunctivalen Exsudat
und wohl durch den von derselben bewirkten Druck
veranlasst am Rande der Cornea seichte Geschwüre,
doch ist dies keineswegs immer der Fall.
Die Affection ist hartnäckig und zeigt eine ent-
schiedene Unverträglichkeit gegen alle adstringirenden
und irritirenden Mittel Vom Druckverband, der em-
pfohlen wurde, habe ich bei Parallelversuchen keine Wir-
kung gesehen. Dagegen bewährte sich als einzig und
sicher wirksames Mittel das Atropin, auf dessen Nutzen
Becker in Wien auch aufmerksam machte. Die Er-
weiterung der Pupille hat einen sichtbaren Einfluss auf
die Rückbildung des Exsudats und der Hyperämie, die
sich bei zweckmässigem Verhalten in 4—6 Wochen voll-
ständig vollzieht. Ich war erstaunt, dabei zu beobachten,
29
dass nach Rückbildung des Exsudats regelmässig wenig-
stens ein Anfang von Pterygiumbildnng zurückblieb, an
Augen, die vorher keine Spur davon gezeigt hatten. Das
Geschwür, das sich zuweilen am Rande der Cornea bil-
det, hat hierauf wohl keinen sehr wesentlichen Einfluss,
da sich auch Pterygium bildet, wo dies Geschwür fehlt«
Es scheint vielmehr der eigenthümliche episcierale Pro-
cess dann, wenn sich das Pterygium weiter entwickelt,
auf die Cornea selbst überzugehen. Hat sich ein Ptery-
gium in der Conjunctiva gebildet, dessen Spitze zunächst
nur am Rande der Cornea liegt, so rückt dies entweder
langsam oder bei erneuten acuten Anfällen schneller vor;
man findet bisweilen vor dessen Spitze ein Hornhautge-
schwür, bisweilen nicht Oft bestehen Pterygien an bei-
den Seiten der Cornea, der inneren wie der äusseren, die
in der Mitte der Cornea zusammentreffen können, oder
es kann sich ein Pterygium quer über die ganze Cornea
hinüberziehen und die Pupille verdecken. In seltenen
Fällen habe ich bei heftiger acuter Episcleritis mit mehr-
facher Exsudatbildung um die Cornea mehrere Ptery-
gien, einmal selbst 7 entstehen gesehen. Bei chronischer
Episcleritis und Pterygiumbildnng ist die längere Instil-
lation von Atropin vom besten Einfluss und man wird
das Fortschreiten des Pterygium dadurch immer verhin-
dern, indem der episcierale Process aufhört. Ist aber
das Pterygium schon weiter vorgerückt, so giebt nach
meinen Erfahrungen die Abtragung desselben in der Art,
dass man ausser dem Pterygium ein gleich grosses Drei-
eck aus der Conjunctiva excidirt, dessen Basis der Basis
des Pterygium anliegt, dessen Spitze gegen den Canthus
gerichtet ist, und dann die Wundränder der Conjunctiva
durch eine Ligatur zusammenzieht, immer ein recht gutes
Resultat, sobald man nur das Pterygium recht genau von
der Cornea entfernt.
Bei unzweckmässigem Verhalten hat die Episcleritis
30
zuweilen ernste Folgen, da dieselbe Neigung hat, auf das
Corpus ciliare überzugehen und eine chronische Sclero-
Choroiditis anterior oder Irido-Cyclitis hervorzurufen. In
diesen F&llen, wo die Anfälle von Episcleritis sich oft
wiederholen und sehr hartnäckig sind,' sich auch meist
tiefere Homhautgeschwüre bilden, sieht man die Sclera
allmälig in ihrem vorderen Theil ectatisch und daher
durchscheinend (bläulich) werden, oft mit gleichzeitiger
Erkrankung der Iris. Es kann dies natürlich zur völ-
ligen Erblindung führen. Ich habe mehrfach Kranke ge-
sehen, deren eines Auge in solcher Weise erblindet war,
wo die Pterygiumbildung des erblindeten Auges den Hergang
nachwies, während auf dem andern Auge chronische Epi-
scleritis bestand. Auch bei dieser Gomplication thut
lange fortgesetzter Atrophingebrauch die besten Dienste.
Ich möchte als beweisend für die Abhängigkeit des
Perygium von Episcleritis wiederholen, dass unter zahl-
reich beobachteten Fällen von chronischer Episcleritis
das Pterygium sich mindestens in der Hälfte der Fälle,
wenn auch nicht immer stark entwickelt, vorfand, und
zwar oft auf einem Auge schon vorhanden, während am
anderen sich nur Episcleritis zeigte; dass in fast allen
Fällen acuter Episcleritis das Pterygium sich während
der Rückbildung derselben sichtlich entwickelte; dass
das Vorkommen beider Affectionen an bestimmten Stellen
des Auges in gleichem Verhältniss steht; dass man end-
lich durch andere Affectionen der Conjunctiva oder Cor-
nea niemals wahres Pterygium entstehen sieht
n. Trachom. Trichiasis. Symblepharon.
Ueber Begriff und Wesen des Trachom herrscht in
der ophthalmologischen Literatur unstreitig eine grosse
Verwirrung. Da diese Krankheit sich so häufig findet,
31
dass jeder Praktiker Gelegenheit hat, sich sein Urtheil
über dieselbe zu bilden, so würde ich es nicht wagen,
mich auf eine Besprechung derselben einzulassen, wenn
ich nicht Grel^enheit gehabt hätte, in kurzer Zeit viel-
leicht mehr als Andere dieselbe zu beobachten und wenn
ich nicht zur Ueberzeugung gekommen wäre, dass die
Verhältnisse einfacher sind als sie gewöhnlich dargestellt
werden. Diese Ueberzeugung stützt sich auf die Be-
obachtung von mehreren Tausend Trachom-Kranken, bei
welchen mit Bezug auf gewisse principielle Fragen sorg-
fältig die Aetiologie, das Vorkommen von Narbenbildung,
von Trichiasis, Symblepharon, und die vorangegangene
Behandlung erforscht wurden. Ohne mich auf Discus-
sion der divergirenden Ansichten einzulassen, gebe ich
in Folgendem einfach die Grundsätze, die aus den ge-
machten Erfahrungen resultiren.
Zunächst steht es für mich fest, dass Trachom, egyp-
tische Augenentzündung oder Ophthalmia militaris, eine
ganz bestimmte, specifische, locale Aflfection sui generis
der Conjunctiva ist, welche nur durch Uebertragung von
Auge zu Auge sich verbreitet und stets durch Ansteckung
wieder Trachom erzeugt Die historische Thatsache, dass
das Trachom zuerst durch Napoleons Truppen aus Egyp-
ten nach Frankreich gebracht wurde, und sich von dort
(namentlich durch die Armeen) weiter über Europa ver-
breitete, spricht für obige Ansicht. Mir drängte sich die-
selbe durch folgende Beobachtungen auf:
1. Noch jetzt sind es Egypten, Syrien, Bagdad, aus
denen fort und fort das Augenleiden hier eingeschleppt
wird. Selten leidet nur ein Mitglied einer Hausgenossen-
schaft, gewöhnlich alle, und es lässt uch fast immer die
Quelle der Aflfection nachweisen. Das Hauptcontingent
für Trachom -Leidende stellt die sehr zahlreiche Klasse
der armenischen Lastträger, welche ohne Familie stets
in grösserer Menge zusammenleben unter Verhältnissen,
32
die die Ansteckung begünstigen. Dieselben recrutiren
sich beständig durch Zuzug aus der Heimath (bei Er-
zerum) und die Ankömmlinge werden meist bald befal-
len. Unter ihnen ist die Affection recht eigentlich en-
demisch. Es ist zu bemerken, dass dieselben Christen
sind und auf Reinlichkeit und frische Luft weniger halten
als die TQrken. Unter dem türkischen Militair findet
sich Trachom zwar häufig, besonders bei denen, die aus
Syrien kommen, doch ist es hier trotz der Easernirung
nie zur Calamität geworden, was dem den Türken eige-
nen Bedürfniss für frische Luft und die häufigen Wasch-
ungen, die am laufenden Wasser, nicht aus Waschbecken,
vorgenommen werden, zuzuschreiben ist. Bei den spo-
radischen Fällen von Trachom, die in anderen Kreisen
beobachtet wurden, lag fast immer ein Moment vor, das
die Ansteckung wahrscheinlich machte.
2. Alle die zahlreichen Fälle von Trachom, die ich
gesehen habe, boten nach Erscheinung und Verlauf (un-
wesentliche Verschiedenheiten abgerechnet) dasselbe Bild.
Uebergänge in andere Krankheiten, z. B. von Trachom
in Blennorrhoe und umgekehrt, oder Mischformen, habe
ich nie gesehen, auch keine andere als zufällige oder
durch das Trachom oder dessen Behandlung veranlasste
Complicationen.
Das Wesen des Trachom besteht nach meiner Mei-
nung in einer verrucösen Degeneration der Conjunctiva.
Thatsache ist, dass sich die trachomatöse Degeneration
auf den Theil der Conjunctiva beschränkt, welcher Papillen
besitzt, also den oberen Theil der Conjunctiva Tarsi, be-
sonders des oberen Lids und die dem convexen Rande
des Tarsus benachbarte Partie des Uebergangstheils. Ent-
zündliche Erscheinungen kommen der Entwicklung des
Trachom an und für sich nicht zu; dasselbe entwickelt
sich chronisch und ohne Entzündung. Nur die localen
Verhältnisse bedingen in vielen Fällen secundäre Ent-
33
zündungs- oder ReizungserscheinuDgen. Diese hängen
ab einmal von äusseren Anlässen, von Schädlichkeiten,
die das erkrankte Organ treffen, sodann von anatomi-
schen Verhältnissen: je schlaffer, je weniger gespannt
die Augenlider, je geringer der Druck, den sie auf das
Auge üben, desto seltener sind entzündliche Erscheinun-
gen ; je straffer sie sind, um so häufiger. Die trachoma-
töse Wucherung der Schleimhautpapillen nach gesche-
hener Infection, die mit der Warzenbildung der äusseren
Haut grosse Aehnlichkeit hat, entwickelt sich, wie gesagt,
ohne merkliche Erscheinungen. Hat die Wucherung eine
gewisse Höhe erreicht, wird allerdings mechanisch ein
gewisser Reizungszustand der Gonjunctiva hervorgerufen,
der sich durch stärkere Injection und vermehrte Secre-
tion kuudgiebt, von den Kranken aber oft übersehen wird.
Es bleibt daher der Zustand oft latent, bis eine äussere
Schädlichkeit, wie Hitze, Staub u. dgl. einwirkt und nun
plötzlich eine heftige Entzündung der Gonjunctiva, oft
mit gleichzeitiger tiefer Affection der Cornea, auftritt,
was dann acutes Trachom genannt wird. Je stärker die
Spannung der Augenlider, um so leichter wird diese con-
secutive Entzündung auftreten; ja man kann sicher sein,
dass da, wo man ein heftiges „acutes Trachom*' findet,
dieser höhere Spannungsgrad immer vorhanden ist Bei
schlaffen Augenlidern kann die papilläre Wucherung sehr
hochgradig sein, ohne die mindeste Reaction hervorzu-
rufen, während bei gespannten Augenlidern das fast er-
loschene Trachom oft nach äusseren Veranlassungen noch
wiederholte heftige Entzündungen hervorruft. Macht man
bei solchen schweren consecutiven Entzündungen ergie-
bige Einschnitte in die äussere Commissur und den Mus-
culus orbicularis, so dass die Augenlider entspannt wer-
den, so tritt sofort Nachlass der Entzündung ein. Diese
Einschnitte bilden daher das wichtigste therapeutische
Mittel bei „acutem Trachom''.
ArcUr fttt OpbtliAlmoIogl«, ZIV. S. «
34
Im frischen Zastande bietet der trachomatös dege-
nerirte Theil der Conjunetiva ein ziemlich gleichförmiges,
zottiges Ansehen: die Papillen sind gleichmässig hyper-
trophirt, von kolbiger Form, mit der Neigung, am freien
Ende neue Wucherungen hervortreten zu lassen, welche
durch Gefässschlingen gebildet werden, die sich aus der
der Papille angehörigen abzweigen, welche Wucherungen
oft eine bedeutende Grösse erreichen. In anderen Fällen
sind die Wucherungen von Anfang an nur flach und tre-
ten gruppenweise auf, gleichsam eine Anzahl flacher
Warzen bildend, einem Strassenpflaster ähnlich. Erste
Form verliert nach einiger Zeit ihr gleichförmiges Aus-
sehen und wird der zweiten ähnlich, indem theils die
hypertrophirten Papillen durch den beständigen Druck
sich abplatten, theils einzelne Gruppen kleiner werden
und schwinden, während andere sich stärker entwickeln.
Bleibt das Trachom sich selbst überlassen, so kann es
allerdings, wie ich mehrfach gesehen, viele Jahre beste-
hen, ohne sich wesentlich zu verändern (am unteren Lid,
wo die Affection von Anfang an gering ist, geht sie ge-
wöhnlich rascher zurück), doch glaube ich aus mancher
Beobachtungen schliessen zu können, dass es sich schliess-
lich spontan zurückbildet und eine ziemlich normale Con-
junetiva hinterlässt. Man findet dann wohl hie und da
noch einzelne hypertrophirte Papillen, besonders am
oberen Rande des Tarsus, und die charakteristische
leichte Trübung des oberen Theiles der Cornea verräth
was vorgegangen ist. In den meisten Fällen älteren
Trachoms ist nämlich, wenn die heftigeren Entzündungen
ausblieben, ein leichter Pannus der oberen Hälfte der
Cornea (genau dem Sitze der trachomatösen Wucherungen
am oberen Lide entsprechend und durch Reibung der-
selben auf der Cornea erzeugt) nebst dem oft vorhande-
nen chronischen Catarrh der Conjunetiva die einzige Folge
des Trachoms, vorausgesetzt, dass durch therapeutische
35
Eiugrifife nicht noch andere Uebelstände erzeugt wurden.
Man hat vielfach von einer durch das Trachom bewirk-
ten Schrumpfung und sehnigen Metamorphose der Con-
junctiva gesprochen, ich habe jedoch nie eine solche
durch das Trachom entstehen gesehen', wohl aber durch
die Behandlung des Trachoms.
Es ist nicht zu leugnen, dass die vom Arzte, wenn
auch noch so vorsichtig ausgeführten, systematisch wieder-
holten Touchirungen der kranken Schleimheit mit Gau-
terien, z. B. mit; Cupr. sulf. in Substanz, niemals zu einer
völlig gleichmässigen Rückbildung des pathologischen
Zustandes führen; es bleiben nach längerer Behandlung
immer einzelne Partien, gleichsam Inseln, wo der krank-
hafte Zustand fortbesteht, während bei fortgesetzter Gau-
terisation die umgebenden Partien anfangen eine narbige
Structur anzunehmen; auch nach der Heilung bietet die
Gonjunctiva nicht ein völlig gleichmässig normales Aus*
sehen und ich glaube, die Beschreibungen von narbigen
Einziehungen u. s. w., die bei Bückbildung des Trachom
durch dieses entstehen sollen, haben hierin ihren Ur-
sprung.
Es verdient bemerkt zu werden, dass das Trachom
hier im Allgemeinen gelinder auftritt und verläuft, und
der Behandlung weniger hartnäckig Widerstand leistet,
als in Europa; so hochgradige Wucherungen wie dort
habe ich hier selten und dann meist bei Fremden be-
obachtet Es scheint, dass dies Leiden, wie manche an-
dere contagöse Krankheiten, da wo es lange endemisch
war, an Bösartigkeit verliert.
Für die Behandlung des Trachom hat sich mir ein
Verfahren, welches ich zunächst aus Bequemlichkeits-
rttcksichten, da die grosse Zahl der Trachom-Kranken
eine manuelle Behandlung unmöglich machte, einführte,
vortrefflich bewährt und zwar auch in schwereren und
hartnäckigen Fällen. Jeder Kranke erhielt eine Salbe
8*
36
von 2 — 4 Gran Cupr. snlf. auf 1 Drachme Glycerinsalbe
(bei vorhandenem Pannus mit Zusatz von Atropin) mit
der Weisung, mehrere Monate lang täglich einmal diese
Salbe einzustreichen und die Äugen fleissig kalt zu waschen.
Viele Kranken, die dieser Weisung regelmässig nachge*
kommen waren, habe ich nach Verlauf längerer Zeit
wiedergesehen und die fortschreitende Besserung resp.
Heilung constatiren können. Ich gebe jetzt sogar diesem
Verfahren den Vorzug vor der gebräuchlichen manuellen
Behandlung; ja ich möchte behaupten, dass man einer
von Trachom geheilten Gonjunctiva ansehen kann, ob sie
auf die eine oder andere Weise behandelt worden ist
Da die Salbe sich sehr gleichmässig über die Conjunc-
tivalfläche vertheilt, so ist ihre Wirkung auf jeden Punkt
derselben die gleiche; und es scheint die gelind canteri-
sirende, also alteririrende Wirkung einer solchen schwachen
Salbe besonders zweckmässig zu sein; die Gonjunctiva
zeigt während und nach der Heilung immer ein ganz
gleichförmiges Aussehen, die Krankheit bildet sich über-
all gleichmässig zurück.
Es kann diese Behandlung natürlich nur dann statt-
finden, wenn keine durch das Trachom bewirkte, entzünd-
liche Complication, also starke Conjunctivitis und tiefe
Affection der Cornea vorhanden ist (sogenanntes acutes
Trachom). In diesem Falle muss die Entzündung zuerst
beseitigt werden, was am besten durch Erfüllung der
Causal-Indication (durch Beseitigung des Liddrucks ver-
mittelst Incision der äusseren Commissur) geschieht,
nebenbei durch Kälte und Atropin. Gegen die starke
Conjunctivalschwellung kann man gewöhnlich schon gleich
mit Vortheil Touchirungen mit Lapis-Solution anwenden,
was immer vortragen wird, wenn der Liddruck beseitigt
ist. Man erreicht durch dieses Mittel immer rasch eine
bedeutende scheinbare Besserung des Trachom, in Wahr-
heit beseitigt man die Complication und f&hrt das Trachom
37
za seinem normalen Verhalten zurück. Sobald dies er-
reicht ist, kommt man mit Argent. nitric. nicht viel weiter,
man muss zum Cupr. sulf. übergehen, welches zur Be-
seitigung des Trachom das wirksamste Mittel ist
In Obigem habe ich das Bild des Trachom gegeben,
wie es sich mir bei täglicher Beobachtung typisch fest-
gestellt hat. Der Grund, warum ich zu einer einfacheren
Auffassung gelangte als Andere, mag wohl darin liegen,
dass ich hier das ächte Trachom in reiner Form in so
überwiegender Menge beobachtete, dass die wenigen Fälle
von Augenleiden, die in ihrer Erscheinung dem Trachom
verwandt sind und mit demselben verwechselt werden
können, auf die Bildung meines Urtheils keinen Einfluss
hatten, während in Europa, wo das Trachom mehr spo-
radisch zur Beobachtung kommt, gemischt mit den er-
wähnten anderen Affectionen, diese letzteren oft die Auf-
üassung verwirren. Es sind, wie ich glaube, hauptsäch-
lich 2 pathologische Zustände der Conjunctiva, welche
dazu Anlass gaben:
1. Die einfache hyperämische oder hypertrophische
Schwellung der Schleimhautpapillen. Diese kann in ge-
ringerem Grade bei einfachem Catarrh der Conjunctiva
vorkommen. Oefter und hochgradig entwickelt sie sich
im Gefolge schwererer Erkrankungen der Conjunctiva,
namentlich diphtheritischer und blennorrhoischer Affec-
tionen. Sie ist dann zuweilen recht hartnäckig und unter-
hält die blennorrhoische Secretion durch längere Zeit
(z. B. nach Ophthalmia neonat.) als chronische Blennor-
rhoe. Es ist nicht zu leugnen, dass dieser Zustand dem
Trachom sehr ähnlich sein kann, besonders wenn, wie es
unter Erwirkung von Hitze, Staub u. dgl. vorkommt, das
Trachom von chronischer Conjunctivitis mit starker eitri-
ger Absonderung begleitet ist Diese Aehnlichkeit hat
wohl Veranlassung gegeben zu den Beobachtungen von
38
Uebergängeu zwischen Trachom, Blennorrhoe und Diph-
theritis.
2. Das Arlt'sche Trachom oder körnige Tmchom,
eine Affection, die von dem wahren papillären Trachom
durchaus verschieden ist, zunächst dadurch, dass sie nicht
contagiös ist, sondern durch Miasmen erzeugt wird. Es
ist wahrscheinlich, dass wo beide Affectiouen endemisch
sind, beide gemeinschaftlich vorkommen können, da sie
durch dieselben Verhältnisse begünstigt werden, aber sie
stehen in keinem inneren Zusammenhang. Ich habe ein
gleichzeitiges Vorkommen beider in demselben Auge nie
gesehen. Hier habe ich überhaupt körniges Trachom nur
in wenigen Fällen und zwar bei Männern beobachtet,
häufig dagegen in Hamburg, nachdem dessen Vorkommen
im Jahre 1860 im dortigen Waisenhause plötzlich bei
mehreren hundert Kindern bemerkt wurde. Von dort
verbreitete es sich in die Schulen, besonders die, welche
stark überfüllt waren, aus denen mir noch mehrere Jahre
lang reichliches Material zufloss.
Die Sago- oder Fischrogen-artigen Einlagerungen in
die Conjunctiva haben ihren Sitz vorwiegend im Ueber-
gangstheil der Conjunctiva besonders des unteren Lids,
manchmal in der Conjunctiva bulbi, fehlen aber im Tar-
sartheil derselben fast ganz, erzeugen daher auch keinen
Reizzustand der Cornea, sondern nur leichte conjuncti-
vitische Erscheinungen, selbst wenn sie, wie es vorkommt,
so massenhaft sind, dass sie das untere Lid vom Bulbus
abdrängen. Gewöhnlich betreffen sie zarte, etwas anä-
mische Kinder. Der längere Aufenthalt in verdorbener
Atmosphäre ist immer die Veranlassung, durch Conta-
gium z. B. in den Familien verbreitet sich die Afifection
nicht weiter. Gefährlich habe ich dieselbe nie werden
sehen; sie heilte bei Aufenthalt in frischer Luft, guter
Diät, allenfalls etwas Eisen innerlich und einigen Tou-
chirungen mit Cuprum stets in kurzer Zeit.
39
Es ist zu bedauern, dass die Nomenclatur dieser
Affectionen die Verwirrung unterhält. Yielleicbt wäre
es zweckmässig, die Bezeichnung „Trachom" diesem kör-
nigen Trachom zu lassen und das eigentliche papilläre
Trachom wieder ausschliesslich als ägyptische Ophthalmie
zu bezeichnen, welche Benennung wenigstens den speci-
fischen Charakter dieser Krankheit aufrecht erhält und
historisch gerechtfertigt ist. Die Bezeichnung „Granu-
lation" sollte man nur symptomatisch anwenden.
Die im Orient übliche unzweckmässige Behandlungs-
weise des Trachoms bewirkt, dass trotz der durchschnitt-
lichen Gutartigkeit desselben doch sehr viele Augen in
Folge des Trachoms oder vielmehr in Folge der Behand-
lung zu Grunde gehen. Volksmässig ist es, die kranke
Gonjunctiva mit den scharf behaarten Blättern einer
Pflanze zu scarificiren, was nur den Nachtheil hat, dass
zuweilen die Haare der Blätter in der Gonjunctiva zu-
rQckbleiben, sodann kleine Stücke von Gupr. sulf. oder
Plumb. acet. von Form und Grösse der Krebssteine, die
in den Höfen der Moscheen verkauft werden, in den
Gonjunctivalsack zu bringen und dort zu belassen, wo-
durch häufig Verätzungen namentlich im Uebergangstheil
des unteren Lids entstehen, ferner auch die Gonjunctiva
mit gepulvertem Zucker zu ätzen. Die hiesigen Prak-
tiker dagegen verfolgen fast ausschliesslich das Verfah-
ren, entweder erst den Tarsaltheil der Gonj. palp. sup.
zu exstirpiren und dann scharf zu ätzen, so dass eine
starke Narbencontraction entsteht, oder nur einige Male
diese Partie der Gonjunctiva bis zur Zerstörung zu ätzen,
wodurch dasselbe erreicht wird.
Dadurch wiüd allerdings der vorzugsweise kranke
Theil der Gonjuifctiva eliminirt, aber durch die Narben-
40
contraction wird ein anderer üebelstand erzeugt. Da
die CoDjunctiva mit dem Tarsus sehr innig zusammen-
hängt, so ist die nothwendige Folge der Narbencontrac-
tion, dass der obere und der untere Band des Tarsus
gegen einander gezogen werden, dass der Tarsus kahn-
förmig gekrQmmt wird, mit der Convexität nach aussen,
der Concavität gegen den Bulbus gerichtet. Da die Rich-
tung des Lids und folglich auch der Cilien durch den
Tarsus bestimmt wird, so ist die natürliche Folge, dass
Entropium oder Trichiasis, wie man es nennen will, ent-
steht Es ist wahr, dass auf die Richtung der Cilien un-
abhängig vom Tarsus auch die Spannung der Haut einen
Einflttss hat, dass zuweilen sogar Trichiasis (nämlich
Distichiasis) eintritt, ohne dass der Tarsus seine Form,
geändert hat, indem die Conjunctivalnarbe nur die Haut
des freien Lidrandes und damit einzelne Cilien gegen
den Conjunctivalsack einzieht; doch ist dies, der fast
regelmässigen Verbiegung des Knorpels gegenüber, von
geringer Bedeutung. Nebensächlich vorhanden ist eine
gewisse Dehnung des Haarbodens der Cilien (also Disti-
chiasis-Biidung) freilich in vielen Fällen, am ausgespro-
chensten da, wo eine Spannung der Haut von beiden
Seiten auf den Haarboden wirkt, wie in den Fällen, wo
man, um die Trichiasis zu heben, eine horizontale Haut-
falte aus dem oberen Lid ausgeschnitten hat Dies ist
neben der völligen Abtragung des Haarbodens die einzige
hier übliche Methode zur Heilung der Trichiasis, die
freilich begreiflicherweise nie zum Ziele führt, da sie
die unregelmässige Form des Tarsus, die die Trichiasis
bedingt, nicht alterirt Ich habe viele Fälle von Tri-
chiasis operirt, wo vorher alle Haut zwischen Cilien und
Supercilien excidirt war, so dass beide unmittelbar in-
einander übergingen. Der einzige Erfolg der Hautexci-
sion in diesen Fällen war eine starke Distichiasis-Bildung
der Art, dass der Haarboden der Cilien bis zu 4'*^ Breite
41
gedehnt war und dass, während die innerste Reihe Cilien
gegen die Cornea gerichtet war, die äussersten nach
aussen und oben ragten.
Aus Obigem erklärt sich, warum von den hier zur
Behandlung kommenden Trachomkranken durchschnittlich
die Hälfte zugleich mit Trichiasis behaftet ist, was na-
türlich wieder ein häufiges Vorkommen von schweren
Hornhautaffectionen, Leucom- und Staphylom- Bildung,
bedingt. Bei der grossen Anzahl von Trichiasis-Eranken,
die mir zu Gesicht kamen, fand ich die oben geschilderte
Entstehungsweise der Trichiasis jedesmal; ich bemerke
ausdrücklich, dass die horizontale Narbe im Tar-
saltheil der Conjuuctiva (einstweilen spreche ich
von der Trichiasis des oberen Lids) niemals fehlte,
wo Trichiasis vorhanden war, und ich glaube da-
her, dass durch Trachom allein niemals Trichiasis ent-
steht, sondern dass diese immer Folge eines durch Cau-
terisation oder Excision bewirkten Substanzverlustes der
Conjunctiva ist Während der fortgesetzten Beobachtung
von Trachomen, die z. B. mit der oben erwähnten Salbe
behandelt wurden, sah ich nie Narbenbildung, Trichiasis
oder Symblepharon entstehen, oft dagegen fand ich dies
Alles schon wenige Wochen, nachdem das Trachom be-
merkt und nur eine oder zwei Aetzungen vorgenommen
waren, vorhanden« Die geschilderte Formveränderung
des Tarsus fehlte nur in seltenen Fällen, meistens fühlte
man dieselbe sofort mit dem aufgelegten Finger.
Der erste Grad von Trichiasis besteht, wenn die
Richtung der Cilien derart verändert ist, dass ihre Con-
vexität nicht nach unten, sondern mehr oder weniger nach
hinten gerichtet ist, doch ohne dass sie die Cornea be-
rühren. Es gehört hierzu schon eine bedeutende. Ver-
krümmung des Tarsus, die eine Drehung des freien Lid-
randes um fast 90^ bedingt Dieser Zustand erzeugt
nicht nur eine chronische Reizung des margo palp. infer.
42
durch die GUien des oberen Lides beim Lidschluss, son-
dern scheint auch durch die ungleichmässige Berührung
der Cornea durch das obere Lid, besonders durch einen
vom unteren Rande des Tarsus auf dieselbe geübten
Druck, die Hornhaut zu incommodiren, wenigstens er-
klärt sich mir so die bedeutende Erleichterung, welche
die Kranken nach Beseitigung dieses Zustandes verspü-
ren. Deshalb wird dieser erste Grad von Trichiasis
häufig schon einen operativen Eingriff indiciren. Der
zweite Grad von Trichiasis besteht, wenn ausser der
oben erwähnten Veränderung in der Richtung der Cilien
einzelne derselben wegen vorhandener Distichiasis mehr
als die übrigen nach hinten gerichtet sind und die Cornea
berühren; zuweilen ist es nur eine, gewöhnlich nicht sehr
viele. Der dritte Grad ist vorhanden, wenn sämmtliche
Cilien der Hornhaut anliegen; in diesem Falle muss der
freie Lidrand eine Drehung von mindestens 90^ gemacht
haben und die Verkrümmung des Tarsus eine sehr be-
trächtliche sein.«
Der zweite und dritte Grad indicirt unter allen Um-
ständen eine operative Beseitigung. Von den vorhan-
denen Operationsmethoden dürfte wohl die Snellen'sche
am directesten den vorhandenen ursächlichen Fehler, die
&l8che Krümmung des Tarsus, beseitigen. Die J aesche-
Arlt'sche Operation ist mühsamer, kann zur Nekrose
des betreffenden Lidtheils führen, bedingt Substanzverlust
der Haut und lässt die Tarsuskrümmung bestehen. Die
Snellen'sche Methode habe ich im vorigen Sommer nach
ungefährer Schätzung (denn zu genauer Buchführung
fehlte die Gelegenheit) etwa 600 mal ausgeführt und ich
muss gestehen, dass ich wenig andere chirurgische Ope-
rationen kenne, welche so sicher und vollständig ihren
Zweck erfüllen wie diese. In den seltenen Fällen, wo
der Erfolg unzureichend, und ich genöthigt war, die Ope-
ration zu wiederholen, war fast immer ein Fehler in der
Ausführung die Ursache; ebenso in den noch seltneren
Fällen, wo Nekrose einer Hautpartie eintrat; ^entweder
waren dann die Ligaturen zu nahe oder zu fest eingelegt
oder die Conjunctiva eingeschnitten). In den meisten
Fällen war 3—4 Tage nach der Operation Alles verheilt
und einige Wochen später weder von der Trichiasis,
noch auch kaum von der Operation eine Spur vorhanden.
Fttr die Ausführung ist Folgendes zu erinnern: Der von
Snellen angewandte Apparat zur Abhaltung der Blutung
ist unnöthig — eine einfache Homplatte thut dasselbe.
Den horizontalen Schnitt durch Haut und Muskel lege
ich auf der Höhe die Gonvexität des Tarsus an und
schneide gleich bis auf diesen. Das Dreieck aus der
ganzen Breite des Tarsus, dessen Basis von IV«— 2Vs'"
von der vorderen Fläche des Tarsus gebildet wird, dessen
Spitze die Coigunctiva berührt, muss bis ganz an die
seitlichen Ränder des Tarsus excidirt werden, weil man
sonst eine Infraction des steifen Knorpels nicht aus-
führen kann. Die Conjunctiva darf, wenigstens in wei-
terer Ausdehnung, nicht incidirt werden, weil sonst Ne-
krose zwischen den Ligaturen eintreten kann. Die zwei
oder höchstens drei Ligaturen müssen durch den oberen
Schnittraud des Tarsus und dann genau zwischen der
vorderen Fläche des unteren Theils des Tarsus und dem
Muskel hinabgeführt werden, so dass sie im freien Lid-
rand hinter den Cilien austreten; die Nadel gleitet
sehr leicht zwischen Tarsus und Muskel durch, so dass
man an dem grösseren Widerstände gleich fühlt, wenn
man die Ligatur falsch führt. Die Ligaturen müssen
fest, aber nicht zu stark angezogen werden; dadurch
wird die Infraction des Tarsus und die Herstellung seiner
normalen flachen Form bewirkt; folglich nimmt auch der
freie Lidrand wieder eine horizontale Richtung an und
die Trichiasis ist beseitigt Obgleich die Hautwunde
nicht vereinigt wird, heilt sie doch fast immer per pri-
44
mam inteutionem, die Ligataren werden ausgestossen,
doch habe ich einige ein Jahr nach der Operation ent-
fernt Die durch die Ligaturen erzeugte Einschnürung
des Lidrandes bleibt selten lange sichtbar.
Der Einwand gegen dieses Verfahren, dass man, um
den Zweck zu erreichen, genöthigt sein könne, ein Ectro-
pium zu erzeugen, widerlegt sich durch den sehr grossen
Effect, den die durch diese Operation veränderte Rich-
tung des freien Lidrandes (aus der verticalen in die ho-
rizontale Lage) auf die Stellung der Cilien haben muss.
Waren die Cilien vorher nach unten gewendet, so werden
sie jetzt nach vom gerichtet sein, waren einzelne nach
innen gekehrt, so werden diese jetzt nach unten stehen.
Es ist wahr, dass in einigen Fällen nach Herstellung der
Form des Tarsus einzelne Haare eine Richtung nach ab-
wärts behalten, doch ohne die Hornhaut zu berühren und
daher ohne wesentlich zu schaden. Diese mag man dann,
wenn sie lang sind, zeitweilig ausziehen; auch kann man
es so einrichten, dass man die Ligatur gerade hinter
einer solchen besonders stark rückwärts gerichteten Cilie
hindurchführt, wodurch sie dann in die Einschnürungs-
stelle fällt und eine stärkere Richtung nach aussen be-
kommt. Ein Ectropium oder ein Abstehen des Lidrandes
von der Cornea habe ich nie bewirkt, und doch ist mir
kein Fall von Trichiasis vorgekommen, für den diese Me-
thode nicht ausgereicht hätte. Dass ich in den seltenen
Fällen, wo eine Verkrümmung des Knorpels nicht be-
stand, sondern nur die Haut des freien Lidrandes und
die Cilien nach innen gezogen waren, dieselbe Methode
mit dem besten Erfolge geübt habe, erscheint paradox,
erklärt sich aber daraus, dass in diesen Fällen eine ge-
ringe Wirkung zum Erfolge ausreicht und dass eine ge-
ringe Biegung des Tarsus nach vom noch kein patho-
logisches Abstehen des Lidrandes bedingt, welcher einen
gewissen Spielraum für die Drehung gegen die Cornea
45
oder von derselben ab zu besitzen scheint, innerhalb
dessen seine Stellung eine normale bleibt.
Weniger zafrieden bin ich mit den Resultaten bei
Behandlung der Trichiasis des unteren Lids. Der Tarsus
spielt bei derselben keine Rolle, es entsteht daher hier
nicht so leicht Trichiasis, wozu immer schon ein hoch-
gradiger Substanzverlust der Conjunctiva des unteren
Lids erforderlich ist. Dieser trifft dieselben meistens im
Uebergangstheil; sei es, dass mit Substanz ge&tzt wurde,
sei es, dass anhaltend flüssige Gauterien in den Con-
junctivalsack gebracht wurden. Die Folge ist ein mehr
oder weniger ausgedehntes Symblepharon. Durch die
hierdurch erzeugte Spannung der Haut des Lidrandes
wird der Haarboden gedehnt und gegen die Goiyunctiva
gezogen; es entsteht Distichiasis und die innersten Haare
berühren die Cornea. So leicht es nun auch in den mei-
sten Fällen ist, durch einfaches Anlegen einiger Liga-
turen mit oder ohne Ganthoplastik den Lidrand so weit
nach aussen zu drehen, dass die Gilien nicht mehr die
Cornea berühren, oder dasselbe durch Excision aus der
Lidhaut in dieser Weise T zu erreichen, so ist dies doch
hier in der That nur durch Erzeugung eines mehr oder
minder starken Ectropiums möglich, welches freilich oft
so gering ist, dass es nicht hindert Sobald aber das
Symblepharon hochgradig ist, lässt sich auch das Ectro-
pionniren nicht ausführen und es bleibt nur die mangel-
hafte Aushülfe des Expilirens. Das von Herzen stein
hierfür angegebene Radicalverfahren hat mir nicht das
gewünschte Resultat gegeben.
Eine weitere häufige Folge der hiesigen Trachom-
Behandlung ist die Entstehung von Symblepharon. Dieses
Wort bezeichnet eben den Zustand, in welchen der Con-
junctivalsack durch jeden erlittenen Substanzverlust ver-
46
setzt wird, sobald derselbe verbellt ist Jeder Substanz-
verlast bedingt durch seine Heilung eine Verkleinerung
des Sackes. Ist ein Theil der Conjunctiva zerstört, z. B.
excidirt, so heilt die Wunde, indem die Wundränder,
welche sich räumlich am nächsten sind, gegen einander
gezogen werden; dabei wird der Theil der Conjunctiva,
welcher locker verschiebbar ist, stets mehr gegen eine
solche Partie, die fest an der Unterlage haftet, (Tarsal-
theil und Cornealrand,) herangezogen als umgekehrt. Da
der Substanzverlust selten die Conjunctiva im Ganzen,
sondern fast immer nur einen Theil derselben betrifft,
so ist die Folge der Ausgleichung eines solchen Sub-
stanzverlustes eine ungleichmässige Spannung, also Falten-
bildung im Conjunctivalsack. Wie wir oben gesehen haben,
betrifit der Substanzverlust sehr häufig den Uebergangs-
theil des unteren Lids; da am Tarsus die Conjunctiva
fest haftet, wird die Conjunctiva bulbi herbeigezogen
werden mQssen; da diese auch in nicht grosser Entfer-
nung fest dem unteren Rande der Cornea adhärirt, wird
hier leicht schon eine starke Spannung eintreten, die sich
dadurch äussert, dass sich stark vorspringende Falten
mit der Richtung von der Cornea gegen den Lidrand
bilden. Bei etwas stärkerem Substanzverlust wird der
Conjunctivalsack an dieser Stelle schon sehr flach sein;
und nicht selten findet sich kaum noch Conjunctival-
substanz zwischen der äusseren Haut und dem Corneal-
rande. Noch häufiger trifft der Substanzverlust den
Tarsaltheil des oberen Lids; in diesem Falle wird, da
die Wundränder fest an der Unterlage, nämlich den
Tarsalrändern, adhäriren, die Conjunctiva nicht zur Aus-
gleichung des Verlustes herbeigezogen werden können;
es folgen vielmehr, wie oben gezeigt, die Tarsusränder
selbst dem Zuge und es entsteht Verkrümmung des Knor-
pels. Wird weiter geätzt und excidirt, bis über den con-
vexen Tarsusrand hinaus, so wird von oben her Substanz
47
herbeigezogen, die dort wegen der Tiefe des Sackes reich-
lich vorhanden ist. Da ausserdem dieser Theil der Con-
junctiva den schädlichen Einflüssen weniger exponirt ist
als die untere Partie des Sackes, so kommt es zu voll-
ständigem Symblepharon am oberen Lide sehr selten,
gewöhnlich bleibt dort ein Theil der Gonjunctiva erhal-
ten. Der Grund dafür ist der eben angeführte, nicht
aber, wie man angegeben hat, die Thränendrüse, deren
Mündungen ganz gut bei starkem Symblepharon bis dicht
an die Cornea herangezogen werden können und deren
Secret nicht im Stande ist, etwas zu hindern, was überall
nicht zu hindern ist, nämlich dass jeder Substanzverlust
der Gonjunctiva heilt, und einen Defect, d. h. Symble-
pharon, zurücklässt, der genau der Grösse des Substanz-
verlustes entspricht. Eine Neubildung von Substanz an
Stelle der zerstörten Gonjunctiva findet nicht statt —
ist alle Gonjunctiva zerstört, so besteht eben absolutes
Symblepharon. Einer beschränkten Dehnung ist die Gon-
junctiva freilich fähig, und so findet sich, wo starke
Spannung besteht, zuweilen eine durch die Dehnung ver-
änderte (rarificirte) Gonjunctiva, die den Eindruck einer
fibrinösen Neubildung machen kann. Man kann sich die
Entstehung des Symblepharon, ohne zu irren, ganz me-
chanisch vorstellen, weil die Gonjunctiva dabei einfach
mechanischen Gesetzen folgt. Den negativen Gharakter
des Symblepharon betone ich, weil dasselbe noch häufig
in den Lehrbüchern als eine essentielle Neubildung, von
der es Arten und Unterarten giebt, dargestellt wird, für
die man eine besondere Aetiologie, Prophylaxe und The-
rapie aufgestellt hat Solche Darstellungen sind princi-
piell falsch. Man kann in der That Nichts thun, um
ein Symblepharon zu verhüten, wenn einmal ein Sub-
stanzverlust der Gonjunctiva gesetzt ist; derselbe wird
stets nach denselben Gesetzen heilen und stets den ent-
sprechenden Grad von Symblepharon zurücklassen. Eine
48
Heilung wäre nur denkbar, wenn man Schleimhaut io
den Conjunctivalsack transplantiren könnte (Ausge-
schlossen ist natürlich nicht, dass man locale Trans-
plantationen der Conjunctiva von solchen Stellen, wo sie
reichlicher vorhanden ist, vornehmen kann, um den Nach-
theil eines partiellen Symblepharon auszugleichen, also
die Wirkung eines localen Defects über einen grösseren
Theil der Conjunctiva zu vertheilen.)
Ebenso steht fest, dass Symblepharon niemals durch
das Trachom an sich hervorgerufen wird, sondern immer
ein Eunstproduct ist, eine Folge von Excisionen oder
von unzweckmässigen Cauterisationen der Conjunctiva.
Dies ist der Grund, weshalb es sich hier im Orient sehr
häufig findet. Das Symblepharon hat, wenn es nicht zu
hochgradig ist, an und für sich keinen absolut schäd-
lichen Einfluss, gewöhnlich nur durch die gleichzeitige
Trichiasis. Ich habe einige Male bei sehr ausgedehntem
Symblepharon die Trichiasis operativ beseitigt und da-
durch einen ganz erträglichen Zustand der Hornhäute
erzielt.
in. Betinitis pigmentosa.
Mit Bezug auf die Pigmententartung der Retina, die
sich hier ausserordentlich häufig, relativ häufiger als in
Deutschland findet, möchte ich auf einen Punkt aufmerk-
sam machen. Ich habe regelmässig die Frage auf Bluts-
verwandtschaft der Eltern gestellt, und nicht ein einziges
Mal wurde mir dieselbe bestätigt. Dagegen fand sich
in den meisten Fällen Syphilis vor; und wurde dieselbe
von den Kranken gewöhnlich direct als Ursache ihres
Leidens beschuldigt. Dr. Kugel sagte mir, dass er in
Bukarest (wo gleichfalls syphilitische Krankheiten sehr
häufig sind) dieselbe Beobachtung gemacht hat.
49
lY. Gataractoperation.
Obgleich ich nicht im Stande bin, wegen fehlender
Aufzeichnungen eine genaue Statistik der hier zahlreich
vorgenommenen Cataractoperationen zu geben, kann ich
doch nicht unterlassen, meinerseits den immensen Fort-
schritt zu bestätigen, den durch Einführung des von
Graefe'schen Operationsverfahrens die practische Augen-
heilkunde gemacht hat. Um so dankbarer werden die-
jenigen dies anerkennen, welche, wie ich es hier bin, ge-
nöthigt sind, die meisten Operationen unter den alier-
ungünstigsten äusseren Umständen auszuführen. Ich
würde niemals gewagt haben, die meisten hier gemachten
Operationen nach dem älteren Extractionsverfahren aus-
zuführen, während dieselben, sämmtlich nach v. Graefe's
Methode ausgeführt, trotz der ungünstigen äusseren Ver-
hältnisse ein fast sicheres Resultat erzielten.
Die Kunst des Staarstecbens ist im Orient noch
ziemlich ausschliesslich in den Händen von Empirikern.
In Stambul geniesst ein alter Türke, der in einem Caf6
sitzend, seine Klienten empfängt und operirt, das meiste
Vertrauen. Diesen Operateuren dient zur Ausführung
eine stumpfe silberne Nadel oder konische Sonde, die
sie in drehender Bewegung durch die Sclera führen, um
dann die Cataract zu deprimiren, worauf der Patient
nach Hause geht und sich selbst überlassen bleibt. Ge-
^vöhnlich tritt Entzündung mit starker Ciliarneuralgie
ein, und die Augen gehen an Cyclitis oder dergleichen
zu Grunde; in wenigen Fällen (wohl nur, wenn die Linse
wieder aufsteigt und theil weise resorbirt wird) lässt eine
Nachoperation Heilung zu. Sehr selten sind, soviel ich
beobachtet habe, die Erfolge, aber doch nicht seltener,
als die der mit Pariser Diplomen und Instrumenten ver-
sehenen levantinischen Aerzte, welche Reclinationen ver-
Arohiv fttr Ophthalmologl«, XIV, S. 4
60
Qben. Zuweilen sah ich bei ganz klarer Pupille und
dem Fehlen sonstiger Ursachen nach der obigen Opera-
tion Erblindung durch Netzhautablösung, was vielleicht
eine Folge des Eingehens durch die Sclera ist, so dass
auch aus diesem Grunde ähnliche Operationen zu ver-
werfen wären.
üeber verBehiedene Verftndemngen des Astigma-
tümiis onter dem EinflnuBe der Aeoomiiioda^iL
Von
Dr. W. Dobrowsky.
(Auf der Klinik des Trot Ed. Junge in St Peterslrarg.)
Die Rolle der Accommodation beim Astigmatismus, die
Bedeotang ihrer Tbätigkeit bei demselben bildet bis jetzt
eine der dunkeln Seiten der Ophthalmologie.
Nach den gegenwärtig in der Wissenschaft herr-
schenden Anschauungen findet die günstigste Bedingung
für das deutlichste Sehen der Astigmatiker dann statt,
wenn die Netzhaut des astigmatischen Auges ein Strahlen-
bündel vom leuchtenden Punkte in der Mitte der Brenn-
strecke, an der Stelle, wo der Querschnitt derselben fast
eine runde Form besitzt, und wo daher das Bild vom
leuchtenden Punkte, obgleich es im Zerstreuungskreise
erhalten wird, dennoch eine runde, der normalen sich am
meisten n&hemde Form besitzt, aufnimmt Auf Grund
dessen reducirt man die ganze Tbätigkeit der Accommo-
dation bei Astigmatismus nur darauf*), dass mit ihrer
* jfiie Anomalien der Befraetion und Aocommodation des Auges*',
von Bonders. Wien, 1866. Seite 408.
52
Hülfe ein Strahlenkegel die Netzhaut in der Mitte der
Brennstrecke durchschneidet, dass folglich die Astigma-
tiker niemals ein völlig deutliches und scharf umschrie-
benes Bild von den Gegenständen auf ihrer Netzhaut er-
halten, sondern dieselben immer in Zerstrenungskreisen
sehen.
„Ob der Grad des Astigmatismus bei allen Accom-
modationszuständen genau der nämliche bleibt, oder ob
die Accommodationsthätigkeit unter irgend welchen Um-
ständen einen vorhandenen Astigmatismus vermehren,
vermindern, verändern kann, — ob wie Giraud-Teu-
lon wohl nur conjecturirt , Astigmatismus der Linse
durch eine besondere Art von Accommodationsspasmus,
eine ungleichmässige Gontraction des Ciliarmuskels be-
wirkt werden kann, — das sind zur Zeit noch offene
Fragen," sagt Dr. A. Nagel in seinem Handbuche.*)
Die Tiiätigkeit der Accommodation beim Astigmatis-
mus überhaupt aufzuklären, und einen Versuch zur Ent-
scheidung der Fragen, auf die Nagel hinwies, zu machen,
war unsere Hauptaufgabe bei unseren Beschäftigungen
mit Astigmatigmus.
Astigmatismus kann durch krampfhafte Ver-
kürzung des Ciliarmuskels vollständig ausge-
glichen und aufgehoben werden. Selbstverständ-
lich muss eine ungleichmässige Verkürzung aller Fasern
des Accommodationsmuskels dazu eine unvermeidliche
Bedingung sein. Die Excursion der Muskel Verkürzungen
muss dabei in den Fasern, welche in der Richtung des
*) „Die Befraotioiu- und AocommodationA-AnomaUen des Augei/'
Tttbingva 1866. Seite 145.
53
Meridians mit dem Minimum der Krümmung verlaufen,
grösser und stärker sein, und war um so viel gi*ö8ser,
als die durch den Bau gegebene Refraction dieses Meri-
dianes im Vergleich mit dem Meridiane mit dem Maxi-
mum der Krümmung vermindert ist. Denn nur unter
dieser Bedingung wird eine annähernd gleiche Refraction
in beiden Meridianen ermöglicht.
Der Gedanke an eine ungleichmässige Verkürzung
des Ciliarmuskels wurde in Form einer Vermuthung von
Oiraud-Teulon ausgesprochen; die Möglichkeit einer
solchen Verkürzung giebt Knapp*) zu, obgleich bis
jetzt keine Facta vorhanden gewesen sind, die ihn unter-
stützt hätten.
Der oben ausgesprochene Gedanke fällt am ehesten
und von selbst bei häufigen Untersuchungen Astigmati-
scher ein. Trotz der grossen Menge von Astigmatikern,
die in die Petersburger ophthalmologische Klinik kamen,
die im Laufe der letzten zwei und ein halb Jahre fast
alle von uns untersucht wurden, hörten wir kein ein-
ziges Mal von ihnen die Klagen, die dem Astigmatismus
ausschliesslich allein eigenthümlich sind, selbst bei hohen
Graden desselben, Klagen über Verkrümmung und Ent-
stellung der Gegenstände u. dgl. m. Astigmatiker klagen
selbst selten über schlechte Sehschärfe; im Gegentheil
beschränken sie sich auf Klagen über sehr starke As-
thenopie, darüber, dass sie n'ir kurze Zeit deutlich sehen
können. Wir wollen z. B. einen Astigmatiker mit H. =
Vso ^^^ Ah. = Vie nehmen. £r ist 34 Jahre alt, mit
seinen Augen ist er von Kindheit auf unzufrieden; aber
seine Klagen beschränken sich darauf, dass er nur auf
kurze ^eit ausgezeichnet die feinsten Gegenstände sehen
kann, dass darauf seine Augen bald ermüden, und Alles
mit Nebel bedeckt wird. Jaeger Nr. l konnte er auf T\
•) „Archiv Air Ophthalmologie'', Band VDI. 2, Seite 210.
54
aber Dur nicht lange, lesen. Wenn man solche Kranke
untersucht, so fSUlt es schwer, sich mit dem Gedanken
auszusöhnen, dass sie alle, besonders die feinsten Gegen-
st&nde, immer nur in Zerstreuungskreisen sehen* dass
sie niemals eine völlig scharfe und deutliche Sehschärfe
besitzen. Es kommt im Gegentheil der Gedanke, da^^s
die Astigmatiker durch Anspannung der Accommodation
nicht nur ihre Hypermetropie, sondern auch deu Astig-
matismus selbst neutralisiren können, in den Sinn.
Bei einer solchen Ansicht über die Sache war es am
natürlichsten, dass wir uns an solche Fälle von Hyper-
metropie wandten, wo dieselbe ganz, oder ihr grösster
Theil, wie man vermuthen konnte, durch Krampf ver-
deckt war, in denen jedoch bei der sorgfältigsten Unter-
suchung mit der stenopäischen Spalte sich nicht nur keine
deutlichen, sondern bisweilen sogar gar keine Anzeichen
von Astigmatismus erwiesen; Fälle, die mit der stärksten
Asthenopie und mit einer unzureichenden Sehschärfe ver-
bunden waren. Und wir unterwarfen Augen, die die er-
wähnten Erscheinungen zeigten, einer anhaltenden und
energischen Einwirkung von Atropin, um den uns lei-
tenden Gedanken factisch zu erproben. In der That,
unsere Erwartungen wurden erfüllt: bei einigen Patien-
ten, die vor Anwendung des Atropin keine Anzeichen
von Astigmatismus gezeigt hatten, erwies sich nach ihr
Astigmatismus, und bisweilen in bedeutendem Grade.
Wir wollen einige dieser Fälle beschreiben.
1. Fräulein N. S., 24 Jahre alt, kam in die Klinik
am 16. Juni 1867 mit der Klage über schnelles Ermüden
beim Lesen, verbunden mit Schmerz in deu Augen und
in der Gegend über den Brauen, und über dabei vor den
Augen auftretenden Nebel. Die Augen waren in . der
Gegend des Aequators stark erweitert, die Pupillen eng.
Auf 20 Fuss las Patientin mit jedem Auge einzeln Snellen
Nr. XL, dem linken Auge half Couvex bis Vse; S. war damit
56
^'Vio- Dem rechten Auge halfen dieselben Gläser, die
Sehschärfe war jedoch nur ^/^ Bei der Untersuchung
mit der stenopäischen Spalte erwies sich keine Verschie-
denheit in der Refraction der Hauptmeridiane. In jedem
Meridiane einzeln sah Patientin mit und ohne Gläser,
wie es ihr schien, subjecti? besser, die Sehschärfe nahm
dabei jedoch nicht zu. Mit + V40 konnte sie Jseger Nr. I
kaum erkennen.
Die Gefasse des Sehnerven und der Netzhaut waren
erweitert, die Papille im Zustande starker Injection. Nach
zwei Tagen, nach dreimaliger Anwendung von trockenem
Atropin für beide Augen, war von sphärischen Gläsern
Vis die höchste Nummern, die eine deutlichere Sehschärfe
in der Ferne gab; die Sehschärfe betrug jedoch nur ^750-
Bei der Untersuchang mit der stenopäischen Spalte wurde
im horizontalen Meridiane H. = Vi8 9 ^^ verticalen H.=
V«o gefunden; Ah. fast Vie ; S. = "/jo* Folglich erreichte
die Sehschärfe der Patientin mit Vie c-CVeo s. im lin-
ken Auge denselben Grad, den sie vor der Lähmung der
Accommodation mit Vse allein besessen hatte; im rechten
Auge stieg sie mit den erwähnten Gläsern sogar von
*®/4o auf "/jo- Mit Vse war fftr die Ferne die Sehschärfe
jetzt nur 'Vio* ^i^ haben im gegebenen Falle also einen
deutlichen Beweis einer Ausgleichung des Astigmatismus
durch eine besondere Art von Accommodationskrampf
vor Augen.
Der Unterschied in der Sehschärfe des rechten und
linken Auges, welcher bei der Untersuchung vor der An-
wendung des Atropin gefunden wurde, wird dadurch er-
klärt, dass der Krampf im rechten Auge bedeutend hart-
näckiger war: während er im linken Auge schon nach
einer einmaligen Anwendung von trockenem Atropin voll-
ständig verschwunden war, wurde im rechten Auge der-
selbe Erfolg erst nach einer dreimaligen Anwendung von
trockenem Atropin erreicht
66
Die AccommodatioD begann am Tage nach der Ans-
Setzung des Atropin wiederzukehren; nach vier Tagen
konnte Patientin schon JsBger Kr. 2 lesen. Zugleich mit
dem Wiedereintritt des Krampfes verschwand auch nach
und nach der Unterschied in der Refraction der Meri-
diane, und nach sechs Tagen endlich zeigte sich gar
kein Astigmatismus mehr. Dabei war der Krampf bedeu-
tend starker, als vor der Anwendung des Atropin bei
der ersten Untersuchung; die ganze Hypermetropie war
latent, so dass sphärische Convexgläser die Sehschärfe
verschlechterten. Die Sehschärfe in der Ferne war jetzt
schlechter, ohne Gläser beinahe = *V4o*i roit VieCcVeoS
war sie = ^Vso- Beini Lesen half ihr am besten ihre
frühere blaugefarbte Brille Veo« die ihr auch vor der
Hand zum Tragen gegeben wurde.
Im October kam Patientin wieder mit der Klage
über Schmerzen in der Stirn, die bei ihr periodisch auf-
traten, in die Klinik. Convex bis V« verbesserten und
verschlechterten nicht die Sehschärfe; S. war beinahe
= »740- Bei der Untersuchung der Hauptmeridiane ge-
sondert, erwies sich im verticalen die Sehschärfe = ^/^^
im horizontalen ^740; schwache Convexgläser wurden hier-
bei ertragen, ohne dass sie zur Sehschärfe etwas beige-
tragen hätten. Dennoch war jetzt, im Vergleich mit der
ersten Untersuchung vor der Anwendung des Atropin,
ein wenn auch geringer Unterschied in der Sehschärfe
der Hauptmeridiane. Patientin konnte Jaeger Nr. 3 lesen,
aber nicht sogleich, sondern sie war genöthigt, sich an
die Schrift zu gewöhnen, und hierbei erschienen ihr, wenn
sie irgend eine Zeile fixirte, die übrigen verdoppelt
Mit Genehmigung der Patientin unterwarfen wir ihre
Augen einer andauernden Einwirkung des Atropin. Ihr
wurde eine Lösung desselben (atrop. sulph. gr. j , aq. destil.
dr.j) zum täglichen Gebrauche, dreimal des Tages an-
zuwenden, gegeben. Da der Krampf jetzt bedeutend
57
hartnäckiger war, so wich er dem Atropin bedeutend
langsamer als das erste Mal, so dass nach Anwendung
von Atropin im Laufe dreier Wochen der Krampf noch
nicht vollständig geschwunden war, und erst dann, als
eine Blntentziehung vermitteist des Heurteloup'schen Ap-
parates vorgenommen wurde, völlig schwand und eine
eben solche Refraction der Hauptmeridiane gefunden
wurde, wie nach der ersten Anwendung des Atropin im
Juni. Nur war die Sehschärfe jetzt unvollständiger, als
damals. Im Augengrunde waren keine Veränderungen
vorhanden. Die Schmerzen in der Stirn hatten nach der
Blutentziehung abgenommen und der Patientin fiel das
Sehen leichter.
Nach dem Aussetzen des Atropin kehrte die Accom-
modation nach vier Tagen wieder; hierbei ertrug Pa-
tientin sphärische Gläser nur bis Vse« ohne jegliche Zu-
nahme der Sehschärfe; S. war == ^V^o- Der Unterschied
in den Meridianen begann zu schwinden, so dass sie im
verticalen bis Veo? im horizontalen bis V24 ertrug, die
Sehschärfe war hierbei wie auch ohne Gläser; in beiden
= ^Vio- ^^^ Beschäftigungen wurde ihr eine Brille von
Y^gC c VßoS bestimmt, damit sie sich nach and nach an
dieselbe gewöhnen sollte. Nach einigen Wochen las sie
mit derselben besser und eine längere Zeit, als in der
ersten Zeit nach ihrer Verordnung. Die Gewöhnung an
die Brille war durch Catarrh der Schleimhaut der Augen-
lider erschwert,
2. J. A., Student, 24 Jahre alt, klagte am 5. Octbr.
1867 über Symptome von Asthenopie; dieselbe war zum
ersten Mal vor ungefähr zwei Jahren aufgetreten und
hatte in der Folge so zugenommen, dass Patient nur im
Laufe von fünf Minuten lesen konnte. £ine Brille von Vm
hatte ihm die Beschäftigungen erleichtert; aber er hatte sie
verloren. In den Sommermonaten 1867 hatte er sich mit
nichts beschäftigt und konnte danach eine längere Zeit
58
lesen; iu der letzten Zeit trug er eine Brille von + 36;
mit dieser Brille konnte er gegen vier Stunden, ohne
zu ermüden, lesen, musste jedoch beim Lesen das Buch
hftufig nähern und entfernen, den Kopf oder das Buch
zui' Seite wenden, um einige Buchstaben besser zu erkennen.
Für uns persönlich ist dieser Fall besonders desa-
halb interessant, dass wir, noch bevor wir an eine Unter-
suchung gingen, nach den Erzählungen des redseligen
Patienten allein schon Astigmatismus diagnosticirten, in-
dem wir uns hierbei hauptsächlich durch das Wenden
des Kopfes zu Seite beim Lesen, das bei den Astigmati-
keni oft charakteristisch ist, leiten Hessen. Patient wurde
in Gegenwart einiger Cpllegen untersucht
Auf 20' las Patient Snellen Nr. XX ohne Gläser,
mit Vsa s^h er sie deutlicher, mit Vs8 schon schlechter.
Bei der Untersu( hung mit der stenopäischen Spalte zeigte
sich kein Unterschied in den Meridianen ; im Gegentheil,
wie wir auch die Spalte vor dem Auge hielten, — hori-
zontal, vertical oder schräg, — in jedem Meridian konnte
Patient ohne Gläser Nr. XX lesen, und Convexgläser,
nur bis Vse« verbesserten die Sehschärfe; Vts verschlech-
terten sie schon. Patient war dabei ungemein genau in
seinen Antworten und fand beständig zwischen Vse i^Qd
Vss in allen Meridianen einen grossen Unterschied, indem
er sagte, dass Vse die höchste Nummer war, mit der er
deutlich Nr. XX sah, dass Vm bedeutend die Sehschärfe
verschlechterte.
Die Collegen lächelten über mich, als sie die Aut-
worten des Patienten, die dem Anschein nach jeden Ge-
danken an Astigmatismus ausschlössen, hörten. Zur Recht-
fertigung unserer Diagnose brachten wir dem Patienten
zwei Mal trockenes Atropin in beide Augen.
Hierauf erwies sich in beiden Augen im horizontalen
Meridiane H. = Vb» ^^ verticalen H. = Vii; S. war in
beiden = «^/^o, Ah. fest Vso- Mit V9 und Vu sphärisch
59
konnte Patient schon nicht mehr Nr. XX lesen, und
selbst Nr. XXX sah er nicht deatlich.
Mit der Rückkehr der Accommodation begann der
Unterschied iu den Meridianen zu schwinden. Drei Tage
nach der Anwendung von A tropin wnrde im horizontalen
Meridiane H.= Vii» i^i verticalen = Vu gefunden, und
endlich verschwand der Astigmatismus nach einigen Tagen
vollständig. In dem Maasse, als der Astigmatismus aus-
geglichen wurde, wurde dem Patienten die ihm bestimmte
Brille von VsoCcViiS» die in der ersten Zeit ihn zu-
friedengestellt hatte, mehr und mehr lästig und er selbst
verstauchte sie endlich mit einer von Vm, die ihn nur
beim Sehen in die Ferne befriedigte; beim Lesen feiner
Schrift nimmt er jedoch seine Zuflucht zu einer sphärisch-
cylindrischen Brille. Wir riethen ihm, seine Augen einer
andauernden Einwirkung von Atropin zu unterwerfen,
um die Neigung des Ciliarmuskels zum Krampf zu ver-
mindern, aber Patient konnte wegen seiner Beschäfti-
gungen darauf nicht eingehen.
3. A. 6., Engländer, Student der Universität, [19
Jahre alt, klagte am 26. October 1867 über Asthenopie
und Schwäche des Sehvermögens, an der er schon von
Kindheit auf leidet. Die Augen haben bei der äusseren
Besichtigung eine hypermetropische Form; auf 20' liest
er mit jedem Auge Snellen Nr. L. Zu sphärischen Con-
vexgläsern verhielt er sich mit grossem Indifferentismus ;
von Vso beginnend, bis Vso machten sie für das rechte
Auge die in der Feme gehaltenen Buchstaben der Snel-
len'schen Schrift etwas deutlicher, ohne übrigens die Am-
blyopie irgend wie zu vermindern; das linke Auge er-
trug nur ohne jegliche Verbesserung solche Gläser bis
Vi«. Bei der Untersuchung mit der stenopäischen Spalte
las er mit dem rechten Auge im horizontalen Meridiane
Nr. L und in Nr. XL den Buchstaben V allein, sphä~
60
rische Gläser bis Vis machten dieselben Buchstaben deut-
licher; im verticaien Meridiane war die Sehschärfe eine
gleiche; sphärische Gläser wurden bis V40 ^^ ^^S^n- D&s
linke Auge sah im horizontalen Meridiane No. L. und
den Buchstaben V. in No. XL., sphärische Gläser bis Vie
ertrug es ohne jegliche Verbesserung oder Verschlechte-
rung der Sehschärfe; im verticalen Meridiane war die
Sehschärfe eine gleiche und Gläser wurden bis V40 er-
tragen.
Im gegebenen Falle fanden wir nur einen unbedeu-
tenden Unterschied in der Refraction der Hauptmeridiane,
der dadurch, dass Patient im horizontalen Meridiane stär-
kere Nummern von Gläsern ertrug als im verticalen, aus-
gedrückt war; im rechten Auge machten diese Gläser
das Sehen deutlicher; dabei blieb jedoch die Sehschärfe
sowohl mit den Gläsern, als auch ohne dieselben eine
gleiche, so dass gar keine charakteristischen Symptome
eines regelmässigen Astigmatismus vorhanden waren.
Wenn man auch nach den bis jetzt in der Wissenschaft
herrschenden Anschauungen Astigmatismus hätte diagno-
sticiren können, so hätte es nur der unregelmässige sein
können.
Indem wir uns durch frühere Fälle leiten Hessen,
hofften wir auch im gegebenen Falle regelmässigen Astig-
matismus zu finden und die Sehschärfe bedeutend zu er-
höhen und unterwarfen zu diesem Zwecke den Patienten
einer energischen Einwirkung von Atropin. Der Erfolg
übertraf unsere Erwartungen.
Im linken Auge war der Krampf . heftiger als im
rechten. Im letzteren war er nach vier Tagen bei täg-
licher Anwendung einer Atropinlösung (atrop. sulph. gn j
auf aq. dest. dr. j), dreimal täglich gebraucht, verschwun-
den, während er im linken erst nach 9 Tagen verschwand.
Dabei erwies sich die Refiraction beider Augen völlig
gleich; im horizontalen Meridian war H. = Vei ^m ^^rti-
61
oalen ^ Vin A.h. = fast Vis; die Sehschärfe war in beiden
Augen eine gleiche; in jedem Meridiane einzeln war sie
nach der Correction = **/4o. Wenn wir aber dem Pa-
tienten eine Brille von Vis^cVuS gaben, las er
mit jedem Auge einzeln und mit beiden zusam-
men Snellen No. XXX, und nicht allein XL, wie
man hätte erwarten müssen. Die Accommodation
kehrte im linken Auge, wo sie dem Atropin langsamer
gewichen war, bedeutend schneller wieder als im rechten.
Als der Krampf wiederzukehren begann, fing der Astig-
matismus an abzunehmen; eine Woche nach der Aus-
setzung des Atropin betrug derselbe = Vit- ^^^ Pa-
tienten wurde die erwähnte Brille, die seinen Astigma-
tismus und seine Hypermetropie vollständig corrigirte,
verordnet, und da seine Augen zwei Wochen lang der
Wirkung des Atropin ausgesetzt gewesen waren, so war
die Neigung zum Krampf dadurch bedeutend geschwächt
und Patient gewöhnte sich sehr schnell an die Brille und
war mit einer Sehschärfe, die = ^V2o betrug, vollkommen
zufrieden. Jaeger Ko. I. las er völlig bequem.
Ausserdem kamen uns andere ähnliche Fälle von
Astigmatismus vor; so z. B. erwies sich in einem Falle
mit H. = Vi8 uöd S. = *Vso beim B'ehlen eines Unter-
schiedes in der Refraction und der Sehschärfe der Haupt-
meridiane, nach einer energischen Anwendung von Atropin
im horizontalen Meridiane H.==V8i ^^ verticaleu H.=Vio,
As. = Vio- Diese Patientin litt an sehr heftiger Asthe-
nopie, die sie aus weiter Ferne nach Petersburg zu reisen
gezwungen hatte, damit sie sich hier von ihren Kopf-
schmerzen curire.
Aber wir halten es für völlig überflüssig, eine solche
genaue Beschreibung der einzelnen Fälle hier fortzusetzen,
da sie alle mehr oder weniger einander ähnlich sind.
Sie charakterisiren sich dadurch, dass sie 1) gar
keine deutliche Anzeichen von regelmässigem Astigma-
62
tismas zeigen, dass diese erst nach der Anwendung von
Atropin auftreten. 2) Fälle von latentem Ästig-
matismus sind häufig mit bisweilen bedeutender Am-
blyopie verbunden, welche zumTheil durch angeborenen
unregelmässigen Astigmatismus, mit dem der regelmässige
complicirt wird, zum Theil durch den hartnäckigen Cha*
rakter des Krampfes, unter dessen Einfluss die Linse eine
ungleichmässige Wölbung annimmt und dadurch noch
einen temporären unregelmässigen Astigmatismus her-
vorbringt, erklärt wird; andererseits werden in Folge des
Krampfes die Netzhaut und die Papille des Sehnerven
selbst hypcrämisch, und zwar um so stärker, als der
Krampf grösser ist, was seinerseits wiederum nicht ohne
Einfluss auf die Sehschärfe bleiben kann. Besonders
müssen alle die Fälle, die bisher unter dem allgemeinen
Namen des unregelmässigen Astigmatismus bekannt sind,
und namentlich die unter ihnen, in denen geringe Grade
von Hypermetropie mit hohen Graden vom Amblyopie
verbunden sind, unseren Verdacht auf latenten regelmäs-
sigen Astigmatismus erregen. 3) In einigen hierher ge-
hörigen Fällen wird die Diagnose des regelmässigen
Astigmatismus bedeutend durch die ophthalmoskopische
Untersuchung des Augengrundes im aufrechten und um-
gekehrten Bilde erleichtert, wobei die Papille sich ver-
längert und sich in die Breite, bald in der einen, bald
in der anderen Richtung, wie dies von Schweigger
deutlich auseinandergesetzt worden ist, ausdehnt 4) Der
Krampf zeichnet sich in den erwähnten Fällen durch eine
besondere Hartnäckigkeit aus, er wird häufig trotz der
anhaltenden Anwendung von trockenem Atropin ungemein
langsam vernichtet und kehrt, nachdem man Atropin aus-
gesetzt, sehr schnell wieder. Daher dürfen wir uns in
den Fällen, wo wir latenten Astigmatismus in Verdacht
haben, nicht mit einer einmaligen Anwendung des Atropin
begnügen, sondern müssen nothwendigerweise die Anwen^
63
düng desselben im Laafe einiger Tage so lange fortsetzen,
bis alle Schwankungen in der Refraction and in der Seh-
schärfe des betreffenden Auges verschwunden sind. 5) Dem
hartnäckigen Charakter des Krampfes entsprechend, leiden
alle hierher gehörigen Patienten an Asthenopie. Die hef-
tigsten und hartnäckigsten Formen der letzteren fanden
wir in Fallen von latentem Astigmatismus, und daher
glauben wir, dass die Unheilbarkeit der Asthenopie, auf
die Donders hinweist, in einigen Fällen durch latenten
Astigmatismus erklärt werden kann.
Daher bedürfen alle Patienten mit den angegebenen
Erscheinungen einer energischen und anhaltenden An-
wendung von Atropin; dann kann man hoffen, einerseits
dass die Zahl der Fälle von unregelmässigem Astigma-
tismus, die einer Gorrection unzugänglich sind, abnehmen,
andererseits, dass die Asthenopie selbst einer Heilung
mehr zugänglich sein werde.
Auf dem Wege der klinischen Beobachtungen von
einer wirklichen Ausgleichung des Astigmatismus durch
eine partielle Gontractur des Ciliarmuskels überzeugt,
wünschten wir, diese Thatsache einer experimentellen
Prüfung zu unterwerfen, um nach Möglichkeit die Be-
dingungen, unter denen am ehesten und leichtesten solche
Verkürzungen entstehen und ihren compensirenden Ein-
fluss auf den Astigmatismus aufzuklären. Zu diesem
Zwecke brachten wir, wie Stell wag*) und Donders**)
empfehlen, vermittelst Vereinigung verschiedener Gläser,
cylindrischer und sphärischer, in unseren Augen künst-
lich verschiedene Formen und Grade von Astigmatismus
*) Lehrbneh der practifloben Augenheilkunde, Wien 1867; S. 788.
^) Die Anomalien der Refiraotion und Aooommodation de« Angea,
Wien 1866, 8. 899.
64
hervor, indem wir hierbei die die Sehschärfe betreffenden
Erscheinungen beobachteten. Wir beschäftigten uns da-
mit im Laufe dreier Wochen täglich einige Stunden und
wir wollen die Resultate unserer Beobachtung hier mit
Hinweisung auf die Versuche, durch welche sie gewonnen
wurden, mittheileu.
Vor Allem machten wir es uns zur Aufgabe, uns von
der Richtigkeit der in der Wissenschaft herrschenden Er-
klärung zu überzeugen, dass die ganze Thätigkeit der
Accommodatiou bei den Astigmatikern nur darauf ge-
richtet ist, dass die Brennstrecke in ihrer Mitte, dort,
wo sie eine runde Form besitzt, mit der Netzhaut zu-
sammenfalle und dass ihre gegenseitige Begegnung die
günstigsten Bedingungen für das Sehen der Astigmatiker
gewähre.
Zur Prüfung dieser Erklärung war es am geeignet-
sten, sich an die Formen von Astigmatismus zu wenden,
in denen im Sinne der angeführten Erklärung die Ac-
commodation am wenigsten eine auffallende Rolle spielt,
in denen ihre Thätigkeit ohne Nachtheil für die Sehschärfe
aufgehoben werden kann, — nämlich an hohe Grade von
myopischem Astigmatismus. Wenn wir z. B. vermittelst
VioC c VioS in beiden Augen künstlich Astigmatismus in
gleichem Grade hervorbringen und darauf in dem einen
Auge die Accommodatiou lähmen, so ist es klar, dass
1) für das Auge mit gelähmter Accommodatiou beim
Nähern feiner Gegenstände, z. B. der Jäger'schen Schrift,
eine bestimmte und scharf begrenzte Entfernung, in wel-
cher dieses Auge am deutlichsten die Jäger'sche Schrift
lesen kann, existiren muss; 2) dass diese Entfernung der
deutlichsten Sehschärfe sich nicht auf 5'' und nicht auf
IC vom Auge, sondern irgendwo zwischen 5" und 10"
befindet; 3) dass diese Entfernung der deutlichsten Seh-
schärfe für das Auge mit der gelähmten Accommodatiou
und für das mit der nicht gelähmten Accommodatiou eine
65
annähernd gleiche sein muss; heide Augen müssen in
gleicher Entfernung die Jäger'sche Schrift gleich deutlich
und leicht, natürlich unter der Bedingung möglichst voll-
ständiger Ruhe der Accommodation in dem Auge, welches
der Einwirkung des Atropin nicht unterworfen worden
war, lesen können.
Zum angegebenen Zweck wurde in das rechte Auge
trockenes Atropin gebracht; in demselben erwies sich,
ebenso wie in der Folge im linken, H. = Vio- ^^^ Ac-
coramodationsbreite war = V^isi- Bei Versuchen mit
Gonvexgläsern wurde gefunden:
Mit Vio^ l>ei horizontaler Richtung der Krümmungs-
axe erwies sich, wenn wir Jäger'sche Schriftproben all-
mälig den Augen näherten, dass für das rechte Auge
di^ günstigste Entfernung ungefähr auf 15 oder 14'' war;
in dieser Entfernung konnte dasselbe Jäger No. 10 lesen
und selbst einige Buchstaben in No. 6 erkennen; wenn
wir die Schrift näherten oder entfernten, verschlechterten
wir die Sehschärfe: Auf 15" waren die Zerstreuungskreise
für das rechte Auge quer gelagert, für das linke hatten
sie eine Längsrichtung. Das linke Auge konnte zu
gleicher Zeit ohne Theilnahme der Accommodation auf
7" und 8" No. 10 der Jäger'schen Schrift nicht erkennen.
Accommodatijnsanatrengung und Verengerung der Lid-
spalte leisteten eine bedeutende Hülfe, so dass das linke
Auge deutlich NolO u. 6 mühsam lesen konnte; für No. L
konnte es genau auf 6" und 5" accommodiren, nur war der
ActdesAccommodirens selbst äusserst schwierig und ermü-
dend. Dabei gelang es für No. 1 nicht immer gleich,
sondern bisweilen erst nach mehreren vergeblichen Ver-
suchen, zu accommodiren. Es ist bemerkenswerth, dass
man zum Lesen von No. 1 ein gewisses mittleres Maass
der Accommodation anwenden musste, dass dazu eine
gewisse besondere Geschicklichkeit erforderlich war. —
Wenn wir die Accommodation etwas über dieses Maass
Arohiv fOr Ophthalmologie, XTV, 3. 5
66
hinaus anspannten, so verlängerten sich die Buchstaben
und verschwammen untereinander, so dass man gar nichts
erkennen konnte.
Wenn wir zu VioC noch ViqS hinzufilgten, so war
der günstigste Abstand f&r die Sehschärfe des rechten
Auges auf ungefähr 7"; hierbei konnte man No. 10 u. 6
lesen und selbst einige Worte in No. 3 erkennen; bei
Mithülfe der Lider verbesserte sich die Sehschärfe; weiter
als in dem angegebenen Abstände waren die Buchstaben
in die Länge, näher — in die Breite ausgedehnt Das
linke Auge konnte m derselben Zeit sehr scharf und
deutlich No. 1, jedoch in näherer Entfernung gegen ö"
und 4:" lesen; die Accommodation war fflr dieselbe be-
deutend leichter und vollständiger.
Mit VmC und VsoS war bei horizontaler Richtung
der Krümmungsaxe die günstigste Stelle für die Seh-
schärfe des rechten Auges, wie auch bei VioC allein, auf
15''; da aber bei der Gombination VsoC c VioS der Astig-
matismus selbst geringer war, obgleich die Myopie im
verticalen Meridiane sowohl in diesem als in jenem Falle
= Vio vt^» ^ ^^ ^^^^ ^^^ Sehschärfe grösser: Buch-
staben von No. 10 und 6 sah das rechte Auge bedeutend
besser und schärfer, als mit VioC allein und konnte selbst
einige Worte in No. 3 erkennen. Das linlfe Auge konnte
mit derselben Gombination auf 15'' genauer für No. 6
und 3 accommodiren, aber der Act der Accommodation
war schwierig; auf 7" konnte es scharf und deutlich und
mit grosser Leichtigkeit alle Nummern der Jäger'schen
Schrift lesen. Bemerkenswerth ist es, dass auf 17", 20'',
wo das linke, nicht gelähmte Auge die Zeilen in Zer-
streuungskreisen in der Längsrichtung, das rechte die-
selben Reihen in queren Zerstreuungskreisen sah, die
Buchstaben quer verschwommen erschienen. Das linke
Auge musste sich, um sie in queren Zerstreuungskreisen
zu sehen, auf 5" und 3" nähern.
67
Mit VsoC konnte das rechte Auge Jäger No. 10 auf
27" erkennen; aber den für die Sehschärfe günstigsten
Abstand zu bestimmen fiel schwer; bald schien er weiter
als 20", bald wiederum näher, gegen 18"; näher jeden-
falls als auf 15" konnte das rechte Auge No. 10 nicht
erkennen; die Verengerung der Lidspalte half dabei nicht
Das linke Auge konnte alle Nummern der Jäger'schen
Schrift in näheren Abständen ohne merkliche Anstrengung
der Accommodation lesen, dabei waren die Buchstaben
jedoch mit Nebel bedeckt; bei Anspannung der Accom-
modation wurden dieselben deutlicher und vergrösserten
sich im Vergleich zu früher; im Vergleich zu VjoC war
eine Combination der Gläser V20C c V20S vortheilhafter
für die Sehschärfe.
Mit VioC und — V«oS konnte das rechte Auge No. 10
in keiner Entfernung erkennen: das linke konnte auf 6"
und 3" No. 10, 6 und 3, jedoch mit starker Anspannung
der Accommodation und mit Mithülfe der Lider nicht
ganz deutlich lesen; bisweilen gelang es auch für No. 1
zu accommodiren; ohne Anstrengung der Accommodation
jedoch wurden die Zeilen in No. 1 doppelt, die eine
dunkel, die andere heller, in denen man dennoch einige
Worte erkennen konnte, gesehen. Die Gewohnheit hat
bei dieser Form des Astigmatismus eine grosse Bedeu-
tung für eine genaue Accommodation. Ueberhaupt er-
schwerten wir, wenn wir zu VioC? hei horizontaler Rich-
tung der Krümmungsaxe, sphärische Concavgläser hinzu-
fügten, die Accommodation, da hierbei die queren Zer-
streuungskreise sich vergrösserten.
Mit VioC bei verticaler Richtung der Krümmungsaxe
war der Abstand der deutlichsten Sehschärfe für das
rechte Auge auf circa 14", so dass dasselbe, besonders
mit Hülfe der Lider, No. 10 und 6, bisweilen sogar No.3,
wenngleich nicht deutlich, erkennen konnte; dabei er-
schienen die Buchstaben dem rechten Auge in der Längs-
6»
68
richtung, dem linken in querer Richtung ausgedehnt.
Verengerung der Lidspalte verbesserte die Sehschärfe.
Das linke Auge konnte hierbei alle Nummern der Jäger-
sehen Schrift, jedoch nur in näheren Entfernungen, auf
6'' und 5", deutlich lesen.
Wenn wir noch VioS hinzufügten, so war der Ab-
stand der deutlichsten Sehschärfe für das rechte Auge
auf circa 7", so dass es bei Mithülfe der Lider sogar
No. 1 lesen konnte. Hierbei war der Raum, in welchem
das rechte Auge No. 1 sehen konnte, äusserst beschränkt;
man brauchte nur auf V2'' vorwärts oder rückwärts zu
geben, so wurde No. 1 vollständig undeutlich Auf 7''
und 15'' sah das rechte Auge die Buchstaben der Jäger-
schen Schrift, vornehmlich in Zerstreuungskreisen der
Längsrichtung das linke dagegen in solchen der Quer-
richtung. Für das rechte Auge hatten die Buchstaben
einen etwas anderen Umriss, sie waren vornehmlich in
die Breite ausgedehnt, während das linke bei genauer
Accommodation die Buchstaben in allen Richtungen gleich
vergrössert sah. Das linke Auge konnte für No. 1 sehr
genau auf 3" und 4*' accommodiren.
Mit V20C und V20S, bei verticaler Richtung der Krüm-
mungsaxe, war der vortheilhafteste Abstand auf circa 14'',
so dass hier das rechte Auge No. 10, 6 und zum Theil
No. 3 erkennen konnte. Verengerung der Lidspalte war
von grossem Nutzen. Bemerkenswerth ist es, dass in
einer Entfernung von 20", in der das rechte Auge No. 10
noch sehen konnte, das linke, in dem die Accommodation
nicht gelähmt war, diese Nummer nicht erkennen konnte;
quere Zerstreuungskreise waren für dasselbe grösser als
für das rechte. Dafür konnte auf 5'' und 7" das linke
Auge alle Nummern scharf und deutlich lesen, während
sie das rechte hauptsächlich in Zerstreuungskreisen der
Längsrichtung sah, ohne sie lesen zu können.
Mit V20C, bei verticaler Richtung der Krümmungsaxe,
69
konnte das rechte Auge mit MQhe Nr. 10 auf 25 '^ auf
lö" schon Nr. 6 lesen; dabei sah es die Buchstaben vor-
nehmlich in Zerstreuungskreisen der Längsrichtung, wäh-
rend sie das linke in Zerstreuungskreisen der queren
Richtung sah ; das linke konnte in denselben Entfernun-
gen dieselben Nummern nicht erkennen, es sah sie je-
doch scharf und deutlich auf 8" und 5", und zwar
besser auf 5'' als auf 8". Verengerung der Lidspalte
erleichterte bedeutend die Accommodation, sie gelang je-
doch auch ohne Theilnahme der Lider.
Mit Vö^ konnte das rechte Auge, wenn es die Lid-
spalte verengerte, Nr. 10 auf 6" erkennen; mit Vs^ -
— V15S ^^h ^s ^uu besten auf circa 13". Das linke Auge
zu derselben Zelt für Nr. 1 genau zu accommodiren, ge-
lang nur bisweilen nach den schwersten Anstrengungen
seitens der Accommodation und der Lider, aber nur in
näherer Entfernung. Die Accommodation gelang hierbei
nur für einzelne Zeilen und Worte, die übrigen er-
schienen dabei alle verdoppelt; daher konnte man nicht
von einer Zeile auf die andere frei überspringen, sondern
musste, wenn man die eine Zeile beendigt hatte, die Ac-
commodation für die andere aufs Neue einstellen. Des
Morgens nach dem Schlaf gelang bei Vs c - — Vio s die
Accommodation leichter und schneller, als des Abends,
Menn die Augen ermüdet waren.
Mit V7C sah das rechte Auge am besten auf 10",
mit V7CC — V14S auf circa 15", so dass es Nr. 3 er-
kennen konnte.
Mit VioCC — V20S konnte das rechte Auge Nr. 10
auf 25" erkennen, sah jedoch Nr. 10 und 6 besser auf
circa 17". Das linke Auge konnte Nr. 1 auf 7" und 5"
völlig deutlich lesen.
Ueberhaupt besteht der ganze Unterschied zwischen
gleichen Graden von künstlichem myopischen Astigmatis-
mus, in denen die Erümmungsachsen cylindrischer Gläser
70
eine vollkommen umgekehrte RichtuDg haben, darin, dass
dabei verschiedenartige Zerstreuungskreise erhalten wer-
den, und davon eine grössere oder geringere Leichtigkeit
der Accommodation abhängt Mit Vt ^ z. B. bei hori-
zontaler Richtung der ErQmmungsachse haben auf 7"
vom Auge die Zerstreuungskreise vornehmlich für beide
Augen, wenn die Accommodation in beiden im thätigen
Zustande ist, eine verticale Richtung, d. h. die Buch-
staben sind in die Länge ausgedehnt; aber eine Accom-
modation für Nr. 1 ist, wenn auch nicht völlig genau,
da die Buchstaben in querer Richtung unter einander
etwas verschwommen bleiben, möglich. Je mehr wir die
Schrift dem Auge nähern, um so mehr verringern sich
die Zerstreuungskreise der Längsrichtung und vergrös-
sem sich die queren Zerstreuungskreise, und verschlech-
tert sich zugleich damit die Sehschärfe. Wenn wir sphä-
rische Convexgläser zu Hülfe nehmen, vermindern wir
den Astigmatismus und verkleinern zugleich die queren
Zerstreuungskreise und vergrössern die der Längsrich-
tung; dadurch wird die Accommodation erleichtert und
genauer und für längere Zeit möglich gemacht. Daher
sind bei horizontaler Richtung eines cylindrischen Glases
für die Sehschärfe zusammengesetzte Formen von myo-
pischem Astigmatismus vortheilhafter, als einfache. Wenn
wir sphärische negative Gläser hinzufügen, verschlechtem
wir die Sehschärfe und erschweren die Accommoda-
tion; dabei vergrössern sich die unüberwindlichen queren
Zerstreuungskreise und in Folge der der Längsrichtung
verdoppeln sich die Zeilen. Aber auch hier hat die Ge-
wohnheit eine grosse Bedeutung: bei den ersten Ver-
suchen mit VioCC — V20S konnten wir nur Nr. 10 und
Nr. 6, bei starker Anstrengung aber Nr. 3 erkennen;
durch Uebung kamen wir aber so weit, dass wir Nr. 1
erkennen konnnten.
Dagegen erschienen bei verticaler Richtung der Erüm-
71 .
mungsachse von V7 c die Buchstaben auf 7 '* quer ver-
schwommen; und es war keine Möglichkeit, für sie zu
accommodiren. Bei Annäherung der Schrift verkleinerten
sich die queren Kreise, die Längskreise dagegen ver-
grösserten sich und machten die genaueste Accommoda-
tion möglich. Die Hinzufügung sphärischer positiver
Gläser vergrösserte die queren Kreise und erschwerte
ungemein die Accommodation, so dass dieselbe nur in der
geringsten Entfernung möglich war. Dagegen verklei-
nerte die Zuhilfenahme sphärischer negativer Gläser die
queren und vergrösserte die Längskreise, und erleichterte
dadurch zugleich die Accommodation und machte sie ge-
nauer und weniger ermüdend.
Wir halten es für nothwendig, uns in Bezug auf die
Richtung der Zerstreuungskreise überhaupt auszusprechen,
darüber, dass über dieselben selbst bei der genauesten
Aufmerksamkeit es sehr schwer fallt zu urtheilen, da ihre
Grösse sich bei der geringsten Aenderung der Entfer-
nung und des Zustandes der Accommodation häufig än-
dert: in der einen Richtung zu-, in der andern abnimmt
Daher sind auch Widersprüche in den Angaben hinsicht-
lich ihrer Richtung möglich. Es ist bemerkenswerth,
dass Dr. Rudneff, der dieselben Versuche dem Anschein
nach unter ganz denselben Bedingungen machte, bei glei-
cher Entfernung der Schrift vom Auge für seine Augen
bisweilen ganz entgegengesetzte Zerstreuungskreise er-
hielt, als wir dabei für unsere Augen fanden. Noch
merkwürdiger ist der Umstand, dass ich selbst, mit den-
selben Gläsern und dem Anschein nach unter gleichen
Bedingungen zu verschiedenen Zeiten meiner Beschäfti-
gungen für meine eigenen Augen verschiedene, einander
völlig entgegengesetzte Zerstreuungskreise erhielt. Aber
welche Richtung die Zerstreuuugskreise für meine Augen
zu der Zeit hatten, wenn sich in ihnen die Accommoda-
tion in thätigem Zustande befand, — wenn ich nur in dem
72
einen (rechten) Auge die Accommodation durch Atropin
vernichtete, hatten die Zerstreuungskreise für dieses Auge
stets im Vergleich mit dem andern (linken) bei densel-
ben Formen und Graden des Astigmatismus und in glei-
cher Entfernung eine völlig entgegengesetzte Richtung
und wenn das linke Auge die Buchstaben in Längskreisen
sah, sah das rechte sie in queren Kreisen, und umge-
kehrt.
Wenn man die Erümmungsachse von Vio ^ &us der
verticalen Lage in eine schräge, z. B. nach links brachte,
so nahmen die Zeilen der Schrift eine schräge Richtung
an und neigten sich dabei auf die der Erümmungsachse
des Glases entgegengesetzte Seite, so dass ihre rechten
Enden dabei höher zu stehen kamen, als die linken; die
Buchstaben selbst waren dabei gekrümmt und entstellt,
an ihnen traten Spitzen und Fortsätze au£ Wenn die
Neigung der Erümmungsachse des Glases zur Seite nicht
gross war, so wurden die Zeichen und Buchstaben durch
Anspannung der Accommodation allein und mit Mithülfe
der Augenlider gerade gemacht Und es scheint, dass
unbedeutende Neigungen durch Accommodationsanstren-
gung allein, ohne jegliche Theilnahme der Lider, beson-
ders bei einiger Uebung, compensirt werden konnten.
Dass bei diesem Vorgänge, bei diesem Gerademachen der
Zeilen und Worte die Accommodation unabhängig von
Verengerung der Lidspalte und anderen Momenten eine
thätige Rolle spielte, ist schon daraus ersichtlich, dass
in dem der Wirkung des Atropin unterworfenen Auge
diese Verkrümmung bei gleicher Neigung des Glases zur
Seite stets bedeutend unvollständiger und schwieriger,
so grosse Anstrengungen dabei auch seitens der Lider
vorgenommen wurden, als im andern Auge, wo die Ac-
commodation erhalten war, ausgeglichen /wurde.
Bei bedeutender Neigung der Erümmungsaxe des
Glases gelingt es durch Anspannung der Accommodation
73
und Verengerung der Lidspalte nur zum Theil, die Zeilen
und Buchstaben gerade zu machen; um einen vollen
Effect zu erlangen, muss man entweder den Kopf oder
die Schrift nach der Seite der Richtung der Krümmungs-
axe oder aber nach der entgegengesetzten Seite neigen«
Wenn wir bei einer Neigung des Glases nach links den
Kopf nach derselben Seite neigen, so nimmt dabei die
Krümmungsaxe des Glases in Bezug auf das Auge eine
horizontale Lage an; wenn wir dagegen den Kopf nach
rechts neigen, so geben wir der Krümmungsaxe des
Glases in Bezug auf das Auge eine verticale Richtung.
In beiden Fällen wird der Effect ein gleicher sein, nur
werden die Zerstreuungskreise eine entgegengesetzte
Richtung haben, wovon auch eine grössere oder gerin-
gere Leichtigkeit der Accommodation abhängt. In beiden
Fällen ist eine Accommodation für Jaeger Nr. 1 in den
geringsten Entfernungen von der Schrift möglich. Bei
Neigung des Kopfes nach rechts nach der der Krüm-
mungsaxe des Glases entgegengesetzten Seite ist die
Accommodation, wie es scheint, vollständiger und leichter,
als bei der Neigung des Kopfes nach links, da man da*
bei vornehmlich Zerstreuungskreise der Längsrichtung
erhält Nach denselben Regeln werden die Zeilen und
Buchstaben gerade gemacht, wenn die Krümmungsaxe
des Glases nach rechts geneigt ist.
Indem wir die Versuche mit zur Seite geneigten cy-
lindrischen Gläsern zu der Zeit, wo die Accommodation
des rechten Auges durch Atropin vollständig gelähmt
war (hierbei wurde besondere Aufmerksamkeit darauf
verwandt, dass der Winkel der Neigung der Krüm-
mungsaxe vor beiden Augen ein gleicher war, zu wel-
chem Zweck wir uns eines leuchtenden Punktes bedien-
ten), wiederholten, erhielten wir folgende Eigenthümlich-
keiten: 1. Für's rechte Auge waren die Zeilen und Buch-
staben nach der Seite gelegt und gekrümmt, nach wel-
74
eher die Erflmmungsaxe des cylindrischen Glases gerich-
tet war, während sie fQr's linke Auge auf die der Axe
entgegengesetze Seite geneigt waren; 2. das rechte Auge
konnte diese Verkrümmung, wenn sie nicht gross war,
ohne Neigang des Kopfes oder der Schrift darch Veren-
gerung der Lidspalte compensiren, jedoch nur theilweise
und unvollständiger als das linke Auge, welches cseteris
paribus mit Hülfe der Accommodation die Verkrümmung
völlig ausglich; für das rechte Auge blieben die Buch-
staben dennoch in einer schrägen Stellung.
Wenn wir künstlich niedrige Grade von myopischem
Astigmatismus hervorbrachten, und auf 20' Entfernung
auf die Snellen'sche Schrift sahen, so war hierbei, wie
man auch erwarten musste, kein bedeutender Unterschied
in der Sehschärfe beider Augen, von denen im rechten
die Accommodation gelähmt war. Wir machten hierbei,
da im rechten Auge H. = V40 war, behufs der Gleichheit
der Bedingungen« dessen Refraction stets der des linken
Auges dadurch gleich, dass wir zu den Gläsern, die den
Astigmatismus hervorbrachten, noch + VioSt ^^ dieHyper-
metropie corrigirte, hinzufügten. Obgleich beim myopi-
schen Astigmatismus weder die Entfernung, in der wir
die Schrift betrachteten, noch die myopische Refraction
der Augen selbst in irgend einer Weise die Accommodations-
anspannung beförderten, empfanden wir, sowohl ich, als
mein College, welcher gleichzeitig mit mir mit demselben
sich beschäftigte, beim Sehen in die Feme in den Augen
eine gewisse Spannung, welche durchaus nicht vom Blinzeln
mit den Lidern abhing, sondern nach unserer subjectiven
Empfindung eine Aehnlichkeit mit Accommodationsan-
spannung besass.
Im Zusammenhange damit konnten wir bisweilen be-
merken, dass wir bei wiederholten Versuchen, in die
Ferne zu sehen, besser und deutlicher sahen, als gleich
nach dem Aufsetzen der Brille bei den ersten Versuchen >
75
Es verdient der Umstand Aufmerksamkeit, dass bei
gleicher Brennweite zweier positiver Gläser, eines cylin-
drischen und eines sphärischen, wenn wir sie abwech-
selnd vor das Auge stellten, die Sehschärfe stets grösser
war, wenn wir durch das cylindrische Glas sahen, beson-
ders wenn die Krümmungsaxe des cylindrischen Glases
eine horizontale Richtung besass. So sahen wir mit
VseC deutlich den grössten Theil der Buchstaben in
Snellen Nr. XX, während wir mit Vse^ kaum einige Buch-
staben von Nr. XXX erkennen konnten.
Mit Vi8<^ konnten wir bei horizontaler Richtung der
Krümmungsaxe Nr. XXX lesen; mit VseC C VseS konnten
wir bei Verengerung der Lidspalte nur L, mit VisS kaum
CG sehen. Wenn wir der Krümmungsaxe eines cylin-
drischen Glases eine verticale Richtung gaben, so sank
die Sehschärfe bedeutend, sie war jedoch immer noch
grösser, als wenn wir durch ein sphärisches Glas von
gleicher Stärke sahen. Der Grund, wesshalb bei der ho-
rizontalen Richtung der Krümmungsaxe eines cylindri-
schen Glases die Sehschärfe besser ist, als bei der ver-
ticalen, liegt darin, dass im ersten Falle die Zerstreu-
ungskreise eine Längs-, im zweiten eine Querrichtung
haben. Somit gewährt beim Sehen in die Ferne
der myopische Astigmatismus eine vortheil-
haftere Anomalie der Refraction, als die reine
Myopie; beim Sehen in der Nähe ist es völlig
umgekehrt
Hinsichtlich der uns beschäftigenden Frage haben
alle oben angeführten Beobachtungen folgende Bedeutung:
1. Für ein Auge mit künstlich hervorgebrachtem myopi-
schen Astigmatismus bei allen Formen des letzteren,
dem ein&chen, zusammengesetzten und gemischten, be-
steht unter der Bedingung vollständiger Lähmung der Ac-
commodation eine bestimmte Entfernung, in welcher ein
solches Auge am besten feine Gegenstände — in unsem
76
Versuchen verschiedeneNummernder Jäger 'sehen Schrift,
Nr. 10, 6, 3 und bisweilen 1 — sieht; bisweilen verschlech-
terte die geringste Verrückung der Schrift näher oder
weiter, als diese Entfernung, besonders bei hohen Graden
von myopischem Astigmatismus, bedeutend die Sehschärfe
und die Zerstreuungskreise änderten sich dabei in ent-
gegengesetzter Richtung, so dass diese Kreise, wenn sie
in näherer Entfernung vornehmlich eine Längsrichtung
besabsen, sobald die Schrift sich weiter, als die bestimmte
Entfernung befand, stets sich in die entgegengesetzte,
die quere, verwandelten, und umgekehrt. 2. Wenn wir
einerseits die äusserst unbedeutende Länge (bisweilen
nicht mehr als Vs'O des Raumes, in welchem das Auge
mit der gelähmten Accommodation am deutlichsten die
Jäger'sche Schrift sah, andererseits den Grad des künst-
lichen Astigmatismus, gleichwie auch die entgegengesetz-
ten Veränderungen in den Zerstreuungskreisen, die bei
der Verrückung der Schrift weiter oder näher, als der
erwähnte Raum, entstehen, in's Auge fassen, gewinnen
wir unzweifelhaft die Ueberzeugung, dass in allen be-
schriebenen Formen von Astigmatismus die Bedingungen
der günstigsten und deutlichsten Sehschärfe in der That
mit dem Moment zusammenfielen, wo die Brennstrecke
mit der Netzhaut in ihrer Mitte zusammenfiel, und in
Folge dieser Begegnung die Bilder der feinen Gegen-
stände am meisten ihre natürliche Form beibehielten. Am
besten kann man sich von der Richtigkeit dieser Schluss-
folgerung überzeugen, wenn man einen Astigmatismus
mit VioC c VioS, wo der günstigste Abstand für deutliche
Sehschärfe auf circa 7" befindet, hervorruft. Folglich
hat die oben angeführte Erklärung über die Bedingungen
eines deutlichen Sehens der Astigmatiker , die sich bei
Donders vorfindet, eine thatsächliche Begründung für
sich. Es ist aber 3. zugleich klar, dass die gegenseitige
Begegnung der Netzhaut und der Brennstrecke in der
77
Mitte der 'letzteren nur für ein solches Auge die gün-
ßtigte Bedingung hinsichtlich der Sehschärfe darbietet,
dessen Accommodation vollständig gelähmt ist In allen
den beschriebenen Formen von Astigmatismus benutzte
das andere, linke Auge, in welchem die Accommodation
in ihrer ganzen Breite erhalten war, niemals das er-
wähnte Moment als eine fOr die Sehschärfe günstigste
Bedingung. Denn wenn das linke Auge sich von der
Schrift in derselben Entfernung befand, wie das rechte,
hatte es dabei nur sehr selten eine gleiche Sehschärfe
wie das rechte; vielmehr konnte, wenn nicht immer, so
doch in der Mehrzahl der Fälle mit ein und denselben
Gläsern das linke Auge, während das rechte deutlich
Nr. 10 oder 6 erkennen konnte, keine von ihnen sehen. Je
nach dem Nähern der Augen zur Schrift, wo das rechte
Auge gar keine Nummer der Schrift erkennen konnte, wo
folglich die Bedingungen zum deutlichen Sehen mit ihm
völlig geschwunden waren, da konnte im Gegentheil das
linke Auge deutlich alle Nummern, bisweilen völlig
deutlich Jseger Nr. 1 lesen. Folglich nahmen in dem
Maasse der Annäherung der Schrift zum linken Auge die
Bedingungen eines deutlichen Sehens zu und bisweilen
in dem Grade, dass dasselbe Nr. 1 las, und folglich 10
Mal besser, als das rechte Auge sah, welches hierbei
bisweilen nur Nr. 10 in einem bestimmten Abstände er-
kannte. Worin soll man nun die neuen Bedingungen,
die die Sehschärfe des linken Auges begünstigten, suchen?
Es ist klar, dass man diese neuen Bedingungen, die
den oft so bedeutenden Unterschied in der Sehschärfe
beider Augen erklären könnten, nicht in den Augenlidern,
nicht in der Verengerung der Spalte derselben, die gleich-
sam eine stenopäische Spalte ersetzt hätte, suchen kann,
da dieser umstand beiden Angen zu Nutze kam. Ausser-
dem konnte die Sehschärfe des rechten Auges, wenn wir
die Mithülfe der Lider durch eine schmale stenopäische
78
Spalte ersetzen, dennoch bei Weitem nicht der Sehschärfe
des linken gleichkommen. Man kann den angeführten
Unterschied auch nicht dadurch erkl&ren, dass die rechte
Papille bis zum Maximum erweitert war und daher auch
die Zerstrenungskreise in dem rechten Auge grösser
waren und dadurch seine Sehschärfe verminderten, denn
wir ersetzten in mehreren Formen die weite Pupille durch
eine enge, indem wir durch eine kleine runde, der Weite
der normalen Pupille gleiche Oeffnung sahen; hierbei ver-
besserte sich die Sehsch&rfe des rechten Auges und Bahm
zu, aber sie konnte dennoch nicht einmal annähernd den
Grad, den das linke einnahm, erreichen.
Das einzige Moment, welches genügend den oft enor-
men Unterschied in der Sehschärfe beider Augen erklärt,
kann nur die Accommodation allein sein.
Nur ihre Mithülfe benutzte das linke Auge als Mittel,
seine Sehschärfe zu vergrössem. Und es ist schon be-
greiflich, dass ihre Thätigkeit bei unseren Versuchen
nicht darauf sich beschränken konnte, die Mitte der
Brennstrecke auf die Netzhaut zu übertragen, denn in
diesem Falle hätte die Sehschärfe beider Augen eine an-
nähernd gleiche sein müssen, was jedoch in der That
nicht stattfindet Hier f&llt von selbst unvermeidlich der
Gedanke ein, dass im linken Auge durch Accommoda-
tionsanspannung der Astigmatismus mehr oder weniger
vollständig ausgeglichen wurde.
Wir leugnen nicht, dass es uns nicht immer gelang,
die Zerstreuungskreise vollständig zu vernichten, aber sie
waren häufig so unbedeutend, dass sie durchaus nicht
eine deutliche Sehschärfe störten, dass sie natürlich jeden
Gedanken daran, dass im linken Auge derselbe Grad von
Astigmatismus, welcher in ihm künstlich durch Gläser
hervorgebracht war, erhalten worden sei, ausschlössen.
Bei einigen Formen von Astigmatismus, besonders bei
hohen Graden einfacher und zusammengesetzter Formen,
79
konnten wir in der Tbat, wenn wir uns n&herten, Nr. 1,
dem Anschein nach ohne jegliche Theilnahme der Ac-
commodation in Zerstreuungskreisen, wenn diese eine
Längsrichtung besassen, lesen; hierbei wurden die Zeilen
bisweilen doppelt gesehen, die Buchstaben blass und mit
Nebel bedeckt, und daran konnten wir beobachten, wie
diese Kreise allmälig in dem Masse der Anspannung der
Accommodation abnahmen und schwanden; die Zeilen
wurden einfach gesehen, die Buchstaben nahmen eine na-
türliche Form an und wurden schwarz, der Nebel, der
sie bedeckt hatte, verschwand. Hierbei schlössen wir
eine Theilnahme der Lider, indem wir das untere ab-
zogen und das obere zum Orbitalrand fixirten, aus, und
dabei erfolgte dennoch eine mehr oder weniger yollstfin-
dige Ausgleichung des Astigmatismus.
Zu Gunsten der von uns vertheidigten Ansicht über
Ausgleichung des Astigmatismus spricht auch der Um-
stand, dass bei allen erwähnten Versuchen Uebung und
Gewohnheit eine grosse Bolle spielen. Zu Anfang un-
serer Beschäftigungen konnten wir entschieden quere
Zerstreuungskreise hiebt überwinden, aber in der Folge
erlangten wir durch Gewohnheit die Fertigkeit, auch die
Formen von Astigmatismus, die vornehmlich quere Kreise
gaben, zu vermindern. Besonders schwer war es bei
hohen Graden von gemischtem Astigmatismus zu accom-
modiren, aber hier spielte die Gewohnheit eine noch grös-
sere Rolle. Mit Vs^^^VioS konnten wir zu Anfang
unserer Beschäftigungen nur Nr. 6 und kaum Nr. 3 er-
kennen, in dec Folge konnten wir ziemlich deutlichJINr. 1
lesen.
Wenn wir dazu noch das hinzufügen, dass bei solchen
Formen eine genaue Accommodation nicht immer gelang,
besonders wenn der Accommodationsapparat ermüdet war,
dass sie erst nach einigen erfolglosen Versuchen glückte,
dass sie mit dem Gefühl starker Spannung im Auge ver-
80
banden, dass sie nur auf eine sehr kurze Zeit möglich
war und schnell Ennadung verursachte, dass nach Auf-
hebung der Anspannung und nach Abnahme der Brillen
die Accommodation bisweilen sehr langsam sich abspannte,
dass dabei im Auge Erscheinungen von Astigmatismus
auftraten, z. B. die Buchstaben gekrQmmt erschienen, —
so unterstützen wir, auf diese Erscheinungen hinweisend,
noch mehr den von uns angefahrten Gedanken.
Was die hypermetropischen Formen des Astigmatis-
mus, die durch Concavgläser hervorgebracht werden, an-
betrifft, so konnten niedrige Grade desselben leicht durch
Accommodationsanspannung mit Hülfe der Augenlider,
und bisweilen auch ohne dieselbe, wenn wir auf die
Snellen'sche Schrift auf 20' Entfernung sahen, über-
wunden werden. Hierbei wurde vom linken Auge nicht
nur Ah. -= Vioi sondern sogar = V20 vollständig über-
wunden, so dass dasselbe Snellen Nr. XX erkennen konnte.
Das rechte Auge mit gelähmter Accommodation sah na-
türlich schlechter, der Unterschied in der Sehschärfe
beider Augen war dennoch kein besonders bedeutender,
und da, wo das linke Auge völlig scharf und deutlich
sah, sah das rechte in Zerstreuungskreisen, wobei es je-
doch dieselben zum Theil durch Verengerung der Lid-
spalte verminderte. Je höher der Grad des Astigmatis-
mus war, um so grösser war der Unterschied in der Seh-
schärfe beider Augen, so dass, wenn das linke mit — VioC
bei verticaler Richtung der Krümmungsaxe bei der äus-
sersten Anspannung seiner Accommodation Nr. XL, ob-
gleich die Buchstaben dieser Nummer undeutlich und ver-
doppelt erschienen, sah, das rechte Auge zu derselben
Zeit nicht einmal die ersten Nummern von Snellen er-
kennen konnte. Wenn man [der Krümmungsaxe des
81
Glases eine horizontale Richtung gab, sah das iinke Auge
Nr. XXX, das rechte XL, dabei waren jedoch die Buch-
staben in Nr. L und XL äusserst undeutlich. Wenn bei
hohen Graden von Astigmatismus Buchstaben ein und
derselben Nummern sich verdoppelten, so vernichtete das
linke Auge diese Verdoppelung immer vollständiger als
das rechte.
Wenn wir anstatt — VioC jedoch — VäoC-c— Vjo*
nahmen, so verbesserten wir dadurch die Sehschärfe des
linken Auges, gleich gut, ob die Erümmungsaxe horizon-
tal oder vertical gerichtet war, so dass dasselbe nicht nur
Nr. XXX, sondern sogar Buchstaben von Nr. XX, und
zwar nicht allein im Vergleich mit — VioC» sondern auch
bisweilen mit — V20 deutlicher sah. Für's (rechte Auge
verbesserte diese Aenderung der Brillen die Sehschärfe
nicht merklich.
Ueberhaupt war es leichter zu accommodiren und
war die Sehschärfe grösser bei einer horizontalen Rich-
tung der Krümmungsaxe eines cylindrischen Glases, als
bei der verticalen, weil im ersteren Falle die Zerstreu-
ungskreise eine Längs-, im zweiten eine Qnerrichtung
besassen. Und wir versuchten im Interesse des uns lei-
tenden Gedankens eine ebenso deutliche Sehschärfe bei
einer verticalen Richtung der Erümmungsaxe zu erreichen
und dabei ebenso zu accommodiren, wie bei einer hori-
zontalen Richtung derselben. Lange wurden unsere Ver*
suche durch keinen grösseren Erfolg gekrönt, aber einst
als wir uns mit den vorliegenden Formen von Astigma-
tismus lange in der Nacht bei künstlicher Beleuchtung
beschäftigten, bemerkten wir nach besonders eifrigen Ver-
suchen, dass das linke Auge bei verticaler Richtung der
Erümmungsaxe von — Vio c besser als früher sah, so dass
es nicht nur XL, wie früher, sondern auch XXX und
dabei unvergleichlich besser als früher sehen konnte; was
aber besonders bemerkenswerth ist, es verlor zu gleicher
ArohiT tut OphttulmologiO) XtV, 8. g
82
Zeit die Fälligkeit, bei horizontaler Richtung der Krüm-
mangsaxe zu accommodiren, so dass es dabei gar keine
der Snellen'schen Nummern in der Feme sehen konnte.
Die Sehschärfe des rechten Auges blieb bei allen Rich-
tungen der Erümmungsaxe des Glases dieselbe, wie sie
früher gewesen war.
Mit — Vso c sah das linke Auge zu derselben Zeit
gleichfalls besser bei verticaler Richtung der Erümmungs-
axe als bei horizontaler. Diese Fähigkeit des linken
Auges bei verticaler Richtung der Erümmungsaxe des
Glases besser zu accommodiren als bei horizontaler, war
auch noch am folgenden Morgen in einem gewissen Grade
vorhanden und schwand im Laufe des Tages von selbst
Es ist klar, dass die Linse unter dem Einflüsse einer
übermässigen Anstrengung der Accommodation endlich
eine Wölbung nur in einer Richtung annahm, und so in
diesem Zustande auch verharrte, nachdem sie der Mög-
lichkeit, ihre natürliche Form anzunehmen, beraubt war
Bei gemischten Formen des Astigmatismus war der
Unterschied in der Sehschärfe beider Augen um so grös-
ser, je höher der Grad des Astigmatismus war. Mit
— V20C z V408 l>ei verticaler Richtung der Erüm-
mungsaxe sah das linke Auge Nr. XXX, die Buchstaben
wurden jedoch hierbei verdoppelt; diese Verdoppelung
schwand übrigens bei Anspannung der Accommodation.
Das rechte Auge sah mit denselben Gläsern nur XL;
wenn wir zur vollen Analogie mit dem linken Auge (da
im rechten H. = Vw war) V40 ßr's rechte mit V20 ver-
tauschten, so sah es bei Verengerung der LidspaJte gleich*
falls Nr. XXX, aber bedeutend schlechter, als das linke;
die Buchstaben waren viel trüber und nebliger. Mit der-
selben Gombination, bei horizontaler Richtung der Erüm-
mungsaxe des Glases, sah das linke Auge Nr. LXX, aber
L und XL schon undeutlich und konnte nur erst nach
mehrmaligen Versuchen seitens der Accommodation XXX.
83
erkennen. Verengerung der Lidspalte machte die Buch-
staben deutlicher, man konnte jedoch auch ohne Mithälfe
der Lider ftr No. XXX. accommodiren. Die Accommo-
dation war dabei sehr schwer und lästig, so dass sie bei
starker Anspannung plötzlich erschlaffte und die Buch-
staben sich mit Nebel bedeckten. Das recht« Auge sah
mit — V«oC c V40S gleichfalls No. XXX, aber wenn wir
der Analogie wegen V40 mit V20 vertauschten, sah es
nur No. XL und sogar das nur sehr undeutlich.
Mit — VioC - V208 hei verticaler Richtung der Krüm-
mungsaxe erkannte das linke Auge No. XXX, das rechte
nur XL, dabei erschienen die Buchstaben in L und X
für's rechte Auge blass und undeutlich; wenn aber Va
mit VuS vertauscht wurde, so verschlechterte sich d
Sehschärfe des rechten Auges dermassen, dass es nie
einmal die ersten Buchstaben der Schrift erkennen könnt
Bei diesen gemischten Formen von Astigmatismus
haben Uebung und Gewohnheit eine besonders wichtige
Bedeutung, so dass wir bei unseren ersten Versuchen be-
deutend schlechter als gegen das Ende unserer Beschäf-
tigungen sahen.
Wenn wir die Jäger'sche Schrift bei künstlichen For-
men von hypermetropischem Astigmatismus lasen, beob-
achteten wir folgende Erscheinungen:
Mit — VioC, bei verticaler Richtung der Krümmungs-
axe, konnten wir No. 10 und 6 lesen; in No. 3 konnten
wir kaum einige Buchstaben errathen, weil die Zer-
streuungskreise eine quere Richtung besassen.
In der Folge kamen wir durch Uebung so weit, dass
wir No. 3 bequem lesen und selbst No. 1 zum Theil er-
kennen konnten.
Wenn wir anstatt — VioC jedoch — V20CC — V208
nahmen, verbesserte in Folge der Verkleinerung der queren
Zerstreuungskreise sich die Sehschärfe im Allgemeinen.
6«
84
Verengerung der Lidspalte half sowohl im ersten als auch
im zweiten Falle fast gar nicht
Bei horizontaler Richtung der Erümmungsaxe von
— VioC erscheinen die Buchstaben auf |" Entfernung
übermässig verlängert, mit Nebel bedeckt, aber von ein-
ander isolirt Bei Accommodationsanspannung kann man
No. 1 völlig deutlich lesen; dabei half noch Verengerung
der Lidspalte bedeutend mit Wenn wir — VioC mit der
Combination — V«oC ^ — V20S bei horizontaler Richtung
der Erümmungsaxe vertauschten, verschlechterten wir in
Folge der Vergrösserung der queren Zerstreuungskreise
die Sehschärfe; dabei konnte man noch No. 1 lesen, je-
doch weniger deutlich, und musste man die Schrift vom
Auge bedeutend weiter entfernen als bei — Vio<^ allein.
Das Lesen selbst war dabei weniger ermüdend, was eine
geringere Accommodationsanspannung bei der erwähnten
Combination beweist
Bei Neigung der Erümmungsaxe von — Vio^ &us
der verticalen Richtung zur Seite — nach rechts oder
links — neigten sich die Zeilen nach derselben Seite, die
Buchstaben wurden krumm, an ihnen traten Spitzen und
Fortsätze auf. Beim Blinzeln mit den Lidern und bei
Anstrengung der Accommodation konnte man No. 6 sehr
deutlich, bisweilen auch No. 3 lesen. Unbedeutende Nei-
gungen der Erümmungsaxe und Verkrümmungen der
Zeilen und Buchstaben wurden durch die Accommodation
allein, selbst ohne Mithülfe der Lider ausgeglichen und
überwunden; Theilnahme der Lider jedoch erleichterte
die Accommodation und die Ausgleichung der Zeilen;
bei bedeutenden Neigungen der Erümmungsaxe war Wen-
dung der Schrift oder des Eopfes zur Seite nothwendig.
Die Gerademachung der Zeilen erfolgt stets, auf welche
Seite man auch den Eopf oder die Schrift neigen möge,
ob auf die der Neigung des Glases oder auf die entgegen-
gesetzte Seite, da hierbei nur die Richtung der Zer-
85
streaungskreise verändert wird, wovon auch eine grössere
oder geringere Leichtigkeit der Accommodation abhing.
Die Aasgleichung der Zeilen und Buchstaben erfolgte
noch schneller, wenn wir, bei Neigung der Krfimmungs-
axe des Glases nach links, die Schrift nach links und
den Kopf nach rechts neigten. Ueberhaupt erleichterte
bei allen möglichen Neigungen der Krümmungsaxe des
Glases die Neigung des Kopfes zur Seite bedeutend die
Accommodation; diese war aber auch ohne Neigung des
Kopfes möglich, nur erfolgte sie mit mehr Anstrengung.
Wenn wir bei zur Seite, z. B. nach links, geneigter
Krümmungsaxe von — VioC unsere Accommodation bei
Mithülfe der Lider anspannten, dabei die grösstmögliche
Sehschärfe, indem wir deutlich No.3 lasen, erlangten und
darauf die Lider plötzlich öffneten und allmälig die Ac-
commodation abspannten, so nahmen dabei die Buchstaben
nicht sofort ihre frühere entstellte Form an; Anfangs
wurden sie nur weniger deutlich, indem sie ihre regel-
mässigen Umrisse beibehielten, und nur nach und nach
traten an ihnen Spitzen und Anwüchse auf. Diese Er-
scheinung spricht unserer Meinung nach zu Gunsten
dessen, dass bei Neigung der Krümmungsaxe cylindri-
scher Gläser zur Seite die Ausebnung der Zeilen und
Buchstaben hauptsächlich durch die Accommodations-
anspannung und durch die nur in einer gewissen Rich-
tung ungleichmässige Wölbung der Linse hervorgebracht
wird, und dass die Verengerung der Lidspalte nur eine
Bedeutung zweiten Grades besitzt.
Im Interesse der vorliegenden Frage verdient das
Factum, dass meine Augen beim Sehen in der Nähe cy-
lindrische negative Gläser schneller und vollständiger
als sphärische von gleicher Brennweite — und beim
Sehen in die Ferne vollständig |umgekehrt — überwin-
den, besondere Beachtung. Auf 20 Fuss Entfernung kann
ich No. XX mit — Vs, Vs and bisweilen auch mit —Vi
86
sphärisch lesen, während ich von cylindrischen nur mit
— Vto No. XX erlüennen kann, und auch dies nicht immer
mit gleichem Erfolge und mit gleicher Deutlichkeit Beim
Lesen der Jäger'schen Schrift dagegen in der Nähe kann
ich mit — VioC) bei horizontaler Richtung der
Krümmungsaxe des Glases, mit Hülfe der Lider No. 1
auf 7" und 8'' Entfernung völlig deutlich und ohne Mühe
und schneUes Ermüden lesen. Mit — V? »nd — VeC er-
scheinen die Buchstaben schon nicht nur verlängert, wie
mit — VioC, sondern über jeder Zeile steht eine andere
blassere; aber bei starker und schwerer Accommodations-
anstrengung, bei Mithülfe der Lider, verschwindet die
zweite Reihe der Buchstaben, und auf 7—8" wirdNo. 1
ziemlich scharf und deutlich gelesen, wobei die Buch-
staben nur leicht mit Nebel bedeckt sind; derAccommo-
dationsapparat ermüdet dabei bald. Wenn wir aber an-
statt — VioC jedoch — VsoC ^ — V«oSi anstatt — V^c
aber — VijC c — Vi«s nehmen, wobei im verticalen Me-
ridiane H, wie auch früher, = Vio u. Ve bleibt, nur im
horizontalen H. = Vao und Vis hervorgebracht wird und
der Astigmatismus selbst von Vio &uf Vao und von Ve
auf Vis vermindert wird, so verschlechtern wir durch
eine solche Vertauschung und durch eine solche Ver-
minderung des Astigmatismus die Sehschärfe bedeutend
und erschweren die Accommodation, machen sie weniger
vollständig. Mit — V«oC ^ — VwS konnte ich noch No. 1
lesen, aber schon weniger scharf und deutlich als mit
— VioC allein, und nicht sofort, sondern erst nach einigen
Versuchen. Mit — Vi« c c — Vi« s konnte ich schon ent-
schieden nicht mehr für No. 1 accommodiren, sondern
nur No. 3, und auch das nur undeutlich, kurze Zeit und
mit Mühe lesen. Mit — VioC ^ — VmS konnte ich No.l,
aber nicht so genau und scharf, wie mit — VtC lesen;
mit — Vu^ ^ — V148 konnte ich No. 1 schon nicht mehr
erkennen.
87
Wenn wir einfach negative cylindrische Gläser mit
negativen sphärischen Gläsern von gleicher Brennweite
vertauschten, so verschlechterten wir die Sehschärfe und
erschwerten die Accommodation noch mehr als durch die
angegebene Combination cylindrischer Gläser mit sphä-
rischen.
Anfangs konnte ich mit — VioS ^o. 1 entschieden
nicht lesen; aber mit — VmS beginnend und allmälig
zu höheren Nummern übergehend, kam ich so weit, dass
ich mit — Vii^ f^^ ^^' 1 genau accommodiren konnte;
mit — VioS war die Accommodation schon weniger voll-
ständig, viele Buchstaben waren undeutlich und wurden
nur .durch Errathen erkannt; mit — Va^ konnte ich schon
No. 1 nicht mehr lesen. Verengerung der Lidspalte half
bei sphäri&chen Gläsern, ebenso wie bei den erwähnten
Combinationen cylindrischer mit sphärischen Gläsern, fast
gar nicht, und dieser Umstand erlaubt uns nicht, die
grössere Sehschärfe und die vollständigere Accommoda-
tion bei cylindrischen Gläsern allein, durch die Mithülfe
der Lider, dadurch, dass bei der Verengerung der Lid-
spalte eine künstliche stenopäische Spalte gebildet wird,
die den Astigmatismus völlig aus dem Act des Sehens
ausschliesst, zu erklären. Wenn die Mithülfe der Lider
bei cylindrischen Gläsern eine solche Bedeutung besässe,
so müssten in diesem Falle die Bedingungen für die
Sehschärfe und die Accommodation sowohl bei cylindri-
schen als auch bei sphärischen Gläsern gleich sein.
Somit kann und muss der bedeutende Unterschied,
den wir beim Lesen in der Nähe, auf 7** u. 8'' zwischen
cylindrischen und sphärischen Gläsern fanden, hauptsäch-
lich durch den Unterschied Im Effect der Accommodation
bei den einen und den anderen Gläsern, dadurch, dass
durch Accommodationsanstrengung fast zwei-
mal stärkere cylindrische Gläser vollständiger
als sphärische überwunden werden, erklärt wer-
88
den. Und diese Thatsache bringt uns unabweislich zu
der Scblussfolgerung, dass die Linse bei cylindrischen
Gläsern in Folge einer besonderen Accoromodations-
anspannung eine ungleichm&ssige, nur in der Richtung
eines Meridians allein liegende Wölbung annimmt, und
dass diese partielle oder einseitige Wölbung der Linse
den künstlich hervorgerufenen hypermetropischen Astig-
matismus compensirt. Man kann leicht auf Grund der
einfachsten arithmetischen Berechnungen sehen, dass ich
No. 1 auf 1" mit — VeS ^icl^t I^sen konnte, weil dazu
bei H. = V40 eine Accommodationsbreite von fast Vs er-
forderlich gewesen wäre, während sie bei mir = Vi -24
war. Aber diese Accommodationsbreite genügt fast bei
VeC und V7C auf 7", sobald die Linse eine Wölbung nur
in Richtung eines Meridians annimmt; denn wenn wir
die Entfernung der Schriit vom Auge (Vr), den Grad
unseres Astigmatismus berücksichtigen und annehmen,
dass zur Neutralisirung dessen bei — VeC und — - V7C
der Effect der Accommodation zweimal kleiner zu sein
brauchte als der, der zur Neutralisirung von — VeC und
— 1/7 s oder der reinen Hypermetropie erforderlich war,
d. h. dass dieser Effect durch die Brüche V12 ^nd Vu
ausgedrückt wird, so finden wir, wenn wir diese Zahlen
addiren, dass auf eine Entfernung von T* vom Auge zur
vollen Neutralisirung des Astigmatismus bei — Ve^ eine
Accommodationsbreite fast von V^, zur Neutralisirung
des Astigmatismus Vr ^^^^^ von Vi-s erforderlich ist,
dass folglich meine Accommodationsbreite fast hinreichte,
um — VeC und V7C auf 7" zu überwinden.
Auf Grund einer eben solchen Berechnung finden
wir, dass sie völlig hinreichte, um die erwähnten Gläser
auf 8" beim Maximum der Anspannung zu neutralisiren.
Im Zusammenhange mit der angeführten Erklärung
steht und zu ihren Gunsten spricht das Factum, dass
bei cylindrischen, selbst bedeutend schärferen
89
Gläsern No. 1 in einer kürzeren Entfernung ge-
lesen wird als bei sphärischen. Mit — VeC konnte
ich No. 1 auf 8'', ja sogar auf 1" lesen; bei — VioS
musste ich die Schrift auf 10", selbst auf 10»/, '' ent-
fernen. Und in der That, um mit — Vws No. 1 auf 7"
vom Auge zu lesen, war eine Accommodationsbreite von
circa 1/3.%, d.h. eine grössere als die meinige erfor-
derlich; um No. 1 auf W und lOy^" zu lesen, reichte
die meinige vollständig hin.
Somit gelangen wir auf Grund der oben angeführten
arithmetischen Berechnung und der über die Wölbung
der Linse in der Richtung eines Meridians allein, gege-
benen Erklärung zu dem Schlüsse, dass beim künstlichen
hypermetropischen Astigmatismus, wenn die Krümmungs-
axe des Glases eine horizontale Richtung besitzt, der
Nahepunkt bei gleicher Accommodationsbreite sich näher
zum Auge befindet als bei der reinen Hypermetropie,
mag selbst der Grad der letzteren geringer sein als der
des Astigmatismus.
Im Sinne der oben angeführten Erklärung über die
ungleichmässige Wölbung der Linse in der Richtung nur
eines Meridians sehen wir auch auf die Thatsache, dass
cylindrische negative, selbst stärkere Gläser,
die Buchstaben und überhaupt Bilder von Ge-
genständen in ein- und derselben Entfernung
bedeutend weniger verkleinern als sphärische.
Um sich schneller und deutlicher davon zu überzeugen,
braucht man in die Einfassung der Brille für's eine Auge
— VgCj für's andere — VioS zu setzen und in ein- und
derselben Entfernung, z. B. auf 8" oder 10'', auf eine
der gröberen Schriften, abwechselnd bald mit dem einen,
bald mit dem anderen Auge sehen; dann finden wir einen
bedeutenden Unterschied in der Grösse der Bilder des
einen und des anderen Auges. Somit gewährt der
hypermetropische Astigmatismus beim Sehen
90
in der Nähe eine für die Sehschärfe günstigere
Anomalie der Refraction, als die reine Hyper-
metropie. Bei der Myopie haben wir weiter oben das
Gegentheil gesehen.
Was den Umstand anbetrifft, dass beim Sehen in
die Ferne die cylindrischen Gläser bei Weitem nicht so
vollständig durch Accommodationsanspannung überwanden
werden, wie beim Sehen in der Nähe, so wird dieser Unter-
schied genügend dadurch erklärt, dass ich im ersten Falle
unter ungewohnten Bedingungen, bei parallelen Sehaxen
accommodiren musste, und daher auch kein genügender
Impuls zur Anspannung der Accommodation ad maximum
vorhanden war. Beim Lesen jedoch in der Nähe konnte
ich aus begreiflichen Ursachen die Accommodation bis
zu den äussersteu Grenzen anspannen. Andererseits kann
man auch das nicht leugnen, dass, wenn die Accommo-
dation auch vollständiger cyiindrische Gläser, in der Nähe
überwindet, sie doch dieses mit grosser Mühe und An-
strengung ausführt, wobei sehr schnell eine stärkere Er-
müdung als bei sphärischen Gläsern eintritt, dass der
Act der Accommodation bei letzteren, obwohl wir mit
ihnen weniger deutlich lesen können, dafar für uns be-
deutend leichter ist. Wenn wir endlich für eines der
unzweifelhaftesten Anzeichen des Astigmatismus das hal-
ten werden, dass bei demselben verticale und horizontale
Linien in gleicher Entfernung nicht gleich deutlich ge-
sehen werden können, so konnten wir auch in dieser Be-
ziehung unseren Astigmatismus compensiren: die Quer*
und Längslinien, die in dem classischen Werke von
Don der s auf Seite 397 gezeichnet sind, konnte ich mit
— Vioc und — V7C zu gleicher Zeit annähernd gleich
deutlich auf 1" und 8'' Entfernung bei Anspannung der
Accommodation sehen. Der ganze Unterschied hierbei
bestand darin, dass die verticalen Linien, wenn die Erüm-
mungsaxe eine horizontale Richtung besass, erweitert er-
91
schienen; bei verticaler Richtung der Erümmungsaxe
dagegen umgekehrt, was schon von einer optischen Wir-
kung des Glases abhing; die Linien jedoch selbst, ihre
Gontouren waren scharf. Bei verticaler Richtung der
Erümmungsaxe war die Accommodation unvollständiger
als bei horizontaler.
Wenn wir uns jetzt zu den Untersuchungen von
Donders und Middelburg*) wenden, welche fanden«
dass bei hohen Graden von Hornhautasymmetrie eine
Asymmetrie der Linse besteht, welche sich in dem Sinne
geltend macht, dass der Astigmatismus des ganzen Auges
beinahe immer geringer ist, als der durch die Hornhaut
bedingte Astigmatismus, dass der Meridian des Erüm-
mungsmaximums der Linse, er föllt fast immer mit dem
horizontalen Meridiane zusammen, eine der des Meridians
des Erümmungsmaximums der Hornhaut entgegengesetzte
Richtung besitzt; wenn wir uns zu den Untersuchungen
von E aiser**) wenden, welcher ebenfalls fand, dass der
Astigmatismus der Linse den der Hornhaut compensirt,
dass beim Sehen in der Nähe der allgemeine Astigma-
tismus des ganzen Auges abnimmt, — so gelangen wir
auf Grund unserer Beobachtungen und Untersuchungen
zu dem Schlüsse, dass auch in diesen Fällen die com-
«pensirende Wirkung der Linse auf den Astigmatismus
der Hornhaut keinen anatomischen Charakter besass,
durch den Bau des Auges nicht gegeben war. Es ist im
Gegentheil am natürlichsten anzunehmen, dass auch dort,
wenn nicht in allen, so doch in vielen Fällen der com-
pensirende Astigmatismus der Linse eine functionelle
Entstehung besass und von einer erhöhten Spannung des
Accommodationsapparates abhing, den Zweck hatte, nach
*) Die Anomalien der Refraotion und Accommodation dei Angef,
Ton Dondera. Wien 1866, Seite 416 und 418.
**) Arehir for Ophthalmologie, B. XIII, 2, Seite 860 und 361.
92
Möglichkeit den Astigmatismus der Hornhaut auszuglei-
chen und dadurch dessen nachtheiligen Einfluss auf die
Sehschärfe zu beseitigen oder zu vermindern. Daher
glauben wir auch, dass durch eine anhaltende Anwen-
dung von Atropin in mehreren der erwähnten Fälle der
compensirende Astigmatismus der Linse aufgehoben wer-
den konnte, und dann hätte es sich erwiesen, dass der
der Astigmatismus des ganzen Auges annähernd dem der
Hornhaut gleich gewesen wäre.
Bedingungen zur Ausgleichung des Astigmatismus
der Hornhaut durch den der Linse können sein — einer-
seits, wie oben gesagt wurde, eine ungleichmässige Ver-
kürzung aller Fasern des üiliarmuskels, andererseits, wie
Kaiser andeutet, eine verschiedene Dichtigkeit in den
einzelnen Linsenschichten in ihren verschiedenen Meri-
dianen und eine verschiedene £lasticität der Linsen-
kapsel, woher beim Druck des musc. ciliaris einzelne
Bezirke der den Kern umhüllenden Schalen mehr oder
weniger zurücktreten als andere.*)
Die hauptsächlichen der erwähnten Versuche mit cy-
lindrischen Gläsern wurden auf unsere Bitte von unserem
Collegen Dr. A. Rudneff bei Lähmung der Accommo-
dation des einen Auges freundlichst controUirt. Die Re-
sultate und Schlussfoigerungen aus seinen Versuchen
sind den unsrigen völlig gleich. Der ganze Unterschied
bei seinen und meinen Versuchen bestand in der Seh-
schärfe, darin, dass er mit ein und denselben Gläsern
besser oder schlechter sah als ich, und dann noch in den
Entfernungen, in denen er verschiedene Nummern der
Schriftproben lesen konnte. Beide Unterschiede konnten
genügend einerseits durch die Verschiedenheit der Re-
fraction unserer Augen (bei Dr. Rudneff ist der Bau
♦) Archir fdr Ophthalmologie, XI, 8, Seite 218 und 219.
93
der Augen fast emmetropisch), andererseits durch die
Verschiedenheit in der Accommodationsbreite, die bei
ihm =V4 war, erklärt werden.
n,
In Folge einer ungleichmässigen Verkür-
zung des Ciliarmuskels und einer einseitigen
Wölbung der Linse kann der Astigmatismus ab-
nehmen, ohne dabei völlig ausgeglichen zu wer-
den und zu schwinden. A priori ist es begreiflich,
dass Ursachen dieser unvollkommenen Ausgleichung des
Astigmatismus ein hoher Grad des letzteren, ungenügende
Accommodationsbreite oder Mangel au Energie des Ci-
liarmuskels, welcher durch allgemeine Krankheiten ge-
schwächt oder durch anhaltende Arbeit ermüdet ist, sein
müssen.
N. 6., Advocat, 34 Jahre alt, klagte am 10. August
1867 über die heftigste Asthenopie. Gewöhnliche Schrift
konnte er eine, wenn es hoch kam, zwei Stunden lang
lesen, dann ;verschwammen die Buchstaben und Alles
wurde mit Nebel bedeckt; dabei war gewöhnlich Schmerz
in den Augen vorhanden. In der Jugend hatte er viel
länger arbeiten können; mit den Jahren hatte aber die
Asthenopie immer mehr und mehr zugenommen.
Im linken Auge war bei ihm S. = ^Iiq\ schwache
Convexgläser halfen; mit ^li» ^bx S. = *76o; mit der
stenopäischen Spalte im horizontalen Meridiane S.='7ioo;
am besten sah er mit Vis» S. = ^Vso; ™ verticalen Meri-
diane war S. = *^/6o, mit V40 nahm sie bis ^y^ zu. So-
mit war im linken Auge H. = V40 und Ah. = y^^. Im
rechten Auge wurde fast dasselbe gefunden: im verti-
calen Meridiane war H. = V4Ä1 ™ horizontalen — Vi^,
Ah. =s Va,. Die Untersuchung selbst war für die Augen
94
des Kranken sehr ermüdend und er musste sich häufig
erholen. JsBger Nr. 1 konnte er auf 8" und selbst auf
7" lesen, aber nur eine Minute.
Als Patient am folgenden Tage zu einer zweiten Un-
tersuchung in die Klinik kam, wurden schon mehr gar
keine objeetive Anzeichen von Astigmatismus bei der
Untersuchung mit der stenopäischen Spalte gefunden ; in
jedem der Hauptmeridiane war H. = V40 und S. = ^/^\
Patient bemerkte selbst diesen Unterschied und schrieb
ihn dem Umstände zu, dass er des Nachts und des Mor-
gens vor der Klinik viel zu lesen genöthigt war.
Nach einer energischen Anwendung von Atropin im
Verlauf von ungefähr zwei Wochen (eine starke Lösung
wurde zwei bis drei Mal täglich eingeträufelt) wurde im
verticalen Meridiane beider Augen H. = Vwi S. =*74o
im horizontalen H. = Vsi S. =*^/4o gefunden; Ah. war
fast ^/i6. Dem Patienten wurde eine Brille von Viecc
VsoS verordnet; mit dieser Brille las er mit jedem Auge
einzeln in der Feme Snellen Nr. XL, mit beiden zusam-
men Nr. XXX. Jaeger Nr. 1 las er in der Nähe auf 5'',
und sogar näher, vollständig bequem. Bei diesem Falle
richten wir die Aufmerksamkeit darauf, was wir bei Astig-
matikem (S. Abth. I, Beob. III) Gelegenheit hatten zu
beobachten, dass nämlich in jedem der Hauptmeridiane
einzeln nach der Correction die Sehschärfe z. B. = ^740
war; wenn wir nun zu gleicher Zeit beide Meridiane
durch entsprechende sphärisch -cylindrische Gläser corri-
girten, so stieg die Sehschärfe von ^7« auf ^^/jo, oder
^on '780 auf *72o; nian konnte auch beobachten, dass in
jedem Auge einzeln nach der Correction die Sehschärfe
= ^/io war; wenn aber Patient mit beiden Augen sah,
stieg sie auf *®/8o.
Eine ähnliche Erscheinung beobachteten wir bei
Myopen. Bei der Untersuchung eines jeden Auges be-
sonders fanden wir z. B., dass ein Patient mit — ^u
95
Snellen Nr. XX in der Feme nicht sah und mit — Vit
sie deutlich sah. Wenn er aber zusammen mit beiden
Augen in die Feme mit — Vu blickte, so sah er Nr. XX
ebenso deutlich, wie mit — Vw niit jedem Auge getrennt,
und die Sache nahm manchmal den Anschein an, als ob
die Myopie bei der Untersuchung eines jeden Auges ein-
zeln zunähme oder grösser würde. Aber unserer Mei-
nung nach kann man die eben angeführten Erscheinungen
richtiger dadurch erklären, dass beim Sehen mit beiden
Augen zusammen sich die Sehschärfe vergrössert; ebenso
wird, wenn beide Meridiane zugleich corrigirt werden
und Patient sie beide beim Sehen benutzt, die Sehschärfe
grösser, als wenn er beim Sehen nur einen Meridian ge-
braucht, wenn jeder Meridian einzeln corrigirt wird.
m.
In Folge von Accommodationsanstrengung
und Krampf kann sich der Astigmatismus ver-
grössern.
W. S., Student, 18 J. alt, klagte am 25. Febr. 1868
über Kurzsichtigkeit, an der er von Kindheit auf leidet.
Beim Lesen ist Schmerz in den Augen vorhanden, welcher
vor ungefähr einem Jahre aufgetreten ist. Die Sehschärfe
des rechten Auges war = ^/^o, die des linken *^/ioo«
Sphärische negative Gläser verbesserten die Sehschärfe;
mit dem rechten Auge sah er am besten mit — Va«) t^^^
dem linken mit — Vu; die Sehschärfe in jedem war
Bei der Untersuchung der einzelnen Meridiane wurde
im rechten Auge gefunden, dass die Sehschärfe im hori-
zontalen Meridiane ohne Zuhülfenahme von Gläsern mit
der Spalte allein = *V4o war; am besten sah er mit
— V«4, S. war ^/öo; im verticalen Meridiane ward S.
96
= •®/4o gefunden ; mit — Vs ^ät sie am besten, = *7«o-
Folglich war im rechten Auge M. = V24 ^^^ Am. fast Vi*-
Im linken Auge war, wie wir auch die Spalte hiel-
ten, S. immer nur ^Aoo; ^^ horizontalen Meridiane sah
er jedoch am besten mit — V^i ^^ verücalen mit — Vi?
die Sehschärfe betrug dabei in jedem der Hauptmeridiane
= *®/8o; im linken Auge war M. = Vi* ^^^ -^.m. = Vi*-
Jäger No. 1 las Patient auf 5'' und 10'', die Pupillen
waren sehr weit; um die Sehnervenscheibe waren in
beiden Augen grosse Staphylomata postica, die sich in
mehreren Absätzen gebildet hatten; die Papille selbst
war im Zustande capillärer Injection, die Gefasse auf
derselben und auf der Netzhaut waren erweitert Ausser-
dem bestand Insuffidenz der mm. recti intemi, die man
bemerken konnte, wenn man den Patienten abwechselnd
mit jedem Auge den Finger fixiren Hess, indem man das
andere Auge mit der Hand bedeckte; bei einem Prisma
von 18 <^ (mit der Basis nach oben) traten Doppelbilder
auf, die ausser dem Unterschied in der Höhe auch noch
einen Seitenabstand besassen; die Bilder waren dabei
gekreuzt
Nach viertägiger Anwendung vonAtiopin wurde ge-
funden, dass im rechten Auge die Sehschärfe ohne Gläser
^/io betrug; sphärische verbesserten sie kaum, im hori-
zontalen Meridiane war mit der stenopäischen Spalte
allein die Sehschärfe = ^Vaoi ^md negative Gläser fügten
nichts zur Sehschärfe hinzu; im verticalen Meridiane war
S. ohne Gläser «= *^/4o, mit — Vs4 ^ät sie am besten
und nahm bis ^/^ zu.
Im linken Auge war ohne Gläser S. = *®/iooi mit
— Vss stieg sie bis ^V^o; i"* horizontalen Meridiane war
sie ohne Gläser = *y^, mit — V40 besser, und die Seh-
schärfe stieg bis ^7so; ^^ verticalen Meridiane war S.
ohne Gläser = ^/^, mit — V" stieg sie bis ^/to-
97
Somit verminderte sich im rechten Auge der Astig-
matismus bei Anwendung von Atropin von Vi« &nf Vs4,
im linken von Vu auf V» 1 5 ; ausserdem verschwand im
rechten Auge die ganze Myopie = Vs«) ^^^ spasmodischen
Ursprungs war; im linken sank sie von V14 auf V4o-
Ein ähnliches Beispiel von Zunahme des Astigmatis-
mus in Folge von Accommodationskrampf beobachteten
wir auch in hypermetropischen Augen. A. N., Künstler,
28 Jahre alt, klagte im März 1868 über Asthenopie; vor
drei Jahren war bei ihm einfacher hypermetropischer
Astigmatismus im horizontalen Meridiane beider Augen
= Vu constatirt worden, und damals hatte man ihm eine
entsprechende cylindrische Brille, die ihm eine Sehschärfe
von *74o verlieh, gegeben. Anfangs hatte ihn die Brille
voUständig befriedigt, aber in der letzten Zeit begannen
die Augen mit ihr schnell zu ermüden. Bei der Unter-
suchung wurde gefunden, dass der Astigmatismus im ho-
rizontalen Meridian von Vu auf Va gestiegen war; S.
war = ^/^ö; der verticale Meridian erwies sich als em-
metropisch, die Sehschärfe in ihm war = *74o. Nach
fortgesetzter Anwendung von Atropin zeigte sich im ho*
rizontalen Meridiane H. = Ve) i^ verticalen = y^; die
Sehschärfe war in jedem der Hauptmeridiane = ^Vso»
folglich war AL = Vis. Der Krampf hatte also die ganze
Hypermetropie latent gemacht und den Astigmatismus
bis Vd gesteigert Ihm wurde Anfangs eine Brille von
VisC c V12S verordnet; als aber die Accommodation
wiedergekehrt war, war die Sehschärfe für die Ferne
schlecht, und Patient bat um Vertauschung der Brille.
Als V12S durch V24 ersetzt war, sah Patient deutlich in
der Ferne und konnte sich ohne Ermüden in der Nähe
beschäftigen.
▲reliiv für Opkthalmolopio, XIV. 3.
98
IV.
In Folge von Gontractur des Giliarmaskeis,
die aas einer beständigen Anspannung dessel-
ben hervorgeht, kann der hypermetropische
Astigmatismus dergestalt seine Form ändern,
dass der Meridian mit dem Minimum der Krüm-
mung (fast immer der horizontale) emmetro-
pisch wird; in dem Meridiane jedoch mit dem
Maximum der Krümmung nicht nur die ganze
Hypermetropie latent gemacht wird, sondern
auch zu gleicher Zeit sich scheinbare Kurz-
sichtigkeit bildet, oder aber dass scheinbare
Kurzsichtigkeit in beiden Meridianen auftritt;
der Grad des Astigmatismus kann hierbei zu-
oder abnehmen oder annähernd gleich bleiben.
Dabei kann sich die Richtung der Hauptmeridiane selbst
yeräudern, so dass sie anstatt der horizontalen und ver-
ticalen Richtung, die sie bei ruhigem Zustande der Ac*
commodation besitzen, in Folge einer tetanischen und
unzweifelhaft ungleichmässigen Verkürzung des Ciliar-
muskels eine schräge Richtung einnehmen können.
1. Bei K. F., einem Studenten, wurde am 28. Juni 1867
bei einer sorgfaltigen Untersuchung mit der stenopäischen
Spalte der horizontale Meridian emmetropisch und S.
= *7ioo5 iß verticalen M. V40 und S. = ^V^o constatirt
Sphärische Gläser verbesserten dabei durchaus nicht die
Sehschärfe. Nach einer energischen Anwendung von
Atropin und Verordnung einer Heurteloup'schen Blut-
entziehung erwies sich im horizontalen Meridian H. = Ve
und S. = *74oi iöi verticalen H. Vio und S. = *®/4o, hier-
bei zeigte jedoch im verticalen Meridiane die Refraction
noch Schwankungen und der Krampf war noch nicht
völlig vernichtet. In diesem Falle war vor Anwendung
des Atropin falscher myopischer Astigmatismus im verti-
99
calen Meridiane — Am. == V^o vorhanden, nach derselben
jedoch erwies sich H. = V^o und Ah. = fast V?.
2. Bei A. K., Künstler, wurde am 16. December 1867
bei der Untersuchung der horizontale Meridian emme-
tropisch, im verticalen M. -== Vs gefunden. Nach der Be-
handlang mit Atropin, die länger als einen Monat dauerte,
erwies .sich im horizontalen Meridiane H. == gegen Vu?
der yerticale Meridian jedoch war dem Anscheine nach
emmetropisch. Ungeachtet der anhaltenden Anwendung
von Atropin dauerten die Schwankungen in der Refrac-
tion noch fort und der Krampf war folglich noch nicht
völlig vernichtet. Bald nach Aussetzung des Atropin
kehrte der Accommodationskrampf in dem früheren Grade
wieder.
3. Bei Fräulein A. P. war am 9. Mai 1867 im linken
Auge zusammengesetzter myopischer Astigmatismus; in
einem der schrägen Meridiane, der von oben und innen
nach unten und aussen und von rechts nach links ging,
war M. = Vu, in dem anderen, der eine diesem ent-
gegengesetzte Richtung besass, wurde M. = Vso gefun-
den; folglich war Am. = V20. Nach einer energischen
Behandlung mit Atropin und Blutentziehungen zeigte sich
im horizontalen Meridiane einfacher hypermetropischer
Astigmatismus — Ah. = V40; der verticale Meridian er-
wies sich als emmetropisch. In diesem Falle war eine
Yerrückung der Hauptmeridiane erfolgt, so dass sie an-
statt einer horizontalen und verticalen Richtung bei voll-
ständig ruhigem Zustande der Accommodation, bei einer
tetanischen Verkürzung des Ciliarmuskels eine schräge
Richtung einnahmen.
Diese drei Fälle sind in unserer gesonderten Arbeit:
über scheinbare Kurzsichtigkeit genau beschrieben wor-
den; daher wird ihrer hier nur kurz Erwähnung gethan.
4. Fräul. 0. P., 14 Jahre alt, kam am 28. Febr. 1868
mit der Klage über Asthenopie in die Klinik. Im rechten
100
Auge war die Sehschärfe = ^/^o, sphärische Gläser ver-
besserten sie in keiner Weise; bei der Untersuchung der
einzelnen Meridiane wurde im horizontalen H. = Vi«
S. = «*/ao, im verticalen jedoch M. = Vm 'ind S. = *y»
gefunden; es war bei ihr folglich gemischter Astigmatis-
mus — = fast Vio. Nach einer energischen Behandlung
mit Atropin, die länger als eine Woche andauerte, er-
wies sich im horizontalen Meridiane H. = ^U ^^'^ S-
= «7m; im verticalen H. = Vi* und S. = ^1^. AL =
fast Vio.5-
Der Grad des Astigmatismus blieb im gegebenen
Falle bei der Contractur des Ciliarmuskels und nach
deren Vernichtung annähernd gleich.
Dieser Fall interessirte uns dadurch, dass bei einem
hohen Grade von Hypermetropie und Astigmatismus, au-
geachtet dessen, dass sich um die Papille des Sehnerven
frisches Staphyloma posticum von grossem Umfange be-
fand, die Sehschärfe der Patientin dennoch eine volle blieb.
In Folge einer tetanischen und ungleich-
massigen Verkürzung des Ciliarmuskels kön-
nen bedeutende Grade von Astigmatismus in
solchen Augen, welche nach ihrem anatomi-
schen Baue ihn gar nicht oder wenigstens nicht
in einem solchen Grade, als dass er eine Cor-
rection zuliesse, besitzen, auftreten. Wir wollen
hier zweier Fälle dieser Art erwähnen«
1. Bei demselben Fräulein 0. B., dessen wir zu Ende
des vorhergehenden Abschnittes erst erwähnt haben und
bei dem im rechten Auge vor Anwendung des Atropin
gemischter Astigmatismus gefunden worden war, wurde
im linken Auge dabei S. = **/4o, im horizontalen Meri-
101
diane H. = Vis, S. = ^/so; im verticalen H. = Vso und
S. == "/so constatirt; folglich war Ah. = fast 7,8 ; nach
energischer Anwendung von Atropin erwies sich im linken
Auge einfache Hypermetropie = Ve und S. = **/»o. Hier-
bei wollen wir bemerken, dass der Unterschied in der
Refraction der Meridiane bei der Anwendung von Atropin
nicht schnell, sondern nach und nach verschwand. Ihr
wurde für's rechte Auge eine Brille von Vn c c Vi* s,
fär's linke VeS gegeben.
2. Ein anderes auffallendes Beispiel dieser Art zeigte
uns ein Zögling eines Militairgymnasiums H. S., bei dem
im November 1866 in beiden Augen zusammengesetzter
myopischer Astigmatismus gefunden wurde. Es war im
horizontalen Meridiane M. = V^io; im verticalen = Vio.
Am. = gegen Vis- Ihm wurde eine Brille von — Visc
C — V^os verordnet, die ihm eine Sehschärfe = ^/ao gab;
Patient war mit ihr im Laufe zweier Monate zufrieden.
Aber nach zwei Monaten bemerkte er, dass er mit
der ihm gegebenen Brille schlechter als Anfangs zu sehen
begann und dass er ohne dieselbe, im Vergleich zu frü-
her, besser sah. Diese Besserung schrieb er der Anwen-
dung kalter Douche zu. Bei der Untersuchung in der
Klinik zeigte sich gar kein Astigmatismus, es wurde je-
doch M. = Vw, S. = *7«) gefunden.
Die Staphylomata postica waren jetzt eben so gross,
wie vor zwei Monaten zurück. In der Folge wurde bei
Anwendung von Atropin in beiden Augen Hypermetropie
ohne jegliche Anzeichen von Astigmatismus, im rechten
= Vui im linken = V20 gefunden, aber wahrscheinlich
war sie bedeutend grösser, aber um wie viel grösser,
konnte nicht bestimmt werden, da der Krampf noch nicht
vernichtet war.
Dieser Fall ist genauer in unserer besonderen Ar-
beit über scheinbare Kurzsichtigkeit beschriel)en worden;
102
hier erwähDen wir seiner nar insoweit, als er den vor-
liegenden Gegenstand angeht.
In der angegebenen Arbeit ist ein Fall von inter-
mittirendem Astigmatismus (hierbei schwankte im hori-
zontalen Meridiane M. = zwischen Vm und ^/so , im verti-
calen = zwischen Vm ^^^ Vss) angeführt, wo derselbe
bald auftrat, bald verschwand, einer einfachen Myopie
Platz machend, die ihrerseits wiederum bedeutende
Schwankungen zeigte, und daher aller Wahrscheinlich-
keit nach eine scheinbare war.
Wir werden hier keine anderen Fälle, in denen bei
Krampf unbedeutendere Unterschiede in den Hauptmeri-
dianen vorkamen, die darauf bei Anwendung von Atropin
völlig schwanden, anführen; wir wollen nur sagen, dass
solche Fälle bei unseren Beschäftigungen uns nicht be-
sonders selten vorkamen. Unserer Meinung nach ist es
am wahrscheinlichsten, dass dies solche Fälle waren, wo
in Folge einer ungleichmässigen Verkürzung des Giliar-
muskels nur der normale Astigmatismus, der sich in
jedem menschlichen Auge vorfindet, vergrössert war.
Zu dieser Kategorie müssen auch die Fälle gezählt
werden, wo sich gar keine deutlichen Symptome von
Astigmatismus, weder bei Krampf noch nach einer voll-
ständigen Lähmung der Accommodation zeigten, wo je-
doch bisweilen ein bedeutender Unterschied in den Meri-
dianen während des Gebrauchs von Atropin, während der
Wirkung desselben auf die Accommodation, bemerkt
wurde, wo folglich nicht alle Fasern des Ciliarmuskels
gleich schnell und gleich leicht der Wirkung des Atropin
wichen und dadurch einen vorübergehenden Astigmatis-
mus hervorbrachten. Einen ähnlichen Unterschied in den
Meridianen bemerkten wir auch in unseren eigenen Augen,
wenn wir sie der Wirkung des Atropin unterwarfen;
dabei sahen wir abwechselnd bald im horizontalen, bald
im verticalen Meridiane besser. Es ist bemerkenswerth,
103
dass dieser Unterschied sich im AnCange der L&hmung
der AccommodatioD und in dem Moment, wo P. und R.
in den negativen Baum zu gehen begannen, mehr äus-
serte. Aber am auffallendsten beobachteten wir eine
solche ungleichzeitige und ungleichmässige Lähmung aller
Fasern des Accommodationsmuskels in folgendem Falle:
J. E., 14 Jahre alt, klagte am 16. December 1867
über heftigen Schmerz im Kopf und in den Augen beim
Lesen ; sein rechtes Auge ist von Kindheit auf nach innen
Abgelenkt und ex anopsia amblyopisch. Die Amblyopie
war auch im linken Auge gross. Auf 20' sah er keine
einzige Nummer der Snellen'schen Schriftproben, mit Vte
und V9S sah er CO., aber nicht mehr; im horizontalen
Meridiane sab er convex bis V?» die Sehschärfe war
jedoch nur ^/woy für den verticalen Meridian waren am
besten schwache Gläser bis = Vw, aber auch in diesem
war die Sehschärfe nur =■ ^^/mo. Somit bestand der
ganze bei der Untersuchung gefundene Unterschied darin,
dass Patient im horizontalen Meridiane schärfere Gläser
ertrug als im verticalen; die Sehschärfe in beiden war
jedoch dabei eine gleiche. Ohne Brillen konnte Patient
nur Jäger No. 8 auf 3", mit Vio No. 3 auf 3" lesen.
Die Bulbi waren in der Gegend des Aequators stark
erweitert, die Pupillen weit; die Sehnervenscheiben be-
sassen eine nnregelmässige keilförmige Form, waren im
hyperämischen Zustande; die Gefässe der Nervenscheibe
und der Netzhaut waren erweitert, Patient war dabei
lichtscheu.
Trocknes Atropin ward in beide Augen gebracht und
eine starke Lösung zum häuslichen Gebrauch gegeben.
Nach zwei Tagen war mit V? s die Sehschärfe schon
== **/7o, im horizontalen Meridiane sah er am besten
mit V?, S. war = ^^/w; im verticalen mit Vio war S.
= »/60, folglich Ah, = V«.
Am 22. December war im horizontalen Meridiane H.
104
= Yt, S. = ^/^, im verticalen H. = Vio? di« Sehschärfe
war jedoch besser als früher und Patient konnte schon
No. XL erkennen, mit der Combination V24C C Vios war
S. = »Ao.
In den folgenden Tagen nahm die Hypermetropie im
verticalen Meridiane immer mehr zu, aber sehr langsam,
Anfangs von Vio bis V9, und die Sehschärfe stieg dabei
in beiden Meridianen, so dass sie in jedem = ^/ao betrug.
Am 4. Januar 1868 war im horizontalen Meridiane
H. = Vt; im verticalen nur = Vs» S. = *7«). Mit V3o<^
c V9S sah er deutlich No. XL in der Ferne, mit V7 und
V9 S. konnte er in No. XL nur den einen Buchstaben V
erkennen.
Nach noch einigen Tagen war im verticalen Meridiane
H. = Vs und der Unterschied verschwand dann ganz, so
dass in beiden Meridianen H. = V? ? S. = ^Vw war. Dem
Patienten wurde für's Erste eine Brille V9 gegeben.
Im angeführten Falle verdient die bedeutende Besse-
rung der Sehschärfe unter dem Einflüsse von Atropin
unsere Beachtung; nach der Wiederkehr der Accommo-
dation war seine Sehschärfe ohne Gläser in der Ferne
= **/6o, in der Nähe las er bequem Jäger No. 1, während
er vor Anwendung von Atropin in der Ferne nichts sah
und in der Nähe nur Jäger No. 8 erkennen konnte. Pa-
tient gewöhnte sich leicht an die Brille und die Schmerzen
in den Augen und im Kopfe hörten auf. Die Erklärung
der Amblyopie, die vor der Anwendung des Atropin be-
standen hatte, muss man in einer ungleicbmässigen Ver-
kürzung des Ciliarmuskels und in dem dadurch hervor-
gebrachten Astigmatismus, der aus einem regelmässigen
und unregelmässigen zusammengesetzt war und der durch
Atropin vernichtet wurde, suchen. Die Hyperämie des
Augengrundes und der Papille nahmen gleichfalls durch
das Atropin ab, was seinerseits auf die Sehschärfe wir-
ken konnte.
105
Im Endresultate werden wir, gegen die bis jetzt in
der Wissenschaft herrschenden Ansichten, darauf beste-
hen, dass selbst ein bedeutender Unterschied in
der Refraction der Hauptmeridiane, der bei der
sorgfältigsten Untersuchung gefunden wird,
wenn dabei keine völlige Lähmung der Accom-
modation vorhanden war, durchaus keinen Astig-
matismus, der vom Baue des Auges abhängt, be-
weist, dass in gleicher Weise unter derselben
'Bedingung eine gleiche Befraction der Haupt-
meridiane durchaus Astigmatismus nicht aus-
schliesst. Daher muss bei Bestimmung des
Astigmatismus das Atropin ein ebenso noth-
wendiges Mittel ausmachen, wie die stenopäi-
sche Spalte und andere, zu diesem Zweck erfun-
dene Instrumente.
Weitere Zusfltze über das Verfahren des
peripheren Linearsohnittes.
Von
A. V. Graefe.
I. Name«
Da der Name des von mir empfohlenen und jetzt von
einem grossen Theile der Fachgenossen mit Vorliebe aas-
geübten Staaroperationsverfahrens Gegenstand verschie-
dener Einwendungen und Erörterungen geworden ist, so
komme ich noch einmal auf denselben zurück.
Was zunächst das Hauptwort Linear schnitt an-
betrifft, so möchte ich dasselbe unbedingt aufrecht er-
halten, denn nicht allein, dass das Verfahren sich histo-
risch aus dem Bestreben entwickelt hat, die Lappenhöhe
unter Erhaltung günstiger Bedingungen für den Linsen-
austritt möglichst zu verringern, sondern es knüpft sich
die ganze Physiognomie der Operation und die grössere
Freiheit im nachträglichen Verhalten der Patienten an
die durch die Linearität gegebene, auch ungewöhnlicheren
Druckkräften trotzende Innigkeit des Wundcontactes.
Misslicher als die Wahl des Hauptwortes erscheint
die Beigabe eines die Methode in ihrem Principe mög-
lichst kennzeichnenden Epithetons. Da gerade fllr die
107
betreffende Schnittform die gleichzeitige Verrichtung
der Iridectomie eine wesentliche Zuthat ist, so glaubte
ich mich berechtigt, in den Namen ein Beiwort („modi-
ficirt'') aufzunehmen, welches, so inhaltleer es an sich
ist, doch bereits bei anderen Verfahren rücksichtlich auf
die Combination mit Iridectomie Anwendung gefunden
hatte. Es zeigte sich indessen bei manchen Fachgenossen
entschiedene Unzufriedenheit über dieses «.wenig bezeich-
nende'' Beiwort, welche sich auch in mancherlei Sub-
stitutionsvorschlägen Luft machte; ausserdem bewog mich
eigenes Nachdenken über dasjenige, was den Kern der
Sache bildet, neuerdings die Bezeichnung „peripherer
Linearschnitt" vorzuziehen. In der That ist die
Manipulation an der äussersten Peripherie der Kammer,
wie sie durch den Gebrauch des schmalen Messers be-
werkstelligt wird, die Lage des Schnittcanals theils im
Grenzbereich der Hornhaut, theils in der Sclera selbst,
dasjenige, was den spontanen Linsenaustritt in erwünsch-
ter Weise vermittelt und neben der Linearität zu den
günstigen Heilbedingungen am meisten beiträgt Und
wie ich früher nicht damit einverstanden gewesen, Ope-
rations weisen nach dem letzten Act, der Linsenentbin-
dung, und etwa dabei gebrauchten technischen Hülfs-
mittein, zu bezeichnen, weil dieser Act so zu sagen eine
nothwendige Consequenz der Schnittform ist, so scheint
mir ein ähnliches Raisonnement auch die Zwischenacte,
unter welche die Iridectomie gehört, zu treffen«
Wäre es bei dem jetzigen Schnitte möglich, ohne
entschiedene Gefahren die Iris zu schonen, so würden
wir dies vermuthlich thun, wie wir es früher bei der
Lappenextraction in einer grossen Quote der Fälle tha-
ten. Allein die Schnittform verlangt das Opfer der Iris-
excision, auf dessen relativ geringes Gewicht wir hier
nicht zurückkommen wollen. Schon nach dem ersten Act
pflegt die Iris weit zu prolabiren und würde der Staar,
108
welcher hier fast gar keine Axendrehung macht, ohne
Iridectomie bei seinem Aufwärtssteigen gerade gegen die
ectropionirte Iris arbeiten, und dieselbe auf die sclerale
Wnndlefee quetschen. Aber wenn es selbst gelänge, den
Act der Linsenentbindung ohne solche Quetschung zu be-
enden, was ich fUr weiche Corticalis nicht ganz in Ab-
rede stellen will, so bliebe doch als ein unvermeid-
licher Nachtheil das, fast zur Nothwendigkeit werdende
Eintreten einer Heilung mit prolapsus iridis. Bekannt-
lich wächst die Wahrscheinlichkeit dieses Heilungsvor-
ganges mit der Periphericität der Wunde, weshalb man
bei der Lappenextraction, ehe man die Iridectomie hin-
zuzog, vor zu peripheren Schnitten energisch warnte. Es
involvirt in der That aus diesem Grunde jeder periphere
Staarschnitt die gleichzeitige Verrichtung der Iridectomie
und wir verfahren logisch, wenn wir in die Bezeichnung
das Bedingende und nicht das Bedingte aufnehmen.
Ware der Ausdruck „sclerale Linearextraction", der
von mehreren Fachgenossen gebraucht worden, bereits
acceptirt, so würde ich, bei dem massigen Gewicht, wel-
ches ich auf die ganze Namenfrage lege, gewiss der Letzte
sein Einspruch zu erheben. Da indessen auch dieser
Ausdruck noch der Beistimmung harrt, so möchte ich
die Täuschung, die in demselben liegt, einstweilen nicht
befürworten. Wenn der Schnitt, wie ich ihn jetzt aus-
führe, meines Erachtens so peripher ist, als er ohne
überwiegende Nachtheile sein kann, so liegt doch der
Wundcanal noch lange nicht zur Hälfte in der Sclera,
wie ich unten erörtern werde.
U. Lappen höhe (Grad der Liuearität).
In einer Angelegenheit, welche tagtäglich ihren prak-
tischen Einfluss entfaltet, hat wohl jeder Autor die Ver-
_109_
pflichtung, MissverständDisse sofort za corrigiren, selbst
da, wo eine baldige Ausgleichung derselben durch münd-
liche Ueberlieferung und durch ein Zurückgehen auf die
Quellen zu erwarten steht. In diesem Sinne erlaube ich
mir zu erwähnen, dass eine kleine Bemerkung in meiner
letzten Mittheilung über diesen Gegenstand (s. A. f.
0. XIII, 2 pag. 5ö9), vielleicht auch der Nachtrag der
Ad. Weber' sehen Arbeit (A. f. 0. XIII, 1 pag. 273)
hier und da zu der Annahme geführt hat, als sei ich
von meiner ursprünglichen Schnittform zu einer anderen
übergegangen, die der gewöhnlichen praktischen Ver-
ständigung nach wieder den Namen eines Lappenschnitts
verdiene. So fand ich es wenigstens in mehreren Publi-
kationen über den Gegenstand wiedergegeben. Ich habe
(1. c.) lediglich angegeben, dass ich dem schmalen Messer
jetzt nicht mehr eine so steile, fast horizontale Richtung
wie anfänglich, sondern eine schräge Aufwärtsrichtung
gebe, und ist dies auch seitdem meine Praxis geblieben.
Es ist von mir (ibid.) eigens hinzugefügt worden, dass
eine grössere Lappenhöhe hierbei nicht entstehe, sondern
dass es sich um eine minimale Steigerung derselben,
etwa auf Vs'"« handele, welche Lappenhöhe auf eine
^Schnittlänge von ungefähr 5'^', noch eine geringere ist
(6 — 7^ der Länge) als sie sonst bei den gewöhnlichen
kleineren Lanzenmesserschnitten, z. B« behufs Iridectomie,
die man unbedingt als Linearschnitte ansah, existirte.
Jener äusserst geringe Zuwachs schien mir für das Princip
der Linearität (der äusseren Wunde) von keinem prak-
tischen Belange, wohl aber konnte durch die schrägere
Haltung des Messers der Zweck erreicht werden, die
äussere Wunde durchweg in den Scleralbord zu verlegen,
wodurch dieselbe jedenfalls an Gleichartigkeit gewinnt
und in gleichmässiger gekrümmte Theile fällt, als wenn
sie in ihrem mittleren Abschnitte den peripheren Horn-
hautsaum tangirt Die geringe Neigung der Sclera zu
110
SuppuratioDen, die leichtere Bildung eines Conjunctival-
lq)pens, dessen Freund ich immer noch bin, so wenig
ich dessen Rolle bei der Heilung präcisiren mag, endlich
die höchst beachtenswerthen Versuche Adolph Weber's
über die geringere Klaffung von Schrägschnitten — das
Alles bestärkte mich in der, übrigens für den Habitus
der Operation wenig in die Wagschale fallenden Modi-
fication.
Der Irrthum, dass sich an eine stärkere Aufwärts-
neigung des Messers — dieselbe beträgt bei meinen Ope-
rationen circa 45^ gegen den horizontalen Durchschnitt
des operirten Auges — sofort eine namhafte Lappenhöhe
knüpfen müsse, beruht wohl auf der Nichtberücksichti-
gung folgender zwei Umstände:
1) erhebt sich bereits die Ebene des grössten Scleral-
kreises, der durch die Wundwinkel geht, circa 25 <* über
den horizontalen Durchschnitt des Auges. Einer Messer-
erhebung von 45^ entspricht deshalb nur eine Deviation
des Wundcanals um 20° von jener Ebene;
2) bedingt eine schräge Richtung des Schnittes bei
der geringen Tiefe des peripheren Eammerraumes, resp.
bei der geringen Höhe des Schnittganges doch nur
eine verhältuissmässig unbedeutende Lappenhöhe.
Wir verstehen hierbei unter Schnittgang diejenige
(in der unbegrenzten Schnittebene hegende) segment-
artige Figur, welche von der räumlichen Verbindungs-
linie der Pnnktions- und Contrapunktionsstelle einerseits,
von der Kurve der äusseren Wunde andererseits begrenzt
wird. Dieselbe Figur wird auch dargestellt durch die
gerade im Auge befindliche Fläche des Linearmessers,
wenn dasselbe eben bei genauer Ausfüllung der Wunde
den Schnitt beendet. Als Basis des Schnittganges
haben wir die räumliche Verbindungslinie zwischen
Punktions- und Contrapunktionsstelle anzusehen. Diese
Basis theilt der Schnit^ang bei einer schrägen Wunde
natürlich mit dem (den Wundwinkeln) zugehörigen Li-
nearschnitt. Als Höhe des Schnittganges bezeichnen
111
wir den Abstand der Wundmitte von der Mitte der Ba-
ais; als Schrägheit des Schnittes den Winkel, den
der Schnittgang (an seiner Basis als Kante) mit der
Ebene des Linearschnittes macht. Setzen wir als Lap-
penhöhe den senkrechten Abstand derWnndmitte von
der Ebene des zugehörigen Linearschnitts (was ich in
mancher Beziehung für noch entsprechender halte, als
den Abstand der Wnndmitte von der Mitte des auf die
Augenoberfläche fallenden grössten Kreises zn nehmen),
so resultirt für regelmässig geformte Wunden, wie wir
sie erstreben, folgender Satz: die Lappenhöhe ist bei
gleicher Schrägheit des Schnittes direkt proportional der
Höhe des Schnittganges und weiter: die Lappenhöhe ist
bei gleicher Höhe des Schnittganges direkt proportional
dem Sinus der Schrägheit. Der Nachweis liegt auf der
Hand; denn in der Meridianebene, die wir durch die
Wundmitte legen, begrenzen die Lappenböhe des Schräg-
schnittes (H.) und die beiden Durchschnittslinien (eben
dieser Meridianebene) mit den Ebenen des Schrägschnittes
und des Linearschnittes ein rechtwinkliges Dreieck, in
welchem die Höhe des Schrägschnittganges (h) die Hy-
pothenuse bildet, und die Lappenhöhe (H) als Kathete
dem Schrägheitswinkel (a) gegenüberliegt Demnach
H = h sin. a : die Lappenhöhe ist sowohl der Höhe
des Schnittganges als dem Sinus der Schrägheit direkt
proportional.
Man kann sich die Verhältnisse auch dadurch ver-
sinnlichen, dass man an die Breite des die Schnittbeen-
dignng vollziehenden Messertbeils denkt. So gut wie
die in diesem Moment gerade im Auge befindliche Messer-
fläche den Schnittgang repräsentirt, so bezeichnet die
Messerbreite, die bei vorstossender Bewegung eben noch
in Wirksamkeit tritt, die Höhe des Schnittganges, und
wenn, wie soeben erörtert, bei Schrägschnitten die Lap-
penhöhe dieser Höhe des Schnittganges proportional ist,
so begreift sich die geringe Dimension der Lappenhöhe,
welche der mit dem schmalen Messer verrichtete Schnitt
selbst bei einer Schrägheit von 20^ erreicht.
M M M = Meridianebene, welche durch die Wundmitte
(W) des Schrägschnittes gelegt ist.
112
L L = Diirchschnittslinie dieser Ebene (MMM) mit der
Ebene des Linearschnittes.
8 8 = Dnrchschnittslinie der Meridianebene (MMM)
mit der Ebene des Scbrägschnittes.
H = Lappenböhe des Scbrägschnittes (senkrechter
Abstand der Wandmitte W von der Ebene des
Linearschnittes.)
h = Höhe des Schnittganges des Schrägschnittes (Ab-
stand der Wandmitte W von der Mitte B der
beiden Schnittgängeu gemeinschaftlichen Basis).
a = Schrägheit des Scbrägschnittes (Deviation sei-
nes Schnittganges von dem linearen).
Bei einigen Autoren mag auch wohl die Figur in
meiner ersten Arbeit (s. A. f. 0. XI, 3 pag. 14
Fig. II) die Vorstellung erregt haben, dass es sich um
eine nicht ganz unbeträchtliche Lappenhöhe handele. Da
es sehr misslich ist, Linien von einem äusserst geringen
Abstände klar zu verzeichnen, so hielt ich es fttr unver-
fänglich, die Linie meines Schnittes in der Figur etwas
mehr auszuschweifen, wenn dabei im Texte der wirkliche
Abstand genau angegeben ward; immerhin betrug auch
113
die dort in der Figur verzeichnete Lappenhöhe nur */>'''•
Bei der Operation selbst pflegt man die Lappenhöbe
grösser zu taxiren, als sie in Wirklichkeit ist, indem
man unwillkührlich die Scbnittverhältnisse in der Con-
junctiva, die ja ganz anderer Art sind, auf die Vorstel-
lung von der Wundform überträgt Um diese besser zu
übersehen, muss man die Conjunctiva sorgfältig ab-
wärts streifen, sogar einigermassen abwärts spannen,
wobei sie wieder den oberen Homhauttheil verdeckt und
die Schätzung erschwert
Den besten Massstab für die Lappenhöhe gewinnen
wir, abgesehen von der Berechnung und von Versuchen an
Modellen und an Leichen, an derVerzeichnung der Nar-
ben. In einem grossen Theile der Operationen finde ich
freilich, namentlich seitdem ich das Messer etwas schräger
nach oben richte, die Narbe völlig unscheinbar, so dass
man selbst bei geeigneter Beleuchtung und Vergrösse-
rung ihren Gang später nicht genau verfolgen kann. In
anderen dagegen, welche zahlreich genug sind, kenn-
zeichnet sich die Narbe durch eine hier und da intensi-
vere, dann wieder lichtere, aber immerhin gut zu ver-
folgende, bräunlich blau pigmentirte Linie. Es handelt
sich hier nicht etwa meist um Irisgewebe oder Irispig-
ment, welches in der Wunde eingeklemmt ist — eine
unwillkommene Zuthat, die ich jetzt in der unendlichen
Mehrzahl der Fälle vermeide und die übrigens weit grö-
bere, braune oder bräunlich^flAwarze Flecken und Streifen
hinterlässt — sondern es ist dRiPigmentimng einer ganz
feinen Zwischensubstanz oder aach der Wnndränder des
Scleralbords selbst, welche vorliegt Ich habe eine grös-
sere Anzahl solcher Narben theils selbst notirt, theila
von Herrn Dworzaczeck abmalen lassen und an den-
selben die Lappenhöhe bestimmt Es zeigt sich ganz
übereinstimmend mit der Berechnung gewöhnlich die
Lappenhöhe zwischen V4'" ^^^ Vs'"i ^ einigen Fällen
ÄxtMw (Vr Ophthalmolofl*, XIV. S. 3
114
noch unter V4'''; in äusserst wenigen bereits nicht ganz
kunstgerechten Schnitten von ^U"\ Ich gebe hier
einige Figuren: Fig. 1. betrifft einen Fall, in welchem
die Lappenhöhe ihre durchschnittliche Grösse zeigt (etwa
0,3 "0- Figur 2. zeigt einen Fall, in welchem dieselbe
unmessbar klein ist Figur 3. dagegen repräsentirt einen
Fall, in welchem durch eine Unregelmässigkeit im Schnitte,
auf welche ich gleich zu sprechen komme, die Lappenhöhe
ihr Maximum von V5'" erreicht. Man darf übrigens auch
in diesen, völlig naturgetreuen, Figuren nicht den Abstand
der Wundmitte von der Mitte der Verbindungslinie zwischen
Punktion und Contrapunklion auf der Ebene der Zeichnung
mit der Lappenhöhe streng identificiren, weil in der Stellung,
in welcher solche Zeichnungen gewöhnlich aufgenommen
werden, der Linearschnitt bereits eine bedeutende pei*spek-
tivische Ausschweifung nach oben zeigt. Um dieselbe ver-
schwinden zu lassen, müsste dieBlickebene des Beobachters
mit der Ebene des Linearschnittes und nicht mit dem hori-
zontalen Augendurchschnitt coincidiren, und so muss es
in der That, wenn man zu genauen Resultaten gelangen
Fig. 1.
will, geschehen, falls man sich nicht teleskopischer An-
sichten, in denen die Fehlerquelle wegen der grossen
Entfernung sehr gering wird, bedienen will. Hat man
übrigens erst in einigen Fällen die Lappenhöhe genau
bestimmt, so hilft bei neuen Ansichten bald der Vergleich
115
und maD lernt die Lappenhöhe mit ziemlicher Genauig-
keit taxiren, wenn nur die Beobachtungen resp. Zeich*
Fig. 2.
nungen ungefähr in derselben Entfernung aufgenommen
werden.
Fig. 3.
üeber die Unregelmässigkeit, durch welche die Lap-
penhöhe das Mass von Vs'" überschreitet und von welcher
Figur 3 ein Beispiel liefert, sei Folgendes bemerkt. Ich
habe empfohlen, nach verrichteter Punktion nicht sofort
auf die Contrapunktionsstelle zu zielen, sondern das
Messer zunächst diametral in der vorderen Kammer vor-
wärts zu bewegen, bis es in derselben die für die innere
Wunde bestimmte Länge von gegen 4*" entwickelt. Wir
sind nun bei dieser ersten Bewegung gewissermassen
aus Gewohnheit geneigt die Messerfläche vertical, d. h.
der Irisfläche parallel, zu halten, wodurch die erste
Strecke der Wunde in einer Dimension von etwa V4'"
eine stärker aufsteigende Richtung erhält und dann mit
der übrigen Wunde einen stumpfen Winkel bildet, der
8*
116
die lASpenhöhe vergrössert (siehe die Figur.) Um diese
ünregelinässigkeit zu umgehen, muss man der Messer-
schneide bei der ersten Bewegung eine massige Richtung *)
nach vom ertheilen. Es nimmt dann jene kleine tem-
porale Strecke der Wunde sofort eine mehr horizontale
Richtung an und befindet sich fast genau in der Fortsetzung
der übrigen Wunde. — Der Fehler, um den es sich handelt,
flUt übrigens noch mehr als Unregelmässigkeit der
Wunde, als hinsichtlich der Lappenhöhe in Betracht.
Es wird durch denselben die innere Wunde gerade an
der Pnnktionsstelle in einer unnützen Weise der Ciliar-
gegend nahe gebracht und die ohnedem an dieser Stelle
ihr Maximum erreichende Neigung zu Jriseinklemmung
(s. unten) gesteigert, ausserdem vielleicht zu Fortpflan-
zung der Irritationsvorgänge auf die Ciliartheile Anlass
gegeben. Die Anomalie wird um so grösser, wenn bei
Nichtbefolgung des gegebetfin Rathes dw Messer, wie
ich es in einigen InstrumMtomn gefiindlBn habe, nicht
vollkommen schmal ist. Eck halte die» atNdi aus vielen
anderen Gründen für fehlerhaft; je mehr man in der
Operation heimisch wird, je mehr überzeugt man sich,
düiSa die Schmalheit des Linearmessers nur in der
Solidität der Fabrikation ihre Grenze findet Die Mani-
pulation an der äussersten Peripherie der vorderen
Kammer, die freie Wendung des Instruments, und alles,
was sich weiter daran knüpft, erfordert unbedingt ein
ganz schmales Instrument; ich würde selbst das jetzt
gebräuchliche Modell, wenn man mir etwas Geeignetes
liefert«, gern reduciren.
*) IM« MeffterflSehe befindtt sioh hierbei zwar Dicht io der epfiteren
OperstionBebene, welche nach unten zugleich erhebUch nach hinten al>-
weicht, aber lie befindet eich, wie man leicht begreift, in einer Ebene»
deren Barchschnittslinie mit der Oberfläche der Selera für eine so
Inne Strecke nur Sasserst wenig Ton der Dnrchsohnittslinie der spa^
teren Operationsebene abweicht.
117
Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Lappenhöhe
bei der jetzigen Operationsmethode eine äusserst geringe
ist, und müssen wir beim Anblick der Wundform noch
einmal entschieden darauf bestehen, dass hierbei von
einem Lappenschnitt zu reden, gegen den allgemein
acceptirten Sprachgebrauch wäre. Mehrere Verfasser sind
über diese Angelegenheit mit der Argumentation hinweg-
geeilt, dass, wenn einmal doch kein mathematisch genaner
Linearschnitt verrichtet werde, es sich füglich nur um
einen Lappent^chnitt von graduirter Höhe handele, und
die ganze Operation ins Bereich der früheren Lappen-
extraction falle. Ein quantitativer Unterschied, wenn er
eine gewisse Grenze überschreitet, kann zu einem aus-
gesprochen qualitativen werden, und so geschieht es in
der palpabelsten Weise, wenn die Lappenhöhe von ihren
früheren Maassen 50, 40, in minimo 33 % der Wund-
länge, in das äusserst geringe, sie fast verschwindend
machende, von 6 — 7^ zurücktritt.
In der Befürchtung, dass die empfohlene Wundform
zu Contusionen Anlass geben könnte, ist mehrfach zu
intermediären Verfahren, flachen Bogenschnitten im
Scleralbord von etwa 1'" Lappenhöhe, Zuflucht genommen
worden. Wenngleich die meisten derartigen Versuche
bald wieder zu Gunsten der von mir befürworteten
Technik aufgegeben >^urden, so möchte ich hier noch
einmal betonen, dass mir für die Wiedereinführung irgend
einer erheblicheren Lappenhöhe aus der Erfahrung nicht
der mindeste Grund hervorzugehen scheint. Selbst die
minimale Lappenhöhe, welche ich bei meiner Messerhaltung
noch behalte, hat keineswegs den Zweck, die Staarent-
bindung, für welche ohne dieselbe die günstigsten Bedin-
gungen obwalten, zu erleichtem, sondern empfiehlt sich
lediglich aus den oben erörterten Motiven der anatomi-
schen Wundlage und des innigeren Contactes. Dagegen
knüpfen sich gerade für sehr periphere Schnitte an die
_118_
Beibehaltung oder WiedereinfÜhruDg einer namhafteren
Lappenhöhe sofort wichtige Nachtheile, zu denen beson-
ders die unförmliche Grösse der Colobome, die zuneh-
mende Tendenz zu Vorfällen, die Schwierigkeit unter
genauer Fixation der Augenlider und des Bulbus nach
oben zu operiren, gehören.
Ich habe auch die feste Ueberzeugung, dass diejeni-
gen, welche nach Jacobsons Vorgange aus anatomischen
Gründen das Princip möglichst peripherer Wunden f&r
die Staaroperation zu Grunde legten, durch eine natür-
liche Fortbildung ihrer Verfahrungsweisen, ohne auf die
Entwicklung Bücksicht zu nehmen, welche die Linear-
extracüon inzwischen in England und bei uns gewonnen
hatte, mit der Zeit zu der jetzigen oder einer ganz ähn-
lichen Schnittform gelangt wären, denn es hätte ihnen
bei der fortgeführten Beobachtung ihrer eigenen Opera-
tionstechnik nicht entgehen können, wie überflüssig für
den Linsenaustritt jedwede namhaftere Lappenhöhe ist,
so bald einmal die innere Wunde dem Linsenaequator
gegenüber gebracht und die Axendrehung des Staars bei
seinem Austritt vermieden ist Wenn das jetzige Besul-
tat auf einem andern Wege erreicht worden ist, wenn
das Bestreben, mit möglichster Beduction der Lappenhöhe
einen für den Austritt der Linse ausreichenden und
zweckmässig gerichteten Wundcanal zu erhalten, uns aus
räumlichen Gründen in den Scleralbord hineingedrängt
hat; so bleibt es immer höchst befriedigend, dass dieses
Resultat zugleich mit dem Zielpunkte zusammenfallt, auf
welchen die anatomische Berücksichtigung des zur Hei-
lung dienlichsten Terrains zu steuern berufen war. Das
günstige ürtheil, welches Jacobson (s. A. f. 0. XIV, 1)
über die jetzige Schnittfahrnng fällt, giebt für die Har*
monie der Bestrebungen gewiss einen willkommuen Beleg,
der die allgemeine Einigung in dieser Frage zu fördern
nicht verfehlen wird.
119
Zur Verständigung sei hier noch eine Schlussbemer-
kung über den Begriff der Linearität angereiht Man
kann das Wort Linearschnitt lediglich auf die äus-
sere Wunde oder auf den gesammten Wundcanal
beziehen. In ersterer Bedeutung würde ein Linearschnitt
ein solcher sein, bei welchem unabhängig von der Rich-
tung des Wundcanals die äussere Wunde die kürzeste
Verbindungslinie zwischen Punktions- und Contrapunk-
tionsstelle darstellt, das heisst mit der Linie des grössten
Kreises an der Oberfläche coincidirt. In letzterer Bedeu-
tung aber würde zugleich der Anforderung Genüge ge-
leistet, dass der Wundkanal resp. die Flächenverbindung
zwischen innerer und äusserer Wunde, die relativ kleinste
Breite hat, was nur zu Stande kommt, wenn der Schnitt
durchweg in die Ebene des grössten Kreises filllt, resp.
zu den beiden Oberflächen der Bulbnshülle senkrecht
steht. Bei den räumlichen Erörterungen haben wir
diese letztere Bezeichnung, schon weil sie einer bün-
digen Ausdrucksweise dient, zu Grunde gelegt Für die
praktische Frage aber, bei welcher wir an das Wort
Linearität besonders die Vorstellung des möglichst ge-
ringen Aufklaffens knüpfen, dürfte es, besonders seitdem
die Vorzüge der Schrägschnitte*) in dieser Beziehung
dargcthan sind, geeigneter sein, lediglich die erstere
Bedeutung zu adoptiren. Wir zögern deshalb nicht, un-
seren gegenwärtigen Schnitt, dessen Lappenhöhe £ast
verschwindend ist, trotz des schrägen Wundcanals als
Linearschnitt zu bezeichnen. Soll derselbe genauer definirt
werden, so muss er als ein 5'" langer Schrägschnitt von
circa 20"* Neigung, mit einer Lappenhöhe von 6—7^
«) Den Ausdraok Schragsohnitt gebrauche ich da, wo die De-
Yiation dei WandeanaU toxi der Ebene des grössten Kreises geringer
ist als diejenige yon der Tangentialfläobe, den Ansdraok Flaohschnitt
da, wo der Wandcanal mit der Tangentialflacbe einen goringeren
Winkel maobt, als mit der Bbene des grössten Kreises.
120
der Länge, bezeichnet werden, dessen äussere Wunde
gänzlich im Scleralbord liegt, während der Canal sclero-
corneal ist
in. Wundlage (Grad der Periphericität)
In meiner ersten Arbeit über die jetzige Methode
(s. A. f. 0. XI, 3, pag. 63) glaubte ich auÜBtellen zu
dürfen, dass nicht bloss die äussere Strecke des Wund-
kanals sondern fast der gesammte Kanal mit Ausnahme
seiner innersten Partie in das Scleralbereich falle. Ob-
wohl ich heute die Punktion und Contrapunktion ebenso
peripherisch anlege wie damals, und durch die etwas
schrägere Richtung, die ich dem Messer ertheile, so zu
sagen noch scieraler operire als zu jeuer Zeit, so sehe
ich mich doch genöthigt, den obigen Satz etwas einzu-
schränken. Man täuscht sich gar leicht bei Opera-
tionen an der Peripherie der vordem Eammer über die
Lage des Wundkanals und der inneren Wunde; man
überträgt, auch unter scheinbar unbefangenster Berück-
sichtigung der anatomischen Verhältnisse, bei der Taxa-
tion unwillkühriich zu viel von den an der äusseren
Wundstrecke direct beobachteten Lagerungsverhältnissen
auf die tieferen Theile des Wundkanals, man erwägt
nicht ausreichend, dass die sagittal nach hinten laufende
Sclerocornealgrenze mit dem Wundkaual genugsam con-
vergirt um sich, selbst bei stark scieraler Lage der äus-
seren Wunde, mit demselben noch relativ weit nach vorn
zu schneiden — mit einem Wort, man überschätzt die
Periphericität des Wundkanals hinsichtlich seiner hinteren
Strecke und seiner inneren Apertur. Dass ein ähnlicher
Irrthum uns leicht für peripherische Iridectomieen bef&ngt,
hat sich zur Genüge erwiesen. So glaubte Schweigger
trotz seiner reichen anatomischen Erfahrung eine Zeit-
lang daran, dass bei recht peripherer Iridectomie die
121
innere Wunde noch in das Bereich der Tensor-Sehne
fallen könnte, bis Untersuchungen an operirten Augen
ihm nachwiesen, wie weit, nach der sorgfältigsten An-
strebung peripherischer Lage, jene Wunde noch in dem
Bereich der Hornhaut zu liegen kommt. Nicht anders
verhält es sich nun, mutatis mutandis, bei der jetzigen
Schnittform. Die Manipulation mit dem schmalen Messer
sichert allerdings der Wunde eine Periphericität, welche
niemals durch ein Lanzenmesser zu erreichen wäre, sie
macht es unmöglich, dass der Schnitt in irgend einer
Strecke die äusserste Hornhautzone nach innen über-
schreite, aber in dem eigentlichen Scleralgewebe liegt
noch bei weitem nicht die Hälfte des Wundkanals.
Die Untersuchungen, welche zu diesem Resultate
führten, beruhen theils auf Staarschnitten, die ich mög-
lichst rasch nach dem Tode ausführte, theils bot sich
nach früher verrichteten Operationen an Lebenden mehr-
mals eine instructive Gelegenheit. Das eine Mal war
ein Patient wenige Wochen nach seiner Staaroperation
an einer mit Delirium tremens complicirten Pneumomie
gestorben, so dass uns das übrigens völlig gut geheilte
Auge zur Verfügung stand. Zwei andere Male hatte ich
den peripheren Linearschnitt nicht behufs Staaroperation,
aber in ganz identischer Weise behufs Iridectomie bei
eitrigen Glaskörperinfiltrationen, welche nach perforiren-
den Verletzungen aufgetreten waren, verrichtet, in der
Hoffnung, diese Processe vielleicht zu sistiren; es konnte
indessen schmerzhafter Cyclitis nicht vorgebeugt werden
und stellten sich die Indicationen zur Enucleation ein.
In allen diesen Fällen konnte Folgendes constatirt wer-
den : die äussere Wunde befand sich, wie es ja auch bei
der Operation selbst sichtbar gewesen war, durchweg in
der Sclera, und entfernte sich gegen die Wundecken hin,
mehr als 1 mm., in der mittleren Partie nur äusserst
wenig, etwa Vs nam., von der Cornealgrenze. Der Wund-
122
kaoal selbst lag an den Wundwinkeln allerdings zum
grösseren Theil in der Sciera, nur die innere Strecke
fiel hier in das äusserste Bereich der Hornhaut, so dass
auch die innere Apertur sich noch dicht an der Sclero-
comealgrenze befand; aber dieses Verhältniss änderte
sich sehr rasch, sowie man sich von den Wund winkeln
entfernte; bereits in 1"' Abstand von denselben lag die
grössere Hälfte des Wundkanals in der Cornea und be-
fand sich die innere Apertur um mehr als Va ^^' ^^^^
von der Scleralgrenze. In der centralen Partie der
Wunde stieg dieses Uebergewicht der cornealen Strecke
immer mehr, so dass in der Wundmitte selbst nur noch
die alleräusserste Strecke des Wundkanals in die Sciera
und fast der ganze Kanal in die Hornhaut fiel; die innere
Apertur entfernte sich hier mehr als 1 mm. von der
Scleralgrenze. Ich abstrahire bei diesen Angaben von
der Asymmetrie des Wundkanals zwischen Punktions-
und Contrapunktionsstelle, welche aus der Technik der
Operation resultirt, und an welche sich in der Regel eine
etwas grössere Peripbericität entsprechend der ersteren
schliesst In Summa fiel noch nicht Va^ kaum mehr als V«
des Wundkanals wirklich in das Scleralgewebe, alles
übrige aber in die peripherische Hornhautzone. Ebenso
wie die äussere Wunde durchweg scleral ist, und zwar
an den Wundecken ziemlich weit, in der Wundmitte aber
äusserst wenig in die Sciera hineinreicht, so ist die in-
nere Wunde durchweg corneal und entfernt sich an den
Ecken nur äusserst wenig, in der Mitte aber bereits in
ausgesprochener Weise von der Scleralgrenze.
Dieses sind für mich auch die Gründe gewesen, wes-
halb ich die jetzige Extractionsmethode nicht geradezu
als eine scleral e betrachten kann; es sei denn, dass man
sich hierbei lediglich auf die äussere Wunde und nicht auf
den Wundkanal beziehen wolle. Für die Linearität habe ich
eine derartige Betrachtungsweise allerdings als statthaft er-
123
klärt, da deren Schwerpunkt für die Praxis in dem genauen
Wundcontact liegt; fQr die anatomische Wundlage aber, resp.
die Heilungsvorgänge, die sich an dieselbe knüpfen, betheiligt
sich in integrirender Weise der gesammte Wundkanal. Und
wenn man es selbst urgiren will, dass die Lage der
Aperturen hierbei von ganz hervorstechender Wichtigkeit
ist, sofern die bedeckenden Epithelialschichten (wie be-
sonders die anatomischen Untersuchungen von Elebs
gelehrt haben) durch ihr Verhalten bei den Neubildungs-
vorgängen in der Wunde die Heilung ganz besonders in-
fluenciren, so würde es immer unrichtig bleiben, die
Wunde schlechthin als eine sclerale zu bezeichnen, da
die eine der beiden Aperturen durchweg in die Hornhaut
fällt, und die Erfahrung geuugsam nachweist, dass gerade
von der inneren Strecke des Wundkanals Reizungen aus-
gehen und zu wichtigen Fortpflanzungen auf Iris, Eapsel-
zellen und Ciliargebilde Anlass geben können.
Ich lege auf diesen Punkt schon deshalb Gewicht,
weil, wie mir scheint, ziemlich viele Fachgenossen sich
der irrthümlichen Annahme hingegeben haben, dass man
jetzt durchweg in der Sclera operire und dass die besseren
Resultate der neuen Methode nicht von der Schnittform,
sondern lediglich von der günstigen Heiltendenz der Sclera
abhängen. Wenn der Wundkanal, wie ich soeben er-
wiesen, grösstentheils corneal ist, so passt ein solches
Raisonnement schon an sich nicht; ausserdem muss ich
bekennen, dass, so fest überzeugt von den Vorzügen der
die Hornhautperipherie treffenden Schnitte, gegen-
über den in die Hornhautcontinuität fallenden, ich
bin, ein apodiktisches Urtheil über die Vorzüge der in
die Sclera Menden, gegenüber den ganz peripheri-
schen Hornhautschnitten oder den sclerocor-
nealen Schnitten, mir beim heutigen Stande der Er-
fahrungen nicht zulässig erscheint Es ist wohl in Be-
rücksichtigung der Ausgänge von Verletzungen annehm-
124
bar, dass das Scleralgewebe noch weniger zu Suppura-
tionen disponirt, als die peripherische Homhautzone,
allein es ist andererseits nicht zu leugnen, dass, vielleicht
gerade in Verbindung mit dem betreffenden Prolifera-
tionstorpor, die chronischen Neubildungsvorgänge, welche
die Solidität der Narben bestimmen, in der Sclera unter
sonst gleichen Bedingungen (besonders des Augendrucks)
sich durchschnittlich ungünstiger als in der Hornhaut
gestalten und es muss Object weiterer Erfahrungen sein,
zu entscheiden, in wiefern durch Nachtheile in letzterer
Beziehung aufgehoben wird, was die Yortheile in er-
sterer bieten.
Wie die Praxis ein jedes Princip, dessen Ausgangs-
punkt sie billigt, so weit zu verfolgen sucht, als es die
Collision mit anderen Principien oder einflussreiche Ne-
benumstände zulassen, so war es auch vorauszusehen,
dass auf dem Boden der jetzigen SchnittfQhrung die Ten-
denz sich geltend machen würde, zu einer möglichst
scleralen Wunde zu gelangen; liefert doch gerade der
Gebrauch des Linearmessers hierzu eine Möglichkeit,
wie sie ohne die allerhervorspringendsten Gefahren mit
dem alten Staarmesser in keiner Weise zu realisiren war.
Ich selbst habe einige nach dieser Richtung zielende Ver-
suche angestellt und ich weiss aus mündlichen Mitthei-
lungen, dass es von Anderen, vielleicht in noch umfas-
senderer Weise, geschehen ist. Das Ergebniss aber aller
dieser Versuche hat sich, so viel mir zur Kenntniss ge-
kommen ist, durchweg als ein negatives herausgestellt.
Wollen wir den Wundkanal mehr in die Sclera hinein-
bringen, als es nach meinen früheren Regeln geschieht,
so müssten wir entweder Punktion und Contrapunktion
noch peripherischer anlegen oder unter Beibehaltung der
früheren Wuodwinkel dem Messer eine noch ausgespro-
chenere Richtung nach oben geben und den jetzigen
Schrägschnitt in einen förmlichen Flachschnitt verwandeln.
_125_
Durch die erstere Modification würden wir die innere
Apertur des Wundkanals, und mit ihr natürlich die ganze
innere Strecke desselben scleralwärts verlegen, bei der
letzteren dagegen die innere Wunde ziemlich beibehalten
und nur durch einen noch grösseren Winkel des Wund-
kanals mit der Sclerocornealgrenze, die Schnittlinie beider
mehr nach hinten und die äussere Wunde mehr in die
Sclera bringen. Von beiden Modificationen möchte ich
hiermit dringend abrathen. Durch eine noch peripheri-
schere Lage der inneren Wundkanalapertur steigt die
Neigung zur Einklemmung ganz kleiner, peripherisch zu-
rückbleibender Iristheile, wie sie selbst durch die minu-
tiöseste Irisexcision nicht zu entfernen sind; ebenso die
Tendenz zu Olaskörpervorfall, ohne dass der .Linsen-
austritt deshalb in irgend einer Weise gewinnt, wie es
leicht begreiflich ist, da schon die jetzige innere Wunde
sich peripherisch von dem Linsenäquator befindet Ab-
gesehen hiervon aber knüpfen sich Bedenken an eine zu
enge Nachbarschaft der inneren Wunde mit den Ciliar-
theilen. Irritationsvorgänge gehen hierbei viel leichter
von der inneren Strecke des Wundkanals auf die Giliar-
gebilde über, während sie sich bei weniger peripherischer
Lage eher auf die tiefen Homhautschichten, Lris und
intracapsuläre Zellen beschränken. Letzterer Umstand
giebt ganz besonders die Schranke für die Peripher!-
cität der inneren Wunde. Die andere Modification,
bei welcher unter Beibehaltung der inneren Wunde das
Messer schräger resp. flach geführt wird, scheint uns
deshalb nicht empfehlenswerth, weil dieselbe den Anfor-
derungen der Linearität in einer bedenklichen Weise zu
nahe tritt. Bei unseren noch schwankenden Ueberzeu«
gungen über die Vorzüge der strenger scleralen Wund-
lage, gegenüber der sclerocomealen, wie wir sie unver-
hohlen bekannt haben, möchten wir den sicheren Nach-
theil der grösseren Lappenböhe gegenüber dem unsicheren
126
Vortheil, um den es sich handelt, nicht in den Kauf neh-
men. Es sind aber auch noch andere Gründe, unter die
ich eine gewisse Neigung zur Umbiegung der spitzans-
laufenden Wnndlefze, die stärkeren Blutungen aus der
Conjunctiva, die zu grosse Länge des Conjunctivallappens
rechne, welche gegen die in das Bereich der Sclera fal-
lenden Flachschnitte (Schnitte mit längerem Wundkanal)
sprechen.
Nach alledem glaube ich, dass das Princip eines
Scleralschnittesfür dieStaaroperation in einer strenge-
ren Weise, als sie obigen Angaben aber die anatomische Lage
des Wundkanals entspricht, nicht durchzuführen sein wird,
und dass mit Einhaltung der früher für die Technik ge-
gebenen Regeln die Grenzen der zulässigen Periphericität
fttr die äussere wie für die innere Wunde erreicht (fÄr
diese letztere vielleicht um ein Minimum überschritten)
sind. So ereignet es sich ja häufig bei den complicirten
Aufgaben der Praxis, dass die unvollkommene Realisirung
der Principien Besseres leistet als die vollkommene, weil
jene Aufgaben gleichzeitig verschiedenen Gesichtspunkten
unterliegen und wir auf der einen Seite Opfer bringen
müssen, um nicht nach der anderen Gefahr drohende
Verstösse zu begehen. Wir sind, wollen wir Glückliches
erzielen, vor Allem gezwungen unsere Zielpunkte nach
der Seite zu verlegen, wo die Summe der sich geltend
machenden Uebelstände relativ die geringste ist.
IV. Verhalten der Iris zur inneren Apertur des Wund-
kanals. — Behandlung der Iris während der Operation.
Ich bin fast betreten auf die Technik der Iridectoraie
noch einmal zurückzukommen, da ich meine Ansichten
über dieselbe bereits mehrmals formulirt habe. Allein abge-
eshen davon, dass noch einige, vielleicht nicht ganz über-
127
flüssige Winke hinzuzufügen sind, scheint es mir, als
hätten die Ueberzeugungen über diesen Punkt sich noch
nicht in derselben Weise, wie über die anderen Acte der
Operation, geeinigt Ich weiss es, zum Theii aus eigener
Anschauung, dass Operateure, die sonst mit der Technik
des peripheren Linearschnittes vollkommen vertraut sind,
die entfaltete Iris mit einem Schnitte vom Assistenten
abschneiden lassen, oder sie selbst mit einem solchen
cavali^rement abtragen, ungefähr sowie es bei einer zu
optischen Zwecken angelegten Iridectomie geschieht.
Begreiflicherweise wird gerade mit der Periphericität
der inneren Wunde*) die Neigung zur Einheilung zurück-
gelassener Iristheile eine ausserordentlich grosse; es
unterscheidet sich unser Schnitt in dieser Beziehung
wesentlich, und, wenn man will, nicht gerade zu seinem
Yortheile, von einem mit einem Lanzenmesser gemach-
ten Flachschnitte, dessen Wundkanal bei gleichliegender
äusserer Wunde weit weniger peripher in die Kammer
mündet. lu diesem letzteren Falle wird ein peripherisch
zurückgebliebener, selbst leidlich breiter Irisring mit
seinem inneren Rande den Wundkanal nicht erreichen,
oder, wenn er ihn ursprünglich erreicht resp. selbst über-
ragt, sich doch nicht leicht um die periphere Lefze
*) £b ist Ad. Weber (A. f. 0. XIII, 1. pag. 193 und 222) einzu-
räumeii, dass, 'unabhängig von der Lage der inneren Wunde, auch die
Steilheit eines Schnittes an sich zum Irisvorfall disponirt; doch möchte
ich, gerade im Hinblick auf sonstige Erfahrungen bei peripheren Flach-
lehnitten, selbst mit der Paracentese nadel, die LAge der inneren Wunde
als das erste und hauptsächlichste Moment für die bleibende Iriseinhei-
lung (nicht für den momentanen Eintritt in die Wunde) hinstellen. Ist
übrigens einmal der Schnitt nicht mehr senkrecht, sondern massig
schräg, so gelten die für den Wundschluss von Weber (1. c. pag. 222)
als günstig hingestellten umstände, deren Wirkung mit zunehmender
Schrägheit des Schnittganges (über 20^) resp. bei Flaohschnitten sich
nur noch in einer unerheblicheren Weise steigert. Es wird also bei
unserem Schnitt die Betrachtang hinsichtlich der Iriseinklemmung sich
mit Recht auf die Lage der inneren Wunde beschränken dürfen.
128
der inneren Wände ectropioniren, weil er hierbei noch
den Widerstand des Sphincters, welchen wir künstlich
(durch die bekannten Reibemanöver) anfachen können, zu
überwinden hat Anders aber verhält es sich, wenn die
innere Wunde der Irisinsertion so nahe liegt wie beim
peripheren Linearschnitt. Hier bedarf es nur eines
sehr geringen Irisresiduums, damit dasselbe die peri-
phere Lefze der inneren Wunde überrage und sich in
den Wundkanal hineinschlage. Die Action des Sphin-
cters*), welche den Bücktritt der Iris aus der Wunde
ohne Zweifel begünstigt, ist ausserdem durch die be-
deutende Einbusse, die er erlitten, verringert
Dass die Gefahr der Iriseinheilung nach den Ecken
hin steigt, hängt von zwei Ursachen ab. Zunächst liegt,
wie wir oben erörtert haben, die innere Wunde hier
weit mehr peripherisch als entsprechend dem centralen
Wundbezirk; sodann aber ist, wenigstens an der tem-
poralen Ecke, das präcise Abschneiden der Iris bis
in den Wundkanal hinein, aus räumlichen Gründen
erschwert Es resultirt, dass, wenn nicht alle Sorg-
falt auf das Verhalten der Iris gelenkt wird, die Ent-
stehung kleiner Vorfälle, namentlich an der temporalen
Wundecke zu den nicht seltenen, und die Einheilung der
Iris in die innere Wundkanalapertur zu den äusserst
häufigen Vorkommnissen gehört Wir können uns über
diesen letzteren Zustand leicht Rechenschaft geben, wenn
*) Ich glaube fiberhaupt, dus Differenzen in der Nachgiebigkeit
des Sphincters für die Torliegende Frage sehr in die Wagschale Wen.
Man wird bemerken , dass bei yerhfiltniismassig schwer erweiterbaren
Pupülen (rigiden Sphinoteren) die Sphincterecken nach dem tweiten
Act gewöhnlich leicht tnrfickschlfipfeny wfihrend sie eine grosse Nei-
gung haben in der Wände za Terharren, wenn die Popillen Toiher
weit und die Action der Mydriation eine sehr exonrsiTe war. Ob es
in Berficksichtigung dieser umstände in der That sweckmSssig ist,
durohgehends ror der Operation Atropin ansuwenden, scheint mir trots
der onleugbaren VortheUe des Mitteh noch nicht aasgemacht.
129
vfir, was bei geeigneter Focalbeieuchtung immer thun-
lieh ist, an den Operirten die Position der beiden
Sphincterecken (Schnittpunkte der Colobomränder mit
dem zurückgelassenen Sphincter) genau bestimmen: fin-
det eine Eiuheilung der Iris in die eine Ecke des Wund-
kanals statt, so wird immer der betreffende Colobom-
rand verkürzt und dem entsprechend die Sphincterecke
nach der Wunde hin dislocirt sein ; findet man gar keine
Sphincterecke mehr, soudem dehnen sich die circulären
Fasern bis zur Wunde aus, so ist die Iris in ihrer gan-
zen Breite in den Wundkanal eingeheilt (dann auch in
der Regel ein kleiner Prolapsus und erhebliche Disloca-
tion der Pupille vorhanden); steht dagegen die Sphin-
cterecke an ihrem zukömmlichen Platze, resp. hat der
wirkliche Colobomrand die Dimension, welche der un-
verkürzten Breite der Iris zukommt, so ist auch keine
Einheilung vorhanden. Einheilungen entsprechend dem
centralen Wundbezirk ohne Einheilung an den Ecken,
können bei der ganzen Technik der Operation kaum
vorkommen. Es müsste in der That die Schere in einer
ganz eigenthümlichen Weise an den Ecken in den Wund-
canal eingesenkt, und in der Mitte, wo ein correctes An-
drücken weit mehr in der Hand liegt, besonders nach-
lassig geführt werden, um zu einem solchen Resultate
zu gelangen. Dagegen kann sehr wohl die Iris nicht bloss
an den Ecken, sondern in der ganzen Wundlänge sich
einlöthen.
Viele Fachgenossen legen auf die Iriseinheilungen
wenig Gewicht, eben weil ihnen dieselben sehr häufig
vorkommen und doch in der Regel die Erreichung eines
günstigen Resultates nicht verhindern. Ich will gern zu-
geben, dass die äusserst periphere Lage der Verlöthung
und die Goexistenz einer breiten Iridectomie die Gefah-
ren wesentlich verringern; dennoch halte ich, abgesehen
von dem unleugbaren Einflüsse auf das Heilresultat
AnlüT Ar OpbthAlmolofto, ZIV, 8. 9
130
selbst, schon allgemeinhin an dem Satze fest, dass eine
jede vordere, wie eine jede hintere Synechie eine
dauernde Sch&dlichkeitsursache setzt, und dass es nur
von individuellen Differenzen der Reizbarkeit und einer
Reihe nnberechenbarer Zwischenumstände abhängt, ob
diese Schädlichkeitsursache sich in einer palpablen Weise
bethätigt oder nicht. So gut als wir zahlreiche Indivi-
duen mit hinteren Synechieen beobachten, welche nicht
von recidivirender Iritis befallen werden, so gut als
zahllose Andere adhärirende Hornhautnarben, resp. vor-
dere Synechieen der verschiedensten Form darbieten,
ohne je von suppurativer Erweichung der Narbenpartie
oder Steigerung des intraocularen Drucks befallen zu
werden, so gut wird auch die Einheilung der Iris in den
Wundkanal bei dem peripherischen Linearschnitt nur in
einer gewissen Quote von Fällen einen sichtbaren Nach-
theil herbeiführen, ja es wird dies der oben genannten
Umstände wegen (sehr peripherische Lage der Verlöthung
und breite Iridectomie) verhältnissmässig noch seltner
als dort geschehen; deshalb ist aber die Sache keines-
wegs allgemeinbin bedeutuuglos.
Ueberblicken wir in der Kürze die Einflüsse, welche
sich auch hier an die Einheilung der Iris knüpfen. Zu-
nächst ist nicht zu leugnen, dass dem eigentlichen Zweck
unseres Schnittes, nämlich der Erreichung einer möglichst
reinen und genau schliessenden Wunde durch die Einheilang
der Iris entgegen getreten wird. Die zwischen den Wänden
des Wundkanals liegende Regenbogenhaut stört offenbar die
Gleichartigkeit des, die primaintentio vermittelnden Neubil-
dungsvorganges; sie bietet an sich eine secernirende Fläche
dar, neigt, wenn der venöse Rückfluss durch Einklem-
mung gestört ist, sehr zu Schwellungsvorgängen und zu
Proliferationen, welche letztere auch die Nachbargebilde
inficiren. Ist unter diesen Umständen die Heilungstendenz
des betreffenden Individuums eine ungünstige, resp. die
131
Disposition za Eiterungen eine ansgesprochtoe, so kann
die Gegenwart der Iris im Wandkanal offenbar den
Aasgangspunkt supparativer Vorgänge bilden. Ich möchte
derselben hierfür ungefthr dieselbe Rolle zuweisen, wie
dem ZarQcklassen von Corticalmassen, welches ja auch
die Wundheilung keineswegs immer, aber doch oft genug
influenzirt, um es (auch aus diesem Grunde, neben den
anderen) möglichst sorgfältig zu vermeiden.
Abgesehen aber von den bedenklicheren Vorgängen
an der Wunde in der ersten Heilungsperiode, (resp.
deren Fortpflanzungen auf Iris, intracapsuläre Zellen,
Ciliargebilde) stört die Einheilung der in der Wunde
schwellenden Iris, wie schon angedeutet, die Bildung
einer soliden Zwischensubstanz und disponirt zur For-
mation einer schlechten, von späteren Irritationen oder
suppurativem Zerfall bedrohten (cystoiden) Narbe. Unter
aUen umständen erhöht sie die Reizbarkeit des Auges
nach der Operation in einer Art und Weise, welche die
Entlassung der Patienten aus dem Hospitale verzögert.
Es gelingt wirklich, die ganze Heildauer noch in einer
höchst erfreulichen Weise abzukürzen, wenn neben dem
Zurückbleiben von Corticalresten auch die Einheilung
der Iris sorgfältig vermieden wird. Für den aufmerk-
samen Beobachter unterscheidet sich die leichte Irritation,
welche den direkten Ausdruck des Traumatismus abgiebt,
ganz wesentlich von derjenigen, welche durch die dau-
ernden Reizursachen bedingt wird, wie sie zurückgelassene
Cortkalmassen oder eingeheilte Iris liefern. Die erstcre
klingt, nachdem sie am 2. resp. 3. Tage ihr Acmestadium
überschritten hat, in einer ganz continuirlichen Weise
ab und wird selbst durch äussere Schädlichkeiten ver-
hältnissmässig nicht leicht wieder angefacht. Die letz-
tere dagegen zeigt noch ein ziemlich langes Auf- und
Abschwanken, namentlich je nach der Einwirkung äus-
serer Einflüsse, und bedingt deshalb eine viel längere
132
Fortsetzung der Vorsichten; und selbst wenn wir die betref-
fenden Patienten erst nach mehreren Wochen entlassen, so
sind sie noch nicht gegen die späteren Zufälle sicher gestellt
Zu diesen möchte ich rechnen : 1) eine spätere, sup-
purative Erweichung der Narbe. Ich habe dieselbe unter
mehr als achthundert von mir Operirten ein Mal, ein
zweites Mal an einem anderwärts Operirten, bei weichem
sehr viel Iris zurückgelassen war, beobachtet. 2) das
Vorkommen von Iritis serosa, welche sich durch diffuse
Trübung des Kammerwassers, punktirte Trübungen längs
der membrana Descemetii u. s. w. kennzeichnet Fort-
gepflanzte Cyclitis (möge sie sich einer solchen Iritis se-
rosa anschliessen, oder direct von schleichender Reizung
des Wundcanals ausgehen) scheint zwar hier nicht so
leicht, wie z. B. nach Iridesis vorzukommen, was sich
durch die Breite der Iridectomie erklärt; dennoch wird
auch diese Folge nicht ausbleiben, und es bedingt schon
die seröse Iritis an sich eine sehr lästige und nicht unge-
fährliche Consequenz. Ich habe sie bei meinen Operirten im
Ganzen dreimal, allemal nach Iriseinheilung beobachtet 3)
GlaucomatöseDrucksteigerung durch secretorischeReizung,
welche von der eingeklemmten Irispartie ausgeht Ich be-
kenne, dass ich eine derartige Folge thatsächlich noch nicht
beobachtet habe, vermuthlich weil deren Zustandekommen
durch die grosse Iridectomie hier besonders erschwert
wird. Immerhin wird der peripherische Linearschnitt in
dieser Beziehung kein Privilegium vor anderen Vorgängen,
bei denen sich vordere Synechieen bilden, in Anspruch
nehmen und wir müssen diesen Vorgängen insgesammt
die Disposition zur späteren Drucksteigerung zuerken-
nen. — Endlich würde für die Einheilung gröberer
Massen noch die wirkliche Entstehung eines mechanisch
genirenden prolapsus iridis, einer unwillkommnen Pu-
pillardislocation und der Einfluss auf die Hornhautkrüm-
mung zu erwähnen sein, welcher zu einem, theilweise
133
bleibenden regelmässigen und unregelmässigen Astigma-
tismus führen kann.
Es wird ein jeder Operateur die Bemerkung gemacht
haben, dass die Entwicklung, welche eine in den Wund-
kanal einheilende Irispartie während der Vernarbung
gewinnt, zur Grösse des vermuthlich zurückgelassenen
Bestes, in keinem directen Verhältniss steht. Schon
früher habe ich hervorgehoben und muss es bei dieser
Gelegenheit wiederholen, dass sich besonders der Stand
des intraocularen Drucks in der ersten Heilungsperiode
bei diesen DiflFerenzen bethätigt Ein relativ hoher Augen-
druck erhält zunächst ein stärkeres Klaffen der inneren
Wundapertur, welches den Eintritt der Iris erleichtert,
sodann wirkt derselbe direct hervorwölbend auf die ein-
mal eingetretene Partie, endlich verzögert er die Wieder-
herstellung der vorderen Kammer, deren frühe Bestitu-
tion ein günstiges Moment für die Betraction der Iris
aus der Wunde abgiebt. Aus eben diesen Gründen sehen
wir ja selbst bei Iridectomieen, wenn dieselben bei sehr
harten Augen ausgeführt wurden, eine auffällige Tendenz
zur Entwicklung der etwa in der Wunde zurückgelasse-
nen Partie. In der Frage, die uns jetzt beschäftigt,
handelt es sich freilich nur um die Schwankungen des
physiologischen Augendrucks; allein wenn dieser schon
an sich sehr variabel ist, so gilt dies noch mehr nach
der OperatioUi was grösstentheils von dem Einfluss des
Traumatismus und der Heilungsvorgänge auf die Secre-
tionsnerven abhängen dürfte. Neben dem Augendruck
sind es aber auch die Irritationsvorgänge in der sich
einlöthenden Iris selbst, welche die Entwicklung dersel-
ben bestimmen. Da alle diese Einwirkungen schwan-
kender Natur und im Voraus nicht zu berechnen sind,
da wir demnach auch nicht voraussehen können, ob eine
im Wundkanal befindliche Irispartie während der Ver-
narbung quasi unscheinbar obliterirt oder sich entwickelt.
134
die Wunde spreizt und Nacbtheile der verschiedensten
Art stiftet, so unterstützt dies gewiss den praktischen
Grundsatz , jedwede Iriseinheilung nach Kräften zu ver-
meiden.
Was nun die technischen Maassregeln anbetrifft, um
diesen Zweck zu erreichen, so will ich nicht wieder darauf
zurückkommen, dass es nöthig ist, die nach dem Schnitt
prolabirende Iris vor der Abtragung mit der Pincette gut zu
ent£slten und sanft anzuspannen, aber ich möchte noch
einmal die Nothwendigkeit urgiren, die Iris nicht mit
einem, sondern snccessive mit mehreren Scheren-
schnitten zu entfernen. Bei der Ausdehnung, die der
Schnitt hat, und der Krümmung der Sclera ist es schlecht-
hin unmöglich mit einem oder selbst meist mit zwei
Schnitten die Scherenbranchen, wie es sein soll, längs
der ganzen Wunde direkt in der Ebene der Wundränder
oder selbst zwischen den Wänden des Wundkanals wirken
zu lassen; wenn dies bei einer gegebenen Position der
Schere beziehentlich auf die Wundmitte erreicht ist,
so wird es an den Ecken nicht zutreffen, und wenn es
für eine Ecke gut eingerichtet ist, so wird der Fehler
für die andere ein desto grösserer sein und sich durch
das Zurückbleiben eines erheblichen Residuums ao der-
selben strafen. Es muss nothwendig in mehreren,
gewöhnlich in drei bis vier Absätzen die Rich-
tung der Scherenfläche verändert resp. die
Schere für die einzelnen Wundbezirke tangen-
tial gestellt werden, um die Aufgabe einer vollstän-
digen Excision bestmöglichst zu erreichen. Ich halte
die Form einer Coop er 'sehen Schere hierbei nicht für
geeignet, weil zur Seite einer gegebenen, richtig dispo-
nirten Scherenstrecke die Deviationen von den erforder-
lichen Tangentialstellungen noch rascher steigen, als bei
einer geraden. Man müsste der Wunde die concave Seite zu-
wenden, was wieder wegen der starken Senkung des
135
Griffes beim Anheben des Schnittes unbequem ist. Die
völlig gerade oder die Knieschere scheinen mir immer
am geeignetsten. Es wäre, um der Excision an der tem-
poralen Ecke mehr Präcision zu geben, dienlich die Iris
zunächst entsprechend der Wundmitte in radialer Rich-
tung bis in den Wundkanal zu spalten und von hier
die Excision successive nach beiden Ecken auszufahren;
doch bin ich in solchen Intentionen noch nicht zu einer
befriedigenden Technik gelangt Bleiben wir bei dem
gewöhnlichen Brauch von einer Ecke zur anderen mit
der Excision fortzuschreiten, so bleibt es jedenfalls, wie
ich wohl schon früher erwähnt, räthlich die prolabirende
Iris zunächst nicht in der Mitte, sondern näher der
temporalen Wundecke (etwa 1"' weit von der-
selben) zu fassen, weil man in dieser Weise den am
meisten zum Zurückbleiben neigenden Theil besser ent-
faltet Es complicirt sich durch die Befolgung dieses
Winkes der Act der Irisexcision in keiner Weise, da
man nach einmal eingeschnittener Iris durch sanftes
Hinüberziehen des gefassten Zipfels nach der Nasenseite*)
auch die intensiv grösste Spannung immer wieder auf
den sich zunächst darbietenden Theil übertragen kann,
ohne deshalb den Fasspunkt zu ändern.
Das Manöver der Irisexcision darf bei der Genauig-
keit, die es erfordert, besonders der innigen Zusammen-
wirkung der anspannenden und excidirenden Hand einem
Assistenten auf keinen Fall überlassen werden. Wie schon
früher vorgeschrieben, ist derConjunctivallappen sehr sorg-
fältig nach abwärts zu streifen, um den ersten Angriffspunkt
*) Eine zu energische üebertragang dei Fasipnnctes nach der
Nasensette, wodaroh die Ina in einer atrafferen Weise über die nasale
Wandecke angesogen, and noch ein seitlicher Abschnitt mit in das
Bereich der Excision gebracht wird, straft sich« abgesehen ron den
etwaigen Naohtheilen der Zerrung darch eine onwiUkommene Yerbrei-
terong des Goloboms.
136
der Schere hart an der Wandecke und auch den weiteren
Scherengang nicht zu beirren. Ein Fehler^ der bei der
ursprünglichen Irisexcision begangen ist, wird selbst
durch die dann vorzunehmende nachträgliche Excisioa
der im Wundkanal zurückgebliebenen Theile nicht un-
bedingt corrigirt; zur richtigen Entfernung solcher klei-
nen Theile, namentlich an den Wundecken, müssen wir
dieselben ziemlich stark anspannen und dies bleibt nicht
ohne Wirkung auf die nachbarliche Iris, welche dabei
in einer unnützen Weise in die innere Apertur des
Wundkanals hineingezogen wird. Wir erhalten deshalb bei
solchen nachträglichen Excisionen nicht selten eine zweck-
widrige Vergrösserung des Coloboms und jene aus-
geschweifte Pupillarform, welche wir aus begreiflichen
Ursachen dem parallelrandigen Colobom so selten als
möglich substituirt sehen möchten.
Trotz aller dieser Sorgfalten bei der Excision bleibt, wie
anatomische Untersuchungen uns nachwiesen, ein nicht un-
beträchtlicher peripherer Saum von schwankender Breite,
durchschnittlich von stark 7« Mm., zurück, wie es auch
bei peripherischen Iridectomieen zu constatiren ist, wel-
cher Saum erst durch spätere Retraction unscheinbar
wird, resp. sich in den Winkel zurücklegt, den die Ci-
liarfirsten mit dem Profil des Tensor chorioideae bilden.
Während ich mich früher mit einer möglichst cor-
recten Excision der Iris begnügte und keine weiteren
Beobachtungen über die Stellung der Sphincterecken
unmittelbar nach dem zweiten Act der Operation aus-
stellte, lege ich jetzt (in Uebereinstimmung mit Ad.
Weber) ein grosses Gewicht darauf den sofortigen
Rücktritt des Sphincters an seinen zukömmlichen Platz
zu constatiren. Häufig zeigt sich dieser Rücktritt ganz spon-
tan nach der Excision, in welchemFalle ich unmittelbar zum
dritten Operationsact übergehe; häufig aber erscheint
nur die eine Sphincterecke (und dann in der Regel die
137
nasale) oder zuweilen auch keine von beiden; in noch
anderen Fällen kommen zwar die Sphincterecken zum
Vorschein, aber behalten eine sehr innige Nachbarschaft
zum Scleralbord. Unter diesen Umständen ist zu schliessen,
dass der eine resp. beide Colobomränder sich in die in-
nere Apertur des Wundkanals mit einer grösseren oder
geringeren Falte einlegen, für deren Ausglättung vor
der weiteren Fortführung der Operation zu sorgen ist
Denn wenn unter Fortbestehen jener Falte der Staar
herausbefördert wird, so drängt sich dieselbe noch mehr
in den Wundkanal hinein und es wird, wie ich mich
überzeugt habe, die Reposition nach Schluss der Opera-
tion entschieden schwieriger, während sie nach dem ex-
act ausgeführten zweiten Act, falls der Augendruck nicht
verhältnissmässig sehr stark ist, meist leicht gelingt.
Ist die temporale oder sind beide Sphincterecken zu-
rückgeblieben, so nehme ich zum Zweck der Reposition
den zum vierten Act dienenden Kautschuklöffel und
mache mit dessen convexer Fläche leichte Streichmanö-
ver auf der Oberfläche des Bulbus, welche ihren Aus-
gangspunkt etwas scleralwärts von der betreffenden
Wundecke haben und über diese hinweg gegen das
Hornhautcentrum gerichtet sind; zuweilen werden diese
Manöver auch alternirend mehr in einer der Wundlänge
entsprechenden Richtung (immer von der betreffenden
Ecke ausgehend) oder auch wohl in circulärer Richtung
über der betreffenden Partie verrichtet. Ich glaube, dass
dieses leichte Streichen oder Reiben sowohl direct aus-
glättend auf die in der Wunde liegende Irisfalte wirkt,
als auch die Sphinctercontraction anregt und in dieser
Weise das Zurückgehen der Sphincterecke fördert. Ist
nur die nasale Sphincterecke zurückgeblieben, so erreicht
man auch häufig den Zweck bei der Einführung des
flietenförmigen Cystitoms, indem man mit dessen in die
138
vordere Kammer eintretenden Backen die Iris vorsich-
tig glättet, ehe man zur Oeffnung der Kapsel übergebt
Seitdem ich diese Vorsichten genau befolge, glaube
ich auch die geringeren Grade von Iriseinlöthung weit
seltener als früher und die befriedigenden Pupillarformen
(parallelrändige Colobome) in constanterer Form als
früher zu erhalten. Wenn ich jedoch die Frage gewissen-
haft beantworten soll, ob es in allen Fällen gelingt Iris-
einlöthung zu vermeiden, so müsste dies in verneinender
Weise geschehen. Ist der Augendruck nach dem ersten
Act relativ sehr stark, sei es, dass die Muskeln sich
heftig contrahiren oder dass vielleicht unter dem Ein-
druck psychischer Affecte die Secretionsuerven besonders
erregt sind, so markirt sich eine Hervorwölbung der
Zonula entsprechend der Wunde, welche selbst ein vor-
sichtiges Einsenken der Scherenbranchen in den Wund-
kanal fürchten lässt und es bleibt dann ein breiteres,
bereits zur Einlöthung geneigtes Irisresiduum zurück.
Ich läugne nicht, dass unter diesen Verhältnissen die
Anwendung des Chloroforms, von welcher ich für die
Staaroperation immer noch einen reservirten Gebrauch
mache, (etwa ein Mal unter zwanzig Opeiationen), für
die Präcision der Irisabtragung Dienste leisten kann,
indem wir bei entspannten Augenmuskeln die Schere
dreister führen können.
Gelingt es indessen die Einheilung der Iris zu einem
exceptionellen Vorkommniss zu machen, so ist hiermit
auch die Cultur der Operation noch um einen weiteren
Schritt gefördert, und selbst wenn bei den Repositions-
versuchen die Sphincterecken sich nicht völlig reduciren,
sondern sich lediglich aus der Wunde zurückziehen, so
liegt auch hierin für die bessere Pupillarform schon ein
erheblicher Gewinn; ausserdem hat mich die Erfahrung
gelehrt, dass solche Einlöthungeu, bei welchen nur eine
139
periphere Irisfedte sich mit den Wandangen des Wund-
kanals verbindet, ftr die etwaige Entstehung späterer
Zufälle weit weniger in die Wagschale fallen, als solche
bei denen der Sphincter selbst mit eingelöthet ist
y. üeber anderweitige Applicationen des peripherischen
Linearschnittes.
Der Werth des peripherischen Linearschnittes fftr
die Staaroperation ist in einer fast unerwartet raschen
Weise zur Geltung gelangt und steht es, nachdem ein-
mal die technischen Schwierigkeiten von den meisten
Gollegen überwunden sind, nicht zu bezweifeln, dass die
Besultate der Methode, für deren Vorzüge schon jetzt
eine sehr erfreuliche Einigung sich bekundet, immer
glücklicher ausfallen werden. In Sonderheit dürfte hierzu
die strikte Beobachtung der so eben, hinsichtlich des
zweiten Acts anempfohlenen Sorgfalten beitragen. Aber
es ist die Herausbeförderung des Staars nicht der ein-
zige Zweck, für dessen Erreichung die betreffende Schnitt-
form sich dienlich erweist Schon früher habe ich mich
zu erörtern bemüht, dass dieselbe auch in manchen Fäl-
len von Iridectomie, zur Entbindung von Cysticercen
u. s. w. mit Nutzen in Anwendung gezogen wird und
will ich, da sich meine bezüglichen Erfahrungen in
den verflossenen Jahren erheblich gemehrt haben, über
die Indicationen des peripherischen Linearschnitts gegen-
über dem gewöhnlichen Lanzenmesserschnitt hier noch
einiges hinzufügen.
Zunächst entfaltet jener Schnitt seine Vorzüge da,
wo es sich bei Iridectomieen um Complication chroni-
scher Iritis mit Glaskörperleiden, aequatorialer
und disseminirter Chorioiditis handelt Es scheint, dass
die sehr breite peripherische Excision, welche wir durdi
140
denselben erreichen, hier geeigneter ist, den tieferen
Prozessen entgegenzuwiricen.
Weiter liegt ein Grund für den peripheren Linear-
schnitt vor, wenn bei chronischen Entzündangen mit
Pnpillarsperre die Iris an ihrer Peripherie leicht retra-
hirt ist, was darauf deutet, dass retroiridische Wa-
cherungen die hintere Irisfläche mit den Giliarfirsten
verlöthen. So findet es sich ja, abgesehen von den Folge-
zustaniien der Iritis selbst, besonders häufig nach pe^
forirenden Eiterinfiltraten der Hornhaut vor, welche zu fort-
gepflanzten Reizungen Anlass gegeben haben. Unter
diesen Umständen ist die peripherische Lage der inne-
ren Wunde von der grössten Wichtigkeit um die Iris
in einer so ausreichenden Weise herauszubringen, als es
die Neigung der Colobome an solchen Augen, sich durch
Retraction der Neubildungen später zu verengen, wün-
schenswerth macht.
Eine dritte Indication, die sich hier anschliesst,
bieten die floriden phagädenischen Eiterinfiltrate der
Hornhaut, wenn sich zu denselben grössere Hypopyen
und eitrige Iritis resp. Iridocyclitis hinzugesellt hat
Falls hier überhaupt auf Grund der bereits erreichten
Höhe des Processes die Iridectomie angezeigt ist, so
giebt der periphere Linearschnitt eine weit grössere Ga-
rantie als der Lanzenmesserschnitt für eine ausreichende
Irisexcision — bekanntlich verengen resp. verschliessen
sich auch diese Pupillen meist — und wirkt dement-
sprechend auch den inducirten Processen mehr ent-
gegen.
Eine besondere Empfehlung verdient der Schnitt
bei der böseren Form der sympathischen Iritis
resp. Iridocyclitis. Ich will hier auf die sehr schwierige
Frage nicht zurückkommen, inwiefern resp. in welchen
Stadien dieser Krankheit überhaupt ein operativer Ein-
grifi" am Platze ist. Entschliessen wir uns aber zu einem
141
solchen, so ergiebt in der ersteren Phase der Krank-
heit meines Erachtens die Iridectomie mittelst periphe-
rem Linearschnitt die relativ besten Resultate; in der
späteren Periode der Krankheit, wenn totale hintere
Synechie ausgebildet, die Kammer fast oder ganz auf-
gehoben und das Linsensystem erkrankt ist, muss die
gleiche Operation mit sofortiger Linsenextraction ver-
bunden werden, wie es überhaupt fOr vorgerückte irido-
cyclitische Prozesse gilt.
In der That eröffnet der Schnitt in den an der
Grenze der Kunst stehenden Fällen degenerativer
Iritis und Iridocyclitis einen Weg für die Zweck-
erreichung, wie er durch kein anderes Verfahren ge-
boten wird. Er legt die Insertion der Iris oder wenig-
stens die äusserste Zone derselben vollkommen frei und er-
möglicht in ausreichender Weise den Angriff auf die
retroiridischen Wucherungen bei gleichzeitiger schonend-
ster Entfernung des Linsensystems. Ich verfahre jetzt
hier in folgender Weise: Die Punction wird mit dem
Linearmesser, ganz wie bei der Staaroperation ausge-
führt, das Messer selbst aber sofo!rt durch die Iris ge-
stossen und, ohne ihm anfänglich eine so ausgesprochene
Bichtung nach unten zu geben wie dort, der üb-
lichen Gontrapunctionsstelle zugeführt, im Uebrigen der
Schnitt (der also nach Art der älteren Wenzel' sehen
Operation Scleralbord und Iris zugleich durchschneidet)
wie bei der Staarextraction beendet. Gewöhnlich ist die
Kapsel hierbei ausgiebig eröfhet und es quillt Linsen-
masse während der Schnittführung selbst hervor, worauf
vor der Hand wenig geachtet wird. Hierauf gehe ich
mit einer sehr scharf fassenden, quer gerieften Pincette
in die Wunde ein, bringe deren eine Branche zwischen
Iris und Cornea, die andere hinter die retroiridischen
Wucherungen, welche ja gewöhnlich mit der Linsenkap-
sel ein Gontinuum bilden. (Diese zweite Branche befin-
142
det sich demnach meistens im Linsensystem). Nachdem
die Pincette ziemlich dreist vorgestossen, wird die ge-
sammte eingeschlossene Masse sanft angezogen und deren
Herausbeförderung, sowie ein bedenklicher Widerstand
entsteht, durch zwei an den Ecken des Linear Schnitts
ziemlich radial geführte Scherenschnitte — in der Con-
tinuität ist jene Masse ja bereits durch das Linearmesser
durchtrennt — beendet. Sehr häufig folgt hierbei der
gesammte in der Kapsel eingeschlossene Rest des Lin-
sensystems, in welchem Falle natürlich die Operation
als beschlossen anzusehen ist. Da wo dies nicht geschieht,
wird die, vielleicht noch nicht ausreichend aufklaffende
Kapsel noch einmal mit dem Cystitom dilacerirt und
dann das gewöhnliche im vierten Act der Staaroperation
gebräuchliche Sturzmanöver ausgeführt, was auch hier
allemal, mag die Linse noch durchscheinend oder bereits
cataractös sein, den Zweck erfüllt. Sind nach Entfernung
der Linse noch trübe Kapselreste im unteren Theile der
Pupille sichtbar, so pflege ich auch diese noch mit der
gerieften Pincette zu fassen und zu entfernen, stehe in-
dessen hiervon ab, wenn die Yerlöthungen mit der unteren
Lrispartie oder den Ciliarfirsten einen irgend bedenklichen
Widerstand darbieten. Zeigt sich, wie es ja auch in diesen
Fällen vorkommt, eine vorgeschrittene Verkalkung des Lin-
sensystems, so mobilisire ich dasselbe zunächst durch einen
auf die vordere Fläche angesetzten stark zuruckgebogenen
Haken — ich vermeide auch in diesen Fällen auf das
Strengste jedwede Einfuhrung von Instrumenten hinter das
Linsensystem, welche bei den fast ausnahmslos vorhande-
nen Glaskörperprocessen doppelt gefährlich ist — und
voUföhre dann wiederum das Sturzmanöver. Die directen
Besultate der in dieser Welse mittelst peripheren Linear-
schnitts bei Lridocyclitis ausgeführten Operationen, haben
jedenfalls dasjenige, was ich durch frühere Methoden er-
langt, bei Weitem übertroffen. Es wurde selbst bei einem
143
wahrhaft verzweifelten Aussehen der Iris, das heisst v511i-
ger Desorganisation derselben, bindegewebiger Natur und Vas-
kularisation der Schwarten, eine grosse schwarze, optisch
vollkommen befiriedigende Pupille gewonnen. Von einer
Gleichmässigkeit der definitivenErfolge kannnatärlich bei
der Verschiedenheit der Fälle keine Bede sein. Dass derlei
Augen nicht zu Wundsuppuraüonen tendiren, ist mehr&ch
(zuerst eigentlich schon von Wenzel, wenigstens hinsicht-
lich chronischer Iritis) hervorgehoben worden, aber es sind
zwei andere schlimme Ausgänge, welche gar häufig selbst
den voILkonmoiensten unmittelbaren Operationsefifect wieder
annulliren, einmal chronische Gyclitis mit tilaskörperinfil-
tration, sodann die Ausbildung umfangreicher sclerosuren-
der Hornhauttrübungen, namentlich wenn solche in der
Anlage schon vor der Operation vorhanden waren. Oegen
den eisteren Ausgang dürfte schwerlich irgend eine Ope-
rationsmethode Sicherstellung gewähren, da er eine, durch
den unvermeidlichen Traumatismus bedingte Fortentwicklung
bereits im Auge vorhandener Anomalieen darstellt; immer-
hin dürfte dessen Häufigkeit einigermassen eingeschränkt
werden durch ein VerCähren, welches eine radicale Entfer-
nung der Linse sammt der erkrankten Eapselpartie bei
einer möglichst grossen Iridectomie und weiten Eröfhung
der retroiridischen Wucherungen in einer relativ schonen-
den Weise ermöglicht Besonders zeigen sich aber die
Vorzüge des peripheren Linearschnitts, gegenüber der
Lappenextraction, in diesen Fällen durch die weit geringere
Neigung zu sclerosirenden Hornhauttrübungen, deren Platz-
greifen ich früher häufig genug als Hauptursache des
Nichterfolges zu beklagen hatte.
Grossen Nutzen zog ich aus dem peripheren Linear-
schnitt bei der Operation der in den tiefen Theilen des
Auges befindlichen Cysticercen. Der Vortheil liegt hier
darin, dass der Schnitt einerseits sich für die breite Jris-
excision und vollständige Entbindung der nicht catarac-
144
tosen Linse eignet, zugleich aber nach Eröfihung des Glas-
k(>rper8 den ganzen inneren Angenraum den Jnstrumenten
zngfingig macht So lange sich die Lage des Entozoons
noch mit Sicherheit verräth, möchte ich jetzt niemals mehr
von vom herein eine andere Schnittform wählen ond
wfirde zmn äquatorialen Scieralschnitt, der natürlich weit
geringere Chancen für die Erhaltung des Auges gewährt,
nur im äussersten Nothüalle fluchten. Auch verrichte ich
niemals mehr die Operation der Cysticercen in mehreren
Sitzungen, weil hierdurch die für einen relativ günstigen
Ausgang geeignete Periode meist vorübergeht und weil
mit Adoptimng des peripheren Linearschnittes ein zurei-
chender Grund f&r eine solche Theilung des Operations-
aktes wegfällt — Ueber die Operation selbst ist kaum etwas
Neues hinzuzufügen: der Schnitt wird wie bei der Staar-
operation, hier jedoch stets nach unten vollfilhrt, Jrisexci-
sion, Eapseleröflhung, Linsenevacuation ganz wie dort be-
werkstelligt. Hierauf nehme ich den stumpfen Tractions-
haken, dessen ich mich früher beim vierten Akt der Staar-
operation bediente, durchbreche mit demselben die teller-
förmige Grube, dringe in der Sichtung des Entozoons erst
seichter, dann allmählich tiefer vor, indem ich vorstossende
Bewegungen, bei horizontaler Lage der Hakenkrümmung
mit nach der Wunde zurückziehenden Bewegungen, bei
senkrechter Haltung des Hakens, altemiren lasse. Beson-
ders aufinerksam wird hierbei allemal das Glaskörper-
klümpchen betrachtet, welches die retrahirende Bewegung
nach der Wunde bringt Wenn dieses anfängt mit gelblich-
trüben Fäden und Membranen durchsetzt zu sein, so be-
findet man sich bereits in der Nähe des Entozoons. Es
erreichen nämlich die successive vorstossenden und nach
geeigneter Drehung zurückziehenden Bewegungen den Zweck,
die trübe und compactere Glaskörperpartie, welche den
Cysticercus umgiebt, allmählig nach der Wunde hin zu
befftrdem und es gelingt dies wirklich selbst bei einem
145
ganz tiefen Sitze in einer a priori fiberraschenden Weise.
EiBcheinen vollends intensiver - opace Massen in der
Wunde, so pflegt man auch bald den weisslichen Sehein
des Entozoon in einiger Tiefe wahrzunehmen und muss
man alsdann wieder zu seichteren Bew^ungen mit dem
Haken fibergehen, um die Blase nicht zu verletzen. Tritt
diese an die Wunde heran, so legt man den Haken besser
bei Seite und lässt den Schnitt unter einem sanften Druck
leicht klaffen, oder bedient sich zur Herausbeförderung
des Eautschucklöffels ganz nach Art der Linsenentbindung.
Zu bemerken ist, dass man dem Patienten ffir diese Opera-
tion &8t ausnahmslos eine sitzende Stellung geben muss.
— Ich habe, seitdem ich den peripheren Linearschnitt bei
Cysticercus in einer fast exdusiven Weise anwende, in
einem Zeiträume von fiist zwei Jahren, beinahe immer*)
das Entozoon völlig intact herausbeförderL Noch im
•) Kot eiiimal mosgte, yennuthlioli weil das Entosoon sohon la
mfiohtig Ton Glaikörperopaoitfiten fixirt war, B^anoe tenaate lum
Aequatorialsohnitte geflüohtet werden. Zwei andere Male — und hier-
mit ersoböpfen sieh die Aasnahmen — wfihlte idh ron Anfang an den
Squatorialen Seleralschnitt, weil der Glaskörper bereits röUig eitrig
doTohsetst war.
Der eine dieser beiden FUle ist noch in doppelter Richtung in-
teressant. Zuerst hinsichtUch der Diagnose. Patient hatte sich bereits
im April d. J. in der Klinik vorgestellt, mit einem so trfiben Glas-
körper, dass über die Gegenwart eines Gysdcercns, f&r welche manche
Chazactere des ophthalmoscopischen Bildes sprachen, kein positires ür-
theil mehr gefUlt werden konnte. Als er sich im JnU wieder prSsen-
tirte war der Glaskörper bis zur hinteren Linsenperipherie eitrig in*
flltrirt, ;S0 dass ein hellgelbes lieht fiberaU aus demselben surfidig^
werfen ward; dabei keine Iritis, nur spuren weise Injeotion der rorderea
ConjunotiTalgefasse. Job machte ror den Zuhörern meiner Klinik An-
gesichts dieses BeAudes, so wenig ron einem Bntoxoon su sehen war,
die Diagnose eines Gystioerous mit einer sehr grossen Wahrscheinlich-
keit. Heine Dednotion war folgende: Fragen wir uns, welche Zustfinds
eitrige GlaskÖrperinflltrattonenherrorrufen, so sind lu nennen: 1) Trau-
men, namentlich perforirende Yerletsungen; diese Ursadie lag nicht
Tor. 2) metastatisohe Processe, s. B. bei Puerperal -Srkrankuagen,
anomalen Pneumonien, meningitis cerebrospinalis n. s. w. Patient war
Arehtr fOr Ophtludmologl« ZIV. 3. 10
146
letzten Semester worden drei Gystioercen in dieser Weise
trotz sehr tiefen Sitzes yerhUtnissmftssig leicht entbunden.
In ähnlicher Weise wie bei Cysticercus stellen sich
Indicationen f&r den peripheren Linearschnitt bei fremden
Körpern ein, die in den Glasköiperramn eingedrungen
sind. Sofern wir uns hier überhaupt zu einem operativen
Eingriff ermuntert fBhlen, wird kein Schnitt so günstige
Bedingungen für die Entleerung der Linse und gleichzei-
tige Eröffnung des Glaskörpers gewähren als eben der be-
treffende.
Eine auf optischen Gründen beruhende Anzeige für
unseren Schnitt eigiebt sich da, wo bei ausgedehnten ad-
hftrirenden Leucomen nur noch ein schmaler peripherer
Homhautsaum zur Verfügung steht Bei den betreffenden
Bandpupillen, welche w^n der ungünstigen optischen Be-
dingungen immer nur ein sehr bescheidenes Besultat liefirarUf
kommt es in der That, was wir unter anderen Umständen
mit Becht zu vermeiden trachten, auf eine möglichste Yer-
YÖUig gesund gewesen. 3) intraooolare Tumoren; ein Netshaatgliom,
welches unter den Tumoren wieder am häufigsten Eiterinflltration der
inneren Augengebilde Tersehuldet, war des Lebensalters wegen höchst
unwahrscheinlich, gegen Aderhauttnmor spraoh der Augendmek, welcher
jetit yerringert und auch bei der früheren Untersuchung sicher nicht
▼ermehrt war. Kine Herleitnng aus piaezistirendem Tumor blieb dem-
nach, wenn nicht gerade unbedingt absuweiBen, doch höchst unwahr-
scheinlich. 4) eitrige Iritides resp. Iridokeratitides, durch For^flan-
sung derBiterinfiltration; derartige Ausgangspunkte fehlten. Ss blieb
5) Cysticercus als das unendlich wahrscheinlichste, da GlaskSipereiterung
sich SU dessen Verlauf gewiiiermaisen in regelrechter Weiie hinsugesellt.
Natürlich musste auch der Tor swei Monaten gewonnene, mit der Ge-
genwart eines Entosoons im späteren Stadium gut flbereinstimmende,
wenn auch nicht beweisende Befund die Annahme unterstQtsen. Jeden-
falls schien mir die Wahrscheinlichkeit gross genug, um auf dieselbe
hin einen Aequatorialschnitt su machen, in welchen sich sofort die ver-
muthete Blase einstellte. In Ländern, wo der Cysticercus eine äusserst
seltene Krankheit ist, wäre jene diagnostische Herleitung wohl aUsn
gewagt gewesen ; man hätte Tielleicht mit mehr Grund an einen Tumor
oder an die spontane Steigerung eines präeiistirenden Glaskörperleidens
bis sor Höhe der Siterinfiltratiott gedacht Bei der Frequens des Cysti-
147
mehrung des quantitativen Lichtein&UeB resp. auf eine
möglichste Yerbreiterong der PnpiUe an. Die inneren
Wunden der Lanzenmesser fallen hier zu klein aus, da
man das Instrument meist wenig Verstössen kann und ist
deshalb das lineannesser an seinem Platze.
Ob der periphere Linearschnitt for die Lridectomie bei
glaucomatösen Zuständen methodisch versucht worden
ist, weiss ich nicht anzugeben. Durch die periphere Lage
und Aasdehnung der inneren Wunde hätte er auch hier scheinbar
manches für sich; dennoch habe ich mich zudessen Anwendung
wenigstens bei beträchtlicher Spannungszunahme nicht ent-
schliessen können, weil mir überwiegende Nachtheile vorzu-
liegen schienen. Zunächst dürfte, wenn die vordere Eanmier
sehr beengt ist, die kunstgeredite SchnittfBhrung auf erheb-
liche ächwierigkeiten stossen; dann könnte, namentlich wenn
die Patienten noch einenkräftigenMuskeldruck auf die abnorm
gespannten Augen wirken lassen, bei der Peripheridtät der
inneren Wunde, eine, hier far die Heilzwecke ominöse,Berstung
C6rcas in unserer Gegend hätten wir mit solchen Annahmen weit we-
niger Wahncheinliohkeit für nne gehabt, da namentlich die spontane
Bntwickelang eigentlicher Glaskörpereiterang ohne Iritis, wenn sie über-
haupt Torkommt, au den allergrOssten Baritfiten gehört
Der zweite interessante Umstand in diesem Falle war die Form
des Entosoons. Es selgte sich cunaobst in der Wunde die runde un-
gefähr 2^**' messende Blase; dieselbe fiel aber nicht, wie gewöhnlieh,
unter sanftem Druck heraus, sondern schickte einen längeren Fortsats
mitten in die Tcrdichteten Eitermassen hinein. Die Umstehenden
glaubten einige Augenblicke, dass es sich um einen Ezsudatstrang
handele; doch konnte die nähere Betrachtung und auch die Yerbin-
dung mit der Blase keinen Zweifel flbrig lassen, dass es sich um einen
ungewöhnlich langen Halstheil handele, der denn auch durch sehr vor-
sichtige Tractionen ohne irgend eine Schädigung aus den Schwarten
herausgeiogen ward. Derselbe stand durch seine Länge (fast S^' bei
leichter Streckung) in einem derartigen MissTcrhältnisse zur Blase,
dass ich sunächst an eine neue Spedes dachte. Professor Yirchow,
dem die Länge des Halstheils ebenfaUs höchst auffiUlig war, hat die
Untersuchung fibernommen. SoUte dieselbe irgend etwas anderes er-
geben als ein besonders langhalsiges Exemplar Ton Cjstieercus cellulosae,
so werde ich gelegentlich darfiber berichten.
10*
148
der Zonnla eintreten, endlich wird es bei starkem Angen-
dmck (8. oben) nicht immer möglich sein, der Einheilnng
peripherer Irisparüeen Torzubengen, welche dann wieder an
glaucomatOsen Augen sich besonders henrorzawölben ten-
diren, cystolde Narbenbildnng begünstigen und als neae
Quellen secretorischer Beizung das Resultat in Frage
stellen kOnnen. Da in der unendlich grösseren Zahl der
F&lle ein richtig ausgeführter Lanzenmesserschnitt zu einer
ausreichenden Beduction desAugendruckes verhUft, so finde
ich keine Motive sich den genannten üebelständen zu
unterziehen. Und wenn, wie es in Ausnahmefälle vor-
kommt, eine kunstgerechte Iridectomie nicht zum Ziele
fthrt, so ist es, wie mich neuere ErMirungen lehrten, nicht
eine Verbreiterung des Coloboms, zu welcher wir zu fläch-
ten haben, sondern es ist die Form diametral gegenüber-
liegender Colobome, welche die krSftigste druckvermindemde
"Wirkung äussert und xms bei rebeller Tensionsvermehrung
die grössten Bürgschaften gewährt In Summa möchte ich
das Bestehen einer sehr ausgesprochenen Druckvermehrung
eher als contraindicirend für den peripheren Linearsohnitt
betrachten als umgekehrt
Zur CasuiBtik der an der Homhant^enze
▼orkommenden Caroinome und Sarcome.
Von
Dr. Hermann Berthold,
Asditenz-Arzt »n der Angenklinik des Herrn Professor Foersterxn Breslaa.
Unter den von Herrn Professor Foerster exstirpirten
Geschwülsten und Augäpfeln, welche ich nnter Anleitung
des Herrn Professor Wald ey er im pathologischen In-
stitut zu Breslau zu untersuchen Gelegenheit hatte, be-
fanden sich unter anderen zwei Carcinome, welche auf
der Hornhautgrenze aufgesessen hatten, und ein an der-
selben Stelle mit einem Sarcom behaftetes Auge. Die
anatomischen Eigenschaften dieser Tumoren schienen mir
nun sowohl an und für sich, als auch mit Rücksicht auf
die klinische Diagnostik von allgemeinerem Interesse und
der Veröffentlichung werth zu sein. Aus letzterem Ge-
sichtspunkte ist es aber nothig, den anatomischen Be-
schreibungen die klinischen Berichte, die ich den Jonmalen
des Herrn Professor Foerster entlehnt habe, vorauszu-
schicken. Bevor ich aber zur Sache selbst komme, fahle
ich mich veranlasst, den Herren Professoren Foerster
und Waldeyer, meinen hochverehrten Lehrern, für ihre
vielfache Unterstützung, die sie mir bei dieser Arbeit
gütigst zu Theil werden Hessen, meinen innigsten Dank
hier öffentlich auszusprechen.
_150_
No. 1. Johanna B., eine 58 Jahre alte Arbeiterfrau
aus Fürstenau bei Eanth, stellte sich den 27. Juni 1866
wegen einer Greschwulst am rechten Auge vor, worüber
Folgendes im klinischen Joamal vermerkt steht: „Von
der äusseren oberen Hälfte der Hornhaut und von der
anliegenden Sclera geht eine c. halbhaselnussgrosse Ge-
schwulst aus; dieselbe ist stark vascularisirt, hat eine
glatte, etwas lappige Oberfläche, und steigt mit scharfer
Abgrenzung aus der Hornhaut und dem anliegenden
Scleralgebiet auf. Der ziemlich runde Hügel hat an der
Basis eine Ausdehnung von 5^'' im Durchmesser. Die
untere innere Homhauthälfte ist klar, die Iris normal,
die Pupille zur Hälfte sichtbar.
Diagnose: Carcinoma iridis et corneae.
Therapie: Extirpatio bulbi.
Anatomischer Befund: Das Auge ist, abgesehen
von dem ihm aufsitzenden Tumor, von normaler Gestalt
und Grösse, und zeigt beim meridionalen mitten durch
letzteren geführten Durchschnitt, als einzige macro-
scopische Veränderung, eine Verdickung des unterhalb
der Geschwulst gelegenen Cornealtheils. Diese Ver-
dickung steigt vom inneren Rande des Tumors bis zur
Mitte desselben, die sich gerade dem Schlemm'schen
Canal gegenüber befindet, allmählich an, so dass hierselbst
die Cornea noch ein Mal so dick ist, wie an ihrem freien
Theile. Das Epithel der vorderen Homhautfläcbe geht
auf den Tumor über, ist hierselbst aber, wie man schon
mit unbewafinetem Auge bemerken kann, an manchen
Stellen zerstört Letzterer sitzt der Cornea und Sclera
scheinbar fest auf, — woraus Herr Professor Foerster
eben schloss, dass die Geschwulst mit der Unterlage un-
trennbar verbunden, aus dieser mit der Basis heraus-
gewachsen sei, wobei die Vorstellung leicht Platz greifen
konnte, dass ein Tumor, der in den tieferen Partien (in
dem Corpus ciliare oder in dem peripheren Theile der
151
Iris) seinen Ursprung genommen, im Weiterwachsen die
Cornea bis auf die Epithelschicht resp. diese mit durch-
brochen habe; — seine Schnittfläche ist im frischen Zu-
stande, wie sich im Journal des Herrn Pro! Waldeyer
verzeichnet findet, mannorirt, die muthmasslich älteren
Partien sind grau durchscheinend, die jüngeren, an der
Peripherie gelegenen von markigem, grauweisslichem Aus-
sehen. Bei der microscopischen Untersuchung des zuerst
in verdünnter Chromsäure, später in Alcohol erhärteten
Augapfels findet man, dass, abgesehen von der Ursprungs-
stelle des Neoplasma's sämmtliche Augenhäute, sowie die
brechenden Medien unverändert sind. Beim Anfertigen
microscopischer Präparate, welche die Verbindung der
Geschwulst mit der Cornea und der Sclera zur Anschauung
bringen sollen, also bei vertical auf die Basis ersterer
gerichteten Schnitten, bemerkt man, dass der Tumor
jedem Messerzug folgend, sich hin und her bewegt und
schliesslich von der Hornhaut abreisst, so dass derselbe
nur noch am Cornealrande und an der Sclera festhaftet.
Bei der microscopischen Betrachtung solcher Präparate
ergiebt sich nun Folgendes: Die Cornea, die im Uebrigen
von ganz normalem Aussehen ist, zeigt an ihrem ver-
dickten, von der Geschwulst bedeckten Theile eine mehr
faserige, der der Sclera ähnliche Beschaffenheit ihrer
Grundsubstanz, und in grösseren Abständen von ein-
ander als gewöhnlich die gleichfalls vergrösserten Horn-
hautkörper, in denen man mehrere weisse Kerne sieht. Die
Faserzüge haben nicht ganz parallelen Verlauf, es ist
derselbe vielmehr vom Centrum der Hornhaut nach ihrer
Peripherie, der Anheftungsstelle der Geschwulst, gerichtet.
Die Bowman'sche Membran ist gut erhalten und sehr
deutlich entwickelt Das sie bedeckende Epithel ist, da
wo es auf die Geschwulst übergeht, und beim Anfertigen
des Präparates eingerissen ist, etwas verdickt, und
schiebt sich noch etwas zwischen jene und die Cornea
152
hin. Auf der NeabilduDg selbst ist die Epithelschicht
nur dünn und an manchen Stellen defect. Der unter-
halb der Geschwulst gelegene Scleraltheil ist sehr imog
verändert; nur an den oberflächlichsten Schnitten des-
selben sieht man eine geringe Anzahl von kleinen runden
Zellen und Kernen zwischen den Fibrillen gruppenweise
angehäuft. Der Tumor ist seinem feineren Bau nach
ein Netzzellensarcom, welches an vielen Stellen üeber-
gänge zu einem gliösen Bau zeigt; die peripherischen
Theile sind die zeUenreichsten und haben einen ganz
markigen Habitus, die Basis ist von weiten Gelassen
durchzogen, und lässt einzelne fibrilläre Züge erkennen,
durch welche die Geschwulst ziemlich innig mit der
Sclera verbunden ist Unter den Sarcomelementen finden
sich auch einzelne Pigmentzellen vor.
No. 2. Den 27. Februar 1868 stellte sich der
55 Jahre alte Gutsbesitzer E. aus Birkkretscher in der
Klinik vor. Man fand an dem rechten Auge auf der
äusseren Partie der Sclera eine c. IV2'" weit auf die
Cornea übergreifende, lebhaft rothe sehr weiche Geschwulst
von c. 4"' Basis -Durchmesser und IV2'" Höhe. Ihr
Band lässt sich zum Theil von der Conjunctiva abheben,
so dass sie mit ihrem unteren inneren Theile durch
einen breiten Stiel der Unterlage aufsitzt Die Geschwulst
soll sich im Verlauf von 8 Monaten entwickelt haben,
und in den letzten 8 Wochen sehr stark gewachsen sein.
Zahlreiche sehr dicke Goi\junctivalgeßlsse ziehen nach
ihrer Basis hin.
Diagnose: Carcinoma corneae.
Therapie: Exstirpatio tumoris.
Bei der Operation, die alsbald vorgenommen wurde,
zeigte die Geschwulst folgende Beschaffenheit: Sie war
sehr leicht zerreisslich, die Pincette griff immer durch,
so dass jene nicht abpräparirt, sondern nur durch einen
Scheerenschnitt entfernt werden konnte; dabei ergab sieb,
163
dass dieselbe nicht in die Substanz der Hornhaut über-
ging, sondern dieser nur fest aufsass, so dass das Epithel
ihrer vorderen Fläche mit fortgenommen wurde. Wäh-
rend der Operation stellte sich eine starke Blutung ein,
die jedoch bald sistirte. Die Wunde wurde nun sich
selbst aberlassen, und vernarbte in kurzer Zeit, während
welcher wegen der Coqjunctival- Hyperämie eine Lösung
von Zinc. sulphur (1,0 200,0) täglich ein Mal auf das
Auge applicirt wurde. Bis jetzt ist kein Recidiv erfolgt.
Anatomischer Befund: Die microscopische Unter-
suchung der Geschwulst ergab den Bau eines Carcinom
von einer etwas eigenthfimlichen Form, so dass die vor
der Erhärtung jener angefertigten Präparate ein Sarcom
vortäuschten; es ist daher erforderlich, etwas näher dar-
auf einzugehen. Betrachtet man einen durch die Dicke
der Geschwulst geführten Schnitt, so sieht man an man-
chen Stellen, dass von der Peripherie, die von einer sehr
dicken Epithelschicht gebildet wird, grosse, breite, von
Epithelzellen zusammengesetzte dunkle Kolben in die
Tiefe gehen, und hier von ähnlich geformten, jedoch viel
schmäleren, helleren aus der Basis aufsteigenden Kolben
getrennt werden. Letztere bestehen aus lockerem zellen-
reichem Bindegewebe, welches zahlreiche Geftsse führt,
und werden an ihrer Peripherie zunächst von einer regel-
mässigen Reihe schöner grosser Cylinderzellen umgeben,
die darauf folgenden Zellen nähern sich immer mehr der
runden Form, und nehmen schliesslich die des Platten-
epitbels an. An anderen Stellen dringen die von der
Peripherie ausgehenden Epithelzüge tiefer in die Sub-
stanz der Geschwulst ein, und sind von dem umgebenden
Bindegewebe öfters mehr oder weniger eingeengt, oder
schon vollkommen abgeschnürt, und bilden so deutliche
carcinomatöse Körper. Letztere treten, wie man beson-
ders an transversalen Schnitten sieht, in der der Basis
der Neubildung näheren Schicht sehr deutlich hervor,
154
jedoch finden sich in ihnen nur wenige geschichtete ver-
hornte Zellen. An manchen Steilen der Geschwulst be-
merkt man, ähnlich wie bei einem Blumenkohlgewächs
hoch anÜBteigende reichlich verzweigte Gewächschlingen,
die in ein sparsames lockeres Bindegewebsgerflst ein-
gehüllt, von Epithelzellen in derselben Anordnung, wie
die oben erwähnten Bindegewebskolben umgeben sind.
Das bemerkenwertheste an diesen Tumor ist die enorme
Grösse der epithelialen carcimatösen Körper gegenüber
dem bindegewebigen Gerüst. Bei c. 80 üacher Vergrösse-
rang nahmen dieselben mitunter noch das ganze Sehfeld
ein, so das ihre eigenthümliche acinöse Form und Be-
grenzung erst bei noch schwächeren Linsen ins Auge
fielen , und auf den carcinomatösen Bau der Neubildung
aufmerksam machten. Zu beachten ist auserdem, dass
sich nirgends regressive Metamorphosen der epithelialen
Zellen vorfanden.
No. 3. Rosine St, eine 57 Jahr alte Inliegerin aus
Glambach stellte sich den 30. Mai 1868 in der Klinik mit
einer Geschwulst am rechten Auge vor. Dieselbe war
pilzförmig und halbhaselnuss gross, sass dem unteren
äusseren Theile der Cornea in der Ausdehnung von c.
1*" und der anstossen den Sciera in der Ausdehnung von
c 2"' auf, und haftete dem Boden überall fest an. Die
Oberfläche war weisslich und roth gesprenkelt, und leicht
zerklüftet Der Lidschluss war leicht und ohne Beschwerde
ausführbar. Die Pupille, etwas kleiner, als auf dem ande-
ren Auge regirte normal. Patientin gab an, schon vor
einem Jahre am äusseren Augenwinkel ein Drücken be-
merkt zu haben, und dass die Geschvrulst, die vor c.
8 Wochen noch stecknadelkopfgross gewesen, in der
letzten Zeit stark gewachsen sei, ohne jemals Schmerzen
verursacht zu haben. Auch in diesem Falle ziehen weite
Gefässe von der an Catarrhus trachomatosus erkrankten
Coi^unctiva zur Basis der Geschwulst hin.
156
Dignose: Carcinoma cornea et sclerae insidens
Therapie: Zunächst wurde der Katarrh mitSolut
Zinc sulphur (1,0) 200,0 behandelt und dann am 5. Juni
die Geschwulst abgetragen. Es war aber nicht möglich
dieselben mit dem Messer ganz rein abzuräpariren, da
die Pinzette, mit der sie ge&sst wurde, immer ausriss;
auch mit der Scheere konnte man nicht alle restirenden
Theile abschneiden, zumal eine starke Blutung das Ope-
rationsfeld bedeckte. Die Behandlung bestand nun in den
nächsten Tagen wieder in Aufträufelung von Zinksolu-
tion auf das operirte Auge.
Die mikroskopische Untersuchung ergab als Resul-
tat genau dieselbe Form des Carcinoms, wie der kurz
vorher beschriebene Tumor wieder mit den auffallend
grossen vom Conjunctivalepithel ausgehenden carcino-
matSsen Körpern.
Wenige Tage nach der Operation sah man, dass die
Wunde, statt zu vernarben, immer grösser werdende
Massen, die ganz dieselben Eigenschaften, wie die ab-
getragene Geschwulst zeigten, aufsteigen Hess; auch
bemerkte man bald, dass ein neuer Knoten 2"' vom Gor-
nealrande entfernt, nach aussen und unten von der Ope-
rationsstelle sich bildete, wo zu sich bald ein noch mehr
nach aussen gelegener dritter gesellte. Dieselben wuchsen
alle sehr schnell, so dass 14 Tagenach der Operation
die beiden ersteren die grosse einer halben Erbse, der
dritte die eines Stecknadelkopfes hatten. Es wurde um
wieder zur Abtragung des einzelnen Knoten geschritten,
und zwar mit der Intention so tief wie möglich im Ge-
sunden zu schneiden, aber auch dieses Mal hinderte die
weiche, leicht zereissliche Beschafifenheit der Neubildung
sie ganz zu entfernen; auch übte die heftige Blutung
wieder einen störenden Einfiuss auf die Operation aus. —
Der anatomische Beftmd dieser Knoten war nicht geän-
156
dert — Das Resultat war dasselbe, wie das der ersten
Operation: es entwickelte sich wieder ein Beädiv, das
jedoch nicht mehr genügend beobachtet werden konnte,
da Patientin wenige Tage nach der zweiten Operation sieb
der Behandlung entzog.
Sehen wir uns diese 3 Fälle genauer an, so werden
wir manches Interessante an ihnen finden. Zunächst ist
das Sarcom schon deswegen der näheren Betrachtung
werth, weil es zu einem diagnostischen Irrthume geAhrt
hat, und der anatomische Befund auch den Heileingriff,
die Extirpatio bulbi, nicht gerechtfertigt erscheinen Uss^
andererseits ist es aber nicht abzusehen, wie bei dem
Mangel genauer Beschreibungen von diesen an der Cor-
nealgrenze vorkommende Sarcomen, und bei derAeim-
lichkeit, die dieselben in ihrem äusseren Verhalten mit
den an derselben Stelle sich bildende Carcinomen haben,
eine richtige Diagnose zu stellen möglich war, zumal
Sarcome hierselbst so selten sind, dass Steffan nach im
Zehender Bd. 1864 pag. 81. einen Vortrag, gehalten im
ärztlichen Verein zu Franhfurt a. M. veröffentlicht, worin
er über ein an der Gornealgrenze entstandenes Gancroid
spricht, und dabei ausdrücklich angiebt, es kämen an
dieser Stelle als einzige Neubildungen nur Carcinome
und Desmoidgeschwülste vor. Freilich ist die Abbildung
welche Steffan von seinem Gancroid giebt, sehr geeignet,
gerechte Zweifel an der Richtigkeit seiner Diagnose, also
auch an der des citirten Anspruches wach zu rufen,
da jene nur aus eines Anzahl von runden Zellen und
Kernen besteht, wie mann sie in jedem Sarcom und auch
in jeder anderen Neubildung antrifft Es ist daher dem
erwähnten Tumor auch die Ehre passirt, von Stell wag
in seiner neuesten Ausgabe der Augenheilkunde pag. 517
sowohl zu den Garcinomen, wie zu den Sarcomen ge-
zählt zu werden.
Zur differentiellen klinischen Diagnostik der an der
157
Cornealgrenze vorkommenden Sarcome und Carcinome
lässt sich nun Folgendes ani&hren:
« 1) Die Verbindung der Carcinome mit der Hornhaut
ist eine innigere, als die der Sarcome, da dieselbe nur
durch die Epithelschicht, welche bei ersteren bedeutend
st&rker entwickelt ist, als bei den letzteren, vermittelt
wird, während Bowmansche Membran lange intakt bleibt,
was f&r die Carcinome Eis*) nachgewiesen hat, für die
Sarcome aus unserem Falle hervorgeht
2) Die B&nder der Sarcome heben sich steil von der
Cornea und Sclera ab, wahrend die Carcinome allmählich
sich emporhebend, pilzförmig den beiden genannten Mem-
branen aufsitzen.
3) Das Grewebe der Carcinome ist äusserst weich
und leicht zerreisslich, während das der Sarcome von fes-
terer Consistenz zu sein scheint, da sie anderen Falles
eben so wie die Carcinome durch die Lider platt gedrückt
werden müssten.
Was nun die Therapie des Sarcoms anbetrifift, so
halte ich dafür, dass, wenn dasselbe sich nicht weiter
entwickelt hat, als das oben beschriebene, und sich
von der Cornea nach Trennungdes Uebergangsepithels
noch abheben lässt, man immer versuchen solle, die
Geschwulst mit Erhaltung des Auges abzutragen. Wegen
der zwischen die oberflächlichsten Fibrillen der Sclera
eingelagerten verdächtigen Zellen wird es aber gerathen
sein, die dem Sarkom zunächst anhaftende Schicht dieser
Membran mit zunehmen.
Es könnte nun freilich für vereilig gehalten werden,
aus der Beschaffenheit eines Sarkoms gleich allgemein
gültige Schlässe ziehen zu wollen; da diese Neubildung
aber an der Cornealgrenze so selten vorkommt, dass
mir von unzweifelhaften Fällen nur nach der eine aus
*) fiifl: Beitrige rar normalen nnd pathologischen Hishologie der
Cornea. Basel 1856. S. 1S5.
168
der Literatur bekannt ist, von dem Virchow in seiner
Onkologie Bd. n pag. 279 eine Abbildung giebt; dieser
aber ganz dieselben Eigenschaften, wie der von mir be-«
schriebene zeigt, so scheinen mir die daraus gezogenen
Schlüsse bis auf Weiteres ihre volle Berechtigung zu haben.
Was nun die an der Comealgrenze vorkommenden
Carcinome betrifft, so sind sie darum besonders beach-
tenswerth, weil sie eine Stütze mehr für die von Thiersch,
Waldeyer und Anderen vertretene Ansicht abgeben, dass
diese Art der Neubildung nur durch Wucherung von
Epithelzellen und Vermehrung des dadurch in Reiz-
zustand versetzten umliegenden Bindegewebes entsteht
Hervorzuheben ist aber, dass dieses Epithel nicht gerade
nothwendiger Weise von Drüsengebilden herstammen
muss, wie es bis jetzt meistens gefunden worden ist,
sondern das auch das Epithel der äusseren Bedeckung
derselben Entwickelung fähig ist Femer ist die bereits
erwähnte bedeutende Grösse der carcinomatösen Körper
bei diesen Tumoren noch besonders zu betonen. Sie
reihen sich dadurch den medullären Krebsen an, bieten
aber wieder in ihrem äusseren Habitus manches Abwei-
chende dar. Während es gewöhnlich bei den medullären
Cardnomen ausserordentlich rasch zum Zerfall und zur
fettigen Degeneration ihrer epithelialen Bestandtheile
kommt, und dieselben in Folge dessen ausserordentlich
weich und zerreiblich werden, und eine Menge so ge-
nannten Krebssaftes liefern, fehlten diese Veränderungen
bei den beiden oben beschriebenen copjunktivalen Car-
cinomen ganz. Ihre grosse Zerreisslichkeit ist zwar als
unangenehmes Operationshindemiss schon hervorgeho-
ben worden, doch war die Konsistenz derselben eine
ganz andere, als diepulpöse Weichheit der gewöhnlichen
Medullarkrebse. Die gute Erhaltung der epithelialen Zel-
len lässt diese Verschiedenheit wohl am besten erklären.
Em Beitrag nur Burtologie des Tradunmu
V<m
Dr. Wolfring,
•rdüdreadOB Ant In der AbthcOimg für Aag«nkniike beim MIlitali^HoiplUl
zn WarMhav.
HiexiQ Tftfel I.
oeit mehreren Jahren beschäftigt mit Stadien im Gte-
biete der normalen and pathologischen Histologie der
Sehorgane and daneben aach mit der Prüfung neuerer
Untersuchangen über die Oefässvertheilang im mensch-
lichen Auge, erhielt ich durch glücklichen ZufitU die im
Granzen recht seltene Gtelegenheit zu histologischer Unter-
suchung mehrerer mit Trachom behafteter menschlicher
Bindehäute. Es stand mir eine Anzahl von Augenlidern
mit verschiedenen Formen and verschiedenen Stadien der
EntWickelung des Tradioms zu Gebote, und zwar von
den ersten Anfängen an bis zur Ausbildung des prägnan-
testen diffusen Trachoms. Die Bindehäute wurden meistens
nach vollkommener Injection der Blutgefilsse mit Berliner-
blau, in möglichst Arischem Zustande in MüUer'sche
Flüssigkeit eingelegt und nach Erlangung des entspre-
chenden Härtegrades auf feinen, in verschiedener Rich-
tung geführten, Schnitten histologisch untersucht Da
160
ich vennuthen darf, dass die Resultate dieser ünter-
sachaogen für die geehrten Fachgenossen nicht ohne
Interesse sein dürften, so erlaube ich mir dieselben kurz
und abersichtlich zusammenzustellen. Was die denselben
angefiagten theoretischen Betrachtungen anbetrifft, so
glaube ich zu denselben insofern einigermassen berech-
tigt zu sein, als die seit einer Reihe von Jahren meiner
Leitung anvertraute Abtheilung für Augenkranke im
grossen Warschauer Militairhospital mir ein reiches
Materiid zu entsprechenden Beobachtungen bietet, indem
von circa 500—600 Patienten, welche jährlich auf der-
selben zur Behandlung gelangen, etwa 80 Procent mit
verschiedenen Formen und Entwickelungsstadien des
Trachoms behaftet sind.
Ehe ich indessen die pathologisch-histologischen Yer-
änderungen der Bindehaut dem Leser vorführe, sei es
mir gestattet, mit wenigen Worten einige Eigenthüm-
lichkeiten im Bau der Augenlider und der Bindehaut und
der Oef&ssvertheilung in derselben zu besprechen, welche
bisher entweder nur wenig, oder gar nicht beachtet wor-
den sind, oder in Bezug auf welche eine allgemeine Ver-
BtSndigung der Forscher noch nicht erzielt worden ist
Was zunächst den Bau des Tarsaltheiles der Binde-
haut anbetrifft, so fällt es nicht schwer, mittelst Loupe
und Microscop sich zu überzeugen, dass an dem er-
wähnten Theile derselben von eigentlichen Papillen nach
Analogie anderer Schleimhäute, z. B. der Mundhöhle,
nicht wohl die Rede sein kann; dass auch die von Henle
beobachteten tubulösen Drüsen als solche, eigentlich nicht
vorkommen; vielmehr ist die Schleimhautoberfläche, wie
dies bereits von Stieda nachgewiesen worden ist,
(Schultzens Archiv für microsc. Anatomie Band HL)
von rinnenartigen Vertiefungen nach allen Richtungen
durchfurcht oder gleichsam unregelmässig gefaltet; die
Rinnen umgränzen mithin eine Anzahl verschieden
161
gestalteter und theilweise papillenartig sich darstellender
Erhabenheiten. Flächenschnitte yon der Oberfläche der
Bindehaut gut injicirter Lider zeigen sowohl in der Tiefe
der Binnen, als auch an der ganzen Oberfläche jener
papillenartigen Erhabenheiten eine ziemlich gleichartige
Yertheilung und Anordnung des Blutcapillarnetzes, was
gleichfalls dafür spricht, dass die Bindehaut im Orunde
genommen ungefaltet ist, während doch an Orten, wo
besondere Papillen vorkommen, wie dies ja auch in dem
unmittelbar an den Tarsaltheil gränzenden Lidrande der
Fall ist, gewöhnlich auch die Blutgefässe eine eigenthttm-
liehe, meist schlingenförmige, Gestaltung und Anordnung
zn zeigen pflegen.*) Noch entschiedener spricht für diese
Auffassung das Verhalten der Bindehaut am convexen
Rande des Tarsus, wo die pilzförmigen umfangreichen
Erliabenheiten in wirkliche Falten des Uebergangstheiles
der Bindehaut übergehen. Die die Falten oder papillen-
artigen Erhabenheiten umgränzenden Furchen bilden
übrigens nicht ein überall zusammenhängendes Netz,
sondern innerhalb der Falten finden sich häufig kurze
Rinnen, oder selbst grübchenförmige Vertiefungen, welche
an manchen Augenlidern ziemlich zahlreich sind und
dann recht wohl als tubulöse Ausstülpungen der Schleim-
hautoberfläche aufgefasst werden können. Nach dem
Augenlidrande zu, wo die Bindehaut sehr dünn und mit
dem Tarsus straff verbunden ist, sind die furchenartigen
Vertiefungen dichter, zahlreicher und sehr flach; nach
*) Indessen muss ich hier doch gleich erwähnen, dass jede papil-
lüre Erhabenheit ihre eigenen infuhrenden Arterien erhält, während
das daraus herrorgehende Capillameti ununterbrochen snsammenbängt
mit den Gapillaren der die umgebenden Vertiefungen bildenden Binde*
haut; wo die Srhebungen klein sind, da sind auch die lufnhrenden Qe-
fiisse klein, wo sie an umfang lunehmen, da werden auch die Oefässe
entsprechend grösser. Bei starker Hyperämie der Bindehaut und
BohweUung der papillenartigen Herrorragungen bildet sich auch eme
Xrweitening dieser Gefasse, welche unter Umständen dauernd werden kann«
▲rohlT fttr Opbttialinologfle, XIV. t. H
dem coovezen Rande des Tanas zu werden sie weniger
sahireich, aber daf&r tiefer; am Tarsalrande selbst, wo
die Bindehaut dicker und nnr noch locker am Tarsus
angeheftet ist, beginnen sie unmittelbar in die tiefen
Furchen überzugehen, welche die vorher erwähnten Fal-
ten im Uebergangstheile der Gonjnnctiva von einander
abgrftnzen und meist dem Bande des Tarsus paraUd
angeordnet sind. Demgem&ss findet man auch die Con-
junctiva unmittelbar am freien Lidrande noch ganz glatt,
daneben sieht man die kleinsten papillarartigen Erhaben-
heiten, die selbst mit der Loupe kaum wahrzunehmen
sind; weiterhin nach dem Uebergangstheile der Binde-
haut und den Augenwinkeln zu, werden sie allmfthlig
grösser, bis sie zuletzt mit unbewaffnetem Auge schon
wahrnehmbar werden und in die Falten der Schleimhaut
am convexen Rande der Tarsus übergehen.
Das Epithel der Bindehaut unmittelbar am Lidrande
ist ein der Epidermis noch ganz analoges. Auf der
Bindehaut des Augapfels und am Uebergangstheile der-
selben finde ich ein geschichtetes, in den tieferen Lagen
aus rundlichen Zellen bestehendes Epithel, während die
oberflächlichste Schicht aus Zellen besteht, welche ent-
schieden der cylindrischen Form sich annähern, ja theil-
weise ganz ausgesprochene Gylinderform zeigen. An dem
Tarsaltheile der Bindehaut sind die die Oberfläche der
Erhabenheiten bekleidenden Zellen zwar (wahrscheinlich
durch Druck) im Allgemeinen mehr abgeflacht, im Grunde
genommen aber nicht wesentlich verschieden von den vor-
erwähnten. Die Zellen der oberflächlichsten Schicht
zeigen nämlich keineswegs ganz abgeplattete Form; im
Gegentheil finde ich daselbst Zellen, bei denen zwar meist
der Breitendurchmesser über den Dickendurchmesser über-
wiegt, aber an ihrem freien Rande besitzen sie eine Art
von Verdickung oder Saum, ganz so wie kurze Gylinder-
zellen an solchen Körpertheilen, wo Gylinderepithel in
163
Plattenepithel flbergeht In den darch die vorerwähnten
Forchen gebildeten Vertiefungen der Schleimhaut, welche
auf Querschnitten wie tubulöse Drflsen sich darstellen
können, sah ich auf Schnitten von in doppeltchromsaurer
Kalilösung erhärteten Augenlidern zwar ein Cylinder-
epithel, doch war dasselbe nicht wesentlich verschieden
von dem eben erwähnten; es stellte sich vielmehr ähnlich
dar, wie das Epithel des Uebergangstheiles, d. h. ober-
flächlich deutliche Cylinderzellen, darunter rundliche Zel-
len, nur erscheint die Schicht der letzteren weniger mar-
kirt. Dass die cylindrische Epithelschicht an der Binde-
haut von vielen Forschem geläugnet wird, mag vielleicht
daher rühren, dass die äusseren Schichten des Epithels
an dieser Schleimhaut nur sehr locker haften, sich ausser-
ordentlich leicht und häufig ganz von selbst ablösen und
zu einem Bestandtheil des trüben Bindehautsecretes zer-
fallen. Man muss die Bindehaut sowohl ganz frisch (ehe
das Epithel durch Maceration in der Leiche gelitten hat)
auf feinen Faltenschnitten und mit entsprechenden Flüs-
sigkeiten (z. B. humor aquaeus) befeuchtet untersuchen,
als auch an Querschnitten von ganz frisch in erhärtende
Flüssigkeiten eingelegten Augenlidern; untersucht man
indessen die letzteren mit der Loupe, nachdem man sie
vorher vorsichtig abgespült hat, so findet man, dass die
oberfläehlichste Epithelschicht dennoch stellenweise sich
ganz abgelöst hat, und dem entsprechend findet man an
solchen entblössten Partien nur ein aus rundlichen Zel-
len bestehendes Epithel. Aus dem eben Dargelegten
scheint also hervorzugehen, dass das Epithel überall an
der Bindehaut wesentlich gleich gestaltet ist, nur werden
die oberflächlichen Zellen, welche dem Druck mehr aus-
gesetzt sind, stärker abgeflacht und können sogar in
gewöhnliches Plattenepithel übergehen, wie dies der Fall
ist an der Nickhaut der Thiere, am Tarsaltheile der
Bindehaut mancher Thiere oder bei starker Aufwulstung
11*
164
der Bindehaut durch sogenanntes diffuses Trachom, (auch
das Epithel auf der Yorderfläche der Hornhaut dürfte
hierher zu zählen sein), während die in den rinnenartigen
Vertiefungen am Tarsaltheile der Bindehaut vor Druck
mehr geschützten Zellen ebenso wie des für gewöhn-
lich dem Druck weniger ausgesetzten üebergan^-
theiles ihre mehr der cylindrischen angenäherte Gestalt
bewahren.
Gleich wie das Epithel, so scheint auch die Teitur
des Substrates, sowie auch die Gefässvertheilung, im
Tarsal- und üebergangstheile der Conjunctiva wesentlich
eine gleiche zu sein, weshalb auch die in denselben vor-
sichgehenden pathologischen Veränderungen, und ins-
besondere die Bildung von Trachomkörnern, wesentlich
die gleichen sind. Die sich bemerkbar machenden Ab-
weichungen, namentlich die Entwickelung der besproche-
nen papillenartigen Erhöhungen und des papillären Tra-
choms scheinen wesentlich durch die Verschiedenheit der
Verbindung der beiden Bindehaut-Abtheilungen mit den
tiefer gelegenen Theilen und die etwas reichlichere Ge-
fässvertheilung im Tarsaltheile bedingt zu sein. So muss
die straffe Verbindung der Lidbindehaut mit dem com-
pacten Gewebe des Tarsus der stärkeren Aufwulstung
desselben bei vermehrter Infiltration der Gewebslücken
sehr hinderlich sein; es werden sich mithin solche Stel-
len in derselben stärker hervorwölben, welche ein locke-
reres Gefüge besitzen und weniger fest dem Tarsus
anhaften oder die reichlicher mit Gefässen versorgt sind;
und hierin dürfte der Grund zur Entstehung papillen-
artiger Erhabenheiten auf der Bindehaut der Erwachsenen
zu suchen sein. Dafür spricht wenigstens einerseits der
Umstand, dass dort, wo die Verbindung der Bindehaut
mit dem Tarsus straffer ist, wie nach dem freien Lid-
rande zu, die Erhabenheiten kleiner sind und bei tracho-
matöser Entartung auch nicht in dem Maasse sich ver-
165
grössern, wie die Erhabenheiten am convexen Randä
des Tarsus, wo die Bindehaut eine grössere Dicke be-
sitzt, lockerer mit letzterem verbunden ist und leichter
sich aufwulstet; andererseits lehrt die Untersuchung ge-
sunder Augen von Neugeborenen und Kindern, wo die
Maschen des Bindegewebes in der Gonjunctiva noch nicht
oder wenig mit lymphoiden Zellen infiltrirt sind, dass
auch die Binnen und die von ihnen begränzten papillären
Erhabenheiten sich noch sehr wenig entwickelt haben,
während wiederum bei intensiverer Entzündung der
Bindehaut die letzteren als die nachgiebigsten Stellen
im Tarsaltheile am meisten infiltrirt werden, dadurch an
Umfang bedeutend zunehmen und mehr oder weniger
über die Oberfläche hervorragen.
Bei dieser Gelegenheit will ich auch zugleich die
Aufmerksamkeit der Forscher auf die Bindegewebsbündel
richten, welche, von dem Gewebe des Tarsus sich abzwei-
gend, in das Substrat des benachbarten Theiles der
Bindehaut sich einsenken und auf senkrechten Durch-
schnitten als pinselartig in die Papillen ausstrahlende
Fasern sich darstellen. Besonders deutlich traten die-
selben bei meinen Untersuchungen zum Vorschein auf
dflnnen, senkrecht zur Lidfläche geführten, Querschnitten
von einem mit diffusen Trachom behafteten Augenlide,
wo die Bündel bis weit in das aufgelockerte, zarte, netz-
förmige Gewebe hinein sich verfolgen Hessen.
Femer erlaube ich mir, die Aufmerksamkeit der
Leser auf das, wie ich glaube, bisher zu wenig beachtete
Verhalten des Theiles vom Orbicularmuskel zu richten,
welcher dem Lidrande zunächst gelegen und von Moll
als musculus subtarsalis beschrieben worden ist,
(Archiv für Ophthalmologie Bd. IIL, Abtheil. 2). Der-
selbe dürfte, wie ich glaube, auf die Entleerung der
Tarsaldrüsen (Meibom 'sehen Drüsen) insofern einen Ein-
fluss ausüben, als er zwischen den Ansführungsgängen
166
denelben sich hiodorchscfaUDgelt und voUständige Achter-
touren um dieselben beschreibt
Eine ganz besondere Berüdcsichtigong verdient aber,
meiner Ansicht nach, die eigenthflmliche Vertheilong
der BlntgefiLsse in den Augenlidern und in der Binde»
hant Die Zweige der Art palpebralis interna und exteina
bilden, wie bekannt, unter sich bogenförmige Anasto-
mosen im unteren und oberen Angenlide, welche ab
arcus palpebralis inferior und superior bezeichnet wer-
den« Zu diesen beiden Gef&ssbögen treten noch anasto-
mosirende Zweige von der Stirn-, Jochbein- und Wan-
gengegend hinzu. Der untere Bogen verlftuft entlang dem
unteren Rande des unteren schmäleren Tarsus (beim
Kinde etwa 2 bis 3 Millimeter vom Lidrande entfernt);
der obere Bogen verläuft etwas näher dem Lidrande
(1 bis 2 Millimeter); beide liegen an der Vorderfläche
des Tarsus. Etwa 3—4 Millimeter von dea Ecken nach
der Mitte des ladspalte zu gerechnet giebt aber der
obere Bogen sowohl an der lateralen, wie an der medi-
alen Seite nach Oben zu je einen Arterienzweig ab; beide
Zweige convergiren gegen einander und anastomosirend
bilden sie einen zweiten (von Henle in seinem Hand-
buche bereits erwähnten) Arterienbogen, welcher unmit-
telbar am convezen Rande des oberen Tarsus entlang
und etwas näher an der Bindehaut verläuft. Von diesen
Bögen und von den mit ihnen anastomosirendenOefiLssen
gehen nun einerseits Arterien zur Haut und den Mus-
keln der Augenlider, sowie zur Bindehaut des Augapfels
und der Uebergangsfalte, hauptsächlich aber geben sie
Zweige ab, welche die Tarsaldrflsen und den Tarsal-
theil der Bindehaut mit Blut versorgen. Die abtreten-
den gröberen Ästhen liegen gleich den Bögen selbst noch
an der Vorderseite des Tarsus und zeigen auch ziemlich
dieselbe Richtung; von ihnen zweigen sich unter ftöt
167
rechten Winkeln, zahlreiche Aestchen ab, von denen ein
Theil direct nach dem Lidrande zu yerliuft nnd auf
diesem Wege die an der Vorderseite des Tarans gelege-
nen Theile mit feinsten Arterien versorgt (z. B. Haat
der Augenlider), so wie die mehr nach vom gerichteten
Acini der Tarsaldrflsen; ein anderer Theil tritt durch
den Tarsus hindurch an die Bindehaut heran und ver-
Iftuft hier parallel den Tarsaldrflsen gleichfalls nach dem
Lidrande zu, wobei die benachbarten Aestchen häufig mit
einander anastomosiren. Auf diesem Wege geben nun
diese letzteren OefiLsse hauptsächlich in zwei Richtungen
Aestchen ab, nach vorn und nach hinten d. h. einerseits
zu den Acini der Tarsaldrflsen, welche sie mit dichten
Capillaren versorgen, und anderseits zu den papillenar-
tigen Erhabenheiten der Bindehaut Letztere Aestchen
sind um so dicker und länger, je näher am convexen
Tarsalrande sie sich abzweigen, entsprechend der grösse-
ren Dicke der Bindehaut und dem ansehnlicheren Umfange
der Erhabeziheiten; nach dem freien Lidrande zu nehmen
sie aber an Stärke und Länge immer ab. Am oberen
Augenlide versieht der untere d. h. dem Lidrande nähere
Bogen auf diese Weise einen verhältnissmässig nur schma-
len aber dafflr längeren Saum der Bindehaut; der obere
oder dem convexen Rande entlang gehende Bogen giebt
dagegen die meisten Oefllsse fflr die obere breitere Partie
der Tarsaltheiles ab; fflr die nach vom gelegenen Theile
des Augenlides giebt er nur wenige gesonderte Aest-
chen ab, die meisten seiner Aestchen laufen an der
Innenseite des Tarsus, welche ihrerseits wiederum die
Tarsaldrflsen und die stärkeren papillären Hervorragun-
gen der Bindehaut mit zuführenden Blutgefässen ver-
sehen.
Die Venen am oberen Augenlide an der vorderen
Seite des Tarsus bilden dichte Netze und vereinigen sich
zu mehreren anastomosirenden Zweigen, welche in ihren
168
Lage dem niederen Arterienbogen entsprechen; von ihnen
gehen zalreiche communicirende Zweige zu einem ans
etwas stärkeren Oei&ssen bestehenden dichten Venen-
netz am convexen Rande des Tarsus. In dieses letztere
ergiessen sich auch die zahlreichen parrallel den Tarsns-
drflsen nach den convexen Tarsusrande zu verlaufenden
Venen, welche das Blut ans den Bindehaut des oberen
Lides abführen. Sie entstehen aus einem sehr dichten
Netz feiner Venen, das zwischen Tarsus und Bindehaut
gelegen ist und die Capillaren aus letzteren so wie von
der Hinterseite der Tarsaldrüsen aufoimmt Ein gleiches
dichtes Netz feiner Venen findet sich unter der Binde-
haut des unteren Angenliedes. Dasselbe bildet mit sei-
nen abtretenden gröberen Zweigen und den von der vor-
deren Seite der Lider stammenden Venen nach Aussen
vom Tarsusrande gleichfalls ein wenn auch weniger dich-
tes, dem unteren Arterienbogen entsprechendes Venen-
netz. Die Zweige dieser gröberen Venennetze sowohl am
unteren wie am oberen Augenlide vereinigen sich schliess-
lich zu einigen wenigen stärkeren, den zuführenden Arte-
rien mehr weniger correspondirenden Venenzweigen. Diese
im Vorhergehenden dargelegte Eigenthümlichkeit der
Gef&ssvertheilung in der Bindehaut macht es erklärlich
weshalb bei Hyperämie der Bindehaut die Tarsaldrüsen
so häufig auch in Mitleidenschaft gezogen werden.
Was nun die pathologischen Veränderungen im Ge-
webe der Bindehaut anbetrifft, so finde ich von der ein-
fachen, sich allmählig zur Entzündung steigernden Hyper-
ämie an bis zur tiefgreifendsten Alteration in Form des
diffusen Trachomes nicht eine Wirkungsreihe verschie-
denartiger Processe, specifisch differenter Erankheitsfor-
men, sondern nur Produkte eines dem Wesen nach
gleichartigen pathologischen Vorganges, welcher stufen-
weise fortschreitet und je nach seiner Intensität, Dauer
169
und der individnellen Disposition (eigentlich wohl je
nach der bei jedem Individuum anders beschaffenen Gon-
sistenz des Gewebes, der Festigkeit der Oefässwandun-
gen, der geringeren oder grösseren Reizbarkeit u. dgl.)
mehr oder weniger tiefgreifende Veränderungen in der
Textur der Bindehaut nach sich zieht Dieser patholo-
gische Process besteht wesentlich in einer an Intensität
immer mehr zunehmenden activen Hyperämie und soge-
nannter entzündlicher Reizung; seine Wirkungen sind
einerseits unmittelbare, d. h. UeberfüUung der Gefässe
mit Blut und dadurch bedingte Schwellung des Gewebes,
und anderseits sind es sekundäre Wirkungen des ver-
mehrten Blutdruckes und entzündlichen Processes, näm-
lich Transudation und in Folge dessen ödematöse Quel-
lung des Gewebes , femer Infiltration desselben mit Ijm-
phoiden Elementen und vermehrte Secretion sowohl der
Schleimhaut selbst, als auch der auf derselben sich
öffnenden Drüsen. Abgesehen von den äusseren, die Ent-
zündung überhaupt verursachenden Schädlichkeiten oder
Reizen, wird er von dem Grade der Blutcongestion und
von gewissen, bis jetzt noch nicht näher zu bestimmen-
den, jedenfalls aber durch die Structur und Textur der
Bindehaut bedingten, Momenten, abhängen, ob man es
mit einer einfachen Hyperämie oder einer catarrhalischen
Entzündung, einer Blennorhoe etc. der Bindehaut zu
thun hat. Von jeder dieser Krankheitsstufen ist, wie
bekannt, eine Rückkehr der Bindehaut zur Norm mög-
lich, wobei die durch den Krankheitsprozess erzeugten
und eiginitlich nur der Quantität nach unterschiedenen
Veränderungen des Gewebes in der Bindehaut sich gleich-
falls zurückbilden können. Jede dieser eigentlich nur der
Intensität na?h verschiedenen Erankheitsformen, sowohl
die Hyperämie (wenn sie chronisch auftritt, wobei sie
von den Kranken oft gamicht beachtet oder wahrgenom-
men wird), als auch der Katarrh und die zur Blennorrhoe
170
gesteigerte Entsandang, können aber aach gewisse daa-
emde Veriadeningen in der Bindehaut eneogen, welche
im Allgemeinen sich selbständig und völlig zorllck-
snbilden nor selten im Stande sind. Dieselbai können
ihrerseits entweder als Reis wirkend die Entzftndong
weiter nnteriialten und das Fortschreiten des Entartongs-
processes bedingen; oder auch, wenn sie nicht sehr be-
deutend sind, können sie theilweise sich zurflckbilden
mit dem Auihören des entsöndlichen Processes, während
ein anderer Theil der Krankheitsproducte sogar nach
dem Aufhören des letzteren erst deutlicher zum Vor-
schein kommt und scheinbar als neue eigenthOmliche
Krankheitsform sich darstellen kann. Alle diese Verän-
derungen aber, welche gewöhnlich als yerschiedene For-
men des Trachoms unterschieden werden, sind, wie ge-
sagt, nur die Wirkungen eines wesentlich gleicharti-
gen Processes, nur von einander unterschieden als stu-
fenweise Entwickelungsformen desselben und je nadi
ihrem Vorkommen am TarsaltheUe oder der Ueber-
Entsprechend dieser allgemeinen Uebersicht Aber die
näher zu besprechenden Veränderungen findet man auch
bei der histologischen Untersuchung im Wesentlichen nur
quantitative Unterschiede hinsichtlich der durch den
Krankheitsprocess erzeugten Veränderungen, beginnend
bei der allmählig zum wirklichen Katarrh sich steigernden
Hyperämie und endigend beim diffusen Trachom. Bei der
einfachen katarhalischen Entzfindung findet man ausser
der mehr oder weniger intensiven Iiyection der Ge&sse
das Substrat der Bindehaut in mehr oder weniger hohem
Grade mit Bluttranssudat imbibirt und je nach der Inten-
sität und Dauer der Entzfindung eine mehr weniger inten-
sive Infiltration des Gewebes mit Eiterkörperchen oder
sogenannten lymphoiden Zellen, welche stärker zu sein
pflegt am Uebergangstheil wegen seiner mehr lockeren
171
Textur. Es h< nicht schwer, mittelst IiyectioQ von fein*
körnigen unlöslichen Farbstoffen in die BlutgeAsse bei
Kaninchen, denen man kflnstlich neben der EntzOndung
der Hornhaut auch eine katarrhalische Entsendung der
Bindehaut erzeugt hat, sich au abeneugen, dass die mit
Farbsto£fkömchen erfUlten weisen Blutkörper nicht nur
in das Gewebe der letzteren auswandern (und zwar noch
leichter als wie in das Gewebe der Hornhaut) und in
demselben als Wanderzellen ihre amöboiden Bewegungen
fortsetzen, sondern dass die gleichen gefiLrbten Zellen in
das durch vermehrte flössige Ausscheidung stark gequoi-
lene und aufgelockerte Epithel an der Bindehautober-
fl&che übertreten und aus demselben schliesslich als soge-
nannte Eiterkörper in das schleimig -eitrige, katarrhali-
sche Secret der Schleimhaut übergehen, welches mit abge-
stossenen und gequollenen Epithelzellen erfüllt, durch
die vermehrte Absonderung der eigentlichen und acces-
sorischen Thränendrüsen verdünnt und dem gewöhnlich
gleichzeitig vermehrten fettigen Secret der Tarsaldrüsen
vermischt ist Auf senkrechten Schnitten der Bindehaut
solcher mit künstlich erzeugtem Katarrh behafteter und
mit erhärtenden Flüssigkeiten behandelter Augenlider
findet man keine anderen wesentlichen Abweichungen von
der Norm, als eine Vermehrung der im Substrat auch
gesunder Bindeh&ute vorkommenden und besonders reich-
lich dicht unter dem Epithel abgelagerten lympboiden
Zellen, wodurch die Bindehaut sich jetzt auch deutlicher
abhebt von dem nur wenig solcher Zellen enthaltenden
Tarsus; man findet in letzterem die lympboiden Zel-
len hauptsächlich nur um die Acini der Tarsaldrüsen
herum verstreut War die Entzündung sehr intensiv
und von langer Dauer, so erscheinen die GefiLsse wie
hypertrophirt, die Bindehaut ist verdickt, die Infiltration
ihres Subtrates mit lympboiden Elementen eine stärkere;
das Gewebe des letzteren nähert sich dem Aussehen nach
172
ganz dem adenoiden Gewebe desDarmkanales, der Ton-
sillen und anderer ähnlicher Gebilde. Das gleiche Ver-
halten findet man an der Bindehant menschlicher Augen,
die mit chronischem Eatarih behaftet waren. In letzteren
sieht man aber die papill&ren Gebilde am tarsalen Theile
gleichzeitig vergrössert, mehr hervorragend, wodurch die
Bindehaut ein sammetähnliches Aussehen erhält, und ihr
Gewebe vorzugsweise reich an lymphoiden Elementen«
Dieselben Veränderungen beobachtet man beim sogenann-
ten papillären Trachom, nur erscheint die Infiltration
und damit die Verdickung der Bindehaut und ihrer
papillären Erhabenheiten noch vermehrt, die letzteren
stellen sich nun grösstentheils als wirkliche papilläre Aus-
wüchse dar; daneben sieht man aber schon in einzelnen
derselben, welche besonders stark vergrössert sind, rund-
liche, in noch reichlicherem Masse mit lymphoiden Zel-
len erfüllte Stellen, die sich wie Drüsenacini oder soli-
täre Folikel des Darmkanals darstellen. Gehen wir einen
Schritt weiter zu dem so genannten gemischten Trachom,
so finden wir am Tarsaltheile der Bindehaut ein ganz
gleiches Verhalten der Papillen, nur sind die trachoma-
tösen Kömer in letzteren vermehrt, zahlreicher; es hat
den Anschein, als ob manche Papillen mit den benadi-
harten zu einer einzelnen rundlichen Masse verschmol-
zen wären, welche ein grösseres Korn umschliesst, das
über die Fläche der Bindehaut etwas hervorragt Solche
grösseren Körner finden sich aber besonders zahlreich
am Rande des Tarsaltheiles, wo derselbe auch normal
die grössten papillenartigen Erhebungen besitzt Da die
Bindebaut hier dicker, lockerer und weniger straff mit
dem Tarsus verknüpft ist, so bietet sie hier die gün-
stigsten Verhältnisse zur Bildung besonders reichlicher
und umfangreicherer trachomatöser Körner, welche aber
im Uebrigen mit den in den kleineren Papillen enthal-
tenen und mit blossem Auge oft gar nicht einmal sieht-
173
baren Körnern yöUig übereinstimmen, d. b. sie unter-
scheiden sich von dem umgebenden Gewebe in gleicher
Weise nur durch die starke Anhäufung lymphoider
Elemente und die rundliche Form, und überragen gleich-
falls die Oberfläche der Bindehaut Dieselben Umwand-
lungen finden wir aber auch häufig schon in Bindehäu-
ten, an welchen während des Höhestadiums der Hyperä-
mie noch nichts von Trachom zu sehen war. Man findet
eine starke Hyperämie des Tarsaltheiles mit Schwellung
des Subtrates und Vergrösssemng der Papillen, sowie
eine Ueberfüllung der Blutgefässe im üebergangstheile,
(wobei das oben beschriebene dichte Netz feiner Venen
eine nicht unbedeutende Rolle spielen niuss), aber tra-
chomatöse Körner scheinen erst dann zu entstehen, wenn
das Stadium der heftigsten entzündlichen Hyperämie zu
weichen beginnt Ohne Zweifel ist hier die Infiltration
einzelner Papillen mit lymphoiden Zellen schon während
des Höhestadiums der Hyperämie erfolgt, aber die ganze
Bindehaut war zu sehr geschwellt, als dass sich diese
Stellen hätten bemerkbar machen können. Erst wenn die
Anschwellung und Röthe im Ganzen abgenommen hat,
kommen jene infiltrirten Stellen als gelbliche trachoma-
tose Körner zum Vorschein und überragen die Fläche
der Bindehaut Da es aber vorkommt, dass sich diesel-
ben, selbst im Verlaufe von Jahren, nur wenig oder fast
gar nicht verkleinem, so müssen sie sich um so deutli-
cher von der übrigen Bindehaut abheben, je mehr dieselbe
zum normalen Zustände zurückkehrt
Wie bekannt geht aber der Entstehung von tracho-
matösen Körnern nicht immer eine intensive länger dau-
ernde Entzündung der Bindehaut voraus; dieselben schei-
nen im Gegentheil zuweilen ganz primär und selbständig
sich zu bilden, ohne dass der Patient vorher etwas von
Entzündung bemerkt hätte, oder es entwickeln sich
ganz plötzlich nach einer kurz dauernden mehr oder weni-
174
ger intensiven katarrhalischen Entzflndnng auf der gan-
zen Bindehantflftche (oder auch nur anf dem Uebergangs-
iheile allein, meist entlang dem Sande des Tarsus) mehr
weniger zahlreiche, halbdurchsichtige, bläschenartige oder
mehr kömige Erhabenheiten, bis zu 0,3 Millimeter Durch-
messer, welche, wenn sie angestochen werden, eine lymph-
körperchenhaltige Flüssigkeit entleeren und zusammen-
Men. Im ersteren Falle ist die primäre Bildung von
Trachomkörner auch wohl nur eine scheinbare, indem es
sich meist nachweisen lässt, dass es auch hier die Folge
einer durch äussere Schädlichkeiten unterhaltenen Hyper-
ämie ist, aber einer meist nur auf einzelne oberfläch-
liche Gefässzweige beschränkten Hyperämie, die von dem
Patienten wegen ihrer geringen Intensität oft gar nicht
bemerkt wird. Indessen muss in solchen Fällen eine
besondere Prädisposition zur Bildung des Trachoms vor-
liegen (wahrscheinlich ganz ähnliche histologische Ver-
hältnisse, welche in anderen Eörpertheilen, wie z. B. im
Pharynx, im Darmkanale etc. den Anlasszur Entstehung
ganz analoger Granulationen geben, und die vielleicht
sogar auch die Entstehung von als „Tuberkel'' bezeich-
neten Anhäufungen lymphoider Elementen in anderen
Organen bedingen). Solche schnell sich entwickelnden
Granulationen können, wie bekannt, ebenso leicht wieder
sich zurückbilden und bei Beseitigung äusserer, den Reiz
unterhaltenden Schädlichkeiten von selbst verschwinden;
in anderen Fällen können sie aber auch selbst wieder
als Reiz wirken und eine intensive Entzündung mit Ver-
grösserung der Papillen hervorrufen, durch die hierbei
statthabende Anschwellung und Aufwulstung der Biude-
dehaut können die primären Trachomkörner ganz ver-
deckt werden, während die Entzündung selbst ihrer-
seits wieder Anlass giebt zur sekundären Entwickelung
verschiedener Formen des Trachoms. Uebrigens ist mir
aber kein Trachom vorgekommen, das bei der histolo-
175
gisehen Untersncbung nicht gleichzeitig mit Erweiterung
der Gef&sse, mit st&rkerer Infiltration and Vergrössemng
der Papillen des Tarsaltheiles gepaart gewesen wäre.
Was die histologischen Verh<nisse der mehr weichen,
blftschenfBrmigen Trachomkömer anbetrifft, so mnss ich
allerdings gestehen, dass ihre Untersnchung mit grösse-
ren Schwierigkeiten verknüpft ist, als die der anderen
Formen des Trachoms, insofern erstens damit behaftete
Augenlider nur sehr selten, und in frischem Zustande
&8t gar nicht zu erlangen sind, und zweitens, weil die
weichen Kömer bei Behandlang mit erhärtenden Flüssig-
keiten stark zusammenschrumpfen und dann bei der
Untersuchung dem prüfenden Blicke sich fest ganz ent-
ziehen. Dennoch glaube ich mich überzeugt zu haben,
dass diese Gebilde sich im Wesentlichen ganz gleich ver-
halten, wie die anderen festeren Trachomkömer; der
einzige Unterschied dürfte nur darin zu suchen sein,
dass dieselben im Allgemeinen nur in den oberflächlich-
sten Schichten der Bindehaut (dicht unter dem Epithel)
sich entwickeln und dass sie verhältnisslnässig weniger
Lymphkörper, aber dafür mehr seröse, häufig zu einer
gelatinösen Masse erstarrende Flüssigkeit enthalten.
Wie wir also aus Obigem ersehen, kann die Bildung
von vergrösserten Papillen und papillärem Trachom dem
kömigen Trachom vorangehen, sie kann aber auch erst
durch das letztere hervorgerufen werden. Der Process
der Entstehung ist im Grunde genommen wohl aber
immer wesentlich derselbe, und die Unterscheidung von
kömigem, papillärem und gemischtem Trachom ist nur
eine auf die äussere Erscheinung sich beziehende, das
Wesen des Vorganges nicht berührende, indem, wie wir
Oben gesehen haben, der Bau der Bindehaut und mithin
auch die pathologischen Veränderungen in allen ihren
Theilen oder wenigstens am Tarsal- und üebergangs-
theile wesentlich die gleichen sind. Der Vorgang beruht
176
wie wir nach den obigen Auseinandersetzungen anzuneh-
men uns fär berechtigt halten, wesentlich auf einer durch
örtlichen dauernden Beiz erzeugten Hyperämie und deren
Folgen, insbesondere einer starken Infiltration der Ge-
webe mit lymphoiden Zellen, welche demselben die Be*
schaffenheit des adenoiden Gewebes verleiben, und an
mehr weniger zahlreichen vorzugsweise infiltrirten Stellen
die Entstehung rundlicher Körner zur Folge haben, welche
sich als den lymphoiden Follikeln anderer Organe ana-
loge Gebilde darstellen. Diese TrachomfoUikel nun sind
nur durch einige concentrische Lagen von platten Binde-
gewebebündeln von dem umgebenden infiltrirten Gewebe
abgegränzt, indessen scheint eine wirkliche strenge Schei-
dung nicht zu existiren und an manchen Stellen ist selbst
jene bindegewebige Umhüllung nicht nachweisbar, viel-
mehr geht die FoUikelsubstanz unmittelbar in das adenoide
Gewebe der Bindehaut über. Die Gefässanordnung er-
scheint an den TrachomfoUikeln ganz ähnlich, wie an den
analogen Gebilden des Darmkanales, d. h. die Verzwei-
gungen gröberer Gefässe breiten sich nur an der Ober-
fläche des Kornes aus, während das Innere nur von einem
ziemlich spärlichen Gapillametz durchzogen wird. Die
grösseren Geftssästchen finden sich vorzüglich an der
dem Tarsus zugewandten Oberfläche der Kömer, da ja
von dieser Seite her die zuführenden Gefässe an die
Bindehaut herantreten; die der freien Oberfläche der
Bindehaut zugewandte Fläche des Kornes dagegen ist,
wenn dieselbe nahe unterhalb der Epithelbekleidung ge-
legen ist, mit einem dichten Netz feiner Gefässe über-
zogen, nämlich dem gewöhnlichen oberflächlichen Capillar-
netz der durch das Korn hervorgewölbten Bindehaut,
oder, wenn das Korn in einer Papille eingeschlossen ist,
von dem Gefässnetz der letzteren. Die hierbei regel-
mässig statthabende Erweiterung der Gefässe kann bei
Nachlass der entzündlichen Erscheinungen gleichfolls
177
vorübergehend sein, sie kann aber aach dauernd wer-
den. — Dass man es hier mit einer einfachen Anhäufung
lymphoider Elemente im bereits vorexistirenden Gewebe
und nicht mit einer wirklichen Neubildung zu thun habe,
scheint daraus hervorzugehen, dass nach der Auspinselung
feiner Querschnitte der Trachomkömer, die im Ganzen
nur schwierig und unvollkommen sich bewerkstelligen
lässt, nicht das gewöhnliche reticuläre Gewebe der ade-
noiden Substanz im Innern der Kömer zurückbleibt,
vielmehr findet man anstatt des aus vielstrahligen, zarten
Zellen zusammengesetzten Netzes ein noch grösstentheils
aus dünnen lockigen Bindegewebsbündeln gebildetes
Maschenwerk.
Unter Umständen und bei heftiger Steigerung der
entzündlichen Erscheinungen können die in der Bindehaut
vor sich gehenden Veränderungen indessen selbst zu
wirklicher Neubildung von Gewebsbestandtheilen führen.
Dafür zeugt die Bildung von fleischwärzchenartigen
Wucherungen auf der Bindehaut bei diffusem Trachom
und die mehr differente Textur des letzteren. Auch
würde bei der sonstigen verhältnissmässig bedeutenden
Straffheit des Bindehautsubstrates ohne Neubildung von
Gewebe eine so mächtige Aufwulstung und Verdickung
der Bindehaut, wie sie bei diffusem Trachom beobachtet
wird, nicht wohl statthaben können.
Die Gelegenheit zur Untersuchung eines recht präg-
nanten Exemplars von diffusem Trachom wurde mir zu
Theil durch die nothwendig gewordene Abtragung des
oberen Augenlides in einem Falle, wo dasselbe so hyper-
trophirt war, dass es über das untere Augenlid weit
hinausragte, trotzdem es sich umgeschlagen und seine
Bindehautfläche nach Aussen gekehr^t hatte. Die letztere
hatte ein dem rohen Fleische ähnliches Aussehen und
sonderte unausgesetzt eine schleimig eitrige Flüssigkeit
ab. Der Augapfel war bereits atrophisch geworden. Von
ArchiT flir Ophthalmologie, XIV, S. X2
178
einer Injection der Blutgefässe konnte in diesem Falle
nicht wohl die Rede sein; dennoch fügte es der Zafall,
dass dieselbe zu Stande kam. Ich machte nämlich den
Versuch, mittelst Einstich wenigstens die Lymphgefässe
zu injiciren; letzteres misslang zwar, indessen hatten sich
die Blutcapillaren und Venen au einzelnen Stellen auf
das vollkommenste mit Injectionsmasse angefüllt. Das
ganze Präparat wurde hierauf in Müilerscher Flüssigkeit
erhärtet. Ich konnte mich nun an feinen mit Karmin
imbibirten Schnitten zunächst davon überzeugen, dass die
Gefassvertheilung eine ungemein reichliche geworden war;
das Gefössnetz erschien dichter, die Capillaren zeigten
ein bedeutend erweitertes Lumen und traten bis fast
unmittelbar an das Epithel heran. Die jetzt mehr den
wahren Papillen ähnlich gewordenen Erhabenheiten zeig-
ten sich bedeutend verlängert, erschienen aber nicht
überall gleich, vielmehr fanden sich überall solche von
verschiedener Form und Grösse und dicht zusammenge-
drängt, nur an der dem Uebergangstheile der Bindehaut
entsprechenden Stelle fanden sich wenige über die Fläche
des Substrates etwas hervorragende Erhabenheiten. Die
Vertiefungen zwischen den Papillen waren überall von
einer epithelialen Zellenmasse ausgefüllt, so dass die
Papillen wie an der Schleimhaut der Mundhöhle von einem
über dieselbe sich fortziehenden Epithel bedeckt waren.
Indessen war die Oberfläche der Bindehaut nicht ganz
glatt, im Gegentheil fanden sich auch hier verschieden
grosse, mehr hervorgewulstete Stellen, die durch fur-
chenartige tiefe Einschnitte von einander geschieden wur-
den. Jede solche Wulst umschliesst je nach ihrem Um-
fange eine grössere oder kleinere Anzahl von Papillen.
Das die Wülste bedeckende Epithel erreichte oberhalb
der Papillen stellenweise die Dicke von 0,12 Mm. ; da es
die Zwischenräume zwischen den Papillen völlig ausfüllte,
so stellte es sich auf Queerschnitten dar, als ob es mit
179
papillenförmigen Verlängerungen tief in das Substrat
der Bindehaut hineinrage; diese letzteren massen 0,3 — 0,7
Mm. In den Furchen zwischen den Wülsten war die
Epithelschicht gewöhnlich dünner und erschien wie aus
Cylinderzellen zusammengesetzt. Auch an übrigen Orten
zeigten die tiefsten Zellenschichten eine mehr cylindrisch
verlängerte Gestalt, in den mittleren Schichten waren
die Zellen mehr polyedrisch und mit sehr schönen deut-
lichen Zähnelungen versehen (Riffzellen); in den ober-
flächlichen Schichten endlich waren sie abgeplattet, doch
flössen an manchen Stellen ihre Contouren so ineinan-
der, dass sie nicht mehr zu unterscheiden waren. In
den tiefsten Schichten des Epithels fanden sich stellen-
weise sehr zahlreiche zwischen die Epithelzellen einge-
streute Eiterkörperchen; nach der Oberfläche zu waren
sie spärlicher, doch bemerkte man hier und da vollstän-
dige nestartige Anhäufungen derselben inmitten des Epi-
thels. Diese Eiterkörperchen stammten unzweifelhaft von
den das Substrat in so reichlichem Masse infiltrirenden
Zellen.
Das Substrat der Bindehaut war ungemein verdickt
und dicht mit lymphoiden Zellen erfüllt Dieselben Hessen
sich mit Leichtigkeit auspinseln, so dass ein sehr zar-
tes, aus reticulärem Bindegewebe bestehendes Maschen-
werk zurückblieb. Die Infiltration beschränkte sich
indessen nicht auf die Bindehaut allein; auch das Gewebe
des Tarsus war dicht damit erfüllt; seine noch deutlich
als solche erkennbaren Faserbündel waren durch die
eingedrungenen Zellen auseinandergedrängt Bei der
ersten oberflächlichen Untersuchung schien die Infiltra-
tion des Bindehautsubstrates und seine Umwandelung in
adenoides Gewebe überall ganz gleichmässig; bei nähe-
rer Untersuchung zeigten sich indessen rundliche 0,5—1,2
Mm. im Durchmesser haltende Heerde, sowohl in brei-
teren Papillen, als auch in den tieferen Schichten der
12*
180
Bindehaut and selbst dem Tarsus, welche durch einige
concentrisch gelagerte Bindegewebsbündel vom umge-
benden Gewebe abgegrenzt wurden. Der innere Theil
unterschied sich vom umgebenden Gewebe nur dadurch,
dass die Zellen sich leichter auspinseln Hessen, als aus
letzterem, mithin die Lücken des Netzes mehr erweitert
und noch reichlicher mit rundlichen Zellen erfallt waren.
Die gleichen Gebilde im Tarsus schienen noch zarter zu
sein, da der mittlere Theil des Netzes beim Pinseln ganz
herausgefallen und nur die Reste desselben an der Peri-
pherie übrig geblieben waren.
Die Acini und Ausführungsgänge der Tarsaldrüsen
waren stark erweitert und erstere nur im Centrum mit
fetthaltigen Zellen erfüllt; der peripherische Theil ent-
hielt eine Masse schöner, heller, polyedrischer. mit deut-
lichem Kern versehener Zellen von gleicher Grösse wie
die lymphoiden Zellen ; auf entsprechend geführten Schnit-
ten konnte man recht schön den Uebergang der hellen
in die mit Fett erfüllten Zellen übersehen.
Nachdem ich nun die im Vorhergehenden dargeleg-
ten Verhältnisse ermittelt und mich überzeugt hatte, dass
die Bindehaut bei den verschiedenen Formen des Tra-
choms doch wesentlich immer die gleichen histologischen
Veränderungen darbiete, versuchte ich es auch noch über
die besondere Ursache der Entstehung von trachomatö-
sen Körnern mir einige Aufklärung zu verschaffen. Da
die ähnlichen Gebilde im Darmkanale eine nahe Beziehung
zum Lymphgefässsystem nachweisen lassen, da ferner
auch von anderen Forschern ein die trachomatösen Kör-
ner bei Thierenäusserlich einhüllendes reichliches Lymph-
gefässnetz nachgewiesen worden ist, so versuchte ich
auch in der mit Trachom behafteten Bindehaut vom
Menschen, die Lymphgefässe zu injiciren. Ich gelangte
hier indessen zu keinem entscheidenden Resultate,
da die Injectionen nicht recht gelingen wollten. Ich ver-
181
suchten es daher mit dem beim Hunde an der Innen-
fläche der Nickhaut regelmässig vorkommenden Trachom,
an welchem die Lymphgefilssinjection in frischem Zu-
stande sehr leicht ausführbar ist und wohl niemals miss-
glflckt Die hierbei erlangten Resultate stimmen fast
völlig mit den von Frey in dieser Beziehung ermittel-
ten Thatsachen überein (Virchow's Archiv Band XXVI);
ich übergehe daher die nähere Beschreibung meiner
Beobachtungen und verweise nur auf die hier beigefüg-
ten Zeichnungen , um so mehr, da dieselben uns noch
keine nähere Einsicht gestatten in die besonderen Ursa-
chen, welche die vermehrte Ansammlung- von lymphoiden
Zellen an bestimmten Stellen zur Folge haben. Auch
erfahren wir aus jenen Beobachtungen noch nichts über
das fernere Schicksal jener angesammelten Zellen , zumal
im Falle der Rückbildung der Trachoms; wir wissen
nicht, ob dieselben in die Lymphgefässe gelangen oder
ob sie an Ort und Stelle zu Grunde gehen, zerfallen und
scliesslich einfach resorbirt werden.
Ich habe zahlreiche Injectionen von dem Anscheine
nach ganz gesunden Augen ausgeführt und deren Binde-
häute untersucht, dabei sind mir zwar häufig verein-
zelte trachomatöse Körner vorgekommen, aber ebenso
häufig habe ich sie auch ganz vermisst. Wenn man nun
in Betracht zieht, dass diese Körner bald vorkommen,
bald nicht; dass sie gleiche Textur zeigen, wie die patho-
logisch vorkommenden; dass letztere oft schon bei leich-
ten vom Patienten häufig gar nicht einmal wahrgenom-
menen Hyperämien und bei leichteren katarrhalischen
Entzündungen in grösserer Anzahl sich entwickeln kön-
nen; dass sie auf der gesunden Bindehaut von Kindern
viel seltener sind, als bei Erwachsenen, so kann man
nicht umhin, nach Vorgang von Stromayer und Blum-
berg, sie als pathologische Bildungen anzusehen, ja ich
bin überzeugt, dass sie selbst bei denjenigen Thieren,
182
bei denen sie im erwachsenen Zustande nur selten zu
fehlen pflegen, nicht als normal functionirende Gebilde
zu betrachten sind.
Schliesslich will ich noch bemerken, dass eine beson-
dere Beziehung der accessorischen Thränendrüsen (Erause*-
schen Drüsen) zum Trachom sich nicht nachweisen
lässt, ich fand nur zuweilen um die Ausführungsgänge
der letzteren eine stärkere Infiltration mit lymphoiden
Zellen.
Erklärung der Abbildungen.
Fig* 1« Senkrecht lar lidfläche und parallel den Tarsaldrüsen geführ-
ter Schnitt einee oberen, mit papillärem Trachom behaf-
teten Augenlides, 20mal rergrösBert.
a« Ausführungsgang einer Tarsaldrüse.
bb. Gefasse in den Follikeln derselben, abstammend von den an
der Vorderseite des Tarsus sich versweigenden kleinen
Arterien.
eo« Gemeinschaftliche Arterie für den TarsaltheU der Bindehaut
und die Tarsaldrüsen.
dd« Aestchen derselben zu den hinteren Follikeln der Tarsaldrüsen.
66» Aestchen zu den Papillen der Bindehaut
ff. Traohomatöse Körner innerhalb der letzteren.
Flg. 2. Ein trachomatöses Korn bei BOfaoher Veigrösserung.
a« Das dichte, feine Gefassnetz an dessen Yorderfläche.
b. Das mit lymphoiden ZeUen erfüUte Stroma.
» Cm Zuführendes gröberes Gefassästchen.
Flg« 8« Drei Trachomkömer an einem ganz oberflächlich geführten
Schnitt Ton der Bindehaut des Hundes, etwas Über die
Oberfläche herTorragend, Vergrösserung 60. Das schwane
Netz stellt die ganz oberflächlich gelegenen BlutcapilU-
ren, das weisse Netz, die tiefer gelegenen, an der Ober-
fläche der Körner sich verzweigenden feinsten Lymphge-
fasse dar.
Ffg« 4. Von derselben Stelle, senkrecht zur Bindehaut geführter
Schnitt, 60mal vergrÖssert.
a» Das die Kömer einschliessende Lymphgefässnetz.
b. Ein zu den tiefer gelegenen Lymphgefassen herabsteigendeB
Aestchen derselben.
oe. Qaeersohnitte stärkerer Blutgefässe in der Bindehaut
üntennchungen über den Drehpunkt des
menschlichen Anges.
Von
Dr. J. J. Müller in Zürich.
Hierzu Tafel IL, IIL
Den Untersuchungen über die Bewegung des Bulbus
liegt durchweg die Supposition eines Drehpunktes zu
Grunde, d. h. eines Punktes des Bulbus, der bei allen
möglichen Bewegungen des Auges stets denselben Ort
in der Orbita einnimmt; dies gilt weniger von den ex-
perimentellen wie von den theoretischen Arbeiten über
den oculären Bewegungsmechanismus.
Die Berechtigung dieser Voraussetzung kann jeden-
falls nicht in experimentellen Prüfungen derselben lisgen,
denn solche existircn bis jetzt noch gar nicht. Die älte-
ren Versuche von Volkmann*), Büro w*), Valentin***)
über den Drehpunkt des Auges können schon deshalb hier
nicht von entscheidender Bedeutung sein, weil der Werth
ihrer Resultate durch die geringe Genauigkeit der Me-
thoden sehr herabgesetzt ist. Die neuem, exacten Be-
^} Yolkmann, Neue Beiträge zur Physiol. des Gesichtssiimeg.
8. 38. — Artikel „Sehen'' in Wagners Handwörterbuch m, 1. S. 274.
**) Bnrow, Beiträge zur Physiol. und Physik des menschlichen
Auges. S. 21.
***) Valentin, Lehrbuch der Physiol. 11, 2. S. 29.
184
stimmiiDgen aber von Jaoge*^) und von Donders and
Doijer**) gründen sich je nur aof zwei verschiedene
Lagen des Blickes, lassen also die Frage der Identität
des gefiindenen Drehpunctes mit den bei allen andern
Bewegungen des Bulbus unverschoben bleibenden Puncten
offen. Nun hat zwar ganz neulich Giraud-Teulon
nicht nur die Existenz eines Drehpunctes überhaupt,
sondern speciell seine Identität mit dem Mittelpuncte
des Augapfels als „proposition e^ärimentale'' an die
Spitze einer Abhandlung gestellt "*"**) Er f&hrt als Stütze
für diese Behauptung an, dass bei den Bewegungen des
Auges der Lidrand in beständiger Berührung mit dem
Bulbus bleiba Dies beweist aber offenbar nur, dass der
Lidrand von letzterem in einer gewissen Spannung ge-
halten ist, und hat mit dem Vorkommen eines Drehpunctes
nichts zu thun. Er giebt weiter an, dass ein Druckbild,
erzeugt durch ein feines, den Bulbus nicht verschiebendes
Object, während der Bewegung des Auges fortwährend
vorhanden sei in derselben „Intensität'' und ohne dass
Diplopie einträte. Wie gering die Genauigkeit sein muss,
mit der man in den äussersten Partien der Retina die
Aenderung der Ausdehnung und Intensität eines Druck-
bildes beurtheilt, leuchtet ein und charakterisirt die Be-
weiskraft dieser Angabe hinreichend, auch abgesehen
davon, dass nicht angegeben ist, wie im Versuche Kopf
*) Jange'i Arbeit ist in rutsisoher Sprache TerSffentlieht.
**) Donders and Doijer: De ligging ran het draaipont Tan het
oog, Vertlagen en MededaL ran de koninklijke Akademie Tan Witen-
sohappen, Dl. XIY, BL 851. — Derde Jaarlijksok Yeralag betr. de
Verpfl. en't Onderw. in het Nederlendsch Gasthnis Toor Ooglijders,
BL 209. — Anomalies of aooommod. and refracs. of the eye, p. 179,
24S, 404; deutsche Aasgabe 8. 152, 208, 889. «— YeiglHelmholts,
phjsiol Optik, 8. 458, 516, 527.
***) Giraud-Tealon, Contribution ä la physiol. de la Vision Ann.
d'Ooulist. Tom. LIX. p. 102. — NouveUe <tude sar la position du
eentre optiqae de Toeil etc. Compt. rend. T. LVHI. p. 860.
185
und drückendes Object fixirt wurden. Aber Giraud-
Teulon hat das Bild eines Objectes auf den verschie-
denen Partien der Netzhaut mit dem Ophthalmoscope
selbt beobachtet, und keine Aenderung io Grösse und
Lage derselben bei Drehung des Auges entdeckt! —
freilich ohne irgend eine Angabe zu machen, die als
Maass der Genauigkeit seinem* Beobachtung dienen
könnte. — Es folgt hieraus, dass die Berechtigung der
Annahme eines Drehpunctes in der Eigenthümlichkeit
der anatomischen Verbindungsweise des Bulbus mit den
Gebilden der Orbita gesucht werden muss.
Die anatomische Untersuchung des normalen Bulbus
ergiebt eine nahezu kugelförmige Gestalt seiner hintern
Fläche. Zwar schliesst sich diese, wie allgemein bekannt,
noch genauer einem EUipsoide an; allein die Abweichung
von der sphärischen Form ist im normalen Zustande flir
die hier überall mögliche Genauigkeit der Betrachtung
eine verschwindend kleine. Andererseits ist das verdich-
tete Bindegewebe des orbitalen Fettpolsters das getreue
Abbild der Bulbusoberfläche. Daraus schliesst man, dass
die Befestigung des normalen Bulbus in der Orbita
mechanisch als ein Kugelgelenk aufge&sst werden darf.
Die Arthrodie ist aber in der That hinreichende, wenn
auch nicht nothwendige Bedingung für die Existenz eines
Drehpunctes.
Allein nicht alle Bulbi weichen verschwindend wenig
von, der Kugelgestalt ab; die pathologischen Formen
zeigen bekanntlich eine sehr ausgesprochene ellipsoidische
Gestalt Hier aber kann von einem Kugelgelenk gar
nicht mehr die Rede sein, und doch wird auch die Sup-
position eines Drehpunctes aufrecht erhalten. Da nun,
wo es sich um anatomische Einrichtungen handelt, nur
eine Arthrodie zu dem Schluss auf einen Drehpunct be-
rechtigt, so fällt für die pathologischen Bulbi jede Be-
gründung der Annahme eines solchen weg.
186
In der Betrachtung der Gelenkbewegungen werden
nun alle diejenigen Kräfte ausgeschlossen, welche sämmt-
liche Puncte beider Gelenkflachen in parallelen und gleich
gerichteten Bahnen bewegen. Anschaulich lässt sich dies
auch so ausdrücken: Der Begriff des organischen Ge-
lenkes schliesst die Bedingung in sich ein, dass die
reUtiven Lagen aUer einzelnen Puncte jeder Gelenkfläche
zu den Insertionspuncten der einzelnen Muskeln an dem
die Gelenkfläche tragenden anatomischen Gebilde unver-
änderlich sind. In einem Coordinatensjstem, das in die-
sem Gebilde fest ist, haben also die Goordinaten aller
dieser Puncte constante Werthe; nur bei Bewegung des
ganzen Systemes ändern die Puncte ihre absolute Lage
im Räume.
Beim Auge können solche Kräfte resultiren: 1) dar-
aus, dass der Zug eines sich contrahirenden Muskels
nicht rein tangential an den Bulbus wirkt; 2) aus der
bei der Bewegung eintretenden Spannung der übrigen
den Bulbus mit der Orbita verbindenden Theile (auf-
gerollte Muskeln, Nerven, Gefasse, Yerbindungsfäden der
Sclera mit der Bindegewebskapsel des Fettpolsters und
der Conjunctiva). Im Allgemeinen werden sich diese
Kräfte immer zusammensetzen lassen zu einer Kraft,
welche die sämmtlichen Puncte der beiden Gelenkflächen
in gleich gerichteten und gleich grossen Bahnen zu be-
wegen strebt, und in solche Kräfte, welche dieselben um
eine gerade zu drehen suchen. Die Möglichkeit beider
Bewegungen ist aber bei der Verschiebbarkeit des orbi-
talen Fettpolsters unzweifelhaft und jeden Augenblick
zu constatiren; deswegen brauchen sie aber noch nicht
thatsächlich vorzukommen. Es ist also durchaus ex-
perimentell zu entscheiden, ob diese dem Gelenke frem-
den Bewegungen in Wirklichkeit vorkommen oder nicht
Wenn sie nicht vorkommen, dann muss ein Drehpunct
existiren; er ist identisch mit dem Mittelpuncte der
187
Kugelflächen. Er kann aber auch ein Drehpunct existi-
ren bei Vorbandensein von Verschiebungen beider Gelenk-
flächen; er fällt dann aber nicht mehr zusammen mit
dem Mittelpuncte, ja der Abstand zwischen Drehpunct
und Mittelpunct wird gerade ein Beweis für das Vor-
kommen von Drehungen beider Gelenkflächen.
Von vornherein ist das Vorkommen der beschriebe-
nen Bewegungen der Gelenkflächen nicht unwahrscheinlich.
In der That, es ist gar wohl denkbar, dass der Zug eines
Muskels, z. B. eines Geraden, der verschiebbaren, orbi-
talen Fläche mit dem Bulbus eine Drehung nach seiner
Seite hin ertheile um eine Gerade, welche, senkrecht zu
der durch Mittelpunct und Zugrichtung gelegten Ebene,
zwischen dem Mittelpunct und dem hintern Pole des
Auges gelegen ist. Ja diese Drehung könnte möglicher-
weise um eine Reihe stetig aufeinander folgender Axen
erfolgen.
Wird für eine bestimmte Bewegung ein bestimmter
Drehpunct vorausgesetzt, so hängt von seiner Lage, da
die durch die Insertion der Muskeln bedingte Grenze der
Bewegung nie erreicht wird, die Spannung der aufgeroll-
ten Muskeln, des Opticus, der Bindegewebsfasern der
Kapsel und Conjunctiva ab. Da nun die anatomische
Befestigung des Bulbus keine solchen den Drehpunct
unmittelbar fixirenden Momente enthält, so müssen um-
gekehrt diese Spannungen den Drehpunct mit bedingen.
Was daher sie ändert, muss auch die Lage des letzteren
ändern können. Jene Aenderungen erfolgen aber fort-
während bei der Bewegung selber, was wieder zu der
Möglichkeit führt, dass kein Drehpunct existirte.
Enlich steht die Innervation der Muskeln eines
Auges in Zusammenhang mit der Innervation der Muskeln
des andern Auges und mit deijenigen der Muskeln seiner
Lider, d. h. mit Convergenz der Augen und Oeffnung der
Lidspalte. Die dem Mechanismus des Gelenkes fremden
188
Erftfte sind somit verschieden, je nach diesen Inner-
vationen. Daraas folgt, dass zwei Bewegungen, welchen
constante, aber verschiedene solcher Innervationen eigen-
thümlich sind, um verschiedene Drehpuncte erfolgen könn-
ten; dies muss sich in's Besondere dann geltend machen,
wenn der Unterschied jener Innervationen ein Hervor-
oder Zurücktreten des Bulbus und damit eine verschie-
dene Anfangsspannung aller verbindenden Theile bedingt
Sollte dies der Fall sein, so könnte weiter eine Bewe-
gung, in welcher sich die beschriebenen Innervationen
änderten, nicht mehr um einen festen Punct erfolgen.
In dem speciellen Fall, wo der Bulbus hervoi^ oder ra-
rtlcktrftte, liegt es sofort anschaulich vor, dass dann
kein Punct desselben mehr unverschobeh w&re.
Der Begriff des Gelenkes setzt zweitens voraus, dass
die relativen Lagen aller Puncte jeder einzelnen Gelenk-
fl&che unter sich unveränderlich seien, d. h. dass keine
der Gelenkflächen ihre Form ändere. Wären dem ent-
sprechend die Gelenkflächen des Auges absolut starr, so
könnten die oft exquisit ellipsoidischen Bulbi bei Be-
fractionsanomalien nur Raddrehungen ausfahren. Sie bieten
aber in ihren Bewegungen bekanntlich nur den Unterschied
von den Bewegungen des normalen Auges, dass die Ex-
cursionen der Blicklinie oft beschränkt sind. Daraus
folgt dass die concave orbitale Fläche dieser Individuen
bei der Bewegung des Auges einen beständigen Wechsel
der Form erleidet. In wie weit eine solche Gestaltverän-
derung auch der orbitalen Fläche des normalen Auges
zukomme, bedingt durch die Locomotionen der Ansatz-
puncte der sich contrahirenden und der gedehnten Mus-
keln , ist kaum näher anzugeben. Wo aber diese Verän-
derung der orbitalen Fläche vorhanden ist, kann von
einem Gelenke überhaupt die Rede nicht mehr sein.
Der Mehanismus der Augenbewegungen bietet also
eine Reihe von Eigenthümlichkeiten dar, welche es durch-
189
aas nicht erlauben, ihn mit demjenigen der Arthrodie
ohne weiteres zu identificiren. Insbesondere dürfte
nach dem Gesagten klar sein, dass bis jetzt noch keine
Thatsache vorliegt, welche die Annahme eines Drehpunc-
tes im eigentlichen Sinne des Wortes rechtfertigte; dass
aber auch alle Thatsachen fehlen, welche seine Unmög-
lichkeit darthäten. Es bleibt somit als fundamentale Auf-
gabe in der Lehre von den Bewegungen des Auges die
experimentelle Entscheidung der Frage: Giebt es einen
Drehpunct, d. h. ist für jeden Uebergang der Blicklinie
von irgend einer Lage zu irgend einer anderen ein und
derselbe Punct des Bulbus unverrückt geblieben? Diese
Frage ihrer Beantwortung näher zu bringen ist der
Zweck der folgenden Zeilen.
Esistklar , dass sich dieselbe nach den nämlichenMetho-
den mus^s beantworten lassen, nach welchen der Drehpunct
aus nur zwei Blicklagen bestimmt wurde; denn diese
Bestimmung braucht ja nur für ganze Beihen auf einan-
derfolgender Blicklagen für die verschiedensten Bewe-
gungsrichtungen des Blickes ausgeführt zu werden. Wegen
der grossen Anzahl der nothwendigen Bestimmungen ist
aber weiter evident, dass sich eine Methode nur dann
mit Vortheil anwenden lässt, wenn sie nicht schon für
jene Ermittlung des Drehpunctes aus je zwei Blicklagen
zu grosse Zeit in Anspruch nimmt. Daraus folgt, dass
die zu wählende Methode der Bedingung möglichster
Einfachheit zu genügen hat.
Die Methode, welche Junge und in seiner ersten
Untersuchung auch Donders anwandte, ist, wie bekannt,
die Ermittlung des Drehpunctes aus der ophthalmome-
trisch bestimmten Verschiebung eines comealen Reflex-
bildes bei der Bewegung des Auges. Sie bietet jedoch
nur dann hinreichende Genauigkeit, wenn die Elliptici-
tät der Cornea berücksichtigt wird. Die Bestimmung
dieser ist nun schon für sich eine sehr ausgedehnte Arbeit.
190
Weiter wird für nur wenige Winkelgrade von einander
differirende Blicklagen die Verschiebung des Reflexbildes
sehr gering ausfallen, was für die Genauigkeit der Mes-
sung nicht von Vortheil sein kann. (Schon der erste
Grund genügte Donders und Do ij er, diese Methode mit
einer einfacheren und nicht weniger genauen zu vertau-
schen: diese Forscher bestimmten mit dem Ophtalmome-
ter die Grösse des horizontalen Gorneadurchmessers und
ermittelten unter Einführung grosser Dimensionen den
Excursionswinkel , welcher die beiden Enden des Cor-
neadurchmessersuccessive mit demselben Punct im Baume,
einem vor dem Auge befestigten verticalen Faden, zusam-
menfallen lässt*); daraus liess sich sofort die Entfernung
des Drehpunctes von der Basis des Corneasegmentes
berechnen. Unter der besondern Modification, dass zwei
parallele Fäden vor dem Auge angebracht wurden, und
nun abwechselnd der eine mit dem innem, der andere
mit dem äussern Rande der Cornea zur Deckung ge-
bracht wird, glaubten Donders und Doijer den Dreh-
punct auch für geringere Excursionen des Blickes ermit-
teln zu können, was offenbar für unsern Zweck allein
anwendbar wäre. Ich weiss nicht, ob ich die Anwendung
der Methode in diesem speciellen Falle richtig auffasse;
so viel ich aber sehe, genügt es dabei nicht, die gegen-
seitige Entfernung der Fäden von dem Hornhautdurch-
messer zu subtrahiren und die Differenz an die Stelle
des letzteren in die Rechnung einzuführen. Die Bestim-
mung ist hier erst dann möglich, wenn die Entfernung
der Haare von der Basis der Cornea gemessen wird.
Wäre auch diese Grösse gegeben, so bleibt doch der
*) Das punctum taliena dieser Methode besteht also darin, dass
für grosse Dimeniionen eine geringe Verschiebung einer VTinkelspitie
eine nur verschwindend kleine Aenderung des Winkels bedingt Dass
Girand-Teulon dieselbe wegen dieser üngenauigkeit verurtheilt, ist
mir TöUig unbegreiflich.
. 191
Cornearand keine so scharf gezeichnete Linie, dass die
Deckung derselben mit dem Haarvisire mit der noth wen-
digen Genauigkeit geschehen könnte.
Nach alledem gab ich der folgenden Methode, deren
Princip meinem hochverehrten Lehrer Herrn Professor
Fick angehört, den Vorzug.
Am aller unmittelbarsten führt zum Entscheide, ob
es einen Drehpunct giebt, die Ermittlung der Bahn, welche
irgend ein bestimmter Punct der Cornea während der
Bewegung des Bulbus durchläuft; es soll dabei der Ein-
fachheit wegen die Bewegung des Punctes in einer hori-
zontalen Ebene geschehen. Diese Bahn ergiebt sich direct
durch Bestimmung einer Reihe successiver Lagen des
gegebenen Punctes. Die einzelnen Lagen werden zweck-
mässig durch Projectionen graphisch dargestellt; der geo-
metrische Ort aller Projectionen ist dann identisch mit
der durchlaufenden Bahn, wenn die Projectionsebene pa-
rallel gewählt wurde der Ebene der Bewegung. Es han-
delt sich also darum, eine Methode für die Projection
eines bestimmten Punctes der Cornea auf eine der horizon-
talen Ebene der Blickbewegung parallele Ebene zu finden.
Es giebt nun einen ausgezeichneten Punct der Cornea^
der dies ermöglicht: der Durchschnittspunct der Visirlinie
mit der vorderen Fläche der Cornea. Die Visirlinie ist be-
kanntlich die Verbindungsliniezweiersich deckender Puncto
des Gesichtsfeldes; durch diese ist ihre Richtung voll-
ständig bestimmt. Sie ist, wie aus dem Wesen des Visi-
rens unmittelbar folgt, dadurch charakterisirt, dass sie
nach dem Mittelpuncte des von der Hornhaut entworfe-
nen Bildes der Pupille geht Daraus folgt, dass sie mit
Gesichtslinie und „Blicklinie" in einer Ebene liegt, und
beide in dem deutlich gesehenen Objectpuncte unter
bestimmtem Winkel schneidet. Sie ist dabei auf der late-
ralen Seite der Gesichtslinie gelegen, welche selber wie-
der lateralwärts von der „Blicklinie" liegt, so dass in
194
zwischen aa' und II, also auch derjenige zwischen BB'
und IL Diese Winkel seien ?om Durchschnitt der spie-
gelnden Ebenen gegen das jedesmalige Object oder Bild
hin gez&hlt — Dann ist:
wie vorausgesetzt
R
und, als Aussenwinkel
also
2 (o 4- /?) = R
d. h. ein geradliniges Object entwirft nach der zwei-
maligen Reflexion seiner Strahlen ein auf seiner Rich-
tung senkrecht stehendes Bild. Ist daher AA' der im
Auge gelegene Theil der Visirlinie, so würde er, w&re
er ein leuchtendes Object, ein in analoger Weise ge-
drehtes Bild entwerfen, woraus folgt, dass das Bild des
Auges eben ein Profilbild sein muss.
Dass weiter, wenn das Deckbild der Spiegellinien
an die Cornea des ocularen Bildes taogirt, der Dnrch-
schnittspunct der Visirlinie mit der Hornhaut bekannt
ist, ergiebt sich folgendermaassen. Sollen zunächst b und
Ps sich decken, die Richtung der Visirlinie also bp^ sein,
so muss, da diese eben durch AA' dargestellt wurde, die
Richtung AA' mit bp« zusammenfallen. Soll zweitens
dieses Deckbild an das Comeabild tangiren, also die
Visirlinie auch das Bild ihres comealen Endpunctes ent-
halten, so muss, da wir durch A den letzteren darstell-
ten, das Bild B von A in der Richtung bp^AA' liegen.
Es fragt sich, wie bestimmt sich A? Verbindet man die
Durchschnitte Pi und pi der Spiegelmarken mit der pro-
jicirenden Ebene des Objectes (der Zeiohnungsebene)
unter einander und behandelt man die Verbindungslinie
Pip2 als Lichtstrahl, so werden nach der Reflexion des-
selben an den beiden Spiegeln zwei in A unter 90^ sieh
195
schneidende Richtangen piA und p^A erhalten. Denn
die zu I und II errichteten Perpendikel piq und psq
sehneiden sich unter einem Winkel von -f R., so dass
die Winkel S und ?, welche die Verbindungslinie PiPt mit
den Perpendikeln bildet, zusammen 45 <^ ausmachen, also
2 (S -f- 0 = 90« und folglich p^Apa ebenfalls = 90«.
Dabei ist die Richtung p^A offenbar identisch mit AA';
denn sie ist, weil PiPs als ein von pi ausgehender Strahl
betrachtet werden kann, identisch mit bp2, was aber als
Richtung von AA' gewählt wurde. Folglich muss das
Bild von A in die Richtung bp^AA' fallen, kann also nur
B sein, d. h. der dem Bildpunct B entsprechende Object-
punct A ist der Durchschnitt der beiden Richtungen,
welche die Verbindungslinien piPs als Lichtstrahl be-
trachtet, nach der Reflexion an beiden Spiegeln annimmt.
Nun ist, wie vorausgesetzt, da B, b und ps sich im Ver-
suche dem beobachtenden Auge decken, in Wirklichkeit
BbpsAA' die Visirlinie, A also ein Punct der Visirlinie.
Da weiter das Bild B von A dem Bilde der Cornea an-
gehört, so muss A der reellen Cornea angehören. So-
mit ist A nichts anderes als der Durchschnittspunct der
Visirlinie mit der Cornea. — Ist daher die horizontale
Projection der Verbindungslinie piPs durch die Lage der
Spiegel, resp. diejenige ihrer Marken gegeben, also mit-
telbar auch die Horizontalprojection von A bestimmt, so
ist, wie behauptet, so oft das Bild des Auges in be-
schriebener Weise durch den Spiegelapparat entworfen
wird, die Horizontalprojection des comealen Endponctes
der Visirlinie bekannt*;
*) Es ist grat zu bemerken, dass bei gewissen Lagen der Spiegel-
marken in Beziekang snr Durehscknittslinie der Spiegel A TirtueU
wird, d. k. ansserkalb dem Spiegelranm in liegen kommt; dann kat
natürlick das ganie entwickelte Verfakren keinen Sinn. Seine Hog-
liokkeit ist näber an die Bedingung geknüpft, dass das lineare Objeet
mit dem Spiegel, binter welcbem das Bild ersckeinen soll, einen Winkel
90* < 9) < 186,« mit dem andern einen Winkel 0 < ^z < ^-^ ^^•-
18*
196
* Diese Bestimmung kann jetzt fQr eine Reihe ver-
schiedener Stellungen des Auges ausgeführt werden. Jede
Bewegung des Auges erfordert eine Verschiebung des
Apparates; sie geschehe immer so, dass die Durch-
schnittslinie der Spiegel vertical bleibe. Weil nun das
Bild des Gomeapunctes, welcher den Durchschnittspunct
der Visirlinie mit der Cornea darstellt, also der Scheitel
des Bildes der Cornea, welches zugleich Berührungspunct
für das Deckbild der Marken sem soll, ein Punct der
Visirlinie ist, immer aber mit dem reellen Corneapunct
in einer zu den Spiegeln senkrechten, also horizontalen
Denn wenn pipj einen rechten Winkel mit einer der Ebenen bilden, lo
f SUt A in die ICarke des anderen Spiegels. Wichst jener Winkel über
einen Bechten, so wird A virtneU, woraus sieh nun unmittelbar die
angeführten Grenzwerthe ergeben.
Beachtet man noch, dass das Setzen der Linien auf den Spiegeln
nur "" die Bedeutung hat, die Lage der Objectrichtung in Beziehung zu
den Spiegeln zu bestimmen, so Ifisst sich der der Methode zu Grunde
liegende physicalische Satz allgemein so ausdrücken:
Mit zwei spiegelnden ebenen Flächen läset sich von einem gerad-
linigen Objecte, dessen projicirenden Ebenen auf dieselben senkrecht
zu ihrer Dnrchschnittslinie stehen (also in eine Ebene zusammenfallen),
immer ein Bild ron folgenden Eigenschaften erzeugen:
1) das Bild steht senkrecht zur Richtung des Objectes;
2) Kennen wir den Punct des Objectes, welcher deijenigen von
den spiegelnden Ebenen zugekehrt ist, hinter der das Bild erscheinen
soU» Anfangspunct des Objectes, und den entsprechenden Bildpunct,
Anfangspunct des Bildes, so fallt der Anfang des Bildes in die Sich-
tung des Objectes und befindet sich
3) in bekannter Entfernung vom Anfangspunct des letzteren.
Nothwendige und hinreichende Bedingung hiefur ist:
1) die beiden Ebenen bilden einen Winkel (; es 45** mit einander.
2) Die Bichtung des Objectes bildet mit der Ebene, hinter welcher
das Bild erscheinen soll, einen Winkel SO** < o) < 185% mit der
andern Ebene einen Winkel 0 < i// < 45<>; diese Winkel sind immer
Tom Durchschnitt der Ebenen aus gegen das Objeet hin gezählt;
8) der Anfangspunct des Objectes liegt da, wo ein Liohtstrahl, dessen
Richtung identisch ist mit derjenigen des Objectes, naeh der Re-
flexion an beiden Flächen die Objectrichtung schneidet;
4) die Lage der Objectrichtung im Spiegelraume ist eine gegebene.
197
Ebene gelegen ist, miiss die Visirlinie in jeder Versuchs-
läge horizontal sein. Nach dem früher Gesagten muss
sie sich daher auch in einer Horizontalebene bewegen,
wenn das Auge successive die verschiedenen Yersuchsla-
gen annimmt; woraus folgt, dass der corneale Endpunct
der Visirlinie im Versuche eine horizontale Bahn beschreibt.
Wurde daher jedesmal sein Ort auf eine beliebig
gewählte horizontale Ebene projicirt, so stellt wie ver-
langt, der geomtrische Ort der Projectionen sofort die
vom cornealen Endpunct der Visirlinie durchlaufene
Bahn dar.
Die Anwendung der Methode erfordert noch einige
Bemerkungen. Das beobachtende Auge kann nämlich nie
die drei Gebilde: Spalt epa, Bild b und BildB gleichzeitig
deutlich sehen. Sieht es das eine, z. B. sein eigenes Bild
scharf, so erscheinen ihm die beiden anderen in Zer-
streuungskreisen und es ist Aufgabe des Beobachters,
den Apparat so zu stellen, dass B. und die Mitten der
Zerstreuungsbilder sich decken. Die gegenseitige Deckung
der Mitten der Zerstreuungsbilder bestimmt die Rich-
tung ps b; die Deckung des B damit die Entfernung des
A von ps. Wäre es möglich, beide Bestimmungen ganz
unabhängig von einander auszuführen, so könnte auch für
das Bild b accommodirt, und dieses deutlich gesehen, in
die Mitte des Zerstreuungsbildes von ps gebracht wer-
den, was offenbar die Genauigkeit erhöhte. Beide Bestim-
mungen müssen aber gleichzeitig controlirt werden, die
Accommodation muss somit aufB gerichtet bleiben; soll
daher jener Vortheil auch hier noch bestehen, so muss
in der Entfernung des B ein Visirzeichen aufgestellt
sein. — Eine Verschiebung der Apparate senkrecht zu
Apsb B ist zwar jetzt noch möglich bis zu einer Grösse,
die gleich ist dem von der Cornea entworfenen Bilde der
Pupille, ohne dass einer der drei Visirpuncte dem Ge-
sichtskreise des Beobachters entschwände. Allein mit
198
jeder seitUchen Versohiebong muss sofort die Deekong
der Mitten aufhören; der Unterschied ist dabei um so
grösser, je mehr die zwei Objecte im Abstand vom Auge
diffieriren. Da nun gerade die deutlich gesehene Linie,
fftr weiche das Heraustreten am schärfeten beurtheiit wer-
den kann, relativ weit entfernt ist vom näheren Zerstreu-
ungsbilde, so kann auch die geringste seitliche Verschie-
bung durch ihr Heraustreten aus der Mitte dieses Zer-
Streuungsbildes erkannt werden. — Eine Verschiebung
des Instrumentes in der Visirlinie hat sofort ein Aus-
einandertreten des deutlich gesehenen Visirzeichens und
B zur Folge. Die Beurtheilung dieses ist nur abh&ngig
von der jedesmaligen Sehschärfe des Beobachters.
Weiter kommt es bei der Anwendung der Methode
wesentlich auf vollständige Fixation des Kopfes an. Die
Stellung des Kopfes hat dabei nur der Bedingung zu gena-
gen, dass von der Cornea des Auges ausgebende hori-
zontale Lichtstrahlen wirklich auf den lateralen Spiegel
fidlen, und nicht etwa durch die Wangen etc. abgehalten
werden. Im Uebrigen hängt die Stellung des Kopfes ganz
von der Wahl des Beobachters ab; dies gilt insbeson-
dere auch für die Drehung desselben um die Basallinie.
Je nach der Wahl dieser Drehung werden aber die Bestim-
mungen in verschiedenen Lagen der Blickebene zum Kopfe
möglich.
Endlich fordert die Methode eine horizontale und
vollkommen ebene Zeichnungsfläche, auf welcher die Pro-
jectionen der verschiedenen Lagen des Homhautpunctes
verzeichnet werden.
Diesen Forderungen der Methode suchte ich durch die
folgenden Vorrichtungen nachzukommen.
Der Spiegelaparat, in Fig. 1. Tafel I in halber natür-
licher Grösse im Grundriss dargestellt, besteht aus zwei
Armen, wovon der eine, AB, den katoptrischen Theil
desselben bildet, der andere, CD, theils als Träger einer
199
am Ende D angebrachten Yisirspalte, theils zur Befesti-
gung des ganzen optischen Theiles an einem Stative E
dient Beide Arme sind, damit der Apparat für die rechte
und linke Seite anwendbar wird, durch ein Charnieige-
lenk verbunden. AB wird jedesmal dadurch in der rich-
tigen Lage erhalten, dass es sich an eine an einem seit-
lichen Arme r^ und r, von CD befindliche, sehr schwer
drehbare Schraube Si und Sg anlegt; die Stelle, wo der
Gontact geschieht, bildet ein Stahlstück, welches in das
Messingwerk, woraus sonst der ganze Apparat bis auf
Glasspiegel und Schrauben besteht, eingesenkt ist Der
Mittelpunct des Charniers ist zugleich der Durchschnitts-
pnnct der Mittellinien der beiden Arme, welche einen
Winkel von 45^ mit einander bilden.
Als das dem Instrument zu Grunde liegende Dreieck
Pi Aps wählte ich nämlich ein gleichschenklig rechtwink-
liges Dreieck. Die Mittellinie a b von AB stellt die Hypote-
nuse pi P2 dieses Dreieckes dar ; ihre Grösse beträgt 141,4">"-
so dass die Katheten des Dreiecks die Grösse 100°'">-
besitzen. Die Endpuncte von a b bilden die Mittelpuncte
zweier runder, in AB versenkter Scheiben c und d, welche
um zwei in a und b zur Ebene von AB senkrechten Axen
drehbar sind. Mit diesen Messingscheiben sind die bei-
den Diopter in fester Verbindung. Auf jeder Scheibe ist
nämlich zunächst ein horizontales halbrundes Stück e und f
aufgeschraubt, je auf der den Enden von a b abgewen-
deten Seite. Mit letzterem ist ein verücales Stück g und h
in Continuität, welches den Spiegel i und k aufnimmt
und in seitlichen Falzen festhält Die vordere senkrechte
Fläche von g und h liegt eine Spur (um die Dicke des
Spiegelbelegs) hinter den Puncten a und b; wenn also
der Spiegel mit seiner belegten Fläche dieser Ebene anliegt,
so fallen die Puncte a und b in die spiegelnden Ebenen.
Diese sind je mit einer Marke in Form eines verticalen
Risses im Beleg des Spiegels versehen, deren unterer
200
Endpunct mit a oder b zuBammenfallt Der Beleg von i
ist 80 viel entfernt, dass durch i hindurch gesehen wer-
den kann; zu gleichem Zwecke ist auch die Platte g in
der Mitte vertical durchbrochen.
Die Spiegel bilden mit a b Winkel von je 67,5^ Beim
Gebrauch für die beiden Augen des Organismus werden
aber dieselben nach verschiedenen Richtungen gezahlt.
Daraus folgt, dass wie AB auch i und k drehbar sein
müssen. Dies wird nun eben durch die horizontalen
Scheiben c und d vermittelt Die richtige Endlage aber
erhalten die Spiegel bei dieser Drehung dadurch, dass
an dem äusseren Rande des horizontalen Stückes e, f
ihres Halteapparates ein Ansatztstück 1, m angebracht
ist, welches am Ende der Bewegung gegen einen festen
Punct stösst. Dieser wird gebildet durch eine in einem
verticalen Säulchen drehbare Schraube ni n^, Oi o^-
Am Ende B kommt nur das Charnier für das Diopter
vor; es ist in Fig. 2 noch besonders in natürlicher Grösse
dargestellt. Es ergiebt sich aus dieser Figur, dass die
Scheibe d an ihrer untern Fläche einen cylindrischen
Fortsatz d' besitzt, der durch die Platte AB hindurch-
dringt. Am untern Ende trägt derselbe einen Schrau-
bengang, welcher eine Schraubenmutter p aufnimmt Diese
dient zur Befestigung des ganzen Spiegelapparates.
Am Ende A combinirt sich das Charnier für das
Diopter mit demjenigen für den Arm AB. Fig. 3 zeigt,
wie dies erreicht wird. Auch hier ragt von e ein cylin-
drischer Fortsatz e' nach unten, der eine Schraubenmutter
q aufnimmt. Ausserdem ist aber ersichtlich, dass das
Ende A von AB an der unteren Seite, das Ende C von CD
an der oberen einen kreisförmigen Ausschnitt besitzt; der
übrig gebliebene Theil eines Endes ragt je in den Aus-
schnitt des andern.
Der Arm CD, dessen Mittellinie aa heisse, besitzt
eine Länge von 241,4™- Er trägt an dem Ende C nur
201
die schon erwähnten seitlichen Forts&tze ri und r^, in
welchen sich die Schrauben Si und s^ bewegen. Am andern
Ende D ist eine verticale Platte t mittelst Schrauben
befestigt; diese ist mit einer äusserst feinen Spalte versehen,
die genau über der Mittellinie a«, liegt Sie dient, im
Versuche gut beleuchtet, als das in der Entfernung des
Bildes des Auges geforderte Visirzeichen.
Etwas vor ihrer Mitte ist CD mit einer quer gehen-
den Messingplatte u in fester Verbindung; diese ragt
seitlich Ginks) hervor und ist hier dreieckig durchbro-
chen. An diesen seitlichen Theil schliesst sich eine drei-
kantig prismatische Hülse an. Die Hülse nimmt ein
15"^ grosses verticales Stativ v auf, und ist an letzte-
rem mehrere Centimeter verschiebbar; der ganze optische
Apparat kann in variabler Höhe durch eine Stellschraube
w festgehalten werden. Das Stativ v ruht zunächst auf
einer kleinen horizontalen Platte x. Diese ist wieder auf
einer grösseren, rechtwinkligen Messingplatte y befestigt,
welche auf der Zeichnungsebene mit der Hand verscho-
ben wird: hierzu ist sie an ihrer unteren Fläche mit fei-
nem Papier überklebt. Die Kanten von y, welche die
unter A gelegene Ecke bilden, sind genau gearbeitete
Lineale; die unter CD liegende Kante ist die horizontale
Projection von a«; die andere steht dazu senkrecht. Der
Durchschnitt beider bildet die Projection des Punctes a.
Es hätte natürlich die horizontale Platte y auch so gross
gemacht werden können, dass ihre dem beobachtenden
Auge zugewendete Ecke die Projection des Comeapunc-
tes gebildet hätte. Damit wäre aber der ganze Apparat
für die Verschiebung zu schwer geworden; auch hätte
der Beobachter unter seinem Kinn nicht gut zeichnen
können. Um anderseits die nöthigen Constructiooen an
den durch den Versuch gelieferten Linien direct ausführen
zu können, durfte die Höhe des Statives £ nicht kleiner
gewählt werden.
202
In Folg^ der Brechung der Liehtstrahlen in den Spie-
geln entspricht das beobachtete Proilbild einem Auge, wel-
ebes gegen a b hin in einer Geraden etwas verschoben ist^ die
von dem Scheitel des rechten Winkels des früher mitpi Ap^
bezeichneten Dreiecks senkrecht zu a b gezogen wird.
Die Projection dieser Verschiebung auf die Yisirlinie betrug
in meinem Apparate 0,2"^-; sie ist natürlich in Rechnung
zu bringen. Die andere dazu senkrechte Projection hat
dieselbe Grösse; ihr Einflus auf das Endresultat ist aber
so gering, dass er vernachlässigt werden darf.
Es wären nun alle die resultirende Bestimmung
iofluenzirenden Grössen des Instrumentes vor seinem
Gebrauche auf ihre Genauigkeit zu prüfen. Leider stan*
den mir die hiezu nothwendigen physikalischen Hülismittel
nicht zu Gebote, so dass ich die Genauigkeit des Instru-
mentes nicht anzugeben im Stande bin. Nun ist für mein
eigentliches Ziel — die Entscheidung der Frage: gibt es
überhaupt einen Drehpunct? — dies gar nicht nothwen-
dig, da eine Constante hier ohne Einfluss sein muss.
Die unten näher anzuführenden numerischen Data sind
dagegen alle mit einem constanten Fehler behaftet; des-
wegen erlauben sie aber doch einen ganz genauen Ver-
gleich unter sich.
Die Fixirung des Kopfes wurde zu erzielen versucht
durch den von Hering construirten Kopfhalter'*'), jedoch
erst dann mit genügender Genauigkeit erreicht als ausser
den Zahnreihen auch ein Punct der Stirn iixirt wurde
Von dem das Zahnbrettchen tragenden horizontalen Stabe
meines Kopfhalters ragen nämlich seitlich zwei verticale
Stäbe bis zur Höhe der Stirn empor; oben sind sie durch
einen zweiten horizontalen Stab vereinigt Der letztere
trägt in seiner Mitte eine Hülse, in welcher ein kleiner
Stab mittelst einer Stellschraube befestigt werden kann.
*) Hering, die Lehre Tom binocularen Sehen, S. 78«
Dieser drflckt gegen die Stirn; zur Yertheilung des
Druckes und Verbütung einer ZusanunendrQckung der
Stimhaut wird passend ein Bretteben auf die Stirn gelegt
und diese erst nach Zwischenscbaltung desselben an den
Stab angelehnt. — Je nach der Stellung dieses Halters
und damit der Lage des Kopfes war im Versuche die Lage
der Bliokebene zum Kopf eine verschiedene.
Als horizontale ebene Zeichnungsflftche diente mir
ein mit feinstem Zeichnungspapier in üblicher Weise über-
zogenes Messtischblatt, welches vor dem Kopfhalter auf
Holzklötzen horizontal gelagert wurde. Die Dimensionen
des Messtisches mussten so gewählt werden, dass die
Versuchsreihen eine hinreichende Anzahl verschiedener
Blicklagen enthalten und die nachher nöthigen Construc-
tionen auf dem Messtische selber ausgeführt werden
konnten.
Sind nun Kopfhalter und Zeichnungsebene an einem
solchen Orte aufgestellt, dass während der Beobachtungs-
reihe sowohl das Auge als die Visirspalte in t gut
beleuchtet sind, und ist weiter der Kopf unverschiebbar
befestigt, so gestaltet sich die Versuchsreihe folgender-
massen. Zunächst wird für irgend eine Blicklage das
Instrument unter Verschiebung desselben mit der Hand
so aufgestellt, dass die vielfach erwähnten Bedingungen:
Deckung der Linie in i mit den von i entworfenen Bilde
der Linie in k und Tangiren dieses Deckbildes an das
nach zweimaliger Reflexion entworfene Profilbild des Auges,
erfüllt sind. Bei Beurtheilung des Tangirens der Visir-
spalte an das Corneabild kommt es wesentlich auf gute
Beleuchtung der Cornea an. Diese wird passend unter-
stützt durch einen Streifen weissen, etwas festen Papiers
welcher, möglichst weit gegen das Auge voi^eschoben,
im Nasenwinkel befestigt wird. Die Beleuchtung der Visir-
spalte [ingj darf nicht eine zu helle sein. Ist die Stellung
des Instrumentes eine richtige, so werden den oben näher
204
beschriebenen Kanten entlang feine Linien gezogen, soweit
als es die Dimensionen des Apparates eriauben. Die
eine derselben stellt die horizontale Projection der Visir-
linie dar; ihr Durchschnitt mit der anderen die Projec-
tion des Punctes a. Nun wird ganz derselbe Versach
successive wiederholt f^ eine möglichst grosse Anzahl
verschiedener Blicklagen, die in unregelmässiger Weise
auf einander folgen. Zu gross darf ihre Zahl nicht sein,
weil sonst der Beobachter leicht ermüdet, zu klein nicht,
weil sonst der fQr die endliche Bestimmung der Bahn
nöthigen Puncto zu wenig würden.
Nachdem diese Versuche angestellt sind, bleibt die
nöthige Construction für die Darstellung der von dem
Durchschnittspuncte der Visirlinie mit der Cornea durch-
laufenen Bahn auszuführen übrig. Man weiss, dass die
Projection dieses Homhautpunctes in der horizontalen
Projection der Visirlinie gelegen sein muss; es sind daher
diese Linien der Zeichnung zu verlängern. Man weiss
femer, dass jene Projection des Comealen Punctes im
Abstand 100«>«^ — 0,2 von der Projection des a gelegen
sein muss; es ist daher diese Grösse von dem Durch-
schnittspunct je zweier zummengehöriger Linien der Zeich-
nung auf den eben gezogenen Verlängerungen abzutragen.
Die so erhaltenen Puncte stellen je die Projection dar
von dem comealen Puncte in der betreffenden Blicklage,
also in ihrer Gesammtheit die Projection der von dem-
selben durchlaufenen Bahn ; da die Projectionsebene paral-
lel der Babnebene gewählt wurde, so ist diese Projection
mit der Bahn identisch.
Die Form der Bahn entscheidet nun ganz unmittelbar
die Frage, ob die Drehung des Homhautpunctes um einen
festen Punct herum stattgefunden hat oder nicht In
unserm Fall eraeugt eine solche und nur eine solche
Bewegung eine kreisförmige Bahn und eine kreisförmige
Projection. Bilden daher die gefundenen Puncte einen
205
Kreisbogen, so existirt ein Drehpunct; in allen andern
F&llen ist dies nicht der Fall.
Wenn sich heransstellt, dass die Pnncte sich wirklich
einem Kreisbogen anschliessen, so lässt sich leicht der
Mittelpunct desselben finden. Hiezu scheint mir die ein-
feudiste Methode die rationellste: man sucht rein probe-
weise den Pnnct der Zeichnungsebene und den Radius
auf, welche einen Kreisbogen liefern, in den die Puncte
entweder fidlen, oder zu dessen Seiten sie sich möglichst
gleichmässig vertheilen. Der gefundene Mittelpunct ist
offenbar die Projection des Drehpunctes; der Radius sein
Abstand vom Durchschnittspunct der Yisirlinie mit der
Cornea.
Meine nach dieser Methode ausgeführten Bestim-
mungen ergaben die folgenden Resultate.
Vor allem muss ich einer Beobachtung erwähnen,
welche beim ersten Blick in das Instrument in die Augen
springt. Hat man dasselbe nämlich in die richtige Lage
gebracht, und bestrebt man sich, die Lidspalte weiter
als normal zu öffnen, so schiebt sich das Gorneabild über
die tangirende Linie hinaus, diese wird zur Secante.
Die Bedeutung dieser Beobachtung ist leicht einzusehen.
In der oben gegebenen geometrischen Figur entsprach
dem Objectpuncte A der Bildpunt B; allen Puncten
hinter A, zwischen A und A', entsprachen Bildpunctc
hinter B, zwischen B und B', und in analoger Weise
müssen reelle vor A gelegene Puncte Bilder vor B ent-
werfen. Wenn daher der Bildpunct B an die Stelle eines
dieser letztem Punct rückt, so kann dies nur daher rühren,
dass A den Ort eines früher vor ihm gelegenen Punctes
eingenommen hat. A aber bedeutet einen Punct des Bul-
bus; die Richtung seiner Verschiebung zielt nach einem
vor ihm gelegenen Puncte, also von der Orbita weg.
Die beschriebene Beobachtung ist daher dahin zu deu-
ten, dass mit dem Bestreben, die Lidspalte mög-
206
•
liehst weit zu öffnen, der Bulbus aus derOrbita
hervortritt
Das Hervortreten tritt stets sehr rasch ein und ver-
schwindet beim Nachlass der energischen Contraction des
in. lev. palp. ebenso sdinell. Bei gerader Haltung des
Kopfes und paralleler Lage der Visirlinie mr Uedm-
ebene konnte ich dasselbe bis zu reichlich 1™^ steigern
Wendet sich der Blick median- oder lateralwärts, so er-
folgt es ebenfalls, wird aber merklich kleiner. Ebenso
nimmt es mit der Hebung der Blickebene ab, so dass
ich bei den höchsten Lagen, welche der Apparat zu unter-
suchen noch gestattet, keine Spur mehr hervorzubringen
im Stande war. Bei gesenkter Blicklage behielt es die-
selbe Grösse (1=»°») bei oder nahm eher eine Spur zu.
Die beschriebene Erscheinung tritt auch dann ein,
wenn die Oeffnung der Lidspalte trotz der grosseren
Innervation nicht grösser wird, während sie ausbleibt,
wenn das obere Lid künstlich gehoben resp. in die Orbita
hineingeschoben wird. Somit kann sie weder Folge der
Verminderung eines etwa vom Lidapparat herrührenden
Druckes auf den Bulbus, noch Folge einer vom herein-
gezogenen Lid bedingten Vermehrung des Druckes auf
den Bulbus von Seite des orbitalen Fettes sein.
Es ist nun bekannt, dass der organische Muskel d^
Augenhöhle — m. orbitalis Müll.*) — durch Reizung
des Sympathicus am Halse erregt, den Bulbus hervor*
zutreiben vermag. Bei Säugethieren ist die Wirkung
dieses Muskels unzweifelhaft. Wenn beim Menschen aber
Reizung des Halssympathicus eine langsame und einige
Zeit andauernde Eröffnung der vorher geschlossenen Lid-
•) H. Müller, Zeitsohr. f. wlMenioh. ZooL IX, 541; WSnbiuf.
VerlL IX, 244.
Harling, Zeitsohr. f. rat Med. 8 R. XXIV, 275.
Bappey, Oaz. m^ 1S67, p. 4SI.
207
spalte bewirkt,*) so idt dies, viie schon H. Müller aach-
wies**), nicht Wirkung des m orbitalis, sondern der
mm. palpebrales. Der Orbitalmuskel ist hier so klein,
dass eine Wirkung desselben auf die Lage des Bulbas
nicht bemerkbar ist Ausserdem ist das beschriebene
Hervortreten ein so rasches, dass es wohl nur die Wir-
kung animalischer Muskeln sein kann.
Darf der oft aufgestellte Satz***), dass mit der die
Oeffnung der Lidspalte bewirkenden Innervation des
m. lev. palp. eine Innervation des m. obliq. sup. verbun-
den ist, welche unter bekannter Raddrehung die Blick-
linie von innen oben nach aussen unten, resp. in eine
zur medianen und horizontalen Ebene parallele Lage
führt, als richtig angenommen werden, so könnte das
Hervortreten folgendermaassen erklärt werden. Wird
beim Bestreben, die Lidspalte ausserordentlich weit zu
ö£fnen, die Innervation des m. lev. palp. sehr gross, so
muss auch die coordinirte Innervation des m. obliq. sup.
wachsen. Darf aber, wie in unserem Versuche, die Blick-
linie sich nicht aus ihrer Lage entfernen, so muss eine
Gompensation der Wirkung des m. obl. sup. erfolgen,
was durch Innervation des m. obl. inf. oder des m. rect
sup. möglich wäre. Da nun beim Hervortreten des
Bulbus keine Raddrehung zu beobachten war, die bei
gemeinsamer Wirkung des m. obl. sup. und m. rect sup.
sehr stark sein müsste, so ist eine Innervation des
m. obl. inf. anzunehmen. Beide schiefen Muskeln zusam-
men ziehen aber den Bulbus aus der Orbita hervor. —
Doch gestehe ich, dass eine eingehende experimentelle
Entscheidung der Frage durchaus gefordert ist
•) Benak, MonatsUfttter f. AngenhUc. 1864, 185.
S. Wagner, Zeitschr. t rat. Med. 3 R. Y. 881.
♦♦) H. Müller, Wünh. Verh, X. SiUungsber. Seite XÜI, XUX.
Vttrgl. snöh Henle, Anat II. S. 695.
••*) YergL C. F. Th. Kramte, AmiIob. I. 8. 561.
208
Dieses Hervortreten des Bulbus fahrt in den Ver-
suchen aber den Drehpunct sofort zu der fundamentalen
Bedingung, dass während der Bestimmungen die Inner-
vation des m. lev. palp. constant bleibe. Dies wird da-
durch errecht, dass man die Lider stets in der dem
normalen Sehen eigenthümlichen Weise öflbet
Um eine Vorstellung davon zu ermöglichen, wie sich
dann die Versuchsreihen gestalten, habe ich eine der-
selben in Tafel IL möglichst getreu wiedergegeben. Ich
muss jedoch bemerken, dass ich erst nach einer be-
trächtlichen Anzahl vorbereitender Uebungsversuche dahin
gelangte, die Reihen in der Begelmässigkeit zu gewinnen,
wie sie die als Beispiel gewählte bietet. Sie ist vom rech-
ten Auge bei gehobener Lage der Blickebene gewonnen.
Es ist sofort ersichtlich, dass die Linien a«!, aas ^^
die Projectionen der verschiedenen Lagen der Visirlinie
darstellen, dj/i, 027% etc. die Linien, welche der zu den
erstem senkrechten Kante des Instrumentes entlangge-
zogen wurden. Die Durchschnittspuncte je zweier zu-
sammengehöriger Linien, die Puncto ai, a« etc., sind
demnach die Projectionen von a. Beide Liniensysteme
sind, um die Zeichnung nicht zu sehr zu vergrössem,
nicht in der vollen Länge des Originales wiedergegeben:
diese beträgt im Allgemeinen das Doppelte von den ge-
zeichneten Geraden. Ferner hebe ich hervor, dass diese
Linien nicht etwa in der durch die Indices angedeuteten
Reihenfolge gewonnen wurden; diese war im Versuche
eine ganz unregelmässige.
Die Geraden ajS^, a^ß^ etc. stellen weiter die nach
dem Versuche construirten Portsetzungen der Linien
aidx, aads etc. dar; auf ihnen ist je zu dem Pancte a
aus die Grösse qq, 8°*°^ abgetragen. Damit waren die
Puncto Pi, P2 etc. gewonnen, welche die Projectionen des
DurchschnHtspunctes der Visirlinie mit der Cornea in
den verschiedenen Blicklagen darstellen.
209
Es ist nun sofort evident, dass diese Puncte sich
sehr nahe einem Kreisbogen anschliessen. In der Thajk,
es I&sst sich durch Probiren leicht ein Panct in der
Zeichnungsebene herausfinden, aus welchem ein Kreis-
bogen beschrieben werden kann, so dass jene Puncte
entweder geradezu in denselben fallen oder in gleicher
Weise sich zu beiden Seiten desselben vertheilen. Dies
ist der Punct o; der entsprechende Radius misst 12,7™^;
er stellt die aus der Reihe resultirende Entfernung des
Drehpunctes vom Durchschnitt der Visirlinie mit der
Cornea dar.
Wie die Zeichnung zeigt, liegt der Punct o median-
wärts von den successiven Durchschnittspuncten der
Visirlinien. Letztere selber schliessen sich im vorliegen-
den Beispiel einem kleinen Kreise um o herum an; in
anderen Reihen fallen sie fast alle in einen Punct zusam-
men. Da nun, sollte überhaupt ein Drehpunct sich her-
ausstellen, von vornherein zu erwarten war, dass er in
die Symmetrieaxe des Bulbus fallen werde, die Visir-
linie aber im Glaskörper auf der lateralen Seite der letz-
teren Seite verläuft, so entspricht das Resultat ganz den
thatsächlichen Verhältnissen.
Ich habe solcher Versuchsreihen eine grössere An-
zahl an meinen beiden Augen angestellt, und zwar fQr
jedes derselben in drei verschiedenen Lagen der Blick-
ebene relativ zum Kopfe. Bei der ersten dieser Reihen
war der Kopf in gerader Haltung, die Blickebene also
im Horizonte derselben; bei der zweiten war er so ge-
neigt, dass die Blickebene relativ zu ihm 20^ gehoben
war; bei der dritten war die letztere umgekehrt 20^
gesenkt
Die resultirten Versuchszeichen nehmen sich, was
zunächst den graphischen Theil anbelangt, alle ganz
ähnlich dem angeführten Beispiele aus; in allen schlies-
sen sich die Projectionen des cornealen Punctes mit
ArdilT fOr Ophthalmologie, XIV. S. ^4
210
grosser Regelmässigkeit einem Kreisbogen an, theils in
ihn fallend, theils zu beiden Seiten von ihm gleicfamässig
sich vertheilend. Es ist somit fQr jede der angefahrten
drei Lagen der Blickebene der Nachweis geleistet, dass
bei Bewegung des Blickes in der Blickebene
die Drehung des Bulbus in der That um einen
festen Punct desselben erfolgt.
Die nummerischen Resultate dieser Versuchsreihen,
die theils einen Maassstab bieten für die Beurtheiluog
der Methode, theils eine Yergleichung der für die ver-
schiedenen Lagen der Blickebene gefundenen Entfernun-
gen des Drehpunctes von der Cornea erlauben, seien mir
hier hinzusetzen gestattet Es sind in den folgenden
Tabellen unter L die Resultate für das linke, unter R die-
jenigen für das rechte Auge dargestellt. Die Rubrik N
bezeichnet die laufende Nummer der Versuchsreihe; Z
die Anzahl der Einzelversuche derselben ; E die totale
Excursion des Blickes, d. h. den von den beiden äusser-
sten Lagen der Visirlinie gebildeten Winkel; W den
hieraus berechneten mittleren Werth des Winkels, den
zwei aufeinander folgende Lagen der Visirlinie mit ein-
ander bilden; D den aus der Reihe resultirenden Abstand
des Drehpunctes vom Dnrchschnittspunct der Visirlinie
mit der vordem Fläche der Cornea. Die Winkel sind
in den üblichen Graden und Minuten, jedoch immer ab-
gerundet, die Längenmaasse in Millimetern angegeben.
Es ist nochmals hervorzuheben, dass letztere mit einem
unbekannten Fehler behaftet sind. Da das Instrument
für alle Versuche an einem Auge durchaus unverändert
blieb, so muss dieser P'ehler einerseits für alle Versuche
unter L, andererseits für alle unter R ein constanter
sein; er kann aber sehr wohl für L und R verschieden
ausgefallen sein.
211
.4
I. Blickebene im Horizont des Kopfes.
L.
N
Z
E
W
D
1
10
61»
6» 47'
14,2—
2
12
78
7 5
14,2
3
10
66
7 20
14,5
4
12
65« 50*
5 54
14,7
5
11
66«
6 36
14,7
6
12
67 50
6 10
14,8
7
13
68 20 \
5 42
14,4
8
11
56
5 36
14,7
9
11
57 30
5 47
15
10
13
69
5 45
14,4
Wahrscheinlicher Werth A = 14,56'
B.
N
Z
E
W
D
1
10
66» 50'
7» 25'
13,4—
2
12
71
6 27
13,2
3
12
74
6 44
13
4
11
65
6 SO
13,2
5
14
73 30
5 48
13,3
6
10
61 40
6 51
13,6
7
12
55 10
5 1
13,2
8
11
66 10
5 43
13
9
13
71
5 55
13
10
12
73 40
6 42
13
Wahrscheinlicher Werth A
1S,19~
14*
212
n. Blickebene 20* gehobei
L.
N
Z
E
W
D
1
9
75»
9» 22'
14,7-
2
12
68
6 11
14.9
3
13
67
5 35
14,95
4
12
66 10'
6 1
15,45
5
11
70 10
7 1
15,2
6
10
62 44
6 58
15,3
7
10
72 80
8 3
15,5
8
12
71 30
6 30
15,5
9
11
70
7
15,1
10
11
73 40
7 34
15
"WahrBcheinlicher Werth A — 15,16"»-
R.
N
Z
E
W
D
1
12
73»
6» 38'
13,2—
2
10
65 20'
7 16
13,2
3
9
59 30
7 26
13,4
4
11
64 30
6 27
13,4
5
11
65
6 30
13
6
11
69 40
6 58
13,5
7
11
68 30
6 51
13,6
8
10
56 40
6 18
13«3
9
12
74
6 44
13^
10
12
70 30
6 25
13,3
Wahrscheinlicher Werth A » 13,29"
213
m. Bliekebene 20* gesenkt
L.
N
Z
E
W
D
1
10
63»
70
14— •
2
10
64 50'
7 12'
14^
3
10
59 20
6 36
14,5
4
10
60 40
6 44
14,5
6
10
62 20
6 56
14,1
6
10
66
7 20
14,1
7
9
61
7 25
14,4
8
9
57 10
7 9
14,5
9
10
59 20
6 26
14,6
10
10
60 30
6 43
14,5
Wahrscheinlieher Werth A = 14,34'
R.
N
Z
E
W
D
1
12
58« 50'
5«> 21'
12,6'»--
2
13
63 20
5 17
13,4
3
12
69 30
6 19
12,8
4
10
62
6 53
13
5
10
62
6 53
12,9
6
10
70 50
7 52
12,6
7
11
68 50
6 53
12,7
8
11
57
5 42
12,6
9
11
70 20
7 2
13
10
11
69
6 54
13,1
WahrBcheinlicher Werth A = 12,87'
214
Unterwerfen wir jetzt, um dem Verst&ndniss dieser
Zahlen näher zu kommen, eine dieser Reihen, z. B. die
erste, wo die Blickebene im Horizont des Kopfes lag,
einer genaueren Betrachtung.
Aus dieser Tabelle ergiebt sich unmittelbar fQr den
Abstand des Drehpunctes vom Durchschnittspuncte der
Yisirlinie mit der Cornea
L B
der wahrscheinliche Werth a = 14,56"™»- 13,19"^
dabei berechnet sich
der wahrscheinliche Fehler zu 0,1776™- 0,1366"^
Die Differenz der Werthe A für die beiden Augen
(1,37) ist nicht unbeträchtlich, und da meine Augen den-
selben Refractionszustand (M = Vio) haben, auch meine
Gesichtsbildung keine erheblichen Asymmetrien zeigt,
auffallend. Indessen ist darauf hinzudeuten, dass sie mit
von den constanten Fehlem des Instrumentes fQr die
beiden Einstellungen bedingt ist, und daher möglicher
Weise zum Theil von diesen herrühren kann. Anderer-
seits möchte ich daran erinnern, dass auch Donders
ähnliche Differenzen für die Lage des Drehpunctes in
beiden Auges desselben Individuums fand.
Bei der totalen Verschiedenheit der Methoden mag
eine Vergleichung der obigen Werthe mit den Resultaten
von Donders und Doijer nicht werthlos sein. Für
den erwähnten Refractionszustand (M = Vio) fanden
diese Forscher den Abstand des Drehpunctes von der
Basis des Corneasegmentes 10,99"^* (linkes Auge) und
10,89°™- (rechtes Auge), also, da sie die Höhe des Cornea-
segmentes = 2,6""- setzen, die Werthe A = 13,59""-
und 13,49°™* Die Differenz der mein igen und dieser
Werthe beträgt somit -f- 0,97°™- (linkes Auge) und
— 0,40°™- (rechtes Auge). Das Alter der Versuchs-
person Donders' war 26 Jahre, das meinige ist 22
Jahre.
215
Von Interesse ist ferner die Lage des Drehpunctes
zu den übrigen ausgezeichneten Puncten des Bulbas.
Um eine Vorstellung über diese Beziehungen zu ermög-
lichen, setze ich zunächst den Symmetriedurchmesser
meiner Augen nach dem Vorgange Donders' = 24,53"^*)
Dann hat der Abstand des Drehpunctes von der hintern
Fläche der Sclera den Werth
L R
j. = 9,97 ««»• 11,34™"-
und die Entfernung des Drehpunctes von der Mitte des
Symmetriedurchmessers, die positiv gerechnet sein soll,
wenn jener hinter dieser liegt, beträgt
L B
^ = 2,30"^- 0,93"^
Setze ich endlich den dem Symmetrialdurchmesser
analogen Durchmesser, welchen das von der Sclera ge-
bildete Ellipsoid besässe, wenn es vorn nicht in die
starker gewölbte Cornea überginge = 24,53 — 1,5 =
23,03°*"^, so beträgt der Abstand des Drehpunctes von
der Mitte dieser Axe
L R
^' = 1,54°"- 0,27"™-
Die Bedeutung dieser Differenzen fdr das Auge ist
schon wiederholt des Einlässlichsten hervorgehoben wor-
den; es kann daher nicht meine Aufgabe sein, hier näher
auf dieselbe einzutreten.
Berechnet man in analoger Weise wie für die erste
auch für die beiden anderen Tabellen die relative Lage
des Drehpunctes zu den ausgezeichneten Puncten des
Bulbus, so ergiebt sich die folgende Tabelle, welche
ganz direct die Resultate enthält, die aus den Unter-
*) Ich folge dabei den Angaben des Donders' sehen Werkes über
die Anomalien etc.; in der Originalarbeit ron Donders und Doijer
(de ligging eto.) ist diese Grösse ^ 23,42 gesetst
21«
snchangen f&r die verschiedeDen Lagen der Blickebeae
herrorgehen. Die Rubrik B bezeichnet die Lage der
Blickebene znm Kopfe, ansgedrfickt in Winkelgraden,
welche vom Horizont des Kopfes aus gezahlt werden^
nach oben als positiv, nach unten als negativ in die Ta-
belle eingefQhrt. ^, ^', ', '' haben die oben schon ge-
brauchten Bedeutungen.
B
ä
J'
S
i'
+ 20
0
— 20
15,16
14,56
14,34
9,37
9,97
10,19
2,90
2,30
2,08
2.14
1,64
1,32
B
J
J'
6
i'
+ 20
0
— 20
13,29
13,19
12,07
11,24
11,34
11,66
1,03
0,93
0,61
0,37
0,27
— 0,15
Aus dieser Tabelle ergiebt sich, dass der Dreh-
punct um so mehr sich vom Scheitel der Cor-
nea entfernt, je höher die Blickebene relativ
zum Kopfe gelegen ist. In der That, far das linke
Auge ist ja der Abstand des Drehpunctes von dem
Durcbschnittspuncte der Visirlinie mit der Hornhaut in
der tiefsten Lage der Blickebene 14,34°^-; hebt sich der
Blick um 20®, so wächst dieser Werth um 0,22"*- zu
14,56"™-; hebt er sich nochmals um 20®, so nimmt er
weiter um 0,60«°»- zu und erreicht die Grösse 16, I6"«-,
217
die von der ersten um 0,82™"- differirt Im rechten Auge
sind die Differenzen etwas geringer: beim Uebergang
von der tiefsten znr mittleren Lage der Blickebene wächst
der bezeichnete Abstand um 0,32, beim Uebergang von
dieser zu der höhern um 0,10, so dass die Differenz der
äussersten Werthe blos 0,42 beträgt. — In der tieftten
untersuchten Lage der Blickebene liegt der Drehpunct
noch immer beträchtlich hinter der Mitte der Symmetrie-
axe. Dem entsprechend ist er im linken Auge auch
durchweg hinter der Mitte des scleralen EUipsoides ge-
legen; im rechten dagegen nähert er sich dieser Mitte
sehr, ja er fällt in der letzten Reihe vor dieselbe, was
durch das Minus-Zeichen in der Columne S* angedeutet ist.
Die Ursache dieses eigenthQmlichen Verhaltens bin
ich geneigt, in Folgendem zu suchen. Bekanntlich kann
eine alleinige Contraction des m. rect sup. wegen der
grossen durch ihn bewirkten Raddrehung nicht vorkom-
men: eine Innervation des m. rect. sup. ist immer ver-
bunden mit einer Innervation des m. obl. inf. Anderer-
seits fordert die Hebung der Blickebene eine grössere
Oeffnung der Lidspalte, wie ja auch im normalen Zustande
einer Innervation des m. rect. sup. eine solche des m.
lev. palp. associirt ist.*) Mit der stärkeren Innervation
des m. lev. palp. geht aber parallel eine solche des
m. obl. sup., welche ihrerseits wieder einer Innervation
des m. obl. inf. ruft. Ist die letztere Annahme richtig,
so sind auch jetzt beide schiefen Muskeln in Thätigkeit,
womit wieder ein Hervortreten des Bulbus aus der Or-
bita bedingt ist. Hiefür scheint mir auch das subjective
Gefühl zu sprechen, das bei forcirter Hebung des Blickes
ganz ähnlich ist demjenigen bei forcirter Oefihung der
Lidspalte in horizontaler Blicklage, ferner die Beobach-
tung, dass bei stark gehobenem Blicke das oben be-
«) A. T. Graefe, Monatabl. f. Angenhlk. 1864, S. ISS.
218
schriebene Hervortreten des Bulbus nicht mehr erzeugt
werden kann. Tritt aber der Bulbus hervor, so muss
die Spannung der geraden Muskeln und des Opticus eioe
grössere werden, speciell für Bewegungen des Blickes
von der Medianlinie der Blickebene weg nach beiden
Seiten von grösserem Anfangswerthe ausgehen. Diess
könnte aber wohl ein Zurücktreten des Drehpunctes zur
Folge haben.
Wenn diese Auffassung richtig ist, so muss ein ana-
loges Zurücktreten des Drehpunctes beobachtet werden,
wenn bei Bewegung des Blickes im Horizont des Kopfes
die Drehung des willkürlich hervorgetriebenen Balbas
untersucht wird. Einige Control versuche, die hierauf
zielten, bestätigen diese Vermuthung.
Zürich, September 1868.
Dr. J. J. Müller.
üeber den Einflna» der Nerven auf die Höhe des
intraocularen Drackes.
Von
Dr. A. V. Hippel und Dr. A. Grünhagen.
PrlTatdooentea «n der UniYenltltt su Königsberg L Pr.
Jjie Bestimmung des intraocularen Druckes und die
Ermittelung der Bedingungen, unter welchen Schwan-
kungen desselben eintreten können, war durch die von
Graefe'schen Arbeiten über das Glaucom für die Ophthal-
mologie von grosser Bedeutung geworden. Sollte doch nach
V. Graefe das Charakteristische dieser eigenlhümlichen
Krankheit ganz ausschliesslich auf einer Druckverände-
rnng, d. i. auf einer beträchtlichen Steigerung des intra-
ocularen Druckes, beruhen, und hatte doch der glänzende
Heilerfolg der Iridectomie diese Vermuthung insofern
gestützt, als eine Zurückführung des abnorm erhöhten
Augendrucks auf das gewöhnliche Maass die unmittel-
bare Folge dieser Operation war.
Wenn sich nun aber auch der in Betracht kommende
Symptomen-Complex schliesslich in ein klares Krank-
heitsbild concentrirt, und wenn auch die therapeutische
Behandlung der Krankheit einen so mächtigen Aufschwung
genommen hatte; die genauere theoretische Erkenntniss
der ihr zu Grunde liegenden Functions-Störung war nur
wenig gefördert, and die Frage, wodurch die Zanahme
des intraocularen Drucks im glaucomatOsen Auge bedingt
sei, eine durchaus o£fene. Zwar worden von den Ophthal-
mologen vieLEftch Versuche angestellt, das Wesen des
glaucomatOsen Processes unserem Verständnisse näher zu
bringen, auch von Seiten der Physiologie sind nament-
lich in letzter Zeit Anstrengungen nach dieser Richtung
hin gemacht worden, indessen erhoben sich unseres Eracfa-
tens die bekannt gewordenen Leistungen einestheils nicht
viel über das Niveau von geistreichen Speculationen, die
einer thatsächlichen Begründung noch entbehrten, andem-
theils verfehlten sie das zu erstrebende Ziel auf das
Vollständigste. Soviel hat sich jedoch wohl unzweifel-
haft ergeben, dass die Lösung dieser Frage der Physiologie
obliegt Es ist ferner als festgestellt anzusehen der Weg,
den die physiologische Forschung zu betreten hat Denn
wenn die Steigerung des intraocularen Druckes über die
normale Höhe hinaus in Wahrheit das primäre Symptom
des Glaucoms ist, so wird eine umfassende Ermittelung
aller der Momente, welche den intraocularen Druck beein-
flussen, schliesslich auch die Ermittelung desjenigen
Momentes nach sich ziehen, welches die fragliche Krank-
heit bedingt
Dieser Aufgabe hat sich der Eine von uns schon seit
längerer Zeit gewidmet und die bemerkenswerthesten
Ergebnisse seiner Untersuchungen in einer aus dem Jahre
1866 datirenden Abhandlung*) niedergelegt Späterhin
sind die begonnenen Experimente von uns Beiden gemein-
schaftlich fortgesetzt worden« Wie überall, so stellte sich
auch hier bald heraus, dass die beobachteten Erscheinun-
gen sehr genau zergliedert werden müssen, ehe man
bestimmte Schlüsse abzuleiten berechtigt ist, dass man
niemals des innigen Zusammenhanges zu vergessen hat,
*)]ie]ile und Pfeaffer's Zeitsebr. (8), Band 2S, pa«. 29S.
221
durch welchen alle Theile des thierischen OrganiBmus
mit einander verknflpft siLd, und dass man also bei der
Deutung des Gesehenen nicht nur das üntersuchungs-
Object alleio, sondern auch die Zustände sehr entfernt
gelegener Theile und ihren möglichen Eiuflnss auf die
im Auge hervortretenden Verhältnisse in Betracht ziehen
muss. Wenn wir trotz alledem mit einer Veröffent-
lichung unserer Resultate in vollständigerer Form nicht
länger zurückhalten, so geschieht dies keineswegs in der
Ueberzeugung, als seien wir mit unserer Untersuchung
zu einem völligen Abschlüsse gelangt, sondern lediglich
deshalb, weil wir im Stande sind, einen positiven Beitrag
zur Lehre vom Glaucom zu liefern und darum hoffen
dürfen, einige neuere, die Natur dieser Krankheit betref-
fende Angaben berichtigen zu können.
Bevor wir aber zu der Darlegung unseres Beobach-
tungs- Materials übergehen, scheint es zweckmässig, die
Methode unseres Versuchsverfahrens einer kritischen
Erörterung zu unterziehen und über die Fehlerquellen
Bericht zu erstatten, welche bei ihr in vollem Masse ange-
troffen und, wenn möglich, vermieden, jedenfalls aber in
ihrem ganzen Umfange gekannt werden müssen.
Die Methode, welche wir bei unsern Untersuchungen
£Etst durchweg befolgten, besteht im Allgemeinen darin,
dass wir ein besonders zugerichtetes Manometer luft-
und wasserdicht in die vordere Augenkaromer eines Thieres
einbrachten und den innerhalb des Bulbus herrschenden
Druck durch eine ihm das Gleichgewicht haltende Queck-
silbersäule, deren Höhe an einer Millimeter -Scala abge-
elesen werdn konnte, masseo. Selbstverständlich müsste
auf diesem Wege unter bestimmten Voraussetzungen das
von uns angestrebte Ziel erreicht werden können; es
fragte sich nur, ob diese Voraussetzungen zulässig waren.
Zweierlei war nämlich zu verlangen, falls unseren mano-
metrischen Bestimmungen irgend welch ein Werth beige-
legt werden sollte: erstens, dass das Auge unbeweglich
in der Orbita läge und dem Einflüsse der es umgeben-
den Muskeln entzogen sein müsste, zweitens, dass durch
die Einführung des Mass -Instrumentes in das Auge an
und fQr sich selbst keine Aenderung der Druckverhält-
nisse herbeigef&hrt wflrde.
Was zuvörderst den ersten Punkt betrifft, so leuch-
tet wohl von selbst ein, dass eine noch so gute Befesti-
gung des Thieres, wenn sich dieselbe nur darauf beschränkt,
die Bewegungen des Kopfes, Rumpfes und Auges durch
Schraubenhalter, Schlingen, Fixir-Pincetten und dgl. zu
vermindern, oder auch ganz tax -verhindern, f&r unsem
Zweck unzureichend wäre. Wie vortrefflich auch immer
die Lageveränderung des Bulbus hierdurch ausgeschlossen
sein mag, die Zugkraft eines beliebigen Orbital -Muskels,
welche sich ohne Hemmniss in Bewegung des Bulbus
umgesetzt haben würde, wirkt nunmehr lediglich als
Druckkraft, und dies gerade war zu vermeiden. Die Immo-
bilisimng des Auges musste somit in anderer Weise vor-
genommen werden. Ein Mittel dazu wäre gewesen, die
Thiere zu narcotisiren und zwar, da man einer lange
anhaltenden Narcose benöthigt ist, durch Injectionen von
Morphium unter die Haut oder in die Venen. Wir sind
jedoch von diesem Verfahren bald abgegangen, da es
durchaus nicht immer gelingt, die Morphium -Narcose in
der gewünschten Stärke zu erreichen. Glückt es nicht
sogleich bei der ersten Injection, den richtigen Grad zu
treffen, so verschlimmem nachträgliche Einspritzungen
den Zustand nur noch mehr; die Reflexerregbarkeit der
Thiere bleibt dann nicht allein erhalten, sondern erfährt
sogar eine beträchtliche Steigerung bis zu tetanischen
Erscheinungen, in denen schliesslich der Tod erfolgt
Aehnliche Erfahrungen sind auch schon von anderen Beob-
achtungen gemacht worden; wir verweisen in dieser
Beziehung namentlich auf die Angaben von Völckers
223
and Henaen.*) Ein zweiter Weg, den intraocnlnren
Druck von aller äusseren Mnskelwirkung unabhängig
zu mächen, bestände in der völligen Freilegung des Bul-
bus und darauf folgender Tenotomie sämmtlicher Augen-
muskeln. Völckers und Hensen**) haben auch wirklich
an solchen Augen manometrische Bestimmungen vorge-
nommen. Allein es ist ungewiss, ob der die Präparation
begleitende Blutverlust die Grösse des Augendruckes
nicht allzusehr beeinflussen würde, eine Muthmassung,
welche allerdings in der enormen Höhe, die die genannten
Beobachter ihrer vorläufigen Mittheilung zufolge dem
intraocularen Druck vindiciren, eine nur geringe Unter-
stützung finden dürfte, und es ist ferner ungewiss, ob
die mit der Präparation verbundenen fieizungen sensibler
Nerven nicht reflectorisch Druck -Veränderungen hervor-
zurufen vermöchten, welche die Genauigkeit der Resul-
tate wesentlich beeinträchtigen könnten und vielleicht zu
jenem hohen, unsere Zahlen um das Doppelte überstei-
genden Werthe der Völkers-Hensen'schen Messun-
gen Veranlassung gegeben haben. Aus diesen Gründen,
ohne jedoch die grossen Vortheile des eben besprochenen
Verfahrens, welche vorzugsweise auf der fast völligen
Isolation des zu studirenden Organs beruhen, zu unter-
schätzen, haben wir einem dritten, noch übrigen Immo-
bilisirungs- Mittel den Vorzug gegeben und, wie der Eine
von uns in einer schon früher veiöffentlichten Versuchs-
reihe,***) die Wirkung des Curare benutzt, um nach
Einleitung der künstlichen Respiration an einem zwar
lebenden, aber zu jeder willkürlichen Bewegung uufilhi-
gen Thiere operiren zu können. Gesichert vor allen den
lästigen und unerwünschten Complicationen, welche durch
die Action der quergestreiften Orbita- und Rumpf - Mus-
^) Sxperimentaluiteniiohiiiig ü. d. Meeban. d. Aooom. p. 12.
^ CentrmlblAtt für die med. Wies. 1S66. p. 721.
—) Untere, d. intreoe. Draeke betrfC L e.
colator gesetzt werden, hat man nur eine dem Verfiihren
eigenthOmliche Fehlerquelle zu berücksichsichtigen: wir
meinen die Veränderungen des Augendruckes, welche
durch die künstliche Respiration möglicherweise veran-
lasst werden. Da nämlich in normalen Verhältnissen bei
der Inspiration eine Aspiration des Blutes nach dem
Thorax hin stattfindet, die künstliche Respiration aber in
jedem Falle das Aus- und Eindringen des Blutes in die
Brusthöhle behindert, so muss der Blutdruck durch die
letztere offenbar nicht unbeträchtlich modificirt werden.
Hängt nun der intraoculare Druck auch nur zu einem
Tbeile vom Blutdrucke ab, so ist klar, dass auch er bei
künstlicher Respiration eine Aenderung er£ahren musa.
In der That lässt sich eine solche in vielen Fällen mit
Leichtigkeit nachweisen, aber wie sich späterhin heraus-
stellen wird, auf befriedigende Weise in Rechnung brin-
gen. Wir dürfen also trotz des angemerkten Mangels
auf die mit so vielen Vortbeilen verknüpfte Benutzung
der Curare- Vergiftung keineswegs Verzicht leisten und
brauchen nicht zu befürchten, dass die dem eigentlichen
Versuche vorausgehende Behandlung des Thieres wesent-
liche Fehlerquellen in die Beobachtung einführt
Die so eben abgeschlossene Erörterung bildet einen
Uebergang, wenn man will, sogar einen Theil der oben
aufgeworfenen zweite Frage, ob die von uns gewählte
Versucbsmethode nicht in sich selbst die Möglichkeit berge,
den normalen Augendruck in unberechenbarer Weise zu
modificiren. Gewisse Bedenken bat der eine von uns in
der schon öfters hier angezogenen Abhandlung erhoben
und daselbst dargethan, dass dieselben der Leichtigkeit
wegen, mit welcher sie zu beseitigen waren, ausser Acht
gelassen werden könnten. Da indessen Stell wag von
Carion*) in seiner vor kurzen erschienenen Monographie
*) Der intraooulare Drnok und die Innerrations-YerhäUaitM der
Iris. 1868. pAg. 3.
225
diesem selben Gegenstande eine Besprechung gewidmet
hat, mit welcher wir uns nicht ganz in Uebereinstim-
mung befinden, dürfte es vielleicht nicht überflüssig sein,
an dieser Stelle noch einmal darauf zurückzukommen.
Was zunächst die unschwer zu beseitigenden Uebelstände
unserer Versuchsmethode anlangt, so gehört in diese
Kategorie die wohl zu beobachtende Thatsache, dass sich
bei Einführung [eines Manometers in eine von elastischen
Wandungen umschlossene, prall mit Flüssigkeit gefüllte
Höhle der flüssige Inhalt nothwendig in die Manometer-
Böhre zu einem grösseren oder geringeren Theile ergies-
sen muss, und dass nunmehr eine geringere Inhalts-
quantität in der Höhle enthalten ist als vor der Ein-
führung des Messinstruments. Da der intraoculare
Druck aber auschsliesslich bedingt wird durch den Wieder-
stand, welchen die häutigen Hüllen des Bulbus dem Aus-
dehnungsbestreben des flüssigen Augeninneren entgegen-
setzen, und da dieser Widerstand bei gleicher Beschaf-
fenheit der Hüllmembranen in directem Verhältnisse steht
zu der Menge des von ihnen eingeschlossenen Inhalts,
so wird ein Ausströmen des letzteren, sei es so beschränkt
als es wolle, eine Herabsetzung des intraocularen Druckes
unmittelbar zur Folge haben. Trifil man dagegen also
keinerlei Vorkehrungen, so ist die ganze Messung, falls
sie absolute W^erthe des Augendruckes liefern soll, feh-
lerhaft geworden, und dies in um so höherem Grade, je
grösser die Spannung der Augenkapsel im gegebenen
Falle ist. Wegner*) und Adamuek,**) von welchen
gleichfalls manometrische Bestimmungen des Augen-
drucks veröS'entlicht worden sind, haben, der Eine ganz
darauf verzichtet, dieser unangenehmen aber nicht weg-
zuleugnenden Complication Eechuung zu tragen — daher
wahrscheinlich die in so weiten Grenzen schwankenden
*) Graefe's Archiv 1868. Abth. If. pag. 1.
**) Centralblatt für die n^ed. V^issenschaften 1866 pag. 561.
Archl7 fllr OphihAlmologie XIV. 8. ]5
226
Zablenwerthe Wegner's — der Andere standenlang
gewartet, bis die Queksiibersäule seines Manometers in
dauernder Ruhe verharrte. Wenn wir nun zwar auch
nicht behaupten können, dass der von Adamuek einge-
schlagene Weg zu falschen Resultaten führen muss, —
denn die von ihm gemachten Angaben treffen mit unse-
ren Beobachtungen sehr gut zusammen, — so wird mau
andererseits nicht viel dagegen einzuwerfen haben, wenn
wir ihn als einen umständlichen und daher nmbequemen
bezeichnen. Das von uns angewandte Messverfahren
gestattet den im Vorstehenden besprochenen Fehler auf
ein Minimum zu reduciren. Denn einmal ist an dem von
uns benutzten Instrumente, dessen ausführliche Beschrei-
bung schon an einem andern Orte gegeben ist und hier
also wohl als bekannt vorausgesetzt werden darf, eine
Vorrichtung angebracht, welche das Ausfliessen des humor
aqueus für jeden Versuch in genau gleicher Weise regu-
lirt, andreraeits haben wir niemals versäumt, wenn das
Niveau der Quecksilbersäule nach Einführung des Instru-
mentes den ursprünglichen Nullpunkt verlassen hatte,
durch Hinzufügen oder durch Abnahme voü Quecksilber,
je nach dem vorliegenden Falle, dies alte Niveau wieder-
herzustellen. Auch haben wir es oft mit Erfolg versucht,
einer Niveau- Aenderung nach Einführung des Manome-
ters zum Voraus zu begegnen. Zu dem Zwecke wurde
das Instrument nach Bestimmung des Nullpunktes geschlos-
sen und darauf in der Manometerröhre ein dem Durch-
schnittswerthe des intraocularen Druckes gleichkommen-
der Ueberdruck durch Nachfüllen von Quecksilber erzeugt.
Wurde der Versuch erst nach diesen Vorbereitungen
unternommen, so war die dem Ausströmen des humor
ai|ueus entsprechende Niveauschwankung zum wenigsten
auf ein aussefrordentlich kleines Maass herabgesetzt. Durch
alles dies erreichten wir selbstverständlich unsem Zweck,
die Füllung des Auges in keinerlei Art, sei es künstlich
227
zu yermehren oder zu verinindern, so vollkommen als
möglieb.
Ist diese Schwierigkeit beseitigt, so tritt sofort eine
neue zu Tage. Die Spitze des Instrumentes nämlich,
welche mindestens 2°^ weit in die vordere Kammer
hineinragt, besitzt unstreitig ein gewisses Volumen. Sie
wird daher ebenso unzweifelhaft eine ihrem Umfange ^t-
sprechende Menge von humor aqueus verdrängen und
schliesslich, weil sie dadurch das zwischen Inhalt und
Räumlichkeit bestehende Verhältniss abändert, auch den
diesem Verhältnisse proportionalen Druck modificiren.
Zwar ist nun die Spitze nach Zurückziehen des Stilets
hohl (Beschreib, d. Instrum.);*) auch befindet sich zwischen
ihr und der eigentlichen Manometerröhre noch ein klei-
ner, leerer Zwischenraum, der vielleicht gerade so viel
homor aqueus aufzunehmen vermag, als durch den im
Auge befindlichen Spitzentheil verdrängt wird; aber was
giebt uns hier Sicherheit, dass wirklich gerade nur das
Erforderliche, nicht mehr, nicht weniger geleistet wird?
In der That existirt hier keine Bürgschaft, wie einge-
räumt werden muss, aber sie würde auch nur dann zu
verlangen sein, wenn kleinste Bruchtheile eines Tropfens
mehr oder weniger, und um solche handelt es sich nur,
grosse Druckschwankungen hervorzurufen vermöchten.
Fälle derart sind keineswegs undenkbar; sie dürfen indes-
sen nur dann als bestehend vorausgesetzt werden, wenn
die Bulbus 'Kapsel durch den auf ihr lastenden Innendruck
nahe zu bis zum Maximum ihrer Dehnbarkeit ausgespannt
wäre, iwas in normalen Augen sicher nicht stattfindet. Viel-
mehr haben wir oft genug gesehen, dass hier jede geringste
Schwankung des Quecksilbers in dem einen Schenkel
unseres Manometers einen entsprechenden Ausschlag im
anderen hervorruft und fühlen uns deshalb berechtigt, die
*) Orönbagen 1. c.
16*
228
Grösse des möglichen Irrthums dem Bruchtheile eines
mm. Quecksilber gleich zu setzen.
Ein anderes Bedenken, welches gegen die manome-
trischen Bestimmungen des Augendruckes geltend gemacht
werden könnte, besteht darin, dass der Inhalt des Mano-
meters mit dem humor aqueus in Bezug auf Concentra-
tion und chemische Zusammensetzung in den seltensten
FäUen genau übereinstimmen wird. Damit wäre zu
Diffusions- Vorgängen Veranlassung gegeben, welche ihrer-
seits je nach der schliesslichen Veränderung des Eam-
merwassers eine stärkere Ausscheidung resp. Aufsaugung
von Augenflüssigkeit nach sich zu ziehen vermöchten.
Diesem Einwände würde jedoch dadurch zu begegnen
sein, dass der Eine von uns längere Zeit Oel, welches
in keiner endosmotischen Beziehung zum humor aqueus
stehen kann, zur Füllung des Manometers benutzt hat«
späterhin aber an seine Stelle gewöhnliches Brunnen-
wasser setzte, ohne irgend erhebliche Abweichungen in
den Ergebnissen oder Nachtheile anderer Art wahrneh-
men zu können. Auf diese Erfahrung bauend haben wir
geglaubt, uns die immerhin etwas unangenehme Ver-
wendung von Oel ersparen zu dürfen und in allen unse-
ren Versuchen den Manometertheil, welcher zwischen
der messenden Queksilbersäule und der vorderen Augen-
kammer eingeschaltet liegt, mit Wasser angefüllt Bei-
läufig bemerken wir, dass der von uns benützte Apparat
durchweg feste Wandungen von Glas oder Metall besitzt
und nirgends, wie der von Wegner beschriebene, Unter-
brechungen durch Kautschuk -Röhren aufzuweisen hat
Es steht somit nicht zu befürchten, dass derselbe während
des Versuchs seinen Durchmesser und in Folge davon
seinen Rauminhalt wechseln werde, was die Genauigkeit
der Messungen offenbar wesentlich beeinträchtigen müsste.
Wie man vielleicht zugeben wird, haben sich die bis-
her erwähnten Einwände gegen unser Versuchs- Verfahren
229
bei genauerer Betrachtung als ziemlich bedeutungslos
erwiesen. Aber die Beihe der Bedenklichkeiten ist noch
nicht abgeschlossen; es existirt noch ein sehr gewichti-
ger Eintirand, den selbst Stellwag von Carion in sei-
ner kritischen Zergliederung der manometrischen Methode
unberücksichtigt gelassen hat, obwohl der Eine von uns
ausdrücklich früher darauf hingewiesen hatte.
Man hat nämlich nicht zu vergessen, dass in unse-
ren Versuchen stets die Cornea verletzt wird; man hat
femer zu berücksichtigen, dass die Wunde, welche wir
diesem empfindlichen Gewebe beibringen, nicht eine ein-
fache Schnittwunde ist, deren Ränder überdies keine wei-
tere Misshandlung erfahren, sondern im Gegentheile eine
Quetschwunde, deren Ränder einem fortwährenden Drucke
von Seiten des eingeführten, fremden Körpers ausgesetzt
sind. Wo sollte sonst auch der genaue, wasserdichte
Abschluss herkommen, und wie das Ausströmen des humor
aqueus neben der Cantile verhindert werden? unleug-
bar wird somit durch das Versuchsverfahren selbst ein
nicht unbeträchtlicher Entzündungsreiz gesetzt Wie
bekannt, vermag nun aber die Gegenwart eines kleinen
Eisensplitters in der menschlichen Cornea nach längerem
Verweilen daselbst den intraocularen Druck oft fühlbar
zu steigern. Voraussichtlich werden also bei Einbohrung
einer Troicart-Canüle in ein Thierauge ähnliche Folgen
nicht ausbleiben.
Man darf ferner als sicher gestellt ansehen, dass
Reizungen sensibler Nerven eine Gefässdilatation mit
consecutiver Hyperämie in denjenigen Bezirken nach sich
zieht, in deren Nähe die gereizten Nerven endigen.
Unzweifelhaft gilt dieser Satz auch für die sensiblen Ner-
ven der Cornea; und ebenso zweifellos ist, dass dieselben
in unseren Experimenten heftig erregt werden. Die hie-
durch möglicherweise veranlasste Hyperämie der Augen
230
gefisse mass aber sicher ^ne Aenderung des Augen -
druckes herbeiführen.
Wir zögern nicht, die eben erwähnten Thatsachen
als gewichtige Einwände gegen unsere Versuchs- Methode
anzuerkennen, um so weniger, als sie durch unsere Beob-
achtungen selbst eine Unterstützung finden. Aber trotz-
dem tragen wir Bedenken, den Werth unsers Verfahrens
so zu beschränken, wie es Stellwag von Garion will;
denn erstens entwickelt sich eine allgemeine Entzündung
nach Verletzung der Cornea nicht im Verlaufe einer hal-
ben oder ganzen Stunde, und zweitens kann uns die Wahl
der Versuchsthiere über die angedeuteten Schwierigkei-
ten hinweghelfen. Vermeidet man Thiere mit flachen vor-
deren Augenkammem, dann auch Thiere, bei denen jene
von Lov6n*) beschriebene Gefassdilatation nach Reizung
sensibler Nerven besonders leicht hervortritt, schliesst
man also namentlich Kaninchen von den Experimenten
aus, hütet man sieb endlich bei der Einführung des Mess-
instruments die Iris zu streifen, was in mydriatisch gemach-
ten Augen unschwer gelingt: so darf man bei sonst vor-
sichtig angestellten Versuchen die ermittelten Werthe für
absolut richtig ansehen und braucht nicht zu befürchten,
bei verschiedenen Thieren derselben Species allzusehr
abweichende Druckhöhen anzutreffen. Natürlich muss
aber dass Instrument nicht so fixirt werden, dass es au
und für sich schon einen Druck auf den Bulbus ausübt
Man muss vielmehr genau darauf achten, dass ihm eine
der Lage des Auges gut entsprechende Stellung ertheilt
werde. Dieselbe wird im gegebenen Falle daran erkannt,
dass die Quecksilbersäule die möglichst niedrigste Höhe
besitzt.
Als das beste Versuchsthier hat sich für unsere
Untersuchungen die Katze bewährt, weshalb auch die
*) Üeber d. Krweit. r. Art. in Folge e. Nenrenerregnng. Arbeit
a. d. physiol Laborat i. Leipsig 1866. pag. 1—^.
231
meisten unserer Experimente an dieser Thierart angestellt
worden sind. Wir haben jedoch nicht unterlassen, uns
davon zu überzeugen, dass an Kaninchen, wie\\ohI mit
geringerer Deutlichkeit, eben die Erscheinungen zur
Beobachtung gelangen, welche wir an Katzenaugen in voll-
kommenerer Weise kennen gelernt hatten, und wollen
jetzt über alles Gesehene der Beihe nach berichten.
Die Absicht, welche uns bei unseren Versuchen lei-
tete, war: zu ermitteln, ob und welch' ein Abhängigkeits-
verhältniss zwischen der Grösse des intraocularen Druckes
und den Erregungszuständen der verschieden das thie-
rische und menschliche Auge versorgenden Nerven bestände.
Wir hatten somit in Betracht zu ziehen den Einflhss des
Oculomotorius, des Sympathicus und des Trigeminus.
Einfluss des Oculomotorius auf den intraocularen Druck.
Vom Oculomotorius war zunächst leicht festzustel-
len, dass er, und neben ihm auch der Trochlearis und
Abducens, einen sehr erheblichen Einfluss auf die Höhe
des intraocularen Druckes durch Vermittelungl der
von ihnen innervirten äusseren Augenmuskeln aus-
üben können. Arbeitet man an gut befestigten, aber
nicht weiter durch Curare oder durch Morphium bewe-
gungsunfähig gemachten Thieren, so sieht man bei jedem
kräftigen Lidschlage und noch deutlicher bei krampfhaf-
tem Einpressen des Bulbus in die Orbita die druckmes-
sende Quecksilbersäule des in die vordere Kammer ein-
geführten Manometers beträchtlich ansteigen. Selbst wenn
man mit Rücksicht darauf, dass die Augen, durch den
in die Cornea eingestochenen und in einem Stative
unverrückbar befestigten Messapparat festgehalten, bei
der Contraction eines beliebigen Orbital -Muskels eine
Compression erfahren müssen, welche nicht zu Stande
gekommen sein würde, hätte die entwickelte Zugkraft sieb
232
wie unter normaleD VerhUtnisseD, in Bewegung des
Bulbas umsetzen können: selbst wenn man mit Rücksicht
hierauf dem Manometer eine der eben bestehenden
Augenlage besser entsprechende Stellung ertheilt, zeigt
sich der intraoculare Druck erhöht und nicht selten auf
60, 70—90°*°- Quecksilber gesteigert, während er im nor-
malen, nicht gepressten Auge durchschnittlich nur 22 bis
24mm. Quecksilber beträgt.
Auch noch auf anderem Wege kann man sich von
der eminenten Bedeutung überzeugen, welche die Thä-
tigkeit der äusseren Augenmuskeln in Bezug auf den
Binnendruck des Auges besitzt. Es genügt, bei curari-
sirten Thiereu tetanisirende Ströme in die Orbita ein-
brechen zu lassen, um denselben deutlich wachsen zu
sehen, sobald sich die durch das Gift ungelähmt geblie-
benen Muskeln krampfhaft contrahiren. Die Sache selbst
hat nichts Auffälliges, sie erklärt sich einfach daraus,
dass die Muskelfasern sich eben nicht gerade wie Tan-
genten an die Sclera anlegen, sondern sich in grösserer
Ausdehnung der Bulbus -Wölbung anschliessen und des-
halb bei ihrer Anspannung nicht allein durch Zug, son-
dern auch durch Druck auf den Augapfel einwirken.
Schwieriger war es, Aufschi uss zu erhalten, ob die
vom Oculomotorius versorgten inneren Augenmuskeln:
der Sphincter pupillae und der musculus ciliaris den
intraocularen Druck während ihrer Thätigkeit verändern.
Man hat in dieser für die practische Ophthalmologie
nicht unwichtigen Frage vielfache Vermuthuogen ge-
äussert und zahlreiche Untersuchungen angestellt, ohne
dass eine der vorhandenen Ansichten die herrschende
geworden wäre.
Helmholtz hat behauptet, dass der Druck in der
vorderen Kammer während der Contraction des Giliar-
muskels vermindert sein werde. In Uebereinstimmung
233
damit beobachtete Fo erst er*) an Homhautwunden mit
capillarer Oeffnang ein Hervortreten der FlQssigkeit beim
Sehen in die Feme, ein ZnrQckweichen beim Sehen in
die Nähe. Coccias"*^) theilte in neuester Zeit einen
ähnlichen Fall mit, glaubt aber die ganze Erscheinung,
wenigstens für seinen Fall, nicht auf eine Druckvermin-
derung in der Augenkammer zurttckf&hren, sondern auf
eine Action der Recti beziehen zu müssen, welche den
Bulbus beim Sehen in die Ferne in die Orbita etwas
zurückziehen und gegen das Fettpolster oder den Seh-
nervenstiel anstemmen, bei der Accommodation für die
Nähe aber erschlaffen und den Bulbus wieder hervor-
treten lassen.
Hinsichtlich des Einflusses auf den Glaskörperdruck
wird von Einigen angenommen, dass der Giliarmuskel
ihn während seiner Thätigkeit steigere***), von Anderen,
dass er keine Aenderung desselben hervorrufe, f) Was
uns betrifft, müssen wir ihm jede durch Masseinheiten
einer Quecksilbersäule bestimmbare Wirkung, zum min-
desten in Bezug auf den Druck in der vorderen Kammer,
absprechen. Denn es verharrte das Quecksilber unseres
Manometers völlig regungslos, wenn wir durch die Ciliar-
Portion eines exstirpirten Katzen-Auges starke, tetanisi-
rende Ströme eines Inductions- Apparates entsendeten.
Dieses negative Ergebniss erhielten wir selbst dann noch,
wenn wir den niederen Druck des exstirpirten Auges
durch Nachfüllen neuen Quecksilbers, oder zweckmässiger
durch sanftes Aufdrücken des hinteren Augen-Pols auf
die plane Fläche des Operationstisches, künstlich ver-
mehrten. Im letzteren Falle wurde ganz analog dem
*) Foerster: Sitz.-Bericht d. Ophthal. GesellBch. i. Heidelberg 1864.
**) Coocius: Die Meohan. d. Accom. d. menschl. Äuget 1868, p. 50.
••*) Coccius, L c. pag. 7J u. f.
t)DonderB: Kuyper, Onderz. over de kunstmatige Terwijding
T. d. oogappel (Utrecht 1849, pag. 499).
234
Verfahren an lebenden Thieren die druckmeasende Queck-
silbersäule entsprechend erhöht, und das Ganze so regu-
Urt, dass nicht nur der künstlich erzeugte Druck, sondern
auch die Füllung der vorderen Kammer den normalen
Verhältnissen des lebenden Thieres möglichst genau
entsprach.
Die Quecksilbersäule unseres Manometers blieb
ferner unbewegt stehen, wenn Galabar- Lösung in das
untersuchte Auge gebracht wurde, trotzdem dass die be-
kannte Wirkung dieses Myoticums selbst bei unseren
curarisirten Thieren mit gewöhnlicher Intensität her-
vortrat.
Nimmt man nun hinzu, dass Hensen und Voel-
ckers manometrische Versuche bei isolirter Reizung
des Oculomotorius weder im vorderen, noch im hinteren
Augenabschnitt Druckveränderungen ergaben, so darf
man sich wohl zu dem Schlüsse berechtigt fühlen, dass
dem Ciliarmuskel eben so wenig wie dem Sphincter
pupillae ein Einfluss auf den Augendruck überhaupt zu-
geschrieben werden kann. Wir fQgen noch bei, dass
nach Beobachtungen des einen von uns (G.) auch die
Blut-Girculation der Retina keine nachweisbaren Ab-
änderungen erfährt, mag nun Sphincter pupillae und
Ciliarmuskel sich in stark contrahirtem oder in völlig er-
schlafftem Zustande befinden, mag man also das Auge
während der Calabar- oder während der Atropin- Wirkung
untersuchen. Am leichtesten überzeugt man sich hier-
von, wenn man sich den Retina -Kreislauf nach einem
sehr bequemen Verfahren veranschaulicht, welches der
eine von uns ganz zufällig auffand.
Blickt man nämlich durch einen Satz übereinander-
gelegter, dunkelblauer Cobalt-Gläser nach der Sonne, so
sieht man in dem hell, aber nicht blendend, erleuchteten
Gesichtsfelde eine Menge' kleiner, länglicher, weisslich
glänzender Körper, die sich mit grosser Geschwindigkeit
235
in bestimmten Bahnen bewegen, gar nicht selten anch
synchronisch mit dem Herzschlage eine Beschleunigung
in ihrem Laufe erfahren und schon bei leisem Drucke
auf die Sclera stehen bleiben. Es kann nach dieser Be-
schreibung, von deren Bichtigkeit sich Jedermann leicht
selbst zu überzeugen im Stande ist, kaum zweifelhaft
sein, dass das beschriebene Phänomen auf dem Sichtbar-
werden des Betina- Blutlaufs beruht Beobachtet man
dasselbe nun zuerst mit normalem, dann mit einem cala-
barisirten, endlich mit einem atropinisirten Auge, so
stellt sich heraus, dass die merkwürdige Erscheinung,
was Schnelligkeit der Bewegung der ESrperchen und
Starke der Pulsations - Erscheinungen anbelangt, unver-
äadert bleibt.
Wir glauben aus dem letzten Experimente folgern
zu dürfen, dass der Druck im Glaskörper weder durch
Atropin noch durch Calabar wesentlich modificirt wird.*
Einfluss des Sympathicus auf den intraocnlaren Druck.
Die Functionen, welche der Sympathicus in Bezug
auf das Auge der meisten Wirbelthiere zu erfallen hat,
bestehen, wie man weiss, darin, dass er im erregten Zu-
stande die Pupille dilatirt, die Augengefässe verengt und
die glatten Muskeln der Orbita zur Contraction bringt.
Durch die Thätigkeit der letzteren wird der Baum der
Augenhöhle verkleinert und in Folge davon der leicht
bewegliche Bulbus in ihr nach vorn gedrängt. Der intra-
oculare Druck wird bei Beizung des Halsstranges erhöht,
wie Adamuek*) zuerst an Katzen- und Hunde- Augen
wahrnahm. Der Eine von uns bestätigte diese Angabe
für die erste Tbierart Endlich theilte Wegner mit,
*) CentralbUtt f. d. med. Wist. 1866, p. 561. Manometr. Bettimm,
d. intraocalaren Druckes.
236
das8 es ihm unter fünf Yersachen zweimal gelungen
wäre, auch an Kaninchen eine Druckzunahme im Auge
zu konstatiren, wenn er den Sympathicus am Halse
galvanisirte.
Die Thatsache an und für sich dürfte somit als hin-
reichend gesichert anzusehen sein, nicht so ihre Deutung.
Adamuek meinte zuerst, die Drucksteigerung auf
eine Contraction des Accommodations- Muskels beziehen
zu müssen, obgleich dieselbe auch im atropinisirten Auge,
also bei totaler Lähmung jenes Muskels, in gleich be-
merkenswerthem Grade hervortritt, und obgleich, wie schon
zur Zeit der frühesten Mittheilungen Adamuek's wahr-
scheinlich war, jetzt aber durch V o e 1 c k er's und H e n s e n's
Arbeit zur Gewissheit geworden ist, der Oculomotorius,
und nicht der Sympathicus den Bruecke'schen Muskel
innervirt Späterhin nahm Adamuek*) in Folge einer
Deutung, welche der Eine von uns (G.) seiner Beobach-
tung gegeben hatte, die eben angeführte Theorie zum
Theil zurück, hielt aber immer noch daran fest, dass die
ganze Erscheinung durch die Contraction innerer, im
Auge selbst gelegener Muskeln bedingt würde. Als
diese Muskeln bezeichnete er die Müller'schen Fasern
der Chorioidea oder vielleicht auch eine Portion des m.
ciliaris, die vom Sympathicus versorgt werden könnte.
Er behauptete ferner, dass der Erfolg der Sympathicus-
Reizung auch bei Blosslegung des Auges und bei Zer-
störung der glatte Muskeln bergenden Orbital-Membran
bei möglichster Schonung der Nerven und Gefässe nicht
ausbleibe. Nur dann versage der Versuch gänzlich, wenn
der N. opticus, dem die drucksteigernden Fasern des
Sympathicus schliesslich dicht anliegen sollen, durch-
schnitten würde.
*) Zur Lehre Tom Einfi. d. Sympath« auf d. iimern Angeodruck.
Centralb. f. med. Wiss. 1867. p. 488.
237
Wegner erklärt das Anwachsen des Angendnickes
während der Heizung des Sympathicus aus der krampf-
haften Contraction der AugengefUsse.
Wir haben die experimentene Prüfung der fraglichen
Thatsache, welche den Einen von uns schon früher be-
schäftigt und zu einem von Adamuek und Wegner ab-
weichenden Ergebnisse geführt hatte, gemeinschaftlich
wieder aufgenommen, sind aber auch jetzt ausser Stande,
die eine oder die andere der beiden bestehenden Deu-
tungen annehmbar zu finden. Es gelang uns nämlich
nicht an frisch erstirpirten Katzen- oder Kaninchenaugen,
unter den bereits oben beschriebenen Yorsichtsmassregeln,
bei Tetanisirung des Opticus oder bei Durchleitung star-
ker Inductions-Schläge durch den hinteren Pol des Bul-
bus ein Anwachsen des vorhandenen Druckes zu be-
obachten, obwohl sich die Pupille in allen Fällen kräftig
erweiterte und die genügend starke Wirksamkeit der an-
gewendeten Ströme hierdurch bezeugt war. Es glückte
uns ferner niemals, an curarisirten Thieren nach An-
legung eines Fensters in der Sclera eine noch so kleine
Bewegung der freigelegten, durch den unter ihr gelege-
nen Glaskörper hervorgewölbten Chorioidea nach ein-
wärts wahrzunehmen, wenn wir den Halssyropathicus
galvanisirten; und doch hätte eine solche kaum fehlen
dürfen, wären innerhalb des Bulbus befindliche Muskeln
in der von Adamuek vorausgesetzten Weise zur Thä-
tigkeit angeregt worden. Was nun diese Muskeln selbst,
speciell den Müller 'sehen Chorioideal- Muskel, betrifft,
so konnten wir denselben weder durch Imbibition mit
Carmin noch durch Isolirung mit Moleschott'scher
Kali-Lösung in der weissen Kaninchen- und in der
Katzen- Chorioidea darstellen ; ebenso ist es F. E. S c h u 1 ze *)
nicht gelungen, mittelst Chlorpalladium in der mensch-
*) Der GUiarmaikel d. Menschen. M. Schulse'B Aroh.Bd.ni.p.487.
238
liehen Aderhaut noch andere Maskeifitsern ausser denen
des Tensor cborioideae zu ^tdedcen. Weiter habm wir
gesehen, dass der Effekt der ßympatfaicas - Beizung in
manchen Katzenaugen ganzlich ausbleibt, ftnden aber
gleichzeitig, dass man ihn künstlich bi^vorzunafen im
Stande ist, wenn man den Bulbus mittelst des in seiner
vorderen Kammer befestigten Manometers sanft in die
Orbita eindrückt; und auch andererseits zum Yerschwin-
den bringen kann, zieht man den Bulbus ein wenig aus
der Orbita hervor. Ohne weitere Auseinandersetzung ist
klar, dass der Augapfel durch die zuletzt beschriebenen Mani-
pulationen einer möglicherweise bestehenden Einwijiimg
der glatten Orbital-Muskeln in dem einen Falle ausgesetzt,
in dem anderen entzogen wird.
Wir haben uns endlich davon überzeugt, dass die
Zunahme des intraocularen Druckes nadi Sympathicusr
Reizung bei möglichst vollkommener Blutleere der Orbita
ausbleibt Zu dem Zwecke brachten wir unser Manome-
ter, wie gewöhnlich, in die vordere Augenkammer einer
curarisirten Katze ein, versicherten uns zunächst davon,
dass Reizung des Halsstranges den Augendruck auch in
diesem Falle erhöhte, und Hessen alsdann die künstliche
Respiration sistiren.
Nach erfolgtem Tode und bei völligem Mangel des
Herzschlages verursachte Tetanisirung des Sympathicus
nunmehr wohl Pupillen -Dilatation, aber keine Druck*
Schwankung. Sucht man nach einer Erklärung hierfür, so
lässt sich eine solche schwer geben, wenn mandie A damuek-
sehe Deutung der Sympathicus -Wirkung zu Rathe zieht;
dieselbe ergiebt sich aber von selbst, wenn man mit uns
annimmt, dass die fragliche Drucksteigenuig im Auge durch
die Thätigkeit der glatten Orbitafaaxnskulatur verursacht
wird. Denn es li^t auf der Hand, dass, wenn die letztere
wirklich einen Einfluss in dieser Richtung auszuüben fähig
ist, die üebertragung desselben auf den Bulbus wesentlich
239
beeintr&ditigt werden muBS, sobald die Oeftsse der Augen-
hohle durch den Blutdruck nicht mehr ausgespannt er-
halten werden oder sich gar zumeist entleert haben.
Alles zusammengenommen, scheint uns erwiesen zu
sein, dass die Beziehung, welche zwischen Sympathicus und
intraocularem Druck zweifellos besteht, im vorliegendem
Falle allein durch die Gontraction extrabulb&rer, glatter
Muskeln und nicht durch die Gontraction intrabulbärer
begreiflich wird.
Neben der eben besprochenen eigenthtlmlichen Wir-
kung des Sympathicus macht sich aber nicht selten eine
zweite, ihr ganz entgegensetzte geltend. Reizung des
Sympathicus vermindert nämlich auch häufig den Bin-
nendruck des Auges. Oefters beobachtet man diese
Abnahme anstatt der vorhin erwähnten Druckzunahme
gleich bei der ersten Reizung des Halsstranges, in der
Regel sieht man sie jedoch erst nachträglich eintreten
und auf die ursprünglich vorhandene Drucksteigerung
folgen.
Das Quecksilber des Manometers sinkt in solchen
Fällen mehr weniger tief unter das Niveau, von welchem
das anfängliche Steigen ausging.
Wir führen diese Erscheinung mit Adamuek, der sie
gleichfalls bemerkt und beschrieben hat, auf die mit der
Sympathicus -Reizung Hand in Hand gehende Verenge-
rung der Augengefässe zurück, möchten aber aus ihrem
schwankenden Auftreten schliessen, dass zwischen der
Blutzirknlation im Auge und der Function der glatten
Orbitalmuskulatur ein regnlatorisches Yerhältniss besteht
in der Art, dass die Gontraction der Augengefässe darum
oftmals zu keiner momentanen Druckverminderung führe,
weil die Gontraction jener extrabulbären Muskelfasern
den Austritt des Venenbluts aus der Orbit» und mittel-
bar audli aus dem Auge erschwert. Lässt hingegen die
Gontraction der letzteren nach, so wird der Bulbus ent-
240
sprechend dem thatsächlichen Verhalten alsbald an
Spannung verlieren, indem das angestaute Blut abfliesst,
ohne wegen der langsamen Erweiterung der verengten
Arterien sogleich genügenden Ersatz zu finden.
Indem wir aber so ohne alles Bedenken Contraction
der Augengefässe und Herabsetzung des Augendruckes mit
einander verknQpfen und diese aus jener ableiten, erin-
nern wir uns, dass Wegner eine entgegengesetzte Ansicht
vertritt. Zwar schien es uns bisher stets völlig selbst-
verständlich zu sein, dass ein Auge, dessen Gefässe sich
in Contraction befinden und desshalb weniger Raum fort*
nehmen, als im ausgedehnten Zustande, eine Verminderung
seines Binneodrucks erfahren müsse. Da nun aber Zwei-
fel hierüber möglich zu sein scheinen, wollen wir auf den
berührten Punkt sogleich etwas näher eingehen. Wir
erwähnen nur noch, dass die Steighöhe des Queksilbers
ebenso wie die Tiefe, bis zu welcher es fällt, bei Bei-
zung des Sympathicus in nicht unbeträchtlichen Grenzen
schwankt, dass die niedrigsten Werthe, die wir erhalten
haben, 1—2 mm. die höchsten 9— 10mm. Q. betragen;
und gehen alsdann zu der Erörterung des Einflusses
über, welchen der Blutdruck auf den intraocularem Druck
auszuüben vermag.
Einfluss des Blutdrucks auf den Binnendruck des Auges.
Um zu erfahren, ob zwischen Augendruck und Blut-
druck irgend welche Beziehung besteht, und wie weit
sich ein etwa vorhandenes Abhängigkeitsverhältniss beider
erstreckt, würde es genügen, den letzteren auf beliebige
Art, aber in genau vorauszubestimmender Weise abzu-
ändern; und gleichzeitig die vielleicht auftretenden Schwan-
kungen des ersteren zu controUiren.
Soll diese Aufgabe experimentell möglichst vollstän-
dig gelöst werden, so müssen wir zwei verschiedene, zu
241
dem gleichen Ziele fahrenden Wege nach einander betre-
ten, dass heisst, die Kreislauf- Verhältnisse in dem Ver^-
suchsthiere bald so modificiren, dass ein Sinken des Blut-
drucks in den Augengefassen, bald so, dass ein Ansteigen
desselben in ihnen mit Gewissheit vorausgesetzt werden darf.*
Die erste Absicht wird unschwer erreicht, wenn wir
das Experiment dergestalt einrichten, dass sich die Caro-
tis communis auf derjenigen Körper-Seite, auf welcher
das Messinstrument in das Auge eingeführt worden ist,
während der Versuche mit Leichtigkeit entweder compri-
miren oder dem Durchgange des Blutstroms öffnen lässt
Dies geschieht, wenn man einen Seidenfaden unter der
Carotis hindurchführt, mittelst dessen, wird er an seinen
beiden Enden gefasst und angezogen, das Lumen der
Schlagader nach Belieben verengt und sogar gänzlich
verschlossen, oder auch, wird die Schlinge gelockert, dem
Blutstrom freigegeben werden kann. Nicht weniger
bequem ist es, falls man zu den Versuchen, wie wir, mit
Curare vergiftete Thiere verwendet, durch Tödtung der-
selben die gewünschte Abnahme des Blutdrucks zu bewir-
ken. Unterbrechung der künstlichen Respiration ist
Alles, was hier angeordnet werden muss ; das Leben ent-
weicht, ohne dass Zuckungen der Rumpf- und Extremitä-
ten - Muskulatur eintreten ; das Erlöschen der Herzaction
entspricht dem gänzlichen Fortfalle des Blutdrucks.
Welches Verfahren nun auch gewählt werde, aus-
nahmlos stellt sich mit der Abnahme des letzteren und
der gleichzeitigen Entleerung der Augengefässe ein Sin-
ken des intraocularen Druckes ein, welches je nach der
primären Höhe desselben bedeutender oder geringer ist
Beispielshalber fanden wir bei einer Katze den Augen-
druck gleich 25mm. Quecksilber. Nach Unterbindung
der Carotis verminderte sich derselbe um 9 mm. Q. In einem
anderenFalle betrug er 54mm. Q. und sank nach Unterbin-
dung der Carotis um 24mm. DieGrösse des Abfalls erweist
Archiv fdr ÖptathalmoUgle, XIV, S. iq
242
sich somit der im gegebeoen Falle bestehenden H&he
des intraocularen Druckes direct proportional. — Tödtang
der Thiere redncirte den intraocularen Druck in den
meisten Fällen um 8 — 10mm. Q., also bei einem Durch-
schnittswerthe des normalen intraocularen Druckes gleich
24mm. Q. auf 14 — 16mm. Q. Aus diesen Versuchen
geht hervor, dass die Spannung der Bulbuskapsel von
zwei Momenten abhängt, erstens von dem Drucke, wel-
chen der flüssige Augeninhalt ausfibt (gleich 9— 10mm. Q.),
zweitens von dem Seitendrucke des Blutes auf die Gefiss-
Wandungen. Je grösser der letztere ist, desto mächtiger
fSllt die Dehnung aus, welche diese erMren, desto beträcht-
licher wird der Baum, den sie im Inneren des Auges für
sich in Anspruch nehmen, desto höher endlich der gesammte
Binnendruck und vice versa. Gesetzt nun den Fall, die
elastische Spannkraft der GefiLsswandung nehme zu, so muss
nach dem vorstehend Gesagten das Lumen der Gefasse bei
unveränderter Herzkraft und Blutmenge kleiner werdenjder
Druck im Auge folglich sinken; dieser nur gesetzte Fall
wird aber zur Thatsache, wenn sich die Gefässmuskeln
z. B. durch Syropathicus-Reizung, contrahiren. Während
detselben steigt nun zwar der Blutdruck vor der vereng-
ten Partie an, aber niemals in dem Masse, dass er den
vorhandenen Widerstand völlig überwände, da sonst eben
keine Contraction bestehen könnte; das Lumen und ebenso
der Umfang der Gefässe erfährt also auch jetzt eine Ver-
kleinerung. Folglich wird bei der spastischen Contraction der
Augengefässe stets ein Sinken des Augendruckes, nicht aber,
wie Wegner will, ein Steigen desselben stattfinden müssen.
Der zweite Theil der Experimente, welche in diesem
Abschnitte zu besprechen sind, umfasst solche, in weldien
der Blutdruck innerhalb der Augengefässe direct erhöht
wurde. Wir gingen dabei auf doppelte Weise zu Werke,
indem wir einmal die Aorta abdominalis dicht unterhalb
des Diaphragma vor Abgang der Eingeweideäste com-
243
primirten oder anterbandcn, und andererseits die kflnst-
liche Bespiration bei anseren mit Curare vergifteten Thie-
ren zeitweilig sistirten.
Der Zweck des ersten Verfahrens ist leicht einzu-
sehen. Durch dasselbe wird ofifenbar die Blutbahn ver-
kleinert, während die Blutmenge unverändert bleibt
Aus dem hieraus resultirenden Missverhältniss zwischen
Baum und Inhalt ergiebt sich aber mit Nothwendigkeit,
dass sich das Blut in dem noch flbrig gelassenen OefiLss-
bezirke, also namentlich in dem Verästelungs-Grebiete
der Carotiden, unter einem die Norm weit übersteigenden
Drucke befinden muss. In Bezug auf die Spannungs-
Verhältnisse des Auges stellte sich hierbei nun konstant
heraus, dass dieselben unseren Erwartungen gemäss einen
beträchtlichen Zuwachs erhielten. Wir sahen in einem
Falle den Druck um 31mm. Q. zunehmen, in einem ande-
ren um 50mm. Q.; nach Lösung der Ligatur verkleinerte
sich die Steighöhe des Quecksilbers jedesmal sehr schnell,
ohne jedoch ganz auf den vor der Unterbindung notirten
niedrigen Stand zurückzugehen; vielmehr war dort eine
bleibende Steigerung des intraocularen Druckes um
10mm. Q., hier eine solche um 30mm. Q. zu bemerken.
In allen Versuchen zeigten sich femer nach Compression
oder Unterbindung der Aorta Pulsationeu der druckmes-
senden Quecksilbersäule; waren solche aber schon vorher,
wie nicht gerade selten, vorhanden gewesen, so gewannen
sie wenigstens deutlich an Intensität
Da wir bei einer andern Gelegenheit noch einmal auf
das eben mitgetheilte Experiment zurückkonunen werden,
verschieben wir die noch nöthige Besprechung eines Ergeb-
nisses desselben, wir meinen die nach Lösung der Ligar-
tur andauernde Druckzunahme bis dahin und wenden uns
jetzt zu dem zweiten oben angekündigten Verfahren, das
proportionale Verhalten zwischen Blut- und Augendruck
16*
244
nachzuweisen, zu dem Einfluss, den die künstliche Res-
piration auf beide in gleichem Sinne ausübt
Bekanntlich befinden sich die ausserhalb der Lung^^n
im Thorax-Raume liegenden Organe: Herz, Gefässe etc.
bei normalen Athmungsvorgange stets unter einem gerin-
geren Drucke als dem atmosphärischen. Diese Differenz
ist am geringsten in der Exspirations-, am grössten m der
Inspirations- Stellung des Brustkastens. Sie bewirkt, dass
das Blut und die Lymphe eine stete Beschleunigung ihrer
Bewegung nach dem Thorax hin erfahren, d. L aspirirt
werden, und zwar je nach der Athmungsphase bald in
stärkerem, bald in schwächerem Grade. Demgemäss sieht
man bei der Aufnahme von Pulskurven, dass die Anfänge
derselben nicht in einer geraden Linie liegen, sondern eine
in bestimmten Perioden auf und absteigende Wellenlinie
beschreiben, in welcher der Wellenberg eben der Exspi-
ration, das Wellenthal der Inspiration entspricht Bei der
künstlichen Respiration, bei welcher sauerstoffreiche Luft
in die Lungen eingepresst wird, ändern sich diese Ver-
hältnisse bedeutend, da der Thorax Raum hier in der
Regel unter einen höheren Druck als den atmosphärischen
zu stehen kommt Ist diese Druckänderung aber erst
eingetreten so besteht ihre, nächste Folge darin, dass die
grossen Kreislaufs - Organe comprimirt werden, also
weniger Blut fassen als im normalen Zustande, und daher
auch weniger Blut abgeben. Wird aber vom Herzen eine
geringere Menge Blut in das Arteriensystem z. B. in die
Carotis eingetrieben, so wird, Herzkraft und Beschaffen-
heit der Gefass Wandungen als unverändert vorausgesetzt
der Blutdruck sinken, das Lumen der Geisse sich ver-
kleinern müssen.
Vergleicht man nun den Blutdruck, wie er z. B. in
der Carotis am Halse eines Kaninchen vor der Vei^giftung
mit Curare und vor Einleitung der künstlichen Respira-
tion statt hat, mit dem nach diesen Vornahmen bestehen-
245
den, beachtet man gleichzeitig das Lumen der Arterien
in beiden Fällen, so findet man bei den vergifteten
Thieren:
Verengung der Gefäss- Lumina und Zunahme des
Blutdrucks (Lov^n).*)
Unerwartet ist hier nur die Steigerung des Blut-
drucks; an ihrer Stelle wäre der oben gegebenen Ablei-
tung zu Folge gerade eine Abnahme zu erwarten gewe-
sen. Jedoch erklärt sich dieselbe unschwer aus der
Loven'schen Mittheilung, dass die kleinen Arterien, vielleicht
in Folge der Curare -Vergiftung, eine erhebliche Veren-
gerung ihres Lumens erfahren. Ohne uns dabei weiter
aufzuhalten, schliessen wir daher die Beschreibung ande-
rer uns mohr iuteressirender Erscheinungen sofort an.
Bei Sistirung der künstlichen Athmung bemerkt man
nämlich, gleichviel ob Vagi, n. Depressores und Sympa-
thici durchschnitten sind oder nicht, bei Hunden, Katzen
und Kaninchen anfänglich eine nicht unerhebliche Zunahme
des Blutdrucks, welche mit der Wiederaufnahme der Re-
spiration fast augenblicklich wieder verschwindet.
Die Schwankungen des Blutdrucks, welche man in
der eben erwähnten Art beliebig oft hervorzurufen ver-
mag, können unter Umständen sehr bedeutend ausfallen.
So zeigte sich beispielsweise in einem Versuche, welchen
Herr Suminsky zur Ermittelung der Atropin- Wirkung
auf die Gefass -Nerven und Muskeln mit dem Einen von
uns (G.) gemeinschaftlich anstellte, dass, wenn der Blut-
druck eines mit Curare vergifteten Kaninchens, nach
Injection einer Lösung von 0, 1 grm. Atropinum purum
in 1 Cc. schwefelsäurehaltigem Wasser in die Carotis, von
100mm. Q. auf 38mm. gefallen war, Sistirung der künst-
lichen Athmung ein Ansteigen desselben bis auf 85 mm. Q.
doch noch zur Folge hatte.
*) Arbeiten des pbysiolog. Laborator. zu Leipzig 1866. p. 4-
246
Da die Erscheinung sofort nach Aufhören der kfinst-
liehen Respiration eintritt, kann ihr Grund nur ein rein
mechanischer sein, und wohl nur, wie oben ausgeführt
wurde, auf dem Fortfitdl der sicher anzunehmenden Herz-
und Gefäss-Compression innerhalb des Thorax beruhen.
Es fragt sich, ob dieselbe bei unseren manometrischen
Bestimmungen des Augendruckes nachgewiesen werden
kann. Die Erwartungen, welche wir in dieser Hinsicht
hegten, bestätigten sich bei jedem Versuche. Sistirung
der Athmung hatte augenblicklich eine Erhöhung des
intraocularen Druckes zur Folge, bei Wiederaufnahme
derselben sank das Quecksilber auch hier auf den or-
BprQnglichen Standpunkt So sahen wir in zwei verschie-
denen Versuchen bei Unterbrechung der Bespiration den
Druck von 24,5«°^ Q. auf 33">«- Q. (also um 8,6"^) und
von 67,5»°- Q. auf 89,5 «»• (also gar um 22™»- Q.) an-
steigen. Es ist somit auch auf diesem Wege festgestellt»
dass stärkerer Blutdruck bei gleichbleibendem Geftss-
tonus den Augendruck steigert
Fassen wir nun die Tendenz der beiden letzten Ab-
schnitte unserer Besprechung mit kurzen Worten zusam-
men, so haben wir in ihnen den Beweis zu liefern gesucht,
dass die Wegner'sche Theorie der Sympathicus- Wirkung
auf den intraocularen Druck unzulässig und die Ada-
muek'sche durch die unsrige zu ersetzen ist Gelang
uns der Beweis, so ist gleichzeitig dargethan, dass beide
auch darin fehlgingen, dass sie dem Sympathicus einen
erheblichen Einfluss auf die Entstehung des Glaucom's
zu vindiciren versuchten.
Denn es dürfte wohl von Niemand der Grund der
glaucomatösen Drucksteigerung in einer spastischen Con-
traction der glatten Orbita- Muskeln gesucht werden, und
sie allein sind es, durch welche der Sympathicus eine
Vermehrung des intraocularen Druckes bewirken kann. —
I^ie Ergebnisse der letzten beiden Abschnitte haben
247
wohl einige Fragen gelöst, aber sie haben auch eine
andere, die wir im Eingange unserer Abhandlung be-
rührten und daselbst bei einer späteren Gelegenheit zu
beantworten verhiessen, von Neuem in den Vordergrund
gedrängt, die Frage nämlich, ob der intraoculare Druck
mit Curare vergifteter Thiere dem in normalen Zuständen
lebender entspricht — Die Abhängigkeit desselben
vom Blutdrucke, und durch Yermittelung des letzteren
von der Art der Respiration muss den Zweifel heraus-
fordern.
Wenn wir uns nun an das constante Steigen des
intraocularen Druckes bei Sistirung der künstlichen Ath-
mung erinnern, so möchte der Schluss nicht gerade un-
berechtigt erscheinen, dass der Augendruck bei curari-
sirten Thieren im Allgemeinen niedriger als bei normalen
sein wird. Geht ja doch jenes Ansteigen mit dem Zurück-
weichen der Thorax -Wand in die normale Exspirations-
Stellung zusammen, und hat es doch das Aussehen, als
ob Alles, was sich ausser der Lähmung der willkürlichen
Muskeln bei curarisirten Thieren anders als bei lebenden
darstellt, der künstlichen Respiration zur Last falle.
Wäre dieser Schluss richtig, so hätte aber auch die Cor-
rectur unseres Versuchs- Verfahrens weiter keine Schwie-
rigkeit; der nach Sistirung der künstlichen Athmung
gewonnene Druckwerth (nach den wenigen Messungen,
die wir besitzen, im Durchschnitte 30°"^°* Q.) müsste dann
der richtige sein. Indessen bedürfen unsere Masse
dieser Correctur keineswegs, da gut mit Morphium nar-
cotisirte, also selbständig athmende Thiere die nämlichen-
ergeben haben, wie dies schon aus den ersten Adam uek
sehen Experimenten hervorgeht Soll eine Erklärung
für dieses trotz aller Athmungs-Dififerenz gleichartige
Verhalten versucht werden, so wäre die Compensation
für den an und für sich druckmindernden Einfluss der
künstlichen Respiration vielleicht in der venösen Stauung
248
ZH finden, welche hierbei statthat, und bei Kaninchen
merklich genug durch Exophthalmus angezeigt wird.
Einfluss des Trigeminus auf'den intraocularen Druck.
Die Ueberzeugung, dass es gefasserweitemde, ebenso
wie geAss verengernde Nerven giebt, die durch vielfache
pathologische Erfahrungen genährte Vermuthung, dass
der Trigeminus vielleicht eine Hauptrolle bei der Ent-
wicklung des glaucomatösen Processes spiele, gewisse
merkwürdige Beziehungen dieses Nerven zu der Iris-
Bewegung einiger Thiere, namentlich der Kaninchen, be-
stimmte Thatsachen endlich, durch welche eine Steigerang
des intraocularen Druckes bei Reizung peripherer Tri-
geminus-Aeste, wahrscheinlich auf reflectorischem Wege,
sicher gestellt war: ^Ues dies veranlasste uns zu prüfen,
ob nicht auch Reizung des centralen Ursprungs des Tri-
geminus von irgend welchen Schwankungen des Augen-
druckes gefolgt sein werde.
Da die von uns verwandten Thiere — und zwar
waren es in der Regel, wie wir noch einmal hervorheben
wollen, Katzen — sämmtlich mit Curare vergiftet wurden,
so unterlag der Versuch keinen besonderen Schwierig-
keiten. Es war nur erforderlich, vor Emführung des
Manometers in die vordere Augenkammer ein Paar lange
Stahlnadeln auf solche Weise in den Schädel und in die Wir-
belsäule einzusenken, dass sie die Medulla oblongata und
mit ihr den Trigeminus-Ursprung zwischen sich £&ssten.
Dies gelingt nicht gerade schwer, wenn man dieselben
nur senkrecht zu einer durch die Axe des Wirbelkanals
gelegten Linie, die eine genau in der Mittellinie zwischen
Occiput und Atlas einsticht; die andere durch das Hinter-
hauptbein dicht neben der Mittellinie in der Höhe eines
dort befindlichen kleinen Höckers mit dem Hammer ein-
249
schlägt GiacktOD die nachfolgenden Versuche, so wurde
der Sitz der Nadeln öfters, schlugen sie fehl, stets durch
die Section controlirt Hierbei stellte sich heraus, dass
bei ungünstig, d. h. resultatlos verlaufenden Experimenten
unserer Absicht zuwider ausnahmslos bald die eine, bald
die andere falsch fixirt war. So kam es z. B. vor, dass
die untere Nadel, statt zwischen Atlas und Occiput ein-
gebracht zu sein, seitlich neben der Wirbelsäule im
Muskelfleische steckte, dann auch, dass die obere Nadel
entweder nicht tief genug oder in schräger Bichtung nach
vorne in die Schädelkapsel eingetrieben war, u. dgi. m.
Nach Application der Nadeln umgreift man beide mit
einer (electriscben) Pincette, die durch Drähte mit einem
Schlitten-Apparate in Verbindung steht. Hierdurch sind
wir in Stand gesetzt, jederzeit mit grösster Beqnemlich*
keit kräftige Inductious- Schläge durch die Medulla ob-
longata zu entsenden, ohne eine Lage -Veränderung des
Kopfes vornehmen zu dürfen und ohne das Verhalten
der Electroden einer fortwährenden Controle mit dem
Auge unterwerfen zu müssen.
Wird die Medulla nun in der beschriebenen Weise
erregt, so findet sich, dass der intraoculare Druck stets
einen mächtigen Zuwachs, mitunter bis auf 200°"»^ Q.
erfährt. Gleichzeitig treten Pulsationen an der Queck-
silbersäule des Manometers hervor oder gewinnen an
Deutlichkeit; die Carotis zeigt sich kräftiger geschwellt;
der andere unverletzte Bulbus fühlt sich steinhart —
wie eine Marmorkugel — an. Unterbricht man die Bei-
zung und erniedrigt sodann den Druck durch Zurück-
ziehen des Stilets in unserem Instrumente, so haben wir
in den zwei Fällen, in welchen wir auf diesen Punkt be-
sonders achteten, bei Erneuerung der Beizung ein aber-
maliges Steigen der Quecksilbersäule wahrgenommen.
Der Druck verharrt nach Fortfall der Tetanisirung lange
Zeit auf derselben Höhe und sinkt nicht, wie in den frü-
250
her mitgetbeilten Fillen von Druckzanahine, schnell auf
sein altes Niveau zorück, wenn die sein Ansteigen för-
dernde Ursache verschwindet Auch bleibt er selbst nadi
Erloschen des Herzschlages zu einem Theile besteben,
wie der Umstand beweist, dass die Augen derjenigen
Thiere, welche nach kräftiger Erregung der Mednila
getödtet wurden, eine stärkere Spannung besitzen, als
die ohne solche Vornahme umgekommener. Beispiels-
weise fanden wir in einem Falle den Druck nach dem
Absterben = 69"^, in einem andern = 26,5"»«»- Q^ wäh-
rend sonst der übrigbleibende Druck nur 9 — lO""^ Q.
beträgt Wir haben den so eben geschilderten Versuch
zu wiederholten Malen angestellt; wir haben ihn gelingen
sehen am atropinisirten sowohl als auch am nicht atro-
pinisirten Auge; er glückt bei Augen, die mehrere Wochen
zuvor iridectomirt worden sind; der Erfolg der Trige-
minus-Beizung bleibt derselbe, mögen die Halssympathici
vorher durchschnitten worden sein oder nicht Waren
sie erhalten, so sahen wir öfters ein Sinken des Augen-
druckes dem schliesslichen Ansteigen vorangehen, was
sich daraus erklärt, dass der Sympathicus seine Fasern
eben&Us aus der MeduUa bezieht, und Reizung seiner
vasomotorischen Fasern, wie wir gesehen haben, eine
Druckverminderung im Auge herbeiführen muss.
Es fragt sich, wie die Zunahme des intraocularen
Druckes bei Reizung des Trigeminus-Ursprungs zu deuten
ist Die Auffassung, welche wir für die richtige halten,
nimmt als erste Ursache der Drucksteigerung eine active
Dilatation der Blutgefässe des Auges, namentlich der
Chorioidea an'"); sie stützt sich vornehmlich auf den Ein-
tritt kräftiger Pulsationsschwankungen im Quecksilber
des Manometers während der Reizung. Zweitens halten
*) Die GefSste der Retina sind, wie die ophthalmosoopiiohe Be*
trftolitiiiig lehrt, durch den gewaltigen Druck rerengt»
251
wir durch die Thatsache einer das Leben fiberdanemden
Dracksteigerung and einer erneuten Druckzunahme bei
Trigiminas-Reiznng nach partieller Entleerung von humor
aqueus f&r erwiesen, dass eine vermehrte Secretion oder
Transttdation von Augenflüssigkeit während der Tetanisi*
rung der Medalla irgendwo innerhalb des Bulbus statt-
findet Ein Einwand, der hiergegen erhoben werden
könnte, lässt sich unseres Erachtens beseitigen. Derselbe
beruft sich auf die von Ludwig und Thiry*) zuerst
nachgewiesene Thatsache, dass Reizung des Halsmarkes
den Blutdruck durch Verengerung der peripheren Ge-
f&ssäste beträchtlich zu steigern vermag, und benutzt
unsre eigene Angabe, dass mit einer Steigerung des
letzteren in der Regel eine Zunahme des intraocolaren
Druckes verknüpft sei, um das von uns gesehene An-
wachsen dieses nicht auf eine specifische Action des
Quintus, sondern auf die Reizung des vasomatorischen
Gentrums zurückzuführen.
Hiergegen ist zu bemerken, dass wir von jenem hier
gegen uns verwandten Gesetze denjenigen Fall stets aus-
genommen haben, der jetzt gerade vorliegt, den Fall
nämlich, in welchem die Zunahme des Blutdrucks eine
Folge von Gefassverengerung wäre. Wie bei der Bespre-
chung der Sympathicus- Wirkung auf die Spannungs-
YerhältnisBe des Auges entwickelt worden ist, muss dann
gerade auf ein Sinken des intraocularen Druckes gerech-
net werden, da contrahirte Gefässe innerhalb des Bulbus
offenbar weniger Raum als weite beanspruchen.
Ferner ist zu betonen, dass, wenn wir die Aorta
abdominalis dicht unterhalb des Zwerchfelles durch eine
Fadenschlinge comprimirten und damit eine ebenso
grosse Druckzunahme im Gefässsystem hervorriefen, als
*) Ludwig n. Thiry, Ueb.d.£infl.d.HaInnarke8aafd.61aBtroiD.Separ.
Abdr. a. d. XLIX Bd.d. Sitsiingsberichte d. Kaiser! Acad. d. Wisa. Wien.
252
durch Beizung sftmmlicher yasomotorischer Nerven,'*) der
Druck im Auge zwar betr&chtlich wuchs, aber bei wei-
tem nicht 80 bedeutend, als nach Erzeugung der Medulla.
Worde die Beizung noch während des Verschlusses der
Aorta vorgenomm^ so blieb ein vermehrtes Emporstei-
gen der Quecksilbersaule nicht aus.
In einem hier mitzutheilenden Beispiele wurde
gefunden der Augendruck einer grossen Katze gleich
nach Einführung des Manometers in die vordere
Augenkammer (Iris leicht gestreift) . . . 31™^ Q.
bei der Compression der Aorta abdominalis . 81"°^ Q.
nach Aufhebung der Compression, welche 5 Min.
gewährt hatte ei™»- Q.
bei Compression der Carotis durch eine Faden-
schlinge 34™^ Q.
nach Aufhebung der Compression 60™^ Q.
bei der Beizung der Medulla 200™»- Q.
nach Stillstand des Herzeos ...... 69™^ Q.
Eine weitere Stütze bietet sich für unsere Auffassung
in dem Umstände dar, dass, während die Druckschwan-
kung im Gefässsystem nach Aufhören der Beizung des
Halsmarkes sehr bald ausgeglichen wird, die im Auge nach
Beizung der Medulla entstandene lange Zeit auf der glei-
chen Hübe verharrt; dass ein schärferer Gegensatz end-
lich, wie er zwischen dem schnellen Vergehen der Druck-
schwankungen im Auge bei Unterbrechung und darauf
folgender Eröffnung wichtiger Gefässbahnen und dem
langsamen Sinken des durch Medulla -Beizung erzielten
Druckzuwachses zu Tage tritt, kaum gefunden werden
kann. Ferner haben wir uns davon überzeugt, dass elek-
trische Beizung des Halsmarkes zwischen Occiput und
drittem Halswirbel nach vorhergegangener Durchtrennung
des Markes zwischen Atlas und Occiput, d. h. also sämmt-
*) Ludwig u. Thiry. lieber d. Einfl. d. HalsmarkeB auf den
Blotstrom. Separat-Abdruck aaa d. XLIX. Sitzangsbenohts. d. Kaii.
Acad. d. WisB. Wien.
253
lieber vasomotorischer Nerven mit Ausschluss des Quin-
tus keine erhebliche Drucksteigerung im Auge bewirkt,
dass diese aber bei dem gleichen Yersuchsthiere nicht
ausbleibt, wenn der Trigeminus für sich allein in der
früher angegebenen Weise intracraniell tetanisirt wird.
Obwohl mit diesem Allem die Reihe der Beweismit-
tel, welche zur Prüfung unserer oben mitgetheilten Ansicht
über die Natur der Druckerhöhnng im Auge nach Trige-
minus-Reizung bereit stehen, lange nicht erschöpft ist,
so glauben wir die vorgebrachten Gründe dennoch ftir
bedeutsam genug ansehen zu dürfen, um ein gewisses
Maass von Berechtigung für unsere Auffassung der That-
Sachen in Anspruch nehmen zu können.
Vor Abschluss des experimentell -physiologischen
Theils unserer Arbeit haben wir aber noch einen für die
Bildung der Augenflüssigkeiten bedeutsamen Punkt wenig-
stens in Anregung zu bringen, wir meinen die Frage, ob
der Trigeminus besondere Secretions- Fasern dem Auge
zuführt (Donders), welche nach Art der Speicheldrüsen-
Nerven die Ausscheidung des Humor aqueus und Corpus
vitreum reguliren, oder ob er nur durch Dilatation der
Augengefässe eine verstärkte Filtration von Flüssig-
keit in die Bulbus -Kapsel anbahnt. Die bisher mitge-
theilten Experimente entscheiden hierüber noch nicht mit
Sicherheit. Der nachhaltige Einflus, welchen eine längere
Zeit hindurch fortgesetzte Compression der Bauchaorta
auf die Höhe des intraocularen Druckes selbst dann noch
besitzt, wenn dem Blutstrom die Bahn wieder freigege-
ben wird, scheint zu der letzteren Annahme aufzufordern.
Wenn nun dieser Einfluss, wie wahrscheinlich, auf einer
Vermehrung der Augenflüssigkeiten durch Filtration
beruht, so ist nicht einzusehen, warum der gleiche Vor-
gang nicht auch die Zunahme des wässerigen Augen-
Inhalts nach Medulla-, d. h., Trigeminus -Reizung veran-
lasst haben sollte, da doch hiermit gleichfalls ein mäch-
254
tiges Ansteigen des Blutdnicks im Ange verbunden ist
Auf der andern Säte gewinnt jedoch die Donder'acbe
Hypothese specifiseher Secretions- Nerven durch gewisse,
merkwürdige Beziehnngeu des Quintus zur Iris -Bewegung
wegen deren auf die beistehend citirte Abhandlung*)
verwiesen werden mnss, ein Uebergewicht Aber die mecha-
nische Filtrations* Theorie.
Wir unterlassen es für jetzt weiter auf die angeregte
Frage einzugehen, indem wir uns ihre Besprechung fBr
eine andere Mitheilung vorbehalten.
Wenden wir uns jetzt den über das Glancom auf-
gestellten Theorien zu und prüfen, welche derselben unse-
ren physiologischen Experimenten zufolge den grdssten
Anspruch auf Sichtigkeit zu haben scheint
Abstrahiren von den Ansichten der älteren Autors,
die über die Ursachen des Glaucoms sehr bedeutend
diffieriren, so machen sich heute besonders zwei einander
gegenüberstehende Meinungen in Bezug auf diese Frage
geltend: die Einen halten eine Erkrankung der H&ute
und Gef&sse des Auges für das Primäre und erklären
die Steigerung des intraocularen Druckes für eine Folge
des gehemmten Blutabflusses, die Anderen sehen in einem
Beizzusstande der Sekretionsnerven die Veranlassung der
Druckzunahme, nehmen diese als das wesentliche Symptom
des Glaukoms an und führen die Circulationsstoerung als
eine sekundäre Erscheinung auf dieselbe zurück. Beide
Ansichten haben ihre volle Berechtigung, denn einerseits
lenkten schon die ersten von v. Graefe publidrten
Beobachtungen über das Glaucom die Aufmerksamkeit
auf den Zusammenhang dieses Leidens mit atheromatöser
Erkrankung der Gefässe, andererseits sind wieder auch
die Fälle nicht selten, in denen dem Ausbruch des Glau-
coms lange Zeit Reizzustände im Gebiet des Trigeminus
*) Grünhagen. Ueber Iris and Speicheldrüsen Henle and
Pfeaffers Zeitschrift 1868.
255
(Migräne, Zahnschmerz) vorangehen, wAhrend von irgend
einer Affektion des Oeftsssystems nicht die Rede ist
Wenn wir nnn auch nicht die MSglickeit von der Hand
weisen wollen, dass Stockungen der Blatzirknlation des
Anges, besonders im Gebiet der Venae vorticosae, einen
Faktor für die Entstehung des Olancoms mitabgeben
können, so glauben wir doch aus den Resultaten unserer
Experimente schliessen zu dQrfen, dass der Trigeminus
weitaus die wichtigste Rolle bei dem Zustandekommen
des genannten Erankheitsprozesses spielt Stauung in
den Venae vortisosae kann niemals plötzlich eintreten,
das Blut findet daher andere Bahnen, auf denen es das
Auge verlässt Gleicht sich das Girculationshindemiss
durch Erweiterung anderer Gefisse nicht ganz aus, so
wird der Druck im Auge immerhin nur sehr langsam
steigen und wir finden höchstens die Symptome des chro-
nischen Glaucoms. Nicht durch einfache Circulations*
Störung erklärbar sind dagegen die Fälle von acutem
Glaucom, in denen entweder nach einem längeren oder
kürzeren Prodromalstadium, oder auch auch ohne ein
solches unter heftigen Ciliarschmerzen der intraoculare
Druck plötzlich sehr erheblich steigt und unter der
bekannten Injection der subconjunctivalen Gef&sse, Trü-
bung des humor aqueus, Abflachung der vorderen Kam-
mer etc. ein totaler Verlust des Sehvermögens in kür-
zester Zeit eintritt Die Nothwendigkeit, für diese Krank-
heitsgruppe eine besondere Ursache anzunehmen, hat den
bedeutendsten Opthalmologen stets eingeleuchtet, und
so glaubten denn Arlt und v. Graef edie plötzliche
Drucksteigerung auf eine Choroiditis,Dond er s dagegen
auf einen Reizzustand der Sekretionsnerven des Auges
zurückführen zu müssen, ohne dass letzterer jedoch im
Stande war, seine geistvolle Hypothese durch das phy-
siologische Experiment zur unbestreitbaren Thatsache zu
machen. Nachdem es uns nun durch unsere Versuche
256
gelungen, den Nachweis dafür za führen, dass von den
sam Auge gehenden Nerven allein der Trigeminns
einen erheblichen Einfluss auf die Höhe desintra-
ocnlaren Druckes auszuüben vermag, glauben wir
uns nicht in das Grebiet unhaltbarer Yermathong^i
zu verlieren, wenn wir uns die Enstehung des ohne
Entzündungserscheinungen auftretenden Olaucomasimplcx
in folgender Weise erklaren: Auf irgend eine Art, ent-
weder peripherisch von der Iris aus oder central wird
der Trigeminus durch einen Reiz in Erregung versetzt.
Die unmittelbare Folge davon ist eine geringere oder
eriieblichere Steigerung des intraocularen Druckes, bedingt
durch vermehrte Absonderung von Flüssigkeit in dem hin-
tern Augenapfelabschnitt, wodurch Linse und Iris nach
vom gedrängt und durch die Zerrung letzterer ein ernea-
ter Reiz hervorgerufen wird, der wieder auf die Sekre-
tionsnerven zurückwirken und eine immer stärkere Ver-
mehrung des Druckes nach sich ziehen muss. Natürlich
wird hiedurch eine bedeutendere Spannung der Augen-
häute hervorgerufen, die Durchtrittsöffnungen der Venae
vorticosae durch die Sclera verengem sich und es kommt
so sekundär zu Circulationsstörungen, die sich durch
Erweiterung der in vorderen Augapfelabschnitt gelegenen
Venen nur theilweise ausgleichen.
Während sich nun die Entstehung und unaufhalt-
same Entwickeluug des Glaucoma simplex unserer Ansieht
nach in der eben besprochenen Art ohne Zwang erklären
lässt, bieten sich bei Feststellung der Aetiologie des mit
Entzündung auftretenden Glaucoms schon grössere Schwie-
rigkeiten dar. Wenn wir die demselben eigenthümliche
plötzliche Zunahme des intraocularen Dmckes auch unse-
ren Untersuchungen zufolge einer Reizung des Trige-
minus zuschreiben dürfen, so bleibt die Ursache der
Entzünduug doch immer noch dunkel. Diese mit Sicher-
heit festzustellen, ist nns bis jetzt nicht gelungen, und
257
wir haben uns mit einer Hypothese begnügen müssenf
die der Eine von uns (G.) in seiner schon oben citirten
Abhandlung: „Qber Iris und SpeicheldrQse'' bereits aus-
führlicher mitgetheilt hat Will man dem Trigeminus
den daselbst behaupteten Einfluss auf die Elastizitätsver-
hältnisse der Gewebe des Auges zugestehen, will man
es gelten lassen, dass Reizung dieses Nerven seröse
Durchtränkung und Schwellung derselben zur Folge hat:
so ist die Vermuthung nicht unwahrscheinlich, dass in
einem derartig veränderten Organ schon eine ganz unbe-
deutende Veranlassung den Ausbruch einer heftigen Ent*
Zündung zu bewirken vermag.
Was endlich diejenige Form des Glaucoms betrifft,
die wir secundär nach Discisionen, Reclinationen, nach
Eindringen fremder Körper in das Auge, nach Irisein-
klemmungen, nach Iritis mit Synechia posterior totalis
etc. ausbrechen sehen, so leuchtet deren Abhängigkeit
von einem andauernd unterhaltenen Reizzustande des
Trigeminus wohl ohne weitere Auseinandersetzung ein. —
Acceptirt man unsere auf die Resultate einer grossen
Reihe von Experimenten gestützte Theorie des Glaucom's,
so wird die Lehre von der Entstehung dieser Krankheit
dadurch sehr wesentlich vereinfacht, denn man hat
dann nicht mehr nöthig. für die verschiedenen Formen des
Glaucom's, die ja doch alle in den wesentlichsten Sympto-
men: Steigerung des intraocularen Druckesund
der Opticusexcavation übereinstimmen, die ver-
schiedensten aetiologischen Momente (Choroiditis, Athe-
rose der Gefasse, Gewebsveränderungen der Sclera, beson-
ders an den Austrittsstellen der Venae vorticosae etc.)
anzunehmen. — Wie die Heilwirkung der Iridectomie bei
Glaucora zu erklären ist, sind wir vorläufig ausser
Stande anzugeben. Unmittelbar scheint dieselbe jeden-
falls nicht den intraocularen Druck herabzusetzen, wenig-
Archiv mr Ophthalmologie XIV. S. 17
268
stens ist es ans, im Gegensatz zu den Angaben Wegner's
nicht gelangen, dorch manometrische Messangen in iri-
dectomirten Aagen einen geringeren Drack nachzuwei-
sen, als er sich in normalen findet. — In dieser Frage
sind wir indessen noch za keinem befriedigenden Abschloss
gelangt und behalten ans weitere Mittheilang für die
Zukunft vor.
Zur Theorie des OlanoomB.
VOD
Dr. J. Stilling
in Gassei.
lieber das Wesen des Glaucoms sind im Laufe der Zeit
so viel verschiedene Ansichten ausgesprochen, dass der
Sitz dieser noch immer räthselhaften Krankheit, mit Aus-
nahme von Cornea und Retina, schon in sämmUiche Ge-
webe und Organe des Augapfels verlegt worden ist Es
ist nunmehr festgestellt, dass das uns geläufige Sym-
ptomenbild des Glaucoms unmittelbar aus einer Steigerung
des intraocularen Druckes herzuleiten ist. Die directe
Ursache dieser Druckerhöhung kann nur in einer ver-
mehrten Absonderung der im Binnenraume enthaltenen
Flüssigkeiten, und wiederum, da die Linse nach vorn
rückt und die vordere Kammer sich verengt, in einer
Yolumszunahme des Glaskörpers gesucht werden. —
Wir dürfen hieraus schliessen, dass wir der Frage
über das Wesen der Affection auf dem Wege der ana-
tomischen Untersuchung des Corpus vitreum beträchtlich
näher kommen würden, und dass wir vielleicht zu klare-
ren Anschauungen gelangen könnten, als durch das phy-
siologische Experiment oder selbst die pathologisch-
anatomische Forschung, deren auch noch so wichtige
Resultate ihi^n wahren Werth erst durch Erkenntniss
260
des normalen Verhaltens der uns interessirenden Organe
erhalten können. —
Von diesem Gesichtspunkte ausgebend, erlaube ich
mir daher, aus einer Untersuchung über den Bau des
Glaskörpers in Kürze einiges mitzutheilen, was für die
Benrtheilung der in Rede stehenden Frage nicht |ganz
ohne Bedeutung sein dürfte. —
1) Der Glaskörper des ausgebildetenSäuge-
thier- und Menschenauges ist von einem Cauale
durchbohrt, der von der Papilla optica aus bis
zur hintern Fläche der Linsenkapsel geht Vor
der Papille erweitert sich dieser Canal — wie beim
Säugethierauge mehr oder weniger deutlich nachweis-
bar — zu einem trichterförmigen Räume. — £s muss
dieser Canal oflenbar derselbe sein, der die Arteria ca-
psularis des foetalen Auges einschliesst und der bereits
von Cloquet als Canalis hyaloideus beschrieben worden
ist Den trichterförmigen Raum, in den derselbe vor
der Papille übergeht, beschrieb Martegiani.*) Han-
nover*'*') beschreibt den Kanal folgendermaassen: „Eine
Linie, die man sich von der Mitte der Sehnerven bis
zur Mitte der hintern Wand der Linse gezogen denkt,
durchschneidet die Spitze aller Säcke und die Mitte ihres
convexeu Bodens." An einer andern Stelle'*''*''^) führt er
ausdrücklich an, dass er beim Erwachsenen den Canal
nie offen gefunden habe, und überhaupt geht aus seiner
Schilderung nicht mit absoluter Deutlichkeit hervor, dass
an seinen Präparaten ein wirklicher Caual zu sehen war.
Abgesehen davon untersuchte dieser Forscher nur Augen,
die in Chromsäure gehärtet waren. Erst die Demonstra-
tion des Kanals am frischen Säugethier- und Menschen-
auge kann seine Existenz als unzweifelhaft dartbuu. —
*) VgL Henle, Eingeweidelehre, IL Braunscliweig 1866 p. 675. Anm
••) Das Auge. Leipzig 1852 p. 31.
•^) L 0. p. 33. f
261
Es ist diese Demonstration am Schweinsauge meistens
ausserordentlich leicht und selbst elegant zu nennen. Sie
geschieht in folgender Weise:
Man präparire den Glaskörper sammt der Linse vor-
sichtig aus dem Bulbus heraus, und bringe ihn auf eine
Porcellanschale. Hierauf zerreisse man mit einer feinen
Nadel, oder auch mit Pincette und Scheere die vordere
Kapsel und entferne die Linse. Alsdann giesse man ein
wenig Wasser in die Schale, kehre mit einem feinen
Pinsel vor'^ichtig den Glaskörper um, so dass die Retinal-
fläche des Organs das Niveau der Flüssigkeit überragt.
In günstigen Fällen zeigt schon jetzt die Retinalfläche
eine deutliche, trichterförmige Vertiefung. — Man tauche
nunmehr einen feinen Pinsel in eine dunkelrothe Carmin-
lösung und lasse einen Tropfen derselben auf das Organ
fallen. Der trichterförmige Raum füllt sich sofort mit
der färbenden Flüssigkeit, die an allen anderen Stellen
abläuft. — In manchen Fällen füllt sich der Kanal fast
augenblicklich bis zur hintern Fläche der Linsenkapsel.
Gelingt dies nicht sogleich, so drücke man sanft mit dem
Pinsel an dfn Glaskörper an, schiebe auch mit demselben
das Organ etwas hin und her, neige auch wohl die
Schale nach der einen oder andern Seite. Allenfalls
darf man auch mit einer feinen Irispincette den Rand
Eingangsöffnung des Ganais etwas verziehen, da hier ein
klappenartiger Verschluss das Eindringen der Carmin-
lösung hindern kann. Nach und nach setze man noch
einige Tropfen derselben zu, giesse dann Wasser in die
Schale und lasse den ganzen Glaskörper schwimmen.
Man sieht alsdann den rothgeiarbten Canal durch die
übrige, völlig durchsichtig gebliebene Substanz hindurch
in der angegebenen Weise verlaufen.*)
*) Der Ganal endet übrigens nicht in der Mitte der hintern KafMel^
sondern Terlänft ezoentriscb, der Sagittalaxe parallel.
262
In F&lleD, in denen die trichterförmige Vertiefuog
nicht deutlich ist, muss man der Reibe nach anf ver-
schiedene Stellen der Retinalfläche des Glaskörpers einen
Tropfen Carminlösong fallen lassen, bis dieselbe in den
Canal läuft — Am Schweinsauge dürfte der Versuch
wohl nie fehlschlagen. Schwieriger wird die Demonstra*
tion des Canals bei anderen Säugethieraugen.*) Beim
Menschen ist sie nur unter bestimmten Cautelen möglich.
Der Glaskörper des menschlichen Auges besteht aus
einer peripheren, consistenteren, und einer centralen,
mehr gelatinösen Substanz. Durch die letztere geht der
Canal hindurch.
Der Durchmesser des Canals ist im Allgemeinen der
einer kleineren Arterie. Er beträgt beim Schwein und
auch beim Menschen etwa 2°^
2) Es lässt sich, ebenfalls am frischen Säuge-
thierauge, durch macroscopische Präparation
nachweisen, dass der Glaskörper überall feste
Bestandtheile enthält.
Für die hier kurz zu beschreibende Präparations-
weise sind solche Säugethieraugen zu emp^hlen, deren
Glaskörper eine grössere Gonsistenz darbietet, also das
Auge des Schweines, Kalbes, Ochsen, Hammels.
Den isolirten Glaskörper lege man in ein mit ge-
sättigter Carminlösung gefülltes Schälchen und lasse das-
selbe unbedeckt stehen, bis der grösste Theil der Flüs-
sigkeit verdunstet ist. Dann nehme man das Organ
heraus, dessen ganze Substanz, wie auf einem unter
Wasser mittelst der Scheere gefertigten Durchschnitte
zu sehen ist, sich tiefroth ge&rbt hat Nun schneide
man ein beliebiges Stück aus der Masse heraus und
bringe dasselbe auf eine Glasplatte. Diese letztere setze
*) B. B. beim Ocliten» Kalb. Beim Pferd ist sie leiobt, aber das
Auge desselben ist aus andern Gründen für die ersten Versuofae nieht
Mu empfehlen.
263
man in eine Porcellanscbale und giesse so viel Wasser
zu, dass das zi prftparirende Stfick Glaskörper zwar
schwimmt, aber doch auf dem Objectträger bleibt Am
Rande des Stückes kann man mittelst feiner Nadeln so-
fort einige faserig-membranOse Fetzen vom Ganzen tren-
nen; durch sorgfUtiges Prftpariren mit Scheere, Iris-
pincette und Nadel gelingt es allmählich, das ganze StQck
in membranöser oder, wenn man will, membranfaseriger
Form auf der Glasplatte auszubreiten. Ist die Färbung
von vornherein nicht intensiv genug, so giesse man das
in der Schale befindliche Wasser ab, und setze mit dem
Pinsel noch einige Tropfen Carminlösung zu; nach eini-
ger Zeit giesse man wieder Wasser zu, um mit der Prä-
paration fortzufahren.*) Um die Demonstration mit ab-
soluter Deutlichkeit machen zu können, muss zuweilen
das Verfahren mehrere Male hintereinander wiederholt
werden. — Ist die Ausbreitung und Zerzupfung in die
membranöS'faserige Form genügend vollendet, so giesse
man das Wasser ab, tupfe vorsichtig die in den Zwi-
schenräumen und am Rande des Präparates zurückgeblie-
bene Carminlösung auf, und lasse das Ganze trocknen.
Will man die Präparate aufbewahren, so bringe man das
so dargestellte Gewebe auf eine zweite, reine Glasplatte,
setze Glycerin (mit gleichen Theilen Aq. dest verdünnt)
in so reichlicher Menge zu, dass man eine kleinere Glas-
platte über das Präparat decken kann, ohne Luftblasen
zwischen den Platten zu behalten (ein nicht so ganz leicht
auszuführendes Manoeuvre, da die Platten für derartige
Präparate von beträchtlicher Grösse sind) und verkitte
schliesslich das Ganze mit Asphaltlack. —
Derartige Präparate sind sehr zierlich und bewirken
durch Anfertigung wie durch Betrachtung den Eindruck,
*) Es kann die in Rede stehende Präparationsweise hier nur im
Groben geschildert werden. Die daza gehörigen Feinheiten wird der,
welcher das Verfahren prfift, leicht selbst herausfinden.
264
als sei ein in der geschilderten Weise behandeltes StQ^
Glaskörper aus einem Oewirre membranöser Elemente
zusammengesetzt, die unter einander auf das Innigste
verbunden sind.
Es geht aus allem Vorstehenden ytohl sicher hervor,
dass der Glaskörper nicht als eine von einer structnr-
losen Membran (M. hyaloidea) eingeschlossene Schleim-
masse betrachtet werden kann. Schon die Existenz
eines Centralcanals — der EOrze halber möge der von
Weber*) gebrauchte Ausdruck beibehalten werden —
spricht mindestens stark dagegen. Falls eine Hyaloidea
als besondere Membran statuirt werden darf, hängt sie
jedenfalls auf das Engste mit der übrigen Glaskörper-
masse zusammen. Denn, legt man einen isolirten Glas-
körper einige Minuten lang in eine Carminlösung, bis
die Aussenfl&che sich völlig roth gefärbt hat, und ver-
sucht alsdann, während das Organ unter Wasser schwimmt,
die oberste rothgefätbte Schicht von der äbrigen, noch
durchsichtigen Substanz abzupräpariren , so wird man
ohne Schwierigkeit erkennen, dass man, um dies auf eine
Strecke zu bewerkstelligen, glasbelle Falten durchschnei-
den muss, die sich zwischen gefärbter und durchsichtiger
Substanz anspannen. —
Wenn einmal festgestellt ist. dass der Glaskörper
ein wirkliches, aus festen Gewebsbestandtheilen zusam-
mengesetztes Organ ist, so kann auch wohl an einer
Fähigkeit desselben, selbstst&ndige Entzündungsproducte
zu liefern, nicht gezweifelt werden. Enthält der nor-
male Glaskörper membranartige Bestandtheile, so erklärt
&ich auch die Bildung von Pseudomembranen in gleicher
Weise wie die Schwartenbildung auf der Pleura, dem
Peritonaeum und anderswo. Auch der Grund der Eiter-
bildung im Glaskörperraume braucht nicht ausserhalb
♦) Virchow'g ArobiT. 19. Band. p.
265
desselben gesucht zu werden. Denn zweifelsohne ent-
hält der Glaskörper microscopische Elemente in genügen-
der Zahl, aus denen die EiterkOrperchen eben so gut
hervorgehen können, als ans den Stromazellen der Cho-
rioidea.*) Wäre letzteres der Fall, so wäre man auch
gezwungen, eine besondere Form von eitriger Chorioiditis
anzunehmen, für deren Exsudationsproducte die Retina,
sowie das ganze Gewebe des Glaskörpers permeabel wäre,
im Gegensatze zu einer andern Form, die zu Netzhaut-
ablösung führe. —
In eine ähnliche Verlegenheit geräth man, wenn man
die Ghorioidea als Ausgangspunct der gesteigerten serö«
sen Flüssigkeitsausscheidung ansieht, mit welcher man
es beim Glaucom zu thun hat, da der herrschenden An-
schauung nach sowohl Retina, als Glaskörper für die ge-
lieferten Exsudationen permeabel sein muss. Auch eine
solche Form von Chorioiditis müsste man derjenigen
Form von Chorioiditis serosa entgegensetzen können, die
Netzhautablösung bedingen kann. Mit der Annahme
einer „secretorischen Entzündung" kann die Vorstellung
nicht wohl befriedigt werden, denn als solche lässt sich
eine jede Entzündung bezeichnen. Es würden sich aber
vielleicht die Erscheinungen des Glaucoms ungezwunge-
ner erklären lassen, wenn man das Gewebe des Glas-
körpers selbst als Ausgangspunct jener serösen Exsuda-
tion ansähe, da — die Möglichkeit einer plastischen und
eitrigen Entzündung angenommen, — auch die Möglich-
keit einer serösen nicht geleugnet werden kann. Die
Excavation der Papille, sowie das Vorrücken der IJnse
lässt sich vielleicht sogar einfoch durch die Exsudation
einer relativ grossen Menge seröser Flüssigkeit in den
Centralcanal erklären. Eine gewisse Stütze findet mög-
licherweise diese Anschauung in der Thatsache, dass bei
*} Vgl Bitter, im 8. Bande dieses ArehiT's, Abth. L p. 55.
266
glaucomatösen Augen der Glaskörper verfltlssigt gefunden
worden ist Welche VeränderuDgen im Gefilss- und
Nerrensystem des Auges vor sich gehen mQssen, damit
eine derartige seröse Exsudation zu Stande kommt, ist
eine Frage, die zwar ein höheres, aber secund&res Inter-
esse hat Ffir die serösen Entzfindungen anderer Organe
ist die Pathologie hierflber auch noch nicht in's Klare
gekommen.
Was die Wirkung der Iridectomie beim Glaocom
anlangt, so wflrde man dieser Betrachtungsweise nach za
ähnlichen Schlfissen gelangen, wie Stellwagv.Carion.^)
£s wQrde also nicht der intraoculare Druck selbst herab-
gesetzt, sondern nur an einer Beihe von Puncten der
Bulbuskapsel der Widerstand derselben gegenüber dem
sich an Volum vergrössernden Glaskörper annollirt —
Der Antheil, den die Rigidität der Bulbuskapsel an dem
glaucomatösen Process hat, wird durch obige Annahme
durchaus nicht verringert erscheinen. —
^) stellwag Ton Garion, der intraooulare Druck und die In-
nerTationa-Verhfiltniite der Iris. Wien 1S6S. p. 47 — 49.
Zur Behandlung der Thrflnensehlanchkrankheiten.
Von
Professor Arlt.
Hierzu Tafel IV.
ßesprechuDgen mit verschiedenen CoUegen anf dem letz-
ten Congresse zu Paris überzeugten mich, dass die Ansich-
ten über die Behandlung der Krankheiten derThrftnen-
wege noch immer weit auseinander gehen, und dass noch
Manches darüber aufzuklären sei. Ich hoffe leichter ver-
standen zu werden, wenn ich die Abbildungen von 3
anatomischen Präparaten beiftge, welche jene mechani-
schen Verhältnisse der Thränenorgane möglichst natur-
getreu darstellen, auf welche bei Einführung von Sonden
in erster Linie Rücksicht zu nehmen ist Nicht Jeder ist
in der Lage, sich solche Präparate anfertigen zu können.
Fig. 1. An einem hartgefrornen Kopfe ist mit einer
feinen Säge ein horizontaler Durchschnitt in der Höhe
des innem Lidbandes durch den Bulbus und durch den
Thränensack geführt, die untere Schnittfläche abgezeich-
net In das untere ThränenrGhrchen ist eine Borste ein-
geführt, das Röhrchen dadurch etwas mehr gestreckt, als
in natura. Der Schnitt hat das gegen die (hier fortge-
_268
nommene) Kuppel des Sackes aufsteigende Röhreben
obngeftbr 1 Vs''^ vor seiner Ausmündung getroffen , daher
die Borste frei und etwas weiter rückwärts gedrängt
erscheint, als die Stelle seiner Ausmündnng sich befindet
Der Sack selbst zeigt ein nahezu dreieckiges oder halb-
elliptisches Lumen, von vorn nach hinten gegen 2^ lang,
von aussen nach innen circa V/"- Die äussere Wand
geradlinig, die innere der Rinne des Thränenbeines
entsprechend ausgehöhlt.
Man sieht, dass man, um mit einer Sonde durch
das untere Röhrchen in den Sack zu dringen, sich nicht
nur mit der Spitze (dem freien Ende) derselben stets an
die vordere untere Wand des Röhrchens halten, sondern
auch, dass man den Thränenpunkt nach aussen and
unten abziehen, das Röhrchen gegen die Austritts stelle
des N. subcntanens mal. hin anspannen muss, weil sonst
leicht die Wölbung des Bulbus (zumal bei Myopie oder bei
Glotzaugen) der Einführung der Sonde hindernd entge-
gentritt; nurbei der angegebenen Streckung und Richtung
desRöbrchens ist es möglich die Sonde ohne Verletzung der
zarten Wand des Röhrchens gegen die Kuppel des Sackes
und bis an dessen innere (mediale) Wand vorzuschieben«
Begünstigt wird die richtige Sondenführung durch das
gewöhnlich von selbst erfolgende Äufwärtsrollen des Bul-
bus, erschwert durch Zukneipen der Lider. Man mnss
unter beständiger Anspannung des Röhrchens in der ge-
nannten Richtung die Sonde gegen die Kuppeid es Sackes
fortschieben, bis man fühlt, dass man auf der Thränen-
beine steht. Erst dann ist es zulässig, die Sonde zu
stürzen (aus der nahezu horizontalen in die nahezu vertikale
Richtung zu bringen). Stürzt man sie früher, so bleibt
man mit der Spitze im Röhrchen oder doch in der Falte
vor seiner Mündung stecken und kann nicht weiter; oder
man durchbohrt die Wandung des Röhrchens und läuft
wohl auch Gefahr, an der Aussenwand des Sackes vor-
269
zudringen. Wenn man beim Vorschieben gegen die Kup-
pel nicht schliesslich das Auftrefifen auf das dQnn über-
kleidete Thränenbeiu fühlt, wenn bei wechselndem Bück-
und Vorwärtsbewegen der Sonde sich die Cutis in Falten
legt, (vorausgesetzt, dass man mit der Spannung des Röhr-
chens schon nachgelassen hat und dass nicht etwa die
Sonde relativ zum Röhrchen zu dick ist), so hat man
Ursache anzunehmen, dass man mit dem Ende der Sonde
noch im Röhrchen stecke. Auch beim Beginn des dritten
Momentes (Abwärtsschieben der Sonde) darf die Haut
vor dem Thränensacke nicht ein-, respective rückwärts
gezogen werden.
Man ersieht ferner aus der Zeichnung, dass man nur
die Hälfte des Röhrchens schlitzen, nur die Hälfte in
eine offen bleibende Rinne verwandeln kann. Denn die
innere (mediale) Hälfte des Röhrchens ist dem Bindehaut-
sacke so weit entrückt, dass auf ein Offenbleiben gar nicht
zu rechnen wäre, wenn man auch die Schlitzung bis in
den Sack hinein vorgenommen hätte. Dieser Umstand
ist von wesentlichem Einflüsse auf das zweite Moment der
Sondenführung, auf das Stürzen. Hiezu muss vorerst die
Anspannung des Röhrchens aufgelassen werden; sie würde
der Wendung der Sonde hinderlich sein. Der Kranke
werde angewiesen, den Blick aufwärts zu richten, denn
ein Lidschlag im Momente der Wendung kann bewirken,
dass das Sondenende, auf der innern (medialen) Wan-
dung sitzend, von diesem Ruhe- oder Drehpunkte abge-
schoben, und in eine falsche Lage gedrängt werde.
Das entgegengesetzte Ende der Sonde (oder die Platte
der Bowman'schen Sonde) durchläuft bei dieser Wendung
einen Bogen von wenig mehr als 90^. Die Sonde darf
nach vollendeter Wendung noch nicht parallel zur ver-
tikalen Medianebeue stehen. Während der Wendung kehrt
die Sonde ihre Convexität nach hinten und streicht
mehr weniger nahe am Bulbus vorbei. Nach vollen-
270
deter Wendung steht das freie Ende der Sonde an dem
bezeichneten Ruhe- oder Drehpunkte, die Convexität am
Orbitalrande, vor der Incisura suprorbitalis oder noch
etwas auswärts von dieser. Die Sonde steht also noch
nicht in der Richtungslinie des Kanals; Ursache dessen
ist der Widerstand, den der ungeschlitzte Theil gegen
die Sonde ansQbt
Dieser Widerstand, dieses Auswärtsdrängen der
Sondenplatte muss im 3. Momente, der Einführung in
den Kanal, von der sondenführenden Hand überwunden
werden, ohne das die Spitze der Sonden von der innem
Wand des Schlauches abgleite, aber auch ohne dass sie
an diese Wand angedrängt oder gar in dieselbe hinein-
gestossen werde. Die Sonde muss also jetzt zwischen
Daumen, Mittel und Zeigefinger fest gehalten und in
den Momente, wo man die Mündung des Sackes (in den
Mazillartheil, Nasengang) passiren will, so zu sagen frei
in die Richtungslinie des Kauales gebracht werden. Die
führende Hand muss demnach die Declination des Son-
denendes sowohl nach innen, als nach hinten, wozu der
ungeschlitzte Theil des Röhrchens drängt, zu verhüten
suchen. Bei tiefer Lage des Sackes relativ zum Augen-
brauenbogen muss die Sonde knapp an diesen angelegt,
muss mitunter die Augenbraue mit der anderen Hand
emporgezogen werden, besonders wenn der Kranke die
Augenbraue herabdrängt. Im Allgemeinen sondirt man
mit wenig gekrümmten Sonden leichter, als mit mehr
gekrümmten; nur bei stark verspringenden Augenbrauen-
bogen ist man genöthigt, der Sonde eine etwas stärkere
Krümmung zu geben. Die Bowman'sche Sonden werden
bekanntlich gegen die Platte gekrümmt. Die Lage nun,
welche man der Platte relativ zur Antlitzfläche zu geben hat,
hängt von der seitlichen Declination des Thränenschlau-
ches ab. Diese wird, wie ich früher angegeben, bestimmt
durch den Verlauf einer geraden Linie von der Seite
271
de8 NasenflUgelfi zur Mitte des Lidbandes. Wo also die
Nase anten schmal, die seitliche Declination demnach
klein oder gleich 0 ist, mass die Platte der Sonde gerade
nach vom stehen, daher die Convexität der Sonde gerade
nach hinten. Wo dagegen, und diess ist die Regel, die
Nase unten breiter, die seitliche Declination also mehr
weniger beträchtlich ist, mass die Platte nach vom-
aussen sehen, daher die Convexität nach hinten innen
gerichtet sein. Bei diesem Stande der Sonde geht das untere
Ende derselben um so mehr auswärts, je starker die
Sonde gekrümmt ist Mit andern Worten: man muss
aus der Gesichtsbildung so genau als möglich die Lage
der Nasenmündung des Thränenschlauches zu errathen
suchen, und gegen diesen Punkt hin die Sonde vor- d. i.
abwärts schieben, sobald man in den Maxillartheil einge-
drungen ist. Unter Einhaltung dieser Richtung gehe
man tastend vor, bei hartem Widerstände die Sonde etwas
zurückziehend, allenfalls etwas drehend (d. h. die Spitze
mehr weniger auswärts stellend), und dann wieder vor-
schiebend, ohne im geringsten zu forciren. Nie verwende
ich auf eine Sitzung mehr als circa 5 Minuten; nie son-
dire ich an demselben Tage zweimal. Bei grosser Empfind-
lichkeit setze ich wohl auch 1 bis 2 Tage aus. Ich bin
mitunter erst am 8. oder 10. Tage zum Ziele gelangt.
In einigen Fällen passirte Nr. 3 oder 4, wo ich mit Nr. 2
nicht durchgekommen war; Nr. 1 habe ich in den letz-
teren Jahren fast gar nie angewendet; es schien mir das
Tasten damit zu unsicher, die Oefiahr eines falschen
Weges grösser.
Es scheint, dass in manchen Fällen nach Schlitzung
des Röhrchens und öfters wiederholter Entleerung des
Sackes durch Ausdrücken eine Abschwellung der Schleim-
haut binnen wenig Tagen vor sich gehe; Verengerungen
in der Gegend der unteren Muschel habe ich dann manch-
mal ganz leicht passirt
272
Von dem Hinabgedruogensein des Sondenendes bis
in den untern Nasengang überzeuge ich mich nicht durch
Eingehen mit einer geraden und hakenförmig gebogenen
Sonde vom Nasenloche aus, sondern ich schliesse auf
dasselbe aus dem Stande der Platte relativ zum Äugen-
brauenbogen. Ich lege nämlich, wenn ich die seitliche
Declination des Thränenschlauches bestimme, das freie
Ende der Sonde, die ich benutzen will, an der Seite des
Nasenflügels so weit unten an, dass es in gleicher Höhe
mit dem Rande des Nasenflügels steht und merke mir
dann den Stand der Platte relativ zum Augenbrauen-
bogen. Steht die Platte nach der Einführung der Soade
wieder in der gleichen Höbe, so bin ich sicher, dass das
freie Ende nahezu am Boden des Nasenganges steht
Bei langer Nase steht die Platte tiefer relativ zur Augen-
braue als bei kurzer. Es ist nicht schwer, die Richtig-
keit dieser Angaben über Richtung und Länge des
Thränenschlauches zu coustatiren.
Ich bin nun bei dieser Art zu sondiren, zu dem
Resultate gekommen, dass nicht nur Blosslegung des
Knochens, wie ich schon vor 10 Jahren angegeben, son-
dern auch völlige ündurchgängigkeit — durch
Verwachsung — zu den Seltenheiten gehört.
Jene Fälle, wo unzweckmässige Sondirung vorausgegan-
gen, nehme ich von dieser Behauptung aus, ebenso Fälle,
wo Lues und Lupus die Nasenmündung zur Vemarbuug
gebracht haben. Ich rechne mit Zuversicht darauf, dass
auch andere Fachgenossen zu demselben Resultate kom-
men werden, wie dies rücksichtlich der sogenannten
cariösen Thränensackfisteln bereits eingetreten ist; man
wird die Verwachsungen kaum häufiger finden, als die
Caries.
Was nun den Verlauf und das Lumen des Thränen-
schlauches betrifft, so habe ich zur Anschaulichmachung
dieser Verhältnisse zwei von den vielen Präparaten die
273
ich zu Dutzenden besitze, von Dr. Heitzmann abzeich-
nen lassen. Au beiden ist die hintere — innere Wand
des Schlauches abgetragen. Der Orbitaltheil des Schlau-
ches — nach Professor von Hasner' s zweckmässiger
Benennung — ist leicht als der Thränensack zu erken-
nen. Er zeigt deutlich den von manchen Fachgenossen
geleugneten oder doch als etwas Unconstantes ausgege-
benen Sinus oder Recessus des Sackes, den Isthmus an
der Grenze zwischen Sack und Nasengang oder Maxill ar-
theil. An dessen unterer Grenze wurde die Enochen-
leiste stehen gelassen, welche die Basis für die untere
Nasenmuschel ^bildet. Unterhalb dieser Leiste erscheint
der Nas altheil, in Fig. 3 als dreieckige Kinne, in Fig. 2
als Tasche oder Etappe mit nahezu punktförmiger Oe£f-
nung circa 3'" unterhalb der Insertionsleiste der Nasen-
muschel. In Fig. 2 zeigt der Schlauch das gewöhnliche,
in Fig. 3 dagegen ein selten grosses Lumen. Jeder
Figur ist eine kleinere beigegeben, um die Raumverhält-
nisse am NasaltheiJe deutlicher zur Ansicht zu bringen.
Fig. 4, zu Fig. 2 gehörend, zeigt die Ausmündung des
unten buchtig erweiterten Maxillartheiles in den Nasal-
theil (Ansicht von oben her); Fig. 5 zu Fig. 3 gehörend,
zeigt dieselbe Mündung, viel grösser, in der Ansicht von
unten her. Weder an dem einen noch an dem andern
Cadaver fand ich irgend eine Spur eines krankhaften
Zustandes in den Thränenwegcn (mit Eiuschluss des
Bindehautsackes).
Die Stellen, an welchen ich beim Sondiren Verenge-
rungen durch Narbeogewebe vorgefunden habe, sind der
Eingang in den Maxillartheil und die Gegend der untern
Nasenmuschel. Auf die Gegenwart von Narbengewebe
schloss ich aus dem Anstossen auf, oder aus dem Hin-
übergleiten über knorpelartig resistente Leisten oder
Stränge. Solche Verengerungen an Leichen zu unter-
suchen, habe ich bisher noch keine Gelegenheit gehabt
Arohiy für Ophthalmologie, XHT, 8. X8
274
Sehen wir von den Hindernissen ah, welche der Leis-
tung der Thränen bis in den Sack entgegenstehen kön-
nen, (Insnfficienz des Muse, orbicnlaris, Lageverftnderang
der Thränenpunkte etc.); so müssen wir zunächst Consta-
tiren, dass Fälle von Thränenträufeln vorkommen, wo
noch Thränen (gefärbte Flüssigkeiten) bis in den Thrä-
nensack, aber aus diesem nicht in die Nasenhöhle geleitet
werden, trotzdem ein massiger Fingerdruck hinreicht, den
Inhalt des Sackes, oft sehr dickflüssig, in die Nase zu
drängen. Dabei braucht die Ausdehnung der vorderen
Wand, des Sackes nicht eben sehr gross zu sein, obschon
sie es gewöhnlich ist Ebenso macht man in manchen
Fällen veralteter Thränenschlauchblennorhoe die Beob-
achtung, dass trotz der Möglichkeit, bereits dicke Sonden
(5 — 6) durch das geschlitzte Röhrchen bis in die Nasen-
höhle hinabzuführen, dennoch die Fortleitung der Thrä-
nen nicht vor sich geht. Die Kranken sind nicht besser
daran, als vor der Sondencur. Mir ist diese Thatsache
unerklärlich, wenn man annimmt, zur Fortschaffung der
Thränen bis in die Nase genüge deren Leitung bis in den
Sack; wohl aber begreife ich den Vorgang, wenn — ent-
sprechend meiner Theorie über die Fortleitung der
Thränen — vorausgesetzt wird, dass der Muse, orbicu-
laris, und zwar die vom Lidbande entspringende Portion,
bei jedem Lidschlage eine momentane Compression auf
den sonst allseitig resistenten Sack ausübe. Bei dem in
Rede stehenden Zustande ist der Sack gar oft, vielleicht
immer, nicht blos nach vom, sondern auch zur Seite, ja
selbst — durch Verdrängung der Knochen — nach innen
und nach hinten ausgedehnt, und die Muskelfasern, mehr
weniger verlängert, vielleicht auch verdrängt oder wohl
gar schon in ihrem Baue verändert, sind relativ oder
absolut insuffizient. — Wie dem auch sei, immer wird
man bei Behandlung von Thränenschlauchblennorrhoe
starke Ausdehnung des Sackes als ein Moment von Be*
276
deatung ins Auge zu fassen haben. Man ^ird ihr durch
öfteres Ausdrücken oder durch methodische Compression
nach Kräften zu steuern suchen; man wird vielleicht
durch Ausschneiden eines Stückes aus der vorderen
Wand oder nach Aufschlitzung derselben, durch Cauteri-
sation der schleimhäutigen Auskleidung mit Höllenstein
eine Verkleineruni? des Lumens und eine Umstimmung
der secretoriöchen Thätigkeit herbeizuführen suchen;
jedenfalls aber wird man bei Stellung der Prognosis vor
der Sondencur die Möglichkeit nicht ausser Acht lassen,
dass ungeachtet der Wiederherstellung der nöthigen
Durchgängigkeit des Thränenschlauches dennoch das
Thränenträufeln fortdauern könne, namentlich in Fällen,
wo eine solche Ausdehnung lange bestanden hat und wo
sich, wenn nicht aus der Wölbung der vordem Wand,
vielleicht aus der Menge des durch wiederholten Finger-
druck entleerbaren Secretes auf ein grosses Lumen
schliessen lässt
Ich übergehe nun zu den Mitteln, welche bisher an-
gewendet wurden, um die Hindernisse der Fortleitung
von Seiten des Thränennasenganges zu beseitigen.
Die Bohrung eines neuen Weges ist vielfach
angestrebt worden. Das Dupuytren'sche Verfahren,
den Thränen durch ein metallenes Röhrchen einen Aus-
weg zu verschaflFen, ist wohl allgemein und mit Recht
verlassen. Zweii ältere Vorschläge sind in neuerer Zeit
wieder aufgenommen worden, die Durchbohrung der
durch Verwachsung undurchgängig gewordenen Partie in
der Richtungslinie des natürlichen Canals und die Durch-
bohrung des Thränenbeines mittelst Troikar oder mittelst
Trepan. Ich habe mich weder zu dem einen noch zu
dem andern Verfahren entschliessen können, weil die Aus-
sicht, solche Kanäle bleibend offen zu erhalten, schon
a priori eine äusserst geringe ist. Ich habe in solchen
Fällen lieber gleich die Verödung des Thränensackes
18*
276
vorgenommen, weil ich das zorflckbleibende, mitunter in
der That geringe Thränenträufeln sammt den operativen
Eingriffen weniger hoch anschlage, als die gleichfalls
schmerzhaften, lästigen, langwierigen und am Ende doch
sehr unsicheren Proceduren, welche diese Methoden, einen
neuen Weg zu bahnen und zu unterhalten, mit sich
bringen.
Die Erweiterung des natürlichen Weges Qbe
ich seit beinahe 10 Jahren ausschliesslich nach Bow-
man's Methode mit geringen Modificationen; nur die Idee,
von der ich dabei ausging, oder vielmehr, zu der ich im
Verlaufe meiner Beobachtungen geführt wurde, ist eine
andere, als die, welche dem grossen Reformator in der
Behandlung derThränenschlauchkrankheiten vorgeschwebt
zu haben scheint Ich bin des Erachtens, dass zur
Wiederherstellung der normalen Funktion eine
so starke Ausdehnung, wie sie durch die Bow-
manischen Sonden 5 und 6 angestrebt wird,
weder nothwendig noch ungefährlich sei
Sie ist nicht nothwendig, denn ich habe im Verlaufe
der letzten 3—4 Jahre Nr. 6 gar nicht, Nr. 5 nur selten
angewendet, und ich habe dennoch sehr viele dauerhafte
Erfolge erreicht Aber ich habe seitdem auch fast keinen
Fall von Verwachsung des Thränenröhrchens oder des
Thränennasenganges als Folge der Sond^nbehandlung zu
beklagen gehabt Die dicken Sonden /sind es, welche
meines Erachtens auch bei richtiger Führung an der
einen wie an der anderen Stelle zur Verwundung und
nachträglichen Verwachsung führen können.
Betrachten wir zunächst den Vorgang beim Sondi-
ren durch das untere Röhrchen. Ein circa 3'"
langer Theil kann nicht geschlitzt, wenigstens nicht in
eine ofifenbleibende Rinne verwandelt werden. Das Lumen
dieses Theiles ist kleiner, als der Durchmesser von Nr. 5.
Geben wir aber auch zu, man könne durch allmäliges
277
Steigen von dünnern zu dickeren Sonden selbst mit Nr. 6
passiren, ohne Gefahr, das Epithel abzustreifen, so sind
wir noch immer vor Sprengung, vor Zerreissung des
Röhrchens nicht sicher. Die Richtungslinie des untern
Röhrchens bildet mit der Richtungslinie des Thränen-
schlauches einen spitzen Winkel. Beim Stürzen der
Sonde müssen die Endstücke der ungeschlitzten Partie
um so mehr verschoben und gezerrt werden, je länger
diese Partie ist und je strammer sie die eingeführte
Sonde umfasst Denn sowohl das äussere als das innere
Ende der ungeschützten Partie lassen nur eine geringe
Verschiebung zu; insbesondere werden Einrisse an dem
innern Ende auch trotz langsamer Wendung der Sonde
nicht immer vermieden werden können. In dieser Ein-
reissung liegt meines Erachtens die Veranlassung zur
nachträglichen Verwachsung. Man ist mit Nr. 6 leicht
durchgekommen, geht endlich zu längeren Pausen über,
und auf einmal dringt gar keine oder nur noch eine sehr
dünne Sonde bis in den Sack. Nebenbei will ich erwäh-
nen, dass ich einigemal, wo auch Nr. 1 nicht eindrang,
mit der conisehen Sonde, unter genauer Einhaltung der
gehörigen Richtung, durchgekommen bin und dann all-
mälig wieder zu stärkeren Sonden übergehen konnte. Ob
aber nicht nach längerer Zeit dennoch völlige Verwach-
sung eingetreten sei, weiss ich nicht, weil leider diese
Patienten, als sie nicht mehr von Thränen träufeln be-
lästigt wurden, ausgeblieben sind. Wo der erwähnte
Versuch nicht gelang, habe ich das obere Röhrchen ge-
schlitzt und durch dieses sondirt.
Ob man mit starken Sonden auch im Nasaltheile
des Canals, welcher bekanntlich in der Mehrzahl der
Fälle kein grösseres Lumen hat, als dass Nr. 4 bequem
passiren kann, Unheil anrichten könne, weiss ich nicht;
aber ich fürchte, dass dem so sei. Ich betrachte es immer
als eine Veranlassung zu narbiger Verengerung oder Ver-
278
wachsang, wenn der Kranke nach Entfernung der Sonde
aus der Nase blutet, und ich setze dann immer einige
Tage mit dem Sondiren aus. Erfolgt die Blutung nach
der ersten Sitzung, so kann ich die Schuld nur auf
einen Fehler bei der Einführung oder auch beim Her-
ausziehen schieben. Ich nehme, nebenbei gesagt, letzte-
res ebenso behutsam bei fixirtem Kopfe und beinahe
eben so langsam vor, als ersteres. Wenn ich aber bei
späteren Sitzungen nach der Anwendung einer dickeren
Sonde Blutung bekomme, so liegt der Verdacht sehr
nahe, dass ich mit der Sonde eine Abstreifung oder eine
Sprengung bewirkt habe, vielleicht bloss deshalb, weil
sie zu dick war. Wenn ich nach dem Uebergange zu
einer dickeren Sonde beim Zurückziehen derselben das
Gefühl habe, als werde die Sonde vom Canale festgehal-
ten, so mache ich eine mehrtägige Pause und nehme zur
nächsten Sondirung wieder eine minder dicke Sonde.
Für Nr. 3, 4 und für ein etwas dünneres Nr. 5 benutze
ich mitunter leicht gebogene Sonden aus gehärtetem
Kautschuck, welche in manchen Fällen passiren, wo die
silbernen von gleicher Stärke nicht ohne Gefahr einer
Verletzung vorgeschoben werden könnten.
DieSondirung durch das obere Röhrchenhabe
ich fast nur in jenen Fällen vorgenommen, wo das untere
unter meiner oder unter fremder Hand verwachsen war.
Die Schlitzung sowohl als die richtige Einführung der
Sonde bis in den Sack scheint mir im allgemeinen etwas
schwieriger, besonders bei stark vorspringendem Augen-
brauenbogen. Es ist da nicht immer leicht, das Bohr-
chen in der gehörigen Richtung anzuspannen, um es zu
richtig zu schlitzen, und noch weniger, «es gespannt zu
erhalten und dabei mit dem Ende der Sonde an dessen
vorderer unterer Wand nach unten und innen vorzu-
dringen. Das Stürzen ist jedoch nicht nur leichter, son-
dern auch weniger gefahrlich, da der ungeschlitzte
279
Theil des Böhrchens ein^ sehr stumpfen Winkel zur
Bichtungslinie des Thränenschlaucbes bildet. Bei rela-
tiv zu dicken Sonden besteht aber auch hier noch die
Gefahr der Epithelabstreifung und der Sprengung des
Böhrchens, und stQrzt man die Soode, bevor man sicher
ist, mit deren Ende das Böhrchen passirt zu haben, so
kann eine Durchbohrung seiner Wand auch für das untere
Böhrchen verderblich werden. — Diese Methode unter-
scheidet sich von der AneTschen durch die Schlitzung
(der äusseren Hälfte) des Thränenröhrchens ; sie gestattet
das Einführen dickerer Sonden unter weit geringerer
Zerrung und demnach auch unter weit weniger Gefahr,
mit der Sonde sich in der Innern Wand des Schlauches
zu verfangen. Dickere Sonden lassen sich leichter diri-
giren, gestatten ein besseres Tasten, spiessen sich nicht
so leicht, als dünne, wie Anel sie anwenden musste.
Das Verfahren von Weber (Archiv f. 0. VIII. 1.)
habe ich niemals geübt. Zur Zeit seiner Publication
war ich noch mit der Prüfung des Bowman'schen Ver-
fahrens beschäftigt, und im Verlaufe dieser Prüfung
wurde es mir allmälich klar, dass es nicht sowohl auf
ein Ausglätten der Wandungen als vielmehr auf die Wie-
derherstellung und Erhaltung eines Eanales ankommt
der gross genug ist, um der durch die Wirkung des M.
orbicularis ^jwärts gedrängten Flüssigkeit kein unüber-
windlich^Hindemiss entgegen zu stellen. Sollte Anel
mit seinen dünnen Sonden nie eine Heilung bewirkt
haben? Mir theilte ein bewährter alter Praktiker, Dr.
Schmalz in Pirna, mit, dass er bei blosser Einlegung
eines Fadens (nach Ad. Schmidt) die besten Besultate
gehabt habe. Auf die Analogie mit der Harnröhre ist
nicht zuviel Gewicht zu legen. Dort können wir unsere
Muthmassungen über Sitz und Beschaffenheit der Stric-
turen so oft durch Autopsie controliren und berichtigen,
dass wir einen gewissen Fond von sicheren Vorkenntnissen
280
ffir die feraeren Sondlrnngen^ und deren Deutung erwer-
ben; hier fehlen uns Sektionsbefonde überhaupt noch
beinahe gänzlich, und die Beziehung solcher Befunde auf
vorausgegangene Beobachtung des Erankheitsverlaufes
und auf Aetzmittel- und Sondenanwendung wird noch
lange ein pium desiderium bleiben. Die Harnröhre ist
von weichen, mehr weniger nachgiebigen Gebilden, derThrä-
nennasengang aber von Knochen umschlossen. Was
geschieht mit der Circulation in der zwischen Knochea
und Sonde oder Bougie eingeklemmten Schleimhaut?
Welcher Zustand folgt zunächst nach solcher Einklem-
mung? Kann es nicht geschehen, das beim Vorschieben
oder beim Zurückziehen von Quellsonden die Verbin-
dung zwischen Schleimhaut und Knochen eher nachgiebt,
als die Cohäsion zwischen Sonde (Bougie) und Schleim-
haut? Die Erkrankungen der Harnröhre sind meistens
Folgen örtlicher Reize; die Schleimhaut des Thränen-
Schlauches ist für etwas anderes, als für die Thränen
kaum zugänglich. Ist es doch eine bekannte Sache, dass
selbst bei Blennorrhoe der Bindehaut (acut, chronisch,
bei Neugeborenen, bei Erwachsenen) ein Uebergreifen
auf die Schleimhaut des Thränenschlauches relativ selten
beobachtet wird. Fast alle Erkrankungen am Thränen-
schlauche lassen sich auf chronisch -katarrhalische Ent-
zündung seiner schleimhäutigen Auskleidung zurückführen,
und diese geht gewiss in der Mehrzahl der Fälle mit
weitverbreiteter Erkrankung der Schleimhaut der Nase,
des Rachens, mit Skrotulosis, mit unzweckmäasiger
Lebensweise und ungünstigen Lebensverhältnissen im Zu-
sammenhang. Haben wir denn bei Rezidiven chronisch-
katarrhalischer Entzündung den Grund immer oder doch
zunächst nur in ungenügender örtlicher Behandlung za
suchen? Kann in einem allseitig ausgeweiteten Thränen-
schlauche nicht neuerdings Entzündung und Verengerung
entstehen? — Ich betrachte die Sonden (und Bougies)
281
als ein, nicht als das einzige Mittel gegen die chronisch-
katarrhalisch afficirte Schleimhaut des Thränenschlauches.
Die Einspritzung medicamentöser Stoffe, namentlich
massig starker Lösungen von Sulfas Zinci oder von
Argentum nitricum habe ich wenig geübt, werde sie aber
mit der von Wecker (maladies des yeux, Paris 1868,
T. L p. 890) empfohlenen Sondenspritze künftig öfter
vornehmen. Viel erwarte ich von ihnen nicht.
Dass ich mich zu Incisionen der stricturirten
Stellen mit nachfolgender Dilatation nicht entschliessen
konnte, wird der Leser wohl schon aus dem Voranstehen-
den vermuthen. Das hiezu nöthige Instrument kann
wohl kaum eingeführt und gehandhabt werden, ohne dass
man andere Partien, als beabsichtigt wird, mit verleut.
Wenn sich ihre Autoreu auf ihre Erfolge berufen, so habe
ich darauf nichts zu erwiedern, als dass ich alle Ursache
habe, mit den Resultaten der Behandlung nach Bow-
man — mit Ausschluss der dickeren Sonden — zufrie-
den zu sein. Das Stilling'sche Verfahren jedoch
(Cassel 1868) fordert nach den Resultaten, welche War-
lomont (Ann. d'OcuL T. LX.) ihm nachrühmt, jedenfalls
zu weiteren Versuchen auf.
Bei Thränensackfisteln benutze ich zur Ein-
führung der Sonde niemals diese, sondern das geschlitzte
Röhrchen. Es ist bekannt, dass Fisteln, durch welche
längere Zeit Sonden, Saiten u. dgl. eingeführt wurden,
schwieriger zum Verschlusse zu bringen sind. Je früher
man eine solche Oeffnung zum Schliessen bringt, desto
angenehmer, desto besser für den Kranken.
Bei beginnender Thränensackentzündungkann
ich, gestützt auf neuere Erfahrungen, einen scharfen
Druckverband wiederholt aufs nachdrücklichste empfehlen,
allein, oder nach Schlitzung des Röhrchens, falls sie noch
möglich ist Es ist wahr, man reuissirt nicht immer,
282
namentlich, wenn die Entzandang schon weiter vorge-
schritten ist, aber in diesen Fällen schadet mau nicht,
und in den andern erspart man dem Kranken viele
Schmerzen und das Lästige der spontanen oder könst-
liehen Eröffnung der vordem Wand. Ich habe im letz-
ten SchuJIjahre drei eclatante Erfolge an Ambalanten der
Klinik demonstrirt, daneben nur einen Nichterfolg gehabt
Zum Schlüsse dieser Bemerkungen will ich mir noch
erlauben, die Vortheile hervorzuheben, welche das Bow-
m an 'sehe Verfahren, in der angedeuteten Weise geübt,
gegenüber andern Methoden bietet Es führt bei ge-
höriger Geduld und Ausdauer sicher zum Ziele, sobald
der Thränenleitung keine andern Hindernisse entgegen-
stehen, als Wulstung der Schleimhaut des Thränen-
Schlauches mit oder ohne Stricturen. &Ian wird den
Kranken kaum je einen Nachtheil zufügen, durch Herbei-
führung von Verwachsung des Thränenröhrchens oder im
Thränennasengange. Man kann sein Wort einlösen, wenn
man dem Kranken verspricht, dass er dabei wenig
Schmerz haben werde. Doch muss man sich gegen un-
vermuthete Bewegungen des Kopfes sichern und den
Kranken mit rückwärts gestütztem Kopfe sitzen lassen.
Die Kranken entschliessen sich demnach auch fast ohne
Ausnahme zu diesem Verfahren, sobald sie in der Lage
sind, durch einige Wochen täglich beim Arzte zu er-
scheinen. Dies ist nicht hoch genug anzuschlagen, wenn
man bedenkt, dass man ein rationelles und sicheres Ver-
fahren einleiten kann zu einer Zeit, wo die Vernarbon-
gen der Schleimhaut noch nicht weit vorgeschritten sind.
Selbst wenn es bereits zur Fistelbildung gekommen ist,
kann man deren Verschluss und somit die Beseitigung
der Entstellung des Gesichtes auf die einfachste Weise
und in kurzer Zeit in Aussicht stellen. Der grösste
Vortheil besteht aber wohl darin, dass man fär den Fall
einer Rezidive, welche nach jeder Methode, die (nicht
283
immer gleich gelingende) Yerödnng des Thr&nensackes
nicht ausgenommen, vorkommen kann, den Weg zur Ein-
führung der Sonde offen hat, und dass man, falls der
Kranke entfernt wohnt, ihn selbst oder Jemand Andern
mit der Einführung der Sonde vertraut machen, demnach
die Kur beliebig lange fortsetzen kann.
Erklärung der Abbildungen«
Fiff. 1. Horiiontaler Dnrohschiiitt der rechten Orbita in der Höhe
des inneren Lidbandes, a. Nasenbein, b. M. reotas internus, c. Bulbus.
Durch Einffihrung einer steifen Borste in das untere ThrSnenröhrchen
erscheint dasselbe mehr gestreckt, der Winkel zwischen Auge und Nase
weniger vertieft, der dahinter befindliche TheD des Bindehautsackes
etwas Tergrössert. Die Borste kommt Tor der Einmündung des S5hr-
chens in den Sack zum Vorschein, weil das Böhrchen in seinem Ver^
laufe nach innen und oben Yon der horizontalen Schnittebene getroffen,
sein inneres Ende also mit fortgenommen wurde. Auch erscheint das
innere Ende der Borste etwas zurückgedrängt. An der Kfickseite des
Bindehautsaokes präsentirt sich die halbmondförmige Falte als faden-
förmiger Vorsprung.
¥ig 2. Ansicht des Thränenschlauches Ton hinten -innen. Am
Thranensacke sieht man unterhalb der Kuppel die EinmündungssteUe
der Thrfinenröhrchen als dunkleren Punkt; der Sinus nach unten ist
durch stärkere Schattirung angedeutet. Der MaxiUartheil zeigt zwei
flache Vertiefungen (dunkler schattirt) und über der Nasenmuschelleiste
eine merkliche Erweiterung. Der Naaaltheil ist unyersehrt gelassen
und präsentirt sich als eine Art Tasche mit einer Oeffiiung nach unten
▼on circa |nm* Durchmesser.
Flg« 4. giebt eine Ansieht des Einganges in den Nasaltheil, bei
Betrachtung Ton oben her gezeichnet Der Durchmesser dieses Ein-
ganges dürfte nicht riel mehr als louiu betragen.
284
flg. t VBd 6« bringm dieselbe Anneht Ton einem anderen Pks-
pente, welehee diirdi die vngewöluiliohe Weite des Thrinenechlaaeliei
snffiel. Die aeiüiohen Graben im MaxiUartheile und hitr tiefer nnd
nhlreieher. Der Naialtheil erscheint als birnfSmiige OefiBoiiing. Fig. 5
leigt die Knmfindnng des MaxiUartheilet in den nntem Naecsigaag
Too unten her angesehen.
Ein Fall von Sarooma iridis.
Von
Dr. J. Hirschberg.
Hiem Tafel L
Da die saxcomatösen Geschwülste der Begenbogenhant za
den seltensten Befinden gehören, deren genauere Dar-
stellung und anatomische Beschreibung in der ophthalmo-
logischen Literatur bisher noch rermisst wird; so dürfte
die Mittheilung des nachfolgenden Falles gerechtfertigt er^
scheinen.
Am 21. Mai 1868 präsentirte sich in Pro£ v. Oraefe^s
Klinik der 38 jährige Bauer E. J., um wegen seines rechten
Auges sich Bath zu holen. Er giebt an, dass er stets völlig
gesund gewesen. Seit einem Jahre bemerke er eine Verände-
rung, eine schwärzliche Neubildung im Innern seines rechten
Auges, die genau an einer Stelle begonnen, wo er von
Jugend auf in seinem „Stem*^ einen dunkleren Fleck be-
sessen. Die Entwicklung sei völlig ohne Schmerzhaftigkeit,
Böthung oder sonstige Beizerscheinungen am Auge von
Statten gegangen, und in den letzten Wochen das Wachs-
thum besonders rasch gewesen«
286
Status praesens. A. Allgemeinznstaiid: Kräf-
tiger, wohlgebauter Mann, dessen Brust- und ünterleibs-
organe keinerlei Abweichungen von der Norm erkennen lassen.
B. 1. Das linke Auge ist völlig normal. S=l. Die
Iris ist blaugrau mit grünlich -gelblicher Beimischung be-
sonders an den hervorspringenden Fasern des kleinen
Kreises.
2. Am rechten Auge, das keine pathologische In-
jection darbietet, ist die vordere Kammer zum grösseren
Theil von einer eigenthümlichen dunklen Masse angeiullt
Dieselbe geht von der unteren Hälfte der Iris aus, hat
eine saturirt dunkelbraune, etwas in's bläuliche schimmernde,
glatte Oberfläche, die sich in der Mitte der Hornhaut gegen
deren Hinterfläche drängt. Hier zeigt das Comealgewebe eine
vom medialen Rande bis zum lateralen reichende, in der
Sichtung von oben nach unten c. 2'" breite, ziemlich zarte
TrQbungszone, während das untere etwa 1"' breite S^ment
der Hornhaut, wo ein kleiner Abstand zwischen ihr und
dem daselbst weniger vorspringenden Tumor bleibt, die
normale Durchsichtigkeit bewahrt hat. Nach oben reicht
die Geschwulst mit convexer Begrenzungsfläche, deren
Ausdehnung im Diameter anteroposterior (von der hinteren
Homhautfläche bis zum Niveau der vorderen Linsenkapsel)
schätzungsweise ly«'" beträgt, bis auf IVi'" vom oberen
Giliarand. Da^ bei mittlerer Tagesbeleuchtung, der nach
oben gebliebene Rest der Iris ebenfalls die letztgenannte
Breite besitzt, so erscheint die Pupille als ein äusserst
schmaler Halbmond, bei hellerem Tageslicht sogar nur als
eine nach oben convexe dunkle Linie, die bei der ersten
Betrachtung dem Beobachter &st entgehen konnte und
jeden&lls nicht vermuthen liess, dass dies Auge eine &st völlig
normale S besass, — was in der That der FaU war und
ja nach bekannten optischen Frincipien auch, die Integrität
287
von Netzhaut, Sehnerv, brechenden Medien vorausgesetzt,
nichts auffälliges hatte. (Die beigefügte Abbildung auf
Figur 1 ist nach Atropin-Mydriasis aufgenommen.)
Das obere Segment der Iris, oberhalb der rudimen-
täi'en Pupille, ist normal und von der nämlichen Farbe,
wie die linke; nur tritt hier der grünlich -gelbe Ton
noch stärker hervor. Nach beiden Seiten zu erreicht die
Geschwulst etwas unterhalb des horizontalen Diameters
den Ciliarrand der Iris und hängt dem schmalen Saume
normaler Begenbogenhaut pilzfi^rmig über; noch weiter nach
unten zu ist die ganze Iris in die Geschwulstbildung auf-
gegangen, welche sich als eine directe Verdickung derselben
darstellt.
Centrales und excentrisches Sehvermögen des betref-
fenden Auges sind nicht herabgesetzt (S etwas über Vs)*
Die focale Beleuchtung und ophthalmoskopische Unter-
suchung ergeben keinerlei Abnormitäten in den tieferen
Theilen; namentlich sind keine hinter der Linse vom
Ciliarkörper oder den vorderen Choroidalpartien ausgehenden
Geschwulstbuckel nachzuweisen.
Herr Prof. v. Graefe stellte die Diagnose auf eine
maligne Geschivulst (Melanosarcoma) der Iris, ob-
jwohl, bei dem ganz ungewöhnlichen Beftmde, mehr der
iGesammthabitus des klinischen Bildes, (die dunkle Färbung
der Geschwulst, ihr in letzter Zeit rapides Wachsthum,
/das Alter des Patienten), die leitenden Gesichtspunkte ab-
gab, welche gegen ein&che Granulationsgeschwulst sürgn-
mentirten, als dass die positive Erfahrung sichere Hand-
haben für die Beurtheilung des Falles geboten hätte.
Es wurde auch kein Bedenken getragen, die Exstir-
pation des • noch sehkräftigen Bulbus anzurathen, da
erstlich bei der schnellen Yergrösserung der Geschwulst
doch in kurzer Zeit völlige Obstruction der Pupille und
damit Verlust eines brauchbaren Sehvermögens zu erwarten
stand; und da femer, wenn man überhaupt bei Geschwülsten
288
das Uvealtractos chirurgisch eingreifen will, eine möglicbst
irfihzeitige Operation absolut geboten erscheint, nachdem
die Er&hmng gelehrt hat, dass „Patienten nach Enoeleatio
bulbi w^en kirschkemgrosser, scharf abgegrenzter Ader-
hautsarcome bereits innerhalb IVs Jahren Lebersarcomen
unterli^en." (v. Graefe, in seinem Archiv XIV. 2. 107.)
Von einer Exstirpation der Geschwulst bei Erhaltung
des Bulbus, — et?ra in der Weise, wie Alfred Graefe
(vergL y. Graefe*s Archiv VIIL 1. 291.) einmal einen
Gummiknoten der Iris exddirt hat, Mooren (Ophthalm.
Beob. 128) ein Lipom, — musste hier schon wegen der Aus-
dehnung der Geschwulst selbstverständlich abgesehen werden;
und durfte eine solche selbst bei geringer Grösse des malignen
Neoplasma nicht statthaft sein, auf Grund der eben citirten
Er&hrui^, da eine im histologischen Sinne völlig reine Ex-
stirpation nur möglich ist, wenn man den ganzen Augapfel
herausnimmt, innerhalb dessen die Neubildung gleichsam
sequestrirt ist
Die Enucleatio bulbi wurde von Prot v. Graefe in
der gewöhnlichen Weise ausgeführt. Die Heilung erfolgte
ohne jede Störung, so dass der Patient nach wenigen Tagen
lin seine Heimath entlassen werden konnte. Am 1. No-
vember 1868 präsentirte er sich von Neuem, um „seine Freude
über die gelungene Kur auszudrücken." Der vernarbte Gon-
junctivaltrichter wich in Nichts von dem nach der EnucL
bulbi gewöhnlichen Befunde ab. Der allgemeine Gesund-
heitszustand des Mannes erschien vortrefflicL üeber den
weiteren Verlauf muss die Zukunft entscheiden.
Nach massiger Erhärtung des exstirpirten Bulbus ui
Müllefscher Lösung wurde derselbe (am Ve) ^ vertikalen
Meridian durchschnitten. Es stellt sich heraus, dass mit
Ausnahme der unteren grösseren Hälfte der Iris fast alle
Theile des Augapfels ihre Integrität bewahrt haben. Von
der genannten Partie — cf. Fig. 2 — geht eine Geschwulst-
masse aus, welche über zwei Dritttheile der vorderen
289
Kammer füllt, auf dem Durchschnitt eine ovale Schnitt-
fläche von 8™" Höhe, 374°"* Breite besitzt, vom sich
der Hinterfläche der Hornhaut unmittelbar anschmiegt
und mit deren mittlerer Zone leicht verklebt erscheint,
während sowohl die Kuppe als die unterste Partie des
Tumor einen geringen Abstand von der Cornea einhalten.
Auch mit der vorderen Linsenkapsel ist die Hmterfläche
der Geschwulst etwas adhärent, so dass bei vorsichtigen
Trennungsversuchen mit der Präparirnadel reichliche Reste
des hinteren Pigmentbelags auf der Linsenkapsel haften
bleiben. Sehr eigenthünüich ist die Gestaltveränderung, |
welche die Linse, offenbar in Folge des Druckes des nach
hinten wachsenden Neoplasma, erlitten hat, — vergl.
Fig. 2, — sie ist in den unteren zwei Dritttheilen ihrer
vorderen Fläche abgeplattet und am unteren Rande mehr
zugeschärft als am oberen, so dass ihr Durchschnitt einem
Ovoid mit unterer Spitze gleicht.
Die Substanz der Geschwulst ist (nach nunmehr acht-
tägiger Erhärtung in Müller' scher Lösung) gelblich ge-
ßrbt, ziemlich homogen oder doch nur leicht kömig, etwa
von der Consistenz eines normalen Muskels. Die vordere
Begrenzung ihrer Schnittfläche zeigt in ihrer oberen Hälfte
einen schmalen, schwärzlichen Saum von ca. Vs "'*°*' Breite;
schwärzliche Punkte, Striche, Flecke sowie verästelte Zöge
finden sich überall in die gelbe Masse eingesprengt,
besonders nach hinten und unten zu. Die Hinterfläche be-
sitzt einen continuirlichen schwarzen Pigmentbelag. Seit-
lich reicht der Tumor, wie die weitere Zergliedemng lehrt,
unten bis an den Ciliarrand der Iris; weiter nach oben,
etwas unterhalb des horizontalen Diameters, bleibt eine
Randzone der Regenbogenhaut firei.
Der Uebergang der geschwulstartig verdickten Lris in
die normale ist ein ziemlich brüsquer. Vom Pupillarrand
ist über die Hälfte in die Verdickung aufgegangen. Die
Arohiv fQr Ophtlialmologie, XIV. 8. ]^9
/
ifj
290
obere Iris sowie der Giliarkörper oben und unten erschemen
auf dem Durchschnitt völlig normal.
Die mikroskopischeUntersuchung lehrt, dass die Neu-
bildung ein pigmentirtes Spindelzellensarcom dar-
stellt.
Die Elemente der Geschwulst sind zierliche Zellen von
meist kurzspindeliger Form, ca. 0,015— 0,02"»°»- Länge, un-
gefähr halb so grosser Breite, mit sehr zartem, ziemlich
homogenem oder äusserst feinkörnigem Protoplasma, mit
rundlichem oder länglichem, granulirtem, einfach oder doppelt
nucleolirtem Kern von 0,006 — 0,009™™^ Grösse, mit 2 feinen
Ausläufern sich nach beiden Seiten hin fortsetzend. Eem-
körperchen relativ gross, bis 0,002"^, stark glänzend, oft
doppelt in einem Kern. Seltener sind unregelmässige, trigonale^
pfeilspitzähnliche und andere Zell-Fonnen. Femer kommen
— sowohl vereinzelt, wie auch (namentlich in den oberoi
Partien) zahlreicher und dichter angehäuft, — weit grössere
Elemente vor, mächtige Spindelzellen von 0,05— 0,07«^-
(und mehr) Länge, mit sehr langen, bis 0,002""» breiten^
auch verästelten Fortsätzen versehen, deren Kern 0,009 ■™-
misst; 2 und mehr Kerne in einer Zelle sind selten.
Die spindelförmigen Elemente sind immer in grösserer
oder geringerer Anzahl mit ihren Längsachsen annä-
hernd parallel gerichtet, ohne irgend erhebliche Zwischen*
Substanz dicht aneinander gelagert; ein grosser Theil
der zwischen den Zellen vorfiudlichen Fasern ist in die
laugen, verästelten und mitunter eine Anastomose zwi-
schen 2 Zellen vermittelnden Zellenausläufer zu verfolgen.
Im Ganzen istdieStructur eines reinen und typischen
Spindelzellen sarcoms vorherrschend. An einigen Stel-
len kommt es jedoch zu etwas abweichenden Bildern, indem
mehr sternförmige Zellen und deren anastomosirende Aus-
läufer ein enges Netz bilden, in dessen Maschen
andere, z. Th.polyedrische oder rundliche, z. Th. deutlich
spindeliörmige und verästelte Zellen gelagert sind.
201
Bei schwachen Vergrö8serungen tritt deutlich eine
lobuIäreAnordnungdes Ganzen hervor. Grössere oder
kleinere, mehr oder minder rundlich begrenzte Läppchen
— z. B. von 0,2—0,3™"' Diameterund mehr, — besitzen
eine gemeinsame Richtung der Längsachsen ihrer zelli-
gen Elemente, die entweder ziemlich parallel gelagert
oder auch radiär gestellt sind; und grenzen sich somit
mehr oder minder scharf von den benachbarten Läpp
eben ab, jedoch so, dass keine wirklichen Septa existiren
und die verschiedensten Uebergänge stattfinden.
Noch prägnanter wird die lobuläre Textur durch die in
das Spindelzellengewebe eingesprengten, verästelten und
vielfach anastomosirenden Pigmentzüge, deren Breiten-
durcbmesser , Saturationsgrad und Ausläuferzahl ein
wechselnder, in den hinteren Partien der Geschwulst am
grossesten ist.
Ihre Elemente bestehen: 1) Aus kleineren und grösse-
ren gelbbräunlichen Pigmentkörnchen und - Schollen.
2) Aus rundlichen oder unregelmässigen Pigment-
zellen, die denjenigen des hinteren Belags der Iris, sowie
der Ciliarfortsätze i. A. ähnlich sind, eine Grösse von I
0,009— 0,018"°»- (u. mehr) besitzen, aus einem homogenen
Protoplasma mit eingebetteten gröberen, gelbbräunlichen
Pigmentkörnchen bestehen und einen Kern nur selten I
erkennen lassen. Diese Formen prävaliren besonders in '•
den hinteren Partien der Geschwulst.
3) Aus spindeligen und auch verästelten, feinkörnigen
Pigmentzellen, welche den Stromazellen des Uvealtractus
nicht unähnlich sind. Dieselben sind im A. selten, kommen
jedoch einerseits promiscue mit den anderen vor, während
andrerseits in der oberen Hälfte der vorderen Begrenzungs-
fläche, den erwähnten dunklen Saum bildend , zahlreiche zier-
liche pigmentirte Spindelzellen sich vorfinden, durchaus
von dem Bau , Habitus und Grösse der nicht pigmentirten
Elemente, meistens mit einem Kern versehen. Daselbst
292
kommen alle Grade der Pigmentirang und alle lieber-
gangsformen von den farblosen zu den intensivst gefilrb-
ten Spindelzellen vor.
Die pigmentirten Schollen und Zellen, namentlich
die mehr polyedrischen folgen mit Vorliebe dem Ver-
lauf der Blutgefässe, indem sie sich ihrer Wandung
ziemlich dicht anlagern, und je nach deren Verästelun-
gen und Anastomosen vollständige oder unvollständige
Ringe um die kleinen Geschwulstläppchen bilden.
Die Blutgefässe des Tumor sind sehr zahlreich, ein-
zelne von ziemlich beträchtlichen Kaliber (z. B. 0,108™^
Durchmesser.)
Die Hinter fläche der Geschwulst bildet eine der
unveränderten vorderen Linsenkapsel unmittelbar auflie-
gende, meist ziemlich regelmässige, dünne Schicht aas
2 — 3 Lagen polyedrischer Pigmentzellen, welche nur an
einzelnen Stellen zu dickeren, homogenen, schwarzen Klum-
pen aufschwillt und welche in die angrenzenden Partien der
Geschwulst zahlreiche verästelte Pigmentzüge entsendet
Die vordere Fläche entbehrt einer besonderen Be-
grenzungsmembran, resp. eines Epitheliums. Schnitte durch
die seitlich überhängenden Theile der Neubildung, da wo
sie in den Saum normaler Iris übergeht, zeigen, dass
hier an der Hinterfläche des Neoplasma eine kurze
Strecke weit sich eine dünne Lage normalen Irisstroma's
mit den charakteristischen dickwandigen Gefassen in dicht
gedrängter Anordnung und dazwischen liegenden klei-
nen indifferenten Zellen erhalten hat, sodass die Neu-
bildung mehr aus den vorderen Lagen der Iris
hervorgegangen zu sein scheint Der Ciliarkörper,
auch* der untere an die Geschwulst angrenzende Theil
desselben, ebenso wie die nicht verdickte Partie der Iris,
sind auch bei mikroskopischer Untersuchung unverändert.
Aus dem Mitgetheilten ergiebt sich, dass die Ge-
schwulst ein Spindelzellensarcom darstellt.
293
mit ZQgenvoQ pigmentirten, meist rundlich-po-
lyedrischen Elementen besonders längs der
Blutgefässe: ein Befand, wie ihnu. A. Prof. Yirchow
(Vergl. V. Graefe in seinem Arch. XII. 2. 234.) an einer
Geschwulst der unmittelbar an die Iris angrenzenden i
Partie des Uvealtractus, des Corpus ciliare, mitgetheilt I
hat. (Vergl. auch den Fall von Klebs in v. Graefe^s I
Arch. XL 2. 253.)
Es istkeineswegsdie Eigenthümlichkeitder •
histologischen Textur, welche dem vorliegen-
den Fall sein Interesse verleiht, wohl aber die
Besonderheit der Matrix des Neoplasma, der
Iris. Diese wird erfahrungsgemäss nur äusserst selten
der Ausgangspunkt für derartige Neubildungen. /
In den gewöhnlichen Lehrbüchern der Augenheil-
kunde finden sich keine genaueren Mittheilungen über
solche Beobachtungen.*) Von den beiden Fällen von „Mela-
nosis der Iris" (von Stöber u. von Aronsohn), welche
in V. Ammon's Zeitschrift für Medicin, Chirurgie und
Augenheilkunde L 70. u. 639. (anno 1836) mitgetheilt
sind, und welche in den Hand- und Lehrbüchern citirt zu
werden pflegen, möchte vielleicht (?) der erste Weher
gehören; jedoch fehlen die anatomischen Befunde bei bei-\
den vollständig. Prof. v. Graefe erwähnt (in s. Arch. l
I. 1. 414, a. 1854) in Kürze folgenden Fall von melano- \
tischer Geschwulst der Iris: Die Kranke stellte sich \
wegen erheblicher Sehstörung vor Ziemlich weit ge- '
diehene, harte Cataract. Der obere Theil der Iris gegen
<lie Hornhaut gedrängt, der obere Theil der Linse nach
hinten dislocirt, beides bedingt durch eine schwarze
Geschwulst, die von der hinteren Fläche der Iris sich in
deren oberem Theil entwickelt hatte. S. entsprach dem
Grade der Cataract. Nachdem sich die Pupille in ihrem
*) VergL aach Kn ap p. Intraocul. Gefchwthte 1868. p. 176. ^fille
▼on primärem IriBBarcom sind meinem Gedfiehtniss nicht gegen wir tigr.'^
294
unteren Theil durch Atropin erweitert, konnte ein ziem-
lich normaler Reflex vom Augengrunde erbalten werden.
Der Tumor ist während 3 Monate nicht gewachsen. Die
versprochene Mittheiluog über den endlichen Ausgang
des Falles ist unterblieben, wahrscheinlich, weil sich die
Patientin der Beobachtung entzogen hat.
Prot Virchow giebt in seinem Geschwulst werke
(II. 281) keine speciellercn Data; er verlangt „eine ungleich
genauere Untersuchung, als bis jetzt meist ausgeführt
worden ist, um zu entscheiden, wie viel von den Melanosen
der Iris in das Gebiet der Melanosarcome hineingehört''
Dieser Ausspruch möge mir gleichzeitig bei den
Lesern dieser Zeilen zur Entschuldigung dienen, wenn
ich bei der Beschreibung der Zell -Formen-, Grössen und
Gruppirungen im vorliegenden Fall etwas weitschweifiger
zu sein schien.*)
Um noch endlich einige Bemerkungen über die Dif-
ferentialdiagnose zwischen de neinfachen undden
malignen Irisgeschwülsten hier anzuschliessen, so
weit das vorliegende — äusserst dürftige! — Beobachtungs-
material dies ermöglicht: sei es mir verstattet, einen kur-
zen Ueberblick über die bisher beschriebenen
Iristumoren zu gebeji, die ja einerseits bekanntlich zu
den selteneren Geschwulstformen gehören, andererseits
vermöge ihrer von vorn herein dem diagnostischen Blick
zugänglichen, und dabei gleichzeitig vor äusseren Ein-
flüssen, namentlich vor mechanischen Beleidigungen ge-
schützten Lage ein erhöhtes Interesse zu verdienen schei-
nen, während ihre Darstellung in den Lehrbüchern bis-
her eine etwas fragmentarische geblieben ist.
Folgende Geschwuistformen sind in der ßegenbo-
genhaut des menschlichen Auges zur Beobachtung gelangt:
*) Das Präparat habe ich, da es vorläufig ein Unicam darstellt,
Herrn Prof. Virchow für seine Sammlung übergeben.
295
1) Einfache seröse Cysten (Hygroma iridis, Cystus
iridis). Hierüber existiren schon eine Reihe älterer Beob-
achtungen, vergl. M ack e n z i e, Traite pratique des maladies
de Foeil. Paris 1857. II 261. Prof. v. G raefe hat (in seinem
Archiv XII. 2. 228) drei Fälle mitgetheilt; Hulke (Lon-
don Ophthalmie Hospital Reports VI. 13. konnte im
Ganzen 19 Beispiele aus der Literatur sammeln. Die
Hauptcharaktere sind: Annähernd runde Form, Durch-
leuchtbarkeit, mehr oder minder rasches Wachsthum;
endlich fast ausnahmlose Abhängigkeit von einem voraufge-
gangenen Trauma. Die anatomische Untersuchung ist nur
selten gemacht worden. Bowman(Lectures onthe partsetc.
p. 75) leitet die Cystenbildung von einer Flüssigkeitsanhäu-
fung zwischen Irisgewebe und hinterer Epithellage ab; von
Graefe (in seinem Archiv XIL 2. 229) fand in einem
Falle, dass die extrahirte vordere Wand nicht bloss rare-
ficirtes Irisgewebe, sondern auch den seines Pigmeut-
gehaltes grösstentheils beraubten hinteren Epithelbelag
enthielt; und dass es sich um eine einfache, seröse Cyste
mit einem zarten, inneren Epithelialüberzug handle;
Robin's Beschreibung weicht hievon nicht wesentlich ab.
Partielle Buckelbildungder Iris nach Iridocyclitis mitPupil-
larverschluss, wie sie Wecker (Etudesophth. 1. 427) zu den
serösen Cysten rechnet, wird man zweckmässiger vun dieser
Kategorie trennen, da solchen einfach entzündlichen Produc-
ten ein wirklich progressives Wachsthum nicht zukommt.
2) Dermoid, Kystoma dermoides iridis. Prof.
v. Graefe (in seinem Archiv III. 2. 412 und VII. 2. 39) be-
schreibt einen Fall, wo sich bei einem 28jährigen Mann —
ly« Jahr nach einer perforircnden Horuhautverletzungl —
eine weisslich schillernde Cyste der Iris gebildet hatte
(von 272"^* Höhe). Bei der Ablation der vorderen Wand
entleerte sich eine grützähnliche Masse (Epidermis, Fett,
Cholesteariu und Härchen, letztere nicht von dem Cha-
rakter der Wimpern, sondern kurze steife Öorsteu.) Später
296
erfolgte Wiederbildung der Cyste, Ulceration der Horn-
haut und wahrscheinlich spontane Obliteration des Sackes.
Es dQrfte sich nicht empfehlen, wie es in den Lehrbflchem
meist geschieht, diese Form mit der vorhergehenden in
eine Kategorie zusammen zu werfen.
3) Teleangiektasie, A n g i o m a i r i d i s, ist jeden&lls sehr
selten. Mooren (Ophthalmiatrische Beobachtungen 1867.
p. 125) berichtet über einen interessanten Fall, der schliess-
lich zum Verlust des Auges führte. Anatomische Unter-
suchungen liegen nicht vor. (cf. Vi rcho w Onkol. III 403.)*)
4) Melanomasimpl. iridis, v. 6raefe(in s. Archiv
VII. 2. 35) schildert eine angeborene, vollkommen sta-
tionäre Pigmentgeschwulst bei einem 15jährigen Mäd-
chen, die sich durch ihre Form und grössere Dicken-
dimension von den Naevi pigmentati unterschied; eine
schwärzliche Masse von 1 resp. IV2'" Diameter, die von
dem unteren Pupillarrand ausgegangen zu sein schien
und nach vorn zu die hintere Hornhautwand fast berührte.
Einen andern Fall sowie die Histologie der Pigmentflecke
der Iris giebt Knapp, tntraoc. Geschwülste. 1868. p 220.
5) Eine Fettgeschwulst, Limpoma i., beschreibt
Mooren (Ophthalm, Beobachtg. p. 129.)
6) Zweifelhaft ist der Furunkel der Iris (Fumari).
7) Granulationsgeschwulst, Granuloma sim-
ples iridis.
Es ist merkwürdig, dass diese interessante Geschwulst-
form sich in den Lehrbüchern noch kein Bürgerrecht hat
erringen können, obwohl schon Lincke (a. 1834) in sei-
nem Tractatus de Fungo meduUari Oculi, ein sehr kla-
res Bild derselben entworfen und die hieher gehörigen
Beispiele aus der älteren Literatur gesammelt, und obwohl
*) Saanders (A treatise on some practical points relating to the
diseases of the eye. London 1816. p. 58) berichtet von einer Geschwulst
der Iris, die wohl ein Granaloma angiektodes gewesen sein mag,
und jeden falls dem Mooren'sohen Fall nicht nnfihnlich war.
297
Y. G raefe zwei Fälle dieser Art, nebst den Resultaten der
anatomischen Untersuchung ausführlicher mitgetheilt bat.
Ersterer berichtet in dem fünften Capitel seiner Mono-
graphie „de Fungo medullari (?) iridis/' über eine par-
tielle Verdickung der Begenbogenhaut, die anfänglich aus-
sehe wie coagulirte Lymphe (sc. weisslich), sich dann vasku-
larisire, in ihrem weiteren Wachsthum die PupiUe verlege,
die vordere Kammer erfülle, sehr lange (bis 6 Jahre)
stationär bleiben könne, schliesslich die Hornhaut durch-
breche und „fungös" hervorwuchore, aber constant (sei
es spontan, sei es nach chirurgischen Eingriffen , wie Abkap-
pung, Kauterisation u. s. w.) zu dauernder Atrophie
des Bulbus führe. „Hi iridis tumores ex vitio locali
enati solitariam quasi vitam degunt et, ubi certum fas-
tigium sunt assecuti, denique emoriuntur. Putaverim
equidem huius modi fungos ex vasorum iridis corporisque
ciliaris amplificatione una cum nimia telae cellulosae
vegetatione proficisci :" — also, in unsere heutige Sprache
übersetzt, die betreffenden Geschwülste entstehen aus
einer Hyperplasie des bindegewebigen Stroma der Iris
so wie ihrer Gefässe. Prof. v, G raefe (i. s. Archiv VIL2. 35)
beschreibt einen hieher gehörigen Fall bei einem Kinde, wo,
unter massigen Reizsymptomen, dem Gewebe der Iris nach
der Schläfenseite zu einsitzend, sich eine schmutzig-
gelbe, nahezu halbkugelige Geschwulst fand, die mit
ihrem Scheitel die Hornhaut fast berührte und mit fetzig
zerfallenen Partikeln bedeckt war. Langsam, aber unauf-
haltsam wuchs die Geschwulst, perforirte die Hornhaut
und kam mit schwammigen, an der Oberfläche einen spär-
lichen, dünnen Eiter absondernden Buckeln zu Tage. In
einem abgetragenen Stück fandProf. Virchow Granula-
tionsgewebe, hie und da mit massenhafter Verfettung und
Myeloplaxen; Billroth fand bei einer späteren Unter-
suchung eines kleinen Stückchens dieselben Elemente.
Unter leichten Toucbiren mit Cuprum sulfuricum und
298
Drackverband trat Heilung durch Aasgang in Phtlüsis
bulbi ein. In dem zweiten FaUe (d. Archiv XIL 2.
p. 231.) machte Pro! v. Graefe die Enucleatio balbL
Knapp (IntraocuL Geschwülste p. 221) spricht haupt-
sächlich von den traumatischen Granulomen, die nach
Homhautperforationen entstehen, und die von den spon-
tanen wohl zu unterscheiden sind.
8) Das Granuloma specificum (syphiliticum)
iridis [Gumma, Condyloma, Syphiloma iridis] ist
hinlänglich bekannt In histologischer Beziehung (cf. A.
Graefe und Colberg,v,Graefe's Archiv VIII. 1. 288)
sind diese kleinen Knötchen mit der vorigen Kategorie
identisch; die Uebereinstimmung wächst noch dadurch,
dass das „Granuloma simplex'* vielleicht auch ätiologische
Beziehungen zur Lues anerkannt Aber vom praktischen
Standpunkt aus empfiehlt es sich, diese kleinen, leicht
zur Regression zu bringenden, entzündlichen Hyperpla-
sien von jenen doch zunächst ohne Entzündungsphaenome
enstehenden progressiven sowie leicht zur Phthisis bulbi
führenden Formen zu unterscheiden.
8) Sarcoma iridis.
A. Die ungefärbte mit Riesenzellen versehene
Geschwulst, die Virchow (Onkol. IL 284. und 336)
mittheilt, ist die nämliche, von der oben als Granuloma
Simplex gehandelt wurde.
B. Melanosarcoma iridis. Hieher gehört unser Fall.
Die wichtigste Frage in klinischer Hinsicht ist die nach
der Differentialdiagnose zwischen einfachen und
sarcomatösen Irisgeschwülsten: eine Frage, deren
Lösung bei der geringen Zahl der vorliegenden Beobach-
tungen wohl nicht immer eine ganz einfache sein wird.
Bemerkenswerth erscheint, dass
1) Die Fälle einfocher Irisgeschwülste, sowohl die
299
von Lincke gesammelten, soweit dieselben wirklich als hie-
her gehörig zu betrachten sind, als auch die beiden von
Prot V. Graefe, nur Kinder betreffen, im Alter von 1—12
Jahren; während die oben citirten drei Falle maligner
Iristumoren so wie der unsrige bei Erwachsenen beobach-
tet wurden;
2) dass die ersteren ein helles, gelb weisses, an der
Oberfläche fetziges Aussehen und mitunter eine reiche
Vaskularisation zeigen, während letztere eine dunklere
Farbe und glatte Oberfläche besitzen.
Erklärung der Figuren.
Fiy« 1. Anaieht des Auges mit Iristuxnor von] Torn, vor der Enu-
fMi^ SI cleatio bolbi.
Vig» 2. Ansicht des Yertikalsohnittes des enucleiiten Anges.
Zur Kennfaiiss der Impiflgnatioiismethodeii
der Hornhaut und ähnlicher Gtowebee
Von
Dr. TL Leber.
Im Nachfolgenden sollen einige Methoden mitgetheilt
werden, mit deren Hülfe es sehr leicht gelingt, verschie-
denartige extracelluläre Niederschläge, ähnlich den be-
kannten Silberbildern, in der Hornhaut zu erzeugen und
wodurch man Präparate erhalten kann, welche vor letz-
teren in mehreren Punkten den Vorzug verdienen. —
Bekanntlich stellt sich die Structur der Hornhaut und
ähnlicher Gewebe durch Imprägnation mit metallischen
Niederschlägen auf zwei verschiedene Arten dar: ent-
weder erhalten wir ein Netz von ungefärbt blei-
benden Parthien auf dunkelem Grunde, das man
nach dem Vorgang v. Becklinghausen's als Aus-
druck eines anastomosirenden Eanalsystems zu betrachten
pflegt; oder es treten den vorigen ähnliche, aber dunkle
Zeichnungen auf hellem Grunde auf, welche durch
Niederschläge in das Innere jener Kanäle und die in
denselben befindUchen zelligen Gebilde hervorgebracht
werden.
301
Erstere Bilder, die aaf extracellalären Niederschlä-
gen beruhen, will ich der Kürze halber als negative,
letztere, durch intracelluläre Niederschläge bedingte, da-
gegen als positive Bilder bezeichnen. Auf erstere be-
ziehen sich vorzugsweise die folgenden Mittheilungen.
Mittelst Silberlösungen lassen sich bekanntlich von
der Hornhaut, je nach der angewandten Methode, sowohl
negative als positive Bilder erhalten. Die C o h n h e i mische
Goldmethode liefert dagegen, wie man weiss, nur positive
Bilder, und nur ausnahmsweise, unter bis jetzt nicht
controUirbaren Bedingungen erhält man stellenweise eine
negative Färbung. Für die durch Gold- und Silber-
lösungen oder ähnliche Methoden hervorgebrachten intra-
cellulären Niederschläge steht jetzt wohl fest, dass sie
der stärker reducirenden Wirkung der Zellsubstanz auf
die Lösungen der leicht reducirbaren Metalle ihre Ent-
stehung verdanken, und nicht etwa dem Umstände, dass
sie in hohlen, mit Flüssigkeit gefüllten Kanälchen ent-
stehen, wie V. Recklinghausen in seiner ersten Mit-
theilung annahm.'") Gegen letztere Annahme spricht
schon der Umstand, dass bei Anwendung von Silber-
lösungen, wie His""*) später fand, unabhängig von der
Concentration^ zuerst immer in der Grundsubstanz ein
Niederschlag auftritt und erst später, unter gewissen
Bedingungen, im Innern der Körperchen. Es löst sich
nämlich der extracelluläre Niederschlag in der die Hörn
haut durchtränkenden Flüssigkeit wieder auf, wenn er
nicht in zu grosser Menge vorhanden ist, um sich dann
erst aufs Neue in den Körperchen niederzuschlagen. Für
die Annahme einer reducirenden Wirkung der Zellen
*) y. Eecklingh aasen, eine Methode, microscopiseh bohle und
solide GeSilde su unterscheiden. Virch. Arch. XIX. p. 451.
^) His, über die Einwirkung von Arg. nitrio. auf die Hornhaut.
Schweiz. Zeitschr. f. HeiUL. Bd. II, 1. 2. 1S6S.
302
spricht die Nothwendigkeit der Einwirkung des Lidites,
die Länge der Zeit, welche zar Hervorrufang der F&r-
bong DOth wendig ist, die analoge Färbung der Nerven
und der Vergleich mit der Wirkung der Osmiumsäure
auf letztere. Es kann demnach auch aus der Färbung
oder Nichtfärbung gewisser Gewebsbestandtheile durch
Niederschläge an und für sich weder ein Hohl- noch ein
Solidesein derselben gefolgert werden. Auch die körnige
oder gleichmässige Beschaffenheit der Fällung macht
hierin keinen Unterschied, da man kömige Niederschläge
nicht nur in den Zellen, sondern auch in der Grund-
substanz erhalten kann.
Auf anderem Wege erhielt v, Wittich*) Nieder-
schläge in dem Lückensystem der Hornhaut (und in dem
der Sehnen) nämlich durch linbibition mit reducirtem
Indigo, wobei sich Indigokörnchen in den Kanälchen
niederschlugen; auch mittelst chromsauren Blei's will er
ähnliche Präparate erhalten haben.
Während nun zur Production positiver Färbungen
der Hornhautkörperchen (und Nerven) die Goldmethode
vor der Versilberung bei weitem den Vorzug verdient,
hat bis jetzt zur Erzeugung negativer Bilder neben der
Silbermethode kein anderes Verfahren allgemeinen Ein-
gang gefunden. Es fehlt jedoch nicht an Angaben, dass
auch andere metallische Mittel die Silberlösung zu dem
gedachten Zwecke ersetzen können. Schon in seinem
ersten Aufsatze**) bemerkte His, dass er durch Appli-
cation von krystallinischem Bleizucker oder starker Blei-
essiglösung auf frische Hornhäute hübsche extracelluläre
Abscheidungen erhielt. Ferner wurde vor einigen Jahren
♦) ▼. Wittioh, Bindegewebs-, Fett* unb PigmentzeUen. Yircliow's
ArohiT IX. p. 185.
**) His, über das Verhalten des Salpetersäuren Silberoxyds zu thie-
riseben Gewebsbestandtbexlen. Virchow's Arobiy XX p. 1^7.
303
von L. Landois*) in einer vorläufigen Mittheilang zu
dem gleichen Zwecke die Imprägnation der Gewebe mit
Schwefelmetallen empfohlen. Ueber die Details der
Methode wird uns indessen Nichts mitgetheilt, und es
lässt sich aus der kurzen Notiz nicht einmal entnehmen,
ob die erhaltenen Niederschläge intra- oder extracelluläre
waren. Eine ausführlichere Mittheilung des Verfassers
über diesen Gegenstand habe ich in den mir zugäng-
lichen Zeitschriften vergeblich gesucht v. Reckling-
hause n'*'*) konnte dagegen mit chromsaurem Bleioxyd,
Berliner Blau und Carmin keine Präparate erhalten,
welche die Schärfe der Silberbilder erreichten. Eine
Mittheilung meiner eigenen Versuche mag demnach ge-
rechtfertigt erscheinen, um so mehr, als dieselben auch
einigen Aufschluss über die Bedingungen der Entstehung
extracellulärer Niederschläge im Allgemeinen geben können.
Was die negativen Silberbilder betriflt, so scheint
CS sich dabei nur um eine Fällung des Silbersalpeters
durch die Chlorverbindungen zu handeln, welche in der
die Hornhautgrundsubstanz durchtränkenden Flüssigkeit
enthalten sind, mit nachfolgender Schwärzung des ent-
standenen Chlorsilbers unter dem Einflüsse des Lichts.
Das Freibleiben der Körperchen von der Fällung kann
alsdann nur darauf beruhen, dass die Silberlösung im
Anfang gar nicht ins Innere der Kanälchen gelangt, da
die Körperchen gleichfalls, wie schon die positiven Silber-
bilder beweisen, durch Silberlösungen fällbare Verbin-
dungen enthalten. His hat, entgegen seiner früheren
Meinung, dass der Niederschlag in der Grundsubstanz
wesentlich aus Silberalbuminat bestehe, später den Nach-
*) L. Landoia, über die Imprägoatioii der Gewebe mit Schwefel-
metaUen. VorL Mittb. CentralbL f. d. med. Wias. 1865. Nr. 55.
**) T. ReoklinghauBen, die Lymph^fasse in ibrer Beiiebung
zum Bindegewebe. S. 14.
_304_
weis geliefert, dass es sich um Chlorsilber handelt*)
Von Silberalbuminat unterscheidet er sich durch einige
Beactionen, namentlich die Uniöslichkeit in Essigsaure
und verdünnter Salpetersäure; auch ist die Grundsub-
stanz der Hornhaut ausserordentlich arm an Albumin.
Von einer Chondrinverbindung kann nach His desshalb
nicht die Rede sein, weil Chondrin mit Silber keine Ver-
bindung eingeht; auch trübt sich eine mit destillirtem
Wasser ausgewaschene Hornhaut nach His durch Silber-
lösungen nicht mehr.
Mit dieser His' sehen Erklärung stimmt auch die
Thatsache überein, dass Goldchlorid, wenigstens für ge-
wöhnlich, keine negativen Bilder liefert, weil es durch
die in der Hornhaut enthaltenen Salzlösungen keine
Fällung erleidet.
Man sollte nun erwarten, dass man auch mit anderen
Niederschlägen den negativen Silberbildern ähnliche
Präparate erhalten könnte, indem man successive das
Gewebe mit zwei Lösungen sich durchtränken lässt,
welche zusammen einen Niederschlag geben, ähnlich wie
dies von Landois zur Imprägnation mit Schwefel-
metallen angegeben wurde. Und in der That kann man
auch unter den gehörigen Cautelen mit einer ganzen
Reihe von Niederschlägen derartige Präparate herstellen.
Ich habe eine Anzahl derselben durchprobirt und ge-
funden, dass sehr viele sich ganz ähnlich zu thierischen
Geweben verhalten, wie das entstehende Chlorsilber.
Eisen , Blei , Kupfersalze etc., theils in neutraler, theils in
schwach alkalischer Lösung (wo sie dergestalt erhalten
werden können) liefern nicht nur mit Schwefelwasserstoff
oder Schwefelammonium, sondern auch durch verschiedene
andere Mittel niedergeschlagen, den Silberbildern ganz
*) His, über die Einwirkung Ton Argent. nitric auf die Hörn-
haut. Sobweijs. Zeitschr. f. Heilkunde. Bd. H. 1. 2. 186S.
305
ähnliche Präparate. Bei der Mannigfaltigkeit der mög-
lichen Niederschläge konnte es nicht meine Absicht sein,
alle erdenklichen Gombinationen zu versuchen, sondern
ich begnügte mich damit, einige Verfahrungsweisen aus-
zuprobiren, welche für die Hornhaut brauchbare Prä-
parate liefern, und suchte dabei die Bedingungen für ein
möglichst vollkommenes Gelingen der Imprägnation im
Allgemeinen zu ermitteln. Die folgenden Angaben be-
ziehen sich zunächst nur auf die Hornhaut des Frosches,
welche mir als Versuchsobject diente, indessen habe ich
mich überzeugt, dass auch die Hornhäute anderer Thiere
sich in dieser Beziehung ziemlich gleich verhalten, und
dass man auch von anderen flächenhaften Organen, die
V. Recklinghausen' sehen Saftkanälchenbilder erhalten
kann. In letzterer Beziehung ist es mir indessen noch
nicht gelungen, ein vollkommen geeignetes Verfahren
aufzufinden, und meine Zeit erlaubt mir leider nicht,
mich allzuweit auf diesen mir etwas ferner liegenden
Gegenstand einzulassen.
Ich bemerke nur noch, dass auch die Contouren der
Epithelzellen sich bei den im Folgenden angegebenen Ver-
fahren ganz ebenso dunkel förben, wie bei der Versilberung.
Beim Durchprobiren verschiedener Niederschläge fiel
mir sehr auf, dass einige derselben mit der grössten
Leichtigkeit Präparate von vorzüglicher Schärfe und
Deutlichkeit lieferten, so z. B. das sog. TurbulPs Blau
(Ferridcyaneisen) und aus schwach alkalischer Lösung
niedergeschlagenes Ferrocyankupfer, während andere,
diesen sehr nahe stehende Niederschläge bei den anfäng-
lichen Versuchen immer nur eine ganz diffuse Färbung
des Gewebes hervorbrachten, so das gewöhnliche Berliner
Blau (Ferrocyaneisen) und Ferrocyankupfer aus neutraler
Lösung gefällt Auch v. Recklinghausen erhielt, wie
schon oben angeführt wurde, mit Berliner Blau (ver-
muthlich Ferrocyaneisen) keine brauchbaren Präparate.
Archiv für OpbthAlmologie, XIV. 3. 20
306
Diese Verschiedenheiten scheinen, wie ich aus zahl-
reichen Versuchen schliessen muss, wenigstens der Haupt-
sache nach auf Nebenumständen zu beruhen, und nament-
lich auf dem Verhalten des Epithels in der angewandten
Flüssigkeit. Einige Lösungen machen dasselbe schrum-
pfen und fest an der Oberfläche des Gewebes anhaften,
wodurch das Eindringen der Flüssigkeit in das Gewebe
selbst erheblich erschwert wird; die zur Entfernung des
Epithels angewandten Manipulationen verursachen als-
dann leicht ein Eindringen der Flüssigkeit in das Lücken-
system oder das Innere der Zellen, während doch die
Methode gerade darauf beruht, dass die Flüssigkeit in
das Innere der Kanälchen nicht eindringt Auch von der
Silbermethode her ist ja bekannt, dass möglichstes Ver-
meiden von Druck oder Zug an dem Gewebe zum Ge-
lingen unerlässlich ist Andere Lösungen dagegen,
namentlich die schwach alkalischen, lockern die Epithe-
lien, wodurch die Einwirkung auf das Gewebe befördert
und die Entfernung des Epithels, wo es nöthig ist, durch
ein unschädliches Abpinseln oder sanftes Streichen niit
dem Messerrücken ermöglicht wird.
Wenn sich das Epithel leicht entfernen lässt, so ist
dies für die Gleichmässigkeit und Sauberkeit der Prä-
parate vortheilhaft; wo nicht, so muss dasselbe sitzen
bleiben, bis der Niederschlag erfolgt ist und erst nach-
träglich beseitigt werden. In diesem Falle ist natürlich
ein längeres Einwirken der Flüssigkeiten nothwendig,
um durch das Epithel hindurchzudringen. Mit Berück-
sichtigung dieses Umstandes ist es mir gelungen, auch
mit solchen Niederschlägen zum Ziele zu gelangen, welche
früher immer nur diffuse Färbungen lieferten, namentlich
auch mit den beiden oben erwähnten Fällungen, wenn
auch die Präparate nicht so vollkommen waren, dass ich
sie als Methode empfehlen wollte.
Man lege die frische Hornhaut eines Frosches einige
307
Minuten in eine V« — IVo Lösung eines Eisenoxydulsalzes,
entferne alsdann vorsichtig das Epithel, das in der Re^el
sich sehr leicht abstreifen lässt, bringe die Hornhaut
noch kurze Zeit in die Flüssigkeit zurück, so dass sie
im Ganzen nur ca. 5 Minuten darin gelegen hat; spüle
sie durch momentanes Eintauchen in Wasser ab und
bringe sie sofort in eine P/o Lösung von Ferridcyan-
kalium, wo sie mit der Pincette so lange hin und her
geschwenkt wird, bis sie eine intensive und gleich-
massige blaue Färbung angenommen hat, was schon nach
wenigen Augenblicken geschieht Das Präparat ist nun
fertig, und muss nur noch zur Entfernung der über-
schüssigen Salzlösung kurze Zeit mit Wasser ausge-
waschen werden.
Wenn man sorgfältig verfahren ist, so erhält man über
die ganze Vorder- und Hinterfläche der Hornhaut eine inten-
sive Färbung der Grundsubstanz mit völlig freibleibenden
Kanälchen und gröberen Nerven Verzweigungen; etwa sitzen
gebliebene Epithelzellen pflegen in ihren Umrissen dunkel
geftrbt zu sein. Hat man bei der Entfernung des Epithels
zu viel Druck angewandt, so wird die Imprägnation an
der Vorderfläche häufig diffus, allein selbst dann wird
man ein theilweises Gelingen, namentlich an der Hinter-
fläche kaum je veiinissen, so dass ich kein sichereres
und rascheres Verfahren zur sofortigen Dar-
stellung und dauerhaften Fixirung des Eanal-
systems der Hornhaut in seiner ganzen Zier-
lichkeit und Schönheit kenne, als das soeben
beschriebene. Namentlich hat man nicht, wie bei der
Versilberungsmethode zum sichern Gelingen nöthig, das
Epithel vorher durch warme Wasserdämpfe zu entfernen,
was immer umständlich und zeitraubend ist, sondern
dasselbe lockert sich schon hinlänglich durch die Wir-
kung der Eisenoxydullösung. Dies gilt jedoch nicht, wie
ich beiläufig bemerken will, für das viel fester haftende
20*
308
Epithel der Nickhaut des Frosches, weshalb ich auch
hier mit dieser Methode nicht recht zum Ziel gelangte.
Die Wirkung der Imprägnation erstreckt sich übri-
gens nicht, wie bei den extracellulären Silberniederschlä-
gen, nor auf die oberflächlichste Schicht, sondern es
lassen sich immer zwei oder mehrere übereinander lie-
gende gefärbte Schichten erkennen, so dass häufig die
Froschhornhaut in ihrer ganzen Dicke imprägnirt zu sein
scheint. Es fallt daher bei dieser Methode der Ein-
wand weg, welchen einige Autoren noch immer gegen
die negative Silberimprägnation erheben, als handle es
sich dabei ausschliesslich um zufällige Niederschläge an
der Oberfläche des Gewebes. Dass letztere bei Anwen-
dung von Silberlösungen vorkommen können, wird von
Niemanden bezweifelt, ja es ist bekannt, dass solche
Niederschläge ähnliche Bilder erzeugen können, wie die-
jenigen, welche von der Structur der Hornhaut abhängig
sind. Trotzdem sind aber letztere bei nur einiger Uebung
nicht mit ersteren zu verwechseln, und ich glaube, dass
die oben beschriebene Methode dazu dienen kann, jeden
Zweifel in dieser Beziehung zu beseitigen, ünregel-
massige Niederschläge an der Oberfläche des Gewebes
kommen nämlich dabei gar nicht vor, wenn man die
Hornhaut vor dem Eintauchen in die zweite Flüssigkeit
gehörig abgespült hat und das Uebereinanderliegen meh-
rerer Schichten von Kanälchen beweist zur Evidenz, dass
die dargestellten Zeichnungen wirklich dem Gewebe
selbst angehören. Letzteres geht auch sofort daraus
hervor, dass überall im Innern der Kanälchen die Kerne
der Hornhautkörperchen mit der grössten Deutlichkeit
sichtbar sind, und genau dieselben unregelmässigen und
wechselnden Formen zeigen, wie man sie auch an der
frischen Hornhaut sieht. Es scheint daraus hervor-
zugehen, dass die Hornhaut durch die Einwirkung der
angewandten Reagentien keine erhebliche Veränderung
309
erlitten hat, wie denn auch weder ein merkliches Auf-
quellen, noch ein Schrumpfen, noch ein Verlust der
Durchsichtigkeit an ihr wahrnehmbar ist
Auch bei umgekehrter Reihenfolge der Anwendung
beider Lösungen, gelingt die Imprägnation, doch schien
mir das oben empfohlene Verfahren das zweckmässigere.
Ein etwas längeres Verweilen der Hornhaut in der Eisen-
oxjdullösung schadet nicht viel, wenn es nicht Stunden
lang andauert; nach einer halben Stunde waren die er-
halteneu Präparate noch ziemlich scharf und deutlich;
selbst nach zwölfstöndiger Einwirkung des Eisensalzes
erhielt ich noch stellenweise ungefärbt gebliebene Eör-
perchen, doch im Allgemeinen eine ziemlich diffuse Fär-
bung. Ganz frische Hornhäute zu verwenden, ist nicht
absolut noth wendig, doch gelingt die Imprägnation bei
diesen sicherer und besser.
Ein weiterer Vorzug der beschriebenen Methode
besteht darin, dass die imprägnirte Hornhaut noch sehr
leicht die Anwendung anderer Tinctionsmittel erfahren
kann, so von Garmin, Fuchsin, Jodlösung etc., was bei
negativen Silberpräparaten nur schwer gelingt. Dagegen
ist es mir nicht gelungen, nachträglich noch die Gold-
methode anzuwenden; die sternförmigen Zellen färbten
sich dabei nur sehr unvollkommen und die blaue Fär-
bung der Grundsubstanz fing nach und nach an zu ver-
blassen. Es gelingt femer sehr leicht, von einer mit
Berliner Blau imprägnirten Hornhaut (wenigstens beim
Frosch) sehr dünne Lamellen abzuspalten, bloss durch
vorsichtiges Abschaben mit einem nicht zu scharfen
Scalpell; dasselbe findet übrigens statt auch nach Ein-
wirkung verschiedener anderer Metalllösungen, und unter
diesen auch des Goldchlorids. Die auf diese Weise iso-
lirten Hornhautlamellen können mit Leichtigkeit so dünn
erhalten werden, dass sie nur eine einzige Lage von
Homhautkörperchen enthalten. Sie zeigen (am deut-
310
liebsten nach Einwirkung von verdünnten Eisenchiorid-
lösungen) eine sehr feine und dichte parallele Streifong,
welche man bekanntlich auch mit versehiedenen anderen
Mitteln erhalten kann, und die der Zusammensetzung
der Lamellen aus feinen parallelen Fasern entspricht,
wie dies unter Anderen auch von Henle und neuerdings
von Engel mann angenommen wird. Durch Zerzupfen
mit Nadeln nehmen diese Lamellen am Rande ein aus-
gefranztes Aussehen an, es ist mir aber auf mechani-
schem Wege eine wirkliche Isolirung der Fibrillen nicht
gelungen; chemische Mittel luAe ich nicht versucht.*)
Ganz dieselben Resultate erhält man durch F&Uung
einer 27o Lösung von schwefelsaurem Kupferoxyd-
ammoniak, welche einen geringen Ueberschuss von Am-
moniak enthält, durch eine 57o Lösung von Kalium-
eisencyanfir, wobei das Verfiahren mutatis mutandis ganz
dasselbe bleibt Die angegebenen Conoentrationen schie-
nen mir die besten, doch scheint es auf kleine Unter-
schiede derselben nicht besonders viel anzukommen. Die
Farbe des Niederschlags ist die bekannte braunrothe des
Ferrocyankupfers. Will man gelbe Färbungen hervor-
rufen, so dienen dazu schwache Lösungen von Bleizucker
(c. 17o) durch chromsaures Kali von derselben Concen-
tration niedergeschlagen. Hier scheint es aber besser,
das Epithel bis nach der Einwirkung der zweiten Lösung
sitzen zu lassen und erst nachträglich zu entfernen, wo-
bei natQrtich die Lösungen etwas längere Zeit einwirken
massen. Dasselbe gilt fflr Schwefelblei, niedergeschlagen
aus Bleizuckerlösung durch Schwefelammooium (Landois),
*) loh bemerke beüSnfig, dass beim Huhn und der Tanbe die
iMerige Strnctar der Homhaatgmadsabttana schon in gans friechem
Znstand nachweisbar ist, indem hier die Fibrillen sich durch einfaehes
Zerzupfen mit Nadeln sehr leicht isolben lassen. Ich wurde auf dieses
Verhalten zufiQlig aufmerksam, kann aber nieht angeben, ob es sieh
bei anderen Vögeln und anderen Thierklassen gleiehfalls findet.
311
was eine bräunlich schwarze Färbung liefert. Man
verdünnt beide Lösungen so lange, bis sie im Rea*
genzglas gemischt keinen wirklichen Niederschlag, son-
dern nur eine dunkle Färbung liefern; ich habe auch
hiermit Präparate von sehr grosser Schärfe erhalten. Auch
die oben empfohlenen Eisenoxydul- und alkalischen Kup-
ferlösungen geben mit Schwefelammonium ähnliche Fällun-
gen, erstere von leicht grünlich schwarzem, letztere von
mehr röthlich braunem Ton. Ich kann demnach die Anga-
ben von Landois im Allgemeinen bestätigen und erweitern,
ziehe aber die zuerst angegebene Methode mittelst Tum-
buirs Blau allen anderen vor. Man hat auch bei dieser
Methode kein Nachdunkeln der Präparate zu befürchten,
wie bei den auf Reduction beruhenden Verfohrungsweisen,
dagegen hat bekanntlich das Berliner Blau die unange-
nehme Eigenschaft sich allmählig zu entfärben; für Prä-
parate, die man aufbewahren will, wären daher vielleicht
die Schwefelmetalle oder ein anderer der oben angege-
beneu Niederschläge vorzuziehen.
Ich habe schon oben erwähnt, dass Eisenchlorid und neu-
trale Kupferlösungen sich mir wenig geeignet zeigten, und
überhaupt nur dann bei Betrachtung der Froschhornhaut
in toto etwas anderes als diffuse Färbungen lieferten,
wenn das Epithel anfangs sitzen gelassen wurde. Ich
glaube übrigens, dass auch mit diesen Lösungen,
wenn man es der Mühe werth halten sollte, sich geeig-
nete Verfahren würden ausfindig machen lassen. Dass
die Ursache des Misslingens hauptsächlich am Eindrin-
gen der Metalllösung in die Körperchen beim Entfernen des
Epithels gelegen ist, scheint mir daraus hervorzugehen,
dass wenn man nach der Imprägnation einzelne Lamellen von
der Hirnhaut abspaltet, diese sich zwar schwach aber ziem-
lich gleichmässig ge&rbt zeigen. An Kupferpräparaten er-
kennt man, wenn das Epithel vor der Einwirkung des
Kaliumeisencyanürs entfernt wurde, überhaupt Nichts von
312
Hornhautkörperchen, bei den Eisenchloridpräparaten dage-
gen zeigen die abgespaltenen Lamellen, wo die Hornhaut in
toto gleichmässig gefärbt erscheint» das System der Hör-
hautkörperchen in einer von der gewöhnlichen abwei-
chenden Weise. In der schwach blau gefärbten Grand-
substanz, welche ganz exquisit ihre fibrilläre Structur
erkennen lässt, treten die Kanälchen wie gewöhnlich als
hellere Lücken hervor; dagegen sind wiederum in ihrem
inneren blaugefärbt die Kerne der Homhautkörperchen
und eine dieselben umgebende, unregelmässig coagulirt
aussehende Substanz, welche sich auch stellenweise bis
in die Ausläufer hineinerstreckt Es macht den Eindruck,
als ob die Substanz des Hornhautkörperchens durch die
Einwirkung des Reagens coaguhrt und zu einer unförm-
lichen Masse geschrumpft wäre, wodurch jetzt der grösste
Theil der früher von ihm eingenommenen Lücke leer
geworden sei. Diese Bilder unterscheiden sich wesent-
lich von den früher beschriebenen, wo der Inhalt der
Kanälchen vollständig ungefärbt bleibt und man über-
haupt im Inneren derselben zunächst von Zellsubstanz
nichts wahrnimmt, sondern nur die Kerne. Da hier die
Reagentien nicht ins Innere der Kanälchen eindringen,
so ist auch begreiflich, dass sie auf die in denselben ent-
haltenen Zellen keine Einwirkung ausüben werden.
Es fragt sich nun, ob sich aus den beschriebenen
Beobachtungen einige Folgerungen über die Structur der
Hornhaut ziehen lassen. Zunächst möchte ich hervor-
heben, dass der Unterschied des Durchmessers der Ele-
mente des Netzes bei gelungenen Goldpräparaten und
bei den nach obigen Methoden erhaltenen extracellulären
Niederschlägen, ein sehr geringer ist, während bei nega*
tiven Silberbildem die Kanälchen, wohl durch Schrum-
pfung der Grundsubstanz, oft eine erhebliche Weite be-
sitzen. Bei meinen Präparaten stellt sich der Unterschied
der Weite kaum grösser dar als man ihn erwarten muss
313
zwischen zwei einander einschliessenden Gebilden, selbst
bei ziemlich inniger Berührung. Am leichtesten würde
man begreiflicher Weise hierüber urtheilen, wenn es
gelänge ein Präparat mit extracellulärer Imprägnation
noch nachträglich zu vergolden. Dies ist mir jedoch
nicht gelungen, dagegen kann man durch Tinction mit
Jodlösung, auch durch Lösungen von chromsaurem Kali,
weniger gut durch Carmin, die Zellen, ohne erheb-
liche Schrumpfung, im Inneren der farblos gebliebe-
nen Lücken zur Anschauung bringen. Während ohne
diese Mittel nur die Kerne sichtbar sind, sieht man
z. 6. nachAnwendung von Jodlösung die Zelle als eine fein-
kömige, schwach gelblich gefärbte Masse, welche mit
ihrem Körper der Wandung der Lücke ziemlich dicht
anliegt, während sie in den Ausläufern oft nur den cen-
tralen Theil einzunehmen scheint, so dass zwischen den
Ausläufern der Zellen und den Wandungen der Kanäl-
chen freie Zwischenräume auftreten. Doch sind die
Gonturen der Zellen immer nur schwach angedeutet, auch
lässt sich natürlich nicht bestimmen, ob die Jodlösung
nicht eine Schrumpfung der zarten Zellenfortsätze zu
Stande bringt. Jedenfalls scheint mir aber, dass im frischen
Zustand die sternförmigen Zellen die Lücken zum gröss-
ten Theil ausfüllen, wesshalb wir auch wohl an der frischen
Hornhaut nur einen einzigen Contour, nämlich den der Kör-
perchen wahrnehmen und nicht noch einen davon getrennten,
der der Wand der Lücke entspricht Die Injectionsiahigkeit
der sternförmigen Bäume spricht nicht dagegen, da die Ka-
näleben, wie bekannt, eine grosse Dilatirbarkeit besitzen.
Eine andere Frage ist die nach der selbständigen
Wandung der Kanälchen. Dieselbe ist von den meisten
Beobachtern der letzten Zeit verneinend beantwortet
worden, so namentlich von E n g e 1 m an n*), C. F. M ü 1 1 e r**)
*) Engelmann, über die Hornbattt des Auges. Leipzig 1867.
**) C. F. Müller, Histologische Untersnchnngen über die Cornea^
Virch. Arcb. XLI. p. 110— US.
314
Q. A., während ich selbst in einer früheren Arbeit*) die
entgegengesetzte Ansicht zu vertreten gesucht habe.
Wenn man nach der Ursache fragt, warum bei den
extracellalären Niederschlägen die eine oder beide Flüssig-
keiten nicht in die Eanälchen eindringen, so liegt aller-
dings die Annahme von Membranen, welche das Eindringen
erschweren oder verlangsamen, am nächsten. Indessen
muss ich bemerken, dass man sich den Hergang auch ohne
Membran erklären kann, sei es durch dieAnnahme, dass die
äosserste Schicht derZellen durchdie MetalUösung verän-
dert oder coagulirt, und hierdurch das weitere Eindringen
der Flüssigkeit verhindert odererschwert wird, sei es, was
wahrscheinlicher sein dürfte, durch die Annahme, dass die
Substanz der Zellen an und für sich wegen ihrer physikali-
sehen Beschaifenheit oder vitalen Eigenschaften**) dem Ein-
dringen der Flüssigkdteneinen grösseren Widerstand bie*
tet, so dass letztere, ehe sie Zeit haben, ins Innere der Eanäl-
chen einzudringen, bereits ausserhalb derselben vollständig
präcipitirt würden etc. Ohne mich hier weiter auf Hypothe-
sen einlassen zu wollen, scheint mir jedenfalls die Exis-
tenz von Membranen zur Erklärung der besprochenen
Thatsachen nicht absolut erforderlich. Selbst die oben
beschriebenen Bilder, welche man durch Eisenchlorid
und Ferrocyankalium erhält, und welche im Inneren der
*) Tb. Leber, die Ljmpbwege der Hornbaat MonatsbL t, Augen*
heiUE. 1868.
**) Ich erinnere hier nur an das durch Gerlach und t. VTittieh
bekannte Verbalten tbierisoher Zellen zu FarbttofBotungen. Letitere
dringen nicht in die Zellen ein, so lange diese noch Titale Eigenschaf-
ten besitsen; erst nach dem Absterben färben sich die Zellen. Ich
•elbst habe abgeUStte Gruppen ron Flimmerzellen in conc. FsrbstofBö-
rangen einen Tag lang sich ungefärbt erhalten sehen, nobei die Flim-
merbewegnng fortdauerte, während andere abgelöste ZeUen deren Bewe-
gung aufhörte, sofort die Färbung annahmen. Sollten nicht auch andere
XiÖsnngen sich ähnUcb verhaHen und sieh auf diese Weise das Frei-
bleiben der Homhantiellen ron Niederschlagen erklären?
315
leer gebliebeDen Lücken die geschrumpften Hornhaut-
körperchen mit ihren Kernen zeigen, lassen noch eine andere
Deutung zu. Wenn nämlich die Hornhaut aus überein-
ander liegenden Schichten feiner Fasern besteht, zwischen
denen die Netze der Hornhautkörperchen liegen, so
kann, wenn die Körperchen durch das Beagens geschrumpft
sind, die Begrenzung der Lücken durch die Kittsubstanz
gebildet werden, welche die Lamellen unter einander ver-
bindet, aber natürlicher Weise in der Ausdehnung der
Lücken fehlt £s lässt sich demnach aus den Impr&gna-
tionsversuchen ein Beweis für die Existenz von selbstän-
digen Membranen der Kanälchen nicht entnehmen, wenn
diese Versuche auch eher zu Gunsten von Membranen
zu sprechen scheinen. Die Gründe, warum ich früher
diese Ansicht vertreten habe, beruhten auf den Resul-
taten von Macerationsversuchen mit Terpenthinöl inji-
cirter Hornhäute. Bei Maceration in verdünnter Essig-
säure hatten sich nämlich die sternförmigen, mitTerpenthin-
öltropfen erfüllten Kanälchen selbst dann noch mit voller
Deutlichkeit erhalten, als das Gewebe bis zu Kleister-
consistenz erweicht war; bei Maceration in Schwefelsäure
Hessen sich gleichfalls die Kanälchen, ebenso wie die mit
Terpenthinöl gefüllten Bowman'schen Röhren anscheinend
vollständig isoliren. C. F. Müller hat diese Versuche
mit negativem*) Erfolg wiederholt, ich besitze aber noch
jetzt durch Essigsäure -Maceration erhaltene Präparate,
welche meine Angaben vollkommen bestätigen können.
Nur möchte ich jetzt, was die Deutung dieser Versuche
betrifft, ihre Beweiskraft nicht mehr so hoch anschlagen
wie früher. Es ist nämlich denkbar, dass bei der immer-
hin unvollständigen, d. h. nicht bis zur vollständigen
Verflüssigung der Grundsubstanz getriebenen Maceration
in Essigsäure die Oeltröpfchen durch ihre Klebrigkeit an
•) Loo. dt. p. H7.
den verfistelten Zellen nur äasserlich adhärirten, aber
durch die kleisterartig gequollene Grundsubstanz ver-
hindertwurden in die umgebende Flüssigkeit zu entweichen.
Bei der Schwefelsäuremaceration könnte man gleich-
falls eine unvollkommene Lösung der Grundsubstanz oder
die Bildung von Pseudomembranen durch Einwirkung
der Schwefelsäure auf das Terpenthinöl oder dgl mehr
zur Erklärung herbeiziehen. Man wttrde demnach mit Hi s
anzunehmen haben, dass die Zellen selbst bei den Mace-
rationsversuchen resistiren und selbst durch massig ver-
dünnte Schwefelsäure und anhaltendes Kochen nicht auf-
gelöst werden. Ich erwähne diese Einwände gegen meine
eigenen Versuche desshalb, weil die grosse Dilatirbarkeit
der Kanälchen, welche die Injectionen unzweifelhaft nach-
gewiesen haben, mir immer mit der Existenz von Mem-
branen schwer vereinbar schien und ich desshalb nur
durch die scheinbar ganz beweisenden Macerations-
versucbe mich zur Annahme derselben entschloss. Ich
möchte daher jetzt die Frage vorderhand noch als offene
betrachten, da immerhin noch einige Erfahrungen zu
Gunsten meiner früheren Annahme zu sprechen scheinen.
Uebrigens dürfte dieser Frage keine erhebliche Wichtig-
keit zuzuschreiben sein: gehen den Eanälchen selbstän-
dige Wandungen ab, so kann trotzdem die die Lamellen
verbindende Kittsubstanz, welche in der Ausdehnung der
Lücken fehlen muss, eine gewisse Abgrenzung der letzteren
zu Stande bringen; sind aber Membranen vorhanden, so
haben diese jedenfalls eine sehr grosse Erweiterungsfähig-
keit, so dass von einer nur einigermassen resistenten
Begrenzung der Kanälchen doch nicht die Rede sein kann.
Berlin, Druck yon W. Büxesttein.
s
47
bÖL
s^
FOR REFERENCE
NOT TO BE TAKEN FROM TUE RCX)M
CAT. MO. Xa 011
S^96
k