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Full text of "Archiv für klinische und experimentelle Ophthalmologie"

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I 


UNIVERSmf  OF  CALIFORNIA 

SAN  FRANCISCO  MEDICAL  CENTER 

LIBRARY 


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JVLBRECHT  VON  GRJIFE'S 

ARGHIV 

FÜR 

OPHTHALMOLOGIE 


j 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Prof.  F.  C  DONDERS  Prof.  TH.  LEBER 

IN   UTRECHT  IN   GÖTTINGEN 

UND 

Prof.  H.  SATTLER 

IN  PRAG. 


VIERUNDDREISSIGSTER  BAND 

ABTHEILUNG  I. 


MIT  16  HOLZSCHNITTEN   UND  6  TAFELN 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  WILHELM  ENGELMANN 


.  • 


Inhalts-Verzeichniss 

zu 
Band  XXXIV,  1.  Abtheilung. 


Seite 

L  lieber  den  normalen  frregnlftren  Astigmatismns. 
Von  Prof.  Sigm.  Exner,  Assistenten  am  physiolo- 
gischen Institute  in  Wien.     Mit  4  Holzschnitten. 

Hierzu  Taf.  L  Fig.  1 1-22 

IL  Zur  Entwickelungsgeschichte  des  Thränennasen* 
ganges  beim  Menschen.  Von  Dr.  Theodor  Ewetzky 
in  Moskau.    Hierzu  Taf.  I,  Fig.  2 23—36 

UL  Die  Netzhantcirculation,  speoiell  der  Arterienpuls 
in  der  Netzhaut  bei  Allgemeinleiden.  Von  Dr. 
B.  Sehmall 9  prakt.  Arzt  in  Königsberg  i.  Fr. 
Mit  12  Holzschnitten 37—107 

IT.  Eine   neue  Methode  der  Homhauttransplantation. 

Von  Prof.  Dr.  A.  t.  Hippel  in  Giessen 108—130 

7.  Experimentelle  Studie  über  die  Förster  sehe  Ma- 
turation  der  Gataract.  Von  Dr.  Otto  Schirmer, 
Assistenzarzt  an  der  (Iniversitäts- Augenklinik  zu 
Gottingen.    Hierzu  Taf.  II— V,  Fig.  1—16  ....  181—160 

TL  Chronisches  Lidodem  bei  erysipelasartiger  Entzün- 
dung mit  Tumorenbildung  an  den  Lidrändem.  Von 
Dr.  PedragUa  und  Prof.  Dr.  Dentschmann  in 
Hamborg.    Hierzu  Tafc  VI,  Fig.  1—4 161—168 

VII.  Beitrag  zur  Glaucom-Lehre.  Von  J,  Jacobson  sen. 

in  KOnigsherg  L  Pr 169—210 

VIII.  Experimentelle  Untersuchungen  zur  Frage  der  Kera- 
toplastik. Von  Dr.  August  Wagenmann»  Erstem 
Assistenten  der  Universitftts- Augenklinik  zu  Göt- 
tingen       211—269 


1224 


Heber  den  noimalen  irregalftren  Astigmatismus. 

Von 

Prof.  Signa.  Exner, 
Assistenten  am  physiologischen  Institute  in  Wien. 

Mit  4  Holzschnitten. 
Hierzu  Tafel  I,  Fig.  1. 


Das  emmetropisühe  Auge  sieht  einen  Stern  nicht  als 
Pankt,  sondern  eben  als  Stern,  nnd  das  massig  myopische, 
übrigens  normale,  Auge  sieht  des  Nachts  um  jede  Strassen- 
lateme  eine  complicirte  strahlige  Scheibe.  Ich  habe  eine 
analoge  Scheibe  auf  Taf.  I,  Fig.  1,  dargestellt,  wie  ich  sie 
mit  meinem  rechten  Auge  beim  Anblicke  eines  1,05  cm 
weiten  kreisförmigen  Ausschnittes  sehe,  der  im  Blechcylinder 
eines  Gasrundbrenners  angebracht  ist.  Der  Blechcylinder 
ist  innen  mit  weissem  Thon  ausgekleidet,  und  die  Lampe 
befindet  sich  in  einem  dunklen  Zimmer  11,4  m  von  mir 
entfernt.  Der  scheinbare  Durchmesser  der  ganzen  Figur 
beträgt  um  54  Winkelminuten. 

Diese  und  ähnliche  Erscheinungen  sind  es,  die  allgemein 
als  der  Ausdruck  des  „irregulären  Astigmatismus"  betrachtet 
werden,  und  ebenso  werden  als  Grund  desselben  Unregel- 
mässigkeiten  in   den  brechenden  Medien  des  Auges,   der 

T.  Qrtefe'a  Archiv  für  Ophthalmologie,  XXXIV.  1.  1 


2  S.  £xner. 

Cornea  und  insbesondere  der  Linse,  angenommen.*)  Auch 
darüber,  dass  wenigstens  gewisse  Formen  der  Diplopia  and 
Polyopia  monocularis  auf  den  irregulären  Astigmatismus 
zurückzuführen  sind,  scheint  Alles  einig  zu  sein.  Doch  eine 
auf  die  Einzelheiten  der  Erscheinung  eingehende  Erklärung 
vermissen  wir  noch;  ob  die  Unregelmässigkeiten  der  optischen 
Medien  jene  strahlige  Figur  und  ihr  Farbenspiel  durch  Bre- 
chung und  Dispersion  oder  durch  Beugung  und  Interferrenz 
erzeugt,  welcher  Art  die  Unregelmässigkeiten  sein  müssen, 
um  jenen  Effect  hervorzurufen^   warum  sie  das  Sehen  des 


*)  H.  v.Helmholtz  spricht  von  „Unregelmässigkeiten  der  Linse" 
(Fhys.  Optik.  2.  Anü.,  S.  172).  A.  Fick  äussert  sich  in  ähnlichem 
Sinne  nnd  bemerkt,  dass  ,,eine  strenge  Erklärung  der  Einzelheiten" 
der  Erscheinung  noch  nicht  gegeben  ist.  (Hermann 's  Handb.  d. 
Physiol.  Bd. ULI,  S.  119).  Letzteres  hebt  auch  Donders  hervor, 
der  die  einschlägigen  Erscheinungen  am  genauesten  studirt  hat 
nnd  ihre  Ursache  in  dem  strahligen  Bau  der  Linse  fand.  (Die 
Anomalien  der  Hefraction  und  Accemodation  übersetzt  v.  0.  Becker. 
Wien  1866,  8. 461).  Nach  einem  daselbst  angeführten  Citat  bezog 
Thom.  Young  die  auch  schon  von  ihm  untersuchte  Erscheinung 
auf  Unebenheiten  an  der  Oberfläche  der  Linse.  Anbert  hingegen 
erklärt  „undurchsichtige  oder  durchsichtige,  aber  mit  einem  anderen 
Brechungsexponenten  versehene  Partikelchen"  als  die  Ursache  des 
unregelmässigen  Ganges  der  Strahlen.  (Uandb.  d.  ges.  Augenheilk. 
von  Qraefe  u.  Sämisch.  II.  Bd.  2  Th.,  S.  467).  Cadiat  (Soc.  de 
biologie  13.  Jänn.  1877;  Michers  Jahresbr.  f.  Ophthalmologie  1877, 
S.  380)  fährt  die  Erscheinungen  auf  Polarisation  des  Lichtes  in 
den  einzelnen  Sectoren  der  Linse  zuräck.  Gegen  diese  Deutung 
spricht,  dass  die  Erscheinungen  durch  Vorsetzen  eines  Nik ersehen 
Prismas,  sowie  durch  denen  Drehung  vor  dem  Auge  nicht  ver- 
ändert werden.  —  In  neuerer  Zeit  hat  13 erlin  (Tagblatt  der  Berliner 
Natnrforscherversammlnng  1886,  S.  3^7)  eine  Form  des  Linsenastig- 
matismuses  von  ganz  eigenthümlicher  Art  bei  Thieren  beschrieben. 
Es  wäre  sehr  interesiaat,  die  Zerstrenungdkreise  solcher  Linsen 
kennen  zn  lernen.  —  A.  Fick  bat  analoge  Erscheinungen  an  den 
Bildern  von  Glaslinsen  hervorgerufen,  indem  er  diese  mit  Wasser- 
tropfen belegte.  (Vergl.  Helmholtz  Phys.  Opt.  ß.  Aufl.,  S.  172. 
Es  soll  dieser  Versuch  in  der  ersten  Auflage  von  Fick  s  Med. 
Physik  enthalten  sein;  leider  ist  mir  diese  unzugänglich;  in  der 
2.  Auflage  finde  ich  nichts  davon). 


Ueber  den  normalen  irregulären  Astigmatismus.  3 

corrigirten  Auges  so  wenig  beeiaträchtigen,  u.  dergl.,  das 
sind  noch  offene  Fragen. 

Gelegentlich  eines  Vortrages,  den  vor  etwa  zwei  Jahren 
mein  Bruder,  Prof.  Karl  Exner,  in  der  Wiener  chemisch- 
physikalischen Gesellschaft  über  die  Scintillation  der  Sterne*) 
hielt,  gewann  ich  die  Ueberzeugung,  dass  eine  von  ihm  ge- 
brachte Darstellung  des  Durchganges  der  Lichtstrahlen  durch 
die  Atmosphäre,  und  seine  Erklärung  der  durch  die  wech- 
selnden Unregelmässigkeiten  der  Atmosphäre  bedingten  Ab- 
lenkungen, mutatis  mutandis  geeignet  sein  müsse,  die  Er- 
scheinungen des  irregulären  Astigmatismus  in  ein  klareres 
Licht  zu  stellen.  Eine  genauere  üeberlegung  und  Beschäf- 
tigung mit  dem  Gegenstande  fahrten  mich  zu  den  im  Fol- 
genden niedergelegten  Anschauungen.  Als  Ausgangspunkt 
diene  mir  das  in  Taf.  I  Fig.  1  abgebildete  strahlige  Netzhaut- 
bild eines  hellen  Punktes. 

1.  Der  irreguläre  Zerstreuungskreis.  Es  kann 
kein  Zweifel  darüber  obwalten,  dass  diese  Figur  nichts  An- 
deres darstellt,  als  den  durch  die  Kurzsichtigkeit  des  Auges 
bedingten  Zerstreuungskreis  des  hellen  Punktes.  Donders 
hat  sich  auf  die  verschiedenste  Weise  davon  überzeugt,  und 
ich  wüsste  nicht,  dass  Jemand  eine  andere  Ansicht  geäussert 
hätte.  Wo  sollte  auch  der  Zerstreuungskreis,  den  ein  kurz- 
sichtiges Auge  von  dem  hellen  Punkte  haben  muss,  sein, 
wenn  diese  Figur  es  nicht  selbst  wäre?  Sie  unterscheidet 
sich  aber  von  dem  analogen  Zerstreuungskreis  einer  Convex- 
linie  aus  Glas  dadurch,  dass  innerhalb  des  Kreises  vielfach 
Hell  und  Dunkel  abwechseln.  Ich  will  demnach  diese  Figur, 
die  das  myopische  und  das  hypermetropische  Auge,  sowie 
jedes  auf  die  Entfernung  des  hellen  Punktes  nicht  eingestellte 
Auge  sieht,  als  den  irregulären  Zerstreuungskreis  des  mensch- 
lichen Auges  bezeichnen.    Deckt  man  die  Pupille  von  rechts 


♦)  Vergl.  K.  Exner,  Ueber  das  Fuukeln  der  Sterne  und  die 
Scintillation  überhaupt  (Sitzungsbr.  d.  Wiener  Akad.  d.  Wiss. 
Bd.  84  Abth.  2). 

1* 


4  S.  Exner. 

her  zu,  so  beginnt  der  Zerstreuungskreis  scheinbar  auf 
derselben  Seite  zu  verschwinden,  wenn  das  Auge  myopisch 
ist;  auf  der  entgegengesetzten,  wenn  es  durch  ein  Brillen- 
glas zum  hypermetropischen  gemacht  wird.  Er  wird  kleiner, 
wenn  man  die  Pupille  künstlich  verengert,  er  wird  zu  einem 
Streifen,  wenn  man  durch  eine  Spalte  blickt  und  dreht  sieb 
mit  der  Drehung  der  letzteren.  Führt  man  eine  kleine  Lücke» 
wie  dies  Donders  that,  vor  der  Pupille  herum,  so  tauchen 
die  einzelnen  Theile  des  irregulären  Zerstreuungskreises  nach 
-einander  auf. 

A.  Fick  wirft  die  Frage  auf,  warum  nach  dem  Bände 
des  Zerstreuungskreises  die  scheinbare  Helligkeit  immer  ge- 
ringer, wird,  wenn  das  Auge  als  myopisches  wirkt.  In  der 
That  nimmt  der  Zerstreuungskreis  einen  anderen  Charakter 
an,  wenn  ich  ein,  mein  Auge  üborcorrigirendes  Concavglas 
vornehme.  Die  Aenderung  liegt  theils  in  dem  Farbenspiel, 
von  dem  später  die  Bede  sein  soll,  hauptsächlich  aber  in 
der  Lichtvertheilung.  Es  ist  jetzt  der  Band  des  Zer- 
streuungskreises durchschnittlich  sogar  heller  als  die  inneren 
Antheile,  so  dass  die  Figur  eine  scharfe  Begrenzung  bekommt. 
Die  Erklärung  liegt  wohl  in  der  Abweichung  der  Licht- 
strahlen wegen  der  Kugelgestalt.  Die  entfernter  von 
der  optischen  Axe  auf  die  Cornea  fallenden  Strahlen  haben 
ihren  Vereinigungspunkt  weiter  vorne,  die  Folge  davon  ist, 
dass  sich  ein  grosser  Theil  der  Strahlen  in  bekannter  Weise 
vor  dem  sogenannten  Brennpunkt  in  einer  caustischen  Fläche 
schneidet,  welche  näherungsweise  Kegelgestalt  hat.  Liegt 
die  Netzhaut  ialso  vor  dem  eigentlichen  Brennpunkt,  so  trifft 
sie  jener  Lichtkegel,  dessen  Mantel,  die  caustische  Fläche, 
nun  die  helle  Begrenzung  des  Zerstreuungskreises  bilden 
wird.  Anders  ist  es,  wenn  die  Netzhaut  den  Lichtkegel  hinter 
dem  Brennpunkte  auffängt.  Da  ist  derselbe  nicht  durch  eine 
caustische  Fläche  begrenzt,  sondern  seine  Helligkeit  nimmt 
nach  aussen  allmählich  ab.  Man  kann  dieses  Verhalten  an 
jeder  Convexlinse,   durch   die   man   das  Bild   eines   hellen 


Ueber  den  normalen  irregulären  Astigmatismus.  5 

Punktes  entwirft,  demonstriren,  worauf  schon  Don  der  s  hin- 
gewiesen hat. 

2.  Die  Lage  der  Unregelmässigkeiten  in  den 
optischen  Medien,  denen  der  Zerstreuungskreis  seine  Eigen- 
thümlichkeiten  verdankt,  rauss  in  der  Nähe  der  Pupille  ver- 
ffluthet  werden,  aus  Gründen,  die  Donders  klar  gelegt  hat. 
Schon  die  Tbatsache,  dass  die  einzelnen  hellen  und  dunklen 
Flecken  ihre  Lage  nicht  ändern,  wenn  man  den  leuchtenden 
Punkt  in  das  indirecte  Sehen  bringt  (soweit  dies  der  Deut- 
lichkeit der  Wahrnehmung  wegen  geht)  zeugt  dafür.  Wenn 
man  aber  die  Unregelmässigkeiten  in  der  Nähe  der  Pupillar- 
ebene  zu  suchen  hat,  so  wird  man  sie  wohl  nur  in  die  Linse 
verlegen  können.  Donders  sah  die  Strahlenfigur  des  Zer- 
strenungskreises  bei  Annäherung  des  leuchtenden  Punktes 
bis  zum  vorderen  Brennpunkte  des  Auges  in  die  Strahlen- 
figur  übergehen,  welche  als  entoptisches  Linsenbild  be- 
kannt ist. 

Ich  nahm  eine  menschliche  Linse  einige  Stunden  nach 
dem  Tode,  gab  sie  in  ein  kleines  Gefftss,  dessen  Boden  eine 
planparallele  Glasplatte  bildete,  und  das  mit  1  proc.  Koch- 
salzlösung gefüllt  war.  Dasselbe  stellte  ich  auf  den  Object- 
tisch  eines  Mikroskopes;  an  die  Stelle  der  Blendung  hatte 
ich  (zum  Ersatz  der  Cornea)  eine  Convexlinse  eingeschaltet, 
statt  des  Mikroskopspiegels  einen  Spiegel  aus  schwarzem 
(ilas  (um  die  mehrfache  Reflexion  zu  vermeiden). 

So  konnte  ich  mit  einer  schwachen  Linse  (Hartnack  I) 
das  Bildchen  meines  Lampencylinderausschnittes  bei  ver- 
schiedenen Einstellungen  betrachten,  das  die  Linsencom- 
bination  entwarf.  Ich  bekam  Bilder,  die  in  allen  wesentlichen 
Punkten  mit  dem  irregulären  Zerstreuungskreis  überein- 
stimmten. Auch  habe  ich  die  Linse  in  situ  gelassen,  den 
Bulbus  im  Aequator  durchschnitten,  die  Cornea  in  die  Koch- 
salzlösung getaucht  und  auf  den  Humor  vitreus  ein  Deck- 
glitechen  gesetzt,   so  dass  die  Strahlen  das  Präparat  durch 


6  S.  Exner. 

eine  ebene  Fläche  verliessen.'*')  Durch  allmähliches  Ver- 
schieben der  Objectivlinse  nach  unten  konnte  man  die  Un- 
regelmässigkeiten im  Zerstreunngskreise  in  die  eigentbüm- 
liehe  Zeichnung  übergehen  seh^,  die  an  der  hinteren  Linsen- 
fläche unter  diesen  Umständen  sichtbar  wird. 

Diese  Zeichnung  ist  eine  ganz  scharfe  und  besteht  aus 
hellen  Linien,  die,  wie  die  Grenzen  einzelner  Wülste  aus- 
sehend, dunklere  Felder  von  einander  abtrennen.  Die  Linien 
dürften,  wenigstens  zum  Theile,  der  Ausdruck  jener,  mxs 
der  mikroskopischen  Anatomie  bekannten  blasigen.  Gebilde 
sein,  die  der  Linsenkapsel  nach  innen  anliegen  und  im  Laufe 
der  Jahre  so  mannigfaltige  Deutung  erfahren  haben. 

Man  kann  also  einen  irregulären  Zerstreuungskreis  am 
menschlichen  Auge  objectiv  demonstriren,  und  sein  Verhalten 
bei  wechselnder  Einstellung  leitet  auch  zu  der  allgemeinen 
Anschauung  hin,  nach  welcher  die  Unregelmässigkeiten  in 
der  Linse  zu  suchen  sind. 

3,  Die  Ursachen  der  Irregularität  des  Zer- 
streuungskreises. Geht  von  einem  hellen  Punkte  eine 
Lichtwelle  aus,  so  bildet  sie,  so  lange  sie  sich  in  einem 
homogenen  Medium  fortpflanzt,  eine  Kugeloberfläche.  Ist 
sie  von  ihrem  Ausgangspunkt  hinlänglich  weit  fortgeschritten, 
so  ist  ein  endlich  grosses  Stück  dieser  Eugelwelle  als  ebene 
Fläche  zu  betrachten.  Es  sei  mn  (Fig.  1)  ein  Stück  einer 
solchen  ebenen  Lichtwellenfläche,  oq  die  Richtung  ihrer  Fort- 
pflanzung und  zugleich  die  Axe  eines  Auges.  Dringt  die 
Lichtwelle  in  die  Cornea  ein,  so  erleidet  sie  in  derselben 
eine  Deformation,   indem  die  op  näher  gelegenen  Wellen- 


*)  Ich  gehe  auf  diese  und  ähnliche  Versuche  nicht  näher  ein, 
weil  sie  mir  theils  Überflüssig,  theils  nicht  hinlängUch  beweiskräftig 
erscheinen.  Letzteres  deshalb  weil  bei  isolirter  Linse  kleine  An- 
theUe  von  noch  anhaftendem  Humor  vitreus  auch  Unregelmässig- 
keiten des  Zerstreuungskreises  bedingen  können,  und  wenn  die 
Linse  in  situ  gelassen  wurde,  dieselben  im  aufgesetzten  Glase  oder 
in  Verunreinigungen  an  der  Vorderüäche  der  Cornea  gesucht  werden 
könnten. 


Ueber  den  nonnalen  irre^ären  Astigmatismus.  7 

antheile  schon  früher  einer  Verlangsamnng  ihres  Porteohrei- 
tens  unterworfen  sind,  als  die  entfernteren.  Die  Lichtwelle 
passirt  demnach  als  gekrümmte'  Flache  mi  ni  die  vordere 
Aügenkammer  und  erleidet  bei  ihrem  Durchtritt  durch  die 
Linse  eine  neue  Deformation  im  selben  Sinne,  indem  die 
der  Axe  nahe  gelegenen  Theile  der  Wellenoberfläche  eine 
dickere  (Linsen-)  Schichte  von  geringerer  Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit zu  durchlaufen  haben,  als  die  anderen;  diese 
Deformation  wird  in  der  thierischen  Linse  noch  dadurch 
erhobt,  dass  auch  der  Brechungsindex  in  der  Nähe  der  Axe 

Fig.  1. 


ood  des  Mittelpunktes  der  Linse  grösser  (also  die  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit kleiner)  ist  als  an  den  Seiten- 
tbeilen.  Die  Wellenoberfläche  tritt  also  mit  starker  Krüm- 
mung (m3  na)  aus  der  Linse  aus.  Da  die  Fortpflanzungs- 
richtung der  Lichtstrahlen  immer  senkrecht  auf  der  Licht- 
wellen-Oberfläche steht,  so  sind  nia  p,  na  p  und  op  die 
Sichtungen  von  austretenden  Strahlen,  und  wenn,  wie  es 
in  der  Zeichnung  vorausgesetzt  ist  und  für  das  Auge  im 
Allgemeinen  zutriffst,  sich  diese  Strahlen  in  einem  Punkte 
(p,  dem  zweiten  Brennpunkte  des  Auges)  schneiden,  so  ist 
Dsms  eine  Kugeloberfläche. 

(Diese  Darstellung  gilt  für  jede  optische  Linse;  ich 
habe  sie  in  der  Kürze  wiederholt  für  den  Fall,  dass  dem 
einen  oder  dem  anderen  der  Leser  die  Vorstellung  von  der 


g  S.  Ezner. 

'Deformation  der  Wellenoberflächen  durch  Linsen  nicht  ge- 
läufig sein  sollte.) 

Die  Helligkeitsdifferenzen  im  irregulären  Zerstrenungs- 
kreis  erklären  sich  nun  aus  der  Annahme,  dass  die  Welle 
ma  ns  zwar  im  Ganzen  Kugelgestalt  besitzt,  dass  ihre  Fläche 
aber  kleine  Einbiegungen  und  Ausbiegungen  erlitten  hat, 
etwa  so  wie  eine  Orange  zwar  Kugelform,  aber  dabei  doch 
an  ihrer  Oberfläche  Unebenheiten,  wohl  gar  Andeutungen 
ihres  Fachbaues  zeigen  kann.  Solche  Unebenheiten  der  Wellen- 
oberfläche müssen  die  Folge  davon  sein,  dass  sich  an  zahl- 
reichen enge  benachbarten  Linsenantheilen  das  Licht  mit 
etwas  ungleicher  Geschwindigkeit  fortgepflanzt  hat.  Es  soll 
von  der  anatomischen  Grundlage  derselben  später  die  Bede 
sein  und  entschieden  werden,  ob  da,  wo  eine  Verzögerung 
der  Lichtwelle  stattgefunden  hat,  die  Ursache  in  einer  dickeren 
Schichte  des  stärker  brechenden  Mediums  oder  in  einer 
localen  Zunahme  des  Brechungsindex  derselben  zu  suchen 
ist.  Da  wo  eine  Beschleunigung  der  Lichtwelle  statt- 
gefunden hat,  ist  eine  dünnere  Schichte  oder  eine  Abnahme 
des  Brechungsvermögens  vorauszusetzen.  Ich  will  eine  solche 
Ausbiegung  der  Wellenoberfläche  nach  der  einen  oder  der 
anderen  Bichtung  eine  Delle  nennen.  Wie  gross  solche 
Dellen  auf  der  Wellenoberfläche  thatsächlich  sind  (senkrecht 
zur  Fortpflanzungsrichtung  der  Strahlen)  und  wie  tief  sie 
(in  der  Richtung  der  Strahlen)  reichen,  sowie  die  voraus- 
sichtliche Gestalt  derselben  soll  alsbald  erörtert  werden. 
Vorerst  will  ich  noch  erläutern,  wieso  diese  Dellen  die  Hellig- 
keitsunterschiede im  Zerstreuungskreise  überhaupt  erklären. 
Ich  wähle  der  Einfachheit  wegen  den  Zerstreuungskreis  des 
hypermetropischen  Auges. 

Es  sei  m  n  in  Fig.  2  wieder  ein  grösster  Kreis  der 
eben  aus  der  Linse  ausgetretenen  Lichtwellenoberfläche. 
Dann  bildet  f  den  Brennpunkt  derselben.  Befindet  sich  die 
Netzhaut  in  r  r,  so  wird  sie  von  einem  gleichmässig  hellen 
Kreise   erleuchtet;    als   Maass   dieser   Helligkeit   bei  Ver- 


kann  die  Dichtig- 
llen,  wenn  dieselben 
lufgetmgen  gedacht 
Q  der  Zerstreuungs- 
^uges  immer  heller 
reicht. 

eine  Delle  erlitten 
iass  sie  die  g.iDZä 
ar  inOge  hier  in 
!r  sein,  aU  in  mi  n. 


eu   Strahlen   ihren 

— -r.Mrn  imireu,  wiauogcooi.il,  <i&ss  die  Delle  ihrer 

'"-■--■v/k  efasst  werden  kann  als  ein  auf  die  ursprüng- 

y     ■'^'^£-.  igesetztes  Kugelsegment.    Befindet  sich  jetzt 

/^^'""^v.  in  rr,  so  wird  sie  von  zwei  ungleich  dichten 

■-.j.  '"''^-^:  ein  getroffen,    und  es  muas  die  Helligkeit  in 

■'■*■ -^  '****'->'.■  öj   angehörigen  Theil   des  Zerstreuungakreises 

,...  .   ■*-•;     gross  sein,    wie    in  dem    mi  n    angehOrigen. 

. .  ^  *  -J-  fintfernung  von  f  nach  rr  doppelt  so  gross  ist, 

■  .    ^,^"~^  <  nachrr.  Denn,   wenigstens  bei  den  im  mensch- 

^     .  '     uge  obwaltenden  Verhaltnissen  können  wegen  de 


10  S.  Exner. 

geringen  Länge  von  mn  und  der  grossen  Lange  von  mi  f 
die  Dreiecke  fi  a  b  und  f  c  d  als  ähnlich  betrachtet  werden, 
woraus,  da 

b  fi  =  -V  und  ra  /t*  mi  ==  mi  n 

vorausgesetzt  wurde,  sich  die  doppelte  Dichtigkeit  der  Strahlen 
in  a  b  gegen  c  d  ergiebt. 

Würde  die  Delle  der  Eugelwelle  die  entgegengesetzte 
Richtung  haben,  d.  h.  durch  eine  Verminderung  der  Krüm- 
mung mpmi  entstanden  sein,  so  würde  der  Brennpunkt  der- 
selben hinter  f  fallen  und  rr  würde  in  a  b  von  Licht  geringerer 
Intensität  als  in  dem  grOssten  Theile  von  cd  getroffen. 

Fig.  3  macht  dieses  Verhalten  für  zwei  kleinere  Dellen 
von  entgegengesetzter  Art  anschaulich,  deren  eine  ihren 
Brennpunkt  in  fi,  die  andere  in  U  hat.  Sie  zeigt  zugleich, 
wie  sich  die  Lichtvertheüung  im  Zerstreuungskreise  ändern 
muss,  wenn  die  Netzhaut  dem  Focus  mehr  oder  weniger 
genähert  wird.  Es  rührt  dieser  Wechsel  von  der  verschieden- 
artigen Durchschneidung  der  Strahlen  her,  und  die  durch- 
schnittliche Abnahme  der  Helligkeitsdifferenzen  bei  Ent- 
fernung von  den  Brennpunkten  wird  durch  die  unvoll- 
kommene Trennung   der  einzelnen  Strahlenbündel  bedingt. 

Selbstverständlich  ist  hier  unter  „Brennpunkt"  einer 
Delle  nicht  ein  regelrechter  Brennpunkt,  sondern  nur  der 
Punkt  zu  verstehen,  wo  die  von  derselben  ausgehenden  Strahlen 
am  dichtesten  beisammen  liegen.  Man  kann  eben  nur  in 
erster  Annäherung  die  Dellen  als  linsenförmige  Ausbuchtungen 
betrachten,  die  auf  der  Kugelwelie  aufsitzen.  Karl  Exner 
führt  ein  Beispiel  aus  dem  täglichen  Leben  an,  das  die 
Wirkungen  kleiner  Unebenheiten,  erzeugt  an  einer  ebenen 
Wellenoberfläche  demonstrirt:  Wenn  Sonnenlicht  durch 
Fensterscheiben  fällt,  so  sieht  man  häufig  an  der  das  Licht 
auffangenden  Wand  oder  dem  Fussboden  eine  eigenthüm- 
liche  wellenartige  Zeichnung,  wie  der  starr  gewordene  Reflex 
einer  bewegten  Wasseroberfläche.    Hier  haben  sonst  kaum 


Ueber  den  normBlen  irregulären  Aatigmatümu«.  H 

'^merkbare  nnregelmassigbeiteo  im  Glase  Verzögerungen 
oder  BescbleanigoDgen  des  LichteB  herTOrgemfeo,  so  dass 
die  Lichtwelleuoberfläche  buckelig  geworden  ist.   Jede  helle 


Stelle  in  der  genanaten  Zeichnung  kann  ala  Brennpunkt, 
BreDolinie  oder  Zerstrenungskreis  eines  BOlchen  Buckels 
^Ktrachtet  werden.    Die  Brennweiten   sind  natürlich  sehr 

grOBB. 


12  S.  Exner. 

Nach  diesen  Auseinandersetzungen  allgemeiner  Art 
\rende  ich  mich  wieder  der  Linse  zu,  um  zn  zeigen,  dass 
sie  auf  dieselbe  wirklich  anwendbar  sind.  Ich  habe  schon 
hervorgehoben,  dass  wir  uns  die  Dellen,  welche  die  Licht- 
welle beim  Durchtritt  durch  die  Linse  erhält,  klein  und 
zahlreich  vorzustellen  haben.  Auch  sind  sie  von  sehr  ge- 
ringer Tiefe,  wie  eine  Betrachtung  ergiebt,  die  ich  hier  folgen 
lasse.  Ich  setze  bei  derselben  wie  oben  voraus,  dass  die 
Dellen  auf  einer  den  Brennpunkt  enthaltenden  Schnittebene 
kreisförmig  gekrümmt  erscheinen,  indem  ich  darauf  hinweise, 
dass  jeder  hinlänglich  kleine  Abschnitt  einer  stetig  ge- 
krümmten Curve  als  Kreisabschnitt  betrachtet  werden  kann. 

Wir  können  natürlich  nur  in  erster  Annäherung  eine 
Berechnung  von  der  Grösse  und  Tiefe  der  Delle,  sowie 
daran  anschliessend,  von  den  Unregelmässigkeiten  im  optischen 
Bau  der  Linse  ausführen,  doch  handelt  es  sich  hier  auch 
nur  um  Constatirung  der  Grössenordnung,  mit  der  wir  es 
zu  thun  haben,  um  zu  beurtheilen,  ob  sie  mit  jener  überein- 
stimmt, in  welcher  sich  die  uns  bekannten,  dem  Bau  der 
Linse  angebörigen  Grössen  bewegen. 

Um  die  positive  oder  negative  Tiefe  einer  Delle  zu  be- 
stimmen, ist  es  nöthig,  ihren  Krümmungshalbmesser  und 
ihre  Ausdehnung  auf  der  Oberfläche  der  gegebenen  Kugel- 
welle zu  kennen.  Letztere  hat,  wenn  wir  sie  bei  ihrem 
Austritt  aus  der  Linse  betrachten*)  einen  Krümmungshalb- 
messer, gleich  der  Entfernung  des  hinteren  Linsenpols  vom 
Brennpunkte,  also: 

B  =  14,6470  mm. 

Um  den  Krümmungsradius  einer  Delle  zu  bestimmen, 
benutze  ich  den  aus  Fig.  2  und  3  ersichtlichen  Umstand, 
dass  die  mehr  oder  weniger  correcten  Brennpunkte  der 
Dellen  in  jener  Entfernung  vom  Gesammtbrennpunkt   zu 


*)  Ich  lege  hier  die  Werthe  aus  v.  Helmholtz  Pbys.  Optik. 
2.  Aufl.,  S.  89  zxk  Grunde. 


lieber  den  normalen  irregulären  Astigmatismus.  13 

suchen  sind,  in  \irelcher  die  Helligkeitsdifferenzen  im  Zer- 
streuungskreise am  grössten  sind.  Nun  wird  man  zwar, 
indem  man  sein  Auge  mehr  oder  weniger  corrigirt,  diesen 
Punkt  nur  näherungsweise  bestimmen  können,  was  leicht 
begreiflich  ist,  wenn  man  erwägt,  dass  die  Brennpunkte 
verschiedener  Dellen  recht  ungleiche  Entfernung  vom  6e- 
sammtbrennpunkte  haben  durften;  doch  genügt  für  unsere 
Betrachtungen  ein  Schätzungswerth.  Ich  finde  die  Hellig- 
keitsdifferenzen am  grössten,  wenn  der  Zerstreuungskreis 
meines  2  mm  gi'ossen  Ausschnittes  im  Blechcylinder  der 
Gaslampe  (derselbe  aus  der  genannten  Entfernung  von 
11,4  m  betrachtet)  die  Grösse  von  29,4  mm  zu  haben 
scheint  (verglichen  mit  der  Breite  eines  neben  der  Lampe 
angebrachten  Papierstreifens).  Derselbe  bildet  dann  einen 
Stera  mit  scharf  gezeichneten  Strahlen. 

Aus  der  Grösse  des  Zerstreuungskreises  und  der  Grösse 
meiner  Pupille  (deren  Eadius  =  2  mm)  lässt  sich  der 
Brennpunkt  der  Delle  näherungsweise  berechnen. 

Derselbe  liegt  0.192  mm  hinter  dem  normalen  Brenn- 
punkt, so  dass  der  Krümmungsradius  dieses  Stückes  der 
Lichtwellenoberfläche 

Kl  =  14.839  mm  ist. 

lieber  die  Flächenausdehnung  einer  Delle  können  wir 
uns  auf  Grund  der  Figur  Taf.  I  eine  Vorstellung  bilden.  Ein 
Plus  an  Helligkeit  an  einer  Stelle  des  Zerstreuungskreises 
(vergl.  Fig.  2  ab)  wird  immer  von  einem  Minus  in  seiner 
Umgebung  begleitet  sein  (vergl.  Fig,  2  b  c).  Wir  können 
also  im  Allgemeinen  die  Breite  eines  dunklen  plus  der 
eines  hellen  Antheiles  als  Ausdruck  der  Grösse  einer  Delle 
unserer  Kugelwelle  betrachten.  Nun  ist  in  Taf.  I  die  ge- 
nannte Breite  etwa  Vs  des  ganzen  Radius.  Es  wird  also 
die  Transversalausdehnung  einer  Delle  der  Lichtwelle,  da  wo 
sie  die  Linse  verlässt,  mit  0,25  mm  geschätzt  werden  können. 

Berechnet  man  nun,  wie  weit  diese  Delle  an  Stelle  der 
tiefsten  Einbiegung  von  der  normalen  Kugelwelle  abweicht. 


14  S.  Euer. 

80  findet  man  den  überaus  geringen  Werth  von  1  bis  2 
Zehntansendstel  eines  Millimeters.'*') 

Es  genügt  also  zur  Erklärung  der  Helligkeits- 
differenzenim  irregulären  Zerstreuungskreise  anzu- 
nehmen, dass  die  Lichtwellenoberflüche  nach  ihrem 
Austritt  aus  der  Linse  Verbiegungen  erhalten  hat, 
deren  Tiefe  nur  einen  Bruchtheil  einer  Wellen- 
länge**) zu  betragea  braucht. 

Es  liegt  nun  sehr  nahe,  als  anatomische  Grundlage 
dieser  Verbiegungen  den  strahligen  Bau  der  Linse,  ins- 
besondere an  ihren  Polen  zu  betrachten.  Ich  habe  schon 
bemerkt,  dass  die  Dellen  der  Wellenoberfläche  von  einer 
Breite  anzunehmen  sind,  die  durch  einige  Zehntel  eines 
Millimeters  gemessen  wird.  Das  stimmt  recht  gut  mit  der 
Breite  von  Spalträumen,  die  wir  zwischen  den  Fasermassen 
der  Linse  an  ihrem  Pole  vermuthen  können,  oder,  präciser 
ausgedrückt,  mit  jenen  dreikantig  begränzten  Bäumen,  die 
zwei  Linsenfaserbündel  mit  der  Linsenkapsel  einschliessen. 
In  der  That,  denken  wir  uns  eine  Linse,  die  im  präparirten 
Zustande  die  bekannte  Sternfigur  an  ihrem  Pole  durch  De- 
hiscenz  der  Fasermassen  zeigt,  glatt  überspannt  durch  die 
Linsenkapsel,  so  entstehen  diese  Räume.  Im  Leben  dürften 
sie  freilich  von  geringerer  Grösse  sein,  und  sind  jedenfalls 
wegen  der  in  ihnen  enthaltenen  Flüssigkeit,  die  näherungs- 
weise gleiches  BrechungsvermOgen  mit  den  Linsenfasern  hat, 
wenig  oder  gar  nicht  sichtbar. 


*)  Die   einfache   Berechnung  besteht   darin,   dass   man   den 

„Pfeil**  auf  der  Sehne  von  0,25  mm  Länge  für  die  beiden  genannten 

Krümmungshalbmesser  bestimmt;  ihre  Differenz  ist  der  gesuchte 

Werth  und  beträgt: 

0,0001324  mm. 

**)  Die  Wellenlänge  für  D.  in  Lnft  =  0,0006890  (nach  Dit- 
8 ch einer),  und  den  Brechnngsindex  des  Humor  vitreus  =  1,3365 
(nach  Y.  Helmholt z)  angenommen,  ergiebt  für  die  Wellenlänge 
der  genannten  Farbe  in  dieser  Flüssigkeit 

X  =  0,00044  mm. 


Ueber  den  normalen  irregulären  ABtigmatismus.  15 

Versuchen  wir,  ob  die  obige  theoretische  Betrachtung 
mit  den  anatomischen  Thatsachen  stimmt.  Die  Delle  der 
lichtwellenoberfiäche  fanden  wir  etwa  Vs  ^i^er  Wellenlänge 
tief  Nehmen  wir  die  Tiefe  einer  solchen  Spalte  zwischen 
den  Fasermassen  der  Linse  so  gross  an,  wie  die  Breite 
(also  circa  0,25  mm),  so  muss,  wenn  der  Brechungsindex  der 
Linsenfasern 

n,  =-  1,4371 
(nach  V.  Helmholtz)  gesetzt  wird,  der  Brechungsindex  der 
den  Spaltranra  erfüllenden  Substanz 

nf  ==  1,43729 
sein,  wenn  jene  Ausbiegung  im  angegebenen  Ausmaasse  und 
im  Sinne  einer  Verzögerung  der  Lichtwellenoberfläche  Platz 
greifen  soll.*) 

Es  ist  aber  klar,  dass  wir  jene  Spalträume  ohne  com- 
plicirtere  Hilfsmittel  kaum  bemerken  werden,  wenn  ihr  In- 
halt ein  BrechungsvermOgen  hat,  das  sich  nur  um  ein 
bis  zwei  Einheiten  der  vierten  Decimale  von  dem 
der  Umgebnng  unterscheidet.  Hält  man  die  Spalt- 
räume  fflr  tiefer  als  V^  ^^^  ^^  ^^t^^  sich  ihr  Brechungs- 
index noch  mehr  dem  der  Linsenfasern  nähern. 


Im  Vorstehenden  ist  gezeigt  worden,  dass,  und  wie  sich 
die  Helligkeitsnnterschiede  in  den  verschiedenen  Antheilen 
des  irregulären  Zerstreuungskreises  aus  minimalen  optischen 
Unregelmässigkeiten  der  Linse  qualitativ  und  quantitativ 
erklären  lassen.  Ich  habe  bei  der  Berechnung,  wie  schon  her- 
vorgehoben worden,  angenommen,  dass  die  Lichtwellenober- 
fläche in  der  Linse  Dellen  im  Sinne  stärkerer  Krümmung 


*)  Es  ist  nämlich  die  Länge  einer  Lichtwelle  in  der  Linse 

X\  =  0,00041  mm 
und  die  in  der  fraglichen  Flüssigkeit,  entsprechend  der  genannten 
Versögemng,  und  der  Tiefe  der  Schichte 

ks  =»  0,0001098  mm 
Daraus  ergiebt  sich  nf  »  1,43729. 


16  S.  Exner. 

erhalten  hat.  Es  geschah  dies  der  Anschaulichkeit  und  der 
Darstellung  wegen.  Man  bekommt  natürlich  analoge  Re- 
sultate für  die  Lichtvertheilung  im  Zerstreuungskreis,  wenn 
man  Dellen  im  Sinne  schwächerer  Krümmung  annimmt 
Es  fragt  sich,  welcher  von  beiden  Fällen  der  richtigere  istt 
oder  ob  Dellen  beider  Arten  thatsächlich  vorkommen.  Hierauf 
lässt  sich  die  Antwort  aus  dem  Verhalten  des  Zerstreuungs- 
kreises entnehmen. 

Ich  habe  wenigstens  für  mein  Auge  den  Eindruck,  als 
wären  die  Helligkeitsdifferenzen  nennenswerth  grössere,  wenn 
sich  meine  Netzhaut  hinter  dem  Brennpunkt  befindet,  als 
wenn  ich  mein  Auge  kQnstlich  zu  einem  hypermetropischen 
gemacht  habe  —  bei  gleicher  Grösse  der  Zerstreuungskreise.  *> 
Da,  wie  wir  sahen,  die  Helligkeitsdifferenzen  am  stärksten 
da  sind,  wo  die  mehr  oder  weniger  correcten  Brennpunkte 
der  Dellen  liegen,  so  dürfen  dieselben  hinter  dem  Brenn- 
punkte des  Auges  gesucht  werden,  d.  h.  die  Dellen  der  Lichte 
wellenfläche  haben  im  Allgemeinen  oder  in  der  Mehrzahl 
geringere  Krümmungshalbmesser  als  die  Total- Wellenober- 
fiäche  selbst.  Wir  haben  also  jene  Spalträume  zwischen  den 
Fasermassen  der  Linse  mit  Substanz  erfällt  zu  denken,  deren 
Brechungsvermögen  um  jene  wenigen  Einheiten  der  vierten 
Decimale  kleiner  ist,  als  das  der  Linse.  Damit  stimmt 
ganz  wohl  unsere  Vorstellung,  dass  eine  die  Spalträume  aus- 
füllende Linsenflüssigkeit  kaum  die  Höhe  des  Brechungs- 
index erreichen  wird,  welche  die  mit  derselben  Flüssigkeit 
getränkten  Fasern  haben. 

Es  soll  aber  nicht  ausgeschlossen  sein,  dass  einzelne 
Dellen  eine  Verbiegung  der  Lichtwellenoberfläche  im  ent- 
gegengesetzten Sinne  darstellen. 


*)  Gebt  man  mit  der  Stärke  der  vorgesetzten  Gonvexgl&ser 
über  ein  gewisses  Maass,  d.  h.  macbt  man  sein  Auge  nennenswerth 
kurzsichtiger  als  meines  ohnehin  schon  ist  (Vu—Vie))  ^o  bemerkt 
man  sehr  deutlich  die  Abnahme  der  Heiiigkeitsdififerenzen  im  Zer> 
ätreunngskreise  auch  im  kurzsichtigen  Auge. 


Ueber  den  normalen  irregulären  Astigmatismas.  17 

DafQr,  dass  es  in  der  That  die  anatomischen  Bildungen 
des  Linsenpoles  und  seiner  Umgebung  sind,  welche  den 
inegolären  Zerstrenungskreis  bedingen,  möge  noch  ein  Um- 
stand angeführt  sein. 

Es  ist:  4.  Die  strahlige  Anordnung  von  Hell  und 
Dunkel  im  Zerstreuungskreis.  Sie  gemahnt  auf  den 
ersten  Blick  an  das  Bild  des  Linsenpoles.  Es  sind  im  All- 
gemeinen radiäre  Strahlen,  welche  in  grosserer  oder  geringerer 
Entfernung  vom  Gentrum  durch  hyperbolische  Curven  mit 
einander  in  Verbindung  treten.  Ich  möchte  behaupten,  es 
müsse  sich  in  der  Linse  meines  rechten  Auges  gerade  am 
Pole  eine  Spalte  finden,  welche  zwei  Fasermassen  von  ein- 
ander trennt,  und  so  zu  dem  zweigetheilten  Centrum  der 
Fig.  1  Taf.  I  Veranlassung  giebt. 

Die  Strahlen  dieser  Figur  sagen  aus,  dass  die  Dellen 
der  Lichtwellenoberflftche  im  Allgemeinen  nicht  runde  Buckeln 
sind,  sondern  dass  sie  Striemen  ganz  besonderer  Art  in  die 
Eugeloberfläche  schneiden,  Striemen,  welche  geradezu  die 
Gestalt  nachahmen,  welche  eine  Ton  ihrer  Kapsel  entblösste 
und  etwas  eingetrocknete  Linse  an  ihrer  Oberfläche  zeigt. 
Die  radiären  Strahlen  der  Figur  kann  man  sich,  entspre- 
chend dem  oben  Mitgetheilten ,  auch  dadurch  entstanden 
denken,  dass  schmale,  radiär  um  die  Augenaxe  gestellte 
Cylinderlinsen  (die  Spalträume  zwischen  den  Fasern),  deren 
Cylinderaxen  senkrecht  auf  der  Augenaxe  stehen,  von  der 
Licbtwelle  durchsetzt  werden.  So  wird  es  klar,  dass  diese 
Unregelmässigkeiten  nicht  so  sehr  in  den  Meridionalebenen, 
als  Tielmehr  hauptsächlich  in  jenen  Ebenen  Platz  greifen, 
die  senkrecht  auf  den  meridionalen  Strahlen  der  Figur,  und 
damit  den  Linsenfurchen  stehen.  (Es  ist  das  jene  Dimen- 
sion, die  ich  oben  als  den  transversalen  Durchmesser  einer 
Delle  in  Bechnung  gebracht  habe.) 

Ich  möchte  hier  bemerken,  dass  es  durchaus  nicht  noth- 
wendig  ist,  die  oben  vorausgesetzten  Spalträume  zwischen 
Linse  und  Kapsel   als  im  Leben  vorhanden   anzunehmen* 

▼.  Oraefe*!  Archiv  fUr  Ophthulmologle,  XXXIV.  1.  2 


lg  S.  Exner. 

Auch  wenn  der  ganze  Baum  unterhalb  der  Kapsel  mit 
Linsenfasem  eifdUt  ist,  können  diese  selbst,  sofern  sie  ge^ 
ringe  Schwankungen  ihres  Brechungsindex  haben,  das  Phä- 
nomen hervorrafen.  Denn  auch  ein,  durch  parallele  ebene 
Flächen  begrenzter  durchsichtiger  EOrpcr  wirkt  wie  eine 
Cylinderlinse,  wenn  sein  Brechungsindex  nach  zwei  ent- 
gegengesetzten und  auf  den  auffallenden  Lichtstrahlen  senk- 
recht stehenden  Biohtungen  zu-  oder  abnimmt.*)  Alle 
Dellen  der  Lichtwellenoberfläche  können  auch  nach  diesem 
Principe,  also  ohne  scharfe  Orenze  zwischen  zwei  Medien 
von  verschiedenem  BreohungsvermOgen,  als  entstanden  ge^ 
dacht  werden. 


Wenn  zwischen  zwei  aneinandergrenzenden  optischen 
Medien  ein  solcher  Unterschied  des  BrechungsvermOgens 
herrscht,  dass  eine  dieselben  durchdringende  Lichtwellen- 
oberfläche in  einem  der  Medien  um  Bruchtheile  einer  Welle 
gegen  den  durch  das  andere  Medium  passirenden  Antheil 
verzögert  wird,  so  sind  dadurch  die  Bedingungen  zu  Beu- 
gungsphänomenen gegeben.**)  Es  ist  also  zu  erwarten,  dass 
der  geschilderte  optische  Bau  der  Linse,  solche  hervorrufen 
wird.  Im  gewöhnlichen  irregulären  Zerstreuungskreise  ist 
hiervon  nichts,  oder  doch  nur  weniges  zu  sehen.  Der  Grund 
hiervon  liegt  aber,  falls  der  helle  Punkt  klein  genug  gewählt 
wurde,  nur  in  der  geringen  Lichtstärke  der  Beugungsbilder. 
Steigert  man  die  Lichtstärke,  so  treten  anscheinende  Ver- 
längerungen der  Strahlen  des  irregulären  Zerstreuungskreises 
auf,  welche  sich  bei  Anwendung  sehr  intensiver  Lichtpunkte 
(elektrisches  Bogenlicht;  kleine  Sonnenbildchen  etc.)  zu  dem 
von  Helmholtz  mit  dem  Namen  des  Haarstrahlenkranzes 


*)  Yergl.  Sigm.  Exner,  üeber  Cylinder,  welche  optische 
Bilder  entwerfen.  Pflüger's  Arch.  f.  d.  ges.  Pbys.  XXXVIII. 
S.  274, 

*♦)    Vergl.    Sigm.    Exner,    üeber    optische  Eigenschaften 
lebender  Muskelfasern.    Ebenda  XXXX.  S.  360. 


Ueber  den  nonnalen  irre^^ftren  Astigmatismas.  19 

belegten  Phänomen  umgestalten.  Die  ersten  Anfänge  dieser 
Bengungserscheinongen  sehe  ich  schon  bei  meinem  kleinen 
Ausschnitte  (2  mm  Durchmesser  in  einer  Entfernung  von 
10—12  m)  im  Cjlinder  des  Gasrundbrenners,  und  bei  massig 
ansgeruhtem  Auge.  Man  kann  sich  da  überzeugen,  dass 
diese  lichtstarksten  Antheile  des  Beugungsphänomens  in  der 
That  radiftr  stehende  Strahlen  bilden;  sie  müssen  also  ihre 
Entstehung  tangential  verlaufenden  Strukturelementen  der 
Linse  verdanken.  Es  sind  das  jene  Scheitel  der  hyper- 
bolischen Curven,  durch  welche  je  zwei  radiär  gestellte 
Spalten  zwischen  den  Linsenfasermassen  in  der  Nähe  des 
Poles  in  einander  übergehen.  Es  war  zu  erwarten,  dass  sich 
diese  Stellen,  da  sie  dioptrisch  am  schärfsten  hervortreten, 
auch  im  Beugungsbilde  am  meisten  bemerkbar  machen,  wenn 
man  bedenkt,  dass  die  Gangunterschiede  der  beiden  Stralilen- 
antheile  nur  nach  Bruchtheilen  einer  Wellenlänge  zählen, 
und  an  diesen  Stellen  unzv^eifelhaft  am  grOssten  sind. 

Man  kann  an  der  genannten  Vorrichtung  auch  beob- 
achten, dass,  wie  nothwendig  erwartet  werden  muss,  der  Ort 
des  Beugungsstrahles  auf  der  Retina  sich  ändert,  je  nach 
den,  dem  Auge  vorgesetzten  Brillengläsern,  d.  i.  nach  der 
Grösse  des  irregulären  Zerstreuungskreises,  indem  sich  das 
Beugungsphänomen  immer  direct  den  Strahlen  des  Zer- 
strenungskreises  anschliesst.  Endlich  bemerkt  man,  dass 
ein  solcher  Strahl  nicht  continuirlich,  sondern  unterbrochen 
ist,  entsprechend  den  einzelnen  Beugungsspectren,  aus  denen 
er  der  Länge  nach  zusammengesetzt  ist. 

Steigt  die  Intensität  des  Lichtpunktes,  so  werden  die 
Beagungsbilder  intensiv  genug,  um  die  Farben  zu  zeigen« 
Die  Spectren,  aus  denen  jeder  Strahl  des  nun  schon  aus- 
gebildeten Haarstrahlenkranzes  besteht,  nehmen  nun  ent- 
sprechend der  Form  der  beugenden  Structur  selbst  hyper- 
bolische Gestalt  an,  eine  grosse  Menge  von  Beugungsspectren 
höherer  Ordnung  umgeben  nun  den  irregulären  Zerstreuungs- 
inreis, in  welchem  selbst  wegen  zu  grosser  Intensität  feinere 

2* 


20  S-  Exner. 

Details  nicht  mehr  gesehen  werden  können,  zum  Theile  wohl 
anch  dnrch  die  sich  mit  ihnen  deckenden  Beugnngsphänomene 
unkenntlich  werden,  die  in  den  Zerstreunngskreis  hinein- 
fallen. Auch  nehmen  die  Farben  wieder  an  Deutlichkeit  ab, 
da  sich  die  zahlreichen  Beugungsspectren  zum  grossen  Theile 
decken  und  jenen  bekannten  weisslichen  Lichtschimmer  er- 
zengen, der  die  Lichtquelle  auf  eine  gewisse  Strecke  weit  zu 
umgeben  scheint. 

5.  Die  Farben  des  irregulären  Zerstreuungs- 
kreises erklären  sich  in  einfacher  Weise  aus  der  gewöhnlichen 
Ghromasie  des  Auges.  Die  aus  der  Linse  austretende  Licht- 
wellenoberfläche hat,  sofern  sie  aus  rothem  Lichte  besteht. 

Flg.  4. 


einen  grösseren  Krümmungshalbmesser  (mm  in  Fig.  4), 
als,  sofern  sie  aus  violettem  besteht  (m  v  n).  Sind  f  und  f, 
die  beiden  entsprechenden  Brennpunkte,  und  befindet  sich 
bei  d  in  jeder  der  Lichtwellenoberflächen  eine  in  der  Linsen- 
structur  bedingte  Delle,  so  wird  der  Brennpunkt  derselben 
fQr  rotbes  Licht  irgendwo  auf  der  Strecke  d^  zu  suchen  sein, 
der  für  violettes  Licht  auf  der  Strecke  d^).  Im  myopischen 
Zerstreuungskreise  (vergl.  k  k)  wird  dann  der  durch  die  Delle 
verursachte  lichte  Fleck  auf  seiner  der  Augenaxe  zugewen- 
deten Seite  hauptsächlich  langwellige,  im  Zerstreuungskreise 
des  hypermetropischen  Auges  (vgl.  h  h)  hauptsächlich  kurz- 
wellige Strahlen  haben.  Auf  der  anderen  Seite  natürlich 
jedesmal    die  Strahlen   des  entgegengesetzten  Endes   des 


Heber  den  normalen  irreguUren  Astigmatismas.  21 

SpectnuDS.  In  der  That  hat  schon  Donders  auf  diese 
Chromasie  der  einzelnen  hellen  Flecken  hingewiesen«  und 
darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  sich  jeder  derselben  in 
der  FarbeuTertheilung  bei  verschiedener  Einstellung  des  Auges 
so  Terhält,  wie  der  ganze  Zerstreuungskreis  eines  hellen 
Punktes. 

Die  Farben  sieht  man  wegen  der  ausserordentlichen 
Schmalheit  der  Brennlinien  nicht  in  diesen  selbst  am  deut- 
lichsten, sondern  da,  wo  die  Brennlinie  selbst  schon  einen 
Zerstreuungskreis  bildet.  Denkt  man  sich  die  Netzhaut  von 
dieser  Stelle  aus  nach  vorne  oder  nach  hinten  verschoben, 
80  werden  die  Farben,  sowie  die  Helligkeitsunterschiede 
wieder  allmählich  schwinden,  indem  sie  mit  den  Farben 
anderer  Dellen  und  mit  anderen  Strahlen  überhaupt  zur 
Deckung  kommen. 

6.  Beziehung  des  irregulären  Astigmatismus  zur 
Sehschärfe.  Es  ist  oben  schon  von  der  Thatsache  Ge- 
branch gemacht  worden,  dass  der  irreguläre  Astigmatismus 
zum  mindesten  einen  der  Gründe  bildet,  aus  welchen  wir  einen 
sehr  kleinen  hellen  Punkt,  auch  bei  vollkommenster  Correction 
des  Auges  immer  grösser  sehen,  als  er  thatsächlich  ist. 
Da  der  Breimpunkt  einer  Delle  eben  nicht  im  allgemeinen 
Brennpunkte  liegt,  so  sind  die  von  derselben  ausgehend 
gedachten  Strahlen  im  Brennpunkte  des  Auges  noch  nicht, 
oder  nicht  mehr,  in  einem  Punkte  vereinigt  (vergl.  Fig.  2 
und  3).  Die  kreisförmige  Oeffnung  im  Blechschirm  meines 
Gasbrenners  von  2  mm  Durchmesser  erscheint  mir  in  einer 
Entfernung  von  11,4  m  1,8  cm  breit  (verglichen  mit  einem 
danebengehaltenen  und  sehwach  beleuchteten  Papierstreifen, 
dessen  Breite  ich  so  lange  änderte,  bis  er  mir  der  der  Oeffnung 
gleich  schien).  Dabei  war  mein  Auge  so  vollkommen  als 
möglich  corrigirt,  und  vermochte  ich  durch  schwache  Acco- 
modation  den  üebergang  von  zu  wenig  bis  zu  viel  der  Cor- 
rection zu  verfolgen.  Es  erscheint  also  der  hinlänglich  kleine 
Punkt  9  mal  so  gross  als  er  ist.    Es  wird  das  nicht  über- 


22  S.  Exner. 

rasohen,  wenn  man  bedenkt,  dass  und  wie  wir  die  Sterne 
sehen.  Setzt  man  nnn  eine  passend  berasste  Glasplatte  vor 
das  Auge,  so  erkennt  man,  dass  innerhalb  des  Netzhautbildes 
noch  sehr  nennenswerthe  HelUgkeitsdifferenzen  obwalten, 
denn  nun  wird  der  helle  Fleck  sehr  bedeutend  kleiner,  in- 
dem sich  in  seinem  Gentrum  der  wahre  Brennpunkt  durch 
bedeutendere  Helligkeit  auszeichnet.  Nichts  desto  weniger 
wird  man  nicht  daran  zweifeln,  dass  von  dem  Grade  des 
irregulären  Astigmatismus,  d.  h.  der  transversalen  Ausdeh- 
nung der  Dellen  und  der  Entfernung  ihrer  Brennpunkte  von 
dem  Brennpunkte  des  Auges,  die  Sehschärfe  mit  abhänge, 
wenigstens  insofern  sie  eine  Function  der  Schärfe  des  Netz- 
hautbildes, nicht  der  Leistungen  der  Retina  ist. 

Bei  unvollkommener  Einstellung  der  Augen  hingegen 
werden  die  mehr  oder  weniger  correcten  Brennpunkte  der 
einzelnen  Dellen  zur  Diplopia  oder  Polyopia  monocularis 
Veranlassung  geben.  Der  Charakter  derselben  muss  von  der 
Grosse,  Tiefe  und  Zahl  der  Dellen  abhängen,  welche  die 
Lichtwellenoberfläche  bei  ihrem  Durchtritt  durch  die  optischen 
Medien  des  Auges  erlitten  hat.  So  habe  ich  rechterseits 
«ine  Diplopie,  deren  Erklärung  sich  beim  Anblick  der  Fig.  1 
von  selbst  ergiebt.  Sie  liegt  in  den  zwei  auffallend  hellen 
Stellen  in  der  Nähe  des  Gentrums  des  Zerstreuungskreises. 
Jede  derartige  Diplopie  oder  Polyopie  ist  aber  dadurch 
charakterisirt,  dass  sie  bei  Correction  des  Auges  schwindet. 


Zar  Entwickelungsgescliiclite  des  Thränen- 
nasenganges  beim  Menschen.'*') 

Von 
Dr.   Theodor  Ewetzky  in   Moskau. 

Hiensn  Tafel  I.  Fig.  2. 


Aeltere  Autoren  begnügten  sich  hinsichtlich  der  Ent- 
wickelung  des  Thränennasenganges  bloss  mit  Hypothesen. 
V.  Baer**)  meinte,  dieser  Ganal  entwickele  sich  von  der  Pha- 
ryngealhOhle  aus,  Burdach**"*")  dagegen  fand  es  wahrschein- 
licher, dass  die  Entwickelung  dieses  Ganais  vom  inneren 
Augenwinkel  beginne.  Erdlf)  und  Gosteff)  wurden  in 
den  Tierziger  Jahren  fast  gleichzeitig  auf  die  Thränenfurche 
aufinerksam,  indem  sie  selbige  als  Ausgangspunkt  der  Ent- 
wickelung besagten  Organs  betrachteten.  Nach  ihrer  Ansicht 
wird  diese  Furche,  welche  am  Naseneingange  beginnt  und 


*)  Dieser  Artikel  wurde  als  yorUnflge  Mittheüung  su  Moskau 
in  der  Sitzung  der  ophthalm.  Section  des  2.  GongresseB  roBsischer 
Aente  am  9.  Januar  1887  yorgetragen. 

^    Ueber    EntwTckelungsgeschichte     der    Thiere.      Königs- 
berg 1828-^1837. 

***}  Die  Physiologie  als  ErfahrnngswissenBchaft.    Leipsig  1837. 

t)  Die  Entmckelung  des  Menschen  und  des  Hühnchens  im 
£i.    Leipzig  1815. 

tt)  Histoire  gön^rale  et  partic.  da  d^yeloppement  des  corps 
organisös.    1847—1859. 


24  Th.  Eweteky. 

am  inneren  Augenwinkel  mündet,  auf  ihrer  ganzen  Länge 
überbrückt  und  dergestalt  in  einen  Canal  verwandelt.  Diese 
Anschaaungsweise  wurde  bald  von  Allen  getheilt  und  blieb 
viele  Jahre  herrschend.  Zu  Gunsten  dieser  Meinung  spricht 
überzeugend  der  Umstand,  dass,  sobald  die  Furche  existirt, 
der  Canal  fehlt  und  erst  nach  Schliessung  derselben  er- 
scheint. Andererseits  ist  es  leicht  einzusehen,  dass  die  Erdl- 
Coste*sche  Behauptung  nicht  als  streng  bewiesen  angesehen 
werden  darf,  da  keiner  der  beiden  Autoren  die  Verwandlung^ 
der  Thiänenfurche  in  den  Thränennasengang  an  Frontal- 
durchschnitten verfolgt  hat.  Vor  etwa  10  Jahren  trat  Born*) 
mit  einer  neuen  Ansicht  auf;  mit  seiner  Arbeit  beginnt  eine 
neue  Aera  in  der  Lehre  über  die  Entwickelung  des  Thränen- 
nasenganges.  Er  fand,  dass  bei  den  Amphibien  der 
Thränencanal  sich  zuerst  in  Form  einer  £pithelialplatte 
entwickelt,  welche  sich  auf  ihrer  ganzen  Länge  vom  Auge 
bis  zur  Nase  in  die  Haut  einsenkt,  sich  dann  von  der  Ober- 
fläche abhebt,  sich  auf  diese  Art  in  einen  in  die  Tiefe  drin- 
genden Epithelialstrang  verwandelt,  in  welchem  sich  erst 
später  ein  Lumen  ausbildet;  —  damit  schliesst  die  erste 
Entwickelungsperiode  des  Thränennasenganges.  Bei  den 
Amphibien  entwickelt  sich  auf  solche  Weise  nur  ein  relativ 
kleiner  Theil  des  Canals;  sein  unterer,  resp.  vorderer  Theil 
verlängert  sich  allmählich  gegen  die  Nase  hin,  wodurch  der 
anfangs  nicht  vorhandene  Theil  des  Canals  zu  Stande  kommt 
Bei  den  VOgeln  entsteht  der  Canal  ebenso  wie  bei  den  Am- 
phibien, nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  bei  den  ersten 
die  Epithelialplatte  vom  Boden  der  Thränenfurche  in  die 
Tiefe  wächst.  An  Säugethieren  hat  Born  keine  Unter- 
suchungen angestellt. 

So  stand  die  Frage,   als  ich**)  im  Jahre  1879  meine 


*)  Morpholog.  Jahrb.   B.  II.  1876.    Jahresber.  d.  Schles.  Ge- 
»ellsch.  1878.  —  Morpholog.  Jahrb.  Bd.  V.  1879. 

**)  Beiträge  zur  Entwickelungsgeschicbte  des  Auges.    Arch. 
f.  Augenheilk.  B.  VIU. 


EntwickelnngBgefichichte  des  ThräneunasengaDges  etc.      25 

üntersnchungen  hinsichtlich  der  Entwickelung  des  Auges 
bei  den  Säagethieren  TerOffentlichte ;  in  diesem  Artikel 
widmete  ich  der  Entwickelung  des  Thrdnencanals  meine 
besondere  Aufitnerksamkeit.  Bei  Embryonen  von  Bindern, 
welche  ich  der  Untersuchung  unterzog,  entwickelt  sich  dieses 
Organ  sehr  früh;  die  ersten  Spuren  desselben  findet  man 
schon  an  Embryonen  von  ca.  2  cm  Länge.  Es  beginnt  am 
Boden  der  Thränenfurche,  welche  bekanntermaasen  zwischen 
dem  Oberkieferfortsatz  und  äusseren  Nasenfortsatz  liegt  und 
sich  Yon  der  äusseren  Oeffnung  der  Nasenhohle  zam  innern 
Augenwinkel  hinzieht,  wo  sie  in  die  das  Auge  umkreisende 
Rinne,  den  künftigen  Gonjunctivalsack,  mündet.  Das  die 
Thränenfurche  auskleidende  Epithel  fängt  an,  in  deren  gan- 
zer Ausdehnung  zu  proliferiren,  an  Frontaldurchschnitten  sehen 
wir  zu  dieser  Zeit  einen  kleinen  soliden  Epithelialfortsatz, 
welcher  durch  einen  schmalen  Hals  oder  Stiel  mit  dem  Boden 
der  Furche  in  Verbindung  steht.  Dieser  Epithelialfortsatz 
wird  später  vom  Furchenboden  abgeschnürt,  wodurch  ein 
fester  Epithelialstrang  entsteht,  welcher  neben  und  parallel 
der  Furche  verläuft.  Sein  oberes  Ende  bleibt  mit  dem  Epithel 
des  embryonalen  Conjunctivalsackes  in  Verbindung,  während 
das  untere  in  die  Epithelialbekleidung  der  Nasenhohle  über- 
geht Der  Querschnitt  des  Thränencanals,  kurz  nach  seiner 
Abtrennung  von  der  Oberfläche,  erscheint  (falls  das  Präparat 
mit  Carmin  gefärbt  ist),  als  ein  rother,  runder  Diskus,  dessen 
Peripherie  mit  würfelformigen  Zellen,  das  Centrum  dagegen 
von  runden  besetzt  ist.  Der  Thränencanal  bleibt  einige 
Zeit,  während  welcher  er  nur  im  Querdurchschnitt  dicker 
wird,  auf  dieser  Entwickelungsstufe  stehen,  sodann  geschehen 
Verwandlungen  in  demselben,  als  deren  Endresultat  sich  das 
Auftreten  eines  Lumens  in  dem  vorher  soliden  Epithelial- 
strange  ergibt.  Die  Centralzellen  werden  grosser,  ihr  Proto- 
plasma wird  heller,  hyalin  und  wird  von  Carmin  nicht  mehr 
roth  gefärbt,  woher  der  Canal  im  Querschnitt  das  Ansehen 
eines  hellen,  von  einem  schmalen  Bing  roth  gefärbter  peri- 


26  Th.  Ewetzky. 

pherischer  Zellen  umgebenen  Discus  hat.  Als  Vorläufer 
der  Lumenbildung  erscheinen  zwischen  den  Centralzellen 
kleine  Spalten,  welche  wahrscheinlich  durch  das  Ausfallen 
ersterer  entstehen.  Die  Ursache  der  Degeneration  dieser 
Zellen  ist  unbekannt,  sie  werden  YoUständig  durchsichtig, 
verlieren  ihren  Kern  und  verschwinden  zuletzt  vollständig. 
Die  Zahl  solcher  Spalten  wird  mit  der  Zeit  grosser,  sie 
confluiren,  wodurch  unregelmässige,  leere  Zwischenräume 
zu  Stande  kommen.  Zuerst  ist  das  Lumen  sehr  schmal, 
unregelmässig,  man  sieht  im  Canal  abwechselnd  bald  breitere, 
bald  engere  Bäume,  seine  Wandungen  sehen  gezahnt,  ge- 
wissermaassen  ausgefressen  aus.  Allmählich  glätten  sich 
diese  Unebenheiten  und  das  Lumen  des  Ganais  wird  grosser. 
Das  Lumen  bildet  sich  erst  in  den  Canälchen  und  dann  erst 
im  Ganale  selbst,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  das  Lumen 
sich  nicht  gleichmässig  vom  Auge  gegen  die  Nase  zu  ent- 
wickelt, sondern  die  £ntwickelung  findet  so  zu  sagen  sprung- 
weise statt,  derart,  dass  an  manchen  Stellen  schon  ein  Lumen 
vorhanden  ist,  während  in  den  dazwischen  liegenden  Strecken 
noch  keines  existirt.  Nur  bei  Embryonen  von  10  cm  Länge 
findet  man  das  Lumen  auf  der  ganzen  Strecke  vor;  bei 
Embryonen  von  16  cm  ist  es  schon  verhäitnissmässig  gross, 
die  Umrisse  sind  glatt  und  die  Wandungen  des  Ganais  mit 
mehrschichtigem  Platten-Epithel  bekleidet,  welches  aus  einer 
Reihe  würfelförmiger,  körniger  Elemente  an  der  Peripherie 
und  mehreren  rund  um  das  Lumen  gelegenen  Schichten 
heller  Epidermoidalzellen  besteht. 

Ich  kam  also  zu  der  Ueberzeugung,  dass  der  Thränen- 
canal  sich  bei  den  Säugethieren  nach  demselben  Typus  ent- 
wickelt, wie  ihn  Born  in  Bezug  auf  die  Vögel  beschreibt. 
In  einigen  Einzelheiten  freilich  divergiren  unsere  Beob- 
achtungen, so  z.  B.  hinsichtlich  der  Verbindung  des  vor- 
deren resp.  unteren  Canalendes  mit  der  Nasenhöhle,  doch 
werde  ich  mich  hier  nicht  damit  aufhalten,  da  solches  in 
keinerlei  Beziehung  zu  meinem  gegenwärtigen  Zwecke  steht. 


EntinckeliuigsgeBchidite  des  Thränennasenganges  etc.      27 

Nor  einen  umstand  möchte  ich  hervorheben.  Ich  war 
nftmlich,  im  Widersprach  mit  Born,  der  Meinung,  dass  die 
sich  vermehrenden  Epithelzellen  nicht  sogleich  in  Gestalt 
eines  Fortsatzes  in  die  Tiefe  dringen,  sondern  dass  dieser 
Fortsatz  sich  an  Ort  und  Stelle  in  Folge  des  gegenseitigen 
Contacts  der  Furchenwandangen  bildet  und  sich  erst  dann 
TOB  der  Furche  ablOst,  was  das  Verschwinden  derselben  zur 
Folge  hat.  Daraus  ist  ersichtlich,  dass  besagte  Meinungs- 
Terscfaiedenheit  nicht  sowohl  die  Sache  an  sich  betrifft,  sondern 
eher  formellen  Charakters  ist. 

Zwei  Jahre  nach  meiner  Arbeit  erschien  die  Dissertation 
von  Legal*),  welcher  unter  Born's  Leitung  seine  Unter- 
suchungen  an  Schweins-Embryonen  anstellte.  Er  bestätigte 
meine  Forschungen  in  den  Hauptzügen,  stellte  sich  aber 
in  Bezug  auf  die  oben  erörterte  Streitfrage  vollständig  auf 
die  Seite  seines  Lehrers.  Das  letzte  ist  begreiflich,  weniger 
begreiflich  ist  mir  dagegen  die  polemische  Maqier,  mir  Mei- 
nungen zuzuschreiben,  die  ich  nirgends  geäussert  habe.  Sich 
auf  meine  Zeichnung  No.  16  stützend,  kommt  Legal  auf 
S.  20  seiner  Dissertation  zu  dem  Schlüsse,  ich  hätte  die 
Entstehung  des  Epithelfortsatzes  nur  der  Proliferation  der 
obersten,  den  Thränenfurchenboden  auskleidenden  Epithel- 
schicht zugeschrieben,  indess  ich  mich  im  Text  klar  genug 
darüber  äussere,  dass  der  Epithelialfortsatz  seine  Entstehung 
der  Froliferation  des  Hornblattes  am  Boden  der  Thränen- 
furche  verdanke,  nicht  aber  dessen  oberflächlicher  Schicht, 
wie  mir  solches  von  Legal  zugeschrieben  wird.  Auf  S.  22 
erstaunt  der  Autor  darüber,  dass  die  erwähnte  Zeichnung 
die  centralen  Zellen  des  Epithelialfortsatzes  gar  nicht  denen 
ähnlich  darstellt,  von  welchen  sie  entstanden  sind.  Falls 
Legal  den  betreffenden  Text  mit  Aufmerksamkeit  durch- 
gelesen hätte,  so  würde  er  gefunden  haben,   dass  die  dort 


*)  Znr  Entwiekelnngsgeschichte  des  Thränennasenganges  bei 
S&ugetbieren.    Diss.   Breslau  1881. 


28  Th.  Ewetzky. 

gegebene  Beschreibung  genau  mit  seiner  Ansicht  über  den 
Bau  des  Epithelialfortsatzes  übereinstimmt.  Die  Beschreibung 
nämlich  besagt,  der  Epithelialfortsatz  bestehe  aus  zweierlei 
Zellen,  nämlich  aus  peripherischen,  strahlenförmig  angeord- 
neten Zellen  und  aus  centralen,  meist  runden  Elementen. 
Nach  Legal  besteht  der  Fortsatz  an  seiner  Basis  aus  cylin- 
drischen  Zellen  und  aus  Zellen  von  verschiedenartiger  Ge- 
stalt im  Gentrum.  Wo  liegt  hier  ein  unterschied  vor?  Da 
die  Zeichnungen  nicht  von  mir  selbst,  sondern  von  einer  in 
besagter  Frage  vollständig  incompetenten  Persönlichkeit  ver- 
fertigt sind,  wie  ich  solches  speciell  betont  habe,  so  wäre 
es  richtiger  gewesen,  in  zweifelhaften  Fällen  die  Erklärung 
nicht  in  der  Zeichnung,  sondern  im  Texte  zu  suchen. 

Aus  dieser  kurzen  üebersicht  der  Literatur  unseres 
Gegenstandes  ist  der  Schluss  zu  ziehen,  dass  bei  allen  Wirbel- 
thieren  der  Thränencanal  sich  nach  einem  im  Allgemeinen 
fiboreinstimmenden  Plane  entwickelt. 

Jetzt  bleibt  noch  übrig,  zu  erforschen,  wie  sich  dieser 
Canal  beim  Menschen  entwickelt,  Obgleich  diese  Aufgabe 
an  und  für  sich  nicht  als  bedeutend  erscheint,  so  wird  sie 
dennoch  nicht  so  leicht  zu  lOsen  sein,  hauptsächlich  aus 
dem  Grunde,  dass  es  schwierig  ist,  gut  erhaltene  FOtus  aus 
einer  so  frühen  Entwickelungsperiode  zu  bekommen.  Ich  bitte, 
die  unten  verzeichneten  Thatsachen  als  einen  ersten  und  un- 
bedeutenden Schritt  in  dieser  Richtung  betrachten  zu  wollen. 

Der  jüngste  Embryo,  den  ich  untersucht  habe,  war  9  mm 
lang.  Wenn  wir  in  Betracht  ziehen,  dass  nach  His"^)  ein 
4  Wochen  alter  menschlicher  Embryo  die  Länge  von  7 — 8  mm 
hat,  so  muss  angenommen  werden,  däss  das  Alter  obigen 
Exemplars  circa  dem  Anfange  der  5.  Woche  des  fötalen 
Lebens  entspricht.  Der  Kopf  dieses  Embryo,  wie  auch  der 
Qbrigen,  wurde  nach  vorheriger  Erhärtung  in  Müller'scher 


*)  Anatomie  menschlicher  Embryonen.     Leipzig.    Bd.  I  mit 
Atlas  1880,  Bd.  II  1882. 


Entwickelimgsgescilichte  des  Thr&nennasenganges  etc.      29 

Flüssigkeit  ond  Spiritas  in  Celloidin  eingebettet  und  dann  mit 
Hilfe  eines  Mikrotoms  in  eine  fieihe  von  Schnitten  zerlegt. 
Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigte,  dass  noch  gar 
keine  Anlage  des  Thränennasenganges  Yorhanden  war.  Die 
Thränenfurche  erschien  an  den  Frontalschnitten  als  ein  recht 
tiefer,  schmaler  und  spitzer  Einschnitt,  dessen  Spitze  nach 
innen  und  etwas  nach  unten  gerichtet  war.  Gegen  das  Auge 
hin  wurde  die  Furche  breiter  und  kürzer.  Das  die  Furche 
bekleidende  Epithel  bildete  zwei  Schichten,  eine  innere  mit 
cjUndrischen,  und  eine  äussere  mit  platten  Zellen.  Stellen- 
wdse  wurden  zwischen  den  beiden  Schichten  kurze  ovale 
Zellen  angetroffen.  Am  Boden  der  Thränenfurche  war  nicht 
das  geringst-e  Anzeichen  einer  Proliferation  des  Epithels  zu 
bemerken.  Die  Crystallinse  erschien  als  hohle  Blase  mit 
gleichmassig  dicken  Wandungen,  stand  noch  mit  dem  äusseren 
Eeimblatte  in  Verbindung  und  ihre  Höhle  war  noch  durch 
eine  schmale  Oeffnung  von  aussen  her  zugänglich. 

Der  zweite  Embryo,  dessen  Länge  mir  unbekannt  ist, 
war,  Dach  der  Ausbildung  der  Linse  zu  urtheilen,  etwas 
älter,  als  der  erste.  Die  Linse  war  wohl  noch  immer  blasen- 
förmig,  aber  sie  war  nicht  mehr  mit  dem  äusseren  Keim- 
blatte  in  Verbindung,  ihre  Proximalwand  war  in  Folge  ener- 
gischen Wachsthums  ihrer  Elemente  bedeutend  dicker 
geworden.  Ich  glaube  mich  nicht  zu  irren,  wenn  ich  für 
diesen  Embryo  ein  Alter  von  4Va  bis  5  Wochen  annehme. 
Die  Thränenfurche  wies  auf  den  ersten  Blick  keine  Verän- 
derungen auf,  wenn  man  sie  aber  aufmerksamer  untersuchte, 
80  war  ein  unbedeutendes  Abweichen  von  dem  oben  be- 
schriebenen Zustande  zu  bemerken,  eine  Veränderung,  welche 
deutlich  auf  den  Anfang  der  Entwickelung  des  Thränen- 
nasenganges hinwies.  Bei  stärkerer  Vergrösserung  konnte 
bemerkt  werden,  dass  ein  kurzer,  solider  Epithelialfortsatz 
an  den  Boden  der  Thränenfurche  stiess;  dieser  Fortsatz 
drang  auf  einer  unbedeutenden  Strecke  in  die  Tiefe  des 
darunter  liegenden  Oewebes.    Die  Breite  des  Fortsatzes  war 


30  Th.  Eweteky. 

der  Breite  des  Thränenfurchenbodens  gleich  und  seine  Lage 
in  dem  umgebenden  Gewebe  entsprach  der  Bichtnng  der 
Fnrche,  woraus  sich  erklärt,  warum  der  Fortsatz  nicht  so« 
gleich  in  die  Augen  fiel,  um  so  mehr,  da  keine  Spur  Ton 
einem  ihn  mit  dem  Furchenboden  Ycrbindenden  Stiel  vor- 
handen ist.  Bei  einem  solchen  Verh&ltniss  des  Epithelial« 
fortsatzes  zur  Thränenfurche  ist  es  schwer  zu  entscheiden, 
ob  derselbe  sich  dadurch  entwickelt  hat,  dass  die  sich  meh- 
renden Epithelien  in  das  darunter  liegende  Gewebe  dringen, 
oder  ob  er  seine  Entstehung  der  Ausfüllung  der  Furche 
durch  an  ihrem  Boden  stattfindende  Zellenproliferation  ver- 
dankt. In  dem  vorderen,  der  Nase  zunächst  gelegenen  Theil 
der  Thränenfurche  war  die  Länge  des  erwähnten  Fortsatzes 
grosser,  als  in  dem  hinteren,  an  das  Auge  stossenden  TheiL 
Hart  am  Auge  war  gar  kein  Fortsatz,  und  das  Epithel  wies 
kein  Anzeichen  von  ProUferation  auf.  Bei  starker  Yer- 
grOsserung  konnte  man  constatiren,  dass  der  Fortsatz  aus 
kleinen  Epithelzellen  bestand,  welche  in  keiner  Weise  von 
den  Elementen  der  unteren  Epithelschicht  der  Thränenfurche 
unterschieden  waren.  Die  äussere  Schicht  nahm  dem  An- 
scheine nach  an  der  Bildung  des  rudimentären  Canals  gar 
keinen  Antheil. 

Der  dritte  Embryo  war  12  mm  lang.  Die  Linsenhöhle 
war  fast  vollständig  ausgeffiUt;  hinter  der  vorderen  Kapsel 
mit  ihrem  Epithel  befand  sich  ein  kleiner,  halbmondförmiger 
Raum.  Ich  glaube  mit  einiger  Sicherheit  diesem  Embryo 
das  Alter  von  5  bis  öVa  Wochen  beilegen  zu  können.  Der 
Thränencanal  befand  sich  hier  noch  in  derselben  Ent- 
wickelungsperiode,  d.  h.  er  hatte  sich  noch  nicht  von  der 
Thränenfurche  abgelöst,  doch  war  er  von  grösseren  Dimen- 
sionen, als  bei  dem  zweiten  Embryo.  An  den  consecuüven 
Schnitten  konnte  man  sich  überzeugen,  dass  der  Ganal  schon 
fast  auf  seiner  ganzen  Strecke  angelegt  war,  nur  von  dem 
dem  Auge  zunächst  gelegenen  Theil  konnte  solches  nicht 
mit   Sicherheit  behauptet  werden,   weil  dieser  Theil  der 


Entwickelongsgeschichte  des  ThränennasengaBges  etc.      31 

Schnitte  durch  einen  Zufall  für  die  Untersuchung  verloren 
war.  Auf  der  ganzen  Strecke  hatte  der  Canal  das  Aus- 
sehen eines  sehr  feinen  und  relativ  langen  Epithelialfort- 
Satzes,  dessen  distales  Ende  mit  dem  Boden  der  Furche  ver- 
sehmolz,  dessen  proximales  Ende  dagegen  nach  innen  und 
etwas  nach  unten  gegen  den  Boden  der  Nasenhöhle  gerichtet 
war  (8.  die  Abbildung).  An  den  zunächst  der  Nase  gefallenen 
Schnitten  war  die  Länge  des  Fortsatzes  bedeutend  grösser, 
als  gegen  das  Auge  hin.  Die  Dicke  der  Fortsätze  ist  relativ 
unbedeutend  und  bleibt  nicht  überall  gleich.  Obgleich  dieser 
Fortsatz  am  Boden  der  Thränenfnrche  etwas  dünner  war, 
als  an  seinem  entgegengesetzten  Ende,  so  war  dennoch  der 
Unterschied  so  gering,  dass  es  unmöglich  war,  einen  Stiel 
oder  Fuss  von  einem  eigentlichen  Körper  zu  unterscheiden. 
Im  Allgemeinen  ist  seine  Qestalt  der  einer  Rheinwein- 
flasche ähnlich,  nur  dass  der  Breitenunterschied  zwischen 
Hals  und  Boden  geringer  ist  und  dass  die  Umrisse  wellen- 
förmig erscheinen.  Der  Fortsatz  besteht  aus  Epithelzellen, 
welche  ohne  besondere  Ordnung  aneinandergereiht  sind.  Sie 
sind  rund  von  Gestalt,  körnig,  mit  relativ  grossem  Kern 
und  erscheinen,  wenn  mit  Carmin  und  Haematoxylin  bear- 
beitet, intensiver  gefärbt,  als  die  sie  umgebenden  Elemente 
des  mittleren  Keimblattes.  Sie  verdanken  ihre  Entstehung 
der  tiefen  Schicht  des  Gylinderepithels  der  Thränenfnrche, 
wenigstens  ging  diese  Schicht  unmittelbar  in  die  Zeilen  des 
Fortsatzes  über,  wobei  diese  eine  mehr  abgerundete  Form 
annahmen.  Der  Thränencanal  war  von  runden,  indifferenten 
Zellen  umgeben,  von  welchen  seine  eigenen  Elemente  sich 
dadurch  unterschieden,  dass  sie  von  etwas  grösseren  Dimen- 
sionen waren,  ein  kömiges  Protoplasma  und  die  Eigenschaft 
besassen,  Farbstoffe  etwas  energischer  zu  absorbiren.  Der 
Epithelfortsatz  war  von  letzteren  Zellen  nicht  durch  eine 
besondere  Membran  geschieden,  doch  bestand  auch  keine 
enge  Verbindung  zwischen  ihnen,  da  man  an  vielen 
Stellen  eine  schmale  Spalte   wahrnehmen  konnte ,   welche 


32  Th.  Ewetsky. 

kQnsilicli  in  Folge  der  Behandlung  mit  erb&rtender  Flüssig- 
keit entstanden  war. 

Der  letzte  Embryo,  den  ich  untersuchte,  war  42  mm 
lang.  Leider  wurde  er  erst  gemessen,  nachdem  er  schon 
mehrere  Tage  in  einer  gesättigten  PicrinsäurelOsung  gelegen 
hatte,  unter  deren  Einfluss  er  sehr  geschrumpft  war. 

Bei  diesem  Embryo  hatte  sich  der  Thränencanal  voll- 
ständig Ton  der  Oberfläche  gelöst.  Er  befand  sich  ungefähr 
auf  derjenigen  Entwickelungsstufe,  welche  ich  bei  Rinds- 
embryonen von  10  cm  Länge  angetroffen  habe.  An  Quer- 
schnitten, welche  eine  runde  oder  ovale  Gestalt  hatten,  war 
unschwer  zu  bemerken,  dass  der  Thränencanal  mit  Zellen 
von  zweierlei  Typus  angefüllt  war.  An  seiner  Peripherie 
befand  sich  eine  Reihe  cylindrischer  Zellen,  der  übrige  Raum 
war  von  runden  oder  auch  polygonalen  Zellen  besetzt.  Erstere 
hatten  ein  körniges  Protoplasma  und  färbten  sich  gut  mit 
Gar  min,  bei  den  letzteren  dagegen  war  der  Körper  der  Zelle 
etwas  grösser,  durchsichtig  und  färbte  sich,  den  Kern  aus- 
genommen, gar  nicht.  Daher  hatte  an  gefärbten  Präparaten 
der  Querschnitt  des  Thränencanals  immer  das  Aussehen 
eines  Discus  mit  schmalem  rothem  resp.  blauem  Bande  und 
heller  Mitte.  Der  Thränencanal  war  jetzt  nicht  mehr  der 
solide  Epithelialstrang,  der  er  auf  einer  früheren  Ent- 
wickelungsstufe gewesen  war;  er  war  jetzt  canalisirt,  obgleich 
noch  auf  sehr  primitive  Weise.  Die  Lumenbildung  begann, 
ebenso  wie  bei  den  übrigen  Säugethieren,  im  Gentrum,  in- 
mitten der  oben  beschriebenen  hellen  Zellen,  welche  einer 
Degeneration  verfielen  und  verschwanden.  Das  Lumen  er- 
schien als  mehr  oder  weniger  schmale  Spalte  mit  unregel- 
mässigen, wie  ausgefressenen  Rändern.  Die  an  den  Canal 
stossenden  Zellen  ragten  oft  tief  in  die  Höhlung  desselben 
hinein,  wodurch  sie  das  Lumen  des  Ganais  oft  sehr  ver- 
engerten, oder  gar  in  Form  dünner  Balken  von  einer  Seite 
zur  anderen  reichend,  ihn  in  verschiedenen  Richtungen  durch- 
kreuzten.   An  anderen  Stellen  dagegen  wurde  das  Lumen 


Sütwickeliiogsgeachichte  des  Thränennasenganges  etc.      33 

merklich  breiter  und  erreichte  fast  den  an  der  Peripherie 
des  Canals  gelegenen  Bing  cylindrischer  Zellen.  Die  Thränen- 
canUchen  hatten  fast  gar  kein  Lumen ;  vom  Canal  selbst  dagegen 
war  eine  bedeutende  Strecke  canalisirt,  obgleich  wieder  an 
manchen  Stellen  noch  kein  Lumen  vorhanden  war.  Danach 
za  nrtheilen,  kann  man  voraussetzen,  dass  die  Ganalisation 
zuerst  im  Thränencanal  und  dann  erst  in  den  Canälchen 
aD&Dgt;  da  aber  dieses  nicht  mit  dem  übereinstimmt,  was 
ich  in  dieser  Hinsicht  an  Thieren  gefunden  habe,  so  wage 
ich  es  nicht,  der  besagten  Thatsache  eine  zweifellose  Be- 
deutung beizumessen,  um  so  mehr,  da  ich  nur  einen  ein- 
sigen Embryo  zur  Verfügung  hatte.  Bei  jungen  Embryonen 
hatte  der  Thränencanal  keine  besondere  Membran,  seine  Zellen 
Büessen  direct  an  die  Elemente  des  umgebenden  Gewebes, 
dieses  Mal  war  er  von  einer  dünnen  Membran  umgeben, 
welche  aus  flachen,  im  Durchschnitte  spindelförmigen  Zellen 
mit  kleinen,  länglichen  Kernen  bestand.  In  dem  Gewebe, 
welches  den  Thränencanal  umgab,  konnte  keine  Differen- 
zuruDg  wahrgenommen  werden,  welche  auf  die  beginnende 
Bildung  einer  Schleimhaut  hingewiesen  hätte.  Es  gruppirten 
sich  erst  nur  noch  indifferente,  runde  und  spindelförmige 
Zellen  des  mittleren  Keimblattes  etwas  enger  um  den 
Thränencanal,  als  in  einiger  Entfernung  von  ihm. 

Wenn  man  die  Entwickelungsgeschichte  des  Thränen- 
canals  beim  Menschen  mit  demselben  Vorgang  bei  den 
übrigen  Säugethieren  vergleicht,  so  kann  man  nicht  um- 
hin zu  bemerken,  dass  zwischen  beiden  eine  bedeutende, 
fast  an  Identität  grenzende  Aehnlichkeit  besteht.  Beim 
Thiere  wie  beim  Menschen  verdankt  der  Canal  seine  Ent- 
stehung der  Proliferation  der  Epithelzellen,  welche  den 
Boden  der  Thränenfurche  auskleiden,  die  sodann  in  Form 
eines  Epitfaelialfortsatzes  in  die  Tiefe  der  Gewebe  dringen. 
In  meinem  oben  erwähnten  Artikel  meinte  ich,  dass  dieser 
Fortsatz  sich  an  Ort  und  Stelle  biLle,  dass  er  nur  der  in 
seiner  Gestalt   modificirte   Boden    der  Thränenfurche   sei, 

T.  GTMf«*i  Archiv  für  Opbtbalmoloel«,  ZJLXIV.  l.  8 


34  Th.  Ewetzky. 

welcher  sich  sodann  von  letzterer  ablöse.  Diese  Ansicht 
steht,  wie  der  Leser  weiss,  mit  der  von  Born  nnd  später 
auch  von  Legal  im  Widerspruch,  da  diese  behaupten,  der 
Epithelialfortsatz  bilde  sich  infolge  des  Eindringens  des 
wuchernden  Epithels  der  Thränenfurche  in  die  Tiefe.  Jetzt 
finde  ich  mich  Teranlasst,  meine  frühere  Meinung  aufzugeben 
und  derjenigen  Born's  beizutreten.  In  der  That  lassen 
die  von  mir  an  dem  12  mm  langen  Embryo  beobachteten 
Thatsachen  über  das  energische  Hineinwachsen  der  Epithe- 
lien  des  Thränenfurchenbodens  in  das  darunter  liegende 
Gewebe  keinen  Zweifel  übrig.  Obgleich  die  Entwickelung 
des  Thränencanals  bei  Mensch  und  Thieren  anfangs  voll- 
ständig identisch  ist,  so  geht  doch  das  Einwachsen  in  die 
Tiefe  bei  ihnen  verschieden  vor  sich.  Bei  den  Thieren 
nehmen  die  proliferirenden  Zellen  die  Gestalt  eines  dicken 
und  kurzen  Epithelialfortatzes  an,  welcher  vermittelst  eines 
relativ  dünnen  Stiels  mit  der  Thränenfurche  in  Verbindung 
bleibt,  beim  Menschen  dagegen  ist  der  Fortsatz  dünn, 
relativ  sehr  lang  und  sitzt  unmittelbar  ohne  besonderen 
Stiel  am  Thränenfurchenboden.  Noch  schärfer  tritt  der 
unterschied  hervor,  wenn  wir  uns  auf  Grund  der  Frontal- 
durchschnitte die  wirkliche  Gestalt  des  Thränencanals  auf 
der  ganzen  Strecke  von  der  Nase  bis  zum  Auge  vorstellen. 
Bei  Thieren  hat  der  Ganal  auf  dieser  Entwickelungsstufe 
die  Gestalt  eines  recht  dicken  und  soliden  Stranges  (Körper 
des  Epithelialfortsatzes),  welcher  parallel  der  nahegelegenen 
Thränenfurche  verläuft  und  mit  ihr  durch  eine  kurze  und 
schmale  Platte  (Stiel  des  Fortsatzes)  verbunden  ist.  Beim 
Menschen  hat  dieses  Organ  das  Aussehen  einer  dünnen, 
aber  breiten  und  etwas  wellenförmigen  Epithelialplatte« 
welche  mit  ihrem  äussern  Bande  an  den  Boden  der 
Thränenfurche  stOsst,  deren  innerer  Band  dagegen  nach 
innen  und  unten  gegen  die  Nasenhohle  gerichtet  ist,  von 
deren  Boden  der  vordere  resp.  untere  Theil  der  Scheibe 
nicht  weit  entfernt  ist.    Diese  Epithelialplatte  bildet  ihrer 


Entwickelongsgeschichte  des  Thränennasenganges  etc.      35 

Lage  nach  so  zu  sagen  die  ununterbrochene  Fortsetzung 
der  Thranenfurche.  Sie  ist  nahe  bei  der  äusseren  Nasen- 
OShnng  breiter,  und  wird  gegen  das  Auge  zu  schmaler. 

Indem  ich  die  Bildung  der  Thränencanälchen  bei  Seite 
lasse  —  da  es  mir  nicht  gelungen  ist,  etwas  Positives  über 
diesen  Gegenstand  beim  menschlichen  Embryo  zu  er- 
mitteln —  kann  ich  nicht  umhin,  die  grosse  Aehnlichkeit 
der  weiteren  Entwickelung  des  Thrftnencanals  beim  Menschen 
mit  demselben  Processe  bei  den  Thieren  hervorzuheben.  Die 
Epithelialplatte  hebt  sich  vom  Thränenfurchenboden  ab  und 
verwandelt  sich  erst  in  einen  festen  Epithelialstrang,  welcher 
erst  später  ein  Lumen  erhält.  Vor  Bildung  des  letztem 
theilen  sich  die  den  Thränencanal  bildenden  Zellen  in  zwei 
Gruppen  —  die  centralen  und  die  peripherischen.  Die 
centralen  verfallen  der  Atrophie  und  verschwinden,  woher 
Spalten  zwischen  ihnen  entstehen,  welche  bei  der  Verbreitung 
dieses  Processes  auf  die  ganze  Strecke  des  Canals  endlich 
zur  Bildung  eines  Lumens  in  demselben  ffihren. 

Zum  Schlüsse  fasse  ich  die  von  mir  gefundenen  That- 
Sachen  aus  der  Entwickelungsgeschichte  des  Thränen- 
nasenganges  beim  Menschen  folgendermassen  zusammen: 

1.  Die  Entwickelung  des  Thränencanals  beginnt  um 
das  Ende  der  5.  oder  im  Anfang  der  6.  Woche  des 
FOtallebens. 

2.  Die  Entwickelung  des  Canals  geht  beim  Menschen 
nach  demselben  Typus  vor  sich,  wie  dieses  bei  den 
übrigen  Wirbelthieren  der  Fall  ist. 

3.  Ein  scharfer,  doch  nicht  principieller  Unterschied  von 
den  übrigen  Säugethieren  besteht  beim  Menschen  in 
der  Form,  welche  der  Canal  bei  ihm  in  der  ersten 
Entwickelungsperiode  annimmt. 


3* 


36  Th.  Ewetiky. 


Erklärung  der  Abbildnng. 


Frontalschnitt  durch  den  Kopf  eines  12  mm  langen  mensch- 
lichen Embryo. 

8h  =  SchftdelhOhle. 

mh  =  Mundhohle. 

nh  =  Nasenhöhle. 

tf  =  Thränenforche. 

ig  =  Anlage  des  Thr&nennasenganges  in  Form  eines  soliden, 
langen  und  schmalen  Epithelfortsatses. 

of  =s  Oherkieferfortsats. 

V.  5«o. 


Die  letdiantoirciilation,  spedell  der  Arterienpnls 
in  der  letzhsnt  bei  iUgemeinleiden. 

Von 

Dr.  B.  Seh  mall,  prakt  Arzt 
in  Königsberg  i.  Ft. 

Mit  13  HolJSBchnitten. 


Die  nachfolgende  Arbeit,  welche  ich  im  Januar  1886 
begann  nnd  Ende  desselben  Jahres  fertig  stellte,  wurde  haupt- 
sflchlich  durch  die  Abhandlung  Bählmann*s  in  Virchow*s 
ArcliiT  (Bd.  102):  „üeber  einige  Beziehungen  der  Netzhaut- 
drculation  bei  allgemeinen  Störungen  des  Blutkreislaufs^^ 
anger^  Die  ophthalmoskopischen  Untersuchungen,  aus- 
schliesslich an  dem  Erankenmaterial  der  hiesigen  inneren 
Klinik  und  Poliklinik  vorgenommen,  um&ssten  die  meisten 
Patienten,  welche  an  einer  Kreislaufstörung,  gleichgültig 
SOS  welcher  Ursache,  litten;  insbesondere  wurden  alle  fieber- 
haften Krankheiten  in  das  Bereich  dieser  Untersuchungen 
gezogen. 

Wenn  ich,  dem  Beispiel  Bählmann's  folgend,  mehr 
auf  die  Bedeutung  der  Augenspiegelbefunde  für  die  klinische 
Diagnose  des  AUgemcinleidens  eingehe,  so  geschieht  das 
unter  dem  Vorbehalt,  spftterhin  noch  einmal  auf  einige 
allein  den  Ophtalmologen  interessirende  Fragen  aus  diesem 
Gebiete  ausführlicher  zurückzukommen. 

Um  die  pathologischen  Veränderungen  im  Gefässsystem 
der  Netzhaut  erkennen  und  ihren  Zusammenhang  mit  StO- 


38  B.  SchmalL 

rungen  der  allgemeinen  Blatcirculation  richtig  beurtheilen 
zu  können,  ist  es  nothwendig,  zunächst  knrz  auf  die  nor- 
malen Erscheinungen  an  den  Netzbantgeffissen,  welche  wir 
mit  dem  Augenspiegel  wahrnehmen,  einzugehen,  sodann  anf 
einige  Fehlerquellen  löcalen  Ursprungs,  die  bei  einer 
Verallgemeinerung  der  Spiegelergebnisse  in  Rechnung  zu 
ziehen  wären. 

Der  Augenspiegel  belehrt  uns  über  den  Füllungszustand 
der  Netzhautgefässe  und  ihren. Verlauf,  Aber  die  Beschaffen • 
heit  ihrer  Wandungen,  Aber  die  Farbe  ihres  Inhaltes  und 
endlich  Aber  etwaige  Pulsationserscheinungen  an  denselben. 

Ich  habe  bei  meinen  Untersuchungen  meist  aus  dem 
Verhältniss  zwischen  Gefllssbreite  und  Sehneryendurchschnitt, 
dessen  OrOsse  nur  innerhalb  enger  physiologischer  Grenzen 
sich  bewegt,  das  Caliber  der  Netzhautgefässe  beurtheilt. 

Die  Wandungen  der  Netzhautgefässe  sind  in  der  Mehr- 
zahl der  physiologischen  Fälle  nicht  sichtbar,  doch  ist  man 
durchaus  nicht  berechtigt,  sichtbare  Qefäss wände,  welche 
sich  als  feine  weisse  oder  weissgraue  gleichmässige  Streifen 
zumal  neben  den  arteriellen  Blutsäulen  hinziehen,  ohne  Wei- 
teres als  etwas  Pathologisches  anzusprechen,  selbst  wenn 
sie,  wie  das  mitunter  vorkommt,  nur  an  dem  einen  oder 
anderen  Oefässe  erkennbar  sind.  Es  sei  denn,  dass  man 
ihr  Sichtbarwerden  direct  während  einer  längeren  Beob- 
achtungsdauer mit  dem  Augenspi^el  hat  verfolgen  können. 
Ich  habe  mich  nur  in  den  Fällen  fQr  berechtigt  gehalten, 
eine  krankhafte  Anomalie  der  Gefässwände  direkt,  d.  h.  ohne 
aus  etwa  vorhandenen  Blutungen  oder  Exsudationen  auf  eine 
solche  zu  schliessen,  zu  diagnosticiren,  in  denen  der  nor- 
maliter  scharfrandige  und  gleichmässig  leuchtende  Reflex 
auf  der  Mitte  der  Gef&sse  verschwommene  Conturen  und 
eine  unregelmässig  glitzernde  Beschaffenheit  angenommen 
hatte,  während  die  rothen  Blutstreifen  verschmälert,  leicht 
verschleiert  waren  und  von  den  sichtbaren  Geftsswänden  aus 
sich  unregelmässig  begrenzte,  weissglänzende  (Bindegewebs-) 


Die  Netzhantcircolation  etc.  bei  AIlgemeinleideiL  39 

Faserzüge  in  die  an  sich  nonnal  durchsichtige  Netzhaut 
hinein  erstreckten. 

Die  Farbendifferenz  zwischen  arteriellem  und  venösem 
Blut  ist  normaliter  eine  ziemlich  konstante.  Unter  patho- 
logisdien  Verhältnissen  kann  sie  innerhalb  weiter  Grenzen 
Tariiren«  jedoch  werden  oft  stärkere  Füllung  des  einen, 
schwächere  Ffillung  des  andern  Gefässsystems  zu  grosse 
oder  zu  geringe  Farbendifferenz  vortäuschen.  Auch  wird 
man  auf  den  Einfluss  etwaiger  Gefllsswand-  oder  Netzhaut- 
trabungen  auf  die  Farbe  der  eingeschlossenen  Blutsäulen 
zu  achten  haben;  besonders  wird  der  rothe  Farbenton  des 
arteriellen  Blutes  durch  derartige  Trübungen  oft  abnorm 
abgeblasst. 

Ausser  dieser  Farbendifferenz  zwischen  arteriellem  und 
venösem  Blut,  welcher  der  Ausdruck  der  Desoxydation  des 
letzteren  ist,  interessirt  uns  die  Farbe  des  arteriellen  Blutes 
allein.  Dieselbe  giebt  uns  einen  ungef&hren  Aufschluss  über 
den  Hämoglobingehalt  des  Blutes,  allenfalls  auch  damit 
wenigstens  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  Aufschluss  über  den 
Gehalt  des  Blutes  an  rothen  Blutkörperchen.  Dagegen  wird 
man  hieraus  allein  nie  mit  Sicherheit  auf  sonstige  Aende- 
mngen  der  Blutmischung  schliessen  können.  Beispielsweise 
aus  sehr  heller  Blntfarbe  auf  Hydraemie.  Denn  wenn  auch 
meistens  mit  einer  Verminderung  des  Hämoglobingehaltes 
ein  gewisser  Grad  von  Hydraemie  einhergeht,  wie  z.  B.  nach 
Blutverlusten,  nach  Consumptionskrankheiten ,  so  ist  doch 
beispielsweise  in  der  grossen  Krankheitsgruppe  der  Chlorose 
Hämoglobinverminderung  und  Hydraemie  durchaus  nicht 
immer  mit  einander  verbunden. 

Eine  Pulsation  der  Betinalarterien  wird  fQr  ge- 
wöhnlich bei  gesunden  Menschen  nicht  beobachtet.  Diese 
Regel  unterliegt  jedoch  gewissen,  allerdmgs  seltenen  Aus- 
nahmen. Schon  von  Graefe,  Donders,  Ed.  von  Jäger, 
weiterhin  Becker  und  Helf  reich  haben  bei  ganz  gesunden 


40 


B.  BchmAU. 


Individuen  gel^entlich  dentliche  Pulsationen  der  Ketzhant- 
arterien  gefanden. 

Becker*)  sucht  die  Erklärung  hierfOr  in  einer  beson- 
deren rackl&ufigen  Ge^sanordnung  auf  der  Papille,  welehe 
dem  andringenden  Blutstrom  vermehrte  Widerst&nde  bietet. 

Fig.  1. 


Diese  Erklärung  trifft  wohl  unzweifelhaft  far  den  einen 
oder  anderen  Fall  zu,  —  ich  verweise  z.  B.  auf  die  vor- 
stehende Fig.  1,  welche  den  Hintergrund  des  linken  Auges 
eines  kleinen,  blähend  aussehenden,  nie  krank  gewesenen 
Knaben  wiedergiebt.  Nur  die  mit  a  bezeichnete,  stark  in 
den  Glaskörper  hineinrf^ende  (durch  die  Zeichnung  schlecht 


*)  T.  öraefe'«  Archiv  XVUL  l. 


Die  NetshautcircTilatioii  etc.  bei  Allgemeinleiden.  41 

wiederzugebende)  Oefässschlinge  zeigt  eine  exquisite  Caliber- 
schwankmig  und  Locomotion. 

Mitunter  scheint  bei  einer  solchen  Gefässanordnnng 
die  ganze  arterielle  Gef&sspforte  auf  der  Papille  in  den 
Glaskörper  hinein  zu  pulsiren,  wie  ich  das  in  einem  andern 
FaU  gesehn  habe,  in  dem  die  ganz  freie  oberflächliche  Lage 
der  Arterien  am  Bande  einer  tiefen  physiologischen  Exca- 
Tation  wohl  auch  ein  weiteres  disponirendes  Moment  abgab. 

Fflr  die  Mehrzahl  jedoch  dieser  Pulsationen  der  Netz- 
hautarterien bei  normalen  Menschen  ist  bis  heute  eine  be- 
friedigende Erklärung  nicht  gegeben  worden. 

Ob  der  minimale  ophthalmoskopisch  nicht  erkennbare 
nnd  nur  durch  das  Verhalten  des  intraoculären  Druckes 
sowie  durch  ein  anderes  gleich  zu  erwähnendes  Phänomen 
zu  errathende  Arterienpuls  der  natürliche  Andruck  der 
Spannungs-Differenzen  in  so  kleinen  Arterien  im  Allgemeinen 
ist,  oder  ob  speciell  für  die  Netzhautarterien  noch  andere 
Momente  mitwirken,  welche  dem  Zustandekommen  einer 
sichtbaren  Pulsation  hindernd  entgegentreten,  wollen  wir 
an  dieser  Stelle  nicht  näher  erörtern,  sondern  verweisen 
auf  das,  was  wir  weiter  unten  bei  Gelegenheit  der  Be- 
sprechung des  Vorkommens  von  Netzhautarterienpulsation 
unter  pathologischen  Verbältnissen  erwähnen  werden. 

Ein  anderes  schon  normaliter  in  vielen  Fällen  sicht- 
bares Pulspbänomen  im  Augenhintergrunde  ist  der  soge- 
nannte Venenpuls,  welcher  seit  seiner  Entdeckung  durch 
yanTrigt  und  Coccius  wohl  ebenso  vielfach  gedeutet  als 
beschrieben  worden  ist.  Derselbe  besteht  in  einem  ryth- 
mischen,  dem  Badialpulse  fast  unmittelbar  postponirendem 
schnellen  Abschwellen  des  Stammes  der  Gentralvene  oder 
auch  einzelner  ihrer  Aeste  und  etwas  langsamerer  Füllung 
bis  zu  ihrem  frQhern  Volum  in  der  Arteriensystole.  Ich 
habe  bei  einem  Melancholiker,  welcher  eine  Pulsfrequenz 
Ton  nur  36—40  Schlägen  in  der  Minute  hatte,  sehr  deut- 
lich den  Verlanf  dieses  Phänomens  beobachten  können.   Es 


42  B.  SchmalL 

bestand  bei  demselben  spontaner  schwacher  Venenpnis  an 
einem  grossen,  genau  über  die  Theilnngsstelle  der  Central- 
arterie  hinweglaufenden  und  in  der  Tiefe  des  Centralcanals 
in  die  Hauptvene  mündenden  Yenenstamm.  Durch  mJlssig 
starken  Druck  aufs  Auge  rerstärkte  ich  diesen  Venenpuls 
und  rief  zugleich  künstlichen  Arterienpuls  heryor.  Es  liess 
sich  dann  wegen  der  Langsamkeit  des  Verlaufes  sehr  schön 
beobachten,  wie  durch  die  künstliche  Diastole  der  Ceutral- 
arterie  die  auf  ihr  liegende  Vene  zur  Seite  gedrängt  wurde 
und  unmittelbar  darauf  rapid  abblasste,  indem  sich  ihr 
Tiefen  durchmesser  sehr  stark  verkleinerte. 

Wenn  sodann  die  künstliche  Arteriensystole  eintrat, 
waren  für  einen  Moment  Arterie  wie  Vene  fast  ganz  blut- 
leer, doch  konnte  ich  sehr  bald  über  die  blutleere  Arterie 
hin  zeitlich  mehr  oder  minder  nahe  der  nächstfolgenden 
Arteriendiastole,  die  Vene  von  der  Peripherie  her  sich  schnell 
wieder  füllen  sehen.  Erst  wenn  die  Vene  ihr  früheres  nor- 
males Caliber  wieder  völlig  erreicht  hatte,  trat  eine  neue 
Arteriendiastole  ein.  Die  Füllung  der  Vene  von  der  Peri- 
pherie her  erfolgte  um  so  träger  und  um  so  später,  d.  h. 
zeitlich  näher  der  folgenden  Arteriendiastole,  je  kürzer  in 
Folge  stärkeren  äusseren  Druckes  jede  sichtbare  Arterien- 
diastole ausfiel. 

Mir  scheint  hiernach  die  alte  Donders*sche  Erklärung 
dieses  Venenpulses  wohl  das  meiste  für  sich  zu  haben,  welche 
lautet:  „Der  höhere  Druck,  mit  dem  bei  der  Contraction 
des  Herzens  das  Blut  in  die  Arterien  des  Körpers  ein- 
strömt, ruht  zum  Theile  auf  dem  Glaskörper,  ehe  er  sich 
noch  durch  die  Gapillaren  bis  in  die  Venen  fortgesetzt  hat 
und  letztere  werden  demnach  comprimirt.  Wird  diese  Gom- 
pression  nun  alle  Venen  gleichmässig  treffen?  Keineswegs: 
Die  Stellen,  wo  der  seitliche  Blutdruck  am  geringsten  ist, 
werden  zuerst  eine  Gompression  erleiden"  .  .  .  (also  die 
grössten  Venenstämme).  .  .  . 

Die  frühere  Flillung  der  coUabirten  Venen  kann  dem- 


Die  Netzhaatcircnlatioii  etc.  bei  Allgemeinleiden.  43 

nach  erst  dann  eintreten,  wenn  der  intravenöse  Druck  wieder 
um  eine  gewisse  Grösse  den  intraoculären  Dmck  überwindet 
und  das  wird  offenbar  nur  durch  die  von  den  Arterien  her 
dnrch  die  Gapiliaren  in  die  Venen  eintretende  Blutwelle 
Termittelt  werden  können,  welche,  wie  mein  Beispiel  zeigt, 
mn  80  später  auftritt  und  um  so  geringer  alisfällt,  je  grösser 
in  Folge  vermehrten  Aussendrucks  der  Widerstand  ist, 
welchen  diese  Welle  auf  ihrem  Wege  durch  die  Capillaren 
m  überwinden  hat  und  je  kleiner  ebenfalls  in  Folge  ver- 
mehrten Aussendrucks  die  in  die  Arterie  hineintretende  Blut- 
welle von  vornherein  ist. 

Alle  anderen  Erklärungen  des  Netzhautvenenpulses  be- 
ziehen sich  entweder  auf  andere  Arten  desselben,  welche 
im  Verhältniss  zu  der  oben  beschriebenen  jedenfalls  sehr 
selten  sind,  und  auf  die  wir  deshalb  hier  nicht  näher  ein- 
gehen, oder  suchen  die  alte  Donders*sche  Deutung  durch 
kanm  schärferer  Kritik  Stand  haltende  Gründe  zu  wider- 
legen.*) 

Die  Pulsation  an  den  Netzhautvenen  ist,  wie  schon  ge- 
sagt, nicht  immer,  oder  sogar  ziemlich  häufig  nicht  sicht- 
bar. Dort,  wo  sie  nicht  beobachtet  wird,  wird  man  anneh- 
men müssen,  dass  der  durch  die  locale  Arteriendiastole 
momentan  erhöhte  intraoculäre  Druck  auf  andere  Weise, 
etwa  durch  Gompression  der  Venae  vorticosae,  von  denen 
man  dann  einen  besonders  zu  dieser  Compression  geeigneten 
Verlauf  oder  Austritt  präsumirt,   einen  Ausgleich   findet. 

Jedenfalls  involvirt  die  normale  Inconstanz  des  Venen- 
pulses  schon  seine  geringe  diagnostische  Verwerthbarkeit 
unter  pathologischen  Verhältnissen,  nur  da,  wo  pulsatorische 
CaUberschwankungen  sehr  weit  in  die  Netzhaut  hinein  be- 
obachtet werden,  wird  man  vielleicht  berechtigt  sein,  Ano- 
malien der  Circulation  im  Auge  anzunehmen. 


*)  cfr.  Helfreich,  Zar  Lehre  vom  Venenpuls  und  der  intra- 
oenlben  Oircnlation.    v.  Qraefe's  Archiv  Bd.  XXVIII.  3. 


44  B.  Schmall. 

Die  Entstehang  des  Yenenpulses,  welcher  als  der  Aus- 
druck eines  momentanen  disproportionalen  Verhältnisses 
zwischen  extra-  und  intrayenOsen  Druck  aufzufassen  ist, 
belehrt  uns,  einen  wie  bedeutenden  Einfluss  yerhUtnissmässig 
geringe  vorflbergehende  Schwankungen  des  Aussendrucks 
auf  das  Caliber  der  Netzhautvenen  ausüben  können.  Es  ist 
daher  die  Frage  wohl  berechtigt,  wie  bei  dauernder  oder 
wenigstens  längere  Zeit  anhaltender  Abweichung  dieses 
Aussendrucks  Ton  seiner  normalen  Höhe  sich  das  Caliber 
der  Netzhautgefässe,  speciell  der  Venen,  verhalten  wird. 
Dieser  Aussendruck  ist  aber  nichts  anderes  als  die  Span- 
nung, welche  die  AugenflQssigkeiten  im  Bulbus  unterhalten, 
welche  abhängt  von  dem  Grade  ihrer  Absonderung  und  Wie- 
deraufsaugung und  somit  als  Secretionsdruck  zu  bezeichnen  ist 

Es  fragt  sich  nun,  ob  dieser  Secretionsdruck  einfach 
vom  Blutdruck  abhängt,  oder  ob  wir  eine  von  dem  Blut- 
druck unabhängige  Aenderung  eines  der  genannten  Factoren 
oder  beider  anzunehmen  haben,  welche  zu  einer  dem  Blut- 
druck disproportionalen  Aendening  des  „Secretionsdruckes^' 
und  damit  zur  Bückwirkung  auf  das  Caliber  der  intrabul- 
bären  Oefässe  führt. 

Diese  Frage  f&llt  mit  der  zusammen,  ob  wir  die  Ab- 
sonderung der  Augenflüssigkeit  aus  der  Blutbahn  auf  die 
Thätigkeit  speeifischer  Zellen  zurückzuführen  berechtigt  sind, 
welche  bei  Allgemeinleiden  und  bei  Localleiden  selbststän- 
dig erkranken  und  damit  nur  mehr  oder  minder  mangelhaft 
ihrer  specifischen  Function  gerecht  werden  können.  Die 
kliuische  Beobachtung  macht  das  sehr  wahrscheinlich.  Das 
Experiment  hat  bis  heute  uns  im  Stich  gelassen,  insbesondere 
hat  man  keinen  specifischen  Secretionsnerven  mit  Sicherheit 
nachweisen  können.  Jedoch  ist  sicherlich  eine  gewisse  Eigen- 
art im  Verhalten  des  intraoculären  Druckes  bemerkenswerth, 
welche  durch  die  verschiedensten  einschlägigen  experimen- 
tellen Untersuchungen  sich  wie  ein  rother  Faden  hindurch- 
zieht und  selbst  durch  die  kühnsten  combinirenden  Hjpo- 


Die  Netzhantdrcnlation  etc.  bei  AU^meinleiden.  45 

thesen  von  Blatdrackerhöhong  und  Yermindenmg,  von  Ge- 
flissspasmns  nnd  OeAssparalyse,  von  Filtration  etc.  nie  ihre 
rechte  yolle  ErklAmng  findet.  Ich  verweise  nur  auf  die  zum 
mindesten  sehr  gezwungenen  ErU&mngsversuche  Schult6n*s 
fDr  das  Verbalten  des  intraocul&ren  Druckes  nach  Sympha- 
ticQsdurchsclmeidung  und  Trigeminusreizung.*) 

Wenn  aber  auch  das  Experiment  vorläufig  noch  keine 
Stutze  der  Annahme  verleiht,  dass  der  Absonderung  der 
Angenflflssigkeit  eine  specifische  Zellenthätigkeit  zu  Grunde 
liege,  so  werden  wir  doch  auf  eine  etwaige  selbstständige 
vom  Blutdruck  unabhändige  Aenderung  des  „Secretions- 
diuekes"'  zu  recurrieren  nicht  umhin  können  in  Fällen,  in 
denen  ein  auffallendes  Verhalten  der  Retinalgefässe  eine 
befriedigende  Erklärung  durch  näher  liegende  Ursachen  nicht 
findet.  Welcher  Art  aber  dieses  Verhalten  der  Gefässe  sein 
wird,  Iftsst  sich  theils  theoretisch,  theils  durch  einen  ein- 
fachen fon  Donders  angegebenen  Versuch  an  Menschen 
leicht  a  priori  bestimmen. 

Der  ,,Secretionsdruck'*  der  Augenflüssigkeit  lastet  mit 
gleicher  Stärke  auf  allen  in  die  elastische  Bulbuskapsel  ein- 
geschlossenen Gebilden,  speciell  hält  er,  wie  schon  erwähnt, 
ün  Verein  mit  der  elastischen  Spannung  der  Gefässwan- 
dongen^)  das  Gleichgewicht  dem  intravasculären  Drucke 
der  Geftsse  der  Ghorioidea  und  Betina. 

Während  nun  an  den  Arterien  der  Netz-  und  Aderhaut 
entsprechend  der  beträchtlichen  Differenz  zwischen  arteriellem 
nnd  intraoculärem  Druck  eine  stärkere  elastische  Gefäss- 
wandspannung  diese  letztere  ausgleicht,  hält  sich  an  den 
venOsen  Oefässen  intraoculärer  und  intravenöser  Druck 
nahezu  das  Gleichgewicht,  ohne  dass  ersterer  noch,  um  so  zu 


*)  Schultön,  Experimentelle  üntersnchmigen  über  die  Cir- 

cttlotionBverh&ltQisse  des  Auges  etc.    t.  Graefe's  Archiv  XXX.  3—4. 

^)  Die  elastische  Spannang  der  Gefftsswand  stellt  demnach 

fttr  sich  allein  durchaus  nicht  eine  dem  Blutdruck  identische  Grösse 

to»  wie  das  v.  Basch  noch  kttrdich  behauptet  hat  (1880  Natur- 


46  B.  Schmall. 

sagen,  eine  irgend  in  Betracht  kommende  ünterstQtzang  von 
Seiten  der  Venenwand  bedOrfte. 

üebt  man  nun  einen  allmählich  an  Stärke  zunehmenden 
Druck  auf  das  Auge  aus,  so  beobachtet  man  nach  einander 
(Donders)  fQr  gewöhnlich  zuerst  Venenpuls  oder  Verstär- 
kung eines  schon  vorhandenen  Venenpulses  an  dem  papil- 
lären Theil  der  Betinalvenen,  dann  Caliberyerengening  des- 
selben, oft  anscheinend  bis  zum  völligen  Verschwinden  des 
Venenlumens,  weiterhin  auch  Verengerung  der  grösseren 
über  die  Netzhaut  hin  verlaufenden  Venen.  Eine  Verenge- 
rung der  Netzhautarterien  wird  bis  zu  dem  Auftreten  des 
künstlichen  Arterienpulses  nicht  beobachtet,  weil  nach  den 
von  v.  Eries  näher  präcisirten  Gesetzen  der  Blutdruck  in 
ihnen  entsprechend  der  Erschwerung  der  üirculation  in  ihrem 
peripheren  Verzweigungsgebiete  zunimmt. 

Vielleicht  lässt  sich  eine  in  der  Pathologie  des  Men- 
schen selten  beobachtete  Verengerung  der  Betinalvenen  bis 
zu  dem  Caliber  der  entsprechenden  Arterien  auf  ein  derar- 
tiges üeberwiegen  des  extra-  fiber  den  intravenösen  Druck 
zurückfahren  (s.  u.). 

Die  Thatsache,  dass  beim  Glaucom  in  vielen  Fällen 
trotz  intraoculärer  Drucksteigerung  die  Betinalvenen  nicht 
nur  nicht  verengt,  sondern  gerade  erweitert  sind,  beweist 
nichts  gegen  das  oben  Gesagte,  da  bei  diesen  glaucomatösen 
Processen  höchst  wahrscheinlich  noch  ganz  andere  Momente 
zu  berücksichtigen  sind. 


forscherrersammlaDg,  Section  für  innere  Medicin),  sondern  dieselbe 
ist  um  eine  gewisse,  dem  extravacalären  Druck  der  Gtewebe,  in 
welches  die  Gefässe  eingebettet  sind,  entsprechende,  daher  variable 
Grösse  kleiner;  sie  wird  beispielsweise  an  den  unter  relativ  hohem 
Aussendmck  stehenden  Betinalgef&ssen  eine  geringere  sein  als  in 
den  gleich  grossen  und  vom  Herzen  gleich  entfernten  G^fässen  einer 
relaxirten  Hautpartie.  —  Die  Zunahme  der  Gtofässspannung,  welche 
Landois  beim  Freilegen  der  Gefässe  beobachtet  und  auf  eine  Bei- 
zung der  Geftowände  durch  atmosphärische  Luft  zuräekflihrt,  lässt 
sich  vielleicht  ebenfalls  auf  die  genannte  Weise  erklären. 


Die  Netzhauteircnlation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  47 

Wichtiger  und  praktisch  werthvoller  für  die  Bearthei- 
lung  pathologischer  Verhältnisse  sind  dagegen  die  Erschei- 
nungen, welche  man  an  den  Netzhantgefässen  bei  künstlicher 
Herabsetzung  des  anf  ihnen  lastenden  Aussendmcks  beob- 
achtet. Lftsst  man  nämlich  mit  einem  massig  starken,  das 
Auge  durchaus  nicht  anämisch  machenden  äusseren  Druck 
plötzlich  nach,  so  bemerkt  man  eine  geringe  Verbreiterung 
der  arteriellen,  dagegen  eine  unverhältnissmässig  stärkere 
Verbreiterung  der  venOsen  Oefässe  auf  der  Retina. 

Schulten  führt  dieses  Verhalten  der  Gefässe  der 
Hauptsache  nach  auf  eine  durch  die  vorübergehende  vermin- 
derte Blutzufuhr  zum  Auge  bedingte  Qefässparalyse  zurück 
und  will  als  schlagenden  Beweis  dafür  einen  Versuch  gelten 
lassen,  in  welchem  er  das  Auge  eines  Kaninchens  durch 
einen  3  Minuten  dauernden  starken  äusseren  Druck  total 
anämisch  macht  und  nach  aufgehobenem  Druck  eine  zuneh- 
mende Steigerung  des  intraoculären  Druckes  fast  bis  auf  das 
Doppelte  seiner  normalen  Hohe  beobachtet. 

Diese  Steigerung  erreicht  ihren  Culminationspunkt  7  Mi- 
nuten nach  Aufhören  des  äusseren  Druckes. 

Abgesehen  von  der  ün Wahrscheinlichkeit,  dass  ein  pa- 
ralytisches Gefäss  den  stärksten  Effect  der  Paralyse  erst 
7  Minuten  nach  dem  Aufhören  des  3  Minuten  lang  paraly- 
sirenden  Momentes  zeigen  sollte,  abgesehen  von  der  gewal- 
tigen Differenz  der  paraly sirenden  Ischaemie  in  dem  Schul- 
ten*schen  nnd  dem  Donders'schen  Experiment  spricht  vor 
Allem  das  gleiche  Verhalten  der  Netzhautgef&sse  bei  ander- 
weitig bewirkter  Herabsetzung  des  auf  ihnen  lastenden  Druckes 
(Iridectomie  etc.)  gegen  die  Schul t6n*sche  und  für  die 
Donders*sche  Erklärung,  dass  die  Gef&sserweiterung  ein- 
tritt in  Folge  des  üeberwiegens  des  gleichgebliebenen  intra- 
vasculären  Druckes  über  den  durch  den  Eingriff  vermin- 
derten extravasculären  Druck. 

Die  grössere  Differenz  zwischen  beiden  muss  ausge- 
glichen werden  durch  eine  vermehrte  Wandspannung,  welche 


48  B.  Schmall. 

naturgemäss  an  den  schlaffwandigen  Venen  durch  eine  viel 
stärkere  Füllung  und  Ausdehnung  derselben  erzielt  wird, 
als  an  den  Arterien  mit  ihrer  festen  tonisch  contrahirten 
OeAsswand. 

Wenn  hiermit  die  Gonsequenzen,  welche  eine  vom  Blut- 
druck unabhängige  Verminderung  der  Kammerflflssigkeiten 
und  damit  eine  Herabsetzung  des  extravasculären  Druckes 
in  Bezug  auf  das  Galiber  der  Chorioidal-  und  speciell  der 
Netzhautgefässe  haben  würde,  erschöpft  sind,  —  so  ist  ande- 
rerseits auch  nie  zu  vergessen,  dass  alle  jene  Momente,  welche 
durch  entsprechende  Aenderung  des  Blutdrucks  oder  der 
elastischen  Gefässwandspannung  zu  einer  Erhöhung  der 
Differenz  zwischen  intra-  und  extravasculären  Druck  Anlass 
geben,  zu  einer  sichtbaren  Gefässerweiterung  nur  in  dem 
Falle  führen  können,  dass  ein,  der  vermehrten  Blutmenge 
nahezu  äquivalentes  Quantum  der  intraoculären  Flüssigkeit 
aus  dem  Auge  wegresorbirt  ist.  Der  erhöhte  Blutdruck 
wirkt  dabei  genau  so,  wie  ein  äusserer  Druck,  welcher  rein 
mechanisch  die  Eammerflüssigkeiten  aus  dem  Auge  weg- 
drängt. 

Da  hierzu  eine  gewisse  Zeit  noth  wendig  ist,  so  ergiebt  sich 
daraus,  dass  das  Auge  gegen  plötzliche  BlutüberfüUung  in 
hervorragendem  Maasse  geschützt  ist,  viel  weniger  gegen 
plötzliche  Anämie,  dass  dagegen  eine  länger  anhaltende  Druck- 
erhöhung in  dem  arteriellen  oder  venösen  Gefässsystem  sich 
ebenso  im  Auge  wie  in  jedem  anderen  Organe  bemerkbar 
machen  wird.  Die  experimentellen  Untersuchungen  stimmen 
mit   diesen  theoretischen  Raisonnements   sehr  gut  überein. 

Zum  Schluss  der  Einleitung  wollen  wir  nicht  vergessen 
zu  bemerken,  dass  wie  jedes  Organ,  so  auch  die  Netzhaut, 
entsprechend  der  Specifität  ihres  Zellenlebens  auf  die  Noxen 
eines  Allgemeinleidens  in  verschiedener  Intensität  reagiren 
dürfte  und  dass,  sofern  diese  Reaction  eine  veränderte  Blut- 
füllung nach  sich  zieht,  uns  damit  eine  neue  Schwierigkeit 


Die  Netzhautcircnlation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  49 

erwachsen  wird,  die  Ergebnisse  der  ophthalmoskopischen 
Untersachnng  der  Betinalgeftsse  zu  verallgemeinern. 

Wir  gehen  in  der  nachfolgenden  Abhandlang  auf  das 
Verhalten  der  Netzhautgefässe  bei  Herz-  and  Ge- 
fftsserkrankungen,  bei  fieberhaften  und  endlich  bei 
anämischen  Zuständen  ein,  indem  wir  diese  Beihenfolge 
mit  besonderer  Rücksicht  auf  eine  bestimmte  Erscheinung 
an  den  Netzhautgefllssen,  den  Arterienpuls  wählen,  dessen 
Pathogenese  und  allgemeine  pathologische  Bedeutung  da- 
durch wohl  ihre  einfachste  und  zweckmässigste  Erledigung 
finden  dürfte. 

Die  Literatur  über  Veränderungen  an  den  6e- 
fSssen  derNetzhaut  beiKrankheiten  derCirculations- 
organe  ist  wenig  umfangreich.  Insbesondere  hat  man  eine 
anzweifelhaft  atheromatOse  Degeneration  an  den  Netzhaut- 
gef&ssen  selten  ophthalmoskopiren  können,  obwohl  Jacob- 
son schon  lange  fbr  die  Mehrzahl  der  glaucomatOsen  Br- 
kiankungen  des  höheren  Alters  eine  atheromatOse  Entartung 
der  Gef&sse  des  Torderen  Ghorioidalabschnittes  gemuth- 
masst  und  auf  eine  solche  aus  gewissen  Erscheinungen  an 
den  Betinalgeftsen  (starke  Venenschlängeluug,  Verdickung 
der  Arterienwandungen)  geschlossen  hat.  —  Was  die  Er- 
krankungen des  Herzens  im  weitesten  Sinne  des  V^Tortes  an- 
langt, so  wftren  zu  nennen: 

(Bei  frischer  Endocarditis)  die  Erabolie  der  A.  centralis 
retinae  oder  ihrer  Aeste,  sowie 

die  auf  einer  suppouirten  Gapillarembolie  mit  mehr 
minder  infektiösen  Embolis  beruhende  Betinitis  septica,  welche 
ihrerseits  selbstständig  auf  das  Caliber  der  Netzhautgefässe 
einwirkt,  ferner 

Aenderung  des  Calibers  der  Venen  und  Arterien,  resp. 
ihrer  Farbendifferenz,  endlich 

abnorme  Pulsationsphänomene  zumal  an  den  Netzhaut- 
arterien. 

Uns  interessirt  zunächst  die  Frage,  in  wieweit  das 

T.  OrMfe^f  Arcliiv  für  Ophtbalmologley  XXXIV.  1.  4 


50  RSdoHüL 

Netzbaotgefässsysiem  bei  allgemeinen,  dorcb  Herz- 
fehler bedingten  Ereislaafstdrangen  sich  verändert 
zeigt. 

Bei  ZostAnden,  welche  häufig  mit  stärkster  Cyanose 
der  Hantdecken  Hand  in  Hand  gehen,  also  besonders  bei 
den  eongenitalen  Erkranknngen  des  rechten  Herzens,  bei 
congenitaler  abnormer  Commnnication  zwischen  linken  nnd 
rechtem  Ventrikel,  bei  hochgradigen  Klappenfehlern  hat  man 
mitunter  eine  ausgesprochene  TenOse  Hyperämie  im  Augen- 
hintergmnde  beobachtet;  Liebreich  bildet  als  „Cyanosis  re- 
tinae^^  eine  der  Cyanose  der  Hantdecken  ähnliche  Verände» 
mng  des  Angenhintergmndes  in  seinem  ophthalmoskopischen 
Atlas  ab.  Leber  betont  die  merkwürdige  Thatsache,  dass 
in  den  meisten  derartigen  Fallen  in  fast  gleicher  Weise  wie 
die  Venen  anch  die  Arterien  erweitert  seien.  Galezowski 
beschreibt  einen  Fall  von  gleichmässiger  starker  Venen- 
erweitemng  in  der  Retina  bei  einer  Stenosis  ostii  venös  isinistri, 
in  welchem  wegen  starker  capillärer  Congestion  an  der  mar- 
cola  lutea  eine  erhebliche  Beeinträchtigung  des  Sehver- 
mögens bestand. 

Alles  in  Allem  sind  Veränderungen  an  den  Netzhaut* 
gefässen  bei  Störungen  der  allgemeinen  Circulation  in  Folge 
nicht  compensirter  Herzfehler  ungemein  selten  beschrieben. 
Ed.  V.  Jäger  erwähnt  dieselben  gar  nicht,  was  gewiss  be- 
merkenswerth  ist. 

Den  Augenhintergrund  bei  congenitalen  Klappenfehlern 
oder  congenitaler  anomaler  Communication  zwischen  linkem 
und  rechtem  Herzen  zu  beobachten,  habe  ich  nicht  Gelegen- 
heit gehabt.  Dagegen  konnte  ich  mich  an  einem  hinreichend 
grossen  Material  acquirirter  Herzfehler  aufs  sicherste  aber- 
zeugen, dass  eine  ausgesprochene  venOse  Stauung  in  der 
Netzhaut  selbst  bei  den  tiefgreifendsten  CirculationsstOrungen, 
die  ein  Herzfehler  hervorrafen  konnte,  nur  in  den  seltensten 
Ausnahmefällen  zu  sehen  und  auch  dann  nicht  eindeutig  war. 


Die  Netzbautcirculatioii  etc.  bei  Allgemeinleiden.  51 

Dies  stimmt  yoUkommen  mit  der  Angabe  von  Th.  Leber'*') 
überein,  dass  bei  Krankheiten,  welche  zu  venöser  Stauung 
im  grossen  Kreislauf  führen,  das  Geßlss  des  Auges  sich  in 
der  Begel  nicht  merklich  au  der  Stauung  betheiligen,  und 
nur  bei  der  angeborenen  Cyanosis,  deren  Ursache  meist  Pul- 
monalstenose  ist,  sich  auch  die  Netzhautgefässe  an  der  all- 
gemeinen venösen  Hyperämie  betheiligen.  An  einer  anderen 
Stelle**)  hat  Leber  einen  von  ihm  beobachteten  Fall 
Ton  Sarcom  im  vorderen  Mediastianum  angeführt,  wo  die 
Section  nachwies,  dass  der  Tumor  die  linke  V.  innominata 
obliterirt  hat  und  weit  in  die  obere  Hohlvene  hineingewach- 
sen war  und  wo  trotz  hochgradiger  venöser  Stauung  in  der 
ganzen  oberen  Körperhftlfbe.  die  sich  auch  durch  doppel- 
seitigen Exophthalmus  zu  erkennen  gab,  keine  merkliche 
Ausdehnung  der  Betinalvenen  mit  dem  Augenspiegel  gefun- 
den wurde.***) 

Besonders  auffallend  war  für  mich  der  Contrast  zwi- 
schen der  Injection  des  Augenhintergrundes  und  dem  der 
äusseren  Hautdecken  in  einem  Falle  von  Mitralinsufficienz 
bei  einem  schwächlichen  in  seiner  Entwickelung  sehr  zurück- 
gebliebenen 21jährigen  Menschen. 

Beobachtung  1. 

Wegen  der  tief  lividen,  in*s  Schwärzliche  spielenden  Haut- 
verförbung  im  Gesicht  und  Extremitäten,  wegen  einer  auf  den 
ersten  Blick  sichtbaren  starken  Hervortreibung  der  linken 
Thoraxhälfbe,  wegen  der  offenbaren  Entwickelungshemmung  des 
Patienten,  wegen  zweifelhafter  Erscheinungen  einer  Spitzen- 
infiltration in  den  Lungen  wnrde,  bei  nicht  widersprechenden 
Percussions-  und  Auscaltationsresnltaten,  anfangs  an  eine  con- 
genitale Stenosis  ostir  arteriosi  dextri  gedacht,  wogegen  auch 


*)  Graefe-Sftmisch  Handb.  n.  S.  353. 

*^  Transaet   of  the   Internat,   med.  Congr.     London   1881. 
VoL  m.  p.  66. 

**^  Der  Fall  ist  ausführlicher  mitgetheilt  in  der  Dissertation 
?on  J.  Schlepegrell,  Beitr.  z.  Lehre  v.  d.  intrathoracischen  Sar- 
eomen.    GOttingen  1881.    (Fall  3.) 

4* 


52  B-  SchmaU. 

die  Anamnese  nicht  mit  Sicherheit  sprach.  Späterhin  wurde 
die  nur  wegen  des  Alters  des  Patienten  etwas  unsichere 
Diagnose  besonders  auf  Grund  der  exakten  Eeaktion  auf  Digi- 
talis aufgegeben  und,  wie  gesagt,  eine  einfache  Mitralinsufficienz 
angenommen. 

Die  ophthalmoskopische  TJntersnchuDg  ergab  bei  diesem 
Patienten  eine  normal  geröthete,  scharf  begrenzte  Papille,  enge 
jedoch  stark  geschlängelte  hellrothe  Arterien  und  nahezu 
ebenso  enge  fast  gestreckt  verlaufende  sehr  dunkle 
Venen  --  also  wohl  das  Symptom  einer  starken  Verlangsamung 
des  Blutstromd,  keine  Spur  einer  venösen  HjperSmie. 

Beobachtung  2. 

Ein  ahnlicher  Befund  war  zu  verzeichnen  bei  einer  Mitral- 
stenose mit  hochgradigsten  sog.  Stauungserscheinungen:  peri- 
carditischen,  pleuritischen,  peritonitischen  Transsudationen, 
Anasarka,  starkem  Icterus,  welcher  zu  den  die  Scene  beherr- 
schenden Erscheinungen  der  Cholaemie  geführt  hatte.  Auch 
hier  (die  Patientin  war  eine  45jährigo  Frau)  bei  dunkellivider 
Verfärbung  der  Hautdecken  im  Augenhintergrunde:  enge  hell- 
rothe Arterien,  normal  weite  ungeschlängelte  dunkle  Venen  mit 
mattem  engen  Reflex  —  von  Zeichen  einer  venösen  Stauung 
auch  nicht  die  leiseste  Andeutung. 

Tn  beiden  Fällen  hatte  sich  der  Symptomencomplex  der 
CirculationsstOrung  allmählich,  d.  h.  in  mehreren  Tagen 
entwickelt  und  blieb  auch  in  der  Klinik  fQr  eine  Reihe  von 
Tagen  besonders  in  dem  letzten  Falle  bestehen,  so  dass  von 
einem  Widerstand,  wie  ihn  der  intraoculäre  Druck  plötzlich 
eintretenden  arteriellen  oder  venösen  Hyperämien  entgegen- 
setzt, hier  füglich  nicht  die  Bede  sein  kann. 

Ebensowenig  wie  in  diesen  angeführten  Fällen  mit 
stärkster  capillärer  Hyperämie  und  gleichzeitiger  Verlang- 
samung des  Blutstroms  in  den  Hautdecken,  fand  ich  eine 
stärkere  Füllung  der  Ketinalvenen  und  Capillaren  bei  Herz- 
fehlern, bei  denen  neben  Symptomen  hochgradigster  Circu- 
lationsstörung  die  Hautdecken  jenes  blassbläuliche  Colorit 
aufweisen,  welches  ich  im  Gegensatz  zu  dem  vorher  be- 
schriebenen als  anämische  Cyanose  bezeichnen  mochte.  Dieses 


Die  Netzhautcircnlation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  53 

Hautcolorit,  beruhend  auf  der  mehr  minder  verlangsamten 
Strömung  einer  mehr  oder  weniger  verringerten  Blutmenge 
durch  die  Capillaren  ist  wohl  als  die  Folge  der  allgemeinen 
Kreislaufstörung  bei  Herzfehlern  und  überhaupt  jeder  In- 
suffidenz  der  Herzthätigkeit  (in  der  Agonie  etc.)  aufzu- 
fassen, wahrend  die  „hyperämische  Cyanose''  bei  allgemeinen 
Kreislaufstörungen  meist  (bei  jenseits  der  ersten  Lebensjahre 
acquirirten  Herzfehlern  wohl  immer)  eine  auf  letztere  erst 
mittelbar  auf  dem  Umwege  einer  localen  Gefässparalyse  zu- 
rQckzufOhrende  Erscheinung  ist,  welche  demnach  das  Wesen 
der  allgemeinen  Kreislaufstörung  nur  in  sehr  unvollkom- 
menem Grade  wiederspiegeln  kann.  Zu  der  Annahme  einer 
der  hyperämischen  Cyanose  zu  Grunde  liegenden  localen  Ge- 
fissparalyse  werden  wir  durch  zahlreiche,  besonders  gegen 
jedes  andere  causale  Moment  (allgemeine  venöse  Stauung, 
Venositat  des  arteriellen  Blutes)  sprechende  Gründe  hin- 
gedrängt, auf  welche  näher  einzugehen  hier  nicht  der  Ort  ist. 

Mit  der  Toraussetzung,  dass  die  Ursache  der  hyperä- 
mischen Cyanose  eine  solche  locale  Gefässparalyse'^)  ist, 
sind  wir  im  Stande,  den  Widerspruch  zwischen  der  Injection 
der  äQsseren  Hautdecken  und  des  Augenhintergrundes,  wie 
er  in  den  meisten  Fällen  besteht,  zu  erklären,  ohne  auf  eine 
zum  mindesten  sehr  zweifelhafte  der  localen  Hyperämie  der 
Retina  hindernd  entgegentretende  Wirkung  des  intraoculären 
Druckes  recurriren  zu  dürfen. 

Schliessen  wir  diese  Möglichkeit  wohl  mit  Becht  von 


*)  Die  Gtef&ssparalyse  tritt  am  ehesten  in  der  äussern  Haut, 
speciell  den  ungeschützten  Theilen  derselben  (Kopf,  Extremitäten) 
wf,  weil  hier  neben  der  allgemeioen  auf  verlangsamte  Blut- 
strGmnng  zorflckzufäbrenden  mangelhaften  Ernährung  der  Gefäss- 
wftnde  (oder  Gefftssnerven)  noch  äussere  Insulte  (Temperator- 
einflUase  etc.)  mitwirken. 

Daneben  werden  wir  nicht  umhin  können,  auch  individuelle 
Disposition  in  einzelnen  Fällen  als  ein  solches  mitwirkendes 
Moment  zur  Erklärung  heranzuziehen  (cf.  Recklinghausen, 
Lehrbuch  der  allgemeinen  Pathologie  „Ueber  Varicen '). 


54  B.  Schmall. 

Yome  herein  aus,  so  ist  es  aus  dem  Gesagten  ebenso  leicht 
ersichtlich,  dass  bei  einer  dnrcli  locale  Oefftssparalyse  be- 
wirkten Hyperämie  der  Haut  eine  gleiche  Hyperämie  der 
Netzhaut  nicht  vorhanden  zu  sein  braucht,  als  es  unver- 
ständlich gewesen  wäre,  dass  eine  allgemeine  Girculations- 
Störung  oder  eine  allgemeine  fehlerhafte  Blutmischung  sich 
auf  der  Haut  in  so  eclatantem  Maase  und  auf  der  Betina 
gar  nicht  bemerkbar  machen  sollte. 

Die  Erweiterung  der  Netzhautvenen  mit  starker  all- 
gemeiner Hyperämie  des  Augenhintergrundes,  wie  sie  in 
wenigen  Fällen  von  Herzfehlem  beschrieben  worden  ist^  dOrfte 
ebenfalls  auf  eine  bei  individueller  Anlage  durch  die  Ver- 
langsamnng  des  Blutstroms  bewirkte  locale  Gef&ssparalyse 
zurückzufahren  sein,  for  welche  Annahme  die  Beobachtung 
Leb  er 's  sogar  eclatant  sprechen  wfirde,  dass  in  den  meisten 
derartigen  Fällen  auch  eine  gleichzeitige  starke  Erweiterung 
der  Netzhautarterien  bestand.  Leber*)  hat  diese  Erschei- 
nung auch  schon  in  gleichem  Sinne  verwerthet,  er  betont, 
dass  die  gleichzeitige  Erweiterung  der  Arterien  und  Venen 
die  Erklärung  durch  Stauung  als  alleinige  Ursache  aus- 
schliesst  und  ist  geneigt,  zumeist  eine  mehr  selbstständige 
Ausdehnung  der  Gefässe  durch  Ernährungsstörung  ihrer 
Wandungen  in  Folge  des  ungenagenden  Sauerstoffgehalts 
des  Bluts  anzunehmen. 

Vorher  erwähnte  ich  schon,  dass  ich  eine  Zunahme  der 
Caliberdifferenz  zwischen  Netzhautvenen  und  -Arterien  über- 
haupt nicht  bei  incompensirten  Herzfehlern  habe  beobachten 
können. 

Dieses  Fehlen  jeglicher  Venenerweiterung  in  der  Be- 
tina, welches  ich  nach  den  Angaben  der  Autoren  und 
meinen  eigenen,  ca.  40  Fälle  **)  umfassenden  Beobachtungen 


«)  Grftfe-Sämiflch,  Handb.  V.  S.  525—626. 
*^)  Die  meisten  waren  einfache  oder  combinirte  Klappenfehler 
die  Mindersahl  bildeten  Cor.  adiposom  (drei  Fälle),  atheromaUtoe 
Degeneration  der  Coronar-Arterien  (zwei  FftUe),  idiopathische  ex- 


Die  Netzhaatcirculation  etc,  bei  Allgemeinleiden.  55 

als  die  Norm  aufstellen  möchte,  ist  immerhin  zunächst  auf- 
fällig; vielleicht  findet  sie  in  Folgendem  ihre  Erklärung. 

Bei  allen  nicht  compensirten  Herzfehlern  ohne  Aus- 
nahme, so  fahrt  Cohnheim*)  aus,  sinkt  im  grossen 
Kreislauf  der  arterielle  und  steigt  der  venOse  Blutdruck. 
Da  der  Differenz  zwischen  beiden  ceteris  paribns  die 
Strömungsgeschwindigkeit  des  Blutes  direct  proportional 
ist,  so  folgt  aus  einer  Verminderung  dieser  Differenz  eine 
Verlangsamung  der  BlutstrOmung  (welche  notabene  ebenso 
eintreten  müsste,  wenn  der  arterielle  Blutdruck  allein  oder 
hauptsächlich  erniedrigt  wäre).  Die  dem  Aortensystem  in 
Folge  des  Herzfehlers  entzogene  Blutmenge  staut  sich  in 
dem  linken  Vorhof,  dem  Lungenkreislauf,  dem  rechten 
Herzen  und  schliesslich  in  den  grossen  Hohlveuen  auf  und  be- 
wirkt damit  unzweifelhaft  eine  DruckerhOhung  in  demselben. 

Sehr  zweifelhaft  ist  aber  schon  die  weitergehende  De- 
duction,  dass  damit  eine  entsprechend  stärkere  Druck- 
erhOhung, also  BlutanfuUuDg  in  allen  kleinen  Venen  des 
Körpers  yerbunden  sein  muss.  Das  Experiment**)  lehrt 
uns,  dass  künstlich  einem  Thiere  zugeführte  vermehrte  Blut- 
mengen sich  fast  ausschliesslich  in  den  kleinen  Venen  und 
den  Gapillaren  der  Bauchorgane  ansammeln,  während  die 
Extremitätengefässe  bedeutend  weniger  ausgedehnt  werden, 
der  arterielle  Blutdruck  gar  nicht  erhöht  wird. 

Es  ist  nicht  einzusehen,  warum  das  Gleiche  nicht  auch 
eine  aus  dem  Körperarteriensystem  durch  eine  Art  AutOr 
transfiision  in  das  Venensystem  translocirte  Blutmenge  thun 


cealiiscbe  Hypertrophie  beider  Ventrikel  (ein  EaU),  Dilatation  und 
Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels  nach  Longenerkrankongen 
(zwei  FäUe). 

*)  Oohnheim,  Lehrbach  der  allgemeinen  Pathologie  Bd.  1. 
•«)  l^r.  Worm  Müller,  Die  Abhängigkeit  des  arteriellen 
Dmckes  von  der  Blutmenge.  Arbeiten  aus  der  physiologischen 
Anstalt  Leipaig,  mitgetheüt  Ton  C.  Ludwig.  —  cf.  auch  Cohn- 
heim  n.  Lichtheim,  Ueber  Hydrämie  und  hydr&misches  Oedem. 
Virchow'd  Arehiy  LXIX. 


56  B.  SchmaU. 

soll,  —  eine  ADnahme  übrigens,  für  welche  die  Klinik  der 
CirculationsstOrungen  bei  Herzfehlern  ebenso  wie  die  patho- 
logische Anatomie  (ich  erinnere  nur  an  die  Stanungsleber 
bei  Herzkrauken)  in  gleich  eclatanter  Weise  spricht. 

Bamberger  sieht  hierin  einen  Selbstschutz  des  Or- 
ganismus gegen  die  pemiciöse  Wirkung  der  Venenstauung 
auf  lebenswichtigere  Organe. 

Ich  glaube,  wir  können  diese  üeberfdllung  der  Ab- 
dominalorgane, besonders  der  Leber,  mit  venösem  Blute  für 
die  Erklärung  des  Fehlens  jeder  Netzhautvenenerweiterung 
mit  Rocht  in  Anspruch  nehmen. 

Ebonso  wenig  wie  eine  stärkere  Füllung  der  Venen 
findet  mau  auch  eine  stärkere  AnfüUung  der  Capillaren  in 
dem  Augenhintergrund,  kenntlich  an  der  vermehrten  BOthung 
des  Sehnerv>nkopfes.  Diese  Tbatsache  steht  in  directem 
Widerspruche  zu  der  Fräsumption  Cohnheim's  von  einem 
erhöhten  Druck  in  allen  Körpercapillareu  bei  incompensirten 
Herzfehlern. 

Der  Capillardruck  ist  das  Mittel  z¥rischen  dem  Blut- 
druck in  den  kloListen  zuführenden  Arterien  und  in  den 
kleinsten  abführenden  Venen. 

Wenn  der  Druck  in  den  Arterien  sinkt,  wie  das  bei 
jedem  nicht  compensiiten  Herzfehler  statthat,  so  wird 
natürlich  eine  Erhöhung  des  Gapillardrucks  nur  dadurch 
zu  Stande  kommen,  dass  der  Druck  in  den  Venen  steigt, 
und  zwar  höher  steigt,  als  er  in  den  Arterien  gesunken 
ist.  Da  die  Erhöhung  des  Venendrucks  bewirkt  wird  durch 
eine  stärkere  AnfüUung  des  Venensystems  mit  einer  dem 
arteriellen  System  entzogenen  Blutmenge,  so  wird  man 
demnach  annehmen  müssen,  dass  eine  Verminderung  des 
Volums  des  gesammten  arteriellen  Blutes  den  Aortendruck 
weniger  herabsetzt  als  eine  gleich  grosse'*')  Vermehrung  der 


*)  Wir  rechnen  dabei  nicht  einmal  mit  der  stärkern  FäUung 
des  Lungenkreislaufes,  welche  durch  einen  Theil  des  dem  arte- 
riellen System  entzogenen  Blntquantums  bewirkt  ist. 


Die  Netzhautcirculation  etc.  bei  AUgemeinleiden.  57 

TeoOseii  Blntmasse  den  venOsen  Druck  steigert,  —  und 
diese  ADnahme  ist  offenbar  falsch,  gerade  das  Umgekehrte 
hat  Statt: 

„Da   die  EOrpervenen  an  Weite  und  Dehnbarkeit 

alle   andern  Abschnitte  des   Gefässsystems  um   sehr 

vieles  übertreffen,  so  kann  man  wohl  einsehen,  dass, 

wenn  in  Folge   von  Yerändernng   der   Leistung   des 

Herzens    die  Blutvertheilung   eine   andere   wird,    die 

Druckschwankungen  in  den  KOrpervenen  am  kleinsten 

ausfallen  müssen,   wahrend  dieselben  in  den  EOrper- 

arterien  . . .  ungleich  beträchtlicher  sind/'  (v.  Dusch, 

Handbuch  der  Herzkrankheiten  1868.  S.  87.) 

Das  Blut  fliesst  demnach  bei  incompensirten  Herzfehlern  in 

den  Capillaren   nicht   nur  nicht  unter  erhöhtem,   sondern 

gerade  unter  vermindertem  Druck.*) 

Im  Anschluss  an  das  soeben  Gesagte  findet  auch  fol- 
gender Fall  keine  Schwierigkeit  mehr  in  der  Erklärung. 

Beobachtung  3. 

Bernhard  C,  Müller,  kräftiger  untersetzt  gebauter  Mann; 
anscheinend  frische  Gesichtsfarbe,  jedoch  mit  leichter  bläulicher 
Farbenbeimischung;  starkes  Anasarca,  starker  Höhlenhydrops 
(besonders  in  den  Pleuren);  Leber  den  Bippensaum  um  drei 
Finger  breit  überragend,  sehr  empfindlich  auf  Druck. 

Hochgradige  Dyspnoe,  stark  blutiges  schaumiges  Sputum 
(grosser  Lungeninfarct  im  rechten  untern  Lungenlappen)  phy- 
sikahsch  sichere  Symptome  einer  Mitralinsufficienz  und  Stenose 
mit  Dilatation  und  Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels;  Be- 
Tolntio  cordis;  Puls  unregelmässig  (140  Schläge  in  der  Minute) 
abwechselnd  stark  hebend  und  wieder  unfühlbar. 

16.  Mai  1886.  Augenhintergrund -Papille  blass,  durch- 
sichtig. Gefässe  eng  und  ungeschlängelt,  Arterien  und  Venen 
Ton  normalem  Caliberunterschied,  blass;  besonders  erscheint 
das  Venenblut  mattroth,  wie  wässrig.  Eine  nach  oben  ziehende 
Arterie  wird   von  sehr  breiten,  matt-weissglänzenden  (Trans- 


*)  Welche  Consequenzen  das  für  die  Lehre  über  die  Ent- 
stehung von  „StaauDfipsödemen*'  bei  Herzfehlem  hat,  ist  ohne 
weitere«  ersichtlich. 


58  B.  SchmalL 

sudations?)  Streifen  begleitet.  An  einer  nach  innen  oben  über 
die  Papille  ziehenden  schwach  geschlftngelten  Arterie  bei 
heftigeren  Herzpulsationen  deutlich  sichtbare  Locomotionen. 

13.  Juli  1886.  Patient  steht  auf;  keine  hydropischen  Er- 
scheinungen mehr  zu  constatiren;  Herzaction  langsam,  hin  und 
wieder  aussetzend;  keine  subjectiven  Beschwerden. 

Augenhintergrund : 

Gef&sse  eng,  von  normalem  Breiten-  und  Farbenunterschied, 
etwas  hell.  Transsudationstreifen  nicht  mehr  sichtbar;  die  be- 
schriebene Locomotion  ebenfalls  nicht  mehr  mit  Sicherheit  zu 
erkennen.  —  Entlassung. 

3.  October  1886.    Wiederauhiahme. 

Cachexie  cardiaque;  anämische  Gyanose  der  ganzen  KOrper- 
oberfläche.  Im  Uebrigen  fast  derselbe  Status  (Lungeninfarcte  etc.) 
wie  am  16.  Mai  1886;  nur  macht  sich  ein  sehr  starker  Hydrops 
ascites  bemerkbar.  Patient  klagt  über  Kopfschmerzen,  Schwindel- 
gefühL 

Augenhintergrund:  Gefässe  eng,  blass,  ungeschl&ngelt, 
Venen  mit  sehr  schmalem,  mattem  Beflex  ebenso  breit,  wie 
die  Arterien,  welche  einen  breiten  glänzenden  Reflex  aufweisen« 

Augenhintergrund  etwas  trübe.  Pulsationen  an  den  Ar- 
terien nicht  sichtbar  (Patient  kann  nicht  wiederholt  untersucht 
werden). 

Wenige  Tage  darauf  Exitus. 

Die  Autopsie  bestätigt  in  allen  Einzelheiten  die  klinische 
Diagnose. 

Die  Abnahme  des  Calibers  der  Venen,  welche  un- 
zweifelhaft gegenüber  der  drei  Monate  früher  vorgenommenen 
Untersuchung  des  Augenhintergrundes  stattgefunden  hatte, 
ist  in  diesem  Falle  gewiss  bemerkenswerth.  Ein  ähnlicher 
Befund  s.  u.  Beobachtung  6. 


Wenn  demnach  die  bei  allen  uncompensirten  Herz- 
fehlem eintretende  stärkere  Füllung  des  Venensystems  in 
der  Retina  nur  äusserst  selten  vorkommt,  ja  sogar  F&lle 
beobachtet  werden,  in  denen  eine  Abnahme  des  Calibers 
der  Netzhautvenen  zu  constatiren  ist,  so  tritt  andererseits 
die    andere    Cardinalfolge    der   Herzfehler,   die  arterielle 


Die  Netzhantcirctüation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  59 

Anämie,  auf  der  Retina  oft  in  wahrhaft  imponirender  Weise 
herror. 

Der  Sitz  der  Erkrankung  bei  Klappenfehlern  an  dem 
venOsen  oder  arteriellen  Ostium  macht  dabei  keinen  Unter- 
schied; die  stärksten  Grade  von  arterieller  Anämie  habe 
ich  bei  jugendlichen  Individuen  beobachtet. 

Ich  hatte  Gelegenheit,  zwei  15jährige  Mädchen  zn  gleicher 
Zeit  zn  ophthalmoskopiren,  Ton  denen  die  eine  an  einem  com- 
binirten  Mitral-Aortenklappenfehler  leidend,  nur  noch  über 
leichte  Oedeme  der  untern  Extremitäten  zu  klagen  hatte,  während 
die  andere  den  durch  eine  Mitral-Elappeninsufßcienz  hervor- 
gerofenen  Girculationsstörungen  nach  einigen  Wochen  erlag. 

Bei  der  ersten  (^Aoo*)  Hämoglobingehalt  des  Blutes)  wachs- 
bleiche Hautfarbe,  ohne  Spur  von  Cyanose,  bei  der  letztern 
r/iQo  Hämoglobingehalt)  blasslivide  Hautverfärbung  mit  dem 
bekannten  gefleckten  Aussehen,  welches  man  bei  stockender 
Circolation  häufig  findet  Bei  beiden  ergab  die  ophthalmos- 
kopische Untersuchung  enorm  verengte  Arterien  und  Venen, 
von  denen  im  ersteren  Falle  die  Arterien  so  blass  waren,  dass 
man  durch  ihre  rothen  Blutsäulen  hindurch  das  darunterliegende 
Pigmentepithel  der  Retina  zu  erkennen  glaubte. 

Die  Papillen  waren  in  beiden  Fällen,  besonders  aber  wieder 
im  ersten  grünlich  weiss,  scharf  begrenzt,  die  kleinen  Macula- 
gefässe  kaum  noch  za  erkennen.  Die  Iigection  der  Betina 
wterschied  sich  in  den  beiden  Fällen  qualitativ  nnr  durch  die 
vermehrte  Farbendifferenz  zwischen  venösem  und  arteriellem 
Blnt  in  dem  letztern  Fall  (Verlangsamung  des  Blutstroms),  hier 
bestand  auch  allein  leichte  functionelle  Störung  des  Gentral- 
nervensjstems  (dumpfer  Kopfschmerz,  leichte  Schwindelanfälle). 
Einige  Wochen  nach  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung 
trat  bei  dieser  Patientin  übrigens  eine  durch  die  Section  er- 
härtete Embolie  der  linken  A.  fossae  Sylvii  (Aphasie)  ein.  Sub- 
jective  Sehstörungen  bestanden  in  kleinem  beider  Fälle. 

Wir  kommen  endlich  zur  Besprechung  einer  bei  Herz- 
Uappenfehlera  nur  bei  ausschliesslicher  oder  vornehmlicher 


*)  Die  Bestimmuog  erfolgte  vermittelst  des  Fleischl'richen 
H&moineters. 


60  B.  SchmalL 

Erkrankung  der  Aortenklappen  beobachteten  Palsation  an 
den  Arterien  der  Netzhaut,  welche  normaliter,  wie  vorhin 
auseinandergesetzt,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht  zu  be- 
stehen pflegt. 

Quincke*)  beschreibt  zuerst  im  Jahre  1868  in  einer 
Abhandlung  über  Capiilar-  und  Tenenpuls  eine  Beobachtung 
über  ausserordentlich  starken  Puls  an  den  Netzhautarterien, 
verbunden  mit  einem  systolischen  ErrOthen  der  Papille 
(Capillarpuls)  in  einem  Falle  von  hochgradiger  Insufflcienz 
der  Aortenklappen. 

In  einem  späteren  Aufsatz  *"*"):  „Beiträge  zur  Entstehung 
von  Herztönen  und  Herzgeräuschen"  erwähnt  Quincke, 
dass  er  dieselbe  Erscheinung  noch  wiederholt  aber  nur  in 
ausgesprochenen  Fällen  von  Aorteninsufflcienz  und  auch  bei 
einem  und  demselben  Individuum  nicht  zu  jeder  Zeit  wieder- 
gefunden hat. 

Becker***)  machte  in  einer  Reihe  von  Fällen  die  gleiche 
Beobachtung,  ohne  bis  kurz  vor  der  Fublication  von  den 
Quinck ersehen  Mittheilungen  etwas  zu  wissen.  Er  recti- 
ficirt  und  erweitert  die  letztere  damit,  dass  er  die  Pulsation 
der  Netzhautarterien  in  den  meisten  Fällen  vor  einer  Aorten- 
klappeninsufflcienz  und  auch  in  mehreren  Fällen  von  Aorten- 
insufficienz  mit  Stenose  bei  überwiegender  Insufficienz  be- 
obachtet zu  haben  angiebt,  während  es  ihm  nur  in  einem 
Falle  von  Aorteninsufficienz  gelang,  auch  den  Capillarpuls 
auf  der  Papille  zu  erkennen. 

Die  Quincke-Becker*schen  Angaben  sind  mehr&ch 
bestätigt  worden,  doch  widersprechen  sich  die  einzelnen  Auto- 
ren in  Bezug  auf  die  Häufigkeit  des  genannten  Phänomens. 

Helf reicht)  bestritt  die  von  Becker  demselben  zu- 

*)  Berliner  klinische  WocheiiBchrift  1868  No.  34. 
**)  Berliner  kluiische  Wochenschrift  1870  No.  21. 
***)  Graefe'B  Archiv  18A. 
t)  Helfreich,  Festschrift  zum  300  jährigen  Jabiiäom   der 
Universität  Würzbnrg.    Referat  in  Hirschberg's  Centralblatt  fUr 
Äugenheilkande  1882,  S.  279. 


Die  NetzhantcircnUtioii  etc.  bei  AUgemeinleiden.  gl 

diltirte  Gonstanz,  weil  er  ihn  unter  zehn  Fällen  anzweifel- 
hafter Insufficienz  der  Aortenklappen  3  mal  gar  nicht,  3  mal 
nur  zeitweise  beobachtete.  Im  üebrigen  sah  er  d^n  Netz- 
hantarterienpuls  gelegentlich  nicht  nur  bei  Complication  der 
Aorteninsnfficenz  mit  Aortenstenose,  sondern  auch  bei  Com- 
plication mit  Mitralinsnfßcienz,  —  bei  reiner  Stenosis  ost. 
arter.  sinistri  ebensowenig  wie  bei  anderen  Herzklappen- 
fehlem. 

Ich  habe  unter  38  Fallen  von  Herzfehlern  im  Ganzen 
eilfmal  Pulsationen  der  Netzhautarterien  gesehen.  Dieselben 
vertheilten  sich  derart,  dass  unter  s&mmtlichen  8  beobach- 
teten Erkrankungen  der  arteriellen  Klappe  (eine  reine  Ste- 
nose derselben  habe  ich  nicht  gesehen)  auch  Netzhaut- 
arterienpuls bestand,  während  derselbe  sich  unter  22  Fällen 
TOB  Erkrankungen  der  Mitralklappe '  zweimal,  und  einmal 
bei  einer  totalen  Synechia  pericardii  mit  Dilatation  beider 
Herzhälften  vorfand. 

Die  auffallendste  Form  des  Pulses  war  die  der  Loco- 
motion,  d.  h.  der  Erümmungszunahme  geschlängelter  Ar- 
terien. War  dieselbe  gering,  so  fehlte  eine  sichtbare  Caliber- 
schwankung  ganz;  bei  stärkeren  Locomotionen  konnte  ich 
immer  auch  eine  deutliche  Caliberzunahme  constatiren  (kennt- 
lich an  einer  Verbreiterung  der  rothen  Blutstreifen  und  relativ 
stärkerer  Verbreiterung  des  Wandungsreflexes  —  Becker); 
die  stärksten  Locomotionen  bestanden  bei  gleichzeitiger  ex- 
quisiter Caliberschwankung  des  geschlängelten  Arterien- 
rohres. Waren  keine  oder  nur  ganz  geringe  Schlängelungen 
Torhanden,  so  trat  die  Caliberschwankung  am  deutlichsten 
kurz  vor  der  Theilungsstelle  in  kleinere  Aeste  hervor. 

Den  stärksten  Grad  der  Arterienpulsation  auf  der 
Retina  beobachtete  ich  bei  dem  37  jährigen  Arbeiter  B. 
(Beobachtung  6)  bei  welchem  späterhin  die  Autopsie 
folgenden  Befund  am  Herzen  ergab: 

,,Da8  Herz  zeigt  eine  starke  Vergrösserung  des  Längen- 
durchmessers  (Spitzenstoss   war  während  des  Lebens  in  dem 


62  B.  Sebnall. 

7.  Intercostalraam  fablbar)  und  des  Breitendorchmessere,  ist 
etwa '  um  das  Doppelte  seines  normalen  Volums  vergrDssert. 
Die  Spitze  wird  auaschliesBlicti  vom  linken  Ventrikel  gebildet. 
Die  Herzhöhlen  sind  bedeutend  erweitert,  besondere  die  des 
linken  Herzens;  die  Wandungen  stark  verdickt.  Beim  Ein- 
giessen  von  Wasser  in  das  Äortenlomen  fliesst  dasselbe  ohne 
Aufenthalt  in  den  linken  Ventrikel  ab,  das  Aortenostinni  ist 
nicht  stenosirt. 

Die  vordem  und  hintern  Semilnnarklappen  der  Aorta  sind 
an  der  Basis  mit  einander  verwachsen,  ihr  freier  Band  ge- 
schrumpft und  gewnistet,  ....  also  das  typische,  pathologisch- 
anatomische  Bild  einer  AortenklappeninsnfGcienz  mit  secnn- 
d&rer  Dilatation  und  Hn>«rtrophie  beider  Ventrikel,  besonders 

Fig.  2. 


des  linken.  Von  sonstigen  Leichenbefunden  war  besonders 
interessant  eine  exquisit  cjanotische  Muskatnussteber. 

Der  Patient  bot  schon  bei  eeiDer  Aufnahme  in  die  Klinik 
Symptome  hochgradigster  CirculationsstOrung,  welche  trotz 
dreister  Anwendung  von  Digitalis  und  DigÜalis&hnlichen  PrS- 
paraten,  trotz  energischster  Punctionstberapie  langsam  zu- 
nahmen und  in  6  Wochen  zum  Tode  fahrten. 

Die  Beschaffenheit  des  Pulses,  welcher  Übrigens  nie  Über 
100  Schlage  in  der  Uinute  hinausging  und  bis  kurz  vor  dem 
Tode  regelmässig  blieb,  kann  man  sich  aus  der  beistehenden 
mit  dem  Marey'scben  Sphygmographen  gezeichneten  Pnlscnrve 
(Fig.  2)  reconstruiren:  Pulsus  altus,  celer,  dnms. 

Fahle  grane,  schwach  cyano tische  Gesichtsforbe. 

Augen hintergrnnd:  +  0,f>  Dp.  Hp.  Der  ganze  HiBtergmnd 
wie  durch  einen  leichten  Nebel  sichtbar  (Exsudationen  in  den 


Die  NeUbantflircnlation  etc.  bei  Ali^meinleideii.  63 

GiukOrper  sind  auch  mit  lichtsch wachem  Spiegel  nicht  zn  er- 
kennen). Die  nasale  Sälfte  der  Papille  ist  oudarchsichtig, 
leicht  graDTöthlich,  zeigt  Terschwommene  Grenzen. 

Arterien  nnd  Venen  gleichweit  (cf.  Beobacbtang  3)  eng, 
etwas  blase,  zeigen  keine  anormale  Farbendifferenz.  Ton  den 
Terdickten  als  grellweissgelbe  Streifen  die  Arterienblatsäolen 
beseitenden  Qe^swandnngen  strahlen  zahlreiche  ebenso  ge- 
ftrble  mehr  minder  feine  Streifen  nnter  den  Terschtedenaten 
Winkeln  in  die  Umgebung  ans;  die  Qeßsspfort«  in  der  Hitte 
der  Papille  wird  ganz  von  diesen  weissen  Faden  verdeckt 
(Bindege  websnenbildnng  !) 

Exqnieiter  Arterienpuls  (Caliberschwanknng  nnd  Locomotion 
an  den  wenigen  geringen  Gte^skrÜmmimgen)  bis  weit  in  die 
Peripherie  hinein.  Venenpula  sehr  schwach  ausgebildet.  Da- 
gegen Capillarpnls  sehr  deutlich  an  der  Grenze  zwischen  dem 

Fig.  3. 


Fasergeflecht   Ober   der  GefUsspforte  nnd  der  Papillensubstanz 
sichtbar. 

Als  Contrast  £U  der  obigen  Pnlskurve  mochte  ich  hier  auf ' 
folgendes  Spbjgmogramm  (Fig  3)  hinweisen,  welches  einer  an 
Aorteninsof&cienz    nnd   Stenose   mit   massiger  Dilatation   und 
HjpertTophie  des  linken  Ventrikels  leidenden  Fran  angehört. 

Beobachtung  7. 
Der  Puls  war  massig  gespannt  und  erinnerte  besonders 
in  seinem  langsamen  Ansteigen  schon  sehr  an  den  PdIsus 
tsrdns  bei  reiner  Aortenstenoso.  Der  Augenhintergmnd  dieser 
Patientin,  welche  ich,  kniz  bevor  sie  die  Klinik  gebessert  ver- 
liess,  mehrfach  Ophthal moskopirte,  zeigte  bis  anf  einen  weit  in 
die  Peripherie  sich  erstreckenden  dentlichen  Arterienpuls 
(Locomotion)  keinerlei  Anomalien.  Venenpols  schwer  zu  er- 
kennen. 


64  B.  Schmall. 

Von  dem  vorhergehenden  nnterschied  sich  dieser  Fall 
ansser  in  der  Intensität  der  Arterienpnlsation  noch  dadurch, 
d&ss  die  letztere  zeitweise  ganz  fehlte. 

Von  den  andern  6  Aorteuinsufficienzen  (3  reinen  nnd 
3  mit  andern  KlappeDfehlem  complicirten)  mOchte  ich 
noch  zwei  hier  besonders  hervorheben,  welche  neben  dem 
Arterienpnls  einen  nicht  uninteressanten  Nebenbefnnd  aaf 
der  Netzhaut  boten. 

Beobachtang  8. 

Der  67jähri^e  Eaufniann  F.  von  gracilem  Knochenbau,  etwas 
nach  vorne  gebeugter  Haltang,  in  schlechtem  EmSbrangSEaBtaiide 
mit  atrophischer  Muskulatur,  spärlichem  Pannicnlns  adiposns  klagt 
Ober  lästiges,   mit  dem  Herzschlage   iBochrones  Klopfen  in  den 

Tig.i. 


SchlSfenarterien,   Eovie  Aber  Anßllle  von  Schwindel  nnd  leicht 

vorübergehender  Bewusstlosigkeit.     Leichter  Bronchialcatarrh. 

Die  Untersuchung  ergiebt  ausser  dem  pathologischen  Befand 

am  Herzen  und  an  den  OefSsEen  keinerlei  Anomalien  der  inneren 

Fig.  6. 


Organe,  speciell  keine  Zeichen  einer  bestchendou  Circulalions- 
stOrung,  bis  auf  den  kaum  nennenswerthen  Bruncbialcatarrh. 
Sehr  hochgradige  Dilatation  und  Hypertrophie  des  linkes 
Ventrikels;  stark  hebender  SpitZFOstosa  in  6.  Inte  reo  stal  räum 
3  Finger  breit  nach  aussen  von  der  Mammillarlinie;  dabei  die 
aascsltatorischen  Zeichen  einer  Aortenatenose  und  Insafficienz, 
für  welche  die  nebenstehenden  Pnlacurven  mit  dem  Sommerbrodt- 
schen  (Fig.  4)  und  mit  dem  Marey'schen   (Fig.  5)   Sphjgmo- 


Die  NeUluialdrcalKtioii  etc.  bei  Allgemeinleideii.  65 

gnphen  KafgeDommeo,  evident  sprecheD.  Besonders  gleiclit  die 
entere  einer  von  Bosanstein  als  fDr  Aorteninsafficienz  mit 
Stenose  diar&kteristiscb  bezeichneten  Palscaire. 

Die  Badial&rterie  war  starii  geschlängelt,  sklerosirt;  die 
zweite  Pnlscnrve  demonstrirt  mit  den  zwischen  der  Anfangs- 
nnd  Bnderhebnng  des  Cmrengipfels  gelegenen  kleinen  Zähnchen, 
die  onregelmftssige  pnlsatorische  Erschütternng  der  erhärteten 
Arterienwand. 

Die  ophthalmoskopische  UntersDchnng  ergab: 
Rechtes   Auge:    Cataracta   senilis   (corticalis)   incipiens. 
Angenhintergmnd   daher   leicht  getrObt.     Papille   zeigt  keine 

Fi«,  a. 


Anomalien.  Gefllsse  gestreckt  verlaufend  von  normalem  Caliber, 
nelleicht  sind  die  Venen  etwas  abnorm  breit.  Der  Beflei  von 
den  Arterien  stellenweise  nnregelmässig,  enger  und  breiter,  Wan- 
dungen der  Gefässe  als  breite,  weissgelbe  Streifen  an  einzelnen 
QefSssen  sichtbar. 

Auffallend  starke,  dem  etwas  tarden  Charakter  der  Pnls- 
corren  an  der  Radialis  entsprechende  Caliberschwaiiknng  der 
Arterien.  Schwacher  Venenpuls.  Die  nach  unten  aussen  ziehendo 
Hauptarterie  (a)  mit  sichtbarem  Wandungsstreifen  TerjQngt  sich 
dicht  unterhalb  der  Papille  (b),  verliert  allmählich  ihren  Reflex 
nnd  gebt  dann  in  eine  dreimal  so  lange  als  breite  spindelfSr- 
mige  Erweiterung  (c)  ober.  Die  letztere  endet  in  einem  sehr 
stark   verschmälerten  Arterienrohr  (d),   an   welches  sich   dann 

T.  Orufl'i  AnUi  mr  OrbtH^Dwloila,  XXXIV.  1.  6 


66  B.  Schmali.      - 

wieder  eine  mit  normalem  gleicbmässigen  Beflex  versehene  Ar- 
terie anschliesst 

Die  Caliberschwankung  der  Arterie,  welche  in  a,  b,  c,  be- 
sonders in  c  sehr  exquisit  ist,  kann  jenseits  d  kaum  mehr 
wahrgenommen  werden. 

Das  Geföss  verläuft  von  a  bis  e  in  ein  und  derselben  Ebene, 
Trabung  und  Schwellung  der  Netzhaut  liegt  nicht  vor.  Bla- 
tungen  auf  dem  Augenhintergrunde  werden  nicht  wahrgenommen. 

Ich  glaube,  dass  man  hier  ophthalmoskopisch  eine 
atheromatOse  Degeneration  einer  Netzhautarterie  beobachten 
kann,  welche  man  bis  jetzt  (Weil  und  Manz)  fast  nur  patho- 
logisch-anatomisch *)  beschrieben  hat.  Von  b  bis  d  athe- 
romatös  erkranktes  Gefäss,  in  d  stärkste  Verengerung  des 
Gefässlumens,  daher  Aufstauung  des  Blutes  (Unterschied  der 
Stärke  der  Pulsation  in  a  und  e)  und  Aneurysmenbildung 
(c)  wegen  abnormer  Nacligiebigkeit  der  kranken  Arterien- 
wandung! 

Das  Fehlen  oder  Schwächerwerden  des  Reflexes  und  der 
Wandstreifen  auf  und  neben  dem  kleinen  Aneurysma  c 
spricht  für  Verdünnung  der  Wand  desselben, 

Beobachtung  9. 

August  J.  29  Jahre,  Bauersohn,  früher  stets  gesund,  er- 
krankte vor  4  Monaten  unter  Kopfschmerzen,  allgemeinem  Un- 
behagen, massigem  Fieber  zunächst  ohne  Beschwerden,  welche 
auf  ein  bestimmtes  Organleiden  hindeuteten.  4  Tage  nach 
Beginn  der  Erkrankung  trat  Schwellung  beider  Füsse  ein, 
späterhin  soll  sich  die  Schwellung  und  Schmerzhaftigkeit  auf 
bestimmte  Gelenke  der  untern  Extremitäten  localisirt  haben. 
Doch  scheinen  die  Gelenkschmerzen  nie  so  gross  gewesen  zu 
sein,  da  Patient  bis  zu  seiner  Aufnahme  in  die  Klinik  die 
meiste  Zeit  ausserhalb  des  Bettes  zugebracht  hat. 

Status  praesens:  Grosser,  kräftig  gebauter,  etwas  anämisch 
aussehender  Mann  mit  hjdropischen  Ergüssen  in  beiden  Knie- 
gelenken, klagt  aber  Mattigkeit,  Kopfschmerzen,  Appetitlosigkeit 


*)  Nur  Lion Tille   spricht   von   kleinen   ophthalmoskopisch 
gerade  noch  Bichtbaren  Aneurysmen  der  Netzfaaatarterien. 


Die  Netabaatdrcnlfttioii  etc.  bei  Altgemeinleiden.  67 

Unre^lm&ssigea  remittireades  und  intennittirendea  Fieber 
im  aUgemeinen  nicht  aekr  hoch. 

Herid&mpfoiig  nicht  lerbraitort,  Spitzenstoaa  im  4.  loter- 
coBtalranm  1  cm  nach  innen  von  der  Haniill&rlinie  sieht-  und 
fUklhar,  weder  verbreitert,  noch  stark  hebend.  Die  Anscnitation 
des  Herzens  ergiebt  an  der  Spitze:  reiner  sjatoliacher  und 
dumpfer  diastolischer  Ton,  nach  der  Baaia  zu  differenciren  sich 
zwei  Oeransche,  ein  leiseres  sjatoliaches  mit  seinem  Panctum 
mazimnm  in  dem  zweiten  Intercoetalraara  rechts  und  ein  sehr 
lautes  diastolisches  mit  seiner  grOasten  Schallintensität  Aber 
dem  Stemnm  in  der  Hohe  des  dritten  Intercostalranms.  Zweiter 
Palmonalton  nicht  veratärkt. 

Puls  langsam,  regelmässig,  hoch  nnd  schnellend,  dabei 
ziemlich    weich,    ausgesprochen    dicrot    (liatadicrot),    die   aas 

Kg.  7. 


der  Pnlscurve  (Fig.  7)  ersichtliche  leichte  Anadlcrotie  wird  nach 
Idndois  bedingt  dnrch  die  Contraction  des  linken  Vorhofs. 

Diagnose:  Rhenmalismos  articulorum  acntus,  Endocardilis 
anbacuta,  Insnfficientia  valvulamm  aortae. 

17.  Jnni  1886.  Ängenhintergrund :  S.  A.  Klar  brechende 
Medien,  blasser  Hintergruadsreflei.  Papille  leicht  gerCthet, 
zumal  naaalwarts,  zeigt  daselbst  etwas  verschleierte  Grenzen. 
Arterien  eng,  gestreckt  verlaufend,  Venen  relativ  weit,  auf- 
follend  hell  mit  mattem  schmalen  Reüei,  u  geschlängelt.  An 
den  Arterien  deutliche  Locomotion  und  Caliberachwankong 
isochron  mit  dem  Herzschlage.    Veneuputs  undeutlich. 

Dicht  neben  der  Papille,  nasalw&rts  von  derselben  liegen 
zwei  feine  stricbfllnnige  frische  Blutungen. 

Hinter  einer  nach  oben  innen  ziehenden  kleinen  Arterie 
liegt  inmitten  einer  kreisfarmigen  kleinerbsengrossen  Blutung 
ein  grauweisser,  scharf  u  mach  rieben  er,  etwa  stecknadelkopfgrosser 
Fleck  (Embolischer  Abscess?)  Fapillenbreit  Ober  der  Papille 
iwischen  zwei  gabelAtrmig  auseinanderziehenden  Arterien  liegt 
5« 


gg  B.  Schmall 

eine  grttnweissliche,  wenig  intensive  Trübnng  von  Kaffeebohnen- 
grosse,  welche  diffns  in  die  nmgebende  unveränderte  Retina 
übergeht.  Die  Retina  ist  nasalwärts  stärker  getrübt,  besonders 
in  der  Umgebung  der  beschriebenen  Hämorrhagien,  welche 
deshalb  zum  Theil  etwas  mattfarbig  aussehen. 

In  der  Peripherie  des  Augenhintergrundes  ist  die  Retina 
überall  normal  durchsichtig. 

22.  Jnni  1886:  Diffuse  Neuroretinitis;  Papillengrenzen 
nicht  mehr  zu  erkennen;  Papillensubstanz  getrübt  und  stark 
gerOthet.  Enorm  enge  Arterien,  normalweite  mattkirschrothe 
ungeschlängelte  Venen.   Einzelne  frische  strichförmige  Blutungen. 

Arterienpuls  trotz  wiederholter  Untersuchung  nicht  erkenn- 
bar.   (Radialpuls  unverändert). 

Linkes  Auge  bis  auf  eine  ganz  leichte  Trübung  der  Retina 
normal. 

Rechts  keine  grObern  SehstOrungen;  eine  genaue  Unter- 
suchung der  Functionen  des  Auges  wird  nicht  vorgenommen. 

Bei  der  Entlassung  am  30.  Juli  1886  war  der  allgemeine 
Status  des  Patienten  genau  derselbe  wie  bei  der  Aufnahme, 
Girculationsstörungen  waren  nicht  aufgetreten. 

Auch  bot  der  Hintergrund  des  rechten  Auges  keine 
wesentlich,  n  Aenderungen  gegenüber  der  letzten  Untersuchung. 
Der  Arterienpuls  wurde  nicht  mehr  gefunden. 

Also  bei  einer  frischen  Aorteninsufficienz  ohne  Dila- 
tation und  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  deutlicher 
Arterienpuls  im  Auge,  welcher  in  Folge  einer  hinzutretenden 
Neuro -Retinitis  und  der  damit  noth wendig  verbundenen 
Veränderung  der  Geftsswände  verschwindet 

Von  den  beiden  Fällen,  in  denen  ich  bei  InsufGcienz 
der  Mitralklappen  Arterienpuls  in  der  Netzhaut  beobachtet 
habe,  ist  einer,  bei  dem  die  klinische  Diagnose  durch  die 
Autopsie  bestätigt  wurde,  schon  vorher  (cf.  Beobachtung  3) 
erwähnt  worden,   den  anderen   theile  ich  nachstehend  mit 

Beobachtung  10. 

Kleiner  schwächlicher  16jähriger  Mensch  mit  chron.  Ge- 
lenkrheumatismus (geringe  fieberhafte  Temperaturbew^^gen) 
und  mit  den  physikalisch  sichern  Erscheinungen  einer  Mitral- 
insufficienZy  welche  ihrerseits  keine  oder  geringe  Störungen  des 


Die  Netzhaatcirculation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  69 

AUgemeinsbefindens  hervorrief.  Der  Badialpols  war  regel- 
mässig, langsam,  weich,  klein,  andeutungsweise  dicrot  (Fig  8.) 
Per  Angenbintergrnnd  zeigt  bis  auf  deutliche,  aber  nicht  sehr 
excorsive  Locomotionen  an  allen  stärkern  Arterienkrümmungen 
ieioe  nennenswerthe  Anomalie. 

Fig.  8. 


Endlich  sah  ich  sehr  excarsive  aber  nur  zeitweise  auf- 
tretende Locomotionen  an  den  geschlängelten  Retinalarterien 
eines  sonst  normalen  Hintergrundes  bei  einem  höchst  anä- 
mischen Mädchen  mit  hochgradigen  Oedemen,  Dypnoe,  höchst 
frequentem,  aber  regelmässigem,  ganz  kleinem  Pulse  (Be- 
obachtung 11.) 

Die  Autopsie  ergab  folgenden  Befund  am  Herzen: 

„Herz  mit  dem  Herzbeutel  verklebt  durch  mit  der  Hand 
ohne  besondere  Muhe  trennbare  fibrinöse  Exsudatmassen,  welche 
in  ca.  Va  cm  dicker  Schicht  zwischen  beiden  Pericardialblättern 
abgelagert  sind. 

Das  Pericard  selbst  ist  verdickt  und  serOs  durchtränkt. 
Die  Herzmnskulatur  schwach,  etwas  gelblich  gefärbt.  Sämmtliche 
Herzhohlen  erweitert.  An  sämmtlichen  Elappenapparaten  mit 
Ausnahme  der  Fhcospidalis  entsprechend  den  Schliessungs- 
linien feinwarzige,  graurOthliche  Excrescenzen.  Keine  Zeichen 
von  erheblicher  Stenose  oder  Insufficienz  der  Klappen.^' 

Diese  beiden  letzten  Beobachtungen  will  ich  hiermit  nur 
referirt  haben,  ohne  einen  grossen  Werth  auf  den  ophthal- 
moskopischen Befund  zu  legen,  am  wenigsten  will  ich  damit 
die  von  den  Autoren  aufgestellte  Behauptung  umstossen, 
dass  bei  allen  anderen  Herzklappenfehlem  ausser  bei  Aorten- 
klappenerkrankungen eine  sichtbare  Arterienpulsation  in  der 
Netzhaut  nicht  vorkommt. 

Denn  die  Fälle  sind  nicht  ganz  rein:  an  dem  ersteren 
lag  ein,  wenn  auch  in  geringem  Grade  fieberhaftes  Leiden, 
in  dem  letzteren  hochgradige  Anämie  als  complicirendes 


70  B.  Schmall. 

Moment  vor,  und  bei  beiden  wird,  wie  weiter  unten  naher 
zu  erörtern,  gelegentlich  Arterienpuls  in  der  Netzhaut  ge- 
funden. 

Dagegen  möchte  ich  doch,  allerdings  au«  anderer  Ur- 
sache, einiges  Gewicht  auf  die  Beobachtung  3  legen;  denn 
sie  beweist,  dass  bei  einem  gegebenen  arteriellen  Mitteldinick 
sich  einzelne  starke  Herzcontractionen,  deren  Wirkung  auf 
den  arteriellen  Mitteldruck  durch  die  folgenden  weniger  aus- 
giebigen Herzpulsationen  paralysirt  wird,  auch  in  den  Netz- 
hautarterien als  sichtbarer  Puls  geltend  machen  können 
Damit  erklärt  sich  auch  das  negative  Resultat,  dass  bei  durch 
körperliche  Anstrengung  etc.  gesteigerter  Herzthätigkeit  Pul- 
sationen an  den  NetzhautgeflElssen  nicht  beobachtet  werden, 
weil  wegen  der  alsdann  eintretenden  stärkeren  mittlem  An- 
fttllung  des  arteriellen  Systems  die  vermehrte  Wandspan- 
nung in  den  einzelnen  Arterien  sich  einer  stärkeren  pulsa- 
torischen  Ausdehnung  derselben  widersetzt. 

Was  die  Entstehung  des  Retinalarterienpulses  bei  Aorten- 
insufficienz  anlangt,  so  kommt  derselbe  zu  Stande  durch 
eine  in  der  Aorta  erregte  abnorm  hohe  und  abnorm  schnell 
abfallende  Pulswelle,  —  abnorm  hoch,  weil  der  linke  Ven- 
trikel mit  einer  vermehrten  Blutmasse,  die  ihm  in  der  Dia- 
stole aus  dem  linken  Yorhof  und  aus  der  Aorta  durch  die 
insufßciente  Klappe  zugeflossen,  stärker  arbeitet,  abnorm 
schnell  abfallend,  weil  unmittelbar  nach  der  Contraction 
des  Ventrikels  ein  grosser  Theil  der  vorgetriebenen  Blut- 
masse wieder  in  ihn  regurgitirt. 

Dass  der  linke  Ventrikel  auch  erhöhten  Ansprüchen  an 
seine  Leistungsfähigkeit  für  längere  Zeit  genügen  kann,  ohne 
erheblich  zu  hypertrophiren ,  beweist  Beobachtung  9.  Im 
Uebrigen  aber  werden  die  Bedingungen  für  das  Entstehen 
eines  hohen,  vollen  und  schnellenden  Pulses  um  so  günsti- 
ger sein,  je  grösser  die  Energie  ist-,  mit  welcher  die  Expul- 
sion  des  Blutes  vor  sich  geht,  also  bei  Hypertrophie,  und 
je  grösser  die  Blutmenge  ist,  welche  zur  Expulsion  gelangt, 


Die  Netzhaut curcolation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  71 

also  bei  Dilatation  des  linken  Ventrikels.  Beide  Momente 
begünstigen  das  Entstehen  einer  abnorm  weit  peripher  sicht- 
baren Pulsation,  jedoch,  wie  ich  Kählmann  gegenüber  her- 
7orhebeD  möchte,  absolut  nothwendig  sind  sie  nicht  daza 
(cf.  Beobachtung  9). 

Ich  habe  keine  Veranlassung,  mich  auf  eine  n&here  Er- 
klärung derjenigen  Fälle  von  reiner  Aorteninsufficienz  einzu- 
lassen, bei  welchen  ein  Netzhautarterienpuls  nicht  sichtbar 
ist,  da  ich  selbst  solche  Fälle  nicht  beobachtet  habe.  (cf. 
Becker  1.  c.)  Vielleicht  sind  sie  unter  die  Reihe  jener  Fälle 
zu  stellen,  bei  welchen  der  Arterienpuls  im  Auge  nur  zeit- 
weise gefunden  wird.  Auf  einen  Erklärungsversuch  dieses 
zeitweiligen  Fehlens  des  Pulses  bei  vorhandener  Disposition 
ZQ  seiner  Entstehung  kommen  wir  weiter  unten  noch  ein- 
mal zurück. 


Wir  wollen  nunmehr  auf  die  bei  kürzere  oder 
längere  Zeit  andauernder,  gleichgültig  durch  welche 
Ursache  bedingtem  Fieber  beobachteten  Verände- 
rungen der  Netzhautfjefässe  kurz  eingehen,  welche  den 
Angaben  der  Litteratur  nach  im  Allgemeinen  ziemlich  ein- 
seitig sind  und  sich  der  Hauptsache  nach  in  einer  mehr 
oder  minder  grossen  Hyperaemie  des  ganzen  Gefässsystems 
zusammenfassen  lassen. 

Eduard  v.  Jäger,  welcher  dem  Anschein  nach  wohl 
am  eingehendsten  das  Verhalten  der  Netzhautgef&sse  im  Fieber 
beobachtet  hat,  schreibt  hierüber'*'): 

„Im  Hitzestadium  intensiver  acuter  Fieberanfälle  .er- 
scheinen die  Arterien  und  Venen  des  Gentralgef&ss- 
sjstems  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  und  unter  Auf- 
recbterhaltung  ihres  physiologischen  Unterschiedes 
gleichmässig  ihrem  Querdurchmesser  nach  vergrössert." 
„Diese  Gefilssausdehnung  ist  je  nach  der  Intensität 


Ol.  c 


72  B.  Schmall. 

des  Fiebers  eine  unterschiedliche,  im  Ganzen  jedoch 
keine  sehr  beträchtliche." 

„Eine  Verlängerung  der  Oeftsse  und  daher  eine 
stärkere  Schlängelung  derselben  ist  nicht  nachzu- 
weisen." 

„Die  Färbung  der  arteriellen  und  venOsen  Blut- 
säulen ist  erheblich  mehr  saturirt  roth  und  von  leb- 
hafterem Ausdrucke,  beinahe  leuchtend;  der  Unter- 
schied in  der  Farbe  zwischen  Venen  und  Arterien  ist 
hierbei  der  normale  oder  auch  etwas  geringer,  und 
zwar  auf  Rechnung  der  verhältnissmässig  wenig  er- 
höhten Färbung  des  venösen  Blutes." 

„Der  Beflex  ist  breiter  und  auffallend  in  seiner 
Lichtstärke  erhöht,  insbesondere  bei  den  Venen,  so 
dass  hier  auch  der  Unterschied  in  dem  Reflex  zwischen 
Arterien  und  Venen  erheblich  vermindert  wird." 

„Der  Augenhintergrund  erweist  sich  im  Allgemeinen 
stark  erleuchtet,  die  Netzhaut  und  der  Sehner ven- 
scheitel  von  gleichmässig  zart  röthlicher,  aber  lebhafter 
Färbung." 

Diese  Angaben  Eduard  v.  Jäger's  £and  ich  bei  acut 
fieberhaft  einsetzenden,  kurze  Zeit  andauernden  und  dann 
kritisch  endenden  Krankheiten  meist  bestätigt.  Bei  8  unter 
10  mehr  oder  minder  schweren  croupösen  Pneumonien 
meist  jugendlicher  Individuen  beobachtete  ich  zur  Zeit  des 
höchsten  Fiebers  (39,0 — 40,5°  C.)  entweder  gar  keine  Ver- 
änderung im  Augenhintergrund  oder  stärker  gefüllte,  nur 
wenig  verbreiterte  Retinalarterien  und  Venen  von  normaler 
Farben-  und  Breitendifferenz,  mitunter  auch  das  Caliber 
der  Venen  dem  der  Arterien  fast  gleich,  die  Papille  leicht 
injicirt,  kurz  eine  geringe  Hyperämie  des  Netzbautgefäss- 
systems. 

Nur  in  2  Fällen  croupöser  Pneumonie  bestand  davon 
eine  Ausnahme: 


Die  Metsluntdrcabitioii  etc.  bei  AllgemeinleldeD.  73 

Beobachtung  12. 
Bei  dem  27j&lirigeii,  gross  gewachsenen,  etwas  hageren, 
im  mittleren  Grn&hTangsinstande  befindlichen  Schneider  Angnst  L. 
konnte  ich  am  vierten  Tage  seiner  nnter  Schüttelfrost  einge- 
tretenen fieberhaften  Erkranknng  neben  den  ansgeeproehenen 
phjsikalischen  Symptomen  einei  Pnenmonia  cronposa  lobaria 
poster.  inferior  dextra,  neben  hochgradiger  Dispnoe,  starker  BO- 
tbong  und  Cjanoee  des  Gesichts,  —  eine  colossale  ttber  Arterien 
nnd  Venen  gleichzeitig  ausgedehnte  Hyperämie  des  Angenbin- 
tergmnds  constatiren  die  Arterien  der  Netzhaut  waren  um  mehr 
ils  das  Doppelte,  die  Venen  nm  das  Dreifache  ihres  normalen 
Calibers  verbreitert,  jedoch  nicht  geschlangelt,  der  Kefiei  der 
Venen  sehr  breit,  grell  und  gleichmässig.  Auf  der  stark  gerO- 
tbeten  Papille   and  dem   ganzen   eigenthQmlich   mattranchigen 

Fig.  9. 


Angenhintergrunde  konnte  man  kleinste,  sonst  Oberhaupt  nicht 
sichtbare  Geisse  stark  eiveitert  streckenweit  verfolgen.  An  der 
nach  oben  ziehenden,  dicht  Ober  der  Papille  leicht  gekrümmtes 
Hinptart«rie  leichte  Caliberscb wankungen  nnd  Locomotionen*) 
isochron  mit  dem  BadialpnUe.  Minimaler  Venenpnis.  Radial- 
puls  freqaent,  regelmäseig  fieberhaft  weich,  etwas  schnellend, 
BDHgesprochen  dicrot.    Temperatur  40,5. 

*)  Ich  mochte  gende  an  dieser  Stelle  nicht  unterlassen  an 
bemerken,  dass  ich  nm  TInichnngen  lu  entgehen,  gmnds&ulich 
nie  gleichseitig  Netibautarterienpals  opbthalmoskopirt  und  lUdial- 
pnls  palpirt  habe,  sondern  ich  vergewisserte  mich  entweder  «d 
entarem  allein  Aber  die  Frequenz  der  Herzaction  nnd  controllirt« 
dieselbe  naehtrtglich  dnreh  Palpation  der  Radialis  oder  ich  sihlt«, 
wu  bei  schwer  sichtbarem  Netshautarterienpnle  immer  geschah, 
denselben  einem  intelligenten  Kranken  oder  der  W&rierin  oder 
einem  Cultegen,  welcher  nach  dem  fiadialpnls  des  üntersncht«n 
AUte,  lant  wiedeibolt  vor. 

Verwecbselnngen  mit  einem  sog.  fortgeleiteten  ArterienpnlB 
■ind  ansgeeehlossen,  da  ich  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der 
mi«  den  Arterienpiib  ausseriialb  der  Papille  anf  der  Retiaa  auf- 
■oehte. 


74  B.  Schmall. 

Sensorium  frei. 

Die  Krise  trat  5  Tage  später  ein,  nachdem  ihr  mehr£Eu;h 
präkritische  Temperatursteigerungen  vorausgegangen  waren. 

Die  Besorption  des  pneumonischen  Infiltrates  erfolgte  sehr 
rasch,  nicht  minder  rasch  nahm  auch  die  Hyperämie  des  Augen- 
hintergrundes ah.  Neun  Tage  nach  der  Krise  waren  die  Netz- 
hautarterien normal  weit,  die  Venen  noch  etwas  verhreitert, 
Papille  lebhafter  als  gewöhnlich  injicirt;  Arterienpuls  im  Auge 
nicht  mehr  zu  erkennen.  Radialpuls  klein,  massig  gespannt, 
langsam,  wenig  dierot. 

Fig.  10. 


Beobachtung  13. 

In  dem  zweiten  Fall  von  croupöser  Pneumonie  ebenfalls  des 
rechten  unteren  Lappen  der  Lunge  bei  dem  20jährigen,  früher 
stets  gesund  gewesenen  kräftiggebauten  Arbeiter  Thiel  bestand 
eine  ähnliche,  wenn  auch  nicht  gleichstarke  Hyperämie  des 
Augenhintergrundes  ebenfalls  mit  schwachem  aber  deutlichem 
Netzhautarterienpuls.  Patient  wurde  erst  am  Tage  der  Krise 
in  die  Klinik  aufgenommen  und  ophthalmoscopirt.  Temperatur 
38.1;  Puls  massig  hoch  und  gespannt,  fieberhaft,  120  Schläge 
in  der  Minute;  Gesichtsfarbe  hochgerOthet,  cyanotisch;  keine 
anderweitige  Organläsion.  Drei  Tage  nach  der  Krise  bestehen 
bei  nahezu  normal  injicirtem  Augenhintergrunde  sehr  schwache 
Pulsationen  der  Netzhautarterien  noch  fort.  Badialpuls  klein, 
langsam,  massig  gespannt. 

Patient  wird  entlassen,  stellt  sich  trotz  dringender  Auf- 
forderung nicht  mehr  vor. 

Von  anderen,  acut  fieberhaften,  kürzere  Zeit  anwfth- 
renden  Krankheiten,  bei  denen  ich  eine  starke  Hyperämie 
des  Augenhintergrundes  sowie  Netzhautarterienpuls  beob- 
achtet habe,  möchte  ich  noch  erwähnen: 

Beobachtung  14. 

Hermann  B.,  25  Jahre,  Arbeiter;  sehr  kräftig  muskulös 
gebaut.     Acuter    multiarticulärer    Gelenkrheumatismus;    leise 


Die  Xetzhaatcircnlation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  75 

hauchendes  systolisches  Geräusch  an  der  Herzspitze,  leichte 
Verbreiterang  des  rechten  Ventrikels;  zweiten  Pulmonalton 
nicht  Terstärkt  Ausgedehnter  nrticariaahnlicher  Ausschlag  über 
den  ganzen  Körper  ausser  an  Kopf  und  Hals  (Ghininexauthem?), 
dunkel  gerOthetes  Gesicht. 

Geringe  Dyspnoe,  Puls  regelmässig,  massig  frequent,  voll 
and  weich.    Körpertemperatur  39,6. 

CoDJunctiya  palpebrarum  geröthet;  jedoch  weder  Thränen- 
floM  noch  abnorme  Sensationen  unter  den  Augenlidern,  noch 
Lichtscheu  trotz  längeren  Spiegeins. 

Im  Augenhintergrund  hochgradige  arterielle  und  venöse 
Hyperämie  der  Netzhaut,  lebhafte  Röthung  der  Papilla  optica, 
leuchtendes  Arterien-  und  Venenblut  von  normaler  Farben- 
difierenz.  An  den  leicht  geschlängelten  Arterien  bis  weit  in 
die  Peripherie  hinein  schöne  excursive  Locomotionen,  geringere 
Caliberschwankungen. 

Patient  wird  an  demselben  Tage  wiederholt  untersucht, 
zeigt  immer  das  gleiche  Pulsphänomen  auf  der  Netzhaut. 

In  den  nächsten  Tagen  massig  starke  Fieberdelirien,  ab- 
wechselnd mit  leichter  Somnolenz.  Bei  der  zweiten  7  Tage 
später  vorgenommenen  ophthalmoskopischen  Untersuchung,  so- 
wie am  Tage  der  Entlassung,  13  Tage  nach  der  ersten  Unter- 
suchung ist  die  Hyperämie  des  Augenhintergrundes  geringer, 
die  Netzhautarterienpulsation  besteht  in  kaum  verminderter 
Stärke  fort.  Badialpuls  noch  etwas  hoch,  doch  besser  gespannt, 
nicht  schnellend. 

Drei  Monate  später:  keine  Erscheinungen  eines  Vitium 
cordis,  Badialpuls  regelmässig,  langsam,  normalgespannt,  klein. 

Conjunctivitis  simplex. 

Betinalarterien  eher  etwas  eng,  leicht  geschlängelt,  Venen 
doppelt  so  breit,  dunkel,  mit  grellem  Reflex.  Trotz  eingehend- 
sten Suchens  ist  kein  Arterienpuls  zu  constatiren. 

Es  ist  dieses  der  Fall  von  unzweifelhaftem  Netzhaut- 
arterienpuls  bei  hochfieberhaften  Erkrankungen,  welchen  ich 
zuerst  bei  meinen  darauf  hingerichteten  Untersuchungen 
beobachtet  habe. 

Beobachtung  15. 

Carl  P.,  31  Jahre,  Arbeiter.  Sehr  grosser  kräftiger  musku- 
löser Mann  mit  massig  reichlichem  Panniculus  adiposus,  leicht  ge- 


76  B.  Schmall. 

rOtheter  cjanotischer  Gesichtsfarbe,  stark  dyspnoisch,  vor  vier 
Tagen  mit  Schüttelfrost  erkrankt 

Plearitis  serofibrinosa  dextra;  kein  sonstiges  Organleiden. 
Massig  hohes  Fieber  mit  remittirendemTjpns.  Hochfieberhafter 
Puls  =  39,4®  Temperatur. 

Spiegelbefund:  Erweiterte  stark  geschl&ngelte  Arterien 
mit  verbreitertem  grellem  Reflex;  dunkle  sehr  breite  nnge- 
schl&ngelte  Venen,  ebenfalls  mit  breitem  glänzenden  Reflex. 
Exquisite  Locomotionen  an  den  Arterienkrümmongen. 

18  Tage  nach  der  ersten  Untersuchung  ist  Patient  fieber- 
frei, steht  auf,  fühlt  sich  abgeschlagen,  klagt  über  Schwindel- 
gefühl und  dumpfen  Kopfschmerz  beim  Stehen  und  Gehen. 

Die  Hyper&mie  des  Augenhintergrundes  ist  ausschliesslich 
noch  auf  die  etwas  erweiterten  dunklen  Venen  beschränkt.  Die 
Locomotionen  an  den  Arterien  bestehen  in  kaum  verminderter 
Stärke  fort. 

Patient  wird  8  Tage  darauf  entlassen. 

Einer  3  Monate  später  an  ihn  gerichteten  Aufforderung, 
sich  in  der  Klinik  vorzustellen  folgt  er  nicht. 

Diesen  acut  fieberhaften,  längstens  wenige  Wochen 
dauernden  und  dann  mehr  oder  minder  plötzlich  endenden 
Krankheiten,  welche  den  KOrperbestand  der  Patienten  zwar 
rednciren,  aber  meist  nur  eine  kurze  Beconvalescenz  nach 
sich  ziehen,  möchte  ich,  auch  bei  der  vorliegenden  Unter- 
suchung, jene  schwer  fieberhaften,  als  Consumptionskrank- 
heiten  par  excellence  geltenden  Allgemeinleiden  gegenüber- 
stellen, welche,  wie  der  Typhus  abdominalis  über  Wochen 
und  Monate  sich  hinziehend,  den  Ernährungszustand  der 
Patienten  in  einer  Weise  beeinträchtigen,  dass  nach  ihrem 
Ablauf  oft  eine  ebenso  lange  Beconvalescenz  zur  völligen 
Wiederherstellung  nothwendig  ist. 

Ich  bringe  auf  den  folgenden  Seiten  eine  kurze  sum- 
marische üebersicht  der  Augenhintergrundsveränderungen, 
speciell  der  Veränderungen  an  den  Netzhautgefässen  bei  21 
im  Laufe  eines  halben  Jahres  in  der  hiesigen  medicinischen 
Klinik  beobachteten  Fällen  von  Typhus  abdominalis,  welche 


Die  Netifaaatcircnlation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  77 

nach  der  Schwere  ihres  Verlaufes  und  ihrer  Complicationen 
angeordnet  sind. 

Dieselben  sind  theils  sofort  nach  ihrer  Aufnahme  in 
die  Klinik  gespiegelt  worden,  theils  sobald  ihr  psychischer 
oder  physischer  Zustand  die  ophthalmoskopische  Unter- 
suchung zuliess. 

Besonders  schoben  Störungen  des  Sensoriums  nicht  nur 
die  erste  ophthalmoskopische  Untersuchung  hinaus,  sondern 
hinderten  auch  meist  rationelle ,  in  bestimmten  Zeiträumen 
wiederholte  genauere  Beobachtungen  des  Augenhinter- 
gruodes. 

Dieses,  sowie  das  in  Bezug  auf  allgemeine  Con- 
stitution einerseits,  auf  Intensität  des  Erkrankungsprocesses 
andererseits  sehr  differente,  dabei  relativ  geringe  Eranken- 
material  lassen  den  Zweck  einer  tabellarischen  Zusammen- 
stellung, Schlüsse  zu  ziehen,  höchst  problematisch  erscheinen. 
Vor  Allem  dürfte  man  darauf  hin  nicht  berechtigt  sein, 
allgemeinen  Hirnsymptome :  Kopfschmerzen,  Schwindel,  De- 
lirien, Somnolenz,  wie  sie  bei  einzelnen  Kranken  beobachtet 
worden  (cf.  Fall  9),  anatomische  Veränderungen  des  Cere- 
bmm  zu  supponiren,  welche  denen  der  Setina  analog 
wären. 

Aus  der  Zusammenstellung  lässt  sich  so  viel  ersehen, 
dass  die  Thesen  Eduard  v.  Jäger's: 

„Die  Arterien  und  Venen  des  Centralgefässsystems 
erscheinen  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  und  unter 
Aufrechterhaltung  ihres  physiologischen 
Unterschiedes  gleichmässig  ihrem  Durchmesser 
nach  verbreitert**; 

femer: 
„Die  Oef&ssausdehnung  ist  der  Intensität  des 
Fiebers  entsprechend  eine  unterschiedliche*'; 

endlich : 
„Der  Unterschied  in  der  Farbe  zwischen  Arterien 
und  Venen  ist  der  normale  oder  auch  etwas  geringer 


78 


B.  Schmail. 


AUgem.  Ernäh- 

CS ««H 

Dauer 
ive 

Uli 

Zur  Zeit  der  ophtlial^ 

Ji 

1 

e 

No. 

Name,   Alter, 
Stand 

rungszustand 

zur  Zeit 
der  Aufnahme 

Anzahl  und  ^ 
der  Recid 

Schwere 
Typhus  n 
Verhiuf  x 
Complicatii 

Hohe  des 
Fiehers 

1 

o 

1 

David  Reimer, 

gross,  kraftig, 

2Wch. 

sehr 

wie  s. 

38,8 

leicht 

4c 

31  Jahre, 

straffe  Muska- 

leicht 

Z.  der 

geröth< 

(16) 

Schiffer 

latur,  massiges 
Fettpolster 

Auf- 
nahme 

T 

2 

Joh.  Scheffler, 

mittelgross, 

3  Weh. 

leicht 

9 

89,0 

blass 

(17) 

22  J., 

starkknochig, 

(seit  3 
Tagen 

Schmied 

etwas  atrophi- 

sche Muskula- 

grosse 

tur,  geschwun- 

Re- 

dener    Panni- 

missi- 

ä 

culns  adip. 

onen) 

3 

K., 

gross. 

3Wih. 

leicht 

m 

39,5 

leicht 

(18) 

20  J., 

schmächtig, 

geröthi 

cand.  med. 

mangelhafter 

Brn&hningB- 

zuBtand 

1 

4 

Johanna  W.,  j  klein,  zart  ge- 

3  Weh. 

leicht 

tt 

3S,5 

sehr  bh 

(19) 

16  J. 

haut,  atrophi- 

;  sehe  Maskala- 

tor,  geschwun- 

denes Fettpol- 

ster 

*)  Ko.  der  Beobacbtang. 


Die  Netsbautcircnlation  etc.  bei  AUgemeinleiden. 


79 


MNkopiachen  ÜDtenachung 


Ophthalmoskopische  Ergehnisse 


frei 


keine 


gennger 
Bron- 
ehial- 

catarrh 


keine 


hoch,    massig 

gespaontylang 

sam 


▼oll,  weich, 

ausgesprochen 

dicrot 


keine 


klein,  weich. 

langBani,regeI- 

massig 


massig  hoch, 
dicroL  massig 
weich,  lang- 
sam, regel- 
mässig 


8 


18 


13 


13 


Keine  Anomalien. 


Keine  Anomalien. 


Keine  Anomalien. 


Anämische  icharf  umgeengte  Papillo,  enge  ge- 
streckt verlaufende  etwa«  belle  Arterien,  dunkel- 
kiracbrotbe  2  bis  Sfach  »o  breite  stellenweise  ge- 
scblingelte  Venen  mit  hellem  schmalen  Reflex.  Dort 
wo  die  Arterien  Aber  Venen  hinxiohen,  sind  weisslich 
glänzende  Gefässwinde  und  im  Anschlnss  an  die- 
selben und  parallel  denselben  verlaufend  breitere 
ungemein  feine  aartweisse  Streifen  an  sehen,  welche 
zumal  dort,  wo  sie  bei  spitzwinklig  sich  kreuzenden 
Geflssen  eine  l&ngere  Strecke  Aber  einen  rothen 
Untergrund  ziehen,  unregelmfissig  sich  auffasemde 
Äussere  Conturen  aufweisen.  Netzhaut  in  der  Um- 
gebung der  Papille  besonders  im  Anschluss  an  die 
grösseren  Netzhautgefftsse  undurchsichtig,  aber  nicht 
opak  trttbe,  sondern  lebhaft  und  zwar  ungleichm&ssig 
Licht  reflcctirend.  Die  Netzhaut  erscheint  hier  un- 
regelmässig  chagrinirt  durch  einzelne  dunklere  und 
zahlreiche  hellere  verschieden  conturirte,  verschieden 
grosse,  im  Allgemeinen  aber  ungemein  feine  Fleckchen, 
von  denen  die  helleren  entschiedenen  Fettglanz  haben. 
Hier  und  dort  hebt  sich  gegen  diese  offenbar  in  den 
tiefen  Netzhautschichten  gelegenen  Veränderungen 
unregelmässig  die  radiäre  Ausstrahlung  des  Opticus 
ab.  Die  geschilderte  Netzhautveränderung  ist  oben 
und  unten  neben  den  grossen  Qefässen  am  deutlich- 
sten, temporal  am  wenigsten  ausgesprochen.  Ca. 
1  Papillenbrelte  von  dem  Papillenrande  schwindet  sie 
ganz  allmählich  und  es  beginnt  eine  normal  durch- 
sichtige Netzhaut,  durch  welche  in  der  ganzen  Peri- 
pherie des  Augenhintergmndes  das  Pigmentepithel  zu 
erkennen  ist.  Leichter  Arterienpuls  an  einer  schwaehen 
Arterienbiegung,  keine  subjectiven  SehstOrungen.  Ob- 
Jeotive  Untersuchung  der  Functionen  wird  nicht  vor* 
genommen. 


8  I     Zar  Zeit  der  ophl 

o 


mlsafg  weich,  ] 
liocb,  etWM 
icbnellend 

hoch  aud  weich   : 


geringer 

ehul- 
cfttarrh 

lUrker 
Bron- 
chial' 
ctturh 
Orspnoe 


hoch,  ml 
gat  gtepmaat, 
etwu  lehn  ei- 
lend, IftDggam 

klein,  weich, 
dicrot,8ehitTe- 


wieoben,etwa8  '. 

weniger  fre- 

qneut 


T.  OiuC*'*  AnblT  tat  Ophtbabsolail*,  XXXIV.  I. 


Ltbbifl  serfithew  Pi.pUle,  achurf  berremt.    Nor' 
at.lt  eher  atwu  tage  Arterien  In  ichwmcben  Rcbllip 


Büet   P«pllle"il«rk 


,  dunkelrotha 
Ttitem  ereilen 

1   Thell    < 


rflibüebe  Streifung  Imponirenits  OpttcuiauiHnhlnnc, 
wBltbe  min  lempor»lw»r«  idII  grB..ler  DentlUhkell 
in  KToLem  Bogin  nich  äcr  Haculii  hinilehsn  ilebL 
Der  Augenhtniergrand    er«cheLni   eiwu   u-nbar,   du 

(P>Uai>t  bsl  b<i  Jeiii  dellrln,  liiM  lich  banU  ent 


(EnlluinnR.}  Arterien  etwu  en(e,  Venen  nocb 
Mark  verbnilerL  Die  ritlbliehe  Streirnng  Im  Angen- 
hlnlerminde  l«l  geringer  geworden;  hier  und  dort, 
bunndan  wieder  In  der  Nlhe  der  Papille,  «rksnnl 
nmi    die    elgenlbOmllcfaen   grell  reflectirenden,    wie 

rOlhilcben  Strairnag. 

~  "  :Ii  der  Enüaiiong:  Nonnalar  Angaa- 


Nun«,  AUar, 
Stand 


Fried.  Fietscb 


Fr  Honien, 

38  J., 
TiBcblerfraa 


Hermanii  T^  l 

23  J., 

SchloBser- 

geaelle 


Fried.  Enlir, 
37  J., 
Arbeiter 


Hoffmeister, 
18  J., 
TiBchler- 
lehrliog 


gtoet,  schlank,  i 

in  mittlerem 

fimährangg- 

instande 


Zur  Zoif  de 

ophihU- 

■ 

ll 

4 

S 

wie  z. 

Z.  der 
Auf- 
nehme 

38^ 

blass 

4(Vi 

blass 

37^ 

blase 

88^ 

gerOthet 

mittel- 
Bchwer 

. 

40^ 

hoch- 
gerOthet 

88,1 

normil 

leicht 

38,5 
(;eit  2 
Tagen 

K£ 

MO- 

nen) 

hoch- 
gerOthet 

mittel- 
schwer 
(starke 
Fieber, 
delirien) 

■ 

39,0 
41,5 

gerSthet 

Die  Netd.ftBtdrciü»tf<m  etc.  bd  AUgemeinleiden. 


etwu 


fcoch  fleW- 

faaft,  vu- 

gtmtocbtn 

diicrot 


Dgnm,  sehr 
räch,kmi 
fliUbu 


■ehr  ichwtch 
und  freqnei 


chiAl- 
eaimrrli, 
Dyspnoe 

keine 


keine        »cfanellend, 
«ehr  weich, 
langum 


frei     DynpBoe 


luguni, 
mflnif  weuh. 


Pnli«loq,n      '  "  ''°'"-    B'""«  Papille,  k«i» 


Reflei,  mAul^  lUrk  ei 


ED(a   hell« 
Kflne  Pnliuion 


..-.Ä,S^lLlSlTMi"'r.""  "."•"»'  »»1««'- 
Hm  u.'""*  «"«'"''"•""^"dl"  ob^%nd"'o  """ 

VWHB  doppBli  ,o  brelL  h/.^irt,.  -"■..  «"•  "hl Modelt 
nrlicbeii  tfer  Police  d«*«^^"  *"  "*''  Cont™« 
"»•r  Ptripheri«  Mf  &Biiin,hr,"  "  '"',?  ^*°"''  "«"h 
(«ahllngeli«,    ArUrten      rfif^;»^    i  .  l  °^''   '=  ''•° 


mittelgrosts  '4  Weh. 
kräftig,  gut 


eniLhrt 


AntniatBflbbe, 
19  X, 
Arbeit« 

Seherwits, 
ÄrbeiteT 


Job.  Dro- 
wiuU, 
38J. 


•ebleebi  ge- ' 

grosB,  brKftig, 
gate  Uiuknlä- 
',nT,  mAssig 
arkes  Fett- 
polster 
groBB,  kriUUg, 
starke  Htukn 
latnr,  sehr 
reichlicher 
Pannicnlas 
adipoBOB 


helU- 

7  Weh. 


37,8 
39,6 


gerMhet, 
etwaacja- 
notiecb 


sr=t 

-    40,0 


aüger 


Mass 
anlqec- 


Die  KetibsDtcirciilKtiou  etc.  bei  AUgemelnleiden. 


.1 
I 


leicht 
lent 


Bron- 
chial- 
kUftirb 

Bron- 
cbkl- 
k&uirb 
lUrker 


chiai- 
kftturh, 
DyspQoe 
geringer 
Bron- 
cbJkl- 
kftturb 


weicb,  etwBB 

scbneUend, 

ftiugeaprocben 

diciot,  lang- 


Toll  hoch,  noch 
m&niggot  ge- 
spannt 
langsam,  klein, 

weich 
klein,  weich, 
sehr  freqnent 

etwas  schnel- 
lend, hoch, 
sdir  weich  ond 
freqnent 

schnell ,  mftsiig 
weicti,  nicht 
sehr  hoch 


keine 
e  Knpborie 


Ophthilmoskopiache  Br^baisie. 


tireit«ite  Venati  mit  jehtDAlfimp  achuf  btE^^UEtamhell«! 

AufrkhMn  dei  PiUialan  coLlIblrsn  il«mUcli  pl'sullcti 
di*  Veneö,  Terllsren  ihren  ReSei  and  T8n)ng«n  lieh 
bli  lur  BrIis  der  Arterien,  welcbs  llinrteiu  wi- 
HhciUFDd  keim  AenderoDE  Ihm  Cdiben  isIksh.  Ob 


und  lurDckfeleEt  werdsn  muM.  Wann  Pitlenl  dun 
wledw  Im  Stuida  Ut,  die  Aogen  lu  OffDeD  uod  lu 
flilrsn,  lelgen  ilch  nladar  diuelben  Yerhiltniue  Im 
Anganhlntergninds  wie  vor  dem  Anfrichteo. 

Normi]    «eits    hellrolbe    (erndUnlE    rerliiafsiide 

Venen  DL  vetbrellerum,  grellem  Reflex,  ungeiGhllDgelt. 
Pupille  leicht  hTperlmiech. 

verbnltaite'dankleTTnen.  ItplUa  etwü  blui.'Kelns 
■IcbtbuaD  PnliUlonen. 

BUue   Pupille;    lehr    eage,    itirk  KSeabllngetl* 
grellem,  breitem  Redei.    AogenhlnlenniDil  lelchl  ge- 

OefKeecbea  darcbugen.  ArMrten  eng.  Venen  enorm 
•urk,   itellenweiie  eiwu  varleSi  ervretlert,  dunkel, 

bur.    PaUsnt  lehr  DumtuV  bei  der  Unleraucbong. 


„-    _,.  .„     P»pllle  «liu-k  gerClbm,   nlch 

getrabt.    Arterien  normnl  weit,  Vensn  lafar  itark  ar 
weilari,  duokalklnebrotb  mll  bnlMm,  grellem  Reflex 


■iOffar  Hp. 


onen  nlcbl  eiebltur. 


k  InJIcln,  TOD  uhlrelcben  rejnitsn  er. 
luen  duehiDMn.  Bn«  heHe  Arterien, 
erte  dnnkle  Venen.     ABgenhlntErgruDd 


leicht   getrübl   (QlukflrpertrttbDnff 


gmnde*  bu  lugenommt 


•Wrk  Terbreltene,  dunkleVenen 
lUle  trUbe,  dllTUi  cerfithet,  etw 
renohwommenen  drenien;  die 

■■imiil.    Keine  lObJesÜTen  Bebii 


86 


B.  Schmall. 


No. 


Name,  Alter, 
Stand 


AUgem.  Ernäh- 
.  mngeiustand 

iiir  Zeit 
der  Aufnahme 


^'5 


r 


Zur  Zeit  der  ophtha!' 


& 


I 

M 


m 


I 


I 

s 


20 

(36) 


Friedr. 
Kaoowski, 

27  J., 
Arheiter 


21 

(36) 


AngUBt 
Eeicnert, 

21  J^ 
Schmied 


grosa,  Bta*k- 
Imochig^traffe 

Maslnuator, 
mtoiffer  Pan- 

nicoiDfl  adi- 
posuB 


gross,  moskel- 

starkfSp&rlich. 

PanmcnluB 

adiposuB 


9Wch. 


9Wch. 


eins 
Yon2L 
Tagen 
Dauer 


drei 


sehr 
schwer 


sehr 
schwer 


wie 
heider 

Aof- 
nähme 


stailce 

Abm»* 
irenuig, 

eiag«k> 
fall,  Oe- 

■lehto- 
slkg« 

boch> 

gradig. 

•te  Pro« 

■tratio 

Tiriam 


Wie 

heider 

Auf 
nähme 

erbebl. 

Maras. 

mos 


Wie 
oben 


40^ 


40,3 


8S,0 

(Bade 

dM  TW' 

pba«; 


37,1 

(Ende 

d.l.R6 

cidiTs) 


40,4 


403 


373 


hoch- 
fieberhaft 
gerOthel 


wie  oben 


Mass 


hla« 


sehr  blau 


sehr  blas 


sehrblan 


Die  ITetcbBatdrcolatioD  etc.  bei  Allgemeinleidflu. 


frei 

(Kopf- 

•chmer- 

«ai) 

Bron- 

Chittt- 

kaUrrh, 
Dyapiwe 

bn 

geringer 
Bron- 
chiAl- 

kktarrb 

frei 

keue 

frei 

keine 

frei 

keine 

frei 

keine 

frei 

keine 

weniger  boch, 
etwM  lang- 
i&mer,  weicb 


Bebr  klein 
und  weicb, 
SOScblKge 


egcisiläiltem,    Dil 


gaacbllDgelte  belle  Arterien  mit 


Venen  Im  Ver^aleh  in  du 
bei  der  leUMn  Untennchan 


Oenunrud  ?).  Burk  erwell 
tmliche  ichuf  begremte  Pj 
lelflht  tetrabL    Keine  Fuliall 


iils*  AriArleo,  koloawt  breite 


/Ingenhlntergnuid.  ' 


ripllIenireDien   loUl  nntrictaen,  Papille  leleb 

Kimlnenl  iirelUe  gelrabi,  Im  Allgamelpea  melir  lila» 
Ulli  »uf  dam  KUiLan  AD(enblnMrarDnd   dllTua,    li 
mgebong  der  Papille  mehr  alraiSg  getrDbt. 

(iDDda   in   erkennen.     Kein«   (ubJeellveD  Beb 

in«,  iowla  t'alLia  bellDdan  lieh  Ende  Naiembe 


88  B.  Sohmall. 

und  zwar  auf  Rechnung  der  weniger  erhöhten  Färbung 
des  venOsen  Blutes/*  .... 
dass  die  Thesen  Ed.  v.  J&ger's  bei  diesen  langdauemden, 
theilweise  mit  den  höchsten  Temperaturen  verbundenen 
fieberhaften  Leiden  nicht  nur  Ausnahmen  haben,  sondern 
vielleicht  eher  sogar  Ausnahmen  sind. 

Besonders  ist  die  Differenz  des  Calibers  und  der  Farbe 
zwischen  Arterien  und  Venen  eine  ganz  ausserordentlich 
grosse.  Die  Verengerung  des  Arterienlumens,  wie  sie  in 
vielen  Fallen  besteht,  kann  man  wohl  ohne  Bedenken  auf 
Rechnung  der  verminderten  Füllung  des  Aortensystems 
setzen,  welche  theils  durch  den  exquisit  consumptiven  Cha- 
rakter der  ganzen  Erkrankung,  theils  durch  die  unzweifel- 
hafte Blutaberhäufang  in  dem  erkrankten  Organe  (Ileum) 
erklart  wird.  Schwerer  ist  die  starke  Fallung  des  Netz- 
hautvene nsystems  zu  erklaren.  Dieselbe  ist  zu  hochgradig, 
als  dass  sie  Theilerscheinung  einer  starkem  AnfQlIung  des 
ganzen  Eörpervenensystems  sein  konnte. 

Sie  muss  eine  locale  Ursache  haben. 

Da  complicirende  Netzhauterkrankungen,  welche  auf 
die  Netzhautgefässe  einwirken  konnten,  nur  wenige  vor- 
lagen —  ich  verweise  auf  die  Falle  19  und  21,  —  da 
gegen  die  willkürliche  Annahme  einer  localen  Stauung  in 
Folge  gehinderten  venOsen  Abflusses  in  die  Orbitalvenen 
und  den  Sinus  cavernosus  vor  Allem  die  Abwesenheit  jeder 
starkern  Schlängelung  spricht,  welche  bei,  durch  Stauung 
bedingten  starken  Calibererweiterungen  der  Venen  nie  zu 
fehlen  pflegt;  da  gegen  die  allerdings  zunächst  liegende 
Vermuthung  einer  durch  den  fieberhaften  Process  bedingten 
localen  GeflELssparalyse  *)  sich  mit  Recht  die  zu  erhebliche 
Galiberdifferenz  zwischen  Venen  und  Arterien  einwenden 
lasst;   da   endlich   an   eine  tiefgreifende  Degeneration   der 


*)  Die  vorher  bei  FaU  12—15  beobachtete  starke  aber  gleich- 
mSssige  Hyper&mie  der  arterieUen  und  venOsen  Netzbantgeftoe 
auf  eine  locale,  wahrscheinlich  durch  die  hochfieberhaften  Tempe- 


Die  Netshantcircnlatioii  etc.  bei  Allgemeinleiden.  g9 

Venenwgndangen  allein,  wie  sie  Jacobson,  als  bedingt  durch 
die  Verlangsamung  des  Blutstroms,  für  die  starke  Netz- 
hautvenenerweiterung  bei  Atheromatose  der  Gefässe  heran- 
lieht,  in  diesen  Fallen  wegen  ihrer  völligen  und  leichten 
Bestitntionsf&higkeit  kaum  zu  denken  ist:  so  scheint  uns 
nur  die  Hypothese  einer  vom  Blutdruck  unabhängigen 
Herabsetzung  des  intraoculären  Druckes  übrig  zu  bleiben, 
mit  ihrer  oben  (S.  26)  näher  definirten  Backwirkung  auf 
das  Galiber  der  Netzhautgefässe,  zumal  der  Netzhautvenen. 
Die  Herabsetzung  des  intraoculären  Druckes  wQrde  zu 
Stande  kommen  durch  eine  auf  den  fieberhaften  Process 
zurückzufahrende  Störung  wahrscheinlich  der  Secretion  der 
Augenflüssigkeiten.  Die  Annahme  einer  durch  das  schwere 
fieberhafte  Aligemeinleiden  hervorgerufenen  functionellen 
Schwäche  von  specifischen  der  Absonderung  der  Augen- 
flüssigkeiten dienenden  Zellen  hat  an  sich  nichts  Willkür- 
liches; zahlreiche  Analogien  z.  B.  die  mangelhafte  Ab- 
sonderung des  Magensaftes,  des  Speichels,  der  Thränen 
(Ursache  des  h&ufigen  Gonjunctivalcatarrhs  bei  Fiebernden, 
sprechen  sogar  edatant  dafQr,  beweisen  aber  natürlich 
nichts,  solange  nicht  auf  experimentellem  Wege  der  directe 
Nachweis  gebracht  ist,  dass  die  Absonderung  der  Kammer- 
flttssigkeiten  von  specifischer,  einem  Nerveneinfluss  unter- 
liegender Zellenth&tigkeit  abh&ngig  ist. 

Die  in  den  besprochenen  Fällen  meist  beobachtete, 
selbst  mit  der  rohen  beim  Menschen  allein  auszuführenden 
tonometrischen  Methode  leicht  nachweisbare  Herabsetzung 
der  Bulbusspannung  beweist  ebenfalls  nichts. 

Im  Debrigen  giebt  die  Zusammenstellung  wieder  einige 
Fälle  von  Netzhautarterienpuls  (4,  7,  8,  13,  15).  Beson- 
deres Gewicht  mOchte  ich  jedoch  nur  auf  die  Fälle  7,  8, 


ratoren  bedingte  Gefässparalyse  zurückzufahren,  nehme  ich  ebenso 
wenig  Anstand,  als  die  aUgemeine  Hyperämie  des  Augenhinter- 
grondes  bei  Morbus  Basedowii  als  den  Ausdruck  der  Paralyse  der 
geftsBverengemden  Sympathicusveifasem  anzusprechen. 


90  B.  Schmall. 

13,  legen,  bei  denen  der  Arterienpuls  in  dem  Auge  kräf- 
tiger, noch  in  m&ssig  gutem  Ernährungszustände  befind- 
licher Mftnner  sichtbar  war.  —  Von  den  beobachteten 
flüchtig  skizzirten  Structuryeränderungen  in  Opticus-Betina« 
auf  welche  ich  hier,  als  nicht  streng  zur  Sache  gehörig, 
nur  kurz  hinweise,  halte  ich  diejenigen  in  den  Fallen  4,  5, 
6  (9)  für  einfach  degenerative,  mit  Verfettung  einhergehende 
Processe,  wie  sie  bei  Tjphen  bald  in  dem  einen,  bald  in 
dem  andern  Organ  vorkommen;  in  den  Fällen  19,  21  liegen 
wohl  entzündliche  Processe  vor. 

Gewiss  interessant  ist  die  Beobachtung,  welche  ich  im 
Falle  15  machen  konnte:  der  exquisite  Collaps  sämmtlicher, 
vorher  stark  erweiterter  Retinal venen  (bei  wenig  oder  gar 
nicht  sich  verengernden  (ebensowenig  stärker  pulsirenden 
Arterien),  welcher  beim  Aufrichten  des  Patienten  zugleich 
mit  Dunkelwerden  vor  den  Augen,  Schwindelgefühl  und 
leicht  vorübergehender  Ohnmacht  auftrat. 

Bei  dreimal  hinter  einander  wiederholtem  Versuch  sah 
ich  immer  dieselbe  Erscheinung,  welche  offenbar  auf  die  in 
aufrechter  Stellung  sich  besonders  geltend  machende  Herz- 
schwäche und  damit  mangelhafte  Füllung  der  Venen  von 
den  Capillaren  her  zurückzuführen  ist.  Poncet  hat  in  der 
Ohnmacht  einen  ähnlichen  VenencoUaps,  dabei  jedoch  gleich- 
zeitig eine  Verengerung  der  Arterien,  Coccius  nur  die  letz- 
tere allein  beobachtet.  Wordsworth  sah  dabei  sogar  spon- 
tanen Netzhautarterienpuls  auftreten. 

Ob  die  Verengerung  der  Betinalvenen  in  dem  Fall  3 
und  6  vielleicht  ebenso  Ausdruck  einer  chronischen  Herz- 
schwäche, wie  sie  in  diesem  Falle  Ausdruck  einer  acuten 
Herzschwäche  ist,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 

Ich  möchte  die  Beobachtungen  über  Veränderungen  des 
Centralgefässsystems  bei  fieberhaften  Zuständen  damit  be- 
schliessen,  dass  ich  auf  die  bei  progressen  Fhtisikern  häufig 
beobachtete,  mehr  oder  minder  lebhafte  Injection  des  Augen- 
hindergrundes  hinweise,  welche  zu  dem  äusseren  stark  anä- 


Die  Netzhautcircalation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  91 

mischen  Aspect  nnd  dem  herautergekommenen  Eruährungs- 
znstande  der  Patienten  aaflfallend  contrastirt.  Ein  Beispiel 
wird  genügen. 

Beobachtung  37. 

David  Appelbanm,  26  Jahre,  Metallarbeiter,  hereditär  be- 
lastet. Mittelgross,  sehr  gracil  gebaut;  schlaffe  anämische  Haut- 
decken, atrophische  Muskulatur,  minimaler  Panniculus  adiposus. 

Massig  starke  Dyspnoe. 

Phthisische  Thoraxform;  exquisito  phjsikaliscbo  Er- 
scheinungen einer  Infiltration  des  ganzen  linken  obern  Lungen- 
lappens, fragliche  Cayernensjmptome. 

Keine  sonstige  Organläsion. 

Hektisches  Fieber:  39,5  zur  Zeit  der  ophthalmoskopischen 
Untersuchung.  Puls  sehr  weich ,  etwas  schnellend,  massig 
frequent.    Augenhintergrund : 

Papille  lebhaft  iiijicirt,  von  zahlreichen  kleinen,  sonst  kaum 
siebtbaren  Gefösschen  durchzogen,  durchsichtig,  scharf  be- 
grenzt 

Artmen  ein  wenig  erweitert,  stark  geschlängelt  mit  breitem, 
gläntendem  Beflex,  leuchtend  hellrother  Farbe. 

Venen  doppelt  so  breit  wie  Arterien,  mehr  gestreckt  ver- 
laufend, dunkelkirschroth,  mit  breitem  Reflex. 

Ziemlich  excursive,  mit  dem  Badialpuls  isochrone  Caliber- 
scbwankung  und  Locomotionen  an  den  ArterienkrQromungen 
bis  weit  in  die  Netzhaut  hinein  zu  erkennen.  Massig  starker 
Veneupuls  auf  der  Papille.  Bei  Compression  der  Carotis  der- 
selben Seite  wird  der  Arterienpuls  schwächer,  schwindet  jedoch 
nicht  ganz;  Yenenpuls  sistirt,  die  pulsirende  Vene  collabirt  am 
Bande  des  Centralkanals  ein  wenig. 

Wie  in  diesem  Falle  habe  ich  noch  bei  4  andern  Fhthi- 
sikern  eine  unverkennbare  leichte  Hyperämie  des  Opticus 
Qod  der  Retina,  sowie  spontanen  Netzbautarterienpuls  be- 
obachtet. . 

Das  Verbalten  des  Centralgeßlsssystems  bei  progressiver 
Phthise  und  der  nothwendig  damit  verbundenen  allgemeinen 
Cachexie  führt  uns  znr  Besprehcung  der  Frage,  in  wieweit 
bei  anämischen  Zuständen  überhaupt  das  Netz- 
hautgefässsystem  sich  betheiligt  zeigt,  gleichgültig. 


92  B.  Schmall. 

ob   dieselben   idiopathisch  oder  als  Folge  schwerer  orga- 
nischer Erkrankungen  des  Organismus  aufzufassen  sind. 

Ed.  y.  Jäger*^)  giebt  zuerst  eine  anscheinend  er- 
schöpfende Monographie  der  bei  Anämie  beobachteten  Ver- 
änderungen der  Netzhautgefässe,  so  erschöpfend,  dass  mau 
im  Einzelfalle  aus  dem  Augenspiegelbefunde  nicht  allein 
das  Bestehen  einer  Anämie,  sondern  auch  die  Tornehmlichen 
Mischungsverhältnisse  des  Blutes  bei  derselben  diagnosü- 
ciren  müsste. 

Die  Voraussetzungen  jedoch,  von  denen  er  bei  Beur- 
theilung  der  einzelnen  Erscheinungen  an  den  Netzhaut- 
gefässen  ausgeht,  sind  zum  Theil  falsch,  vor  Allem  die  An- 
nahme, dass  die  Intensität  des  Gef&ssreflexes  ein  Index  der 
Brechkrafb  des  Blutes  und  damit  des  Albumingehaltes  des- 
selben ist. 

Sehen  wir  daher  von  den  Schlüssen  Jäger *s,  welche 
auf  diesen  Voraussetzungen  basiren,  ab,  so  erfahren  wir  aus 
der  genannten  kleinen  Abhandlung  vor  Allem,  dass  die 
Anämie  im  Gefässsy stem  der  Netzhaut  als  Theilerscheinung 
einer  allgemeinen  Anämie  viel  seltener  ist,  als  man  erwarten 
sollte.  Dort,  wo  sie  beobachtet  wurde  (bei  Anämie  in  Folge 
starker  Blutverluste,  nach  erschöpfenden  Krankheiten,  bei 
hochgradiger  Chlorose)  erreichte  diese  locale  Anämie  gele- 
gentlich die  höchsten  Grade: 

„es  bestand  dann  eine  Verengerung  des  ganzen  Netz- 
hautgefässsystems,  wie  sie  sonst  nur  bei  äusserst  hoch- 
gradiger Atrophie  der  Netzhaut  beobachtet  wird.'^ 

Die  Veringerung  der  FtQlung  der  Gef&sse,  besonders 
der  Arterien  lässt  sich  nach  Jäger  im  Allgemeinen  leichter 
durch  ihr  früheres  ünsichtbarwerden  nach  der  Peripherie  zu 
als  durch  Abnahme  ihres  Calibers  auf  der  Papille  erkennen. 

Die  Färbung  des  arteriellen  und  venösen  Blutes  war 
unterschiedlich   stark  vermindert,   die   des  venOsen  Blutes 


0  1.  c. 


Die  Netshaatcircnlation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  93 

gelegentlich  so  stark,  dass  Jäger  sich  yeranlasst  fühlt,  Yon 
einer  „Hyperoxyämie^*  des  venösen  Blutes  za  sprechen  und 
die  wahrscheinliche  Ursache  derselben  in  einem  „geringeren 
Sanerstoilhnnger  der  Qewebe'^  zu  suchen.  In  seiner  zweiten 
eben  citirten  Abhandlung  kommt  Jäger  besonders  auf  diese 
Hyperoxyämie  des  venOsen  Blutes  zurück,  welche  oft  die 
einzige  Anomalie  im  NetzhautgefUsssystem  bei  Anämie, 
Chlorose  etc.  sein  soll. 

Weiterhin  finden  sich  in  der  Literatur  keine  Angaben 
über  Veränderungen  an  den  Netzhautgefässen*)  bei  allge- 
mäner  Anämie  bis  auf  eine  kurze  Notiz  Beckers**),  wel- 
dier  bei  10  unter  einer  nicht  genannten  grossen  Zahl  chlo- 
rotischer  Mädchen  Netzhautarterienpuls  beobachtet  hat,  und 
bis  auf  die  neueste  Arbeit  Bählmann's***):  „üeber  einige 
Beziehungen  der  Netzhautcirculation  bei  allgemeinen  Stö- 
mngen  des  Blutkreislaufs.  Bäh  1  mann  kommt  auf  Grund 
eines  Materials  von  86  wiederholt  und  genau  untersuchten 
Fallen  Yon  chronischer  Anämie  zu  dem  Schluss,  dass  nur 
in  ca.  20  7o  derselben  auch  eine  mehr  oder  minder  grosse 
Anämie  der  Netzhaut  zu  constatiren  ist,  während  ca.  15 
bis  23  7o  keine  you  der  Norm  abweichende  Füllung  des 
Netzhautgefllsssystems,  und  57—60  Vo»  also  die  Hälfte  aller 
Fälle  sogar  eine  exquisite  Hyperämie  der  Betinal- 
gefässe  aufweisen,  welche  zu  der  bleichen  Farbe  der  Haut 
und  sichtbaren  Schleimhäute  in  auffallendem  Contraste  steht. 
Diese  Hyperämie  der  Netzhäute  äussert  sich  in  der  Minder- 
zahl der  Fälle  nur  in  einer  stärkeren  Anfüllung  des  venösen 
Systems  und  findet  sich  dann  verbunden  mit  abnorm  schwa« 
eher  Herzaction  imd  kleinem  Pulse,   sie  soll  bedingt  sein 


*)  Von  den  in  den  letzten  Jahren  sich  mehrenden  Beobachtungen 
über  organische  Erkrankungen  der  Netzhaut  und  des  Sehnerven 
b«i  allgemeiner  Anämie  sehe  ich  hier  ab. 

**)  Der  spontane  Netzhantarterienpnls  bei  Horb.   BasedowiL 
Zchender*B  Monatobl.  1880. 

0  Bfthlmann,  Virchow^B  Archi?  Bd.  103. 


94  B.  Schmall. 

durch  eine  venOse  Stauung  in  Folge  mangelhafter  vis  a 
tergo  (?).  Die  Farbe  des  Venenblutes  war  dabei  tiefdunkel 
bis  schwarzroth.  Die  Arterien  zeigten  eine  von  ihrem  ge« 
wohnlichen  hellrothen  Blutton  kaum  abweichende  Farbe. 

In  der  aberwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  dagegen  war 
gleichzeitig  eine  hochgradige  Hyperämie  der  Netzhaut- 
arteri^n  Yorhanden,  welche  ihren  Tornehmsten  Ausdruck 
in  einer  mitunter  sehr  starken  Schlängelung  derselben  finden 
soll.  Eine  eclatante  Erweiterung  der  Arterien  wird  dabei, 
wie  aus  den  von  B.  publicirten  Krankengeschichten  hervor- 
geht, nur  in  einzelnen  Fällen  beobachtet  Die  Farbe  des 
arteriellen  Blutes  war  dabei  hellgelbroth,  die  des  venösen 
Blutes  auffallend  matt,  mitunter  schellackfarben,  die  venö- 
sen Blutsäulen  daher  abnorm  durchsichtig. 

In  mehr  als  Vs  dieser  Fälle  von  allgemeiner  Netzhaut- 
hyperämie bestand  ausserdem  spontaner  Arterienpuls  an 
den  geschlängelten  Arterien  und  zwar  immer,  wie  Rählmann 
hervorhebt,  in  Form  der  Locomotion. 

Der  Radialpuls  war,  wie  Überhaupt  bei  Anämischen, 
mehr  oder  minder  weich,  mitunter  etwas  schnellend. 

Erkrankungen  des  Herzens  bestanden  nicht.  —  Die 
Augen  selbst  zeigten  sonst  keinerlei  Anomalien,  die  Funk- 
tionen derselben  waren  alle  normal;  in  mehreren  Fällen 
wurden  subjective  Angaben  über  „Flimmern,  GrUn-  und 
Oelbwerden  etc.  vor  den  Augen'^  gemacht,  auch  bestand  ge- 
legentlich leichte  Ermüdbarkeit  bei  angestrengtem  Oebrauch 
der  Augen.  — 

Ich  habe  im  Ganzen  94  Fälle  von  chronischer  Anämie 
ophthalmosköpirt,  unter  ihnen  55  Fälle  von  Chlorose,  38  Fälle 
von  Anämie  nach  starken  Blutverlusten,  schwer  fieberhaften 
Krankheiten,  in  Folge  maligner  Neubildungen,  bei  Jahre 
lang  bestehenden  Herzfehlern,  ein  Fall  von  progressiver  per- 
niciöser  Anämie  (Anchylostomiasis)  und  bin  zu  folgenden 
Besultaten  gekommen: 

1.  Die  Betinalgefässe  zeigen  oft,  besonders  bei  Chloro- 


Die  Netzhantcirculatioii  etc.  bei  Allgemeinieiden.  95 

tischen  (207o)  eine  dem  anämisohen  Aspect  der  Hautdecken 
QQd  sichtbaren  Schleimhäute,  sowie  den  exquisit  anämischen 
Beschwerden  der  Ghlorotischen  widersprechende  Füllung  und 
Farbe,  derart,  dass  sie  von  normalen  mit  normalem  Blute 
gefällten  Oefftssen  in  keiner  Weise   zu  unterscheiden  sind. 

2.  Wenn  Veränderungen  im  Gentralge&sssystem  vor- 
liegen (80  7o)i  betreffen  sie  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  Ar- 
terien und  Venen  in  gleicher  Weise  (fast  ausnahmslos  bei 
Anämie  in  Folge  von  schweren  Blutverlusten,  schwer  fiebere 
haften  Krankheiten,  malignen  Neubildungen) ;  in  der  Minder- 
zahl zeigt  sich  Arterien-  und  Veneusystem  in  ungleichartiger 
Weise  afficirt  (bei  Ghlorotischen  in  ca.  30  7o). 

3.  Eine  gleichartige  Veränderung  des  Centralgefäss- 
Systems  äussert  sich 

entweder  in  einer  Abnahme  der  Färbekraft  des  ar- 
teriellen und  venösen  Blutes,  bei  fehlender  oder  ge- 
ringer Abnahme  des  Calibers  der  Gefässe  (relativ 
selten:  einige  Zeit  nach  schweren  Blutverlusten,  in 
wenigen  Fällen  von  schwerer  Chlorose,  in  einem  Fall 
von  progressiver  perniciöser  Anämie), 

oder  in  einer  Caliberabnahme  allein  (fast  immer  bei 
Anämie  in  Folge  maligner  Neubildungen), 

oder  in  beiden  zugleich  (nach  erschöpfenden  Krank- 
heiten, bei  schwerer  Chlorose). 

4.  Eine  Differenz  im  Verhalten  zwischen  Venen  und 
Arterien  zeigt  sich  höchst  selten  in  einer  anomalen  Farben- 
differenz zwischen  arteriellem  und  venösem  Blut,  sondern 
fast  ausschliesslich  in  einer  Caliberdifferenz  zwischen  Arterien 
und  Venen  in  Folge  relativer  Zunahme  des  Calibers  der 
letzteren,  gelegentlich  bis  zum  2 — ^3fachen  des  Calibers  der 
Arterien. 

Eine  Zunahme  der  Farbendifferenz  in  Folge  dunk- 
lerer Färbung  der  venösen  Blutsäulen  lässt  sich  in  dieseu 
FlUlen  immer  durch  die  grössere  Dicke  der  Blutschicht  in 
d^  erweiterten  Venen  erklären.    Eine  Abnahme  der  Farben- 


96  B.  Schmall. 

differenz  in  Folge  von  Hjperoxyämie  des  veDOsen  Blates 
(Jäger)  wurde  nur  in  einem  Fall  von  Chlorose,  welcher 
sonst  in  nichts  sich  von  anderen  Fällen  unterschied,  mit 
Sicherheit  constatirt. 

5.  Die  Yenen  zeigen  eine  relative  Zunahme  ihres  Ca- 
libers  bei  normalen  sowohl,  wie  bei  verengten  Arterien  und 
zwar  häufiger  bei  normalfarbigem  als  bei  abnorm  hell  ge- 
färbtem arteriellem  Blut,  geschlängelt  sind  die  Venen  selbst 
bei  stärkster  Galiberzunahme  nur  wenig. 

6.  Eine  stärkere  Schlängelung  der  Netzbautarterien 
kommt  bei  anämischen,  besonders  chlorotischen  Individuen 
häufiger  vor  als  bei  normalen;  doch  wurde  sie  eben  so  oft 
bei  exquisit  verengten  Arterien  gefunden  als  bei  normalen, 
d.  h.  relativ  weiten  Arterien  vermisst;  eine  nachweisbare 
Beziehung  zwischen  Stärke  des  Galibers  und  Stärke  der 
Schlängelungen  der  Arterien  besteht  nicht.  Eine  derartige 
starke  Schlängelung,  dass  die  einzelnen  Arterien  einen  kork- 
zieherartigen Verlauf  haben  und  mit  ihren  Krümmungen 
zum  Theil  senkrecht  gegen  die  Netzbautebene  in  den  Glas- 
körper hineinragen,  wurde  nicht  beobachtet. 

7.  Die  Veränderungen  der  Füllung  und  Färbung  der 
Netzhautarterien  steht  in  keinem  Widerspruch  mit  dem 
anämischen  Aspect  und  den  entsprechenden  Beschwerden  der 
Kranken. 

8.  Die  einseitigen  Veränderungen  der  Fallung  der  Netz- 
hautvenen (Erweiterung)  kommt  bei  Individuen  vor,  deren 
Anämie  sich  in  der  Intensität  und  der  Art  ihrer  Erschei- 
nungen in  keiner  Weise  von  derjenigen  anderer  anämischen 
Individuen  unterscheidet;  diese  Venenerweiterung  lässt  sich, 
als  Theilerscheinung  einer  allgemeinen  Girculationsano- 
malie  bislang  nicht  erklären,  sie  ist  mit  grösserer  Wahr- 
scheinlichkeit auf  local  die  Netzhautcirculation  beeinflussende 
Momente  zurück  zu  fuhren  (s.  o.). 

9.  Nach  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung  ein 
System  in  die  verschiedenen  Arten,  zumal  der  ,,Chlorose"  zu 


Die  Netzhautcircnlation  etc.  bei  Allgemeinleiden.  97 

bringen,  ist  bisher  ebenso  wenig  möglich  gewesen,  als  die 
Intensität  des  Processes  und  damit  die  Prognose  zu  be- 
stimmen: sehr  oft  hörten  unter  Eisenbehandlung  die  anä- 
mischen Beschwerden  auf,  ohne  dass  die  Enge  und  Blässe 
der  Netzhautge^se  sich  wirklich  geändert  zeigte.  Doch 
erscheint  die  Möglichkeit,  dass  man  auf  Grund  umfang- 
reicherer Untersuchungen  zu  positiveren  Besultaten  gelangen 
könnte,  nicht  ausgeschlossen. 

10.  Der  Netzhautarterienpuls  wird  bei  anämischen  In- 
dividuen ungemein  häufig  beobachtet  (z.  B.  bei  20  unter 
55  Chlorotischen).  Er  ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  allein 
an  der  Locomotion  der  Arterienkrümmungen  zu  erkennen, 
ist  diese  Locomotion  stark  ausgeprägt,  so  kann  man  regel- 
mässig auch  eine  geringere  Galiberschwankung  der  Arterie 
wahrnehmen,  daran  erkennbar,  dass  das  Arterienrohr  sich 
leicht  verbreitert,  indem  gleichzeitig  die  rothen  Blutstreifen 
und  etwas  stärker  der  Wendungsreflex  sich  verbreitert 
(cf.  Becker*).  —  Per  Arterienpuls  fehlt  zeitweise  bei  einem 
und  demselben  Individuum  und  tritt  zeitweise  stärker 
hervor. 

11.  Verstärkung  oder  Abschwächung  des  Netzhaut- 
arterienpuls in  sitzender  oder  liegender  Körperhaltung  des 
Untersuchten  wird  mit  Sicherheit  nur  in  sehr  wenigen  Fällen 
constatirt. 

12.  Compression  der  Carotis  schwächt  den  Puls  häufig 
ab,  hebt  ihn  aber  nicht  immer  völlig  auf;  Compression  der 
y.  jugularis  eiterna  hat  keinen  nachweisbaren  Einfluss  auf 
den  Puls. 

13.  Constant  ist  bei  vorhandenem  Netzhautarterienpuls 
eine  mehr  oder  minder  grosse  Herabsetzung  des  arteriellen 
Mitteldrucks  und  damit  wohl  auch  des  intraoculären  Druckes. 

14.  Nicht  so  constant  ist  eine  gewisse  Celerität  des 


♦)  V.  Graefe*8  Arcbiv  XVIII.,  1:  „üeber  die  sichtbaren  Er- 
scheinongen  der  Blntbewegong  in  der  menschlichen  Netzhaut**  — 
S.  283. 

T.  Onefe's  Arehiv  fOr  OphOwlmclosie,  XZZIV.  1.  7 


98  B.  SchmalL 

Badialpulses:  schnelles  Abfallen  einer  mehr  oder  minder 
hohen  Blntwelle,  welches  bei  Erheben  des  Armes  häufig 
deatlicher  hervortritt. 

15.  Der  Arterienpnls  steht  zu  den  Arterienschlänge- 
lungen  nur  in  der  Belation,  dass  bei  vorhandener  Disposition 
za  seinem  Entstehen  er  an  stark  gesehlängelten  Gefässen 
am  ehesten  sichtbar  wird. 

16.  Der  Arterienpuls  steht  in  keiner  direkten  Bezie- 
hung zur  Abnahme  der  geformten  Elemente  im  Blute. 

17.  Der  Arterienpuls  schwindet  nicht  immer  bei  Auf- 
hören der  anämischen  Beschwerden  (der  Chlorotischen). 


Jeden  einzelnen  dieser  Sätze  durch  genauer  aufgeführte 
Krankengeschichten  zu  begründen,  würde  zu  weit  führen, 
ebenso  verzichte  ich  darauf,  procentualiter  das  Verhältniss 
der  verschiedenen  Veränderungen  im  Netzhautgefilsssystem 
bei  den  verschiedenen  Formen  und  Oraden  der  Anämie  an- 
zugeben, weil  die  Differenzen  zwischen  einer  solchen  Zusam- 
menstellung und  den  Bä h Im ann* sehen  Angaben  so  erheb- 
liche sein  würden,  dass  der  Werth  einer  Statistik  auf  Grund 
des  relativ  geringen  Erankenmaterials  in  beiden  Fällen  sehr 
in  Frage  gestellt  werden  würde. 

Ich  mochte  nur  auf  die  beiden  Cardinalpunkte  der 
Rählm  ann 'sehen  Arbeit  kurz  eingehen:  auf  die  „eiquisite 
Hyperämie  der  Betina^'  bei  allgemeiner  Anämie  und  auf  den 
Netzhautarterienpuls,   speciell  auf  die  Erklärung  desselben. 

Galiberzunahme  der  Netzhautarterien  habe  ich  bei  all- 
gemeiner Anämie  nie  beobachtet,  wenn  lokale  auf  die  Betina- 
circulation  direkt  oder  reflektorisch  einwirkende  Beize  mit 
Sicherheit  ausgeschlossen  waren.  Dagegen  habe  ich  in  meh- 
reren Fällen,  in  denen  Conjunctivitis,  Erscheinungen  eines 
AccoQiodationsspasmus  etc.  vorlagen,  sehr  lebhafte  Ii^jection 
des  Augenhintergrundes  gesehen,  die  sich  dann  mehr  oder 
weniger  der  Bählmann'schen  Netzhauthyperämie  näherte; 
auch  der  Netzhautarterienpuls  fehlte  nicht. 


Die  Netzhautcircnlation  etc.  bei  AllgemisinleideiL  99 

Bfihlmann  giebt  in  seiner  Arbeit  nicht  besonders  an, 
ob  das  Gros  der  von  ihm  ophthaimoskopirten  anämischen 
Individuen  wegen  des  Allgemeinleidens  den  Innern  Kliniker, 
oder  wegen  einer  gleichzeitigen  localen  Erkrankung  des 
Auges  den  Ophthalmologen  consultirt  hat. 

Und  wenn  er  in  der  Einleitung  sagt:  „Es  bedarf  viel- 
leicht der  besonderen  Erklärung,  dass  die  von  mir  unter- 
suchten Individuen  durchaus  gesunde  Augen  hatten,  dass 
also  far  die  auffallende  Hyperämie  der  Retina  von  Seiten 
des  Auges  jede  motivirende  Ursache  fehlte  .  .  .**  so  mochte 
ich  doch  darauf  aufmerksam  machen,  dass  beispielsweise 
unter  neun  Fällen  von  Chlorose,  die  Rählmann  auffuhrt, 
drei  Fälle  von  Conjunctivitis,  ein  Fall  „mit  dem  Oefabl  von 
Hitze  und  Schwere  in  den  Augen^^  verzeichnet  sind. 

Mit  Rählmann  eine  stärkere  Schlängelung  der  Netz- 
hautarterien  bei  normalem,  ja  häufig  zweifellos  verengtem 
Caliber  derselben  als  prägnantesten  Ausdruck  einer  arteriellen 
Hyperämie  aufzufassen,  habe  ich  mich  nicht  veranlasst  ge- 
fohlt, da  es  eine  grosse  Anzahl  von  Fällen  giebt*),  in  denen 
«ine  exquisite  Calibererweiterung  der  Arterien  beobachtet 
wird,  ohne  gleichzeitige  stärkere  Schlängelung  derselben. 

Was  die  Bedingungen  fQr  die  Entstehung  des  Netzbaut- 
arterienpulses  anlangt^  so  kann  ich  auch  hierin  nicht  ganz 
Kfthlmann  beistimmen. 

Mir  scheint  vor  Allem  der  Versuch  Rählmann's, 
mehrere  Krankheitsgruppen  aufzustellen,  von  denen  jede 
durch  eine  ihr  allein  eigenthumliche  Rückwirkung  auf  die 
allgemeine  oder  locale  Circulation  das  Entstehen  des  Netz- 
hantarterienpulses  begünstigen  soll,  nicht  ganz  berechtigt. 
Wenn  wir  von  dem  Netzhautarterienpuls  bei  Insufficienz  der 
Aortenklappen  und  bei  Aortenaneurysma  absehen,  welcher 
wohl  ohne  Frage  durch  den  charakteristischen  Verlauf  der 
Palswelle  bedingt  ist,  so  wäre  nach  Rählmann  noch  ein 


♦)  8.  V.  Fall  13—15  etc. 


100  B.  Schmall 

Arterienpuls  bei  Neurasthenie,  bei  Anämie  (nach  starken 
Blutverlusten,  Morbus  filasedowii,  Chlorose),  bei  starker 
venöser  Stauung,  bei  Alteration  der  Gefässwand  und  bei 
Netzhauttrübung  zu  unterscheiden.  Die  Krankengeschichten, 
auf  welche  sich  B.  stützt,  gehören  dabei  fast  ausschliesslich 
—  unter  39  publicirten  Fällen  findet  sich  kaum  eine  Aus- 
nahme —  mehr  oder  minder  hochgradig  anämischen  Indi- 
viduen an,  meist  mit  den  ausgesprochensten  anämischen 
Symptomen. 

Wenn  Bählmann  allgemeine  Anämie  im  weitesten 
Sinne  des  Wortes  als  ein  für  die  Entstehung  des  Netzhaut- 
arterienpulses ungemein  günstiges  Moment  hervorhebt,  so 
dürfte  der  Versuch,  noch  andere  ursächliche  Momente  hier- 
für heranzuziehen,  zum  mindesten  sehr  gewagt  erscheinen, 
sofern  neben  diesen  zum  Theil  localen  Ursachen  (venOse 
Stauung,  Alteration  der  Netzhautgefässwandungen,  Angio- 
neurose (?)  der  Kopfgefässe  bei  Neurasthenie  etc.)  gleich- 
zeitig allgemeine  Anämie  besteht. 

An  diesen  Bemühungen  Rählmann's,  den  Arterien- 
puls in  der  Netzhaut  auf  die  verschiedensten  causalen  Mo- 
mente zurückzuführen,  liegt  es  auch,  dass  seine  zum  Theil 
auf  experimentelle  Untersuchungen  sich  stützenden  Erklä- 
rungsversuche nur  zum  kleinen  Theil  annehmbar  sind. 

Zunächst  unterscheiden  sich  die  beiden  Erscheinungs- 
formen des  Netzhautarterienpulses,  die  Galiberschwankung^ 
und  die  Locomotion  wohl  nur  graduell  von  einander:  die 
letztere  ist  der  deutlichste,  der  Beobachtung  sich  am  meisten 
aufdrängende  Ausdruck  eines  Arterienpulses.  Die  erstere 
wird  erst  bei  einer  gewissen  Höhe  und  Stärke  der  Pulswelle 
ophthalndoskopisch  sichtbar. 

Folgende  von  Becker  citirte  Betrachtungen  aus  dem 
Ludwig'schen  Handbuch  fttr  Pathologie  (II,  110)  dürften 
hier  am  Platze  sein. 

.^Die  Ausdehnung   der  Arterien  geschieht,   wie  dieses 
^  •  namentlitt  &n  einem 'blossgelegten  Gefässe  sichtbar  wird^ 


Die  Netzhantcircnlation  etc.  bei  Allgemeinleiden.         101 

ebensowohl  nach  der  Länge  als  nach  dem  Qaerdnrchmesser. 
Die  Anschwellung  nach  der  letztern  Richtung  ist  jedoch 
weniger  auffällig  als  die  Verlängerung,  weiche  sich  durch 
eine  Bewegung  der  bisher  gestreckten  Gefässe  besonders 
einleuchtend  äussert.  Dieser  Unterschied  ist  einmal  be- 
gründet in  der  meist  geringern  Dehnbarkeit  nach  der 
queren  Bichtung  und  nächstdem,  dass  das  blossgelegte 
Oefäss  nach  der  Länge  hin  mehr  Masseinheiten  sehen 
lässty  als  sie  der  Peripherie  der  Arterie  zukommen;  wenn 
also  die  Ausdehnung,  welche  die  Arterienwand  nach 
beiden  Sichtungen  hin  erfährt,  relativ  gleich  gross  ist, 
wird  doch  die  nach  der  Länge  absolut  bedeutender  sein.'* 

Die  Beobachtung,  auf  welche  sich  Bäh  1  mann  besonders 
stützt,  wenn  er  auch  eine  qualitative  Verschiedenheit  zwi- 
schen CaUberschwanknng  und  Locomotion  präsomirt,  näm- 
lich dass  bei  vorhandener  Locomotion  nie  eine  CaUber- 
schwanknng sichtbar  ist,  kann  ich,  wie  schon  vorher  erwähnt, 
nicht  bestätigen. 

Von  den  Versuchen  Bählmann^s,  auf  experimentellem 
Wege  Näheres  aber  die  Bedingungen  fßr  das  Entstehen  des 
Netzhantarterienpulses  zu  erniren,  wäre  als  allein  vom  posi- 
tiven Besultate  gefolgt  zu  nennen  —  die  Erzeugung  einer 
künstlichen  Hydrämie  bei  Hunden  durch  Transfusion  von 
physiologischer  Kochsalzlösung  in  den  Venen. 

Der  zum  Beweis  dienende  Versuch  wurde  an  einem 
kleinen  schwarzen  Hunde  gemacht,  dessen  Körpergewicht 
nicht  angegeben  ist  Nachdem  500  Gramm  Kochsalzlösung 
injicirt  waren,  zeigten  sich  im  Augenhin tergrunde  um*s 
Doppelte  erweiterte  aulSallend  hellrothe  Betinalvenen,  wenig 
erweiterte  Arterien  und  exquisite  Arterienlocomotionen  an 
4en  S-förmigen  Krümmungen. 

Herzaction  sehr  energisch,  60 — 80  Pulse  in  der 
Minnte. 

3  Stunden  später,  nach  Injection  von  3000  cbcm,  kaum 
nodi  sichtbare  Locomotion  bei  schwacher,  frequenter 
Herzaction  (140). 


102  B,  Scbmall. 

Der  Schlass,   den  Rfthlmann   daraos  macht,  ist  fol- 
gender: 

,J)ie  relative  VermiDderang  der  Zellkßrper  .... 
bei  vermehrter  BlatqQaatitat  (Plethora  serosa)  mnss 
eine  Yermindening  der  Reibuag  nnd  eine  leichtere 
Beweglichkeit  der  Blutsikole  im  Gefolge  haben  .  .  . 
.  .  .  Der  Arterienpuls  der  Netzhaut  scheint  nnr  ein 
localer  Ansdruck  der  leichteren  Beweglichkeit  der  Blot- 
sänle  zu  sein," 
Ich  habe  denselben  Versuch  an  einem  'mittelgrossen 
Hunde  (10,5  kg  EOrpergevicht)  nachgemacht  und  habe  nach 


Injeotion  von  nahezu  1000  Or.  0,8  7o  Kochsalzlösung  gleich- 
falls vor  dem  Versuch  nicht  sichtbaren  Ärterienpnls  (als 
Locomoiioa)  auf  der  Netzhaut  beobachtet;  (die  Venen  der 
Netzhaut  waren  dabei  kaum  erweitert,  nur  mit  hellerm  Blate 
erfüllt.)  Dabei  zeigte  jedoch  die  Pulscnrve,  welche  wahrend 
der  ganzen  Yersuchsdaner  mit  dem  Ludwig'scben  Kymo- 
graphiom  registrirt  wurde,  sehr  beachteuswerthe  Aendenin- 
gen.  Einmal  war  der  arterielle  Mitteldrnck,  wie  aus  der 
nebeDSteheoden  Pulscurve  (Fig.  13)  hervorgeht,  um  14  mm 
Hg.  gesunken,  sodaan  war  die  Herzaction  bedeutend  ver- 
langsamt (68  Pulse  gegen  1^  Pulse  bei  Beginn  des  Ver- 
SDches)  und  sehr  verstärkt. 


Die  Netshantcirciilatioii  etc.  bei  Allgemeinleiden.        103 

Bählmann  giebt  das  Yerhalten  der  Pulscurre  eben* 
sowenig  wie  das  des  Blntdmcks  zur  Zeit  der  stärksten  Fnl- 
sationen  in  der  Netzhaut  an;  er  begnügt  sich  mit  dem  Hin- 
weis auf  die  Worm- Müll  er 'sehen  Resultate,  dass  bei 
Transfusion  von  Blut  in  die  Yenen  von  Hunden  der  Blut- 
druck in  der  Carotis  nicht  (dauernd)  zu  steigen  pflege. 

Jedoch  habe  ich  keine  Veranlassung,  den  Verlauf  des 
Bfthl  mann 'sehen  Versuches  als  einen  von  dem  meinen  ab- 
weichenden anzusehen.  Denn  die  von  Bählmann  referirte 
Pulsfrequenz  von  60 — 80  Schlägen  in  der  Minute,  welche 
er  zur  Zeit  des  Sichtbarwerdens  der  Netzhautarterienpulse 
zählte  und  welche  für  einen  kleinen  Hund  unter  normalen 
Verhältnissen  eine  sehr  geringe  wäre,  spricht  entschieden 
fdr  eine  auf  den  Eingriff  zurückzuführende  pathologische 
Pnlsverlangsamung  und  also  wahrscheinlich  auch  fQr  eine 
entsprechende  Verstärkung  der  Herzaction. 

Es  liegt  wohl  viel  näher,  die  enorme  Verstärkung  der 
einzelnen  Herzcontractionen  (bei  herabgesetztem  mittleren 
Blutdruck)  als  ursächliches  Moment  für  die  Entstehung  des 
Netzhautarterienpulses  anzusprechen,  als  mit  Bählmann 
eine  aus  der  Hydrämie  des  Blutes  direct  resultirende  leich- 
tere Bew^lichkeit  der  ganzen  arteriellen  Blutsäule. 

Mit  meiner  Erklärung  würde  auch  besser  übereinstim- 
men das  allmähliche  Verschwinden  des  Netzhautarterienpulses 
im  weiteren  Verlauf  des  Versuches,  welches  auch  Bähl- 
mann durch  Herzschwäche  (140  Pulse)  zu  erklären  gezwun- 
gen ist.  Ich  selbst  habe  den  Versuch  nicht  weiter  fortfahren 
können,  da  eine  entstandene  Hornhauttrübung  die  genauere 
ophthalmoscopische  Untersuchung  hinderte. 

Weitere  Versuche  in  dieser  Richtung  sind  nicht  ange- 
stellt worden  und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  die  auf  die 
genannte  Weise  künstlich  beim  Hunde  erzeugte  acute  Hy- 
drämie sich  weder  in  der  Art  der  Blutmischung,  noch  in 
ihrer  Bückwirkung  auf  das  Herz  und  Gefässsystem,  mit  den 
bei  Anämischen  vorkommenden  Blutmischungsverhältnissen, 


104  B.  SchmalL 

noch  den  chronischen  Störungen  der  Circulation  in  irgend 
einer  Weise  identificiren  lässt.  Bählmann  vergisst  vor 
Allem  mit  einem  sehr  wesentlichen  Factor  zu  rechnen,  näm- 
lich mit  der  mehr  oder  minder  grossen  Herzschwäche  anä- 
mischer Individuen  und  der  dadurch  bedingten  Herabsetzung 
des  arteriellen  Mitteldrucks.  Letztere  „muss  die  Strom- 
geschwindigkeit des  Blutes  derart  beeinflussen,  dass  dagegen 
der  Gewinn,  welchen  die  Yerringerung  des  Beibungswider- 
standes  in  den  Capillaren  mit  sich  bringt,  gar  nicht  zur  Gel- 
tung zu  kommen  pflegt/*  j(Gohnheim's  AUg.  Pathologie  I, 
S.  371).  Die  BlutstrOmung  ist  demnach  nicht,  wie  Bähl- 
mann will,  bei  der  Anämie  beschleunigt,  sondern  geradezu 
verlangsamt  und  damit  ist  der  Erklärungsversuch  Bähl- 
mann's,  die  Entstehung  des  Netzhautarterienpulses  bei 
der  Anämie  auf  eine  grössere  Strömungsgeschwindigkeit  des 
Blutes  zurackzuführen,  widerlegt.  Ich  möchte  im  Gegentheil 
auf  Grund  zahlreicher  mit  dem  FleischTschen  Hämometer 
angestellten  Hämoglobinbestimmungen  eher  behaupten,  dass 
der  Netzhautarterienpuls  häufiger  bei  geringerer,  als  bei 
stärkerer  Hydrämie*)  des  Blutes  vorkommt. 

Ich  glaube,  dass  der  Netzhautarterienpuls,  wie  ihn 
Bählmann  bei  Anämie,  bei  „Neurasthenie,  bei  Alteration 
der  Gef&sswände,  Trübung  der  Netzhaut,  venöser  Stauung^' 
gefunden  und  beschrieben  hat,  dass  ferner  der  Arterienpuls 
beim  Fieber  und,  wie  ich  hier  nachtragen  will,  in  der  Be- 
convalescenz  von  nicht  lange  währenden,  den  Eräftezustand 
der  Patienten  nur  massig  reducirenden  fieberhaften  Leiden, 
Pneumonieen,  Diphtheritis  etc.)  —  dass  der  Netzbautaiterien- 
puls  in  allen  diesen  Fällen  zurückzuführen  ist  auf  einen 
gewissen  Umfang  und  schnellen  Ablauf  der  einzelnen  Herz- 
contractionen  bei  einem  gewissen  herabgesetzten  arteriellen 


*)  Der  Ausdruck  „Hydrämie*  wird  hier  der  KUrze  wegea 
gebraucht-,  fttr  die  Verarmung  des  Blutes  an  morp hotische a  Bestand- 
theilen,  tpeciell  rother  Blatkörperchen,  deren  physiologische  Folge 
eine  Yerminderung  der  KeibuDgswlderst&nde  in  den  Capillaren  ist. 


Die  Netzhantciiciilation  etc.  bei  Allgemeinleiden.        105 

Mitteldiuck  (also  auch  herabgesetzter  Wandspannung  der 
Arterien). 

Eine  einseitige  Aendemng  dieser  für  die  Genese  des 
Netzhautarterienpolses  wichtigen  Componenten  fOhrt  zum 
Schwinden  des  Pulses,  vorausgesetzt,  dass  nicht  die  andere 
€omponente  gewissermaassen  vicariirend  eintritt.  Daher 
denn  auch  bei  einem  und  demselben  Individuum  das  zeit- 
weise Fehlen  des  Arterienpulses  in  der  Netzhaut,  welches 
die  Autoren  als  bei  Aortenklappeninsufflcienz  vorkommend 
angeben  (s.  o.)  und  welches  ich  auch  fQr  die  hier  be- 
sprochenen Allgemeinleiden  in  vollem  umfange  bestätigen 
kann. 

Die  Annahme  einer  für  das  abnorm  periphere  Sicht- 
barwerden der  Pulswelle  besonders  günstigen  Combination 
von  mittlerer  GefiLsswandspannung  und  Pulswelle  ist  zum 
Theil  hypothetisch.  Man  weiss  nur  aus  Experimenten,  dass 
in  einem  elastischen  Schlauche  eine  Pulswelle  um  so  später 
erlischt,  je  grossem  Umfang  sie  von  vorneherein  hat  und 
je  geringer  die  mittlere  Spannung  der  Wandung  des 
Schlauches  ist;  man  weiss  aus  klinischer  Beobachtung,  dass 
ein  Netzhautarterienpuls  nicht  vorkommt  trotz  kräftiger 
Herzaktion,  wenn  gleichzeitig  der  mittlere  Blutdruck  erhöht 
ist,  z.  B.  bei  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  in  Folge 
von  Schrumpfhiere,  bei  gesteigerter  Herzthätigkeit  nach 
starker  körperlicher  Anstrengung  etc.,  dass  dagegen  der 
Arterienpuls  meist  auftritt,  wenn  eine  kurze  energische 
Heizaktion  bei  relativ  niedrigem  arteriellen  Mitteldruck  be- 
steht (bei  Aortenklappeninsufficienz ,  bei  den  oben  be- 
schriebenen Versuchen  künstlicher  Hydrämie  bei  Hunden). 

Es  ist  jedoch  nicht  möglich,  von  vorneherein  als  für 
alle  Fälle  gültig  festzustellen,  bei  welcher  Höhe  des  Blut- 
drucks oder  bei  welchem  Charakter  der  Badialispulskurve 
die  Pulswelle  abnorm  weit  in  der  Peripherie  des  Körpers 
sichtbar  werden  muss.  Es  können  eine  Anzahl  anderer 
Momente   concurriren,    welche   das   Zustandekommen   des 


106  B.  SchmalL 

Netzhautarterienpulses  bei  vorhandener  Disposition  zu  seiner 
Entstehung  hindern  oder  begünstigen,  ohne  dass  man  die- 
selben greifbar  demonstriren  könnte;  z.  B.  der  Verlanf  und 
die  Verzweigung  derjenigen  arteriellen  Geftsse,  aus  denen  die 
Centralarterie  der  Netzhaut  entspringt,  grössere  oder  ge- 
ringere Elasticität  der  Wandungen  dieser  Gefftsse,  endlich 
vielleicht  auch  ein  dem  Blutdruck  disproportionales  Ver* 
halten  des  intraoculftren  Druckes.*) 

Wir  werden  nicht  umhin  können,  auch  derartige  Mo- 
mente zu  berücksichtigen,  wenn  wir  bei  einer  Anzahl  von 
Individuen,  deren  AUgemeinleiden  in  Intensität  und  Ver- 
lauf sowie  in  seiner  Bückwirkung  auf  Herz  und  Gef&ss- 
system  wenigstens  nach  den  uns  zu  Gebote  stehenden 
Untersuchungsmethoden  absolut  gleichartig  erscheint,  den 
Netzhautarterienpuls  bald  finden,  bald  vermissen. 

Im  Uebrigen  ist  das  Auftreten  dieses  Pulses  nur  ein 
weiterer**)  Beweis  für  das  abnorm  periphere  Erlöschen 
der  durch  die  Herzcontraction  angeregten  Pulswelle  bei  den 
genannten  Allgemeinerkrankungen. 

Mit  Baehlmann  in  diesem  Puls  oder  vielmehr  in  der 
anomalen  Blutbewegung,  welche  er  anzeigt,  das  Substrat 
tür  gewisse  subjective  oder  objective*  Erankheitssymptome 
zu  muthmassen,  sehe  ich  keine  Veranlassung,  trotzdem  ich 
gerade  nach  dieser  Seite  hin  mich  bemüht  habe,  einen  all- 
gemeineren klinischen  Werth  der  ophthalmoskopischen  Er- 
gebnisse aufzufinden. 

Wenn  demnach  auf  der  einen  Seite  die  Kenntnisse 
über  sichtbare  Pulsationen  im  Augenhintergrund  durch  die 
Beschreibung    des    Netzhautarterienpulses   bei   anämischen 


*)  Naunyn  nnd  Falken  heim  fanden  bei  künstlich  erzeugter 
Hydrftmie  am  Hunde  eine  vom  Blutdruck  unabhängige  Zonahme 
des  intracerebralen  Druckes. 

**)  Die  ersten  Angaben  hierüber  finden  sich  schon  in  der  ge- 
nannten Abhandlang  Quinckes  «Beobachtungen  über  Gapillar-  und 
Yenenpnls**  ans  dem  Jahre  1868. 


Die  Netshautdrcnlation  etc.  bei  AllgemeinleideD.         107 

und  fieberhaften  Zuständen  bereichert  worden  sind,  so  er- 
leidet andererseits  zugleich  die  allgemeine  klinische  Diag- 
nostik eine  gewisse  Einbusse  insofern,  als  dadurch  die  bisher 
dem  Netzhantarterienpuls  yindicirte  pathognomonische  Be- 
deutung bei  Aortenklappeninsufficienz  und  bei  Aortenaneu- 
rysmen in  bestimmter  aus  dem  vorher  Gesagten  ohne 
Weiteres  ersichtlicher  Beziehung  beschränkt  wird. 

Zum  Schlüsse  spreche  ich  Herrn  Professor  Jacobson 
für  die  gütige  Anregung  zu  dieser  Arbeit,  sowie  den 
Herren  Professoren  Naunyn  und  Schreiber  far  die 
liebenswOrdigkeit,  mit  welcher  sie  mir  das  Erankenmaterial 
der  medicinischen  Klinik  und  Poliklinik  zur  Verfügung  ge- 
stellt haben,  meinen  herzlichsten  Dank  aus. 


Eine  nene  Methode  der  Eomlianttransplaiitatioii. 

Von 

Prof.  Dr.  A.  v.  Hippel 
in  Giessen. 


Auf  den  Yersammlangen  der  ophthalmologischen  Gesell- 
schaft im  Jahre  1886  und  1887  habe  ich  zwei  kurze  Mit- 
theilmigen  aber  eine  nene  Methode  der  Keratoplastik  gemacht, 
mittelst  deren  es  mir  gelungen  ist,  die  Einheiiung  eines  StQckes 
Eaninchenhomhaut  in  das  leucomatös  getrübte  menschliche 
Auge  mit  dauernder  Erhaltung  seiner  Transparenz  zu  er- 
zielen. —  Eine  Kritik  früherer,  diesen  Gegenstand  behan- 
delnder Arbeiten  schien  mir  an  jenem  Ort  ebensowenig  an- 
gebracht, wie  eine  bis  in's  Detail  sich  erstreckende  Schil- 
derung meines  Verfahrens  und  seiner  Indicationen,  eine  Auf- 
zählung aller  bei  der  Operation  möglichen  übelen  Zu&lle 
oder  eine  eingehende  Besprechung  des  Heilungs Verlaufes. 
Es  lag  in  meiner  Absicht,  diese  Dinge  in  einer  ausführ- 
licheren, für  dies  Archi?  bestimmten  Arbeit  erst  dann  zu  er- 
örtern, wenn  ich  auf  Grund  einer  grösseren  Zahl  von  Trans- 
plantationen nach  der  neuen  Methode  in  der  Lage  wftre^ 
alle  noch  der  Erledigung  harrenden  Fragen  in  befriedigender 


Eine  neue  Methode  der  fioirnhanttransplantatioiL        109 

Weise  zu  beantworten.  Zwei  Umstände  sind  es,  die  mich 
nun  doch  zn  einer  früheren  Pnblication  veranlassen:  einmal 
die  Einsicht,  dass  das  mir  zur  Verfügung  stehende  Eranken- 
material  nicht  gross  genug  ist,  um  eine  ausreichende  Zahl  zur 
Transplantation  geeigneter  Fälle  in  absehbarer  Zeit  zu  liefern, 
dann  der  Wunsch,  denjenigen  CoUegen,  welche  die  Operation 
ausfuhren  wollen,  eine  möglichst  genaue  Beschreibung  der 
Technik  zu  geben,  die  sich  mir  als  zweckmässig  bewährt  hat. 
Gern  gebe  ich  zu,  dass  dieselbe  in  mancher  Hinsicht  noch 
der  VerToIlkommnung  fähig  und  bedürftig  ist,  glaube  aber 
ihre  strikte  Befolgung  trotzdem  zunächst  allen  Denjenigen 
empfehlen  zu  dürfen,  welche  die  Keratoplastik  zum  ersten 
Male  ausführen;  sie  werden  so  Misserfolge  leichter  ver- 
meiden. 

Seit  Veröffentlichung  meiner  letzten  Arbeit  über  Trans- 
plantation in  diesem  Archiv*)  ist  die  Zahl  der  diesen  Gegen- 
stand behandelnden  Publicationen  nur  noch  gering. 

Sellerbeck**)  berichtete  über  einen  Fall,  in  welchem 
er  den  Versuch  machte,  durch  Anlegung  einer  Homhautfistel 
und  Bedecken  der  überpflanzten  Cornea  mittelst  zwei  von 
oben  und  unten  abpräparirten  Gonjunctivallappen  bessere 
Heilungsbedingungen  herbeizuführen,  als  sie  ihm  mein  früher 
geübtes  Verfahren  zu  bieten  schien.  Der  primäre  Erfolg 
war  sehr  befriedigend,  leider  erwies  er  sich  aber  ebenso  wenig 
von  Dauer  wie  in  meinen  Fällen,  das  erlangte  Sehvermögen 
ging  wieder  verloren.  Die  Ursache  des  Misserfolges  suchte 
Sellerbeck  in  dem  Reiz,  welchen  der  geschrumpfte  untere 
Gonjunctivallappen  auf  das  Auge  ausübte;  er  habe  die 
parenchymatöse  Trübung  des  transplantirten  Hornhaut- 
Stückes  verschuldet. 

Nicht  bessere  Resultate  erhielt  Dürr***),  der  in  13  Fällen 
die  partielle  Transplantation  in  der  Weise  übte,  dass  er  nach 


*)  V.  Graefe'B  Archiv  Bd.  XXIV,  Abth.  2,  p.  236-206. 
«•)  Dasselbe  Bd.  XXIV,  Abth.  4,  p.  1—46. 
)  Zehender's  Monatsblätter  Bd.  XVII.  1879,  p.  817  ff. 


110  A.  T. 

periphere  Abtngmig  der  ^rtrabtn  Honihaiitscfaiehteii  dnen 
«08  dai  dbeieii  famdifgi  der  EuüiidiM-Coniea  entnom- 
menea  LqipeB  mit  dann  befindlidiem  CoDJmictiTilzipfel  über- 
pflanzte. Die  Tianspamiz  dessdben  erhielt  ädi  zwar  langer 
als  bei  den  frflheren  Metboden,  ging  aber  doch  schliesslich 
Töllig  Yerloren. 

Dnrcb  Tbierexperimente  nnd  histologische  ünter- 
snchnngen  Tosnditen  Neelsen  und  Angelncci*)  die  Frage 
nach  der  Ausfohibaikeit  der  Eentoplastik  za  beantworten. 
So  berechtigt  das  Stieben  ist»  die  Besoltate  der  klinischen 
Beobachtong  dorch  experimoitelle  nnd  mikroskopische 
Forschang  zn  stützen  and  zn  eig&nzen,  so  wenig  znl&ssig 
erseheint  mir  der  Aussprach  der  Autoren:  ,,Ein6  klinische  Wür- 
digung der  Transplantation  wird  einen  wissenschaftlichen 
Werth  nur  insoweit  beanspruchen  können,  als  sie  sidi  auf 
die  Kenntoiss  der  mikroskopischen  Gewebsveränderungen  bei 
diesem  Process  stützt**  Führt  dieser  Standpunkt  nun  gar 
dazu,  die  an  dem  normalen  Thierauge  gemachten  Beobach- 
tungen ohne  Weiteres  auf  das  pathologisch  yerftnderte  mensch- 
liche Auge  zu  übertragen  und  ohne  alle  eigenen  klinischen 
Erfahrungen  Behauptungen  aufzustellen,  welche  eine  all- 
gemeine Gültigkeit  keineswegs  beanspruchen  dürfen,  so  sinkt 
der  Werth  des  Thierexperimentes  in  der  vorli^enden  Frage 
doch  sehr  erheblich  und  die  klinische  Forschung  wird  sich 
das  Becht  vorbehalten  dürfen,  gelegentlich  der  mikro- 
skopischen voranzugehen,  ohne  darum  den  Vorwurf  der  „ün- 
wissenschaftlichkeit*'  zu  verdienen. 

Wenn  die  Verfasser  die  Besultate  ihrer  Versudie  in 
folgenden  Sätzen  zusammenfassen:  „In  der  Mehrzahl  der 
Fälle  geht  das  transplantirte  Comealstückchen  zum  Theil 
zu  Grunde;  der  Best  wird  in  undurchsichtiges  Narbengewebe 
eingeschlossen.  Eine  Anheilung  mit  Erhaltung  des  Stückes 
ist  nur  möglich,   wenn  dasselbe  nicht   nur  vom   Bande, 


*)  Zehenders  Monatsblfttter  Bd. XVIU.  1880,  p. 28öff. 


Eine  nene  Methode  der  Hornbanttransplantation.         m 

sondern  anch  Yon  seiner  inneren  Fläche  ans  dnrch  an- 
liegendes altes  oder  nen  gebildetes  Gewebe  ernährt  wird*', 
so  mögen  dieselben  für  das  Hnndeange  zutreffend  sein;  für 
das  lencomatOse  menschliche  Auge  haben  sie  keine  allgemeine 
Oiltigkeit,  denn  anf  Omnd  zahlreicher  eigener  Er&hrangen 
kann  ich  bestimmt  behaupten: 

1.  Dass  der  überpflanzte  Lappen  nur  ganz  ausnahms- 
weise einmal  zu  Grunde  geht; 

2.  dass  die  Ernährung  Yom  Rande  her  zu  seiner  Er- 
haltung YoUkommen  genfigt  und  das  Auftreten  neu 
gebildeten  Gewebes  an  seiner  hinteren  Fläche  eine 
höchst  unerwünschte^  aber  keineswegs  obligatorische 
Gomplication  des  HeilungSYorganges  bildet,  die  sehr 
rasch  jedes  optische  Besultat  Yernichtet; 

3.  dass  auch  ohne  eine  derartige  Gewebsneubildung 
Yon  der  Iris  aus  der  Lappen  frühzeitig  seine  Trans- 
parenz Yerliert,  nachdem  es  zu  einer  Aufquellung 
seines  Gewebes  mit  mehr  weniger  ausgedehnter 
Abstossung  des  Epithels  gekommen. 

Diese  you  mir  schon  längst  herYorgehobenen  That- 
aachen  sind  Yon  allen  Autoren  bestätigt  worden,  welche  die 
Transplantation  beim  Menschen  ausgeführt  haben  und  können 
<laTch  abweichende  Resultate  you  ThierYersuchen  nicht  er- 
sdiüttert  werden.  — 

In  der  Annahme,  dass  fötales  Cornealgewebe  Yielleicht 
«her  seine  Transparenz  behielte,  wurde,  wie  ReYclli*)  be- 
richtet, Yon  Peso  hei  der  Versuch  gemacht,  Hornhautstncke 
Yon  Hunde-  und  Schweineembryonen  auf  das  menschliche 
Auge  zu  transplantiren.  Der  Erfolg  entsprach  indessen  nicht 
den  Erwartungen:  „Die  Corneallappen  resorbirten  sich  durch 
Einwachsen  Yon  Granulationen  Yollständig.*' 


*)  Operazioni  di  cheratoplastica.    DiBBert.    Torino  1888. 


112  A.  V.  Hippel. 

Anscheinend  ohne  Eenntniss  der  Ton  Nassbaum  nnd 
mir  vergeblich  angestellten  Versuche,  eine  Cornea  arteficiaUs 
danemd  in  ein  leacomatOses  Ange  einzuheilen,  empfiehlt 
Martin*)  folgendes,  etwas  phantastisch  klingendes  Ver- 
fahren: Das  lencomatöse  Ange  soll  zunächst  durch  eine 
Vorlagerung  des  Internus  um  90  ®  (!)  nach  einwärts  gestellt 
werden,  sodass  die  Sclera  die  Mitte  der  Lidspalte  einnimmt. 
„Quinze  jours  aprös,  lorsque  la  conjonctive  a  repris  son 
aspect  normal,  jlntroduis  sous-conjonctivalement,  dans  le 
plan  horizontal  de  Toeil  ainsi  pr^parä,  ä  6  mm  environ  de 
la  corn^e,  un  petit  appareil  en  or,  fabriqu6  par  M.  Mathieu 
sur  mes  indications,  v^ritable  clou  ä  large  t£te,  demi- 
cylindrique,  perc^  d*une  ouverture  de  0,8  mm.  Ce  petit 
tube  s'introduit  avec  la  plus  grande  facilitö  et  la  conjonctive 
qui  lui  forme  nn  revStement,  le  maintient  facilement  en 
place.  Quand  Toeil  est  habituä  ä  Tinstrument,  huit  ä  dix 
jours  apr&s,  il  ne  reste  plus  qu'ä  dögager  Torifice  du  clou 
ä  le  döbarrasser  de  son  obturateur  et  la  lumidre  ne  trouve 
plus  d'obstacle  pour  p6n6trer  dans  Tint^rieur  de  la  cavitö 
oculaire.  Pour  opörer  ce  d^gagement  je  me  sers  d*un  galyano» 
cautöre  dont  Taction  est  instantan^.  L'op^ration  est  ter- 
minie." 

Ich  habe  die  Beschreibung  des  Verfahrens  wörtlich  citirt, 
da  dieselbe  so  unklar  ist,  dass  sie  mir  eine  üebersetzung 
nicht  zu  Yertragen  schien.  Jeder  Versuch,  ein  nagelähnliches 
Instrument  in  die  Sclera  einzuheilen,  wird  selbstverständlich 
ebenso  resultatlos  bleiben,  wie  unsere  früheren  Bestrebungen^ 
eine  Cornea  artefidalis  im  Leucom  zu  fixiren.  Das  Ver- 
fahren, von  seinem  Erfinder  vor  Sammlung  eigener  Er- 
fahrungen publicirt,  dürfte  daher  schwerlich  Nachahmer 
finden. 

Die  Besultatlosigkeit  aller  bisher  von  Anderen  und  mir 
selbst  gemachten  Versuche,  das  Problem  der  Keratoplastik 


*)  Rdcueil  d^ophthabnologie  1886,  No.  2,  p.  05. 


Eine  neue  Methode  der  HornhanttransplantatioD.         ]13 

zu  lösen,  konnte  mich  nicht  veranlassen,  von  der  weiteren 
Verfolgnng  einer  wissenschaftlichen  Frage  abzustehen,  an 
die  ich  so  lange  vergeblich  Zeit  und  Arbeit  gewandt  hatte, 
vielmehr  bemühte  ich  mich  zunächst,  festzustellen,  warum 
die  Trübung  des  transplantirten  Hornhautstückes  selbst  bei 
glatter  Einheilung  desselben  mit  so  fataler  Nothwendigkeit 
in  kurzer  Frist  eintritt.  —  Leber's*)  treffliche  Untersuchungen 
über  den  Flüssigkeitswechsel  im  Auge  schienen  mir  den 
Schlüssel  des  Bäthsels  zu  enthalten,  denn  sie  lehrten,  dass 
die  Transparenz  des  Hornhautgewebes  von  der  Intactheit  des 
Epithels  der  Descemet'schen  Haut  abhängig  ist.  Zerstörung 
desselben  bewirkt  Aufquellung  und  Trübang  der  darunter 
befindlichen  Schichten  des  Parenchyms  und  Abstossung  des 
vorderen  Epithels  durch  Eindringen  des  Humor  aqueus  in 
das  Gewebe.  —  Schliesst  sich  der  Defect  im  Epithel  der 
Descemet'schen  Haut,  so  bilden  sich  die  Veränderungen 
zurück  und  die  Cornea  gewinnt  ihre  Transparenz  wieder; 
bleibt  er  bestehen,  so  verliert  sich  die  Trübung  nicht.  Dass 
es  bei  der  Transplantation  eines  Hornhautlappens  niemals 
zu  einer  Verwachsung  der  Ränder  der  Desceme tischen 
Haut  kommt,  dieselben  sich  vielmehr  infolge  ihrer  grösseren 
Elasticität  stets  mehr  weniger  einrollen,  war  mir  aus  kerato- 
plastischen  Versuchen  an  Kaninchen  seit  langer  Zeit  bekannt. 
Der  Humor  acqueus  kann  daher  zunächst  von  den  Bändern 
des  Lappens  in  das  Hornhautgewebe  eindringen  und,  da  der 
Defect  offen  bleibt,  sich  allmählich  auch  in  den  centralen 
Theilen  verbreiten,  wodurch  ein  völliger  Verlust  der  Trans- 
parenz zu  Stande  kommen  muss. 

Dieser  Annahme  entspricht  vollständig  das  Resultat  der 
klinischen  Beobachtung:  stets  beginnt  die  Trübung  und 
Quellung  des  Lappens  an  den  Bändern  und  schreitet  von  da 
nach  der  Mitte  bin  weiter. 

Unter  solchen  Umständen  schienen  mir  weitere  Versuche 


♦)  T.  Qraefe's  Archiv  Bd.  XIX,  Abth.  2,  p.  87-186. 

T.  Oraefe's  Archiv  fttr  Ophthalmologie,  XXXIV.  t  .  8 


114  A.  V.  Hippel. 

in  der  bisherigen  Bichtong  zwecklos  und  eine  Modification 
der  Operationsmethode  nothwendig  zu  sein.  Der  schädliche 
Einfluss  des  Humor  aequeus  lässt  sich  nur  ausschliessen 
durch  Erhaltung  der  Descemet*schen  Haut,  ich  wurde  da- 
her veranlasst,  einen  von  Ph.  v.  Walther  zuerst  aus- 
gesprochenen, vonMühlbauer*)  und  Dürr**)  bereits  practisch 
verwertheten  Gedanken  auch  meinerseits  nochmals  aufzu- 
nehmen und  die  partielle  Transplantation  in  anderer  Weise 
als  meine  Vorgänger  zu  versuchen.  Nach  wie  vor  davon 
überzeugt,  dass  die  Operation  nur  dann  gelingen  kann,  wenn 
der  Defect  im  Leucom  und  der  transplantirte  Lappen  genau 
gleich  gross  sind,  umschnitt  ich  mit  dem  früher  beschrie- 
benen Trepan  im  Leucom  ein  Stück  von  4  mm  Durchmesser 
und  präparirte  es  mit  Gräfe*s  Messer  aus  unter  Zurück- 
lassuDg  der  Membrana  Descemetii.  Ein  gleich  grosses,  der 
Cornea  eines  Hundes  entnommenes,  circa  1  mm  dickes  Stück 
diente  zur  Ausfüllung  des  Defects.  Dreimal  führte  ich  die 
Operation  in  der  erwähnten  Weise  aus;  in  allen  Fällen  heilte 
der  Hornhautlappen  zwar  leicht  ein,  trübte  sich  aber  bereits 
am  Tage  darauf  und  war  nach  wenigen  Wochen  total  un- 
durchsichtig. —  Da  die  Einwirkung  des  Humor  aqueus  hier 
für  den  Misserfolg  nicht  verantwortlich  gemacht  werden 
konnte,  nahm  ich  an,  dass  die  schnelle  Trübung  durch  die 
Quetschung  des  Oewebes  beim  Auspräpariren  der  oberen 
Homhautschichten  bedingt,  also  Folg«  einer  traumatischen 
Keratitis  sei.  Eine  solche  glaubte  ich  durch  Benutzung 
einer  dünneren  Thier-Gomea  vermeiden  zu  können,  die  es 
gestattet,  ein  aus  der  ganzen  Dicke  mittelst  des  Trepans 
excidirtes  Stück  auf  die  Descemet'sche  Haut  des  mensch- 
lichen Auges  zu  übertragen.  —  Die  Richtigkeit  meiner  Vor- 
aussetzung bewies  bereits  die  erste  nach  dieser  Methode  aus- 
geführte Operation,   über  deren  dauernden  Erfolg  ich  den 


*)    Ueber  Transplantation    der    Cornea.     Schmidt*8    Jahrb. 
Bd.  XXXV,  p.  267. 
*♦)  1.  c. 


Eine  neue  Methode  der  Homhauttransplantation.         115 

FacbgeDossen  in  Heidelberg  mündlich  Bericht  erstattet  habe 
unter  gleichzeitiger  Vorstellung  der  Patientin. 

Von  mir  selbst  wurde  bei  dieser  Gelegenheit  bereits 
betont,  dass  meine  Methode  bei  totalen  adhärirenden  Leu- 
«omen  natürlich  nicht  ausfuhrbar  sei,  Adamück*)  theilt 
uns  in  seiner  kürzlich  erschienenen  Publication  also  gerade 
nichts  Neues  mit,  wenn  er  diese  Thatsacbe  nochmals  her- 
Torhebt.  Ebensowenig  Anspruch  auf  Originalität  haben  seine 
keratoplastischen  Versuche  mit  Hühneraugen,  deren  sich 
bekanntlich  Dieffenbach  bereits  vergeblich  bedient  hat. 
Dass  Adamück*s  Operationen  zu  keinem  Erfolge  führen 
konnten,  weil  die  Wunde  im  Leucom  mit  der  Grösse  der 
transplantirten  Hornhaut  nicht  übereinstimmte,  vielmehr 
^,noch  mit  der  Scheere  oder  einem  Messer  vergrOssert  werden 
musste.^^  (!),  wird  Jeder  selbstverständlich  finden,  der  etwas 
mehr  Zeit  auf  die  Bearbeitung  der  vorliegenden  Frage  ver- 
wandt hat,  als  Adamück.  „Bei  zwei  unter  diesen  fünf 
Fällen  kam  es  zur  Eiterung  der  Augen,  bei  den  übrigen 
drei  Fällen  war  dagegen  der  Verlauf  der  Heilung  und  der 
nachfolgende  Augenzustand  ein  solcher,  dass  man  unwill- 
kürlich zu  behaupten  veranlasst  wird,  auf  diesem  Wege 
seien  die  gewünschten  Resultate  zu  erreichen."  Diese  „Be- 
hauptung^^ erscheint  etwas  kühn,  da  Adamück *s  Beob- 
achtung der  Kranken  sich  nur  über  eine  Zeit  von  6  bis 
8  Wochen  erstreckt  und  alle  Autoren,  welche  über  Trans- 
plantationsversuche mit  ganzen  Hornhäuten  bereits  früher 
berichtet  haben  (KOnigshOfer,  Power,  Kosmini,  ich)  zu 
dem  übereinstimmenden  Resultat  gelangten,  dass  letztere 
auch  bei  vollständiger  Einheilung  stets  trübe  werden  und 
schrumpfen.  —  So  lange  daher  Adamück  fQr  das  von  ihm 
empfohlene  Verfahren  keine  besseren  Argumente  beibringen 
kann,  als  es  in  seiner  letzten  Mittheilung  geschieht,  dürfte 
dasselbe  schwerlich  Anhänger  finden. 


*)  Zehender'g  Monatsblätter  1887,  p.  51. 

8* 


116  A.  V.  Hippel. 

In  einer  kurzen  Note  bespricht  endlich  Boucher'*')  die 
von  mir  empfohlene  Methode  der  Keratoplastik.  Wenn  er 
auch  zugiebt,  dass  sich  mittelst  derselben  der  so  lange  Ter- 
geblich  erstrebte  Erfolg  erreichen  lasse,  so  spricht  er  ihr 
die  practische  Verwendbarkeit  wegen  der  Schwierigkeit  der 
Technik  und  der  ünvollkommenheit  der  von  mir  benutzten 
Instrumente  doch  ab.  Boucher  verlangt  zunächst  eine  be* 
stimmte  Angabe  darüber,  welche  Fälle  von  Leucom  far  die 
Transplantation  geeignet  sind,  welche  nicht;  ausserdem  erklärt 
er  die  Gonstruetion  eines  Instrumentes  für  nothwendig, 
welches  es  gestattet,  einzelne  dünne  Schichten  des  Leucom» 
abzutragen  und  so  allmälich  bis  zur  Descemet'schen  Haut 
vorzudringen.  —  So  lange  diese  Bedingungen  nicht  erfüllt 
seien,  kOnne  er  mein  Verfahren  nur  als  den  Ausgangspunkt 
für  weitere  Untersuchungen  ansehen. 

Dass  ich  weit  davon  entfernt  bin,  zu  glauben,  meine 
Methode  wäre  nicht  noch  weiterer  Verbesserungen  fähig, 
geht  wohl  klar  genug  aus  der  Art  meiner  bisherigen  Mit- 
theilungen und  meinem  Bestreben  hervor,  durch  Modification 
des  Trepans  die  Technik  zu  erleichtem.  Trotzdem  erschien 
es  mir  zweckmässig,  in  Ermangelung  einer  besseren  zunächst 
einmal  mit  ihr  in  einer  Anzahl  von  Fällen  keratoplastische 
Versuche  am  Menschen  anzustellen  und  die  dabei  gesam- 
melten Erfahrungen  zu  verO£fentlichen.  Dorch  Berück- 
sichtigung derselben  werden  spätere  Experimentatoren  sich 
vor  technischen  Fehlern  und  dadurch  bedingten  Misserfolgen 
schützen,  die  Derjenige  nicht  vermeiden  kann,  welcher  zuerst 
völlig  neue  Wege  betritt. 

Was  zunächst  die  Frage  anlangt,  welche  Fälle  über- 
haupt für  die  Transplantation  geeignet  sind,  so  glaubte  ich 
Anfangs  nur  solche  auswählen  zu  dürfen,  in  denen  es  sich 
um  ausgedehnte  und  dabei  nicht  durch  die  ganze  Dicke  der 


*)  R6caeü  d^opbtbalmologie  1886.    No.  12,  p.  727. 


Eine  Deae  Methode  der  Homhauttransplantation.         117 

Cornea  gehende,  nicht  adhärirende  Leucome  bandelte.  Die 
Tiefe,  bis  zu  welcher  die  Trabung  reicht,  mit  einiger  Sicher- 
heit zu  beurtheilen,  ist  nur  dann  möglich,  wenn  ein  peri- 
pherer Saum  der  Cornea  an  der  einen  oder  anderen  Seite 
soweit  transparent  geblieben  ist,  dass  man  mit  einer  starken 
Conyexlinse  einen  Lichtkegel  durch  ihn  hindurch  hinter  das 
Lencom  werfen  und  seinen  Band  im  durchfallenden  Lichte 
i)etrachten  kann.  Unbedingten  Schutz  vor  Irrthümem  ge- 
währt aber  auch  diese  Untersuchung  nicht,  da  die  Trübung 
in  den  verschiedenen  Partien  eines  Leucoms  oft  ungleich 
weit  in  die  Tiefe  dringt.  Ich  selbst  bin  mehrmals  unan- 
genehm überrascht  gewesen,  nach  Auspräparirung  des  tre- 
panirten  Stückes  in  der  Tiefe  der  Wunde  noch  eine  getrübte 
Homhautschicht  vorzufinden.  Der  Verlauf  eines  Falles,  über 
den  ich  bereits  in  Heidelberg  kurz  berichtete,  hat  indessen 
gelehrt,  dass  eine  sehr  bedeutende  Aufhellung  der  Trübung 
anter  dem  eingepflanzten  Lappen  zu  Stande  kommen  kann 
und  in  Folge  dessen  auch  die  bis  zur  Descemet 'sehen  Haut 
reichenden  Leucome  unter  Umständen  der  Keratoplastik  zu- 
gänglich sind.  Ob  man  stets  auf  einen  so  günstigen  Ver- 
lauf wird  rechnen  dürfen,  vermag  ich  vorläufig  nicht  zu 
sagen.  Erst  nmfangreichere  Erfahrungen,  als  mir  bisher  zu 
Gebot  stehen,  können  darüber  Aufschluss  geben.  —  Breite 
Adhäsionen  zwischen  Lencom  und  Iris  geben  keine  Gontra- 
indication  gegen  die  Transplantation,  wenn  die  vordere 
Kammer  nur  nicht  völlig  aufgehoben  ist;  es  dürfte  sich  da- 
her empfehlen,  die  Operation  bei  den  ziemlich  häufig  vor- 
kommenden, ausgedehnten,  aber  nicht  totalen  Leucomen  nach 
Ulcus  serpens  zu  versuchen,  bei  welchen  periphere  Iri- 
dectomien  erfahrungsgemäss  meist  sehr  unbefriedigende 
optische  Resultate  ergeben.  —  Nicht  immer  wird  es  möglich 
sein,  den  Lappen  im  Centrum  der  Hornhaut  einzupflanzen, 
aber  auch  bei  excentrischer  Lage  darf  man  auf  Erreichung 
eines  brauchbaren  Sehvermögens   hoffen,   wenn  man  nach 


118  A.  V.  Hippel. 

seiner  Einfaeilung  genau  unter  ihm  ein  Iriscolobom  anlegt. 
Völlig  unangreifbar  bleiben  nur  die  totalen  adhärirendeD 
und  die  prominirenden  Leucome,  bei  denen  das  Narben- 
gewebe  eine  erhebliche  Verdünnung  zeigt.  — 

Vor  AusfQhrung  einer  Transplantation  ist  es  zunächst 
nothwendig,  sich  ein  einigermassen  sicheres  ürtheil  über 
die  Dicke  der  leucomatOsen  Hornhaut  zu  bilden.  Dies 
gelingt  am  leichtesten  in  der  Art,  dass  man  nach 
Anästhesirung  des  Auges  durch  Cocain  dieselbe  in  der  für 
die  Operation  bestimmten  Region  mit  einem  feinen 
Kautschukspatel  unter  massigem  Druck  sorgfältig  abtastet* 
Jede  erheblichere  Verdünnung  der  Membran  manifestirt 
sich  durch  den  verminderten  Widerstand,  den  sie  dem 
Spatel  entgegensetzt.  In  den  von  mir  operirten  Fällen 
betrug  die  Dicke  derselben  ca.  1  mm.  Zur  Operation  be- 
diene ich  mich  des  auf  dem  letzten  Ophthalmologencongres» 
vorgezeigten  Trepans.*)  Derselbe  enthält  in  der  am  oberen 
Ende  befindlichen  Kapsel  ein  Uhrwerk,  welches  der  Krone 
eine  grosse  Zahl  von  sehr  schnellen  gleichmässigen  Um- 
drehungen giebt.  Ein  leiser  Druck  mit  dem  Zeigefinger 
auf  den  kleinen  Knopf  der  Kapsel  setzt  das  vorher  auf- 
gezogene Uhrwerk  in  Thätigkeit  und  die  Schneide  des 
Trepans  dringt  leicht  und  ohne  alle  Quetschung  des  Oe- 
webes  in  das  Leucom  ein.  Hebt  man  den  Finger  ab,  sa 
steht  die  Krone  in  demselben  Moment  still.  —  Zur  Ver- 
hütung einer  Perforation  der  Cornea  dienen  die  an  den 
Kronen  angebrachten,  verschiebbaren,  am  unteren  Bande 
0,5  mm  breiten  Hülsen,  welche  mittelst  einer  feinen 
Schraube  in  jeder  Höhe  oberhalb  der  Schneide  fixirt  werden 
können.  Ihre  genaue  Einstellung  ermöglicht  ein  dem 
Trepan  beigegebener  kleiner  Messapparat.   Derselbe  besteht 


*)  Zu  beziehen  durch  Liebrich's  Nachfolger  in  Giessen  zum 
Preise  von  40  Mark. 


Eine  neue|Methode  der  Hornhanttransplantation.         ]  19 

aiis  einem  von  einer  Metallhülse  umgebenen  Elfenbein- 
cylinder,  welcher  eine  in  0,25  und  0,5  mm  eingetheilte 
Scala  trägt.  Das  der  Scala  anliegende  Ende  der  Hülse 
läuft  ganz  dünn  aus,  um  eine  genaue  Ablesung  zu  gestatten, 
das  entgegengesetzte  verbreitert  sich  zu  einem  kleinen 
Ringe.  Wird  der  Apparat  auf  0  eingestellt,  so  fQllt  der 
Elfenbeincylinder  die  Hülse  vollständig  aus,  zieht  man  ihn 
auf  0,5  oder  0,75  zurück,  so  bildet  sich  innerhalb  des 
Ringes  ein  Raum  von  gleicher  Tiefe.  In  diesen  brmgt 
man  die  Krone  des  Trepans,  lässt  deren  vorher  gelockerte 
Hülse  bis  auf  den  Ring  heruntergleiten  und  fixirt  sie  in 
dieser  Stellung  durch  Anziehen  der  Schraube.  Hegt  man 
über  die  Dicke  des  Leucoms  Zweifel,  so  empfiehlt  sich  zur 
Verhütung  einer  Perforation  zunächst  eine  Einstellung  des 
Trepans  auf  0,75  mm;  erweist  es  sich  dann  nothwendig, 
die  Schneide  noch  tiefer  eindringen  zu  lassen,  so  macht 
eine  nachträgliche  Correctur  bei  der  Art  und  Form  der 
Wunde  keine  Schwierigkeit.  —  Nach  diesen  allgemeinen 
Bemerkungen  wende  ich  mich  zur  Besprechung  der 
Operation. 

I.  Act:  Die  Lider  werden  durch  einen  Elevateur  ge- 
Offiiet.  Beim  Aufsetzen  des  Trepans  hat  man  genau  darauf 
zu  achten,  dass  die  Schneide  völlig  senkrecht  auf  der  Ober- 
fläche des  Leucoms  steht;  denn  nur  dann  wird  die  Wunde 
überall  gleich  tief  und  erhält  verticale  Ränder.  Zu  dem 
Zwecke  rathe  ich,  den  Bulbus  mit  zwei  Pincetten  innen 
und  aussen  zu  fixiren,  damit  jede  Bewegung  möglichst 
sicher  ausgeschlossen  wird.  Die  Cocainanästhesie  gestattet 
ein  breites  Fassen  der  Conjunctiva;  vom  Chloroform  habe 
ich  nie  Gebranch  gemacht,  um  bei  der  subtilen  Operation 
nicht  durch  Erbrechen  gestört  zu  werden.  —  Unbedingt 
zu  vermeiden  ist  jeder  Druck  mit  dem  Trepan,  einmal 
wegen  der  dadurch  bedingten  Quetschung  des  Gewebes, 
dann  aber  auch  wegen  der  Möglichkeit  einer  Perforation, 


120  A.  V.  Hippel. 

die  unter  solchen  umständen  trotz  der  die  Schneide 
schützenden  Hülse  eintreten  kann.  Hinsichtlich  des  Durch- 
messers der  Trepankronen  empfehle  ich  üher  4,  höch- 
stens 4,5  mm  nicht  hinauszugehen,  denn  mit  der  zu- 
nehmenden Grösse  des  I^appens  yerringem  sich  die 
Chancen  füi  glatte  Einheilung  und  Erhaltung  der  Trans- 
parenz, ausserdem  ergeben  sich  aber  auch  leicht  Schwierig- 
keiten, denselben  in  den  Defect  im  Leucom  einzulegen, 
weil  die  zurückgelassene  Descemet'sche  Haut  bei  zu  grossem 
Durchmesser  der  Wunde  durch  den  intraocularen  Druck 
im  Centrum  vorgewölbt  werden  kann.  —  Mit  der  aus- 
reichend tiefen  Umschneidung  des  zu  entfernenden  Leucom- 
stückes ist  der  erste  Act  der  Operation  beendigt.  Immer 
erfolgt  nun  aus  den  durchschnittenen  Geissen  —  auch 
bei  kaum  sichtbarer  Vascularisation  des  Leucoms  —  eine 
mehr  weniger  starke  Blutung,  die  am  besten  durch  Auf- 
drucken kleiner,  in  Sublimatlosung  getauchter,  auf  Eis  ab- 
gekühlter Wattebäuschchen  auf  die  Wunde  zum  Stehen 
gebracht  wird.  Nur  ausnahmsweise  ist  Entfernung  des 
Elevateurs  und  längere  Compression  erforderlich. 

Im  II.  Act  handelt  es  sich  um  das  Auspräpariren 
des  umschnittenen  Stückes  und  dies  ist  entschieden  der 
subtilste  Theil  der  Operation.  Ich  bediene  mich  dazu 
einer  etwas  stärker  gearbeiteten  geraden  Irispincette  mit 
scharfen  Zähnen  und  eines  Graefe*  sehen  Messers.  Am 
rechten  Auge  operire  ich  hinter  dem  Kranken  stehend  und 
präparire  den  Lappen  von  oben  nach  unten  ab,  am  linken 
verfahre  ich  umgekehrt,  um  in  der  Führung  der  Instrumente 
durch  die  Nase  des  Kranken  nicht  behindert  zu  werden. 
Das  Fassen  des  umschnittenen  Leucomstückes  wird  dadurch 
erleichtert,  dass  seine  Ränder  sich  von  der  Umgebung 
etwas  retrahiren.  Wichtig  ist  es,  die  eine  Branche  der 
Pineette  sofort  bis  in  den  Grund  der  Wunde  vorzuschieben, 
damit     beim    Schliessen     derselben     der    Rand     des     zu 


Eine  nene  Methode  der  Hornhaattransplantation.         121 

excidirenden  Lappens  in  seiner  ganzen  Dicke  ein  wenig 
nach  vorn  gezogen  und  das  Messer  in  der  richtigen  Tiefe 
eingesetzt  werden  kann,  unter  möglichst  gleichmässiger, 
dabei  aber  ziemlich  kräftiger  Anspannung  des  Lappens 
führt  man  die  Spitze  des  Messers  mit  langsamem  Zuge 
?on  der  einen  Seite  zur  anderen  der  mit  dem  Trepan  an- 
gelegten Wunde  und  präparirt  jenen  so  allmälig  völlig 
aus.  Selbstverständlich  wird  es  niemals  gelingen,  hierbei 
in  mathematischem  Sinne  genau  in  einer  Ebene  zu  bleiben 
und  eine  absolut  glatte  Wundfläche  in  der  Tiefe  zu  er- 
halten, bei  einiger  üebung  kann  man  es  aber  dahin  bringen,  an- 
nähernd dieser  Anforderung  zu  genügen,  weil  sich  das  Gor- 
nealgewebe  bekanntlich  leicht  in  Lamellen  spalten  lässt.  Eine 
derartige  Beschaffenheit  der  Wunde  reicht  aber  nach  meinen 
Erfahrungen  aus,  um  die  Einheilung  eines  Stückes  Kaninchen- 
homhaut  mit  Erhaltung  seiner  Transperenz  zu  ermöglichen. 
Die  theoretische  Voraussetzung  von  Boucher"*"),  dass  es 
unter  solchen  Umständen  zu  Lymphansammlungen  zwischen 
den  Unebenheiten  des  Wundgrundes  und  dem  eingepflanzten 
Lappen  kommen  müsse,  die  zu  interstitieller  Keratitis 
und  Trübung  desselben  führe,  wird  also  durch  die  That- 
sachen  widerlegt.  —  Sehr  erschwert  wird  das  Auspräpariren 
der  zu  entfernenden  Leucomschichten  durch  die  stets  dabei 
eintretende,  mehr  minder  starke  Blutung  aus  den  durch- 
schnittenen Gefässen,  die  das  kleine  Operations terrain  rasch 
Oberschwemmt.  Man  kann  sie  dadurch  weniger  stOrend 
machen,  dass  ein  Assistent  mit  einem  in  Sublimatlosung 
angefeuchteten,  auf  Eis  gekühlten  Watteröllchen  nach  jedem 
Schnitt  das  Blut  abtupft.  Zuweilen  wird  man  aber  zu  einer 
Unterbrechung  der  Operation  und  Anwendung  längerer 
Compression  gezwungen.  —  Nach  beendigter  Excision 
sollen   die  Bänder   des  Defects  im  Leucom  überall  gleich 

•)  l.  c.  p.  732. 


122  A.  V.  Hippel. 

hoch  sein  und  senkrecht  gegen  den  Gmnd  abfallen,  der 
von  der  Descemet'schen  Haut  and  einer  möglichst  dünnen 
darüber  liegenden  Homhautschicht  gebildet  wird.  Erstere 
ganz  allein  znrückzulassen,  halte  ich  technisch  fOr  un- 
ausfahrbar,  selbst  wenn  wir  den  von  Boucher  verlangten 
Trepan  schon  bes&ssen;  meine  früheren  Bemerkungen  über 
Excision  des  Leucoms  mit  Erhaltung  der  Descemet^schen 
Haut  sind  daher  auch  cum  grano  salis  aufzufassen.  — 
Zeigt  sich  im  Grunde  der  Wunde  noch  an  der  einen  oder 
anderen  Stelle  etwas  getrübtes  Gewebe,  so  warne  ich  vor 
dem  nahe  liegenden  Versuch,  dieses  noch  nachträglich  ent- 
fernen zu  wollen.  Er  gelingt  nie,  sondern  man  perforirt 
nur  die  Cornea.  —  Derartige  Trübungen  sind,  wie  ich 
schon  oben  bemerkt  habe,  unter  Umständen  spontaner  Auf- 
hellung fähig  und  machen  darum  nicht  unbedingt  die 
Prognose  ungünstig;  ebensowenig  sind  die  in  der  stehen 
gebliebenen  Homhautschicht  in  der  Begel  vorhandenen  Ge- 
fasse  besonders  zu  fürchten,  sie  bildeten  sich  in  zwei 
von  mir  beobachteten  Fällen  fast  vOUig  zurück. 

Nach  Beendigung  des  zweiten  Actes  wird  das  Auge 
mit  lauer  Sublimatlösung  (1:5000)  überrieselt,  geschlossen 
und  sanft  comprimirt,  um  die  Blutung  aus  den  Gef&ssen 
des  Leucoms  vOlüg  zum  Stehen  zu  bringen. 

III.  Act :  Mit  demselben  Trepan  excidirt  man  nun  ein 
Stück  aus  der  Cornea  eines  Kaninchens,  dessen  Auge  vorher 
durch  Cocain  anästhesirt  worden.  Wenn  möglich,  benutze 
man  ein  junges  Thier,  da  dessen  dünnere  Hornhaut  sich  in 
den  Defect  besser  einfügt,  als  die  dickere  eines  alteren. 
Die  an  der  Krone  befestigte  Hülse  wird  auf  1,5 — 2  mm 
zurückgeschoben,  damit  die  Schneide  tiefer  in  das  Auge 
eindringen  und  die  ganze  Dicke  der  Hornhaut  durcbtrennen 
kann.  Diese  Excision  ohne  Quetschung  des  Lappens  zu 
bewerkstelligen,  ist  schwerer  als  man  a  priori  glaubt,  weil 
bei  der  starken  Wölbung  der  Kaninchen-Comea  der  Trepan 


Eine  neue  Methode  der  Hornhauttrausplantation.         123 

sehr  leicht  nicht  ganz   senkrecht  aufgesetzt  wird  und  in 
Folge  dessen  an  einer  Seite  früher  durchschneidet  als  an 
der  anderen.     Dann    schiebt   sich   der   Lappsn   unter   der 
schnell  rotirenden  Krone   zusammen,   legt   sich  in  Falten 
and  ist  unbrauchbar.    Diese  unangenehme  Erfahrung  wird 
Jeder  machen,  der  es  versucht,  die  Excision  unter  einfacher 
Fiiation  des  Eaninchenauges  mittelst  Pincetten  auszuführen^ 
weil  dasselbe  dabei  doch  ausweichen  kann.     Sicher  ruhig 
gestellt   wird   es   dagegen,    wenn   man   einen   Schielhaken 
hmter  den  Bulbus   schiebt  und   ihn   fest  gegen  die  Lider 
drängt  oder  ihn   vollständig   aus   der  Orbita   luxirt.    Ich 
ziehe  nach  länger  fortgesetzten  Versuchen  das  erste  Ver- 
fahren  vor,    weil    die   Spannung    des   Augapfels   bei    der 
totalen  Luxation    so   vermehrt  ist,   dass  mir   die  gleich- 
massige  Excision   dadurch   erschwert   zu   werden   scheint 
Vielleicht   wäre   es   noch  bequemer,   den  Bulbus   zu   enu- 
cleiren,  ihn  in  ein  passendes  Schälchen  zu  legen  und  dann 
zu  trepaniren,   indessen  kann  ich  darüber  aus  eigener  Er- 
fahrung  bisher  noch   nichts  sagen.  —   Der  Trepan  muss 
ohne  Druck  aufgesetzt  und   das  Eindringen   der  Schneide 
von    der    Seite    her    mit    den    Augen    controlirt    werden. 
Bleibt  nur  eine  ganz  schmale  Brücke  stehen,  so  kann  man 
dieselbe  nachträglich  mit  einer  feinen  Scheere  durchtrennen, 
muss   sich   dabei  aber  vor  Verletzung  der  Innenfläche  des 
Lappens  und  vor  Quetschung  seines  Bandes  hüten.    Ist  die 
Trepanation   probemässig    ausgefallen,    so    erscheint    der 
Lappen   bis   zum   Bande   völlig  durchsichtig,    sein  Epithel 
ganz  glatt.    Zuweilen  haftet  seiner  Hinterfläche  ein  wenig 
Irispigment   an,   das   mit  0,6  procentiger   sterilisirter,   er- 
wärmter Kochsalzlösung  abgespült  werden  muss,  bevor  man 
ihn   mittelst   eines  Eautschuckspatels  auf  das  menschliche 
Auge  überträgt. 

Im  IV.  Act  der  Operation  handelt  es  sich  um  die  Ein- 
legung der  Kaninchenhomhaut  in  den  Defect  des  Leucoms. 


124  A.  T.  Hippel 

Ein  Elevatear  ist  dabei  entbehrlich.  Nach  Eröffnung  der 
Lider  durch  einen  Assistenten  überzeuge  man  sich  zunächst 
davon,  ob  die  Blutung  aus  den  durchschnittenen  Geftssen 
YoUständig  steht.  Ist  es  der  Fall,  so  lege  man  den  Lappen 
neben  die  Wunde  auf  die  Oberfläche  des  Leucoros  und 
schiebe  ihn  langsam  über  den  Band  des  Defects  in  diesen 
hinein,  sodass  keine  Luftblase  zwischen  ihn  und  die  zurück- 
gelassene Hornhautschicht  treten  kann.  Schliesslich  drücke 
man  ihn  mit  dem  Spatel  sanft  gegen  den  Grund  der  Wunde, 
damit  er  sich  in  der  Tiefe  überall  glatt  anlegt.  Je  nach 
der  Dicke  des  excidirten  Leucomstückes  und  der  Kaninchen- 
Cornea  reicht  die  Oberfläche  des  Lappens  mehr  minder  genau 
bis  zum  Niveau  der  angrenzenden  Hornhaut.  Bleibt  sie  ein 
wenig  unter  demselben,  so  ist  das  für  den  Heilungsverlauf 
gleichgiltig,  überragt  dagegen  der  Lappen  den  Leucomrand 
so  verschiebt  er  sich  leicht  und  stOsst  sich  entweder  nach 
einiger  Zeit  ab  oder  wird  trübe. 

Nachdem  das  transplantirte  Stück  in  die  richtige  Lage 
gebracht  worden,  bestreue  man  es  dünn  mit  Jodoform, 
schliesse  die  Lider,  indem  man  das  obere  an  den  Cilien 
vorsichtig  über  den  Lappen  hin  weghebt,  um  ihn  nicht  zu 
verschieben  und  stelle  beide  Augen  mittelst  eines  festen 
Druck  Verbandes  von  appretirten  Gazebinden  ruhig,  der 
2 — 3  Tage  liegen  bleibt.  Vom  3.  Tage  ab  wird  der  Ver- 
band alle  24  Stunden  gewechselt,  am  6.  lasse  ich  das  nicht 
operirte  Auge  frei  und  gestatte  dem  Patienten,  das  Bett  zu 
verlassen;  vom  8.  bis  10.  Tage  ab  kann  auch  das  trans- 
plantirte o£fen  bleiben,  wenn  jede  Injection  geschwunden  ist. 

An  die  Beschreibung  der  Operation  schliesse  ich  gleich 
die  Schilderung  der  dabei  möglichen  übelen  Zufälle: 

Bei  ungleichmässiger  Dicke  des  Leucoms  oder  zu  tiefer 
Einstellung  des  Trepans  kann  man  an  der  einen  oder  anderen 
Stelle  die  Descemet'sche  Haut  perforiren.  Dann  sickert 
der  Humor  aquens  durch,   die   vordere  Kammer  wird  auf- 


Eine  neue  Methode  der  Hornhauttransplantation.         125 

gehoben  und  die  Fortsetzung  der  Operation  muss  zunächst 
aufgegeben  werden.  Nach  Ablauf  von  4—6  Wochen  ist  die 
Wunde  ausreichend  fest  vernarbt  und  man  kann  ohne  Be- 
denken an  derselben  Stelle  nochmals  operiren.  —  Dringt 
man  nicht  auf  mindestens  0,75  mm  mit  dem  Trepan  in  das 
Leocom  ein,  so  gewahren  die  Bänder  des  Defects  dem  Lappen 
keinen  Halt,  ein  zu  seichter  Schnitt  muss  daher  durch  noch- 
maliges Aufsetzen  des  Instruments  corrigirt  werden.  — 
Nicht  wieder  gut  zu  machen  ist  ein,  durch  schiefes  Auf- 
setzen des  Trepans  verschuldeter  übeler  Zufall;  er  hat  die 
Folge,  dass  die  Wundränder  nicht  senkrecht,  sondern  schräg 
abfallen,  die  Wunde  auf  einer  Seite  tiefer  als  auf  der  anderen 
wird  und  das  umschnittene  Stück  des  Leucoms  sich  nicht 
glatt  auspräpariren  lässt  Bemerkt  man  den  Fehler  recht- 
zeitig, so  versuche  man  nicht  die  Operation  fortzusetzen 
sondern  lasse  die  Wunde  heilen. 

Eine  Quetschung  der  Wundränder,  die  ich  nicht  selten 
beobachtete,  so  lange  ich  noch  den  alten  Trepan  benutzte, 
lässt  sich  bei  dem  neuen  leicht  vermeiden.  Zu  achten  hat 
man  aber  auch  darauf,  dass  man  ihn  nicht  zu  lose  aufsetzt, 
weil  bei  der  schnellen  Umdrehung  der  Krone  die  Schneide 
sich  sonst  auf  dem  Leucom  verschiebt  und  die  Wunde  uu- 
regelmässig  wird. 

Beim  Auspräpariren  des  umschnittenen  Stückes  kann 
es  geschehen,  dass  man  die  Pincette  zu  flach  anlegt  und 
eine  zu  dicke  Schicht  des  Corneaige  wehes  auf  der  Des- 
cemet *8chen  Haut  zurücklässt.  Diesen  Fehler  kann  man 
schwer  wieder  gut  machen,  denn  die  nachträgliche  Entfer- 
nung derselben  in  einem  Stücke  gelingt  nur  ausnahms- 
weise, der  Grund  der  Wunde  wird  ganz  uneben  und  leicht 
kommt  es  dabei  zur  Perforation  der  Cornea.  Es  bleibt 
dann  eben  nichts  übrig,  als  auf  die  Transplantation  zu  ver- 
zichten und  das  Auge  unter  Verband  zu  lassen,  bis  der 
Sobstanzverlust  im  Leucom  sich  durch  neugebildetes  Binde- 


126  ^  ▼-  HippeL 

gewebe  geschlossen  hat.  —  Peifoiirt  man  dagegen,  während 
man  in  der  richtigen  Tiefe  pr&parirt,  die  Descemet'sche 
Haut  an  einer  kleinen  Stelle,  so  kann  man  trotz  des  Ver- 
lustes des  Humor  aquens  die  Operation  vollenden.  In  beiden 
Fällen,  in  welchen  mir  dieser  übele  Zufall  passirte,  schloss 
sich  der  kleine  Defect  rasch  und  die  vordere  Kammer  stellte 
sich  wieder  her. 

Bei  ungeschickter  Führung  des  Messers  kOnnen  in  der 
Tiefe  nahe  den  Rändern  kleine  Partikelchen  des  Leucom- 
gewebes stehen  bleiben,  sodass  die  Wunde  dann  nach  unten 
trichterffirmig  wird.  Dies  ist  höchst  ungünstig,  weil  deren 
nachträgliche  Entfernung  nicht  gelingt  und  der  Lappen  sich 
so  nicht  glatt  anlegen  kann. 

Der  lästigen  Blutungen  aus  den  durchschnittenen  Ge- 
fassen  des  Leucoms  habe  ich  schon  oben  gedacht;  sie  fehlen 
nie  beim  Auspräpariren  des  Lappens,  treten  aber  auch  zu- 
weilen nochmals  im  letzten  Act  der  Operation  ein,  wenn 
man  das  Stück  Eaninchenhomhaut  in  den  Defect  einlegt. 
Einmal  musste  ich  dasselbe  in  Folge  dessen  wieder  heraus- 
heben, in  Kochsalzlösung  abspülen  und  V«  Stunde  lang  auf 
der  CoDJunctiva  liegen  lassen,  bis  die  Blutung  endlich  stand, 
trotzdem  heilte  es  ein  und  blieb  transparent 

Einer  weiteren  Schwierigkeit  begegnet  man  mitunter 
noch  im  letzten  Act,  die  darin  besteht,  dass  bei  hohem 
intraocularem  Druck  oder  grosser  Dünnheit  der  zurück- 
gelassenen hintersten  Hornhautschicht  der  Grund  des  Defects 
sich  verwOlbt  und  der  transplantirte  Lappen  nun>  keinen 
Halt  findet,  sondern  sich  bei  der  leisesten  Bewegung  des 
Auges  verschiebt.  In  diesen  Fällen  empfiehlt  sich  die 
Punktion  der  vorderen  Kammer;  die  vorübergehende  Herab- 
setzung des  Druckes  genügt,  um  das  Einlegen  der  Eaninchen- 
homhaut in  die  Wunde  zu  gestatten  und  die  Yerklebung 
mit  dem  Grunde  erfolgt  sehr  schnelL 

Zum  Schluss  gebe  ich  noch  eine  kurze  Schilderung 


Eine  neae  Methode  der  Hornhanttransplantation.         127 

des  Heilungsverlanfes  auf  Grund  der  Beobachtang 
Yon  acht  nach  meiner  Methode  operirten  Fällen  und 
bemerke  dabei,  dass  mir  nur  in  der  Hälfte  die  Operation 
gelungen  ist.  Dreimal  wurde  der  Misserfolg  durch  tech- 
nische Fehler  von  meiner  Seite  verschuldet,  die  sich  bei 
längerer  Uebung  in  Zukunft  immer  mehr  werden  vermeiden 
lassen,  einmal  durch  höchst  unverständiges  Verhalten  der 
Patientin  nach  der  Operation.  —  Untersucht  man  bei 
glattem  Verlauf  der  Transplantation  das  Auge  nach 
24  Stunden,  so  findet  man  geringe  conjunctivale  und 
ciliare  Injection,  das  Leucom  von  zahlreichen  vorher  kaum 
oder  gar  nicht  sichtbaren  Gefässen  durchzogen,  die  zum 
grossen  Theil  gegen  den  Band  des  Defects  hinstreben. 
Dieser  zeigt  in  der  Breite  von  1 — 2  mm  die  Symptome 
einer  leichten  traumatischen  Keratitis,  ist  weissgrau  ver- 
ftrbt  und  überragt  den  eingepflanzten  Lappen  etwas,  von 
dem  er  rund  herum  durch  eine  schmale  Furche  getrennt 
ist.  Der  Lappen  erscheint  entweder  völlig  transparent 
oder  bietet  eine  ganz  geringe  rauchige  Trübung  dar,  die 
sich  im  Laufe  weniger  Tage  verliert,  sein  Epithel  ist  glatt 
und  spiegelnd.  Die  zurückgelassene  Hornhautschicht 
reflectirt  an  der  Berührungsfläche  mit  der  Eaninchen- 
Cornea  das  Licht  stärker;  irgend  welche  Veränderungen  in 
ihr  selbst  bemerkt  man  nur  dann,  wenn  sie  Gefässe  ent- 
hält: diese  sind  dann  wie  alle  anderen  im  Leucom  er- 
weitert und  durch  den  Lappen  hindurch  deutlich  sichtbar. 
Im  Laufe  der  ersten  Woche  pflegt  sich  die  Injection 
des  Bulbus  gänzlich  zu  verlieren,  die  Schwellung  des 
Leucomwnndrandes  geht  unter  massiger  Vascularisation 
zurück  und  zugleich  fallt  sich  allmälich  die  Rinne  zwischen 
diesem  und  dem  Lappen  aus,  indem  zuerst  an  einzelnen 
Stellen,  bald  aber  rund  herum  das  Epithel  vom  Leucom 
auf  den  Lappen  sich  herüberschiebt.  Zu  einer  Vascularisation 
oder  Aufquellung  des  letzteren  konunt  es  nicht,   dagegen 


128  A.  V.  Hippel. 

traten  zweimal  in  der  zweiten  Woche  minimale  Infiltrate 
an  seinen  Itftndem  anf,  über  welchen  sich  das  Epithel  ab- 
stiess.  Dieselben  verschwanden  in  2 — 3  Tagen  spurlos 
ohne  Hinterlassung  von  Trübungen. 

Mit  Ablauf  der  dritten  Woche  scheint  die  Einheilung^ 
des  Lappens,  soweit  man  es  makroskopisch  beurtheilen  kann, 
eine  definitive  zu  sein,  wenigstens  habe  ich  von  diesem 
Zeitpunkt  an  bei  der  Patientin,  welche  ich  in  Heidelberg' 
vorstellte,  keinerlei  Veränderungen  am  Auge  mehr  wahr- 
nehmen können.  Die  transplantirte  Cornea  lag  mit  den 
angrenzenden  Theilen  in  einer  Ebene,  das  Epithel  zog  ohne 
Unterbrechung  über  sie  hinweg,  das  Sehvermögen  war  vod 
Fingerzählen  in  2  m  auf  S  >  *72oo  gestiegen.  Diesen 
idealen  Heiluugsverlauf  hat  man  nach  meinen  bisherigea 
Erfahrungen  nur  dann  zu  erwarten,  wenn  das  Leucom  sieb 
nicht  durch  die  ganze  Dicke  der  Hornhaut  erstreckt  und 
die  zurückgelassene  Schicht  transparent  und  wenig  vascu- 
larisirt  ist 

Muss  man  getrübte  Homhautsubstanz  stehen  lassen, 
so  dauert  es  viel  länger,  bis  die  auf  die  Transplantation 
folgenden  Veränderungen  am  Auge  ablaufen.  Der  Lappen 
heilt  zwar  ebenso  rasch  ein  und  bleibt  durchsichtig,  allein 
trotzdem  erscheinen  diese  Fälle  Anfangs  aussichtslos,  denn 
die  Trübung  hinter  demselben  steigert  sich  in  der  ersten 
Woche  nach  der  Operation  noch  erheblich  und  zahlreiche 
feine  Gefässe  schieben  sich  vom  Wundrand  des  Leucom? 
aus  in  die  zurückgelassene  Schicht  hinein,  so  dass  dieselbe 
zuweilen  intensiv  roth  gefärbt  und  absolut  undurchsichtig^ 
ist.  —  In  einem  derartigen  Fall  begann  erst  am  Ende  der 
dritten  Woche  die  Vascularisation  abzunehmen  und  die 
Trübung  sich  etwas  aufzuhellen,  am  Ende  der  vierten 
zählte  Patientin  Finger  in  4  m  (vor  der  Operation  in 
3  m),  in  der  siebenten  waren  die  Gefässe  selbst  mit  einer 
Loupe   nur  eben  noch   sichtbar,   die  Trübung  viel  lichter 


Eine  neue  Methode  der  Hornhaattransplantatlon.        129 

nnd  S  betrag  ^/soo.  Leider  liess  sich  Patientin  nicht 
länger  in  der  Klinik  halten,  so  dass  ich  vorläufig  ausser 
Stande  bin,  zu  sagen,  wie  lange  Zeit  solche  Fälle  der 
üeberwachung  bedürfen,  wenn  man  ein  möglichst  gnnstiges 
Resultat  erreichen  will.  Soviel  geht  aber  aus  dem  Mit- 
getheilten  bereits  mit  Sicherheit  hervor,  dass  selbst  bei 
Leucomen,  welche  die  ganze  Dicke  der  Cornea  einnehmen, 
die  Transplantation  eine  erhebliche  Verbesserung  des  Seh- 
vermögens herbeiftlhren  kann. 

Erhält  in  Folge  technischer  Fehler  bei  der  Operation 
die  Wunde  im  Leucom  nicht  die  ausreichende  Tiefe  oder 
fallen  ihre  Ränder  nicht  senkrecht  ab,  so  verschiebt  sich 
der  transplantirte  Lappen  selbst  unter  festem  Verband  und 
findet  sich  dann  beim  ersten  Verbandwechsel  getrfibt  und 
stark  gequollen  im  Gonjunctivalsack.  Die  Beaction  am 
Auge  ist  darum  nicht  im  mindesten  stärker;  unter  massiger 
coDJunctivaler  und  ciliarer  Injection  kommt  es  zu  lebhafter 
Vascularisation  des  Leucomwundrandes ,  feine  Gef&sse 
schieben  sich  in  den  Defect  hinein  und  dieser  fallt  sich 
im  Laufe  von  8 — 14  Tagen  mit  neu  gebildetem  Binde- 
gewebe aus,  wesches  in  allen  vier  von  mir  beobachteten 
derartigen  Fallen  erheblich  durchsichtiger  blieb,  als  das 
excidirte  Leucom.  Eine  Ectasie  der  Cornea  trat  in  keinem 
eio,  die  Patienten  konnten  bereits  am  Ende  der  zweiten 
Woche  mit  reizlosem  Auge  aus  der  Klinik  entlassen 
werden. 

Aus  diesen  Mittheilungen  ziehe  ich  folgende  Schlüsse: 

i.  Die  Ausführbarkeit  der  Homhauttransplantation 
flach  meiner  Methode  mit  daiiemder  ErhaUung 
der  Transparenis  des  Lappens  und  Ersielung 
eines  ausreichenden  Sehvermögens  ist  unwiderleglich 
bewiesen. 

2.  Selbst  bei  Leucomen^  welche  die  gange  Dicke  der 

V.  Graefe'a  Archiv  fOr  Ophtbalmologie,  XXXIV.  1.  9 


130  A.  V.     Hippel. 

Cornea  einnehmen,   kann  die  Transplantation  mit 
Aussicht  auf  Erfolg  versucht  werden. 

3.  Unangreißar  sind  die  totalen  adhärirenden  und 
die  prominirenden  Leucome. 

.  4.  Die  Operation  ist  völlig  ungefährlich  und  mit  sehr 
geringen  Beschwerden  für  den  Patienten  verbunden, 
sie  darf  daher  in  aUen  Fällen  ausgeführt  werden, 
in  welchen  man  auch  nur  mit  einiger  Wahr^ 
scheinlichJceit  auf  einen  Erfolg  rechnen  kann. 

Oiesscn,  den  12.  Janaar  1888. 


Experimentelle  Studie  über  die  Förster'sohe 
HatmatioiL  der  Gataraot. 


Von 


Dr.  Otto  Scbirmer, 
Assistenzarzt  an  der  Uniyersitäts- Augenklinik  zu  Gtöttingen. 

Hierzu  Taf.  II— V.  Fig.  1—16. 


Von  den  Methoden,  welche  zur  kanstlichen  Reifung  der 
Cataract  ersonnen  wurden,  sind  zwei,  die  Incision  des  vor- 
deren Kapsel  und  die  präparatorische  Iridectomie  schon  seit 
längerer  Zeit  in  Gebranch;  erstere  hat  sich  sogar  für  gewisse 
Cataractformen  ein  bisher  unbestrittenes  Bürgerrecht  erworben. 
Fflr  die  häufigste  der  Staararten,  für  die  senile  Cataract, 
leisten  jedoch  beide  nicht  besonders  viel.  Die  von  Förster 
erdachte  Cortextritur  in  Verbindung  mit  einer  Iridectomie 
bot  deshalb  willkommenen  Ersatz  für  die  beiden  und  hat 
sich  schnell  einen  grossen  Theil  der  Ophthalmologen  zu 
Anhängern  erworben. 

Nichtsdestoweniger  herrscht  noch  grosse  Meinungsver- 

Bchiedenheit,   einmal  über  die  Staararten,   bei  welchen  sie 

sich  besonders  wirksam  erweist,   dann  aber  auch   über  die 

Art   ihrer  Wirkung    auf    die    Linsensubstanz.     Während 

9* 


132  0.  Schinner. 

z.  B.  Förster*)  selbst  eine  mechanische  Zertrflmoierung  der 
zwischen  Kapsel  nnd  Kern  gelegenen  Linsenschichten  als 
die  Hauptsache  annimmt,  istSamelsohn*'^)  geneigt,  „einer 
veränderten  SaftstrOmung  nnd  dadurch  bewirkten  Emäh- 
mngsstömng"  den  Hauptantheil  an  dem  Effect  znza* 
schreiben;  Helfreich***)  wiederum  sucht  in  einer  mecha* 
nischen  Verschiebung  der  einzelnen  Linsenschichten  an  ein- 
ander  den  Orund  fQr  die  eintretende  Trübung.  Eine  sichere 
Basis  zur  Entscheidung  dieser  Frage  lässt  sich  nur  durch 
das  Experiment  gewinnen.  Leider  stehen  cataractOse  Augen 
nur  in  seltenen  Ausnahmen  zu  Gebote.  Man  muss  sieb 
deshalb  damit  begnügen,  an  klaren  Linsen  zu  experimen-* 
tiren  und  die  Besultate  auf  staarig  getrübte  zu  übertragen 
suchen. 

Dass  dieser  Weg  bisher  so  selten  eingeschlagen  wurde, 
liegt  wohl  zum  Theil  an  der  zuerst  von  Förster f)  aus^ 
gesprochenen  Behauptung,  dass  die  Gortextritur  an  klaren 
Linsen  überhaupt  keine  Trübung  hervorrufe.  Er  postulirt 
sogar,  dass  speciell  im  vorderen  Cortex  bereits  Trübung, 
„wenn  auch  sehr  peripherisch  liegend'*,  vorhanden  sei,  der 
Zerfall  der  Fasern  hier  also  schon  begonnen  habe.  Dieser 
Ausspruch  wurde  spater  vonOettingerft)  bestätigt.  Der- 
selbe hat  an  10  klaren  Eaninchenlinsen  mit  und  ohne  Iri* 
dectomie  die  Tritur  ausgeführt,  aber  trotz  Anwendung  der 
verschiedensten  Druckstarken  in  keinem  Falle  eine  Trübung- 
erzielt.  In  directem  Widerspruch  hiermit  steht  die  von 
ihm  citirte  Beobachtung  Prof.  Meyer' s,  der  an  normalen 


*)  Ueber  Reife  des  Staars,  künstliche  Reifong  n.  s.  w.  Knapp» 
Archiv  f.  Augenbeilkonde.    Bd.  XII,  p.  10. 

**)  Förster,  Ueber  künstliche  Reifung  des  Staars.   Discussion. 
Zehenders  klin.  Monatshefte  1881.    Beilagehefr,  p.  133. 

***)  Ueber  künstliche  Reifung  des  Staars.    Sitzungsbericht  der 
Würzburger  phys.-med.  Gesellschaft  1884,  p.  115. 
t)  Knapps  Archiv  Bd.  XII,  p.  10. 
ft)  Ueber  k&isüiche  Reifung  des  Staars.  Inauguraldissertation. 
Breslau  1885. 


Studie  ttber  die  POrater'sche  Matnration  der  Cataract.     133 

Eaninchenlinsen  schon  einige  Tage  nach  der  Tritar  Oorti- 
<saltrabang  constatiren  konnte.  Mittheilungen  über  einen 
ähnlichen  Versach  habe  ich  durch  gütige  Yermittelung 
Geheimrath  Lebers  von  Prof.  Volckers  erhalten,  welchem 
ich  hierfür  meinen  ergebensten  Dank  si^e.  Prof.  VOlckers 
beobachtete  in  4  Fällen  Cataract,  die  sich  nach  Contusion 
des  Bulbus  durch  den  Schlag  einer  Peitsche  oder  eines 
Euhschwanzes  in  kurzer  Zeit  gebildet  hatte;  Linsenkapsel 
ond  Cornea  waren  intact.  Er  nimmt  an,  dass  einer  von 
den  Knoten  der  Peitsche  oder  von  den  harten  EothknoUen, 
welche  sich  oft  in  den  langen  Haaren  des  Euhschwanzes 
finden,  die  Cornea  eingebogen  und  die  Linse  gequetscht  habe, 
um  experimentell  diese  Möglichkeit  nachzuweisen,  schlug 
er  mit  einem  Percussionshammer  en  miniature  oder  schoss 
«r  mit  einer  kleinen  Zimmerpistole  gegen  die  Cornea  des 
gut  fixirten  Eaninchenauges.  Wenn  der  Versuch  gelungen 
war,  fand  er  die  vordere  Corticalschicht  mehr  oder  minder 
gequetscht,  oft  sternförmige  Figuren,  ähnliches  fand  er  zu- 
weilen an  der  hinteren  Corticalis.  Leichte  Trübungen  dieser 
Art  verschwanden  im  Laufe  von  Tagen  oder  Wochen,  andere 
blieben  als  grauweisse  Sterne,  führten  aber  niemals  zur  totalen 
Linsentrübung.  Selbstverständlich  ist,  dass  alle  gelungenen 
Experimente  intacte  Cornea  und  Eapsel   zeigen  mussten. 

Schliesslich  sind  noch  die  Versuche  von  Hess*)  hier 
anzuführen,  welche  derselbe  gelegentlich  der  Besprechung 
der  Naphthalincataract  kurz  erwähnt.  Hess,  der  3—^  Mi- 
nuten hindurch  massirte,  erhielt  in  allen  Fällen  Totalcataract; 
nur  einmal  beobachtete  er  leichte  Trübung  der  vorderen 
Corticalis  allein,  welche  nach  2  Tagen  wieder  verschwand. 

In  meinen  Experimenten  habe  ich  mich  streng  an  die 
FOrster'sche  Vorschrift  gehalten,  nur  liess  ich  die  Lri- 
dectomie  fort.    Der  Grund  hierfür  war  der,  dass  ich  die 


*)  Ueber  Kaphthalinverandeningen  im  Kaninchenaage  und 
tber  die  Massagecataract.  Bericht  über  die  19.  Versammlang  der 
Ophthalm.  Ges.  1887. 


134  0.  Schinner. 

reine  Wirkung  der  Tritur  beobachten  and  jede  Neben- 
wirkung, welche  möglicherweise  von  Seiten  der  Iris  hätte 
kommen  können,  ausscbliessen  Wollte.  Auch  zeigt  sich  ja  öfters 
die  Massage  nach  erfolglos  Torausgeschickter  Iridectomie  wirk- 
sam, so  dass  man  letzterer  jedenfalls  keine  wesentliche  Be- 
deutung zuschreiben  kann ;  und  in  den  FSllen,  wo  die  einfache 
Iridectomie  maturirend  wirkt,  möchte  ich  den  Hauptantheil 
am  Erfolge  für  die  Paracentese  und  das  dadurch  bedingte 
Yorrficken  des  Linsensystems  in  Anspruch  nehmen.  Die 
Operation,  die  ich  ausführte,  bestand  demnach  in  einer  Pa- 
racentese und  der  Tritur.  Behufs  letzterer  fQhrte  ich  unter 
nicht  zu  schwachem  Druck  eine  kreisförmig  reibende  Be-^ 
wegung  auf  der  Cornea  aus  und  zwar  mittelst  des  stumpfen 
Knies  eines  Schielhakens,  wie  es  Förster  vorschlägt.  Die 
Dauer  der  Massage  mag  etwa  eine  halbe  Minute  betragen 
haben.  Während  derselben  brachte  ich  zuweilen  die  Gorneal- 
wunde  zum  Klaffen  und  liess  so  das  schnell  von  neneoo 
angesammelte  Kammerwasser  abfliessen.  Ich  operirte  unter 
Anwendung  antiseptischer  Maassregeln  und  in  Cocain- 
anaesthesie,  wobei  ich  zur  Schonung  der  Cornea  von  der 
ersten  Einträuflung  bis  zum  Eingriff  dem  Thier  das  Auge 
zudrOckte. 

Klinisches  Bild. 

Bei  52  auf  die  eben  beschriebene  Weise  operirten  Ka- 
nincbenaugen ,  an  welchen  niemals  ein  Riss  in  der  Kapsel 
oder  eine  Luxation  der  Linse  eingetreten  war,  vermisste  ich 
nur  in  6  Fällen  jede  Trübung.  Vier  derselben  gehören  za 
den  ersten  Versuchen,  so  dass  bei  ihnen  der  Grund  in  einer 
ÜDvolIkommenheit  des  Verfahrens  gesucht  werden  darf;  die 
übrigen  46  Linsen  Hessen  eine  deutliche  Linsentrübung  er- 
kennen. In  den  ersten  Stunden,  selbst  Tagen  wurde  dieselbe 
allerdings  häufiger  durch  Fibrinniederschläge  im  Kammer- 
wasser, die  sich  zuweilen  zu  Membranen  auf  Linse  und  Iris 
consolidirten,  verschleiert. 


Stndie  über  die  Förster  sehe  Maturation  der  Cataract.     135 

Die  beginnende  Trabnng  zeigt  sich  stets  —  ich  sehe 
zunächst  von  den  sp&ter  zu  schildernden  Fällen  von  Total- 
cataract  ab  —  zuerst  um  den  vorderen  Pol  dicht  unter  der 
Kapsel  und  zwar  frühestens  nach  1 — 2  Stunden.  Man  sieht 
dann  bei  seitlicher  Beleuchtung,  noch  deutlicher  mit  dem 
Augenspiegel,  eine  feinste  Streifnng,  radiär  um  den  breit 
klaffenden  vorderen  Stemstrahl  gestellt;  —  bekanntlich  hat 
derselbe  beim  Kaninchen  die  Oestalt  einer  vertikalen,  geraden 
Linie.  —  Diese  Trübung  hat  ein  grauliches  Aussehen,  sie 
ist  so  zart,  dass  man  durch  sie  hindurch  rothes  Licht  vom 
Augenhintergrund  erhält.  In  wenigen  Stunden  schreitet  sie 
äquatorialwärts  vor,  bis  sie  etwa  den  Baum  einer  mydria- 
tischen  Pupille  einnimmt,  zugleich  wächst  ihre  Intensität 
etwas.  Hiermit  hat  sie  ihren  Höhepunkt  erreicht.  Im 
weiteren  Verlaufe  verliert  sie  an  Ausdehnung  und,  besonders 
in  den  peripheren  Theilen,  an  Opacität  Sie  wird  durch- 
sichtiger, aber  trotzdem  bleibt  ihre  Stelle  deutlich  sichtbar, 
da  dieselbe  in  durchaus  unregelmässiger  Weise  das  Licht 
bricht.  Durch  sie  hindurch  sieht  man  den  Augenbinter- 
grund  verzerrt,  aber  fast  vollkommen  klar.  Gänzlich  bildet 
sich  diese  Trübung,  wenn  sie  einigermassen  stark  war,  nicht 
mehr  zurück,  greift  aber  auch  nicht  weiter  um  sich.  Ein 
Vierteljahr  nach  der  Operation  hat  sie  noch  ungefähr  das 
gleiche  Aussehen,  wie  nach  8—14  Tagen.  Wegen  dieses 
Verhaltens  sowohl  wie  wegen  ihres  Aussehens  vermuthe  ich, 
dass  sie  in  diesem  Stadium  hauptsächlich  hervorgerufen  wird 
durch  die  unregelmässig  mehr  oder  weniger  angefressenen 
Faserenden,  welche  nach  Zerfall  ihrer  vorderen  Hälfken 
und  Besorption  des  entstehenden  Detritus  näher  an  die 
Vorderkapsel  rücken.  Bemerken  will  ich  noch,  dass  man 
an  der  herausgenommenen  frischen  Linse  dasselbe  Bild  hat 
wie  intra  vitam. 

Ein   ähnliches  Bild   sah  ich  kürzlich   nach   einer  bei 
Cataracta  provecta  ausgeführten  Cortextritur,  der  einzige  Fall 


136  0.  Schirmer. 

bisher,  den  ich  untersuchen  konnte.    Ich  möchte  kurz  die 
Krankengeschichte  mittheilen: 

Bei  Herrn  M.  besteht  seit  V/7  Jahren  beiderseits  Cataracta 
senilis.  Die  Trabung  beschrankt  sich  hauptsächlich  auf  die 
Gegend  um  den  Kern;  im  Gortex  finden  sich  nur  spärliche, 
aequatoriale  Streifchen.  Es  lässt  sich  deuthch  beiderseits  eine 
breite  Sichel  um  die  Papille  wahrnehmen.  Mit  8  D.  concav, 
welche  er  schon  früher  trug,  sieht  Patient  Finger  rechts  in  3, 
links  in  6  m.  Trotz  Iridectomie  an  beiden  Augen  schreitet  die 
Trübung  nicht  fort.  Es  wurde  deshalb  rechts  am  18.  October  1887 
die  Cortextntur  ausgeführt.  Zuerst  nach  6  Tagen  hatte  ich 
Gelegenheit,  den  Patienten  zu  untersuchen  und  fand  eine  neu 
hinzugetretene  Trflbung,  die  Prof.  Leber  im  Operations-Joumal 
folgendermassen  beschreibt:  „Nach  6  Tagen  ist  das  Auge  reiz- 
los; die  Trübung  hat  erheblich  zugenommen,  was  man  am 
besten  mit  einem  Spiegel,  weniger  bei  seitlicher  Beleuchtung 
erkennt.  Die  Yorderfläche  der  Linse  liegt  durch  Schrumpfang 
etwas  zurUck.  Die  neu  aufgetretene  Trübung  in  der  vorderen 
€orticalis  ist  besonders  im  Bereich  des  Coloboms  mit  dem 
Spiegel  sichtbar.  Sie  erscheint  als  feine,  radiäre  Streifchen, 
die  durch  zahlreiche  Verbindungen  mit  einander  ein  corticales 
Gitterwerk  mit  länglich  ovalen  Maschen  bilden,  das  weiter  nach 
vom,  als  die  gelbbraune  Eemtrflbung  liegt,  aber  gegen  den 
Papillarrand  eine  deutliche  parallaktische  Verschiebung  macht. 
Letztere  ist  wohl  grossentheils  durch  die  Schrumpfung  bedingt*' 
Nach  einem  Monat  hatte  sich  diese  Trflbung  nicht  nur  nicht 
weiter  ausgedehnt,  sondern  war  vielmehr  bedeutend  geringer 
geworden.  Also  auch  hier  fand  sich  nur  in  der  vorderen 
Corticalis  eine  feine,  radiärstreifige  Trflbung,  welche  sich  nicht 
weiter  ausdehnte.  Zur  Vervollständigung  der  Krankengeschichte 
bemerke  ich,  dass  am  20.  Novbr.  1887  trotz  der  unvollständigen 
Trflbung,  auf  Wunsch  des  Patienten,  rechts  die  Extraction 
ausgeffihrt  wurde.  Die  Entbindung  der  Linse  war  wegen 
mangelhafter  vis  a  tergo  sehr  schwierig,  gelaug  aber  vollständig; 
doch  trat  zugleich  verflflssigter  Glaskörper  aus.  Der  Heilungs- 
verlauf war  normal,  und  nach  vier  Wochen  hatte  Patient  eine 
absolut  schwarze  Pupille;  der  Augenhintergrund  war  mit  voll- 
kommener Deutlichkeit  sichtbar.  Trotzdem  erkannte  er  mit  6  D. 
convex  Pinger  nur  in  57»  m.  Der  Grund  hierfflr  wurde  in 
zahlreichen,  flottirenden  Glaskörpertrflbungen  gefunden. 


Stadie  über  die  Förster'sche  Maturation  der  Cataract.     137 

In  den  bisher  pablicirten,  casaistischen  Mittheilangen, 
die  mir  zu  Qebote  standen,  ist  der  klinische  Befand  za 
wenig  eingehend  geschildert,  als  dass  sie  irgendwie  znm 
Vergleich  herangezogen  werden  konnten;  soviel  jedoch  geht 
ans  ihnen  hervor,  dass  der  Hauptsache  nach  die  neue  Trü- 
bung schon  nach  wenigen  Tagen  hinzugetreten  ist. 

Ihrem  Aussehen  und  Verlaufe  nach  durchaus  von  der 
eben  beschriebenen  zu  trennen,  ist  eine  andere  Trübung,  die 
ihren  Sitz  ebenfalls  in  der  vorderen  Corticalis,  aber  nicht 
unmittelbar  unter  der  Kapsel  hat.  Sie  tritt,  frühestens  nach 
etwa  2  Stunden,  in  Form  zweier  senkrecht  gestellter,  weisser, 
absolut  undurchsichtiger  Halbmonde  auf,  welche  zu  beiden 
Seiten  des  auseinander  gewichenen  vorderen  Stemstrahls 
hegen.  Bald  fliessen  sie  oben  und  unten  zusammen  und 
bilden  so  einen  ziemlich  breiten,  weissen  Reif,  dessen  äussere 
Begrenzung  so  ziemlich  einen  Kreis  bildet,  während  die 
innere  ein  Oval  ist  mit  vertikalem  längeren  Durchmesser, 
erstere  Grenze  ist  scharf  abgesetzt,  letztere  mehrfach  zu 
feinen  Zacken  ausgezogen.  Binnen  wenigen  Tagen  dehnt 
sich  dieser  Bing  bis  etwa  zur  äusseren  Begrenzung  der  vor- 
her beschriebenen  TrGbuog  aus,  zugleich  entfernt  sich  seine 
innere  Qrenze  langsam  vom  vorderen  Pol.  Er  verdünnt  sich 
dann  oben  und  unten,  reisst  dort  ein,  die  übrig  bleibenden 
Halbmonde  nehmen  stetig  an  OrOsse  ab  und  verschwinden 
meistens  schon  am  Ende  der  ersten  Woche  gänzlich.  Diese 
Trübung  beobachtete  ich  in  fast  allen  Fällen  gemeinsam  mit 
der  zuerst  beschriebenen  und  hiermit  waren  bei  den  meisten 
Versuchen  die  Veränderungen   in  der  Linse  abgeschlossen. 

In  10  von  48  Fällen  sah  ich  eine  Totalcataract  nach 
der  Massage  entstehen.  Dieselbe  beginnt  zuweilen  schon 
nach  wenigen  Stunden  als  eine  leichte  Trübung  *der  ganzen 
Linse,  die  stetig  an  Intensität  zunimmt,  ohne  eine  bestimmte 
Zeichnung  erkennen  zu  lassen.  Allmählich  hellt  sich  dann 
die  vordere  Corticalis  auf,  und  man  bemerkt  den  Haupt- 
sitz der  Trübung  in  der  hinteren  Corticalis  und  im  Aequator. 


138  O.  Schinner. 

Erstere  ist  fast  reinweiss  and  lässt  einzelne,  grosse,  radiär 
um  den  hinteren  Pol  gestellte  Bisse  und  Spalten  erkennen, 
meist  4,  ich  beobachtete  aber  anch  3  and  5.  Dass  die 
Trübong  in  der  vorderen  Corticalis  verh&ltnissmässig  schnell 
abnimmt,  ist  darch  das  schnelle  Eindringen  von  Eammer- 
wasser  in  den  Eapselsack  bedingt,  durch  welches  hier  Zer- 
fallsprodacte  gelöst  werden.  Die  Linse  ist  jetzt  nicht  mehr 
durchleuchtbar  and  stark  gebläht,  die  Yorderkammer  also 
sehr  seicht.  Dies  Bild  ändert  sich  in  den  nächsten  Wochen 
—  nach  41  Tagen  brach  ich  die  Versuche  ab  —  nicht  mehr 
wesentlich. 

Eine  Verletzung  der  Kapsel  ist  durch  die  mikroskopische 
Untersuchung  ausgeschlossen;  sie  hätte  sich  aber  auch  schon 
intra  vitam  bemerkbar  machen  müssen,  da  nachSchlOsser's*) 
Versuchen  selbst  grossere  Wunden  der  Vorderkapsel  nur 
dann  zur  Totalcataract  fahren,  wenn  sie  im  Pupillargebiet 
gelegen  sind;  eine  solche  Wunde  hätte  aber  intra  vitam 
sicher  nicht  unbemerkt  bleiben  können. 

Die  Ergebnisse  von  Dr.  Hess**),  dessen  Arbeit  mir  erst 
nach  Abschluss  meiner  Versuche  bekannt  wurde,  sind  im 
Grunde  die  gleichen.  Derselbe  erhielt  allerdings  regelmässig 
eine  Totalcataract  und  nur  einmal  die  Trübung  der  vorderen 
Corticalis  allein.  Der  Grund  hierfür  liegt,  meine  ich,  darin, 
dass  er  die  Tritur  3—4  Minuten  hindurch  ausführte,  wäh- 
rend ich  nur  etwa  V^  Minute  massirte.  Diese  Erklärung 
gewinnt  dadurch  an  Wahrscheinlichkeit,  dass  VOlckers***), 
der  nur  momentan  die  Linse  quetschte,  niemals  Totalcataract 
erhielt.  Einige  nachträgliche  Versuche,  bei  welchen  auch 
ich,  nach  den  Angaben  von  Dr.  Hess,  3—4  Minuten  massirte, 
ergaben   ebenfalls    stets   Totalcataract.     Dass   der  Grund 


*)  Experiment.  Stndie  über  traumat  Cataract.  Manchen  1887. 
^)  Ueber  Napbthalinveränderongen    im  KaDinchenange    und 
ttber  die  Massagecataract.    Bericht  über  die  19.  Versammlung  der 
Ophthalm.  Qes.  1887. 
0  Siehe  oben. 


Studie  ttber  die  För8ter*8che  Maturation  der  Cataract.     139 

flbrigens  schwerlich  im  Yersucbsthier  zu  suchen  ist,  wird 
dadurch  bewieseo,  dass  ich  mehrmals  an  einem  Auge  Total- 
cataract,  am  anderen  Auge  des  gleichen  Thieres  nur  Trfl- 
bnng  der  vorderen  Corticalis  erhielt.  Eine  vollständige  Auf- 
hellung der  letzteren,  wie  es  Hess  beschreibt,  konnte  ich 
nicht  beobachten;  das  oben  beschriebene  Residuum  blieb 
stets  zurück.  Da  nun  die  Zerfallsproducte  grOsstentheils 
resorbirt  werden,  und  da  ferner  das  Residuum  fast  durch- 
sichtig ist  und  sich  hauptsächlich  durch  unregelmässige 
Brechung  des  Lichtes  bemerkbar  macht,  vermuthe  ich,  dass 
an  seiner  Bildung  die  unregelmässige  Begrenzung  der  durch 
den  partiellen  Faserzerfall  entstehenden  Höhle  den  Haupt- 
antheil  hat. 

Mikroskopischer  Befund. 

Behufs  mikroskopischer  Untersuchung  wurden  die  Ver- 
suchsthiere  in  bestimmten  Zeiträumen  nach  der  Operation 
getödtet,  und  die  enucleirten  Bulbi  in  horizontale,  t beil- 
weise auch  in  frontale  Schnitte  zerlegt,  oder  es  wurde  zur 
Untersuchung  die  Kapsel  abgezogen.  Um  letzteres  mög- 
lichst schonend  zu  bewerkstelligen,  liess  ich  nach  der 
Becker'schen  Vorschrift  die  Linse  in  Alkohol  schrumpfen 
und  darauf  in  Wasser  quellen,  wodurch  sich  die  Kapsel 
spontan  abhebt.  Zur  Härtung  verwandte  ich  Müller'sche 
Flössigkeit  oder  Alkohol,  zur  Einbettung  Paraffin  oder 
Celloidin ;  gefärbt  habe  ich  die  Präparate  hauptsächlich  mit 
Alauncarmin  oder  Hämatoxylin,  einige  Kapseln  auch  mit 
Silbemitrat  oder  Bismarckbraun.  Vor  der  Härtung  in  Al- 
kohol kamen  die  Bulbi  stets  Va  Stunde  in  SVa  7o  Salpeter- 
säure oder  einige  Stunden  in  V*  7o  Chromsäure.  Die  Kern- 
figuren, zumal  die  karyokinetischen,  treten  dadurch  ausser- 
ordentlich klar  und  deutlich  hervor. 

Befund  am  Vorderkapselepithel. 

An  den  Zellen  des  Vorderkapselepithels  spielt  sich  eine 
Reihe  von  Vorgängen  ab,  auf  welche  ich  zunächst  etwas 


140  0.  Schirmer. 

näher  eingeben  möchte.  £in  grosser  Theil  derselben  fällt 
nämlich  einem  degenerativen  Processe  anheim,  während  die 
überlebenden  binnen  knrzer  Zeit,  anfangs  durch  Gestalt- 
und  Lageveränderung,  später  durch  Vermehrung  auf  mito- 
tischem Wege   den  entstandenen  Defect  wieder  ausfbllen. 

Der  Zelltod  ist  zweifellos  als  eine  directe  Folge  der 
mit  dem  Schielhaken  ausgeübten  Quetschung  anzusehen. 
Beweis  dafür  ist  einmal  die  stets  gleiche  Lage  der  über- 
lebenden Zellen.  Dieselben  finden  sich  nämlich  erstens  in 
einer  scharf  abgesetzten  äquatorialen  Zone  von  massiger 
Breite,  also  an  einer  Stelle,  wohin  der  Druck  des  Instru- 
ments nicht  gelangen  konnte,  und  weiter  nahe  dem  Bande 
des  Zerfallsbezirks  in  concentrisch  gelagerten  Kreissegmenten* 
Die  Entstehung  der  letzteren  ist  leicht  erklärlich,  wenn  man 
bedenkt,  dass  das  Trauma  in  einer  kreisförmig  streichenden 
Bewegung  besteht;  demgemäss  müssen  Lücken  zwischen  je 
2  Strichen  die  oben  erwähnte  Form  annehmen.  Das  Vor- 
kommen vereinzelter,  lebender  Epithelien  näher  dem  Centrum 
wird  sich  auf  ähnliche  Weise  erklären.  Ein  fernerer  Beweis 
für  die  Richtigkeit  obiger  Behauptung  liegt  darin,  dass  bei 
Quetschung  nur  eines  Theiles  der  Linse,  z.  B.  wenn  man 
mit  einem  Sondenknopf  einen  Strich  auf  der  Kapsel  macht*), 
der  Zelltod  nur  in  diesem  Bezirk  sich  findet.  Die  Bilder, 
welche  die  Epithelien  in  den  verschiedenen  Stadien  der  De- 
generation bieten,  sind  sehr  mannigfaltig  und  jedenfalls  zum 
Theil  bedingt  durch  die  Schwere  der  Verletzung,  welche  die 
einzelne  Zelle  traf.  Im  Allgemeinen  ist  der  Verlauf  der 
folgende: 

Bei  Linsen,  die  dem  unmittelbar  nach  der  Operation 
getödteten  Thier  entnommen  sind,  zeigt  sich  das  Epithel 
weder  am  frischen,  noch  am  gefärbten  Präparat  verändert. 
Mechanische  Verschiebung  der  Zellen  auf  der  Kapsel,  sowie 


*)  Schirm  er.     Experimeotelle    Studie    über    reine    Linsen- 
contuaioneD.    Dissert.  inaug.  Greifswald  1887. 


8tadie  Aber  die  Förster^sche  Matnration  der  Cataract.     14  L 

directe  Zerqaetscbung  derselbea  kann  also  ausgeschlossen 
werden.  Doch  schon  nach  kurzer  Zeit  —  ich  sehe  zunädist 
von  dem  Verhalten  der  Kerne  ab  —  zeigt  das  Protoplasuäa 
eine  gröbere  Eömelung,  und  es  tingiren  sich  diese  Körn- 
chen dunkler  mit  Alauncarmin;  da  sie  aber  zugleich  viel 
spärlicher  liegen,  so  erhält  man  bei  schwächerer  Ver- 
grOsserung  doch  den  Eindruck,  dass  die  betroffenen  Par* 
thien  aufgehellt  sind.  In  späteren  Stadien  erscheint  freilich 
an  der  abgezogenen  Kapsel  gerade  die  Umgebung  der  de- 
generirenden  Kerne  besonders  dunkel  geftrbt  (Fig.  6);  die- 
selben sind  aber  um  diese  Zeit  schon  von  der  Kapsel  ab- 
gedrängt und  präsentiren  sich  daher  nur  an  solchen  Stellen, 
wo  Tiel  von  der  unter  dem  Epithel  befindlichen,  kömigen 
Masse  haften  blieb.  —  Dieser  gröberen  Kömelung  folgt 
unmittelbar  der  Zerfall  des  Zellkörpers.  Schon  nach  einer 
Stunde  ist  es  nicht  mehr  möglich,  durch  Silbemitrat  eine 
Färbung  der  Grenzlinien  hervorzurufen.  Man  sieht  auf  der 
abgezogenen  Kapsel  nur  eine  blasse,  granulirte  Substanz; 
stellenweise  und  häufig  gerade  um  die  Kerne  erscheint  die- 
selbe etwas  heller  (Fig.  1).  Sie  haftet  nicht  sehr  fest  an 
der  Kapsel,  so  dass  beim  Abziehen  derselben  trotz  grösster 
Vorsicht  zuweilen  Parthien  des  Detritus  abfallen.  Dass 
sich  in  ihr  keine  intakten  Zellleiber  um  die  degenerirenden 
Kerne  verbergen,  beweisen  Bilder,  wie  Fig.  4:  ein  Kern,, 
der  nur  an  einem  Theil  seiner  Peripherie  von  dieser  Masse 
eingefEtöst  ist.  Wäre  noch  ein  Zellleib  vorhanden,  so  wurde 
sich  der  Kern  schwerlich  so  glatt  aus  ihm  herausgeschält 
haben,  um  die  spärlichen,  dazwischen  gestreuten,  normalen 
Kerne  hebt  sich  übrigens  das  Zellprotoplasma  durch  seine, 
wenn  auch  wenig  dunklere,  Färbung  deutlich  von  der  Um- 
gebung ab.  So  darf  man  annehmen,  dass  das  Protoplasma 
binnen  kürzester  Frist  zu  einem  kömigen  Detritus  zerfällt^ 
dessen  weiteres  Schicksal,  gesondert  von  den  anderen. 
Zerfallsproducten  nicht  mehr  zu  verfolgen  ist. 

Bedeutend  langsamer  verläuft  der  Degenerationsprocesa 


142  O.  Schirmer. 

der  Kerne.  Er  beginnt,  ähnlich  wie  He  nie*)  den  normalen 
Eemtod  in  den  Irnsonftnen  beachieibt,  damit,  dass  die 
schon  in  normalem  Znstande  vorhandene  Kömehmf  eiae 
gröbere  wird;  die  einzelnen  Körnchen  sind  zugleich  durch 
grössere  Zwischenräame  getrennt;  so  macht  es  den  Eindruck, 
als  ob  jedes  von  diesen  durch  den  Zusammenfluss  vieler 
der  ursprQnglichen  Körnchen  entstanden  sei.  Dieselben 
gruppiren  sich  grösstentheils  nahe  dem  Rand,  während  die 
Mitte  des  Kerns  heller  wird  und  bald  die  Bildung  mehr- 
facher, kleiner,  durchsichtiger  Yacuolen  erkennen  lässt 
(Fig.  2  d).  Dieselben  vergrössem  sich  schnell,  legen 
sich  gern  aneinander  (Fig.  1  a)  und  fliessen  häufiger  zu 
wenigen,  grösseren  Kügelchen  zusammen  (Fig.  2  a,  b). 
Die  Fäden,  von  welchen  sie  öfters  durchzogen  scheinen, 
halte  ich  fQr  die  Scheidewände  der  dem  Conflux  nahen 
Yacuolen.  Dieselben  verdanken  ihre  Entstehung  jedenfalls 
einer  circumscripten  Ansammlung  von  Kemsaft.  Wahr- 
scheinlich steht  der  Eintritt  von  Kammerwasser  in  den 
Kapselsack  in  Beziehung  zu  ihrem  Auftreten,  vielleicht 
nimmt  dasselbe  sogar  an  ihrer  Bildung  theil.  Es  erzeugt 
ja  auch  stets  in  den  Linsenfasem,  mit  welchem  es  in  Be- 
rührung kommt,  ähnliche,  wenn  auch  weit  grössere  Yacuolen. 
Im  weiteren  Verlaufe  werden  die  Kerne  schnell  kleiner 
und  tingiren  sich  in  toto  stärker  mit  Kernfilrbemitteln,  so 
dass  man  schon  nach  4  Stunden  kaum  noch  die  einzelnen 
dunklen  Chromatinklumpchen  erkennen  kann.  Zugleich 
verkleinem  sich  die  Yacuolen  (Fig.  3),  bis  sie  allmählich 
an  die  Grenze  der  Sichtbarkeit  kommen  und  schliesslich 
ganz  verschwinden.  Eine  andere  Erscheinung  tritt  jetzt 
in  den  Yordergrund. 

Schon   nach  V»  Stunde  sieht  man  an  der  Peripherie 
der  Kerne  hier  und  da  eine  schmale,  helle  Sichel  auftreten 


*)   Zur    Entwicklang8g;e8chichte    der    Krystallinse    n.  b.  w. 
Archiv  fikr  mikrosk.  Anat.    Bd.  XX,  p.  418. 


Studie  Über  die  Förstefsche  Maturation  der  Cataract.     143 

(Fig.  1  a,  Fig.  2  a,  c,  d),  welche  nach  anssen  durch  eine 
fauste,  dankle  Linie  scharf  begrenzt  ist.    Sie  braitei  stedt 
auf  einen  stets  grösser  werdendeir  Theil  der  Kernperipberie 
aas,  schlitfüriidi  nach  etwa  einer  Stunde  umgiebt  sie  ihn 
ganz,  als  lichter,  durchsichtiger  Hof  (Fig.  1  b,  Fig.  2  b,  e,  f, 
Fig.  5).    Schon   weil   sich   die  Art  der  Entstehung  genau 
verfolgen  lässt,  kann  man  nicht  wohl  von  einer  Interferenz- 
erscheinung sprechen,   durch   welche  oft   um   stark  licht- 
brechende KOrperchen  ein  doppelter  Contour  vorgetäuscht 
wird.*)  Dagegen  spricht  vor  allem,  dass  äusserer  und  innerer 
Contour  des  Binges  sich   durchaus   nicht  immer  gleichen 
(Fig.  1  a,  2  b,  f).     Man   könnte  diesen   Raum   ferner  für 
ein    Eunstproduct    erklären.     Jedoch    findet    er    sich    in 
gleicher  Weise  bei  Härtung  in  Alkohol  und  in  MQller'scher 
FlQssigkeit,  ebenso  bei  den  verschiedensten  Färbemethoden; 
vor  allem  aber  auch  an  der  Msch  abgezogenen  Kapsel,  die 
ich  ohne  jede  weitere  Behandlung  in  Eammerwasser  oder 
V4procentiger  ClNa- Lösung  untersuchte;  demgemäss  muss 
es   sich   um   einen   intra  vitam  gebildeten  Baum  handeln. 
Derselbe   kann    nicht    dadurch    entstehen,    dass   sich    die 
Zellsubstanz    vom    Kern   zurückzieht,    denn    der  Hof  ist 
niemals   grösser,  als  ein  normaler  Kern,  sondern  Anfangs 
etwa  gleichgross,  später  wird  er  kleiner;  ferner  sieht  man 
durch  denselben  zuweilen  blasse  Strncturen  ziehen,   deren 
Zugehörigkeit   zum   Kern    durch   eingelagerte    Chromatin- 
kflgelchen  ausser  Frage  gestellt  wird  (Fig.  1  b,  2  e).   Dieser 
perinucleare  Baum    muss  also   durch   eine  Verkleinerung 
der  Kemmasse   entstanden   sein  und   zwar  hauptsächlich 
der  nicht  färbbaren  Bestandtheile,    da  sich  der  Kernrest, 
je  kleiner  er  wird,  um  so  dunkler  tingirt.    Man  beobachtet 
femer,   dass  stets  die  kleinsten  und  dunkelsten  Kerne  die 
kleinsten  Vacuolen   enthalten,   dagegen  den  breitesten  Hof 


*}  Flemming.    Zellsubstanz,  Kern  und  Zelltheilnng.  p.  152. 
Leipzig  1882. 


144  0.  Scbinner. 

haben.  An  einzelnen  Kernen  lässt  sich  sogar  constatiren^ 
dass  nar  den  dunklen  Parthien  eine  Sichel  entspricht,  an 
den  helleren  dagegen  sich  eine  solche  noch  nicht  gebildet 
hat  (Fig.  1  a,  12  b).  Diese  Thatsachen  berechtigen  zu 
der  Annahme,  dass  Vacnoleninhalt  und  Eemsafb  austreten 
und  sich  um  die  in  gleichem  Masse  schrumpfende  Ghromatin- 
Substanz,  als  heller  Hof  sammeln. 

Die  den  Hof  einfassende,  dunkle  Linie  habe  ich  Anfangs 
fTir  eine  Membran,  für  die  abgehobene  Eemhülle  gehalten^ 
denn  man  sieht  dieselbe  so  deutlich,  dass  man  an  ihrer  Körper- 
lichkeit nicht  zweifeln  zu  können  glaubt.  Wäre  sie  aber 
eine  Membran,  so  müsste  man  bei  der  Verkleinerung  des 
Hofes  Faltenbildung  an  ihr  wahrnehmen;  derartiges  konnte 
ich  aber  nie  auffinden.  Femer  spricht  dagegen,  dass  bei 
dem  analogen  Vorgang  an  den  Faserkemen  bei  dem  Zerfall 
der  Ghromatinsubstanz  in  mehrere  Elümpchen  meist  jedes 
derselben  einen  hellen  Hof  von  deutlicher,  dunkler  Linie 
umsäumt,  aufweist  (Fig.  12  f,  k,  m).  Deshalb  ist  die 
Annahme  einer  Membran  unzulässig;  die  Linie  ist  vielmehr 
der  optische  Ausdruck  der  scharfen,  äusseren  Begrenzung 
des  Hofes. 

Der  Befund  eines  lichten  Binges  um  absterbende 
Kerne  steht,  speciell  in  der  Linse,  durchaus  nicht  vereinzelt 
da.  So  sagt  Becker  *)  bei  Beschreibung  des  physiologischen 
Kerntodes  in  den  Fasern:  „Die  chromatische  Substanz 
fliesst  zu  ein  oder  zwei  sich  intensiv  f&rbenden  Klümpchen 
zusammen.  Dieses  ist  im  ersteren  Falle  von  einem  lichten 
Hof  umgeben;  im  letzteren  lassen  sie  eine  leere,  lichte 
Stelle,  Vacuole,  zwischen  sich."  Gleiches  Verhalten  beob- 
achtete Schlosser  **)  an  den  bei  experimenteller,  trau- 
matischer  Gataract   degenerirenden   Kernen   des   Epithels, 


*)  Zur   Anatomie   der   g;e8ttnden    and   kranken  Linse,  p.  46. 
Wiesbaden  1883. 

^  Experimentelle  Studie  über  traumatlBche  Cataract.     Kfln- 
eben  1887. 


Studie  fiber  die  Förster *sche  Hatoration  der  Cataract.      145 

wie  der  Fasern.  Bilder,  welche  anf  eine  Ansammlung  der 
chromatischen  Substanz  zu  zwei  Elümpchen  mit  folgender 
Trennung  der  beiden  hinweisen,  finden  sich  nicht  häufig, 
doch  scheinen  mir  einzelne  Figuren  dafür  zu  sprechen, 
dass  eine  solche  Trennung  Torkommt  (Fig.  2  b,  f,  5  a). 

Im  weiteren  Verlaufe  werden  die  Kerne  stets  dunkler 
geftrbt  und  kleiner;  die  Yacuolen  sind  schon  nach  vier 
Stunden  aus  ihnen  verschwunden.  Zugleich  ist  ihnen  durch 
das  Schwinden  des  Zellprotoplasmas  ihr  fester  Halt  an  der 
Kapsel  genonunen;  die  von  den  uuTerletzten  Stellen  auf 
den  Defect  nachrückenden  Epithelien  haben  leichte  MQhe, 
sie  von  derselben  abzudrängen  und  nach  innen,  den  Fasern 
zu,  zu  schieben,  wobei  das  eindringende  Kammerwasser 
unterstatzend  wirken  mag  (Fig.  7).  Man  sieht  deshalb 
auf  der  abgezogenen  Kapsel  normale  und  degenerirende 
Kerne  in  zwei  verschiedenen  Ebenen  liegen  (in  Fig.  6  habe 
ich  ein  solches  Präparat  bei  zwei  verschiedenen  Einstellungen 
zu  zeichnen  versucht);  die  degenerirenden  Kerne  finden 
sich  nur  an  denjenigen  Stellen,  wo  eine  dicke  Schicht 
körniger  Masse  an  der  Kapsel  haften  blieb.  Dieselbe  ver- 
deckt zum  grOssten  Theil  den  lichten  Bing  oder  lässt  ihn 
doch  nur  undeutlich  sichtbar  sein  —  aus  dem  gleichen 
Grunde  tritt  er  auch  an  dem  gezeichneten  Schnitt  nicht 
deutlich  hervor  (Fig.  7).  —  Zwischen  Epithel  und  Fasern 
bleibt  jetzt  der  Kern,  stetig  kleiner  werdend,  liegen  (Fig.  8) 
bis  zu  seiner  vollständigen  Resorption,  die  nach  etwa 
48  Stunden  erfolgt  ist.  Mit  ihm  hatte  sich  auch  der 
durchsichtige  Hof  verkleinert  und  verschwindet  um  die 
gleiche  Zeit  ebenfalls. 

üeberblicken  wir  noch  einmal  die  beschriebenen  Vor- 
gänge, so  zeigt  sich,  dass  der  Zellleib  zuerst  zerfällt;  be- 
schleunigend hierauf  wirkt  jedenfalls  das  eindringende 
Kammerwasser.  Der  Kern  zeigt  eine  weit  grössere  Resistenz 
gegen  dasselbe;  er  bietet  die  Erscheinungen  einer  vacnolären 
Degeneration.  Flässigkeit,  aus  Kemsaft  und  vermuthlich  auch 

▼.  OrMfe'»  ArohiT  für  Ophtluüxnoloffle,  ZXXIV.  1.  10 


146  0.  Schirmer. 

aas  hamor  aqneas  bestehend,  sammelt  sich  im  Innern  des 
Kerns  zn  Yacuolen  an ;  später  tritt  sie  aas  dem  zasammen- 
schrampfenden  ChromatingerQst  heraas  and  bildet  einen 
lichten  Hof  am  dasselbe;  zugleich  beobachtet  man  eine  üm- 
lagerung  der  chromatischen  Sabstanz,  die  sich  in  dem  Auf- 
treten gröberer  Elümpchen  docamentirt. 

Es  ist  nach  Analogie  anderer  Gewebe  zn  erwarten,  dass 
der  Tod  einer  so  grossen  Zahl  von  Eapselepithelien  seitens 
der  Umgebung  eine  heftige  Beaction  nach  sich  ziehen  mass; 
dieselbe  wird  darauf  gerichtet  sein,  den  entstandenen  Defeot 
wieder  zu  decken.  Da  die  Kapsel  intact  ist,  also  ein  Ein- 
tritt von  Zellen  in  den  Kapselsack  unmöglich,  da  femer  an 
den  Faserkemen  Proliferationsvorgänge  noch  niemals  beob- 
achtet sind,  kann  hier  nur  das  Verhalten  der  überlebenden 
Epithelien  in  Betracht  kommen.  Dieselben  lassen  in  der 
ersten  Stunde  keine  deutliche  Veränderung  erkennen.  Dann 
aber  bemerkt  man  an  der  abgezogenen  Kapsel,  dass  die  im 
Defect  oder  an  dessen  Bändern  liegenden  Zellen  blasser 
ond  grösser  werden;  gleiches  Verhalten  zeigen  die  Kerne, 
die  zuweilen  eine  enorme  Grösse  erreichen  und  dann  beson- 
ders hell  erscheinen;  auch  in  ihnen  sieht  man  grössere  Chro- 
matinklümpchen,  als  sie  sich  unter  normalen  Verhältnissen 
finden.  An  meridionalen  Schnitten  (Fig.  7)  sieht  man,  dass 
die  Tiefendimension  der  Zellen  und  Kerne  nicht  nur  nicht 
zunimmt,  sondern  ziemlich  bedeutend  abnimmt.  Demgemäss 
handelt  es  sich  der  Hauptsache  nach  jeden&Us  um  eine 
Formyeränderung  der  Epithelien,  um  ein  Platterwerden  der- 
selben, nicht  um  eine  wesentliche  Grössenzunahme.  Der 
Grund  hierfür  ist  in  dem  Druck  zu  suchen,  den  die  quel- 
lenden Faserenden  und  die  aus  ihnen  austretenden,  quellungs- 
fähigen  Massen  auf  die  Epithelien  ausüben.  Allmählich 
ergreift  diese  Formyeränderung  auch  die  entfernteren  Zellen, 
welche,  um  Baum  zur  Ausdehnung  zu  gewinnen,  ihre  Nach- 
barn nach  dem  locus  minoris  resistentiae,  nach  dem  Defeot» 
hindrängen.    Hierdurch  erklärt  es  sich  übrigens,  abgesehen 


Studie  über  die  FOrster'sche  Matoration  der  Cataract.     147 

davon,  dass  ein  Kern  zuweilon  zu  zwei  gesonderten  Chro- 
matinklümpcben  zerftUt,  dass  man  in  dem  gleichen  Gebiet 
meist  mehr  degenerirende,  als  normale  Kerne  sieht  (Fig.  6). 
Letzt^e  nehmen  eben  einen  grösseren  Flächenraum  ein  und 
sind  weiter  Ton  einander  gerückt»  —  Diese  bedeutende  Ver- 
schiebbarkeit Ton  Epithelien  auf  ihrer  Basalmembran  darf 
nidit  auffallen.  Liegt  doch  auch  beim  Ersatz  der  zu  Fasern 
auswachsenden  Zellen  die  Zone  der  Mitosenbildung  nach 
Henle*)  und  0.  Becker**)  nicht  unmittelbar  am  Wirbel, 
die  nen  entstandenen  Zellen  müssen  sich  also  auf  der  Kapsel 
dem  Aequator  znschieben.  Das  Wachsthum  des  einschich- 
tigen Homhautendothels  bietet  ebenfalls  eine  Analogie: 
dort  findet  nach  Eberth  nicht  am  Bande  die  Zellvermehrung 
statt,  sondern  zerstreut  zwischen  den  übrigen  Endothelien 
finden  sich  die  Mitosen,  so  dass  auch  hier  eine  Verschiebung 
der  Peripherie  zu  angenommen  werden  muss. 

Diese  Epithelverschiebung  genügt  jedoch  zur  vollstän- 
digen Deckung  des  Defects  durchaus  nicht.  Zwar  ver- 
kleinert derselbe  sich  recht  bedeutend;  immerhin  bleiben 
noch  grosse  Lücken  im  Epithelüberzuge  zurück,  besonders 
in  der  Gegend  des  Pols.  Auch  kann  man  diese  Zellver- 
schiebung nicht  als  die  oben  postulirte  Beaction  der  Epi- 
thelien auffassen,  da  sie  hierbei  nur  eine  passive  Bolle 
spielen.  Ein  Process,  bei  dem  die  Zellen  eine  active  Bolle 
spielen,  wird  erst  gegen  Ende  des  ersten  Tages  bemerkbar; 
es  zeigt  sich  eine  lebhafte  Zellvermehrung;  die  mitotischen 
Figuren,  welche  besonders  durch  die  Behandlung  mit 
3Vs  7o  Salpetersaure  sehr  schön  und  deutlich  fixirt  werden, 
treten  ausserordentlich  massenhaft  auf.  Sie  beschränken 
sich  nicht  auf  die  Begion  der  Kapsel,  wo  der  Defect  be- 
standen hatte,  sondern  finden  sich  zahlreich  auch  in  der 
äquatorialen  Zone  und  zwar  hauptsächlich  in  hellen  Zellen, 


*)    Zur  Entwicklungsgeschichte   der  Krystalllinse,  und  zur 
Theilong  des  ZeUkems.    Archiv  f.  mikrosk.  Änat  Bd.  XX,  p.  413. 
**)  loc.  cit.,  p.  39. 

10* 


148  0.  Scbinner. 

welche  bedeutend  grösser  sind,  als  die  kleinen  Epithelieit 
dieser  Gegend.  Nach  einigen  Tagen  werden  sie  spärlicher 
und  sind  nach  einer  Woche  nur  noch  in  Tereinzelten  Exem* 
plaren  aufzufinden.  In  denjenigen  Fällen,  wo  nur  TrQbung 
in  der  vorderen  Corticalis  auftrat,  begrenzt  sich  die  Proli- 
feration mit  der  Wiederherstellung  eines  normalen  Zell- 
belags. Kommt  es  dagegen  zur  Totalcataract,  so  tritt  eine 
bedeutende  üeberproduction  ein.  Die  Zellen  liegen  schoD 
nach  3  Tagen  (Fig.  9)  in  zwei  und  drei  Schichten  unregel- 
mässig über  einander;  nur  die  Continnität  der  äussersten 
Schicht  ist  so  ziemlich  gewahrt.  Ihr  Aussehen  ist  ein  durch- 
aus normales;  von  Wucherungsvorgängen,  wie  sie  Deutsch- 
mann*) bei  chronischen  Eiterprocessen  im  Corpus  vitreum 
beobachtete,  Ton  Auswachsen  der  einzelnen  Zellen  zu  spindel- 
förmigen oder  kolbigen  Gebilden  zeigen  sie  auch  nicht  die 
leiseste  Andeutung.  Mitosen  konnte  ich  auch  in  den  inneren 
Schichten  vereinzelt  beobachten. 

Befund  an  den  Linsenfasern. 
Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  der  Linsen&sem 
findet  man  in  den  ersten  Stunden  in  den  vordersten 
Schichten  der  vorderen  Corticalis  Veränderungen,  die  durch 
directen  Druck  des  Schielhakens  hervorgerufen  sind.  Hier- 
für spricht  ihr  frühes  Auftreten,  ihre  Lage  in  einem  Gebiet^ 
entsprechend  etwa  einer  mydriatischen  Pupille,  d.  h.  soweit 
der  Druck  des  Schielhakens  direct  die  Linse  traf;  vor  Allem 
ist  aber  beweisend,  dass  bei  Quetschung  nur  eines  Theilff 
der  Linse,  z.  B.  wenn  man  mit  einem  Sondenknopf  einen 
Strich  auf  der  Kapsel  macht,  die  zu  beschreibenden  Ver- 
änderungen nur  in  dem  betroffenen  Bezirk  sich  finden, 
ebenso  ist  auch  die  intra  vitam  sichtbare  Trübung  auf 
eine  strichfOrmige  Zone  beschränkt.  Das  mikroskopische 
Bild  ist  folgendes:  Unmittelbar  nach  der  Operation  findet 


*)  Die  Veränderungen  der  Linse  bei  Eiterprocessen  im  Ange, 
Archiv  f.  Ophthalm.  Bd.  XXVI,  1,  p.  134. 


"^ 


Studie  über  die  Förster'sche  Matoration  der  Cataract.     149 

man  die  oberflächlichsten  Fasern  aus  einander  gewichen; 
spindelförmige,  mit  klarer  Masse  gefällte  Lücken  trennen 
sie;  sie  selbst  sind  leicht  gekörnt  (Fig.  10).  Der  Tordere 
Sterns trahl  klafft  etwas,  soweit  diese  Yeränderongen  reichen; 
der  Spalt  wird  dnrch  eine  granolirte  Substanz  ausgefflllt. 
Bald  werden  die  Lücken  grösser,  ihr  Inhalt  körnig.  Die 
Faserenden  der  Tordersten  Schichten,  mögen  sie  an  der 
Oberflache,  oder  im  stetig  breiter  und  tiefer  klaffenden 
Stemstrahl  münden,  quellen  zu  stark  gekörnten  Blasen  an; 
dieselben  platzen  und  der  Faserinhalt  entleert  sich  unter 
die  Kapsel.  Zurück  bleibt  in  Form  von  zusammen- 
gesunkenen Schläuchen  die  Filarmasse,  die  also  nicht  ein 
Maschenwerk  bilden  kann,  sondern  als  Bindenschicht  einen 
tropfbaren  Inhalt  einschliesst.  Dieselbe  widersteht  noch 
einige  Zelt  der  Autlösung,  dann  Termischen  sich  auch  ihre 
Trümmer  mit  dem  umgebenden  Detritus. 

Beschleunigend  auf  diesen  Zerfall  wirkt  jedenfalls  das 
Eindringen  Ton  Eammerwasser  in  den  Eapselsack.  Das- 
selbe tritt  schon  kurze  Zeit  nach  der  Operation  auf  und 
2war  zuerst  als  eine  nicht  unbedeutende  Schicht  in 
körnigen  Figuren  geronnener,  also  eiweisshaltiger  Masse 
{Fig.  7),  welche  zwischen  Epithel,  soweit  dasselbe  noch 
vorhanden  ist  und  Linsenfasern  sich  ansammelt.  Es  werden 
nämlich  durch  den  Zerfall  der  Linsenfasem  Diffusions- 
vorgänge zwischen  Linse  und  Humor  aqueus  angeregt,  wie 
sie  sich  auch  bei  anderen  Cataractformen  finden.  Begünstigt 
4urdi  den  Zerfall  der  Eapselzellen  wird  das  Eindringen 
des  Eammerwassers  ein  so  rapides  sein,  dass  nicht  sofort 
AUes  in  die  Linse  eindringen  kann,  sondern  sich  zunächst 
eine  Flüssigkeitsschicht  unter  der  Eapsel  ansammelt,  die 
aus  Eammerwasser  und  difiundirtem  Faserinhalt  gemischt 
ist.  Doch  hat  ersteres  im  An&ng  so  sehr  das  üebergewioht, 
dass  es  ausser  der  auflösenden  Wirkung  auf  die  zerfallenden 
Massen  auch  eine  Ton  Discisionen  und  traumatischer 
Cataract  her  bekannte  Erscheinung  hervorruft,  nämlich  das 


150  0*  Schinner. 

Auftreten  Ton  Yacaolen  in  den  Fasern,  nnd  zwar  haapt^ 
sachlich  in  den  jQngsten  Fasern;  näher  dem  Pol  werden 
sie  viel  spärlicher.  In  den  Fällen,  die  nicht  zur  Total* 
cataract  ftthren,  finden  sich  nur  wenig  Vacuolen  und  diese 
verschwinden  nach  einigen  Tagen  wieder,  ohne  Besiduen 
zu  hinterlassen.  —  An  den  Kernen  beobachtete  ich  in  den 
Fällen  von  einfacher  Gorticaltrflbung  keine  pathologischen 
Vorgänge.  Dass  dieselben  trotz  des  Zerfalls  der  vorderen 
Faserhälften  leine  degeneraüven  Erscheinungen  zu  zeigen 
brauchen,  ist  eine  von  der  traumatischen  Cataract  her  be- 
kannte Thatsache."  *) 

Das  anatomische  Substrat  der  oben  beschriebenen, 
weissen,  reiffOrmigen  Trübung,  die  nach  wenigen  Tagen 
wieder  verschwindet,  finde  ich  in  einer  Zone,  welche  nahe 
der  Yorderkapsel,  jedoch  nicht  unmittelbar  unter  ihr  ge- 
legen ist,  polwärts  oberflächlicher,  als  dem  Aequator  zu. 
Hier  entsteht  durch  Auseinanderweichen  der  Fasern  ein 
Geflecht  spindelförmiger  Lücken,  welche  weit  grösser  sind, 
als  die  oben  beschriebenen,  aber  nicht  so  nahe  an  einander 
liegen.  Während  dort  sämmtliche  Fasern  sich  mit  ihren 
Nachbarn  nur  an  einzelnen  Stellen  berührten,  bilden  hier 
intacte  Faserbnndel  die  Scheiden  zwischen  den  einzelnen 
Lücken,  die  übrigens  grOsstentheils  unter  einander  zu 
communiciren  scheinen.  Gefallt  sind  sie  mit  körniger,  in 
myelinartigen  Formen  geronnener  Masse  (Fig.  11).  Am 
klaffenden,  vorderen  Stemstrahl  erreicht  das  System  seine 
grösste  Tiefe  und  weist  die  grössten  Spalten  auf;  es  mündet 
in  denselben  ein.  Zuerst  beobachtete  ich  es  V»  Stunde 
nach  der  Operation;  es  lag  unmittelbar  am  vorderen  Pol, 
die  Lücken  waren  noch  klein.  Allmählich  vergrössern  sie 
sich  recht  beträchtlich,  zumal  die  dem  Pol  am  nächsten 
liegenden,    während    aequatorialwärts   stetig   neue,   kleine 


*)  Schlösser:    EzperimenteUe    Studie     über    traomatische 
Cataract.    München  1887. 


Studie  über  die  Förster'sche  Maturation  der  Cataract.     151 

Spindeln  entstehen.  Die  trennenden  Faserbündel  nnd 
Fasern,  welche  Ton  Schicht  zu  Schiebt  ziehen,  seben 
Anüangs  leicht  gekörnt  ans;  die  EOmelung  nimmt  bald 
zu,  die  Fasercontonren  werden  nnregelmftssig  und  nach 
1 — 2  Tagen  beginnt  vom  StemstrabI  aus  das  ganze 
Spindelsystem  zu  einem  molecularen  Brei  zu  zerfallen. 
Diesem  Zerfall  entspricht  die  intra  vitam  beobachtete,  vom 
Fol  dem  Aequator  zuschreitende  Aufhellung.  Da  nämlich 
die  Fasern  einen  anderen  Brechungscoefficienten  besitzen^ 
als  die  Masse  in  den  Lücken,  so  wird  TermOge  der  stets 
wechselnden  Brechung  diese  Zone  für  Lichtstrahlen  un- 
durchgängig  sein,  bei  aufEallendem  Licht  wird  sie  weiss 
erscheinen.  Zerfallen  aber  die  Fasern  und  tritt  eine  mehr 
homogene  Masse  an  ihre  Stelle,  so  können  die  Lichtstrahlen 
ungehindert  passiren,  die  Trübung  wird  verschwinden.  — 
Oanz  vereinzelte,  sehr  schmale  Lücken  zwischen  den  Fasern 
in  der  Nähe  des  Aequators,  zuweilen  auch  in  der  hinteren 
Gorticalis,  die  ebenfalls  mit  körniger  Masse  gefQllt  sind, 
machen  keine  intra  vitam  wahrnehmbaren  Erscheinungen 
nnd  regen  nicht  weiteren  Zerfall  an. 

Hiermit  sind  die  degenerativen  Vorgänge  in  den  Linsen, 
welche  nicht  der  totalen  Trübung  anbeim  fallen,  ab- 
geschlossen. Der  Beparationsprocess  besteht  in  der  theil- 
weisen  Beseitigung  der  Zerfullsmassen ,  die  in  gelöstem 
Zustande  aus  d^m  Kapselsack  hinaus  transportirt  werden, 
zuweilen  in  solcher  Menge,  dass  die  vordere  Linsenfläche 
deilenförmig  einsinkt.  Zugleich  schreitet  am  Aequator 
das  Wachsthum  der  Linse  ungestört  weiter;  die  neuen 
Fasern  verlaufen  unmittelbar  unter  dem  Epithel,  erreichen 
sich  schliesslich  am  Pol  und  verwandeln  so  das  Detritus- 
gebiet  in  eine  grosse,  allseitig  von  Fasern  umgebene  Höhle, 
welche  stetig  von  der  Kapsel  abrückt,  aber,  soweit  meine 
Versuche  reichen,  —  bis  zu  V*  Jah^  —  ^^^^  °^^  ^^^^ 
wenig  verkleinert  (Fig.  16  a). 


152  0.  Schirmer. 

Sämmtliche,  soeben  beschriebenen  Yeranderangen 
finden  sich  in  ähnlicher  Form  bei  der  Totalcataract.  Hinza 
tritt  vor  Allem,  in  ihren  Anfingen  schon  nach  einigen 
Standen  bemerkbar^  die  Bildung  zahlreicher  Lücken  nnd 
Spalten  zwischen  den  Fasern  der  hinteren  Corticalis.  Die- 
selben finden  sich  ausserordentlich  massenhaft,  in  ihrer 
Form  oft  an  die  sogenannten  Algenbilder  erinnernd.  Sie 
sind  auch  hier  die  Vorstufe  des  Zerfalls,  dem  allmählich 
die  ganze  hintere  Corticalis  anheimfällt.  Oleiche  Processe, 
die  zum  gleichen  Ausgang  führen,  spielen  sich  an  den 
Fasern  der  Aequatorialzone  ab. 

Die  Kerne  derselben  bieten  bei  ihrem  Absterben  eigen- 
thamliche,  von  dem  physiologischen  Eemtod,  wie  ihn 
Becker'*^)  beschreibt,  theilweise  abweichende  Bilder.  —  Die 
Degeneration  schreitet  von  den  ältesten  zu  den  jüngsten 
Fasern  fort,  so  dass  man  zuweilen  an  einer  Linse  sämmtliche 
Stadien  des  Frocesses  beobachten  kann.  —  Zunächst  wird 
der  Kern  gröber  gekömelt,  die  einzelnen  Körner  liegen 
weiter  von  einander,  sie  färben  sich  intensi?  mit  Alaun- 
carmin  und  Hämatoxylm  (Fig.  12  a).  Zugleich  bildet  sich 
durch  Austritt  eiweisshaltiger  Flüssigkeit  aus  dem  Kern  der 
¥om  Kapselepithel  her  bekannte  helle  Hof  —  anfangs  wieder 
an  einzelnen  Stellen  der  Peripherie  (Fig.  12  b),  allmählich 
den  ganzen  Kern  umgebend  (Fig.  12  c  d).  Eingefasst  ist  er 
Yon  einer  feinen,  dunklen  Linie;  dieselbe  entspricht  jedoch 
auch  hier  aus  den  oben  angeführten  Gründen  nicht  einer 
Membran  Die  chromatische  Substanz  fliesst  indessen  zu 
stetig  weniger  grossen,  stark  gefärbten  Kugeln  zusammen« 
welche  zum  Theil  in  den  lichten  Hof  treten  (Fig.  12  c  d  f  h). 
Einzelne  verlassen  denselben  sogar  und  liegen  dann  frei  in 
den  Fasern  in  unmittelbarer  Umgebung  des  inzwischen  stark 
verkleinerten  Bläschens.  Meistens  bleibt  aber  an  ihnen, 
besonders  an  den  grösseren,  ein  Fetzchen  der  den  Hof  bil- 


•)  loc.  cit.,  p.  46. 


Studie  über  die  Förster*8che  Matnratioa  der  Cataract     153 

H]enden  Masse  hängen,  so  dass  auch  sie  von  einem  scharf 
ebgesetzten,  hellen  Bing  umgeben  sind,  die  äussere  Grenze 
desselben  täuscht  auch  hier  eine  feinste  Linie  vor.  Jetzt 
ist  der  Kern  bis  auf  einige  Ghromatinklümpchen  und  etwas 
schwach  ftrbbare,  stmcturlose  Masse  zusammengeschrumpft; 
auch  letztere  schwindet  allmählich,  und  nur  das  inzwischen 
«ehr  klein  gewordene  Bläschen  mit  einem  dunklen  Pünktchen 
in  der  Mitte  bleibt  noch  einige  Zeit  innerhalb  der  Grenzen 
der  Sichtbarkeit  (Fig.  12  h  g).  Der  Hauptunterschied  von 
4et  physiologischen  Eemdegeneration  besteht  also  in  dem 
rapideren  Verlauf  und  in  der  Bildung  einer  grösseren  An- 
zahl Chromatinklttmpchen,  welche  gemeinschaftlich  in  einem 
kleinen,  aus  dem  Zellsaft  bestehenden  Bläschen  suspendirt 
sind,  theilweise  auch  aus  demselben  austreten. 

Die  Bildung  von  Yacuolen  in  den  jüngsten  Fasern 
ist  in  den  Fällen  von  Totalcataract  eine  ausserordentlich 
massenhafte,  sodass  es  zum  Zerfall  der  ganzen  Faserhälfte 
kommt.  Es  entsteht  so  am  Aequator  parallel  der  Linsen- 
axe  ein  länglicher  Zerfallsbezirk,  der  vom  an  das  Eapsel- 
epithel  stOsst,  hinten  an  die  Kerne  des  Kembogens.  Der- 
selbe wird  im  Laufe  der  Zeit  schmaler,  da  die  Zerfalls- 
massen  fortgeschafft  werden,  und  nun  die  Fasern  Ton  den 
Seiten  wieder  näher  zusammenrücken  (Fig.  13a,  14a).  Zu- 
gleich wird  der  Eembogen  je  länger,  um  so  mehr  und  um 
60  spitzwinkliger  nach  hinten  .ausgebuchtet  (Fig.  13  b,  14  b). 
Die  Gestalt  des  Kembogens  wird  nun  zweifellos  durch  die 
Lage  der  Kerne  in  ihren  Fasern  bestimmt  und  zwar  in 
diesem  Falle,  da  die  vorderen  Faserenden  zerfalleu  sind, 
also  nicht  in  Betracht  kommen,  durch  ihre  Entfernung  von 
dem  Fusspunkt  der  Faser  an  der  hinteren  Kapsel.  Würde 
die  hintere  Hälfte  einer  Faser  plötzlich  zu  wachsen  auf- 
boren, so  müsste,  da  ihr  hinterer  Fusspunkt  stetig  an  der 
Kapsel  nach  hinten  rückt,  auch  ihr  Kern  in  gleicher  Weise 
nach  hinten  rücken.  Hier  beobachten  wir  nun  bei  einer 
Gruppe  von  Kernen,  dass  sie  näher  dem  hinteren  Fusspunkt 


154  0<  Schirmer. 

der  zagehOrigen  Faser  liegen,  als  anter  normalen  Yerhftlt* 
nissen;  wir  werden  also  daraas  auf  ein  beschränktes  Wachs- 
thum  der  hinteren  FaserhUften  schliessen  können.  Die 
Beobachtung  zeigt  femer«  dass  nar  bei  denjenigen  Fasern 
der  Kern  nach  hinten  gerückt  erscheint,  deren  vordere 
Hälften  zerfallen  sind.  Sonach  darf  man  annehmen,  dass 
Zerfall  eines  Theils  einer  Faser  auch  auf  den  Best  der* 
selben  wirkt  and  zwar  beschränkt  er  denselben  in  seinem 
Wachstham. 

Die  Fälle  sind  jedoch  nicht  häafig,  wo  man  einen  Zer- 
fall nur  der  vorderen  Hälften  findet,  meistens  gehen  diese 
jüngsten  Fasern  in  toto  za  Grande,  sodass  die  ganze  linse 
za  einem  körnigen  Detritus  zerfällt,  der,  hauptsächlich  in 
der  hinteren  Gorticalis  und  am  Aequator,  untermischt  ist 
mit  zahlreichen  Eiweisskugeln  und  Fasertrammem.  Nur 
der  Kern  hält  mit  diesem  rapiden  Zerfall  nicht  gleichen 
Schritt  Zwar  wird  auch  er  von  der  Peripherie  her  auf- 
gefasert  und  angefressen,  woran  wohl  das  Eammerwasser 
den  Hauptantheil  hat;  eine  vollständige  Auflösung  desselben 
konnte  ich  jedoch  nach  6  Wochen  noch  nicht  constatiren.  — 
Zugleich  bildet  sich  von  den  stark  wuchernden  Vorder- 
kapselzellen  aus  ein  Epithelbelag  an  der  Hinterkapsel.  Der- 
selbe zeigt  die  bekannten  Merkmale:  grosse,  blasse,  zum 
Theil  hydropisch  gequollene  Zellen,  theilweise  unregelmässig 
an  einander  gelagert,  an  anderen  Stellen  aber  einen  conti- 
nuirlichen,  einschichtigen  Bels^  bildend.  Karjokinetische 
Figuren  habe  ich  nicht  in  ihnen  gefunden.  —  Die  Bildung 
neuer  Fasern  geht  in  diesen  Fällen  nicht  regelrecht  vor 
sich,  sondern  es  entstehen  Blasenzellen  der  verschiedensten 
Grösse,  die  durch  Abplattung  an  einander  in  alle  möglichen 
Formen  gepresst  werden,  genau  wie  es  beim  Crystallwolst 
nach  Staarextractionen  beschrieben  wird.  Der  Grund  ist 
dort  wie  hier  jedenfalls  in  der  Abnahme  des  intrakapsulären 
Druckes  zu  suchen.  Die  zu  Fasern  auswachsenden  £pi- 
thelien,  nicht  mehr  durch  ihre  Nachbarn  in  eine  bestinoante 


Studie  über  die  FOrster^sche  Matoration  der  Gataract.     155 

Form  gezwän^,  sind  in  der  Lage,  hauptsächlich  ihrepi 
natflrlichen  Wachs thnmstrieb  zu  folgen,  der  ihnen  augen- 
scheinlich eine  mehr  knglige  Gestalt  anweist  Diese  Herab- 
mindenmg  des  intrakapsulären  Dmckes  gebietet,  die  Re- 
sorption einer  nicht  unbeträchtlichen  Menge  Detritus  anzu- 
nehmen. Hat  sich  so  viel  von  dieser  crystailwulstfthnlichen 
Hasse  gebildet,  dass  der  Druck  wieder  eine  genügende  Höhe 
erreidit,  so  bilden  sich  Ton  Neuem  Fasern  von  normaler 
Gestalt,  welche  unmittelbar  unter  dem  Epithel  von  allen 
Seiten  dem  Fol  zustreben  und  so  die  cataractOse  Linse  mit 
normalen  Fasern  umgeben.  So  entstehen  im  Laufe  der  Zeit 
Bilder,  ähnlich  dem  von  Leber*)  nach  Disdsion  der  Vorder- 
ks^sel  erhaltenen:  eine  Linse  mit  trübem,  zerfallenem  Kern 
und  durchsichtiger  Corticalis,  welche  die  normale  Faser- 
anordnung und  normale  Fasern  zeigt;  nur  die  dem  Detritus- 
gebiet  unmittelbar  anliegenden  befinden  sich  in  langsamer 
Quellung  und  Zerfall.  Viel  schneller  geht  aber  die  Bildung 
neuer  Fasern  vor  sich,  so  dass  die  Schicht  durohsichtiger 
Corticalis  stetig  an  Dicke  zunimmt« 


Wir  haben  gesehen,  dass  eine  Zerquetschung  der  vor- 
deren Corticalis  nur  eine  feine,  radiäre  Trübung  dicht  unter 
der  Kapsel  ergiebt,  und  zwar  konnte  das  nicht  nur  für  die 
intacten  Eaninchenlinsen  bewiesen,  sondern  auch  für  die 
Cataracta  senilis  des  Menschen  durch  den  oben  angefahrten 
Fall  wahrscheinlich  gemacht  werden.  Um  eine  derartige 
Trübung  kann  es  sich  in  den  Fällen  von  gelungener  Matu- 
ration  nicht  gehandelt  haben ;  die  casuistischen  Mittheüungen 
sprechen  stets  von  einer  dicken,  weissen,  nicht  duroh- 
leuchtbaren  Trübung;  beweisend  sind  in  dieser  Beziehung 
besonders  die  Fälle  von  maturirtem,  hinterem  Corticalstaar. 
Demnach  erscheint  mir  die  Ansicht  nicht  haltbar,  dass  die 


*)  Leber,  Kemstaarartige  Trübung  der  Linse  nach  Ver- 
letzung ihrer  Kapsel  n.  s.  w.  Archiv  f.  Ophthalm.  Bd.  XXII.  1» 
p.288. 


156  0.  Schirmer. 

Tritur  nur  eine  Zerquetschung  der  vorderen  Gorticalis  her- 
hervorrufe. Auch  secundftr  durch  den  Zerfall  dieser  kann 
die  Maturation  nicht  entstehen,  da,  wie  wir  gesehen  haben, 
die  vordere  Certicalis  sehr  wohl  zerfallen  kann,  ohne  dass 
totale  Linsentrübung  nachfolgt;  auch  spricht  dagegen  das 
gleichzeitige  Auftreten  der  Trübung  in  der  ganzen  Linse. 
Man  muss  vielmehr  annehmen,  dass  bei  jeder  gelungenen 
Maturation  die  Massage  in  gleicher  Weise  auf  sämmtliche 
Fasern  eine  zerstörende  Wirkung  ausübt,  dass  es  sich  also 
stets  um  die  Hervorrufung  einer  Totalcataract  handelt 

Dieselbe  entsteht  zweifellos  durch  die  Wirkung,  welche 
die  Massage  unmittelbar  auf  die  Linsensubstanz  ausübt; 
denn  es  werden  durch  dieselbe  keine  Veränderungen  im  Auge 
geschaffen,  welche  secund&r  eine  Cataract  erzeugen  könnten. 
Destructive  Wirkung  auf  die  Linsenfasern  könnte  nun  die 
Massage  erstens  dadurch  ausüben,  dass  durch  den  Druck 
auf  die  Vorderkapsel  die  Spannung  innerhalb  des  Eapsel- 
sackes  mne  höhere  wird,  als  die  Fasern  ertragen  können, 
die  Compression  der  Fasern  also  könnte  die  Lebensfähigkeit 
derselben  vernichten.  Es  ist  mir  jedoch  nicht  gelungen, 
durch  einen,  selbst  mehrere  Minuten  währenden,  langsam 
an-  und  abschwellenden  Druck  mittelst  eines  stumpfen  In* 
strumentes  auch  nur  die  geringste  Trübung  in  der  Linse 
hervorzurufen.  Da  der  Druck  also  nicht  das  aetiologische 
Moment  sein  kann,  muss  man  es  in  der  reibenden  Bew^ung 
suchen.  Dieselbe  bewirkt  in  den  vordersten  Schichten,  wie 
die  mikroskopische  Untersuchung  unmittelbar  nach  der  Ope- 
ration enucleirter  Bulbi  lehrt,  ein  Auseinanderweichen  der 
Fasern,  eine  Verschiebung  der  einzelnen  Faserschichten  an 
einander,  und  diese  wiederum  führt  durch  Einleitung  ab- 
normer Diffusionsvorgänge  zwischen  der  in  den  Lücken  stag- 
nirenden  Masse  und  dem  Faserinhalt,  ferner  auch  zwischen 
Linse  und  Eammerwasser  zum  Zerfall  dieser  Schichten.  Es 
liegt  nahe,  zumal  die  mikroskopischen  Veränderungen  fast 
die  gleichen  sind,   auch  für  die  tiefer  gelegenen  Parthieen 


Studie  über  die  Förster  sehe  Matnration  der  Gataract.     ]57 

fthnliche  Verhältnisse  anzunehmen.  Unmittelbar  nach  der 
Operation  allerdings  konnte  ich  in  ihnen  noch  keine  Lücken 
constatiren.  Da  aber  die  reibende  Bewegung  diese  Fasern 
nnr  sehr  mittelbar  treffen  kann,  l&sst  sich  hier  eine  so  starke 
Yerschiebongf  wie  in  den  vordersten  Gorticalschichten,  gar 
nicht  erwarten.  Bis  es  zur  deutlichen  Spaltenbildung  kommt^ 
bedarf  es  vielmehr  noch  eines  kurzen  Bestehens  der  durch 
die  Lockerung  der  Schichten  hervorgerufenen  Ernährungs- 
störung; später  wird  auch  hier  das  eindringende  Kammer- 
Wasser  den  Zerfall  beschleunigen. 

Da  es  sich  um  die  Erzeugung  einer  Totalcataract  han- 
delt, kann  man  nicht  an  dem  Postulat  festhalten,  dass  ein 
Widerlager,  sei  es  in  der  getrübten  hinteren  Corticalis,  sei  es 
im  sderosirten  Kern  unbedingt  vorhanden  sein  muss,  auf  dem 
das  massirende  Instrument  die  Fasern  quetscht.  Es  genügt, 
dass  die  Linse  durch  die  Zonula  in  ihrer  Lage  festgehalten 
und  gehindert  wird,  dem  Druck  nach  hinten  auszuweichen, 
—  Femer  geht  aus  Obigem  hervor,  dass  die  Tritur  auf  alle 
Staararten  anwendbar  ist.  Allerdings  wird  der  Erfolg  um 
so  leichter  eintreten,  je  ausgedehnter  die  schon  vorhandene 
Trübung  ist,  da  durch  eme  an  einzelnen  Stellen  schon  vor- 
handene Lockerung  der  Schichten  und  eine  verschiedene 
Consistenz  derselben  ihre  mechanische  Trennung  zweifellos 
erleichtert  wird.  Man  wird  aber  auch  in  ungünstigen  Fällen 
durch  genügend  lange  Dauer  der  Massage  Maturation, 
d.  h.  Totalcataract,  erzeugen  können.  Selbst  eine  längere 
Tritur  wird  übrigens,  wenigstens  von  den  Kaninchenaugen, 
vorzüglich  vertragen;  bleibende  Schädigung  beobachtete  ich 
in  keinem  Falle,   weder  an  der  Cornea,   noch  an  der  Iris. 

Zum  Schluss  sei  es  mir  gestattet,  Herrn  Prof.  Leber 
f&r  die  freundliche  Unterstützung,  die  er  mir  bei  dieser 
Arbeit  jederzeit  hat  zu  Theil  werden  lassen,  meinen  auf- 
richtigen, ergebenen  Dank  auszusprechen.  Gleichen  Dank 
schulde  ich  Herrn  Prof.  von  Bothmund,  unter  dessen 
Leitung  ich  diese  Arbeit  begann  und  Herrn  Privatdocent 


158  0.  Schirmer. 

Dr.  Schlosser,  der  mir  das  Thema  stellte  und  jederzeit 
in  liebenswfirdigster  Weise  behilflich  war. 

Nachtrag.  Die  oben  aasgesprochene  Behauptung,  dass 
unmittelbar  nach  der  Operation  Lücken-  und  Spaltenbildung 
ausser  im  vorderen  Gortex  nicht  zu  finden  sei,  gründet  sich 
auf  die  Untersuchung  einer  Anzahl  Linsen,  bei  welchen  ich 
die  Massage  V»  Minute  hindurch  ausgeführt  hatte,  ich  war 
also  niemals  gewiss,  es  mit  den  Anfängen  einer  Totalcataract 
zu  thun  zu  haben.  Erst  nach  Abschluss  der  Arbeit  konnte 
ich  einen  unmittelbar  nach  der  Operation  enudeirten  Bulbus 
untersuchen^  bei  welchem  ich  nach  Hess  3—4  Minuten 
massirt  hatte,  also  sicher  war,  den  Grund  zu  einer  Total- 
cataract gelegt  zu  haben.  Ich  konnte  zahlreiche,  kleine 
und  grossere  Spalten  in  der  hinteren  Corticalis  und  der 
äquatorialen  Zone  constatiren.  Es  ist  hierdurch  der  Beweis 
geliefert,  dass  die  Massage  eine  Lockerung  und  ein  Aus- 
einanderweichen auch  der  tief  gelegenen  Schichte  direct 
hervorrufen  kann.  Dass  es  mir  anfangs  nicht  gelang,  dies 
zu  constatiren,  hat  also  jedenfalls  darin  seinen  Grund,  dass 
ich  zufällig  nur  solche  Linsen  unmittelbar  nach  der  Operation 
untersuchte,  bei  welchen  später  keine  Totalcataract  ein- 
getreten wäre. 


Figuren  -  Erklärung. 

Fig.  l  und  2. 

Abgezogene  Kapsel«  '^  Stande  nach  der  Operation.  Degene- 
rirende  Kapselepitlielieii;  die  Ghromatinsubstanz  hat  sich  an  grö- 
beren Elümpchen  gesammelt;  Yacuolen  liegen  im  Innern  des  Kerns; 
an  einzelnen  Stellen  der  Peripherie  tritt  ein  lichter  Hof  aaf,  in 
Fig.  Ib  und  2  b,  e,f  umgiebt  er  schon  den  ganzen  Kern,  der  in 
diesem  Falle  stärker  tingirt  ist.  In  Fig.  1  liegt  links  oben  eine 
normale  Zelle,  deren  Protoplasma  sich  durch  einen  leicht  dankleren 
Ton  yom  umgebenden  Detritus  abhebt;  nm  die  degenerirenden 
Kerne  fehlt  dieser  dunklere  Ring.  Winkel,  homog.  Imm  J^«,  ebenso 
die  ff.  bis  Fig.  10. 


Studie  Über  die  Försier'sche  Matnration  der  Oataract.     159 

Fig.  3. 

Abgesogene  Kapsel,  1  Stunde  nach  der  Operation.  Die  Va- 
eaolen  iiaben  sich  bedeutend  yerkleinert,  der  Hof  yergrOssert  > 

Fig.  4  und  5. 

Abgezogene  Kapsel,  2  Stunden  nach  der  Operation.  Kerne 
TerUeinert  und  dankler  gefärbt,  vollständiger  Hof,  der  ebenfalls 
schon  kleiner  geworden  ist.  In  Fig.  5  liegt  oben  eine  normale 
Epitbelzelle. 

Fig.  6. 

Abgesogene  Kapsel,  4  Stunden  nach  der  Operation  bei  zwei 
yeiBehiedenen  Einstellungen  gezeichnet,  oben  die  nachgerttckten, 
lebenden  Epithelien,  unten  die  von  der  Kapsel  abgehobenen,  dege- 
nerirenden  Kerne,  welche  auch  oben  durchschimmern.  Dieselben 
finden  sich  nur,  wo  eine  dickere  Schicht  körniger  Masse  an  der 
Kapsel  haftet,  die  zum  Theil  ihre  Structarverhältnisse  und  den 
Hof  verdeckt 

Fig.  7. 

Zeigt  dieselben  Verhältnisse,  8  Stunden  nach  der  Operation, 
an  einem  meridionalen  Schnitt  Die  Epithelschicht  ist  auffallend 
flach,  die  Kerne  platt  und  lang;  die  degenerirenden  Kerne  liegen  in 
einer  körnigen  Masse  zwischen  Epithel  und  Faserenden;  letztere 
sind  gequollen,  zum  Theil  schon  geplatzt. 

Fig.  8. 

Abgesogene  Kapsel,  36  Stunden  nach  der  Operation,  links  f&r 
die  lebenden  Epithelien  eingestellt,  die  stellenweise  Ansammlungen 
des  Ghromatins  erkennen  lassen,  rechts  ftlr  die  degenerirenden 
Kerne,  die  sich  ausserordentlich  verkleinert  haben. 

Fifir.  9. 

Meridionaler  Schnitt  durch  eine  cataractöse  Linse,  3  Tage 
nach  der  Operation.  Wucherndes  Kapselepithel,  unregelmässig  in 
mehreren  Schichten  gelagert,  von  welchen  die  der  Kapsel  zunächst 
liegende  ihre  Gontinuität  gewahrt  hat.  Die  Epithelien  selbst  sehen 
normal  aus. 

Fig.  10. 

Meridionaler  Schnitt  durch  eine  unmittelbar  nach  der  Operation 
herausgenommene  Linse.  Auseinander  gewichene  Fasern  der  vorder- 
sten Schichten  der  vorderen  Corticalis. 

Fig.  11. 

Meridionaler  Schnitt  durch  eine  Linse,  8  Stunden  nach  der 
Operation.  Spaltensystem  in  der  vorderen  Corticalis;  nach  links, 
dem  vorderen  Stemstrahl  zu,  wird  es  breiter  und  zeigt  grössere 
Lücken,  die  mit  kömiger  Masse  gefüllt  sind.    Winkel,  Obj.  7. 


IgO  0*  Scbirmer. 

Fig.  12. 

Degenerirende  Faserkerne  aus  Scbnittprftparaten;  a,  b,  c,  d,  e, 
f,  m  24  Standen,  h,  i,  k  6  Tage,  g  7  Tage,  1  41  Tage  nach  der 
Operation.  Sammlung  der  Ghromatinsubstans  zu  gröberen  Klftmp- 
chen;  Bildung  eines  lichten  Hofes  um  die  schrampfende.  fftrbbare 
Substans-,  Austritt  der  Ohromatinklümpchen  in  den  Hof  und  ans 
demselben  in  die  Fasern,  wobei  meist  ein  Fetschen  HofsubstanA 
an  ihnen  haften  bleibt   Winkel,  homog.  Imm.  ^,  controlirt  mit  %^. 

Fig.  13. 

Aequatoriale  Gegend  eines  Meridionalschnittes,  3  Tage  nach 
der  Operation,  a  Gebiet  der  zerfallenen,  vorderen  Faserh&lften; 
es  ist  ein  parallel  der  Linsenaxe  Iftnglicher  Zeriallsbezirk  ent- 
standen, der  vom  bis  an  das  Epithel,  hinten  bis  an  die  Klerue  des 
nach  hinten  ausgebuchteten  Kembogens  (b)  reicht   Winkel,  Obj.  4. 

Fig.  14. 

Aequatoriale  Gegend  eines  Meridionalschnittes,  9  Tage  nach 
der  Operation.  Das  Zerfallsgebiet  (a)  hat  sich  in  einen  langen, 
schmalen  Spalt  umgewandelt,  der  vom  Epithel  bis  an  den  Kern- 
bogen reicht  Letzterer  (b)  ist  weit  stftrker  und  spitzwinkliger 
nach  hinten  ausgebuchtet,  als  in  Fig.  13.    Winkel,  Obj.  4. 

Fig.  15. 

Halbschematischer  Schnitt  bei  9facher  YergrOssemng;  die 
Contouren  mittelst  des  Lange'schen  Apparates  gezeichnet  ^  Jahr 
nach  der  Operation,  a  Zerfallshöhle,  die  ursprtinglich  dicht  unter 
der  Kapsel  gelegen  war,  jetzt  aber  durch  die  seitdem  neugebildeten 
Fasern  (b),  welche  im  vorderen  Stemstrahl  (o)  zusammenstossen, 
dem  Kern  zu  verschoben  ist.  Alles  übrige  normal,  e  der  normale 
Kern.  Intra  vitam  war  nur  eine  leichte,  vor  dem  Kern  gelegene 
Trübung  sichtbar  gewesen. 

Fig.  16. 

In  gleicher  Weise  gezeichneter  Schnitt  6  Wochen  nach  der 
Operation.  Vollständiger  Zerfall  aller  Fasen  zu  einem  mit  massen- 
haften Eiweisskugeln  und  Faserüberresten  gemischten  Detritus, 
a  Stark  proliferirtes  Yorder-Kapselepithel,  b  continuirlicher  Epithel- 
belag der  Hinterkapsel,  c  neugebildete  Fasern  am  Aequator  von 
fast  normalem  Aussehen,  e  Lager  von  Bläschenzellen,  nach  innen 
vor  den  neuen  Fasern  gelegen,  also  früher  gebildet,  d  aufgesplitterter 
und  in  Auflösung  begriffener  Kern,  f  Falte  zwischen  den  Inser* 
tionen  der  Zonula;  jedenfalls  durch  den  Zug  der  letzteren  auf  die 
Kapsel  entstanden,  die  an  Inhalt,  aber  nicht  an  Grösse  verloren 
hat  Intra  vitam  hatte  die  Linse  das  Bild  einer  Totalcataract  ge- 
boten. 


Ghionisohes  Lidödem  bei  erysipelasaitiger  Ent- 
zfimdimg  mit  Tumorenbildung  an  den  Lidrändern. 

Von 

Dr.  Pedraglia  und  Prof.  Dr.  Deutschmann 

in  Hamburg^. 

Hierzu  Taf.  VI,  Fig.  1—4. 


Bereits  im  Jahre  1882  präsentirte  sich  mir  *)  ein 
neunjähriger  Knabe,  Willy  Klank,  in  der  Augqnabtheilung 
der  hiesigen  allgemeinen  Poliklinik  mit  denselben  krank- 
haften Veränderungen  der  Lider,  an  denen  derselbe  auch 
jetzt  noch  leidet  und  wurde  von  mir,  da  mir  ein  ähnlicher 
Fall  noch  niemals  vorgekommen  war  und  ich  auch  in  der 
mir  zu  Gebot  stehenden  Literatur  nirgends  ein  ähnliches 
Krankheitsbild  beschrieben  fand,  in  einer  wissenschaftlichen 
Sitzung  des  ärztlichen  Vereins  den  anwesenden  Aerzten 
vorgestellt,  woselbst  gleichfalls  keiner  der  anwesenden 
SpecialcoUegen  je  etwas  Aehnliches  beobachtet  zu  haben 
erklärte. 

Da  nun  auch  neuerdings  mein  Freund,  Herr  Professor 
Deutsch  mann,  dem  ich  den  Fall  als  Curiosum  gleich- 
falls zeigte,  denselben  als  ünicum  auffassen  zu  müssen 
glaubte  und   sich  zur  Anfertigung  einer  Zeichnung,  sowie 


*)  Pedraglia. 

▼.  Oraefe's  Archiv  fOr  Optatbftlmologle,  XXXIV.  1.  11 


162  Fedraj^lia  und  Deutschmann. 

zur  mikroskopischen  üntersuchuDg  desselben  erbot,  so  gebe 
ich  hier  die  klinische  Beobachtung  des  Falles,  welcher  sich 
der  Mittheilung  des  mikroskopischen  Verhaltens  durch 
Herrn  Professor  Deutschmann  anschliesst. 

Der  jetzt  14jährige,  sonst  ganz  gesunde  Patient  zeigt 
einen  plumpen,  maskenartig  starren  Gesichtsausdruck,  bedungen 
durch  ein  beiderseitiges  chronisches  Lidödem,  welches  sich  nach 
oben  bis  zu  den  Augenbrauen  erstreckt,  seitlich  über  den 
Nasenrücken  dermassen  hinzieht,  dass  derselbe  wie  durch  Epi- 
canthus  verbreitert  erscheint  und  nach  unten  sich  über  die 
Wangen  bis  gegen  die  Mundwinkel  hin  ausdehnt  und  besonders 
an  den  Lidern  eine  leichte  erisjpelasartige  Bothe  zeigt.  An 
der  stärkstgeschwollenen  Parthie  des  lockeren  Zellgewebes  über 
dem  Jochbogen  bleiben  nach  Fingerdruck  sogar  für  kurze  Zeit 
Eindrücke,  wie  bei  Anasarca,  so  dass  ich  bei  der  ersten  Vor- 
stellung des  Kranken  eine  Untersuchung  des  Urins  auf  Eiweiss 
für  angezeigt  erachtete,  welche  jedoch  ein  negatives  Resultat 
lieferte. 

Die  Lidspalte  ist  durch  die  ödematOse  Schwellung  etwas 
verengt  und  die  Lidränder  selbst  sind  mit  ungleichmassig  ver- 
theilten,  zahlreichen,  1—4,0  mm  hohen,  rundlichen,  an  ihrer 
der  Gonjunctiva  bulbi  zugekehrten  und  derselben  aufliegenden 
Seite  aber  plattgedrückten,  glatten,  opaken,  bläulich -weissen 
Zäpfchen  von  dem  Aussehen  und  der  Form  spitzer  Condylome 
besetzt,  welche  ihren  vorzugweisen  Sitz  an  den  punktförmigen 
Mündungen  der  Ausführungsgänge  der  Meibom'schen  Drüsen 
haben,  ausserdem  aber  auch  an  der  äusseren  Lidkante  an  den 
Ausmündungen  der  Haarbalgdrüsen  der  Cilien,  sowie  in  be- 
sonderer Häufigkeit  an  der  inneren  Lidcommissur,  gleichfalls 
den  feinen  Ausmündungsstellen  der  Haarbalgdrüsen  entsprechend 
vorkommen.  Manche  derselben  stehen  isolirt  und  durch  Zwischen- 
räume von  einander  getrennt,  während  andere  dicht  neben- 
einander gelagert  sind,  besonders  an  den  Ausführungsgängen 
der  Meibom*schen  Drüsen,  so  dass  sie  theilweise  confluiren 
(s.  Figur  1). 

In  Folge  der  Beizung  der  Goigunctiva  bulbi  durch  das 
Aufschleifen  dieser  Wucherungen  existirt  ein  ziemliches 
Thränenträufeln,  jedoch  nur  ein  verhältnissmässig  geringer 
Coi\junctivalcatarrh  mit  sehr  massiger  Secretion.  Die  Cilien 
sind  in  normaler  Zahl  und  Stellung  vorhanden  und  eine  Com- 


i 


Chronisches  LidOdem  bei  erysipelasartiger  Entzündung.    Ig3 

plication  mit  Leiden  der  Thränenorgane  existirt  nicht.  Auf  der 
Coiyunctiva  bulbi  sind  besonders  nach  innen  von  der  Cornea 
die  Ljmphgefässe  stark  ectatisch.  Bechts  befindet  sich  eine 
Nubecula  fast  im  Centrum  der  Cornea.  S  ist  beiderseits  ^Vro 
(—  2  D.),  Jaeger  4  wird  gelesen.  Ophthalmoskopischer  Befund 
normal.  Die  subjectiven  Erscheinungen  bestehen  in  einem  be- 
tonders  bei  heftigem  Wind  und  Witterungswechsel  sehr  lästigen 
Brennen  und  Hitzegefuhl  in  den  Augen  und  Wangen  bei 
gleichzeitig  vermehrter  Thränenabsonderung. 

Wenn  man  die  beschriebenen  Wucherungen  mit  der  Scheere 
an  ihrer  Basis  abträgt,  was  ohne  Blutung  geschehen  kann,  so 
bilden  sie  sich  in  ziemlich  kurzer  Zeit  wieder  Ton  Neuem,  und 
zwar  in  circa  acht  Tagen  in  Form  kleiner  herpesartiger  Bläs- 
chen Ton  Halbmohn-  bis  Halbhirsekomgrösse,  die  auf  Empor- 
hebung der  Epidermis  durch  seröse  durchsichtige  Flüssigkeit 
zu  bestehen  scheinen  und  sich  besonders  zahlreich  um  die 
innere  Lidcommissur  des  rechten  Auges  entwickelt  haben,  wovon 
Fig.  2  ein  anschauliches  Bild  liefert.  Ein  Theil  derselben 
trocknet  dann  ab,  während  aus  den  anderen  die  erwähnten 
Zäpfchen  sich  wieder  herausbilden  und  allmählich  wieder  die 
frühere  Grösse  erreichen.  Ich  habe  im  Laufe  der  fünf  Jahre, 
seit  ich  den  Kranken  beobachte,  diesen  Vorgang  wiederholt  ge- 
sehen und  mich  überzeugt,  dass  anfänglich  nach  der  operativen 
Entfernung  Patient  sich  besser  befand,  dass  aber  nach  kurzer 
Zeit  die  Wucherungen  wieder  in  früherer  Zahl  und  Grösse, 
bald  am  oberen,  bald  am  unteren  Lid  und  bald  mehr  am 
rechten,  bald  mehr  am  linken  Auge  vorhanden  waren,  während 
an  der  Beschaffenheit  des  Lidödems  sich  niemals  etwas  geändert 
zeigte. 

Zu  erwähnen  wäre  noch,  das  nur  einmal  im  September  1885 
Patient  sich  mir  insofern  mit  gänzlich  verändertem  Aussehen 
vorstellte,  als  damals  die  sämmtlichen  Auswüchse  dunkelblut- 
roth  und  blutdnrchtränkt  erschienen,  bei  gleichzeitigem  Vor- 
handensein zahlreicher,  in  die  Haut  der  Lider  eingesprengter  — 
den  Lidrändem  zunächst  häufiger,  dann  peripherisch  an  Zahl 
abnehmender  —  Hirsekorn  grosser  Ecchjmosen. 

Patient  schildert  das  Auftreten  dieser  nur  einmal  vor- 
gekommenen Congestionserscheinung  mit  Buptur  feinster  Ge- 
f&sse  der  Drüsenausführungsgänge  als  mit  aussergewöhnlichem 
Hitzgefühl  in  Augen  und  Wangen  aufgetreten.  Nach  Application 
kühler  Bleiwasser-Ueberschläge  verlor  sich  indessen  diese  Com- 

11* 


Ig4  Pedra^lia  und  Deutschmann. 

plication  rasch  wieder  bis  zur  Wiederherstellung  des  früheren 
Zustandes. 

In  Bezug  auf  die  Anamnese  war  durch  den  Kranken  nur 
zu  erfahren,  dass  dessen  Eltern  das  Auftreten  der  beschriebenen 
Augenerkrankung  im  dritten  Lebensjahr  „nach  dem  Impfen'^ 
zuerst  bemerkt  haben  wollen,  also  sechs  Jahre  bevor  er  mir 
zuerst  in  der  Poliklinik  vorgestellt  worden  war.  Nach  dem 
dritten  Lebensjahr  litt  Patient  noch  an  Anschwellung  und 
Vereiterung  der  beiderseitigen  Submaxillardrüsen,  wovon  beider- 
seits die  Narben  noch  sichtbar  sind  und  ausserdem  an  Masern 
und  Keuchhusten. 

Therapeutisch  wurde  gegen  das  Leiden,  jedesmal  wenn 
Patient  sich  wegen  XJeberhandnahme  der  Wucherungen  wieder 
einfand,  die  Abtragung  derselben  mit  nachfolgender  Jodoform- 
bestreuung  der  kleinen  Wundflächen  in  Verbindung  mit  gegen 
den  begleitenden  Gonjunctivalcatarrh  gerichteten  Gollyrien  und 
innerlich  längere  Zeit  Jodkalium  in  Anwendung  gebracht, 
jedoch  ohne  dauernden  Erfolg,  da  die  Wucherungen  stets 
wiedergekehrt  sind,  wie  das  Lidödem  unverändert  geblieben  ist. 
Im  Grossen  und  Ganzen  ist  jedoch  eher  eine  Ab-  als  Zunahme 
der  krankhaften  Erscheinungen  wahrzunehmen,  da  Patient  die 
Lidspalten  weiter  zu  Offnen  im  Stande  ist,  als  früher  und 
weniger  von  subjectiven  Empfindungen  geplagt  wird.  Die 
innerliche  Anwendung  von  Arsenik  wäre  noch  zu  versuchen. 


Wenn  nun  auch  in  der  ophthalmologischen  Literatur 
sich  allerwärts  ähnliche  Bildungen  an  den  Lidrändem,  an 
den  Ausführungsgängen  der  Meibom*schen  sowohl  als  der 
Haarbalgdrüsen  als  sogenannte  Retentionscysten  tbeils  unter 
dem  Namen  des  Milium  oder  als  hyaline  Bläschen  (Vesicula, 
Phlyctaenula)  oder  gar  als  Hydatiden  (eigentliche  Cysten  am 
Lidrande)  beschrieben  finden,  die  sämintlich  jedem  Augen- 
arzte häufig  zur  Beobachtung  kommen,  so  war  doch  nirgends 
in  der  mir  zugänglichen  Literatur  älterer  sowohl  als  neuerer 
Zeit  die  Erwähnung  eines  so  massenhaften  und  hartnäckigen, 
nach  der  Abtragung  immer  recidivirenden  Auftretens  ähn- 
licher Gebilde  zu  entdecken,  ebenso  wenig,  wie  der  Ent- 
wickelnng  derselben  zu  grösseren  Tumoren  (als  eines  Milium) 
jemals  gedacht  wird.    Auch  ist  wohl  von  chronischer  Ent- 


Chronisches  LidMem  bei  erysipelasartig^r  Entzündung.    Ig5 

Zündung  der  Lidränder  als  Ursache  ffir  die  Verstopfung  der 
Ausführungsgänge  der  Meibom'schen  Drüsen  die  Bede,  doch 
findet  sich  nirgendwo  eine  Andeutung  eines  gleichzeitigen 
Yorbandenseins  des  erwähnten  chronischen  Lidödems,  resp. 
einer  eris}pelasartigen  Entzündung,  welche  doch  wohl  ganz 
besonders  als  das  veranlassende  Moment  sowohl  der  Bildung 
überhaupt,  als  der  fortgesetzten  Wiederentwickelung  der 
abgetragenen  Excrescenzen  aufgefasst  werden  muss. 


Die  Hohe  der  mir*)  zur  Untersuchung  übergebenen,  von  der 
inneren  Lidkante  abgetragenen  Tumoren  schwankt,  wie  ihre 
Breite,  zwischen  2,5  und  4,0  mm:  die  Basis  ist  eher  breit,  die 
Farbe  milchig  weiss;  die  äussere  Oberfläche  glatt,  dieContouren 
des  oberen,  freien  Randes  nicht  gradlinig,  sondern  etwas  papillär 
gerippt,  die  Consistenz  ist  eine  weiche.  Die  kleinen  Tumoren 
werden  in  Alkohol  gehärtet  und  in  verschiedenen  Richtungen 
geschnitten.  Das  Besultat  der  Untersuchung  lehrt:  Zu  unter- 
scheiden sind  eine  äussere  Epitheldecke  und  ein  von  ihr  ein- 
geschlossener Inhalt,  welcher  letzterer  den  Hauptbestandtheil 
4ier  Geschwülste  formirt  —  (Fig.  4). 

Die  Epitheldecke  besteht  aus  mehrfach  geschichteten 
Plattenepithelien,  die  von  innen  nach  aussen  flacher  werden. 
Die  Schichtung  derselben  ist  von  durchaus  ungleichmässiger 
Dicke  resp.  Zahl  der  Zelllagen.  Stellenweise  bildet  das  Epithel 
eine  mächtige  Decke  mit  unregelmässig  gestalteter  Oberfläche, 
an  andern  Stellen  eine  dünne,  nach  aussen  glatt  erscheinende 
2ellbekleidung.  Es  überzieht  natürlich  alle  die  kleinen  und 
grosseren  papillenartigen  Unebenheiten  der  Oberfläche  der 
kleinen  Tumoren,  wie  es  die  Thäler  zwischen  ihnen  auskleidet; 
hier  findet  es  sich  stellenweise  zu  kleinen  Ferlkugeln  angeordnet; 
endlich  erstrecken  sich  auch  kleine  Epithelzapfen  in  das  innere 
hinein.  Diese  Epithelschicht  umschliesst  nun  eine  der  Haupt- 
masse nach  amorphe,  leicht  glänzende  Substanz,  in  der  reich- 
liche Sprünge  und  verzweigte  spaltförmige  Lücken  auftreten; 
letztere  lassen  Hämatoxylin  imd  Carmin  eindringen,  so  dass 
sie  zuweilen  Easerzüge  vortäuschen  könnten;  indess  sind  solche 
mit  Sicherheit  auszuschliessen.    Ab  und  zu  treten  in  der  sonst 


*;  Dentschmann. 


166  Pedraglia  und  Deutschmann. 

strnctarlosen  Masse  Andentimgen  von  Besten  frflherer  Zell* 
grenzen  auf,  endlich  rundliche  Kerne  zum  Theil  scharf  tingirt, 
zum  Theil  haben  sie  den  Farbstoff  nur  sehr  schlecht  auf- 
genommen. Daneben  finden  sich  in  einzelnen  der  kleinen  Ge-» 
schwülste,  theils  direct  unterhalb  der  Epithelschicht,  theils 
etwas  von  ihr  entfernt,  kleine  Heerde  eines  feinstkömigen,. 
wie  es  scheint,  fibrinösen  Netzwerks  mit  eingelagerten,  mehr 
oder  weniger  zahlreichen  LymphkOrperchen.  Weder  Gefösse^ 
noch  Nerven,  noch  Bindegewebselemente  sind  in  den  Tumoreu 
zu  finden.  Jene  Hauptinhaltsmasse  ist  der  mikro- chemischen 
Reaction  nach  als  Fett  aufzufassen,  sie  bleibt  durch  Säuren 
und  Alkalien  unverändert;  löst  sich  in  Aether,  Chloroform  und 
Benzin,  wird  von  Osmiumsfture  braun  gefärbt  und  nimmt  mit 
Gentiana -Violett  Tinction  an.    Amjloidreaction  giebt  sie  nicht. 

Besonders  werthvoU  bezüglich  der  Entstehung  der  frag* 
liehen  Tumoren  erscheinen  einige  wenige  von  der  Basis  einer 
etwas  tief  abgetragenen  Geschwulst,  gewonnene  Schnitte.  Fig.  3- 
giebt  einen  derselben  wieder.  Hier  erscheinen  in  dicht  gedrängt 
stehenden  Epithelien  zwei  Lumina,  eingefasst  von  typisch  ge- 
stellten Zellen,  nach  innen  ist  eine,  hie  und  da  auch  mehrere 
Lagen  platter  Homzellengebilde,  der  nach  aussen  eine  senk- 
recht zu  jenen  gestellte  Zellreihe  mit  kugeligem  oder  ovalen 
ZellkOrper  folgt,  dem  Epithel  der  äusseren  Haut  analog.  Der 
Inhalt  ist  aus  den  beiden  Oeffnungen  herausgefallen,  nur  Beste 
davon,  in  Form  der  früher  beschriebenen  Masse  mit  einigen 
Eemgebilden  sind  in  ihnen  erhalten.  Das  eine  Lumen  ist  bei 
weitem  grösser  als  das  andere,  auch  in  seiner  Form  unregel- 
mässiger. Die  fragliche  Geschwulst,  der  der  Schnitt  entnommen 
ist,  war  ihrer  Form  nach  aus  zweien,  einer  kleineren  und  einer 
grösseren,  confiuirt. 

Die  frischen  Herpesbläschen  ähnlichen  Eruptionen,  welche 
der  Bildung  jener  eigentlichen  Tumoren  voraufgehen  und  welche 
ich  durch  die  Güte  des  Collegen  Pedraglia  gleichfalls  zu  Ge- 
sichte bekam,  entleerten  beim  Anstechen  einen  opalescirenden,. 
schnell  gerinnenden  Tropfen,  der  sich  mikroskopisch  als  Ge- 
misch von  Epithelzellen,  Lymphkörperchen,  flüssigem  Fett^) 
und  einzelnen  rothen  Blutkörperchen  erwies,  Mikroorganismen 
Hessen  sich  darin  nicht  entdecken;  ebensowenig  lieferte  die 
Färbung  von  Schnitten   durch  die  ausgebildeten  Tumoren,   bc- 


*)  Durch  mikro  •  chemische  Reaction. 


Chronisches  Lidödem  bei  erysipelasartiger  Entzündang.     167 

%ügli6h  Mikroparasiten  ein  positives  Resultat.  Nnr  die  äussere, 
freie  Oberfläche  derselben  war  mit  zahlreichen,  jedenfalls  aus 
dem  Bindehautsacke  stammenden  Mikrococcen  belegt. 

Was  die  Pathogenese  der  fraglichen  Gebilde  anlangt, 
80  sind  sie  noch  als  aus  dem  Secret  der  Meibom'schen 
Drflsen,  der  Haarbalgdrüsen  der  Gilien  resp.  der  Hauttalg- 
drOsen  am  Lidwinkel,  an  deren  MQndungen  sie  ja  auch 
sassen,  hervorgegangen  zu  betrachten.  Die  an  der  Basis 
des  einen  kleinen  Doppeltumors  aufgefundenen  Lumina  lassen 
sich  kaum  anders,  als  wie  Mttndungen  von  Ausfbbrungs- 
gängen  Meibom'scher  Drüsen  auffassen.  Es  wären  demnach 
frei  nach  aussen  entwickelte,  ein  polypöses  Ansehen  gewin* 
nende  „Retentionscysten".  Sonach  würde  ihre  Entstehung 
auf  eine  behinderte  Entleerung  des  in  der  Drüsenausführungs- 
gangsOffnung  sich  ansammelnden  Secretes  zurückzufahren 
sein.  Im  Zusammenhalte  des  anatomischen  und  klinischen 
Bildes  scheint  mir  folgender  Entstehungsmodus  der  wahr- 
scheinlichste. Die  chronischen  erysipelasartigen  Affectionen 
der  Lider  führen  zu  einer  starken  chronischen  Hyperämie 
der  die  Talgdrüsen  (der  Lider,  der  Cilien,  der  Haut)  um- 
spinnenden Gefässnetze  mit  consecutiver  reichlicher  Drüsen- 
Zell-  und  Sekretproduction,  sowie  Epitbelwucherung  an  den 
Lidrändem,  beziehungsweise  besonders  den  Drüsenaus- 
fOhrungsgangsöffnungen,  endlich  gelegentlich  frischer  ent- 
zündlicher Nachschübe,  zum  Austritt  von  LymphkOrperchen,. 
resp.  Fibrin  in  die  Drüsenausführungsgänge.  Die  Epithel- 
Wucherung  an  den  Mündungen  der  Drüsenausführungsgänge 
führt  zu  einem  epithelialen  Verschluss  der  Ausgangsöffnung, 
80  dass  sich  das  reichlicher  producirte  (vielleicht  auch  in 
seinem  chemischen  Verhalten  veränderte?)  Secret  nicht  ent- 
leeren kann,  sondern  zunächst  die  verschliessende  Epithel- 
decke in  die  Höhe  hebt.  Dazu  gesellt  sich  unter  dem  Ein- 
flüsse der  entzündlichen  Hyperaemie  Beimengung  von  Lymph- 
kOrperchen —  1.  Stadium:  Bläschenbildung.  —  Sticht  man 
die  Bläschen  nicht  an,  so  gerinnt  ihr  Inhalt,  neues  Secret 


168  Pedraglia  und  Deutschmann. 

drängt  von  hinten  nach,  auch  Fibrin  und  LymphkOrperchen, 
ja  auch  rothe  Blutkörperchen  (klinisch  beobachtete  blutige 
Infiltration  der  Tumoren)  gesellen  sich  von  Seiten  der  in 
beständiger  entzündlicher  Erweiterung  befindlichen  Gefäss- 
bahnen  bei.  So  wachsen  die  kleinen  Tumoren,  bis  sie  den 
klinisch  beobachteten  Zustand  erreichen.  So  lange  die 
Grundursache  fortdauert,  recidiviren  sie;  es  bildet  sich  nach 
ihrer  Abtragung  schnell  eine  neue  Epitheldecke  von  den 
Seiten  her  und  die  Retention,  d.  h.  der  Process  der  Tumor- 
bildung beginnt  von  Neuem. 


Erklärung  der  Abbildungen. 


Fig.  1.  Bechtes  Auge  des  Patienten,  mit  den  Tumoren  der  Lid- 
ränder. 

Fig.  2.  Bechtes  Ange;  bläschenförmiges  Stadium,  besonders  am 
inneren  LidwinkeL 

Fig.  3.  Schnitt  durch  die  Basis  eines  kleinen  Doppeltumors  des 
Lidrandes;  2  Lumina  Meibom'scher  DrüsenausfÜhnmgs- 
gänge. 

Fig.  4.  Schnitt  durch  die  Höhe  eines  Lidrandtumors;  die  dunklen 
Partien  entsprechen  der  durch  Osmium  dunkel  gefärbten 
Inhaltsmasse. 


Beitrag  zur  &lanconi- Lehre. 

Von 

J.  Jacobson  seo.  in  Königsberg  i.  Pr. 


Nicht  weniger  als  fünfzehn  Jahre  hatte  die  Hyper- 
secretions- Lehre  ihre  Kraft  in  verschiedenen  Definitionen 
erschöpft,  bis  Graefe  sein  Unvermögen,  den  Krankheits- 
process  zu  erkennen,  bescheiden  eingestand,  —  und  wiederum 
vergingen  fünfzehn  Jahre,  bis  die  Betentions-Lehre,  die  bei 
den  Ophthalmologen  so  viel  Beifall  gefunden  hatte,  einen 
Stoss  erhielt,  von  dessen  tödlicher  Wirkung  sie  nur  noch 
für  kurze  Zeit  durch  ihre  Elasücitat  und  Liebe  zum  Leben 
bewahrt  bleiben  kann. 

Birnbacher  und  Gzermak  haben  in  diesem  Archiv 
den  augenfiUligen  Beweis  für  venöse  Stasen  in  dem  vorderen 
Segmente  der  Ghorioidea,  wie  sie  nach  Stellwag  v.  Oarion 
ia  neuester  Zeit  von  Arlt  und  mir  hauptsächlich  an- 
genommen waren,  geliefert,  —  die  alte  Chorioiditis  ist 
wieder  in  ihr  Becht  eingesetzt,  —  eine  secundäre  Peri- 
phlebitis mit  Verengung  grosser  Venen  und  besonders  der 
Vasa  vorticosa  ist  nachgewiesen,  —  eine  zuverlässige  Be- 
obachtung von  Verwachsung  der  Iris- Peripherie  mit  der 
Cornea  durch  blosse  Apposition  will  sich  noch  immer 
nicht  finden,  während  die  entzündliche  Verwachsung  über- 


170 


J.  Jacobson  Ben. 


zeugend  durch  Sectionen  couatatirt  iet,  —  kurz  toq  der 
neuen  Lehre  bleibt  aU  winziger  Rest  nur  die  paradoxe 
Behauptung :  „Glaucom  ist  ein  Symptom."  Aach  ihr  ist 
im  Kampfe  gegen  die  Elemente  der  allgemeinen  Pathologie 
eine  Pit^noBis  peasiraa  zu  atelien. 

Dass  Birnbacher  und  Czermak  in  ihrer  unter  dem 
bescheidenen  Titel:  „Beitrage  zur  pathologischen  Anatomie 
and  Pathogenese  des  Glaucoms"  veröffeutlichten ,  aas- 
gezeichneten Abhandlung  (Archiv  Bd.  32)  den  alten  Streit 
fOr  immer  entschieden  haben,  durfte  nicht  verschwi^eo 
werden;  denn  so  lange  jeder  Autor  sich  zu  einer  beliebigen 
Glaucom -Theorie  für  berechtigt  hßlt,  so  lange  haben  wir 
eben  so  viele,  subjective  Pathologien.  Hielte  ich  Schnabera 
Theorie  nicht  für  einQusslos,  so  warde  ich  die  schlagende 
Widerlegung,  die  ihr  zu  Theil  geworden  ist,  ebenfalls  ana- 
fohilicher  referirt  haben.  Unter  den  obwaltenden  Umst&nden 
genügt  es,  die  Thatsache  zu  constatiren.  Den  Einwand, 
dass  Birnbacher  und  Czermak  sich  nur  auf  die  kleine 
Zahl  Tou  nean  Sectionen  stotzen,  kann  ich  nicht  gelten 
lassen;  es  ist  unwiderleglich  nachgewiesen,  dass  in  neun 
untMsuchten  Angeu  diejenigen  Verfioderongen,  die  nach 
de  Wecker  dem  Begriffe  „Glaucom"  widersprechen,  ror- 
banden  waren.    Dieser  Nachweis  genügt.  — 

Zwei  Irrlehren  sind  beseitigt,  aber  eine  neue,  den  Er- 
gcheinnngeu  nicht  widersprechende  Lehre,   ist  noch  nicht 
gefunden.    Wenn  Birnbacher  nnd  Czermak  anch  wieder- 
holentlich  die  Absicht,   den  glaucomatösen  Prooess  zq  er- 
klären,   leugnen,  so   wird  man   ihnen  das  Verdienst,   die 
Sache  durch  gründliche  Kritik,  wie  darch  genaue  Beobacbtang, 
lle  Versuche  and  neue  Gedanken  geftirdert  zu  haben, 
lieb    bestreiten    and  nichts  natürliclier  finden,    ala 
las  compliciite  Problem  auf  dem   von    ihnen    ein- 
luen,  streng  wissenschaftlichen  Wege  nicht  im  ersten 
e  gelöst  worden  ist. 
'as   sie  erreichen  wollten,  QberBchreitet  die  Grenzen,. 


Beitrag  znr  Olaucom- Lehre.  171 

die  der  Leistungsfähigkeit  des  Klinikers  gesteckt  sind.  Er 
kann  schnell  zum  Ziele  gelangen,  aber  er  kann  das  Er* 
worbene  nicht  sicher  behaupten,  so  oft  es  auch  den  An- 
schein haben  mag,  als  sei  er  berufen,  durch  Beobachtung^ 
und  Speculation  zu  antecipiren,  was  die  Wissenschaft  nur 
auf  weiten  Umwegen  erlangt.  Um  seiner  höchsten  Auf- 
gabe, der  therapeutischen,  rationell  zu  genügen,  muss  er 
allerdings  das  Wesen  der  Krankheit,  dem  die  Behandlung 
sich  accomodiren  soll,  erkannt  haben,  aber  wie  oft  seine 
Möhe  Yergeblicli  ist,  weiss  Jeder,  der  ex  nocentibus  vor^ 
gefasste  Meinungen  aufgeben  und  neue  Wege  einschlagen 
gelernt  hat.  „Beobachtung  am  Lebenden"  ist  das 
Mittel,  „Combinationen*'  sind  die  unsicheren  Wege,  auf 
die  er  angewiesen  ist,  bis  der  pathologische  Anatom  ihn 
mit  einem  neuen,  werthvollen  Mittel,  den  „Krankheits- 
producten'*,  unterstützt.  Wie  sich  beide  ergänzen,  wie 
jeder  von  Beiden  nur  auf  seinem  Oebiete  dem  Qanzen 
nützen  kann,  soll  mit  Bezug  auf  eine  beiläufige  Bemerkung 
in  der  Abhandlung  von  Birnbacher  und  Czermak  das 
folgende  Beispiel  aus  der  Glaucom- Lehre  illustriren. 

Der  Kliniker  sei  durch  den  Verlauf  der  Symptome 
bewogen  worden,  die  Disposition  zum  Glaucom  in  „venOsen 
Stasen'*  zu  vermuthen,  für  die  Ursache  dieser  letzteren 
mit  Bücksicht  auf  das  Alter  der  Kranken  „senile  Qe-» 
fässveränderungen"  zu  halten!  Dann  bleibt  ihm  zunächst 
die  relative  Seltenheit  des  Glaucoms.  Er  mus  von  Neuem 
zu  seinen  Beobachtungen  zurückkehren  und  findet,  wenn 
auch  nicht  ausnahmlos,  so  doch  als  Regel,  dass  seine 
Kranken  an  geringer  Energie  der  Herzthätigkeit  gelitten 
haben.  Niedriger  Arteriendruck  steigert  die  venOse  Stasct 
die  Hypothese,  so  weit  der  Kliniker  sie  aufstellen  darf^ 
ist  fertig  und  erwartet  ihre  Gensur  vom  pathologischen 
Anatomen.  —  Den  glücklichen  Fall  nun  weiter  angenommen^ 
dass  der  pathologische  Anatom  bei  einigen  Sectionen  die 
Bedingungen    für    venöse  Stasen  in  groben  Gefäss-Yer- 


172  J*  Jacobson  sen. 

ändorangen  findet  und  letztere  für  die  directe  oder  wesent- 
lichste Ursache  des  Glaucoros  hält,  so  ist  er.  in  Zukunft 
auf  die  Unterstützung  des  Klinikers  angewiesen;  denn  wie 
die  Herzthätigkeit  gewesen,  ob  psychische  Depression  und 
dergleichen  mitgewirkt  haben  mag,  sagt  ihm,  wenn  die 
Veränderungen  der  Ge&sse  gering  sind  oder  fehlen,  der 
Sectionsbefund  nicht. 

In  der  mehrfach  citirten  Abhandlung  kommt  es  zu  keiner 
scharfen  Trennung  des  klinischen  und  pathologisch-anato- 
mischen Gebietes,  die  Verfasser  beherrschen  beide.  Des- 
halb ist  mir  die  Bestätigung  und  Erweiterung,  die  meine 
Ansichten  durch  ihre  Untersuchungen  gefunden  haben,  von 
ganz  besonderem  Werthe.  Vielleicht  glückt  es  mir  in  nicht 
geringerem  Maasse  mit  zwei  besonders  wichtigen  Theilen 
der  Glaucom- Lehre,  dem  Verhalten  des  Glaskörpers  und 
der  Sehnerven- Excavation.  Was  auch  in  dieser  Beziehung 
klinische  Beobachtungen  gelehrt  haben,  liegt  ihrer  streng 
wissenschaftlichen  Methode  so  fern,  dass  ich  hoffe,  ihnen 
einiges  Neue  zu  bringen. 


Was  man  erworben  hat  und  was  zunächst  anzustreben 
ist,  darüber  sich  klar  zu  werden,  dürfte  in  jedem  Stadium 
wissenschaftlicher  Thätigkeit  eine  unerlässliche  Bedingung 
weiteren  Fortschreitens  sein.  Es  gereichte  mir  deshalb  nicht  zu 
geringer  Befriedigung,  meinen  seit  Jahren  vergeblich  ausge- 
sprochenen Wunsch,  eine  Verständigung  über  diejenigen  Krank- 
beitsbilder,  die  man  Glaucom  nennen  wolle,  zu  suchen,  von 
Birnbacher  und  Czermak  gebilligt  zu  finden.  Auch  in 
der  Ophthalmologie  setzt  jede  wissenschaftliche  Discussion 
voraus,  dass  Alle  mit  den  Worten,  derer  sie  sich  bedienen, 
denselben  Sinn  verbinden,  während  wir  seit  der  Erweiterung 
des  alten  Erankheitsbegriffes  durch  Graefe  über  ein  „Glau- 
com" sprechen  und  schreiben,  dessen  Grenzen  jeder  nach 
seinem  subjectivem,  den  Anderen  unbekanntem  Ermessen  be- 
stimmt.   Dass  man  in  klarer  Erkenntniss   der  Schwierig- 


Beitrag  zur  Glaneom- Lehre.  173 

keiten  zu  meiner  Forderung  geschwiegen  hat,  wundert  mich 
nicht,  aber  dass  man  mir  beweisen  würde  (!),  wie  zweck- 
mässig es  sei,  Worte,  unter  denen  man  theoretisch  nicht 
dasselbe  verstehe,  in  der  Praxis  so  zu  brauchen,  als  ob 
man  über  ihren  Sinn  vollkommen  einig  sei,  das  überstieg 
allerdings  meine  Erwartungen. 

Auch  in  einer  zweiten,  das  Wesen  des  Glaucoms  be- 
treffenden Ansicht  habe  ich  mich  voller  Uebereinstimmung 
zu  erfreuen  gehabt.  In  den  Mittheilungen  aus  der  Eönigs- 
berger  Üniversitäts-Klinik  (1879)  ist  gezeigt,  dass  Oraefe's 
„Drucksteigerung  mit  Rückwirkung  auf  Retina  und  Opticus" 
mit  seiner  Eintheilung  der  Glaucome  in  primäre  uud  secun- 
däre  principiell  unvereinbar  sei:  das  Eintheilungsprincip  ist 
nämlich  nicht  im  Wesen  des  Glaucoms,  sondern  in  unserer 
Fähigkeit,  die  intraoculären  Ursachen  des  Glaucoms  zu  er- 
kennen, enthalten.  So  unbedeutend  und  theoretisch  es 
erscheinen  mag,  für  die  Unglücklichen,  die  in  ihrem  ärzt- 
lichen und  Lehrberufe  immer  noch  dadurch  gestört  werden, 
dass  sie  nicht  wissen,  was  als  Glaucom  anzusehen  und  zu 
behandeln  ist,  werden  dergleichen  theoretische  Fragen  eminent 
practisch. 

Bedeutungslos  aber  sind  sie  allerdings  gegen  die  Ent- 
scheidung über  die  Natur  des  acuten  Glaucoms.  Es  ist  weder 
die  Lymphe,  noch  ihr  verhinderter  Abfluss,  deren  endliches 
Verschwinden  bei  der  Auferstehung  der  Chorioiditis  für  mich 
besonderen  Werth  hat,  sondern  vor  Allem,  dass  wir  mit 
unserem  Glaucom  nicht  aus  den  weiten  Gebieten  der  bis- 
herigen pathologischen  Vorstellungen  heraustreten,  dass  wir 
eines  der  ernstesten  Erankheitsbilder,  das  acute  Glaucom, 
nicht  davon  abhängig  machen,  ob  die  Lymph-Emissarien 
etwas  mehr  oder  weniger  obstruirt  sind,  und  dass  wir,  an- 
statt mit  der  uncontroUirbaren  Lymphe,  der  man  um  so 
mehr  pathologische  Wunder  andichten  kann,  je  weniger  man 
von  ihr  weiss,  mit  Blutflüssigkeit  und  Blutgefässen  zu  thun 
haben,  deren  physiologisches  und  pathologisches  Verhalten 


l 


174  J-  Jacobson  sen. 

bei  aller  Lückenhaftigkeit  unseres  Wissens  soweit  bekannt 
ist,  dass  wir  nicht  jede  Hoffnung  auf  eine  klarere  Einsicht 
in  den  räthselhaften  Process  aufzugeben  brauchen.  Ausser- 
dem aber  bekenne  ich  gern  —  und  ich  mOsste  wenig  Passion 
für  meinen  klinischen  Beruf  haben,  wenn  es  anders  wäre, 
—  dass  es  für  die  Mühe  und  Arbeit  des  Klinikers  keinen 
schöneren  Lohn  giebt,  als  die  Gewissheit,  durch  Beobachtung 
und  Gombination  das  Wesen  der  Krankheiten  annähernd 
erkannt  zu  haben. 

Wer  das  alte,  inflammatorische  Glaucom  zu  Grunde 
legen  will,  um  zu  wissen,  wie  weit  er  den  Begriff  ausdehnen 
darf,  für  den  ist  die  Niederlage  der  Lymph-Hypothese  nicht 
etwas  rein  Theoretisches.  Wir  dürfen  mit  den  venösen 
Stasen  und  den  inflammatorischen  Processen,  deren  Vor- 
kommen nicht  mehr  bestritten  werden  kann,  rechnen,  wenn 
auch  der  empirische  Beweis  ihrer  Constanz  im  Augenblick 
unmöglich  ist,  und  können  es  den  Gegnern  überlassen,  ihre 
Pathologie  ohne  empirisches  Fundament  weiter  zu  treiben. 
Unsere  nächste  Aufgabe  ist  durch  das  Krankheitsbild  ge- 
geben: von  den  constanten,  charakteristischen  Symptomen 
(der  Drucksteigerung  und  der  Band-Excavation)  haben  wir 
auszugehen,  um  zu  sehen,  in  wie  weit  sie  uns  über  das 
Wesen  des  Glaucoms  Aufschluss  geben. 

In  früheren  Mittheilungen  habe  ich  auf  die  Härte  des 
enucleirten  Auges  aufmerksam  gemacht  und  aus  derselben 
auf  Veränderungen  im  Inhalte  des  Glaskörperraumes  ge- 
schlossen. Was  uns  die  pathologische  Anatomie  vom  glaa- 
comatösen  Glaskörper  an  zerstreuten  Mittheilungen  über 
Sectionsbefunde  gebracht  hat,  ist  zu  dürftig  und  zusammen- 
hanglos, als  dass  es  sich  für  eine  Pathologie  des  Glas- 
körpers schon  verwerthen  Uesse.  Klinische  Beobachtung 
aber  und  der  Verlauf  der  Iridectomie  lehrt,  dass 
sich  kaum  bei  einer  anderen  Augenkrankheit  so 
mannichfache  Veränderungen  nachweisen  lassen, 
als  bei  den  verschiedenen  Formen  des  Glaucoms. 


Beitrag  zur  GUncom- Lehre.  175 

Die  Palpation  eines  normal  gespannten  Auges,  wie 
wir  sie  zur  Bestimmnng  des  intraocularen  Drucks  mit  zwei 
hinter  dem  convexen  Enorpelrande  auf  die  Lidhaut 
wirkenden  Fingerspitzen  anszuflben  pflegen,  giebt  mir 
Qber  gewisse  Details  keine  sichere  Auskunft,  ich  vermag 
den  Inhalt  des  Bulbus  gegen  die  Sclera  nicht  abzugrenzen, 
finde  auch  keinen  Unterschied  in  der  Resistenz  zwischen 
den  peripheren  Partieen  und  der  mittleren  Substanz  des 
Glaskörpers.  Durch  die  Iridectomie  wird  hierin  nichts 
geändert;  coUabirt  das  Auge  nicht  gar  zu  sehr,  so  ist  die 
Spannung  etwas  vermindert,  die  Sclera  scheint  dem  Inhalte 
anzuliegen,  das  ganze  Auge  etwas  kleiner  zu  sein.  Es 
gebort  zu  den  seltenen  Ausnahmen,  dass  ähnlich,  wenn 
auch  in  viel  geringerem  Qrade,  wie  bei  mancher  Phthisis 
bulbi  mit  Enorpelbildung  im  Corpus  ciliare,  die  Sclera  sich 
über  einen  in  der  Tiefe  fühlbaren,  harten  EOrper  hin 
nnd  her  schieben  Usst,  als  ob  sie  för  den  Inhalt  zu  weit 
geworden  wäre. 

Die  Palpation  des  Glancoma  siroplex  mit  enger 
Kammer  und  fühlbarer  Drucksteigerung  ergiebt  vor  der 
Iridectomie  denselben  Befund  bei  erhöhter  Resistenz. 
Nach  der  Iridectomie  unterscheide  ich  deutlich 
den  festen,  kugligen  Glaskörper,  über  den  sich 
die  Sclera  verschieben  lässt.  Er  erscheint  nur 
kleiner,  als  vor  der  Operation,  Wie  selten  etwas 
Aehnliches,  oder  wie  geringe  Grade  ausnahmsweise  in 
nicht*glaucomatOsen  Augen  vorkommen,  weiss  ich  nicht,  — 
im  glaucomatOsen  Auge  kenne  ich  seit  etwa  fünf  Jahren 
den  angegebenen  Befund  als  Regel  ohne  Ausnahme. 

Ist  die  Beobachtung  richtig,  so  ist  entweder  mit  dem 
Humor  aqueus  resp.  nach  der  Iridectomie  Glaskörper* 
flassigkeit  durch  die  Wunde  ausgetreten,  oder  der  Glas- 
körper hat  Wasser  auf  vorläufig  unbekannte  Weise  ab- 
gegeben. Bei  enger,  vorderer  Kammer  ist  die  Quantität 
des  Humor  aqueus  so   gering,   dass  einige  Tropfen  mehr 


176  J*  Jacobson  seiL 

oder  weniger  der  AnftnerlcsaiDkeit  kaum  entgehen  können,  — 
bei  partieller  Yerflfissigong  pflegt  das  Ange  weicher  zn 
sein,  anf  geringen  Fingerdmck  Wasser  durch  die  Wunde 
auszutreten.  Nichts  von  Allem  lässt  sidi  nachweisen. 
Aus  diesen  Gründen  glaube  ich,  dass  der  Glas- 
körper in  unmittelbarem  Anschlüsse  an  die 
Operation  kleiner,  fester  und  ärmer  an  Wasser 
wird. 

Die  Palpation  bei  acutem  Glaucom  ergiebt  vor 
und  nach  der  Iridectomie  keinen  unterschied  von  HflUe 
und  Inhalt,  die  Spannung  lässt  gewöhnlich  nicht  erheblich 
nach,  um  bald  zu  steigen.  Entwickelt  sich,  wie  es  bei 
dem  Glaucoma  simplex  noch  häufiger  vorzukommen  scheint^ 
nach  der  Iridectomie  ein  Glaucoma  malignum,  so 
nimmt  die  Spannung  ohne  wahrnehmbare  Ausdehnung  der 
Sclera  täglich  zu,  bis  zur  Consistenz  eines  vollkommen 
festen,  soliden  Körpers,  —  eine  hinter  dem  Aequator  durch 
die  Sclera  4 — 6  mm  tief  in  das  Innere  gestossene  Be« 
clinations-Nadel  oder  ein  Graefe'sches  Messer  entleert  kaum 
einen  Tropfen  Flüssigkeit,  —  eine  breite  Nadel,  Ober  das 
Gentrum  (also  etwa  12—14  mm)  in  das  innere  Auge 
eingedrungen  und  schnell  zurückgezogen,  lässt  zwei  bis 
drei  Tropfen  einer  zähflüssigen,  dunkelgelben  Substanz  aus- 
treten, ohne  dass  das  Auge  fühlbar  weicher  wird  oder  auf 
Druck  weiter  reagirt.  Der  Glaskörper  des  Glaucoma 
malignum  ist  wasserarm,  eine  klebrige  Substanz 
von  dunkelgelber  Farbe,  anscheinend  nicht  grösser^ 
als  ein  normaler. 

üeber  die  Beschaffenheit  des  Glaskörpers  während 
eines  Anfalles  von  Glaucoma  acutum  ist  aus  nahe 
liegenden  Gründen  durch  Functionen  nicht  viel  ermittelt 
worden,  unter  geübten  Ophthalmoskopikem  sind  es  vorzugs- 
weise Schweigger  und  de  Wecker,  die  mit  zunehmender 
Energie,  je  länger  der  Streit  dauert,  die  ganze,  sogenannte 
Medien- Trübung    in    die   Cornea    verlegen,    den    Humor 


Beitrag  rar  Glaucom- Lehre.  177 

aqnens  und  das  Corpus  vitreum  durchaus  klar  sein  lassen. 
Vielleicht  wird  ihre  apodiktische  Behaoptong  etwas  an 
Sicherheit  verlieren,  wenn  sie  von  der  Chorioiditis  anterior 
der  Collc^en  Birnbacher  undCzermak  Notiz  genommen 
haben  werden. 

Meinen  Erfahrungen  nach  nehmen  an  einer  gewissen 
Intensität  der  Trübung  immer  sftmmtliche  Medien  Theil. 
Ffir  die  Trübung  des  Humor  aqueus  habe  ich  mich  in 
diesem  Archiv  bemüht,  Beweise,  die  mir  unwiderleglich 
scheinen,  beizubringen,  aber  in  Sachen  der  Beobachtung 
wird  wenig  Werth  auf  Beweise  gelegt,  so  lange  die  Sinne 
das  grosse  Wort  führen.  Ich  habe  deshalb  —  für  den 
vorliegenden  Zweck  ausreichend  —  die  Frage  nicht  mehr 
aligemein  gestellt,  sondern  auf  Ausnahmen  eingeengt: 
,3^0nnen  im  Verlaufe  des  acuten,  nicht  complicirten 
Qlaucoms  heilbare,  difiuse  GlaskGrpertrübungen  vorkommen, 
oder  bleibt  der  Glaskörper  ausnahmslos  klar?"  Zur  Be- 
antwortung dieser  Frage  pflege  ich  meinen  Zuhörern  in 
ledem  Semester  einen  Fall  vorzustellen,  der  ungefähr  in 
folgendes  Schema  hineinpasst:  „Glaucoma  acutum  mit  oder 
ohne  Prodrome,  bis  zur  Erkrankung  scharfsichtig.  Hohe 
Spannung  —  dichte,  diffuse  Medien- Trübung,  —  Seh- 
vermögen auf  quantitative  Lichtperception  reducirt.  Irid- 
ectomie  ohne  Hindemisse,  ohne  Blutung,  Heilungsverlauf 
subjectiv  normal.  Erste  Sehprobe  nach  etwa  14  Tagen 
bei  scheinbar  schwarzer  Pupille,  —  Resultat:  Bewegungen 
der  Hand,  allenfalls  Zahl  der  Finger  in  grosser  Nähe. 
Ophthalmoskopisch:  matter,  graurother  Hintergrund-Beflex, 
keine  Einzelheiten  sichtbar,  Linse  und  Cornea  klar.  Seit- 
liche Beleuchtung:  in  der  Hornhaut  kaum  eine  matte  An- 
deutung der  alten  Trübung,  Linse  nicht  getrübt.  —  Zweite 
Sehprobe  nach  drei  Wochen:  S==l,  alle  Functionen 
normal.  Die  intraoculare  Trübung  ist  allmählich  heller 
geworden,  schliesslich  verschwunden,  ohne  sich  in  Flocken 
aufzulösen." 

T.  Graefe*«  Archiv  fUr  Ophtlulmologlei  XXXIV.  1.  12 


178  J*  Jacobson  Ben, 

In  der  Regel  hellen  sich  die  Medien  gleichzeitig  auf, 
das  skizzirte  Schema  gehört  zu  den  Ausnahmen,  genügt 
aber  als  Beweis  für  folgende  Behauptung:  es  giebt  eine 
mit  dem  acuten  Glaucom- Anfalle  auftretende  und 
die  Irideotomie  einige  Wochen  überdauernde, 
diffuse  GlaskOrpertrübung. 

Das  Olaucoma  congenitum  (Buphthalmos)  und 
das  Glaucom  jugendlicher  Individuen  mit  pro- 
gressiver Myopie  zeigt  in  Bezug  auf  die  Beschaffenheit 
des  Glaskörpers  gleiches  Verhalten.  Das  letztere  habe  ich. 
in  zwei  Formen  beobachtet,  von  denen  die  eine  sich  durch 
periodische,  migräneartige  Anfälle  mit  starker  Verdunklung 
(Medien -Trübung)  charakterisirt,  die  zweite  unter  dem 
Gefühle  von  unangenehmer  Spannung  des  Auges,  die  sich 
beim  Arbeiten  steigert,  gleichmässig  verläuft.  Der  Aug- 
apfel ist  gleichmässig  stark  ausgedehnt,  dadurch  hervor- 
tretend, die  ganze,  sichtbare  Sclera  bläulich,  vordere 
Kammer  sehr  tief,  Pupille  etwa  mittel  weit,  reagirend, 
Papilla  optica  tief  excavirt,  Spannung  hoch,  Sehschärfe 
sehr  gering. 

An  der  ersten  Form  habe  ich  bei  der  Iridectomie 
nichts  Auffälliges  bemerkt,  für  die  zweite  und  für  die- 
jenigen Fälle  von  Buphthalmos,  die  ohne  starke  Blutungen 
verlaufen,  gilt  Folgendes:  Nach  der  Incision  mit  der  Lanze 
in  der  Corneo-Scleral- Grenze  entleert  sich  sehr  viel  mehr 
Flüssigkeit,  als  die  vordere  Kammer  trotz  ihrer  Tiefe 
enthalten  kann.  Beendet  man,  um  die  Iris  nicht  zu  tief 
zurücksinken  zu  lassen,  die  Operation  so  schnell,  als 
möglich,  so  wiederholt  sich  der  Ausfluss  klarer  Flüssigkeit, 
die  allmählich  ein  wenig  klebrig  wird,  der  Augapfel  collabirt, 
wie  nach  Functionen  der  Amotio  retinae,  und  trotzdem 
tritt  immer  neues  Wasser  aus,  sobald  die  Wundränder 
durch  leisen  Druck  zum  Klaffen  gebracht  werden.  Die 
Palpaition  lässt  auch  bei  tiefstem  Druck  nichts 
Resistentes    im   Innern    fühlen.  —  Bisher   habe    ich 


Beitrag  zur  Glaucom- Lehre.  179 

nicht  nur  ausnahmslos  gute  Heilungen  beobachtet,  sondern 

ausserdem    eine    erhebliche    Beduction    der    Ausdehnung, 

Aufhören  der  Schmerzen,  keine  Becidive,  aber  auch  keine 

Besserung    des   Sehvermögens    (längste    Beobachtungszeit: 

7  Jahre).  —  Kommt  es  bei  schnell  fortschreitender 

Myopie     jugendlicher     Individuen     zu     GUucoma 

Simplex,  so  vertritt  die  Stelle  des  normalen  Glas* 

kOrpers  eine  in  Farbe  und  Consistenz  dem  Humor 

aqueus  gleiche  Flüssigkeit,  durch  deren  Abundanz 

die  Lamina  cribrosa  tief  excavirt  und  die  Sclerotica 

nach    allen    Richtungen    erheblich  gedehnt  wird. 

Da  der  Process  durch  Iridectomie  coupirt   werden   kann, 

bleibt  die  Frage,    ob  die  Secretion   vermindert  oder   der 

Abfluss  erleichtert  wird,  vorläufig  offen. 

Was  bisher  über  die  Beschaffenheit  des  glaucomatösen 

Glaskörpers  gesagt  worden  ist,  fasse  ich  kurz  zusammen: 

Von  der  totalen  Verflüssigung  der  jugendlichen  Myopen, 

die    nach    der   Iridectomie   keine   Resistenz    des   Inhaltes 

fühlen    lässt,    kommen    wir   zum    Glaucoma    simplex, 

dessen  Glaskörper  während  der  Iridectomie  Wasser  verliert 

und  bei  nicht  ganz  oberflächlicher  Falpation  als  eine  etwas 

kleinere,    feste  Kugel,   die   das  Auge  nicht  vollkommen 

iauszufüllen    scheint,    gefühlt   wird.     Der  GlitökOrper    des 

Glaucoma  acutum   giebt  nach   der  Iridectomie,   wie  es 

nach   der  Palpation   scheint,   kein  Wasser  ab,  —  er  kann, 

wie   die  diffuse   Trübung   zeigt,    weniger  transparent,    er 

muss,  wie  die  Palpation  vor  der  Operation  lehrt,  resistenter 

sein.     Das   Glaucoma   malignum  lässt   eine   erbebliche 

VergrOsserung  nicht  annehmen,  aber  vermehrte  Festigkeit, 

Umwandlung   in    eine   zähe,    gelbliche^    aus    Einschnitten 

kaum   einige  Tropfen  Flüssigkeit  entleerende  Substanz  ist 

sicher  nachgewiesen.  - 

Wie  es  zugeht,  dass  die  Lamina  cribrosa  dem  Drucke 

einer  intraocularen  Flüssigkeit,  deren  Quantität  den  Aug* 

apfel  gleichmSssig  um  4  mm  Achsenlänge  und  mehr  isus- 

12* 


180  J*  JACobfion  seil« 

dehnt,  allm&hlich  nacbgiebt,  bedarf  keiner  weiteren  Er- 
Uamng.  Ist  aber,  wie  es  nach  der  Härte  enucleirter 
Augen  den  Anschein  hat,  die  Draoksteigemng  nicht  von 
der  Hohe  des  Secretions- Druckes,  sondern  von  dem  Inhalte 
des  Glaskörperraumes,  der  gewöhnlich  einen  normalen 
Glaskörper  an  Umfang  nicht  abertrifft,  abhängig,  so  ist 
das  Zustandekommen  der  Excavation  weniger  selbst- 
verständlich. Um  dasselbe  zu  verstehen,  habe  ich,  was 
eigene  Erfahrungen  und  Mittheilungen  Anderer  mich  über 
die  pathologischen  Beziehungen  zwischen  Corpus  vitreum 
und  Papilla  optica  im  Allgemeinen  gelehrt  haben, 
einer  Revision  unterworfen.  Das  Resultat,  so  weit  mir 
dasselbe  für  meinen  Zweck  verwerthbar  zu  sein  scheint, 
bringt  der  folgende  Abschnitt. 


Von  den  nur  zu  zahlreichen  Atrophien  der  Papilla 
optica,  von  der  Mehrzahl  der  entzündlichen  Schwellungen, 
von  der  Embolie  der  Central-Arterie  wissen  wir,  dass  sie 
aus  dem  acuten  Stadium  in  ein  langes,  chronisches  über- 
gehen können,  ohne  den  Glaskörper  merklich  zu  verändern* 
Von  Blutungen  aus  grossen  Gefässen  der  Papille,  der  Retina 
und  von  den,  wie  mir  scheint,  nicht  selten  aus  der  Macula  lutea 
in  den  Glaskörper  gelangenden,  grossen  Haemorrhagien,  wie 
von  Manz*s  Retinitis  proliferans,  die  ich  eben&Us  zu  den 
Haemorrhagien  des  Opticus  und  der  Retina  zähle,  dürfen 
wir  annehmen,  dass  sie  sich  nicht  auf  praeformirten  Wegen 
verbreiten.  Die  Höhe  des  Blutdruckes,  unter  dem  die  Gefi&ss- 
Ruptur  erfolgt,  die  Masse  des  Extravasates,  der  Widerstand 
der  nächsten  Umgebung  dürften  eher  Factoren  sein,  von 
denen  die  Richtung,  welche  die  Blutmasse  einschlägt,  vor- 
zugsweise abhängt. 

Diesen  mehr  weniger  häufigen  Spi^elbildem  stehen 
seltenere  Fälle  gegenüber,  deren  typisches  Auftreten  eine 
anatomische  Praedisposition,  einen  bestimmten,  angewiesenen 
Verbindungsweg  zwischen  Papille  und  Glaskörper  vermutheu 


Beitrag  zur  QUaeom- Lehre.  181 

lässt.  Wie  mich  die  neueste  Literatur  der  durch  Samel- 
sohn,  Vo'ssiuSf  Nettleship  u.  A.  anatomisch  erklarten 
lotoxications- Amblyopien  und  retrobulbären  Entzündungen 
annehnien  lässt,  ist  es  wenig  bekannt,  dass  man  mitunter 
bei  unzweifelhafter  Tabaks -Amblyopie  aus  dem  Central- 
Canale  der  Papille  eine  formlose,  graue  Masse  auftauchen 
sieht,  welche  entweder  —  genau  entsprechend  der  von 
Magnus  in  Zehender's  Monatsblättem  mitgetheilten  und 
abgebildeten  Vernarbung  einer  Baptur  der  Betina  und  Cho- 
rioidea  am  gelben  Flecke  —  über  die  temporale  Hälfte 
der  Papille  zur  Macula,  oder  in  der  Richtung  des  Gloquet- 
sehen  Canals  in  den  Glaskörper  hineinwächst,  in  beiden 
Fällen,  sobald  sie  die  Papille  verlässt,  als  bandartige,  grell- 
weisse,  stark  reflectirende  Substanz  lange  stationär  bleibend, 
bis  ihre  sehr  lange  Rückbildung  beginnt. 

Bekannter  dörfte  es  sein,  dass  im  Laufe  der  Febris  recur- 
rens gleichzeitig  oder  abwechselnd  mit  kleinen,  grauen  Infil- 
traten der  Cornea,  mit  Hypopien,  mit  grauen  Auflagerungen  auf 
der  vorderen  und  kleinen,  später  zur  Cataracta  polaris  posterior 
confluirenden  Trübungen  der  hinteren  Kapsel  und  mit  axialen 
Opacitäten  hinter  der  tellerf5rmigen  Grabe  aus  dem  Central- 
Canal  der  Papilla  optica  ein  grauer  Zapfen  nach  vorn  in 
den  CloqueVschen  Canal  hineinwächst,  in  dem  er,  sich  nach 
vorn  zuspitzend,  eine  Länge  von  10 — 12  mm  erreicht,  mit 
kleiner  Amphitude  hin  und  her  schwingt,  ehe  er  sich  spur- 
los zurückbildet. 

Aehnliches  habe  ich  bei  der  Retinitis  syphilitica  simplex 
beobachtet  und  mitunter  nach  langer  Zeit,  an  einem  durch- 
scheinenden, graulichen  Plaque  im  Central-Canal,  als  letztem 
Residuum,  wieder  erkannt,  wie  ich  ihn  vor  ca.  30  Jahren 
in  den  „Verhandlungen  des  Königsberger  Vereins  für  wissen- 
sehafbliche  Heilkunde'*  bei  Gelegenheit  meiner  ersten  Mit- 
theilungen über  Retinitis  syphilitica  beschrieben  habe. 

Casuistische  Mittheilungen  in  der  Literatur  der  Hinter- 
gmnds-Krankheiten  haben  nur  wenig  Neues  gebracht,  aber 


Ig2  J.  Jacobson  sen. 

vor  einer  Beihe  von  Jahren  schon  hätten  die  Pathologen 
auf  Stilling's  einfache  Methode,  den  Glaskörper -Canal 
hervortreten  zu  machen,  mehr  Werth  legen  sollen,  lange 
ehe  er  auf  der  vorletzten,  Heidelberger  Versammlung  in 
seinem  Vortrage  über  „Glaucom"  selbst  auf  seine  alten 
Untersuchungen  zurückkam.  Seit  dieser  Zeit  hat  uns  nun 
Flemming  in  seinem  schematischen  Augen- Durchschnitt^ 
eine  Abbildung  des  Gloquet'schen  Canales  gegeben,  bei 
deren  Anblick  der  ärgste  Septiker  kaum  an  einer  freien 
Gommunication  zwischen  dem  Centrnlkanale  der  Papille  und 
der  aus  den  Gefässen  des  vorderen  Aderhaut-Segmentes  zur 
tellerförmigen  Grube  gelangenden  Flüssigkeit  durch  den 
Gloquet'schen  Canal  zweifeln  dürfte.  Die  Papilla  optica 
als  Basis  des  kegelförmigen  Canals  anzusehen,  hatte  ich 
mich  schon  durch  Merckel's  und  Schwalbe's  anatomische 
Angaben  gewöhnt  und  darauf  hin  die  Entwickelung  der 
Excavation  ophthalmoskopisch  beobachtet,  aber  die  ganze 
Form,  die  Breite  und  namentlich  das  obere  Stück  des  Canals, 
wie  Flemming  es  abgebildet  hat,  scheinen  mir  den  Gedanken 
an  eine  Verbindung  zwischen  dem  Corpus  ciliare  und  dem 
Gentralcanal,  bis  ein  Irrthnm  nachgewiesen  wird,  geradezu 
herauszufordern. 

Stelle  ich  die  zeitlich  mit  Beseitigung  der 
venösen  Stase  zusammenfallende  Wasserabgabe 
des  Corpus  vitreum  bei  Glaucoma  simplex,  seine 
Verdichtung  bei  entzündlichem  Glaucom  auf  der 
einen,  die  pathologischen  Immigrationen  aus  dem 
Corpus  ciliare  und  der  Papille  mit  den  anato- 
mischen Verhältnissen  des  Cloquet^schen  Canals 
auf  der  anderen  Seite  zusammen,  so  komme  ich  zu 
folgendem  Schlüsse:  Der  (abgesehen  von  Herz- 
thätigkeit,  Athmung  etc.)  mit  der  Pupillen- 
bewegung und  Accommodation  fortwährend  wech- 
selnde Blutdruck  in  den  Ciliarfortsätzen  und 
Venen   bis    zur   Ora  serrata   bedingt   eine    ebenso 


Beitrag  zur  Glaacom- Lehre.  183 

wechselnde  Filtration  in  den  GlaskOrpor.  Der 
Cloqnet'scbe  Ganal  mit  seiner  Einmündang  in  den 
Centralcanal  der  Papille  ist  das  Sicherheits- 
ventil zum  Schutze  des  Sehnerven  gegen  einen 
mit  chorioidalem  Filtrat  überladenen  Glaskörper. 
Ob  die  pathologische  Anatomie  im  Stande  sein  wird, 
diese  Annahme  abzuweisen  oder  zu  bestätigen,  lasse  ich 
dahingestellt  sein.  Jedenfalls  dürfte  eine  Anzahl  mikro- 
skopischer Schnitte  aus  nicht  zu  späten  Stadien  der  Ex- 
cavation  nach  Glaucoma  acutum,  wenn  sie  gleichzeitig  den 
Centralcanal  der  Papille  und  den  Cloquet'schen  Canal 
treffen,  für  unsere  Auffassung  des  Glaucoms  und  mancher 
anderer  Krankheiten  brauchbar  sein.  Den  Leser  bitte  ich, 
mit  der  aus  verschiedenen  BeobachtuDgen  zusammen- 
gestellten Hypothese  nicht  zu  streng  in's  Gericht  zu  gehen, 
80  lange  dieselbe  den  Krankheits-Erscheinungen  nicht  wider- 
spricht. Wie  wir  uns  auch  die  Lösung  unseres  Problems 
denken  mögen,  immer  werden  wir,  wie  mir  scheint,  früher 
oder  später  an  einen  Punkt  kommen,  über  den  wir  uns 
ohne  Hypothesen  nicht  forthelfen  können,  nämlich  über  die 
Gesetze,  unter  denen  in  pathologischen  Fällen  der  Aus- 
tausch zwischen  Blut-  und  Gewebs-Flüssigkeit  zu  Stande 
kommt. 


Dass  der  Augenspiegel  direct  nicht  viel  über  die  Be- 
ziehungen des  glaucomatösen  Glaskörpers  zur  Papilla 
optica  aussagen  würde,  war  zu  erwarten;  denn  während  die 
trüben  Medien  der  inflammatorischen  Fälle  eine  genaue 
Untersuchung  des  Hintergrundes  unmöglich  machen,  lässt 
die  gleichmässige  Transparenz  des  Glaskörpers  im  Glaucoma 
Simplex  nicht  unterscheiden,  ob  der  unsichtbare  Cloquet'sche 
Canal  von  einer  optisch  dem  Corpus  vitreum  identischen 
Flüssigkeit  durchströmt  wird. 

Auch  von  den  Veränderungen  der  Papilla  optica  nahm 
ich  mit  Becht  an,  dass  es  selbst  der  beharrlichsten  Beob- 


184  J«  Jacobson  sen. 

acfatung  nicht  gelingen  werde,  der  Entwickelang  der  Form- 
veränderung  durch  eine  unendliche  Reihe  kleinster  Modi- 
ficationen  und  Uebergänge  zu  folgen.  Aus  gröberen,  con- 
stanten  Eigenschaften  der  Excayation  aber,  aus  ihrem  Ver- 
liältniss  zu  den  functionellen  Störungen,  vielleicht  sogar 
aus  Abweichungen  von  der  Begel  (exceptionellen  Formen 
des  Sehnervenleidens)  eine  richtige  Vorstellung  der  Vor- 
gänge während  des  Lebens  zu  gewinnen,  schien  mir  an  sich 
nicht  ausgeschlossen. 

Was  ich  auf  diese  Weise  fQr  den  vorliegenden  Zweck 
festgestellt  habe,  soll  in  Kürze  zusammengefasst  werden, 
nachdem  es  in  meinen  früheren  Beiträgen  eingehender  be- 
sprochen worden  ist:  1.  Jede  glaucomatOse  Excavation  geht 
vom  Central-Canale  aus,  an  einem  Theile  seiner  Peripherie 
wird  die  Gefässknickung,  in  seiner  Tiefe  die  Lamina  cri- 
brosa  zuerst  sichtbar;  2.  erreicht  dieselbe  in  der  oberen 
oder  unteren  Hälfte  den  Band,  während  die  entgegen- 
gesetzte Hälfte  im  Niveau  bleibt,  so  entspricht  der  Ge- 
sichtsfeld-Defect  der  Excavation,  also  Fehlen  des  unteren 
Gesichtsfeldes  bei  Excavation  der  oberen,  des  oberen  bei 
Excavation  der  unteren  Papillenhälfte ;  3.  eine  Rand- 
Excavation,  bei  welcher  die  Substanz  der  Papille  im  nor- 
malen Niveau  bleibt,  ist  noch  nicht  beobachtet  worden,  die 
Band -Excavation  sollte  mithin  nicht  im  Gegen- 
sätze zu  weniger  peripheren  Excavationen  als  cha- 
rakteristisch für  Glaucom  angesehen  werden,  son- 
dern jede  vom  Centralcanale  aus  centrifugal  fort- 
schreitende Excavation;  der  Vorschlag  ist  praktisch 
wichtig,  denn  erst  in  einem  späten  Stadium,  in  dem  die 
Iridectomie  wenig  leistet,  pflegen  die  Gefässe  am  Bande 
der  Papille  zu  verschwinden;  4.  aus  der  Gefässverschiebung 
am  Bande  darf  nicht,  wie  Graefe  es  that,  auf  eine  Deh- 
nung oder'  Knickung  der  Sehnervenfasern  geschlossen  werden. 
Es  genügen  wenige,  genaue  Gesichtsfeldmessungen,  um  sich 
von  der  Bichtigkeit  dieses  Satzes  zu  überzeugen,  den,  wenn 


Beitrag  zur  Glaucom- Lehre.  135 

ieh  nicht  irre,  zuerst  Mautbner  mit  guten  Gründen  Ofifent- 
lich  yertheidigt  hat. 

Die  Zahl  der  Beobachtungen,  die  ich  fflr  unbedingt 
beweisend  halte,  ist  nicht  gross.  Band-Excayationen  sind 
zwar  häufig  genug,  und  auch  an  solchen  fehlt  es  nicht,  in 
denen  die  Austrittsstelle  der  Central-Oe&sse  am  weitesten 
nach  rückwärts  dislocirt  ist,  aber  Exemplare  von  recht- 
winkliger Gefilssknickung  an  der  Peripherie  des  Ganais  in 
ausreichender  Menge  zu  sammeln  und  so  lange,  bis  die 
Betina^Gefässe  am  Bande  der  Papille  gleichsam  coupirt  sind, 
unter  Augen  zu  behalten,  fordert  viel  Zeit  und  günstige 
Gelegenheit.  Unter  meinen  Beobachtungen  ist  keine,  in  der 
nicht  die  von  der  Peripherie  des  Central-Canals  beginnende, 
diagonal  oder  horizontal  nach  der  Schlafenseite  ausstrahlende 
Excavation  ohne  Ortliche  Unterbrechung  vorgeschritten  wäre, 
d.  h.  längerer  Stillstand  in  einer  zwischen  Mitte  und  Band 
liegenden  Zone  kam  oft  genug  zur  Beobachtung,  aber  nie 
eine  zwischen  zwei  Vertiefungen  in  normalem  Niveau  ge- 
bliebene, hoher  gelegene  Partie,  —  ferner  schritt  die  Ein- 
Senkung  nie  längs  der  Peripherie  fort,  ehe  das  zwischen 
der  Austrittsstelle  und  dem  Bande  liegende  Gefässstück 
vorangegangen  war,  —  dann  blieb  in  der  Begel,  wenn  die 
Lamina  cribrosa  schon  dem  Centralcanal  entsprechend  und 
in  der  ganzen,  temporalen  Papillenhälfte  deutlich  sichtbar 
war,  in  der  nasalen  Hälfte  der  Uebertritt  der  Betina-Gefässe 
über  den  Band  normal,  die  Lamina  cribrosa  unsichtbar, 
weil  von  einem  mächtigen,  gerOtheten  Nervenfaser -WaU 
bedeckt,  —  und  endlich  pflegten  die  abwärts  verlaufenden 
Gelasse  früher,  als  die  oberen,  dislocirt  zu  erscheinen  resp. 
zu  verschwinden. 

Dass  in  dem  schliesslichen  Bilde  der  totalen  Excavation 
mit  Schwund  der  Achsencylinder  die  ectatische  Lamina  dbrosa 
später  das  Wesentliche  ist,  hatte  schon  Heinrich  Müller 
klar  gemacht,  später  hatte  man  eingesehen,  dass  die  erste 
Folge  der  Drucksteigerung  nicht  die  Knickung  der  Nerven- 


186  J.  Jacobson  seil. 

fasern  am  Bande  der  Papille,  sondern  die  Ausbuchtung  der 
Lamina  cribrosa  sein  müsse.  Von  ihrem  ersten  Zuraok* 
treten  bis  zum  Schlüsse  haben  Birnbacher  und  Czermak 
mit  der  ihrer  ganzen  Abhandlung  eigenthümlichen  Genauig- 
keit die  physicalischen,  nothwendigen  Consequenzen  in  ihrer 
Formveränderung  theoretisch  demonstrirt  und  experimentell 
darzustellen  versucht;  aber  je  vollkommener  das  phjsicalische 
Gesetz  zur  Erscheinung  kommen  soll,  desto  constanter  und 
einfacher  müssen  die  Bedingungen  sein,  unter  denen  man 
seine  Wirkungen  zu  beobachten  beabsichtigt.  Hätten  uns 
nicht  genug  Sectionen  gelehrt,  dass  in  tiefen  Opticus- 
Gruben  Glaskörperreste,  Fetzen  der  Hyaloidisa,  entzündliche 
Producte,  neu  gebildete  Gefässe  u.  dgl.  m.  vorkommen,  so 
würde  sich  die  Frage,  auf  welche  Weise  der  Zwischenraum 
zwischen  dem  Glaskörper  und  dem  Boden  der  Grube  aus- 
gefüllt werde,  von  selbst  aufgeworfen  haben. 

In  älteren  Mittheilungen  war  ich  von  der  Voraussetzung, 
dass  das  lockere  Zellgewebe  im  Centralcanale  der  Papille 
zuerst  zurückweiche,  der  Glaskörper  nachrücke  und  von 
hier  aus  im  interfascikulären  Bindegewebe  resp.  den  Achsen- 
cylindern  selbstständige  Beizungszustände  erzeuge,  kurz, 
dass  die  Excavation  als  ein  Product  zweier  Factoren,  der 
Drucksteigerung  und  unbekannter,  von  dem  nachrückenden 
Glaskörper  inducirter  Ernährungsstörungen  zu  betrachten 
sei,  ausgegangen. 

Nach  der  heutigen  Glaskörper-Anatomie  wüsste  ich  in 
dem  Gedankengange  Nichts  zu  ändern,  würde  aber  den  „nach- 
rückenden Glaskörper"  durch  eine  vom  Cloquet'schen  Canale 
continuirlich  in  den  Gentralcanal  sich  entleerende  Flüssig- 
keit ersetzen,  durch  eine  aus  vorderen  Chorioidealvenen  in 
den  Glaskörper  filtrirende  Flüssigkeit,  deren  Quantität 
von  dem  Grade  der  venösen  Stase,  deren  Qualität  von  einem 
mehr  hydropischen  oder  mehr  entzündlichen  Process  (der 
von  Birnbacher  und  Czermak  beschriebenen  Chorioiditis) 
abhängig  ist. 


Beitrag  znr  Glaucom- Lehre.  187 

Ehe  ich  weiter  gehe,  will  ich  die  Consequenzen  des 
soeben  Erörterten  resummiren.  Bekanntlich  Hess  Graefe 
sich  in  seiner  ersten,  klassischen  Abhandlung  über  Glaucom 
(Archiv  Bd.  III)  durch  sein  Bestreben,  die  intraoculäre 
Dracksteigerung  allein  für  den  ganzen  Erankheitsprocess 
Terantwortlich  zu  machen,  wie  er  sehr  bald  selbst  gestand» 
etwas  zu  weit  hinreissen.  Aus  der  Möglichkeit,  jedes 
Symptom  als  Consequenz  intraoculärer  Drucksteigerung  auf- 
zufassen, wurde  bald  eine  Wirklichkeit,  die  den  ganzen 
Symptom-Complex  und  jedes  Symptom  für  sich  allein  durch 
Drucksteigerung  erzeugte,  aber  es  währte  nicht  lange,  bis 
an  der  Anaesthesia  corneae,  der  Iridoplegie,  dem  Aussehen 
der  Iris  und  allen  objectiv  wahrnehmbaren  Anomalien  die 
pathologischen  Gewebsveränderungen  ihren  Antheil  für  sich 
reclamirten. 

Mit  meinen  Erklärungsversuchen  würde  auch  das  letzte, 
reine  Druck-Symptom,  dieExcavation,  ihre  rein  physikalische 
Ursache  verlieren,  wir  würden  mit  Berücksichtigung  der 
prodromalen  und  subacuten  Anfälle  den  inflammatorischen 
Glaucom-Process  folgendermassen  aufzufassen  haben:  bis 
zu  einer  gewissen  Grenze  werden  Stasen  im  vor- 
deren Abschnitte  der  Choriodoidea  durch  A*bfluss 
der  filtrirten  Flüssigkeit  nach  dem  Centralcanale 
der  Papilla  optica,  durch  Erweiterung  collateraler 
Gefässe,  durch  Resorption  ödematöser,  selbst  ent- 
zündlicher Fluida  ausgeglichen,  lieber  diese  Grenze 
hinaus  kommt  es  zu  stationären  Gewebsverän- 
derungen, die  bei  erhöhtem  intraocularem  Drucke 
ein  anderes  Erankheitsbild,  als  gleichartige  Pro- 
cesse,  in  normal  gespannten  Augen  darbieten. 

„Drucksteigerung  mit  consecutiver  Functions- 
stOrung  des  N.  opticus  und  der  Betina"  ist,  wenn 
wir  noch  andere  Ursachen  der  Amblyopie  zulassen, 
nicht  mehr,  wie  Graefe  annahm,  das  Wesen  des 
Glaucoms.     „Glaucomatöse   Drucksteigerung"   ist 


188  J.  JaeobsoB  sea. 

die  bald  stationäre,  bald  transitorische  Consequenz 
einer  bydropiscben  Odematösen  oder  entzündlicben 
Schwellung  des  Glaskörpers  auf  dem  Boden  venOser 
Stasen  der  Cborioidea. 

Ueber  die  ersten,  nicht  vom  Drucke  abhängigen  Yer- 
Änderungen  der  Papilla  optica  wird  uns  die  pathologische 
Anatomie  lange  noch  einen  genügenden  Au&chluss  nicht 
geben,  fiber  die  letzten  besitzen  wir  eine  nicht  mehr  kleine 
Zahl  kurzer  Andeutungen,  die  der  Ordnung  und  Venroll- 
ständigung  bedürfen,  ?on  dem  Verhältnisse  zwischen  dem 
Inhalte  der  Excavation  und  dem  Cloquet*schen  Canale  weiss 
man,  wenn  ich  nicht  irre,  noch  Nichts.  Auch  was  ich  mit 
dem  Augenspiegel  in  Fällen  von  Glaucoma  Simplex  beobachtet 
habe,  ist  lange  nicht  zum  Abschlüsse  reif.  Erwähnen,  oder 
vielmehr  mit  aller  Reserve  andeuten,  möchte  ich,  dass  so* 
wohl  sehr  tiefe  Excavationen  eines  engen  Centralcanales,  als 
auch  nicht  zu  späte  Stadien  des  Glaucoma  simplex  mit  Ver- 
drängung der  Geßlsspforte  nach  der  nasalen  Hälfte  in  den 
excavirten  Theilen  mir  eine  ungewöhnliche  Helligkeit  und 
Lichtreflexe  gezeigt  haben,  die  ich  nicht  anders  als  aus 
einer  wasserbellen,  in  die  Papille  eingedrungenen  FIflssig- 
keit  zu  deuten  im  Stande  war.  Die  Erscheinung  über- 
rascht am  meisten,  wenn  man  sich  mit  einem  der  bekannten 
Befractions-Spiegel  für  den  hinteren  Abschnitt  des  Glas- 
körpers einstellt  und  dann  allmählich  dem  Auge  nähert.  Ist 
der  Beobachter  der  Excavatiou  nicht  stark  hypermetropisch, 
so  ist  der  Unterschied  zwischen  der  Licht-Intensität  des 
weisslichen,  von  nicht  excavirten  Partien  der  Papille  re- 
flectirten  Scheines  und  dem  spiegelnden  Glänze  der  benach- 
barten Excavatiou  ausserordentlich  auffallend.  Bestätigte 
sich  die  Bichtigkeit  der  Beobachtung,  so  läge  ein  Zusammen- 
hang zwischen  dem  Wasserverluste  des  Glaskörpers  nach 
der  Iridectomie  bei  Glaucoma  simplex  und  dem  Abflass  durch 
den  CloqueVschen  Canal  nach  der  Papilla  optica  nicht  all* 
zu  fem. 


Beitrag  zar  Glaacom- Lehre.  189 

unreife  Beobachtungen  den  Lesern  zur  Begutachtung 
aozubieten,  liegt  weiter  nicht  in  meiner  Absicht,  aber  ob 
sich  allgemein  bekannte,  bisher  mit  der  Druck-Hypothese 
Qnyereinbare  Symptome  ohne  Zwang  aus  der  Annahme  einer 
continuirlichen  Communication  der  vorderen  Chorioidea  mit 
der  Papille  erklaren  lassen,  darüber  wenige  Bemerkungen 
hinzuzufügen,  darfte  man  mir  nicht  verwehren. 

Nach  anamnestischen  Angaben  der  Kranken  kann  ich 
annehmen,  dass  einige  Wochen  vergehen,  ehe  dem  acuten 
An&Ue  die  Excavation  folgt.  Selbst  Erfahrungen  darüber 
zu  sammeln,  haben  wirkeine  Gelegenheit;  wir  dürfen  nicht 
experimenti  causa  Excavationen  entstehen  lassen,  wenn  wir 
Glaucom  heilen  sollen. 

Wie  viel  Zeit  vergeht,  bis  es  nach  einem  acuten 
Glaucom-Anfalle  zur  Band-Excavation  kommt,  können  wir 
heutzutage  nicht  mehr  bestimmen.  Wir  sollen  Glaucom 
heilen,  dürfen  es  natürlich  zur  Excavation  nicht  kommen 
lassen,  müssen  uns  mit  der  Thatsache,  dass  auf  der  Höhe  des 
Anfalles  Qef&ssknickungen  nicht  beobachtet  sind,  und  mit 
Alteren  Angaben  Graefe*s,  der  eine  Anzahl  Wochen  vergehen 
lässt,  ehe  die  Band-Excavation  sich  bildet,  zufrieden  geben. 
Nachträglich  während  des  üeberganges  des  Glau- 
coma  acutum  in  ein  entzündliches  Glaucoma  chro- 
nicum bei  nachlassendem,  aber  constant  gegen  die 
Norm  gesteigertem  Drucke  entstehende  Form- 
Veränderungen  der  Papille  sind  ausnahmslos  Ex- 
cavationen. Da  ihre  ersten  Symptome  den  inten- 
sivsten, entzündlichen  spät  nachfolgen,  so  spricht 
die  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  sie  nicht  in 
Folge  von  Entzündung,  sondern  durch  Druck  ent- 
stehen. 

Es  s^ebt  aber  ausnahmsweise  auch  Formverände- 
rnngen  der  Papille,  die  in  den  ersten  Tagen  des 
Anfalles  entstehen,  unter  dem  Namen  der  „entzünd- 


190  ^^  Jacobson  sen. 

liehen  Atrophie**  beschrieben  sind,   nicht  als  Excavationen 
enden.    Um  ein  Schema  zu  geben: 

i,Glaucoma  acutum  mit  intensiver  Medien-Trabung, 
14  Tage  lang  vernachlässigt.  Sehschärfe  der  Trü- 
bung entsprechend.  Normale  Iridectomie,  Nachlass 
der  subjectiven  Symptome,  Aufhellung  der  Medien, 
nach  14  Tagen  erste  Sehprüfung  S  =  Vio,  Se :  stark 
eingeschränkt. 

Ophthalmoskopisch:   Medien  klar,  Grenzen 
der  Papille  durch  weisse,  in  die  Retina  ausstrahlende 
Trübung  verdeckt,   weder  Scleral-  noch  Chorioidal- 
Ring  sichtbar,  —  Niveau  das  der  Retina,  Farbe 
der   ganzen  Oberfläche   gleichmässig  weiss,   so  dass 
auch  der  Gentralcanal  fehlt,  Arterien  und  Venen 
eng,   in   der  Retina   etwas  weiter,   kleine   Gefässe 
fehlen,  Transparenz  der  Papille  aufgehoben.** 
Eine  Heilung  habe  ich   nicht  gesehen,   ebenso  selten 
erhebliche  Verschlimmerung,  wenn  der  Process  nicht  ganz 
frisch  war.    Die  meisten  Patienten,  bei  denen  ich  das  Bild 
nach  der  Iridectomie  gesehen  habe,  wussten  von  ihrer  „Ent- 
zündung**  seit   1   bis   2  Wochen  Etwas.    Ein  Mal  glaube 
ich  den  ersten  Anfang  beobachtet  zu  haben: 

„Der  vor  Kurzem  von  einem  Podagra-Anfalle  ge- 
nesene Kranke  holte  Nachmittags  4  Uhr  meinen 
Ratb,  ob  er  in  einer  Stunde  eine  Geschäftsreise  nach 
Berlin  wagen  dürfe,  —  seine  Augen  seien  seit 
12  Uhr  etwas  trübe  und  gerOthet,  •  aber  kaum 
schmerzhaft.  Es  war  der  Anfang  des  ersten  Glaucom- 
Anfalles  mit  geringer  Medientrübung,  Pupillen- 
erweiterung, Arterienpuls  T.  -h  1. 

Da  die  Familienverhältnisse  eine  Operation  nur 
im  dringendsten  Nothfalle  zuliessen,  versuchte  ich*s 
mit  Eserin.  Nach  24  Stunden  leichtes  Oedem  am 
LidriEinde,-  Chemosis,  vermehrte  Injection,  Mydriasis 
etwas  stärker,  —  die  Trübung  gestattete  nicht  mehr 


Beitrag  znr  Qlaucom- Lehre.  191 

eio  klares  Hintergrundbild  zu  erkennen,  aber  auf- 
fallend war  ein  weisser  Beflex  der  Tags 
zuvor  noch  rothen  Pupille  und  unmittelbar 
vor  derselben  ein  continuirlicher,  bei  den 
Bewegungen  des  Auges  unbeweglicher 
Schleier. 

In  den  nächsten  24  Stunden  übernahm  ich  selbst, 
abwechselnd  mit  einer  zuverlässigen  Pflegerin,  die 
Application  des  Eserin,  das  schliesslich  Myosis  und 
Entspannung  des  Auges  bewirkte.  Den  Process,  wie 
durch  Iridectomie,  durch  Eserin  zu  coupiren,  gelang 
nicht,  er  verschleppte  sich  durch  4  Wochen,  während 
deren  von  Neuem  energisch  zu  den  Myoticis  ge« 
griffen  werden  musste,  wenn  ihre  Wirkung  un- 
erwartet schnell  nachliess,  aber  die  Heilung  kam 
ohne  Iridectomie  zu  Stande. 

Bei   der  Entlassung   des  Patienten    waren   beide 

Papillen  scharf  contourirt,   die  Grenzen  gegen  die 

Retina  genau,  die  des  Centralcanals  kaum  sichtbar, 

Niveau  normal,    Transparenz   nicht  aufgehoben, 

Gefässe  auf  der  Papille  durch  Verdickung  der  Ad- 

ventitia  scheinbar  blutarm,   in   der  Betina  normal, 

Glaskörper  normal,  Functionen  normal.  —  Seit 

drei  Jahren  habe  ich  den  Fall  in  Beobachtung  und 

notire  in  mein  Journal:  Status  idem.    Den  günstigen 

Verlauf  schreibe  ich  der  frühen  Behandlung  zu. 

Ohne  sein  Wissen,  aber  hoffentlich  nicht  gegen  seinen 

Willen,    will   ich   noch   kurz  anführen ,    dass   mein   alter 

Freund   Elebs   (Zürich),    dessen  Beistand   meinen  ersten 

klinischen  Studien,   wie  Virchow's  Archiv   schon  vor  etwa 

25  Jahren   zeigt,  nicht  fehlte,  auch  in  den  letzten  Jahren 

wieder   mit  der  Glaucom  -  Frage  pathologisch  -  anatomisch 

und  experimentell -pathologisch  sich  beschäftigt  und  sofort 

f&r  die  venOse  Stase  gegen  die  Lymph- Hypothese  ent-» 

schieden  hat.    Wie  er  mir  vor  wenigen  Wochen  mündlich 


1 


192  J*  Jacobson  aen. 

mittheilte,  hat  Einer  seiner  Schüler  nach  neuer  Methode 
die  von  mir  postulirte  Gommunication  in  glaucomatOsen 
Augen  nachgewiesen.  Die  Flüchtigkeit  der  gelegentlichen 
Mittheilung  entzieht  ihr  leider  einen  Theil  des  grossen 
Werthes,  den  sie  für  mich  haben  würde. 

Die  sogenannten  Opticus-Atropbien  nach  Qlaucoma 
acutum,  die  ich  soeben  besprochen  habe,  sind  nach  der 
Zeit  des  Entstehens,  nach  ihrem  Aussehen  etc.,  unzweifelhaft 

•  

entzündlichen  Ursprungs,  die  eine  folgende  Erankheits- 
geschichte  lässt  die  entzündliche  Verfärbung  gleichzeitig 
mit  einer  QlaskOrpertrübung  ?or  dem  Sehnerven  auftreten, 
leider   ist   sie  die  einzige  dieser  Art.     Mit  der  Druck- 
Hypothese  waren  diese  Atrophien  nicht  vereinbar.    Eben 
so  wenig  mit  ihr  vereinbar  waren  bekanntlich  die  seltenen 
Fälle  von  Qlaucoma  fulminans,  die  Qraefe  in  diesem 
Archiv  beschrieben,  dieser  und  jener  beobachtet  hat:  acute 
vollständig  oder  fast  vollständige  Erblindung  unter  starker 
Medientrübung  bei  massigem  Druck  und  geringer  Excavation ! 
Das  Qlaucoma  simplex  (wässriges  Filtrat) 
kommt  weder  als  Qlaucoma  fulminans  vor, 
noch    giebt   es   nach    der   Iridectomie    eine 
entzündliche  Infiltration  der  Papille.    Letz- 
tere  sowohl,   als   auch   die   Erblindung   des 
Qlaucoma  fulminans  bei  massiger  Excavation 
ist  für  diejenigen,  welche  eine  Gommunication 
zwischen   der   vorderen   Chorioidea  und  der 
Papille  durch  den  Gloquet^schen  Ganal  an- 
nehmen, leicht  verständlich. 
Die   klinischen  und  anatomischen  Qründe,  die  mich 
bestimmt  haben,  eine  Verbindung  zwischen  dem  vorderen 
Tbeile  der  Ghorioidea  durch  den  QlaskOrper- Ganal  nach 
der  Papille  hin  anzunehmen,  sind  hiermit  angeführt.    Dasa 
sie    sich   in   der  Sache   selbst   den  Stilling'schen  Unter- 
suchungen anschliessen,  macht  sie  mir  um  so  plausibler. 
Ohne  neue  Data  weiter  zu  gehen  und  Hypothesen  über 


Beitrag  zur  Glaacom- Lehre.  193 

Stromesrichtung,  über  die  Abschlusswege  nach  rückwärts, 
Ober  Yerenguiig  oder  Verschluss  von  Emissarien,  die  man 
nie  gesehen  hat,  zu  machen,  halte  ich  von  unserem  jetzigen, 
klinischen  Standpunkte  aus  für  unzulässig.  Die  Fontana* 
sehen  Bäume  können  für  lange  Zeit  als  Warnung  dienen. 
Wem  sie  nicht  genügen,  der  lese  die  Litteratur  der  Glas« 
körper-Injectionen,  damit  er  sich  die  Sache  nicht  allzu 
leicht  vorstelle! 


Wenn  es  dem  Kliniker  verwehrt  ist,  eine  anatomische 
Norm  von  allgemeinem  Charakter,  wie  z.  B.  das  Vor- 
handensein einer  Communication,  weiter  im  Detail  aus- 
zubauen und  auf  dieses  Gemisch  von  Wahrheit  und 
Dichtung  eine  neue  Pathologie  zu  begründen,  —  so  steht 
es  ihm  nicht  nur  frei,  sondern  ist  sogar  seine  Aufgabe, 
die  anatomische  Voraussetzung  auf  ihre  Verträglichkeit 
mit  den  ihm  bekannten,  pathologischen  Erscheinungen  zu 
prüfen,  wie  es  in  Folgendem  geschehen  wird. 

Klinische  Erfahrung  lehrt: 

1.  es  giebt  Glaucome  mit  Drucksteigerung 
ohne  Band-Excavation; 

2.  es  giebt  Band-Excavationen  ohne  Druck- 
steigerung. 

Das  Glaucoma  prodromale,  subacutum  und 
acutum,  letzteres  ehe  die  Acme  erreicht  ist,  zeichneu 
sich  constant  durch  Drucksteigerung  aus.  Die  Papilla 
optica  ist  nicht  excavirt,  weil  die  Dauer  der  Drucksteigerung 
und  meist  auch  ihre  Höhe  nicht  ausreicht,  der  Papille 
eine  andere  Form  zu  geben.  —  Die  später  während  des 
Glaucoma  chronicum  inflammatorium  nie  fehlende 
Excavation  ist  vermuthlich  in  den  meisten,  wenn  nicht  in 
allen  Fällen  eine  Folge  der  Drucksteigerung  (Ectasie  der 
Lamina  cribrosa).  Sicheres  können  wir  nur  durch 
Sectionen    früher    Stadien    erfahren;     denn    eine    Augen- 

T.  Graefe'a  Archiv  für  Ophthalmologie,  XXXIV.  1  13 


194  J>  Jacobson  sen. 

Spiegel -Untersuchung  verhindert  die  Medien -Trübung.  — 
Die  Atrophia  optica  nach  Glaucoma  acutum  entsteht 
meist  früher,  als  sie  gesehen  wird.  Sie  und  das  Glaucoma 
fulminans  sind  nach  der  Druck -Hypothese  nicht  zu  ver- 
stehen, wohl  aber,  wenn  man  annimmt,  dass  pathologische 
Producte,  die  aus  den  Venen  der  vorderen  Chorioidea  her- 
stammen, in  die  Papille  eingeschwemmt  werden  können. 
Die  an  der  Papilla  optica  sichtbaren  Symptome 
des  Glaucoma  acutum  sind  durch  die  Druck- 
Hypothese  allein  nicht  zu  erklären. 

Das  Glaucoma  simplex  congenitum  oder  jugend- 
licher Myopen  zeichnet  sich  durch  hochgradige  Druck- 
steigerung und  meist  tiefe  Excavation  aus.  Das  Verhalten 
der  ungleichmäss  ig  gedehnten  Sclerotica  spricht  dafür,  dass 
auch  die  Excavation  eine  Druck- Excavation  ist;  denn  es 
ist  nicht  denkbar,  dass  die  Lamina  cribrosa  Widerstand  leistet, 
wenn  die  Sclera  nachgiebt.  Die  sehr  viel  häufigere  Form 
des  Glaucoma  simplex  im  späteren  Alter  kommt  bei 
erhöhtem,  seltener  normalem  oder  gar  subnormalem  Druck 
zu  Stande.  Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  des  Seh- 
nerven in  Verbindung  mit  dem  Studium  der  Functionen, 
namentlich  des  Gesichtsfeldes,  lehrt,  dass  die  Excavation 
vom  Centralcanale  der  Papille  ausgeht  und  sich  dann  bald 
in  einer,  bald  in  der  anderen  Richtung  verbreitet,  dass  das 
ophthalmoskopische  Bild  der  Gefässknickung  am  Rande  sich 
mit  einer  Knickung  der  Nervenfaser  nicht  deckt,  und  dem 
Orte  des  Gesichtsfeld-Defectes  nicht  entspricht. 

Dass  die  Excavation  bei  subnormaler  Spannung  nur 
durch  die  willkürliche  Annahme  einer  noch  excessiver  dehn- 
baren Lamina  cribrosa  begreiflich  wird,  ist  eben  so  bekannt, 
als  die  anatomische  Thatsache  durch  keine  Beobachtung 
gestützt  ist.  In  diesem  Falle  würden  also  jedenfalls  die 
Excavationen  nicht  Druck-Excavationen  sein  können,  und 
es  entsteht  die  Frage,  ob  glaucomatOse  und  Druck- 
Excavationen  gleichbedeutend  sind,    oder  ob  sich 


Beitrag  zur  Olaucom- Lehre.  195 

<lie  Annahme    glaucomatOser   Band-Excavationen 
ohne  Drucksteigerung  rechtfertigen  lässt 

Wenn  wir,  wie  oben  angenommen  wurde,  die  Druck- 
steigerung als  Folge  einer  gestörten  Filtration  aus  den 
Aderhaut -Venen  mit  üeberlastung  des  Glaskörperraumes 
(oder  möglicher  Weise  der  Papilla  optica)  ansehen,  so  wird 
Niemand  die  Möglichkeit  bestreiten,  dass  eine  geringe,  lange 
Zeit  fortwährende  Hypersecretion  (um  ein  Wort  zu  ge- 
brauchen) dem  Gesichtssinne  sich  am  Aussehen  der  Papille 
offenbaren  kann,  ohne  für  den  Tastsinn  bemerkbar  zu  werden. 
Substituiren  wir  also  in  die  Glaucom-Definition  anstatt  einer 
physicalischen  Anomalie  des  Auges  seine  pathologische  Ur- 
sache, so  liegt  in  einer  glaucomatösen  Excavation 
ohne  Drucksteigerung  kein  Widerspruch. 

Es  fragt  sich  aber,  welche  Gründe  aus  der  Pa- 
thologie für  einen  Zusammenhang  der  Excavation 
mit  der  vorderen  Chorioidea  sprechen.  Mir  scheinen 
folgende  bemerkenswerth:  1.  seit  der  Erfindung  des  Augen- 
spiegels, also  in  38  Jahren  hat  man  unter  den  zahllosen 
Krankheiten  des  Sehnerven  und  der  Betina  nicht  einen 
Fall  gefunden,  der  in  Excavation  ausgegangen  wäre;  2.  viel- 
leicht eben  so  ausnahmslos  lässt  sich  der  Satz  für  die  durch 
den  Augenspiegel  bekannten  Bilder  der  Chorio- Retinitis, 
Betinifcis  pigmentosa,  Atrophien  und  schleichenden  Entzün- 
dungen in  der  hinteren  Hälfte  des  Auges  aufstellen,  soweit 
dieselben  nicht  von  vornübergewandert  sind;  3.  je  genauer 
man  namentlich  secundäre  Glaucome,  aber  auch  primäre  acute 
und  chronische,  untersucht,  desto  zahlreicher  werden  die 
Mittheilungen  und  eigenen  Beobachtungen  von  äquatorialen 
Plaques  und  Gefitssdilatationen  der  vorderen  Chorioidea; 
4  die  unglücklichen  Ausgänge  der  Iridectomie  wegen  Glau- 
coma  Simplex  lassen  nie  eine  Beziehung  zur  Betina  oder 
zum  unteren  Pole  der  Chorioidea  erkennen,  sondern  nur 
zum  Corpus  ciliare.  Ich  kenne  sie  in  zwei  Formen:  ent- 
weder in  der  des  Glaucoma  malignum  oder  der  ersten  Cj- 

13* 


196  *^*  Jacobson  sen. 

clitis  acuta  glaucomatosa.  Letztere  sah  ich  neulich  bei  einer 
jugendlichen  Kranken,  deren  rechtes  Auge  während  eines 
Puerperiums  unter  Fieber,  Bewusstlosigkeit,  Ptosis,  Augen- 
Muskellähmungen,  an  Glaucoma  simplex  hochgradig  am- 
blyopisch  geworden  war. 

Dürfen  wir  hiernach   behaupten:    dass  klinische  Er- 
fahrung auf  einen  Zusammenhang  der  Excavation  mit  der 
vorderen  Chorioidea  hinweist,  —  dass  sich  weder  die  Ex- 
cavation   des  Glaucoma   simplex,    noch  die  exceptionellen 
SehnervveräDderungen     nach     Glaucoma     acutum     (incL 
Glaucoma    fulminans)    mit    der   Annahme    einer  Druck- 
Excavation   vertragen,  —  dass  nicht  nur  ein   anatoipisch 
genau  festgestellter  Raum   von  der  Peripherie  der  Papilla 
optica  bis   zur  tellerförmigen  Grube  nicht  mehr  bestritten 
wird,     sondern,     dass    die    Einwanderung    pathologischer 
Froducte  aus  der  Papille  ebenso  sicher  beobachtet  ist,  als^ 
die  der  sogenannten,  cyclitischen  Opacitäten,  so  komme  ich 
in   scheinbarem    Gegensatze   zur   alten   Glaucomlehre ,   in 
Wirklichkeit  aber  nur  von  dem  Erankheitsprocesse  und 
nicht  vom  Erankheits bilde  ausgehend,  zu  folgender  These: 
„Der    in    vermehrter   Filtration   aus   dem 
vorderen  Theile   der  Uvea  bestehende,   glau- 
comatöse  Process  ist  nach  einer  gewissen  Zeit 
immer  an  der  Excavation  der  Papilla  optica, 
aber  keineswegs  immer  an  fühlbarer  Druck* 
Steigerung  zu  erkennen." 
Die    Drucksteigerung    bleibt    das    wichtigste 
Symptom    des    ErankheitsbildeS;    denn    sie   gehört 
dem  G;laucoma  prodromale,  subacutum,  acutum  und 
der  Mehrzahl  des  Glaucoma  simplex  an  und  giebt 
dem    Bilde    der   Chorioiditis    einen    dasselbe    von 
allen   anderen   Entzündungen   derselben   Membran 
unterscheidenden      Character.       Im      Erankheits- 
Processe  entspricht  die  Drucksteigerung  einer  ver- 
mehrten   Filtration,    deren    minimale    Grade    derh 


Beitrag  zur  Glancom- Lehre.  197 

Tastsinne  entgehen,  während  sie  an  Veränderungen 
der  Papilla  optica  deutlich  sichtbar  werden. 

Durch  eine  Parallele  der  Druck -Hypothese  und  der 
von  mir  vertheidigten  hoffe  ich,  die  Schwächen  beider 
tibersichtlich  nachweisen  und  diejenigen  Fragen,  deren 
Beantwortung  wir,  so  weit  möglich,  dem  pathologischen 
Anatomen  überlassen  müssen,  genau  bezeichnen  zu 
Isönnen. 

Graefe's  Druck- Hypothese  gebührt  der  un- 
vergängliche Ruhm,  ein  neues  Stück  Pathologie,  — 
das  umfangreiche  Glaucoma  secundarium  und  einen  Theil 
des  Glaucoma  simplex  —  geschaffen  zu  haben;  an  der 
Erklärung  des  Erankheits-Processes  ist  sie  gescheitert. 
Wir  wissen,  dass  Graefe  ein  Jahr  vor  seinem  Tode  sein 
Unvermögen,  Symptome  und  intraoculare  Veränderungen 
in  Einklang  zu  bringen,  bekannte.  Die  pathologische 
Anatomie  hatte  ihn  zu  wenig  unterstutzt,  seine  eigene 
Schöpfung  —  die  Excavation  —  setzte  ihn  am  meisten 
in  Verlegenheit,  da  sie  mit  der  Drucksteigerung  nicht 
gleichen  Schritt  halten  wollte.  Die  Therapie  verdankt 
der  Druck  -  Hypothese  einen  praktischen  Erfolg,  dem 
unsere  Wissenschaft  im  letzten  Jahrhunderte  keinen 
ebenbürtigen  an  die  Seite  stellen  kann. 

Graefe*s  Hypothese  war  logisch  unhaltbar, 
deshalb  auch  für  die  Pathologie  unbrauchbar,  die 
Prämissen  waren  falsch  oder  zweifelhaft,  deshalb  konnten 
die  Folgerungen  nicht  richtig  sein.  So  oft  der  Kliniker 
durch  Beobachtung  sein  Problem  zu  lösen  suchte,  brachte 
sein  praktisches  Genie  der  Wissenschaft  reiche  Ausbeute, 
aber  das  Problem  konnte  auf  dem  eingeschlagenen  Wege 
nicht  gelöst  werden.  Das  Wesen  des  glaucomatösen 
Processes,  das  gesucht  wurde,  konnte  die  Druck- 
steigerung nicht  sein,  sondern  nur  die  Ursache  der 
Drucksteigerung,  —  die  Frage,  ob  jede  Rand  -  Excavation 
eine    Druck -Excavation     sei,     konnte    von     Einem 


198  J*  Jacobson  sen« 

• 

Kliniker  in  wenigen  Jahren  nicht  entschieden  werden; 
denn  sie  ist  eine  rein  empirische.  Man  darf  zwar  solche 
Entscheidungen  antecipiren,  nm  aus  ihren  Consequenzen 
auf  ihre  Zulässigkeit  zu  schliessen,  aber  nicht,  um  die 
Consequenzen  für  Wahrheiten  auszugeben.  War  also 
klinisch  festgestellt,  dass  Drucksteigerung  durch 
Iridectomie  geheilt  wird,  und  angenommen  worden, 
dass  jede  Band  -  Excavation  eine  Druck  -  Ex- 
cavation  sei,  so  durfte  geschlossen  werden:  also  wird 
die  Annahme  vermuthlich  richtig  sein,  wenn  Ex- 
cavationen  durch  Iridectomie  geheilt  werden,  aber 
keineswegs:  also  wird  die  Excavation  durch  Irid- 
ectomie geheilt,  und  für  Ausnahmen  von  der 
Kegel  müssen  besondere  Gründe  gesucht  werden. 

Bekanntlich  wurde  die  Druck -Hypothese  später  viel- 
fach mit  Nichts  widerlegenden  und  Nichts  beweisenden, 
selten  mit  schlagenden,  aber  zu  weit  gehenden  Gründen 
angegriffen.  Die  grosse  Mehrheit  der  Practiker  machte 
sich  über  die  Druck  -  Excavationen  bei  normalem  oder 
negativem  Druck  keine  Sorgen,  die  pathologischen  Anatomen 
konnten  aus  äusseren  Gründen  wenig  helfen,  hatten  auch 
zu  wenig  Direction;  denn  Graefe  konnte  ihnen  nicht  mehr 
geben,  als  was  der  Augenspiegel  gelehrt  hatte,  und 
positive  Druck- Hypothesen,  die  einige  Jahre  hindurch 
wohlfeil  geworden  waren,  erfreuten  sich  der  Mehrzahl 
nach  einer  keineswegs  ermuthigenden  Begründung. 

Die  Leser  des  Archivs  kann  ich  mit  der  neuen 
Glaucom-Litteratur,  in  der  viel  Trauriges  mit  einigem 
WerthvoUen  vermengt  ist,  verschonen.  Leider  half  uns 
auch,  wie  vorherzusehen  war,  die  experimentelle  Pathologie 
nicht:  bei  Thieren  den  Druck  zu  steigern  auf  die  Möglich- 
keit hin,  von  den  zahllosen  Ursachen  der  Drucksteigerung 
die  richtige,  die  Glaucom  erzeugt,  zu  fassen,  in  thie- 
rischen  Augen  einen  den  menschlichen  Glaucom- 
Krankheiten  ähnlichen  Process  künstlich  hervorzurufen,  um 


Beitrag  xnr  Glancom- Lehre.  199 

far  einen  aus  dem  andern  zu  lernen,  war  ein  all  zu  kühnes 
Unternehmen. 

Das  erste  bedeutende  Resultat  verdanken  wir  der 
pathologischen  Anatomie,  der  in  Bd.  32  des  Archivs 
pnblicirten,  schOnen  Abhandlung  von  Birnbacher  und 
Czermak.    Sie  beweist  unwiderleglich: 

1.  Chorioiditis  und  vorzugsweise  Chorioiditis  an- 
terior mit  entzündlichen  Verengerungen  und 
entsprechenden  Erweiterungen  grosser  Venen 
kommen  bei  Glaucoma  acutum  vor,  wurden  in 
jedem  von  neun  untersuchten  Augen  nachgewiesen; 

2.  eine  der  glaucomatOsen  gleiche  Excavation 
lässt  sich  experimentell  durch  Drucksteigerung 
herstellen; 

3.  die  radicalen  Gegner  der  Entzündung  und 
Hypersecretion  sind  geschlagen. 

Damit  ist  die  Glaucom- Frage  als  eine  rein  empirische 
den  pathologischen  Anatomen  zur  Entscheidung  vor- 
gelegt.   Sie  haben  zu  untersuchen: 

1.  wie  oft  ist  Chorioiditis  anterior  der  Sections- 
befund  bei  Glaucoma  inflammatorium; 

2.  wie  oft  finden  sich  bei  Glaucoma  inflammatorium 
und  Simplex  Bedingungen  für  vermehrte  Fil- 
tration aus  den  vorderen  Aderhaut- Venen; 

3.  welches  ist  der  Befund  bei  Excavation  mit 
negativem  Druck? 

Der  Erankheitsprocess,  der  unter  dem  Bilde  des 
acuten  und  einfachen  Glaucom  verläuft,  ist  also  mit  den 
Mitteln,  die  Graefe  hinterlassen  hat,  unmöglich  zu  finden. 
Nur  die  Sections-Berichte  von  Birnbacher  und  Czermak 
lassen  hoffen,  dass  der  pathologische  Anatom  in  acut  glau- 
comatOsen Augen  die  Ursache  der  Drucksteigerung  ermitteln 
wird.    Die   letzte  Frage,   warum  es  in  Wirklichkeit  zu 


200  J*  Jacobson  sen. 

einer  Hvpersecretion  kommt,  wenn  die  anatomische  Mög- 
lichkeit vorhanden  ist,  wird  vielleicht  erst  nach  langer  Zeit 
beantwortet  werden.  In  Bezug  auf  die  Therapie  heisst 
es:  wo  der  Druck  nicht  gesteigert  ist,  gehört  die  Iridectomie 
nicht  hin. 

Die  von  mir  seit  Jahren  vertretene  Hypothese 
geht  ebenfalls  von  der  Beobachtung  aus,  aber  sie  wendet 
sich  direct  vom  charakteristischen  Symptom  zu  seiner  Ur- 
sache: 

1.  Enucleirte  Augen  mit  Drucksteigerung  bleiben 
härter  als  normale  (die  bisher  von  mir  ausnahmslos 
gemachte  Beobachtung  bedarf  der  Bestätigung  durch 
andere  Erfahrungen).    Daraus  folgt 

2.  bei  Glaucoma  inflammatorium  acutum,  chronicum, 
malignum  ist  der  Inhalt  des  Glaskörper-Baumes 
verändert  resp.  vermehrt.  Die  Bichtigkeit  des 
Schlusses  ist  durch  eine  grosse  Menge  klinischer 
Erfahrungen  für  alle  Formen  bestätigt,  am  wenig- 
sten für  Glaucoma  simplex. 

3.  Anomalien  des  Glaskörpers  sind  Zeichen  von  Krank- 
heiten der  Chorioidea,  hydrophthalmische  Producte 
von  Dilatation  und  Stase  in  den  vorderen  Aderhaut- 
Venen,  consistente,  zähe  Producte  von  entzündlichen 
Vorgängen  in  dilatirten  Venen  oder  von  Bei- 
mischung entzündlicher  Gewebsflüssigkeit  zu  venösem 
Transsudat. 

lu  diesen  Sätzen  treten  also  an  die  Stelle  der  Druck- 
steigerung „die  venösen  Stasen  im  vorderen  Seg- 
mente der  Chorioidea"  als  ihre  wahrscheinlichsten  Ur- 
sachen. Ihre  Annahme  beruht  auf  Analogien  aus  der 
Pathologie  der  Chorioidea  und  des  Glaskörpers,  üeber  das 
regelmässige  Zusammentreffen  muss  natürlich  der  patho- 
logischen Anatomie  die  Entscheidung  bleiben. 


Beitrag  cur  Glancom- Lehre.  201 

Eine  andere,  wichtige  Tbatsache  bedarf  nicht  mehr  der 
Bestätigung  durch  Sectionen,  nämlich  der  anatomische 
Zusammenbang  zwischen  dem  Corpus  ciliare  und 
dem  Central -Ganal  durch  den  Canalis  Cloquetii. 
Hätten  wir  selbst  Stilling*s  und  Flemming's  anato- 
mische Arbeiten  nicht,  so  wOssten  wir  aus  der  Pathologie, 
dass  entzündliche  Producte  den  Weg  aus  der  Papille  zum 
unteren,  cyclitische  zum  oberen  Theile  des  Canales  finden. 

Eine  Hypothese  aber  muss  der  pathologische  Anatom 
bestätigen,  wenn  sich  die  angenommenen  Glaucom-Grenzen 
nicht  yerschieben  sollen:  bei  jedem  Glaucoma  simplex 
müssen  die  anatomischen  Bedingungen  für  ver- 
mehrte Filtration  aus  den  Venen  der  Aderhaut 
nachweisbar  sein. 

Lässt  sich  dieser  Nachweis  führen:  so  sind  in  der 
ganzen  Olaucom-Beibe  die  Bedingungen  für  das 
Eindringen  pathologischer  Flüssigkeit  aus  der 
Cborioidea  in  die  Papilla  optica  gegeben,  und  die 
Form -Veränderungen  derselben  hängen  von  zwei 
Factoren,  von  dem  Eindringen  der  Flüssigkeit  in 
den  Centralcanal  und  von  der  intraocularen 
Drucksteigerung   (resp.  von  einem  von  beiden)  ab. 

Die  Druckexcavation  ist  durch  Birnbacher  und  Czer- 
mak  experimentell  hergestellt  worden,  für  das  Eindringen 
eines  Transsudates  in  die  Papille  sprechen  das  Verhalten 
der  Function,  die  ophthalmoskopisch  verfolgte  Entwickelung 
und  die  exceptionellen  Veränderungen  der  Papille  nach 
Qlaucoma  acutum. 


Die  Hypothese,  welche,  conform  dem  altbekannten 
Krankheitsbilde,  unter  „Glaucom''  alle  venösen 
Stasen  im  vorderen  Abschnitte  der  Chorioidea, 
deren  Consequenz  eine  centrifugal  fortschreitende 
Excavation  der  Papille  ist,  zusammenfasst,  enthält, 
soweit  ich  sebe,  keine  logischen  Fehler. 


202  J-  Jacobson  sen. 

Von  der  pathologischen  Anatomie  verlangt  sie:  1.  den 
Nachweis  einer  in  der  excavirten  Papille  yerlanfenden,  Yom 
Corpus  vitreum  oder  dem  Inhalte  des  Cioquefschen  Canales 
inducirten  Krankheit;  2.  den  Nachweis  der  yenOsen  Stasen 
in  der  vorderen  Chorioidea  für  alle  acuten  und  chronischen 
Fälle  von  Glaucom.  (Ergäbe  sich,  dass  bei  Excavationen 
mit  normalem  oder  subnormalem  Drucke,  die  Stasen  fehlen, 
so  würden  diese  Fälle  ausscheiden,  und  es  wäre  Sache  des 
pathologischen  Anatomen,  die  Ursachen  der  Excavation 
aufzufinden). 

An  Sectionen  gerade  solcher  Augen,  über  die  uns 
nur  Leichenbefunde  Aufschluss  geben  können,  dürfte  es 
meiner  Meinung  nach  nicht  fehlen.  Wo  es  Siechenhäuser 
und  grössere  Stationen  für  Krankheiten  des  Oreisenalters 
giebt,  da  wird  man  genug  latente  Excavationen  finden  und 
die  Hauptfrage,  welches  der  Grund  der  Krankheit  sei, 
bald  beantworten  können. 

Damit  wäre  denn  allerdings  die  Glaucomlehre  nicht 
fertig,  sondern  sie  finge  erst  an,  und  ihre  weitere  Funda- 
mentirung  würde  dem  pathologischen  Anatomen  zufallen. 
Deshalb  habe  ich  mich  aller  Träumereien  über  vermehrten 
Zufluss  und  gehemmten  Abfluss,  über  Dilatation  oder  Stenose 
des  Cloquet'schen  Canals  enthalten,  und  selbst  die  Deutung 
einer  Hypersecretion  mit  Excavation  und  negativem  Drucke 
einer  glücklicheren  Phantasie  überlassen. 

Man  sollte  meinen,  es  sei  für  die  pathologischen  Ana- 
tomen der  Mühe  werth,  zunächst  das  Verhalten  der  Cho- 
rioideal- Venen  bei  Glaucoma  simplex  zu  untersuchen.  Ihr 
Verhalten  bei  Glaucoma  inflammatorium  ist,  wenn  auch  nicht 
im  Allgemeinen,  so  doch  in  vielen  speciellen  Fällen  con- 
statirt.  Selbst  eine  Verneinung  unserer  Voraussetzungen 
wäre  von  Nutzen,  man  würde  einen  Irrthum  aufgeben  und 
neue  Wege  zu  finden  suchen.  Mit  Graefe's  Lehre  kann 
die  Wissenschaft  Nichts  anfangen.  Dem  ärztlichen,  thera- 
peutischen  Genie   genügte  sie,   die  Diagnose   zu  vervoll- 


Beitrag  zur  Glaucom -Lehre.  203 

kommnen,  das  Erankheitsgebiet  zu  erweitern,  der  Beob- 
achtQDg  neue  Objecte  zu  bieten,  das  Jahrhunderte  lang 
aufgegebene  therapeutische  Problem  zu  lOsen.  Was  er 
von  Bemerkungen  an  die  dunkeln  Theile  seiner  eigenen 
Lehre  knüpfte,  hat  seinen  Schülern  Anregung  genug  gegeben, 
selbstständig  weiter  zu  forschen.  Die  grossen,  in  diesem 
Archive  publicirten  Abhandlungen  werden  für  alle  Zeiten 
.Beweise  für  das  ärztliche  Genie  ihres  Verfassers  bleiben, 
aber  von  seiner  Hypothese  müssen  wir  uns  lossagen,  wenn 
wir  eine  Pathologie  des  Glaucoms  schaffen  wollen. 

Zwischen  Hypothesen  über  das  Wesen  der 
Krankheiten  und  therapeutischen  Besultaten  pflegt 
sich  durch  kleine  Hülfs-Hypothesen  leicht  Harmonie  her- 
stellen zu  lassen.  Ich  verzichte  gern  auf  diese  dankbare 
Operation,  halte  es  aber  für  erlaubt,  zu  untersuchen,  wie 
weit  die  der  Erankenbeobachtung  entnommene  Hypothese 
ohne  Zwang  mit  dem,  was  mich  seit  Jahren  klinische 
Beobachtungen  gelehrt  haben,  verträglich  ist.  Damit  will 
ich  schliessen. 

Jeder  sogenannte  „Glaucom-Anfall"  (auch  die  chro- 
nischen Glaucome  verlaufen  selten  ganz  gleichmässig)  ent- 
halt zwei  Factoren,  die  ich  der  Eürze  wegen  Disposition 
und  Accidentelles  (Gelegenheitsursache)  nennen  will.  Ersterer 
ist  die  Hauptrolle  bei  dem  Glaucoma  chronicum,  letzterer 
bei  den  acuten  Formen  zugetheilt:  Die  Bedingungen  der 
Drucksteigerung  sowohl,  als  der  Excavation  (welcher  Art 
sie  auch  sein  mögen),  zeigen  kaum  eine  Bewegung;  in  Mo- 
naten, selbst  in  einem  Jahre  lassen  sich  keine  Verschlim- 
merungen der  Function,  Zunahme  der  Excavation,  Steige- 
rungen des  intraoculären  Druckes  nachweisen,  wenn  nicht 
nach  Blendung,  rheumatischen  Schädlichkeiten,  Eraukheit 
des  Eörpers,  eine  Steigerung  eintritt,  —  die  inflammatorischen 
Anfälle  wiederholen  sich  nicht  selten  als  prodromale,  subacute 
nach  genau  derselben  äusseren  Veranlassung  (Eartenspiel, 
Accommodation,  Blutverlust  etc.),  bleiben  dann  lange  aus  und 


204  ^'  Jacobson  sen. 

bis  zum  Bückfalle  scheinen  normale  Verhältnisse  einzutreten. 
Sehr  viel  bedeutungsvoller  aber  ist  die  Wirkung  der 
Iridectomie;  sie  coupirt  den  acuten  Anfall  und  heilt  den 
Process  durch  Herstellung  günstiger  [anatomischer  Bedin- 
gungen für  den  Abfluss  transsudirter  Flüssigkeit  für  immer, 
wenn  man  nicht  etwa  annehmen  will,  dass  sie  die  stationäre 
Disposition  (senile  Gefässe?)  zu  ändern  vermag,  —  den 
Verlauf  des  Glaucoma  simplex  vermag  die  Operation  bei 
Weitem  nicht  so  viel  zu  ändern. 

Seit  Graefe's  Tod  hat  die  Behandlung  des  Glaucoms 
Fortschritte  gemacht,  wir  sind  nicht  mehr  auf  die  Iridectomie 
allein  angewiesen  und  haben  die  Wahl  zwischen  der 
Iridectomie,  Sclerotomie  oder  Einträufeln  von  Eserin-  oder 
Pilocarpin-Lösungen. 

Die  Iridectomie  ist  nach  meinen  Erfahrungen  das 
souveräne  Mittel  gegen  acute  und  chronisch -inflam- 
matorische Formen  geblieben.  Die  Pupille  braucht  weder 
so  gross,  noch  grosser  zu  sein,  wie  Gräfe  Anfangs  ver- 
langte, noch  brauchen  ihre  Schenkel  zu  divergiren.  Ihre 
unmittelbare  Wirkung  ist  Verminderung  der  Drucksteigerung, 
das  Auge  wird  sofort  weicher,  der  GlaskOrperdruck  auf  die 
Venenwand  nimmt  ab,  während  der  vom  Blutdruck  ab- 
hängige intravasculäre  Druck  derselbe  bleibt,  die  Blutsäule 
bewegt  sich  schneller,  ihr  Abfluss  kann  ungehindert  vor 
sich  gehen,  die  Stase  hOrt  allmählich  auf.  Wenn  später 
unter  gleichen  Verhältnissen  der  Abfluss  spontan  erfolgt, 
müssen  die  anatomischen  Bedingungen  günstiger  sein.  Ich 
suche  sie  —  meiner  alten  Annahme  entsprechend  —  in  der 
Unterbrechung  der  kreisförmigen  Iris  und  einer  Communi- 
cation  der  allerdings  lange  übemarbten  Colombom-Ränder 
mit  dem  Eammerwasser. 

Wo  ihn  die  Anatomie  und  das  Experiment  im  Stiche 
lässt,  darf  der  Kliniker  auf  indirecten  Wegen  nach  Gründen 
suchen.  Fast  geheilte  Iridectomie-Narben  in  der  eigent- 
lichen Cornea,  relativ  kleine  Colobome  schliessen  die  Heilang 


Beitrag  lur  Glaucom -Lehre.  205 

des  acuten  Olaacoms  nicht  aus,  aber  so  lange  Kammer* 
Wasser  fehlt,  ist  der  Erfolg  zweifelhaft.  Dass  das  Blut  der 
Aderhaut-Yenen  bei  Stenose  der  Yasa  vorticosa  oder  bei 
diverticelartigen  Erweiterungen  des  Gefössrohrs  nach  der 
Iris  zurückstaut,  würde  uns,  wenn  es  nicht  selbstverständ- 
lich wäre,  die  klinische  Beobachtung  lehren,  hier  angelangt, 
könnte  es  unschädlich  sein,  wenn  es  sich  in  minimalen  Quan- 
titäten dem  Eammerwasser  beimischte  und  mit  diesem  die 
vorderen  Lymph-Emissarien  passirte.  Die  Bänder  des  Go- 
loboms  wären  dann  ein  Sicherheits-Yentil  für  die  Stase  der 
Chorioiden  und  das  um  so  mehr,  als  der  Kreis-Muskel,  der 
auch  in  anderen  Organen  die  reine  Hyperämie  steigert,  unter- 
brochen wäre. 

Die  Heilwirkung  der  Iridectomie  gegen  Glaucoma 
Simplex  mit  Drucksteigerung  ist  mit  Unrecht  bestritten 
worden.  Was  ich  erlebt  habe,  stimmt  im  Ganzen  mit 
Graefe's  Angaben,  wenn  die  Zahlen  auch  etwas  weniger 
günstig  ausgefallen  sind:  geringe  Besserung  oder  Stillstand 
vielleicht  in  der  Hälfte  der  Fälle,  in  der  andern  erheblich 
verlangsamtes  Fortschreiten.  Die  Erklärung  ist:  durch  eine 
breite,  periphere  Iridectomie  mit  divergirenden  Schenkeln 
wird  zwar  die  Stase  in  den  Yenen  der  Chorioidea  gemindert, 
aber  das  ununterbrochen  wachsende  Grundleiden  (senile 
Gefässveränderungen  ?)  unterhält  eine  Secretion,  deren  In- 
tensität die  neu  geschaffene  AbflussOffnung  nicht  entspricUt. 

Die  Iridectomie  schadet:  1.  bei  Glaucoma  simpIex  mit 
fast  den  Fixirpunkt  erreichendem  Gesichtsfeld-Defect,  das 
directe  Sehen  geht  verloren,  dann  bleibt  die  Function  stehen. 
E  rklärung:  Die  Achsencylinder  der  excavirten  Papille  waren 
vom  Centralcanal  her  nach  der  Sichtung  des  maculären 
Bündels  leitungsunfthig  geworden,  —  mit  der  plötzlichen  Ent- 
lastung des  ganzen  Auges  setzt  sich  der  pathologische  Inhalt 
der  Gruben  in  lebhaftere  Bewegung,  oder  der  Zufluss  vom 
Cloquet'schen  Ganale  her  wächst,  die  Macula-Fasern  in  der 
Papille  gehen  zu  Grunde;  2.  bei  Glaucoma  malignum  ohne 


206  J*  Jacobson  sen. 

Eammermasser  nach  der  Iridectomie.    Deber  das  Zustande- 
kommen habe  ich  eben  gesprochen. 

Dass  die  Operation  wirkangslos  bei  normalem  oder  nega- 
tivem Drucke  ist,  Tvird  Niemand  befremden.  In  allem  üebrigen 
scheint  mir  die  Hypothese  mit  der  Therapie  ohne  Zwang 
vereinbar,  wenn  wir  die  unmittelbare  Wirkung  der  Irid- 
ectomie von  der  späteren,  palliativen  und  die  Prädisposition 
von  der  directen  Ursache  des  Anfalles  trennen. 

Wollte  man  die  ungenügende  Wirkung  der  Sclero- 
tomie  zu  Gunsten  meiner  Hypothese  ausbeuten,  so  läge 
der  Weg  klar  genug  da:  der  Kreismuskel,  die  Iris,  bleibt 
unversehrt,  die  Berührung  der  Wundränder  mit  dem  Kammer- 
wasser ist  ausgeschlossen,  aber  wir  wissen  nicht,  was  in  dem 
bald  blutenden,  bald  blutleeren  Stichkanale  vor  sich  geht 
und  speisen  uns  mit  der  Filtrationsnarbe  ab,  können  also 
über  die  Art  der  Entlastung  für  die  Chorioidea  nicht  ur- 
theilen.  Als  Ersatz  für  die  Iridectomie,  wo  eine  gar  zu  flache 
Kammer  die  Ausführung  erschwerte  und  als  Befugium,  wenn 
ich  Olaucoma  malignum  fürchtete,  war  sie  mir  sehr  will- 
kommen. Der  Iridectomie  ist  weder  ihre  augenblickliche, 
noch  palliative  Wirkung  ebenbürtig. 

Dass  das  mächtig  gefäss  verengende  Es  er  in  durch  Be- 
schleunigung des  Blutstromes  in  der  Iris  den  acuten  An- 
fällen gewachsen  sein,  aber  nur  äusserst  selten  Becidive  ver- 
hüten kann,  spricht  für  die  Nothwendigkeit  des  künstlichen 
Iris-Coloboms,  dass  das  schwächer  in  gleichem  Sinne  wir- 
kende Pilocarpin  im  acuten  Anfalle  Nichts  leistet,  bei  Mo- 
nate und  Jahre  langem  Gebrauche  aber  sich  immer  mehr 
gegen  Glaucoma  simplex  bewährt,  harmonirt  vortrefflich  mit 
der  unmerklich  wachsenden  Druck-Ursache,  deren  Folgen 
durch  täglich  mehrmals  herbeigeführte  Beschleunigung  des 
Abflusses  aus  der  Iris  annullirt  werden.  Bei  beiden  Myoticis 
dürfte  noch  zu  beachten  sein,  was  unter  der  Alleinherr- 
schafb  der  Lymph-Betention  kaum  der  Bede  werth  schien, 
dass  Myotica  die  Iris  verlängern,  Atropin  dieselbe  verkürzt, 


Beitrag  cor  (ilaucom- Lehre.  207 

seine  gefässlähmeode  Kraft  die  Stase  in  einer  verkürzten 
Fläche,  also  sehr  wohl  hervorrufen  und  Glaucom  erzeugen 
kann,  wenn  auch  der  schöne  Traum  von  den  Fontana*schen 
Bäumen  sich  nicht  verwirklichen  sollte. 


Veranlassung,  von  Neuem  auf  „das  Wesen  des  Glau- 
coms  zurückzukommen,'  gab  mir  vor  Allem  die  oft 
citirte  Abhandlung  von  Birnbacher  und  Czermak  mit 
ihren  positiven  Resultaten,  gegen  deren  Sicherheit  man 
schwerlich  etwas  einwenden  wird. 

Gegen  die  Lymph- Hypothese,  deren  räthselhaften  Er- 
folg ich  mir  aas  Allem  eher  erklären  konnte,  als  aus 
ihrer  Begründung,  habe  ich  von  ihrer  ersten  Veröffentlichung 
bis  zum  heutigen  Tage  einzuwenden  gehabt,  dass  sie  in 
der  ganzen  Pathologie  als  ein  die  Krankheitserscheinungen 
schlecht  erklärendes  ünicum  dasteht. 

Als  mein  alter  Freund  Hippel  vor  etwa  15  Jahren 
seine  schonen  Versuche  mit  Grünhagen,  um  Glaucom 
zu  erzeugen,  begann,  äusserte  ich  schon  meine  Bedenken 
dahin,  er  werde  den  intraocularen  Druck  steigern,  aber 
nicht  Glaucom  erzeugen;  denn  letzteres  scheine  mir 
gewisse,  im  menschlichen  Auge  meist  im  Alter  entstehende 
Gewebsveränderungen  vorauszusetzen.  Die  Wissenschaft 
kann  zufrieden  sein,  dass  die  Versuche  nicht  unterblieben 
sind,  meinen  Befürchtungen  hat  der  Erfolg  leider  Recht 
gegeben. 

Wie  viel  Jahre  lang  man  nachher  noch  Druck  ge- 
steigert hat  und  mit  welchem  Resultate  für  die  Glaucom- 
lehre,  ist  den  Lesern  des  Archivs  bekannt.  Graefe  selbst 
war  die  unschuldige  Ursache,  dass  man  ein  Symptom  für 
das  Wesen  hielt  und  die  Krankheit  erzeugen  zu  können 
vermeinte,  wenn  man  ein  Symptom  experimentell  zu  Stande 
brachte. 


208  J-  Jaeobaon  sen. 

Die  späteren  Anhänger  der  Lymph-Reteotion  haben 
es  prindpiell  riditiger  angefimgen,  indem  sie  eine  directe, 
mechanisdie  Ursache  des  eonstanten  Symptoms,  derDmck- 
steigerong,  suchten,  and  diese  mit  den  klinisch  bekannten 
Umständen,  unter  denen  Glancom  zn  entstehen  pflegt,  so 
gnt  es  ging,  in  caosalen  Znsammenhang  brachten.  Meiner 
Meinung  nach  haben  sie  dabei  weniger  ärztliche,  als 
aogenärztliche  Befähigung  gezeigt" 

Die  Exclusion  der  Chorioiditis,  wie  sie  de  Wecker 
noch  in  seinem  neuen  Lehrbuche  vertritt,  ist  misslangen. 
Was  Birnbacher  und  Czermak  in  der  Chorioidea  und 
ihren  Gefässen  gefunden  haben,  lässt  sich  nicht  ignoriren, 
zumal  da  es  durch  eine  nicht  geringe  Zahl  tou  Präparaten 
anderer  Autoren  bestätigt  wird.  Für  den  pathologischen 
Anatomen  wird  es  immer  eine  schwierige  Au^be  sein, 
seine  Entscheidung  über  die  Abhängigkeit  des  Glaucoms 
von  einer  Lymph-Betention  abzugeben,  selbst  wenn  er  eine 
Menge  Emissarien  verschlossen  findet. 

Die  Frage,  ob  bei  allen  centrifngal  fort- 
schreitenden oder,  um  bei  Graefe  zu  bleiben,  bei 
allen  Band-Excavationen  sich  im  vorderen  Ab- 
schnitte der  Chorioidea  oder  in  den  Vasa  vorticosa 
Bedingungen  für  vermehrte  Transsndation  nach- 
weisen lassen,  scheint  mir  deshalb  die  nächste  zu 
sein,  die  beantwortet  werden  mnss.  Von  ihrer 
Entscheidung  hängt  es  ab,  ob  der  Kliniker  auf 
dem  angegebenen  Wege  fortfahren  darf,  oder 
neue  Bichtungen  zu  suchen  haben  wird. 

Es  ist  nicht  zum  ersten  Male,  dass  ich  an  die  un- 
zweckmässige Disposition  unserer  Untersuchungen  und 
Discussionen  über  die  Glaucom-Frage  erinnere,  aber  zum 
ersten  Male  erfreue  ich  mich  der  Zustimmung  zweier 
CoUegen,  deren  erstes  Auftreten  ihrem  ürtheil  ein  nicht 
geringes  Gewicht  sichert.  Die  Ophthalmopathologie  wird 
noch  far  lange  Zukunft  von  dem  Kliniker  mehr  fordern,  als 


Beitrag  znr  Glaucom- Lehre.  209 

andere,  klinische  Disciplinen,  um  so  mehr,  je  weniger  der 
pathologische  Anatom  im  Stande  ist,  Fragen,  die  in  sein 
Oebiet  allein  gehören,  zu  beantworten. 

Verdanken  wir  es  nun  auch  Helmholtz,  uns  über 
viele  pathologische  Vorgänge  in  der  hinteren  Hälfte  des 
Auges  ohne  Sectionen  einigermassen  orientiren  zu  können, 
so  haben  wir  doch  immer  noch  zu  beklagen,  dass  etwa 
Ton  der  Gegend  des  Linsenrandes  bis  zum  Aequator  des 
Auges  weder  objective,  noch  subjective  Symptome  uns 
einen  Einblick  in  die  Patbologie  der  Chorioidea  gestatten. 
Wir  sind  auf  Conjecturen  aus  der  Beschaffenheit  des 
Corpus  vitreum,  des  Humor  aqueus,  der  Consistenz  des 
Auges  etc.  angewiesen  und  haben  von  Sectionen,  die  viel- 
leicht 10 — ^20  Jahre  nach  Ablauf  der  Krankheit  vor- 
genommen werden,  wenig  zu  erwarten. 

um  so  dringender  ist  es  geboten,  in  den  seltenen  Fällen, 
in  denen  der  Kliniker  indirect  den  Sitz  einer  Krankheit  ge- 
funden zu  haben  glaubt,  und  Gelegenheit  genug  zu  Sectionen 
sich  bietet,  die  Entscheidung  des  pathologischen  Anatomen 
herbeizuführen.  Für  die  Frage,  ob  venOse  Stasen  in  der 
vorderen  Chorioidea  zum  regelmässigen  Sectionsbefunde  des 
Glaucoma  simplex  gehören,  lässt  sich  ein  nicht  geringes 
Material  ohne  grosse  Schwierigkeit  auftreiben. 

Ob  die  Annahme  sich  bestätigt,  ist  für  die  weitere  kli- 
nische Beobachtung  allein  massgebend;  denn  jede  sichtbare 
pathologische  Veränderung  im  Linern  des  Auges  erhält  ihren 
Sinn  von  dem  Grundleiden,  als  dessen  Consequenz  sie  sich 
entwickelt;  geringe  Abweichungen  von  der  Norm,  die  der 
Beachtung  nicht  werth  scheinen,  werden  zu  wichtigen 
Symptomen  durch  ihre  Beziehungen  zu  einem  sicher  er- 
kannten Krankheits-Processe. 

Entzündliche  Vorgänge  und  Anomalien  der  Venen,  die 
im  Glaucoma  inflammatorium  vorkommen  können,  sind  un- 
widerleglich nachgewiesen.  Es  handelt  sich  darum,  ob  ähn- 
liche mechanische  Hindernisse  des  Blutstroros  auch  bei  Ex- 

T.  GrMfe*!  AreblT  fUr  Ophthalmologie,  XXXIV.  1.  14 


210  J-  Jacobson  sen. 

cavationen  der  Papille  die  Segel  sind.  Dann  wird  man 
wissen,  ob  man  alle  Excavationen  für  Folgen  venöser 
Stauung,  für  Froducte  des  vorläufig  hypothetischen,  glau- 
comatOsen  Processes  halten  darf  und  den  causalen  Zusam- 
menhang zu  begreifen  suchen.  Die  Definition  und  die  kli- 
nische Qrenze  des  Glaucoms  aber  wäre  schon  durch  die 
Bestätigung  gegeben. 


£xperimentell6  TJntersucliuiigeii  zur  Frage  der 

Keratoplastik. 

Von 
Dr.  August  Wagenmann, 

Erstem  ABsistenten  der  Universitäts- Augenklinik  zu  Gdttingen. 


Die  Frage  der  Keratoplastik  hat  eine  eigenartige  histo- 
rische Entwickelung  genommen.  Im  Beginn  der  zwanziger 
Jahre  dieses  Jahrhunderts  tauchte  sie  auf,  angeregt  durch 
die  Arbeit  Reisingers*),  der  zuerst  einschlägige  Versuche 
am  Kaninchen  angestellt  hat.  Während  der  nächsten 
zwanzig  Jahre  wurden  zahlreiche  Versuche  gemacht,  die 
Frage  durch  das  Thierexperiment  für  die  Praxis  zugängig 
zu  machen,  die  verschiedensten  Methoden  wurden  vorge- 
schlagen. Männer  wie  Dieffenbach'*'*)  griffen  bei  der 
grossen  Wichtigkeit  der  Sache  die  Idee  auf  und  bemühten 
sich,  zu  einer  brauchbaren  Methode  zu  gelangen.  D  i  offen - 
bach  begann  seine  Arbeit  mit  den  oft  citirten  Worten: 

„Die  Idee  Beisingers,  die  vollkommen  verdunkelte 
Hornhaut  eines  Menschen  durch  die  eines  Thieres  zu  er- 
setzen, ist  gewiss  eine  der  kühnsten  Phantasien,  und  es 


*)  Die    Keratoplastik,   ein   Versuch    sar    Erweiternng    der 
Augenheiiknnde.    Bayerische  Annalen  1824,  I.  Bd. 
**)  v.  Ammons  Zeitschrift  1881.    Bd.  I,  p.  172. 

14» 


212  A.  WagenmaniL 

wäre  der  höchste  Preis  der  Ghirorgie,  wenn  diese  Operation 
gelänge/' 

Am  Menschen  wurde  die  Operation  nar  ganz  ver- 
einzelt Yersncht,  man  operirte  fast  ausschliesslich  an  Thieren. 

Doch  wurde  die  aufgewandte  Mühe  nicht  mit  dem 
verdienten  Erfolg  belohnt.  Man  hatte  nur  Misser  folge  zu 
verzeichnen,  und  die  sehnlichen,  zuversichtlichen  Wünsche 
blieben  unerfüllt.  Die  Arbeitskraft  war  erschöpft,  es  verlor 
sich  das  Interesse,  die  Frage  schlief  ein  und  ruhte  30  Jahre 
lang. 

üeberblickt  man  die  Arbeiten  dieser  ersten  Periode  *) 
der  Keratoplastik,  so  muss  man  anerkennen,  dass  damals 
schon  verschiedene  Methoden  angeregt  und  versucht  sind, 
die  jetzt,  nachdem  die  Frage  aus  dem  Dunkel  der  Ver- 
gangenheit wieder  ans  Tageslicht  getreten  ist,  ihre  Anwen- 
dung gefunden  haben.  Es  ist  damals  schon  der  Grund 
gelegt  gewissermassen  zu  einer  Theilung  der  Keratoplastik 
in  zwei  Bichtungen  mit  durchgreifenden  Unterschieden. 

Während  man  sich  anfangs  nur  damit  beschäftigt 
hatte,  den  nach  Fortnahme  eines  Comeastückes  in  seiner 
ganzen  Dicke  entstandenen  Defect  durch  einen  eben  solchen 
gebildeten  Lappen  zu  decken,  schlug  Mühlbauer  bei 
Kaniachenversuchen  das  Verfahren  ein,  die  Descemet- 
sehe  Membran  sammt  den  untersten  Comeaschichten  stehea 
zu  lassen  und  darauf  ein  eben  so  geformtes  Stück  einer 
andern  Cornea  zu  implantiren.  Er  ist  durch  seine  Ver- 
suche der  Begründer  der  partiellen  Transplantation*'*')  ge- 


*)  y.  Hippel  giebt  in  seiner  Arbeit:  „Ueber  die  operative 
Behandlang  totaler  stationftrer  Horohauttrübnngen  (v.  Graefe'a 
Archiv  für  OptL  XXIII  2,  p.  79)'*  in  guter  Uebersicht  und  kurzer 
kritischer  Besprechung  der  erschienenen  Arbeiten  eine  historische 
Entwickelung  der  Keratoplastik,  auf  die  ich  zur  n&heren 
Orientirong  verweisen  möchte. 

**)  Ich  beziehe  die  Ausdrücke  partiell  und  total  ausschliesslich 
auf  die  Dickenausdehnung  der  Cornea,  nicht  auf  die  Flächen- 
ausdehnung.   Da  auch  die  Methode,  die  ganze  Cornea  zu  über- 


üntenuchnngen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  213 

worden.  Man  muss  die  totale  Transplantation,  wobei  also 
die  ganze  Dicke  der  Cornea  excidirt,  die  Kammer  selbst- 
verständlich dabei  eröffnet,  und  der  so  gesetzte  Defect 
durch  einen  gleichen  Lappen  ersetzt  wird,  und  die  partielle 
Transplantation,  bei  der  die  tiefste  Schicht  stehen  bleibt, 
und  die  Kammer  dabei  nicht  eröffnet  wird,  als  zwei  ge- 
trennte Richtungen  auseinander  halten. 

Bemerkenswerth  ist  femer,  dass  schon  in  damaliger  Zeit 
ein  trepanähnliches  Instrument  in  Anwendung  gezogen  ist. 

Als  Besultat  ist  in  der  ersten  Periode  nur  gewonnen, 
dass  die  Comeallappen  einheilen  können;  dass  sie  sich  aber 
stets  trübten,  wenn  sie  überhaupt  angeheilt  waren,  konnte 
nicht  verhindert  werden.  Ueber  die  Ursachen  der  Trübung 
ist  man  sich  nicht  recht  klar  geworden,  wenn  auch  ver- 
schiedene Hypothesen  zur  Erklärung  herangezogen  sind. 

Erst  im  Anfang  der  siebziger  Jahre  wurde  die  Frage 
wieder  durch  Power'*')  angeregt,  der  unabhängig  von  den 
früheren  Arbeiten  darauf  gefuhrt  war.  Damit  beginnt  die 
zweite  Periode  der  Keratoplastik.  Nächst  Power  ist  es  vor 
allem  v.  Hippel,  der  sich  grosse  Verdienste  um  die  Trans- 
plantation erworben  hat,  der  unablässig,  nicht  entmuthigt 
durch  Misserfolge,  dem  vorgesteckten  Ziel  nachgestrebt  hat, 
dem  wir  in  der  Vervollkommnung  der  Methoden,  in  der 
Beobachtuüg  der  Heilungsvorgänge  und  in  der  kritischen 
Behandlung  und  Läuterung  der  einschlägigen  Fragen  un- 
endlich viel  verdanken. 

Diese  zweite  Periode  zeichnet  sich  dadurch  aus,  dass 
man  sofort  pracüsch  vorging  und  am  Menschen  die  Trans- 


pflansen,  vorgeschlagen  ist,  so  hat  man  auch  im  Hinblick  auf  die 
Flächenaosdehnnng  von  totaler  und  partieller  Keratoplastik  ge- 
sprochen. Um  Verwirrung  zu  vermeiden,  möchte  ich  diese  Be- 
zeichnungen für  die  zweifellos  wichtigeren  Begriffe  anwenden. 
Allerdings  ist  die  Bezeichnung  keine  richtig  zutreffende.  Ich  habe 
aber  vergeblich  nach  einem  passenden  Terminus  tecbnicus  gesucht 
'^)  Internat  opthalm.  Congress.  London  1872.  (Vergl.  Bericht 
Klin.  Monatsbl.  t  Angenheilk.  1872,  p.  296). 


214  A.  Wagenmann. 

plantation   versacbte,   bei  dem  ja  die  Schwierigkeiten  des 
Heilungsverlaufs  geringer  sind  als  beim  Tbier. 

Das  Ziel,  das  nach  Wiederaufnahme  der  Versuche  vor- 
nehmlich nach  dem  Vorgang  y.  HippeFs  von  den  meisten 
erstrebt  wurde,  war,  bei  ausgedehnten  Leukomen  Lappen, 
die  die  ganze  Dicke  der  Cornea  einnehmen,  zu  excidiren 
und  durch  überpflanzte  Homhautstücke  zu  ersetzen.  Man 
hielt  also  an  der  localen  Keratoplastik  fest.  v.  Hippel*) 
präcisirte  die  Schwierigkeiten,  die  zu  überwinden  sind.  Es 
sind  die  vier  Punkte: 

1.  die  Congruenz  der  Lappen; 

2.  das  üebertragen  des  zu  überpflanzenden  Lappens; 

3.  die  Fixation  desselben; 

4.  das  Hervorstürzen  von  Gontenta  bulbi. 

Er  empfiehlt  ausschliesslich  den  Trepan  anzuwenden 
und  bestimmt  seine  Vorzüge.  Auf  die  Vervollkommnung 
dieses  Instrumentes  hat  er  grosse  Sorgfalt  verwendet.  Er 
hat  durch  seine  letzten  Modificationen'*'*)  einen  sehr  ingeniös 
construirten  Trepan  geschaffen.  Die  Krone  wird  durch  ein 
Uhrwerk,  das  sich  in  einer  Kapsel  oben  am  Instrument  be- 
findet, in  rasche  Umdrehungen  gesetzt.  Durch  leisen  Pinger- 
druck auf  einen  Zapfen  setzt  man  das  Uhrwerk  in  Oang, 
zieht  man  den  Finger  zurück,  so  steht  die  Krone  still. 
Ein  weiterer  Vorzug  dieses  Instrumentes  besteht  in  der 
Anbringung  eines  Sicherungsringes,  den  man  in  jeder  be- 
liebigen Entfernung  von  der  Schneide  anbringen  kann.  Ver- 
mittelst eines  Massstabes  kann  man  auf  die  gewünschte 
Tiefe  einstellen. 

V.  Hippel***)  überpflanzte  anfangs  Hunde-Hornhaut, 


♦)  V.  Graefe's  Archiv  f.  Ophtb.  XXUL  2,  p.  13a 
**)  Bericht  der  ophth.  Vers  z.  Heidelberg.    1887,  p.  30.  (Klin. 
Monatobl.  f.  Augenheük.  1887.) 

***)  V.  Graefe's  Archiv  f.  Ophth.  XXm.  2.  —  v.  Graefe's  Archiv 
f.  Ophth.  XXIV.  2,  p.  235ff. 


\ 


Untersuchungen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  215 

später  anch  solche  vom  Kaninchen.  Power*)  empfahl 
menschliche  Cornea  von  Augen,  die  aus  irgend  einem 
Grunde  enucleirt  werden  müssen  und  noch  unversehrte 
Hornhäute  haben.  Die  Dickenverhältnisse  und  die  Gleich- 
artigkeit der  Structur  sind  allerdings  grosse  Vorzüge,  die 
für  die  Verwendung  menschlicher  Hornhaut  sprechen,  voraus- 
gesetzt, dass  eine  passende  zu  Gebote  steht. 

Nur  vereinzelt  wurden  andere  Methoden  empfohlen,  so 
Ton  Bosmini**),  auf  einen  gesetzten  Defect  die  ganze 
Cornea  eines  Kaninchens  plus  Conjunctival  -  Lappen  zu 
bringen,  ein  Verfahren,  das  sich  ähnlich  schon  Dieffen- 
bach  als  vielleicht  anwendbar  ausgedacht  hatte. 

Adamück***)  versuchte  die  Cornea  von  der  Ratte  und 
Tom  Huhn  zu  nehmen. 

Das  Endresultat  aller  Operationen  mit  totaler  Kerato- 
plastik war  kein  günstiges.  Stets  trat  eine  Trübung  des 
implantirten  Lappens  auf,  es  gelang  nicht,  eine  dauernde 
Transparenz  zu  erzielen. 

Auch  der  Sellerbeck'schef)  Fall,  der  unter  überaus 
günstigen  Bedingungen  operirt  war,  und  der,  wie  aus  der 
ersten  sofortigen  Publication  zu  schliessen  war,  zu  den 
brillantesten  Hoffnungen  zu  berechtigen  schien,  masste  es 
sich  gefallen  lassen,  dass  noch  in  demselben  Heft  des 
v.Graefe'schen -Archivs  ein  Nachtrag  aus  Schweigger*s  Feder 
die  schönen  Hoffnungen  zerstörte,  da  sich  der  Lappen  doch 
noch  getrübt  hatte.  Schweiggerff)  hatte  den  Patienten 
einige  Monate  nach  der  Operation  untersucht  und  fand  eine 


*)  Klin.  MonatsbL  f.  Augenheilk.    1878,  p.  35  ff. 
**)  Oazetta  med.  Italiana  Lombarda  No.  17. 
•**)  Klin.  MonatsbL  f.  Angenheilk.    1887,  p.  51. 
t)  Ueber  Keratoplastik,  y.  Graefe  s  Archiv  f.  Ohpth.  XXIV.  4, 
p.  Iff.  —  Seilerbeck:  Nachtrag  zu  meiner  Arbeit  über  Kerato- 
plastik,   ebendaselbftt  p.  321. 

ff)  Der  Endansgang  der  XXIV.  4,  b—VH  beschriebenen  Hom- 
hanttransplantation.    y.  Graefe's  Archiv  f.  Ophth.  XXIV.  4,  p.  318, 


216  ^«  Wi^Dmaim. 

80  starke  parenchymatöse  Trflbong  des  implantirten  Lappens, 
dass  er  mit  dem  Spiegel  keinen  rothen  Reflex  erhielt. 

Schweigger  hält  die  Keratoplastik  Oberhaupt  für 
aussichtslos  und  drückt  sein  ürtheil  daraber  durch  folgende 
Worte  aus: 

„Dass  eine  transplantirte  Cornea  aberhaupt  anwachst, 
ist  alles;  dass  sie  auch  noch  durchsichtig  bleiben  soll,  ist 
mehr,  als  wir  erwarten  können  —  ja,  wenn  es  ein  Stack 
Glas  wäre!  Eine  aus  so  vielfachen  Gewebselementen  zu- 
sammengesetzte Membran  wie  die  Cornea,  kann  nur  durch- 
sichtig sein  unter  der  Bedingung  einer  wunderbaren  Gleich- 
heit der  Brechungsexponenten  aller  ihrer  einzelnen  histolo- 
gischen Bestandtheile.  Dass  aber  diese  hohe  physiologische 
Vollkommenheit  auch  erhalten  bleiben  sollte  unter  so  ge- 
waltsam veränderten  Emährungsbedingungen,  wie  sie  die 
Transplantation  setzt,  scheint  denn  doch  über  die  Leistungs- 
fähigkeit der  Natur  hinauszugehen/' 

Noch  trostloser  far  die  Keratoplastik  lauten  die  Re- 
sultate von  Ne eisen  und  Angelucci*),  die  an  Hunden 
operirt  und  hauptsächlich  auf  der  Basis  von  anatomischen 
Untersuchungen  die  Frage  behandelt  haben.  Sie  kamen  zu 
dem  denkbar  ungünstigsten  Schluss.  Die  Idee  Reisingers 
sei  practisch  nicht  ausführbar,  denn  sie  stütze  sich  auf 
unrichtige  Vorstellungen  über  den  Heilungsverlauf  trans- 
plantirter  Stückchen.  Sie  glauben,  den  positiven  Beweis 
erbracht  zu  haben,  „dass  unter  allen  Umständen  die  Trans- 
plantationsstelle undurchsichtig  werden  muss,  weil  die  An- 
heilung  nur  durch  einen  Granulationsprocess  mit  nach- 
folgender Narbenbildung  vor  sich  gehen  kann." 


*)  Experimentelle  und  histologische  Untersuchungen  über 
Keratoplastik.  Klin.  MonatsbL  f.  Augenheilk.  1880,  p.  285.  — 
Krankengeschichten  zu  den  experimentellen  und  histologischen 
Untersuchungen  über  Keratoplastik.  Klin.  MonatsbL  f.  Augen- 
heilk. 1B80,  p.  348. 


üntersncbuDgen  zar  Frage  der  Keratoplastik.  217 

Sie  formuliren  ihre  Besaltate  mit  den  Worten: 

„In  der  Mehzahl  der  Fälle  geht  das  transplantirte 
Comeastückchen  zum  Theil  zu  Ornnde;  der  Best  wird  in 
undurchsichtiges  Narbengewebe  eingeschlossen.  Eine  An- 
heilung  mit  Erhaltung  des  Stückes  ist  nur  möglich,  wenn 
dasselbe  nicht  nur  vom  Bande,  sondern  auch  von  seiner 
inneren  Fläche  aus  durch  anliegendes  altes  oder  neugebil- 
detes Gewebe  ernährt  wird;  es  liegt  dann  nach  beendeter 
Heilung  unter  (an  der  inneren  Seite)  dem  transplantirten 
Stück  eine  undurchsichtige  Schicht  etc.^' 

Wenn  also  nach  ihrer  Ansicht  schon  für  die  blosse 
Anheilung  die  Ernährung  von  der  inneren  Seite  aus  durch- 
aus nOthig  ist  und  die  Oranulationsbildung  als  integrirende 
Phase  der  Wundheilung  stets  eintritt,  so  ist  für  die  Erhal- 
tung der  Transparenz  absolut  gar  nichts  zu  hoffen. 

Y.  Hippel  liess  sich  aber  durch  dergleichen  ab- 
sprechende Urtheile  nicht  abschrecken,  er  gab  die  Trans- 
plantation nicht  auf.  Allerdings  verliess  er  die  totale 
Keratoplastik  und  wandte  sich  der  partiellen  Keratoplastik 
zu,  einer  Methode,  die  schon  vor  ihm  Müh  1  bau  er*)  und 
Dörr'*''*')  empfohlen  und  mit  Erfolg  ausgeführt  hatten.  Er 
hat  damit  einen  bedeutsamen  Umschwung  in  der  Frage  der 
Hornhaut-Transplantation  vollzogen  und  mit  den  Methoden 
und  Bestrebungen  seiner  ersten  jahrelangen  Bemühungen 
gebrochen.  Er  selbst  mass  in  seinen  früheren  Arbeiten  der 
partiellen  Transplantation  wenig  Bedeutung  bei  und  be- 
zeichnete die  totale  Keratoplastik  als  allein  zu  erstrebendes 
Ziel.  Er***)  kritisirte  von  seinem  damaligen  Standpunkte  aus 
bei  Besprechung  des  Mühlbauer'schen  Verfahrens  dasselbe 
ziemlich  abfällig,  da  es  bei  totalen  Leukomen,  wo  alle 
Schichten   der  Cornea  getrübt  sind,   gar  nicht  anwendbar 


♦)  VergL  Schmidts  Jahrb.    XXXV,  p.  267. 
**)  Klin.  Monatsbl.  f.  Augenheilk.  1877.  —  ebendaselbst  1879, 
p.  817.  —  ebendaselbst  18bl,  p.  145. 

♦*♦)  V.  Graefe's  Archiv  t  Ophth.    XXIII.  2,  p.  94. 


218  A.  Wagenmann. 

sei.  Ebenso  weist  er  bei  der  Kritik  der  Dürr'schen*)  Me- 
thode auf  denselben  üebelstand  hin.  In  der  Mehrzahl  der 
Fälle,  in  denen  die  Keratoplastik  angebracht  ist,  sei  die 
ganze  Cornea  getrübt,  zudem  sei  meist  die  Iris  adhärent. 
Er  schlägt  deshalb  die  praktische  Brauchbarkeit  der  par- 
tiellen Transplantation  sehr  gering  an. 

Seil  erbeck**)  stimmt  hierin  v.  Hippel  vollkommen 
bei  und  empfiehlt  ebenfalls  nur  die  totale  Keratoplastik. 

V.  Hippel***)  hat  das  Verfahren  so  modificirt,  dass  er 
mit  seinem  Trepan  (4  mm.  Kronen -Durchmesser)  die 
Schichten  bis  zur  Descemet'schen  Membran  umschneidet 
und  mit  Pincette  und  Messer  abträgt.  Dann  excidirt  er 
mit  dem  Trepan  ein  die  ganze  Dicke  der  Cornea  ein- 
nehmendes gleich  grosses  Stück  Cornea  vom  Kaninchen  und 
überpflanzt  es  in  denDefect  der  menschlichen  Cornea.  Der  Lap- 
pen heilt  überraschend  glatt  ohne  Quellung  und  bleibende 
Trübung  ein.  Verwendbar  ist,  wie  v.  Hippel  selbst  anführt, 
diese  Methode  nur  in  einer  beschränkten  Zahl  passender 
Fälle,  da  die  Leukome  nicht  adhärent  und  nicht  der  Dicke 
nach  total  sein  dürfen.  Dass  es  mit  dieser  Methode  wirklich 
gelingt,  Lappen  mit  erhaltener  Durchsichtigkeit  zum  Einheilen 
zu  bringen  und  das  Sehvermögen  wesentlich  zu  bessern, 
hat  V.  Hippel  durch  zwei  Fälle  am  Menschen,  die  er 
operirt  hat,  beweisen  können.  Die  eine  Patientin  hat  er  im 
vorigen  Jahre  auf  der  Heidelberger  Versammlung!)  demon- 
strirt,  nachdem  174  Jahre  seit  der  Operation  verflossen 
waren.  Wer  in  Heidelberg  war,  hat  sich  von  dem  Erfolg 
der  Operation  überzeugen  können.    Auf  derselben  Versamm- 


*)  V.  Graefe's  Archiv  f.  Ophth.  XXIV.  2,  p.  236. 

*♦)  V.  Graefe's  Archiv  f.  Ophth.  XXIV.  4,  p.  20. 

***)  Bericht  über  die  XVIIL  Versammlimg  der  ophth.  Gesell- 
schaft.   Heidelberg  1886  p.  54. 

t)  Bericht  der  XIX.  Vers.  d.  ophth.  Gesellschaft.    Heidelberg 
1887,  p.  30. 


Unteranchas^en  zur  Frage  der  Keratoplastik.  219 

lang  berichtete  er  auch  noch  von  einer  zweiten  erfolgreichen 
Operation  bei  einer  50jährigen  Frau. 

Der  gegenwärtige  Stand  der  Keratoplastik  ist  also  der : 
Die  üeberpflanzung  von  die  ganze  Hornhautdicke  einneh- 
menden Lappen  in  den  gleichen  Defect  ist  bisher  stets 
misslungen,  sowohl  bei  Thierversuchen  als  bei  Operationen 
am  Menschen.  Es  gelingt  wohl,  den  Lappen  zum  Einheilen 
zu  bringen,  aber  nicht,  ihn  dauernd  durchsichtig  zu  er- 
halten. Dagegen  verspricht  die  partielle  Transplantation,  wie 
sie  in  letzter  Zeit  von  v.  Hippel  ausgeführt  wird,  in  ge- 
eigneten Fällen  gute  Resultate  zu  geben.  Nun  lässt  sich 
nicht  leugnen,  dass  die  Zahl  der  geeigneten  Fälle  vorder- 
hand eine  kleine  ist,  und  dass  man  bei  einem  Theil  der- 
selben unter  Umständen  mit  der  einfacheren  und  leichter 
ausfahrbaren,  auch  sicherern  Operation  der  optischen  Iridec- 
tomie  auskommen  wird,  um  ein  einigermassen  genügendes 
Sehvermögen  herzustellen.  Jedenfalls  haben  aber  v.  Hippels 
Erfolge  mit  der  partiellen  Transplantation  die  gegnerischen 
Behauptungen  zum  Theil  direct  widerlegt,  zum  Theil  sehr 
unwahrscheinlich  gemacht.  Allerdings  muss  man  sich  be- 
wusst  bleiben,  dass  die  Resultate  der  partiellen  Kerato- 
plastik durchaus  nicht  zu  übertragen  sind  auf  die  totale. 
Denn  in  der  Eröffnung  der  Kammer  mit  all  ihren  Folge- 
zuständen besteht  eben  eine  tief  trennende  Kluft  zwischen 
partieller  und  totaler  Keratoplastik. 

Immerhin  sind  die  beigebrachten  Beweise  Neelsen's 
und  Angelucci's,  dass  abgetrennte  Stücke  der  Cornea 
nicht  anders  als  narbig  degenerirt  einheilen  können,  dass 
die  Oranulationsbildung  nöthig  sei,  dass  die  Ernährung  vom 
Rande  nicht  genüge,  stark  erschüttert,  und  ich  glaube,  dass 
die  Frage,  wenn  auch  nur  vom  theoretischen  Interesse  aus, 
einer  wiederholten  Prüfung  bedarf. 

Es  handelt  sich  also  immer  dabei  um  die  Entscheidung 
der  fundamentalen  Frage,   ob  es  nach  den  physiologischen 


220  A.  Wagenmann. 

Verhältnissen  der  Cornea  überhaupt  möglich  sei,  was  ja 
Schweigger  ond  Neelsen  bestritten,  dass  ein  von  seinem 
Matterboden  vollständig  abgetrennter  Lappen  in  dem  gleichen 
Defect  —  totale  Keratoplastik  —  so  einheilt,  dass  er,  wenn 
auch  nnr  zum  Theil,  dauernd  durchsichtig  bleibt. 

Dass  abgetrennte  Lappen  überhaupt  einheilen,  was  ja 
a  priori  bei  der  Geftsslosigkeit  der  Cornea  Bedenken 
machen  musste,  ist  längst  bewiesen.  Man  muss  dagegen 
noch  beweisen,  dass,  wenn  die  nutritiven  Bedingungen 
erfüllt  sind,  der  histologische  Bau  des  überpflanzten  Stückes 
trotz  der  veränderten  Ernährungsbedingungen  so  gewahrt 
bleiben  kann,  dass  die  functionelle  Leistung  der  Cornea, 
d.  h.  ihre  Durchsichtigkeit  für  Licht,  nicht  verloren  geht 

Man  muss  zugleich  den  Bedingungen,  von  denen  ein 
Gelingen  oder  Misslingen  abhängt,  nachspüren  und  bei 
etwaiger  Alleinherrschaft  des  Misslingens  positive  Beweise, 
weshalb  es  überhaupt  nicht  gehen  kann,  zu  erbringen 
suchen. 

Ich  habe  zur  Untersuchung  dieser  fundamentalen  Frage 
eine  Anzahl  Thierversuche  angestellt,  und  zwar  habe  ich 
das  einfachste  Verhältniss  gewählt,  dass  ich,  von  dem 
Ueberpflanzen  von  Thier  zu  Thier  absehend,  die  Frage  so 
formulirte,  gelingt  es  bei  einem  Auge,  einen  vollständig  ab- 
gelösten, die  Dicke  der  Cornea  einnehmenden  Lappen  wieder 
an  seiner  alten  Stelle  zum  Anwachsen  zu  bringen,  ohne 
dass  er  sich  total  trübt. 

Gelingt  es,  so  ist  der  Beweis  der  physiologischen 
Möglichkeit  für  die  totale  Keratoplastik  erbracht,  gelingt 
es  aber  nicht,  so  ist  die  üeberpflanzung  von  Auge  zu  Auge 
erst  recht  aussichtslos.  Umgekehrt  ist  das  Ueberpflanzen 
von  einem  andern  Auge  eine  Complication,  die  wieder  neue 
Gefahren  für  das  Misslingen  in  sich  schliesst. 

Ich  habe  die  Versuche  am  Kaninchen  angestellt,  und 
zwar  bin  ich  schrittweise  vorgegangen,  indem  ich  zuerst 


Untersnchungen  znr  Frage  der  Keratoplastik.  221 

Lappen  bildete,  die  mit  der  übrigeli  Cornea  noch  in  Ver- 
bindung blieben. 

Ich  habe  mit  dem  Frincip,  wie  ich  die  Frage  experimen- 
teil behandele^  wieder  zurückgegriffen  auf  die  ersten  experi- 
mentellen Untersuchungen  über  die  Keratoplastik  vor  mehr 
als  60  Jahren.  Beisinger*),  der  als  der  erste  derartige 
Versuche  angestellt  hat,  vereinigte  die  eben  getrennte  Cornea 
wieder  durch  Suturen.  Ebenso  gingen  Mössner '*"*')  und 
Dieffenbach***)  vor.  Letzterer  hat  auch  Lappen  gebildet, 
die  noch  mit  Brücken  mit  der  Cornea  in  Zusammenhang 
blieben.  Er  giebt  au,  dass  sich  auch  hierbei  entweder  der 
ganze  Lappen  oder  ein  Theil  trübte. 

Ganz  im  Gegensatz  zu  den  unglücklichen  Resultaten 
der  bisherigen  Untersuchungen  rühmte  sich  Thom^f),  von 
acht  nach  Beisingers  Methode  operirten  Augen  fünf 
durchsichtig  zum  Einheilen  gebracht  zu  haben.  Doch  hat 
man  sich  durch  diese  angeblichen  Erfolge  nicht  überzeugen 
lassen,  und  auch  v.  Hippel  zieht  dieselben  stark  in  Zweifel. 
Es  mag  dahin  gestellt  bleiben,  in  wie  weit  die  damaligen 
Resultate  so  glänzend  waren  und  blieben.  Die  Misserfolge 
der  späteren  Untersucher  haben  es  veranlasst,  die  physio- 
logische Möglichkeit  des  Einheilens  mit  erhaltener  Trans- 
parenz zu  bestreiten.  Auch  Mühlbauer  giebt  an,  mit  der 
Reisinger*schen  Methode  stets  Misserfolge  gehabt  zu  haben, 
er  wurde  deshalb,  wie  erwähnt,  dazu  veranlasst,  die  par- 
tielle Transplantation  als  Operationsmethode  einzuführen. 

Ich  will  einige  allgemeine  Bemerkungen  über  die  Ope- 
rationen vorausschicken,  ehe  ich  auf  die  Versuche  selbst 
eingehe. 

Ich  habe  das  Cocain  in  öprocentiger  Lösung  zur 
Anaesthesirung  benutzt.    Die  Thiere  halten  sehr  ruhig,  da 


*)  Bayerische  Annalen  1824,  Bd.  L 
**)  Inaugur.-Disserr.    Tübingen  1823. 
)  V.  Ammons  Zeitschrift  f.  Ophth.  1831,  Bd.  I. 
f)  De  corneae  transplantatione.    Bonn,  1834.    Inang.-Disserr. 


222  A.  Wag^enmann. 

das  Cocain  rasch  wirkt  und  auch  die  Iris  bald  unempfind- 
lich macht. 

Zur  Desinfection  der  Haut  und  Lider  habe  ich  Sublimat 
in  Losung  von  1 :  1000,  für  den  Gonjunctivalsack  von 
1:6000  angewendet. 

Mehrmals  habe  ich  bei  diesen  Versuchen  die  Gilien  und 
Haare  der  Lider  abgeschnitten,  ich  bin  aber  davon  zurfick- 
gekommen,  da  ich  die  Function  der  Gilien  als  Schutz  und 
Beflexapparat  för  später  nicht  entbehren  wollte.  Ich  habe 
mich  begnügt,  die  Lider  und  Haare  mit  Sublimat  zu  reinigen, 

Um  die  Lappen  in  ihrer  Lage  zu  sichern  und  um  die 
Bulbusoberfläche  den  äusseren  Schädlichkeiten  zu  entziehen, 
stehen  uns  eine  Reihe  von  Schutzmitteln  zu  Gebote,  die 
ich  bei  meinen  Versuchen,  je  nachdem  es  zweckmässig 
schien,  wiederholt  angewendet  habe,  ohne  dass  ich  gerade 
einer  Methode  einen  besondem  Vorzug  zuerkennen  konnte. 

Wenn  man  die  Thiere  isolirt,  kann  man  auch  ohne 
jedes  Schutzmittel  auskommen.  Eine  aseptische  Heilung 
kann  man  nicht  garantiren,  man  ist  mehr  oder  weniger  auf 
das  Glück  angewiesen. 

Mit  am  besten  bewährt  hat  sich  das  Hmüberziehen  der 
Nickhaut  (Power).  Man  kann  sie  am  Lidwinkel  festnähen 
oder,  wie  ich  es  vorzog,  am  Homhautrand  oder  in  der 
üebergangsfalte.  Dann  habe  ich  die  Fäden  nach  dem 
Knüpfen  nicht  abgeschnitten,  sondern  nochmals  aussen  neben 
dem  Ohr  in  der  Horizontallinie  eine  Hautfalte  umstechen 
und  nochmals  hier  den  Faden  geknüpft.  Weiterhin  habe 
ich  oben  und  unten  den  Rand  der  Nickhaut  mit  der  Gon- 
junctiva  bulbi  vereinigt.  Man  muss  die  Nickhaut  sichern, 
denn  nachtheilig  bei  ihr  ist,  dass  sie  Muskelgewebe  enthält; 
die  Thiere  suchen  Bewegungen  zu  machen  und  zerren  an 
den  Suturen.  Der  Schutz  ist  nicht  so  sicher,  als  man  er- 
warten könnte. 

Ein  weiteres  sicheres  Schutzmittel  ist,  einen  grossen 
Conjunctivallappen   zu  bilden,   ihn  über  die  Cornea  so  zu 


Untersuchnngen  zur  Frage  der  EeratoplaBtik.  223 

ziehen,  dass  Epithel  auf  Epithel  kommt  und  ihn  am  Horn- 
hautrand resp.  weiter  ab  davon  mit  der  Conjunctiva  durch 
Sntnren  zu  befestigen.  Man  thut  dabei  gut,  die  Suturen 
schon  vorher  zu  durchstechen  und  gelockert  zur  Seite  zu 
legen. 

Aber  auch  diese  Methode  hat  den  grossen  Nachtheil, 
dass  der  gebildete  Bindehautlappen  necrotisch  wird  und  den 
besten  Nährboden  für  Microorganismen  abgiebt.  Wenn  man 
aber  fOr  kurze  Zeit  einen  Schutz  haben  will,  so  ist  dieses 
Mittel  vorzüglich,  man  muss  dann  nach  einem  oder  späte- 
stens nach  zwei  Tagen  den  ganzen  gebildeten  Lappen  exci- 
diren.  Der  Defect  der  Conjunctiva  kann  ohne  Störung  heilen. 

üebrigens  ist  die  Conjunctiva  beim  Kaninchen  so  ver- 
schieblich und  die  üebergangsfalten  sind  so  bauschig,  dass 
man  ohne  weiteres  die  obere  und  untere  üebergangsfalte 
fassen  und  über  die  Cornea  zusammenbringen  kann,  wo 
man  sie  durch  Suturen  vereinigt.  Dies  hat  den  Vorzug, 
dass  man  keine  Wunde  macht,  und  dass  sich  die  Lider  wegen 
der  Verkürzung  der  üebergangsfalten  nach  dem  Knüpfen 
der  Suturen  schliessen  und  kaum  geöffnet  werden  können. 
Nachtheilig  ist,  dass  die  Nahtlinie  fast  in  die  Horizontal- 
linie fiQlt,  also  gerade  auf  die  Mitte  des  Lappens  bei  cen- 
traler Lage  desselben.  Es  giebt  zu  leicht  dort,  wo  der 
Faden  liegt,  nach  einigen  Tagen  auf  der  Cornea  eine 
Trübung. 

Weiter  kann  man  die  Lider  auf  verschiedene  Weise 
durch  Suturen  schliessen.  Erhält  man  die  Cilien,  so  muss 
man  sich  vor  Entropium  des  Lidrands  hüten,  damit  keine 
Cilien  hineingedrückt  werden.  Auch  das  Aufnähen  von  aus 
Draht  geflochtenen  Kappen  (Pfeifendeckeln)  leistet  bekannt- 
lich guten  Schutz. 

Femer  kann  man  die  Thiere  in  passende  Kasten  setzen, 
wo  der  Kopf  durch  eine  ringförmige  Oeffnung  der  Wand 
festgehalten  wird,  so  dass  jede  Berührung  mit  den  Pfoten  etc. 
ausgeschlossen  ist. 


224  A.  Wagenmann. 

L 

Yersucbe  über  die  Heilung  nicht  ganz  abgetrennter 

Hornbautlappen. 

Zunächst  liess  ich  die  Lappen  noch  mit  der  Hornhaut 
in  Verbindung,  um  die  Heilungsvorgänge  zu  beobachten 
unter  Bedingungen,  wo  für  die  Fixation  der  Lappen  durch 
die  stehengebliebenen  Brücken  gesorgt  ist.  Zudem  sagt^  ich 
mir,  dass,  wenn  man  die  Brücke  immer  kleiner  nimmt, 
man,  vorausgesetzt,  dass  die  Annahmen  z.  B.  Neelsen's 
und  Angelucci's  richtig  sind,  an  eine  Orenze  kommen 
müsste,  bei  deren  Ueberschreiten  die  Anheilung  gar  nicht 
oder  nur  unvollkommen  möglich  ist.  Man  müsste  dann 
für  eine  bestimmte  LappengrOsse  ein  annähernd  festes 
Zahlenverhältniss  aufstelleii  können  und  müsste  bestimmen 
können,  wie  viel  von  der  Circumferenz  noch  erhalten 
bleiben  muss,  damit  die  Ernährung  des  Lappens  noch  aus- 
reicht. 

Ich  führe  von  meinen  Versuchen  als  Beispiele  zwei 
im  Auszuge  an. 

Versuch  1:  weisses  Kaninchen. 

Linkes  Auge.  17.  Augast  1887.  Cornea  durch  zwei  in 
einem  Zwischenraum  von  einer  Minute  applicirte  Tropfen  einer 
5procentigen  Cocainlösung  anästhetisch  gemacht. 

Operationsmethode.  Es  wird  gegenüber  dem  hinteren 
Fupillarrand  ein  Linearmesser  von  oben  Dach  unten  mit  der 
Schneide  nach  vom  so  durch  die  vordere  Kammer  gefQhrt,  dass 
eine  5  mm  breite  Brücke  stehen  bleibt.  Durch  sägende  Schnitte 
wird  nun  nach  vom  ein  5  mm  langer  zungenförmiger,  centraler 
Lappen  gebildet.  Dicht  vor  dem  Durchschneiden  wird  angehalten, 
es  bleibt  eine  schmale  Brücke  stehen,  die  aber  noch  von  hinten 
her  eingeschnitten  wird,  indem  das  Messer  mit  der  Schneide 
nach  vom  gerichtet  wird.  Darauf  wird  das  Messer  herausge- 
zogen. Es  bleibt  also  vorn  auf  der  Höhe  des  Lappens  eine 
Va  mm  breite  Brücke  stehen,  die  nur  von  den  äussern  Homhant- 
lamcllen  gebildet  wird.     Diese  vordere  Brücke   wird   gelassen, 


Untersnchangen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  225 

um  die  Lage  dt^i  Lappens  zu  sicheni;  für  die  Ernährang  kann 
sie  nicht  von  Belang  sein.    Kammer  vollständig  aufgehoben. 

Eine  Stunde  später:  Kammer  noch  vollständig  aufgehoben. 
Die  Wandränder  ein  wenig  gequollen  und  graulich  schimmernd. 
Zwischen  den  Wundrändern  liegt  etwas  geronnenes  Fibrin.  Lappen 
und  abrige  Cornea  vollkommen  durchsichtig.  Iris  etwas  hjper- 
ämisch. 

18.  August  1887.  Auge  nicht  geschlossen,  frei  offen  gehalten, 
ein  wenig  injicirt.  Der  Lappen  liegt  gut  an,  die  Wundränder 
durch  etwas  Fibrin  klaffend  gehalten.  Die  Spitze  des  Lappens 
vorn  dicht  neben  der  Brücke,  dieselbe  einbegriffen,  ist  ein  wenig 
stärker  getrübt,  der  ganze  übrige  Lappen  vollkommen  durch- 
sichtig. Die  Kammer  theil weise  hergestellt,  noch  seicht.  Der 
Pupillarrand  klebt  oben  und  unten  an  der  Wunde  fest,  kein 
Irisprolaps.    Atropin,  um  die  Synechien  zu  lösen,   eingetropft. 

19.  August  1887.  Unten  ist  die  Zwischensubstanz  etwas 
breiter  geworden.  Die  Oberfläche  derselben  unten  wie  oben 
spiegelnd,  als  ob  das  Epithel  darüber  gewuchert  ist.  Kammer 
noch  seicht. 

Die  Heilung  verlief  glatt  weiter. 

22.  August  1887.  Auge  ganz  blass.  Die  Wunde  zieht  sich 
zusammen,  die  Narbe  wird  fester,  die  Niveaudifferenzen  gleichen 
sich  aus.  Lappen  vollkommen  klar.  Trübung  der  Wundränder 
geringer.  Die  Kammer  nimmt  an  Tiefe  zu,  die  Irishyperänüe 
zurückgegangen.  Oben  und  unten  finden  sich  noch  je  eine  kleine 
vordere  Synechie,  die  Iris  dahin  verzogen.  Der  übrige  Pupillai- 
rand  frei. 

25.  August  1887.  Die  Narbe  consolidirt  sich.  Vom  oberen 
Cornealrande  dringen  zwei  feine  Gefässchen  zur  Wunde  vor. 
Kammer  nimmt  an  Tiefe  zu.  Die  beiden  vorderen  Synechien 
bestehen  noch. 

30.  August  1887.  Die  Gefässe  zurückgebildet.  Die  obere 
Synechie  hat  sich  gelöst,  unten  besteht  noch  eine  feine  Synechie. 
Die  Narbe  zieht  sich  mehr  und  mehr  zusammen.  Das  Epithel 
geht  vollkommen  glatt  darüber  hinweg.  Die  Trübung  der  Spitze 
ist  nicht  breiter  als  der  Trübungsring  der  übrigen  Wunde. 
Kammer  fast  normal  tief.    Druck  normal. 

6.  September  1887.  Die  Vernarbung  ist  als  vollendet  zu 
betrachten.  Ein  schmaler  weisslicher  Bogen  umgiebt  den  Lappen, 
erleidet  an  der  vorderen  Brücke  keine  Unterbrechung.  Die 
Brücke   ist  als  solche  nicht  deutlich  zu  erkennen,   der  beste 

T.  Oraefe*!  Archiv  fUr  Ophthalmologie,  XXXIV.  1.  15 


226  A.  Wagenmann. 

Beweis,  dass  sie  nur  aus  den  änssersten  Lamellen  der  Cornea 
gebildet  ist.  Die  WOlbnng  der  Cornea  ist  normal.  Ange  an- 
dauernd blass.  Von  Vascnlarisation  der  Cornea  nichts  mehr  zu 
erkennen.  Auch  die  untere  Synechie  hat  sich  Tollkommen  ge- 
löst. Der  Pupillarrand  nun  vollkommen  frei,  reagirt  prompt 
auf  Licht.  Kammer  normal  tief.  Lappen  vollkommen  durch- 
sichtig. 

30.  November  1887.  Das  Auge  hat  sich  seither  gar  nicht 
verändert,  nur  ist  die  Narbe  noch  etwas  schmaler  geworden. 
Ein  feiner  weisser  linearer  Strich  umgiebt  den  zungenförmigen 
Lappen. 

Thier  getötet.  Auge  in  Mfillerscher  Flüssigkeit  gehärtet, 
in  Celloidin  eingebettet,  im  verticalen  Meridian  aufgeschnitten 
und  zur  microscopischen  Untersuchung  benutzt. 

Die  Verticalschnitte  sind  so  gefallen,  dass  der  Lappen  die 
Mitte  einnimmt,  man  hat  in  den  Präparaten  oben  und  unten 
die  Narben.  Dieselben  durchsetzen  schräg  die  Cornea,  so  dass 
der  äussere  Schnittrand  peripherer  gelegen  ist  als  der  innere. 
Die  Wundränder  liegen  dicht  zusammen,  die  Enden  der  Desce- 
metschen  Membran  sind  nur  wenig  verschoben,  so  dass  der  dem 
Lappen  angehörende  Rand  ein  wenig  nach  aussen  über  dem 
innem  liegt.  Der  Lappen  hat  sich  also  um  ein  weniges  ge- 
hoben. Die  Narben  bestehen  aus  einem  faserigen  Gewebe,  das 
zahlreiche  spindelförmige  Zellen  enthält 

Aus  der  Lücke  der  Descemotschen  Membran  heraus  hat 
sich  ein  im  Durchschnitt  spindelförmiges  faseriges  Gewebe  über 
den  dem  Lappen  anhörenden  Band  hinübergelegt.  In  dieser 
dickfaserigen  Wucherung  finden  sich  Lücken  und  platte  Zellen 
mit  Ausläufern.  Das  Gewebe  gleicht  vollkommen  dem  Comeal- 
gewebe. 

Die  Narben  sind  schmal,  so  dass  der  üebergang  in  die 
normale  Comealstructur  ein  schneller  ist.  Das  Epithel  geht 
glatt  ohne  Veränderung  in  der  Anordnung  über  die  Schnittnarben 
hinweg.  Innen  sind  die  Wundränder  von  einer  einfachen  L&ge 
Endothel  überzogen.  Mit  Ausnahme  dieser  beiden  Narben  ist 
die  Cornea  in  Bezug  auf  ihren  histologischen  Bau  intact 

Die  Iris  ist  vollkommen  frei,  es  bestehen  keine  Verwachsungen 
mit  der  Cornea. 

Versuch  2:  mittelgrosses  weisses  Kaninchen. 

Hechtes  Auge.  17.  August  1887.    Cocain. 

Operation:    Es    wurde    im    verticalen    Meridian    von 


Untersuchungen  znr  Frage  der  Keratoplastik«  227 

oben  nach  unten  ein  Linearmesser  durch  die  vordere  Kam- 
mer gefOhrt  mit  der  Schneide  nach  hinten.  Der  Einstich 
liegt  oberhalb  des  obern  Pupillarrandes,  die  Contrapunction 
unterhalb  des  untern,  Functions-  und  Contrapunctions- 
stelle  liegen  circa  7  mm  auseinander.  Durch  sagende  Zflge 
des  Messers  wird  nach  hinten  ein  horizontaler  Lappen  von 
etwa  2 — 3  mm  Länge  umschnitten.  Doch  wird  die  Spitze  nicht 
vollkommen  durchtrennt,  es  bleibt  eine  1  mm  breite  Brücke 
stehen,  die  aber  nur  von  den  äussern  Lamellen  gebildet  wird, 
da  das  Messer  zum  Schluss  noch  nach  vorn  gedreht  und 
durch  vorsichtige  Züge  die  Hornhaut  noch  von  der  hintern 
Fläche  aus  eingeschnitten  wird.  Nun  wird  das  Messer  lang- 
sam, indem  es  von  dem  Lappen  abgedrängt  wird,  ohne  aber 
die  Linse  zu  verletzen,  zurückgeschoben  bis  zu  dem  Ausgangs- 
punkt, hier  wird  es  behutsam  in  der  Wunde  gedreht,  so  dass  nun 
die  Schneide  nach  vom  sieht  Darauf  wird  nach  vom  ein  ähn- 
licher Lappen  umschnitten  wie  hinten.  Kurz  vor  dem  vollstän- 
digen Durchschneiden  wird  die  Schneide  wieder  nach  vom  ge- 
stellt und  die  stehengebliebene  Brücke  von  1  mm  Breite  von 
hinten  her  eingeschnitten.  Der  zweite  Act  der  Operation  war 
dadurch  erschwert,  dass  das  Kammerwasser  natürlich  vollständig 
abgeflossen  war,  so  dass  man  Gefahr  lief,  die  Linse  oder  Iris 
zu  verletzen.  Femer  hatte  die  Comea  keinen  rechten  Gegen- 
halt, da  die  zarte  hintere  Brücke  bei  geringstem  Druck  durch- 
zureissen  drohte. 

Es  gelang  so  einen  centralen,  ovalen,  ziemlich  grossen  Lappen 
bis  auf  die  minimalen  Brücken  vollkommen  ringförmig  zu  um- 
schneiden. Der  Lappen  rollte  sich  oben  und  unten  um,  doch 
legte  er  sich  durch  vorsichtiges  Streichen  mit  einem  Spatelchen 
glatt  auf.  Es  wurde  fibrinreiches  Kammerwasser  abgesondert, 
80  dasa  die  Bänder  klafften. 

Ob  die  Linse  nicht  doch  verletzt  wurde,  war  nicht  sicher 
zu  sagen. 

Die  Lidspalte  wurde  durch  zwei  Suturen  geschlossen. 

18.  August  1887.  Das  Thier  hat  sich  die  Suturen  auf- 
gekratzt. 

Auge  etwas  iigicirt.  Der  Lappen  ist  durch  das  ein- 
gelagerte Fibrin  ein  wenig  abgehoben,  unten  mehr  als  oben. 
Die  Ränder  des  Lappens  und  der  Cornea  etwas  gequollen  und 
leicht  getrübt,  der  Lappen  sonst  absolut  klar,  von  spiegelnder 

IB» 


228  A  Wagenmann. 

Oberfläche.   PupiUargebiet  ganz  frei.    Rammer  noch  aufgehoben. 
Iris  hjperämisch.    Änge  bleibt  offen. 

19.  Augast  1887.    Injection  geringer. 

Oben  schliesst  sich  die  Wunde  besser.  Die  Kammer  ist 
auch  ein  wenig  hergestellt.  Unten  werden  die  Wundrander 
durch  fibrinöse  Zwischensubstanz  noch  weit  klaffend  gehalten. 
In  der  unteren  Hälfte  ist  die  Kammer  noch  ganz  aufgehoben. 
Die  Iris  liegt  der  Cornea  dicht  an.  Man  bekommt  rothen 
Reflex  durch  den  Lappen,  Linse  scheint  nicht  verletzt. 

Ueber  den  Fupillarrand  nichts  Sicheres  zu  sagen,  ein 
Prolaps  besteht  nicht,  doch  scheint  die  Iris  mit  der  Wunde 
adhärent. 

20.  August.  1887.  Ange  noch  blasser.  In  der  oberen 
Hälfte  zieht  sich  die  Wunde  zusammen,  ist  von  Epithel  über- 
deckt. Die  Iris  ist  oben  mit  der  Wunde  adhärent.  Kammer 
ein  wenig  tiefer. 

Unten  beträgt  die  Dicke  der  Zwischensubstanz  circa  2Va  mm. 
Auch  ist  die  Iris  mit  der  Wunde  Tefklebt.  Da  der  Lappen 
ein  wenig  abgehoben  ist,  so  hat  der  vordere  Bulbusabschnitt 
eine  conische  Form. 

24.  Augnst  1887.  Auge  blass.  Irishjperämie  geringer. 
Die  Wnnde  zieht  sich  mehr  zusammen,  oben  geht  die  Ver- 
narbung rascher  vorwärts  als  unten.  Das  Epithel  überdeckt 
die  Wunde.  Die  Zwischensubstanz  nimmt  unten  an  Breite  ab, 
die  Kammer  an  Tiefe  zu,  man  kann  jetzt  deutlich  erkennen, 
dass  die  Iris  oben  und  unten  durch  Verklebung  an  der  Wunde 
festgehalten  wird.  Jedoch  besteht  kein  Prolaps.  Der  Lappen 
ist  vollkommen  durchsichtig  geblieben,  wie  man  mit  focaler 
Beleuchtung  und  noch  besser  mit  dem  Spiegel  erkennt.  Man 
bekommt  überall  rothen  Reflex.  Medien  klar.  Vom  oberen 
Cornealrand  erkennt  man  heute  feine  Gef&sschen  in  die  Cornea 
vordringend. 

28.  August  1887.  Die  Wundränder  nähern  sich  dadurch, 
dass  die  Zwischensubstanz  fester  wird  und  sich  zusammenzieht. 
Die  Vasculaiisation  ist  oben  weiter  gegangen,  die  Spitzen  der 
Gefässe  erreichen  den  oberen  Wundrand  der  Cornea,  setzen 
sich  jedoch  nicht  auf  die  Wunde  selbst  fort. 

Die  Kammer  nimmt  an  Tiefe  zu,  die  conische  Form  des 
Bulbus  nimmt  ab. 

5.  September  1887.  Die  Vascularisation  ist  zurückgegangen, 
ohne  dass  die  Gefässchen  sich  auf  die  Wunde  selbst  hinüber- 


üntersnchung^en  zur  Frage  der  Keratoplastik.  229 

gezogen  hätten.  Die  yemarbung  macht  Fortschritte,  die 
Zwischensttbstanz  zieht  sich  mehr  zusammen.  Die  Durch- 
sichtigkeit des  Lappens  ganz  dieselbe.  Die  Oberfläche  desselben 
vollkommen  spiegelnd  und  intact.  Die  Iris  oben  und  unten 
noch   adhärent.    Kammer  hat  an  Tiefe  bedeutend  zugenommen. 

11.  September  1887.  Der  Lappen  ist  von  einem  schmalen 
grauweissen  Narbenring  umgeben,  der  an  den  Brücken  keine 
Unterbrechung  erleidet.  Man  erkennt  dieselben  kaum  mehr.  Der 
ringförmigen  Narbe  nach  müsste  mau  annehmen,  dass  der 
Lappen  vollkommen  abgetrennt  gewesen  sei.  Oben  und  unten 
ist  die  Narbe  etwas  breiter  als  an  den  Seiten. 

Der  Lappen  ist  absolut  durchsichtig,  man  er- 
kennt den  Augenhintergrund  ganz  klar.  Er  hat  eine 
ovale  Form,  7  mm  lang  und  5  mm  breit. 

Das  äussere  Ansehen  des  Auges  bis  auf  den  weissen 
Narbenting  vollkommen  normal.  Die  Wölbung  der  Cornea 
jetzt  ganz  gleichmässig.  Die  Kammer  ist  massig  tief;  oben  und 
unten  ist  die  Iris  adhärent,  jedoch  nicht  der  Pupillarrand, 
sondern  etwa  die  Irismitte.  Der  Pupillarrand  ist  frei.  Auf 
Eserin  zieht  sich  die  Pupille  stark  zusammen,  man  erkennt  so 
deutlich,  dass  nur  zwei  ganz  feine  vordere  Synechien  bestehen. 

8.  October  1887.  Auge  vollkommen  normal  bis  auf  die 
lineare  Narbe  und  die  beiden  feinen  Synechien,  die  sich  nicht 
gelöst  haben,  die  man  aber  nur  mit  Mühe  erkennt,  da  die  Iris 
anscheinend  vollkommen  zurückliegt  und  nur  durch  zwei 
Fädchen  mit  der  Wunde  in  Verbindung  steht.  Kammer  nor- 
mal tief.  Augenhintergrund  vollkommen  klar  zu  sehen, 
normal. 

29.  Februar  1888.  An  dem  Auge  hat  sich  nichts  geändert. 
Thier  noch  in  Beobachtung. 

Dieser  letzte  Versuch  ist  schon  so  gut  wie  beweisend, 
dass  es  gelingt,  abgetrennte  Lappen  mit  Erhaltung  der 
Dorchsicbtigkeit  einheilen  zu  lassen.  Der  Lappen  ist  ein 
grosses  Oval  (5  mm  und  7  mm  im  Durchmesser).  Ich 
habe  möglichst  schmale  und  dünne  Brücken  nur  wegen  der 
Fixation  stehen  zu  lassen  mich  bemüht.  Die  Brücken  be- 
standen nur  aus  den  äussersten  Schichten  der  Cornea.  Da 
ich  die  Enden  von  hinten  her  einschnitt,  konnte  ich,  da  das 
Messer  nach  vom  gedreht  war,   die  Schneide  beobachten 


230  ^  WagenmaaiL 

und  sicher  feststellen,  dass  nnr  noch  eine  ganz  dünne  Ge- 
wehsschicht  erhalten  blieb.  Im  übrigen  war  der  Lappen 
rings  henmi  voUstftndig  durchtrennt  Die  Enden  rollten  sich 
anfangs  um,  Hessen  sich  aber  dorch  ein  Spatelchen  zurecht 
streichen.  Was  die  Emähmng  des  Lappens  angeht,  so  kann 
ich  wohl  mit  Recht  behaupten,  dass  er  sich  gerade  so  ver- 
hält, wie  ein  vollkommen  abgetrennter  Lappen.  Denn  was 
an  Emfthmngsmaterial  ihm  durch  diese  beiden  minimalen 
Brücken  zugeföhrt  werden  konnte,  kommt  bei  der  relativen 
Grösse  desselben  sicher  so  gut  wie  gar  nicht  in  Be- 
tracht. Man  muss  dabei  bedenken,  dass  die  Cornea 
geftsslos  ist.  Wäre  es  ein  Hautlappen,  so  lägen  die 
Verhältnisse  anders.  Denn  dort  kann  auch  durch  eine 
kleine  Brücke  ein  Geftssast  hindurch  gehen,  der  sich 
weiterhin  in  seine  Zweige  auflöst  und  so  noch  nach  ent- 
fernten Punkten  Emährnngsflüssigkeit  bringt.  Davon  ist 
hier  aber  nicht  die  Rede.  Meiner  Ansicht  nach  kann  dieser 
Homhautlappen  einem  vollkommen  abgelösten  gleich  ge- 
setzt werden. 

Der  Heilungsverlauf  in  den  Versuchen  mit  Stehenlassen 
einer  Brücke  ist  ein  sehr  einfacher,  um  so  einfacher,  je 
breiter  die  Brücke  ist,  hauptsächlich  wegen  der  dadurch  ge- 
sicherten Adaptation  der  Wundränder.  Dieselben  verkleben 
miteinander  durch  eine  verschieden  dicke  Schicht  Fibrin. 
Da  das  Eammerwasser  äusserst  fibrinreich  ist,  so  kann  die 
Dicke  der  zwischen  den  Wundrändem  eingelagerten  fibri- 
nösen Zwischensubstanz  variiren.  Die  Wundränder  selbst 
quellen  ein  wenig  auf  und  trüben  sich  etwas,  doch  ist  die 
Trübung  wenig  intensiv,  ist  ohne  Belang  für  den  Lappen  und 
geht  zurück.  Die  Eanmier  stellt  sich  langsam  wieder  her, 
sie  erreicht  bald  die  normale  Tiefe.  Das  Epithel  überzieht 
die  Wunde  sehr  bald.  Im  weiteren  Verlauf  zieht  sich  die 
Zwischensubstanz  mehr  zusammen,  es  resultirt  schliesslich 
eine  einfache,  lineare,  weissliche  Narbe.  Wir  können  mit 
vollem  Recht  von  einer  Heilung  per  primam  sprechen. 


Untersnchnngen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  281 

Das  Aage  ist  in  toto  anfangs  nar  wenig  injicirt,  biasst 
rasch  ab.  Nach  Verlauf  mehrerer  Tage  habe  ich  eine  im 
Ganzen  nur  sehr  unerhebliche  Vascularisation  vom  Horn- 
hautrand ausgehend  beobachten  können,  es  erreicht  wohl 
auch  ein  feines  Aestchen  die  Wunde,  doch  überschreitet  es 
dieselbe  nicht.  Nach  wenigen  Tagen  bilden  sich  die  feinen 
Aestchen  zurück,  um  vollkommen  zu  verschwinden.  Der 
Reiz  der  Wunde  mit  den  hier  vor  sich  gehenden  Prolifera- 
üonsvorgftngen  wird  diese  geringfügige  Vascularisation  her- 
vorrufen. Dass  die  Oef&sse  gar  die  Wunde  überschreiten, 
oder  für  den  Heilungsverlauf  wichtig  sind,  habe  ich  nie  be- 
obachtet. Mit  der  Em&hrung  und  der  Heilung  des  Lappens 
haben  sie  sicher  nichts  zu  thun,  denn  sie  treten  erst  nach 
dem  sechsten  Tage  auf,  erreichen  die  Wunde  kaum  und 
verschwinden  sehr  rasch  wieder;  die  Zahl  der  öef&sschen 
war  eine  so  geringe,  dass  man  sie  einzeln  zählen  konnte. 

Von  Seiten  der  Iris  kommt  es,  wie  nicht  anders  er- 
wartet wurde,  zu  Verklebungen  mit  der  Wunde,  auch  Pro- 
lapse können  auftreten.  Die  Synechien  können  sehr  gering 
sein,  zudem  lösen  sie  sich  von  selbst  wieder  entweder  voll- 
ständig oder  fast  vollständig.  Die  beiden  mitgetheilten  Fälle 
sind  Beispiele  dafür,  wie  geringfügig  diese  vordem  Synechien 
sein  können,  und  welchen  Ausgang  sie  nehmen. 
II  Im  ersten  Fall  bestanden  von  vorneherein,  nachdem  die 
Kammer  sich  herzustellen  anfing,  zwei  schmale  Verkle- 
bungen, die  sich  bald  von  selbst  lösten  und  im  zweiten 
Fall  waren  sie  ebenso  beschränkt.  Jetzt  sind  sie  bis  auf 
zwei  feine  Fädchen,  die  nur  schwer  zu  erkennen  sind,  voll- 
ständig gelöst,  der  Pupillarrand  selbst  ist  frei. 

Eine  andere  Frage,  die  noch  zu  erwägen  ist,  geht  da- 
hin, ob  diese  Adhärenzen  mit  der  Iris  auf  die  Ernährung 
des  Lappens  einen  günstigen  Einfluss  haben.  Dieses  führt 
mich  dahin,  auf  die  Ernährung  der  Lappen  überhaupt  ein- 
zugehen. Da  bei  dem  Vorhandensein  einer  breiten  Brücke 
die  Ernährung  auf  diese  geschoben  werden  konnte,  so  habe 


282  A.  Wa^enmann. 

ich   vornebmlich  Fall  2  bei  der  Besprechnng  dieser  Frage 
im  Auge. 

Zwei  Wege  kommen  in  Frage,  einmal  die  Ernährung 
vom  Rand  aus,  sodann  die  von  der  Hinterfiftche  aus,  wie 
sie  Neelsen  und  Angelucci  als  ein  nothwendiges  Postulat 
hinstellten. 

Dass  eine  Ernährung  von  der  inneren  Seite  her  nicht 
die  angenommene  Wichtigkeit  besitzt,  demonstrirt  Fall  2, 
wo  an  der  Hinterfläche  keine  Auflagerung  zu  bemerken  war; 
man  konnte  den  Augenhintergrund  vollkommen  deutlich 
sehen  und  mit  focalejr  Beleuchtung  constatiren,  dass  der 
Lappen  unverändert  durchsichtig  blieb.  Das  Pupillargebiet 
war  andauernd  frei. 

Die  Ernährung  findet  vielmehr  statt  durch  einen 
Diffusionsstrom  am  Wundrand.  Es  muss  sich  ein  Diffusions- 
strom etabliren,  der  vollkommen  genügendes  Material  in 
den  Lappen  hineinfuhrt,   so  dass  die  Structur  nicht  leidet. 

Eine  andere  Frage  ist,  in  wie  weit  die  Ernährung  von 
den  Synechien  aus  in  Betracht  kommt.  So  lange  die  Kam- 
mer ganz  aufgehoben  ist,  berühren  sich  Cornea  und  Iris, 
stellt  sie  sich  her,  so  treten  Verwachsungen  zu  Tage^  wenn 
auch  geringfügige.  Da  der  Lappen  central  gelegen  ist,  so 
stehen  während  der  ersten  Tage  nur  die  Ränder  desselben 
in  Contact  mit  der  Iris,  wie  man  durch  Untersuchung  mit 
durchfallendem  Licht  feststellen  kann. 

Sollte  also  ein  Strom  von  Emährungsmaterial  von  der 
Iris  aus  dem  Lappen  zugeführt  werden,  so  handelt  es  sich 
dabei  doch  nur  um  eine  Ernährung  vom  Rande  aus.  Woher 
nun  das  Material  für  den  Diffusionsstrom  stammt,  ob  aus 
dem  fibrinreichen  Kammerwasser,  oder  von  der  Iris  oder  von 
dem  Wundrand  der  Cornea,  das  ist  von  untergeordneter 
Bedeutung  gegenüber  der  Thatsache,  dass  die  Ernährung 
des  Lappens  vom  Bande  aus  genügt,  sein  Anheilen  mit  er- 
haltener Transparenz  zu  bewirken. 

Vom   vierten  Tage  ab  stellt  sich  die  Kammer  wieder 


Uotersuchnogen  snr  Frage  d^r  Keratoplastik.  |^33 

her,  die  Iris  zieht  sich  von  der  Cornea  zurück  bis  auf  ein- 
zelne vordere  Synechien. 

Von  jetzt  ab  ist  der  Lappen  wohl  allein  angewiesen 
auf  Emfthrungsmaterial,  das  ihm  durch  die  sich  bildende 
Narbe  aus  der  Cornea  zugeführt  wird,  wenn  man  nicht 
den  schmalen  vorderen  Synechien  einen  erheblichen  Einfluss 
vindiciren  will. 

Wie  dem  auch  sei,  das  ist  sicher,  dass  von  Granu- 
lationsgewebe und  Gef&ssbildung  von  der  Iris  aus  während 
der  Heilung  nichts  zu  bemerken  war. 

Damit  glaube  ich,  dass  die  angeführten  Beobachtungen 
die  Annahme  Neelsen's  und  Ängelucci's  vollkommen  zu 
widerlegen  im  Stande  sind. 

n. 

Versuche  aber  die  Heilung  vollständig  abgetrennter 

Hornhautlappen. 

Um  jedem  Einwand  zu  begegnen,  mussten  auch  noch 
Versuche  angestellt  werden,  bei  denen  der  Lappen  voll- 
ständig von  seinem  Mutterboden  abgelöst  wurde.  Wenn 
auch  die  minimalen  Verbindungen,  die  ich  in  Fall  2  stehen 
gelassen  hatte,  meiner  Ansicht  nach  keinen  nennenswerthen 
Einfluss  auf  die  Ernährung  haben  können,  so  gewähren  sie 
dem  Lappen  einen  sichern  Halt,  der  das  Abfallen  desselben 
verhindert  und  so  die  Heilung  mit  erhaltener  Transparenz 
ermöglicht.  Sowie  man  diese  letzten,  auch  noch  so  ge- 
ringen Brücken  durchtrennt,  steigern  sich  bei  Thieren  die 
Schwierigkeiten  der  Heilung  eben  wegen  der  Fixation  des 
Lappens  ganz  enorm. 

Ueber  die  Principien  der  Methode,  die  ich  anwendete, 
will  ich  kurz  vorausschicken,  dass  ich  ziemlich  grosse 
Lappen  ohne  bestimmte  Form,  meist  nahezu  viereckige  mit 
Linearmesser  und  Scheere  umschnitt  und  durch  Seidenftden 
fixirte.    Wenn  man  näht,  muss  man  an  sich  grössere  Lappen 


234  A.  Wagemnann. 

nehmen,  da  das  Nähen  der  elastischen  Corneaf  besonders 
da  der  Rückhalt  fehlt,  sehr  erschwert  ist  und  nur  mit  einer 
gewissen  Zerrung  and  Qaetschong  des  Randes  mOglich  ist, 
die  natürlich  eine  sofortige  Trübung  mit  sich  bringt.  Muss 
man  also  durch  das  Nähen  eine  Randtrübung  in  Kauf 
nehmen,  so  muss  der  Lappen  gross  sein,  damit  für  das 
Centrum  wenigstens  diese  Trübungsursache  fortfällt.  Ich 
habe  den  Lappen  meist  eine  Grösse  von  7  bis  8  mm  ge* 
geben,  üeberhaupt  war  mir  durch  die  vorher  mitgetheilten 
Versuche  klar  geworden,  dass  auch  relativ  grosse  Lappen 
bequem  einheilen  kOnnen,  und  dass  die  Befürchtungen  wegen 
der  mangelhaften  Ernährung  grösserer  Lappen  nicht  ge- 
rechtfertigt sind.  Früher  war  die  Grösse  der  Lappen  mehr- 
fach discutirt,  die  Einen  gingen  von  dem  Vergleich  mit 
Hautstückchen  aus  und  sprachen  entschieden  für  kleine 
Lappen,  in  der  Erwartung,  dass,  je  kleiner  der  Lappen, 
desto  besser  das  Anheilen  sei.  Andere  empfahlen,  grössere 
Lappen  zu  nehmen. 

Die  Gründe,  die  gegen  zu  kleine  Lappen  sprechen, 
werde  ich  später  berühren. 

Ich  habe  absichtlich  auf  die  Anwendung  des  Trepans 
bei  diesen  Versuchen  verzichtet,  denn  ich  glaubte,  ohne 
eine  besondere  Fixation  des  Lappens  nicht  auskommen  zu 
können,  da  das  fibrinreiche  Eammerwasser  den  ohne  be- 
sonderen Halt  eingelegten  Lappen  wieder  abhebt,  und  das 
Nähen  des  vollständig  austrepanirten  Stückchens,  dem  jeder 
Halt  fehlt,  ist  ohne  besondere  Manipulation  wie  z.  B.  Aus- 
breiten auf  einer  Fingerkuppe  etc.  nicht  möglich.  Nun  ist 
aber  die  grosse  Gefahr,  dass  durch  das  Nähen  erhehliohe 
mechanische  Verletzungen  des  Lappens  bewirkt  werden,  die 
an  sich  ein  Einheilen  mit  erhaltener  Durchsichtigkeit  aus- 
schliessen.  Für  mich  war  die  erste  Forderung,  den  Lappen 
möglichst  zu  schonen  und  alle  unnöthigen  Störungen  fem 
zu  halten. 


Untersachnngeii  anr  Frage  der  Keratoplastik.  235 

Deshalb  operirte  ich  so,  dass  ich  den  Lappen  erst  halb 
umschnitt  nnd  dann,  so  lange  er  noch  Halt  hatte,  eine  oder 
zwei  Saturen  anlegte.  Auch  so  wird  der  Lappen  noch 
stark  malträtirt.  Ich  musste  den  Band  mit  einer  feinen 
Hakenpincette  fassen,  um  die  Nadel  durch  die  elastische, 
ausweichende  Cornea  legen  zu  können. 

Bechnet  man  zu  den  Schwierigkeiten  des  Nähens  noch 
die  Erschwerung  durch  das  sofort  gerinnende  Eammer- 
wasser,  das  die  Erkennung  der  einzelnen  Theile  stört,  sowie 
die  Schwierigkeit,  die  Iris  zu  vermeiden,  ferner  die  Klein- 
heit des  Operationsfeldes,  die  Unruhe  des  Thieres,  Störungen 
durch  Augenbewegungen  und  durch  das  Hinüberschieben 
der  Nickhaut  etc.,  so  wird  man  ermessen  können,  wie 
mühevoll  es  ist,  einen  Lappen  mit  möglichster  Schonung 
zu  umschneiden  und  durch  Saturen  zu  fixiren. 

Hinsichtlich  des  Heilungsverlaufs  bei  Thieren  ist  man 
vollends  sehr  auf  das  Glück  angewiesen,  da  eine  Beihe  von 
Factoren  mitspielen,  die  man  nicht  in  der  Hand  hat. 

Zwei  Versuche  sind  als  vollkommen  gelungen  hier  auf- 
zufahren, zu  denen  noch  ein  dritter  kommt,  der  mir,  so 
schön  er  auch  die  ersten  14  Tage  verlief,  noch  durch  späte 
Eiterung  verloren  ging. 

Besonders  bei  dem  ersten  Versuch  ist  erreicht,  was 
unter  den  obwaltenden  umständen  nur  überhaupt  gefordert 
werden  kann. 

Ich  habe  im  Ganzen  neun  derartige  Versuche  ange- 
stellt. Ausser  den  drei  genannten  also  noch  sechs.  Von 
diesen  sechs  Versuchen  sind  mir  vier  durch  verschieden 
floride  Infectionen  verdorben,  bei  zweien  trat  ein  so  erheb- 
licher Irisprolaps  auf,  dass  die  Lappen  innerhalb  der  ersten 
Tage  abgehoben  und  necrotlsch  wurden. 

Ich  lasse  die  VersuchsprotocoUe  der  drei  gelungenen 
Versuche  im  Auszuge  folgen: 


236  ^*  Wagenmann. 

Versuch  3:  schwarz-weiss  geflecktes  Kaninchen. 

Linkes  Auge.  23.  Angust  1887.  Ange  durch  Cocain  an* 
ästhetisch  gemacht.    Lider  auseinander  gehalten. 

Operationsmethode:  Ein  Linearmesser  wird  im  hori- 
zontalen Meridian  circa  2Va  mm  vom  Limbus  entfernt, 
die  Schneide  nach  oben,  durch  die  Cornea  gestochen,  parallel 
der  Iris  quer  durch  die  Kammer  gef&hrt  und  etwa  27«  mm 
vom  Rande  entfernt  noch  aussen  durchgestossen.  Nun  wird 
nach  oben  durch  sagende  Züge  ein  zungenf^rmiger  mög- 
lichst grosser  Lappen  umschnitten.  Eine  schmale  Brücke  wird 
stehen  gelassen.  Das  Messer  wird  zurückgeschoben,  in  der 
Wunde  um  180^  gedreht  und,  nachdem  die  Schneide  die  untern 
Wundwinkel  erreicht  hat,  nach  unten  ein  ähnlicher  Halblappen 
zu  bilden  versucht.  Während  der  obere  Halblappen  eine  Höhe 
von  3Vi  mm  erreicht  hat,  gelingt  es  hier  wegen  der  andrängenden 
Iris  nur  eine  Hohe  von  2  mm  zu  erzielen.  Unten  wird  die  Cor- 
nea gleich  ganz  durchtrennt.  Der  Lappen  hat  eine  birnenähn- 
liche Form,  unten  breiter,  oben  etwas  schmaler  werdend.  Seine 
grOssto  Breite  im  horizontalen  Meridian  beträgt  circa  6  mm, 
sein  verticaler  Durchmesser  etwa  eben  so  viel.  Der  Lappen 
hängt  nur  noch  oben  durch  eine  Brücke  fest  Ich  legte  nun 
durch  die  Mitte  der  Basis  eine  feine  Seidensutur  an,  indem  ich 
den  Lappenrand  mit  einer  feinen  Pincette  fasste  uod  zuerst 
durchstach  unter  massiger  Zerrung  an  der  oberen  Brücke. 
Nachdem  die  Sutur  geknüpft  war,  lag  der  untere  Rand  ziemlich 
gut  an.  Nun  durchschnitt  ich  mit  einer  scharfen,  nach  der 
Kante  gebogenen  Scheere  auch  noch  die  obere  Brücke  und  ver- 
einigte die  Schnittflächen  wieder  durch  eine  zweite  Sutur.  Das 
Anlegen  dieser  Sutur  machte  grössere  Schwierigkeiten.  Ich 
fasste  den  Lappen  mit  einer  feinen  Pincette,  hob  ihn  vorsichtig 
ab  und  suchte  ihn  zu  durchstechen,  ohne  zu  sehr  an  der  untern 
Sutur  zu  ziehen.  Es  gelang  auch  die  Sutur  zu  vollenden.  Der 
Lappen  lag  nun  ziemlich  glatt  auf,  oben  und  unten  durch  eine 
Sutur  gehalten.  Zwischen  die  Wundränder  hatte  sich  geronnenes 
Fibrin  gelegt,  und  sie  klafften  massig  weit.  Iris  war  nicht  pro- 
labirt. 

Conjunctivalsack  mit  Sublimat  1 :  5000  ausgespült. 

Die  Oberfläche  des  Lappens  war  spiegelnd,  hatte  nicht  ge- 
litten. Die  Ränder  der  Cornea  und  des  Lappens  nahmen  eine 
geringe  Trübung  an  und  quollen  etwas  auf.     Die  Umgebung 


Untenuchnngen  sor  Frage  der  Keratoplastik.  237 

der  Sutaren  war  dagegen  etwas   stärker  getrübt.     Ein  grauer 
Trübnngshof  nmgab  den  Faden. 

Es  wird  von  jeder  Schutzvorrichtung  Abstand  genommen, 
da  das  Thier  das  Auge  von  selbst  geschlossen  halt. 

24.  August  1887.  Lidspalte  etwas  verklebt.  Co^junctiva  ein 
wenig  ii^icirt.  Der  Lappen  liegt  verhältnissmässig  gut  auf. 
Der  obere  Band  ist  verklebt.  Unten  und  an  den  Seiten  hat  sich 
mehr  Fibrin  zwischen  die  Wundränder  geklemmt  und  macht 
dieselben  klaffen.  Quellung  und  Trabung  der  Cornea  und  Lappen- 
ränder  hat  etwas  zugenommen,  besonders  unten  neben  der  Satur. 
Doch  sind  die  centralen  Parthien  des  Lappens  vollkommen  durch- 
sichtig, man  erhält  rothen  Reflex  aus  der  Tiefe.  Das  Epithel 
zeigt  leichte  Unregelmässigkeiten  an  einzelnen  Stellen.  Kammer 
aufgehoben,  kein  Irisprolaps. 

25.  August  1887.  Auge  nicht  verklebt,  Injection  des  Bulbus 
hat  nicht  zugenommen.  Oben  schliesst  sich  die  Wunde  besser, 
unten  hat  sich  die  Sutur  gelockert,  sie  wird  entfernt.  Die 
Bänder  stehen  circa  2  mm  unten  auseinander,  Fibrin  fallt  die 
Spalte  aus.  Die  Bandtrübung  der  Cornea  hat  noch  etwas  zu- 
genommen, die  des  Lappens  nicht.  Die  Oberfläche  des  Lappens 
spiegelnd,  der  Lappen  vollkommen  durchsichtig  bis  auf  den 
Band.  Kammer  noch  vollständig  aufgehoben,  die  Iris  liegt  der 
Cornea  an,  ist  aber  nicht  prolabirt,  sie  scheint  mit  der  Wunde 
verklebt  zu  sein. 

29.  August  1887.  Die  Heilung  macht  Fortschritte.  Oben 
zieht  sich  die  Wunde  besser  zusammen,  unten  klaffen  die  Bänder 
noch  breit.  Der  untere  Band  des  Lappens  hat  an  Trübung 
etwas  zugenommen.  Das  Epithel  scheint  die  Wunde  vollkommen 
überzogen  zu  haben.  Obere  Sutur  entfernt.  Die  Kammer  noch 
sehr  seicht.  Ueber  den  Pupillarrand  nichts  sicheres  zu  sagen, 
es  scheint  eine  fast  ringförmige  Synechie  zu  bestehen.  Die  Mitte 
des  Lappens  noch  vollkommen  durchsichtig.  Die  Epithelstippung 
ist  zurückgegangen.  Die  Pupille  ist  schwarz,  man  bekommt 
rothes  Licht.  Vom  Band  her  drängen  zarte  Qefässchen  in  die 
Cornea  vor. 

1.  September  1887.  Die  untere  und  innere  Parthie  der 
Wunde  klafft  noch  weit,  doch  zieht  sich  die  Zwischensubstanz 
zusammen,  sie  wird  mehr  narbig.  Oben  und  besonders  oben 
aussen  ist  die  Vereinigung  fast  linear.  Die  Trübung  des  Lap- 
pens hat  nicht  zugenommen,  die  Durchsichtigkeit  ist  dieselbe. 
Kammer  noch  sehr  seicht,   ringförmige  vordere  Synechie,    Die 


238  ^  Wagenmam. 

Yascnlahsatioii  der  Cornea  hat  zugenommen,  es  erreichen  von 
oben  her  einige  feine  Aestchen  die  Wnnde,  ein  Aestchen  biegt 
oben  nm  nnd  Terlänft  auf  der  Narbe  nach  unten«  In  den  Lappen 
ist  kein  Gefitos  Torgedrungen. 

5.  September  1887.  Oben  ist  die  Wunde  fest  vernarbt,  auch 
unten  nimmt  sie  mehr  narbige  Bescfaafienheit  an.  Man  sieht 
jetzt  deutlich,  dass  die  Iris  besonders  unten  und  unten  innen 
breit  adhärirt.  Die  Vaseularisation  hat  oben  und  unten  noch 
etwas  zugenommen,  doch  gehen  die  Gefässe  nur  bis  zur  Wunde. 
Der  Lappen  vollkommen  frei  geblieben.  Die  Randtrübung  in- 
tensiver weiss  geworden.  Die  Mitte  vollkommen  durchsichtig  ge- 
blieben. Die  Grenze  ist  ganz  scharf.  Der  Lappen  spiegelt,  er 
sieht  bei  Tage  dunkel  aus,  da  die  Pupille  ganz  frei  und  schwarz 
ist.  Ophthalmoskopisch  erkennt  man  die  Papille.  Kammer  noch 
sehr  seicht« 

Die  Wölbung  der  Cornea  stellt  sich  besser  her,  anfangs  hatte 
der  vordere  Bulbusabschnitt  eine  conische  Form  angenommen. 

Auge  jetzt  vollkommen  abgeblasst. 

11.  September  1887.  Die  Yemarbung  hat  bedeutende 
Fortschritte  gemacht. 

Oben  und  oben  aussen  ist  der  Lappen  von  einer  1  mm 
breiten  Narbe  umgeben,  die  Randtrübnng  war  hier  gering. 
Unten  ist  die  Narbe  bedeutend  breiter.  Da  hier  der  Gorneal- 
rand  getrübt  war,  und  auch  der  Lappenrand,  so  findet  sich  hier 
ein  breiter  leucomatOser  Ring.  Die  Narbe  ist  vollkommen  fest 
geworden.  Die  Vaseularisation  hat  abgenommen,  nur  noch 
einzelne  Gefässstämmchen  laufen  bis  zur  Wunde,  den  Lappen 
hat  keins  erreicht.  Der  Pupillarrand  der  Iris  ist  bis  auf 
eine  Parthie  oben  und  oben  aussen  mit  der  Narbe  verwachsen. 
Die  Kammer  ist  nur  in  der  oberen  und  hinteren  Hälfbe  her- 
gestellt, unten  und  innen  ist  sie  fast  ganz  aufgehoben. 

Die  durchsichtige  Parthie  des  Lappens  ist  so  geblieben. 
Die  Zone  hat  einen  Durchmesser  von  fast  4  mm,  liegt  im  Yer- 
haltniss  zum  Lappenrand  excentrisch  nach  oben  aussen. 

Ophthalmoskopisch:  Papille  gut  zu  sehen,  normal. 

Pupille  schwarz.   Druck  normal. 

Beobachtung  wegen  der  Ferienreise  unterbrochen. 

8.  October  1887.  Auge  vollkommen  blass.  Die  Yemarbung 
vollendet.  Die  durchsichtige  Parthie  des  Lappens  ist  ein  un- 
regelmässiges Yiereck  von  4  mm  Durchmesser,  etwas  excentrisch 
nach  aussen  oben  gelegeui  ist  noch  ebenso  wie  früher.    Der 


üntersachangen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  239 

Lappen  ist  mngeben  von  einem  Narb«inng,  der  oben  sehr 
schmal  ist,  unten  and  innen  breit»  an  denselben  schliesst  sich 
nach  der  Peripherie  zu  eine  Hornhauttrübung  und  centralwärts 
ein  Trübungsstreif,  der  dem  ursprünglichen  Lappen  angehört. 
Der  Lappen  ist  noch  als  solcher  zu  erkennen. 

Der  Pnpillarrand  ist  oben  aussen  frei,  reagirt  auf  Licht, 
wird  durch  Atropin  zurückgezogen.  In  der  übrigen  Circumferenz 
ist  derselbe  adhArent.  Die  Kammer  nur  oben  tiefer,  unten 
seicht    Der  vordere  Bulbusabschnitt  ist  etwas  ectatisch. 

Ton  Gefässen  auf  der  Cornea  sieht  man  nur  noch  ein  Stämm- 
chen nach  dem  innem  Wundrand  verlaufen,  es  biegt  dort  um 
und  verläuft  eine  Strecke  weit  von  oben  nach  unten. 

Ophthalmoskopisch:  Papille  normal,  nicht  stärker  excavirt. 

I.  November  1887.  Im  weitern  Verlauf  blieben  die  Ver- 
hältnisse vollkommen  unverändert,  nur  dass  dieses  feine  Ge- 
fässchen  verschwand.  Die  Ectasie  des  Bulbus  hat  kaum 
merklich  zugenommen. 

Das  Thier  ist  munter. 

II.  Februar  1888.  Auge  vollkommen  unverändert.  Ectasie 
hat  nicht  zugenommen,  Kammer  unten  und  innen  sehr  seicht. 

Ophthalmoskopisch:  Keine  pathologische  Excavation. 
Augenhintergrund  vollkommen  scharf  und  deutlich 
zu  sehen. 

An  dem  Lappen  hat  sich  nichts  geändert. 

27.  Februar  1888.   Status  idem.   Thier  noch  in  Beobachtung. 

Versuch  4:  grosses  weisses  Kaninchen. 

22.  August  1887.    Linkes  Auge. 

Operation:  Auge  durch  Cocain  anästhesirt,  mit  Suhl. 
1 :  SOOO  desinficirt. 

Mit  einem  Linearmesser  wird  etwas  oberhalb  des  obem 
Pupillarrandes  ein  querer  5  mm  langer  Schnitt  geführt  bei 
luxirtem  Bulbus.  Nachdem  der  Bulbus  reponirt  ist,  wird  die 
Mitte  des  eben  angelegten  Schnittes  durch  eine  feine  Seiden- 
sutur  sofort  wieder  vereinigt.  Darauf  wird  die  Branche  einer 
nach  der  Kante  winklig  gebogenen  Scheere  (Bichter*sche  Knie- 
scheere)  von  dem  äussern  Wundwinkel  aus  in  die  vordere  Kam- 
mer vorgeschoben  und  rechtwinklig  zu  dem  ersten  ein  zweiter 
circa  6  mm  langer  Schnitt  geführt  und  auf  dieselbe  Weise  vom 
äussern  untern  Wundwinkel  aus  ein  dritter  zu  dem  zweiten 
rechtwinkliger,    mithin    zum    ersten    paralleler    Schnitt    von 


240  A.  Wagevmann. 

5  mm  Länge  angelegt.  Die  dadurch  gebildete  imtero  insaere 
Ecke  wird  durch  eine  feine  Satar  in  ihrer  Lage  fixirt.  Der 
Lappen  hfingt  nur  noch  durch  die  innere  Seite  mit  der  Cornea 
zusammen.  Weiterhin  wurde  diese  Br&cke  vom  untern  innem 
Wundwinkel  aus  mit  der  Scheere  bis  xur  Hälfte  durehtrennt. 
Die  dadurch  gebildete  untere  innere  Ecke  wurde  wieder  durch 
eine  (dritte)  Sutur  fixirt.  Das  Nähen  war  jetzt  schon  sehr 
mfihsam,  da  der  Lappen  nur  noch  wenig  Halt  hatte.  Nachdem 
der  Faden  lose  geknfipft  war,  durchschnitt  ich  Ton  oben  her 
vollends  den  Best  der  inneren  Seite.  Die  innere  obere  Ecke 
legte  sich  von  selbst  an,  sodass  keine  Sutur  mehr  nOthig  war. 

Das  Aussehen  und  die  Lage  des  Lappens  war  ein  be- 
friedigendes. Die  Wölbung  des  Lappens  war  Torloren  gegangen, 
er  lag  flach  auf,  durch  die  Suturen  ziemlich  straff  gehalten, 
80  dass  sich  kleine  Fältchen  bildeten,  die  von  der  Mitte  des 
Lappens  aus  nach  den  Winkeln  liefen.  Die  Wunde  verklebte 
ringsum  durch  Fibrin,  die  obere  äussere  Ecke  war  durch  das- 
selbe etwas  abgehoben.  Die  Umgebungen  der  Suturen  waren 
getrübt,  der  Band  des  Lappens  ebenfalls  rings  herum,  theils 
durch  Quellung,  theils  dadurch,  dass  mit  der  Scheere  operirt 
war,  was  eine  stärkere  Quetschung  des  Bandes  bedingte.  Iris 
nicht  prolabirt.  Ich  nähte  nun  die  Nickhaut  an  den 
äusseren  Homhautrand  fest.  Nach  einiger  Zeit  aber,  da  ich 
merkte,  dass  das  Tbier  unruhig  war  und  zu  kratzen  versuchte, 
da  sich  auch  das  Lid  nicht  recht  scbloss,  entfernte  ich  dieselbe 
wieder  und  Hess  das  Auge  offen. 

23.  August  1887.  Lider  etwas  verklebt.  Goiyunctiva  massig 
injicirt.  Der  Lappen  liegt  noch  flach  auf,  von  den  Suturen  ge- 
halten. Zwischen  je  zwei  Suturen  findet  sich  eine  leichte  Ein- 
ziehung des  Lappens.  Die  Oberfläche  des  Lappens  spiegelt, 
doch  erkennt  man  bei  focaler  Beleuchtung  einige  Unregel- 
mässigkeiten im  Epithel.  Der  Band  des  Lappens  ringförmig 
getrübt,  aufgequollen,  in  der  Umgebung  der  Suturen  stärker  ge- 
trübt, jedoch  keine  eiterige  Infiltration. 

Oben  aussen  und  oben  innen  liegt  eine  etwas  dickere  Schicht 
Zwischensubstanz,  die  übrige  Gircumferenz  der  Wunde  ist  durch 
wenig  Fibrin  verklebt.  Der  Gomearand  ebenfalls  ein  wenig 
getrübt.  Kammer  noch  aufgehoben,  circuläre  Synechie.  Vorderer 
Bulbusabschnitt  etwas  conisch  geformt.   Iris  stark  hjperämiscb. 

Die  weitere  Heilung  verlief  ganz  ähnlich  wie  bei  Versuch  3. 
Es  bildete  sich  eine  ringförmige  Narbe.  Der  Band  des  Lappens 


XJotersucbangen  zur  Frage  Aer  Keratoplastik.  241 

blieb  trabe.  Das  Centram  in  einer  Ausdehnung  von  2  mm 
im  horizontalen  und  4  mm  im  verticalen  Durchmesser  hielt 
sieh  vollkommen  durchsichtig,  dann  folgt  auf  dieses  vollkommen 
transparente  Centram  ein  Ring,  der  wenig  getrübt  ist,  darauf 
ein  stärker,  narbig  weiss,  getrübter  Bing,  der  in  die  Narbe 
übergeht.  Der  Bandtheil  der  Cornea  ist  ebenfalls  an  der 
Bildung  der  Narbe  betheiligt.  Die  Peripherie  derselben  ist 
vollkommen  durchsichtig. 

Etwa  vom  sechsten  Tage  ab  konnte  man  eine  geringe  Ge- 

f^sentwickelung    vom    Limbus     her    wahrnehmen.      Einzelne 

Stammchen   erreichten   den  Wundrand,    doch  überschritt  kein 

.Gefäss  die  Narbe.     Sie  bildeten   sich  fast  vollständig  zurück. 

Das  Auge  blasste  bald  vollkommen  ab. 

Der  Pupillarrand  ist  vollständig  adhärent,  es  ist  zu  einer 
circulären  Synechie  gekommen.  Das  Pupillargebiet  blieb  an- 
dauernd frei.  Die  Folge  dieser  ringförmigen  Synechie  war,  dass 
das  Auge  ganz  allmählich  ectatisch  wurde.  Die  Kammer  blieb 
anscheinend  vollkommen  aufgehoben. 

Nach  drei  Wochen  war  der  Yernarbungsprocess  fast  voll- 
endet Den  Schluss  desselben  habe  ich  nicht  beobachten  kOnnen, 
da  ich  verreiste. 

Nach  meiner  Bückkehr  constatirte  ich  folgenden  Befund : 

8.  October  1887.  Auge  vollkommen  blass.  Die  Grenze 
des  Lappens  ist  noch  zu  erkennen.  Das  Centrum  des  Lappens 
ist  noch  vollkommen  durchsichtig  in  einer  Ausdehnung  von 
2  mm  im  horizontalen  und  4  mm  im  verticalen  Durchmesser. 
Die  Oberfläche  spiegelnd  ohne  jede  Trübung,  vollkommen  nor- 
mal. Darauf  folgt  nach  aussen  eine  Zone,  die  eine  geringe 
Trübung  zeigt,  doch  nicht  so  intensiv,  dass  sie  sich  nicht 
durchleuchten  Hesse.  Der  Band  des  Lappens  ist  narbig  ver- 
ändert.   Darauf  folgt  die  ringförmige  Narbe. 

Von  oben  her  erreicht  ein  Gefäss  die  Wunde  und  biegt  nach 
innen  um. 

Der  Bulbus  ist  deutlich  ectatisch,  die  Kammer  so  gut  wie 
aufgehoben.  Es  besteht  eine  ringförmige  Synechie.  Die  Iris 
stark  gedehnt  und  atrophisch,  vorgetrieben,  der  Cornea  an- 
liegend.   Auge  hart. 

Ophthalmoscopisch :  der  Augenhintergrund  zu  sehen,  die  Pa- 
pille ist  ezcavirt.    Das  Bild  ein  wenig  verschleiert. 

11.   Februar  1888.    Die  Verhältnisse  haben   sich   in   den 

T.  GrMfe*a  Arohlv  fttr  OphtlMlmologile,  ZXXIV.  1.  16 


242  A.  Wagenmann. 

letzten  Monaten  in  Bezug  auf  den  Lappen  und  seine  Durch- 
sichtigkeit gar  nicht  verändert. 

Dagegen  hat  die  Ectasie  des  Bulbus  erheblich  zugenommen. 
Der  vordere  Bulbusabschnitt  deutlich  vergrOssert,  kugelig  ge- 
formt, die  Iris  stark  atrophisch  und  nach  der  vorderen  Synechie 
gezerrt.  Das  Auge  hart.  Die  Narbe  hat  durch  die  Ausdehnung 
des  Baibus  auch  eine  Dehnung  erfahren. 

Ophthalmoscopisch  kann  man  eine  sehr  tiefe  Druckezca- 
vation  sehen.    Die  Pupille  blassgelb. 

28.  Februar  1888.    Status  idem. 

Die  Ectasie  des  Bulbus  hat  vielleicht  noch  zugenommen. 
Die  betreffende  Parthie  des  Lappens  ist  unverändert  durch- 
sichtig geblieben;  man  erkennt  durch  dieses  durch- 
sichtige Hornhautstack  die  Papille  ganz  gut. 

Thier  bleibt  noch  in  Beobachtung. 

Versuch  5:  kleines  weisses  Kaninchen. 

Linkes  Auge.  12.  October  1887.  Operation:  Cocain-An- 
aesthesie.  Aehnlich  verfahren  wie  bei  Versuch  4.  Bei  luxirtem 
Auge  wird  ein  querer  6  mm  langer  Schnitt  nahe  dem  oberen 
Comealrand  geführt  und  durch  eine  Sutur  in  der  Mitte  wieder 
vereinigt.  Dann  wird  mit  einer  Scheere  ein  ziemlich  verticaler 
Schnitt  innen  geführt  und  ein  dritter  querer  Schnitt  unten 
angelegt.  Nahe  der  Ecke  wird  nach  innen  genäht.  Darauf  folgt 
ein  verticaler  Schnitt  aussen.  Auch  hier  wird  ziemlich  nach 
unten  eine  Sutur  angelegt.  Schliesslich  wird  die  letzte  Brücke 
vollends  durchtrennt.  Der  Lappen  hat  eine  nahezu  viereckige 
Grestalt,  ist  6  mm  lang  und  5  mm  hoch.  Der  Lappen  liegt  be- 
friedigend auf,  die  Wundränder  verkleben  bald  durch  zwischen- 
gelagertes Fibrin.  Die  Oberfläche  ist  platt  und  leicht  gefaltet 
nach  den  Suturen  hin,  die  Lider  werden  durch  zwei  Suturen 
geschlossen. 

14.  October  1887.  Suturen  entfernt.  Der  vordere  Bulbus- 
abschnitt etwas  conisch  vorgetrieben.  Der  Lappen  ist  in  seiner 
Lage  durch  die  Suturen  fixirt,  die  Wundränder  verklebt,  nur 
nach  oben  aussen  und  oben  innen  ist  eine  etwas  dickere  Flbrin- 
schicbt  eingelagert.    Iris  mit  der  Wunde  anscheinend  verklebt. 

Die  Bänder  des  Lappens  sowie  die  der  Cornea  gequollen, 
getrübt  Das  Gentrum  ist  aber  vollkommen  durchsichtig,  spie* 
gelnd.  Man  bekommt  freien  rothen  Keflex.  Die  Kammer  noch 
aufgehoben. 

Auge  offen  gelassen.    Pfeifendeckel  darüber  genäht. 


Untersuchungen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  243 

20.  October  1887.  Der  vordere  Bulbusabschnitt  noch  conisch 
vorgetrieben,  Auge  blass.  Die  Wunde  zieht  sich  zusammen, 
von  Epithel  überzogen.  Der  Kand  des  Lappens  intensiver  ge- 
trübt, doch  ist  die  Mitte  vollständig  durchsichtig.  Man  sieht 
von  oben  und  vom  einzelne  feine  Gefässe  in  die  Cornea  vor- 
dringen. Vom  haben  einige  Stämmchen  die  Wunde  erreicht, 
überschreiten  sie  aber  nicht. 

Die  Suturen  liegen  noch  von  einem  Trübungshof  umgeben. 
Die  Kammer  fängt  an  sich  herzustellen,  vom  ist  sie  tiefer  als 
hinten.  Man  kann  jetzt  deutlich  sehen,  dass  der  Pupillarrand 
selbst  frei  ist,  die  Pupille  ist  ziemlich  eng  und  rund.  Dagegen 
ist  die  Iris  hinter  dem  Pupillarrand  der  Wunde  fast  ringförmig 
angelagert.  Der  Pupillarrand  liegt  tiefer,  berührt  die  Cornea 
nicht.    Die  Iris  ist  nach  der  Wunde  hingezogen. 

22.  October  1887.  Verhältnisse  noch  ähnlich.  An  dem 
untern  äussem  Faden  findet  sich  ein  punktförmiges  Infiltrat. 
Deshalb  werden  die  Suturen,  die  sich  etwas  aufgelockert  hatten, 
entfernt.  Vascularisation  hatte  ein  wenig  zugenommen.  Doch 
überschreitet  kein  Geßlss  die  Narbe.  Centmm  durchsichtig  wie 
bisher  in  einer  Ausdehnung  von  37«  mm  im  Durchmesser.  Die 
Grenze  ziemlich  scharf. 

Aoge  frei  gelassen. 

25.  October  1887.  Das  Infiltrat  vollständig  verschwunden. 
Die  Narbe  consolidirt  sich  mehr  und  mehr.  Das  Centrum  des 
Lappens  vollständig  klar,  spiegelnd,  vollkommen  darcbleuchtbar. 
Ophthalmoskopisch:  Augenhintergmnd  zu  sehen. 

Der  Eand  des  Lappens  weisslich  getrübt,  geht  in  die  Narbe 
über.  Auch  der  comeale  Wundrand  getrübt,  dagegen  die  Peri- 
pherie durchsichtig.  Die  Kammer  hat  an  Tiefe  gewonnen,  die 
Iris  scheint  sich  mehr  zu  lOsen. 

26.  October  1887.  Das  Auge  ist  verklebt.  Coiyunctiva 
secemirt  etwas  schleimig- eitriges  Secret.  Ange  injicirt.  Das 
Thier  muss  sich  im  Auge  gekratzt  haben.  £s  liegt  Blut  auf 
dem  Lappen,  unten  ist  die  Wunde  aufgelockert,  Iris  anschei- 
nend verletzt.  Auch  in  der  vordem  Kammer  im  Pupillargebiet 
Blutstreifen,  die  Lappenoberfläche  noch  spiegelnd. 

Reinigung  mit  Sublimat  1 :  5000. 

27.  October  1887.  Conjunctivalsecretion  hat  zugenommen, 
Auge  verklebt  Der  untere  Wundrand  ist  eitrig  infiltrirt,  es 
erstreckt  sich  die  Infiltration  schon  auf  den  Lappen,  ebenso  ist 
der  Comealrand  eitrig  infiltrirt.     Die  Mitte  des  Lappens  und 

16* 


244  A.  Wagenmann. 

die  obere  Hälfte  ist  noch  durchsichtig,  man  bekommt  noch 
rothes  Licht.    Die  Narbe  oben  fest  geschlossen. 

Sublimat  1 :  5000. 

29.  October  1887.  Die  Eiterung  war  nicht  aufzuhalten,  fast 
der  ganze  Lappen  inültrirt;  Cornea  nach  unten  ebenfalls  in  eitri- 
gem Zerfall  begriffen. 

Versuch  somit  leider  durch  Infection  missglückt. 

Wie  aus  den  mitgetheilten  ProtocoUen  hervorgeht, 
schliesst  sich  dieser  Heilungsvorgang  dem  bei  Besprechung 
der  Lappenheilang  oben  angeführten  vollkommen  an. 

Die  Heilang  erfolgt  durch  Verkleben  der  Wondränder 
vermittelst  einer  fibrinösen  Zwischensubstanz,  die  sich  zu 
einer  soliden  Narbe  zusammenzieht.  Die  geringe  Gefäss* 
entwicklung  in  der  Cornea  ist  für  die  Vemarbung  neben- 
sächlich, sie  ist  veranlasst  durch  die  mit  proliferirenden  Pro- 
cessen einhergehende  Beaction  an  der  Wunde,  hat  mit  dem 
Heilungsprocess  der  Lappen  nichts  zu  thun.  Sie  tritt  erst 
etwa  am  sechsten  Tage  auf,  es  erreichen  überhaupt  nur 
vereinzelte  Stämmchen  den  Wundrand  der  Cornea«  Dass 
ein  Oefäss  in  den  Lappen  sich  gesenkt  hätte,  habe  ich  in 
den  drei  Fällen  nicht  beobachtet. 

Die  Vernarbung  ist  etwa  nach  vier  Wochen  vollkommen 
abgelaufen.  Wie  nicht  anders  erwartet  werden  konnte,  ver- 
klebte und  verwuchs  die  Iris  mit  der  Wunde.  Zu  einem 
Lrisprolaps  ist  es  in  den  drei  Fällen  nicht  gekommen,  da- 
gegen zu  ausgedehnten  vorderen  Synechien,  besonders  im 
zweiten  der  hierher  gehörigen  Fälle» 

Ich  habe  von  vorneherein  auf  die  Iris  keine  Bücksicht 
genommen,  es  lag  mir  nur  daran,  den  abgetrennten  Lappen 
einheilen  zu  lassen. 

Die  Folge  dieser  ausgedehnten  Synechie  ist  eine  mehr 
oder  weniger  hochgradige  Ectasie  des  Bulbus  mit  Secandär- 
Glaucom. 

Besonders  der  Fall  2  ist  ein  experimenteller  Beweis, 
dass  es  gelingt,  durch  ringförmige  Synechie  Druoksteigerang 


Untenmchangen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  245 

zu  machen  und  ist  geeignet,  die  Enies-Weber'sche  Theorie 
za  stützen.  Denn  offenbar  ist  durch  die  ringförmige  Synechie 
die  Wiederherstellung  der  vorderen  Kammer  verhindert. 
Die  Iris  lagert  sich  der  Cornea  an,  der  Eammerwinkel  ist 
verlegt  und  kann  seiner  Function,  das  Eammerwasser  ab- 
zuleiten, nicht  genflgen.  Die  Folge  ist  eine  Betention  und 
dadurch  veranlasste  Drucksteigerung  mit  ihren  Folgen.  Der 
Bulbus  wird  vergrOssert  und  man  kann  eine  tiefe  Ezcavation 
der  Papille  constatiren. 

Im  Fall  1  ist  die  Ectasie  nicht  so  hochgradig,  da  ein 
kleiner  Theil  des  Pupillarrands  frei  ist  und  sich  dort  eine 
seichte  vordere  Kammer  hat  herstellen  kOnnen. 

Die  Frage,  ob  die  ausgedehnte  Synechie  von  Werth 
ist  fOr  die  Em&hrung  des  Lappens,  habe  ich  schon  oben 
berührt.  Die  Ernährung  des  Lappens  findet  jedenfalls  statt 
vom  Bande  aus,  und  ob  die  Iris  das  Em&hrungsmaterial 
durch  die  Verklebung  mitliefert,  muss  ich  dahingestellt 
sein  lassen.  In  diesen  Fällen  ist  allerdings  die  Ver- 
wachsung viel  ausgedehnter,  als  in  den  beiden  oben  mit- 
getheüten  F&llen. 

Die  Ernährung  findet  nur  statt  durch  Diffusion.  Bil- 
dung von  Granulationsgewebe  oder  Vascularisation  des 
Lappens  habe  ich  nicht  beobachtet 

Da  die  Pupille  freigeblieben  ist,  so  sind  auch  jene 
Processe,  die  Neelsen  als  nothwendig  anftlhrt,  Ernährung 
von  altem  oder  neuem  Gewebe  an  der  innem  Seite,  auszu- 
schliessen. 

Diese  drei  Fälle  beweisen  vollständig,  dass  derartige 
Ansichten  über  den  Heilungsverlauf  unrichtig  sind  und 
durchaus  nicht  als  typische  Heilungsverlaufe  hingestellt 
werden  dürfen.  Typisch  sind  sie  nur  für  eine  Beihe  miss- 
glückter  Fälle. 

Ich  glaube  hinreichend  bewiesen  zu  haben,  dass  voll- 
standig  abgetrennte  Lappen  einen  günstigen  Heilungsverlauf 
nehmen    und    per    primam    intentionem    wieder  anheilen 


246  ^-  Wagenmann. 

können  mit  dauernd  erhaltener  Transparenz.  Die  physio- 
lo^sche  Möglichkeit  moss  zugegeben  werden. 

Ob  die  Ernährung  durch  die  Synechien  eine  wesent- 
liche Bolle  spielt,  die  Emährungsverhältnisse  des  Lappens 
so  günstig  zu  gestalten,  darüber  kann  man  streiten. 

Dass  bei  meinen  Thieren  die  Durchsichtigkeit  nur 
partiell  erhalten  blieb,  war  natürlich  nicht  anders  zu  er- 
warten nach  den  oben  ausgeftlhrten  Gründen. 

Ich  glaube,  dass  das,  was  unter  den  obwaltenden  Um- 
ständen überhaupt  nur  gefordert  werden  kann,  besonders 
im  Fall  3,  erreicht  ist.  4  mm  im  Durchmesser  sind  ab- 
solut durchsichtig  geblieben. 

Dass  ich  die  Transparenz  eine  dauernde  nenne,  dazu 
bin  ich  auch  berechtigt.  Was  sich  von  dem  Lappen  trüben 
würde,  hatte  sich  nach  wenigen  Tagen  entschieden.  Der 
Heilungsprozess  des  Lappens  gebrauchte  etwa  vier  Wochen, 
bis  vollständige  Buhe  eintrat.  Seither  hat  sich  nichts  ge- 
ändert. Die  Durchsichtigkeit  hielt  sich  da,  wo  sie  bestand, 
jetzt  schon  mehr  als  sechs  Monate. 

Ich  gebe  mich  keinen  Illusionen  darüber  hin,  dass 
durch  meine  Untersuchungen  direct  etwas  für  die  Praxis 
gewonnen  sei,  denn  bei  den  Operationen  am  Menschen 
treten  eine  grosse  Anzahl  schwer  zu  umgehender  und 
bedeutungsvoller  Schwierigkeiten  hinzu,  die  ja  besonders  in 
den  Arbeiten  v.  Hippels  ihre  richtige  Beleuchtung  er- 
halten haben.  Da  mir  vollends  alle  Beobachtungen  über 
Operationen  am  Menschen  fehlen,  kann  es  mir  nicht  ein- 
fallen, eine  Lanze  für  die  totale  Keratoplastik  brechen  zu 
wollen.  Das  müssen  wir  uns  aber  gestehen,  dass  sie  das 
eigentliche  Endziel  der  ganzen  Frage  ist.  Denn  die  Zahl 
der  Fälle,  die  sich  zur  partiellen  Transplantation  eignen, 
ist,  soweit  es  sich  jetzt  übersehen  lässt,  noch  eine  kleine 
im  Vergleich  zu  der  grossen  Zahl,  wo  die  totale  Kerato- 
plastik Besserung  bringen  könnta  Wir  müssen  uns  im 
Hinblick  auf  die  historische  Entwiokelung  der  Frage  ge* 


Untersuchungen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  247 

stehen,  dass  die  Aufnahme  der  partiellen  Keratoplastik 
gevnssermassen  ein  Bückzug  ist,  wenn  auch  ein  ehrenvoller, 
in  ein  Gebiet,  wo  wir  Herr  sind. 

Meine  Versuche  haben  vorerst  nur  ein  theoretisches 
Interesse,  sie  zeigen,  dass  die  Heilungsvorgänge  und  Be- 
dingungen abgetrennter  Hornbautlappen  nicht  so  ungünstig 
liegen,  wie  Pauli,  Schweigger  und  vor  allem  Neelsen 
und  Angelucci  annehmen.  Die  Zukunft  wird  lehren,  ob 
die  zahlreichen  Hindernisse,  die  bei  der  Operation  am 
Menschen  bestehen,  sich  werden  überwinden  lassen. 

Dass  man  beim  Kaninchen  nicht  ohne  Fixation  des 
Lappens  wegen  der  Absonderung  des  fibrinreichen  Kanuner- 
wassers auskommt,  bewiesen  mir  Versuche,  bei  denen  ich 
auf  die  Fixation  verzichtet  habe.  Derartige  Versuche  miss- 
glückten alle  nach  demselben  Typus.  Wenn  sich  nämlich 
auch  anfangs  der  Lappen  ganz  gut  anzulegen  und  mit  der 
Cornea  zu  verkleben  scheint,  so  wird  er  im  Verlauf  des- 
selben oder  des  nächsten  Tages  doch  noch  von  dem  ge- 
ronnenen Fibrin  des  Kammerwassers  abgehoben.  Er  fällt 
entweder  ganz  ab  oder  bleibt  ohne  näheren  Zusammen- 
hang mit  der  Cornea  oben  auf  einer  dicken  Fibrinschwarte 
liegen.  Er  wird  necrotisch,  quillt  auf,  trübt  sich  gleich- 
massig  grauweiss  und  wird  von  Eiterkörperchen  durchsetzt. 

Als  Beispiel  will  ich  einen  Versuch  anführen. 

Ich  hatte  mit  Messer  und  Scheere  ein  centrales,  nahezu 
dreieckiges  Stück  vollständig  abgelöst^  mit  der  Pincette  abge- 
hoben und  wieder  in  den  Defect  gelegt,  wo  es  anfangs  durch 
wenig  Fibrin  mit  der  übrigen  Cornea  zu  verkleben  schien.  Ich 
hatte  einen  Coigunctivallappen  gebildet  und  darüber  genäht  und 
zwei  Tage  liegen  lassen.  Nach  dieser  Zeit  quoll  geronnenes 
Fibrin  unter  dem  Conjunctivallappen  hervor,  ich  entfernte  die 
Saturen,  um  zu  sehen,  was  aus  dem  Lappen  geworden  war.  Ich 
fand  den  Raum  zwischen  Coigunctivallappen  und  Bulbus  voll- 
ständig ausgegossen  von  einer  reichlich  2  mm  dicken  Fibrin- 
schwarte. Auf  dieser  Schale,  resp.  in  dieser  Schale  lag  der 
Lappen  noch  massig  durchsichtig,  aber  gequollen  und  vom  Band 


248  ^*  Wagenmann. 

her  getrübt.  Ich  fasste  den  Band  der  Fibrinmasse  mit  der 
Pincette,  und  es  folgte  die  ganze  Schale  inclasiye  dem  abgeho- 
benen Lappen.  Microscopisch  fand  ich  eine  beginnende  eiterige 
Infiltration  des  Lappens.  Vom  Endothel  waren  noch  Beste  Tor- 
handen,  die  HornhautkOrperchen  erkannte  man  auch  noch. 

Ich  hielt  weitere  derartige  Yersache  für  zwecklos, 
denn  sie  sprechen  weder  für  das  eine  noch  für  das  andere, 
da  man  den  Hinderungsgrond  genau  übersieht  und  beim 
Kaninchen  nicht  ausschalten  kann. 

Ebenso  erging  es  meinen  Versuchen  mit  dem  Trepan, 
sei  es  bei  Benutzung  desselben  Lappens,  sei  es  beim 
üeberpflanzen  von  andern  Augen. 

Ehe  ich  den  v.  Hipperschen  Trepan  kannte,  benutzte 
ich  einen  Trepan,  dessen  Construction  ich  möglichst  einfach 
wählte.  Auf  einem  handlichen,  achteckigen  Metallstiel  von 
etwas  rauher  Oberfläche,  damit  er  sicher  in  der  Hand  liegt, 
sitzt  die  kreisförmige  Krone  mit  möglichst  scharf  ge- 
schliffener Schneide.  Der  Trepan  wird  auf  die  Cornea  ge- 
setzt und  durch  leicht  drehende  Bewegungen,  deren  Druck 
man  ganz  in  der  Hand  hat,  das  Gewebe  eingeschnitten. 
Die  Vorzüge  dieses  Instruments  sind  seine  grosse  Einfach- 
heit, die  Möglichkeit  es  leicht  zu  desinficiren,  die  Führung 
aus  freier  Hand,  wobei  man  sieht  und  weiss,  was  man  thut, 
wobei  man  den  Druck,  den  man  anwenden  will,  vollkommen 
in  der  Hand  hat. 

Später  habe  ich  den  v.  Hippel'schen  Trepan  benutzt. 
Die  Vorzüge,  die  er  hat,  sind  von  v.  Hippel  auf  der 
letzten  Versammlung  der  ophthalmologischen  Oesellschaft 
zu  Heidelberg  dargelegt. 

Die  Versuche  missglückten  sämmtlich  wegen  der  man- 
gelnden Fixation  des  Lappens.  Er  wurde  stets  durch  das 
geronnene  Fibrin  abgehoben.  Ich  habe  deshalb  von  wei- 
tern Versuchen  Abstand  genommen,  da  ich  glaube,  dass 
mau  beim  Kaninchen  so  nichts  erreicht,   denn  das  Liegen- 


Untersuchungen  £ur  Frage  der  Keratoplastik.  249 

bleiben  ist  die  erste  Bedingung  für  das  Einheilen  des  Lap- 
pens. Ich  fahre  deshalb  auch  keine  Versuche  an  und  ver- 
zichte darauf,  die  Operationsmethode  näher  auszuführen. 

III. 

Untersuchungen    über    die   Trübungsursachen    bei 

totaler  Keratoplastik. 

Da  aus  den  obigen  Versuchen  klar  geworden  ist,  dass 
ein  positives  Besultat  bei  der  totalen  Keratoplastik  möglich 
ist,  so  muss  man  festzustellen  suchen,  woher  es  kommt, 
dass  die  abgetrennten  Lappen  sich  so  leicht  trüben,  wie  die 
bisherigen  Erfahrungen  lehren. 

Ich  habe  mich  bemüht,  Einiges  über  die  Ursachen  der 
Lappentrübung  zu  eruiren. 

Zunächst  müssen  die  infectiösen  Processe  berührt 
werden.  Die  Infection  kommt  von  aussen  und  stört  die 
physiologischen  Heilungsprocesse.  Sowie  sie  dazugetreten 
ist»  liegen  anomale  Verhältnisse  vor.  Wegen  der  ver- 
änderten und  erschwerten  Emährungsbedingungen  der 
Lappen  finden  Infectionen  besonders  günstigen  Boden  in 
dem  resistenzlosen  Gewebe. 

Wir  können  uns  über  die  Infectionen  hier  kürzer  fassen, 
da  eine  Anheilung  ohne  dieselbe  das  normale  ist  und 
vorausgesetzt  werden  muss,  wenn  man  den  Trübungs- 
ursachen, die  in  den  physiologischen  Verhältnissen  begründet 
sind,  näher  treten  will. 

Bei  Thieren  fällt  eine  Reihe  von  so  difßcilen  Versuchen 
der  Eiterung  zum  Opfer;  man  kann  sich  vor  der  Infection 
schwerer  schützen.  Wenigstens  habe  ich  auf  das  Anlegen 
von  Verbänden  verzichtet,  da  ich  mir  bei  der  Unsicherheit 
und  Umständlichkeit  des  Verfahrens  nicht  viel  davon  ver- 
sprach. 

Dagegen  können  wir  beim  Menschen  unter  Anwendung 
strenger  Antisepsis  die  Infection  so  gut  wie  ganz  aus- 
schliessen.   Man  muss  eben  jede  Infectionsquelle  vermeiden. 


250  •^*  Wagenmann. 

So  ist  auch  das  früher  so  beliebte  Anhauchen  der  Lappen, 
um  sie  warm  und  feucht  zu  halten,  vollständig  zu  ver- 
werfen. 

Andererseits  darf  man  auch  keine  desinficirende 
Losungen,  die  Gerinnungen  machen,  mit  dem  Lappen  in 
Berührung  bringen,  wenigstens  nicht  mit  dem  Lappenrand, 
der  die  Ernährung  zu  vermitteln  hat.  Das  beste  ist  meines 
Dafürhaltens,  den  Gonjunctivalsack  vorher  gründlich  mit 
Sublimat  zu  desinficiren.  Sind  die  Instrumente  sauber,  be- 
dient man  sich  zum  Fassen  und  zum  Zurechtlegen  des 
Lappens  geglühter  Pincetten  und  geglühter  Platinspatel, 
so  braucht  man  den  Lappen  gar  nicht,  wie  z.  B.  Seiler- 
beck  empfiehlt,  in  Carbolsäurelösung  abzuspülen.  Ist  der 
Lappen  transplantirt  und  erst  verklebt,  so  kann  man  zum 
Schluss  mit  schwachen  Sublimatlösungen  den  Gonjunctival- 
sack nochmals  reinigen. 

Auch  während  der  Heilung  auftretende  Infiltrate  be- 
ruhen auf  Infection  und  müssen  durch  sorgfältige  anti- 
septische Wundbehandlung  zu  vermeiden  sein. 

Ich  möchte  hier  nur  einige  Versuche  kurz  berühren, 
bei  denen  eine  ganz  geringfügige  Infection  hinzugetreten 
ist,  und  die  deshalb  besonders  instructiv  sind,  weil  diese 
Lifectionen  nicht  genügt  haben,  den  Heilungsverlauf  durch 
Eiterung  zu  unterbrechen,  sondern  ihn  nur  so  abgeändert 
haben,  dass  eine  Vascularisation  des  Lappens  mit  Ausgang 
in  Trübung  veranlasst  ist.  Der  Verlauf  glich  nun  voll- 
kommen dem  Bild,  das  z.  B.  Neelsen  und  Angelucci 
als  normal  ansehen. 

Versuch  6. 

23.  August  1887.  Bechtes  Auge.  Operation:  Lappen  mit 
Scheere  und  Messer  vollständig  nmtrennt  and  durch  zwei 
Suturen  fixirt    Nickhaut  darüber  genäht. 

28.  August  1887.  Nickhaut  entfernt.  Conjunctiva  ii^'icirt 
Lappen  mit  ausgedehnter  vorderer  Synechie  im  Anheilen  be- 
griffen. 


ÜntersucbuDgen  tuT  Frage  der  Keratoplastik.  251 

Der  Lappenrand  getrübt,  gequollen,  die  Mitte  klar.  Am 
oberen  Wandrand  ist  eine  weissliche,  intensiver  getrübte  Stelle, 
die  als  Infiltration  anzusehen  ist.  Vom  Comealrand  dringen 
Gefässe  in  die  Cornea  vor. 

Der  weitere  Verlauf  war  der,  dass  die  Vascularisation  zu- 
nahm und  den  Lappen  selbst  ergriff  und  zwar  von  oben  her, 
wo  die  Wundinfection  sich  fsmd.  Es  kam  zu  keiner  Eiterung, 
sondern  der  Lappen  trübte  sich  mehr  und  mehr,  gleichzeitig 
nahm  die  Vascularisation  des  Lappens  zu.  Der  Lappen  wurde 
voUst^dig  von  einem  feinen  Gefässnetz  umsponnen,  er  quoll 
auf  und  war  stark  verdickt.  Die  Vascularisation  nahm  noch  zu. 
Der  Lappen  wurde  in  ein  rothliches  Wärzchen  von  Granu- 
lationsgewebe verwandelt.  Die  Gefässwucherung  ging  wieder 
zurück,  und  die  Heilung  vollzog  sich  in  der  Art,  dass  ein  weisses 
Narbengewebe  zurückblieb.    Das  Auge  blieb  dabei  reizlos. 

•  Aach  noch  einen  anderen  Versuch  will  ich  kurz  mit- 
theilen, bei  dem  der  Lappen  anfangs  glatt  einzuheilen 
«chien,  aber  durch  Infection  noch  verloren  ging. 

Versuch  7. 

17.  August  1887,  Linkes  Auge.  Operation  ähnlich  wie 
Versuch  2. 

Die  Heilung  war  die  ersten  neun  Tage  ganz  zufrieden- 
stellend. Bänder  getrübt.  Mitte  noch  klar.  Vemarbung  mit 
kleinen  vorderen  Synechien  im  besten  Gang.  Kammer  war 
schon  wieder  zum  Theil  hergestellt.  Einzelne  Gefässstämmchen 
bis  zur  Wunde  vorgedrungen. 

Da  bemerkte  ich  am  zehnten  Tage  oben  an  der  Wunde 
ein  kleines  gelbliches  Exsudatpünktchen.  Die  Vascularisation 
nahm  zu.  Während  der  nächsten  Tage  schritt  die  Infiltration 
langsam  nach  unten  vor,  zugleich  überschritten  die  Gefässe  den 
Lappenrand  und  drangen  ebenfalls  nach  unten  vor.  Der  Lappen 
trübte  sich  allmählich  von  oben  her.  Später  nahm  die  Gefäss- 
bildung  ab,  doch  blieb  der  Lappen  getrübt. 

Irgend  welche  stürmische  Entzündungs-Symptome  waren 
nicht  aufgetreten.    Das  Auge  blieb  blass. 

Ich  habe  diese  Versuche  anführen  wollen,  weil  ich 
glaube,  dass  sich  vielleicht  eine  Anzahl  von  Misserfolgen 
auf  diese  Weise  erklären  lassen. 


262  A.  Wagenmann. 

Solche  Fälle  sind  aber  von  anormalem  Heilungsver- 
lauf,  sie  rechnen  nicht  mit,  wenn  man  untersnchen  will, 
weshalb  sich  aseptisch  eingeheilte  Lappen  bei  der  totalen 
Keratoplastik  doch  trüben. 

Wir  werden  nach  den  bisherigen  Beobachtungen  und 
Erfahrungen  besonders  im  Hinblick  darauf,  dass  die  par- 
tielle Transplantation  nach  y.  Hippel' s  Methode  so  gute 
Besultate  giebt,  wie  ich  mich  durch  Thierversuche  auch 
habe  überzeugen  können,  darauf  hingewiesen,  dass  in  der 
Eröffnung  der  Kammer  das  ursächliche  Moment  zu  suchen 
ist,  und  was  hierbei  als  schuldiger  Theil  in  Frage  kommt, 
das  wird  durch  Lebers  Untersuchungen  nahe  gelegt.  Wir 
haben  aus  denselben  das  Kammerwasser  als  einen  bedeutsamen 
Factor  für  die  Entstehung  von  Hornhauttrübungen  über- 
haupt kennen  gelernt,  wenn  nach  Verlust  des  Endothels 
der  Contact  desselben  mit  der  Homhautsubstanz  ermög- 
licht ist. 

Wir  müssen  uns  mit  diesem  Factor  näher  beschäf- 
tigen. Leber*)  hat  in  seiner  Arbeit  über  den  Flüssigkeits- 
wechsel im  Auge  auf  die  Bedeutung  des  Endothels  für  die 
lebende  Hornhaut  hingewiesen.  Er  fand,  dass  nach  Ent- 
fernung des  Endothels  die  Cornea  durch  die  nunmehr  er- 
möglichte Filtration  des  Kammerwassers  in  Quellung  gerathe 
und  sich  trübe.  Allerdings  constatirt  er,  dass  bei  seinen 
partiellen  Abschabungen  die  Quellung  und  Trübung  der 
Hornhaut  sich  bald  zurückbilde,  wenn  das  Endothel  sich 
regenerirt  hat. 

Der  Einfluss,  den  das  Endothel  auf  die  Transparenz 
von  Hornhautgewebe  hat,  wurde  in  der  Folgezeit  bei  der 
Frage  der  Keratoplastik  wiederholt  hervorgehoben,  und  die 
Trübung  des  Lappens  damit  in  Zusammenhang  zu  bringen 
gesucht. 


*)  y.  Graefe*s  Arch.  f.  Ophth.  XIX.  3,  p.  186. 


üntersncbuDgen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  253 

So  erwägt  V.  Hippel*)  bei  der  Besprechung  seiner 
ersten  am  Menschen  ausgeführten  Transplantationen,  wie  er 
die  Leber'schen  Resultate  zur  Erklärung  der  am  siebenten 
Tage  aufgetretenen  Trübung  verwenden  könne.  Da  die 
Trübung  erst  so  spät  in  Erscheinung  getreten  war,  so 
konnte  die  Verletzung  des  Endothels  bei  der  Operation 
nicht  die  Ursache  sein,  da  dabei  die  Trübung  sofort  hätte 
auftreten  müssen.  Er  meint  aber,  dass  vielleicht  erst 
später  eine  Abstossung  des  Endothels  durch  eine  Ernährungs- 
störung des  Lappens  secundär  zu  Stande  gekommen  und 
dass  dadurch  die  Quellung  und  Trübung  veranlasst  sei. 
Auch  könne  es  dann  bei  einer  oberflächlichen  Entzün- 
dung des  Glaskörpers  leicht  zu  einer  Zelleinwanderung 
kommen. 

Andererseits  will  Se  Herb  eck**)  dem  Kammerwasser 
jeden  Einfluss  auf  die  Hornhauttrübung  absprechen.  Er 
meint,  dass  uns  kaum  eine  Flüssigkeit  zu  Gebot  stände, 
„welche  die  Vitalität  der  lebenden  thierischen  Gewebe  so 
wenig  alterire,  als  gerade  das  Kammerwasser.''  Es  soll 
nach  ihm  nur  dadurch  schädlich  wirken,  dass  es  den  Lappen 
mechanisch  wieder  abhöbe  und  verschöbe.  Von  diesem 
Gesichtspunkt  aus  empfiehlt  er  das  Anlegen  einer  Kammer- 
fistel. 

V.  Hippel***)  nahm  auch  nach  weiteren  Operationen 
am  Menschen  an,  dass  die  Trübung  des  Lappens  durch  das 
Kammerwasser  bedingt  sei.  Da  er  jedoch  von  der  An- 
nahme ausging,  dass  nach  Ersatz  des  Endothels  die  Trü- 
bung im  Farenchym  zurückginge,  so  musste  er  eine  dauernde 
Einwirkung  des  Kammerwassers  annehmen;  er  that  dieses 
und  verlegte  den  Sitz  der  Störung  in  den  Band  des  Lappens. 
Die  Descemet'sche  Membran   rolle    sich   um,    und   durch 


*)  V.  Graefe's  Arch.  f.  Ophth.  XXILT.  2,  p.  14b. 
»)  V.  Graefe'B  Arch.  f.  Ophtb.  XXIV.  4,  p.28. 
0  Bericht  über   die  XVIII.  Vers.  d.  ophth.  Gesellschaft  zu 
Heidelberg.    1886.    p.  56. 


254  A.  Wagenmann. 

den  Defect  im  Endothel  könne  das  Eammerwasser  dauernd 
einwirken,  da  sich  der  Defect  nicht  mit  Endothel  überzöge. 
Es  fahrte  ihn  diese  üeberlegung  auf  die  AusfOhrung  der 
partiellen  Transplantation. 

Diese  Erklärung  klingt  deshalb  etwas  gekünstelt,  weil 
V.  Hippel  annimmt,  dass  das  Endothel  den  Defect  nicht 
überziehen  könne.  Ich  habe  umgekehrt  bei  den  Augen,  die 
ich  untersucht  habe,  eine  sehr  bedeutende  Begenerations- 
tendenz  des  Endothels  gefunden,  wie  auch  sonst  allgemein 
angenommen  wird.  Die  Lücke  in  der  Descemet'schen 
Membran  schliesst  sich  ja  nicht,  wohl  aber  überzieht  das 
Endothel  die  Hinterfläche  der  Narbe  und  verhindert  so  eine 
dauernde  Einwirkung  des  Eammerwassers. 

Wäre  die  Annahme  v.  Hippels  richtig,  so  müssten 
die  Folgen  der  mangelhaften  Endothelüberdeckung  bei 
allen  perforirenden  Hornhautwunden  zu  Tage  treten,  d.  h.  die 
Cornea  wäre  von  der  Narbe  aus  der  dauernden  Einwirkung 
des  Eammerwassers  mit  dadurch  bedingter  fortschreitender 
Trübung  ausgesetzt.  Dem  widerspricht  die  tägliche  Er- 
fahrung. Femer  beweisen  meine  positiven  Resultate 
mit  abgetrennten  Hornhautlappen  bei  Thieren,  dass  es 
mindestens  nicht  immer  sich  so  verhält,  wie  v.  Hippel 
annimmt.  Ich  glaube,  dass  v.  Hippel's  Erklärung  in  dieser 
Form  das  richtige  nicht  trifft. 

Dass  die  Läsion  des  Endothels  und  die  dadurch  er- 
möglichte Einwirkung  des  Eammerwassers  hier  für  den 
Verlust  der  Transparenz  der  Lappen  eine  bedeutende  Rolle 
spielen  müsste,  war  mir,  wie  gesagt,  nach  den  Leber'schen 
Funden  klar. 

um  nun  die  Veränderungen  der  Cornea,  die  durch 
den  Defect  von  Endothel  überhaupt  gesetzt  werden,  aus 
eigener  Anschauung  kennen  zu  lernen,  wiederholte  ich  mit 
einigen  Modificationen  die  Leber*schen  Versuche. 

Ich  stellte  die  Versuche  derart  an,  dass  ich  einen 
centralen,   queren  Hornhautschnitt  mit  Linearmesser  oder 


Untersuchungen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  255 

Beer*schem  Messer  anlegte,  einen  flachen,  am  Bande 
stumpfen  Davierschen  LOffel  in  die  vordere  Kammer  ein- 
führte und  nun  die  Hinterfläche  der  Cornea  ringsherum 
bis  zum  Eammerwinkel  abschabte.  Dass  es  auf  diese 
Weise  leicht  gelingt,  das  Endothel  zu  entfernen,  konnte 
ich  dadurch  nachweisen,  dass  ich,  nachdem  einige 
schabende  Züge  mit  dem  Löffel  gemacht  waren,  denselben 
mit  einem  Tropfen  einer  physiologischen  Kochsalzlösung 
abspülte  und  den  Tropfen  auf  einem  Deckglaschen  auf- 
fing. Man  sah  schon  makroskopisch  kleine  Fetzen  in  der 
Flüssigkeit  schwimmen.  Ich  fertigte  ein  Deckglastrocken- 
präparat an  durch  Absaugen  der  Flüssigkeit  mit  Fliess- 
papier und  färbte  mit  Hämatoxylin.  Ich  konnte  nun 
mikroskopisch  zahllose  einzelne  Zellen  und  grössere  Con- 
glomerate  derselben  erkennen. 

Sodann  untersuchte  ich  auch  eine  solche  Cornea  sofort 
nach  dem  Abschaben,  indem  ich  sie  mit  Argen  tum 
nitricum  behandelte.  Ich  fand  von  dem  Endothel  nur  noch 
vereinzelte  Beste.  An  einigen  wenigen  Stellen  sind  noch 
kleine  zusammenhängende  Zellhäufchen  erhalten,  sonst  nur 
hier  und  da  fast  vereinzelte  Zellen.  Im  üebrigen  ist  die 
Descemet'sche  Membran  des  Endothels  beraubt.  Nur 
ganz  nahe  am  Kammerwinkel  ist  noch  eine  Grenzzone 
erhalten,  da  hier  off'enbar  der  LöfTel  nicht  weit  genug  vor- 
gedrungen ist. 

Als  Controlversuch,  um  dem  Einwand  zu  begegnen, 
dass  etwa  durch  die  Präparationsmethode  erst  das  Endothel 
abgestreift  sei,  habe  ich  das  andere  intacte  Auge  ebenso 
behandelt.  Hier  ist  das  Endothel  vollkommen  schön  er- 
halten, die  Zellgrenzen  durch  das  Silbernitrat  markirt. 

Dass  ferner  die  blosse  Eröffnung  der  Kammer  und 
ein  längeres  Aufgehobensein  derselben  keinen  Einfluss  auf 
die  Corneadurchsichtigkeit  hat,  konnte  ich  dadurch  fest- 
stellen, dass  ich  einem  Thier  ein  centrales  Homhautstück 
excidirte,   wonach   die  Kammer  12  Tage  lang  aufgehoben 


256  A.  Wagenmann. 

blieb.     Mit  Ausnahme  der   Wandränder,    die   etwas   auf- 
quollen und  sich  trübten,  blieb  die  Cornea  vollkommen  klar. 

Ich  fand,  dass  der  Verlauf  der  eintretenden  Verände- 
rungen anfangs  gerade  so  vor  sich  ging,  wie  es  Leber  be- 
schrieben hat.  Schon  nach  wenigen  Minuten  kann  man 
eine  bläulichgraue  Trübung  constatiren,  bedingt  durch  eiiie 
bedeutende  Aufquellung  und  Verdickung  der  ganzen  Cornea. 
Die  Oberfläche  bleibt  spiegelnd.  Die  Trübung  nimmt  in 
den  nächsten  Tagen  noch  zu,  ist  vornehmlich  in  den  tiefen 
Hornhautschichten  gelegen  und  nimmt  einen  weisseren 
Farbenton  an,  sie  ist  diffus,  doch  kann  man  eine  Fleckung 
mit  intensiver  getrübten  Stellen  wahrnehmen. 

Da  ich  mit  dem  Löffel  möglichst  viel  abgeschabt  habe, 
so  erstreckt  sich  bei  meinen  Thieren  die  Trübung  bis  nahe 
an  den  Comealrand.  Gewöhnlich  habe  ich  die  Hornhaut- 
parthie,  die  in  der  Verlängerung  der  Wunde  gelegen  ist, 
nicht  vollständig  getroffen,  deshalb  ist  dort  manchmal  eine 
schmale,  dreieckige  Stelle,  mit  der  Spitze  des  Dreiecks  bis 
zum  Wundwinkel  reichend,  nicht  so  stark  getrübt  oder  ganz 
verschont  geblieben.    Die  Augen  bleiben  blass. 

Da  ich  bei  meinen  Versuchen  die  Kammer  mit  einem 
Schnitt  eröffnete,  so  hatte  ich  die  Folgen  der  Wunde  mit 
in  Kauf  zu  nehmen.  Es  resultirte  eine  lineare  Narbe.  Die 
Kammer  nahm  innerhalb  der  ersten  Tage  wieder  an  Tiefe 
zu.  Dass  ich  wohl  einmal  eine  vordere  Synechie  bekam, 
kommt  hier  nicht  in  Frage. 

Im  Verlauf  der  nächsten  Tage  nach  der  Abschabung 
nimmt  die  Quellung  wieder  ab,  die  Trübung  setzt  sich  von 
der  nicht  getrübten  Farthie  schärfer  ab,  während  in  den 
ersten  Tagen  ein  allmählicher  üebergang  zu  verzeichnen 
ist.  Es  bildet  sich  eine  scharfe  Grenze  zwischen  getrübter 
und  nicht  getrübter  Cornea  aus. 

Ich  habe  nun  bei  meinen  ausgedehnten  Endothel- 
abschabungen  gefunden,  dass  die  Trübung  stationär  bleibt 
und  nicht  zurückgeht 


Untersuchungen  zur  Frage  der  Keratoplastik«  257 

In  diesem  Pankte  sind  die  Besultate  verschieden  von 
denen  Leber*s  resp.  dieselben  ergänzend. 

Leber  hatte  gefunden,  dass  die  Trübungen  nach  Be- 
generation  des  Endothels  innerhalb  weniger  Tage  zurück- 
gingen. Er  hatte  ein  Häkchen  durch  die  Cornea  gestossen 
und  durch  seitliche  Bewegungen  mit  dem  stumpfen  Bogen 
das  Endothel  abgeschabt.  Die  Verletzung  war  der  Aus- 
dehnung nach  beschränkt.  Entfernt  man  aber  das  Endothel 
in  grosser  Ausdehnung,  wie  ich  es  that,  so  setzt  die 
Quelinng  Veränderungen,  die  eine  dauernde  Trübung  der 
Cornea  im  Gefolge  haben  und  die  Begeneration  des 
Endothels,  die  sehr  bald  erfolgt,  überdauern. 

Sodann  habe  ich  im  weiteren  Verlauf  meistens  noch 
eine  secundäre  Veränderung  und  zwar  eine  V^ascularisation 
der  Cornea  beobachtet,  die  verschiedene  Intensität  erreichen 
und  nach  verschieden  langer  Dauer  wieder  rückgängig 
werden  kann.  Jedoch  sowohl  bei  den  Augen,  wo  die 
Vascularisation  nicht  auftrat,  wie  bei  denen,  wo  sie  auf- 
trat, blieb  die  weissliche  Trübung  stationär. 

Ich  will  einige  Fälle  anführen  und  dabei  zugleich  die 
anatomischen  Befunde  geben. 

Versuch  8:  kleines  weisses  Kaninchen. 
BeobachtuDgszeit:  drei  Tage. 

1.  August  1887.  Operation:  Cocain -Anästhesie.  Querer 
circa  5  mm  langer  centraler  Schnitt.  Eingehen  mit  dem 
Davierscben  LOffel  und  Abschaben  des  Endothels  in  möglichster 
Ausdehnung. 

2.  August  1887.  Cornea  stark  gequollen  und  graubläulich 
getrübt  Wunde  verklebt.  Kammer  seicht  Iris  hyperämisch. 
Auge  kaum  injicirt 

4.  August  1887.  Auge  noch  ziemlich  blass.  Wunde  ge- 
schlossen, Kammertiefe  normal,  keine  vordere  Synechie. 

Cornea  noch  stark  gequollen,  die  Trübung  schärfer  be- 
grenzt nach  dem  Kammerwinkel  zu.  Die  Trübung  etwas  grau- 
weisslicher  mit  einzelnen  intensiver  weissgeförbten  Fleckchen. 

Enucleatio  bulbi:  Beim  Anziehen  des  Bulbus  fliesst  das 
Kammerwa^ser  wieder  ab. 

T.  Onefe's  Archiv  fUr  Ophthalmologie,  XXXI V.  1.  17 


258  A.  Wagenmann. 

Cornea  frei  präparirt,  sofort  in  0,75procentiger  Chlomatrinm- 
lOsnng  unter  das  Mikroskop  gebracht.  Endoüiel  schon  wieder 
grOsstentheils  regenerirt 

Cornea  in  Müller'scher  Flüssigkeit  gehärtet,  in  Celloidin 
eingebettet,  so  dass  eine  Hälfte  zu  Quer-,  die  andere  zn  Flach- 
schnitten benutzt  werden  konnte.  Der  mikroskopische  Befund 
ist  folgender: 

In  dem  Epithel  der  Cornea  sind  zahlreiche  Vacuolen  an- 
zutreffen und  zwar  in  allen  Schichten.  Sie  treten  auf  als  runde 
scharfbegrenzte,  helle  Tröpfchen,  die  innerhalb  von  Zellen 
liegen,  die  Kerne  deutlich  Terdrängend.  Das  Endothel  ist 
grOsstentheils  wieder  vorhanden,  an  Terschiedenen  Stellen  habe 
ich  Andeutungen  gefunden,  als  sei  es  gewuchert.  An  ver- 
einzelten Stellen  fehlt  es.  Der  Hinterfläche  der  Cornea  ist 
eine  moleculare  Eiweismasse  aufgelagert,  der  Inhalt  der 
vorderen  Kammer.  Daselbst  sind  vereinzelte  Lymphzellen  an- 
zutreffen. 

Cornea  in  toto  verdickt  und  aufgelockert.  Das  Gewebe  ist 
stark  fibrlUär.  Nach  aussen  hin  nehmen  die  Veränderungen 
ab.  In  den  äusseren  Schichten  sind  die  HomhautkOrperchen 
im  Ganzen  normal.  Hier  und  da  findet  man  eine  Lymphzelle. 
Nach  dem  Bande  trifft  man  eine  massenhaftere  Einwanderung 
von  Lymphzellen  an,  es  hängt  das  zusammen  mit  einer  be- 
ginnenden Handvascularisation. 

An  vielen  Dickendurchschnitten  sieht  man,  dass  die  an 
die  Descemet'sche  Membran  stossenden  Schichten  der  Cornea 
ungefUrbte  oder  nur  sehr  schwach  gefärbte  Zellen  enthält. 
Die  Schichten  sehen  stark  opak  gequollen  aus,  ohne  deutliche 
Contouren  der  Fibrillen.  Die  dort  befindlichen  Homhaut- 
kOrperchen sind  verschoben  und  unregelmässig  gelagert,  neben 
schrägen  findet  man  vertical  gestellte.  Es  macht  an  ver- 
schiedenen Stellen  ganz  den  Eindruck,  als  handle  es  sich  um 
eine  Art  Necrose.    Die  betreffende  Schicht  ist  verschieden  dick. 

In  der  nach  aussen  folgenden  Schicht  sind  die  Homhaut- 
kOrperchen entschieden  stark  verdickt  und  mit  langen  Aus- 
läufern versehen.  Ihre  Zahl  ist  vermehrt.  Es  handelt  sich 
ohne  Zweifel  hier  um  Proliferationsvorgänge.  Die  Anordnung 
dieser  auf  dem  Querschnitt  spindelförmigen  mit  langen  Aus- 
läufern versehenen  HomhautkOrperchen  ist  eine  ganz  unregel- 
mässige, sie  sind  durch  einander  gelagert  und  von  ganz  un- 
gleicher Richtung.   Besonders  fallen  vertical  gestellte  ZQge  auf. 


Untersuchungen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  259 

Nach  aussen  davon  folgt  stark  fibriliäre  Cornea  mit 
normalen  EOrperchen. 

Versuch  9:  weisses  Kaninchen. 

Hechtes  Auge.    Beobachtungszeit  10  Tage. 

I.  August  1887.  Endothelabschabung  wie  im  vorigen  Ver- 
such. Verlauf  der  ersten  Tage  ebenso.  Quellung  und  Trübung 
der  Cornea.    Die  Quellung  ging  zurück. 

6.  August  1887.  Auge  ganz  blass.  Kammer  hergestellt. 
Wände  im  Vernarben  begrifiTen.  Die  ganze  Cornea  ist  mit  Aus- 
nahme der  periphersten  Zone  grauweisslich  getrübt.  Die  Trü- 
bung scheint  nur  in  den  tiefsten  Schichten  zu  liegen.  Sie  ist 
ziemlich  gleichmässig,  doch  kann  man  einzelne  intensiver  ge- 
trübte Fleckchen  von  circa  Va  nim  Grosse  unterscheiden.  Die 
Oberfläche  spiegelt.  Vom  Hornhautrand  aus  sind  feinste  Ge- 
fässstämmchen  in  die  Cornea  gewuchert,  sie  umgeben  als  ein 
Kranz  parallel  gerichteter  Stämmchen  den  Cornelrand,  der  Ring 
ist  1mm  breit. 

8.  August  1887.  Status  idem.  Vascularisation  IVa  mm 
breit. 

II.  August  1887.  Wunde  jetzt  fest  vernarbt.  Die  Trübung 
der  Cornea  besteht  noch,  ist  weisslicher  geworden.  Die  Ober- 
fläche von  fast  normalem  Glanz.  Die  Bandvascularisation  geht 
zurück,  ist  abgeblasst. 

Auge  enucleirt 

Ich  habe  die  Cornea  sofort  präparirt  und  ausgebreitet,  Epi- 
thel nach  unten,  unter  das  Mikroskop  gebracht.  Man  sieht  so 
deutlich  die  starke  Quellung  der  Cornea  und  die  auf  den  Band 
beschränkte  Vascularisation.  Das  Endothel  ist  grösstentheils 
wieder  vorhanden,  nur  streckenweise  scheint  es  zu  fehlen.  So- 
dann finden  sich  auf  der  Cornea  ab  und  zu  zellige  Auflagerungen, 
die  über  dem  Endothel  liegen.  Die  Endothelien  zeigen  hie  und 
da  breite  Interstitien  von  hellem  Glanz,  offenbar  von  gequol- 
lener Kittsubstanz  herrührend. 

Nach  einigem  Zuwarten  treten  auch  die  HomhautkOrperchen 
zu  Tage.  Man  erkennt  neben  normalen  in  den  oberflächlichen 
Schichten  deutlich  solche  mit  verlängerten«  verdickten  Ausläufern. 
Die  Grundsubstanz  zeigt  eine  stark  fibriliäre  Structur.  Von 
zelliger  Infiltration  ist  mit  Ausnahme  in  der  Umgebung  der 
Gefässe  nirgends  eine  deutliche  Spur  zu  erkennen. 

Ich  untersuchte  das  Präparat  nochmals,  nachdem  es  eine 

17* 


260  A.  Wagenmann. 

Zeit  lang  in  1%  Essigsäure  gelegen  hatte.  Ich  konnte  nun  er- 
kennen, dass  die  erwähnten  Auflagerungen  aus  flachen  Zellen 
zusammengesetzt  waren.  Sonst  ergab  die  Untersuchung  nichts 
neues. 

Um  das  Präparat  zu  härten  und  die  Zellen  deutlich  zu 
machen,  legte  ich  es  zwei  Tage  in  Holzessig,  und  schnitt  es 
mit  dem  Gefriermikrotom.  Die  Schnitte,  die  ich  gewann,  ge- 
hörten ausschliesslich  den  obersten  Schichten  an,  da  mir  die 
inneren  Schichten  verloren  gingen.  Die  Schnitte  zerfielen  näm- 
lidi,  nachdem  sie  aufgethaut  waren,  in  feinste  Partikelchen, 
so  dass  es  mir  nicht  möglich  war,  zusammenhängende  Präparate 
zu  bekommen. 

Ich  färbte  einen  Theil  der  Schnitte  mit  Hämatoxylin,  welche 
Methode  mir  sehr  schöne  Bilder  gab.  Die  HomhautkOrperchen 
sind  bis  in  ihre  feinsten  Ausläufer  vollkommen  scharf  zu  er- 
kennen. Sie  sind  mit  Ausnahme  der  Umgebung  der  Narbe  un- 
verändert. Ab  und  zu  findet  man  eine  vereinzelte  Ljmphzelle 
neben  dem  Eörperchen  in  der  Lücke  liegen. 

Die  Narbe  wird  von  langen  spindelf[^rmigen  Zellen  und  Fa- 
sern gebildet,  die  in  der  Mitte  einen  Kern  haben.  Es  macht 
ganz  den  Eindruck,  als  seien  es  Derivate  der  HomhautkOrper- 
chen. Man  sieht  Formen,  die  man  als  Uebergänge  deuten  muss. 
Neben  den  spindelförmigen  Zellen  finden  sich  auch  breit  ver- 
zweigte Zellen,  die  breitfaserige  Netze  bilden  und  kleine  alvoläre 
Räume  umschliessen.  Die  HomhautkOrperchen  in  der  Um- 
gebung der  Narbe  haben  lange  Fortsätze  und  unregelmässige 
Formen  und  gleichen  sehr  den  Zellen  der  Narbe  selbst  In  der 
Narbe  finden  sich  ferner  Lymphzellen. 

Versuch  10:  graues  Kaninchen. 

Beobachtungszeit  2  Monate. 

Bechtes  Auge.    1.  August  1887.    Operation  wie  vorher. 

Verlauf  ähnlich  dem  vorigen,  nur  dass  ich  hier  kaum  eine 
Spur  von  Vascularisation  bekommen  habe.  Hier  war  die  Ver- 
längerung der  Wunde  nicht  ordentlich  getroffen,  sie  blieb  fast 
ganz  ungetrübt. 

24.  August  1887.  Auge  dem  äusseren  Aussehen  nach 
intact,  centrale  weisse  Narbe.  Kammer  normal  tief.  Ausge* 
dehnte  weissliche  Hornhauttrübung,  die  sich  fast  bis  zum 
Kammerwinkel  erstreckt  In  der  Verlängerung  der  Wunde  ist 
ein  Dreieck  frei  geblieben.   Die  Trübung  intensiv  weisslich,  nicht 


UntenuchuDgen  zai  Frage  der  Keratoplastik.  261 

ganz  gleichmäfisig,  man  erkennt  eine  feine  Fleckang  mit  inten- 
siver getrübten  Stellen.  Die  Oberfläche,  die  ab  und  zu  eine 
Spnr  von  Mattigkeit  gezeigt  hatte,  ist  spiegelnd. 

TrfLbong  so  erheblich,  dass  man  die  Pupille  nicht  deutlich 
erkennt. 

Der  Zustand  blieb  ToUkommen  unverändert  bis  Mitte  Sep- 
tember, wo  ich  das  Thier  vor  meiner  Reise  zum  letzten  Male 
gesehen  habe.  Ende  September  (wahrscheinlich  am  29.)  ist  das 
Thier  aus  unbekannter  Ursache  gestorben. 

Nach  Bericht  des  Wärters,  der  das  Thier  gefüttert  hat,  sah 
^as  Auge  unverändert  aus.  Leider  ist  es  mir  so  zur  mikros- 
kopischen Untersuchung  verloren  gegangen.  Das  linke  Auge 
hatte  ich  ebenso  operirt,  es  hat  denselben  Verlauf  genommen. 
Hier  hatte  ich  keine  Bandvascularisation  beobachten  können. 

Versuch  11:   grosses  graues  Kaninchen. 

Linkes  Auge.    Beobachtungszeit  6  Vi  Monate. 

30.  Juni  1887.  Operation  wie  vorher.  Verlauf  anfangs  gerade 
so  wie  in  den  vorigen  Versuchen.  Am  siebenten  Tage  trat  eine 
Bandvascularisation  zu  Tage,  die  rasch  zunahm.  Die  Vascula- 
risation  hatte  nach  16  Tagen  die  Mitte  der  Cornea  erreicht. 
Sie  nahm  nun  nach  einigen  Tagen  wieder  langsam  ab.  Die 
Cornea  blieb  gleichmässig  weiss  getrübt,  die  Oberfläche  unregel- 
mässig. 

1.  August  1887.  Von  Vascularisation  nichts  mehr  zu  sehen. 
Fast  die  ganze  Cornea  stark  weiss  getrübt,  die  Oberfläche 
spiegelnd,  doch  finden  sich  kleine  Unebenheiten  im  Epithel.  Die 
Trübung  ziemlich  gleichmässig,  doch  kann  man  einzelne  stärker 
getrübte  Streifen  unterscheiden.  Unten  reicht  die  Trübung 
nicht  ganz  bis  zum  Comealrand. 

8.  Januar  1888.  Das  Auge  ist  unverändert  geblieben. 
Thier  getOdtet.  Auge  in  Müller'sche  Flüssigkeit  gehärtet,  zur 
mikroskopischen  Untersuchung  benutzt. 

Die  Cornea  ist  in  toto  etwas  verdickt.  Sie  besteht  in  der 
Hauptsache  aus  einem  faserigen,  Bindegewebe  ähnlichem  Ge- 
webe. Nur  spärliche  HomhautkOrperchen  finden  sich  in  dem 
fibrillären  Gewebe.  Ziemlich  in  der  Mitte  der  Cornea  sieht  man 
die  schräg  verlaufende  Narbe.  Die  Faserbündel  enden  unregel- 
mässig an  derselben,  es  treten  Fasern  von  verschiedener  Rich- 
tung auf.  Die  Zellen  sind  hier  vermehrt.  Die  Descemet'sche 
Membran  klafft  ziemlich  breit,   die  Enden  stehen  gleich  hoch. 


262  A.  Wagenmann. 

die  letzte  Parthie  vor  dem  Schnittrand  verläuft  wellig,  die 
Enden  selbst  sind  nach  aussen  umgeroUt^  scharf  abgeschnitten. 
Auf  der  DescemeVschen  Membran  findet  sich  eine  etwa  V»  der 
Comeadicke  betragende  Auflagerung,  die  aus  einem  faserigen 
Gewebe,  das  platte  Zellen  enthält,  besteht  und  ganz  dem  Comeal- 
gewebe  gleicht  Die  Auflagerung  nimmt  nur  allmählich  nach 
der  Peripherie  an  Dicke  ab  und  endet  spitz.  Sie  hängt  an  der 
Narbe  mit  der  Homhautgrundsubstanz  zusammen.  Die  Fasern 
gehen  ohne  Unterbrechung  zwischen  den  Enden  der  Descemet- 
schen  Membran  in  diese  über. 

Die  ganze  Hinterfläche  der  Gomea,  auch  dort,  wo  die  Auf- 
lagerung besteht,  ist  bedeckt  von  einer  einfachen,  regelmässigen 
Lage  Endothels.  Unter  dem  Endothel  findet  sich,  soweit  die 
Auflagerung  reicht,  eine  neugebildete,  homogene  Membran,  die 
vollständig  der  Descemet'schen  Basalmembran  gleicht,  nur  ist 
sie  nicht  ganz  so  dick  wie  dieselbe.  Dort,  wo  die  aufgelagerte 
Schicht  endet,  nähern  sich  die  beiden  Basalmembranen,  die 
ursprüngliche  Descemet'sche  und  die  neugebildete  Membran. 
Weiterhin  legen  sie  sich  zusammen  und  verschmelzen  zu  einer 
Membran.  Man  erkennt  jedoch  die  Vereinigung  aus  zwei 
Häuten  an  einer  scharfen  Linie. 

Die  Descemethsche  Membran  ist  hier  also  fast  um  das 
Doppelte  verdickt,  sie  besteht  aus  zwei  Schichten,  von  denen  die 
innere  neugebildet  ist.  Man  kann  in  diesem  Stadium  nicht  mehr 
sicher  sagen,  woher  diese  Neubildung  stammt.  Nach  den  ganz 
analogen  Beobachtungen  Leb  er 's*)  an  der  Linsenkapsel  bei 
Heilung  von  Eapselwunden  ist  es  am  wahrscheinlichsten,  sie  als 
ein  AuBscheidungsproduct  des  Endothels,  somit  als  eine  Cuticular- 
bildung  zu  betrachten. 

In  der  Homhautgrundsubstanz  finden  sich  noch  vereinzelte 
Beste  von  Gefässen,  die  aber  nicht  mehr  bluthaltig  sind.  Man 
sieht  verschiedentlich  Stücke  von  Arterien,  bei  denen  sich  die 
Kerne  der  Wandung  nicht  mehr  geförbt  haben. 

Ausserdem  trifft  man  in  dem  faserigen  Gewebe  der  Cornea 
zahlreiche  Lücken  an,  die  man  bei  ihrer  scharfen  Begrenzung 
wohl  als  ectatische  Lymphräume  anzusprechen  hat. 

Die  äusseren  Schichten  der  Cornea  sind  nicht  so  stark 
fibrillär,  dort  finden  sich  verschiedentliche  Zell-  und  Gewebs- 
wucherungen,  die  in  unregelmässiger  Anordnung  stellenweise 


*)  Sitzungsber.  d.  ophth.  Ges.  1878,  S.  37. 


Untersuchniigeii  zur  Frage  der  Keratoplastik.  263 

auch  zwischen  Epithel  und  vorderer  Grenzhaut  liegen.  Ueber 
den  im  Durchschnitt  spindelförmigen  Zellen  sieht  man  hier  zahl- 
reiche LjmphkOrper  auftreten,  wahrend  die  tiefen  Schichten 
keine  yermehrten  Lymphzellen  erkennen  lassen.  Das  Epithel 
weist  viele  Unregelmässigkeiten  auf.  Die  Zellen  der  unteren 
Lage  sind  theilweise  stark  in  die  Länge  gezogen.  Femer  finden 
sich  zahlreiche  Vacuolen  in  allen  Schichten.  Zwischen  den 
Fusspunkten  der  tiefsten  Lage  treten  vielfach  kleine,  runde, 
helle  Lücken  auf.  Die  Zellen  haben  sich  diesen  kleinen  KOr- 
perchen  anpassen  müssen ,  indem  sie  vielfache  Einbuchtungen 
zeigen.  Auch  einzelne  grosse  Hohlräume  trifft  man  zwischen 
Epithel  und  vorderer  Grenzhaut  an;  die  Epithelzellen  haben 
ausbiegen  müssen  und  umgeben  in  langgestreckten  Zügen  diese 
Blasen.  Zwischen  den  Stachelzellen  finden  sich  vielfach  perl- 
schnurartig angeordnete  feine  Hohlräume. 

Bei  einem  andern  Ange  war  der  Verlauf  ähnlich. 

Vom  vierten  Tage  ab  begann  eine  Eandvascularisation,  die 
langsam  zunahm  und  sich  durch  ihre  Litensität  auszeichnete. 
Nach  drei  Wochen  war  die  ganze  Cornea  von  Gefässen  über- 
sponnen,  und  zwar  war  die  Gefässwucherung  so  erheblich,  dass 
sie  als  dicker  Pannus  die  Cornea  überdeckte.  Damit  hatte  die 
Vascularisation  ihren  Höhepunkt  erreicht,  sie  nahm  nun  wieder 
ab.  Die  Wucherung  bildete  sich  allmählich  zurück,  socUss 
nach  weiteren  drei  Wochen  alle  Gefässe  verschwunden  waren. 

Die  Cornea  war  nun  weisslich  getrübt,  sie  glich  einem 
totalen  Leucom.  Die  Oberfläche  wurde  wieder  fast  vollkommen 
glatt.  Die  Trübung  hielt  sich  so  milchig  weiss,  dass  man  von 
der  Iris  nichts  erkennen  konnte. 

Zwei  Monate  nach  der  Abschabung  waren  die  Ver- 
änderungen zum  Ablaufe  gekommen.  Die  weisse  Trübung 
blieb  die  nächsten  vier  Monate,  bis  ich  das  Thier  tOdtete. 

Wir  sehen  also,  dass  ausgedehnte  Endothelabschabungen 
schwere  Veränderungen  des  Gewebes  nach  sich  ziehen.  Als 
Ursache  haben  wir.  die  Aufqnellung  des  Gewebes  durch  das 
E^ammerwasser  anzunehmen.  Durch  die  Quellung  als 
solche  werden  mechanische  Einwirkungen  veranlasst,  die 
eine  Ernährungsstörung  für  die  Zellen  wie  für  das 
Farenchym    bedingen.     Die   Zellen    gehen    theilweise   zu 


264  ^'  Wagfenmann. 

Grande,  theilweise  gerathen  sie  in  Proliferation,  das 
Parenchym  wird  stark  faserig.  Ob  auch  der  mechanische 
Reiz  des  Abschabens  mit  eine  Bolle  spielt,  will  ich  nicht 
ganz  bestreiten,  denn  wir  sehen  aus  analogen  Verhältnissen 
an  der  Linse,  dass  mechanische  Einwirknngen  auf  die  un- 
verletzte Kapsel  eine  tiefe  Schädigung  des  Linsengewebes 
und  der  Zellen  nach  sich  ziehen,  wenn  auch  die  Stärke  des 
hierbei  angewendeten  Drucks  eine  höhere  ist,  als  bei  der 
Abschabung  des  Endothels,  wo  nur  ein  leiser  Druck  nOthig 
ist  Die  beiden  Effecte  lassen  sich  nicht  auseinander 
halten,  ich  schätze  aber  die  Wirkung  des  Schabens  an  sich 
fOr  gering  und  glaube,  dass  die  Veränderungen  im  Wesent- 
lichen auf  Rechnung  des  Quellens  zu  setzen  sind.  Denn 
das  Quellen  repräsentirt  eine  länger  andauernde  bedeutend 
höhere  Kraft.  Die  Quellung  verliert  sich  erst  nach  mehreren 
Tagen.  (Noch  nach  zehn  Tagen  war  die  Cornea  erheblich 
gequollen.  Versuch  9).  Der  dadurch  veranlasste  Druck 
genügt  aber,  Veränderung  zu  bewirken,  die  die  Regeneration 
des  Endothels  überdauern.  Und  eine  gewisse  Ausdehnung 
der  Endothelverletzung  gehört  dazu,  damit  die  Quellung 
des  Kammerwassers  eine  intensive  wird. 

Durch  die  theils  degenerativen,  theils  proliferativen 
Processe  in  dem  Gornealgewebe  kann  eine  Vascularisation 
herbeigeführt  werden. 

Jedenfalls  hängt  aber  die  dauernde  Trübung  nicht 
von  der  Gefässentwickelung  ab,  denn  auch  in  Fällen,  wo 
sie  nur  einen  ganz  geringen  Grad  erreicht  und  eine  kurze 
Zeit  bestanden  hat,  bleibt  die  Trübung  stationär.  War 
die  Vascularisation  eine  totale,  so  ist  das  Bild  der  späteren 
Trübung  nicht  mehr  rein.  Bemerkenswerth  aber  bleibt  es, 
dass  die  Endothelabschabung  in  der  Folgezeit  eine  Vas- 
cularisation hervorrufen  kann.  Dass  diese  hier  mit- 
getheilten  Resultate  auch  für  verschiedene  andere  Gebiete 
der  Augenpathologie  von  Bedeutung  sind,  leuchtet  ein. 
Ich  will  nur  an  die  Comealtrübungen  (Streifen-Keraütis) 


Untersnchnngen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  265 

noch  Staaropeiationen  erinDem,  bei  denen  die  Endothel- 
läsionen  sicher  als  Ursache  sehr  in  Frage  kommen,  eine  An- 
nahme, die  Leber  auf  dem  letzten  Ophthalmologencongress 
zu  Heidelberg  gelegentlich  der  Discussion  dieser  Frage 
vertreten  hat. 

Da  ich  durch  obige  Versuche  kennen  gelernt  hatte, 
welche  wichtige  Bedeutung  das  Endothel  für  die  Trans- 
parenz der  Cornea  und  den  normalen  Gleichgewichtszustand 
der  einzelnen  Qewebselemente  hat,  dass  die  einmalige  aus- 
gedehnte Entfernung  desselben  eine  so  tiefgreifende  Ver- 
änderung setzt,  dass  daraus  eine  dauernde  TrQbung  ent- 
steht, so  versuchte  ich  diese  Erfahrung  durch  das  Experiment 
bei  der  Transplantation  zu  prüfen.  Ich  benutzte  dabei  die 
Methode,  die  mir  sichere  Itesultate  ergeben  hatte,  dass  man 
Lappen,  die  nur  durch  ganz  schmale  Brücken  mit  der 
übrigen  Cornea  in  Zusammenhang  blieben,  umschnitt.  Hatte 
ich  vorher  beweisen  können,  dass  solche  Lappen  in  kurzer  Zeit 
mit  vollständig  erhaltener  Transparenz  einheilen,  so  ver- 
suchte ich  nun,  was  daraus  wird,  wenn  man  das  Endothel 
von  einem  solchen  umschnittenen  Lappen  abschabt. 

Ich  glaube,  dass  für  diese  Untersuchung  die  angegebene 
Methode  vollkommen  ausreicht,  die  wegen  der  gelassenen 
Fixation  eine  Anheilung  des  Lappens  sehr  erleichtert. 
Denn  wenn  wirklich  durch  die  Bracken  noch  Ernährungs- 
material,  das  für  die  Lappenernahrung  von  Belang  ist, 
hindurchginge,  so  könnte  das  ja  für  die  Erhaltung  der 
Durchsichtigkeit,  resp.  für  die  Aufhellung  nur  nützlich 
sein,  aber  niemals  schaden.  Das  Resultat  war,  dass 
solche  Lappen,  denen  ich  das  Endothel  nahm,  wohl 
anheilten,  aber  sich  trübten  und  bisher  getrübt 
blieben. 

Versuch  12:   graues  Thier. 

21.  Januar  1888.  Linkes  Auge.  Operation:  Centraler 
Lappen  gebildet  mit  Linearmesser  und  Scheere  von  5  mm  in 
verticalem  und  7  mm  in  horizontalem  Durchmesser.    Vorn  und 


266  ^'  Wagenmann. 

hinten   bleiben  zwei   schmale  Bracken   stehen.    Eingehen  mit 
einem  Löffel  und  Abschaben  der  Hinterflache  des  Lappens. 

Lappen  quillt  auf  und  trübt  sich  graubläulich. 

Die  Heilung  erfolgte  analog  den  früher  mitgetheilten  Beob- 
achtungen mit  Einlagerung  einer  massig  dicken  Zwischensubstanz 
und  ausgedehnter  vorderer  Synechie.  Nach  unten  trat  ein  flacher 
Irisprolaps  auf. 

Der  Lappen  nahm  noch  an  Trübung  zu,  wurde  mehr 
weisslich  verfärbt.  Die  Quellung  nahm  ab.  Die  Oberfläche  blieb 
glatt.    Vom  Comearand  drangen  Gefösse  bis  zur  Wunde  vor. 

2.  Februar  1888.  Die  Heilung  in  bestem  Gang,  Narbe 
consolidirt  sich.  Von  unten  her  dringen  Gefässe  in  den  Lappen, 
sie  scheinen  von  der  Iris  auszugehen.  Der  Lappen  in  toto 
stark  getrübt. 

5.  Februar  1888.  Auge  blass.  Der  Lappen  noch  getrübt 
Das  untere  Drittel  des  Lappens  ist  mit  Gefässen  übersponnen. 
Bulbus  leicht  ectatisch.    Kammer  seicht 

9.  Februar  1888.  Vascularisation  geht  zurück.  Die  Narbe 
fester.  Der  Bandtheil  der  Cornea  auch  getrübt,  narbig.  Lappen 
noch  stark  getrübt,  man  bekommt  kein  rothes  Licht. 

17.  Februar  1888.    Trübung  unverändert.    Narbe  fester. 

28.  Februar  1888.  Heilung  vollendet  Lappen  weisslich 
getrübt,  nicht  zu  durchleuchten. 

21.  Januar  1888.  Bechtes  Auge.  Operation  ebenso,  nur 
oben  und  unten  zwei  schmale  Brücken  stehen  gelassen. 

Verlauf  ganz  analog,  nur  dass  kein  Irisprolaps  auftrat 
und  die  Vascularisation  nicht  den  Lappen  selbst  befieL 

17.  Februar  1888.  Narbe  fest.  Kammer  seicht.  Bulbus 
etwas  conisch,  mit  vorderer  Synechie. 

Der  Lappen  vollständig  grauweiss  getrübt,  Oberfläche  glatt. 

28.  Februar  1888.  Die  Wunde  vollkommen  fest  vernarbt. 
Der  Lappen  noch  grauweiss  getrübt  Man  bekommt 
mit  dem  Spiegel  keinen  rothen  Beflex. 

Das  Kammerwasser  kann  aber  noch  von  einer  andern 
Seite  aus  einwirken,  nämlich  von  der  Wandfiäche  aus. 
Dieses  bedingt  eine  nicht  zu  unterschätzende  Bandtrübung, 
die  um  so  erheblicher  ist,  je  stärker  die  Wundränder  ge- 
quetscht, oder  die  Lamellen  auseinander  gezerrt  werden. 
Man  muss  also   bei  allen  derartigen  Versuchen  auf  eine 


Untersncbungen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  267 

drcnlftre  RandtrObong  reebnen,  einbergehend  mit  einer 
Qaellnng  der  Cornea.  Bei  kleinen  Lappen  wird  relativ 
mebr  vom  Lappen  getrübt,  als  bei  grossen,  da  die  Wund- 
flflche  bei  den  ersteren  relativ  grosser  ist  znr  LappengrOsse 
als  bei  letzteren,  um  also  einen  genügend  grossen  Tbeil 
des  Centmms  davor  zu  schützen,  mnss  man  grossere 
Lappen  wählen.  Ich  halte  4  mm  Durchmesser  fbr  die 
totale  Keratoplastik  für  zn  klein. 

Hat  man  grossere  Lappen,  so  fällt  die  Trübang 
weniger  in's  Gewicht. 

Einen, weiteren  Beweis,  dass  die  Quellung  durch  das 
Eammerwasser,  die  abgesehen  von  der  Bandquellung  haapt- 
sachlich  nur  nach  Verletzung  des  Endothels  zu  Stande 
kommt,  eine  sehr  wichtige  Rolle  bei  dem  Durchsichtig- 
bleiben der  Lappen  spielt,  liefern  die  guten  Erfolge,  die 
V.  Hippel  mit  der  partiellen  Transplantation  erreicht  hat. 

Diese  Methode  weist  direct  darauf  hin,  dass  die  un- 
günstigen Momente  für  die  totale  Keratoplastik  allein  in 
der  Eröffnung  der  Kammer  liegen  müssen  und  nicht  etwa 
in  den  physiologischen  Vorgängen  des  Heilungsverlaufs  an 
sich.  Freilich  konnte  man  sagen,  dass  hier  eine  Ernährung 
von  der  Hinterfläche  stattfindet.  Das  ist  richtig,  kommt 
hier  aber  deahalb  nicht  in  Frage,  da  die  Einheilung  ganz 
abgetrennter  Lappen,  die  ja  oft  gelungen  ist,  wenn  auch 
mit  nachfolgender  Trübung,  beweist,  dass  die  Ernährung 
für  das  Fortleben  des  Lappens  hinreicht,  denn  sonst  müsste 
er  ja  necrotisch  werden  und  abfallen,  und  weiter  beweisen 
das  die  oben  angeführten  positiven  Versuche. 

Wir  müssen  also  das  Trübewerden  der  eingeheilten 
Lappen  allein  auf  die  Eröffnung  der  Kammer  schieben  und 
zwar  hier  vor  Allem  auf  die  ermöglichte  Einwirkung  des 
Kammerwassers,  wenn  der  Lappen  seines  schützenden 
Endothels  beraubt  ist. 

Schalten  wir  das  Kammerwasser  aus,  wie  bei  der  par- 
tiellen Transplantation,   so   bleibt  die  Durchsichtigkeit  er- 


268  A.  Wagenmann. 

halten.  Dass  es  ferner  überhaupt  möglich  ist,  bei  der 
totalen  Keratoplastik  die  Transparenz  zu  erhalten,  beweisen 
meine  mitgetheilten  Versuche. 

Ich  habe  das  Becht,  anzunehmen,  dass  hier  das  Endo- 
thel eben  erhalten  war,  denn  entfernen  wir  das  Endothel, 
so  giebt  es  Trübung.  Dass  zur  Erzeugung  einer  dauernden 
Trübung  die  Läsion  des  Endothels,  wenn  sie  ausgedehnt  ist, 
nur  eine  einmalige  zu  sein  braucht,  habe  ich  experimentell 
an  der  Cornea  nachweisen  können.  Ich  glaube,  dass  so 
eine  richtige  Einsicht  in  das  Zusammenwirken  der  einzelnen 
Factoren  gewonnen  ist  Damit  habe  ich  aber  nipht  gesagt, 
dass  dieser  Connex  fbr  alle  Trübungen  die  Ursache  sei. 
Ich  habe  mich  damit  begnügt,  darauf  hinzuweisen  und' 
experimentell  zu  stützen,  dass  ein  solcher  Connex  besteht 
und  sehr  in  Frage  kommt.  Man  wird  eine  Beihe  der  bis- 
herigen Misserfolge  so  erklären  können. 

Noch  nicht  hierdurch  sicher  erklfti  t  sind  die  Trübungen, 
die  erst  später  nach  Verlauf  mehrerer  Tage  auftreten,  wie 
y.  Hippel  und  Andere  beobachtet  haben. 

Will  man  auch  sie  auf  Läsion  im  Endothel  zurflck- 
führen,  so  ist  die  Erklärung  dadurch  erleichtert,  dass  nur 
eine  einmalige  ausgedehnte  Läsion  nOthig  wäre,  tiefgreifende 
Gewebsveränderungen  im  Lappen,  die  eine  dauernde  Trü- 
bung im  Gefolge  haben,  herbeizuführen. 

Jedenfalls  folgt  für  die  Praxis,  dass  man  die 
Lappen  möglichst  schonen  muss.  Dass  hierauf  bisher 
nicht  genügend  geachtet  ist,  kann  man  leicht  entnehmen 
aus  den  Berichten  über  Operationen  und  den  Vorschlägen 
zu  den  einzelnen  Arten  derselben.  Breitet  man  den  Lappen 
erst  auf  dem  Fingernagel  oder  auf  der  Fing^knppe  aus, 
oder  verfährt  man  so,  dass  man,  um  den  Lappen  nehmen 
zu  können,  ihn  auf  der  Fingerkuppe  oder  gar  auf  einem 
Kork  zu  durchstechen  sucht  etc.,  so  wird  man  zu  leicht 
eine  Läsion  des  Endothels  herbeiführen.  Auch  bei  der 
Excision   des   Lappens    muss   man   vorachtig    zu   Werke 


Untersuchungen  zur  Frage  der  Keratoplastik.  269 

gehen  und  sich  bewusst  bleiben,  dass  das  Endothel  ein 
Noli  me  tangere  ist,  dessen  Nichtbeachtung  den  Erfolg 
von  vorneherein  iu  Gefahr  bringt. 

Ob  dio  totale  Keratoplastik  bei  den  vielen  Gefahren, 
die  ihr  von  den  verschiedensten  Seiten  her  drohen,  jemals 
eine  ernstliche  Aufnahme  finden  wird,  lasse  ich  dahingestellt. 
Nützlich  ist,  in  die  Erkenntniss  der  obwaltenden  Umstände 
und  Vorzüge  einzudringen,  und  dazu  sollten  die  obigen 
Versuche  beitragen. 

Zum  Schluss  spreche  ich  Herrn  Professor  Leber  für 
die  Anregung  und  die  Beihälfe,  die  er  mir  bei  diesen  Ver- 
suchen hat  zu  Theil  werden  lassen,  meinen  aufrichtigsten 
Dank  aus. 


Berlin,  Druck  von  W.  BUxenstelii, 


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ALBRECHT  VON  GR^FE'S 

ARCHIV 


FÜR 


OPHTHALMOLOGIE 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Prof.  F.  C,  DONDERS  Prof.  TH.  LEBER 

IN  UTRECHT  IN   GÖTTINOEN 

UND 

Prof.  H.  SATTLER 

IN  PRAG. 


VIERUNDDREISSIGSTER  BAND 

ABTHEILUNG  II. 


MIT  35  FIQURRN  IM  TEXT  UND  4  TAFELN. 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  WILHELM  ENGELMANN 

1888. 


Inhalts -Yerzeichniss 

zu 
Band  XXXIV,   2.  Abtheilung. 

Ausgegeben  am  20.  Jnli  1888. 


Seite 

1.  Hornbautkrümmuiig  bei  erhöhtem  intraocularen 
Drucke.  Von  W.  Eissen  aus  Bielefeld,  Assistent 
an  der  Universitäts  -  Augeuklinik  in  Beru.  Mit 
33  Holzschnitten 1  —  68 

II.  lieber  die  Histogenese  der  Retina  und  des  Nervus 
opticuB.  Von  Dr.  Francesco  Falchl,  Professor  an 
der  UDiversität  Oagliari.  Mit  Tafel  I— lU  .  .  .  67—108 
III.  Ueber  die  T ho ma ansehen  bipolaren  Ereissysteme 
und  die  Spiralsysteme  auf  angeschliffenen  Crystall- 
linsen.     Von   Prof.  Dr.  Lndwig  Mattbiessen  in 

Rostock.    Mit  zwei  Holzschnitten 109—126 

lY.  Zwei  kleinere  Mittheilungen  aus  dem  Gebiete  der 
physiologischen  Optik.  Von  Dr.  £•  Hense  in  Eiber- 
feld 127—134 

V.  Beitrag  zur  Anatomie   des   Qlaucoms.     Von   Dr. 

Stölting  in  Hannover.    Mit  Tafel  IV 135-144 

VI.  üeber  Staarextractionen  mit  und  ohne  Entfernung 
der  Kapsel.  Von  Dr.  Hermann  Pagenstecher  in 
Wiesbaden 145—166 

VII.  Zur  historischen  Kenntniss  der  Vorderkammer- 
Auswaschungen.  Von  Prof.  Dr.  Hugo  Kagnns  in 
Breslau 167—180 


IV 

Seit« 

VIII.  Ketinitis  haeinoiThag;ica  nach  ausgedehnter  Haut- 
verbrennung.  Von  Dr.  Angust  Wagenmann,  erstem 
Assistenten  der  Universitäts- Augenklinik  zu  Qöt- 

tingen 181—196 

IX.  y.  Graefe*8  „modificirte  Linear-Extraction"  und  der 
Lappenschnitt  Nach  eignen  Erfahrungen  aus  der 
Zeit  1854—88  dargestellt  von  Prof.  Dr.  J.  Jacobson 
sen.  in  Königsberg  L  Pr 197—275 

Dinickfehler- Berichtigung 275 


fiornhautkrümmiiiig  bei  erhöhtem  intraocularen 

Drucke. 

Von 

W.  Eissen  ans  Bielefeld, 
Assistent  an  der  Universitäts- Augenklinik  in  Bern. 

Mit  33  Holzschnitten. 


Angeregt  durch  die  Arbeit  von  Pfalz  „Ophthalmo- 
metrische  Uatersachnngen  über  Corneal- Astigmatismus'"^) 
4)esonders  durch  den  Abschnitt  über  „Astigmatismus  bei 
OlaucomatOsen'*  habe  ich  mich  entschlossen,  diesen  Gegen- 
stand einer  Prüfung  zu  unterziehen,  und  zwar  durch  Be- 
X)bachtung  der  Veränderung  der  Hornhautkrfimmung  am 
Tbierauge  bei  künstlich  erhöhtem  Druck. 

Pfalz  hat  39  Fftlle  von  Glaucom  ophthalmometrisch 
untersucht,  8  Glaucome  ohne  Comeal  -  Astigmatismus, 
11  Glaucome  mit  der  gewöhnlichen  Form  von  Astigmatismus 
corneae  und  19  Glaucome  mit  der  perversen  Form  des- 
selben —  stärkst  gekrümmter  Meridian  in  der  Nähe  der 
Horia^ontalen.  Sämmtliche  Fälle  sind  einzeln  kurz  an- 
geführt und  in  drei  Gruppen  A,  B,  C,  seiner  Tabelle  VII 
.untergebracht. 

Unter  den  29  astigmatischen  glaucomatOsen  Augen 
zeigten  16  oder  55,2  pCt.  perversen  Astigmatismus,  während 
alle    übrigen    untersuchten  Augen  incl.   Cataract  nur   in 


*)  v.  Graefe's  Archiv  Bd.  XXXI.  Abth.  1. 

T.  Oraofe'«  Archiv  fQr  Opbthalmologlo,  XXXIV.  2.  1 


2  W.  Eissen. 

2,2  pCt.    diese  seltene  Form   aufwiesen.     Dieses   konnte 
nicht  auf  Zufall  beruhen. 

In  allen  Fällen  der  Gruppe  Ai  mit  Ausnahme  eines 
einzigen,  bandelt  es  sich  um  die  als  Glaucoma  simplex 
bekannte  reizlose  Form.  Die  Ausnahme  bildet  ein  erster, 
massiger  acuter  Anfall,  der  durch  Eserin  sofort  coupirt 
worden  war. 

Die  Sehschärfe  war  oft  normal,  nur  einmal  =  ^/so. 
Demgemäss  wird  der  intraoculare  Druck,  über  welchen 
leider  keine  Angaben  gemacht  werden ,  im  Grossen  und 
Ganzen  relativ  wenig  alterirt  gewesen  sein.  Ausnahms- 
weise kann  bekanntlich  bei  Glaucoma  simplex  T  +  1  und 
sogar  T  +  2  mit  einer  Sehschärfe  von  Va  bis  1  sich  ver- 
tragen. 

In  der  Gruppe  B  führt  Pfalz  ebenfalls  Fälle  von 
Glaucoma  simplex  mit  allerdings  geringerer  Sehschärfe  und 
längerer  Dauer  der  Erkrankung  an,  als  die  in  der  ersten 
Kategorie.  Die  zwei  Ausnahmsfälle  mit  acuten  Er- 
scheinungen bilden  hier  den  Uebergang  zu  der  Gruppe  C, 
in  welche  die  Augen  fallen,  deren  Erankheitsverlauf  mit 
mehr  oder  weniger  heftigen  schmerzhaften  GlaucomanfiQlen 
verbunden  war  und  bei  denen  die  deletäre  Wirkung  der 
Erkrankung  sich  in  starker  Herabsetzung  der  Sehschärfe, 
in  einzelnen  Fällen  bis  auf  0,  aussprach. 

Pfalz  glaubt,  dass  nach  dem  Angeftihrten  ein  causaler 
Zusammenhang  zwischen  der  Cornealasymmetrie,  insbesondere 
der  anomalen  Form,  und  der  glaucomatösen  Erkrankung 
des  betreffenden  Auges  nicht  bestritten  werden  kOnne.  Die 
Entscheidung  jedoch  über  die  Frage,  was  als  Ursache  und 
was  als  Wirkung  aufzufassen  sei,  lässt  er  dahingestellt 
Er  neigt  zu  der  Annahme,  dass  der  Astigmatismus  das 
Primäre  sei  und,  da  länger  andauernde  accommodative 
Anstrengung  als  ein  Moment  gelte,  welches,  bei  sonstiger 
Disposition  des  Auges  dazu  einen  glaucomatösen  An&U 
auslosen  kOnne,   so  liege  eine  ähnliche  Annahme  fQr  den 


Hornhantkrfimiimng  bei  erhöhtem  intraocnlaren  Drack.        3 

Comealastigmatismns  nahe,  der  an  sich  die  Veranlassung 
zu  anhaltender  astigmatischer  Accommodation  geben 
könne. 

Ffir  diese  seine  Ansicht  führt  er  den  umstand  an, 
dass  die  schweren  Formen  des  Glaacoms  sich  meist  bei 
den  stärkeren  Graden  des  Astigmatismus  fänden,  sowie, 
dass  das  starker  astigmatische  Auge  bei  ein  und  derselben 
Person  schwerer  oder  überhaupt  allein  erkranken  kOnne« 
Diese  seine  obigen  Betrachtungen  will  Pfalz  aber  selbst 
nur  für  seine  unter  A  und  B  angeführten  Ffllle  als  zu- 
treffend erachten. 

Für  die  unter  G  angeführten  Glaucomfftlle  lässt  Pfalz 
die  Frage  nach  der  Ursache  für  die  anomale  Form  des 
Gomealastigmatismus  offen.  Er  glaubt  allerdings  aus  einem 
ausführlich  beschriebenen  Falle  die  Ansicht  ableiten  zu 
können,  dass  der  gefundene  anomale  Astigmatismus  die  Folge 
der  hohen  und  lang  andauernden  Drucksteigerung  sei.  Er 
kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  das,  was  für  den  einen  Fall 
wahrscheinlich  sei,  auch  auf  die  anderen  F&Ue  der  Gruppe  G 
zutreffen  könne  und  glaubt  nun  auch  eine  Erkl&rung  dafür  ge- 
iiinden  zu  haben,  warum  die  anomale  Astigmatismusform  nur 
bei  sehr  schweren  Erkrankungen  des  Auges  gefunden  werde, 
indem  fQr  das  Zustandekommen  derselben  die  Voraussetzung 
eines  lange  und  energisch  einwirkenden  intraocnlaren  Drucks 
festgehalten  werden  muss. 

Nach  einer  Erklärung  seiner  Beobachtungen  auf  ana- 
tomisch-physiologischer Grundlage  suchend,  erinnert  Pfalz 
an  die  einschlägigen  Experimente  von  Helmholtz*)  und 
Schelske**),  auf  die  ich  weiter  unten  eingehen  werde. 
Anführen  will  ich  hier  nur,  dass  Pfalz  der  Ansicht  ist, 
dass  die  am  enucleirten  Bulbus  Torgenommenen  Versuche 


*)  Arch.  f.  Ophth.  I.  2,  17. 
♦*)  Arch.  f.  Ophth.  X,  2,  1-46. 

1* 


4  W.  Eissen. 

nicht  ohne  Weiteres  auf  das  lebende  Auge  übertragen 
werden  können,  da  das  lebende  Oewebe  grössere  Widerstands- 
fllhigkeit  besitze,  sowie  auch  am  lebenden  die  umgebenden 
Gewebe  des  Auges  von  Einfluss  auf  eine  etwaige  Oestalts- 
veränderung  seien.  Bei  Glaucom  käme  auch  noch  in  Be- 
tracht, dass  der  Druck,  selbst  bei  der  acuten  Form,  sich 
viel  allmählicher  entwickele  als  im  Experiment.  Licht 
JcOnne  nach  Pfalz  in  diese  Frage  nur  die  klinische  Beob* 
achtung  bringen,  wenn  es  gelänge,  die  Cornealverhältnisse 
sowohl  vor  dem  Ausbruch  des  Glaucoms  oder  im  Beginn 
desselben  als  nach  längerem  Bestehen  der  Erkrankung  zu 
bestimmen.  Solche  Beobachtungen  sind  in  der  deutschen 
Literatur  bis  jetzt  nur  drei  von  Laqueur  veröffentlicht 
und  diese  glaubt  Pfalz  nicht  als  beweiskräftig  dafür  an- 
sehen zu  dürfen,  dass  Glaucom  keine  Veränderung  in  der 
Krümmung  der  Hornhaut  hervorbringen  könne.  Er  glaubt 
sie  dem  Charakter  der  Erkrankung  nach,  sowie  in  Bezug 
auf  Intensität  und  Dauer  auf  gleiche  Stufe  mit  den  Fällen 
unter  A  und  B  stellen  zu  müssen,  in  denen  ja  auch  ein 
Einfluss  des  Glaucoms  auf  die  Cornealkrümmung  als  un- 
wahrscheinlich angenommen  wurde.  Schwere  Formen,  wie 
sie  unter  C  angeführt  sind,  einer  längeren  Beobachtung  zu 
unterziehen,  ist  unzulässig,  da  die  Bücksicht  auf  die  damit 
verbundene  schwere  Schädigung  des  Sehvermögens  ein  früh- 
zeitigeres Eingreifen  gebietet 

Pfalz  kommt  am  Schlüsse  seiner  Arbeit  zu  der  An- 
nahme, dass,  wenn  nicht  der  Zufall  einmal  solche  Beob- 
achtung gestatte,  wir  uns  mit  der  grösseren  oder  geringeren 
Wahrscheinlichkeit  von  Vermuthungen  begnügen  müssen. 
Er  glaubt  aber  auch^  dass  schon  eine  grössere  Statistik  als 
seine,  manches  Aufklärende  über  die  vorliegende  Frage 
bieten  würde,  speciell,  ob  Cornealastigmatismus  nur  eine 
zufällige  Complication  oder  unter  umständen  die  Folge  des 
Glaucoms  sei. 


Hornhautkrümmoiig  b«!  erhöhtem  intraocalaren  Druck.        5 

Helmholtz  sagt  in  seiner  klassischen  Arbeit:  ,,üeber 
die  Accommodation  des  Auges"  im  I.  Band  des  y.  Graefe- 
schen  Archivs  (1854),  in  welcher  er  das  Ophthalmometer 
in  die  Ophthalmologie  einffihrt:  „Ich  halte  es  für  wahr- 
scheinlich, dass  solche  —  ophthalmometrische  —  Messungen 
an  erkrankten  Augen  angestellt,  interessante  Resultate  lie- 
fern könnten.  Ich  habe  nämlich  gefunden,  dass  die  Horn- 
hautkrümmung, abgesehen  von  individuellen  Verschieden- 
heiten, von  dem  Drucke  der  Flüssigkeiten  im  Auge  ab- 
hängt, so  dass  der  Krümmungsradius  der  Hornhaut  desto 
grösser  wird,  je  grösser  der  Druck  ist" 

Zehn  Jahre  später  hat  Schelske  unter  der  Leitung 
von  Helmholtz  auf  experimentellem  Wege  der  Frage 
näher  zu  kommen  gesucht  in  seiner  Arbeit:  „üeber  das 
Verhältniss  des  intraocularen  Drucks  und  der  Hornhaut- 
krümmung des  Anges/**)  Dieselbe  wurde  ausgeführt  in 
Heidelberg  im  Jahre  1864. 

Schelske  experimentirte,  ähnlich  wie  v.  Helmholtz, 
an  enucleirten  Tbier-  und  Menscheuaugen  und  benutzt 
zum  Ablesen  bei  seinen  Versuchen  das  Ophthalmometer 
von  Helmholtz.  An  diesen  Augen  konnte  Schelske  die 
Comealveränderungen  bei  Druckzuwachs  nicht  über  die 
ganze  Hornhaut  bestimmen,  sondern  er  musste  sich  auf 
ihre  wichtigste  Partie  d.  h.,  auf  den  centralen  Theil  be- 
schränken. Dieser  Theil  wurde  durch  den  Mittelpunkt  der 
scheinbaren  Pupille  bestimmt.  Er  fand  nun  bei  seinen 
Versuchen,  dass  sich  das  Centrum  abflacht  und  zwar  steht 
die  Abflachung  und  die  Druckzunahme  innerhalb  des 
Auges  in  einem  nachweisbaren  regelmässigen  Zusammen- 
hang. Hier  sei  noch  einer  Beobachtung  Schelskes  gedacht, 
auf  die  ich  bei  meinen  Versuchen  noch  zurückkommen 
werde.  Schelske  fand  nämlich,  dass  bei  einer  gewissen 
Höhe  des  Drucks,  der  Krümmungsradius,  welcher  bis  dahin 


^)  Archiv  f.  Ophthalmol.  Bd.  X,  Abth.  2. 


6  W.  Eigsen. 

stetig  zugenommen  hatte,  nicht  allein  nicht  stehen  blieb, 
sondern  sogar  kleiner  wurde.  Bei  weiterer  Erhöhung  des 
Druckes  folgte  ein  kurzes  Stehenbleiben  und  schliesslich 
wieder  eine  gleichmftssige  Vermehrung  der  Abflachung. 
Diese  Beobachtung  veranlasste  Schelske  zu  anatomischen 
Untersuchungen,  deren  Besultat  ich  hier  wörtlich  mit- 
theilen will: 

„Macht  man  feine  Schnitte,  in  der  Sichtung  und 
Gegend  des  Comea-Sderalfalzes,  normal  auf  den 
Augapfel,  so  erkennt  man  an  diesen  in  der  Gegend 
des  Canalis  Schlemmii  und  dessen  innerer  Wand 
stark  wellige  Fasern  circulär  um  die  Hornhaut  hin- 
ziehen, so  dass  sie  etwas  hinter  diesem  Canal  den 
inneren  Theil  der  Sclerotica  einnehmen,  während  vorn 
gestreckte  vorlaufen.  Auch  an  der  anderen  Seite  des 
Ganalis  Schlemmii  verlaufen  die  Fasern  gewellt,  aber 
in  meridionaler  Bichtung,  während  sie  in  den  äusseren 
Partien  der  Sclera  geradlinig  hinziehen. 

Sehr  ähnlich  verhält  sich  die  Sache  beim  Kaninchen, 
hier  giebt  es  eine  besonders  ausgezeichnete  Stelle  in 
der  Gegend  des  Ciliarkörperansatzes,  wo  die  inneren 
Sderalfasem  schlingenartige  Wellenlinien  beschreiben, 
die  äusseren  aber  gerade  sind.** 
Es  sei  mir  gestattet,  an  dieser  Stelle  einige  Worte 
über  die  Versuche  von  Schelske  anzuführen. 

Dieselben  wurden,  wie  oben  bemerkt,  an  enudeirten 
Augen  ausführt.  Jeder,  der  jemals  mit  solchen  Objecten 
gearbeitet  hat,  wird  mir  gewiss  darin  beistimmen,  dass  es 
ganz  unmöglich  ist,  selbst  bei  der  exactesten  Methode  ohne 
Fehler  zu  arbeiten.  Ich  selbst  habe  verschiedene  Versuche 
an  enudeirten  Augen  verschiedener  Thiergattungen  gemacht, 
aber  stets  hatte  ich  mit  den  verschiedensten  Fehlem  zu 
kämpfen.  Eine  grosse  Fehlerquelle  liefert  schon  die  Ein- 
bettung.  Ich  habe  dieselbe  auf  die  verschiedenste  Art 
versucht,   aber  stets  konnte   ich    einen  Druck   oder  eine 


HornhautkrUmmang  bei  erhöhtem  intraocularen  Drack.        ^ 

Zerrung  der  Cornea  wahrnehmen,  war  es  auch  nicht  mit 
blossem  Aage,  so  doch  stets  darch  das  Ophthalmometer 
von  Javal  nnd  SchiOtz.  Dieses  Instrument  hat  vor  dem 
Helmholtz'schen  Ophthalmometer  den  Vorzug,  dass  bei 
demselben  das  Tageslicht  benutzt  werden  kann  und  dass 
der  Krümmungsradius  direct  abgelesen  wird.  Das  Ablesen 
der  Treppenstufen  verräth  die  geringsten  Veränderungen 
der  Hornhautoberfläohe,  wie  sie  durch  Verdunstung,  Accom- 
modationskrampf  u.  s.  w.  hervorgerufen  werden  und  ver- 
langt exactere  Versuchsbedingungen  als  das  Abschätzen 
der  Distanzen  von  den  drei  Lichtem. 

Eine  zweite  Fehlerquelle  liegt  schon  in  der  Enucleation 
selbst,  denn  wie  Schelske  selbst  zugeben  muss,  waren  die 
Bulbi  etwas  weich,  zusammengefallen.  Ich  suchte  dies  so 
viel  als  möglich  dadurch  zu  vermeiden,  dass  ich  die 
Unterbindung  des  Sehnerven  möglichst  schaell  ausführte; 
aber  auch  dies  schützte  nicht  immer.  War  man  aber 
glücklich  bis  zu  der  Einfuhrung  der  Ganüle  und  Erhöhung 
des  Druckes  gelangt,  so  treten,  wenn  nicht  schon  von 
Anfang  an,  so  doch  bald  Trübungen  der  Hornhaut  auf, 
bestehend  in  Epithelabschilferungen,  Bläschenbildung  etc., 
wie  sie  Schelske  ja  auch  hinreichend  beobachtet  hat,  die 
sofort  unsere  Bilder  der  Cornea  zur  Unkenntlichkeit  ver- 
zerrten, unbrauchbar  machten.  Auf  einen  andern  Punkt, 
auf  den  Pfaltz  aufmerksam  gemacht  hat,  nämlich  auf 
die  Widerstandsfähigkeit  des  lebenden  gegenüber  dem 
todten  Gewebe,  will  ich  nicht  so  viel  Gewicht  legen,  da 
doch  eine  zu  kurze  Spanne  Zeit  zwischen  der  Todtung  des 
Thieres  resp.  Enucleation  und  der  Untersuchung  liegt.  Da- 
gegen muss  ich  Pfalz  vollständig  beistimmen  mit  Bezug 
auf  den  Einfiuss  des  umgebenden  Gewebes  auf  etwaige 
Gestaltveränderung  des  Auges. 

Durch   das   Angeführte  sind  die   Fehlerquellen    noch 
lange  nicht  erschöpft,  aber  ich  glaube,  es  ist  genügend,  um 


8  W.  Bissen. 

Jedermann  klar  zu  machen,  welche  üebelstände  bei  den 
Schelskeschen  Versuchen  unterliefen. 

Co c eins  berichtet  im  Jahre  1872  in  seiner  Monographie 
„Ophthalmometrie  und  Spannungsmessung  am  kranken 
Auge*',  dass  er  bei  Glaucomatösen  im  vorgerQckten  Alter, 
besonders  bei  einseitiger  Erkrankung  trotz  hoher  Spannung, 
Druck  -  Excayation ,  Arterienpulses  keine  nennenswerthe 
Erümmungsabweichung  resp.  Yergrösserung  des  Krüm- 
mungsradius gefunden  habe,  während  in  jüngeren  Jahren 
eine  Drucksteigerung  eine  ganz  erhebliche  Abflachung  der 
Hornhaut  hervorrufen  könne.  Er  ffihrt  ein  Beispiel  von 
einem  Mann  in  den  dreissiger  Jahren  an,  wo  der  Krüm- 
mungsradius der  Hornhaut  von  7.75  mm  nach  der  Dis- 
cision  eines  weichen  Linsenstaares  in  Folge  der  Linsen- 
quellung  und  Drucksteigerung  vorübergehend  auf  8,20  mm 
gestiegen  war. 

Donders  *)  war  früher  ebenfalls  zu  negativen  Re- 
sultaten in  Bezug  auf  den  Einfluss  des  intraocularen 
Druckes  auf  die  HornhautwOlbung  gekommen.  Auch 
Laqueur  theilt  in  seiner  Arbeit:  „üeber  die  Hornhaut- 
krümmung im  normalen  Zustande  und  unter  pathologischea 
Verhältnissen"  **)  Versuche  mit^  die  derselbe  an  enucleirten 
Schweinsaugen  angestellt  hat.  Er  kommt  zu  dem  Resultate^ 
dass  bei  Erhöhung  des  intraocularen  Druckes  durch  Ein- 
spritzen von  Wasser  in  den  Qlaskörperraum,  die  Cornea 
sich  erheblich  abflachte  und  in  allen  ihren  Durchmessern 
eine  messbare  VergrOsserung  stattfand. 

Diesen  Versuchen  haften  dieselben  Bedenken  an,  wie 
denjenigen  von  Schelske. 

Georges  Martin  in  Bordeaux,  der  sich  in  den  letzten 
Jahren  ein  Specialstudium  aus  den  klinischen  Beobachtungen 
des  Astigmatismus  gemacht  hat,  spricht  im  Jahre  1885  in 


*)  V.  Graefe's  Arch.  f.  Ophth.  VIII.  2,  163. 
**)  V.  Graefe's  Arch.  f.  Ophth.  XXX.  1,  113—115. 


Hornhaotkrümmung  bei  erhöhtem  intraocularen  Drnck.        9 

seinen  „Etudes  d* Ophthalmometrie  clinique'**)  über  die  Be- 
ziehungen von  Qlancom  und  Astigmatismus.  Er  kommt  zu 
folgenden  Schlasssfttzen: 

1.  In  einer  gewissen  Anzahl  von  Glaucom&llen  ist 
der  Comealastigmatismus  kein  unveränderlicher 
Zustand. 

2.  Ein  gewöhnlicher  Astigmatismus  kann  geringer 
werden  oder  ganz  verschwinden;  er  kann  sogar 
durch  einen  Astigmatismus  perversus  ersetzt  werden. 

3.  Der  Grad  des  Astigmatismus  perversus  kann  höher 
werden,  je  nachdem  die  Krankheit  Fortschritte 
macht. 

4.  Derselbe  kann  sich  auch  verringern,  wenn  das 
Glaucom  Rückschritte  macht. 

5.  In  einem  Falle  wurde  ein  Astigmatismus  mit  ge- 
ringster Krümmung  in  der  Horizontalen  durch 
einen  schrägen  Astigmatismus  ersetzt. 

6.  Diese  Abwechselungen  im  Astigmatismus  bei  Glau- 
com können  dazu  beitragen,  den  Kliniker  über  den 
Verlauf  der  Krankheit  zu  unterrichten.  In  gewissen 
Fällen  spielt  das  Ophthalmometer  die  Bolle  eines 
Tonometers. 

7.  Die  Veränderungen  werden  besonders  bei  relativ 
wenig  bejahrten  Individuen  beobachtet;  sie  sind 
abhängig  vom  intraocularen  Druck  und  der  Elasti- 
cität  der  Gewebe. 

8.  Der  Astigmatismus  perversus  wurde  in  dem  Ver- 
hältniss  von  50  pCt.  angetroffen.  Seine,  bei  meh- 
reren Patienten  constatirte  Veränderlichkeit  lasse 
ihn  vielmehr  als  Folge  des  Glaucoms,  denn  als 
Ursache  dieser  Affection  erkennen. 

9.  Der  Astigmatismus  mit  schwächst  brechendem  ver- 
ticalen  Meridian  wird   durch  Incisionen  am  obem 


♦)  Annal.  d-OcuI.  Tome  XCIU,  p.  224—243. 


10  W.  Eiasen. 

Cornealrand  (Sclerotomie,  Iridectomie)   häufig  ver- 
stärkt.    Solche  Incisionen  yermiodern,    allgemein 
gesprochen,  die  vertikale  Erümmung  der  Hornhaat. 
10.  Die   plötzliche  Abnahme   der  Sehschärfe,    welche 
einige  Zeit    nach   einer  von  diesen  wegen  eines 
Glaucominsultes  ausgeführten  Operationen  auftritt, 
kann  an  die  Dilatation  des  vertikalen  Meridians 
der  Hornhaut  gebunden   sein  und  durch  Cylinder 
corrigirt  werden. 
Martin   spricht  sich   in   diesen  Schlusssätzen   schon 
viel  bestimmter  aus  über  den  Gausalnexus  zwischen  Astig- 
matismus und  Glaucom,   als  es  Pfalz   kann.    Beide  Ar- 
beiten sind  zu  gleicher  Zeit,  ganz  unabhängig  von  einander 
erschienen.    Martin  betont  als  der  Erste  die  Veränderlich- 
keit des  perversen  Astigmatismus  und  misst  derselben  er- 
hebliche klinische  Bedeutung  bei. 

In  der  4.  Versammlung  der  französischen  ophthalmo- 
logischen Gesellschaft  im  April  1886  kommt  Martin  auf 
die  Frage  zurück  in  seinem  Vortrage  „Des  variations  dans 
le  degr^  et  le  sens  de  Tastigmatisme  comten,  chez  les 
glaucomateux.**  Die  Beweise,  die  er  zur  Stütze  der  von 
ihm  zuerst  constatirten  Veränderlichkeit  des  Astigmatismus 
während  der  Entwickelung  des  Glaucomes  anführt»  theilt 
er  ein  in 

A.  indirecte,  und  zwar: 

1.  Die  sehr  bemerkenswerthe  Häufigkeit  des  perversen 
Astigmatismus  bei  Glaucom. 

Während  Pfalz  bei  Abzug  der  Glaucomatösen  unter 
allen  Patienten  nur  2,3  pCt.  mit  perversem  Astigmatismus 
zählte,  fand  er  bei  den  Glaucomatösen  41  pGt.  und 
Martin  öOpCt. 

2.  Die  sehr  grosse  Zahl  der  Fälle,  wo  die  Befraction 
des  yerticalen  Meridianes  relativ  geringer  ist  in 
dem  Auge,  das  einzig  glaucomatös  ist,  oder  stärker 
glaucomatös  als  das  andere. 


Hornhautkrümmimg  bei  erhöhtem  intraocnlaren  Druck.      1] 

Von  9  Patienten,  die  Martin  tabellarisch  anführt, 
sprechen  8  für  die  Begel  und  von  8  Patienten  von  Pfalz  6. 

B.  in  direete: 

1.  Eünf,  Yon  Martin  in  verschiedenen  Intervallen 
ophthalmometrisch  sicher  untersuchte  Fälle,  in 
denen  während  der  Evolution  des  Qlaucomes  der 
Erümmungsradius  des  verticalen  Meridianes  stetig 
zugenommen  hatte. 

2.  Vier  Fälle,  in  denen  Martin  unter  dem  Einfluss 
einer  antiglaucomatOsen  Behandlung  eine  pro- 
gressive Abnahme  des  Krümmungsradius  des  verti* 
calen  Meridianes  beobachtete. 

Schoen  weist  in  seiner  letzten  Arbeit*)  —  „Die 
Accommodationsanstrengung  und  deren  Folgen"  —  eben- 
falls auf  das  häufige  Zusammentre£fen  von  Glaucom  mit 
Astigmatismus  perversus  hin.  Unter  10  beobachteten  Fällen 
dieser  Form  von  Astigmatismus  (Tabelle  IV),  findet  sich 
bei  zweien  die  Notiz  hochgradige  Excavation,  bei  zwei 
andern  randständige,  während  fünfmal  mittlere  Excavation, 
die  sog.  accommodative  Excavation  Schoen*s  vorgemerkt 
ist,  und  nur  ein  einziges  Mal  jede  Excavation  fehlte. 

Leider  ist  von  diesen  10  Fällen  nur  einer  ophthal- 
mometrirt  worden,  der  hochgradigste  ( —  c  15  ||  und 
—  30  —  c  18  II  165)  und  hier  war  die  Hornhaut  nicht  der 
Sitz  des  Astigmatismus. 

Schoen  legt  ebenfalls  besondem  Nachdruck  auf  die 
Veränderlichkeit  des  umgekehrten  Astigmatismus. 

Dass  nach  Eserin-Eiuträuflung  in  menschliche  und 
thierische  Augen  neben  Krampf  des  Ciliarmuskels,  auch 
Verkürzung  des  Hornhautradius  zu  Stande  kommt,  ist 
durch  ophthalmometrische  Untersuchungen  von  v.  Beuss^) 
und  von  Stock  er***)  nachgewiesen.  Ob  derAccommodations- 


♦)  Arch.  f.  Ophth.  XXXIH.  1,  19. 
**)  Arch.  f.  Ophth.  XXm.  3. 
♦*»)  Arch.  t  Ophth.  XXX.  1. 


12  W.  Eißsen. 

Spasmus  einzig  die  Veränderung  der  Homhautwölbong  be- 
dingt oder  ob  eine  Veränderung  des  iutraocularen  Druckes 
mitwirkt,  kann  aus  den  bisherigen  Beobachtungen  nicht 
mit  Sicherheit  geschlossen  werden. 

Die  einschlägigen  Thierversuche,  die  ich  vor  dem  Er- 
scheinen der  letzt  mitgetheilten  Arbeit  von  Georges 
Martin  und  Schoen  auf  Bath  von  Herrn  Prof.  Pflüger 
unternonmien  habe,  wurden  angestellt  in  einem  Zimmer 
des  hiesigen  physiologischen  Instituts,  welches  Herr  Prof. 
Kronecker  mir  in  der  liebenswürdigsten  Weise  zur  Ver- 
fügung gestellt  hatte.  Ich  benutze  gern  die  Gklegenheit, 
ihm  an  dieser  Stelle  meinen  herzlichsten  Dank  dafür  aus- 
zusprechen. 

Als  Yersuchsthiere  benutzte  ich  Kaninchen.  Um  von 
vom  herein  jede  Störung,  die  von  Seiten  des  Thieres  durch 
Bewegung  etc.  gemacht  werden  konnte,  auszuschliessen,  ging 
ich  folgendennassen  vor.  Nachdem  das  morphinisirte  Thier 
aufgespannt  war,  wurde  zuerst  zur  Tracheotomie  geschritten, 
alsdann  zur  Aufsuchung  der  Vena  jugularis  externa,  in  die  eine 
Kanüle  eingebunden  wurde.  In  die  Vene  wurde  eine  Iprocentige 
Losung  von  Curare  gespritzt.  Die  Wirkung  des  Curare  trat 
augenblicklich  ein  und  um  nun  zu  verhüten,  dass  das  Thier 
ersticke,  wurde  die  Trochealcanüle,  mit  dem  im  hiesigen 
physiologischen  Institut  befindlichen  Apparat  zur  Unterhaltung 
von  künstlicher  Athmung  in  Verbindung  gebracht  Da  der 
Apparat,  wie  ich  glaube,  kaum  allgemein  bekannt,  doch  bei 
Versuchen,  wie  die  vorliegenden,  von  grOsster  Wichtigkeit  ist, 
so  will  ich  auf  eine  Beschreibung,  wie  sie  von  Herrn 
Prof.  Kronecker  mir  geboten  wurde,  etwas  naher  eintreten. 

Kronecker's  Apparat  zur  künstlichen  Athmung  wird 
durch  beistehende  Figur  verdeutlicht.  Der  Apparat  besteht 
aus  einem  (bekannten)  Wassertrommelgebläse  und  aus  einem 
(neu  construirten)  Schieberhahn,  welcher  dient,  den  continuir- 
lichen  Luftstrom  des  Gebläses  in  beliebigen  Intervallen  zu 
unterbrechen.  Zur  Bewegung  des  Schieberhahns  ist  das  aus 
dem  Gebläse  abfliessende  Wasser  dienstbar  gemacht 

Das  Wassertrommelgebläse  besteht  aus  einem  etwa  20  Liter 


Hoinhautkrttminiiiig  bei  erhöhtem  mtraocnlaren  Druck.      ]3 

fassenden  Blechcylinder  A  mit  den  Zu-  and  Abflüssen  für 
Wasser  und  Luft.  Wasser  strOmt  unter  möglichst  hohem  Drucke 
durch  das  Bohr  W  durch,  die  Eupferhlechtrommel  Tw  und  die 


a 


Fig.  A. 

beiden  coniscta  endenden  ROhren  cB,  cB  in  die  weiteres  HiBch- 
röhren  mB.  Das  herabfliesBende  WaBser  reiaat  ans  der  Lnft- 
b'ommel  Tl  die  durch  das  Saugrohr  Lr  uachetrOmende  Luft  in 
die  UisclirQhren  berab.  Der  Wasserlaftachauin  trennt  sich  im 
Sammelcylinder  A  lu  einer  unten  gesetzten  Waaserschicht  und 


14  W.  ElBsen. 

einer  darüberstehenden  Luftschicht.  Das  Wasser  läuft  durch 
das  S  förmig  gebogene  Abflussrohr  aB  erst  ab,  wenn  der  Luft- 
druck das  Wasser  bis  zur  höchsten  Stelle  des  Ausflussrohrs 
hinaufgedrückt  hat.  Das  Abflussrohr  ist  so  weit,  dass  der  ab- 
steigende Schenkel  niemals  mit  Wasser  gefüllt  wird,  sondern 
durch  die  Luftöfi&iung  0  Luft  nachstrOmen  kann,  so  dass  keine 
Heberwirkung  sich  geltend  macht.  Die  comprimirte  Luft  ent- 
weicht aus  dem  Cjlinder  A  durch  das  Luftdruckrohr  Ld.  Den 
Druck  in  demselben  zeigt  der  Mamometer  M  an.  Der  Luft- 
strom tritt  durch  den  Lufthahn  Lh  und  das  Luftzuflussrohr  Lz 
in  den  XJnterbrechungsapparat  U. 

Der  Blas-  und  XJnterbrechungsapparat  besteht  aus  einem 
Schieberhahne  Sh,  welcher  in  einer  Luftkapsel  hin  und  her  be- 
weglich ist  In  der  einen  Kreuzstellung  deckt  er  die  Aus- 
strömöffnung a.  Dann  hat  die  Luft  den  Weg  durch  die  andere 
Bohre  Th  zur  Luftröhre  des  Thieres  frei«  Li  der  entgegen- 
gesetzten Kreuzstellung  des  Schieberhahnes  ist  der  Weg  zum 
Thiere  gesperrt;  die  Blasluft  strömt  durch  das  Ansatzrohr  ins 
Freie.  Der  Schieberhahn  wird  rhythmisch  hin  und  her  bewegt 
durch  einen  Schaukeltrog  Tr,  d.  h.  ein  Blecbgefäss  von  der 
Form  eines  Doppelprisma,  welches  durch  eine  Scheidewand 
halbirt  ist.  Durch  die  gemeinsame  Kante  des  Prisma  läuft 
eine  Axe,  auf  welcher  auch  der  Schieberhahn  sitzt.  Der 
Schaukeltrog  liegt  in  der  einen  Buhestellung  auf  seitlicher 
Schlagseite.  Dann  steht  das  eine  Hohlprisma  unter  dem  Ein- 
flusshahne £. 

Durch  diesen  kann  aus  dem  Abflussrohre  aB  Wasser  in 
die  eine  Troghälfte  fliessen.  Wenn  diese  etwa  zu  Vi  gefüllt 
ist,  gewinnt  sie  das  Uebergewicht  über  das  leere  Prisma,  fällt 
zur  Seite  bis  auf  seine  Aufschlagleiste,  dreht  somit  die  Schieber- 
hahnaxe;  damit  wird  die  gleichzeitige  Luftöfihung  geschlossen. 
Sogleich  wird  das  Wasser  aus  diesem  Hohlprisma  in  den  Aus- 
guss  Qt  entleert.  Während  dessen  wird  aber  das  andere  unter 
den  Einflusshahn  gehobene  Hohlprisma  gefüllt,  gewinnt  seiner- 
seits das  TJebergewicht  und  holt  den  Schieberhahn  auf  die  erste 
Luftöfihung  zurück.  Die  Häufigkeit  der  Luffcunterbrechung 
hängt  dennoch  von  der  Grösse  des  Wassereinflusses  ab,  kann 
also  durch  den  Hahn  E  regulirt  werden. 

Ausserdem  kann  aber  auch  das  Yerhältniss  der  Bespirations- 
zeit  zur  Exspirationszeit  yariirt  werden  durch  ein  Schiebe- 
gewicht an  einem  graduirten  Wagbalken,  der  gleich£EtUs  an  den 


Hoinhaatkrümmang  bei  erhöhtem  intraocalaren  Druck.      15 

Schankeltrog  —  Schieberhahnaxe  —  befestigt  ist.  Giebt  man 
dem  Exspirationsprisma  das  Uebeigewicht,  so  wird  dies  Geföss 
mit  wenig  Wasser  schon  nmkippen.  Das  andere  Prisma  braucht 
dagegen  umsomehr  Wasser,  um  das  Uebergewicht  zu  erlangen, 
d.  h.  also  längere  Zeit  zur  Füllung. 

Derart  kann  das  Yerhältniss  der  Bespirationsphasen  ebenso 
wie  die  Frequenz  der  Bespiration  beliebig  verändert  werden. 
Der  Apparat  fungirt  so  lange  völlig  gleichmässig,  wie  der 
Wassenibiick  (annähernd)  gleich  bleibt. 

Das  Einbinden  einer  Kanüle  in  die  Yene  hatte  das  Gute, 
dass  ich  leicht,  ohne  das  Thier  bewegen  zu  müssen,  eine  zweite 
Gabe  von  Curare  der  ersten  folgen  lassen  konnte,  im  Falle  die 
Wirkung  der  ersten  nachliess.  Auf  diese  Weise  war  ich  gegen 
alles  geschützt  und  vollständig  unabhängig  von  der  Dauer  des 
Versuchs. 

Zur  Erhöhung  des  intraocularen  Druckes  benutzte  ich  das 
durch  die  Arbeit  von  Hoeltzke  und  Graser  (Hoeltzke's 
Arbeit  ist  im  Archiv  für  Ophthalmologie  Bd.  XXIX  unter  dem 
Titel:  „Experimentelle  Untersuchungen  über  den  Druck  in  der 
Augenkammer"  und  Graser*s  Arbeit  im  Archiv  für  experimen- 
telle Pathologie  und  Pharmakologie  Bd.  XYII,  Heft  5  unter 
dem  Titel:  „Manometrische  Untersuchungen  über  den  intra- 
ocularen Druck  und  dessen  Beeinflussung  durch  Atropin  und 
Eserin")  und  durch  die  exacte  und  ausführliche  Arbeit  von 
Fr.  Stocker  über  „den  Einfluss  der  Mydriatica  und  Mjotica  etc." 
genügend  bekannte  Doppelmanometer.  Der  eine  Schenkel  desselben 
war  verbunden  mit  einem  kurzen,  sehr  dickwandigen  Eautschuk- 
schlauch,  um  so  iede  Nachgiebigkeit  der  Wandung  bei  stark 
erhöhtem  Druck  auszuschliessen.  Dieser  Eautschukschlauch 
war  in  Verbindung  gebracht  mit  einer  Kanüle,  wie  sie  Schulten 
in  seiner  Arbeit:  „Experimentelle  Untersuchungen  über  die 
Circulationsverhältnisse  des  Auges*)**,  benutzte  und  auch  aus- 
führlich beschreibt  (Eine  Abbildung  findet  sich  in  Graefe*s 
Archiv  f.  Ophth.  Bd.  XXX.  Abtb.  lU,  Tafel  I).  Der  ganze 
Apparat  wurde  mit  phyiologischer  Kochsalzlösung  gefüllt 

Zum  Ablesen  der  Yeränderungen  der  Hornhautkrümmung 
verwandte  ich  das  bekannte  Ophthalmometer  von  Javal  und 
Schiötz. 


T.  Graefe's  Archiv  f.  Ophth.  XXX.  lU  und  lY. 


16  W'  Eissen. 

Zur  Beleuclitung  benutzte  ich  Tageslicht,  welches  mir 
YoUständig  genügte. 

Waren  so  alle  Vorbereitungen  zum  eigentlichen  Versudie 
genau  getroffen,  so  wurde  das  Thier  auf  den  Bauch  gelegt  und 
der  Kopf  in  einer  möglichst  natürlichen  Lage  befestigt  Jetzt 
wurde  das  Ophthalmometer  auf-  und  eingestellt  und  zur  ersten 
Ablesung  geschritten. 

Einschalten  will  ich  noch,  dass  ich  hier  gleich  auf  eine 
kleine  Unannehmlichkeit  stiess,  welche  das  Curarisiren  mit 
sich  brachte.  Ich  meine  nämlich  die  Vertrocknung  der  Horn- 
haut, welche  sich  bald,  da  durch  das  Curare  der  Lidschlag 
unmöglich  gemacht  war,  einstellte,  und  zwar  schon  in  der 
allerkürzesten  Zeit.  (Bruchtheil  einer  Minute).  Ein  Ablesen 
war  so  schlechterdings  unmöglich,  indem  durch  die  zerotischen 
Veränderungen  der  Hornhaut  ihre  Beflexbilder  sofort  ganz  ver- 
zerrt wurden.  Wie  Schelske,  der  über  diesen  Punkt  keine 
Angaben  macht,  an  todten  Augen  überhaupt  Beflexe  bekam, 
die  eine  irgendwie  ordentliche  Einstellung  und  Ablesung  er- 
laubten, ist  mir  nicht  recht  verständlich. 

Als  ich  einmal  auf  diesen  Uebelstand  aufmerksam  ge* 
worden  war,  war  es  leicht,  denselben  durch  eine  kleine  Vor- 
richtung zum  Irrigiren  auszuschalten.  Aber  auch  bei  der  Irri- 
gation mit  Wasser  von  Zimmertemperatur,  wie  ich  sie  zuerst 
versuchte,  machte  ich  schlechte  Erfahrungen.  Der  Ciliarmuskel 
gerieth  durch  den  Beiz  des  kalten  Wassers  dermassen  in  krampf- 
artige Contractionen,  die  ziemlich  langsam  nachliessen,  dass 
von  exactem  Ablesen  nicht  die  Bede  sein  konnte,  Durch  An- 
wendung von  lauwarmem  Wasser  Hessen  sich  diese  kleinen 
Missstände  dauernd  beseitigen. 

Kehren  wir  jetzt  zur  Ablesung  zurück,  so  wurden  genau 
notirt  die  Lage  des  Meridians  schwächster  Krümmung,  der 
Astigmatismus  in  Dioptrien  und  die  Grösse  der  Badien  schwäch- 
ster und  stärkster  Krümmung.  Diese  Ablesung  musste  dess- 
halb  besonders  genau  genommen  werden,  da  sie  als  Contrtle 
dienen  musste  bei  der  ersten  Ablesung  nach  Einführung  der 
Kanüle.  War  dies  alles  zur  Zufriedenheit  erledigt,  so  wurde 
zur  Aufstellung  des  Doppelmanometers  geschritten.  Nachdem 
er  vollständig  waagerecht  gestellt  war,  wurde  der  Quecksilber- 
stand in  den  beiden  äusseren  Schenkeln,  welcher  natürlich 
gleich  hoch  sein  musste,  abgelesen  und  auch  notirt  Jetzt  war 
alles   zur  Einführung   der  Kanüle  bereit.    Dieselbe  wurde  mit 


HorDhaatkr&mmaDg  bei  erhöhtem  intraocülaren  Drack.      17 

drei  Fiogem  gefasst,  das  Auge  mit  einer  Pincette  duroh  die 
andere  Hand  leicht  fixirt  und  nun.  in  den  Glaskörper  ein- 
gestossen.  Zuweilen  zeigte  sich  jetzt,  dass  das  Auge  leicht 
rotirt  war.  Das  Hess  sich  aber  ohne  Schwierigkeit  durch 
Fixation  des  Caoutschukschlauches  corrigiren. 

Da  der  Druck  im  Auge  ein  höherer  als  im  Doppel- 
manometer war,  80  fiel  das  Quecksilber  in  dem  mit  dem  Auge 
verbundenen  Schenkel  und  stieg  natürlich  im  entgegengesetzten. 
Durch  die  Compensationsschraube  erhöhte  man  den  Druck  soweit, 
bis  das  Quecksilber  in  dem  dem  Auge  zugewandten  Schenkel 
die  gleiche  Höhe  wie  vor  der  Einführung  der  Kanüle  hatte. 
Den  wirklichen  Druck  im  Auge  konnte  man  jetzt  ein&ch  im 
abgewandten  Schenkel  ablesen. 

Wurde  jetzt  das  Ophthalmometer  eingestellt  und  stimmte 
die  jetzige  Ablesung  mit  der  vor  der  Einstossung  der  Canüle 
gefundenen  in  jeder  Hinsicht  überein,  so  war  das  Experiment 
bis  dahin  vollständig  gelungen. 

Es  wurde  jetzt  der  Druck  von  5  zu  5  Minuten  um  10  mm 
Quecksilber  gesteigert  und  abgelesen.  Bei  jeder  Ablesung 
wurde  notirt: 

1.  Zeit; 

2.  Stand  des  Quecksilbers  im  abgewandten  und  in  dem 
mit  dem  Auge  verbundenen  Schenkel : 

3.  Axe  des  Meridians  schwächster  Krümmung,  die  dem 
grossen  Badius  entsprechend,  einfach  als  „grosse 
Axe"  bezeichnet  wird; 

4.  Grösse  des  Krümmungsradius  des  Meridians  schwäch- 
ster Krümmung,  der  Kürze  halber  ,^os8er  Badius^*  (B) 
genannt; 

5.  Astigmatismus  in  Dioptrien; 

6.  Grösse  des  Badius  stärkster  Krümmung,  „kleiner 
Badius*'  (r)  genannt. 

ZumSchluss  will  ich  noch  bemerken,  dass  ich  zum  exacten 
Versuche  unbedingt  die  Beobachtung  von  Pulsschwankungen 
im  Manometer  rechne. 

Zu  den  Versuchen  selbst  übergehend,  will  ich  aus 
denselben  zehn  herausgreifen  und  anführen,  solche,  die 
volle  Garantie  für  ihre  technische  Correctheit  darbieten. 
Es  ist  selbstverständlich,  dass  bei  derartigen  Untersuchungen 
eine   grosse  Beihe  Versuchstiere   und  Versuchstage  ge- 

T.  Gnef«*i  ArehiT  fllr  OphthAlmolofia,  XZXTV.  S.  2 


18 


W.  Eissen. 


opfert  werden  müssen,  bis  alle  technischen  Schwierigkeiten 
überwanden  sind,  bis  das  Experiment  fehlerfrei  wird. 

Um  die  üebersicht  zu  erleichtem,  soll  neben  der 
tabellarischen  Mittheilung  der  Resultate  bei  jedem  Versoch 
das  Verhalten  der  beiden  Meridiane,  ausgedrückt  durch  R 
und  r,  und  des  Astigmatismus,  sowie  der  Drehungswinkel 
von  R,  resp.  der  grossen  Axe  graphisch  dargestellt  werden. 

Die  Versuche  führten  keineswegs  zu  einem  einheitlichen 
Resultate,  auch  findet  sich  kein  gut  charakteristisches 
Princip,  um  dieselben  in  eng  zusammengehörige  Gruppen 
zu  ordnen.  Es  verhielt  sich  nicht  ein  Auge  dem  erhöhten 
intraocularen  Drucke  (+T)  gegenüber  genau  so  wie  ein 
zweites.  Sogar  bei  ein  und  demselben  Thier  reagiren  die 
beiden  Hornhäute  vollständig  verschieden. 

Ich  beginne  mit  zwei  Versuchen,  die  sich  vor  den 
andern  dadurch  auszeichnen,  dass  sie  an  demselben  Thiere 
unternommen  wurden  und  daher  auch  Vergleiche  der  Vo 
änderungen  der  beiden  Hornhäute  gestatten.    Es  sind  das 


Versuch  XXIV. 
TabeUe  1. 


Zeit 


4.45 
4.50 
4.55 
5.— 
6.  5 
5.10 
5.15 
5.20 
5.25 
5.30 
5.35 
5.40 
5.45 


Druck 


'S 


•  ^  M 

g     «     « 


M 


I 

o 

Qrad 


s 


25 

0 

25 

-80 

7,167 

35 

2)ö 

32^ 

—  80 

7,167 

45 

6 

39 

-75 

7,125 

55 

9 

46 

72 

7,125 

65 

12 

53 

70 

7,126 

75 

m 

m 

63 

7,125 

85 

18 

67" 

-60 

7,125 

95 

213^ 

m 

-57 

7,25 

105 

24^ 

m,. 

51 

7,292 

115 

2b 

87* 

-45 

7,292 

125 

32 

93 

30 

7,208 

135 

3^ 

m 

-27 

7/08 

145 

ml 

loejti 

—  27 

7.208 

•2  5 


1.25 

1,25 

1,0 

1,0 

0,75 

0,5 

0,25 

1,25 
1,25 
0,76 
0,75 
0,5 


.3 


6,958 

6,958 

6.968 

6,958 

7,0 

7,041 

7,083 

7,083 

7,083 

7,063 

7,083 

7,083 

7,125 


HoruHaatkrOnunoiig  bei  eihtthtem  intraDCularai  Druck.       19 

leider  die  einzigen  Experimente  dieser  Art,  da  ich  dniclt 
verschiedene  ümst&nde,  wie  Belencblnng,  Zeitmangel  etc. 
SD  einem  Tage  an  der  Benotzong  beider  Augen  des  Thierea 
verhindert  wurde. 

Tabelle  1  giebt  daa  Besultat,  das  am  rechten  Auge 
(0.  d.)  dieses  Kaninchens  gewonnen  wurde. 

Bei  einer  normalen  Spannnng  (T.  n.)  von  25  Hg.  mm, 
betragt  R  (Fig.  1)  7,167  mm.    Schon  bei  39  Hg.  mm  ver- 


Kg.  1. 

ändert  sich  B,  sinkt  auf  7,125,  am  bis  zu  67,0  Hg.  mm  auf 
diesem  Stand  zu  beharren;  nun  aber  wächst  R  rasch,  bei 
73,6  Hg.  mm  auf  7,25,  bei  80,5  H.  gmm  auf  7,292,  um  aber 
bei  93  Hg.  mm  auf  7,208  nun  znrQckzugehen  und  so  bis 
an's  Ende  des  YersncheB  zu  bleiben. 

r  zeigt  ein  anderes  Verhalten,  r  verkorzt  sich  nicht, 
auch  nicht  einmal  vorabergehend.  r  bleibt  stabil  bis  zu 
46  Hg.  mm,  6,958  mm  lang,  dehnt  sich  von  hier  bis  zu 
67  Hg.  mm  stetig  auf  7,083  mm,  bleibt  abermals  stationär 
bis  99,ö  Hg.  mm,  um  bei  der  letzten  Dracksteigerung  auf 


20  W.  EiueiL 

106,5  mm  noobmals  sich  za  dehnen,  zn  7,1%  mtn. 
Während  R  also  nach  vorabergeheoder  Verkflrznng  tmd 
stärkerer  Dehnnng  eine  definitive  VerUngernng  von 
0,041  mm  erlitten  hatte,  zeichnete  sich  r  ans  doich  ein 
Wachsen  von  0,167  mm,  ohne  je  eine  absteigende  lUchtni^ 
dei  Gurve  erfohren  za  haben. 

Die  Abstände  der  R  uaA  t  reprflsentirenden  Corren 
geben  die  jewei%e  QrQsse  des  Comealaatigmatismas  (A). 
Sechs  Dioptrien  Astigmatismas  entsprechen  1  mm, 
1  D.  0,166  mm  oQd  0,25  D.  (V)41  mm  Radios  Differens. 


Flg.  a. 

Als  Einheit  der  Ordinatenabstände  wmrde  ftlr  die  Astig- 
matiscarven  0,25  D.  gewählt,  entsprechend  als  Einheit  der 
Ordinatenabstande  Ai  die  Radiencarven  0,041  mm,  welche 
QriJsse  der  Eorze  halber  mit  Q  bezeiobDet  werden  solL 

Der  Hornhantastigmatismns  (Fig  2),  welcher  in  diesem 
erst  mitgetbeilten  Versache  XXI7  bei  T.  n.  1,25  D.  be- 
tr^en  hatte,  ist  am  Ende  des  Versnchs  anf  0,5  D.  zurtlck- 
gegangen.  Nach  einem  primären  Zurückgehen  aof  0,^  D. 
hei  67,0  Hg.  mm,  nahm  er  bei  weiterer  Dmcksteigemng 
aof  80,5  Hg.  mm,  wieder  bis  1,25  D.  zo,  ohne  aber  diese 
AosgangsgrOsse  zn  Qhersteigen;  von  87  Hg.  mm  bis  zum 
Sohlnss  geht  er  wieder  zttrfick. 

Von  grOsstem  Interesse  nnd  fSr  sämn  tliche  Versuche 


Hornliaiitkrflinmimg  bei  erhöhtem  intraocularen  Drack.      21 

das  gemeinsamste  Merkmal  ist  die  gleichsinnige  Ver- 
schiebung der  Sichtung  des  grOssten  Meridians.  Der 
schwächst  gekrfimmte  Meridian  lag  für  T.  n.  bei  —  80^ 
(Fig.  3),  um   sich  bei  zunehmender  Spannung  allm&hlich 


—  10« 


-f  fO* 


Fig.  3. 

und  stetig  nach  —  27^  zu  yerschieben.  Der  grOsste 
Meridian  hat  also  eine  Drehung  von  53^  erlitten  in 
der  Sichtung  yon  der  Horizontalen  zur  Verticalen. 
(L-  M.  D.  =  53^).  Der  anfänglich  normale  Astigmatismus 
ist  übergegangen  in  einen  perversen;  die  mittlere  Sichtung 
von  —  45^  coinddirte  mit  einem  Druck  von  87  Hg«  mm. 

Versuch  XXIII. 

Tabelle  2. 


Zeit 


3.ao 

3.35 
3.40 
3.45 
3.50 
3.55 
4.— 
4.5 
4.10 
4.15 
4i20 
4.25 
4.30 
4.85 


Druck 


a 

'S 


25 

35 

45 

55 

65 

75 

85 

95 

105 

115 

125 

135 

145 

155 


o  o 


0 
3 

28 

3^ 
41 
45 
48» 


25 
32 
3^ 
46 

77 

82!^ 

B7i 

94 
100 
10^ 


Grad 

-65 

—  65 

—  65 

—  60 

—  57 
-57 

—  52 

—  52 

—  52 
-50 

—  45 

—  40 
-30 

—  20 


9 


7,208 

7,208 

7,208 

7,167 

7,167 

7,167 

7,208 

7,208 

7,208 

7,208 

7,208 

7,25 

7,292 

7,292 


la 


1,0 

1,0 

1,75 

1,7B 

1,6 

^ 
1,25 

14» 

1.0 

0,75 

0,5 

0,75 

0,76 

0.76 


3 


'S 


7,042 

7,042 

6,917 

6,875 

6,917 

6,958 

7,0 

7,0 

7,042 

7,083 

7,125 

7,125 

7,167 

7,167 


Das  Imke  At^e  (o.  s.)  desselbeo  KaaiDCheos  zeigt 
g^enüber  der  +  T  ein  ganz  andeiee  Verbalten  ala  das 
rechte  At^e. 

T.  D.  betrl^  wie  in  o.  d.  25  mm. 

R.  0.  s.  (Fig.  4),  7,208  mm  lang,  am  0,041  mm  oder 
1  Q  lllDger  als  B  e.  d.  hält  der  +  T.  etwas  l&nger  Stand 
als  zoTOr;  er  verkflrzt  sich  erst  bei  46  Hg.  mm  aber  ebea- 
fidls  mn  0,041  mm,  bleibt  nnn  steben  bei  69  Hg.  mm,  am 


Elg.  4. 

bei  65,5  Hg.  mm  seine  erste  Lftnge  zu  gewinnen,  diesdbe 
weiter  zu  behaupten  bis  87,5  Hg.  mm  und  von  da  an  noch 
am  2  Q  znzonebmen. 

R  0.  s.  schwankt  in  nabezn  denselben  Grenzen  wie 
R  o.  d.,  unterscheidet  sich  aber  von  diesem  wesentlich 
dadurch,  dass  er  nach  einer  primftren  geringen  VerbQrznug 
sich  nur  noch  Tergrfissert  and  nicht  wie  B  o.  d.  ein 
zweites  Mal  sich  verktlrzt. 

T  0.  6.  von  Anfong  um  2  Q  langer  als  r  o.  d.,  verh&lt 
sich  der  +  T.  gegentlber  ganz  anders  als  r  o.  d.    W&brend 


Homhantkittniiiiiing'  bei  erhOhum  intraocnlaren  Druck.       23 

r  0.  d.,  ohne  eine  VerkUrzang  zn  erleiden,  sich  nur  Ter- 
lllngert  h&tte,  im  Ganzen  um  4  Q,  veijongt  siiäi  r  o.  s.  erst 


Tfig.b. 

bei  40  Hg-tmin  um  4  Q,  um  von  da  an  bis  Ende  des  Ter- 
Buchs  sich  zu  Te^Ossera  und  eine  scbliessliche  absolute 
Streckung  von  3  Q.  zu  erreichen. 

Der  Astigmatismus,  welcher  bei  T.  n.  1  D.  betr^en 
hatte,  nahm  bei  +  T.  erst  lebhaft  zu,  erreichte  1,75  D.  bei 
39  Hg.  mm,  um  aber  bald  wieder  zu  schwinden,  bis  auf  0,5  D. 
bei  87,5  D.   aad  schliesslich   wieder  auf  0^75  anzusteigen. 


.^r 


Fig.  6. 


.   +»' 


U  M.  D.  =  45°. 
Der  schwftchstgektQmmte  Ueridian  dreht  sieb  conse- 
quent  ron  der  Horizontalen  zur  Verücalen,  von  —  65"  zu 


24 


W.  Eissen. 


—20  °.  Die  Mittellage  von  45  ^  der  üebergang  vom  nor- 
malen in  perversen  Astigmatismus  coincidirte  hier  wie  in 
0.  d.  mit  demselben  Dmck,  mit  87,5  Hg.  mm. 

Da  schon  die  beiden  Angen  eines  nnd  desselben  Thieres 
gegen  +  T.  ein  sehr  verschiedenes  Verhalten  zeigten,  so 
darf  es  nicht  verwundern,  dass  unter  allen  anderen  Ver- 
suchen kein  einziger  gefunden  wurde,  der  mit  einem  zweiten 
identisch  verlaufen  wäre. 

Von  den  8  noch  zu  berichtenden  Versuchen  soll  zu- 
nächst eine  Gruppe  von  3  ausgewählt  werden,  die  das  Ge- 
meinsame haben,  dass  am  Ende  des  Versuches  die  beiden 
Hauptmeridiane  die  gleiche  Krümmung  angenommen  haben. 
(B=r),  der  Astigmatismus  somit  verschwunden  ist  (A=o), 
Es  sind  dies  die  Versuche  XXI,  XXII  und  XIV. 


0.   8. 


Versuch  XXI. 
Tabelle  3. 


Drack 

■«1 

Orad 

,S 

1.2 

0 

Zeit 

h 

•Ml 
1^ 

-«•leg 
.5H 

1 

a 

8.30 
8.35 
8.40 
8.45 
8.50 
8.55 
9.- 
9.  5 
9.10 
9.15 
9.20 
9.25 

24 

34 

44 

54 

64 

74 

84 

94 

104 

114 

124 

134 

0 

f 
1 

25 

33 
87 

24 

W^ 
39 

46 

53 

66^ 

73 

79 

97 

—  52 

—  40 
-35 
-30 

—  30 
-30 

—  30 
-30 
-18 

—  18 

—  13 

—  10 

7,458 
7,583 
7,583 
7,418 
7,418 
7,418 
7,418 
7,418 
7,418 
7,418 
7,418 
7,418 

1,25 
1,75 
1,75 
0,75 
0,75 
0,75 
0,75 
0,75 
0,75 
0,75 
0,5 
0 

7,26 

7,292 

7^892 

7,292 

7,292 

7,292 

7,292 

7,^ 

7.292 

7,292 

7,333 

7,418 

T.  n.  =  24  Hg.  mm. 

R  (Fig.  7)  mit  7,458  mm  beginnend,  streckt  sich  gleich 
bei  31,5  Hg.  mm  um  3  Q.,  verharrt  ruhig  bis  39  Hg.  mm« 


HornbaatkrUmmimg  bei  erhöhtem  iatraoculftren  Druck.       ^ 

sinkt  1)ei  46  Hg.  mm  um  4  Q  und  bleibt  uan  bis  Ende  des 
Verenchea  (97  Hg.  aun)  unYerändert. 


Fig.  7. 

r,  TOD  7,25  aoBgehend,  wäobBtanch  schon  bei  Sl^Hg.mm, 
aber  nnr  um  1  Q,  bleibt  rnbig  bis  84,0  Hg.  mm,  um  von 
da  an  noch  um  3  Q  znzn&ebmea  and  am  Scblnss  bei 
97  Hg.  mm  genau  die  Grflsse  von  R,  7,417  mm  zu  erreichen. 


Pig.  8. 

Der  ÄstigmatiBnias  (Fig,  8),  der  bdm  intaoten  Auge 
1,25  D  betragen  hatte,  sti%  entspreoheud  der  ungleichen 
Debnong   der  beiden  Badien   schon  bei  31^  mm  auf  1,7&, 


am  von  39  bis  49  Hg.  mm  mn  1  D.  sorOckzngeheD,  aaf 
diesem  Nireaa  eich  zd  halten  bis  89,5  Hg.  mm  mid  von  da 
an  sncceBsive  blB  auf  0  ahznnehmen. 


Fig.  Ö. 


U  M.  D.  =42"  (Fig.  9). 
Der  Meridian  scbw&cbster  Krommang  versohiebt  aicb 
von  — 52"  zu  —  10";  die  Gleichgewicbtolt^e  von  45'  hatte 
er  schon  bei  der  ersten  +  T.  von  31^  Hg.  mm  QbeiBcbritten. 

Versuch  XXII. 
0.  d.  TabeUe  i. 


Druck 

i 

1 

3 

1 

1: 

11 
1  = 

3 

Zeit 

1 

«1 

1 
1 

1 

1 

10.- 

24 

0 

24 

-60 

7^ 

0 

7,688 

10.  6 

84 

81 

-47 

73S 

0 

7,583 

10.10 

44 

S 

S 

—  46 

7*42 

0,5 

7^ 

10,16 

64 

—  46 

7?K 

0,75 

7,417 

laao 

64 

u 

53 

-46 

7*42 

0,75 

7417 

10.SS 

74 

16 

56 

-40 

7* 

l!26 

7^ 

1030 

84 

20 

64 

-30 

7S58 

1,25 

7^ 

105B 

94 

238 

70S 

-30 

7,417 

li) 

7,292 

10.40 

1« 

28 

76 

-17 

7,417 

0,75 

7,292 

10.46 

114 

828 

81« 

-12 

7,417 

0,5 

7333 

10.50 

121 

m 

88 

-  7 

7417 

0^ 

7,376 

10^ 

134 

m 

94g 

—  2 

?,417 

V 

7517 

Dieser  Versuch  zeichnet  sich  dnreh  die  vollkommene 
Wolbnng,  dnrch  den  mangelnden  Astigmatismns  der  nor- 
malen Hombaat  ans: 


HomhantkrttmmnDg  bei  erhöhtem  intraocularen  Druck.       27 

T.  n.  =  24  Hg.  mm. 
E  (Fig.  10)  verkürzt  sich  bei  38^  Hg.  mm  um  1  Q, 
bleibt  stationär  bis  58  Ug.  mm,  verkOrzt  Bieh  boq  enocesBire 
am  weitere  3  Q  and  behauptet  diese  Länge  bis  zom  ßnde 
(94,5  Hg.  mm). 


Fig.  10. 

r  ansgangs  genaa  gleich  gross,  wie  R,  verkürzt  sich 
aoch  bei  38,5  Hg.  mm,  aber  rascher  als  B,  am  3  Q,  bei 
45^  Hg.  mm  um  ein  weiteres  Q,  bleibt  bis  52  Hg.  mm,  ver- 
kOrzt sich  aber  wieder  nm  3  Q,  bis  zn  64  Hg.  mm,  um  von 


da  hinweg  bis  Ende  des  Versnches  gleicbmässig  sich  za 
veriaagera  und  schliesslich,  wie  im  Anfang,  wieder  mit  B 
sich  za  dacken. 


28 


W.  EisBen. 


Die  Cnive  von  A  (Fig.  11),  geht  aus  yon  0  und  endet 
mit  0,  dnichlaoft  dazwischen  eine  Linie  mit  etwas  nnregel- 
mässiger  Hebung  und  gradliniger  Senkung. 


38.5-52-7ty«V. 


—   90*. 


+  •<>• 


Eig.  12. 


L  M.  D.  =  48«  (Fig.  12). 
Der  schw&cbstgekrümmte  Meridian  verschiebt  sich  von 
—  50®  zu  —  2^  die  Neutrale  von  —45®  bei  38,5  Hg.  mm 
erreichend  und  bis  zu  52  Hg.  mm  festhaltend. 


0.  B. 


Versuch  XIV. 
Tabelle  5. 


Druck 

s 

< 

Grad 

m 

0 

o 

■|.3 

s 

Zeit 

.11 

.Sh 

1 

»4 

1 

9.35 

9.40 

9.45 

9.50 

9.55 

10.- 

10.5 

10.10 

10.15 

10.20 

10.25 

10.30 

10.35 

10.40 

25 

35 

45 

65 

65 

75 

85 

95 

105 

115 

125 

135 

145 

155 

0 
4 

12 
16 
20 

^ 

30 
34 
38 

25 

31 

53 

59 

65 

71!^ 

78 

85 

91 

97 

110 

-63 
-68 

-68 
-66 
-66 
-66 
-66 
-60 
-60 
-45 
-38 
-25 
-15 
-10 

7,082 

7,082 

7,082 

7,082 

7^ 

7,292 

7,292 

7,292 

7,292 

7,292 

1» 

7,25 

7,25 

7,25 

0,25 

0^ 

0,25 

0,^ 

2,5 

2,75 

2,76 

2,25 
2,26 
0,75 
0,5 

7,041 
7,041 
7,041 
7,041 
6,833 
6,833 
6,833 
6,917 
6>17 
6917 
7125 
7167 
7208 
73» 

1.  X  =2^nr. 


K7^ 

E.  IT  .  iHCHiBtor  I.:^  sm.  Vtsat  Vb  n  «i  Bf  «M 

ken.   iiiHi|.i      äii  'SK  ZK  ö^  H|:.an  m  ^  ^ 

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■  llO  He 

.miLi  b:^  mdit  Bükr  zs  is3«ra. 

¥ig.  13. 

r,  nm  1  Q  kleiner  als  R,  verharrt  auf  seiner  Aus- 
gangsgrOsse  gleich  hng  wie  R«  bis  46  Hg.  mm,  yerkürtt 
sich  bei  53  Hg.  mm  ganz  rapid  um  5  Q,  bleibt  stationftr  bis 
66  Hg.  mm,  dehnt  sich  bis  71,5  Hg.  mm  um  2  Q,  verharrt 
so  bis  85  Hg.  mm,  um  bei  der  folgenden  Druckiunahme  von 
6  Hg.  mm  ebenso  rapid  sich  zu  verl&ngem  um  5  Q,  wie  es 
sich  verjüngt  hatte  beim  Steigen  des  Hg  von  46  auf  53  mm. 
In  regelmässigem  langsamen  Tempo  wächst  r  noch  bis  zum 
Schlnss  (110  Hg.  mm)  um  hier  mit  B  gleichwerthig  zu  sein. 

Der  Astigmatismus  (Fig.  14),  der  bei  T.  n.  blos  0,25  D. 
betragen  und  bis  zu  46  Hg.  mm  sich  nicht  verändert  hatte, 
wächst  beim  üebergang  zu  53  Hg.  mm  Dank  der  acuten 


Dehnang  von  R  und  gleichzeitigen  Sohrampfang  von  r  ganz 
plötzlich  Hin  volle  2,25  D,  bei  59  Hg.  mm  nm  weitere  0^  D, 


am  bei  der  noch  folgenden  Zunahme  der  SpaDnang  bis 
110  Hg.  mm  abzunehmen  bis  zn  0,  eioer  Cnrre  folgend,  die 
fast  daa  nmgekehite  Verhalten  von  r  zeigt. 


Fig.  15. 
L  M.  D.  =  58".    (Fig.  15). 
Der  Meridian  schw&chster  Kiflmmung   dreht  sich  von 
—  68"  zu  —  10",  die  Neutrale  in  —  45°  bei  85  Hg.  mm 
erreichend. 

Eine  weitere  Grappe  von  3  Versuchen  (XXXVIII,  XIX, 
XXV)  bat  eine  uoch  weniger  innige  Verwandtschaft  unter 


HnrihitkriwiiiBg  M  erMkteB  utnocttlar»  Draek.      31 


seineii  Componenten,  als  die  TOiige;  sie  zeichnet  sich  we- 
sentlich dunk  ihre  einfiichai,  wenig  gebrochenai  Corven 
▼OD  B  und  r  ans. 

Versnch  XXXVIU. 

o.  8.  Tabelle  6. 


Drnd: 


Zeit 


•3  2      "O  o"©    , 


^J  :  e  2  ^ 


.S 


M 


O 

O 
Grmd 


i 


a  a 
s  * 

1  « 


6 

a 


I 


3.15 

ä20 

3^ 

a30 

335 

340 

346 

350 

3.55 

4— 

45 

410 

415 


24 

34 

44 

54 

64 

74 

84 

94 

104 

114 

134 

134 

144 


0 

3 

6V 
10' 
U 
18 

26 

81 

35K 

40 

44 

481^ 


24 

31 

37^ 

44' 

50 
56 

6J^ 
68' 
73 

78v; 

84' 
UO 

95y, 


+  75 
+  70 
+  70 
+  60 

+  55 
+  56 
+  55 
+  50 
+  50 
+  50 
+  50 
+  45 
+  40 


7.583 

7.5 

7,417 

7,417 

7.417 

7,417 

7,458 

7,583 

7,625 

7,666 

7,666 

7,666 

7,666 


1J5 

1,25 

a75 

a75 

1,0 

1,5 

2,25 

3,^ 

3,5 

3,25 

3,0 

2,75 

2,75 


7,292 
7^2 

7,292 

7,292 

7,25 

7,167 

7,0t<3 

7,042 

7,042 

7,125 

7,167 

7,208 

7,208 


Versuch  XXXVni  bat  mit  dem  zweiterwähnten  Versuch 
XXin  das  Gemeinsame,  dass  B  sowohl  als  r  sich  erst  ver- 
kürzen und  nachher  verlängern,  allerdings  in  verschiedenem 
Masse  und  bei  andern  Tensionen,  so  dass  die  Astigmatis- 
mus-Curve  eine  ganz  andere  wird. 

T.  n.  =  24  Hg.  mm. 

B  (Fig.  16)  beginnt  sofort  mit  Verkürzung,  bei  31  Hgmm 
um  2  Q,  bei  37,5  Hg.  mm  um  weitere  2  Q,  bleibt  jetzt  con- 
stant  bis  56  Hg.  mm,  verlängert  sich  von  da  stetig  bis  zu 
78,5  Hg.  mm,  um  6  Q,  und  bleibt  nun  bis  zum  Schlüsse 
(95,5  Hg.  mm)  ruhig. 

r  hält  der  +-  T.  gegenüber  länger  Stand  als  B,  bis  zu 
44  Hg.  mm,  zieht  sich  von  da  an  bis  zu  68  Hg.  mm  um  6  Q 
stetig  zusammen,  bleibt  nun  constant  bis  73  Hg.  mm,  dehnt 
sich  jetzt  aber  allmählich  bis  90  Hg.  mm  um  4  Q,  in  dieser 
Grösse  bis  zu  Ende  (95,5  Hg.  mm)  verharrend. 


(0       w       w      w       w 


Fig.  17  (Coire  Ton  A). 


Hornhaatkr&mmaiig  bei  erhöhtem  intraocularen  Druck      33 

Der  Astigmatismus  (Fig.  17),  anfänglich  1,75  D,  schwin- 
det bis  37,5  Hg.  mm  nm  1 D,  bleibt  so  bis  44  Hg.  mm,  wachst 
nun  stetig  bis  73  Hg.  mm  auf  3,5  D,  geht  bis  90  Hg.  mm 
auf  2,75  D  zurück,  sich  bei  95,5  Hg.  mm  nicht  mehr  ftndemd. 


•90Xf^ 


Fig.  la 


+  to* 


L  M.  D.  =  35<>  (Fig.  18.) 
Der  Meridian  schwächster  Krümmung  dreht  sich  von 
75  zu  4-40. 


0.  s. 


Versuch  XIX. 
Tabelle  7. 


Dnick 

Grad 

.3 

;3-S 

3 

Zeit 

0 

all 

fl8 

.Se-i 

e 

1 

3.5 
3.10 
3.15 
3.20 
BSb 
8.30 
3.35 
3.40 
3.45 
a50 
3.55 
4.- 

25 

35 

45 

55 

65 

75 

85 

95 

105 

115 

125 

135 

0 

s» 

13 

25 

32 
36 

ff 

25 
36 

S" 

60 

^^ 
73 

79 

—  90 

—  90 
-90 

—  85 
-85 
-83 
-83 

—  80 

—  76 

—  76 
-75 
-75 

7,333 

7,417 

7,542 

7,5 

7,333 

7,333 

7,383 

7,333 

7,292 

7,292 

7,292 

7,292 

0 

1,5 
1^ 

0,76 
0,75 

1,B 

1,6 
1,26 

1.26 

1^ 

0,5 

7,333 
7,333 
7,292 
7,292 
7,208 
7^ 
7,083 
7,083 
7,083 
7,088 
7,083 
7,206 

Während  r,   wie  in  XX  VIII,  erst  sich  verkürzt  und 
nachher  verlängert,  zeigt  B  das  umgekehrte  Verhalten.   Qua- 


▼.  GrMfe's  ArchiT  fUr  Ophthalmologie,  ZXZTV.  1. 


litativ  Ter&ndeni  sich  die  beiden  Badien  wie  in  XIV,  aber 
das  QoantitatJTe  und  Zeitliehe  und  damt  die  Catrenbild 
ist  an  seht  Terstdüedenes. 

T.  n.  =  25  Hg.  mm. 
B  (Fig.  19),  7,333  mm  lang,  streckt  sich  sofort  nm  5  Q, 
bis  36  Hg.  mm,  um  rasch  wieder  aof  seine  Aosgang^iOsse 
zorOokzakehieii,  bei  47,5  Hg.  mm,  dieselbe  zn  bewahren  bis 
66,5  Hg.  mm,  und  bei  73  Hg.  mm  imi  1  Q  nnter  dieselbe  so 
kommen  nnd  in  diesem  leioht  verkflrzten  Zustande  bis  mm 
Ende  (92  Hg.  nmi)  zn  verbarren. 


Fig.  19. 

r  glfflch  lang  wie  R,  7,333  mm,  zieht  sich  bei  36,5  Hg.  mm 
beginnend,  sprungweise  zusammen  am  6  Q,  bis  zu  einem 
Drucke  von  60  Hg.  mm,  behält  seine  gewonnene  L&nge  von 
7,08  bis  85,5  Hg.  mm,  um  bei  der  letzten  Hebung  des  Hg 
EUif  92  mm  3  Q  sich  wieder  tuzusetzen. 

loh  vermutbe,  dass  bei  weiterer  Dmcksteigernng  eine 
weitere  Dehnung  zn  Stande  gekommen  und  r  wieder  gleich 
B  geworden  w&re.    Wir  h&tten  dadurch   die  Parallele  mit 


HoiitluMitkrammiuig  bd  wUhtam  iutnocnlaren  Drnok.      35 

XIV  veiter  au^eftüirt  bekommen.  Wahrend  in  XIV  die 
Differenz  von  B  und  r  bei  T.  n.  bloss  1  Q  betragen  IiAtte, 
ist  sie  hier  gleich  0  nnd  bei  einer  T.  von  91  lesp.  92  Hg.  mm 
betrSgt  Bie  in  XIT  3  Q,  in  XIX  2  Q;  die  Differenz  dieser 
Differenzen  ist  hier  gleich  der  bei  T.  n.,  gleich  1  Q. 


Fig.  20  (Curre  von  A). 

Der  Astigmatismus  (Fig.  20),  anüEUigs  0  wie  in  XXH, 
steigt  bei  36  Hg.  mm  aof  1^  D,  ftllt  nach  einer  Sohwankaog 
von  0,75  D  am  Sohlnse  auf  0,5  D  and  wftre  Toraossiohtlich 


Fiff.  21. 


bei  weiterer  Dmckrermehranf  anf  0  zorackgegangen,  womit 
auäi  eine  nahe  Beziehong  mit  TTCn  prftgnant  hervorgetreten 
wftre.    Der  Astigmatismns  ist  stete  normal  geblieben. 
L.  M.  D.  =  15»  (Fig.  21). 


36 


W.  Elssen. 


Der  Meridian  schw&chster  Erttmmiuig  dehnt  sich  von 
—  90^zn  —75^ 


0.  d. 


Versuch  XXV. 
Tabelle  a 


Zeit 


a- 
a5 
aio 
ai5 

8.20 

a25 

3.30 
3.35 

a4o 

3.46 
3.50 
3.55 
4i— 
4.5 


Dmck 


—    IS 


H 


^1 


1 


0 

f 

17 

24 

27 

30 

34 

37)i 

41 

44 


'S 


S 

o 

Orad 


o 

M 

o 


—  75 

-75 

—  70 

— eo 

-45 

+  45 
+  40 
+  30 
+  10 

—  15 

—  25 

—  30 
-35 

—  35 


7,25 

7fi6 

7,208 

7,208 

7,208 

7,208 

7,25 

7.25 

7,25 

7,25 

7,292 

7,333 

7,333 

7,333 


1,0 
1,0 
0,75 
0,75 
0 
0.5 
0,25 
0,25 
0,5 
0,75 
0,5 
0,5 
0,5 
0,75 


«* 

s 


7,083 
7,088 
7,083 
7,063 
7,206 
7,292 
7,292 
7,292 
7,388 
7,376 
7,875 
7,417 
7,417 
7,458 


Versuch  XXV  steht  in  lockerem  Znsammenhang  mit 
einer  überhaupt  wenig  eng  geschlossenen  Gruppe.  Sein  B 
yerhält  sich  principiell  wie  B  in  XXXVHT,  seine  Cunre 
sinkt  erst  und  hebt  sich  dann.  Sein  r  geht  wie  in  XXI 
nur  eine  Verlängerung  ein. 

Ganz  für  sich  steht  der  Versuch  da  mit  Bezug  auf 
das  gegenseitige  Verhalten  von  B  und  r  zueinander.  Die- 
selben coincidiren  bei  51,5  Hg.  mm,  um  nach  Ende  und  An* 
fang  zu  divergiren. 

Der  Versach  steht  femer  ganz  einzig  da  mit  Bezug 
auf  die  Bichtungsändemng  des  schwachstgekrümmten  Meri- 
dians, der  auf  einmal  von  -^45°  nach  H-45^  überspringt, 
so  dass  ganz  eigentlich  B  und  r  ihre  Bollen  gegenseitig 
tauschen. 

B,  7,25  lang,  contrahirt  sich  bei  38,5  Hg.  mm  um  1  Q, 


Hornhwitkrflmmnng  bei  erhSliUm  intrucDlueD  Dntck.      37 

bleibt  rnbig  bis  51^  Hg.  mm,  Terllli^ert  sich  am  2  Q  bei 
57,5  Hg.  nun,  bleibt  wieder  stehen  bis  70,5  Hg.  mm,  mn  von 
da  bia  zom  Schlnss  mit  zwei  kleinen  Rnhepansen  am  weitere 
4  Q  sich  zn  dehnen. 


Fig.  2i 

r,  von  7,083  omi  L&Dge  ansehend,  trotzt  der  +  T. 
bis  45  Hg.  mm,  setzt  sich  bei  51,5  Hg.  3  Q  zu,  die  GrOsse 
von  B  erreichend.  Bei  57,5  Hg.  mm  noch  gleich  gross, 
springt  r  von  +45**  nach  — 45o  hinüber  nnd  dehnt  sich 
bis  zom  Ende  (110,5  Hg.  mm)  um  weitere  3  Q,  ohne  je 
Torabergehend  sich  zu  contrahiren. 


Der  Astigmatismas,  (Fig.  23)  normaliter  1  D,  schwin- 
det anfiuigs  bis  0  bei  51,5  Hg.  mm,  um  nachtr&glich  wieder 


za  wachsen   und  nach  zweimaliger  vorObergebender  Ver- 
njindemng  mit  0,75  D  abznecliliesBen. 

Eigenartige  Waadlongen  erleidet  die  Richtnng  der 
beiden  Hauptmeridiane;  der  schwachstgekrOmmte,  von  —  75° 
ausgehend,  schiebt  sich  bei  der  Steigerung  des  Hg  ron  32 
auf  51^  mm  allmählich  auf  —  45"  and  setzt  bei  57,5  Hg.  mm 
plötzlich  Ober  auf  +  45",  wandert  nun  bei  weiterem  Ste^n 
des  Hg  anf  77,5  mm  allm&blich  gegen  die  Verticale  bis  zu 
+ 10",  folgt  dieser  Bichtungswandemng  von  rechts  nach 
links  nach  dem  linken  oberen  Quadranten  und  langt,  stetig 
fortschreitend,  auf  — 35"  an  bei  103,5  Hg.  mm,  um  dieser 
Stellung  auch  noch  bei  110,5  Hg.  mm  treu  zu  bleiben. 


s3C}A 


—  •«  +w> 

Fig.  24. 

Es  ist  dies  der  einzige  Versuch,  in  dem  die  Haupt- 
meridiane die  Verticale  überschreiten  und  dies  gerade  zwei- 
mal; der  BohwAchstgekrtlmmte  Meridian  geht  in  einem  Stock 
von  —  45  0  zu  +  450  und  von  da  langsam  zorOck  za  —  35". 

Es  ist  dies  auch  der  einzige  Versuch,  wo  derselbe  Meri- 
dian, wenn  auch  nur  relativ,  von  der  Verticalen  sich  ent- 
fernt. 

|_  U.  D.  betrogt,  wenn  wir  seine  Tollst&ndige  Abrollung 
nnd  theilweise  Wiederaufrollung  in  Bechnung  bringen,  20Ui). 

Die  noch  folgenden  2  Versuche  XX  und  XXXH  haben 
keine  wesentlichen  Eennzeicben  gemeinschaftlich.  Versach 
XX  zeichnet  sich  durch  seine  mehrfach  gebrochene  Cnrve 
von  r.  Versuch  XXXVI  durch  die  ebenso  vielfooh  gebrochene 
Curve  von  B  aus. 


HoTnhatitktfliiimnng  bei  «rhShteio  intraocnluen  Druck. 


VersQoh  XX. 
Tabelle  9. 


Dmck 

i 
1 

Zeit 

■-     1 

|1| 

.9  h 

i 

4i» 

26 

0 

25 

—  75 

iS5 

35 

8« 

318 

-75 

130 

46 

7 

38 

-TB 

435 

56 

11« 

«8 

-75 

4.10 

65 

15 

50 

-72 

4.45 

75 

198 

568 

—  70 

4.50 

85 

M 

Gl 

-6B 

4.56 

96 

US« 

«68 

—  65 

6.— 

106 

M 

71 

-66 

5.5 

116 

m 

7G8 

—  62 

5J0 

125 

Sr 

ffi^ 

—  60 

5.15 

186 

47 

H8 

-60 

5.30 

145 

618 

938 

—  60 

6.26 

166 

61 

101 

-66 

75 

7,6 

1,0 

75 

7,636 

2,25 

76 

7666 

2,6 

75 

7,666 

1^ 

72 

7,666 

1,6 

70 

7.626 

1,76 

65 

7,5 

1,6 

65 

7,458 

1,26 

66 

7.458 

1,20 

62 

7,458 

1^ 

60 

7,417 

0,76 

60 

7.417 

0,76 

60 

7,417 

075 

66 

7,375 

0,5 

T.  n.  =  25  Hg.  mm. 
K  (Fig.  25)  UTBprangUcli  7^  mm  lang, 
der  +T.   naoligebend,   erst  einen  Zuwachs 
38  Hg.  mm,   bebtUt  denselben  bis  50  Hg.  mn 


7,25 
7,26 
7,417 
7,417 


erhftlt,  gleich 
TOD  4  Q  bei 
1,   nimmt  ntm 


40  W.  Bissen. 

stetig  ab,   erst  rascher,   Bpätei  langsamer  nnd  mit  Unter- 

brechnng  um  7  Q,  verliert  also  von  seiner  An&ngsgiQsse  3  Q. 

r,  7.333  mm  lang,  verändert  sieh  gleich  bei  der  ersten 

+  T-,  aber  in  entgegengesetztem  Sinne  wie  R,   er  verkOrzt 


Fig.  36  (Cnrre  von  A). 

sich  bei  31,6  Hg.  mm  um  2  Q,  verharrt  so  bis  38  Hg.  mm, 
nimmt  nmi  bei  43,5  Hg.  mm  plötzlich  mn  4  Q  zu,  nm  rasch 
sich  wieder  zusammenzuziehen,  sowie  das  Hg  hoher  geht  als 
50  mm,  um  4  Q  bis  61  Hg.  mm,  in  dieser  Lage  verharrend 


Fig  27. 
bis  76,0  Hg.  mm,  dehnt  r  sich  noch  nm  1  Q  bei  82  Hgmm, 
am  bis  zam  Schluss  (101  Hg.  mm)  constant  zu  bleiben. 

Der  Astigmatismus  (Fig.  26)  hebt  mit  1  D  an,  steigt 
schon  bei  38  Hg.  mm  auf  sein  Uazimom  von  2,5  D,  um  bis 
zu  Ende,  unterbrochen  von  einer  kleinen  Schwankung  naoh 
oben  und  mehreren  Bohepauaen,  auf  0,5  B  zurQckzagehen. 


Hornhantkrammung  bei  erhöhtem  intraocularen  Druck.      4I 


L  M.  D.  «  200  (Fig.  27). 
Der  schw&chstgekrtlmmte  Meridian  yerschiebt  sich  von 


—  750  zn  —  550. 


0.  8. 


Versuch  XXXVI. 
TabeUe  10. 


Zeit 


Drack 


«  o 

tjBOQ 


BM 

ifM 

'2       0 

g  0  0 

'■2.2 

.Sh 

»4 

« 

o 


s 


Grad 


9 


o 

s 


1-2 


hl 

o 
n 


4.25 

4.30 

4.35 

4.40 

4.45 

4.50 

4.55 

5.— 

5.5 

5.10 

5J15 

5.20 

5.25 

5.30 


24 

34 

44 

54 

64 

74 

84 

94 

104 

114 

124 

134 

144 

154 


0- 

8 
12 
16 

23 
27 
31 

38 
42 
45 


24 

31!^ 

39 

46 

52 

58 

^ 

77 
83 

89i^ 
96 
102 
109 


45 
45 
45 
45 
40 
37 
37 
37 
37 
35 
35 
35 
83 
30 


7,417 
7.458 
7,583 
7583 
7,542 

7,666 

7,75 

7,666 

IJöSQ 

7.583 

7,583 

7.583 


1,0 

1,25 

2,0 

2,5 

2,5 

2,75 

3,25 

4,25 

5,5 

5,0 

4,0 

3,5 

3,25 

3,0 


7,25 

7,25 

7,25 

7,167 

7,125 

7,042 

6,958 

6,958 

6,833 

6,833 

6,917 

7,0 

7,042 

7.083 


Dieser  Versuch  zeichnet  sich  ausser  durch  das  Ver- 
halten seiner  B-Curve  aus  durch  das  Maximum  des  acqui- 
rirten  Astigmatismus.  ^ 

B  (Fig.  28),  ursprünglich  7,417  mm  lang,  gibt  sofort 
nach,  dehnt  sich  bei  39  Hg.  mm  schon  um  4  Q,  bleibt  ruhig 
bis  46  Hg.  mm,  verjüngt  sich  um  2  Q  bis  58  Hg.  mm,  bleibt 
wieder  ruhig  bis  69,5  Hg.  mm,  streckt  sich  nun  acut  um  6  Q 
bei  77  Hg.  mm,  schrumpft  wieder  um  4  Q  bis  zu  89,5  Hg.  mm 
und  yerharrt  nun  in  dieser  Grösse  bis  zum  Enddruck  von 
109  Hg.  mm. 

r,  7,25  mm  lang,  bleibt  unverändert  bis  39  Hg.  mm, 
contrahirt  sich  nun  aber  mit  Ausnahme  eines  kurzen  Mo- 
mentes  des  Stationärbleibens  unaufhaltsam  und  intensiv, 


am   10  Q  bis  77  Bg.  mm,  bei  welchem  Drncke  B  seine 
^Osste  Lftnge  von   7,75  mm   erreicht  hatte.     N&ch  kurz 


Fig.  28. 

dauerndem  NiTesohalten  veiläDgert  sieb  r  Ton  da  an  stetig 
bis  zum  Ende  otn  6  Q. 

Der  Astigmatismus  (Fig.  29)  der  norimüeD  Cornea  yon 
1  D  nimmt  mit  dem  einzigen  StUlstand  (39 — 16  Hg.  mm) 
coQstant  zu  und  erreicht  bei  77  Bg.mm  den  Hflheponkt 
Toa  5  D,  am  von  hier  bis  zam  Ansgang  des  Yersnchs 
constant  zorflckzngehen  bis  auf  3  D. 


Hornhftntkrflmmniig  bei  rahObtem  intraocoUren  DracL      43 

|_  M.  D.  (Fig.  30)  «  15". 
Der  Bchw&cbBtgetrammte  Meridian  dreht  sich  von  —  45" 
h  —30". 


Fig.  29  (CuTTO  Ton  A). 


Veigleichen  wii  oan  die  10  angefahrten  Versuche  be- 
zQglich  der  nns  interessirenden  Pnnkte. 


44  W.  Eissen. 

1.  Der  normale  intraoculare  Druck. 
Die  physiologische  Spannung  bebrug: 

in  4  Augen  24  Hg.  mm 
in  5  Augen  25  Hg.  mm 
in  1  Auge  24,5  Hg.  mm 
durchschnittlich  also  24,5  Hg.  mm. 
In  Tabelle  11   sind  die  10  verschiedenen  B  mit  ihren 
sämmtlichen  Wandlungen   zusammengestellt    Die  Verlän- 
gerungen und  Verkürzungen  sind  in  +  und  —  Werthen  von 
Q  ausgedrückt.    Wegen  des  sehr  verschiedenen  Verhaltens 
von  B  gegenüber  der  Dracksteigerung  in  ihren  verschiedenen 
Graden  bei  der  relativ  kleinen  Anzahl  von  Versuchen  giebt 
uns  eine  Durchschnittscurve  für  sämmüiche  B  eine  weniger 
richtige  Vorstellung  von  den  wirklichen  Vorgängen  als  die 
directe  Vergleichung  der  verschiedenen  B  bei  den  einzelnen 
Druckstufen. 

Unter  physiologischen  Druckverhältnissen  beträgt  B: 

im  Durchschnitt  7,358 
im  Maximum    .  7,583 
im  Minimum     .  7,082; 
Die  grösste  Differenz  beträgt   also  0,51,   3  D   ent- 
sprechend. 

In  keinem  Versuche  bleibt  B  unverändert   oder  nahm 
mit  Ende  des  Versuchs  seine  ursprüngliche  Länge  wieder  ein. 
Am  Ende  war  B  grösser  geworden  in  sechs  Fällen, 
und  zwar 

in  2  Fällen  um  4  Q 

in  3      „      um  2  Q 

in  1  Falle    um  1  Q 

durchschnittlich  um  2,5  Q, 

kleiner  dagegen  in  4  Fällen,  und  zwar: 

in  1  Falle    um  4  Q 
in  1     „       um  3  Q 
in  2  Fällen  um  1  Q 
durchschnittlich  um  2,25  Q. 


Horniiaatkrttmmimg  bei  erhöhtem  intraocnlaien  DraclL      45 


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46  W.  Biflsen. 

Der  End-B  aller  10  FftUe  war 

im  Durchschnitt  7,383  mm 
im  MaTJmnm  7,666  mm 
im  Minimum  7,208   „ 

Die  grOsste  Differenz  beträgt  0,458  mm,  2,75  D  ent- 
sprechend. B  aller  zehn  Fälle  ist  am  Ende  der  Versache 
grosser  als  am  Anfang 

im  Durchschnitt  nm  0,028  mm  0,5  Q  entsprechend 
im  Maximum  um  0,085  mm  =  2  Q 
im  Minimum  um  0,126  mm  =  3  Q. 

Wie  verhält  sich  nun  B  gegenüber  den  einzelnen 
Spannungsgraden? 

B  bleibt  entweder  in  seiner  arsprOnglichen  GrOsse, 
im  Qleichge¥richt  (Glg.)f  oder  wird  länger  oder  kürzer. 
Das  primär  verlängerte  B  kann  sich  secundär  verkürzen, 
aber  immer  noch  länger  bleiben  als  es  ursprünglich  war, 
es  verkürzt  sich  nur  relativ,  oder  aber  es  kommt  wieder 
ins  Gleichgewicht  zurück  oder  es  schlägt  sogar  nach  der 
anderen  Seite  aus;  die  primäre  Verlängerung  geht  in  eine 
secundäre  absolute  Verkürzung  über.  Das  primär  verkürzte 
B  kann  ebenfalls  sich  relativ  verlängern,  ins  Gleichgewicht 
konmien  und  sich  absolut  verlangen!.  Die  relative  Ver- 
längerung und  Verkürzung  ist  stets  besonders  hervorgehoben 
durch  ein  beigefügtes  r,  während  unter  Verlängerung  und 
Verkürzung  kurzw^  die  absoluten  Veränderungen  ver- 
standen sind. 

Nach  diesen  Gesichtspunkten  geordnet,  finden  wir  B 
in  folgender  Häufigkeit  vertreten 

im  Gleich-    ,  ,  ,.  • 

.  ..       länger    kürzer    r  länger   r  kürzer 

bei  30  Hg.  mm  5  4  1  —  — 

35       „  5  4  1  _  _ 

40       „  2  3  4  -  1 

45       „  2  2  6  —  — 


HonihAntkrttmmaDg  bei  erkObtom  intraocularen  Draok.      47 


im  Gleich- 
gewicht 

läi^er 

kürzer 

r  l&nger 

rlcOrzer 

bei  50  Hg 

:.  mm.     2 

1 

6 

1 

55 

1 

1 

6 

2 

60 

2 

1 

5 

1 

1 

66 

3 

1 

4 

1 

1 

70 

4 

2 

4 

75 

2 

4 

4 



80 

2 

3 

4 

1 

85 

2 

3 

4 

1 

90 

1 

3 

4 

2 

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2 

3 

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3 

110 

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2 

3 

Bei  30  Hg.  mm  bleiben  5  B  im  Gleichgewicht,  4  werden 
Iftnger,  1  wird  kOrzer;  bei  36  Hg.  mm  dieselben  Verhältnisse. 
Bei  40  Hg.  mm  sind  nur  noch  2  B  im  Gleichgewicht^  3  noch 
länger  t  dafür  sind  4  klbrzer  geworden  und  einer  der  erst 
verlängerten  relativ  kürzer.  Das  Gleichgewicht  behalten  die 
2  B  noch  bei  45  Hg.  mm;  bei  50  Hg.  mm  hat  nur  noch  1  B 
(XIV)  nicht  nadigegeben,  während  ein  anderer  B  (XIX) 
nadi  einer  positiven  Schwankung  in's  Gleic])gewicht  zurück- 
geschnellt ist.  Bei  55  Hg.  mm  hat  auch  der  letzte  normale 
B  seine  ursprüngliche  Grosse  verloren ,  hat  sich  um  4  Q 
gedehnt.  Von  hier  bis  zu  70  Hg.  mm  wächst  wieder  die 
Zahl  der  Gleichgewichtslagen  bis  zu  4,  von  denen  3  aus 
negativen,  1  aus  einer  positiven  Schwankung  zurückgekehrt 
sind.  Von  75  bis  85  Hg.  mm  finden  sich  je  2  B  im  Gleich- 
gewicht, bei  90  noch  einer  und  über  diesen  Druck  hinaus 
keiner  mehr.  Die  Linie  des  verlängerten  B  zeigt  ihre  grOsste 
Elevation  am  Anfimg  und  gegen  Ende  (siehe  Fig.  31). 

Zählt  man  die  relativ  kürzeren  B  zu  den  längeren,  so 
hebt  sie  an  mit  4,  bleibt  auf  dieser  Hohe  bis  zu  40  Hg;  mm, 


48  W.  Siflsen. 

sinkt  nun  anf  2  nnd  bleibt  ziemlich  constant  bis  zn 
70  Hg.  mm,  nun  steigt  sie  bei  75  Hg.  mm  wieder  auf  4,  bei 
90  Hg.  mm  auf  5  und  bei  95  Hg.  mm  gar  auf  das  MaTimnin 
von  6. 

Die  Linie  der  verkürzten  Badien  hat  einen  &st  um- 
gekehrten Verlauf;  sie  hebt  mit  1  an,  steigt  bei  40  Hg.  mm 
auf  4,  bei  45  auf  6,  sinkt  bei  65  Hg.  mm  auf  5,  bei 
70  Hg.  mm  auf  4,  um  nun  auf  dieser  Höhe  bis  zu  95  Hg.  mm 
zu  bleiben. 

Das  Lftngerwerden  von  B,  das  Flacherwerden  des 
schwächst  gekrümmten  Meridians,  erklärt  sich  aus  einem 
Nachgeben  des  Limbus  an  der  betreffenden  Stelle,  aus  einem 
Auseinanderweichen  der  den  Limbus  constitairenden  Scleral- 
fasem,  während  eine  Verkürzung  von  B  ein  Festhalten  des 
Scleralfalzes  und  eine  stärkere  Wölbung  der  Hornhaut  in 
Folge  grosserer  Weichheit  ihres  Gewebes  bedeutet. 

Bei  30  und  35  Hg.  mm  halten  in  5  Fällen  Sclera  und 
Hornhaut  Stand,  in  4  Fällen  weichen  die  Limbusfiftsem,  in 
1  Fall  gibt  die  ausnahmsweise  wenig  resistente  Cornea  nach. 
Bei  40  Hg.  mm  wOlbt  sich  schon  in  4  resp.  5  Fällen  die 
Hornhaut  stärker,  bei  45  Hg.  mm  in  6  Fällen.  Die  relativ 
kurzen  Badien  sind  solche,  die  absolut  zu  lang  sind,  bei 
denen  aber  doch  bereits  eine  Verkürzung  sich  eingeleitet 
hat,  bei  denen,  die  Hornhaut  anfängt,  sich  auszubuchten. 
Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  müssen  dieselben  zu  den 
verkürzten  Badien  gezählt  werden.  So  betrachtet,  wächst 
die  Zahl  der  Verkürzungen  bei  50  Hg.  mm  auf  7,  bei 
55  Hg.  mm  auf  8,  um  von  da  an  bis  zu  70  Hg.  mm  succes- 
sive  auf  4  zurückzugehen  und  nun  bis  zum  Schluss  auf 
dieser  Hohe  sich  zu  behaupten. 

Bei  einem  intraocularen  Drucke  von  45—65  Hg.  mm 
buchtet  sich  die  nachgebende  Cornea  in  der  grossen  Mehr- 
zahl der  Fälle  aus,  und  die  Sclera  hält  wacker  Stand,  nach- 
dem sie  in  einer  nicht  geringen  Zahl  von  Fällen  bei  be- 
ginnender  Spannungszunahme   etwas   sich   gedehnt  hatte. 


Honkhaatkrümmang  bei  erhöhtem  intraocularen  Drack.      49 

Hier  scheint  die  Homhant  das  Maximum  ihrer  Dehnbarkeit 
erreicht  zn  haben;  eine  weitere  Drucksteigemng  bat  ein 
ementes  Anseinanderwdchen  der  Limbnsfasem  im  Gefolge. 
Die  Zahl  der  sich  von  hier  an  streckenden  B  muss  bei 
genauerem  Zusehen  um  die  jeweilige  Anzahl  der  Gleich- 
gewichtslagen weniger  eine  bis  zu  70  Hg.  mm  yermehrt  ge- 
dacht werden,  indem  nur  eine  einzige  aus  einer  positiyen 
Schwankung  sich  herausgebildet  hat,  während  bei  den  übrigen 
das  Gleichgewicht  durch  ein  Längerwerden  eines  erst  ver- 
kürzten B  entstand;  diese  letztere  gilt  für  alle  Gleich- 
gewichtslagen über  70  Hg.  mm. 

Die  Tabelle  12  gibt  einen  Ueberblick  über  die  10  ver- 
schiedenen r  und  ihrer  durch  die  Versuche  bedingten  Ver- 
änderungen. 

Unter  physiologischen  Druckverhältnissen  beträgt 

r  im  Durchschnitt  7,217  mm 
im  Maximum  7,583  mm 
im  Minimum  6,958  mm. 

Die  grösste  Differenz  beträgt  also  0,625  mm,  3,75  D.  ent- 
sprechend, um  0,75  D.  mehr  als  die  grösste  Differenz  für  B. 

r  blieb,  ähnlich  wie  B,  in  keinem  Versuche  unverändert 
oder  nahm  mit  Ende  des  Versuchs  seine  ursprüngliche 
Länge  wieder  an. 

Am  Ende  des  Versuchs  war  r  grösser  geworden  in 
5  Fällen  und  zwar  in 

1  Fall  um  9  Q 

1  Fall  um  5  Q 

2  Fällen  um  4  Q 

1  Fall  um  3  Q 
durchschnittlich  um  5  Q. 

Kleiner  geworden  in  5  Fällen  und  zwar  in 

2  Fällen  um  4  Q 
1  Fall  um  3  Q 

V.  Oraefe*«  Archiv  fUr  Ophthalmologie,  XXXIV.  S  4 


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W.  Eissen. 


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HornhantkrümmuDg  bei  erhöhtem  intraocnlaren  Druck.      51 

1  Fall  um  2  Q 
1  Fall  um  1  Q 
dorcbscbnittlich  um  3  Q. 

Der  End- Radius  aller  10  Fälle  mass: 

im  Durchschnitt  7,263  mm 
im  Maximum  7,458  mm 
im  Minimum  7,083  mm. 

Die  grösste  Differenz  beträgt  also  0,375  mm,  2^5  D.  ent- 
sprechend, um  0,5  D.  weniger  als  die  grOsste  Differenz  für  r. 
r  ist  am  Ende  der  Versuche  nur  im  Durchschnitt 
grosser  als  am  Anfang  und  zwar  um  0,046  mm  =  1  Q, 
dagegen  kleiner 

im  Maidmum  um  0,127  mm  »  3  Q 
im  Minimum    um  0,125  mm  ~  3  Q. 

Am  Anfang  der  Versuche  ist  R  grosser  als  r 

im  Durchschnitt  um  0,141  mm  »  3,5  Q 

im  Maximum  um  0  ==  0 

im  Minimum  um  0,124  mm  =  3  Q. 

Am  Schluss  der  Versuche  ist  R  grosser  als  r 

im  Durchschnitt  um  0,120  mm  ==  3  Q 
im  Maximum  um  0,208  mm  =:  5  Q 
im  Minimum  um  0,1205  mm     =s  3  Q. 

Construiren  wir  aus  Tabelle  12  ein  analoges  Tableau 
fOr  r,  wie  wir  es  aus  Tabelle  11  fBr  R  construirt  hatten, 
so  erhalten  wir  r 

beiaOHg.mmS  1  1  —  — 

35       „          7  1  2  —  — 

40       „          4  2  4  _  _ 

45       „          4  2  4  —  — 

50       „          2  3  4  1  — 

4* 


52 

W.  Eissen. 

im  Gleich- 
gewicht 

länger 

kfirzer 

r  länger 

r  kürzer 

bei  55  Hg 

[.  mm      1 

3 

5 

1 

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1 

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4 

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1 

— 

r  verhält  sich  dem  wachsenden  intraocalären  Dracke 
gegenüber  anders  als  B.  Zunächst  fällt  die  grosse  Zahl 
der  ursprünglichen  Gleichgewichtslagen  auf,  die  aber  analog 
wie  bei  B  mit  50  Hg.  mm  sämmtlich  verschwunden  sind. 
Secundäre  Gleichgewichtslagen  sind  viel  seltener  als  bei  R, 
nur  zwei,  eine  bei  55  Hg.  mm  nach  einer  doppelten,  erst 
negativen,  dann  positiven  Schwankung  (xx)  und  eine  bei 
75  Hg.  mm  nach  einer  negativen  Schwankung,  r  leistet 
also  in  einer  erheblich  grösseren  Zahl  von  Fällen  der  patho- 
logischen Drucksteigerung  Widerstand  als  B. 

Die  graphische  Darstellung  der  r,  welche  bei  wachsen- 
dem Drucke  länger  werden,  giebt  eine  einfach  aufsteigende 
Linie,  die  vielfach  grosse  horizontale  Strecken  hat,  aber  nie 
sich  senkt.  Bei  30  Hg.  mm  wird  1  r  länger,  bei  40  Hg.  mm 
2  r,  bei  50  Hg.  mm  3  r,  bei  80  Hg.  mm  4  r,  bei  90  Hg.  nun 
5  r,  also  die  Hälfte,  bei  100  Hg.  mm  noch  4  r  von  6  r. 

Die  sich  verkürzenden  r  bilden  dagegen  eine  emfach  nach 
oben  convexe  Curve.  Zählen  wir  die  relativ  längeren  r, 
die  absolut  aber  kürzer  sind,  hinzu,  so  steigt  die  Curve 
von  1  bei  30Hg.mm,  auf  2  bei  35  Hg.  mm,  auf  4  bei  40Hg.  mm. 


Hornhaatkrüminnsg  bei  erhöhtem  intraocnlaren  Druck«      53 


auf  6  bei  50  Hg.  mm,  aaf  6  bei  55  Hg.  mm,  auf  7  bei  60  Hg.  mm, 
bleibt  so  bis  70  Hg.  mm  und  sinkt  nmi  auf  6  bei  75  Hg.  mm, 
auf  5  bei  90  Hg.  mm  mid  behauptet  bei  100  Hg.  mm   nur 


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noch  2  Fälle  von  6,   bei  105  Hg.  mm  nur  noch  einen  von 
4  Fallen. 

Eine  relative  Verkürzung  ist  nicht  beobachtet,  d.  h.  in 
keinem  Falle   ist  r  erst  länger  nachher  kürzer  geworden, 


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54  W.  Eiflsen. 

während  in  einer  grossen  Zahl  ton  Fällen,  bei  90  und 
95  Hg.  mm  50pCt.,  der  erst  verkürzte  r  sich  wieder  streckte. 

Kommen  wir  wieder  auf  unsere  grob  anatomische  Vor- 
stellung zurück,  bei  der  wir  für  jede  Dehnung  von  r,  jede 
absolute  sowohl  als  jede  relative  ein  Nachgeben,  ein  Aus- 
einanderweichen der  Scleralfasern  annehmen,  für  jede 
Schrumpfung  von  r  dagegen  eine  stärkere  Hervorwülbung 
der  Cornea  in  dem  betreffenden  Meridian,  so  ergiebt  sich 
dass  bei  beginnender  Drucksteigerung  die  ganze  Bulbus- 
hülle,  sowohl  Cornea  als  Sclera,  in  diesen  den  r  correspon- 
direnden  Meridianen  mehr  Resistenz  besitzt  als  in  den  ver- 
tical  daraufstehenden.  Der  Analogieschluss  liegt  nahe,  dea 
normalen  Astigmatismus  des  menschlichen  Auges  durch 
ähnliche  Verhältnisse  zu  erklären. 

Bei  40  Hg.  mm  giebt  die  Sclera  zweimal  nach,  4  mal 
die  Cornea,  bei  50  Hg.  mm  giebt  die  Sclera  4  mal  nach, 
4  mal  die  Cornea. 

Die  Sclera  resistirt  ungefthr  in  gleichen  Verhältnissen 
bis  zu  80  Hg.  mm,  nun  wird  aber  ihr  Widerstand  gebrochen, 
bei  80  Hg.  mm  dehnt  sie  sich  8  mal,  bei  90  Hg.  mm  in  allen 
10  Fällen. 

Die  Cornea  wurde  gewölbter  bei  55  Hg.  mm  5  mal,  bei 
60  Hg.  nun  6  mal,  bei  70  Hg.  mm  5  mal,  bei  80  Hg.  mm  noch 
2  mal. 

Die  Hornhaut  hat  gar  nicht  nachgegeben  in  3  Fällen 
(XXIV,  XXI  und  XXV)  resp.  in  diesen  Fällen  war  eine 
Ausbuchtung  mit  dem  Ophthalmometer  nicht  nachweisbar; 
möglich  wäre  es  immerhin,  dass  eine  eventuelle  Dehnung 
der  Cornea  durch  eine  stärkere  Dehnung  der  Sclera  flber- 
compensirt  worden  wäre. 

Die  Lederhaut,  welche  durchschnittlich  längeren  Wider- 
stand leistet,  gibt  aberausnahmslos  in  allenFäUen  nach,  sobald 
ein  Druck  von  90  Hg.  mm  erreicht  ist.  Der  Cardinalunter- 
schied  des  dem  r  zugehörigen  Scleralgewebes  gegenüber 
dem  zum  B  gehörigen  liegt  darin,   dass   wir  keine  Fälle 


Hornhautkrttmmnng  bei  erhöhtem  intraocolaren  Druck      55 

haben,  wo  dasselbe  bei  30—40  Hg.  mm  sieb  dehnt,  nnn  fest- 
hält, um  die  Cornea  sich  wOlben  zu  lassen  und  später 
wieder  nachzugeben,  r  beschreibt  eben  nicht  eine  Gurve 
wie  B,  sondern  eine  einfache  aufsteigende  Linie. 

Es  giebt  kein  Eaninchenauge,  welches  einen  Druck  von 
mehr  als  50  Hg.  mm  aushält,  ohne  dass  sich  seine  Halle, 
Sclera  oder  Cornea  dehnt. 

Der  vordere  Abschnitt  der  Bulbushälle  scheint  durch- 
schnittlich in  der  Gegend  ihres  stärkstgekrammten  Meri- 
dianes  in  der  Verticalen  etwas  stärker  gebaut  zu  sein,  als 
in  der  Horizontalen,  em  Satz,  welcher  der  anatomischen 
Prüfung  werth  sein  dürfte. 

Die  Durchscbnittscurven  fQr  B  und  r  (Fig.  31)  geben 
trotz  der  gegen  dieselben  erhobenen  Einwände  eine  nicht 
imwahrscheinliche  Darstellung  der  in  Frage  stehenden  Pro- 
cesse.  Allerdings  ist  das  Quantitative  der  Hebungen  und 
Senkungen  so  minim,  dass  die  Ordinate  der  Deutlichkeit 
halber  nicht  nach  0,041  mm,  sondern  nur  nach  0,01  mm 
^ngetheilt  werden  konnte. 

B  erleidet  erst  eine  Yerlängerung  mit  Maximum  bei 
35—40  Hg.  mm,  bei  45—50  Hg.  mm  Verkürzung  bis  unter 
AusgaogsgrOsse.  Nun  folgt  eine  zweite  Periode  der  Dehnung, 
die  bei  75  Hg.  mm  culminirt,  um  später  wieder  etwas  zurück- 
zugehen. Die  Curve  nähert  sich  am  meisten  derjenigen 
von  B  im  Fall  XXXVI  (Fig.  28).  Also  erst  Dehnung  der 
Sclera,  darauf  Wölbung  der  Cornea  und  endlich  abermalige 
Dehnung  der  Sclera. 

Die  Curve  von  r  sieht  ebenfalls  derjenigen  von  Fall 
XXKVI  nicht  unähnlich;  erst  verkürzt  sich  r,  zunächst 
langsam,  von  50 — 60  Hg.  mm  rascher,  um  von  65 — 75  Hg.  mm 
ziemlich  gleich  zu  bleiben,  und  von  75  Hg.  mm  an  bis  zum 
Schluss  sich  stetig  zu  verlängern,  und  zwar  etwas  über 
seine  AnfangsgrOsse  hinaus.  Erst  gibt  wesentlich  die  Cornea 
nach,  von  75  Hg.  mm  an  aber  die  Sclera. 


56 


W.  Eissen. 


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Hornhantkrümmimg  bei  erhöhtem  intraocnlaren  Druck«      57 

Von  den  10  Yersnchsaugen  besassen  Astigmatismas; 

2  =  0  D. 

1  =  0,25  D, 
4  ==1  D. 

2  =-  1,25  D. 

1  =  1,75  D. 

Von  10  Angen  haben  also  nur  3  Augen  einen  Astig- 
matismus grosser  als  1  D.  Auf  ein  Auge  kommen  durch- 
schnittlich 0,85  D. 

Am  Ende  der  Versuche  besassen  von  diesen  10  Augen 
Astigmatismus; 

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3  =  0,5  D. 

2  =  0,75  D. 
1  =  2,75  D. 
1  =  3  D. 

Die  Zahl  der  astigmatismuslosen  Augen  ist  von  2  auf 
3  gewachsen,  trotzdem  Auge  XIX,  das  Anfangs  frei  von 
Astigmatismus  war,  einen  solchen  von  0,5  D.  acquirirt  hatte. 
Auge  XIY  mit  ursprünglich  0,25  D.  verlor  seinen  Astig- 
matismus vollständig.  Unter  den  10  Augen  hatten  vor  der 
Drucksteigerung  nur  3  einen  Astigmatismus  von  weniger 
als  1  D.,  am  Schluss  der  Versuche  befanden  sich  8  Augen 
unter  dieser  Bedingung.  Nur  zwei  Fälle  verhalten  sich 
umgekehrt;  in  Auge  XXXVIII  war  der  Astigmatismus  im 
Verlaufe  des  Versuches  gestiegen  von  1,75  D.  auf  2,75  D. 
und  in  Auge  XXXVI  von  1  D.  auf  3  D.  Bei  genauerer 
Betrachtung  dieser  beiden  Augen  fällt  das  sehr  analoge 
Verhalten  ihrer  r  auf;  beide  wachsen  bis  75  Hg.  mm, 
XXXVni  nach  einer  kleinen  primären  Verkürzung,  XXXVI 
ohne  eine  solche;  nach  75  Hg.  mm  aber  nehmen  beide  con- 
sequent  ab,  bei  XXXVI  bis  zu  HO  Hg.  mm,  bei  XXXVIII 
bis  zum  Schluss  des  Versuchs,  der  leider  nicht  einmal  bis 
zu   100  Hg.  mm   ausgedehnt  wurde.    Es  ist  höchst  wahr- 


58 


W.  EisseiL 


8[cheinlich,  dass  bei  Fortsetzung  dieser  beiden  Versuche  r 
successive  weiter  abgenommen  haben  würde,  und  die  Aus- 

9 

nahmsstellung  derselben  nicht  zu  Stande  gekommen  wftre. 


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In  keinem  der  10  Augen  ist  aber  der  Astigmatismus 

bei  zunehmender  Spannung  einfach  immer  kleiner  geworden; 

in  allen  kam  vorübergehend  eine  Zunahme  vor,  und  zwar 

\  vorwiegend  bei  den  niedem  Spannungsgraden.   Bei  weiterer 

'    Steigerung  des  Druckes  aber  ist  das  Zurückgehen  des  Astig- 


HonibaatkrQiiuiiiiiig  bei  erhöhtem  mtraocnlaren  Druck.      59 

matismuSf  das  Bestreben  der  Hornhaut,  ihre  Wölbung  aus- 
zugleichen, unverkennbar.  Hier  muss  die  Durchschnitts- 
curve  (Fig.  32)  als  typisch  bezeichnet  werden;  sie  steigt, 
Ton  0,85  D.  ausgehend,  mit  Ausnahme  einer  kleinen  nega- 
tiven Schwankung  zwischen  40  und  50  Hg.  mm,  bis  auf 
1,8  D.  bei  75  Hg.  mm,  um  von  da  rapid  und  consequent 
abzufallen  und  zwar  bis  unter  den  Ausgangspunkt  bis  unter 
0,8  D. 

Die  consequenteste  und  prägnanteste  unter  den  Er- 
scheinungen des  Astigmatismus  ist  die  Tendenz  aus  der 
normalen  Form  herauszutreten  und  in  die  perverse  oder 
paradoxe  Form  überzugehen,  üeber  die  Eigenthümlichkeiten 
dieser  Tendez  gibt  der  nächste  Abschnitt  Aufschluss. 

Bei  Betrachtung  der  grossen  Axe  und  ihrer  Verschiebung 
in  Folge  der  Spannungszunahme  innerhalb  der  bei  unseren 
Versuchen  zur  Anwendung  gekommenen  SpannungsgrOssen 
(Tabelle  14)  ist  zunächst  hervorzuheben,  dass  die  Fälle 
XXrV,  XXTI  und  XXV  jeweilen  das  Irechte  Auge  des  Ver- 
suchsthieres  betreffen,  die  übrigen  Fälle  sämmtlich  das 
linke  Auge. 

In  9  Fällen  wich  die  grosse  Axe  von  der  Horizontalen 
ab,  in  einem  Falle  um  45^,  in  8  Fällen  um  weniger  als 
45  ^  In  keinem  Versuchsauge  existirte  also  von  Haus  aus 
ein  abnormer  Astigmatismus.  Die  durchschnittliche  Ab- 
lenkung der  grossen  Axe  von  der  Verticalen  betrug  66,6^ 
von  der  Horizontalen  23,3^. 

Bei  Berücksichtigung  des  Vorzeichens  der  Winkel  er- 
giebt  sich,  dass  in  den  4  Fällen  XXVI,  XXII,  XXXVIH 
und  XXV  die  grosse  Axe  von  oben  und  aussen  nach  innen 
und  unten,  in  den  übrigen  6  Fällen  dagegen  von  oben  und 
innen  nach  unten  und  aussen  gerichtet  war.  Da  nun  alle 
Fälle  mit  Ausnahme  von  XXV,  der  die  oben  genauer  ge- 
schilderte Sonderstellung  einnimmt,  ein  durchaus  regel- 
mässiges, von  keinem  vorübergehenden  Zurückweichen  unter- 
brochenes Fortschreiten  der  grossen  Axe  von  der  Horizon- 


60 


W.  Eissen. 


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Hornhaatkrümmung  bei  erhöhtem  intraocularen  Drack.      Ql 

talen  zur  Yerticalen  aufweisen,  so  geschieht  diese  Drehung 
in  der  grosseren  Gruppe  in  der  Richtung  des  Uhrzeigers, 
den  innem  obem  und  den  äusseren  untern  Qaadranten 
durchwandernd,  bei  der  kleineren  Gruppe  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  im  äussern  obem  und  im  untern  innem 
Quadranten  sich  bewegend.  Durchschnittlich  für  die  9  Ver- 
suche hat  sich  die  grosse  Axe  bei  96  Hg.  mm  der  Yerticalen 
um  35,2  ^  genähert ;  sie  ist  von  66,6  ^  auf  31,4  ^  derselben 
nahe  gekommen. 

Theoretisch  wäre  jedes  stigmatische  und  jedes  normal 
astigmatische  Auge  bei  95  Hg.  mm  ein  pervers  astigmatisches 
geworden;  in  Wirklichkeit  haben  2  von  den  9  Augen  den 
normalen  Astigmatismus  behalten;  bei  Auge  XIX  hat  sich 
die  grosse  Axe  nur  um  15»  verschoben,  von  —  90«  zu  —  75o 
und  in  Auge  XX  um  20«,  von  — 75o  zu  — 55o. 

Ihre  Anfangsstellungen  haben  die  grossen  Axen  unver- 
ändert beibehalten  bei  30  und  35  Hg.  mm  in  7  Fällen,  bei 
40  Hg.  mm  in  4  Fällen,  bei  45  Hg.  mm  noch  in  2  Fällen. 
Bei  50  Hg.  mm  haben  sich  die  grossen  Axen  sämmtlich  gegen 
die  Verticale  verschoben. 

unter  den  7  Fällen,  bei  denen  die  Axen  durch  35  Hg.  mm 
noch  nicht  alterirt  wurden,  haben  bei  diesem  Dracke  vier 
weder  R  noch  r  verändert,  in  dreien  war  R  grösser  ge- 
worden, durchschnittlich  um  2  Q,  in  zweien  war  r  kleiner 
geworden  um  1,5  Q,  im  dritten  Falle  war  r  gleich  geblieben, 
unter  den  4  Fällen  mit  stabiler  Axe  bei  40  Hg.  mm  finden 
sich  noch  2  mit  unverändertem  U  und  r. 

Es  geht  daraus  hervor,  dass  die  Veränderung  der 
Wölbung  der  Hornhaut  mit  einer  Verschiebung  des  Haupt- 
meridians sich  zu  verbinden  strebt  und  dass,  wenn  über- 
haupt eine  Dehnung  in  der  Richtung  des  ursprünglichen 
grossen  Meridianes  eintritt,  diese  sich  immer  nur  in  sehr 
engen  Grenzen  bewegt,  und  immer  im  Anfange  der  Versuche 
bei  relativ  niedrigem  Drucke  zu  Stande  konunt,  um  später 
bei  höhern  Druckwerthen  nie  wieder  aufzutreten. 


62  W.  Bissen. 

Es  hat  den  Ansehem,  als  ob  in  dieser  Bichtung  des 
arprflnglicheii  grossen  Meridianes  die  Sclera  relativ  am 
wenigsten  resistent  sei  und  dem  physiologischen  Drucke  oder 
einem  nur  wenig  hohem  nachgegeben  habe,  dass  aber  die 
Dehnbarkeit  sofort  an  ihren  Grenzen  angelangt  sei  und  dass 
nun  bei  weiterer  Zunahme  der  Spannung  jeweilen  die  nftchst 
angrenzenden  Scleraltheile  der  Dehnung  anheimfielen.  Die 
primäre  Stellung  der  grossen  Axe  zeigt  schon  an,  in  welcher 
Richtung  sie  weiter  schreiten,  sich  drehen  wird.  Die  Yer- 
ticale  kommt  in  der  Begel  zuletzt  an  die  Beihe  für  die 
Dehnung;  in  unsem  9  Fallen  wird  sie  nie  ganz  erreicht; 
in  2  Fallen  konmit  die  grosse  Axe  auf  lOo  nah,  in  einem 
Falle  auf  2o.  Zu  vergessen  aber  ist  nicht,  dass  die  von 
mir  angewendeten  DruckgrOssen  noch  recht  massige  waren 
und  wahrscheinlich  nicht  an  die  obere  Grenze  der  glauco- 
matOsen  Druckwerthe  reichen,  dass  bei  Fortsetzung  der 
Versuche  die  grosse  Axe  sich  der  Verticalen  voraussichtlich 
noch  mehr  genähert  hätte. 

Das  Sonderverhalten,  das  Fall  XXV  einnimmt  und  das 
oben  genau  geschildert  worden  ist,  besteht  im  Wesentlichen 
darin,  dass  die  grosse  Axe  über  die  Verticale  hinwegsetzt, 
und  nicht  nur  einmal,  sondern  zweimal,  das  erste  Mal  in 
grossem  Sprung,  das  zweite  Mal  in  kleinerem  Schritt,  dass 
dieselben  nicht  in  1  resp.  2  Quadranten  herum  sich  be- 
wegt, sondern  in  2  resp.  allen  4  Quadranten  sich  herum- 
tummelt. 

Bei  physiologischem  Drucke  befand  sich  die  Axe 
bei  — 7^0,  sie  verlief,  da  das  Auge  ein  rechtes  war,  von 
oben  aussen  nach  unten  innen.  Von  — 75  o  wandert  sie 
erst  allmählich  zu  —  45  o,  springt  von  hier  um  90  o  nach 
+  45o,  um  nun  sich  allmählich  nach  rückwärts  zu  bewegen 
gegen  die  Verticale  und  über  dieselbe  hinaus  zu  — 3ö^ 
Trotz  dieses  Herumwanderns  ist  am  Ende  des  Versuchs  die 
grosse  Axe  doch  um  40^  der  Verticalen  näher  als  am  An- 


Hornbautkiümmung  bei  erhöhtem  intraocnlaren  Druck.      63 

fang,  ist  nicht  etwa  auf  den  ersten  Stand  zurückgekehrt  oder 
mehr  an  die  Horizontale  herangerückt. 

Während  bei  den  übrigen  Yersnchen  die  Cornea  und 
ihr  Limbus  in  der  obem  Hemisphäre  in  dem  einen  oder 
andern  Quadranten  auf  eine  Strecke  von  durchschnittlich  34«, 
im  Minimum  von  15  o,  im  Maximum  Ton  58  o  nachgegeben 
hat,  so  bestreicht  das  Feld  der  Dehnung  hier  einen  Bogen 
Ton  120  0.  Die  Sclera  ist  mit  Rücksicht  auf  ihre  Festigkeit 
hier  etwas  anders  gebaut  als  in  den  9  andern  Fällen,  von 
denen  übrigens  kein  einziger  mit  einem  zweiten  sich 
identisch  verhält.  Jedes  Auge  ist  ein  Individuum  und  keine 
blosse  Nummer.  Der  horizontale  Meridian  hat  also  auch  in 
diesem  Ausnahms&Ue  bei  höherem  Drucke  nicht  nach- 
gegeben. 

Das  Verhalten  der  grossen  Axe  in  unsem  Versuchen 
stimmt  auffallend  mit  dem,  was  wir  bei  Glaucom  beobachten 
und  worauf  Martin  ein  besonderes  Gewicht  legt.  Martin 
hat  es  zuerst  klar  und  deutlich  ausgesprochen,  dass  glau- 
comatöse  Drucksteigerung  perversen  Astigmatismus  macht, 
dass  dieser  perverse  Astigmatismus  nach  Heilung  des 
Glaucoms  wieder  zurückgehen  kann.  Zum  Belege  dieser 
letzten  Behauptung  führt  Martin  speciell  4  Beobachtungen 
an,  denen  wir  eine  fünfte  aus  jüngster  Zeit  beizufügen  im 
Stande  sind. 

0.  W.y  46  Jahre  alt,  leidet  rechts  an  typischem  Glaucoma 
Simplex  mit  bedeutender  Vermehrung  des  intraocnlaren  Druckes, 
links  an  Iritis  chronica.  Am  16.  Januar  vor  der  Operation 
zeigte  die  rechte  Cornea  einen  objectiven  perversei^  Astig- 
matismus von  4  D.,  Axe  vertical,  die  linke  Cornea  einen  nor- 
malen Astigmatismus  von  0,5  D.  Am  17.  Januar  beiderseits 
mittelbreite  Iridectomie  nach  oben.  Am  30.  Januar  zeigt  die 
rechte  Cornea  noch  3,25  D.  perversen,  die  linke  Cornea  jetzt 
1,5  D.  perversen  Astigmatismus.  Auf  dem  linken  Auge  bat 
sich  in  Folge  der  Vernarbung  der  Lanzenwunde  die  Comea- 
wülbung  derart  verändert,  dass,  ^deale  Krümmung  früher  voraus- 
gesetzt,  ein  perverser  Astigmatismus   von  2  D.  zu  Stande  ge- 


54  W.  EiBsen. 

kommen  wäre.  Einen  gleichen  Narbeneffect,  anf  das  rechte 
Auge  übertragen,  müssten  wir,  ohne  Interrention  anderer 
Factoren,  hier  einen  perversen  Astigmatismus  von  6  D.  er- 
warten; unter  diesem  Voranschlag  blieb  der  reelle  umgekehrte 
Astigmatismus  um  2,75  D.  zurück.  Dieses  Deficit  können  wir 
nur  auf  die  entspannende  Wirkung  der  Iridectomie  setzen.  Die 
Sclera  hat  ihre  Elasticität  in  Folge  der  Druckerh5hung  nur 
theil weise  eingebüsst;  sie  kann  sich  möglicherweise  noch  mehr 
erholen,  falls  der  pathologische  Druck  nicht  allzulange  ge- 
dauert hatte,  ein  Moment,  über  das  unser  Patient  ungenügende 
Auskunft  zu  geben  vermochte. 

Wenn  wir  die  Festigkeit  der  Lederhaat  des  Kaninchens 
gleich  der  des  Menschen  setzen  —  voraussichtlich  ist  sie 
im  ausgewachsenen  Zustande  unter  der  des  menschlichen 
Auges  —  so  müssen  wir  annehmen,  dass  der  intraoculare 
Druck  bei  Glaucom  nicht  selten  100  und  110  Hg.  mm  über- 
steigt, oder  aber  dass  bei  längerer  Dauer  desselben  die 
Sclera  nach  und  nach  ein  und  demselben  Druck  mehr  nach- 
giebt,  so  würde  es  sich  erklären,  dass  bei  Olaucom  die 
grosse  Axe  nicht  selten  bis  in  die  Verticale  vorrückt. 

Besumiren  wir  zum  Schluss  die  Hauptergebnisse  unserer 
Untersuchungen: 

1.  Das  Kaninchen -Auge  besitzt  einen  physiologischen 
Druck  von  circa  24r~25  Hg.  mm.  Eine  relativ  ge- 
ringe Steigerung  dieses  physiologischen  Druckes 
bedingt  eine  Formveränderung  der  Hornhaut;  häufig 
genügen  hierzu  schon  5 — 10  Hg.  mm.  Eine  Steige- 
rung des  normalen  Druckes  um  25  Hg.  mm  hält 
kein  solches  Auge   ohne  Gestaltsveränderung  aus. 

2.  Es  bestätigt  sich  im  Allgemeinen  der  Satz  von 
Helmholtz,  „dass  die  Hornhautkrümmung,  ab- 
gesehen von  individuellen  Verschiedenheiten,  von 
dem  Drucke  der  Flüssigkeit  im  Auge  abhängt,  so 
dass  der  Krümmungsradius  der  Hornhaut  desto 
grösser  vrird,  je  grösser  der  Druck  ist. 


HornhaatkrümmuDg  bei  erhöhtem  intraocnlaren  Druck.      65 

B  ist  am  Ende  der  Versuche  durchschnittlich 
um  0,028  mm  grösser  als  am  Anfange,  r  um 
0,046  mm. 

3.  Bei  zunehmendem  intraocnlaren  Drucke  nimmt 
der  bestehende  Astigmatismus  nach  vorübergehender 
Zunahme  bei  relativ  niedrigen  Druckgraden,  suc- 
cessive  ab  —  wenigstens  innerhalb  der  von  uns 
eiperimentirten  Druokgrössen. 

4.  Der  normale  Astigmatismus  kehrt  sich  bei  Span- 
nungszunahme der  Bulbuskapsel  um  und  wird 
paradox,  indem  die  grosse  Axe  von  der  Horizon- 
talen weg  und'  der  Yerticalen  zustrebt. 

Dieses  Verhalten  erklärt  zunächst  die  Beob- 
achtungen von  perversem  Astigmatismus  beim 
Glaucom  des  menschlichen  Auges,  das  zuweilen 
Druckverhältnisse  zu  besitzen  scheint,  welche  über 
die  von  uns  experimentirten  hinausgehen. 

Femer  werden  diese  Verhältnisse  herbeigezogen 
werden  müssen  zur  Erklärung  des  in  der  Bemer 
Klinik  vor  der  Veröffentlichung  von  Seh  oen  bereits 
gefundenen  perversen  Astigmatismus  des  Greisen- 
alters. 

5.  Unter  10  resp.  46  Kaninchen -Augen  reagirt  die 
Hornhautkrümmung  nicht  2  mal  identisch  auf  die 
allmähliche  Steigerung  des  intraocnlaren  Druckes, 
auch  nicht  bei  ein  und  demselben  Individuum. 
Das  anatomische  und  physicalische  Verhalten  der 
Bulbuscapsel  ist  auch  in  der  Norm  auf  sehr 
breiter  Basis  aufgebaut  und  zwar  sowohl  mit 
Rücksicht  auf  verschiedene  Augen  als  auf  ver- 
schiedene Abschnitte  ein  und  desselben  Auges. 

Die  von  Schelske  gefundenen  anatomischen 
Eigenthümlichkeiten  der  Sderalfasern  am  Limbus 
und   in    der   Gegend    des   Ciliarmuskels    sind   ge- 

T.  Oraefe'i  Arohiv  fttr  Ophthslmologfe,  XXXIV.  2.  5 


66  W.  Eissen. 

eignet,  das  Verhalten  von  B  in   einer  Beihe  von 
Versuchen  za  erklären. 

Am  Schiasse  meiner  Arbeit  angelangt,  erfülle  ich  noch 
die  angenehme  Pflicht,  meinem  hochverehrten  Lehrer,  Herrn 
Prof.  Dr.  Pflttger,  dessen  Assistent  ich  zu  sein  die  Ehre 
habe,  fär  die  mir  zu  dieser  Arbeit  gegebene  Anregung  und 
für  das  so  reichlich  geschenkte  Interesse  an  dieser  Stelle 
meinen  aufrichtigsten  Dank  auszusprechen. 


üeber  die  Sistogenese  der  Keüna  und  des 

Nervus  opticus. 

Von 

Dr.  Francesco  Falchi, 
Professor  an  der  Universität  Gagliari. 

Mit  Tafel  I-UI. 


Es  ist  von  grosser  Wichtigkeit  fttr  die  Biologie,  zu 
wissen,  welche  zelligen  Elemente  die  erste  Anlage  eines 
Organs  ausmachen,  wie  diese  Elemente  durch  ihre  Vermeh- 
rung das  Wachsthum  des  Organs  bewirken  und  wie  sie 
dann  vermittelst  der  beständig  wirkenden  Vorgänge  der 
Evolution  und  Adaptation  und  durch  histochemische  Ver- 
änderungen die  endgültige  Gestalt  annehmen,  welche  dem 
ausgebildeten  Organ  zukommt.  Die  vervollkommneten 
Hilfsmittel,  über  welche  die  moderne  Histologie  verfügt, 
haben  unsere  Kenntnisse  von  der  Structur  der  Zelle  mächtig 
gefordert,  was  von  der  höchsten  Bedeutung  für  die  Biologie 
ist,  da  ja,  wie  Virchow  richtig  bemerkt,  „die  Thätigkeit  der 
Organe,  welche  aus  Zellen  zusammengesetzt  sind.  Nichts 
weiter  ist,  als  die  Summe  der  Thätigkeit  aller  sie  zu- 
sammensetzenden Zellen/^ 

Indess  haben  auch  frühere  Forscher,  mit  Mitteln,  welche 

wir  jetzt  für  unzureichend  halten,  Arbeiten  von  bedeutender 

wissenschaftlicher  Tragweite  zu  Tage  gefördert. 

5* 


68  Fr.  Falchl. 

So  war  es  bei  Untersuchungen  über  die  Histo- 
genese  der  Betina  bereits  gelungen,  verschiedene  Stadien 
der  Entwicklung  dieser  Membran  aufzustellen,  welche  in 
Beziehung  zu  einander  gebracht,  als  Grundlage  zu  Vor- 
stellungen über  die  fonnative  Entwicklung  der  verschiedenen 
Schichten  dieser  Membran  dienen  konnten.  Zu  den  bedeu- 
tenderen Arbeiten  in  der  Embryologie  der  Betina,  welche 
mit  derartigen  Hilfsmitteln  fertig  gestellt  wurden,  gehören 
die  folgenden,  deren  Ergebnisse  ich  jetzt  kurz  auseinander- 
setzen will. 

Babuchin*)  zeigte  an  Embryonen  vom  Frosch,  von  Vögeln 
und  Säugetieren,  dass  die  innere  Lamelle  der  secundären  Augen- 
blase zusammengesetzt  ist  aus  langen,  spindelförmigen  Zellen 
mit  Fortsätzen,  welche  die  beiden  Oberflächen  der  Membran  er- 
reichen, und  aus  einer  feinen  moleculären  Intercellular- 
substanz.  Aus  diesen  spindelförmigen  Zellen  sollen  sich  durch 
Vermehrung  alle  anderen  Teile  der  Betina  bilden.  Die  Müller - 
sehen  Stützfasern  sollen  von  Zellen  abstammen,  deren  innere 
Fortsätze  dreieckig  werden  und  später  die  Membrana  limitans 
interna  bilden.  Kessler**)  behauptete  dasselbe.  Gegen  diese 
Ansicht  von  Babuchin  erklärte  sich  Arnold.***)  Nach  ihm 
soll  die  Membrana  hyaloidea  (welche  für  die  Membrana  limitans 
interna  angesehen  wurde)  von  Theilen  der  Kopfplatten  entstehen, 
welche  in  Form  einer  den  Glaskörper  gegen  die  Betina  abgren- 
zenden Membran  gefaltet  würden;  darnach  soll  in  einer  späteren 
Zeit  eine  Vereinigung  der  Hyaloidea  mit  der  Betina  stattfinden* 

Nach  Babuchin  sollen  die  Ganglienzellen  durch  Theilung 
aus  denjenigen  primitiven  Spindelzellen  hervorgehen,  welche  in 
der  Nähe  der  Fusspunkte  der  MüUer'schen  Fasern  liegen  und 
die  innerste  Zellenschicht  der  Betina  bilden.  Diese  Zellen  sollen 
rund  werden,  an  Volumen  zunehmen  und  mehrere  Fortsätze 
bekommen,  von  denen  der  eine  sich  nach  den  äusseren  Schichten 
der  Betina  hin  wendet,  um  dort  mit  anderen  kleinen,  wahr- 
scheinlich den  zukünftigen  Kömerschichten  zugehörigen  Zellen 


*)  Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  des  Auges.    Wün- 
barger  naturwissenschafU.  Zeitschr.,  Bd.  lY,  1868.  —  Vergleichende 
histologische  Studien.    Ibid.,  £d.  IV,  1864. 
**)  Zur  Entwicklung  des  Auges  1877. 
0  Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  des  Auges.    1874. 


Histogenese  der  Retina  und  des  Nervus  opticus.  69 

in  Verbindung  zu  treten.  Die  Nervenfaserschicht  soll  zum  Theil 
aus  den  Fortsätzen  der  Ganglienzellen,  zum  Theil  aus  den 
Nervenbündeln  der  Ausbreitung  des  Sehnerven  entstehen.  Das 
Stratum  moleculare  und  das  Stratum  intergranulare,  beide  von 
gleicher  Entstehung,  sollen  eine  glänzende,  gleichmässige 
Streifimg  zeigen;  man  soll  darin  spindelförmige  Zellen  bemerken, 
welche  diese  Schichten  der  Betina  abtheilen. 

C.  Bitter*)  fand  bei  einem  4  Wochen  alten  menschlichen 
Embryo  4  Formen  von  Zellen:  1.  Pigmentzellen  der  äusseren 
Lamelle  der  Augenblase;  2.  lange  Zellen  mit  grossen  Kernen 
und  centralen  Fortsätzen;  8.  kleine  rundkernige  Zellen  mit  bipo- 
laren Fortsätzen,  an  der  Stelle  der  inneren  KOmerschicht;  die 
«äusseren  Körner  treten  später  auf;  4.  Zellen  mit  vielen  Fort- 
sätzen oder  Ganglienzellen.  —  Bei  einem  anderen  menschlichen 
Embryo  von  10  Wochen  fand  Bitter  die  Kömerschichten  und 
^ie  Badialfasern  beträchtlich  entwickelt  und  die  Nervenzellen 
relativ  klein;  mit  Ausnahme  der  M.  limitans  interna  Hessen 
sich  sämmtliche  Schichten  unterscheiden. 

Würzburg  ♦♦)  fand  bei  einem  7  cm  langen  Kaninchen- 
embryo, dass  die  Betina  das  Tapetum,  eine  Schicht  dunkler 
Elemente,  eine  Schicht  heller  Elemente  und  die  Schicht  der 
Nervenfasern  zeigte;  die  letzteren  sollen  jedoch  von  Elementen 
der  Betina  abstammen  und  sich  in  einer  bestimmten  Ordnung 
mit  den  vom  Gehirn  ausgehenden  Fasern  des  Sehnerven  ver- 
einigen. Bei  Embryonen  höheren  Alters  sollen  die  Ganglien- 
zellen  durch  Umbildung  der  inneren  blassen  Zellen  entstehen. 

Goette*^)  beobachtete  dunkle  Kerne  in  den  embryonalen 
Zellen  der  Betina  des  Frosches,  welche  letzteren  sich  nicht  voll- 
ständig in  diejenigen  Elemente  umwandeln,  welche  beobachtet 
werden,  wenn  diese  Membran  ihre  Entwickelung  vollendet  hat; 
diese  Zellen  sollen  in  Wirklichkeit  ihre  Umrisse  in  der  Weise 
verlieren,  dass  ihre  Zellkörper  sich  mit  einander  vereinigen; 
darauf  umgeben  die  Kerne   sich  mit  einem  Theil  dieser  Masse 


*)  Zur  histologischen  Entwicklungsgeschichte  des  Auges. 
Archiv  f.  Ophthalm.  Bd.  X,  AbtL  1,  p.  60.  —  Zweiter  Beitrag  zur 
Histogenese  des  Auges.    Ibid.,  Bd.  X ,  Abth.  2,  p.  142.  1864. 

**)  Beiträge  zur  Bildungsgeschichte  der  Izis  und  der  Betina 
beim  Kaninchen.  Med.  Centralbl.  1875,  p.  820.  -^  Zur  Entwicke- 
lungsgeschichte  des  Säugethierauges.  Arch.  f.  Augen-  und  Ohren- 
heilkunde Bd.  y,  Abth.  2,  p.  251. 

^)  Die  Entwicklungsgeschichte  der  Unke.    1875. 


70  Fr.  Falchi. 

und  bilden  auf  diese  Weise  die  neuen  Zellen,  während  aus  dem 
Best  derselben  die  Intercellularsubstanz  entstehen  soll. 

Löwe*)  fand  bei  Eaninchenembr jenen  die  embryonalen 
Zellen  der  Betina  gros^^  länglich,  rund,  mit  hervortretendem 
Kern  und  spärlichem  Protoplasma;  er  stellte  zwei  Formen  von 
Zellen  fest;  er  bemerkte,  dass  einige  embryonale  Zellen  nicht 
in  der  ganzen  Dicke  der  Betina  zu  finden  sind  und  beschrieb 
6  Lagen  von  Zellen  in  der  Papille. 

Nach  Ogneff**)  besteht  die  Betina  eines  4 — 5  mm  langen 
Eaninchenembyro  aus  spindelförmigen  Zellen  mit  feinen  Fort- 
sätzen, welche  die  ganze  Betina  durchsetzen.  Später  werden 
die  innern  Zellen  grösser,  rund  und  teilen  sich;  die  grösste  Zahl 
der  Fortsätze  verläuft  nach  innen,  biegt  um,  läuft  parallel  mit 
der  Betina  und  bildet  so  die  Schicht  der  Nervenfasern.  Die 
mehr  nach  aussen  gelegenen  Zellen  schicken  nur  Fortsätze  nach 
dem  Linem  und  bilden  die  kleinen  Elemente,  welche  die  An» 
lagen  der  Müller'schen  Badialfasem  sind.  In  der  Folge  erscheint 
als  schmaler  Streifen  die  Anlage  der  Molecularschicht,  welche 
aus  Nervenzellenausläufem,  Badialfasem  und  dazwischen  ge- 
streuten feinen  Eömchen  besteht.  Später  sollten  darin  freie 
Eeme  und  runde  Zellen  zu  finden  sein.  Die  Difierenzirung 
der  beiden  Eömerschichten  soll  durch  eine  Theilung  in  der 
äusseren  Zellenschicht  stattfinden. 

Eölliker'^**}  bemerkte  bei  8 — 8,5  mm  langen  menschlichen 
Embryonen,  dass  das  distale  Blatt  der  secundären  Augenblase 
in  seiner  ganzen  Länge  aus  länglichen,  in  4 — 6  Lagen  an* 
geordneten  Zellen  besteht  Bei  einem  menschlichen  Embryo  von 
15  mm  Länge  zeigt  die  distale  Membran  in  ihrem  inneren  Theil 
eine  dünne  Schicht  von  Zellen  mit  runden  Eernen  und  in  ihrem 
äusseren  Theil  eine  dicke  Schicht  von  Zellen  mit  länglichen 
Eernen;  zwischen  diesen  beiden  findet  sich  eine  helle  zellen- 
arme Schicht;  ausserdem  findet  sich  in  der  distalen  Lamelle  ein 
feiner  Streifen  von  Opticusfasern  ohne  alle  Zellen.  Bei  einem 
menschlichen  Embryo  von  21  mm  Länge  endlich  fand  Eölliker, 
dass  die  distale  Lamelle  aus  zwei  Zonen  bestand,  einer  hinteren 
mit  sehr   deutlichen  Fasern  des  Nervus   opticus  und  mit  der 


*)  lieber  die  Histogenese  der  Betina.    Arch.  £  mikrosk.  Ana- 
tomie X  V,  1878. 

«*)  Centralblatt  f.  d.  med.  Wissenschaften.    No.  85,  1881. 
***)  Zur  Entwicklung  des  Auges  und  Geruchsorganes  mensch- 
licher Embryonen.    1883. 


Histogenese  der  Retina  und  des  Nervus  opticus.  7t 

Differenzinmg  in  verschiedene  Schichten,  die  Eölliker  schon 
vorher  beschriehen  hatte  (eigentliche  Betina),  nnd  einer  vorderen 
von  ganz  gleichmässigem  Bau  (Pars  ciliaris).'^) 

Was  die  weitere  Entwicklung  der  Betina  betrifft,  so  wiesen 
B  ab  u  eh  in  und  Ogneff  die  Molecularschicht  in  Mitten  der 
Schicht  der  Spindelzellen  nach,  welche  die  Schicht  der  Ganglien- 
zellen abtrennen  sollte.  Während  seiner  Bildung  soll  das  Stratum 
intergranulare  aus  Spindelzellen  bestehen,  welche  in  der  inneren 
und  äusseren  K5merschicht  reichlich  vorhanden  sind,  und  es 
soUte  sich  in  derselben  Weise,  wie  das  Stratum  moleculare 
intemum  entwickeln;  bei  den  Kaulquappen  sollen  diese  beiden 
Schichten  zu  gleicher  Zeit  auftreten,  während  beim  Hühnchen 
die  innere  Molecularschicht  früher  entstehen  soll.  Aus  den 
übrigen  Primitivzellen  soUen  sich  die  anderen  Schichten  der 
Betina  bilden,  welche,  von  Aussen  nach  Innen  gezählt,  folgende 
sind:  Die  Schicht  der  Innenglieder  der  Stäbchen  und  Zapfen,  die 
Membrana  limitans  externa,  die  innere  KOmerschicht;  doch  wird 
diese  bei  Kaninchen  erst  nach  der  Geburt  fertig.  Sechs  Wochen 
später  haben  die  Netzhautschichten  die  histologische  Structur, 
welche  man  bei  diesen  Thieren  in  ausgewachsenem  Zustand  antrifft. 

Nach  Bitter'*^  Hessen  sich  in  der  Betina  eines  lOwGchent- 
liehen  menschlichen  Embryo  das  Innenglied  und  das  Aussen- 
glied der  Stäbchen  und  Zapfen  unterscheiden.  Sie  zeigten  einen 
centralen  fadenförmigen  Fortsatz,  welcher  bis  in  das  Innere  des 
Stäbchens  hinein  zu  verfolgen  war. 

Goette***)  beobachtete,  dass  die  Stäbchen  und  Zapfen  beim 
Frosch  nicht  als  Fortsätze  runder  Zellen  auftreten  (Babuchin), 
sondern  vielmehr  als  bläschenförmige  Enden  länglicher  ZeUen, 
welche  gegen  die  Pigmentschicht  vordringen  und  von  dieser  ihre 
Decke  erhalten.  Nach  Loe we  f)  soll  die  Entwicklung  der  Innen- 
und  Aussenglieder  der  Stäbchen  und  Zapfen  unabhängig  von 
einander  erfolgen.  Sie  beginnt  mit  dem  Hervortreten  des  Aussen- 
gliedes und  endigt  mit  der  Entwicklung  des  Innengliedes.  Nach 
Eupferft)  würde  die  Entwicklung  des  Aussen-  und  Innengliedes 


*)  Entwicklungsgeschichte   des  Menschen  und   der   höheren 
Thiere.    2.  Aufl.,  p.  693. 
**)Lc. 
***)  1.  c. 
t)Lc. 
tt)  Die  Entwicklung  der  Betina  des  Fischauges.    Centralbl.  f. 
d.  med.  Wissensch.  No.  41,  1863. 


72  JFr.  FalchL 

der  St&bchen  und  Zapfen  in  der  ersten  Periode  getrennt  vor 
sich  geben.  Eölliker*)  zeigte  beim  Bombinator,  dass  die  Stäb- 
chen nnd  Zapfen  ans  einer  Umbildung  der  Zellen  der  äusseren 
Körnerschicht  hervorgehen.  Basselbe  wurde  vonBabuchin  bei 
Kaulquappen  und  von  Waldejer  bestätigt,  später  auch  von 
M.  Schnitze,  W.  Krause,  Schenk,  Förster  und  Balfour, 
N.  Lieberkühn  und  Ogneff  anerkannt 

W.  Müller**)  hält,  wie  zuerst  auch  M.  Schnitze  und 
W.  Krause  die  Stäbchen  und  Zapfen  für  cuticuläre  Gebüde. 
Nach  M.  Schnitze  ist  beim  Hühnchen,  beim  Menschen  und  bei 
den  Wiederkäuern  die  Stäbchen-  und  Zapfenschicht  bereits  vor 
beendetem  Fötalleben  entwickelt;  die  Neugeborenen,  welche  blind 
(d.  h.  mit  geschlossenen  Lidern)  zur  Welt  kommen,  sollen  noch 
keine  Spur  von  Stäbchen  zeigen;  das  gelte  sowohl  für  das 
Kaninchen  als  fOr  die  Katze.  Hiermit  stimmt  Krause  in  Be- 
zug auf  die  Katze  nicht  überein. 

Bezüglich  der  Histogenese  des  Tapetum  nigrum  glaubt  die 
grösste  Zahl  der  Autoren,  dass  es  von  dem  äusseren  Blatt  der 
secundären  Augenblase  abstamme,  während  aus  dem  inneren 
Blatte  sich  die  übrigen  Schichten  der  Betina  entwickelten.  Diese 
Ansicht  wurde  zuerst  von  E.  Huschke***}  ausgesprochen  und 
dann  von  Schölerf),  von  Remak-j-f-),  A.  Müller fff),  Köl- 
liker*t),  Babuchin**t),  Max  Schnitze ***t),  Schenkt*), 
Kupfer-J-J-*)  angenommen. 


*)  Mikr.  Anatomie.    II.  p.  729,  Fig.  4241 
**)  üeber  die  Stammesentwicklung  des  Sehorgans  der  Wirbel- 
thiere.    Festschrift  an  G.  Ludwig,  1875. 

***)   S.   Th.  V.  Soemmering's  Lehre    von    den    Eingeweiden. 
Leipzig  1844.    p.  714. 

t)  De  oculi  evolntione  in  embryonibus  gallinaceis.    Dissert. 
inaug.    Dorpati  Liv.,  1848,  4. 

ff)  Untersuchungen  über  die  Entwickelung  der  Wirbelthiere. 
Berlin  1855. 

ttt)  Die  Entstehung  der  Eetina.    Allgem.  med.  Centralzeitung. 
Berlin  1858.    p.  861. 

*t)  Entwickelungsgeschichte   des  Menschen  und   der   höheren 
Thiere.    Leipzig  1861.   8. 
**f)  1.  c,  p.  7L 

***t)  Zur  Anatomie  und  Physiologie  der  Retina.     Archiv  für 
mikrosk.  Anatomie  Bd.  II,  p.  336. 
t*)  1.  c. 
tt*)  1.  c. 


Histogenese  der  Retina  und  des  Xervas  opticas.  7 


o 


Hensen*)  ist  der  entgegengesetzten  Meinung  wie  Hnschke. 
Schöler  betrachtet  die  Aussenglieder  der  St&bchen  und  Zapfen 
und  besonders  das  Tapetum  nignun  als  Abkömmlinge  der 
äusseren  Wand  der  secundflren  Augenblase.  Max  Schnitze**) 
stimmt  nicht  mit  Hensen  überein  und  behauptet  bei  einem 
Hühnchenembrjo  von  80  Stunden  beobachtet  zu  haben,  dass 
sich  schwarzes  Pigment  in  der  Äusseren  Schicht  des  äusseren 
Blattes  ablagerte,  welche  in  dieser  Epoche  (6ter  Tag)  ans  langen 
prismatischen  Zellen  besteht,  welche  später  kürzer  werden. 
Babuchin***)  und  Schenkf)  fanden,  dass  bei  niederen  Wirbel- 
thieren  die  äussere  Lamelle  der  secundären  Augenblase  aus 
einer  einzigen  Lage  von  Zellen  besteht,  während  EOllikerft) 
geneigt  ist,  beim  menschlichen  Embryo  zwei  Zellenschichten  zu 
zeichnen.  Doch  fand  Köllikerfft)  selbst  Tor  einigen  Jahren^ 
dass  bei  8 — 21  mm  langen  menschlichen  Embryonen  das  Tape- 
tum aus  2  und  an  einigen  Stellen  aus  4 — 5  Lagen  cubischer 
polygonaler  Zellen  gebildet  wird.  Bei  den  Säugethieren  be- 
ginnt die  Pigmentbüdung  zum  Theil  gleichzeitig  mit  der  Ab- 
schnürung der  Linse,  zum  Theil  später.  Die  PigmentkOrner 
treten  bei  diesen  Thieren  wie  beim  Menschen  zuerst  in  den 
tieferen  Parthien  der  Zellen,  d.  h.  nach  der  Höhlung  der  primi- 
tiven Augenblase  zu,  auf  und  die  Pigmentirung  geschieht  in 
den  hinteren  Partien  der  Retina  früher  als  in  den  vorderen. 
Von  dort  schreitet  die  Pigmentirung  nach  Würz burg*t)  ziem- 
lich schnell  mehr  oder  weniger  weit  auf  das  distale  Blatt  fort, 
bevor  noch  die  Iris  sich  entwickelt. 

Nach  der  Faltung  der  primitiven  Augenblase  ist  der  Stiel 
aus  mehr  Zellenlagen  zusammengesetzt,  als  die  fötale  Retina 
(Hensen);  Huschke,    Schöler  und  A.  Müller  lassen  den 


*)  Zur  Entwickelung  des  Nervensystems.    Yirchow's  Arch.  f. 

path.  Anatomie  Bd.  XXX,  p.  76,  1864.  —  lieber  den  Bau  des 

Schneckenauges  und  über  die  Entwickelung  der  Augentheile  in 

der  Thierreihe.    Arch.  f.  mikroskop.  Anatomie  Bd.  II,  p.  399,  1866. 

**)Lc 

***;  Lc. 

t)  1.  c. 
tt)l.c. 
tu-)  Zur  Entwickelung  des   Auges    und   des   Geruchsorganes 
menschlicher  Embiyonen.    1888. 
*t)  1.  c. 


74  Fr.  Falchi. 

Sehnerv  aus  der  inneren  Oberfläche  des  Stiels  und  dem  mit  der 
A.  centralis  retinae  eingedrungenen  Bindegewebe  entstehen. 

His*)  und  Kölliker**)  sind  der  Ansicht,  dass  der  Nervus 
opticus  der  Wirbelthiere  als  ein  Theil  des  Gehirns  angeflehen 
werden  müsse  und  der  Stiel  der  primitiven  Augenblase  sich  in 
indifferentes  Stützgewebe  umwandele,  welches  den  Nerven- 
bündeln, die  sich  vom  Gehirn  in  die  Betina  hineinbegeben,  zur 
Führung  diene.  His  ist  der  Ansicht,  dass  die  Nervenfasern 
durch  ein  Längenwachsthum  der  Ganglienzellen  entstehen;  da 
nun  der  Stiel  der  Augenblase  keine  Ganglienzellen  enthalt  und 
die  Ganglienzellen  des  Gehirns  hier  die  Nervenfasern  bilden, 
60  müssten  die  Nervenfasern  des  Opticus  vom  Gehirn  ausgehen 
und  auf  dem  Wege  des  Augenblasenstiels  die  Betina  erreichen. 

Die  mittelst  des  Stieles  im  Anfang  hergestellte  Zellen- 
verbindung zwischen  Augenblase  und  Gehirn  wird  nach  His  später 
wieder  dadurch  unterbrochen,  dass  die  Zellen  des  Stieles  wieder 
in  das  Gehirn  zurücktreten. 

Gegenüber  der  His'schen  Theorie  leitet  W.  Müller  die 
Fasern  des  Nervus  opticus  von  den  Ganglienzellen  der  Betina 
ab,  von  der  aus  die  Fasern  eine  centripetale  Bichtung  nehmen 
sollen,  um  in  das  Gehirn  einzudringen. 

Lieberkühn '*'''"^)  behauptet  His  gegenüber  auf  das  be- 
stimmteste, dass  der  Sehnerv  aus  dem  primordialen  Stiel  der 
Augenblase  entstehe  und  der  primordiale  Sehnerv  nur  von  seinen 
eigenen  Zellen  her  seine  Nervenbündel  und  sein  Stützgewebe 
besitze.  Das  Gewebe  des  N.  opticus  bestehe  im  ersten  Stadium 
aus  denselben  mit  Kernen  versehenen,  radiär  angeordneten  Spindel- 
zellen, wie  das  Gehirn  selbst.  Später  soll  sich  erst  eine  feine 
Längsstreifung  unter  gleichzeitiger  Verminderung  der  Badial- 
streifung  entwickeln,  ausser  den  feinen  Fasern  sollen  sich  zahl- 
reiche mit  wenig  Protoplasma  umgebene  Kerne  finden,  welche 
isolirt  als  spindelförmige  Körper  erschienen.  £in  Theil  der 
Zellen   soll  die  Nervenfasern  bilden,   welche  in  Zusammenhang 


*)  Untersuchungen  über  die  erste  Anlage  des  Wirbelthier- 
leibes.  Die  erste  Entwicklung  des  Hühnchens  im  £L  Leipzig  1868. 
4.   12  Tafeln. 

**)  Entwickelungsgeschichte  etc. 

***)  lieber  das  Auge  des  Wirbelthierembryo.  Schriften  der 
Marbnrger  Gesellsch.  zur  Beförderung  der  Naturwissenschaften 
Bd.  X,  p.  299—831,  1872. 


Histogenese  der  Retina  und  des  Neryns  opticns.  75 

mit  dem  Gehirn  ständen,  welches  an  der  Peripherie  eine  faserige 
Stmctur  hesitze.    Manz*^)  theilt  diese  Ansicht. 

G.  K.  Hof  mann'*''^)  hat  beohachtet,  dass  der  Nervus  opticus 
der  Knochenfische  durch  eine  Umbildung  der  Zellen  des  Stiels 
gebildet  wird.  Doch  würde  für  die  Klasse  der  Wirbelthiere  die 
Anschauung  von  His  die  Begel  bilden. 

Nach  Mihalcowics  '*"'"'')  soll  die  Entwicklung  der  Nerven- 
fasern des  N.  opticus  wahrscheinlich  in  centrifugaler  Richtung 
stattfinden.  Die  bindegewebigen  Elemente  des  N.  opticus  sollen 
vom  mittleren  Keimblatt  abstammen  und  nicht,  wie  W.  Müller 
wiU,  von  den  Bildungszellen  des  Sehnerven. 

Bergmeistert)  bekennt  sich  im  Allgemeinen  zu  der  An- 
sicht von  His  bezüglich  der  Entwicklung  des  Sehnerven  und 
bezeichnet  den  Stiel  der  Augenblase  als  Gubemaculum  für  die 
aus  dem  Gehirn  kommenden  Nervenbündel.  Er  wollte  an  einem 
Horizontalschnitt  des  Augenblasenstiels  das  Auftreten  eines 
zapfenfbrmigen  Gebildes  constatirt  haben,  welches  mit  dem 
inneren  Blatt  der  Augenblase  in  Verbindung  stände.  Der  Zapfen 
soll  durch  Hineinwachsen  des  Mesoderms  erzeugt  sein,  welches 
den  Hohlraum  oder  Canal  ausfüllt,  der  in  Folge  der  Einstülpung 
des  vorderen,  mit  der  Retina  in  Verbindung  stehenden  Theils 
des  Opticusstiels  entstanden  ist. 

Nach  Köllikerft)  ist  der  Nervus  opticus  bei  menschlichen 
Embryonen  von  8 — 15  mm  Länge  hohl,  zeigt  eine  deutliche  Ein- 
stülpung und  seine  Wände  haben  die  gleiche  Structur  wie  das 
Yorderhim. 

Bei  einem  menschlichen  Embryo  von  20  mm  bestand  der 
N.  opticus  aus  einem  Stroma  sternförmiger  Zellen  mit  feinen 
Opticusfasem. 

Hiltner  ttt)>  welcher  seine  Studien  an  der  Haus-  und  Feld- 


*)  Entwicklungsgeschichte  des  Auges,    Graefe  und  Saemisch, 
Handbuch  der  gesammten  Augenheilkunde  Bd.  ü,  Cap.  5. 

**)  Zur  Ontogenie  der  Knochenfische.    Arch.  f.  mikrosk«  Ana- 
tomie Bd.  XX  m,  Heft  1. 

***)  Entwicklungsgeschichte  des  Gehirns,    p.  195. 
t)  Zur  Entwicklungsgeschichte    des   SäugetLierauges.     Mit- 
theiluDgen  des  embryolog.  Instituts  in  Wien  Heft  1,  p.  63. 

ff)  Zur  EntwickeluDg  des  Auges  und  Gerachsorganes  mensch- 
licher Embryonen.    Würzburg  1883. 

fff)  Ueber  die  Entwicklung  des  Nervus  opticus   der  Säuge- 
thiere.    Biolog.  CentralbL  Bd.  V,  p.  186. 


76  Fr.  Falchi. 

maus  und  am  Meerschweinchen  machte,  erklärt  sich  gegen  die 
Theorie  von  Eis  nnd  von  EOlliker:  nach  ihm  dringt  nach 
vollendeter  Invagination  des  inneren  Theils  der  Augenblase  und 
der  Linse  zwischen  diesen  beiden  eine  feine  Mesodermaschicht 
ein.  Im  Stiel  finde  eine  Einstülpung  nicht  statt,  sondern  viel- 
mehr eine  Vortreibung  eines  Theils  der  Retina,  welcher  wie  ein 
länglicher  Zapfen  in  den  Opticusstiel  hineinwachse. 

Die  Umbildung  der  Zellen  in  Nervenfasern  beginne  immer 
in  der  inneren  Schicht  der  Betina  und  ihres  Zapfens  gleichzeitig 
mit  der  Entwicklung  des  Chiasma.  Damach  würden  die  Bündel 
des  Nervus  opticus  nicht  vermittelst  einer  Proliferation  des  peri- 
pheren Gehimtheiles  gebildet,  sondern  ein  autochthones  Gebilde 
darstellen. 

Nach  Euhnt  *)  soll  das  Dickenwachsthum  des  Nervus 
opticus  nicht  in  einer  Vermehrung,  sondern  in  einem  Breiter- 
werden der  Nervenfasern  bestehen. 

Was  die  Scheide  des  Opticus  angeht,  so  soll  sich  dieselbe 
nach  Eölliker**)  wie  die  Sclerotica  aus  dem  Mesoderm  bilden 
und  bei  2  monatlichen  menschlichen  Embryonen  sichtbar  werden. 

Nach  der  geschilderten  Periode  der  histologischen 
Untersuchungen  der  Retina  begann  man  vor  einigen  Jahren 
mit  voUkommneren  Mitteln  der  mikroskopischen  Technik 
die  Histogenese  der  Retina  zu  untersuchen  und  die  durch 
Earjokiuese  erfolgende  Theilung  ihrer  Elemente  zu  er- 
forschen. 

Eoganei***)  unterscheidet  bei  Hühnerembryonen  in  der 
Wand  der  primären  Augenblase  zwei  Schichten,  eine  äussere, 
aus  Spindelzellen  zusammengesetzte  und  eine  innere  blassere, 
deren  Zellen  karyokinetische  Figuren  zeigen,  weshalb  der  Autor 
sie  proliferirende  Zellen  nennt.  Dieselben  findet  man,  wenn 
später  die  secundäre  Augenblase  gebildet  ist,  in  der  äusseren 
Oberflächenschicht  der  distalen  Lamelle  der  Retina.  Es  ist  dies 
die  Zeit,  in  welcher  die  distale  Lamelle  in  die  Dicke  zu  wachsen. 


*)  Zur  Eenntniss  des  Sehnerven  und  der  Netzhaut.    Arch.  1 
Ophthalm.  Bd.  XXV,  Abth.  3,  p.  179. 
**)  Entwickelungsgeschichte  etc. 

***)  UntersuchuDgen  über  die  Histogenese  der  Retina.    Archiv 
f.  mikrosk.  Anat.  Bd.  XXlll,  Heft  3,  p.  342. 


Histog^nese  der  Retina  und  des  Nervus  opticus.  77 

die  proximale  dünner  zu  werden  beginnt.  In  diese  äussere 
Schicht  der  distalen  Lamelle  mit  in  Karyokineso  begriffenen  Zellen 
yerlegt  Koganei  den  ganzen  Entwicklungsvorgang  der  Betina, 
weil  er  hier  allein  eine  Earyokinese  der  Elemente  antraf.  Diese 
proliferirenden  Zellen  sollen  verschwinden,  sobald  die  Stäbchen 
zu  erscheinen  anfangen.  Die  Karyokinese  soll  mit  radialer  oder 
tangentialer  Theilungsebene  auftreten.  Er  nimmt  die  Zusammen- 
setzung aus  Spindelzellen  nicht  für  die  ganze  Dicke  der  distalen 
Lamelle  an,  wieBabuchin  undOgneff,  sondern  beschreibt  an 
der  inneren  Oberfläche  der  distalen  Lamelle  ein  feines  Netz- 
werk mit  grossen  runden  Zellen  mit  Kernen  und  KernkOrperchen 
und  wenig  Protoplasma,  welche  später  zu  Ganglienzellen  werden 
sollen.  Die  proximale  Lamelle^  besteht  aus  einer  Beihe  von 
Zellen,  die  in  ihrem  äusseren  Theil  Pigment  besitzen. 

Bei  5  Tage  alten  HOhnerembryonen  zeigt  nach  ihm  die 
Betina  5  Schichten:  1.  Membrana  limitans  interna;  2.  die  Schicht 
der  Opticusfasem;  3.  die  Ganglienzellenschicht;  4.  die  Primitiv- 
Zellenschicht;  5.  das  Stratum  proliferans.  Am  7.  Tage  erscheint 
das  Stratum  moleculare  und  am  11.  die  erste  Spur  der  M.  limi- 
tans externa.  Aus  den  Zellen  der  äusseren  Körner  entwickeln 
sich  die  Zapfen  und  Stäbchen.  Am  17.  Tage  soll  die  Histogenese 
der  Betina  des  Hühnchens  vollendet  sein. 

Bei  Säugethieren  (4  mm  langen  Kaninchenembryonen)  hat 
die  primäre  Augenblase  zwei  Schichten  von  Zellen:  die  primitiven 
und  die  proliferirenden  Zellen. 

Bei  Embryonen  von  5  mm  Länge  stülpt  sich  die  Augen- 
blase ein;  bald  zeigt  das  äussere  Blatt  eine  Beihe  cubischer 
Zellen,  welche  Pigmentkörner  enthalten;  die  distale  Lamelle 
theilt  sich  in  zwei  Schichten,  eine  mit  Zellen  und  eine  andere 
äussere  ohne  Zellen.  Bei  Embryonen  von  12  mm  erscheinen 
die  Nervenbündel  in  der  Nähe  des  inneren  Pols;  sie  stehen  in 
Verbindung  mit  den  Ganglienzellen.  Später  tritt  das  Stratum 
reticulare  mit  seiner  netzförmigen  Structur  hervor. 

Die  Theilung  der  beiden  Körnerschichten  durch  das  Auf- 
treten der  Zwischenkörnerschicht  findet  in  den  letzten  Tagen 
vor  der  Geburt  statt.  In  den  beiden  ersten  Wochen  nach  der 
Geburt  ist  die  Structur  der  Betina  vollendet.  Bei  andern  Säuge- 
thieren (Schwein,  Schaf  und  Katze)  beobachtete  Koganei  ähnliche 
Verbältnisse.  Doch  sollen  beim  neugebomen  Meerschweinchen 
die  Stäbchen  und  Zapfen  bereits  entwickelt  sein. 


78  Fr.  Falchi. 

Ich  fand  *)  gleichzeitig  bei  TJntersuchangen  über  die  Histo« 
genese  der  Betina  und  des  N.  opticus  an  Säugethierembrjonen 
(vom  Bind,  Hund,  Meersch^reinchen)  in  Karjokinese  begriffene 
Zellen  nicht  nur  in  der  äusseren  Oberflächenschicht  der  distalen 
Lamelle  der  secundaren  Augenblase  von  4,7  cm  langen  Rinds« 
embrjonen,  wie  auchEoganei  in  dieser  Schicht  bemerkt  hatte, 
sondern  auch  in  den  übrigen  Elementen  der  anderen  Schichten 
dieser  distalen  Lamelle.  Doch  waren  die  Zellen  mit  Mitosen  in 
der  äusseren  Oberflächenschicht  derselben  zahlreicher  als  in 
ihren  anderen  Schichten.  Bei  7^  cm  langen  Rindsembrjonen 
habe  ich  die  Mitose  an  den  Zellen,  welche  zwischen  den  Nerven- 
fasern der  Ausbreitung  des  N.  opticus  gelagert  sind,  beobachtet, 
wenn  auch  der  karyokinetische  Frocess  viel  häufiger  an  den  im 
Stamm  des  Nerven  selbst,  zwischen  den  Nervenfasern  liegenden 
Zellen  zu  finden  ist.  —  Abgesehen  von  der  Betina  und  dem 
N.  opticus  trifft  man  die  Karjokinese  auch  in  den  Zellen  des 
Mesodermas,  welches  die  Anlage  der  Sclerotica  bildet,  bei  Binds- 
embrjonen  von  7,5  cm,  Hundeembryonen  von  15  cm  und  Meer- 
schweinchenembryonen von  8  cm. 

Merk**)  sah  bei  Embryonen  von Trepidonotus  natriz,  dass 
die  den  Ventrikeln  zugekehrte  Oberfläche  des  Bückenmarkscanals 
Mitosen  zeigt;  in  gleicher  Weise  fand  er  die  Earyokinese  in  den 
Zellen  der  äusseren  Schicht  des  distalen  Blattes.  Daraus  folgert 
Merk,  dass  das  Wachsthum  der  Betinia  an  der  äusseren  Ober- 
fläche ihres  distalen  Blattes  vermittelst  der  indirekten  Theilung 
beginnt.  In  der  Folge  sollen  sich  zuerst  die  Ganglienzellen 
bilden  und  die  Fasern  des  N.  opticus,  das  Stratum  moleculare 
eztemum  und  die  innere  Körnerschicht  differenziren;  die  anderen 
Schichten  sollen  entstehen,  wenn  die  Zapfen  sich  bilden  und 
hierauf  soll  die  Karyokinese  aufhören.  Die  Mitosen  waren  in 
radialer  Ebene  angeordnet.  Desgleichen  beobachtete  Merk  die 
Mitose  bei  einem  2,5  cm  langen  Kaninchenembryo  an  demselben 
Orte,  wo  er  sie  bei  Trepidonotus  natrix  gefunden  hatte. 


*)  Gazzeta  delle  Cliniche,    anno   1886,    p.  313.  —    Annali 
d'Ottalmologia  Anno  XV,  Pasc.  1,  p.  100. 

**)  Ueber  die  Anordnung  der  Kerntheilungsfiguren  im  Central- 
nervensystem  und  der  Betina  bei  Natternembryonen.  Sitzungs- 
berichte der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  Bd.  XCII, 
Abth.  Oct.-Heft,  Jahrg.  1885. 


Histogenese  der  Retina  und  des  Nernis  opticus.  79 

Bauber*)  erklärt  bei  Froschembrjonen  die  äussere  Zellen- 
schiebt  der  distalen  Betinallamelle  als  Praedilectionsschicbt  far 
die  Mitose;  ausserdem  fand  er  aber  auch  Mitosen  an  den  Zellen 
der  zweiten  Schicht  (yon  aussen  gerechnet)  und  in  denen  der 
mittleren  Schicht  der  distalen  Betinalamelle.  Die  Theilungs- 
ebenen  bei  den  äusseren  Mitosen  sind  zum  Theil  tangential,  zum 
Theil  radial,  doch  sind  diagonale  Theilungsebenen  auch  nicht 
selten. 

Bei  der  Fortsetzung**)  meiner  Untersuchungen  Aber  die 
Histogenese  der  Betina  bei  Säugethierembrjonen  (Bind,  Kanin- 
chen, Meerschweinchen,  Hund)  erhielt  ich  ausser  der  Bestätigung 
Ton  dem,  was  ich  in  meiner  ersten  Mittheilung  auseinander- 
gesetzt habe,  folgende  neue  Ergebnisse: 

1.  In  der  distalen  Lamelle  der  Betina  findet  man  die  Karyo- 
kinese  in  allen  ihren  Begionen,  d.  h.  sowohl  am  hinteren  Pol, 
als  am  Aequator,  als  in  der  Ciliarportion  und  in  Zellen  der  Ter- 
schiedenen  Schichten  dieser  Lamelle; 

2.  In  der  hellen  Innenzone  der  distalen  Betinallamelle 
beobachtet  man  bei  7,5  cm  langen  Bindsembrjonen  und  bei 
4,3  cm  langen  Eanincbenembrjonen  Zellen  mit  grossen,  schwach 
gefärbten  Kernen,  dagegen  bekommen  diese  Zellen  ausgeprägtere 
Charaktereigenschaften   bei  Bindsembrjonen  von  8  cm  Länge. 

3.  Das  Tapetum  nigrum  wird  bei  Bindsembrjonen  von  1,8 
bis  2,4  cm  Länge  aus  (in  der  Seitenansicht)  cubischen  Zellen 
gebildet  und  zwar  sowohl  am  hinteren  Fol  als  am  Aequator; 
dieselben  zeigen  eine  Theilung  durch  Karjokinese;  in  dem  vor- 
deren Theil  haben  die  Zellen  des  Tapetum  dieser  Embrjonen 
eine  ausgeprägt  cjlindrische  Gestalt,  zeigen  aber  auch  die  Karjo- 
kinese. Doch  haben  Zellen  dieser  proximalen  Lamelle  (in  der 
Ansicht  von  vom)  bei  Bindsembrjonen  von  6.2  cm  und  Kaninchen- 
embrjonen  von  4,3  cm  Länge  eine  beinahe  poljgonale  Form 
und  zwar  sowohl  am  hinteren  Pol,  als  am  Aequator. 

4.  Das  erste  Zeichen  des  Beginns  der  Entwicklung  des 
TJvealtractus  bei  Säugethierembrjonen,  welche  von  mir  unter- 
sucht wurden,  ist  eine  reiche  Mitose  in   den  Zellenelementen 


*)  Die  Kemtheilungsfiguren  im  Medullarrohre  der  Wirbel- 
thiere.    Arch.  f.  mikrosk.  Anatomie  Bd.  XXVI,  4.  Heft,  p.  623. 

**)  Annali  d'Ottalmologia,  Anno  XV,  Faso.  5  u.  6,  Bendiconto 
del  Congre890  in  Genova  della  Societä  Ottalmologica  Italiana  neir 
octobre  1886,  p.  93. 


80  Fr.  Falchi. 

seiner  mesodermalen  Anlage,   besonders  in  den  den  Zellen  des 
Tapetnm  nigmm  zunächst  gelegenen  Elementen. 

Meine  Untersuchungen  über  die  Histogenese  der  Betina 
und  des  Nervus  opticus  wurden  an  Säugethierembryonen 
(Kaninchen,  Bind,  Hund,  Meerschweinchen,  Mensch)  an- 
gestellt. Die  Augen  der  Embryonen  wurden  in  Alkohol 
gehärtet.  Die  Färbung  der  Schnitte  geschah  mittelst  der 
Methode  von  Bizzozero*),  mit  Orenacher's  Alauncarmin 
und  mit  Hämatoxylin. 

Primäre  und  secundäre  Augenblase. 

Die  primäre  Augenblase  ist,  wie  schon  E.  v.  Baer**) 
zum  ersten  Male  gezeigt  hat,  ein  Theil  der  vorderen  Hirn- 
blase.  Die  primäre  Augenblase  erfährt  später  eine  Ein- 
stülpung, indem  sich  ihre  vordere  Wand  nach  innen  einbiegt, 
wodurch  die  secundäre  Augenblase  entsteht,  welche  daher 
aus  einem  äusseren  Blatte,  der  sogenannten  proximalen 
Lamelle,  die  zum  Tapetum  wird,  und  einem  inneren  Blatte, 
der  distalen  Lamelle,  aus  der  die  eigentliche  Betina  entsteht, 
zusammengesetzt  ist.  Es  steht  daher  in  dieser  Entwicklungs- 
periode das  äussere  Blatt  der  secundären  Augenblase  durch 
den  Augenblasenstiel,  welcher  die  Anlage  des  Nervus  opticus 
darstellt,  mit  der  vordem  Hirnblase  in  Verbindung. 

Bei  Kaninchenembryonen  von  10  Tagen  hat  sich  die 
secundäre  Augenblase  schon  gebildet  und  ihr  Stiel,  die  An- 
lage des  Nervus  opticus,  besteht  aus  5  Lagen  radial  an- 
geordneter Zellen  mit  runden  oder  ovalen  Kernen.  Die 
runden  oder  wenig  ovalen  Kerne  zeigen  ein  gefärbtes  Netz- 
werk und  einen  farblosen,  das  Licht  reflectirenden  Kemsaft; 
dagegen  sind  die  anderen  Kerne  deutlicher  oval,  ihr  Netz- 


*)  Neue  Methode,  die  in  Kerntheilang  begriffenen  Zellen  in 
den  Geweben  nachzuweisen.  Zeitschr.  f.  wissenschafü.  Mikroskopie 
Bd.  m  Heft  1,  p.  24. 

**)  Ueber  Entwickongsgeschichte  der  Thiere  etc.     L  Theü 
1828;  n.  Theil  1837. 


Histugenese  der  Betina  und  des  NemiB  opticas,  81 

werk  ist  intensiv  geerbt  und  auch  ihr  Kernsaft  ist  es  ein 
wenig,  wie  dies  meistens  bei  Zellen  des  Mesoderma  der  Fall 
ist.  Die  Zellen  mit  mehr  ovalem  Kern  sind  hier  weniger 
zahlreich  als  in  dem  Mesoderma,  während  die  mit  runden 
oder  wenig  ovalen  Kernen  zahlreicher  sind.  Die  Zellen  der 
Innenfläche  des  Stiels  zeigen  viele  Kemtheilungsfignren 
(Fig.  1  a). 

Diese  selben  Zellen,  wie  sie  eben  im  Stiel  beschrieben 
wurden,  bemerkt  man  auch  in  der  proximalen  Lamelle  der 
secundären  Augenblase  uud  zwar  am  hinteren  Pole  und  am 
Aequator  in  4 — 6  Lagen  angeordnet,  während  sie  in  ihrem 
vorderen  Theil  deren  4 — ^5  zeigt.  Auch  hier  bemerkt  man 
in  der  proximalen  Lamelle  zahlreiche  Mitosen  in  den  Zellen 
ihrer  Innenfläche  (Fig.  1  b),  welche  das  Lumen  der  primären 
Augenblase  nach  Aussen  hin  begrenzt. 

Die  distale  Lamelle  hat  an  ihrem  hinteren  Pole  die 
Gestalt  einer  etwas  unregelmässigen  Kegelspitze,  welche 
sich  in  der  innem  OefBnung  des  Canals  oder  dem  innem 
Hohlraum  zwischen  den  Wänden  des  Stiels  oder  des  Nervus 
opticus  präsentirt;  hier  besteht  die  distale  Lamelle  aus 
6 — 7  Lagen  von  Zellen,  welche  denen  der  proximalen  Lamelle 
des  Stieles  und  der  vorderen  Himwand  ähnlich  sind.  Am 
Aequator  zeigt  sie  4 — 5  Zellenlagen;  an  ihrem  vorderen 
Bande,  wo  sie  in  die  proximale  Lamelle  übergeht,  zählt  man 
deren  4.  In  den  Zellen  der  distalen  Lamelle  beobachtet 
man  zahlreiche  Karyokinesen  in  den  Zellen  der  äusseren 
Oberflächenlage  (Fig.  1  c),  welche  der  proximalen  gegen- 
übersteht und  so  nach  Innen  zu  den  Baum  der  primären 
Augenblase  begrenzt. 

Im  Allgemeinen  sind  in  der  proximalen  und  distalen 
Lamelle  und  in  den  Wandungen  des  Sehnervenstiels  die 
Zellen  mit  runden  oder  etwas  ovalen  Kernen  zahlreicher, 
während  die  anderen  Zellen  mit  stärker  ovalen  Kernen  hier 
in  geringerer  Anzahl  vorhanden  sind. 

T.  QrMfe'i  Archiv  für  OphthAlmologie,  XXXIV.  9.  6 


82  ^-  FalchL 

Aus  dieser  Beschreibung  ergiebt  sich,  dass  in  dieser 
Entwickelongsperiode  sowohl  die  Wandangen  des  Sehnerven- 
stiels,  als  die  proximale  und  die  distale  Lamelle  eine  unter 
sich  und  mit  der  Wand  der  vorderen  Hirnblase  überein- 
stinmiende  Structur  darbieten. 

In  dem  Mesoderma,  welches  die  secundäre  Augenblase 
umgiebt,  zeigt  die  Mehrzahl  der  Zellen  ovale  Kerne,  deren 
Netzwerk  intensiv  gefärbt  und  deren  Kemsaft  auch  etwas 
gefärbt  ist;  doch  finden  sich  auch  hier  Zellen  mit  runden 
oder  leicht  ovalen  Kernen  mit  wenig  gefärbtem  Netzwerk 
und  blassem  Kemsaft. 

In  allen  diesen  Zellen  des  Mesoderma  finden  sich  zahl- 
reiche Mitosen  (Fig.  1  d). 

JSistogenese  der  Retina. 

L  Histogenese  der  eigentlichen  Retina. 

Bei  der  weiteren  Entwickelung  der  secundären  Augen- 
blase beginnt  deren  proximale  Lamelle  dünner  zu  werden, 
während  die  distale  anfängt,  in  die  Dicke  zu  wachsen. 

Hiemach  besteht  die  dicker  gewordene  distale  Lamelle 
(bei  18  mm  langen  Bindsembrjonen)  an  ihrem  hinteren 
Pole  aus  Zellen  mit  meistens  ovalen  (Fig.  2,  A  a)  manch- 
mal auch  runden  Kemen,  mit  gefärbtem  Beticulum  und 
Keminhalt,  doch  ist  der  Nucleolus  immer  intensiver  geftrbt; 
diese  Zellen  sind  radienförmig  in  8 — 10  Lagen  angeordnet. 
Während  sich  die  Zellen  mit  ovalem  Kerne  in  der  ganzen 
Dicke  der  distalen  Lamelle  finden,  bemerkt  man  die  Zellen 
mit  rundem  Kern  in  der  äusseren  Oberflächenschicbt  und 
am  inneren  Bande  der  Lamelle. 

In  den  Zellen  der  äusseren  Oberflächenschicht  giebt  es 
viele  Kaiyokinesen  mit  tangentialer  Theilungsebene,  doch 
macht  sich  die  Mitosis  auch  noch  in  den  Zellen  bemerk- 
bar, welche  in  der  dritten  Zone,  von  aussen  gerechnet,  ge- 
legen sind  (Fig.  2,  A  b).    Die  Zellen   der  distalen  Lamelle 


Histogenese  der  Betina  and  des  Nemu  opticuB.  83 

liegen  meistens  dicht  aneinander,  nur  gegen  den  inneren 
Band  der  Lamelle  hin  erscheinen  sie  weiter  auseinander 
gernckt.  Diese  Zellen  schicken  blasse  Fortsätze  nach 
innen  und  nach  aussen,  welche  zwei  weissliche  Streifen 
bilden,  und  zwar  ist  der  innere  derselben  breiter  als 
der  äussere,  welcher  die  distale  Lamelle  begrenzt.  Am 
Aequator  besteht  diese  Lamelle  aus  7  —  8  Lagen  der 
beschriebenen  Zellen  in  gleicher  Anordnung.  Sowohl  in 
dem  äquatorialen  als  in  dem  vorderen  Theile  der  distalen 
Lamelle  bemerkt  man  ebenfalls  in  Eaiyokinese  begriffene 
Zellen  mit  radialer  Theilui^sebene  in  der  2.,  3.  und 
4.  Lage,  vom  äusseren  Bande  aus  gerechnet.  In  ihrem 
vorderen  Theile  zeigt  die  distale  Lamelle  eine  von 
hinten  nach  vorn  fortschreitende  Verminderung  ihrer  Zellen- 
lagen von  6  bis  2.  Li  dem  Ciliartheil  vermindern  sich  die- 
selben von  3  auf  2  Lagen. 

Aber  sehr  bald  bekommt  die  distale  Lamelle  bei  fort- 
schreitender Entwicklung  eine  grossere  Dicke;  an  ihrem 
hinteren  Pole  besteht  sie  aus  9 — 12  Lagen  von  Zellen  mit 
länglich  ovalem  Kerne,  mit  intensiv  gefärbtem  Beticulum, 
während  der  Eerninhalt  nur  leicht  gefärbt  ist  (bei  1,8  cm 
langen  Kaninchenembryonen),  aus  10—14  Lagen  bei  2  bis 
5y2  cm  langen  Bindsembryonen.  In  der  Nähe  der  inneren 
und  äusseren  Oberfläche  der  Lamelle  zeigen  die  Zellen  auch 
runde  und  leicht  ovale  Kerne  mit  gefärbtem  Netzwerk  und 
t)iassem  Eernsaft.  In  allen  an  der  äusseren  Oberfläche 
gelegenen  Zellen  bemerkt  mau  zahlreiche  Mitosen  (Fig.  4a), 
meistens  nüt  tangentialer,  manchmal  aber  auch  mit 
radialer  Theilungsebene;  doch  beobachtet  man  die  Mitosen 
mit  radialer  oder  tangentialer  Richtung  in  gleicher  Weise 
auch  in  den  medianen  Schichten  (Fig.  4  b)  wie  in  den 
anderen  mehr  inneren  Schichten  in  der  Nähe  der  Nerven- 
fibrillenbündei.  Ein  heller,  blasser,  aus  den  nach  aussen 
gerichteten  Fortsätzen  der  Zellen  der  distalen  Lamelle  ge- 
bildeter Saum  begrenzt  diese  Membran  nach  Aussen.    Von 

6* 


g4  ^*  Falchi. 

grosserer  Ausdehnung  nach  Innen  hin  ist  der  belle  blasse 
Saum,  welcher  in  gleicher  Weise  von  feinen  blassen  Zell- 
forts&tzen  gebildet  wird,  welche  nach  innen  gerichtet  sind 
und  sich  in  den  Nervenbündeln  verlieren.  —  Am  Aequator 
besteht  die  distale  Lamelle  aus  8 — ^9  Zellenlagen  (bei  1,8  cm 
langen  Eaninchenembryonen),  aus  9 — 11  bei  Bindsembryonen 
von  2 — ^5,2  cm  Länge;  auch  hier  beobachtet  man  die  Mitose 
mit  tangentialer  Teilungsebene  in  den  Zellen  der  nahe  der 
äusseren  Oberfläche  (Fig.  5  a)  befindlichen  Lage,  ebenso 
wie  die  Mitose  mit  radialer  und  tangentialer  Theilungs- 
ebene  in  den  Zellen  der  medianen  Lagen  (Fig.  5  b).  Hier 
zeigen   sich   die  Nervenfibrillen   in   dürftiger  Entwicklung. 

Im  vorderen  Theile  besteht  die  distale  Lamelle,  von 
hinten  nach  vorn  abnehmend,  aus  5  Lagen  der  beschriebenen 
Zellen  (bei  1,8  cm  langen  Eaninchenembiyonen),  aus  5  bis 
3  Lagen  bei  2 — 5,2  cm  langen  Rindsembryonen,  mit  Kern- 
theilimgen  in  radialer  und  tangentialer  Bichtung.  Am 
vorderen  Ende  der  Giliarportion  bekommen  die  Zellen  qrlin- 
drische  Gestalt  und  sind  zuletzt  in  der  eigentlichen  Giliar- 
portion auf  eine  Lage  cylindrischer  Zellen  reduoirt. 

In  einem  weiteren  Entwicklungsstadium  zeigt  sich  die 
distale  Lamelle  aus  zwei  Zonen  von  Zellen  zusammengesetzt, 
einer  äusseren  dunkeln  und  einer  inneren  hellen  Zone  (2,7  cm 
langer  Eaninchenembryo  und  3  Wochen  alter  Meer- 
schweinchenembryo). 

Die  dunkle  äussere  Zone  wird  am  hinteren  Pole  von 
7 — 12  Zellenlagen  beim  2,7  cm  langen  Eaninchenembryo 
und  von  15  Lagen  beim  3  wöchentlichen  Meerschweinchen- 
embryo gebildet.  Diese  Zellen  haben  einen  länglich 
ovalen  und  nur  an  der  äusseren  Oberfläche  runden  oder 
leicht  ovalen  Eern,  zeigen  zahlreiche  Earyokinesen  mit 
radialer  oder  auch  tangentialer  Theilungsebene  in  der  ober- 
flächlichen Schichte,  aber  auch  in  den  Zellen,  welche  die 
mehr  nach  innen  liegenden  Schichten  bilden  (Fig.  6,  A  f); 
das  Beticulum   der  länglich  ovalen  Eeme   dieser  Zone  ist 


Histogenese  der  Retina  nnd  des  Nervus  opticus.  85 

intensiv  geftrbt,  ebenso  auch,  aber  etwas  weniger,  der  Kern- 
saft;  in  den  runden  oder  leicht  ovalen  Kernen  ist  nur  das 
Beticulnm  gefärbt,  dagegen  der  Kerninhalt  beinahe  immer 
farblos.  ^-  Am  Aequator  zeigt  diese  Zone  dieselben  Zellen 
mit  der  Karyokinesis  in  denselben  Lagen,  ist  jedoch  aus 
6 — ^9  Zellenlagen  (beim  2,7  cm  langen  Kaninchenembryo) 
oder  aus  9 — 10  Lagen  (beim  3  wöchentlichen  Meerschweinchen- 
embryo) zusammengesetzt.  —  Li  der  Ciliarportion  bilden 
die  Zellen  nüt  ovalem  Kern  und  von  rein  cylindrischer 
Gestalt  ihre  ganze  Dicke;  dieser  Theil  wird  gebildet  (von 
hinten  nach  vom  abnehmend)  aus  3  —  2  Lagen  (beim 
Kaninchenembryo  von  2,7  cm  Länge)  oder  aus  5 — 2  Lagen 
(beim  3  wöchentlichen  Meerschweinchenembryo)« 

Das  vordere  Ende  dieser  pars  ciliaris  besteht  aus  einer 
Lage  cylindrischer  Zellen,  welche  Karyokinese  mit  radialer 
Theilung  zeigen. 

Die  helle  Innenzone  der  distalen  Lamelle  ist  am  hin- 
teren Pole  zusammengesetzt  aus  Zellen  mit  rund -ovalem 
Kern  (F^.  6,  Ag)  der  grösser  ist  als  der  Kern  der  Zellen 
der  dunkeln  Aussenzone,  mit  geftrbtem  Beticulum,  farb- 
losem Kemsaft,  aber  intensiv  gefärbtem  Kemkörperchen; 
diese  Zellen  liegen  weit  auseinander  und  bilden  4 — ^5  Lagen 
(beim  2,7  cm  langen  Kaninchenembryo  und  3  wöchent- 
lichen Meerschweinchenembryo).  Am  Aequator  bilden 
diese  Zellen  3—4  Lagen  und  man  findet  hier  die  Karyo- 
kinese mit  tangentialer  Theilungsebene.  An  der  inneren 
Seite  der  Zellen  dieser  Zone  bemerkt  man  feine  blasse 
Zellfortsätze  und  die  Fibrillen  der  Schicht  der  Nervenbündel. 

Bei  menschlichen  Embryonen  ist  der  Entwicklungsprocess 
der  distalen  Lamelle,  wie  sie  jetzt  fdr  andere  Säugethiere 
beschrieben  wurde,  weiter  vorgeschritten.  Die  distale  Mem- 
bran besteht  bei  3,8  und  7  cm  langen  menschlichen 
Embryonen  an  ihrem  hinteren  Pole  und  am  Aequator  aus 
zwei  Zonen:  die  dunkle  Aussenzone  ist  zusammengesetzt 
ans  Zellen  mit  sehr  länglich-ovalem  Kerne;  doch  erscheint 


86  Fr.  Falchi. 

dieser  Kern  in  einer  gewissen  Anzahl  von  Zellen  der  äusseren 
Oberflächenlage  mnd  oder  wenig  oral;  diese  Zone  wird  von 
5 — 6  Lagen  von  Zellen  mit  intensiv  gefärbtem  Reticulom 
und  schwach  gefärbtem  Eernsaft  gebildet;  in  den  Zellen 
der  äusseren  Oberfläche  finden  sich  zahlreiche  Eemtheilungen 
(Fig.  10  A.  b)  mit  tangentialer  und  radialer  Theilungsebene; 
doch  beobachtet  man  die  Mitose  auch  in  den  Zellen  der 
medianen  Lagen  dieser  Zone  (7  cm  langer  menschlicher 
Embryo).  —  Die  Ciliarportion  ist  beim  3^8  cm  langen 
menschlichen  Embiyo,  (von  hinten  nach  vom  abnehmend) 
aus  3—2  Lagen  von  Zellen  mit  länglich  ovalem  Kern,  wie 
sie  in  der  äusseren  Zone  der  anderen  Regionen  der  distalen 
Lamelle  besehrieben  wurden,  zusammengesetzt,  während  sie 
beim  7  cm  langen  menschlichen  Embryo  in  ihrem  mehr 
nach  vom  liegenden  Theil  aus  cylindrischen  Zellen  gebildet 
wird.  Hier  beobachtet  man  die  Eemtheilung  in  tangentialer 
Richtung.  —  Die  helle  Innenzone  wird  sowohl  beim  3,8  cm 
langen  als  beim  7  cm  langen  menschlichen  Embryo  aus 
5 — 6  Lagen  von  Zellen  mit  ovalem  oder  rundem  Kern,  mit 
gefärbtem  Reticulum  und  farblosem  Kerninbalt  (Fig.  10  A  c) 
gebildet  und  zwar  sowohl  am  hinteren  Pol  als  am  Aequa- 
tor.  —  Nach  Linen  zu  von  diesen  Zellen  befinden  sich 
die  Fibrillenbündel  des  Nervus  opticus,  zwischen  welchen 
man  Zellen  mit  Kernen  bemerkt,  ähnlich  denjenigen  der 
Zellen  der  hellen  Linenzone.  Diese  Zellen  sind  meistens 
parallel  der  Richtung  der  Nervenfibrillen  gelagert;  andere 
Zellen  liegen  nahe  am  vorderen  Rande  der  Nervenbündel, 
wo  sich  auch  die  Fusspunkte  der  Müiler^schen  Radialfasem 
bemerkbar  machen. 

In  einer  folgenden  Periode  der  Entwicklung  der  Retina 
zeigt  im  Grossen  und  Ganzen  die  dunkle  Aussenzone  sowohl 
am  hinteren  Pole  als  am  Aequator  ein  ähnliches  Verhalten, 
wie  es  in  der  vorhergehenden  Entwickelungsperiode  be- 
schrieben wurde;  indess  bemerkt  man,  dass  an  die  Zellen 
ihrer  inneren  Grenze  (Fig.  7  a)  ein  heller  farbloser  Raum 


Hktogenese  der  Retina  und  des  Nervus  opticuB.  g7 

angrenzt,  der  aus  feinen  Zellenf&den  gebildet  wird  (Fig.  7  b). 
Derselbe  ist  die  Anlage  der  inneren  reticulären  Schichte; 
in  demselben  bemerkt  man  Zellen  mit  runden  und  ovalen 
Kernen  (Fig.  7  c)  mit  gef&rbtem  Beticulom,  aber  stärker 
gefärbtem  Nucleolas,  während  der  Eernsaft  farblos  ist. 
Diese  Zellen  bilden  2  —  4  Lagen  (beim  4,3  cm  langen 
Kaninchenembryo)  oder  6 — 8  Lagen  (beim  6,2  cm  langen 
Rindsembiyo) ;  in  einigen  dieser  Zellen,  welche  in  der  Nähe 
der  Nervenfibrillen  liegen,  bemerkt  man  Karyokinese  (Fig.  7d). 
Von  den  Zellen  der  distalen  Lamelle  gehen  Fortsätze  aus, 
von  denen  die  nach  innen  gerichteten  bis  zu  den  Opticus- 
fasern  vordringen  und  sich  mit  ihnen  verbinden;  zwischen 
letzteren  beobachtet  man  auch  in  Eerntheilung  (Fig.  7e) 
befindliche  Zellen  und  Andeutungen  der  Basen  der  Müller- 
schen  Badialfasem.  In  der  Pars  ciliaris  besteht  die  distale 
Lamelle  (von  hinten  nach  vorn  abnehmend)  aus  4 — 1  Lagen 
cylindrischer  Zellen  mit  ovalen  oder  runden  Kernen  und 
intensiv  gefärbtem  Beticulum  (beim  4,3  cm  langen  Kaninchen- 
embryo), während  sie  beim  6,2  cm  langen  Bindsembryo 
4 — 1  Lagen  von  Zellen  mit  länglich -ovalem  Kern  bildet. 
Im  weiteren  Fortschritt  der  Entwicklung  der  distalen 
Lamelle  (bei  5,7  cm  langen  Kaninchenembryonen,  7,5—8  cm 
langen  Bindsembryonen,  16,3  cm  langen  Hundeembryonen) 
bemerkt  man  am  hinteren  Pole  und  am  Aequator, 
dass  .die  Zellen  der  dunklen  Aussenzone,  welche  an 
ihrer  inneren  Grenze  liegen,  wichtige  Veränderungen 
eingehen;  sie  zeigen  einen  Kern  nicht  mehr  von  länglich 
ovaler  Form,  mit  lebhaft  geerbtem  Beticulum  und 
auch  etwas  gefärbtem  Kernsaft,  sondern  von  mehr  breit 
ovaler  Gestalt  (Fig.  8  a)  mit  geerbtem  Beticulum  und  Kern- 
kOrpercben  und  mit  farblosem  Kerninhalt;  diese  Zellen 
sieht  man  allmählich  übergehen  in  die  des  Stratum  reticu- 
lare  internum,  welche  eine  weitere  Entwickelungsstufe  jener 
sind.  Die  Zellen  der  inneren  hellen  Zone  (Fig.  8  c)  zeigen 
Kerne  von  mehr  breit  ovaler,  unregelmässig  runder,  manch- 


88  ^*  Falchi. 

mal  aber  auch  länglicher  Gestalt  mit  gefärbtem  Beticulam 
und  KemkOrperchen  mit  blassem  Eemsaft,  diese  Zellen 
zeigen  deutlich  einen  Fortsatz  nach  innen  und  aussen,  bilden 
2 — 3  Schichten  (bei  5,7  cm  langen  Embryonen  von  Kanin- 
chen und  16,3  cm  langen  Hundeembryonen)  oder  3  bis 
7  Schichten  (bei  7,5 — 8  cm  langen  Embryonen  vom  Binde); 
in  diesen  Zellen  bemerkt  man  die  Eemtheilung  auch  in 
der  Nähe  der  Nervenfibrillen  (Fig.  8  d). 

Die  Pars  ciliaris  retinae  der  distalen  Lamelle  zeigt  in 
dieser  Epoche  dasselbe  Entwickelungsstadium,  wie  es  in 
der  vorhergehenden  Periode  beschrieben  wurde. 

Bei  Embryonen  der  folgenden  Epoche  werden  die  Cha- 
raktere der  Zellen  der  inneren  hellen  Zone  deutlicher.  In 
der  That  findet  man  bei  8,5  cm  langen  Kaninchenembryonen, 
beim  ausgetragenen  Eaninchenfötus,  bei  13,3  cm  langen 
Bindsembryonen  die  Membrana  limitans  externa  fertig  ge- 
bildet. Die  dunkle  Aussenzone  hat  dieselbe  Structur  wie 
in  der  vorhergehenden  Periode  und  die  Zellen  der  M.  limi- 
tans interna  zeigen  Kerne  von  einem  grosseren  Oval  mit 
gefärbtem  Beticulum  und  Kernkörperchen  und  nodt  voll- 
ständig ungefärbtem  Kerusaft.  Das  Stratum  reticulare  in- 
ternum  ist  deutlicher.  Im  Innern  desselben  bemerkt  man 
zwei  Arten  von  Zellen;  die  einen  mit  grossem  runden  oder 
leicht  ovalen  Kern  nüt  gefärbtem  Beticulum,  intensiv  ge- 
färbten Kernkörperchen  und  farblosem  Kemsaft  bilden  am 
hinteren  Pole  2  Lagen,  am  Aequator  nur  eine  Lage  und 
sind  in  Abständen  von  einander  gelagert.  Zwischen  den 
beschriebenen  Zellen  finden  sich  die  anderen  in  2 — 3  Lagen 
angeordnet  mit  ovalen  Kernen,  welche  kleiner  sind  als  die 
der  ebenerwähnten  Zellen  mit  intensiv  gefärbten  Beticulum 
und  etwas  gefärbtem  Kemsaft;  diese  letzteren  Zellen  findet 
man  auch  in  der  Nerveniaserschichte  und  bei  den  MüUer*- 
schen  Badialfasem.  —  Die  Pars  ciliaris  der  distalen  Lamelle 
zeigt  denselben  Entwicklungszustand  wie  in  der  vorher- 
gehenden Periode,  nur  die  Gylinderzellen,   welche  sie  an 


Histogenese  der  Retina  und  des  NervuB  opticus.  89 

ihrem  yorderen  Ende  bilden,  zeigen  einen  Kern  mit  intensiv 
gefärbtem  Reticulum.  Bei  allen  Embryonen  dieser  Epoche 
bemerkt  man  den  Kemtheilungsprocess  in  den  Zellen  der 
äusseren  Oberflächenscbicht  der  dunklen  Aussenzone. 

Bei  anderen  Säugethierembiyonen  hat  die  Histogenese 
der  eigentlichen  Retina  eine  beträchtliche  Entwicklang  er- 
langt. —  Beim  menschlichen  Fotos  von  21,5  cm  Länge 
zeigt  die  eigentliche  Retina  von  aussen  angefiuigen,  folgenden 
Entwicklungszustand.  Die  Membrana  limitans  externa 
(Fig.  11,  Aa)  ist  in  Form  einer  leicht  gewellten  feinen 
Linie  vorhanden,  auf  welche  die  Stäbchen  und  Zapfen  an- 
stossen  oder  welche  diese  auch  durchsetzen. 

Die  Entwicklung  der  Stäbchen  vollzieht  sich  in 
folgender  Weise.  Die  Kerne  der  an  die  Membrana  limitans 
externa  angrenzenden  Zellen  verdünnen  sich  und  nehmen 
die  Gestalt  eines  feinen  kurzen  Stäbchens  an  (Fig.  11  Ab), 
neben  welchem  sich  gewöhnlich  eine  Zelle  mit  kleinem 
ovalem  Kerne  ohne  Fortsatz  nach  Innen  befindet.  Sowohl 
das  Stäbchen  als  auch  der  ovale  Kern  der  eben  erwähnten 
Zelle  haben  ein  intensiv  gefärbtes  Reticulum  und  einen  eben- 
solchen Keminhalt;  daher  kommt  manchmal  bei  gut  ge- 
lungener Färbung  eine  Contrastwirkung  zu  Stande  zwischen 
der  Intensität  der  Färbung  dieser  Elemente  und  der  blasseren 
Färbung  der  in  Entwicklung  begriffenen  Zapfen  und  der 
Kerne,  aus  welchen  diese  hervorgehen.  Die  in  Entwicklung 
begriffenen  Stäbchen  haben  an  ihrem  vorderen  Ende  einen 
kleinen  Anhang  blasser  protoplasmatischer  Zellsubstanz 
und  an  ihrem  inneren  Ende  einen  blassen  Fortsatz, 
der  sich  in  ein  feinstes  Netzwerk  hineinbegiebt, 
wo  auch  er  sich  in  Fäden  theilt.  Dieses  Netzwerk 
repräsentirt  die  Anlage  des  Stratum  reticulare  extemum. 
Manchmal  bemerkt  man  einen  ovalen  Kern  mit  intensiv 
gefärbtem  Netzwerk  und  einem  leicht  gefärbten  Kemsaft 
über  dem  innem  Fortsatz  der  Stäbchen  liegen.  Bei  fort- 
schreitender Entwicklung  erreichen  die  Stäbchen  die  äussere 


90  Fr.  Falchl 

Orenzmembran  und  durchsetzen  dieselbe,  zeigen  aber  auch 
dann  noch  den  beschriebenen  Frotoplasmaanhang  (Fig.  11 A  c). 
Die  Zapfen  sieht  man  sich  ans  ovalen  Zellkernen  entwickeln, 
welche  dicker  und  etwas  länger  werden  (Fig.  11  A  d)  und 
deren  Inhalt  leicht  geßlrbt  oder  auch  farblos  ist,  w&hrend 
dagegen  das  Beticulum  und  auch  das  Eemkörperchen  ge- 
färbt ist;  an  dem  innem  Ende  der  Kerne  der  Zellen,  in 
welchen  sich  der  Zapfen  entwickelt,  findet  sich  ebenfalls  ein 
blasser  Fortsatz,  der  sich  in  das  oben  erwähnte  Netzwerk 
hineinbegiebt  und  in  verschiedene  Fäden  auflöst  Die  ovalen 
Kerne,  aus  welchen  sich  die  Zapfen  entwickeln,  bilden  auch 
an  ihrem  dickeren  Ende,  welches  das  äussere  ist,  einen 
Protoplasmaanhang.  Indem  sie  allmählich  mehr  oval  und 
grösser  werden,  gelangen  sie  an  die  Membrana  limitans  ex- 
terna, durchsetzen  dieselbe,  wobei  sie  zum  Theil  ihre  Ge- 
stalt beibehalten;  daher  sind  sie,  wenn  sie  vollständig  über 
die  Membrana  limitans  nach  Aussen  hervorragen,  mit  dieser 
mittelst  eines  Stiels  verbunden,  wodurch  die  Zapfen  in 
dieser  Gestalt  Aehnlichkeit  bekommen  mit  umgekehrten 
Flaschen  oder  mit  gestielten  ovalen  Bläschen;  dieset  Stiel 
ist  ihr  innerer  Fortsatz,  der  sich  in  das  Netzwerk  des 
Stratum  reticulare  extemum  hineinbegiebt.  Wenn  die  Zapfen 
einmal  diese  Entwicklungsstufe  erreicht  haben,  zeigen  sie 
den  Protoplasmaanhang  an  ihrer  äusseren  Oberfläche  nicht 
mehr.  Zwischen  den  Elementen,  welche  die  Zapfen  und 
Stäbchen  bilden  und  dem  Orte,  wo  das  Stratum  retioulare 
extemum  angelegt  wird,  existirt  eine  blasse  Strecke,  welche 
von  den  inneren  Fortsätzen  der  Stäbchen  und  Zapfen  durch- 
setzt und  auch  hie  und  da  von  den  spärlichen  beschriebenen 
Zellen  eingenommen  wird,  welche  sich  meist  neben  den  er- 
wähnten üi  Entwicklung  begriffenen  Elementen  befinden. 
Einwärts  von  der  Stelle,  an  welcher  das  Beticulum  (Stratum 
reticulare  extemum)  aufgetreten  ist,  befindet  sich  eine  Lage 
von  Zellen  mit  rundem  oder  leicht  ovalem  Kern  mit  intensiv 
gefärbtem  Beticulum   und  Kemsaft  (Fig.  11  A  f).    Diese 


Histogenese  der  Retina  und  des  Nervus  opticus.  91 

Zellen  bemerkt  man  mitten  unter  andern  in  dieser  ganzen 
Zone. 

unterhalb  der  Linie  der  erwähnten  Elemente  bemerkt 
man  drei  Lagen  von  Zellen  mit  ovalem  oder  rundem  Kern 
(Fig,  11 A  g),  mit  geerbtem  Beticulum  und  Eemkörperchen, 
aber  mit  ungefärbtem  Eernsaft;  unmittelbar  unterhalb  der 
dritten  Lage  dieser  Zellen  bemerkt  man  eine  Lage  bipolarer 
Zellen,  auch  einzelne  multipolare  und  spindelförmige  Zellen 
(Fig.  11 A  h)  mit  Fortsätzen,  welche  zumeist  nach  Aussen 
und  Innen  gerichtet  sind  und  sich  intensiv  färben. 

Nach  Innen  von  diesen  Zellen  haben  wir  wieder  3  Lagen 
von  Zellen  mit  grossem  Kern  (Fig.  11  A  g),  welche  sich 
ebenso  verhalten  wie  diejenigen,  welche  nach  Aussen  von 
den  bipolaren  Zellen  liegen  und  beschrieben  wurden.  Die 
innere  reticuläre  Schicht  wird  von  einem  feinsten  Netz  von 
Zelleufäden  gebildet  und  enthält  hier  und  da  Zellen  mit 
ovalem  oder  grossem  rundem  Kern  (Fig.  11  A  i)  mit  ge- 
färbtem Beticulum  und  ungefärbtem  Eeminhalt;  daneben 
lassen  sich  andere  Zellen  mit  kleinem  Kern,  mit  gefärbtem 
Beticulum  und  mit  gefärbtem  Kerninhalt  finden.  Nach 
Innen  von  dem  Stratum  reticuläre  internum  bemerkt  man 
Zellen  mit  grossen  runden  Kernen  mit  gefärbtem  Beticulum 
und  KemkOrperchen  mit  ungefärbtem  Kerninhalt  (Fig.ll  Ak), 
welche  in  zwei  Lagen  angeordnet  und  von  einander  entfernt 
liegen;  mitten  unter  ihnen  finden  sich  andere  Zellen  mit 
kleinerem  Kern  (Fig.  11  A  1)  mit  intensiv  gefärbtem  Be- 
ticulum und  Kerninhalt;  sie  bilden  vier  oder  fünf  Lagen 
zwischen  denen  der  grossen  Zellen,  die  in  dieser  Zone  be- 
schrieben wurden,  in  welcher  man  auch  die  MüUer'schen 
Badialfasem  bis  zu  ihrem  vorderen  Ende  bemerken  kann. 
/Fig.  11  A  n).  Bei  diesen  bemerkt  man  auch  die  Nerven- 
fibrillen (Fig.  11  Am). 

Bei  dem  7  cm  langen  Meerschweinchenfötus  sind  die 
Stäbchen  und  Zapfen  auf  dem  Wege,  sich  aus  den  Zellen 
der  äusseren  Oberflächenschicht  zu  entwickeln,  wie  es  eher 


92  Fp.  FalchL 

beim  menschlichen  Fotns  beschrieben  wurde;  alle  anderen 
Lagen  der  Betina  sind  jedoch  bereits  entwickelt 

Beim  neugebomen  Kaninchen  zeigt  die  distale  Lamelle 
in  der  dunkeln  Anssenzone  die  Membrana  limitans  externa 
und  nach  Innen  von  derselben  sowohl  am  hinteren  Pole  als 
am  Aequator  10 — 11  Lagen  von  Zellen  mit  ovalem  Kern, 
mit  stark  gefärbtem  Beticulum  und  auch  etwas  geerbtem 
Eeminhalt.  Doch  finden  sich  in  der  äussern  Oberflächen- 
schicht auch  Zellen  mit  runden  Kernen.  In  den  Zellen  der 
äusseren  Oberflächenschicht  findet  Kemtheilung  statt. 

An  der  inneren  Grenze  dieser  Zone  haben  die  Zellen 
emen  grossen  ovalen  Kern  mit  gefärbtem  Beticulum,  aber 
mit  lebhaft  gefärbten  KernkOrperchen  und  mit  unge&rbtem 
Kerninhalt  (Fig.  9  b).  Nach  Innen  von  dem  Stratum 
reticulare  intemum  giebt  es  zwei  Lagen  von  Zellen,  von 
denen  die  einen  einen  ovalen,  runden  (Fig.  9d),  grossen 
Kern  mit  gefärbtem  Beticulum,  intensiv  gefärbtem  Nucleolus 
und  ungefärbtem  Kemsaft  und  mit  einem  nach  aussen  oder 
nach  innen  gerichteten  sichtbaren  Fortsatz  haben:  es  sind 
dies  vollständig  entwickelte  Ganglienzellen.  Die  anderen 
Zellen  (Fig.  9  c)  haben  einen  runden  oder  ovalen  Kern  von 
geringerem  umfang  mit  intensiv  gefärbtem  Beticulum  und 
EernkOrperchen  und  ebenfalls  gefärbtem  Kemsaft.  Die 
Lagen  dieser  Zellen  sind  nach  innen  von  der  der  Nerven- 
fibrillen begrenzt,  zwischen  denen  sich  Zellen  mit  ovalem 
Kern  bemerkbar  machen,  deren  grOsste  Achse  in  der  Bich- 
tung  der  Nervenfasern  verläuft.  —  Der  Giliartheil  der  distalen 
Lamelle  ist  von  hinten  nach  vorn  gezählt  aus  3 — 2  Lagen 
cylindrischer  Zellen  mit  länglich  ovalem  Kern  gebildet, 
welche  sich  weiter  nach  vorn  an  den  Ciliarfortsätzen  auf 
eine  einzige  Lage   ebenfalls  cylindrischer  Zellen  reduciren. 

Beim  menschlichen  Neugeborenen  und  bei  dem  des 
Meerschweinchens  sind  die  Schichten  der  Betina  vollständig 
entwickelt,  die  Stäbchen  und  Zapfen  mit  inbegriffen. 

Beim  5  Tage  alten  Kaninchen   ist  noch  keine  Spar 


Hütogenese  der  Betina  und  des  Nemis  opticus.  93 

von  Stäbchen  nnd  Zapfen  vorhanden.  Eine  blasse  helle 
Linie  theilt  die  dnnkle  Aussenzone  in  zwei  Lagen  von  Zellen. 
In  den  Zellen  der  nun  zur  äusseren  gewordenen  Zone  be- 
merkt man  karjokinetische  Figuren  mit  tangentialer  Tbei- 
lungsebene  bei  den  Zellen  der  äusseren  Oberfläche  und  mit 
radialer  Theilungsebene  bei  denjenigen,  welche  in  der  Nähe 
der  erwähnten  blassen  Linie  liegen.  Die  übrige  Betina  ver- 
hält sich  genau,  wie  es  beim  neugeborenen  Kaninchen  be- 
schrieben worden  ist  und  die  Membrana  limitans  externa 
ist  fertig  gebildet 

Beim  Kaninchen  von  15  Tagen  sind  die  Stäbchen  und 
Zapfen  entwickelt  Man  bemerkt  in  den  Kernen  der  Stöb- 
chen,  wie  Heule  fand  und  M.  Schnitze,  Merkel,  0.  Wag- 
ner, W.  Krause,  Schwalbe  und  Dennisenko  bestätigten, 
dass  sie  aus  2  transversal  gestellten  Scheiben  bestehen, 
welche  intensFv  gefärbt  sind  und  an  den  Polen  des  Kernes 
li^en;  manchmal  bemerkt  man  auch  noch  eine  dritte 
Scheibe,  welche  transversal  zwischen  den  beiden  anderen 
liegt.  Diese  Thatsache  erklärt  Flemming"*")  so,  dass  in  den 
Kernen  der  Stäbchen  sich  2  Substanzen  von  verschiedenem 
LichtbrechungsvermOgen  befinden,  von  welchen  die  eine  bei 
gewissen  Färbemethoden  sich  schnell  färbt  und  die  eben- 
erwähnten gefärbten  Scheiben  darstellt,  während  die  andere 
farblos  bleibt. 

Das  Stratum  reticulare  externum  zeigt  an  der  Innen- 
seite Zellen  mit  ovalen  Kernen,  welche  mit  der  grOssten 
Achse  der  transversalen  Bichtung  eines  Theiles  der  Zellen- 
fäden, welche  denselben  bilden,  parallel  gerichtet  sind. 

Die  Kerne  dieser  Zellen  haben  ein  geerbtes  Beticulum 
und  KemkOrperchen,  während  der  Kernsaft  farblos  ist. 

Die  innere  Kömerschicht  zeigt  2 — 3  Lagen  von  Nerven- 
zellen mit  ovalen  und  runden  Kernen,  mit  gefärbtem  Beti- 
culum und  KemkOrperchen  und  farblosem  Kerninhalt  und 


^  Zellsnbstanz,  Kern-  und  ZelltheilODg.   1882,  p.  115. 


94  ^*  FalchL 

mitten  zwischen  denselben  eine  Schicht  bipolarer  intensiF 
gefärbter  Zellen. 

Die  Ganglienzellen  bilden  eine  einzige  Lage.  Diese 
Zellen  haben  einen  grossen  Kern  mit  gefärbtem  Beticulum 
und  Eemkörperchen  und  ungefärbtem  Eeminhalt  und  einem 
sichtbaren  Fortsatz  nach  innen.  Zwischen  diesen  Zellen 
bemerkt  man  andere  mit  kleineren  Kernen,  welche  ein 
intensiv  ge&rbtes  Beticulum  und  einen  auch  etwas  gefärbten 
Eerninhalt  besitzen. 

Die  anderen  Schichten  der  Betina  zeigen  sich  deut- 
licher entwickelt  als  bei  Kaninchen  der  vorhergeh^den 
Epoche.    Der  Process  der  Karyokinese  hat  aufgehört. 

Beim  Kaninchen  von  30  Tagen  haben  die  verschiedenen 
Schichten  der  Betina  ihre  Entwicklung  erreicht  und  zeigt 
sich  ihre  Structur  deutlich. 

Bei  Kaninchen  von  40—42  Tagen  hat  die  Betina  voll- 
ständig die  Structur  wie  im  ausgewachsenen  Zustande. 

2.  Histogenese  des  Epithels  der  Betina. 

Nach  der  Bildung  der  secundären  Augenblase  beginnt 
die  proximale  Lamelle  dünner  zu  werden,  während  die 
distale  in  die  Dicke  zu  wachsen  anfängt.  In  der  That  be- 
steht sie  bei  Bindsembryonen  von  18  mm  Länge  am  hinteren 
Pole  aus  einer,  zwei,  auch  drei  Lagen  cubischer  Zellen 
(Fig.  2,  A  d)  mit  (von  der  Seite  gesehen)  ovalem,  in  seinem 
Innern  nach  der  distalen  Lamelle  gerichteten  Theil  pigmen- 
tirten  Kern.  Im  Frontalschnitt  erscheinen  diese  Zellen  in 
verschiedener  Gestalt,  rundlich  oder  polygonal  und  ist  ihr 
Kern  oval  (Fig.  2,  Bi).  Das  Pigment  erscheint  in  Form 
kleiner  Körnchen,  umgrenzt  die  Zellensubstanz,  während 
der  Kern  vollständig  frei  davon  bleibt;  in  den  von  der  Seite 
gesehenen  Zellen  nimmt  das  Pigment  ihren  inneren  Theil 
ein  und  erscheint  alsdann  in  Gestalt  kleiner  Stäbchen. 
Diese  Zellen  der  proximalen  Lamelle  setzen  sich  fort  in 
diejenigen,  welche  zum  grOssten  Theil  das  Stützgewebe  des 


Histogenese  der  Retina  und  des  Nervus  opticos.  9ö 

Nervns  opticus  bilden  (Fig.  2,  A  e)  und  hier  sowie  in  der 
Nähe  dieses  Punktes  bilden  die  cubischen  Zellen  2  bis 
3  Lagen  und  sind  frei  von  Pigment. 

Am  hinteren  Pole  bemerkt  man  zwischen  diesen  Zellen 
der  proximalen  Lamelle  nnd  den  Zellen  der  äusseren  Ober- 
fläche der  distalen  Lamelle  andere  Zellenelemente  (Fig.  2,  A  f), 
welche  wahrscheinlich  vom  Mesoderma  abstammen  und  welche 
ein  Bindemittel  zwischen  der  distalen  Lamelle  und  dem 
Kudiment  des  Nervus  opticus  sind.  Am  Aeqnator  wird 
die  proximale  Lamelle  von  den  am  hinteren  Pole  beschrie- 
benen Zellen  gebildet,  doch  bilden  dieselben  nur  eine  ein- 
zige Lage.  —  In  ihrem  vorderen  Theil  vermehren  sich  die 
Zellen  der  proximalen  Lamelle  auf  9  Schichten;  sie  haben 
«inen  länglich  ovalen  Kern;  diese  Schichten  reduciren  sich 
weiter  nach  vom  auf  zwei  und  zwar  bis  zu  der  Stelle,  wo 
die  proximale  an  die  distale  Lamelle  angrenzt.  Das  Pig- 
ment nimmt  in  dieser  Region  nicht  nur  den  inneren  Theil 
der  Zellen  der  weiter  nach  innen  liegenden  Schicht  ein, 
sondern  es  findet  sich  zuweilen  auch  in  den  Zellen  der 
äusseren  Schicht. 

Im  weiteren  Verlauf  der  Entwicklung  (bei  Kaninchen- 
embrjonen  von  1,8  cm  und  bei  Bindsembiyonen  von 
2—5,2  cm)  besteht  die  proximale  Lamelle  an  ihrem  hinteren 
Pole  und  am  Aequator  (in  der  Seitenansicht)  aus  einer  Lage 
cubischer  Zellen  (Fig.  3  B  f ),  welche  besonders  in  ihrem 
inneren  Drittel  stark  pigmentirt  sind  und  einen  pigmentfreien 
Kern  besitzen.  Diese  Zellen  haben,  von  vorn  gesehen,  eine 
polygonale  Qestalt  (Fig.  3Bg).  Das  Pigment  liegt  in  der 
Peripherie  der  Zelle  und  lässt  den  Kern  frei.  Die  vordere 
Portion  der  proximalen  Lamelle  ist  ähnlich  so,  wie  sie  in 
der  vorhergehenden  Periode  beobachtet  wurde,  nur  beim 
Rindsembryo  von  5,2  cm  erscheint  die  Pigmentirung  ent- 
sprechend der  Entwicklung  des  GiliarkOrpers  viel  inten- 
mer.  —  Das  Tapetum  besteht  bei  Kaninchenembryonen 
von    2,7    cm  und    bei   6  wöchentlichen   Meerschweinchen- 


96  Fr-  FaLchi 

embryonen  am  hinteren  Pole  und  am  Aequator  aus  einer 
Lage  (in  Seitenansicht)  cubischer  Zellen  (Fig.  6  A  h),  welche 
in  Earyokinesis  begriffene  Kerne  zeigen  (Fig.  6  B  e),  was 
man  auch  in  den  (in  Seitenansicht)  cylindrischen  Zellen  des 
Giliartheils  beobachtet,  wo  die  proximale  Lamelle  aus  einer 
einzigen  Lage  dieser  Zellen  zusammengesetzt  ist.    Die  Zellen 
des  Tapetum  zeigen  in  der  Ansicht  von  vome  an  ihrem 
hintern  Pol  und  am  Aequator  (Fig.  6  B  k)  eine  polygonale 
Gestalt,  ihre  Conturen  sind  grOsstentbeils  verdeckt  von  dem 
Pigment,  das  in  die  Zellsubstanz  bis  an  den  Kern  heran 
eingedrungen  ist,  dessen  ümriss  daher  auch  nicht  deutlich 
erscheint.    Bei  menschlichen  Embryonen  von  3,8  cm  ist 
das    Tapetum   gleichfalls    aus    cubischen   Zellen    gebildet 
(Fig.  10 Ag)  (Seitenansicht),  welche  einen  ovalen  Kern  be- 
sitzen; diese  Zellen  zeigen  in  der  Ansicht  von  vom  eine 
polygonale  Gestalt  (Fig.  10  B  h)  mit  leicht  ovalem  Kern«   In 
denselben  findet  man  das  Pigment  in  der  Peripherie  an- 
gehäuft,  doch  findet  man  auch  welches  in  dem  Kern,  wenn 
auch  in  geringerer  Menge  als  in  der  Zellsubstanz.    Am 
Aequator   und   in  dem   vorderen  Theil  verhält  sich  das 
Tapetum  wie  es  bei  den  andern  Säugethieren  vorhin  be- 
schrieben worden  ist.  —  Bei  menschlichen  Embryonen  von 
7  cm  bilden  die  Zellen  des  Betinaepithels  in  der  Seiten- 
ansicht einen  schmalen  Streifen  kleiner  Platten;  in  der  An- 
sicht von  vom  erscheinen  sie  in  hexagonaler  Gestalt    Der 
Kem  ist  fast  vollständig  pigmentfrei  und  liegt  auf  einer 
Seite  der  Zelle,  wesshalb  das  Pigment  in  der  Zellsubstanz 
in  einer  Weise  angehäuft  liegt,  dass  es  zwischen  sich  und 
dem  Kern  einen  fast  vollständig  freien  Hof  lässt  —  Bei 
weiter  entwickelten  Embryonen  (Kaninchen   von  4,3   und 
5,7  cm,  Bind  von  6 — 8  cm)  erscheinen  die  Pigmentzellen 
des  Tapetum  wie  bei  Embryonen  der  vorhergehenden  Epoche ; 
nur  bei  den  eben  erwähnten  Kaninchenembryonen  bemerkt 
man  an  den  Zellen  in  der  Seitenansicht,  dass  ihre  langen 
Protoplasmafortsätze  stark  pigmentirt  und  nach  der  distalen 


Histogenese  der  Retina  und  des  Nervus  opticus.  97 

Lamelle  hin  gerichtet  sind,  an  deren  äusserer  Grenze  man 
zuweilen  Spuren  Ton  Pigment  erblickt.  —  Beim  menschlichen 
Embryo  von  21,5  cm  erscheinen  die  Zellen  des  Tapetnm  in 
der  Seitenansicht  als  ein  dQnner  Streif  von  Plftttchen 
(Fig.  11  A  o),  in  der  Ansicht  von  vorn  zeigen  sie  hexagonale 
oder  polygonale  (Fig.  11  B  p)  Gestalt  mit  meist  aus  dem 
Centrum  nach  einer  Seite  hin  yerschobenem,  mit  einem 
halbmondförmigen  Pigmenthof  umgebenem  Kern.  Wenn 
manchmal  der  Kern  in  der  centralen  Zone  der  Zelle  sich 
befindet,  dann  ist  das  Pigment  in  Form  eines  Rings  um 
den  Kern  herum  vertheilt. 

Bei  anderen  S&ugethieren  (Rindsembryo  von  13,3  cm, 
Kaninchenembryo  von  8,5  und  Meerschweinchenf&tus  von 
7  cm)  haben  die  Zellen  des  Tapetum  die  Charaktere  er* 
langt,  welche  man  an  den  Thieren  nach  der  Geburt  findet. 
Man  beobachtet  daher,  dass  beim  neugebomen  Kaninchen 
(Fig.  9  i)  die  Zellen  des  Retinaepithels  in  der  Seitenansicht 
gerade  wie  beim  neugebomen  Menschen  und  Meerschweinchen 
sich  in  der  Gestalt  feiner  Platten  präsentiren,  während  diese 
Zellen  in  der  Ansicht  von  vom  eine  deutlich  hexagonale 
Gestalt  mit  ovalem  Kern  zeigen  und  das  Pigment  die  Zell- 
substanz  und  auch  den  Kern  occupirt  hat.  Bei  Kaninchen 
von  7 — 15—30—40 — 42  Tagen  zeigen  die  Zellen  des  Retina- 
epithels sich  vollständig  entwickelt,  wie  es  für  das  neu- 
gebome  Kaninchen  beschrieben  wurde. 


Aus  meinen  Auseinandersetzungen  über  die  Histogenese 
der  Betina  der  Säugethiere  ergiebt  sich  folgendes:  Bei  der 
Histogenese  der  Betina  geschieht  die  Vermehmng  ihrer 
Elemente  durch  den  Process  der  Karyokinese,  welcher  bei 
einigen  Säugethieren  (Kaninchen)  bis  zum  7.  Tag  nach  der 
Geburt  anhält.  Den  Vorgang  der  Mitose  bemerkt  man 
nicht  nur  in  den  Zellen  der  äusseren  Oberflächenschicht 
der  distalen  Lamelle,  sondern  auch  in  den  anderen  Schich- 
ten dieser  Lamelle,  doch  sind  in  der  äusseren  Oberfiächen- 

T.  Gra«fe*t  ArelÜT  fOr  Ophthalmologie,  XXXIV.  2.  7 


98  Fr.  Falchi. 

Schicht  die  Mitosen  zahlreicher  als  in  anderen  Schichten. 
In  allen  Regionen  der  distalen  Lamelle,  sowohl  am  hinteren 
Pol  als  am  Aeqnator,  als  an  dem  Giliartheil  bemerkt  man 
die  Earyokinese  in  den  Zellen  der  verschiedenen  Schichten. 
Die  Eichtnng  der  Theilongsebene  ist  bei  der  Histogenese 
der  Betina  meistens  eine  tangentiale,  weniger  häufig  eine 
radiale  und  noch  viel  seltener  eine  diagonale.  Die  Earyo- 
kinese hört  anf,  sobald  die  Stäbchen  ihren  Entwickelnngs- 
process  beginnen. 

Mit  Bücksicht  auf  die  histologischen  Studien  von 
Flemming  und  Strasburger  und  die  chemischen  von 
Zacharias,  PlOsz  und  Eossei  ttber  die  Zelle  erhielt  ich 
folgende  Besultate.  Die  erste  Verschiedenheit  in  der  Gestalt 
und  dem  Farbenton  der  Zellkerne  der  proximalen  und  distalen 
Lamelle  macht  sich  bemerklich,  wenn  sich  die  secundäre 
Augenblase  bildet.  Eaum  hat  sich  die  distale  Membran 
verdickt,  so  zeigt  sie  Zellen  mit  intensiv  gefärbtem  Eem 
und  Betlculum,  während  der  Eemsaft  nur  wenig  geftrbt 
ist.  Bald  darauf  beginnt  eine  Umgestaltung  der  Zellen, 
welche  an  dem  inneren  Bande  der  distalen  Lamelle  liegen. 
Die  Eeme  der  dort  gelegenen  Zellen  werden  oval  und  grösser, 
ihr  Beticulum  und  Eemkörperchen  wird  gefärbt.  Nach 
Bildung  des  Stratum  reticulare  internum  entstehen  aus  den 
vorher  erwähnten  Zellen  zwei  Arten,  die  einen  haben  einen 
kleineren  Eern  mit  intensiv  gefärbtem  Beticulum  und  auch 
etwas  gefärbtem  Eerninhalt,  die  anderen  Zellen  haben  einen 
grossen  Eern  mit  gefärbtem  Beticulum  und  Eemkörperchen, 
aber  ungefärbtem  Inhalt  Diese  letzteren  Zellen  zeigen  bei 
ihrer  Weiterentwicklung  Fortsätze  und  bilden  die  Ganglien- 
zellen der  Betina. 

Aus  der  äusseren  Zellenschicht  der  distalen  Lamelle 
stammen  die  Stäbchen  und  Zapfen  (beim  Eaninchen  zwischen 
dem  7.  und  15.  Tag  nach  der  Geburt  und  nicht  schon  beim 
neugebornen  Eaninchen,  wie  Eoganei  glaubt  und  in  Fig.  3 
seiner   Arbeit   abbildet).    Desshalb    gebe   ich  nach  vielen 


Histogenese  der  Betina  und  des  Nernis  opticus.  99 

Präparaten  in  Figur  10  eine  Darstellung  der  Betina  des 
nengebomen  Kaninchens.  Was  Eoganei  als  Stäbchen  und 
Zapfen  bezeichnet,  findet  sich  bereits  beim  Eaninchenfötus 
von  8,5  cm,  ist  aber  nichts  anderes  als  die  äussersten 
Enden  der  Zellenfortsätze  der  distalen  Lamelle.  Dagegen 
entwickeln  sich  die  Stäbchen  und  Zapfen  bei  Säugethieren 
(menschlicher  Fötus  von  21,5  cm  und  Meerschweinchen- 
fOtus  von  7  cm)  aus  den  Kernen  der  äusseren  Oberflächen- 
schicht durch  den  oben  von  mir  beschriebenen  Vorgang 
(Fig.  llAbcde).  Am  inneren  Ende  haben  sie  einen  blassen 
Fortsatz,  welcher  sich  in  Fäden  theilt  und  sich  in  das  sehr 
feine  Netzwerk  des  Stratum  reticulare  extemum  hinein- 
begiebi 

Die  Stäbchen  und  Zapfen  zeigen  während  ihrer  Ent- 
wicklung einen  leichten  Unterschied  in  der  Intensität  ihrer 
Färbung.  Der  übrige  Theil  der  Entwicklung  der  Betina, 
welchen  Koganei  dem  nengebomen  Kaninchen  zuschreibt, 
das  heisst  die  Bildung  der  Körnerschichten  mit  dem  Er- 
scheinen des  Stratum  reticulare  extemum  existirt  in  Wirk- 
lichkeit beim  neugeborenen  Kaninchen  nicht,  man  findet 
vielmehr  diese  Verhältnisse  zuerst  beim  Kaninchen  von 
7  Tagen. 

Beim  Kaninchen  von  15  Tagen  kommen  an  den  Kemen 
der  Stäbchen  durch  die  Färbung  die  queren  Scheiben  zur 
Beobachtung,  welche  von  Henle  entdeckt  und  von  Flem- 
ming  auf  das  Vorhandensein  zweier  Substanzen  von  ver- 
schiedenem Brechungsindex  zurückgefdhrt  wurden,  von 
welchen  die  eine  sich  mit  gewissen  Färbemitteln  färben 
lässty  die  andere  aber  farblos  bleibt. 

Die  innere  und  äussere  reticulare  Schicht  entwickeln 
sich  so,  wie  es  Babuchin,  Ogneff  und  Kölliker  be- 
schrieben haben. 

Das  Tapetum  nigmm  ist  das  EntwicUungsproduct  des 

äusseren  Blattes   der  secundären  Augenblase.    Kurz  nach 

seiner  Bildung  besteht  es  aus    (von  der  Seite  gesehen) 

1* 


100  ^r.  FalchL 

cubischen  Zellen,  welche  sich  durch  Earyokinese  vermehren 
und  zwar  sowohl  am  hinteren  Fol  als  am  Aeqnator;  in 
dem  vorderen  Theil  besteht  es  ans  cylindnschen  Zellen, 
welche  ebenfalls  Mitose  zeigen.  Das  Pigment  befindet  sich 
im  Innern  Theil  dieser  cubischen  Zellen  und  stärker  an- 
gehäuft in  den  cylindrischen  Zellen  des  vorderen  Theils, 
wo  es  eine  oder  zwei  Lagen  derselben  einnimmt.  In  der 
Ansicht  von  vom  erscheinen  diese  cubischen  Zellen  rund 
oder  unregelmässig  polygonal  und  das  Pigment  hört  an  der 
Grenze  der  Zellsubstanz  auf.  Die  cylindrischen  Zellen 
würden  nach  der  Theorie  von  Hennum  aus  den  cubischen 
in  Folge  von  Druckwirkung  von  Seiten  der  letzteren  ent- 
stehen; aus  derselben  Ursache  würden  die  letzteren  auch 
die  platten  Zellen  entstehen  lassen,  welche,  von  vom  ge- 
sehen, hexagonal  aussehen.  Das  Pigment  nimmt  die  Zell- 
substanz ein,  dringt  zuweilen  aber  auch  bis  in  den  Kern  ein. 
Bei  Kaninchenembryonen  von  2,7—4,3 — 6,7  cm  Länge 
bemerkt  man,  dass  die  Zellen  des  Retinaepithels  stark  pig- 
mentirte  Fortsätze  gegen  die  distale  Lamelle  zu  ausschicken, 
auf  deren  Oberfläche  man  Pigment  abgelagert  findet  —  und 
dies  Verhalten  besteht  zu  einer  Zeit,  wo  die  Nervenzellen 
der  Retina  noch  in  dem  Process  der  Entwicklung  begriffen 
sind  und  die  Stäbchen  und  Zapfen  noch  nicht  existiren. 

Histogenese  des  Nervus  opticus. 

Nach  der  Bildung  der  secundären  Augenblase  setzt  sich 
die  proximale  Lamelle  in  die  Wände  des  Stiels  fort,  welche 
dann  sich  weiter  in  die  Wand  der  vorderen  Hirnblase  ver- 
längern. Die  Stmctur  der  Stielwand  ist  in  diesem  Stadium 
ähnlich  der  der  proximalen  und  distalen  Lamelle;  sie  lässt 
im  Innern  einen  Hohlraum.  Im  weiteren  Verlauf  der  Ent>- 
wicklung  der  secundären  Augenblase  geht  der  Stiel  be- 
trächtliche Verändemngeu  ein.  Bei  Rindsembryonen  von 
1,8  cm  besteht  er  aus  Zellen  mit  ovalem,  etwas  länglichem 
Kern   inmitten  eines  sehr  feinen  Netzwerks;  diese  Zellen 


Histogenese  der  Retina  und  des  Nervus  opticus.  IQl 

sind  denen  der  proximalen  Lamelle,  deren  Fortsetzung  sie 
sind  (Fig.  2  A  e),  ähnlich;  ihre  Kerne  haben  ein  gefärbtes 
Beticulum  und  EernkOrperchen,  während  ihr  Eernsaft  farb- 
los ist;  sie  liegen  meistens  mit  ihrer  grössten  Achse  in  der 
Richtung  der  Achse  des  Stieles.  Zwischen  diesen  Zellen 
verlaufen  feine  Nervenftden  (Fig.  2  A  g)  in  der  ganzen 
Ausdehnung  des  Stieles;  an  den  Seitenrändern  ist  diese  An- 
lage des  Nerven  von  zarten  wellenförmigen  Falten  des  um- 
gebenden Mesoderma  begrenzt  wie  von  einer  Anlage  der 
Nerrenscheide.  Das  den  Nerven  umgebende  Mesoderma 
besteht  aus  Zellen  mit  länglich  ovalem  Kern,  mit  intensiv 
gefärbtem  Reticulum  und  Eeminhalt  und  mit  einer  Bichtung, 
welche  gegen  diejenige,  in  welcher  die  Zellen  und  die  be- 
schriebenen feinen  Fäden  des  Nerven  verlaufen,  senkrecht 
oder  schräg  steht;  diese  Mesodermazellen  zeigen  Earyokinese 
(Fig.  2  A  h).  Zwischen  dem  äusseren  Rande  des  hintern 
Pols  der  distalen  Lamelle  und  dem  Punkte,  an  welchem  die 
proximale  an  der  Bildung  der  Nervenanlage  theilzunehmen 
beginnt,  bemerkt  man  eine  Anhäufung  von  wahrscheinlich 
dem  Mesoderma  zugehörigen  Zellen,  welche  ein  Bindeglied 
zwischen  der  distalen  Lamelle  und  dem  sich  entwickelnden 
Nerven  darstellen  (Fig.  2Af).  —  Im  Verlauf  der  Weiter- 
entwicklung besteht  der  Nervus  opticus  (beim  Eaninchen- 
embryo  von  1,8  cm,  beim  Bindsembryo  von  2 — ^5,2  cm  und 
beim  3  wöchentlichen  Meerschweinchenembryo)  aus  feinsten 
Nervenfibrillen  und  aus  zahlreichen,  gewöhnlich  mit  grossen 
Kernen,  manchmal  aber  auch  mit  kleinen,  runden  oder 
länglich  ovalen  und  zuweilen  auch  dreieckigen  Eerneu  ver- 
sehenen Zellen.  Diese  Zellen  zeigen  sich  in  der  Gegend  der 
Papille  und  hinten  in  der  Linie,  wo  sich  später  die  Lamina 
cribrosa  befinden  soll,  mit  der  grössten  Achse  den  Sehnerven- 
fEtöern  parallel  gerichtet;  die  Zellen  sind  auch  dort  zahlreich, 
wo  die  Ausbreitung  des  Nervus  opticus  beginnt;  in  den 
Eemen  dieser  Zellen  an  der  Papille  bemerkt  man  die 
Earyokinese  (Fig  3  A  b)  mit  meist  gegen  den  Verlauf  der 


102  Fr.  Falchi. 

Nenrenfibrillen  parallelen,  manchmal  aber  auch  schrägen 
Sichtung;  dagegen  findet  man  in  dem  Niveau  der  Schicht, 
wo  später  die  Lamina  cribrosa  entsteht,  Zellen,  welche 
senkrecht  zur  Richtung  der  Nervenfibrillen  gestellt  sind;  sie 
haben  länglich  ovale,  etwas  kegelförmige  oder  spindelförmige 
Kerne  (Fig.  3  A  c)  und  zeigen  eine  Earjokinesis  mit  senk- 
recht zu  den  Nervenfibrillen  gestellter  Theilungs- Ebene 
(Fig.  3  A  d).  Hinter  dieser  Stelle  sind  die  Zellen  sehr  zahl- 
reich, bilden  keine  regelmässige  Streifen  mehr  und  ihre 
Kerne  sind  rund,  länglich  oval  und  beinahe  dreieckig  mit 
der  grOssten  Achse  in  der  Richtung  der  Nervenfibrillen; 
unter  ihnen  finden  sich  Zellen,  weiche  in  Karyokinese  be- 
griffen sind  mit  parallel  zur  Richtung  der  Nervenfibrillen 
gestellter  Theilungsebene.  Alle  diese  Zellenelemente  des 
Nervus  opticus  zeigen  einen  Kern  mit  leicht  gefärbtem 
Inhalt,  während  das  Reticulum  und  das  KemkOrperchen 
intensiv  gefärbt  sind.  In  der  Papille  haben  die  Nerven- 
fibrillen folgende  Richtung:  die  mittleren  Nervenbflndel 
derselben  erscheinen  auf  Längsschnitten  vom  in  der 
Form  des  freien  Endes  eines  Pinseis  (Fig. 3 Ah),  während 
die  Nervenfibrillen  der  Peripherie  (Fig.  8  A  i)  sich  nach 
vom  fortsetzen  und  wie  der  umkehrende  Strahl  eines 
Springbmnnens  (wie  sich  Schwalbe  ausdrückt)  auseinander- 
biegen, an  der  Innenseite  der  distalen  Lamelle  weiterlaufen 
und  die  Ausbreitung  des  Nervus  opticus  bilden.  In  dem 
Mesoderma,  welches  den  Nervus  opticus  umgiebt,  finden 
sich  viele  Zellen  mit  ovalem  oder  rundem  Kem  mit 
intensiv  gefärbtem  Reticulum,  welche  zahlreiche  Mitosen 
zeigen. 

In  weiteren  Entwicklungsstadien  (Embryo  vom  Kanin- 
chen von  2,7  cm,  vom  Meerschweinchen  von  3  Wochen) 
sind  die  Fibrillen  sowohl  im  Nerven  als  in  der  Papille 
deutlicher.  Die  zwischen  diesen  Fibrillen  liegenden  Zellen 
zeigen  in  Bezug  auf  Richtung  und  den  Process  der  Karyo- 
kinese dasselbe  Verhalten,  wie  in  der  zuletzt  beschriebenen 


Histogenese  der  Retina  und  des  Nervus  opticus.         103 

EntwicUungsperiode;  in  derselben  Weise  erscheinen  im  Ge- 
biet der  Papille  die  centralen  Nervenbündel,  welche  in  der 
Bichtnng  von  vom  nach  hinten  abgetheilt  sind,  wie  das 
freie  Ende  eines  Pinsels  (Fig.  6  A  a)  und  treten  bestimmter 
hervor,  während  die  Fibrillen  der  Peripherie  weiter  nach 
vom  verlaufen,  um  sich  dann  nach  Aussen  umzubiegen 
und  so  die  Ausbreitung. des  Nerven  zu  bilden  (Fig.  6  Ac). 
Das  Mesoderma,  welches  den  Nervus  opticus  umgiebt,  zeigt 
in  dieser  Epoche  zahlreiche  Mitosen.  —  Im  Nervus  opticus 
des  menschlichen  Embryo  von  3,8  cm  bemerkt  man  das- 
selbe Structurverhältniss  wie  in  dem  Stadium,  welches  eben 
fOr  andere  Säugethiere  geschildert  worden  ist.  Auch  hier 
giebt  es  in  Earyokinese  begriffene  Zellen,  auch  hier  sieht 
man  (die  medianen  Nervenfibrillen  auf  Längsschnitten  in 
gleicher  Weise  in  der  Form  eines  Pinselendes  hervor- 
treten (Fig.  10  A  d),  während  die  peripheren  Nerven- 
bändel zur  Bildung  der  Nervenausbreitung  des  Nervus 
opticus  sich  strahlenförmig  auseinanderbiegen  (Fig.  10  A  e) 
und  sich  innerhalb  der  distalen  Lamelle  fortsetzen. 
Beim  7  cm  langen  menschlichen  Embryo  zeigt  der  Nerv 
im  Allgemeinen  dieselbe  Stmctur  wie  bei  dem  3,8  cm 
langen;  an  der  Oberfläche  der  Papille  macht  sich  eine 
leichte  Einsenkung  und  die  Arteria  hyaloidea  s.  capsularis 
bemerkbar.  Ln  Nerven  selbst  bemerkt  man  eine  Arteria 
centralis.  Die  Bündel  seiner  Nervenfasern  sind  sehr  deutlich. 
Bei  Säugethier- Embryonen  von  höherem  Alter  nimmt 
der  Nerv  an  Volumen  zu  und  treten  die  Nervenbündel  deut- 
licher hervor  (beim  Eaninchenembryo  von  8,5  cm  und  beim 
ausgetragenen  Kaninchen),  während  wir  beim  menschlichen 
Embryo  von  2  t  cm  die  Papille  entwickelt  finden,  die  cen- 
tralen Bündel  sich  sanft  zurückbiegen  und  den  Boden  der 
leichten  Einsenkung,  welchen  dieselbe  zeigt,  bilden  helfen; 
der  übrige  Theil  des  Nerven  verhält  sich  wie  beim  Er- 
wachsenen. Die  Scheiden  des  Sehnerven  sind  beinahe  voll- 
ständig entwickelt. 


104  Fr.  Falchi. 

Beim  neogebornen  Eaninchen  ist  die  Papille  gebildet, 
ihre  Einsenkung  ist  seicht,  ihre  Nervenbündel  geben  ihr  die 
Gestalt,  welche  sie  beim  ausgewachsenen  Kaninchen  dar- 
bietet ;  doch  sieht  man  von  der  Arteria  centralis  retinae  ein 
Netz  von  Gapillaren  aasgehen,  welche  sich  in  das  Aus- 
breitungsgebiet des  Nerven  (Fig.  96)  hineinverlängern  und 
ausserdem  die  Arteria  hyaloidea  s.  capsularis  (Fig.  9  f). 
Die  Lamina  cribrosa  ist  gebildet  (Fig.  9  g),  die  Nervenbündel 
im  übrigen  Theil  des  Nerven  sind  auch  sehr  ausgeprägt 
und  die  Zellen,  welche  sie  abgrenzen,  zeigen  einen  Kern 
mit  stark  gefärbtem  Beticulum;  in  diesen  Elementen  be- 
obachtet man  Karyokinese  (Fig.  9  h).  Im  Auge  des  neu- 
gebomen  Menschen  hat  der  Sehnerv  seine  Entwicklung 
vollendet. 

Beim  Kaninchen  von  7  Tagen  hat  der  Sehnerv  und  die 
Papille  beinahe  vollständig  die  Entwicklung  me  im  aus- 
gewachsenen Zustand,  doch  sind  die  centralen  Gefässe  von 
einem  jungen  Bindegewebe  mit  Gapillaren  umgeben.  Das- 
selbe beobachtet  man  bei  einem  Kaninchen  von  15  Tagen; 
aber  bei  einem  Kaninchen  von  30—40—42  Tagen  ist  die 
Ent?ricklung  des  Sehnerven  und  seiner  Scheiden  vollendet 


Aus  dem  Studium  der  Histogenese  des  Nervus  opticus 
bei  Säugethieren  geht  hervor,  dass  das  Volumenwachsthum 
des  Nervus  opticus  geschieht  durch  Vermehrung  der  zwischen 
den  Nervenfaserbündeln  liegenden  Zellen  vermittelst  der 
Karyokinese  und  durch  die  Volumenzunahme  der  Bündel 
dieser  Fibrillen. 

Während  bei  einigen  neugebomen  Säugethieren  (Mensch) 
die  Papille  und  der  übrige  Theil  des  Sehnerven  entwickelt 
sind  wie  beim  Erwachsenen,  zeigt  bei  anderen  (Kaninchen) 
die  Papille  meist  noch  die  Persistenz  der  Arteria  hyaloidea 
s.  capsularis. 

Das  Stützgewebe  des  Nervus  opticus  wird  zum  grossen 
Theil  von   den  Zellen   gebildet,  welche  die  Wände  seines 


Histogenese  der  Betina  und  des  Nervus  opticus.         105 

Stieles  darstelleD,  welche  aber  Veränderungen  eingegangen 
sind,  —  aber  auch  von  Elementen  des  Mesoderma,  welche 
mit  Geftssen  in  den  Nerven  eindringen. 

Was  ich  beobachtete,  berechtigt  mich  der  Meinung  von 
His  und  EOlliker  in  Betreff  des  Ursprungs  des  Nervus 
opticus  beizutreten;  darum  halte  ich  daran  fest,  dass  der 
Nervus  opticus  der  Säugethiere  als  ein  Theil  des  Gehirns 
zu  betrachten  ist  und  dass  die  Wandungen  des  Stiels  der 
secundären  Augenblase  sich  in  StQtzgewebe  umwandeln,  zu 
dessen  Bildung  auch  das  Mesoderma  beiträgt,  welches  mit 
Geftssen  hineinwächst.  In  der  That  kann  man  in  diesem 
Stiel  keinen  Vorgang,  der  auf  die  Bildung  von  Nerven- 
zellen hindeutete,  beobachten,  wie  ich  einen  solchen  bei  der 
Bildung  der  Ganglienzellen  verfolgen  konnte;  aus  diesem 
Grunde  können  von  den  eigentlichen,  den  Stielwandungen  des 
Nerven  angehörigen  Zellen  die  diesen  Nerven  wesentlich 
zusammensetzenden  Nervenfibrillen  nicht  gebildet  werden. 

Gegen  die  Ansicht  W.  Müllers  kann  ich  bemerken, 
dass  das  Auftreten  der  Nervenbündel  des  Sehnerven  der 
Entwicklung  der  Ganglienzellen  der  Betina  lange  vorher- 
geht, diese  Zellen  daher  den  Sehnerven  nicht  bilden  können, 
da  er  bereits  vor  ihnen  existirt. 


Erklärung  der  Figuren. 

Yig.  1.  Horizontaler  Längsschnitt  der  secundären  Augen- 
blase eines  10  Tage  alten  Eaninchenembiyo.  —  Färbung  mit 
Grenachers  Alauncarmin.  —  Koristka,  Oc.  3.  hochgestellter  Tabus, 
Object  YUI:  a)  Zellen  in  Karyokinese  vom  innern  Rand  des  Seh- 
nervenatiels*,  b)  desgleichen  von  der  inneren  Oberfläche  der  proxi- 
malen LameUe;  c)  desgleichen  von  der  äusseren  Oberflächenschicht 
der  distasen  Lamelle ;  d)  desgleichen  von  dem  die  secundäre  Augen- 
blase umgebenden  Mesoderma. 

Fig.  2A.  Horizontaler  Längsschnitt  des  hinteren  Pols  der 
secundären  Augenblase  und  der  Anlage  des  Sehnerven  von  einem 
1,8  cm  langen  Bindsembryo.  —  Färbung  mit  Grenachers  Alaun- 


106  Fr.  Palchi. 

carmin.  —  Zeiss,  Oc.  4,  tiefgestellter  Tabus,  Obj.  ^/^  homogene 
ImmersioiL  a)  Zellen  der  distalen  Lamelle  mit  ovalem  Kern; 
b)  Zellen  in  Karyokinese  in  der  äusseren  Oberflächenschicht;  c)  des- 
gleichen in  der  dritten  Schicht  der  distalen  Lamelle;  d)  Zellen  der 
distalen  in  der  Seitenansicht;  e)  Stelle,  an  welcher  sich  die  Zellen 
der  proximalen  Lamelle  in  den  Sehnervenstiel  fortsetsen;  f)  Kerne 
der  wahrscheinlich  dem  Mesoderma  angehörigen  Zellen,  welche  die 
Anlage  des  Nervus  opticus  mit  der  distalen  Lamelle  verbinden; 
g)  feinste  Nervenfibrille;  h)  Zellen  in  Karyokinese  in  dem  Meso- 
derma, welches  den  Nerven  und  die  secund&re  Augenblase  umgiebt 

Fig.  SB.  i)  Zellen  der  proximalen  Lamelle,  von  vom  ge- 
sehen.   Hämatoxylinf&rbung. 

Fig.  3.  Horizontaler  Längsschnitt  der  distalen  Lamelle  am 
hintern  Pole  und  des  Nervus  opticus  von  einem  1,8  cm  langen 
Kaninchenembryo.  —  Fig.  3  A.  Färbung  mit  Hämatoxylin.  — 
Fig.  3  B.  Färbung  mit  Grenachers  Alauncarmin.  Zeias  Oc.  4^  tief- 
gestellter Tubus,  Obj.  }{,,  homogene  Immersion. 

Fig.  3A.  a)  Zellen  in  Karyokinese  in  der  cweitinnersten 
Schicht  der  distalen  Lamelle;  b)  Karyokinese  in  den  Zellen  der 
Papille;  c)  Kemzellen  mit  gegen  den  Verlauf  der  Nervenfibiillen 
transversaler  oder  senkrechter  Richtung;  d)  Karyokinese  einiger 
Zellen;  e)  desgleichen  in  dem  hintern  Abschnitt  des  Sehnerven; 
h)  mittlere  Nervenfasern  des  Sehnerven;  i)  äussere  Nervenfasern, 
welche  im  Begriff  sind,  sich  gegen  die  innere  Oberfläche  der  distalen 
Lamelle  zarflckzubiegen. 

Fig.  3B.  f)  Zellen  der  proximalen  Lamelle,  von  der  Seite 
gesehen;  g)  dieselben  Zellen  in  der  Ansicht  von  vom. 

Fig.  4.  Horizontalschnitt  vom  hintem  Pol  der  distalen 
Lamelle  der  secundären  Augenblase  eines  4,2  cm  langen  Binds- 
embryo.  —  Färbung  mit  Grenachers  Alauncarmin.  —  Zeiss,  Oc  4, 
tiefgestellter  Tubus,  Obj.  £.  a)  Zellen  in  Kaiyokinese  in  der 
äusseren  Oberflächenschicht  derselben;  b)  desgleichen  in  den  mitt- 
leren Schichten  der  äusseren  Zone  der  distalen  Lamelle;  e)  des- 
gleichen in  den  inneren  Schichten. 

Fig.  5.  Horizontalschnitt  der  distalen  Lamelle  desselben 
Embryo  wie  in  Fig.  4  an  der  Grenze  zwischen  der  Aequatorial- 
gegend  und  der  Pars  ciliaris  retinae.  Färbung  mit  Grenachers 
Alauncarmin.—  Zeiss,  Oc4,  tie^pesteliter Tubus,  Obj.E.  a)  Zellen 
in  Karyokinese  in  der  äusseren  Oberflächenschicht;  b)  desgleichen 
in  der  mittleren  Partie  der  distalen  Lamelle. 

Fig.  6.  Horizontaler  Längsschnitt  der  distalen  Lamelle  der 
secundären  Augenblase  von  einem  2,7  cm  langen  Kaninchenembryo. 
Zeiss,  Oc.  4,  tiefgestellter  Tubus,  Obj.  {4^  homogene  Immersion.  — 
Fig.  6  A  Färbung  mit  Hämatoxylin,  Fig.  6  B  Färbung  mit  Alaun- 
carmin. 


Histogenese  der  Retina  nnd  des  NerTua  opticus.         107 

¥ig.  6A.  a)  Centrale  Nervenbündel  des  Sehnerven;  b)  peri- 
phere Nervenbündel  des  Opticus,  welche  sich  strahlenförmig  zurück- 
biegen;  c)  Zellen  in  Earjokinese  im  Anfang  der  Sehnerven- 
ansbreitang;  d)  senkrecht  zur  Riebtang  der  Nervenbündel  gestellte 
Zellkerne  nnd  einige  davon  in  Earyokinese;  e)  längliche  und  spindel- 
förmige Zellkerne  in  der  hintern  Partie  des  Nervus  opticus  und 
einige  dieser  Zellen  in  Karyokinese;  f)  Karyokinese  in  einer  Zelle 
der  zweiten  Schicht  der  dunkeln  Aussenzone  der  distalen  Lamelle; 
g)  Zellen  der  hellen  Innenzone;  h)  Tapetum  in  Seitenansicht; 
i)  Karyokinese  der  Zellen  des  Mesoderma,  welches  den  Nerv 
umgiebt. 

Fig.  6B.  k)  Tapetum  von  vom  gesehen;  1)  cubische  Zellen 
des  Tapetum  in  Seitenansicht  und  einige  derselben  in  Kaiyokinese. 

Fig.  7.  Tbeil  eines  Horizontalschnitts  der  distalen  Lamelle 
von  einem  4^  cm  langen  Eaninchenembryo.  —  Zeiss,  Oc.  4,  tief- 
gestellter  Tubus,  Obj.  yis,  homogene  Immersion.  Färbung  mit 
H&matoxylin.  a)  Bildungszellen  der  dunkeln  Aussenzone;  b)  Be- 
ginn der  innem  reticulären  Schicht;  c)  Zellen  der  hellen  Innen- 
zone; d)  desgleichen  in  Karyokinese;  e)  Zellen  zwischen  den 
Nervenfibrillen  der  Sehnervenausbreitung  in  Karyokinese. 

Fig.  8.  Theil  eines  Horizontalschnitts  der  distalen  Lamelle 
am  hintern  Pole  von  einem  5,7  cm  langen  Kaninchenembiyo,  Fär- 
bung nach  der  Methode  von  Bizzozero.  —  Zeiss,  Oc  4,  tiefgestellter 
Tubus,  Obj.  J^a,  homogene  Immersion,  a)  Zellen  der  dunkeln 
AuBsenzone  mit  ovalem  Kern  an  der  Grenze  gegen  die  innere 
reticuläre  Schicht;  b)  Stratum  reticulare  internum;  c)  Zellen  der 
hellen  Innenzone,  eine  derselben  d)  in  Kaiyokinese. 

Fig.  9.  Horizontaler  Längsschnitt  der  Retina  an  ihrem  hin- 
teren Pole  und  des  Nervus  opticus  vom  neugeborenen  Kaninchen. 
Färbung  mit  Grenachers  Alauncarmin.  —  Zeiss,  Oc.  i,  tie^estellter 
Tubus,  Obj.  J{a,  homogene  Immersion,  a)  Zellen  in  Karyokinese 
aus  der  äusseren  Oberfiächenschicht  der  distalen  Lamelle;  b)  ovale 
farblose  Zellen  an  der  äusseren  Grenze  der  Aussenzone;  c)  ovale 
und  runde  Zellen  zwischen  den  Ganglienzellen;  d)  Ganglienzellen; 
e)  Gapillare  in  der  Sehnervenausbreitung;  f)  Arteria  hyaloidea 
8.  capsularis;  g)  pamina  cribrosa;  b)  Karyokinesis  in  den  Zellen 
des  Sehnerven;  i)  Epithel  der  Retina  in  Seitenansicht 

Fig.  10.  Horizontaler  Längsschnitt  der  distalen  Lamelle  am 
hintern  Pole,  und  des  Nervus  opticus  von  einem  3,8  cm  langen 
menschlichen  Embryo.  Färbung  mit  Ghrenachers  Alauncarmin.  — 
Zeiss,  Oc.  4,  tiefgestellter  Tubus,  Obj.  K99  homogene  Immersion. 

Fig.  10  A.  a)  Dunkle  Aussenzone;  b)  Karyokinesis  in  der 
äusseren  Oberflächenschicht;  c)  Zellen  mit  grossen  blassen  Kernen 
der  hellen  Innenzone;  d)  centrale  Nervenbündel  der  Papille;  e)  peri- 
phere Nervenbündel,    welche    sich    strahlenförmig  zurückbiegen; 


108  Fr.  Falchi. 

f)  Zellen  in  Kaiyokinese  im  Nervus  opticus;  g)  Epithel  der  proxi- 
malen Lamelle  in  Seitenansicht 

Fig.  10  B.     h)  Zellen  des  Tapetnm  in  der  Ansicht  von  vom. 

Fig.  11.  Horizontalschnitt  der  Ketina  in  der  Aequatorial- 
gegend  eines  21jS  cm  Uuigen  menschlichen  Embryo.  —  Färbung 
mit  Grenachers  Alaoncarmin.  Zeiss,  0&  4,  tiefgestellter  Tnbus» 
Obj.  }^,,  homogene  Immersion. 

Fig.  IIA.  a)  Membrana  limitAns  externa;  b)  Yerl&ngenmg 
des  Kerns  bei  der  Entwicklung  der  Stäbchen;  c)  die  Kerne,  welche 
sich  zur  Bildung  der  Stäbchen  yerlängem,  sind  durch  die  Mem- 
brana limitans  externa  durchgewachsen;  d)  yergrOsserte  und  Yer^ 
längerte  Kerne  bei  der  Entwicklung  der  Zapfen  nähern  sich  der 
Membrana  limitans  externa  und  erreichen  dieselbe;  e)  diese  Kerne 
haben  die  Membrana  limitans  externa  durchsetzt  und  zeigen  nun 
die  Gestalt  eines  gestielten  ovalen  Bläschens;  f)  Zellen  mit  kleinem 
runden  ovalen  Kern,  welcher  sich  intensiv  färbt;  g)  Zellen  mit 
grossem,  blassen,  ovalen  Kern;  h)  Upolare,  polypolare  und  spindel- 
förmige Zellen;  i)  grosser  blasser  Kern  im  Stratum  retlculare 
intemum;  k)  grosser  Zellkern  der  weiter  innen  gelegenen  Schicht; 
1)  kleiner  Zellkern  der  weiter  innen  gelegenen  Schicht;  m)  Schicht 
der  Nervenfibrillen;  n)  inneres  Ende  der  Mfillefschen  Radialfasem ; 
o)  Epithel  der  Retina  in  Seitenansicht. 

Fig.  IIB.    p)  Epithel  der  Retina  in  der  Ansicht  von  vom. 


Uebei  die  Thomas'schen  bipolaren  Eieissysteme 
nnd  die  Spiralsysteme  anf  angesoliliffeiieii  Grystall- 

linsen. 

Von 
Prof.  Dr.  Ludwig  Matthiessen 

in  Rostock. 
Mit  Ewei  Holzschnitten. 


Die  überaus  feinen  nnd  regelmässigen  Curvensysteme, 
welche  zuerst  von  Thomas'*')  auf  den  Schliffflächen  ge- 
härteter CrystalUinsen  beobachtet  und  in  der  Folge  von 
Czermack**)  synthetisch  erklärt  wurden,  sind  bisher,  soviel 
mir  bekannt,  analytisch  noch  nicht  discntirt  worden.  Die 
Erscheinungen,  welche  sich  auf  einer  mit  der  Linsenaxe 
parallel  liegenden  SchliffQäche  im  Mikroskope  dem  Auge 
des  Beobachters  darbieten  und  wovon  ich  an  einem  von 
meinem  verehrten  Gollegen  Professor  Aubert  mir  vorgelegten 
Präparate  mich  durch  eigene  Anschauung  Oberzeugt  habe,  be- 
stehen in  vier  verschiedenen  zusammengesetzten  geometrischen 
Gebilden,  nämlich  aus  einem  centralen  und  zwei  seitwärts 
in    der   Aequatorialebene  liegenden   concentrischen  Ereis- 


*)  Frager  medicin.  Yierteljahresschrift  (1854)  L  Bd.,  Ansserord. 
BeiL  S.  1. 

**)  Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie  Bd.  VII.  S.  185;  v.  Helm- 
holtz,  PhysioL  Opt.  §  5,  2.  Aufl. 


110  ^*  MatthieMen. 

Systemen,  ausserdem  einem  Systeme  von  vollkommen 
parallel  mit  der  Axe  laufenden  geradlinigen  Strahlen.  Ganz 
genau  so  sind  diese  Qebilde  auch  in  einer  Zeichnung  von 
Czermack  wiedergegeben.  Um  das  Problem,  die  Entstehung 
dieser  Liniensysteme  mathematisch  zu  erklären,  angreifbar 
zu  machen,  ist  man  genöthigt,  von  der  Vorstellung  einer 
idealen  Linse  auszugehen,  welche  der  wirklichen  möglichst 
nahe  kommt.  Betrachten  wir  die  Verhältnisse  des  histo- 
logischen Baues  einer  kugelförmigen  Crystalllinse,  z.  B.  einer 
Fischlinse,  wie  sie  auch  von  Thomas  zu  seinen  Schliffen 
benutzt  ist,  so  ist  dieselbe,  besonders  nachdem  sie  gesotten  ist, 
in  lauter  concentrische  Eugelschalen  zerlegbar;  diese  Eugel- 
schalen  bestehen  aus  Fasern,  welche  meridional  von  einem 
Punkte  der  Axe  bis  zu  dem  gegenüberliegenden  verlaufen, 
wobei  sie  an  der  vorderen  und  hinteren  Fläche  vielfiich  in 
sternförmigen  Figuren  in  einander  übergehen,  um  den  übrigen 
Platz  zu  machen.  Die  Querschnitte  der  Fassem  sind  sechs- 
eckig und  wabenförmig  aneinandergefügt;  die  längere  Seite 
dieser  Sechsecke  liegt  äquatorial,  während  die  vier  kürzeren 
Seiten  beiderseits  Zuschärfungeu  und  in  ihrem  weiteren  Ver- 
laufe von  Schicht  zu  Schicht  NathHächen  bilden,  welche 
mit  den  Spaltflächen  oder  inneren  Scheidewänden  einer 
Apfelsine  vergleichbar,  sämmtlich  durch  die  Linsenaxe  gehen. 
Die  Fasern  bestehen  auf  diese  Weise  aus  platten  Lamellen, 
von  denen  die  flachen  Seiten  die  Hauptspaltungsfläche  in 
Eugelschalen  bilden. 

Denkt  man  sich  nun  einen  Aequatorialschnitt  durch 
die  Linse  geführt,  so  kommen  die  vorbezeichneten  vier 
Curvensysteme  sämmtlich  zum  Ausdruck ;  die  Nathlinien  C  D 
(s.  nebenstehend  Fig.  1)  bilden  das  geradlinige  Strahlen- 
system, welches  hier  durch  den  Axenpunkt  geht,  die  Spalt- 
linien A  B  bilden  das  centrale,  concentrische  Ereissystem 
und  die  Verbindungslinien  P  P  und  P  Ps  der  Mittelpunkte 
aller  möglichen  Diagonalreihen  von  Faserschnitten  bilden 
zwei  in  diesem  Falle  noch  unipolare  Spiralsysteme.    Führt 


TbomMschö  bipolare KreiasjBteme n. Spii&layBtdme etc.     m 

man  nun  eioea  schiefen  Gbenenschiiitt  gegen  die  Axe,  so 
bilden  die  Nahtlinien  C  D  immer  noch  ein  gegen  den  Aien- 
ponkt  D  convergirendes  geradliniges  Strohlensystem;  wird 
aber  der  Ebenenachnitt  parallel  mit  der  Liosenaxe,  also  senk- 
recht zum  Aequator,  gefQbrt,  so  liegt  der  Axeapnnkt  D  im 
Unendlidien,  und  das  geradlinige  Strahleosystem  geht  in 
ein  paralleles  tlber.    Alle  drei  Falle  lassen  sich  sehr  schon 


/ 


Fig.  1. 

an  den  homologen  Schnitten  einer  Apfelsine  zur  Anschauung 
bringen.  Die  drei  dbrigen  Curvensysteme  erleiden  bei  dem 
Uebergang  von  einem  in  beliebigem  Abstände  Tom  Llnsen- 
centrum  gefQhitem  Aeqoatorialschnrtte  in  einen  Ueridional- 
schnitt,  mannigfache  Metamorphosen,  die  sich  unter  ver- 
schiedenen einfachen  Voraussetzungen  Ober  die  geometrische 
Gestalt  and  Lagerung  der  Querschnitte  der  Linsenfaaeru 
analytisch  herieiten  lassen.  Von  diesen  Systemen  bilden  nur 
die  Spaltlinien  AB  in  jedem  Falle  ein  centrales,  conceatrisches 


112  L.  Matthiessen. 

Kreissystem,  da  concentriscbe  Engelschalen  immer  in  ooa- 
oentrischen  Kreisen  von  einer  Ebene  geschnitten  werden. 
Die  folgenden  Untersuchungen  haben  es  also  wesentlich  mit 
den  beiden  Spiralsystemen  zu  thnn. 

Da  die  Dimensionen  der  Faserscbnitte  gegen  den 
Bad.  vect.  einer  Linsenschicht  yerschwindend  klein  sind,  so 
wird  es  gestattet  sein,  das  Differenzial  einzufahren.  Wir 
vermögen  dann  die  Differenzialgleichung  der  fraglichen 
Curven  oder  Trajectorien  aufzustellen,  wenn  wir  voraus- 
setzen, dass  innerhalb  einer  und  derselben  Faser-  oder 
Linsenschicht  die  Fasern  im  Aequator  überall  dieselbe  Breite 
und  Dicke  besitzen  und  auf  einer  mit  der  Linse  concentriscben 
Kugelfläche  parallel  mit  dem  Meridian  bis  zur  Linsenaxe 
verlaufen.  Ist  m  das  Verhältniss  der  Breite  zur  Dicke  am 
Aequator  einer  beliebigen  Schicht  vom  Badius  Qj  so  wird 
m  im  Allgemeinen  eine  Function  von  q  sein.  Da  die  Naih- 
linie  CD  gegen  den  Axenpunkt  D  convergirt,  so  ist 

db  =  dboA 

r 

wo  dbo  die  Breite  der  Faser  im  Aequator,  r  den  Badius 

der  Linse  bezeichnet.    Nun  zeigen  Linsenschnitte,  dass  die 

Dicke  der  Faser  nach  dem  Kerne  zu  viel  rascher  abnimmt, 

als  die  Breite.    Drücken  wir  die  Dicke  durch  26 q  aus,  so 

kann  man  setzen 

2dQ  ==  2d^o^:ffe), 

und  wenn  man  das  Verhältniss  d  bo :  2  d  ^  ~  mo  annimmt, 
so  ergibt  sich 

d  b  =-  2mof(^)d^, 

wo  f  (q)  eine  durch  Messungen  noch  näher  zu  bestimmende, 
jedenfalls  aber  mit  abnehmendem  q  wachsende  Function  ist. 
um  die  Jdeen  zu  fixiren,  denken  wir  uns  jetzt  irgend 
einen  Ebenenschnitt  im  Abstände  a  vom  Linsencentmm 
durch  die  Kugel  geführt  Dieser  Ebenenschnitt  ist  für  alle 
Linsenschiohten  ein  Kreis,  in  welchem  die  schiefen  Durch- 


Thomas'sche  bipolare  Kreissysteme  u.  Spiralsysteme  etc.     1X3 

schnitte  sämmtlicher  Fasern  dieses  Bereichs  zar  Ansicht  ge- 
langen. Dieselben  erscheinen  auch  hier  sechseckig  und 
wabenförmig  aneinandergefügt.  Wir  untersuchen  die  Curven- 
systeme,  welche  die  Verbindungslinien  PPi  und  P  Pa  der 
Mittelpunkte  aller  möglichen  Diagonalreihen  von  Fasern 
sind.  Man  erkennt  leicht  aus  der  Zeichnung  (Fig.  1),  dass 
man  an  die  Stelle  des  mosaikartigen  GefQges  von  gestreckten 
schiefen  Sechsecken,  parallel  gelagerte  Rhomboide  von  der 
halben  scheinbaren  Dicke  setzen  kann,  deren  breite  Seiten 


Fig.  2. 


H I  und  E  L  senkrecht  zum  Radius  des  Ereisschnittes  stehen 
und  deren  schmale  Seiten  H  L  und  I E  in  ihrer  Fortsetzung 
als  Nathlinie  CD  das  vorerwähnte  parallele  Strahlensystem 
bilden.  Wir  substituiren  deshalb  statt  der  wirklichen  Fasern 
solche  von  der  gleichen  Breite,  aber  der  halben  Dicke.  Die 
halbe  wahre  Dicke  ist  dg  und  ihre  Breite  im  Aequator  db. 
Beachten  wir  nun,  dass  durch  jeden  Punkt  P  zwei  Trajectorien 
in  symmetrischer  Lage  hindurchgehen,  so  ist 

(1)   db  =  ±2mof{Q)dQ. 
Es  sei  also  M  A  N  B  (Fig.  2)  der  Ebenenschnitt  oder 
die  ebene  Schlifffläche  im  Abstände  C  M  =  a  vom  Eern- 

V.  Graefe'fl  Archiv  für  Opbthalmologio,  XXX IV.  8.  8 


114  L.  Hatthiessen. 

centrum  C  einer  kugelförmigen  KrystalUinse,  D  sein  Durch- 
scbnittspunkt  mit  der  Linsenaxe  0 Oi,  MB  seine  horizontale, 
M  N  seine  yerticale  Halbaxe,  G  S  die  yerticale  Halbaxe  r  des 
anf  der  Ebene  A  D  0  senkrechten  Meridians  0  S  Oi  und 
DQ  die  senkrechte  Darcbschnittslinie  der  Schliffflache  mit 
dem  Meridiane.  Alsdann  liegen  die  Halbaxen  C  S  und  M  N 
in  der  Ebene  des  Linsenäquators,  O2  P  ist  der  Meridian  des 
Punktes  P,  also  P  D  die  Durcbschnittslinie  der  Schliffflache 
mit  diesem  Meridiane,  t;  und  q  die  Rad.  vect.  Yon  P  be- 
züglich der  Centra  M  und  C,  PN  =  MG  =  y  und 
M  N  =  P  G  =  X  die  rechtwinkligen  Coordinaten.  Da  P 
der  Mittelpunkt  des  Schnittes  HI  KL  (Fig.  1)  einer  Faser 
ist,  so  wird  die  Diagonale  HPK  das  Bogenelement  d  s  der 
gesuchten  Trajectorie  sein.  Zieht  man  G  F  >=  ai  senkrecht 
zur  Linsenaxe  0  Oi  und  verbindet  P  mit  F  und  G,  dann 
ist  P  F  G  =  €  der  Neigungswinkel  des  Meridians  gegen  die 
Basalebene  und  somit 

(2)   d  b  =  ^  d  «  =  ^  d  arc  tan  — . 

Demgem[iss  ist  die  Differenzialgleichung  der  Trajectorie 

(3)   d:  2  mo  -^  d  o  -=  d  €  =  d  arc  tan  — . 
^  ^  Q      ^  ai 

Aus  der  Betrachtung  des  Dreiecks  F  G  D  ergiebt  sich  leicht 
die  Belation 

Bi  =  y  sin  z  +  a  cos  z, 

wo  z  den  Axenwinkel  0  D  A  bedeutet.  Die  Gleichung  (3) 
geht  dadurch  über  in  die  Form  des  Integrales 

—^^  dg  =±  -^ arc  tan  — -. f- C. 

Q       ^  2mo  ysmz4-acosz 

Wenn  nun  f  (^)  eine  algebraische  Funktion  ist,  z.  B. 

(5)   f(e)  =  «-f/?y  +  y^  +  .... 

so  ist  das  Integral  immer  bestimmbar.  Die  Gleichung  (4) 
stellt  dann  im  Allgemeinen  zwei  Schaaren  von  Spiralen  dar, 


(4)/ 


Thomas'sche  bipolare  KreisBysteme  n.  Spiralsysteme  etc.     115 

welche  je  eine  Scbaar  vod  geschlossenen  Curven  umkreisen. 
So  lange  nämlich  je  nach  der  Wahl  des  Gonstanten  G  der 
Werth  von  ai  nicht  gleich  Null,  also  die  Tangente  nicht 
zt  00  werden  kann  und  folgeweise  die  Curve  P  in  dem  Be- 
reiche A  D  Q  bleibt,  mössen  die  Gorven  geschlossene  oder 
in  sich  zurücklaufende  sein.    Hieraus  folgt: 

a)  dass,  wenn  der  Punkt  D  ausserhalb  der  Schliff- 
flache  liegt,  diese  also  von  der  Linsenaxe  nicht 
durchbohrt  wird,  nur  geschlossene  Gurvenschaaren 
auftreten; 

b)  dass,  wenn  D  in  der  Schlifffläche,  aber  in  einem 
endlichen  Abstände  von  M  liegt,  geschlossene 
Gurven  und  Spiralen  auftreten,  und 

c)  dass,  wenn  D  mit  M  coincidirt,  nur  Spiralen  auf- 
treten. 

Zu  dem  Falle  a)  gehören  die  Thomas'schen  Gurven- 
«ysteme,  bei  denen  die  Schlifffläche  parallel  mit  dem  Meridian, 
also  senkrecht  zum  Aequator  geführt  ist;  im  Falle  c  ist  die 
Schlifffläche  senkrecht  zur  Linsenaxe  oder  parallel  mit  dem 
Aequator  geführt. 

Um  nun  zu  einer  klaren  Einsicht  in  die  Verhältnisse,  die 
Art  und  Lage  der  Gurvenschaaren,  zu  gelangen,  wollen  wir 
mehrere  Specialfälle  betrachten,  und  zunächst  die  Integrations- 
<2onstante  G  bestimmen.  Aus  Fig.  2  ersieht  man,  dass 
^a  =  a*4-x*H-y^  ist.  Bezeichnet  dann  xo  einen  Werth 
der  Abscisse,  bei  welchem  y  verschwindet,  so  ist 


(6)    A^do  =  ±—  (arc  tan 


X 


x^  Q      ^  mo    \  y  sm  z  -I-  a  cos  z 


—  arc  tan  — 
a 


cosz/ 


Bezeichnet  xi  einen  zweiten  Werth  von  x  derselben  Gurve, 
bei  welchem  y  verschwindet,  so  erhält  man 

(7)  Afl£)dß  ^^JLLroUin-^ arc  tan -^^l 

^  '  -^  X,   ß       ^  mo  \  a  cos  z  a  cos  zj 

8* 


116  L*  Matthiessen. 

Ans  dem  umstände,  dass  für  die  zweite  Trajectorie,  welche 
dnrch  einen  Punkt  P  gebt,  mo  negativ  ist,  geht  hervor,  dass 
auf  der  oberen  und  unteren  Hälfte  der  Schlifffläche  zwei 
gesonderte,  symmetrisch  gelegene  Curvenschaaren  existiren^ 
welche  getrennte  Pole  haben,  weshalb  wir  uns  auf  das 
obere  Vorzeichen  beschränken  können.  In  dem  einen  Pole 
wird  offenbar  Xi  «  Xq  =  ß,  wo  S  den  Abstand  des  Poles 
vom  Kreiseentrum  M  bedeutet.  Um  seinen  Ort  zu  bestimmen, 
differenziren  wir  (7)  und  substituiren  Xi  =  x^  =  R.  Setzen 
wir  der  Kürze  wegen 


/- 


'.ti£)aß  =  F(xi)-P(xo), 


SO  wird 

a  cos  z  d  xi 


FUß)rfx,-F(R)dxo=-^{ 


a»  cos  z»  -f-  ß2 

a  cos  z  d  xo    \ 

~  a^cosz^-hRT 

und  da  im  Allgemeinen  dxo  von  dxi  verschieden  ist, 

1  acosz _^ 

^  ^^^~  mo    a^cosz^  +  R^    "  ^' 

a  cos  z 
oder  (8)   mo  =  (a^cosz^  +  R^jF^R/ 

Wir  sind  so  zu  dem  interessanten  Ergebnisse  gelangt,  dass 
man  m^  d.  h.  das  Verbal tniss  der  Breite  der  Linsenfasern  zu 
ihrer  Dicke  im  Aequator  berechnen  kann,  wenn  z,  a  und  R 
gemessen,  und  umgekehrt  R  berechnen  kann,  wenn  m,  z 
und  a  gegeben  sind.  Wenn  man  weiter  von  der  allgemeinen 
Gleichung  (5)  ausgeht  und  der  Gleichung  (8)  entsprechend 
den  Ausdruck 

iDo  =  (P  (a,  z,  R,  a,  /?,  / . . .) 

bestimmt,  so  ist  es  offenbar  möglich,  an  mehreren  Schnitten 
die  unbestimmten  Coefficienten  a,ß^Y,,,.  zu  finden,  kurz 
den  histologischen  Bau  der  Linse,  besonders  in  der  Um- 
gebung des  Eemcentrums  genau  mathematisch  zu  definiren. 


Thomas'sche  bipolare  Kreifisysteme  a.  Spiralsysteme  etc.     117 

Nachdem  wir  im  Vorhergehenden  die  allgemeine  Lösung 
<les  Problems  gegeben  haben,  ist  es  nicht  schwierig,  von 
speciellen  Fällen,  namentlich  den  Thomas*schen  Gurren- 
sy Sternen,  eine  mathematische  Darstellung  zu  geben.  Da 
es  leicht  ist^  in  Berücksichtigung  der  natürlichen  Verhältnisse 
die  allgemeine  Funktion  f  (^)  einzuführen,  so  beschränken 
wir  uns  im  Wesentlichen  auf  die  Voraussetzung 

f  (^)  =  1,  d.  h.  a  =  1,  /?  =  y  =  . . .  =  0. 

Die  Gleichungen  (6)  und  (7)  gehen  dann  über  in 

(9)  log  nat  ^"^1"^'-^/'  =  —  f  arc  tan  ^ 

—  arctan  — - — ), 
a  cos  z/ 

a»-hxi»  1     /       .  X, 


y  sin  z  +  a  cosz 


(10)  log  nat  -ö-; — K  =  (arc  tan 


—  arc  tan 


a  cos  z 

Xn 


:)• 


a  cos  z, 

Indem  wir  uns  weiter  darauf  beschränken,  nur  die  Systeme 
der  geschlossenen  Gurven  in  der  Umgebung  der  Pole  zu 
discutiren,  betrachten  wir  folgende  vier  Fälle: 

I.  z  =  0®  (die  Thomas'schen  Kreissysteme); 
IL  z  wenig  Ton  0^  verschieden; 

III.  z  wenig  Ton  90®  verschieden,  und 

IV.  z  =  90^ 

I.  Es  sei  z  =  Oo,  also  die  Schlifffiäche  parallel  mit  der 
Linsenaxe.    Die  Gleichungen  sind  in  diesem  Falle 

(11)  log  nat  ^^S^^  =  :^  (arc  tan  ^  -  arc  tan  ^\ 

(12)  lognat-;:±^^;:-  =  ^  (arctan  ^-arctan  ^). 

Die  DiflFerenzirung  von  (12)  oder  die  Gleichung  (8)  ergiebt 
die  elegante  Relation 

(13)   mo  =  -^  =  -J, 


IXg  L.  Matthiessen. 

wo  d  die  Poldistanz  der  beiden  Curvenscbaaren  auf  der 
oberen  und  unteren  Hälfte  der  Schlifffläche  bezeichnet.  Setzt 
man  für  die  unmittelbare  Umgebung  des  einen  Poles. 
Xi=B.-^  J,Jq'=^B,  —  ^,80  verschwindet  die  Gleichung (12> 
identisch,  wenn  man  bis  zu  Grössen  der  Kleinheit  der 
III.  Ordnung  exci.  entwickelt.  Demnach  gehen  die  Gurren 
in  der  Umgebung  der  Pole  durch  Punkte,  welche  von  jene» 
gleichen  Abstand  haben.  Die  Goordinaten  der  Gurve,  welche 
durch  diese  beiden  Punkte  geht,  seien  y  und  g  ==  x  —  B; 
alsdann  gebt  die  Gleichung  (11)  über  in 

log nat  [1  + Ir-TBr^l  -  ^'^ ^"*  L^ ?TB^1 

2R  r       .      ß  +  5  .       B  — ^1 

=  arc  tan —  arc  tan . 

a    L  a  a      J 

Wenn  man  die  Glieder  bis  zur  Kleinheit  der  III.  Ordnung^ 
excl.  entwickelt,  so  resultirt 

(14)  5«  -h  y»  =  ^^ 

welches  die  Gleichung  eines  Kreises  ist.  Ist  a  =  0,  so 
geht  die  Gleichung  (11)  über  in 

(15)  x»-^y^  =  Xo^ 

d.  h.  in  einem  Meridionalschnitte  gehen  sämmtliche  Curven 
über  in  ein  System  von  concentrischen  Kreisen  um  das 
Kerncentrum  C;  die  Fasern  werden  ihrer  Länge  nach  durch- 
schnitten oder  gespalten. 

Wenn  man  allgemeiner  annimmt,  es  sei 

f(e)  =  a-H/Jy, 

oder  was  den  natürlichen  Verhältnissen  besser  entsprechen 
möchte, 

so  ist  die  Differenzialgleichung  ebenfalls  integrabel  und  die 
Scbaaren  der  Diagonalcurven  bebalten  immer  noch  zwei 
Pole;  jedoch  wird  ihre  Distanz  2  B  =  d  eine  andere  und 


Thomas^Bche  bipolare  Ereissysteme  u.  Spiralsysteme  etc.     ng 

die  Curven  in  der  üingebuDg  derselben  werden  elliptisch. 
Gehen  wir  aus  von  der  ersteren  Form  der  Function,  so  ist 
die  Dififerenzialgleichung 

adx 


^"■.(-'f)'f- 


(")  -hr  +  ^-l. 


q  I    Q  a^  -f-  X^ 

und  die  Bestimmungsgleichung  (8)  wird 

(16)  m,  =  ^:[a-^ß-^.^^). 

Führt  man  diesen  Werth  in  die  Coordinatengleichung  ein, 
ebenso  die  Coordinaten  $  und  y,  entwickelt  darauf  sämmtlicbe 
Glieder  bis  zu  Grössen  der  Kleinheit  III.  Ordnung  excL,  so 
findet  man 

Ist  a  =  0,  so  ist  Ji^  =  J^ei^ :  (a'-f-ß^),  und  die  kleinste 
Axe  der  Ellipsen  liegt  parallel  zur  Linsenaxe.  Doch  wird  das 
Yerhältniss  B :  a  immer  yerhältnissmässig  klein  sein,  so  dass 
die  Ellipsen  sich  von  Kreisen  wenig  unterscheiden.  Wenn  es 
aber  möglich  sein  sollte,  das  Axenverhältniss  J  :  Ji  zu 
messen,  so  sind  Mittel  an  die  Hand  gegeben,  die  Function 
f  {q)  oder  die  unbekannten  Coöfficienten  a,  /J,  y  .  .  .  genauer 
zu  bestimmen  und  zwar  an  ebensoviel  Schliffflächen  in  ver- 
schiedenen Abständen  a  vom  Linsencentrum. 

11.  Es  sei  der  Winkel  z  wenig  von  Null  verschieden 
und  zunächst  f  {q)  =  1.  Dann  folgt  aus  (8)  die  Bestimmungs- 
gleichung 

.-Qv         _     a cos  z  (a^  4-  B^) 
^^^^   ^'  ""  2  B  (a«  cos  z«  +  B»)' 

Wird  nun  g  =  ^  für  y  ^  0,  so  geht  die  Gleichung  (9) 
Aber  in 


120  L*  MatthiessexL 

log nat [l  +         ^.^'r.       J  -  log  nat  [l -,-^\ 

^  2 R  (a^ C08  z^  -f  R»)  i  R4-g 

a  cos  z  (a^  -h  R^)     j  /^   .  J  sin  z\ 

^       „         J  acosz(l  +  '^^ ) 

ß  —  j)  V       acosz/ 

—  arc  tan  >. 

a  cos  z] 

Entwickelt  man  die  Glieder  in  Reihen  bis  zn  Grossen  der 
Kleinheit  III.  Ordnnng  excl.,  so  erhält  man  die  folgende 
für  den  ganzen  Bereich  von  z  =  0°  bis  90®  gültige  Gleichung 
der  geschlossenen  Gnrven  in  der  Umgebung  der  Pole  (R): 

ri9^  (r^  ,  T^       /^^  I      2(S^-^)a^R^sinz» 

2  R^  sin  z  (y^  R  sin  z  —  2  y  g  a  cos  z)       2  R^  y  sin  z  __  ^ 
a^  cos  z*  (a^  cos  z*  4- R^)  acosz 

Da  die  Tangente  nicht  ±  oo  werden  darf,  also  der  Grenz- 

werth-^^ =  —  1  ist,  so  sind  die  Curven  für  kleine 

a  cos  z 

g  und  y  geschlossen  und  zwar  concentrische  Ellipsen,  deren 

Mittelpunkt   nicht   mehr  im  Pole  (R)  liegt;   er  möge  der 

wahre  Pol  heissen.    Da  in  dem  vorliegenden  Falle  z  sehr 

klein  ist,  so  kann  man  cos  z  =  1  setzen.    Es  ist  demnach 

a 
mo  = 


2R 

und   weil  y  von  derselben  Ordnung  der  Kleinheit  bleibt, 
wie  g,  die  Gleichung  der  Curve 

R2 

g^4-y*-^*4-2y  — sinz  =  0. 

a 

R» 

Substituirt  man  y  H sin  z  =  17,  so  wird 

a 

R* 

(20)  g»-f  17*^  =  ^  +  ^sinz^ 

Dies  sind  concentrische  Kreise  und  es  ist  der  wahre  Pol  aus 

der  Aze  M  N  des  Kreisschnittes  um  die  Strecke  —   sin  z 

a 

nach  der  D-Axe  hin  verschoben. 


Thomas*sche  bipolare  Kreissysteme  u.  Spiralsycteme  etc.     121 

Wir  wollen  jetzt  noch  voraussetzen,  es  sei  f  (ß)  =  — ; 

dann  lautet  die  Bestimmungsgleichung  (8) 

,„-v         ___      a  cos  z  (a^  4-  R^)  v« 
K^^)  ^0  -  2n.T  (a^ cos z»  4-  ß^)" 

Die  Gleichung  der  geschlossenen  Curven  in  der  Umgebung 
des  Poles  (R)  wird  nun 

(29^  r^»-^v»  ..>.  ,  (r-^)R^[3a'8inz»-(a'4-R')] 
(SZ)  (5  -hy  -^j-f-  (a^  +  R^)  (a«  cos  z«  +  ß^ 

2  R'  sin  z  (y'  R  sin  z  —  2  y  g  a  cos  z)      2  R'  y  sin  z  _  ^ 
a'  cos  z*  (a'  cos  z'  -h  R')  a  cos  z      ""    * 

Für  sehr  kleine  Werthe  von  z  wird  nach  (21) 

a  (a^  H-  R')  V' 
m    =^  — ^ — 

"  2Br 

und  die  Gleichang  der  Gurre 

R' 

Durch  die  Coordinatenverschiebung  y  H sin  z  =  17   er- 

a 

hält  man 

d.  h.  concentrische  Ellipsen,  deren  kleinste  Axen  parallel 
zur  Linsenaxe  liegen.  Es  folgt  sowohl  aus  (20)  als  aus  (23), 
dass  fQr  verschwindend  kleine  $  und  ^  J  imaginäre  Werthe 
annimmt,  dass  also  die  M-Axe  von  diesen  Curven  nicht 
mehr  durchschnitten  wird.  Die  Discussion  der  Oleichungen 
(19)  und  (22)  ergiebt  weiter,  dass  die  Curven  in  der  Um- 
gebung des  Poles  Ellipsen  sind  mit  einer  zunehmenden 
Inclination  der  grösseren  Axe  nach  D  hin.  Bei  wachsenden 
Werthen  von  z  nähert  sich  ihr  gemeinsamer  Mittelpunkt 
oder  der  wahre  Pol  immer  mehr  und  mehr  der  D-Axe 
und    der  Axe  M  D.     Da   zugleich   in   dem  Grenzwerthe 

V  sin  z  I» 

J. =  —  1,  y  immer  kleiner  wird,  so  schrumpft  auch 

a  cos  z  "^ 


122  L.  Matthiessen. 

das  Gebiet  der  geschlossenen  Gurren  immer  mehr  zusammen, 
bis  es  für  einen  gewissen  Werth  von  z  gänzlich  verschwindet, 
der  von  m^  abhängig  ist.  Diesen  Grenzfall  wollen  wir 
etwas  genauer  beleuchten. 

III.  Es  sei  z  wenig  von  90^  verschieden.   Alsdann  folgt 

aus  (18)  für  die  nächste  Annahme  f  (q)  =  1,  indem  B  gegen 

a  verschwindet, 

.o^v         _  a^  cos  z 

^Z4;   m^  -  2  R  (a»  cos  z>  4-  R») 

und  aus  (21)  für  die  Annahme  f  (ß)  =  — : 

/oet\  cos  Z 

^"^^^   ""^  ^  2Er(a»cosz'-hR7 

Die  Gleichungen  (19)  und  (22)  gehen  aber  ineinander  über; 
dabei  wird  unter  der  vorläufigen  Voraussetzung,  dass  die- 
selben bis  zu  z  =s  90°  Gültigkeit  haben,  sin  z  =  1  zu 
setzen  sein.    Man  findet 

(oa^  rr  .  T^      /'^  I  2(r-^')R'  2R*y' 

^^o;  [^^-f-y      ^  ^^ "+"  a»  cos  z^  4-  B>     a*  cos  z>  (a»  cos  z» +R') 

2R'yg  ^     2R'y    ^^ 

a  cos  z  (a*  cos  z'  -+-  R*)       a  cos  z 

Substituiren  wir  nun 

5  =  gl  4-  u,  y  =  <7i  -f  w 

und  bringen  die  Gleichung  (26)  auf  die  Form 

A$i*  — B?,i7i  +  C<7i»  =  D, 

so  werden  u  und  w  die  Verschiebungen  des  wahren  Poles 
sein,  welche  wir  berechnen  wollen.  Wir  setzen  die  un- 
bestimmten Gogfficienten  von  Jfi  und  171  gleich  Null  und 
erhalten  die  Bestimmungsgleichungen 

2R»w  — (a^cosz»-+-3R^acoszu  =  0, 

[2R*-fa»cosz»(a»cösz*H-R»)]w  — 2R'^acoszu 
4-R^  (a*  cos  z* -f- B^)  a  cos  z  =  0- 

Setzt  man  den  Werth  von  w  aus  der  ersten  Gleichung  in 
die  zweite  ein,  so  wird 


Thomas'sche  bipolare  Kreissysteme  u.  Spiralsysteme  etc.    123 

(27)  u  =  —  (2  ßa  ^.  a>  cos  z')  (R'  -h  a'  cos  z') 
nnd  somit 

.„Qv (3  R'  -h  a'  cos  z')  a  cos  z 

(Zb)  w  -       (2  R»  +  a'  cos  z')  (R'  -+-  a'  cos  z')' 

Nun  ist  der  Grenzwerth  von  w  gleich  — acosz,  woraus 
folgt,  dass  der  Quotient  gleich  1  sein  muss,  mithin 

(29)  R*—  2  R'  a*  cos  z»  —  a*  cos  z*  «  0. 
Der  positive  Wurzelwerth  dieser  Gleichung  ist 

R«  =  (1 4- ^-2)  a« cos z'  =  2,41  a» cos z», 

und  bei  diesem  Werthe  von  R'  verschwindet  der  wahre  Pol 
in  der  D-Axe.  Der  Winkel  z,  bei  welchem  dies  geschieht, 
lässt  sich  berechnen  aus  (24)  resp.  (25);  je  nach  den  An- 
nahmen für  f  (^)  wird  nämlich 

cos  z*  =  -z^r^ oder  cos  z^  = 


10,6  mo  10,6  mo  r" 

Da  r  >  a  ist,   so  tritt  bei  der  Annahme  (  (q)  =  —  das 

Verschwinden  der  Curven  später  ein.  Ist  f(^)  =  1  und 
fflo  =  5,    so    ist    der  Grenz winkel    z   =  82  ^   6 '    und 

sin  z  =  0,990;  ist  dagegen  f  (g)  =  — ,  a  =  2  mm,  r  =  5mm, 

ffio  =  5,  so  ist  z  =  85®  und  sin  z  =  0,996.  Im  ersteren 
Falle  ist  z  von  a  ganz  unabhängig  und  im  übrigen  sind  die 
Oerter  der  beiden  Pole  R  =  0,27  mm,  u  =  0,158  mm, 
w  =  0,174  mm.  Wir  wollen  noch  die  Inclination  der 
grossen  Axe  der  Ellipsen  für  den  Grenzfall  bestimmen.  Ihre 
Gleichung  ist  für  f(ß)  ==  1: 

(a^  cos  z>  -f-  3  R»)  a»  cos  z»  g, » —  4  R^  a  cos  z  gi  iji 

-+- [2  R*  +  a' cos  z' (a»  cos  z"  +  RO]  =  D 
und  wenn  wir  R'  =  2,41  a^  cos  z'  substituiren, 

8,23  Si'  — 14,96  ?i  <7i  + 15,02  i^i'  =  D. 
Setzen   wir  behufs  Drehung   der  Coordinaten  um  den  In- 
clinationswinkel  a 


124  ^*  Matthiessen. 

gl  =.  1^8  sin  a  +  5»  cos  a, 
i|^i  =  i|^  cos  a  —  5»  sin  a, 
so  erhalten  wir 

A       o  — 2R'aC0SZ  Knoioj 

^^«^  2«  =   R»(R._a»co8z')'  «  =  ö'  13'. 
Ist  nun  die  Mittelpunktsgleichnng 

so  findet  man  das  AxenTerhältniss  Aa :  B>  ~  1 : 2,14  nnd  die 
Veränderungen  des  Poles  u  =  —  0,909  a  cos  z,  w  =  —  a  cos  z, 
wo  z  =  82^  6'  zu  setzen  ist. 

IV.    Es    sei   z  =  90  °.     Wir    gehen   aus    von    der 
Gleichung  (3).  Bezeichnen  wir  den  Polarwinkel  PMG  (Fig.2) 

oder  arc  tan  —  mit  ^,  so  ist 

y 

2mo^dD  =  ÖS  =  d&, 
Q 

und  wenn  wir  zunächst  f(g)  =  l  annehmen 

Q  mo 

Das  Integral  ist 

und  die  Polargleichung  der  Trajectorien  auf  der  Schliff- 
fiäche 

(30)  i>'  +  a'  =  (tt,'H-a')e  ""      , 

welches  die  Gleicbnng  einer  Spirale  ist.  Ist  a  =  0,  also 
die  Aequatorialebene  die  SchliSfläche,  so  wird 

(31)  v  =  «>e'^°"     . 
Dies  ist  die  Gleichung  der  logarithmischen  Spirale  von 


Thomas'sche  bipolare  Kreissysteme  n.  Spiralsysteme  etc.     125 

Bernoulli.    Sind  vo  und  Vi  zwei  Rad.  vect.  auf  dem  Durch- 
messer, welche  um  180^  von  einander  abstehen,  so  ist 


2  Wo 
Vi  =  Vo .  e        , 

also 

^    ^      °  ~  2  (log  nat  Vi  —  log  nat  VqY 

Ist  beispielsweise  r  =  5  mm,  mo  =  5,  tb  =  2  mm,  so  ist 
Vi  =  2,74  mm,  d.  h.  die  Spirale  weicht  im  Gegenpunkte  t^i 
um  0,74  mm  von  dem  Kreise  ab,  welcher  zum  Radius  Vo 
gehört. 

Nehmen  wir  an,  es  sei  f  ((>)  =  — ,  welches  den  natür- 
lichen Verhältnissen  besser  entspricht,  so  wird 

Ist  a  =  0,  so  geht  sie  über  in 

(34)  r  (^= -]  =  ~  {&o  —  ^). 

^^\i;         Vo  /       2mo 

Dies  ist  die  Gleichung  der  hyperbolischen  Spirale.  Sind 
vb  und  Vi  zwei  Rad.  vect.  auf  dem  Durchmesser,  welche  um 
180^  von  einander  abstehen,  so  ist 


folglich 


r(— -— )  =  -i-(^_7r), 
\  Vi         Vo  /       2  mo  ^  ^ 

(35)    mo  =  ^^—-7 — r-. 

^  r  (vo  — Vi) 


Unsere  Untersuchungen  haben  nunmehr  ergeben,  dass  es 
immer  zwei  Systeme  von  Diagonalcurven  giebt,  welche  in 
jedem  zur  Aequatorialebene  parallelen  Schnitte  unipolar  sind. 
Denkt  man  sich  einen  solchen  Schnitt  im  Abstände  a  vom 
Kemcentrum  um  die  Aequatorialaxe  gedreht,  so  werden  die 
Spiralsysteme  bipolar  und  gehen  nach  einer  Drehung  von 


126  L.  Matthiessen. 

90®  in  die  Thomas'schen  Curvensysteme  über,  welche  also 
nur   einen  Specialfall   dieser  interessanten  Fignren  bilden. 
Das  Resultat  können  wir  auch  so  formuliren,  dass  in  jedem 
beliebigen  Ebenenschnitte  einer  kugelförmigen  Crystalllinse 
im  Allgemeinen  zwei  Schaaren  bipolarer  Spiralen  auftreten, 
welche  je  eine  Schaar  geschlossener  Gurven  umgeben.    Die 
Sätze,   welche   im  Vorhergehenden  abgeleitet  sind,   bleiben 
einstweilen,  je  nach  der  Art  der  Voraussetzungen,  wesentlich 
specieller  Natur.   Wenn  aber  bei  fortschreitender  Erkenntmss 
des  histologischen  Baues  der  Crystalllinse  es  gelingen  wird, 
die  Function    f  (q)    genauer  festzustellen,    wird   es  auch 
möglich  sein,  die  Sätze  und  Formeln  in  erforderlicher  Weise 
zu  präcisiren. 


Zwei  kleinere  Mittheilungen  aus  dem  G-ebiete  der 

physiologischen  Optik. 


Von 
Dr.   E.  Heuse  in  Elberfeld. 


I. 

Die  Frage  nach  der  Entstehung  des  Netzhautschwindels 
ist  noch  eine  offene.  Während  Helmholtz*)  eine  un- 
bewusste  Muskelthätigkeit  des  Auges  zur  Erklärung  heran* 
zieht,  indem  er  die  daraus  resultirenden  Augenbewegungen 
sich  in  die  Anschauung  bewegter  Gegenstände  umsetzen 
lässt,  eine  Ansicht,  welcher  Hering**)  beitritt,  ohne  jedoch 
irgend  eine  unbewusste  Muskelthätigkeit  dabei  benOthigen 
zu  wollen,  nimmt  Classen  ***)  nur  eine  stärkere  Muskel- 
innervation  als  den  Erreger  der  Täuschung  an;  er  fusst  da- 
bei auf  der  Beobachtuug,  objectiv  eine  Bewegung  der  Augen 
bei  Leuten,  bei  denen,  jener  Schwindel  eintrete,  niemals 
haben  constatiren  zu  können,    üebrigens  erklärt  auch  weder 


*)  Physiolog.  Optik  S.  603. 
**)  Beiträge  zur  Physiologie  Heft  I  S.  30. 
***)  Classen,  SchlossYerfahren  des  Sehacts  S.  60. 


128  E.  Hease. 

Helmholtz  noch  Hering,  eine  solche  Bewegung  selbst  be- 
obachtet zu  haben.  Oppel*)  will  die  Erklärung  der  Er- 
scheinung in  das  Gehirn  verlegen;  an  Muskelwirkung  konnte 
er  nicht  denken,  da  er  ja  annimmt,  was  entschieden  unrichtig 
ist,  dass  nur  das  Stillehalten  des  Auges  die  Erscheinung  er- 
mögliche. Endlich  stellt  Plateau**)  die  Hypothese  auf, 
dass  sich  im  Auge  gegen  jeden  Gesichtseindruck  ein  Wider- 
stand bilde,  welcher  bei  dem  plötzlichen  Nachlassen  in  das 
Gegentheil  des  Eindrucks  umschlage,  um  so  das  Auge 
wieder  in's  Gleichgewicht  zu  versetzen. 

Im  Folgenden  will  ich  eine  kleine  Beobachtung  mit- 
theilen, welche  zeigt,  dass  bei  dem  Netzhautschwindel  die 
Netzhaut  selbst  wesentlich  in  Mitleidenschaft  gezogen  ist. 

Verfolgt  man,  in  einem  Eisenbahnzuge  sitzend,  mit  den 
Augen  die  vorübereilenden  Gegenstände  der  Aussen  weit 
eine  gewisse  Zeit  lang,  wobei  bekanntlich  die  näher  ge- 
legenen in  entgegengesetzter  Richtung,  als  die  entfernteren 
sich  zu  bewegen  scheinen,  so  dass  ungefähr  eine  elliptische 
Form  der  Bewegung  zu  Stande  kommt,  und  schliesst  dann, 
das  Gesicht  gegen  den  beleuchteten  Himmel  gewandt,  die 
Augen,  so  bemerkt  man  in  der  gleichmässig  röthlich  be- 
leuchteten Netzhaut  eine  durch  eine  ganz  wenig  dunklere 
Schattirung  angedeutete  Strömung,  welche  eine  entgegen- 
gesetzte Bewegung  hat,  als  die  bei  geöffnetem  Auge  wahr- 
genommene. Von  Nachbildern  sieht  man  keine  Spur,  da 
ja  das  Auge  während  der  vorausgegangenen  Beobachtung 
in  continuirlicher  Bewegung  auf  schnell  vorübergehende 
Gegenstände  gerichtet  gewesen  ist;  ein  schmaler  Strom  kreist 
in  elliptischer  Form  um  die  Macula  lutea  auf  dem  gleich- 
mässig erleuchteten  Sehfelde.  Diese  Netzhautströmung  bei 
geschlossenem  Auge   bleibt  noch  eine  Zeit  lang  bestehen, 


*)  Poggendorff,  Ann.  99. 
**)  Poggendorff,  Ann.  80. 


Zwei  Mittheilungen  ans  der  physiologischen  Optik.       129 

wenn  die  bei  geöffnetem  Auge  wahrgenommenen  Schein- 
bewegnngen,  auf.  deren  Verschwinden  ja  offenbar  der  Wille 
resp.  die  Neigung,  den  Schwindel  durch  feste  Fixation  zu 
öberwinden,  von  grossem  Einflnss  ist,  bereits  zur  Ruhe  ge* 
kommen  sind.  • —  Nicht  so  lange  wahrnehmbar,  aber  doch 
deutlich  zu  erkennen,  ist  bei  geschlQssenem  Auge  auch  die 
Affection  der  Netzhaut  nach  Beobachtung  einer  in  Bewegung 
gesetzten  Spirallinie,  von  welcher  Oppel  in  seinem  Aufsätze 
spricht  Hat  man  sie  beobachtet,  während  sie  sich  nach 
Innen  zu  schlängeln  scheint,  so  stellt  das  Nachbild,  wenn 
man  beispielsweise  auf  eine  Tapete  blickt,  eine  in  der  Mitte 
sich  Ton  der  Fläche  hebende  sternförmige  Figur  vor.  Die 
Peripherie  dieser  sternförmigen  Figur  nimmt  man  ebenfalls 
bei  geschlossenen  Lidern  wahr,  allerdings  viel  schneller 
verschwindend,  als  bei  der  ersten  Beobachtung. 

Die  Macula  lutea,  welche  sich  anfangs  als  dunkler 
Punkt  in  dem  röthlicheu  Sehfelde  markirt,  steht  bei  diesem 
Versuche  vollkommen  still,  das  Auge  selbst  bewegt  sich 
also  nicht.  Man  kann  die  Stelle  der  Macula,  welche  nach 
kurzer  Zeit  ihre  dunklere  Färbung  verliert,  deutlicher  er- 
kennbar machen  durch  kurzes  Fixiren  des  Sonnenbildes, 
dessen  Nachbild  dann  das  Experiment  zu  überdauern  pflegt; 
man  wird  sich  leicht  überzeugen,  dass  das  Nachbild  der 
Sonne  ruhig,  unbewegt  in  dem  es  umkreisenden  Strome 
steht.  Nach  der  Ansicht  Hering's  soll  bei  geschlossenem 
Auge  das  Nachbild  auf  der  Macula  lutea  oder  die  empfundene 
Macula  lutea  immer  stille  zu  stehen  scheinen,  wenn  auch 
die  Augen  unbewussten  Muskelbewegungen  folgen.  Die 
Richtigkeit  dieser  Ansicht  bestreiten  zu  müssen  enthebt 
mich  die  folgende  kleine  Beobachtung,  welche  evident  be- 
weist, dass  in  dem  vorliegenden  Falle  das  Auge  in  der  That 
stille  steht. 

Wie  die  meisten  Menschen  besitze  ich  eine  Anzahl 
ihrer  Gestalt  nach  mir  wohlbekannter   Mouches  volantes, 

T.  Graefe*g  Archiv  fttr  Ophthalmologie,  XXXIV.  2.  9 


130  £•  Hense. 

welche  bei  heller  Beleuchtung  auch  durch  die  geschlossenen 
Augenlider  deutlich  wahrgenommen  werden  können.  Diese 
Mouches  bemerke  ich  nun  bei  dem  oben  angegebenen  Ex- 
perimente, wie  sie  sich,  nach  kurzer  Schwankung  im  Momente 
des  Augenschlusses,  ruhig  vor  der  Macula  hergleitend, 
grades  Wegs  nach  unten  senken,  während  der  oben  be- 
schriebene elliptische  Netzhautstrom  um  die  Macula  kreist. 
Bewegt  man  nun  hinter  den  geschlossenen  Lidern  das  Auge 
willkürlich,  so  gerathen  die  Schatten  der  GlaskOrper- 
trübungen  sofort  in  Bewegung,  den  Bewegungen  des  Auges 
entsprechend  und  werden  in  diesem  bewegten  Zustande 
wahrgenommen.  Ganz  dasselbe  müsste  geschehen  bei  un- 
willkürlichen Bewegungen  des  Auges  während  des  Lid- 
schlusses;  da  sich  aber,  wie  man  sich  leicht  überzeugen 
kann,  die  Mouches,  einfach  dem  Gesetze  der  Schwere  fol- 
gend, ohne  Schwanken  senken,  so  ist  eben  damit  bewiesen, 
dass  das  Auge  hinter  dem  geschlossenen  Lide  keine  Be- 
wegung ausführt,  welche  bei  geöffneten  Lidern  zur  Er- 
klärung der  Erscheinung  des  Netzhautschwindels  herbei- 
gezogen werden  könnte.  Ist  so  die  Bewegung  des 
Auges  ausgeschlossen,  so  bliebe  noch  die  Annahme 
Classens  bestehen  von  der  während  der  Bewegungs- 
Beobachtung  erhöhten  Muskelinneryation  und  deren  Fort- 
wirkung nach  Sistirung  der  Bewegung.  Was  entschieden 
gegen  diese  Hypothese  spricht,  ist  der  umstand,  dass,  wenn 
man  möglichst  lange  die  Augen  ganz  forchli  zur  Seite 
wendet^  sei  es  constant,  sei  es,  indem  man  sie  in  regel- 
mässigen Zwischenräumen  in  die  Normalstellung  zurück- 
führt, niemals  beim  Nachlassen  dieser  forcirten  Bewegung 
irgend  eine  Scheinbewegung  bemerkt  wird,  was  doch  wohl 
zu  erwarten  gewesen  wäre,  wenn  es  mit  jener  Hypothese 
seine  Richtigkeit  gehabt  hätte.  Es  lässt  sich  allerdings 
nicht  leugnen,  dass,  da  nun  einmal  der  Schwindel  nicht 
eintritt,  wenn  die  Muskeln  nicht  agirt  haben,  es  zwingend 


Zwei  Mittheilongen  aus  der  physiologischen  Optik*       131 

erscheint,  denselben  auch  eine  Wirkung  bei  jener  Er- 
scheinung zuzuschreiben.  Ein  etwas  gewagter,  aber  doch 
nicht  völlig  abzuweisender  Ausweg  wird  uns  vielleicht  er* 
Ofbet,  indem  wir  die  hochwichtigen  und  seltsamen  Beob- 
achtungen aus  dem  physiologischen  Laboratorium  zu  Utrecht 
zu  Hilfe  nehmen,  Beobachtungen,  welche  festgestellt  haben, 
dass  in  der  Netzhaut  auch  centrifugale  Nervenfasern  exi- 
stiren.  Ihre  Bestimmung  ist,  soviel  ich  weiss,  noch  vOUig 
unbekannt;  aber  konnte  man  nicht  annehmen,  dass  sie  in 
irgend  einer  Weise  in  Oemeinschaft  mit  den  Augenmuskel- 
nerven wirken  und  dass  ihr  Antheil  bei  der  in  Frage 
kommenden  Bewegungs-Beobachtung  den  Netzhautschwindel 
hervorrufe  resp.  beeinflusse?  Dann  wären  wir  die  Muskeln 
los  und  es  bandelte  sich  bei  der  Erscheinung  um  eine 
reine  Nervenaffection  in  der  Netzhaut.  Der  Stand  der 
Frage  wAre  unter  diesen  Annahmen  so  zu  formuliren,  dass 
durch  die  Beobachtung  bewegter  Gegenstände  mit  Hilfe 
des  bewegten  Auges  bei  Sistirung  ein  dem  früheren  Gang 
der  bewegten  Gegenstände  entgegengesetzter  Nervenstrom 
in  der  Netzhaut  erzeugt  wird,  welcher  bei  hell  erleuchtetem 
geschlossenem  Auge  als  solcher  sichtbar,  bei  geöffnetem 
Auge  unbewegte  Gegenstände  in  seinen  Wirbel  mit  hinein- 
reisst. 


II. 

Donders  hat  s.  Z.  eine  Beobachtung  mitgetheilt, 
nach  welcher  sich  verschieden  gelfärbta  Linien  auf  einer 
Fläche  in  ihrem  Niveau  gegen  einander  um  einige  Genti- 
meter  zu  verschieben  scheinen  und  es  ist  einem  seiner 
Schüler  auch  gelungen,  diese  Erscheinung  auf  die  ver- 
schiedene Ablenkung,  welche  Farben  nach  dem  Grade  ihrer 

Brechbarkeit  im  Auge  erleiden,  zurückzuführen;  eine  ähn- 

9* 


132  E.  Hease. 

liehe  Beobachtnng  habe  ich  gemacht,  doch  war  dabei  die 
Farbenyerschiedenheit  aasgeschlossen  und  die  Niveau- 
verschiebung  war  20 — ^30  cm. 

Blickt  man  auf  die  Inschriften  grosser  Schaufenster, 
wie  sie  die  Läden  und  Cafte  unserer  modernen  St&dte  nicht 
mehr  selten  bieten,  und  zwar  am  besten,  wenn  die 
Beleuchtung  derart  ist,  dass  eine  sehr  gute  Spiegelung 
der  gegenüberliegenden  Gegenstände  stattfindet  oder  gar 
kein  Licht  von  der  Scheibe  selbst  auf  uns  ftUt,  in  beiden 
Fallen  also  die  Scheibe  als  solche  nicht  bemerkt  werden 
kann,  so  erscheinen  auf  einige  Schritte  Entfernung  von 
der  Scheibe  z.  B.  drei  gleichgrosse ,  gleichgefärbte  Ober 
einander  stehende,  auf  ihr  angebrachte  Aufschriften  frei  in 
der  Luft  schwebend,  aus  der  Ebene  der  Scheibe  heraus* 
zutreten.  Sie  gruppiren  sich  meist  zuerst  treppenartig  so, 
dass  die  oberste  Schrift  20—30  cm  hinter  der  mittleren 
und  diese,  ungeßlhr  die  Ebene  der  Scheibe  einhaltend, 
ebensoviel  hinter  der  untern  zu  stehen  kommt.  Plötzlich 
ohne  irgend  wahrnehmbare  Ursache  kann  sich  die  Situation 
umkehren,  bei  welcher  Gelegenheit  sich  die  Tiefen- 
verhältnisse etwas  zu  ändern  pflegen;  es  erscheinen  die 
Stufen  dann  etwas  schmaler,  als  im  ersten  Falle;  ganz 
selten  tritt  die  mittlere  Schrift  allein  vor  oder  zurQck. 
Mit  einem  Auge  ist  die  Beobachtung  ebenfalls  zu  machen, 
aber  nicht  so  leicht  und  nicht  so  lebhaft;  mit  beiden 
Augen  gemacht,  tritt  die  Täuschung  nach  ganz  kurzer 
Zeit  ein,  wenn  wir  uns  bemühen,  vor  uns  B,echenschaft 
abzulegen,  ob  wirklich  die  Inschriften  in  einer  Ebene 
liegen. 

Hat  man  ein  durch  die  Beleuchtung  besonders  geeignetes 
Fenster  gefunden,  so  hält  die  Täuschung  so  fest,  dass  man 
sie  erst  verliert,  wenn  man  Einzelheiten  in  der  Fenster- 
scheibe unterscheiden  kann  und  auf  dieselben  seine  Auf- 
merksamkeit richtet,   wobei  dann  auch  die  Inschriften  als 


Zwei  Mittheilnogen  ans  dnr  physiologischen  Optik.       133 

ntcbt  in  der  Lnft  schwebend  erkannt  werden  mflsBen;  aber 
man  kann  unter  sonstigen  Umständen  noch  näher  als 
2  FosB  herantreten,  ohne  die  Tflnschimg  schwinden  za 
sehen. 

Sehr  anR'allend  bei  diesen  Beobachtangen  yon  Aut- 
schriften  ist  der  Umstand,  dass  Fehler  der  Schrift  in  der 
Zeichnung  oder  der  Entfemong  der  Buchstaben  unter 
einander,  welche  nns  TOrber  nicht  aofgefallen  sind,  ausser- 
gewohnlich  scharf  hervortreten,  indem  bald  das  eine  Wort 
in  einer  Ebene  zu  lieggn  achflint,  welche  die  des  neben- 
stehenden schneidet,  bald  ein  Buchstabe  aus  seiner  Beihe 
rttckt  und  eine  Drehung  um  seine  horizontale  oder  vertieale 
Achse  macht.  Diese  Fehler- Beobachtung,  welche  sich  nn- 
bewnsst  vollzieht,  ist  viel  präciser  und  starker,  als  wenn 
wir  durch  die  gewöhnlichen  Mittel  des  Verstands  in  einer 
solchen  Schrift  einen  Fehler  herausfinden  wollen,  man  wird 
gewissermassen  durch  die  unbewnsste  Beobachtung  auf  die 
Fehler  aufmerksam  gemacht  und  hat  dann  grosse  Mohe  zu 
finden,  worin  denn  eigentlich  der  Fehler  steckt. 

Die  Beobachtung  ist  leicht  zu  machen  und  drängt  sich, 
sobald  man  Jemanden  darauf  aufmerksam  macht,  auch  so 
gewaltsam  auf,  dass  eine  Menge  Laien,  welchen  ich  den 
Versuch  zeigte,  sofort  die  Täuschung  zu  ihrer  nicht  geringen 
Verwunderung  erblickten. 

Eine  Erklärung  darüber  zu  geben,  wie  die  Täuschung 
zu  Stande  kommt,  bin  ich  nicht  in  der  Lage;  die  grosse, 
ohne  jede  äussere  Veranlassung  sich  vollziehende  Ver- 
änderlichkeit im  Niveau,  indem  bald  die  obere,  bald  die  untere 
Schrift;  entfernter  erscheint,  weist  vielleicht  darauf  hin,  dass 

sie  der  Beihe  der  bekannten  Versuc^"  ='•—  •'■*■    ""- 

welche  die  Sohröder'eche'Treppenfigar 
Zeichnongen  von  Grystallfigoren  Beii 

In  auffallender  Weise  zeigt  die 
wie   sehr  das  QefQhl  den  Verstand 


134  £•  Hense. 

auf  der  einen  Seite,  trotz  des  Verstandes,  bei  Beurtheilnng 
variirender  Verhältnisse  (Entfemungsschfttzung)  eine 
TäQschnng  des  ürtbeils  durch  das  Geftüil  stattfindet  and 
wie  auf  der  andern  Seite  bei  Beurtbeilung  uns  geläufiger 
con 8 tanter  Zeichen  (Schrift)  ein  Fehler  erst  auf  Onmd 
des  Geffihls  vom  Verstände  erkannt  wird. 


«to 


Beitrag  zur  Anatomie  des  frlanooms. 

Von 
Dr.  Stölting  in  Hannover. 

Hierzu  Tafel  lY. 


Wenn  ich  in  der  nachstehenden  Arbeit  den  Section«- 
befand  eines  glaucomatösen  Auges,  sowie  die  spätere  Kranken- 
geschichte der  Patientin  gebe,  welcher  der  Bolbus  ent- 
nommen war,  so  bitte  ich,  beides  im  Znsammanhange  mit 
der  von  mir  in  Band  XXXHI.  2  dieses  Archivs  veröffent- 
lichten Abhandlang  zu  betrachten.  Ich  glaube  durch  diesen 
Befund  eine  wesentliche  Stütze  der  yon  mir  dort  vertretenen 
Ansicht  beibringen  zu  können  und  halte  denselben  darum 
for  doppelt  wichtig,  weil  er,  ein  Analogen  jenes  durch  viele 
Operationen  beeinflussten  Falles,  hier  sich  vorfand  an  einem 
Auge,  welches  ein  Messer  nie,  und  ein  Medicament  nur  in 
den  letzten  acht  Tagen  vor  der  Enucleation  beeinflusst 
hatte. 

Ohne  die  interesselose  Vorgeschichte  weiter  zu  be- 
rühren, gehe  ich  sofort  dazu  über,  den  Sectionsbefund  des 
im  Status  glaucomatosus  wegen  Schmerzhaftigkeit  entfernten 
Auges  einer  72jährigen  Patientin  zu  geben. 

Das  Epithel  sowie  Endothel  der  Cornea  zeigt  wenig 
Unregehnftssigkeiten,  hier  und  da  eine  bogenförmige  An- 


136  Stölting. 

Ordnung  der  Fnsszellen  über  ein  Gef&sschen  weg;  nach  der 
Mitte  zu  ancli  Lücken,  die  wohl  Folge  mechanischer  Ein- 
wirkungen sein  dürften.  Die  durchschnittliche  Dicke  des 
Epithels  ohne  Basalmembran  beträgt  0,03 — 0,04  mm. 
An  einzelnen  Schnitten  liegt  der  Descemet'schen  Membran 
streckenweise  Pigment,  sowohl  frei  als  auch  in  Zellen  ein- 
geschlossen, auf,  und  zwar  ist  das  auch  an  Stellen  der  Fall, 
wo  eine  dauernde  Anlagerung  der  Iris  nicht  stattfand,  an 
andern  Präparaten  ist  das  Ebdothel  derselben  frei  und 
vOUig  gut  erhalten.  Die  Substanz  der  Cornea  selber  hat 
eine  Dicke  von  0,47 — 0,50  mm  in  den  mittleren  Partieen 
und  ist  in  ihrer  hinteren  Hälfte  kemarm. 

Die  atrophische  Iris  ist  im  Eammerwinkel  0,7  mm 
weit  verwachsen  und  bildet  am  Sphinctertheil  Synechien 
mit  der  vorderen  Linsenkapsel.  Ihre  mittlere  Dicke  beträgt 
nur  0,11  mm,  dabei  zeichnen  sich  die  verwachsenen  Partieen, 
also  der  Sphincter  und  der  Ciliartheil,  durch  reichliche 
Pigmentablagerung  aus.  Dasselbe  ist  bei  der  Eammer- 
winkelverwachsung  auf  der  vorderen  Fläche  der  Iris  ab- 
gelagert und  bildet  so  die  Orenze  zwischen  Iris  und  Cornea. 
Ein  Zellenbelag  auf  der  Iris  sowie  Ectropium  des  Pupillar- 
randes  fehlt.  Der  Schlemm*sche  Oanal  ist  an  den  meisten 
Schnitten  offen,  fast  überall  sind  seine  Wandungen  zelUg 
stark  infiltrirt,  hier  und  da  auch  enthalten  diese  Zell^ 
reichliches  Pigment.  Die  Infiltration  beschränkt  sich  aber 
nicht  auf  den  Schlemm'schen  Canal,  sondern  begleitet  auch 
alle  Oefässe,  die  in  dieser  Gegend  die  Sclera  durchbohren, 
ja  betrifft  auch  noch  die  episcleralen  Gefässe  in  gleicher 
Weise. 

Den  wichtigsten  und  auffallendsten  Befund  liefert  der 
Ciliarkörper  sowohl  im  musculären  als  bindegewebigen  Theil. 
Der  erste  ist  dadurch  vOUig  verändert,  dass  seine  der  Iris 
zugewandte  Seite  auf  Meridionalschnitten  winklig  geknickt 
erscheint.  Die  Schenkel  dieses  nach  vom,  der  Iris  zu,  sieb 
öffnenden  Winkels   werden   gebildet,   einerseits   durch  den 


Beitrag  zur  Anatomie  des  (ilaucoms.  137 

Ansatz  der  Meridionalfasern  des  Ciliarmuskels  und  anderer- 
seits durch  die  aus  der  gewöhnlichen  Lage  verschobenen 
Bingfasern  der  MüUer'schen  Partie ,.  welche  letztere  spitz 
ausgezogen  03  mm  weit  nach  vorn  von  ihrer  normalen 
Stelle  verschoben  sind.  *)  Der  unterschied  zwischen  dieser 
und  der  in  der  ersten  Arbeit  beschriebenen  Form  des  Mus- 
kels liegt,  wie  übrigens  aus  dem  Betrachten  der  Zeichnung 
sofort  hervorgeht,  darin,  dass  hier  eine  einfache  Yorlagerung 
der  Bingfasern  eintrat,  dort  die  vorgeschobenen  Fasern 
wieder  gegen  die  Sclerocomealgrenze  angedrängt  wurden. 
Auch  hier  liegen  die  Bingfasern  unter  dem  Schlemm'schen 
Ganal,  jedoch  durch  reichliches  Bindegewebe  von  ihm  ge* 
trennt.  Sehr  auffallend  ist  auch  die  starke  bindegewebige 
Hülle,  welche  den  musculären  Theil  nach  vom  umgiebt 
und  den  vorerwähnten  Winkel  ausfüllt,  denn  dieselbe  misst 
zwischen  Irisansatz  und  den  am  meisten  vorgeschobenen 
Müller'schen  Bingfasern  noch  0,35  mm.  Da  Iris- 
ursprung und  Ciliarmuskel  in  der  Norm  dicht  an 
einander  grenzen,  haben  wir  es  hier  mit  einer  völligen 
Bindegewebsneubildung  zu  thun.  Dieselbe  erstreckt  sich 
Qbrigens  auch  auf  die  vordere  Hälfte  des  bindegewebigen 
üeberzuges  der  inneren,  dem  Olasl^Orper  zugewandten  Seite 
des  Muskels,  wenn  auch  hier  erheblich  weniger  als  vorn  die 
Dicke  des  Belags  selbst,  sondern  mehr  die  Hypertrophie 
der  Ciliarfortsätze  in  den  Vordergrund  tritt.  Fingerf&rmig 
strecken  sich  dieselben  nach  vorn  und  innen  aus,  einen 
scharfen  Gegensatz  bildend  zu  anderen,  theilweise  atrophisch 
erscheinenden  Partieen  der  Uvea.  Die  am  weitesten  aus- 
gestreckten unter  ihnen  haben  eine  sehr  mangelhafte 
Pigmentbekleidung,  während  ihr  Zellenbelag  gut  ausgebildet 
erscheint.  **) 


*)  Um  einen  ähnlichen  Befand  scheint  es  sich  in  der  Arbeit 
von  Birn.baoher  und  Gzermack,  v.  Graefe's  Arch.  f.  Ophthalm. 
XXXII.  2,  p.  47  zu  handeln. 

**)  Bin  Urtbeii  darüber,    wie   sich  die   Ciliarfortsätze    zam 


138  Stöldng. 

• 

Nicht  allein  aber,  dass  die  vorhandenen  Fortsätze  dne 
VergrOssemng  erfahren  hätten,  nein  auch  ihre  Zahl  hat 
zugenommen  und  an  manchen  Schnitten  macht  es  ganz 
den  Eindruck,  als  ob  dieselben  kaum  Platz  hätten  auf  dem 
CiliarkOrper  und  sich  wie  die  Beeren  einer  Weintraube 
gegenseitig  verdrängten  und  comprimirten.  An  mehreren 
Präparaten  tritt  auch  deutlich  ein  Verhalten  hervor,  welches 
Weber  und  Fuchs  beschreiben,  nämlich  das  plötzliche 
Erheben  der  Ciliarfirsten  aus  dem  flachen  Theil  des  Ciliar- 
kOrpers,  so  als  ob  die  comprimirenden  und  atrophirenden 
Factoren  bis  hierher  gewirkt  und  erst  von  dieser  Grenze 
an  nach  vorn  ein  freies  ja  übermässiges  Wachstiium  der 
Ciliargebilde  ermöglicht  hätten. 

üeber  das  Verhalten  der  Ghorioidea,  die  ich  schon 
oben  als  partiell  atrophisch  bezeichnete,  mögen  die  an 
einem  Präparate  genommenen  Maasse  gleichsam  als  Para- 
digma Aufschluss  geben.  Gleich  hinter  der  Ora  serrata, 
wo  eine  starke  Füllung  der  Gefässe  vorhanden,  ist  die 
Dicke  der  Membran  0,15  nun,  dann  folgt  eine  Partie,  wo 
die  Ghorioidea  abgelöst,  die  Suprachorioidea  aufgelockert, 
erstere  atrophisch  eine  Dicke  von  0,02 — 0,06  mm  ind.  Pig- 
ment, aber  excl.  Suprachorioidea  aufweist.  Durch  eine 
einzige  Vene  in  der  Nähe  des  Vortex  steigt  dann  die  Dicke 
auf  0,115  mm,  um  sofort  wieder  abzunehmen  und  erst  in 
der  Umgebung  des  Opticus  wiederum  sich  zu  heben.  Hier 
beträgt  das  Kaliber  durchschnittlich  0,12  mm  und  ist 
davon  nur  die  unmittelbar  dem  Opticus  anliegende  Partie 
ausgenommen,  wo  dasselbe  auf  0,14  mm  anwächst,  aller- 
dings, wie  mir  scheint,  lediglich  in  Folge  von  Zerrung 
durch  die  abgelöste  Netzhaut.     Diese  letzte  Verdickung 


Limenrande  verhalten  haben,  läset  eich  ans  den  Präparaten,  bei 
welchen  fast  durchweg  die  Linse  verschoben  ist,  nicht  gewinnen. 
An  einigen  Schnitten  bertthren  sie  eben  den  Aeqoator.  Spuren 
von  der  Anlagerung  an  die  Linsenkapsel  habe  ich  nicht  gefunden; 
ebenso  wenig  Anlagerung  oder  Verwachsung  mit  der  Iris. 


Beitrag  zur  Anatomie  des  Glaucoms.  139 

ist  auch  Dicht  weiter  als  bis  auf  0,25  mm  vom  Bande  der 
Papille  entfernt  vorhanden  and  besteht  mehr  in  einer  Anf- 
lockerong  als  Schwellung  des  Gewebes. 

Entzündliche  Zustände  sind  namentlich  in  der  Nfthe 
des  Opticus  vorhanden,  wo  Sclera  und  Ghorioidea  aus- 
gebreitete Verwachsungen  eingehen  und  wo  an  vielen  Ge- 
fftssen  sich  Zellanhftufungen  befinden.  Letztere  sind  jedoch 
von  massiger  Ausbreitung  und  scheinen  mehr  einem  chro- 
nischen Beizzustande  als  acuter  Entzündung  ihre  Existenz 
zu  danken.  Einen  erheblich  entzündlicheren  Eindruck 
macht  dagegen  ein  Herd  von  dicht  um  eine  Vene  gehäuften 
Bundzellen,  dessen  Ausdehnung  an  einem  Meridionalschnitt 
etwa  0,15  mm  beträgt  und  welcher  in  der  Nähe  eines 
Yoitex  liegt  Hervorheben  möchte  ich  jedoch,  dass  eine 
Entzündung  an  dieser  Stelle  sich  unter  den  25  aus- 
gewählten Präparaten  nur  einmal  in  bedeutenderer  Aus- 
dehnung findet  und  dass  sonst  die  Zone  der  Wirbelvenen 
von  entzündlichen  Zellanhäufungen  frei  ist.  Dagegen  be- 
gegnen uns  wieder  constant  solche  Herde  in  der  Nähe  der 
Ora  serrata,  hier  aber  sind  sie  an  umfang  und  Intensität 
noch  geringer  als  am  Opticus.  Nicht  unerwähnt  mOge 
bleiben,  dass  sich  zwischen  Ghorioidea  und  Retina  in  dieser 
Oegend  ein  flaches  Exsudat  vorfindet,  in  welchem  die  Stäb- 
chen zum  Theil  untergegangen  sind. 

Wucherungen  des  Endothels  der  Gef&sse  habe  ich 
nicht  bemerkt,  auch  waren  die  beiden  Venae  vorticosae, 
welche  ich  auf  ihrem  Verlaufe  durch  die  Sclera  verfolgen 
konnte,  nicht  durch  endotheliale  Neubildungen  beschränkt. 
Die  Tiefe  der  Excavation  des  Sehnerven  beträgt  0,8  mm. 

Man  sieht  aus  diesen  Angaben  und  besonders  aus  den 
Zahlen,  dass  die  Atrophie  der  Uvea  in  diesem  Falle  durch- 
aus nicht  so  allgemein  und  hochgradig  ist  wie  man  sie 
nach  den  meisten  veröffentlichten  Sectionsberichten  vom 
Glaucom  zu  halten  geneigt  ist,  und  dass  dieselbe  hier  sich 
eigentlich   nur  auf  die  Iris  und  die  Zone  vor  und  hinter 


140  Stölting. 

den  Vasa  vorticosa  bezieht,  dass  sogar  am  Opticus  nnd 
nahe  der  Ora  serrata  eine  Anschwellung  constatirt  werden 
muss,  die  entzündlicher  Beizung  resp.  Stauung  ihren  Ur- 
sprung verdankt. 

Wenn  man  nun  auch  den  entzündlichen  Veränderungen 
der  Chorioidea  keine  so  grosse  Bedeutung  beilegen  will, 
wie  ich  selbst  zu  thun  geneigt  bin,  so  muss  man  auf 
Orund  der  Beschreibung  doch  zugeben,  dass  während 
einer  bestimmten  Zeit  des  EraDkheitsverlaufes  eine  Kraft 
im  Auge  gewirkt  habe,  welche  die  geschilderte  eigenthüm* 
liebe  Lageveränderung  des  Giliarmuskels  hervorbrachte, 
dass  eine  Kraft,  von  hinten  schiebend,  die  Bingfasern  des 
Muskels  nach  vom  drängte.  Der  Einwurf,  daSs  ebenso 
gut  eine  als  Zug  von  vorn  wirkende  Kraft  ähnliche  Ver- 
änderungen hervorgebracht,  dass  vielleicht  die  verwachsene 
Iris  Zerrung  auf  das  Corpus  ciliare  ausübte,  ist  deshalb, 
wie  sofort  aus  der  Zeichnung  ersichtlich,  nicht  haltbar, 
weil  dann  der  jetzt  vorgelagerte  MüUer'sche  Theil  des  Mus- 
kels nicht  so  isolirt  verlagert  sein  dürfte,  ist  aber  auch 
schon  deshalb  nicht  annehmbar,  weil  in  dem  erst- 
beschriebenen analogen  Falle  Bd.  XXXIII  d.  Arch.  dieser 
Verschiebung  wieder  ein  Anpressen  gegen  die  Sclero- 
Cornealgrenze  folgte,  was  doch  keinenfalls  durch  Zug* 
Wirkung  zu  erklären  wäre.  Auch  wenn  hier  die  Ver- 
schiebung nicht  so  weit  geht  wie  in  dem  erstbeschriebenen 
Falle,  wenn  von  einem  Umschlagen  dieser  Partie  unter  die 
Sclero-Cornealgrenze  keine  Bede  ist,  so  bleibt  dennoch  die 
Veränderung  derart,  dass  an  Zufälligkeit  derselben  nicht 
gedacht  werden  kann. 

In  welcher  Art  hier  ein  Vordrängen  des  Glaskörpers 
zu  Stande  gekommen,  denn  nur  so  kann  man  sich  die 
vorerwähnte  Kraft  vorstellen,  ob  durch  Ergüsse  in  den 
Suprachorioidealraum  oder  durch  Volumszunahme  des 
Corpus  vitroum  selbst  dürfte  aus  dem  Befunde  nicht  mit 
Sicherheit    zu    ersehen   sein.     Ich  muss  jedoch   gestehen, 


Beitrag  znr  Anatomie  des  Glaucoms.  141 

dass  hier  der  Totaleindmck  weit  mehr  zu  Gunsten  der 
letzten  Annahme  spricht.  Kaum  dürfte  auch  der  Grund 
für  die  sehr  aufTallende  Anschwellung  und  Vermehrung 
der  Ciliarfortsätze,  sowie  des  Bindegewebes  zwischen  Iris 
und  CiliarkOrper  wo  anders  gesucht  werden,  als  in  der 
schon  von  Weber  constatirten  Inarecration  der  Ciliar- 
gebilde  durch  den  andrängenden  Glaskörperdruck  und  die 
damit  bedingte  venöse  Stauung. 

Den  Unterschied  der  beiden  Befunde  hier  und  in 
Bd.  XXXHI  h'msichtlich  der  Giliargebilde  glaube  ich  auf 
ihre  differente  Entstehung,  sowie  auf  das  Vorhandensein 
resp.  Nichtvorhandensein  der  Linse  beziehen  zu  müssen. 
Während'  im  ersten  Falle  die  glaucomatöse  Erkrankung 
bei  Aphakie  einen  acuten  entzündlichen  Charakter  mit  einem 
verhältnissmässig  schnellen  Verlauf  hatte,  lagen  hier  bei 
der  fast  symptomlos  und  ungemein  chronisch  verlaufenden 
Krankheit  die  Verhältnisse  so,  dass  recht  gut  mit  der  Vor- 
schiebung der  Bingfasern  eine  Hypertrophie  des  Binde- 
gewebes gleichen  Schritt  halten  konnte,  eine  Hypertrophie, 
welche  ihrerseits  dann  wieder,  zusammen  mit  dem  Vor- 
handensein von  Linse  und  Zonula,  verhinderte,  dass  die 
muskuläre  Partie  nach  aussen  unter  die  Sclero-Corneal- 
grenze  umschlagen  konnte. 

Auf  die  Verhältnisse  der  nicht  ganz  bis  zur  Ora  serrata 
trichterförmig  abgelösten  Netzhaut,  sowie  des  in  einige 
strangfOrmige  Gebilde  umgewandelten  Glaskörpers  will  ich 
nicht  weiter  eingehen;  sind  derartige  Fälle  von  weit  ge- 
diehener Degeneration  doch  wenig  geeignet,  zu  irgend  einer 
Schlussfolgerung  zu  berechtigen. 

Kurz  skizzirt  sei  nur  noch  der  fernere  Krankheits- 
verlauf bei  der  Patientin.  Schon  während  die  Kranke  nach 
der  Enucleation  im  Bett  lag,  erschienen  die  deutlichen 
Zeichen  von  glaucomatöser  Erkrankung  des  rechten  Auges, 
gingen  jedoch  auf  Eserin  zurück,  so  dass  der  Entlassung  der 
Patientin  nach  6  Tagen  nichts  im  Wege  stand.    Wenn  auch 


142  Stöltiog. 

nun  in   den  nächsten  Monaten  unter  der  Einwirlrung  des 
Eserin  fär  die  Kranke  selbst  keinerlei  Beschwerden  vorhanden 
waren,    sie   wenigstens    angab,    Druckgeftlhl    oder   Eopf* 
schmerzen  oder  Farbenringe,   wie   sie  solche  während  der 
Zeit  des  klinischen  Aufenthalts  gehabt  hatte,  nicht  za  be* 
merken,  so   konnte  dennoch   bei   genauerer   Untersuchung 
kein  Zweifel  obwalten,   dass   der  Process  seinen  Fortgang 
nahm,  wie   das  weniger  im  Verhalten   der  Sehschärfe  als 
in   dem  des  Gesichtsfeldes  und  des  intraocularen  Druckes 
deutlich    zu  Tage   trat.     Sechs    Monate   nach   der  Ena- 
cleation   des  linken  war   dann   die  Operation  des  rechten 
Auges     nicht    mehr    aufschiebbar    und    ich    nahm    bei 
einer  Sehschärfe   von  V&  ^^^  einem  Gesichtsfeld,  welches 
zwei    zackige   Einziehungen,    eine    nach   innen   und   eine 
nach    unten    zeigte,    die   Iridectomie    vor.      Nicht   ohne 
Interesse     dürfte    es    übrigens    sein,     dass    zu    wieder- 
holten Malen   sowohl  vor  als  nach  der  Iridectomie  eine 
periphere  Chorioiditis  auf  das  bestimmteste  nachgewiesen 
werden  konnte.    Temporal,  ganz  in   der  äussersten  Peri- 
pherie, waren  einige  grauliche,  kleine,  atrophisch  aussehende 
Flacques  neben  den  Gef&ssen   sichtbar,  an  anderer  Stelle 
erinnerte   die  Pigmentzeichnung  an  den  Befund  bei   alter 
Chorioretinitis    mit    Einwanderung    von    Pigment    in    die 
Netzhaut,   während  wieder  andere  Punkte  ein   verwischt 
marmorirtes  Ansehen   darboten.*)     Eine   Excavation   war 
eben,  im  Begriff  sich  zu  bilden,   durch  leichte  Ejiickung 
der  GeAsse  am  Bande  der  Papille  angedeutet,  ein  Halo 
nicht   vorhanden,    die  Umgebung    der  Papille    überhaupt, 
soweit   der  Augenspiegel   erkennen   liess,    nicht   von    der 
Norm  abweichend. 

Die    Operation,    mit   dem    Graefe*schen   Messer   aus- 
geführt, verlief  völlig  nach  Wunsch;  besonders  traten  beide 


*)  F.  Cohn  in  der  Discussion  über  den  Vortrag  von  JayaL 
Bericht  des  18.  Ophthahnologen  -  Gongresses  (1886)  in  Hddel- 
beig,  p.  12. 


Beitrag  zur  Anatomie  des  Glaucoms.  143 

Sphincterecken  sofort  wieder  tief  in  die  Yorderkammer  hinein. 
Die  Heilung  dagegen  liess  Vieles  zn  wünschen  übrig,  denn 
die  Tension  war  durch  den  Eingriff  nur  in  sehr  geringem 
Maasse  vermindert.  So  kam  es,  dass  erst  nach  acht  Tagen 
eine  ganz  seichte,  eben  sichtbare  Yorderkammer  sich  bildete, 
auf  deren  Vertiefung  ich  vergeblich  wartete.  Bis  zur 
Entlassung,  drei  Wochen  nach  der  Operation,  nachdem 
eine  medicamentOse  Behandlung  nochmals  versucht  war, 
blieb  der  Zustand  im  grossen  Gkmzen  derselbe.  So  konnte 
es  auch  kaum  fiberraschen,  dass  die  beiden  zackigen  Ein- 
ziehungen des  Gesichtsfeldes  zu  einem  einzigen  grossen 
Defect  verschmolzen,  welcher  den  ganzen  Innern  untern 
Quadranten  einnahm  und  dass  die  Sehschärfe  von  V& 
auf  Vs6  gesunken  war.  Die  Sache  blieb  im  gleichen  Zu- 
stande etwa  14  Tage  lang,  wo  Patientin  an  einem  Lungen- 
catarrh  erkrankte,  welchem  sie  nach  10  Tagen  bei  zu- 
nehmender Schwäche  erlag.  In  der  letzten  Zeit,  wo  ich 
die  Kranke  mit  ihrem  Hausarzt  noch  regelmässig  sah,  war 
der  Druck  in  physiologischen  Grenzen.  Injection  war  nur 
in  geringem  Maasse  in  der  Nähe  der  Narbe  vorhanden, 
übrigens  war  das  Auge  blass.  Unangenehme  Empfindungen 
und  Schmerzen  hatte  die  Patientin  während  der  ganzen 
Zeit  nach  der  Operation  nicht. 

Zum  Schluss  mochte  ich  noch  auf  eine  Differenz 
zwischen  den  von  mir  beschriebenen  Sectionsbefunden  hin- 
weisen, welche  mir  nicht  bedeutungslos  zu  sein  scheint. 
Konnte  ich  in  dem  ersten,  angesichts  der  reichlichen  vor- 
handenen Chorioiditisherde,  der  bedeutenden  Füllung  der 
Venae  vorticosae,  sowie  der  Lymphstauung,  mich  leicht  zu 
der  Annahme  von  Verlegung  der  hinteren  lymphabführenden 
Bahnen  entschliessen,  so  muss  ich  gestehen,  dass  diese  An- 
nahme für  den  letzten,  eben  beschriebenen  Fall  mir  in  der 
Weise  schwierig  erscheint,  ja  dass  dafür  eigentlich  keine 
genügenden  Anhaltspunkte  mangels  weitgehender  Ent- 
zündungen im  fraglichen  Gebiet  gegeben  sind.    Ich  «rÄif« 


144  Stölting. 

daher  für  diesen  Fall  auf  die  Erklärung  Jakobson*s, 
welche  ich  schon  in  der  ersten  Arbeit*)  als  vielleicht  die 
häufiger  zutreffende  Ursache  des  Glaucoms  bezeichnete, 
und  nehme  an,  dass  es  sich  hier  primär  um  eine  Ver- 
mehrung des  Glaskörpers  durch  Transsudat  handelte.  Wäre 
es  nicht  denkbar,  dass  das  vermehrte  Glaskörpervolumen 
und  damit  der  vermehrte  Druck  allein  schon  durch  Com- 
pression  der  Vortices  ein  Abflusshinderniss  setzte?  Sollte 
das  an  den  Wirbelvenen  anfangs  etwa  in  der  Art  sich  zeigen, 
wie  wir  es  im  Pulsphänomen  an  der  Centralvene  und 
Arterie  beobachten?  **)  und  sollte  endlich  uns  vieileidit 
die  variable  Erscheinung  des  entzündlichen,  auch  als 
OdematOs  beschriebenen  Halo  um  den  Opticus  einen  Finger- 
zeig in  dieser  Richtung  geben?  Sind  nicht  die  venOsen 
Aeste  der  Ghorioidea,  welche  in  der  Nähe  des  Opticus  ihr 
Blut  sammeln,  diejenigen,  welche  bei  Behinderung  des  Ab- 
flusses aus  den  Vortices  die  ungünstigsten  Bedingungen  fär 
ihre  Blutabfuhr  haben?  diejenigen,  welche  eine  spitz- 
winkliche  Knickung  überwinden  müssen?  und  könnte  man 
nicht  die  in  der  Nähe  des  Opticus  häufig  gefundenen  Ver- 
änderungen als  durch  Stauung  bedingt  auffassen? 


•)  1.  c.  p.  211. 

**)  Arch.  f.  Ophth.  XXIII.  3,  p.  155;  Laqueur,  Zwei  Fälle, 
wo  ein  Pnls  der  Chorioidealvenen  darch  Fingerdmck  hervor- 
gebracht werden  konnten. 


Heber  Staareztiaotioneii  mit  und  ohne  Entfemimg 

der  Kapsel. 

Von 

Dr.  Hermann  Pagenstecher 
in  Wiesbaden. 


Ueber  den  Werth  zweier  Operationsmethoden  genau 
zu  entscheiden,  ist  immer  eine  schwierige  Aufgabe.  Operirt 
man  ein  Jahr  nach  dieser,  ein  anderes  Jahr  nach  jener 
Methode,  oder  wechselt  man  mit  den  Methoden  je  nach 
den  Fällen,  wie  sie  sich  vorstellen,  regelmässig  ab,  so  wird 
man  immer  Zufälligkeiten  unterworfen  bleiben,  und  nur 
dann  ein  annähernd  richtiges  Resultat  erlangen  können, 
wenn  man  aber  eine  sehr  grosse  Reihe  von  Fällen  verfügen 
kann.  In  der  operativen  Augenheilkunde  bietet  sich  in  den 
Fällen  von  doppelseitigen,  reifen  Cataracten  eine  selten 
günstige  Gelegenheit,  den  Werth  zweier  Operationsmethoden 
zu  bemessen,  indem  wir  ein  Auge  nach  der  einen  und  das 
andere  Auge  nach  der  andern  Methode  operiren.  In  der 
letzten  Reihe  von  Jahren  habe  ich  es  mir  deshalb  zur 
Regel  gemacht,  in  beinahe  allen  derartigen  Fällen,  die  sich 
mir  zur  Operation  vorstellten,  das  eine  Auge  mit  der 
Kapsel,  das  andere  ohno  Kapsel  zu  operiren.  Dies  stimmt 
auch  gewöhnlich  mit  den  Indicationen,  die  ich  froher  schon 
zur  Extraction  mit  der  Kapsel  aufgestellt  hatte;  denn  man 

y.  Oraefe'a  Arehiv  fftr  Ophthalmologie,  XXXIV.  2.  10 


146  H.  Pageostecher. 

findet  in  der  Hegel  hier  eine  Cataracta  hjpermatara  neben 
einer  erst  kürzlich  zur  Reife  gelangten  Gataract.  Die 
gleichmassig  graue  oder  graugelbe  Trübung  der  vordem 
Corticalschichte,  in  der  sich  auch  bei  schiefer  Beleuchtung 
keine  scharf  begrenzte  Zeichnung  wahrnehmen  lässt,  yer- 
räth  sofort  die  ältere,  überreife  "Gataract  neben  der  meist 
noch  deutliche,  hellere  Streifungen  in  der  vorderen  Gorücal- 
schichte  zeigenden  jüngeren  Gataract.  Auch  ohne  jegliche 
Anamnese  weiss  ich  in  solchen  Fällen  sofort,  welches  Auge 
ich  mit  und  welches  ohne  Kapsel  zu  operiren  habe.  In 
den  Fällen  von  überreifer  Gataract  ist  die  Zonula  immer 
atrophisch  und  gelingt  daher  die  Entbindung  in  ge- 
schlossener Kapsel  mit  oder  ohne  Anwendung  des  flachen 
Löffels  sehr  leicht,  in  den  meisten  Fällen  jetzt  bei  der 
Anwendung  von  Gocain  auch  ohne  jeden  Glaskörperverlust. 
Ebenso  findet  sich  Atrophie  der  Zonula  bei  Morgagni'scher 
Gataract  und  bei  schon  geschrumpften  Staaren.  Dies  sind 
Erfahrungssätze.  —  Ferner  sollen  alle  luxirten,  sowie  alle 
verkalkten  Gataracte  auf  diese  Weise  operirt  werden.  Auch 
in  denjenigen  Fällen,  in  welchen  nach  der  Schnittführung 
oder  bei  der  präparatorischen  Iridectomie  (mit  oder  ohne 
Intention  zur  Vornahme  der  künstlichen  Reifung  nach 
Förster)  sofort  Entleerung  von  verflüssigtem  Glaskörper 
erfolgt,  muss  entweder  sofort  oder  später  die  Extraction 
in  geschlossener  Kapsel  vorgenommen  werden.  Kommt  es 
bei  luxirter  Gataract  vor,  dass  sich  der  obere  Rand  der 
Linse  unter  den  oberen  Scleralrand  verschiebt  (bei  der 
Schnittführung  nach  oben)  und  nicht  wieder  nach  unten 
gebracht  werden  kann,  so  empfehle  ich,  die  Wendung  der 
Gataract  mit  dem  Löffel  vorzunehmen  und  dann  zu  extra- 
hiren.  Dies  Verfahren  geschieht  in  der  Weise,  dass  man 
mit  dem  Löffel  bei  steiler  Führung  den  oberen  Linsenrand 
nach  unten  in  den  Glaskörperraum  drückt,  durch  weiteres 
Vorschieben  die  Linse  um  die  von  rechts  nach  links  ver- 
laufende Horizontalachse  (Frontalachse)  zur  Wendung  bringt 


/ 


SiMMnssxmcäzmem  mä  ■■4  ckx  Eftr^ef^^v  te^  Ea^!«L     I4T 


und  dm  fe  Eitr^ni:-!;  Tinioinit.  I:h  tV;^  di*s  Ver- 
fahren emige  llilr  mit  g-lzs^gsiem  ErfoUe  iiii!i^w;3u:it. 

In  cinzelnei;  Fillrn,  in  denen  kh  die  C^iuric:  *;$  e;aif 
für  die  Operativa  mit  Kap<sel  ihrem  Anssehea  Mv'h  als  c>^• 
eignete  bexeicLcen  muss^  siehe  ich  denavvh  rcn  d;;T  K\* 
tiacüon  mit  Eap§el  ab.  wenn  namlich  die  Sjviruiu:;^  vi^ 
Glaskörpers  nach  der  SchnittfQhmng  und  Iriieo:c:i.u^  $:ch 
noch  als  eine  hohe  erweist  aier  wenn  der  Paüent  s»^hr 
unruhig  ist  Ich  thue  dies  jeut  Tielieicht  hiaS^rw  als 
froher,  da  ich  bei  der  strengen  Durchführung  der  je:j;gv'n 
Sublimat  -  Antiseptik  —  auch  bei  der  Extnvotion  ohne 
Kapsel  —  fast  nie  mehr  heftigere  Entiündungsersoheiunug^n 
von  Seiten  der  Iris  und  des  Corpus  ciliare  be^^bachte. 

Die  Operation  geschieht  nach  antiseptischen  Grand- 
sätzen unter  Cocainanästhesie.  Als  Antisepticum  dient 
Sablimatwasser  1:5000.  Die  Details  sind  bekannt;  er^ 
wähnen  will  ich  nur,  dass  ich  auch  regelmässig  vor  jeder 
Operation  eine  Ausspritzung  des  ThrAnennasencanalos  mit 
Sublimatlösung  1  :  5000  Tomehme.  Ich  operire  den 
Kranken  stets  im  Bett,  stehe  am  Kopfende  und  mache  die 
Operation  des  rechten  Auges  mit  der  rechten,  die  des 
linken  Auges  mit  der  linken  Hand.  Der  Schnitt  wird 
immer  nach  oben  in  die  Sclero-Comealgrenze  gelegt  und 
zwar  so,  dass  er  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  in  corneales 
Gewebe  zu  liegen  kommt  und  doch  gleichzeitig  die  Bildung 
eines  grösseren  oder  kleinem  Conjunctivallappens  orrcicht 
wird.  Hieraus  ergiebt  sich  von  selbst,  dass  der  Schnitt 
fast  immer  Ton  der  streng  linearen  Form  etwas  abweicht 
und  einen  leichten  Bogen  bildet,  ja  unter  UmstAndeu  auch 
einen  Lappenschnitt  mit  massiger  Lappenhohe  darstellen 
kann.  Die  Lage  des  Schnittes  im  Cornealgewebe  sichert 
demselben  eine  rasche  Heilungstendenz,  und  trägt  der 
Conjnnctivallappen  zum  sofortigen  Wundschluss  ganz 
wesentlich    bei.     Ob    der   Schnitt    nun   etwas   mehr   oder 

weniger  linear  oder  bogenförmig  ist  oder  ob  er  eine  grössere 

10* 


148  ^*  Pagenstecher. 

oder  kleinere  Lappenhohe  hat  oder  ob  derselbe  einen  yoU* 
kommenen  Lappenschnitt  darstellt,  ist  im  Grande  ge- 
nommen fast  «gleich gültig;  jedenfalls  nicht  von  der  Wichtig- 
keit, die  man  diesem  Umstände  früher  zugeschrieben  hat. 
Alle  diese  Schnitte  werden  gleich  gut  heilen,  wenn  sie  mit 

(  ruhiger  Hand  und  scharfem  Messer  ausgeführt  und  nicht 
inficirt  werden.  Ich  kann  auch  nicht  behaupten,  dass  eine 
Schnittf&hrung  mehr  als  die  andere  zu  einer  Einklemmung 
der  Iris  in  die  Wundwinkel  disponire,  vorausgesetzt,  dass 
man  die  Irisschenkel  in  gleicher  Weise  stets  vollkommen 
reponirt.  Wer  noch  mit  dem  Beer'schen  Messer  operirt, 
wird  immer  einen  Lappenschnitt  machen,  wer  mit  dem 
Gräfe'schen  Schmalmesser  operirt,  wird  auch  noch  h&ufig 
einen  linearen  oder  nahezu  linearen  Schnitt  machen. 
Wüssten  wir  genau,  bei  welcher  Schnittführung  der  Comeal- 
astigmatismus  am  wenigsten  vorkommt  —  denn  ganz  wird 
er  sich  nie  vermeiden  lassen  —  so  wurde  es  natürlich 
unsere  Pflicht  sein,  diese  Schnittführung  zu  adoptiren. 
Allein  bis  jetzt  fehlen  uns  hierüber  noch  exacte  ver- 
gleichende Beobachtungen  und  die  Ansicht,  dass  der  alte 
Lappenschnitt  weniger  Astigmatismus  hervorruft,  ist  erst 
noch  zu  beweisen;  a  priori  sollte  man  erwarten,  dass  er 
stärkere  Verkrümmung  hervorrufe,  als  der  Linearschnitt. 
Der  Schnitt  muss  natürlich  grade  gross  genug  sein,  um  im 
gegebenen  Falle  die  Linse  ohne  besondere  Schwierigkeit  ent- 
fernen zu  können,  je  kleiner,  je  besser.  Cataracte  mit  viel 
weicher  und  breiiger  Corticalis  können  durch  kleinere  Schnitte 
entfernt  werden,  als  Cataracte  mit  grossem  festen  Kern  (Gat. 
nigra).  Ein  jeder  geübter  Operateur  wird  diesen  Umstand 
zu  würdigen  wissen.  Bei  der  Extraction  cum  Capsula  muss 
dagegen    der  Schnitt   vor  Allem    nicht   zu  klein  gemacht 

,  werden,  doch  nie  grosser,  als  Vs  des  Cornealumfanges. 
Nur  Morgagni*sche  Cataracte  schlüpfen  auch  durch  kleinere 
Oeffnungen  eifOrmig  durch.  Ich  operire  immer  mit  dem 
Schmalmesser,    achte   aber    darauf,    dass   der  Rücken  des 


Staarextractionen  mit  und  ohne  Entfernung  der  Kapsel.     149 

Messers  nicht  zu  dick  ist,  da  sonst  am  Ein-  und  Ausstichs«  ) 
pnnkt  geringe  Quetschwunden  entstehen,  die  die  Heilung 
verzögern  und  wohl  auch  leichter  zu  Infectionen  der  Wund- 
winkel führen  konnten.  Die  besten  Schnittwunden  erhält 
man  durch  das  zweischneidige,  schmale  Messer;  ich  habe 
mir  solche  von  Weiss  in  London  anfertigen  lassen;  leider 
sind  dieselben  nur  zu  biegsam  und  deshalb  schwer  zu  hand- 
haben. 

Die  Iridectomie  wird  immer  vorgenommen.  Da  sich  in 
neuerer  Zeit  wieder  Stimmen  gegen  die  Iridectomie  erheben 
und  für  die .  Bückkehr  4|^f^  Lappenschnitt  ohne  „Ver- 
stümmelung"* der  Iris  plaidiren,  so  dürfte  hier  die  Mit- 
theilung am  Platze  sein,  dass  ich  die  Extraction  ohne 
Iridectomie  vor  mehreren  Jahxen  in  einzelnen  anscheinend 
sehr  günstigen  Fällen  —  die  Iris  reponirte  sich  voll- 
kommen —  vornahm,  jedoch  wegen  nachträglichen  Pro- 
lapsus iridis,  gefolgt  von  unangenehmen  ßeizerscheinungen, 
wieder  ganz  aufgab.  Wenn  auch  heute  durch  den  Gebrauch 
von  Cocain  und  Eserin  die  Verhältnisse  für  die  Erhaltung 
der  Iris  günstiger  liegen  mögen,  so  ist  doch  niemals  die 
Gefahr  eines  Prolapsus  iridis  völlig  auszuschliessen,  und 
ich  bin  der  Meinung,  dass  die  relativ  grosse  Anzahl  dieser 
unangenehmen  Zußllle  gerade  Grund  genug  sein  dürfte, 
um  uns  der  Wiedereinführung  dieser  alten  Methode  nicht 
anznschliessen.  Wir  müssen  dann  allerdings  auf  den  Haupt- 
vorzug dieser  Methode,  , jedem  Sachverständigen  *)  einen 
hocherfreulichen  Anblick  zu  gewähren"  (Schweigger),  ver- 
zichten; allein  wir  verschonen  dann  auch  die  Sachverständigen 


*)  Was  die  „Verstümmelung  der  Iris"  betrifft,  so  ist  es  mir 
in  meiner  Praxis  noch  nicht  vorgekommen,  dass  sich  ein  Kranker 
oder  dessen  Angehöriger  jemals  über  die  Vornahme  der  Iridectomie 
beklagt  habe,  und  da  die  mit  Erhaltung  der  Iris  erzielten  Seh- 
fich&rfen  bis  jetzt  nicht  besser  sind  als  die  mit  den  Golobomen,  so 
schneiden  wir  lieber  die  Iris  ab,  als  dass  wir  uns  der  in  jedem 
einzelnen  Falle  möglichen  Gefahr  eines  Prolapsus  iridis  aus- 
setzen. 


150  H.  Pagenetecher. 

YOT  dem  höchst  unerfreulichen  Anblick  eines  Prolapsas  iridis 
nnd,  was  das  Wichtigste  ist,  bewahren  auch  die  Kranken 
vor  den  dadurch  bedingten,  höchst  lästigen  und  mitunter 
auch  gefährlichen  Zufällen. 

Nach  Vornahme  der  Iridectomie  erfolgt  Entfernung 
der  Irisschenkel  aus  den  Wundwinkeln.  Sodann  wird  bei 
I  der  Extraction  cum  Capsula  der  Löffel  hinter  den  obem 
1  Linsenrand  bei  zuerst  steiler  Führung  eingeführt,  nachher 
der  Stiel  gesenkt  und  nur  noch  massig  vorgeschoben,  jeden- 
falls nicht  über  den  hintern  Linsenpol  hinaus.  Darauf  übt 
der  Assistent  mit  einem  besonders  construirten  Qlasschieber 
einen  Druck  auf  den  unteren  Hornhautrand  und  drückt 
unter  leichtem,  beständigem  Vorschieben  die  Linse  nach 
oben,  die  sich  dann  bald  in  der  Wunde  einstellt.  Der  flache 
Löffel  hat  hier  mehr  den  Zweck  einer  geeigneten  schiefen 
Ebene,  auf  der  die  Linse  nach  aussen  geschoben  wird,  als 
die  Bestimmung  eines  Tractionsinstrumentes;  nur  in  den 
Fällen,  in  welchen  die  Zonula  noch  ziemlich  fest  ist  und  in 
welchen  die  Linse  durch  massigen  Druck  von  aussen  nicht 
ganz  entbunden  werden  kann,  hat  der  Operateur  den 
Löffel  weiter  vorzuschieben,  die  Linse  gleichsam  von  hinten 
noch  zu  fassen  und  unter  gleichzeitigem,  leichtem  Druck 
von  Seiten  des  Assistenten  mit  dem  Glasschieber  auf  die 
Cornea  vollends  zu  extrahiren. 

Eine  Berstung  der  Kapsel  gehört  jetzt  bei  richtiger 
Auswahl  der  Fälle  zu  den  grössten  Seltenheiten.  Die 
Technik  der  Operation  ist  nicht  ganz  leicht  und  bedarf 
einiger  Uebung.  Allein  in  richtiger  Weise  angewandt,  ist 
das  Verfahren  schonender  als  in  vielen  Fällen  von  Ex- 
traction  mit  Eröffnung  der  Kapsel,  bei  denen  man  nicht 
allein  zur  Entbindung  des  Kerns,  sondern  auch  zur  nach- 
träglichen Entfernung  der  Corticalmassen  auf  den  Bulbus 
einen  nicht  unerheblichen  Druck  ausüben  muss.  Es  ist 
deshalb  auch  ein  zum  mindesten  sehr  unüberlegter  Aus- 
spruch, zu  dem  sich  ein  Herr  College  hat  hinreissen  lassen, 


Staarextractionen  mit  und  ohne  Entfernung  der  Kapsel.     151 

indem  er  das  Verfahren  als  kunstlos  und  roh  bezeichnet 
(v.  Graefe's  Arch.  Bd.  XXIX.  2,  p.  206).  Der  Herr  College 
wird  mir  bei  ruhiger  Betrachtung  beistimmen  müssen,  dass 
dieser  Vorwurf  weniger  die  Methode,  als  seine  eigene  Aus- 
führung derselben  treffen  kann  (oder  urtheilt  er  vielleicht 
nach  der  Ausführung  Anderer?);  denn  es  ist  doch  nicht  die 
Schuld  der  Operationsmethode,  wenn  sie  zufällig  kunstlos 
und  roh  ausgeführt  wird.  Vielleicht  wird  es  dem  Herrn 
CoUegen  gelingen,  bei  weiterer  Cultivirung  des  Verfahrens 
dasselbe  auch  schonend  und  kunstvoll  auszuführen;  es 
werden  dann  sicherlich  seine  Resultate  auch  bessere  sein. 

Operire  ich  mit  Eröffnung  der  Kapsel,  so  suche  ich 
ein  möglichst  grosses  Stück  der  vorderen  Kapser  auszu- 
schneiden und  zu  entfernen,  wie  ich  dies  schon  im 
Jahre  1877  in  meiner  Arbeit  über  die  Operation  des 
grauen  Staars  in  geschlossener  Kapsel,  p.  35,  empfohlen  habe. 
Periphere  Kapselspaltung  mache  ich  nie,  da  die  vermeint- 
lichen Vorzüge  deren  Nachtheile  nicht  aufwiegen.  Eine 
Ausspülung  der  vorderen  Kammer  zur  Entfernung  der 
Corticalmassen  habe  ich  noch  nicht  vorgenommen,  habe  also 
auch  kein  Urtheil  über  die  Zweckmässigkeit  des  Verfahrens; 
ich  kann  nur  so  viel  sagen,  dass  ich  bis  jetzt  noch  kein 
dringendes  Bedürfniss  hatte,  mich  dieser  Neuerung  zuzu- 
wenden, da  doch  in  der  Regel  die  Entfernung  der  Cortex- 
massen  leicht  gelingt.  Sollten  zukünftige  Beobachtungen 
lehren,  dass  die  Bildung  einer  Cataracta  secundaria  dadurch 
verhindert  würde  und  sich  das  Verfahren  als  gefahrlos  er- 
weisen, so  würde  dies  als  ein  wesentlicher  Fortschritt  zu 
betrachten  sein  und  wurde  ich  dasselbe  mit  Freuden 
acceptiren. 

Bei  dieser  Gelegenheit  will  ich  nicht  unterlassen,  kurz 
eines  Verfahrens  zu  erwähnen,  das  ich  seit  einer  langen 
Reihe  von  Jahren  bei  der  Extraction  weicher  Cataracte 
jugendlicher  Individuen  bei  Schichtstaar,  üat.  traumatica  etc., 
ausfahre  und  sehr  bewährt  gefunden  habe.    Es  besteht  dies 


/" 


152  H.  Pagenstecher. 

im  Auskratzen  des  Kapselsackes.  Etwa  8 — 14  Tage  nach 
vorher  ausgeführter  Discission  der  vorderen  Kapsel  und  der 
hiernach  eingetretenen  Quellung  der  Linse  eröffne  ich  die 
vordere  Kammer  vermittelst  einer  massig  breiten  Lanze, 
ca.  3  mm  vom  Gornealrande  entfernt.  Nach  Abfluss  des 
;  Kammerwassers  und  eines  Theiles  der  gequollenen  Linsen- 
massen gehe  ich  mit  einem  kleinen,  nach  Art  des  Daviel- 
schen  Löffels  gefertigten  Listrumente  in  den  Kapselsack 
eiu,  lOse  die  übrigen  Gortexmassen  und  schabe  mit  leichten 
Bewegungen  die  äquatoriellen  Linsenmassen  von  der  Kapsel 
ab,  die  sich  dann  leicht  entfernen  lassen. 

Die  Spaltung  der  hinteren  Kapsel- als  Schlussact  der 
Operation,  das  Verfahren,  das  Hasner  früher  sehr  cultivirte, 
und  dem  ich  in  meiner  oben  citirten  Arbeit,  p.  37,  schon 
das  Wort  geredet  hatte,  habe  ich  in  letzter  Zeit  mehrfach 
in  Anwendung  gebracht  und  dabei  nicht  nur  keinerlei  nach- 
theilige Folgen,  sondern  auch  gute  Sehschärfen  beobachtet; 
doch  bedarf  ich  noch  weiterer  Erfahrungen,  um  über  die 
Zulässigkeit  desselben  endgültig  urtheilen  zu  können.  Die 
alte  Ansicht  von  Richter,  Beer  und  Bowman,  dass  ein 
massiger  GlaskOrperv  orfall  die  Sehkraft  häufig  verbessere, 
hat  heute  noch  allgemeine  Gültigkeit,  und  wird  durch  die 
Sprengung  der  hinteren  Linsenkapsel  auch  voUkonmien 
erklärt. 

Gataracte,  welche  nach  dem  FOrster'schenVer&hrenkünst- 
lich  zur  Reife  gebracht  worden  sind,  soll  man  nicht  mit  der 
Kapsel  extrahiren,  da  letztere  in  der  Regel  durch  Quellung 
der  Linsenmassen  sehr  gespannt  ist  und  beim  Versuche  der 
Extraction  zu  leicht  platzen  würde. 

Ich  halte  das  FOrster'sche  Verfahren  der  künstlichen 
Reifung  für  den  grOssten  Fortschritt,  der  auf  dem  Gebiete 
der  Staaroperationen  in  letzter  Zeit  überhaupt  gemacht 
wurde.  Ich  habe  dasselbe  in  mehr  als  100  Fällen  vor- 
genommen und  fast  ausnahmslos  günstigen  Erfolg  in  betreff 
der  Reife  erzielt.    Die  Extraction  habe  ich  oft  schon  nach 


Staarextractionen  mit  und  ohne  Entfernung  der  Kapsel     153 

14  Tagen  folgen  lassen;  zuweilen  jedoch  auch  einige  Monate 
zuwarten  müssen.  Für  schon  weit  yorgeschrittene,  langsam 
reifende  Gataracte,  die  oft  in  Jahresfrist  nur  unmerkliche 
Zunahme  der  Trübungen  aufweisen,  ist  dies  eine  durch 
nichts  zu  ersetzende  Errungenschaft.  Ich  übe  das  Verfahren 
nach  FOrster's  Vorschrift  durch  Massage  der  Linse  ver* 
mittelst  Druck  und  Reibungen  mit  einem  Glasschieber  auf 
der  Cornea  nach  der  Iridectomie;  in  einigen  Fallen  habe 
ich  auch  directe  Massage  der  Linse  mit  dem  Bücken  eines 
Davierschen  Löffels  vorgenommen. 

Nach  vollendeter  Extraction  der  Linse,  sei  dieselbe  nun 
in  geschlossener  Kapsel  oder  mit  Eröffnung  der  Kapsel  vor- 
genommen worden,  wird  d^r  Conjunctivalsack,  der  auch  vor 
und  während  der  einzelnen  Operationsacte  wiederholt  mit 
SublimatlOsung  durch  den  Assistenten  überrieselt  wurde, 
nochmals  mit  SublimatlOsung  1 :  5000  ausgewaschen  und 
dami  ein  Sublimatverband  angelegt;  Sublimat- Qaze  und 
-Watte,  getränkt  in  Sublimatlösung  1 :  5000,  direct  auf  das 
Auge,  darüber  Binde.  Im  Lauf  der  letzten  Jahre  habe 
ich  in  mehreren  Fällen  eine  modificirte  offene  Wund- 
behandlung angewandt;  es  waren  dies  Fälle,  in  denen 
entweder  chronische  unheilbare  Conjunctivalleiden  oder 
Stenosen  des  Ductus  naso-lacrymalis  ohne  eitrige  Secretion 
bestanden  oder  eine  Stenose  mit  eitriger  Secretion  kurz 
vorher  beseitigt  worden  war.  Ich  lege  dann  einen  in 
Sublimatlösung  getauchten  Sublimatwattebausch  auf,  lasse 
alle  zwei  Stunden  oder  3  mal  täglich  den  Conjunctival- 
sack ausspülen  und  frische  Sublimatwatte  auflegen.  Es 
ist  ganz  auffallend,  wie  reizlos  gewöhnlich  die  Heilung 
sich  bei  dieser  offenen  Wundbehandlung  vollzieht,  um 
diesen  Wattebausch  Nachts  zu  fixiren,  lasse  ich  die 
Kranken  eine  gut  sitzende  Muschelbrille  tragen.  Schon 
in  der  zweiten  Nacht  bleibt  das  Auge,  wenn  Wundschluss 
erfolgt  ist,   frei   und   wird  nur  die  Schutzbrille  getragen. 


154  H.  Pagenstecher. 

Ich  halte  eine  gut  sitzende  Schutzbrille  für  den  besten 
Ersatz  eines  Schutzverbandes,  der  Kranke  kann  sich,  wenn 
er  mit  derselben  bewaffnet  ist,  weder  durch  unvorsichtiges 
und  unfreiwilliges  fieiben  mit  den  Fingern  im  Schlafe,  noch 
durch  Umherwerfen  des  Kopfes  im  Schlafe  verletzen.  Will 
man  alle  Vorsichtsmassregeln  erschöpfen,  so  kann  man  die 
Arme  der  Brille  noch  durch  ein  dreieckiges  Kopftuch 
fixiren  lassen.  In  Betreff  der  Nachbehandlung  bemerke  ich 
noch,  dass  in  den  Fällen,  in  denen  ein  Verband  angelegt 
wurde,  derselbe  gewöhnlich  48  Stunden  lang  liegen  bleibt 
um  erst  nach  abermals  48  Stunden  wieder  gewechselt  zu 
werden;  dann  bleibt  derselbe  gewöhnlich  Tags  über  ganz 
weg.  Atropin  braucht  in  Fällen,  wo  mit  Eröffnung  der 
Kapsel  operirt  wurde,  auch  nur  dann  in  Anwendung  ge- 
zogen zu  werden,  wenn  sich  Reizerscheinungen  von  Seiten 
der  Iris  zeigen.  Legt  man  grossen  Werth  darauf,  auch 
die  kleinsten  Verlöthungen  des  Pupillarrandes  oder  der  Iris- 
zipfel mit  der  Kapsel  zu  vermeiden,  so  träufelt  man  nach 
48  Stunden  einige  Male  hintereinander  Atropin  ein.  Bei 
Bestimmung  der  Zeit,  wie  lange  der  Patient  im  Bette  ver- 
weilen und  wie  lange  er  im  Hospitale  bleiben  muss,  ridite 
ich  mich  ganz  nach  dem  Heilungsverlauf  und  auch  nach 
der  Individualitat  des  Kranken,  lege  jedoch  keinen  be- 
sonderen Werth  darauf,  die  Kranken  möglichst  früh  zu 
entlassen. 

Gehen  wir  nun  zur  vergleichenden  Betrachtung  der 
Resultate  beider  Operationsmethoden  über.  Die  Zusammen- 
stellung*) umfasst  die  seit  1876  meist  von  mir  selbst, 
zum  Theil  noch  von  meinem  Bruder  Alexander  vor- 
genommenen doppelseitigen  Extractionen ,  bei  welchen 
das  eine  Auge  mit,  das  andere  ohne  Kapsel  operirt  wurde. 


*)  Dieselbe  wurde  von  meinen  Assistenten,  Herrn  Dr.  Ger- 
mer, jetzt  in  Kreuznach,  Herrn  Dr.  Wallstab,  jetzt  in  Suderode 
und  Herrn  Dr.  Greatz,  jetzt  in  Göln,  vorgenommen. 


Staarextractionen  mit  und  ohne  Entfernung  der  Kapsel.    155 

Es  sind  dies  im  Ganzen  74  Fälle,  also  148  Extractionen. 
Die  meisten,  nämlich  56,  wurden  in  einer  Sitzung  vor- 
genommen; bei  den  übrigen  lagen  gewöhnlich  nur  kurze 
Zwischenräume  zwischen  beiden  Operationen.  GlaskOrper- 
verlust,  der  bekanntlich  bei  der  Extraction  mit  der  Kapsel 
viel  häufiger  vorkommt,  ereignete  sich  in  39  Fällen,  wäh- 
rend er  bei  den  ohne  Kapsel  extrahirten  Augen  5 mal  ver- 
zeichnet ist.  Seit  Einfahrung  des  Cocains  haben  sich  die 
Verhältnisse  in  Betreff  dieses  Zufalles  nicht  unwesentlich 
gebessert,  sowohl  in  Betreff  der  Häufigkeit,  als  auch  der 
Quantität  des  Verlustes.  Wenn  es  mir  auch  selbst- 
verständlich erwünschter  ist,  dass  kein  Glaskörpervorfall 
zu  Stande  kommt,  so  muss  ich  auch  heute  nach  meinen 
vielfachen  Erfahrungen  in  dieser  Sichtung  an  der  früher 
ausgesprochenen  Ansicht  festhalten,  dass  ein  massiger 
Glaskörperverlust  bei  der  Extraction  cum  Capsula  zu  den 
unschuldigsten  Gomplicationen  gehört  und  dass  dadurch 
dem  betreffenden  Auge  keinerlei  Gefahren  für  die  Zukunft 
erwachsen.  Insbesondere  muss  ich  auch  jetzt  wieder  der 
Ansicht  entgegentreten,  dass  dadurch  eine  Disposition  zu 
künftiger  Netzhautablösung  gesetzt  würde.  Unter  all  den 
vielen,  von  mir  und  meinem  Bruder  bis  jetzt  mit  der 
Kapsel  extrahirten  Augen,  deren  Zahl  600  weit  übersteigt, 
habe  ich  erst  einmal  eine  Netzhautablösung  bemerkt.  Es 
betraf  dies  ein!  myopisches  mit  ausgedehnter  Chorioiditis, 
Glaskörperverflüssigung  und  Cataracta  nigra  behaftetes 
Auge,  bei  dem  die  Extraction  cum  Capsula  wegen  vor- 
zeitigen Glaskörpervorfalles  vorgenommen  werden  musste. 
Die  Netzhautablösung  trat  acht  Wochen  nach  der  Ex- 
traction nach  grosser  Anstrengung  des  Auges  durch  Lesen 
auf.  Weitere  Fälle  sind  mir,  wie  gesagt,  nicht  zur  Beob- 
achtung gekommen.  Da  ich  in  den  letzten  10  Jahren  auf 
diesen  umstand  genau  geachtet  habe,  und  da  ich  viele  von 
meinen  Kranken  in  späteren  Jahren  wiedersehe,  so  dürfte 


156  H*  Pagenetecher. 

wohl  solchen  praktischen  Erfahrungen  die  Beweiskraft 
nicht  abgesprochen  werden  können.  Sollte  der  eine  oder 
andere  College  Gelegenheit  haben,  Netzhantablösung  bei 
von  mir  mit  der  Kapsel  extrahirten  Angen  zu  beobachten, 
so  wäre  ich  ihm  für  die  Mittheilung  sehr  dankbar.  Eine 
genaue  statistische  Zusammenstellung  über  Netzhaut- 
ablOsung  bei  aphakischen  Augen  wäre  überhaupt  sehr 
dankenswerth.  Es  mag  hier  häufig  gehen,  wie  bei  so 
vielen  Dingen,  dass  man  Ursache  und  Wirkung  verwechselt. 
Hat  ein  Operateur  zufällig  ein  oder  mehrere  Augen  mit 
Verlust  von  Glaskörper  extrahirt,  und  stellt  sich  später 
Netzhautablösung  ein,  so  sagt  er  sofort,  im  Glaskörper- 
verlust liegt  die  Schuld,  während  der  wahre  Grund  in  ge- 
wissen krankhaften  Veränderungen  des  Auges  liegt,  die  zu 
Netzhautablösung  disponiren,  und  welche  bei  der  gleich- 
zeitig vorhandenen  Glaskörperverflüssigung  oder  Glaskörper- 
ablösung während  der  Operation  den  Glaskörperverlust  be- 
dingen. 

Stülpt  sich  nur  eine  Glaskörperhemie  vor,  so  geht  die- 
selbe gewöhnlich  unter  dem  Liddrucke  wieder  zurück;  bei 
Glaskörperverlust  schneide  ich  gewöhnlich  denselben  hart 
an  der  Wunde  mit  der  über  die  Fläche  gebogenen  Scheere 
ab.  Die  Verletzung  des  Glaskörpers  fürchte  ich  nicht, 
und  ich  halte  auch  heute  noch  meinen  Ausspruch,  dass 
man  den  Glaskörper  ohne  jegliche  Gefahr  fär  das  Auge 
verletzen  könne,  vorausgesetzt,  dass  man  ihn  nicht  infidrt, 
vollkommen  aufrecht.  Dieser  Ausspruch  hat  viel  Wider- 
spruch erlitten;  doch  thut  dies  seiner  Richtigkeit  nicht  den 
mindesten  Eintrag.  Er  ist  durch  die  Thatsachen  begründet, 
die  sich  jahraus,  jahrein  unter  meinen  Augen  abspielen 
und  an  denen  sich  nicht  rütteln  lässt. 

In  Bezug  auf  die  Sehschärfe  bei  der  Entlassung  stellen 
sich  die  Besuliate  wie  folgt: 


Staarextractionen  mit  und  ohne  Entfernung  der  Kapsel.    157 

Sehschärfe  bei  Augen 
cum  Capsula  operirt:   sine  Capsula  operlit: 

■^20 ^  2 

=  ^  9  7 

W 14  8 

f 13  21 

^  4  0 

lOü ^-  ^ 

^  5  5 

200 ^  ^ 

Fingerzählen  auf  5—10 '     .      2  2 

Quantitative  Lichtempfindung    2  1 

S  nicht  zu  ermitteln  ...      1  1 

74  74. 

Die  Besultate  sind  annähernd  gleich;  nur  in  betreff 
der  höheren  Sehschärfen  überwiegen  die  Extractionen  cum 
Capsula  etwas.  Quantitative  Lichtempfindung,  die  wir  hier 
als  Verlust  rechnen  wollen  —  Phthisis  bulbi  kam  nicht 
zur  Beobachtung  —  wurden  2  mal  bei  der  Eitraction  cum 
Capsula  und  Imal  bei  Extraction  sine  Capsula  beobachtet. 
Die  ersteren  betrafen  folgende  Fälle: 

1.  Im  Jahre  1884  vorzüglicher  Operations  verlauf,  ganz 
glatte  Entbindung  der  Linse  cum  Capsula  ohne  jeden  GlaskOrper- 
verlust.  Eiterige  Iritis  am  zweiten  Tage.  Der  Grund  der  sep- 
tischen Infection  lag  jedenfalls  in  irgend  einer  Unterlassungs- 
sünde in  Betreff  der  Antiseptik  und  hatte  dieser  Verlust  sicher 
verhindert  werden  können.    Ausgang  in  Fupillarverschluss. 

2.  Im  Jahre  1882.  Ein  im  höchsten  Grade  unbändiger 
Kranker,  der  bei  der  geringsten  Berührung  der  Lider  sofort 
stark   presste,    konnte   nur   in   der  Chloroformnarkose   operirt 


158  S*  Pagenstecher. 

werden.  Die  Operation  cum  Capsula  ging  ganz  glatt  und  nur, 
um  mich  von  der  Lage  der  Iris  zu  überzeugen,  wurde  das 
obere  Lid  nochmals  gelüftet,  als  Patient  plötzlich  aus  der  Nar- 
kose erwachte,  um  sich  schlug  und  dabei  so  stark  presste,  dass 
der  Glaskörper  buchstäblich  aus  dem  Auge  heraussprang.  Nar 
mit  Mühe  konnte  der  Binoculus  angelegt  werdedlf  Nach 
24  Stunden  Wundeiterung  mit  eitriger  Iritis,  die  zu  Pupillar- 
verschluss  führte. 

Der  eine  Ausgang  in  quantitative  Lichtempfindung 
bei  Extraction  sine  Capsula  wurde  durch  Iritis  mit  nach- 
folgenden glaucomatOsen  Erscheinungen,  die  sich  kurz  vor 
der  Entlassung  des  Patient^en  einstellten,  bedingt. 

Die  Fälle,  in  denen  Fingerzählen  notirt  ist,  betrafen: 

1  Fall  mit  doppelseitigen  Hornhauttrübungen;  1  Fall 
(1877  operirt)  von  GlaskOrperblutung  bei  Extraction  sine  Capsula 
und  1  Fall  von  Iridocyclitis  (1879  operirt)  bei  Extraction  cum 
Capsula. 

Der  Kranke,  bei  dem  S  nicht  zu  ermitteln  vrar,  verliess 
am  fünften  Tage  die  Anstalt,  doch  theilte  er  brieflich  mit, 
dass  er  mit  beiden  Augen  gut  sähe. 

Sehr  genau  vrurde  stets  das  Verhalten  des  Glaskörpers 
geprüft  und  notirt,  auch  die  geringsten  filamentösen 
Trübungen,  die  sich  von  der  Wunde  aus  leicht  in  den  Glas- 
körper hinein  erstrecken  und  das  Sehvermögen  gar  nicht 
alteriren  (bei  Augen  mit  voller  Sehschärfe),  wurden  notirt. 
Es  fanden  sich  Glaskörpertrübungen  in  23  Fällen  bei  Ex- 
traction cum  Capsula  (darunter  Gholestearincrystalle  in  zwei 
Fällen)  und  in  13  Fällen  bei  Extraction  sine  Capsula.  Die 
Glaskörpertrübungen  bei  Extraction  cum  Capsula  gehen  ge- 
wöhnlich im  Verlauf  von  einigen  Monaten  ganz  zurück,  fast 
ausnahmslos  findet  man  bei  der  Untersuchung  nach  sechs 
Monaten  oder  einem  Jahr  in  diesen  Fällen  ganz  klaren  Glas- 
körper. In  üebereinstimmung  damit  finden  wir  auch  als 
allgemeine  Hegel,  dass  die  Sehschärfe  bei  den  mit  der 
Kapsel    Operirten    nach    der  Entlassung   in    den   meisten 


Staarextractionen  mit  und  ohne  Entfernung  der  Kapsel.     159 

Fällen  noch  steigt,  während  wir  umgekehrt  bei  den  ohne 
Kapsel  Operirten  in  vielen  Fällen  kürzere  oder  längere  Zeit 
nach  der  Entlassung  eine  Abnahme  der  Sehkraft  durch 
nachträgliche  Eapseltrühung  constatiren  mQssen. 

Nicht  selten  habe  ich  beobachtet,  dass  in  Fällen  von 
chronischer  Iridochorioiditis  mit  GlaskOrpertrübungen,  bei 
denen  später  die  Cataractoperaüon  cum  Capsula  ausgeführt 
werden  konnte,  GlaskOrpertrübungen,  die  Jahre  lang  be- 
standen  und  das  Sehvermögen  wesentlich  beeinträchtigten, 
nach  der  Operation  in  schönster  Weise  zur  Aufhellung  ge- 
langten. 

um  mir  ein  möglichst  sicheres  ürtheil  über  den  Zu- 
stand der  Augen  der  von  mir  schon  vor  Jahren  operirten 
Kranken  zu  verschaffen,  habe  ich  an  alle  vor  1885  Operirte 
geschrieben,  und  dieselben  gebeten,  sich  entweder  bei  mir 
nochmals  vorzustellen,  oder  im  Falle  sie  reiseunfthig  seien, 
darüber  Bericht  zu  erstatten,  wie  sie  mit  ihren  Augen  zu- 
frieden seien  und  mir  speciell  anzugeben,  mit  welchem 
Auge  sie  ohne  Brille  besser  sähen.  Im  Ganzen  waren  es 
57  Fälle,  an  welche  diese  Fragen  gerichtet  wurden.  Von 
diesen  67  Fällen  haben  sich  vorgestellt  7,  geantwortet 
haben  25,  gestorben  waren  14,  nicht  zu  ermitteln  waren  3, 
keine  Antwort  gaben  8.  Bei  den  7  Kranken,  die  sich  vor- 
stellten, konnte  mit  Bestimmtheit  nachgewiesen  werden, 
dass  in  6  Fällen  das  mit  der  Kapsel  operirte  Auge  den 
Vorzug  hatte;  aus  den  22  Antworten,  die  theilweise  sehr 
ungenau  waren  oder  sich  nur  auf  die  Mittheilung  be- 
schränkten, dass  mit  beiden  Augen  gut  gesehen  wurde, 
ging  soviel  mit  Sicherheit  hervor,  dass  10  dem  mit  der 
Kapsel  und  4  dem  ohne  Kapsel  operirten  Auge  den  Vorzug 
gaben.  Eine  Mittheilung,  dass  eines  der  operirten  Augen 
nachträglich  erblindet  sei,  ist  uns  nicht  zugegangen. 

Ich  habe  mit  Absicht  die  grösste  Menge  der  doppel- 
seitigen Extractionen  in  einer  Sitzung  vorgenommen,  näm- 
lich   in   56    Fällen,    einestbeils,    um    möglichst    genaue 


160  S-  PagenBtecher. 

Vergleichsobjecte  zu  haben,  anderntheils  aber  aoch,  nm  den 
Eranken  das  doppelte  Krankenlager  zu  ersparen'.  Ich  weiss 
wohl,  dass  viele  Operateure  in  dieser  Beziehung  nicht  mit 
mir  abereinstimmen,  sondern  die  Arlt'sche  Regel  befolgen, 
zur  Zeit  immer  nur  ein  Auge  zu  operiren.  Ich  stimme 
dem  letzten  Grundsatze  für  eine  Beihe  von  Erkrankungen, 
z.  B.  glaucomatOse  Frocesse,  auch  zu;  möchte  dasselbe 
jedoch  nicht  auf  Cataracte  ausdehnen. 

Wenn  wir  nun  auf  Grund  der  vorliegenden  Beob- 
achtungen und  Erscheinungen  einen  Vergleich  zwischen 
beiden  Operationsmethoden  ziehen,  so  ergiebt  sich,  dass  die 
unterschiede  in  Bezug  auf  die  vollen  Besultate  und  auch 
in  Bezug  auf  die  Sehschärfen  bei  der  Entlassung  im  Grossen 
und  Ganzen  keine  sehr  bedeutende  sind. 

Man  könnte  hieraus  den  Schluss  ziehen,  dass  das  Ver- 
fahren der  Extraction  cum  Capsula  dem  Verfahren  der 
Extraction  sine  Capsula  im  günstigsten  Falle  nur  gleich- 
werthig  und  deshalb  wegen  seiner  etwas  schwierigeren  Technik 
nicht  sehr  zu*  empfehlen  sei;  allein  bei  näherer  Betrachtung 
und  insbesondere,  wenn  wir  unsere  Resultate  nach  Monaten 
oder  Jahren  vergleichen,  so  stellen  sich  die  Verhältnisse 
doch  in  einem  ganz  anderen  Lichte  dar  und  lassen  die 
Superiorität  der  Extraction  cum  Capsula  deutlich  in  die 
Augen  springen. 

Zunächst  ist  zu  erwägen,  dass  unter  den  oben  an- 
geführten Fällen  von  Extraction  sine  Capsula  sich  eine 
grössere  Anzahl  von  Fällen  befindet,  welche  zu  der  guten 
Sehschärfe  erst  durch  eine  nachträgliche  Discission  der 
zurückgebliebenen  Kapsel  und  deren  Auflagerungen  ge- 
langte. 

Ich  mache  nämlich  die  Discission  in  Fällen,  welche 
sonst  reizlos  verlaufen,  sehr  häufig  schon  in  der  dritten  oder 
vierten  Woche.  Leider  ist  in  meiner  Zusammenstellung 
die  Anzahl  der  Fälle,  in  welchen  die  Discission  vorgenommen 
wurde,  nicht  angeführt  und  eine  nochmalige  Durchsicht  der 


Staarextractiouen  mit  nnd  ohne  Entfernang  der  Kapsel.     Igl 

yielen  Joornale  ist  mir  zur  Zeit  aiim5glich,  doch  taxire  ich 
den  Procentsatz  auf  ca.  20.    Diese  Kranken  hatten  sich 
also  schon  vor  ihrer  Entlassung  einer  zweiten  Operation  zu 
unterziehen.    Ein  jeder  Praktiker  weiss   fernert   dass   von 
allen  mit  Zorücklassung  der  Kapsel  Operirten  ein  grosser 
Procentsatz   mit  der  Klage  über  Abnahme  der  Sehkraft, 
meist  in  Folge  einer  nachträglichen  KapseltrQbung,  zurück- 
kehrt,   dass   ein  anderer  Procentsatz  sich  über  Lichtscheu 
resp.     Blendungs  -  Erscheinungen     oder    über    mangelude 
Orientirung  beschwert.    Diese  Klagen  hören  wir  nie  von 
den  mit  der  Kapsel  Operirten.    Die  sowohl  für  den  Arzt 
sowie  für  den  Kranken  gleich  lästigen  und  mitunter  auch 
nicht  ungefährlichen  Nachoperationen  fallen  bei  der  Ex- 
traction  cnm  Capsula  weg;  wegen  des  vollkommen  klaren 
Pupillargebiets  kommen  selbst  bei  grossen  Pupillen  Blen* 
dungserscheinungen  nicht  zu  Stande  und  ist  auch  in  Folge 
dessen  das  OrientirungsvermOgen  dieser  Kranken  ein  weit 
besseres.    Aus  den  späteren  Untersuchungen  sowie  aus  den 
Antworten  der  Kranken,  an  die  wir  uns  schriftlich  gewandt 
hatten,  ging  deutlich  hervor,  dass  die  Mehrzahl  der  Kranken 
dem   mit  der  Kapsel   operirten  Auge   den  Vorzug  giebt. 
Gerade  solche  Angaben  der  Kranken  sind  gewiss  nicht  zu 
unterschätzen.    Es    ist  ja  möglich,    dass   sich  dies   nicht 
immer  mit  der  besseren  Sehschärfe  deckt,  allein  es  ist  auch 
nicht  richtig,  wenn   wir   den  Werth  und   die  Leistungs- 
fähigkeit eines  am  Cataract  operirten  Auges  nur  nach  dem 
Grade   der  von   uns   festgestellten  Sehschärfe  beurtheilen 
wollen;   zwei  Augen  können  die  gleiche  Sehschärfe  haben 
und    doch    einen   ganz   erheblichen    Unterschied   in   ihrer 
Leistungsfähigkeit  aufweisen,   aber  sicherlich   wird  ceteris 
paribus   dasjenige  das  Leistungsfähigere  sein,  welches  das 
freieste  Pupillargebiet  hat. 

Bei  der  Betrachtung  des  Gesammtrcsultats  ist  immer 
nicht  zu  vergessen,  dass  sich  die  Zusammenstellung  auf 
eine  Reihe   von   12  Jahren  bezieht  und  dass,  wenn  auch 

V.  Qntefe^a  Archiv  fflr  Ophthalmolofirie,  XXXIV.  8.  11 


162  H.  Pagenstecher. 

immer  in  unserer  E^linik  nach  den  Gnmds&tzen  der  Antiseptik 
operirt  wurde,  dieselbe  erst  nach  und  nach  zu  dem  Grade 
der  Vollkommenheit  gelangte,  die  sie  heute  besitzt.  Ins- 
besondere haben  sich  die  Resultate  seit  der  Einführung  der 
Sublimatantiseptik,  die  wir  vorzugsweise  den  sorgfältigen 
Untersuchungen  Sattler's  verdanken,  ganz  erheblich  ge- 
bessert. Dies  betrifft  nicht  allein  die  eitrigen  Frocesse, 
sondern  auch  die  von  Seiten  der  Iris  und  des  Gorpas 
ciliare  ausgehenden  Entzündungserscheinungen.  Als  Be- 
weis hierfür  lasse  ich  eine  kurze  üebersicht  über  die  Re- 
sultate der  im  Jahre  1887  in  der  hiesigen  Augenheilanstalt 
vorgenommenen  Extractionen  folgen.  Dieselbe  ist  von 
meinem  Assistenzarzte,  Herrn  Dr.  Creutz,  zusanmien- 
gestellt: 

„Im  Laufe  des  Jahres  1887  wurden  91  Staaroperationen 
gemacht,  darunter  78  Extractionen  von  Altersstaaren,  von 
denen  ich  selbst  7  operirte. 

Von  diesen  78  Fällen  wurden  22  mit  der  Kapsel  und 
56  ohne  Kapsel  operirt.  Der  Operationsverlauf  war  in 
allen  Fällen  ein  normaler,  abgesehen  von  den  GlaskOrper- 
verlusten.  Bei  den  Extractionen  mit  der  Kapsel  kam  er 
9  mal  zur  Beobachtung,  während  er  bei  den  Extractionen 
ohne  Kapsel  nur  einmal  verzeichnet  ist.  Die  präparatorische 
Iridectomie  mit  Massage  zum  Zwecke  der  Reifung  wurde 
im  Ganzen  7  mal  vorgenommen  und  zwar  6 mal  bei  den 
Extractionen  ohne  Kapsel  und  einmal  bei  der  Extraction 
mit  der  Kapsel.  Die  Massage  der  Linse  geschah  meist  in- 
direkt durch  Reibung  mittelst  eines  GlaslOffels  auf  der 
Hornhaut,  nur  in  2  Fällen  wurde  eine  direkte  Massage  der 
Linse  nach  Eingehen  mit  einem  Davierschen  LOffel  in  die 
vordere  Kammer  vorgenommen. 

Hierbei  zeigte  sich,  dass  die  Reifung  am  schnellsten 
eintrat  nach  der  direkten  Massage  der  Linse,  so  dass  am  12. 
und  am  14.  Tage  nach  der  Iridectomie  schon  die  Extraction 
A)lgen  konnte,  während  dieselbe  bei  den  übrigen  Fällen  am 


Staarextractionen  mit  und  ohne  £ntfemuiig  der  Kapsel.     163 

15.,  16.,  18.,  18.,  19.  und  57.  Tage  nach  der  präpaia- 
torischen  Iridectomie  vorgenommen  wurde.  In  dem  letzten 
Falle  war  die  Patientin  in  der  Zwischenzeit  entlassen 
worden. 

Von  den  56  ohne  Kapsel  Operirten  wurden  14  noch 
vor  ihrer  Entlassung  einer  Nachoperation,  der  Discission, 
unterworfen,  d.  i.  in  25  pCt.  der  Fälle,  und  zwar  in 
folgenden  Intervallen:  am  17.,  17.,  20.,  20.,  21.,  21.,  22., 
22.,  24,  25.,  25.,  28.,  29.,  30.  Tage  nach  der  Extraction. 

Der  Heilungsverlauf  war  in  allen  Fällen  ohne  Aus- 
nahme ein  vollkommen  normaler. 

Bei  der  genauen  Bestimmung  der  Sehschärfe  müssen 
wir  natürlich  die  complicirten  Fälle  von  den  nicht  com- 
plicirtcn  trennen. 

Unter  unsem  78  Extractionen  waren  im  Qanzen  5  mal 
Complicationen  nachweisbar,  und  zwar  betrafen  dieselbe 
vier  Extractionen  ohne  die  Kapsel  und  eine  Extraction  mit 
der  Kapsel. 

Die  ersteren  Fälle  waren  folgende: 

1.  Chorio- Retinitis    mit    atrophischen    Veränderungen 
an  der  Macula.    S  =  Veo. 

2.  Irido-Chorioiditis  mit  Pupillarverschluss.   Iridectomie 
ein  Jahr  vorher  schon  vorgenommen.    S  =  Veo. 

3.  Chorio-Betiniüs    mit    secundärer    Betinalatrophie. 
S  =  Fingerzählen  in  1  Meter. 

4.  Ausgedehntes   Leucoma   adhaerens    mit   Cataracta 
accreta.    S  =  Fingerzählen  in  1  Meter. 

Der  eine  Fall  von  den  mit  der  Kapsel  Operirten  war 
mit     ausgedehnter    Chorioiditis     disseminata     complicirt. 

8   =    760. 

Bei    den   nicht  complicirten   Cataracten  konnten  wir 

folgende  Sehschärfen  bei  der  Entlassung  ohne  Zuhülfenahme 

der  stenopäischen  Spalte  feststellen: 

11* 


164  H.  Pagenstecher. 

1.    Extractionen  mit  der  Kapsel. 
6mal  S  =  %   3mal  S  =  V»»   9mal  S  =  7i2,  2mal 
S  =  Vis,  Imal  S  =  724. 

2.   Extractionen  ohne  die  Kapsel. 

5mal  S  =  76,  Umal  S  =  79,  12mal  S  =  7i»,  lOmal 
S  =  7i8,  Gmal  S  =  7^4,  4mal  S  =  7s6,  Imal  S  =  Vso. 

Wie  aus  der  vorstehenden  statistischen  Zusammen- 
stellung hervorgeht,  hatten  wir  also  bei  unseren  Operationen 
lauter  vollkommene  Besultate  erzielt.  Ich  glaube  daher, 
dass  der  Ausspruch  nicht  allzu  gewagt  erscheinen  darf, 
wenn  ich  behaupte,  dass  wir  vermittelst  der  jetzt  streng 
durchgeführten  Antisepsis  im  Stande  sind,  nicht  allein  alle 
von  aussen  herrührenden  eitrigen  Prooesse  wfthrend  des 
Heilungsverlaufes,  sondern  auch  alle  schwereren  Ent- 
zündungsErscheinungen  von  Seiten  der  Iris  und  des  Corpus 
ciliare  auszuschliessen. 

Einem  etwaigen  Einwurfe,  den  man  mir  vielleicht 
machen  könnte,  dass  die  Zahl  der  beobachteten  Fälle  eine 
noch  viel  zu  geringe  sei,  um  zu  diesem  Ausspruche  zu 
berechtigen,  kann  ich  von  vornherein  mit  der  Angabe  ent- 
gegentreten, dass  von  allen  seit  October  1885  bis  jetzt  in 
der  hiesigen  Augenheilanstalt  für  Arme  vorgenommenen 
Gataract- Extractionen,  deren  Zahl  184  beträgt,  nicht  ein 
einziges  Auge  verloren  ging,  ja  selbst  kein  Fall  vorkam, 
der  nur  mit  quantitativer  Lichtempfindung  entlassen  worden 
wäre.  Ich  habe  darauf  hin  die  Journale  einer  genauen 
Revision  unterworfen,  habe  jedoch  diese  Fälle  nicht  alle 
zusammengestellt,  einestheils,  weil  ich  dieselben  wegen 
meines  erst  im  April  1886  erfolgten  Eintrittes  in  die  An- 
stalt nicht  alle  selbst  beobachtet  habe,  andemtheils,  weil 
ich  auch  eine  Zusammenstellung  der  Besultate  über  einen 
bestimmten,  nicht  willkürlich  herausgegriffenen  Zeitraum, 
d.  i.  vom  1.  Januar  1887  bis  1.  Januar  1888  geben  wollte.** 


Staarextractionen  mit  und  ohne  Entfernung  der  Kapsel.     1(>5 

Mit  obigem  Aussprache  soll  durchaus  nicht  gesagt 
sein,  dass  wir  von  nun  an  alle  eitrigen  Frocesse,  sowie 
schwere  und  tiefgehende  Entzündungs- Erscheinungen  nach 
Extractionen  auszuschliessen  im  Stande  sein  werden. 

Es  wird  immer  noch  eine  gewisse  Quote  von  Fällen 
vorkommen,  bei  denen  durch  irgend  ein  kleines  Versehen  in 
Betreff  der  strengen  Durchführung  der  Antiseptik,  z.  B.  beim 
Beinigen  der  Instrumente,  das  Unheil  heraufbeschworen 
wird  und  das  Auge  zu  Grunde  geht.  Es  werden  ferner 
Fälle  vorkommen,  bei  denen  wir  die  Infection  von  aussen 
wohl  verhindern,  bei  denen  sich  aber  eine  Infection  von 
Seiten  des  Kranken  resp.  dessen  Blutmischung  nicht  mit 
Sicherheit  ausschliessen  lässt,  wie  z.  B.  bei  Individuen, 
welche  mit  Diabetes,  Endocarditis ,  Tuberculose,  Lues, 
Nierenschrumpfung  etc.  behaftet  sind  und  deren  Eräfte- 
zustand  schon  hochgradig  reducirt  ist. 

So  kam  im  Jahre  1886  ein  Fall  zur  Beobachtung,  der  mit 
hochgradigem  Diabetes  und  Morbus  Brighti  complicirt  war. 

Die  Fraa  befand  sich  im  Stadium  der  höchsten  Gachexie, 
und  die  Prognose  quoad  vitam  war  eine  sehr  ungünstige. 
Nur  ihrem  Wunsche  gemäss  wurde  die  Extraction,  um  ihr 
die  letzten  Lebensmonate  erträglicher  zu  machen,  vor- 
genommen. Es  ward  zuerst  das  eine,  nach  8  Tagen  das 
andere  Auge  operirt. 

In  beiden  Fällen  trat  ungefähr  am  10.  Tage  nach  der 
Operation  eine  eitrige  Iritis  ein,  die  an  dem  einen  Auge 
wieder  vollkommen  zurückging  und  gate  Sehschärfe  hinter- 
liess,  in  dem  anderen  Auge  mit  Hinterlassung  einer 
Pupillarmembran  und  einer  Sehschärfe  von  Fingerzählen  in 
1 — 2  m  heilte,  die  jedoch  durch  eine  nachträgliche  Dis- 
cission  erheblich  zu  verbessern  gewesen  wäre.  Die  An- 
gehörigen der  Patientin  wünschten  aber  wegen  der  grossen 
Schwäche  derselben  die  Entlassung. 

Wir  tragen  kein  Bedenken,  in  diesem  Falle  die  Ent- 
stehung der  eitrigen  Iritis  einzig  und  allein  dem  Einflüsse 


166  H.  Pagenstecher. 

des  körperlichen  Leidens  (einer  Antoinfection)  zuzuschreiben. 
Es  ist  wohl  kaum  nöthig,  zu  erwähnen,  dass  jeder  Operateur 
durch  Verluste  betroffen  werden  kann,  deren  Verhütung  ausser 
seiner  Macht  liegt,  sei  es  nun,  dass  ein  unvernünftiger  Kranker 
sich  am  ersten  Tage  mit  schmutzigen  Fingern  im  unbe- 
wachten Augenblick  unter  die  Binde  fährt  und  Infection 
verursacht,  sei  es,  dass  derselbe  während  oder  nach  der 
Operation  Blutungen  von  Seiten  der  Netzhaut  oder  Cho- 
rioidea  erleidet,  sei  es,  dass  sich  während  des  Heilungs- 
verlaufes glaucomatöse  Erscheinungen  oder  NetzhautablOsung 
einstellen.  Von  all*  diesen  Zufällen  sind  wir  allerdings  wäh- 
rend der  letzten  272  Jahre  glücklicherweise  verschont  ge- 
blieben. 

Die  oben  angeführte  genaue  Zusammenstellung  aus 
dem  Jahre  1887  zeigt  uns  die  Superiorität  der  Extraction 
cum  Capsula  in  klarster  Weise.  Man  vergleiche  nur  die 
überaus  grosse  Zahl  guter  Sehschärfen  mit  denen  der 
Extraction  ohne  Kapsel.  A  priori  kann  es  auch  eigentlich 
nicht  anders  erwartet  werden,  denn  die  Erzielung  einer  voll- 
kommen reinen  beweglichen  Pupille,  die  für  immer  erhalten 
bleibt,  ist  auf  andere  Weise  kaum  zu  erreichen  und  ich 
muss  nur  bedauern,  dass  ich  bis  jetzt  nicht  im  Stande  bin, 
sämmtliche  Cataracte  auf  diese  Weise  zu  operiren.  Der 
einzige  Grund,  der  mich  davon  abhält,  ist  die  durch  lang- 
jährige Praxis  gewonnene  üeberzeugung,  dass  sich  die 
grössere  Anzahl  von  Fällen  aus  dem  Grunde  zu  diesem 
Verfahren  nicht  eignet,  weil  wir  in  denselben  Gefahr  laufen, 
die  Kapsel  bei  der  Extraction  zu  sprengen  und  theilweise 
im  Auge  zurückzulassen.  Eine  richtige  Auswahl  der  Fälle 
ist  also  für  den,  der  sich  mit  dem  Verfahren  befassen  will, 
Grundbedingung.  Dass  eine  solche  Auswahl  in  der  Praxis 
zu  treffen  ist,  dürfte  wohl  die  Zusammenstellung  aus  dem 
Jahre  1887  wiederum  bewiesen  haben. 

Wiesbaden,  März  1888. 


Zu  historisclieii  Eenntniss  der  Yorderkammer- 

AnswaschnngeiL 


Von 


Prof.  Dr.  Hugo  Magnus 


in  Breslau. 


Die  Ansichten  über  den  therapeutischen  Werth  der 
Auswaschungen  der  Vorderkammer  sind  bekanntlich  gegen- 
wärtig immer  noch  recht  getheilte.  Während  einzelne 
Autoren  in  der  besagten  operativen  Maassnahme  eine  sehr 
erfreuliche  Bereicherung  der  ophthalmologischen  Chirurgie 
erblicken,  verhalten  sich  wieder  andere  Operateure  diesen 
Auswaschungen  gegenüber,  aus  welchen  therapeutischen 
Absichten  dieselben  auch  immer  empfohlen  sein  mögen, 
sehr  zurückhaltend  und  ablehnend.  Wenn  nun  ein  end- 
gültiges Drtheil  hierüber  schliesslich  nur  durch  eine  um- 
fassende Operationsstatistik  wird  erbracht  werden  künnen, 
so  glauben  wir  doch,  dass  es  im  Yortheil  der  in  Bede 
stehenden  Operation  liegen  muss,  wenn  deren  historische 
Schicksale  einmal  des  Näheren  dargelegt  werden;  muss  es 
doch  für  jeden  Operateur  von  der  grössten  Wichtigkeit 
sein,  die  Erfahrungen  seiner  Vorgänger  auf  das  Ge- 
naueste zu  kennen.  Dies  ist  jedoch  bei  der  hier  in 
Rede  stehenden  Operation  keineswegs  der  Fall;  trotzdem 
die  Auswaschungen  der  Yorderkammer  jetzt  in  fast  allen 
Ophthalmologen- Versammlungen  den  Gegenstand  einer  mehr 
oder    weniger   lebhaften    Discussion    bilden    und    trozdem 


168  H.  Magnos. 

Prioritätsstreitigkeiten  um  die  Ehre  deiw  Erfindung  dieser 
Methode  in  diesen  Discassionen  nnr  zu  oft  die  Hauptrolle 
spielen  *),  so  findet  doch  die  historische  Entwickelnng  dieser 
operativen  Maassnahme  kaum  Beachtung;  höchstens  theilt 
dieser  oder  jener  Autor**)  mit  wenig  Worten  mit,  dass 
Kammeraaswaschungen  wohl  auch  früher  schon  gemacht 
worden  seien.  Dass  unsere  Vorgänger  diese  Methode  bereits 
genau  studirt,  ihre  therapeutische  Bedeutung  erprobt  und 
ihre  Verwendbarkeit  eingehend  geprüft  haben  könnten, 
daran  scheint  im  Augenblick  Niemand  mehr  zu  denken. 
Wenn  wir  im  Folgenden  kurz  die  früheren  Schicksale  der 
Eammerauswaschung  schildern,  so  werden  wir  uns  bei  dieser 
historischen  Darstellung  lediglich  auf  die  früheren  Epochen 
unserer  Wissenschaft  beschränken  und  unsere  Betrachtung 
nur  bis  zur  Wiederentdeckung  der  Kammerausspülung, 
d.  h.  bis  zur  Mitte  dieses  Jahrhunderts,  führen. 

Was  nun  zunächst  das  Alter  der  Vorderkammer-Aus- 
waschungen anlangt,  so  finden  wir  die  Kenntniss  dieser 
Operation,  wie  dies  übrigens  auch  bereits  de  Wecker***) 
angegeben  hat,  schon  bei  St.  Tvesf),  also  im  Beginn  des 
achtzehnten  Jahrhundeits.  Doch  soll  damit  keinesfalls  ge- 
sagt sein,  dass  St.  Tves  der  erste  gewesen  sein  müsse,  der 


*)  Man  yergl.  z.  B.:  Sociötö  fran^aise  d*Ophthalmo- 
lo'gie.  Gongrös  de  1887.  Heyne  g^nörale  d'Ophtbalmologie  1887 
Mai,  p.  217  und:  Die  ophthalmologische  Section  der  Bri- 
tish medical  association.  Klinische  Monatsblätter  fGir  Augen- 
heilkunde 1887,  p.  356. 

**)  So  erwähnt  z.  £.  de  Wecker,  Injections  et  panse- 
ments  k  Tösörine  et  antisepsie  ocnlaire,  Annal.  d^Ocol. 
März-April  1886,  dass  St.  Yves  schon  Answaschnngen  der  Vorder- 
kammer geübt  habe;  Schöler,  Zar  Staar Operation,  Berliner 
klinische  Wochenschrift  1887  No.  38  erwähnt  das  Vorkommen  jener 
Operation  bei  Casaamata  und  Gaörin. 

*♦*)  In  der  oben  citirten  Arbeit  de  Wecker's  p.  5  des  Separat- 
abdrucks. 

t)  de  St.  Yves,  Tractat  von  denen  Krankheiten  der 
Augen,  aus  dem  Französischen  in's  Deutsche  übersetzt  von 
Mischel.    Berlin  1780.    p.  216,  §  VI. 


Histor.  Eeontniss  der  Vorderkammer-Auswaschungen.      IgQ 

dieser  Operation  Erwähnung  gethan,  vielleicht  sie  gar  selbst 
erfanden  habe.  Wir  haben  allerdings  bei  Durchforschung 
der  Literatur  vor  St.  Tves  die  Beschreibung  der  Kammer- 
Auswaschung  nicht  gefunden,  doch  könnte  sich  ja  vielleicht 
bei  diesem  oder  jenem  Autor  ein  von  uns  übersehener  Hin- 
weis auf  jene  therapeutische  Massregel  finden.  Indessen 
wäre  ein  solcher  Fehler  nur  von  sehr  geringer  und  keines- 
wegs von  principieller  Bedeutung.  Wir  haben  glücklicher- 
weise für  die  Beantwortung  der  Frage:  „Wann  kann  die 
Auswaschung  der  Yorderkammer  frühestens  methodisch 
geübt  worden  sein?*'  ausschlaggebende  Momente  zur  Hand, 
und  zwar  ist  es  besonders  die  historische  Entwickelung  der 
Vorstellungen  über  Zweck  und  Natur  des  Humor  aqueus, 
welche  uns  hier  von  Nutzen  sein  kann.  Bekanntlich  galt 
der  Humor  aqueus  in  der  antiken  Ophthalmophysiologie "") 
als  ausschliessliches  Emährungsmaterial  der  Linse,  welche 
man  für  das  lichtempfindende  Organ  selbst  ansah  und  deren 
Verlust  man  mit  unheilbarer  Blindheit  identificirte.  Da 
man  überdies  einen  Wiederersatz  des  verloren  gegangenen 
Eammerwassers  für  unmöglich  hielt,  so  musstc  auch  der 
Abfluss  des  Humor  aqueus  gleichbedeutend  mit  unheilbarem 
Verlust  des  Auges  sein.  Diese  Vorstellung  war  für  das 
Handeln  der  Aerzte  massgebend  und  musste  jeden  Versuch 
verhindern,  behufs  therapeutischer  Maassnahmen  den  Humor 
aqueus  zu  entleeren. 

So  tief  lag  das  medicinische  Denken  in  den  Ketten 
des  Systems,  dass  jede  Beobachtung,  welche  mit  einer  der 
Dogmen  in  Widerspruch  stand,  lediglich  als  etwas  Zu- 
fälliges, sich  selten  Ereignendes,  als  eine  unberechenbare 
Ausnahme  von  der  Begel  galt.  So  hatte  man  z.  B.  schon 
sehr  frühe  die  Beobachtung  gemacht,  dass  das  durch  Hom- 
hautwunden  abgeflossene  Eammerwasser  sich  wieder  ersetze. 


*)  Man  vergleiche  darüber  auch:  Magnus,  Geschichte  des 
grauen  Staares.    Leipzig  1876.    p.  247,  251  und  ff. 


170  ^-  Hag^nns. 

ja  man  scheint  in  der  antiken  Zeit  sogar  bereits  experi- 
mentell den  Wiederersatz  des  Humor  aqueus  sicher  gestellt 
zu  haben  '*')  nnd  doch  wagte  man  die  so  gewonnenen 
Kenntnisse  nicht  zu  veraUgemeinem  und  die  Lehre  von 
der  Unersetzlichkeit  des  Kammerwassers  zu  verdrängen. 
Deshalb  ist  es  auch  unmöglich,  dass  die  antike  Ophthalmo- 
Chirurgie  eine  methodische  Ausspülung  der  Vorderkammer 
geübt  haben  könne.  Dieser  Zustand  musste  so  lange 
währen,  bis  durch  Einführung  des  Experiments  das  medi- 
cinische  Denken  von  den  Banden  des  Systems  befreit  wurde, 
was  für  die  Physiologie  des  Kammerwassers  in  das  Ende 
des  XVL  und  in  das  XVII.  Jahrhundert  fällt.  Deshalb 
können  wir  mit  Gewissheit  sagen,  dass  die  methodische 
Ausspülung  der  Vorderkammer  vor  dieser  Zeit  nicht  geübt 
worden  sein  kann.  Als  aber  im  Laufe  des  XVI.  und 
XVn.  Jahrhunderts  die  Reaction  gegen  die  antike  syste- 
matische Ophthalmologie  sich  aller  Orten  lebhaft  regte  und 
Ausgangs  des  XVII.  Säculums  zu  einem  endgültigen  Sturze 
der  antiken  Augenheilkunde  geführt  hatte,  da  wirkten  die 
neuen  Anschauungen  auch  auf  die  Therapie  befruchtend 
ein  und  als  Produkt  dieser  Epoche  ist  denn  auch  die 
Kammer  -  Auswaschung  in  die  Ophthalmo  -  Chirurgie  ein- 
geführt worden.  An  welchen  Namen  sich  die  Erfindung 
dieser  Operation  knüpft,  ob  es  wirklich  St.  Yves  war,  der 
sie  zuerst  geübt,  oder  vielleicht  schon  einer  jener  rüstigen 
Bekämpfer  der  antiken  Ophthalmologie  des  XVII.  Jahr- 
hunderts, dies  kann  für  den  Historiker  nur  ein  nebensäch- 
liches Interesse  haben. 

Bei  der  Aufstellung  der  Indicationen  derKaromer- 


*)  Da  uns  ein  genaueres  Eingehen  anf  die  Originalwerke  an 
dieser  Stelle  zu  weit  führen  würde,  so  müssen  wir  nns  damit  be- 
gnügen, anf  Hall  er,  Elementaphysiologiae  corporis  hnmani, 
Lausannae  1763.  Tomus  V.  p.  411  zu  verweisen,  wo  eine  Zu- 
sammenstellung: der  betreffenden  Stellen  zu  finden  ist. 


Histor.  Eenntniss  der  Vorderkammer- Aaswaschungen.      171 

Auswaschung    gingen    unsere    Vorfahren    hauptsächlich 
von  drei  Gesichtspunkten  aus,  nämlich: 

1.  Es  sollten  entzündliche  Producte  aus  der  Vorder- 
kammer durch  die  Ausspülung  entfernt  werden. 
Bei  der  Behandlung  des  Hjpopyon  hielt  man  des- 
halb Auswaschungen  der  Kammer  für  ganz  be- 
sonders am  Platze  und  zwar  vornehmlich  dann, 
wenn  durch  Spaltung  der  Cornea  allein  eine  voll- 
ständige Entleerung  der  exsudativen  Niederschläge 
nicht  zu  erzielen  war  (Kammerauswaschung  nach 
St.  Tves). 

2.  Es  sollten  die  bei  der  Extraction  der  cataractösen 
Linse  in  dem  Auge  zurückbleibenden  Corticalreste 
(AcGompagnements  der  älteren  französischen  Autoren) 
durch  Einspritzungen  in  die  Vorderkammer  ent- 
leert werden  (Guörin*),  Sommer).**) 

3.  Es  sollte  in  den  Fällen,  in  welchen  die  Cornea 
nach  der  Cataractextraction  zusammenfiel  und  sich 
nach  hinten  in  die  Vorderkammer  einstülpte,  durch 
Eingiessungen  in  die  Vorderkammer  die  Wölbung 
der  Cornea  wiederhergestellt  werden  (Methode  von 
Maunoir.  ***) 

üebrigens  scheinen  unsere  Vorfahren  mit  den  Kammer- 
Auswaschungen,   aus   welchem  Grunde   sie  dieselben   auch 


*;  Gn^rin,  Versuch  über  die  Augenkrankheiten,  worin 
nach  vorhergegangener  Erklärung^  der  yerschiedenen 
Arten  der  Operation  des  Staars  ein  neues  Instrument 
angegeben  wird,  welches  das  Auge  unbeweglich  hält  und 
zu  gleicher  Zeit  durch  die  Hornhaut  durchschneidet.  Aus 
dem  Französischen  übersetzt.    Frankfurt  und  Leipzig  1773. 

**)  Sommer,  Von  dem  Nutzen  der  Einspritzung  in  das 
Auge,  um  die  dunklen  Körper  heraus  zu  schaffen.  Samm- 
lung der  auserlesensten  und  neuesten  Abhandlungen  für  Wundärzte. 
Leizig  1779.    p.  204. 

0  Maunoir,  Bibl.  univers.    1829  October. 


172  H.  Magnus. 

geübt  haben  mögen,  noch  gewisse,  allerdings  recht  un- 
klare und  verschwommene  medicamentOs  -  therapentische 
Zwecke  verbanden  zn  haben.  Dies  geht  daraus  hervor,  dass 
sie  dem  zur  Auswaschung  verwendeten  Wasser  allerlei,  zu 
iener  Zeit  besonders  angesehene  Medicamente  beigemischt 
haben;  auch  Alcohol  finden  wir  als  Beigabe  des  in  die 
Vorderkammer  gespritzten  Wassers. 

Wir  wollen  übrigens  ausdrücklich  bemerken,  dass  die 
von  uns  soeben  erwähnten  Indicationen  der  Eammeraus- 
Waschungen  durchaus  nicht  gleichaltrig  sind.  Zuerst  sachte 
man  mit  dieser  Maassnahme  lediglich  bei  Ablagerung  ent- 
zündlicher Producte  in  der  Vorderkammer  einzugreifen  und 
erst  ein  halbes  Sflculum  später  hoffte  man  [in  den  Aus- 
waschungen eine  wichtige  therapeutische  Maassregel  für 
das  Gelingen  der  Staar-Ausziehung  zu  gewinnen.  Die  Ver- 
werthung  derKammer- Ausspülungen  für  die  Cataractoperation 
fällt  in  jene,  das  letzte  Drittel  des  XVIII.  Jahrhunderts  aus- 
füllende Epoche  unserer  Wissenschaft,  in  welcher  durch  die 
Entdeckung  der  Staar-Ausziehung  durch  den  grossen  Daviel 
die  ophthalmologische  Welt  in  eine  fieberhafte  Erregung 
versetzt  worden  war.  Selten  hat  es  wohl  eine  Phase  in  der 
Geschichte  irgend  einer  Operation  gegeben,  welche  durch 
eine  solche  Geschäftigkeit  in  der  Verbesserung  der  Operations- 
technik ausgezeichnet  war,  als  eben  jene  Zeit  vom  Auftreten 
der  Staar-Ausziehung  bis  zum  Ausgang  des  XVIII.  Jahrhun- 
derts. Erfindungen  folgten  auf  Erfindungen,  Vorschläge  auf 
Vorschläge;  bald  war  die  Zahl  der  Staarmesser,  der  zur 
Extraction  anderweitig  zu  benutzenden  Instrumente,  sowie 
der  sonstigen  Handgriffe  bei  der  Staaroperation  eine  Legion, 
und  dieser  damals  auf  dem  Gebiete  der  Staar-Ausziehung 
herrschenden  Erfindungs-Epidemie  verdankt  auch  die  Aus- 
spülung der  Linsenreste  durch  Einspritzungen  in  die  Vorder- 
kammer ihre  Entstehung. 

Die  Technik  der  Kammer-Auswaschungen  scheint 
unseren  Vorfahren   nicht  allzu  viel  Kopfzerbrechen  verur- 


Histor.  Kenntniss  der  Vorderkammer- Aus  Waschungen.      173 

sacht  zu  haben.  Man  begnügte  sich  meist  damit,  unter 
Benutzung  der  ersten  besten  Spritze  in  die  HomhautOffhung 
einen  Strahl  Wasser  zu  senden  und  auf  diesem  ursprOng- 
lieben  Standpunkt  blieb  die  Operation  stehen,  bis  zum  Aus- 
gang des  vorigen  Jahrhunderts.  Erst  in  den  letzten  Jahren 
des  XVin.  Jahrhunderts  kam  man  auf  die  Idee,  dass  das  zur 
Ausspfllung  benutzte  Instrument  denn  doch  auch  eine  ge- 
wisse Beachtung  verlange,  dass  es  durchaus  nicht  gleichgültig 
sei,  mit  welchem  Instrumente  man  den  Wasserstrahl  in  das 
Auge  treibe.  Besonders  war  es  Forlen ze*),  welcher  durch 
Yervollkonunnung  des  Injections-Iastrumentes  die  Methode 
selbst  zu  verbessern  suchte.  Forlenze  wies  darauf  hin,  dass 
man  bei  Ausspülungen  des  Auges  vor  allem  die  Quantität 
des  eingespritzten  Wassers  berücksichtigen  müsse.  Man  dürfe 
nur  so  viel  in  das  Auge  einspritzen,  als  Vorder-  und  Hinter- 
kammer für  gewöhnlich  zu  fassen  vermöchten.  Spritze  man 
mehr  ein,  so  würde  durch  den  allzu  starken  Druck  dieser 
Flüssigkeit  ein  Zerreissen  der  Wände  der  Kammern  u.  dgl.  m. 
sehr  leicht  veranlasst.  Da  nun  die  Capacität  der  Vorder- 
und  Hinterkammer  zwischen  2 — i  Gran  schwanke,  so  müsse 
das  zum  Einspritzen  des  Wassers  benützte  Instrument  so 
beschaffen  sein,  dass  man  immer  genau  zu  beurtbeilen  ver- 
möge, wie  viel  man  bereits  in  das  Auge  Flüssigkeit  beför- 
dert habe,  um  diesen  Zweck  zu  erreichen,  versah  Forlenze 
die  Anersche  Spritze  mit  einer  Graduiruug.  Des  Ferneren 
verwendete  Forlenze  besondere  Aufmerksamkeit  auf  die 
Spitze  der  Spritze.  Dieselbe  musste  nach  seiner  Ansicht  platt 
sein,  um  bequem  zwischen  die  Lippen  der  Corneawunde 
eingeführt  werden  zu  können,  ein  Princip,  welches  wir  be- 
kanntlich auch  bei  den  modernen  Eammeraasspülem  ver- 


*)  Forlenze,  3.  Observation  sur  une  cataracte  dont  le 
centre  ötait  opaque  et  solide  et  la  circonf6rence  liquide 
et  transparente.  Actes  de  la  Sociötö  de  M^decine,  Chimrgie  et 
Pharmacie  stabile  ä  Bruxelles.  Tome  Premier.  I'euxiöme  Partie 
p.  11.    Brnxelles  an.  8  (1799). 


174  ^'  Magnus. 

treten   finden*).     Und  ferner  sollte   zur  Verhütung  jeder 
Verletzung  die  Spitze  abgerundet  sein. 

Zur  Einspritzung  in  das  Auge  benutzte  man  stets 
Wasser,  und  zvar  entweder  völlig  reines  oder  mit  anderen 
Substanzen  versetztes.  So  empfiehlt  z.  B.  Sommer  eine 
Mischung  von  zwei  Drittel  Wasser  und  einem  Drittel  Wein- 
geist. Andere  Autoren  spritzten  reines  Wasser  ein  und  Hessen 
später,  nachdem  das  eingespritzte  Wasser  bereits  wieder 
ausgeflossen  war,  durch  Lüften  der  Gorneawunde  vom  Con- 
junctivslsack  aus  ein  Gemisch  von  Fenchel,  Bosenwasser 
und  Ei  weiss  in  die  Vorderkammer  eintreten,  so  z.  B. 
St. Yves  bei  den  Auswaschungen  bßi  Hypopyon.  Porlenze**) 


*)  Man  vergleiche  z..  B.  die  Abbildung  bei  de  Wecker 
a.  a.  0.  p.  7. 

Auch  von  Hoff  mann  hat  auf  der  19.  Ophthalmologen- Ver- 
sammlung m  Heidelberg  (Bericht  über  die  19.  Versammlung  der 
ophthalmologischen  Gesellschaft.  Heidelberg  1887.  p.  206)  einen  Ton 
ihm  erfundenen  Kammer -Ausspüler  mit  abgeplatteter  Spitse  Tor- 
gelegt. 

*)  Da  Forlenze  deijenige  ältere  Schriftsteller  ist«  welcher 
über  die  Kammerauswascbungen  am  eingehendsten  sich  verbreitet 
hat,  so  lasse  ich  seine  Bemerkungen  im  Original  folgen;  dieselben 
lauten: 

9vL'injection  doit  3tre  d*eau  simple  tr^s  propre  et  d*unech&lear 
an  m§me  degrö  que  celle  du  sang;  Tean  trop  chaude  ou  trop  froide 
anrait  de  grauds  inconv^niens. 

La  capacitö  de  cette  seringue  est  teile  qn  eile  ne  peut  contenir 
que  douze  grains  de  liquide.  La  capacit6  des  chambres  antörieore 
et  postörieure  ne  renfermant  entre  elles  deux,  que  quatre  grains, 
3*ai  plac6  sur  lexterieur  du  piston  des  marques  qni  indiquent  la 
quantitö  d*eau  inject^e,  suivant  que  Ton  pousse  le  piston  plus  an 
moins.  Parlä.  ou  ^vite  rinconvönient  de  ponsser  dans  les  denz 
chambres  une  quantitö  d'eau  plus  grande  qu  elles  n*en  renfennent 
naturellement,  et  de  döchirer  ou  de  dötendre  trop  leurs  parois, 
comme  cela  arriverait  si  on  se  servait  d'une  seringue  teile  qne 
Celle  d'Anel,  qui  disproportionnöe  au  volnme  de  loeil,  y  pousserait 
trop  de  liquide  et  avec  une  force  trop  grande. 

La  möthode  d'extraire  par  Tinjection  les  accompagnemens,  est 
pröförable  en  gön^ral  ä  celle  ou  on  remplit  une  simple  curette  on 
autre  Instrument  analogue.    En  effet,  ces   accompagnemens  can- 


Histor.  Kenntniss  der  Yorderkammer- Aus  Waschungen.     175 

suchte  anch  für  diesen  Punkt  eine  allgemeine  Begel  au&u- 
stellen,  indem  er  yorsclirieb,  einfaches,  aber  durcbans  reines 
Wasser  von  der  Temperatur  des  Blutes  in  die  Kammer  zu 
spritzen. 

üebrigens  hat  es  auch  nicht  an  Autoren  gefehlt,  welche 
die  Eammerauswaschung  ohne  Benutzung  jedes  Instrumentes 
ausgefohrt  wissen  wollten;  so.  verfuhr  z.  B.  Maunoir"^) 
in  der  Weise,  dass  er  nach  der  Gataractoperation  —  wollte 
er  überhaupt  Wasser  in  die  Yorderkammer  bringen  —  den 
Conjunctivalsack  mit  lauwarmem  Wasser  fUlte,  sodann 
den  Homhautlappen  vorsichtig  Ittftete;  das  laue  Wasser 
floss  alsdann  leicht  in  das  Ange  hinein  und  nach  wenig 
Minuten  zeigte  die  pralle  Wölbung  der  Cornea,  dass  die 
Yorderkammer  gefüllt  sei.  Ein  ähnliches  Yerfahren  hat, 
wie  wir  auf  den  vorangehenden  Zeilen  bereits  bemerkt 
haben,  auch  St.  Yves  geübt,  nachdem  er  vorher  durch  eine 
wirkliche  Einspritzung  die  Yorderkammer  (bei  Hypopyon) 
gereinigt  hatte.  Wenn  wir  nicht  irren,  haben  auch  ver- 
schiedene Ophthalmologen  unserer  Zeit  ein  ähnliches 
Manöver  der  Homhautausspülung  geübt. 

Die  Bedeutung,  welcher  die  Eapimer-Auswaschungen 
in  de^  früheren  Epochen  der  Ophthalmologie  sich  zu  erfreuen 
hatten,  werden  wir  wohl  dann  am  leichtesten  zu  erkennen 
vermögen,  wenn  wir  die  drei  Indicationen,  aus  denen  von 


tonnös  dans  la  circonförence  des  deux  capsules,  öchappent  souvent 
dk  la  vue  du  Chirurgien  et  ä.  son  instrument,  qui,  portö  incon- 
sidör^ment,  blesserait  les  capsules,  surtout  dans  les  agitations  du 
globe  de  Toeil,  döterminöes  par  sa  grande  sensibilit^.  Par  Tinjec- 
tion  au  contraire,  les  deux  capsules  s'^cartent,  les  accoropagnemens 
quittent  la  circonf^rance,  viennent  au  centre  et  sont  ensuite  facile- 
ment  extraites. 

La  forme  aplatie  du  siphon  de  la  seringue  est  singuliörement 
propre  ä  favoriser  son  introduction  dans  les  deux  lövres  de  la  di- 
vision,  en  m§me  temps  rarrondissement  du  sommet  de  ce  siphon 
met  ä  Tabri  de  lösion  toutes  les  parties  k  travers  lesquelles  on  le 

porte. 

*)  a.  a.  O. 


176  S-  Maenms. 

unseren  Vorgängern  überhaupt  dieser  Handgriff  geübt  worden 
ist,  gesondert  betrachten. 

Die  von  uns  auf  Seite  171  sub  3  erwähnte  Kammeraas- 
waschung behufs  Aufrichtung  einer  nach  Gataract- 
extraction  zusammengesunkenen  Cornea  dürfte  ledig- 
lich nur  Eigenthum  ihres  Erfinders,  Maunoir,  geblieben  sein. 
Eine  besondere  Erklärung  verlangt  diese  Vernachlässigung 
der  Maunoir *schen  Auswaschung  nicht,  denn  jeder  Augen- 
arzt weiss,  dass  jener  Vorschlag  vollständig  überflüssig  und 
therapeutisch  durchaus  belanglos  ist. 

Die  Kammer-Auswaschung  bei  Hjpopyon  scheint 
eine  besondere  Verbreitung  nie  erlangt  zu  haben;  zwar  hat 
sie  sich  bis  in  unser  Jahrhundert  hinein  zu  erhalten  ver- 
standen, doch  blieb  sie  immer  nur  ein  von  Wenigen  selten 
geübter  Handgriff.  Vornehmlich  waren  es  zwei  Momente, 
welche  ein  Heimischwerden  dieses  Verfahrens  in  der  Ophthal- 
mologie verhinderten,  nämlich  einmal  der  Umstand,  dass 
ein  Ausspritzen  des  dicken,  durch  CorneaerOffnung  allein 
nicht  zu  entfernenden  Eiters  völlig  überflüssig  ist,  sinte- 
malen die  Bückstände  des  Exsudates  in  der  Vorderkammer 
nach  Abfluss  des  Hupior  aqueus  resorbirt  werden  und  ein 
operatives  Entfernen  desselben  deshalb  gar  nicht  erforderlich 
ist.  Arlt''')  sagt  denn  auch  mit  vollster  Berechtigung: 
„Die  von  St.  Yves  nach  schnittweiser  Eröffnung  der  Kammer 
wegen  Hypopyon  geübte  Einspritzung  von  lauem  Wasser 
ist  verlassen  worden,  seit  man  erfahren  hatte,  dass  Resi- 
duen von  Eiter  in  der  Kammer  nach  Abfluss  von  Kanuner- 
wasser spontan  resorbirt  werden." 

Und  ferner  scheint  man  mit^^r  Ausübung  der  St.  Yves'- 
schen  Auswaschung  zum  Theil  recht  trübe  Erfahrungen 
gemacht  zu  haben;  so  schreibt  z.  B.  Janin *'*^,  ein  Autor, 


*)  Arlt,  Operationslehre.    Gräfe  nnd  Sämisch's  Handbuch, 
der  ges.  Augenheilkunde.    Bd.  JII.  Theil  1.  p.  369.    Leipzig  1874. 
**)  Janin,    Anatomische,    physiologische    und    physi- 
kalische  Abhandlungen    and    Beobachtungen    über    das 


Histor.  Eenntniss  der  Yorderkammer-Aaswaschnngeii.     177 

dem  man  gewiss  gesundes  ürtheil  and  umfassende  Errah- 
rungen  nicht  wird  absprechen  wollen,  über  das  Verfahren 
von  St.  Yves:  „Die  Operation  im  Qegentheil  vermehrt  nur 
die  Heftigkeit  der  Zufalle,  der  Entzündung  und  der  Schmerzen. 
Weil  daher  diese  Methode  nicht  nur  unnütz,  sondern  auch 
nachtheilig  ist,  so  ist  sie  gänzlich  zu  verwerfen." 

Während  die  soeben  erwähnten  beiden  indicationen  der 
Kammer-Auswaschung  in  der  Ophthalmologie  niemals  festen 
Fuss  zu  fassen  vermochten,  es  über  eine  Scheinexistenz, 
wenn  man  ihnen  gegenüber  überhaupt  von  einer  Existenz 
sprechen  kann,  nicht  brachten,  glückte  es  dagegen  der 
Kammer-Auswaschung,  welche  zur  Entfernung  von 
Linsenresten  geübt  wurde,  in  der  älteren  Augenheilkunde 
das  Bürgerrecht  zu  erwerben.  Allerdings  währte  ihre  Blnthe- 
zeit  auch  nicht  gar  lange  und  galt  sie  auch  zu  keiner  Zeit 
voll  und  unbeanstandet,  aber  sie  erlebte  doch  wenigstens 
eine  Epoche,  in  der  sie  von  nicht  Wenigen  oft  benützt  wurde. 
So  sehen  wir  z.  B.,  dass  bald  nach  der  Umgestaltung  der 
Operation  durch  Gu6rin  und  Sommer  viel  beschäftigte 
Praktiker  die  Kammer-Auswaschung  nach  vollendeter  Staar- 
ausziehung  zur  Anwendung  bringen.  Von  Casaamata  er- 
zählt uns  Feller'*'),  dass  er  in  Leipzig  bei  seinen  Staar- 
operationen  die  Kammer  mit  Wasser  und  Spiritus  auswusch. 
Allerdings  kann  die  Freundschaft  einer  so  unwürdigen  Per- 
sönlichkeit, wie  es  der  fahrende  Heilkünstler  Casaamata 
war,  der  Kammer- Auswaschung  nicht  gerade  zur  besonderen 
Empfehlung  gereichen.    Doch  man  darf  eines  hierbei  nicht 


Auge  und  dessen  Krankkeiten,  nebst  einem  Inbegriff  der 
Operationen  und  Mittel,  welche  man  zu  ihrer  Heilang 
anzuwenden  hat.  Aus  dem  Französischen  übersetzt  von 
Dr.  Seile.  Zweite  Auflage.  Berlin  1788.  Abtheilung  9,  p.  355 
und  356. 

*)  Feller,  De  methodis  suffusionem  oculornm  curandi 
a  Casaamata  et  Simone  cultis.    Lipsiae  1782.    p.  15. 

V.  Graefe's  ArcLiy  für  Ophthalmologie,  XXXIV.  2.  12 


178  ^*  Magfnus. 

vergessen.  Zu  jener  Zeit,  als  Casaamata  sein  Wesen  trieb, 
lag  die  Ausübung  der  Staaroperation  noch  zu  einem  guten 
Theil  in  den  Händen  wandernder  Operateure;  der  zünftige 
Arzt  stand  der  Staaroperation,  wenn  auch  nicht  mehr  so 
unbedingt  ablehnend  wie  früher,  so  doch  immer  noch  sehr 
zurückhaltend  gegenüber.  Ein  grosser  Theil  der  Staar- 
kranken  musste  deshalb  immer  noch  bei  Leuten  wie 
Casaamata  Hülfe  suchen  und  auch  der  praktische 
Arzt  scheute  sich  nicht,  bei  denselben  Belehrung  über 
die  Staaroperation  zu  holen.  Wenn  deshalb  Casaa- 
mata die  Kammer  -  Auswaschung  übte,  so  wurde  diese 
Methode,  wie  dies  bei  der  unstäten  Lebensweise  dieser 
wandernden  Staarkünstler  eigentlich  selbstverständlich  ist 
in  den  verschiedensten  Ländern  Europa*s  bekannt;  aller 
Orten  sahen  sie  die  praktischen  Aerzte  von  ihm  ausführen, 
und  übertrugen  sie  dann  in  ihre  eigene  Praxis.  Und  da 
schliesslich  auch  wissenschaftlich  strebsame  und  hoch- 
geachtete Aerzte,  wie  z.  B.  Forlenze*),  sich  der  Aus- 
waschung annahmen,  sie  durch  Aufstellung  bestimmter 
Indicationen  und  durch  Verbesserung  der  Technik  lebens- 
fähig zu  machen  suchten,  so  kann  es  uns  nicht  Wunder 
nehmen,  dass  gegen  Ausgang  des  XVUL  und  mit  Beginn  des 
XIX.  Jahrhunderts  diese  Methode  sich  eines  gewissen  Rufes 
erfreute;  so  findet  sie  z.  B.  in  Arnemann**)  einen  Ver- 
theidiger.  Allein  auf  die  Dauer  vermochte  sie  sich  doch 
nicht  zu  halten  und  vor  allem  gelang  es  ihr  nicht,  bei  den 
Ophthalmologen,  welche  Anfangs  dieses  Jahrhunderts  von 
maassgebender  Bedeutung  waren,  Anklang  zu  finden.  So 
thut  Beer,  welcher  mit  Beginn  des  XIX.  Jahrhunderts  die 
Führung  in   der   ophthalmologischen  Welt  übernahm,   der 


*)  a.  a.  0. 

**)  Arnemann,  System  der  Chirurgie.  Gdttiogen  1801.  Zweiter 
Theil,  p.  172. 


Histor.  Kenntniss  der  Yorderkammer- Auswaschungen.      179 

Kammerauswaschnng  bei  der  Staarextraction  keinerlei  Er- 
wähnung, empfiehlt  vielmehr  zur  Beseitigung  der  zurück- 
bleibenden Linsenreste  lediglich  die  bekannten  Handgriffe 
von  Wenzel  und  Richter  oder  die  Benutzung  des  Löffels, 
und  wenn  man  die  bedeutenderen  ophtbalmologischen  Lehr- 
bficher  aus  den  ersten  Decennien  unseres  Jahrhunderts 
durchblättert,  so  wird  man  meist  das  Beispiel  Beer 's  befolgt 
und  die  Kammer-Auswaschung  nicht  erwähnt  finden.  Doch 
bei  diesem  Todtschweigen  blieb  es  nicht  allein,  vielmehr 
erklärten  sich  auch  eine  ganze  Beihe  sehr  namhafter  Autoren 
direct  gegen  die  Methode  und  zwar  oft  in  recht  kräftigen 
Worten.  So  sagt  z.  B.  Benedict*):  „Gu6rin  macht 
sogar  den  tollen,  seines  Augenschneppers**)  vollkommen  wür- 
digen Vorschlag,  sie  (die  Linsenreste)  durch  Einspritzungen 
aus  dem  Auge  zu  entfernen".  Pauli***),  welcher  eine  seiner 
Zeit  viel  Aufsehen  machende,  sehr  gründliche  Monographie 
aber  den  grauen  Staar  veröffentlicht  hat,  nennt  die  Kammer- 
Auswaschung  eine  „Beleidigung  des  Auges*'  und  Himlyf) 
einen  „schädlichen  Bath'^ 

So  hatte  sich  denn  also  das  Schicksal  der  Eammer- 
Auswaschung  bei  der  Staarextraction  in  der  Weise  gestaltet, 
dass  gegen  Mitte  unseres  Jahrhunderts  diese  Methode  als 
beseitigt  angesehen  werden  konnte ;  die  bedeutendsten  Autoren 
hatten  sie  entweder  vollständig  ignorirt  oder  mit  herben 


*)  Benedict,  Handbuch  der  praktischen  Augenheil- 
kunde.   Leipzig  1824.    Band  IV,  p.  231. 

^  Gu^rin  hatte  bekanntlich  einen  Schnepper  angegeben,  mit 
welchem  man  den  Homhautschnitt  machen  konnte,  ohne  besondere 
operative  Geschicklichkeit  zu  besitzen,  da  das  Instrument  rein 
mechanisch  fanctionirte,  ungefähr  so  wie  der  Aderlassschnepper. 

***)  Pauli,  Ueber  den  granen  Staar  und  die  Verkrüm- 
mungen.   Stuttgart  1838.    p.  137. 

t)  Himly,    Die   Krankheiten   und   Missbildnngen  des 
Auges  und  deren  Heilung.   Zweiter  Theil.   Berlin  1843.  p.  280. 

12* 


180  H.  Magnus. 

Ausdrücken  ihre  Schädlichkeit  gekennzeichnet  Ob  nun  die 
moderne  Wissenschaft  im  Stande  sein  wird,  diese  öblen 
Erfahrungen  unserer  Vorfahren  durch  bessere  Ergebnisse 
der  fraglichen  Methode  zu  widerlegen,  darüber  steht  mir 
kein  Urtheil  zu.  Ich  wollte  lediglich  von  dem  Standpunkte 
des  Historikers  die  früheren  Schicksale  der  Eammer- 
Auswaschung  zeichnen. 


Betinitis  haemoirliagioa  naoh  atugedelintei 

Eantrerbiennimg. 

Von 

S 

Dr.  August  Wagenmann, 
Entern  Aflsistenten  der  Uniyersitäts -Augenklinik  zu  QOttingen. 


Die  Betinitis  hämorrhagica  kommt  bekanntlich  bei  einer 
Beibe  von  Erkrankungen  anderer  Organe  und  bei  verschie- 
denen Allgemeinerkrankungen  vor,  wie  z.  B.  bei  Nephritis, 
bei  Diabetes  mellitus,  bei  perniciOser  Anämie,  bei  Leukämie, 
bei  Leberkrankheiten  etc.  Man  muss  zur  Erklärung  dieser 
meist  entzündlichen,  seltener  rein  hämorrhagischen  Mit- 
betheiligung  der  Netzhaut,  die  durch  die  betreffende  Er- 
krankung des  Organismus  bedingte  Veränderung  des  Bluts 
und  der  Säfte  heranziehen,  wobei  jedoch  der  innere  Zu- 
sammenhang und  das  entzündungserregende  Agens  noch 
vielfach  dunkel  ist. 

Dass  auch  ausgedehnte  Hautverbrennung  für  hämor- 
rhagische und  entzündliche  Netzhauterkrankungen  die 
Ursache  abgeben  können,  ist  bisher  wenig  beachtet  und  be- 
kannt gegeben  und  es  ist  auf  die  Erklärung  dieses  Vor- 
kommens und  auf  den  inneren  Zusammenhang  wenig 
eingegangen.  In  dem  Grundriss  der  Augenheilkunde  von 
Knies  *)  findet  sich  die  Notiz,  dass  Netzhautblutungen  auch 


0  Knies»  Orandriss  der  Augenheilk.  p.  243.  'Wiesbaden  1888. 


182  A.  WagenmaniL 

nach  ausgedehnten  Hautverbrennnngen  auftreten.  Nach 
gütiger  brieflicher  Mittheiiung  hat  Knies  auf  der  Züricher 
chirurgischen  Klinik  selbst  einen  Fall  gesehen. 

Homer,  mit  dem  er  damals  den  Fall  besprochen, 
habe  diese  Complication  gar  nicht  so  selten  beobachtet 
Knies  verdanke  ich  auch  die  Mittheilung,  dass  Mooren 
in  seinem  Buch  über:  Hauteinflüsse  und  GesichtsstOrungen"^) 
derartige  Fälle  anführt. 

Mooren  erwähnt  kurz  mehrere  Fälle  und  spricht  sich 
auch  dahin  aus,  dass  er  im  Laufe  der  Jahre  sich  habe 
überzeugen  können,  dass  diese  Erkrankungen  nicht  so 
selten  seien. 

Die  erste  Beobachtung  hat  er  im  Jahre  1858  gemacht 
bei  einem  Arbeiter,  der  eine  oberflächliche  Verbrennung 
des  Gesichts,  der  Brust  und  der  Arme  erlitten  und  der 
dabei  ein  Auge  verloren  hatte.  Auf  dem  gebliebenen  linken 
Auge  fanden  sich  Apoplexien  von  theils  punktförmiger 
theils  streifiger  Beschaffenheit  Mooren  giebt  weiter  an, 
dass  auch  eine  Neuritis  optica,  Betinitis,  Ghorio-Betinitis 
ohne  Hämorrhagien  bei  Hautverbrennungen  vorkämen.  Er 
fuhrt  noch  einen  Fall  an,  bei  dem  nach  Verbrennung  der 
Unterschenkel  eine  doppelseitige  Neuro -Betinitis  auftrat, 
die  sich  durch  die  starke  Hyperästhesie  der  Beüna  aus- 
zeichnete, bei  dem  das  Sehvermögen  bedeutend  herabgesetzt 
und  die  Lichtscheu  erheblich  und  lang  anhaltend  war. 
üeber  den  Ausgang  dieses  Falles  findet  sich  keine  Notiz« 

Bei  einem  anderen  Patienten  trat  schon  drei  Tage  nach 
der  Verbrennung  der  Streckseite  eines  Armes  eine  Betinitis 
des  rechten  Auges  auf.  Es  erfolgte  vollkommene  Heilung. 
Mooren  nimmt  einen  neuro -reflectorisohen  Zusammenhang 
zwischen  Verbrennung  und  Betinalaffection  an.  Er  stützt  sich 
auf  die  Sonnenburg'schen*'*')  Experimente  und  meint,  dass 


*)    Mooren,    Hanteinflttsse    und    GesichtstOrongen.     Wies- 
baden 1884. 

**)  Deutsche  Zeitschr.  f.  Chirurgie  Bd.  IX.  p.  138. 


BetinitiB  haemorrb.  nach  aiugedehnterHaatverbreniiung.    183 

die  Herabsetzung  des  Gefässtonus  Blutungen  und  entzünd- 
liche Vorgänge  veranlassen  könne. 

Ich  kann  dieser  Erklärung  nicht  beipflichten  und  halte 
es  fQr  unerwiesen  und  auch  hypothetisch  kaum  annehmbar, 
dass  die  Herabsetzung  des  Blutdrucks  eine  Retinitis  machen 
kOnne. 

Ich  habe  Gelegenheit  gehabt,  auf  der  hiesigen  chirur- 
gischen Universitätsklinik  einen  Fall  von  doppelseitiger 
Retinitis  hämorrhagica  bei  einer  ausgedehnten  Verbrennung 
der  Haut  zu  beobachten  und  halte  mich  aus  noch  näher  zu 
erörternden  Gründen  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass  die 
durch  die  Verbrennung  hervorgerufene  Veränderung 
des  Blutes  als  Ursache  der  Retinitis  zu  betrachten  war. 

Ich  weiss  wohl,  dass  man  aus  einer  Beobachtung 
keine  allgemeinen  Schlüsse  ziehen  darf  und  dass  bei  der 
Verwerthung  eines  Falles  deshalb  Vorsicht  geboten  ist. 
Es  spricht  aber  entschieden  dafOr,  dass  in  diesem  Fall  die 
Hautverbrennung  direct  die  Veranlassung  zur  Entstehung 
von  Netzhautentzündung  gegeben  hat.  Wie  ich  mir  den 
Zusammenhang  denke,  werde  ich  unten  auseinandersetzen. 
Damit  ist  ja  freilich  nicht  gesagt,  dass  nicht  in  anderen 
Fällen  die  Verbrennung  nur  indirecte  Ursache  für  die 
Betinalaffection  sei,  dass  vielmehr  pyämische  oder  septi- 
cftmische  Processe  die  EntzQndung  bedingen  können.  Dabei 
würde  die  Verbrennung  in  den  Hintergrund  treten  und  in 
keiner  directen  Beziehung  zur  Retinitis  stehen. 

Ich  will  zunächst  den  Fall  kurz  mittheilen. 

Ernst  Münstermann,  19  Jahre,  Fabrikarbeiter  aus  B'^then 
bei  Hannover.  Der  Patient  erlitt  am  20.  November  1887  eine 
ausgedehnte  Verbrennung  der  Haut  dadurch,  dass  er  in  einer 
Zuckerfabrik  mit  heissem  Symp  übergössen  wurde.  Betroffen 
sind  die  linke  Gesicbtshälfte,  der  linke  Arm  mit  der  Hand,  der 
BückeA  und  beide  Unterschenkel.  FrOher  will  Patient  immer 
gesund  gewesen  sein. 

Am  26.  November  wurde  er  in  der  hiesigen  chirurgischen 
Universitätsklinik  aufgenommen. 


184  A.  Wagenmann. 

Hier  fand  sich,  dass  die  Epidermis  an  den  Yerbrennongs- 
stellen  mit  Ausnahme  einiger  Stellen  abgehoben  and  schon 
znm  grossen  Theil  entfernt  war.  Das  Bete  Malpighii  war  noch 
zum  Theil  erhalten.  Die  Behandlung  bestand  in  Desinfection 
der  Hautwunden,  Aufpudem  von  Jodoform  und  Anlegen  eines 
antiseptischen  Sublimatgaze-Yerbandes. 

Die  ersten  zwei  Tage  wurden  schleimige,  mit  Blut  unter- 
mischte Stühle  beobachtet. 

Auf  Gebrauch  von  Opium  liessen  die  Diarrhöen  nach  und 
das  Blut  verschwand  aus  dem  Stuhl. 

Im  Urin,  der  damals  gleich  untersucht  wurde,  fanden  sich 
viel  Phosphate,  aber  kein  Blut  und  kein  £iweis8. 

Die  Heilung  der  Hautwunden  nahm  ihren  gewöhnlichen 
Gang.  Die  Epidermis  stiess  sich  noch  grösstentheils  ab  und 
es  kamen  neue  Hautinselchen  zum  Vorschein.  Der  Verband 
musste  häufig  gewechselt  werden. 

Die  Temperatur  des  Kranken  war  während  der  ganzen  Zeit 
erhöht,  und  zwar  erreichte  sie  Abends  die  Höhe  von  38® — ^38,4  ^ 
nur  einmal  stieg  sie  Abends  auf  39  ®,  Morgens  indessen  näherte 
sie  sich  meist  der  normalen.  Der  Puls  war  zeitweise  frequent, 
am  11.  December  z.  B.  wurden  130  Schläge  constatirt. 

Patient  war  aufiallend  apathisch  und  benommen.  Es  wurde 
deshalb  das  Jodoform  fortgelassen.  Auch  kam  Patient  allmäh- 
lich in  der  Ernährung  herunter,  er  magerte  ab,  wurde  aber 
nicht  auffallend  anämisch. 

Am  14.  December  1887,  also  24  Tage  nach  der  Verbrennung, 
erregte  beim  Verbandwechsel  der  Umstand  die  Aufmerksamkeit, 
dass  der  Patient  njstagmusartige  Bewegungen  machte,  welche 
Erscheinung  schon  einige  Tage  vorher  dem  behandelnden 
Assistenzarzt,  Herrn  Dr.  Landow,  aufgefallen  war.  Auf  die 
Frage,  warum  er  so  herumsehe,  gab  der  Kranke  an,  dass  er 
schlecht  sehen  könne,  was  er  schon  seit  einigen  Tagen  bemerkt 
habe.  Herr  Dr.  Landow  hatte  die  Freundlichkeit,  mich  auf 
den  Patienten  aufmerksam  zu  machen,  und  mich  zu  einer  Unter- 
suchung desselben  zu  veranlassen. 

Am  17.  December  Abends  sah  ich  denselben  zum  ersten 
Male. 

Der  Patient,  von  blasser  Hautfarbe,  liegt  in  BUckonlage 
und  macht  einen  benommenen  Eindruck,  er  antwortet  meist 
nur  auf  wiederholte  Fragen,  träge,  in  weinerlichem  Tone  und 
unpräcis.    Ueber  die  Entstehung  und  die  Entwicklung  der  Seh- 


i 


Retinitis  haemorrh.  nach  aasgedehnter  Hautverbrennong.    135 

Störung  kann  er  keine  sicheren  Angaben  machen,  er  meint,  sie 
sei  vor  ca.  einer  Woche  aufgetreten  und  habe  rasch  zugenommen. 

Aeusseres  Aussehen  der  Augen  normal;  bei  der  Auf- 
forderung, den  vorgehaltenen  Finger  zu  fixiren,  macht  der 
Kranke  ungeordnete  Bewegungen  der  Augen,  kneift  dazwischen 
die  Lider  zu,  doch  kann  er  central  fixiren.  Sonst  ist  an  den 
Augenmuskeln  keine  Abnormität  zu  bemerken. 

Die  Pupillen  reagiren  auf  Licht,  wenn  auch  nur  träge. 

Patient  ist  nur  sehr  schwer  zu  ophthalmoskopiren,  da  er 
keinen  Augenblick  ruhig  fixirt,  sondern  unstät  umherblickt  und 
sich  sehr  ungeschickt  benimmt. 

Ophthalmoskopisch  jGmdet  sich  beiderseits  eine  ausgesprochene 
Betinitis  hämorrhagica.  Man  sieht  beiderseits  multiple, kleine, 
streifige  Netzhautblutungen,  die  zum  Theil  deutlich  den  Gefässen 
folgen.  Die  Erkrankung  ist  beschränkt  auf  die  Umgebung  der 
Papille,  in  der  Peripherie  des  Augenhintergrunds  sind  keine 
Blutungen  anzutreffen.  Die  Papillen  sind  leicht  geröthet,  nicht 
ganz  scharf  begrenzt,  der  Band  getrübt.  Die  Gefässe  sind 
bjperämisch,  die  Venen  geschlängelt.  Am  rechten  Auge  ver- 
deckt ein  Blutstreif  den  oberen  Papillenrand,  ein  zweiter  mit 
flammiger  Ausstrahlung  beginnt  hart  am  Papillenrand  und 
ragt  in  die  Betina  hinein.  Auch  links  überschreiten  zwei 
kleine  Blutungen  in  der  Horizontallinie  den  temporalen 
Papillenrand.  Neben  den  grosseren  Fleckchen,  die  in  einem 
breiten  Bing  die  Papille  umgeben,  finden  sich  zahlreiche  kleine 
rothe  POnktchen,  die  dem  Augenhintergrund  zum  Theil  ein 
pnnktirtes  Aussehen  verleihen.  Die  Blutungen  sind  nicht  sehr 
YoluminOs,  der  grösste  Fleck  erreicht  kaum  ein  Viertel  des 
Papillendurchmessers.  Die  Betina  ist  in  der  Umgebung  der 
Papille  leicht  getrübt.  Beiderseits  finden  sich  hie  und  da 
an  den  Gefässen  intensivere  grauweisse  Trübungsstreifen  und 
ganz  vereinzelt  habe  ich  auch  kleine,  weisse  Flecke  gesehen, 
die  etwa  in  der  GrOsse  von  Vs  P  i^  <ler  Umgebung  eines 
Oefässes  in  der  Betina  gelegen  waren.  Doch  waren  diese  weiss- 
lichen  Plaques  nur  ganz  vereinzelt  zu  finden.  Auch  in  der 
Gegend  der  Macula  sind  kleine  Blutungen  anzutreffen. 

Der  Glaskörper  war  frei,  ich  habe  keine  flottirenden 
Trübungen  darin  beobachtet.  Das  Sehvermögen  ist  bei  dem 
Stupor  des  Patienten,  sowie  bei  seiner  flachen  Bückenlage 
schwer  festzustellen.    Bei  Lampenlicht  will  er  die  Zeiger  auf 


186  A.  Wagenmano. 

der  ühr  nicht   erkennen,   doch   zählt  er  Finger  auf  ca.  1  m. 
Er  meint,  dass  das  Sehvermögen  sehr  wechsele. 

Das  Gesichtsfeld  ist  frei. 

Im  Urin  ist  bei  erneuter  Prüfang  kein  Eiweiss  und  kein 
Zucker  gefunden. 

19.  Dezember  1887.  Sehschärfe  bei  Tageslicht  geprOft,  so 
gut  es  den  umständen  nach  ging.  Patient  zählt  Finger  auf 
4 — 5'  Entfernung,  liest  Buchstaben  von  Jäger  No.  20.    Se  frei. 

Ophthalmoskopisch  haben  rechts  die  Blutungen  nur  wenig  zu- 
genommen, mehrere  kleine  strichförmige  circumpapiUäre  Blnton- 
gen  sind  nachweisbar.  Dagegen  haben  die  weissen  Degenerations- 
herde in  der  Betina  sich  nicht  vermehrt.  Die  Venen  sind  noch 
stark  geschlängelt,  hjperämisch.  Die  leichte  Betinatrfibung 
noch  unverändert. 

Herr  Prof.  Leber,  der  heute  den  Patienten  ebenfalls  sich 
ansah,  konnte  meinen  Befund  bestätigen. 

24.  December  1887.  Keine  neuen  Blutungen  zu  sehen.  Die 
alten  sind  in  Besorption  begriffen,  sie  haben  statt  der  hell- 
rothen  eine  mehr  braunrothe  Farbe  angenommen. 

30.  December  1887.  Der  Process  ist  beiderseits  im  Rfick- 
gang  begriffen. 

Die  Papillengrenzen  treten  schärfer  hervor,  die  Netzhaut- 
trübung ist  rückgängig,  das  Bild  ist  weniger  verschwommen. 
Die  Blutongen  sind  zum  Theil  ganz  resorbirt,  zum  Theil  ver- 
kleinert. Der  Augenhintergrund  sieht  noch  rothgefleckt  aus, 
die  Blutungen  sind  als  braunrothe  Fleckchen  und  Streifchoi 
zu  erkennen.  Nur  am  rechten  Auge  findet  sich  nach  oben 
aussen  (reell)  von  der  Papille  ein  flammiger,  ausstrahlender 
Fleck,  der  frischen  Datums  ist.  Er  schliesst  sich  an  eine 
Vene  an.  Die  Gefässe  sind  nicht  mehr  so  hyperämisch,  auch 
die  Schlängelung  erscheint  nicht  mehr  so  hochgradig;  doch  hat 
sich  daran  nicht  viel  geändert.  An  den  Gefässen  sieht  man 
noch  deutliche  Trübungsstreifen,  dagegen  sind  die  vereinzelten 
weissen  Plaques  zum  grOssten  Theil  zurückgegangen. 

Glaskörper  andauernd  frei. 

Visus  soll  bei  Tage  besaer  geworden  sein,  Abends  lässt  sich 
keine  zuverlässige  Prüfung  anstellen. 

5.  Januar  1888.  Die  Betinaveränderungen  haben  sich  weiter 
zurückgebildet  Die  Blutungen  sind  bis  auf  kleine  rothe 
Pünktchen  grOsstentheils  resorbirt,  die  Netzhauttrübung  bis 
auf  Spuren   zurückgegangen.    Die  Papillengrenzen  sind  noch 


R etinitiahaemorrh.  nach  ausgedehnter Hautverbrennung.    187 

ein  wenig  verschwommen,  die  Venen  noch  geschlängelt.  Die 
Farbe  der  Papillen  geht  in's  Weissliche  über. 

S:  Beiderseits  Finger  in  5Va  m.  Durch  Gläser  keine 
Besserung  zu  erzielen.  Jäger  No.  16  gelesen.  —  Se  frei,  Farben 
richtig  angegeben.  Doch  kann  man  sich  auf  die  Angaben  des 
Patienten  noch  nicht  recht  verlassen,  er  macht  noch  immer 
einen  apathischen  Eindruck,  antwortet  langsam,  kann  seine  Auf- 
merksamkeit nicht  recht  concentriren. 

Der  Verlauf  des  Processes  war  auch  fernerhin  ein  günstiger. 
Die  Blutungen  wurden  mehr  und  mehr  resorbirt  und  das  Seh- 
vermögen nahm  weiter  zu,  doch  war  eine  exacte  Prüfung  nicht 
möglich,  da  der  Patient  noch  Bückenlage  einnehmen  musste. 

9.  Februar  1888.  Venen  noch  etwas  geschlängelt,  die 
Papillengrenze  noch  nicht  ganz  scharf.  Die  Papillen  werden 
blasser.  Keine  frische  Blutung,  die  alten  fast  ganz  verschwunden. 
Patient  liest  No.  11.    Se  frei,  keine  Farbenstörung. 

15.  Februar  1888.  Papillen  blass,  ihre  Grenze  nicht  ganz 
deutlich,  Venen  noch  geschlängelt. 

S  =  *®/ioo — 70.   J.  No.  6  gelesen. 

Der  Verlauf  war  weiterhin  ohne  bemerkenswerthen  Zwischen- 
fall. Die  Veränderungen  gingen  immer  mehr  zurück,  das  Bild 
näherte  sich  dem  normalen,  doch  blieb  die  Schlängelung  der 
Gefässe  noch  bestehen,  auch  war  die  Papillengrenze  noch  nicht 
ganz  scharf,  dazu  blasste  die  Papille  mehr  und  mehr  ab. 

Das  Sehvermögen  hob  sich  wieder  vollständig.  Inzwischen 
hatte  sich  auch  das  Allgemeinbefinden  gebessert.  Die  Epithel- 
bedeckung ging  an  den  Füssen  und  am  Bücken  ziemlieh  rasch 
vor  sich.  Während  der  Kranke  die  erste  Zeit  ohne  Unter- 
brechung fieberte  und  stetig  abmagerte,  hob  sich  in  den 
letzten  Wochen  sein  Ernährungszustand  ganz  bedeutend.  Da 
sich  auf  dem  Oberarm  die  Wundfläche  nicht  genügend  mit 
Epithel  überdecken  wollte,  so  wurden  mehrmals  Hauttrans- 
plantationen nach  Thiersch  vorgenommen.  Patient  konnte  seit 
Mitte  Februar  etwas  auftreten. 

Am  20.  März  1888  durfte  er  die  Treppen  hinuntergehen. 
Er  wurde  in  unserer  Klinik  nochmals  untersucht,  da  er  nächstens 
entlassen  werden  sollte.    Ich  constatirte: 

Beiderseits  Emmetropie.  S  =  *%o  liest  No.  1  (Jäger)  bis 
9  cm.    Gesichtsfeld  frei.    Keine  Farbenstörung. 

Ophthalmoskopisch:  Beiderseits  Papillen  weiss  verfärbt. 
Links  hat  die  ganze  Papille  eine  deutliche  weisse  Farbe  an- 


188  A.  Wagenmaon. 

genommen,  rechts  dagegen  ist  die  Verfärbung  vomebmlich  in 
der  temporalen  Hälfte  stark  ausgesprochen.  Die  übrige  Papille 
weniger  verfärbt.  Die  Papillengrenzen  sind  noch  immer  etwas 
verwaschen.  Neben  der  Papille  finden  sich  noch  vereinxelte 
kleine  dunkle  Fleckchen,  die  der  Aderhaut  anzugehören  scheinen. 
Von  Blutungen  ist  keine  Spur  mehr  zu  erkennen.  In  der  Um- 
gebung der  Papille  hat  die  Retina  noch  immer  einen  etwas 
traben  Schimmer.  Die  Füllung  der  Gefässe  nicht  abnorm,  doch 
sind  die  Venen  noch  ein  wenig  geschlängelt,  es  wechseln  hellere 
und  dunklere  Abschnitte,  ein  Zeichen,  dass  die  Bogen  nicht  üi 
einer  Ebene  liegen.  Im  TJebrigen  ist  der  Augenhintergnmd 
normal. 

Um  der  Auffassung  der  ursächlichen  Momente  dieser 
Retinitis  näher  zu  treten,  müssen  wir  zunächst  zusehen,  ob 
nicht  eine  der  bekannten  eine  Retinitis  bedingenden  Er- 
krankungen als  Ursache  zu  finden  ist.  Es  konnte  ja  eine 
zufällige  Complication  bestehen  oder  die  Verbrennung 
könnte  secundäre,  mit  ihr  nicht  direct  gegebene  Störungen 
veranlasst  haben,  die  nun  ihrerseits  erst  die  Netzhautr 
erkrankung  hervorgerufen  hätten.  In  diesem  Falle  wäre 
die  Verbrennung  nur  mittelbare  Ursache  der  Retinitis. 
Auch  dieser  Zusammenhang  wäre  unter  Umständen  inter- 
essant, jedoch  bestände  eben  dann  kein  so  enger  Connex 
zwischen  Verbrennung  und  Botinalaffection  als  in  dem  Fall, 
dass  die  Verbrennung  ohne  ein  solches  secundäres  Binde- 
glied die  Entzündung  hervorgerufen  hätte. 

Eine  grosse  Anzahl  der  bei  der  Aetiologie  der  Retinitis 
hämorrhagica  in  Frage  kommenden  Erkrankungen  können 
wir  ohne  Weiteres  ausscbliessen,  da  jeder  Anhaltspunkt 
dafür  fehlt,  wie  z.  B.  Diabetes,  Leucämie  etc. 

Schon  ernstlicher  erwägen  müssen  wir  die  Frage,  ob 
die  Retinitis  nicht  durch  eine  Nephritis  bedingt  gewesen 
sei.  Dabei  wären  zwei  Möglichkeiten  in's  Auge  zu  fassen, 
erstens,  dass  der  Mann  früher  eine  Nephritis  gehabt 
und  zweitens,  dass  er  sie  erst  durch  die  Verbrennung 
acquirirt  habe,   denn   es   kommen   bei  ausgedehnten  Ver- 


Retinitis haemorrh.  nach  ausgedehnter  Hautverhrennunsr.    189 

brennuDgen,  wie  Fonfick  bei  einer  Section  am  Menschen 
uni  bei  Versuchen  an  Bunden  bestätigen  konnte,  gewisse 
Entzündungen  der  Niere  vor,  worauf  ich  gleich  noch  zu 
sprechen  komme.  Träfe  diese  letzte  Möglichkeit  hier  zu, 
so  hätten  wir  die  Verbrennung  nur  als  indirekte  Ursache 
der  Retinitis  zu  bezeichnen. 

Wir  können  hier  aber  eine  Nephritis  ausschliessen,  da 
die  wiederholt  vorgenommene  Untersuchung  des  Urins 
keinen  Anhaltspunkt  dafür  giebt.  Gleich  nach  der  Aufnahme 
des  Patienten  auf  die  chirurgische  Klinik  wurde  der  Urin 
frei  von  Eiweiss  etc.  gefunden.  Damals  gab  Patient  noch 
keine  SehstOrung  an.  Auch  später  blieb  das  Resultat  der 
Urinuntersuchung  dasselbe.  Für  eine  Nephritis,  möge  sie 
stammen  woher  sie  wolle,  liegt  somit  kein  Anhaltspunkt  vor. 

Weiter  wäre  zu  erwägen,  ob  nicht  etwa  eine  Anämie 
als  Ursache  zu  beschuldigen  sei.  Bekanntlich  sind  bei 
hochgradiger  Anämie,  vor  Allem  bei  der  progressiven  per- 
niciösen  Anämie,  häufig  hämorrhagische  Retinalentzündungen 
gefunden  worden.  Nun  hat  zwar  der  Patient  nach  der 
Verletzung  während  des  Beilungsverlaufs  an  Körpergewicht 
abgenommen  und  ist  in  seiner  Ernährung  zurückgekommen, 
doch  ist  seine  Anämie  durchaus  keine  auffallend  hoch- 
gradige gewesen  und  besonders  war  er,  als  die  Retinitis  in 
Erscheinung  trat,  noch  relativ  wenig  heruntergekommen; 
erst  im  weiteren  Verlauf  magerte  er  ab.  Der  Blutverlust 
durch  die  blutigen  StQhle  war  gering.  Dass  der  Patient 
in  der  Ernährung  geschädigt  wurde,  kann  uns  nicht 
wundern.  Er  hat  fast  die  ganze  Zeit  gefiebert,  wenn  auch 
nicht  hoch.  Das  Fieber  erklärt  sich  durch  Resorption  von 
der  grossen  Wundfläche  aus,  die  anfangs  ziemlich  reichlich 
secemirte,  so  dass  der  Verband  jeden  zweiten  oder  dritten 
Tag  erneuert  werden  musste.  Zur  Erklärung  der  Ab- 
magerung kommt  ausser  dem  Fieber  noch  in  Betracht  die 
geringe  Nahrungsaufnahme  und  der  grosse  Eiweissverlust 
durch  die  Absonderung  der  grossen  Wundfläche. 


190  ^'  Wagenmaim. 

Aber  wie  gesa^,  damals,  als  die  Retioitis  auftrat,  war 
der  Eräftezastand  noch  ein  bedeatend  besserer  als  später, 
wo  dieselbe  abheilte,  und  die  Anämie  war  überhaupt  nie- 
mals eine  derartige,  dass  man  berechtigt  wäre,  sie  als 
Ursache  der  Erkrankung  hinzustellen. 

Dass  die  Betinitis  etwa  mit  septischen  Processen 
zusammenhinge,  können  wir  ebenfalls  ganz  ausschliessen, 
da  keine  Sepsis  vorlag. 

So  werden  wir  schon  per  exclusionem  dazu  gedrängt 
anzunehmen,  dass  zwischen  der  Verbrennung  und  der 
Retinitis  ein  directer  Zusammenhang  bestehen  muss.  Wir 
müssen  uns  umsehen,  ob  nicht  Verbrennungen  an  sich 
Störungen  im  übrigen  Organismus  mit  Neigung  zu  ent- 
zündlichen und  hämorrhagischen  Processen  hervorzurufen 
im  Stande  sind.  Einen  wichtigen  Fingerzeig  geben  dafor 
die  blutigen  Stühle  ab. 

Es  ist  ja  bekannt,  dass  bei  ausgedehnten  Haut- 
verbrennungen zu  den  localen  Veränderungen  gewisse  all- 
gemeine hinzutreten,  die  sogar  plötzlich  oder  nach  einiger 
Zeit  den  Tod  des  Individuums  herbeiführen  können  und 
die  eben  der  Ausdruck  einer  mehr  oder  weniger  tiefen 
Störung  des  gesammten  Stoffwechsels  des  Organismus  sind. 
Man  hat  die  empirische  Regel  aufstellen  können,  dass  wenn 
ca.  Vs  der  Eörperoberfläche,  wenn  auch  nur  im  sogenannten 
ersten  Grade  der  Verbrennung,  betroffen  sind,  in  kurzer 
Zeit  der  Tod  sicher  eintritt.  Es  stellt  sich  Apathie  ein, 
der  Puls  wird  frequent,  sehr  klein,  die  Respiration  be- 
schleunigt, die  Temperatur  sinkt  unter  die  Norm,  die 
Patienten  werden  cyanotisch  und  gehen  soporOs  zu  Grunde 
oder  es  treten  auch  Delirien  auf,  bevor  der  CoUaps  eintritt. 

Man  hat  verschiedene  Hypothesen  zur  Erklärung  dieser 
merkwürdigen  Erscheinung  aufgestellt  und  durch  genaue 
Sectionen  und  experimentelle  Untersuchungen  manches  That- 
sächliche  feststellen  können.  Ich  will  über  diese,  auch  jetzt 
noch   zum  Theil  streitigen  Fragen   einiges,   was  zur  Auf- 


Hetinitis  haemorrh.  nach  ausgedehnter  Haatverhrennong.     191 

klftrung  der  vorkommenden  Yeränderungen  vorgebracht  ist, 
und  was  znr  Erklärung  dieses  Falles  mir  wichtig  zu  sein 
scheint,  kurz  hervorheben.  Wir  können  hier  absehen  von 
den  Hypothesen,  dass  der  plötzliche  Tod  bei  ausgedehnter 
Oberflächen  Verbrennung  durch  nervOse  Einflüsse  wie  Shock 
oder  reflectorische  Herabsetzung  des  Gefässtonus  und  Herz- ' 
l&hmung  bedingt  sei.  Diese  Hypothesen,  die  zwar  Mooren 
auch  zur  Erklärung  der  Neuroretinitis  herbeizieht,  konnten 
meiner  Ansicht  nach  wohl  kaum  die  Retinalaffection  erklären. 
Auch  die  Hypothese,  dass  bestimmte  chemische  Körper 
durch  Umsetzung  entständen,  wie  ameisensaures  Ammoniak, 
scheint  mir  so  wenig  bewiesen,  dass  sie  hier  nicht  erörtert 
zu  werden  braucht. 

Im  Verdauungstractua  sind  bei  ausgedehnten  Haut- 
verbrennungen mehrfach  Duodenalgeschwüre  beobachtet 
worden.  Ponfick*)  theilt  das  Sectionsergebniss  eines 
18jährigen  Arbeiters  mit,  der  bis  an  den  Hals  in  kochende 
Flüssigkeit  gefallen  war.  Er  konnte  eine  sehr  bedeutende 
Magendarmentzündung  von  haemorrhagischem  Charakter 
constatiren  mit  Schwellung  der  Follikel  und  Erosionen  im 
Magen  und  Duodenum.  Besonders  der  Dünndarm  glich 
ganz  einem  Cholera-  oder  Typhusdarm  in  frühem  Stadium. 
Ebendaselbst  theilt  P.  einen  zweiten  Fall  mit,  der  18  Stunden 
nach  der  Verbrühung  tödlich  verlaufen  war,  nachdem  auf 
ein  Tobsuchtsstadium  Bewusstlosigkeit  gefolgt  war.  Hier 
hatte  sich  eine  hochgradige  Nephritis  parenchymatosa  aus- 
gebildet. In  der  Blase  fand  sich  ein  sehr  eiweissreicher 
Urin  vor,  der  massenhaft  Cylinder  enthielt,  theils  körnig 
fettige,  mit  Epithel zellen  bedeckte,  theils  hyaline,  theils 
besondere  gelbbraune,  wurstförmige. 

Ponfick*"*")  hat  dann  an  Hunden  Verbrennungsversuche 
angestellt  und  gefunden,   was  auch  schon  vor  ihm  Wert- 


*)  Berliner  klin.  Wochenschrift  1876.    No.  17,  p.  225. 
**)  üeber  die  plötzlichen  Todesfälle  nach  schweren  Verbren- 
nungen.    Kösnmö  eines  auf  der  Naturforscher -Versammliing  zu 


192  A.  Wagenmann. 

heim  constatirt  hatte,  dass  die  Blutkörperchen  sehr  bald  nach 
dem  Verbrühen  in  kleine  gefärbte  Bröckel  zerfallen,  dass 
Haemoglobin  in  das  Plasma  übertritt,  und  dass  diese 
Zerfallsproducte  nun  in  anderen  Organen  Veränderungen 
hervorrufen,  vornehmlich  in  der  Niere,  wo  eine  Verbren- 
nungsnephritis  erzeugt  wird.  Es  treten  neben  Verfettung 
der  Epithelien  in  den  Bamcanälchen  eigenthümliche,  farbige, 
gewulstete  Cylinder  auf,  dieselben  zum  Theil  verstopfend« 
Ponfick  schiebt  deshalb,  gestützt  auf  seine  Beobachtungen 
und  Versuche,  einen  Theil  der  rasch  eintretenden  Todesfälle 
und  die  schweren  Symptome  der  Ueberlebenden  auf  diese 
acute,  bedeutende  Zerstörung  von  rothen  Blutkörperchen, 
möglicherweise  auf  diese  Mitbetheiligung  der  Niere. 

Lesser'^)  machte  experimentelle  Untersuchungen  an 
Hunden  und  Kaninchen.  Er  fand  intermusculäre  Blutungen 
(Psoas),  Ecchymose  im  Darm,  unter  der  Pleura,  unter  dem 
Endocard  etc.  Er  konnte  die  von  Ponfick  angefahrten 
Blutveranderungen  bestätigen,  sowie  auch  die  Verstopfung 
von  Hamcanälchen  mit  Farbstoffcylindern  und  Pigment- 
massen. Doch  genügen  ihm  diese  Veränderungen  nicht,  um 
die  schweren  Schädigungen  des  Organismus,  die  so  leicht 
den  plötzlichen  Tod  herbeiführen,  zu  erklären.  Lesser 
legt  vielmehr  das  Hauptgewicht  auf  die  Störung  der 
Function  der  rothen  Blntkörperchen  für  das  Be- 
spirationsgeschäft.  Er  nimmt  eine  functionelle  Anämie 
an.  Für  ihr  Zustandekommen  kommt  es  vornehmlich 
auf  die  Dauer  der  Einwirkung  an  und  darauf,  dass 
die  Intensität  der  Hitze  keine  zu  hochgradige  ist,  dass 
sie  vielmehr  die  Circulation  in  den  getroffenen  Theilen 
noch  ermöglicht,  dass  dann  möglichst  viel  Blut  während 
der  Erhitzung   durch   die  getroffenen  Theile   strömt  und 


Mttncnen  gehaltenen  Vortrages.     Berl.  klin.  Wochenschrift  1877. 
No.  46,  p.  672. 

*)  lieber  die  Todesursachen  nach  Verbrennung.     Virchow's 
Archiv  Bd.  79,  1880. 


Ketiikitis  haemoirh.  nach  aoBgedehnter  Haut  verbrennang.    I93 

geschädigt  wird.  Die  Blutkörperchen  zerfallen  zum  Theil, 
znm  Theil  geben  sie  ihr  Haemoglobin  ab  und  werden  für 
das  Bespirationsgeschäft  untauglich.  Bei  weniger  hoch- 
giadiger  Verbrennung  beobachtete  er  während  des  weiteren 
Verlaufs  gewisse  Störungen,  wie  Apathie,  Blutungen, 
Nierenaffectionen  etc.,  die  der  Ausdruck  der  durch  die  Blut- 
veränderungen bedingten  üirculations-  und  Ernährungs- 
störung sind. 

Auch  Elebs*)  hat  in  dieser  Richtung  einen  inter- 
essanten Versuch  angestellt,  der  zeigt,  dass  eine  länger 
dauernde,  wenn  auch  weniger  intensive  Erhitzung  mehr 
schadet  als  eine  kurz  dauernde  höhergradige  Einwirkung. 
Taucht  er  das  Ohr  eines  Kaninchens  in  Redendes  Wasser, 
so  wird  es  necrotisch,  ohne  dass  das  Thier  irgend  besonders 
geschädigt  würde.  Bringt  er  aber  ein  Ohr  in  kfihles  Wasser 
und  erhitzt  dieses  langsam  auf  60 — 70 ^  so  treten  schwere 
Allgemeinerscheinungen  auf,  die  unter  Krämpfen  den  Tod 
des  Thieres  bewirken.  Auch  hier  wird  viel  Blut  nach  und 
nach  der  Schädigung  ausgesetzt  und  verändert.  Nur  die 
Veränderung  des  Blutes  kann  der  Anlass  zu  diesen  schweren 
Allgemeinsymptomen  mit  Ausgang  in  Tod  sein.  Von 
anderer  Seite  ist  Werth  darauf  gelegt,  dass  das  Blut  durch 
Verbrennung  der  Haut  zu  Gerinnungen  neige  und  Throm- 
bosen, sowie  Embolien  veranlasse.  Auch  das  zerfallene  Blut 
könne,  im  Körper  verschleppt,  capillare  Embolien  ver- 
anlassen. So  ftLhrt  Brown '^)  auf  diesen  letzten  Umstand 
die  beobachteten  Pneumonien,  Pleuritiden, Darmerkrankungen, 
Peritonitiden  zurück.  Das  Blut  enthält  dabei  Stoffe,  die 
entzündungserregend  wirken. 

Es  mag  dahingestellt  bleiben,  welcher  Modus  im  ein- 
zelnen Fall  den  plötzlichen  Tod  am  besten  erklärt.  Für  uns 
steht  so  viel  fest,  dass  das  Blut  tiefe  Alterationen  erfährt. 


*)  Tagesbl.  der  Naturforscher- Versammlung.    München  1877. 
**)  PhiJad.  med.  times.    1876,  July  22. 

V.  Gr&efe*!  Archiv  fQr  Ophthalmologie,  XXXIV.  S.  13 


194  ^«  Wagenmann. 

die  üirculatioDSstörangen  und  auch  entzündliche  Afifectionen 
in  anderen  Oi^nen  hervorrofen  können. 

Da  wir  nun  wissen,  dass  das  Blut  nach  ausgedehnter 
Hautverbrennung  der  Träger  von  entzündungserr^enden 
Noxen  ist,  so  kann  es  uns  auch  nicht  verwundern,  wenn 
die  leicht  lädirbare,  bei  anderen  allgemeinen  Emfthrungs- 
krankheiten,  wo  ebenfalls  das  Blut  den  entaündungs- 
erregenden  Stoff  in  sich  birgt,  so  leicht  ai&cirte  Betina 
von  einer  hämorrhagischen  Entzündung  befallen  wird.  Es 
konnte  allerdings  auffallen,  dass  die  Retinitis  relativ  spät 
in  Erscheinung  getreten  ist,  da,  wie  experimentell  beim 
Kaninchen  von  Lesser  festgestellt  wurde,  ein  grosser  Theil 
der  Zerfallsprodücte  innerhalb  weniger  Tage  vom  EOrper 
verarbeitet  und  ausgeschieden  wird.  24  Tage  nach  der 
Verletzung  wurden  die  SehstOrungen  zuerst  bekannt.  Man 
konnte  also  glauben,  dass  bis  dahin  das  Blut  sich  längst 
erholt  hätte  und  nicht  mehr  entzündungserregend  wirken 
könne.  Dem  muss  man  zunächst  entgegenhalten,  dass  der 
Anfong  der  Betinalerkrankung  überhaupt  nicht  genau  fest- 
zustellen ist.  Es  wurde  allerdings  erst  3  Wochen  nach  der 
Verletzung  die  SehstOrung  zuf&llig  entdeckt.  Der  buchst 
apathische  Kranke  hätte  von  sich  aus  nicht  geklagt.  Er 
gab  nur  auf  Befragen  an,  er  habe  es  schon  einige  Tage 
bemerkt.  Man  kann  also  auf  die  Aussage  und  die  Be- 
obachtungsgabe des  apathischen  Mannes  nicht  allzu  viel 
geben,  zumal  er  nicht  im  Stande  gewesen  sein  wird,  schon 
geringe  Abnahme  des  Sehens  zu  beachten.  Es  ist  sehr 
wohl  möglich,  sogar  wahrscheinlich,  dass  die  ersten  Anfinge 
der  Erkrankung  viel  weiter  zurück  zu  datiren  sind,  als 
die  Zeit,  wo  man  darauf  aufmerksam  geworden  ist. 

Mooren  macht  ja  die  Angabe,  dass  er  bei  einem  Fall 
schon  nach  drei  Tagen  die  Retinitis  gefunden  habe. 

Des  Weiteren  ist  nicht  bekannt,  wie  lange  es  dauert, 
bis  alle  schädlichen  Stoffe  aus  dem  Blut  entfernt  sind,  ob 
nicht  geringe  Noxen  länger   zurückbleiben.    Dass   in   der 


Retinitis  haemorrh.  nach  ausgedehnter  Hautverbrennung.    195 

Milz  und  im  Knochenmark  noch  lange  Zeit  Residuen  der 
Zerfallsprodnkte  anzutreffen  sind,  ist  bekannt  Jedenfalls 
glaube  ich,  dass  von  der  Seite  keine  Schwierigkeit  bestände, 
die  Betinalerkrankung  in  direkte  Abhängigkeit  von  den 
durch  die  Verbrennung  gesetzten  Schaden  zu  bringen. 

Nach  alledem  halte  ich  die  Annahme  fQr  vollständig  be- 
rechtigt, dass  die  Retinitis  in  diesem  Falle  auf  derselben  Basis 
beruht  wie  die  übrigen  nach  schweren  Verbrennungen  beobach- 
teten Organveränderungen,  besonders  die  Darmentzündung 
und  ülceration,  dass  sie  entstanden  ist  auf  dem  Boden  der 
durch  die  genannte  Verletzung  bedingten  Blutveränderung, 
nicht  auf  reflectorischem  Wege  oder  durch  das  Bindeglied 
einer  Fjämie  oder  Septicämie.  Und  gerade  bei  unserem 
Patienten  haben  wir  den  sichtbaren  Beweis,  fdass  seine 
Organe  in  oben  bezeichneter  Weise  afficirt  sind.  Die 
blutigen  Stühle,  die  noch  am  9.  Tage  vorhanden  waren, 
weisen  auf  eine  Mitbetheiligung  des  Darms.  Für  eine 
Nephritis  allerdings  fehlt  hier  jeder  Anhaltspunkt.  Wir 
müssen  entschieden  annehmen,  dass  die  Darmaffection  und 
die  Retinalaffection  auf  derselben  Basis  entstanden  ist,  dass 
sie  eine  gemeinschaftliche  Ursache  haben. 

Femer  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  die  lang- 
andauernde  hochgradige  Apathie  des  Patienten  ebenfalls 
auf  derselben  Grundlage  beruhe,  da  ja  Lesser  beiThieren, 
die  mit  dem  Leben  davonkamen,  dieselbe  Erscheinung  beob- 
achtete. Elebs  hat  als  Ursache  der  Apathie  bei  Thieren 
eine  Stase  der  Capillaren  der  Hirnrinde  anatomisch  nach- 
gewiesen. 

Allerdings  wurde  in  unserem  Fall  anßlnglich  an  Jodo- 
formintoxication  gedacht,  da  eben  die  Benommenheit  eine 
bedeutende  war  und  einen  besonderen  Grund  vermuthen 
liess.  Auch  sprach  der  sehr  frequente  Puls  daftlr.  Doch 
kann  auch  dieses  letztere  mit  der  Verbrennung  zusammen- 
hängen, da  die  Pulsbeschleunigung  ein  constantes  Symptom 

der  tiefgreifenden  Störung  des  Allgemeinbefindens  ist. 

13* 


196  A.  Wagenmann. 

Wie  nun  die  Entzündung  der  Betina  zu  Stande  kommt, 
ob  vieileicht  hier  embolische  Verstopfungen  von  Geftsa- 
ästchen  mit  im  Spiele  sind,  ist  nicht  zu  sagen.  Es  ist  ja 
aber  auch  das  letzte  Bindeglied  und  der  Modus,  wie  die 
übrigen  entzündlichen  und  circu]atorischen  Störungen  bei 
Verbrennungen  zu  Stande  kommen   nicht  sicher  bekannt-. 

In  der  Form  der  Retinitis  liegt  nichts  Charakteristisches. 
Die  Blutungen  waren  klein,  nur  circumpapill&r  gelegen. 
Die  Bildung  von  Trübungsherden  war  sehr  beschrankt, 
doch  waren  die  entzündlichen  Symptome  so  ausgesprodten, 
dass  man  den  Process  als  Entzündung  und  nicht  als 
reine  Haemorrhagie  auffassen  muss.  Die  Veränderungen 
waren  nicht  sehr  hochgradig,  die  Blutungen  wurden  nach 
wenigen  Wochen  vollkommen  resorbirt.  Das  Sehvermögen 
war  sehr  erheblich  herabgesetzt.  Der  Orad  stimmt  nicht 
recht  zu  dem  Grad  der  Veränderungen.  Wenn  man  aodi 
den  Angaben  des  apathischen,  nur  schwer  zu  untersuchenden 
Patienten  nicht  voll  trauen  darf,  so  scheint  doch  der  Visus 
sehr  bedeutend  gesunken  zu  sein. 

Doch  hat  sich  das  Sehvermögen  wieder  vollkommen 
gehoben,  so  dass  wieder  V.  =  ^/ao  beiderseits  besteht.  Das 
excentrische  Sehen  ist  ebenfalls  frei,  auch  liegen  keine 
Farbenstörungen  vor.  Auch  die  Mooren*schen  Fälle  verliefen 
zum  Theil  günstig  fOr  die  Wiederherstellung  des  Seh- 
vermögens. Von  Seiten  des  Opticus  war  die  Papille  nach- 
weislich mit  ergriffen. 

Die  Entzündung  ist  als  vollkommen  abgelaufen  zu 
betrachten.  Beachtenswerth  ist,  dass  sich  beiderseits  eine 
weisse  Verfärbung  der  Papille  herausgebildet  hat,  die 
besonders  links  schon  eine  vollständige  ist. 


Y*  &Taefe's  „modifloirte  Linear-Extraotion^'  und  der 

Lappensolmitt. 

Nach  eignen  Erfahrungen  aas  der  Zeit  1854—88 

dargestellt  von 

Prof.  Dr.  J.  Jacobson  sen. 
in  Königsberg. 


Wie  es  in  den  fünfziger  Jahren  nleht  aus- 
gesehen hat. 

Das  Material  zu  dieser  Abhandlung  vertheilt  sich 
aaf  die  34  Jahre  meiner  praktischen  Thätigkeit  so,  dass 
ca.  400  Daviersche  Extractionen  der  Zeit  von  1854 — 61, 
ca.  800  Extractionen  mit  hohem,  peripherem  Lappen  der 
Zeit  Ton  1861 — 68  angehören,  der  Rest  von  mehr  als 
2500  Linear-Eitractionen  nach  „Graefe'*  in  die  letzten 
20  Jahre  fiElllt. 

War  es  Anfangs  nur  die  Hoffnung,  durch  Mittheilung 
dessen,  was  eine  relativ  grosse  Anzahl  von  Operationen 
mich  gelehrt  hatte,  ein  Geringes  zur  Lösung  unserer 
wichtigsten,  operativen  Aufgabe  beitragen  zu  können ,  die 
mich  zur  Pablication  dieser  Abhandlung  bewog,  so  trieb 
mich  später  zur  Beschleunigung  der  Ausfuhr ung  die  sich 
mehr  und  mehr  in  mir  befestigende  Deberzeugung,  dass 
über  den  historischen  und  wissenschaftlichen  Zusammen- 
bang der  damals  gegen  DavieFs  Lehrmethode  gerichteten 


198  J«  Jacobson  sen. 

An^iffe  die  irrigsten  YorsteUnngen  mit  jedem  Jahre  mehr 
Verbreitung  durch  unsere  Fach- Literatur  f&nden. 

Unter  solchen  Umständen  schweigen,  hiesse  fSr  mich, 
mit  vollem  Bewusstsein  der  Verbreitung  unwahrer  That- 
sachen  mitschuldig  werden,  während  Andere  nur  aus  ün- 
kenntniss  irren;  denn  für  die  Wahrheit  kann  ich  durch 
Briefe,  in  denen  Graefe  sich  Jahre  lang  über  alle,  in  jener 
Zeit  die  Extraction  betreffenden  Fragen  ausspricht«  und 
durch  meine  eignen  Erlebnisse  Zeugniss  abl^en. 

„Man  muss  sich  allerdings  auf  den  Standpunkt  der 
fünfziger  Jahre  stellen'*,  um  den  ersten  Anstoss  zu  jenem 
unerwarteten  Abfalle  von  DavieFs  Methode  zu  begreifen, 
um  das  scheinbar  zwischen  entgegengesetzten  Extremen 
wechselnde,  planlose  Schwanken  im  Ganzen,  die  plötzlich 
entstandenen  und  ebenso  schnell  vergangenen  Ansichten 
über  wichtige  Fragen,  wie  GrOsse,  Form,  Lage  des  Schnittes, 
Iridectomie  etc.,  im  Einzelnen  nicht  als  Zeichen  eines 
unwissenschaftlich,  willkührlich  herumtappenden  Speda- 
lismus,  sondern  als  Glieder  einer  Kette  von  Ideen,  wovon 
jede  die  unmittelbar  vorhergehende  zur  nothwendigen 
Voraussetzung  hat,  zu  verstehen. 

„Ohne  den  Standpunkt  der  fünfziger  Jahre  kann  die 
modificirte  Linear- Extraction  nicht  verstanden  werden.'* 
Darin  bin  ich  mit  Schweigger,  dem  ersten  Redner  über 
Extraction  auf  dem  vorjährigen  Heidelberger  Congresse,  voll- 
kommen einverstanden,  nur  muss  ich  behaupten,  dass  seine 
Darstellung  dieses  Standpunktes  und  seine  AufTassung  der 
modificirten  Linear- Extraction  in  keiner  Weise  zutreffend 
sind. 

Da  mein  Bericht  schon  vor  Jahren,  als  die  Ein- 
führung aseptischer  Principien  in  unsere  operative  Th&tig- 
keit  gerade  auf  die  Aufgabe  der  letzten  Jahrzehnde,  die 
Verhütung  der  Lappen -Eiterung,  nicht  lange  mehr  ohne 
Einfluss  bleiben  konnte,  im  Wesentlichen  fertig  war,  — 
Schweigger's  Bede  mir  aber  erst  vor  einigen  Monaten  aus 


i 


V.  Graefe*8  „modificirte  Linear-Extraction"  etc.  igg 

den  „Sitzungsberichten"  bekannt  wurde  *),  —  konnte  ich 
dieselbe  ohne  zeitraubende  Aendernngen  nicht  berücksichtigen. 
Was  ich  an  ihren  Angaben  über  die  damalige  Zeit  aus- 
zusetzen habe,  soll  deshalb  zur  Ergänzung  der  schlagenden 
Widerlegung,  die  dem  Redner  in  aller  durch  mündliche 
Discussion  gebotenen  Kürze  von  Eduard  Meyer  zu  Theil 
wurde,  schon  jetzt  erledigt  werden. 

Der  Kern  des  Ganzen,  „die  Frage,  wie  es  möglich 
war,  dass  man  so  lange  Zeit  auf  die  Erreichung 
dieses  Ideals  (der  runden  Pupille)  verzichten  konnte'*, 
setzt  Etwas  voraus,  das  mit  guten  Gründen  bestritten 
werden  kann.  Wir  werden  sehen,  dass  Graefe  die  runde 
Pupille  nicht  aufgeben  wollte,  dass  er  sie  erst  opferte,  als 
seine  Methode  für  den  cosmetischen  Nachtheil  eine  erheb- 
liche Besserung  der  Resultate  in  Aussicht  stellte,  und  dass 
man  die  Technik  und  den  Zweck  des  neuen  Verfahrens, 
als  Graefe  starb,  noch  lange  nicht  begriffen  hatte.  Man 
hat  also  auf  die  runde  Pupille  verzichtet,  um  zu  prüfen, 
ob  die  neue  Extraction  des  Opfers  werth  sei.  Die  Erklärung 
ist  von  einem  Standpunkte,  welchen  die  fünfziger  Jahre  mit 
anderen  Zeiten,  in  denen  man  empirische  Fragen  mit  der 
nOthigen  Geduld  studirt  hat,  gemein  haben,  wie  mir 
scheint,  einfach  genug,  freilich  nicht  nach  dem  Bilde,  das 
Schweigger's  Phantasie  von  jener  Zeit  geschaffen  hat. 

Das  vierte  Citat  aus  Graefe's  Briefen  zeigt  unwider- 
leglich, dass  er  noch  im  Winter  1864  die  runde  Pupille 
nur  in  gewissen  Fällen,  aber  keineswegs  immer  aufgeben 
wollte,  und,  wo  er  auch  zu  keinem  besonderen  Zwecke,  wie 
z.  B.  zur  Extraction  iromaturer  Cataracten,  die  Iridectomie 
empfahl,  immer  als  sein  caeterum  censeo  ausdrücklich 
betonte,  „für  die  gewöhnlichste  Form,  die  harte  Cata- 
racta senilis,  ist  Daviel's  Extraction''  (ohne  Iridectomie) 
„beizubehalten".     Im  Jahre  1865    erfand    er    die  Linear- 


*)  Zehender*s  Klinische  Monatsblätter. 


200  ^'  Jacobson  sen. 

Extraction,  an  deren  Veryollkommnnng  bis  zur  Entbehr- 
lichkeit der  Tractions-Instmmente  er  noch  1867  arbeitete, 
zwischen  1868  und  dem  Todesjahre  1870  war  seine  Kraft 
schon  g^ebrochen.  Wem  die  Aera  der  Iridectomie  zu  hinge 
gedauert  hat,  der  sollte  sich  also  nicht  auf  den  Stand- 
punkt der  fünfziger  Jahre  stellen,  sondern  an  die  Adresse 
der  Epigonen  wenden. 

Für  den  Verzicht  auf  die  runde  Pupille  giebt  es,  wie 
aus  dieser  Abhandlung  hervorgeht,  nur  eine  richtige  Er- 
klärung: Seitdem  im  Jahre  1863  bei  Extractionen 
mit  grossem,  peripherem  Lappenschnitte  die  Zahl 
der  Lappen-Eiterungen  auf  2  pCt.  gesunken  war, 
meinte  Graefe  und  die  überwiegende  Mehrzahl 
deutscher  Ophthalmologen,  es  sei  geboten,  das 
wenig  entstellende,  für  die  Sehschärfe  gleich- 
gültige Colobom  nach  oben  in  den  Kauf  zu 
nehmen,  um  die  Zahl  der  Erblindungen  durch 
Suppuration  zu  vermindern. 

Es  ist  mir  nicht  bekannt,  dass  damals  die  Iridectomie, 
wie  Schweigger  meint,  zur  Verhütung  von  Ent- 
zündungen ohne  gute  Gründe  empfohlen  wurde,  wohl 
aber,  dass  gerade  Schweigger  noch  im  vorigen  Jahre  der- 
selben Operation  eine  prophylaktische  Kraft,  gesunde  Augen 
vor  Glaucoma  acutum  zu  schützen  *\  zugemuthet  hat,  von 
der  keinem  Ophthalmologen  ausser  ihm  etwas  bekannt  war. 

Ferner  wissen  wir,  dass  Graefe  die  Verbindung 
der  Discission  mit  Iridectomie  nur  für  eine  ausnahms- 
weise zähe  Gorticalis,  deren  Zerklüftung  nicht  sicher 
allmählichen  Zerfall  und  Besorption  erwarten,  sondern 
starke  Quellung  mit  consecutiver  Iritis,  Synicesis  pupillae, 
Gjclitis  befürchten  lässt,  empfohlen,  dass  er  die  Iridec- 
tomie bei  der  alten  Linear-Extraction  auf  die  bei 
enger  und  mittelweiter  Pupille  unausführbare  AuslOfflung 


*)  Archiv  für  Angenheilkande  von  Knapp  and  Schweigger. 


y.  Graefe*s  ,,inodificirte  Linear-Extraction"  etc.  201 

des  Kerns,  auf  Quetschung  des  Sphincter  pupillae  durch 
austretende  Cortical- Stücke,  auf  h&ufiges  Prolabiren  der 
Iris  anstatt  oft  wiederholter  Bepositions  -  Versuche  be- 
schränkt hat 

Im  direkten  Widerspruch  mit  den  Thatsachen  steht 
die  Yermuthung,  dass  Graefe  durch  die  günstigen  Re- 
sultate der,  me  wir  schon  1855  von  ihm  erfahren,  haupt- 
sächlich Ton  Gibson  und  Friedr.  v.  Jaeger  empfohlenen 
Linear-Extraction  bewogen  worden  sei,  „eine  ähnliche 
Operations-Methode  auch  bei  Cataracta  senilis  zu 
▼erwerthen'*;  denn  gegen  Desmarres'  in  der  Clinique 
euTopöenne  ausgesprochene  Ansicht  sehen  wir  ihn^  selbst 
in  der  üebergangsperiode,  in  der  er  für  gewisse  Gatai-act- 
formen  „die  AuslOfflung"  empfiehlt,  immer  wieder  darauf 
zurückkommen:  für  die  Cataracta  senilis  bleibt  Da- 
▼ieFs  Extration  das  unter  allen  Umständen  allein 
indicirte  Verfahren. 

Selbst  fär  Diejenigen,  die  aus  der  Wahl  des  Namens 
etwa  deduciren  mochten,  in  Graefe's  Vorstellung  müsse 
doch  zwischen  dem  alten,  cornealen  Lanzenschnitte  und 
seinem  linearen  eine  nahe  Verwandtschaft  bestanden  haben, 
wird  der  Beweis  geführt  werden,  dass  die  Idee  eines  solchen 
Zusammenhanges  ihm  sehr  fem  lag,  dass  er  vielmehr 
gerade,  weil  er  sich  Ton  der  Unbrauchbarkeit  jedes  cor- 
nealen Linear-Schnittes  überzeugt  und  für  seine  Person 
die  Unmöglichkeit  peripherer  Lappen-Extractionen  erprobt 
hatte,  als  Ultimum  refugium  zu  einer  Schnittform  gedrängt 
sah,  deren  Linearität  dem  üblichen  Wortsinne  sehr  viel 
vollkommener,  als  der  vor  Jahren  von  Friedrich  von 
Jaeger  getaufte,  corneale  Lanzenschnitt  entsprach. 

Es  ist  auch  nicht  richtig,  dass,  wie  Schweigger  meint, 
in  Graefe's  Abbildung  (Archiv  XIV.  3)  „die  Iris  neben  der 
Linse  keinen  Platz  bat"  und  deshalb  excidirt  werden  muss. 

Wer,  wie'Graefe,  ohne  Chloroform  und  Cocain  operiren 
musste,   hatte  zum  Schluss  des  Linearschnittes  gleichzeitig 


202  J«  Jacobson  Ben. 

mit  der  völligen  Entleerung  des  bei  der  Messerdrehang 
nicht  mehr  zurückgehaltenen  Humor  aqueus  auf  Prolapsus 
iridis  in  der  ganzen  Breite  des  Schnittes  zu  rechnen.  Man 
brauchte  dann  nur  die  mit  der  Pincette  gefasste  Iris  zurück- 
zuschlagen nnd  glatt  auszubreiten  oder  zu  incidiren  und 
umzuklappen,  um  fQr  die  Linse  den  Weg  frei  zu  machen, 
wie  ich  es  oft  am  Thier-,  selten  am  Menschen-Auge  ver- 
sucht habe.  Gerade  die  Anhänger  der  Davierschen  Methode 
und  alle  Verehrer  einer  runden  Pupille  müssen  wissen,  was 
sich  die  Iris,  wenn  conservative  Operateure  sich  nur  erst 
zu  der  Ueberzeugung,  dass  häufiger  Wechsel  von  Prolabiren 
und  fieponiren  mit  EinfQhrung  DavieFscher  LOffel  unschäd- 
lich ist,  emporgeschwungen  haben,  von  ihren  Gönnern  bieten 
lässt.  Wie  lange  ist  es  her,  dass  die  Irisvorfälle  und  Partial- 
Staphylome  als  ganz  exquisite  Vorzüge  gewisser  Glauoom- 
Operationen  warm  empfohlen  wurden!  Gegen  den  Abusus 
der  Iridectomie  hatte  sich  ein  Fanatismus  der  Iris-Erhaltung 
schnell  genug  organisirt,  den  Graefe*s  Abbildung  sicherlich 
nicht  erzeugt  haben  würde.  Aus  der  Abhandlung  im 
14.  Bande  des  Archivs  war  also  Schweigger  nicht  be- 
rechtigt, „in  Graefe*s  Sinn'*  an  der  Noth wendigkeit  der 
Iridectomie  festzuhalten.  Aber  ist  es  denn  gestattet,  die  von 
Graefe  selbst  angegebenen  Gründe  zu  ignoriren,  und  statt 
ihrer  beliebige  andere  Motive  anzunehmen?  Die  Nothwen- 
digkeit  der  Iridectomie  und  zwar  einer  sehr  breiten  Irid- 
ectomie bei  seiner  Linear-Extraction  hat  Graefe  so  oft 
raotivirt,  so  ausführlich  über  seine  Versuche  mit  kleineren 
und  anders  geformten  Oolobomen  berichtet,  dass  die  Leser 
des  Archivs  mit  Recht  verlangen  können,  allbekannte  Dinge 
nicht  entstellt  wieder  zu  finden. 

Warum  „der  Schnitt  in  vielen  Fällen  zu  klein  aus- 
fier\  darüber  kann  ich  jetzt  nach  20  Jahren  vollkommen 
sichere  Auskunft  gebep:  die  Operateure  haben  nicht  Geduld 
genug  gehabt,  die  neue  Technik,  bei  der  viel  scheinbare 
Schwierigkeiten   zu  beachten   sind,   so  genau   zu  erlernen. 


T.  Graefe*B  «modificirte  Linear-Extraction"  etc.  203 

wie  gerade  der  Linearscbnitt  es  fordert.  Schon  in  den 
ersten  Monaten  des  Jahres  1868  hatten  sie  den  richtigen 
Schnitt  verbessert  (!),  um  zu  dem  aufgegebenen  nie  mehr 
zurQckznkehren.  Auch  in  diesem  Punkte  fürchte  ich  auf 
Schweigger 's  Zustimmung  verzichten  zu  müssen,  obwohl 
ich  versichern  kann,  dass  im  Laufe  der  Jahre  die  zu  kleinen 
Schnitte  verschwinden. 

So  viel  Ansichten  seine  Rede  über  den  Standpunkt  der 
Fünfziger  bringt,  so  viel  Differenzen  trennen  ihren  Inhalt 
von  meinen  Erinnerungen  an  eine  mit  höchstem  Interesse 
durchlebte  Zeit.  Wir  harmoniren  nur  in  dem  ersten  Satze 
(„man  muss  den  Standpunkt  der  fünfziger  Jahre  kennen"  etc.) 
und  —  Ende  gut,  Alles  gut  (?)  —  in  den  folgenden  letzten: 
„man  segelte  unter  falscher  Flagge,  wenn  man  von  peripheren 
oder  modificirten  Linearschnitten  sprach  und  corneale  Lappen- 
schnitte machte.''  Dass  man  auf  solche  Abwege,  die  Graefe 
(Citat  8)  schon  1868  sofort  durchschaute,  nur  gelangen 
konnte,  wenn  man  sich  rein  mechanisch  an  die  Form  des 
Schnitts  hielt,  ohne  seinen  Sinn  und  Zweck  zu  begreifen, 
das  hoffe  ich  durch  die  folgende  Abhandlung  unwiderleglich 
zu  beweisen. 

Wie  war  es  möglich,  dem  genialsten,  gerade  wegen  seiner 
therapeutischen  Combinationen  bewunderten  Kliniker  so  nich- 
tige Gründe  für  seine  Combination  der  Iridectomie  mit  der 
Extraction  zuzuschreiben  und  mit  dem  Standpunkte  der  fünf- 
ziger Jahre  zu  entschuldigen  ?  Ich  finde  keine  andere  Erklärung 
als  die,  dass  Schweigger  von  den  Ideen,  die  seinen  Lehrer 
mit  Nothwendigkeit  zur  Linear-Extraction  führten,  und 
eben  so  von  den  fünfziger  Jahren,  der  glänzendsten,  von  allen 
medicinischen  Disciplinen  bewunderten  Entwickelungsperiode 
unserer  Wissenschaft  eine  gleich  irrige  Vorstellung  hatte. 

Nach  dem  Heidelberger  Vortrage  über  das  Thema, 
„wie  es  vor  30  Jahren  nicht  ausgesehen  hat",  kann 
ich  den  Gollegen  einen  Theil  des  Folgenden  unter  dem  Titel, 
„wie  es  vor  30  Jahren  ausgesehen  und  sich  weiter 


204  J-  Jacobson  sen. 

entwickelt"  hat,  vorlegen.  Unsere  Autoren  haben  es 
mir  leider  nicht  erspart,  dabei  mehr,  als  es  mir  wünschens- 
werth  und  sonst  meine  Art  ist,  von  meiner  Person  zu 
sprechen,  aber  ich  meine,  in  einer  der  Wahrheit  ent- 
sprechenden historischen  Darstellung,  sei  es  eben  so  uner- 
laubt, seine  Person,  wo  sie  zur  Erklärung  der  Thatsachen 
in  ihrem  Zusammenhange  nöthig  ist,  des  äusseren  Deoorum 
wegen  verschwinden,  als  sie  als  bewegende  Kraft  hervor- 
treten zu  lassen,  wo  sie  in  grosser  Zeit  die  Bolle  des 
passiven  Zuschauers  gespielt  hat.  Zur  Entschädigung  ftLr 
dieses  unvermeidliche  üebel  bringe  ich  einige  Gitate  aus 
Graefe*s  Briefen.  Sie  zeigen  ihn  der  Mehrzahl  meiner 
Leser  von  neuen  Seiten,  wie  der  auf  der  Höhe  seines  Ruhmes 
stehende  Kliniker  sich  in  Fragen,  über  die  er  keine  eigenen 
Erfahrungen  hat,  einem  Anffinger  gegenüber  verhält,  und 
wie  es  gerade  in  der  Extractions-Frage  nur  einer  Anregung 
bedarf,  um  ihn  von  vorgefassten  Meinungen  auf  eigenen 
Wegen  zur  Wahrheit  gelangen  zu  lassen. 


Entgegengesetzte  Hypothesen  Aber  die  ürsaGhen 

der  Lappen-Eiterung. 

Die  AuslOfflung  und  die  Extraction  mit 
peripherem  Lappen. 

„Wenn,  wie  es  A  und  B  und  Andere  machen, 
der  Schnitt  wieder  mehr  durch  die  Cornea  geführt 
wird'\  .  .  .  „so  kann  es  nicht  fehlen,  dass  die 
Operation   einen  Theil   ihrer   Yortheile   verliert." 

Die  Worte  kehren  in  dem  achten  Gitate,  der  ersten 
Hälfte  eines  vom  9.  März  1868  datirten  Briefes,  in  dem 
„die  modificirte  Linear-Extraction"  besprochen  wird,  wieder. 
Im  11.  Bande  hatte  dieses  Archiv  1865  die  erste  Abhand- 
lung über  die  neue  Operation  gebracht,  noch  2  Jahre  ver- 
gingen, ehe  die  Methode  so  weit  verbessert  war,  dass  alle 
Tractions-Instrumente  und  das  „Schlitten-Manoeuvre**  auf- 


y.  Graefe*s  ,^odificirte  Linear-Extraction*'  etc.  205 

gegeben  werden  konnte,  aber,  wie  das  Datum  des  Briefes 
zeigt,  liess  man  sich  nur  wenige  Monate  Zeit,  das  neue 
Verfahren  zu  erlernen,  es  die  Probe  bestehen  zu  lassen. 
Geschickte  Operateure,  zugleich  Anhänger  der  Methode  und 
persÖDliche  Freunde  6raefe*s,  hielten  es  far  nOthig,  sein 
Werk,  wenn  es  nicht  mit  seiner  Zustimmung  zu  erreichen 
sei,  selbst  gegen  seinen  Willen  durch  eine  ganze  Kleinig- 
keit vollkommen  fehlerfrei  zu  machen.  Der  unglückliche 
Zufall  wollte  es,  dass  diese  kleine  Verbesserung 
den  ganzen  Zweck  der  Graefe'schen  Operation  noth- 
wendiger  Weise  vereiteln  musste  und  dass  sie  in 
weiten  Kreisen  beifällig  aufgenommen  wurde. 

In  Frankreich  waren  die  Stimmen  dem  neuen  Ver- 
fahren gegenüber  getheilt;  die  Einen  wiesen  es  kurz  ab. 
Andere  verhielten  sich  exspectativ,  noch  Andere  nahmen  es 
beifiUlig  auf.  Gegen  die  Gründe  der  Gegner  liess  sich 
wenig  sagen,  so  lange  die  Unmöglichkeit,  ihre  Hoffnungen 
realisirt  zu  sehen,  nicht  bewiesen  war.  Sie  wollten  das  Ideal, 
die  Heilung  mit  rein  schwarzer,  runder,  beweglicher  Pupille, 
nicht  aufgeben.  Es  war  durchaus  kein  Widerspruch,  dass 
de  Weoker  der  Bewegung  von  ihren  ersten  Anlangen  an 
mit  vollem  Verstand  niss ,  objectivem  ürtheil  und  lebhaftem 
Interesse  folgte,  Vorzüge  der  Methode  anerkannte  und  zum 
Theil  für  seine  Zwecke  zu  verwerthen  suchte,  das  Ganze 
aber,  als  dem  feinfühligen  Formsinne  der  Franzosen  wider- 
strebend, verwarf. 

Dass  man  in  Deutschland  Graefe's  entscheidendes 
Wort  in  der  Extractionsfrage  mit  Enthusiasmus  aufnahm, 
und  dass  viele  CoUegen  anderer  Nationalitäten  folgten,  wird 
Niemand  befremden,  der  sich  erinnert,  was  Graefe  in 
11  Jahren,  seit  dem  ersten  Erscheinen  des  Archivs  auf 
therapeutischem  Gebiete  geleistet  hatte.  Dazu  kam,  dass 
jedem  einigermassen  erfahrenen  Operateur  die  Abnahme  der 
Lappen-Eiterungen  sofort  auffallen  musste.  Sicher,  das 
Palliativ  gegen  die  Eiterung  in  dem  Zauberworte  „Linear- 


206  J*  J&cobflon  sen. 

schnitt"  endlich  erhalten  zu  haben,  begnügte  man  sich  mit 
dem  handgreiflichen  Resultate,  ohne  sich  eingehend  genug 
mit  der  Idee,  die  dem  Verfahren  zu  Omnde  lag,  zu 
beschäftigen. 

Drei  Jahre  vergingen,  ohne  dass  sich  in  dem  schliesslichen 
Besultate,  das  man  als  das  wichtigste  nicht  wieder  ver- 
lieren wollte,  in  der  Seltenheit  der  Lappen  -  Eiterungen, 
Erhebliches  änderte;  aber  schon  vor  1868  hatte  man  die 
Zunahme  iridocyklitischer  Processe  bemerkt,  ohne  ihnen 
viel  Bedeutung  beizulegen.  Erklärte  sich  doch  die  unan- 
genehme Zugabe  aus  der  Lage  des  peripheren  Schnittes  zum 
Corpus  ciliare  ohne  viel  Ueberlegung  von  selbst!  Eben 
aus  diesem  Grunde  lag  ja  auch  das  richtige  Mittel  auf  der 
Hand:  man  wurde  etwas  cornealer.  Mit  dieser  kleinen 
Veränderung  ist  man  20  Jahre  lang  Anhänger  der  Graefe*- 
schen  Extraction**,  deren  einziger  Fehler  „den  rationellsten 
Behandlungen*'  nicht  weichen  wollte,  geblieben,  hat  die 
Möglichkeit,  durch  die  vermeintliche  Verbesserung  die 
ursprüngliche  Methode  verdorben  zu  haben,  nie  der  Ueber- 
legung für  werth  gehalten  und  befand  sich,  wenn  ich  nicht 
irre,  vor  Kurzem  auf  dem  besten  Wege,  zu  einer  Operation, 
deren  Fehler  wir  vor  25  Jahren  erkannt  und  beseitigt  haben, 
zurückzukehren.  Mit  etwas  weniger  Verehrung  „positiver 
Tbatsachen''  und  etwas  weniger  Verachtung  „theoretischen 
Geschwätzes"  wäre  man  weiter  gekommen.  —  Um  den 
,, Abfall  von  Daviel's  Extraction*'  zu  verstehen,  muss  ich 
den  Leser  bitten,  mir  auf  den  Standpunkt  der  fünfziger  Jahre 
zu  folgen. 

Gegen  die  Mitte  des  Jahrhunderts  schien  es,  als 
solle  die  in  vielen  Fällen  idealen  Ansprüchen 
genügende  DavieTsche  Extraction  für  cohärente 
Staare  die  allein  herrschende  werden.  Dass  man 
trotzdem  gerade  damals  an  ihr  zu  rütteln  anfing« 
dafür  gab  es  nur  einen  Grund:  Die  Ueberzeugung. 
dass  die  Vereiterung  des  Hornhautlappens  relativ 


y.  Graefe's  „modificirte  Linear  Extraction"  etc.  207 

häufig,  dass  sie  weder  zu  verhaten,  noch  zu  heilen 
sei,  war  allgemein  geworden. 

Wie  alle  Anfänger  mit  den  schwierigsten  Problemen 
ihre  Laufbahn  zu  beginnen  pfl^en,  beschloss  ich  in  Folge 
dessen,  nach  einem  zum  grossen  Theil  in  Berlin  unter 
Oraefe,  zum  bei  weitem  kleineren  unter  Arlt  in  Prag 
möglichst  gut  benutzten  Sommer- Semester  heimgekehrt, 
schon  im  Herbst  1854,  ehe  sich  noch  ein  Kranker  zu  mir 
verirrt  hatte,  die  Hornhaut-Eiterung  nach  der  Extraction 
zo  verhüten  oder  zu  heilen. 

Mein  Material  sollten  alle  Staarblinden  liefern,  bei 
denen  nach  6raefe*s  classischer  Arbeit  im  ersten  Bande 
dieses  Archivs  (Lief.  2)  die  Discission  und  der  comeale 
Lanzenschnitt  contraindicirt  war.  Beclinationen  hatte  ich 
vor  meiner  Beise  von  dem  verstorbenen,  älteren  Burow 
nicht  wenige  ausführen  gesehen,  bei  Jöngken  in  Berlin 
schienen  sie  die  herrschende  Methode  zu  sein,  auch  fand 
man  sie  noch  in  allen  Lehrböchem,  aber  Indicationen  schien 
es  nicht  zu  geben,  wenigstens  nicht  annehmbara  In  seinen 
Vorträgen  bemühte  sich  Arlt  redlich,  etwas  der  Art  fttr 
die  schon  durch  ihr  Alter  populäre  „Staamadel"  zu  retten, 
aber  in  der  Praxis  sahen  wir  ihn  nur  ein  Mal  recliniren, 
und  als  ich  ihn  nach  der  Indication  fragte,  hiess  es:  „Eine 
Beclination  am  Lebenden  müsst  Ihr  zum  Abschiede  doch 
gesehen  haben".  —  Oraefe  reclinirte,  wenn  das  erste 
Auge  trotz  einer  tadellosen  Extraction  durch  Lappen- 
Eiterung  zu  Grunde  gegangen  war,  und  reservirte  sich 
unter  gewissen  umständen  die  Beclination  noch  fQr  extreme 
Grade  von  Marasmus  und  eme  ungewöhnlich  dünne, 
schlaffe  Haut  der  oberen  Extremitäten,  aus  der  er  auf 
eine  ähnliche  Beschaffenheit  der  Cornea  zu  schliessen 
pflegte.  — 

Was  ich  an  beiden  Arten  von  Extractionen  gesehen 
hatte,  war  mit  wenigen  Ausnahmen  (Verziehung  der 
Pupille,    Nachstaar   etc.)   vortrefflich    geheilt,    aber   ganz 


208  J*  Jacobson  sen. 

ohne  Lappen-Eitening  sollte  es  nicht  abgehen.  Zwei  traten 
in  der  von  Arlt  vortrefflich  beschriebenen  hyperacuten 
Form  mit  schnellem  Uebergange  zur  Panophthalmitis  auf 
(er  meinte,  sie  gehe  vom  Corpus  ciliare  aus)  und  zwei  in 
der  TöUig  symptomlosen,  in  der  die  alten,  elenden  Patienten 
3  bis  4  Tage  ohne  Klagen  und  Fieber  ruhig  zugebracht, 
in  den  Nächten  gut  geschlafen  hatten,  bis  beim  ersten 
Verbandwechsel  ein  geringes  Oedem  am  oberen  freien 
Lidrande,  gelber  Eiter  zwischen  den  Wimpern,  ähnliches 
Secret  im  Verbände  dem  Operateur  die  selten  tragende, 
traurige  Prognose  verrieth.  Graefe  meinte,  die  umfang- 
reiche Abtrennung  des  geftsslosen  Lappens  vom  Bande  sei 
die  Ursache  der  unvermeidlichen  Necrose,  kräftige  Nahrung, 
Medicamente  u.  dgL  hätten  ihm  immer  den  Dienst  versagt, 
von  ferneren  Versuchen  nach  dieser  Sichtung  erwarte  er 
Nichts,  hoffe  aber,  man  werde  die  Zahl  der  Eiterungen 
durch  Verbände,  die  eine  bessere  Apposition  der  Wund- 
ränder unterstützten,  verkleinem  können  (cfr.  Citat  2). 
üeber  die  localen  Vorgänge  im  Lappen  während  der  ersten 
Tage  habe  er  sich  kein  Urtheil  gebildet,  denn  die  Empfind- 
lichkeit Staar-Operirter  gegen  Licht  erlaube  nicht,  vor  dem 
dritten  oder  vierten  Tage  das  Auge  zu  Offnen. 

Dieses  Verbot  machte  mir  Muth.  Im  Jahre  1854 
hatte  Graefe  es  noch  nicht  übertreten,  sprach  also  nicht 
aus  eigner  Erfahrung,  und  da  ich  der  Ueberzeugung  war, 
man  werde  die  Vereiterung  weder  verhüten,  noch  heilen, 
ehe  man  die  traumatische  Beaction  des  Lappens  von  ihren 
ersten  Anfängen  nach  der  Operation  bis  zur  Eiterbildung 
beobachtet  habe,  hielt  ich  es  for  nicht  allzu  sündhaft,  es 
auf  den  Versuch  ankommen  zu  lassen. 

Als  ich  ohne  Schaden  für  die  Kranken  fbnf  Jahre 
hindurch  jeden  Extrahirten  vom  ersten  Tage  an  mit  seit- 
licher Beleuchtung  genau  untersucht  und  den  jedesmaligen 
Befund  selbst  journalisirt  hatte,  war  ich  zu  folgenden 
Resultaten  gekommen:   1.  Suppuratio  corneae  war  am 


y.  6raefe*8  ^modiflcirte  Linear-Extraction**  etc.  209 

häufigsten,  wenn  ein  relativ  kleiner  Hornhant- 
lappen  beim  Durchtritt  einer  harten,  voluminösen 
Cataract  stark  gehoben,  an  der  Basis  geknickt  und 
nachher  schlaff ,  faltig  zurückgesunken  war;  2.  rela- 
tiv am  häufigsten  war  sie  in  seltenen  Fällen  von 
extremem  Collapsus  corneae  (Lappen -Retraction), 
wenn  der  Lappenrand  zu  tief  zurücksank,  um  den 
anderen  Wundrand  zu  berühren;  3.  im  Allgemeinen 
war  die  traumatische  Beaction  des  Lappens  um 
so  intensiver,  je  schwerer  die  Linse  ausgetreten 
war.  Darauf  hin  versuchte  ich,  die  Lappen  in  die  Gomeo- 
sderal- Grenze  zu  legen,  musste  dann  aber,  um  Vorfall  der 
Iris  und  Ruptur  der  Zonula  während  des  Linsen- Äccouche- 
ments  zu  verhüten,  den  intraocularen  Druck  und  die 
Spannung  der  äusseren  Augenmuskeln  durch  Chloroform 
unschädlich  machen,  einem  nachträglichen  Lrisvor&Ue 
durch  Iridectomie  vorbeugen.  —  Die  Zeit  bis  zum  Ende 
des  Jahres  1860  benutzte  ich,  um  die  Wirkung  des  Chloro- 
forms bei  Augen-Operationen  (mit  Ausschluss  der  Extraction) 
zu  Studiren.  Seit  1861  habe  ich  nie  wieder  nach  Da  viel 
extrahirt.  — 

Wenige  Monate,  bevor  ich  mein  neues  Verfahren  zum 
ersten  Male  am  Lebenden  versuchte,  hatte  Graefe  schon 
etwas  über  eine  neue  Extractio  per  comeam  mit  AuslOfflung 
des  Kerns  für  gewisse  Staare  des  mittleren  Lbensalters  im 
Archiv  augedeutet  und  unmittelbar  darauf  publicirte  sein 
chirurgischer  Assistent  Wald  au  1860  eine  kleine  Schrift 
über  „die  AuslOfflung  des  grauen  Staares." 

Hier  wurde  die  Vermuthung,  die  ich  1854  von  Graefe 
in  einem  Vortrage  über  Verbände  nach  der  Extraction 
gelegentlich  gehört  hatte,  zum  ersten  Male  mit  voller  Ueber- 
zeugung  und  Entschiedenheit  öffentlich  ausgesprochen: 
„Daviels  grosser,  gefässloser  Lappen  heile  zwar  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle,  wie  die  Erfahrung  lehre,  wider  Erwarten 
reactionslos,   müsse  aber  unter  ungünstigen,   localen  oder 

y.  Graefe'a  Archir  fllr  Ophthalmologie,  XXXIV.  2.  14 


210  J-  Jacobson  sen. 

allgemeinen  Verhältnissen  wegen  zu  mangelhafter  Em&brong 
absterben,  man  habe  deshalb  zu  umfangreiche  und  zu  düime, 
leicht  aufklappende  Lappen  zu  vermeiden.*' 

Da  der  bisher  fQr  die  Gat.  moUis  gebräuchliche  Lanzen- 
schnitt einen  einigermassen  cohaerenten  Kern  nicht  spontan 
austreten  liess,  wurde  eine  breitere  Lanze  zum  Einstiche 
bestimmt.  Gar  zu  yoluminOse  Kerne  sollten  in  die  Höhlung 
eines  sie  von  der  hinteren  Corticalis  aus  umgreifenden 
Lofifels  aufgenommen  und  so  hinausgeleitet  werden;  zur 
Einführung  des  Löffels  war  eine  den  Kern  überschreitende 
Iridectomie,  die  auch  für  die  Beinigung  des  Eapselsackes 
von  Bindenstücken  ihre  Vorzüge  hatte,  notbwendig. 

Wie  der  Leser  sieht,  waren  wir  von  entgegengesetzten 
Hypothesen  zu  entgegengesetzten  Ansichten  über  den  ersten 
Schnitt  gekommen;  nur  die  Iridectomie  konnten  wir  Beide 
nicht  entbehren,  der  eine,  um  den  Löffel  hinter  den  Kern 
zu  führen,  der  Andere,  um  Vorfall  der  Iris  und  des  Glas- 
körpers zu  vermeiden.  Während  Graefe  im  fünften  De- 
cennium  ausser  seiner  grossen,  ersten  Arbeit  über  den 
Linear-Schnitt  nur  noch  für  Ausnahmefälle  Modificationen 
älterer  Verfahren  suchte,  trat  endlich  kurz  vor  Thores- 
schluss  Waldau,  wie  es  schien,  als  radicaler  Beformator 
mit  einer  allgemein  plausiblen  Hypothese  und  einer  der- 
selben gut  accomodirten  Methode  auf.  Erschien  dieselbe  auch 
damals  schon  manchem  Praktiker  nicht  ganz  gefahrlos,  so 
wird  ihr  Niemand  bestreiten,  dass  sie  den  Vergleich  mit 
dem  Standpunkte  des  7.  und  8.  Decennium,  so  weit  der- 
selbe sich  in  dem  Verständnisse  der  Linear  -  Extraction 
manifestirt  hat,  nicht  zu  scheuen  braucht. 

Während  die  ersten  Jahre  des  sechsten  Jahrzehnts, 
wie  wir  weiter  unten  sehen  werden,  auch  Graefe  unter 
den  Anhängern  der  Anslöfflung,  also  unter  denjenigen, 
welche  die  Lappeneiterung  auf  die  Grösse  des  Davierschen 
Lappens  schoben,  thätig  zeigen,  taucht  noch  einmal  im 
Jahre  1863  die  Idee,  dass  die  Suppuraüo  corneae  von  der 


y.  Qraefe*s  „modificirte  linear-Extraction*'  etc.  211 

Iris  ausgehe,  in  einer  Brochüre  von  Mooren  auf.  Nach 
ihm  sollte  durch  eine  präparatorische  Iridectomie  die  Gefahr 
der  Eiterung  beseitigt  werden ,  aber  Graefe  hatte  damals 
schon  die  primäre  Wundeiterung  erkannt .  und  damit  der 
Mooren 'sehen  Schrift  ihr  Fundament  entzogen.  Sie  ist 
ohne  Einfluss  auf  die  weitere  Entwicklung  der  Extraction 
geblieben. 

Wenige  Monate  später  verOifentlichte  ich  eine  Graefe 
gewidmete  Abhandlung  über  „ein  neues  und  gefahrloses 
Verfahren  zur  Heilung  des  grauen  Staares".  Für  dasselbe 
sprachen:  zwei  Homhauteiterungen  unter  100  Extractionen. 

Zum  ersten  Male  standen  in  der  Extractionslehre  zwei 
diametral  entgegengesetzte  Hypothesen  gegen  einander: 
Wal  da  u  schloss  aus  dem,  was  der  Augenschein  bei  der 
Operation  lehrte,  und  die  Mehrzahl  mit  ihm.  Wer  die 
dönnen  gefalteten  Lappen  cachektischer  Personen  oft  genug 
gesehen  hatte,  dem  musste  sich  ein  ähnlicher  Gedanke  un- 
willkürlich aufdrängen.  Meine  Hypothese  beruhte  auf  der 
traumatischen  Beaction  des  Lappens.  Keine  von  beiden 
musste  mit  Nothwendigkeit  richtig  sein,  die  definitive  Ent- 
scheidung musste  von  den  Erfolgen  der  Methode  erwartet 
werden;  denn  so  günstig  die  meinigen  auch  sein  mochten, 
die  Zahl  hundert. war  zu  klein. 

Das  war  der  Standpunkt  des  fünften  Jahrzehnts: 
man  misstraute  der  eigenen,  ungenügenden  Erfahrung  und 
mehr  noch  einem  allzu  sicheren  Selbstbewnsstsein  und  es  ver- 
gingen mitunter  Jahre,  bis  man  einen  sicheren  Schritt  vorwärts 
gethan  hatte.  Trotz  meinen  glänzenden  Resultaten  blieb  Wal- 
dau^s  Hypothese  immer  noch  die  herrschende;  man  änderte  an 
seiner  Methode,  ohne  seinPrincip  aufzugeben.  Selbst  Graefe 
liess  die  AuslOfflung  nicht  fallen,  wenn  er  auch  fUr  die 
Cataracta  senilis  an  der  Davierschen  Extraction  noch  eine 
kurze  Zeit  festhielt.  Bis  in's  Jahr  1865  können  wir  Waldau*s 
Einfluss  noch  in  der  Methode  der  Engländer  erkennen;  der 

ihn  fQr  immer  brach,  war  kein  Anderer,  als  Graefe. 

14* 


212  J-  Jacobson  sen. 

Mir  erging  es  in  Wirklichkeit  besser,  so  traurig  es  anf 
den  ersten  Blick  auch  aussah.  Auf  Beifall  hatte  ich  fOr 
eine  Methode,  die  wider  Willen  aus  „Fehlern  und  üblen 
Zuf&Uen'*  zusammengesetzt  war,  nicht  gehofft,  aber  auf  ein 
objektives  ürtheil  über  das  Wagniss,  nach  langer  Arbeit 
den  herrschenden  Ansichten  und  vor  Allem  Graefe  zu 
opponiren,  hatte  ich  allerdings  gerechnet.  Vor  Allem  hatte 
ich  es  nicht  fQr  möglich  gehalten,  dass  der  mehrfoch  durch 
den  Druck  markirte  Kern  meiner  populären  Schrift,  bei 
noch  so  mangelhafter  chirurgischer  Vorbildung  von  jungen 
Leuten,  die  etwas  von  kritischem  Berufe  in  sich  spürten, 
unbemerkt  bleiben  kOnne,  dass  man  eine  Verbreiterung 
des  Comeallappens  um  3  bis  4  mm  wie  eine  unrichtige  Ge- 
schmackssache der  Beachtung  nicht  für  werth  halten  werde. 

So  war  mir  bisher  der  Geist  des  sechsten  Jahrzehnts 
nicht  erschienen,  ich  hatte  ihn  nach  Graefe*8  Art,  auf 
wissenschaftliche  Fragen  zu  reagiren,  wie  sie  sich  auch 
jetzt  wieder  zeigte,  beurtheilt.  Es  ist  keine  oratio  pro 
domo,  wenn  ich  daran  erinnere^  dass  Graefe  sofort  sah, 
worauf  es  ankam,  der  DavieTschen  „Methode  untreu 
wurde,  Lage,  Grösse,  Form  des  Schnittes,  Chloroformf  Iri- 
dectomie,  kurz  alles  neu  Empfohlene  zu  prüfen  beschloss; 
denn,  wie  sein  erster  Brief  an  mich  zeigte,  war  er  mit 
meinen  Vorschlägen  und  Auslohten  keineswegs  einy er- 
standen, aber  „den  positiven  Thatsachen'*,  den  Resultaten 
gegenüber  durfte  man  es  bei  der  einfachen  Negation  seiner 
Meinung  noch  nicht  bewenden  lassen. 

Die  jungen  Kritiker  schienen  anderer  Ansicht  zu  sein. 
Der  eine  hatte  kaum  in  kurzen  Worten  seinem  ersten  Miss- 
fallen als  Maun  der  Wissenschaft  Ausdruck  gegeben,  als 
er  sein  Bichteramt  niederlegte  und  die  nichts  weniger,  als 
gemeingefährliche  Schrift  wegen  zu  grosser  Chloroform« 
dosen  der  Criminal-Justiz  überwies.  —  Ein  Zweiter  hatte 
sein  kurzes  Referat  mit  einigen  Zeilen,  in  denen  ich  meine 
Schrift  nicht  wieder  erkannte,  begonnen,  als  ich  zu  meiner 


T.  Graefo  s  „modificirte  Linear- Extraction"  etc.  213 

Freude  auf  ein  wörtlich  dem  Original  entnommenes  Gitat 
stiess,  aber  gerade  dieses  sollte  am  meisten  schaden.  Der 
Setzer  hatte,  anstatt  ,,nicht  innerhalb  des  Limbus"  die 
genauere  Ortsbestimmung  „innerhalb  des  Limbus*'  vor- 
gezogen und  mein  Kritiker  blieb  bei  der  Behauptung, 
,,innerhalb  und  nicht  innerhalb  des  Limbus"  sei  gleich- 
bedeutend. —  Nach  solchen  Erfahrungen  war  ich  froh,  von 
dem  Dritten  wenigstens  die  Concession  zu  erlangen,  „wenn 
er  geahnt  hätte,  dass  ich  auf  die  OrOsse  des  Lappens  Werth 
legte,  so  würde  er  Nichts  dagegen  gehabt  haben,  diesen 
Theil  der  Operation  als  etwas  Neues  angeführt  zu  sehen.'* 
Als  Lohn  für  den  Muth,  die  heiligen  Gebote  der  Operations- 
lehre erfolgreich  übertreten  zu  haben,  trug  ich  Nichts 
mehr  heim,  als  eine  specialisirte  Quittung  über  den  Empfang 
alter,  neu  aufgeputzter  Waaren. 

Füge  ich  hinzu,  dass  de  Wecker  mein  Verfahren  so- 
fort mit  vollem  Yerständniss  der  Sache  beurtheilte,  dass 
der  verstorbene  College  Pagenstecher  mir  schon  1864 
von  seiner  Extraction  in  der  Kapsel  unter  Chloro- 
form mit  peripherem  Lappen  und  Iridectomie 
Einiges  mittheilte,  Steffan  später,  als  ich  mich  für 
Graefe^s  Methode  entschieden  hatte,  meine  Operation  in 
diesem  Archiv  gegen  ihren  eigenen  Vater  vertheidigte,  so 
glaube  ich  die  Majorität  Derjenigen,  die  sich  zu  einem 
Versuche  mit  meiner  Methode  entschlossen,  namhaft  ge- 
macht zu  haben. 


6raefe*s  Stellung  zu  beiden  Hypothesen.  —  Die 
modificirte  Linear -Extraction. 

Graefe  blieb  beiden  Methoden  gegenüber  nicht  in- 
different. Die  grossen  Abhandlungen  über  die  modi- 
ficirte Linear- Extraction  stehen  mit  seinen  Arbeiten 
aus  den  fünfziger  Jahren  in  keinem  Zusammenhange. 
Waldau*s    1860   erschienene    „AuslOfflung"    brachte    ihn 


214  J*  Jacobson  sen. 

dahin,  f&r  gewisse  Cataracten  des  mittleren  Lebensalters 
die  Methode  zu  empfehlen,  jedoch  unter  der  ausdrücklich 
betonten  Reserve,  dass  DavieFs  Verfahren  für  die  Cataracta 
senilis  beizubehalten  sei;  meine  1863  public irte  Ex- 
traction  veranlasste  ihn  durch  ihre  Resultate  (mit 
meinen  Ansichten  war  er  Anfangs  keineswegs  ein- 
verstanden), die  alte,  classische  Methode  aufzugeben.  Dass 
ich  ihn  über  seine  Stellung  zu  beiden  Methoden,  über  seine 
ersten  Vermuthungen  und  über  Berichtigung  derselben 
durch  eigene  Erfahrungen  aus  seinen  Briefen  sprechen 
lassen  kann,  hat  mich  bewogen,  in  diesem  ersten  Theile 
Waldan  und  mich  als  Diejenigen,  deren  entgegengesetzte 
Principien  von  Einfluss  auf  die  Entwickelung  der  damaligen 
Extractions-Lehre  waren,  in  den  Vordergrund  zu  stellen. 
An  unsere  Stelle  tritt  jetzt  ein  Besserer,  dessen  Leistungen 
bis  zum  Geburtsjahre  des  Archivs,  bis  1854/55,  ich  kurz 
andeuten  will. 

Nach  der  grossen,  classischen  Abhandlung  über 
Linear -Extraction  mit  cornealem  Lanzenschnitte 
nimmt  Graefe  10  Jahre  lang  der  Extraction  gegenüber 
eine  eigenthümliche  Stellung  ein.  Es  scheint,  als  halte  er 
das  Problem  für  ein  im  Wesentlichen  durch  Da  viel  er- 
ledigtes, von  dem  Nichts  übrig  geblieben  sei,  als  für 
seltene  Staarformen  eine  individualisirende,  für  gewisse 
Bedürfnisse  der  Kranken  eine  ihre  Situation  berücksichtigende 
Therapie  zu  ünden.  Dahin  gehören  die  Abhandlungen: 
über  wiederholte  Discission  harter  Staare,  über  prft- 
paratorische  Eapselspaltung  und  Iridectomie  oder  Beides, 
über  die  AuslOfflung  weder  harter,  noch  weicher  Staare. 
Bald  entscheidet,  wie  im  letzten  Falle,  die  Consistenz  der 
Cataract,  bald  zu  langsame  Reifung,  bald  zu  hohes  Alter 
des  Patienten  oder  Verlust  eines  Auges  nach  normaler 
Extraction,  —  aber  ob  von  einzelnen  Fällen,  oder,  wie  bei 
der  AuslOfflung,  von  einer  ganzen  Species  gehandelt  wird, 
immer  ist  sein  letztes  Wort:   „Für  die  harte  senile  Cata- 


V.  Graefe*8  ^odificirte  Linear-Eztractioii"  etc.  215 

ract  bleibt  Dayiel's  Extraction  die  einzige  Methode,  von 
der  nur  selten  Abweichungen  zu  gestatten  sind. 

Mit  dem  Jahre  1863  wird  seine  Stellung  eine  andere: 
hatte  ich  auch  nur  über  100  Extractionen  berichtet,  fOr 
die  damalige  Zeit  waren  2  pGt.  Suppurationen  ein  so  be- 
merkenswerthes,  ungewöhnliches  Besultat,  dass  er  sein  un- 
bedingtes Vertrauen  der  alten  Extraction  nicht  mehr  zu- 
wenden konnte.  In  den  letzten  drei  Jahren  hatte  er  mit 
Waidau's  Methode  genug  trübe  Erfahrungen  gemacht,  um 
zu  seiner  alten  Antipathie  gegen  Einführung  von  Löffeln 
in's  Auge  zurückzukehren,  —  hielt  er  auch  die  Torzuge 
peripherer  Schnitte  keineswegs  für  erwiesen  (cfr.  Citat  6), 
so  war  sein  alter  Glaube  an  eine  Necrose  des  zu  grossen 
Davierschen  Lappens  durch  die  gute  Heilung  der  von  mir 
empfohlenen,  bei  Weitem  grösseren  doch  stark  erschüttert,  — 
und  in  der  Hauptsache  war  er  für  meine  Ansicht  gewesen: 
die  Gataract  nach  Spaltung  der  vorderen  Kapsel 
leleht  austreten  zu  lassen,  hielt  er  für  die  wich- 
tigste Aufgabe  jeder  neuen  Extractions- Methode. 

Ohne  Erfahrung  über  die  Heilung  peripherer  Lappen, 
mit  dem  Qebrauche  des  Chloroforms  nicht  vertraut,  wollte 
er  zunächst  die  von  mir  erreichten  Sehschärfen  mit  denen 
seiner  soeben  vollendeten,  statistischen  Tabelle  über 
1500  Extractionen  vergleichen,  gab  aber  nach  einem  Ein- 
blick in  einen  Theil  meiner  Erankheits- Journale  dieses 
Vorhaben  auf.  Der  letzte  Theil  des  Winters  und  die 
ersten  Monate  des  Jahres  1864  sollten  ihn  die  Eigen- 
thümlichkeiten  der  Narcose  bei  Augen- Operationen  aus 
eigener  Erfahrung  kennen  lehren,  brachten  ihn  aber  immer 
von  Neuem  zu  der  Ueberzeugung,  dass  seine  körperliche 
Disposition  auf  längeres  Inhaliren  von  Chloroform  constant 
mit  einer  heftigen  Hemicranie  reagire. 

Ausser  Stande,  bis  zur  Zeit  des  Heidelberger  Con- 
gresses  sich  aus  eigner  Praxis  ein  ürtheil  über  mein  Ver- 
fahren zu  bilden,  die  Vorzüge  desselben  zu  vertreten  oder 


216  J*  Jacobson  sen. 

seine  Schwächen  anzugreifen,  bewog  er  mich,  die  Yer- 
theidigong  der  Methode  auf  dem  Congresse  des  Jahres  1864 
selbst  ZQ  übernehmen.  In  lebhafter,  aber  den  grOssten 
Theil  des  ersten  Sitzongstages  fortgeführter  Discnssion 
wurde  für  und  wider  gestritten,  bis  er  sich,  ohne  seine 
Bedenken  gegen  Einzelnes  zu  verhehlen,  im  Princip  mit 
grosser  Wftrme  für  die  neue  Operation  ansprach. 

Am  folgenden  Tage  las  unser  College  Gritchett 
(der  Aeltere)  ein  Memoire  über  eine  von  Bowman  und 
ihm  selbst  mit  sehr  gutem  Erfolge  ausgeführte  Extraction, 
an  deren  Eigenthümlichkeiten  ich  kurz  erinnere;  comealer, 
möglichst  breiter  Lanzenschnitt  unmittelbar  unter  dem 
oberen  Limbus,  nOthigenfalls  YergrOsserung  desselben  durch 
Scheerenschnitte,  —  Eapselriss,  —  Entbindung  der  Linse 
mit  oder  ohne  Eitraction  des  Kerns  durch  einen  kleinen, 
flachen  Löffel,  —  Iridectomie  nicht  obligatorisch  und  klein. 

Wie  der  Leser  sieht,  waren  1864  in  Heidelberg  die 
alten,  entgegengesetzten  Hypothesen  wieder  vertreten: 
meine  Methode  war  unverändert  geblieben,  Waldau^s  war 
in  Oraeie*8  Sinn  erheblich  verbessert,  sowohl  durch  den 
möglichst  breiten  Schnitt,  als  auch  durch  die  Einschränkung 
des  Löffels  und  der  Iridectomie,  aber  die  Einführung  des 
Löffels  widerstand  ihm  auch  in  dieser  Form  noch  mehr, 
als  mein  ungeschickter,  zu  grosser,  peripherer  Lappen. 
Noch  in  demselben  Winter  hatte  ich  die  Frage,  ob  ich 
unter  allen  Umständen  an  der  Narcose  festhalten  müsse, 
brieflich  zu  beantworten  (cfir.  Citat  4).  Die  periphere  Lage 
des  grossen  Lappens  Hess  mir  keine  Wahl,  ich  durfte  auf 
Chloroform  nicht  verzichten. 

Noch  immer  hatte  Oraefe  keinen  eignen  Weg  ge- 
funden. Um  die  letzte  Methode,  die  ihm  bliebe  so  voll- 
kommen als  möglich  kennen  zu  lernen,  begab  er  sich 
möglichst  bald  zu  seinen  Freunden  Bowman  und  Critchett 
nach  London,  wo  ihm  reichliche  Gelegenheit  geboten  wurde, 
die  corneale  Linear-Extraction,  meisterhaft  ausgeßlhrty  zu 


T.  Graefe  s  „modMcirte  Linear-Eztraction  *  etc,  217 

studiren.  Aber  gerade  die  Meisterschaft  liess  ihn  den  an- 
heilbaren, für  eine  ganze  Species  ähnlicher  Versuche  lehr- 
reichen Fehler  sofort  erkennen:  „Auch  der  grosseste, 
corneale  Lanzenschnitt  klaffte  nicht  genug,  um 
eine  voluminöse,  harte  Cataract  unter  m&ssigem 
Drucke  leieht  austreten  zu  lassen'*.  Damit  war  fOr 
ihn  auch  die  letzte,  neue  Methode  gerichtet. 

Wenige  Monate  in  Berlin  bestätigten  in  einer  Beihe 
Yon  Versuchen  am  Thier-  und  Menschen -Auge  das  Be- 
denken, das  sich  ihm  als  Zuschauer  in  London  aufgedrängt 
hatte.  Noch  in  demselben  Jahre  brachte  dieses  Archiv 
seine  erste,  grosse  Abhandlung  ttber  „modificirte  Linear- 
Extraction*",  in  der  er  die  Unentbehrlichkeit  der  Tractions- 
Instrumente  für  besonders  grosse  Kerne  noch  einräumen 
musste.  1867  waren  dieselben  entbehrlich  geworden.  Re- 
sultat 2  bis  3  pGt  Eiterungen.  —  Seit  1868  habe  ich 
nur  noch  nach  Oraefe's  letzter  Methode  extrahirt  Ich 
habe  es  nie  bereut.  — 

Ehe  wir  uns  eingehender  mit  historisch  festgestellten 
Daten  über  Graefe's  letzte,  grosse  Beform  der  Eitraction 
beschäftigen,  bitte  ich  den  Leser  aus  der  so  eben  skizzirten 
Zeit  bis  186ö  auf  Folgendes  zu  achten:  nur  von  einem 
Autor,  dessen  Ansicht  ohne  Einfluss  auf  die  Entwicklung 
der  Extraction  geblieben  ist,  von  Mooren,  erfahren  wir, 
dass  er  die  Iridectomie  für  ein  Palliativ  gegen  Lappen- 
eiterung hält,  allen  übrigen  ist  sie  ein  Opfer,  das  dem 
Zwecke,  die  Linse  leicht  austreten  zu  lassen,  oder  trau- 
matische Iritis,  Prolapsus  iridis  etc.  zu  vermeiden,  gebracht 
werden  muss.  Ferner  ist  nachgewiesen,  dass  Graefe  erst 
1863,  durch  die  Besultate  meiner  peripheren  Extraction 
veranlasst,  die  Daviersche  Methode  verliess,  dass  er  sich 
1864  noch  gegen  die  obligatorische  Iridectomie  erklärte 
und  ohne  eigne  Initiative,  nachdem  er  die  AuslOfiTlung  auf- 
gegeben, die  principiell  der  Iridectomie  abgeneigte  Methode 
der  Engländer  studirte,  um  sie  bald  zu  verwerfen,  dass  er 


218  ^'  Jacobson  sen. 

endlich  nur  durch  seine  Intoleranz  gegen  Chloroform  ver- 
hindert wurde,  es  mit  meinem  peripheren  Lappen  zu  ver- 
suchen. Nur  dieses  Minimum  braucht  man  zu  wissen,  um 
Schweigger*s  erfinderische  Phantasie  in  seiner  Heidelberger 
Rede  anzustaunen. 

Welchen  Zweck  Graefe  mit  seiner  neuen  Methode 
verfolgte,  wie  er  dieselbe  ausgeführt  haben  wollte,  erfahren 
wir  aus  seinen  Abhandlungen  in  diesem  Archiv  sehr  viel 
besser,  als  ich  es  in  Kürze  wiederzugeben  vermag;  aber 
wodurch  er  sich  nach  der  Londoner  Beise  genOthigt  sab, 
gerade  diesen  und  nur  diesen  einen  Weg  einzuschlagen, 
davon  ist,  soviel  ich  weiss,  Nichts  öffentlich  bekannt  ge- 
worden. Da  diese  ersten  Keime  der  neuen  Methode  nicht 
nur  historisch,  sondern  auch  für  das  Terständniss  der 
Operation  von  Interesse  sind,  will  ich  über  dieselben  aus 
bester  Quelle  berichten. 

Die  Unmöglichkeit,  einen  einigermassen  grossen  Kern 
durch  den  alten,  comealen  Lanzenschnitt  spontan  Idcht 
hinauszubefördern,  war  a  priori  so  selbstverständlich,  dass 
man  sofort,  ohne  den  Mechanismus  theoretisch  näher  zu 
erörtern,  den  Löffel  zu  Hilfe  genommen  hatte.  Erst  durch 
die  unerwartete  Resistenz  der  breiten  Cornealschnitte, 
selbst  bei  möglichst  genauer  üebereinstimmung  der  äusseren 
und  inneren  Wunden,  wurde  Graefe's  Aufmerksamkeit  auf 
die  handgreifliche  Verschiedenheit  der  sogenannten  linearen 
und  lappenförmigen  Schnitte,  von  der  die  Leichtigkeit  der 
Linsenentbindung  abhing,  gelenkt:  auf  der  einen  Seite  mehr 
weniger  lineare  Wunden  mit  eng  anschliessenden  Bändern, 
die,  dem  Drucke  eines  festen  Körpers  weichend,  einen 
elliptischen  Spalt  zwischen  sich  entstehen  lassen  sollten, 
auf  der  anderen  Zusammenhangstrennungen  von  der  Form 
eines  Kreis -Segmentes,  die  Lappenränder  nach  Abfluss  des 
Humor  aqueus  nur  mit  einem  Theil  der  Schnittfläche  lose 
einander  anliegend,  der  Lappen  mit  zunehmender  Höhe  und 
Breite   gegen  einen   andrängenden  Körper  weniger  Wider* 


T.  Graefe's  ^niodificirte  Lioear-Exta^ction"  etc.  219 

stand  leistend.  Von  jeder  Hypothese  absehend,  stellte 
Oraefe  sich  deshalb  die  Aufgabe,  durch  eine  von  beiden 
Schnittformen  eine  Cataract  ohne  Gefahr  für  die  Er- 
haltung des  Auges  austreten  zu  lassen.  Beide  Schnitte 
waren  in  den  bekannten  alten  und  neuen  Extractionen  ver- 
treten, einen  Theil  der  alten  konnte  er  der  ihnen  ad- 
hftrirenden  Gefahren  wegen  ohne  Weiteres  streichen,  unter 
den  neueren  war  die  von  mir  empfohlene  ffir  ihn  wegen 
der  Alternative  zwischen  Prolapsus  und  Chloroform  eben- 
falls unannehmbar. 

Die  Zahl  der  möglichen  Methoden  war,  wenn  man 
sich  nicht  in  Lappenbildungen  von  verschiedenen  Formen 
versuchen  wollte,  nichts  weniger  als  unbegrenzt:  aus- 
geschlossen war  der  Daviel'sche  und  jeder  kleinere  Lappen 
in  der  gefässlosen  Cornea  durch  die  empirisch  festgestellte 
Suppuration  des  Lappens,  ferner  mein  hoher,  peripherer 
Lappen  wegen  der  Chloroform -Narcose,  ebenso  der  alte 
comeale  Lanzenschnitt  mit  AuslOflTlung  bis  hinauf  zur 
Methode  der  Engländer,  endlich  der  noch  nicht  versuchte 
periphere  Lappen  von  geringerer  Höhe  und  Breite;  denn 
die  Gefahr  des  Prolapsus  hängt  nicht  von  der  absoluten 
Breite,  sondern  von  der  vollkommen  peripheren  Lage, 
durch  die  dem  Ciliartheil  der  Iris,  'der  Zonula,  dem  Glas- 
körper der  Widerstand  des  Cornealrandes  entzogen  wird,  ab. 

Zwischen  dem  zu  kleinen  Davierschen  Lappen  und 
meinem  übermässig  grossen,  fBr  den  ich  die  leichte  Linsen- 
entbindung und  die  gefahrlose  Wundheilung  durch  viele 
Beobachtungen  bewiesen  hatte,  musste  es  zwar  eine  nicht 
zu  plumpe  Lappenform  von  gleich  guter  Beschaffenheit  für 
das  Endresultat  geben,  aber  mit  wenig  Ueberlegung  lässt 
sich  einsehen,  dass  jede  Combination  von  Breite  und  Hohe 
immer  wieder  auf  die  Narcose  oder  die  Gefahr  des  Pro- 
lapsus zurückführt. 

Es  blieb  mithin  für  Graefe  nur  noch  die  Mög- 
lichkeit eines  leicht  klaffenden  Schnittes,  wie  ihn 


220  J'  Jacobson  sen. 

die  Engländer  gesucht,  aber  nicht  gefunden  hatten. 
Gewisse  Eigenschaften  desselben  Hessen  sich,  wenn  er  seinen 
Zweck  erfüllen  sollte,  a  priori  bestimmen:  1.  musste  er, 
wenn  nach  Abfluss  des  Humor  aqueus  die  Linse  nicht 
nach  der  später  von  Küchler  erdachten,  aber  schwerlich 
von  Jemand  nachgeahmten  Methode  gegen  den  Glaskörper 
gedrängt  werden,  sondern  mit  möglichst  geringer  Yerletzong 
des  Auges  austreten  sollte,  ungefähr  über  resp.  unter  dem 
Bande  der  gegen  die  Cornea  hin  voi^erückten  Linse  li^en; 
2.  wenn  die  Linse  ohne  erhebliche  Achsendrehuug  hinaus- 
befördert werden  sollte,  musste  er  die  Breite  der  breitesten 
harten  Cataract  nach  rechts  und  links  um  mindestens  2  mm, 
d.  h.  den  Scleralbord  um  1  mm  überragen;  3.  musste  er 
der  Cornea  nahe  genug  liegen,  um  weder  Einklemmung 
eines  Processus  ciliaris,  noch  Eintreten  von  Corpus  vitrenm 
zwischen  die  Wundränder  zuzulassen.  Mit  dieser  Eigen- 
schaft war  eine  nähere  Bestimmung  von  No.  1  gegeben. 

Es  war  eine  vollkommen  richtige  Voraussetzung  für 
alle  nach  Abfluss  des  Humor  aqueus  nicht  coUabirende 
Augäplel,  von  der  Graefe  ausgegangen  war:  dass  nach 
dem  ersten  Schnitte  die  Iris  sich  der  hinteren  Fläche  der 
Hornhaut  anlege,  die  Linse  nachfolge,  dass  der  Linsenrand 
also  etwa  um  die  halbe  Dicke  der  Linse  (ca.  IVs  mm) 
hinter  der  Iris  (d.  h.  hinter  der  Corneo-Scleralgrenze) 
liege.  Da  der  Kopf  des  Proc.  ciliaris  aber  dem  Linsen- 
rande nicht  folgen  kann,  so  kann  ein  ungefähr  in  der 
Sichtung  einer  Tangente  an  den  oberen  Scheitelpunkt  der 
Cornea  gelegter  Schnitt  aussen  die  Sclera  durchtrennen, 
ohne  mit  dem  Proc.  ciliaris  in  CoUision  zu  kommen. 

Ob  ein  Schnitt,  der  diese  Bedingungen  erfüllt,  im 
streng  mathematischen  Wortsinne  linear  sein  kann,  ob  er 
die  Höhe  eines  Instrumentes  von  V«  mm  Messerbreite  hat, 
ob  er  sich  mehr  einem  gleichmässigen  Bogen  von  sehr 
grossem  Badius  oder  einer  graden  Linie  mit  einem  winklig 
abfallenden  Appendix  an  jedem  Ende  nähert,  ist  natürUoh 


y.  Graefe's  ,^odificirte  Linear-Extraction'*  etc.  221 

fQr  den  Zweck  der  Operation  eben  so  gleichgültig,  wie 
sein  Name  far  das  Verständniss  seiner  Bedeutung  ver- 
h&ugnissvoU  werden  kann.  Ursprünglich  war  schon  der 
peripheren  Lage  wegen  für  Graefe  jeder  dem  alten  Lappen 
ähnliche  Schnitt  unmöglich,  ein  klaffender  Schnitt  in  der 
Sclera  blieb  das  Ultimum  refugium,  mit  dem  er  es  noch 
versuchen  konnte.  Hätte  sich  dasselbe  nicht  bewährt,  wäre 
es  Graefe  nicht  gelungen,  ein  zweckmässiges  Instrument 
für  die  neue  Incision  zu  erfinden,  so  wäre  ihm  nur  noch 
der  Versuch  mit  niedrigen,  peripheren  Lappen  (ohne  Eserin) 
oder  mit  Chloroform  übrig  geblieben.  Die  anderen  Mög- 
lichkeiten waren  erschöpft. 

Wie  die  Aufgabe  technisch  gelöst  worden  ist  und  mit 
welchem  Erfolge,  sagen  uns  die  in  diesem  Archiv  publicirten, 
grossen  Abhandlungen.  Sie  enthalten  Alles,  wodurch  man 
sich,  wenn  man  die  Vorschriften  genau  befolgt  hätte,  die 
besten  Resultate  gesichert  haben  würde,  in  grosser  Voll- 
kommenkeit, durchsichtiger  Klarheit  und  leicht  verständ- 
licher Begründung.  Ueber  die  oben  skizzirte  Art,  wie 
Graefe  gewissermassen  per  exclusionem  in  den  Scleralbord 
gelangen  und  den  Lappenschnitt  aufgeben  musste,  ist  viel 
zwischen  uns  verhandelt  worden.  Bekanntlich  gehörte  es 
zu  seinen  unab weislichen  Bedürfiiissen,  über  praktisch- 
wissenschaftliche Gegenstände,  die  ihn  beschäftigten,  sich 
auszusprechen,  bekanntlich  nahm  kein  Mensch  es  dankbarer 
auf,  als  er,  wenn  man  —  gleichviel,  ob  als  sogenannter 
ebenbürtiger  oder  als  schülerhafter  Anfänger  —  auf  seine 
Ideen  zustimmend  oder  widersprechend  einging.  Dass  die 
eine  leichte  Linsenentbindung  begünstigende  Schnittform 
der  Hauptvorzug  seiner  Methode  sei,  blieb  nach  den 
wenigen  Erfahrungen,  die  ihm  noch  vergönnt  waren,  seine 
feste  Ueberzeugung,  wie  sie  es  vor  der  Erfindung  des 
Verfahrens  gewesen  war,  aber  ob  die  lineare  Form  oder 
die  periphere  Lage  das  Wesentlichste  sei,  darüber  änderte 
sich   sein  Urtheil.  —  Auch   dass  die  neue  Methode,   weil 


222  J*  Jacobson  sen. 

der  Eapselriss  durch  Achsendrehang  nicht  erweitert  werde, 
eine  nmfangreiche  Zerreissnng,  selbst  Eztraction  der  vor- 
deren Kapsel  erfordere,  hatte  er  lange,  ehe  das  Technische 
genau  formulirt  war,  bedacht  und  schon  aus  diesem  Orunde 
principiell  die  Combination  feines  Yerfiahiens  mit  der 
Iridectomie  für  nothwendig  erU&rt,  aber  über  die  Grösse  der 
Iridectomie  sehen  wir  ihn  später  erst  Versuche  auf  Ver- 
suche häufen,  die  immer  wieder  auf  das  nothwendige  üebel 
einer  grossen  Iridectomie  zurückfQhren. 

Es  dürften  in  dem  soeben  Mitgetheilten  nur  wenige 
Sätze  enthalten  sein,  für  deren  Bichtigkeit  schriftliche  Zeug- 
nisse von  seiner  Hand  nicht  vorgelegt  werden  können  und, 
sobald  es,  ohne  lebende  Personen  zu  verletzen,  geschehen 
kann,  auch  vorgelegt  werden  sollen.  Aus  ihnen  und  aus  der 
ganzen  Art,  wie  man  von  sicher  Erworbenem  fortschreitend, 
allmählich  ein  Jahre  lang  festgehaltenes  Ziel  unentwegt 
verfolgte,  wird  der  Leser  entnommen  haben,  dass  wir  damals 
vom  Standpunkte  der  sechziger  und  fünziger  Jahre  Ernsteres 
und  Wichtigeres  zu  thun  hatten,  als  an  den  kosmetischen 
Vorzug  runder  Pupillen  zu  denken.  Damals  hatte  man 
sich  in  der  That  keine  geringere  Aufgabe  gestellt,  als  die, 
jeden  Staarblinden  zu  heilen;  denn  dass  es  nach  Besei- 
tigung der  Lappen-Eiterung  gelingen  werde,  mit  weniger 
bösen  Folgen  der  Bxtraction  fertig  zu  werden,  daran  zweifelte 
Niemand.  In  solchen  idealen  Aufgaben,  denen  man 
vermuthlich  einige  Berechtigung  neben  den  ideal -runden 
Pupillen  zugestehen  wird,  liegt  aber,  —  das  kann  Graefe*s 
Beispiel  jeden  lehren  —  sobald  man  sich  erst  dem  Ziele 
nahe  glaubt,  eine  unwiderstehliche,  auf  eine  bestimmte  Vor- 
stellung von  dem  Wesen  des  Ideals  gerichteten  Kraft.  Das 
Ideal  der  sechziger  Jahre  hiess:  „Jeder  Extrahirte  soll  gut 
sehen,  —  unsere  neuesten  Krittler  der  Iridectomie  wollen 
uns  das  Ideal:  jeder  Extrahirte  soll  gut  aussehen''  oder 
vielmehr  „kein  Extrahirter  soll  durch  die  Operation  an  seinen 


V.  Graefe*8  ^modificirte  Linear-Extraction*'  etc.  223 

Heizen  geschädigt  werden'*,  plausibel  machen.  Graefe  hatte, 
wenn  Schweigger  auch  die  Thatsache  bestreitet,  seiner 
eigenen  Annahme  nach  bis  1865  etwa  6  —  8  7o  S^P- 
porationen  nach  der  Extraction  gehabt,  wenige  Jahre  vor 
seinem  Tode  (1870)  brachte  er  es  endlich  durch  seine 
eigene  Erfindung  bis  auf  2  Procent.  Noch  im  Jahre  1868 
kämpfte  er  vergeblich,  um  dieselbe  von  seinen  Freunden 
nicht  verderben  zu  lassen.  Was  wäre  thOrichter  gewesen, 
als  das  Errungene  aufzugeben,  es  in  die  Hände  Anderer 
zu  legen,  das  Wichtigste,  die  Heilung  von  Blindheit,  auf 
neuen,  unsicheren  Wegen  zu  suchen,  um  Nebensächlichem, 
der  Erhaltung  einer  runden  Pupille,  nachzujagen? 

Glaubten  unsere  französischen  Gollegen  eine  sichere 
Extraction  ohne  Verstümmelung  der  Iris  finden  zu  können, 
so  waren  sie  in  ihrem  vollen  Rechte,  Theilzahlungen  sich 
nicht  bieten  zu  lassen.  Wir  in  Deutschland  suchten 
wenigstens  die  Hauptsache  zu  erreichen,  sprangen  deshalb 
in  richtiger  Gonsequenz  nicht  auf  Nebensächliches  ab,  so 
lange  wir  in  der  Hauptsache  sichtbare  Fortschritte 
machten. 

Die  Entwicklung  der  Extraction  von  1860  bis  1868, 
deren  historischen  und  wissenschaftlichen  Zusammenhang 
wir  soeben  besprochen  haben,  liegt  jedem,  der  die  Wahr- 
heit und  nicht  geeignetes  Material  f&r  Zwecke,  die  der 
Wissenschaft  fern  liegen,  sucht,  so  klar  vor  Augen,  dass 
sie  eines  Gommentars  nicht  bedarf.  Ich  habe  deshalb  nicht 
erwähnt,  was  jeder  Leser  des  Archivs  und  derZehender'- 
schen  Monatsblätter  lange  weiss  und  sich  sofort  in*8  Ge- 
dächtniss  zurückrufen  kann,  sondern  mich  hauptsächlich 
auf  den  Inhalt  von  Privat-Mittheilungen,  die  nicht  allgemein 
bekannt  sind,  beschränkt.  Beide  beweisen  unwiderleglich, 
dass  Schweig ger's  Heidelberger  Bede  über  den  „Stand- 
punkt des  fünften  Decenniums''  und  über  Graefe* s  Stellung 
zur  Iridectomie   nur  Unrichtiges   gebracht  hat.    Vielleicht 


224  J*  Jacobson  sen. 

erklärt  sich  dies  daraus,  dass  das  fünfte  Decennium  schon 
abgelaufen  war,  als  Schweigger  an  der  GOttinger  Klinik 
die  ersten,  selbstständigen  Studien  über  seinen  3  bis  4  mm 
hohen  Linearschnitt  und  Graefe's  obligatorische  Iridectomie 
machte.  Graefe  glaubte  in  den  pathologischen  Arbeiten 
der  letzten  Jahre  die  ersten  Vorboten  einer  neuen  Richtung, 
von  der  er  bis  zur  Todesstunde  das  schlimmste  f8r  sein 
begonnenes  Werk  fOrchtete,  deutlich  zu  erkennen,  warnte 
vor  Rückfällen  in  ein  oberflächlich  empirisches  Herumtappen 
in  der  Therapie,  bat  die  Anhänger  seiner  neuesten  Extractions- 
Methode,  sich  durch  Form-Aehnlichkeit  nicht  bestechen  zu 
lassen,  sondern  seinem  Gedankengange  zu  folgen,  war  aber 
schon  zu  schwach,  um  energisch  für  ein  Princip  weiter  zu 
kämpfen,  das  er  von  1866  bis  1867  in  den  umfangreidien 
Abhandlungen  dieses  Archivs  mit  mehr  Gründlichkeit  und 
Ernst,  als  gutem  Erfolge  vertreten  hatte. 

Die  unbewusste  Beseitigung  der  Linear-Extraction 

durch  „Verbesserungen". 

In  dem  letzten  der  folgenden  Citate  —  ich  habe  es 
einem  seiner  Briefe  aus  dem  Jahre  1868,  in  dem  er  nach 
Beseitigung  der  Tractions-Instrumente  die  allgemeine  Be- 
stätigung seiner  gefahrlosen  Staar- Operation  erwartete, 
nach  Verlauf  weniger  Monate  aber,  durch  schwere  physisdie 
und  psychische  Leiden  für  immer  gebrochen,  aus  Lipp- 
springe  heimkehrte,  entlehnt,  —  in  diesem  Citate  findet 
der  Leser  seinen  ersten  Hilferuf  um  Schutz  gegen  seine 
allerorts  für  das  Wohl  seines  jüngsten  Produktes  selbstlos 
und  thatkräftig  bemühten  Freunde.  Je  weniger  er  gerade 
auf  diesem  wichtigen  Gebiete  („dem  Gentrum  unserer 
praktischen  Thätigkeit",  wie  er  es  in  einem  Briefe  nennt) 
einen  Erfolg  erwartet  hatte,  um  so  glücklicher  war  er  in 
der  Ueberzeugung,  nach  mehrjähriger  Prüfung  anderer 
Methoden  und  gewissenhaftem  Durchdenken  der  complicirten 


.  (iraefe*s  ,^odilicirte  Lineax-Eztraction*'  etc.         225 

Aufgabe  einer  Losung,  deren  Sicherheit  ihm  tägliche, 
klinische  Erfahrungen  bestätigten,  gefunden  zu  haben. 

Unzweifelhaft  sind  die  Abhandlungen  über  „modificirte 
Linear-Extraction**,  so  hoch  ich  dieselben  stelle,  nicht  die- 
jenigen Leistungen  Oraefe's,  in  denen  sich  seine  ganze, 
geistige  Grösse  offenbart,  aber  genauer,  sorgfältiger,  man 
möchte  sagen  ängstlicher,  um  nur  bis  in's  Detail  die 
uubedingte  Nothwendigkeit  seiner  Vorschriften  zu  demon- 
striren  und  Wesentliches  von  Accidentellem ,  das  Modifica* 
tionen  erträgt,  zu  trennen,  hat  er,  so  weit  ich  mich  erinnere, 
nie  geschrieben. 

Leider  musste  er  erfahren,  dass  „der  Standpunkt  der 
fünfziger  Jahre"  verlassen  war.  Die  Verehrung  für  seine 
Person  hatte  nicht  nachgelassen.  Niemand  dachte  daran, 
auf  seine  Kosten  berühmt  zu  werden,  für  Alle  (mit  sehr 
vereinzelter  Ausnahme)  gab  es  seit  1866  nur  noch,  eine 
dominirende  Methode,  die  Graefe'sche  Linear-Extraction, 
—  aber  gerade  um  kleine  Mängel  zu  beseitigen,  um  den 
vollen  Buhm,  jeden  Cataractösen  sicher  geheilt 
zu  haben,  Graefe  zu  gOnnen,  brachte  jeder  sofort  nach 
der  Erfahrung  am  Krankenbette  „die  kleine  Verbesserung" 
an,  deren  Wirkung  ja  auf  der  Hand  lag. 

Graefe  war  lange  begraben,  seine  klinischen  Beob- 
achtungen hatten  es  ihm  immer  wahrscheinlicher  gemacht, 
dass  nicht  von  der  linearen  Form,  sondern  von  der  peri- 
pheren Lage  des  Schnittes  die  günstige  Heilung,  und  mit 
ihr  das  Heil  der  Extraction  abhänge,  —  wer  mit  ihm  ein- 
gesehen hatte,  dass  die  Idee  der  Linear-Extraction  nur 
Wenigen  klar  geworden,  der  Erfolg  der  Operation  mithin 
nichts  weniger,  als  gesichert  sei,  dessen  kosmetische  Bedürf- 
nisse hätten,  gleich  denen  Schweigger's,  sehr  viel  mäch- 
tiger sein  müssen,  als  sein  Verlangen,  jeden  Staarblinden 
zu  heilen,  wenn  er  plötzlich  einer  von  de  Wecker  schon 
vor  25  Jahren  betonten  conditio  sine  qua  non  der  Fran- 
zosen, „der  runden  Pupille",  als  einem  Ideal  nachgelaufen 

V.  Graefe'a  Archiv  fttr  Ophthalmologie,  XXXIV.  2.  15 


226  ^'  Jacobson  sen. 

wäre,  anstatt  nach  Graefe*s  Tode  sich  ein  eigenes  Criheil 
über  die  Leistungen  der  neuen  Methode  zu  schaffen.  Die 
Mehrzahl  der  Freunde  und  Gegner  liess  die  vortreffliche 
Gelegenheit,  sich  um  die  Wissenschaft  verdient  zu  machen^ 
nicht  unbenutzt.  Daviel  wurde  verworfen,  Graefe  nicht 
angenommen,  im  Ganzen  blieb  man  linear,  ohne  der  Lappen- 
form im  Einzelnen  untreu  zu  werden,  begann  scleral,  um 
allmählich  sclero-comeal,  schliesslich  corneal  zu  enden,  — 
Bindehautlappen,  Eapselriss,  Iridectomie,  Chloroform  und 
ein  Terrain  von  der  Grosse  der  Cornea  bewährten  sich  lange 
Zeit,   wie  es  schien,   als  unerschöpfliche  Yersnchs-Objecte. 

Nach  20  Jahren  aber  hatte  die  Freude  ein  Ende.  Was 
aus  alten  Quellen  noch  geschöpft  wurde,  war  fast  ungeniess- 
bar,  nicht  zu  vergleichen  mit  der  klaren  Quelle,  aus  der 
Graefe  sein  Material  fur  die  junge  Pathologie  hergenommen 
hatte.  Jetzt  erst  unterwarf  jeder  seine  Graefe'scfae  Ex- 
traction  einer  Prüfung:  die  Einen  merkten,  dass  sie  nie 
nach  Graefe  operirt  hatten,  die  Andern  hatten  sogar  die 
Methode  getadelt,  ohne  ihre  Beschreibung  genau  zu  kennen» 

Da  war  für  jeden  praktischen  Mann  der  Moment  ge- 
kommen, Farbe  zu  bekennen:  entweder  hatten  die  Opera- 
teure eine  selbst  von  Graefe  erdachte,  motivirte  und  seinen 
Erfahrungen  nach  unübertroffene  Extraction  genau  nach 
seinen  Angaben  auszuführen,  nicht  mehr  für  nOthig  gehalten^ 
oder  die  Methode  war  fehlerhaft,  weil  sie  sich  selbst  in 
den  Händen  der  jüngeren  Autoren  nicht  bewährte.  Natürlich 
sprach  die  allgemeine  Stimme  ihr  „Schuldig  unter  mildern- 
den umständen"  über  die  Methode. 

So  war  Graefe  endlich  wenigstens  in  der  Extractions- 
lehre  ein  überwundener  Standpunkt  geworden:  die  „Ueber- 
stürzung'*,  die  Jüngken  schon  1854  prophetisch  getadelt 
hatte,  nahm  ein  Ende,  —  bescheidener  Sterilität  als  dem 
natürlichen  Palliativ  gegen  Irrthümer  der  sogenannten  Genies 
liess  man  gern  das  Wort,  beschränkte  sich  darauf.  Altes  zu 


y.  Graefe*s  ^odifidrte  Linear-Extraction**  etc.  227 

erfinden  and  neue  Ideale,  gut  übersetzt,  von  ästhetisch 
reiferen  Nationen  zu  importiren.  — 

An  der  grossen  Metamorphose  der  Linear-Extraction  den 
geringsten  Antheil  zu  haben,  kann  ich  mich  nicht  rfihmen. 
Als  man  in  weiten  Kreisen  über  die  Gründe  der  trauma- 
tischen Gyclitis  post  extractionem  vollkommen  klar  war, 
glänzte  ich  durch  meine  Unwissenheit;  ob  ich  nach  einer 
guten  Methode  schlecht  oder  nach  einer  schlechten  Methode 
gut  operirte,  darüber  konnte  ich  erst  weit  später  Auskunft 
geben.  So  bin  ich  zurückgeblieben,  weil  mir  die  schnellen 
Beine  zum  Fortschreiten  nicht  beschieden  sind.  Was  ich 
bis  jetzt  erfahren  habe,  bringt  der  nächste  Abschnitt  mit 
einigen  Citaten  aus  Graefe*s  Briefen. 


Graefe's  Kritik  meiner  peripheren  Lappen-Extractlon 
nach  Citaten  aus  seinen  Briefen. 

Briefliches  über  seine  Methode. 

Gitat  1.  Die  Eiterungsvorgange  nach  Extraction, 
welche  ich  anatomischen  Resultaten  zufolge  der  Horn- 
haut zuschreiben  mochte,  obwohl  sich  in  sehr  kurzer 
Zeit  die  ersten  Anfänge  der  Iritis  propagata  nachweisen 
lassen  etc. 

Später  ist  in  seinen  Briefen  von  dieser  kurz  vorher 
von  Mooren  für  die  Extraction  verwertheten  Hypothese 
nie  mehr  die  Bede.  In  dem  ersten  sollte  sie  gegen  die 
frisch  publicirte  Schrift  protestiren  und  zugleich  seinen 
Standpunkt  mir  gegenüber  feststellen,  weil  der  Zweck 
meiner  Arbeit  gewesen  war,  von  den  äusseren  Ursachen 
der  traumatischen  Suppuration  zu  ihrer  Verhütung  zu 
gelangen. 

Zum  Verständniss  der  beiden  nächsten  Citate  mag 
dienen:  dass  Graefe*s  Antwort  auf  die  Dedication  unver- 
kennbar Sympathie  für  den  Verfasser  und  dessen  Bestre- 
bungen  verrieth,    dass  aber  die  Gegenstände,  um  die  es 

15* 


228  J*  Jacobson  sen. 

sich  handelte,  ihm  zum  Theil  aus  eigener  Erfahrung  nicht 
bekannt  (Chloroform,  Wundheilungen  im  Scleralborde),  zum 
Theil  von  ihm  anders  aufgefasst  waren.  Vorläufig  fehlte 
eine  gemeinsame  Grundlage  für  weitere  Verständigung. 

Im  höchsten  Maasse  wurde  er  durch  die  fiesultate  über- 
rascht, die  von  den  bisherigen  in  Bezug  auf  die  Lappen- 
Eiterung  gar  zu  sehr  abwichen,  üeber  sie  wollte  er  zu- 
nächst sich  nicht  täuschen;  ein  Vergleich  der  von  ihm  und 
von  mir  erreichten,  centralen  Sehschärfen  sollte  zeigen,  ob 
die  guten  Lappenheilungen  zu  theuer  erkauft  worden  seien. 

Meine  Antwort  war  eine  nicht  geringe  Menge  genau 
geführter  Erankheitsgeschichten,  aus  denen  einige  Notizen 
in  dieses  Archiv  übergegangen  sind,  und  die  Bemerkung, 
dass  meiner  Meinung  nach  von  der  Statistik,  wie  man  sie 
in  der  Ophthalmologie  bisher  getrieben  habe,  mehr  Schaden 
als  Nutzen  zu  erwarten,  dass  es  ein  Leichtes  sei,  mit  ihrer 
Hülfe  werthvoUe  Errungenschaften  der  klinischen  Beob- 
achtung zu  diskreditiren  und  für  völlig  unbegründete  Ent- 
deckungen Beclame  zu  machen. 

Citat  2.  „Resultate,  zu  denen  ich  es  nicht  habe 
bringen  können,  so  sehr  mich  auch  der  Cultus  dieser 
Operation  beschäftigt  hat.  Das  Material  zu  einer 
Monographie  über  ExtractioD  habe  ich  neulich  mit 
dem  1500  ten  Falle  abgeschlossen.  Vorläufig  eine  kurze 
üebersicht: 

Volle  Resultate  (S  mindestens  VO  •    •    8^  pCt. 
Gröbere  Resultate  (S  >  Vw)     ...      7    „ 
Halbe    Resultate    (mindestens    Finger 

auf  1') ' 6  pCt. 

Nichterfolge       7    „ 

Wie  anders  die  Resultate  bei  verschiedenen  Klassen 
von  Patienten  ausfallen,  und  seitdem  ich  mehr  Werth 
auf  einen  genauen  Druckverband  lege,  sehen  Sie  aus 
Folgendem: 


V.  Graefe's  „modificirte  Linear-Extraction"  etc.  229 

Beste  Erfolge  (Privat -Praxis)  .  91,    4,  3^    2. 
Schlechteste    Erfolge    (Prole- 
tarier)     72,  10,  4,  14. 

Druckverband 84,    6,  6,    4." 

Für  unsere  BeurtheiluDg  der  alten  und  neueren 
Methode  sind  die  vorstehenden  Zahlen  nicht  ohne  Werth: 
wir  entnehmen  aus  ihnen,  dass  die  besten  Operateure  vor 
25  Jahren  an  die  Sehschärfen  ihrer  Extrahirten  keine  all 
zn  grossen  Ansprüche  machten,  und  dass  die  Resultate 
der  Davierschen  Methode  von  einer  Menge  individueller 
Eigenschaften  der  Patienten,  die  der  Operateur  weder  be- 
herrscht, noch  unter  allen  Umständen  rechtzeitig  erkennt, 
abhingen,  während  meinen  Erfahrtingeti  nach  die  Erfolge 
der  Qraefe'schen  Methode  in  der  Praxis  der  Proletarier 
und  in  der  Privat- Praxis  dieselben  gleich  guten  sind. 

Je  mehr  solche  Factoren  mitsprächen,  desto  weniger 
Werth  habe,  wie  ich  ihm  unter  Anderem  schrieb,  eine 
vergleichende  Statistik  der  Sehschärfen  für  unser  ürtheil 
über  die  Vorzüge  und  Mängel  neuer  Operationen.  In 
seiner  Antwort  heisst  es: 

Citat  3.  „Ihre  Bemerkungen  über  die  Statistik  der 
Operations -Besul täte  räume  ich  ein.  Sie  kann  die 
individuelle  Durcharbeitung  der  Fälle  nicht  ersetzen, 
allein  auf  sehr  grosse  Zahlen  ausgedehnt, 
behält  sie  immer  ein  gewisses  Recht,  da  man  an- 
nehmen darf,  dass  hier  eine  gewisse  Ausgleichung 
der  individuellen  Verhältnisse  stattfindet.  Dieses 
Princip  hat  allerdiegs  für  unseren  Gegenstand  noch 
namhafte  Beschränkung:  ihre  Extrahirten  verweigern 
die  Discission,  von  meinen  sind  mindestens  zwei 
Fünftel  auf  einem  Auge  unglücklich  operirt.  Wir 
dürfen  eine  Statistik  nicht  ä  Tanglais  hinwerfen, 
sondern  müssen  gewisse,  die  Gesammt- Verhältnisse 
betreifende  Nebenmnstände  angeben,  damit  der  Leser 


230  J-  Jacobson  sen. 

sie  abwägen  and  berücksichtigen  kann.  Vorher  dia- 
gnosticirte  Amblyopien  und  GlaskOrperleiden  wfirde 
ich  aus  der  Statistik  der  Cataracten  ausscbliessen, 
wie  ich  es  früher  mit  Myopie  that,  jetzt  unterlasse, 
da  ich  nicht  finde,  dass  durch  Sclerectasia  posterior, 
selbst  mit  circumscripten  Glaskörpertrübungen,  die 
Sehscharfe  erheblich  leidet.  Von  den  nicht  erkenn- 
baren Complicationen  (Thränensackleiden,  Marasmus, 
Alkoholismus)  müssen  wir  bei  sehr  grossen,  nicht 
detaillirten  Zahlen  (und  nur  solche  haben  Werth) 
auf  eine  gewisse  Ausgleichung  rechnen.  Im  üebrigen 
zähle  ich  nach  der  Sehschärfe,  bezeichne  als  Yolle 
Sehschärfe  etc.  etc. 

Es  wäre  eine  ophthalmologische  Zusammen- 
kunft, um  bezügliche  Normen  aufzustellen, 
eine  sehr  schOne  Sache." 

Sehr  grosse  Zahlen!  Bestimmte  Normen!  Nach  ge- 
meinsamem Plane  festgestellte  Schemata,  nach  denen  jeder 
Beobachter  seine  Resultate  zu  schätzen  habe!  Wie  der 
Leser  sieht,  befand  ich  mich  neulich  in  guter  Gesellschaft, 
als  ich  an  anderem  Orte  die  Möglichkeit  einer  wissen- 
schaftlichen  Pathologie  ohne  ein  durch  gemeinsame,  plan- 
mässige  Arbeit  geschaffenes  Fundament  von  Beobachtungen 
bezweifelte.  So  oft  man  auch  eine  entscheidende  Statistik 
von  uns  verlangt  oder  selbst  in  Aussicht  stellt,  es  sind 
leere  Worte,  Phrasen,  um  wissenschaftlich  zu  scheinen, 
denn  ein  Menschenleben  reicht  für  die  grossen  Zahlen,  die 
wir  brauchen,  nicht  aus.  Extractionen  sind  zu  complicirte 
Objekte,  Operateure  zu  verschiedenartige  Subjekte;  nur 
grosse  Massen  von  Resultaten  gestatten,  diese  und  viele 
andere  Fehlerquellen  zu  ignoriren. 

Da  ich  bei  der  Statistik  bin,  noch  ein  Wort  über 
ihren  Gebrauch  oder  Missbrauch  in  unserer  Disciplin! 
Bequem   ist's   schon,   während  Andere   sich  bemühen,  die 


V.  Graefe*s  «»modificirte  Linear-Extnction  *  elc  231 

wichtigsten  Aufgaben  ihres  praktischen  Benifes  der  LOsosg 
näher  zu  bringen,  die  Hände  in  den  Schooss  la  legen  ond 
nachträglich  mit  überlegenem  Lächeln  fibereinstimmende 
Besultate  ehrlicher  Arbeit  nidit  anzuerkennen,  «weil  die 
Zahlen  f&r  eine  Statistik  zu  klein  sind**,  iber  man  glanbl 
den  Richtern  nicht  mehr.  Wie  man  tot  Jahren  hinter 
dem  vornehm  spöttelnden  Nihilismus  in  der  Thenpie 
bald  die  klinische  Impotenz  diaguosticiren  lernte,  so  sind 
«s  heute  nur  noch  wenige  Unerfahrene,  die  an  kritischen 
Ernst  glauben.  Erhalten  wir  auf  eine  so  nnzweideotige 
Frage,  wie  „Heilung  oder  Yereiterung**,  im  wieht^sten 
Oebiete  unserer  Chirurgie,  der  Staar-Extraction,  nicht 
genug  brauchbare  Zahlen-Bescheide,  anstatt  dnes  Theiles 
derselben,  aber  von  bewährten,  klinischen  Beobachtern  ohne 
Ausnahme  die  gleichlautende  Antwort,  „es  sei  dnidi  eine 
neue  Methode  die  Zahl  der  Eiterungen  sehr  erheblich  rer- 
mindert  worden",  so  lassen  wir  (eigne  Er&hrangen  Tor- 
bebalten)  unser  Urtheil  und  ihm  entsprechend  unser 
Handeln  durch  Vertrauen  auf  den  durch  lange  üebong 
geschärften  Blick  und  das  treue  Gedächtniss  herromgender 
Kliniker  unbedingt  bestimmen,  lassen  uns  aber  nicht  ein- 
fallen, zwischen  ihren  Angaben  und  beliebigen  Empfeh- 
luDgen  längst  begrabener,  neu  auferstandener  „Ent- 
deckungen'* zu  schwanken,  „weil  beide  statistisch  nicht 
bewiesen  sind". 

Man  firagte  deshalb  in  jener  Zeit  nicht  danach,  ob  zu- 
sammenhanglos aufgestellte  Tabellen  unserer  besten  Kliniker 
für  eine  entscheidende  Statistik  der  Eiterungen  unbrauchbar 
seien,  man  Hess  die  Wenigen,  die  zweifelten,  wdl  sie  kerne 
Erfahrung  hatten,  bei  Seite  liegen,  und  hielt  sich  an  das 
Crtheil,  das  mit  jedem  Jahre  neu  bestätigt  wurde:  die 
Verminderung  der  Hornhaut-Eiterungen  nach  der  Extraction 
auf  2  Procent  sei  ein  bisher  unerreichtes,  theiapeutisdies 
Resultat 


232  J-  Jacobson  sen. 

Die  neue  Methode  vereinigte  die  Iridectomie,  das 
Chloroform  und  den  peripheren  Schnitt.  Graefe^s 
Zustimmung  zur  Iridectomie,  die  gerade  er  nnter  gewissen 
umständen  mit  der  Extraction  zu  verbinden  empfohlen 
hatte,  hielt  ich  fflr  sicher,  den  peripheren  Schnitt  mit 
Bücksicht  auf  viel  erprobte,  periphere  Iridectomien  ebenfalls ; 
wegen  des  Chloroforms,  gegen  das  er  ebenso,  wie  Arlt,  des 
Erbrechens  wegen  sich  energisch  erklart  hatte,  fürchtete 
ich  trotz  seiner  Freiheit  von  Vorurtheilen  eine  ablehnende 
Kritik.    In  Allem  hatte  ich  mich  getäuscht. 

Schon  in  seinem  ersten  Briefe  heisst  es: 

Citat  4.  „Dass  Chloroform  nicht  nur  zulässig  ist, 
sondern  so  vortreffliche  Dienste  leistet,  hat  mich  ausser- 
ordentlich interessiii).  Ich  gestehe,  dass  ich  das  Mittel 
mehr  für  das  Allgemeinbefinden  der  marastischen  Sub- 
jecte,  als  für  das  Auge  gefürchtet  habe,  werde  mich 
aber  mit  Freuden  eines  Besseren  belehren." 

Leider  wurde  Nichts  aus  der  Freude  der  Selbstbeleh- 
rung, Einen  Theil  des  Winters  1863  versuchte  er,  bei 
anderen  Augen-Operationen  die  Narcose  zu  erlernen,  nahm 
auch  in  den  ersten  Monaten  des  nächsten  Jahres  die  Ver- 
suche wieder  auf,  aber  das  constante  Resultat  nach  längerem 
Chloroform-Einathmen  war :  ein  Migräne-Anfall.  Von  einer 
Beurtheilung  meiner  peripheren  Extraction  nach  eigenen 
Erfahrungeu  konnte  unter  solchen  Umständen  natürlich 
nicht  die  Bede  sein,  und  doch  wollte  er  nicht  sofort  darauf 
verzichten.  Einige  Monate  nach  meiner  Heimkehr  vom 
Heidelberger  Congresse  des  Jahres  1864  wurde  mir  in  einem 
längeren  Briefe  folgende  Frage  über  Chloroform,  die  letzte^ 
vorgelegt: 

Citat  5.  „Noch  eine  Frage  in  Betreff  Ihrer  Extractions- 
Methode,  welche  ich  zwar  versuchen  möchte,  allerdings 
nicht  in  allen  Fällen,  sondern  in  der  Oruppe,  wo 
mir   die   Nachtheile   der   difformirten   Pupille 


T.  Graefe's  „modificirte  Linear-Extraction''  etc.  233 

irrelevant  scheinen!  Glauben  Sie  in  der  Tfaat,  dass 
man  bei  Beibehaltung  der  übrigen  Nebenumstände 
sich  bei  einer  guten  Assistenz  nicht  des  lästigen  und 
zeitraubenden  Chloroforms  enthalten  könne?  Sie  kennen 
die  Verhältnisse,  unter  denen  ich  hier  operire,  und 
ich  bitte  Sie,  mir  mit  Bezug  auf  dieselben  eine  ganz 
unumwundene  Meinung  auszusprechen." 

Wie  oft  hatten  deutsche  Autoren  sich  in  der  grossen 
Chloroform-Frage  auf  Graefe's  und  Arlt's  entschiedene 
Opposition  gestützt,  und  wie  oft  hatten  flüchtige  Leser 
unserer  Fachliteratur  und  oberflächliche  Kritiker  gegen 
jeden,  der  zu  beliebigen  Zwecken  eine  Iridectomie  empfahl, 
behauptet,  „Graefe  habe  sehr  früh  schon  in  die  Extraction 
als  zweites  Tempo  die  Iridectomie  eingeführt'',  oder  die 
„Empfehlung  der  Iridectomie"  (gleichviel  wobei  und  zu  welchem 
Zwecke)  „sei  natürlich  nicht  neu,  sondern  von  Graefe 
entlehnt".  Und  doch  hatte  Graefe  nicht  nur  privatim,  wie 
in  obigem  Citate  (1864),  sondern  bald  nach  Mooren' s 
Publication  1863  sich  in  Zehender's  „Monatsblättern"  in 
einer  nur  zu  diesem  Zwecke  geschriebenen  langen  Anmer- 
kung dahin  geäussert,  dass  man  „in  vielen  Fällen  minde- 
stens etwas  Ueberflüssiges  thue,  wenn  man  bei  jeder  Ex- 
traction ein  Stück  Iris  entnehme." 

An  die  Gefahr  des  Chloroform-Erbrechens  glaubte  er 
natürlich  ebenso,  wie  Arlt;  beide  wären  sonst  nicht  so 
energisch  dagegen  aufgetreten,  aber  bei  Beiden  kam  ein 
subjectives  Moment  hinzu,  bei  Arlt  die  Sorge  für  das  Leben 
des  Kranken  im  Stadium  der  Excitation,  bei  Graefe  die 
Intoleranz  seiner  Kopfnerven  gegen  den  Geruch.  In 
schlimmen  Fällen  oder  bei  sehr  schmerzhaften  Operationen 
(ExRtirpation  recidivirter  Orbital-Tumoren,  Exstirpatio  bulbi 
nach  der  alten  Methode  etc.),  ordneten  sie  beide  ein  vorüber- 
gehendes Unwohlsein  der  Sorge  für  ihre  Kranken  unter; 
was  sie   aber   in  der  Extractions-Frage    zu  „rationellen" 


234  J*  Jacobson  sen.' 

Gegnern  des  Chloroforms  gemacht  hatte,  waren  nicht  Er- 
fahrungen über  Gefahren  des  Chloroform  -  Erbrechens, 
sondern  Erfahrangen  über  ihre  subjectiven,  unüberwindlichen 
Empfindungen  gewesen. 

Chloroform  und  Iridectomie  sollten  in  meinem 
Sinne  nicht  direct  die  Extraction  erleichtem,  sondern  in- 
direct  durch  Beseitigung  der  mit  peripheren  Lappen  ver* 
bundenen  Gefahren  die  Vorzüge  derselben  für  die  Extraction 
ohne  Nachtheil  nutzbar  machen.  Die  Form  und  mehr 
noch  der  Ort  des  Lappens  waren  die  Neuerungen,  von 
denen  ich  das  Heil  erwartete.  Graefe  hatte  über  beide  keine 
eigenen  Erfahrungen,  sträubte  sich  aber  dagegen,  die  periphere 
Lage  des  Lappens  als  directe  Ursache  der  günstigen  Be- 
sultate  gelten  zu  lassen.  Die  drei  folgenden  Citate  aus 
den  Jahren  1863  (zwei  Jahre,  bevor  er  mit  einem  eigenen 
Verfahren  heraustrat)  bis  1866,  als  er  ein  Jahr  hindurch  nur 
linear  extrehirt,  aber  noch  Tractions-Instrumente  beibehalten 
hatte,  —  und  1868,  als  ich  ihm  den  ersten  Bericht  über 
meine  Erfahrungen  mit  seiner  Methode  geschrieben  hatte, 
habe  ich  aus  einer  grösseren  Zahl  von  Briefen,  in  denen  es 
sich  neben  verschiedenen  Details  hauptsächlich  um  die 
Wirkung  seines  „linearen'*  Schnittes,  um  die  Heilung  im 
Scleralborde  und  um  spontanen  Linsenaustritt  handelte, 
ausgewählt,  gewisserroassen  als  Grenzsteine,  die  den  An- 
fang einer  aus  eigener  Beobachtung  gewonnenen,  neuen 
Ueberzeugung  markiren. 

Einen  kleinen  Irrthum  von  seiner  Seite,  den  ein  Blick 
in  meine  erste  Publication  sofort  berichtigt,  darf  ich  nicht 
übergehen,  weil  er  sich,  wie  Cit.  8  zeigt,  bis  in*s  Jahr  1867 
hineinzieht.  Nach  ihm  wäre  ich  von  der  günstigen  Wand- 
heilung im  Scleralborde  ausgegangen  und  so  zum  peripheren 
Lappen  fortgeschritten,  in  Wirklichkeit  aber  war  ich  von 
meinen  Beobachtungen  über  die  traumatische  Reaction  des 
Davierschen  Lappens  ausgegangen,  von  der  Quetschung  des 
Lappens  beim  Durchtritt  der  harten  Linse  durch  eine  zu 


V.  Graefe's  ^modificirte  Linear-Extraction"  etc.  235 

kleine  OefhuDg,  hatte  deshalb  den  Lappen  in  die  Grenze 
gelegt  und  schliesslich  aas  einer  grosseren  Zahl  der  neuen 
Extractionen  die  üeberzeugung  von  der  günstigeren  Heilung 
peripherer  Wunden  gewonnen. 

Einen  zweiten,  nur  in  dem  ersten  Citate  enthaltenen 
Irrthum  hatte  ich  selbst  durch  ungenaue  Beschreibung  des 
Lappenschnittes  verschuldet.  Es  konnte  nämlich  nach  meiner 
Darstellung  scheinen,  als  sei  mein  Schnitt  ein  scleraler 
gewesen,  weil  er  oft  an  der  Spitze  in  einen  weissen  Saum 
auslief.  Der  Sachverhalt  ist  folgender:  Bei  eben  reifen, 
stark  in  der  Mitte  gewölbten  Cataracten  und  enger,  vorderer 
Kammer  lässt  sich  mit  einem'  breiten  Messer  nur  geiau 
richtig  contrapunctiren,  wenn  man,  sobald  die  Spitze  die 
Hohe  der  Papille  erreicht  hat,  dieselbe  etwas  rQckwärts 
gegen  die  tiefer  liegende  Corneoscleral-Grenze  richtet.  Fliesst 
bei  dieser  geringen  Veränderung  der  Operations  -  Ebene 
Humor  acqueus  ab,  so  legt  sich  die  vortretende  Iris  auf 
die  Schneide,  wenn  man  das  Messer  nicht  sehr  schnell  vor- 
schiebt und  gleichzeitig  der  Schneide  durch  geringe  Drehung 
des  Instrumentes  um  seine  Längsaxe  eine  Sichtung  gegen 
die  hintere  Wand  der  Cornea  giebt.  Beim  weiteren  Vor- 
schieben und  Zurückziehen  wird  dann  die  Cornea  schräg 
durchschnitten,  die  innere  Wunde  liegt  relativ  hoch,  die 
äussere  pflegt  ein  etwa  Va— V*  ™™  breiter,  oberflächlicher, 
Streifen  der  Sclera  einzusäumen.  Die  Oeffnung  für  die 
Linse  kann  trotz  der  peripheren  Lappengrenze  auf  diese  Art 
bedenklich  klein  werden,  die  Cornea  heilt  gut,  wie  bei 
schlechten  Lanzenschnitten,  der  Band,  wie  nach  Iridectomie. 
In  meiner  Schrift  war  ich  über  den  ganzen  Hergang  fort- 
gegangen und  hatte  nur  den  weissen  Saum  erwähnt.  Natür- 
lich musste  ein  Missverständniss  die  Folge  sein. 

Gitat  6.  „Sie  heben  als  Hauptpunkt  die  Lage  des  Lappens 
hervor.  Ich  stimme  nach  sorgftltigem  Durchdenken 
Ihrer  Schrift   hiermit  vollständig  überein.    Vielleicht 


236  *^-  J&cobson  sen. 

hätten  Sie  es  im  Werke  noch  mehr  in  den  Vorder- 
grund stellen  sollen.    Sehr  wichtige  Fragen  sind  nun: 

1.  angenommen,  dass  ein  nach  Ihren  Priocipien  ver- 
richteter Schnitt  anch  fernerhin  noch  bessere 
Besnltate  giebt,  liegt  es  daran,  dass  in  der  That 
in  diesen  peripheren  Theilen  wegen  der  anato- 
mischen Structur  an  sich  bessere  Heilvorgänge 
stattfinden,  oder  fährt  man  deshalb  besser,  weil 
die  Linse  vollständiger,  leichter,  mit  geringerer 
Spannung  austritt? 

2.  Weicht  der  Schnitt  noch  weiter  von  der  äussersten 
Grenze    ab,    als    einige    Autoren    ihn    bisher    an- 
genommen  haben?    In  Deutschland   wird  meist 
für  die  äussere  Wunde  Va'"  von  der  Scleralgrenze 
angegeben,    meinen   Messungen    nach    mehr,    als 
1'"   für   die  innere  Wunde.    Bei  einigen  Autoren 
wird  aaf  die  Durchmesser  der  Hornhaut  BQcksicht 
genommen    (Chelius    verlangt    V*'"    bei   grosser, 
Va'"    bei    kleiner   Cornea)    und   im   (Janzen    der 
Schnitt  viel  grosser  beschrieben.    In  England  sind 
im  Allgemeinen   seit  TyrreVs  Zeiten  die  grossen 
Schnitte  mehr  im  Gebrauch  (T.  selbst  sagt:  „the 
surgeon   should   introduce   the  point   of  the  knife 
through    the   Cornea   close   to   its   junction   with 
the  sclerotic  withont  however  touching  the  latter). 
Bei   Lawrence    heisst   es:    „carrying  the   section 
along  the  edge  of  the  comea  as  near,  as  may  be 
the  sclerotic  coat". 

Machen  Sie  ihn  nun  noch  grösser?  Nach  Ihrem 
Briefe  mochte  ich  es  fast  glauben;  denn  Sie  sagen: 
es  ist  gar  nicht  von  Wundheilung  in  der  Comea  die 
Bede,  sondern  viel  eher  der  vorderen  Sclera  und 
Bindehaut,  fast  ähnlich,  wie  bei  der  Iridectomie''. 
Diese  Bemerkung  hat  mir  noch  einige  Zweifel  zurück- 


geUssoL  Fällt  der  äussere  Schnitt  in  die  Seiend* 
Grenze,  so  liegt  der  ganze  Schnitte  abgesehen  Ton  der 
CoDJnnctiTal- Wände,  in  der  Cornea«  Ich  mochte 
wissen,  ob  Sie  lU>erhaupt,  abweichend  za  früheren 
Torschriften,  in  die  Sclera  selbst  und  zwar  in  eine 
namhafte  Tiefe  derselben  (mehr,  als  '  a  '^0  ^i^* 
gehen.  Ich  werde  letzteres  ohne  Ihre  aasdrückliche 
Versicherung  kaum  annehmen,  weil  ich  finde, 
dass  Scleralwunden  im  Allgemeinen  lang* 
samer  und  in  mancher  Beziehung  schlechter 
heilen.*) 

Es  lag  in  Graefe's  wahrer  Natur,  dass,  so  sehr  die 
Widmung  meiner  Schrift  ihn  erfreut  zu  haben,  so  viel 
persönliches  Wohlwollen  aus  seinem  Briefe  zu  sprechen 
schien,  auf  die  Eiitik  des  Verfahrens  doch  keine  Spur 
davon  überging.  Die  Resultate  seien  wegen  möglichen 
Einflusses  der  Methode  auf  das  Sehvermögen  zu  prüfen, 
Iridectomie  wünsche  er  keineswegs  obligatorisch,  solerale 
Wunden  heilten  schlechter,  als  corueale,  der  periphere 
Schnitt  könne  vielleicht  indirect  durch  Erleichterung  dos 
Linseodurchtrittes  nützen **);  das  Chloroform,  dessen 
Brauchbarkeit  ihn  „lebhaft  interessirf'  habe,  schien  noch 
am  ehesten  Gnade  gefunden  zu  haben. 

Drei  Jahre  später,  nachdem  er  seine  eigne  Methode 
ein  Jahr  hindurch  kennen  gelernt  und  die  Verläufe  genau 
beobachtet  hatte,  lautete  sein  Urtheil  günstiger: 


*)  Vielleicht  wird  Schweigfger  aus  dem  Charakter  dieser 
mit  derselben  Gründlichkeit  Jahre  hindurch  fortgeführten  Corre- 
spondenz  eine  Vorstellung  bekommen,  wie  psychologisoh  unver- 
btändllch  es  wäre,  wenn  ich  ihm  gegenüber  eine  wissenschaftliche 
£rörteraDg  gerade  über  die  Linear-£xtraction  sum  Vorwande  ge- 
nommen hätte,  nm,  wie  er  neulich  in  der  „Deutschen  Mediiiual« 
Zeitung"  geäussert  hat,  mich  wieder  einmal  öffentlich  hüren  cu 
lassen. 

**)  Das   war  allerdings,   wie   soeben   bemerkt   wurde,   auch 
«neine  Ansicht. 


238  J*  Jacobson  sen. 

Gitat  7.  „üeber  das  Verfahren  habe  ich  seitdem  meine 
Erfahrangen  bereichert  und  m&chte  wohl,  dass  Sie 
gelegentlich  von  demselben  Notiz  nfthmen. 
Schon  über  100  Operationen  waren  glücklich  ver- 
laufen, als  das  erste  Auge  zu  Grunde  ging;  es  war 
eine  doppelseitige  Extraction,  auf  der  einen  Seite 
Heilung  völlig  günstig,  auf  der  anderen  nach  sehr 
normaler  Operation  eitrige  Glaskörper  -  Infiltration^ 
später  PanOphthalmitis.  Nachher  hat  sich  wieder 
eine  Beihe  günstiger  Resultate  angesammelt.  Sollt« 
nun  auch  in  diesen  Zahlen  der  Zufall  trügen,  was 
sehr -leicht  möglich  ist,  so  würde  sich  die  Sache  doch 
durch  die  Baschheit  der  Heilung,  die  geringe  Nach- 
behandlung etc.  für  die  Bequemlichkeit  der  Fach- 
genossen äusserst  empfehlen.  Ich  bin  früher,  als 
ich  glaubte,  zu  der  Haupt -Thesis  Ihrer 
Methode,  zum  Vorzüge  peripherer  Schnitte, 
gekommen,  in  welchen  unsere  beiden  Ver- 
fahren congruiren,  würde  auch  in  meinen 
Publicationen  oft  und  gründlich  darauf  ein- 
gehen, allein  ich  fürchte  mehr  und  mehr,  Ton 
Dingen  zu  reden,  die  ich  nicht  durch  eigene 
Anschauung  kenne." 

Das  nächste,  letzte  Citat  ist  die  kleinere,  erste  Hälfte 
eines  vom  9.  März  1868  datirten  Briefes,  dessen  zweite 
Hälfte  sich  nicht  zur  Veröffentlichung  eignet.  Auch  den 
letzten  Satz,  dessen  Publication  mir  irgend  ein  wohl- 
wollender Leser  als  Prioritäts-Beclame  auslegen  konnte, 
würde  ich  unterdrückt  haben,  wäre  es  mir  nicht  gerade 
darum  zu  thun  gewesen,  an  einem  von  vielen  Beispielen  zu 
zeigen,  wie  ausserordentlich  praktisch  Graefe  widerwärtigen 
Prioritäts- Streitigkeiten  auswich:  er  wartete  keine  Becla- 
mation  ab,  sondern  gab  öffentlich  und  privatim  seinem 
„Concurrenten"  mehr,   als  ihm  gebührte,   und,  so  viel  es 


T.  Graefe  8  „modificirte  Linear-Extraction'*  etc.  239 

anging,  noch  von  dem  Seinigen  dazu.  An  seinem  linearen 
Schnitte  hielt  er  übrigens  aus  Gründen,  die  folgen  werden, 
noch  die  beiden  letzten  Jahre  bis  zu  seinem  Tode  fest, 
neigte  aber  je  länger,  desto  mehr  dazu,  die  periphere  Lage 
für  unentbehrlicher,  als  die  Form,  zu  halten. 

Nach  dem  6.  Citate  habe  ich  kurz  angedeutet,  dass 
Graefe  1863  von  meinen  zum  Theil  bezweckten,  zum 
Theil  durch  die  Lage  des  Schnittes  erzwungenen  Aende- 
rungen  keine  beif&llig  aufnahm.  Wie  wir  oben  gesehen 
haben,  lag  zwischen  dem  Frühjahr  1863  und  1865  Nichts, 
was  ihn  zu  Gunsten  meines  Verfahrens  gestimmt  hätte, 
aber  der  letzte  Weg,  auf  den  er  nach  der  Londoner  Heise 
„gedrängt"  wurde,  führte  im  Princip  zu  meinen  1863 
empfohlenen  grossen,  peripheren  Schnitten,  als  deren  un- 
vermeidlicher Consequenz  zur  Iridectomie. 

Gewiss  wird  Mancher,  der  post  festum  auf  die  Ent- 
wickelung  der  Operation  zurückblickt,  es  sonderbar  genug 
finden,  dass  wir  so  viele  Jahre  gebraucht  haben,  um  die 
elementarsten  Regeln  der  Chirurgie,  die  jedem  Anfänger 
aus  der  Lehre  von  der  Extraction  eingedrungener  Fremd- 
körper bekannt  sind,  für  die  Ophthalmologie  zu  verwerthen, 
aber  es  sollte  nicht  vergessen  werden,  dass  bis  zum 
Jahre  1865  nicht  lineare  Schnitte,  sondern  dünne  Lappen 
gebräuchlich  waren,  und  die  Furcht  vor  Necrose  solcher 
gefässloser,  stark  gefalteter  Lappen  sich  wohl  rechtfertigen 
liess.  Schon  bei  den  ersten  Versuchen,  dieselben  durch 
klaffende  Schnitte  zu  ersetzen,  drangen  Wald  au  und 
Graefe  auf  grössere  Incisionen,  die  Engländer  folgten, 
aber  Alle  hatten  die  ungünstige,  anatomische  Beschaffenheit 
der  Hornhaut  zu  wenig  in  Rechnung  gebracht. 

Heute  ist  das  verkehrte  Problem,  das  bis  1863  allein 
dominirt  hatte,  stillschweigend  aufgegeben,  als  ob  es  nie 
existiit  hätte«  Man  sucht  nicht  mehr  grosse  Lappen  durch 
kleine  Incisionen  zu  ersetzen,  sondern  lässt  nur  diejenigen 
Incisionen  gelten,    die   eine   leichte  Linsenentbindung  ge- 


2^  J.  Jacobson  Ben. 

statten,  gleicfaviel  wo  sie  liegen,  und  wie  sie  geformt  sind. 
Es  giebt  deren  zwei:  Qraefe's  Linearscbnitt  und  den  peri- 
pheren,  nicht  zu  hohen  Lappen,  von  denen  der  letztere, 
seitdem  wir  die  Wirkung  des  Eserins  kenuen,  oft  ohne 
Iridectomie  zum  Ziele  fahrt.  Die  neuen  Methoden  wurden 
bald    erlernt  und   praktisch  erprobt,    zu  bald:   denu  man 

Hess    sich    nicht   Zf'>*      ■•"■■">    '/»"■Ir    '"    howroifon         An    riliua 

Eile  sind  die  Wot 
neale  Schnitte"  ad 
eine  ungünstige  F 

Citat  8.  „Liel 
lege  ich  auf 
im  Allgemeii 

tractions-Fri 
mir,  dass  w 
stehen,  und 
taten  von  i 
langt,  ein  di 
auf  Abwegen 

Ich  bin  i 
Schnittes  a 
geräumige! 
hat  mich  in 
dass  ich  mi 
mischen  Vo 
Allein  nothfl 
Erfahrungen 
Erprobten 
Dass  sich 
Wunde  und 
Hessen,  gab  i 

Sie  ginget 
Heilbedingan 
selben   nicht 


Y.  Graeie'8  „modificirte  Linear-£xtraction"  etc.  241 

man  nicht  beide  Augen  krampfhaft  schliesst,  —  als 
indem  Sie  selbst  unter  Beibehaltung  der  unnütz 
klaffenden  Schnittform  höchst  selten  üngltlcksfälle  zu 
beobachten  hatten.  Dass  Sie  sich  mit  der  Be- 
schränkung der  Schnittform,  so  lange  sie  einen  spon- 
tanen Linsenaustritt  zulässt,  einverstanden  erklären, 
entspricht  Ihrem  klaren  und  vernünftigen,  chirur- 
gischen Sinne.  Das  kann  nicht  anders  sein.  Es  is^ 
mir  aber  ausserordentlich  lieb,  wenn  auch  Sie 
die  Nothwendigkeit,  im  Scleralborde  zu  bleibeni 
recht  betonen;  denn,  wenn  wie  A,  B  und  Andere 
machen,  der  Schnitt  wieder  mehr  durch  die 
Hornhaut  geführt  wird,  und  wenn,  wie  C  es 
wohl  nächstens  machen  wird,  hierauf  wieder 
eine  besonders  Heil  bringende  Modification 
begründet  wird,  so  kann  es  nicht  fehlen, 
dass  die  Operation  wieder  einen  Theil  ihrer 
Vortheile  verliert. 

Ich  bin  jetzt  mehr,  denn  je,  von  der  Noth- 
wendigkeit, im  Scleralborde  zu  bleiben,  überzeugt. 
Für  meine  Eitelkeit  wäre  es  ja  vielleicht  schmeichelnder, 
wenn  lediglich  die  Linearität  der  Wunde  entschiede, 
aber  da  ich  meine  grosseste  Eitelkeit  in  die 
Wahrheitsliebe  setze,  so  wird  mir  auch  von  diesem 
Standpunkte  die  Wahl  nicht  schwer,  ja  es  gereicht 
mir  noch  zur  besonderen,  subjectiven  Freude,  —  und 
Sie  müssen  es  bei  meinen  betreffenden  Ausfuhrungen 
durchgefühlt  haben  — ,  Sie  als  meinen  lieben  und 
verehrten  Freund  auch  als  Mitarbeiter  der,  wie  ich 
hoffe,  bleibenden  Staaroperations- Methode  anzufOhren. 
Wenn  etc.  etc." 

Soll  ich  an  diesen  letzten  Brief  Schweigger 's  Worte 
Ober  das  Verhalten  der  Zeitgenossen  und  Epigonen  zu 
Graefe*s  Warnung  anknüpfen,  so  lässt  sich  ein  schärferer 

▼.  Gnefe'D  Archiv  fUr  Ophthalmologie,  XXXIV.  8.  16 


242  J*  Jacobson  sen. 

Contrast  kaum  denken,  als  der,  in  dem  die  unmittelbar 
an  einander  grenzenden  Extractionen  des  siebenten  vor- 
geschrittenen und  des  sechsten,  von  finsterem  Iridectomie- 
Glauben  beherrschten  Jahrzehnts  erscheinen;  die  ersten, 
von  der  neuen,  nur  mit  den  Augen  aufgefassten  Linear- 
Extraction  ausgehend,  sogenannte  Modificationen  (Ver- 
besserungen) derselben,  in  Wirklichkeit  zum  Theil  Zeugnisse 
für  ungenügende  Bekanntschaft  mit  dem  Originale,  zum 
Theil  ohne  Wissen  der  Autoren  Verschlechterungen 
älterer  Operationen,  die  letzteren  von  scharf  definirten, 
begründeten  Hypothesen  ausgehende,  in  jedem  Tempo 
durchdachte,  den  Hypothesen  genau  accommodirte  Methoden, 
die  auch  durch  ihre  Fehler  nützen,  weil  man  damals 
Operationen  nicht  nur  beobachtete,  sondern  auch  zu  be- 
greifen versuchte. 


Näheres  über  die  ^^Verbesserungen". 

In  Schweigger's  Rede  beisst  es  wörtlich:  „von 
Anfang  an  traten  Klagen  auf  über  die  nicht 
reichende  OrOsse  des  Schnittes,  man  sah  sich 
gedrängt  zu  einer  grosseren  Schnittführung,  all- 
mählich gewöhnte  man  sich  daran,  unter  falscher 
Flagge  zn  segeln^  redete  immer  noch  vom  Linear- 
schnitte, der  mehr  und  mehr  aus  der  Sclera  in 
die  Cornea  verlegt  und  mehr  und  mehr  zum 
Lappenschnitte  wurde.  Ich  selbst  war  schliesslich 
zu  einem  Lappenschnitte  von  3  bis  4  mm  Höhe  im 
Limbus  conjunctivae  corneae  gekommen  etc. 

Da  Schweigger  sich  an  der  schlimmen  Segelpartie 
nach  eigner  Aussage  betbeiligt  hat,  will  ich  glauben,  dass 
er  im  Namen  Vieler  spricht,  —  aber  wenn  den  Collegen 
der  Schnitt  zu  klein  erschien,  was  er  keineswegs  ist,  so 
rausste  doch  jeder  wissen,  dass  durch  zwei  minimale 
Scheerenschnitte  solchen  üebeln   abzuhelfen  ist,    und  wer 


y.  Graefe'B  „modificirte  Linear-£xtraction"  etc.  243 

es  nicht  wusste,  der  hätte  es  1864  von  Critchett  lernen 
können.  Musste  man  deshalb  trotz  Graefe's  Warnung 
sofort  comeal  werden,  d.  h.  den  unbrauchbaren  Lanzen- 
schnitt der  Engländer,  wegen  dessen  Graefe  in  die  Sclera 
ging,  mit  dem  schmalen  Messer  machen?  Und  wenn  man 
noch  cornealer,  etwa  wie  Schweigger,  in  den  Limbus  ging, 
hatte  man  dann  ganz  vergessen,  dass  man  meine  Methode 
mit  schlechtem,  zu  kleinem  Lappen  copirte?  Schweigger 
konnte  man  allenfalls  entschuldigen;  denn  er  war  Einer 
der  Kritiker,  die  schon  1863  die  Vorzüge  des  streng  ver- 
botenen, peripheren  Lappens  nicht  gemerkt  hatten,  aber  die 
anderen  kühnen  Schiffer? 

Es  wäre  ungerecht,  wenn  man  den  CoUegen  des 
siebenten  Jahrzehnts,  die  anstatt  der  Linear  -  Extraction 
ihre  eigenen  „Modificationen*'  einzufahren  suchten,  das 
,,Segeln  unter  falscher  Flagge''  sachlich  zum  Vorwurf 
machen  wollte.  Man  hat  oft  genug  gezögert,  ehe  man  ein 
altes  Nomen  proprium  durch  ein  neues  ersetzte,  aber 
persönlich  gegen  Graefe  war  es  unbewusst  pietätlos 
gehandelt,  dass  man  seine  Operation  nicht  verbreitete  und 
statt  dessen  Abarten  unter  seinem  Namen  publicirte,  in 
denen  weder  Graefe*s  Ideen,  noch  überhaupt  eine  Idee  zu 
erkennen  war. 

Die  falsche  Flagge  hätten  wir  uns  schon  gefallen 
lassen,  aber  dass  man  es  nicht  der  Mühe  für  werth  hielt, 
den  richtigen  Weg,  auf  den  Graefe  soeben  hingewiesen 
hatte,  genau  einzuhalten,  dass  nach  wenigen  unglücklichen, 
Erfahrungen  die  Aelteren,  ehe  sie  sich  an  das  „Besser- 
machen*' wagten,  nicht  vorzogen,  Graefe  zu  interpelliren, 
dass  die  Jöngeren  bald  nach  rechts,  bald  nach  links  auf 
gut  Gluck  abwichen,  —  das  war  kein  Fortschritt  gegen 
die  sechziger  Jahre. 

Hätte  man  nur  Graefe's  so  eben  publicirte,  unwider- 
legliche Einwände  gegen  die  grossen,  linearen  Hornhaut- 
schnitte der  Engländer  gelesen,  so  wäre  man  im  schlimmsten 

16* 


244  J*  Jacobson  sen. 

Falle  vielleicht  vorübergehend  ein  wenig  „cornealer"  ge- 
worden, hatte  aber  doch  den  armen  Ophthalmologen  erspart, 
die  Gesetze  der  Mechanik  durch  Glauben  an  eine  Cornea 
zu  überwinden,  durch  deren  tief  liegende  Spaltöffnung  eine 
vertikal  aufwärts  gehobene  Cataract  austreten  soll. 

Graefe  gegenüber  ein  Missverständniss  Öffentlich  aus- 
zugleichen, wäre  leicht  genug  gewesen;  denn  gewissenhafter 
als  er,  wird  kaum  ein  Praktiker  bemüht  gewesen  sein,  Yor- 
urtheile  abzulegen,  die  Verbreitung  eigner  Irrlehren  zu  in- 
hibiren;  während  die  Anhänger  der  neuen  Methode  sich  an 
seine  Vorschriften  und  ihre  eigenen  Variationen  um  so  fester 
klammerten,  je  verkehrter  dieselben  waren.  Der  Leser  er- 
innert sich  einiger  Citate,  nach  denen  Graefe  1863  meinem 
peripheren  Lappen  Nichts  weniger,  als  Vertrauen,  entgegen 
brachte  und  trotzdem  schreibt  er  nach  iüni^ahrigen  Erfah- 
rungen, „man  müsse  beide  Augen  krampfhaft  schliessen, 
um  die  Vorzüge  des  Schnittes  nicht  zu  sehen". 

Schweigger  war  einer  der  Beferenten,  wenn  nicht 
gar  Kritiker,  die  1863  von  dem  peripheren  Lappen  noch 
Nichts  merkten,  wenn  sie  auch  von  ihm  lasen,  die  also  eine 
mehr  passive  Stellung  einnahmen,  und  doch  beschwert  er 
sich  über  „Jacobson,  der  nun  schon  25  Jahre  die  bessere 
Heilung  im  Sderalborde  rühme,  ohne  Beweise  zu  bringen". 
Liegt  es  an  mir,  dass  die  Zeitdifferenz,  um  einfache  Con- 
sequenzen  richtiger  Beobachtungen  zu  begreifen,  zwischen 
Graefe  und  Schweigger  mehr  als  20  Jahre  beträgt? 

Eine  Schuld  trifft  meiner  Ceberzeugung  nach  in  dieser 
Unklarheit  einer  einfachen  Sache  der  Beobachtung  nicht  ein- 
zelne Personen,  sondern  die  lange  Vernachlässigung  der  kri- 
tischen Forschung  in  unserer  praktischen  Pathologie.  So  lange 
es  möglich  ist,  dass  die  einzige  Kritik  über  prindpiell 
wichtige,  therapeutische  Fragen  von  jungen  Medicinem 
geübt  wird,  so  lange  dürfen  wir  uns  nicht  wundern,  wenn 
in  unserer  Operationslehre  der  alte,  classische,  seit  20  Jahren 
beseitigte  Daviel   immer   noch  die  erste  Bolle  spielt,   und 


V.  Graefe*8  ^modificirte  Linear-Extraction"  etc.  245 

die  Mehrzahl  nicht  weiss ,  warum  mit  ihm  gebrochen 
worden  ist. 

Dass  die  Frage,  ob  corneale  Schnitte  allein  erlaubt^ 
periphere  zu  beseitigen,  ob  beide  zu  dulden,  oder  die  cor* 
nealen  zu  verwerfen  seien,  dass  diese  Frage  auf  die  Tages- 
ordnung gebracht  worden  und  dass  sie  wichtig  sei,  daran 
hatte  eine  wissenschaftliche  Kritik  erinnern  müssen, 
25  Jahre  Beobachtungszeit  würden  dann  wohl  geeignetes  Ma- 
terial zur  Entscheidung  der  Sache  dargeboten  haben.  Dann 
wären  der  Ophthalmologie  die  traurigen  20  Jahre  der  linearen 
Modificaüonen  erspart  geblieben,  und  die  Aeusserung  hätte 
nicht  gethan  werden  können,  dass  wir  uns  —  mit  Bezug 
auf  den  Streit  zwischen  Hasner  und  Graefe  —  zur  Zeit 
der  Linear -Extraction  in  einer  vollkommenen  Bück- 
wärtsbewegung  befanden.*) 

Für  die  erste  Aufnahme  der  Linear-Extraction  war  der 
Streit  um  die  Heilung  im  Scleralborde  gleichgültig.  Der 
Name  Graefe,  das  Vertrauen  in  sein  therapeutisches  Genie 
fiel  schwerer  in's  Gewicht,  als  Hypothesen  und  sogenannte 
Beweise,  vor  Allem  zweifelte  kein  Praktiker:  „die  Sup- 
puratio  corneae  war  seltener  geworden".  Wiederum  schien 
das  ,Jurare  in  verba  magistri"  einem  solchen  Magister 
gegenüber  nicht  das  Unverständigste  gewesen  zu  sein.  Man 
bemühte  sich,  nach  Graefe  linear  zu  operiren,  und  fragte 
nicht  nach  den  Ursachen  der  guten  Resultate. 

Als  aber  am  Schlüsse  des  nächsten  Jahres  Graefe 
geneigt  war,  die  unverändert  günstigen  Besultate  seiner 
Operationen  mehr  noch  auf  die  sclerale  Lage,  als  auf  die 
lineare  Form  der  Schnitte  zu  schieben,  die  Anderen,  mit 
den  Erfolgen  ihrer  Operationen  nicht  so  vollkommen  zu- 
frieden, nach  den  Ursachen  der  häufiger  gewordenen  Cyclitis 
forschten,  da  strafte  sich  die  Indifferenz  gegen  die  fünf 
Jahre  vorher  aufgeworfene  Frage.  Um  den  1863  empfohlenen 


*)  BerL  klin.  Wochenschrift  1887,  No.  34. 


246  «^«  Jacobson  sen. 

Lappen  hatte  man  sich  nicht  gekammert,  —  Graefe*s  lange 
erwartetes,  subtiles  Verfahren  hatte  man  trotz  seinen  ersten 
Mängeln  mit  offenen  Annen  aufgenommen,  hatte  die  Ab- 
nahme derHomhauteiterungen  sofort  constatirt, —  wie  Wenige 
mögen  unter  diesen  Umständen  den  fast  pedantisch  ein- 
gehenden Text  der  6raefe*schen  Abhandlungen,  seine 
Polemik  gegen  die  cornealen  Linearschnitte  studirt  und 
vor  Allem  ihr  eigenes  Operiren  einer  strengen  Censur  unter- 
worfen haben!  Nahe  genug  lag  eine  solche  SelbstprOfung; 
denn  man  konnte  von  der  alten  Bxtraction  her  wissen,  dass 
kleine  Schnitte,  ungenügende  KapselOffnungen  etc.  es  sind^ 
von  denen  Iritis,  Irodocyclitis  ausgeht. 

Anstatt  dessen  machte  man  sich  das  Ding  leichter. 
Sclera  und  Corpus  ciliare  seien  am  Scleralborde  zu  nahe 
Nachbarn,  meinte  man;  nur  2  bis  3  mm  mehr  abwärts, 
dann  habe  man  immer  noch  Ein-  und  Ausstich  in  der  Sclera, 
der  grösste  Theil  des  Schnittes  aber  sei  dann  comeal,  wie 
Daviers,  bei  dem  es  keine  Cyclitis  gegeben  habe,  auch 
werde  die  geringe  Entfernung  bis  zum  Scleralborde  keinen 
erheblichen  Unterschied  in  der  Heilung  machen,  nicht  viel 
bedeuten. 

Das  war  der  Anfang  vom  Ende!  Graefe  warnte 
vergebens,  man  möge,  wenn  die  Operation  nicht  all*  ihre 
Vorzuge  verlieren  solle,  im  Scleralborde  bleiben,  —  nur, 
weil  er  sich  in  London  überzeugt  habe,  dass  auch  grosse, 
lineare  Schnitte  in  der  Cornea  zu  wenig  klaffen,  Scheere 
und  Löffel  helfen  müsse,  sei  er  in  den  Scleralbord  gegangen, 
—  es  war  umsonst,  man  war  „etwas  cornear*  geworden  und 
blieb  dabei  nach  seinem  Tode. 

War  es  zu  verwundern,  dass  bei  dieser  wissenschaft- 
lichen Bedürfnisslosigkeit  immer  noch  die  Daviersche  Me- 
thode am  Buder  blieb,  secundirt  von  unbekannten,  ver- 
besserten Linear-Extractionen,  gegen  die  Graefe  energisch 
protestirt  hatte,  für  die  Niemand  ein  verständiges  Wort 
anzufahren  wasste? 


▼.  Graefe*8  ^niodificirte  Lütear-Extraction"  etc.  247 

Nnr  zweimal  hatte  es  den  Anschein,  als  hatten  die  Gegner 
der  peripheren  Schnitte  Gründe  gesucht,  um  ihr  „Modificiren" 
zu  rechtfertigen,  —  leider  Gründe,  welche  die  gegenwärtige 
klinische  Methode  in  noch  traurigerem  Lichte  zeigen,  als 
die  begründeten  Resultate,  zu  denen  man  gelangt  ist  Sie 
dürfen  nicht  ignorirt  werden. 

Unzweifelhaft  hat  der  Leser  eingesehen,  dass  es  die 
periphere  Lage  des  Lappens  war,  durch  die  ich  vor  langer 
Zeit  die  Zahl  der  Lappeneiterungen  reducirt  habe,  dass 
es  der  sclerale  Schnitt  war,  dessen  Nachgiebigkeit  in 
Graefe's  Methode  die  Gataract-Entbindung  erleichterte. 
Auf  die  Verschiedenheit  dieser  Incisionsstellen  von 
ihrer  unmittelbaren  Nachbarschaft,  der  gefäss- 
losen  Cornea  und  dem  Gornealrande,  beruht  der 
ganze  grosse  Fortschritt,  den  die  Extraction  in  den 
letzten  Decennien  gemacht  hat.  Dem  gegenüber 
meinen  die  Gegner,  „es  sei  noch  zu  beweisen,  dass  der  Horn- 
hautrand besser  heile,  als  die  Cornea  propria",  zwischen 
dem  Scleralborde  und  einer  2 — 3  mm  von  ihm  entfernten 
Comeal-Zone  werde  wohl  kein  grosser  Unterschied  sein!'* 
Die  practische  Chirurgie  meint  es  gut  mit  den  Kranken, 
so  manche  Cataract  hat  ein  Stück  Binde  nach  dem  andern 
abgestreift  und  die  richtige  Achsendrehung  gemacht,  bis  es 
ihr  gelungen  ist,  sich  durch  eine  zu  enge  HornhautOffnung 
hindurch  zu  arbeiten,  aber  die  Wissenschaft  fragt  nicht, 
ob  Papier  geduldig  und  ein  sonst  gesundes  Auge  wider- 
standsfähig genug  ist,  um  Traumen,  die  einem  bestiomiten 
Zwecke  widersprechen,  zu  ertragen,  sie  denkt  sich  unter 
Cataract-Extraction  eine  Aufeinanderfolge  operativer  Ein- 
griffe, deren  jeder  darauf  gerichtet  ist,  eine  vollständige 
Entfernung  des  Eapselinhaltes  mit  möglichst  geringer  Ge- 
fahr für  das  Auge  vorzubereiten,  und  verlangt  für  jeden 
Theil  des  Ganzen  den  Nachweis  der  Zweckmässigkeit  und 
Gefahrlosigkeit 


248  J-  Jacobson  sen. 

Aus  den  sogenannten,  cyclitischen  Pro- 
cessen (meist  Folgen  schwerer  Linsen-Entbin* 
dnng)  schlössen  Graefe*s  Freunde,  dass  der 
wichtigste,  der  Erfolg  verbargende  Theil 
des  Qraefe'schen  Verfahrens  ihr  grossester 
Fehler  sei,  verlegten  deshalb  in  gutem 
Glauben  den  Schnitt  in  die,  wie  durch  Graefe 
theoretisch  und  practisch  bewiesen  war,  un- 
günstigsi^e  Stelle  für  lineare  Schnitte,  in  die 
Cornea. 

So  wurde  mehr  weniger  corneal  und  scleral, 
linear  und  mit  Lappenbildung  20  Jahre  lang 
extrahirt,  bis  man  Graefe's  Methode  (!)  ver- 
warf, aber  die  Mehrzahl  wusste  nicht,  dass 
sie  ihr  eigenes  Verfahren  beseitigte  und 
Graefe's  Verfahren  nicht  kannte. 


Zur  Technik  der  Graefe'schen  Extraction. 

Mir  wurde  es  nicht  schwer,  1868  zur  Linear-Extraction 
überzugehen  und  meine  grossen,  peripheren  Lappen  aufzu- 
geben. Leichte  Entbindung  der  Linse  durch  einen  grösseren, 
peripheren  Schnitt  war  das  Frincip,  an  dem  ich  seit  1861 
festgehalten  hatte.  Ein  zu  plumpes  Verfahren  aufzugeben 
und  eine  technisch  vollkommenere  Methode  dafür  einzu- 
tauschen, war  kein  Opfer. 

Chloroform  wurde  mir  sofort  bewilligt,  eine  verti- 
cale  Iridectomie  von  ca.  60^  für  alle  Fälle,  in  denen  die 
Iris  wegen  der  Druckverminderung  in  J^arcose  sich  nicht 
ganz  in  den  Schnitt  legen  sollte,  wurde  unter  der  Bedin- 
gung, dass  die  Zahl  der  Vorfälle  und  Einklemmungen  nicht 
zunähme,  ebenfalls  zugestanden.  Präparatorisch  habe 
ich  die  Iridectomie  regelmässig  erst  nach  1870  aus- 
geführt. Ihre  Vortheile  sind:  J)  Verringerung  des  Traumas 
der   eigentlichen  Extraction,   2)   seltenere  Blutung   in  die 


y.  Graefe's  „modificirte  Linear-Extraction"  etc.  249 

vordere  Kammer  (der  Kapsel  wegen  mitunter  störend), 
3)  besseres  ürtheil  über  die  Stellang  des  oberen  Linsen- 
randes, aber  die  Zonula  Zinnii  und  den  Glaskörper. 

Auf  die  Lappen-Eiterung  (2 — 3  pCt.)  waren  die 
genannten  Unterstützungen  ohne  Einfluss,  später  trugen 
sie  entschieden  dazu  bei,  den  Krankheitsverlauf  reizlos  zu 
machen.  Dass  in  den  ersten  Jahren  nach  1868  cyclitische 
Processe  und  Glaskörpervorfall  zunahmen,  erklärt  sich 
leicht  aus  dem  Wechsel  der  mir  sehr  bekannten  gegen  die 
neue  Methode.  Seitdem  es  mir  gelingt,  den  ersten  Schnitt 
breit  genug  zu  machen  und  ein  grosses  Kapselstück  zu 
entfernen,  haben  „die  Zufälle"  aufgehört.  Dank  dem 
Lister'schen  R6gime  sind  seit  4 — 5  Jahren  Eiterungen 
der  Wunde  und  schwere  Entzündungen  nie  mehr  vor- 
gekommen, ohne  dass  es  immer  gelungen  ist,  bei  gleicher 
Vorsicht  Schnitte  in  der  gefäss losen  Cornea  vor  Infection 
zu  schützen. 

PanOphthalmitis  ohne  Wund  -  Eiterung,  die 
Schweigger,  Hasner  beistimmend,  vom  Glaskörper  aus- 
gehen und  nicht  all  zu  selten  sein  lässt,  ist  mir  nicht 
bekannt.  Natürlich  nehme  ich  an,  dass  Glaskörpervorfall 
nicht  gemeint  ist;  denn  in  diesem  Falle  schliesst  die 
Wunde  nicht,  Infection  ist  also  von  zwei  Seiten  möglich. 

Jodoform  giebt  für  die  ersten  Tage  einen  vortreff- 
lichen Wund  verschluss ,  scheint  auch  die  cystoiden 
Narben,  von  denen  ich  nie  Nachtheile  gesehen  habe,  zu 
verhüten.  -^  Um  nicht  mit  Bekanntem  zu  ermüden,  sehe 
ich  von  der  Iridectomie,  die  pväparatorisch  gemacht  sein 
mag,  ab.  Die  einfache  Operation  besteht  dann  aus  drei 
Akten:  dem  linearen  Schnitte,  der  Kapsel zerreissung,  der 
Cataract-  Entbindung. 

Der  erste  Operationsakt  ist  von  Graefe  bis  zur 
Ermüdung  deutlich  beschrieben,  aber,  wie  es  scheint,  noch 
nicht  deutlich  genug.  Da  er  die  Höhe  des  Messers  haben 
soll  und  während  der  Messerdrehung  beendet  wird,  so  sind 


250  J*  Jacobson  sen. 

selbstverstftndlich  sehr  geringe  Yarianten  der  Fonn  mOglicb 
(die  Berechtigung  des  Wortes  „linear''  vom  mathenaatischen 
und  ophthalmologischen  Standpunkte,  fnr  die  Schweigger 
in  seiner  Berliner  Bede  Interesse  gezeigt  hat,  ist  für  den 
Chirurgen  unerheblich,  übrigens  von  Graefe  selbst  in  der 
letzten  Abhandlung  dieses  Archivs  genügend  gewürdigt)» 
Der  Schnitt  muss  drei  Bedingungen  erfüllen: 

1.  er  darf  vom  Sderalborde  höchstens  % — 1  mm 
aufwärts  rücken; 

2.  er  muss  die  breiteste  Cataract  um  ca.  2  mm  nach 
jeder  Seite  überragen; 

3.  er  muss  bei  einem  vom  unteren  Linsenrande  her 
vertical  aufwärts  wirkenden  Drucke,  durch  den  die 
Zonula  und  Hjaloidea  nicht  gesprengt  wird,  die 
Linse  leicht  austreten  lassen. 

Anmerkung  1.  Jeder  Linearschnitt,  der  bei  einem 
leichtem  Versuche  mit  dem  LOffel  zu  wenig  klafft,  ist 
sofort  oder  am  Anfange  des  dritten  Aktes  durch  einen  bis 
zwei  kurze,  horizontale  oder  leicht  abwärts  gerichtete 
Scheerenschnitte  zu  vergrössem. 

Anmerkung  2.  Die  Messerdrehung  betreffend,  sind 
folgende  anatomische  Verhältnisse  zu  beachten:  wird  die 
Dicke  der  Iris  vernachlässigt,  der  Durchmesser  der  Cataract 
von  vom  nach  hinten  27« — 3  mm  angenommen,  wovon 
höchstens  1  mm  der  vordere,  IVa— 2  mm  der  hintere  Pol 
vor  resp.  hinter  dem  Linsenrande  liegen  soll,  so  sind  diese 
Zahlen  zugleich  die  Werthe  für  die  Entfernungen  des 
Messers  von  den  genannten  Punkten. 

Sinkt  die  Cornea  nach  Beendigung  des  Schnittes  und 
Abfluss  des  Humor  aqueus  ein,  so  ändert  sich  nichts  in 
der  Lage  des  Schnittes  zur  Linse,  zum  Glaskörper  etc.,  — 
sinkt  dieselbe  nicht  ein,  rückt  also  die  Iris  bis  an  die 
hintere  Hornhautfläche  vor,  die  Linse  hart  an  sie  angelegt, 
so   entsteht  zwischen  dem  vorrückenden  Linsenrande  nnd 


T.  Graefe*8  ^odificirte  linear-Extraction"  etc.  251 

dem  nicht  nachfolgenden  Processus  ciliaris  ein  von  der 
Zonula  überhrflckter  Banm,  in  den  sich  das  Corpus  vitreum 
einstälpi  —  Eine  Tiefe  der  vorderen  Kammer  von  2  mm 
angenommen,  würde  nach  Abfluss  des  Humor  aqueus  der 
Band  der  Linse  1  mm  vor,  der  hintere  Pol  V2  mm  hinter 
einem  in  den  Scieralbord  fallenden  Schnitt  stehen.  Ist  der 
Schnitt  aber  1  mm  zu  weit  in  die  Sclera  gefallen,  so  steht 
der  Band  2  mm,  der  hintere  Pol  1  mm  vor  dem  Schnitt, 
also  dr&ngt  jeder  Druck  die  Zonula  oder  den  Glaskörper 
hinaus.  Beste  Ausflucht:  heilen  lassen  und  später 
operiren! 

Die  Peripherie  der  Linse  ist  ungefthr  1  mm  von  der 
Scleralöffnung  entfernt.  Wird  der  jetzt  beliebte,  corneale 
Schnitt  IVs — 2  mm  unter  den  Scieralbord  gelegt,  so  liegt 
die  Oefihung,  durch  welche  die  nach  oben  gedrängte  Cataract 
austreten  soU,  schon  V^ — 1  ^^  unterhalb  des  oberen 
Linsenrandes.  —  Die  Corticalis  muss  helfen,  der  Schnitt 
aber  ist  selbstverständlich  so  unzweckmässig,  wie  nur 
möglich. 

Anmerkung  3.  Die  Lage  der  Wunde  zur  Linse  ist 
für  Synchysis  corp.  vitrei  nicht  unwichtig.  Besteht 
hochgradige  Myopie,  dabei  eine  tiefe  vordere  Kammer  von 
3—4  mm  Tiefe,  so  kann  nach  Abfluss  des  Humor  aqueus 
der  hintere  Linsenpol  schon  weiter  nach  vom,  als  der 
Schnitt,  liegen.  Gelingt  es  in  diesen  Fällen,  so  tief  zu 
Chloroformiren,  dass  die  Cornea  einsinkt  (lässt  sich  auch 
durch  Punction  einiger  Tropfen  Glaskörper  erzielen),  so 
steht  die  Linse  hinter  der  Wunde,  und  die  Extraction  ge- 
lingt oft  ohne  Ausfluss  von  C.  vitreum. 

Der  zweite  Operationsakt  ist  die  schwache  Seite 
der  Methode.  Hält  man  an  dem  Princip  der  leichten 
Cataract-Entbindung  fest,  so  ist  caeteris  paribus  der  beste 
Eapselriss  der,  durch  welchen  am  meisten  Kapsel  entfernt 
wird.     Deshalb   kommt   Knapp 's  Queerspaltung  parallel 


252  J-  Jacobson  sen. 

dem  oberen  Bande  erst  in  Frage,  wenn  man  auf  aasgiebige 
Beseitigung  der  vorderen  Kapsel  verzichten  mnss.  *) 

Was  Graefe  angestrebt  hat,  ist  mit  den  von  ihm 
angegebenen  Mitteln  nicht  zu  erreichen:  die  kurzen  Hisse 
des  Cystitoms  können  die  Linse  luxiren,  —  bei  seiner  Art, 
das  Instrument  zu  führen,  kann  man  eine  weite  Kapsel 
durchstechen  und  vor  sich  her  schieben,  ohne  sie  zu  zer- 
reissen,  —  die  sicherste  Hand  und  das  schärfste  Auge 
geben  keine  Sicherheit  dafür,  dass  die  Spitze  der  Fliete 
auf  der  Kapsel  bleibt,  und  das  ist  bei  Graefe  die 
Hauptsache. 

Foerster*s  Pincette  und  ähnliche  Instrumente 
mochte  ich  nicht  mehr  entbehren,  aber  noch  weniger  auf 
sie  angewiesen  sein.  Folgendes  Verfahren  hat  mich  seit 
Jahren  nicht  im  Stiche  gelassen.  Es  beansprucht  keinen 
Vorzug  vor  beliebigen  anderen,  die  demselben  Zwecke  mit 
Erfolg  dienen.  Ich  verfahre  mit  einem  gut  schneidenden 
Graefe'schen  Cystitom,  dessen  Fliete  nicht  zu  kurz  sein 
darf,  so,  als  ob  ich  aus  dem  ganzen  Gebiete  der  nicht  von 
Iris  bedeckten  Kapsel  ein  unregelmässiges  Viereck  um- 
schneiden sollte,  dessen  obere  Seite  die  beiden  langen,  vom 


*)  Schweigger  hat  im  vorigen  Jahre  in  dem  von  Knapp 
und  ihm  herausgegebenen  Archiv  aus  dem  Vergleiche  von  etwa 
je  60  Fällen,  in  denen  die  Kapsel  nach  verschiedenen  Methoden 
bebandelt  wurde,  ein  günstiges  Urtheil  über  K/s  Methode  gefällt. 
Ich  kann  dasselbe  weder  bestätigen,  noch  widerlegen,  mnss  aber 
bemerken,  dass  ans  Schw/s  Versuchen  nichts  folgt  Angenommen, 
aber  nicht  zugegeben,  dass  es  Operateure  giebt,  die  etwa  ein 
halbes  Dutzend  Kapselschnitte  gleich  vollkommen  machen,  so 
hängt  die  schliessliche  Form  eines  gewöhnlichen  Kapselrisses  be- 
kanntlich von  der  Linse,  i  icht  vom  Operateur  ab,  und  die  Re> 
traction  der  Kapselzipfel  ist  so  enorm  verschieden,  dass  gerade 
diese  Verschiedenheiten  nur  durch  sehr  grosse  Zahlen  zum  Ver- 
schwinden gebracht  werden  könnten.  —  Knapp*»  Methode  lässt 
sich  nur  mit  der  Abtragung  der  Kapsel,  die  constante  Resultate 
schafft,  vergleichen.  Die  gewöhnlichen  Zerreissungen  und  Zer> 
schneidungen  hängen  von  zu  viel  Factoren  ab. 


Y.  Graefe's  „modificirte  Lisear-Extraction"  etc.  253 

unteren  Pupillenrande  längs  den  Golobom- Schenkeln  bis 
etwa  1  mm  unter  den  oberen  Linsenrand  aufsteigenden 
Schenkel  verbindet,  während  die  untere  längs  dem  unteren 
Bande  der  Pupille  hinzieht  Der  Gebrauch  des  Instrumentes 
ist  folgender: 

Bei  der  EinfCQirung  liegt  die  Fläche  der  Fliete  auf 
der  vorderen  Kapsel,  bis  der  Ort  eines  unteren 
Winkels  erreicht  ist,  —  dann  wird  die  Fliete  senk- 
recht auf  die  Kapsel  gestellt,  bis  die  Spitze  durch- 
dringt (meist  an  einem  austretenden  Bindenstäubchen 
sichtbar).  Nun  bleibt  die  Spitze  wo  möglich  stehen, 
bis  die  Fliete  70 — 80®  gegen  die  Kapsel  gesenkt  ist, 
und  wird  dann  in  der  Bichtung  der  zu  bildenden 
Seiten  zwischen  Kapsel  und  Binde,  zugleich  gegen 
den  Scheitel  hin  lockernd,  vorgeschoben.  Die  Seiten 
werden  dabei,  auch  wenn  die  Fliete  scharf  ist,  mehr 
eingerissen  als  eingeschnitten.  Es  ist  eine  Aus- 
nahme, und  keine  sehr  häufige,  dass  die  vier  Seiten 
sich  in  einem  Zuge  schneiden  lassen.  Kommt  die 
Fliete  an  die  Oberfläche,  so  wird  sie  wiederum  ein- 
gesenkt etc. 

Von  einer  anatomisch  scharfen  Trennung  ist  selbst- 
verständlich nicht  die  Bede,  sondern  von  einer  Locke- 
rung, welche  den  Austritt  des  umschnittenen  Kapsel- 
stückes und  seine  Extraction  erleichtert. 

Die  Ausführung  ist  nicht  so  leicht,  dass  sie  ohne  üebung 
sofort  und  jedes  Mal  gelingt,  aber  leicht  genug  far  jeden, 
der  ruhig  operirt  und  einen  geringen  Aufwand  an  Zeit  und 
Mühe  nicht  scheut.  —  Kann  ich  den  Kapselriss  durch  eine 
dünne  Blutschicht  oder  aufliegende  Corticalis  nicht  sehen, 
so  extrahire  ich,  sehr  oberflächlich  fassend,  das  umschnittene 
Kapselstück  mit  Foerster's  Pincette.  Im  äussersten  Noth- 
falle   setze  ich  zum  Schlüsse  die  Fliete   an  verschiedenen 


254  J-  Jacobson  sen. 

Stellen  auf  und  zerzupfe  die  Kapsel  in  viele,  kleine  Theile. 
Es  tritt  dann  das  ganze  Kapselstfick  oder  die  Gorticalis 
mit  den  aufliegenden  Fetzen  aus.  Nach  der  Entbindung 
der  Linse  ist  meist  ein  fast  die  Breite  des  Coloboms  und 
seine  Höhe  bis  zum  Eapselriss  einnehmender  Defect  der 
Kapsel  naohzuweisen« 

Um  auf  Knappes  an  sich  durchaus  rationelle  Me- 
thode zurückzukommen,  so  wäre  sie  entschieden  indicirt, 
wenn  es  unmöglich  wäre,  die  Kapsel  aus  dem  Ge- 
biete des  Coloboms  zu  entfernen  oder  die  von  der 
aufgerissenen  Kapsel  ausgehenden  Entzündungen 
zu  verhüten.  Von  den  beiden  üebeln,  Entzündungen  durch 
Kapselzipfel  zu  riskiren,  oder  etwas  mehr  Gorticalis  im 
geschlossenen  Kapselsacke  zurückzulassen,  ist  das  letztere 
unbedingt  das  geringere.  Glücklicher  Weise  kommt  es  in 
Wirklichkeit  nicht  dazu. 

Wenn  ich  den  Namen  meines  ausgezeichneten  Lehrers 
Arlt,  dessen  Genauigkeit  in  der  Dosirung  der  Schnitte  ich 
oft  genug  bewundert  habe,  hier  nenne,  so  wird  man  mir 
glauben,  dass  ich  in  Folgendem  nicht  Beclame  für  meine 
Virtuosität  als  Operateur  machen  will:  die  Entzündungen, 
Verwachsungen,  Einklemmungen,  Vorfälle,  wegen  deren 
zum  Theil  Knapp's  Methode  erfanden  ist,  über  deren  üu- 
vermeidlichkeit  bei  Graefe*s  Methode  Arlt  oftmals,  zuletzt 
bei  der  Enthüllung  des  Graefe- Monumentes,  sich  gegen 
mich  aussprach,  haben  in  der  hiesigen  Klinik  lange  auf- 
gehört. Anfangs  glaubte  ich,  die  Chloroform-Narcose  ver- 
mindere die  Spannung  des  Auges,  also  auch  den  Wider- 
stand der  Wunde,  erleichtere  dem  Operirenden  das  Aus- 
treiben der  Gataract  und  vermindere  die  Verwachsungen, 
bis  ich  sehr  bald  aus  einem  Vergleiche  der  ersten  Schnitte 
den  Grund  erkannte. 

Der  dritte  Operationsact  fahrt  uns  wieder  bis  in's 
kleinste  Detail   zu  Graefe  zurück.    Seinen  Namen  neben 


y.  Graefe's  „modificirte  Linear-Extraction"  etc.  255- 

dem  DavieVs  in  der  Lehre  von  der  Extraction  zn  nennen 
wird  keinem  verständigen  Menschen  einfallen;  denn  der 
kühne  Gedanke,  bei  den  damaligen,  recht  unvollkommenen 
anatomischen  Vorstellungen  den  Hornhautlappen  zu  wagen 
und  die  entkapselte  Linse  durch  eine  enge  Pupille  hin- 
durchzuzwängen,  wird  durch  nichts,  das  die  umsichtigste 
Berücksichtigung  aller  Details  voraussetzt,  entfernt  erreicht. 
Und  doch  ist  es  unter  allen  operativen  Erfindungen  Graefe's 
gerade  der  letzte  Act  seiner  Methode,  in  dem  sich  der 
Unterschied  einer  ganz  und  gar  in  den  Dienst  einer  wissen- 
schaftlichen Aufgabe  gestellten  Technik  am  glänzendsten 
von  der  naiven,  kräftigen  Art,  eine  Aufgabe  im  Grossen  zu 
lösen  9  unterscheidet.  Man  denke  nur  an  die  Lappen- 
Extraction  des  berühmten  Friedrich  v.  Jaeger,  bei  der 
nach  dem  Zeugnisse  seines  Sohnes  die  Cataract  mit  einem 
stattlichen  Gefolge  von  Glaskörper  10  Schuh  weit  ia's 
Zimmer  stürzt,  und  vergleiche  dieselbe  mit  den  durchaus 
nicht  seltenen  Linsen-Entbindungen  Graefe*s,  bei  denen  das 
Linsensjstem  nicht  die  kleinste  Verschiebung  anders,  als 
anter  der  Leitung  des  Operirenden,  macht!  In  solchen, 
nichts  weniger  als  seltenen  Fällen,  in  denen  die  Cataracten 
nach  DaviePs  Methode  schon  beim  Durchgange  durch  die 
Pupille  viel  Corticalis  abstreifen,  sehen  wir  den  ganzen 
Eapselinbalt,  als  ob  er  aus  einem  Stücke  bestände,  sich 
erheben,  die  Pupille  vom  unteren  Bande  aus  so  viel  höher 
hinauf  schwarz  werden,  als  der  Masse  der  oben  aus- 
getretenen Cataract  entspricht,  und  schliesslich  die 
obere  Grenze  des  schwarzen  Coloboms  von  der  Wunde  nur 
noch  durch  die  untere  Corticalis  getrennt.  Erst  in  diesem 
letzten  Momente,  wenn  die  geringe  Masse  des  Eapsel- 
inhaltes  zu  wenig  zusammenhält,  uro,  dem  Drucke  des 
Löffels  folgend,  sich  in  die  innere  Wunde  einzulegen,  kann 
von  Abstreifen  der  Corticalis  die  Rede  sein.  Wie  man 
dann    die    kleinen    Schollen    in   jedem    Falle    unschädlich 


256  J*  Jacobson  sen. 

macht,  gehört  nicht  hierher;   es  genügt,   zu  wissen,  dass 
es  leicht  ausführbar  ist. 

Dass  der  lineare  Schnitt  die  voluminösesten,  harten 
Staare  leicht  austreten  lässt,  ist  hiermit  bewiesen,  in  meiner 
Praxis  vielhundertfach  bestätigt,  aber  ob  er  der  allein  rich- 
tige, der  beste  ist,  oder  von  anderen  übertroffen  wird, 
darüber  ist  nicht  entschieden,  und  die  Entscheidung  empi- 
risch herbeizuführen,  dürfte  nicht  ganz  leicht  sein.  Nach 
Graefe's  Tode  sind  die  „Erfindungen  und  Modificationen'' 
häufiger,  die  Begründungen  der  neuen  Methoden  seltener 
und  nichtssagender  geworden.  Ob  es  der  Mühe  werth  und 
mit  der  ärztlichen  Pflicht  vereinbar  ist,  eine  durch  Jahre 
lange  üebung  und  Selbstkritik  sicher  gewordene  Technik 
aufzugeben,  um  es  mit  einer  neuen  zu  versuchen,  die  genau 
zu  erlernen  eine  üeberfülle  einander  übertreffender  und 
verdrängender  Erfindungen  nicht  gestattet,  oder  ob  sich 
a  priori  Grenzen  für  die  Extractions-Methoden  ziehen  und 
manche  trotz  Empfehlungen  und  statistischen  Tabellen 
a  limine  abweisen  lassen,  darüber  in's  Klare  zu  kommen, 
um  den  Werth  des  linearen  Schnittes  richtig  zu  schätzen^ 
soll  im  Folgenden  versucht  werden. 


Die  lineare  Methode  Graefe's  and  der  periphere 
Lappen.    Die  mögUclien  Extractions- Methoden. 

Graefe's  modificirte  Linear  -  Extraction  mit 
einigen  seinem  Sinne  entsprechenden  Verbesse- 
rungen leistet  das  Höchste,  worauf  die  Be- 
strebungen der  sechziger  Jahre  gerichtet  waren: 
sie  schafft  ein  eben  so  vollkommenes  Seh- 
vermögen, als  die  Daviersche  Methode,  und  ist 
gefahrlos. 

Da   dergleichen   allgemeine   Lehrsätze,   aus   den   Er- 


V.  Graefe's  ^modificirte  Linear-Extraction"  etc.  2Ö7 

fahrangen  eines  Praktikers  abstrahirt,  nur  relativen  Werth 
haben,  müssen  die  Beobachtungen,  auf  denen  sie  beruhen, 
bekannt  sein.  Es  sind  folgende:  1.  aus  den  Jahren  1854  bis 
1861  ca.  500  Daviel'sche  Extractionen  mit  9 — 10  pCt. 
Verlust,  der  Mehrzahl  nach  durch  Lappeneiterang  (ent- 
sprechend den  Angaben  der  ehemaligen,  besten  Operateure); 
2.  aus  den  Jahren  1861 — 68  bei  der  im  Princip  der 
Linear-Extraction  identischen  peripheren  Lappen-Extraction 
2—3  pCt.  Lappeneiterungen  in  ca.  700  Fällen;  3.  aus 
den  Jahren  1868 — 88  bei  Graefe's  Methode  Anfangs  die- 
selbe Procentzahl  Eiterungen,  später  bei  Lister'schem  Re- 
gime zunehmend  reizlosere  Heilungen,  in  den  letzten 
4 — 5  Jahren  bei  strenger  Beobachtung  des  der  Methode  zu 
Grunde  liegenden  Principes  ausnahmslos  reizlose  Verläufe 
in  ca.  2500  Fällen. 

Die  kleinen  Veränderungen,  die  dem  Princip  eines 
möglichst  leichten  Linsenaustrittes  entsprechen,  sind:  1.  die 
Erweiterung  jedes  Schnittes,  dessen  Nachgiebigkeit  gegen 
einen  leisen  Druck  der  Cataract  zweifelhaft  ist;  2.  die  voll- 
kommenere Entfernung  der  vorderen  Kapsel. 

Die  Beseitigung  der  letzten  2 — ^3  pCt.  Eiterungen  ver- 
danken wir  dem  aseptischen  Verfahren,  zu  dem  ich  die  vor 
längerer  Zeit  im  Archiv  empfohlene  Spaltung  der  Thränen- 
wege  und  den  Schutz  der  Wunde  durch  Jodoform  ausser 
den  bekannten  Maassregeln  rechne. 

Der  wesentlichste  Vorzug  der  Methode,  ehe  man  von 
der  Asepsis  Gebrauch  machte,  war  die  periphere  Lage  des 
Schnittes,  die  eine  nennenswerthe  Lappenhohe  eo  ipso  aus- 
schliesst.  Der  solide  Bau  und  der  Blutgehalt  der  Horn- 
haut-Peripherie begünstigt  weniger,  als  die  dünne,  gefäss- 
lose  Cornea,.  Absterben  des  Lappens,  die  feste  Bandpartie 
ist  för  Verbreitung  von  Mikroorganismen  weniger  günstig, 
Bis  die  eigentliche,  lamelläre  Substanz,  endlich  kommt 
beim  Einsinken  der  Hornhaut  nach  Abfluss  des  Kammer- 

▼.  GrMfe*«  Archiv  für  Ophthalmologie,  XXXIV.  2.  17 


258  ^'  Jacobson  sen. 

Wassers  eine  fietraction  des  Lappens,  bei  der  die  Wunde 
nicht  schliesst,  nie  zu  Stande.  *) 

Die  obligatorische  und  facultative  AuslOfflung  des 
Kerns  durch  sogenannte  lineare  Hornhautschnitte  kann, 
wie  durch  Erfahrungen  bewiesen  ist,  einen  Vergleich  mit 
den  Resultaten  der  linearen  Extraction  nach  Graefe  nicht 
aushalten,  ebenso  wenig  DavieFs  Lappen-Extraotion  in  der 
geflLsslosen  Cornea.  Anhänger  und  Qegner  dieser  Methoden 
hatten    unvergleichlich   mehr  Verluste   durch   Vereiterung 


*)  Wie  Graefe  schon  vor  20  Jahren,  nachdem  er,  durch 
eigne  Erfabrangen  belehrt,  sein  Vorurtheil  gegen  periphere  Schnitte 
abgelegt  hatte,  ttber  Heilung  im  8cleralborde  urtbeilte,  sieht  der 
Leser  aus  dem  letzten  der  oben  wörtlich  wiedergegebenen  Citate. 

Der  Inhalt  desselben  ist  Allen,  die  Graefe's  Abhandlungen 
gelesen  haben,  seit  20  Jahren  aus  diesem  Archiv  bekannt  Uan 
mnss  deshalb  entweder  Graefe  in  der  Extractionsfrage  nicht  für 
sachverständig,  oder  Schweigger's  Behauptung,  dass  comeale 
Schnitte  ebenso  gut,  wie  periphere,  heilen,  für  unrichtig  halten, 
wenn  man  in  No.  ^  der  ,D.  Med.-Ztg/'  (1887)  in  Bezug  hionof 
liest:  «Aber  woza  soll  man  eine  weitläufige  Statistik  aufstellen, 
um  Thatsachen  zu  erweisen,  welche  ohnedies  kein  «Sach- 
verständiger" bezweifelt. 

Schweigger's  Schlusssatz  lehnt  sich  an  drei  andere,  die  zum 
Theil  nicht  richtig  sind,  zum  Theil  nichts  beweisen:  1.  normale 
Heilangen  von  Hornhaatschnitten  zur  Extraction  von  weichen 
Cataracten  und  Nachstaaren  haben  wir  Aelteren  sehr  viele,  Einige 
von  uns  sehr  viel  mehr,  als  er,  gesehen,  aber  Eiterungen  kleiner 
Discissionsstiche  und  linearer  Homhautschnitte  hat  er  nicht  ge- 
sehen, während  ich  sie  schon  1864  kannte  und  mich  auf  dem  Con- 
gresse  in  Heidelberg  von  Graefe  belehren  lassen  musste,  dass  sie 
zwar  selten,  aber  doch  jedem  erfahrenen  Praktiker  bekannt  seien, 
und  dass  man  ihre  Ursache  nicht  kenne  (es  war  eben  die  damals 
unbekannte  Infection).  —  Es  ist  femer  bekannt,  dass  wir  durch 
den  peripheren  Schnitt  die  Hornhaut  •  Eiterungen  schon  auf 
2  Frocent  reducirt  hatten,  lange  bevor  Lister's  Verfahren 
eingeführt  wurds.  —  Endlich  habe  ich  vor  Kurzem  in  diesem 
Archiv  zwei  Infectionen  einfacher  Comeal-Schnitte,  dsnen  ich  eine 
dritte  von  einem  schlecht  schliessenden  Linearscbnitte  (am  fünften 
Tage)  hinzufügen  kann,  erwähnt.  Alle  drei  Infectionen  erfolgten 
unter  denselben  Vorsichtsmaassregeln,  die  seit  Jahren  ausreichen, 
Wand-Infectionen   der  Peripherie  zu  verhüten.  —  2.  „Die  guten 


T.  Qraefe's  „modificirte  Linear-Extraction"  etc.  259 

der  Cornea,  Ruptur  der  tellerförmigen  Grube,  iritische  und 
€yclitische  Processe  zu  beklagen. 

Die  periphere  Lappen- Extraction,  wie  ich  sie  1863 
Yorgeschlagen  und  von  1861 — 68  ausnahmslos  geübt  habe, 
hat  den  Fehler,  dass  die  Grösse  des  Eapselrisses  durch 
den  Durchmesser  einer  nach  Abfluss  des  Eammerwassers 
mehr  weniger  contrahirten  Pupille  gegeben,  mithin  die  defini- 
tive Gestalt  und  Weite  der  Eapselöfhung  von  dem  Drucke 
des  Operateurs  auf  den  Linsenrand  und  der  Drehung  des 


Erfolge  bei  weichen  Staaren,  die  in  Graefe  den  Wunsch  erregt 
haben  BoUen,  ein  ähnliches  Verfahren  bei  kernhaltigen  Staaren  zu 
Terwenden",  müssen  die  active  Rolle,  die  Schweigger  Ihnen  zn- 
mnthet,  ablehnen.  Die  schlechten  Erfolge  der  Hornhantlappen 
und  der  Irrthnm,  dass  der  Daviel'sche  Lappen  zn  gross  sei, 
machten  den  Wunsch  nach  einer  sicheren  Methode  rege,  die  Ver- 
suche von  Wald  an  und  Desmarres  gaben  den  Anstoss  znm 
Löffel  und  den  linearen  Schnitten,  die  allerdings  besser  heilten, 
als  die  schlecht  heilenden  Lappen  der  gefässlosen  Oomea.  — 
3.  «Die  Gefährlichkeit  der  Operationen  in  der  durchsichtigen  Horn- 
haut" habe  ich  seit  25  Jahren  nicht  im  Allgemeinen,  sondern 
mit  Bezug  auf  die  alten  Gomeal-Lappen  behauptet  und  zwar  in 
Uebereinstimmung  mit  (abgesehen  von  verschwindenden  Aus- 
nahmen) allen  Operatenren,  die  ans  eignen  Erfahrungen  über  die 
DavieFsche  Methode  urtheilten,  wie  Arlt,  Graefe  u.  A. 

Dass  Tiele,  lineare  Schnitte  in  der  Cornea  gut  heilen,  weiss 
aUerdings  jeder  „Sachverständige",  aber  einige  wissen  anch,  dass 
sie  leichter  eitern^  als  gleiche,  periphere  Schnitte,  und  darum  allein 
handelt  es  sich. 

Gewiss  ist  es  für  den  Leser  ermüdend,  immer  auf  denselben 
Punkt  verwiesen  zu  werden,  aber  kaum  ermüdender  als  für  mich, 
immer  anf  denselben  Punkt,  als  auf  die  Ursache  verschiedener 
Fehler,  zu  verweisen.  Hätte  man  ihn  nicht  ignorir't  oder  für 
unerheblich  gehalten,  so  wäre  uns  die  traurige,  deutsche  Ez- 
tractionslehre  der  letzten  20  Jahre  erspart  worden.  Vielleiebt 
würde  dann  auch  Schweigger  nicht  geschrieben  haben: 
«Den  wirklichen,  echten,  modificirten,  peripheren  Linearschnitt, 
wie  ihn  v.  Graefe  beschrieben  und  in  seinem  Archiv  abgebildet 
hat,  macht  gegenwärtig  kein  Mensch  mehr,  und  wenn  Herr 
Jabobson  behauptet,  es  zu  thun,  so  wird  ihn  Niemand  dämm 
beneiden.*'  Richtiger  wäre  gewesen:  „Weil  man  Graefe's  vor- 
trefflich motivirte  Vorschriften  nicht  genau  befolgte  und  sofort 

17* 


260  «^'  Jacobson  sen. 

Eapselinhaltes  um  die  horizontale  Achse  abhängig,  also 
nnberechenbar  ist,  ebenso  das  Abstreifen  von  Corticalia 
beim  Durchtritt  und  die  periphere  Buptur  der  Hyaloidea 
zum  Schlüsse  des  Linsenaustrittes.  Ausserdem  ver- 
langt sie  selbst  in  der  ChloroCorm-Narcose  eine  Eera- 
totomia  inferior;  denn  der  nach  oben  ausweichende 
Augapfel  müsste  bei  oberer  Lappenbildung  zur  Kapsel* 
Spaltung,  Entbindung  der  Gataract,  Iridectomie  und 
EutfemuDg  der  Reste  nach  unten  fixirt  werden,  — 
ein    Verfahren,     das     selbst     in    ununterbrochen    tiefer 


im  Einzelnen  Modificationen  einführte,  die  dem  Sinne  des 
Ganzen  widersprachen,  brachte  man  es  dahin,  dass  gegenwftiüg 
kaum  ein  Mensch  mehr  unter  dem  Namen  ^Qraefe^s  Linear- 
Extraction*'  eine  Operation  ausführt,  die  mit  Graefe's  Vei^ 
fahren  Aehnlichkeit  hat.  Nur  sehr  Wenige,  zu  denen  Jacobson 
gehört,  haben  Ausdauer  genug  gehabt,  ihre  Technik  genau 
dem  Zwecke  des  Vertahreud  zu  accommodiren  und  durch  den 
Erfolg  zu  beweisen,  dass  dasselbe  seine  Aufgabe  vollkommen 
gelöst  hat*'  Die  Extraction  ohne  Kapsel  ist  für  diejenigen,  die 
streng  nach  neueren  Principien  verfahren,  eine  sichere  Operation 
geworden.  Damit  hat  sich  erfüllt,  was  wir  kaum  zu  erreichen 
hofften,  als  wir  in  den  fünfziger  und  sechziger  Jahren  voo  der 
Suppuratio  corneae  der  Davierschen  Methode  ausgingen,  um  ihrer 
Ursache  nachzuspüren  und  dieselbe,  wenn  möglich,  zu  beseitigen. 
Was  erreicht  worden  ist,  werden  die  jüngeren  Coliegen  weniger 
hoch  schätzen,  als  wir,  die  wir  nicht  nur  Verlustzahlen  der  alten 
und  neuen  Methode,  sondern  auch  unwillkührlich  die  sehr  be- 
rechtigte UDruhe  des  Operateurs  bei  jeder  Klage  des  Patienten, 
die  Sorge  und  Uhgewissheit  während  der  ersten  Tage  und  Nachte 
mit  dem  Gefühle  voller  Sicherheit  vergleichen,  das  lange  Heiken 
ungestörter,  gleichmässiger  Heilungsverläufe  erzeugt  haben.  Aus- 
nahmsweise nicht  aus  eigner  Initiative,  nicht  mit  der  Originalität 
des  neue  Bahnen  brechenden  Genies,  aber  mit  durchdringender 
Kritik  und  vollem  Verständniss  für  Fehler  und  Vorzüge  des  Ge- 
leisteten, hat  Graefe  auch  auf  diesem  Gebiete  durch  eine  eigene» 
in  allem  Technischen  neue  Methode  seinem  Namen  einen  Denk- 
stein gesetzt.  Mit  nachtrS glichen  Angriffen  gegen  die  beste 
Methode,  um  deren  Vorzüge  man  sich  zwei  volle  Jahrzehnte  lang 
durch  eine  scheinbar  geringe,  in  Wirklichkeit  vollkommen  de- 
structive  Abweichung  vom  Princip  gebracht  hat,  etwas  aus- 
zurichten, dürfte  vergebliche  Mühe  sein. 


V.  Graefe'8  „modificirte  Linear-Extaraction"  etc.  261 

Narkose  nicht  zu  empfehlen  ist,  wenn  dem  Vorrücken  der 
peripheren  Iris  und  hinter  ihr  liegenden  Zonula  nicht 
durch  den  festen,  peripheren  Saum  der  Cornea  Schranken 
gesetzt  sind.  —  Aus  eignen  Erfahrungen  komme  ich 
hiernach  zu  dem  Schlüsse,  dass  selbst  bei  gleicher  Procent- 
zahl von  Lappen-Eiterungen,  wie  sie  sich  mir  aus 
€a.  700  Extractionen  ergeben  hat,  und  bei  etwas  ge- 
ringerer Lappenhöhe  (tieferer  Ein-  und  Ausstich),  wie 
ich  sie  später  mit  einem  dem  von  Froebelius  an- 
gegebenen Messer  ähnlichen  Instrumente  fUr  Cataracten 
von  nicht  zu  grossen  Durchmessern  vorzog,  der  grosse 
Lappen  im  Scleralborde  sich  mit  Graefe's  linearem  Schnitte 
nicht  messen  kann. 

Es  bleiben  noch  Lappen -Extractionen,  die  Punktion 
tmd  Contrapunktion  in  den  Limbus  oder  in  die  durch- 
sichtige Cornea  unmittelbar  neben  der  weissen  Scleral- 
grenze,  den  Wundrand  ebenso  an  die  äusserste  Grenze  der 
durchsichtigen  Cornea  legen  und  nicht  einen  Bogen  von 
180^,  sondern  etwa  von  150 — 120^  abtrennen.  Da  die 
von  mir  angegebenen  Lappen  unzweifelhaft  über  die  für 
«inen  leichten  Austritt  der  Cataract  noth wendige  Grosse 
hinausgingen,  kann  man  mit  Sicherheit  behaupten,  dass 
gleich  geformte,  kleinere  Lappen  den  Zweck  ebenfalls  er- 
füllen. Steffan  hat,  als  Graefe  noch  lebte,  sich  in 
diesem  Archiv  über  Lage  und  Durchmesser  solcher  Lappen 
ausgesprochen,  de  Wecker  ist  nach  allmählichem,  sorg- 
fältigen Fortschreiten,  wenn  ich  nicht  irre,  zu  120*^  als  zu 
einem  für  die  voluminöseste  Cataract  genügenden  Maasse 
gelangt.  *) 

Aus  eigener  Erfahrung  kann  ich  ein  ürtheil  über  diese 
Gruppe  von  peripheren  Lappen  nicht  abgeben.    Die  Gegen- 


*)  Dass  ich  de  Wecke r*8  zum  grossen  Theile  in  den  Annales 
d'oculistique  publicirte  Abbandlungen  über  Cataract  -  Extraction 
trots  dem  eingehenden  Verständnisse,  mit  dem  sie  allen  Phasen 
4ier  Entwicklang  gefolgt  ^ind,  und  trotz  yteien  Verdiensten  um 


262  J*  Jacobson  sen. 

wart  wird  sich  mit  ihnen  nur  unter  Yeraussetzung  eines 
aseptischen  Regimes  und  präciser  Angaben  über  die  An- 
wendung der  Myotica,  vorzugsweise  des  Eserin,  zu  be- 
schäftigen haben.  Wenn  ich  gern  annehmen  will,  dass 
auch  ihre  Resultate  denen  der  linearen  Extraction  in  der 
Hauptsache  gleich  sind,  dass  keine  Wundeiterungen  mehr 
vorkommen,  so  glaube  ich  doch  auf  folgende  Unterschiede^ 
über  deren  Bedeutung  fär  den  End- Erfolg  natürlich  nur 
Erfahrung  entscheiden  kann,  aufmerksam  machen  zu 
dürfen:  1.  jeder  nicht  zu  grosse  Lappen,  muss  von  der 
austretenden  Cataract  gehoben  werden,  eine  Reibung 
zwischen  letzterer  und  dem  hinteren  Epithel  der  Hornhaut 
ist  also  unvermeidlich.  Ueber  die  Folgen  solcher  Reibungen 
bis  zur  parenchymatösen  Quellung  der  Cornea  durch  ein- 
dringenden Humor  aqueus  und  Geschwüre  der  hinteren 
Fläche,  so  wie  über  die  bekannten,  streifigen  Trübungen 
nach  der  Extraction  und  ihre  Ursachen  habe  ich  in  diesem 
Archiv  vor  zwanzig  Jahren  einige  Beobachtungen,  die  sich 
auf  die  Daviel'sche  Extraction  beziehen,  publicirt.  Diese 
rein  traumatischen  Veränderungen  sind  bei  peripherer  Lappen- 
bildung sicher  weit  geringer;  denn  sie  hängen  von  der 
Breite  des  Schnittes  ab,  fehlen  können  sie  nicht,  während 
sie  bei  regelrechtem  Linear  schnitte  höchst  unbedeutend 
und  ohne  Einfluss  auf  die  Heilung  sind.  —  2.  Wird  bei 
der  Lappen-Extraction  zur  Vermeidung  von  Iris- Vorfällen 
Eserin  angewendet,  so  hindert  die  enge  Pupille  eine  aus- 
giebige Entfernung  der  Kapsel,  die  Sprengung  der  letzteren 
muss  unter  stärkerem,  äusseren  Drucke  vor  sich  gehen, 
der  wiederum  Dislocation  von  Cortical-Stücken  begünstigt, 
die  Entfernung  derselben  erschwert.  —  3.  Wendet  man. 


die  techniflche  Entwicklang  der  Operation  nicht  erwähnt  habe,  {ge- 
schah, weil  er  sich  höhere  Ziele,  als  ndne  deutschen  OoUegen  (die 
Extraction  mit  Kapsel,  die  runde  Form  der  Pupille)  gesteckt 
hatte,  und  weil  ich  die  Litteratur  anderer  Nationen  in  dem  engen 
Bühmen  dieser  Abhandlang  nicht  berücksichtigen  konnte. 


Y.  Graefe^B  „modificirte  Lmear-Extraction"  etc.  263 

um  die  Cataract  vollständiger  zu  entferneD,  Mydriatica  an, 
so  begünstigt  die  periphere  Lage  des  Schnittes  den  Iris- 
Vorfall  während  und  vielleicht  auch  nach  beendeter 
Operation. 

Die  Bedenken  gegen  die  Myotica  fallen  fort,  wenn 
man  die  Lridectomie  nicht  scheut,  die  beiden  anderen  bleiben. 
Dass  de  Wecker  durch  Entfernung  beider  Kapseln  aus 
dem  Gebiete  einer  myotischen  Pupille  unter  Zurücklassung 
peripherer  Corticalmassen  die  vollkommensten  Erfolge  zu 
erzielen  versucht  hat,  dass  man  von  verschiedenen  Seiten 
durch  Ausspülen  der  vorderen  Kammer  Corticalreste  ent- 
fernt bat,  ist  bekannt,  aber  noch  nicht  hinlänglich  oft  aus- 
geführt worden,  um  schon  jetzt  für  oder  gegen  periphere 
Lappen-Extractionen  verwerthet  zu  werden.  Unseren  bis- 
herigen Erfahrungen  nach  kann  jedenfalls  von  einer  peri- 
pheren Lappen-Extraction,  die  es  an  Sicherheit  der  linearen 
zuvor  thäte,  noch  nicht  die  Rede  sein. 
(  Es  dürfte  dem  Leser  nicht  entgangen  sein,  dass  in  dem 
soeben  abgeschlossenen  Vergleiche  die  möglichen  Extractions- 
Methoden,  wenn  man  nicht  etwa  Versuche  mit  polygonalen 
Schnitten  im  Schilde  fuhrt,  schon  enthalten  sind.  Aus- 
geschlossen sind  alle  cornealen  Linearschnitte,  seitdem 
die  möglichst  grossen  der  Engländer  durch  Graefe*s  Beob- 
achtungen in  London  und  durch  die  in  diesem  Archiv  an- 
geführten Gründe  beseitigt  sind.  Kein  linearer  Homhaut- 
schnitt  klafft  leicht  genug,  um  eine  harte  voluminöse  Cata- 
ract leicht  austreten  zu  lassen,  keiner  ist  breit  genug,  um 
dem  grossesten  Durohmesser  ohne  Drehung  um  die  verticale 
Achse  Baum  zu  schaffen.  Seitliche  Einschnitte  in  die  Sclera 
genügen  nicht  immer  und  disponiren  zu  Einklemmung  der 
Irisperipherie  (Methoden  von  Waldau,  Graefe,  Critchett- 
Bowman).  Ferner  ausgeschlossen  sind  alle  Lappen- 
schnitte in  der  gefässlosen  Cornea.  Daviel  punktirt 
und  contrapunktirt  unmittelbar  an  der  cornealen  Grenze 
des  Limbus  in  der  Cornea  (der  Wundrand  soll  an  derselben 


264  «^'  Jacobson  seu. 

Stelle  liegen),  sein  Lappen  ist  also  von  allen  balbkreis- 
formigen  Lappen  der  Cornea  der  grosseste.  Dass  er  zu 
klein  ist,  habe  ich  nachgewiesen.  Wer  noch  daran  zweifelt, 
stelle  sich  die  ideale  innere  Grenze  an  der  Contrapunktions- 
stelle vor  und  betrachte  gelegentlich  die  durchschnittlichen 
Grössen  der  inneren  Oeffnungen,  wenn  die  äusseren  Da- 
vid's  Vorschriften  entsprechen!  Die  vortreffliche  Lehre, 
die  breite  dreieckige  Klinge  des  Staarmessers  der  Iris- 
Ebene  parallel  durch  £e  vordere  Kammer  zu  führen,  und 
den  Durchmesser  des  Schnittes  in  der  hinteren  Hornhaut- 
fläche dem  in  der  vorderen  gleich  zu  machen,  ist 
cum  grano  salis  zu  verstehen:  die  erste  Vorschrift  setzt 
voraus,  dass  der  Scheitel  einer  reifen  Cataract  mit  dicker 
Corticalis  nicht  weiter  nach  vorn  liegt^  als  die  Punküons- 
und  Contrapunktionsstelle,  die  zweite  rechnet  nicht  damit, 
dass  der  idealste  Lappen,  der  an  der  Oberfläche  der  Cornea 
haarscharf  am  Limbus  endet,  an  der  hinteren  Fläche  um 
die  Dicke  der  Cornea  früher  enden  muss.  Wer  nach 
Da  viel  extrahirt  hat,  weiss,  dass  eine  Cataract-Entbindung 
ohue  schliessliche  Drehung  um  die  Längsachse  (d.  h.  ohne 
die  Möglichkeit  von  GlaskOrper-Vorfall)  nur  möglich  ist, 
wenn  man  auf  unberechenbare  Factoren  (Nachgiebigkeit 
der  Linse,  Abstreifen  von  Cortical-Substanz  etc.)  rechnet. 
Und  dazu  die  alten  Beobachtungen  von  Suppuratio  corneae, 
Betraction  des  Lappens!  Wir  kommen  zu  dem  Resultate: 
Alle  Schnitte,  gleichviel  ob  linear  oder  Lappen- 
schnitte, deren  Wundränder  in  das  bis  1863  einzig 
und  allein  gestattete  Gebiet  der  gefässlosen  Cornea 
fallen,  sind  von  der  Extraction  voluminöser,  harter 
Cataracten  streng  ausgeschlossen. 

Gestattet  sind  Methoden,  deren  periphere  Wundlage 
noch  vor  20  Jahren  ausdrücklich  verboten  war,  und  zwar: 
die  modificirte  Linear-Extraction  Graefe*8  ohne 
Tractions -Instrumente  (1867),  der  grosse,  untere 
Lappen    im    Scleralborde    (1863),    niedrigere    und 


V.  Oraefe*s  „modificirte  Linear-Extxaction"  etc.  265 

weniger  breite  Lappen  im  Limbus  oder  im  Scleral- 
borde. 

Von  diesen  drei  Arten  scheidet  die  zweite  trotz  ihrer 
Sicherheit  aus,  weil  sie  aus  eben  angegebenen  Gründen  von 
der  ersten  übertroffen  wird,  —  die  erste  lässt  jede  Modi- 
fication  zu,  die  nicht  gegen  ihr  Princip  verstösst,  d.  h.  gegen 
die  Möglichkeit  eines  leichten  Austritts  des  ganzen  Kapsel- 
inhaltes  (Mittel:  leicht  klaffende  Wunde,  Hebung  des 
Kapselwiderstandes,  Entkapselung  ohne  Achsendrehung,  um 
die  Corticalis  zusammenzuhalten) ^  —  die  dritte  muss 
unbedingt,  vermuthlich  in  verschiedenen  Formen,  die  Zwecke 
der  Staar-Extraction  erfüllen,  hat  aber  in  der  deutschen 
Literatur  zu  einem  durch  Erfahrung  hinlänglich  bestätigten, 
technisch  genau  vorgeschriebenen  und  begründeten  Ver- 
fahren noch  keine  Veranlassung  gegeben. 

und  was  wird  aus  air  den  hoffnungsvollen  Erfindungen 
der  beiden  letzten  Jahrzehnte,  die  gerade  so  berechtigt  waren, 
als  die  sogenannten  „Modificationen*',  unter  deren  Druck 
6raefe*s  schöne  Methode  um's  Leben  kommen  sollte,  als 
sie  kaum  bei  der  Taufe  den  ominösen  Namen  „modificirte 
Linear-Extraction**  erhalten  hatte?  Wo  bleiben  die  schönen, 
noch  in  der  ersten  Decimalstelle  stimmenden  oder  den 
„neuesten  Standpunkt"  um  Vio  unterbietenden  Beihen  von 
Sehschärfen,  aus  denen  die  Verluste  in  Procenten  „statistisch'* 
deducirt  waren? 

Ich  hoffe,  eine  wissenschaftliche  Operationslehre 
wird  in  Zukunft  einmal  für  alle  statistischen  Empfehlungen 
chirurgischer  Erfindungen,  deren  Unmöglichkeit  logisch 
richtig  bewiesen  ist,  eine  praktische  Versenkung  einrichten, 
in  die  ihnen  alle  „Modificationen",  deren  Autoren  die  Folgen 
ihrer  ungenügenden,  technischen  Sicherheit  gut  begründeten 
Methoden  zur  Last  legen,  ohne  weitere  Prüfung  nach- 
geschickt werden.  Ist  einmal  der  Beweis  geführt,  dass 
grosse  Hornhautlappen  für  einen  gewissen  Zweck  zu  klein 
sind,   so  sollen  alle  Erfindungen,   die  caeteris  paribus   mit 


266  ^'  Jacobson  sen. 

kleinen  Lappen  den  Zweck  angeblich  in  1000  Fällen  ohne 
Ausnahme  erreichen,  unbeachtet  verschwinden  und  allen 
Verbesserungen  der  Graefe'schen  Methode,  welche  wegen 
zu  kleiner  Scleralschnitte  und  ihrer  Consequenz,  der 
Gyclitis,  den  leicht  klaffenden,  scleralen  Linearschnitt 
durch  einen,  unnachgiebigen,  comealen  ersetzten,  ihr 
Leid  klagen. 


Asepsis.    Extraction  mit  Kapsel.    Bunde  Pnpille. 

Zur  Yertheidigung  Oraefe*s  und  seiner  Extraction 
habe  ich  meine  eigenen  Erlebnisse,  so  weit  sie  Graefe's 
Stellung  zur  Extraction  betreffen,  so  niedergeschrieben,  wie 
sie  sich  gestaltet  hatten,  ehe  wir  von  List  er  etwas  wussten^ 
ehe  wir  daran  denken  konnten,  die  Vereiterung  des  Auges 
als  Folge  einer  Wund-Lifection  anzusehen  und  als  eine 
solche  zu  verbaten. 

Es  ist  ein  besonders  glttcklicher  Zufall,  dass  der  grosse 
Gedanke  unseres  englischen  Collegen,  der  die  ganze  Wund- 
behandlung über  den  Haufen  geworfen,  eine  neue  operative 
Chirurgie  geschaffen  hat,  trotzdem  an  unserem  ürtheile  über 
den  Werth  der  Oraefe^schen  Operation  nichts  ändern  konnte. 
Die  Verminderung  der  Wundeiterungen  bis  auf  etwa  2  Procent 
durch  verschiedene  periphere  Schnitte  hat  den  Beweis  ge- 
liefert, dass  die  Band-Zone  der  Hornhaut  dem  Eindringen 
von  Microorganismen  und  ihrer  unaufhaltsam  fortschrei- 
tenden Wanderung  Widerstand  leistet,  wo  die  lockere, 
lamelläre  Cornea  propria  in  wenigen  Tagen  schon  den  un- 
zweideutigen Anblick  totaler  Vereiterung  darbietet 

Wollten  die  Gegner  Graefe's  also,  auf  Lister  bauend, 
es  nochmals  mit  comealen  Lappen  versuchen,  die  Zahl  der 
Vereiterungen  würde  sicher  sehr  viel  geringer  werden,  als 
die  vor  30  Jahren  angenommene,  aber  vor  Ausnahmen  and 
vor  der  Eetraction  würden  sie  weder  Sublimat,  noch  Carbol-, 
noch  Bor-Säure  schützen. 


y.  Graefe^s  «modificirte  Linear-Extraction  *  etc.  267 

Es  ist  aber  nicht  die  Vereiterung  allein,  von  der  wir 
durch  das  richtige  Princip,  Alles  auf  eine  leichte  Entbin- 
dung der  Cataract  zu  concentriren,  bewahrt  worden  sind. 
Wie  gezeigt  wurde,  gestattet  die  Iridectomie  und  die  Be- 
schaffenheit einer  jeden  linearen  Wunde  eine  langsame, 
genaue  Bearbeitung  der  Kapsel,  die  hinter  dem  Hornhaut- 
lappen unausführbar  ist,  die  Stellung  der  Linse  gegen  den 
peripheren  Schnitt  gestattet  nicht  nur,  sie  fordert  sogar 
Extraction  der  Cataract  ohne  Drehung  um  die  horizontale 
Achse.  In  diesem  Momente,  das  ursprünglich  weit  über 
Qraefe's  Plan  hinausging,  ihm  aber,  wie  die  Vorschriften 
für  den  letzten  Operationsact  in  seiner  ersten  Abhandlung 
zeigen,  sofort,  als  er  sich  „in  den  Scleralbord  gedrängt'* 
sah,  klar  vor  Augen  stand,  liegt  meiner  Ueberzeugung  nach 
ein  Vorzug  vor  allen  Lappen-Operatiolien,  der  schwerlich 
durch  ein  Gegengewicht  von  jener  Seite  ausgeglichen 
werden  wird. 


8  c  h  1  u  s  s. 

Li  st  er 's  grosse  Idee  hat  auf  dem  kleinen  Gebiete 
unserer  von  „Vereiterung  durch  Infection"  wenig  bedrohten 
Operationen  nicht  Gelegenheit  gehabt,  sich  in  ihrem 
ganzen  Glänze  zu  zeigen.  Wer  unter  anscheinend  gleichen, 
äusseren  Verhältnissen  einige  Jahre  lang  Lister's  Prin- 
cipien  bei  der  Extraction  befolgt  hat,  dürfte  durch- 
schnittlich glattere,  reizlose  Heilungen  beobachtet  haben, 
Suppurationen  konnten  nur  2—3  pCt.  verhindert 
werden:  denn  seit  1863  hatten  wir  durch  den 
peripheren  Lappen,  bald  darauf  durch  Graefe's 
Linearschnitt  nur  noch  diese  kleine  Zahl  bösartiger 
Eiterungen  behalten. 

Die  jetzigen,  günstigen  Resultate  peripherer  Lappen 
,,vom  neuesten  Standpunkte'*  der  Asepsis  allein  zuschreiben 
und,  wie  es  geschehen  ist,  rein  cornealen  Lappen  ein  eben 


268  J-  Jacobson  sen. 

SO  günstiges  Prognosticon  stellen,  hiesse,  nicht  nur  mit 
einem  kühnen  Sprunge  sich  über  die  Elemente  der  grohen 
Anatomie  hinwegsetzen,  sondern  von  Neuem  zu  thera- 
peutischen Fehlgriffen,  die  wir  endlich  für  beseitigt  hielten« 
ermuthigen. 

Yermuthlich  würde  es  nicht  lange  währen,  bis  man 
im  Vertrauen  auf  List  er  wieder  daran  gehen  würde,  mit 
desinficirten  LOffeln  harte,  grosse  Kerne  durch  resistente, 
kleine  Homhautschlitze  hindurchzuquetschen,  oder  dünne, 
gefässlose  Lappen  seniler  Hornhäute  sich  so  stark  re- 
trahiren  zu  lassen,  dass  die  Wundränder  nicht  mehr  an 
einander  liegen.  Auch  in  der  Chirurgie  haben  die  leiden- 
schaftlichsten Anhänger  der  Asepsis  und  Antisepsis  noch 
nicht  versucht,  dicke  Fremdkörper  von  10  cm  Länge  durch 
unnachgiebige  Schnittwunden  von  6  cm  Hohe  zu  ex- 
trahiren  oder  tiefe  Substanzverluste  durch  zu  kurze  Lappen 
zu  decken. 

Was  die  Asepsis  bei  den  neueren  Extractionen  leistet, 
wissen  wir  nicht;  denn  ihre  Wirkung  wird  durch  den 
gleichzeitigen  Einfiuss  der  peripheren  Schnittführung  ver- 
deckt, aber  was  der  periphere  Schnitt  für  sich  allein  nie 
geleistet  hat,  wissen  wir,  und  dieses  Deficit  wird  in  der 
Gestalt  von  2  —  3  pCt.  Eiterungen,  die  allein  durch 
Lister's  S6gime  verhütet  werden,  veranschaulicht. 

Erfahrene  Praktiker  wissen,  was  für  die  älteren  Hom- 
hautschnitte  von  Wichtigkeit  ist,  dass  in  früheren  Zeiten 
einfache  Discissions- Stiche  und  einfache  Queerspaltungen 
der  gefässlosen  Cornea,  wie  wir  von  List  er  gelernt  haben, 
durch  Infection  zur  Vereiterung  des  ganzen  Auges  ge- 
führt haben,  und  dass  diese  seltenen  Ausnahmen  auch  jetzt 
noch  trotz  denselben  Vorsichts- Maassregeln,  die  sam 
Schutze  peripherer  Lappen-  oder  Linear- Schnitte  aus- 
reichen, vorkommen.  Was  die  Extraction  harter 
Staare  durch  corneale  Wunden  (abgesehen  von  der 
Lappen  -  Betraction)     bei     aseptischem     Operiren 


T.  Graefe'8  .modificirte  Linear-Extraction*  etc.  26& 

leistet,  können  wir  also  nicht  eher  sagen,  als  bis 
sich  ein  Verehrer  Daviel'scher  Lappen  aaf  Kosten 
seiner  Patienten  daza  entschlossen  haben  wird,  za 
dem  alten  Davierschen  Verfahren  genau  nach  den 
Vorschriften  der  fünfziger  Jahre,  von  denen  wir 
ausgegangen  sind,  znrückzakehren. 

Je  mehr  die  operative  Chirurgie  einen  wissenschaft- 
lichen Carakter  angenommen  hat,  desto  genauer  hat  sie 
den  Ort,  die  Länge,  Tiefe  etc.  ihrer  Schnitte  durch  Zahlen 
und  nach  Maass-Einheiten  bestimmt,  diese  durch  anatomische 
Verhältnisse  oder  durch  den  Zweck  der  Operation  be- 
gründet. Ob  für  eine  Incision  der  Cornea  und  Sclera  1 — 2  mm 
so  viel  bedeuten,  als  2 — 3  cm  in  der  Chirurgie,  ist  gleich- 
gfiltig  oder  auch  nicht  gleichgültig;  denn  gerade  wo  kleine 
Unterschiede  des  Ortes  nicht  indifferent  für  den  operativen 
Zweck  sind,  ist  ihre  Berücksichtigung  um  so  wichtiger. 
Deshalb  sind  die  ungefähren  Angaben  neuerer  Autoren 
über  die  genauen  Maasse  oder  den  Zweck  des  Extractions- 
schnittes  mit  und  ohne  Asepsis  nicht  der  Ausdruck  dafür, 
dass  die  Gegenwart  über  eine  Menge  von  guten  Methoden, 
zwischen  denen  man  wählen  darf,  verfügt,  sondern  dass 
man  nach  Graefe's  Tod  die  chirurgische  Frage  durchaus 
anwissenschaftlich,  roh  empirisch  behandelt,  eine  Anzahl 
ähnlicher  Schnitte,  bei  denen  mit  Lister's  Hilfe  relativ 
wenige  Augen  zu  Grunde  gehen,  gemacht,  über  keinen 
genug  Erfahrungen  gesammelt,  für  keinen  durch  Nach- 
denken gute  Gründe  gefunden  und  die  Aufgabe,  jeden 
Cataractösen  zu  heilen,  den  Wenigen  überlassen  hat, 
die  —  um  mit  Schweigger  zu  reden  —  „kein  Mensch 
am  ihre  Versuche,  genau  nach  Graefe  zu  operiren,  be- 
neidet." 

Vom  Standpunkte  dieser  Letzteren  gelange  ich,  gleich- 
viel ob  aseptisch  operirt,  oder  die  Zeit  vor  Lister*s  Ein- 
fluss  auf  unser  Handeln  betrachtet  wird,  zu  folgenden 
Sätzen: 


270  J*  Jacobson  sen. 

1.  Es  ist  praktisch  und  wissenschaftlich  nicht  zu 
rechtfertigen,  20  Jahre  lang  die  „durchsichtige" 
Cornea,  als  wftre  sie  anatomisch  gleichartig  und 
chirurgisch  gleich werthig,  der  Sclera  und  dem 
Scleralborde  entgegenzustellen  und  dabei  heut- 
zutage noch  zu  verharren. 

2.  Die  Arbeiten  der  sechziger  Jahre  und  in  diese  Zeit 
fallende,  neue  Methoden  haben  bewiesen,  dass 
Lappen  und  lineare  Schnitte  in  der  gef^slosen 
Cornea  relativ  leicht  inficirt  werden,  und  dass  sieb 
von  ihnen  aus  die  bekannte,  unaufhaltsame 
Eiterung  schnell  verbreitet,  während  es  von  Lappen 
im  Scleralborde  und  von  Graefe*s  linearem 
Schnitte  aus  sehr  viel  seltener  zur  Eiterung  kommt. 

3.  Von  der  bis  zum  Jahre  1863  und  darüber 
hinaus  mit  der  Strenge  eines  Dogmas  in  der 
deutschen  Augenheilkunde  allgemein  angenom- 
menen Vorschrift  für  die  Extraction  harter 
Cataracten  ist  das  Gegentheil  richtig: 
Schnitte  in  der  gefässlosen  Cornea  sind 
zu  verwerfen. 

4.  Von  peripheren  Schnitten  ist  als  gefahrlos  erprobt: 
Graefe's  Schnitt  und  der  Lappenschnitt  im  Scleral- 
borde von  der  Höhe  der  halben  Cornea. 

5.  Niedrigere,  periphere  Schnitte  und  Schnitte  mit 
Ein-  und  Ausstich  zwischen  der  temporalen  und 
cornealen  Grenze  des  Hornbautrandes  (d.  h.  in  der 
Breite  des  Limbus)  müssen  ebenfalls  eine  ge&hr- 
lose  Extraction  zulassen.  Ihre  Grenzwerthe  sind 
nicht  empirisch  bestimmt.  Von  ausländischen 
Collegen  hat  de  Wecker  schon  vor  fast  20  Jahren 
einen  Schnitt  von  120°  in  der  durchsichtigen 
Cornea  neben  der  Grenze  als  ausreichend  em- 
pfohlen. 


y.  Graefe's  „modificirte  Linear-Extraction*'  etc.  271 

Wie  der  Leser  sieht,   ist  die  Asepsis  in  der  Haupt* 
Sache    nichts    weniger    als    entscheidend    gewesen.      Die 
Methode   der  klinischen  Forschung  oder,  richtiger  ge- 
sagt,  den  Mangel   an  Methode  trifft  die  Schuld,   dass  in 
einer   rein   praktischen  Frage,   an   der  jeder  —   er  mag 
wollen  oder  nicht  —  als  Praktiker  mitarbeitet,  in  30  Jahren 
nicht  mehr  sicher  erreicht  worden  ist,  als  was  am  ersten 
Tage   der  öffentlichen  Discussion  behauptet  und  bewiesen 
war:  die  Schnitte  in  der  gefässlosen  Hornhaut  sind 
unbrauchbar,    weil    die   Lappen    leicht   vereitern, 
zwei    periphere   Schnitte    (ein    linearer    und    ein 
Lappen)   sind  brauchbar,   weil  sie  heilen.    Für  den 
Lappen  habe  ich  mehr  als   700  Extractionen,   der   ältere 
Pagenstecher   und   de  Wecker   scheinen  ähnliche  Er- 
fahrungen mit  gleichen   oder  ähnlichen  Schnitten  gemacht 
zu  haben,  —  für  den  linearen  Schnitt  stütze  ich  mich  auf 
die    kurze   Erfahrungszeit   Graefe's    und   auf   mehr   als 
2500  eigene  Erfahrungen.  •  Ist  Graefe's  Extraction  die 
einzige  gefahrlose  Methode,  gegen   die  technisch 
nichts   einzuwenden   ist,   so  scheint  mir,   es  sei  an 
der  Zeit,  sie  zu  erlernen,  —  ist  sie  es  trotz  meiner 
Angaben  nicht,   so  dürfte  es  an  der  Zeit  sein,   den 
Fehler   zu  suchen  und  zu  verbessern;   denn  so  viel 
haben   die  sechziger  Jahre   für  Jeden,   der  sehen 
will,  ergeben:   der  Weg,   auf  dem  eine  absolut  ge- 
fahrlose Methode  liegt,  ist  betreten.    Ob   sie  ge- 
fanden  ist,   kann    wissenschaftlich   nur   auf  eine 
Art    entschieden    werden,    nämlich    dadurch,    dass 
man  sie  bis  zur  technischen  Beherrschung  er- 
lernt und   in   gemeinschaftlicher   Arbeit   nur   auf 
eine  Frage  hin  prüft. 

So  ist  das  erste  Ideal  zu  erreichen,  das  uns 
vor  30  Jahren  vorschwebte,  das  Ideal,  jedem 
Staarblinden  so  viel  Sehvermögen  zu  ver- 
schaffen, als  er  nach  Beseitigung  des  Staares 


272  J'  Jacobson  een. 

(nöthigenfalls  später  der  Kapsel)  mit  Bück- 
sicht auf  die  sonstige  Beschaffenheit  seines 
Auges  haben  kann. 

Obwohl  ich  selbst  soeben  von  der  Erreichung  eines 
Ideals  gesprochen  habe,  so  mochte  ich  doch  diesen  Aus- 
druck lieber  mit  einem  anderen  vertauscht  sehen,  etwn 
mit  dem  der  Lösung  einer  therapeutischen  Aufgabe.  An 
meinem  Begriff  des  Ideals  klebt  von  jeher  der  des  Un- 
erreichbaren. 

Jedem  CaractOsen  Sehvermögen  zu  schaffen,  nannte 
ich  ein  Ideal,  weil  ich  früher  nicht  im  Entferntesten  daran 
dachte,  dass  es  erreichbar,  etwa  gar  mir  erreichbar  sein 
könnte.  Wie  man  die  glaucomatöse  Blindheit  und  die 
Suppuratio  corneae  als  unbesiegbare  Feinde  ansah,  so  be- 
trachtete man  die  sichere  Heilung  der  Gataract  als  ein 
Ideal,  dem  man  sich  zu  nähern  suchen  müsse  mit  dem 
Bewusstsein,  sein  Bestes  gethan  zu  haben.  Heute  spreche 
ich  von  der  gefahrlosen  Cataract-Extraction,  als  von  einer 
Aufgabe,  die  vollkommen  gelöst  ist,  und,  da  in  ihr 
selbst  eine  Beschränkung  liegt,  als  von  einer  Aufgabe,  die 
auf  eine  höhere  Forderung  vorbereitet. 

Die  Wenigen,  die  der  allgemeinen,  eklectiscben  Rich- 
tung entgegen,  nach  einem  bestimmten,  wie  mir  scheint, 
wissenschaftlich  gegebenen  Principe  auf  dem  Gebiete  der 
Extraction  fortgearbeitet  haben,  sind  nicht  schnell  vorwärts 
gekommen.  Viele  fQr  den  Erfolg  nicht  unwichtige,  kleine 
Aenderungon  —  Mittel,  die  eigene,  unvollkommene  Technik 
dem  Zwecke  besser  zu  accommodiren,  —  mussten  geprüft, 
Verläufe  und  Resultate  verglichen  werden,  es  vergingen  dem 
auf  sich  allein  Angewiesenen  Jahre  der  Arbeit,  ehe  er 
sicher  sein  konnte,  einen  Schritt  vorwärts  gethan  zu  haben. 
Zum  Gluck  gab  es  keine  Verirrungen ;  das  einfache  Princip, 
den  Linsenaustritt  immer  mehr  zu  erleichtern,  bewährte 
sich   in   der  Praxis.    Wie   es  scheint,   muss  man  sehr  zu- 


y.  Graefe's  „modificirte  Lmear-£xtraction*'  etc.  273 

frieden  sein,  in  34  Jahren  eine  sichere  Operations-Methode 
gefunden  und   empirisch  einigermassen  befestigt  zu  haben. 

Das  nächste  Thema  für  eine  wissenschaftliche  Fort- 
setzung der  bisherigen  Arbeit  ist  unbedingt  gegeben:  die 
Extraction  der  Gataract  in  der  Kapsel.  Die  con- 
stante  Frage  der  Heil  Wissenschaft  heisst:  was  hat  die 
Therapie  noch  zu  leisten,  um  einen  normalen  oder 
dem  normalen  möglichst  nahen  Zustand  her- 
zustellen? In  unserem  Falle  ist  die  Antwort:  Produkte 
der  Operation  im  Inneren  des  Auges  und  mit  ihnen  die 
Consequenzen  (iritischeBeizungen,  Kapselveränderungen  etc.), 
vor  allen  die  Möglichkeit  eines  nachträglichen  Einflusses 
der  Linsenreste,  der  zur  symptomlosen,  allmählichen  Er- 
blindung —  mag  sie  noch  so  selten  sein  —  führt,  fort- 
zuschaflfen,  d.  h.  die  Linse  in  der  Kapsel  zu  extra- 
hiren. 

Ist  die  Extraction  ohne  Kapsel  gelungen,  so  verlangt 
die  Wissenschaft  von  Denjenigen,  die  als  Aerzte  an  der 
Staarheilung  mitarbeiten,  die  Extraction  in  der  Kapsel 
oder  den  Nachweis,  aus  welchen  Gründen  dieselbe  un- 
ausführbar zu  sein  scheint.  Wie  weit  ich  hierin,  auf  dem 
alten  Wege  fortschreitend,  gelangt  bin,  werde  ich  den  Col- 
legen  in  einer  der  nächsten  Lieferungen  des  Archivs  mit- 
theilen. Niemand  kann  mehr,  als  ich,  bedauern,  dem  un- 
vergesslichen  Lehrer  und  treuesten  Freunde  nicht  gerade 
jetzt  den  Theil  der  Arbeit  vorlegen  zu  können,  für  den  er, 
wie  damals,  vermuthlich  binnen  Kurzem  die  praktische 
Form  finden  würde.  Es  war  gerade  vor  25  Jahren,  dass 
ich  ihm  durch  den  peripheren,  grossen  Schnitt  den  Impuls, 
von  Da  viel  zu  seiner  Linear-Extraction  überzugehen,  gab. 
Es  wird  mir  doppelt  schwer,  nicht  in  seine  Hand  die  Voll- 
endung der  Arbeit  legen  zu  können. 

Was  ich  den  Collegen  binnen  Kurzem  über  die 
Extraction  in  der  Kapsel  mitzutheilen  beabsichtige,  wird 
nicht  auf  einige  tausend  Erfahrungen  sich  stützen  können; 

T.  Graefe*«  Archiv  für  Ophthalmologie,  XXXIV.  2.  18 


274  J-  Jacobson  sen. 

die  Zeit,  neue  Methoden  statistisch  zu  begründen,  ist  mir 
nicht  mehr  vergönnt  Vielleicht  wird  Einer  oder  der 
Ändere  der  Mühe  für  werth  halten,  empirisch  zu  prüfen,  was 
ich  anch  ohne  Statistik  als  unzweifelhaft  richtig  ansehe.  — 

Mit  wenigen  Bemerkungen  über  die  Frage  der  Erhaltung 
einer  runden  Pupille  will  ich  schliesson.  Die  Mehrzahl  der 
CoUegen  dürfte,  gleich  mir,  unter  100  Patienten  weiblichen 
und  männlichen  Geschlechtes,  die  operirt  sein  wollen,  mehr 
als  90  zählen,  die  dem  Proletariat  und  den  für  den  Tages- 
erwerb arbeitenden,  armen  Volksklassen  angehören.  Der 
harte  Staar  ist  eine  Krankheit  des  vorgerückten  Lebens- 
alters, in  dem  die  tief  liegenden  Augen,  die  etwas  herab- 
hängenden, oberen  Augenlider  für  das  Alter,  die  allgemein 
schlechte  Ernährung  und  Entbehrungen  aller  Art  zeugen. 
Ein  verticales  Colobom  von  ca.  60  o  ist  kosmetisch  voll- 
kommen gleichgültig;  dafür,  dass  es  das  Sehvermögen 
nicht  beeinträchtigt,  kann  ich  eine  Menge  von  jungen 
Leuten  mit  runder  Pupille,  die  an  G.  diabetica,  an  G.  mollis 
ohne  Allgemeinleiden,  an  C.  zonularis  litten,  als  Beweis 
vorführen. 

Unter  meinen  besser  situirten  Kranken  habe  ich  noch 
nicht  Einen  gefunden,  der  nicht  vorgezogen  hätte,  sicher 
mit  einem  Colobom,  als,  etwas  weniger  sicher,  mit 
runder  Pupille  entlassen  zu  werden. 

Dass  Schweigger  (mit  Ausschluss  des  1887  in 
dem  von  Knapp  und  ihm  herausgegebenen  Archive 
erschienenen  Vergleiches  bekannter  Operationsmethoden} 
sich  an  der  Extractionslehre  productiv  betheiligt  hätte,  ist 
mir  nicht  bekannt.  Für  mich  sind  seine  Urtheile  über  die 
schwebenden  Fragen  hauptsächlich  dadurch  bemerkenswerth 
gewesen,  dass  sie  ungünstig  für  Graefe  und  seine  Methode 
ausgefallen  sind. 

Charakteristisch  genug  ist  es,  wie  er  gerade  den  fünf- 
ziger und  sechziger  Jahren  (bekanntlich  fällt  in  dieselben 
Graefe's  ganze  Lehrzeit  bis  zu  seinem  Tode)  einen  Stand- 


T.  Graefe^s  „modificirte  Linear-Extraction"  etc.         275 

pankt  geistiger  Impotenz,  medicinischer  Uftheilslosigkeit  zu« 
schreibt,  nach  dem  die  Gegenwart  nicht  als  Schülerin,  die 
einem  grossen  Vorbilde  nachstreben  sollte,  sondern  als  durch 
eigene  Eraft  aas  Finsterniss  zmn  Lichte  wissenschaftlicher 
Aufklärung  vorgedrungen  erscheint.  Von  den  Erfolgen  der 
Glaucom-Iridectomie  berauscht,  hätten  die  Bemitleidens- 
werthen  die  Iris-Excision  auch  bei  der  Extraction  nicht 
lassen  können!  Nur  so  sei  es  zu  erklären,  dass  es  so  lange 
möglich  gewesen,  auf  das  Ideal  jeder  Extraction,  auf  die 
runde  Pupille,  zu  verzichten. 

In  de  Weckers  Standpunkt  habe  ich  nie  etwas  ge- 
funden, das  mir  als  principielle  Verschiedenheit  in  der  Auf- 
fassung unseres  practischen  und  wissenschaftlichen  Berufes 
erschienen  wäre.  Vor  die  Alternative  gestellt,  entweder  seine 
Kranken  mit  runder  Pupille  zu  entlassen  oder  seine  Freude 
über  geschickte  Heilung  Erblindeter  lebenslänglich  auf 
üebungen  am  Phantom  zu  beschränken,  befindet  der  Ope- 
rateur sich  in  einer  Zwangslage.  In  Deutschland  aber 
handelt  es  sich  weder  um  mehr  oder  weniger  verletzliches, 
ästhetisches  Gefühl,  noch  um  eine  Frage  gesellschaftlicher 
Sitte,  sondern  lediglich  um  die  Sicherheit  des  Erfolges.  Von 
dieser  auch  nicht  das  Mindeste  der  Erhaltung  einer  runden 
Pupille  zu  opfern,  war  Graefe 's  Standpunkt,  der  von  einer 
anderen  Richtung  in  unserer  Wissenschaft  allerdings  grund- 
verschieden ist. 


Druckfehler  -  Berichtigung. 

In  Band  XXXIY.  1  p.  214  Zeile  8  von  oben  statt  localen 
lies  totalen  und  p.  269  Zeile  8  von  oben  statt  Vorzüge  lies 
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