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I
UNIVERSmf OF CALIFORNIA
SAN FRANCISCO MEDICAL CENTER
LIBRARY
J<:>!^:ufnio /■••/;
JVLBRECHT VON GRJIFE'S
ARGHIV
FÜR
OPHTHALMOLOGIE
j
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. F. C DONDERS Prof. TH. LEBER
IN UTRECHT IN GÖTTINGEN
UND
Prof. H. SATTLER
IN PRAG.
VIERUNDDREISSIGSTER BAND
ABTHEILUNG I.
MIT 16 HOLZSCHNITTEN UND 6 TAFELN
LEIPZIG
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
. •
Inhalts-Verzeichniss
zu
Band XXXIV, 1. Abtheilung.
Seite
L lieber den normalen frregnlftren Astigmatismns.
Von Prof. Sigm. Exner, Assistenten am physiolo-
gischen Institute in Wien. Mit 4 Holzschnitten.
Hierzu Taf. L Fig. 1 1-22
IL Zur Entwickelungsgeschichte des Thränennasen*
ganges beim Menschen. Von Dr. Theodor Ewetzky
in Moskau. Hierzu Taf. I, Fig. 2 23—36
UL Die Netzhantcirculation, speoiell der Arterienpuls
in der Netzhaut bei Allgemeinleiden. Von Dr.
B. Sehmall 9 prakt. Arzt in Königsberg i. Fr.
Mit 12 Holzschnitten 37—107
IT. Eine neue Methode der Homhauttransplantation.
Von Prof. Dr. A. t. Hippel in Giessen 108—130
7. Experimentelle Studie über die Förster sehe Ma-
turation der Gataract. Von Dr. Otto Schirmer,
Assistenzarzt an der (Iniversitäts- Augenklinik zu
Gottingen. Hierzu Taf. II— V, Fig. 1—16 .... 181—160
TL Chronisches Lidodem bei erysipelasartiger Entzün-
dung mit Tumorenbildung an den Lidrändem. Von
Dr. PedragUa und Prof. Dr. Dentschmann in
Hamborg. Hierzu Tafc VI, Fig. 1—4 161—168
VII. Beitrag zur Glaucom-Lehre. Von J, Jacobson sen.
in KOnigsherg L Pr 169—210
VIII. Experimentelle Untersuchungen zur Frage der Kera-
toplastik. Von Dr. August Wagenmann» Erstem
Assistenten der Universitftts- Augenklinik zu Göt-
tingen 211—269
1224
Heber den noimalen irregalftren Astigmatismus.
Von
Prof. Signa. Exner,
Assistenten am physiologischen Institute in Wien.
Mit 4 Holzschnitten.
Hierzu Tafel I, Fig. 1.
Das emmetropisühe Auge sieht einen Stern nicht als
Pankt, sondern eben als Stern, nnd das massig myopische,
übrigens normale, Auge sieht des Nachts um jede Strassen-
lateme eine complicirte strahlige Scheibe. Ich habe eine
analoge Scheibe auf Taf. I, Fig. 1, dargestellt, wie ich sie
mit meinem rechten Auge beim Anblicke eines 1,05 cm
weiten kreisförmigen Ausschnittes sehe, der im Blechcylinder
eines Gasrundbrenners angebracht ist. Der Blechcylinder
ist innen mit weissem Thon ausgekleidet, und die Lampe
befindet sich in einem dunklen Zimmer 11,4 m von mir
entfernt. Der scheinbare Durchmesser der ganzen Figur
beträgt um 54 Winkelminuten.
Diese und ähnliche Erscheinungen sind es, die allgemein
als der Ausdruck des „irregulären Astigmatismus" betrachtet
werden, und ebenso werden als Grund desselben Unregel-
mässigkeiten in den brechenden Medien des Auges, der
T. Qrtefe'a Archiv für Ophthalmologie, XXXIV. 1. 1
2 S. £xner.
Cornea und insbesondere der Linse, angenommen.*) Auch
darüber, dass wenigstens gewisse Formen der Diplopia and
Polyopia monocularis auf den irregulären Astigmatismus
zurückzuführen sind, scheint Alles einig zu sein. Doch eine
auf die Einzelheiten der Erscheinung eingehende Erklärung
vermissen wir noch; ob die Unregelmässigkeiten der optischen
Medien jene strahlige Figur und ihr Farbenspiel durch Bre-
chung und Dispersion oder durch Beugung und Interferrenz
erzeugt, welcher Art die Unregelmässigkeiten sein müssen,
um jenen Effect hervorzurufen^ warum sie das Sehen des
*) H. v.Helmholtz spricht von „Unregelmässigkeiten der Linse"
(Fhys. Optik. 2. Anü., S. 172). A. Fick äussert sich in ähnlichem
Sinne nnd bemerkt, dass ,,eine strenge Erklärung der Einzelheiten"
der Erscheinung noch nicht gegeben ist. (Hermann 's Handb. d.
Physiol. Bd. ULI, S. 119). Letzteres hebt auch Donders hervor,
der die einschlägigen Erscheinungen am genauesten studirt hat
nnd ihre Ursache in dem strahligen Bau der Linse fand. (Die
Anomalien der Hefraction und Accemodation übersetzt v. 0. Becker.
Wien 1866, 8. 461). Nach einem daselbst angeführten Citat bezog
Thom. Young die auch schon von ihm untersuchte Erscheinung
auf Unebenheiten an der Oberfläche der Linse. Anbert hingegen
erklärt „undurchsichtige oder durchsichtige, aber mit einem anderen
Brechungsexponenten versehene Partikelchen" als die Ursache des
unregelmässigen Ganges der Strahlen. (Uandb. d. ges. Augenheilk.
von Qraefe u. Sämisch. II. Bd. 2 Th., S. 467). Cadiat (Soc. de
biologie 13. Jänn. 1877; Michers Jahresbr. f. Ophthalmologie 1877,
S. 380) fährt die Erscheinungen auf Polarisation des Lichtes in
den einzelnen Sectoren der Linse zuräck. Gegen diese Deutung
spricht, dass die Erscheinungen durch Vorsetzen eines Nik ersehen
Prismas, sowie durch denen Drehung vor dem Auge nicht ver-
ändert werden. — In neuerer Zeit hat 13 erlin (Tagblatt der Berliner
Natnrforscherversammlnng 1886, S. 3^7) eine Form des Linsenastig-
matismuses von ganz eigenthümlicher Art bei Thieren beschrieben.
Es wäre sehr interesiaat, die Zerstrenungdkreise solcher Linsen
kennen zn lernen. — A. Fick bat analoge Erscheinungen an den
Bildern von Glaslinsen hervorgerufen, indem er diese mit Wasser-
tropfen belegte. (Vergl. Helmholtz Phys. Opt. ß. Aufl., S. 172.
Es soll dieser Versuch in der ersten Auflage von Fick s Med.
Physik enthalten sein; leider ist mir diese unzugänglich; in der
2. Auflage finde ich nichts davon).
Ueber den normalen irregulären Astigmatismus. 3
corrigirten Auges so wenig beeiaträchtigen, u. dergl., das
sind noch offene Fragen.
Gelegentlich eines Vortrages, den vor etwa zwei Jahren
mein Bruder, Prof. Karl Exner, in der Wiener chemisch-
physikalischen Gesellschaft über die Scintillation der Sterne*)
hielt, gewann ich die Ueberzeugung, dass eine von ihm ge-
brachte Darstellung des Durchganges der Lichtstrahlen durch
die Atmosphäre, und seine Erklärung der durch die wech-
selnden Unregelmässigkeiten der Atmosphäre bedingten Ab-
lenkungen, mutatis mutandis geeignet sein müsse, die Er-
scheinungen des irregulären Astigmatismus in ein klareres
Licht zu stellen. Eine genauere üeberlegung und Beschäf-
tigung mit dem Gegenstande fahrten mich zu den im Fol-
genden niedergelegten Anschauungen. Als Ausgangspunkt
diene mir das in Taf. I Fig. 1 abgebildete strahlige Netzhaut-
bild eines hellen Punktes.
1. Der irreguläre Zerstreuungskreis. Es kann
kein Zweifel darüber obwalten, dass diese Figur nichts An-
deres darstellt, als den durch die Kurzsichtigkeit des Auges
bedingten Zerstreuungskreis des hellen Punktes. Donders
hat sich auf die verschiedenste Weise davon überzeugt, und
ich wüsste nicht, dass Jemand eine andere Ansicht geäussert
hätte. Wo sollte auch der Zerstreuungskreis, den ein kurz-
sichtiges Auge von dem hellen Punkte haben muss, sein,
wenn diese Figur es nicht selbst wäre? Sie unterscheidet
sich aber von dem analogen Zerstreuungskreis einer Convex-
linie aus Glas dadurch, dass innerhalb des Kreises vielfach
Hell und Dunkel abwechseln. Ich will demnach diese Figur,
die das myopische und das hypermetropische Auge, sowie
jedes auf die Entfernung des hellen Punktes nicht eingestellte
Auge sieht, als den irregulären Zerstreuungskreis des mensch-
lichen Auges bezeichnen. Deckt man die Pupille von rechts
♦) Vergl. K. Exner, Ueber das Fuukeln der Sterne und die
Scintillation überhaupt (Sitzungsbr. d. Wiener Akad. d. Wiss.
Bd. 84 Abth. 2).
1*
4 S. Exner.
her zu, so beginnt der Zerstreuungskreis scheinbar auf
derselben Seite zu verschwinden, wenn das Auge myopisch
ist; auf der entgegengesetzten, wenn es durch ein Brillen-
glas zum hypermetropischen gemacht wird. Er wird kleiner,
wenn man die Pupille künstlich verengert, er wird zu einem
Streifen, wenn man durch eine Spalte blickt und dreht sieb
mit der Drehung der letzteren. Führt man eine kleine Lücke»
wie dies Donders that, vor der Pupille herum, so tauchen
die einzelnen Theile des irregulären Zerstreuungskreises nach
-einander auf.
A. Fick wirft die Frage auf, warum nach dem Bände
des Zerstreuungskreises die scheinbare Helligkeit immer ge-
ringer, wird, wenn das Auge als myopisches wirkt. In der
That nimmt der Zerstreuungskreis einen anderen Charakter
an, wenn ich ein, mein Auge üborcorrigirendes Concavglas
vornehme. Die Aenderung liegt theils in dem Farbenspiel,
von dem später die Bede sein soll, hauptsächlich aber in
der Lichtvertheilung. Es ist jetzt der Band des Zer-
streuungskreises durchschnittlich sogar heller als die inneren
Antheile, so dass die Figur eine scharfe Begrenzung bekommt.
Die Erklärung liegt wohl in der Abweichung der Licht-
strahlen wegen der Kugelgestalt. Die entfernter von
der optischen Axe auf die Cornea fallenden Strahlen haben
ihren Vereinigungspunkt weiter vorne, die Folge davon ist,
dass sich ein grosser Theil der Strahlen in bekannter Weise
vor dem sogenannten Brennpunkt in einer caustischen Fläche
schneidet, welche näherungsweise Kegelgestalt hat. Liegt
die Netzhaut ialso vor dem eigentlichen Brennpunkt, so trifft
sie jener Lichtkegel, dessen Mantel, die caustische Fläche,
nun die helle Begrenzung des Zerstreuungskreises bilden
wird. Anders ist es, wenn die Netzhaut den Lichtkegel hinter
dem Brennpunkte auffängt. Da ist derselbe nicht durch eine
caustische Fläche begrenzt, sondern seine Helligkeit nimmt
nach aussen allmählich ab. Man kann dieses Verhalten an
jeder Convexlinse, durch die man das Bild eines hellen
Ueber den normalen irregulären Astigmatismus. 5
Punktes entwirft, demonstriren, worauf schon Don der s hin-
gewiesen hat.
2. Die Lage der Unregelmässigkeiten in den
optischen Medien, denen der Zerstreuungskreis seine Eigen-
thümlichkeiten verdankt, rauss in der Nähe der Pupille ver-
ffluthet werden, aus Gründen, die Donders klar gelegt hat.
Schon die Tbatsache, dass die einzelnen hellen und dunklen
Flecken ihre Lage nicht ändern, wenn man den leuchtenden
Punkt in das indirecte Sehen bringt (soweit dies der Deut-
lichkeit der Wahrnehmung wegen geht) zeugt dafür. Wenn
man aber die Unregelmässigkeiten in der Nähe der Pupillar-
ebene zu suchen hat, so wird man sie wohl nur in die Linse
verlegen können. Donders sah die Strahlenfigur des Zer-
strenungskreises bei Annäherung des leuchtenden Punktes
bis zum vorderen Brennpunkte des Auges in die Strahlen-
figur übergehen, welche als entoptisches Linsenbild be-
kannt ist.
Ich nahm eine menschliche Linse einige Stunden nach
dem Tode, gab sie in ein kleines Gefftss, dessen Boden eine
planparallele Glasplatte bildete, und das mit 1 proc. Koch-
salzlösung gefüllt war. Dasselbe stellte ich auf den Object-
tisch eines Mikroskopes; an die Stelle der Blendung hatte
ich (zum Ersatz der Cornea) eine Convexlinse eingeschaltet,
statt des Mikroskopspiegels einen Spiegel aus schwarzem
(ilas (um die mehrfache Reflexion zu vermeiden).
So konnte ich mit einer schwachen Linse (Hartnack I)
das Bildchen meines Lampencylinderausschnittes bei ver-
schiedenen Einstellungen betrachten, das die Linsencom-
bination entwarf. Ich bekam Bilder, die in allen wesentlichen
Punkten mit dem irregulären Zerstreuungskreis überein-
stimmten. Auch habe ich die Linse in situ gelassen, den
Bulbus im Aequator durchschnitten, die Cornea in die Koch-
salzlösung getaucht und auf den Humor vitreus ein Deck-
glitechen gesetzt, so dass die Strahlen das Präparat durch
6 S. Exner.
eine ebene Fläche verliessen.'*') Durch allmähliches Ver-
schieben der Objectivlinse nach unten konnte man die Un-
regelmässigkeiten im Zerstreunngskreise in die eigentbüm-
liehe Zeichnung übergehen seh^, die an der hinteren Linsen-
fläche unter diesen Umständen sichtbar wird.
Diese Zeichnung ist eine ganz scharfe und besteht aus
hellen Linien, die, wie die Grenzen einzelner Wülste aus-
sehend, dunklere Felder von einander abtrennen. Die Linien
dürften, wenigstens zum Theile, der Ausdruck jener, mxs
der mikroskopischen Anatomie bekannten blasigen. Gebilde
sein, die der Linsenkapsel nach innen anliegen und im Laufe
der Jahre so mannigfaltige Deutung erfahren haben.
Man kann also einen irregulären Zerstreuungskreis am
menschlichen Auge objectiv demonstriren, und sein Verhalten
bei wechselnder Einstellung leitet auch zu der allgemeinen
Anschauung hin, nach welcher die Unregelmässigkeiten in
der Linse zu suchen sind.
3, Die Ursachen der Irregularität des Zer-
streuungskreises. Geht von einem hellen Punkte eine
Lichtwelle aus, so bildet sie, so lange sie sich in einem
homogenen Medium fortpflanzt, eine Kugeloberfläche. Ist
sie von ihrem Ausgangspunkt hinlänglich weit fortgeschritten,
so ist ein endlich grosses Stück dieser Eugelwelle als ebene
Fläche zu betrachten. Es sei mn (Fig. 1) ein Stück einer
solchen ebenen Lichtwellenfläche, oq die Richtung ihrer Fort-
pflanzung und zugleich die Axe eines Auges. Dringt die
Lichtwelle in die Cornea ein, so erleidet sie in derselben
eine Deformation, indem die op näher gelegenen Wellen-
*) Ich gehe auf diese und ähnliche Versuche nicht näher ein,
weil sie mir theils Überflüssig, theils nicht hinlängUch beweiskräftig
erscheinen. Letzteres deshalb weil bei isolirter Linse kleine An-
theUe von noch anhaftendem Humor vitreus auch Unregelmässig-
keiten des Zerstreuungskreises bedingen können, und wenn die
Linse in situ gelassen wurde, dieselben im aufgesetzten Glase oder
in Verunreinigungen an der Vorderüäche der Cornea gesucht werden
könnten.
Ueber den nonnalen irre^ären Astigmatismus. 7
antheile schon früher einer Verlangsamnng ihres Porteohrei-
tens unterworfen sind, als die entfernteren. Die Lichtwelle
passirt demnach als gekrümmte' Flache mi ni die vordere
Aügenkammer und erleidet bei ihrem Durchtritt durch die
Linse eine neue Deformation im selben Sinne, indem die
der Axe nahe gelegenen Theile der Wellenoberfläche eine
dickere (Linsen-) Schichte von geringerer Fortpflanzungs-
geschwindigkeit zu durchlaufen haben, als die anderen; diese
Deformation wird in der thierischen Linse noch dadurch
erhobt, dass auch der Brechungsindex in der Nähe der Axe
Fig. 1.
ood des Mittelpunktes der Linse grösser (also die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit kleiner) ist als an den Seiten-
tbeilen. Die Wellenoberfläche tritt also mit starker Krüm-
mung (m3 na) aus der Linse aus. Da die Fortpflanzungs-
richtung der Lichtstrahlen immer senkrecht auf der Licht-
wellen-Oberfläche steht, so sind nia p, na p und op die
Sichtungen von austretenden Strahlen, und wenn, wie es
in der Zeichnung vorausgesetzt ist und für das Auge im
Allgemeinen zutriffst, sich diese Strahlen in einem Punkte
(p, dem zweiten Brennpunkte des Auges) schneiden, so ist
Dsms eine Kugeloberfläche.
(Diese Darstellung gilt für jede optische Linse; ich
habe sie in der Kürze wiederholt für den Fall, dass dem
einen oder dem anderen der Leser die Vorstellung von der
g S. Ezner.
'Deformation der Wellenoberflächen durch Linsen nicht ge-
läufig sein sollte.)
Die Helligkeitsdifferenzen im irregulären Zerstrenungs-
kreis erklären sich nun aus der Annahme, dass die Welle
ma ns zwar im Ganzen Kugelgestalt besitzt, dass ihre Fläche
aber kleine Einbiegungen und Ausbiegungen erlitten hat,
etwa so wie eine Orange zwar Kugelform, aber dabei doch
an ihrer Oberfläche Unebenheiten, wohl gar Andeutungen
ihres Fachbaues zeigen kann. Solche Unebenheiten der Wellen-
oberfläche müssen die Folge davon sein, dass sich an zahl-
reichen enge benachbarten Linsenantheilen das Licht mit
etwas ungleicher Geschwindigkeit fortgepflanzt hat. Es soll
von der anatomischen Grundlage derselben später die Bede
sein und entschieden werden, ob da, wo eine Verzögerung
der Lichtwelle stattgefunden hat, die Ursache in einer dickeren
Schichte des stärker brechenden Mediums oder in einer
localen Zunahme des Brechungsindex derselben zu suchen
ist. Da wo eine Beschleunigung der Lichtwelle statt-
gefunden hat, ist eine dünnere Schichte oder eine Abnahme
des Brechungsvermögens vorauszusetzen. Ich will eine solche
Ausbiegung der Wellenoberfläche nach der einen oder der
anderen Bichtung eine Delle nennen. Wie gross solche
Dellen auf der Wellenoberfläche thatsächlich sind (senkrecht
zur Fortpflanzungsrichtung der Strahlen) und wie tief sie
(in der Richtung der Strahlen) reichen, sowie die voraus-
sichtliche Gestalt derselben soll alsbald erörtert werden.
Vorerst will ich noch erläutern, wieso diese Dellen die Hellig-
keitsunterschiede im Zerstreuungskreise überhaupt erklären.
Ich wähle der Einfachheit wegen den Zerstreuungskreis des
hypermetropischen Auges.
Es sei m n in Fig. 2 wieder ein grösster Kreis der
eben aus der Linse ausgetretenen Lichtwellenoberfläche.
Dann bildet f den Brennpunkt derselben. Befindet sich die
Netzhaut in r r, so wird sie von einem gleichmässig hellen
Kreise erleuchtet; als Maass dieser Helligkeit bei Ver-
kann die Dichtig-
llen, wenn dieselben
lufgetmgen gedacht
Q der Zerstreuungs-
^uges immer heller
reicht.
eine Delle erlitten
iass sie die g.iDZä
ar inOge hier in
!r sein, aU in mi n.
eu Strahlen ihren
— -r.Mrn imireu, wiauogcooi.il, <i&ss die Delle ihrer
'"-■--■v/k efasst werden kann als ein auf die ursprüng-
y ■'^'^£-. igesetztes Kugelsegment. Befindet sich jetzt
/^^'""^v. in rr, so wird sie von zwei ungleich dichten
■-.j. '"''^-^: ein getroffen, und es muas die Helligkeit in
■'■*■ -^ '****'->'.■ öj angehörigen Theil des Zerstreuungakreises
,... . ■*-•; gross sein, wie in dem mi n angehOrigen.
. . ^ * -J- fintfernung von f nach rr doppelt so gross ist,
■ . ^,^"~^ < nachrr. Denn, wenigstens bei den im mensch-
^ . ' uge obwaltenden Verhaltnissen können wegen de
10 S. Exner.
geringen Länge von mn und der grossen Lange von mi f
die Dreiecke fi a b und f c d als ähnlich betrachtet werden,
woraus, da
b fi = -V und ra /t* mi == mi n
vorausgesetzt wurde, sich die doppelte Dichtigkeit der Strahlen
in a b gegen c d ergiebt.
Würde die Delle der Eugelwelle die entgegengesetzte
Richtung haben, d. h. durch eine Verminderung der Krüm-
mung mpmi entstanden sein, so würde der Brennpunkt der-
selben hinter f fallen und rr würde in a b von Licht geringerer
Intensität als in dem grOssten Theile von cd getroffen.
Fig. 3 macht dieses Verhalten für zwei kleinere Dellen
von entgegengesetzter Art anschaulich, deren eine ihren
Brennpunkt in fi, die andere in U hat. Sie zeigt zugleich,
wie sich die Lichtvertheüung im Zerstreuungskreise ändern
muss, wenn die Netzhaut dem Focus mehr oder weniger
genähert wird. Es rührt dieser Wechsel von der verschieden-
artigen Durchschneidung der Strahlen her, und die durch-
schnittliche Abnahme der Helligkeitsdifferenzen bei Ent-
fernung von den Brennpunkten wird durch die unvoll-
kommene Trennung der einzelnen Strahlenbündel bedingt.
Selbstverständlich ist hier unter „Brennpunkt" einer
Delle nicht ein regelrechter Brennpunkt, sondern nur der
Punkt zu verstehen, wo die von derselben ausgehenden Strahlen
am dichtesten beisammen liegen. Man kann eben nur in
erster Annäherung die Dellen als linsenförmige Ausbuchtungen
betrachten, die auf der Kugelwelie aufsitzen. Karl Exner
führt ein Beispiel aus dem täglichen Leben an, das die
Wirkungen kleiner Unebenheiten, erzeugt an einer ebenen
Wellenoberfläche demonstrirt: Wenn Sonnenlicht durch
Fensterscheiben fällt, so sieht man häufig an der das Licht
auffangenden Wand oder dem Fussboden eine eigenthüm-
liche wellenartige Zeichnung, wie der starr gewordene Reflex
einer bewegten Wasseroberfläche. Hier haben sonst kaum
Ueber den normBlen irregulären Aatigmatümu«. H
'^merkbare nnregelmassigbeiteo im Glase Verzögerungen
oder BescbleanigoDgen des LichteB herTOrgemfeo, so dass
die Lichtwelleuoberfläche buckelig geworden ist. Jede helle
Stelle in der genanaten Zeichnung kann ala Brennpunkt,
BreDolinie oder Zerstrenungskreis eines BOlchen Buckels
^Ktrachtet werden. Die Brennweiten sind natürlich sehr
grOBB.
12 S. Exner.
Nach diesen Auseinandersetzungen allgemeiner Art
\rende ich mich wieder der Linse zu, um zn zeigen, dass
sie auf dieselbe wirklich anwendbar sind. Ich habe schon
hervorgehoben, dass wir uns die Dellen, welche die Licht-
welle beim Durchtritt durch die Linse erhält, klein und
zahlreich vorzustellen haben. Auch sind sie von sehr ge-
ringer Tiefe, wie eine Betrachtung ergiebt, die ich hier folgen
lasse. Ich setze bei derselben wie oben voraus, dass die
Dellen auf einer den Brennpunkt enthaltenden Schnittebene
kreisförmig gekrümmt erscheinen, indem ich darauf hinweise,
dass jeder hinlänglich kleine Abschnitt einer stetig ge-
krümmten Curve als Kreisabschnitt betrachtet werden kann.
Wir können natürlich nur in erster Annäherung eine
Berechnung von der Grösse und Tiefe der Delle, sowie
daran anschliessend, von den Unregelmässigkeiten im optischen
Bau der Linse ausführen, doch handelt es sich hier auch
nur um Constatirung der Grössenordnung, mit der wir es
zu thun haben, um zu beurtheilen, ob sie mit jener überein-
stimmt, in welcher sich die uns bekannten, dem Bau der
Linse angebörigen Grössen bewegen.
Um die positive oder negative Tiefe einer Delle zu be-
stimmen, ist es nöthig, ihren Krümmungshalbmesser und
ihre Ausdehnung auf der Oberfläche der gegebenen Kugel-
welle zu kennen. Letztere hat, wenn wir sie bei ihrem
Austritt aus der Linse betrachten*) einen Krümmungshalb-
messer, gleich der Entfernung des hinteren Linsenpols vom
Brennpunkte, also:
B = 14,6470 mm.
Um den Krümmungsradius einer Delle zu bestimmen,
benutze ich den aus Fig. 2 und 3 ersichtlichen Umstand,
dass die mehr oder weniger correcten Brennpunkte der
Dellen in jener Entfernung vom Gesammtbrennpunkt zu
*) Ich lege hier die Werthe aus v. Helmholtz Pbys. Optik.
2. Aufl., S. 89 zxk Grunde.
lieber den normalen irregulären Astigmatismus. 13
suchen sind, in \irelcher die Helligkeitsdifferenzen im Zer-
streuungskreise am grössten sind. Nun wird man zwar,
indem man sein Auge mehr oder weniger corrigirt, diesen
Punkt nur näherungsweise bestimmen können, was leicht
begreiflich ist, wenn man erwägt, dass die Brennpunkte
verschiedener Dellen recht ungleiche Entfernung vom 6e-
sammtbrennpunkte haben durften; doch genügt für unsere
Betrachtungen ein Schätzungswerth. Ich finde die Hellig-
keitsdifferenzen am grössten, wenn der Zerstreuungskreis
meines 2 mm gi'ossen Ausschnittes im Blechcylinder der
Gaslampe (derselbe aus der genannten Entfernung von
11,4 m betrachtet) die Grösse von 29,4 mm zu haben
scheint (verglichen mit der Breite eines neben der Lampe
angebrachten Papierstreifens). Derselbe bildet dann einen
Stera mit scharf gezeichneten Strahlen.
Aus der Grösse des Zerstreuungskreises und der Grösse
meiner Pupille (deren Eadius = 2 mm) lässt sich der
Brennpunkt der Delle näherungsweise berechnen.
Derselbe liegt 0.192 mm hinter dem normalen Brenn-
punkt, so dass der Krümmungsradius dieses Stückes der
Lichtwellenoberfläche
Kl = 14.839 mm ist.
lieber die Flächenausdehnung einer Delle können wir
uns auf Grund der Figur Taf. I eine Vorstellung bilden. Ein
Plus an Helligkeit an einer Stelle des Zerstreuungskreises
(vergl. Fig. 2 ab) wird immer von einem Minus in seiner
Umgebung begleitet sein (vergl. Fig, 2 b c). Wir können
also im Allgemeinen die Breite eines dunklen plus der
eines hellen Antheiles als Ausdruck der Grösse einer Delle
unserer Kugelwelle betrachten. Nun ist in Taf. I die ge-
nannte Breite etwa Vs des ganzen Radius. Es wird also
die Transversalausdehnung einer Delle der Lichtwelle, da wo
sie die Linse verlässt, mit 0,25 mm geschätzt werden können.
Berechnet man nun, wie weit diese Delle an Stelle der
tiefsten Einbiegung von der normalen Kugelwelle abweicht.
14 S. Euer.
80 findet man den überaus geringen Werth von 1 bis 2
Zehntansendstel eines Millimeters.'*')
Es genügt also zur Erklärung der Helligkeits-
differenzenim irregulären Zerstreuungskreise anzu-
nehmen, dass die Lichtwellenoberflüche nach ihrem
Austritt aus der Linse Verbiegungen erhalten hat,
deren Tiefe nur einen Bruchtheil einer Wellen-
länge**) zu betragea braucht.
Es liegt nun sehr nahe, als anatomische Grundlage
dieser Verbiegungen den strahligen Bau der Linse, ins-
besondere an ihren Polen zu betrachten. Ich habe schon
bemerkt, dass die Dellen der Wellenoberfläche von einer
Breite anzunehmen sind, die durch einige Zehntel eines
Millimeters gemessen wird. Das stimmt recht gut mit der
Breite von Spalträumen, die wir zwischen den Fasermassen
der Linse an ihrem Pole vermuthen können, oder, präciser
ausgedrückt, mit jenen dreikantig begränzten Bäumen, die
zwei Linsenfaserbündel mit der Linsenkapsel einschliessen.
In der That, denken wir uns eine Linse, die im präparirten
Zustande die bekannte Sternfigur an ihrem Pole durch De-
hiscenz der Fasermassen zeigt, glatt überspannt durch die
Linsenkapsel, so entstehen diese Räume. Im Leben dürften
sie freilich von geringerer Grösse sein, und sind jedenfalls
wegen der in ihnen enthaltenen Flüssigkeit, die näherungs-
weise gleiches BrechungsvermOgen mit den Linsenfasern hat,
wenig oder gar nicht sichtbar.
*) Die einfache Berechnung besteht darin, dass man den
„Pfeil** auf der Sehne von 0,25 mm Länge für die beiden genannten
Krümmungshalbmesser bestimmt; ihre Differenz ist der gesuchte
Werth und beträgt:
0,0001324 mm.
**) Die Wellenlänge für D. in Lnft = 0,0006890 (nach Dit-
8 ch einer), und den Brechnngsindex des Humor vitreus = 1,3365
(nach Y. Helmholt z) angenommen, ergiebt für die Wellenlänge
der genannten Farbe in dieser Flüssigkeit
X = 0,00044 mm.
Ueber den normalen irregulären ABtigmatismus. 15
Versuchen wir, ob die obige theoretische Betrachtung
mit den anatomischen Thatsachen stimmt. Die Delle der
lichtwellenoberfiäche fanden wir etwa Vs ^i^er Wellenlänge
tief Nehmen wir die Tiefe einer solchen Spalte zwischen
den Fasermassen der Linse so gross an, wie die Breite
(also circa 0,25 mm), so muss, wenn der Brechungsindex der
Linsenfasern
n, =- 1,4371
(nach V. Helmholtz) gesetzt wird, der Brechungsindex der
den Spaltranra erfüllenden Substanz
nf == 1,43729
sein, wenn jene Ausbiegung im angegebenen Ausmaasse und
im Sinne einer Verzögerung der Lichtwellenoberfläche Platz
greifen soll.*)
Es ist aber klar, dass wir jene Spalträume ohne com-
plicirtere Hilfsmittel kaum bemerken werden, wenn ihr In-
halt ein BrechungsvermOgen hat, das sich nur um ein
bis zwei Einheiten der vierten Decimale von dem
der Umgebnng unterscheidet. Hält man die Spalt-
räume fflr tiefer als V^ ^^^ ^^ ^^t^^ sich ihr Brechungs-
index noch mehr dem der Linsenfasern nähern.
Im Vorstehenden ist gezeigt worden, dass, und wie sich
die Helligkeitsnnterschiede in den verschiedenen Antheilen
des irregulären Zerstreuungskreises aus minimalen optischen
Unregelmässigkeiten der Linse qualitativ und quantitativ
erklären lassen. Ich habe bei der Berechnung, wie schon her-
vorgehoben worden, angenommen, dass die Lichtwellenober-
fläche in der Linse Dellen im Sinne stärkerer Krümmung
*) Es ist nämlich die Länge einer Lichtwelle in der Linse
X\ = 0,00041 mm
und die in der fraglichen Flüssigkeit, entsprechend der genannten
Versögemng, und der Tiefe der Schichte
ks =» 0,0001098 mm
Daraus ergiebt sich nf » 1,43729.
16 S. Exner.
erhalten hat. Es geschah dies der Anschaulichkeit und der
Darstellung wegen. Man bekommt natürlich analoge Re-
sultate für die Lichtvertheilung im Zerstreuungskreis, wenn
man Dellen im Sinne schwächerer Krümmung annimmt
Es fragt sich, welcher von beiden Fällen der richtigere istt
oder ob Dellen beider Arten thatsächlich vorkommen. Hierauf
lässt sich die Antwort aus dem Verhalten des Zerstreuungs-
kreises entnehmen.
Ich habe wenigstens für mein Auge den Eindruck, als
wären die Helligkeitsdifferenzen nennenswerth grössere, wenn
sich meine Netzhaut hinter dem Brennpunkt befindet, als
wenn ich mein Auge kQnstlich zu einem hypermetropischen
gemacht habe — bei gleicher Grösse der Zerstreuungskreise. *>
Da, wie wir sahen, die Helligkeitsdifferenzen am stärksten
da sind, wo die mehr oder weniger correcten Brennpunkte
der Dellen liegen, so dürfen dieselben hinter dem Brenn-
punkte des Auges gesucht werden, d. h. die Dellen der Lichte
wellenfläche haben im Allgemeinen oder in der Mehrzahl
geringere Krümmungshalbmesser als die Total- Wellenober-
fiäche selbst. Wir haben also jene Spalträume zwischen den
Fasermassen der Linse mit Substanz erfällt zu denken, deren
Brechungsvermögen um jene wenigen Einheiten der vierten
Decimale kleiner ist, als das der Linse. Damit stimmt
ganz wohl unsere Vorstellung, dass eine die Spalträume aus-
füllende Linsenflüssigkeit kaum die Höhe des Brechungs-
index erreichen wird, welche die mit derselben Flüssigkeit
getränkten Fasern haben.
Es soll aber nicht ausgeschlossen sein, dass einzelne
Dellen eine Verbiegung der Lichtwellenoberfläche im ent-
gegengesetzten Sinne darstellen.
*) Gebt man mit der Stärke der vorgesetzten Gonvexgl&ser
über ein gewisses Maass, d. h. macbt man sein Auge nennenswerth
kurzsichtiger als meines ohnehin schon ist (Vu—Vie)) ^o bemerkt
man sehr deutlich die Abnahme der Heiiigkeitsdififerenzen im Zer>
ätreunngskreise auch im kurzsichtigen Auge.
Ueber den normalen irregulären Astigmatismas. 17
DafQr, dass es in der That die anatomischen Bildungen
des Linsenpoles und seiner Umgebung sind, welche den
inegolären Zerstrenungskreis bedingen, möge noch ein Um-
stand angeführt sein.
Es ist: 4. Die strahlige Anordnung von Hell und
Dunkel im Zerstreuungskreis. Sie gemahnt auf den
ersten Blick an das Bild des Linsenpoles. Es sind im All-
gemeinen radiäre Strahlen, welche in grosserer oder geringerer
Entfernung vom Gentrum durch hyperbolische Curven mit
einander in Verbindung treten. Ich möchte behaupten, es
müsse sich in der Linse meines rechten Auges gerade am
Pole eine Spalte finden, welche zwei Fasermassen von ein-
ander trennt, und so zu dem zweigetheilten Centrum der
Fig. 1 Taf. I Veranlassung giebt.
Die Strahlen dieser Figur sagen aus, dass die Dellen
der Lichtwellenoberflftche im Allgemeinen nicht runde Buckeln
sind, sondern dass sie Striemen ganz besonderer Art in die
Eugeloberfläche schneiden, Striemen, welche geradezu die
Gestalt nachahmen, welche eine Ton ihrer Kapsel entblösste
und etwas eingetrocknete Linse an ihrer Oberfläche zeigt.
Die radiären Strahlen der Figur kann man sich, entspre-
chend dem oben Mitgetheilten , auch dadurch entstanden
denken, dass schmale, radiär um die Augenaxe gestellte
Cylinderlinsen (die Spalträume zwischen den Fasern), deren
Cylinderaxen senkrecht auf der Augenaxe stehen, von der
Licbtwelle durchsetzt werden. So wird es klar, dass diese
Unregelmässigkeiten nicht so sehr in den Meridionalebenen,
als Tielmehr hauptsächlich in jenen Ebenen Platz greifen,
die senkrecht auf den meridionalen Strahlen der Figur, und
damit den Linsenfurchen stehen. (Es ist das jene Dimen-
sion, die ich oben als den transversalen Durchmesser einer
Delle in Bechnung gebracht habe.)
Ich möchte hier bemerken, dass es durchaus nicht noth-
wendig ist, die oben vorausgesetzten Spalträume zwischen
Linse und Kapsel als im Leben vorhanden anzunehmen*
▼. Oraefe*! Archiv fUr Ophthulmologle, XXXIV. 1. 2
lg S. Exner.
Auch wenn der ganze Baum unterhalb der Kapsel mit
Linsenfasem eifdUt ist, können diese selbst, sofern sie ge^
ringe Schwankungen ihres Brechungsindex haben, das Phä-
nomen hervorrafen. Denn auch ein, durch parallele ebene
Flächen begrenzter durchsichtiger EOrpcr wirkt wie eine
Cylinderlinse, wenn sein Brechungsindex nach zwei ent-
gegengesetzten und auf den auffallenden Lichtstrahlen senk-
recht stehenden Biohtungen zu- oder abnimmt.*) Alle
Dellen der Lichtwellenoberfläche können auch nach diesem
Principe, also ohne scharfe Orenze zwischen zwei Medien
von verschiedenem BreohungsvermOgen, als entstanden ge^
dacht werden.
Wenn zwischen zwei aneinandergrenzenden optischen
Medien ein solcher Unterschied des BrechungsvermOgens
herrscht, dass eine dieselben durchdringende Lichtwellen-
oberfläche in einem der Medien um Bruchtheile einer Welle
gegen den durch das andere Medium passirenden Antheil
verzögert wird, so sind dadurch die Bedingungen zu Beu-
gungsphänomenen gegeben.**) Es ist also zu erwarten, dass
der geschilderte optische Bau der Linse, solche hervorrufen
wird. Im gewöhnlichen irregulären Zerstreuungskreise ist
hiervon nichts, oder doch nur weniges zu sehen. Der Grund
hiervon liegt aber, falls der helle Punkt klein genug gewählt
wurde, nur in der geringen Lichtstärke der Beugungsbilder.
Steigert man die Lichtstärke, so treten anscheinende Ver-
längerungen der Strahlen des irregulären Zerstreuungskreises
auf, welche sich bei Anwendung sehr intensiver Lichtpunkte
(elektrisches Bogenlicht; kleine Sonnenbildchen etc.) zu dem
von Helmholtz mit dem Namen des Haarstrahlenkranzes
*) Yergl. Sigm. Exner, üeber Cylinder, welche optische
Bilder entwerfen. Pflüger's Arch. f. d. ges. Pbys. XXXVIII.
S. 274,
*♦) Vergl. Sigm. Exner, üeber optische Eigenschaften
lebender Muskelfasern. Ebenda XXXX. S. 360.
Ueber den nonnalen irre^^ftren Astigmatismas. 19
belegten Phänomen umgestalten. Die ersten Anfänge dieser
Bengungserscheinongen sehe ich schon bei meinem kleinen
Ausschnitte (2 mm Durchmesser in einer Entfernung von
10—12 m) im Cjlinder des Gasrundbrenners, und bei massig
ansgeruhtem Auge. Man kann sich da überzeugen, dass
diese lichtstarksten Antheile des Beugungsphänomens in der
That radiftr stehende Strahlen bilden; sie müssen also ihre
Entstehung tangential verlaufenden Strukturelementen der
Linse verdanken. Es sind das jene Scheitel der hyper-
bolischen Curven, durch welche je zwei radiär gestellte
Spalten zwischen den Linsenfasermassen in der Nähe des
Poles in einander übergehen. Es war zu erwarten, dass sich
diese Stellen, da sie dioptrisch am schärfsten hervortreten,
auch im Beugungsbilde am meisten bemerkbar machen, wenn
man bedenkt, dass die Gangunterschiede der beiden Stralilen-
antheile nur nach Bruchtheilen einer Wellenlänge zählen,
und an diesen Stellen unzv^eifelhaft am grOssten sind.
Man kann an der genannten Vorrichtung auch beob-
achten, dass, wie nothwendig erwartet werden muss, der Ort
des Beugungsstrahles auf der Retina sich ändert, je nach
den, dem Auge vorgesetzten Brillengläsern, d. i. nach der
Grösse des irregulären Zerstreuungskreises, indem sich das
Beugungsphänomen immer direct den Strahlen des Zer-
strenungskreises anschliesst. Endlich bemerkt man, dass
ein solcher Strahl nicht continuirlich, sondern unterbrochen
ist, entsprechend den einzelnen Beugungsspectren, aus denen
er der Länge nach zusammengesetzt ist.
Steigt die Intensität des Lichtpunktes, so werden die
Beagungsbilder intensiv genug, um die Farben zu zeigen«
Die Spectren, aus denen jeder Strahl des nun schon aus-
gebildeten Haarstrahlenkranzes besteht, nehmen nun ent-
sprechend der Form der beugenden Structur selbst hyper-
bolische Gestalt an, eine grosse Menge von Beugungsspectren
höherer Ordnung umgeben nun den irregulären Zerstreuungs-
inreis, in welchem selbst wegen zu grosser Intensität feinere
2*
20 S- Exner.
Details nicht mehr gesehen werden können, zum Theile wohl
anch dnrch die sich mit ihnen deckenden Beugnngsphänomene
unkenntlich werden, die in den Zerstreunngskreis hinein-
fallen. Auch nehmen die Farben wieder an Deutlichkeit ab,
da sich die zahlreichen Beugungsspectren zum grossen Theile
decken und jenen bekannten weisslichen Lichtschimmer er-
zengen, der die Lichtquelle auf eine gewisse Strecke weit zu
umgeben scheint.
5. Die Farben des irregulären Zerstreuungs-
kreises erklären sich in einfacher Weise aus der gewöhnlichen
Ghromasie des Auges. Die aus der Linse austretende Licht-
wellenoberfläche hat, sofern sie aus rothem Lichte besteht.
Flg. 4.
einen grösseren Krümmungshalbmesser (mm in Fig. 4),
als, sofern sie aus violettem besteht (m v n). Sind f und f,
die beiden entsprechenden Brennpunkte, und befindet sich
bei d in jeder der Lichtwellenoberflächen eine in der Linsen-
structur bedingte Delle, so wird der Brennpunkt derselben
fQr rotbes Licht irgendwo auf der Strecke d^ zu suchen sein,
der für violettes Licht auf der Strecke d^). Im myopischen
Zerstreuungskreise (vergl. k k) wird dann der durch die Delle
verursachte lichte Fleck auf seiner der Augenaxe zugewen-
deten Seite hauptsächlich langwellige, im Zerstreuungskreise
des hypermetropischen Auges (vgl. h h) hauptsächlich kurz-
wellige Strahlen haben. Auf der anderen Seite natürlich
jedesmal die Strahlen des entgegengesetzten Endes des
Heber den normalen irreguUren Astigmatismas. 21
SpectnuDS. In der That hat schon Donders auf diese
Chromasie der einzelnen hellen Flecken hingewiesen« und
darauf aufmerksam gemacht, dass sich jeder derselben in
der FarbeuTertheilung bei verschiedener Einstellung des Auges
so Terhält, wie der ganze Zerstreuungskreis eines hellen
Punktes.
Die Farben sieht man wegen der ausserordentlichen
Schmalheit der Brennlinien nicht in diesen selbst am deut-
lichsten, sondern da, wo die Brennlinie selbst schon einen
Zerstreuungskreis bildet. Denkt man sich die Netzhaut von
dieser Stelle aus nach vorne oder nach hinten verschoben,
80 werden die Farben, sowie die Helligkeitsunterschiede
wieder allmählich schwinden, indem sie mit den Farben
anderer Dellen und mit anderen Strahlen überhaupt zur
Deckung kommen.
6. Beziehung des irregulären Astigmatismus zur
Sehschärfe. Es ist oben schon von der Thatsache Ge-
branch gemacht worden, dass der irreguläre Astigmatismus
zum mindesten einen der Gründe bildet, aus welchen wir einen
sehr kleinen hellen Punkt, auch bei vollkommenster Correction
des Auges immer grösser sehen, als er thatsächlich ist.
Da der Breimpunkt einer Delle eben nicht im allgemeinen
Brennpunkte liegt, so sind die von derselben ausgehend
gedachten Strahlen im Brennpunkte des Auges noch nicht,
oder nicht mehr, in einem Punkte vereinigt (vergl. Fig. 2
und 3). Die kreisförmige Oeffnung im Blechschirm meines
Gasbrenners von 2 mm Durchmesser erscheint mir in einer
Entfernung von 11,4 m 1,8 cm breit (verglichen mit einem
danebengehaltenen und sehwach beleuchteten Papierstreifen,
dessen Breite ich so lange änderte, bis er mir der der Oeffnung
gleich schien). Dabei war mein Auge so vollkommen als
möglich corrigirt, und vermochte ich durch schwache Acco-
modation den üebergang von zu wenig bis zu viel der Cor-
rection zu verfolgen. Es erscheint also der hinlänglich kleine
Punkt 9 mal so gross als er ist. Es wird das nicht über-
22 S. Exner.
rasohen, wenn man bedenkt, dass und wie wir die Sterne
sehen. Setzt man nnn eine passend berasste Glasplatte vor
das Auge, so erkennt man, dass innerhalb des Netzhautbildes
noch sehr nennenswerthe HelUgkeitsdifferenzen obwalten,
denn nun wird der helle Fleck sehr bedeutend kleiner, in-
dem sich in seinem Gentrum der wahre Brennpunkt durch
bedeutendere Helligkeit auszeichnet. Nichts desto weniger
wird man nicht daran zweifeln, dass von dem Grade des
irregulären Astigmatismus, d. h. der transversalen Ausdeh-
nung der Dellen und der Entfernung ihrer Brennpunkte von
dem Brennpunkte des Auges, die Sehschärfe mit abhänge,
wenigstens insofern sie eine Function der Schärfe des Netz-
hautbildes, nicht der Leistungen der Retina ist.
Bei unvollkommener Einstellung der Augen hingegen
werden die mehr oder weniger correcten Brennpunkte der
einzelnen Dellen zur Diplopia oder Polyopia monocularis
Veranlassung geben. Der Charakter derselben muss von der
Grosse, Tiefe und Zahl der Dellen abhängen, welche die
Lichtwellenoberfläche bei ihrem Durchtritt durch die optischen
Medien des Auges erlitten hat. So habe ich rechterseits
«ine Diplopie, deren Erklärung sich beim Anblick der Fig. 1
von selbst ergiebt. Sie liegt in den zwei auffallend hellen
Stellen in der Nähe des Gentrums des Zerstreuungskreises.
Jede derartige Diplopie oder Polyopie ist aber dadurch
charakterisirt, dass sie bei Correction des Auges schwindet.
Zar Entwickelungsgescliiclite des Thränen-
nasenganges beim Menschen.'*')
Von
Dr. Theodor Ewetzky in Moskau.
Hiensn Tafel I. Fig. 2.
Aeltere Autoren begnügten sich hinsichtlich der Ent-
wickelung des Thränennasenganges bloss mit Hypothesen.
V. Baer**) meinte, dieser Ganal entwickele sich von der Pha-
ryngealhOhle aus, Burdach**"*") dagegen fand es wahrschein-
licher, dass die Entwickelung dieses Ganais vom inneren
Augenwinkel beginne. Erdlf) und Gosteff) wurden in
den Tierziger Jahren fast gleichzeitig auf die Thränenfurche
aufinerksam, indem sie selbige als Ausgangspunkt der Ent-
wickelung besagten Organs betrachteten. Nach ihrer Ansicht
wird diese Furche, welche am Naseneingange beginnt und
*) Dieser Artikel wurde als yorUnflge Mittheüung su Moskau
in der Sitzung der ophthalm. Section des 2. GongresseB roBsischer
Aente am 9. Januar 1887 yorgetragen.
^ Ueber EntwTckelungsgeschichte der Thiere. Königs-
berg 1828-^1837.
***} Die Physiologie als ErfahrnngswissenBchaft. Leipsig 1837.
t) Die Entmckelung des Menschen und des Hühnchens im
£i. Leipzig 1815.
tt) Histoire gön^rale et partic. da d^yeloppement des corps
organisös. 1847—1859.
24 Th. Eweteky.
am inneren Augenwinkel mündet, auf ihrer ganzen Länge
überbrückt und dergestalt in einen Canal verwandelt. Diese
Anschaaungsweise wurde bald von Allen getheilt und blieb
viele Jahre herrschend. Zu Gunsten dieser Meinung spricht
überzeugend der Umstand, dass, sobald die Furche existirt,
der Canal fehlt und erst nach Schliessung derselben er-
scheint. Andererseits ist es leicht einzusehen, dass die Erdl-
Coste*sche Behauptung nicht als streng bewiesen angesehen
werden darf, da keiner der beiden Autoren die Verwandlung^
der Thiänenfurche in den Thränennasengang an Frontal-
durchschnitten verfolgt hat. Vor etwa 10 Jahren trat Born*)
mit einer neuen Ansicht auf; mit seiner Arbeit beginnt eine
neue Aera in der Lehre über die Entwickelung des Thränen-
nasenganges. Er fand, dass bei den Amphibien der
Thränencanal sich zuerst in Form einer £pithelialplatte
entwickelt, welche sich auf ihrer ganzen Länge vom Auge
bis zur Nase in die Haut einsenkt, sich dann von der Ober-
fläche abhebt, sich auf diese Art in einen in die Tiefe drin-
genden Epithelialstrang verwandelt, in welchem sich erst
später ein Lumen ausbildet; — damit schliesst die erste
Entwickelungsperiode des Thränennasenganges. Bei den
Amphibien entwickelt sich auf solche Weise nur ein relativ
kleiner Theil des Canals; sein unterer, resp. vorderer Theil
verlängert sich allmählich gegen die Nase hin, wodurch der
anfangs nicht vorhandene Theil des Canals zu Stande kommt
Bei den VOgeln entsteht der Canal ebenso wie bei den Am-
phibien, nur mit dem Unterschiede, dass bei den ersten
die Epithelialplatte vom Boden der Thränenfurche in die
Tiefe wächst. An Säugethieren hat Born keine Unter-
suchungen angestellt.
So stand die Frage, als ich**) im Jahre 1879 meine
*) Morpholog. Jahrb. B. II. 1876. Jahresber. d. Schles. Ge-
»ellsch. 1878. — Morpholog. Jahrb. Bd. V. 1879.
**) Beiträge zur Entwickelungsgeschicbte des Auges. Arch.
f. Augenheilk. B. VIU.
EntwickelnngBgefichichte des ThräneunasengaDges etc. 25
üntersnchungen hinsichtlich der Entwickelung des Auges
bei den Säagethieren TerOffentlichte ; in diesem Artikel
widmete ich der Entwickelung des Thrdnencanals meine
besondere Aufitnerksamkeit. Bei Embryonen von Bindern,
welche ich der Untersuchung unterzog, entwickelt sich dieses
Organ sehr früh; die ersten Spuren desselben findet man
schon an Embryonen von ca. 2 cm Länge. Es beginnt am
Boden der Thränenfurche, welche bekanntermaasen zwischen
dem Oberkieferfortsatz und äusseren Nasenfortsatz liegt und
sich Yon der äusseren Oeffnung der Nasenhohle zam innern
Augenwinkel hinzieht, wo sie in die das Auge umkreisende
Rinne, den künftigen Gonjunctivalsack, mündet. Das die
Thränenfurche auskleidende Epithel fängt an, in deren gan-
zer Ausdehnung zu proliferiren, an Frontaldurchschnitten sehen
wir zu dieser Zeit einen kleinen soliden Epithelialfortsatz,
welcher durch einen schmalen Hals oder Stiel mit dem Boden
der Furche in Verbindung steht. Dieser Epithelialfortsatz
wird später vom Furchenboden abgeschnürt, wodurch ein
fester Epithelialstrang entsteht, welcher neben und parallel
der Furche verläuft. Sein oberes Ende bleibt mit dem Epithel
des embryonalen Conjunctivalsackes in Verbindung, während
das untere in die Epithelialbekleidung der Nasenhohle über-
geht Der Querschnitt des Thränencanals, kurz nach seiner
Abtrennung von der Oberfläche, erscheint (falls das Präparat
mit Carmin gefärbt ist), als ein rother, runder Diskus, dessen
Peripherie mit würfelformigen Zellen, das Centrum dagegen
von runden besetzt ist. Der Thränencanal bleibt einige
Zeit, während welcher er nur im Querdurchschnitt dicker
wird, auf dieser Entwickelungsstufe stehen, sodann geschehen
Verwandlungen in demselben, als deren Endresultat sich das
Auftreten eines Lumens in dem vorher soliden Epithelial-
strange ergibt. Die Centralzellen werden grosser, ihr Proto-
plasma wird heller, hyalin und wird von Carmin nicht mehr
roth gefärbt, woher der Canal im Querschnitt das Ansehen
eines hellen, von einem schmalen Bing roth gefärbter peri-
26 Th. Ewetzky.
pherischer Zellen umgebenen Discus hat. Als Vorläufer
der Lumenbildung erscheinen zwischen den Centralzellen
kleine Spalten, welche wahrscheinlich durch das Ausfallen
ersterer entstehen. Die Ursache der Degeneration dieser
Zellen ist unbekannt, sie werden YoUständig durchsichtig,
verlieren ihren Kern und verschwinden zuletzt vollständig.
Die Zahl solcher Spalten wird mit der Zeit grosser, sie
confluiren, wodurch unregelmässige, leere Zwischenräume
zu Stande kommen. Zuerst ist das Lumen sehr schmal,
unregelmässig, man sieht im Canal abwechselnd bald breitere,
bald engere Bäume, seine Wandungen sehen gezahnt, ge-
wissermaassen ausgefressen aus. Allmählich glätten sich
diese Unebenheiten und das Lumen des Ganais wird grosser.
Das Lumen bildet sich erst in den Canälchen und dann erst
im Ganale selbst, wobei zu bemerken ist, dass das Lumen
sich nicht gleichmässig vom Auge gegen die Nase zu ent-
wickelt, sondern die £ntwickelung findet so zu sagen sprung-
weise statt, derart, dass an manchen Stellen schon ein Lumen
vorhanden ist, während in den dazwischen liegenden Strecken
noch keines existirt. Nur bei Embryonen von 10 cm Länge
findet man das Lumen auf der ganzen Strecke vor; bei
Embryonen von 16 cm ist es schon verhäitnissmässig gross,
die Umrisse sind glatt und die Wandungen des Ganais mit
mehrschichtigem Platten-Epithel bekleidet, welches aus einer
Reihe würfelförmiger, körniger Elemente an der Peripherie
und mehreren rund um das Lumen gelegenen Schichten
heller Epidermoidalzellen besteht.
Ich kam also zu der Ueberzeugung, dass der Thränen-
canal sich bei den Säugethieren nach demselben Typus ent-
wickelt, wie ihn Born in Bezug auf die Vögel beschreibt.
In einigen Einzelheiten freilich divergiren unsere Beob-
achtungen, so z. B. hinsichtlich der Verbindung des vor-
deren resp. unteren Canalendes mit der Nasenhöhle, doch
werde ich mich hier nicht damit aufhalten, da solches in
keinerlei Beziehung zu meinem gegenwärtigen Zwecke steht.
EntinckeliuigsgeBchidite des Thränennasenganges etc. 27
Nor einen umstand möchte ich hervorheben. Ich war
nftmlich, im Widersprach mit Born, der Meinung, dass die
sich vermehrenden Epithelzellen nicht sogleich in Gestalt
eines Fortsatzes in die Tiefe dringen, sondern dass dieser
Fortsatz sich an Ort und Stelle in Folge des gegenseitigen
Contacts der Furchenwandangen bildet und sich erst dann
TOB der Furche ablOst, was das Verschwinden derselben zur
Folge hat. Daraus ist ersichtlich, dass besagte Meinungs-
Terscfaiedenheit nicht sowohl die Sache an sich betrifft, sondern
eher formellen Charakters ist.
Zwei Jahre nach meiner Arbeit erschien die Dissertation
von Legal*), welcher unter Born's Leitung seine Unter-
suchungen an Schweins-Embryonen anstellte. Er bestätigte
meine Forschungen in den Hauptzügen, stellte sich aber
in Bezug auf die oben erörterte Streitfrage vollständig auf
die Seite seines Lehrers. Das letzte ist begreiflich, weniger
begreiflich ist mir dagegen die polemische Maqier, mir Mei-
nungen zuzuschreiben, die ich nirgends geäussert habe. Sich
auf meine Zeichnung No. 16 stützend, kommt Legal auf
S. 20 seiner Dissertation zu dem Schlüsse, ich hätte die
Entstehung des Epithelfortsatzes nur der Proliferation der
obersten, den Thränenfurchenboden auskleidenden Epithel-
schicht zugeschrieben, indess ich mich im Text klar genug
darüber äussere, dass der Epithelialfortsatz seine Entstehung
der Froliferation des Hornblattes am Boden der Thränen-
furche verdanke, nicht aber dessen oberflächlicher Schicht,
wie mir solches von Legal zugeschrieben wird. Auf S. 22
erstaunt der Autor darüber, dass die erwähnte Zeichnung
die centralen Zellen des Epithelialfortsatzes gar nicht denen
ähnlich darstellt, von welchen sie entstanden sind. Falls
Legal den betreffenden Text mit Aufmerksamkeit durch-
gelesen hätte, so würde er gefunden haben, dass die dort
*) Znr Entwiekelnngsgeschichte des Thränennasenganges bei
S&ugetbieren. Diss. Breslau 1881.
28 Th. Ewetzky.
gegebene Beschreibung genau mit seiner Ansicht über den
Bau des Epithelialfortsatzes übereinstimmt. Die Beschreibung
nämlich besagt, der Epithelialfortsatz bestehe aus zweierlei
Zellen, nämlich aus peripherischen, strahlenförmig angeord-
neten Zellen und aus centralen, meist runden Elementen.
Nach Legal besteht der Fortsatz an seiner Basis aus cylin-
drischen Zellen und aus Zellen von verschiedenartiger Ge-
stalt im Gentrum. Wo liegt hier ein unterschied vor? Da
die Zeichnungen nicht von mir selbst, sondern von einer in
besagter Frage vollständig incompetenten Persönlichkeit ver-
fertigt sind, wie ich solches speciell betont habe, so wäre
es richtiger gewesen, in zweifelhaften Fällen die Erklärung
nicht in der Zeichnung, sondern im Texte zu suchen.
Aus dieser kurzen üebersicht der Literatur unseres
Gegenstandes ist der Schluss zu ziehen, dass bei allen Wirbel-
thieren der Thränencanal sich nach einem im Allgemeinen
fiboreinstimmenden Plane entwickelt.
Jetzt bleibt noch übrig, zu erforschen, wie sich dieser
Canal beim Menschen entwickelt, Obgleich diese Aufgabe
an und für sich nicht als bedeutend erscheint, so wird sie
dennoch nicht so leicht zu lOsen sein, hauptsächlich aus
dem Grunde, dass es schwierig ist, gut erhaltene FOtus aus
einer so frühen Entwickelungsperiode zu bekommen. Ich bitte,
die unten verzeichneten Thatsachen als einen ersten und un-
bedeutenden Schritt in dieser Richtung betrachten zu wollen.
Der jüngste Embryo, den ich untersucht habe, war 9 mm
lang. Wenn wir in Betracht ziehen, dass nach His"^) ein
4 Wochen alter menschlicher Embryo die Länge von 7 — 8 mm
hat, so muss angenommen werden, däss das Alter obigen
Exemplars circa dem Anfange der 5. Woche des fötalen
Lebens entspricht. Der Kopf dieses Embryo, wie auch der
Qbrigen, wurde nach vorheriger Erhärtung in Müller'scher
*) Anatomie menschlicher Embryonen. Leipzig. Bd. I mit
Atlas 1880, Bd. II 1882.
Entwickelimgsgescilichte des Thr&nennasenganges etc. 29
Flüssigkeit ond Spiritas in Celloidin eingebettet und dann mit
Hilfe eines Mikrotoms in eine fieihe von Schnitten zerlegt.
Die mikroskopische Untersuchung zeigte, dass noch gar
keine Anlage des Thränennasenganges Yorhanden war. Die
Thränenfurche erschien an den Frontalschnitten als ein recht
tiefer, schmaler und spitzer Einschnitt, dessen Spitze nach
innen und etwas nach unten gerichtet war. Gegen das Auge
hin wurde die Furche breiter und kürzer. Das die Furche
bekleidende Epithel bildete zwei Schichten, eine innere mit
cjUndrischen, und eine äussere mit platten Zellen. Stellen-
wdse wurden zwischen den beiden Schichten kurze ovale
Zellen angetroffen. Am Boden der Thränenfurche war nicht
das geringst-e Anzeichen einer Proliferation des Epithels zu
bemerken. Die Crystallinse erschien als hohle Blase mit
gleichmassig dicken Wandungen, stand noch mit dem äusseren
Eeimblatte in Verbindung und ihre Höhle war noch durch
eine schmale Oeffnung von aussen her zugänglich.
Der zweite Embryo, dessen Länge mir unbekannt ist,
war, Dach der Ausbildung der Linse zu urtheilen, etwas
älter, als der erste. Die Linse war wohl noch immer blasen-
förmig, aber sie war nicht mehr mit dem äusseren Keim-
blatte in Verbindung, ihre Proximalwand war in Folge ener-
gischen Wachsthums ihrer Elemente bedeutend dicker
geworden. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich für
diesen Embryo ein Alter von 4Va bis 5 Wochen annehme.
Die Thränenfurche wies auf den ersten Blick keine Verän-
derungen auf, wenn man sie aber aufmerksamer untersuchte,
80 war ein unbedeutendes Abweichen von dem oben be-
schriebenen Zustande zu bemerken, eine Veränderung, welche
deutlich auf den Anfang der Entwickelung des Thränen-
nasenganges hinwies. Bei stärkerer Vergrösserung konnte
bemerkt werden, dass ein kurzer, solider Epithelialfortsatz
an den Boden der Thränenfurche stiess; dieser Fortsatz
drang auf einer unbedeutenden Strecke in die Tiefe des
darunter liegenden Oewebes. Die Breite des Fortsatzes war
30 Th. Eweteky.
der Breite des Thränenfurchenbodens gleich und seine Lage
in dem umgebenden Gewebe entsprach der Bichtnng der
Fnrche, woraus sich erklärt, warum der Fortsatz nicht so«
gleich in die Augen fiel, um so mehr, da keine Spur Ton
einem ihn mit dem Furchenboden Ycrbindenden Stiel vor-
handen ist. Bei einem solchen Verh<niss des Epithelial«
fortsatzes zur Thränenfurche ist es schwer zu entscheiden,
ob derselbe sich dadurch entwickelt hat, dass die sich meh-
renden Epithelien in das darunter liegende Gewebe dringen,
oder ob er seine Entstehung der Ausfüllung der Furche
durch an ihrem Boden stattfindende Zellenproliferation ver-
dankt. In dem vorderen, der Nase zunächst gelegenen Theil
der Thränenfurche war die Länge des erwähnten Fortsatzes
grosser, als in dem hinteren, an das Auge stossenden TheiL
Hart am Auge war gar kein Fortsatz, und das Epithel wies
kein Anzeichen von ProUferation auf. Bei starker Yer-
grOsserung konnte man constatiren, dass der Fortsatz aus
kleinen Epithelzellen bestand, welche in keiner Weise von
den Elementen der unteren Epithelschicht der Thränenfurche
unterschieden waren. Die äussere Schicht nahm dem An-
scheine nach an der Bildung des rudimentären Canals gar
keinen Antheil.
Der dritte Embryo war 12 mm lang. Die Linsenhöhle
war fast vollständig ausgeffiUt; hinter der vorderen Kapsel
mit ihrem Epithel befand sich ein kleiner, halbmondförmiger
Raum. Ich glaube mit einiger Sicherheit diesem Embryo
das Alter von 5 bis öVa Wochen beilegen zu können. Der
Thränencanal befand sich hier noch in derselben Ent-
wickelungsperiode, d. h. er hatte sich noch nicht von der
Thränenfurche abgelöst, doch war er von grösseren Dimen-
sionen, als bei dem zweiten Embryo. An den consecuüven
Schnitten konnte man sich überzeugen, dass der Ganal schon
fast auf seiner ganzen Strecke angelegt war, nur von dem
dem Auge zunächst gelegenen Theil konnte solches nicht
mit Sicherheit behauptet werden, weil dieser Theil der
Entwickelongsgeschichte des ThränennasengaBges etc. 31
Schnitte durch einen Zufall für die Untersuchung verloren
war. Auf der ganzen Strecke hatte der Canal das Aus-
sehen eines sehr feinen und relativ langen Epithelialfort-
Satzes, dessen distales Ende mit dem Boden der Furche ver-
sehmolz, dessen proximales Ende dagegen nach innen und
etwas nach unten gegen den Boden der Nasenhöhle gerichtet
war (8. die Abbildung). An den zunächst der Nase gefallenen
Schnitten war die Länge des Fortsatzes bedeutend grösser,
als gegen das Auge hin. Die Dicke der Fortsätze ist relativ
unbedeutend und bleibt nicht überall gleich. Obgleich dieser
Fortsatz am Boden der Thränenfnrche etwas dünner war,
als an seinem entgegengesetzten Ende, so war dennoch der
Unterschied so gering, dass es unmöglich war, einen Stiel
oder Fuss von einem eigentlichen Körper zu unterscheiden.
Im Allgemeinen ist seine Qestalt der einer Rheinwein-
flasche ähnlich, nur dass der Breitenunterschied zwischen
Hals und Boden geringer ist und dass die Umrisse wellen-
förmig erscheinen. Der Fortsatz besteht aus Epithelzellen,
welche ohne besondere Ordnung aneinandergereiht sind. Sie
sind rund von Gestalt, körnig, mit relativ grossem Kern
und erscheinen, wenn mit Carmin und Haematoxylin bear-
beitet, intensiver gefärbt, als die sie umgebenden Elemente
des mittleren Keimblattes. Sie verdanken ihre Entstehung
der tiefen Schicht des Gylinderepithels der Thränenfnrche,
wenigstens ging diese Schicht unmittelbar in die Zeilen des
Fortsatzes über, wobei diese eine mehr abgerundete Form
annahmen. Der Thränencanal war von runden, indifferenten
Zellen umgeben, von welchen seine eigenen Elemente sich
dadurch unterschieden, dass sie von etwas grösseren Dimen-
sionen waren, ein kömiges Protoplasma und die Eigenschaft
besassen, Farbstoffe etwas energischer zu absorbiren. Der
Epithelfortsatz war von letzteren Zellen nicht durch eine
besondere Membran geschieden, doch bestand auch keine
enge Verbindung zwischen ihnen, da man an vielen
Stellen eine schmale Spalte wahrnehmen konnte , welche
32 Th. Ewetsky.
kQnsilicli in Folge der Behandlung mit erb&rtender Flüssig-
keit entstanden war.
Der letzte Embryo, den ich untersuchte, war 42 mm
lang. Leider wurde er erst gemessen, nachdem er schon
mehrere Tage in einer gesättigten PicrinsäurelOsung gelegen
hatte, unter deren Einfluss er sehr geschrumpft war.
Bei diesem Embryo hatte sich der Thränencanal voll-
ständig Ton der Oberfläche gelöst. Er befand sich ungefähr
auf derjenigen Entwickelungsstufe, welche ich bei Rinds-
embryonen von 10 cm Länge angetroffen habe. An Quer-
schnitten, welche eine runde oder ovale Gestalt hatten, war
unschwer zu bemerken, dass der Thränencanal mit Zellen
von zweierlei Typus angefüllt war. An seiner Peripherie
befand sich eine Reihe cylindrischer Zellen, der übrige Raum
war von runden oder auch polygonalen Zellen besetzt. Erstere
hatten ein körniges Protoplasma und färbten sich gut mit
Gar min, bei den letzteren dagegen war der Körper der Zelle
etwas grösser, durchsichtig und färbte sich, den Kern aus-
genommen, gar nicht. Daher hatte an gefärbten Präparaten
der Querschnitt des Thränencanals immer das Aussehen
eines Discus mit schmalem rothem resp. blauem Bande und
heller Mitte. Der Thränencanal war jetzt nicht mehr der
solide Epithelialstrang, der er auf einer früheren Ent-
wickelungsstufe gewesen war; er war jetzt canalisirt, obgleich
noch auf sehr primitive Weise. Die Lumenbildung begann,
ebenso wie bei den übrigen Säugethieren, im Gentrum, in-
mitten der oben beschriebenen hellen Zellen, welche einer
Degeneration verfielen und verschwanden. Das Lumen er-
schien als mehr oder weniger schmale Spalte mit unregel-
mässigen, wie ausgefressenen Rändern. Die an den Canal
stossenden Zellen ragten oft tief in die Höhlung desselben
hinein, wodurch sie das Lumen des Ganais oft sehr ver-
engerten, oder gar in Form dünner Balken von einer Seite
zur anderen reichend, ihn in verschiedenen Richtungen durch-
kreuzten. An anderen Stellen dagegen wurde das Lumen
Sütwickeliiogsgeachichte des Thränennasenganges etc. 33
merklich breiter und erreichte fast den an der Peripherie
des Canals gelegenen Bing cylindrischer Zellen. Die Thränen-
canUchen hatten fast gar kein Lumen ; vom Canal selbst dagegen
war eine bedeutende Strecke canalisirt, obgleich wieder an
manchen Stellen noch kein Lumen vorhanden war. Danach
za nrtheilen, kann man voraussetzen, dass die Ganalisation
zuerst im Thränencanal und dann erst in den Canälchen
aD&Dgt; da aber dieses nicht mit dem übereinstimmt, was
ich in dieser Hinsicht an Thieren gefunden habe, so wage
ich es nicht, der besagten Thatsache eine zweifellose Be-
deutung beizumessen, um so mehr, da ich nur einen ein-
sigen Embryo zur Verfügung hatte. Bei jungen Embryonen
hatte der Thränencanal keine besondere Membran, seine Zellen
Büessen direct an die Elemente des umgebenden Gewebes,
dieses Mal war er von einer dünnen Membran umgeben,
welche aus flachen, im Durchschnitte spindelförmigen Zellen
mit kleinen, länglichen Kernen bestand. In dem Gewebe,
welches den Thränencanal umgab, konnte keine Differen-
zuruDg wahrgenommen werden, welche auf die beginnende
Bildung einer Schleimhaut hingewiesen hätte. Es gruppirten
sich erst nur noch indifferente, runde und spindelförmige
Zellen des mittleren Keimblattes etwas enger um den
Thränencanal, als in einiger Entfernung von ihm.
Wenn man die Entwickelungsgeschichte des Thränen-
canals beim Menschen mit demselben Vorgang bei den
übrigen Säugethieren vergleicht, so kann man nicht um-
hin zu bemerken, dass zwischen beiden eine bedeutende,
fast an Identität grenzende Aehnlichkeit besteht. Beim
Thiere wie beim Menschen verdankt der Canal seine Ent-
stehung der Proliferation der Epithelzellen, welche den
Boden der Thränenfurche auskleiden, die sodann in Form
eines Epitfaelialfortsatzes in die Tiefe der Gewebe dringen.
In meinem oben erwähnten Artikel meinte ich, dass dieser
Fortsatz sich an Ort und Stelle biLle, dass er nur der in
seiner Gestalt modificirte Boden der Thränenfurche sei,
T. GTMf«*i Archiv für Opbtbalmoloel«, ZJLXIV. l. 8
34 Th. Ewetzky.
welcher sich sodann von letzterer ablöse. Diese Ansicht
steht, wie der Leser weiss, mit der von Born nnd später
auch von Legal im Widerspruch, da diese behaupten, der
Epithelialfortsatz bilde sich infolge des Eindringens des
wuchernden Epithels der Thränenfurche in die Tiefe. Jetzt
finde ich mich Teranlasst, meine frühere Meinung aufzugeben
und derjenigen Born's beizutreten. In der That lassen
die von mir an dem 12 mm langen Embryo beobachteten
Thatsachen über das energische Hineinwachsen der Epithe-
lien des Thränenfurchenbodens in das darunter liegende
Gewebe keinen Zweifel übrig. Obgleich die Entwickelung
des Thränencanals bei Mensch und Thieren anfangs voll-
ständig identisch ist, so geht doch das Einwachsen in die
Tiefe bei ihnen verschieden vor sich. Bei den Thieren
nehmen die proliferirenden Zellen die Gestalt eines dicken
und kurzen Epithelialfortatzes an, welcher vermittelst eines
relativ dünnen Stiels mit der Thränenfurche in Verbindung
bleibt, beim Menschen dagegen ist der Fortsatz dünn,
relativ sehr lang und sitzt unmittelbar ohne besonderen
Stiel am Thränenfurchenboden. Noch schärfer tritt der
unterschied hervor, wenn wir uns auf Grund der Frontal-
durchschnitte die wirkliche Gestalt des Thränencanals auf
der ganzen Strecke von der Nase bis zum Auge vorstellen.
Bei Thieren hat der Ganal auf dieser Entwickelungsstufe
die Gestalt eines recht dicken und soliden Stranges (Körper
des Epithelialfortsatzes), welcher parallel der nahegelegenen
Thränenfurche verläuft und mit ihr durch eine kurze und
schmale Platte (Stiel des Fortsatzes) verbunden ist. Beim
Menschen hat dieses Organ das Aussehen einer dünnen,
aber breiten und etwas wellenförmigen Epithelialplatte«
welche mit ihrem äussern Bande an den Boden der
Thränenfurche stOsst, deren innerer Band dagegen nach
innen und unten gegen die Nasenhohle gerichtet ist, von
deren Boden der vordere resp. untere Theil der Scheibe
nicht weit entfernt ist. Diese Epithelialplatte bildet ihrer
Entwickelongsgeschichte des Thränennasenganges etc. 35
Lage nach so zu sagen die ununterbrochene Fortsetzung
der Thranenfurche. Sie ist nahe bei der äusseren Nasen-
OShnng breiter, und wird gegen das Auge zu schmaler.
Indem ich die Bildung der Thränencanälchen bei Seite
lasse — da es mir nicht gelungen ist, etwas Positives über
diesen Gegenstand beim menschlichen Embryo zu er-
mitteln — kann ich nicht umhin, die grosse Aehnlichkeit
der weiteren Entwickelung des Thrftnencanals beim Menschen
mit demselben Processe bei den Thieren hervorzuheben. Die
Epithelialplatte hebt sich vom Thränenfurchenboden ab und
verwandelt sich erst in einen festen Epithelialstrang, welcher
erst später ein Lumen erhält. Vor Bildung des letztem
theilen sich die den Thränencanal bildenden Zellen in zwei
Gruppen — die centralen und die peripherischen. Die
centralen verfallen der Atrophie und verschwinden, woher
Spalten zwischen ihnen entstehen, welche bei der Verbreitung
dieses Processes auf die ganze Strecke des Canals endlich
zur Bildung eines Lumens in demselben ffihren.
Zum Schlüsse fasse ich die von mir gefundenen That-
Sachen aus der Entwickelungsgeschichte des Thränen-
nasenganges beim Menschen folgendermassen zusammen:
1. Die Entwickelung des Thränencanals beginnt um
das Ende der 5. oder im Anfang der 6. Woche des
FOtallebens.
2. Die Entwickelung des Canals geht beim Menschen
nach demselben Typus vor sich, wie dieses bei den
übrigen Wirbelthieren der Fall ist.
3. Ein scharfer, doch nicht principieller Unterschied von
den übrigen Säugethieren besteht beim Menschen in
der Form, welche der Canal bei ihm in der ersten
Entwickelungsperiode annimmt.
3*
36 Th. Ewetiky.
Erklärung der Abbildnng.
Frontalschnitt durch den Kopf eines 12 mm langen mensch-
lichen Embryo.
8h = SchftdelhOhle.
mh = Mundhohle.
nh = Nasenhöhle.
tf = Thränenforche.
ig = Anlage des Thr&nennasenganges in Form eines soliden,
langen und schmalen Epithelfortsatses.
of =s Oherkieferfortsats.
V. 5«o.
Die letdiantoirciilation, spedell der Arterienpnls
in der letzhsnt bei iUgemeinleiden.
Von
Dr. B. Seh mall, prakt Arzt
in Königsberg i. Ft.
Mit 13 HolJSBchnitten.
Die nachfolgende Arbeit, welche ich im Januar 1886
begann nnd Ende desselben Jahres fertig stellte, wurde haupt-
sflchlich durch die Abhandlung Bählmann*s in Virchow*s
ArcliiT (Bd. 102): „üeber einige Beziehungen der Netzhaut-
drculation bei allgemeinen Störungen des Blutkreislaufs^^
anger^ Die ophthalmoskopischen Untersuchungen, aus-
schliesslich an dem Erankenmaterial der hiesigen inneren
Klinik und Poliklinik vorgenommen, um&ssten die meisten
Patienten, welche an einer Kreislaufstörung, gleichgültig
SOS welcher Ursache, litten; insbesondere wurden alle fieber-
haften Krankheiten in das Bereich dieser Untersuchungen
gezogen.
Wenn ich, dem Beispiel Bählmann's folgend, mehr
auf die Bedeutung der Augenspiegelbefunde für die klinische
Diagnose des AUgemcinleidens eingehe, so geschieht das
unter dem Vorbehalt, spftterhin noch einmal auf einige
allein den Ophtalmologen interessirende Fragen aus diesem
Gebiete ausführlicher zurückzukommen.
Um die pathologischen Veränderungen im Gefässsystem
der Netzhaut erkennen und ihren Zusammenhang mit StO-
38 B. SchmalL
rungen der allgemeinen Blatcirculation richtig beurtheilen
zu können, ist es nothwendig, zunächst knrz auf die nor-
malen Erscheinungen an den Netzbantgeffissen, welche wir
mit dem Augenspiegel wahrnehmen, einzugehen, sodann anf
einige Fehlerquellen löcalen Ursprungs, die bei einer
Verallgemeinerung der Spiegelergebnisse in Rechnung zu
ziehen wären.
Der Augenspiegel belehrt uns über den Füllungszustand
der Netzhautgefässe und ihren. Verlauf, Aber die Beschaffen •
heit ihrer Wandungen, Aber die Farbe ihres Inhaltes und
endlich Aber etwaige Pulsationserscheinungen an denselben.
Ich habe bei meinen Untersuchungen meist aus dem
Verhältniss zwischen Gefllssbreite und Sehneryendurchschnitt,
dessen OrOsse nur innerhalb enger physiologischer Grenzen
sich bewegt, das Caliber der Netzhautgefässe beurtheilt.
Die Wandungen der Netzhautgefässe sind in der Mehr-
zahl der physiologischen Fälle nicht sichtbar, doch ist man
durchaus nicht berechtigt, sichtbare Qefäss wände, welche
sich als feine weisse oder weissgraue gleichmässige Streifen
zumal neben den arteriellen Blutsäulen hinziehen, ohne Wei-
teres als etwas Pathologisches anzusprechen, selbst wenn
sie, wie das mitunter vorkommt, nur an dem einen oder
anderen Oefässe erkennbar sind. Es sei denn, dass man
ihr Sichtbarwerden direct während einer längeren Beob-
achtungsdauer mit dem Augenspi^el hat verfolgen können.
Ich habe mich nur in den Fällen fQr berechtigt gehalten,
eine krankhafte Anomalie der Gefässwände direkt, d. h. ohne
aus etwa vorhandenen Blutungen oder Exsudationen auf eine
solche zu schliessen, zu diagnosticiren, in denen der nor-
maliter scharfrandige und gleichmässig leuchtende Reflex
auf der Mitte der Gef&sse verschwommene Conturen und
eine unregelmässig glitzernde Beschaffenheit angenommen
hatte, während die rothen Blutstreifen verschmälert, leicht
verschleiert waren und von den sichtbaren Geftsswänden aus
sich unregelmässig begrenzte, weissglänzende (Bindegewebs-)
Die Netzhantcircolation etc. bei AIlgemeinleideiL 39
Faserzüge in die an sich nonnal durchsichtige Netzhaut
hinein erstreckten.
Die Farbendifferenz zwischen arteriellem und venösem
Blut ist normaliter eine ziemlich konstante. Unter patho-
logisdien Verhältnissen kann sie innerhalb weiter Grenzen
Tariiren« jedoch werden oft stärkere Füllung des einen,
schwächere Ffillung des andern Gefässsystems zu grosse
oder zu geringe Farbendifferenz vortäuschen. Auch wird
man auf den Einfluss etwaiger Gefllsswand- oder Netzhaut-
trabungen auf die Farbe der eingeschlossenen Blutsäulen
zu achten haben; besonders wird der rothe Farbenton des
arteriellen Blutes durch derartige Trübungen oft abnorm
abgeblasst.
Ausser dieser Farbendifferenz zwischen arteriellem und
venösem Blut, welcher der Ausdruck der Desoxydation des
letzteren ist, interessirt uns die Farbe des arteriellen Blutes
allein. Dieselbe giebt uns einen ungef&hren Aufschluss über
den Hämoglobingehalt des Blutes, allenfalls auch damit
wenigstens in der Mehrzahl der Fälle Aufschluss über den
Gehalt des Blutes an rothen Blutkörperchen. Dagegen wird
man hieraus allein nie mit Sicherheit auf sonstige Aende-
mngen der Blutmischung schliessen können. Beispielsweise
aus sehr heller Blntfarbe auf Hydraemie. Denn wenn auch
meistens mit einer Verminderung des Hämoglobingehaltes
ein gewisser Grad von Hydraemie einhergeht, wie z. B. nach
Blutverlusten, nach Consumptionskrankheiten , so ist doch
beispielsweise in der grossen Krankheitsgruppe der Chlorose
Hämoglobinverminderung und Hydraemie durchaus nicht
immer mit einander verbunden.
Eine Pulsation der Betinalarterien wird fQr ge-
wöhnlich bei gesunden Menschen nicht beobachtet. Diese
Regel unterliegt jedoch gewissen, allerdmgs seltenen Aus-
nahmen. Schon von Graefe, Donders, Ed. von Jäger,
weiterhin Becker und Helf reich haben bei ganz gesunden
40
B. BchmAU.
Individuen gel^entlich dentliche Pulsationen der Ketzhant-
arterien gefanden.
Becker*) sucht die Erklärung hierfOr in einer beson-
deren rackl&ufigen Ge^sanordnung auf der Papille, welehe
dem andringenden Blutstrom vermehrte Widerst&nde bietet.
Fig. 1.
Diese Erklärung trifft wohl unzweifelhaft far den einen
oder anderen Fall zu, — ich verweise z. B. auf die vor-
stehende Fig. 1, welche den Hintergrund des linken Auges
eines kleinen, blähend aussehenden, nie krank gewesenen
Knaben wiedergiebt. Nur die mit a bezeichnete, stark in
den Glaskörper hineinrf^ende (durch die Zeichnung schlecht
*) T. öraefe'« Archiv XVUL l.
Die NetshautcircTilatioii etc. bei Allgemeinleiden. 41
wiederzugebende) Oefässschlinge zeigt eine exquisite Caliber-
schwankmig und Locomotion.
Mitunter scheint bei einer solchen Gefässanordnnng
die ganze arterielle Gef&sspforte auf der Papille in den
Glaskörper hinein zu pulsiren, wie ich das in einem andern
FaU gesehn habe, in dem die ganz freie oberflächliche Lage
der Arterien am Bande einer tiefen physiologischen Exca-
Tation wohl auch ein weiteres disponirendes Moment abgab.
Fflr die Mehrzahl jedoch dieser Pulsationen der Netz-
hautarterien bei normalen Menschen ist bis heute eine be-
friedigende Erklärung nicht gegeben worden.
Ob der minimale ophthalmoskopisch nicht erkennbare
nnd nur durch das Verhalten des intraoculären Druckes
sowie durch ein anderes gleich zu erwähnendes Phänomen
zu errathende Arterienpuls der natürliche Andruck der
Spannungs-Differenzen in so kleinen Arterien im Allgemeinen
ist, oder ob speciell für die Netzhautarterien noch andere
Momente mitwirken, welche dem Zustandekommen einer
sichtbaren Pulsation hindernd entgegentreten, wollen wir
an dieser Stelle nicht näher erörtern, sondern verweisen
auf das, was wir weiter unten bei Gelegenheit der Be-
sprechung des Vorkommens von Netzhautarterienpulsation
unter pathologischen Verbältnissen erwähnen werden.
Ein anderes schon normaliter in vielen Fällen sicht-
bares Pulspbänomen im Augenhintergrunde ist der soge-
nannte Venenpuls, welcher seit seiner Entdeckung durch
yanTrigt und Coccius wohl ebenso vielfach gedeutet als
beschrieben worden ist. Derselbe besteht in einem ryth-
mischen, dem Badialpulse fast unmittelbar postponirendem
schnellen Abschwellen des Stammes der Gentralvene oder
auch einzelner ihrer Aeste und etwas langsamerer Füllung
bis zu ihrem frQhern Volum in der Arteriensystole. Ich
habe bei einem Melancholiker, welcher eine Pulsfrequenz
Ton nur 36—40 Schlägen in der Minute hatte, sehr deut-
lich den Verlanf dieses Phänomens beobachten können. Es
42 B. SchmalL
bestand bei demselben spontaner schwacher Venenpnis an
einem grossen, genau über die Theilnngsstelle der Central-
arterie hinweglaufenden und in der Tiefe des Centralcanals
in die Hauptvene mündenden Yenenstamm. Durch mJlssig
starken Druck aufs Auge rerstärkte ich diesen Venenpuls
und rief zugleich künstlichen Arterienpuls heryor. Es liess
sich dann wegen der Langsamkeit des Verlaufes sehr schön
beobachten, wie durch die künstliche Diastole der Ceutral-
arterie die auf ihr liegende Vene zur Seite gedrängt wurde
und unmittelbar darauf rapid abblasste, indem sich ihr
Tiefen durchmesser sehr stark verkleinerte.
Wenn sodann die künstliche Arteriensystole eintrat,
waren für einen Moment Arterie wie Vene fast ganz blut-
leer, doch konnte ich sehr bald über die blutleere Arterie
hin zeitlich mehr oder minder nahe der nächstfolgenden
Arteriendiastole, die Vene von der Peripherie her sich schnell
wieder füllen sehen. Erst wenn die Vene ihr früheres nor-
males Caliber wieder völlig erreicht hatte, trat eine neue
Arteriendiastole ein. Die Füllung der Vene von der Peri-
pherie her erfolgte um so träger und um so später, d. h.
zeitlich näher der folgenden Arteriendiastole, je kürzer in
Folge stärkeren äusseren Druckes jede sichtbare Arterien-
diastole ausfiel.
Mir scheint hiernach die alte Donders*sche Erklärung
dieses Venenpulses wohl das meiste für sich zu haben, welche
lautet: „Der höhere Druck, mit dem bei der Contraction
des Herzens das Blut in die Arterien des Körpers ein-
strömt, ruht zum Theile auf dem Glaskörper, ehe er sich
noch durch die Gapillaren bis in die Venen fortgesetzt hat
und letztere werden demnach comprimirt. Wird diese Gom-
pression nun alle Venen gleichmässig treffen? Keineswegs:
Die Stellen, wo der seitliche Blutdruck am geringsten ist,
werden zuerst eine Gompression erleiden" . . . (also die
grössten Venenstämme). . . .
Die frühere Flillung der coUabirten Venen kann dem-
Die Netzhaatcircnlatioii etc. bei Allgemeinleiden. 43
nach erst dann eintreten, wenn der intravenöse Druck wieder
um eine gewisse Grösse den intraoculären Dmck überwindet
und das wird offenbar nur durch die von den Arterien her
dnrch die Gapiliaren in die Venen eintretende Blutwelle
Termittelt werden können, welche, wie mein Beispiel zeigt,
mn 80 später auftritt und um so geringer alisfällt, je grösser
in Folge vermehrten Aussendrucks der Widerstand ist,
welchen diese Welle auf ihrem Wege durch die Capillaren
m überwinden hat und je kleiner ebenfalls in Folge ver-
mehrten Aussendrucks die in die Arterie hineintretende Blut-
welle von vornherein ist.
Alle anderen Erklärungen des Netzhautvenenpulses be-
ziehen sich entweder auf andere Arten desselben, welche
im Verhältniss zu der oben beschriebenen jedenfalls sehr
selten sind, und auf die wir deshalb hier nicht näher ein-
gehen, oder suchen die alte Donders*sche Deutung durch
kanm schärferer Kritik Stand haltende Gründe zu wider-
legen.*)
Die Pulsation an den Netzhautvenen ist, wie schon ge-
sagt, nicht immer, oder sogar ziemlich häufig nicht sicht-
bar. Dort, wo sie nicht beobachtet wird, wird man anneh-
men müssen, dass der durch die locale Arteriendiastole
momentan erhöhte intraoculäre Druck auf andere Weise,
etwa durch Gompression der Venae vorticosae, von denen
man dann einen besonders zu dieser Compression geeigneten
Verlauf oder Austritt präsumirt, einen Ausgleich findet.
Jedenfalls involvirt die normale Inconstanz des Venen-
pulses schon seine geringe diagnostische Verwerthbarkeit
unter pathologischen Verhältnissen, nur da, wo pulsatorische
CaUberschwankungen sehr weit in die Netzhaut hinein be-
obachtet werden, wird man vielleicht berechtigt sein, Ano-
malien der Circulation im Auge anzunehmen.
*) cfr. Helfreich, Zar Lehre vom Venenpuls und der intra-
oenlben Oircnlation. v. Qraefe's Archiv Bd. XXVIII. 3.
44 B. Schmall.
Die Entstehang des Yenenpulses, welcher als der Aus-
druck eines momentanen disproportionalen Verhältnisses
zwischen extra- und intrayenOsen Druck aufzufassen ist,
belehrt uns, einen wie bedeutenden Einfluss yerhUtnissmässig
geringe vorflbergehende Schwankungen des Aussendrucks
auf das Caliber der Netzhautvenen ausüben können. Es ist
daher die Frage wohl berechtigt, wie bei dauernder oder
wenigstens längere Zeit anhaltender Abweichung dieses
Aussendrucks Ton seiner normalen Höhe sich das Caliber
der Netzhautgefässe, speciell der Venen, verhalten wird.
Dieser Aussendruck ist aber nichts anderes als die Span-
nung, welche die AugenflQssigkeiten im Bulbus unterhalten,
welche abhängt von dem Grade ihrer Absonderung und Wie-
deraufsaugung und somit als Secretionsdruck zu bezeichnen ist
Es fragt sich nun, ob dieser Secretionsdruck einfach
vom Blutdruck abhängt, oder ob wir eine von dem Blut-
druck unabhängige Aenderung eines der genannten Factoren
oder beider anzunehmen haben, welche zu einer dem Blut-
druck disproportionalen Aendening des „Secretionsdruckes^'
und damit zur Bückwirkung auf das Caliber der intrabul-
bären Oefässe führt.
Diese Frage f&llt mit der zusammen, ob wir die Ab-
sonderung der Augenflüssigkeit aus der Blutbahn auf die
Thätigkeit speeifischer Zellen zurückzuführen berechtigt sind,
welche bei Allgemeinleiden und bei Localleiden selbststän-
dig erkranken und damit nur mehr oder minder mangelhaft
ihrer specifischen Function gerecht werden können. Die
kliuische Beobachtung macht das sehr wahrscheinlich. Das
Experiment hat bis heute uns im Stich gelassen, insbesondere
hat man keinen specifischen Secretionsnerven mit Sicherheit
nachweisen können. Jedoch ist sicherlich eine gewisse Eigen-
art im Verhalten des intraoculären Druckes bemerkenswerth,
welche durch die verschiedensten einschlägigen experimen-
tellen Untersuchungen sich wie ein rother Faden hindurch-
zieht und selbst durch die kühnsten combinirenden Hjpo-
Die Netzhantdrcnlation etc. bei AU^meinleiden. 45
thesen von Blatdrackerhöhong und Yermindenmg, von Ge-
flissspasmns nnd OeAssparalyse, von Filtration etc. nie ihre
rechte yolle ErklAmng findet. Ich verweise nur auf die zum
mindesten sehr gezwungenen ErU&mngsversuche Schult6n*s
fDr das Verbalten des intraocul&ren Druckes nach Sympha-
ticQsdurchsclmeidung und Trigeminusreizung.*)
Wenn aber auch das Experiment vorläufig noch keine
Stutze der Annahme verleiht, dass der Absonderung der
Angenflflssigkeit eine specifische Zellenthätigkeit zu Grunde
liege, so werden wir doch auf eine etwaige selbstständige
vom Blutdruck unabhändige Aenderung des „Secretions-
diuekes"' zu recurrieren nicht umhin können in Fällen, in
denen ein auffallendes Verhalten der Retinalgefässe eine
befriedigende Erklärung durch näher liegende Ursachen nicht
findet. Welcher Art aber dieses Verhalten der Gefässe sein
wird, Iftsst sich theils theoretisch, theils durch einen ein-
fachen fon Donders angegebenen Versuch an Menschen
leicht a priori bestimmen.
Der ,,Secretionsdruck'* der Augenflüssigkeit lastet mit
gleicher Stärke auf allen in die elastische Bulbuskapsel ein-
geschlossenen Gebilden, speciell hält er, wie schon erwähnt,
ün Verein mit der elastischen Spannung der Gefässwan-
dongen^) das Gleichgewicht dem intravasculären Drucke
der Geftsse der Ghorioidea und Betina.
Während nun an den Arterien der Netz- und Aderhaut
entsprechend der beträchtlichen Differenz zwischen arteriellem
nnd intraoculärem Druck eine stärkere elastische Gefäss-
wandspannung diese letztere ausgleicht, hält sich an den
venOsen Oefässen intraoculärer und intravenöser Druck
nahezu das Gleichgewicht, ohne dass ersterer noch, um so zu
*) Schultön, Experimentelle üntersnchmigen über die Cir-
cttlotionBverh<Qisse des Auges etc. t. Graefe's Archiv XXX. 3—4.
^) Die elastische Spannang der Gefftsswand stellt demnach
fttr sich allein durchaus nicht eine dem Blutdruck identische Grösse
to» wie das v. Basch noch kttrdich behauptet hat (1880 Natur-
46 B. Schmall.
sagen, eine irgend in Betracht kommende ünterstQtzang von
Seiten der Venenwand bedOrfte.
üebt man nun einen allmählich an Stärke zunehmenden
Druck auf das Auge aus, so beobachtet man nach einander
(Donders) fQr gewöhnlich zuerst Venenpuls oder Verstär-
kung eines schon vorhandenen Venenpulses an dem papil-
lären Theil der Betinalvenen, dann Caliberyerengening des-
selben, oft anscheinend bis zum völligen Verschwinden des
Venenlumens, weiterhin auch Verengerung der grösseren
über die Netzhaut hin verlaufenden Venen. Eine Verenge-
rung der Netzhautarterien wird bis zu dem Auftreten des
künstlichen Arterienpulses nicht beobachtet, weil nach den
von v. Eries näher präcisirten Gesetzen der Blutdruck in
ihnen entsprechend der Erschwerung der üirculation in ihrem
peripheren Verzweigungsgebiete zunimmt.
Vielleicht lässt sich eine in der Pathologie des Men-
schen selten beobachtete Verengerung der Betinalvenen bis
zu dem Caliber der entsprechenden Arterien auf ein derar-
tiges üeberwiegen des extra- fiber den intravenösen Druck
zurückfahren (s. u.).
Die Thatsache, dass beim Glaucom in vielen Fällen
trotz intraoculärer Drucksteigerung die Betinalvenen nicht
nur nicht verengt, sondern gerade erweitert sind, beweist
nichts gegen das oben Gesagte, da bei diesen glaucomatösen
Processen höchst wahrscheinlich noch ganz andere Momente
zu berücksichtigen sind.
forscherrersammlaDg, Section für innere Medicin), sondern dieselbe
ist um eine gewisse, dem extravacalären Druck der Gtewebe, in
welches die Gefässe eingebettet sind, entsprechende, daher variable
Grösse kleiner; sie wird beispielsweise an den unter relativ hohem
Aussendmck stehenden Betinalgef&ssen eine geringere sein als in
den gleich grossen und vom Herzen gleich entfernten G^fässen einer
relaxirten Hautpartie. — Die Zunahme der Gtofässspannung, welche
Landois beim Freilegen der Gefässe beobachtet und auf eine Bei-
zung der Geftowände durch atmosphärische Luft zuräekflihrt, lässt
sich vielleicht ebenfalls auf die genannte Weise erklären.
Die Netzhauteircnlation etc. bei Allgemeinleiden. 47
Wichtiger und praktisch werthvoller für die Bearthei-
lung pathologischer Verhältnisse sind dagegen die Erschei-
nungen, welche man an den Netzhantgefässen bei künstlicher
Herabsetzung des anf ihnen lastenden Aussendmcks beob-
achtet. Lftsst man nämlich mit einem massig starken, das
Auge durchaus nicht anämisch machenden äusseren Druck
plötzlich nach, so bemerkt man eine geringe Verbreiterung
der arteriellen, dagegen eine unverhältnissmässig stärkere
Verbreiterung der venOsen Oefässe auf der Retina.
Schulten führt dieses Verhalten der Gefässe der
Hauptsache nach auf eine durch die vorübergehende vermin-
derte Blutzufuhr zum Auge bedingte Qefässparalyse zurück
und will als schlagenden Beweis dafür einen Versuch gelten
lassen, in welchem er das Auge eines Kaninchens durch
einen 3 Minuten dauernden starken äusseren Druck total
anämisch macht und nach aufgehobenem Druck eine zuneh-
mende Steigerung des intraoculären Druckes fast bis auf das
Doppelte seiner normalen Hohe beobachtet.
Diese Steigerung erreicht ihren Culminationspunkt 7 Mi-
nuten nach Aufhören des äusseren Druckes.
Abgesehen von der ün Wahrscheinlichkeit, dass ein pa-
ralytisches Gefäss den stärksten Effect der Paralyse erst
7 Minuten nach dem Aufhören des 3 Minuten lang paraly-
sirenden Momentes zeigen sollte, abgesehen von der gewal-
tigen Differenz der paraly sirenden Ischaemie in dem Schul-
ten*schen nnd dem Donders'schen Experiment spricht vor
Allem das gleiche Verhalten der Netzhautgef&sse bei ander-
weitig bewirkter Herabsetzung des auf ihnen lastenden Druckes
(Iridectomie etc.) gegen die Schul t6n*sche und für die
Donders*sche Erklärung, dass die Gef&sserweiterung ein-
tritt in Folge des üeberwiegens des gleichgebliebenen intra-
vasculären Druckes über den durch den Eingriff vermin-
derten extravasculären Druck.
Die grössere Differenz zwischen beiden muss ausge-
glichen werden durch eine vermehrte Wandspannung, welche
48 B. Schmall.
naturgemäss an den schlaffwandigen Venen durch eine viel
stärkere Füllung und Ausdehnung derselben erzielt wird,
als an den Arterien mit ihrer festen tonisch contrahirten
OeAsswand.
Wenn hiermit die Gonsequenzen, welche eine vom Blut-
druck unabhängige Verminderung der Kammerflflssigkeiten
und damit eine Herabsetzung des extravasculären Druckes
in Bezug auf das Galiber der Chorioidal- und speciell der
Netzhautgefässe haben würde, erschöpft sind, — so ist ande-
rerseits auch nie zu vergessen, dass alle jene Momente, welche
durch entsprechende Aenderung des Blutdrucks oder der
elastischen Gefässwandspannung zu einer Erhöhung der
Differenz zwischen intra- und extravasculären Druck Anlass
geben, zu einer sichtbaren Gefässerweiterung nur in dem
Falle führen können, dass ein, der vermehrten Blutmenge
nahezu äquivalentes Quantum der intraoculären Flüssigkeit
aus dem Auge wegresorbirt ist. Der erhöhte Blutdruck
wirkt dabei genau so, wie ein äusserer Druck, welcher rein
mechanisch die Eammerflüssigkeiten aus dem Auge weg-
drängt.
Da hierzu eine gewisse Zeit noth wendig ist, so ergiebt sich
daraus, dass das Auge gegen plötzliche BlutüberfüUung in
hervorragendem Maasse geschützt ist, viel weniger gegen
plötzliche Anämie, dass dagegen eine länger anhaltende Druck-
erhöhung in dem arteriellen oder venösen Gefässsystem sich
ebenso im Auge wie in jedem anderen Organe bemerkbar
machen wird. Die experimentellen Untersuchungen stimmen
mit diesen theoretischen Raisonnements sehr gut überein.
Zum Schluss der Einleitung wollen wir nicht vergessen
zu bemerken, dass wie jedes Organ, so auch die Netzhaut,
entsprechend der Specifität ihres Zellenlebens auf die Noxen
eines Allgemeinleidens in verschiedener Intensität reagiren
dürfte und dass, sofern diese Reaction eine veränderte Blut-
füllung nach sich zieht, uns damit eine neue Schwierigkeit
Die Netzhautcircnlation etc. bei Allgemeinleiden. 49
erwachsen wird, die Ergebnisse der ophthalmoskopischen
Untersachnng der Betinalgeftsse zu verallgemeinern.
Wir gehen in der nachfolgenden Abhandlang auf das
Verhalten der Netzhautgefässe bei Herz- and Ge-
fftsserkrankungen, bei fieberhaften und endlich bei
anämischen Zuständen ein, indem wir diese Beihenfolge
mit besonderer Rücksicht auf eine bestimmte Erscheinung
an den Netzhautgefllssen, den Arterienpuls wählen, dessen
Pathogenese und allgemeine pathologische Bedeutung da-
durch wohl ihre einfachste und zweckmässigste Erledigung
finden dürfte.
Die Literatur über Veränderungen an den 6e-
fSssen derNetzhaut beiKrankheiten derCirculations-
organe ist wenig umfangreich. Insbesondere hat man eine
anzweifelhaft atheromatOse Degeneration an den Netzhaut-
gef&ssen selten ophthalmoskopiren können, obwohl Jacob-
son schon lange fbr die Mehrzahl der glaucomatOsen Br-
kiankungen des höheren Alters eine atheromatOse Entartung
der Gef&sse des Torderen Ghorioidalabschnittes gemuth-
masst und auf eine solche aus gewissen Erscheinungen an
den Betinalgeftsen (starke Venenschlängeluug, Verdickung
der Arterienwandungen) geschlossen hat. — Was die Er-
krankungen des Herzens im weitesten Sinne des V^Tortes an-
langt, so wftren zu nennen:
(Bei frischer Endocarditis) die Erabolie der A. centralis
retinae oder ihrer Aeste, sowie
die auf einer suppouirten Gapillarembolie mit mehr
minder infektiösen Embolis beruhende Betinitis septica, welche
ihrerseits selbstständig auf das Caliber der Netzhautgefässe
einwirkt, ferner
Aenderung des Calibers der Venen und Arterien, resp.
ihrer Farbendifferenz, endlich
abnorme Pulsationsphänomene zumal an den Netzhaut-
arterien.
Uns interessirt zunächst die Frage, in wieweit das
T. OrMfe^f Arcliiv für Ophtbalmologley XXXIV. 1. 4
50 RSdoHüL
Netzbaotgefässsysiem bei allgemeinen, dorcb Herz-
fehler bedingten Ereislaafstdrangen sich verändert
zeigt.
Bei ZostAnden, welche häufig mit stärkster Cyanose
der Hantdecken Hand in Hand gehen, also besonders bei
den eongenitalen Erkranknngen des rechten Herzens, bei
congenitaler abnormer Commnnication zwischen linken nnd
rechtem Ventrikel, bei hochgradigen Klappenfehlern hat man
mitunter eine ausgesprochene TenOse Hyperämie im Augen-
hintergmnde beobachtet; Liebreich bildet als „Cyanosis re-
tinae^^ eine der Cyanose der Hantdecken ähnliche Verände»
mng des Angenhintergmndes in seinem ophthalmoskopischen
Atlas ab. Leber betont die merkwürdige Thatsache, dass
in den meisten derartigen Fallen in fast gleicher Weise wie
die Venen anch die Arterien erweitert seien. Galezowski
beschreibt einen Fall von gleichmässiger starker Venen-
erweitemng in der Retina bei einer Stenosis ostii venös isinistri,
in welchem wegen starker capillärer Congestion an der mar-
cola lutea eine erhebliche Beeinträchtigung des Sehver-
mögens bestand.
Alles in Allem sind Veränderungen an den Netzhaut*
gefässen bei Störungen der allgemeinen Circulation in Folge
nicht compensirter Herzfehler ungemein selten beschrieben.
Ed. V. Jäger erwähnt dieselben gar nicht, was gewiss be-
merkenswerth ist.
Den Augenhintergrund bei congenitalen Klappenfehlern
oder congenitaler anomaler Communication zwischen linkem
und rechtem Herzen zu beobachten, habe ich nicht Gelegen-
heit gehabt. Dagegen konnte ich mich an einem hinreichend
grossen Material acquirirter Herzfehler aufs sicherste aber-
zeugen, dass eine ausgesprochene venOse Stauung in der
Netzhaut selbst bei den tiefgreifendsten CirculationsstOrungen,
die ein Herzfehler hervorrafen konnte, nur in den seltensten
Ausnahmefällen zu sehen und auch dann nicht eindeutig war.
Die Netzbautcirculatioii etc. bei Allgemeinleiden. 51
Dies stimmt yoUkommen mit der Angabe von Th. Leber'*')
überein, dass bei Krankheiten, welche zu venöser Stauung
im grossen Kreislauf führen, das Geßlss des Auges sich in
der Begel nicht merklich au der Stauung betheiligen, und
nur bei der angeborenen Cyanosis, deren Ursache meist Pul-
monalstenose ist, sich auch die Netzhautgefässe an der all-
gemeinen venösen Hyperämie betheiligen. An einer anderen
Stelle**) hat Leber einen von ihm beobachteten Fall
Ton Sarcom im vorderen Mediastianum angeführt, wo die
Section nachwies, dass der Tumor die linke V. innominata
obliterirt hat und weit in die obere Hohlvene hineingewach-
sen war und wo trotz hochgradiger venöser Stauung in der
ganzen oberen Körperhftlfbe. die sich auch durch doppel-
seitigen Exophthalmus zu erkennen gab, keine merkliche
Ausdehnung der Betinalvenen mit dem Augenspiegel gefun-
den wurde.***)
Besonders auffallend war für mich der Contrast zwi-
schen der Injection des Augenhintergrundes und dem der
äusseren Hautdecken in einem Falle von Mitralinsufficienz
bei einem schwächlichen in seiner Entwickelung sehr zurück-
gebliebenen 21jährigen Menschen.
Beobachtung 1.
Wegen der tief lividen, in*s Schwärzliche spielenden Haut-
verförbung im Gesicht und Extremitäten, wegen einer auf den
ersten Blick sichtbaren starken Hervortreibung der linken
Thoraxhälfbe, wegen der offenbaren Entwickelungshemmung des
Patienten, wegen zweifelhafter Erscheinungen einer Spitzen-
infiltration in den Lungen wnrde, bei nicht widersprechenden
Percussions- und Auscaltationsresnltaten, anfangs an eine con-
genitale Stenosis ostir arteriosi dextri gedacht, wogegen auch
*) Graefe-Sftmisch Handb. n. S. 353.
*^ Transaet of the Internat, med. Congr. London 1881.
VoL m. p. 66.
**^ Der Fall ist ausführlicher mitgetheilt in der Dissertation
?on J. Schlepegrell, Beitr. z. Lehre v. d. intrathoracischen Sar-
eomen. GOttingen 1881. (Fall 3.)
4*
52 B- SchmaU.
die Anamnese nicht mit Sicherheit sprach. Späterhin wurde
die nur wegen des Alters des Patienten etwas unsichere
Diagnose besonders auf Grund der exakten Eeaktion auf Digi-
talis aufgegeben und, wie gesagt, eine einfache Mitralinsufficienz
angenommen.
Die ophthalmoskopische TJntersnchuDg ergab bei diesem
Patienten eine normal geröthete, scharf begrenzte Papille, enge
jedoch stark geschlängelte hellrothe Arterien und nahezu
ebenso enge fast gestreckt verlaufende sehr dunkle
Venen -- also wohl das Symptom einer starken Verlangsamung
des Blutstromd, keine Spur einer venösen HjperSmie.
Beobachtung 2.
Ein ahnlicher Befund war zu verzeichnen bei einer Mitral-
stenose mit hochgradigsten sog. Stauungserscheinungen: peri-
carditischen, pleuritischen, peritonitischen Transsudationen,
Anasarka, starkem Icterus, welcher zu den die Scene beherr-
schenden Erscheinungen der Cholaemie geführt hatte. Auch
hier (die Patientin war eine 45jährigo Frau) bei dunkellivider
Verfärbung der Hautdecken im Augenhintergrunde: enge hell-
rothe Arterien, normal weite ungeschlängelte dunkle Venen mit
mattem engen Reflex — von Zeichen einer venösen Stauung
auch nicht die leiseste Andeutung.
Tn beiden Fällen hatte sich der Symptomencomplex der
CirculationsstOrung allmählich, d. h. in mehreren Tagen
entwickelt und blieb auch in der Klinik fQr eine Reihe von
Tagen besonders in dem letzten Falle bestehen, so dass von
einem Widerstand, wie ihn der intraoculäre Druck plötzlich
eintretenden arteriellen oder venösen Hyperämien entgegen-
setzt, hier füglich nicht die Bede sein kann.
Ebensowenig wie in diesen angeführten Fällen mit
stärkster capillärer Hyperämie und gleichzeitiger Verlang-
samung des Blutstroms in den Hautdecken, fand ich eine
stärkere Füllung der Ketinalvenen und Capillaren bei Herz-
fehlern, bei denen neben Symptomen hochgradigster Circu-
lationsstörung die Hautdecken jenes blassbläuliche Colorit
aufweisen, welches ich im Gegensatz zu dem vorher be-
schriebenen als anämische Cyanose bezeichnen mochte. Dieses
Die Netzhautcircnlation etc. bei Allgemeinleiden. 53
Hautcolorit, beruhend auf der mehr minder verlangsamten
Strömung einer mehr oder weniger verringerten Blutmenge
durch die Capillaren ist wohl als die Folge der allgemeinen
Kreislaufstörung bei Herzfehlern und überhaupt jeder In-
suffidenz der Herzthätigkeit (in der Agonie etc.) aufzu-
fassen, wahrend die „hyperämische Cyanose'' bei allgemeinen
Kreislaufstörungen meist (bei jenseits der ersten Lebensjahre
acquirirten Herzfehlern wohl immer) eine auf letztere erst
mittelbar auf dem Umwege einer localen Gefässparalyse zu-
rQckzufOhrende Erscheinung ist, welche demnach das Wesen
der allgemeinen Kreislaufstörung nur in sehr unvollkom-
menem Grade wiederspiegeln kann. Zu der Annahme einer
der hyperämischen Cyanose zu Grunde liegenden localen Ge-
fissparalyse werden wir durch zahlreiche, besonders gegen
jedes andere causale Moment (allgemeine venöse Stauung,
Venositat des arteriellen Blutes) sprechende Gründe hin-
gedrängt, auf welche näher einzugehen hier nicht der Ort ist.
Mit der Toraussetzung, dass die Ursache der hyperä-
mischen Cyanose eine solche locale Gefässparalyse'^) ist,
sind wir im Stande, den Widerspruch zwischen der Injection
der äQsseren Hautdecken und des Augenhintergrundes, wie
er in den meisten Fällen besteht, zu erklären, ohne auf eine
zum mindesten sehr zweifelhafte der localen Hyperämie der
Retina hindernd entgegentretende Wirkung des intraoculären
Druckes recurriren zu dürfen.
Schliessen wir diese Möglichkeit wohl mit Becht von
*) Die Gtef&ssparalyse tritt am ehesten in der äussern Haut,
speciell den ungeschützten Theilen derselben (Kopf, Extremitäten)
wf, weil hier neben der allgemeioen auf verlangsamte Blut-
strGmnng zorflckzufäbrenden mangelhaften Ernährung der Gefäss-
wftnde (oder Gefftssnerven) noch äussere Insulte (Temperator-
einflUase etc.) mitwirken.
Daneben werden wir nicht umhin können, auch individuelle
Disposition in einzelnen Fällen als ein solches mitwirkendes
Moment zur Erklärung heranzuziehen (cf. Recklinghausen,
Lehrbuch der allgemeinen Pathologie „Ueber Varicen ').
54 B. Schmall.
Yome herein aus, so ist es aus dem Gesagten ebenso leicht
ersichtlich, dass bei einer dnrcli locale Oefftssparalyse be-
wirkten Hyperämie der Haut eine gleiche Hyperämie der
Netzhaut nicht vorhanden zu sein braucht, als es unver-
ständlich gewesen wäre, dass eine allgemeine Girculations-
Störung oder eine allgemeine fehlerhafte Blutmischung sich
auf der Haut in so eclatantem Maase und auf der Betina
gar nicht bemerkbar machen sollte.
Die Erweiterung der Netzhautvenen mit starker all-
gemeiner Hyperämie des Augenhintergrundes, wie sie in
wenigen Fällen von Herzfehlem beschrieben worden ist^ dOrfte
ebenfalls auf eine bei individueller Anlage durch die Ver-
langsamnng des Blutstroms bewirkte locale Gef&ssparalyse
zurückzufahren sein, for welche Annahme die Beobachtung
Leb er 's sogar eclatant sprechen wfirde, dass in den meisten
derartigen Fällen auch eine gleichzeitige starke Erweiterung
der Netzhautarterien bestand. Leber*) hat diese Erschei-
nung auch schon in gleichem Sinne verwerthet, er betont,
dass die gleichzeitige Erweiterung der Arterien und Venen
die Erklärung durch Stauung als alleinige Ursache aus-
schliesst und ist geneigt, zumeist eine mehr selbstständige
Ausdehnung der Gefässe durch Ernährungsstörung ihrer
Wandungen in Folge des ungenagenden Sauerstoffgehalts
des Bluts anzunehmen.
Vorher erwähnte ich schon, dass ich eine Zunahme der
Caliberdifferenz zwischen Netzhautvenen und -Arterien über-
haupt nicht bei incompensirten Herzfehlern habe beobachten
können.
Dieses Fehlen jeglicher Venenerweiterung in der Be-
tina, welches ich nach den Angaben der Autoren und
meinen eigenen, ca. 40 Fälle **) umfassenden Beobachtungen
«) Grftfe-Sämiflch, Handb. V. S. 525—626.
*^) Die meisten waren einfache oder combinirte Klappenfehler
die Mindersahl bildeten Cor. adiposom (drei Fälle), atheromaUtoe
Degeneration der Coronar-Arterien (zwei FftUe), idiopathische ex-
Die Netzhaatcirculation etc, bei Allgemeinleiden. 55
als die Norm aufstellen möchte, ist immerhin zunächst auf-
fällig; vielleicht findet sie in Folgendem ihre Erklärung.
Bei allen nicht compensirten Herzfehlern ohne Aus-
nahme, so fahrt Cohnheim*) aus, sinkt im grossen
Kreislauf der arterielle und steigt der venOse Blutdruck.
Da der Differenz zwischen beiden ceteris paribns die
Strömungsgeschwindigkeit des Blutes direct proportional
ist, so folgt aus einer Verminderung dieser Differenz eine
Verlangsamung der BlutstrOmung (welche notabene ebenso
eintreten müsste, wenn der arterielle Blutdruck allein oder
hauptsächlich erniedrigt wäre). Die dem Aortensystem in
Folge des Herzfehlers entzogene Blutmenge staut sich in
dem linken Vorhof, dem Lungenkreislauf, dem rechten
Herzen und schliesslich in den grossen Hohlveuen auf und be-
wirkt damit unzweifelhaft eine DruckerhOhung in demselben.
Sehr zweifelhaft ist aber schon die weitergehende De-
duction, dass damit eine entsprechend stärkere Druck-
erhOhung, also BlutanfuUuDg in allen kleinen Venen des
Körpers yerbunden sein muss. Das Experiment**) lehrt
uns, dass künstlich einem Thiere zugeführte vermehrte Blut-
mengen sich fast ausschliesslich in den kleinen Venen und
den Gapillaren der Bauchorgane ansammeln, während die
Extremitätengefässe bedeutend weniger ausgedehnt werden,
der arterielle Blutdruck gar nicht erhöht wird.
Es ist nicht einzusehen, warum das Gleiche nicht auch
eine aus dem Körperarteriensystem durch eine Art AutOr
transfiision in das Venensystem translocirte Blutmenge thun
cealiiscbe Hypertrophie beider Ventrikel (ein EaU), Dilatation und
Hypertrophie des rechten Ventrikels nach Longenerkrankongen
(zwei FäUe).
*) Oohnheim, Lehrbach der allgemeinen Pathologie Bd. 1.
•«) l^r. Worm Müller, Die Abhängigkeit des arteriellen
Dmckes von der Blutmenge. Arbeiten aus der physiologischen
Anstalt Leipaig, mitgetheüt Ton C. Ludwig. — cf. auch Cohn-
heim n. Lichtheim, Ueber Hydrämie und hydr&misches Oedem.
Virchow'd Arehiy LXIX.
56 B. SchmaU.
soll, — eine ADnahme übrigens, für welche die Klinik der
CirculationsstOrungen bei Herzfehlern ebenso wie die patho-
logische Anatomie (ich erinnere nur an die Stanungsleber
bei Herzkrauken) in gleich eclatanter Weise spricht.
Bamberger sieht hierin einen Selbstschutz des Or-
ganismus gegen die pemiciöse Wirkung der Venenstauung
auf lebenswichtigere Organe.
Ich glaube, wir können diese üeberfdllung der Ab-
dominalorgane, besonders der Leber, mit venösem Blute für
die Erklärung des Fehlens jeder Netzhautvenenerweiterung
mit Rocht in Anspruch nehmen.
Ebonso wenig wie eine stärkere Füllung der Venen
findet mau auch eine stärkere AnfüUung der Capillaren in
dem Augenhintergrund, kenntlich an der vermehrten BOthung
des Sehnerv>nkopfes. Diese Tbatsache steht in directem
Widerspruche zu der Fräsumption Cohnheim's von einem
erhöhten Druck in allen Körpercapillareu bei incompensirten
Herzfehlern.
Der Capillardruck ist das Mittel z¥rischen dem Blut-
druck in den kloListen zuführenden Arterien und in den
kleinsten abführenden Venen.
Wenn der Druck in den Arterien sinkt, wie das bei
jedem nicht compensiiten Herzfehler statthat, so wird
natürlich eine Erhöhung des Gapillardrucks nur dadurch
zu Stande kommen, dass der Druck in den Venen steigt,
und zwar höher steigt, als er in den Arterien gesunken
ist. Da die Erhöhung des Venendrucks bewirkt wird durch
eine stärkere AnfüUung des Venensystems mit einer dem
arteriellen System entzogenen Blutmenge, so wird man
demnach annehmen müssen, dass eine Verminderung des
Volums des gesammten arteriellen Blutes den Aortendruck
weniger herabsetzt als eine gleich grosse'*') Vermehrung der
*) Wir rechnen dabei nicht einmal mit der stärkern FäUung
des Lungenkreislaufes, welche durch einen Theil des dem arte-
riellen System entzogenen Blntquantums bewirkt ist.
Die Netzhautcirculation etc. bei AUgemeinleiden. 57
TeoOseii Blntmasse den venOsen Druck steigert, — und
diese ADnahme ist offenbar falsch, gerade das Umgekehrte
hat Statt:
„Da die EOrpervenen an Weite und Dehnbarkeit
alle andern Abschnitte des Gefässsystems um sehr
vieles übertreffen, so kann man wohl einsehen, dass,
wenn in Folge von Yerändernng der Leistung des
Herzens die Blutvertheilung eine andere wird, die
Druckschwankungen in den KOrpervenen am kleinsten
ausfallen müssen, wahrend dieselben in den EOrper-
arterien . . . ungleich beträchtlicher sind/' (v. Dusch,
Handbuch der Herzkrankheiten 1868. S. 87.)
Das Blut fliesst demnach bei incompensirten Herzfehlern in
den Capillaren nicht nur nicht unter erhöhtem, sondern
gerade unter vermindertem Druck.*)
Im Anschluss an das soeben Gesagte findet auch fol-
gender Fall keine Schwierigkeit mehr in der Erklärung.
Beobachtung 3.
Bernhard C, Müller, kräftiger untersetzt gebauter Mann;
anscheinend frische Gesichtsfarbe, jedoch mit leichter bläulicher
Farbenbeimischung; starkes Anasarca, starker Höhlenhydrops
(besonders in den Pleuren); Leber den Bippensaum um drei
Finger breit überragend, sehr empfindlich auf Druck.
Hochgradige Dyspnoe, stark blutiges schaumiges Sputum
(grosser Lungeninfarct im rechten untern Lungenlappen) phy-
sikahsch sichere Symptome einer Mitralinsufficienz und Stenose
mit Dilatation und Hypertrophie des rechten Ventrikels; Be-
Tolntio cordis; Puls unregelmässig (140 Schläge in der Minute)
abwechselnd stark hebend und wieder unfühlbar.
16. Mai 1886. Augenhintergrund -Papille blass, durch-
sichtig. Gefässe eng und ungeschlängelt, Arterien und Venen
Ton normalem Caliberunterschied, blass; besonders erscheint
das Venenblut mattroth, wie wässrig. Eine nach oben ziehende
Arterie wird von sehr breiten, matt-weissglänzenden (Trans-
*) Welche Consequenzen das für die Lehre über die Ent-
stehung von „StaauDfipsödemen*' bei Herzfehlem hat, ist ohne
weitere« ersichtlich.
58 B. SchmalL
sudations?) Streifen begleitet. An einer nach innen oben über
die Papille ziehenden schwach geschlftngelten Arterie bei
heftigeren Herzpulsationen deutlich sichtbare Locomotionen.
13. Juli 1886. Patient steht auf; keine hydropischen Er-
scheinungen mehr zu constatiren; Herzaction langsam, hin und
wieder aussetzend; keine subjectiven Beschwerden.
Augenhintergrund :
Gef&sse eng, von normalem Breiten- und Farbenunterschied,
etwas hell. Transsudationstreifen nicht mehr sichtbar; die be-
schriebene Locomotion ebenfalls nicht mehr mit Sicherheit zu
erkennen. — Entlassung.
3. October 1886. Wiederauhiahme.
Cachexie cardiaque; anämische Gyanose der ganzen KOrper-
oberfläche. Im Uebrigen fast derselbe Status (Lungeninfarcte etc.)
wie am 16. Mai 1886; nur macht sich ein sehr starker Hydrops
ascites bemerkbar. Patient klagt über Kopfschmerzen, Schwindel-
gefühL
Augenhintergrund: Gefässe eng, blass, ungeschl&ngelt,
Venen mit sehr schmalem, mattem Beflex ebenso breit, wie
die Arterien, welche einen breiten glänzenden Reflex aufweisen«
Augenhintergrund etwas trübe. Pulsationen an den Ar-
terien nicht sichtbar (Patient kann nicht wiederholt untersucht
werden).
Wenige Tage darauf Exitus.
Die Autopsie bestätigt in allen Einzelheiten die klinische
Diagnose.
Die Abnahme des Calibers der Venen, welche un-
zweifelhaft gegenüber der drei Monate früher vorgenommenen
Untersuchung des Augenhintergrundes stattgefunden hatte,
ist in diesem Falle gewiss bemerkenswerth. Ein ähnlicher
Befund s. u. Beobachtung 6.
Wenn demnach die bei allen uncompensirten Herz-
fehlem eintretende stärkere Füllung des Venensystems in
der Retina nur äusserst selten vorkommt, ja sogar F&lle
beobachtet werden, in denen eine Abnahme des Calibers
der Netzhautvenen zu constatiren ist, so tritt andererseits
die andere Cardinalfolge der Herzfehler, die arterielle
Die Netzhantcirctüation etc. bei Allgemeinleiden. 59
Anämie, auf der Retina oft in wahrhaft imponirender Weise
herror.
Der Sitz der Erkrankung bei Klappenfehlern an dem
venOsen oder arteriellen Ostium macht dabei keinen Unter-
schied; die stärksten Grade von arterieller Anämie habe
ich bei jugendlichen Individuen beobachtet.
Ich hatte Gelegenheit, zwei 15jährige Mädchen zn gleicher
Zeit zn ophthalmoskopiren, Ton denen die eine an einem com-
binirten Mitral-Aortenklappenfehler leidend, nur noch über
leichte Oedeme der untern Extremitäten zu klagen hatte, während
die andere den durch eine Mitral-Elappeninsufßcienz hervor-
gerofenen Girculationsstörungen nach einigen Wochen erlag.
Bei der ersten (^Aoo*) Hämoglobingehalt des Blutes) wachs-
bleiche Hautfarbe, ohne Spur von Cyanose, bei der letztern
r/iQo Hämoglobingehalt) blasslivide Hautverfärbung mit dem
bekannten gefleckten Aussehen, welches man bei stockender
Circolation häufig findet Bei beiden ergab die ophthalmos-
kopische Untersuchung enorm verengte Arterien und Venen,
von denen im ersteren Falle die Arterien so blass waren, dass
man durch ihre rothen Blutsäulen hindurch das darunterliegende
Pigmentepithel der Retina zu erkennen glaubte.
Die Papillen waren in beiden Fällen, besonders aber wieder
im ersten grünlich weiss, scharf begrenzt, die kleinen Macula-
gefässe kaum noch za erkennen. Die Iigection der Betina
wterschied sich in den beiden Fällen qualitativ nnr durch die
vermehrte Farbendifferenz zwischen venösem und arteriellem
Blnt in dem letztern Fall (Verlangsamung des Blutstroms), hier
bestand auch allein leichte functionelle Störung des Gentral-
nervensjstems (dumpfer Kopfschmerz, leichte Schwindelanfälle).
Einige Wochen nach der ophthalmoskopischen Untersuchung
trat bei dieser Patientin übrigens eine durch die Section er-
härtete Embolie der linken A. fossae Sylvii (Aphasie) ein. Sub-
jective Sehstörungen bestanden in kleinem beider Fälle.
Wir kommen endlich zur Besprechung einer bei Herz-
Uappenfehlera nur bei ausschliesslicher oder vornehmlicher
*) Die Bestimmuog erfolgte vermittelst des Fleischl'richen
H&moineters.
60 B. SchmalL
Erkrankung der Aortenklappen beobachteten Palsation an
den Arterien der Netzhaut, welche normaliter, wie vorhin
auseinandergesetzt, in der Mehrzahl der Fälle nicht zu be-
stehen pflegt.
Quincke*) beschreibt zuerst im Jahre 1868 in einer
Abhandlung über Capiilar- und Tenenpuls eine Beobachtung
über ausserordentlich starken Puls an den Netzhautarterien,
verbunden mit einem systolischen ErrOthen der Papille
(Capillarpuls) in einem Falle von hochgradiger Insufflcienz
der Aortenklappen.
In einem späteren Aufsatz *"*"): „Beiträge zur Entstehung
von Herztönen und Herzgeräuschen" erwähnt Quincke,
dass er dieselbe Erscheinung noch wiederholt aber nur in
ausgesprochenen Fällen von Aorteninsufflcienz und auch bei
einem und demselben Individuum nicht zu jeder Zeit wieder-
gefunden hat.
Becker***) machte in einer Reihe von Fällen die gleiche
Beobachtung, ohne bis kurz vor der Fublication von den
Quinck ersehen Mittheilungen etwas zu wissen. Er recti-
ficirt und erweitert die letztere damit, dass er die Pulsation
der Netzhautarterien in den meisten Fällen vor einer Aorten-
klappeninsufflcienz und auch in mehreren Fällen von Aorten-
insufficienz mit Stenose bei überwiegender Insufficienz be-
obachtet zu haben angiebt, während es ihm nur in einem
Falle von Aorteninsufficienz gelang, auch den Capillarpuls
auf der Papille zu erkennen.
Die Quincke-Becker*schen Angaben sind mehr&ch
bestätigt worden, doch widersprechen sich die einzelnen Auto-
ren in Bezug auf die Häufigkeit des genannten Phänomens.
Helf reicht) bestritt die von Becker demselben zu-
*) Berliner klinische WocheiiBchrift 1868 No. 34.
**) Berliner kluiische Wochenschrift 1870 No. 21.
***) Graefe'B Archiv 18A.
t) Helfreich, Festschrift zum 300 jährigen Jabiiäom der
Universität Würzbnrg. Referat in Hirschberg's Centralblatt fUr
Äugenheilkande 1882, S. 279.
Die NetzhantcircnUtioii etc. bei AUgemeinleiden. gl
diltirte Gonstanz, weil er ihn unter zehn Fällen anzweifel-
hafter Insufficienz der Aortenklappen 3 mal gar nicht, 3 mal
nur zeitweise beobachtete. Im üebrigen sah er d^n Netz-
hantarterienpuls gelegentlich nicht nur bei Complication der
Aorteninsnfficenz mit Aortenstenose, sondern auch bei Com-
plication mit Mitralinsnfßcienz, — bei reiner Stenosis ost.
arter. sinistri ebensowenig wie bei anderen Herzklappen-
fehlem.
Ich habe unter 38 Fallen von Herzfehlern im Ganzen
eilfmal Pulsationen der Netzhautarterien gesehen. Dieselben
vertheilten sich derart, dass unter s&mmtlichen 8 beobach-
teten Erkrankungen der arteriellen Klappe (eine reine Ste-
nose derselben habe ich nicht gesehen) auch Netzhaut-
arterienpuls bestand, während derselbe sich unter 22 Fällen
TOB Erkrankungen der Mitralklappe ' zweimal, und einmal
bei einer totalen Synechia pericardii mit Dilatation beider
Herzhälften vorfand.
Die auffallendste Form des Pulses war die der Loco-
motion, d. h. der Erümmungszunahme geschlängelter Ar-
terien. War dieselbe gering, so fehlte eine sichtbare Caliber-
schwankung ganz; bei stärkeren Locomotionen konnte ich
immer auch eine deutliche Caliberzunahme constatiren (kennt-
lich an einer Verbreiterung der rothen Blutstreifen und relativ
stärkerer Verbreiterung des Wandungsreflexes — Becker);
die stärksten Locomotionen bestanden bei gleichzeitiger ex-
quisiter Caliberschwankung des geschlängelten Arterien-
rohres. Waren keine oder nur ganz geringe Schlängelungen
Torhanden, so trat die Caliberschwankung am deutlichsten
kurz vor der Theilungsstelle in kleinere Aeste hervor.
Den stärksten Grad der Arterienpulsation auf der
Retina beobachtete ich bei dem 37 jährigen Arbeiter B.
(Beobachtung 6) bei welchem späterhin die Autopsie
folgenden Befund am Herzen ergab:
,,Da8 Herz zeigt eine starke Vergrösserung des Längen-
durchmessers (Spitzenstoss war während des Lebens in dem
62 B. Sebnall.
7. Intercostalraam fablbar) und des Breitendorchmessere, ist
etwa ' um das Doppelte seines normalen Volums vergrDssert.
Die Spitze wird auaschliesBlicti vom linken Ventrikel gebildet.
Die Herzhöhlen sind bedeutend erweitert, besondere die des
linken Herzens; die Wandungen stark verdickt. Beim Ein-
giessen von Wasser in das Äortenlomen fliesst dasselbe ohne
Aufenthalt in den linken Ventrikel ab, das Aortenostinni ist
nicht stenosirt.
Die vordem und hintern Semilnnarklappen der Aorta sind
an der Basis mit einander verwachsen, ihr freier Band ge-
schrumpft und gewnistet, .... also das typische, pathologisch-
anatomische Bild einer AortenklappeninsnfGcienz mit secnn-
d&rer Dilatation und Hn>«rtrophie beider Ventrikel, besonders
Fig. 2.
des linken. Von sonstigen Leichenbefunden war besonders
interessant eine exquisit cjanotische Muskatnussteber.
Der Patient bot schon bei eeiDer Aufnahme in die Klinik
Symptome hochgradigster CirculationsstOrung, welche trotz
dreister Anwendung von Digitalis und DigÜalis&hnlichen PrS-
paraten, trotz energischster Punctionstberapie langsam zu-
nahmen und in 6 Wochen zum Tode fahrten.
Die Beschaffenheit des Pulses, welcher Übrigens nie Über
100 Schlage in der Uinute hinausging und bis kurz vor dem
Tode regelmässig blieb, kann man sich aus der beistehenden
mit dem Marey'scben Sphygmographen gezeichneten Pnlscnrve
(Fig. 2) reconstruiren: Pulsus altus, celer, dnms.
Fahle grane, schwach cyano tische Gesichtsforbe.
Augen hintergrnnd: + 0,f> Dp. Hp. Der ganze HiBtergmnd
wie durch einen leichten Nebel sichtbar (Exsudationen in den
Die NeUbantflircnlation etc. bei Ali^meinleideii. 63
GiukOrper sind auch mit lichtsch wachem Spiegel nicht zn er-
kennen). Die nasale Sälfte der Papille ist oudarchsichtig,
leicht graDTöthlich, zeigt Terschwommene Grenzen.
Arterien nnd Venen gleichweit (cf. Beobacbtang 3) eng,
etwas blase, zeigen keine anormale Farbendifferenz. Ton den
Terdickten als grellweissgelbe Streifen die Arterienblatsäolen
beseitenden Qe^swandnngen strahlen zahlreiche ebenso ge-
ftrble mehr minder feine Streifen nnter den Terschtedenaten
Winkeln in die Umgebung ans; die Qeßsspfort« in der Hitte
der Papille wird ganz von diesen weissen Faden verdeckt
(Bindege websnenbildnng !)
Exqnieiter Arterienpuls (Caliberschwanknng nnd Locomotion
an den wenigen geringen Gte^skrÜmmimgen) bis weit in die
Peripherie hinein. Venenpula sehr schwach ausgebildet. Da-
gegen Capillarpnls sehr deutlich an der Grenze zwischen dem
Fig. 3.
Fasergeflecht Ober der GefUsspforte nnd der Papillensubstanz
sichtbar.
Als Contrast £U der obigen Pnlskurve mochte ich hier auf '
folgendes Spbjgmogramm (Fig 3) hinweisen, welches einer an
Aorteninsof&cienz nnd Stenose mit massiger Dilatation und
HjpertTophie des linken Ventrikels leidenden Fran angehört.
Beobachtung 7.
Der Puls war massig gespannt und erinnerte besonders
in seinem langsamen Ansteigen schon sehr an den PdIsus
tsrdns bei reiner Aortenstenoso. Der Augenhintergmnd dieser
Patientin, welche ich, kniz bevor sie die Klinik gebessert ver-
liess, mehrfach Ophthal moskopirte, zeigte bis anf einen weit in
die Peripherie sich erstreckenden dentlichen Arterienpuls
(Locomotion) keinerlei Anomalien. Venenpols schwer zu er-
kennen.
64 B. Schmall.
Von dem vorhergehenden nnterschied sich dieser Fall
ansser in der Intensität der Arterienpnlsation noch dadurch,
d&ss die letztere zeitweise ganz fehlte.
Von den andern 6 Aorteuinsufficienzen (3 reinen nnd
3 mit andern KlappeDfehlem complicirten) mOchte ich
noch zwei hier besonders hervorheben, welche neben dem
Arterienpnls einen nicht uninteressanten Nebenbefnnd aaf
der Netzhaut boten.
Beobachtang 8.
Der 67jähri^e Eaufniann F. von gracilem Knochenbau, etwas
nach vorne gebeugter Haltang, in schlechtem EmSbrangSEaBtaiide
mit atrophischer Muskulatur, spärlichem Pannicnlns adiposns klagt
Ober lästiges, mit dem Herzschlage iBochrones Klopfen in den
Tig.i.
SchlSfenarterien, Eovie Aber Anßllle von Schwindel nnd leicht
vorübergehender Bewusstlosigkeit. Leichter Bronchialcatarrh.
Die Untersuchung ergiebt ausser dem pathologischen Befand
am Herzen und an den OefSsEen keinerlei Anomalien der inneren
Fig. 6.
Organe, speciell keine Zeichen einer bestchendou Circulalions-
stOrung, bis auf den kaum nennenswerthen Bruncbialcatarrh.
Sehr hochgradige Dilatation und Hypertrophie des linkes
Ventrikels; stark hebender SpitZFOstosa in 6. Inte reo stal räum
3 Finger breit nach aussen von der Mammillarlinie; dabei die
aascsltatorischen Zeichen einer Aortenatenose und Insafficienz,
für welche die nebenstehenden Pnlacurven mit dem Sommerbrodt-
schen (Fig. 4) und mit dem Marey'schen (Fig. 5) Sphjgmo-
Die NeUluialdrcalKtioii etc. bei Allgemeinleideii. 65
gnphen KafgeDommeo, evident sprecheD. Besonders gleiclit die
entere einer von Bosanstein als fDr Aorteninsafficienz mit
Stenose diar&kteristiscb bezeichneten Palscaire.
Die Badial&rterie war starii geschlängelt, sklerosirt; die
zweite Pnlscnrve demonstrirt mit den zwischen der Anfangs-
nnd Bnderhebnng des Cmrengipfels gelegenen kleinen Zähnchen,
die onregelmftssige pnlsatorische Erschütternng der erhärteten
Arterienwand.
Die ophthalmoskopische UntersDchnng ergab:
Rechtes Auge: Cataracta senilis (corticalis) incipiens.
Angenhintergmnd daher leicht getrObt. Papille zeigt keine
Fi«, a.
Anomalien. Gefllsse gestreckt verlaufend von normalem Caliber,
nelleicht sind die Venen etwas abnorm breit. Der Beflei von
den Arterien stellenweise nnregelmässig, enger und breiter, Wan-
dungen der Gefässe als breite, weissgelbe Streifen an einzelnen
QefSssen sichtbar.
Auffallend starke, dem etwas tarden Charakter der Pnls-
corren an der Radialis entsprechende Caliberschwaiiknng der
Arterien. Schwacher Venenpuls. Die nach unten aussen ziehendo
Hauptarterie (a) mit sichtbarem Wandungsstreifen TerjQngt sich
dicht unterhalb der Papille (b), verliert allmählich ihren Reflex
nnd gebt dann in eine dreimal so lange als breite spindelfSr-
mige Erweiterung (c) ober. Die letztere endet in einem sehr
stark verschmälerten Arterienrohr (d), an welches sich dann
T. Orufl'i AnUi mr OrbtH^Dwloila, XXXIV. 1. 6
66 B. Schmali. -
wieder eine mit normalem gleicbmässigen Beflex versehene Ar-
terie anschliesst
Die Caliberschwankung der Arterie, welche in a, b, c, be-
sonders in c sehr exquisit ist, kann jenseits d kaum mehr
wahrgenommen werden.
Das Geföss verläuft von a bis e in ein und derselben Ebene,
Trabung und Schwellung der Netzhaut liegt nicht vor. Bla-
tungen auf dem Augenhintergrunde werden nicht wahrgenommen.
Ich glaube, dass man hier ophthalmoskopisch eine
atheromatOse Degeneration einer Netzhautarterie beobachten
kann, welche man bis jetzt (Weil und Manz) fast nur patho-
logisch-anatomisch *) beschrieben hat. Von b bis d athe-
romatös erkranktes Gefäss, in d stärkste Verengerung des
Gefässlumens, daher Aufstauung des Blutes (Unterschied der
Stärke der Pulsation in a und e) und Aneurysmenbildung
(c) wegen abnormer Nacligiebigkeit der kranken Arterien-
wandung!
Das Fehlen oder Schwächerwerden des Reflexes und der
Wandstreifen auf und neben dem kleinen Aneurysma c
spricht für Verdünnung der Wand desselben,
Beobachtung 9.
August J. 29 Jahre, Bauersohn, früher stets gesund, er-
krankte vor 4 Monaten unter Kopfschmerzen, allgemeinem Un-
behagen, massigem Fieber zunächst ohne Beschwerden, welche
auf ein bestimmtes Organleiden hindeuteten. 4 Tage nach
Beginn der Erkrankung trat Schwellung beider Füsse ein,
späterhin soll sich die Schwellung und Schmerzhaftigkeit auf
bestimmte Gelenke der untern Extremitäten localisirt haben.
Doch scheinen die Gelenkschmerzen nie so gross gewesen zu
sein, da Patient bis zu seiner Aufnahme in die Klinik die
meiste Zeit ausserhalb des Bettes zugebracht hat.
Status praesens: Grosser, kräftig gebauter, etwas anämisch
aussehender Mann mit hjdropischen Ergüssen in beiden Knie-
gelenken, klagt aber Mattigkeit, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit
*) Nur Lion Tille spricht von kleinen ophthalmoskopisch
gerade noch Bichtbaren Aneurysmen der Netzfaaatarterien.
Die Netabaatdrcnlfttioii etc. bei Altgemeinleiden. 67
Unre^lm&ssigea remittireades und intennittirendea Fieber
im aUgemeinen nicht aekr hoch.
Herid&mpfoiig nicht lerbraitort, Spitzenstoaa im 4. loter-
coBtalranm 1 cm nach innen von der Haniill&rlinie sieht- und
fUklhar, weder verbreitert, noch stark hebend. Die Anscnitation
des Herzens ergiebt an der Spitze: reiner sjatoliacher und
dumpfer diastolischer Ton, nach der Baaia zu differenciren sich
zwei Oeransche, ein leiseres sjatoliaches mit seinem Panctum
mazimnm in dem zweiten Intercoetalraara rechts und ein sehr
lautes diastolisches mit seiner grOasten Schallintensität Aber
dem Stemnm in der Hohe des dritten Intercostalranms. Zweiter
Palmonalton nicht veratärkt.
Puls langsam, regelmässig, hoch nnd schnellend, dabei
ziemlich weich, ausgesprochen dicrot (liatadicrot), die aas
Kg. 7.
der Pnlscurve (Fig. 7) ersichtliche leichte Anadlcrotie wird nach
Idndois bedingt dnrch die Contraction des linken Vorhofs.
Diagnose: Rhenmalismos articulorum acntus, Endocardilis
anbacuta, Insnfficientia valvulamm aortae.
17. Jnni 1886. Ängenhintergrund : S. A. Klar brechende
Medien, blasser Hintergruadsreflei. Papille leicht gerCthet,
zumal naaalwarts, zeigt daselbst etwas verschleierte Grenzen.
Arterien eng, gestreckt verlaufend, Venen relativ weit, auf-
follend hell mit mattem schmalen Reüei, u geschlängelt. An
den Arterien deutliche Locomotion und Caliberachwankong
isochron mit dem Herzschlage. Veneuputs undeutlich.
Dicht neben der Papille, nasalw&rts von derselben liegen
zwei feine stricbfllnnige frische Blutungen.
Hinter einer nach oben innen ziehenden kleinen Arterie
liegt inmitten einer kreisfarmigen kleinerbsengrossen Blutung
ein grauweisser, scharf u mach rieben er, etwa stecknadelkopfgrosser
Fleck (Embolischer Abscess?) Fapillenbreit Ober der Papille
iwischen zwei gabelAtrmig auseinanderziehenden Arterien liegt
5«
gg B. Schmall
eine grttnweissliche, wenig intensive Trübnng von Kaffeebohnen-
grosse, welche diffns in die nmgebende unveränderte Retina
übergeht. Die Retina ist nasalwärts stärker getrübt, besonders
in der Umgebung der beschriebenen Hämorrhagien, welche
deshalb zum Theil etwas mattfarbig aussehen.
In der Peripherie des Augenhintergrundes ist die Retina
überall normal durchsichtig.
22. Jnni 1886: Diffuse Neuroretinitis; Papillengrenzen
nicht mehr zu erkennen; Papillensubstanz getrübt und stark
gerOthet. Enorm enge Arterien, normalweite mattkirschrothe
ungeschlängelte Venen. Einzelne frische strichförmige Blutungen.
Arterienpuls trotz wiederholter Untersuchung nicht erkenn-
bar. (Radialpuls unverändert).
Linkes Auge bis auf eine ganz leichte Trübung der Retina
normal.
Rechts keine grObern SehstOrungen; eine genaue Unter-
suchung der Functionen des Auges wird nicht vorgenommen.
Bei der Entlassung am 30. Juli 1886 war der allgemeine
Status des Patienten genau derselbe wie bei der Aufnahme,
Girculationsstörungen waren nicht aufgetreten.
Auch bot der Hintergrund des rechten Auges keine
wesentlich, n Aenderungen gegenüber der letzten Untersuchung.
Der Arterienpuls wurde nicht mehr gefunden.
Also bei einer frischen Aorteninsufficienz ohne Dila-
tation und Hypertrophie des linken Ventrikels deutlicher
Arterienpuls im Auge, welcher in Folge einer hinzutretenden
Neuro -Retinitis und der damit noth wendig verbundenen
Veränderung der Geftsswände verschwindet
Von den beiden Fällen, in denen ich bei InsufGcienz
der Mitralklappen Arterienpuls in der Netzhaut beobachtet
habe, ist einer, bei dem die klinische Diagnose durch die
Autopsie bestätigt wurde, schon vorher (cf. Beobachtung 3)
erwähnt worden, den anderen theile ich nachstehend mit
Beobachtung 10.
Kleiner schwächlicher 16jähriger Mensch mit chron. Ge-
lenkrheumatismus (geringe fieberhafte Temperaturbew^^gen)
und mit den physikalisch sichern Erscheinungen einer Mitral-
insufficienZy welche ihrerseits keine oder geringe Störungen des
Die Netzhaatcirculation etc. bei Allgemeinleiden. 69
AUgemeinsbefindens hervorrief. Der Badialpols war regel-
mässig, langsam, weich, klein, andeutungsweise dicrot (Fig 8.)
Per Angenbintergrnnd zeigt bis auf deutliche, aber nicht sehr
excorsive Locomotionen an allen stärkern Arterienkrümmungen
ieioe nennenswerthe Anomalie.
Fig. 8.
Endlich sah ich sehr excarsive aber nur zeitweise auf-
tretende Locomotionen an den geschlängelten Retinalarterien
eines sonst normalen Hintergrundes bei einem höchst anä-
mischen Mädchen mit hochgradigen Oedemen, Dypnoe, höchst
frequentem, aber regelmässigem, ganz kleinem Pulse (Be-
obachtung 11.)
Die Autopsie ergab folgenden Befund am Herzen:
„Herz mit dem Herzbeutel verklebt durch mit der Hand
ohne besondere Muhe trennbare fibrinöse Exsudatmassen, welche
in ca. Va cm dicker Schicht zwischen beiden Pericardialblättern
abgelagert sind.
Das Pericard selbst ist verdickt und serOs durchtränkt.
Die Herzmnskulatur schwach, etwas gelblich gefärbt. Sämmtliche
Herzhohlen erweitert. An sämmtlichen Elappenapparaten mit
Ausnahme der Fhcospidalis entsprechend den Schliessungs-
linien feinwarzige, graurOthliche Excrescenzen. Keine Zeichen
von erheblicher Stenose oder Insufficienz der Klappen.^'
Diese beiden letzten Beobachtungen will ich hiermit nur
referirt haben, ohne einen grossen Werth auf den ophthal-
moskopischen Befund zu legen, am wenigsten will ich damit
die von den Autoren aufgestellte Behauptung umstossen,
dass bei allen anderen Herzklappenfehlem ausser bei Aorten-
klappenerkrankungen eine sichtbare Arterienpulsation in der
Netzhaut nicht vorkommt.
Denn die Fälle sind nicht ganz rein: an dem ersteren
lag ein, wenn auch in geringem Grade fieberhaftes Leiden,
in dem letzteren hochgradige Anämie als complicirendes
70 B. Schmall.
Moment vor, und bei beiden wird, wie weiter unten naher
zu erörtern, gelegentlich Arterienpuls in der Netzhaut ge-
funden.
Dagegen möchte ich doch, allerdings au« anderer Ur-
sache, einiges Gewicht auf die Beobachtung 3 legen; denn
sie beweist, dass bei einem gegebenen arteriellen Mitteldinick
sich einzelne starke Herzcontractionen, deren Wirkung auf
den arteriellen Mitteldruck durch die folgenden weniger aus-
giebigen Herzpulsationen paralysirt wird, auch in den Netz-
hautarterien als sichtbarer Puls geltend machen können
Damit erklärt sich auch das negative Resultat, dass bei durch
körperliche Anstrengung etc. gesteigerter Herzthätigkeit Pul-
sationen an den NetzhautgeflElssen nicht beobachtet werden,
weil wegen der alsdann eintretenden stärkeren mittlem An-
fttllung des arteriellen Systems die vermehrte Wandspan-
nung in den einzelnen Arterien sich einer stärkeren pulsa-
torischen Ausdehnung derselben widersetzt.
Was die Entstehung des Retinalarterienpulses bei Aorten-
insufficienz anlangt, so kommt derselbe zu Stande durch
eine in der Aorta erregte abnorm hohe und abnorm schnell
abfallende Pulswelle, — abnorm hoch, weil der linke Ven-
trikel mit einer vermehrten Blutmasse, die ihm in der Dia-
stole aus dem linken Yorhof und aus der Aorta durch die
insufßciente Klappe zugeflossen, stärker arbeitet, abnorm
schnell abfallend, weil unmittelbar nach der Contraction
des Ventrikels ein grosser Theil der vorgetriebenen Blut-
masse wieder in ihn regurgitirt.
Dass der linke Ventrikel auch erhöhten Ansprüchen an
seine Leistungsfähigkeit für längere Zeit genügen kann, ohne
erheblich zu hypertrophiren , beweist Beobachtung 9. Im
Uebrigen aber werden die Bedingungen für das Entstehen
eines hohen, vollen und schnellenden Pulses um so günsti-
ger sein, je grösser die Energie ist-, mit welcher die Expul-
sion des Blutes vor sich geht, also bei Hypertrophie, und
je grösser die Blutmenge ist, welche zur Expulsion gelangt,
Die Netzhaut curcolation etc. bei Allgemeinleiden. 71
also bei Dilatation des linken Ventrikels. Beide Momente
begünstigen das Entstehen einer abnorm weit peripher sicht-
baren Pulsation, jedoch, wie ich Kählmann gegenüber her-
7orhebeD möchte, absolut nothwendig sind sie nicht daza
(cf. Beobachtung 9).
Ich habe keine Veranlassung, mich auf eine n&here Er-
klärung derjenigen Fälle von reiner Aorteninsufficienz einzu-
lassen, bei welchen ein Netzhautarterienpuls nicht sichtbar
ist, da ich selbst solche Fälle nicht beobachtet habe. (cf.
Becker 1. c.) Vielleicht sind sie unter die Reihe jener Fälle
zu stellen, bei welchen der Arterienpuls im Auge nur zeit-
weise gefunden wird. Auf einen Erklärungsversuch dieses
zeitweiligen Fehlens des Pulses bei vorhandener Disposition
ZQ seiner Entstehung kommen wir weiter unten noch ein-
mal zurück.
Wir wollen nunmehr auf die bei kürzere oder
längere Zeit andauernder, gleichgültig durch welche
Ursache bedingtem Fieber beobachteten Verände-
rungen der Netzhautfjefässe kurz eingehen, welche den
Angaben der Litteratur nach im Allgemeinen ziemlich ein-
seitig sind und sich der Hauptsache nach in einer mehr
oder minder grossen Hyperaemie des ganzen Gefässsystems
zusammenfassen lassen.
Eduard v. Jäger, welcher dem Anschein nach wohl
am eingehendsten das Verhalten der Netzhautgef&sse im Fieber
beobachtet hat, schreibt hierüber'*'):
„Im Hitzestadium intensiver acuter Fieberanfälle .er-
scheinen die Arterien und Venen des Gentralgef&ss-
sjstems in ihrer ganzen Ausdehnung und unter Auf-
recbterhaltung ihres physiologischen Unterschiedes
gleichmässig ihrem Querdurchmesser nach vergrössert."
„Diese Gefilssausdehnung ist je nach der Intensität
Ol. c
72 B. Schmall.
des Fiebers eine unterschiedliche, im Ganzen jedoch
keine sehr beträchtliche."
„Eine Verlängerung der Oeftsse und daher eine
stärkere Schlängelung derselben ist nicht nachzu-
weisen."
„Die Färbung der arteriellen und venOsen Blut-
säulen ist erheblich mehr saturirt roth und von leb-
hafterem Ausdrucke, beinahe leuchtend; der Unter-
schied in der Farbe zwischen Venen und Arterien ist
hierbei der normale oder auch etwas geringer, und
zwar auf Rechnung der verhältnissmässig wenig er-
höhten Färbung des venösen Blutes."
„Der Beflex ist breiter und auffallend in seiner
Lichtstärke erhöht, insbesondere bei den Venen, so
dass hier auch der Unterschied in dem Reflex zwischen
Arterien und Venen erheblich vermindert wird."
„Der Augenhintergrund erweist sich im Allgemeinen
stark erleuchtet, die Netzhaut und der Sehner ven-
scheitel von gleichmässig zart röthlicher, aber lebhafter
Färbung."
Diese Angaben Eduard v. Jäger's £and ich bei acut
fieberhaft einsetzenden, kurze Zeit andauernden und dann
kritisch endenden Krankheiten meist bestätigt. Bei 8 unter
10 mehr oder minder schweren croupösen Pneumonien
meist jugendlicher Individuen beobachtete ich zur Zeit des
höchsten Fiebers (39,0 — 40,5° C.) entweder gar keine Ver-
änderung im Augenhintergrund oder stärker gefüllte, nur
wenig verbreiterte Retinalarterien und Venen von normaler
Farben- und Breitendifferenz, mitunter auch das Caliber
der Venen dem der Arterien fast gleich, die Papille leicht
injicirt, kurz eine geringe Hyperämie des Netzbautgefäss-
systems.
Nur in 2 Fällen croupöser Pneumonie bestand davon
eine Ausnahme:
Die Metsluntdrcabitioii etc. bei AllgemeinleldeD. 73
Beobachtung 12.
Bei dem 27j&lirigeii, gross gewachsenen, etwas hageren,
im mittleren Grn&hTangsinstande befindlichen Schneider Angnst L.
konnte ich am vierten Tage seiner nnter Schüttelfrost einge-
tretenen fieberhaften Erkranknng neben den ansgeeproehenen
phjsikalischen Symptomen einei Pnenmonia cronposa lobaria
poster. inferior dextra, neben hochgradiger Dispnoe, starker BO-
tbong und Cjanoee des Gesichts, — eine colossale ttber Arterien
nnd Venen gleichzeitig ausgedehnte Hyperämie des Angenbin-
tergmnds constatiren die Arterien der Netzhaut waren um mehr
ils das Doppelte, die Venen nm das Dreifache ihres normalen
Calibers verbreitert, jedoch nicht geschlangelt, der Kefiei der
Venen sehr breit, grell und gleichmässig. Auf der stark gerO-
tbeten Papille and dem ganzen eigenthQmlich mattranchigen
Fig. 9.
Angenhintergrunde konnte man kleinste, sonst Oberhaupt nicht
sichtbare Geisse stark eiveitert streckenweit verfolgen. An der
nach oben ziehenden, dicht Ober der Papille leicht gekrümmtes
Hinptart«rie leichte Caliberscb wankungen nnd Locomotionen*)
isochron mit dem BadialpnUe. Minimaler Venenpnis. Radial-
puls freqaent, regelmäseig fieberhaft weich, etwas schnellend,
BDHgesprochen dicrot. Temperatur 40,5.
*) Ich mochte gende an dieser Stelle nicht unterlassen an
bemerken, dass ich nm TInichnngen lu entgehen, gmnds&ulich
nie gleichseitig Netibautarterienpals opbthalmoskopirt und lUdial-
pnls palpirt habe, sondern ich vergewisserte mich entweder «d
entarem allein Aber die Frequenz der Herzaction nnd controllirt«
dieselbe naehtrtglich dnreh Palpation der Radialis oder ich sihlt«,
wu bei schwer sichtbarem Netshautarterienpnle immer geschah,
denselben einem intelligenten Kranken oder der W&rierin oder
einem Cultegen, welcher nach dem fiadialpnls des üntersncht«n
AUte, lant wiedeibolt vor.
Verwecbselnngen mit einem sog. fortgeleiteten ArterienpnlB
■ind ansgeeehlossen, da ich in der überwiegenden Mehrzahl der
mi« den Arterienpiib ausseriialb der Papille anf der Retiaa auf-
■oehte.
74 B. Schmall.
Sensorium frei.
Die Krise trat 5 Tage später ein, nachdem ihr mehr£Eu;h
präkritische Temperatursteigerungen vorausgegangen waren.
Die Besorption des pneumonischen Infiltrates erfolgte sehr
rasch, nicht minder rasch nahm auch die Hyperämie des Augen-
hintergrundes ah. Neun Tage nach der Krise waren die Netz-
hautarterien normal weit, die Venen noch etwas verhreitert,
Papille lebhafter als gewöhnlich injicirt; Arterienpuls im Auge
nicht mehr zu erkennen. Radialpuls klein, massig gespannt,
langsam, wenig dierot.
Fig. 10.
Beobachtung 13.
In dem zweiten Fall von croupöser Pneumonie ebenfalls des
rechten unteren Lappen der Lunge bei dem 20jährigen, früher
stets gesund gewesenen kräftiggebauten Arbeiter Thiel bestand
eine ähnliche, wenn auch nicht gleichstarke Hyperämie des
Augenhintergrundes ebenfalls mit schwachem aber deutlichem
Netzhautarterienpuls. Patient wurde erst am Tage der Krise
in die Klinik aufgenommen und ophthalmoscopirt. Temperatur
38.1; Puls massig hoch und gespannt, fieberhaft, 120 Schläge
in der Minute; Gesichtsfarbe hochgerOthet, cyanotisch; keine
anderweitige Organläsion. Drei Tage nach der Krise bestehen
bei nahezu normal injicirtem Augenhintergrunde sehr schwache
Pulsationen der Netzhautarterien noch fort. Badialpuls klein,
langsam, massig gespannt.
Patient wird entlassen, stellt sich trotz dringender Auf-
forderung nicht mehr vor.
Von anderen, acut fieberhaften, kürzere Zeit anwfth-
renden Krankheiten, bei denen ich eine starke Hyperämie
des Augenhintergrundes sowie Netzhautarterienpuls beob-
achtet habe, möchte ich noch erwähnen:
Beobachtung 14.
Hermann B., 25 Jahre, Arbeiter; sehr kräftig muskulös
gebaut. Acuter multiarticulärer Gelenkrheumatismus; leise
Die Xetzhaatcircnlation etc. bei Allgemeinleiden. 75
hauchendes systolisches Geräusch an der Herzspitze, leichte
Verbreiterang des rechten Ventrikels; zweiten Pulmonalton
nicht Terstärkt Ausgedehnter nrticariaahnlicher Ausschlag über
den ganzen Körper ausser an Kopf und Hals (Ghininexauthem?),
dunkel gerOthetes Gesicht.
Geringe Dyspnoe, Puls regelmässig, massig frequent, voll
and weich. Körpertemperatur 39,6.
CoDJunctiya palpebrarum geröthet; jedoch weder Thränen-
floM noch abnorme Sensationen unter den Augenlidern, noch
Lichtscheu trotz längeren Spiegeins.
Im Augenhintergrund hochgradige arterielle und venöse
Hyperämie der Netzhaut, lebhafte Röthung der Papilla optica,
leuchtendes Arterien- und Venenblut von normaler Farben-
difierenz. An den leicht geschlängelten Arterien bis weit in
die Peripherie hinein schöne excursive Locomotionen, geringere
Caliberschwankungen.
Patient wird an demselben Tage wiederholt untersucht,
zeigt immer das gleiche Pulsphänomen auf der Netzhaut.
In den nächsten Tagen massig starke Fieberdelirien, ab-
wechselnd mit leichter Somnolenz. Bei der zweiten 7 Tage
später vorgenommenen ophthalmoskopischen Untersuchung, so-
wie am Tage der Entlassung, 13 Tage nach der ersten Unter-
suchung ist die Hyperämie des Augenhintergrundes geringer,
die Netzhautarterienpulsation besteht in kaum verminderter
Stärke fort. Badialpuls noch etwas hoch, doch besser gespannt,
nicht schnellend.
Drei Monate später: keine Erscheinungen eines Vitium
cordis, Badialpuls regelmässig, langsam, normalgespannt, klein.
Conjunctivitis simplex.
Betinalarterien eher etwas eng, leicht geschlängelt, Venen
doppelt so breit, dunkel, mit grellem Reflex. Trotz eingehend-
sten Suchens ist kein Arterienpuls zu constatiren.
Es ist dieses der Fall von unzweifelhaftem Netzhaut-
arterienpuls bei hochfieberhaften Erkrankungen, welchen ich
zuerst bei meinen darauf hingerichteten Untersuchungen
beobachtet habe.
Beobachtung 15.
Carl P., 31 Jahre, Arbeiter. Sehr grosser kräftiger musku-
löser Mann mit massig reichlichem Panniculus adiposus, leicht ge-
76 B. Schmall.
rOtheter cjanotischer Gesichtsfarbe, stark dyspnoisch, vor vier
Tagen mit Schüttelfrost erkrankt
Plearitis serofibrinosa dextra; kein sonstiges Organleiden.
Massig hohes Fieber mit remittirendemTjpns. Hochfieberhafter
Puls = 39,4® Temperatur.
Spiegelbefund: Erweiterte stark geschl&ngelte Arterien
mit verbreitertem grellem Reflex; dunkle sehr breite nnge-
schl&ngelte Venen, ebenfalls mit breitem glänzenden Reflex.
Exquisite Locomotionen an den Arterienkrümmongen.
18 Tage nach der ersten Untersuchung ist Patient fieber-
frei, steht auf, fühlt sich abgeschlagen, klagt über Schwindel-
gefühl und dumpfen Kopfschmerz beim Stehen und Gehen.
Die Hyper&mie des Augenhintergrundes ist ausschliesslich
noch auf die etwas erweiterten dunklen Venen beschränkt. Die
Locomotionen an den Arterien bestehen in kaum verminderter
Stärke fort.
Patient wird 8 Tage darauf entlassen.
Einer 3 Monate später an ihn gerichteten Aufforderung,
sich in der Klinik vorzustellen folgt er nicht.
Diesen acut fieberhaften, längstens wenige Wochen
dauernden und dann mehr oder minder plötzlich endenden
Krankheiten, welche den KOrperbestand der Patienten zwar
rednciren, aber meist nur eine kurze Beconvalescenz nach
sich ziehen, möchte ich, auch bei der vorliegenden Unter-
suchung, jene schwer fieberhaften, als Consumptionskrank-
heiten par excellence geltenden Allgemeinleiden gegenüber-
stellen, welche, wie der Typhus abdominalis über Wochen
und Monate sich hinziehend, den Ernährungszustand der
Patienten in einer Weise beeinträchtigen, dass nach ihrem
Ablauf oft eine ebenso lange Beconvalescenz zur völligen
Wiederherstellung nothwendig ist.
Ich bringe auf den folgenden Seiten eine kurze sum-
marische üebersicht der Augenhintergrundsveränderungen,
speciell der Veränderungen an den Netzhautgefässen bei 21
im Laufe eines halben Jahres in der hiesigen medicinischen
Klinik beobachteten Fällen von Typhus abdominalis, welche
Die Netifaaatcircnlation etc. bei Allgemeinleiden. 77
nach der Schwere ihres Verlaufes und ihrer Complicationen
angeordnet sind.
Dieselben sind theils sofort nach ihrer Aufnahme in
die Klinik gespiegelt worden, theils sobald ihr psychischer
oder physischer Zustand die ophthalmoskopische Unter-
suchung zuliess.
Besonders schoben Störungen des Sensoriums nicht nur
die erste ophthalmoskopische Untersuchung hinaus, sondern
hinderten auch meist rationelle , in bestimmten Zeiträumen
wiederholte genauere Beobachtungen des Augenhinter-
gruodes.
Dieses, sowie das in Bezug auf allgemeine Con-
stitution einerseits, auf Intensität des Erkrankungsprocesses
andererseits sehr differente, dabei relativ geringe Eranken-
material lassen den Zweck einer tabellarischen Zusammen-
stellung, Schlüsse zu ziehen, höchst problematisch erscheinen.
Vor Allem dürfte man darauf hin nicht berechtigt sein,
allgemeinen Hirnsymptome : Kopfschmerzen, Schwindel, De-
lirien, Somnolenz, wie sie bei einzelnen Kranken beobachtet
worden (cf. Fall 9), anatomische Veränderungen des Cere-
bmm zu supponiren, welche denen der Setina analog
wären.
Aus der Zusammenstellung lässt sich so viel ersehen,
dass die Thesen Eduard v. Jäger's:
„Die Arterien und Venen des Centralgefässsystems
erscheinen in ihrer ganzen Ausdehnung und unter
Aufrechterhaltung ihres physiologischen
Unterschiedes gleichmässig ihrem Durchmesser
nach verbreitert**;
femer:
„Die Oef&ssausdehnung ist der Intensität des
Fiebers entsprechend eine unterschiedliche*';
endlich :
„Der Unterschied in der Farbe zwischen Arterien
und Venen ist der normale oder auch etwas geringer
78
B. Schmail.
AUgem. Ernäh-
CS ««H
Dauer
ive
Uli
Zur Zeit der ophtlial^
Ji
1
e
No.
Name, Alter,
Stand
rungszustand
zur Zeit
der Aufnahme
Anzahl und ^
der Recid
Schwere
Typhus n
Verhiuf x
Complicatii
Hohe des
Fiehers
1
o
1
David Reimer,
gross, kraftig,
2Wch.
sehr
wie s.
38,8
leicht
4c
31 Jahre,
straffe Muska-
leicht
Z. der
geröth<
(16)
Schiffer
latur, massiges
Fettpolster
Auf-
nahme
T
2
Joh. Scheffler,
mittelgross,
3 Weh.
leicht
9
89,0
blass
(17)
22 J.,
starkknochig,
(seit 3
Tagen
Schmied
etwas atrophi-
sche Muskula-
grosse
tur, geschwun-
Re-
dener Panni-
missi-
ä
culns adip.
onen)
3
K.,
gross.
3Wih.
leicht
m
39,5
leicht
(18)
20 J.,
schmächtig,
geröthi
cand. med.
mangelhafter
Brn&hningB-
zuBtand
1
4
Johanna W., j klein, zart ge-
3 Weh.
leicht
tt
3S,5
sehr bh
(19)
16 J.
haut, atrophi-
; sehe Maskala-
tor, geschwun-
denes Fettpol-
ster
*) Ko. der Beobacbtang.
Die Netsbautcircnlation etc. bei AUgemeinleiden.
79
MNkopiachen ÜDtenachung
Ophthalmoskopische Ergehnisse
frei
keine
gennger
Bron-
ehial-
catarrh
keine
hoch, massig
gespaontylang
sam
▼oll, weich,
ausgesprochen
dicrot
keine
klein, weich.
langBani,regeI-
massig
massig hoch,
dicroL massig
weich, lang-
sam, regel-
mässig
8
18
13
13
Keine Anomalien.
Keine Anomalien.
Keine Anomalien.
Anämische icharf umgeengte Papillo, enge ge-
streckt verlaufende etwa« belle Arterien, dunkel-
kiracbrotbe 2 bis Sfach »o breite stellenweise ge-
scblingelte Venen mit hellem schmalen Reflex. Dort
wo die Arterien Aber Venen hinxiohen, sind weisslich
glänzende Gefässwinde und im Anschlnss an die-
selben und parallel denselben verlaufend breitere
ungemein feine aartweisse Streifen an sehen, welche
zumal dort, wo sie bei spitzwinklig sich kreuzenden
Geflssen eine l&ngere Strecke Aber einen rothen
Untergrund ziehen, unregelmfissig sich auffasemde
Äussere Conturen aufweisen. Netzhaut in der Um-
gebung der Papille besonders im Anschluss an die
grösseren Netzhautgefftsse undurchsichtig, aber nicht
opak trttbe, sondern lebhaft und zwar ungleichm&ssig
Licht reflcctirend. Die Netzhaut erscheint hier un-
regelmässig chagrinirt durch einzelne dunklere und
zahlreiche hellere verschieden conturirte, verschieden
grosse, im Allgemeinen aber ungemein feine Fleckchen,
von denen die helleren entschiedenen Fettglanz haben.
Hier und dort hebt sich gegen diese offenbar in den
tiefen Netzhautschichten gelegenen Veränderungen
unregelmässig die radiäre Ausstrahlung des Opticus
ab. Die geschilderte Netzhautveränderung ist oben
und unten neben den grossen Qefässen am deutlich-
sten, temporal am wenigsten ausgesprochen. Ca.
1 Papillenbrelte von dem Papillenrande schwindet sie
ganz allmählich und es beginnt eine normal durch-
sichtige Netzhaut, durch welche in der ganzen Peri-
pherie des Augenhintergmndes das Pigmentepithel zu
erkennen ist. Leichter Arterienpuls an einer schwaehen
Arterienbiegung, keine subjectiven SehstOrungen. Ob-
Jeotive Untersuchung der Functionen wird nicht vor*
genommen.
8 I Zar Zeit der ophl
o
mlsafg weich, ]
liocb, etWM
icbnellend
hoch aud weich :
geringer
ehul-
cfttarrh
lUrker
Bron-
chial'
ctturh
Orspnoe
hoch, ml
gat gtepmaat,
etwu lehn ei-
lend, IftDggam
klein, weich,
dicrot,8ehitTe-
wieoben,etwa8 '.
weniger fre-
qneut
T. OiuC*'* AnblT tat Ophtbabsolail*, XXXIV. I.
Ltbbifl serfithew Pi.pUle, achurf berremt. Nor'
at.lt eher atwu tage Arterien In ichwmcben Rcbllip
Büet P«pllle"il«rk
, dunkelrotha
Ttitem ereilen
1 Thell <
rflibüebe Streifung Imponirenits OpttcuiauiHnhlnnc,
wBltbe min lempor»lw»r« idII grB..ler DentlUhkell
in KToLem Bogin nich äcr Haculii hinilehsn ilebL
Der Augenhtniergrand er«cheLni eiwu u-nbar, du
(P>Uai>t bsl b<i Jeiii dellrln, liiM lich banU ent
(EnlluinnR.} Arterien etwu en(e, Venen nocb
Mark verbnilerL Die ritlbliehe Streirnng Im Angen-
hlnlerminde l«l geringer geworden; hier und dort,
bunndan wieder In der Nlhe der Papille, «rksnnl
nmi die elgenlbOmllcfaen grell reflectirenden, wie
rOlhilcben Strairnag.
~ " :Ii der Enüaiiong: Nonnalar Angaa-
Nun«, AUar,
Stand
Fried. Fietscb
Fr Honien,
38 J.,
TiBcblerfraa
Hermanii T^ l
23 J.,
SchloBser-
geaelle
Fried. Enlir,
37 J.,
Arbeiter
Hoffmeister,
18 J.,
TiBchler-
lehrliog
gtoet, schlank, i
in mittlerem
fimährangg-
instande
Zur Zoif de
ophihU-
■
ll
4
S
wie z.
Z. der
Auf-
nehme
38^
blass
4(Vi
blass
37^
blase
88^
gerOthet
mittel-
Bchwer
.
40^
hoch-
gerOthet
88,1
normil
leicht
38,5
(;eit 2
Tagen
K£
MO-
nen)
hoch-
gerOthet
mittel-
schwer
(starke
Fieber,
delirien)
■
39,0
41,5
gerSthet
Die Netd.ftBtdrciü»tf<m etc. bd AUgemeinleiden.
etwu
fcoch fleW-
faaft, vu-
gtmtocbtn
diicrot
Dgnm, sehr
räch,kmi
fliUbu
■ehr ichwtch
und freqnei
chiAl-
eaimrrli,
Dyspnoe
keine
keine »cfanellend,
«ehr weich,
langum
frei DynpBoe
luguni,
mflnif weuh.
Pnli«loq,n ' " ''°'"- B'""« Papille, k«i»
Reflei, mAul^ lUrk ei
ED(a hell«
Kflne Pnliuion
..-.Ä,S^lLlSlTMi"'r."" "."•"»' »»1««'-
Hm u.'""* «"«'"''"•""^"dl" ob^%nd"'o """
VWHB doppBli ,o brelL h/.^irt,. -"■.. «"• "hl Modelt
nrlicbeii tfer Police d«*«^^" *" "*'' Cont™«
"»•r Ptripheri« Mf &Biiin,hr," " '"',? ^*°"'' "«"h
(«ahllngeli«, ArUrten rfif^;»^ i . l °^'' '= ''•°
mittelgrosts '4 Weh.
kräftig, gut
eniLhrt
AntniatBflbbe,
19 X,
Arbeit«
Seherwits,
ÄrbeiteT
Job. Dro-
wiuU,
38J.
•ebleebi ge- '
grosB, brKftig,
gate Uiuknlä-
',nT, mAssig
arkes Fett-
polster
groBB, kriUUg,
starke Htukn
latnr, sehr
reichlicher
Pannicnlas
adipoBOB
helU-
7 Weh.
37,8
39,6
gerMhet,
etwaacja-
notiecb
sr=t
- 40,0
aüger
Mass
anlqec-
Die KetibsDtcirciilKtiou etc. bei AUgemelnleiden.
.1
I
leicht
lent
Bron-
chial-
kUftirb
Bron-
cbkl-
k&uirb
lUrker
chiai-
kftturh,
DyspQoe
geringer
Bron-
cbJkl-
kftturb
weicb, etwBB
scbneUend,
ftiugeaprocben
diciot, lang-
Toll hoch, noch
m&niggot ge-
spannt
langsam, klein,
weich
klein, weich,
sehr freqnent
etwas schnel-
lend, hoch,
sdir weich ond
freqnent
schnell , mftsiig
weicti, nicht
sehr hoch
keine
e Knpborie
Ophthilmoskopiache Br^baisie.
tireit«ite Venati mit jehtDAlfimp achuf btE^^UEtamhell«!
AufrkhMn dei PiUialan coLlIblrsn il«mUcli pl'sullcti
di* Veneö, Terllsren ihren ReSei and T8n)ng«n lieh
bli lur BrIis der Arterien, welcbs llinrteiu wi-
HhciUFDd keim AenderoDE Ihm Cdiben isIksh. Ob
und lurDckfeleEt werdsn muM. Wann Pitlenl dun
wledw Im Stuida Ut, die Aogen lu OffDeD uod lu
flilrsn, lelgen ilch nladar diuelben Yerhiltniue Im
Anganhlntergninds wie vor dem Anfrichteo.
Normi] «eits hellrolbe (erndUnlE rerliiafsiide
Venen DL vetbrellerum, grellem Reflex, ungeiGhllDgelt.
Pupille leicht hTperlmiech.
verbnltaite'dankleTTnen. ItplUa etwü blui.'Kelns
■IcbtbuaD PnliUlonen.
BUue Pupille; lehr eage, itirk KSeabllngetl*
grellem, breitem Redei. AogenhlnlenniDil lelchl ge-
OefKeecbea darcbugen. ArMrten eng. Venen enorm
•urk, itellenweiie eiwu varleSi ervretlert, dunkel,
bur. PaUsnt lehr DumtuV bei der Unleraucbong.
„- _,. .„ P»pllle «liu-k gerClbm, nlch
getrabt. Arterien normnl weit, Vensn lafar itark ar
weilari, duokalklnebrotb mll bnlMm, grellem Reflex
■iOffar Hp.
onen nlcbl eiebltur.
k InJIcln, TOD uhlrelcben rejnitsn er.
luen duehiDMn. Bn« heHe Arterien,
erte dnnkle Venen. ABgenhlntErgruDd
leicht getrübl (QlukflrpertrttbDnff
gmnde* bu lugenommt
•Wrk Terbreltene, dunkleVenen
lUle trUbe, dllTUi cerfithet, etw
renohwommenen drenien; die
■■imiil. Keine lObJesÜTen Bebii
86
B. Schmall.
No.
Name, Alter,
Stand
AUgem. Ernäh-
. mngeiustand
iiir Zeit
der Aufnahme
^'5
r
Zur Zeit der ophtha!'
&
I
M
m
I
I
s
20
(36)
Friedr.
Kaoowski,
27 J.,
Arheiter
21
(36)
AngUBt
Eeicnert,
21 J^
Schmied
grosa, Bta*k-
Imochig^traffe
Maslnuator,
mtoiffer Pan-
nicoiDfl adi-
posuB
gross, moskel-
starkfSp&rlich.
PanmcnluB
adiposuB
9Wch.
9Wch.
eins
Yon2L
Tagen
Dauer
drei
sehr
schwer
sehr
schwer
wie
heider
Aof-
nähme
stailce
Abm»*
irenuig,
eiag«k>
fall, Oe-
■lehto-
slkg«
boch>
gradig.
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■tratio
Tiriam
Wie
heider
Auf
nähme
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Maras.
mos
Wie
oben
40^
40,3
8S,0
(Bade
dM TW'
pba«;
37,1
(Ende
d.l.R6
cidiTs)
40,4
403
373
hoch-
fieberhaft
gerOthel
wie oben
Mass
hla«
sehr blau
sehr blas
sehrblan
Die ITetcbBatdrcolatioD etc. bei Allgemeinleidflu.
frei
(Kopf-
•chmer-
«ai)
Bron-
Chittt-
kaUrrh,
Dyapiwe
bn
geringer
Bron-
chiAl-
kktarrb
frei
keue
frei
keine
frei
keine
frei
keine
frei
keine
weniger boch,
etwM lang-
i&mer, weicb
Bebr klein
und weicb,
SOScblKge
egcisiläiltem, Dil
gaacbllDgelte belle Arterien mit
Venen Im Ver^aleh in du
bei der leUMn Untennchan
Oenunrud ?). Burk erwell
tmliche ichuf begremte Pj
lelflht tetrabL Keine Fuliall
iils* AriArleo, koloawt breite
/Ingenhlntergnuid. '
ripllIenireDien loUl nntrictaen, Papille leleb
Kimlnenl iirelUe gelrabi, Im Allgamelpea melir lila»
Ulli »uf dam KUiLan AD(enblnMrarDnd dllTua, li
mgebong der Papille mehr alraiSg getrDbt.
(iDDda in erkennen. Kein« (ubJeellveD Beb
in«, iowla t'alLia bellDdan lieh Ende Naiembe
88 B. Sohmall.
und zwar auf Rechnung der weniger erhöhten Färbung
des venOsen Blutes/* ....
dass die Thesen Ed. v. J&ger's bei diesen langdauemden,
theilweise mit den höchsten Temperaturen verbundenen
fieberhaften Leiden nicht nur Ausnahmen haben, sondern
vielleicht eher sogar Ausnahmen sind.
Besonders ist die Differenz des Calibers und der Farbe
zwischen Arterien und Venen eine ganz ausserordentlich
grosse. Die Verengerung des Arterienlumens, wie sie in
vielen Fallen besteht, kann man wohl ohne Bedenken auf
Rechnung der verminderten Füllung des Aortensystems
setzen, welche theils durch den exquisit consumptiven Cha-
rakter der ganzen Erkrankung, theils durch die unzweifel-
hafte Blutaberhäufang in dem erkrankten Organe (Ileum)
erklart wird. Schwerer ist die starke Fallung des Netz-
hautvene nsystems zu erklaren. Dieselbe ist zu hochgradig,
als dass sie Theilerscheinung einer starkem AnfQlIung des
ganzen Eörpervenensystems sein konnte.
Sie muss eine locale Ursache haben.
Da complicirende Netzhauterkrankungen, welche auf
die Netzhautgefässe einwirken konnten, nur wenige vor-
lagen — ich verweise auf die Falle 19 und 21, — da
gegen die willkürliche Annahme einer localen Stauung in
Folge gehinderten venOsen Abflusses in die Orbitalvenen
und den Sinus cavernosus vor Allem die Abwesenheit jeder
starkern Schlängelung spricht, welche bei, durch Stauung
bedingten starken Calibererweiterungen der Venen nie zu
fehlen pflegt; da gegen die allerdings zunächst liegende
Vermuthung einer durch den fieberhaften Process bedingten
localen GeflELssparalyse *) sich mit Recht die zu erhebliche
Galiberdifferenz zwischen Venen und Arterien einwenden
lasst; da endlich an eine tiefgreifende Degeneration der
*) Die vorher bei FaU 12—15 beobachtete starke aber gleich-
mSssige Hyper&mie der arterieUen und venOsen Netzbantgeftoe
auf eine locale, wahrscheinlich durch die hochfieberhaften Tempe-
Die Netshantcircnlatioii etc. bei Allgemeinleiden. g9
Venenwgndangen allein, wie sie Jacobson, als bedingt durch
die Verlangsamung des Blutstroms, für die starke Netz-
hautvenenerweiterung bei Atheromatose der Gefässe heran-
lieht, in diesen Fallen wegen ihrer völligen und leichten
Bestitntionsf&higkeit kaum zu denken ist: so scheint uns
nur die Hypothese einer vom Blutdruck unabhängigen
Herabsetzung des intraoculären Druckes übrig zu bleiben,
mit ihrer oben (S. 26) näher definirten Backwirkung auf
das Galiber der Netzhautgefässe, zumal der Netzhautvenen.
Die Herabsetzung des intraoculären Druckes wQrde zu
Stande kommen durch eine auf den fieberhaften Process
zurückzufahrende Störung wahrscheinlich der Secretion der
Augenflüssigkeiten. Die Annahme einer durch das schwere
fieberhafte Aligemeinleiden hervorgerufenen functionellen
Schwäche von specifischen der Absonderung der Augen-
flüssigkeiten dienenden Zellen hat an sich nichts Willkür-
liches; zahlreiche Analogien z. B. die mangelhafte Ab-
sonderung des Magensaftes, des Speichels, der Thränen
(Ursache des h&ufigen Gonjunctivalcatarrhs bei Fiebernden,
sprechen sogar edatant dafQr, beweisen aber natürlich
nichts, solange nicht auf experimentellem Wege der directe
Nachweis gebracht ist, dass die Absonderung der Kammer-
flttssigkeiten von specifischer, einem Nerveneinfluss unter-
liegender Zellenth&tigkeit abh&ngig ist.
Die in den besprochenen Fällen meist beobachtete,
selbst mit der rohen beim Menschen allein auszuführenden
tonometrischen Methode leicht nachweisbare Herabsetzung
der Bulbusspannung beweist ebenfalls nichts.
Im Debrigen giebt die Zusammenstellung wieder einige
Fälle von Netzhautarterienpuls (4, 7, 8, 13, 15). Beson-
deres Gewicht mOchte ich jedoch nur auf die Fälle 7, 8,
ratoren bedingte Gefässparalyse zurückzufahren, nehme ich ebenso
wenig Anstand, als die aUgemeine Hyperämie des Augenhinter-
grondes bei Morbus Basedowii als den Ausdruck der Paralyse der
geftsBverengemden Sympathicusveifasem anzusprechen.
90 B. Schmall.
13, legen, bei denen der Arterienpuls in dem Auge kräf-
tiger, noch in m&ssig gutem Ernährungszustände befind-
licher Mftnner sichtbar war. — Von den beobachteten
flüchtig skizzirten Structuryeränderungen in Opticus-Betina«
auf welche ich hier, als nicht streng zur Sache gehörig,
nur kurz hinweise, halte ich diejenigen in den Fallen 4, 5,
6 (9) für einfach degenerative, mit Verfettung einhergehende
Processe, wie sie bei Tjphen bald in dem einen, bald in
dem andern Organ vorkommen; in den Fällen 19, 21 liegen
wohl entzündliche Processe vor.
Gewiss interessant ist die Beobachtung, welche ich im
Falle 15 machen konnte: der exquisite Collaps sämmtlicher,
vorher stark erweiterter Retinal venen (bei wenig oder gar
nicht sich verengernden (ebensowenig stärker pulsirenden
Arterien), welcher beim Aufrichten des Patienten zugleich
mit Dunkelwerden vor den Augen, Schwindelgefühl und
leicht vorübergehender Ohnmacht auftrat.
Bei dreimal hinter einander wiederholtem Versuch sah
ich immer dieselbe Erscheinung, welche offenbar auf die in
aufrechter Stellung sich besonders geltend machende Herz-
schwäche und damit mangelhafte Füllung der Venen von
den Capillaren her zurückzuführen ist. Poncet hat in der
Ohnmacht einen ähnlichen VenencoUaps, dabei jedoch gleich-
zeitig eine Verengerung der Arterien, Coccius nur die letz-
tere allein beobachtet. Wordsworth sah dabei sogar spon-
tanen Netzhautarterienpuls auftreten.
Ob die Verengerung der Betinalvenen in dem Fall 3
und 6 vielleicht ebenso Ausdruck einer chronischen Herz-
schwäche, wie sie in diesem Falle Ausdruck einer acuten
Herzschwäche ist, wage ich nicht zu entscheiden.
Ich möchte die Beobachtungen über Veränderungen des
Centralgefässsystems bei fieberhaften Zuständen damit be-
schliessen, dass ich auf die bei progressen Fhtisikern häufig
beobachtete, mehr oder minder lebhafte Injection des Augen-
hindergrundes hinweise, welche zu dem äusseren stark anä-
Die Netzhautcircalation etc. bei Allgemeinleiden. 91
mischen Aspect nnd dem herautergekommenen Eruährungs-
znstande der Patienten aaflfallend contrastirt. Ein Beispiel
wird genügen.
Beobachtung 37.
David Appelbanm, 26 Jahre, Metallarbeiter, hereditär be-
lastet. Mittelgross, sehr gracil gebaut; schlaffe anämische Haut-
decken, atrophische Muskulatur, minimaler Panniculus adiposus.
Massig starke Dyspnoe.
Phthisische Thoraxform; exquisito phjsikaliscbo Er-
scheinungen einer Infiltration des ganzen linken obern Lungen-
lappens, fragliche Cayernensjmptome.
Keine sonstige Organläsion.
Hektisches Fieber: 39,5 zur Zeit der ophthalmoskopischen
Untersuchung. Puls sehr weich , etwas schnellend, massig
frequent. Augenhintergrund :
Papille lebhaft iiijicirt, von zahlreichen kleinen, sonst kaum
siebtbaren Gefösschen durchzogen, durchsichtig, scharf be-
grenzt
Artmen ein wenig erweitert, stark geschlängelt mit breitem,
gläntendem Beflex, leuchtend hellrother Farbe.
Venen doppelt so breit wie Arterien, mehr gestreckt ver-
laufend, dunkelkirschroth, mit breitem Reflex.
Ziemlich excursive, mit dem Badialpuls isochrone Caliber-
scbwankung und Locomotionen an den ArterienkrQromungen
bis weit in die Netzhaut hinein zu erkennen. Massig starker
Veneupuls auf der Papille. Bei Compression der Carotis der-
selben Seite wird der Arterienpuls schwächer, schwindet jedoch
nicht ganz; Yenenpuls sistirt, die pulsirende Vene collabirt am
Bande des Centralkanals ein wenig.
Wie in diesem Falle habe ich noch bei 4 andern Fhthi-
sikern eine unverkennbare leichte Hyperämie des Opticus
Qod der Retina, sowie spontanen Netzbautarterienpuls be-
obachtet. .
Das Verbalten des Centralgeßlsssystems bei progressiver
Phthise und der nothwendig damit verbundenen allgemeinen
Cachexie führt uns znr Besprehcung der Frage, in wieweit
bei anämischen Zuständen überhaupt das Netz-
hautgefässsystem sich betheiligt zeigt, gleichgültig.
92 B. Schmall.
ob dieselben idiopathisch oder als Folge schwerer orga-
nischer Erkrankungen des Organismus aufzufassen sind.
Ed. y. Jäger*^) giebt zuerst eine anscheinend er-
schöpfende Monographie der bei Anämie beobachteten Ver-
änderungen der Netzhautgefässe, so erschöpfend, dass mau
im Einzelfalle aus dem Augenspiegelbefunde nicht allein
das Bestehen einer Anämie, sondern auch die Tornehmlichen
Mischungsverhältnisse des Blutes bei derselben diagnosü-
ciren müsste.
Die Voraussetzungen jedoch, von denen er bei Beur-
theilung der einzelnen Erscheinungen an den Netzhaut-
gefässen ausgeht, sind zum Theil falsch, vor Allem die An-
nahme, dass die Intensität des Gef&ssreflexes ein Index der
Brechkrafb des Blutes und damit des Albumingehaltes des-
selben ist.
Sehen wir daher von den Schlüssen Jäger *s, welche
auf diesen Voraussetzungen basiren, ab, so erfahren wir aus
der genannten kleinen Abhandlung vor Allem, dass die
Anämie im Gefässsy stem der Netzhaut als Theilerscheinung
einer allgemeinen Anämie viel seltener ist, als man erwarten
sollte. Dort, wo sie beobachtet wurde (bei Anämie in Folge
starker Blutverluste, nach erschöpfenden Krankheiten, bei
hochgradiger Chlorose) erreichte diese locale Anämie gele-
gentlich die höchsten Grade:
„es bestand dann eine Verengerung des ganzen Netz-
hautgefässsystems, wie sie sonst nur bei äusserst hoch-
gradiger Atrophie der Netzhaut beobachtet wird.'^
Die Veringerung der FtQlung der Gef&sse, besonders
der Arterien lässt sich nach Jäger im Allgemeinen leichter
durch ihr früheres ünsichtbarwerden nach der Peripherie zu
als durch Abnahme ihres Calibers auf der Papille erkennen.
Die Färbung des arteriellen und venösen Blutes war
unterschiedlich stark vermindert, die des venOsen Blutes
0 1. c.
Die Netshaatcircnlation etc. bei Allgemeinleiden. 93
gelegentlich so stark, dass Jäger sich yeranlasst fühlt, Yon
einer „Hyperoxyämie^* des venösen Blutes za sprechen und
die wahrscheinliche Ursache derselben in einem „geringeren
Sanerstoilhnnger der Qewebe'^ zu suchen. In seiner zweiten
eben citirten Abhandlung kommt Jäger besonders auf diese
Hyperoxyämie des venOsen Blutes zurück, welche oft die
einzige Anomalie im NetzhautgefUsssystem bei Anämie,
Chlorose etc. sein soll.
Weiterhin finden sich in der Literatur keine Angaben
über Veränderungen an den Netzhautgefässen*) bei allge-
mäner Anämie bis auf eine kurze Notiz Beckers**), wel-
dier bei 10 unter einer nicht genannten grossen Zahl chlo-
rotischer Mädchen Netzhautarterienpuls beobachtet hat, und
bis auf die neueste Arbeit Bählmann's***): „üeber einige
Beziehungen der Netzhautcirculation bei allgemeinen Stö-
mngen des Blutkreislaufs. Bäh 1 mann kommt auf Grund
eines Materials von 86 wiederholt und genau untersuchten
Fallen Yon chronischer Anämie zu dem Schluss, dass nur
in ca. 20 7o derselben auch eine mehr oder minder grosse
Anämie der Netzhaut zu constatiren ist, während ca. 15
bis 23 7o keine you der Norm abweichende Füllung des
Netzhautgefllsssystems, und 57—60 Vo» also die Hälfte aller
Fälle sogar eine exquisite Hyperämie der Betinal-
gefässe aufweisen, welche zu der bleichen Farbe der Haut
und sichtbaren Schleimhäute in auffallendem Contraste steht.
Diese Hyperämie der Netzhäute äussert sich in der Minder-
zahl der Fälle nur in einer stärkeren Anfüllung des venösen
Systems und findet sich dann verbunden mit abnorm schwa«
eher Herzaction imd kleinem Pulse, sie soll bedingt sein
*) Von den in den letzten Jahren sich mehrenden Beobachtungen
über organische Erkrankungen der Netzhaut und des Sehnerven
b«i allgemeiner Anämie sehe ich hier ab.
**) Der spontane Netzhantarterienpnls bei Horb. BasedowiL
Zchender*B Monatobl. 1880.
0 Bfthlmann, Virchow^B Archi? Bd. 103.
94 B. Schmall.
durch eine venOse Stauung in Folge mangelhafter vis a
tergo (?). Die Farbe des Venenblutes war dabei tiefdunkel
bis schwarzroth. Die Arterien zeigten eine von ihrem ge«
wohnlichen hellrothen Blutton kaum abweichende Farbe.
In der aberwiegenden Mehrzahl der Fälle dagegen war
gleichzeitig eine hochgradige Hyperämie der Netzhaut-
arteri^n Yorhanden, welche ihren Tornehmsten Ausdruck
in einer mitunter sehr starken Schlängelung derselben finden
soll. Eine eclatante Erweiterung der Arterien wird dabei,
wie aus den von B. publicirten Krankengeschichten hervor-
geht, nur in einzelnen Fällen beobachtet Die Farbe des
arteriellen Blutes war dabei hellgelbroth, die des venösen
Blutes auffallend matt, mitunter schellackfarben, die venö-
sen Blutsäulen daher abnorm durchsichtig.
In mehr als Vs dieser Fälle von allgemeiner Netzhaut-
hyperämie bestand ausserdem spontaner Arterienpuls an
den geschlängelten Arterien und zwar immer, wie Rählmann
hervorhebt, in Form der Locomotion.
Der Radialpuls war, wie Überhaupt bei Anämischen,
mehr oder minder weich, mitunter etwas schnellend.
Erkrankungen des Herzens bestanden nicht. — Die
Augen selbst zeigten sonst keinerlei Anomalien, die Funk-
tionen derselben waren alle normal; in mehreren Fällen
wurden subjective Angaben über „Flimmern, GrUn- und
Oelbwerden etc. vor den Augen'^ gemacht, auch bestand ge-
legentlich leichte Ermüdbarkeit bei angestrengtem Oebrauch
der Augen. —
Ich habe im Ganzen 94 Fälle von chronischer Anämie
ophthalmosköpirt, unter ihnen 55 Fälle von Chlorose, 38 Fälle
von Anämie nach starken Blutverlusten, schwer fieberhaften
Krankheiten, in Folge maligner Neubildungen, bei Jahre
lang bestehenden Herzfehlern, ein Fall von progressiver per-
niciöser Anämie (Anchylostomiasis) und bin zu folgenden
Besultaten gekommen:
1. Die Betinalgefässe zeigen oft, besonders bei Chloro-
Die Netzhantcirculatioii etc. bei Allgemeinieiden. 95
tischen (207o) eine dem anämisohen Aspect der Hautdecken
QQd sichtbaren Schleimhäute, sowie den exquisit anämischen
Beschwerden der Ghlorotischen widersprechende Füllung und
Farbe, derart, dass sie von normalen mit normalem Blute
gefällten Oefftssen in keiner Weise zu unterscheiden sind.
2. Wenn Veränderungen im Gentralge&sssystem vor-
liegen (80 7o)i betreffen sie in der Mehrzahl der Fälle Ar-
terien und Venen in gleicher Weise (fast ausnahmslos bei
Anämie in Folge von schweren Blutverlusten, schwer fiebere
haften Krankheiten, malignen Neubildungen) ; in der Minder-
zahl zeigt sich Arterien- und Veneusystem in ungleichartiger
Weise afficirt (bei Ghlorotischen in ca. 30 7o).
3. Eine gleichartige Veränderung des Centralgefäss-
Systems äussert sich
entweder in einer Abnahme der Färbekraft des ar-
teriellen und venösen Blutes, bei fehlender oder ge-
ringer Abnahme des Calibers der Gefässe (relativ
selten: einige Zeit nach schweren Blutverlusten, in
wenigen Fällen von schwerer Chlorose, in einem Fall
von progressiver perniciöser Anämie),
oder in einer Caliberabnahme allein (fast immer bei
Anämie in Folge maligner Neubildungen),
oder in beiden zugleich (nach erschöpfenden Krank-
heiten, bei schwerer Chlorose).
4. Eine Differenz im Verhalten zwischen Venen und
Arterien zeigt sich höchst selten in einer anomalen Farben-
differenz zwischen arteriellem und venösem Blut, sondern
fast ausschliesslich in einer Caliberdifferenz zwischen Arterien
und Venen in Folge relativer Zunahme des Calibers der
letzteren, gelegentlich bis zum 2 — ^3fachen des Calibers der
Arterien.
Eine Zunahme der Farbendifferenz in Folge dunk-
lerer Färbung der venösen Blutsäulen lässt sich in dieseu
FlUlen immer durch die grössere Dicke der Blutschicht in
d^ erweiterten Venen erklären. Eine Abnahme der Farben-
96 B. Schmall.
differenz in Folge von Hjperoxyämie des veDOsen Blates
(Jäger) wurde nur in einem Fall von Chlorose, welcher
sonst in nichts sich von anderen Fällen unterschied, mit
Sicherheit constatirt.
5. Die Yenen zeigen eine relative Zunahme ihres Ca-
libers bei normalen sowohl, wie bei verengten Arterien und
zwar häufiger bei normalfarbigem als bei abnorm hell ge-
färbtem arteriellem Blut, geschlängelt sind die Venen selbst
bei stärkster Galiberzunahme nur wenig.
6. Eine stärkere Schlängelung der Netzbautarterien
kommt bei anämischen, besonders chlorotischen Individuen
häufiger vor als bei normalen; doch wurde sie eben so oft
bei exquisit verengten Arterien gefunden als bei normalen,
d. h. relativ weiten Arterien vermisst; eine nachweisbare
Beziehung zwischen Stärke des Galibers und Stärke der
Schlängelungen der Arterien besteht nicht. Eine derartige
starke Schlängelung, dass die einzelnen Arterien einen kork-
zieherartigen Verlauf haben und mit ihren Krümmungen
zum Theil senkrecht gegen die Netzbautebene in den Glas-
körper hineinragen, wurde nicht beobachtet.
7. Die Veränderungen der Füllung und Färbung der
Netzhautarterien steht in keinem Widerspruch mit dem
anämischen Aspect und den entsprechenden Beschwerden der
Kranken.
8. Die einseitigen Veränderungen der Fallung der Netz-
hautvenen (Erweiterung) kommt bei Individuen vor, deren
Anämie sich in der Intensität und der Art ihrer Erschei-
nungen in keiner Weise von derjenigen anderer anämischen
Individuen unterscheidet; diese Venenerweiterung lässt sich,
als Theilerscheinung einer allgemeinen Girculationsano-
malie bislang nicht erklären, sie ist mit grösserer Wahr-
scheinlichkeit auf local die Netzhautcirculation beeinflussende
Momente zurück zu fuhren (s. o.).
9. Nach der ophthalmoskopischen Untersuchung ein
System in die verschiedenen Arten, zumal der ,,Chlorose" zu
Die Netzhautcircnlation etc. bei Allgemeinleiden. 97
bringen, ist bisher ebenso wenig möglich gewesen, als die
Intensität des Processes und damit die Prognose zu be-
stimmen: sehr oft hörten unter Eisenbehandlung die anä-
mischen Beschwerden auf, ohne dass die Enge und Blässe
der Netzhautge^se sich wirklich geändert zeigte. Doch
erscheint die Möglichkeit, dass man auf Grund umfang-
reicherer Untersuchungen zu positiveren Besultaten gelangen
könnte, nicht ausgeschlossen.
10. Der Netzhautarterienpuls wird bei anämischen In-
dividuen ungemein häufig beobachtet (z. B. bei 20 unter
55 Chlorotischen). Er ist in der Mehrzahl der Fälle allein
an der Locomotion der Arterienkrümmungen zu erkennen,
ist diese Locomotion stark ausgeprägt, so kann man regel-
mässig auch eine geringere Galiberschwankung der Arterie
wahrnehmen, daran erkennbar, dass das Arterienrohr sich
leicht verbreitert, indem gleichzeitig die rothen Blutstreifen
und etwas stärker der Wendungsreflex sich verbreitert
(cf. Becker*). — Per Arterienpuls fehlt zeitweise bei einem
und demselben Individuum und tritt zeitweise stärker
hervor.
11. Verstärkung oder Abschwächung des Netzhaut-
arterienpuls in sitzender oder liegender Körperhaltung des
Untersuchten wird mit Sicherheit nur in sehr wenigen Fällen
constatirt.
12. Compression der Carotis schwächt den Puls häufig
ab, hebt ihn aber nicht immer völlig auf; Compression der
y. jugularis eiterna hat keinen nachweisbaren Einfluss auf
den Puls.
13. Constant ist bei vorhandenem Netzhautarterienpuls
eine mehr oder minder grosse Herabsetzung des arteriellen
Mitteldrucks und damit wohl auch des intraoculären Druckes.
14. Nicht so constant ist eine gewisse Celerität des
♦) V. Graefe*8 Arcbiv XVIII., 1: „üeber die sichtbaren Er-
scheinongen der Blntbewegong in der menschlichen Netzhaut** —
S. 283.
T. Onefe's Arehiv fOr OphOwlmclosie, XZZIV. 1. 7
98 B. SchmalL
Badialpulses: schnelles Abfallen einer mehr oder minder
hohen Blntwelle, welches bei Erheben des Armes häufig
deatlicher hervortritt.
15. Der Arterienpnls steht zu den Arterienschlänge-
lungen nur in der Belation, dass bei vorhandener Disposition
za seinem Entstehen er an stark gesehlängelten Gefässen
am ehesten sichtbar wird.
16. Der Arterienpuls steht in keiner direkten Bezie-
hung zur Abnahme der geformten Elemente im Blute.
17. Der Arterienpuls schwindet nicht immer bei Auf-
hören der anämischen Beschwerden (der Chlorotischen).
Jeden einzelnen dieser Sätze durch genauer aufgeführte
Krankengeschichten zu begründen, würde zu weit führen,
ebenso verzichte ich darauf, procentualiter das Verhältniss
der verschiedenen Veränderungen im Netzhautgefilsssystem
bei den verschiedenen Formen und Oraden der Anämie an-
zugeben, weil die Differenzen zwischen einer solchen Zusam-
menstellung und den Bä h Im ann* sehen Angaben so erheb-
liche sein würden, dass der Werth einer Statistik auf Grund
des relativ geringen Erankenmaterials in beiden Fällen sehr
in Frage gestellt werden würde.
Ich mochte nur auf die beiden Cardinalpunkte der
Rählm ann 'sehen Arbeit kurz eingehen: auf die „eiquisite
Hyperämie der Betina^' bei allgemeiner Anämie und auf den
Netzhautarterienpuls, speciell auf die Erklärung desselben.
Galiberzunahme der Netzhautarterien habe ich bei all-
gemeiner Anämie nie beobachtet, wenn lokale auf die Betina-
circulation direkt oder reflektorisch einwirkende Beize mit
Sicherheit ausgeschlossen waren. Dagegen habe ich in meh-
reren Fällen, in denen Conjunctivitis, Erscheinungen eines
AccoQiodationsspasmus etc. vorlagen, sehr lebhafte Ii^jection
des Augenhintergrundes gesehen, die sich dann mehr oder
weniger der Bählmann'schen Netzhauthyperämie näherte;
auch der Netzhautarterienpuls fehlte nicht.
Die Netzhautcircnlation etc. bei AllgemisinleideiL 99
Bfihlmann giebt in seiner Arbeit nicht besonders an,
ob das Gros der von ihm ophthaimoskopirten anämischen
Individuen wegen des Allgemeinleidens den Innern Kliniker,
oder wegen einer gleichzeitigen localen Erkrankung des
Auges den Ophthalmologen consultirt hat.
Und wenn er in der Einleitung sagt: „Es bedarf viel-
leicht der besonderen Erklärung, dass die von mir unter-
suchten Individuen durchaus gesunde Augen hatten, dass
also far die auffallende Hyperämie der Retina von Seiten
des Auges jede motivirende Ursache fehlte . . .** so mochte
ich doch darauf aufmerksam machen, dass beispielsweise
unter neun Fällen von Chlorose, die Rählmann auffuhrt,
drei Fälle von Conjunctivitis, ein Fall „mit dem Oefabl von
Hitze und Schwere in den Augen^^ verzeichnet sind.
Mit Rählmann eine stärkere Schlängelung der Netz-
hautarterien bei normalem, ja häufig zweifellos verengtem
Caliber derselben als prägnantesten Ausdruck einer arteriellen
Hyperämie aufzufassen, habe ich mich nicht veranlasst ge-
fohlt, da es eine grosse Anzahl von Fällen giebt*), in denen
«ine exquisite Calibererweiterung der Arterien beobachtet
wird, ohne gleichzeitige stärkere Schlängelung derselben.
Was die Bedingungen fQr die Entstehung des Netzbaut-
arterienpulses anlangt^ so kann ich auch hierin nicht ganz
Kfthlmann beistimmen.
Mir scheint vor Allem der Versuch Rählmann's,
mehrere Krankheitsgruppen aufzustellen, von denen jede
durch eine ihr allein eigenthumliche Rückwirkung auf die
allgemeine oder locale Circulation das Entstehen des Netz-
hantarterienpulses begünstigen soll, nicht ganz berechtigt.
Wenn wir von dem Netzhautarterienpuls bei Insufficienz der
Aortenklappen und bei Aortenaneurysma absehen, welcher
wohl ohne Frage durch den charakteristischen Verlauf der
Palswelle bedingt ist, so wäre nach Rählmann noch ein
♦) 8. V. Fall 13—15 etc.
100 B. Schmall
Arterienpuls bei Neurasthenie, bei Anämie (nach starken
Blutverlusten, Morbus filasedowii, Chlorose), bei starker
venöser Stauung, bei Alteration der Gefässwand und bei
Netzhauttrübung zu unterscheiden. Die Krankengeschichten,
auf welche sich B. stützt, gehören dabei fast ausschliesslich
— unter 39 publicirten Fällen findet sich kaum eine Aus-
nahme — mehr oder minder hochgradig anämischen Indi-
viduen an, meist mit den ausgesprochensten anämischen
Symptomen.
Wenn Bählmann allgemeine Anämie im weitesten
Sinne des Wortes als ein für die Entstehung des Netzhaut-
arterienpulses ungemein günstiges Moment hervorhebt, so
dürfte der Versuch, noch andere ursächliche Momente hier-
für heranzuziehen, zum mindesten sehr gewagt erscheinen,
sofern neben diesen zum Theil localen Ursachen (venOse
Stauung, Alteration der Netzhautgefässwandungen, Angio-
neurose (?) der Kopfgefässe bei Neurasthenie etc.) gleich-
zeitig allgemeine Anämie besteht.
An diesen Bemühungen Rählmann's, den Arterien-
puls in der Netzhaut auf die verschiedensten causalen Mo-
mente zurückzuführen, liegt es auch, dass seine zum Theil
auf experimentelle Untersuchungen sich stützenden Erklä-
rungsversuche nur zum kleinen Theil annehmbar sind.
Zunächst unterscheiden sich die beiden Erscheinungs-
formen des Netzhautarterienpulses, die Galiberschwankung^
und die Locomotion wohl nur graduell von einander: die
letztere ist der deutlichste, der Beobachtung sich am meisten
aufdrängende Ausdruck eines Arterienpulses. Die erstere
wird erst bei einer gewissen Höhe und Stärke der Pulswelle
ophthalndoskopisch sichtbar.
Folgende von Becker citirte Betrachtungen aus dem
Ludwig'schen Handbuch fttr Pathologie (II, 110) dürften
hier am Platze sein.
.^Die Ausdehnung der Arterien geschieht, wie dieses
^ • namentlitt &n einem 'blossgelegten Gefässe sichtbar wird^
Die Netzhantcircnlation etc. bei Allgemeinleiden. 101
ebensowohl nach der Länge als nach dem Qaerdnrchmesser.
Die Anschwellung nach der letztern Richtung ist jedoch
weniger auffällig als die Verlängerung, weiche sich durch
eine Bewegung der bisher gestreckten Gefässe besonders
einleuchtend äussert. Dieser Unterschied ist einmal be-
gründet in der meist geringern Dehnbarkeit nach der
queren Bichtung und nächstdem, dass das blossgelegte
Oefäss nach der Länge hin mehr Masseinheiten sehen
lässty als sie der Peripherie der Arterie zukommen; wenn
also die Ausdehnung, welche die Arterienwand nach
beiden Sichtungen hin erfährt, relativ gleich gross ist,
wird doch die nach der Länge absolut bedeutender sein.'*
Die Beobachtung, auf welche sich Bäh 1 mann besonders
stützt, wenn er auch eine qualitative Verschiedenheit zwi-
schen CaUberschwanknng und Locomotion präsomirt, näm-
lich dass bei vorhandener Locomotion nie eine CaUber-
schwanknng sichtbar ist, kann ich, wie schon vorher erwähnt,
nicht bestätigen.
Von den Versuchen Bählmann^s, auf experimentellem
Wege Näheres aber die Bedingungen fßr das Entstehen des
Netzhantarterienpulses zu erniren, wäre als allein vom posi-
tiven Besultate gefolgt zu nennen — die Erzeugung einer
künstlichen Hydrämie bei Hunden durch Transfusion von
physiologischer Kochsalzlösung in den Venen.
Der zum Beweis dienende Versuch wurde an einem
kleinen schwarzen Hunde gemacht, dessen Körpergewicht
nicht angegeben ist Nachdem 500 Gramm Kochsalzlösung
injicirt waren, zeigten sich im Augenhin tergrunde um*s
Doppelte erweiterte aulSallend hellrothe Betinalvenen, wenig
erweiterte Arterien und exquisite Arterienlocomotionen an
4en S-förmigen Krümmungen.
Herzaction sehr energisch, 60 — 80 Pulse in der
Minnte.
3 Stunden später, nach Injection von 3000 cbcm, kaum
nodi sichtbare Locomotion bei schwacher, frequenter
Herzaction (140).
102 B, Scbmall.
Der Schlass, den Rfthlmann daraos macht, ist fol-
gender:
,J)ie relative VermiDderang der Zellkßrper ....
bei vermehrter BlatqQaatitat (Plethora serosa) mnss
eine Yermindening der Reibuag nnd eine leichtere
Beweglichkeit der Blutsikole im Gefolge haben . . .
. . . Der Arterienpuls der Netzhaut scheint nnr ein
localer Ansdruck der leichteren Beweglichkeit der Blot-
sänle zu sein,"
Ich habe denselben Versuch an einem 'mittelgrossen
Hunde (10,5 kg EOrpergevicht) nachgemacht und habe nach
Injeotion von nahezu 1000 Or. 0,8 7o Kochsalzlösung gleich-
falls vor dem Versuch nicht sichtbaren Ärterienpnls (als
Locomoiioa) auf der Netzhaut beobachtet; (die Venen der
Netzhaut waren dabei kaum erweitert, nur mit hellerm Blate
erfüllt.) Dabei zeigte jedoch die Pulscnrve, welche wahrend
der ganzen Yersuchsdaner mit dem Ludwig'scben Kymo-
graphiom registrirt wurde, sehr beachteuswerthe Aendenin-
gen. Einmal war der arterielle Mitteldrnck, wie aus der
nebeDSteheoden Pulscurve (Fig. 13) hervorgeht, um 14 mm
Hg. gesunken, sodaan war die Herzaction bedeutend ver-
langsamt (68 Pulse gegen 1^ Pulse bei Beginn des Ver-
SDches) und sehr verstärkt.
Die Netshantcirciilatioii etc. bei Allgemeinleiden. 103
Bählmann giebt das Yerhalten der Pulscurre eben*
sowenig wie das des Blntdmcks zur Zeit der stärksten Fnl-
sationen in der Netzhaut an; er begnügt sich mit dem Hin-
weis auf die Worm- Müll er 'sehen Resultate, dass bei
Transfusion von Blut in die Yenen von Hunden der Blut-
druck in der Carotis nicht (dauernd) zu steigen pflege.
Jedoch habe ich keine Veranlassung, den Verlauf des
Bfthl mann 'sehen Versuches als einen von dem meinen ab-
weichenden anzusehen. Denn die von Bählmann referirte
Pulsfrequenz von 60 — 80 Schlägen in der Minute, welche
er zur Zeit des Sichtbarwerdens der Netzhautarterienpulse
zählte und welche für einen kleinen Hund unter normalen
Verhältnissen eine sehr geringe wäre, spricht entschieden
fdr eine auf den Eingriff zurückzuführende pathologische
Pnlsverlangsamung und also wahrscheinlich auch fQr eine
entsprechende Verstärkung der Herzaction.
Es liegt wohl viel näher, die enorme Verstärkung der
einzelnen Herzcontractionen (bei herabgesetztem mittleren
Blutdruck) als ursächliches Moment für die Entstehung des
Netzhautarterienpulses anzusprechen, als mit Bählmann
eine aus der Hydrämie des Blutes direct resultirende leich-
tere Bew^lichkeit der ganzen arteriellen Blutsäule.
Mit meiner Erklärung würde auch besser übereinstim-
men das allmähliche Verschwinden des Netzhautarterienpulses
im weiteren Verlauf des Versuches, welches auch Bähl-
mann durch Herzschwäche (140 Pulse) zu erklären gezwun-
gen ist. Ich selbst habe den Versuch nicht weiter fortfahren
können, da eine entstandene Hornhauttrübung die genauere
ophthalmoscopische Untersuchung hinderte.
Weitere Versuche in dieser Richtung sind nicht ange-
stellt worden und zwar aus dem Grunde, weil die auf die
genannte Weise künstlich beim Hunde erzeugte acute Hy-
drämie sich weder in der Art der Blutmischung, noch in
ihrer Bückwirkung auf das Herz und Gefässsystem, mit den
bei Anämischen vorkommenden Blutmischungsverhältnissen,
104 B. SchmalL
noch den chronischen Störungen der Circulation in irgend
einer Weise identificiren lässt. Bählmann vergisst vor
Allem mit einem sehr wesentlichen Factor zu rechnen, näm-
lich mit der mehr oder minder grossen Herzschwäche anä-
mischer Individuen und der dadurch bedingten Herabsetzung
des arteriellen Mitteldrucks. Letztere „muss die Strom-
geschwindigkeit des Blutes derart beeinflussen, dass dagegen
der Gewinn, welchen die Yerringerung des Beibungswider-
standes in den Capillaren mit sich bringt, gar nicht zur Gel-
tung zu kommen pflegt/* j(Gohnheim's AUg. Pathologie I,
S. 371). Die BlutstrOmung ist demnach nicht, wie Bähl-
mann will, bei der Anämie beschleunigt, sondern geradezu
verlangsamt und damit ist der Erklärungsversuch Bähl-
mann's, die Entstehung des Netzhautarterienpulses bei
der Anämie auf eine grössere Strömungsgeschwindigkeit des
Blutes zurackzuführen, widerlegt. Ich möchte im Gegentheil
auf Grund zahlreicher mit dem FleischTschen Hämometer
angestellten Hämoglobinbestimmungen eher behaupten, dass
der Netzhautarterienpuls häufiger bei geringerer, als bei
stärkerer Hydrämie*) des Blutes vorkommt.
Ich glaube, dass der Netzhautarterienpuls, wie ihn
Bählmann bei Anämie, bei „Neurasthenie, bei Alteration
der Gef&sswände, Trübung der Netzhaut, venöser Stauung^'
gefunden und beschrieben hat, dass ferner der Arterienpuls
beim Fieber und, wie ich hier nachtragen will, in der Be-
convalescenz von nicht lange währenden, den Eräftezustand
der Patienten nur massig reducirenden fieberhaften Leiden,
Pneumonieen, Diphtheritis etc.) — dass der Netzbautaiterien-
puls in allen diesen Fällen zurückzuführen ist auf einen
gewissen Umfang und schnellen Ablauf der einzelnen Herz-
contractionen bei einem gewissen herabgesetzten arteriellen
*) Der Ausdruck „Hydrämie* wird hier der KUrze wegea
gebraucht-, fttr die Verarmung des Blutes an morp hotische a Bestand-
theilen, tpeciell rother Blatkörperchen, deren physiologische Folge
eine Yerminderung der KeibuDgswlderst&nde in den Capillaren ist.
Die Netzhantciiciilation etc. bei Allgemeinleiden. 105
Mitteldiuck (also auch herabgesetzter Wandspannung der
Arterien).
Eine einseitige Aendemng dieser für die Genese des
Netzhautarterienpolses wichtigen Componenten fOhrt zum
Schwinden des Pulses, vorausgesetzt, dass nicht die andere
€omponente gewissermaassen vicariirend eintritt. Daher
denn auch bei einem und demselben Individuum das zeit-
weise Fehlen des Arterienpulses in der Netzhaut, welches
die Autoren als bei Aortenklappeninsufflcienz vorkommend
angeben (s. o.) und welches ich auch fQr die hier be-
sprochenen Allgemeinleiden in vollem umfange bestätigen
kann.
Die Annahme einer für das abnorm periphere Sicht-
barwerden der Pulswelle besonders günstigen Combination
von mittlerer GefiLsswandspannung und Pulswelle ist zum
Theil hypothetisch. Man weiss nur aus Experimenten, dass
in einem elastischen Schlauche eine Pulswelle um so später
erlischt, je grossem Umfang sie von vorneherein hat und
je geringer die mittlere Spannung der Wandung des
Schlauches ist; man weiss aus klinischer Beobachtung, dass
ein Netzhautarterienpuls nicht vorkommt trotz kräftiger
Herzaktion, wenn gleichzeitig der mittlere Blutdruck erhöht
ist, z. B. bei Hypertrophie des linken Ventrikels in Folge
von Schrumpfhiere, bei gesteigerter Herzthätigkeit nach
starker körperlicher Anstrengung etc., dass dagegen der
Arterienpuls meist auftritt, wenn eine kurze energische
Heizaktion bei relativ niedrigem arteriellen Mitteldruck be-
steht (bei Aortenklappeninsufficienz , bei den oben be-
schriebenen Versuchen künstlicher Hydrämie bei Hunden).
Es ist jedoch nicht möglich, von vorneherein als für
alle Fälle gültig festzustellen, bei welcher Höhe des Blut-
drucks oder bei welchem Charakter der Badialispulskurve
die Pulswelle abnorm weit in der Peripherie des Körpers
sichtbar werden muss. Es können eine Anzahl anderer
Momente concurriren, welche das Zustandekommen des
106 B. SchmalL
Netzhautarterienpulses bei vorhandener Disposition zu seiner
Entstehung hindern oder begünstigen, ohne dass man die-
selben greifbar demonstriren könnte; z. B. der Verlanf und
die Verzweigung derjenigen arteriellen Geftsse, aus denen die
Centralarterie der Netzhaut entspringt, grössere oder ge-
ringere Elasticität der Wandungen dieser Gefftsse, endlich
vielleicht auch ein dem Blutdruck disproportionales Ver*
halten des intraoculftren Druckes.*)
Wir werden nicht umhin können, auch derartige Mo-
mente zu berücksichtigen, wenn wir bei einer Anzahl von
Individuen, deren AUgemeinleiden in Intensität und Ver-
lauf sowie in seiner Bückwirkung auf Herz und Gef&ss-
system wenigstens nach den uns zu Gebote stehenden
Untersuchungsmethoden absolut gleichartig erscheint, den
Netzhautarterienpuls bald finden, bald vermissen.
Im Uebrigen ist das Auftreten dieses Pulses nur ein
weiterer**) Beweis für das abnorm periphere Erlöschen
der durch die Herzcontraction angeregten Pulswelle bei den
genannten Allgemeinerkrankungen.
Mit Baehlmann in diesem Puls oder vielmehr in der
anomalen Blutbewegung, welche er anzeigt, das Substrat
tür gewisse subjective oder objective* Erankheitssymptome
zu muthmassen, sehe ich keine Veranlassung, trotzdem ich
gerade nach dieser Seite hin mich bemüht habe, einen all-
gemeineren klinischen Werth der ophthalmoskopischen Er-
gebnisse aufzufinden.
Wenn demnach auf der einen Seite die Kenntnisse
über sichtbare Pulsationen im Augenhintergrund durch die
Beschreibung des Netzhautarterienpulses bei anämischen
*) Naunyn nnd Falken heim fanden bei künstlich erzeugter
Hydrftmie am Hunde eine vom Blutdruck unabhängige Zonahme
des intracerebralen Druckes.
**) Die ersten Angaben hierüber finden sich schon in der ge-
nannten Abhandlang Quinckes «Beobachtungen über Gapillar- und
Yenenpnls** ans dem Jahre 1868.
Die Netshautdrcnlation etc. bei AllgemeinleideD. 107
und fieberhaften Zuständen bereichert worden sind, so er-
leidet andererseits zugleich die allgemeine klinische Diag-
nostik eine gewisse Einbusse insofern, als dadurch die bisher
dem Netzhantarterienpuls yindicirte pathognomonische Be-
deutung bei Aortenklappeninsufficienz und bei Aortenaneu-
rysmen in bestimmter aus dem vorher Gesagten ohne
Weiteres ersichtlicher Beziehung beschränkt wird.
Zum Schlüsse spreche ich Herrn Professor Jacobson
für die gütige Anregung zu dieser Arbeit, sowie den
Herren Professoren Naunyn und Schreiber far die
liebenswOrdigkeit, mit welcher sie mir das Erankenmaterial
der medicinischen Klinik und Poliklinik zur Verfügung ge-
stellt haben, meinen herzlichsten Dank aus.
Eine nene Methode der Eomlianttransplaiitatioii.
Von
Prof. Dr. A. v. Hippel
in Giessen.
Auf den Yersammlangen der ophthalmologischen Gesell-
schaft im Jahre 1886 und 1887 habe ich zwei kurze Mit-
theilmigen aber eine nene Methode der Keratoplastik gemacht,
mittelst deren es mir gelungen ist, die Einheiiung eines StQckes
Eaninchenhomhaut in das leucomatös getrübte menschliche
Auge mit dauernder Erhaltung seiner Transparenz zu er-
zielen. — Eine Kritik früherer, diesen Gegenstand behan-
delnder Arbeiten schien mir an jenem Ort ebensowenig an-
gebracht, wie eine bis in's Detail sich erstreckende Schil-
derung meines Verfahrens und seiner Indicationen, eine Auf-
zählung aller bei der Operation möglichen übelen Zu&lle
oder eine eingehende Besprechung des Heilungs Verlaufes.
Es lag in meiner Absicht, diese Dinge in einer ausführ-
licheren, für dies Archi? bestimmten Arbeit erst dann zu er-
örtern, wenn ich auf Grund einer grösseren Zahl von Trans-
plantationen nach der neuen Methode in der Lage wftre^
alle noch der Erledigung harrenden Fragen in befriedigender
Eine neue Methode der fioirnhanttransplantatioiL 109
Weise zu beantworten. Zwei Umstände sind es, die mich
nun doch zn einer früheren Pnblication veranlassen: einmal
die Einsicht, dass das mir zur Verfügung stehende Eranken-
material nicht gross genug ist, um eine ausreichende Zahl zur
Transplantation geeigneter Fälle in absehbarer Zeit zu liefern,
dann der Wunsch, denjenigen CoUegen, welche die Operation
ausfuhren wollen, eine möglichst genaue Beschreibung der
Technik zu geben, die sich mir als zweckmässig bewährt hat.
Gern gebe ich zu, dass dieselbe in mancher Hinsicht noch
der VerToIlkommnung fähig und bedürftig ist, glaube aber
ihre strikte Befolgung trotzdem zunächst allen Denjenigen
empfehlen zu dürfen, welche die Keratoplastik zum ersten
Male ausführen; sie werden so Misserfolge leichter ver-
meiden.
Seit Veröffentlichung meiner letzten Arbeit über Trans-
plantation in diesem Archiv*) ist die Zahl der diesen Gegen-
stand behandelnden Publicationen nur noch gering.
Sellerbeck**) berichtete über einen Fall, in welchem
er den Versuch machte, durch Anlegung einer Homhautfistel
und Bedecken der überpflanzten Cornea mittelst zwei von
oben und unten abpräparirten Gonjunctivallappen bessere
Heilungsbedingungen herbeizuführen, als sie ihm mein früher
geübtes Verfahren zu bieten schien. Der primäre Erfolg
war sehr befriedigend, leider erwies er sich aber ebenso wenig
von Dauer wie in meinen Fällen, das erlangte Sehvermögen
ging wieder verloren. Die Ursache des Misserfolges suchte
Sellerbeck in dem Reiz, welchen der geschrumpfte untere
Gonjunctivallappen auf das Auge ausübte; er habe die
parenchymatöse Trübung des transplantirten Hornhaut-
Stückes verschuldet.
Nicht bessere Resultate erhielt Dürr***), der in 13 Fällen
die partielle Transplantation in der Weise übte, dass er nach
*) V. Graefe'B Archiv Bd. XXIV, Abth. 2, p. 236-206.
«•) Dasselbe Bd. XXIV, Abth. 4, p. 1—46.
) Zehender's Monatsblätter Bd. XVII. 1879, p. 817 ff.
110 A. T.
periphere Abtngmig der ^rtrabtn Honihaiitscfaiehteii dnen
«08 dai dbeieii famdifgi der EuüiidiM-Coniea entnom-
menea LqipeB mit dann befindlidiem CoDJmictiTilzipfel über-
pflanzte. Die Tianspamiz dessdben erhielt ädi zwar langer
als bei den frflheren Metboden, ging aber doch schliesslich
Töllig Yerloren.
Dnrcb Tbierexperimente nnd histologische ünter-
snchnngen Tosnditen Neelsen und Angelncci*) die Frage
nach der Ausfohibaikeit der Eentoplastik za beantworten.
So berechtigt das Stieben ist» die Besoltate der klinischen
Beobachtong dorch experimoitelle nnd mikroskopische
Forschang zn stützen and zn eig&nzen, so wenig znl&ssig
erseheint mir der Aussprach der Autoren: ,,Ein6 klinische Wür-
digung der Transplantation wird einen wissenschaftlichen
Werth nur insoweit beanspruchen können, als sie sidi auf
die Kenntoiss der mikroskopischen Gewebsveränderungen bei
diesem Process stützt** Führt dieser Standpunkt nun gar
dazu, die an dem normalen Thierauge gemachten Beobach-
tungen ohne Weiteres auf das pathologisch yerftnderte mensch-
liche Auge zu übertragen und ohne alle eigenen klinischen
Erfahrungen Behauptungen aufzustellen, welche eine all-
gemeine Gültigkeit keineswegs beanspruchen dürfen, so sinkt
der Werth des Thierexperimentes in der vorli^enden Frage
doch sehr erheblich und die klinische Forschung wird sich
das Becht vorbehalten dürfen, gelegentlich der mikro-
skopischen voranzugehen, ohne darum den Vorwurf der „ün-
wissenschaftlichkeit*' zu verdienen.
Wenn die Verfasser die Besultate ihrer Versudie in
folgenden Sätzen zusammenfassen: „In der Mehrzahl der
Fälle geht das transplantirte Comealstückchen zum Theil
zu Grunde; der Best wird in undurchsichtiges Narbengewebe
eingeschlossen. Eine Anheilung mit Erhaltung des Stückes
ist nur möglich, wenn dasselbe nicht nur vom Bande,
*) Zehenders Monatsblfttter Bd. XVIU. 1880, p. 28öff.
Eine nene Methode der Hornbanttransplantation. m
sondern anch Yon seiner inneren Fläche ans dnrch an-
liegendes altes oder nen gebildetes Gewebe ernährt wird*',
so mögen dieselben für das Hnndeange zutreffend sein; für
das lencomatOse menschliche Auge haben sie keine allgemeine
Oiltigkeit, denn anf Omnd zahlreicher eigener Er&hrangen
kann ich bestimmt behaupten:
1. Dass der überpflanzte Lappen nur ganz ausnahms-
weise einmal zu Grunde geht;
2. dass die Ernährung Yom Rande her zu seiner Er-
haltung YoUkommen genfigt und das Auftreten neu
gebildeten Gewebes an seiner hinteren Fläche eine
höchst unerwünschte^ aber keineswegs obligatorische
Gomplication des HeilungSYorganges bildet, die sehr
rasch jedes optische Besultat Yernichtet;
3. dass auch ohne eine derartige Gewebsneubildung
Yon der Iris aus der Lappen frühzeitig seine Trans-
parenz Yerliert, nachdem es zu einer Aufquellung
seines Gewebes mit mehr weniger ausgedehnter
Abstossung des Epithels gekommen.
Diese you mir schon längst herYorgehobenen That-
aachen sind Yon allen Autoren bestätigt worden, welche die
Transplantation beim Menschen ausgeführt haben und können
<laTch abweichende Resultate you ThierYersuchen nicht er-
sdiüttert werden. —
In der Annahme, dass fötales Cornealgewebe Yielleicht
«her seine Transparenz behielte, wurde, wie ReYclli*) be-
richtet, Yon Peso hei der Versuch gemacht, Hornhautstncke
Yon Hunde- und Schweineembryonen auf das menschliche
Auge zu transplantiren. Der Erfolg entsprach indessen nicht
den Erwartungen: „Die Corneallappen resorbirten sich durch
Einwachsen Yon Granulationen Yollständig.*'
*) Operazioni di cheratoplastica. DiBBert. Torino 1888.
112 A. V. Hippel.
Anscheinend ohne Eenntniss der Ton Nassbaum nnd
mir vergeblich angestellten Versuche, eine Cornea arteficiaUs
danemd in ein leacomatOses Ange einzuheilen, empfiehlt
Martin*) folgendes, etwas phantastisch klingendes Ver-
fahren: Das lencomatöse Ange soll zunächst durch eine
Vorlagerung des Internus um 90 ® (!) nach einwärts gestellt
werden, sodass die Sclera die Mitte der Lidspalte einnimmt.
„Quinze jours aprös, lorsque la conjonctive a repris son
aspect normal, jlntroduis sous-conjonctivalement, dans le
plan horizontal de Toeil ainsi pr^parä, ä 6 mm environ de
la corn^e, un petit appareil en or, fabriqu6 par M. Mathieu
sur mes indications, v^ritable clou ä large t£te, demi-
cylindrique, perc^ d*une ouverture de 0,8 mm. Ce petit
tube s'introduit avec la plus grande facilitö et la conjonctive
qui lui forme nn revStement, le maintient facilement en
place. Quand Toeil est habituä ä Tinstrument, huit ä dix
jours apr&s, il ne reste plus qu'ä dögager Torifice du clou
ä le döbarrasser de son obturateur et la lumidre ne trouve
plus d'obstacle pour p6n6trer dans Tint^rieur de la cavitö
oculaire. Pour opörer ce d^gagement je me sers d*un galyano»
cautöre dont Taction est instantan^. L'op^ration est ter-
minie."
Ich habe die Beschreibung des Verfahrens wörtlich citirt,
da dieselbe so unklar ist, dass sie mir eine üebersetzung
nicht zu Yertragen schien. Jeder Versuch, ein nagelähnliches
Instrument in die Sclera einzuheilen, wird selbstverständlich
ebenso resultatlos bleiben, wie unsere früheren Bestrebungen^
eine Cornea artefidalis im Leucom zu fixiren. Das Ver-
fahren, von seinem Erfinder vor Sammlung eigener Er-
fahrungen publicirt, dürfte daher schwerlich Nachahmer
finden.
Die Besultatlosigkeit aller bisher von Anderen und mir
selbst gemachten Versuche, das Problem der Keratoplastik
*) Rdcueil d^ophthabnologie 1886, No. 2, p. 05.
Eine neue Methode der HornhanttransplantatioD. ]13
zu lösen, konnte mich nicht veranlassen, von der weiteren
Verfolgnng einer wissenschaftlichen Frage abzustehen, an
die ich so lange vergeblich Zeit und Arbeit gewandt hatte,
vielmehr bemühte ich mich zunächst, festzustellen, warum
die Trübung des transplantirten Hornhautstückes selbst bei
glatter Einheilung desselben mit so fataler Nothwendigkeit
in kurzer Frist eintritt. — Leber's*) treffliche Untersuchungen
über den Flüssigkeitswechsel im Auge schienen mir den
Schlüssel des Bäthsels zu enthalten, denn sie lehrten, dass
die Transparenz des Hornhautgewebes von der Intactheit des
Epithels der Descemet'schen Haut abhängig ist. Zerstörung
desselben bewirkt Aufquellung und Trübang der darunter
befindlichen Schichten des Parenchyms und Abstossung des
vorderen Epithels durch Eindringen des Humor aqueus in
das Gewebe. — Schliesst sich der Defect im Epithel der
Descemet'schen Haut, so bilden sich die Veränderungen
zurück und die Cornea gewinnt ihre Transparenz wieder;
bleibt er bestehen, so verliert sich die Trübung nicht. Dass
es bei der Transplantation eines Hornhautlappens niemals
zu einer Verwachsung der Ränder der Desceme tischen
Haut kommt, dieselben sich vielmehr infolge ihrer grösseren
Elasticität stets mehr weniger einrollen, war mir aus kerato-
plastischen Versuchen an Kaninchen seit langer Zeit bekannt.
Der Humor acqueus kann daher zunächst von den Bändern
des Lappens in das Hornhautgewebe eindringen und, da der
Defect offen bleibt, sich allmählich auch in den centralen
Theilen verbreiten, wodurch ein völliger Verlust der Trans-
parenz zu Stande kommen muss.
Dieser Annahme entspricht vollständig das Resultat der
klinischen Beobachtung: stets beginnt die Trübung und
Quellung des Lappens an den Bändern und schreitet von da
nach der Mitte bin weiter.
Unter solchen Umständen schienen mir weitere Versuche
♦) T. Qraefe's Archiv Bd. XIX, Abth. 2, p. 87-186.
T. Oraefe's Archiv fttr Ophthalmologie, XXXIV. t . 8
114 A. V. Hippel.
in der bisherigen Bichtong zwecklos und eine Modification
der Operationsmethode nothwendig zu sein. Der schädliche
Einfluss des Humor aequeus lässt sich nur ausschliessen
durch Erhaltung der Descemet*schen Haut, ich wurde da-
her veranlasst, einen von Ph. v. Walther zuerst aus-
gesprochenen, vonMühlbauer*) und Dürr**) bereits practisch
verwertheten Gedanken auch meinerseits nochmals aufzu-
nehmen und die partielle Transplantation in anderer Weise
als meine Vorgänger zu versuchen. Nach wie vor davon
überzeugt, dass die Operation nur dann gelingen kann, wenn
der Defect im Leucom und der transplantirte Lappen genau
gleich gross sind, umschnitt ich mit dem früher beschrie-
benen Trepan im Leucom ein Stück von 4 mm Durchmesser
und präparirte es mit Gräfe*s Messer aus unter Zurück-
lassuDg der Membrana Descemetii. Ein gleich grosses, der
Cornea eines Hundes entnommenes, circa 1 mm dickes Stück
diente zur Ausfüllung des Defects. Dreimal führte ich die
Operation in der erwähnten Weise aus; in allen Fällen heilte
der Hornhautlappen zwar leicht ein, trübte sich aber bereits
am Tage darauf und war nach wenigen Wochen total un-
durchsichtig. — Da die Einwirkung des Humor aqueus hier
für den Misserfolg nicht verantwortlich gemacht werden
konnte, nahm ich an, dass die schnelle Trübung durch die
Quetschung des Oewebes beim Auspräpariren der oberen
Homhautschichten bedingt, also Folg« einer traumatischen
Keratitis sei. Eine solche glaubte ich durch Benutzung
einer dünneren Thier-Gomea vermeiden zu können, die es
gestattet, ein aus der ganzen Dicke mittelst des Trepans
excidirtes Stück auf die Descemet'sche Haut des mensch-
lichen Auges zu übertragen. — Die Richtigkeit meiner Vor-
aussetzung bewies bereits die erste nach dieser Methode aus-
geführte Operation, über deren dauernden Erfolg ich den
*) Ueber Transplantation der Cornea. Schmidt*8 Jahrb.
Bd. XXXV, p. 267.
*♦) 1. c.
Eine neue Methode der Homhauttransplantation. 115
FacbgeDossen in Heidelberg mündlich Bericht erstattet habe
unter gleichzeitiger Vorstellung der Patientin.
Von mir selbst wurde bei dieser Gelegenheit bereits
betont, dass meine Methode bei totalen adhärirenden Leu-
«omen natürlich nicht ausfuhrbar sei, Adamück*) theilt
uns in seiner kürzlich erschienenen Publication also gerade
nichts Neues mit, wenn er diese Thatsacbe nochmals her-
Torhebt. Ebensowenig Anspruch auf Originalität haben seine
keratoplastischen Versuche mit Hühneraugen, deren sich
bekanntlich Dieffenbach bereits vergeblich bedient hat.
Dass Adamück*s Operationen zu keinem Erfolge führen
konnten, weil die Wunde im Leucom mit der Grösse der
transplantirten Hornhaut nicht übereinstimmte, vielmehr
^,noch mit der Scheere oder einem Messer vergrOssert werden
musste.^^ (!), wird Jeder selbstverständlich finden, der etwas
mehr Zeit auf die Bearbeitung der vorliegenden Frage ver-
wandt hat, als Adamück. „Bei zwei unter diesen fünf
Fällen kam es zur Eiterung der Augen, bei den übrigen
drei Fällen war dagegen der Verlauf der Heilung und der
nachfolgende Augenzustand ein solcher, dass man unwill-
kürlich zu behaupten veranlasst wird, auf diesem Wege
seien die gewünschten Resultate zu erreichen." Diese „Be-
hauptung^^ erscheint etwas kühn, da Adamück *s Beob-
achtung der Kranken sich nur über eine Zeit von 6 bis
8 Wochen erstreckt und alle Autoren, welche über Trans-
plantationsversuche mit ganzen Hornhäuten bereits früher
berichtet haben (KOnigshOfer, Power, Kosmini, ich) zu
dem übereinstimmenden Resultat gelangten, dass letztere
auch bei vollständiger Einheilung stets trübe werden und
schrumpfen. — So lange daher Adamück fQr das von ihm
empfohlene Verfahren keine besseren Argumente beibringen
kann, als es in seiner letzten Mittheilung geschieht, dürfte
dasselbe schwerlich Anhänger finden.
*) Zehender'g Monatsblätter 1887, p. 51.
8*
116 A. V. Hippel.
In einer kurzen Note bespricht endlich Boucher'*') die
von mir empfohlene Methode der Keratoplastik. Wenn er
auch zugiebt, dass sich mittelst derselben der so lange Ter-
geblich erstrebte Erfolg erreichen lasse, so spricht er ihr
die practische Verwendbarkeit wegen der Schwierigkeit der
Technik und der ünvollkommenheit der von mir benutzten
Instrumente doch ab. Boucher verlangt zunächst eine be*
stimmte Angabe darüber, welche Fälle von Leucom far die
Transplantation geeignet sind, welche nicht; ausserdem erklärt
er die Gonstruetion eines Instrumentes für nothwendig,
welches es gestattet, einzelne dünne Schichten des Leucom»
abzutragen und so allmälich bis zur Descemet'schen Haut
vorzudringen. — So lange diese Bedingungen nicht erfüllt
seien, kOnne er mein Verfahren nur als den Ausgangspunkt
für weitere Untersuchungen ansehen.
Dass ich weit davon entfernt bin, zu glauben, meine
Methode wäre nicht noch weiterer Verbesserungen fähig,
geht wohl klar genug aus der Art meiner bisherigen Mit-
theilungen und meinem Bestreben hervor, durch Modification
des Trepans die Technik zu erleichtem. Trotzdem erschien
es mir zweckmässig, in Ermangelung einer besseren zunächst
einmal mit ihr in einer Anzahl von Fällen keratoplastische
Versuche am Menschen anzustellen und die dabei gesam-
melten Erfahrungen zu verO£fentlichen. Dorch Berück-
sichtigung derselben werden spätere Experimentatoren sich
vor technischen Fehlern und dadurch bedingten Misserfolgen
schützen, die Derjenige nicht vermeiden kann, welcher zuerst
völlig neue Wege betritt.
Was zunächst die Frage anlangt, welche Fälle über-
haupt für die Transplantation geeignet sind, so glaubte ich
Anfangs nur solche auswählen zu dürfen, in denen es sich
um ausgedehnte und dabei nicht durch die ganze Dicke der
*) R6caeü d^opbtbalmologie 1886. No. 12, p. 727.
Eine Deae Methode der Homhauttransplantation. 117
Cornea gehende, nicht adhärirende Leucome bandelte. Die
Tiefe, bis zu welcher die Trabung reicht, mit einiger Sicher-
heit zu beurtheilen, ist nur dann möglich, wenn ein peri-
pherer Saum der Cornea an der einen oder anderen Seite
soweit transparent geblieben ist, dass man mit einer starken
Conyexlinse einen Lichtkegel durch ihn hindurch hinter das
Lencom werfen und seinen Band im durchfallenden Lichte
i)etrachten kann. Unbedingten Schutz vor Irrthümem ge-
währt aber auch diese Untersuchung nicht, da die Trübung
in den verschiedenen Partien eines Leucoms oft ungleich
weit in die Tiefe dringt. Ich selbst bin mehrmals unan-
genehm überrascht gewesen, nach Auspräparirung des tre-
panirten Stückes in der Tiefe der Wunde noch eine getrübte
Homhautschicht vorzufinden. Der Verlauf eines Falles, über
den ich bereits in Heidelberg kurz berichtete, hat indessen
gelehrt, dass eine sehr bedeutende Aufhellung der Trübung
anter dem eingepflanzten Lappen zu Stande kommen kann
und in Folge dessen auch die bis zur Descemet 'sehen Haut
reichenden Leucome unter Umständen der Keratoplastik zu-
gänglich sind. Ob man stets auf einen so günstigen Ver-
lauf wird rechnen dürfen, vermag ich vorläufig nicht zu
sagen. Erst nmfangreichere Erfahrungen, als mir bisher zu
Gebot stehen, können darüber Aufschluss geben. — Breite
Adhäsionen zwischen Lencom und Iris geben keine Gontra-
indication gegen die Transplantation, wenn die vordere
Kammer nur nicht völlig aufgehoben ist; es dürfte sich da-
her empfehlen, die Operation bei den ziemlich häufig vor-
kommenden, ausgedehnten, aber nicht totalen Leucomen nach
Ulcus serpens zu versuchen, bei welchen periphere Iri-
dectomien erfahrungsgemäss meist sehr unbefriedigende
optische Resultate ergeben. — Nicht immer wird es möglich
sein, den Lappen im Centrum der Hornhaut einzupflanzen,
aber auch bei excentrischer Lage darf man auf Erreichung
eines brauchbaren Sehvermögens hoffen, wenn man nach
118 A. V. Hippel.
seiner Einfaeilung genau unter ihm ein Iriscolobom anlegt.
Völlig unangreifbar bleiben nur die totalen adhärirendeD
und die prominirenden Leucome, bei denen das Narben-
gewebe eine erhebliche Verdünnung zeigt. —
Vor AusfQhrung einer Transplantation ist es zunächst
nothwendig, sich ein einigermassen sicheres ürtheil über
die Dicke der leucomatOsen Hornhaut zu bilden. Dies
gelingt am leichtesten in der Art, dass man nach
Anästhesirung des Auges durch Cocain dieselbe in der für
die Operation bestimmten Region mit einem feinen
Kautschukspatel unter massigem Druck sorgfältig abtastet*
Jede erheblichere Verdünnung der Membran manifestirt
sich durch den verminderten Widerstand, den sie dem
Spatel entgegensetzt. In den von mir operirten Fällen
betrug die Dicke derselben ca. 1 mm. Zur Operation be-
diene ich mich des auf dem letzten Ophthalmologencongres»
vorgezeigten Trepans.*) Derselbe enthält in der am oberen
Ende befindlichen Kapsel ein Uhrwerk, welches der Krone
eine grosse Zahl von sehr schnellen gleichmässigen Um-
drehungen giebt. Ein leiser Druck mit dem Zeigefinger
auf den kleinen Knopf der Kapsel setzt das vorher auf-
gezogene Uhrwerk in Thätigkeit und die Schneide des
Trepans dringt leicht und ohne alle Quetschung des Oe-
webes in das Leucom ein. Hebt man den Finger ab, sa
steht die Krone in demselben Moment still. — Zur Ver-
hütung einer Perforation der Cornea dienen die an den
Kronen angebrachten, verschiebbaren, am unteren Bande
0,5 mm breiten Hülsen, welche mittelst einer feinen
Schraube in jeder Höhe oberhalb der Schneide fixirt werden
können. Ihre genaue Einstellung ermöglicht ein dem
Trepan beigegebener kleiner Messapparat. Derselbe besteht
*) Zu beziehen durch Liebrich's Nachfolger in Giessen zum
Preise von 40 Mark.
Eine neue|Methode der Hornhanttransplantation. ] 19
aiis einem von einer Metallhülse umgebenen Elfenbein-
cylinder, welcher eine in 0,25 und 0,5 mm eingetheilte
Scala trägt. Das der Scala anliegende Ende der Hülse
läuft ganz dünn aus, um eine genaue Ablesung zu gestatten,
das entgegengesetzte verbreitert sich zu einem kleinen
Ringe. Wird der Apparat auf 0 eingestellt, so fQllt der
Elfenbeincylinder die Hülse vollständig aus, zieht man ihn
auf 0,5 oder 0,75 zurück, so bildet sich innerhalb des
Ringes ein Raum von gleicher Tiefe. In diesen brmgt
man die Krone des Trepans, lässt deren vorher gelockerte
Hülse bis auf den Ring heruntergleiten und fixirt sie in
dieser Stellung durch Anziehen der Schraube. Hegt man
über die Dicke des Leucoms Zweifel, so empfiehlt sich zur
Verhütung einer Perforation zunächst eine Einstellung des
Trepans auf 0,75 mm; erweist es sich dann nothwendig,
die Schneide noch tiefer eindringen zu lassen, so macht
eine nachträgliche Correctur bei der Art und Form der
Wunde keine Schwierigkeit. — Nach diesen allgemeinen
Bemerkungen wende ich mich zur Besprechung der
Operation.
I. Act: Die Lider werden durch einen Elevateur ge-
Offiiet. Beim Aufsetzen des Trepans hat man genau darauf
zu achten, dass die Schneide völlig senkrecht auf der Ober-
fläche des Leucoms steht; denn nur dann wird die Wunde
überall gleich tief und erhält verticale Ränder. Zu dem
Zwecke rathe ich, den Bulbus mit zwei Pincetten innen
und aussen zu fixiren, damit jede Bewegung möglichst
sicher ausgeschlossen wird. Die Cocainanästhesie gestattet
ein breites Fassen der Conjunctiva; vom Chloroform habe
ich nie Gebranch gemacht, um bei der subtilen Operation
nicht durch Erbrechen gestört zu werden. — Unbedingt
zu vermeiden ist jeder Druck mit dem Trepan, einmal
wegen der dadurch bedingten Quetschung des Gewebes,
dann aber auch wegen der Möglichkeit einer Perforation,
120 A. V. Hippel.
die unter solchen umständen trotz der die Schneide
schützenden Hülse eintreten kann. Hinsichtlich des Durch-
messers der Trepankronen empfehle ich üher 4, höch-
stens 4,5 mm nicht hinauszugehen, denn mit der zu-
nehmenden Grösse des I^appens yerringem sich die
Chancen füi glatte Einheilung und Erhaltung der Trans-
parenz, ausserdem ergeben sich aber auch leicht Schwierig-
keiten, denselben in den Defect im Leucom einzulegen,
weil die zurückgelassene Descemet'sche Haut bei zu grossem
Durchmesser der Wunde durch den intraocularen Druck
im Centrum vorgewölbt werden kann. — Mit der aus-
reichend tiefen Umschneidung des zu entfernenden Leucom-
stückes ist der erste Act der Operation beendigt. Immer
erfolgt nun aus den durchschnittenen Geissen — auch
bei kaum sichtbarer Vascularisation des Leucoms — eine
mehr weniger starke Blutung, die am besten durch Auf-
drucken kleiner, in Sublimatlosung getauchter, auf Eis ab-
gekühlter Wattebäuschchen auf die Wunde zum Stehen
gebracht wird. Nur ausnahmsweise ist Entfernung des
Elevateurs und längere Compression erforderlich.
Im II. Act handelt es sich um das Auspräpariren
des umschnittenen Stückes und dies ist entschieden der
subtilste Theil der Operation. Ich bediene mich dazu
einer etwas stärker gearbeiteten geraden Irispincette mit
scharfen Zähnen und eines Graefe* sehen Messers. Am
rechten Auge operire ich hinter dem Kranken stehend und
präparire den Lappen von oben nach unten ab, am linken
verfahre ich umgekehrt, um in der Führung der Instrumente
durch die Nase des Kranken nicht behindert zu werden.
Das Fassen des umschnittenen Leucomstückes wird dadurch
erleichtert, dass seine Ränder sich von der Umgebung
etwas retrahiren. Wichtig ist es, die eine Branche der
Pineette sofort bis in den Grund der Wunde vorzuschieben,
damit beim Schliessen derselben der Rand des zu
Eine nene Methode der Hornhaattransplantation. 121
excidirenden Lappens in seiner ganzen Dicke ein wenig
nach vorn gezogen und das Messer in der richtigen Tiefe
eingesetzt werden kann, unter möglichst gleichmässiger,
dabei aber ziemlich kräftiger Anspannung des Lappens
führt man die Spitze des Messers mit langsamem Zuge
?on der einen Seite zur anderen der mit dem Trepan an-
gelegten Wunde und präparirt jenen so allmälig völlig
aus. Selbstverständlich wird es niemals gelingen, hierbei
in mathematischem Sinne genau in einer Ebene zu bleiben
und eine absolut glatte Wundfläche in der Tiefe zu er-
halten, bei einiger üebung kann man es aber dahin bringen, an-
nähernd dieser Anforderung zu genügen, weil sich das Gor-
nealgewebe bekanntlich leicht in Lamellen spalten lässt. Eine
derartige Beschaffenheit der Wunde reicht aber nach meinen
Erfahrungen aus, um die Einheilung eines Stückes Kaninchen-
homhaut mit Erhaltung seiner Transperenz zu ermöglichen.
Die theoretische Voraussetzung von Boucher"*"), dass es
unter solchen Umständen zu Lymphansammlungen zwischen
den Unebenheiten des Wundgrundes und dem eingepflanzten
Lappen kommen müsse, die zu interstitieller Keratitis
und Trübung desselben führe, wird also durch die That-
sachen widerlegt. — Sehr erschwert wird das Auspräpariren
der zu entfernenden Leucomschichten durch die stets dabei
eintretende, mehr minder starke Blutung aus den durch-
schnittenen Gefässen, die das kleine Operations terrain rasch
Oberschwemmt. Man kann sie dadurch weniger stOrend
machen, dass ein Assistent mit einem in Sublimatlosung
angefeuchteten, auf Eis gekühlten Watteröllchen nach jedem
Schnitt das Blut abtupft. Zuweilen wird man aber zu einer
Unterbrechung der Operation und Anwendung längerer
Compression gezwungen. — Nach beendigter Excision
sollen die Bänder des Defects im Leucom überall gleich
•) l. c. p. 732.
122 A. V. Hippel.
hoch sein und senkrecht gegen den Gmnd abfallen, der
von der Descemet'schen Haut and einer möglichst dünnen
darüber liegenden Homhautschicht gebildet wird. Erstere
ganz allein znrückzulassen, halte ich technisch fOr un-
ausfahrbar, selbst wenn wir den von Boucher verlangten
Trepan schon bes&ssen; meine früheren Bemerkungen über
Excision des Leucoms mit Erhaltung der Descemet^schen
Haut sind daher auch cum grano salis aufzufassen. —
Zeigt sich im Grunde der Wunde noch an der einen oder
anderen Stelle etwas getrübtes Gewebe, so warne ich vor
dem nahe liegenden Versuch, dieses noch nachträglich ent-
fernen zu wollen. Er gelingt nie, sondern man perforirt
nur die Cornea. — Derartige Trübungen sind, wie ich
schon oben bemerkt habe, unter Umständen spontaner Auf-
hellung fähig und machen darum nicht unbedingt die
Prognose ungünstig; ebensowenig sind die in der stehen
gebliebenen Homhautschicht in der Begel vorhandenen Ge-
fasse besonders zu fürchten, sie bildeten sich in zwei
von mir beobachteten Fällen fast vOUig zurück.
Nach Beendigung des zweiten Actes wird das Auge
mit lauer Sublimatlösung (1:5000) überrieselt, geschlossen
und sanft comprimirt, um die Blutung aus den Gef&ssen
des Leucoms vOlüg zum Stehen zu bringen.
III. Act : Mit demselben Trepan excidirt man nun ein
Stück aus der Cornea eines Kaninchens, dessen Auge vorher
durch Cocain anästhesirt worden. Wenn möglich, benutze
man ein junges Thier, da dessen dünnere Hornhaut sich in
den Defect besser einfügt, als die dickere eines alteren.
Die an der Krone befestigte Hülse wird auf 1,5 — 2 mm
zurückgeschoben, damit die Schneide tiefer in das Auge
eindringen und die ganze Dicke der Hornhaut durcbtrennen
kann. Diese Excision ohne Quetschung des Lappens zu
bewerkstelligen, ist schwerer als man a priori glaubt, weil
bei der starken Wölbung der Kaninchen-Comea der Trepan
Eine neue Methode der Hornhauttrausplantation. 123
sehr leicht nicht ganz senkrecht aufgesetzt wird und in
Folge dessen an einer Seite früher durchschneidet als an
der anderen. Dann schiebt sich der Lappsn unter der
schnell rotirenden Krone zusammen, legt sich in Falten
and ist unbrauchbar. Diese unangenehme Erfahrung wird
Jeder machen, der es versucht, die Excision unter einfacher
Fiiation des Eaninchenauges mittelst Pincetten auszuführen^
weil dasselbe dabei doch ausweichen kann. Sicher ruhig
gestellt wird es dagegen, wenn man einen Schielhaken
hmter den Bulbus schiebt und ihn fest gegen die Lider
drängt oder ihn vollständig aus der Orbita luxirt. Ich
ziehe nach länger fortgesetzten Versuchen das erste Ver-
fahren vor, weil die Spannung des Augapfels bei der
totalen Luxation so vermehrt ist, dass mir die gleich-
massige Excision dadurch erschwert zu werden scheint
Vielleicht wäre es noch bequemer, den Bulbus zu enu-
cleiren, ihn in ein passendes Schälchen zu legen und dann
zu trepaniren, indessen kann ich darüber aus eigener Er-
fahrung bisher noch nichts sagen. — Der Trepan muss
ohne Druck aufgesetzt und das Eindringen der Schneide
von der Seite her mit den Augen controlirt werden.
Bleibt nur eine ganz schmale Brücke stehen, so kann man
dieselbe nachträglich mit einer feinen Scheere durchtrennen,
muss sich dabei aber vor Verletzung der Innenfläche des
Lappens und vor Quetschung seines Bandes hüten. Ist die
Trepanation probemässig ausgefallen, so erscheint der
Lappen bis zum Bande völlig durchsichtig, sein Epithel
ganz glatt. Zuweilen haftet seiner Hinterfläche ein wenig
Irispigment an, das mit 0,6 procentiger sterilisirter, er-
wärmter Kochsalzlösung abgespült werden muss, bevor man
ihn mittelst eines Eautschuckspatels auf das menschliche
Auge überträgt.
Im IV. Act der Operation handelt es sich um die Ein-
legung der Kaninchenhomhaut in den Defect des Leucoms.
124 A. T. Hippel
Ein Elevatear ist dabei entbehrlich. Nach Eröffnung der
Lider durch einen Assistenten überzeuge man sich zunächst
davon, ob die Blutung aus den durchschnittenen Geftssen
YoUständig steht. Ist es der Fall, so lege man den Lappen
neben die Wunde auf die Oberfläche des Leucoros und
schiebe ihn langsam über den Band des Defects in diesen
hinein, sodass keine Luftblase zwischen ihn und die zurück-
gelassene Hornhautschicht treten kann. Schliesslich drücke
man ihn mit dem Spatel sanft gegen den Grund der Wunde,
damit er sich in der Tiefe überall glatt anlegt. Je nach
der Dicke des excidirten Leucomstückes und der Kaninchen-
Cornea reicht die Oberfläche des Lappens mehr minder genau
bis zum Niveau der angrenzenden Hornhaut. Bleibt sie ein
wenig unter demselben, so ist das für den Heilungsverlauf
gleichgiltig, überragt dagegen der Lappen den Leucomrand
so verschiebt er sich leicht und stOsst sich entweder nach
einiger Zeit ab oder wird trübe.
Nachdem das transplantirte Stück in die richtige Lage
gebracht worden, bestreue man es dünn mit Jodoform,
schliesse die Lider, indem man das obere an den Cilien
vorsichtig über den Lappen hin weghebt, um ihn nicht zu
verschieben und stelle beide Augen mittelst eines festen
Druck Verbandes von appretirten Gazebinden ruhig, der
2 — 3 Tage liegen bleibt. Vom 3. Tage ab wird der Ver-
band alle 24 Stunden gewechselt, am 6. lasse ich das nicht
operirte Auge frei und gestatte dem Patienten, das Bett zu
verlassen; vom 8. bis 10. Tage ab kann auch das trans-
plantirte o£fen bleiben, wenn jede Injection geschwunden ist.
An die Beschreibung der Operation schliesse ich gleich
die Schilderung der dabei möglichen übelen Zufälle:
Bei ungleichmässiger Dicke des Leucoms oder zu tiefer
Einstellung des Trepans kann man an der einen oder anderen
Stelle die Descemet'sche Haut perforiren. Dann sickert
der Humor aquens durch, die vordere Kammer wird auf-
Eine neue Methode der Hornhauttransplantation. 125
gehoben und die Fortsetzung der Operation muss zunächst
aufgegeben werden. Nach Ablauf von 4—6 Wochen ist die
Wunde ausreichend fest vernarbt und man kann ohne Be-
denken an derselben Stelle nochmals operiren. — Dringt
man nicht auf mindestens 0,75 mm mit dem Trepan in das
Leocom ein, so gewahren die Bänder des Defects dem Lappen
keinen Halt, ein zu seichter Schnitt muss daher durch noch-
maliges Aufsetzen des Instruments corrigirt werden. —
Nicht wieder gut zu machen ist ein, durch schiefes Auf-
setzen des Trepans verschuldeter übeler Zufall; er hat die
Folge, dass die Wundränder nicht senkrecht, sondern schräg
abfallen, die Wunde auf einer Seite tiefer als auf der anderen
wird und das umschnittene Stück des Leucoms sich nicht
glatt auspräpariren lässt Bemerkt man den Fehler recht-
zeitig, so versuche man nicht die Operation fortzusetzen
sondern lasse die Wunde heilen.
Eine Quetschung der Wundränder, die ich nicht selten
beobachtete, so lange ich noch den alten Trepan benutzte,
lässt sich bei dem neuen leicht vermeiden. Zu achten hat
man aber auch darauf, dass man ihn nicht zu lose aufsetzt,
weil bei der schnellen Umdrehung der Krone die Schneide
sich sonst auf dem Leucom verschiebt und die Wunde uu-
regelmässig wird.
Beim Auspräpariren des umschnittenen Stückes kann
es geschehen, dass man die Pincette zu flach anlegt und
eine zu dicke Schicht des Corneaige wehes auf der Des-
cemet *8chen Haut zurücklässt. Diesen Fehler kann man
schwer wieder gut machen, denn die nachträgliche Entfer-
nung derselben in einem Stücke gelingt nur ausnahms-
weise, der Grund der Wunde wird ganz uneben und leicht
kommt es dabei zur Perforation der Cornea. Es bleibt
dann eben nichts übrig, als auf die Transplantation zu ver-
zichten und das Auge unter Verband zu lassen, bis der
Sobstanzverlust im Leucom sich durch neugebildetes Binde-
126 ^ ▼- HippeL
gewebe geschlossen hat. — Peifoiirt man dagegen, während
man in der richtigen Tiefe pr&parirt, die Descemet'sche
Haut an einer kleinen Stelle, so kann man trotz des Ver-
lustes des Humor aquens die Operation vollenden. In beiden
Fällen, in welchen mir dieser übele Zufall passirte, schloss
sich der kleine Defect rasch und die vordere Kammer stellte
sich wieder her.
Bei ungeschickter Führung des Messers kOnnen in der
Tiefe nahe den Rändern kleine Partikelchen des Leucom-
gewebes stehen bleiben, sodass die Wunde dann nach unten
trichterffirmig wird. Dies ist höchst ungünstig, weil deren
nachträgliche Entfernung nicht gelingt und der Lappen sich
so nicht glatt anlegen kann.
Der lästigen Blutungen aus den durchschnittenen Ge-
fassen des Leucoms habe ich schon oben gedacht; sie fehlen
nie beim Auspräpariren des Lappens, treten aber auch zu-
weilen nochmals im letzten Act der Operation ein, wenn
man das Stück Eaninchenhomhaut in den Defect einlegt.
Einmal musste ich dasselbe in Folge dessen wieder heraus-
heben, in Kochsalzlösung abspülen und V« Stunde lang auf
der CoDJunctiva liegen lassen, bis die Blutung endlich stand,
trotzdem heilte es ein und blieb transparent
Einer weiteren Schwierigkeit begegnet man mitunter
noch im letzten Act, die darin besteht, dass bei hohem
intraocularem Druck oder grosser Dünnheit der zurück-
gelassenen hintersten Hornhautschicht der Grund des Defects
sich verwOlbt und der transplantirte Lappen nun> keinen
Halt findet, sondern sich bei der leisesten Bewegung des
Auges verschiebt. In diesen Fällen empfiehlt sich die
Punktion der vorderen Kammer; die vorübergehende Herab-
setzung des Druckes genügt, um das Einlegen der Eaninchen-
homhaut in die Wunde zu gestatten und die Yerklebung
mit dem Grunde erfolgt sehr schnelL
Zum Schluss gebe ich noch eine kurze Schilderung
Eine neae Methode der Hornhanttransplantation. 127
des Heilungsverlanfes auf Grund der Beobachtang
Yon acht nach meiner Methode operirten Fällen und
bemerke dabei, dass mir nur in der Hälfte die Operation
gelungen ist. Dreimal wurde der Misserfolg durch tech-
nische Fehler von meiner Seite verschuldet, die sich bei
längerer Uebung in Zukunft immer mehr werden vermeiden
lassen, einmal durch höchst unverständiges Verhalten der
Patientin nach der Operation. — Untersucht man bei
glattem Verlauf der Transplantation das Auge nach
24 Stunden, so findet man geringe conjunctivale und
ciliare Injection, das Leucom von zahlreichen vorher kaum
oder gar nicht sichtbaren Gefässen durchzogen, die zum
grossen Theil gegen den Band des Defects hinstreben.
Dieser zeigt in der Breite von 1 — 2 mm die Symptome
einer leichten traumatischen Keratitis, ist weissgrau ver-
ftrbt und überragt den eingepflanzten Lappen etwas, von
dem er rund herum durch eine schmale Furche getrennt
ist. Der Lappen erscheint entweder völlig transparent
oder bietet eine ganz geringe rauchige Trübung dar, die
sich im Laufe weniger Tage verliert, sein Epithel ist glatt
und spiegelnd. Die zurückgelassene Hornhautschicht
reflectirt an der Berührungsfläche mit der Eaninchen-
Cornea das Licht stärker; irgend welche Veränderungen in
ihr selbst bemerkt man nur dann, wenn sie Gefässe ent-
hält: diese sind dann wie alle anderen im Leucom er-
weitert und durch den Lappen hindurch deutlich sichtbar.
Im Laufe der ersten Woche pflegt sich die Injection
des Bulbus gänzlich zu verlieren, die Schwellung des
Leucomwnndrandes geht unter massiger Vascularisation
zurück und zugleich fallt sich allmälich die Rinne zwischen
diesem und dem Lappen aus, indem zuerst an einzelnen
Stellen, bald aber rund herum das Epithel vom Leucom
auf den Lappen sich herüberschiebt. Zu einer Vascularisation
oder Aufquellung des letzteren konunt es nicht, dagegen
128 A. V. Hippel.
traten zweimal in der zweiten Woche minimale Infiltrate
an seinen Itftndem anf, über welchen sich das Epithel ab-
stiess. Dieselben verschwanden in 2 — 3 Tagen spurlos
ohne Hinterlassung von Trübungen.
Mit Ablauf der dritten Woche scheint die Einheilung^
des Lappens, soweit man es makroskopisch beurtheilen kann,
eine definitive zu sein, wenigstens habe ich von diesem
Zeitpunkt an bei der Patientin, welche ich in Heidelberg'
vorstellte, keinerlei Veränderungen am Auge mehr wahr-
nehmen können. Die transplantirte Cornea lag mit den
angrenzenden Theilen in einer Ebene, das Epithel zog ohne
Unterbrechung über sie hinweg, das Sehvermögen war vod
Fingerzählen in 2 m auf S > *72oo gestiegen. Diesen
idealen Heiluugsverlauf hat man nach meinen bisherigea
Erfahrungen nur dann zu erwarten, wenn das Leucom sieb
nicht durch die ganze Dicke der Hornhaut erstreckt und
die zurückgelassene Schicht transparent und wenig vascu-
larisirt ist
Muss man getrübte Homhautsubstanz stehen lassen,
so dauert es viel länger, bis die auf die Transplantation
folgenden Veränderungen am Auge ablaufen. Der Lappen
heilt zwar ebenso rasch ein und bleibt durchsichtig, allein
trotzdem erscheinen diese Fälle Anfangs aussichtslos, denn
die Trübung hinter demselben steigert sich in der ersten
Woche nach der Operation noch erheblich und zahlreiche
feine Gefässe schieben sich vom Wundrand des Leucom?
aus in die zurückgelassene Schicht hinein, so dass dieselbe
zuweilen intensiv roth gefärbt und absolut undurchsichtig^
ist. — In einem derartigen Fall begann erst am Ende der
dritten Woche die Vascularisation abzunehmen und die
Trübung sich etwas aufzuhellen, am Ende der vierten
zählte Patientin Finger in 4 m (vor der Operation in
3 m), in der siebenten waren die Gefässe selbst mit einer
Loupe nur eben noch sichtbar, die Trübung viel lichter
Eine neue Methode der Hornhaattransplantatlon. 129
nnd S betrag ^/soo. Leider liess sich Patientin nicht
länger in der Klinik halten, so dass ich vorläufig ausser
Stande bin, zu sagen, wie lange Zeit solche Fälle der
üeberwachung bedürfen, wenn man ein möglichst gnnstiges
Resultat erreichen will. Soviel geht aber aus dem Mit-
getheilten bereits mit Sicherheit hervor, dass selbst bei
Leucomen, welche die ganze Dicke der Cornea einnehmen,
die Transplantation eine erhebliche Verbesserung des Seh-
vermögens herbeiftlhren kann.
Erhält in Folge technischer Fehler bei der Operation
die Wunde im Leucom nicht die ausreichende Tiefe oder
fallen ihre Ränder nicht senkrecht ab, so verschiebt sich
der transplantirte Lappen selbst unter festem Verband und
findet sich dann beim ersten Verbandwechsel getrfibt und
stark gequollen im Gonjunctivalsack. Die Beaction am
Auge ist darum nicht im mindesten stärker; unter massiger
coDJunctivaler und ciliarer Injection kommt es zu lebhafter
Vascularisation des Leucomwundrandes , feine Gef&sse
schieben sich in den Defect hinein und dieser fallt sich
im Laufe von 8 — 14 Tagen mit neu gebildetem Binde-
gewebe aus, wesches in allen vier von mir beobachteten
derartigen Fallen erheblich durchsichtiger blieb, als das
excidirte Leucom. Eine Ectasie der Cornea trat in keinem
eio, die Patienten konnten bereits am Ende der zweiten
Woche mit reizlosem Auge aus der Klinik entlassen
werden.
Aus diesen Mittheilungen ziehe ich folgende Schlüsse:
i. Die Ausführbarkeit der Homhauttransplantation
flach meiner Methode mit daiiemder ErhaUung
der Transparenis des Lappens und Ersielung
eines ausreichenden Sehvermögens ist unwiderleglich
bewiesen.
2. Selbst bei Leucomen^ welche die gange Dicke der
V. Graefe'a Archiv fOr Ophtbalmologie, XXXIV. 1. 9
130 A. V. Hippel.
Cornea einnehmen, kann die Transplantation mit
Aussicht auf Erfolg versucht werden.
3. Unangreißar sind die totalen adhärirenden und
die prominirenden Leucome.
. 4. Die Operation ist völlig ungefährlich und mit sehr
geringen Beschwerden für den Patienten verbunden,
sie darf daher in aUen Fällen ausgeführt werden,
in welchen man auch nur mit einiger Wahr^
scheinlichJceit auf einen Erfolg rechnen kann.
Oiesscn, den 12. Janaar 1888.
Experimentelle Studie über die Förster'sohe
HatmatioiL der Gataraot.
Von
Dr. Otto Scbirmer,
Assistenzarzt an der Uniyersitäts- Augenklinik zu Gtöttingen.
Hierzu Taf. II— V. Fig. 1—16.
Von den Methoden, welche zur kanstlichen Reifung der
Cataract ersonnen wurden, sind zwei, die Incision des vor-
deren Kapsel und die präparatorische Iridectomie schon seit
längerer Zeit in Gebranch; erstere hat sich sogar für gewisse
Cataractformen ein bisher unbestrittenes Bürgerrecht erworben.
Fflr die häufigste der Staararten, für die senile Cataract,
leisten jedoch beide nicht besonders viel. Die von Förster
erdachte Cortextritur in Verbindung mit einer Iridectomie
bot deshalb willkommenen Ersatz für die beiden und hat
sich schnell einen grossen Theil der Ophthalmologen zu
Anhängern erworben.
Nichtsdestoweniger herrscht noch grosse Meinungsver-
Bchiedenheit, einmal über die Staararten, bei welchen sie
sich besonders wirksam erweist, dann aber auch über die
Art ihrer Wirkung auf die Linsensubstanz. Während
9*
132 0. Schinner.
z. B. Förster*) selbst eine mechanische Zertrflmoierung der
zwischen Kapsel nnd Kern gelegenen Linsenschichten als
die Hauptsache annimmt, istSamelsohn*'^) geneigt, „einer
veränderten SaftstrOmung nnd dadurch bewirkten Emäh-
mngsstömng" den Hauptantheil an dem Effect znza*
schreiben; Helfreich***) wiederum sucht in einer mecha*
nischen Verschiebung der einzelnen Linsenschichten an ein-
ander den Orund fQr die eintretende Trübung. Eine sichere
Basis zur Entscheidung dieser Frage lässt sich nur durch
das Experiment gewinnen. Leider stehen cataractOse Augen
nur in seltenen Ausnahmen zu Gebote. Man muss sieb
deshalb damit begnügen, an klaren Linsen zu experimen-*
tiren und die Besultate auf staarig getrübte zu übertragen
suchen.
Dass dieser Weg bisher so selten eingeschlagen wurde,
liegt wohl zum Theil an der zuerst von Förster f) aus^
gesprochenen Behauptung, dass die Gortextritur an klaren
Linsen überhaupt keine Trübung hervorrufe. Er postulirt
sogar, dass speciell im vorderen Cortex bereits Trübung,
„wenn auch sehr peripherisch liegend'*, vorhanden sei, der
Zerfall der Fasern hier also schon begonnen habe. Dieser
Ausspruch wurde spater vonOettingerft) bestätigt. Der-
selbe hat an 10 klaren Eaninchenlinsen mit und ohne Iri*
dectomie die Tritur ausgeführt, aber trotz Anwendung der
verschiedensten Druckstarken in keinem Falle eine Trübung-
erzielt. In directem Widerspruch hiermit steht die von
ihm citirte Beobachtung Prof. Meyer' s, der an normalen
*) Ueber Reife des Staars, künstliche Reifong n. s. w. Knapp»
Archiv f. Augenbeilkonde. Bd. XII, p. 10.
**) Förster, Ueber künstliche Reifung des Staars. Discussion.
Zehenders klin. Monatshefte 1881. Beilagehefr, p. 133.
***) Ueber künstliche Reifung des Staars. Sitzungsbericht der
Würzburger phys.-med. Gesellschaft 1884, p. 115.
t) Knapps Archiv Bd. XII, p. 10.
ft) Ueber k&isüiche Reifung des Staars. Inauguraldissertation.
Breslau 1885.
Studie ttber die POrater'sche Matnration der Cataract. 133
Eaninchenlinsen schon einige Tage nach der Tritar Oorti-
<saltrabang constatiren konnte. Mittheilungen über einen
ähnlichen Versach habe ich durch gütige Yermittelung
Geheimrath Lebers von Prof. Volckers erhalten, welchem
ich hierfür meinen ergebensten Dank si^e. Prof. VOlckers
beobachtete in 4 Fällen Cataract, die sich nach Contusion
des Bulbus durch den Schlag einer Peitsche oder eines
Euhschwanzes in kurzer Zeit gebildet hatte; Linsenkapsel
ond Cornea waren intact. Er nimmt an, dass einer von
den Knoten der Peitsche oder von den harten EothknoUen,
welche sich oft in den langen Haaren des Euhschwanzes
finden, die Cornea eingebogen und die Linse gequetscht habe,
um experimentell diese Möglichkeit nachzuweisen, schlug
er mit einem Percussionshammer en miniature oder schoss
«r mit einer kleinen Zimmerpistole gegen die Cornea des
gut fixirten Eaninchenauges. Wenn der Versuch gelungen
war, fand er die vordere Corticalschicht mehr oder minder
gequetscht, oft sternförmige Figuren, ähnliches fand er zu-
weilen an der hinteren Corticalis. Leichte Trübungen dieser
Art verschwanden im Laufe von Tagen oder Wochen, andere
blieben als grauweisse Sterne, führten aber niemals zur totalen
Linsentrübung. Selbstverständlich ist, dass alle gelungenen
Experimente intacte Cornea und Eapsel zeigen mussten.
Schliesslich sind noch die Versuche von Hess*) hier
anzuführen, welche derselbe gelegentlich der Besprechung
der Naphthalincataract kurz erwähnt. Hess, der 3—^ Mi-
nuten hindurch massirte, erhielt in allen Fällen Totalcataract;
nur einmal beobachtete er leichte Trübung der vorderen
Corticalis allein, welche nach 2 Tagen wieder verschwand.
In meinen Experimenten habe ich mich streng an die
FOrster'sche Vorschrift gehalten, nur liess ich die Lri-
dectomie fort. Der Grund hierfür war der, dass ich die
*) Ueber Kaphthalinverandeningen im Kaninchenaage und
tber die Massagecataract. Bericht über die 19. Versammlang der
Ophthalm. Ges. 1887.
134 0. Schinner.
reine Wirkung der Tritur beobachten and jede Neben-
wirkung, welche möglicherweise von Seiten der Iris hätte
kommen können, ausscbliessen Wollte. Auch zeigt sich ja öfters
die Massage nach erfolglos Torausgeschickter Iridectomie wirk-
sam, so dass man letzterer jedenfalls keine wesentliche Be-
deutung zuschreiben kann ; und in den FSllen, wo die einfache
Iridectomie maturirend wirkt, möchte ich den Hauptantheil
am Erfolge für die Paracentese und das dadurch bedingte
Yorrficken des Linsensystems in Anspruch nehmen. Die
Operation, die ich ausführte, bestand demnach in einer Pa-
racentese und der Tritur. Behufs letzterer fQhrte ich unter
nicht zu schwachem Druck eine kreisförmig reibende Be-^
wegung auf der Cornea aus und zwar mittelst des stumpfen
Knies eines Schielhakens, wie es Förster vorschlägt. Die
Dauer der Massage mag etwa eine halbe Minute betragen
haben. Während derselben brachte ich zuweilen die Gorneal-
wunde zum Klaffen und liess so das schnell von neneoo
angesammelte Kammerwasser abfliessen. Ich operirte unter
Anwendung antiseptischer Maassregeln und in Cocain-
anaesthesie, wobei ich zur Schonung der Cornea von der
ersten Einträuflung bis zum Eingriff dem Thier das Auge
zudrOckte.
Klinisches Bild.
Bei 52 auf die eben beschriebene Weise operirten Ka-
nincbenaugen , an welchen niemals ein Riss in der Kapsel
oder eine Luxation der Linse eingetreten war, vermisste ich
nur in 6 Fällen jede Trübung. Vier derselben gehören za
den ersten Versuchen, so dass bei ihnen der Grund in einer
ÜDvolIkommenheit des Verfahrens gesucht werden darf; die
übrigen 46 Linsen Hessen eine deutliche Linsentrübung er-
kennen. In den ersten Stunden, selbst Tagen wurde dieselbe
allerdings häufiger durch Fibrinniederschläge im Kammer-
wasser, die sich zuweilen zu Membranen auf Linse und Iris
consolidirten, verschleiert.
Stndie über die Förster sehe Maturation der Cataract. 135
Die beginnende Trabnng zeigt sich stets — ich sehe
zunächst von den sp&ter zu schildernden Fällen von Total-
cataract ab — zuerst um den vorderen Pol dicht unter der
Kapsel und zwar frühestens nach 1 — 2 Stunden. Man sieht
dann bei seitlicher Beleuchtung, noch deutlicher mit dem
Augenspiegel, eine feinste Streifnng, radiär um den breit
klaffenden vorderen Stemstrahl gestellt; — bekanntlich hat
derselbe beim Kaninchen die Oestalt einer vertikalen, geraden
Linie. — Diese Trübung hat ein grauliches Aussehen, sie
ist so zart, dass man durch sie hindurch rothes Licht vom
Augenhintergrund erhält. In wenigen Stunden schreitet sie
äquatorialwärts vor, bis sie etwa den Baum einer mydria-
tischen Pupille einnimmt, zugleich wächst ihre Intensität
etwas. Hiermit hat sie ihren Höhepunkt erreicht. Im
weiteren Verlaufe verliert sie an Ausdehnung und, besonders
in den peripheren Theilen, an Opacität Sie wird durch-
sichtiger, aber trotzdem bleibt ihre Stelle deutlich sichtbar,
da dieselbe in durchaus unregelmässiger Weise das Licht
bricht. Durch sie hindurch sieht man den Augenbinter-
grund verzerrt, aber fast vollkommen klar. Gänzlich bildet
sich diese Trübung, wenn sie einigermassen stark war, nicht
mehr zurück, greift aber auch nicht weiter um sich. Ein
Vierteljahr nach der Operation hat sie noch ungefähr das
gleiche Aussehen, wie nach 8—14 Tagen. Wegen dieses
Verhaltens sowohl wie wegen ihres Aussehens vermuthe ich,
dass sie in diesem Stadium hauptsächlich hervorgerufen wird
durch die unregelmässig mehr oder weniger angefressenen
Faserenden, welche nach Zerfall ihrer vorderen Hälfken
und Besorption des entstehenden Detritus näher an die
Vorderkapsel rücken. Bemerken will ich noch, dass man
an der herausgenommenen frischen Linse dasselbe Bild hat
wie intra vitam.
Ein ähnliches Bild sah ich kürzlich nach einer bei
Cataracta provecta ausgeführten Cortextritur, der einzige Fall
136 0. Schirmer.
bisher, den ich untersuchen konnte. Ich möchte kurz die
Krankengeschichte mittheilen:
Bei Herrn M. besteht seit V/7 Jahren beiderseits Cataracta
senilis. Die Trabung beschrankt sich hauptsächlich auf die
Gegend um den Kern; im Gortex finden sich nur spärliche,
aequatoriale Streifchen. Es lässt sich deuthch beiderseits eine
breite Sichel um die Papille wahrnehmen. Mit 8 D. concav,
welche er schon früher trug, sieht Patient Finger rechts in 3,
links in 6 m. Trotz Iridectomie an beiden Augen schreitet die
Trübung nicht fort. Es wurde deshalb rechts am 18. October 1887
die Cortextntur ausgeführt. Zuerst nach 6 Tagen hatte ich
Gelegenheit, den Patienten zu untersuchen und fand eine neu
hinzugetretene Trflbung, die Prof. Leber im Operations-Joumal
folgendermassen beschreibt: „Nach 6 Tagen ist das Auge reiz-
los; die Trübung hat erheblich zugenommen, was man am
besten mit einem Spiegel, weniger bei seitlicher Beleuchtung
erkennt. Die Yorderfläche der Linse liegt durch Schrumpfang
etwas zurUck. Die neu aufgetretene Trübung in der vorderen
€orticalis ist besonders im Bereich des Coloboms mit dem
Spiegel sichtbar. Sie erscheint als feine, radiäre Streifchen,
die durch zahlreiche Verbindungen mit einander ein corticales
Gitterwerk mit länglich ovalen Maschen bilden, das weiter nach
vom, als die gelbbraune Eemtrflbung liegt, aber gegen den
Papillarrand eine deutliche parallaktische Verschiebung macht.
Letztere ist wohl grossentheils durch die Schrumpfung bedingt*'
Nach einem Monat hatte sich diese Trflbung nicht nur nicht
weiter ausgedehnt, sondern war vielmehr bedeutend geringer
geworden. Also auch hier fand sich nur in der vorderen
Corticalis eine feine, radiärstreifige Trflbung, welche sich nicht
weiter ausdehnte. Zur Vervollständigung der Krankengeschichte
bemerke ich, dass am 20. Novbr. 1887 trotz der unvollständigen
Trflbung, auf Wunsch des Patienten, rechts die Extraction
ausgeffihrt wurde. Die Entbindung der Linse war wegen
mangelhafter vis a tergo sehr schwierig, gelaug aber vollständig;
doch trat zugleich verflflssigter Glaskörper aus. Der Heilungs-
verlauf war normal, und nach vier Wochen hatte Patient eine
absolut schwarze Pupille; der Augenhintergrund war mit voll-
kommener Deutlichkeit sichtbar. Trotzdem erkannte er mit 6 D.
convex Pinger nur in 57» m. Der Grund hierfflr wurde in
zahlreichen, flottirenden Glaskörpertrflbungen gefunden.
Stadie über die Förster'sche Maturation der Cataract. 137
In den bisher pablicirten, casaistischen Mittheilangen,
die mir zu Qebote standen, ist der klinische Befand za
wenig eingehend geschildert, als dass sie irgendwie znm
Vergleich herangezogen werden konnten; soviel jedoch geht
ans ihnen hervor, dass der Hauptsache nach die neue Trü-
bung schon nach wenigen Tagen hinzugetreten ist.
Ihrem Aussehen und Verlaufe nach durchaus von der
eben beschriebenen zu trennen, ist eine andere Trübung, die
ihren Sitz ebenfalls in der vorderen Corticalis, aber nicht
unmittelbar unter der Kapsel hat. Sie tritt, frühestens nach
etwa 2 Stunden, in Form zweier senkrecht gestellter, weisser,
absolut undurchsichtiger Halbmonde auf, welche zu beiden
Seiten des auseinander gewichenen vorderen Stemstrahls
hegen. Bald fliessen sie oben und unten zusammen und
bilden so einen ziemlich breiten, weissen Reif, dessen äussere
Begrenzung so ziemlich einen Kreis bildet, während die
innere ein Oval ist mit vertikalem längeren Durchmesser,
erstere Grenze ist scharf abgesetzt, letztere mehrfach zu
feinen Zacken ausgezogen. Binnen wenigen Tagen dehnt
sich dieser Bing bis etwa zur äusseren Begrenzung der vor-
her beschriebenen TrGbuog aus, zugleich entfernt sich seine
innere Qrenze langsam vom vorderen Pol. Er verdünnt sich
dann oben und unten, reisst dort ein, die übrig bleibenden
Halbmonde nehmen stetig an OrOsse ab und verschwinden
meistens schon am Ende der ersten Woche gänzlich. Diese
Trübung beobachtete ich in fast allen Fällen gemeinsam mit
der zuerst beschriebenen und hiermit waren bei den meisten
Versuchen die Veränderungen in der Linse abgeschlossen.
In 10 von 48 Fällen sah ich eine Totalcataract nach
der Massage entstehen. Dieselbe beginnt zuweilen schon
nach wenigen Stunden als eine leichte Trübung *der ganzen
Linse, die stetig an Intensität zunimmt, ohne eine bestimmte
Zeichnung erkennen zu lassen. Allmählich hellt sich dann
die vordere Corticalis auf, und man bemerkt den Haupt-
sitz der Trübung in der hinteren Corticalis und im Aequator.
138 O. Schinner.
Erstere ist fast reinweiss and lässt einzelne, grosse, radiär
um den hinteren Pol gestellte Bisse und Spalten erkennen,
meist 4, ich beobachtete aber anch 3 and 5. Dass die
Trübong in der vorderen Corticalis verh<nissmässig schnell
abnimmt, ist darch das schnelle Eindringen von Eammer-
wasser in den Eapselsack bedingt, durch welches hier Zer-
fallsprodacte gelöst werden. Die Linse ist jetzt nicht mehr
durchleuchtbar and stark gebläht, die Yorderkammer also
sehr seicht. Dies Bild ändert sich in den nächsten Wochen
— nach 41 Tagen brach ich die Versuche ab — nicht mehr
wesentlich.
Eine Verletzung der Kapsel ist durch die mikroskopische
Untersuchung ausgeschlossen; sie hätte sich aber auch schon
intra vitam bemerkbar machen müssen, da nachSchlOsser's*)
Versuchen selbst grossere Wunden der Vorderkapsel nur
dann zur Totalcataract fahren, wenn sie im Pupillargebiet
gelegen sind; eine solche Wunde hätte aber intra vitam
sicher nicht unbemerkt bleiben können.
Die Ergebnisse von Dr. Hess**), dessen Arbeit mir erst
nach Abschluss meiner Versuche bekannt wurde, sind im
Grunde die gleichen. Derselbe erhielt allerdings regelmässig
eine Totalcataract und nur einmal die Trübung der vorderen
Corticalis allein. Der Grund hierfür liegt, meine ich, darin,
dass er die Tritur 3—4 Minuten hindurch ausführte, wäh-
rend ich nur etwa V^ Minute massirte. Diese Erklärung
gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass VOlckers***),
der nur momentan die Linse quetschte, niemals Totalcataract
erhielt. Einige nachträgliche Versuche, bei welchen auch
ich, nach den Angaben von Dr. Hess, 3—4 Minuten massirte,
ergaben ebenfalls stets Totalcataract. Dass der Grund
*) Experiment. Stndie über traumat Cataract. Manchen 1887.
^) Ueber Napbthalinveränderongen im KaDinchenange und
ttber die Massagecataract. Bericht über die 19. Versammlung der
Ophthalm. Qes. 1887.
0 Siehe oben.
Studie ttber die För8ter*8che Maturation der Cataract. 139
flbrigens schwerlich im Yersucbsthier zu suchen ist, wird
dadurch bewieseo, dass ich mehrmals an einem Auge Total-
cataract, am anderen Auge des gleichen Thieres nur Trfl-
bnng der vorderen Corticalis erhielt. Eine vollständige Auf-
hellung der letzteren, wie es Hess beschreibt, konnte ich
nicht beobachten; das oben beschriebene Residuum blieb
stets zurück. Da nun die Zerfallsproducte grOsstentheils
resorbirt werden, und da ferner das Residuum fast durch-
sichtig ist und sich hauptsächlich durch unregelmässige
Brechung des Lichtes bemerkbar macht, vermuthe ich, dass
an seiner Bildung die unregelmässige Begrenzung der durch
den partiellen Faserzerfall entstehenden Höhle den Haupt-
antheil hat.
Mikroskopischer Befund.
Behufs mikroskopischer Untersuchung wurden die Ver-
suchsthiere in bestimmten Zeiträumen nach der Operation
getödtet, und die enucleirten Bulbi in horizontale, t beil-
weise auch in frontale Schnitte zerlegt, oder es wurde zur
Untersuchung die Kapsel abgezogen. Um letzteres mög-
lichst schonend zu bewerkstelligen, liess ich nach der
Becker'schen Vorschrift die Linse in Alkohol schrumpfen
und darauf in Wasser quellen, wodurch sich die Kapsel
spontan abhebt. Zur Härtung verwandte ich Müller'sche
Flössigkeit oder Alkohol, zur Einbettung Paraffin oder
Celloidin ; gefärbt habe ich die Präparate hauptsächlich mit
Alauncarmin oder Hämatoxylin, einige Kapseln auch mit
Silbemitrat oder Bismarckbraun. Vor der Härtung in Al-
kohol kamen die Bulbi stets Va Stunde in SVa 7o Salpeter-
säure oder einige Stunden in V* 7o Chromsäure. Die Kern-
figuren, zumal die karyokinetischen, treten dadurch ausser-
ordentlich klar und deutlich hervor.
Befund am Vorderkapselepithel.
An den Zellen des Vorderkapselepithels spielt sich eine
Reihe von Vorgängen ab, auf welche ich zunächst etwas
140 0. Schirmer.
näher eingeben möchte. £in grosser Theil derselben fällt
nämlich einem degenerativen Processe anheim, während die
überlebenden binnen knrzer Zeit, anfangs durch Gestalt-
und Lageveränderung, später durch Vermehrung auf mito-
tischem Wege den entstandenen Defect wieder ausfbllen.
Der Zelltod ist zweifellos als eine directe Folge der
mit dem Schielhaken ausgeübten Quetschung anzusehen.
Beweis dafür ist einmal die stets gleiche Lage der über-
lebenden Zellen. Dieselben finden sich nämlich erstens in
einer scharf abgesetzten äquatorialen Zone von massiger
Breite, also an einer Stelle, wohin der Druck des Instru-
ments nicht gelangen konnte, und weiter nahe dem Bande
des Zerfallsbezirks in concentrisch gelagerten Kreissegmenten*
Die Entstehung der letzteren ist leicht erklärlich, wenn man
bedenkt, dass das Trauma in einer kreisförmig streichenden
Bewegung besteht; demgemäss müssen Lücken zwischen je
2 Strichen die oben erwähnte Form annehmen. Das Vor-
kommen vereinzelter, lebender Epithelien näher dem Centrum
wird sich auf ähnliche Weise erklären. Ein fernerer Beweis
für die Richtigkeit obiger Behauptung liegt darin, dass bei
Quetschung nur eines Theiles der Linse, z. B. wenn man
mit einem Sondenknopf einen Strich auf der Kapsel macht*),
der Zelltod nur in diesem Bezirk sich findet. Die Bilder,
welche die Epithelien in den verschiedenen Stadien der De-
generation bieten, sind sehr mannigfaltig und jedenfalls zum
Theil bedingt durch die Schwere der Verletzung, welche die
einzelne Zelle traf. Im Allgemeinen ist der Verlauf der
folgende:
Bei Linsen, die dem unmittelbar nach der Operation
getödteten Thier entnommen sind, zeigt sich das Epithel
weder am frischen, noch am gefärbten Präparat verändert.
Mechanische Verschiebung der Zellen auf der Kapsel, sowie
*) Schirm er. Experimeotelle Studie über reine Linsen-
contuaioneD. Dissert. inaug. Greifswald 1887.
8tadie Aber die Förster^sche Matnration der Cataract. 14 L
directe Zerqaetscbung derselbea kann also ausgeschlossen
werden. Doch schon nach kurzer Zeit — ich sehe zunädist
von dem Verhalten der Kerne ab — zeigt das Protoplasuäa
eine gröbere Eömelung, und es tingiren sich diese Körn-
chen dunkler mit Alauncarmin; da sie aber zugleich viel
spärlicher liegen, so erhält man bei schwächerer Ver-
grOsserung doch den Eindruck, dass die betroffenen Par*
thien aufgehellt sind. In späteren Stadien erscheint freilich
an der abgezogenen Kapsel gerade die Umgebung der de-
generirenden Kerne besonders dunkel geftrbt (Fig. 6); die-
selben sind aber um diese Zeit schon von der Kapsel ab-
gedrängt und präsentiren sich daher nur an solchen Stellen,
wo Tiel von der unter dem Epithel befindlichen, kömigen
Masse haften blieb. — Dieser gröberen Kömelung folgt
unmittelbar der Zerfall des Zellkörpers. Schon nach einer
Stunde ist es nicht mehr möglich, durch Silbemitrat eine
Färbung der Grenzlinien hervorzurufen. Man sieht auf der
abgezogenen Kapsel nur eine blasse, granulirte Substanz;
stellenweise und häufig gerade um die Kerne erscheint die-
selbe etwas heller (Fig. 1). Sie haftet nicht sehr fest an
der Kapsel, so dass beim Abziehen derselben trotz grösster
Vorsicht zuweilen Parthien des Detritus abfallen. Dass
sich in ihr keine intakten Zellleiber um die degenerirenden
Kerne verbergen, beweisen Bilder, wie Fig. 4: ein Kern,,
der nur an einem Theil seiner Peripherie von dieser Masse
eingefEtöst ist. Wäre noch ein Zellleib vorhanden, so wurde
sich der Kern schwerlich so glatt aus ihm herausgeschält
haben, um die spärlichen, dazwischen gestreuten, normalen
Kerne hebt sich übrigens das Zellprotoplasma durch seine,
wenn auch wenig dunklere, Färbung deutlich von der Um-
gebung ab. So darf man annehmen, dass das Protoplasma
binnen kürzester Frist zu einem kömigen Detritus zerfällt^
dessen weiteres Schicksal, gesondert von den anderen.
Zerfallsproducten nicht mehr zu verfolgen ist.
Bedeutend langsamer verläuft der Degenerationsprocesa
142 O. Schirmer.
der Kerne. Er beginnt, ähnlich wie He nie*) den normalen
Eemtod in den Irnsonftnen beachieibt, damit, dass die
schon in normalem Znstande vorhandene Kömehmf eiae
gröbere wird; die einzelnen Körnchen sind zugleich durch
grössere Zwischenräame getrennt; so macht es den Eindruck,
als ob jedes von diesen durch den Zusammenfluss vieler
der ursprQnglichen Körnchen entstanden sei. Dieselben
gruppiren sich grösstentheils nahe dem Rand, während die
Mitte des Kerns heller wird und bald die Bildung mehr-
facher, kleiner, durchsichtiger Yacuolen erkennen lässt
(Fig. 2 d). Dieselben vergrössem sich schnell, legen
sich gern aneinander (Fig. 1 a) und fliessen häufiger zu
wenigen, grösseren Kügelchen zusammen (Fig. 2 a, b).
Die Fäden, von welchen sie öfters durchzogen scheinen,
halte ich fQr die Scheidewände der dem Conflux nahen
Yacuolen. Dieselben verdanken ihre Entstehung jedenfalls
einer circumscripten Ansammlung von Kemsaft. Wahr-
scheinlich steht der Eintritt von Kammerwasser in den
Kapselsack in Beziehung zu ihrem Auftreten, vielleicht
nimmt dasselbe sogar an ihrer Bildung theil. Es erzeugt
ja auch stets in den Linsenfasem, mit welchem es in Be-
rührung kommt, ähnliche, wenn auch weit grössere Yacuolen.
Im weiteren Verlaufe werden die Kerne schnell kleiner
und tingiren sich in toto stärker mit Kernfilrbemitteln, so
dass man schon nach 4 Stunden kaum noch die einzelnen
dunklen Chromatinklumpchen erkennen kann. Zugleich
verkleinem sich die Yacuolen (Fig. 3), bis sie allmählich
an die Grenze der Sichtbarkeit kommen und schliesslich
ganz verschwinden. Eine andere Erscheinung tritt jetzt
in den Yordergrund.
Schon nach V» Stunde sieht man an der Peripherie
der Kerne hier und da eine schmale, helle Sichel auftreten
*) Zur Entwicklang8g;e8chichte der Krystallinse n. b. w.
Archiv fikr mikrosk. Anat. Bd. XX, p. 418.
Studie Über die Förstefsche Maturation der Cataract. 143
(Fig. 1 a, Fig. 2 a, c, d), welche nach anssen durch eine
fauste, dankle Linie scharf begrenzt ist. Sie braitei stedt
auf einen stets grösser werdendeir Theil der Kernperipberie
aas, schlitfüriidi nach etwa einer Stunde umgiebt sie ihn
ganz, als lichter, durchsichtiger Hof (Fig. 1 b, Fig. 2 b, e, f,
Fig. 5). Schon weil sich die Art der Entstehung genau
verfolgen lässt, kann man nicht wohl von einer Interferenz-
erscheinung sprechen, durch welche oft um stark licht-
brechende KOrperchen ein doppelter Contour vorgetäuscht
wird.*) Dagegen spricht vor allem, dass äusserer und innerer
Contour des Binges sich durchaus nicht immer gleichen
(Fig. 1 a, 2 b, f). Man könnte diesen Raum ferner für
ein Eunstproduct erklären. Jedoch findet er sich in
gleicher Weise bei Härtung in Alkohol und in MQller'scher
FlQssigkeit, ebenso bei den verschiedensten Färbemethoden;
vor allem aber auch an der Msch abgezogenen Kapsel, die
ich ohne jede weitere Behandlung in Eammerwasser oder
V4procentiger ClNa- Lösung untersuchte; demgemäss muss
es sich um einen intra vitam gebildeten Baum handeln.
Derselbe kann nicht dadurch entstehen, dass sich die
Zellsubstanz vom Kern zurückzieht, denn der Hof ist
niemals grösser, als ein normaler Kern, sondern Anfangs
etwa gleichgross, später wird er kleiner; ferner sieht man
durch denselben zuweilen blasse Strncturen ziehen, deren
Zugehörigkeit zum Kern durch eingelagerte Chromatin-
kflgelchen ausser Frage gestellt wird (Fig. 1 b, 2 e). Dieser
perinucleare Baum muss also durch eine Verkleinerung
der Kemmasse entstanden sein und zwar hauptsächlich
der nicht färbbaren Bestandtheile, da sich der Kernrest,
je kleiner er wird, um so dunkler tingirt. Man beobachtet
femer, dass stets die kleinsten und dunkelsten Kerne die
kleinsten Vacuolen enthalten, dagegen den breitesten Hof
*} Flemming. Zellsubstanz, Kern und Zelltheilnng. p. 152.
Leipzig 1882.
144 0. Scbinner.
haben. An einzelnen Kernen lässt sich sogar constatiren^
dass nar den dunklen Parthien eine Sichel entspricht, an
den helleren dagegen sich eine solche noch nicht gebildet
hat (Fig. 1 a, 12 b). Diese Thatsachen berechtigen zu
der Annahme, dass Vacnoleninhalt und Eemsafb austreten
und sich um die in gleichem Masse schrumpfende Ghromatin-
Substanz, als heller Hof sammeln.
Die den Hof einfassende, dunkle Linie habe ich Anfangs
fTir eine Membran, für die abgehobene Eemhülle gehalten^
denn man sieht dieselbe so deutlich, dass man an ihrer Körper-
lichkeit nicht zweifeln zu können glaubt. Wäre sie aber
eine Membran, so müsste man bei der Verkleinerung des
Hofes Faltenbildung an ihr wahrnehmen; derartiges konnte
ich aber nie auffinden. Femer spricht dagegen, dass bei
dem analogen Vorgang an den Faserkemen bei dem Zerfall
der Ghromatinsubstanz in mehrere Elümpchen meist jedes
derselben einen hellen Hof von deutlicher, dunkler Linie
umsäumt, aufweist (Fig. 12 f, k, m). Deshalb ist die
Annahme einer Membran unzulässig; die Linie ist vielmehr
der optische Ausdruck der scharfen, äusseren Begrenzung
des Hofes.
Der Befund eines lichten Binges um absterbende
Kerne steht, speciell in der Linse, durchaus nicht vereinzelt
da. So sagt Becker *) bei Beschreibung des physiologischen
Kerntodes in den Fasern: „Die chromatische Substanz
fliesst zu ein oder zwei sich intensiv f&rbenden Klümpchen
zusammen. Dieses ist im ersteren Falle von einem lichten
Hof umgeben; im letzteren lassen sie eine leere, lichte
Stelle, Vacuole, zwischen sich." Gleiches Verhalten beob-
achtete Schlosser **) an den bei experimenteller, trau-
matischer Gataract degenerirenden Kernen des Epithels,
*) Zur Anatomie der g;e8ttnden and kranken Linse, p. 46.
Wiesbaden 1883.
^ Experimentelle Studie über traumatlBche Cataract. Kfln-
eben 1887.
Studie fiber die Förster *sche Hatoration der Cataract. 145
wie der Fasern. Bilder, welche anf eine Ansammlung der
chromatischen Substanz zu zwei Elümpchen mit folgender
Trennung der beiden hinweisen, finden sich nicht häufig,
doch scheinen mir einzelne Figuren dafür zu sprechen,
dass eine solche Trennung Torkommt (Fig. 2 b, f, 5 a).
Im weiteren Verlaufe werden die Kerne stets dunkler
geftrbt und kleiner; die Yacuolen sind schon nach vier
Stunden aus ihnen verschwunden. Zugleich ist ihnen durch
das Schwinden des Zellprotoplasmas ihr fester Halt an der
Kapsel genonunen; die von den uuTerletzten Stellen auf
den Defect nachrückenden Epithelien haben leichte MQhe,
sie von derselben abzudrängen und nach innen, den Fasern
zu, zu schieben, wobei das eindringende Kammerwasser
unterstatzend wirken mag (Fig. 7). Man sieht deshalb
auf der abgezogenen Kapsel normale und degenerirende
Kerne in zwei verschiedenen Ebenen liegen (in Fig. 6 habe
ich ein solches Präparat bei zwei verschiedenen Einstellungen
zu zeichnen versucht); die degenerirenden Kerne finden
sich nur an denjenigen Stellen, wo eine dicke Schicht
körniger Masse an der Kapsel haften blieb. Dieselbe ver-
deckt zum grOssten Theil den lichten Bing oder lässt ihn
doch nur undeutlich sichtbar sein — aus dem gleichen
Grunde tritt er auch an dem gezeichneten Schnitt nicht
deutlich hervor (Fig. 7). — Zwischen Epithel und Fasern
bleibt jetzt der Kern, stetig kleiner werdend, liegen (Fig. 8)
bis zu seiner vollständigen Resorption, die nach etwa
48 Stunden erfolgt ist. Mit ihm hatte sich auch der
durchsichtige Hof verkleinert und verschwindet um die
gleiche Zeit ebenfalls.
üeberblicken wir noch einmal die beschriebenen Vor-
gänge, so zeigt sich, dass der Zellleib zuerst zerfällt; be-
schleunigend hierauf wirkt jedenfalls das eindringende
Kammerwasser. Der Kern zeigt eine weit grössere Resistenz
gegen dasselbe; er bietet die Erscheinungen einer vacnolären
Degeneration. Flässigkeit, aus Kemsaft und vermuthlich auch
▼. OrMfe'» ArohiT für Ophtluüxnoloffle, ZXXIV. 1. 10
146 0. Schirmer.
aas hamor aqneas bestehend, sammelt sich im Innern des
Kerns zn Yacuolen an ; später tritt sie aas dem zasammen-
schrampfenden ChromatingerQst heraas and bildet einen
lichten Hof am dasselbe; zugleich beobachtet man eine üm-
lagerung der chromatischen Sabstanz, die sich in dem Auf-
treten gröberer Elümpchen docamentirt.
Es ist nach Analogie anderer Gewebe zn erwarten, dass
der Tod einer so grossen Zahl von Eapselepithelien seitens
der Umgebung eine heftige Beaction nach sich ziehen mass;
dieselbe wird darauf gerichtet sein, den entstandenen Defeot
wieder zu decken. Da die Kapsel intact ist, also ein Ein-
tritt von Zellen in den Kapselsack unmöglich, da femer an
den Faserkemen Proliferationsvorgänge noch niemals beob-
achtet sind, kann hier nur das Verhalten der überlebenden
Epithelien in Betracht kommen. Dieselben lassen in der
ersten Stunde keine deutliche Veränderung erkennen. Dann
aber bemerkt man an der abgezogenen Kapsel, dass die im
Defect oder an dessen Bändern liegenden Zellen blasser
ond grösser werden; gleiches Verhalten zeigen die Kerne,
die zuweilen eine enorme Grösse erreichen und dann beson-
ders hell erscheinen; auch in ihnen sieht man grössere Chro-
matinklümpchen, als sie sich unter normalen Verhältnissen
finden. An meridionalen Schnitten (Fig. 7) sieht man, dass
die Tiefendimension der Zellen und Kerne nicht nur nicht
zunimmt, sondern ziemlich bedeutend abnimmt. Demgemäss
handelt es sich der Hauptsache nach jeden&Us um eine
Formyeränderung der Epithelien, um ein Platterwerden der-
selben, nicht um eine wesentliche Grössenzunahme. Der
Grund hierfür ist in dem Druck zu suchen, den die quel-
lenden Faserenden und die aus ihnen austretenden, quellungs-
fähigen Massen auf die Epithelien ausüben. Allmählich
ergreift diese Formyeränderung auch die entfernteren Zellen,
welche, um Baum zur Ausdehnung zu gewinnen, ihre Nach-
barn nach dem locus minoris resistentiae, nach dem Defeot»
hindrängen. Hierdurch erklärt es sich übrigens, abgesehen
Studie über die FOrster'sche Matoration der Cataract. 147
davon, dass ein Kern zuweilon zu zwei gesonderten Chro-
matinklümpcben zerftUt, dass man in dem gleichen Gebiet
meist mehr degenerirende, als normale Kerne sieht (Fig. 6).
Letzt^e nehmen eben einen grösseren Flächenraum ein und
sind weiter Ton einander gerückt» — Diese bedeutende Ver-
schiebbarkeit Ton Epithelien auf ihrer Basalmembran darf
nidit auffallen. Liegt doch auch beim Ersatz der zu Fasern
auswachsenden Zellen die Zone der Mitosenbildung nach
Henle*) und 0. Becker**) nicht unmittelbar am Wirbel,
die nen entstandenen Zellen müssen sich also auf der Kapsel
dem Aequator znschieben. Das Wachsthum des einschich-
tigen Homhautendothels bietet ebenfalls eine Analogie:
dort findet nach Eberth nicht am Bande die Zellvermehrung
statt, sondern zerstreut zwischen den übrigen Endothelien
finden sich die Mitosen, so dass auch hier eine Verschiebung
der Peripherie zu angenommen werden muss.
Diese Epithelverschiebung genügt jedoch zur vollstän-
digen Deckung des Defects durchaus nicht. Zwar ver-
kleinert derselbe sich recht bedeutend; immerhin bleiben
noch grosse Lücken im Epithelüberzuge zurück, besonders
in der Gegend des Pols. Auch kann man diese Zellver-
schiebung nicht als die oben postulirte Beaction der Epi-
thelien auffassen, da sie hierbei nur eine passive Bolle
spielen. Ein Process, bei dem die Zellen eine active Bolle
spielen, wird erst gegen Ende des ersten Tages bemerkbar;
es zeigt sich eine lebhafte Zellvermehrung; die mitotischen
Figuren, welche besonders durch die Behandlung mit
3Vs 7o Salpetersaure sehr schön und deutlich fixirt werden,
treten ausserordentlich massenhaft auf. Sie beschränken
sich nicht auf die Begion der Kapsel, wo der Defect be-
standen hatte, sondern finden sich zahlreich auch in der
äquatorialen Zone und zwar hauptsächlich in hellen Zellen,
*) Zur Entwicklungsgeschichte der Krystalllinse, und zur
Theilong des ZeUkems. Archiv f. mikrosk. Änat Bd. XX, p. 413.
**) loc. cit., p. 39.
10*
148 0. Scbinner.
welche bedeutend grösser sind, als die kleinen Epithelieit
dieser Gegend. Nach einigen Tagen werden sie spärlicher
und sind nach einer Woche nur noch in Tereinzelten Exem*
plaren aufzufinden. In denjenigen Fällen, wo nur TrQbung
in der vorderen Corticalis auftrat, begrenzt sich die Proli-
feration mit der Wiederherstellung eines normalen Zell-
belags. Kommt es dagegen zur Totalcataract, so tritt eine
bedeutende üeberproduction ein. Die Zellen liegen schoD
nach 3 Tagen (Fig. 9) in zwei und drei Schichten unregel-
mässig über einander; nur die Continnität der äussersten
Schicht ist so ziemlich gewahrt. Ihr Aussehen ist ein durch-
aus normales; von Wucherungsvorgängen, wie sie Deutsch-
mann*) bei chronischen Eiterprocessen im Corpus vitreum
beobachtete, Ton Auswachsen der einzelnen Zellen zu spindel-
förmigen oder kolbigen Gebilden zeigen sie auch nicht die
leiseste Andeutung. Mitosen konnte ich auch in den inneren
Schichten vereinzelt beobachten.
Befund an den Linsenfasern.
Bei der mikroskopischen Untersuchung der Linsen&sem
findet man in den ersten Stunden in den vordersten
Schichten der vorderen Corticalis Veränderungen, die durch
directen Druck des Schielhakens hervorgerufen sind. Hier-
für spricht ihr frühes Auftreten, ihre Lage in einem Gebiet^
entsprechend etwa einer mydriatischen Pupille, d. h. soweit
der Druck des Schielhakens direct die Linse traf; vor Allem
ist aber beweisend, dass bei Quetschung nur eines Theilff
der Linse, z. B. wenn man mit einem Sondenknopf einen
Strich auf der Kapsel macht, die zu beschreibenden Ver-
änderungen nur in dem betroffenen Bezirk sich finden,
ebenso ist auch die intra vitam sichtbare Trübung auf
eine strichfOrmige Zone beschränkt. Das mikroskopische
Bild ist folgendes: Unmittelbar nach der Operation findet
*) Die Veränderungen der Linse bei Eiterprocessen im Ange,
Archiv f. Ophthalm. Bd. XXVI, 1, p. 134.
"^
Studie über die Förster'sche Matoration der Cataract. 149
man die oberflächlichsten Fasern aus einander gewichen;
spindelförmige, mit klarer Masse gefällte Lücken trennen
sie; sie selbst sind leicht gekörnt (Fig. 10). Der Tordere
Sterns trahl klafft etwas, soweit diese Yeränderongen reichen;
der Spalt wird dnrch eine granolirte Substanz ausgefflllt.
Bald werden die Lücken grösser, ihr Inhalt körnig. Die
Faserenden der Tordersten Schichten, mögen sie an der
Oberflache, oder im stetig breiter und tiefer klaffenden
Stemstrahl münden, quellen zu stark gekörnten Blasen an;
dieselben platzen und der Faserinhalt entleert sich unter
die Kapsel. Zurück bleibt in Form von zusammen-
gesunkenen Schläuchen die Filarmasse, die also nicht ein
Maschenwerk bilden kann, sondern als Bindenschicht einen
tropfbaren Inhalt einschliesst. Dieselbe widersteht noch
einige Zelt der Autlösung, dann Termischen sich auch ihre
Trümmer mit dem umgebenden Detritus.
Beschleunigend auf diesen Zerfall wirkt jedenfalls das
Eindringen Ton Eammerwasser in den Eapselsack. Das-
selbe tritt schon kurze Zeit nach der Operation auf und
2war zuerst als eine nicht unbedeutende Schicht in
körnigen Figuren geronnener, also eiweisshaltiger Masse
{Fig. 7), welche zwischen Epithel, soweit dasselbe noch
vorhanden ist und Linsenfasern sich ansammelt. Es werden
nämlich durch den Zerfall der Linsenfasem Diffusions-
vorgänge zwischen Linse und Humor aqueus angeregt, wie
sie sich auch bei anderen Cataractformen finden. Begünstigt
4urdi den Zerfall der Eapselzellen wird das Eindringen
des Eammerwassers ein so rapides sein, dass nicht sofort
AUes in die Linse eindringen kann, sondern sich zunächst
eine Flüssigkeitsschicht unter der Eapsel ansammelt, die
aus Eammerwasser und difiundirtem Faserinhalt gemischt
ist. Doch hat ersteres im An&ng so sehr das üebergewioht,
dass es ausser der auflösenden Wirkung auf die zerfallenden
Massen auch eine Ton Discisionen und traumatischer
Cataract her bekannte Erscheinung hervorruft, nämlich das
150 0* Schinner.
Auftreten Ton Yacaolen in den Fasern, nnd zwar haapt^
sachlich in den jQngsten Fasern; näher dem Pol werden
sie viel spärlicher. In den Fällen, die nicht zur Total*
cataract ftthren, finden sich nur wenig Vacuolen und diese
verschwinden nach einigen Tagen wieder, ohne Besiduen
zu hinterlassen. — An den Kernen beobachtete ich in den
Fällen von einfacher Gorticaltrflbung keine pathologischen
Vorgänge. Dass dieselben trotz des Zerfalls der vorderen
Faserhälften leine degeneraüven Erscheinungen zu zeigen
brauchen, ist eine von der traumatischen Cataract her be-
kannte Thatsache." *)
Das anatomische Substrat der oben beschriebenen,
weissen, reiffOrmigen Trübung, die nach wenigen Tagen
wieder verschwindet, finde ich in einer Zone, welche nahe
der Yorderkapsel, jedoch nicht unmittelbar unter ihr ge-
legen ist, polwärts oberflächlicher, als dem Aequator zu.
Hier entsteht durch Auseinanderweichen der Fasern ein
Geflecht spindelförmiger Lücken, welche weit grösser sind,
als die oben beschriebenen, aber nicht so nahe an einander
liegen. Während dort sämmtliche Fasern sich mit ihren
Nachbarn nur an einzelnen Stellen berührten, bilden hier
intacte Faserbnndel die Scheiden zwischen den einzelnen
Lücken, die übrigens grOsstentheils unter einander zu
communiciren scheinen. Gefallt sind sie mit körniger, in
myelinartigen Formen geronnener Masse (Fig. 11). Am
klaffenden, vorderen Stemstrahl erreicht das System seine
grösste Tiefe und weist die grössten Spalten auf; es mündet
in denselben ein. Zuerst beobachtete ich es V» Stunde
nach der Operation; es lag unmittelbar am vorderen Pol,
die Lücken waren noch klein. Allmählich vergrössern sie
sich recht beträchtlich, zumal die dem Pol am nächsten
liegenden, während aequatorialwärts stetig neue, kleine
*) Schlösser: EzperimenteUe Studie über traomatische
Cataract. München 1887.
Studie über die Förster'sche Maturation der Cataract. 151
Spindeln entstehen. Die trennenden Faserbündel nnd
Fasern, welche Ton Schicht zu Schiebt ziehen, seben
Anüangs leicht gekörnt ans; die EOmelung nimmt bald
zu, die Fasercontonren werden nnregelmftssig und nach
1 — 2 Tagen beginnt vom StemstrabI aus das ganze
Spindelsystem zu einem molecularen Brei zu zerfallen.
Diesem Zerfall entspricht die intra vitam beobachtete, vom
Fol dem Aequator zuschreitende Aufhellung. Da nämlich
die Fasern einen anderen Brechungscoefficienten besitzen^
als die Masse in den Lücken, so wird TermOge der stets
wechselnden Brechung diese Zone für Lichtstrahlen un-
durchgängig sein, bei aufEallendem Licht wird sie weiss
erscheinen. Zerfallen aber die Fasern und tritt eine mehr
homogene Masse an ihre Stelle, so können die Lichtstrahlen
ungehindert passiren, die Trübung wird verschwinden. —
Oanz vereinzelte, sehr schmale Lücken zwischen den Fasern
in der Nähe des Aequators, zuweilen auch in der hinteren
Gorticalis, die ebenfalls mit körniger Masse gefQllt sind,
machen keine intra vitam wahrnehmbaren Erscheinungen
nnd regen nicht weiteren Zerfall an.
Hiermit sind die degenerativen Vorgänge in den Linsen,
welche nicht der totalen Trübung anbeim fallen, ab-
geschlossen. Der Beparationsprocess besteht in der theil-
weisen Beseitigung der Zerfullsmassen , die in gelöstem
Zustande aus d^m Kapselsack hinaus transportirt werden,
zuweilen in solcher Menge, dass die vordere Linsenfläche
deilenförmig einsinkt. Zugleich schreitet am Aequator
das Wachsthum der Linse ungestört weiter; die neuen
Fasern verlaufen unmittelbar unter dem Epithel, erreichen
sich schliesslich am Pol und verwandeln so das Detritus-
gebiet in eine grosse, allseitig von Fasern umgebene Höhle,
welche stetig von der Kapsel abrückt, aber, soweit meine
Versuche reichen, — bis zu V* Jah^ — ^^^^ °^^ ^^^^
wenig verkleinert (Fig. 16 a).
152 0. Schirmer.
Sämmtliche, soeben beschriebenen Yeranderangen
finden sich in ähnlicher Form bei der Totalcataract. Hinza
tritt vor Allem, in ihren Anfingen schon nach einigen
Standen bemerkbar^ die Bildung zahlreicher Lücken nnd
Spalten zwischen den Fasern der hinteren Corticalis. Die-
selben finden sich ausserordentlich massenhaft, in ihrer
Form oft an die sogenannten Algenbilder erinnernd. Sie
sind auch hier die Vorstufe des Zerfalls, dem allmählich
die ganze hintere Corticalis anheimfällt. Oleiche Processe,
die zum gleichen Ausgang führen, spielen sich an den
Fasern der Aequatorialzone ab.
Die Kerne derselben bieten bei ihrem Absterben eigen-
thamliche, von dem physiologischen Eemtod, wie ihn
Becker'*^) beschreibt, theilweise abweichende Bilder. — Die
Degeneration schreitet von den ältesten zu den jüngsten
Fasern fort, so dass man zuweilen an einer Linse sämmtliche
Stadien des Frocesses beobachten kann. — Zunächst wird
der Kern gröber gekömelt, die einzelnen Körner liegen
weiter von einander, sie färben sich intensi? mit Alaun-
carmin und Hämatoxylm (Fig. 12 a). Zugleich bildet sich
durch Austritt eiweisshaltiger Flüssigkeit aus dem Kern der
¥om Kapselepithel her bekannte helle Hof — anfangs wieder
an einzelnen Stellen der Peripherie (Fig. 12 b), allmählich
den ganzen Kern umgebend (Fig. 12 c d). Eingefasst ist er
Yon einer feinen, dunklen Linie; dieselbe entspricht jedoch
auch hier aus den oben angeführten Gründen nicht einer
Membran Die chromatische Substanz fliesst indessen zu
stetig weniger grossen, stark gefärbten Kugeln zusammen«
welche zum Theil in den lichten Hof treten (Fig. 12 c d f h).
Einzelne verlassen denselben sogar und liegen dann frei in
den Fasern in unmittelbarer Umgebung des inzwischen stark
verkleinerten Bläschens. Meistens bleibt aber an ihnen,
besonders an den grösseren, ein Fetzchen der den Hof bil-
•) loc. cit., p. 46.
Studie über die Förster*8che Matnratioa der Cataract 153
H]enden Masse hängen, so dass auch sie von einem scharf
ebgesetzten, hellen Bing umgeben sind, die äussere Grenze
desselben täuscht auch hier eine feinste Linie vor. Jetzt
ist der Kern bis auf einige Ghromatinklümpchen und etwas
schwach ftrbbare, stmcturlose Masse zusammengeschrumpft;
auch letztere schwindet allmählich, und nur das inzwischen
«ehr klein gewordene Bläschen mit einem dunklen Pünktchen
in der Mitte bleibt noch einige Zeit innerhalb der Grenzen
der Sichtbarkeit (Fig. 12 h g). Der Hauptunterschied von
4et physiologischen Eemdegeneration besteht also in dem
rapideren Verlauf und in der Bildung einer grösseren An-
zahl Chromatinklttmpchen, welche gemeinschaftlich in einem
kleinen, aus dem Zellsaft bestehenden Bläschen suspendirt
sind, theilweise auch aus demselben austreten.
Die Bildung von Yacuolen in den jüngsten Fasern
ist in den Fällen von Totalcataract eine ausserordentlich
massenhafte, sodass es zum Zerfall der ganzen Faserhälfte
kommt. Es entsteht so am Aequator parallel der Linsen-
axe ein länglicher Zerfallsbezirk, der vom an das Eapsel-
epithel stOsst, hinten an die Kerne des Kembogens. Der-
selbe wird im Laufe der Zeit schmaler, da die Zerfalls-
massen fortgeschafft werden, und nun die Fasern Ton den
Seiten wieder näher zusammenrücken (Fig. 13a, 14a). Zu-
gleich wird der Eembogen je länger, um so mehr und um
60 spitzwinkliger nach hinten .ausgebuchtet (Fig. 13 b, 14 b).
Die Gestalt des Kembogens wird nun zweifellos durch die
Lage der Kerne in ihren Fasern bestimmt und zwar in
diesem Falle, da die vorderen Faserenden zerfalleu sind,
also nicht in Betracht kommen, durch ihre Entfernung von
dem Fusspunkt der Faser an der hinteren Kapsel. Würde
die hintere Hälfte einer Faser plötzlich zu wachsen auf-
boren, so müsste, da ihr hinterer Fusspunkt stetig an der
Kapsel nach hinten rückt, auch ihr Kern in gleicher Weise
nach hinten rücken. Hier beobachten wir nun bei einer
Gruppe von Kernen, dass sie näher dem hinteren Fusspunkt
154 0< Schirmer.
der zagehOrigen Faser liegen, als anter normalen Yerhftlt*
nissen; wir werden also daraas auf ein beschränktes Wachs-
thum der hinteren FaserhUften schliessen können. Die
Beobachtung zeigt femer« dass nar bei denjenigen Fasern
der Kern nach hinten gerückt erscheint, deren vordere
Hälften zerfallen sind. Sonach darf man annehmen, dass
Zerfall eines Theils einer Faser auch auf den Best der*
selben wirkt and zwar beschränkt er denselben in seinem
Wachstham.
Die Fälle sind jedoch nicht häafig, wo man einen Zer-
fall nur der vorderen Hälften findet, meistens gehen diese
jüngsten Fasern in toto za Grande, sodass die ganze linse
za einem körnigen Detritus zerfällt, der, hauptsächlich in
der hinteren Gorticalis und am Aequator, untermischt ist
mit zahlreichen Eiweisskugeln und Fasertrammem. Nur
der Kern hält mit diesem rapiden Zerfall nicht gleichen
Schritt Zwar wird auch er von der Peripherie her auf-
gefasert und angefressen, woran wohl das Eammerwasser
den Hauptantheil hat; eine vollständige Auflösung desselben
konnte ich jedoch nach 6 Wochen noch nicht constatiren. —
Zugleich bildet sich von den stark wuchernden Vorder-
kapselzellen aus ein Epithelbelag an der Hinterkapsel. Der-
selbe zeigt die bekannten Merkmale: grosse, blasse, zum
Theil hydropisch gequollene Zellen, theilweise unregelmässig
an einander gelagert, an anderen Stellen aber einen conti-
nuirlichen, einschichtigen Bels^ bildend. Karjokinetische
Figuren habe ich nicht in ihnen gefunden. — Die Bildung
neuer Fasern geht in diesen Fällen nicht regelrecht vor
sich, sondern es entstehen Blasenzellen der verschiedensten
Grösse, die durch Abplattung an einander in alle möglichen
Formen gepresst werden, genau wie es beim Crystallwolst
nach Staarextractionen beschrieben wird. Der Grund ist
dort wie hier jedenfalls in der Abnahme des intrakapsulären
Druckes zu suchen. Die zu Fasern auswachsenden £pi-
thelien, nicht mehr durch ihre Nachbarn in eine bestinoante
Studie über die FOrster^sche Matoration der Gataract. 155
Form gezwän^, sind in der Lage, hauptsächlich ihrepi
natflrlichen Wachs thnmstrieb zu folgen, der ihnen augen-
scheinlich eine mehr knglige Gestalt anweist Diese Herab-
mindenmg des intrakapsulären Dmckes gebietet, die Re-
sorption einer nicht unbeträchtlichen Menge Detritus anzu-
nehmen. Hat sich so viel von dieser crystailwulstfthnlichen
Hasse gebildet, dass der Druck wieder eine genügende Höhe
erreidit, so bilden sich Ton Neuem Fasern von normaler
Gestalt, welche unmittelbar unter dem Epithel von allen
Seiten dem Fol zustreben und so die cataractOse Linse mit
normalen Fasern umgeben. So entstehen im Laufe der Zeit
Bilder, ähnlich dem von Leber*) nach Disdsion der Vorder-
ks^sel erhaltenen: eine Linse mit trübem, zerfallenem Kern
und durchsichtiger Corticalis, welche die normale Faser-
anordnung und normale Fasern zeigt; nur die dem Detritus-
gebiet unmittelbar anliegenden befinden sich in langsamer
Quellung und Zerfall. Viel schneller geht aber die Bildung
neuer Fasern vor sich, so dass die Schicht durohsichtiger
Corticalis stetig an Dicke zunimmt«
Wir haben gesehen, dass eine Zerquetschung der vor-
deren Corticalis nur eine feine, radiäre Trübung dicht unter
der Kapsel ergiebt, und zwar konnte das nicht nur für die
intacten Eaninchenlinsen bewiesen, sondern auch für die
Cataracta senilis des Menschen durch den oben angefahrten
Fall wahrscheinlich gemacht werden. Um eine derartige
Trübung kann es sich in den Fällen von gelungener Matu-
ration nicht gehandelt haben ; die casuistischen Mittheüungen
sprechen stets von einer dicken, weissen, nicht duroh-
leuchtbaren Trübung; beweisend sind in dieser Beziehung
besonders die Fälle von maturirtem, hinterem Corticalstaar.
Demnach erscheint mir die Ansicht nicht haltbar, dass die
*) Leber, Kemstaarartige Trübung der Linse nach Ver-
letzung ihrer Kapsel n. s. w. Archiv f. Ophthalm. Bd. XXII. 1»
p.288.
156 0. Schirmer.
Tritur nur eine Zerquetschung der vorderen Gorticalis her-
hervorrufe. Auch secundftr durch den Zerfall dieser kann
die Maturation nicht entstehen, da, wie wir gesehen haben,
die vordere Certicalis sehr wohl zerfallen kann, ohne dass
totale Linsentrübung nachfolgt; auch spricht dagegen das
gleichzeitige Auftreten der Trübung in der ganzen Linse.
Man muss vielmehr annehmen, dass bei jeder gelungenen
Maturation die Massage in gleicher Weise auf sämmtliche
Fasern eine zerstörende Wirkung ausübt, dass es sich also
stets um die Hervorrufung einer Totalcataract handelt
Dieselbe entsteht zweifellos durch die Wirkung, welche
die Massage unmittelbar auf die Linsensubstanz ausübt;
denn es werden durch dieselbe keine Veränderungen im Auge
geschaffen, welche secund&r eine Cataract erzeugen könnten.
Destructive Wirkung auf die Linsenfasern könnte nun die
Massage erstens dadurch ausüben, dass durch den Druck
auf die Vorderkapsel die Spannung innerhalb des Eapsel-
sackes mne höhere wird, als die Fasern ertragen können,
die Compression der Fasern also könnte die Lebensfähigkeit
derselben vernichten. Es ist mir jedoch nicht gelungen,
durch einen, selbst mehrere Minuten währenden, langsam
an- und abschwellenden Druck mittelst eines stumpfen In*
strumentes auch nur die geringste Trübung in der Linse
hervorzurufen. Da der Druck also nicht das aetiologische
Moment sein kann, muss man es in der reibenden Bew^ung
suchen. Dieselbe bewirkt in den vordersten Schichten, wie
die mikroskopische Untersuchung unmittelbar nach der Ope-
ration enucleirter Bulbi lehrt, ein Auseinanderweichen der
Fasern, eine Verschiebung der einzelnen Faserschichten an
einander, und diese wiederum führt durch Einleitung ab-
normer Diffusionsvorgänge zwischen der in den Lücken stag-
nirenden Masse und dem Faserinhalt, ferner auch zwischen
Linse und Eammerwasser zum Zerfall dieser Schichten. Es
liegt nahe, zumal die mikroskopischen Veränderungen fast
die gleichen sind, auch für die tiefer gelegenen Parthieen
Studie über die Förster sehe Matnration der Gataract. ]57
fthnliche Verhältnisse anzunehmen. Unmittelbar nach der
Operation allerdings konnte ich in ihnen noch keine Lücken
constatiren. Da aber die reibende Bewegung diese Fasern
nnr sehr mittelbar treffen kann, l&sst sich hier eine so starke
Yerschiebongf wie in den vordersten Gorticalschichten, gar
nicht erwarten. Bis es zur deutlichen Spaltenbildung kommt^
bedarf es vielmehr noch eines kurzen Bestehens der durch
die Lockerung der Schichten hervorgerufenen Ernährungs-
störung; später wird auch hier das eindringende Kammer-
Wasser den Zerfall beschleunigen.
Da es sich um die Erzeugung einer Totalcataract han-
delt, kann man nicht an dem Postulat festhalten, dass ein
Widerlager, sei es in der getrübten hinteren Corticalis, sei es
im sderosirten Kern unbedingt vorhanden sein muss, auf dem
das massirende Instrument die Fasern quetscht. Es genügt,
dass die Linse durch die Zonula in ihrer Lage festgehalten
und gehindert wird, dem Druck nach hinten auszuweichen,
— Femer geht aus Obigem hervor, dass die Tritur auf alle
Staararten anwendbar ist. Allerdings wird der Erfolg um
so leichter eintreten, je ausgedehnter die schon vorhandene
Trübung ist, da durch eme an einzelnen Stellen schon vor-
handene Lockerung der Schichten und eine verschiedene
Consistenz derselben ihre mechanische Trennung zweifellos
erleichtert wird. Man wird aber auch in ungünstigen Fällen
durch genügend lange Dauer der Massage Maturation,
d. h. Totalcataract, erzeugen können. Selbst eine längere
Tritur wird übrigens, wenigstens von den Kaninchenaugen,
vorzüglich vertragen; bleibende Schädigung beobachtete ich
in keinem Falle, weder an der Cornea, noch an der Iris.
Zum Schluss sei es mir gestattet, Herrn Prof. Leber
f&r die freundliche Unterstützung, die er mir bei dieser
Arbeit jederzeit hat zu Theil werden lassen, meinen auf-
richtigen, ergebenen Dank auszusprechen. Gleichen Dank
schulde ich Herrn Prof. von Bothmund, unter dessen
Leitung ich diese Arbeit begann und Herrn Privatdocent
158 0. Schirmer.
Dr. Schlosser, der mir das Thema stellte und jederzeit
in liebenswfirdigster Weise behilflich war.
Nachtrag. Die oben aasgesprochene Behauptung, dass
unmittelbar nach der Operation Lücken- und Spaltenbildung
ausser im vorderen Gortex nicht zu finden sei, gründet sich
auf die Untersuchung einer Anzahl Linsen, bei welchen ich
die Massage V» Minute hindurch ausgeführt hatte, ich war
also niemals gewiss, es mit den Anfängen einer Totalcataract
zu thun zu haben. Erst nach Abschluss der Arbeit konnte
ich einen unmittelbar nach der Operation enudeirten Bulbus
untersuchen^ bei welchem ich nach Hess 3—4 Minuten
massirt hatte, also sicher war, den Grund zu einer Total-
cataract gelegt zu haben. Ich konnte zahlreiche, kleine
und grossere Spalten in der hinteren Corticalis und der
äquatorialen Zone constatiren. Es ist hierdurch der Beweis
geliefert, dass die Massage eine Lockerung und ein Aus-
einanderweichen auch der tief gelegenen Schichte direct
hervorrufen kann. Dass es mir anfangs nicht gelang, dies
zu constatiren, hat also jedenfalls darin seinen Grund, dass
ich zufällig nur solche Linsen unmittelbar nach der Operation
untersuchte, bei welchen später keine Totalcataract ein-
getreten wäre.
Figuren - Erklärung.
Fig. l und 2.
Abgezogene Kapsel« '^ Stande nach der Operation. Degene-
rirende Kapselepitlielieii; die Ghromatinsubstanz hat sich an grö-
beren Elümpchen gesammelt; Yacuolen liegen im Innern des Kerns;
an einzelnen Stellen der Peripherie tritt ein lichter Hof aaf, in
Fig. Ib und 2 b, e,f umgiebt er schon den ganzen Kern, der in
diesem Falle stärker tingirt ist. In Fig. 1 liegt links oben eine
normale Zelle, deren Protoplasma sich durch einen leicht dankleren
Ton yom umgebenden Detritus abhebt; nm die degenerirenden
Kerne fehlt dieser dunklere Ring. Winkel, homog. Imm J^«, ebenso
die ff. bis Fig. 10.
Studie Über die Försier'sche Matnration der Oataract. 159
Fig. 3.
Abgesogene Kapsel, 1 Stunde nach der Operation. Die Va-
eaolen iiaben sich bedeutend yerkleinert, der Hof yergrOssert >
Fig. 4 und 5.
Abgezogene Kapsel, 2 Stunden nach der Operation. Kerne
TerUeinert und dankler gefärbt, vollständiger Hof, der ebenfalls
schon kleiner geworden ist. In Fig. 5 liegt oben eine normale
Epitbelzelle.
Fig. 6.
Abgesogene Kapsel, 4 Stunden nach der Operation bei zwei
yeiBehiedenen Einstellungen gezeichnet, oben die nachgerttckten,
lebenden Epithelien, unten die von der Kapsel abgehobenen, dege-
nerirenden Kerne, welche auch oben durchschimmern. Dieselben
finden sich nur, wo eine dickere Schicht körniger Masse an der
Kapsel haftet, die zum Theil ihre Structarverhältnisse und den
Hof verdeckt
Fig. 7.
Zeigt dieselben Verhältnisse, 8 Stunden nach der Operation,
an einem meridionalen Schnitt Die Epithelschicht ist auffallend
flach, die Kerne platt und lang; die degenerirenden Kerne liegen in
einer körnigen Masse zwischen Epithel und Faserenden; letztere
sind gequollen, zum Theil schon geplatzt.
Fig. 8.
Abgesogene Kapsel, 36 Stunden nach der Operation, links f&r
die lebenden Epithelien eingestellt, die stellenweise Ansammlungen
des Ghromatins erkennen lassen, rechts ftlr die degenerirenden
Kerne, die sich ausserordentlich verkleinert haben.
Fifir. 9.
Meridionaler Schnitt durch eine cataractöse Linse, 3 Tage
nach der Operation. Wucherndes Kapselepithel, unregelmässig in
mehreren Schichten gelagert, von welchen die der Kapsel zunächst
liegende ihre Gontinuität gewahrt hat. Die Epithelien selbst sehen
normal aus.
Fig. 10.
Meridionaler Schnitt durch eine unmittelbar nach der Operation
herausgenommene Linse. Auseinander gewichene Fasern der vorder-
sten Schichten der vorderen Corticalis.
Fig. 11.
Meridionaler Schnitt durch eine Linse, 8 Stunden nach der
Operation. Spaltensystem in der vorderen Corticalis; nach links,
dem vorderen Stemstrahl zu, wird es breiter und zeigt grössere
Lücken, die mit kömiger Masse gefüllt sind. Winkel, Obj. 7.
IgO 0* Scbirmer.
Fig. 12.
Degenerirende Faserkerne aus Scbnittprftparaten; a, b, c, d, e,
f, m 24 Standen, h, i, k 6 Tage, g 7 Tage, 1 41 Tage nach der
Operation. Sammlung der Ghromatinsubstans zu gröberen Klftmp-
chen; Bildung eines lichten Hofes um die schrampfende. fftrbbare
Substans-, Austritt der Ohromatinklümpchen in den Hof und ans
demselben in die Fasern, wobei meist ein Fetschen HofsubstanA
an ihnen haften bleibt Winkel, homog. Imm. ^, controlirt mit %^.
Fig. 13.
Aequatoriale Gegend eines Meridionalschnittes, 3 Tage nach
der Operation, a Gebiet der zerfallenen, vorderen Faserh&lften;
es ist ein parallel der Linsenaxe Iftnglicher Zeriallsbezirk ent-
standen, der vom bis an das Epithel, hinten bis an die Klerue des
nach hinten ausgebuchteten Kembogens (b) reicht Winkel, Obj. 4.
Fig. 14.
Aequatoriale Gegend eines Meridionalschnittes, 9 Tage nach
der Operation. Das Zerfallsgebiet (a) hat sich in einen langen,
schmalen Spalt umgewandelt, der vom Epithel bis an den Kern-
bogen reicht Letzterer (b) ist weit stftrker und spitzwinkliger
nach hinten ausgebuchtet, als in Fig. 13. Winkel, Obj. 4.
Fig. 15.
Halbschematischer Schnitt bei 9facher YergrOssemng; die
Contouren mittelst des Lange'schen Apparates gezeichnet ^ Jahr
nach der Operation, a Zerfallshöhle, die ursprtinglich dicht unter
der Kapsel gelegen war, jetzt aber durch die seitdem neugebildeten
Fasern (b), welche im vorderen Stemstrahl (o) zusammenstossen,
dem Kern zu verschoben ist. Alles übrige normal, e der normale
Kern. Intra vitam war nur eine leichte, vor dem Kern gelegene
Trübung sichtbar gewesen.
Fig. 16.
In gleicher Weise gezeichneter Schnitt 6 Wochen nach der
Operation. Vollständiger Zerfall aller Fasen zu einem mit massen-
haften Eiweisskugeln und Faserüberresten gemischten Detritus,
a Stark proliferirtes Yorder-Kapselepithel, b continuirlicher Epithel-
belag der Hinterkapsel, c neugebildete Fasern am Aequator von
fast normalem Aussehen, e Lager von Bläschenzellen, nach innen
vor den neuen Fasern gelegen, also früher gebildet, d aufgesplitterter
und in Auflösung begriffener Kern, f Falte zwischen den Inser*
tionen der Zonula; jedenfalls durch den Zug der letzteren auf die
Kapsel entstanden, die an Inhalt, aber nicht an Grösse verloren
hat Intra vitam hatte die Linse das Bild einer Totalcataract ge-
boten.
Ghionisohes Lidödem bei erysipelasaitiger Ent-
zfimdimg mit Tumorenbildung an den Lidrändern.
Von
Dr. Pedraglia und Prof. Dr. Deutschmann
in Hamburg^.
Hierzu Taf. VI, Fig. 1—4.
Bereits im Jahre 1882 präsentirte sich mir *) ein
neunjähriger Knabe, Willy Klank, in der Augqnabtheilung
der hiesigen allgemeinen Poliklinik mit denselben krank-
haften Veränderungen der Lider, an denen derselbe auch
jetzt noch leidet und wurde von mir, da mir ein ähnlicher
Fall noch niemals vorgekommen war und ich auch in der
mir zu Gebot stehenden Literatur nirgends ein ähnliches
Krankheitsbild beschrieben fand, in einer wissenschaftlichen
Sitzung des ärztlichen Vereins den anwesenden Aerzten
vorgestellt, woselbst gleichfalls keiner der anwesenden
SpecialcoUegen je etwas Aehnliches beobachtet zu haben
erklärte.
Da nun auch neuerdings mein Freund, Herr Professor
Deutsch mann, dem ich den Fall als Curiosum gleich-
falls zeigte, denselben als ünicum auffassen zu müssen
glaubte und sich zur Anfertigung einer Zeichnung, sowie
*) Pedraglia.
▼. Oraefe's Archiv fOr Optatbftlmologle, XXXIV. 1. 11
162 Fedraj^lia und Deutschmann.
zur mikroskopischen üntersuchuDg desselben erbot, so gebe
ich hier die klinische Beobachtung des Falles, welcher sich
der Mittheilung des mikroskopischen Verhaltens durch
Herrn Professor Deutschmann anschliesst.
Der jetzt 14jährige, sonst ganz gesunde Patient zeigt
einen plumpen, maskenartig starren Gesichtsausdruck, bedungen
durch ein beiderseitiges chronisches Lidödem, welches sich nach
oben bis zu den Augenbrauen erstreckt, seitlich über den
Nasenrücken dermassen hinzieht, dass derselbe wie durch Epi-
canthus verbreitert erscheint und nach unten sich über die
Wangen bis gegen die Mundwinkel hin ausdehnt und besonders
an den Lidern eine leichte erisjpelasartige Bothe zeigt. An
der stärkstgeschwollenen Parthie des lockeren Zellgewebes über
dem Jochbogen bleiben nach Fingerdruck sogar für kurze Zeit
Eindrücke, wie bei Anasarca, so dass ich bei der ersten Vor-
stellung des Kranken eine Untersuchung des Urins auf Eiweiss
für angezeigt erachtete, welche jedoch ein negatives Resultat
lieferte.
Die Lidspalte ist durch die ödematOse Schwellung etwas
verengt und die Lidränder selbst sind mit ungleichmassig ver-
theilten, zahlreichen, 1—4,0 mm hohen, rundlichen, an ihrer
der Gonjunctiva bulbi zugekehrten und derselben aufliegenden
Seite aber plattgedrückten, glatten, opaken, bläulich -weissen
Zäpfchen von dem Aussehen und der Form spitzer Condylome
besetzt, welche ihren vorzugweisen Sitz an den punktförmigen
Mündungen der Ausführungsgänge der Meibom'schen Drüsen
haben, ausserdem aber auch an der äusseren Lidkante an den
Ausmündungen der Haarbalgdrüsen der Cilien, sowie in be-
sonderer Häufigkeit an der inneren Lidcommissur, gleichfalls
den feinen Ausmündungsstellen der Haarbalgdrüsen entsprechend
vorkommen. Manche derselben stehen isolirt und durch Zwischen-
räume von einander getrennt, während andere dicht neben-
einander gelagert sind, besonders an den Ausführungsgängen
der Meibom*schen Drüsen, so dass sie theilweise confluiren
(s. Figur 1).
In Folge der Beizung der Goigunctiva bulbi durch das
Aufschleifen dieser Wucherungen existirt ein ziemliches
Thränenträufeln, jedoch nur ein verhältnissmässig geringer
Coi\junctivalcatarrh mit sehr massiger Secretion. Die Cilien
sind in normaler Zahl und Stellung vorhanden und eine Com-
i
Chronisches LidOdem bei erysipelasartiger Entzündung. Ig3
plication mit Leiden der Thränenorgane existirt nicht. Auf der
Coiyunctiva bulbi sind besonders nach innen von der Cornea
die Ljmphgefässe stark ectatisch. Bechts befindet sich eine
Nubecula fast im Centrum der Cornea. S ist beiderseits ^Vro
(— 2 D.), Jaeger 4 wird gelesen. Ophthalmoskopischer Befund
normal. Die subjectiven Erscheinungen bestehen in einem be-
tonders bei heftigem Wind und Witterungswechsel sehr lästigen
Brennen und Hitzegefuhl in den Augen und Wangen bei
gleichzeitig vermehrter Thränenabsonderung.
Wenn man die beschriebenen Wucherungen mit der Scheere
an ihrer Basis abträgt, was ohne Blutung geschehen kann, so
bilden sie sich in ziemlich kurzer Zeit wieder Ton Neuem, und
zwar in circa acht Tagen in Form kleiner herpesartiger Bläs-
chen Ton Halbmohn- bis Halbhirsekomgrösse, die auf Empor-
hebung der Epidermis durch seröse durchsichtige Flüssigkeit
zu bestehen scheinen und sich besonders zahlreich um die
innere Lidcommissur des rechten Auges entwickelt haben, wovon
Fig. 2 ein anschauliches Bild liefert. Ein Theil derselben
trocknet dann ab, während aus den anderen die erwähnten
Zäpfchen sich wieder herausbilden und allmählich wieder die
frühere Grösse erreichen. Ich habe im Laufe der fünf Jahre,
seit ich den Kranken beobachte, diesen Vorgang wiederholt ge-
sehen und mich überzeugt, dass anfänglich nach der operativen
Entfernung Patient sich besser befand, dass aber nach kurzer
Zeit die Wucherungen wieder in früherer Zahl und Grösse,
bald am oberen, bald am unteren Lid und bald mehr am
rechten, bald mehr am linken Auge vorhanden waren, während
an der Beschaffenheit des Lidödems sich niemals etwas geändert
zeigte.
Zu erwähnen wäre noch, das nur einmal im September 1885
Patient sich mir insofern mit gänzlich verändertem Aussehen
vorstellte, als damals die sämmtlichen Auswüchse dunkelblut-
roth und blutdnrchtränkt erschienen, bei gleichzeitigem Vor-
handensein zahlreicher, in die Haut der Lider eingesprengter —
den Lidrändem zunächst häufiger, dann peripherisch an Zahl
abnehmender — Hirsekorn grosser Ecchjmosen.
Patient schildert das Auftreten dieser nur einmal vor-
gekommenen Congestionserscheinung mit Buptur feinster Ge-
f&sse der Drüsenausführungsgänge als mit aussergewöhnlichem
Hitzgefühl in Augen und Wangen aufgetreten. Nach Application
kühler Bleiwasser-Ueberschläge verlor sich indessen diese Com-
11*
Ig4 Pedra^lia und Deutschmann.
plication rasch wieder bis zur Wiederherstellung des früheren
Zustandes.
In Bezug auf die Anamnese war durch den Kranken nur
zu erfahren, dass dessen Eltern das Auftreten der beschriebenen
Augenerkrankung im dritten Lebensjahr „nach dem Impfen'^
zuerst bemerkt haben wollen, also sechs Jahre bevor er mir
zuerst in der Poliklinik vorgestellt worden war. Nach dem
dritten Lebensjahr litt Patient noch an Anschwellung und
Vereiterung der beiderseitigen Submaxillardrüsen, wovon beider-
seits die Narben noch sichtbar sind und ausserdem an Masern
und Keuchhusten.
Therapeutisch wurde gegen das Leiden, jedesmal wenn
Patient sich wegen XJeberhandnahme der Wucherungen wieder
einfand, die Abtragung derselben mit nachfolgender Jodoform-
bestreuung der kleinen Wundflächen in Verbindung mit gegen
den begleitenden Gonjunctivalcatarrh gerichteten Gollyrien und
innerlich längere Zeit Jodkalium in Anwendung gebracht,
jedoch ohne dauernden Erfolg, da die Wucherungen stets
wiedergekehrt sind, wie das Lidödem unverändert geblieben ist.
Im Grossen und Ganzen ist jedoch eher eine Ab- als Zunahme
der krankhaften Erscheinungen wahrzunehmen, da Patient die
Lidspalten weiter zu Offnen im Stande ist, als früher und
weniger von subjectiven Empfindungen geplagt wird. Die
innerliche Anwendung von Arsenik wäre noch zu versuchen.
Wenn nun auch in der ophthalmologischen Literatur
sich allerwärts ähnliche Bildungen an den Lidrändem, an
den Ausführungsgängen der Meibom*schen sowohl als der
Haarbalgdrüsen als sogenannte Retentionscysten tbeils unter
dem Namen des Milium oder als hyaline Bläschen (Vesicula,
Phlyctaenula) oder gar als Hydatiden (eigentliche Cysten am
Lidrande) beschrieben finden, die sämintlich jedem Augen-
arzte häufig zur Beobachtung kommen, so war doch nirgends
in der mir zugänglichen Literatur älterer sowohl als neuerer
Zeit die Erwähnung eines so massenhaften und hartnäckigen,
nach der Abtragung immer recidivirenden Auftretens ähn-
licher Gebilde zu entdecken, ebenso wenig, wie der Ent-
wickelnng derselben zu grösseren Tumoren (als eines Milium)
jemals gedacht wird. Auch ist wohl von chronischer Ent-
Chronisches LidMem bei erysipelasartig^r Entzündung. Ig5
Zündung der Lidränder als Ursache ffir die Verstopfung der
Ausführungsgänge der Meibom'schen Drüsen die Bede, doch
findet sich nirgendwo eine Andeutung eines gleichzeitigen
Yorbandenseins des erwähnten chronischen Lidödems, resp.
einer eris}pelasartigen Entzündung, welche doch wohl ganz
besonders als das veranlassende Moment sowohl der Bildung
überhaupt, als der fortgesetzten Wiederentwickelung der
abgetragenen Excrescenzen aufgefasst werden muss.
Die Hohe der mir*) zur Untersuchung übergebenen, von der
inneren Lidkante abgetragenen Tumoren schwankt, wie ihre
Breite, zwischen 2,5 und 4,0 mm: die Basis ist eher breit, die
Farbe milchig weiss; die äussere Oberfläche glatt, dieContouren
des oberen, freien Randes nicht gradlinig, sondern etwas papillär
gerippt, die Consistenz ist eine weiche. Die kleinen Tumoren
werden in Alkohol gehärtet und in verschiedenen Richtungen
geschnitten. Das Besultat der Untersuchung lehrt: Zu unter-
scheiden sind eine äussere Epitheldecke und ein von ihr ein-
geschlossener Inhalt, welcher letzterer den Hauptbestandtheil
4ier Geschwülste formirt — (Fig. 4).
Die Epitheldecke besteht aus mehrfach geschichteten
Plattenepithelien, die von innen nach aussen flacher werden.
Die Schichtung derselben ist von durchaus ungleichmässiger
Dicke resp. Zahl der Zelllagen. Stellenweise bildet das Epithel
eine mächtige Decke mit unregelmässig gestalteter Oberfläche,
an andern Stellen eine dünne, nach aussen glatt erscheinende
2ellbekleidung. Es überzieht natürlich alle die kleinen und
grosseren papillenartigen Unebenheiten der Oberfläche der
kleinen Tumoren, wie es die Thäler zwischen ihnen auskleidet;
hier findet es sich stellenweise zu kleinen Ferlkugeln angeordnet;
endlich erstrecken sich auch kleine Epithelzapfen in das innere
hinein. Diese Epithelschicht umschliesst nun eine der Haupt-
masse nach amorphe, leicht glänzende Substanz, in der reich-
liche Sprünge und verzweigte spaltförmige Lücken auftreten;
letztere lassen Hämatoxylin imd Carmin eindringen, so dass
sie zuweilen Easerzüge vortäuschen könnten; indess sind solche
mit Sicherheit auszuschliessen. Ab und zu treten in der sonst
*; Dentschmann.
166 Pedraglia und Deutschmann.
strnctarlosen Masse Andentimgen von Besten frflherer Zell*
grenzen auf, endlich rundliche Kerne zum Theil scharf tingirt,
zum Theil haben sie den Farbstoff nur sehr schlecht auf-
genommen. Daneben finden sich in einzelnen der kleinen Ge-»
schwülste, theils direct unterhalb der Epithelschicht, theils
etwas von ihr entfernt, kleine Heerde eines feinstkömigen,.
wie es scheint, fibrinösen Netzwerks mit eingelagerten, mehr
oder weniger zahlreichen LymphkOrperchen. Weder Gefösse^
noch Nerven, noch Bindegewebselemente sind in den Tumoreu
zu finden. Jene Hauptinhaltsmasse ist der mikro- chemischen
Reaction nach als Fett aufzufassen, sie bleibt durch Säuren
und Alkalien unverändert; löst sich in Aether, Chloroform und
Benzin, wird von Osmiumsfture braun gefärbt und nimmt mit
Gentiana -Violett Tinction an. Amjloidreaction giebt sie nicht.
Besonders werthvoU bezüglich der Entstehung der frag*
liehen Tumoren erscheinen einige wenige von der Basis einer
etwas tief abgetragenen Geschwulst, gewonnene Schnitte. Fig. 3-
giebt einen derselben wieder. Hier erscheinen in dicht gedrängt
stehenden Epithelien zwei Lumina, eingefasst von typisch ge-
stellten Zellen, nach innen ist eine, hie und da auch mehrere
Lagen platter Homzellengebilde, der nach aussen eine senk-
recht zu jenen gestellte Zellreihe mit kugeligem oder ovalen
ZellkOrper folgt, dem Epithel der äusseren Haut analog. Der
Inhalt ist aus den beiden Oeffnungen herausgefallen, nur Beste
davon, in Form der früher beschriebenen Masse mit einigen
Eemgebilden sind in ihnen erhalten. Das eine Lumen ist bei
weitem grösser als das andere, auch in seiner Form unregel-
mässiger. Die fragliche Geschwulst, der der Schnitt entnommen
ist, war ihrer Form nach aus zweien, einer kleineren und einer
grösseren, confiuirt.
Die frischen Herpesbläschen ähnlichen Eruptionen, welche
der Bildung jener eigentlichen Tumoren voraufgehen und welche
ich durch die Güte des Collegen Pedraglia gleichfalls zu Ge-
sichte bekam, entleerten beim Anstechen einen opalescirenden,.
schnell gerinnenden Tropfen, der sich mikroskopisch als Ge-
misch von Epithelzellen, Lymphkörperchen, flüssigem Fett^)
und einzelnen rothen Blutkörperchen erwies, Mikroorganismen
Hessen sich darin nicht entdecken; ebensowenig lieferte die
Färbung von Schnitten durch die ausgebildeten Tumoren, bc-
*) Durch mikro • chemische Reaction.
Chronisches Lidödem bei erysipelasartiger Entzündang. 167
%ügli6h Mikroparasiten ein positives Resultat. Nnr die äussere,
freie Oberfläche derselben war mit zahlreichen, jedenfalls aus
dem Bindehautsacke stammenden Mikrococcen belegt.
Was die Pathogenese der fraglichen Gebilde anlangt,
80 sind sie noch als aus dem Secret der Meibom'schen
Drflsen, der Haarbalgdrüsen der Gilien resp. der Hauttalg-
drOsen am Lidwinkel, an deren MQndungen sie ja auch
sassen, hervorgegangen zu betrachten. Die an der Basis
des einen kleinen Doppeltumors aufgefundenen Lumina lassen
sich kaum anders, als wie Mttndungen von Ausfbbrungs-
gängen Meibom'scher Drüsen auffassen. Es wären demnach
frei nach aussen entwickelte, ein polypöses Ansehen gewin*
nende „Retentionscysten". Sonach würde ihre Entstehung
auf eine behinderte Entleerung des in der Drüsenausführungs-
gangsOffnung sich ansammelnden Secretes zurückzufahren
sein. Im Zusammenhalte des anatomischen und klinischen
Bildes scheint mir folgender Entstehungsmodus der wahr-
scheinlichste. Die chronischen erysipelasartigen Affectionen
der Lider führen zu einer starken chronischen Hyperämie
der die Talgdrüsen (der Lider, der Cilien, der Haut) um-
spinnenden Gefässnetze mit consecutiver reichlicher Drüsen-
Zell- und Sekretproduction, sowie Epitbelwucherung an den
Lidrändem, beziehungsweise besonders den Drüsenaus-
fOhrungsgangsöffnungen, endlich gelegentlich frischer ent-
zündlicher Nachschübe, zum Austritt von LymphkOrperchen,.
resp. Fibrin in die Drüsenausführungsgänge. Die Epithel-
Wucherung an den Mündungen der Drüsenausführungsgänge
führt zu einem epithelialen Verschluss der Ausgangsöffnung,
80 dass sich das reichlicher producirte (vielleicht auch in
seinem chemischen Verhalten veränderte?) Secret nicht ent-
leeren kann, sondern zunächst die verschliessende Epithel-
decke in die Höhe hebt. Dazu gesellt sich unter dem Ein-
flüsse der entzündlichen Hyperaemie Beimengung von Lymph-
kOrperchen — 1. Stadium: Bläschenbildung. — Sticht man
die Bläschen nicht an, so gerinnt ihr Inhalt, neues Secret
168 Pedraglia und Deutschmann.
drängt von hinten nach, auch Fibrin und LymphkOrperchen,
ja auch rothe Blutkörperchen (klinisch beobachtete blutige
Infiltration der Tumoren) gesellen sich von Seiten der in
beständiger entzündlicher Erweiterung befindlichen Gefäss-
bahnen bei. So wachsen die kleinen Tumoren, bis sie den
klinisch beobachteten Zustand erreichen. So lange die
Grundursache fortdauert, recidiviren sie; es bildet sich nach
ihrer Abtragung schnell eine neue Epitheldecke von den
Seiten her und die Retention, d. h. der Process der Tumor-
bildung beginnt von Neuem.
Erklärung der Abbildungen.
Fig. 1. Bechtes Auge des Patienten, mit den Tumoren der Lid-
ränder.
Fig. 2. Bechtes Ange; bläschenförmiges Stadium, besonders am
inneren LidwinkeL
Fig. 3. Schnitt durch die Basis eines kleinen Doppeltumors des
Lidrandes; 2 Lumina Meibom'scher DrüsenausfÜhnmgs-
gänge.
Fig. 4. Schnitt durch die Höhe eines Lidrandtumors; die dunklen
Partien entsprechen der durch Osmium dunkel gefärbten
Inhaltsmasse.
Beitrag zur &lanconi- Lehre.
Von
J. Jacobson seo. in Königsberg i. Pr.
Nicht weniger als fünfzehn Jahre hatte die Hyper-
secretions- Lehre ihre Kraft in verschiedenen Definitionen
erschöpft, bis Graefe sein Unvermögen, den Krankheits-
process zu erkennen, bescheiden eingestand, — und wiederum
vergingen fünfzehn Jahre, bis die Betentions-Lehre, die bei
den Ophthalmologen so viel Beifall gefunden hatte, einen
Stoss erhielt, von dessen tödlicher Wirkung sie nur noch
für kurze Zeit durch ihre Elasücitat und Liebe zum Leben
bewahrt bleiben kann.
Birnbacher und Gzermak haben in diesem Archiv
den augenfiUligen Beweis für venöse Stasen in dem vorderen
Segmente der Ghorioidea, wie sie nach Stellwag v. Oarion
ia neuester Zeit von Arlt und mir hauptsächlich an-
genommen waren, geliefert, — die alte Chorioiditis ist
wieder in ihr Becht eingesetzt, — eine secundäre Peri-
phlebitis mit Verengung grosser Venen und besonders der
Vasa vorticosa ist nachgewiesen, — eine zuverlässige Be-
obachtung von Verwachsung der Iris- Peripherie mit der
Cornea durch blosse Apposition will sich noch immer
nicht finden, während die entzündliche Verwachsung über-
170
J. Jacobson Ben.
zeugend durch Sectionen couatatirt iet, — kurz toq der
neuen Lehre bleibt aU winziger Rest nur die paradoxe
Behauptung : „Glaucom ist ein Symptom." Aach ihr ist
im Kampfe gegen die Elemente der allgemeinen Pathologie
eine Pit^noBis peasiraa zu atelien.
Dass Birnbacher und Czermak in ihrer unter dem
bescheidenen Titel: „Beitrage zur pathologischen Anatomie
and Pathogenese des Glaucoms" veröffeutlichten , aas-
gezeichneten Abhandlung (Archiv Bd. 32) den alten Streit
fOr immer entschieden haben, durfte nicht verschwi^eo
werden; denn so lange jeder Autor sich zu einer beliebigen
Glaucom -Theorie für berechtigt hßlt, so lange haben wir
eben so viele, subjective Pathologien. Hielte ich Schnabera
Theorie nicht für einQusslos, so warde ich die schlagende
Widerlegung, die ihr zu Theil geworden ist, ebenfalls ana-
fohilicher referirt haben. Unter den obwaltenden Umst&nden
genügt es, die Thatsache zu constatiren. Den Einwand,
dass Birnbacher und Czermak sich nur auf die kleine
Zahl Tou nean Sectionen stotzen, kann ich nicht gelten
lassen; es ist unwiderleglich nachgewiesen, dass in neun
untMsuchten Angeu diejenigen Verfioderongen, die nach
de Wecker dem Begriffe „Glaucom" widersprechen, ror-
banden waren. Dieser Nachweis genügt. —
Zwei Irrlehren sind beseitigt, aber eine neue, den Er-
gcheinnngeu nicht widersprechende Lehre, ist noch nicht
gefunden. Wenn Birnbacher nnd Czermak anch wieder-
holentlich die Absicht, den glaucomatösen Prooess zq er-
klären, leugnen, so wird man ihnen das Verdienst, die
Sache durch gründliche Kritik, wie darch genaue Beobacbtang,
lle Versuche and neue Gedanken geftirdert zu haben,
lieb bestreiten and nichts natürliclier finden, ala
las compliciite Problem auf dem von ihnen ein-
luen, streng wissenschaftlichen Wege nicht im ersten
e gelöst worden ist.
'as sie erreichen wollten, QberBchreitet die Grenzen,.
Beitrag znr Olaucom- Lehre. 171
die der Leistungsfähigkeit des Klinikers gesteckt sind. Er
kann schnell zum Ziele gelangen, aber er kann das Er*
worbene nicht sicher behaupten, so oft es auch den An-
schein haben mag, als sei er berufen, durch Beobachtung^
und Speculation zu antecipiren, was die Wissenschaft nur
auf weiten Umwegen erlangt. Um seiner höchsten Auf-
gabe, der therapeutischen, rationell zu genügen, muss er
allerdings das Wesen der Krankheit, dem die Behandlung
sich accomodiren soll, erkannt haben, aber wie oft seine
Möhe Yergeblicli ist, weiss Jeder, der ex nocentibus vor^
gefasste Meinungen aufgeben und neue Wege einschlagen
gelernt hat. „Beobachtung am Lebenden" ist das
Mittel, „Combinationen*' sind die unsicheren Wege, auf
die er angewiesen ist, bis der pathologische Anatom ihn
mit einem neuen, werthvollen Mittel, den „Krankheits-
producten'*, unterstützt. Wie sich beide ergänzen, wie
jeder von Beiden nur auf seinem Oebiete dem Qanzen
nützen kann, soll mit Bezug auf eine beiläufige Bemerkung
in der Abhandlung von Birnbacher und Czermak das
folgende Beispiel aus der Glaucom- Lehre illustriren.
Der Kliniker sei durch den Verlauf der Symptome
bewogen worden, die Disposition zum Glaucom in „venOsen
Stasen'* zu vermuthen, für die Ursache dieser letzteren
mit Bücksicht auf das Alter der Kranken „senile Qe-»
fässveränderungen" zu halten! Dann bleibt ihm zunächst
die relative Seltenheit des Glaucoms. Er mus von Neuem
zu seinen Beobachtungen zurückkehren und findet, wenn
auch nicht ausnahmlos, so doch als Regel, dass seine
Kranken an geringer Energie der Herzthätigkeit gelitten
haben. Niedriger Arteriendruck steigert die venOse Stasct
die Hypothese, so weit der Kliniker sie aufstellen darf^
ist fertig und erwartet ihre Gensur vom pathologischen
Anatomen. — Den glücklichen Fall nun weiter angenommen^
dass der pathologische Anatom bei einigen Sectionen die
Bedingungen für venöse Stasen in groben Gefäss-Yer-
172 J* Jacobson sen.
ändorangen findet und letztere für die directe oder wesent-
lichste Ursache des Glaucoros hält, so ist er. in Zukunft
auf die Unterstützung des Klinikers angewiesen; denn wie
die Herzthätigkeit gewesen, ob psychische Depression und
dergleichen mitgewirkt haben mag, sagt ihm, wenn die
Veränderungen der Ge&sse gering sind oder fehlen, der
Sectionsbefund nicht.
In der mehrfach citirten Abhandlung kommt es zu keiner
scharfen Trennung des klinischen und pathologisch-anato-
mischen Gebietes, die Verfasser beherrschen beide. Des-
halb ist mir die Bestätigung und Erweiterung, die meine
Ansichten durch ihre Untersuchungen gefunden haben, von
ganz besonderem Werthe. Vielleicht glückt es mir in nicht
geringerem Maasse mit zwei besonders wichtigen Theilen
der Glaucom- Lehre, dem Verhalten des Glaskörpers und
der Sehnerven- Excavation. Was auch in dieser Beziehung
klinische Beobachtungen gelehrt haben, liegt ihrer streng
wissenschaftlichen Methode so fern, dass ich hoffe, ihnen
einiges Neue zu bringen.
Was man erworben hat und was zunächst anzustreben
ist, darüber sich klar zu werden, dürfte in jedem Stadium
wissenschaftlicher Thätigkeit eine unerlässliche Bedingung
weiteren Fortschreitens sein. Es gereichte mir deshalb nicht zu
geringer Befriedigung, meinen seit Jahren vergeblich ausge-
sprochenen Wunsch, eine Verständigung über diejenigen Krank-
beitsbilder, die man Glaucom nennen wolle, zu suchen, von
Birnbacher und Czermak gebilligt zu finden. Auch in
der Ophthalmologie setzt jede wissenschaftliche Discussion
voraus, dass Alle mit den Worten, derer sie sich bedienen,
denselben Sinn verbinden, während wir seit der Erweiterung
des alten Erankheitsbegriffes durch Graefe über ein „Glau-
com" sprechen und schreiben, dessen Grenzen jeder nach
seinem subjectivem, den Anderen unbekanntem Ermessen be-
stimmt. Dass man in klarer Erkenntniss der Schwierig-
Beitrag zur Glaneom- Lehre. 173
keiten zu meiner Forderung geschwiegen hat, wundert mich
nicht, aber dass man mir beweisen würde (!), wie zweck-
mässig es sei, Worte, unter denen man theoretisch nicht
dasselbe verstehe, in der Praxis so zu brauchen, als ob
man über ihren Sinn vollkommen einig sei, das überstieg
allerdings meine Erwartungen.
Auch in einer zweiten, das Wesen des Glaucoms be-
treffenden Ansicht habe ich mich voller Uebereinstimmung
zu erfreuen gehabt. In den Mittheilungen aus der Eönigs-
berger Üniversitäts-Klinik (1879) ist gezeigt, dass Oraefe's
„Drucksteigerung mit Rückwirkung auf Retina und Opticus"
mit seiner Eintheilung der Glaucome in primäre uud secun-
däre principiell unvereinbar sei: das Eintheilungsprincip ist
nämlich nicht im Wesen des Glaucoms, sondern in unserer
Fähigkeit, die intraoculären Ursachen des Glaucoms zu er-
kennen, enthalten. So unbedeutend und theoretisch es
erscheinen mag, für die Unglücklichen, die in ihrem ärzt-
lichen und Lehrberufe immer noch dadurch gestört werden,
dass sie nicht wissen, was als Glaucom anzusehen und zu
behandeln ist, werden dergleichen theoretische Fragen eminent
practisch.
Bedeutungslos aber sind sie allerdings gegen die Ent-
scheidung über die Natur des acuten Glaucoms. Es ist weder
die Lymphe, noch ihr verhinderter Abfluss, deren endliches
Verschwinden bei der Auferstehung der Chorioiditis für mich
besonderen Werth hat, sondern vor Allem, dass wir mit
unserem Glaucom nicht aus den weiten Gebieten der bis-
herigen pathologischen Vorstellungen heraustreten, dass wir
eines der ernstesten Erankheitsbilder, das acute Glaucom,
nicht davon abhängig machen, ob die Lymph-Emissarien
etwas mehr oder weniger obstruirt sind, und dass wir, an-
statt mit der uncontroUirbaren Lymphe, der man um so
mehr pathologische Wunder andichten kann, je weniger man
von ihr weiss, mit Blutflüssigkeit und Blutgefässen zu thun
haben, deren physiologisches und pathologisches Verhalten
l
174 J- Jacobson sen.
bei aller Lückenhaftigkeit unseres Wissens soweit bekannt
ist, dass wir nicht jede Hoffnung auf eine klarere Einsicht
in den räthselhaften Process aufzugeben brauchen. Ausser-
dem aber bekenne ich gern — und ich mOsste wenig Passion
für meinen klinischen Beruf haben, wenn es anders wäre,
— dass es für die Mühe und Arbeit des Klinikers keinen
schöneren Lohn giebt, als die Gewissheit, durch Beobachtung
und Gombination das Wesen der Krankheiten annähernd
erkannt zu haben.
Wer das alte, inflammatorische Glaucom zu Grunde
legen will, um zu wissen, wie weit er den Begriff ausdehnen
darf, für den ist die Niederlage der Lymph-Hypothese nicht
etwas rein Theoretisches. Wir dürfen mit den venösen
Stasen und den inflammatorischen Processen, deren Vor-
kommen nicht mehr bestritten werden kann, rechnen, wenn
auch der empirische Beweis ihrer Constanz im Augenblick
unmöglich ist, und können es den Gegnern überlassen, ihre
Pathologie ohne empirisches Fundament weiter zu treiben.
Unsere nächste Aufgabe ist durch das Krankheitsbild ge-
geben: von den constanten, charakteristischen Symptomen
(der Drucksteigerung und der Band-Excavation) haben wir
auszugehen, um zu sehen, in wie weit sie uns über das
Wesen des Glaucoms Aufschluss geben.
In früheren Mittheilungen habe ich auf die Härte des
enucleirten Auges aufmerksam gemacht und aus derselben
auf Veränderungen im Inhalte des Glaskörperraumes ge-
schlossen. Was uns die pathologische Anatomie vom glaa-
comatösen Glaskörper an zerstreuten Mittheilungen über
Sectionsbefunde gebracht hat, ist zu dürftig und zusammen-
hanglos, als dass es sich für eine Pathologie des Glas-
körpers schon verwerthen Uesse. Klinische Beobachtung
aber und der Verlauf der Iridectomie lehrt, dass
sich kaum bei einer anderen Augenkrankheit so
mannichfache Veränderungen nachweisen lassen,
als bei den verschiedenen Formen des Glaucoms.
Beitrag zur GUncom- Lehre. 175
Die Palpation eines normal gespannten Auges, wie
wir sie zur Bestimmnng des intraocularen Drucks mit zwei
hinter dem convexen Enorpelrande auf die Lidhaut
wirkenden Fingerspitzen anszuflben pflegen, giebt mir
Qber gewisse Details keine sichere Auskunft, ich vermag
den Inhalt des Bulbus gegen die Sclera nicht abzugrenzen,
finde auch keinen Unterschied in der Resistenz zwischen
den peripheren Partieen und der mittleren Substanz des
Glaskörpers. Durch die Iridectomie wird hierin nichts
geändert; coUabirt das Auge nicht gar zu sehr, so ist die
Spannung etwas vermindert, die Sclera scheint dem Inhalte
anzuliegen, das ganze Auge etwas kleiner zu sein. Es
gebort zu den seltenen Ausnahmen, dass ähnlich, wenn
auch in viel geringerem Qrade, wie bei mancher Phthisis
bulbi mit Enorpelbildung im Corpus ciliare, die Sclera sich
über einen in der Tiefe fühlbaren, harten EOrper hin
nnd her schieben Usst, als ob sie för den Inhalt zu weit
geworden wäre.
Die Palpation des Glancoma siroplex mit enger
Kammer und fühlbarer Drucksteigerung ergiebt vor der
Iridectomie denselben Befund bei erhöhter Resistenz.
Nach der Iridectomie unterscheide ich deutlich
den festen, kugligen Glaskörper, über den sich
die Sclera verschieben lässt. Er erscheint nur
kleiner, als vor der Operation, Wie selten etwas
Aehnliches, oder wie geringe Grade ausnahmsweise in
nicht*glaucomatOsen Augen vorkommen, weiss ich nicht, —
im glaucomatOsen Auge kenne ich seit etwa fünf Jahren
den angegebenen Befund als Regel ohne Ausnahme.
Ist die Beobachtung richtig, so ist entweder mit dem
Humor aqueus resp. nach der Iridectomie Glaskörper*
flassigkeit durch die Wunde ausgetreten, oder der Glas-
körper hat Wasser auf vorläufig unbekannte Weise ab-
gegeben. Bei enger, vorderer Kammer ist die Quantität
des Humor aqueus so gering, dass einige Tropfen mehr
176 J* Jacobson seiL
oder weniger der AnftnerlcsaiDkeit kaum entgehen können, —
bei partieller Yerflfissigong pflegt das Ange weicher zn
sein, anf geringen Fingerdmck Wasser durch die Wunde
auszutreten. Nichts von Allem lässt sidi nachweisen.
Aus diesen Gründen glaube ich, dass der Glas-
körper in unmittelbarem Anschlüsse an die
Operation kleiner, fester und ärmer an Wasser
wird.
Die Palpation bei acutem Glaucom ergiebt vor
und nach der Iridectomie keinen unterschied von HflUe
und Inhalt, die Spannung lässt gewöhnlich nicht erheblich
nach, um bald zu steigen. Entwickelt sich, wie es bei
dem Glaucoma simplex noch häufiger vorzukommen scheint^
nach der Iridectomie ein Glaucoma malignum, so
nimmt die Spannung ohne wahrnehmbare Ausdehnung der
Sclera täglich zu, bis zur Consistenz eines vollkommen
festen, soliden Körpers, — eine hinter dem Aequator durch
die Sclera 4 — 6 mm tief in das Innere gestossene Be«
clinations-Nadel oder ein Graefe'sches Messer entleert kaum
einen Tropfen Flüssigkeit, — eine breite Nadel, Ober das
Gentrum (also etwa 12—14 mm) in das innere Auge
eingedrungen und schnell zurückgezogen, lässt zwei bis
drei Tropfen einer zähflüssigen, dunkelgelben Substanz aus-
treten, ohne dass das Auge fühlbar weicher wird oder auf
Druck weiter reagirt. Der Glaskörper des Glaucoma
malignum ist wasserarm, eine klebrige Substanz
von dunkelgelber Farbe, anscheinend nicht grösser^
als ein normaler.
üeber die Beschaffenheit des Glaskörpers während
eines Anfalles von Glaucoma acutum ist aus nahe
liegenden Gründen durch Functionen nicht viel ermittelt
worden, unter geübten Ophthalmoskopikem sind es vorzugs-
weise Schweigger und de Wecker, die mit zunehmender
Energie, je länger der Streit dauert, die ganze, sogenannte
Medien- Trübung in die Cornea verlegen, den Humor
Beitrag rar Glaucom- Lehre. 177
aqnens und das Corpus vitreum durchaus klar sein lassen.
Vielleicht wird ihre apodiktische Behaoptong etwas an
Sicherheit verlieren, wenn sie von der Chorioiditis anterior
der Collc^en Birnbacher undCzermak Notiz genommen
haben werden.
Meinen Erfahrungen nach nehmen an einer gewissen
Intensität der Trübung immer sftmmtliche Medien Theil.
Ffir die Trübung des Humor aqueus habe ich mich in
diesem Archiv bemüht, Beweise, die mir unwiderleglich
scheinen, beizubringen, aber in Sachen der Beobachtung
wird wenig Werth auf Beweise gelegt, so lange die Sinne
das grosse Wort führen. Ich habe deshalb — für den
vorliegenden Zweck ausreichend — die Frage nicht mehr
aligemein gestellt, sondern auf Ausnahmen eingeengt:
,3^0nnen im Verlaufe des acuten, nicht complicirten
Qlaucoms heilbare, difiuse GlaskGrpertrübungen vorkommen,
oder bleibt der Glaskörper ausnahmslos klar?" Zur Be-
antwortung dieser Frage pflege ich meinen Zuhörern in
ledem Semester einen Fall vorzustellen, der ungefähr in
folgendes Schema hineinpasst: „Glaucoma acutum mit oder
ohne Prodrome, bis zur Erkrankung scharfsichtig. Hohe
Spannung — dichte, diffuse Medien- Trübung, — Seh-
vermögen auf quantitative Lichtperception reducirt. Irid-
ectomie ohne Hindemisse, ohne Blutung, Heilungsverlauf
subjectiv normal. Erste Sehprobe nach etwa 14 Tagen
bei scheinbar schwarzer Pupille, — Resultat: Bewegungen
der Hand, allenfalls Zahl der Finger in grosser Nähe.
Ophthalmoskopisch: matter, graurother Hintergrund-Beflex,
keine Einzelheiten sichtbar, Linse und Cornea klar. Seit-
liche Beleuchtung: in der Hornhaut kaum eine matte An-
deutung der alten Trübung, Linse nicht getrübt. — Zweite
Sehprobe nach drei Wochen: S==l, alle Functionen
normal. Die intraoculare Trübung ist allmählich heller
geworden, schliesslich verschwunden, ohne sich in Flocken
aufzulösen."
T. Graefe*« Archiv fUr Ophtlulmologlei XXXIV. 1. 12
178 J* Jacobson Ben,
In der Regel hellen sich die Medien gleichzeitig auf,
das skizzirte Schema gehört zu den Ausnahmen, genügt
aber als Beweis für folgende Behauptung: es giebt eine
mit dem acuten Glaucom- Anfalle auftretende und
die Irideotomie einige Wochen überdauernde,
diffuse GlaskOrpertrübung.
Das Olaucoma congenitum (Buphthalmos) und
das Glaucom jugendlicher Individuen mit pro-
gressiver Myopie zeigt in Bezug auf die Beschaffenheit
des Glaskörpers gleiches Verhalten. Das letztere habe ich.
in zwei Formen beobachtet, von denen die eine sich durch
periodische, migräneartige Anfälle mit starker Verdunklung
(Medien -Trübung) charakterisirt, die zweite unter dem
Gefühle von unangenehmer Spannung des Auges, die sich
beim Arbeiten steigert, gleichmässig verläuft. Der Aug-
apfel ist gleichmässig stark ausgedehnt, dadurch hervor-
tretend, die ganze, sichtbare Sclera bläulich, vordere
Kammer sehr tief, Pupille etwa mittel weit, reagirend,
Papilla optica tief excavirt, Spannung hoch, Sehschärfe
sehr gering.
An der ersten Form habe ich bei der Iridectomie
nichts Auffälliges bemerkt, für die zweite und für die-
jenigen Fälle von Buphthalmos, die ohne starke Blutungen
verlaufen, gilt Folgendes: Nach der Incision mit der Lanze
in der Corneo-Scleral- Grenze entleert sich sehr viel mehr
Flüssigkeit, als die vordere Kammer trotz ihrer Tiefe
enthalten kann. Beendet man, um die Iris nicht zu tief
zurücksinken zu lassen, die Operation so schnell, als
möglich, so wiederholt sich der Ausfluss klarer Flüssigkeit,
die allmählich ein wenig klebrig wird, der Augapfel collabirt,
wie nach Functionen der Amotio retinae, und trotzdem
tritt immer neues Wasser aus, sobald die Wundränder
durch leisen Druck zum Klaffen gebracht werden. Die
Palpaition lässt auch bei tiefstem Druck nichts
Resistentes im Innern fühlen. — Bisher habe ich
Beitrag zur Glaucom- Lehre. 179
nicht nur ausnahmslos gute Heilungen beobachtet, sondern
ausserdem eine erhebliche Beduction der Ausdehnung,
Aufhören der Schmerzen, keine Becidive, aber auch keine
Besserung des Sehvermögens (längste Beobachtungszeit:
7 Jahre). — Kommt es bei schnell fortschreitender
Myopie jugendlicher Individuen zu GUucoma
Simplex, so vertritt die Stelle des normalen Glas*
kOrpers eine in Farbe und Consistenz dem Humor
aqueus gleiche Flüssigkeit, durch deren Abundanz
die Lamina cribrosa tief excavirt und die Sclerotica
nach allen Richtungen erheblich gedehnt wird.
Da der Process durch Iridectomie coupirt werden kann,
bleibt die Frage, ob die Secretion vermindert oder der
Abfluss erleichtert wird, vorläufig offen.
Was bisher über die Beschaffenheit des glaucomatösen
Glaskörpers gesagt worden ist, fasse ich kurz zusammen:
Von der totalen Verflüssigung der jugendlichen Myopen,
die nach der Iridectomie keine Resistenz des Inhaltes
fühlen lässt, kommen wir zum Glaucoma simplex,
dessen Glaskörper während der Iridectomie Wasser verliert
und bei nicht ganz oberflächlicher Falpation als eine etwas
kleinere, feste Kugel, die das Auge nicht vollkommen
iauszufüllen scheint, gefühlt wird. Der GlitökOrper des
Glaucoma acutum giebt nach der Iridectomie, wie es
nach der Palpation scheint, kein Wasser ab, — er kann,
wie die diffuse Trübung zeigt, weniger transparent, er
muss, wie die Palpation vor der Operation lehrt, resistenter
sein. Das Glaucoma malignum lässt eine erbebliche
VergrOsserung nicht annehmen, aber vermehrte Festigkeit,
Umwandlung in eine zähe, gelbliche^ aus Einschnitten
kaum einige Tropfen Flüssigkeit entleerende Substanz ist
sicher nachgewiesen. -
Wie es zugeht, dass die Lamina cribrosa dem Drucke
einer intraocularen Flüssigkeit, deren Quantität den Aug*
apfel gleichmSssig um 4 mm Achsenlänge und mehr isus-
12*
180 J* JACobfion seil«
dehnt, allm&hlich nacbgiebt, bedarf keiner weiteren Er-
Uamng. Ist aber, wie es nach der Härte enucleirter
Augen den Anschein hat, die Draoksteigemng nicht von
der Hohe des Secretions- Druckes, sondern von dem Inhalte
des Glaskörperraumes, der gewöhnlich einen normalen
Glaskörper an Umfang nicht abertrifft, abhängig, so ist
das Zustandekommen der Excavation weniger selbst-
verständlich. Um dasselbe zu verstehen, habe ich, was
eigene Erfahrungen und Mittheilungen Anderer mich über
die pathologischen Beziehungen zwischen Corpus vitreum
und Papilla optica im Allgemeinen gelehrt haben,
einer Revision unterworfen. Das Resultat, so weit mir
dasselbe für meinen Zweck verwerthbar zu sein scheint,
bringt der folgende Abschnitt.
Von den nur zu zahlreichen Atrophien der Papilla
optica, von der Mehrzahl der entzündlichen Schwellungen,
von der Embolie der Central-Arterie wissen wir, dass sie
aus dem acuten Stadium in ein langes, chronisches über-
gehen können, ohne den Glaskörper merklich zu verändern*
Von Blutungen aus grossen Gefässen der Papille, der Retina
und von den, wie mir scheint, nicht selten aus der Macula lutea
in den Glaskörper gelangenden, grossen Haemorrhagien, wie
von Manz*s Retinitis proliferans, die ich eben&Us zu den
Haemorrhagien des Opticus und der Retina zähle, dürfen
wir annehmen, dass sie sich nicht auf praeformirten Wegen
verbreiten. Die Höhe des Blutdruckes, unter dem die Gefi&ss-
Ruptur erfolgt, die Masse des Extravasates, der Widerstand
der nächsten Umgebung dürften eher Factoren sein, von
denen die Richtung, welche die Blutmasse einschlägt, vor-
zugsweise abhängt.
Diesen mehr weniger häufigen Spi^elbildem stehen
seltenere Fälle gegenüber, deren typisches Auftreten eine
anatomische Praedisposition, einen bestimmten, angewiesenen
Verbindungsweg zwischen Papille und Glaskörper vermutheu
Beitrag zur QUaeom- Lehre. 181
lässt. Wie mich die neueste Literatur der durch Samel-
sohn, Vo'ssiuSf Nettleship u. A. anatomisch erklarten
lotoxications- Amblyopien und retrobulbären Entzündungen
annehnien lässt, ist es wenig bekannt, dass man mitunter
bei unzweifelhafter Tabaks -Amblyopie aus dem Central-
Canale der Papille eine formlose, graue Masse auftauchen
sieht, welche entweder — genau entsprechend der von
Magnus in Zehender's Monatsblättem mitgetheilten und
abgebildeten Vernarbung einer Baptur der Betina und Cho-
rioidea am gelben Flecke — über die temporale Hälfte
der Papille zur Macula, oder in der Richtung des Gloquet-
sehen Canals in den Glaskörper hineinwächst, in beiden
Fällen, sobald sie die Papille verlässt, als bandartige, grell-
weisse, stark reflectirende Substanz lange stationär bleibend,
bis ihre sehr lange Rückbildung beginnt.
Bekannter dörfte es sein, dass im Laufe der Febris recur-
rens gleichzeitig oder abwechselnd mit kleinen, grauen Infil-
traten der Cornea, mit Hypopien, mit grauen Auflagerungen auf
der vorderen und kleinen, später zur Cataracta polaris posterior
confluirenden Trübungen der hinteren Kapsel und mit axialen
Opacitäten hinter der tellerf5rmigen Grabe aus dem Central-
Canal der Papilla optica ein grauer Zapfen nach vorn in
den CloqueVschen Canal hineinwächst, in dem er, sich nach
vorn zuspitzend, eine Länge von 10 — 12 mm erreicht, mit
kleiner Amphitude hin und her schwingt, ehe er sich spur-
los zurückbildet.
Aehnliches habe ich bei der Retinitis syphilitica simplex
beobachtet und mitunter nach langer Zeit, an einem durch-
scheinenden, graulichen Plaque im Central-Canal, als letztem
Residuum, wieder erkannt, wie ich ihn vor ca. 30 Jahren
in den „Verhandlungen des Königsberger Vereins für wissen-
sehafbliche Heilkunde'* bei Gelegenheit meiner ersten Mit-
theilungen über Retinitis syphilitica beschrieben habe.
Casuistische Mittheilungen in der Literatur der Hinter-
gmnds-Krankheiten haben nur wenig Neues gebracht, aber
Ig2 J. Jacobson sen.
vor einer Beihe von Jahren schon hätten die Pathologen
auf Stilling's einfache Methode, den Glaskörper -Canal
hervortreten zu machen, mehr Werth legen sollen, lange
ehe er auf der vorletzten, Heidelberger Versammlung in
seinem Vortrage über „Glaucom" selbst auf seine alten
Untersuchungen zurückkam. Seit dieser Zeit hat uns nun
Flemming in seinem schematischen Augen- Durchschnitt^
eine Abbildung des Gloquet'schen Canales gegeben, bei
deren Anblick der ärgste Septiker kaum an einer freien
Gommunication zwischen dem Centrnlkanale der Papille und
der aus den Gefässen des vorderen Aderhaut-Segmentes zur
tellerförmigen Grube gelangenden Flüssigkeit durch den
Gloquet'schen Canal zweifeln dürfte. Die Papilla optica
als Basis des kegelförmigen Canals anzusehen, hatte ich
mich schon durch Merckel's und Schwalbe's anatomische
Angaben gewöhnt und darauf hin die Entwickelung der
Excavation ophthalmoskopisch beobachtet, aber die ganze
Form, die Breite und namentlich das obere Stück des Canals,
wie Flemming es abgebildet hat, scheinen mir den Gedanken
an eine Verbindung zwischen dem Corpus ciliare und dem
Gentralcanal, bis ein Irrthnm nachgewiesen wird, geradezu
herauszufordern.
Stelle ich die zeitlich mit Beseitigung der
venösen Stase zusammenfallende Wasserabgabe
des Corpus vitreum bei Glaucoma simplex, seine
Verdichtung bei entzündlichem Glaucom auf der
einen, die pathologischen Immigrationen aus dem
Corpus ciliare und der Papille mit den anato-
mischen Verhältnissen des Cloquet^schen Canals
auf der anderen Seite zusammen, so komme ich zu
folgendem Schlüsse: Der (abgesehen von Herz-
thätigkeit, Athmung etc.) mit der Pupillen-
bewegung und Accommodation fortwährend wech-
selnde Blutdruck in den Ciliarfortsätzen und
Venen bis zur Ora serrata bedingt eine ebenso
Beitrag zur Glaacom- Lehre. 183
wechselnde Filtration in den GlaskOrpor. Der
Cloqnet'scbe Ganal mit seiner Einmündang in den
Centralcanal der Papille ist das Sicherheits-
ventil zum Schutze des Sehnerven gegen einen
mit chorioidalem Filtrat überladenen Glaskörper.
Ob die pathologische Anatomie im Stande sein wird,
diese Annahme abzuweisen oder zu bestätigen, lasse ich
dahingestellt sein. Jedenfalls dürfte eine Anzahl mikro-
skopischer Schnitte aus nicht zu späten Stadien der Ex-
cavation nach Glaucoma acutum, wenn sie gleichzeitig den
Centralcanal der Papille und den Cloquet'schen Canal
treffen, für unsere Auffassung des Glaucoms und mancher
anderer Krankheiten brauchbar sein. Den Leser bitte ich,
mit der aus verschiedenen BeobachtuDgen zusammen-
gestellten Hypothese nicht zu streng in's Gericht zu gehen,
80 lange dieselbe den Krankheits-Erscheinungen nicht wider-
spricht. Wie wir uns auch die Lösung unseres Problems
denken mögen, immer werden wir, wie mir scheint, früher
oder später an einen Punkt kommen, über den wir uns
ohne Hypothesen nicht forthelfen können, nämlich über die
Gesetze, unter denen in pathologischen Fällen der Aus-
tausch zwischen Blut- und Gewebs-Flüssigkeit zu Stande
kommt.
Dass der Augenspiegel direct nicht viel über die Be-
ziehungen des glaucomatösen Glaskörpers zur Papilla
optica aussagen würde, war zu erwarten; denn während die
trüben Medien der inflammatorischen Fälle eine genaue
Untersuchung des Hintergrundes unmöglich machen, lässt
die gleichmässige Transparenz des Glaskörpers im Glaucoma
Simplex nicht unterscheiden, ob der unsichtbare Cloquet'sche
Canal von einer optisch dem Corpus vitreum identischen
Flüssigkeit durchströmt wird.
Auch von den Veränderungen der Papilla optica nahm
ich mit Becht an, dass es selbst der beharrlichsten Beob-
184 J« Jacobson sen.
acfatung nicht gelingen werde, der Entwickelang der Form-
veränderung durch eine unendliche Reihe kleinster Modi-
ficationen und Uebergänge zu folgen. Aus gröberen, con-
stanten Eigenschaften der Excayation aber, aus ihrem Ver-
liältniss zu den functionellen Störungen, vielleicht sogar
aus Abweichungen von der Begel (exceptionellen Formen
des Sehnervenleidens) eine richtige Vorstellung der Vor-
gänge während des Lebens zu gewinnen, schien mir an sich
nicht ausgeschlossen.
Was ich auf diese Weise fQr den vorliegenden Zweck
festgestellt habe, soll in Kürze zusammengefasst werden,
nachdem es in meinen früheren Beiträgen eingehender be-
sprochen worden ist: 1. Jede glaucomatOse Excavation geht
vom Central-Canale aus, an einem Theile seiner Peripherie
wird die Gefässknickung, in seiner Tiefe die Lamina cri-
brosa zuerst sichtbar; 2. erreicht dieselbe in der oberen
oder unteren Hälfte den Band, während die entgegen-
gesetzte Hälfte im Niveau bleibt, so entspricht der Ge-
sichtsfeld-Defect der Excavation, also Fehlen des unteren
Gesichtsfeldes bei Excavation der oberen, des oberen bei
Excavation der unteren Papillenhälfte ; 3. eine Rand-
Excavation, bei welcher die Substanz der Papille im nor-
malen Niveau bleibt, ist noch nicht beobachtet worden, die
Band -Excavation sollte mithin nicht im Gegen-
sätze zu weniger peripheren Excavationen als cha-
rakteristisch für Glaucom angesehen werden, son-
dern jede vom Centralcanale aus centrifugal fort-
schreitende Excavation; der Vorschlag ist praktisch
wichtig, denn erst in einem späten Stadium, in dem die
Iridectomie wenig leistet, pflegen die Gefässe am Bande
der Papille zu verschwinden; 4. aus der Gefässverschiebung
am Bande darf nicht, wie Graefe es that, auf eine Deh-
nung oder' Knickung der Sehnervenfasern geschlossen werden.
Es genügen wenige, genaue Gesichtsfeldmessungen, um sich
von der Bichtigkeit dieses Satzes zu überzeugen, den, wenn
Beitrag zur Glaucom- Lehre. 135
ieh nicht irre, zuerst Mautbner mit guten Gründen Ofifent-
lich yertheidigt hat.
Die Zahl der Beobachtungen, die ich fflr unbedingt
beweisend halte, ist nicht gross. Band-Excayationen sind
zwar häufig genug, und auch an solchen fehlt es nicht, in
denen die Austrittsstelle der Central-Oe&sse am weitesten
nach rückwärts dislocirt ist, aber Exemplare von recht-
winkliger Gefilssknickung an der Peripherie des Ganais in
ausreichender Menge zu sammeln und so lange, bis die
Betina^Gefässe am Bande der Papille gleichsam coupirt sind,
unter Augen zu behalten, fordert viel Zeit und günstige
Gelegenheit. Unter meinen Beobachtungen ist keine, in der
nicht die von der Peripherie des Central-Canals beginnende,
diagonal oder horizontal nach der Schlafenseite ausstrahlende
Excavation ohne Ortliche Unterbrechung vorgeschritten wäre,
d. h. längerer Stillstand in einer zwischen Mitte und Band
liegenden Zone kam oft genug zur Beobachtung, aber nie
eine zwischen zwei Vertiefungen in normalem Niveau ge-
bliebene, hoher gelegene Partie, — ferner schritt die Ein-
Senkung nie längs der Peripherie fort, ehe das zwischen
der Austrittsstelle und dem Bande liegende Gefässstück
vorangegangen war, — dann blieb in der Begel, wenn die
Lamina cribrosa schon dem Centralcanal entsprechend und
in der ganzen, temporalen Papillenhälfte deutlich sichtbar
war, in der nasalen Hälfte der Uebertritt der Betina-Gefässe
über den Band normal, die Lamina cribrosa unsichtbar,
weil von einem mächtigen, gerOtheten Nervenfaser -WaU
bedeckt, — und endlich pflegten die abwärts verlaufenden
Gelasse früher, als die oberen, dislocirt zu erscheinen resp.
zu verschwinden.
Dass in dem schliesslichen Bilde der totalen Excavation
mit Schwund der Achsencylinder die ectatische Lamina dbrosa
später das Wesentliche ist, hatte schon Heinrich Müller
klar gemacht, später hatte man eingesehen, dass die erste
Folge der Drucksteigerung nicht die Knickung der Nerven-
186 J. Jacobson seil.
fasern am Bande der Papille, sondern die Ausbuchtung der
Lamina cribrosa sein müsse. Von ihrem ersten Zuraok*
treten bis zum Schlüsse haben Birnbacher und Czermak
mit der ihrer ganzen Abhandlung eigenthümlichen Genauig-
keit die physicalischen, nothwendigen Consequenzen in ihrer
Formveränderung theoretisch demonstrirt und experimentell
darzustellen versucht; aber je vollkommener das phjsicalische
Gesetz zur Erscheinung kommen soll, desto constanter und
einfacher müssen die Bedingungen sein, unter denen man
seine Wirkungen zu beobachten beabsichtigt. Hätten uns
nicht genug Sectionen gelehrt, dass in tiefen Opticus-
Gruben Glaskörperreste, Fetzen der Hyaloidisa, entzündliche
Producte, neu gebildete Gefässe u. dgl. m. vorkommen, so
würde sich die Frage, auf welche Weise der Zwischenraum
zwischen dem Glaskörper und dem Boden der Grube aus-
gefüllt werde, von selbst aufgeworfen haben.
In älteren Mittheilungen war ich von der Voraussetzung,
dass das lockere Zellgewebe im Centralcanale der Papille
zuerst zurückweiche, der Glaskörper nachrücke und von
hier aus im interfascikulären Bindegewebe resp. den Achsen-
cylindern selbstständige Beizungszustände erzeuge, kurz,
dass die Excavation als ein Product zweier Factoren, der
Drucksteigerung und unbekannter, von dem nachrückenden
Glaskörper inducirter Ernährungsstörungen zu betrachten
sei, ausgegangen.
Nach der heutigen Glaskörper-Anatomie wüsste ich in
dem Gedankengange Nichts zu ändern, würde aber den „nach-
rückenden Glaskörper" durch eine vom Cloquet'schen Canale
continuirlich in den Gentralcanal sich entleerende Flüssig-
keit ersetzen, durch eine aus vorderen Chorioidealvenen in
den Glaskörper filtrirende Flüssigkeit, deren Quantität
von dem Grade der venösen Stase, deren Qualität von einem
mehr hydropischen oder mehr entzündlichen Process (der
von Birnbacher und Czermak beschriebenen Chorioiditis)
abhängig ist.
Beitrag znr Glaucom- Lehre. 187
Ehe ich weiter gehe, will ich die Consequenzen des
soeben Erörterten resummiren. Bekanntlich Hess Graefe
sich in seiner ersten, klassischen Abhandlung über Glaucom
(Archiv Bd. III) durch sein Bestreben, die intraoculäre
Dracksteigerung allein für den ganzen Erankheitsprocess
Terantwortlich zu machen, wie er sehr bald selbst gestand»
etwas zu weit hinreissen. Aus der Möglichkeit, jedes
Symptom als Consequenz intraoculärer Drucksteigerung auf-
zufassen, wurde bald eine Wirklichkeit, die den ganzen
Symptom-Complex und jedes Symptom für sich allein durch
Drucksteigerung erzeugte, aber es währte nicht lange, bis
an der Anaesthesia corneae, der Iridoplegie, dem Aussehen
der Iris und allen objectiv wahrnehmbaren Anomalien die
pathologischen Gewebsveränderungen ihren Antheil für sich
reclamirten.
Mit meinen Erklärungsversuchen würde auch das letzte,
reine Druck-Symptom, dieExcavation, ihre rein physikalische
Ursache verlieren, wir würden mit Berücksichtigung der
prodromalen und subacuten Anfälle den inflammatorischen
Glaucom-Process folgendermassen aufzufassen haben: bis
zu einer gewissen Grenze werden Stasen im vor-
deren Abschnitte der Choriodoidea durch A*bfluss
der filtrirten Flüssigkeit nach dem Centralcanale
der Papilla optica, durch Erweiterung collateraler
Gefässe, durch Resorption ödematöser, selbst ent-
zündlicher Fluida ausgeglichen, lieber diese Grenze
hinaus kommt es zu stationären Gewebsverän-
derungen, die bei erhöhtem intraocularem Drucke
ein anderes Erankheitsbild, als gleichartige Pro-
cesse, in normal gespannten Augen darbieten.
„Drucksteigerung mit consecutiver Functions-
stOrung des N. opticus und der Betina" ist, wenn
wir noch andere Ursachen der Amblyopie zulassen,
nicht mehr, wie Graefe annahm, das Wesen des
Glaucoms. „Glaucomatöse Drucksteigerung" ist
188 J. JaeobsoB sea.
die bald stationäre, bald transitorische Consequenz
einer bydropiscben Odematösen oder entzündlicben
Schwellung des Glaskörpers auf dem Boden venOser
Stasen der Cborioidea.
Ueber die ersten, nicht vom Drucke abhängigen Yer-
Änderungen der Papilla optica wird uns die pathologische
Anatomie lange noch einen genügenden Au&chluss nicht
geben, fiber die letzten besitzen wir eine nicht mehr kleine
Zahl kurzer Andeutungen, die der Ordnung und Venroll-
ständigung bedürfen, ?on dem Verhältnisse zwischen dem
Inhalte der Excavation und dem Cloquet*schen Canale weiss
man, wenn ich nicht irre, noch Nichts. Auch was ich mit
dem Augenspiegel in Fällen von Glaucoma Simplex beobachtet
habe, ist lange nicht zum Abschlüsse reif. Erwähnen, oder
vielmehr mit aller Reserve andeuten, möchte ich, dass so*
wohl sehr tiefe Excavationen eines engen Centralcanales, als
auch nicht zu späte Stadien des Glaucoma simplex mit Ver-
drängung der Geßlsspforte nach der nasalen Hälfte in den
excavirten Theilen mir eine ungewöhnliche Helligkeit und
Lichtreflexe gezeigt haben, die ich nicht anders als aus
einer wasserbellen, in die Papille eingedrungenen FIflssig-
keit zu deuten im Stande war. Die Erscheinung über-
rascht am meisten, wenn man sich mit einem der bekannten
Befractions-Spiegel für den hinteren Abschnitt des Glas-
körpers einstellt und dann allmählich dem Auge nähert. Ist
der Beobachter der Excavatiou nicht stark hypermetropisch,
so ist der Unterschied zwischen der Licht-Intensität des
weisslichen, von nicht excavirten Partien der Papille re-
flectirten Scheines und dem spiegelnden Glänze der benach-
barten Excavatiou ausserordentlich auffallend. Bestätigte
sich die Bichtigkeit der Beobachtung, so läge ein Zusammen-
hang zwischen dem Wasserverluste des Glaskörpers nach
der Iridectomie bei Glaucoma simplex und dem Abflass durch
den CloqueVschen Canal nach der Papilla optica nicht all*
zu fem.
Beitrag zar Glaacom- Lehre. 189
unreife Beobachtungen den Lesern zur Begutachtung
aozubieten, liegt weiter nicht in meiner Absicht, aber ob
sich allgemein bekannte, bisher mit der Druck-Hypothese
Qnyereinbare Symptome ohne Zwang aus der Annahme einer
continuirlichen Communication der vorderen Chorioidea mit
der Papille erklaren lassen, darüber wenige Bemerkungen
hinzuzufügen, darfte man mir nicht verwehren.
Nach anamnestischen Angaben der Kranken kann ich
annehmen, dass einige Wochen vergehen, ehe dem acuten
An&Ue die Excavation folgt. Selbst Erfahrungen darüber
zu sammeln, haben wirkeine Gelegenheit; wir dürfen nicht
experimenti causa Excavationen entstehen lassen, wenn wir
Glaucom heilen sollen.
Wie viel Zeit vergeht, bis es nach einem acuten
Glaucom-Anfalle zur Band-Excavation kommt, können wir
heutzutage nicht mehr bestimmen. Wir sollen Glaucom
heilen, dürfen es natürlich zur Excavation nicht kommen
lassen, müssen uns mit der Thatsache, dass auf der Höhe des
Anfalles Qef&ssknickungen nicht beobachtet sind, und mit
Alteren Angaben Graefe*s, der eine Anzahl Wochen vergehen
lässt, ehe die Band-Excavation sich bildet, zufrieden geben.
Nachträglich während des üeberganges des Glau-
coma acutum in ein entzündliches Glaucoma chro-
nicum bei nachlassendem, aber constant gegen die
Norm gesteigertem Drucke entstehende Form-
Veränderungen der Papille sind ausnahmslos Ex-
cavationen. Da ihre ersten Symptome den inten-
sivsten, entzündlichen spät nachfolgen, so spricht
die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie nicht in
Folge von Entzündung, sondern durch Druck ent-
stehen.
Es s^ebt aber ausnahmsweise auch Formverände-
rnngen der Papille, die in den ersten Tagen des
Anfalles entstehen, unter dem Namen der „entzünd-
190 ^^ Jacobson sen.
liehen Atrophie** beschrieben sind, nicht als Excavationen
enden. Um ein Schema zu geben:
i,Glaucoma acutum mit intensiver Medien-Trabung,
14 Tage lang vernachlässigt. Sehschärfe der Trü-
bung entsprechend. Normale Iridectomie, Nachlass
der subjectiven Symptome, Aufhellung der Medien,
nach 14 Tagen erste Sehprüfung S = Vio, Se : stark
eingeschränkt.
Ophthalmoskopisch: Medien klar, Grenzen
der Papille durch weisse, in die Retina ausstrahlende
Trübung verdeckt, weder Scleral- noch Chorioidal-
Ring sichtbar, — Niveau das der Retina, Farbe
der ganzen Oberfläche gleichmässig weiss, so dass
auch der Gentralcanal fehlt, Arterien und Venen
eng, in der Retina etwas weiter, kleine Gefässe
fehlen, Transparenz der Papille aufgehoben.**
Eine Heilung habe ich nicht gesehen, ebenso selten
erhebliche Verschlimmerung, wenn der Process nicht ganz
frisch war. Die meisten Patienten, bei denen ich das Bild
nach der Iridectomie gesehen habe, wussten von ihrer „Ent-
zündung** seit 1 bis 2 Wochen Etwas. Ein Mal glaube
ich den ersten Anfang beobachtet zu haben:
„Der vor Kurzem von einem Podagra-Anfalle ge-
nesene Kranke holte Nachmittags 4 Uhr meinen
Ratb, ob er in einer Stunde eine Geschäftsreise nach
Berlin wagen dürfe, — seine Augen seien seit
12 Uhr etwas trübe und gerOthet, • aber kaum
schmerzhaft. Es war der Anfang des ersten Glaucom-
Anfalles mit geringer Medientrübung, Pupillen-
erweiterung, Arterienpuls T. -h 1.
Da die Familienverhältnisse eine Operation nur
im dringendsten Nothfalle zuliessen, versuchte ich*s
mit Eserin. Nach 24 Stunden leichtes Oedem am
LidriEinde,- Chemosis, vermehrte Injection, Mydriasis
etwas stärker, — die Trübung gestattete nicht mehr
Beitrag znr Qlaucom- Lehre. 191
eio klares Hintergrundbild zu erkennen, aber auf-
fallend war ein weisser Beflex der Tags
zuvor noch rothen Pupille und unmittelbar
vor derselben ein continuirlicher, bei den
Bewegungen des Auges unbeweglicher
Schleier.
In den nächsten 24 Stunden übernahm ich selbst,
abwechselnd mit einer zuverlässigen Pflegerin, die
Application des Eserin, das schliesslich Myosis und
Entspannung des Auges bewirkte. Den Process, wie
durch Iridectomie, durch Eserin zu coupiren, gelang
nicht, er verschleppte sich durch 4 Wochen, während
deren von Neuem energisch zu den Myoticis ge«
griffen werden musste, wenn ihre Wirkung un-
erwartet schnell nachliess, aber die Heilung kam
ohne Iridectomie zu Stande.
Bei der Entlassung des Patienten waren beide
Papillen scharf contourirt, die Grenzen gegen die
Retina genau, die des Centralcanals kaum sichtbar,
Niveau normal, Transparenz nicht aufgehoben,
Gefässe auf der Papille durch Verdickung der Ad-
ventitia scheinbar blutarm, in der Betina normal,
Glaskörper normal, Functionen normal. — Seit
drei Jahren habe ich den Fall in Beobachtung und
notire in mein Journal: Status idem. Den günstigen
Verlauf schreibe ich der frühen Behandlung zu.
Ohne sein Wissen, aber hoffentlich nicht gegen seinen
Willen, will ich noch kurz anführen , dass mein alter
Freund Elebs (Zürich), dessen Beistand meinen ersten
klinischen Studien, wie Virchow's Archiv schon vor etwa
25 Jahren zeigt, nicht fehlte, auch in den letzten Jahren
wieder mit der Glaucom - Frage pathologisch - anatomisch
und experimentell -pathologisch sich beschäftigt und sofort
f&r die venOse Stase gegen die Lymph- Hypothese ent-»
schieden hat. Wie er mir vor wenigen Wochen mündlich
1
192 J* Jacobson aen.
mittheilte, hat Einer seiner Schüler nach neuer Methode
die von mir postulirte Gommunication in glaucomatOsen
Augen nachgewiesen. Die Flüchtigkeit der gelegentlichen
Mittheilung entzieht ihr leider einen Theil des grossen
Werthes, den sie für mich haben würde.
Die sogenannten Opticus-Atropbien nach Qlaucoma
acutum, die ich soeben besprochen habe, sind nach der
Zeit des Entstehens, nach ihrem Aussehen etc., unzweifelhaft
•
entzündlichen Ursprungs, die eine folgende Erankheits-
geschichte lässt die entzündliche Verfärbung gleichzeitig
mit einer QlaskOrpertrübung ?or dem Sehnerven auftreten,
leider ist sie die einzige dieser Art. Mit der Druck-
Hypothese waren diese Atrophien nicht vereinbar. Eben
so wenig mit ihr vereinbar waren bekanntlich die seltenen
Fälle von Qlaucoma fulminans, die Qraefe in diesem
Archiv beschrieben, dieser und jener beobachtet hat: acute
vollständig oder fast vollständige Erblindung unter starker
Medientrübung bei massigem Druck und geringer Excavation !
Das Qlaucoma simplex (wässriges Filtrat)
kommt weder als Qlaucoma fulminans vor,
noch giebt es nach der Iridectomie eine
entzündliche Infiltration der Papille. Letz-
tere sowohl, als auch die Erblindung des
Qlaucoma fulminans bei massiger Excavation
ist für diejenigen, welche eine Gommunication
zwischen der vorderen Chorioidea und der
Papille durch den Gloquet^schen Ganal an-
nehmen, leicht verständlich.
Die klinischen und anatomischen Qründe, die mich
bestimmt haben, eine Verbindung zwischen dem vorderen
Tbeile der Ghorioidea durch den QlaskOrper- Ganal nach
der Papille hin anzunehmen, sind hiermit angeführt. Dasa
sie sich in der Sache selbst den Stilling'schen Unter-
suchungen anschliessen, macht sie mir um so plausibler.
Ohne neue Data weiter zu gehen und Hypothesen über
Beitrag zur Glaacom- Lehre. 193
Stromesrichtung, über die Abschlusswege nach rückwärts,
Ober Yerenguiig oder Verschluss von Emissarien, die man
nie gesehen hat, zu machen, halte ich von unserem jetzigen,
klinischen Standpunkte aus für unzulässig. Die Fontana*
sehen Bäume können für lange Zeit als Warnung dienen.
Wem sie nicht genügen, der lese die Litteratur der Glas«
körper-Injectionen, damit er sich die Sache nicht allzu
leicht vorstelle!
Wenn es dem Kliniker verwehrt ist, eine anatomische
Norm von allgemeinem Charakter, wie z. B. das Vor-
handensein einer Communication, weiter im Detail aus-
zubauen und auf dieses Gemisch von Wahrheit und
Dichtung eine neue Pathologie zu begründen, — so steht
es ihm nicht nur frei, sondern ist sogar seine Aufgabe,
die anatomische Voraussetzung auf ihre Verträglichkeit
mit den ihm bekannten, pathologischen Erscheinungen zu
prüfen, wie es in Folgendem geschehen wird.
Klinische Erfahrung lehrt:
1. es giebt Glaucome mit Drucksteigerung
ohne Band-Excavation;
2. es giebt Band-Excavationen ohne Druck-
steigerung.
Das Glaucoma prodromale, subacutum und
acutum, letzteres ehe die Acme erreicht ist, zeichneu
sich constant durch Drucksteigerung aus. Die Papilla
optica ist nicht excavirt, weil die Dauer der Drucksteigerung
und meist auch ihre Höhe nicht ausreicht, der Papille
eine andere Form zu geben. — Die später während des
Glaucoma chronicum inflammatorium nie fehlende
Excavation ist vermuthlich in den meisten, wenn nicht in
allen Fällen eine Folge der Drucksteigerung (Ectasie der
Lamina cribrosa). Sicheres können wir nur durch
Sectionen früher Stadien erfahren; denn eine Augen-
T. Graefe'a Archiv für Ophthalmologie, XXXIV. 1 13
194 J> Jacobson sen.
Spiegel -Untersuchung verhindert die Medien -Trübung. —
Die Atrophia optica nach Glaucoma acutum entsteht
meist früher, als sie gesehen wird. Sie und das Glaucoma
fulminans sind nach der Druck -Hypothese nicht zu ver-
stehen, wohl aber, wenn man annimmt, dass pathologische
Producte, die aus den Venen der vorderen Chorioidea her-
stammen, in die Papille eingeschwemmt werden können.
Die an der Papilla optica sichtbaren Symptome
des Glaucoma acutum sind durch die Druck-
Hypothese allein nicht zu erklären.
Das Glaucoma simplex congenitum oder jugend-
licher Myopen zeichnet sich durch hochgradige Druck-
steigerung und meist tiefe Excavation aus. Das Verhalten
der ungleichmäss ig gedehnten Sclerotica spricht dafür, dass
auch die Excavation eine Druck- Excavation ist; denn es
ist nicht denkbar, dass die Lamina cribrosa Widerstand leistet,
wenn die Sclera nachgiebt. Die sehr viel häufigere Form
des Glaucoma simplex im späteren Alter kommt bei
erhöhtem, seltener normalem oder gar subnormalem Druck
zu Stande. Die ophthalmoskopische Untersuchung des Seh-
nerven in Verbindung mit dem Studium der Functionen,
namentlich des Gesichtsfeldes, lehrt, dass die Excavation
vom Centralcanale der Papille ausgeht und sich dann bald
in einer, bald in der anderen Richtung verbreitet, dass das
ophthalmoskopische Bild der Gefässknickung am Rande sich
mit einer Knickung der Nervenfaser nicht deckt, und dem
Orte des Gesichtsfeld-Defectes nicht entspricht.
Dass die Excavation bei subnormaler Spannung nur
durch die willkürliche Annahme einer noch excessiver dehn-
baren Lamina cribrosa begreiflich wird, ist eben so bekannt,
als die anatomische Thatsache durch keine Beobachtung
gestützt ist. In diesem Falle würden also jedenfalls die
Excavationen nicht Druck-Excavationen sein können, und
es entsteht die Frage, ob glaucomatOse und Druck-
Excavationen gleichbedeutend sind, oder ob sich
Beitrag zur Olaucom- Lehre. 195
<lie Annahme glaucomatOser Band-Excavationen
ohne Drucksteigerung rechtfertigen lässt
Wenn wir, wie oben angenommen wurde, die Druck-
steigerung als Folge einer gestörten Filtration aus den
Aderhaut -Venen mit üeberlastung des Glaskörperraumes
(oder möglicher Weise der Papilla optica) ansehen, so wird
Niemand die Möglichkeit bestreiten, dass eine geringe, lange
Zeit fortwährende Hypersecretion (um ein Wort zu ge-
brauchen) dem Gesichtssinne sich am Aussehen der Papille
offenbaren kann, ohne für den Tastsinn bemerkbar zu werden.
Substituiren wir also in die Glaucom-Definition anstatt einer
physicalischen Anomalie des Auges seine pathologische Ur-
sache, so liegt in einer glaucomatösen Excavation
ohne Drucksteigerung kein Widerspruch.
Es fragt sich aber, welche Gründe aus der Pa-
thologie für einen Zusammenhang der Excavation
mit der vorderen Chorioidea sprechen. Mir scheinen
folgende bemerkenswerth: 1. seit der Erfindung des Augen-
spiegels, also in 38 Jahren hat man unter den zahllosen
Krankheiten des Sehnerven und der Betina nicht einen
Fall gefunden, der in Excavation ausgegangen wäre; 2. viel-
leicht eben so ausnahmslos lässt sich der Satz für die durch
den Augenspiegel bekannten Bilder der Chorio- Retinitis,
Betinifcis pigmentosa, Atrophien und schleichenden Entzün-
dungen in der hinteren Hälfte des Auges aufstellen, soweit
dieselben nicht von vornübergewandert sind; 3. je genauer
man namentlich secundäre Glaucome, aber auch primäre acute
und chronische, untersucht, desto zahlreicher werden die
Mittheilungen und eigenen Beobachtungen von äquatorialen
Plaques und Gefitssdilatationen der vorderen Chorioidea;
4 die unglücklichen Ausgänge der Iridectomie wegen Glau-
coma Simplex lassen nie eine Beziehung zur Betina oder
zum unteren Pole der Chorioidea erkennen, sondern nur
zum Corpus ciliare. Ich kenne sie in zwei Formen: ent-
weder in der des Glaucoma malignum oder der ersten Cj-
13*
196 *^* Jacobson sen.
clitis acuta glaucomatosa. Letztere sah ich neulich bei einer
jugendlichen Kranken, deren rechtes Auge während eines
Puerperiums unter Fieber, Bewusstlosigkeit, Ptosis, Augen-
Muskellähmungen, an Glaucoma simplex hochgradig am-
blyopisch geworden war.
Dürfen wir hiernach behaupten: dass klinische Er-
fahrung auf einen Zusammenhang der Excavation mit der
vorderen Chorioidea hinweist, — dass sich weder die Ex-
cavation des Glaucoma simplex, noch die exceptionellen
SehnervveräDderungen nach Glaucoma acutum (incL
Glaucoma fulminans) mit der Annahme einer Druck-
Excavation vertragen, — dass nicht nur ein anatoipisch
genau festgestellter Raum von der Peripherie der Papilla
optica bis zur tellerförmigen Grube nicht mehr bestritten
wird, sondern, dass die Einwanderung pathologischer
Froducte aus der Papille ebenso sicher beobachtet ist, als^
die der sogenannten, cyclitischen Opacitäten, so komme ich
in scheinbarem Gegensatze zur alten Glaucomlehre , in
Wirklichkeit aber nur von dem Erankheitsprocesse und
nicht vom Erankheits bilde ausgehend, zu folgender These:
„Der in vermehrter Filtration aus dem
vorderen Theile der Uvea bestehende, glau-
comatöse Process ist nach einer gewissen Zeit
immer an der Excavation der Papilla optica,
aber keineswegs immer an fühlbarer Druck*
Steigerung zu erkennen."
Die Drucksteigerung bleibt das wichtigste
Symptom des ErankheitsbildeS; denn sie gehört
dem G;laucoma prodromale, subacutum, acutum und
der Mehrzahl des Glaucoma simplex an und giebt
dem Bilde der Chorioiditis einen dasselbe von
allen anderen Entzündungen derselben Membran
unterscheidenden Character. Im Erankheits-
Processe entspricht die Drucksteigerung einer ver-
mehrten Filtration, deren minimale Grade derh
Beitrag zur Glancom- Lehre. 197
Tastsinne entgehen, während sie an Veränderungen
der Papilla optica deutlich sichtbar werden.
Durch eine Parallele der Druck -Hypothese und der
von mir vertheidigten hoffe ich, die Schwächen beider
tibersichtlich nachweisen und diejenigen Fragen, deren
Beantwortung wir, so weit möglich, dem pathologischen
Anatomen überlassen müssen, genau bezeichnen zu
Isönnen.
Graefe's Druck- Hypothese gebührt der un-
vergängliche Ruhm, ein neues Stück Pathologie, —
das umfangreiche Glaucoma secundarium und einen Theil
des Glaucoma simplex — geschaffen zu haben; an der
Erklärung des Erankheits-Processes ist sie gescheitert.
Wir wissen, dass Graefe ein Jahr vor seinem Tode sein
Unvermögen, Symptome und intraoculare Veränderungen
in Einklang zu bringen, bekannte. Die pathologische
Anatomie hatte ihn zu wenig unterstutzt, seine eigene
Schöpfung — die Excavation — setzte ihn am meisten
in Verlegenheit, da sie mit der Drucksteigerung nicht
gleichen Schritt halten wollte. Die Therapie verdankt
der Druck - Hypothese einen praktischen Erfolg, dem
unsere Wissenschaft im letzten Jahrhunderte keinen
ebenbürtigen an die Seite stellen kann.
Graefe*s Hypothese war logisch unhaltbar,
deshalb auch für die Pathologie unbrauchbar, die
Prämissen waren falsch oder zweifelhaft, deshalb konnten
die Folgerungen nicht richtig sein. So oft der Kliniker
durch Beobachtung sein Problem zu lösen suchte, brachte
sein praktisches Genie der Wissenschaft reiche Ausbeute,
aber das Problem konnte auf dem eingeschlagenen Wege
nicht gelöst werden. Das Wesen des glaucomatösen
Processes, das gesucht wurde, konnte die Druck-
steigerung nicht sein, sondern nur die Ursache der
Drucksteigerung, — die Frage, ob jede Rand - Excavation
eine Druck -Excavation sei, konnte von Einem
198 J* Jacobson sen«
•
Kliniker in wenigen Jahren nicht entschieden werden;
denn sie ist eine rein empirische. Man darf zwar solche
Entscheidungen antecipiren, nm aus ihren Consequenzen
auf ihre Zulässigkeit zu schliessen, aber nicht, um die
Consequenzen für Wahrheiten auszugeben. War also
klinisch festgestellt, dass Drucksteigerung durch
Iridectomie geheilt wird, und angenommen worden,
dass jede Band - Excavation eine Druck - Ex-
cavation sei, so durfte geschlossen werden: also wird
die Annahme vermuthlich richtig sein, wenn Ex-
cavationen durch Iridectomie geheilt werden, aber
keineswegs: also wird die Excavation durch Irid-
ectomie geheilt, und für Ausnahmen von der
Kegel müssen besondere Gründe gesucht werden.
Bekanntlich wurde die Druck -Hypothese später viel-
fach mit Nichts widerlegenden und Nichts beweisenden,
selten mit schlagenden, aber zu weit gehenden Gründen
angegriffen. Die grosse Mehrheit der Practiker machte
sich über die Druck - Excavationen bei normalem oder
negativem Druck keine Sorgen, die pathologischen Anatomen
konnten aus äusseren Gründen wenig helfen, hatten auch
zu wenig Direction; denn Graefe konnte ihnen nicht mehr
geben, als was der Augenspiegel gelehrt hatte, und
positive Druck- Hypothesen, die einige Jahre hindurch
wohlfeil geworden waren, erfreuten sich der Mehrzahl
nach einer keineswegs ermuthigenden Begründung.
Die Leser des Archivs kann ich mit der neuen
Glaucom-Litteratur, in der viel Trauriges mit einigem
WerthvoUen vermengt ist, verschonen. Leider half uns
auch, wie vorherzusehen war, die experimentelle Pathologie
nicht: bei Thieren den Druck zu steigern auf die Möglich-
keit hin, von den zahllosen Ursachen der Drucksteigerung
die richtige, die Glaucom erzeugt, zu fassen, in thie-
rischen Augen einen den menschlichen Glaucom-
Krankheiten ähnlichen Process künstlich hervorzurufen, um
Beitrag xnr Glancom- Lehre. 199
far einen aus dem andern zu lernen, war ein all zu kühnes
Unternehmen.
Das erste bedeutende Resultat verdanken wir der
pathologischen Anatomie, der in Bd. 32 des Archivs
pnblicirten, schOnen Abhandlung von Birnbacher und
Czermak. Sie beweist unwiderleglich:
1. Chorioiditis und vorzugsweise Chorioiditis an-
terior mit entzündlichen Verengerungen und
entsprechenden Erweiterungen grosser Venen
kommen bei Glaucoma acutum vor, wurden in
jedem von neun untersuchten Augen nachgewiesen;
2. eine der glaucomatOsen gleiche Excavation
lässt sich experimentell durch Drucksteigerung
herstellen;
3. die radicalen Gegner der Entzündung und
Hypersecretion sind geschlagen.
Damit ist die Glaucom- Frage als eine rein empirische
den pathologischen Anatomen zur Entscheidung vor-
gelegt. Sie haben zu untersuchen:
1. wie oft ist Chorioiditis anterior der Sections-
befund bei Glaucoma inflammatorium;
2. wie oft finden sich bei Glaucoma inflammatorium
und Simplex Bedingungen für vermehrte Fil-
tration aus den vorderen Aderhaut- Venen;
3. welches ist der Befund bei Excavation mit
negativem Druck?
Der Erankheitsprocess, der unter dem Bilde des
acuten und einfachen Glaucom verläuft, ist also mit den
Mitteln, die Graefe hinterlassen hat, unmöglich zu finden.
Nur die Sections-Berichte von Birnbacher und Czermak
lassen hoffen, dass der pathologische Anatom in acut glau-
comatOsen Augen die Ursache der Drucksteigerung ermitteln
wird. Die letzte Frage, warum es in Wirklichkeit zu
200 J* Jacobson sen.
einer Hvpersecretion kommt, wenn die anatomische Mög-
lichkeit vorhanden ist, wird vielleicht erst nach langer Zeit
beantwortet werden. In Bezug auf die Therapie heisst
es: wo der Druck nicht gesteigert ist, gehört die Iridectomie
nicht hin.
Die von mir seit Jahren vertretene Hypothese
geht ebenfalls von der Beobachtung aus, aber sie wendet
sich direct vom charakteristischen Symptom zu seiner Ur-
sache:
1. Enucleirte Augen mit Drucksteigerung bleiben
härter als normale (die bisher von mir ausnahmslos
gemachte Beobachtung bedarf der Bestätigung durch
andere Erfahrungen). Daraus folgt
2. bei Glaucoma inflammatorium acutum, chronicum,
malignum ist der Inhalt des Glaskörper-Baumes
verändert resp. vermehrt. Die Bichtigkeit des
Schlusses ist durch eine grosse Menge klinischer
Erfahrungen für alle Formen bestätigt, am wenig-
sten für Glaucoma simplex.
3. Anomalien des Glaskörpers sind Zeichen von Krank-
heiten der Chorioidea, hydrophthalmische Producte
von Dilatation und Stase in den vorderen Aderhaut-
Venen, consistente, zähe Producte von entzündlichen
Vorgängen in dilatirten Venen oder von Bei-
mischung entzündlicher Gewebsflüssigkeit zu venösem
Transsudat.
lu diesen Sätzen treten also an die Stelle der Druck-
steigerung „die venösen Stasen im vorderen Seg-
mente der Chorioidea" als ihre wahrscheinlichsten Ur-
sachen. Ihre Annahme beruht auf Analogien aus der
Pathologie der Chorioidea und des Glaskörpers, üeber das
regelmässige Zusammentreffen muss natürlich der patho-
logischen Anatomie die Entscheidung bleiben.
Beitrag cur Glancom- Lehre. 201
Eine andere, wichtige Tbatsache bedarf nicht mehr der
Bestätigung durch Sectionen, nämlich der anatomische
Zusammenbang zwischen dem Corpus ciliare und
dem Central -Ganal durch den Canalis Cloquetii.
Hätten wir selbst Stilling*s und Flemming's anato-
mische Arbeiten nicht, so wOssten wir aus der Pathologie,
dass entzündliche Producte den Weg aus der Papille zum
unteren, cyclitische zum oberen Theile des Canales finden.
Eine Hypothese aber muss der pathologische Anatom
bestätigen, wenn sich die angenommenen Glaucom-Grenzen
nicht yerschieben sollen: bei jedem Glaucoma simplex
müssen die anatomischen Bedingungen für ver-
mehrte Filtration aus den Venen der Aderhaut
nachweisbar sein.
Lässt sich dieser Nachweis führen: so sind in der
ganzen Olaucom-Beibe die Bedingungen für das
Eindringen pathologischer Flüssigkeit aus der
Cborioidea in die Papilla optica gegeben, und die
Form -Veränderungen derselben hängen von zwei
Factoren, von dem Eindringen der Flüssigkeit in
den Centralcanal und von der intraocularen
Drucksteigerung (resp. von einem von beiden) ab.
Die Druckexcavation ist durch Birnbacher und Czer-
mak experimentell hergestellt worden, für das Eindringen
eines Transsudates in die Papille sprechen das Verhalten
der Function, die ophthalmoskopisch verfolgte Entwickelung
und die exceptionellen Veränderungen der Papille nach
Qlaucoma acutum.
Die Hypothese, welche, conform dem altbekannten
Krankheitsbilde, unter „Glaucom'' alle venösen
Stasen im vorderen Abschnitte der Chorioidea,
deren Consequenz eine centrifugal fortschreitende
Excavation der Papille ist, zusammenfasst, enthält,
soweit ich sebe, keine logischen Fehler.
202 J- Jacobson sen.
Von der pathologischen Anatomie verlangt sie: 1. den
Nachweis einer in der excavirten Papille yerlanfenden, Yom
Corpus vitreum oder dem Inhalte des Cioquefschen Canales
inducirten Krankheit; 2. den Nachweis der yenOsen Stasen
in der vorderen Chorioidea für alle acuten und chronischen
Fälle von Glaucom. (Ergäbe sich, dass bei Excavationen
mit normalem oder subnormalem Drucke, die Stasen fehlen,
so würden diese Fälle ausscheiden, und es wäre Sache des
pathologischen Anatomen, die Ursachen der Excavation
aufzufinden).
An Sectionen gerade solcher Augen, über die uns
nur Leichenbefunde Aufschluss geben können, dürfte es
meiner Meinung nach nicht fehlen. Wo es Siechenhäuser
und grössere Stationen für Krankheiten des Oreisenalters
giebt, da wird man genug latente Excavationen finden und
die Hauptfrage, welches der Grund der Krankheit sei,
bald beantworten können.
Damit wäre denn allerdings die Glaucomlehre nicht
fertig, sondern sie finge erst an, und ihre weitere Funda-
mentirung würde dem pathologischen Anatomen zufallen.
Deshalb habe ich mich aller Träumereien über vermehrten
Zufluss und gehemmten Abfluss, über Dilatation oder Stenose
des Cloquet'schen Canals enthalten, und selbst die Deutung
einer Hypersecretion mit Excavation und negativem Drucke
einer glücklicheren Phantasie überlassen.
Man sollte meinen, es sei für die pathologischen Ana-
tomen der Mühe werth, zunächst das Verhalten der Cho-
rioideal- Venen bei Glaucoma simplex zu untersuchen. Ihr
Verhalten bei Glaucoma inflammatorium ist, wenn auch nicht
im Allgemeinen, so doch in vielen speciellen Fällen con-
statirt. Selbst eine Verneinung unserer Voraussetzungen
wäre von Nutzen, man würde einen Irrthum aufgeben und
neue Wege zu finden suchen. Mit Graefe's Lehre kann
die Wissenschaft Nichts anfangen. Dem ärztlichen, thera-
peutischen Genie genügte sie, die Diagnose zu vervoll-
Beitrag zur Glaucom -Lehre. 203
kommnen, das Erankheitsgebiet zu erweitern, der Beob-
achtQDg neue Objecte zu bieten, das Jahrhunderte lang
aufgegebene therapeutische Problem zu lOsen. Was er
von Bemerkungen an die dunkeln Theile seiner eigenen
Lehre knüpfte, hat seinen Schülern Anregung genug gegeben,
selbstständig weiter zu forschen. Die grossen, in diesem
Archive publicirten Abhandlungen werden für alle Zeiten
.Beweise für das ärztliche Genie ihres Verfassers bleiben,
aber von seiner Hypothese müssen wir uns lossagen, wenn
wir eine Pathologie des Glaucoms schaffen wollen.
Zwischen Hypothesen über das Wesen der
Krankheiten und therapeutischen Besultaten pflegt
sich durch kleine Hülfs-Hypothesen leicht Harmonie her-
stellen zu lassen. Ich verzichte gern auf diese dankbare
Operation, halte es aber für erlaubt, zu untersuchen, wie
weit die der Erankenbeobachtung entnommene Hypothese
ohne Zwang mit dem, was mich seit Jahren klinische
Beobachtungen gelehrt haben, verträglich ist. Damit will
ich schliessen.
Jeder sogenannte „Glaucom-Anfall" (auch die chro-
nischen Glaucome verlaufen selten ganz gleichmässig) ent-
halt zwei Factoren, die ich der Eürze wegen Disposition
und Accidentelles (Gelegenheitsursache) nennen will. Ersterer
ist die Hauptrolle bei dem Glaucoma chronicum, letzterer
bei den acuten Formen zugetheilt: Die Bedingungen der
Drucksteigerung sowohl, als der Excavation (welcher Art
sie auch sein mögen), zeigen kaum eine Bewegung; in Mo-
naten, selbst in einem Jahre lassen sich keine Verschlim-
merungen der Function, Zunahme der Excavation, Steige-
rungen des intraoculären Druckes nachweisen, wenn nicht
nach Blendung, rheumatischen Schädlichkeiten, Eraukheit
des Eörpers, eine Steigerung eintritt, — die inflammatorischen
Anfälle wiederholen sich nicht selten als prodromale, subacute
nach genau derselben äusseren Veranlassung (Eartenspiel,
Accommodation, Blutverlust etc.), bleiben dann lange aus und
204 ^' Jacobson sen.
bis zum Bückfalle scheinen normale Verhältnisse einzutreten.
Sehr viel bedeutungsvoller aber ist die Wirkung der
Iridectomie; sie coupirt den acuten Anfall und heilt den
Process durch Herstellung günstiger [anatomischer Bedin-
gungen für den Abfluss transsudirter Flüssigkeit für immer,
wenn man nicht etwa annehmen will, dass sie die stationäre
Disposition (senile Gefässe?) zu ändern vermag, — den
Verlauf des Glaucoma simplex vermag die Operation bei
Weitem nicht so viel zu ändern.
Seit Graefe's Tod hat die Behandlung des Glaucoms
Fortschritte gemacht, wir sind nicht mehr auf die Iridectomie
allein angewiesen und haben die Wahl zwischen der
Iridectomie, Sclerotomie oder Einträufeln von Eserin- oder
Pilocarpin-Lösungen.
Die Iridectomie ist nach meinen Erfahrungen das
souveräne Mittel gegen acute und chronisch -inflam-
matorische Formen geblieben. Die Pupille braucht weder
so gross, noch grosser zu sein, wie Gräfe Anfangs ver-
langte, noch brauchen ihre Schenkel zu divergiren. Ihre
unmittelbare Wirkung ist Verminderung der Drucksteigerung,
das Auge wird sofort weicher, der GlaskOrperdruck auf die
Venenwand nimmt ab, während der vom Blutdruck ab-
hängige intravasculäre Druck derselbe bleibt, die Blutsäule
bewegt sich schneller, ihr Abfluss kann ungehindert vor
sich gehen, die Stase hOrt allmählich auf. Wenn später
unter gleichen Verhältnissen der Abfluss spontan erfolgt,
müssen die anatomischen Bedingungen günstiger sein. Ich
suche sie — meiner alten Annahme entsprechend — in der
Unterbrechung der kreisförmigen Iris und einer Communi-
cation der allerdings lange übemarbten Colombom-Ränder
mit dem Eammerwasser.
Wo ihn die Anatomie und das Experiment im Stiche
lässt, darf der Kliniker auf indirecten Wegen nach Gründen
suchen. Fast geheilte Iridectomie-Narben in der eigent-
lichen Cornea, relativ kleine Colobome schliessen die Heilang
Beitrag lur Glaucom -Lehre. 205
des acuten Olaacoms nicht aus, aber so lange Kammer*
Wasser fehlt, ist der Erfolg zweifelhaft. Dass das Blut der
Aderhaut-Yenen bei Stenose der Yasa vorticosa oder bei
diverticelartigen Erweiterungen des Gefössrohrs nach der
Iris zurückstaut, würde uns, wenn es nicht selbstverständ-
lich wäre, die klinische Beobachtung lehren, hier angelangt,
könnte es unschädlich sein, wenn es sich in minimalen Quan-
titäten dem Eammerwasser beimischte und mit diesem die
vorderen Lymph-Emissarien passirte. Die Bänder des Go-
loboms wären dann ein Sicherheits-Yentil für die Stase der
Chorioiden und das um so mehr, als der Kreis-Muskel, der
auch in anderen Organen die reine Hyperämie steigert, unter-
brochen wäre.
Die Heilwirkung der Iridectomie gegen Glaucoma
Simplex mit Drucksteigerung ist mit Unrecht bestritten
worden. Was ich erlebt habe, stimmt im Ganzen mit
Graefe's Angaben, wenn die Zahlen auch etwas weniger
günstig ausgefallen sind: geringe Besserung oder Stillstand
vielleicht in der Hälfte der Fälle, in der andern erheblich
verlangsamtes Fortschreiten. Die Erklärung ist: durch eine
breite, periphere Iridectomie mit divergirenden Schenkeln
wird zwar die Stase in den Yenen der Chorioidea gemindert,
aber das ununterbrochen wachsende Grundleiden (senile
Gefässveränderungen ?) unterhält eine Secretion, deren In-
tensität die neu geschaffene AbflussOffnung nicht entspricUt.
Die Iridectomie schadet: 1. bei Glaucoma simpIex mit
fast den Fixirpunkt erreichendem Gesichtsfeld-Defect, das
directe Sehen geht verloren, dann bleibt die Function stehen.
E rklärung: Die Achsencylinder der excavirten Papille waren
vom Centralcanal her nach der Sichtung des maculären
Bündels leitungsunfthig geworden, — mit der plötzlichen Ent-
lastung des ganzen Auges setzt sich der pathologische Inhalt
der Gruben in lebhaftere Bewegung, oder der Zufluss vom
Cloquet'schen Ganale her wächst, die Macula-Fasern in der
Papille gehen zu Grunde; 2. bei Glaucoma malignum ohne
206 J* Jacobson sen.
Eammermasser nach der Iridectomie. Deber das Zustande-
kommen habe ich eben gesprochen.
Dass die Operation wirkangslos bei normalem oder nega-
tivem Drucke ist, Tvird Niemand befremden. In allem üebrigen
scheint mir die Hypothese mit der Therapie ohne Zwang
vereinbar, wenn wir die unmittelbare Wirkung der Irid-
ectomie von der späteren, palliativen und die Prädisposition
von der directen Ursache des Anfalles trennen.
Wollte man die ungenügende Wirkung der Sclero-
tomie zu Gunsten meiner Hypothese ausbeuten, so läge
der Weg klar genug da: der Kreismuskel, die Iris, bleibt
unversehrt, die Berührung der Wundränder mit dem Kammer-
wasser ist ausgeschlossen, aber wir wissen nicht, was in dem
bald blutenden, bald blutleeren Stichkanale vor sich geht
und speisen uns mit der Filtrationsnarbe ab, können also
über die Art der Entlastung für die Chorioidea nicht ur-
theilen. Als Ersatz für die Iridectomie, wo eine gar zu flache
Kammer die Ausführung erschwerte und als Befugium, wenn
ich Olaucoma malignum fürchtete, war sie mir sehr will-
kommen. Der Iridectomie ist weder ihre augenblickliche,
noch palliative Wirkung ebenbürtig.
Dass das mächtig gefäss verengende Es er in durch Be-
schleunigung des Blutstromes in der Iris den acuten An-
fällen gewachsen sein, aber nur äusserst selten Becidive ver-
hüten kann, spricht für die Nothwendigkeit des künstlichen
Iris-Coloboms, dass das schwächer in gleichem Sinne wir-
kende Pilocarpin im acuten Anfalle Nichts leistet, bei Mo-
nate und Jahre langem Gebrauche aber sich immer mehr
gegen Glaucoma simplex bewährt, harmonirt vortrefflich mit
der unmerklich wachsenden Druck-Ursache, deren Folgen
durch täglich mehrmals herbeigeführte Beschleunigung des
Abflusses aus der Iris annullirt werden. Bei beiden Myoticis
dürfte noch zu beachten sein, was unter der Alleinherr-
schafb der Lymph-Betention kaum der Bede werth schien,
dass Myotica die Iris verlängern, Atropin dieselbe verkürzt,
Beitrag cor (ilaucom- Lehre. 207
seine gefässlähmeode Kraft die Stase in einer verkürzten
Fläche, also sehr wohl hervorrufen und Glaucom erzeugen
kann, wenn auch der schöne Traum von den Fontana*schen
Bäumen sich nicht verwirklichen sollte.
Veranlassung, von Neuem auf „das Wesen des Glau-
coms zurückzukommen,' gab mir vor Allem die oft
citirte Abhandlung von Birnbacher und Czermak mit
ihren positiven Resultaten, gegen deren Sicherheit man
schwerlich etwas einwenden wird.
Gegen die Lymph- Hypothese, deren räthselhaften Er-
folg ich mir aas Allem eher erklären konnte, als aus
ihrer Begründung, habe ich von ihrer ersten Veröffentlichung
bis zum heutigen Tage einzuwenden gehabt, dass sie in
der ganzen Pathologie als ein die Krankheitserscheinungen
schlecht erklärendes ünicum dasteht.
Als mein alter Freund Hippel vor etwa 15 Jahren
seine schonen Versuche mit Grünhagen, um Glaucom
zu erzeugen, begann, äusserte ich schon meine Bedenken
dahin, er werde den intraocularen Druck steigern, aber
nicht Glaucom erzeugen; denn letzteres scheine mir
gewisse, im menschlichen Auge meist im Alter entstehende
Gewebsveränderungen vorauszusetzen. Die Wissenschaft
kann zufrieden sein, dass die Versuche nicht unterblieben
sind, meinen Befürchtungen hat der Erfolg leider Recht
gegeben.
Wie viel Jahre lang man nachher noch Druck ge-
steigert hat und mit welchem Resultate für die Glaucom-
lehre, ist den Lesern des Archivs bekannt. Graefe selbst
war die unschuldige Ursache, dass man ein Symptom für
das Wesen hielt und die Krankheit erzeugen zu können
vermeinte, wenn man ein Symptom experimentell zu Stande
brachte.
208 J- Jaeobaon sen.
Die späteren Anhänger der Lymph-Reteotion haben
es prindpiell riditiger angefimgen, indem sie eine directe,
mechanisdie Ursache des eonstanten Symptoms, derDmck-
steigerong, suchten, and diese mit den klinisch bekannten
Umständen, unter denen Glancom zn entstehen pflegt, so
gnt es ging, in caosalen Znsammenhang brachten. Meiner
Meinung nach haben sie dabei weniger ärztliche, als
aogenärztliche Befähigung gezeigt"
Die Exclusion der Chorioiditis, wie sie de Wecker
noch in seinem neuen Lehrbuche vertritt, ist misslangen.
Was Birnbacher und Czermak in der Chorioidea und
ihren Gefässen gefunden haben, lässt sich nicht ignoriren,
zumal da es durch eine nicht geringe Zahl tou Präparaten
anderer Autoren bestätigt wird. Für den pathologischen
Anatomen wird es immer eine schwierige Au^be sein,
seine Entscheidung über die Abhängigkeit des Glaucoms
von einer Lymph-Betention abzugeben, selbst wenn er eine
Menge Emissarien verschlossen findet.
Die Frage, ob bei allen centrifngal fort-
schreitenden oder, um bei Graefe zu bleiben, bei
allen Band-Excavationen sich im vorderen Ab-
schnitte der Chorioidea oder in den Vasa vorticosa
Bedingungen für vermehrte Transsndation nach-
weisen lassen, scheint mir deshalb die nächste zu
sein, die beantwortet werden mnss. Von ihrer
Entscheidung hängt es ab, ob der Kliniker auf
dem angegebenen Wege fortfahren darf, oder
neue Bichtungen zu suchen haben wird.
Es ist nicht zum ersten Male, dass ich an die un-
zweckmässige Disposition unserer Untersuchungen und
Discussionen über die Glaucom-Frage erinnere, aber zum
ersten Male erfreue ich mich der Zustimmung zweier
CoUegen, deren erstes Auftreten ihrem ürtheil ein nicht
geringes Gewicht sichert. Die Ophthalmopathologie wird
noch far lange Zukunft von dem Kliniker mehr fordern, als
Beitrag znr Glaucom- Lehre. 209
andere, klinische Disciplinen, um so mehr, je weniger der
pathologische Anatom im Stande ist, Fragen, die in sein
Oebiet allein gehören, zu beantworten.
Verdanken wir es nun auch Helmholtz, uns über
viele pathologische Vorgänge in der hinteren Hälfte des
Auges ohne Sectionen einigermassen orientiren zu können,
so haben wir doch immer noch zu beklagen, dass etwa
Ton der Gegend des Linsenrandes bis zum Aequator des
Auges weder objective, noch subjective Symptome uns
einen Einblick in die Patbologie der Chorioidea gestatten.
Wir sind auf Conjecturen aus der Beschaffenheit des
Corpus vitreum, des Humor aqueus, der Consistenz des
Auges etc. angewiesen und haben von Sectionen, die viel-
leicht 10 — ^20 Jahre nach Ablauf der Krankheit vor-
genommen werden, wenig zu erwarten.
um so dringender ist es geboten, in den seltenen Fällen,
in denen der Kliniker indirect den Sitz einer Krankheit ge-
funden zu haben glaubt, und Gelegenheit genug zu Sectionen
sich bietet, die Entscheidung des pathologischen Anatomen
herbeizuführen. Für die Frage, ob venOse Stasen in der
vorderen Chorioidea zum regelmässigen Sectionsbefunde des
Glaucoma simplex gehören, lässt sich ein nicht geringes
Material ohne grosse Schwierigkeit auftreiben.
Ob die Annahme sich bestätigt, ist für die weitere kli-
nische Beobachtung allein massgebend; denn jede sichtbare
pathologische Veränderung im Linern des Auges erhält ihren
Sinn von dem Grundleiden, als dessen Consequenz sie sich
entwickelt; geringe Abweichungen von der Norm, die der
Beachtung nicht werth scheinen, werden zu wichtigen
Symptomen durch ihre Beziehungen zu einem sicher er-
kannten Krankheits-Processe.
Entzündliche Vorgänge und Anomalien der Venen, die
im Glaucoma inflammatorium vorkommen können, sind un-
widerleglich nachgewiesen. Es handelt sich darum, ob ähn-
liche mechanische Hindernisse des Blutstroros auch bei Ex-
T. GrMfe*! AreblT fUr Ophthalmologie, XXXIV. 1. 14
210 J- Jacobson sen.
cavationen der Papille die Segel sind. Dann wird man
wissen, ob man alle Excavationen für Folgen venöser
Stauung, für Froducte des vorläufig hypothetischen, glau-
comatOsen Processes halten darf und den causalen Zusam-
menhang zu begreifen suchen. Die Definition und die kli-
nische Qrenze des Glaucoms aber wäre schon durch die
Bestätigung gegeben.
£xperimentell6 TJntersucliuiigeii zur Frage der
Keratoplastik.
Von
Dr. August Wagenmann,
Erstem ABsistenten der Universitäts- Augenklinik zu Gdttingen.
Die Frage der Keratoplastik hat eine eigenartige histo-
rische Entwickelung genommen. Im Beginn der zwanziger
Jahre dieses Jahrhunderts tauchte sie auf, angeregt durch
die Arbeit Reisingers*), der zuerst einschlägige Versuche
am Kaninchen angestellt hat. Während der nächsten
zwanzig Jahre wurden zahlreiche Versuche gemacht, die
Frage durch das Thierexperiment für die Praxis zugängig
zu machen, die verschiedensten Methoden wurden vorge-
schlagen. Männer wie Dieffenbach'*'*) griffen bei der
grossen Wichtigkeit der Sache die Idee auf und bemühten
sich, zu einer brauchbaren Methode zu gelangen. D i offen -
bach begann seine Arbeit mit den oft citirten Worten:
„Die Idee Beisingers, die vollkommen verdunkelte
Hornhaut eines Menschen durch die eines Thieres zu er-
setzen, ist gewiss eine der kühnsten Phantasien, und es
*) Die Keratoplastik, ein Versuch sar Erweiternng der
Augenheiiknnde. Bayerische Annalen 1824, I. Bd.
**) v. Ammons Zeitschrift 1881. Bd. I, p. 172.
14»
212 A. WagenmaniL
wäre der höchste Preis der Ghirorgie, wenn diese Operation
gelänge/'
Am Menschen wurde die Operation nar ganz ver-
einzelt Yersncht, man operirte fast ausschliesslich an Thieren.
Doch wurde die aufgewandte Mühe nicht mit dem
verdienten Erfolg belohnt. Man hatte nur Misser folge zu
verzeichnen, und die sehnlichen, zuversichtlichen Wünsche
blieben unerfüllt. Die Arbeitskraft war erschöpft, es verlor
sich das Interesse, die Frage schlief ein und ruhte 30 Jahre
lang.
üeberblickt man die Arbeiten dieser ersten Periode *)
der Keratoplastik, so muss man anerkennen, dass damals
schon verschiedene Methoden angeregt und versucht sind,
die jetzt, nachdem die Frage aus dem Dunkel der Ver-
gangenheit wieder ans Tageslicht getreten ist, ihre Anwen-
dung gefunden haben. Es ist damals schon der Grund
gelegt gewissermassen zu einer Theilung der Keratoplastik
in zwei Bichtungen mit durchgreifenden Unterschieden.
Während man sich anfangs nur damit beschäftigt
hatte, den nach Fortnahme eines Comeastückes in seiner
ganzen Dicke entstandenen Defect durch einen eben solchen
gebildeten Lappen zu decken, schlug Mühlbauer bei
Kaniachenversuchen das Verfahren ein, die Descemet-
sehe Membran sammt den untersten Comeaschichten stehea
zu lassen und darauf ein eben so geformtes Stück einer
andern Cornea zu implantiren. Er ist durch seine Ver-
suche der Begründer der partiellen Transplantation*'*') ge-
*) y. Hippel giebt in seiner Arbeit: „Ueber die operative
Behandlang totaler stationftrer Horohauttrübnngen (v. Graefe'a
Archiv für OptL XXIII 2, p. 79)'* in guter Uebersicht und kurzer
kritischer Besprechung der erschienenen Arbeiten eine historische
Entwickelung der Keratoplastik, auf die ich zur n&heren
Orientirong verweisen möchte.
**) Ich beziehe die Ausdrücke partiell und total ausschliesslich
auf die Dickenausdehnung der Cornea, nicht auf die Flächen-
ausdehnung. Da auch die Methode, die ganze Cornea zu über-
üntenuchnngen zur Frage der Keratoplastik. 213
worden. Man muss die totale Transplantation, wobei also
die ganze Dicke der Cornea excidirt, die Kammer selbst-
verständlich dabei eröffnet, und der so gesetzte Defect
durch einen gleichen Lappen ersetzt wird, und die partielle
Transplantation, bei der die tiefste Schicht stehen bleibt,
und die Kammer dabei nicht eröffnet wird, als zwei ge-
trennte Richtungen auseinander halten.
Bemerkenswerth ist femer, dass schon in damaliger Zeit
ein trepanähnliches Instrument in Anwendung gezogen ist.
Als Besultat ist in der ersten Periode nur gewonnen,
dass die Comeallappen einheilen können; dass sie sich aber
stets trübten, wenn sie überhaupt angeheilt waren, konnte
nicht verhindert werden. Ueber die Ursachen der Trübung
ist man sich nicht recht klar geworden, wenn auch ver-
schiedene Hypothesen zur Erklärung herangezogen sind.
Erst im Anfang der siebziger Jahre wurde die Frage
wieder durch Power'*') angeregt, der unabhängig von den
früheren Arbeiten darauf gefuhrt war. Damit beginnt die
zweite Periode der Keratoplastik. Nächst Power ist es vor
allem v. Hippel, der sich grosse Verdienste um die Trans-
plantation erworben hat, der unablässig, nicht entmuthigt
durch Misserfolge, dem vorgesteckten Ziel nachgestrebt hat,
dem wir in der Vervollkommnung der Methoden, in der
Beobachtuüg der Heilungsvorgänge und in der kritischen
Behandlung und Läuterung der einschlägigen Fragen un-
endlich viel verdanken.
Diese zweite Periode zeichnet sich dadurch aus, dass
man sofort pracüsch vorging und am Menschen die Trans-
pflansen, vorgeschlagen ist, so hat man auch im Hinblick auf die
Flächenaosdehnnng von totaler und partieller Keratoplastik ge-
sprochen. Um Verwirrung zu vermeiden, möchte ich diese Be-
zeichnungen für die zweifellos wichtigeren Begriffe anwenden.
Allerdings ist die Bezeichnung keine richtig zutreffende. Ich habe
aber vergeblich nach einem passenden Terminus tecbnicus gesucht
'^) Internat opthalm. Congress. London 1872. (Vergl. Bericht
Klin. Monatsbl. t Angenheilk. 1872, p. 296).
214 A. Wagenmann.
plantation versacbte, bei dem ja die Schwierigkeiten des
Heilungsverlaufs geringer sind als beim Tbier.
Das Ziel, das nach Wiederaufnahme der Versuche vor-
nehmlich nach dem Vorgang y. HippeFs von den meisten
erstrebt wurde, war, bei ausgedehnten Leukomen Lappen,
die die ganze Dicke der Cornea einnehmen, zu excidiren
und durch überpflanzte Homhautstücke zu ersetzen. Man
hielt also an der localen Keratoplastik fest. v. Hippel*)
präcisirte die Schwierigkeiten, die zu überwinden sind. Es
sind die vier Punkte:
1. die Congruenz der Lappen;
2. das üebertragen des zu überpflanzenden Lappens;
3. die Fixation desselben;
4. das Hervorstürzen von Gontenta bulbi.
Er empfiehlt ausschliesslich den Trepan anzuwenden
und bestimmt seine Vorzüge. Auf die Vervollkommnung
dieses Instrumentes hat er grosse Sorgfalt verwendet. Er
hat durch seine letzten Modificationen'*'*) einen sehr ingeniös
construirten Trepan geschaffen. Die Krone wird durch ein
Uhrwerk, das sich in einer Kapsel oben am Instrument be-
findet, in rasche Umdrehungen gesetzt. Durch leisen Pinger-
druck auf einen Zapfen setzt man das Uhrwerk in Oang,
zieht man den Finger zurück, so steht die Krone still.
Ein weiterer Vorzug dieses Instrumentes besteht in der
Anbringung eines Sicherungsringes, den man in jeder be-
liebigen Entfernung von der Schneide anbringen kann. Ver-
mittelst eines Massstabes kann man auf die gewünschte
Tiefe einstellen.
V. Hippel***) überpflanzte anfangs Hunde-Hornhaut,
♦) V. Graefe's Archiv f. Ophtb. XXUL 2, p. 13a
**) Bericht der ophth. Vers z. Heidelberg. 1887, p. 30. (Klin.
Monatobl. f. Augenheük. 1887.)
***) V. Graefe's Archiv f. Ophth. XXm. 2. — v. Graefe's Archiv
f. Ophth. XXIV. 2, p. 235ff.
\
Untersuchungen zur Frage der Keratoplastik. 215
später anch solche vom Kaninchen. Power*) empfahl
menschliche Cornea von Augen, die aus irgend einem
Grunde enucleirt werden müssen und noch unversehrte
Hornhäute haben. Die Dickenverhältnisse und die Gleich-
artigkeit der Structur sind allerdings grosse Vorzüge, die
für die Verwendung menschlicher Hornhaut sprechen, voraus-
gesetzt, dass eine passende zu Gebote steht.
Nur vereinzelt wurden andere Methoden empfohlen, so
Ton Bosmini**), auf einen gesetzten Defect die ganze
Cornea eines Kaninchens plus Conjunctival - Lappen zu
bringen, ein Verfahren, das sich ähnlich schon Dieffen-
bach als vielleicht anwendbar ausgedacht hatte.
Adamück***) versuchte die Cornea von der Ratte und
Tom Huhn zu nehmen.
Das Endresultat aller Operationen mit totaler Kerato-
plastik war kein günstiges. Stets trat eine Trübung des
implantirten Lappens auf, es gelang nicht, eine dauernde
Transparenz zu erzielen.
Auch der Sellerbeck'schef) Fall, der unter überaus
günstigen Bedingungen operirt war, und der, wie aus der
ersten sofortigen Publication zu schliessen war, zu den
brillantesten Hoffnungen zu berechtigen schien, masste es
sich gefallen lassen, dass noch in demselben Heft des
v.Graefe'schen -Archivs ein Nachtrag aus Schweigger*s Feder
die schönen Hoffnungen zerstörte, da sich der Lappen doch
noch getrübt hatte. Schweiggerff) hatte den Patienten
einige Monate nach der Operation untersucht und fand eine
*) Klin. MonatsbL f. Augenheilk. 1878, p. 35 ff.
**) Oazetta med. Italiana Lombarda No. 17.
•**) Klin. MonatsbL f. Angenheilk. 1887, p. 51.
t) Ueber Keratoplastik, y. Graefe s Archiv f. Ohpth. XXIV. 4,
p. Iff. — Seilerbeck: Nachtrag zu meiner Arbeit über Kerato-
plastik, ebendaselbftt p. 321.
ff) Der Endansgang der XXIV. 4, b—VH beschriebenen Hom-
hanttransplantation. y. Graefe's Archiv f. Ophth. XXIV. 4, p. 318,
216 ^« Wi^Dmaim.
80 starke parenchymatöse Trflbong des implantirten Lappens,
dass er mit dem Spiegel keinen rothen Reflex erhielt.
Schweigger hält die Keratoplastik Oberhaupt für
aussichtslos und drückt sein ürtheil daraber durch folgende
Worte aus:
„Dass eine transplantirte Cornea aberhaupt anwachst,
ist alles; dass sie auch noch durchsichtig bleiben soll, ist
mehr, als wir erwarten können — ja, wenn es ein Stack
Glas wäre! Eine aus so vielfachen Gewebselementen zu-
sammengesetzte Membran wie die Cornea, kann nur durch-
sichtig sein unter der Bedingung einer wunderbaren Gleich-
heit der Brechungsexponenten aller ihrer einzelnen histolo-
gischen Bestandtheile. Dass aber diese hohe physiologische
Vollkommenheit auch erhalten bleiben sollte unter so ge-
waltsam veränderten Emährungsbedingungen, wie sie die
Transplantation setzt, scheint denn doch über die Leistungs-
fähigkeit der Natur hinauszugehen/'
Noch trostloser far die Keratoplastik lauten die Re-
sultate von Ne eisen und Angelucci*), die an Hunden
operirt und hauptsächlich auf der Basis von anatomischen
Untersuchungen die Frage behandelt haben. Sie kamen zu
dem denkbar ungünstigsten Schluss. Die Idee Reisingers
sei practisch nicht ausführbar, denn sie stütze sich auf
unrichtige Vorstellungen über den Heilungsverlauf trans-
plantirter Stückchen. Sie glauben, den positiven Beweis
erbracht zu haben, „dass unter allen Umständen die Trans-
plantationsstelle undurchsichtig werden muss, weil die An-
heilung nur durch einen Granulationsprocess mit nach-
folgender Narbenbildung vor sich gehen kann."
*) Experimentelle und histologische Untersuchungen über
Keratoplastik. Klin. MonatsbL f. Augenheilk. 1880, p. 285. —
Krankengeschichten zu den experimentellen und histologischen
Untersuchungen über Keratoplastik. Klin. MonatsbL f. Augen-
heilk. 1B80, p. 348.
üntersncbuDgen zar Frage der Keratoplastik. 217
Sie formuliren ihre Besaltate mit den Worten:
„In der Mehzahl der Fälle geht das transplantirte
Comeastückchen zum Theil zu Ornnde; der Best wird in
undurchsichtiges Narbengewebe eingeschlossen. Eine An-
heilung mit Erhaltung des Stückes ist nur möglich, wenn
dasselbe nicht nur vom Bande, sondern auch von seiner
inneren Fläche aus durch anliegendes altes oder neugebil-
detes Gewebe ernährt wird; es liegt dann nach beendeter
Heilung unter (an der inneren Seite) dem transplantirten
Stück eine undurchsichtige Schicht etc.^'
Wenn also nach ihrer Ansicht schon für die blosse
Anheilung die Ernährung von der inneren Seite aus durch-
aus nOthig ist und die Oranulationsbildung als integrirende
Phase der Wundheilung stets eintritt, so ist für die Erhal-
tung der Transparenz absolut gar nichts zu hoffen.
Y. Hippel liess sich aber durch dergleichen ab-
sprechende Urtheile nicht abschrecken, er gab die Trans-
plantation nicht auf. Allerdings verliess er die totale
Keratoplastik und wandte sich der partiellen Keratoplastik
zu, einer Methode, die schon vor ihm Müh 1 bau er*) und
Dörr'*''*') empfohlen und mit Erfolg ausgeführt hatten. Er
hat damit einen bedeutsamen Umschwung in der Frage der
Hornhaut-Transplantation vollzogen und mit den Methoden
und Bestrebungen seiner ersten jahrelangen Bemühungen
gebrochen. Er selbst mass in seinen früheren Arbeiten der
partiellen Transplantation wenig Bedeutung bei und be-
zeichnete die totale Keratoplastik als allein zu erstrebendes
Ziel. Er***) kritisirte von seinem damaligen Standpunkte aus
bei Besprechung des Mühlbauer'schen Verfahrens dasselbe
ziemlich abfällig, da es bei totalen Leukomen, wo alle
Schichten der Cornea getrübt sind, gar nicht anwendbar
♦) VergL Schmidts Jahrb. XXXV, p. 267.
**) Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1877. — ebendaselbst 1879,
p. 817. — ebendaselbst 18bl, p. 145.
♦*♦) V. Graefe's Archiv t Ophth. XXIII. 2, p. 94.
218 A. Wagenmann.
sei. Ebenso weist er bei der Kritik der Dürr'schen*) Me-
thode auf denselben üebelstand hin. In der Mehrzahl der
Fälle, in denen die Keratoplastik angebracht ist, sei die
ganze Cornea getrübt, zudem sei meist die Iris adhärent.
Er schlägt deshalb die praktische Brauchbarkeit der par-
tiellen Transplantation sehr gering an.
Seil erbeck**) stimmt hierin v. Hippel vollkommen
bei und empfiehlt ebenfalls nur die totale Keratoplastik.
V. Hippel***) hat das Verfahren so modificirt, dass er
mit seinem Trepan (4 mm. Kronen -Durchmesser) die
Schichten bis zur Descemet'schen Membran umschneidet
und mit Pincette und Messer abträgt. Dann excidirt er
mit dem Trepan ein die ganze Dicke der Cornea ein-
nehmendes gleich grosses Stück Cornea vom Kaninchen und
überpflanzt es in denDefect der menschlichen Cornea. Der Lap-
pen heilt überraschend glatt ohne Quellung und bleibende
Trübung ein. Verwendbar ist, wie v. Hippel selbst anführt,
diese Methode nur in einer beschränkten Zahl passender
Fälle, da die Leukome nicht adhärent und nicht der Dicke
nach total sein dürfen. Dass es mit dieser Methode wirklich
gelingt, Lappen mit erhaltener Durchsichtigkeit zum Einheilen
zu bringen und das Sehvermögen wesentlich zu bessern,
hat V. Hippel durch zwei Fälle am Menschen, die er
operirt hat, beweisen können. Die eine Patientin hat er im
vorigen Jahre auf der Heidelberger Versammlung!) demon-
strirt, nachdem 174 Jahre seit der Operation verflossen
waren. Wer in Heidelberg war, hat sich von dem Erfolg
der Operation überzeugen können. Auf derselben Versamm-
*) V. Graefe's Archiv f. Ophth. XXIV. 2, p. 236.
*♦) V. Graefe's Archiv f. Ophth. XXIV. 4, p. 20.
***) Bericht über die XVIIL Versammlimg der ophth. Gesell-
schaft. Heidelberg 1886 p. 54.
t) Bericht der XIX. Vers. d. ophth. Gesellschaft. Heidelberg
1887, p. 30.
Unteranchas^en zur Frage der Keratoplastik. 219
lang berichtete er auch noch von einer zweiten erfolgreichen
Operation bei einer 50jährigen Frau.
Der gegenwärtige Stand der Keratoplastik ist also der :
Die üeberpflanzung von die ganze Hornhautdicke einneh-
menden Lappen in den gleichen Defect ist bisher stets
misslungen, sowohl bei Thierversuchen als bei Operationen
am Menschen. Es gelingt wohl, den Lappen zum Einheilen
zu bringen, aber nicht, ihn dauernd durchsichtig zu er-
halten. Dagegen verspricht die partielle Transplantation, wie
sie in letzter Zeit von v. Hippel ausgeführt wird, in ge-
eigneten Fällen gute Resultate zu geben. Nun lässt sich
nicht leugnen, dass die Zahl der geeigneten Fälle vorder-
hand eine kleine ist, und dass man bei einem Theil der-
selben unter Umständen mit der einfacheren und leichter
ausfahrbaren, auch sicherern Operation der optischen Iridec-
tomie auskommen wird, um ein einigermassen genügendes
Sehvermögen herzustellen. Jedenfalls haben aber v. Hippels
Erfolge mit der partiellen Transplantation die gegnerischen
Behauptungen zum Theil direct widerlegt, zum Theil sehr
unwahrscheinlich gemacht. Allerdings muss man sich be-
wusst bleiben, dass die Resultate der partiellen Kerato-
plastik durchaus nicht zu übertragen sind auf die totale.
Denn in der Eröffnung der Kammer mit all ihren Folge-
zuständen besteht eben eine tief trennende Kluft zwischen
partieller und totaler Keratoplastik.
Immerhin sind die beigebrachten Beweise Neelsen's
und Angelucci's, dass abgetrennte Stücke der Cornea
nicht anders als narbig degenerirt einheilen können, dass
die Oranulationsbildung nöthig sei, dass die Ernährung vom
Rande nicht genüge, stark erschüttert, und ich glaube, dass
die Frage, wenn auch nur vom theoretischen Interesse aus,
einer wiederholten Prüfung bedarf.
Es handelt sich also immer dabei um die Entscheidung
der fundamentalen Frage, ob es nach den physiologischen
220 A. Wagenmann.
Verhältnissen der Cornea überhaupt möglich sei, was ja
Schweigger ond Neelsen bestritten, dass ein von seinem
Matterboden vollständig abgetrennter Lappen in dem gleichen
Defect — totale Keratoplastik — so einheilt, dass er, wenn
auch nnr zum Theil, dauernd durchsichtig bleibt.
Dass abgetrennte Lappen überhaupt einheilen, was ja
a priori bei der Geftsslosigkeit der Cornea Bedenken
machen musste, ist längst bewiesen. Man muss dagegen
noch beweisen, dass, wenn die nutritiven Bedingungen
erfüllt sind, der histologische Bau des überpflanzten Stückes
trotz der veränderten Ernährungsbedingungen so gewahrt
bleiben kann, dass die functionelle Leistung der Cornea,
d. h. ihre Durchsichtigkeit für Licht, nicht verloren geht
Man muss zugleich den Bedingungen, von denen ein
Gelingen oder Misslingen abhängt, nachspüren und bei
etwaiger Alleinherrschaft des Misslingens positive Beweise,
weshalb es überhaupt nicht gehen kann, zu erbringen
suchen.
Ich habe zur Untersuchung dieser fundamentalen Frage
eine Anzahl Thierversuche angestellt, und zwar habe ich
das einfachste Verhältniss gewählt, dass ich, von dem
Ueberpflanzen von Thier zu Thier absehend, die Frage so
formulirte, gelingt es bei einem Auge, einen vollständig ab-
gelösten, die Dicke der Cornea einnehmenden Lappen wieder
an seiner alten Stelle zum Anwachsen zu bringen, ohne
dass er sich total trübt.
Gelingt es, so ist der Beweis der physiologischen
Möglichkeit für die totale Keratoplastik erbracht, gelingt
es aber nicht, so ist die üeberpflanzung von Auge zu Auge
erst recht aussichtslos. Umgekehrt ist das Ueberpflanzen
von einem andern Auge eine Complication, die wieder neue
Gefahren für das Misslingen in sich schliesst.
Ich habe die Versuche am Kaninchen angestellt, und
zwar bin ich schrittweise vorgegangen, indem ich zuerst
Untersnchungen znr Frage der Keratoplastik. 221
Lappen bildete, die mit der übrigeli Cornea noch in Ver-
bindung blieben.
Ich habe mit dem Frincip, wie ich die Frage experimen-
teil behandele^ wieder zurückgegriffen auf die ersten experi-
mentellen Untersuchungen über die Keratoplastik vor mehr
als 60 Jahren. Beisinger*), der als der erste derartige
Versuche angestellt hat, vereinigte die eben getrennte Cornea
wieder durch Suturen. Ebenso gingen Mössner '*"*') und
Dieffenbach***) vor. Letzterer hat auch Lappen gebildet,
die noch mit Brücken mit der Cornea in Zusammenhang
blieben. Er giebt au, dass sich auch hierbei entweder der
ganze Lappen oder ein Theil trübte.
Ganz im Gegensatz zu den unglücklichen Resultaten
der bisherigen Untersuchungen rühmte sich Thom^f), von
acht nach Beisingers Methode operirten Augen fünf
durchsichtig zum Einheilen gebracht zu haben. Doch hat
man sich durch diese angeblichen Erfolge nicht überzeugen
lassen, und auch v. Hippel zieht dieselben stark in Zweifel.
Es mag dahin gestellt bleiben, in wie weit die damaligen
Resultate so glänzend waren und blieben. Die Misserfolge
der späteren Untersucher haben es veranlasst, die physio-
logische Möglichkeit des Einheilens mit erhaltener Trans-
parenz zu bestreiten. Auch Mühlbauer giebt an, mit der
Reisinger*schen Methode stets Misserfolge gehabt zu haben,
er wurde deshalb, wie erwähnt, dazu veranlasst, die par-
tielle Transplantation als Operationsmethode einzuführen.
Ich will einige allgemeine Bemerkungen über die Ope-
rationen vorausschicken, ehe ich auf die Versuche selbst
eingehe.
Ich habe das Cocain in öprocentiger Lösung zur
Anaesthesirung benutzt. Die Thiere halten sehr ruhig, da
*) Bayerische Annalen 1824, Bd. L
**) Inaugur.-Disserr. Tübingen 1823.
) V. Ammons Zeitschrift f. Ophth. 1831, Bd. I.
f) De corneae transplantatione. Bonn, 1834. Inang.-Disserr.
222 A. Wag^enmann.
das Cocain rasch wirkt und auch die Iris bald unempfind-
lich macht.
Zur Desinfection der Haut und Lider habe ich Sublimat
in Losung von 1 : 1000, für den Gonjunctivalsack von
1:6000 angewendet.
Mehrmals habe ich bei diesen Versuchen die Gilien und
Haare der Lider abgeschnitten, ich bin aber davon zurfick-
gekommen, da ich die Function der Gilien als Schutz und
Beflexapparat för später nicht entbehren wollte. Ich habe
mich begnügt, die Lider und Haare mit Sublimat zu reinigen,
Um die Lappen in ihrer Lage zu sichern und um die
Bulbusoberfläche den äusseren Schädlichkeiten zu entziehen,
stehen uns eine Reihe von Schutzmitteln zu Gebote, die
ich bei meinen Versuchen, je nachdem es zweckmässig
schien, wiederholt angewendet habe, ohne dass ich gerade
einer Methode einen besondem Vorzug zuerkennen konnte.
Wenn man die Thiere isolirt, kann man auch ohne
jedes Schutzmittel auskommen. Eine aseptische Heilung
kann man nicht garantiren, man ist mehr oder weniger auf
das Glück angewiesen.
Mit am besten bewährt hat sich das Hmüberziehen der
Nickhaut (Power). Man kann sie am Lidwinkel festnähen
oder, wie ich es vorzog, am Homhautrand oder in der
üebergangsfalte. Dann habe ich die Fäden nach dem
Knüpfen nicht abgeschnitten, sondern nochmals aussen neben
dem Ohr in der Horizontallinie eine Hautfalte umstechen
und nochmals hier den Faden geknüpft. Weiterhin habe
ich oben und unten den Rand der Nickhaut mit der Gon-
junctiva bulbi vereinigt. Man muss die Nickhaut sichern,
denn nachtheilig bei ihr ist, dass sie Muskelgewebe enthält;
die Thiere suchen Bewegungen zu machen und zerren an
den Suturen. Der Schutz ist nicht so sicher, als man er-
warten könnte.
Ein weiteres sicheres Schutzmittel ist, einen grossen
Conjunctivallappen zu bilden, ihn über die Cornea so zu
Untersuchnngen zur Frage der EeratoplaBtik. 223
ziehen, dass Epithel auf Epithel kommt und ihn am Horn-
hautrand resp. weiter ab davon mit der Conjunctiva durch
Sntnren zu befestigen. Man thut dabei gut, die Suturen
schon vorher zu durchstechen und gelockert zur Seite zu
legen.
Aber auch diese Methode hat den grossen Nachtheil,
dass der gebildete Bindehautlappen necrotisch wird und den
besten Nährboden für Microorganismen abgiebt. Wenn man
aber fOr kurze Zeit einen Schutz haben will, so ist dieses
Mittel vorzüglich, man muss dann nach einem oder späte-
stens nach zwei Tagen den ganzen gebildeten Lappen exci-
diren. Der Defect der Conjunctiva kann ohne Störung heilen.
üebrigens ist die Conjunctiva beim Kaninchen so ver-
schieblich und die üebergangsfalten sind so bauschig, dass
man ohne weiteres die obere und untere üebergangsfalte
fassen und über die Cornea zusammenbringen kann, wo
man sie durch Suturen vereinigt. Dies hat den Vorzug,
dass man keine Wunde macht, und dass sich die Lider wegen
der Verkürzung der üebergangsfalten nach dem Knüpfen
der Suturen schliessen und kaum geöffnet werden können.
Nachtheilig ist, dass die Nahtlinie fast in die Horizontal-
linie fiQlt, also gerade auf die Mitte des Lappens bei cen-
traler Lage desselben. Es giebt zu leicht dort, wo der
Faden liegt, nach einigen Tagen auf der Cornea eine
Trübung.
Weiter kann man die Lider auf verschiedene Weise
durch Suturen schliessen. Erhält man die Cilien, so muss
man sich vor Entropium des Lidrands hüten, damit keine
Cilien hineingedrückt werden. Auch das Aufnähen von aus
Draht geflochtenen Kappen (Pfeifendeckeln) leistet bekannt-
lich guten Schutz.
Femer kann man die Thiere in passende Kasten setzen,
wo der Kopf durch eine ringförmige Oeffnung der Wand
festgehalten wird, so dass jede Berührung mit den Pfoten etc.
ausgeschlossen ist.
224 A. Wagenmann.
L
Yersucbe über die Heilung nicht ganz abgetrennter
Hornbautlappen.
Zunächst liess ich die Lappen noch mit der Hornhaut
in Verbindung, um die Heilungsvorgänge zu beobachten
unter Bedingungen, wo für die Fixation der Lappen durch
die stehengebliebenen Brücken gesorgt ist. Zudem sagt^ ich
mir, dass, wenn man die Brücke immer kleiner nimmt,
man, vorausgesetzt, dass die Annahmen z. B. Neelsen's
und Angelucci's richtig sind, an eine Orenze kommen
müsste, bei deren Ueberschreiten die Anheilung gar nicht
oder nur unvollkommen möglich ist. Man müsste dann
für eine bestimmte LappengrOsse ein annähernd festes
Zahlenverhältniss aufstelleii können und müsste bestimmen
können, wie viel von der Circumferenz noch erhalten
bleiben muss, damit die Ernährung des Lappens noch aus-
reicht.
Ich führe von meinen Versuchen als Beispiele zwei
im Auszuge an.
Versuch 1: weisses Kaninchen.
Linkes Auge. 17. Augast 1887. Cornea durch zwei in
einem Zwischenraum von einer Minute applicirte Tropfen einer
5procentigen Cocainlösung anästhetisch gemacht.
Operationsmethode. Es wird gegenüber dem hinteren
Fupillarrand ein Linearmesser von oben Dach unten mit der
Schneide nach vom so durch die vordere Kammer gefQhrt, dass
eine 5 mm breite Brücke stehen bleibt. Durch sägende Schnitte
wird nun nach vom ein 5 mm langer zungenförmiger, centraler
Lappen gebildet. Dicht vor dem Durchschneiden wird angehalten,
es bleibt eine schmale Brücke stehen, die aber noch von hinten
her eingeschnitten wird, indem das Messer mit der Schneide
nach vom gerichtet wird. Darauf wird das Messer herausge-
zogen. Es bleibt also vorn auf der Höhe des Lappens eine
Va mm breite Brücke stehen, die nur von den äussern Homhant-
lamcllen gebildet wird. Diese vordere Brücke wird gelassen,
Untersnchangen zur Frage der Keratoplastik. 225
um die Lage dt^i Lappens zu sicheni; für die Ernährang kann
sie nicht von Belang sein. Kammer vollständig aufgehoben.
Eine Stunde später: Kammer noch vollständig aufgehoben.
Die Wandränder ein wenig gequollen und graulich schimmernd.
Zwischen den Wundrändern liegt etwas geronnenes Fibrin. Lappen
und abrige Cornea vollkommen durchsichtig. Iris etwas hjper-
ämisch.
18. August 1887. Auge nicht geschlossen, frei offen gehalten,
ein wenig injicirt. Der Lappen liegt gut an, die Wundränder
durch etwas Fibrin klaffend gehalten. Die Spitze des Lappens
vorn dicht neben der Brücke, dieselbe einbegriffen, ist ein wenig
stärker getrübt, der ganze übrige Lappen vollkommen durch-
sichtig. Die Kammer theil weise hergestellt, noch seicht. Der
Pupillarrand klebt oben und unten an der Wunde fest, kein
Irisprolaps. Atropin, um die Synechien zu lösen, eingetropft.
19. August 1887. Unten ist die Zwischensubstanz etwas
breiter geworden. Die Oberfläche derselben unten wie oben
spiegelnd, als ob das Epithel darüber gewuchert ist. Kammer
noch seicht.
Die Heilung verlief glatt weiter.
22. August 1887. Auge ganz blass. Die Wunde zieht sich
zusammen, die Narbe wird fester, die Niveaudifferenzen gleichen
sich aus. Lappen vollkommen klar. Trübung der Wundränder
geringer. Die Kammer nimmt an Tiefe zu, die Irishyperänüe
zurückgegangen. Oben und unten finden sich noch je eine kleine
vordere Synechie, die Iris dahin verzogen. Der übrige Pupillai-
rand frei.
25. August 1887. Die Narbe consolidirt sich. Vom oberen
Cornealrande dringen zwei feine Gefässchen zur Wunde vor.
Kammer nimmt an Tiefe zu. Die beiden vorderen Synechien
bestehen noch.
30. August 1887. Die Gefässe zurückgebildet. Die obere
Synechie hat sich gelöst, unten besteht noch eine feine Synechie.
Die Narbe zieht sich mehr und mehr zusammen. Das Epithel
geht vollkommen glatt darüber hinweg. Die Trübung der Spitze
ist nicht breiter als der Trübungsring der übrigen Wunde.
Kammer fast normal tief. Druck normal.
6. September 1887. Die Vernarbung ist als vollendet zu
betrachten. Ein schmaler weisslicher Bogen umgiebt den Lappen,
erleidet an der vorderen Brücke keine Unterbrechung. Die
Brücke ist als solche nicht deutlich zu erkennen, der beste
T. Oraefe*! Archiv fUr Ophthalmologie, XXXIV. 1. 15
226 A. Wagenmann.
Beweis, dass sie nur aus den änssersten Lamellen der Cornea
gebildet ist. Die WOlbnng der Cornea ist normal. Ange an-
dauernd blass. Von Vascnlarisation der Cornea nichts mehr zu
erkennen. Auch die untere Synechie hat sich Tollkommen ge-
löst. Der Pupillarrand nun vollkommen frei, reagirt prompt
auf Licht. Kammer normal tief. Lappen vollkommen durch-
sichtig.
30. November 1887. Das Auge hat sich seither gar nicht
verändert, nur ist die Narbe noch etwas schmaler geworden.
Ein feiner weisser linearer Strich umgiebt den zungenförmigen
Lappen.
Thier getötet. Auge in Mfillerscher Flüssigkeit gehärtet,
in Celloidin eingebettet, im verticalen Meridian aufgeschnitten
und zur microscopischen Untersuchung benutzt.
Die Verticalschnitte sind so gefallen, dass der Lappen die
Mitte einnimmt, man hat in den Präparaten oben und unten
die Narben. Dieselben durchsetzen schräg die Cornea, so dass
der äussere Schnittrand peripherer gelegen ist als der innere.
Die Wundränder liegen dicht zusammen, die Enden der Desce-
metschen Membran sind nur wenig verschoben, so dass der dem
Lappen angehörende Rand ein wenig nach aussen über dem
innem liegt. Der Lappen hat sich also um ein weniges ge-
hoben. Die Narben bestehen aus einem faserigen Gewebe, das
zahlreiche spindelförmige Zellen enthält
Aus der Lücke der Descemotschen Membran heraus hat
sich ein im Durchschnitt spindelförmiges faseriges Gewebe über
den dem Lappen anhörenden Band hinübergelegt. In dieser
dickfaserigen Wucherung finden sich Lücken und platte Zellen
mit Ausläufern. Das Gewebe gleicht vollkommen dem Comeal-
gewebe.
Die Narben sind schmal, so dass der üebergang in die
normale Comealstructur ein schneller ist. Das Epithel geht
glatt ohne Veränderung in der Anordnung über die Schnittnarben
hinweg. Innen sind die Wundränder von einer einfachen L&ge
Endothel überzogen. Mit Ausnahme dieser beiden Narben ist
die Cornea in Bezug auf ihren histologischen Bau intact
Die Iris ist vollkommen frei, es bestehen keine Verwachsungen
mit der Cornea.
Versuch 2: mittelgrosses weisses Kaninchen.
Hechtes Auge. 17. August 1887. Cocain.
Operation: Es wurde im verticalen Meridian von
Untersuchungen znr Frage der Keratoplastik« 227
oben nach unten ein Linearmesser durch die vordere Kam-
mer gefOhrt mit der Schneide nach hinten. Der Einstich
liegt oberhalb des obern Pupillarrandes, die Contrapunction
unterhalb des untern, Functions- und Contrapunctions-
stelle liegen circa 7 mm auseinander. Durch sagende Zflge
des Messers wird nach hinten ein horizontaler Lappen von
etwa 2 — 3 mm Länge umschnitten. Doch wird die Spitze nicht
vollkommen durchtrennt, es bleibt eine 1 mm breite Brücke
stehen, die aber nur von den äussern Lamellen gebildet wird,
da das Messer zum Schluss noch nach vorn gedreht und
durch vorsichtige Züge die Hornhaut noch von der hintern
Fläche aus eingeschnitten wird. Nun wird das Messer lang-
sam, indem es von dem Lappen abgedrängt wird, ohne aber
die Linse zu verletzen, zurückgeschoben bis zu dem Ausgangs-
punkt, hier wird es behutsam in der Wunde gedreht, so dass nun
die Schneide nach vom sieht Darauf wird nach vom ein ähn-
licher Lappen umschnitten wie hinten. Kurz vor dem vollstän-
digen Durchschneiden wird die Schneide wieder nach vom ge-
stellt und die stehengebliebene Brücke von 1 mm Breite von
hinten her eingeschnitten. Der zweite Act der Operation war
dadurch erschwert, dass das Kammerwasser natürlich vollständig
abgeflossen war, so dass man Gefahr lief, die Linse oder Iris
zu verletzen. Femer hatte die Comea keinen rechten Gegen-
halt, da die zarte hintere Brücke bei geringstem Druck durch-
zureissen drohte.
Es gelang so einen centralen, ovalen, ziemlich grossen Lappen
bis auf die minimalen Brücken vollkommen ringförmig zu um-
schneiden. Der Lappen rollte sich oben und unten um, doch
legte er sich durch vorsichtiges Streichen mit einem Spatelchen
glatt auf. Es wurde fibrinreiches Kammerwasser abgesondert,
80 dasa die Bänder klafften.
Ob die Linse nicht doch verletzt wurde, war nicht sicher
zu sagen.
Die Lidspalte wurde durch zwei Suturen geschlossen.
18. August 1887. Das Thier hat sich die Suturen auf-
gekratzt.
Auge etwas iigicirt. Der Lappen ist durch das ein-
gelagerte Fibrin ein wenig abgehoben, unten mehr als oben.
Die Ränder des Lappens und der Cornea etwas gequollen und
leicht getrübt, der Lappen sonst absolut klar, von spiegelnder
IB»
228 A Wagenmann.
Oberfläche. PupiUargebiet ganz frei. Rammer noch aufgehoben.
Iris hjperämisch. Änge bleibt offen.
19. Augast 1887. Injection geringer.
Oben schliesst sich die Wunde besser. Die Kammer ist
auch ein wenig hergestellt. Unten werden die Wundrander
durch fibrinöse Zwischensubstanz noch weit klaffend gehalten.
In der unteren Hälfte ist die Kammer noch ganz aufgehoben.
Die Iris liegt der Cornea dicht an. Man bekommt rothen
Reflex durch den Lappen, Linse scheint nicht verletzt.
Ueber den Fupillarrand nichts Sicheres zu sagen, ein
Prolaps besteht nicht, doch scheint die Iris mit der Wunde
adhärent.
20. August. 1887. Ange noch blasser. In der oberen
Hälfte zieht sich die Wunde zusammen, ist von Epithel über-
deckt. Die Iris ist oben mit der Wunde adhärent. Kammer
ein wenig tiefer.
Unten beträgt die Dicke der Zwischensubstanz circa 2Va mm.
Auch ist die Iris mit der Wunde Tefklebt. Da der Lappen
ein wenig abgehoben ist, so hat der vordere Bulbusabschnitt
eine conische Form.
24. Augnst 1887. Auge blass. Irishjperämie geringer.
Die Wnnde zieht sich mehr zusammen, oben geht die Ver-
narbung rascher vorwärts als unten. Das Epithel überdeckt
die Wunde. Die Zwischensubstanz nimmt unten an Breite ab,
die Kammer an Tiefe zu, man kann jetzt deutlich erkennen,
dass die Iris oben und unten durch Verklebung an der Wunde
festgehalten wird. Jedoch besteht kein Prolaps. Der Lappen
ist vollkommen durchsichtig geblieben, wie man mit focaler
Beleuchtung und noch besser mit dem Spiegel erkennt. Man
bekommt überall rothen Reflex. Medien klar. Vom oberen
Cornealrand erkennt man heute feine Gef&sschen in die Cornea
vordringend.
28. August 1887. Die Wundränder nähern sich dadurch,
dass die Zwischensubstanz fester wird und sich zusammenzieht.
Die Vasculaiisation ist oben weiter gegangen, die Spitzen der
Gefässe erreichen den oberen Wundrand der Cornea, setzen
sich jedoch nicht auf die Wunde selbst fort.
Die Kammer nimmt an Tiefe zu, die conische Form des
Bulbus nimmt ab.
5. September 1887. Die Vascularisation ist zurückgegangen,
ohne dass die Gefässchen sich auf die Wunde selbst hinüber-
üntersnchung^en zur Frage der Keratoplastik. 229
gezogen hätten. Die yemarbung macht Fortschritte, die
Zwischensttbstanz zieht sich mehr zusammen. Die Durch-
sichtigkeit des Lappens ganz dieselbe. Die Oberfläche desselben
vollkommen spiegelnd und intact. Die Iris oben und unten
noch adhärent. Kammer hat an Tiefe bedeutend zugenommen.
11. September 1887. Der Lappen ist von einem schmalen
grauweissen Narbenring umgeben, der an den Brücken keine
Unterbrechung erleidet. Man erkennt dieselben kaum mehr. Der
ringförmigen Narbe nach müsste mau annehmen, dass der
Lappen vollkommen abgetrennt gewesen sei. Oben und unten
ist die Narbe etwas breiter als an den Seiten.
Der Lappen ist absolut durchsichtig, man er-
kennt den Augenhintergrund ganz klar. Er hat eine
ovale Form, 7 mm lang und 5 mm breit.
Das äussere Ansehen des Auges bis auf den weissen
Narbenting vollkommen normal. Die Wölbung der Cornea
jetzt ganz gleichmässig. Die Kammer ist massig tief; oben und
unten ist die Iris adhärent, jedoch nicht der Pupillarrand,
sondern etwa die Irismitte. Der Pupillarrand ist frei. Auf
Eserin zieht sich die Pupille stark zusammen, man erkennt so
deutlich, dass nur zwei ganz feine vordere Synechien bestehen.
8. October 1887. Auge vollkommen normal bis auf die
lineare Narbe und die beiden feinen Synechien, die sich nicht
gelöst haben, die man aber nur mit Mühe erkennt, da die Iris
anscheinend vollkommen zurückliegt und nur durch zwei
Fädchen mit der Wunde in Verbindung steht. Kammer nor-
mal tief. Augenhintergrund vollkommen klar zu sehen,
normal.
29. Februar 1888. An dem Auge hat sich nichts geändert.
Thier noch in Beobachtung.
Dieser letzte Versuch ist schon so gut wie beweisend,
dass es gelingt, abgetrennte Lappen mit Erhaltung der
Dorchsicbtigkeit einheilen zu lassen. Der Lappen ist ein
grosses Oval (5 mm und 7 mm im Durchmesser). Ich
habe möglichst schmale und dünne Brücken nur wegen der
Fixation stehen zu lassen mich bemüht. Die Brücken be-
standen nur aus den äussersten Schichten der Cornea. Da
ich die Enden von hinten her einschnitt, konnte ich, da das
Messer nach vom gedreht war, die Schneide beobachten
230 ^ WagenmaaiL
und sicher feststellen, dass nnr noch eine ganz dünne Ge-
wehsschicht erhalten blieb. Im übrigen war der Lappen
rings henmi voUstftndig durchtrennt Die Enden rollten sich
anfangs um, Hessen sich aber dorch ein Spatelchen zurecht
streichen. Was die Emähmng des Lappens angeht, so kann
ich wohl mit Recht behaupten, dass er sich gerade so ver-
hält, wie ein vollkommen abgetrennter Lappen. Denn was
an Emfthmngsmaterial ihm durch diese beiden minimalen
Brücken zugeföhrt werden konnte, kommt bei der relativen
Grösse desselben sicher so gut wie gar nicht in Be-
tracht. Man muss dabei bedenken, dass die Cornea
geftsslos ist. Wäre es ein Hautlappen, so lägen die
Verhältnisse anders. Denn dort kann auch durch eine
kleine Brücke ein Geftssast hindurch gehen, der sich
weiterhin in seine Zweige auflöst und so noch nach ent-
fernten Punkten Emährnngsflüssigkeit bringt. Davon ist
hier aber nicht die Rede. Meiner Ansicht nach kann dieser
Homhautlappen einem vollkommen abgelösten gleich ge-
setzt werden.
Der Heilungsverlauf in den Versuchen mit Stehenlassen
einer Brücke ist ein sehr einfacher, um so einfacher, je
breiter die Brücke ist, hauptsächlich wegen der dadurch ge-
sicherten Adaptation der Wundränder. Dieselben verkleben
miteinander durch eine verschieden dicke Schicht Fibrin.
Da das Eammerwasser äusserst fibrinreich ist, so kann die
Dicke der zwischen den Wundrändem eingelagerten fibri-
nösen Zwischensubstanz variiren. Die Wundränder selbst
quellen ein wenig auf und trüben sich etwas, doch ist die
Trübung wenig intensiv, ist ohne Belang für den Lappen und
geht zurück. Die Eanmier stellt sich langsam wieder her,
sie erreicht bald die normale Tiefe. Das Epithel überzieht
die Wunde sehr bald. Im weiteren Verlauf zieht sich die
Zwischensubstanz mehr zusammen, es resultirt schliesslich
eine einfache, lineare, weissliche Narbe. Wir können mit
vollem Recht von einer Heilung per primam sprechen.
Untersnchnngen zur Frage der Keratoplastik. 281
Das Aage ist in toto anfangs nar wenig injicirt, biasst
rasch ab. Nach Verlauf mehrerer Tage habe ich eine im
Ganzen nur sehr unerhebliche Vascularisation vom Horn-
hautrand ausgehend beobachten können, es erreicht wohl
auch ein feines Aestchen die Wunde, doch überschreitet es
dieselbe nicht. Nach wenigen Tagen bilden sich die feinen
Aestchen zurück, um vollkommen zu verschwinden. Der
Reiz der Wunde mit den hier vor sich gehenden Prolifera-
üonsvorgftngen wird diese geringfügige Vascularisation her-
vorrufen. Dass die Oef&sse gar die Wunde überschreiten,
oder für den Heilungsverlauf wichtig sind, habe ich nie be-
obachtet. Mit der Em&hrung und der Heilung des Lappens
haben sie sicher nichts zu thun, denn sie treten erst nach
dem sechsten Tage auf, erreichen die Wunde kaum und
verschwinden sehr rasch wieder; die Zahl der öef&sschen
war eine so geringe, dass man sie einzeln zählen konnte.
Von Seiten der Iris kommt es, wie nicht anders er-
wartet wurde, zu Verklebungen mit der Wunde, auch Pro-
lapse können auftreten. Die Synechien können sehr gering
sein, zudem lösen sie sich von selbst wieder entweder voll-
ständig oder fast vollständig. Die beiden mitgetheilten Fälle
sind Beispiele dafür, wie geringfügig diese vordem Synechien
sein können, und welchen Ausgang sie nehmen.
II Im ersten Fall bestanden von vorneherein, nachdem die
Kammer sich herzustellen anfing, zwei schmale Verkle-
bungen, die sich bald von selbst lösten und im zweiten
Fall waren sie ebenso beschränkt. Jetzt sind sie bis auf
zwei feine Fädchen, die nur schwer zu erkennen sind, voll-
ständig gelöst, der Pupillarrand selbst ist frei.
Eine andere Frage, die noch zu erwägen ist, geht da-
hin, ob diese Adhärenzen mit der Iris auf die Ernährung
des Lappens einen günstigen Einfluss haben. Dieses führt
mich dahin, auf die Ernährung der Lappen überhaupt ein-
zugehen. Da bei dem Vorhandensein einer breiten Brücke
die Ernährung auf diese geschoben werden konnte, so habe
282 A. Wa^enmann.
ich vornebmlich Fall 2 bei der Besprechnng dieser Frage
im Auge.
Zwei Wege kommen in Frage, einmal die Ernährung
vom Rand aus, sodann die von der Hinterfiftche aus, wie
sie Neelsen und Angelucci als ein nothwendiges Postulat
hinstellten.
Dass eine Ernährung von der inneren Seite her nicht
die angenommene Wichtigkeit besitzt, demonstrirt Fall 2,
wo an der Hinterfläche keine Auflagerung zu bemerken war;
man konnte den Augenhintergrund vollkommen deutlich
sehen und mit focalejr Beleuchtung constatiren, dass der
Lappen unverändert durchsichtig blieb. Das Pupillargebiet
war andauernd frei.
Die Ernährung findet vielmehr statt durch einen
Diffusionsstrom am Wundrand. Es muss sich ein Diffusions-
strom etabliren, der vollkommen genügendes Material in
den Lappen hineinfuhrt, so dass die Structur nicht leidet.
Eine andere Frage ist, in wie weit die Ernährung von
den Synechien aus in Betracht kommt. So lange die Kam-
mer ganz aufgehoben ist, berühren sich Cornea und Iris,
stellt sie sich her, so treten Verwachsungen zu Tage^ wenn
auch geringfügige. Da der Lappen central gelegen ist, so
stehen während der ersten Tage nur die Ränder desselben
in Contact mit der Iris, wie man durch Untersuchung mit
durchfallendem Licht feststellen kann.
Sollte also ein Strom von Emährungsmaterial von der
Iris aus dem Lappen zugeführt werden, so handelt es sich
dabei doch nur um eine Ernährung vom Rande aus. Woher
nun das Material für den Diffusionsstrom stammt, ob aus
dem fibrinreichen Kammerwasser, oder von der Iris oder von
dem Wundrand der Cornea, das ist von untergeordneter
Bedeutung gegenüber der Thatsache, dass die Ernährung
des Lappens vom Bande aus genügt, sein Anheilen mit er-
haltener Transparenz zu bewirken.
Vom vierten Tage ab stellt sich die Kammer wieder
Uotersuchnogen snr Frage d^r Keratoplastik. |^33
her, die Iris zieht sich von der Cornea zurück bis auf ein-
zelne vordere Synechien.
Von jetzt ab ist der Lappen wohl allein angewiesen
auf Emfthrungsmaterial, das ihm durch die sich bildende
Narbe aus der Cornea zugeführt wird, wenn man nicht
den schmalen vorderen Synechien einen erheblichen Einfluss
vindiciren will.
Wie dem auch sei, das ist sicher, dass von Granu-
lationsgewebe und Gef&ssbildung von der Iris aus während
der Heilung nichts zu bemerken war.
Damit glaube ich, dass die angeführten Beobachtungen
die Annahme Neelsen's und Ängelucci's vollkommen zu
widerlegen im Stande sind.
n.
Versuche aber die Heilung vollständig abgetrennter
Hornhautlappen.
Um jedem Einwand zu begegnen, mussten auch noch
Versuche angestellt werden, bei denen der Lappen voll-
ständig von seinem Mutterboden abgelöst wurde. Wenn
auch die minimalen Verbindungen, die ich in Fall 2 stehen
gelassen hatte, meiner Ansicht nach keinen nennenswerthen
Einfluss auf die Ernährung haben können, so gewähren sie
dem Lappen einen sichern Halt, der das Abfallen desselben
verhindert und so die Heilung mit erhaltener Transparenz
ermöglicht. Sowie man diese letzten, auch noch so ge-
ringen Brücken durchtrennt, steigern sich bei Thieren die
Schwierigkeiten der Heilung eben wegen der Fixation des
Lappens ganz enorm.
Ueber die Principien der Methode, die ich anwendete,
will ich kurz vorausschicken, dass ich ziemlich grosse
Lappen ohne bestimmte Form, meist nahezu viereckige mit
Linearmesser und Scheere umschnitt und durch Seidenftden
fixirte. Wenn man näht, muss man an sich grössere Lappen
234 A. Wagemnann.
nehmen, da das Nähen der elastischen Corneaf besonders
da der Rückhalt fehlt, sehr erschwert ist und nur mit einer
gewissen Zerrung and Qaetschong des Randes mOglich ist,
die natürlich eine sofortige Trübung mit sich bringt. Muss
man also durch das Nähen eine Randtrübung in Kauf
nehmen, so muss der Lappen gross sein, damit für das
Centrum wenigstens diese Trübungsursache fortfällt. Ich
habe den Lappen meist eine Grösse von 7 bis 8 mm ge*
geben, üeberhaupt war mir durch die vorher mitgetheilten
Versuche klar geworden, dass auch relativ grosse Lappen
bequem einheilen kOnnen, und dass die Befürchtungen wegen
der mangelhaften Ernährung grösserer Lappen nicht ge-
rechtfertigt sind. Früher war die Grösse der Lappen mehr-
fach discutirt, die Einen gingen von dem Vergleich mit
Hautstückchen aus und sprachen entschieden für kleine
Lappen, in der Erwartung, dass, je kleiner der Lappen,
desto besser das Anheilen sei. Andere empfahlen, grössere
Lappen zu nehmen.
Die Gründe, die gegen zu kleine Lappen sprechen,
werde ich später berühren.
Ich habe absichtlich auf die Anwendung des Trepans
bei diesen Versuchen verzichtet, denn ich glaubte, ohne
eine besondere Fixation des Lappens nicht auskommen zu
können, da das fibrinreiche Eammerwasser den ohne be-
sonderen Halt eingelegten Lappen wieder abhebt, und das
Nähen des vollständig austrepanirten Stückchens, dem jeder
Halt fehlt, ist ohne besondere Manipulation wie z. B. Aus-
breiten auf einer Fingerkuppe etc. nicht möglich. Nun ist
aber die grosse Gefahr, dass durch das Nähen erhehliohe
mechanische Verletzungen des Lappens bewirkt werden, die
an sich ein Einheilen mit erhaltener Durchsichtigkeit aus-
schliessen. Für mich war die erste Forderung, den Lappen
möglichst zu schonen und alle unnöthigen Störungen fem
zu halten.
Untersachnngeii anr Frage der Keratoplastik. 235
Deshalb operirte ich so, dass ich den Lappen erst halb
umschnitt nnd dann, so lange er noch Halt hatte, eine oder
zwei Saturen anlegte. Auch so wird der Lappen noch
stark malträtirt. Ich musste den Band mit einer feinen
Hakenpincette fassen, um die Nadel durch die elastische,
ausweichende Cornea legen zu können.
Bechnet man zu den Schwierigkeiten des Nähens noch
die Erschwerung durch das sofort gerinnende Eammer-
wasser, das die Erkennung der einzelnen Theile stört, sowie
die Schwierigkeit, die Iris zu vermeiden, ferner die Klein-
heit des Operationsfeldes, die Unruhe des Thieres, Störungen
durch Augenbewegungen und durch das Hinüberschieben
der Nickhaut etc., so wird man ermessen können, wie
mühevoll es ist, einen Lappen mit möglichster Schonung
zu umschneiden und durch Saturen zu fixiren.
Hinsichtlich des Heilungsverlaufs bei Thieren ist man
vollends sehr auf das Glück angewiesen, da eine Beihe von
Factoren mitspielen, die man nicht in der Hand hat.
Zwei Versuche sind als vollkommen gelungen hier auf-
zufahren, zu denen noch ein dritter kommt, der mir, so
schön er auch die ersten 14 Tage verlief, noch durch späte
Eiterung verloren ging.
Besonders bei dem ersten Versuch ist erreicht, was
unter den obwaltenden umständen nur überhaupt gefordert
werden kann.
Ich habe im Ganzen neun derartige Versuche ange-
stellt. Ausser den drei genannten also noch sechs. Von
diesen sechs Versuchen sind mir vier durch verschieden
floride Infectionen verdorben, bei zweien trat ein so erheb-
licher Irisprolaps auf, dass die Lappen innerhalb der ersten
Tage abgehoben und necrotlsch wurden.
Ich lasse die VersuchsprotocoUe der drei gelungenen
Versuche im Auszuge folgen:
236 ^* Wagenmann.
Versuch 3: schwarz-weiss geflecktes Kaninchen.
Linkes Auge. 23. Angust 1887. Ange durch Cocain an*
ästhetisch gemacht. Lider auseinander gehalten.
Operationsmethode: Ein Linearmesser wird im hori-
zontalen Meridian circa 2Va mm vom Limbus entfernt,
die Schneide nach oben, durch die Cornea gestochen, parallel
der Iris quer durch die Kammer gef&hrt und etwa 27« mm
vom Rande entfernt noch aussen durchgestossen. Nun wird
nach oben durch sagende Züge ein zungenf^rmiger mög-
lichst grosser Lappen umschnitten. Eine schmale Brücke wird
stehen gelassen. Das Messer wird zurückgeschoben, in der
Wunde um 180^ gedreht und, nachdem die Schneide die untern
Wundwinkel erreicht hat, nach unten ein ähnlicher Halblappen
zu bilden versucht. Während der obere Halblappen eine Höhe
von 3Vi mm erreicht hat, gelingt es hier wegen der andrängenden
Iris nur eine Hohe von 2 mm zu erzielen. Unten wird die Cor-
nea gleich ganz durchtrennt. Der Lappen hat eine birnenähn-
liche Form, unten breiter, oben etwas schmaler werdend. Seine
grOssto Breite im horizontalen Meridian beträgt circa 6 mm,
sein verticaler Durchmesser etwa eben so viel. Der Lappen
hängt nur noch oben durch eine Brücke fest Ich legte nun
durch die Mitte der Basis eine feine Seidensutur an, indem ich
den Lappenrand mit einer feinen Pincette fasste uod zuerst
durchstach unter massiger Zerrung an der oberen Brücke.
Nachdem die Sutur geknüpft war, lag der untere Rand ziemlich
gut an. Nun durchschnitt ich mit einer scharfen, nach der
Kante gebogenen Scheere auch noch die obere Brücke und ver-
einigte die Schnittflächen wieder durch eine zweite Sutur. Das
Anlegen dieser Sutur machte grössere Schwierigkeiten. Ich
fasste den Lappen mit einer feinen Pincette, hob ihn vorsichtig
ab und suchte ihn zu durchstechen, ohne zu sehr an der untern
Sutur zu ziehen. Es gelang auch die Sutur zu vollenden. Der
Lappen lag nun ziemlich glatt auf, oben und unten durch eine
Sutur gehalten. Zwischen die Wundränder hatte sich geronnenes
Fibrin gelegt, und sie klafften massig weit. Iris war nicht pro-
labirt.
Conjunctivalsack mit Sublimat 1 : 5000 ausgespült.
Die Oberfläche des Lappens war spiegelnd, hatte nicht ge-
litten. Die Ränder der Cornea und des Lappens nahmen eine
geringe Trübung an und quollen etwas auf. Die Umgebung
Untenuchnngen sor Frage der Keratoplastik. 237
der Sutaren war dagegen etwas stärker getrübt. Ein grauer
Trübnngshof nmgab den Faden.
Es wird von jeder Schutzvorrichtung Abstand genommen,
da das Thier das Auge von selbst geschlossen halt.
24. August 1887. Lidspalte etwas verklebt. Co^junctiva ein
wenig ii^icirt. Der Lappen liegt verhältnissmässig gut auf.
Der obere Band ist verklebt. Unten und an den Seiten hat sich
mehr Fibrin zwischen die Wundränder geklemmt und macht
dieselben klaffen. Quellung und Trabung der Cornea und Lappen-
ränder hat etwas zugenommen, besonders unten neben der Satur.
Doch sind die centralen Parthien des Lappens vollkommen durch-
sichtig, man erhält rothen Reflex aus der Tiefe. Das Epithel
zeigt leichte Unregelmässigkeiten an einzelnen Stellen. Kammer
aufgehoben, kein Irisprolaps.
25. August 1887. Auge nicht verklebt, Injection des Bulbus
hat nicht zugenommen. Oben schliesst sich die Wunde besser,
unten hat sich die Sutur gelockert, sie wird entfernt. Die
Bänder stehen circa 2 mm unten auseinander, Fibrin fallt die
Spalte aus. Die Bandtrübung der Cornea hat noch etwas zu-
genommen, die des Lappens nicht. Die Oberfläche des Lappens
spiegelnd, der Lappen vollkommen durchsichtig bis auf den
Band. Kammer noch vollständig aufgehoben, die Iris liegt der
Cornea an, ist aber nicht prolabirt, sie scheint mit der Wunde
verklebt zu sein.
29. August 1887. Die Heilung macht Fortschritte. Oben
zieht sich die Wunde besser zusammen, unten klaffen die Bänder
noch breit. Der untere Band des Lappens hat an Trübung
etwas zugenommen. Das Epithel scheint die Wunde vollkommen
überzogen zu haben. Obere Sutur entfernt. Die Kammer noch
sehr seicht. Ueber den Pupillarrand nichts sicheres zu sagen,
es scheint eine fast ringförmige Synechie zu bestehen. Die Mitte
des Lappens noch vollkommen durchsichtig. Die Epithelstippung
ist zurückgegangen. Die Pupille ist schwarz, man bekommt
rothes Licht. Vom Band her drängen zarte Qefässchen in die
Cornea vor.
1. September 1887. Die untere und innere Parthie der
Wunde klafft noch weit, doch zieht sich die Zwischensubstanz
zusammen, sie wird mehr narbig. Oben und besonders oben
aussen ist die Vereinigung fast linear. Die Trübung des Lap-
pens hat nicht zugenommen, die Durchsichtigkeit ist dieselbe.
Kammer noch sehr seicht, ringförmige vordere Synechie, Die
238 ^ Wagenmam.
Yascnlahsatioii der Cornea hat zugenommen, es erreichen von
oben her einige feine Aestchen die Wnnde, ein Aestchen biegt
oben nm nnd Terlänft auf der Narbe nach unten« In den Lappen
ist kein Gefitos Torgedrungen.
5. September 1887. Oben ist die Wunde fest vernarbt, auch
unten nimmt sie mehr narbige Bescfaafienheit an. Man sieht
jetzt deutlich, dass die Iris besonders unten und unten innen
breit adhärirt. Die Vaseularisation hat oben und unten noch
etwas zugenommen, doch gehen die Gefässe nur bis zur Wunde.
Der Lappen vollkommen frei geblieben. Die Randtrübung in-
tensiver weiss geworden. Die Mitte vollkommen durchsichtig ge-
blieben. Die Grenze ist ganz scharf. Der Lappen spiegelt, er
sieht bei Tage dunkel aus, da die Pupille ganz frei und schwarz
ist. Ophthalmoskopisch erkennt man die Papille. Kammer noch
sehr seicht«
Die Wölbung der Cornea stellt sich besser her, anfangs hatte
der vordere Bulbusabschnitt eine conische Form angenommen.
Auge jetzt vollkommen abgeblasst.
11. September 1887. Die Yemarbung hat bedeutende
Fortschritte gemacht.
Oben und oben aussen ist der Lappen von einer 1 mm
breiten Narbe umgeben, die Randtrübnng war hier gering.
Unten ist die Narbe bedeutend breiter. Da hier der Gorneal-
rand getrübt war, und auch der Lappenrand, so findet sich hier
ein breiter leucomatOser Ring. Die Narbe ist vollkommen fest
geworden. Die Vaseularisation hat abgenommen, nur noch
einzelne Gefässstämmchen laufen bis zur Wunde, den Lappen
hat keins erreicht. Der Pupillarrand der Iris ist bis auf
eine Parthie oben und oben aussen mit der Narbe verwachsen.
Die Kammer ist nur in der oberen und hinteren Hälfbe her-
gestellt, unten und innen ist sie fast ganz aufgehoben.
Die durchsichtige Parthie des Lappens ist so geblieben.
Die Zone hat einen Durchmesser von fast 4 mm, liegt im Yer-
haltniss zum Lappenrand excentrisch nach oben aussen.
Ophthalmoskopisch: Papille gut zu sehen, normal.
Pupille schwarz. Druck normal.
Beobachtung wegen der Ferienreise unterbrochen.
8. October 1887. Auge vollkommen blass. Die Yemarbung
vollendet. Die durchsichtige Parthie des Lappens ist ein un-
regelmässiges Yiereck von 4 mm Durchmesser, etwas excentrisch
nach aussen oben gelegeui ist noch ebenso wie früher. Der
üntersachangen zur Frage der Keratoplastik. 239
Lappen ist mngeben von einem Narb«inng, der oben sehr
schmal ist, unten and innen breit» an denselben schliesst sich
nach der Peripherie zu eine Hornhauttrübung und centralwärts
ein Trübungsstreif, der dem ursprünglichen Lappen angehört.
Der Lappen ist noch als solcher zu erkennen.
Der Pnpillarrand ist oben aussen frei, reagirt auf Licht,
wird durch Atropin zurückgezogen. In der übrigen Circumferenz
ist derselbe adhArent. Die Kammer nur oben tiefer, unten
seicht Der vordere Bulbusabschnitt ist etwas ectatisch.
Ton Gefässen auf der Cornea sieht man nur noch ein Stämm-
chen nach dem innem Wundrand verlaufen, es biegt dort um
und verläuft eine Strecke weit von oben nach unten.
Ophthalmoskopisch: Papille normal, nicht stärker excavirt.
I. November 1887. Im weitern Verlauf blieben die Ver-
hältnisse vollkommen unverändert, nur dass dieses feine Ge-
fässchen verschwand. Die Ectasie des Bulbus hat kaum
merklich zugenommen.
Das Thier ist munter.
II. Februar 1888. Auge vollkommen unverändert. Ectasie
hat nicht zugenommen, Kammer unten und innen sehr seicht.
Ophthalmoskopisch: Keine pathologische Excavation.
Augenhintergrund vollkommen scharf und deutlich
zu sehen.
An dem Lappen hat sich nichts geändert.
27. Februar 1888. Status idem. Thier noch in Beobachtung.
Versuch 4: grosses weisses Kaninchen.
22. August 1887. Linkes Auge.
Operation: Auge durch Cocain anästhesirt, mit Suhl.
1 : SOOO desinficirt.
Mit einem Linearmesser wird etwas oberhalb des obem
Pupillarrandes ein querer 5 mm langer Schnitt geführt bei
luxirtem Bulbus. Nachdem der Bulbus reponirt ist, wird die
Mitte des eben angelegten Schnittes durch eine feine Seiden-
sutur sofort wieder vereinigt. Darauf wird die Branche einer
nach der Kante winklig gebogenen Scheere (Bichter*sche Knie-
scheere) von dem äussern Wundwinkel aus in die vordere Kam-
mer vorgeschoben und rechtwinklig zu dem ersten ein zweiter
circa 6 mm langer Schnitt geführt und auf dieselbe Weise vom
äussern untern Wundwinkel aus ein dritter zu dem zweiten
rechtwinkliger, mithin zum ersten paralleler Schnitt von
240 A. Wagevmann.
5 mm Länge angelegt. Die dadurch gebildete imtero insaere
Ecke wird durch eine feine Satar in ihrer Lage fixirt. Der
Lappen hfingt nur noch durch die innere Seite mit der Cornea
zusammen. Weiterhin wurde diese Br&cke vom untern innem
Wundwinkel aus mit der Scheere bis xur Hälfte durehtrennt.
Die dadurch gebildete untere innere Ecke wurde wieder durch
eine (dritte) Sutur fixirt. Das Nähen war jetzt schon sehr
mfihsam, da der Lappen nur noch wenig Halt hatte. Nachdem
der Faden lose geknfipft war, durchschnitt ich Ton oben her
vollends den Best der inneren Seite. Die innere obere Ecke
legte sich von selbst an, sodass keine Sutur mehr nOthig war.
Das Aussehen und die Lage des Lappens war ein be-
friedigendes. Die Wölbung des Lappens war Torloren gegangen,
er lag flach auf, durch die Suturen ziemlich straff gehalten,
80 dass sich kleine Fältchen bildeten, die von der Mitte des
Lappens aus nach den Winkeln liefen. Die Wunde verklebte
ringsum durch Fibrin, die obere äussere Ecke war durch das-
selbe etwas abgehoben. Die Umgebungen der Suturen waren
getrübt, der Band des Lappens ebenfalls rings herum, theils
durch Quellung, theils dadurch, dass mit der Scheere operirt
war, was eine stärkere Quetschung des Bandes bedingte. Iris
nicht prolabirt. Ich nähte nun die Nickhaut an den
äusseren Homhautrand fest. Nach einiger Zeit aber, da ich
merkte, dass das Tbier unruhig war und zu kratzen versuchte,
da sich auch das Lid nicht recht scbloss, entfernte ich dieselbe
wieder und Hess das Auge offen.
23. August 1887. Lider etwas verklebt. Goiyunctiva massig
injicirt. Der Lappen liegt noch flach auf, von den Suturen ge-
halten. Zwischen je zwei Suturen findet sich eine leichte Ein-
ziehung des Lappens. Die Oberfläche des Lappens spiegelt,
doch erkennt man bei focaler Beleuchtung einige Unregel-
mässigkeiten im Epithel. Der Band des Lappens ringförmig
getrübt, aufgequollen, in der Umgebung der Suturen stärker ge-
trübt, jedoch keine eiterige Infiltration.
Oben aussen und oben innen liegt eine etwas dickere Schicht
Zwischensubstanz, die übrige Gircumferenz der Wunde ist durch
wenig Fibrin verklebt. Der Gomearand ebenfalls ein wenig
getrübt. Kammer noch aufgehoben, circuläre Synechie. Vorderer
Bulbusabschnitt etwas conisch geformt. Iris stark hjperämiscb.
Die weitere Heilung verlief ganz ähnlich wie bei Versuch 3.
Es bildete sich eine ringförmige Narbe. Der Band des Lappens
XJotersucbangen zur Frage Aer Keratoplastik. 241
blieb trabe. Das Centram in einer Ausdehnung von 2 mm
im horizontalen und 4 mm im verticalen Durchmesser hielt
sieh vollkommen durchsichtig, dann folgt auf dieses vollkommen
transparente Centram ein Ring, der wenig getrübt ist, darauf
ein stärker, narbig weiss, getrübter Bing, der in die Narbe
übergeht. Der Bandtheil der Cornea ist ebenfalls an der
Bildung der Narbe betheiligt. Die Peripherie derselben ist
vollkommen durchsichtig.
Etwa vom sechsten Tage ab konnte man eine geringe Ge-
f^sentwickelung vom Limbus her wahrnehmen. Einzelne
Stammchen erreichten den Wundrand, doch überschritt kein
.Gefäss die Narbe. Sie bildeten sich fast vollständig zurück.
Das Auge blasste bald vollkommen ab.
Der Pupillarrand ist vollständig adhärent, es ist zu einer
circulären Synechie gekommen. Das Pupillargebiet blieb an-
dauernd frei. Die Folge dieser ringförmigen Synechie war, dass
das Auge ganz allmählich ectatisch wurde. Die Kammer blieb
anscheinend vollkommen aufgehoben.
Nach drei Wochen war der Yernarbungsprocess fast voll-
endet Den Schluss desselben habe ich nicht beobachten kOnnen,
da ich verreiste.
Nach meiner Bückkehr constatirte ich folgenden Befund :
8. October 1887. Auge vollkommen blass. Die Grenze
des Lappens ist noch zu erkennen. Das Centrum des Lappens
ist noch vollkommen durchsichtig in einer Ausdehnung von
2 mm im horizontalen und 4 mm im verticalen Durchmesser.
Die Oberfläche spiegelnd ohne jede Trübung, vollkommen nor-
mal. Darauf folgt nach aussen eine Zone, die eine geringe
Trübung zeigt, doch nicht so intensiv, dass sie sich nicht
durchleuchten Hesse. Der Band des Lappens ist narbig ver-
ändert. Darauf folgt die ringförmige Narbe.
Von oben her erreicht ein Gefäss die Wunde und biegt nach
innen um.
Der Bulbus ist deutlich ectatisch, die Kammer so gut wie
aufgehoben. Es besteht eine ringförmige Synechie. Die Iris
stark gedehnt und atrophisch, vorgetrieben, der Cornea an-
liegend. Auge hart.
Ophthalmoscopisch : der Augenhintergrund zu sehen, die Pa-
pille ist ezcavirt. Das Bild ein wenig verschleiert.
11. Februar 1888. Die Verhältnisse haben sich in den
T. GrMfe*a Arohlv fttr OphtlMlmologile, ZXXIV. 1. 16
242 A. Wagenmann.
letzten Monaten in Bezug auf den Lappen und seine Durch-
sichtigkeit gar nicht verändert.
Dagegen hat die Ectasie des Bulbus erheblich zugenommen.
Der vordere Bulbusabschnitt deutlich vergrOssert, kugelig ge-
formt, die Iris stark atrophisch und nach der vorderen Synechie
gezerrt. Das Auge hart. Die Narbe hat durch die Ausdehnung
des Baibus auch eine Dehnung erfahren.
Ophthalmoscopisch kann man eine sehr tiefe Druckezca-
vation sehen. Die Pupille blassgelb.
28. Februar 1888. Status idem.
Die Ectasie des Bulbus hat vielleicht noch zugenommen.
Die betreffende Parthie des Lappens ist unverändert durch-
sichtig geblieben; man erkennt durch dieses durch-
sichtige Hornhautstack die Papille ganz gut.
Thier bleibt noch in Beobachtung.
Versuch 5: kleines weisses Kaninchen.
Linkes Auge. 12. October 1887. Operation: Cocain-An-
aesthesie. Aehnlich verfahren wie bei Versuch 4. Bei luxirtem
Auge wird ein querer 6 mm langer Schnitt nahe dem oberen
Comealrand geführt und durch eine Sutur in der Mitte wieder
vereinigt. Dann wird mit einer Scheere ein ziemlich verticaler
Schnitt innen geführt und ein dritter querer Schnitt unten
angelegt. Nahe der Ecke wird nach innen genäht. Darauf folgt
ein verticaler Schnitt aussen. Auch hier wird ziemlich nach
unten eine Sutur angelegt. Schliesslich wird die letzte Brücke
vollends durchtrennt. Der Lappen hat eine nahezu viereckige
Grestalt, ist 6 mm lang und 5 mm hoch. Der Lappen liegt be-
friedigend auf, die Wundränder verkleben bald durch zwischen-
gelagertes Fibrin. Die Oberfläche ist platt und leicht gefaltet
nach den Suturen hin, die Lider werden durch zwei Suturen
geschlossen.
14. October 1887. Suturen entfernt. Der vordere Bulbus-
abschnitt etwas conisch vorgetrieben. Der Lappen ist in seiner
Lage durch die Suturen fixirt, die Wundränder verklebt, nur
nach oben aussen und oben innen ist eine etwas dickere Flbrin-
schicbt eingelagert. Iris mit der Wunde anscheinend verklebt.
Die Bänder des Lappens sowie die der Cornea gequollen,
getrübt Das Gentrum ist aber vollkommen durchsichtig, spie*
gelnd. Man bekommt freien rothen Keflex. Die Kammer noch
aufgehoben.
Auge offen gelassen. Pfeifendeckel darüber genäht.
Untersuchungen zur Frage der Keratoplastik. 243
20. October 1887. Der vordere Bulbusabschnitt noch conisch
vorgetrieben, Auge blass. Die Wunde zieht sich zusammen,
von Epithel überzogen. Der Kand des Lappens intensiver ge-
trübt, doch ist die Mitte vollständig durchsichtig. Man sieht
von oben und vom einzelne feine Gefässe in die Cornea vor-
dringen. Vom haben einige Stämmchen die Wunde erreicht,
überschreiten sie aber nicht.
Die Suturen liegen noch von einem Trübungshof umgeben.
Die Kammer fängt an sich herzustellen, vom ist sie tiefer als
hinten. Man kann jetzt deutlich sehen, dass der Pupillarrand
selbst frei ist, die Pupille ist ziemlich eng und rund. Dagegen
ist die Iris hinter dem Pupillarrand der Wunde fast ringförmig
angelagert. Der Pupillarrand liegt tiefer, berührt die Cornea
nicht. Die Iris ist nach der Wunde hingezogen.
22. October 1887. Verhältnisse noch ähnlich. An dem
untern äussem Faden findet sich ein punktförmiges Infiltrat.
Deshalb werden die Suturen, die sich etwas aufgelockert hatten,
entfernt. Vascularisation hatte ein wenig zugenommen. Doch
überschreitet kein Geßlss die Narbe. Centmm durchsichtig wie
bisher in einer Ausdehnung von 37« mm im Durchmesser. Die
Grenze ziemlich scharf.
Aoge frei gelassen.
25. October 1887. Das Infiltrat vollständig verschwunden.
Die Narbe consolidirt sich mehr und mehr. Das Centrum des
Lappens vollständig klar, spiegelnd, vollkommen darcbleuchtbar.
Ophthalmoskopisch: Augenhintergmnd zu sehen.
Der Eand des Lappens weisslich getrübt, geht in die Narbe
über. Auch der comeale Wundrand getrübt, dagegen die Peri-
pherie durchsichtig. Die Kammer hat an Tiefe gewonnen, die
Iris scheint sich mehr zu lOsen.
26. October 1887. Das Auge ist verklebt. Coiyunctiva
secemirt etwas schleimig- eitriges Secret. Ange injicirt. Das
Thier muss sich im Auge gekratzt haben. £s liegt Blut auf
dem Lappen, unten ist die Wunde aufgelockert, Iris anschei-
nend verletzt. Auch in der vordem Kammer im Pupillargebiet
Blutstreifen, die Lappenoberfläche noch spiegelnd.
Reinigung mit Sublimat 1 : 5000.
27. October 1887. Conjunctivalsecretion hat zugenommen,
Auge verklebt Der untere Wundrand ist eitrig infiltrirt, es
erstreckt sich die Infiltration schon auf den Lappen, ebenso ist
der Comealrand eitrig infiltrirt. Die Mitte des Lappens und
16*
244 A. Wagenmann.
die obere Hälfte ist noch durchsichtig, man bekommt noch
rothes Licht. Die Narbe oben fest geschlossen.
Sublimat 1 : 5000.
29. October 1887. Die Eiterung war nicht aufzuhalten, fast
der ganze Lappen inültrirt; Cornea nach unten ebenfalls in eitri-
gem Zerfall begriffen.
Versuch somit leider durch Infection missglückt.
Wie aus den mitgetheilten ProtocoUen hervorgeht,
schliesst sich dieser Heilungsvorgang dem bei Besprechung
der Lappenheilang oben angeführten vollkommen an.
Die Heilang erfolgt durch Verkleben der Wondränder
vermittelst einer fibrinösen Zwischensubstanz, die sich zu
einer soliden Narbe zusammenzieht. Die geringe Gefäss*
entwicklung in der Cornea ist für die Vemarbung neben-
sächlich, sie ist veranlasst durch die mit proliferirenden Pro-
cessen einhergehende Beaction an der Wunde, hat mit dem
Heilungsprocess der Lappen nichts zu thun. Sie tritt erst
etwa am sechsten Tage auf, es erreichen überhaupt nur
vereinzelte Stämmchen den Wundrand der Cornea« Dass
ein Oefäss in den Lappen sich gesenkt hätte, habe ich in
den drei Fällen nicht beobachtet.
Die Vernarbung ist etwa nach vier Wochen vollkommen
abgelaufen. Wie nicht anders erwartet werden konnte, ver-
klebte und verwuchs die Iris mit der Wunde. Zu einem
Lrisprolaps ist es in den drei Fällen nicht gekommen, da-
gegen zu ausgedehnten vorderen Synechien, besonders im
zweiten der hierher gehörigen Fälle»
Ich habe von vorneherein auf die Iris keine Bücksicht
genommen, es lag mir nur daran, den abgetrennten Lappen
einheilen zu lassen.
Die Folge dieser ausgedehnten Synechie ist eine mehr
oder weniger hochgradige Ectasie des Bulbus mit Secandär-
Glaucom.
Besonders der Fall 2 ist ein experimenteller Beweis,
dass es gelingt, durch ringförmige Synechie Druoksteigerang
Untenmchangen zur Frage der Keratoplastik. 245
zu machen und ist geeignet, die Enies-Weber'sche Theorie
za stützen. Denn offenbar ist durch die ringförmige Synechie
die Wiederherstellung der vorderen Kammer verhindert.
Die Iris lagert sich der Cornea an, der Eammerwinkel ist
verlegt und kann seiner Function, das Eammerwasser ab-
zuleiten, nicht genflgen. Die Folge ist eine Betention und
dadurch veranlasste Drucksteigerung mit ihren Folgen. Der
Bulbus wird vergrOssert und man kann eine tiefe Ezcavation
der Papille constatiren.
Im Fall 1 ist die Ectasie nicht so hochgradig, da ein
kleiner Theil des Pupillarrands frei ist und sich dort eine
seichte vordere Kammer hat herstellen kOnnen.
Die Frage, ob die ausgedehnte Synechie von Werth
ist fOr die Em&hrung des Lappens, habe ich schon oben
berührt. Die Ernährung des Lappens findet jedenfalls statt
vom Bande aus, und ob die Iris das Em&hrungsmaterial
durch die Verklebung mitliefert, muss ich dahingestellt
sein lassen. In diesen Fällen ist allerdings die Ver-
wachsung viel ausgedehnter, als in den beiden oben mit-
getheüten F&llen.
Die Ernährung findet nur statt durch Diffusion. Bil-
dung von Granulationsgewebe oder Vascularisation des
Lappens habe ich nicht beobachtet
Da die Pupille freigeblieben ist, so sind auch jene
Processe, die Neelsen als nothwendig anftlhrt, Ernährung
von altem oder neuem Gewebe an der innem Seite, auszu-
schliessen.
Diese drei Fälle beweisen vollständig, dass derartige
Ansichten über den Heilungsverlauf unrichtig sind und
durchaus nicht als typische Heilungsverlaufe hingestellt
werden dürfen. Typisch sind sie nur für eine Beihe miss-
glückter Fälle.
Ich glaube hinreichend bewiesen zu haben, dass voll-
standig abgetrennte Lappen einen günstigen Heilungsverlauf
nehmen und per primam intentionem wieder anheilen
246 ^- Wagenmann.
können mit dauernd erhaltener Transparenz. Die physio-
lo^sche Möglichkeit moss zugegeben werden.
Ob die Ernährung durch die Synechien eine wesent-
liche Bolle spielt, die Emährungsverhältnisse des Lappens
so günstig zu gestalten, darüber kann man streiten.
Dass bei meinen Thieren die Durchsichtigkeit nur
partiell erhalten blieb, war natürlich nicht anders zu er-
warten nach den oben ausgeftlhrten Gründen.
Ich glaube, dass das, was unter den obwaltenden Um-
ständen überhaupt nur gefordert werden kann, besonders
im Fall 3, erreicht ist. 4 mm im Durchmesser sind ab-
solut durchsichtig geblieben.
Dass ich die Transparenz eine dauernde nenne, dazu
bin ich auch berechtigt. Was sich von dem Lappen trüben
würde, hatte sich nach wenigen Tagen entschieden. Der
Heilungsprozess des Lappens gebrauchte etwa vier Wochen,
bis vollständige Buhe eintrat. Seither hat sich nichts ge-
ändert. Die Durchsichtigkeit hielt sich da, wo sie bestand,
jetzt schon mehr als sechs Monate.
Ich gebe mich keinen Illusionen darüber hin, dass
durch meine Untersuchungen direct etwas für die Praxis
gewonnen sei, denn bei den Operationen am Menschen
treten eine grosse Anzahl schwer zu umgehender und
bedeutungsvoller Schwierigkeiten hinzu, die ja besonders in
den Arbeiten v. Hippels ihre richtige Beleuchtung er-
halten haben. Da mir vollends alle Beobachtungen über
Operationen am Menschen fehlen, kann es mir nicht ein-
fallen, eine Lanze für die totale Keratoplastik brechen zu
wollen. Das müssen wir uns aber gestehen, dass sie das
eigentliche Endziel der ganzen Frage ist. Denn die Zahl
der Fälle, die sich zur partiellen Transplantation eignen,
ist, soweit es sich jetzt übersehen lässt, noch eine kleine
im Vergleich zu der grossen Zahl, wo die totale Kerato-
plastik Besserung bringen könnta Wir müssen uns im
Hinblick auf die historische Entwiokelung der Frage ge*
Untersuchungen zur Frage der Keratoplastik. 247
stehen, dass die Aufnahme der partiellen Keratoplastik
gevnssermassen ein Bückzug ist, wenn auch ein ehrenvoller,
in ein Gebiet, wo wir Herr sind.
Meine Versuche haben vorerst nur ein theoretisches
Interesse, sie zeigen, dass die Heilungsvorgänge und Be-
dingungen abgetrennter Hornbautlappen nicht so ungünstig
liegen, wie Pauli, Schweigger und vor allem Neelsen
und Angelucci annehmen. Die Zukunft wird lehren, ob
die zahlreichen Hindernisse, die bei der Operation am
Menschen bestehen, sich werden überwinden lassen.
Dass man beim Kaninchen nicht ohne Fixation des
Lappens wegen der Absonderung des fibrinreichen Kanuner-
wassers auskommt, bewiesen mir Versuche, bei denen ich
auf die Fixation verzichtet habe. Derartige Versuche miss-
glückten alle nach demselben Typus. Wenn sich nämlich
auch anfangs der Lappen ganz gut anzulegen und mit der
Cornea zu verkleben scheint, so wird er im Verlauf des-
selben oder des nächsten Tages doch noch von dem ge-
ronnenen Fibrin des Kammerwassers abgehoben. Er fällt
entweder ganz ab oder bleibt ohne näheren Zusammen-
hang mit der Cornea oben auf einer dicken Fibrinschwarte
liegen. Er wird necrotisch, quillt auf, trübt sich gleich-
massig grauweiss und wird von Eiterkörperchen durchsetzt.
Als Beispiel will ich einen Versuch anführen.
Ich hatte mit Messer und Scheere ein centrales, nahezu
dreieckiges Stück vollständig abgelöst^ mit der Pincette abge-
hoben und wieder in den Defect gelegt, wo es anfangs durch
wenig Fibrin mit der übrigen Cornea zu verkleben schien. Ich
hatte einen Coigunctivallappen gebildet und darüber genäht und
zwei Tage liegen lassen. Nach dieser Zeit quoll geronnenes
Fibrin unter dem Conjunctivallappen hervor, ich entfernte die
Saturen, um zu sehen, was aus dem Lappen geworden war. Ich
fand den Raum zwischen Coigunctivallappen und Bulbus voll-
ständig ausgegossen von einer reichlich 2 mm dicken Fibrin-
schwarte. Auf dieser Schale, resp. in dieser Schale lag der
Lappen noch massig durchsichtig, aber gequollen und vom Band
248 ^* Wagenmann.
her getrübt. Ich fasste den Band der Fibrinmasse mit der
Pincette, und es folgte die ganze Schale inclasiye dem abgeho-
benen Lappen. Microscopisch fand ich eine beginnende eiterige
Infiltration des Lappens. Vom Endothel waren noch Beste Tor-
handen, die HornhautkOrperchen erkannte man auch noch.
Ich hielt weitere derartige Yersache für zwecklos,
denn sie sprechen weder für das eine noch für das andere,
da man den Hinderungsgrond genau übersieht und beim
Kaninchen nicht ausschalten kann.
Ebenso erging es meinen Versuchen mit dem Trepan,
sei es bei Benutzung desselben Lappens, sei es beim
üeberpflanzen von andern Augen.
Ehe ich den v. Hipperschen Trepan kannte, benutzte
ich einen Trepan, dessen Construction ich möglichst einfach
wählte. Auf einem handlichen, achteckigen Metallstiel von
etwas rauher Oberfläche, damit er sicher in der Hand liegt,
sitzt die kreisförmige Krone mit möglichst scharf ge-
schliffener Schneide. Der Trepan wird auf die Cornea ge-
setzt und durch leicht drehende Bewegungen, deren Druck
man ganz in der Hand hat, das Gewebe eingeschnitten.
Die Vorzüge dieses Instruments sind seine grosse Einfach-
heit, die Möglichkeit es leicht zu desinficiren, die Führung
aus freier Hand, wobei man sieht und weiss, was man thut,
wobei man den Druck, den man anwenden will, vollkommen
in der Hand hat.
Später habe ich den v. Hippel'schen Trepan benutzt.
Die Vorzüge, die er hat, sind von v. Hippel auf der
letzten Versammlung der ophthalmologischen Oesellschaft
zu Heidelberg dargelegt.
Die Versuche missglückten sämmtlich wegen der man-
gelnden Fixation des Lappens. Er wurde stets durch das
geronnene Fibrin abgehoben. Ich habe deshalb von wei-
tern Versuchen Abstand genommen, da ich glaube, dass
mau beim Kaninchen so nichts erreicht, denn das Liegen-
Untersuchungen £ur Frage der Keratoplastik. 249
bleiben ist die erste Bedingung für das Einheilen des Lap-
pens. Ich fahre deshalb auch keine Versuche an und ver-
zichte darauf, die Operationsmethode näher auszuführen.
III.
Untersuchungen über die Trübungsursachen bei
totaler Keratoplastik.
Da aus den obigen Versuchen klar geworden ist, dass
ein positives Besultat bei der totalen Keratoplastik möglich
ist, so muss man festzustellen suchen, woher es kommt,
dass die abgetrennten Lappen sich so leicht trüben, wie die
bisherigen Erfahrungen lehren.
Ich habe mich bemüht, Einiges über die Ursachen der
Lappentrübung zu eruiren.
Zunächst müssen die infectiösen Processe berührt
werden. Die Infection kommt von aussen und stört die
physiologischen Heilungsprocesse. Sowie sie dazugetreten
ist» liegen anomale Verhältnisse vor. Wegen der ver-
änderten und erschwerten Emährungsbedingungen der
Lappen finden Infectionen besonders günstigen Boden in
dem resistenzlosen Gewebe.
Wir können uns über die Infectionen hier kürzer fassen,
da eine Anheilung ohne dieselbe das normale ist und
vorausgesetzt werden muss, wenn man den Trübungs-
ursachen, die in den physiologischen Verhältnissen begründet
sind, näher treten will.
Bei Thieren fällt eine Reihe von so difßcilen Versuchen
der Eiterung zum Opfer; man kann sich vor der Infection
schwerer schützen. Wenigstens habe ich auf das Anlegen
von Verbänden verzichtet, da ich mir bei der Unsicherheit
und Umständlichkeit des Verfahrens nicht viel davon ver-
sprach.
Dagegen können wir beim Menschen unter Anwendung
strenger Antisepsis die Infection so gut wie ganz aus-
schliessen. Man muss eben jede Infectionsquelle vermeiden.
250 •^* Wagenmann.
So ist auch das früher so beliebte Anhauchen der Lappen,
um sie warm und feucht zu halten, vollständig zu ver-
werfen.
Andererseits darf man auch keine desinficirende
Losungen, die Gerinnungen machen, mit dem Lappen in
Berührung bringen, wenigstens nicht mit dem Lappenrand,
der die Ernährung zu vermitteln hat. Das beste ist meines
Dafürhaltens, den Gonjunctivalsack vorher gründlich mit
Sublimat zu desinficiren. Sind die Instrumente sauber, be-
dient man sich zum Fassen und zum Zurechtlegen des
Lappens geglühter Pincetten und geglühter Platinspatel,
so braucht man den Lappen gar nicht, wie z. B. Seiler-
beck empfiehlt, in Carbolsäurelösung abzuspülen. Ist der
Lappen transplantirt und erst verklebt, so kann man zum
Schluss mit schwachen Sublimatlösungen den Gonjunctival-
sack nochmals reinigen.
Auch während der Heilung auftretende Infiltrate be-
ruhen auf Infection und müssen durch sorgfältige anti-
septische Wundbehandlung zu vermeiden sein.
Ich möchte hier nur einige Versuche kurz berühren,
bei denen eine ganz geringfügige Infection hinzugetreten
ist, und die deshalb besonders instructiv sind, weil diese
Lifectionen nicht genügt haben, den Heilungsverlauf durch
Eiterung zu unterbrechen, sondern ihn nur so abgeändert
haben, dass eine Vascularisation des Lappens mit Ausgang
in Trübung veranlasst ist. Der Verlauf glich nun voll-
kommen dem Bild, das z. B. Neelsen und Angelucci
als normal ansehen.
Versuch 6.
23. August 1887. Bechtes Auge. Operation: Lappen mit
Scheere und Messer vollständig nmtrennt and durch zwei
Suturen fixirt Nickhaut darüber genäht.
28. August 1887. Nickhaut entfernt. Conjunctiva ii^'icirt
Lappen mit ausgedehnter vorderer Synechie im Anheilen be-
griffen.
ÜntersucbuDgen tuT Frage der Keratoplastik. 251
Der Lappenrand getrübt, gequollen, die Mitte klar. Am
oberen Wandrand ist eine weissliche, intensiver getrübte Stelle,
die als Infiltration anzusehen ist. Vom Comealrand dringen
Gefässe in die Cornea vor.
Der weitere Verlauf war der, dass die Vascularisation zu-
nahm und den Lappen selbst ergriff und zwar von oben her,
wo die Wundinfection sich fsmd. Es kam zu keiner Eiterung,
sondern der Lappen trübte sich mehr und mehr, gleichzeitig
nahm die Vascularisation des Lappens zu. Der Lappen wurde
voUst^dig von einem feinen Gefässnetz umsponnen, er quoll
auf und war stark verdickt. Die Vascularisation nahm noch zu.
Der Lappen wurde in ein rothliches Wärzchen von Granu-
lationsgewebe verwandelt. Die Gefässwucherung ging wieder
zurück, und die Heilung vollzog sich in der Art, dass ein weisses
Narbengewebe zurückblieb. Das Auge blieb dabei reizlos.
• Aach noch einen anderen Versuch will ich kurz mit-
theilen, bei dem der Lappen anfangs glatt einzuheilen
«chien, aber durch Infection noch verloren ging.
Versuch 7.
17. August 1887, Linkes Auge. Operation ähnlich wie
Versuch 2.
Die Heilung war die ersten neun Tage ganz zufrieden-
stellend. Bänder getrübt. Mitte noch klar. Vemarbung mit
kleinen vorderen Synechien im besten Gang. Kammer war
schon wieder zum Theil hergestellt. Einzelne Gefässstämmchen
bis zur Wunde vorgedrungen.
Da bemerkte ich am zehnten Tage oben an der Wunde
ein kleines gelbliches Exsudatpünktchen. Die Vascularisation
nahm zu. Während der nächsten Tage schritt die Infiltration
langsam nach unten vor, zugleich überschritten die Gefässe den
Lappenrand und drangen ebenfalls nach unten vor. Der Lappen
trübte sich allmählich von oben her. Später nahm die Gefäss-
bildung ab, doch blieb der Lappen getrübt.
Irgend welche stürmische Entzündungs-Symptome waren
nicht aufgetreten. Das Auge blieb blass.
Ich habe diese Versuche anführen wollen, weil ich
glaube, dass sich vielleicht eine Anzahl von Misserfolgen
auf diese Weise erklären lassen.
262 A. Wagenmann.
Solche Fälle sind aber von anormalem Heilungsver-
lauf, sie rechnen nicht mit, wenn man untersnchen will,
weshalb sich aseptisch eingeheilte Lappen bei der totalen
Keratoplastik doch trüben.
Wir werden nach den bisherigen Beobachtungen und
Erfahrungen besonders im Hinblick darauf, dass die par-
tielle Transplantation nach y. Hippel' s Methode so gute
Besultate giebt, wie ich mich durch Thierversuche auch
habe überzeugen können, darauf hingewiesen, dass in der
Eröffnung der Kammer das ursächliche Moment zu suchen
ist, und was hierbei als schuldiger Theil in Frage kommt,
das wird durch Lebers Untersuchungen nahe gelegt. Wir
haben aus denselben das Kammerwasser als einen bedeutsamen
Factor für die Entstehung von Hornhauttrübungen über-
haupt kennen gelernt, wenn nach Verlust des Endothels
der Contact desselben mit der Homhautsubstanz ermög-
licht ist.
Wir müssen uns mit diesem Factor näher beschäf-
tigen. Leber*) hat in seiner Arbeit über den Flüssigkeits-
wechsel im Auge auf die Bedeutung des Endothels für die
lebende Hornhaut hingewiesen. Er fand, dass nach Ent-
fernung des Endothels die Cornea durch die nunmehr er-
möglichte Filtration des Kammerwassers in Quellung gerathe
und sich trübe. Allerdings constatirt er, dass bei seinen
partiellen Abschabungen die Quellung und Trübung der
Hornhaut sich bald zurückbilde, wenn das Endothel sich
regenerirt hat.
Der Einfluss, den das Endothel auf die Transparenz
von Hornhautgewebe hat, wurde in der Folgezeit bei der
Frage der Keratoplastik wiederholt hervorgehoben, und die
Trübung des Lappens damit in Zusammenhang zu bringen
gesucht.
*) y. Graefe*s Arch. f. Ophth. XIX. 3, p. 186.
üntersncbuDgen zur Frage der Keratoplastik. 253
So erwägt V. Hippel*) bei der Besprechung seiner
ersten am Menschen ausgeführten Transplantationen, wie er
die Leber'schen Resultate zur Erklärung der am siebenten
Tage aufgetretenen Trübung verwenden könne. Da die
Trübung erst so spät in Erscheinung getreten war, so
konnte die Verletzung des Endothels bei der Operation
nicht die Ursache sein, da dabei die Trübung sofort hätte
auftreten müssen. Er meint aber, dass vielleicht erst
später eine Abstossung des Endothels durch eine Ernährungs-
störung des Lappens secundär zu Stande gekommen und
dass dadurch die Quellung und Trübung veranlasst sei.
Auch könne es dann bei einer oberflächlichen Entzün-
dung des Glaskörpers leicht zu einer Zelleinwanderung
kommen.
Andererseits will Se Herb eck**) dem Kammerwasser
jeden Einfluss auf die Hornhauttrübung absprechen. Er
meint, dass uns kaum eine Flüssigkeit zu Gebot stände,
„welche die Vitalität der lebenden thierischen Gewebe so
wenig alterire, als gerade das Kammerwasser.'' Es soll
nach ihm nur dadurch schädlich wirken, dass es den Lappen
mechanisch wieder abhöbe und verschöbe. Von diesem
Gesichtspunkt aus empfiehlt er das Anlegen einer Kammer-
fistel.
V. Hippel***) nahm auch nach weiteren Operationen
am Menschen an, dass die Trübung des Lappens durch das
Kammerwasser bedingt sei. Da er jedoch von der An-
nahme ausging, dass nach Ersatz des Endothels die Trü-
bung im Farenchym zurückginge, so musste er eine dauernde
Einwirkung des Kammerwassers annehmen; er that dieses
und verlegte den Sitz der Störung in den Band des Lappens.
Die Descemet'sche Membran rolle sich um, und durch
*) V. Graefe's Arch. f. Ophth. XXILT. 2, p. 14b.
») V. Graefe'B Arch. f. Ophtb. XXIV. 4, p.28.
0 Bericht über die XVIII. Vers. d. ophth. Gesellschaft zu
Heidelberg. 1886. p. 56.
254 A. Wagenmann.
den Defect im Endothel könne das Eammerwasser dauernd
einwirken, da sich der Defect nicht mit Endothel überzöge.
Es fahrte ihn diese üeberlegung auf die AusfOhrung der
partiellen Transplantation.
Diese Erklärung klingt deshalb etwas gekünstelt, weil
V. Hippel annimmt, dass das Endothel den Defect nicht
überziehen könne. Ich habe umgekehrt bei den Augen, die
ich untersucht habe, eine sehr bedeutende Begenerations-
tendenz des Endothels gefunden, wie auch sonst allgemein
angenommen wird. Die Lücke in der Descemet'schen
Membran schliesst sich ja nicht, wohl aber überzieht das
Endothel die Hinterfläche der Narbe und verhindert so eine
dauernde Einwirkung des Eammerwassers.
Wäre die Annahme v. Hippels richtig, so müssten
die Folgen der mangelhaften Endothelüberdeckung bei
allen perforirenden Hornhautwunden zu Tage treten, d. h. die
Cornea wäre von der Narbe aus der dauernden Einwirkung
des Eammerwassers mit dadurch bedingter fortschreitender
Trübung ausgesetzt. Dem widerspricht die tägliche Er-
fahrung. Femer beweisen meine positiven Resultate
mit abgetrennten Hornhautlappen bei Thieren, dass es
mindestens nicht immer sich so verhält, wie v. Hippel
annimmt. Ich glaube, dass v. Hippel's Erklärung in dieser
Form das richtige nicht trifft.
Dass die Läsion des Endothels und die dadurch er-
möglichte Einwirkung des Eammerwassers hier für den
Verlust der Transparenz der Lappen eine bedeutende Rolle
spielen müsste, war mir, wie gesagt, nach den Leber'schen
Funden klar.
um nun die Veränderungen der Cornea, die durch
den Defect von Endothel überhaupt gesetzt werden, aus
eigener Anschauung kennen zu lernen, wiederholte ich mit
einigen Modificationen die Leber*schen Versuche.
Ich stellte die Versuche derart an, dass ich einen
centralen, queren Hornhautschnitt mit Linearmesser oder
Untersuchungen zur Frage der Keratoplastik. 255
Beer*schem Messer anlegte, einen flachen, am Bande
stumpfen Davierschen LOffel in die vordere Kammer ein-
führte und nun die Hinterfläche der Cornea ringsherum
bis zum Eammerwinkel abschabte. Dass es auf diese
Weise leicht gelingt, das Endothel zu entfernen, konnte
ich dadurch nachweisen, dass ich, nachdem einige
schabende Züge mit dem Löffel gemacht waren, denselben
mit einem Tropfen einer physiologischen Kochsalzlösung
abspülte und den Tropfen auf einem Deckglaschen auf-
fing. Man sah schon makroskopisch kleine Fetzen in der
Flüssigkeit schwimmen. Ich fertigte ein Deckglastrocken-
präparat an durch Absaugen der Flüssigkeit mit Fliess-
papier und färbte mit Hämatoxylin. Ich konnte nun
mikroskopisch zahllose einzelne Zellen und grössere Con-
glomerate derselben erkennen.
Sodann untersuchte ich auch eine solche Cornea sofort
nach dem Abschaben, indem ich sie mit Argen tum
nitricum behandelte. Ich fand von dem Endothel nur noch
vereinzelte Beste. An einigen wenigen Stellen sind noch
kleine zusammenhängende Zellhäufchen erhalten, sonst nur
hier und da fast vereinzelte Zellen. Im üebrigen ist die
Descemet'sche Membran des Endothels beraubt. Nur
ganz nahe am Kammerwinkel ist noch eine Grenzzone
erhalten, da hier off'enbar der LöfTel nicht weit genug vor-
gedrungen ist.
Als Controlversuch, um dem Einwand zu begegnen,
dass etwa durch die Präparationsmethode erst das Endothel
abgestreift sei, habe ich das andere intacte Auge ebenso
behandelt. Hier ist das Endothel vollkommen schön er-
halten, die Zellgrenzen durch das Silbernitrat markirt.
Dass ferner die blosse Eröffnung der Kammer und
ein längeres Aufgehobensein derselben keinen Einfluss auf
die Corneadurchsichtigkeit hat, konnte ich dadurch fest-
stellen, dass ich einem Thier ein centrales Homhautstück
excidirte, wonach die Kammer 12 Tage lang aufgehoben
256 A. Wagenmann.
blieb. Mit Ausnahme der Wandränder, die etwas auf-
quollen und sich trübten, blieb die Cornea vollkommen klar.
Ich fand, dass der Verlauf der eintretenden Verände-
rungen anfangs gerade so vor sich ging, wie es Leber be-
schrieben hat. Schon nach wenigen Minuten kann man
eine bläulichgraue Trübung constatiren, bedingt durch eiiie
bedeutende Aufquellung und Verdickung der ganzen Cornea.
Die Oberfläche bleibt spiegelnd. Die Trübung nimmt in
den nächsten Tagen noch zu, ist vornehmlich in den tiefen
Hornhautschichten gelegen und nimmt einen weisseren
Farbenton an, sie ist diffus, doch kann man eine Fleckung
mit intensiver getrübten Stellen wahrnehmen.
Da ich mit dem Löffel möglichst viel abgeschabt habe,
so erstreckt sich bei meinen Thieren die Trübung bis nahe
an den Comealrand. Gewöhnlich habe ich die Hornhaut-
parthie, die in der Verlängerung der Wunde gelegen ist,
nicht vollständig getroffen, deshalb ist dort manchmal eine
schmale, dreieckige Stelle, mit der Spitze des Dreiecks bis
zum Wundwinkel reichend, nicht so stark getrübt oder ganz
verschont geblieben. Die Augen bleiben blass.
Da ich bei meinen Versuchen die Kammer mit einem
Schnitt eröffnete, so hatte ich die Folgen der Wunde mit
in Kauf zu nehmen. Es resultirte eine lineare Narbe. Die
Kammer nahm innerhalb der ersten Tage wieder an Tiefe
zu. Dass ich wohl einmal eine vordere Synechie bekam,
kommt hier nicht in Frage.
Im Verlauf der nächsten Tage nach der Abschabung
nimmt die Quellung wieder ab, die Trübung setzt sich von
der nicht getrübten Farthie schärfer ab, während in den
ersten Tagen ein allmählicher üebergang zu verzeichnen
ist. Es bildet sich eine scharfe Grenze zwischen getrübter
und nicht getrübter Cornea aus.
Ich habe nun bei meinen ausgedehnten Endothel-
abschabungen gefunden, dass die Trübung stationär bleibt
und nicht zurückgeht
Untersuchungen zur Frage der Keratoplastik« 257
In diesem Pankte sind die Besultate verschieden von
denen Leber*s resp. dieselben ergänzend.
Leber hatte gefunden, dass die Trübungen nach Be-
generation des Endothels innerhalb weniger Tage zurück-
gingen. Er hatte ein Häkchen durch die Cornea gestossen
und durch seitliche Bewegungen mit dem stumpfen Bogen
das Endothel abgeschabt. Die Verletzung war der Aus-
dehnung nach beschränkt. Entfernt man aber das Endothel
in grosser Ausdehnung, wie ich es that, so setzt die
Quelinng Veränderungen, die eine dauernde Trübung der
Cornea im Gefolge haben und die Begeneration des
Endothels, die sehr bald erfolgt, überdauern.
Sodann habe ich im weiteren Verlauf meistens noch
eine secundäre Veränderung und zwar eine V^ascularisation
der Cornea beobachtet, die verschiedene Intensität erreichen
und nach verschieden langer Dauer wieder rückgängig
werden kann. Jedoch sowohl bei den Augen, wo die
Vascularisation nicht auftrat, wie bei denen, wo sie auf-
trat, blieb die weissliche Trübung stationär.
Ich will einige Fälle anführen und dabei zugleich die
anatomischen Befunde geben.
Versuch 8: kleines weisses Kaninchen.
BeobachtuDgszeit: drei Tage.
1. August 1887. Operation: Cocain -Anästhesie. Querer
circa 5 mm langer centraler Schnitt. Eingehen mit dem
Davierscben LOffel und Abschaben des Endothels in möglichster
Ausdehnung.
2. August 1887. Cornea stark gequollen und graubläulich
getrübt Wunde verklebt. Kammer seicht Iris hyperämisch.
Auge kaum injicirt
4. August 1887. Auge noch ziemlich blass. Wunde ge-
schlossen, Kammertiefe normal, keine vordere Synechie.
Cornea noch stark gequollen, die Trübung schärfer be-
grenzt nach dem Kammerwinkel zu. Die Trübung etwas grau-
weisslicher mit einzelnen intensiver weissgeförbten Fleckchen.
Enucleatio bulbi: Beim Anziehen des Bulbus fliesst das
Kammerwa^ser wieder ab.
T. Onefe's Archiv fUr Ophthalmologie, XXXI V. 1. 17
258 A. Wagenmann.
Cornea frei präparirt, sofort in 0,75procentiger Chlomatrinm-
lOsnng unter das Mikroskop gebracht. Endoüiel schon wieder
grOsstentheils regenerirt
Cornea in Müller'scher Flüssigkeit gehärtet, in Celloidin
eingebettet, so dass eine Hälfte zu Quer-, die andere zn Flach-
schnitten benutzt werden konnte. Der mikroskopische Befund
ist folgender:
In dem Epithel der Cornea sind zahlreiche Vacuolen an-
zutreffen und zwar in allen Schichten. Sie treten auf als runde
scharfbegrenzte, helle Tröpfchen, die innerhalb von Zellen
liegen, die Kerne deutlich Terdrängend. Das Endothel ist
grOsstentheils wieder vorhanden, an Terschiedenen Stellen habe
ich Andeutungen gefunden, als sei es gewuchert. An ver-
einzelten Stellen fehlt es. Der Hinterfläche der Cornea ist
eine moleculare Eiweismasse aufgelagert, der Inhalt der
vorderen Kammer. Daselbst sind vereinzelte Lymphzellen an-
zutreffen.
Cornea in toto verdickt und aufgelockert. Das Gewebe ist
stark fibrlUär. Nach aussen hin nehmen die Veränderungen
ab. In den äusseren Schichten sind die HomhautkOrperchen
im Ganzen normal. Hier und da findet man eine Lymphzelle.
Nach dem Bande trifft man eine massenhaftere Einwanderung
von Lymphzellen an, es hängt das zusammen mit einer be-
ginnenden Handvascularisation.
An vielen Dickendurchschnitten sieht man, dass die an
die Descemet'sche Membran stossenden Schichten der Cornea
ungefUrbte oder nur sehr schwach gefärbte Zellen enthält.
Die Schichten sehen stark opak gequollen aus, ohne deutliche
Contouren der Fibrillen. Die dort befindlichen Homhaut-
kOrperchen sind verschoben und unregelmässig gelagert, neben
schrägen findet man vertical gestellte. Es macht an ver-
schiedenen Stellen ganz den Eindruck, als handle es sich um
eine Art Necrose. Die betreffende Schicht ist verschieden dick.
In der nach aussen folgenden Schicht sind die Homhaut-
kOrperchen entschieden stark verdickt und mit langen Aus-
läufern versehen. Ihre Zahl ist vermehrt. Es handelt sich
ohne Zweifel hier um Proliferationsvorgänge. Die Anordnung
dieser auf dem Querschnitt spindelförmigen mit langen Aus-
läufern versehenen HomhautkOrperchen ist eine ganz unregel-
mässige, sie sind durch einander gelagert und von ganz un-
gleicher Richtung. Besonders fallen vertical gestellte ZQge auf.
Untersuchungen zur Frage der Keratoplastik. 259
Nach aussen davon folgt stark fibriliäre Cornea mit
normalen EOrperchen.
Versuch 9: weisses Kaninchen.
Hechtes Auge. Beobachtungszeit 10 Tage.
I. August 1887. Endothelabschabung wie im vorigen Ver-
such. Verlauf der ersten Tage ebenso. Quellung und Trübung
der Cornea. Die Quellung ging zurück.
6. August 1887. Auge ganz blass. Kammer hergestellt.
Wände im Vernarben begrifiTen. Die ganze Cornea ist mit Aus-
nahme der periphersten Zone grauweisslich getrübt. Die Trü-
bung scheint nur in den tiefsten Schichten zu liegen. Sie ist
ziemlich gleichmässig, doch kann man einzelne intensiver ge-
trübte Fleckchen von circa Va nim Grosse unterscheiden. Die
Oberfläche spiegelt. Vom Hornhautrand aus sind feinste Ge-
fässstämmchen in die Cornea gewuchert, sie umgeben als ein
Kranz parallel gerichteter Stämmchen den Cornelrand, der Ring
ist 1mm breit.
8. August 1887. Status idem. Vascularisation IVa mm
breit.
II. August 1887. Wunde jetzt fest vernarbt. Die Trübung
der Cornea besteht noch, ist weisslicher geworden. Die Ober-
fläche von fast normalem Glanz. Die Bandvascularisation geht
zurück, ist abgeblasst.
Auge enucleirt
Ich habe die Cornea sofort präparirt und ausgebreitet, Epi-
thel nach unten, unter das Mikroskop gebracht. Man sieht so
deutlich die starke Quellung der Cornea und die auf den Band
beschränkte Vascularisation. Das Endothel ist grösstentheils
wieder vorhanden, nur streckenweise scheint es zu fehlen. So-
dann finden sich auf der Cornea ab und zu zellige Auflagerungen,
die über dem Endothel liegen. Die Endothelien zeigen hie und
da breite Interstitien von hellem Glanz, offenbar von gequol-
lener Kittsubstanz herrührend.
Nach einigem Zuwarten treten auch die HomhautkOrperchen
zu Tage. Man erkennt neben normalen in den oberflächlichen
Schichten deutlich solche mit verlängerten« verdickten Ausläufern.
Die Grundsubstanz zeigt eine stark fibriliäre Structur. Von
zelliger Infiltration ist mit Ausnahme in der Umgebung der
Gefässe nirgends eine deutliche Spur zu erkennen.
Ich untersuchte das Präparat nochmals, nachdem es eine
17*
260 A. Wagenmann.
Zeit lang in 1% Essigsäure gelegen hatte. Ich konnte nun er-
kennen, dass die erwähnten Auflagerungen aus flachen Zellen
zusammengesetzt waren. Sonst ergab die Untersuchung nichts
neues.
Um das Präparat zu härten und die Zellen deutlich zu
machen, legte ich es zwei Tage in Holzessig, und schnitt es
mit dem Gefriermikrotom. Die Schnitte, die ich gewann, ge-
hörten ausschliesslich den obersten Schichten an, da mir die
inneren Schichten verloren gingen. Die Schnitte zerfielen näm-
lidi, nachdem sie aufgethaut waren, in feinste Partikelchen,
so dass es mir nicht möglich war, zusammenhängende Präparate
zu bekommen.
Ich färbte einen Theil der Schnitte mit Hämatoxylin, welche
Methode mir sehr schöne Bilder gab. Die HomhautkOrperchen
sind bis in ihre feinsten Ausläufer vollkommen scharf zu er-
kennen. Sie sind mit Ausnahme der Umgebung der Narbe un-
verändert. Ab und zu findet man eine vereinzelte Ljmphzelle
neben dem Eörperchen in der Lücke liegen.
Die Narbe wird von langen spindelf[^rmigen Zellen und Fa-
sern gebildet, die in der Mitte einen Kern haben. Es macht
ganz den Eindruck, als seien es Derivate der HomhautkOrper-
chen. Man sieht Formen, die man als Uebergänge deuten muss.
Neben den spindelförmigen Zellen finden sich auch breit ver-
zweigte Zellen, die breitfaserige Netze bilden und kleine alvoläre
Räume umschliessen. Die HomhautkOrperchen in der Um-
gebung der Narbe haben lange Fortsätze und unregelmässige
Formen und gleichen sehr den Zellen der Narbe selbst In der
Narbe finden sich ferner Lymphzellen.
Versuch 10: graues Kaninchen.
Beobachtungszeit 2 Monate.
Bechtes Auge. 1. August 1887. Operation wie vorher.
Verlauf ähnlich dem vorigen, nur dass ich hier kaum eine
Spur von Vascularisation bekommen habe. Hier war die Ver-
längerung der Wunde nicht ordentlich getroffen, sie blieb fast
ganz ungetrübt.
24. August 1887. Auge dem äusseren Aussehen nach
intact, centrale weisse Narbe. Kammer normal tief. Ausge*
dehnte weissliche Hornhauttrübung, die sich fast bis zum
Kammerwinkel erstreckt In der Verlängerung der Wunde ist
ein Dreieck frei geblieben. Die Trübung intensiv weisslich, nicht
UntenuchuDgen zai Frage der Keratoplastik. 261
ganz gleichmäfisig, man erkennt eine feine Fleckang mit inten-
siver getrübten Stellen. Die Oberfläche, die ab und zu eine
Spnr von Mattigkeit gezeigt hatte, ist spiegelnd.
TrfLbong so erheblich, dass man die Pupille nicht deutlich
erkennt.
Der Zustand blieb ToUkommen unverändert bis Mitte Sep-
tember, wo ich das Thier vor meiner Reise zum letzten Male
gesehen habe. Ende September (wahrscheinlich am 29.) ist das
Thier aus unbekannter Ursache gestorben.
Nach Bericht des Wärters, der das Thier gefüttert hat, sah
^as Auge unverändert aus. Leider ist es mir so zur mikros-
kopischen Untersuchung verloren gegangen. Das linke Auge
hatte ich ebenso operirt, es hat denselben Verlauf genommen.
Hier hatte ich keine Bandvascularisation beobachten können.
Versuch 11: grosses graues Kaninchen.
Linkes Auge. Beobachtungszeit 6 Vi Monate.
30. Juni 1887. Operation wie vorher. Verlauf anfangs gerade
so wie in den vorigen Versuchen. Am siebenten Tage trat eine
Bandvascularisation zu Tage, die rasch zunahm. Die Vascula-
risation hatte nach 16 Tagen die Mitte der Cornea erreicht.
Sie nahm nun nach einigen Tagen wieder langsam ab. Die
Cornea blieb gleichmässig weiss getrübt, die Oberfläche unregel-
mässig.
1. August 1887. Von Vascularisation nichts mehr zu sehen.
Fast die ganze Cornea stark weiss getrübt, die Oberfläche
spiegelnd, doch finden sich kleine Unebenheiten im Epithel. Die
Trübung ziemlich gleichmässig, doch kann man einzelne stärker
getrübte Streifen unterscheiden. Unten reicht die Trübung
nicht ganz bis zum Comealrand.
8. Januar 1888. Das Auge ist unverändert geblieben.
Thier getOdtet. Auge in Müller'sche Flüssigkeit gehärtet, zur
mikroskopischen Untersuchung benutzt.
Die Cornea ist in toto etwas verdickt. Sie besteht in der
Hauptsache aus einem faserigen, Bindegewebe ähnlichem Ge-
webe. Nur spärliche HomhautkOrperchen finden sich in dem
fibrillären Gewebe. Ziemlich in der Mitte der Cornea sieht man
die schräg verlaufende Narbe. Die Faserbündel enden unregel-
mässig an derselben, es treten Fasern von verschiedener Rich-
tung auf. Die Zellen sind hier vermehrt. Die Descemet'sche
Membran klafft ziemlich breit, die Enden stehen gleich hoch.
262 A. Wagenmann.
die letzte Parthie vor dem Schnittrand verläuft wellig, die
Enden selbst sind nach aussen umgeroUt^ scharf abgeschnitten.
Auf der DescemeVschen Membran findet sich eine etwa V» der
Comeadicke betragende Auflagerung, die aus einem faserigen
Gewebe, das platte Zellen enthält, besteht und ganz dem Comeal-
gewebe gleicht Die Auflagerung nimmt nur allmählich nach
der Peripherie an Dicke ab und endet spitz. Sie hängt an der
Narbe mit der Homhautgrundsubstanz zusammen. Die Fasern
gehen ohne Unterbrechung zwischen den Enden der Descemet-
schen Membran in diese über.
Die ganze Hinterfläche der Gomea, auch dort, wo die Auf-
lagerung besteht, ist bedeckt von einer einfachen, regelmässigen
Lage Endothels. Unter dem Endothel findet sich, soweit die
Auflagerung reicht, eine neugebildete, homogene Membran, die
vollständig der Descemet'schen Basalmembran gleicht, nur ist
sie nicht ganz so dick wie dieselbe. Dort, wo die aufgelagerte
Schicht endet, nähern sich die beiden Basalmembranen, die
ursprüngliche Descemet'sche und die neugebildete Membran.
Weiterhin legen sie sich zusammen und verschmelzen zu einer
Membran. Man erkennt jedoch die Vereinigung aus zwei
Häuten an einer scharfen Linie.
Die Descemethsche Membran ist hier also fast um das
Doppelte verdickt, sie besteht aus zwei Schichten, von denen die
innere neugebildet ist. Man kann in diesem Stadium nicht mehr
sicher sagen, woher diese Neubildung stammt. Nach den ganz
analogen Beobachtungen Leb er 's*) an der Linsenkapsel bei
Heilung von Eapselwunden ist es am wahrscheinlichsten, sie als
ein AuBscheidungsproduct des Endothels, somit als eine Cuticular-
bildung zu betrachten.
In der Homhautgrundsubstanz finden sich noch vereinzelte
Beste von Gefässen, die aber nicht mehr bluthaltig sind. Man
sieht verschiedentlich Stücke von Arterien, bei denen sich die
Kerne der Wandung nicht mehr geförbt haben.
Ausserdem trifft man in dem faserigen Gewebe der Cornea
zahlreiche Lücken an, die man bei ihrer scharfen Begrenzung
wohl als ectatische Lymphräume anzusprechen hat.
Die äusseren Schichten der Cornea sind nicht so stark
fibrillär, dort finden sich verschiedentliche Zell- und Gewebs-
wucherungen, die in unregelmässiger Anordnung stellenweise
*) Sitzungsber. d. ophth. Ges. 1878, S. 37.
Untersuchniigeii zur Frage der Keratoplastik. 263
auch zwischen Epithel und vorderer Grenzhaut liegen. Ueber
den im Durchschnitt spindelförmigen Zellen sieht man hier zahl-
reiche LjmphkOrper auftreten, wahrend die tiefen Schichten
keine yermehrten Lymphzellen erkennen lassen. Das Epithel
weist viele Unregelmässigkeiten auf. Die Zellen der unteren
Lage sind theilweise stark in die Länge gezogen. Femer finden
sich zahlreiche Vacuolen in allen Schichten. Zwischen den
Fusspunkten der tiefsten Lage treten vielfach kleine, runde,
helle Lücken auf. Die Zellen haben sich diesen kleinen KOr-
perchen anpassen müssen , indem sie vielfache Einbuchtungen
zeigen. Auch einzelne grosse Hohlräume trifft man zwischen
Epithel und vorderer Grenzhaut an; die Epithelzellen haben
ausbiegen müssen und umgeben in langgestreckten Zügen diese
Blasen. Zwischen den Stachelzellen finden sich vielfach perl-
schnurartig angeordnete feine Hohlräume.
Bei einem andern Ange war der Verlauf ähnlich.
Vom vierten Tage ab begann eine Eandvascularisation, die
langsam zunahm und sich durch ihre Litensität auszeichnete.
Nach drei Wochen war die ganze Cornea von Gefässen über-
sponnen, und zwar war die Gefässwucherung so erheblich, dass
sie als dicker Pannus die Cornea überdeckte. Damit hatte die
Vascularisation ihren Höhepunkt erreicht, sie nahm nun wieder
ab. Die Wucherung bildete sich allmählich zurück, socUss
nach weiteren drei Wochen alle Gefässe verschwunden waren.
Die Cornea war nun weisslich getrübt, sie glich einem
totalen Leucom. Die Oberfläche wurde wieder fast vollkommen
glatt. Die Trübung hielt sich so milchig weiss, dass man von
der Iris nichts erkennen konnte.
Zwei Monate nach der Abschabung waren die Ver-
änderungen zum Ablaufe gekommen. Die weisse Trübung
blieb die nächsten vier Monate, bis ich das Thier tOdtete.
Wir sehen also, dass ausgedehnte Endothelabschabungen
schwere Veränderungen des Gewebes nach sich ziehen. Als
Ursache haben wir. die Aufqnellung des Gewebes durch das
E^ammerwasser anzunehmen. Durch die Quellung als
solche werden mechanische Einwirkungen veranlasst, die
eine Ernährungsstörung für die Zellen wie für das
Farenchym bedingen. Die Zellen gehen theilweise zu
264 ^' Wagfenmann.
Grande, theilweise gerathen sie in Proliferation, das
Parenchym wird stark faserig. Ob auch der mechanische
Reiz des Abschabens mit eine Bolle spielt, will ich nicht
ganz bestreiten, denn wir sehen aus analogen Verhältnissen
an der Linse, dass mechanische Einwirknngen auf die un-
verletzte Kapsel eine tiefe Schädigung des Linsengewebes
und der Zellen nach sich ziehen, wenn auch die Stärke des
hierbei angewendeten Drucks eine höhere ist, als bei der
Abschabung des Endothels, wo nur ein leiser Druck nOthig
ist Die beiden Effecte lassen sich nicht auseinander
halten, ich schätze aber die Wirkung des Schabens an sich
fOr gering und glaube, dass die Veränderungen im Wesent-
lichen auf Rechnung des Quellens zu setzen sind. Denn
das Quellen repräsentirt eine länger andauernde bedeutend
höhere Kraft. Die Quellung verliert sich erst nach mehreren
Tagen. (Noch nach zehn Tagen war die Cornea erheblich
gequollen. Versuch 9). Der dadurch veranlasste Druck
genügt aber, Veränderung zu bewirken, die die Regeneration
des Endothels überdauern. Und eine gewisse Ausdehnung
der Endothelverletzung gehört dazu, damit die Quellung
des Kammerwassers eine intensive wird.
Durch die theils degenerativen, theils proliferativen
Processe in dem Gornealgewebe kann eine Vascularisation
herbeigeführt werden.
Jedenfalls hängt aber die dauernde Trübung nicht
von der Gefässentwickelung ab, denn auch in Fällen, wo
sie nur einen ganz geringen Grad erreicht und eine kurze
Zeit bestanden hat, bleibt die Trübung stationär. War
die Vascularisation eine totale, so ist das Bild der späteren
Trübung nicht mehr rein. Bemerkenswerth aber bleibt es,
dass die Endothelabschabung in der Folgezeit eine Vas-
cularisation hervorrufen kann. Dass diese hier mit-
getheilten Resultate auch für verschiedene andere Gebiete
der Augenpathologie von Bedeutung sind, leuchtet ein.
Ich will nur an die Comealtrübungen (Streifen-Keraütis)
Untersnchnngen zur Frage der Keratoplastik. 265
noch Staaropeiationen erinDem, bei denen die Endothel-
läsionen sicher als Ursache sehr in Frage kommen, eine An-
nahme, die Leber auf dem letzten Ophthalmologencongress
zu Heidelberg gelegentlich der Discussion dieser Frage
vertreten hat.
Da ich durch obige Versuche kennen gelernt hatte,
welche wichtige Bedeutung das Endothel für die Trans-
parenz der Cornea und den normalen Gleichgewichtszustand
der einzelnen Qewebselemente hat, dass die einmalige aus-
gedehnte Entfernung desselben eine so tiefgreifende Ver-
änderung setzt, dass daraus eine dauernde TrQbung ent-
steht, so versuchte ich diese Erfahrung durch das Experiment
bei der Transplantation zu prüfen. Ich benutzte dabei die
Methode, die mir sichere Itesultate ergeben hatte, dass man
Lappen, die nur durch ganz schmale Brücken mit der
übrigen Cornea in Zusammenhang blieben, umschnitt. Hatte
ich vorher beweisen können, dass solche Lappen in kurzer Zeit
mit vollständig erhaltener Transparenz einheilen, so ver-
suchte ich nun, was daraus wird, wenn man das Endothel
von einem solchen umschnittenen Lappen abschabt.
Ich glaube, dass für diese Untersuchung die angegebene
Methode vollkommen ausreicht, die wegen der gelassenen
Fixation eine Anheilung des Lappens sehr erleichtert.
Denn wenn wirklich durch die Bracken noch Ernährungs-
material, das für die Lappenernahrung von Belang ist,
hindurchginge, so könnte das ja für die Erhaltung der
Durchsichtigkeit, resp. für die Aufhellung nur nützlich
sein, aber niemals schaden. Das Resultat war, dass
solche Lappen, denen ich das Endothel nahm, wohl
anheilten, aber sich trübten und bisher getrübt
blieben.
Versuch 12: graues Thier.
21. Januar 1888. Linkes Auge. Operation: Centraler
Lappen gebildet mit Linearmesser und Scheere von 5 mm in
verticalem und 7 mm in horizontalem Durchmesser. Vorn und
266 ^' Wagenmann.
hinten bleiben zwei schmale Bracken stehen. Eingehen mit
einem Löffel und Abschaben der Hinterflache des Lappens.
Lappen quillt auf und trübt sich graubläulich.
Die Heilung erfolgte analog den früher mitgetheilten Beob-
achtungen mit Einlagerung einer massig dicken Zwischensubstanz
und ausgedehnter vorderer Synechie. Nach unten trat ein flacher
Irisprolaps auf.
Der Lappen nahm noch an Trübung zu, wurde mehr
weisslich verfärbt. Die Quellung nahm ab. Die Oberfläche blieb
glatt. Vom Comearand drangen Gefösse bis zur Wunde vor.
2. Februar 1888. Die Heilung in bestem Gang, Narbe
consolidirt sich. Von unten her dringen Gefässe in den Lappen,
sie scheinen von der Iris auszugehen. Der Lappen in toto
stark getrübt.
5. Februar 1888. Auge blass. Der Lappen noch getrübt
Das untere Drittel des Lappens ist mit Gefässen übersponnen.
Bulbus leicht ectatisch. Kammer seicht
9. Februar 1888. Vascularisation geht zurück. Die Narbe
fester. Der Bandtheil der Cornea auch getrübt, narbig. Lappen
noch stark getrübt, man bekommt kein rothes Licht.
17. Februar 1888. Trübung unverändert. Narbe fester.
28. Februar 1888. Heilung vollendet Lappen weisslich
getrübt, nicht zu durchleuchten.
21. Januar 1888. Bechtes Auge. Operation ebenso, nur
oben und unten zwei schmale Brücken stehen gelassen.
Verlauf ganz analog, nur dass kein Irisprolaps auftrat
und die Vascularisation nicht den Lappen selbst befieL
17. Februar 1888. Narbe fest. Kammer seicht. Bulbus
etwas conisch, mit vorderer Synechie.
Der Lappen vollständig grauweiss getrübt, Oberfläche glatt.
28. Februar 1888. Die Wunde vollkommen fest vernarbt.
Der Lappen noch grauweiss getrübt Man bekommt
mit dem Spiegel keinen rothen Beflex.
Das Kammerwasser kann aber noch von einer andern
Seite aus einwirken, nämlich von der Wandfiäche aus.
Dieses bedingt eine nicht zu unterschätzende Bandtrübung,
die um so erheblicher ist, je stärker die Wundränder ge-
quetscht, oder die Lamellen auseinander gezerrt werden.
Man muss also bei allen derartigen Versuchen auf eine
Untersncbungen zur Frage der Keratoplastik. 267
drcnlftre RandtrObong reebnen, einbergehend mit einer
Qaellnng der Cornea. Bei kleinen Lappen wird relativ
mebr vom Lappen getrübt, als bei grossen, da die Wund-
flflche bei den ersteren relativ grosser ist znr LappengrOsse
als bei letzteren, um also einen genügend grossen Tbeil
des Centmms davor zu schützen, mnss man grossere
Lappen wählen. Ich halte 4 mm Durchmesser fbr die
totale Keratoplastik für zn klein.
Hat man grossere Lappen, so fällt die Trübang
weniger in's Gewicht.
Einen, weiteren Beweis, dass die Quellung durch das
Eammerwasser, die abgesehen von der Bandquellung haapt-
sachlich nur nach Verletzung des Endothels zu Stande
kommt, eine sehr wichtige Rolle bei dem Durchsichtig-
bleiben der Lappen spielt, liefern die guten Erfolge, die
V. Hippel mit der partiellen Transplantation erreicht hat.
Diese Methode weist direct darauf hin, dass die un-
günstigen Momente für die totale Keratoplastik allein in
der Eröffnung der Kammer liegen müssen und nicht etwa
in den physiologischen Vorgängen des Heilungsverlaufs an
sich. Freilich konnte man sagen, dass hier eine Ernährung
von der Hinterfläche stattfindet. Das ist richtig, kommt
hier aber deahalb nicht in Frage, da die Einheilung ganz
abgetrennter Lappen, die ja oft gelungen ist, wenn auch
mit nachfolgender Trübung, beweist, dass die Ernährung
für das Fortleben des Lappens hinreicht, denn sonst müsste
er ja necrotisch werden und abfallen, und weiter beweisen
das die oben angeführten positiven Versuche.
Wir müssen also das Trübewerden der eingeheilten
Lappen allein auf die Eröffnung der Kammer schieben und
zwar hier vor Allem auf die ermöglichte Einwirkung des
Kammerwassers, wenn der Lappen seines schützenden
Endothels beraubt ist.
Schalten wir das Kammerwasser aus, wie bei der par-
tiellen Transplantation, so bleibt die Durchsichtigkeit er-
268 A. Wagenmann.
halten. Dass es ferner überhaupt möglich ist, bei der
totalen Keratoplastik die Transparenz zu erhalten, beweisen
meine mitgetheilten Versuche.
Ich habe das Becht, anzunehmen, dass hier das Endo-
thel eben erhalten war, denn entfernen wir das Endothel,
so giebt es Trübung. Dass zur Erzeugung einer dauernden
Trübung die Läsion des Endothels, wenn sie ausgedehnt ist,
nur eine einmalige zu sein braucht, habe ich experimentell
an der Cornea nachweisen können. Ich glaube, dass so
eine richtige Einsicht in das Zusammenwirken der einzelnen
Factoren gewonnen ist Damit habe ich aber nipht gesagt,
dass dieser Connex fbr alle Trübungen die Ursache sei.
Ich habe mich damit begnügt, darauf hinzuweisen und'
experimentell zu stützen, dass ein solcher Connex besteht
und sehr in Frage kommt. Man wird eine Beihe der bis-
herigen Misserfolge so erklären können.
Noch nicht hierdurch sicher erklfti t sind die Trübungen,
die erst später nach Verlauf mehrerer Tage auftreten, wie
y. Hippel und Andere beobachtet haben.
Will man auch sie auf Läsion im Endothel zurflck-
führen, so ist die Erklärung dadurch erleichtert, dass nur
eine einmalige ausgedehnte Läsion nOthig wäre, tiefgreifende
Gewebsveränderungen im Lappen, die eine dauernde Trü-
bung im Gefolge haben, herbeizuführen.
Jedenfalls folgt für die Praxis, dass man die
Lappen möglichst schonen muss. Dass hierauf bisher
nicht genügend geachtet ist, kann man leicht entnehmen
aus den Berichten über Operationen und den Vorschlägen
zu den einzelnen Arten derselben. Breitet man den Lappen
erst auf dem Fingernagel oder auf der Fing^knppe aus,
oder verfährt man so, dass man, um den Lappen nehmen
zu können, ihn auf der Fingerkuppe oder gar auf einem
Kork zu durchstechen sucht etc., so wird man zu leicht
eine Läsion des Endothels herbeiführen. Auch bei der
Excision des Lappens muss man vorachtig zu Werke
Untersuchungen zur Frage der Keratoplastik. 269
gehen und sich bewusst bleiben, dass das Endothel ein
Noli me tangere ist, dessen Nichtbeachtung den Erfolg
von vorneherein iu Gefahr bringt.
Ob dio totale Keratoplastik bei den vielen Gefahren,
die ihr von den verschiedensten Seiten her drohen, jemals
eine ernstliche Aufnahme finden wird, lasse ich dahingestellt.
Nützlich ist, in die Erkenntniss der obwaltenden Umstände
und Vorzüge einzudringen, und dazu sollten die obigen
Versuche beitragen.
Zum Schluss spreche ich Herrn Professor Leber für
die Anregung und die Beihälfe, die er mir bei diesen Ver-
suchen hat zu Theil werden lassen, meinen aufrichtigsten
Dank aus.
Berlin, Druck von W. BUxenstelii,
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ALBRECHT VON GR^FE'S
ARCHIV
FÜR
OPHTHALMOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. F. C, DONDERS Prof. TH. LEBER
IN UTRECHT IN GÖTTINOEN
UND
Prof. H. SATTLER
IN PRAG.
VIERUNDDREISSIGSTER BAND
ABTHEILUNG II.
MIT 35 FIQURRN IM TEXT UND 4 TAFELN.
LEIPZIG
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
1888.
Inhalts -Yerzeichniss
zu
Band XXXIV, 2. Abtheilung.
Ausgegeben am 20. Jnli 1888.
Seite
1. Hornbautkrümmuiig bei erhöhtem intraocularen
Drucke. Von W. Eissen aus Bielefeld, Assistent
an der Universitäts - Augeuklinik in Beru. Mit
33 Holzschnitten 1 — 68
II. lieber die Histogenese der Retina und des Nervus
opticuB. Von Dr. Francesco Falchl, Professor an
der UDiversität Oagliari. Mit Tafel I— lU . . . 67—108
III. Ueber die T ho ma ansehen bipolaren Ereissysteme
und die Spiralsysteme auf angeschliffenen Crystall-
linsen. Von Prof. Dr. Lndwig Mattbiessen in
Rostock. Mit zwei Holzschnitten 109—126
lY. Zwei kleinere Mittheilungen aus dem Gebiete der
physiologischen Optik. Von Dr. £• Hense in Eiber-
feld 127—134
V. Beitrag zur Anatomie des Qlaucoms. Von Dr.
Stölting in Hannover. Mit Tafel IV 135-144
VI. üeber Staarextractionen mit und ohne Entfernung
der Kapsel. Von Dr. Hermann Pagenstecher in
Wiesbaden 145—166
VII. Zur historischen Kenntniss der Vorderkammer-
Auswaschungen. Von Prof. Dr. Hugo Kagnns in
Breslau 167—180
IV
Seit«
VIII. Ketinitis haeinoiThag;ica nach ausgedehnter Haut-
verbrennung. Von Dr. Angust Wagenmann, erstem
Assistenten der Universitäts- Augenklinik zu Qöt-
tingen 181—196
IX. y. Graefe*8 „modificirte Linear-Extraction" und der
Lappenschnitt Nach eignen Erfahrungen aus der
Zeit 1854—88 dargestellt von Prof. Dr. J. Jacobson
sen. in Königsberg L Pr 197—275
Dinickfehler- Berichtigung 275
fiornhautkrümmiiiig bei erhöhtem intraocularen
Drucke.
Von
W. Eissen ans Bielefeld,
Assistent an der Universitäts- Augenklinik in Bern.
Mit 33 Holzschnitten.
Angeregt durch die Arbeit von Pfalz „Ophthalmo-
metrische Uatersachnngen über Corneal- Astigmatismus'"^)
4)esonders durch den Abschnitt über „Astigmatismus bei
OlaucomatOsen'* habe ich mich entschlossen, diesen Gegen-
stand einer Prüfung zu unterziehen, und zwar durch Be-
X)bachtung der Veränderung der Hornhautkrfimmung am
Tbierauge bei künstlich erhöhtem Druck.
Pfalz hat 39 Fftlle von Glaucom ophthalmometrisch
untersucht, 8 Glaucome ohne Comeal - Astigmatismus,
11 Glaucome mit der gewöhnlichen Form von Astigmatismus
corneae und 19 Glaucome mit der perversen Form des-
selben — stärkst gekrümmter Meridian in der Nähe der
Horia^ontalen. Sämmtliche Fälle sind einzeln kurz an-
geführt und in drei Gruppen A, B, C, seiner Tabelle VII
.untergebracht.
Unter den 29 astigmatischen glaucomatOsen Augen
zeigten 16 oder 55,2 pCt. perversen Astigmatismus, während
alle übrigen untersuchten Augen incl. Cataract nur in
*) v. Graefe's Archiv Bd. XXXI. Abth. 1.
T. Oraofe'« Archiv fQr Opbthalmologlo, XXXIV. 2. 1
2 W. Eissen.
2,2 pCt. diese seltene Form aufwiesen. Dieses konnte
nicht auf Zufall beruhen.
In allen Fällen der Gruppe Ai mit Ausnahme eines
einzigen, bandelt es sich um die als Glaucoma simplex
bekannte reizlose Form. Die Ausnahme bildet ein erster,
massiger acuter Anfall, der durch Eserin sofort coupirt
worden war.
Die Sehschärfe war oft normal, nur einmal = ^/so.
Demgemäss wird der intraoculare Druck, über welchen
leider keine Angaben gemacht werden , im Grossen und
Ganzen relativ wenig alterirt gewesen sein. Ausnahms-
weise kann bekanntlich bei Glaucoma simplex T + 1 und
sogar T + 2 mit einer Sehschärfe von Va bis 1 sich ver-
tragen.
In der Gruppe B führt Pfalz ebenfalls Fälle von
Glaucoma simplex mit allerdings geringerer Sehschärfe und
längerer Dauer der Erkrankung an, als die in der ersten
Kategorie. Die zwei Ausnahmsfälle mit acuten Er-
scheinungen bilden hier den Uebergang zu der Gruppe C,
in welche die Augen fallen, deren Erankheitsverlauf mit
mehr oder weniger heftigen schmerzhaften GlaucomanfiQlen
verbunden war und bei denen die deletäre Wirkung der
Erkrankung sich in starker Herabsetzung der Sehschärfe,
in einzelnen Fällen bis auf 0, aussprach.
Pfalz glaubt, dass nach dem Angeftihrten ein causaler
Zusammenhang zwischen der Cornealasymmetrie, insbesondere
der anomalen Form, und der glaucomatösen Erkrankung
des betreffenden Auges nicht bestritten werden kOnne. Die
Entscheidung jedoch über die Frage, was als Ursache und
was als Wirkung aufzufassen sei, lässt er dahingestellt
Er neigt zu der Annahme, dass der Astigmatismus das
Primäre sei und, da länger andauernde accommodative
Anstrengung als ein Moment gelte, welches, bei sonstiger
Disposition des Auges dazu einen glaucomatösen An&U
auslosen kOnne, so liege eine ähnliche Annahme fQr den
Hornhantkrfimiimng bei erhöhtem intraocnlaren Drack. 3
Comealastigmatismns nahe, der an sich die Veranlassung
zu anhaltender astigmatischer Accommodation geben
könne.
Ffir diese seine Ansicht führt er den umstand an,
dass die schweren Formen des Glaacoms sich meist bei
den stärkeren Graden des Astigmatismus fänden, sowie,
dass das starker astigmatische Auge bei ein und derselben
Person schwerer oder überhaupt allein erkranken kOnne«
Diese seine obigen Betrachtungen will Pfalz aber selbst
nur für seine unter A und B angeführten Ffllle als zu-
treffend erachten.
Für die unter G angeführten Glaucomfftlle lässt Pfalz
die Frage nach der Ursache für die anomale Form des
Gomealastigmatismus offen. Er glaubt allerdings aus einem
ausführlich beschriebenen Falle die Ansicht ableiten zu
können, dass der gefundene anomale Astigmatismus die Folge
der hohen und lang andauernden Drucksteigerung sei. Er
kommt zu dem Schlüsse, dass das, was für den einen Fall
wahrscheinlich sei, auch auf die anderen F&Ue der Gruppe G
zutreffen könne und glaubt nun auch eine Erkl&rung dafür ge-
iiinden zu haben, warum die anomale Astigmatismusform nur
bei sehr schweren Erkrankungen des Auges gefunden werde,
indem fQr das Zustandekommen derselben die Voraussetzung
eines lange und energisch einwirkenden intraocnlaren Drucks
festgehalten werden muss.
Nach einer Erklärung seiner Beobachtungen auf ana-
tomisch-physiologischer Grundlage suchend, erinnert Pfalz
an die einschlägigen Experimente von Helmholtz*) und
Schelske**), auf die ich weiter unten eingehen werde.
Anführen will ich hier nur, dass Pfalz der Ansicht ist,
dass die am enucleirten Bulbus Torgenommenen Versuche
*) Arch. f. Ophth. I. 2, 17.
♦*) Arch. f. Ophth. X, 2, 1-46.
1*
4 W. Eissen.
nicht ohne Weiteres auf das lebende Auge übertragen
werden können, da das lebende Oewebe grössere Widerstands-
fllhigkeit besitze, sowie auch am lebenden die umgebenden
Gewebe des Auges von Einfluss auf eine etwaige Oestalts-
veränderung seien. Bei Glaucom käme auch noch in Be-
tracht, dass der Druck, selbst bei der acuten Form, sich
viel allmählicher entwickele als im Experiment. Licht
JcOnne nach Pfalz in diese Frage nur die klinische Beob*
achtung bringen, wenn es gelänge, die Cornealverhältnisse
sowohl vor dem Ausbruch des Glaucoms oder im Beginn
desselben als nach längerem Bestehen der Erkrankung zu
bestimmen. Solche Beobachtungen sind in der deutschen
Literatur bis jetzt nur drei von Laqueur veröffentlicht
und diese glaubt Pfalz nicht als beweiskräftig dafür an-
sehen zu dürfen, dass Glaucom keine Veränderung in der
Krümmung der Hornhaut hervorbringen könne. Er glaubt
sie dem Charakter der Erkrankung nach, sowie in Bezug
auf Intensität und Dauer auf gleiche Stufe mit den Fällen
unter A und B stellen zu müssen, in denen ja auch ein
Einfluss des Glaucoms auf die Cornealkrümmung als un-
wahrscheinlich angenommen wurde. Schwere Formen, wie
sie unter C angeführt sind, einer längeren Beobachtung zu
unterziehen, ist unzulässig, da die Bücksicht auf die damit
verbundene schwere Schädigung des Sehvermögens ein früh-
zeitigeres Eingreifen gebietet
Pfalz kommt am Schlüsse seiner Arbeit zu der An-
nahme, dass, wenn nicht der Zufall einmal solche Beob-
achtung gestatte, wir uns mit der grösseren oder geringeren
Wahrscheinlichkeit von Vermuthungen begnügen müssen.
Er glaubt aber auch^ dass schon eine grössere Statistik als
seine, manches Aufklärende über die vorliegende Frage
bieten würde, speciell, ob Cornealastigmatismus nur eine
zufällige Complication oder unter umständen die Folge des
Glaucoms sei.
Hornhautkrümmoiig b«! erhöhtem intraocalaren Druck. 5
Helmholtz sagt in seiner klassischen Arbeit: ,,üeber
die Accommodation des Auges" im I. Band des y. Graefe-
schen Archivs (1854), in welcher er das Ophthalmometer
in die Ophthalmologie einffihrt: „Ich halte es für wahr-
scheinlich, dass solche — ophthalmometrische — Messungen
an erkrankten Augen angestellt, interessante Resultate lie-
fern könnten. Ich habe nämlich gefunden, dass die Horn-
hautkrümmung, abgesehen von individuellen Verschieden-
heiten, von dem Drucke der Flüssigkeiten im Auge ab-
hängt, so dass der Krümmungsradius der Hornhaut desto
grösser wird, je grösser der Druck ist"
Zehn Jahre später hat Schelske unter der Leitung
von Helmholtz auf experimentellem Wege der Frage
näher zu kommen gesucht in seiner Arbeit: „üeber das
Verhältniss des intraocularen Drucks und der Hornhaut-
krümmung des Anges/**) Dieselbe wurde ausgeführt in
Heidelberg im Jahre 1864.
Schelske experimentirte, ähnlich wie v. Helmholtz,
an enucleirten Tbier- und Menscheuaugen und benutzt
zum Ablesen bei seinen Versuchen das Ophthalmometer
von Helmholtz. An diesen Augen konnte Schelske die
Comealveränderungen bei Druckzuwachs nicht über die
ganze Hornhaut bestimmen, sondern er musste sich auf
ihre wichtigste Partie d. h., auf den centralen Theil be-
schränken. Dieser Theil wurde durch den Mittelpunkt der
scheinbaren Pupille bestimmt. Er fand nun bei seinen
Versuchen, dass sich das Centrum abflacht und zwar steht
die Abflachung und die Druckzunahme innerhalb des
Auges in einem nachweisbaren regelmässigen Zusammen-
hang. Hier sei noch einer Beobachtung Schelskes gedacht,
auf die ich bei meinen Versuchen noch zurückkommen
werde. Schelske fand nämlich, dass bei einer gewissen
Höhe des Drucks, der Krümmungsradius, welcher bis dahin
^) Archiv f. Ophthalmol. Bd. X, Abth. 2.
6 W. Eigsen.
stetig zugenommen hatte, nicht allein nicht stehen blieb,
sondern sogar kleiner wurde. Bei weiterer Erhöhung des
Druckes folgte ein kurzes Stehenbleiben und schliesslich
wieder eine gleichmftssige Vermehrung der Abflachung.
Diese Beobachtung veranlasste Schelske zu anatomischen
Untersuchungen, deren Besultat ich hier wörtlich mit-
theilen will:
„Macht man feine Schnitte, in der Sichtung und
Gegend des Comea-Sderalfalzes, normal auf den
Augapfel, so erkennt man an diesen in der Gegend
des Canalis Schlemmii und dessen innerer Wand
stark wellige Fasern circulär um die Hornhaut hin-
ziehen, so dass sie etwas hinter diesem Canal den
inneren Theil der Sclerotica einnehmen, während vorn
gestreckte vorlaufen. Auch an der anderen Seite des
Ganalis Schlemmii verlaufen die Fasern gewellt, aber
in meridionaler Bichtung, während sie in den äusseren
Partien der Sclera geradlinig hinziehen.
Sehr ähnlich verhält sich die Sache beim Kaninchen,
hier giebt es eine besonders ausgezeichnete Stelle in
der Gegend des Ciliarkörperansatzes, wo die inneren
Sderalfasem schlingenartige Wellenlinien beschreiben,
die äusseren aber gerade sind.**
Es sei mir gestattet, an dieser Stelle einige Worte
über die Versuche von Schelske anzuführen.
Dieselben wurden, wie oben bemerkt, an enudeirten
Augen ausführt. Jeder, der jemals mit solchen Objecten
gearbeitet hat, wird mir gewiss darin beistimmen, dass es
ganz unmöglich ist, selbst bei der exactesten Methode ohne
Fehler zu arbeiten. Ich selbst habe verschiedene Versuche
an enudeirten Augen verschiedener Thiergattungen gemacht,
aber stets hatte ich mit den verschiedensten Fehlem zu
kämpfen. Eine grosse Fehlerquelle liefert schon die Ein-
bettung. Ich habe dieselbe auf die verschiedenste Art
versucht, aber stets konnte ich einen Druck oder eine
HornhautkrUmmang bei erhöhtem intraocularen Drack. ^
Zerrung der Cornea wahrnehmen, war es auch nicht mit
blossem Aage, so doch stets darch das Ophthalmometer
von Javal nnd SchiOtz. Dieses Instrument hat vor dem
Helmholtz'schen Ophthalmometer den Vorzug, dass bei
demselben das Tageslicht benutzt werden kann und dass
der Krümmungsradius direct abgelesen wird. Das Ablesen
der Treppenstufen verräth die geringsten Veränderungen
der Hornhautoberfläohe, wie sie durch Verdunstung, Accom-
modationskrampf u. s. w. hervorgerufen werden und ver-
langt exactere Versuchsbedingungen als das Abschätzen
der Distanzen von den drei Lichtem.
Eine zweite Fehlerquelle liegt schon in der Enucleation
selbst, denn wie Schelske selbst zugeben muss, waren die
Bulbi etwas weich, zusammengefallen. Ich suchte dies so
viel als möglich dadurch zu vermeiden, dass ich die
Unterbindung des Sehnerven möglichst schaell ausführte;
aber auch dies schützte nicht immer. War man aber
glücklich bis zu der Einfuhrung der Ganüle und Erhöhung
des Druckes gelangt, so treten, wenn nicht schon von
Anfang an, so doch bald Trübungen der Hornhaut auf,
bestehend in Epithelabschilferungen, Bläschenbildung etc.,
wie sie Schelske ja auch hinreichend beobachtet hat, die
sofort unsere Bilder der Cornea zur Unkenntlichkeit ver-
zerrten, unbrauchbar machten. Auf einen andern Punkt,
auf den Pfaltz aufmerksam gemacht hat, nämlich auf
die Widerstandsfähigkeit des lebenden gegenüber dem
todten Gewebe, will ich nicht so viel Gewicht legen, da
doch eine zu kurze Spanne Zeit zwischen der Todtung des
Thieres resp. Enucleation und der Untersuchung liegt. Da-
gegen muss ich Pfalz vollständig beistimmen mit Bezug
auf den Einfiuss des umgebenden Gewebes auf etwaige
Gestaltveränderung des Auges.
Durch das Angeführte sind die Fehlerquellen noch
lange nicht erschöpft, aber ich glaube, es ist genügend, um
8 W. Bissen.
Jedermann klar zu machen, welche üebelstände bei den
Schelskeschen Versuchen unterliefen.
Co c eins berichtet im Jahre 1872 in seiner Monographie
„Ophthalmometrie und Spannungsmessung am kranken
Auge*', dass er bei Glaucomatösen im vorgerQckten Alter,
besonders bei einseitiger Erkrankung trotz hoher Spannung,
Druck - Excayation , Arterienpulses keine nennenswerthe
Erümmungsabweichung resp. Yergrösserung des Krüm-
mungsradius gefunden habe, während in jüngeren Jahren
eine Drucksteigerung eine ganz erhebliche Abflachung der
Hornhaut hervorrufen könne. Er ffihrt ein Beispiel von
einem Mann in den dreissiger Jahren an, wo der Krüm-
mungsradius der Hornhaut von 7.75 mm nach der Dis-
cision eines weichen Linsenstaares in Folge der Linsen-
quellung und Drucksteigerung vorübergehend auf 8,20 mm
gestiegen war.
Donders *) war früher ebenfalls zu negativen Re-
sultaten in Bezug auf den Einfluss des intraocularen
Druckes auf die HornhautwOlbung gekommen. Auch
Laqueur theilt in seiner Arbeit: „üeber die Hornhaut-
krümmung im normalen Zustande und unter pathologischea
Verhältnissen" **) Versuche mit^ die derselbe an enucleirten
Schweinsaugen angestellt hat. Er kommt zu dem Resultate^
dass bei Erhöhung des intraocularen Druckes durch Ein-
spritzen von Wasser in den Qlaskörperraum, die Cornea
sich erheblich abflachte und in allen ihren Durchmessern
eine messbare VergrOsserung stattfand.
Diesen Versuchen haften dieselben Bedenken an, wie
denjenigen von Schelske.
Georges Martin in Bordeaux, der sich in den letzten
Jahren ein Specialstudium aus den klinischen Beobachtungen
des Astigmatismus gemacht hat, spricht im Jahre 1885 in
*) V. Graefe's Arch. f. Ophth. VIII. 2, 163.
**) V. Graefe's Arch. f. Ophth. XXX. 1, 113—115.
Hornhaotkrümmung bei erhöhtem intraocularen Drnck. 9
seinen „Etudes d* Ophthalmometrie clinique'**) über die Be-
ziehungen von Qlancom und Astigmatismus. Er kommt zu
folgenden Schlasssfttzen:
1. In einer gewissen Anzahl von Glaucom&llen ist
der Comealastigmatismus kein unveränderlicher
Zustand.
2. Ein gewöhnlicher Astigmatismus kann geringer
werden oder ganz verschwinden; er kann sogar
durch einen Astigmatismus perversus ersetzt werden.
3. Der Grad des Astigmatismus perversus kann höher
werden, je nachdem die Krankheit Fortschritte
macht.
4. Derselbe kann sich auch verringern, wenn das
Glaucom Rückschritte macht.
5. In einem Falle wurde ein Astigmatismus mit ge-
ringster Krümmung in der Horizontalen durch
einen schrägen Astigmatismus ersetzt.
6. Diese Abwechselungen im Astigmatismus bei Glau-
com können dazu beitragen, den Kliniker über den
Verlauf der Krankheit zu unterrichten. In gewissen
Fällen spielt das Ophthalmometer die Bolle eines
Tonometers.
7. Die Veränderungen werden besonders bei relativ
wenig bejahrten Individuen beobachtet; sie sind
abhängig vom intraocularen Druck und der Elasti-
cität der Gewebe.
8. Der Astigmatismus perversus wurde in dem Ver-
hältniss von 50 pCt. angetroffen. Seine, bei meh-
reren Patienten constatirte Veränderlichkeit lasse
ihn vielmehr als Folge des Glaucoms, denn als
Ursache dieser Affection erkennen.
9. Der Astigmatismus mit schwächst brechendem ver-
ticalen Meridian wird durch Incisionen am obem
♦) Annal. d-OcuI. Tome XCIU, p. 224—243.
10 W. Eiasen.
Cornealrand (Sclerotomie, Iridectomie) häufig ver-
stärkt. Solche Incisionen yermiodern, allgemein
gesprochen, die vertikale Erümmung der Hornhaat.
10. Die plötzliche Abnahme der Sehschärfe, welche
einige Zeit nach einer von diesen wegen eines
Glaucominsultes ausgeführten Operationen auftritt,
kann an die Dilatation des vertikalen Meridians
der Hornhaut gebunden sein und durch Cylinder
corrigirt werden.
Martin spricht sich in diesen Schlusssätzen schon
viel bestimmter aus über den Gausalnexus zwischen Astig-
matismus und Glaucom, als es Pfalz kann. Beide Ar-
beiten sind zu gleicher Zeit, ganz unabhängig von einander
erschienen. Martin betont als der Erste die Veränderlich-
keit des perversen Astigmatismus und misst derselben er-
hebliche klinische Bedeutung bei.
In der 4. Versammlung der französischen ophthalmo-
logischen Gesellschaft im April 1886 kommt Martin auf
die Frage zurück in seinem Vortrage „Des variations dans
le degr^ et le sens de Tastigmatisme comten, chez les
glaucomateux.** Die Beweise, die er zur Stütze der von
ihm zuerst constatirten Veränderlichkeit des Astigmatismus
während der Entwickelung des Glaucomes anführt» theilt
er ein in
A. indirecte, und zwar:
1. Die sehr bemerkenswerthe Häufigkeit des perversen
Astigmatismus bei Glaucom.
Während Pfalz bei Abzug der Glaucomatösen unter
allen Patienten nur 2,3 pCt. mit perversem Astigmatismus
zählte, fand er bei den Glaucomatösen 41 pGt. und
Martin öOpCt.
2. Die sehr grosse Zahl der Fälle, wo die Befraction
des yerticalen Meridianes relativ geringer ist in
dem Auge, das einzig glaucomatös ist, oder stärker
glaucomatös als das andere.
Hornhautkrümmimg bei erhöhtem intraocnlaren Druck. 1]
Von 9 Patienten, die Martin tabellarisch anführt,
sprechen 8 für die Begel und von 8 Patienten von Pfalz 6.
B. in direete:
1. Eünf, Yon Martin in verschiedenen Intervallen
ophthalmometrisch sicher untersuchte Fälle, in
denen während der Evolution des Qlaucomes der
Erümmungsradius des verticalen Meridianes stetig
zugenommen hatte.
2. Vier Fälle, in denen Martin unter dem Einfluss
einer antiglaucomatOsen Behandlung eine pro-
gressive Abnahme des Krümmungsradius des verti*
calen Meridianes beobachtete.
Schoen weist in seiner letzten Arbeit*) — „Die
Accommodationsanstrengung und deren Folgen" — eben-
falls auf das häufige Zusammentre£fen von Glaucom mit
Astigmatismus perversus hin. Unter 10 beobachteten Fällen
dieser Form von Astigmatismus (Tabelle IV), findet sich
bei zweien die Notiz hochgradige Excavation, bei zwei
andern randständige, während fünfmal mittlere Excavation,
die sog. accommodative Excavation Schoen*s vorgemerkt
ist, und nur ein einziges Mal jede Excavation fehlte.
Leider ist von diesen 10 Fällen nur einer ophthal-
mometrirt worden, der hochgradigste ( — c 15 || und
— 30 — c 18 II 165) und hier war die Hornhaut nicht der
Sitz des Astigmatismus.
Schoen legt ebenfalls besondem Nachdruck auf die
Veränderlichkeit des umgekehrten Astigmatismus.
Dass nach Eserin-Eiuträuflung in menschliche und
thierische Augen neben Krampf des Ciliarmuskels, auch
Verkürzung des Hornhautradius zu Stande kommt, ist
durch ophthalmometrische Untersuchungen von v. Beuss^)
und von Stock er***) nachgewiesen. Ob derAccommodations-
♦) Arch. f. Ophth. XXXIH. 1, 19.
**) Arch. f. Ophth. XXm. 3.
♦*») Arch. t Ophth. XXX. 1.
12 W. Eißsen.
Spasmus einzig die Veränderung der Homhautwölbong be-
dingt oder ob eine Veränderung des iutraocularen Druckes
mitwirkt, kann aus den bisherigen Beobachtungen nicht
mit Sicherheit geschlossen werden.
Die einschlägigen Thierversuche, die ich vor dem Er-
scheinen der letzt mitgetheilten Arbeit von Georges
Martin und Schoen auf Bath von Herrn Prof. Pflüger
unternonmien habe, wurden angestellt in einem Zimmer
des hiesigen physiologischen Instituts, welches Herr Prof.
Kronecker mir in der liebenswürdigsten Weise zur Ver-
fügung gestellt hatte. Ich benutze gern die Gklegenheit,
ihm an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank dafür aus-
zusprechen.
Als Yersuchsthiere benutzte ich Kaninchen. Um von
vom herein jede Störung, die von Seiten des Thieres durch
Bewegung etc. gemacht werden konnte, auszuschliessen, ging
ich folgendennassen vor. Nachdem das morphinisirte Thier
aufgespannt war, wurde zuerst zur Tracheotomie geschritten,
alsdann zur Aufsuchung der Vena jugularis externa, in die eine
Kanüle eingebunden wurde. In die Vene wurde eine Iprocentige
Losung von Curare gespritzt. Die Wirkung des Curare trat
augenblicklich ein und um nun zu verhüten, dass das Thier
ersticke, wurde die Trochealcanüle, mit dem im hiesigen
physiologischen Institut befindlichen Apparat zur Unterhaltung
von künstlicher Athmung in Verbindung gebracht Da der
Apparat, wie ich glaube, kaum allgemein bekannt, doch bei
Versuchen, wie die vorliegenden, von grOsster Wichtigkeit ist,
so will ich auf eine Beschreibung, wie sie von Herrn
Prof. Kronecker mir geboten wurde, etwas naher eintreten.
Kronecker's Apparat zur künstlichen Athmung wird
durch beistehende Figur verdeutlicht. Der Apparat besteht
aus einem (bekannten) Wassertrommelgebläse und aus einem
(neu construirten) Schieberhahn, welcher dient, den continuir-
lichen Luftstrom des Gebläses in beliebigen Intervallen zu
unterbrechen. Zur Bewegung des Schieberhahns ist das aus
dem Gebläse abfliessende Wasser dienstbar gemacht
Das Wassertrommelgebläse besteht aus einem etwa 20 Liter
Hoinhautkrttminiiiig bei erhöhtem mtraocnlaren Druck. ]3
fassenden Blechcylinder A mit den Zu- and Abflüssen für
Wasser und Luft. Wasser strOmt unter möglichst hohem Drucke
durch das Bohr W durch, die Eupferhlechtrommel Tw und die
a
Fig. A.
beiden coniscta endenden ROhren cB, cB in die weiteres HiBch-
röhren mB. Das herabfliesBende WaBser reiaat ans der Lnft-
b'ommel Tl die durch das Saugrohr Lr uachetrOmende Luft in
die UisclirQhren berab. Der Wasserlaftachauin trennt sich im
Sammelcylinder A lu einer unten gesetzten Waaserschicht und
14 W. ElBsen.
einer darüberstehenden Luftschicht. Das Wasser läuft durch
das S förmig gebogene Abflussrohr aB erst ab, wenn der Luft-
druck das Wasser bis zur höchsten Stelle des Ausflussrohrs
hinaufgedrückt hat. Das Abflussrohr ist so weit, dass der ab-
steigende Schenkel niemals mit Wasser gefüllt wird, sondern
durch die Luftöfi&iung 0 Luft nachstrOmen kann, so dass keine
Heberwirkung sich geltend macht. Die comprimirte Luft ent-
weicht aus dem Cjlinder A durch das Luftdruckrohr Ld. Den
Druck in demselben zeigt der Mamometer M an. Der Luft-
strom tritt durch den Lufthahn Lh und das Luftzuflussrohr Lz
in den XJnterbrechungsapparat U.
Der Blas- und XJnterbrechungsapparat besteht aus einem
Schieberhahne Sh, welcher in einer Luftkapsel hin und her be-
weglich ist In der einen Kreuzstellung deckt er die Aus-
strömöffnung a. Dann hat die Luft den Weg durch die andere
Bohre Th zur Luftröhre des Thieres frei« Li der entgegen-
gesetzten Kreuzstellung des Schieberhahnes ist der Weg zum
Thiere gesperrt; die Blasluft strömt durch das Ansatzrohr ins
Freie. Der Schieberhahn wird rhythmisch hin und her bewegt
durch einen Schaukeltrog Tr, d. h. ein Blecbgefäss von der
Form eines Doppelprisma, welches durch eine Scheidewand
halbirt ist. Durch die gemeinsame Kante des Prisma läuft
eine Axe, auf welcher auch der Schieberhahn sitzt. Der
Schaukeltrog liegt in der einen Buhestellung auf seitlicher
Schlagseite. Dann steht das eine Hohlprisma unter dem Ein-
flusshahne £.
Durch diesen kann aus dem Abflussrohre aB Wasser in
die eine Troghälfte fliessen. Wenn diese etwa zu Vi gefüllt
ist, gewinnt sie das Uebergewicht über das leere Prisma, fällt
zur Seite bis auf seine Aufschlagleiste, dreht somit die Schieber-
hahnaxe; damit wird die gleichzeitige Luftöfihung geschlossen.
Sogleich wird das Wasser aus diesem Hohlprisma in den Aus-
guss Qt entleert. Während dessen wird aber das andere unter
den Einflusshahn gehobene Hohlprisma gefüllt, gewinnt seiner-
seits das TJebergewicht und holt den Schieberhahn auf die erste
Luftöfihung zurück. Die Häufigkeit der Luffcunterbrechung
hängt dennoch von der Grösse des Wassereinflusses ab, kann
also durch den Hahn E regulirt werden.
Ausserdem kann aber auch das Yerhältniss der Bespirations-
zeit zur Exspirationszeit yariirt werden durch ein Schiebe-
gewicht an einem graduirten Wagbalken, der gleich£EtUs an den
Hoinhaatkrümmang bei erhöhtem intraocalaren Druck. 15
Schankeltrog — Schieberhahnaxe — befestigt ist. Giebt man
dem Exspirationsprisma das Uebeigewicht, so wird dies Geföss
mit wenig Wasser schon nmkippen. Das andere Prisma braucht
dagegen umsomehr Wasser, um das Uebergewicht zu erlangen,
d. h. also längere Zeit zur Füllung.
Derart kann das Yerhältniss der Bespirationsphasen ebenso
wie die Frequenz der Bespiration beliebig verändert werden.
Der Apparat fungirt so lange völlig gleichmässig, wie der
Wassenibiick (annähernd) gleich bleibt.
Das Einbinden einer Kanüle in die Yene hatte das Gute,
dass ich leicht, ohne das Thier bewegen zu müssen, eine zweite
Gabe von Curare der ersten folgen lassen konnte, im Falle die
Wirkung der ersten nachliess. Auf diese Weise war ich gegen
alles geschützt und vollständig unabhängig von der Dauer des
Versuchs.
Zur Erhöhung des intraocularen Druckes benutzte ich das
durch die Arbeit von Hoeltzke und Graser (Hoeltzke's
Arbeit ist im Archiv für Ophthalmologie Bd. XXIX unter dem
Titel: „Experimentelle Untersuchungen über den Druck in der
Augenkammer" und Graser*s Arbeit im Archiv für experimen-
telle Pathologie und Pharmakologie Bd. XYII, Heft 5 unter
dem Titel: „Manometrische Untersuchungen über den intra-
ocularen Druck und dessen Beeinflussung durch Atropin und
Eserin") und durch die exacte und ausführliche Arbeit von
Fr. Stocker über „den Einfluss der Mydriatica und Mjotica etc."
genügend bekannte Doppelmanometer. Der eine Schenkel desselben
war verbunden mit einem kurzen, sehr dickwandigen Eautschuk-
schlauch, um so iede Nachgiebigkeit der Wandung bei stark
erhöhtem Druck auszuschliessen. Dieser Eautschukschlauch
war in Verbindung gebracht mit einer Kanüle, wie sie Schulten
in seiner Arbeit: „Experimentelle Untersuchungen über die
Circulationsverhältnisse des Auges*)**, benutzte und auch aus-
führlich beschreibt (Eine Abbildung findet sich in Graefe*s
Archiv f. Ophth. Bd. XXX. Abtb. lU, Tafel I). Der ganze
Apparat wurde mit phyiologischer Kochsalzlösung gefüllt
Zum Ablesen der Yeränderungen der Hornhautkrümmung
verwandte ich das bekannte Ophthalmometer von Javal und
Schiötz.
T. Graefe's Archiv f. Ophth. XXX. lU und lY.
16 W' Eissen.
Zur Beleuclitung benutzte ich Tageslicht, welches mir
YoUständig genügte.
Waren so alle Vorbereitungen zum eigentlichen Versudie
genau getroffen, so wurde das Thier auf den Bauch gelegt und
der Kopf in einer möglichst natürlichen Lage befestigt Jetzt
wurde das Ophthalmometer auf- und eingestellt und zur ersten
Ablesung geschritten.
Einschalten will ich noch, dass ich hier gleich auf eine
kleine Unannehmlichkeit stiess, welche das Curarisiren mit
sich brachte. Ich meine nämlich die Vertrocknung der Horn-
haut, welche sich bald, da durch das Curare der Lidschlag
unmöglich gemacht war, einstellte, und zwar schon in der
allerkürzesten Zeit. (Bruchtheil einer Minute). Ein Ablesen
war so schlechterdings unmöglich, indem durch die zerotischen
Veränderungen der Hornhaut ihre Beflexbilder sofort ganz ver-
zerrt wurden. Wie Schelske, der über diesen Punkt keine
Angaben macht, an todten Augen überhaupt Beflexe bekam,
die eine irgendwie ordentliche Einstellung und Ablesung er-
laubten, ist mir nicht recht verständlich.
Als ich einmal auf diesen Uebelstand aufmerksam ge*
worden war, war es leicht, denselben durch eine kleine Vor-
richtung zum Irrigiren auszuschalten. Aber auch bei der Irri-
gation mit Wasser von Zimmertemperatur, wie ich sie zuerst
versuchte, machte ich schlechte Erfahrungen. Der Ciliarmuskel
gerieth durch den Beiz des kalten Wassers dermassen in krampf-
artige Contractionen, die ziemlich langsam nachliessen, dass
von exactem Ablesen nicht die Bede sein konnte, Durch An-
wendung von lauwarmem Wasser Hessen sich diese kleinen
Missstände dauernd beseitigen.
Kehren wir jetzt zur Ablesung zurück, so wurden genau
notirt die Lage des Meridians schwächster Krümmung, der
Astigmatismus in Dioptrien und die Grösse der Badien schwäch-
ster und stärkster Krümmung. Diese Ablesung musste dess-
halb besonders genau genommen werden, da sie als Contrtle
dienen musste bei der ersten Ablesung nach Einführung der
Kanüle. War dies alles zur Zufriedenheit erledigt, so wurde
zur Aufstellung des Doppelmanometers geschritten. Nachdem
er vollständig waagerecht gestellt war, wurde der Quecksilber-
stand in den beiden äusseren Schenkeln, welcher natürlich
gleich hoch sein musste, abgelesen und auch notirt Jetzt war
alles zur Einführung der Kanüle bereit. Dieselbe wurde mit
HorDhaatkr&mmaDg bei erhöhtem intraocülaren Drack. 17
drei Fiogem gefasst, das Auge mit einer Pincette duroh die
andere Hand leicht fixirt und nun. in den Glaskörper ein-
gestossen. Zuweilen zeigte sich jetzt, dass das Auge leicht
rotirt war. Das Hess sich aber ohne Schwierigkeit durch
Fixation des Caoutschukschlauches corrigiren.
Da der Druck im Auge ein höherer als im Doppel-
manometer war, 80 fiel das Quecksilber in dem mit dem Auge
verbundenen Schenkel und stieg natürlich im entgegengesetzten.
Durch die Compensationsschraube erhöhte man den Druck soweit,
bis das Quecksilber in dem dem Auge zugewandten Schenkel
die gleiche Höhe wie vor der Einführung der Kanüle hatte.
Den wirklichen Druck im Auge konnte man jetzt ein&ch im
abgewandten Schenkel ablesen.
Wurde jetzt das Ophthalmometer eingestellt und stimmte
die jetzige Ablesung mit der vor der Einstossung der Canüle
gefundenen in jeder Hinsicht überein, so war das Experiment
bis dahin vollständig gelungen.
Es wurde jetzt der Druck von 5 zu 5 Minuten um 10 mm
Quecksilber gesteigert und abgelesen. Bei jeder Ablesung
wurde notirt:
1. Zeit;
2. Stand des Quecksilbers im abgewandten und in dem
mit dem Auge verbundenen Schenkel :
3. Axe des Meridians schwächster Krümmung, die dem
grossen Badius entsprechend, einfach als „grosse
Axe" bezeichnet wird;
4. Grösse des Krümmungsradius des Meridians schwäch-
ster Krümmung, der Kürze halber ,^os8er Badius^* (B)
genannt;
5. Astigmatismus in Dioptrien;
6. Grösse des Badius stärkster Krümmung, „kleiner
Badius*' (r) genannt.
ZumSchluss will ich noch bemerken, dass ich zum exacten
Versuche unbedingt die Beobachtung von Pulsschwankungen
im Manometer rechne.
Zu den Versuchen selbst übergehend, will ich aus
denselben zehn herausgreifen und anführen, solche, die
volle Garantie für ihre technische Correctheit darbieten.
Es ist selbstverständlich, dass bei derartigen Untersuchungen
eine grosse Beihe Versuchstiere und Versuchstage ge-
T. Gnef«*i ArehiT fllr OphthAlmolofia, XZXTV. S. 2
18
W. Eissen.
opfert werden müssen, bis alle technischen Schwierigkeiten
überwanden sind, bis das Experiment fehlerfrei wird.
Um die üebersicht zu erleichtem, soll neben der
tabellarischen Mittheilung der Resultate bei jedem Versoch
das Verhalten der beiden Meridiane, ausgedrückt durch R
und r, und des Astigmatismus, sowie der Drehungswinkel
von R, resp. der grossen Axe graphisch dargestellt werden.
Die Versuche führten keineswegs zu einem einheitlichen
Resultate, auch findet sich kein gut charakteristisches
Princip, um dieselben in eng zusammengehörige Gruppen
zu ordnen. Es verhielt sich nicht ein Auge dem erhöhten
intraocularen Drucke (+T) gegenüber genau so wie ein
zweites. Sogar bei ein und demselben Thier reagiren die
beiden Hornhäute vollständig verschieden.
Ich beginne mit zwei Versuchen, die sich vor den
andern dadurch auszeichnen, dass sie an demselben Thiere
unternommen wurden und daher auch Vergleiche der Vo
änderungen der beiden Hornhäute gestatten. Es sind das
Versuch XXIV.
TabeUe 1.
Zeit
4.45
4.50
4.55
5.—
6. 5
5.10
5.15
5.20
5.25
5.30
5.35
5.40
5.45
Druck
'S
• ^ M
g « «
M
I
o
Qrad
s
25
0
25
-80
7,167
35
2)ö
32^
— 80
7,167
45
6
39
-75
7,125
55
9
46
72
7,125
65
12
53
70
7,126
75
m
m
63
7,125
85
18
67"
-60
7,125
95
213^
m
-57
7,25
105
24^
m,.
51
7,292
115
2b
87*
-45
7,292
125
32
93
30
7,208
135
3^
m
-27
7/08
145
ml
loejti
— 27
7.208
•2 5
1.25
1,25
1,0
1,0
0,75
0,5
0,25
1,25
1,25
0,76
0,75
0,5
.3
6,958
6,958
6.968
6,958
7,0
7,041
7,083
7,083
7,083
7,063
7,083
7,083
7,125
HoruHaatkrOnunoiig bei eihtthtem intraDCularai Druck. 19
leider die einzigen Experimente dieser Art, da ich dniclt
verschiedene ümst&nde, wie Belencblnng, Zeitmangel etc.
SD einem Tage an der Benotzong beider Augen des Thierea
verhindert wurde.
Tabelle 1 giebt daa Besultat, das am rechten Auge
(0. d.) dieses Kaninchens gewonnen wurde.
Bei einer normalen Spannnng (T. n.) von 25 Hg. mm,
betragt R (Fig. 1) 7,167 mm. Schon bei 39 Hg. mm ver-
Kg. 1.
ändert sich B, sinkt auf 7,125, am bis zu 67,0 Hg. mm auf
diesem Stand zu beharren; nun aber wächst R rasch, bei
73,6 Hg. mm auf 7,25, bei 80,5 H. gmm auf 7,292, um aber
bei 93 Hg. mm auf 7,208 nun znrQckzugehen und so bis
an's Ende des YersncheB zu bleiben.
r zeigt ein anderes Verhalten, r verkorzt sich nicht,
auch nicht einmal vorabergehend. r bleibt stabil bis zu
46 Hg. mm, 6,958 mm lang, dehnt sich von hier bis zu
67 Hg. mm stetig auf 7,083 mm, bleibt abermals stationär
bis 99,ö Hg. mm, um bei der letzten Dracksteigerung auf
20 W. EiueiL
106,5 mm noobmals sich za dehnen, zn 7,1% mtn.
Während R also nach vorabergeheoder Verkflrznng tmd
stärkerer Dehnnng eine definitive VerUngernng von
0,041 mm erlitten hatte, zeichnete sich r ans doich ein
Wachsen von 0,167 mm, ohne je eine absteigende lUchtni^
dei Gurve erfohren za haben.
Die Abstände der R uaA t reprflsentirenden Corren
geben die jewei%e QrQsse des Comealaatigmatismas (A).
Sechs Dioptrien Astigmatismas entsprechen 1 mm,
1 D. 0,166 mm oQd 0,25 D. (V)41 mm Radios Differens.
Flg. a.
Als Einheit der Ordinatenabstände wmrde ftlr die Astig-
matiscarven 0,25 D. gewählt, entsprechend als Einheit der
Ordinatenabstande Ai die Radiencarven 0,041 mm, welche
QriJsse der Eorze halber mit Q bezeiobDet werden solL
Der Hornhantastigmatismns (Fig 2), welcher in diesem
erst mitgetbeilten Versache XXI7 bei T. n. 1,25 D. be-
tr^en hatte, ist am Ende des Versnchs anf 0,5 D. zurtlck-
gegangen. Nach einem primären Zurückgehen aof 0,^ D.
hei 67,0 Hg. mm, nahm er bei weiterer Dmcksteigemng
aof 80,5 Hg. mm, wieder bis 1,25 D. zo, ohne aber diese
AosgangsgrOsse zn Qhersteigen; von 87 Hg. mm bis zum
Sohlnss geht er wieder zttrfick.
Von grOsstem Interesse nnd fSr sämn tliche Versuche
Hornliaiitkrflinmimg bei erhöhtem intraocularen Drack. 21
das gemeinsamste Merkmal ist die gleichsinnige Ver-
schiebung der Sichtung des grOssten Meridians. Der
schwächst gekrfimmte Meridian lag für T. n. bei — 80^
(Fig. 3), um sich bei zunehmender Spannung allm&hlich
— 10«
-f fO*
Fig. 3.
und stetig nach — 27^ zu yerschieben. Der grOsste
Meridian hat also eine Drehung von 53^ erlitten in
der Sichtung yon der Horizontalen zur Verticalen.
(L- M. D. = 53^). Der anfänglich normale Astigmatismus
ist übergegangen in einen perversen; die mittlere Sichtung
von — 45^ coinddirte mit einem Druck von 87 Hg« mm.
Versuch XXIII.
Tabelle 2.
Zeit
3.ao
3.35
3.40
3.45
3.50
3.55
4.—
4.5
4.10
4.15
4i20
4.25
4.30
4.85
Druck
a
'S
25
35
45
55
65
75
85
95
105
115
125
135
145
155
o o
0
3
28
3^
41
45
48»
25
32
3^
46
77
82!^
B7i
94
100
10^
Grad
-65
— 65
— 65
— 60
— 57
-57
— 52
— 52
— 52
-50
— 45
— 40
-30
— 20
9
7,208
7,208
7,208
7,167
7,167
7,167
7,208
7,208
7,208
7,208
7,208
7,25
7,292
7,292
la
1,0
1,0
1,75
1,7B
1,6
^
1,25
14»
1.0
0,75
0,5
0,75
0,76
0.76
3
'S
7,042
7,042
6,917
6,875
6,917
6,958
7,0
7,0
7,042
7,083
7,125
7,125
7,167
7,167
Das Imke At^e (o. s.) desselbeo KaaiDCheos zeigt
g^enüber der + T ein ganz andeiee Verbalten ala das
rechte At^e.
T. D. betrl^ wie in o. d. 25 mm.
R. 0. s. (Fig. 4), 7,208 mm lang, am 0,041 mm oder
1 Q lllDger als B e. d. hält der + T. etwas l&nger Stand
als zoTOr; er verkflrzt sich erst bei 46 Hg. mm aber ebea-
fidls mn 0,041 mm, bleibt nnn steben bei 69 Hg. mm, am
Elg. 4.
bei 65,5 Hg. mm seine erste Lftnge zu gewinnen, diesdbe
weiter zu behaupten bis 87,5 Hg. mm und von da an noch
am 2 Q znzonebmen.
R 0. s. schwankt in nabezn denselben Grenzen wie
R o. d., unterscheidet sich aber von diesem wesentlich
dadurch, dass er nach einer primftren geringen VerbQrznug
sich nur noch Tergrfissert and nicht wie B o. d. ein
zweites Mal sich verktlrzt.
T 0. 6. von Anfong um 2 Q langer als r o. d., verh<
sich der + T. gegentlber ganz anders als r o. d. W&brend
Homhantkittniiiiiing' bei erhOhum intraocnlaren Druck. 23
r 0. d., ohne eine VerkUrzang zn erleiden, sich nur Ter-
lllngert h&tte, im Ganzen um 4 Q, veijongt siiäi r o. s. erst
Tfig.b.
bei 40 Hg-tmin um 4 Q, um von da an bis Ende des Ter-
Buchs sich zu Te^Ossera und eine scbliessliche absolute
Streckung von 3 Q. zu erreichen.
Der Astigmatismus, welcher bei T. n. 1 D. betr^en
hatte, nahm bei + T. erst lebhaft zu, erreichte 1,75 D. bei
39 Hg. mm, um aber bald wieder zu schwinden, bis auf 0,5 D.
bei 87,5 D. aad schliesslich wieder auf 0^75 anzusteigen.
.^r
Fig. 6.
. +»'
U M. D. = 45°.
Der schwftchstgektQmmte Ueridian dreht sieb conse-
quent ron der Horizontalen zur Verücalen, von — 65" zu
24
W. Eissen.
—20 °. Die Mittellage von 45 ^ der üebergang vom nor-
malen in perversen Astigmatismus coincidirte hier wie in
0. d. mit demselben Dmck, mit 87,5 Hg. mm.
Da schon die beiden Angen eines nnd desselben Thieres
gegen + T. ein sehr verschiedenes Verhalten zeigten, so
darf es nicht verwundern, dass unter allen anderen Ver-
suchen kein einziger gefunden wurde, der mit einem zweiten
identisch verlaufen wäre.
Von den 8 noch zu berichtenden Versuchen soll zu-
nächst eine Gruppe von 3 ausgewählt werden, die das Ge-
meinsame haben, dass am Ende des Versuches die beiden
Hauptmeridiane die gleiche Krümmung angenommen haben.
(B=r), der Astigmatismus somit verschwunden ist (A=o),
Es sind dies die Versuche XXI, XXII und XIV.
0. 8.
Versuch XXI.
Tabelle 3.
Drack
■«1
Orad
,S
1.2
0
Zeit
h
•Ml
1^
-«•leg
.5H
1
a
8.30
8.35
8.40
8.45
8.50
8.55
9.-
9. 5
9.10
9.15
9.20
9.25
24
34
44
54
64
74
84
94
104
114
124
134
0
f
1
25
33
87
24
W^
39
46
53
66^
73
79
97
— 52
— 40
-35
-30
— 30
-30
— 30
-30
-18
— 18
— 13
— 10
7,458
7,583
7,583
7,418
7,418
7,418
7,418
7,418
7,418
7,418
7,418
7,418
1,25
1,75
1,75
0,75
0,75
0,75
0,75
0,75
0,75
0,75
0,5
0
7,26
7,292
7^892
7,292
7,292
7,292
7,292
7,^
7.292
7,292
7,333
7,418
T. n. = 24 Hg. mm.
R (Fig. 7) mit 7,458 mm beginnend, streckt sich gleich
bei 31,5 Hg. mm um 3 Q., verharrt ruhig bis 39 Hg. mm«
HornbaatkrUmmimg bei erhöhtem iatraoculftren Druck. ^
sinkt 1)ei 46 Hg. mm um 4 Q und bleibt uan bis Ende des
Verenchea (97 Hg. aun) unYerändert.
Fig. 7.
r, TOD 7,25 aoBgehend, wäobBtanch schon bei Sl^Hg.mm,
aber nnr um 1 Q, bleibt rnbig bis 84,0 Hg. mm, um von
da an noch um 3 Q znzn&ebmea and am Scblnss bei
97 Hg. mm genau die Grflsse von R, 7,417 mm zu erreichen.
Pig. 8.
Der ÄstigmatiBnias (Fig, 8), der bdm intaoten Auge
1,25 D betragen hatte, sti% entspreoheud der ungleichen
Debnong der beiden Badien schon bei 31^ mm auf 1,7&,
am von 39 bis 49 Hg. mm mn 1 D. sorOckzngeheD, aaf
diesem Nireaa eich zd halten bis 89,5 Hg. mm mid von da
an sncceBsive blB auf 0 ahznnehmen.
Fig. Ö.
U M. D. =42" (Fig. 9).
Der Meridian scbw&cbster Krommang versohiebt aicb
von — 52" zu — 10"; die Gleichgewicbtolt^e von 45' hatte
er schon bei der ersten + T. von 31^ Hg. mm QbeiBcbritten.
Versuch XXII.
0. d. TabeUe i.
Druck
i
1
3
1
1:
11
1 =
3
Zeit
1
«1
1
1
1
1
10.-
24
0
24
-60
7^
0
7,688
10. 6
84
81
-47
73S
0
7,583
10.10
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S
S
— 46
7*42
0,5
7^
10,16
64
— 46
7?K
0,75
7,417
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64
u
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-46
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0,75
7417
10.SS
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238
70S
-30
7,417
li)
7,292
10.40
1«
28
76
-17
7,417
0,75
7,292
10.46
114
828
81«
-12
7,417
0,5
7333
10.50
121
m
88
- 7
7417
0^
7,376
10^
134
m
94g
— 2
?,417
V
7517
Dieser Versuch zeichnet sich dnreh die vollkommene
Wolbnng, dnrch den mangelnden Astigmatismns der nor-
malen Hombaat ans:
HomhantkrttmmnDg bei erhöhtem intraocularen Druck. 27
T. n. = 24 Hg. mm.
E (Fig. 10) verkürzt sich bei 38^ Hg. mm um 1 Q,
bleibt stationär bis 58 Ug. mm, verkOrzt Bieh boq enocesBire
am weitere 3 Q and behauptet diese Länge bis zom ßnde
(94,5 Hg. mm).
Fig. 10.
r ansgangs genaa gleich gross, wie R, verkürzt sich
aoch bei 38,5 Hg. mm, aber rascher als B, am 3 Q, bei
45^ Hg. mm um ein weiteres Q, bleibt bis 52 Hg. mm, ver-
kOrzt sich aber wieder nm 3 Q, bis zn 64 Hg. mm, um von
da hinweg bis Ende des Versnches gleicbmässig sich za
veriaagera und schliesslich, wie im Anfang, wieder mit B
sich za dacken.
28
W. EisBen.
Die Cnive von A (Fig. 11), geht aus yon 0 und endet
mit 0, dnichlaoft dazwischen eine Linie mit etwas nnregel-
mässiger Hebung und gradliniger Senkung.
38.5-52-7ty«V.
— 90*.
+ •<>•
Eig. 12.
L M. D. = 48« (Fig. 12).
Der schw&cbstgekrümmte Meridian verschiebt sich von
— 50® zu — 2^ die Neutrale von —45® bei 38,5 Hg. mm
erreichend und bis zu 52 Hg. mm festhaltend.
0. B.
Versuch XIV.
Tabelle 5.
Druck
s
<
Grad
m
0
o
■|.3
s
Zeit
.11
.Sh
1
»4
1
9.35
9.40
9.45
9.50
9.55
10.-
10.5
10.10
10.15
10.20
10.25
10.30
10.35
10.40
25
35
45
65
65
75
85
95
105
115
125
135
145
155
0
4
12
16
20
^
30
34
38
25
31
53
59
65
71!^
78
85
91
97
110
-63
-68
-68
-66
-66
-66
-66
-60
-60
-45
-38
-25
-15
-10
7,082
7,082
7,082
7,082
7^
7,292
7,292
7,292
7,292
7,292
1»
7,25
7,25
7,25
0,25
0^
0,25
0,^
2,5
2,75
2,76
2,25
2,26
0,75
0,5
7,041
7,041
7,041
7,041
6,833
6,833
6,833
6,917
6>17
6917
7125
7167
7208
73»
1. X =2^nr.
K7^
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■ llO He
.miLi b:^ mdit Bükr zs is3«ra.
¥ig. 13.
r, nm 1 Q kleiner als R, verharrt auf seiner Aus-
gangsgrOsse gleich hng wie R« bis 46 Hg. mm, yerkürtt
sich bei 53 Hg. mm ganz rapid um 5 Q, bleibt stationftr bis
66 Hg. mm, dehnt sich bis 71,5 Hg. mm um 2 Q, verharrt
so bis 85 Hg. mm, um bei der folgenden Druckiunahme von
6 Hg. mm ebenso rapid sich zu verl&ngem um 5 Q, wie es
sich verjüngt hatte beim Steigen des Hg von 46 auf 53 mm.
In regelmässigem langsamen Tempo wächst r noch bis zum
Schlnss (110 Hg. mm) um hier mit B gleichwerthig zu sein.
Der Astigmatismus (Fig. 14), der bei T. n. blos 0,25 D.
betragen und bis zu 46 Hg. mm sich nicht verändert hatte,
wächst beim üebergang zu 53 Hg. mm Dank der acuten
Dehnang von R und gleichzeitigen Sohrampfang von r ganz
plötzlich Hin volle 2,25 D, bei 59 Hg. mm nm weitere 0^ D,
am bei der noch folgenden Zunahme der SpaDnang bis
110 Hg. mm abzunehmen bis zn 0, eioer Cnrre folgend, die
fast daa nmgekehite Verhalten von r zeigt.
Fig. 15.
L M. D. = 58". (Fig. 15).
Der Meridian schw&chster Kiflmmung dreht sich von
— 68" zu — 10", die Neutrale in — 45° bei 85 Hg. mm
erreichend.
Eine weitere Grappe von 3 Versuchen (XXXVIII, XIX,
XXV) bat eine uoch weniger innige Verwandtschaft unter
HnrihitkriwiiiBg M erMkteB utnocttlar» Draek. 31
seineii Componenten, als die TOiige; sie zeichnet sich we-
sentlich dunk ihre einfiichai, wenig gebrochenai Corven
▼OD B und r ans.
Versnch XXXVIU.
o. 8. Tabelle 6.
Drnd:
Zeit
•3 2 "O o"© ,
^J : e 2 ^
.S
M
O
O
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i
a a
s *
1 «
6
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335
340
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350
3.55
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45
410
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34
44
54
64
74
84
94
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114
134
134
144
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35K
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68'
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UO
95y,
+ 75
+ 70
+ 70
+ 60
+ 55
+ 56
+ 55
+ 50
+ 50
+ 50
+ 50
+ 45
+ 40
7.583
7.5
7,417
7,417
7.417
7,417
7,458
7,583
7,625
7,666
7,666
7,666
7,666
1J5
1,25
a75
a75
1,0
1,5
2,25
3,^
3,5
3,25
3,0
2,75
2,75
7,292
7^2
7,292
7,292
7,25
7,167
7,0t<3
7,042
7,042
7,125
7,167
7,208
7,208
Versuch XXXVni bat mit dem zweiterwähnten Versuch
XXin das Gemeinsame, dass B sowohl als r sich erst ver-
kürzen und nachher verlängern, allerdings in verschiedenem
Masse und bei andern Tensionen, so dass die Astigmatis-
mus-Curve eine ganz andere wird.
T. n. = 24 Hg. mm.
B (Fig. 16) beginnt sofort mit Verkürzung, bei 31 Hgmm
um 2 Q, bei 37,5 Hg. mm um weitere 2 Q, bleibt jetzt con-
stant bis 56 Hg. mm, verlängert sich von da stetig bis zu
78,5 Hg. mm, um 6 Q, und bleibt nun bis zum Schlüsse
(95,5 Hg. mm) ruhig.
r hält der +- T. gegenüber länger Stand als B, bis zu
44 Hg. mm, zieht sich von da an bis zu 68 Hg. mm um 6 Q
stetig zusammen, bleibt nun constant bis 73 Hg. mm, dehnt
sich jetzt aber allmählich bis 90 Hg. mm um 4 Q, in dieser
Grösse bis zu Ende (95,5 Hg. mm) verharrend.
(0 w w w w
Fig. 17 (Coire Ton A).
Hornhaatkr&mmaiig bei erhöhtem intraocularen Druck 33
Der Astigmatismus (Fig. 17), anfänglich 1,75 D, schwin-
det bis 37,5 Hg. mm nm 1 D, bleibt so bis 44 Hg. mm, wachst
nun stetig bis 73 Hg. mm auf 3,5 D, geht bis 90 Hg. mm
auf 2,75 D zurück, sich bei 95,5 Hg. mm nicht mehr ftndemd.
•90Xf^
Fig. la
+ to*
L M. D. = 35<> (Fig. 18.)
Der Meridian schwächster Krümmung dreht sich von
75 zu 4-40.
0. s.
Versuch XIX.
Tabelle 7.
Dnick
Grad
.3
;3-S
3
Zeit
0
all
fl8
.Se-i
e
1
3.5
3.10
3.15
3.20
BSb
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3.40
3.45
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4.-
25
35
45
55
65
75
85
95
105
115
125
135
0
s»
13
25
32
36
ff
25
36
S"
60
^^
73
79
— 90
— 90
-90
— 85
-85
-83
-83
— 80
— 76
— 76
-75
-75
7,333
7,417
7,542
7,5
7,333
7,333
7,383
7,333
7,292
7,292
7,292
7,292
0
1,5
1^
0,76
0,75
1,B
1,6
1,26
1.26
1^
0,5
7,333
7,333
7,292
7,292
7,208
7^
7,083
7,083
7,083
7,088
7,083
7,206
Während r, wie in XX VIII, erst sich verkürzt und
nachher verlängert, zeigt B das umgekehrte Verhalten. Qua-
▼. GrMfe's ArchiT fUr Ophthalmologie, ZXZTV. 1.
litativ Ter&ndeni sich die beiden Badien wie in XIV, aber
das QoantitatJTe und Zeitliehe und damt die Catrenbild
ist an seht Terstdüedenes.
T. n. = 25 Hg. mm.
B (Fig. 19), 7,333 mm lang, streckt sich sofort nm 5 Q,
bis 36 Hg. mm, um rasch wieder aof seine Aosgang^iOsse
zorOokzakehieii, bei 47,5 Hg. mm, dieselbe zn bewahren bis
66,5 Hg. mm, und bei 73 Hg. mm imi 1 Q nnter dieselbe so
kommen nnd in diesem leioht verkflrzten Zustande bis mm
Ende (92 Hg. nmi) zn verbarren.
Fig. 19.
r glfflch lang wie R, 7,333 mm, zieht sich bei 36,5 Hg. mm
beginnend, sprungweise zusammen am 6 Q, bis zu einem
Drucke von 60 Hg. mm, behält seine gewonnene L&nge von
7,08 bis 85,5 Hg. mm, um bei der letzten Hebung des Hg
EUif 92 mm 3 Q sich wieder tuzusetzen.
loh vermutbe, dass bei weiterer Dmcksteigernng eine
weitere Dehnung zn Stande gekommen und r wieder gleich
B geworden w&re. Wir h&tten dadurch die Parallele mit
HoiitluMitkrammiuig bd wUhtam iutnocnlaren Drnok. 35
XIV veiter au^eftüirt bekommen. Wahrend in XIV die
Differenz von B und r bei T. n. bloss 1 Q betragen IiAtte,
ist sie hier gleich 0 nnd bei einer T. von 91 lesp. 92 Hg. mm
betrSgt Bie in XIT 3 Q, in XIX 2 Q; die Differenz dieser
Differenzen ist hier gleich der bei T. n., gleich 1 Q.
Fig. 20 (Curre von A).
Der Astigmatismus (Fig. 20), anüEUigs 0 wie in XXH,
steigt bei 36 Hg. mm aof 1^ D, ftllt nach einer Sohwankaog
von 0,75 D am Sohlnse auf 0,5 D and wftre Toraossiohtlich
Fiff. 21.
bei weiterer Dmckrermehranf anf 0 zorackgegangen, womit
auäi eine nahe Beziehong mit TTCn prftgnant hervorgetreten
wftre. Der Astigmatismns ist stete normal geblieben.
L. M. D. = 15» (Fig. 21).
36
W. Elssen.
Der Meridian schw&chster Erttmmiuig dehnt sich von
— 90^zn —75^
0. d.
Versuch XXV.
Tabelle a
Zeit
a-
a5
aio
ai5
8.20
a25
3.30
3.35
a4o
3.46
3.50
3.55
4i—
4.5
Dmck
— IS
H
^1
1
0
f
17
24
27
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34
37)i
41
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'S
S
o
Orad
o
M
o
— 75
-75
— 70
— eo
-45
+ 45
+ 40
+ 30
+ 10
— 15
— 25
— 30
-35
— 35
7,25
7fi6
7,208
7,208
7,208
7,208
7,25
7.25
7,25
7,25
7,292
7,333
7,333
7,333
1,0
1,0
0,75
0,75
0
0.5
0,25
0,25
0,5
0,75
0,5
0,5
0,5
0,75
«*
s
7,083
7,088
7,083
7,063
7,206
7,292
7,292
7,292
7,388
7,376
7,875
7,417
7,417
7,458
Versuch XXV steht in lockerem Znsammenhang mit
einer überhaupt wenig eng geschlossenen Gruppe. Sein B
yerhält sich principiell wie B in XXXVHT, seine Cunre
sinkt erst und hebt sich dann. Sein r geht wie in XXI
nur eine Verlängerung ein.
Ganz für sich steht der Versuch da mit Bezug auf
das gegenseitige Verhalten von B und r zueinander. Die-
selben coincidiren bei 51,5 Hg. mm, um nach Ende und An*
fang zu divergiren.
Der Versach steht femer ganz einzig da mit Bezug
auf die Bichtungsändemng des schwachstgekrümmten Meri-
dians, der auf einmal von -^45° nach H-45^ überspringt,
so dass ganz eigentlich B und r ihre Bollen gegenseitig
tauschen.
B, 7,25 lang, contrahirt sich bei 38,5 Hg. mm um 1 Q,
Hornhwitkrflmmnng bei erhSliUm intrucDlueD Dntck. 37
bleibt rnbig bis 51^ Hg. mm, Terllli^ert sich am 2 Q bei
57,5 Hg. nun, bleibt wieder stehen bis 70,5 Hg. mm, mn von
da bia zom Schlnss mit zwei kleinen Rnhepansen am weitere
4 Q sich zn dehnen.
Fig. 2i
r, von 7,083 omi L&Dge ansehend, trotzt der + T.
bis 45 Hg. mm, setzt sich bei 51,5 Hg. 3 Q zu, die GrOsse
von B erreichend. Bei 57,5 Hg. mm noch gleich gross,
springt r von +45** nach — 45o hinüber nnd dehnt sich
bis zom Ende (110,5 Hg. mm) um weitere 3 Q, ohne je
Torabergehend sich zu contrahiren.
Der Astigmatismas, (Fig. 23) normaliter 1 D, schwin-
det anfiuigs bis 0 bei 51,5 Hg. mm, um nachtr&glich wieder
za wachsen und nach zweimaliger vorObergebender Ver-
njindemng mit 0,75 D abznecliliesBen.
Eigenartige Waadlongen erleidet die Richtnng der
beiden Hauptmeridiane; der schwachstgekrOmmte, von — 75°
ausgehend, schiebt sich bei der Steigerung des Hg ron 32
auf 51^ mm allmählich auf — 45" and setzt bei 57,5 Hg. mm
plötzlich Ober auf + 45", wandert nun bei weiterem Ste^n
des Hg anf 77,5 mm allm&blich gegen die Verticale bis zu
+ 10", folgt dieser Bichtungswandemng von rechts nach
links nach dem linken oberen Quadranten und langt, stetig
fortschreitend, auf — 35" an bei 103,5 Hg. mm, um dieser
Stellung auch noch bei 110,5 Hg. mm treu zu bleiben.
s3C}A
— •« +w>
Fig. 24.
Es ist dies der einzige Versuch, in dem die Haupt-
meridiane die Verticale überschreiten und dies gerade zwei-
mal; der BohwAchstgekrtlmmte Meridian geht in einem Stock
von — 45 0 zu + 450 und von da langsam zorOck za — 35".
Es ist dies auch der einzige Versuch, wo derselbe Meri-
dian, wenn auch nur relativ, von der Verticalen sich ent-
fernt.
|_ U. D. betrogt, wenn wir seine Tollst&ndige Abrollung
nnd theilweise Wiederaufrollung in Bechnung bringen, 20Ui).
Die noch folgenden 2 Versuche XX und XXXH haben
keine wesentlichen Eennzeicben gemeinschaftlich. Versach
XX zeichnet sich durch seine mehrfach gebrochene Cnrve
von r. Versuch XXXVI durch die ebenso vielfooh gebrochene
Curve von B aus.
HoTnhatitktfliiimnng bei «rhShteio intraocnluen Druck.
VersQoh XX.
Tabelle 9.
Dmck
i
1
Zeit
■- 1
|1|
.9 h
i
4i»
26
0
25
— 75
iS5
35
8«
318
-75
130
46
7
38
-TB
435
56
11«
«8
-75
4.10
65
15
50
-72
4.45
75
198
568
— 70
4.50
85
M
Gl
-6B
4.56
96
US«
«68
— 65
6.—
106
M
71
-66
5.5
116
m
7G8
— 62
5J0
125
Sr
ffi^
— 60
5.15
186
47
H8
-60
5.30
145
618
938
— 60
6.26
166
61
101
-66
75
7,6
1,0
75
7,636
2,25
76
7666
2,6
75
7,666
1^
72
7,666
1,6
70
7.626
1,76
65
7,5
1,6
65
7,458
1,26
66
7.458
1,20
62
7,458
1^
60
7,417
0,76
60
7.417
0,76
60
7,417
075
66
7,375
0,5
T. n. = 25 Hg. mm.
K (Fig. 25) UTBprangUcli 7^ mm lang,
der +T. naoligebend, erst einen Zuwachs
38 Hg. mm, bebtUt denselben bis 50 Hg. mn
7,25
7,26
7,417
7,417
erhftlt, gleich
TOD 4 Q bei
1, nimmt ntm
40 W. Bissen.
stetig ab, erst rascher, Bpätei langsamer nnd mit Unter-
brechnng um 7 Q, verliert also von seiner An&ngsgiQsse 3 Q.
r, 7.333 mm lang, verändert sieh gleich bei der ersten
+ T-, aber in entgegengesetztem Sinne wie R, er verkOrzt
Fig. 36 (Cnrre von A).
sich bei 31,6 Hg. mm um 2 Q, verharrt so bis 38 Hg. mm,
nimmt nmi bei 43,5 Hg. mm plötzlich mn 4 Q zu, nm rasch
sich wieder zusammenzuziehen, sowie das Hg hoher geht als
50 mm, um 4 Q bis 61 Hg. mm, in dieser Lage verharrend
Fig 27.
bis 76,0 Hg. mm, dehnt r sich noch nm 1 Q bei 82 Hgmm,
am bis zam Schluss (101 Hg. mm) constant zu bleiben.
Der Astigmatismus (Fig. 26) hebt mit 1 D an, steigt
schon bei 38 Hg. mm auf sein Uazimom von 2,5 D, um bis
zu Ende, unterbrochen von einer kleinen Schwankung naoh
oben und mehreren Bohepauaen, auf 0,5 B zurQckzagehen.
Hornhantkrammung bei erhöhtem intraocularen Druck. 4I
L M. D. « 200 (Fig. 27).
Der schw&chstgekrtlmmte Meridian yerschiebt sich von
— 750 zn — 550.
0. 8.
Versuch XXXVI.
TabeUe 10.
Zeit
Drack
« o
tjBOQ
BM
ifM
'2 0
g 0 0
'■2.2
.Sh
»4
«
o
s
Grad
9
o
s
1-2
hl
o
n
4.25
4.30
4.35
4.40
4.45
4.50
4.55
5.—
5.5
5.10
5J15
5.20
5.25
5.30
24
34
44
54
64
74
84
94
104
114
124
134
144
154
0-
8
12
16
23
27
31
38
42
45
24
31!^
39
46
52
58
^
77
83
89i^
96
102
109
45
45
45
45
40
37
37
37
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7583
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7,666
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7,583
7.583
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2,5
2,5
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4,25
5,5
5,0
4,0
3,5
3,25
3,0
7,25
7,25
7,25
7,167
7,125
7,042
6,958
6,958
6,833
6,833
6,917
7,0
7,042
7.083
Dieser Versuch zeichnet sich ausser durch das Ver-
halten seiner B-Curve aus durch das Maximum des acqui-
rirten Astigmatismus. ^
B (Fig. 28), ursprünglich 7,417 mm lang, gibt sofort
nach, dehnt sich bei 39 Hg. mm schon um 4 Q, bleibt ruhig
bis 46 Hg. mm, verjüngt sich um 2 Q bis 58 Hg. mm, bleibt
wieder ruhig bis 69,5 Hg. mm, streckt sich nun acut um 6 Q
bei 77 Hg. mm, schrumpft wieder um 4 Q bis zu 89,5 Hg. mm
und yerharrt nun in dieser Grösse bis zum Enddruck von
109 Hg. mm.
r, 7,25 mm lang, bleibt unverändert bis 39 Hg. mm,
contrahirt sich nun aber mit Ausnahme eines kurzen Mo-
mentes des Stationärbleibens unaufhaltsam und intensiv,
am 10 Q bis 77 Bg. mm, bei welchem Drncke B seine
^Osste Lftnge von 7,75 mm erreicht hatte. N&ch kurz
Fig. 28.
dauerndem NiTesohalten veiläDgert sieb r Ton da an stetig
bis zum Ende otn 6 Q.
Der Astigmatismus (Fig. 29) der norimüeD Cornea yon
1 D nimmt mit dem einzigen StUlstand (39 — 16 Hg. mm)
coQstant zu und erreicht bei 77 Bg.mm den Hflheponkt
Toa 5 D, am von hier bis zam Ansgang des Yersnchs
constant zorflckzngehen bis auf 3 D.
Hornhftntkrflmmniig bei rahObtem intraocoUren DracL 43
|_ M. D. (Fig. 30) « 15".
Der Bchw&cbBtgetrammte Meridian dreht sich von — 45"
h —30".
Fig. 29 (CuTTO Ton A).
Veigleichen wii oan die 10 angefahrten Versuche be-
zQglich der nns interessirenden Pnnkte.
44 W. Eissen.
1. Der normale intraoculare Druck.
Die physiologische Spannung bebrug:
in 4 Augen 24 Hg. mm
in 5 Augen 25 Hg. mm
in 1 Auge 24,5 Hg. mm
durchschnittlich also 24,5 Hg. mm.
In Tabelle 11 sind die 10 verschiedenen B mit ihren
sämmtlichen Wandlungen zusammengestellt Die Verlän-
gerungen und Verkürzungen sind in + und — Werthen von
Q ausgedrückt. Wegen des sehr verschiedenen Verhaltens
von B gegenüber der Dracksteigerung in ihren verschiedenen
Graden bei der relativ kleinen Anzahl von Versuchen giebt
uns eine Durchschnittscurve für sämmüiche B eine weniger
richtige Vorstellung von den wirklichen Vorgängen als die
directe Vergleichung der verschiedenen B bei den einzelnen
Druckstufen.
Unter physiologischen Druckverhältnissen beträgt B:
im Durchschnitt 7,358
im Maximum . 7,583
im Minimum . 7,082;
Die grösste Differenz beträgt also 0,51, 3 D ent-
sprechend.
In keinem Versuche bleibt B unverändert oder nahm
mit Ende des Versuchs seine ursprüngliche Länge wieder ein.
Am Ende war B grösser geworden in sechs Fällen,
und zwar
in 2 Fällen um 4 Q
in 3 „ um 2 Q
in 1 Falle um 1 Q
durchschnittlich um 2,5 Q,
kleiner dagegen in 4 Fällen, und zwar:
in 1 Falle um 4 Q
in 1 „ um 3 Q
in 2 Fällen um 1 Q
durchschnittlich um 2,25 Q.
Horniiaatkrttmmimg bei erhöhtem intraocnlaien DraclL 45
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46 W. Biflsen.
Der End-B aller 10 FftUe war
im Durchschnitt 7,383 mm
im MaTJmnm 7,666 mm
im Minimum 7,208 „
Die grOsste Differenz beträgt 0,458 mm, 2,75 D ent-
sprechend. B aller zehn Fälle ist am Ende der Versache
grosser als am Anfang
im Durchschnitt nm 0,028 mm 0,5 Q entsprechend
im Maximum um 0,085 mm = 2 Q
im Minimum um 0,126 mm = 3 Q.
Wie verhält sich nun B gegenüber den einzelnen
Spannungsgraden?
B bleibt entweder in seiner arsprOnglichen GrOsse,
im Qleichge¥richt (Glg.)f oder wird länger oder kürzer.
Das primär verlängerte B kann sich secundär verkürzen,
aber immer noch länger bleiben als es ursprünglich war,
es verkürzt sich nur relativ, oder aber es kommt wieder
ins Gleichgewicht zurück oder es schlägt sogar nach der
anderen Seite aus; die primäre Verlängerung geht in eine
secundäre absolute Verkürzung über. Das primär verkürzte
B kann ebenfalls sich relativ verlängern, ins Gleichgewicht
konmien und sich absolut verlangen!. Die relative Ver-
längerung und Verkürzung ist stets besonders hervorgehoben
durch ein beigefügtes r, während unter Verlängerung und
Verkürzung kurzw^ die absoluten Veränderungen ver-
standen sind.
Nach diesen Gesichtspunkten geordnet, finden wir B
in folgender Häufigkeit vertreten
im Gleich- , , ,. •
. .. länger kürzer r länger r kürzer
bei 30 Hg. mm 5 4 1 — —
35 „ 5 4 1 _ _
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im Gleich-
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kürzer
r l&nger
rlcOrzer
bei 50 Hg
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6
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Bei 30 Hg. mm bleiben 5 B im Gleichgewicht, 4 werden
Iftnger, 1 wird kOrzer; bei 36 Hg. mm dieselben Verhältnisse.
Bei 40 Hg. mm sind nur noch 2 B im Gleichgewicht^ 3 noch
länger t dafür sind 4 klbrzer geworden und einer der erst
verlängerten relativ kürzer. Das Gleichgewicht behalten die
2 B noch bei 45 Hg. mm; bei 50 Hg. mm hat nur noch 1 B
(XIV) nicht nadigegeben, während ein anderer B (XIX)
nadi einer positiven Schwankung in's Gleic])gewicht zurück-
geschnellt ist. Bei 55 Hg. mm hat auch der letzte normale
B seine ursprüngliche Grosse verloren , hat sich um 4 Q
gedehnt. Von hier bis zu 70 Hg. mm wächst wieder die
Zahl der Gleichgewichtslagen bis zu 4, von denen 3 aus
negativen, 1 aus einer positiven Schwankung zurückgekehrt
sind. Von 75 bis 85 Hg. mm finden sich je 2 B im Gleich-
gewicht, bei 90 noch einer und über diesen Druck hinaus
keiner mehr. Die Linie des verlängerten B zeigt ihre grOsste
Elevation am Anfimg und gegen Ende (siehe Fig. 31).
Zählt man die relativ kürzeren B zu den längeren, so
hebt sie an mit 4, bleibt auf dieser Hohe bis zu 40 Hg; mm,
48 W. Siflsen.
sinkt nun anf 2 nnd bleibt ziemlich constant bis zn
70 Hg. mm, nun steigt sie bei 75 Hg. mm wieder auf 4, bei
90 Hg. mm auf 5 und bei 95 Hg. mm gar auf das MaTimnin
von 6.
Die Linie der verkürzten Badien hat einen &st um-
gekehrten Verlauf; sie hebt mit 1 an, steigt bei 40 Hg. mm
auf 4, bei 45 auf 6, sinkt bei 65 Hg. mm auf 5, bei
70 Hg. mm auf 4, um nun auf dieser Höhe bis zu 95 Hg. mm
zu bleiben.
Das Lftngerwerden von B, das Flacherwerden des
schwächst gekrümmten Meridians, erklärt sich aus einem
Nachgeben des Limbus an der betreffenden Stelle, aus einem
Auseinanderweichen der den Limbus constitairenden Scleral-
fasem, während eine Verkürzung von B ein Festhalten des
Scleralfalzes und eine stärkere Wölbung der Hornhaut in
Folge grosserer Weichheit ihres Gewebes bedeutet.
Bei 30 und 35 Hg. mm halten in 5 Fällen Sclera und
Hornhaut Stand, in 4 Fällen weichen die Limbusfiftsem, in
1 Fall gibt die ausnahmsweise wenig resistente Cornea nach.
Bei 40 Hg. mm wOlbt sich schon in 4 resp. 5 Fällen die
Hornhaut stärker, bei 45 Hg. mm in 6 Fällen. Die relativ
kurzen Badien sind solche, die absolut zu lang sind, bei
denen aber doch bereits eine Verkürzung sich eingeleitet
hat, bei denen, die Hornhaut anfängt, sich auszubuchten.
Von diesem Gesichtspunkt aus müssen dieselben zu den
verkürzten Badien gezählt werden. So betrachtet, wächst
die Zahl der Verkürzungen bei 50 Hg. mm auf 7, bei
55 Hg. mm auf 8, um von da an bis zu 70 Hg. mm succes-
sive auf 4 zurückzugehen und nun bis zum Schluss auf
dieser Hohe sich zu behaupten.
Bei einem intraocularen Drucke von 45—65 Hg. mm
buchtet sich die nachgebende Cornea in der grossen Mehr-
zahl der Fälle aus, und die Sclera hält wacker Stand, nach-
dem sie in einer nicht geringen Zahl von Fällen bei be-
ginnender Spannungszunahme etwas sich gedehnt hatte.
Honkhaatkrümmang bei erhöhtem intraocularen Drack. 49
Hier scheint die Homhant das Maximum ihrer Dehnbarkeit
erreicht zn haben; eine weitere Drucksteigemng bat ein
ementes Anseinanderwdchen der Limbnsfasem im Gefolge.
Die Zahl der sich von hier an streckenden B muss bei
genauerem Zusehen um die jeweilige Anzahl der Gleich-
gewichtslagen weniger eine bis zu 70 Hg. mm yermehrt ge-
dacht werden, indem nur eine einzige aus einer positiyen
Schwankung sich herausgebildet hat, während bei den übrigen
das Gleichgewicht durch ein Längerwerden eines erst ver-
kürzten B entstand; diese letztere gilt für alle Gleich-
gewichtslagen über 70 Hg. mm.
Die Tabelle 12 gibt einen Ueberblick über die 10 ver-
schiedenen r und ihrer durch die Versuche bedingten Ver-
änderungen.
Unter physiologischen Druckverhältnissen beträgt
r im Durchschnitt 7,217 mm
im Maximum 7,583 mm
im Minimum 6,958 mm.
Die grösste Differenz beträgt also 0,625 mm, 3,75 D. ent-
sprechend, um 0,75 D. mehr als die grösste Differenz für B.
r blieb, ähnlich wie B, in keinem Versuche unverändert
oder nahm mit Ende des Versuchs seine ursprüngliche
Länge wieder an.
Am Ende des Versuchs war r grösser geworden in
5 Fällen und zwar in
1 Fall um 9 Q
1 Fall um 5 Q
2 Fällen um 4 Q
1 Fall um 3 Q
durchschnittlich um 5 Q.
Kleiner geworden in 5 Fällen und zwar in
2 Fällen um 4 Q
1 Fall um 3 Q
V. Oraefe*« Archiv fUr Ophthalmologie, XXXIV. S 4
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1 Fall um 2 Q
1 Fall um 1 Q
dorcbscbnittlich um 3 Q.
Der End- Radius aller 10 Fälle mass:
im Durchschnitt 7,263 mm
im Maximum 7,458 mm
im Minimum 7,083 mm.
Die grösste Differenz beträgt also 0,375 mm, 2^5 D. ent-
sprechend, um 0,5 D. weniger als die grOsste Differenz für r.
r ist am Ende der Versuche nur im Durchschnitt
grosser als am Anfang und zwar um 0,046 mm = 1 Q,
dagegen kleiner
im Maidmum um 0,127 mm » 3 Q
im Minimum um 0,125 mm ~ 3 Q.
Am Anfang der Versuche ist R grosser als r
im Durchschnitt um 0,141 mm » 3,5 Q
im Maximum um 0 == 0
im Minimum um 0,124 mm = 3 Q.
Am Schluss der Versuche ist R grosser als r
im Durchschnitt um 0,120 mm == 3 Q
im Maximum um 0,208 mm =: 5 Q
im Minimum um 0,1205 mm =s 3 Q.
Construiren wir aus Tabelle 12 ein analoges Tableau
fOr r, wie wir es aus Tabelle 11 fBr R construirt hatten,
so erhalten wir r
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r verhält sich dem wachsenden intraocalären Dracke
gegenüber anders als B. Zunächst fällt die grosse Zahl
der ursprünglichen Gleichgewichtslagen auf, die aber analog
wie bei B mit 50 Hg. mm sämmtlich verschwunden sind.
Secundäre Gleichgewichtslagen sind viel seltener als bei R,
nur zwei, eine bei 55 Hg. mm nach einer doppelten, erst
negativen, dann positiven Schwankung (xx) und eine bei
75 Hg. mm nach einer negativen Schwankung, r leistet
also in einer erheblich grösseren Zahl von Fällen der patho-
logischen Drucksteigerung Widerstand als B.
Die graphische Darstellung der r, welche bei wachsen-
dem Drucke länger werden, giebt eine einfach aufsteigende
Linie, die vielfach grosse horizontale Strecken hat, aber nie
sich senkt. Bei 30 Hg. mm wird 1 r länger, bei 40 Hg. mm
2 r, bei 50 Hg. mm 3 r, bei 80 Hg. mm 4 r, bei 90 Hg. nun
5 r, also die Hälfte, bei 100 Hg. mm noch 4 r von 6 r.
Die sich verkürzenden r bilden dagegen eine emfach nach
oben convexe Curve. Zählen wir die relativ längeren r,
die absolut aber kürzer sind, hinzu, so steigt die Curve
von 1 bei 30Hg.mm, auf 2 bei 35 Hg. mm, auf 4 bei 40Hg. mm.
Hornhaatkrüminnsg bei erhöhtem intraocnlaren Druck« 53
auf 6 bei 50 Hg. mm, aaf 6 bei 55 Hg. mm, auf 7 bei 60 Hg. mm,
bleibt so bis 70 Hg. mm und sinkt nmi auf 6 bei 75 Hg. mm,
auf 5 bei 90 Hg. mm mid behauptet bei 100 Hg. mm nur
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noch 2 Fälle von 6, bei 105 Hg. mm nur noch einen von
4 Fallen.
Eine relative Verkürzung ist nicht beobachtet, d. h. in
keinem Falle ist r erst länger nachher kürzer geworden,
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54 W. Eiflsen.
während in einer grossen Zahl ton Fällen, bei 90 und
95 Hg. mm 50pCt., der erst verkürzte r sich wieder streckte.
Kommen wir wieder auf unsere grob anatomische Vor-
stellung zurück, bei der wir für jede Dehnung von r, jede
absolute sowohl als jede relative ein Nachgeben, ein Aus-
einanderweichen der Scleralfasern annehmen, für jede
Schrumpfung von r dagegen eine stärkere Hervorwülbung
der Cornea in dem betreffenden Meridian, so ergiebt sich
dass bei beginnender Drucksteigerung die ganze Bulbus-
hülle, sowohl Cornea als Sclera, in diesen den r correspon-
direnden Meridianen mehr Resistenz besitzt als in den ver-
tical daraufstehenden. Der Analogieschluss liegt nahe, dea
normalen Astigmatismus des menschlichen Auges durch
ähnliche Verhältnisse zu erklären.
Bei 40 Hg. mm giebt die Sclera zweimal nach, 4 mal
die Cornea, bei 50 Hg. mm giebt die Sclera 4 mal nach,
4 mal die Cornea.
Die Sclera resistirt ungefthr in gleichen Verhältnissen
bis zu 80 Hg. mm, nun wird aber ihr Widerstand gebrochen,
bei 80 Hg. mm dehnt sie sich 8 mal, bei 90 Hg. mm in allen
10 Fällen.
Die Cornea wurde gewölbter bei 55 Hg. mm 5 mal, bei
60 Hg. nun 6 mal, bei 70 Hg. mm 5 mal, bei 80 Hg. mm noch
2 mal.
Die Hornhaut hat gar nicht nachgegeben in 3 Fällen
(XXIV, XXI und XXV) resp. in diesen Fällen war eine
Ausbuchtung mit dem Ophthalmometer nicht nachweisbar;
möglich wäre es immerhin, dass eine eventuelle Dehnung
der Cornea durch eine stärkere Dehnung der Sclera flber-
compensirt worden wäre.
Die Lederhaut, welche durchschnittlich längeren Wider-
stand leistet, gibt aberausnahmslos in allenFäUen nach, sobald
ein Druck von 90 Hg. mm erreicht ist. Der Cardinalunter-
schied des dem r zugehörigen Scleralgewebes gegenüber
dem zum B gehörigen liegt darin, dass wir keine Fälle
Hornhautkrttmmnng bei erhöhtem intraocolaren Druck 55
haben, wo dasselbe bei 30—40 Hg. mm sieb dehnt, nnn fest-
hält, um die Cornea sich wOlben zu lassen und später
wieder nachzugeben, r beschreibt eben nicht eine Gurve
wie B, sondern eine einfache aufsteigende Linie.
Es giebt kein Eaninchenauge, welches einen Druck von
mehr als 50 Hg. mm aushält, ohne dass sich seine Halle,
Sclera oder Cornea dehnt.
Der vordere Abschnitt der Bulbushälle scheint durch-
schnittlich in der Gegend ihres stärkstgekrammten Meri-
dianes in der Verticalen etwas stärker gebaut zu sein, als
in der Horizontalen, em Satz, welcher der anatomischen
Prüfung werth sein dürfte.
Die Durchscbnittscurven fQr B und r (Fig. 31) geben
trotz der gegen dieselben erhobenen Einwände eine nicht
imwahrscheinliche Darstellung der in Frage stehenden Pro-
cesse. Allerdings ist das Quantitative der Hebungen und
Senkungen so minim, dass die Ordinate der Deutlichkeit
halber nicht nach 0,041 mm, sondern nur nach 0,01 mm
^ngetheilt werden konnte.
B erleidet erst eine Yerlängerung mit Maximum bei
35—40 Hg. mm, bei 45—50 Hg. mm Verkürzung bis unter
AusgaogsgrOsse. Nun folgt eine zweite Periode der Dehnung,
die bei 75 Hg. mm culminirt, um später wieder etwas zurück-
zugehen. Die Curve nähert sich am meisten derjenigen
von B im Fall XXXVI (Fig. 28). Also erst Dehnung der
Sclera, darauf Wölbung der Cornea und endlich abermalige
Dehnung der Sclera.
Die Curve von r sieht ebenfalls derjenigen von Fall
XXKVI nicht unähnlich; erst verkürzt sich r, zunächst
langsam, von 50 — 60 Hg. mm rascher, um von 65 — 75 Hg. mm
ziemlich gleich zu bleiben, und von 75 Hg. mm an bis zum
Schluss sich stetig zu verlängern, und zwar etwas über
seine AnfangsgrOsse hinaus. Erst gibt wesentlich die Cornea
nach, von 75 Hg. mm an aber die Sclera.
56
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Hornhantkrümmimg bei erhöhtem intraocnlaren Druck« 57
Von den 10 Yersnchsaugen besassen Astigmatismas;
2 = 0 D.
1 = 0,25 D,
4 ==1 D.
2 =- 1,25 D.
1 = 1,75 D.
Von 10 Angen haben also nur 3 Augen einen Astig-
matismus grosser als 1 D. Auf ein Auge kommen durch-
schnittlich 0,85 D.
Am Ende der Versuche besassen von diesen 10 Augen
Astigmatismus;
3=0
3 = 0,5 D.
2 = 0,75 D.
1 = 2,75 D.
1 = 3 D.
Die Zahl der astigmatismuslosen Augen ist von 2 auf
3 gewachsen, trotzdem Auge XIX, das Anfangs frei von
Astigmatismus war, einen solchen von 0,5 D. acquirirt hatte.
Auge XIY mit ursprünglich 0,25 D. verlor seinen Astig-
matismus vollständig. Unter den 10 Augen hatten vor der
Drucksteigerung nur 3 einen Astigmatismus von weniger
als 1 D., am Schluss der Versuche befanden sich 8 Augen
unter dieser Bedingung. Nur zwei Fälle verhalten sich
umgekehrt; in Auge XXXVIII war der Astigmatismus im
Verlaufe des Versuches gestiegen von 1,75 D. auf 2,75 D.
und in Auge XXXVI von 1 D. auf 3 D. Bei genauerer
Betrachtung dieser beiden Augen fällt das sehr analoge
Verhalten ihrer r auf; beide wachsen bis 75 Hg. mm,
XXXVni nach einer kleinen primären Verkürzung, XXXVI
ohne eine solche; nach 75 Hg. mm aber nehmen beide con-
sequent ab, bei XXXVI bis zu HO Hg. mm, bei XXXVIII
bis zum Schluss des Versuchs, der leider nicht einmal bis
zu 100 Hg. mm ausgedehnt wurde. Es ist höchst wahr-
58
W. EisseiL
8[cheinlich, dass bei Fortsetzung dieser beiden Versuche r
successive weiter abgenommen haben würde, und die Aus-
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nahmsstellung derselben nicht zu Stande gekommen wftre.
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In keinem der 10 Augen ist aber der Astigmatismus
bei zunehmender Spannung einfach immer kleiner geworden;
in allen kam vorübergehend eine Zunahme vor, und zwar
\ vorwiegend bei den niedem Spannungsgraden. Bei weiterer
' Steigerung des Druckes aber ist das Zurückgehen des Astig-
HonibaatkrQiiuiiiiiig bei erhöhtem mtraocnlaren Druck. 59
matismuSf das Bestreben der Hornhaut, ihre Wölbung aus-
zugleichen, unverkennbar. Hier muss die Durchschnitts-
curve (Fig. 32) als typisch bezeichnet werden; sie steigt,
Ton 0,85 D. ausgehend, mit Ausnahme einer kleinen nega-
tiven Schwankung zwischen 40 und 50 Hg. mm, bis auf
1,8 D. bei 75 Hg. mm, um von da rapid und consequent
abzufallen und zwar bis unter den Ausgangspunkt bis unter
0,8 D.
Die consequenteste und prägnanteste unter den Er-
scheinungen des Astigmatismus ist die Tendenz aus der
normalen Form herauszutreten und in die perverse oder
paradoxe Form überzugehen, üeber die Eigenthümlichkeiten
dieser Tendez gibt der nächste Abschnitt Aufschluss.
Bei Betrachtung der grossen Axe und ihrer Verschiebung
in Folge der Spannungszunahme innerhalb der bei unseren
Versuchen zur Anwendung gekommenen SpannungsgrOssen
(Tabelle 14) ist zunächst hervorzuheben, dass die Fälle
XXrV, XXTI und XXV jeweilen das Irechte Auge des Ver-
suchsthieres betreffen, die übrigen Fälle sämmtlich das
linke Auge.
In 9 Fällen wich die grosse Axe von der Horizontalen
ab, in einem Falle um 45^, in 8 Fällen um weniger als
45 ^ In keinem Versuchsauge existirte also von Haus aus
ein abnormer Astigmatismus. Die durchschnittliche Ab-
lenkung der grossen Axe von der Verticalen betrug 66,6^
von der Horizontalen 23,3^.
Bei Berücksichtigung des Vorzeichens der Winkel er-
giebt sich, dass in den 4 Fällen XXVI, XXII, XXXVIH
und XXV die grosse Axe von oben und aussen nach innen
und unten, in den übrigen 6 Fällen dagegen von oben und
innen nach unten und aussen gerichtet war. Da nun alle
Fälle mit Ausnahme von XXV, der die oben genauer ge-
schilderte Sonderstellung einnimmt, ein durchaus regel-
mässiges, von keinem vorübergehenden Zurückweichen unter-
brochenes Fortschreiten der grossen Axe von der Horizon-
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Hornhaatkrümmung bei erhöhtem intraocularen Drack. Ql
talen zur Yerticalen aufweisen, so geschieht diese Drehung
in der grosseren Gruppe in der Richtung des Uhrzeigers,
den innem obem und den äusseren untern Qaadranten
durchwandernd, bei der kleineren Gruppe in entgegen-
gesetzter Richtung im äussern obem und im untern innem
Quadranten sich bewegend. Durchschnittlich für die 9 Ver-
suche hat sich die grosse Axe bei 96 Hg. mm der Yerticalen
um 35,2 ^ genähert ; sie ist von 66,6 ^ auf 31,4 ^ derselben
nahe gekommen.
Theoretisch wäre jedes stigmatische und jedes normal
astigmatische Auge bei 95 Hg. mm ein pervers astigmatisches
geworden; in Wirklichkeit haben 2 von den 9 Augen den
normalen Astigmatismus behalten; bei Auge XIX hat sich
die grosse Axe nur um 15» verschoben, von — 90« zu — 75o
und in Auge XX um 20«, von — 75o zu — 55o.
Ihre Anfangsstellungen haben die grossen Axen unver-
ändert beibehalten bei 30 und 35 Hg. mm in 7 Fällen, bei
40 Hg. mm in 4 Fällen, bei 45 Hg. mm noch in 2 Fällen.
Bei 50 Hg. mm haben sich die grossen Axen sämmtlich gegen
die Verticale verschoben.
unter den 7 Fällen, bei denen die Axen durch 35 Hg. mm
noch nicht alterirt wurden, haben bei diesem Dracke vier
weder R noch r verändert, in dreien war R grösser ge-
worden, durchschnittlich um 2 Q, in zweien war r kleiner
geworden um 1,5 Q, im dritten Falle war r gleich geblieben,
unter den 4 Fällen mit stabiler Axe bei 40 Hg. mm finden
sich noch 2 mit unverändertem U und r.
Es geht daraus hervor, dass die Veränderung der
Wölbung der Hornhaut mit einer Verschiebung des Haupt-
meridians sich zu verbinden strebt und dass, wenn über-
haupt eine Dehnung in der Richtung des ursprünglichen
grossen Meridianes eintritt, diese sich immer nur in sehr
engen Grenzen bewegt, und immer im Anfange der Versuche
bei relativ niedrigem Drucke zu Stande konunt, um später
bei höhern Druckwerthen nie wieder aufzutreten.
62 W. Bissen.
Es hat den Ansehem, als ob in dieser Bichtung des
arprflnglicheii grossen Meridianes die Sclera relativ am
wenigsten resistent sei und dem physiologischen Drucke oder
einem nur wenig hohem nachgegeben habe, dass aber die
Dehnbarkeit sofort an ihren Grenzen angelangt sei und dass
nun bei weiterer Zunahme der Spannung jeweilen die nftchst
angrenzenden Scleraltheile der Dehnung anheimfielen. Die
primäre Stellung der grossen Axe zeigt schon an, in welcher
Richtung sie weiter schreiten, sich drehen wird. Die Yer-
ticale kommt in der Begel zuletzt an die Beihe für die
Dehnung; in unsem 9 Fallen wird sie nie ganz erreicht;
in 2 Fallen konmit die grosse Axe auf lOo nah, in einem
Falle auf 2o. Zu vergessen aber ist nicht, dass die von
mir angewendeten DruckgrOssen noch recht massige waren
und wahrscheinlich nicht an die obere Grenze der glauco-
matOsen Druckwerthe reichen, dass bei Fortsetzung der
Versuche die grosse Axe sich der Verticalen voraussichtlich
noch mehr genähert hätte.
Das Sonderverhalten, das Fall XXV einnimmt und das
oben genau geschildert worden ist, besteht im Wesentlichen
darin, dass die grosse Axe über die Verticale hinwegsetzt,
und nicht nur einmal, sondern zweimal, das erste Mal in
grossem Sprung, das zweite Mal in kleinerem Schritt, dass
dieselben nicht in 1 resp. 2 Quadranten herum sich be-
wegt, sondern in 2 resp. allen 4 Quadranten sich herum-
tummelt.
Bei physiologischem Drucke befand sich die Axe
bei — 7^0, sie verlief, da das Auge ein rechtes war, von
oben aussen nach unten innen. Von — 75 o wandert sie
erst allmählich zu — 45 o, springt von hier um 90 o nach
+ 45o, um nun sich allmählich nach rückwärts zu bewegen
gegen die Verticale und über dieselbe hinaus zu — 3ö^
Trotz dieses Herumwanderns ist am Ende des Versuchs die
grosse Axe doch um 40^ der Verticalen näher als am An-
Hornbautkiümmung bei erhöhtem intraocnlaren Druck. 63
fang, ist nicht etwa auf den ersten Stand zurückgekehrt oder
mehr an die Horizontale herangerückt.
Während bei den übrigen Yersnchen die Cornea und
ihr Limbus in der obem Hemisphäre in dem einen oder
andern Quadranten auf eine Strecke von durchschnittlich 34«,
im Minimum von 15 o, im Maximum Ton 58 o nachgegeben
hat, so bestreicht das Feld der Dehnung hier einen Bogen
Ton 120 0. Die Sclera ist mit Rücksicht auf ihre Festigkeit
hier etwas anders gebaut als in den 9 andern Fällen, von
denen übrigens kein einziger mit einem zweiten sich
identisch verhält. Jedes Auge ist ein Individuum und keine
blosse Nummer. Der horizontale Meridian hat also auch in
diesem Ausnahms&Ue bei höherem Drucke nicht nach-
gegeben.
Das Verhalten der grossen Axe in unsem Versuchen
stimmt auffallend mit dem, was wir bei Glaucom beobachten
und worauf Martin ein besonderes Gewicht legt. Martin
hat es zuerst klar und deutlich ausgesprochen, dass glau-
comatöse Drucksteigerung perversen Astigmatismus macht,
dass dieser perverse Astigmatismus nach Heilung des
Glaucoms wieder zurückgehen kann. Zum Belege dieser
letzten Behauptung führt Martin speciell 4 Beobachtungen
an, denen wir eine fünfte aus jüngster Zeit beizufügen im
Stande sind.
0. W.y 46 Jahre alt, leidet rechts an typischem Glaucoma
Simplex mit bedeutender Vermehrung des intraocnlaren Druckes,
links an Iritis chronica. Am 16. Januar vor der Operation
zeigte die rechte Cornea einen objectiven perversei^ Astig-
matismus von 4 D., Axe vertical, die linke Cornea einen nor-
malen Astigmatismus von 0,5 D. Am 17. Januar beiderseits
mittelbreite Iridectomie nach oben. Am 30. Januar zeigt die
rechte Cornea noch 3,25 D. perversen, die linke Cornea jetzt
1,5 D. perversen Astigmatismus. Auf dem linken Auge bat
sich in Folge der Vernarbung der Lanzenwunde die Comea-
wülbung derart verändert, dass, ^deale Krümmung früher voraus-
gesetzt, ein perverser Astigmatismus von 2 D. zu Stande ge-
54 W. EiBsen.
kommen wäre. Einen gleichen Narbeneffect, anf das rechte
Auge übertragen, müssten wir, ohne Interrention anderer
Factoren, hier einen perversen Astigmatismus von 6 D. er-
warten; unter diesem Voranschlag blieb der reelle umgekehrte
Astigmatismus um 2,75 D. zurück. Dieses Deficit können wir
nur auf die entspannende Wirkung der Iridectomie setzen. Die
Sclera hat ihre Elasticität in Folge der Druckerh5hung nur
theil weise eingebüsst; sie kann sich möglicherweise noch mehr
erholen, falls der pathologische Druck nicht allzulange ge-
dauert hatte, ein Moment, über das unser Patient ungenügende
Auskunft zu geben vermochte.
Wenn wir die Festigkeit der Lederhaat des Kaninchens
gleich der des Menschen setzen — voraussichtlich ist sie
im ausgewachsenen Zustande unter der des menschlichen
Auges — so müssen wir annehmen, dass der intraoculare
Druck bei Glaucom nicht selten 100 und 110 Hg. mm über-
steigt, oder aber dass bei längerer Dauer desselben die
Sclera nach und nach ein und demselben Druck mehr nach-
giebt, so würde es sich erklären, dass bei Olaucom die
grosse Axe nicht selten bis in die Verticale vorrückt.
Besumiren wir zum Schluss die Hauptergebnisse unserer
Untersuchungen:
1. Das Kaninchen -Auge besitzt einen physiologischen
Druck von circa 24r~25 Hg. mm. Eine relativ ge-
ringe Steigerung dieses physiologischen Druckes
bedingt eine Formveränderung der Hornhaut; häufig
genügen hierzu schon 5 — 10 Hg. mm. Eine Steige-
rung des normalen Druckes um 25 Hg. mm hält
kein solches Auge ohne Gestaltsveränderung aus.
2. Es bestätigt sich im Allgemeinen der Satz von
Helmholtz, „dass die Hornhautkrümmung, ab-
gesehen von individuellen Verschiedenheiten, von
dem Drucke der Flüssigkeit im Auge abhängt, so
dass der Krümmungsradius der Hornhaut desto
grösser vrird, je grösser der Druck ist.
HornhaatkrümmuDg bei erhöhtem intraocnlaren Druck. 65
B ist am Ende der Versuche durchschnittlich
um 0,028 mm grösser als am Anfange, r um
0,046 mm.
3. Bei zunehmendem intraocnlaren Drucke nimmt
der bestehende Astigmatismus nach vorübergehender
Zunahme bei relativ niedrigen Druckgraden, suc-
cessive ab — wenigstens innerhalb der von uns
eiperimentirten Druokgrössen.
4. Der normale Astigmatismus kehrt sich bei Span-
nungszunahme der Bulbuskapsel um und wird
paradox, indem die grosse Axe von der Horizon-
talen weg und' der Yerticalen zustrebt.
Dieses Verhalten erklärt zunächst die Beob-
achtungen von perversem Astigmatismus beim
Glaucom des menschlichen Auges, das zuweilen
Druckverhältnisse zu besitzen scheint, welche über
die von uns experimentirten hinausgehen.
Femer werden diese Verhältnisse herbeigezogen
werden müssen zur Erklärung des in der Bemer
Klinik vor der Veröffentlichung von Seh oen bereits
gefundenen perversen Astigmatismus des Greisen-
alters.
5. Unter 10 resp. 46 Kaninchen -Augen reagirt die
Hornhautkrümmung nicht 2 mal identisch auf die
allmähliche Steigerung des intraocnlaren Druckes,
auch nicht bei ein und demselben Individuum.
Das anatomische und physicalische Verhalten der
Bulbuscapsel ist auch in der Norm auf sehr
breiter Basis aufgebaut und zwar sowohl mit
Rücksicht auf verschiedene Augen als auf ver-
schiedene Abschnitte ein und desselben Auges.
Die von Schelske gefundenen anatomischen
Eigenthümlichkeiten der Sderalfasern am Limbus
und in der Gegend des Ciliarmuskels sind ge-
T. Oraefe'i Arohiv fttr Ophthslmologfe, XXXIV. 2. 5
66 W. Eissen.
eignet, das Verhalten von B in einer Beihe von
Versuchen za erklären.
Am Schiasse meiner Arbeit angelangt, erfülle ich noch
die angenehme Pflicht, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn
Prof. Dr. Pflttger, dessen Assistent ich zu sein die Ehre
habe, fär die mir zu dieser Arbeit gegebene Anregung und
für das so reichlich geschenkte Interesse an dieser Stelle
meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen.
üeber die Sistogenese der Keüna und des
Nervus opticus.
Von
Dr. Francesco Falchi,
Professor an der Universität Gagliari.
Mit Tafel I-UI.
Es ist von grosser Wichtigkeit fttr die Biologie, zu
wissen, welche zelligen Elemente die erste Anlage eines
Organs ausmachen, wie diese Elemente durch ihre Vermeh-
rung das Wachsthum des Organs bewirken und wie sie
dann vermittelst der beständig wirkenden Vorgänge der
Evolution und Adaptation und durch histochemische Ver-
änderungen die endgültige Gestalt annehmen, welche dem
ausgebildeten Organ zukommt. Die vervollkommneten
Hilfsmittel, über welche die moderne Histologie verfügt,
haben unsere Kenntnisse von der Structur der Zelle mächtig
gefordert, was von der höchsten Bedeutung für die Biologie
ist, da ja, wie Virchow richtig bemerkt, „die Thätigkeit der
Organe, welche aus Zellen zusammengesetzt sind. Nichts
weiter ist, als die Summe der Thätigkeit aller sie zu-
sammensetzenden Zellen/^
Indess haben auch frühere Forscher, mit Mitteln, welche
wir jetzt für unzureichend halten, Arbeiten von bedeutender
wissenschaftlicher Tragweite zu Tage gefördert.
5*
68 Fr. Falchl.
So war es bei Untersuchungen über die Histo-
genese der Betina bereits gelungen, verschiedene Stadien
der Entwicklung dieser Membran aufzustellen, welche in
Beziehung zu einander gebracht, als Grundlage zu Vor-
stellungen über die fonnative Entwicklung der verschiedenen
Schichten dieser Membran dienen konnten. Zu den bedeu-
tenderen Arbeiten in der Embryologie der Betina, welche
mit derartigen Hilfsmitteln fertig gestellt wurden, gehören
die folgenden, deren Ergebnisse ich jetzt kurz auseinander-
setzen will.
Babuchin*) zeigte an Embryonen vom Frosch, von Vögeln
und Säugetieren, dass die innere Lamelle der secundären Augen-
blase zusammengesetzt ist aus langen, spindelförmigen Zellen
mit Fortsätzen, welche die beiden Oberflächen der Membran er-
reichen, und aus einer feinen moleculären Intercellular-
substanz. Aus diesen spindelförmigen Zellen sollen sich durch
Vermehrung alle anderen Teile der Betina bilden. Die Müller -
sehen Stützfasern sollen von Zellen abstammen, deren innere
Fortsätze dreieckig werden und später die Membrana limitans
interna bilden. Kessler**) behauptete dasselbe. Gegen diese
Ansicht von Babuchin erklärte sich Arnold.***) Nach ihm
soll die Membrana hyaloidea (welche für die Membrana limitans
interna angesehen wurde) von Theilen der Kopfplatten entstehen,
welche in Form einer den Glaskörper gegen die Betina abgren-
zenden Membran gefaltet würden; darnach soll in einer späteren
Zeit eine Vereinigung der Hyaloidea mit der Betina stattfinden*
Nach Babuchin sollen die Ganglienzellen durch Theilung
aus denjenigen primitiven Spindelzellen hervorgehen, welche in
der Nähe der Fusspunkte der MüUer'schen Fasern liegen und
die innerste Zellenschicht der Betina bilden. Diese Zellen sollen
rund werden, an Volumen zunehmen und mehrere Fortsätze
bekommen, von denen der eine sich nach den äusseren Schichten
der Betina hin wendet, um dort mit anderen kleinen, wahr-
scheinlich den zukünftigen Kömerschichten zugehörigen Zellen
*) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Auges. Wün-
barger naturwissenschafU. Zeitschr., Bd. lY, 1868. — Vergleichende
histologische Studien. Ibid., £d. IV, 1864.
**) Zur Entwicklung des Auges 1877.
0 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Auges. 1874.
Histogenese der Retina und des Nervus opticus. 69
in Verbindung zu treten. Die Nervenfaserschicht soll zum Theil
aus den Fortsätzen der Ganglienzellen, zum Theil aus den
Nervenbündeln der Ausbreitung des Sehnerven entstehen. Das
Stratum moleculare und das Stratum intergranulare, beide von
gleicher Entstehung, sollen eine glänzende, gleichmässige
Streifimg zeigen; man soll darin spindelförmige Zellen bemerken,
welche diese Schichten der Betina abtheilen.
C. Bitter*) fand bei einem 4 Wochen alten menschlichen
Embryo 4 Formen von Zellen: 1. Pigmentzellen der äusseren
Lamelle der Augenblase; 2. lange Zellen mit grossen Kernen
und centralen Fortsätzen; 8. kleine rundkernige Zellen mit bipo-
laren Fortsätzen, an der Stelle der inneren KOmerschicht; die
«äusseren Körner treten später auf; 4. Zellen mit vielen Fort-
sätzen oder Ganglienzellen. — Bei einem anderen menschlichen
Embryo von 10 Wochen fand Bitter die Kömerschichten und
^ie Badialfasern beträchtlich entwickelt und die Nervenzellen
relativ klein; mit Ausnahme der M. limitans interna Hessen
sich sämmtliche Schichten unterscheiden.
Würzburg ♦♦) fand bei einem 7 cm langen Kaninchen-
embryo, dass die Betina das Tapetum, eine Schicht dunkler
Elemente, eine Schicht heller Elemente und die Schicht der
Nervenfasern zeigte; die letzteren sollen jedoch von Elementen
der Betina abstammen und sich in einer bestimmten Ordnung
mit den vom Gehirn ausgehenden Fasern des Sehnerven ver-
einigen. Bei Embryonen höheren Alters sollen die Ganglien-
zellen durch Umbildung der inneren blassen Zellen entstehen.
Goette*^) beobachtete dunkle Kerne in den embryonalen
Zellen der Betina des Frosches, welche letzteren sich nicht voll-
ständig in diejenigen Elemente umwandeln, welche beobachtet
werden, wenn diese Membran ihre Entwickelung vollendet hat;
diese Zellen sollen in Wirklichkeit ihre Umrisse in der Weise
verlieren, dass ihre Zellkörper sich mit einander vereinigen;
darauf umgeben die Kerne sich mit einem Theil dieser Masse
*) Zur histologischen Entwicklungsgeschichte des Auges.
Archiv f. Ophthalm. Bd. X, AbtL 1, p. 60. — Zweiter Beitrag zur
Histogenese des Auges. Ibid., Bd. X , Abth. 2, p. 142. 1864.
**) Beiträge zur Bildungsgeschichte der Izis und der Betina
beim Kaninchen. Med. Centralbl. 1875, p. 820. -^ Zur Entwicke-
lungsgeschichte des Säugethierauges. Arch. f. Augen- und Ohren-
heilkunde Bd. y, Abth. 2, p. 251.
^) Die Entwicklungsgeschichte der Unke. 1875.
70 Fr. Falchi.
und bilden auf diese Weise die neuen Zellen, während aus dem
Best derselben die Intercellularsubstanz entstehen soll.
Löwe*) fand bei Eaninchenembr jenen die embryonalen
Zellen der Betina gros^^ länglich, rund, mit hervortretendem
Kern und spärlichem Protoplasma; er stellte zwei Formen von
Zellen fest; er bemerkte, dass einige embryonale Zellen nicht
in der ganzen Dicke der Betina zu finden sind und beschrieb
6 Lagen von Zellen in der Papille.
Nach Ogneff**) besteht die Betina eines 4 — 5 mm langen
Eaninchenembyro aus spindelförmigen Zellen mit feinen Fort-
sätzen, welche die ganze Betina durchsetzen. Später werden
die innern Zellen grösser, rund und teilen sich; die grösste Zahl
der Fortsätze verläuft nach innen, biegt um, läuft parallel mit
der Betina und bildet so die Schicht der Nervenfasern. Die
mehr nach aussen gelegenen Zellen schicken nur Fortsätze nach
dem Linem und bilden die kleinen Elemente, welche die An»
lagen der Müller'schen Badialfasem sind. In der Folge erscheint
als schmaler Streifen die Anlage der Molecularschicht, welche
aus Nervenzellenausläufem, Badialfasem und dazwischen ge-
streuten feinen Eömchen besteht. Später sollten darin freie
Eeme und runde Zellen zu finden sein. Die Difierenzirung
der beiden Eömerschichten soll durch eine Theilung in der
äusseren Zellenschicht stattfinden.
Eölliker'^**} bemerkte bei 8 — 8,5 mm langen menschlichen
Embryonen, dass das distale Blatt der secundären Augenblase
in seiner ganzen Länge aus länglichen, in 4 — 6 Lagen an*
geordneten Zellen besteht Bei einem menschlichen Embryo von
15 mm Länge zeigt die distale Membran in ihrem inneren Theil
eine dünne Schicht von Zellen mit runden Eernen und in ihrem
äusseren Theil eine dicke Schicht von Zellen mit länglichen
Eernen; zwischen diesen beiden findet sich eine helle zellen-
arme Schicht; ausserdem findet sich in der distalen Lamelle ein
feiner Streifen von Opticusfasern ohne alle Zellen. Bei einem
menschlichen Embryo von 21 mm Länge endlich fand Eölliker,
dass die distale Lamelle aus zwei Zonen bestand, einer hinteren
mit sehr deutlichen Fasern des Nervus opticus und mit der
*) lieber die Histogenese der Betina. Arch. £ mikrosk. Ana-
tomie X V, 1878.
«*) Centralblatt f. d. med. Wissenschaften. No. 85, 1881.
***) Zur Entwicklung des Auges und Geruchsorganes mensch-
licher Embryonen. 1883.
Histogenese der Retina und des Nervus opticus. 7t
Differenzinmg in verschiedene Schichten, die Eölliker schon
vorher beschriehen hatte (eigentliche Betina), nnd einer vorderen
von ganz gleichmässigem Bau (Pars ciliaris).'^)
Was die weitere Entwicklung der Betina betrifft, so wiesen
B ab u eh in und Ogneff die Molecularschicht in Mitten der
Schicht der Spindelzellen nach, welche die Schicht der Ganglien-
zellen abtrennen sollte. Während seiner Bildung soll das Stratum
intergranulare aus Spindelzellen bestehen, welche in der inneren
und äusseren K5merschicht reichlich vorhanden sind, und es
soUte sich in derselben Weise, wie das Stratum moleculare
intemum entwickeln; bei den Kaulquappen sollen diese beiden
Schichten zu gleicher Zeit auftreten, während beim Hühnchen
die innere Molecularschicht früher entstehen soll. Aus den
übrigen Primitivzellen soUen sich die anderen Schichten der
Betina bilden, welche, von Aussen nach Innen gezählt, folgende
sind: Die Schicht der Innenglieder der Stäbchen und Zapfen, die
Membrana limitans externa, die innere KOmerschicht; doch wird
diese bei Kaninchen erst nach der Geburt fertig. Sechs Wochen
später haben die Netzhautschichten die histologische Structur,
welche man bei diesen Thieren in ausgewachsenem Zustand antrifft.
Nach Bitter'*^ Hessen sich in der Betina eines lOwGchent-
liehen menschlichen Embryo das Innenglied und das Aussen-
glied der Stäbchen und Zapfen unterscheiden. Sie zeigten einen
centralen fadenförmigen Fortsatz, welcher bis in das Innere des
Stäbchens hinein zu verfolgen war.
Goette***) beobachtete, dass die Stäbchen und Zapfen beim
Frosch nicht als Fortsätze runder Zellen auftreten (Babuchin),
sondern vielmehr als bläschenförmige Enden länglicher ZeUen,
welche gegen die Pigmentschicht vordringen und von dieser ihre
Decke erhalten. Nach Loe we f) soll die Entwicklung der Innen-
und Aussenglieder der Stäbchen und Zapfen unabhängig von
einander erfolgen. Sie beginnt mit dem Hervortreten des Aussen-
gliedes und endigt mit der Entwicklung des Innengliedes. Nach
Eupferft) würde die Entwicklung des Aussen- und Innengliedes
*) Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren
Thiere. 2. Aufl., p. 693.
**)Lc.
***) 1. c.
t)Lc.
tt) Die Entwicklung der Betina des Fischauges. Centralbl. f.
d. med. Wissensch. No. 41, 1863.
72 JFr. FalchL
der St&bchen und Zapfen in der ersten Periode getrennt vor
sich geben. Eölliker*) zeigte beim Bombinator, dass die Stäb-
chen nnd Zapfen ans einer Umbildung der Zellen der äusseren
Körnerschicht hervorgehen. Basselbe wurde vonBabuchin bei
Kaulquappen und von Waldejer bestätigt, später auch von
M. Schnitze, W. Krause, Schenk, Förster und Balfour,
N. Lieberkühn und Ogneff anerkannt
W. Müller**) hält, wie zuerst auch M. Schnitze und
W. Krause die Stäbchen und Zapfen für cuticuläre Gebüde.
Nach M. Schnitze ist beim Hühnchen, beim Menschen und bei
den Wiederkäuern die Stäbchen- und Zapfenschicht bereits vor
beendetem Fötalleben entwickelt; die Neugeborenen, welche blind
(d. h. mit geschlossenen Lidern) zur Welt kommen, sollen noch
keine Spur von Stäbchen zeigen; das gelte sowohl für das
Kaninchen als fOr die Katze. Hiermit stimmt Krause in Be-
zug auf die Katze nicht überein.
Bezüglich der Histogenese des Tapetum nigrum glaubt die
grösste Zahl der Autoren, dass es von dem äusseren Blatt der
secundären Augenblase abstamme, während aus dem inneren
Blatte sich die übrigen Schichten der Betina entwickelten. Diese
Ansicht wurde zuerst von E. Huschke***} ausgesprochen und
dann von Schölerf), von Remak-j-f-), A. Müller fff), Köl-
liker*t), Babuchin**t), Max Schnitze ***t), Schenkt*),
Kupfer-J-J-*) angenommen.
*) Mikr. Anatomie. II. p. 729, Fig. 4241
**) üeber die Stammesentwicklung des Sehorgans der Wirbel-
thiere. Festschrift an G. Ludwig, 1875.
***) S. Th. V. Soemmering's Lehre von den Eingeweiden.
Leipzig 1844. p. 714.
t) De oculi evolntione in embryonibus gallinaceis. Dissert.
inaug. Dorpati Liv., 1848, 4.
ff) Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere.
Berlin 1855.
ttt) Die Entstehung der Eetina. Allgem. med. Centralzeitung.
Berlin 1858. p. 861.
*t) Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren
Thiere. Leipzig 1861. 8.
**f) 1. c, p. 7L
***t) Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Archiv für
mikrosk. Anatomie Bd. II, p. 336.
t*) 1. c.
tt*) 1. c.
Histogenese der Retina und des Xervas opticas. 7
o
Hensen*) ist der entgegengesetzten Meinung wie Hnschke.
Schöler betrachtet die Aussenglieder der St&bchen und Zapfen
und besonders das Tapetum nignun als Abkömmlinge der
äusseren Wand der secundflren Augenblase. Max Schnitze**)
stimmt nicht mit Hensen überein und behauptet bei einem
Hühnchenembrjo von 80 Stunden beobachtet zu haben, dass
sich schwarzes Pigment in der Äusseren Schicht des äusseren
Blattes ablagerte, welche in dieser Epoche (6ter Tag) ans langen
prismatischen Zellen besteht, welche später kürzer werden.
Babuchin***) und Schenkf) fanden, dass bei niederen Wirbel-
thieren die äussere Lamelle der secundären Augenblase aus
einer einzigen Lage von Zellen besteht, während EOllikerft)
geneigt ist, beim menschlichen Embryo zwei Zellenschichten zu
zeichnen. Doch fand Köllikerfft) selbst Tor einigen Jahren^
dass bei 8 — 21 mm langen menschlichen Embryonen das Tape-
tum aus 2 und an einigen Stellen aus 4 — 5 Lagen cubischer
polygonaler Zellen gebildet wird. Bei den Säugethieren be-
ginnt die Pigmentbüdung zum Theil gleichzeitig mit der Ab-
schnürung der Linse, zum Theil später. Die PigmentkOrner
treten bei diesen Thieren wie beim Menschen zuerst in den
tieferen Parthien der Zellen, d. h. nach der Höhlung der primi-
tiven Augenblase zu, auf und die Pigmentirung geschieht in
den hinteren Partien der Retina früher als in den vorderen.
Von dort schreitet die Pigmentirung nach Würz burg*t) ziem-
lich schnell mehr oder weniger weit auf das distale Blatt fort,
bevor noch die Iris sich entwickelt.
Nach der Faltung der primitiven Augenblase ist der Stiel
aus mehr Zellenlagen zusammengesetzt, als die fötale Retina
(Hensen); Huschke, Schöler und A. Müller lassen den
*) Zur Entwickelung des Nervensystems. Yirchow's Arch. f.
path. Anatomie Bd. XXX, p. 76, 1864. — lieber den Bau des
Schneckenauges und über die Entwickelung der Augentheile in
der Thierreihe. Arch. f. mikroskop. Anatomie Bd. II, p. 399, 1866.
**)Lc
***; Lc.
t) 1. c.
tt)l.c.
tu-) Zur Entwickelung des Auges und des Geruchsorganes
menschlicher Embiyonen. 1888.
*t) 1. c.
74 Fr. Falchi.
Sehnerv aus der inneren Oberfläche des Stiels und dem mit der
A. centralis retinae eingedrungenen Bindegewebe entstehen.
His*) und Kölliker**) sind der Ansicht, dass der Nervus
opticus der Wirbelthiere als ein Theil des Gehirns angeflehen
werden müsse und der Stiel der primitiven Augenblase sich in
indifferentes Stützgewebe umwandele, welches den Nerven-
bündeln, die sich vom Gehirn in die Betina hineinbegeben, zur
Führung diene. His ist der Ansicht, dass die Nervenfasern
durch ein Längenwachsthum der Ganglienzellen entstehen; da
nun der Stiel der Augenblase keine Ganglienzellen enthalt und
die Ganglienzellen des Gehirns hier die Nervenfasern bilden,
60 müssten die Nervenfasern des Opticus vom Gehirn ausgehen
und auf dem Wege des Augenblasenstiels die Betina erreichen.
Die mittelst des Stieles im Anfang hergestellte Zellen-
verbindung zwischen Augenblase und Gehirn wird nach His später
wieder dadurch unterbrochen, dass die Zellen des Stieles wieder
in das Gehirn zurücktreten.
Gegenüber der His'schen Theorie leitet W. Müller die
Fasern des Nervus opticus von den Ganglienzellen der Betina
ab, von der aus die Fasern eine centripetale Bichtung nehmen
sollen, um in das Gehirn einzudringen.
Lieberkühn '*'''"^) behauptet His gegenüber auf das be-
stimmteste, dass der Sehnerv aus dem primordialen Stiel der
Augenblase entstehe und der primordiale Sehnerv nur von seinen
eigenen Zellen her seine Nervenbündel und sein Stützgewebe
besitze. Das Gewebe des N. opticus bestehe im ersten Stadium
aus denselben mit Kernen versehenen, radiär angeordneten Spindel-
zellen, wie das Gehirn selbst. Später soll sich erst eine feine
Längsstreifung unter gleichzeitiger Verminderung der Badial-
streifung entwickeln, ausser den feinen Fasern sollen sich zahl-
reiche mit wenig Protoplasma umgebene Kerne finden, welche
isolirt als spindelförmige Körper erschienen. £in Theil der
Zellen soll die Nervenfasern bilden, welche in Zusammenhang
*) Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthier-
leibes. Die erste Entwicklung des Hühnchens im £L Leipzig 1868.
4. 12 Tafeln.
**) Entwickelungsgeschichte etc.
***) lieber das Auge des Wirbelthierembryo. Schriften der
Marbnrger Gesellsch. zur Beförderung der Naturwissenschaften
Bd. X, p. 299—831, 1872.
Histogenese der Retina und des Neryns opticns. 75
mit dem Gehirn ständen, welches an der Peripherie eine faserige
Stmctur hesitze. Manz*^) theilt diese Ansicht.
G. K. Hof mann'*''^) hat beohachtet, dass der Nervus opticus
der Knochenfische durch eine Umbildung der Zellen des Stiels
gebildet wird. Doch würde für die Klasse der Wirbelthiere die
Anschauung von His die Begel bilden.
Nach Mihalcowics '*"'"'') soll die Entwicklung der Nerven-
fasern des N. opticus wahrscheinlich in centrifugaler Richtung
stattfinden. Die bindegewebigen Elemente des N. opticus sollen
vom mittleren Keimblatt abstammen und nicht, wie W. Müller
wiU, von den Bildungszellen des Sehnerven.
Bergmeistert) bekennt sich im Allgemeinen zu der An-
sicht von His bezüglich der Entwicklung des Sehnerven und
bezeichnet den Stiel der Augenblase als Gubemaculum für die
aus dem Gehirn kommenden Nervenbündel. Er wollte an einem
Horizontalschnitt des Augenblasenstiels das Auftreten eines
zapfenfbrmigen Gebildes constatirt haben, welches mit dem
inneren Blatt der Augenblase in Verbindung stände. Der Zapfen
soll durch Hineinwachsen des Mesoderms erzeugt sein, welches
den Hohlraum oder Canal ausfüllt, der in Folge der Einstülpung
des vorderen, mit der Retina in Verbindung stehenden Theils
des Opticusstiels entstanden ist.
Nach Köllikerft) ist der Nervus opticus bei menschlichen
Embryonen von 8 — 15 mm Länge hohl, zeigt eine deutliche Ein-
stülpung und seine Wände haben die gleiche Structur wie das
Yorderhim.
Bei einem menschlichen Embryo von 20 mm bestand der
N. opticus aus einem Stroma sternförmiger Zellen mit feinen
Opticusfasem.
Hiltner ttt)> welcher seine Studien an der Haus- und Feld-
*) Entwicklungsgeschichte des Auges, Graefe und Saemisch,
Handbuch der gesammten Augenheilkunde Bd. ü, Cap. 5.
**) Zur Ontogenie der Knochenfische. Arch. f. mikrosk« Ana-
tomie Bd. XX m, Heft 1.
***) Entwicklungsgeschichte des Gehirns, p. 195.
t) Zur Entwicklungsgeschichte des SäugetLierauges. Mit-
theiluDgen des embryolog. Instituts in Wien Heft 1, p. 63.
ff) Zur EntwickeluDg des Auges und Gerachsorganes mensch-
licher Embryonen. Würzburg 1883.
fff) Ueber die Entwicklung des Nervus opticus der Säuge-
thiere. Biolog. CentralbL Bd. V, p. 186.
76 Fr. Falchi.
maus und am Meerschweinchen machte, erklärt sich gegen die
Theorie von Eis nnd von EOlliker: nach ihm dringt nach
vollendeter Invagination des inneren Theils der Augenblase und
der Linse zwischen diesen beiden eine feine Mesodermaschicht
ein. Im Stiel finde eine Einstülpung nicht statt, sondern viel-
mehr eine Vortreibung eines Theils der Retina, welcher wie ein
länglicher Zapfen in den Opticusstiel hineinwachse.
Die Umbildung der Zellen in Nervenfasern beginne immer
in der inneren Schicht der Betina und ihres Zapfens gleichzeitig
mit der Entwicklung des Chiasma. Damach würden die Bündel
des Nervus opticus nicht vermittelst einer Proliferation des peri-
pheren Gehimtheiles gebildet, sondern ein autochthones Gebilde
darstellen.
Nach Euhnt *) soll das Dickenwachsthum des Nervus
opticus nicht in einer Vermehrung, sondern in einem Breiter-
werden der Nervenfasern bestehen.
Was die Scheide des Opticus angeht, so soll sich dieselbe
nach Eölliker**) wie die Sclerotica aus dem Mesoderm bilden
und bei 2 monatlichen menschlichen Embryonen sichtbar werden.
Nach der geschilderten Periode der histologischen
Untersuchungen der Retina begann man vor einigen Jahren
mit voUkommneren Mitteln der mikroskopischen Technik
die Histogenese der Retina zu untersuchen und die durch
Earjokiuese erfolgende Theilung ihrer Elemente zu er-
forschen.
Eoganei***) unterscheidet bei Hühnerembryonen in der
Wand der primären Augenblase zwei Schichten, eine äussere,
aus Spindelzellen zusammengesetzte und eine innere blassere,
deren Zellen karyokinetische Figuren zeigen, weshalb der Autor
sie proliferirende Zellen nennt. Dieselben findet man, wenn
später die secundäre Augenblase gebildet ist, in der äusseren
Oberflächenschicht der distalen Lamelle der Retina. Es ist dies
die Zeit, in welcher die distale Lamelle in die Dicke zu wachsen.
*) Zur Eenntniss des Sehnerven und der Netzhaut. Arch. 1
Ophthalm. Bd. XXV, Abth. 3, p. 179.
**) Entwickelungsgeschichte etc.
***) UntersuchuDgen über die Histogenese der Retina. Archiv
f. mikrosk. Anat. Bd. XXlll, Heft 3, p. 342.
Histog^nese der Retina und des Nervus opticus. 77
die proximale dünner zu werden beginnt. In diese äussere
Schicht der distalen Lamelle mit in Karyokineso begriffenen Zellen
yerlegt Koganei den ganzen Entwicklungsvorgang der Betina,
weil er hier allein eine Earyokinese der Elemente antraf. Diese
proliferirenden Zellen sollen verschwinden, sobald die Stäbchen
zu erscheinen anfangen. Die Karyokinese soll mit radialer oder
tangentialer Theilungsebene auftreten. Er nimmt die Zusammen-
setzung aus Spindelzellen nicht für die ganze Dicke der distalen
Lamelle an, wieBabuchin undOgneff, sondern beschreibt an
der inneren Oberfläche der distalen Lamelle ein feines Netz-
werk mit grossen runden Zellen mit Kernen und KernkOrperchen
und wenig Protoplasma, welche später zu Ganglienzellen werden
sollen. Die proximale Lamelle^ besteht aus einer Beihe von
Zellen, die in ihrem äusseren Theil Pigment besitzen.
Bei 5 Tage alten HOhnerembryonen zeigt nach ihm die
Betina 5 Schichten: 1. Membrana limitans interna; 2. die Schicht
der Opticusfasem; 3. die Ganglienzellenschicht; 4. die Primitiv-
Zellenschicht; 5. das Stratum proliferans. Am 7. Tage erscheint
das Stratum moleculare und am 11. die erste Spur der M. limi-
tans externa. Aus den Zellen der äusseren Körner entwickeln
sich die Zapfen und Stäbchen. Am 17. Tage soll die Histogenese
der Betina des Hühnchens vollendet sein.
Bei Säugethieren (4 mm langen Kaninchenembryonen) hat
die primäre Augenblase zwei Schichten von Zellen: die primitiven
und die proliferirenden Zellen.
Bei Embryonen von 5 mm Länge stülpt sich die Augen-
blase ein; bald zeigt das äussere Blatt eine Beihe cubischer
Zellen, welche Pigmentkörner enthalten; die distale Lamelle
theilt sich in zwei Schichten, eine mit Zellen und eine andere
äussere ohne Zellen. Bei Embryonen von 12 mm erscheinen
die Nervenbündel in der Nähe des inneren Pols; sie stehen in
Verbindung mit den Ganglienzellen. Später tritt das Stratum
reticulare mit seiner netzförmigen Structur hervor.
Die Theilung der beiden Körnerschichten durch das Auf-
treten der Zwischenkörnerschicht findet in den letzten Tagen
vor der Geburt statt. In den beiden ersten Wochen nach der
Geburt ist die Structur der Betina vollendet. Bei andern Säuge-
thieren (Schwein, Schaf und Katze) beobachtete Koganei ähnliche
Verbältnisse. Doch sollen beim neugebomen Meerschweinchen
die Stäbchen und Zapfen bereits entwickelt sein.
78 Fr. Falchi.
Ich fand *) gleichzeitig bei TJntersuchangen über die Histo«
genese der Betina und des N. opticus an Säugethierembrjonen
(vom Bind, Hund, Meersch^reinchen) in Karjokinese begriffene
Zellen nicht nur in der äusseren Oberflächenschicht der distalen
Lamelle der secundaren Augenblase von 4,7 cm langen Rinds«
embrjonen, wie auchEoganei in dieser Schicht bemerkt hatte,
sondern auch in den übrigen Elementen der anderen Schichten
dieser distalen Lamelle. Doch waren die Zellen mit Mitosen in
der äusseren Oberflächenschicht derselben zahlreicher als in
ihren anderen Schichten. Bei 7^ cm langen Rindsembrjonen
habe ich die Mitose an den Zellen, welche zwischen den Nerven-
fasern der Ausbreitung des N. opticus gelagert sind, beobachtet,
wenn auch der karyokinetische Frocess viel häufiger an den im
Stamm des Nerven selbst, zwischen den Nervenfasern liegenden
Zellen zu finden ist. — Abgesehen von der Betina und dem
N. opticus trifft man die Karjokinese auch in den Zellen des
Mesodermas, welches die Anlage der Sclerotica bildet, bei Binds-
embrjonen von 7,5 cm, Hundeembryonen von 15 cm und Meer-
schweinchenembryonen von 8 cm.
Merk**) sah bei Embryonen von Trepidonotus natriz, dass
die den Ventrikeln zugekehrte Oberfläche des Bückenmarkscanals
Mitosen zeigt; in gleicher Weise fand er die Earyokinese in den
Zellen der äusseren Schicht des distalen Blattes. Daraus folgert
Merk, dass das Wachsthum der Betinia an der äusseren Ober-
fläche ihres distalen Blattes vermittelst der indirekten Theilung
beginnt. In der Folge sollen sich zuerst die Ganglienzellen
bilden und die Fasern des N. opticus, das Stratum moleculare
eztemum und die innere Körnerschicht differenziren; die anderen
Schichten sollen entstehen, wenn die Zapfen sich bilden und
hierauf soll die Karyokinese aufhören. Die Mitosen waren in
radialer Ebene angeordnet. Desgleichen beobachtete Merk die
Mitose bei einem 2,5 cm langen Kaninchenembryo an demselben
Orte, wo er sie bei Trepidonotus natrix gefunden hatte.
*) Gazzeta delle Cliniche, anno 1886, p. 313. — Annali
d'Ottalmologia Anno XV, Pasc. 1, p. 100.
**) Ueber die Anordnung der Kerntheilungsfiguren im Central-
nervensystem und der Betina bei Natternembryonen. Sitzungs-
berichte der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien Bd. XCII,
Abth. Oct.-Heft, Jahrg. 1885.
Histogenese der Retina und des Nernis opticus. 79
Bauber*) erklärt bei Froschembrjonen die äussere Zellen-
schiebt der distalen Betinallamelle als Praedilectionsschicbt far
die Mitose; ausserdem fand er aber auch Mitosen an den Zellen
der zweiten Schicht (yon aussen gerechnet) und in denen der
mittleren Schicht der distalen Betinalamelle. Die Theilungs-
ebenen bei den äusseren Mitosen sind zum Theil tangential, zum
Theil radial, doch sind diagonale Theilungsebenen auch nicht
selten.
Bei der Fortsetzung**) meiner Untersuchungen Aber die
Histogenese der Betina bei Säugethierembrjonen (Bind, Kanin-
chen, Meerschweinchen, Hund) erhielt ich ausser der Bestätigung
Ton dem, was ich in meiner ersten Mittheilung auseinander-
gesetzt habe, folgende neue Ergebnisse:
1. In der distalen Lamelle der Betina findet man die Karyo-
kinese in allen ihren Begionen, d. h. sowohl am hinteren Pol,
als am Aequator, als in der Ciliarportion und in Zellen der Ter-
schiedenen Schichten dieser Lamelle;
2. In der hellen Innenzone der distalen Betinallamelle
beobachtet man bei 7,5 cm langen Bindsembrjonen und bei
4,3 cm langen Eanincbenembrjonen Zellen mit grossen, schwach
gefärbten Kernen, dagegen bekommen diese Zellen ausgeprägtere
Charaktereigenschaften bei Bindsembrjonen von 8 cm Länge.
3. Das Tapetum nigrum wird bei Bindsembrjonen von 1,8
bis 2,4 cm Länge aus (in der Seitenansicht) cubischen Zellen
gebildet und zwar sowohl am hinteren Fol als am Aequator;
dieselben zeigen eine Theilung durch Karjokinese; in dem vor-
deren Theil haben die Zellen des Tapetum dieser Embrjonen
eine ausgeprägt cjlindrische Gestalt, zeigen aber auch die Karjo-
kinese. Doch haben Zellen dieser proximalen Lamelle (in der
Ansicht von vom) bei Bindsembrjonen von 6.2 cm und Kaninchen-
embrjonen von 4,3 cm Länge eine beinahe poljgonale Form
und zwar sowohl am hinteren Pol, als am Aequator.
4. Das erste Zeichen des Beginns der Entwicklung des
TJvealtractus bei Säugethierembrjonen, welche von mir unter-
sucht wurden, ist eine reiche Mitose in den Zellenelementen
*) Die Kemtheilungsfiguren im Medullarrohre der Wirbel-
thiere. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. XXVI, 4. Heft, p. 623.
**) Annali d'Ottalmologia, Anno XV, Faso. 5 u. 6, Bendiconto
del Congre890 in Genova della Societä Ottalmologica Italiana neir
octobre 1886, p. 93.
80 Fr. Falchi.
seiner mesodermalen Anlage, besonders in den den Zellen des
Tapetnm nigmm zunächst gelegenen Elementen.
Meine Untersuchungen über die Histogenese der Betina
und des Nervus opticus wurden an Säugethierembryonen
(Kaninchen, Bind, Hund, Meerschweinchen, Mensch) an-
gestellt. Die Augen der Embryonen wurden in Alkohol
gehärtet. Die Färbung der Schnitte geschah mittelst der
Methode von Bizzozero*), mit Orenacher's Alauncarmin
und mit Hämatoxylin.
Primäre und secundäre Augenblase.
Die primäre Augenblase ist, wie schon E. v. Baer**)
zum ersten Male gezeigt hat, ein Theil der vorderen Hirn-
blase. Die primäre Augenblase erfährt später eine Ein-
stülpung, indem sich ihre vordere Wand nach innen einbiegt,
wodurch die secundäre Augenblase entsteht, welche daher
aus einem äusseren Blatte, der sogenannten proximalen
Lamelle, die zum Tapetum wird, und einem inneren Blatte,
der distalen Lamelle, aus der die eigentliche Betina entsteht,
zusammengesetzt ist. Es steht daher in dieser Entwicklungs-
periode das äussere Blatt der secundären Augenblase durch
den Augenblasenstiel, welcher die Anlage des Nervus opticus
darstellt, mit der vordem Hirnblase in Verbindung.
Bei Kaninchenembryonen von 10 Tagen hat sich die
secundäre Augenblase schon gebildet und ihr Stiel, die An-
lage des Nervus opticus, besteht aus 5 Lagen radial an-
geordneter Zellen mit runden oder ovalen Kernen. Die
runden oder wenig ovalen Kerne zeigen ein gefärbtes Netz-
werk und einen farblosen, das Licht reflectirenden Kemsaft;
dagegen sind die anderen Kerne deutlicher oval, ihr Netz-
*) Neue Methode, die in Kerntheilang begriffenen Zellen in
den Geweben nachzuweisen. Zeitschr. f. wissenschafü. Mikroskopie
Bd. m Heft 1, p. 24.
**) Ueber Entwickongsgeschichte der Thiere etc. L Theü
1828; n. Theil 1837.
Histugenese der Betina und des NemiB opticas, 81
werk ist intensiv geerbt und auch ihr Kernsaft ist es ein
wenig, wie dies meistens bei Zellen des Mesoderma der Fall
ist. Die Zellen mit mehr ovalem Kern sind hier weniger
zahlreich als in dem Mesoderma, während die mit runden
oder wenig ovalen Kernen zahlreicher sind. Die Zellen der
Innenfläche des Stiels zeigen viele Kemtheilungsfignren
(Fig. 1 a).
Diese selben Zellen, wie sie eben im Stiel beschrieben
wurden, bemerkt man auch in der proximalen Lamelle der
secundären Augenblase uud zwar am hinteren Pole und am
Aequator in 4 — 6 Lagen angeordnet, während sie in ihrem
vorderen Theil deren 4 — ^5 zeigt. Auch hier bemerkt man
in der proximalen Lamelle zahlreiche Mitosen in den Zellen
ihrer Innenfläche (Fig. 1 b), welche das Lumen der primären
Augenblase nach Aussen hin begrenzt.
Die distale Lamelle hat an ihrem hinteren Pole die
Gestalt einer etwas unregelmässigen Kegelspitze, welche
sich in der innem OefBnung des Canals oder dem innem
Hohlraum zwischen den Wänden des Stiels oder des Nervus
opticus präsentirt; hier besteht die distale Lamelle aus
6 — 7 Lagen von Zellen, welche denen der proximalen Lamelle
des Stieles und der vorderen Himwand ähnlich sind. Am
Aequator zeigt sie 4 — 5 Zellenlagen; an ihrem vorderen
Bande, wo sie in die proximale Lamelle übergeht, zählt man
deren 4. In den Zellen der distalen Lamelle beobachtet
man zahlreiche Karyokinesen in den Zellen der äusseren
Oberflächenlage (Fig. 1 c), welche der proximalen gegen-
übersteht und so nach Innen zu den Baum der primären
Augenblase begrenzt.
Im Allgemeinen sind in der proximalen und distalen
Lamelle und in den Wandungen des Sehnervenstiels die
Zellen mit runden oder etwas ovalen Kernen zahlreicher,
während die anderen Zellen mit stärker ovalen Kernen hier
in geringerer Anzahl vorhanden sind.
T. QrMfe'i Archiv für OphthAlmologie, XXXIV. 9. 6
82 ^- FalchL
Aus dieser Beschreibung ergiebt sich, dass in dieser
Entwickelongsperiode sowohl die Wandangen des Sehnerven-
stiels, als die proximale und die distale Lamelle eine unter
sich und mit der Wand der vorderen Hirnblase überein-
stinmiende Structur darbieten.
In dem Mesoderma, welches die secundäre Augenblase
umgiebt, zeigt die Mehrzahl der Zellen ovale Kerne, deren
Netzwerk intensiv gefärbt und deren Kemsaft auch etwas
gefärbt ist; doch finden sich auch hier Zellen mit runden
oder leicht ovalen Kernen mit wenig gefärbtem Netzwerk
und blassem Kemsaft.
In allen diesen Zellen des Mesoderma finden sich zahl-
reiche Mitosen (Fig. 1 d).
JSistogenese der Retina.
L Histogenese der eigentlichen Retina.
Bei der weiteren Entwickelung der secundären Augen-
blase beginnt deren proximale Lamelle dünner zu werden,
während die distale anfängt, in die Dicke zu wachsen.
Hiemach besteht die dicker gewordene distale Lamelle
(bei 18 mm langen Bindsembrjonen) an ihrem hinteren
Pole aus Zellen mit meistens ovalen (Fig. 2, A a) manch-
mal auch runden Kemen, mit gefärbtem Beticulum und
Keminhalt, doch ist der Nucleolus immer intensiver geftrbt;
diese Zellen sind radienförmig in 8 — 10 Lagen angeordnet.
Während sich die Zellen mit ovalem Kerne in der ganzen
Dicke der distalen Lamelle finden, bemerkt man die Zellen
mit rundem Kern in der äusseren Oberflächenschicbt und
am inneren Bande der Lamelle.
In den Zellen der äusseren Oberflächenschicht giebt es
viele Kaiyokinesen mit tangentialer Theilungsebene, doch
macht sich die Mitosis auch noch in den Zellen bemerk-
bar, welche in der dritten Zone, von aussen gerechnet, ge-
legen sind (Fig. 2, A b). Die Zellen der distalen Lamelle
Histogenese der Betina and des Nemu opticuB. 83
liegen meistens dicht aneinander, nur gegen den inneren
Band der Lamelle hin erscheinen sie weiter auseinander
gernckt. Diese Zellen schicken blasse Fortsätze nach
innen und nach aussen, welche zwei weissliche Streifen
bilden, und zwar ist der innere derselben breiter als
der äussere, welcher die distale Lamelle begrenzt. Am
Aequator besteht diese Lamelle aus 7 — 8 Lagen der
beschriebenen Zellen in gleicher Anordnung. Sowohl in
dem äquatorialen als in dem vorderen Theile der distalen
Lamelle bemerkt man ebenfalls in Eaiyokinese begriffene
Zellen mit radialer Theilui^sebene in der 2., 3. und
4. Lage, vom äusseren Bande aus gerechnet. In ihrem
vorderen Theile zeigt die distale Lamelle eine von
hinten nach vorn fortschreitende Verminderung ihrer Zellen-
lagen von 6 bis 2. Li dem Ciliartheil vermindern sich die-
selben von 3 auf 2 Lagen.
Aber sehr bald bekommt die distale Lamelle bei fort-
schreitender Entwicklung eine grossere Dicke; an ihrem
hinteren Pole besteht sie aus 9 — 12 Lagen von Zellen mit
länglich ovalem Kerne, mit intensiv gefärbtem Beticulum,
während der Eerninhalt nur leicht gefärbt ist (bei 1,8 cm
langen Kaninchenembryonen), aus 10—14 Lagen bei 2 bis
5y2 cm langen Bindsembryonen. In der Nähe der inneren
und äusseren Oberfläche der Lamelle zeigen die Zellen auch
runde und leicht ovale Kerne mit gefärbtem Netzwerk und
t)iassem Eernsaft. In allen an der äusseren Oberfläche
gelegenen Zellen bemerkt mau zahlreiche Mitosen (Fig. 4a),
meistens nüt tangentialer, manchmal aber auch mit
radialer Theilungsebene; doch beobachtet man die Mitosen
mit radialer oder tangentialer Richtung in gleicher Weise
auch in den medianen Schichten (Fig. 4 b) wie in den
anderen mehr inneren Schichten in der Nähe der Nerven-
fibrillenbündei. Ein heller, blasser, aus den nach aussen
gerichteten Fortsätzen der Zellen der distalen Lamelle ge-
bildeter Saum begrenzt diese Membran nach Aussen. Von
6*
g4 ^* Falchi.
grosserer Ausdehnung nach Innen hin ist der belle blasse
Saum, welcher in gleicher Weise von feinen blassen Zell-
forts&tzen gebildet wird, welche nach innen gerichtet sind
und sich in den Nervenbündeln verlieren. — Am Aequator
besteht die distale Lamelle aus 8 — ^9 Zellenlagen (bei 1,8 cm
langen Eaninchenembryonen), aus 9 — 11 bei Bindsembryonen
von 2 — ^5,2 cm Länge; auch hier beobachtet man die Mitose
mit tangentialer Teilungsebene in den Zellen der nahe der
äusseren Oberfläche (Fig. 5 a) befindlichen Lage, ebenso
wie die Mitose mit radialer und tangentialer Theilungs-
ebene in den Zellen der medianen Lagen (Fig. 5 b). Hier
zeigen sich die Nervenfibrillen in dürftiger Entwicklung.
Im vorderen Theile besteht die distale Lamelle, von
hinten nach vorn abnehmend, aus 5 Lagen der beschriebenen
Zellen (bei 1,8 cm langen Eaninchenembiyonen), aus 5 bis
3 Lagen bei 2 — 5,2 cm langen Rindsembryonen, mit Kern-
theilimgen in radialer und tangentialer Bichtung. Am
vorderen Ende der Giliarportion bekommen die Zellen qrlin-
drische Gestalt und sind zuletzt in der eigentlichen Giliar-
portion auf eine Lage cylindrischer Zellen reduoirt.
In einem weiteren Entwicklungsstadium zeigt sich die
distale Lamelle aus zwei Zonen von Zellen zusammengesetzt,
einer äusseren dunkeln und einer inneren hellen Zone (2,7 cm
langer Eaninchenembryo und 3 Wochen alter Meer-
schweinchenembryo).
Die dunkle äussere Zone wird am hinteren Pole von
7 — 12 Zellenlagen beim 2,7 cm langen Eaninchenembryo
und von 15 Lagen beim 3 wöchentlichen Meerschweinchen-
embryo gebildet. Diese Zellen haben einen länglich
ovalen und nur an der äusseren Oberfläche runden oder
leicht ovalen Eern, zeigen zahlreiche Earyokinesen mit
radialer oder auch tangentialer Theilungsebene in der ober-
flächlichen Schichte, aber auch in den Zellen, welche die
mehr nach innen liegenden Schichten bilden (Fig. 6, A f);
das Beticulum der länglich ovalen Eeme dieser Zone ist
Histogenese der Retina nnd des Nervus opticus. 85
intensiv geftrbt, ebenso auch, aber etwas weniger, der Kern-
saft; in den runden oder leicht ovalen Kernen ist nur das
Beticulnm gefärbt, dagegen der Kerninhalt beinahe immer
farblos. ^- Am Aequator zeigt diese Zone dieselben Zellen
mit der Karyokinesis in denselben Lagen, ist jedoch aus
6 — ^9 Zellenlagen (beim 2,7 cm langen Kaninchenembryo)
oder aus 9 — 10 Lagen (beim 3 wöchentlichen Meerschweinchen-
embryo) zusammengesetzt. — Li der Ciliarportion bilden
die Zellen nüt ovalem Kern und von rein cylindrischer
Gestalt ihre ganze Dicke; dieser Theil wird gebildet (von
hinten nach vom abnehmend) aus 3 — 2 Lagen (beim
Kaninchenembryo von 2,7 cm Länge) oder aus 5 — 2 Lagen
(beim 3 wöchentlichen Meerschweinchenembryo)«
Das vordere Ende dieser pars ciliaris besteht aus einer
Lage cylindrischer Zellen, welche Karyokinese mit radialer
Theilung zeigen.
Die helle Innenzone der distalen Lamelle ist am hin-
teren Pole zusammengesetzt aus Zellen mit rund -ovalem
Kern (F^. 6, Ag) der grösser ist als der Kern der Zellen
der dunkeln Aussenzone, mit geftrbtem Beticulum, farb-
losem Kemsaft, aber intensiv gefärbtem Kemkörperchen;
diese Zellen liegen weit auseinander und bilden 4 — ^5 Lagen
(beim 2,7 cm langen Kaninchenembryo und 3 wöchent-
lichen Meerschweinchenembryo). Am Aequator bilden
diese Zellen 3—4 Lagen und man findet hier die Karyo-
kinese mit tangentialer Theilungsebene. An der inneren
Seite der Zellen dieser Zone bemerkt man feine blasse
Zellfortsätze und die Fibrillen der Schicht der Nervenbündel.
Bei menschlichen Embryonen ist der Entwicklungsprocess
der distalen Lamelle, wie sie jetzt fdr andere Säugethiere
beschrieben wurde, weiter vorgeschritten. Die distale Mem-
bran besteht bei 3,8 und 7 cm langen menschlichen
Embryonen an ihrem hinteren Pole und am Aequator aus
zwei Zonen: die dunkle Aussenzone ist zusammengesetzt
ans Zellen mit sehr länglich-ovalem Kerne; doch erscheint
86 Fr. Falchi.
dieser Kern in einer gewissen Anzahl von Zellen der äusseren
Oberflächenlage mnd oder wenig oral; diese Zone wird von
5 — 6 Lagen von Zellen mit intensiv gefärbtem Reticulom
und schwach gefärbtem Eernsaft gebildet; in den Zellen
der äusseren Oberfläche finden sich zahlreiche Eemtheilungen
(Fig. 10 A. b) mit tangentialer und radialer Theilungsebene;
doch beobachtet man die Mitose auch in den Zellen der
medianen Lagen dieser Zone (7 cm langer menschlicher
Embryo). — Die Ciliarportion ist beim 3^8 cm langen
menschlichen Embiyo, (von hinten nach vom abnehmend)
aus 3—2 Lagen von Zellen mit länglich ovalem Kern, wie
sie in der äusseren Zone der anderen Regionen der distalen
Lamelle besehrieben wurden, zusammengesetzt, während sie
beim 7 cm langen menschlichen Embryo in ihrem mehr
nach vom liegenden Theil aus cylindrischen Zellen gebildet
wird. Hier beobachtet man die Eemtheilung in tangentialer
Richtung. — Die helle Innenzone wird sowohl beim 3,8 cm
langen als beim 7 cm langen menschlichen Embryo aus
5 — 6 Lagen von Zellen mit ovalem oder rundem Kern, mit
gefärbtem Reticulum und farblosem Kerninbalt (Fig. 10 A c)
gebildet und zwar sowohl am hinteren Pol als am Aequa-
tor. — Nach Linen zu von diesen Zellen befinden sich
die Fibrillenbündel des Nervus opticus, zwischen welchen
man Zellen mit Kernen bemerkt, ähnlich denjenigen der
Zellen der hellen Linenzone. Diese Zellen sind meistens
parallel der Richtung der Nervenfibrillen gelagert; andere
Zellen liegen nahe am vorderen Rande der Nervenbündel,
wo sich auch die Fusspunkte der Müiler^schen Radialfasem
bemerkbar machen.
In einer folgenden Periode der Entwicklung der Retina
zeigt im Grossen und Ganzen die dunkle Aussenzone sowohl
am hinteren Pole als am Aequator ein ähnliches Verhalten,
wie es in der vorhergehenden Entwickelungsperiode be-
schrieben wurde; indess bemerkt man, dass an die Zellen
ihrer inneren Grenze (Fig. 7 a) ein heller farbloser Raum
Hktogenese der Retina und des Nervus opticuB. g7
angrenzt, der aus feinen Zellenf&den gebildet wird (Fig. 7 b).
Derselbe ist die Anlage der inneren reticulären Schichte;
in demselben bemerkt man Zellen mit runden und ovalen
Kernen (Fig. 7 c) mit gef&rbtem Beticulom, aber stärker
gefärbtem Nucleolas, während der Eernsaft farblos ist.
Diese Zellen bilden 2 — 4 Lagen (beim 4,3 cm langen
Kaninchenembryo) oder 6 — 8 Lagen (beim 6,2 cm langen
Rindsembiyo) ; in einigen dieser Zellen, welche in der Nähe
der Nervenfibrillen liegen, bemerkt man Karyokinese (Fig. 7d).
Von den Zellen der distalen Lamelle gehen Fortsätze aus,
von denen die nach innen gerichteten bis zu den Opticus-
fasern vordringen und sich mit ihnen verbinden; zwischen
letzteren beobachtet man auch in Eerntheilung (Fig. 7e)
befindliche Zellen und Andeutungen der Basen der Müller-
schen Badialfasem. In der Pars ciliaris besteht die distale
Lamelle (von hinten nach vorn abnehmend) aus 4 — 1 Lagen
cylindrischer Zellen mit ovalen oder runden Kernen und
intensiv gefärbtem Beticulum (beim 4,3 cm langen Kaninchen-
embryo), während sie beim 6,2 cm langen Bindsembryo
4 — 1 Lagen von Zellen mit länglich -ovalem Kern bildet.
Im weiteren Fortschritt der Entwicklung der distalen
Lamelle (bei 5,7 cm langen Kaninchenembryonen, 7,5—8 cm
langen Bindsembryonen, 16,3 cm langen Hundeembryonen)
bemerkt man am hinteren Pole und am Aequator,
dass .die Zellen der dunklen Aussenzone, welche an
ihrer inneren Grenze liegen, wichtige Veränderungen
eingehen; sie zeigen einen Kern nicht mehr von länglich
ovaler Form, mit lebhaft geerbtem Beticulum und
auch etwas gefärbtem Kernsaft, sondern von mehr breit
ovaler Gestalt (Fig. 8 a) mit geerbtem Beticulum und Kern-
kOrpercben und mit farblosem Kerninhalt; diese Zellen
sieht man allmählich übergehen in die des Stratum reticu-
lare internum, welche eine weitere Entwickelungsstufe jener
sind. Die Zellen der inneren hellen Zone (Fig. 8 c) zeigen
Kerne von mehr breit ovaler, unregelmässig runder, manch-
88 ^* Falchi.
mal aber auch länglicher Gestalt mit gefärbtem Beticulam
und KemkOrperchen mit blassem Eemsaft, diese Zellen
zeigen deutlich einen Fortsatz nach innen und aussen, bilden
2 — 3 Schichten (bei 5,7 cm langen Embryonen von Kanin-
chen und 16,3 cm langen Hundeembryonen) oder 3 bis
7 Schichten (bei 7,5 — 8 cm langen Embryonen vom Binde);
in diesen Zellen bemerkt man die Eemtheilung auch in
der Nähe der Nervenfibrillen (Fig. 8 d).
Die Pars ciliaris retinae der distalen Lamelle zeigt in
dieser Epoche dasselbe Entwickelungsstadium, wie es in
der vorhergehenden Periode beschrieben wurde.
Bei Embryonen der folgenden Epoche werden die Cha-
raktere der Zellen der inneren hellen Zone deutlicher. In
der That findet man bei 8,5 cm langen Kaninchenembryonen,
beim ausgetragenen Eaninchenfötus, bei 13,3 cm langen
Bindsembryonen die Membrana limitans externa fertig ge-
bildet. Die dunkle Aussenzone hat dieselbe Structur wie
in der vorhergehenden Periode und die Zellen der M. limi-
tans interna zeigen Kerne von einem grosseren Oval mit
gefärbtem Beticulum und Kernkörperchen und nodt voll-
ständig ungefärbtem Kerusaft. Das Stratum reticulare in-
ternum ist deutlicher. Im Innern desselben bemerkt man
zwei Arten von Zellen; die einen mit grossem runden oder
leicht ovalen Kern nüt gefärbtem Beticulum, intensiv ge-
färbten Kernkörperchen und farblosem Kemsaft bilden am
hinteren Pole 2 Lagen, am Aequator nur eine Lage und
sind in Abständen von einander gelagert. Zwischen den
beschriebenen Zellen finden sich die anderen in 2 — 3 Lagen
angeordnet mit ovalen Kernen, welche kleiner sind als die
der ebenerwähnten Zellen mit intensiv gefärbten Beticulum
und etwas gefärbtem Kemsaft; diese letzteren Zellen findet
man auch in der Nerveniaserschichte und bei den MüUer*-
schen Badialfasem. — Die Pars ciliaris der distalen Lamelle
zeigt denselben Entwicklungszustand wie in der vorher-
gehenden Periode, nur die Gylinderzellen, welche sie an
Histogenese der Retina und des NervuB opticus. 89
ihrem yorderen Ende bilden, zeigen einen Kern mit intensiv
gefärbtem Reticulum. Bei allen Embryonen dieser Epoche
bemerkt man den Kemtheilungsprocess in den Zellen der
äusseren Oberflächenscbicht der dunklen Aussenzone.
Bei anderen Säugethierembiyonen hat die Histogenese
der eigentlichen Retina eine beträchtliche Entwicklang er-
langt. — Beim menschlichen Fotos von 21,5 cm Länge
zeigt die eigentliche Retina von aussen angefiuigen, folgenden
Entwicklungszustand. Die Membrana limitans externa
(Fig. 11, Aa) ist in Form einer leicht gewellten feinen
Linie vorhanden, auf welche die Stäbchen und Zapfen an-
stossen oder welche diese auch durchsetzen.
Die Entwicklung der Stäbchen vollzieht sich in
folgender Weise. Die Kerne der an die Membrana limitans
externa angrenzenden Zellen verdünnen sich und nehmen
die Gestalt eines feinen kurzen Stäbchens an (Fig. 11 Ab),
neben welchem sich gewöhnlich eine Zelle mit kleinem
ovalem Kerne ohne Fortsatz nach Innen befindet. Sowohl
das Stäbchen als auch der ovale Kern der eben erwähnten
Zelle haben ein intensiv gefärbtes Reticulum und einen eben-
solchen Keminhalt; daher kommt manchmal bei gut ge-
lungener Färbung eine Contrastwirkung zu Stande zwischen
der Intensität der Färbung dieser Elemente und der blasseren
Färbung der in Entwicklung begriffenen Zapfen und der
Kerne, aus welchen diese hervorgehen. Die in Entwicklung
begriffenen Stäbchen haben an ihrem vorderen Ende einen
kleinen Anhang blasser protoplasmatischer Zellsubstanz
und an ihrem inneren Ende einen blassen Fortsatz,
der sich in ein feinstes Netzwerk hineinbegiebt,
wo auch er sich in Fäden theilt. Dieses Netzwerk
repräsentirt die Anlage des Stratum reticulare extemum.
Manchmal bemerkt man einen ovalen Kern mit intensiv
gefärbtem Netzwerk und einem leicht gefärbten Kemsaft
über dem innem Fortsatz der Stäbchen liegen. Bei fort-
schreitender Entwicklung erreichen die Stäbchen die äussere
90 Fr. Falchl
Orenzmembran und durchsetzen dieselbe, zeigen aber auch
dann noch den beschriebenen Frotoplasmaanhang (Fig. 11 A c).
Die Zapfen sieht man sich ans ovalen Zellkernen entwickeln,
welche dicker und etwas länger werden (Fig. 11 A d) und
deren Inhalt leicht geßlrbt oder auch farblos ist, w&hrend
dagegen das Beticulum und auch das Eemkörperchen ge-
färbt ist; an dem innem Ende der Kerne der Zellen, in
welchen sich der Zapfen entwickelt, findet sich ebenfalls ein
blasser Fortsatz, der sich in das oben erwähnte Netzwerk
hineinbegiebt und in verschiedene Fäden auflöst Die ovalen
Kerne, aus welchen sich die Zapfen entwickeln, bilden auch
an ihrem dickeren Ende, welches das äussere ist, einen
Protoplasmaanhang. Indem sie allmählich mehr oval und
grösser werden, gelangen sie an die Membrana limitans ex-
terna, durchsetzen dieselbe, wobei sie zum Theil ihre Ge-
stalt beibehalten; daher sind sie, wenn sie vollständig über
die Membrana limitans nach Aussen hervorragen, mit dieser
mittelst eines Stiels verbunden, wodurch die Zapfen in
dieser Gestalt Aehnlichkeit bekommen mit umgekehrten
Flaschen oder mit gestielten ovalen Bläschen; dieset Stiel
ist ihr innerer Fortsatz, der sich in das Netzwerk des
Stratum reticulare extemum hineinbegiebt. Wenn die Zapfen
einmal diese Entwicklungsstufe erreicht haben, zeigen sie
den Protoplasmaanhang an ihrer äusseren Oberfläche nicht
mehr. Zwischen den Elementen, welche die Zapfen und
Stäbchen bilden und dem Orte, wo das Stratum retioulare
extemum angelegt wird, existirt eine blasse Strecke, welche
von den inneren Fortsätzen der Stäbchen und Zapfen durch-
setzt und auch hie und da von den spärlichen beschriebenen
Zellen eingenommen wird, welche sich meist neben den er-
wähnten üi Entwicklung begriffenen Elementen befinden.
Einwärts von der Stelle, an welcher das Beticulum (Stratum
reticulare extemum) aufgetreten ist, befindet sich eine Lage
von Zellen mit rundem oder leicht ovalem Kern mit intensiv
gefärbtem Beticulum und Kemsaft (Fig. 11 A f). Diese
Histogenese der Retina und des Nervus opticus. 91
Zellen bemerkt man mitten unter andern in dieser ganzen
Zone.
unterhalb der Linie der erwähnten Elemente bemerkt
man drei Lagen von Zellen mit ovalem oder rundem Kern
(Fig, 11 A g), mit geerbtem Beticulum und Eemkörperchen,
aber mit ungefärbtem Eernsaft; unmittelbar unterhalb der
dritten Lage dieser Zellen bemerkt man eine Lage bipolarer
Zellen, auch einzelne multipolare und spindelförmige Zellen
(Fig. 11 A h) mit Fortsätzen, welche zumeist nach Aussen
und Innen gerichtet sind und sich intensiv färben.
Nach Innen von diesen Zellen haben wir wieder 3 Lagen
von Zellen mit grossem Kern (Fig. 11 A g), welche sich
ebenso verhalten wie diejenigen, welche nach Aussen von
den bipolaren Zellen liegen und beschrieben wurden. Die
innere reticuläre Schicht wird von einem feinsten Netz von
Zelleufäden gebildet und enthält hier und da Zellen mit
ovalem oder grossem rundem Kern (Fig. 11 A i) mit ge-
färbtem Beticulum und ungefärbtem Eeminhalt; daneben
lassen sich andere Zellen mit kleinem Kern, mit gefärbtem
Beticulum und mit gefärbtem Kerninhalt finden. Nach
Innen von dem Stratum reticuläre internum bemerkt man
Zellen mit grossen runden Kernen mit gefärbtem Beticulum
und KemkOrperchen mit ungefärbtem Kerninhalt (Fig.ll Ak),
welche in zwei Lagen angeordnet und von einander entfernt
liegen; mitten unter ihnen finden sich andere Zellen mit
kleinerem Kern (Fig. 11 A 1) mit intensiv gefärbtem Be-
ticulum und Kerninhalt; sie bilden vier oder fünf Lagen
zwischen denen der grossen Zellen, die in dieser Zone be-
schrieben wurden, in welcher man auch die MüUer'schen
Badialfasem bis zu ihrem vorderen Ende bemerken kann.
/Fig. 11 A n). Bei diesen bemerkt man auch die Nerven-
fibrillen (Fig. 11 Am).
Bei dem 7 cm langen Meerschweinchenfötus sind die
Stäbchen und Zapfen auf dem Wege, sich aus den Zellen
der äusseren Oberflächenschicht zu entwickeln, wie es eher
92 Fp. FalchL
beim menschlichen Fotns beschrieben wurde; alle anderen
Lagen der Betina sind jedoch bereits entwickelt
Beim neugebomen Kaninchen zeigt die distale Lamelle
in der dunkeln Anssenzone die Membrana limitans externa
und nach Innen von derselben sowohl am hinteren Pole als
am Aequator 10 — 11 Lagen von Zellen mit ovalem Kern,
mit stark gefärbtem Beticulum und auch etwas geerbtem
Eeminhalt. Doch finden sich in der äussern Oberflächen-
schicht auch Zellen mit runden Kernen. In den Zellen der
äusseren Oberflächenschicht findet Kemtheilung statt.
An der inneren Grenze dieser Zone haben die Zellen
emen grossen ovalen Kern mit gefärbtem Beticulum, aber
mit lebhaft gefärbten KernkOrperchen und mit unge&rbtem
Kerninhalt (Fig. 9 b). Nach Innen von dem Stratum
reticulare intemum giebt es zwei Lagen von Zellen, von
denen die einen einen ovalen, runden (Fig. 9d), grossen
Kern mit gefärbtem Beticulum, intensiv gefärbtem Nucleolus
und ungefärbtem Kemsaft und mit einem nach aussen oder
nach innen gerichteten sichtbaren Fortsatz haben: es sind
dies vollständig entwickelte Ganglienzellen. Die anderen
Zellen (Fig. 9 c) haben einen runden oder ovalen Kern von
geringerem umfang mit intensiv gefärbtem Beticulum und
EernkOrperchen und ebenfalls gefärbtem Kemsaft. Die
Lagen dieser Zellen sind nach innen von der der Nerven-
fibrillen begrenzt, zwischen denen sich Zellen mit ovalem
Kern bemerkbar machen, deren grOsste Achse in der Bich-
tung der Nervenfasern verläuft. — Der Giliartheil der distalen
Lamelle ist von hinten nach vorn gezählt aus 3 — 2 Lagen
cylindrischer Zellen mit länglich ovalem Kern gebildet,
welche sich weiter nach vorn an den Ciliarfortsätzen auf
eine einzige Lage ebenfalls cylindrischer Zellen reduciren.
Beim menschlichen Neugeborenen und bei dem des
Meerschweinchens sind die Schichten der Betina vollständig
entwickelt, die Stäbchen und Zapfen mit inbegriffen.
Beim 5 Tage alten Kaninchen ist noch keine Spar
Hütogenese der Betina und des Nemis opticus. 93
von Stäbchen nnd Zapfen vorhanden. Eine blasse helle
Linie theilt die dnnkle Aussenzone in zwei Lagen von Zellen.
In den Zellen der nun zur äusseren gewordenen Zone be-
merkt man karjokinetische Figuren mit tangentialer Tbei-
lungsebene bei den Zellen der äusseren Oberfläche und mit
radialer Theilungsebene bei denjenigen, welche in der Nähe
der erwähnten blassen Linie liegen. Die übrige Betina ver-
hält sich genau, wie es beim neugeborenen Kaninchen be-
schrieben worden ist und die Membrana limitans externa
ist fertig gebildet
Beim Kaninchen von 15 Tagen sind die Stäbchen und
Zapfen entwickelt Man bemerkt in den Kernen der Stöb-
chen, wie Heule fand und M. Schnitze, Merkel, 0. Wag-
ner, W. Krause, Schwalbe und Dennisenko bestätigten,
dass sie aus 2 transversal gestellten Scheiben bestehen,
welche intensFv gefärbt sind und an den Polen des Kernes
li^en; manchmal bemerkt man auch noch eine dritte
Scheibe, welche transversal zwischen den beiden anderen
liegt. Diese Thatsache erklärt Flemming"*") so, dass in den
Kernen der Stäbchen sich 2 Substanzen von verschiedenem
LichtbrechungsvermOgen befinden, von welchen die eine bei
gewissen Färbemethoden sich schnell färbt und die eben-
erwähnten gefärbten Scheiben darstellt, während die andere
farblos bleibt.
Das Stratum reticulare externum zeigt an der Innen-
seite Zellen mit ovalen Kernen, welche mit der grOssten
Achse der transversalen Bichtung eines Theiles der Zellen-
fäden, welche denselben bilden, parallel gerichtet sind.
Die Kerne dieser Zellen haben ein geerbtes Beticulum
und KemkOrperchen, während der Kernsaft farblos ist.
Die innere Kömerschicht zeigt 2 — 3 Lagen von Nerven-
zellen mit ovalen und runden Kernen, mit gefärbtem Beti-
culum und KemkOrperchen und farblosem Kerninhalt und
^ Zellsnbstanz, Kern- und ZelltheilODg. 1882, p. 115.
94 ^* FalchL
mitten zwischen denselben eine Schicht bipolarer intensiF
gefärbter Zellen.
Die Ganglienzellen bilden eine einzige Lage. Diese
Zellen haben einen grossen Kern mit gefärbtem Beticulum
und Eemkörperchen und ungefärbtem Eeminhalt und einem
sichtbaren Fortsatz nach innen. Zwischen diesen Zellen
bemerkt man andere mit kleineren Kernen, welche ein
intensiv ge&rbtes Beticulum und einen auch etwas gefärbten
Eerninhalt besitzen.
Die anderen Schichten der Betina zeigen sich deut-
licher entwickelt als bei Kaninchen der vorhergeh^den
Epoche. Der Process der Karyokinese hat aufgehört.
Beim Kaninchen von 30 Tagen haben die verschiedenen
Schichten der Betina ihre Entwicklung erreicht und zeigt
sich ihre Structur deutlich.
Bei Kaninchen von 40—42 Tagen hat die Betina voll-
ständig die Structur wie im ausgewachsenen Zustande.
2. Histogenese des Epithels der Betina.
Nach der Bildung der secundären Augenblase beginnt
die proximale Lamelle dünner zu werden, während die
distale in die Dicke zu wachsen anfängt. In der That be-
steht sie bei Bindsembryonen von 18 mm Länge am hinteren
Pole aus einer, zwei, auch drei Lagen cubischer Zellen
(Fig. 2, A d) mit (von der Seite gesehen) ovalem, in seinem
Innern nach der distalen Lamelle gerichteten Theil pigmen-
tirten Kern. Im Frontalschnitt erscheinen diese Zellen in
verschiedener Gestalt, rundlich oder polygonal und ist ihr
Kern oval (Fig. 2, Bi). Das Pigment erscheint in Form
kleiner Körnchen, umgrenzt die Zellensubstanz, während
der Kern vollständig frei davon bleibt; in den von der Seite
gesehenen Zellen nimmt das Pigment ihren inneren Theil
ein und erscheint alsdann in Gestalt kleiner Stäbchen.
Diese Zellen der proximalen Lamelle setzen sich fort in
diejenigen, welche zum grOssten Theil das Stützgewebe des
Histogenese der Retina und des Nervus opticos. 9ö
Nervns opticus bilden (Fig. 2, A e) und hier sowie in der
Nähe dieses Punktes bilden die cubischen Zellen 2 bis
3 Lagen und sind frei von Pigment.
Am hinteren Pole bemerkt man zwischen diesen Zellen
der proximalen Lamelle nnd den Zellen der äusseren Ober-
fläche der distalen Lamelle andere Zellenelemente (Fig. 2, A f),
welche wahrscheinlich vom Mesoderma abstammen und welche
ein Bindemittel zwischen der distalen Lamelle und dem
Kudiment des Nervus opticus sind. Am Aeqnator wird
die proximale Lamelle von den am hinteren Pole beschrie-
benen Zellen gebildet, doch bilden dieselben nur eine ein-
zige Lage. — In ihrem vorderen Theil vermehren sich die
Zellen der proximalen Lamelle auf 9 Schichten; sie haben
«inen länglich ovalen Kern; diese Schichten reduciren sich
weiter nach vom auf zwei und zwar bis zu der Stelle, wo
die proximale an die distale Lamelle angrenzt. Das Pig-
ment nimmt in dieser Region nicht nur den inneren Theil
der Zellen der weiter nach innen liegenden Schicht ein,
sondern es findet sich zuweilen auch in den Zellen der
äusseren Schicht.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung (bei Kaninchen-
embrjonen von 1,8 cm und bei Bindsembiyonen von
2—5,2 cm) besteht die proximale Lamelle an ihrem hinteren
Pole und am Aequator (in der Seitenansicht) aus einer Lage
cubischer Zellen (Fig. 3 B f ), welche besonders in ihrem
inneren Drittel stark pigmentirt sind und einen pigmentfreien
Kern besitzen. Diese Zellen haben, von vorn gesehen, eine
polygonale Qestalt (Fig. 3Bg). Das Pigment liegt in der
Peripherie der Zelle und lässt den Kern frei. Die vordere
Portion der proximalen Lamelle ist ähnlich so, wie sie in
der vorhergehenden Periode beobachtet wurde, nur beim
Rindsembryo von 5,2 cm erscheint die Pigmentirung ent-
sprechend der Entwicklung des GiliarkOrpers viel inten-
mer. — Das Tapetum besteht bei Kaninchenembryonen
von 2,7 cm und bei 6 wöchentlichen Meerschweinchen-
96 Fr- FaLchi
embryonen am hinteren Pole und am Aequator aus einer
Lage (in Seitenansicht) cubischer Zellen (Fig. 6 A h), welche
in Earyokinesis begriffene Kerne zeigen (Fig. 6 B e), was
man auch in den (in Seitenansicht) cylindrischen Zellen des
Giliartheils beobachtet, wo die proximale Lamelle aus einer
einzigen Lage dieser Zellen zusammengesetzt ist. Die Zellen
des Tapetum zeigen in der Ansicht von vome an ihrem
hintern Pol und am Aequator (Fig. 6 B k) eine polygonale
Gestalt, ihre Conturen sind grOsstentbeils verdeckt von dem
Pigment, das in die Zellsubstanz bis an den Kern heran
eingedrungen ist, dessen ümriss daher auch nicht deutlich
erscheint. Bei menschlichen Embryonen von 3,8 cm ist
das Tapetum gleichfalls aus cubischen Zellen gebildet
(Fig. 10 Ag) (Seitenansicht), welche einen ovalen Kern be-
sitzen; diese Zellen zeigen in der Ansicht von vom eine
polygonale Gestalt (Fig. 10 B h) mit leicht ovalem Kern« In
denselben findet man das Pigment in der Peripherie an-
gehäuft, doch findet man auch welches in dem Kern, wenn
auch in geringerer Menge als in der Zellsubstanz. Am
Aequator und in dem vorderen Theil verhält sich das
Tapetum wie es bei den andern Säugethieren vorhin be-
schrieben worden ist. — Bei menschlichen Embryonen von
7 cm bilden die Zellen des Betinaepithels in der Seiten-
ansicht einen schmalen Streifen kleiner Platten; in der An-
sicht von vom erscheinen sie in hexagonaler Gestalt Der
Kem ist fast vollständig pigmentfrei und liegt auf einer
Seite der Zelle, wesshalb das Pigment in der Zellsubstanz
in einer Weise angehäuft liegt, dass es zwischen sich und
dem Kern einen fast vollständig freien Hof lässt — Bei
weiter entwickelten Embryonen (Kaninchen von 4,3 und
5,7 cm, Bind von 6 — 8 cm) erscheinen die Pigmentzellen
des Tapetum wie bei Embryonen der vorhergehenden Epoche ;
nur bei den eben erwähnten Kaninchenembryonen bemerkt
man an den Zellen in der Seitenansicht, dass ihre langen
Protoplasmafortsätze stark pigmentirt und nach der distalen
Histogenese der Retina und des Nervus opticus. 97
Lamelle hin gerichtet sind, an deren äusserer Grenze man
zuweilen Spuren Ton Pigment erblickt. — Beim menschlichen
Embryo von 21,5 cm erscheinen die Zellen des Tapetnm in
der Seitenansicht als ein dQnner Streif von Plftttchen
(Fig. 11 A o), in der Ansicht von vorn zeigen sie hexagonale
oder polygonale (Fig. 11 B p) Gestalt mit meist aus dem
Centrum nach einer Seite hin yerschobenem, mit einem
halbmondförmigen Pigmenthof umgebenem Kern. Wenn
manchmal der Kern in der centralen Zone der Zelle sich
befindet, dann ist das Pigment in Form eines Rings um
den Kern herum vertheilt.
Bei anderen S&ugethieren (Rindsembryo von 13,3 cm,
Kaninchenembryo von 8,5 und Meerschweinchenf&tus von
7 cm) haben die Zellen des Tapetum die Charaktere er*
langt, welche man an den Thieren nach der Geburt findet.
Man beobachtet daher, dass beim neugebomen Kaninchen
(Fig. 9 i) die Zellen des Retinaepithels in der Seitenansicht
gerade wie beim neugebomen Menschen und Meerschweinchen
sich in der Gestalt feiner Platten präsentiren, während diese
Zellen in der Ansicht von vom eine deutlich hexagonale
Gestalt mit ovalem Kern zeigen und das Pigment die Zell-
substanz und auch den Kern occupirt hat. Bei Kaninchen
von 7 — 15—30—40 — 42 Tagen zeigen die Zellen des Retina-
epithels sich vollständig entwickelt, wie es für das neu-
gebome Kaninchen beschrieben wurde.
Aus meinen Auseinandersetzungen über die Histogenese
der Betina der Säugethiere ergiebt sich folgendes: Bei der
Histogenese der Betina geschieht die Vermehmng ihrer
Elemente durch den Process der Karyokinese, welcher bei
einigen Säugethieren (Kaninchen) bis zum 7. Tag nach der
Geburt anhält. Den Vorgang der Mitose bemerkt man
nicht nur in den Zellen der äusseren Oberflächenschicht
der distalen Lamelle, sondern auch in den anderen Schich-
ten dieser Lamelle, doch sind in der äusseren Oberfiächen-
T. Gra«fe*t ArelÜT fOr Ophthalmologie, XXXIV. 2. 7
98 Fr. Falchi.
Schicht die Mitosen zahlreicher als in anderen Schichten.
In allen Regionen der distalen Lamelle, sowohl am hinteren
Pol als am Aeqnator, als an dem Giliartheil bemerkt man
die Earyokinese in den Zellen der verschiedenen Schichten.
Die Eichtnng der Theilongsebene ist bei der Histogenese
der Betina meistens eine tangentiale, weniger häufig eine
radiale und noch viel seltener eine diagonale. Die Earyo-
kinese hört anf, sobald die Stäbchen ihren Entwickelnngs-
process beginnen.
Mit Bücksicht auf die histologischen Studien von
Flemming und Strasburger und die chemischen von
Zacharias, PlOsz und Eossei ttber die Zelle erhielt ich
folgende Besultate. Die erste Verschiedenheit in der Gestalt
und dem Farbenton der Zellkerne der proximalen und distalen
Lamelle macht sich bemerklich, wenn sich die secundäre
Augenblase bildet. Eaum hat sich die distale Membran
verdickt, so zeigt sie Zellen mit intensiv gefärbtem Eem
und Betlculum, während der Eemsaft nur wenig geftrbt
ist. Bald darauf beginnt eine Umgestaltung der Zellen,
welche an dem inneren Bande der distalen Lamelle liegen.
Die Eeme der dort gelegenen Zellen werden oval und grösser,
ihr Beticulum und Eemkörperchen wird gefärbt. Nach
Bildung des Stratum reticulare internum entstehen aus den
vorher erwähnten Zellen zwei Arten, die einen haben einen
kleineren Eern mit intensiv gefärbtem Beticulum und auch
etwas gefärbtem Eerninhalt, die anderen Zellen haben einen
grossen Eern mit gefärbtem Beticulum und Eemkörperchen,
aber ungefärbtem Inhalt Diese letzteren Zellen zeigen bei
ihrer Weiterentwicklung Fortsätze und bilden die Ganglien-
zellen der Betina.
Aus der äusseren Zellenschicht der distalen Lamelle
stammen die Stäbchen und Zapfen (beim Eaninchen zwischen
dem 7. und 15. Tag nach der Geburt und nicht schon beim
neugebornen Eaninchen, wie Eoganei glaubt und in Fig. 3
seiner Arbeit abbildet). Desshalb gebe ich nach vielen
Histogenese der Betina und des Nernis opticus. 99
Präparaten in Figur 10 eine Darstellung der Betina des
nengebomen Kaninchens. Was Eoganei als Stäbchen und
Zapfen bezeichnet, findet sich bereits beim Eaninchenfötus
von 8,5 cm, ist aber nichts anderes als die äussersten
Enden der Zellenfortsätze der distalen Lamelle. Dagegen
entwickeln sich die Stäbchen und Zapfen bei Säugethieren
(menschlicher Fötus von 21,5 cm und Meerschweinchen-
fOtus von 7 cm) aus den Kernen der äusseren Oberflächen-
schicht durch den oben von mir beschriebenen Vorgang
(Fig. llAbcde). Am inneren Ende haben sie einen blassen
Fortsatz, welcher sich in Fäden theilt und sich in das sehr
feine Netzwerk des Stratum reticulare extemum hinein-
begiebi
Die Stäbchen und Zapfen zeigen während ihrer Ent-
wicklung einen leichten Unterschied in der Intensität ihrer
Färbung. Der übrige Theil der Entwicklung der Betina,
welchen Koganei dem nengebomen Kaninchen zuschreibt,
das heisst die Bildung der Körnerschichten mit dem Er-
scheinen des Stratum reticulare extemum existirt in Wirk-
lichkeit beim neugeborenen Kaninchen nicht, man findet
vielmehr diese Verhältnisse zuerst beim Kaninchen von
7 Tagen.
Beim Kaninchen von 15 Tagen kommen an den Kemen
der Stäbchen durch die Färbung die queren Scheiben zur
Beobachtung, welche von Henle entdeckt und von Flem-
ming auf das Vorhandensein zweier Substanzen von ver-
schiedenem Brechungsindex zurückgefdhrt wurden, von
welchen die eine sich mit gewissen Färbemitteln färben
lässty die andere aber farblos bleibt.
Die innere und äussere reticulare Schicht entwickeln
sich so, wie es Babuchin, Ogneff und Kölliker be-
schrieben haben.
Das Tapetum nigmm ist das EntwicUungsproduct des
äusseren Blattes der secundären Augenblase. Kurz nach
seiner Bildung besteht es aus (von der Seite gesehen)
1*
100 ^r. FalchL
cubischen Zellen, welche sich durch Earyokinese vermehren
und zwar sowohl am hinteren Fol als am Aeqnator; in
dem vorderen Theil besteht es ans cylindnschen Zellen,
welche ebenfalls Mitose zeigen. Das Pigment befindet sich
im Innern Theil dieser cubischen Zellen und stärker an-
gehäuft in den cylindrischen Zellen des vorderen Theils,
wo es eine oder zwei Lagen derselben einnimmt. In der
Ansicht von vom erscheinen diese cubischen Zellen rund
oder unregelmässig polygonal und das Pigment hört an der
Grenze der Zellsubstanz auf. Die cylindrischen Zellen
würden nach der Theorie von Hennum aus den cubischen
in Folge von Druckwirkung von Seiten der letzteren ent-
stehen; aus derselben Ursache würden die letzteren auch
die platten Zellen entstehen lassen, welche, von vom ge-
sehen, hexagonal aussehen. Das Pigment nimmt die Zell-
substanz ein, dringt zuweilen aber auch bis in den Kern ein.
Bei Kaninchenembryonen von 2,7—4,3 — 6,7 cm Länge
bemerkt man, dass die Zellen des Retinaepithels stark pig-
mentirte Fortsätze gegen die distale Lamelle zu ausschicken,
auf deren Oberfläche man Pigment abgelagert findet — und
dies Verhalten besteht zu einer Zeit, wo die Nervenzellen
der Retina noch in dem Process der Entwicklung begriffen
sind und die Stäbchen und Zapfen noch nicht existiren.
Histogenese des Nervus opticus.
Nach der Bildung der secundären Augenblase setzt sich
die proximale Lamelle in die Wände des Stiels fort, welche
dann sich weiter in die Wand der vorderen Hirnblase ver-
längern. Die Stmctur der Stielwand ist in diesem Stadium
ähnlich der der proximalen und distalen Lamelle; sie lässt
im Innern einen Hohlraum. Im weiteren Verlauf der Ent>-
wicklung der secundären Augenblase geht der Stiel be-
trächtliche Verändemngeu ein. Bei Rindsembryonen von
1,8 cm besteht er aus Zellen mit ovalem, etwas länglichem
Kern inmitten eines sehr feinen Netzwerks; diese Zellen
Histogenese der Retina und des Nervus opticus. IQl
sind denen der proximalen Lamelle, deren Fortsetzung sie
sind (Fig. 2 A e), ähnlich; ihre Kerne haben ein gefärbtes
Beticulum und EernkOrperchen, während ihr Eernsaft farb-
los ist; sie liegen meistens mit ihrer grössten Achse in der
Richtung der Achse des Stieles. Zwischen diesen Zellen
verlaufen feine Nervenftden (Fig. 2 A g) in der ganzen
Ausdehnung des Stieles; an den Seitenrändern ist diese An-
lage des Nerven von zarten wellenförmigen Falten des um-
gebenden Mesoderma begrenzt wie von einer Anlage der
Nerrenscheide. Das den Nerven umgebende Mesoderma
besteht aus Zellen mit länglich ovalem Kern, mit intensiv
gefärbtem Reticulum und Eeminhalt und mit einer Bichtung,
welche gegen diejenige, in welcher die Zellen und die be-
schriebenen feinen Fäden des Nerven verlaufen, senkrecht
oder schräg steht; diese Mesodermazellen zeigen Earyokinese
(Fig. 2 A h). Zwischen dem äusseren Rande des hintern
Pols der distalen Lamelle und dem Punkte, an welchem die
proximale an der Bildung der Nervenanlage theilzunehmen
beginnt, bemerkt man eine Anhäufung von wahrscheinlich
dem Mesoderma zugehörigen Zellen, welche ein Bindeglied
zwischen der distalen Lamelle und dem sich entwickelnden
Nerven darstellen (Fig. 2Af). — Im Verlauf der Weiter-
entwicklung besteht der Nervus opticus (beim Eaninchen-
embryo von 1,8 cm, beim Bindsembryo von 2 — ^5,2 cm und
beim 3 wöchentlichen Meerschweinchenembryo) aus feinsten
Nervenfibrillen und aus zahlreichen, gewöhnlich mit grossen
Kernen, manchmal aber auch mit kleinen, runden oder
länglich ovalen und zuweilen auch dreieckigen Eerneu ver-
sehenen Zellen. Diese Zellen zeigen sich in der Gegend der
Papille und hinten in der Linie, wo sich später die Lamina
cribrosa befinden soll, mit der grössten Achse den Sehnerven-
fEtöern parallel gerichtet; die Zellen sind auch dort zahlreich,
wo die Ausbreitung des Nervus opticus beginnt; in den
Eemen dieser Zellen an der Papille bemerkt man die
Earyokinese (Fig 3 A b) mit meist gegen den Verlauf der
102 Fr. Falchi.
Nenrenfibrillen parallelen, manchmal aber auch schrägen
Sichtung; dagegen findet man in dem Niveau der Schicht,
wo später die Lamina cribrosa entsteht, Zellen, welche
senkrecht zur Richtung der Nervenfibrillen gestellt sind; sie
haben länglich ovale, etwas kegelförmige oder spindelförmige
Kerne (Fig. 3 A c) und zeigen eine Earjokinesis mit senk-
recht zu den Nervenfibrillen gestellter Theilungs- Ebene
(Fig. 3 A d). Hinter dieser Stelle sind die Zellen sehr zahl-
reich, bilden keine regelmässige Streifen mehr und ihre
Kerne sind rund, länglich oval und beinahe dreieckig mit
der grOssten Achse in der Richtung der Nervenfibrillen;
unter ihnen finden sich Zellen, weiche in Karyokinese be-
griffen sind mit parallel zur Richtung der Nervenfibrillen
gestellter Theilungsebene. Alle diese Zellenelemente des
Nervus opticus zeigen einen Kern mit leicht gefärbtem
Inhalt, während das Reticulum und das KemkOrperchen
intensiv gefärbt sind. In der Papille haben die Nerven-
fibrillen folgende Richtung: die mittleren Nervenbflndel
derselben erscheinen auf Längsschnitten vom in der
Form des freien Endes eines Pinseis (Fig. 3 Ah), während
die Nervenfibrillen der Peripherie (Fig. 8 A i) sich nach
vom fortsetzen und wie der umkehrende Strahl eines
Springbmnnens (wie sich Schwalbe ausdrückt) auseinander-
biegen, an der Innenseite der distalen Lamelle weiterlaufen
und die Ausbreitung des Nervus opticus bilden. In dem
Mesoderma, welches den Nervus opticus umgiebt, finden
sich viele Zellen mit ovalem oder rundem Kem mit
intensiv gefärbtem Reticulum, welche zahlreiche Mitosen
zeigen.
In weiteren Entwicklungsstadien (Embryo vom Kanin-
chen von 2,7 cm, vom Meerschweinchen von 3 Wochen)
sind die Fibrillen sowohl im Nerven als in der Papille
deutlicher. Die zwischen diesen Fibrillen liegenden Zellen
zeigen in Bezug auf Richtung und den Process der Karyo-
kinese dasselbe Verhalten, wie in der zuletzt beschriebenen
Histogenese der Retina und des Nervus opticus. 103
EntwicUungsperiode; in derselben Weise erscheinen im Ge-
biet der Papille die centralen Nervenbündel, welche in der
Bichtnng von vom nach hinten abgetheilt sind, wie das
freie Ende eines Pinsels (Fig. 6 A a) und treten bestimmter
hervor, während die Fibrillen der Peripherie weiter nach
vom verlaufen, um sich dann nach Aussen umzubiegen
und so die Ausbreitung. des Nerven zu bilden (Fig. 6 Ac).
Das Mesoderma, welches den Nervus opticus umgiebt, zeigt
in dieser Epoche zahlreiche Mitosen. — Im Nervus opticus
des menschlichen Embryo von 3,8 cm bemerkt man das-
selbe Structurverhältniss wie in dem Stadium, welches eben
fOr andere Säugethiere geschildert worden ist. Auch hier
giebt es in Earyokinese begriffene Zellen, auch hier sieht
man (die medianen Nervenfibrillen auf Längsschnitten in
gleicher Weise in der Form eines Pinselendes hervor-
treten (Fig. 10 A d), während die peripheren Nerven-
bändel zur Bildung der Nervenausbreitung des Nervus
opticus sich strahlenförmig auseinanderbiegen (Fig. 10 A e)
und sich innerhalb der distalen Lamelle fortsetzen.
Beim 7 cm langen menschlichen Embryo zeigt der Nerv
im Allgemeinen dieselbe Stmctur wie bei dem 3,8 cm
langen; an der Oberfläche der Papille macht sich eine
leichte Einsenkung und die Arteria hyaloidea s. capsularis
bemerkbar. Ln Nerven selbst bemerkt man eine Arteria
centralis. Die Bündel seiner Nervenfasern sind sehr deutlich.
Bei Säugethier- Embryonen von höherem Alter nimmt
der Nerv an Volumen zu und treten die Nervenbündel deut-
licher hervor (beim Eaninchenembryo von 8,5 cm und beim
ausgetragenen Kaninchen), während wir beim menschlichen
Embryo von 2 t cm die Papille entwickelt finden, die cen-
tralen Bündel sich sanft zurückbiegen und den Boden der
leichten Einsenkung, welchen dieselbe zeigt, bilden helfen;
der übrige Theil des Nerven verhält sich wie beim Er-
wachsenen. Die Scheiden des Sehnerven sind beinahe voll-
ständig entwickelt.
104 Fr. Falchi.
Beim neogebornen Eaninchen ist die Papille gebildet,
ihre Einsenkung ist seicht, ihre Nervenbündel geben ihr die
Gestalt, welche sie beim ausgewachsenen Kaninchen dar-
bietet ; doch sieht man von der Arteria centralis retinae ein
Netz von Gapillaren aasgehen, welche sich in das Aus-
breitungsgebiet des Nerven (Fig. 96) hineinverlängern und
ausserdem die Arteria hyaloidea s. capsularis (Fig. 9 f).
Die Lamina cribrosa ist gebildet (Fig. 9 g), die Nervenbündel
im übrigen Theil des Nerven sind auch sehr ausgeprägt
und die Zellen, welche sie abgrenzen, zeigen einen Kern
mit stark gefärbtem Beticulum; in diesen Elementen be-
obachtet man Karyokinese (Fig. 9 h). Im Auge des neu-
gebomen Menschen hat der Sehnerv seine Entwicklung
vollendet.
Beim Kaninchen von 7 Tagen hat der Sehnerv und die
Papille beinahe vollständig die Entwicklung me im aus-
gewachsenen Zustand, doch sind die centralen Gefässe von
einem jungen Bindegewebe mit Gapillaren umgeben. Das-
selbe beobachtet man bei einem Kaninchen von 15 Tagen;
aber bei einem Kaninchen von 30—40—42 Tagen ist die
Ent?ricklung des Sehnerven und seiner Scheiden vollendet
Aus dem Studium der Histogenese des Nervus opticus
bei Säugethieren geht hervor, dass das Volumenwachsthum
des Nervus opticus geschieht durch Vermehrung der zwischen
den Nervenfaserbündeln liegenden Zellen vermittelst der
Karyokinese und durch die Volumenzunahme der Bündel
dieser Fibrillen.
Während bei einigen neugebomen Säugethieren (Mensch)
die Papille und der übrige Theil des Sehnerven entwickelt
sind wie beim Erwachsenen, zeigt bei anderen (Kaninchen)
die Papille meist noch die Persistenz der Arteria hyaloidea
s. capsularis.
Das Stützgewebe des Nervus opticus wird zum grossen
Theil von den Zellen gebildet, welche die Wände seines
Histogenese der Betina und des Nervus opticus. 105
Stieles darstelleD, welche aber Veränderungen eingegangen
sind, — aber auch von Elementen des Mesoderma, welche
mit Geftssen in den Nerven eindringen.
Was ich beobachtete, berechtigt mich der Meinung von
His und EOlliker in Betreff des Ursprungs des Nervus
opticus beizutreten; darum halte ich daran fest, dass der
Nervus opticus der Säugethiere als ein Theil des Gehirns
zu betrachten ist und dass die Wandungen des Stiels der
secundären Augenblase sich in StQtzgewebe umwandeln, zu
dessen Bildung auch das Mesoderma beiträgt, welches mit
Geftssen hineinwächst. In der That kann man in diesem
Stiel keinen Vorgang, der auf die Bildung von Nerven-
zellen hindeutete, beobachten, wie ich einen solchen bei der
Bildung der Ganglienzellen verfolgen konnte; aus diesem
Grunde können von den eigentlichen, den Stielwandungen des
Nerven angehörigen Zellen die diesen Nerven wesentlich
zusammensetzenden Nervenfibrillen nicht gebildet werden.
Gegen die Ansicht W. Müllers kann ich bemerken,
dass das Auftreten der Nervenbündel des Sehnerven der
Entwicklung der Ganglienzellen der Betina lange vorher-
geht, diese Zellen daher den Sehnerven nicht bilden können,
da er bereits vor ihnen existirt.
Erklärung der Figuren.
Yig. 1. Horizontaler Längsschnitt der secundären Augen-
blase eines 10 Tage alten Eaninchenembiyo. — Färbung mit
Grenachers Alauncarmin. — Koristka, Oc. 3. hochgestellter Tabus,
Object YUI: a) Zellen in Karyokinese vom innern Rand des Seh-
nervenatiels*, b) desgleichen von der inneren Oberfläche der proxi-
malen LameUe; c) desgleichen von der äusseren Oberflächenschicht
der distasen Lamelle ; d) desgleichen von dem die secundäre Augen-
blase umgebenden Mesoderma.
Fig. 2A. Horizontaler Längsschnitt des hinteren Pols der
secundären Augenblase und der Anlage des Sehnerven von einem
1,8 cm langen Bindsembryo. — Färbung mit Grenachers Alaun-
106 Fr. Palchi.
carmin. — Zeiss, Oc. 4, tiefgestellter Tabus, Obj. ^/^ homogene
ImmersioiL a) Zellen der distalen Lamelle mit ovalem Kern;
b) Zellen in Karyokinese in der äusseren Oberflächenschicht; c) des-
gleichen in der dritten Schicht der distalen Lamelle; d) Zellen der
distalen in der Seitenansicht; e) Stelle, an welcher sich die Zellen
der proximalen Lamelle in den Sehnervenstiel fortsetsen; f) Kerne
der wahrscheinlich dem Mesoderma angehörigen Zellen, welche die
Anlage des Nervus opticus mit der distalen Lamelle verbinden;
g) feinste Nervenfibrille; h) Zellen in Karyokinese in dem Meso-
derma, welches den Nerven und die secund&re Augenblase umgiebt
Fig. SB. i) Zellen der proximalen Lamelle, von vom ge-
sehen. Hämatoxylinf&rbung.
Fig. 3. Horizontaler Längsschnitt der distalen Lamelle am
hintern Pole und des Nervus opticus von einem 1,8 cm langen
Kaninchenembryo. — Fig. 3 A. Färbung mit Hämatoxylin. —
Fig. 3 B. Färbung mit Grenachers Alauncarmin. Zeias Oc. 4^ tief-
gestellter Tubus, Obj. }{,, homogene Immersion.
Fig. 3A. a) Zellen in Karyokinese in der cweitinnersten
Schicht der distalen Lamelle; b) Karyokinese in den Zellen der
Papille; c) Kemzellen mit gegen den Verlauf der Nervenfibiillen
transversaler oder senkrechter Richtung; d) Karyokinese einiger
Zellen; e) desgleichen in dem hintern Abschnitt des Sehnerven;
h) mittlere Nervenfasern des Sehnerven; i) äussere Nervenfasern,
welche im Begriff sind, sich gegen die innere Oberfläche der distalen
Lamelle zarflckzubiegen.
Fig. 3B. f) Zellen der proximalen Lamelle, von der Seite
gesehen; g) dieselben Zellen in der Ansicht von vom.
Fig. 4. Horizontalschnitt vom hintem Pol der distalen
Lamelle der secundären Augenblase eines 4,2 cm langen Binds-
embryo. — Färbung mit Grenachers Alauncarmin. — Zeiss, Oc 4,
tiefgestellter Tubus, Obj. £. a) Zellen in Kaiyokinese in der
äusseren Oberflächenschicht derselben; b) desgleichen in den mitt-
leren Schichten der äusseren Zone der distalen Lamelle; e) des-
gleichen in den inneren Schichten.
Fig. 5. Horizontalschnitt der distalen Lamelle desselben
Embryo wie in Fig. 4 an der Grenze zwischen der Aequatorial-
gegend und der Pars ciliaris retinae. Färbung mit Grenachers
Alauncarmin.— Zeiss, Oc4, tie^pesteliter Tubus, Obj.E. a) Zellen
in Karyokinese in der äusseren Oberflächenschicht; b) desgleichen
in der mittleren Partie der distalen Lamelle.
Fig. 6. Horizontaler Längsschnitt der distalen Lamelle der
secundären Augenblase von einem 2,7 cm langen Kaninchenembryo.
Zeiss, Oc. 4, tiefgestellter Tubus, Obj. {4^ homogene Immersion. —
Fig. 6 A Färbung mit Hämatoxylin, Fig. 6 B Färbung mit Alaun-
carmin.
Histogenese der Retina nnd des NerTua opticus. 107
¥ig. 6A. a) Centrale Nervenbündel des Sehnerven; b) peri-
phere Nervenbündel des Opticus, welche sich strahlenförmig zurück-
biegen; c) Zellen in Earjokinese im Anfang der Sehnerven-
ansbreitang; d) senkrecht zur Riebtang der Nervenbündel gestellte
Zellkerne nnd einige davon in Earyokinese; e) längliche und spindel-
förmige Zellkerne in der hintern Partie des Nervus opticus und
einige dieser Zellen in Karyokinese; f) Karyokinese in einer Zelle
der zweiten Schicht der dunkeln Aussenzone der distalen Lamelle;
g) Zellen der hellen Innenzone; h) Tapetum in Seitenansicht;
i) Karyokinese der Zellen des Mesoderma, welches den Nerv
umgiebt.
Fig. 6B. k) Tapetum von vom gesehen; 1) cubische Zellen
des Tapetum in Seitenansicht und einige derselben in Kaiyokinese.
Fig. 7. Tbeil eines Horizontalschnitts der distalen Lamelle
von einem 4^ cm langen Eaninchenembryo. — Zeiss, Oc. 4, tief-
gestellter Tubus, Obj. yis, homogene Immersion. Färbung mit
H&matoxylin. a) Bildungszellen der dunkeln Aussenzone; b) Be-
ginn der innem reticulären Schicht; c) Zellen der hellen Innen-
zone; d) desgleichen in Karyokinese; e) Zellen zwischen den
Nervenfibrillen der Sehnervenausbreitung in Karyokinese.
Fig. 8. Theil eines Horizontalschnitts der distalen Lamelle
am hintern Pole von einem 5,7 cm langen Kaninchenembiyo, Fär-
bung nach der Methode von Bizzozero. — Zeiss, Oc 4, tiefgestellter
Tubus, Obj. J^a, homogene Immersion, a) Zellen der dunkeln
AuBsenzone mit ovalem Kern an der Grenze gegen die innere
reticuläre Schicht; b) Stratum reticulare internum; c) Zellen der
hellen Innenzone, eine derselben d) in Kaiyokinese.
Fig. 9. Horizontaler Längsschnitt der Retina an ihrem hin-
teren Pole und des Nervus opticus vom neugeborenen Kaninchen.
Färbung mit Grenachers Alauncarmin. — Zeiss, Oc. i, tie^estellter
Tubus, Obj. J{a, homogene Immersion, a) Zellen in Karyokinese
aus der äusseren Oberfiächenschicht der distalen Lamelle; b) ovale
farblose Zellen an der äusseren Grenze der Aussenzone; c) ovale
und runde Zellen zwischen den Ganglienzellen; d) Ganglienzellen;
e) Gapillare in der Sehnervenausbreitung; f) Arteria hyaloidea
8. capsularis; g) pamina cribrosa; b) Karyokinesis in den Zellen
des Sehnerven; i) Epithel der Retina in Seitenansicht
Fig. 10. Horizontaler Längsschnitt der distalen Lamelle am
hintern Pole, und des Nervus opticus von einem 3,8 cm langen
menschlichen Embryo. Färbung mit Ghrenachers Alauncarmin. —
Zeiss, Oc. 4, tiefgestellter Tubus, Obj. K99 homogene Immersion.
Fig. 10 A. a) Dunkle Aussenzone; b) Karyokinesis in der
äusseren Oberflächenschicht; c) Zellen mit grossen blassen Kernen
der hellen Innenzone; d) centrale Nervenbündel der Papille; e) peri-
phere Nervenbündel, welche sich strahlenförmig zurückbiegen;
108 Fr. Falchi.
f) Zellen in Kaiyokinese im Nervus opticus; g) Epithel der proxi-
malen Lamelle in Seitenansicht
Fig. 10 B. h) Zellen des Tapetnm in der Ansicht von vom.
Fig. 11. Horizontalschnitt der Ketina in der Aequatorial-
gegend eines 21jS cm Uuigen menschlichen Embryo. — Färbung
mit Grenachers Alaoncarmin. Zeiss, 0& 4, tiefgestellter Tnbus»
Obj. }^,, homogene Immersion.
Fig. IIA. a) Membrana limitAns externa; b) Yerl&ngenmg
des Kerns bei der Entwicklung der Stäbchen; c) die Kerne, welche
sich zur Bildung der Stäbchen yerlängem, sind durch die Mem-
brana limitans externa durchgewachsen; d) yergrOsserte und Yer^
längerte Kerne bei der Entwicklung der Zapfen nähern sich der
Membrana limitans externa und erreichen dieselbe; e) diese Kerne
haben die Membrana limitans externa durchsetzt und zeigen nun
die Gestalt eines gestielten ovalen Bläschens; f) Zellen mit kleinem
runden ovalen Kern, welcher sich intensiv färbt; g) Zellen mit
grossem, blassen, ovalen Kern; h) Upolare, polypolare und spindel-
förmige Zellen; i) grosser blasser Kern im Stratum retlculare
intemum; k) grosser Zellkern der weiter innen gelegenen Schicht;
1) kleiner Zellkern der weiter innen gelegenen Schicht; m) Schicht
der Nervenfibrillen; n) inneres Ende der Mfillefschen Radialfasem ;
o) Epithel der Retina in Seitenansicht.
Fig. IIB. p) Epithel der Retina in der Ansicht von vom.
Uebei die Thomas'schen bipolaren Eieissysteme
nnd die Spiralsysteme anf angesoliliffeiieii Grystall-
linsen.
Von
Prof. Dr. Ludwig Matthiessen
in Rostock.
Mit Ewei Holzschnitten.
Die überaus feinen nnd regelmässigen Curvensysteme,
welche zuerst von Thomas'*') auf den Schliffflächen ge-
härteter CrystalUinsen beobachtet und in der Folge von
Czermack**) synthetisch erklärt wurden, sind bisher, soviel
mir bekannt, analytisch noch nicht discntirt worden. Die
Erscheinungen, welche sich auf einer mit der Linsenaxe
parallel liegenden SchliffQäche im Mikroskope dem Auge
des Beobachters darbieten und wovon ich an einem von
meinem verehrten Gollegen Professor Aubert mir vorgelegten
Präparate mich durch eigene Anschauung Oberzeugt habe, be-
stehen in vier verschiedenen zusammengesetzten geometrischen
Gebilden, nämlich aus einem centralen und zwei seitwärts
in der Aequatorialebene liegenden concentrischen Ereis-
*) Frager medicin. Yierteljahresschrift (1854) L Bd., Ansserord.
BeiL S. 1.
**) Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. VII. S. 185; v. Helm-
holtz, PhysioL Opt. § 5, 2. Aufl.
110 ^* MatthieMen.
Systemen, ausserdem einem Systeme von vollkommen
parallel mit der Axe laufenden geradlinigen Strahlen. Ganz
genau so sind diese Qebilde auch in einer Zeichnung von
Czermack wiedergegeben. Um das Problem, die Entstehung
dieser Liniensysteme mathematisch zu erklären, angreifbar
zu machen, ist man genöthigt, von der Vorstellung einer
idealen Linse auszugehen, welche der wirklichen möglichst
nahe kommt. Betrachten wir die Verhältnisse des histo-
logischen Baues einer kugelförmigen Crystalllinse, z. B. einer
Fischlinse, wie sie auch von Thomas zu seinen Schliffen
benutzt ist, so ist dieselbe, besonders nachdem sie gesotten ist,
in lauter concentrische Eugelschalen zerlegbar; diese Eugel-
schalen bestehen aus Fasern, welche meridional von einem
Punkte der Axe bis zu dem gegenüberliegenden verlaufen,
wobei sie an der vorderen und hinteren Fläche vielfiich in
sternförmigen Figuren in einander übergehen, um den übrigen
Platz zu machen. Die Querschnitte der Fassem sind sechs-
eckig und wabenförmig aneinandergefügt; die längere Seite
dieser Sechsecke liegt äquatorial, während die vier kürzeren
Seiten beiderseits Zuschärfungeu und in ihrem weiteren Ver-
laufe von Schicht zu Schicht NathHächen bilden, welche
mit den Spaltflächen oder inneren Scheidewänden einer
Apfelsine vergleichbar, sämmtlich durch die Linsenaxe gehen.
Die Fasern bestehen auf diese Weise aus platten Lamellen,
von denen die flachen Seiten die Hauptspaltungsfläche in
Eugelschalen bilden.
Denkt man sich nun einen Aequatorialschnitt durch
die Linse geführt, so kommen die vorbezeichneten vier
Curvensysteme sämmtlich zum Ausdruck ; die Nathlinien C D
(s. nebenstehend Fig. 1) bilden das geradlinige Strahlen-
system, welches hier durch den Axenpunkt geht, die Spalt-
linien A B bilden das centrale, concentrische Ereissystem
und die Verbindungslinien P P und P Ps der Mittelpunkte
aller möglichen Diagonalreihen von Faserschnitten bilden
zwei in diesem Falle noch unipolare Spiralsysteme. Führt
TbomMschö bipolare KreiasjBteme n. Spii&layBtdme etc. m
man nun eioea schiefen Gbenenschiiitt gegen die Axe, so
bilden die Nahtlinien C D immer noch ein gegen den Aien-
ponkt D convergirendes geradliniges Strohlensystem; wird
aber der Ebenenachnitt parallel mit der Liosenaxe, also senk-
recht zum Aequator, gefQbrt, so liegt der Axeapnnkt D im
Unendlidien, und das geradlinige Strahleosystem geht in
ein paralleles tlber. Alle drei Falle lassen sich sehr schon
/
Fig. 1.
an den homologen Schnitten einer Apfelsine zur Anschauung
bringen. Die drei dbrigen Curvensysteme erleiden bei dem
Uebergang von einem in beliebigem Abstände Tom Llnsen-
centrum gefQhitem Aeqoatorialschnrtte in einen Ueridional-
schnitt, mannigfache Metamorphosen, die sich unter ver-
schiedenen einfachen Voraussetzungen Ober die geometrische
Gestalt and Lagerung der Querschnitte der Linsenfaaeru
analytisch herieiten lassen. Von diesen Systemen bilden nur
die Spaltlinien AB in jedem Falle ein centrales, conceatrisches
112 L. Matthiessen.
Kreissystem, da concentriscbe Engelschalen immer in ooa-
oentrischen Kreisen von einer Ebene geschnitten werden.
Die folgenden Untersuchungen haben es also wesentlich mit
den beiden Spiralsystemen zu thnn.
Da die Dimensionen der Faserscbnitte gegen den
Bad. vect. einer Linsenschicht yerschwindend klein sind, so
wird es gestattet sein, das Differenzial einzufahren. Wir
vermögen dann die Differenzialgleichung der fraglichen
Curven oder Trajectorien aufzustellen, wenn wir voraus-
setzen, dass innerhalb einer und derselben Faser- oder
Linsenschicht die Fasern im Aequator überall dieselbe Breite
und Dicke besitzen und auf einer mit der Linse concentriscben
Kugelfläche parallel mit dem Meridian bis zur Linsenaxe
verlaufen. Ist m das Verhältniss der Breite zur Dicke am
Aequator einer beliebigen Schicht vom Badius Qj so wird
m im Allgemeinen eine Function von q sein. Da die Naih-
linie CD gegen den Axenpunkt D convergirt, so ist
db = dboA
r
wo dbo die Breite der Faser im Aequator, r den Badius
der Linse bezeichnet. Nun zeigen Linsenschnitte, dass die
Dicke der Faser nach dem Kerne zu viel rascher abnimmt,
als die Breite. Drücken wir die Dicke durch 26 q aus, so
kann man setzen
2dQ == 2d^o^:ffe),
und wenn man das Verhältniss d bo : 2 d ^ ~ mo annimmt,
so ergibt sich
d b =- 2mof(^)d^,
wo f (q) eine durch Messungen noch näher zu bestimmende,
jedenfalls aber mit abnehmendem q wachsende Function ist.
um die Jdeen zu fixiren, denken wir uns jetzt irgend
einen Ebenenschnitt im Abstände a vom Linsencentmm
durch die Kugel geführt Dieser Ebenenschnitt ist für alle
Linsenschiohten ein Kreis, in welchem die schiefen Durch-
Thomas'sche bipolare Kreissysteme u. Spiralsysteme etc. 1X3
schnitte sämmtlicher Fasern dieses Bereichs zar Ansicht ge-
langen. Dieselben erscheinen auch hier sechseckig und
wabenförmig aneinandergefügt. Wir untersuchen die Curven-
systeme, welche die Verbindungslinien PPi und P Pa der
Mittelpunkte aller möglichen Diagonalreihen von Fasern
sind. Man erkennt leicht aus der Zeichnung (Fig. 1), dass
man an die Stelle des mosaikartigen GefQges von gestreckten
schiefen Sechsecken, parallel gelagerte Rhomboide von der
halben scheinbaren Dicke setzen kann, deren breite Seiten
Fig. 2.
H I und E L senkrecht zum Radius des Ereisschnittes stehen
und deren schmale Seiten H L und I E in ihrer Fortsetzung
als Nathlinie CD das vorerwähnte parallele Strahlensystem
bilden. Wir substituiren deshalb statt der wirklichen Fasern
solche von der gleichen Breite, aber der halben Dicke. Die
halbe wahre Dicke ist dg und ihre Breite im Aequator db.
Beachten wir nun, dass durch jeden Punkt P zwei Trajectorien
in symmetrischer Lage hindurchgehen, so ist
(1) db = ±2mof{Q)dQ.
Es sei also M A N B (Fig. 2) der Ebenenschnitt oder
die ebene Schlifffläche im Abstände C M = a vom Eern-
V. Graefe'fl Archiv für Opbthalmologio, XXX IV. 8. 8
114 L. Hatthiessen.
centrum C einer kugelförmigen KrystalUinse, D sein Durch-
scbnittspunkt mit der Linsenaxe 0 Oi, MB seine horizontale,
M N seine yerticale Halbaxe, G S die yerticale Halbaxe r des
anf der Ebene A D 0 senkrechten Meridians 0 S Oi und
DQ die senkrechte Darcbschnittslinie der Schliffflache mit
dem Meridiane. Alsdann liegen die Halbaxen C S und M N
in der Ebene des Linsenäquators, O2 P ist der Meridian des
Punktes P, also P D die Durcbschnittslinie der Schliffflache
mit diesem Meridiane, t; und q die Rad. vect. Yon P be-
züglich der Centra M und C, PN = MG = y und
M N = P G = X die rechtwinkligen Coordinaten. Da P
der Mittelpunkt des Schnittes HI KL (Fig. 1) einer Faser
ist, so wird die Diagonale HPK das Bogenelement d s der
gesuchten Trajectorie sein. Zieht man G F >= ai senkrecht
zur Linsenaxe 0 Oi und verbindet P mit F und G, dann
ist P F G = € der Neigungswinkel des Meridians gegen die
Basalebene und somit
(2) d b = ^ d « = ^ d arc tan — .
Demgem[iss ist die Differenzialgleichung der Trajectorie
(3) d: 2 mo -^ d o -= d € = d arc tan — .
^ ^ Q ^ ai
Aus der Betrachtung des Dreiecks F G D ergiebt sich leicht
die Belation
Bi = y sin z + a cos z,
wo z den Axenwinkel 0 D A bedeutet. Die Gleichung (3)
geht dadurch über in die Form des Integrales
—^^ dg =± -^ arc tan — -. f- C.
Q ^ 2mo ysmz4-acosz
Wenn nun f (^) eine algebraische Funktion ist, z. B.
(5) f(e) = «-f/?y + y^ + ....
so ist das Integral immer bestimmbar. Die Gleichung (4)
stellt dann im Allgemeinen zwei Schaaren von Spiralen dar,
(4)/
Thomas'sche bipolare KreisBysteme n. Spiralsysteme etc. 115
welche je eine Scbaar vod geschlossenen Curven umkreisen.
So lange nämlich je nach der Wahl des Gonstanten G der
Werth von ai nicht gleich Null, also die Tangente nicht
zt 00 werden kann und folgeweise die Curve P in dem Be-
reiche A D Q bleibt, mössen die Gorven geschlossene oder
in sich zurücklaufende sein. Hieraus folgt:
a) dass, wenn der Punkt D ausserhalb der Schliff-
flache liegt, diese also von der Linsenaxe nicht
durchbohrt wird, nur geschlossene Gurvenschaaren
auftreten;
b) dass, wenn D in der Schlifffläche, aber in einem
endlichen Abstände von M liegt, geschlossene
Gurven und Spiralen auftreten, und
c) dass, wenn D mit M coincidirt, nur Spiralen auf-
treten.
Zu dem Falle a) gehören die Thomas'schen Gurven-
«ysteme, bei denen die Schlifffläche parallel mit dem Meridian,
also senkrecht zum Aequator geführt ist; im Falle c ist die
Schlifffläche senkrecht zur Linsenaxe oder parallel mit dem
Aequator geführt.
Um nun zu einer klaren Einsicht in die Verhältnisse, die
Art und Lage der Gurvenschaaren, zu gelangen, wollen wir
mehrere Specialfälle betrachten, und zunächst die Integrations-
<2onstante G bestimmen. Aus Fig. 2 ersieht man, dass
^a = a*4-x*H-y^ ist. Bezeichnet dann xo einen Werth
der Abscisse, bei welchem y verschwindet, so ist
(6) A^do = ±— (arc tan
X
x^ Q ^ mo \ y sm z -I- a cos z
— arc tan —
a
cosz/
Bezeichnet xi einen zweiten Werth von x derselben Gurve,
bei welchem y verschwindet, so erhält man
(7) Afl£)dß ^^JLLroUin-^ arc tan -^^l
^ ' -^ X, ß ^ mo \ a cos z a cos zj
8*
116 L* Matthiessen.
Ans dem umstände, dass für die zweite Trajectorie, welche
dnrch einen Punkt P gebt, mo negativ ist, geht hervor, dass
auf der oberen und unteren Hälfte der Schlifffläche zwei
gesonderte, symmetrisch gelegene Curvenschaaren existiren^
welche getrennte Pole haben, weshalb wir uns auf das
obere Vorzeichen beschränken können. In dem einen Pole
wird offenbar Xi « Xq = ß, wo S den Abstand des Poles
vom Kreiseentrum M bedeutet. Um seinen Ort zu bestimmen,
differenziren wir (7) und substituiren Xi = x^ = R. Setzen
wir der Kürze wegen
/-
'.ti£)aß = F(xi)-P(xo),
SO wird
a cos z d xi
FUß)rfx,-F(R)dxo=-^{
a» cos z» -f- ß2
a cos z d xo \
~ a^cosz^-hRT
und da im Allgemeinen dxo von dxi verschieden ist,
1 acosz _^
^ ^^^~ mo a^cosz^ + R^ " ^'
a cos z
oder (8) mo = (a^cosz^ + R^jF^R/
Wir sind so zu dem interessanten Ergebnisse gelangt, dass
man m^ d. h. das Verbal tniss der Breite der Linsenfasern zu
ihrer Dicke im Aequator berechnen kann, wenn z, a und R
gemessen, und umgekehrt R berechnen kann, wenn m, z
und a gegeben sind. Wenn man weiter von der allgemeinen
Gleichung (5) ausgeht und der Gleichung (8) entsprechend
den Ausdruck
iDo = (P (a, z, R, a, /?, / . . .)
bestimmt, so ist es offenbar möglich, an mehreren Schnitten
die unbestimmten Coefficienten a,ß^Y,,,. zu finden, kurz
den histologischen Bau der Linse, besonders in der Um-
gebung des Eemcentrums genau mathematisch zu definiren.
Thomas'sche bipolare Kreifisysteme a. Spiralsysteme etc. 117
Nachdem wir im Vorhergehenden die allgemeine Lösung
<les Problems gegeben haben, ist es nicht schwierig, von
speciellen Fällen, namentlich den Thomas*schen Gurren-
sy Sternen, eine mathematische Darstellung zu geben. Da
es leicht ist^ in Berücksichtigung der natürlichen Verhältnisse
die allgemeine Funktion f (^) einzuführen, so beschränken
wir uns im Wesentlichen auf die Voraussetzung
f (^) = 1, d. h. a = 1, /? = y = . . . = 0.
Die Gleichungen (6) und (7) gehen dann über in
(9) log nat ^"^1"^'-^/' = — f arc tan ^
— arctan — - — ),
a cos z/
a»-hxi» 1 / . X,
y sin z + a cosz
(10) log nat -ö-; — K = (arc tan
— arc tan
a cos z
Xn
:)•
a cos z,
Indem wir uns weiter darauf beschränken, nur die Systeme
der geschlossenen Gurven in der Umgebung der Pole zu
discutiren, betrachten wir folgende vier Fälle:
I. z = 0® (die Thomas'schen Kreissysteme);
IL z wenig Ton 0^ verschieden;
III. z wenig Ton 90® verschieden, und
IV. z = 90^
I. Es sei z = Oo, also die Schlifffiäche parallel mit der
Linsenaxe. Die Gleichungen sind in diesem Falle
(11) log nat ^^S^^ = :^ (arc tan ^ - arc tan ^\
(12) lognat-;:±^^;:- = ^ (arctan ^-arctan ^).
Die DiflFerenzirung von (12) oder die Gleichung (8) ergiebt
die elegante Relation
(13) mo = -^ = -J,
IXg L. Matthiessen.
wo d die Poldistanz der beiden Curvenscbaaren auf der
oberen und unteren Hälfte der Schlifffläche bezeichnet. Setzt
man für die unmittelbare Umgebung des einen Poles.
Xi=B.-^ J,Jq'=^B, — ^,80 verschwindet die Gleichung (12>
identisch, wenn man bis zu Grössen der Kleinheit der
III. Ordnung exci. entwickelt. Demnach gehen die Gurren
in der Umgebung der Pole durch Punkte, welche von jene»
gleichen Abstand haben. Die Goordinaten der Gurve, welche
durch diese beiden Punkte geht, seien y und g == x — B;
alsdann gebt die Gleichung (11) über in
log nat [1 + Ir-TBr^l - ^'^ ^"* L^ ?TB^1
2R r . ß + 5 . B — ^1
= arc tan — arc tan .
a L a a J
Wenn man die Glieder bis zur Kleinheit der III. Ordnung^
excl. entwickelt, so resultirt
(14) 5« -h y» = ^^
welches die Gleichung eines Kreises ist. Ist a = 0, so
geht die Gleichung (11) über in
(15) x»-^y^ = Xo^
d. h. in einem Meridionalschnitte gehen sämmtliche Curven
über in ein System von concentrischen Kreisen um das
Kerncentrum C; die Fasern werden ihrer Länge nach durch-
schnitten oder gespalten.
Wenn man allgemeiner annimmt, es sei
f(e) = a-H/Jy,
oder was den natürlichen Verhältnissen besser entsprechen
möchte,
so ist die Differenzialgleichung ebenfalls integrabel und die
Scbaaren der Diagonalcurven bebalten immer noch zwei
Pole; jedoch wird ihre Distanz 2 B = d eine andere und
Thomas^Bche bipolare Ereissysteme u. Spiralsysteme etc. ng
die Curven in der üingebuDg derselben werden elliptisch.
Gehen wir aus von der ersteren Form der Function, so ist
die Dififerenzialgleichung
adx
^"■.(-'f)'f-
(") -hr + ^-l.
q I Q a^ -f- X^
und die Bestimmungsgleichung (8) wird
(16) m, = ^:[a-^ß-^.^^).
Führt man diesen Werth in die Coordinatengleichung ein,
ebenso die Coordinaten $ und y, entwickelt darauf sämmtlicbe
Glieder bis zu Grössen der Kleinheit III. Ordnung excL, so
findet man
Ist a = 0, so ist Ji^ = J^ei^ : (a'-f-ß^), und die kleinste
Axe der Ellipsen liegt parallel zur Linsenaxe. Doch wird das
Yerhältniss B : a immer yerhältnissmässig klein sein, so dass
die Ellipsen sich von Kreisen wenig unterscheiden. Wenn es
aber möglich sein sollte, das Axenverhältniss J : Ji zu
messen, so sind Mittel an die Hand gegeben, die Function
f {q) oder die unbekannten Coöfficienten a, /J, y . . . genauer
zu bestimmen und zwar an ebensoviel Schliffflächen in ver-
schiedenen Abständen a vom Linsencentrum.
11. Es sei der Winkel z wenig von Null verschieden
und zunächst f {q) = 1. Dann folgt aus (8) die Bestimmungs-
gleichung
.-Qv _ a cos z (a^ 4- B^)
^^^^ ^' "" 2 B (a« cos z« + B»)'
Wird nun g = ^ für y ^ 0, so geht die Gleichung (9)
Aber in
120 L* MatthiessexL
log nat [l + ^.^'r. J - log nat [l -,-^\
^ 2 R (a^ C08 z^ -f R») i R4-g
a cos z (a^ -h R^) j /^ . J sin z\
^ „ J acosz(l + '^^ )
ß — j) V acosz/
— arc tan >.
a cos z]
Entwickelt man die Glieder in Reihen bis zn Grossen der
Kleinheit III. Ordnnng excl., so erhält man die folgende
für den ganzen Bereich von z = 0° bis 90® gültige Gleichung
der geschlossenen Gnrven in der Umgebung der Pole (R):
ri9^ (r^ , T^ /^^ I 2(S^-^)a^R^sinz»
2 R^ sin z (y^ R sin z — 2 y g a cos z) 2 R^ y sin z __ ^
a^ cos z* (a^ cos z* 4- R^) acosz
Da die Tangente nicht ± oo werden darf, also der Grenz-
werth-^^ = — 1 ist, so sind die Curven für kleine
a cos z
g und y geschlossen und zwar concentrische Ellipsen, deren
Mittelpunkt nicht mehr im Pole (R) liegt; er möge der
wahre Pol heissen. Da in dem vorliegenden Falle z sehr
klein ist, so kann man cos z = 1 setzen. Es ist demnach
a
mo =
2R
und weil y von derselben Ordnung der Kleinheit bleibt,
wie g, die Gleichung der Curve
R2
g^4-y*-^*4-2y — sinz = 0.
a
R»
Substituirt man y H sin z = 17, so wird
a
R*
(20) g»-f 17*^ = ^ + ^sinz^
Dies sind concentrische Kreise und es ist der wahre Pol aus
der Aze M N des Kreisschnittes um die Strecke — sin z
a
nach der D-Axe hin verschoben.
Thomas*sche bipolare Kreissysteme u. Spiralsycteme etc. 121
Wir wollen jetzt noch voraussetzen, es sei f (ß) = — ;
dann lautet die Bestimmungsgleichung (8)
,„-v ___ a cos z (a^ 4- R^) v«
K^^) ^0 - 2n.T (a^ cos z» 4- ß^)"
Die Gleichung der geschlossenen Curven in der Umgebung
des Poles (R) wird nun
(29^ r^»-^v» ..>. , (r-^)R^[3a'8inz»-(a'4-R')]
(SZ) (5 -hy -^j-f- (a^ + R^) (a« cos z« + ß^
2 R' sin z (y' R sin z — 2 y g a cos z) 2 R' y sin z _ ^
a' cos z* (a' cos z' -h R') a cos z "" *
Für sehr kleine Werthe von z wird nach (21)
a (a^ H- R') V'
m =^ — ^ —
" 2Br
und die Gleichang der Gurre
R'
Durch die Coordinatenverschiebung y H sin z = 17 er-
a
hält man
d. h. concentrische Ellipsen, deren kleinste Axen parallel
zur Linsenaxe liegen. Es folgt sowohl aus (20) als aus (23),
dass fQr verschwindend kleine $ und ^ J imaginäre Werthe
annimmt, dass also die M-Axe von diesen Curven nicht
mehr durchschnitten wird. Die Discussion der Oleichungen
(19) und (22) ergiebt weiter, dass die Curven in der Um-
gebung des Poles Ellipsen sind mit einer zunehmenden
Inclination der grösseren Axe nach D hin. Bei wachsenden
Werthen von z nähert sich ihr gemeinsamer Mittelpunkt
oder der wahre Pol immer mehr und mehr der D-Axe
und der Axe M D. Da zugleich in dem Grenzwerthe
V sin z I»
J. = — 1, y immer kleiner wird, so schrumpft auch
a cos z "^
122 L. Matthiessen.
das Gebiet der geschlossenen Gurren immer mehr zusammen,
bis es für einen gewissen Werth von z gänzlich verschwindet,
der von m^ abhängig ist. Diesen Grenzfall wollen wir
etwas genauer beleuchten.
III. Es sei z wenig von 90^ verschieden. Alsdann folgt
aus (18) für die nächste Annahme f (q) = 1, indem B gegen
a verschwindet,
.o^v _ a^ cos z
^Z4; m^ - 2 R (a» cos z> 4- R»)
und aus (21) für die Annahme f (ß) = — :
/oet\ cos Z
^"^^^ ""^ ^ 2Er(a»cosz'-hR7
Die Gleichungen (19) und (22) gehen aber ineinander über;
dabei wird unter der vorläufigen Voraussetzung, dass die-
selben bis zu z =s 90° Gültigkeit haben, sin z = 1 zu
setzen sein. Man findet
(oa^ rr . T^ /'^ I 2(r-^')R' 2R*y'
^^o; [^^-f-y ^ ^^ "+" a» cos z^ 4- B> a* cos z> (a» cos z» +R')
2R'yg ^ 2R'y ^^
a cos z (a* cos z' -+- R*) a cos z
Substituiren wir nun
5 = gl 4- u, y = <7i -f w
und bringen die Gleichung (26) auf die Form
A$i* — B?,i7i + C<7i» = D,
so werden u und w die Verschiebungen des wahren Poles
sein, welche wir berechnen wollen. Wir setzen die un-
bestimmten Gogfficienten von Jfi und 171 gleich Null und
erhalten die Bestimmungsgleichungen
2R»w — (a^cosz»-+-3R^acoszu = 0,
[2R*-fa»cosz»(a»cösz*H-R»)]w — 2R'^acoszu
4-R^ (a* cos z* -f- B^) a cos z = 0-
Setzt man den Werth von w aus der ersten Gleichung in
die zweite ein, so wird
Thomas'sche bipolare Kreissysteme u. Spiralsysteme etc. 123
(27) u = — (2 ßa ^. a> cos z') (R' -h a' cos z')
nnd somit
.„Qv (3 R' -h a' cos z') a cos z
(Zb) w - (2 R» + a' cos z') (R' -+- a' cos z')'
Nun ist der Grenzwerth von w gleich — acosz, woraus
folgt, dass der Quotient gleich 1 sein muss, mithin
(29) R*— 2 R' a* cos z» — a* cos z* « 0.
Der positive Wurzelwerth dieser Gleichung ist
R« = (1 4- ^-2) a« cos z' = 2,41 a» cos z»,
und bei diesem Werthe von R' verschwindet der wahre Pol
in der D-Axe. Der Winkel z, bei welchem dies geschieht,
lässt sich berechnen aus (24) resp. (25); je nach den An-
nahmen für f (^) wird nämlich
cos z* = -z^r^ oder cos z^ =
10,6 mo 10,6 mo r"
Da r > a ist, so tritt bei der Annahme ( (q) = — das
Verschwinden der Curven später ein. Ist f(^) = 1 und
fflo = 5, so ist der Grenz winkel z = 82 ^ 6 ' und
sin z = 0,990; ist dagegen f (g) = — , a = 2 mm, r = 5mm,
ffio = 5, so ist z = 85® und sin z = 0,996. Im ersteren
Falle ist z von a ganz unabhängig und im übrigen sind die
Oerter der beiden Pole R = 0,27 mm, u = 0,158 mm,
w = 0,174 mm. Wir wollen noch die Inclination der
grossen Axe der Ellipsen für den Grenzfall bestimmen. Ihre
Gleichung ist für f(ß) == 1:
(a^ cos z> -f- 3 R») a» cos z» g, » — 4 R^ a cos z gi iji
-+- [2 R* + a' cos z' (a» cos z" + RO] = D
und wenn wir R' = 2,41 a^ cos z' substituiren,
8,23 Si' — 14,96 ?i <7i + 15,02 i^i' = D.
Setzen wir behufs Drehung der Coordinaten um den In-
clinationswinkel a
124 ^* Matthiessen.
gl =. 1^8 sin a + 5» cos a,
i|^i = i|^ cos a — 5» sin a,
so erhalten wir
A o — 2R'aC0SZ Knoioj
^^«^ 2« = R»(R._a»co8z')' « = ö' 13'.
Ist nun die Mittelpunktsgleichnng
so findet man das AxenTerhältniss Aa : B> ~ 1 : 2,14 nnd die
Veränderungen des Poles u = — 0,909 a cos z, w = — a cos z,
wo z = 82^ 6' zu setzen ist.
IV. Es sei z = 90 °. Wir gehen aus von der
Gleichung (3). Bezeichnen wir den Polarwinkel PMG (Fig.2)
oder arc tan — mit ^, so ist
y
2mo^dD = ÖS = d&,
Q
und wenn wir zunächst f(g) = l annehmen
Q mo
Das Integral ist
und die Polargleichung der Trajectorien auf der Schliff-
fiäche
(30) i>' + a' = (tt,'H-a')e "" ,
welches die Gleicbnng einer Spirale ist. Ist a = 0, also
die Aequatorialebene die SchliSfläche, so wird
(31) v = «>e'^°" .
Dies ist die Gleichung der logarithmischen Spirale von
Thomas'sche bipolare Kreissysteme n. Spiralsysteme etc. 125
Bernoulli. Sind vo und Vi zwei Rad. vect. auf dem Durch-
messer, welche um 180^ von einander abstehen, so ist
2 Wo
Vi = Vo . e ,
also
^ ^ ° ~ 2 (log nat Vi — log nat VqY
Ist beispielsweise r = 5 mm, mo = 5, tb = 2 mm, so ist
Vi = 2,74 mm, d. h. die Spirale weicht im Gegenpunkte t^i
um 0,74 mm von dem Kreise ab, welcher zum Radius Vo
gehört.
Nehmen wir an, es sei f ((>) = — , welches den natür-
lichen Verhältnissen besser entspricht, so wird
Ist a = 0, so geht sie über in
(34) r (^= -] = ~ {&o — ^).
^^\i; Vo / 2mo
Dies ist die Gleichung der hyperbolischen Spirale. Sind
vb und Vi zwei Rad. vect. auf dem Durchmesser, welche um
180^ von einander abstehen, so ist
folglich
r(— -— ) = -i-(^_7r),
\ Vi Vo / 2 mo ^ ^
(35) mo = ^^—-7 — r-.
^ r (vo — Vi)
Unsere Untersuchungen haben nunmehr ergeben, dass es
immer zwei Systeme von Diagonalcurven giebt, welche in
jedem zur Aequatorialebene parallelen Schnitte unipolar sind.
Denkt man sich einen solchen Schnitt im Abstände a vom
Kemcentrum um die Aequatorialaxe gedreht, so werden die
Spiralsysteme bipolar und gehen nach einer Drehung von
126 L. Matthiessen.
90® in die Thomas'schen Curvensysteme über, welche also
nur einen Specialfall dieser interessanten Fignren bilden.
Das Resultat können wir auch so formuliren, dass in jedem
beliebigen Ebenenschnitte einer kugelförmigen Crystalllinse
im Allgemeinen zwei Schaaren bipolarer Spiralen auftreten,
welche je eine Schaar geschlossener Gurven umgeben. Die
Sätze, welche im Vorhergehenden abgeleitet sind, bleiben
einstweilen, je nach der Art der Voraussetzungen, wesentlich
specieller Natur. Wenn aber bei fortschreitender Erkenntmss
des histologischen Baues der Crystalllinse es gelingen wird,
die Function f (q) genauer festzustellen, wird es auch
möglich sein, die Sätze und Formeln in erforderlicher Weise
zu präcisiren.
Zwei kleinere Mittheilungen aus dem G-ebiete der
physiologischen Optik.
Von
Dr. E. Heuse in Elberfeld.
I.
Die Frage nach der Entstehung des Netzhautschwindels
ist noch eine offene. Während Helmholtz*) eine un-
bewusste Muskelthätigkeit des Auges zur Erklärung heran*
zieht, indem er die daraus resultirenden Augenbewegungen
sich in die Anschauung bewegter Gegenstände umsetzen
lässt, eine Ansicht, welcher Hering**) beitritt, ohne jedoch
irgend eine unbewusste Muskelthätigkeit dabei benOthigen
zu wollen, nimmt Classen ***) nur eine stärkere Muskel-
innervation als den Erreger der Täuschung an; er fusst da-
bei auf der Beobachtuug, objectiv eine Bewegung der Augen
bei Leuten, bei denen, jener Schwindel eintrete, niemals
haben constatiren zu können, üebrigens erklärt auch weder
*) Physiolog. Optik S. 603.
**) Beiträge zur Physiologie Heft I S. 30.
***) Classen, SchlossYerfahren des Sehacts S. 60.
128 E. Hease.
Helmholtz noch Hering, eine solche Bewegung selbst be-
obachtet zu haben. Oppel*) will die Erklärung der Er-
scheinung in das Gehirn verlegen; an Muskelwirkung konnte
er nicht denken, da er ja annimmt, was entschieden unrichtig
ist, dass nur das Stillehalten des Auges die Erscheinung er-
mögliche. Endlich stellt Plateau**) die Hypothese auf,
dass sich im Auge gegen jeden Gesichtseindruck ein Wider-
stand bilde, welcher bei dem plötzlichen Nachlassen in das
Gegentheil des Eindrucks umschlage, um so das Auge
wieder in's Gleichgewicht zu versetzen.
Im Folgenden will ich eine kleine Beobachtung mit-
theilen, welche zeigt, dass bei dem Netzhautschwindel die
Netzhaut selbst wesentlich in Mitleidenschaft gezogen ist.
Verfolgt man, in einem Eisenbahnzuge sitzend, mit den
Augen die vorübereilenden Gegenstände der Aussen weit
eine gewisse Zeit lang, wobei bekanntlich die näher ge-
legenen in entgegengesetzter Richtung, als die entfernteren
sich zu bewegen scheinen, so dass ungefähr eine elliptische
Form der Bewegung zu Stande kommt, und schliesst dann,
das Gesicht gegen den beleuchteten Himmel gewandt, die
Augen, so bemerkt man in der gleichmässig röthlich be-
leuchteten Netzhaut eine durch eine ganz wenig dunklere
Schattirung angedeutete Strömung, welche eine entgegen-
gesetzte Bewegung hat, als die bei geöffnetem Auge wahr-
genommene. Von Nachbildern sieht man keine Spur, da
ja das Auge während der vorausgegangenen Beobachtung
in continuirlicher Bewegung auf schnell vorübergehende
Gegenstände gerichtet gewesen ist; ein schmaler Strom kreist
in elliptischer Form um die Macula lutea auf dem gleich-
mässig erleuchteten Sehfelde. Diese Netzhautströmung bei
geschlossenem Auge bleibt noch eine Zeit lang bestehen,
*) Poggendorff, Ann. 99.
**) Poggendorff, Ann. 80.
Zwei Mittheilungen ans der physiologischen Optik. 129
wenn die bei geöffnetem Auge wahrgenommenen Schein-
bewegnngen, auf. deren Verschwinden ja offenbar der Wille
resp. die Neigung, den Schwindel durch feste Fixation zu
öberwinden, von grossem Einflnss ist, bereits zur Ruhe ge*
kommen sind. • — Nicht so lange wahrnehmbar, aber doch
deutlich zu erkennen, ist bei geschlQssenem Auge auch die
Affection der Netzhaut nach Beobachtung einer in Bewegung
gesetzten Spirallinie, von welcher Oppel in seinem Aufsätze
spricht Hat man sie beobachtet, während sie sich nach
Innen zu schlängeln scheint, so stellt das Nachbild, wenn
man beispielsweise auf eine Tapete blickt, eine in der Mitte
sich Ton der Fläche hebende sternförmige Figur vor. Die
Peripherie dieser sternförmigen Figur nimmt man ebenfalls
bei geschlossenen Lidern wahr, allerdings viel schneller
verschwindend, als bei der ersten Beobachtung.
Die Macula lutea, welche sich anfangs als dunkler
Punkt in dem röthlicheu Sehfelde markirt, steht bei diesem
Versuche vollkommen still, das Auge selbst bewegt sich
also nicht. Man kann die Stelle der Macula, welche nach
kurzer Zeit ihre dunklere Färbung verliert, deutlicher er-
kennbar machen durch kurzes Fixiren des Sonnenbildes,
dessen Nachbild dann das Experiment zu überdauern pflegt;
man wird sich leicht überzeugen, dass das Nachbild der
Sonne ruhig, unbewegt in dem es umkreisenden Strome
steht. Nach der Ansicht Hering's soll bei geschlossenem
Auge das Nachbild auf der Macula lutea oder die empfundene
Macula lutea immer stille zu stehen scheinen, wenn auch
die Augen unbewussten Muskelbewegungen folgen. Die
Richtigkeit dieser Ansicht bestreiten zu müssen enthebt
mich die folgende kleine Beobachtung, welche evident be-
weist, dass in dem vorliegenden Falle das Auge in der That
stille steht.
Wie die meisten Menschen besitze ich eine Anzahl
ihrer Gestalt nach mir wohlbekannter Mouches volantes,
T. Graefe*g Archiv fttr Ophthalmologie, XXXIV. 2. 9
130 £• Hense.
welche bei heller Beleuchtung auch durch die geschlossenen
Augenlider deutlich wahrgenommen werden können. Diese
Mouches bemerke ich nun bei dem oben angegebenen Ex-
perimente, wie sie sich, nach kurzer Schwankung im Momente
des Augenschlusses, ruhig vor der Macula hergleitend,
grades Wegs nach unten senken, während der oben be-
schriebene elliptische Netzhautstrom um die Macula kreist.
Bewegt man nun hinter den geschlossenen Lidern das Auge
willkürlich, so gerathen die Schatten der GlaskOrper-
trübungen sofort in Bewegung, den Bewegungen des Auges
entsprechend und werden in diesem bewegten Zustande
wahrgenommen. Ganz dasselbe müsste geschehen bei un-
willkürlichen Bewegungen des Auges während des Lid-
schlusses; da sich aber, wie man sich leicht überzeugen
kann, die Mouches, einfach dem Gesetze der Schwere fol-
gend, ohne Schwanken senken, so ist eben damit bewiesen,
dass das Auge hinter dem geschlossenen Lide keine Be-
wegung ausführt, welche bei geöffneten Lidern zur Er-
klärung der Erscheinung des Netzhautschwindels herbei-
gezogen werden könnte. Ist so die Bewegung des
Auges ausgeschlossen, so bliebe noch die Annahme
Classens bestehen von der während der Bewegungs-
Beobachtung erhöhten Muskelinneryation und deren Fort-
wirkung nach Sistirung der Bewegung. Was entschieden
gegen diese Hypothese spricht, ist der umstand, dass, wenn
man möglichst lange die Augen ganz forchli zur Seite
wendet^ sei es constant, sei es, indem man sie in regel-
mässigen Zwischenräumen in die Normalstellung zurück-
führt, niemals beim Nachlassen dieser forcirten Bewegung
irgend eine Scheinbewegung bemerkt wird, was doch wohl
zu erwarten gewesen wäre, wenn es mit jener Hypothese
seine Richtigkeit gehabt hätte. Es lässt sich allerdings
nicht leugnen, dass, da nun einmal der Schwindel nicht
eintritt, wenn die Muskeln nicht agirt haben, es zwingend
Zwei Mittheilongen aus der physiologischen Optik* 131
erscheint, denselben auch eine Wirkung bei jener Er-
scheinung zuzuschreiben. Ein etwas gewagter, aber doch
nicht völlig abzuweisender Ausweg wird uns vielleicht er*
Ofbet, indem wir die hochwichtigen und seltsamen Beob-
achtungen aus dem physiologischen Laboratorium zu Utrecht
zu Hilfe nehmen, Beobachtungen, welche festgestellt haben,
dass in der Netzhaut auch centrifugale Nervenfasern exi-
stiren. Ihre Bestimmung ist, soviel ich weiss, noch vOUig
unbekannt; aber konnte man nicht annehmen, dass sie in
irgend einer Weise in Oemeinschaft mit den Augenmuskel-
nerven wirken und dass ihr Antheil bei der in Frage
kommenden Bewegungs-Beobachtung den Netzhautschwindel
hervorrufe resp. beeinflusse? Dann wären wir die Muskeln
los und es bandelte sich bei der Erscheinung um eine
reine Nervenaffection in der Netzhaut. Der Stand der
Frage wAre unter diesen Annahmen so zu formuliren, dass
durch die Beobachtung bewegter Gegenstände mit Hilfe
des bewegten Auges bei Sistirung ein dem früheren Gang
der bewegten Gegenstände entgegengesetzter Nervenstrom
in der Netzhaut erzeugt wird, welcher bei hell erleuchtetem
geschlossenem Auge als solcher sichtbar, bei geöffnetem
Auge unbewegte Gegenstände in seinen Wirbel mit hinein-
reisst.
II.
Donders hat s. Z. eine Beobachtung mitgetheilt,
nach welcher sich verschieden gelfärbta Linien auf einer
Fläche in ihrem Niveau gegen einander um einige Genti-
meter zu verschieben scheinen und es ist einem seiner
Schüler auch gelungen, diese Erscheinung auf die ver-
schiedene Ablenkung, welche Farben nach dem Grade ihrer
Brechbarkeit im Auge erleiden, zurückzuführen; eine ähn-
9*
132 E. Hease.
liehe Beobachtnng habe ich gemacht, doch war dabei die
Farbenyerschiedenheit aasgeschlossen und die Niveau-
verschiebung war 20 — ^30 cm.
Blickt man auf die Inschriften grosser Schaufenster,
wie sie die Läden und Cafte unserer modernen St&dte nicht
mehr selten bieten, und zwar am besten, wenn die
Beleuchtung derart ist, dass eine sehr gute Spiegelung
der gegenüberliegenden Gegenstände stattfindet oder gar
kein Licht von der Scheibe selbst auf uns ftUt, in beiden
Fallen also die Scheibe als solche nicht bemerkt werden
kann, so erscheinen auf einige Schritte Entfernung von
der Scheibe z. B. drei gleichgrosse , gleichgefärbte Ober
einander stehende, auf ihr angebrachte Aufschriften frei in
der Luft schwebend, aus der Ebene der Scheibe heraus*
zutreten. Sie gruppiren sich meist zuerst treppenartig so,
dass die oberste Schrift 20—30 cm hinter der mittleren
und diese, ungeßlhr die Ebene der Scheibe einhaltend,
ebensoviel hinter der untern zu stehen kommt. Plötzlich
ohne irgend wahrnehmbare Ursache kann sich die Situation
umkehren, bei welcher Gelegenheit sich die Tiefen-
verhältnisse etwas zu ändern pflegen; es erscheinen die
Stufen dann etwas schmaler, als im ersten Falle; ganz
selten tritt die mittlere Schrift allein vor oder zurQck.
Mit einem Auge ist die Beobachtung ebenfalls zu machen,
aber nicht so leicht und nicht so lebhaft; mit beiden
Augen gemacht, tritt die Täuschung nach ganz kurzer
Zeit ein, wenn wir uns bemühen, vor uns B,echenschaft
abzulegen, ob wirklich die Inschriften in einer Ebene
liegen.
Hat man ein durch die Beleuchtung besonders geeignetes
Fenster gefunden, so hält die Täuschung so fest, dass man
sie erst verliert, wenn man Einzelheiten in der Fenster-
scheibe unterscheiden kann und auf dieselben seine Auf-
merksamkeit richtet, wobei dann auch die Inschriften als
Zwei Mittheilnogen ans dnr physiologischen Optik. 133
ntcbt in der Lnft schwebend erkannt werden mflsBen; aber
man kann unter sonstigen Umständen noch näher als
2 FosB herantreten, ohne die Tflnschimg schwinden za
sehen.
Sehr anR'allend bei diesen Beobachtangen yon Aut-
schriften ist der Umstand, dass Fehler der Schrift in der
Zeichnung oder der Entfemong der Buchstaben unter
einander, welche nns TOrber nicht aofgefallen sind, ausser-
gewohnlich scharf hervortreten, indem bald das eine Wort
in einer Ebene zu lieggn achflint, welche die des neben-
stehenden schneidet, bald ein Buchstabe aus seiner Beihe
rttckt und eine Drehung um seine horizontale oder vertieale
Achse macht. Diese Fehler- Beobachtung, welche sich nn-
bewnsst vollzieht, ist viel präciser und starker, als wenn
wir durch die gewöhnlichen Mittel des Verstands in einer
solchen Schrift einen Fehler herausfinden wollen, man wird
gewissermassen durch die unbewnsste Beobachtung auf die
Fehler aufmerksam gemacht und hat dann grosse Mohe zu
finden, worin denn eigentlich der Fehler steckt.
Die Beobachtung ist leicht zu machen und drängt sich,
sobald man Jemanden darauf aufmerksam macht, auch so
gewaltsam auf, dass eine Menge Laien, welchen ich den
Versuch zeigte, sofort die Täuschung zu ihrer nicht geringen
Verwunderung erblickten.
Eine Erklärung darüber zu geben, wie die Täuschung
zu Stande kommt, bin ich nicht in der Lage; die grosse,
ohne jede äussere Veranlassung sich vollziehende Ver-
änderlichkeit im Niveau, indem bald die obere, bald die untere
Schrift; entfernter erscheint, weist vielleicht darauf hin, dass
sie der Beihe der bekannten Versuc^" ='•— •'■*■ ""-
welche die Sohröder'eche'Treppenfigar
Zeichnongen von Grystallfigoren Beii
In auffallender Weise zeigt die
wie sehr das QefQhl den Verstand
134 £• Hense.
auf der einen Seite, trotz des Verstandes, bei Beurtheilnng
variirender Verhältnisse (Entfemungsschfttzung) eine
TäQschnng des ürtbeils durch das Geftüil stattfindet and
wie auf der andern Seite bei Beurtbeilung uns geläufiger
con 8 tanter Zeichen (Schrift) ein Fehler erst auf Onmd
des Geffihls vom Verstände erkannt wird.
«to
Beitrag zur Anatomie des frlanooms.
Von
Dr. Stölting in Hannover.
Hierzu Tafel lY.
Wenn ich in der nachstehenden Arbeit den Section«-
befand eines glaucomatösen Auges, sowie die spätere Kranken-
geschichte der Patientin gebe, welcher der Bolbus ent-
nommen war, so bitte ich, beides im Znsammanhange mit
der von mir in Band XXXHI. 2 dieses Archivs veröffent-
lichten Abhandlang zu betrachten. Ich glaube durch diesen
Befund eine wesentliche Stütze der yon mir dort vertretenen
Ansicht beibringen zu können und halte denselben darum
for doppelt wichtig, weil er, ein Analogen jenes durch viele
Operationen beeinflussten Falles, hier sich vorfand an einem
Auge, welches ein Messer nie, und ein Medicament nur in
den letzten acht Tagen vor der Enucleation beeinflusst
hatte.
Ohne die interesselose Vorgeschichte weiter zu be-
rühren, gehe ich sofort dazu über, den Sectionsbefund des
im Status glaucomatosus wegen Schmerzhaftigkeit entfernten
Auges einer 72jährigen Patientin zu geben.
Das Epithel sowie Endothel der Cornea zeigt wenig
Unregehnftssigkeiten, hier und da eine bogenförmige An-
136 Stölting.
Ordnung der Fnsszellen über ein Gef&sschen weg; nach der
Mitte zu ancli Lücken, die wohl Folge mechanischer Ein-
wirkungen sein dürften. Die durchschnittliche Dicke des
Epithels ohne Basalmembran beträgt 0,03 — 0,04 mm.
An einzelnen Schnitten liegt der Descemet'schen Membran
streckenweise Pigment, sowohl frei als auch in Zellen ein-
geschlossen, auf, und zwar ist das auch an Stellen der Fall,
wo eine dauernde Anlagerung der Iris nicht stattfand, an
andern Präparaten ist das Ebdothel derselben frei und
vOUig gut erhalten. Die Substanz der Cornea selber hat
eine Dicke von 0,47 — 0,50 mm in den mittleren Partieen
und ist in ihrer hinteren Hälfte kemarm.
Die atrophische Iris ist im Eammerwinkel 0,7 mm
weit verwachsen und bildet am Sphinctertheil Synechien
mit der vorderen Linsenkapsel. Ihre mittlere Dicke beträgt
nur 0,11 mm, dabei zeichnen sich die verwachsenen Partieen,
also der Sphincter und der Ciliartheil, durch reichliche
Pigmentablagerung aus. Dasselbe ist bei der Eammer-
winkelverwachsung auf der vorderen Fläche der Iris ab-
gelagert und bildet so die Orenze zwischen Iris und Cornea.
Ein Zellenbelag auf der Iris sowie Ectropium des Pupillar-
randes fehlt. Der Schlemm*sche Oanal ist an den meisten
Schnitten offen, fast überall sind seine Wandungen zelUg
stark infiltrirt, hier und da auch enthalten diese Zell^
reichliches Pigment. Die Infiltration beschränkt sich aber
nicht auf den Schlemm'schen Canal, sondern begleitet auch
alle Oefässe, die in dieser Gegend die Sclera durchbohren,
ja betrifft auch noch die episcleralen Gefässe in gleicher
Weise.
Den wichtigsten und auffallendsten Befund liefert der
Ciliarkörper sowohl im musculären als bindegewebigen Theil.
Der erste ist dadurch vOUig verändert, dass seine der Iris
zugewandte Seite auf Meridionalschnitten winklig geknickt
erscheint. Die Schenkel dieses nach vom, der Iris zu, sieb
öffnenden Winkels werden gebildet, einerseits durch den
Beitrag zur Anatomie des (ilaucoms. 137
Ansatz der Meridionalfasern des Ciliarmuskels und anderer-
seits durch die aus der gewöhnlichen Lage verschobenen
Bingfasern der MüUer'schen Partie ,. welche letztere spitz
ausgezogen 03 mm weit nach vorn von ihrer normalen
Stelle verschoben sind. *) Der unterschied zwischen dieser
und der in der ersten Arbeit beschriebenen Form des Mus-
kels liegt, wie übrigens aus dem Betrachten der Zeichnung
sofort hervorgeht, darin, dass hier eine einfache Yorlagerung
der Bingfasern eintrat, dort die vorgeschobenen Fasern
wieder gegen die Sclerocomealgrenze angedrängt wurden.
Auch hier liegen die Bingfasern unter dem Schlemm'schen
Ganal, jedoch durch reichliches Bindegewebe von ihm ge*
trennt. Sehr auffallend ist auch die starke bindegewebige
Hülle, welche den musculären Theil nach vom umgiebt
und den vorerwähnten Winkel ausfüllt, denn dieselbe misst
zwischen Irisansatz und den am meisten vorgeschobenen
Müller'schen Bingfasern noch 0,35 mm. Da Iris-
ursprung und Ciliarmuskel in der Norm dicht an
einander grenzen, haben wir es hier mit einer völligen
Bindegewebsneubildung zu thun. Dieselbe erstreckt sich
Qbrigens auch auf die vordere Hälfte des bindegewebigen
üeberzuges der inneren, dem Olasl^Orper zugewandten Seite
des Muskels, wenn auch hier erheblich weniger als vorn die
Dicke des Belags selbst, sondern mehr die Hypertrophie
der Ciliarfortsätze in den Vordergrund tritt. Fingerf&rmig
strecken sich dieselben nach vorn und innen aus, einen
scharfen Gegensatz bildend zu anderen, theilweise atrophisch
erscheinenden Partieen der Uvea. Die am weitesten aus-
gestreckten unter ihnen haben eine sehr mangelhafte
Pigmentbekleidung, während ihr Zellenbelag gut ausgebildet
erscheint. **)
*) Um einen ähnlichen Befand scheint es sich in der Arbeit
von Birn.baoher und Gzermack, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm.
XXXII. 2, p. 47 zu handeln.
**) Bin Urtbeii darüber, wie sich die Ciliarfortsätze zam
138 Stöldng.
•
Nicht allein aber, dass die vorhandenen Fortsätze dne
VergrOssemng erfahren hätten, nein auch ihre Zahl hat
zugenommen und an manchen Schnitten macht es ganz
den Eindruck, als ob dieselben kaum Platz hätten auf dem
CiliarkOrper und sich wie die Beeren einer Weintraube
gegenseitig verdrängten und comprimirten. An mehreren
Präparaten tritt auch deutlich ein Verhalten hervor, welches
Weber und Fuchs beschreiben, nämlich das plötzliche
Erheben der Ciliarfirsten aus dem flachen Theil des Ciliar-
kOrpers, so als ob die comprimirenden und atrophirenden
Factoren bis hierher gewirkt und erst von dieser Grenze
an nach vorn ein freies ja übermässiges Wachstiium der
Ciliargebilde ermöglicht hätten.
üeber das Verhalten der Ghorioidea, die ich schon
oben als partiell atrophisch bezeichnete, mögen die an
einem Präparate genommenen Maasse gleichsam als Para-
digma Aufschluss geben. Gleich hinter der Ora serrata,
wo eine starke Füllung der Gefässe vorhanden, ist die
Dicke der Membran 0,15 nun, dann folgt eine Partie, wo
die Ghorioidea abgelöst, die Suprachorioidea aufgelockert,
erstere atrophisch eine Dicke von 0,02 — 0,06 mm ind. Pig-
ment, aber excl. Suprachorioidea aufweist. Durch eine
einzige Vene in der Nähe des Vortex steigt dann die Dicke
auf 0,115 mm, um sofort wieder abzunehmen und erst in
der Umgebung des Opticus wiederum sich zu heben. Hier
beträgt das Kaliber durchschnittlich 0,12 mm und ist
davon nur die unmittelbar dem Opticus anliegende Partie
ausgenommen, wo dasselbe auf 0,14 mm anwächst, aller-
dings, wie mir scheint, lediglich in Folge von Zerrung
durch die abgelöste Netzhaut. Diese letzte Verdickung
Limenrande verhalten haben, läset eich ans den Präparaten, bei
welchen fast durchweg die Linse verschoben ist, nicht gewinnen.
An einigen Schnitten bertthren sie eben den Aeqoator. Spuren
von der Anlagerung an die Linsenkapsel habe ich nicht gefunden;
ebenso wenig Anlagerung oder Verwachsung mit der Iris.
Beitrag zur Anatomie des Glaucoms. 139
ist auch Dicht weiter als bis auf 0,25 mm vom Bande der
Papille entfernt vorhanden and besteht mehr in einer Anf-
lockerong als Schwellung des Gewebes.
Entzündliche Zustände sind namentlich in der Nfthe
des Opticus vorhanden, wo Sclera und Ghorioidea aus-
gebreitete Verwachsungen eingehen und wo an vielen Ge-
fftssen sich Zellanhftufungen befinden. Letztere sind jedoch
von massiger Ausbreitung und scheinen mehr einem chro-
nischen Beizzustande als acuter Entzündung ihre Existenz
zu danken. Einen erheblich entzündlicheren Eindruck
macht dagegen ein Herd von dicht um eine Vene gehäuften
Bundzellen, dessen Ausdehnung an einem Meridionalschnitt
etwa 0,15 mm beträgt und welcher in der Nähe eines
Yoitex liegt Hervorheben möchte ich jedoch, dass eine
Entzündung an dieser Stelle sich unter den 25 aus-
gewählten Präparaten nur einmal in bedeutenderer Aus-
dehnung findet und dass sonst die Zone der Wirbelvenen
von entzündlichen Zellanhäufungen frei ist. Dagegen be-
gegnen uns wieder constant solche Herde in der Nähe der
Ora serrata, hier aber sind sie an umfang und Intensität
noch geringer als am Opticus. Nicht unerwähnt mOge
bleiben, dass sich zwischen Ghorioidea und Retina in dieser
Oegend ein flaches Exsudat vorfindet, in welchem die Stäb-
chen zum Theil untergegangen sind.
Wucherungen des Endothels der Gef&sse habe ich
nicht bemerkt, auch waren die beiden Venae vorticosae,
welche ich auf ihrem Verlaufe durch die Sclera verfolgen
konnte, nicht durch endotheliale Neubildungen beschränkt.
Die Tiefe der Excavation des Sehnerven beträgt 0,8 mm.
Man sieht aus diesen Angaben und besonders aus den
Zahlen, dass die Atrophie der Uvea in diesem Falle durch-
aus nicht so allgemein und hochgradig ist wie man sie
nach den meisten veröffentlichten Sectionsberichten vom
Glaucom zu halten geneigt ist, und dass dieselbe hier sich
eigentlich nur auf die Iris und die Zone vor und hinter
140 Stölting.
den Vasa vorticosa bezieht, dass sogar am Opticus nnd
nahe der Ora serrata eine Anschwellung constatirt werden
muss, die entzündlicher Beizung resp. Stauung ihren Ur-
sprung verdankt.
Wenn man nun auch den entzündlichen Veränderungen
der Chorioidea keine so grosse Bedeutung beilegen will,
wie ich selbst zu thun geneigt bin, so muss man auf
Orund der Beschreibung doch zugeben, dass während
einer bestimmten Zeit des EraDkheitsverlaufes eine Kraft
im Auge gewirkt habe, welche die geschilderte eigenthüm*
liebe Lageveränderung des Giliarmuskels hervorbrachte,
dass eine Kraft, von hinten schiebend, die Bingfasern des
Muskels nach vom drängte. Der Einwurf, daSs ebenso
gut eine als Zug von vorn wirkende Kraft ähnliche Ver-
änderungen hervorgebracht, dass vielleicht die verwachsene
Iris Zerrung auf das Corpus ciliare ausübte, ist deshalb,
wie sofort aus der Zeichnung ersichtlich, nicht haltbar,
weil dann der jetzt vorgelagerte MüUer'sche Theil des Mus-
kels nicht so isolirt verlagert sein dürfte, ist aber auch
schon deshalb nicht annehmbar, weil in dem erst-
beschriebenen analogen Falle Bd. XXXIII d. Arch. dieser
Verschiebung wieder ein Anpressen gegen die Sclero-
Cornealgrenze folgte, was doch keinenfalls durch Zug*
Wirkung zu erklären wäre. Auch wenn hier die Ver-
schiebung nicht so weit geht wie in dem erstbeschriebenen
Falle, wenn von einem Umschlagen dieser Partie unter die
Sclero-Cornealgrenze keine Bede ist, so bleibt dennoch die
Veränderung derart, dass an Zufälligkeit derselben nicht
gedacht werden kann.
In welcher Art hier ein Vordrängen des Glaskörpers
zu Stande gekommen, denn nur so kann man sich die
vorerwähnte Kraft vorstellen, ob durch Ergüsse in den
Suprachorioidealraum oder durch Volumszunahme des
Corpus vitroum selbst dürfte aus dem Befunde nicht mit
Sicherheit zu ersehen sein. Ich muss jedoch gestehen,
Beitrag znr Anatomie des Glaucoms. 141
dass hier der Totaleindmck weit mehr zu Gunsten der
letzten Annahme spricht. Kaum dürfte auch der Grund
für die sehr aufTallende Anschwellung und Vermehrung
der Ciliarfortsätze, sowie des Bindegewebes zwischen Iris
und CiliarkOrper wo anders gesucht werden, als in der
schon von Weber constatirten Inarecration der Ciliar-
gebilde durch den andrängenden Glaskörperdruck und die
damit bedingte venöse Stauung.
Den Unterschied der beiden Befunde hier und in
Bd. XXXHI h'msichtlich der Giliargebilde glaube ich auf
ihre differente Entstehung, sowie auf das Vorhandensein
resp. Nichtvorhandensein der Linse beziehen zu müssen.
Während' im ersten Falle die glaucomatöse Erkrankung
bei Aphakie einen acuten entzündlichen Charakter mit einem
verhältnissmässig schnellen Verlauf hatte, lagen hier bei
der fast symptomlos und ungemein chronisch verlaufenden
Krankheit die Verhältnisse so, dass recht gut mit der Vor-
schiebung der Bingfasern eine Hypertrophie des Binde-
gewebes gleichen Schritt halten konnte, eine Hypertrophie,
welche ihrerseits dann wieder, zusammen mit dem Vor-
handensein von Linse und Zonula, verhinderte, dass die
muskuläre Partie nach aussen unter die Sclero-Corneal-
grenze umschlagen konnte.
Auf die Verhältnisse der nicht ganz bis zur Ora serrata
trichterförmig abgelösten Netzhaut, sowie des in einige
strangfOrmige Gebilde umgewandelten Glaskörpers will ich
nicht weiter eingehen; sind derartige Fälle von weit ge-
diehener Degeneration doch wenig geeignet, zu irgend einer
Schlussfolgerung zu berechtigen.
Kurz skizzirt sei nur noch der fernere Krankheits-
verlauf bei der Patientin. Schon während die Kranke nach
der Enucleation im Bett lag, erschienen die deutlichen
Zeichen von glaucomatöser Erkrankung des rechten Auges,
gingen jedoch auf Eserin zurück, so dass der Entlassung der
Patientin nach 6 Tagen nichts im Wege stand. Wenn auch
142 Stöltiog.
nun in den nächsten Monaten unter der Einwirlrung des
Eserin fär die Kranke selbst keinerlei Beschwerden vorhanden
waren, sie wenigstens angab, Druckgeftlhl oder Eopf*
schmerzen oder Farbenringe, wie sie solche während der
Zeit des klinischen Aufenthalts gehabt hatte, nicht za be*
merken, so konnte dennoch bei genauerer Untersuchung
kein Zweifel obwalten, dass der Process seinen Fortgang
nahm, wie das weniger im Verhalten der Sehschärfe als
in dem des Gesichtsfeldes und des intraocularen Druckes
deutlich zu Tage trat. Sechs Monate nach der Ena-
cleation des linken war dann die Operation des rechten
Auges nicht mehr aufschiebbar und ich nahm bei
einer Sehschärfe von V& ^^^ einem Gesichtsfeld, welches
zwei zackige Einziehungen, eine nach innen und eine
nach unten zeigte, die Iridectomie vor. Nicht ohne
Interesse dürfte es übrigens sein, dass zu wieder-
holten Malen sowohl vor als nach der Iridectomie eine
periphere Chorioiditis auf das bestimmteste nachgewiesen
werden konnte. Temporal, ganz in der äussersten Peri-
pherie, waren einige grauliche, kleine, atrophisch aussehende
Flacques neben den Gef&ssen sichtbar, an anderer Stelle
erinnerte die Pigmentzeichnung an den Befund bei alter
Chorioretinitis mit Einwanderung von Pigment in die
Netzhaut, während wieder andere Punkte ein verwischt
marmorirtes Ansehen darboten.*) Eine Excavation war
eben, im Begriff sich zu bilden, durch leichte Ejiickung
der GeAsse am Bande der Papille angedeutet, ein Halo
nicht vorhanden, die Umgebung der Papille überhaupt,
soweit der Augenspiegel erkennen liess, nicht von der
Norm abweichend.
Die Operation, mit dem Graefe*schen Messer aus-
geführt, verlief völlig nach Wunsch; besonders traten beide
*) F. Cohn in der Discussion über den Vortrag von JayaL
Bericht des 18. Ophthahnologen - Gongresses (1886) in Hddel-
beig, p. 12.
Beitrag zur Anatomie des Glaucoms. 143
Sphincterecken sofort wieder tief in die Yorderkammer hinein.
Die Heilung dagegen liess Vieles zn wünschen übrig, denn
die Tension war durch den Eingriff nur in sehr geringem
Maasse vermindert. So kam es, dass erst nach acht Tagen
eine ganz seichte, eben sichtbare Yorderkammer sich bildete,
auf deren Vertiefung ich vergeblich wartete. Bis zur
Entlassung, drei Wochen nach der Operation, nachdem
eine medicamentOse Behandlung nochmals versucht war,
blieb der Zustand im grossen Gkmzen derselbe. So konnte
es auch kaum fiberraschen, dass die beiden zackigen Ein-
ziehungen des Gesichtsfeldes zu einem einzigen grossen
Defect verschmolzen, welcher den ganzen Innern untern
Quadranten einnahm und dass die Sehschärfe von V&
auf Vs6 gesunken war. Die Sache blieb im gleichen Zu-
stande etwa 14 Tage lang, wo Patientin an einem Lungen-
catarrh erkrankte, welchem sie nach 10 Tagen bei zu-
nehmender Schwäche erlag. In der letzten Zeit, wo ich
die Kranke mit ihrem Hausarzt noch regelmässig sah, war
der Druck in physiologischen Grenzen. Injection war nur
in geringem Maasse in der Nähe der Narbe vorhanden,
übrigens war das Auge blass. Unangenehme Empfindungen
und Schmerzen hatte die Patientin während der ganzen
Zeit nach der Operation nicht.
Zum Schluss mochte ich noch auf eine Differenz
zwischen den von mir beschriebenen Sectionsbefunden hin-
weisen, welche mir nicht bedeutungslos zu sein scheint.
Konnte ich in dem ersten, angesichts der reichlichen vor-
handenen Chorioiditisherde, der bedeutenden Füllung der
Venae vorticosae, sowie der Lymphstauung, mich leicht zu
der Annahme von Verlegung der hinteren lymphabführenden
Bahnen entschliessen, so muss ich gestehen, dass diese An-
nahme für den letzten, eben beschriebenen Fall mir in der
Weise schwierig erscheint, ja dass dafür eigentlich keine
genügenden Anhaltspunkte mangels weitgehender Ent-
zündungen im fraglichen Gebiet gegeben sind. Ich «rÄif«
144 Stölting.
daher für diesen Fall auf die Erklärung Jakobson*s,
welche ich schon in der ersten Arbeit*) als vielleicht die
häufiger zutreffende Ursache des Glaucoms bezeichnete,
und nehme an, dass es sich hier primär um eine Ver-
mehrung des Glaskörpers durch Transsudat handelte. Wäre
es nicht denkbar, dass das vermehrte Glaskörpervolumen
und damit der vermehrte Druck allein schon durch Com-
pression der Vortices ein Abflusshinderniss setzte? Sollte
das an den Wirbelvenen anfangs etwa in der Art sich zeigen,
wie wir es im Pulsphänomen an der Centralvene und
Arterie beobachten? **) und sollte endlich uns vieileidit
die variable Erscheinung des entzündlichen, auch als
OdematOs beschriebenen Halo um den Opticus einen Finger-
zeig in dieser Richtung geben? Sind nicht die venOsen
Aeste der Ghorioidea, welche in der Nähe des Opticus ihr
Blut sammeln, diejenigen, welche bei Behinderung des Ab-
flusses aus den Vortices die ungünstigsten Bedingungen fär
ihre Blutabfuhr haben? diejenigen, welche eine spitz-
winkliche Knickung überwinden müssen? und könnte man
nicht die in der Nähe des Opticus häufig gefundenen Ver-
änderungen als durch Stauung bedingt auffassen?
•) 1. c. p. 211.
**) Arch. f. Ophth. XXIII. 3, p. 155; Laqueur, Zwei Fälle,
wo ein Pnls der Chorioidealvenen darch Fingerdmck hervor-
gebracht werden konnten.
Heber Staareztiaotioneii mit und ohne Entfemimg
der Kapsel.
Von
Dr. Hermann Pagenstecher
in Wiesbaden.
Ueber den Werth zweier Operationsmethoden genau
zu entscheiden, ist immer eine schwierige Aufgabe. Operirt
man ein Jahr nach dieser, ein anderes Jahr nach jener
Methode, oder wechselt man mit den Methoden je nach
den Fällen, wie sie sich vorstellen, regelmässig ab, so wird
man immer Zufälligkeiten unterworfen bleiben, und nur
dann ein annähernd richtiges Resultat erlangen können,
wenn man aber eine sehr grosse Reihe von Fällen verfügen
kann. In der operativen Augenheilkunde bietet sich in den
Fällen von doppelseitigen, reifen Cataracten eine selten
günstige Gelegenheit, den Werth zweier Operationsmethoden
zu bemessen, indem wir ein Auge nach der einen und das
andere Auge nach der andern Methode operiren. In der
letzten Reihe von Jahren habe ich es mir deshalb zur
Regel gemacht, in beinahe allen derartigen Fällen, die sich
mir zur Operation vorstellten, das eine Auge mit der
Kapsel, das andere ohno Kapsel zu operiren. Dies stimmt
auch gewöhnlich mit den Indicationen, die ich froher schon
zur Extraction mit der Kapsel aufgestellt hatte; denn man
y. Oraefe'a Arehiv fftr Ophthalmologie, XXXIV. 2. 10
146 H. Pageostecher.
findet in der Hegel hier eine Cataracta hjpermatara neben
einer erst kürzlich zur Reife gelangten Gataract. Die
gleichmassig graue oder graugelbe Trübung der vordem
Corticalschichte, in der sich auch bei schiefer Beleuchtung
keine scharf begrenzte Zeichnung wahrnehmen lässt, yer-
räth sofort die ältere, überreife "Gataract neben der meist
noch deutliche, hellere Streifungen in der vorderen Gorücal-
schichte zeigenden jüngeren Gataract. Auch ohne jegliche
Anamnese weiss ich in solchen Fällen sofort, welches Auge
ich mit und welches ohne Kapsel zu operiren habe. In
den Fällen von überreifer Gataract ist die Zonula immer
atrophisch und gelingt daher die Entbindung in ge-
schlossener Kapsel mit oder ohne Anwendung des flachen
Löffels sehr leicht, in den meisten Fällen jetzt bei der
Anwendung von Gocain auch ohne jeden Glaskörperverlust.
Ebenso findet sich Atrophie der Zonula bei Morgagni'scher
Gataract und bei schon geschrumpften Staaren. Dies sind
Erfahrungssätze. — Ferner sollen alle luxirten, sowie alle
verkalkten Gataracte auf diese Weise operirt werden. Auch
in denjenigen Fällen, in welchen nach der Schnittführung
oder bei der präparatorischen Iridectomie (mit oder ohne
Intention zur Vornahme der künstlichen Reifung nach
Förster) sofort Entleerung von verflüssigtem Glaskörper
erfolgt, muss entweder sofort oder später die Extraction
in geschlossener Kapsel vorgenommen werden. Kommt es
bei luxirter Gataract vor, dass sich der obere Rand der
Linse unter den oberen Scleralrand verschiebt (bei der
Schnittführung nach oben) und nicht wieder nach unten
gebracht werden kann, so empfehle ich, die Wendung der
Gataract mit dem Löffel vorzunehmen und dann zu extra-
hiren. Dies Verfahren geschieht in der Weise, dass man
mit dem Löffel bei steiler Führung den oberen Linsenrand
nach unten in den Glaskörperraum drückt, durch weiteres
Vorschieben die Linse um die von rechts nach links ver-
laufende Horizontalachse (Frontalachse) zur Wendung bringt
/
SiMMnssxmcäzmem mä ■■4 ckx Eftr^ef^^v te^ Ea^!«L I4T
und dm fe Eitr^ni:-!; Tinioinit. I:h tV;^ di*s Ver-
fahren emige llilr mit g-lzs^gsiem ErfoUe iiii!i^w;3u:it.
In cinzelnei; Fillrn, in denen kh die C^iuric: *;$ e;aif
für die Operativa mit Kap<sel ihrem Anssehea Mv'h als c>^•
eignete bexeicLcen muss^ siehe ich denavvh rcn d;;T K\*
tiacüon mit Eap§el ab. wenn namlich die Sjviruiu:;^ vi^
Glaskörpers nach der SchnittfQhmng und Iriieo:c:i.u^ $:ch
noch als eine hohe erweist aier wenn der Paüent s»^hr
unruhig ist Ich thue dies jeut Tielieicht hiaS^rw als
froher, da ich bei der strengen Durchführung der je:j;gv'n
Sublimat - Antiseptik — auch bei der Extnvotion ohne
Kapsel — fast nie mehr heftigere Entiündungsersoheiunug^n
von Seiten der Iris und des Corpus ciliare be^^bachte.
Die Operation geschieht nach antiseptischen Grand-
sätzen unter Cocainanästhesie. Als Antisepticum dient
Sablimatwasser 1:5000. Die Details sind bekannt; er^
wähnen will ich nur, dass ich auch regelmässig vor jeder
Operation eine Ausspritzung des ThrAnennasencanalos mit
Sublimatlösung 1 : 5000 Tomehme. Ich operire den
Kranken stets im Bett, stehe am Kopfende und mache die
Operation des rechten Auges mit der rechten, die des
linken Auges mit der linken Hand. Der Schnitt wird
immer nach oben in die Sclero-Comealgrenze gelegt und
zwar so, dass er in seiner ganzen Ausdehnung in corneales
Gewebe zu liegen kommt und doch gleichzeitig die Bildung
eines grösseren oder kleinem Conjunctivallappens orrcicht
wird. Hieraus ergiebt sich von selbst, dass der Schnitt
fast immer Ton der streng linearen Form etwas abweicht
und einen leichten Bogen bildet, ja unter UmstAndeu auch
einen Lappenschnitt mit massiger Lappenhohe darstellen
kann. Die Lage des Schnittes im Cornealgewebe sichert
demselben eine rasche Heilungstendenz, und trägt der
Conjnnctivallappen zum sofortigen Wundschluss ganz
wesentlich bei. Ob der Schnitt nun etwas mehr oder
weniger linear oder bogenförmig ist oder ob er eine grössere
10*
148 ^* Pagenstecher.
oder kleinere Lappenhohe hat oder ob derselbe einen yoU*
kommenen Lappenschnitt darstellt, ist im Grande ge-
nommen fast «gleich gültig; jedenfalls nicht von der Wichtig-
keit, die man diesem Umstände früher zugeschrieben hat.
Alle diese Schnitte werden gleich gut heilen, wenn sie mit
( ruhiger Hand und scharfem Messer ausgeführt und nicht
inficirt werden. Ich kann auch nicht behaupten, dass eine
Schnittf&hrung mehr als die andere zu einer Einklemmung
der Iris in die Wundwinkel disponire, vorausgesetzt, dass
man die Irisschenkel in gleicher Weise stets vollkommen
reponirt. Wer noch mit dem Beer'schen Messer operirt,
wird immer einen Lappenschnitt machen, wer mit dem
Gräfe'schen Schmalmesser operirt, wird auch noch h&ufig
einen linearen oder nahezu linearen Schnitt machen.
Wüssten wir genau, bei welcher Schnittführung der Comeal-
astigmatismus am wenigsten vorkommt — denn ganz wird
er sich nie vermeiden lassen — so wurde es natürlich
unsere Pflicht sein, diese Schnittführung zu adoptiren.
Allein bis jetzt fehlen uns hierüber noch exacte ver-
gleichende Beobachtungen und die Ansicht, dass der alte
Lappenschnitt weniger Astigmatismus hervorruft, ist erst
noch zu beweisen; a priori sollte man erwarten, dass er
stärkere Verkrümmung hervorrufe, als der Linearschnitt.
Der Schnitt muss natürlich grade gross genug sein, um im
gegebenen Falle die Linse ohne besondere Schwierigkeit ent-
fernen zu können, je kleiner, je besser. Cataracte mit viel
weicher und breiiger Corticalis können durch kleinere Schnitte
entfernt werden, als Cataracte mit grossem festen Kern (Gat.
nigra). Ein jeder geübter Operateur wird diesen Umstand
zu würdigen wissen. Bei der Extraction cum Capsula muss
dagegen der Schnitt vor Allem nicht zu klein gemacht
, werden, doch nie grosser, als Vs des Cornealumfanges.
Nur Morgagni*sche Cataracte schlüpfen auch durch kleinere
Oeffnungen eifOrmig durch. Ich operire immer mit dem
Schmalmesser, achte aber darauf, dass der Rücken des
Staarextractionen mit und ohne Entfernung der Kapsel. 149
Messers nicht zu dick ist, da sonst am Ein- und Ausstichs« )
pnnkt geringe Quetschwunden entstehen, die die Heilung
verzögern und wohl auch leichter zu Infectionen der Wund-
winkel führen konnten. Die besten Schnittwunden erhält
man durch das zweischneidige, schmale Messer; ich habe
mir solche von Weiss in London anfertigen lassen; leider
sind dieselben nur zu biegsam und deshalb schwer zu hand-
haben.
Die Iridectomie wird immer vorgenommen. Da sich in
neuerer Zeit wieder Stimmen gegen die Iridectomie erheben
und für die . Bückkehr 4|^f^ Lappenschnitt ohne „Ver-
stümmelung"* der Iris plaidiren, so dürfte hier die Mit-
theilung am Platze sein, dass ich die Extraction ohne
Iridectomie vor mehreren Jahxen in einzelnen anscheinend
sehr günstigen Fällen — die Iris reponirte sich voll-
kommen — vornahm, jedoch wegen nachträglichen Pro-
lapsus iridis, gefolgt von unangenehmen ßeizerscheinungen,
wieder ganz aufgab. Wenn auch heute durch den Gebrauch
von Cocain und Eserin die Verhältnisse für die Erhaltung
der Iris günstiger liegen mögen, so ist doch niemals die
Gefahr eines Prolapsus iridis völlig auszuschliessen, und
ich bin der Meinung, dass die relativ grosse Anzahl dieser
unangenehmen Zußllle gerade Grund genug sein dürfte,
um uns der Wiedereinführung dieser alten Methode nicht
anznschliessen. Wir müssen dann allerdings auf den Haupt-
vorzug dieser Methode, , jedem Sachverständigen *) einen
hocherfreulichen Anblick zu gewähren" (Schweigger), ver-
zichten; allein wir verschonen dann auch die Sachverständigen
*) Was die „Verstümmelung der Iris" betrifft, so ist es mir
in meiner Praxis noch nicht vorgekommen, dass sich ein Kranker
oder dessen Angehöriger jemals über die Vornahme der Iridectomie
beklagt habe, und da die mit Erhaltung der Iris erzielten Seh-
fich&rfen bis jetzt nicht besser sind als die mit den Golobomen, so
schneiden wir lieber die Iris ab, als dass wir uns der in jedem
einzelnen Falle möglichen Gefahr eines Prolapsus iridis aus-
setzen.
150 H. Pagenetecher.
YOT dem höchst unerfreulichen Anblick eines Prolapsas iridis
nnd, was das Wichtigste ist, bewahren auch die Kranken
vor den dadurch bedingten, höchst lästigen und mitunter
auch gefährlichen Zufällen.
Nach Vornahme der Iridectomie erfolgt Entfernung
der Irisschenkel aus den Wundwinkeln. Sodann wird bei
I der Extraction cum Capsula der Löffel hinter den obem
1 Linsenrand bei zuerst steiler Führung eingeführt, nachher
der Stiel gesenkt und nur noch massig vorgeschoben, jeden-
falls nicht über den hintern Linsenpol hinaus. Darauf übt
der Assistent mit einem besonders construirten Qlasschieber
einen Druck auf den unteren Hornhautrand und drückt
unter leichtem, beständigem Vorschieben die Linse nach
oben, die sich dann bald in der Wunde einstellt. Der flache
Löffel hat hier mehr den Zweck einer geeigneten schiefen
Ebene, auf der die Linse nach aussen geschoben wird, als
die Bestimmung eines Tractionsinstrumentes; nur in den
Fällen, in welchen die Zonula noch ziemlich fest ist und in
welchen die Linse durch massigen Druck von aussen nicht
ganz entbunden werden kann, hat der Operateur den
Löffel weiter vorzuschieben, die Linse gleichsam von hinten
noch zu fassen und unter gleichzeitigem, leichtem Druck
von Seiten des Assistenten mit dem Glasschieber auf die
Cornea vollends zu extrahiren.
Eine Berstung der Kapsel gehört jetzt bei richtiger
Auswahl der Fälle zu den grössten Seltenheiten. Die
Technik der Operation ist nicht ganz leicht und bedarf
einiger Uebung. Allein in richtiger Weise angewandt, ist
das Verfahren schonender als in vielen Fällen von Ex-
traction mit Eröffnung der Kapsel, bei denen man nicht
allein zur Entbindung des Kerns, sondern auch zur nach-
träglichen Entfernung der Corticalmassen auf den Bulbus
einen nicht unerheblichen Druck ausüben muss. Es ist
deshalb auch ein zum mindesten sehr unüberlegter Aus-
spruch, zu dem sich ein Herr College hat hinreissen lassen,
Staarextractionen mit und ohne Entfernung der Kapsel. 151
indem er das Verfahren als kunstlos und roh bezeichnet
(v. Graefe's Arch. Bd. XXIX. 2, p. 206). Der Herr College
wird mir bei ruhiger Betrachtung beistimmen müssen, dass
dieser Vorwurf weniger die Methode, als seine eigene Aus-
führung derselben treffen kann (oder urtheilt er vielleicht
nach der Ausführung Anderer?); denn es ist doch nicht die
Schuld der Operationsmethode, wenn sie zufällig kunstlos
und roh ausgeführt wird. Vielleicht wird es dem Herrn
CoUegen gelingen, bei weiterer Cultivirung des Verfahrens
dasselbe auch schonend und kunstvoll auszuführen; es
werden dann sicherlich seine Resultate auch bessere sein.
Operire ich mit Eröffnung der Kapsel, so suche ich
ein möglichst grosses Stück der vorderen Kapser auszu-
schneiden und zu entfernen, wie ich dies schon im
Jahre 1877 in meiner Arbeit über die Operation des
grauen Staars in geschlossener Kapsel, p. 35, empfohlen habe.
Periphere Kapselspaltung mache ich nie, da die vermeint-
lichen Vorzüge deren Nachtheile nicht aufwiegen. Eine
Ausspülung der vorderen Kammer zur Entfernung der
Corticalmassen habe ich noch nicht vorgenommen, habe also
auch kein Urtheil über die Zweckmässigkeit des Verfahrens;
ich kann nur so viel sagen, dass ich bis jetzt noch kein
dringendes Bedürfniss hatte, mich dieser Neuerung zuzu-
wenden, da doch in der Regel die Entfernung der Cortex-
massen leicht gelingt. Sollten zukünftige Beobachtungen
lehren, dass die Bildung einer Cataracta secundaria dadurch
verhindert würde und sich das Verfahren als gefahrlos er-
weisen, so würde dies als ein wesentlicher Fortschritt zu
betrachten sein und wurde ich dasselbe mit Freuden
acceptiren.
Bei dieser Gelegenheit will ich nicht unterlassen, kurz
eines Verfahrens zu erwähnen, das ich seit einer langen
Reihe von Jahren bei der Extraction weicher Cataracte
jugendlicher Individuen bei Schichtstaar, üat. traumatica etc.,
ausfahre und sehr bewährt gefunden habe. Es besteht dies
/"
152 H. Pagenstecher.
im Auskratzen des Kapselsackes. Etwa 8 — 14 Tage nach
vorher ausgeführter Discission der vorderen Kapsel und der
hiernach eingetretenen Quellung der Linse eröffne ich die
vordere Kammer vermittelst einer massig breiten Lanze,
ca. 3 mm vom Gornealrande entfernt. Nach Abfluss des
; Kammerwassers und eines Theiles der gequollenen Linsen-
massen gehe ich mit einem kleinen, nach Art des Daviel-
schen Löffels gefertigten Listrumente in den Kapselsack
eiu, lOse die übrigen Gortexmassen und schabe mit leichten
Bewegungen die äquatoriellen Linsenmassen von der Kapsel
ab, die sich dann leicht entfernen lassen.
Die Spaltung der hinteren Kapsel- als Schlussact der
Operation, das Verfahren, das Hasner früher sehr cultivirte,
und dem ich in meiner oben citirten Arbeit, p. 37, schon
das Wort geredet hatte, habe ich in letzter Zeit mehrfach
in Anwendung gebracht und dabei nicht nur keinerlei nach-
theilige Folgen, sondern auch gute Sehschärfen beobachtet;
doch bedarf ich noch weiterer Erfahrungen, um über die
Zulässigkeit desselben endgültig urtheilen zu können. Die
alte Ansicht von Richter, Beer und Bowman, dass ein
massiger GlaskOrperv orfall die Sehkraft häufig verbessere,
hat heute noch allgemeine Gültigkeit, und wird durch die
Sprengung der hinteren Linsenkapsel auch voUkonmien
erklärt.
Gataracte, welche nach dem FOrster'schenVer&hrenkünst-
lich zur Reife gebracht worden sind, soll man nicht mit der
Kapsel extrahiren, da letztere in der Regel durch Quellung
der Linsenmassen sehr gespannt ist und beim Versuche der
Extraction zu leicht platzen würde.
Ich halte das FOrster'sche Verfahren der künstlichen
Reifung für den grOssten Fortschritt, der auf dem Gebiete
der Staaroperationen in letzter Zeit überhaupt gemacht
wurde. Ich habe dasselbe in mehr als 100 Fällen vor-
genommen und fast ausnahmslos günstigen Erfolg in betreff
der Reife erzielt. Die Extraction habe ich oft schon nach
Staarextractionen mit und ohne Entfernung der Kapsel 153
14 Tagen folgen lassen; zuweilen jedoch auch einige Monate
zuwarten müssen. Für schon weit yorgeschrittene, langsam
reifende Gataracte, die oft in Jahresfrist nur unmerkliche
Zunahme der Trübungen aufweisen, ist dies eine durch
nichts zu ersetzende Errungenschaft. Ich übe das Verfahren
nach FOrster's Vorschrift durch Massage der Linse ver*
mittelst Druck und Reibungen mit einem Glasschieber auf
der Cornea nach der Iridectomie; in einigen Fallen habe
ich auch directe Massage der Linse mit dem Bücken eines
Davierschen Löffels vorgenommen.
Nach vollendeter Extraction der Linse, sei dieselbe nun
in geschlossener Kapsel oder mit Eröffnung der Kapsel vor-
genommen worden, wird d^r Conjunctivalsack, der auch vor
und während der einzelnen Operationsacte wiederholt mit
SublimatlOsung durch den Assistenten überrieselt wurde,
nochmals mit SublimatlOsung 1 : 5000 ausgewaschen und
dami ein Sublimatverband angelegt; Sublimat- Qaze und
-Watte, getränkt in Sublimatlösung 1 : 5000, direct auf das
Auge, darüber Binde. Im Lauf der letzten Jahre habe
ich in mehreren Fällen eine modificirte offene Wund-
behandlung angewandt; es waren dies Fälle, in denen
entweder chronische unheilbare Conjunctivalleiden oder
Stenosen des Ductus naso-lacrymalis ohne eitrige Secretion
bestanden oder eine Stenose mit eitriger Secretion kurz
vorher beseitigt worden war. Ich lege dann einen in
Sublimatlösung getauchten Sublimatwattebausch auf, lasse
alle zwei Stunden oder 3 mal täglich den Conjunctival-
sack ausspülen und frische Sublimatwatte auflegen. Es
ist ganz auffallend, wie reizlos gewöhnlich die Heilung
sich bei dieser offenen Wundbehandlung vollzieht, um
diesen Wattebausch Nachts zu fixiren, lasse ich die
Kranken eine gut sitzende Muschelbrille tragen. Schon
in der zweiten Nacht bleibt das Auge, wenn Wundschluss
erfolgt ist, frei und wird nur die Schutzbrille getragen.
154 H. Pagenstecher.
Ich halte eine gut sitzende Schutzbrille für den besten
Ersatz eines Schutzverbandes, der Kranke kann sich, wenn
er mit derselben bewaffnet ist, weder durch unvorsichtiges
und unfreiwilliges fieiben mit den Fingern im Schlafe, noch
durch Umherwerfen des Kopfes im Schlafe verletzen. Will
man alle Vorsichtsmassregeln erschöpfen, so kann man die
Arme der Brille noch durch ein dreieckiges Kopftuch
fixiren lassen. In Betreff der Nachbehandlung bemerke ich
noch, dass in den Fällen, in denen ein Verband angelegt
wurde, derselbe gewöhnlich 48 Stunden lang liegen bleibt
um erst nach abermals 48 Stunden wieder gewechselt zu
werden; dann bleibt derselbe gewöhnlich Tags über ganz
weg. Atropin braucht in Fällen, wo mit Eröffnung der
Kapsel operirt wurde, auch nur dann in Anwendung ge-
zogen zu werden, wenn sich Reizerscheinungen von Seiten
der Iris zeigen. Legt man grossen Werth darauf, auch
die kleinsten Verlöthungen des Pupillarrandes oder der Iris-
zipfel mit der Kapsel zu vermeiden, so träufelt man nach
48 Stunden einige Male hintereinander Atropin ein. Bei
Bestimmung der Zeit, wie lange der Patient im Bette ver-
weilen und wie lange er im Hospitale bleiben muss, ridite
ich mich ganz nach dem Heilungsverlauf und auch nach
der Individualitat des Kranken, lege jedoch keinen be-
sonderen Werth darauf, die Kranken möglichst früh zu
entlassen.
Gehen wir nun zur vergleichenden Betrachtung der
Resultate beider Operationsmethoden über. Die Zusammen-
stellung*) umfasst die seit 1876 meist von mir selbst,
zum Theil noch von meinem Bruder Alexander vor-
genommenen doppelseitigen Extractionen , bei welchen
das eine Auge mit, das andere ohne Kapsel operirt wurde.
*) Dieselbe wurde von meinen Assistenten, Herrn Dr. Ger-
mer, jetzt in Kreuznach, Herrn Dr. Wallstab, jetzt in Suderode
und Herrn Dr. Greatz, jetzt in Göln, vorgenommen.
Staarextractionen mit und ohne Entfernung der Kapsel. 155
Es sind dies im Ganzen 74 Fälle, also 148 Extractionen.
Die meisten, nämlich 56, wurden in einer Sitzung vor-
genommen; bei den übrigen lagen gewöhnlich nur kurze
Zwischenräume zwischen beiden Operationen. GlaskOrper-
verlust, der bekanntlich bei der Extraction mit der Kapsel
viel häufiger vorkommt, ereignete sich in 39 Fällen, wäh-
rend er bei den ohne Kapsel extrahirten Augen 5 mal ver-
zeichnet ist. Seit Einfahrung des Cocains haben sich die
Verhältnisse in Betreff dieses Zufalles nicht unwesentlich
gebessert, sowohl in Betreff der Häufigkeit, als auch der
Quantität des Verlustes. Wenn es mir auch selbst-
verständlich erwünschter ist, dass kein Glaskörpervorfall
zu Stande kommt, so muss ich auch heute nach meinen
vielfachen Erfahrungen in dieser Sichtung an der früher
ausgesprochenen Ansicht festhalten, dass ein massiger
Glaskörperverlust bei der Extraction cum Capsula zu den
unschuldigsten Gomplicationen gehört und dass dadurch
dem betreffenden Auge keinerlei Gefahren für die Zukunft
erwachsen. Insbesondere muss ich auch jetzt wieder der
Ansicht entgegentreten, dass dadurch eine Disposition zu
künftiger Netzhautablösung gesetzt würde. Unter all den
vielen, von mir und meinem Bruder bis jetzt mit der
Kapsel extrahirten Augen, deren Zahl 600 weit übersteigt,
habe ich erst einmal eine Netzhautablösung bemerkt. Es
betraf dies ein! myopisches mit ausgedehnter Chorioiditis,
Glaskörperverflüssigung und Cataracta nigra behaftetes
Auge, bei dem die Extraction cum Capsula wegen vor-
zeitigen Glaskörpervorfalles vorgenommen werden musste.
Die Netzhautablösung trat acht Wochen nach der Ex-
traction nach grosser Anstrengung des Auges durch Lesen
auf. Weitere Fälle sind mir, wie gesagt, nicht zur Beob-
achtung gekommen. Da ich in den letzten 10 Jahren auf
diesen umstand genau geachtet habe, und da ich viele von
meinen Kranken in späteren Jahren wiedersehe, so dürfte
156 H* Pagenetecher.
wohl solchen praktischen Erfahrungen die Beweiskraft
nicht abgesprochen werden können. Sollte der eine oder
andere College Gelegenheit haben, Netzhantablösung bei
von mir mit der Kapsel extrahirten Angen zu beobachten,
so wäre ich ihm für die Mittheilung sehr dankbar. Eine
genaue statistische Zusammenstellung über Netzhaut-
ablOsung bei aphakischen Augen wäre überhaupt sehr
dankenswerth. Es mag hier häufig gehen, wie bei so
vielen Dingen, dass man Ursache und Wirkung verwechselt.
Hat ein Operateur zufällig ein oder mehrere Augen mit
Verlust von Glaskörper extrahirt, und stellt sich später
Netzhautablösung ein, so sagt er sofort, im Glaskörper-
verlust liegt die Schuld, während der wahre Grund in ge-
wissen krankhaften Veränderungen des Auges liegt, die zu
Netzhautablösung disponiren, und welche bei der gleich-
zeitig vorhandenen Glaskörperverflüssigung oder Glaskörper-
ablösung während der Operation den Glaskörperverlust be-
dingen.
Stülpt sich nur eine Glaskörperhemie vor, so geht die-
selbe gewöhnlich unter dem Liddrucke wieder zurück; bei
Glaskörperverlust schneide ich gewöhnlich denselben hart
an der Wunde mit der über die Fläche gebogenen Scheere
ab. Die Verletzung des Glaskörpers fürchte ich nicht,
und ich halte auch heute noch meinen Ausspruch, dass
man den Glaskörper ohne jegliche Gefahr fär das Auge
verletzen könne, vorausgesetzt, dass man ihn nicht infidrt,
vollkommen aufrecht. Dieser Ausspruch hat viel Wider-
spruch erlitten; doch thut dies seiner Richtigkeit nicht den
mindesten Eintrag. Er ist durch die Thatsachen begründet,
die sich jahraus, jahrein unter meinen Augen abspielen
und an denen sich nicht rütteln lässt.
In Bezug auf die Sehschärfe bei der Entlassung stellen
sich die Besuliate wie folgt:
Staarextractionen mit und ohne Entfernung der Kapsel. 157
Sehschärfe bei Augen
cum Capsula operirt: sine Capsula operlit:
■^20 ^ 2
= ^ 9 7
W 14 8
f 13 21
^ 4 0
lOü ^- ^
^ 5 5
200 ^ ^
Fingerzählen auf 5—10 ' . 2 2
Quantitative Lichtempfindung 2 1
S nicht zu ermitteln ... 1 1
74 74.
Die Besultate sind annähernd gleich; nur in betreff
der höheren Sehschärfen überwiegen die Extractionen cum
Capsula etwas. Quantitative Lichtempfindung, die wir hier
als Verlust rechnen wollen — Phthisis bulbi kam nicht
zur Beobachtung — wurden 2 mal bei der Eitraction cum
Capsula und Imal bei Extraction sine Capsula beobachtet.
Die ersteren betrafen folgende Fälle:
1. Im Jahre 1884 vorzüglicher Operations verlauf, ganz
glatte Entbindung der Linse cum Capsula ohne jeden GlaskOrper-
verlust. Eiterige Iritis am zweiten Tage. Der Grund der sep-
tischen Infection lag jedenfalls in irgend einer Unterlassungs-
sünde in Betreff der Antiseptik und hatte dieser Verlust sicher
verhindert werden können. Ausgang in Fupillarverschluss.
2. Im Jahre 1882. Ein im höchsten Grade unbändiger
Kranker, der bei der geringsten Berührung der Lider sofort
stark presste, konnte nur in der Chloroformnarkose operirt
158 S* Pagenstecher.
werden. Die Operation cum Capsula ging ganz glatt und nur,
um mich von der Lage der Iris zu überzeugen, wurde das
obere Lid nochmals gelüftet, als Patient plötzlich aus der Nar-
kose erwachte, um sich schlug und dabei so stark presste, dass
der Glaskörper buchstäblich aus dem Auge heraussprang. Nar
mit Mühe konnte der Binoculus angelegt werdedlf Nach
24 Stunden Wundeiterung mit eitriger Iritis, die zu Pupillar-
verschluss führte.
Der eine Ausgang in quantitative Lichtempfindung
bei Extraction sine Capsula wurde durch Iritis mit nach-
folgenden glaucomatOsen Erscheinungen, die sich kurz vor
der Entlassung des Patient^en einstellten, bedingt.
Die Fälle, in denen Fingerzählen notirt ist, betrafen:
1 Fall mit doppelseitigen Hornhauttrübungen; 1 Fall
(1877 operirt) von GlaskOrperblutung bei Extraction sine Capsula
und 1 Fall von Iridocyclitis (1879 operirt) bei Extraction cum
Capsula.
Der Kranke, bei dem S nicht zu ermitteln vrar, verliess
am fünften Tage die Anstalt, doch theilte er brieflich mit,
dass er mit beiden Augen gut sähe.
Sehr genau vrurde stets das Verhalten des Glaskörpers
geprüft und notirt, auch die geringsten filamentösen
Trübungen, die sich von der Wunde aus leicht in den Glas-
körper hinein erstrecken und das Sehvermögen gar nicht
alteriren (bei Augen mit voller Sehschärfe), wurden notirt.
Es fanden sich Glaskörpertrübungen in 23 Fällen bei Ex-
traction cum Capsula (darunter Gholestearincrystalle in zwei
Fällen) und in 13 Fällen bei Extraction sine Capsula. Die
Glaskörpertrübungen bei Extraction cum Capsula gehen ge-
wöhnlich im Verlauf von einigen Monaten ganz zurück, fast
ausnahmslos findet man bei der Untersuchung nach sechs
Monaten oder einem Jahr in diesen Fällen ganz klaren Glas-
körper. In üebereinstimmung damit finden wir auch als
allgemeine Hegel, dass die Sehschärfe bei den mit der
Kapsel Operirten nach der Entlassung in den meisten
Staarextractionen mit und ohne Entfernung der Kapsel. 159
Fällen noch steigt, während wir umgekehrt bei den ohne
Kapsel Operirten in vielen Fällen kürzere oder längere Zeit
nach der Entlassung eine Abnahme der Sehkraft durch
nachträgliche Eapseltrühung constatiren mQssen.
Nicht selten habe ich beobachtet, dass in Fällen von
chronischer Iridochorioiditis mit GlaskOrpertrübungen, bei
denen später die Cataractoperaüon cum Capsula ausgeführt
werden konnte, GlaskOrpertrübungen, die Jahre lang be-
standen und das Sehvermögen wesentlich beeinträchtigten,
nach der Operation in schönster Weise zur Aufhellung ge-
langten.
um mir ein möglichst sicheres ürtheil über den Zu-
stand der Augen der von mir schon vor Jahren operirten
Kranken zu verschaffen, habe ich an alle vor 1885 Operirte
geschrieben, und dieselben gebeten, sich entweder bei mir
nochmals vorzustellen, oder im Falle sie reiseunfthig seien,
darüber Bericht zu erstatten, wie sie mit ihren Augen zu-
frieden seien und mir speciell anzugeben, mit welchem
Auge sie ohne Brille besser sähen. Im Ganzen waren es
57 Fälle, an welche diese Fragen gerichtet wurden. Von
diesen 67 Fällen haben sich vorgestellt 7, geantwortet
haben 25, gestorben waren 14, nicht zu ermitteln waren 3,
keine Antwort gaben 8. Bei den 7 Kranken, die sich vor-
stellten, konnte mit Bestimmtheit nachgewiesen werden,
dass in 6 Fällen das mit der Kapsel operirte Auge den
Vorzug hatte; aus den 22 Antworten, die theilweise sehr
ungenau waren oder sich nur auf die Mittheilung be-
schränkten, dass mit beiden Augen gut gesehen wurde,
ging soviel mit Sicherheit hervor, dass 10 dem mit der
Kapsel und 4 dem ohne Kapsel operirten Auge den Vorzug
gaben. Eine Mittheilung, dass eines der operirten Augen
nachträglich erblindet sei, ist uns nicht zugegangen.
Ich habe mit Absicht die grösste Menge der doppel-
seitigen Extractionen in einer Sitzung vorgenommen, näm-
lich in 56 Fällen, einestbeils, um möglichst genaue
160 S- PagenBtecher.
Vergleichsobjecte zu haben, anderntheils aber aoch, nm den
Eranken das doppelte Krankenlager zu ersparen'. Ich weiss
wohl, dass viele Operateure in dieser Beziehung nicht mit
mir abereinstimmen, sondern die Arlt'sche Regel befolgen,
zur Zeit immer nur ein Auge zu operiren. Ich stimme
dem letzten Grundsatze für eine Beihe von Erkrankungen,
z. B. glaucomatOse Frocesse, auch zu; möchte dasselbe
jedoch nicht auf Cataracte ausdehnen.
Wenn wir nun auf Grund der vorliegenden Beob-
achtungen und Erscheinungen einen Vergleich zwischen
beiden Operationsmethoden ziehen, so ergiebt sich, dass die
unterschiede in Bezug auf die vollen Besultate und auch
in Bezug auf die Sehschärfen bei der Entlassung im Grossen
und Ganzen keine sehr bedeutende sind.
Man könnte hieraus den Schluss ziehen, dass das Ver-
fahren der Extraction cum Capsula dem Verfahren der
Extraction sine Capsula im günstigsten Falle nur gleich-
werthig und deshalb wegen seiner etwas schwierigeren Technik
nicht sehr zu* empfehlen sei; allein bei näherer Betrachtung
und insbesondere, wenn wir unsere Resultate nach Monaten
oder Jahren vergleichen, so stellen sich die Verhältnisse
doch in einem ganz anderen Lichte dar und lassen die
Superiorität der Extraction cum Capsula deutlich in die
Augen springen.
Zunächst ist zu erwägen, dass unter den oben an-
geführten Fällen von Extraction sine Capsula sich eine
grössere Anzahl von Fällen befindet, welche zu der guten
Sehschärfe erst durch eine nachträgliche Discission der
zurückgebliebenen Kapsel und deren Auflagerungen ge-
langte.
Ich mache nämlich die Discission in Fällen, welche
sonst reizlos verlaufen, sehr häufig schon in der dritten oder
vierten Woche. Leider ist in meiner Zusammenstellung
die Anzahl der Fälle, in welchen die Discission vorgenommen
wurde, nicht angeführt und eine nochmalige Durchsicht der
Staarextractiouen mit nnd ohne Entfernang der Kapsel. Igl
yielen Joornale ist mir zur Zeit aiim5glich, doch taxire ich
den Procentsatz auf ca. 20. Diese Kranken hatten sich
also schon vor ihrer Entlassung einer zweiten Operation zu
unterziehen. Ein jeder Praktiker weiss fernert dass von
allen mit Zorücklassung der Kapsel Operirten ein grosser
Procentsatz mit der Klage über Abnahme der Sehkraft,
meist in Folge einer nachträglichen KapseltrQbung, zurück-
kehrt, dass ein anderer Procentsatz sich über Lichtscheu
resp. Blendungs - Erscheinungen oder über mangelude
Orientirung beschwert. Diese Klagen hören wir nie von
den mit der Kapsel Operirten. Die sowohl für den Arzt
sowie für den Kranken gleich lästigen und mitunter auch
nicht ungefährlichen Nachoperationen fallen bei der Ex-
traction cnm Capsula weg; wegen des vollkommen klaren
Pupillargebiets kommen selbst bei grossen Pupillen Blen*
dungserscheinungen nicht zu Stande und ist auch in Folge
dessen das OrientirungsvermOgen dieser Kranken ein weit
besseres. Aus den späteren Untersuchungen sowie aus den
Antworten der Kranken, an die wir uns schriftlich gewandt
hatten, ging deutlich hervor, dass die Mehrzahl der Kranken
dem mit der Kapsel operirten Auge den Vorzug giebt.
Gerade solche Angaben der Kranken sind gewiss nicht zu
unterschätzen. Es ist ja möglich, dass sich dies nicht
immer mit der besseren Sehschärfe deckt, allein es ist auch
nicht richtig, wenn wir den Werth und die Leistungs-
fähigkeit eines am Cataract operirten Auges nur nach dem
Grade der von uns festgestellten Sehschärfe beurtheilen
wollen; zwei Augen können die gleiche Sehschärfe haben
und doch einen ganz erheblichen Unterschied in ihrer
Leistungsfähigkeit aufweisen, aber sicherlich wird ceteris
paribus dasjenige das Leistungsfähigere sein, welches das
freieste Pupillargebiet hat.
Bei der Betrachtung des Gesammtrcsultats ist immer
nicht zu vergessen, dass sich die Zusammenstellung auf
eine Reihe von 12 Jahren bezieht und dass, wenn auch
V. Qntefe^a Archiv fflr Ophthalmolofirie, XXXIV. 8. 11
162 H. Pagenstecher.
immer in unserer E^linik nach den Gnmds&tzen der Antiseptik
operirt wurde, dieselbe erst nach und nach zu dem Grade
der Vollkommenheit gelangte, die sie heute besitzt. Ins-
besondere haben sich die Resultate seit der Einführung der
Sublimatantiseptik, die wir vorzugsweise den sorgfältigen
Untersuchungen Sattler's verdanken, ganz erheblich ge-
bessert. Dies betrifft nicht allein die eitrigen Frocesse,
sondern auch die von Seiten der Iris und des Gorpas
ciliare ausgehenden Entzündungserscheinungen. Als Be-
weis hierfür lasse ich eine kurze üebersicht über die Re-
sultate der im Jahre 1887 in der hiesigen Augenheilanstalt
vorgenommenen Extractionen folgen. Dieselbe ist von
meinem Assistenzarzte, Herrn Dr. Creutz, zusanmien-
gestellt:
„Im Laufe des Jahres 1887 wurden 91 Staaroperationen
gemacht, darunter 78 Extractionen von Altersstaaren, von
denen ich selbst 7 operirte.
Von diesen 78 Fällen wurden 22 mit der Kapsel und
56 ohne Kapsel operirt. Der Operationsverlauf war in
allen Fällen ein normaler, abgesehen von den GlaskOrper-
verlusten. Bei den Extractionen mit der Kapsel kam er
9 mal zur Beobachtung, während er bei den Extractionen
ohne Kapsel nur einmal verzeichnet ist. Die präparatorische
Iridectomie mit Massage zum Zwecke der Reifung wurde
im Ganzen 7 mal vorgenommen und zwar 6 mal bei den
Extractionen ohne Kapsel und einmal bei der Extraction
mit der Kapsel. Die Massage der Linse geschah meist in-
direkt durch Reibung mittelst eines GlaslOffels auf der
Hornhaut, nur in 2 Fällen wurde eine direkte Massage der
Linse nach Eingehen mit einem Davierschen LOffel in die
vordere Kammer vorgenommen.
Hierbei zeigte sich, dass die Reifung am schnellsten
eintrat nach der direkten Massage der Linse, so dass am 12.
und am 14. Tage nach der Iridectomie schon die Extraction
A)lgen konnte, während dieselbe bei den übrigen Fällen am
Staarextractionen mit und ohne £ntfemuiig der Kapsel. 163
15., 16., 18., 18., 19. und 57. Tage nach der präpaia-
torischen Iridectomie vorgenommen wurde. In dem letzten
Falle war die Patientin in der Zwischenzeit entlassen
worden.
Von den 56 ohne Kapsel Operirten wurden 14 noch
vor ihrer Entlassung einer Nachoperation, der Discission,
unterworfen, d. i. in 25 pCt. der Fälle, und zwar in
folgenden Intervallen: am 17., 17., 20., 20., 21., 21., 22.,
22., 24, 25., 25., 28., 29., 30. Tage nach der Extraction.
Der Heilungsverlauf war in allen Fällen ohne Aus-
nahme ein vollkommen normaler.
Bei der genauen Bestimmung der Sehschärfe müssen
wir natürlich die complicirten Fälle von den nicht com-
plicirtcn trennen.
Unter unsem 78 Extractionen waren im Qanzen 5 mal
Complicationen nachweisbar, und zwar betrafen dieselbe
vier Extractionen ohne die Kapsel und eine Extraction mit
der Kapsel.
Die ersteren Fälle waren folgende:
1. Chorio- Retinitis mit atrophischen Veränderungen
an der Macula. S = Veo.
2. Irido-Chorioiditis mit Pupillarverschluss. Iridectomie
ein Jahr vorher schon vorgenommen. S = Veo.
3. Chorio-Betiniüs mit secundärer Betinalatrophie.
S = Fingerzählen in 1 Meter.
4. Ausgedehntes Leucoma adhaerens mit Cataracta
accreta. S = Fingerzählen in 1 Meter.
Der eine Fall von den mit der Kapsel Operirten war
mit ausgedehnter Chorioiditis disseminata complicirt.
8 = 760.
Bei den nicht complicirten Cataracten konnten wir
folgende Sehschärfen bei der Entlassung ohne Zuhülfenahme
der stenopäischen Spalte feststellen:
11*
164 H. Pagenstecher.
1. Extractionen mit der Kapsel.
6mal S = % 3mal S = V»» 9mal S = 7i2, 2mal
S = Vis, Imal S = 724.
2. Extractionen ohne die Kapsel.
5mal S = 76, Umal S = 79, 12mal S = 7i», lOmal
S = 7i8, Gmal S = 7^4, 4mal S = 7s6, Imal S = Vso.
Wie aus der vorstehenden statistischen Zusammen-
stellung hervorgeht, hatten wir also bei unseren Operationen
lauter vollkommene Besultate erzielt. Ich glaube daher,
dass der Ausspruch nicht allzu gewagt erscheinen darf,
wenn ich behaupte, dass wir vermittelst der jetzt streng
durchgeführten Antisepsis im Stande sind, nicht allein alle
von aussen herrührenden eitrigen Prooesse wfthrend des
Heilungsverlaufes, sondern auch alle schwereren Ent-
zündungsErscheinungen von Seiten der Iris und des Corpus
ciliare auszuschliessen.
Einem etwaigen Einwurfe, den man mir vielleicht
machen könnte, dass die Zahl der beobachteten Fälle eine
noch viel zu geringe sei, um zu diesem Ausspruche zu
berechtigen, kann ich von vornherein mit der Angabe ent-
gegentreten, dass von allen seit October 1885 bis jetzt in
der hiesigen Augenheilanstalt für Arme vorgenommenen
Gataract- Extractionen, deren Zahl 184 beträgt, nicht ein
einziges Auge verloren ging, ja selbst kein Fall vorkam,
der nur mit quantitativer Lichtempfindung entlassen worden
wäre. Ich habe darauf hin die Journale einer genauen
Revision unterworfen, habe jedoch diese Fälle nicht alle
zusammengestellt, einestheils, weil ich dieselben wegen
meines erst im April 1886 erfolgten Eintrittes in die An-
stalt nicht alle selbst beobachtet habe, andemtheils, weil
ich auch eine Zusammenstellung der Besultate über einen
bestimmten, nicht willkürlich herausgegriffenen Zeitraum,
d. i. vom 1. Januar 1887 bis 1. Januar 1888 geben wollte.**
Staarextractionen mit und ohne Entfernung der Kapsel. 1(>5
Mit obigem Aussprache soll durchaus nicht gesagt
sein, dass wir von nun an alle eitrigen Frocesse, sowie
schwere und tiefgehende Entzündungs- Erscheinungen nach
Extractionen auszuschliessen im Stande sein werden.
Es wird immer noch eine gewisse Quote von Fällen
vorkommen, bei denen durch irgend ein kleines Versehen in
Betreff der strengen Durchführung der Antiseptik, z. B. beim
Beinigen der Instrumente, das Unheil heraufbeschworen
wird und das Auge zu Grunde geht. Es werden ferner
Fälle vorkommen, bei denen wir die Infection von aussen
wohl verhindern, bei denen sich aber eine Infection von
Seiten des Kranken resp. dessen Blutmischung nicht mit
Sicherheit ausschliessen lässt, wie z. B. bei Individuen,
welche mit Diabetes, Endocarditis , Tuberculose, Lues,
Nierenschrumpfung etc. behaftet sind und deren Eräfte-
zustand schon hochgradig reducirt ist.
So kam im Jahre 1886 ein Fall zur Beobachtung, der mit
hochgradigem Diabetes und Morbus Brighti complicirt war.
Die Fraa befand sich im Stadium der höchsten Gachexie,
und die Prognose quoad vitam war eine sehr ungünstige.
Nur ihrem Wunsche gemäss wurde die Extraction, um ihr
die letzten Lebensmonate erträglicher zu machen, vor-
genommen. Es ward zuerst das eine, nach 8 Tagen das
andere Auge operirt.
In beiden Fällen trat ungefähr am 10. Tage nach der
Operation eine eitrige Iritis ein, die an dem einen Auge
wieder vollkommen zurückging und gate Sehschärfe hinter-
liess, in dem anderen Auge mit Hinterlassung einer
Pupillarmembran und einer Sehschärfe von Fingerzählen in
1 — 2 m heilte, die jedoch durch eine nachträgliche Dis-
cission erheblich zu verbessern gewesen wäre. Die An-
gehörigen der Patientin wünschten aber wegen der grossen
Schwäche derselben die Entlassung.
Wir tragen kein Bedenken, in diesem Falle die Ent-
stehung der eitrigen Iritis einzig und allein dem Einflüsse
166 H. Pagenstecher.
des körperlichen Leidens (einer Antoinfection) zuzuschreiben.
Es ist wohl kaum nöthig, zu erwähnen, dass jeder Operateur
durch Verluste betroffen werden kann, deren Verhütung ausser
seiner Macht liegt, sei es nun, dass ein unvernünftiger Kranker
sich am ersten Tage mit schmutzigen Fingern im unbe-
wachten Augenblick unter die Binde fährt und Infection
verursacht, sei es, dass derselbe während oder nach der
Operation Blutungen von Seiten der Netzhaut oder Cho-
rioidea erleidet, sei es, dass sich während des Heilungs-
verlaufes glaucomatöse Erscheinungen oder NetzhautablOsung
einstellen. Von all* diesen Zufällen sind wir allerdings wäh-
rend der letzten 272 Jahre glücklicherweise verschont ge-
blieben.
Die oben angeführte genaue Zusammenstellung aus
dem Jahre 1887 zeigt uns die Superiorität der Extraction
cum Capsula in klarster Weise. Man vergleiche nur die
überaus grosse Zahl guter Sehschärfen mit denen der
Extraction ohne Kapsel. A priori kann es auch eigentlich
nicht anders erwartet werden, denn die Erzielung einer voll-
kommen reinen beweglichen Pupille, die für immer erhalten
bleibt, ist auf andere Weise kaum zu erreichen und ich
muss nur bedauern, dass ich bis jetzt nicht im Stande bin,
sämmtliche Cataracte auf diese Weise zu operiren. Der
einzige Grund, der mich davon abhält, ist die durch lang-
jährige Praxis gewonnene üeberzeugung, dass sich die
grössere Anzahl von Fällen aus dem Grunde zu diesem
Verfahren nicht eignet, weil wir in denselben Gefahr laufen,
die Kapsel bei der Extraction zu sprengen und theilweise
im Auge zurückzulassen. Eine richtige Auswahl der Fälle
ist also für den, der sich mit dem Verfahren befassen will,
Grundbedingung. Dass eine solche Auswahl in der Praxis
zu treffen ist, dürfte wohl die Zusammenstellung aus dem
Jahre 1887 wiederum bewiesen haben.
Wiesbaden, März 1888.
Zu historisclieii Eenntniss der Yorderkammer-
AnswaschnngeiL
Von
Prof. Dr. Hugo Magnus
in Breslau.
Die Ansichten über den therapeutischen Werth der
Auswaschungen der Vorderkammer sind bekanntlich gegen-
wärtig immer noch recht getheilte. Während einzelne
Autoren in der besagten operativen Maassnahme eine sehr
erfreuliche Bereicherung der ophthalmologischen Chirurgie
erblicken, verhalten sich wieder andere Operateure diesen
Auswaschungen gegenüber, aus welchen therapeutischen
Absichten dieselben auch immer empfohlen sein mögen,
sehr zurückhaltend und ablehnend. Wenn nun ein end-
gültiges Drtheil hierüber schliesslich nur durch eine um-
fassende Operationsstatistik wird erbracht werden künnen,
so glauben wir doch, dass es im Yortheil der in Bede
stehenden Operation liegen muss, wenn deren historische
Schicksale einmal des Näheren dargelegt werden; muss es
doch für jeden Operateur von der grössten Wichtigkeit
sein, die Erfahrungen seiner Vorgänger auf das Ge-
naueste zu kennen. Dies ist jedoch bei der hier in
Rede stehenden Operation keineswegs der Fall; trotzdem
die Auswaschungen der Yorderkammer jetzt in fast allen
Ophthalmologen- Versammlungen den Gegenstand einer mehr
oder weniger lebhaften Discussion bilden und trozdem
168 H. Magnos.
Prioritätsstreitigkeiten um die Ehre deiw Erfindung dieser
Methode in diesen Discassionen nnr zu oft die Hauptrolle
spielen *), so findet doch die historische Entwickelnng dieser
operativen Maassnahme kaum Beachtung; höchstens theilt
dieser oder jener Autor**) mit wenig Worten mit, dass
Kammeraaswaschungen wohl auch früher schon gemacht
worden seien. Dass unsere Vorgänger diese Methode bereits
genau studirt, ihre therapeutische Bedeutung erprobt und
ihre Verwendbarkeit eingehend geprüft haben könnten,
daran scheint im Augenblick Niemand mehr zu denken.
Wenn wir im Folgenden kurz die früheren Schicksale der
Eammerauswaschung schildern, so werden wir uns bei dieser
historischen Darstellung lediglich auf die früheren Epochen
unserer Wissenschaft beschränken und unsere Betrachtung
nur bis zur Wiederentdeckung der Kammerausspülung,
d. h. bis zur Mitte dieses Jahrhunderts, führen.
Was nun zunächst das Alter der Vorderkammer-Aus-
waschungen anlangt, so finden wir die Kenntniss dieser
Operation, wie dies übrigens auch bereits de Wecker***)
angegeben hat, schon bei St. Tvesf), also im Beginn des
achtzehnten Jahrhundeits. Doch soll damit keinesfalls ge-
sagt sein, dass St. Tves der erste gewesen sein müsse, der
*) Man yergl. z. B.: Sociötö fran^aise d*Ophthalmo-
lo'gie. Gongrös de 1887. Heyne g^nörale d'Ophtbalmologie 1887
Mai, p. 217 und: Die ophthalmologische Section der Bri-
tish medical association. Klinische Monatsblätter fGir Augen-
heilkunde 1887, p. 356.
**) So erwähnt z. £. de Wecker, Injections et panse-
ments k Tösörine et antisepsie ocnlaire, Annal. d^Ocol.
März-April 1886, dass St. Yves schon Answaschnngen der Vorder-
kammer geübt habe; Schöler, Zar Staar Operation, Berliner
klinische Wochenschrift 1887 No. 38 erwähnt das Vorkommen jener
Operation bei Casaamata und Gaörin.
*♦*) In der oben citirten Arbeit de Wecker's p. 5 des Separat-
abdrucks.
t) de St. Yves, Tractat von denen Krankheiten der
Augen, aus dem Französischen in's Deutsche übersetzt von
Mischel. Berlin 1780. p. 216, § VI.
Histor. Eeontniss der Vorderkammer-Auswaschungen. IgQ
dieser Operation Erwähnung gethan, vielleicht sie gar selbst
erfanden habe. Wir haben allerdings bei Durchforschung
der Literatur vor St. Tves die Beschreibung der Kammer-
Auswaschung nicht gefunden, doch könnte sich ja vielleicht
bei diesem oder jenem Autor ein von uns übersehener Hin-
weis auf jene therapeutische Massregel finden. Indessen
wäre ein solcher Fehler nur von sehr geringer und keines-
wegs von principieller Bedeutung. Wir haben glücklicher-
weise für die Beantwortung der Frage: „Wann kann die
Auswaschung der Yorderkammer frühestens methodisch
geübt worden sein?*' ausschlaggebende Momente zur Hand,
und zwar ist es besonders die historische Entwickelung der
Vorstellungen über Zweck und Natur des Humor aqueus,
welche uns hier von Nutzen sein kann. Bekanntlich galt
der Humor aqueus in der antiken Ophthalmophysiologie "")
als ausschliessliches Emährungsmaterial der Linse, welche
man für das lichtempfindende Organ selbst ansah und deren
Verlust man mit unheilbarer Blindheit identificirte. Da
man überdies einen Wiederersatz des verloren gegangenen
Eammerwassers für unmöglich hielt, so musstc auch der
Abfluss des Humor aqueus gleichbedeutend mit unheilbarem
Verlust des Auges sein. Diese Vorstellung war für das
Handeln der Aerzte massgebend und musste jeden Versuch
verhindern, behufs therapeutischer Maassnahmen den Humor
aqueus zu entleeren.
So tief lag das medicinische Denken in den Ketten
des Systems, dass jede Beobachtung, welche mit einer der
Dogmen in Widerspruch stand, lediglich als etwas Zu-
fälliges, sich selten Ereignendes, als eine unberechenbare
Ausnahme von der Begel galt. So hatte man z. B. schon
sehr frühe die Beobachtung gemacht, dass das durch Hom-
hautwunden abgeflossene Eammerwasser sich wieder ersetze.
*) Man vergleiche darüber auch: Magnus, Geschichte des
grauen Staares. Leipzig 1876. p. 247, 251 und ff.
170 ^- Hag^nns.
ja man scheint in der antiken Zeit sogar bereits experi-
mentell den Wiederersatz des Humor aqueus sicher gestellt
zu haben '*') nnd doch wagte man die so gewonnenen
Kenntnisse nicht zu veraUgemeinem und die Lehre von
der Unersetzlichkeit des Kammerwassers zu verdrängen.
Deshalb ist es auch unmöglich, dass die antike Ophthalmo-
Chirurgie eine methodische Ausspülung der Vorderkammer
geübt haben könne. Dieser Zustand musste so lange
währen, bis durch Einführung des Experiments das medi-
cinische Denken von den Banden des Systems befreit wurde,
was für die Physiologie des Kammerwassers in das Ende
des XVL und in das XVII. Jahrhundert fällt. Deshalb
können wir mit Gewissheit sagen, dass die methodische
Ausspülung der Vorderkammer vor dieser Zeit nicht geübt
worden sein kann. Als aber im Laufe des XVI. und
XVn. Jahrhunderts die Reaction gegen die antike syste-
matische Ophthalmologie sich aller Orten lebhaft regte und
Ausgangs des XVII. Säculums zu einem endgültigen Sturze
der antiken Augenheilkunde geführt hatte, da wirkten die
neuen Anschauungen auch auf die Therapie befruchtend
ein und als Produkt dieser Epoche ist denn auch die
Kammer - Auswaschung in die Ophthalmo - Chirurgie ein-
geführt worden. An welchen Namen sich die Erfindung
dieser Operation knüpft, ob es wirklich St. Yves war, der
sie zuerst geübt, oder vielleicht schon einer jener rüstigen
Bekämpfer der antiken Ophthalmologie des XVII. Jahr-
hunderts, dies kann für den Historiker nur ein nebensäch-
liches Interesse haben.
Bei der Aufstellung der Indicationen derKaromer-
*) Da uns ein genaueres Eingehen anf die Originalwerke an
dieser Stelle zu weit führen würde, so müssen wir nns damit be-
gnügen, anf Hall er, Elementaphysiologiae corporis hnmani,
Lausannae 1763. Tomus V. p. 411 zu verweisen, wo eine Zu-
sammenstellung: der betreffenden Stellen zu finden ist.
Histor. Eenntniss der Vorderkammer- Aaswaschungen. 171
Auswaschung gingen unsere Vorfahren hauptsächlich
von drei Gesichtspunkten aus, nämlich:
1. Es sollten entzündliche Producte aus der Vorder-
kammer durch die Ausspülung entfernt werden.
Bei der Behandlung des Hjpopyon hielt man des-
halb Auswaschungen der Kammer für ganz be-
sonders am Platze und zwar vornehmlich dann,
wenn durch Spaltung der Cornea allein eine voll-
ständige Entleerung der exsudativen Niederschläge
nicht zu erzielen war (Kammerauswaschung nach
St. Tves).
2. Es sollten die bei der Extraction der cataractösen
Linse in dem Auge zurückbleibenden Corticalreste
(AcGompagnements der älteren französischen Autoren)
durch Einspritzungen in die Vorderkammer ent-
leert werden (Guörin*), Sommer).**)
3. Es sollte in den Fällen, in welchen die Cornea
nach der Cataractextraction zusammenfiel und sich
nach hinten in die Vorderkammer einstülpte, durch
Eingiessungen in die Vorderkammer die Wölbung
der Cornea wiederhergestellt werden (Methode von
Maunoir. ***)
üebrigens scheinen unsere Vorfahren mit den Kammer-
Auswaschungen, aus welchem Grunde sie dieselben auch
*; Gn^rin, Versuch über die Augenkrankheiten, worin
nach vorhergegangener Erklärung^ der yerschiedenen
Arten der Operation des Staars ein neues Instrument
angegeben wird, welches das Auge unbeweglich hält und
zu gleicher Zeit durch die Hornhaut durchschneidet. Aus
dem Französischen übersetzt. Frankfurt und Leipzig 1773.
**) Sommer, Von dem Nutzen der Einspritzung in das
Auge, um die dunklen Körper heraus zu schaffen. Samm-
lung der auserlesensten und neuesten Abhandlungen für Wundärzte.
Leizig 1779. p. 204.
0 Maunoir, Bibl. univers. 1829 October.
172 H. Magnus.
geübt haben mögen, noch gewisse, allerdings recht un-
klare und verschwommene medicamentOs - therapentische
Zwecke verbanden zn haben. Dies geht daraus hervor, dass
sie dem zur Auswaschung verwendeten Wasser allerlei, zu
iener Zeit besonders angesehene Medicamente beigemischt
haben; auch Alcohol finden wir als Beigabe des in die
Vorderkammer gespritzten Wassers.
Wir wollen übrigens ausdrücklich bemerken, dass die
von uns soeben erwähnten Indicationen der Eammeraus-
Waschungen durchaus nicht gleichaltrig sind. Zuerst sachte
man mit dieser Maassnahme lediglich bei Ablagerung ent-
zündlicher Producte in der Vorderkammer einzugreifen und
erst ein halbes Sflculum später hoffte man [in den Aus-
waschungen eine wichtige therapeutische Maassregel für
das Gelingen der Staar-Ausziehung zu gewinnen. Die Ver-
werthung derKammer- Ausspülungen für die Cataractoperation
fällt in jene, das letzte Drittel des XVIII. Jahrhunderts aus-
füllende Epoche unserer Wissenschaft, in welcher durch die
Entdeckung der Staar-Ausziehung durch den grossen Daviel
die ophthalmologische Welt in eine fieberhafte Erregung
versetzt worden war. Selten hat es wohl eine Phase in der
Geschichte irgend einer Operation gegeben, welche durch
eine solche Geschäftigkeit in der Verbesserung der Operations-
technik ausgezeichnet war, als eben jene Zeit vom Auftreten
der Staar-Ausziehung bis zum Ausgang des XVIII. Jahrhun-
derts. Erfindungen folgten auf Erfindungen, Vorschläge auf
Vorschläge; bald war die Zahl der Staarmesser, der zur
Extraction anderweitig zu benutzenden Instrumente, sowie
der sonstigen Handgriffe bei der Staaroperation eine Legion,
und dieser damals auf dem Gebiete der Staar-Ausziehung
herrschenden Erfindungs-Epidemie verdankt auch die Aus-
spülung der Linsenreste durch Einspritzungen in die Vorder-
kammer ihre Entstehung.
Die Technik der Kammer-Auswaschungen scheint
unseren Vorfahren nicht allzu viel Kopfzerbrechen verur-
Histor. Kenntniss der Vorderkammer- Aus Waschungen. 173
sacht zu haben. Man begnügte sich meist damit, unter
Benutzung der ersten besten Spritze in die HomhautOffhung
einen Strahl Wasser zu senden und auf diesem ursprOng-
lieben Standpunkt blieb die Operation stehen, bis zum Aus-
gang des vorigen Jahrhunderts. Erst in den letzten Jahren
des XVin. Jahrhunderts kam man auf die Idee, dass das zur
Ausspfllung benutzte Instrument denn doch auch eine ge-
wisse Beachtung verlange, dass es durchaus nicht gleichgültig
sei, mit welchem Instrumente man den Wasserstrahl in das
Auge treibe. Besonders war es Forlen ze*), welcher durch
Yervollkonunnung des Injections-Iastrumentes die Methode
selbst zu verbessern suchte. Forlenze wies darauf hin, dass
man bei Ausspülungen des Auges vor allem die Quantität
des eingespritzten Wassers berücksichtigen müsse. Man dürfe
nur so viel in das Auge einspritzen, als Vorder- und Hinter-
kammer für gewöhnlich zu fassen vermöchten. Spritze man
mehr ein, so würde durch den allzu starken Druck dieser
Flüssigkeit ein Zerreissen der Wände der Kammern u. dgl. m.
sehr leicht veranlasst. Da nun die Capacität der Vorder-
und Hinterkammer zwischen 2 — i Gran schwanke, so müsse
das zum Einspritzen des Wassers benützte Instrument so
beschaffen sein, dass man immer genau zu beurtbeilen ver-
möge, wie viel man bereits in das Auge Flüssigkeit beför-
dert habe, um diesen Zweck zu erreichen, versah Forlenze
die Anersche Spritze mit einer Graduiruug. Des Ferneren
verwendete Forlenze besondere Aufmerksamkeit auf die
Spitze der Spritze. Dieselbe musste nach seiner Ansicht platt
sein, um bequem zwischen die Lippen der Corneawunde
eingeführt werden zu können, ein Princip, welches wir be-
kanntlich auch bei den modernen Eammeraasspülem ver-
*) Forlenze, 3. Observation sur une cataracte dont le
centre ötait opaque et solide et la circonf6rence liquide
et transparente. Actes de la Sociötö de M^decine, Chimrgie et
Pharmacie stabile ä Bruxelles. Tome Premier. I'euxiöme Partie
p. 11. Brnxelles an. 8 (1799).
174 ^' Magnus.
treten finden*). Und ferner sollte zur Verhütung jeder
Verletzung die Spitze abgerundet sein.
Zur Einspritzung in das Auge benutzte man stets
Wasser, und zvar entweder völlig reines oder mit anderen
Substanzen versetztes. So empfiehlt z. B. Sommer eine
Mischung von zwei Drittel Wasser und einem Drittel Wein-
geist. Andere Autoren spritzten reines Wasser ein und Hessen
später, nachdem das eingespritzte Wasser bereits wieder
ausgeflossen war, durch Lüften der Gorneawunde vom Con-
junctivslsack aus ein Gemisch von Fenchel, Bosenwasser
und Ei weiss in die Vorderkammer eintreten, so z. B.
St. Yves bei den Auswaschungen bßi Hypopyon. Porlenze**)
*) Man vergleiche z.. B. die Abbildung bei de Wecker
a. a. 0. p. 7.
Auch von Hoff mann hat auf der 19. Ophthalmologen- Ver-
sammlung m Heidelberg (Bericht über die 19. Versammlung der
ophthalmologischen Gesellschaft. Heidelberg 1887. p. 206) einen Ton
ihm erfundenen Kammer -Ausspüler mit abgeplatteter Spitse Tor-
gelegt.
*) Da Forlenze deijenige ältere Schriftsteller ist« welcher
über die Kammerauswascbungen am eingehendsten sich verbreitet
hat, so lasse ich seine Bemerkungen im Original folgen; dieselben
lauten:
9vL'injection doit 3tre d*eau simple tr^s propre et d*unech&lear
an m§me degrö que celle du sang; Tean trop chaude ou trop froide
anrait de grauds inconv^niens.
La capacitö de cette seringue est teile qn eile ne peut contenir
que douze grains de liquide. La capacit6 des chambres antörieore
et postörieure ne renfermant entre elles deux, que quatre grains,
3*ai plac6 sur lexterieur du piston des marques qni indiquent la
quantitö d*eau inject^e, suivant que Ton pousse le piston plus an
moins. Parlä. ou ^vite rinconvönient de ponsser dans les denz
chambres une quantitö d'eau plus grande qu elles n*en renfennent
naturellement, et de döchirer ou de dötendre trop leurs parois,
comme cela arriverait si on se servait d'une seringue teile qne
Celle d'Anel, qui disproportionnöe au volnme de loeil, y pousserait
trop de liquide et avec une force trop grande.
La möthode d'extraire par Tinjection les accompagnemens, est
pröförable en gön^ral ä celle ou on remplit une simple curette on
autre Instrument analogue. En effet, ces accompagnemens can-
Histor. Kenntniss der Yorderkammer- Aus Waschungen. 175
suchte anch für diesen Punkt eine allgemeine Begel au&u-
stellen, indem er yorsclirieb, einfaches, aber durcbans reines
Wasser von der Temperatur des Blutes in die Kammer zu
spritzen.
üebrigens hat es auch nicht an Autoren gefehlt, welche
die Eammerauswaschung ohne Benutzung jedes Instrumentes
ausgefohrt wissen wollten; so. verfuhr z. B. Maunoir"^)
in der Weise, dass er nach der Gataractoperation — wollte
er überhaupt Wasser in die Yorderkammer bringen — den
Conjunctivalsack mit lauwarmem Wasser fUlte, sodann
den Homhautlappen vorsichtig Ittftete; das laue Wasser
floss alsdann leicht in das Ange hinein und nach wenig
Minuten zeigte die pralle Wölbung der Cornea, dass die
Yorderkammer gefüllt sei. Ein ähnliches Yerfahren hat,
wie wir auf den vorangehenden Zeilen bereits bemerkt
haben, auch St. Yves geübt, nachdem er vorher durch eine
wirkliche Einspritzung die Yorderkammer (bei Hypopyon)
gereinigt hatte. Wenn wir nicht irren, haben auch ver-
schiedene Ophthalmologen unserer Zeit ein ähnliches
Manöver der Homhautausspülung geübt.
Die Bedeutung, welcher die Eapimer-Auswaschungen
in de^ früheren Epochen der Ophthalmologie sich zu erfreuen
hatten, werden wir wohl dann am leichtesten zu erkennen
vermögen, wenn wir die drei Indicationen, aus denen von
tonnös dans la circonförence des deux capsules, öchappent souvent
dk la vue du Chirurgien et ä. son instrument, qui, portö incon-
sidör^ment, blesserait les capsules, surtout dans les agitations du
globe de Toeil, döterminöes par sa grande sensibilit^. Par Tinjec-
tion au contraire, les deux capsules s'^cartent, les accoropagnemens
quittent la circonf^rance, viennent au centre et sont ensuite facile-
ment extraites.
La forme aplatie du siphon de la seringue est singuliörement
propre ä favoriser son introduction dans les deux lövres de la di-
vision, en m§me temps rarrondissement du sommet de ce siphon
met ä Tabri de lösion toutes les parties k travers lesquelles on le
porte.
*) a. a. O.
176 S- Maenms.
unseren Vorgängern überhaupt dieser Handgriff geübt worden
ist, gesondert betrachten.
Die von uns auf Seite 171 sub 3 erwähnte Kammeraas-
waschung behufs Aufrichtung einer nach Gataract-
extraction zusammengesunkenen Cornea dürfte ledig-
lich nur Eigenthum ihres Erfinders, Maunoir, geblieben sein.
Eine besondere Erklärung verlangt diese Vernachlässigung
der Maunoir *schen Auswaschung nicht, denn jeder Augen-
arzt weiss, dass jener Vorschlag vollständig überflüssig und
therapeutisch durchaus belanglos ist.
Die Kammer-Auswaschung bei Hjpopyon scheint
eine besondere Verbreitung nie erlangt zu haben; zwar hat
sie sich bis in unser Jahrhundert hinein zu erhalten ver-
standen, doch blieb sie immer nur ein von Wenigen selten
geübter Handgriff. Vornehmlich waren es zwei Momente,
welche ein Heimischwerden dieses Verfahrens in der Ophthal-
mologie verhinderten, nämlich einmal der Umstand, dass
ein Ausspritzen des dicken, durch CorneaerOffnung allein
nicht zu entfernenden Eiters völlig überflüssig ist, sinte-
malen die Bückstände des Exsudates in der Vorderkammer
nach Abfluss des Hupior aqueus resorbirt werden und ein
operatives Entfernen desselben deshalb gar nicht erforderlich
ist. Arlt''') sagt denn auch mit vollster Berechtigung:
„Die von St. Yves nach schnittweiser Eröffnung der Kammer
wegen Hypopyon geübte Einspritzung von lauem Wasser
ist verlassen worden, seit man erfahren hatte, dass Resi-
duen von Eiter in der Kammer nach Abfluss von Kanuner-
wasser spontan resorbirt werden."
Und ferner scheint man mit^^r Ausübung der St. Yves'-
schen Auswaschung zum Theil recht trübe Erfahrungen
gemacht zu haben; so schreibt z. B. Janin *'*^, ein Autor,
*) Arlt, Operationslehre. Gräfe nnd Sämisch's Handbuch,
der ges. Augenheilkunde. Bd. JII. Theil 1. p. 369. Leipzig 1874.
**) Janin, Anatomische, physiologische und physi-
kalische Abhandlungen and Beobachtungen über das
Histor. Eenntniss der Yorderkammer-Aaswaschnngeii. 177
dem man gewiss gesundes ürtheil and umfassende Errah-
rungen nicht wird absprechen wollen, über das Verfahren
von St. Yves: „Die Operation im Qegentheil vermehrt nur
die Heftigkeit der Zufalle, der Entzündung und der Schmerzen.
Weil daher diese Methode nicht nur unnütz, sondern auch
nachtheilig ist, so ist sie gänzlich zu verwerfen."
Während die soeben erwähnten beiden indicationen der
Kammer-Auswaschung in der Ophthalmologie niemals festen
Fuss zu fassen vermochten, es über eine Scheinexistenz,
wenn man ihnen gegenüber überhaupt von einer Existenz
sprechen kann, nicht brachten, glückte es dagegen der
Kammer-Auswaschung, welche zur Entfernung von
Linsenresten geübt wurde, in der älteren Augenheilkunde
das Bürgerrecht zu erwerben. Allerdings währte ihre Blnthe-
zeit auch nicht gar lange und galt sie auch zu keiner Zeit
voll und unbeanstandet, aber sie erlebte doch wenigstens
eine Epoche, in der sie von nicht Wenigen oft benützt wurde.
So sehen wir z. B., dass bald nach der Umgestaltung der
Operation durch Gu6rin und Sommer viel beschäftigte
Praktiker die Kammer-Auswaschung nach vollendeter Staar-
ausziehung zur Anwendung bringen. Von Casaamata er-
zählt uns Feller'*'), dass er in Leipzig bei seinen Staar-
operationen die Kammer mit Wasser und Spiritus auswusch.
Allerdings kann die Freundschaft einer so unwürdigen Per-
sönlichkeit, wie es der fahrende Heilkünstler Casaamata
war, der Kammer- Auswaschung nicht gerade zur besonderen
Empfehlung gereichen. Doch man darf eines hierbei nicht
Auge und dessen Krankkeiten, nebst einem Inbegriff der
Operationen und Mittel, welche man zu ihrer Heilang
anzuwenden hat. Aus dem Französischen übersetzt von
Dr. Seile. Zweite Auflage. Berlin 1788. Abtheilung 9, p. 355
und 356.
*) Feller, De methodis suffusionem oculornm curandi
a Casaamata et Simone cultis. Lipsiae 1782. p. 15.
V. Graefe's ArcLiy für Ophthalmologie, XXXIV. 2. 12
178 ^* Magfnus.
vergessen. Zu jener Zeit, als Casaamata sein Wesen trieb,
lag die Ausübung der Staaroperation noch zu einem guten
Theil in den Händen wandernder Operateure; der zünftige
Arzt stand der Staaroperation, wenn auch nicht mehr so
unbedingt ablehnend wie früher, so doch immer noch sehr
zurückhaltend gegenüber. Ein grosser Theil der Staar-
kranken musste deshalb immer noch bei Leuten wie
Casaamata Hülfe suchen und auch der praktische
Arzt scheute sich nicht, bei denselben Belehrung über
die Staaroperation zu holen. Wenn deshalb Casaa-
mata die Kammer - Auswaschung übte, so wurde diese
Methode, wie dies bei der unstäten Lebensweise dieser
wandernden Staarkünstler eigentlich selbstverständlich ist
in den verschiedensten Ländern Europa*s bekannt; aller
Orten sahen sie die praktischen Aerzte von ihm ausführen,
und übertrugen sie dann in ihre eigene Praxis. Und da
schliesslich auch wissenschaftlich strebsame und hoch-
geachtete Aerzte, wie z. B. Forlenze*), sich der Aus-
waschung annahmen, sie durch Aufstellung bestimmter
Indicationen und durch Verbesserung der Technik lebens-
fähig zu machen suchten, so kann es uns nicht Wunder
nehmen, dass gegen Ausgang des XVUL und mit Beginn des
XIX. Jahrhunderts diese Methode sich eines gewissen Rufes
erfreute; so findet sie z. B. in Arnemann**) einen Ver-
theidiger. Allein auf die Dauer vermochte sie sich doch
nicht zu halten und vor allem gelang es ihr nicht, bei den
Ophthalmologen, welche Anfangs dieses Jahrhunderts von
maassgebender Bedeutung waren, Anklang zu finden. So
thut Beer, welcher mit Beginn des XIX. Jahrhunderts die
Führung in der ophthalmologischen Welt übernahm, der
*) a. a. 0.
**) Arnemann, System der Chirurgie. Gdttiogen 1801. Zweiter
Theil, p. 172.
Histor. Kenntniss der Yorderkammer- Auswaschungen. 179
Kammerauswaschnng bei der Staarextraction keinerlei Er-
wähnung, empfiehlt vielmehr zur Beseitigung der zurück-
bleibenden Linsenreste lediglich die bekannten Handgriffe
von Wenzel und Richter oder die Benutzung des Löffels,
und wenn man die bedeutenderen ophtbalmologischen Lehr-
bficher aus den ersten Decennien unseres Jahrhunderts
durchblättert, so wird man meist das Beispiel Beer 's befolgt
und die Kammer-Auswaschung nicht erwähnt finden. Doch
bei diesem Todtschweigen blieb es nicht allein, vielmehr
erklärten sich auch eine ganze Beihe sehr namhafter Autoren
direct gegen die Methode und zwar oft in recht kräftigen
Worten. So sagt z. B. Benedict*): „Gu6rin macht
sogar den tollen, seines Augenschneppers**) vollkommen wür-
digen Vorschlag, sie (die Linsenreste) durch Einspritzungen
aus dem Auge zu entfernen". Pauli***), welcher eine seiner
Zeit viel Aufsehen machende, sehr gründliche Monographie
aber den grauen Staar veröffentlicht hat, nennt die Kammer-
Auswaschung eine „Beleidigung des Auges*' und Himlyf)
einen „schädlichen Bath'^
So hatte sich denn also das Schicksal der Eammer-
Auswaschung bei der Staarextraction in der Weise gestaltet,
dass gegen Mitte unseres Jahrhunderts diese Methode als
beseitigt angesehen werden konnte ; die bedeutendsten Autoren
hatten sie entweder vollständig ignorirt oder mit herben
*) Benedict, Handbuch der praktischen Augenheil-
kunde. Leipzig 1824. Band IV, p. 231.
^ Gu^rin hatte bekanntlich einen Schnepper angegeben, mit
welchem man den Homhautschnitt machen konnte, ohne besondere
operative Geschicklichkeit zu besitzen, da das Instrument rein
mechanisch fanctionirte, ungefähr so wie der Aderlassschnepper.
***) Pauli, Ueber den granen Staar und die Verkrüm-
mungen. Stuttgart 1838. p. 137.
t) Himly, Die Krankheiten und Missbildnngen des
Auges und deren Heilung. Zweiter Theil. Berlin 1843. p. 280.
12*
180 H. Magnus.
Ausdrücken ihre Schädlichkeit gekennzeichnet Ob nun die
moderne Wissenschaft im Stande sein wird, diese öblen
Erfahrungen unserer Vorfahren durch bessere Ergebnisse
der fraglichen Methode zu widerlegen, darüber steht mir
kein Urtheil zu. Ich wollte lediglich von dem Standpunkte
des Historikers die früheren Schicksale der Eammer-
Auswaschung zeichnen.
Betinitis haemoirliagioa naoh atugedelintei
Eantrerbiennimg.
Von
S
Dr. August Wagenmann,
Entern Aflsistenten der Uniyersitäts -Augenklinik zu QOttingen.
Die Betinitis hämorrhagica kommt bekanntlich bei einer
Beibe von Erkrankungen anderer Organe und bei verschie-
denen Allgemeinerkrankungen vor, wie z. B. bei Nephritis,
bei Diabetes mellitus, bei perniciOser Anämie, bei Leukämie,
bei Leberkrankheiten etc. Man muss zur Erklärung dieser
meist entzündlichen, seltener rein hämorrhagischen Mit-
betheiligung der Netzhaut, die durch die betreffende Er-
krankung des Organismus bedingte Veränderung des Bluts
und der Säfte heranziehen, wobei jedoch der innere Zu-
sammenhang und das entzündungserregende Agens noch
vielfach dunkel ist.
Dass auch ausgedehnte Hautverbrennung für hämor-
rhagische und entzündliche Netzhauterkrankungen die
Ursache abgeben können, ist bisher wenig beachtet und be-
kannt gegeben und es ist auf die Erklärung dieses Vor-
kommens und auf den inneren Zusammenhang wenig
eingegangen. In dem Grundriss der Augenheilkunde von
Knies *) findet sich die Notiz, dass Netzhautblutungen auch
0 Knies» Orandriss der Augenheilk. p. 243. 'Wiesbaden 1888.
182 A. WagenmaniL
nach ausgedehnten Hautverbrennnngen auftreten. Nach
gütiger brieflicher Mittheiiung hat Knies auf der Züricher
chirurgischen Klinik selbst einen Fall gesehen.
Homer, mit dem er damals den Fall besprochen,
habe diese Complication gar nicht so selten beobachtet
Knies verdanke ich auch die Mittheilung, dass Mooren
in seinem Buch über: Hauteinflüsse und GesichtsstOrungen"^)
derartige Fälle anführt.
Mooren erwähnt kurz mehrere Fälle und spricht sich
auch dahin aus, dass er im Laufe der Jahre sich habe
überzeugen können, dass diese Erkrankungen nicht so
selten seien.
Die erste Beobachtung hat er im Jahre 1858 gemacht
bei einem Arbeiter, der eine oberflächliche Verbrennung
des Gesichts, der Brust und der Arme erlitten und der
dabei ein Auge verloren hatte. Auf dem gebliebenen linken
Auge fanden sich Apoplexien von theils punktförmiger
theils streifiger Beschaffenheit Mooren giebt weiter an,
dass auch eine Neuritis optica, Betinitis, Ghorio-Betinitis
ohne Hämorrhagien bei Hautverbrennungen vorkämen. Er
fuhrt noch einen Fall an, bei dem nach Verbrennung der
Unterschenkel eine doppelseitige Neuro -Betinitis auftrat,
die sich durch die starke Hyperästhesie der Beüna aus-
zeichnete, bei dem das Sehvermögen bedeutend herabgesetzt
und die Lichtscheu erheblich und lang anhaltend war.
üeber den Ausgang dieses Falles findet sich keine Notiz«
Bei einem anderen Patienten trat schon drei Tage nach
der Verbrennung der Streckseite eines Armes eine Betinitis
des rechten Auges auf. Es erfolgte vollkommene Heilung.
Mooren nimmt einen neuro -reflectorisohen Zusammenhang
zwischen Verbrennung und Betinalaffection an. Er stützt sich
auf die Sonnenburg'schen*'*') Experimente und meint, dass
*) Mooren, Hanteinflttsse und GesichtstOrongen. Wies-
baden 1884.
**) Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie Bd. IX. p. 138.
BetinitiB haemorrb. nach aiugedehnterHaatverbreniiung. 183
die Herabsetzung des Gefässtonus Blutungen und entzünd-
liche Vorgänge veranlassen könne.
Ich kann dieser Erklärung nicht beipflichten und halte
es fQr unerwiesen und auch hypothetisch kaum annehmbar,
dass die Herabsetzung des Blutdrucks eine Retinitis machen
kOnne.
Ich habe Gelegenheit gehabt, auf der hiesigen chirur-
gischen Universitätsklinik einen Fall von doppelseitiger
Retinitis hämorrhagica bei einer ausgedehnten Verbrennung
der Haut zu beobachten und halte mich aus noch näher zu
erörternden Gründen zu der Annahme berechtigt, dass die
durch die Verbrennung hervorgerufene Veränderung
des Blutes als Ursache der Retinitis zu betrachten war.
Ich weiss wohl, dass man aus einer Beobachtung
keine allgemeinen Schlüsse ziehen darf und dass bei der
Verwerthung eines Falles deshalb Vorsicht geboten ist.
Es spricht aber entschieden dafOr, dass in diesem Fall die
Hautverbrennung direct die Veranlassung zur Entstehung
von Netzhautentzündung gegeben hat. Wie ich mir den
Zusammenhang denke, werde ich unten auseinandersetzen.
Damit ist ja freilich nicht gesagt, dass nicht in anderen
Fällen die Verbrennung nur indirecte Ursache für die
Betinalaffection sei, dass vielmehr pyämische oder septi-
cftmische Processe die EntzQndung bedingen können. Dabei
würde die Verbrennung in den Hintergrund treten und in
keiner directen Beziehung zur Retinitis stehen.
Ich will zunächst den Fall kurz mittheilen.
Ernst Münstermann, 19 Jahre, Fabrikarbeiter aus B'^then
bei Hannover. Der Patient erlitt am 20. November 1887 eine
ausgedehnte Verbrennung der Haut dadurch, dass er in einer
Zuckerfabrik mit heissem Symp übergössen wurde. Betroffen
sind die linke Gesicbtshälfte, der linke Arm mit der Hand, der
BückeA und beide Unterschenkel. FrOher will Patient immer
gesund gewesen sein.
Am 26. November wurde er in der hiesigen chirurgischen
Universitätsklinik aufgenommen.
184 A. Wagenmann.
Hier fand sich, dass die Epidermis an den Yerbrennongs-
stellen mit Ausnahme einiger Stellen abgehoben and schon
znm grossen Theil entfernt war. Das Bete Malpighii war noch
zum Theil erhalten. Die Behandlung bestand in Desinfection
der Hautwunden, Aufpudem von Jodoform und Anlegen eines
antiseptischen Sublimatgaze-Yerbandes.
Die ersten zwei Tage wurden schleimige, mit Blut unter-
mischte Stühle beobachtet.
Auf Gebrauch von Opium liessen die Diarrhöen nach und
das Blut verschwand aus dem Stuhl.
Im Urin, der damals gleich untersucht wurde, fanden sich
viel Phosphate, aber kein Blut und kein £iweis8.
Die Heilung der Hautwunden nahm ihren gewöhnlichen
Gang. Die Epidermis stiess sich noch grösstentheils ab und
es kamen neue Hautinselchen zum Vorschein. Der Verband
musste häufig gewechselt werden.
Die Temperatur des Kranken war während der ganzen Zeit
erhöht, und zwar erreichte sie Abends die Höhe von 38® — ^38,4 ^
nur einmal stieg sie Abends auf 39 ®, Morgens indessen näherte
sie sich meist der normalen. Der Puls war zeitweise frequent,
am 11. December z. B. wurden 130 Schläge constatirt.
Patient war aufiallend apathisch und benommen. Es wurde
deshalb das Jodoform fortgelassen. Auch kam Patient allmäh-
lich in der Ernährung herunter, er magerte ab, wurde aber
nicht auffallend anämisch.
Am 14. December 1887, also 24 Tage nach der Verbrennung,
erregte beim Verbandwechsel der Umstand die Aufmerksamkeit,
dass der Patient njstagmusartige Bewegungen machte, welche
Erscheinung schon einige Tage vorher dem behandelnden
Assistenzarzt, Herrn Dr. Landow, aufgefallen war. Auf die
Frage, warum er so herumsehe, gab der Kranke an, dass er
schlecht sehen könne, was er schon seit einigen Tagen bemerkt
habe. Herr Dr. Landow hatte die Freundlichkeit, mich auf
den Patienten aufmerksam zu machen, und mich zu einer Unter-
suchung desselben zu veranlassen.
Am 17. December Abends sah ich denselben zum ersten
Male.
Der Patient, von blasser Hautfarbe, liegt in BUckonlage
und macht einen benommenen Eindruck, er antwortet meist
nur auf wiederholte Fragen, träge, in weinerlichem Tone und
unpräcis. Ueber die Entstehung und die Entwicklung der Seh-
i
Retinitis haemorrh. nach aasgedehnter Hautverbrennong. 135
Störung kann er keine sicheren Angaben machen, er meint, sie
sei vor ca. einer Woche aufgetreten und habe rasch zugenommen.
Aeusseres Aussehen der Augen normal; bei der Auf-
forderung, den vorgehaltenen Finger zu fixiren, macht der
Kranke ungeordnete Bewegungen der Augen, kneift dazwischen
die Lider zu, doch kann er central fixiren. Sonst ist an den
Augenmuskeln keine Abnormität zu bemerken.
Die Pupillen reagiren auf Licht, wenn auch nur träge.
Patient ist nur sehr schwer zu ophthalmoskopiren, da er
keinen Augenblick ruhig fixirt, sondern unstät umherblickt und
sich sehr ungeschickt benimmt.
Ophthalmoskopisch jGmdet sich beiderseits eine ausgesprochene
Betinitis hämorrhagica. Man sieht beiderseits multiple, kleine,
streifige Netzhautblutungen, die zum Theil deutlich den Gefässen
folgen. Die Erkrankung ist beschränkt auf die Umgebung der
Papille, in der Peripherie des Augenhintergrunds sind keine
Blutungen anzutreffen. Die Papillen sind leicht geröthet, nicht
ganz scharf begrenzt, der Band getrübt. Die Gefässe sind
bjperämisch, die Venen geschlängelt. Am rechten Auge ver-
deckt ein Blutstreif den oberen Papillenrand, ein zweiter mit
flammiger Ausstrahlung beginnt hart am Papillenrand und
ragt in die Betina hinein. Auch links überschreiten zwei
kleine Blutungen in der Horizontallinie den temporalen
Papillenrand. Neben den grosseren Fleckchen, die in einem
breiten Bing die Papille umgeben, finden sich zahlreiche kleine
rothe POnktchen, die dem Augenhintergrund zum Theil ein
pnnktirtes Aussehen verleihen. Die Blutungen sind nicht sehr
YoluminOs, der grösste Fleck erreicht kaum ein Viertel des
Papillendurchmessers. Die Betina ist in der Umgebung der
Papille leicht getrübt. Beiderseits finden sich hie und da
an den Gefässen intensivere grauweisse Trübungsstreifen und
ganz vereinzelt habe ich auch kleine, weisse Flecke gesehen,
die etwa in der GrOsse von Vs P i^ <ler Umgebung eines
Oefässes in der Betina gelegen waren. Doch waren diese weiss-
lichen Plaques nur ganz vereinzelt zu finden. Auch in der
Gegend der Macula sind kleine Blutungen anzutreffen.
Der Glaskörper war frei, ich habe keine flottirenden
Trübungen darin beobachtet. Das Sehvermögen ist bei dem
Stupor des Patienten, sowie bei seiner flachen Bückenlage
schwer festzustellen. Bei Lampenlicht will er die Zeiger auf
186 A. Wagenmano.
der ühr nicht erkennen, doch zählt er Finger auf ca. 1 m.
Er meint, dass das Sehvermögen sehr wechsele.
Das Gesichtsfeld ist frei.
Im Urin ist bei erneuter Prüfang kein Eiweiss und kein
Zucker gefunden.
19. Dezember 1887. Sehschärfe bei Tageslicht geprOft, so
gut es den umständen nach ging. Patient zählt Finger auf
4 — 5' Entfernung, liest Buchstaben von Jäger No. 20. Se frei.
Ophthalmoskopisch haben rechts die Blutungen nur wenig zu-
genommen, mehrere kleine strichförmige circumpapiUäre Blnton-
gen sind nachweisbar. Dagegen haben die weissen Degenerations-
herde in der Betina sich nicht vermehrt. Die Venen sind noch
stark geschlängelt, hjperämisch. Die leichte Betinatrfibung
noch unverändert.
Herr Prof. Leber, der heute den Patienten ebenfalls sich
ansah, konnte meinen Befund bestätigen.
24. December 1887. Keine neuen Blutungen zu sehen. Die
alten sind in Besorption begriffen, sie haben statt der hell-
rothen eine mehr braunrothe Farbe angenommen.
30. December 1887. Der Process ist beiderseits im Rfick-
gang begriffen.
Die Papillengrenzen treten schärfer hervor, die Netzhaut-
trübung ist rückgängig, das Bild ist weniger verschwommen.
Die Blutongen sind zum Theil ganz resorbirt, zum Theil ver-
kleinert. Der Augenhintergrund sieht noch rothgefleckt aus,
die Blutungen sind als braunrothe Fleckchen und Streifchoi
zu erkennen. Nur am rechten Auge findet sich nach oben
aussen (reell) von der Papille ein flammiger, ausstrahlender
Fleck, der frischen Datums ist. Er schliesst sich an eine
Vene an. Die Gefässe sind nicht mehr so hyperämisch, auch
die Schlängelung erscheint nicht mehr so hochgradig; doch hat
sich daran nicht viel geändert. An den Gefässen sieht man
noch deutliche Trübungsstreifen, dagegen sind die vereinzelten
weissen Plaques zum grOssten Theil zurückgegangen.
Glaskörper andauernd frei.
Visus soll bei Tage besaer geworden sein, Abends lässt sich
keine zuverlässige Prüfung anstellen.
5. Januar 1888. Die Betinaveränderungen haben sich weiter
zurückgebildet Die Blutungen sind bis auf kleine rothe
Pünktchen grOsstentheils resorbirt, die Netzhauttrübung bis
auf Spuren zurückgegangen. Die Papillengrenzen sind noch
R etinitiahaemorrh. nach ausgedehnter Hautverbrennung. 187
ein wenig verschwommen, die Venen noch geschlängelt. Die
Farbe der Papillen geht in's Weissliche über.
S: Beiderseits Finger in 5Va m. Durch Gläser keine
Besserung zu erzielen. Jäger No. 16 gelesen. — Se frei, Farben
richtig angegeben. Doch kann man sich auf die Angaben des
Patienten noch nicht recht verlassen, er macht noch immer
einen apathischen Eindruck, antwortet langsam, kann seine Auf-
merksamkeit nicht recht concentriren.
Der Verlauf des Processes war auch fernerhin ein günstiger.
Die Blutungen wurden mehr und mehr resorbirt und das Seh-
vermögen nahm weiter zu, doch war eine exacte Prüfung nicht
möglich, da der Patient noch Bückenlage einnehmen musste.
9. Februar 1888. Venen noch etwas geschlängelt, die
Papillengrenze noch nicht ganz scharf. Die Papillen werden
blasser. Keine frische Blutung, die alten fast ganz verschwunden.
Patient liest No. 11. Se frei, keine Farbenstörung.
15. Februar 1888. Papillen blass, ihre Grenze nicht ganz
deutlich, Venen noch geschlängelt.
S = *®/ioo — 70. J. No. 6 gelesen.
Der Verlauf war weiterhin ohne bemerkenswerthen Zwischen-
fall. Die Veränderungen gingen immer mehr zurück, das Bild
näherte sich dem normalen, doch blieb die Schlängelung der
Gefässe noch bestehen, auch war die Papillengrenze noch nicht
ganz scharf, dazu blasste die Papille mehr und mehr ab.
Das Sehvermögen hob sich wieder vollständig. Inzwischen
hatte sich auch das Allgemeinbefinden gebessert. Die Epithel-
bedeckung ging an den Füssen und am Bücken ziemlieh rasch
vor sich. Während der Kranke die erste Zeit ohne Unter-
brechung fieberte und stetig abmagerte, hob sich in den
letzten Wochen sein Ernährungszustand ganz bedeutend. Da
sich auf dem Oberarm die Wundfläche nicht genügend mit
Epithel überdecken wollte, so wurden mehrmals Hauttrans-
plantationen nach Thiersch vorgenommen. Patient konnte seit
Mitte Februar etwas auftreten.
Am 20. März 1888 durfte er die Treppen hinuntergehen.
Er wurde in unserer Klinik nochmals untersucht, da er nächstens
entlassen werden sollte. Ich constatirte:
Beiderseits Emmetropie. S = *%o liest No. 1 (Jäger) bis
9 cm. Gesichtsfeld frei. Keine Farbenstörung.
Ophthalmoskopisch: Beiderseits Papillen weiss verfärbt.
Links hat die ganze Papille eine deutliche weisse Farbe an-
188 A. Wagenmaon.
genommen, rechts dagegen ist die Verfärbung vomebmlich in
der temporalen Hälfte stark ausgesprochen. Die übrige Papille
weniger verfärbt. Die Papillengrenzen sind noch immer etwas
verwaschen. Neben der Papille finden sich noch vereinxelte
kleine dunkle Fleckchen, die der Aderhaut anzugehören scheinen.
Von Blutungen ist keine Spur mehr zu erkennen. In der Um-
gebung der Papille hat die Retina noch immer einen etwas
traben Schimmer. Die Füllung der Gefässe nicht abnorm, doch
sind die Venen noch ein wenig geschlängelt, es wechseln hellere
und dunklere Abschnitte, ein Zeichen, dass die Bogen nicht üi
einer Ebene liegen. Im TJebrigen ist der Augenhintergnmd
normal.
Um der Auffassung der ursächlichen Momente dieser
Retinitis näher zu treten, müssen wir zunächst zusehen, ob
nicht eine der bekannten eine Retinitis bedingenden Er-
krankungen als Ursache zu finden ist. Es konnte ja eine
zufällige Complication bestehen oder die Verbrennung
könnte secundäre, mit ihr nicht direct gegebene Störungen
veranlasst haben, die nun ihrerseits erst die Netzhautr
erkrankung hervorgerufen hätten. In diesem Falle wäre
die Verbrennung nur mittelbare Ursache der Retinitis.
Auch dieser Zusammenhang wäre unter Umständen inter-
essant, jedoch bestände eben dann kein so enger Connex
zwischen Verbrennung und Botinalaffection als in dem Fall,
dass die Verbrennung ohne ein solches secundäres Binde-
glied die Entzündung hervorgerufen hätte.
Eine grosse Anzahl der bei der Aetiologie der Retinitis
hämorrhagica in Frage kommenden Erkrankungen können
wir ohne Weiteres ausscbliessen, da jeder Anhaltspunkt
dafür fehlt, wie z. B. Diabetes, Leucämie etc.
Schon ernstlicher erwägen müssen wir die Frage, ob
die Retinitis nicht durch eine Nephritis bedingt gewesen
sei. Dabei wären zwei Möglichkeiten in's Auge zu fassen,
erstens, dass der Mann früher eine Nephritis gehabt
und zweitens, dass er sie erst durch die Verbrennung
acquirirt habe, denn es kommen bei ausgedehnten Ver-
Retinitis haemorrh. nach ausgedehnter Hautverhrennunsr. 189
brennuDgen, wie Fonfick bei einer Section am Menschen
uni bei Versuchen an Bunden bestätigen konnte, gewisse
Entzündungen der Niere vor, worauf ich gleich noch zu
sprechen komme. Träfe diese letzte Möglichkeit hier zu,
so hätten wir die Verbrennung nur als indirekte Ursache
der Retinitis zu bezeichnen.
Wir können hier aber eine Nephritis ausschliessen, da
die wiederholt vorgenommene Untersuchung des Urins
keinen Anhaltspunkt dafür giebt. Gleich nach der Aufnahme
des Patienten auf die chirurgische Klinik wurde der Urin
frei von Eiweiss etc. gefunden. Damals gab Patient noch
keine SehstOrung an. Auch später blieb das Resultat der
Urinuntersuchung dasselbe. Für eine Nephritis, möge sie
stammen woher sie wolle, liegt somit kein Anhaltspunkt vor.
Weiter wäre zu erwägen, ob nicht etwa eine Anämie
als Ursache zu beschuldigen sei. Bekanntlich sind bei
hochgradiger Anämie, vor Allem bei der progressiven per-
niciösen Anämie, häufig hämorrhagische Retinalentzündungen
gefunden worden. Nun hat zwar der Patient nach der
Verletzung während des Beilungsverlaufs an Körpergewicht
abgenommen und ist in seiner Ernährung zurückgekommen,
doch ist seine Anämie durchaus keine auffallend hoch-
gradige gewesen und besonders war er, als die Retinitis in
Erscheinung trat, noch relativ wenig heruntergekommen;
erst im weiteren Verlauf magerte er ab. Der Blutverlust
durch die blutigen StQhle war gering. Dass der Patient
in der Ernährung geschädigt wurde, kann uns nicht
wundern. Er hat fast die ganze Zeit gefiebert, wenn auch
nicht hoch. Das Fieber erklärt sich durch Resorption von
der grossen Wundfläche aus, die anfangs ziemlich reichlich
secemirte, so dass der Verband jeden zweiten oder dritten
Tag erneuert werden musste. Zur Erklärung der Ab-
magerung kommt ausser dem Fieber noch in Betracht die
geringe Nahrungsaufnahme und der grosse Eiweissverlust
durch die Absonderung der grossen Wundfläche.
190 ^' Wagenmaim.
Aber wie gesa^, damals, als die Retioitis auftrat, war
der Eräftezastand noch ein bedeatend besserer als später,
wo dieselbe abheilte, und die Anämie war überhaupt nie-
mals eine derartige, dass man berechtigt wäre, sie als
Ursache der Erkrankung hinzustellen.
Dass die Betinitis etwa mit septischen Processen
zusammenhinge, können wir ebenfalls ganz ausschliessen,
da keine Sepsis vorlag.
So werden wir schon per exclusionem dazu gedrängt
anzunehmen, dass zwischen der Verbrennung und der
Retinitis ein directer Zusammenhang bestehen muss. Wir
müssen uns umsehen, ob nicht Verbrennungen an sich
Störungen im übrigen Organismus mit Neigung zu ent-
zündlichen und hämorrhagischen Processen hervorzurufen
im Stande sind. Einen wichtigen Fingerzeig geben dafor
die blutigen Stühle ab.
Es ist ja bekannt, dass bei ausgedehnten Haut-
verbrennungen zu den localen Veränderungen gewisse all-
gemeine hinzutreten, die sogar plötzlich oder nach einiger
Zeit den Tod des Individuums herbeiführen können und
die eben der Ausdruck einer mehr oder weniger tiefen
Störung des gesammten Stoffwechsels des Organismus sind.
Man hat die empirische Regel aufstellen können, dass wenn
ca. Vs der Eörperoberfläche, wenn auch nur im sogenannten
ersten Grade der Verbrennung, betroffen sind, in kurzer
Zeit der Tod sicher eintritt. Es stellt sich Apathie ein,
der Puls wird frequent, sehr klein, die Respiration be-
schleunigt, die Temperatur sinkt unter die Norm, die
Patienten werden cyanotisch und gehen soporOs zu Grunde
oder es treten auch Delirien auf, bevor der CoUaps eintritt.
Man hat verschiedene Hypothesen zur Erklärung dieser
merkwürdigen Erscheinung aufgestellt und durch genaue
Sectionen und experimentelle Untersuchungen manches That-
sächliche feststellen können. Ich will über diese, auch jetzt
noch zum Theil streitigen Fragen einiges, was zur Auf-
Hetinitis haemorrh. nach ausgedehnter Haatverhrennong. 191
klftrung der vorkommenden Yeränderungen vorgebracht ist,
und was znr Erklärung dieses Falles mir wichtig zu sein
scheint, kurz hervorheben. Wir können hier absehen von
den Hypothesen, dass der plötzliche Tod bei ausgedehnter
Oberflächen Verbrennung durch nervOse Einflüsse wie Shock
oder reflectorische Herabsetzung des Gefässtonus und Herz- '
l&hmung bedingt sei. Diese Hypothesen, die zwar Mooren
auch zur Erklärung der Neuroretinitis herbeizieht, konnten
meiner Ansicht nach wohl kaum die Retinalaffection erklären.
Auch die Hypothese, dass bestimmte chemische Körper
durch Umsetzung entständen, wie ameisensaures Ammoniak,
scheint mir so wenig bewiesen, dass sie hier nicht erörtert
zu werden braucht.
Im Verdauungstractua sind bei ausgedehnten Haut-
verbrennungen mehrfach Duodenalgeschwüre beobachtet
worden. Ponfick*) theilt das Sectionsergebniss eines
18jährigen Arbeiters mit, der bis an den Hals in kochende
Flüssigkeit gefallen war. Er konnte eine sehr bedeutende
Magendarmentzündung von haemorrhagischem Charakter
constatiren mit Schwellung der Follikel und Erosionen im
Magen und Duodenum. Besonders der Dünndarm glich
ganz einem Cholera- oder Typhusdarm in frühem Stadium.
Ebendaselbst theilt P. einen zweiten Fall mit, der 18 Stunden
nach der Verbrühung tödlich verlaufen war, nachdem auf
ein Tobsuchtsstadium Bewusstlosigkeit gefolgt war. Hier
hatte sich eine hochgradige Nephritis parenchymatosa aus-
gebildet. In der Blase fand sich ein sehr eiweissreicher
Urin vor, der massenhaft Cylinder enthielt, theils körnig
fettige, mit Epithel zellen bedeckte, theils hyaline, theils
besondere gelbbraune, wurstförmige.
Ponfick*"*") hat dann an Hunden Verbrennungsversuche
angestellt und gefunden, was auch schon vor ihm Wert-
*) Berliner klin. Wochenschrift 1876. No. 17, p. 225.
**) üeber die plötzlichen Todesfälle nach schweren Verbren-
nungen. Kösnmö eines auf der Naturforscher -Versammliing zu
192 A. Wagenmann.
heim constatirt hatte, dass die Blutkörperchen sehr bald nach
dem Verbrühen in kleine gefärbte Bröckel zerfallen, dass
Haemoglobin in das Plasma übertritt, und dass diese
Zerfallsproducte nun in anderen Organen Veränderungen
hervorrufen, vornehmlich in der Niere, wo eine Verbren-
nungsnephritis erzeugt wird. Es treten neben Verfettung
der Epithelien in den Bamcanälchen eigenthümliche, farbige,
gewulstete Cylinder auf, dieselben zum Theil verstopfend«
Ponfick schiebt deshalb, gestützt auf seine Beobachtungen
und Versuche, einen Theil der rasch eintretenden Todesfälle
und die schweren Symptome der Ueberlebenden auf diese
acute, bedeutende Zerstörung von rothen Blutkörperchen,
möglicherweise auf diese Mitbetheiligung der Niere.
Lesser'^) machte experimentelle Untersuchungen an
Hunden und Kaninchen. Er fand intermusculäre Blutungen
(Psoas), Ecchymose im Darm, unter der Pleura, unter dem
Endocard etc. Er konnte die von Ponfick angefahrten
Blutveranderungen bestätigen, sowie auch die Verstopfung
von Hamcanälchen mit Farbstoffcylindern und Pigment-
massen. Doch genügen ihm diese Veränderungen nicht, um
die schweren Schädigungen des Organismus, die so leicht
den plötzlichen Tod herbeiführen, zu erklären. Lesser
legt vielmehr das Hauptgewicht auf die Störung der
Function der rothen Blntkörperchen für das Be-
spirationsgeschäft. Er nimmt eine functionelle Anämie
an. Für ihr Zustandekommen kommt es vornehmlich
auf die Dauer der Einwirkung an und darauf, dass
die Intensität der Hitze keine zu hochgradige ist, dass
sie vielmehr die Circulation in den getroffenen Theilen
noch ermöglicht, dass dann möglichst viel Blut während
der Erhitzung durch die getroffenen Theile strömt und
Mttncnen gehaltenen Vortrages. Berl. klin. Wochenschrift 1877.
No. 46, p. 672.
*) lieber die Todesursachen nach Verbrennung. Virchow's
Archiv Bd. 79, 1880.
Ketiikitis haemoirh. nach aoBgedehnter Haut verbrennang. I93
geschädigt wird. Die Blutkörperchen zerfallen zum Theil,
znm Theil geben sie ihr Haemoglobin ab und werden für
das Bespirationsgeschäft untauglich. Bei weniger hoch-
giadiger Verbrennung beobachtete er während des weiteren
Verlaufs gewisse Störungen, wie Apathie, Blutungen,
Nierenaffectionen etc., die der Ausdruck der durch die Blut-
veränderungen bedingten üirculations- und Ernährungs-
störung sind.
Auch Elebs*) hat in dieser Richtung einen inter-
essanten Versuch angestellt, der zeigt, dass eine länger
dauernde, wenn auch weniger intensive Erhitzung mehr
schadet als eine kurz dauernde höhergradige Einwirkung.
Taucht er das Ohr eines Kaninchens in Redendes Wasser,
so wird es necrotisch, ohne dass das Thier irgend besonders
geschädigt würde. Bringt er aber ein Ohr in kfihles Wasser
und erhitzt dieses langsam auf 60 — 70 ^ so treten schwere
Allgemeinerscheinungen auf, die unter Krämpfen den Tod
des Thieres bewirken. Auch hier wird viel Blut nach und
nach der Schädigung ausgesetzt und verändert. Nur die
Veränderung des Blutes kann der Anlass zu diesen schweren
Allgemeinsymptomen mit Ausgang in Tod sein. Von
anderer Seite ist Werth darauf gelegt, dass das Blut durch
Verbrennung der Haut zu Gerinnungen neige und Throm-
bosen, sowie Embolien veranlasse. Auch das zerfallene Blut
könne, im Körper verschleppt, capillare Embolien ver-
anlassen. So ftLhrt Brown '^) auf diesen letzten Umstand
die beobachteten Pneumonien, Pleuritiden, Darmerkrankungen,
Peritonitiden zurück. Das Blut enthält dabei Stoffe, die
entzündungserregend wirken.
Es mag dahingestellt bleiben, welcher Modus im ein-
zelnen Fall den plötzlichen Tod am besten erklärt. Für uns
steht so viel fest, dass das Blut tiefe Alterationen erfährt.
*) Tagesbl. der Naturforscher- Versammlung. München 1877.
**) PhiJad. med. times. 1876, July 22.
V. Gr&efe*! Archiv fQr Ophthalmologie, XXXIV. S. 13
194 ^« Wagenmann.
die üirculatioDSstörangen und auch entzündliche Afifectionen
in anderen Oi^nen hervorrofen können.
Da wir nun wissen, dass das Blut nach ausgedehnter
Hautverbrennung der Träger von entzündungserr^enden
Noxen ist, so kann es uns auch nicht verwundern, wenn
die leicht lädirbare, bei anderen allgemeinen Emfthrungs-
krankheiten, wo ebenfalls das Blut den entaündungs-
erregenden Stoff in sich birgt, so leicht ai&cirte Betina
von einer hämorrhagischen Entzündung befallen wird. Es
konnte allerdings auffallen, dass die Retinitis relativ spät
in Erscheinung getreten ist, da, wie experimentell beim
Kaninchen von Lesser festgestellt wurde, ein grosser Theil
der Zerfallsprodücte innerhalb weniger Tage vom EOrper
verarbeitet und ausgeschieden wird. 24 Tage nach der
Verletzung wurden die SehstOrungen zuerst bekannt. Man
konnte also glauben, dass bis dahin das Blut sich längst
erholt hätte und nicht mehr entzündungserregend wirken
könne. Dem muss man zunächst entgegenhalten, dass der
Anfong der Betinalerkrankung überhaupt nicht genau fest-
zustellen ist. Es wurde allerdings erst 3 Wochen nach der
Verletzung die SehstOrung zuf&llig entdeckt. Der buchst
apathische Kranke hätte von sich aus nicht geklagt. Er
gab nur auf Befragen an, er habe es schon einige Tage
bemerkt. Man kann also auf die Aussage und die Be-
obachtungsgabe des apathischen Mannes nicht allzu viel
geben, zumal er nicht im Stande gewesen sein wird, schon
geringe Abnahme des Sehens zu beachten. Es ist sehr
wohl möglich, sogar wahrscheinlich, dass die ersten Anfinge
der Erkrankung viel weiter zurück zu datiren sind, als
die Zeit, wo man darauf aufmerksam geworden ist.
Mooren macht ja die Angabe, dass er bei einem Fall
schon nach drei Tagen die Retinitis gefunden habe.
Des Weiteren ist nicht bekannt, wie lange es dauert,
bis alle schädlichen Stoffe aus dem Blut entfernt sind, ob
nicht geringe Noxen länger zurückbleiben. Dass in der
Retinitis haemorrh. nach ausgedehnter Hautverbrennung. 195
Milz und im Knochenmark noch lange Zeit Residuen der
Zerfallsprodnkte anzutreffen sind, ist bekannt Jedenfalls
glaube ich, dass von der Seite keine Schwierigkeit bestände,
die Betinalerkrankung in direkte Abhängigkeit von den
durch die Verbrennung gesetzten Schaden zu bringen.
Nach alledem halte ich die Annahme fQr vollständig be-
rechtigt, dass die Retinitis in diesem Falle auf derselben Basis
beruht wie die übrigen nach schweren Verbrennungen beobach-
teten Organveränderungen, besonders die Darmentzündung
und ülceration, dass sie entstanden ist auf dem Boden der
durch die genannte Verletzung bedingten Blutveränderung,
nicht auf reflectorischem Wege oder durch das Bindeglied
einer Fjämie oder Septicämie. Und gerade bei unserem
Patienten haben wir den sichtbaren Beweis, fdass seine
Organe in oben bezeichneter Weise afficirt sind. Die
blutigen Stühle, die noch am 9. Tage vorhanden waren,
weisen auf eine Mitbetheiligung des Darms. Für eine
Nephritis allerdings fehlt hier jeder Anhaltspunkt. Wir
müssen entschieden annehmen, dass die Darmaffection und
die Retinalaffection auf derselben Basis entstanden ist, dass
sie eine gemeinschaftliche Ursache haben.
Femer liegt die Vermuthung nahe, dass die lang-
andauernde hochgradige Apathie des Patienten ebenfalls
auf derselben Grundlage beruhe, da ja Lesser beiThieren,
die mit dem Leben davonkamen, dieselbe Erscheinung beob-
achtete. Elebs hat als Ursache der Apathie bei Thieren
eine Stase der Capillaren der Hirnrinde anatomisch nach-
gewiesen.
Allerdings wurde in unserem Fall anßlnglich an Jodo-
formintoxication gedacht, da eben die Benommenheit eine
bedeutende war und einen besonderen Grund vermuthen
liess. Auch sprach der sehr frequente Puls daftlr. Doch
kann auch dieses letztere mit der Verbrennung zusammen-
hängen, da die Pulsbeschleunigung ein constantes Symptom
der tiefgreifenden Störung des Allgemeinbefindens ist.
13*
196 A. Wagenmann.
Wie nun die Entzündung der Betina zu Stande kommt,
ob vieileicht hier embolische Verstopfungen von Geftsa-
ästchen mit im Spiele sind, ist nicht zu sagen. Es ist ja
aber auch das letzte Bindeglied und der Modus, wie die
übrigen entzündlichen und circu]atorischen Störungen bei
Verbrennungen zu Stande kommen nicht sicher bekannt-.
In der Form der Retinitis liegt nichts Charakteristisches.
Die Blutungen waren klein, nur circumpapill&r gelegen.
Die Bildung von Trübungsherden war sehr beschrankt,
doch waren die entzündlichen Symptome so ausgesprodten,
dass man den Process als Entzündung und nicht als
reine Haemorrhagie auffassen muss. Die Veränderungen
waren nicht sehr hochgradig, die Blutungen wurden nach
wenigen Wochen vollkommen resorbirt. Das Sehvermögen
war sehr erheblich herabgesetzt. Der Orad stimmt nicht
recht zu dem Grad der Veränderungen. Wenn man aodi
den Angaben des apathischen, nur schwer zu untersuchenden
Patienten nicht voll trauen darf, so scheint doch der Visus
sehr bedeutend gesunken zu sein.
Doch hat sich das Sehvermögen wieder vollkommen
gehoben, so dass wieder V. = ^/ao beiderseits besteht. Das
excentrische Sehen ist ebenfalls frei, auch liegen keine
Farbenstörungen vor. Auch die Mooren*schen Fälle verliefen
zum Theil günstig fOr die Wiederherstellung des Seh-
vermögens. Von Seiten des Opticus war die Papille nach-
weislich mit ergriffen.
Die Entzündung ist als vollkommen abgelaufen zu
betrachten. Beachtenswerth ist, dass sich beiderseits eine
weisse Verfärbung der Papille herausgebildet hat, die
besonders links schon eine vollständige ist.
Y* &Taefe's „modifloirte Linear-Extraotion^' und der
Lappensolmitt.
Nach eignen Erfahrungen aas der Zeit 1854—88
dargestellt von
Prof. Dr. J. Jacobson sen.
in Königsberg.
Wie es in den fünfziger Jahren nleht aus-
gesehen hat.
Das Material zu dieser Abhandlung vertheilt sich
aaf die 34 Jahre meiner praktischen Thätigkeit so, dass
ca. 400 Daviersche Extractionen der Zeit von 1854 — 61,
ca. 800 Extractionen mit hohem, peripherem Lappen der
Zeit Ton 1861 — 68 angehören, der Rest von mehr als
2500 Linear-Eitractionen nach „Graefe'* in die letzten
20 Jahre fiElllt.
War es Anfangs nur die Hoffnung, durch Mittheilung
dessen, was eine relativ grosse Anzahl von Operationen
mich gelehrt hatte, ein Geringes zur Lösung unserer
wichtigsten, operativen Aufgabe beitragen zu können , die
mich zur Pablication dieser Abhandlung bewog, so trieb
mich später zur Beschleunigung der Ausfuhr ung die sich
mehr und mehr in mir befestigende Deberzeugung, dass
über den historischen und wissenschaftlichen Zusammen-
bang der damals gegen DavieFs Lehrmethode gerichteten
198 J« Jacobson sen.
An^iffe die irrigsten YorsteUnngen mit jedem Jahre mehr
Verbreitung durch unsere Fach- Literatur f&nden.
Unter solchen Umständen schweigen, hiesse fSr mich,
mit vollem Bewusstsein der Verbreitung unwahrer That-
sachen mitschuldig werden, während Andere nur aus ün-
kenntniss irren; denn für die Wahrheit kann ich durch
Briefe, in denen Graefe sich Jahre lang über alle, in jener
Zeit die Extraction betreffenden Fragen ausspricht« und
durch meine eignen Erlebnisse Zeugniss abl^en.
„Man muss sich allerdings auf den Standpunkt der
fünfziger Jahre stellen'*, um den ersten Anstoss zu jenem
unerwarteten Abfalle von DavieFs Methode zu begreifen,
um das scheinbar zwischen entgegengesetzten Extremen
wechselnde, planlose Schwanken im Ganzen, die plötzlich
entstandenen und ebenso schnell vergangenen Ansichten
über wichtige Fragen, wie GrOsse, Form, Lage des Schnittes,
Iridectomie etc., im Einzelnen nicht als Zeichen eines
unwissenschaftlich, willkührlich herumtappenden Speda-
lismus, sondern als Glieder einer Kette von Ideen, wovon
jede die unmittelbar vorhergehende zur nothwendigen
Voraussetzung hat, zu verstehen.
„Ohne den Standpunkt der fünfziger Jahre kann die
modificirte Linear- Extraction nicht verstanden werden.'*
Darin bin ich mit Schweigger, dem ersten Redner über
Extraction auf dem vorjährigen Heidelberger Congresse, voll-
kommen einverstanden, nur muss ich behaupten, dass seine
Darstellung dieses Standpunktes und seine AufTassung der
modificirten Linear- Extraction in keiner Weise zutreffend
sind.
Da mein Bericht schon vor Jahren, als die Ein-
führung aseptischer Principien in unsere operative Th&tig-
keit gerade auf die Aufgabe der letzten Jahrzehnde, die
Verhütung der Lappen -Eiterung, nicht lange mehr ohne
Einfluss bleiben konnte, im Wesentlichen fertig war, —
Schweigger's Bede mir aber erst vor einigen Monaten aus
i
V. Graefe*8 „modificirte Linear-Extraction" etc. igg
den „Sitzungsberichten" bekannt wurde *), — konnte ich
dieselbe ohne zeitraubende Aendernngen nicht berücksichtigen.
Was ich an ihren Angaben über die damalige Zeit aus-
zusetzen habe, soll deshalb zur Ergänzung der schlagenden
Widerlegung, die dem Redner in aller durch mündliche
Discussion gebotenen Kürze von Eduard Meyer zu Theil
wurde, schon jetzt erledigt werden.
Der Kern des Ganzen, „die Frage, wie es möglich
war, dass man so lange Zeit auf die Erreichung
dieses Ideals (der runden Pupille) verzichten konnte'*,
setzt Etwas voraus, das mit guten Gründen bestritten
werden kann. Wir werden sehen, dass Graefe die runde
Pupille nicht aufgeben wollte, dass er sie erst opferte, als
seine Methode für den cosmetischen Nachtheil eine erheb-
liche Besserung der Resultate in Aussicht stellte, und dass
man die Technik und den Zweck des neuen Verfahrens,
als Graefe starb, noch lange nicht begriffen hatte. Man
hat also auf die runde Pupille verzichtet, um zu prüfen,
ob die neue Extraction des Opfers werth sei. Die Erklärung
ist von einem Standpunkte, welchen die fünfziger Jahre mit
anderen Zeiten, in denen man empirische Fragen mit der
nOthigen Geduld studirt hat, gemein haben, wie mir
scheint, einfach genug, freilich nicht nach dem Bilde, das
Schweigger's Phantasie von jener Zeit geschaffen hat.
Das vierte Citat aus Graefe's Briefen zeigt unwider-
leglich, dass er noch im Winter 1864 die runde Pupille
nur in gewissen Fällen, aber keineswegs immer aufgeben
wollte, und, wo er auch zu keinem besonderen Zwecke, wie
z. B. zur Extraction iromaturer Cataracten, die Iridectomie
empfahl, immer als sein caeterum censeo ausdrücklich
betonte, „für die gewöhnlichste Form, die harte Cata-
racta senilis, ist Daviel's Extraction'' (ohne Iridectomie)
„beizubehalten". Im Jahre 1865 erfand er die Linear-
*) Zehender*s Klinische Monatsblätter.
200 ^' Jacobson sen.
Extraction, an deren Veryollkommnnng bis zur Entbehr-
lichkeit der Tractions-Instmmente er noch 1867 arbeitete,
zwischen 1868 und dem Todesjahre 1870 war seine Kraft
schon g^ebrochen. Wem die Aera der Iridectomie zu hinge
gedauert hat, der sollte sich also nicht auf den Stand-
punkt der fünfziger Jahre stellen, sondern an die Adresse
der Epigonen wenden.
Für den Verzicht auf die runde Pupille giebt es, wie
aus dieser Abhandlung hervorgeht, nur eine richtige Er-
klärung: Seitdem im Jahre 1863 bei Extractionen
mit grossem, peripherem Lappenschnitte die Zahl
der Lappen-Eiterungen auf 2 pCt. gesunken war,
meinte Graefe und die überwiegende Mehrzahl
deutscher Ophthalmologen, es sei geboten, das
wenig entstellende, für die Sehschärfe gleich-
gültige Colobom nach oben in den Kauf zu
nehmen, um die Zahl der Erblindungen durch
Suppuration zu vermindern.
Es ist mir nicht bekannt, dass damals die Iridectomie,
wie Schweigger meint, zur Verhütung von Ent-
zündungen ohne gute Gründe empfohlen wurde, wohl
aber, dass gerade Schweigger noch im vorigen Jahre der-
selben Operation eine prophylaktische Kraft, gesunde Augen
vor Glaucoma acutum zu schützen *\ zugemuthet hat, von
der keinem Ophthalmologen ausser ihm etwas bekannt war.
Ferner wissen wir, dass Graefe die Verbindung
der Discission mit Iridectomie nur für eine ausnahms-
weise zähe Gorticalis, deren Zerklüftung nicht sicher
allmählichen Zerfall und Besorption erwarten, sondern
starke Quellung mit consecutiver Iritis, Synicesis pupillae,
Gjclitis befürchten lässt, empfohlen, dass er die Iridec-
tomie bei der alten Linear-Extraction auf die bei
enger und mittelweiter Pupille unausführbare AuslOfflung
*) Archiv für Angenheilkande von Knapp and Schweigger.
y. Graefe*s ,,inodificirte Linear-Extraction" etc. 201
des Kerns, auf Quetschung des Sphincter pupillae durch
austretende Cortical- Stücke, auf h&ufiges Prolabiren der
Iris anstatt oft wiederholter Bepositions - Versuche be-
schränkt hat
Im direkten Widerspruch mit den Thatsachen steht
die Yermuthung, dass Graefe durch die günstigen Re-
sultate der, me wir schon 1855 von ihm erfahren, haupt-
sächlich Ton Gibson und Friedr. v. Jaeger empfohlenen
Linear-Extraction bewogen worden sei, „eine ähnliche
Operations-Methode auch bei Cataracta senilis zu
▼erwerthen'*; denn gegen Desmarres' in der Clinique
euTopöenne ausgesprochene Ansicht sehen wir ihn^ selbst
in der üebergangsperiode, in der er für gewisse Gatai-act-
formen „die AuslOfflung" empfiehlt, immer wieder darauf
zurückkommen: für die Cataracta senilis bleibt Da-
▼ieFs Extration das unter allen Umständen allein
indicirte Verfahren.
Selbst fär Diejenigen, die aus der Wahl des Namens
etwa deduciren mochten, in Graefe's Vorstellung müsse
doch zwischen dem alten, cornealen Lanzenschnitte und
seinem linearen eine nahe Verwandtschaft bestanden haben,
wird der Beweis geführt werden, dass die Idee eines solchen
Zusammenhanges ihm sehr fem lag, dass er vielmehr
gerade, weil er sich Ton der Unbrauchbarkeit jedes cor-
nealen Linear-Schnittes überzeugt und für seine Person
die Unmöglichkeit peripherer Lappen-Extractionen erprobt
hatte, als Ultimum refugium zu einer Schnittform gedrängt
sah, deren Linearität dem üblichen Wortsinne sehr viel
vollkommener, als der vor Jahren von Friedrich von
Jaeger getaufte, corneale Lanzenschnitt entsprach.
Es ist auch nicht richtig, dass, wie Schweigger meint,
in Graefe's Abbildung (Archiv XIV. 3) „die Iris neben der
Linse keinen Platz bat" und deshalb excidirt werden muss.
Wer, wie'Graefe, ohne Chloroform und Cocain operiren
musste, hatte zum Schluss des Linearschnittes gleichzeitig
202 J« Jacobson Ben.
mit der völligen Entleerung des bei der Messerdrehang
nicht mehr zurückgehaltenen Humor aqueus auf Prolapsus
iridis in der ganzen Breite des Schnittes zu rechnen. Man
brauchte dann nur die mit der Pincette gefasste Iris zurück-
zuschlagen nnd glatt auszubreiten oder zu incidiren und
umzuklappen, um fQr die Linse den Weg frei zu machen,
wie ich es oft am Thier-, selten am Menschen-Auge ver-
sucht habe. Gerade die Anhänger der Davierschen Methode
und alle Verehrer einer runden Pupille müssen wissen, was
sich die Iris, wenn conservative Operateure sich nur erst
zu der Ueberzeugung, dass häufiger Wechsel von Prolabiren
und fieponiren mit EinfQhrung DavieFscher LOffel unschäd-
lich ist, emporgeschwungen haben, von ihren Gönnern bieten
lässt. Wie lange ist es her, dass die Irisvorfälle und Partial-
Staphylome als ganz exquisite Vorzüge gewisser Glauoom-
Operationen warm empfohlen wurden! Gegen den Abusus
der Iridectomie hatte sich ein Fanatismus der Iris-Erhaltung
schnell genug organisirt, den Graefe*s Abbildung sicherlich
nicht erzeugt haben würde. Aus der Abhandlung im
14. Bande des Archivs war also Schweigger nicht be-
rechtigt, „in Graefe*s Sinn'* an der Noth wendigkeit der
Iridectomie festzuhalten. Aber ist es denn gestattet, die von
Graefe selbst angegebenen Gründe zu ignoriren, und statt
ihrer beliebige andere Motive anzunehmen? Die Nothwen-
digkeit der Iridectomie und zwar einer sehr breiten Irid-
ectomie bei seiner Linear-Extraction hat Graefe so oft
raotivirt, so ausführlich über seine Versuche mit kleineren
und anders geformten Oolobomen berichtet, dass die Leser
des Archivs mit Recht verlangen können, allbekannte Dinge
nicht entstellt wieder zu finden.
Warum „der Schnitt in vielen Fällen zu klein aus-
fier\ darüber kann ich jetzt nach 20 Jahren vollkommen
sichere Auskunft gebep: die Operateure haben nicht Geduld
genug gehabt, die neue Technik, bei der viel scheinbare
Schwierigkeiten zu beachten sind, so genau zu erlernen.
T. Graefe*B «modificirte Linear-Extraction" etc. 203
wie gerade der Linearscbnitt es fordert. Schon in den
ersten Monaten des Jahres 1868 hatten sie den richtigen
Schnitt verbessert (!), um zu dem aufgegebenen nie mehr
zurQckznkehren. Auch in diesem Punkte fürchte ich auf
Schweigger 's Zustimmung verzichten zu müssen, obwohl
ich versichern kann, dass im Laufe der Jahre die zu kleinen
Schnitte verschwinden.
So viel Ansichten seine Rede über den Standpunkt der
Fünfziger bringt, so viel Differenzen trennen ihren Inhalt
von meinen Erinnerungen an eine mit höchstem Interesse
durchlebte Zeit. Wir harmoniren nur in dem ersten Satze
(„man muss den Standpunkt der fünfziger Jahre kennen" etc.)
und — Ende gut, Alles gut (?) — in den folgenden letzten:
„man segelte unter falscher Flagge, wenn man von peripheren
oder modificirten Linearschnitten sprach und corneale Lappen-
schnitte machte.'' Dass man auf solche Abwege, die Graefe
(Citat 8) schon 1868 sofort durchschaute, nur gelangen
konnte, wenn man sich rein mechanisch an die Form des
Schnitts hielt, ohne seinen Sinn und Zweck zu begreifen,
das hoffe ich durch die folgende Abhandlung unwiderleglich
zu beweisen.
Wie war es möglich, dem genialsten, gerade wegen seiner
therapeutischen Combinationen bewunderten Kliniker so nich-
tige Gründe für seine Combination der Iridectomie mit der
Extraction zuzuschreiben und mit dem Standpunkte der fünf-
ziger Jahre zu entschuldigen ? Ich finde keine andere Erklärung
als die, dass Schweigger von den Ideen, die seinen Lehrer
mit Nothwendigkeit zur Linear-Extraction führten, und
eben so von den fünfziger Jahren, der glänzendsten, von allen
medicinischen Disciplinen bewunderten Entwickelungsperiode
unserer Wissenschaft eine gleich irrige Vorstellung hatte.
Nach dem Heidelberger Vortrage über das Thema,
„wie es vor 30 Jahren nicht ausgesehen hat", kann
ich den Gollegen einen Theil des Folgenden unter dem Titel,
„wie es vor 30 Jahren ausgesehen und sich weiter
204 J- Jacobson sen.
entwickelt" hat, vorlegen. Unsere Autoren haben es
mir leider nicht erspart, dabei mehr, als es mir wünschens-
werth und sonst meine Art ist, von meiner Person zu
sprechen, aber ich meine, in einer der Wahrheit ent-
sprechenden historischen Darstellung, sei es eben so uner-
laubt, seine Person, wo sie zur Erklärung der Thatsachen
in ihrem Zusammenhange nöthig ist, des äusseren Deoorum
wegen verschwinden, als sie als bewegende Kraft hervor-
treten zu lassen, wo sie in grosser Zeit die Bolle des
passiven Zuschauers gespielt hat. Zur Entschädigung ftLr
dieses unvermeidliche üebel bringe ich einige Gitate aus
Graefe*s Briefen. Sie zeigen ihn der Mehrzahl meiner
Leser von neuen Seiten, wie der auf der Höhe seines Ruhmes
stehende Kliniker sich in Fragen, über die er keine eigenen
Erfahrungen hat, einem Anffinger gegenüber verhält, und
wie es gerade in der Extractions-Frage nur einer Anregung
bedarf, um ihn von vorgefassten Meinungen auf eigenen
Wegen zur Wahrheit gelangen zu lassen.
Entgegengesetzte Hypothesen Aber die ürsaGhen
der Lappen-Eiterung.
Die AuslOfflung und die Extraction mit
peripherem Lappen.
„Wenn, wie es A und B und Andere machen,
der Schnitt wieder mehr durch die Cornea geführt
wird'\ . . . „so kann es nicht fehlen, dass die
Operation einen Theil ihrer Yortheile verliert."
Die Worte kehren in dem achten Gitate, der ersten
Hälfte eines vom 9. März 1868 datirten Briefes, in dem
„die modificirte Linear-Extraction" besprochen wird, wieder.
Im 11. Bande hatte dieses Archiv 1865 die erste Abhand-
lung über die neue Operation gebracht, noch 2 Jahre ver-
gingen, ehe die Methode so weit verbessert war, dass alle
Tractions-Instrumente und das „Schlitten-Manoeuvre** auf-
y. Graefe*s ,^odificirte Linear-Extraction*' etc. 205
gegeben werden konnte, aber, wie das Datum des Briefes
zeigt, liess man sich nur wenige Monate Zeit, das neue
Verfahren zu erlernen, es die Probe bestehen zu lassen.
Geschickte Operateure, zugleich Anhänger der Methode und
persÖDliche Freunde 6raefe*s, hielten es far nOthig, sein
Werk, wenn es nicht mit seiner Zustimmung zu erreichen
sei, selbst gegen seinen Willen durch eine ganze Kleinig-
keit vollkommen fehlerfrei zu machen. Der unglückliche
Zufall wollte es, dass diese kleine Verbesserung
den ganzen Zweck der Graefe'schen Operation noth-
wendiger Weise vereiteln musste und dass sie in
weiten Kreisen beifällig aufgenommen wurde.
In Frankreich waren die Stimmen dem neuen Ver-
fahren gegenüber getheilt; die Einen wiesen es kurz ab.
Andere verhielten sich exspectativ, noch Andere nahmen es
beifiUlig auf. Gegen die Gründe der Gegner liess sich
wenig sagen, so lange die Unmöglichkeit, ihre Hoffnungen
realisirt zu sehen, nicht bewiesen war. Sie wollten das Ideal,
die Heilung mit rein schwarzer, runder, beweglicher Pupille,
nicht aufgeben. Es war durchaus kein Widerspruch, dass
de Weoker der Bewegung von ihren ersten Anlangen an
mit vollem Verstand niss , objectivem ürtheil und lebhaftem
Interesse folgte, Vorzüge der Methode anerkannte und zum
Theil für seine Zwecke zu verwerthen suchte, das Ganze
aber, als dem feinfühligen Formsinne der Franzosen wider-
strebend, verwarf.
Dass man in Deutschland Graefe's entscheidendes
Wort in der Extractionsfrage mit Enthusiasmus aufnahm,
und dass viele CoUegen anderer Nationalitäten folgten, wird
Niemand befremden, der sich erinnert, was Graefe in
11 Jahren, seit dem ersten Erscheinen des Archivs auf
therapeutischem Gebiete geleistet hatte. Dazu kam, dass
jedem einigermassen erfahrenen Operateur die Abnahme der
Lappen-Eiterungen sofort auffallen musste. Sicher, das
Palliativ gegen die Eiterung in dem Zauberworte „Linear-
206 J* J&cobflon sen.
schnitt" endlich erhalten zu haben, begnügte man sich mit
dem handgreiflichen Resultate, ohne sich eingehend genug
mit der Idee, die dem Verfahren zu Omnde lag, zu
beschäftigen.
Drei Jahre vergingen, ohne dass sich in dem schliesslichen
Besultate, das man als das wichtigste nicht wieder ver-
lieren wollte, in der Seltenheit der Lappen - Eiterungen,
Erhebliches änderte; aber schon vor 1868 hatte man die
Zunahme iridocyklitischer Processe bemerkt, ohne ihnen
viel Bedeutung beizulegen. Erklärte sich doch die unan-
genehme Zugabe aus der Lage des peripheren Schnittes zum
Corpus ciliare ohne viel Ueberlegung von selbst! Eben
aus diesem Grunde lag ja auch das richtige Mittel auf der
Hand: man wurde etwas cornealer. Mit dieser kleinen
Veränderung ist man 20 Jahre lang Anhänger der Graefe*-
schen Extraction**, deren einziger Fehler „den rationellsten
Behandlungen*' nicht weichen wollte, geblieben, hat die
Möglichkeit, durch die vermeintliche Verbesserung die
ursprüngliche Methode verdorben zu haben, nie der Ueber-
legung für werth gehalten und befand sich, wenn ich nicht
irre, vor Kurzem auf dem besten Wege, zu einer Operation,
deren Fehler wir vor 25 Jahren erkannt und beseitigt haben,
zurückzukehren. Mit etwas weniger Verehrung „positiver
Tbatsachen'' und etwas weniger Verachtung „theoretischen
Geschwätzes" wäre man weiter gekommen. — Um den
,, Abfall von Daviel's Extraction*' zu verstehen, muss ich
den Leser bitten, mir auf den Standpunkt der fünfziger Jahre
zu folgen.
Gegen die Mitte des Jahrhunderts schien es, als
solle die in vielen Fällen idealen Ansprüchen
genügende DavieTsche Extraction für cohärente
Staare die allein herrschende werden. Dass man
trotzdem gerade damals an ihr zu rütteln anfing«
dafür gab es nur einen Grund: Die Ueberzeugung.
dass die Vereiterung des Hornhautlappens relativ
y. Graefe's „modificirte Linear Extraction" etc. 207
häufig, dass sie weder zu verhaten, noch zu heilen
sei, war allgemein geworden.
Wie alle Anfänger mit den schwierigsten Problemen
ihre Laufbahn zu beginnen pfl^en, beschloss ich in Folge
dessen, nach einem zum grossen Theil in Berlin unter
Oraefe, zum bei weitem kleineren unter Arlt in Prag
möglichst gut benutzten Sommer- Semester heimgekehrt,
schon im Herbst 1854, ehe sich noch ein Kranker zu mir
verirrt hatte, die Hornhaut-Eiterung nach der Extraction
zo verhüten oder zu heilen.
Mein Material sollten alle Staarblinden liefern, bei
denen nach 6raefe*s classischer Arbeit im ersten Bande
dieses Archivs (Lief. 2) die Discission und der comeale
Lanzenschnitt contraindicirt war. Beclinationen hatte ich
vor meiner Beise von dem verstorbenen, älteren Burow
nicht wenige ausführen gesehen, bei Jöngken in Berlin
schienen sie die herrschende Methode zu sein, auch fand
man sie noch in allen Lehrböchem, aber Indicationen schien
es nicht zu geben, wenigstens nicht annehmbara In seinen
Vorträgen bemühte sich Arlt redlich, etwas der Art fttr
die schon durch ihr Alter populäre „Staamadel" zu retten,
aber in der Praxis sahen wir ihn nur ein Mal recliniren,
und als ich ihn nach der Indication fragte, hiess es: „Eine
Beclination am Lebenden müsst Ihr zum Abschiede doch
gesehen haben". — Oraefe reclinirte, wenn das erste
Auge trotz einer tadellosen Extraction durch Lappen-
Eiterung zu Grunde gegangen war, und reservirte sich
unter gewissen umständen die Beclination noch fQr extreme
Grade von Marasmus und eme ungewöhnlich dünne,
schlaffe Haut der oberen Extremitäten, aus der er auf
eine ähnliche Beschaffenheit der Cornea zu schliessen
pflegte. —
Was ich an beiden Arten von Extractionen gesehen
hatte, war mit wenigen Ausnahmen (Verziehung der
Pupille, Nachstaar etc.) vortrefflich geheilt, aber ganz
208 J* Jacobson sen.
ohne Lappen-Eitening sollte es nicht abgehen. Zwei traten
in der von Arlt vortrefflich beschriebenen hyperacuten
Form mit schnellem Uebergange zur Panophthalmitis auf
(er meinte, sie gehe vom Corpus ciliare aus) und zwei in
der TöUig symptomlosen, in der die alten, elenden Patienten
3 bis 4 Tage ohne Klagen und Fieber ruhig zugebracht,
in den Nächten gut geschlafen hatten, bis beim ersten
Verbandwechsel ein geringes Oedem am oberen freien
Lidrande, gelber Eiter zwischen den Wimpern, ähnliches
Secret im Verbände dem Operateur die selten tragende,
traurige Prognose verrieth. Graefe meinte, die umfang-
reiche Abtrennung des geftsslosen Lappens vom Bande sei
die Ursache der unvermeidlichen Necrose, kräftige Nahrung,
Medicamente u. dgL hätten ihm immer den Dienst versagt,
von ferneren Versuchen nach dieser Sichtung erwarte er
Nichts, hoffe aber, man werde die Zahl der Eiterungen
durch Verbände, die eine bessere Apposition der Wund-
ränder unterstützten, verkleinem können (cfr. Citat 2).
üeber die localen Vorgänge im Lappen während der ersten
Tage habe er sich kein Urtheil gebildet, denn die Empfind-
lichkeit Staar-Operirter gegen Licht erlaube nicht, vor dem
dritten oder vierten Tage das Auge zu Offnen.
Dieses Verbot machte mir Muth. Im Jahre 1854
hatte Graefe es noch nicht übertreten, sprach also nicht
aus eigner Erfahrung, und da ich der Ueberzeugung war,
man werde die Vereiterung weder verhüten, noch heilen,
ehe man die traumatische Beaction des Lappens von ihren
ersten Anfängen nach der Operation bis zur Eiterbildung
beobachtet habe, hielt ich es for nicht allzu sündhaft, es
auf den Versuch ankommen zu lassen.
Als ich ohne Schaden für die Kranken fbnf Jahre
hindurch jeden Extrahirten vom ersten Tage an mit seit-
licher Beleuchtung genau untersucht und den jedesmaligen
Befund selbst journalisirt hatte, war ich zu folgenden
Resultaten gekommen: 1. Suppuratio corneae war am
y. 6raefe*8 ^modiflcirte Linear-Extraction** etc. 209
häufigsten, wenn ein relativ kleiner Hornhant-
lappen beim Durchtritt einer harten, voluminösen
Cataract stark gehoben, an der Basis geknickt und
nachher schlaff , faltig zurückgesunken war; 2. rela-
tiv am häufigsten war sie in seltenen Fällen von
extremem Collapsus corneae (Lappen -Retraction),
wenn der Lappenrand zu tief zurücksank, um den
anderen Wundrand zu berühren; 3. im Allgemeinen
war die traumatische Beaction des Lappens um
so intensiver, je schwerer die Linse ausgetreten
war. Darauf hin versuchte ich, die Lappen in die Gomeo-
sderal- Grenze zu legen, musste dann aber, um Vorfall der
Iris und Ruptur der Zonula während des Linsen- Äccouche-
ments zu verhüten, den intraocularen Druck und die
Spannung der äusseren Augenmuskeln durch Chloroform
unschädlich machen, einem nachträglichen Lrisvor&Ue
durch Iridectomie vorbeugen. — Die Zeit bis zum Ende
des Jahres 1860 benutzte ich, um die Wirkung des Chloro-
forms bei Augen-Operationen (mit Ausschluss der Extraction)
zu Studiren. Seit 1861 habe ich nie wieder nach Da viel
extrahirt. —
Wenige Monate, bevor ich mein neues Verfahren zum
ersten Male am Lebenden versuchte, hatte Graefe schon
etwas über eine neue Extractio per comeam mit AuslOfflung
des Kerns für gewisse Staare des mittleren Lbensalters im
Archiv augedeutet und unmittelbar darauf publicirte sein
chirurgischer Assistent Wald au 1860 eine kleine Schrift
über „die AuslOfflung des grauen Staares."
Hier wurde die Vermuthung, die ich 1854 von Graefe
in einem Vortrage über Verbände nach der Extraction
gelegentlich gehört hatte, zum ersten Male mit voller Ueber-
zeugung und Entschiedenheit öffentlich ausgesprochen:
„Daviels grosser, gefässloser Lappen heile zwar in der Mehr-
zahl der Fälle, wie die Erfahrung lehre, wider Erwarten
reactionslos, müsse aber unter ungünstigen, localen oder
y. Graefe'a Archir fllr Ophthalmologie, XXXIV. 2. 14
210 J- Jacobson sen.
allgemeinen Verhältnissen wegen zu mangelhafter Em&brong
absterben, man habe deshalb zu umfangreiche und zu düime,
leicht aufklappende Lappen zu vermeiden.*'
Da der bisher fQr die Gat. moUis gebräuchliche Lanzen-
schnitt einen einigermassen cohaerenten Kern nicht spontan
austreten liess, wurde eine breitere Lanze zum Einstiche
bestimmt. Gar zu yoluminOse Kerne sollten in die Höhlung
eines sie von der hinteren Corticalis aus umgreifenden
Lofifels aufgenommen und so hinausgeleitet werden; zur
Einführung des Löffels war eine den Kern überschreitende
Iridectomie, die auch für die Beinigung des Eapselsackes
von Bindenstücken ihre Vorzüge hatte, notbwendig.
Wie der Leser sieht, waren wir von entgegengesetzten
Hypothesen zu entgegengesetzten Ansichten über den ersten
Schnitt gekommen; nur die Iridectomie konnten wir Beide
nicht entbehren, der eine, um den Löffel hinter den Kern
zu führen, der Andere, um Vorfall der Iris und des Glas-
körpers zu vermeiden. Während Graefe im fünften De-
cennium ausser seiner grossen, ersten Arbeit über den
Linear-Schnitt nur noch für Ausnahmefälle Modificationen
älterer Verfahren suchte, trat endlich kurz vor Thores-
schluss Waldau, wie es schien, als radicaler Beformator
mit einer allgemein plausiblen Hypothese und einer der-
selben gut accomodirten Methode auf. Erschien dieselbe auch
damals schon manchem Praktiker nicht ganz gefahrlos, so
wird ihr Niemand bestreiten, dass sie den Vergleich mit
dem Standpunkte des 7. und 8. Decennium, so weit der-
selbe sich in dem Verständnisse der Linear - Extraction
manifestirt hat, nicht zu scheuen braucht.
Während die ersten Jahre des sechsten Jahrzehnts,
wie wir weiter unten sehen werden, auch Graefe unter
den Anhängern der Anslöfflung, also unter denjenigen,
welche die Lappeneiterung auf die Grösse des Davierschen
Lappens schoben, thätig zeigen, taucht noch einmal im
Jahre 1863 die Idee, dass die Suppuraüo corneae von der
y. Qraefe*s „modificirte linear-Extraction*' etc. 211
Iris ausgehe, in einer Brochüre von Mooren auf. Nach
ihm sollte durch eine präparatorische Iridectomie die Gefahr
der Eiterung beseitigt werden , aber Graefe hatte damals
schon die primäre Wundeiterung erkannt . und damit der
Mooren 'sehen Schrift ihr Fundament entzogen. Sie ist
ohne Einfluss auf die weitere Entwicklung der Extraction
geblieben.
Wenige Monate später verOifentlichte ich eine Graefe
gewidmete Abhandlung über „ein neues und gefahrloses
Verfahren zur Heilung des grauen Staares". Für dasselbe
sprachen: zwei Homhauteiterungen unter 100 Extractionen.
Zum ersten Male standen in der Extractionslehre zwei
diametral entgegengesetzte Hypothesen gegen einander:
Wal da u schloss aus dem, was der Augenschein bei der
Operation lehrte, und die Mehrzahl mit ihm. Wer die
dönnen gefalteten Lappen cachektischer Personen oft genug
gesehen hatte, dem musste sich ein ähnlicher Gedanke un-
willkürlich aufdrängen. Meine Hypothese beruhte auf der
traumatischen Beaction des Lappens. Keine von beiden
musste mit Nothwendigkeit richtig sein, die definitive Ent-
scheidung musste von den Erfolgen der Methode erwartet
werden; denn so günstig die meinigen auch sein mochten,
die Zahl hundert. war zu klein.
Das war der Standpunkt des fünften Jahrzehnts:
man misstraute der eigenen, ungenügenden Erfahrung und
mehr noch einem allzu sicheren Selbstbewnsstsein und es ver-
gingen mitunter Jahre, bis man einen sicheren Schritt vorwärts
gethan hatte. Trotz meinen glänzenden Resultaten blieb Wal-
dau^s Hypothese immer noch die herrschende; man änderte an
seiner Methode, ohne seinPrincip aufzugeben. Selbst Graefe
liess die AuslOfflung nicht fallen, wenn er auch fUr die
Cataracta senilis an der Davierschen Extraction noch eine
kurze Zeit festhielt. Bis in's Jahr 1865 können wir Waldau*s
Einfluss noch in der Methode der Engländer erkennen; der
ihn fQr immer brach, war kein Anderer, als Graefe.
14*
212 J- Jacobson sen.
Mir erging es in Wirklichkeit besser, so traurig es anf
den ersten Blick auch aussah. Auf Beifall hatte ich fOr
eine Methode, die wider Willen aus „Fehlern und üblen
Zuf&Uen'* zusammengesetzt war, nicht gehofft, aber auf ein
objektives ürtheil über das Wagniss, nach langer Arbeit
den herrschenden Ansichten und vor Allem Graefe zu
opponiren, hatte ich allerdings gerechnet. Vor Allem hatte
ich es nicht fQr möglich gehalten, dass der mehrfoch durch
den Druck markirte Kern meiner populären Schrift, bei
noch so mangelhafter chirurgischer Vorbildung von jungen
Leuten, die etwas von kritischem Berufe in sich spürten,
unbemerkt bleiben kOnne, dass man eine Verbreiterung
des Comeallappens um 3 bis 4 mm wie eine unrichtige Ge-
schmackssache der Beachtung nicht für werth halten werde.
So war mir bisher der Geist des sechsten Jahrzehnts
nicht erschienen, ich hatte ihn nach Graefe*8 Art, auf
wissenschaftliche Fragen zu reagiren, wie sie sich auch
jetzt wieder zeigte, beurtheilt. Es ist keine oratio pro
domo, wenn ich daran erinnere^ dass Graefe sofort sah,
worauf es ankam, der DavieTschen „Methode untreu
wurde, Lage, Grösse, Form des Schnittes, Chloroformf Iri-
dectomie, kurz alles neu Empfohlene zu prüfen beschloss;
denn, wie sein erster Brief an mich zeigte, war er mit
meinen Vorschlägen und Auslohten keineswegs einy er-
standen, aber „den positiven Thatsachen'*, den Resultaten
gegenüber durfte man es bei der einfachen Negation seiner
Meinung noch nicht bewenden lassen.
Die jungen Kritiker schienen anderer Ansicht zu sein.
Der eine hatte kaum in kurzen Worten seinem ersten Miss-
fallen als Maun der Wissenschaft Ausdruck gegeben, als
er sein Bichteramt niederlegte und die nichts weniger, als
gemeingefährliche Schrift wegen zu grosser Chloroform«
dosen der Criminal-Justiz überwies. — Ein Zweiter hatte
sein kurzes Referat mit einigen Zeilen, in denen ich meine
Schrift nicht wieder erkannte, begonnen, als ich zu meiner
T. Graefo s „modificirte Linear- Extraction" etc. 213
Freude auf ein wörtlich dem Original entnommenes Gitat
stiess, aber gerade dieses sollte am meisten schaden. Der
Setzer hatte, anstatt ,,nicht innerhalb des Limbus" die
genauere Ortsbestimmung „innerhalb des Limbus*' vor-
gezogen und mein Kritiker blieb bei der Behauptung,
,,innerhalb und nicht innerhalb des Limbus" sei gleich-
bedeutend. — Nach solchen Erfahrungen war ich froh, von
dem Dritten wenigstens die Concession zu erlangen, „wenn
er geahnt hätte, dass ich auf die OrOsse des Lappens Werth
legte, so würde er Nichts dagegen gehabt haben, diesen
Theil der Operation als etwas Neues angeführt zu sehen.'*
Als Lohn für den Muth, die heiligen Gebote der Operations-
lehre erfolgreich übertreten zu haben, trug ich Nichts
mehr heim, als eine specialisirte Quittung über den Empfang
alter, neu aufgeputzter Waaren.
Füge ich hinzu, dass de Wecker mein Verfahren so-
fort mit vollem Yerständniss der Sache beurtheilte, dass
der verstorbene College Pagenstecher mir schon 1864
von seiner Extraction in der Kapsel unter Chloro-
form mit peripherem Lappen und Iridectomie
Einiges mittheilte, Steffan später, als ich mich für
Graefe^s Methode entschieden hatte, meine Operation in
diesem Archiv gegen ihren eigenen Vater vertheidigte, so
glaube ich die Majorität Derjenigen, die sich zu einem
Versuche mit meiner Methode entschlossen, namhaft ge-
macht zu haben.
6raefe*s Stellung zu beiden Hypothesen. — Die
modificirte Linear -Extraction.
Graefe blieb beiden Methoden gegenüber nicht in-
different. Die grossen Abhandlungen über die modi-
ficirte Linear- Extraction stehen mit seinen Arbeiten
aus den fünfziger Jahren in keinem Zusammenhange.
Waldau*s 1860 erschienene „AuslOfflung" brachte ihn
214 J* Jacobson sen.
dahin, f&r gewisse Cataracten des mittleren Lebensalters
die Methode zu empfehlen, jedoch unter der ausdrücklich
betonten Reserve, dass DavieFs Verfahren für die Cataracta
senilis beizubehalten sei; meine 1863 public irte Ex-
traction veranlasste ihn durch ihre Resultate (mit
meinen Ansichten war er Anfangs keineswegs ein-
verstanden), die alte, classische Methode aufzugeben. Dass
ich ihn über seine Stellung zu beiden Methoden, über seine
ersten Vermuthungen und über Berichtigung derselben
durch eigene Erfahrungen aus seinen Briefen sprechen
lassen kann, hat mich bewogen, in diesem ersten Theile
Waldan und mich als Diejenigen, deren entgegengesetzte
Principien von Einfluss auf die Entwickelung der damaligen
Extractions-Lehre waren, in den Vordergrund zu stellen.
An unsere Stelle tritt jetzt ein Besserer, dessen Leistungen
bis zum Geburtsjahre des Archivs, bis 1854/55, ich kurz
andeuten will.
Nach der grossen, classischen Abhandlung über
Linear -Extraction mit cornealem Lanzenschnitte
nimmt Graefe 10 Jahre lang der Extraction gegenüber
eine eigenthümliche Stellung ein. Es scheint, als halte er
das Problem für ein im Wesentlichen durch Da viel er-
ledigtes, von dem Nichts übrig geblieben sei, als für
seltene Staarformen eine individualisirende, für gewisse
Bedürfnisse der Kranken eine ihre Situation berücksichtigende
Therapie zu ünden. Dahin gehören die Abhandlungen:
über wiederholte Discission harter Staare, über prft-
paratorische Eapselspaltung und Iridectomie oder Beides,
über die AuslOfflung weder harter, noch weicher Staare.
Bald entscheidet, wie im letzten Falle, die Consistenz der
Cataract, bald zu langsame Reifung, bald zu hohes Alter
des Patienten oder Verlust eines Auges nach normaler
Extraction, — aber ob von einzelnen Fällen, oder, wie bei
der AuslOfflung, von einer ganzen Species gehandelt wird,
immer ist sein letztes Wort: „Für die harte senile Cata-
V. Graefe*8 ^odificirte Linear-Eztractioii" etc. 215
ract bleibt Dayiel's Extraction die einzige Methode, von
der nur selten Abweichungen zu gestatten sind.
Mit dem Jahre 1863 wird seine Stellung eine andere:
hatte ich auch nur über 100 Extractionen berichtet, fOr
die damalige Zeit waren 2 pGt. Suppurationen ein so be-
merkenswerthes, ungewöhnliches Besultat, dass er sein un-
bedingtes Vertrauen der alten Extraction nicht mehr zu-
wenden konnte. In den letzten drei Jahren hatte er mit
Waidau's Methode genug trübe Erfahrungen gemacht, um
zu seiner alten Antipathie gegen Einführung von Löffeln
in's Auge zurückzukehren, — hielt er auch die Torzuge
peripherer Schnitte keineswegs für erwiesen (cfr. Citat 6),
so war sein alter Glaube an eine Necrose des zu grossen
Davierschen Lappens durch die gute Heilung der von mir
empfohlenen, bei Weitem grösseren doch stark erschüttert, —
und in der Hauptsache war er für meine Ansicht gewesen:
die Gataract nach Spaltung der vorderen Kapsel
leleht austreten zu lassen, hielt er für die wich-
tigste Aufgabe jeder neuen Extractions- Methode.
Ohne Erfahrung über die Heilung peripherer Lappen,
mit dem Qebrauche des Chloroforms nicht vertraut, wollte
er zunächst die von mir erreichten Sehschärfen mit denen
seiner soeben vollendeten, statistischen Tabelle über
1500 Extractionen vergleichen, gab aber nach einem Ein-
blick in einen Theil meiner Erankheits- Journale dieses
Vorhaben auf. Der letzte Theil des Winters und die
ersten Monate des Jahres 1864 sollten ihn die Eigen-
thümlichkeiten der Narcose bei Augen- Operationen aus
eigener Erfahrung kennen lehren, brachten ihn aber immer
von Neuem zu der Ueberzeugung, dass seine körperliche
Disposition auf längeres Inhaliren von Chloroform constant
mit einer heftigen Hemicranie reagire.
Ausser Stande, bis zur Zeit des Heidelberger Con-
gresses sich aus eigner Praxis ein ürtheil über mein Ver-
fahren zu bilden, die Vorzüge desselben zu vertreten oder
216 J* Jacobson sen.
seine Schwächen anzugreifen, bewog er mich, die Yer-
theidigong der Methode auf dem Congresse des Jahres 1864
selbst ZQ übernehmen. In lebhafter, aber den grOssten
Theil des ersten Sitzongstages fortgeführter Discnssion
wurde für und wider gestritten, bis er sich, ohne seine
Bedenken gegen Einzelnes zu verhehlen, im Princip mit
grosser Wftrme für die neue Operation ansprach.
Am folgenden Tage las unser College Gritchett
(der Aeltere) ein Memoire über eine von Bowman und
ihm selbst mit sehr gutem Erfolge ausgeführte Extraction,
an deren Eigenthümlichkeiten ich kurz erinnere; comealer,
möglichst breiter Lanzenschnitt unmittelbar unter dem
oberen Limbus, nOthigenfalls YergrOsserung desselben durch
Scheerenschnitte, — Eapselriss, — Entbindung der Linse
mit oder ohne Eitraction des Kerns durch einen kleinen,
flachen Löffel, — Iridectomie nicht obligatorisch und klein.
Wie der Leser sieht, waren 1864 in Heidelberg die
alten, entgegengesetzten Hypothesen wieder vertreten:
meine Methode war unverändert geblieben, Waldau^s war
in Oraeie*8 Sinn erheblich verbessert, sowohl durch den
möglichst breiten Schnitt, als auch durch die Einschränkung
des Löffels und der Iridectomie, aber die Einführung des
Löffels widerstand ihm auch in dieser Form noch mehr,
als mein ungeschickter, zu grosser, peripherer Lappen.
Noch in demselben Winter hatte ich die Frage, ob ich
unter allen Umständen an der Narcose festhalten müsse,
brieflich zu beantworten (cfir. Citat 4). Die periphere Lage
des grossen Lappens Hess mir keine Wahl, ich durfte auf
Chloroform nicht verzichten.
Noch immer hatte Oraefe keinen eignen Weg ge-
funden. Um die letzte Methode, die ihm bliebe so voll-
kommen als möglich kennen zu lernen, begab er sich
möglichst bald zu seinen Freunden Bowman und Critchett
nach London, wo ihm reichliche Gelegenheit geboten wurde,
die corneale Linear-Extraction, meisterhaft ausgeßlhrty zu
T. Graefe s „modMcirte Linear-Eztraction * etc, 217
studiren. Aber gerade die Meisterschaft liess ihn den an-
heilbaren, für eine ganze Species ähnlicher Versuche lehr-
reichen Fehler sofort erkennen: „Auch der grosseste,
corneale Lanzenschnitt klaffte nicht genug, um
eine voluminöse, harte Cataract unter m&ssigem
Drucke leieht austreten zu lassen'*. Damit war fOr
ihn auch die letzte, neue Methode gerichtet.
Wenige Monate in Berlin bestätigten in einer Beihe
Yon Versuchen am Thier- und Menschen -Auge das Be-
denken, das sich ihm als Zuschauer in London aufgedrängt
hatte. Noch in demselben Jahre brachte dieses Archiv
seine erste, grosse Abhandlung ttber „modificirte Linear-
Extraction*", in der er die Unentbehrlichkeit der Tractions-
Instrumente für besonders grosse Kerne noch einräumen
musste. 1867 waren dieselben entbehrlich geworden. Re-
sultat 2 bis 3 pGt Eiterungen. — Seit 1868 habe ich
nur noch nach Oraefe's letzter Methode extrahirt Ich
habe es nie bereut. —
Ehe wir uns eingehender mit historisch festgestellten
Daten über Graefe's letzte, grosse Beform der Eitraction
beschäftigen, bitte ich den Leser aus der so eben skizzirten
Zeit bis 186ö auf Folgendes zu achten: nur von einem
Autor, dessen Ansicht ohne Einfluss auf die Entwicklung
der Extraction geblieben ist, von Mooren, erfahren wir,
dass er die Iridectomie für ein Palliativ gegen Lappen-
eiterung hält, allen übrigen ist sie ein Opfer, das dem
Zwecke, die Linse leicht austreten zu lassen, oder trau-
matische Iritis, Prolapsus iridis etc. zu vermeiden, gebracht
werden muss. Ferner ist nachgewiesen, dass Graefe erst
1863, durch die Besultate meiner peripheren Extraction
veranlasst, die Daviersche Methode verliess, dass er sich
1864 noch gegen die obligatorische Iridectomie erklärte
und ohne eigne Initiative, nachdem er die AuslOfiTlung auf-
gegeben, die principiell der Iridectomie abgeneigte Methode
der Engländer studirte, um sie bald zu verwerfen, dass er
218 ^' Jacobson sen.
endlich nur durch seine Intoleranz gegen Chloroform ver-
hindert wurde, es mit meinem peripheren Lappen zu ver-
suchen. Nur dieses Minimum braucht man zu wissen, um
Schweigger*s erfinderische Phantasie in seiner Heidelberger
Rede anzustaunen.
Welchen Zweck Graefe mit seiner neuen Methode
verfolgte, wie er dieselbe ausgeführt haben wollte, erfahren
wir aus seinen Abhandlungen in diesem Archiv sehr viel
besser, als ich es in Kürze wiederzugeben vermag; aber
wodurch er sich nach der Londoner Beise genOthigt sab,
gerade diesen und nur diesen einen Weg einzuschlagen,
davon ist, soviel ich weiss, Nichts öffentlich bekannt ge-
worden. Da diese ersten Keime der neuen Methode nicht
nur historisch, sondern auch für das Terständniss der
Operation von Interesse sind, will ich über dieselben aus
bester Quelle berichten.
Die Unmöglichkeit, einen einigermassen grossen Kern
durch den alten, comealen Lanzenschnitt spontan Idcht
hinauszubefördern, war a priori so selbstverständlich, dass
man sofort, ohne den Mechanismus theoretisch näher zu
erörtern, den Löffel zu Hilfe genommen hatte. Erst durch
die unerwartete Resistenz der breiten Cornealschnitte,
selbst bei möglichst genauer üebereinstimmung der äusseren
und inneren Wunden, wurde Graefe's Aufmerksamkeit auf
die handgreifliche Verschiedenheit der sogenannten linearen
und lappenförmigen Schnitte, von der die Leichtigkeit der
Linsenentbindung abhing, gelenkt: auf der einen Seite mehr
weniger lineare Wunden mit eng anschliessenden Bändern,
die, dem Drucke eines festen Körpers weichend, einen
elliptischen Spalt zwischen sich entstehen lassen sollten,
auf der anderen Zusammenhangstrennungen von der Form
eines Kreis -Segmentes, die Lappenränder nach Abfluss des
Humor aqueus nur mit einem Theil der Schnittfläche lose
einander anliegend, der Lappen mit zunehmender Höhe und
Breite gegen einen andrängenden Körper weniger Wider*
T. Graefe's ^niodificirte Lioear-Exta^ction" etc. 219
stand leistend. Von jeder Hypothese absehend, stellte
Oraefe sich deshalb die Aufgabe, durch eine von beiden
Schnittformen eine Cataract ohne Gefahr für die Er-
haltung des Auges austreten zu lassen. Beide Schnitte
waren in den bekannten alten und neuen Extractionen ver-
treten, einen Theil der alten konnte er der ihnen ad-
hftrirenden Gefahren wegen ohne Weiteres streichen, unter
den neueren war die von mir empfohlene ffir ihn wegen
der Alternative zwischen Prolapsus und Chloroform eben-
falls unannehmbar.
Die Zahl der möglichen Methoden war, wenn man
sich nicht in Lappenbildungen von verschiedenen Formen
versuchen wollte, nichts weniger als unbegrenzt: aus-
geschlossen war der Daviel'sche und jeder kleinere Lappen
in der gefässlosen Cornea durch die empirisch festgestellte
Suppuration des Lappens, ferner mein hoher, peripherer
Lappen wegen der Chloroform -Narcose, ebenso der alte
comeale Lanzenschnitt mit AuslOflTlung bis hinauf zur
Methode der Engländer, endlich der noch nicht versuchte
periphere Lappen von geringerer Höhe und Breite; denn
die Gefahr des Prolapsus hängt nicht von der absoluten
Breite, sondern von der vollkommen peripheren Lage,
durch die dem Ciliartheil der Iris, 'der Zonula, dem Glas-
körper der Widerstand des Cornealrandes entzogen wird, ab.
Zwischen dem zu kleinen Davierschen Lappen und
meinem übermässig grossen, fBr den ich die leichte Linsen-
entbindung und die gefahrlose Wundheilung durch viele
Beobachtungen bewiesen hatte, musste es zwar eine nicht
zu plumpe Lappenform von gleich guter Beschaffenheit für
das Endresultat geben, aber mit wenig Ueberlegung lässt
sich einsehen, dass jede Combination von Breite und Hohe
immer wieder auf die Narcose oder die Gefahr des Pro-
lapsus zurückführt.
Es blieb mithin für Graefe nur noch die Mög-
lichkeit eines leicht klaffenden Schnittes, wie ihn
220 J' Jacobson sen.
die Engländer gesucht, aber nicht gefunden hatten.
Gewisse Eigenschaften desselben Hessen sich, wenn er seinen
Zweck erfüllen sollte, a priori bestimmen: 1. musste er,
wenn nach Abfluss des Humor aqueus die Linse nicht
nach der später von Küchler erdachten, aber schwerlich
von Jemand nachgeahmten Methode gegen den Glaskörper
gedrängt werden, sondern mit möglichst geringer Yerletzong
des Auges austreten sollte, ungefähr über resp. unter dem
Bande der gegen die Cornea hin voi^erückten Linse li^en;
2. wenn die Linse ohne erhebliche Achsendrehuug hinaus-
befördert werden sollte, musste er die Breite der breitesten
harten Cataract nach rechts und links um mindestens 2 mm,
d. h. den Scleralbord um 1 mm überragen; 3. musste er
der Cornea nahe genug liegen, um weder Einklemmung
eines Processus ciliaris, noch Eintreten von Corpus vitrenm
zwischen die Wundränder zuzulassen. Mit dieser Eigen-
schaft war eine nähere Bestimmung von No. 1 gegeben.
Es war eine vollkommen richtige Voraussetzung für
alle nach Abfluss des Humor aqueus nicht coUabirende
Augäplel, von der Graefe ausgegangen war: dass nach
dem ersten Schnitte die Iris sich der hinteren Fläche der
Hornhaut anlege, die Linse nachfolge, dass der Linsenrand
also etwa um die halbe Dicke der Linse (ca. IVs mm)
hinter der Iris (d. h. hinter der Corneo-Scleralgrenze)
liege. Da der Kopf des Proc. ciliaris aber dem Linsen-
rande nicht folgen kann, so kann ein ungefähr in der
Sichtung einer Tangente an den oberen Scheitelpunkt der
Cornea gelegter Schnitt aussen die Sclera durchtrennen,
ohne mit dem Proc. ciliaris in CoUision zu kommen.
Ob ein Schnitt, der diese Bedingungen erfüllt, im
streng mathematischen Wortsinne linear sein kann, ob er
die Höhe eines Instrumentes von V« mm Messerbreite hat,
ob er sich mehr einem gleichmässigen Bogen von sehr
grossem Badius oder einer graden Linie mit einem winklig
abfallenden Appendix an jedem Ende nähert, ist natürUoh
y. Graefe's ,^odificirte Linear-Extraction'* etc. 221
fQr den Zweck der Operation eben so gleichgültig, wie
sein Name far das Verständniss seiner Bedeutung ver-
h&ugnissvoU werden kann. Ursprünglich war schon der
peripheren Lage wegen für Graefe jeder dem alten Lappen
ähnliche Schnitt unmöglich, ein klaffender Schnitt in der
Sclera blieb das Ultimum refugium, mit dem er es noch
versuchen konnte. Hätte sich dasselbe nicht bewährt, wäre
es Graefe nicht gelungen, ein zweckmässiges Instrument
für die neue Incision zu erfinden, so wäre ihm nur noch
der Versuch mit niedrigen, peripheren Lappen (ohne Eserin)
oder mit Chloroform übrig geblieben. Die anderen Mög-
lichkeiten waren erschöpft.
Wie die Aufgabe technisch gelöst worden ist und mit
welchem Erfolge, sagen uns die in diesem Archiv publicirten,
grossen Abhandlungen. Sie enthalten Alles, wodurch man
sich, wenn man die Vorschriften genau befolgt hätte, die
besten Resultate gesichert haben würde, in grosser Voll-
kommenkeit, durchsichtiger Klarheit und leicht verständ-
licher Begründung. Ueber die oben skizzirte Art, wie
Graefe gewissermassen per exclusionem in den Scleralbord
gelangen und den Lappenschnitt aufgeben musste, ist viel
zwischen uns verhandelt worden. Bekanntlich gehörte es
zu seinen unab weislichen Bedürfiiissen, über praktisch-
wissenschaftliche Gegenstände, die ihn beschäftigten, sich
auszusprechen, bekanntlich nahm kein Mensch es dankbarer
auf, als er, wenn man — gleichviel, ob als sogenannter
ebenbürtiger oder als schülerhafter Anfänger — auf seine
Ideen zustimmend oder widersprechend einging. Dass die
eine leichte Linsenentbindung begünstigende Schnittform
der Hauptvorzug seiner Methode sei, blieb nach den
wenigen Erfahrungen, die ihm noch vergönnt waren, seine
feste Ueberzeugung, wie sie es vor der Erfindung des
Verfahrens gewesen war, aber ob die lineare Form oder
die periphere Lage das Wesentlichste sei, darüber änderte
sich sein Urtheil. — Auch dass die neue Methode, weil
222 J* Jacobson sen.
der Eapselriss durch Achsendrehang nicht erweitert werde,
eine nmfangreiche Zerreissnng, selbst Eztraction der vor-
deren Kapsel erfordere, hatte er lange, ehe das Technische
genau formulirt war, bedacht und schon aus diesem Orunde
principiell die Combination feines Yerfiahiens mit der
Iridectomie für nothwendig erU&rt, aber über die Grösse der
Iridectomie sehen wir ihn später erst Versuche auf Ver-
suche häufen, die immer wieder auf das nothwendige üebel
einer grossen Iridectomie zurückfQhren.
Es dürften in dem soeben Mitgetheilten nur wenige
Sätze enthalten sein, für deren Bichtigkeit schriftliche Zeug-
nisse von seiner Hand nicht vorgelegt werden können und,
sobald es, ohne lebende Personen zu verletzen, geschehen
kann, auch vorgelegt werden sollen. Aus ihnen und aus der
ganzen Art, wie man von sicher Erworbenem fortschreitend,
allmählich ein Jahre lang festgehaltenes Ziel unentwegt
verfolgte, wird der Leser entnommen haben, dass wir damals
vom Standpunkte der sechziger und fünziger Jahre Ernsteres
und Wichtigeres zu thun hatten, als an den kosmetischen
Vorzug runder Pupillen zu denken. Damals hatte man
sich in der That keine geringere Aufgabe gestellt, als die,
jeden Staarblinden zu heilen; denn dass es nach Besei-
tigung der Lappen-Eiterung gelingen werde, mit weniger
bösen Folgen der Bxtraction fertig zu werden, daran zweifelte
Niemand. In solchen idealen Aufgaben, denen man
vermuthlich einige Berechtigung neben den ideal -runden
Pupillen zugestehen wird, liegt aber, — das kann Graefe*s
Beispiel jeden lehren — sobald man sich erst dem Ziele
nahe glaubt, eine unwiderstehliche, auf eine bestimmte Vor-
stellung von dem Wesen des Ideals gerichteten Kraft. Das
Ideal der sechziger Jahre hiess: „Jeder Extrahirte soll gut
sehen, — unsere neuesten Krittler der Iridectomie wollen
uns das Ideal: jeder Extrahirte soll gut aussehen'' oder
vielmehr „kein Extrahirter soll durch die Operation an seinen
V. Graefe*8 ^modificirte Linear-Extraction*' etc. 223
Heizen geschädigt werden'*, plausibel machen. Graefe hatte,
wenn Schweigger auch die Thatsache bestreitet, seiner
eigenen Annahme nach bis 1865 etwa 6 — 8 7o S^P-
porationen nach der Extraction gehabt, wenige Jahre vor
seinem Tode (1870) brachte er es endlich durch seine
eigene Erfindung bis auf 2 Procent. Noch im Jahre 1868
kämpfte er vergeblich, um dieselbe von seinen Freunden
nicht verderben zu lassen. Was wäre thOrichter gewesen,
als das Errungene aufzugeben, es in die Hände Anderer
zu legen, das Wichtigste, die Heilung von Blindheit, auf
neuen, unsicheren Wegen zu suchen, um Nebensächlichem,
der Erhaltung einer runden Pupille, nachzujagen?
Glaubten unsere französischen Gollegen eine sichere
Extraction ohne Verstümmelung der Iris finden zu können,
so waren sie in ihrem vollen Rechte, Theilzahlungen sich
nicht bieten zu lassen. Wir in Deutschland suchten
wenigstens die Hauptsache zu erreichen, sprangen deshalb
in richtiger Gonsequenz nicht auf Nebensächliches ab, so
lange wir in der Hauptsache sichtbare Fortschritte
machten.
Die Entwicklung der Extraction von 1860 bis 1868,
deren historischen und wissenschaftlichen Zusammenhang
wir soeben besprochen haben, liegt jedem, der die Wahr-
heit und nicht geeignetes Material f&r Zwecke, die der
Wissenschaft fern liegen, sucht, so klar vor Augen, dass
sie eines Gommentars nicht bedarf. Ich habe deshalb nicht
erwähnt, was jeder Leser des Archivs und derZehender'-
schen Monatsblätter lange weiss und sich sofort in*8 Ge-
dächtniss zurückrufen kann, sondern mich hauptsächlich
auf den Inhalt von Privat-Mittheilungen, die nicht allgemein
bekannt sind, beschränkt. Beide beweisen unwiderleglich,
dass Schweig ger's Heidelberger Bede über den „Stand-
punkt des fünften Decenniums'' und über Graefe* s Stellung
zur Iridectomie nur Unrichtiges gebracht hat. Vielleicht
224 J* Jacobson sen.
erklärt sich dies daraus, dass das fünfte Decennium schon
abgelaufen war, als Schweigger an der GOttinger Klinik
die ersten, selbstständigen Studien über seinen 3 bis 4 mm
hohen Linearschnitt und Graefe's obligatorische Iridectomie
machte. Graefe glaubte in den pathologischen Arbeiten
der letzten Jahre die ersten Vorboten einer neuen Richtung,
von der er bis zur Todesstunde das schlimmste f8r sein
begonnenes Werk fOrchtete, deutlich zu erkennen, warnte
vor Rückfällen in ein oberflächlich empirisches Herumtappen
in der Therapie, bat die Anhänger seiner neuesten Extractions-
Methode, sich durch Form-Aehnlichkeit nicht bestechen zu
lassen, sondern seinem Gedankengange zu folgen, war aber
schon zu schwach, um energisch für ein Princip weiter zu
kämpfen, das er von 1866 bis 1867 in den umfangreidien
Abhandlungen dieses Archivs mit mehr Gründlichkeit und
Ernst, als gutem Erfolge vertreten hatte.
Die unbewusste Beseitigung der Linear-Extraction
durch „Verbesserungen".
In dem letzten der folgenden Citate — ich habe es
einem seiner Briefe aus dem Jahre 1868, in dem er nach
Beseitigung der Tractions-Instrumente die allgemeine Be-
stätigung seiner gefahrlosen Staar- Operation erwartete,
nach Verlauf weniger Monate aber, durch schwere physisdie
und psychische Leiden für immer gebrochen, aus Lipp-
springe heimkehrte, entlehnt, — in diesem Citate findet
der Leser seinen ersten Hilferuf um Schutz gegen seine
allerorts für das Wohl seines jüngsten Produktes selbstlos
und thatkräftig bemühten Freunde. Je weniger er gerade
auf diesem wichtigen Gebiete („dem Gentrum unserer
praktischen Thätigkeit", wie er es in einem Briefe nennt)
einen Erfolg erwartet hatte, um so glücklicher war er in
der Ueberzeugung, nach mehrjähriger Prüfung anderer
Methoden und gewissenhaftem Durchdenken der complicirten
. (iraefe*s ,^odilicirte Lineax-Eztraction*' etc. 225
Aufgabe einer Losung, deren Sicherheit ihm tägliche,
klinische Erfahrungen bestätigten, gefunden zu haben.
Unzweifelhaft sind die Abhandlungen über „modificirte
Linear-Extraction**, so hoch ich dieselben stelle, nicht die-
jenigen Leistungen Oraefe's, in denen sich seine ganze,
geistige Grösse offenbart, aber genauer, sorgfältiger, man
möchte sagen ängstlicher, um nur bis in's Detail die
uubedingte Nothwendigkeit seiner Vorschriften zu demon-
striren und Wesentliches von Accidentellem , das Modifica*
tionen erträgt, zu trennen, hat er, so weit ich mich erinnere,
nie geschrieben.
Leider musste er erfahren, dass „der Standpunkt der
fünfziger Jahre" verlassen war. Die Verehrung für seine
Person hatte nicht nachgelassen. Niemand dachte daran,
auf seine Kosten berühmt zu werden, für Alle (mit sehr
vereinzelter Ausnahme) gab es seit 1866 nur noch, eine
dominirende Methode, die Graefe'sche Linear-Extraction,
— aber gerade um kleine Mängel zu beseitigen, um den
vollen Buhm, jeden Cataractösen sicher geheilt
zu haben, Graefe zu gOnnen, brachte jeder sofort nach
der Erfahrung am Krankenbette „die kleine Verbesserung"
an, deren Wirkung ja auf der Hand lag.
Graefe war lange begraben, seine klinischen Beob-
achtungen hatten es ihm immer wahrscheinlicher gemacht,
dass nicht von der linearen Form, sondern von der peri-
pheren Lage des Schnittes die günstige Heilung, und mit
ihr das Heil der Extraction abhänge, — wer mit ihm ein-
gesehen hatte, dass die Idee der Linear-Extraction nur
Wenigen klar geworden, der Erfolg der Operation mithin
nichts weniger, als gesichert sei, dessen kosmetische Bedürf-
nisse hätten, gleich denen Schweigger's, sehr viel mäch-
tiger sein müssen, als sein Verlangen, jeden Staarblinden
zu heilen, wenn er plötzlich einer von de Wecker schon
vor 25 Jahren betonten conditio sine qua non der Fran-
zosen, „der runden Pupille", als einem Ideal nachgelaufen
V. Graefe'a Archiv fttr Ophthalmologie, XXXIV. 2. 15
226 ^' Jacobson sen.
wäre, anstatt nach Graefe*s Tode sich ein eigenes Criheil
über die Leistungen der neuen Methode zu schaffen. Die
Mehrzahl der Freunde und Gegner liess die vortreffliche
Gelegenheit, sich um die Wissenschaft verdient zu machen^
nicht unbenutzt. Daviel wurde verworfen, Graefe nicht
angenommen, im Ganzen blieb man linear, ohne der Lappen-
form im Einzelnen untreu zu werden, begann scleral, um
allmählich sclero-comeal, schliesslich corneal zu enden, —
Bindehautlappen, Eapselriss, Iridectomie, Chloroform und
ein Terrain von der Grosse der Cornea bewährten sich lange
Zeit, wie es schien, als unerschöpfliche Yersnchs-Objecte.
Nach 20 Jahren aber hatte die Freude ein Ende. Was
aus alten Quellen noch geschöpft wurde, war fast ungeniess-
bar, nicht zu vergleichen mit der klaren Quelle, aus der
Graefe sein Material fur die junge Pathologie hergenommen
hatte. Jetzt erst unterwarf jeder seine Graefe'scfae Ex-
traction einer Prüfung: die Einen merkten, dass sie nie
nach Graefe operirt hatten, die Andern hatten sogar die
Methode getadelt, ohne ihre Beschreibung genau zu kennen»
Da war für jeden praktischen Mann der Moment ge-
kommen, Farbe zu bekennen: entweder hatten die Opera-
teure eine selbst von Graefe erdachte, motivirte und seinen
Erfahrungen nach unübertroffene Extraction genau nach
seinen Angaben auszuführen, nicht mehr für nOthig gehalten^
oder die Methode war fehlerhaft, weil sie sich selbst in
den Händen der jüngeren Autoren nicht bewährte. Natürlich
sprach die allgemeine Stimme ihr „Schuldig unter mildern-
den umständen" über die Methode.
So war Graefe endlich wenigstens in der Extractions-
lehre ein überwundener Standpunkt geworden: die „Ueber-
stürzung'*, die Jüngken schon 1854 prophetisch getadelt
hatte, nahm ein Ende, — bescheidener Sterilität als dem
natürlichen Palliativ gegen Irrthümer der sogenannten Genies
liess man gern das Wort, beschränkte sich darauf. Altes zu
y. Graefe*s ^odifidrte Linear-Extraction** etc. 227
erfinden and neue Ideale, gut übersetzt, von ästhetisch
reiferen Nationen zu importiren. —
An der grossen Metamorphose der Linear-Extraction den
geringsten Antheil zu haben, kann ich mich nicht rfihmen.
Als man in weiten Kreisen über die Gründe der trauma-
tischen Gyclitis post extractionem vollkommen klar war,
glänzte ich durch meine Unwissenheit; ob ich nach einer
guten Methode schlecht oder nach einer schlechten Methode
gut operirte, darüber konnte ich erst weit später Auskunft
geben. So bin ich zurückgeblieben, weil mir die schnellen
Beine zum Fortschreiten nicht beschieden sind. Was ich
bis jetzt erfahren habe, bringt der nächste Abschnitt mit
einigen Citaten aus Graefe*s Briefen.
Graefe's Kritik meiner peripheren Lappen-Extractlon
nach Citaten aus seinen Briefen.
Briefliches über seine Methode.
Gitat 1. Die Eiterungsvorgange nach Extraction,
welche ich anatomischen Resultaten zufolge der Horn-
haut zuschreiben mochte, obwohl sich in sehr kurzer
Zeit die ersten Anfänge der Iritis propagata nachweisen
lassen etc.
Später ist in seinen Briefen von dieser kurz vorher
von Mooren für die Extraction verwertheten Hypothese
nie mehr die Bede. In dem ersten sollte sie gegen die
frisch publicirte Schrift protestiren und zugleich seinen
Standpunkt mir gegenüber feststellen, weil der Zweck
meiner Arbeit gewesen war, von den äusseren Ursachen
der traumatischen Suppuration zu ihrer Verhütung zu
gelangen.
Zum Verständniss der beiden nächsten Citate mag
dienen: dass Graefe*s Antwort auf die Dedication unver-
kennbar Sympathie für den Verfasser und dessen Bestre-
bungen verrieth, dass aber die Gegenstände, um die es
15*
228 J* Jacobson sen.
sich handelte, ihm zum Theil aus eigener Erfahrung nicht
bekannt (Chloroform, Wundheilungen im Scleralborde), zum
Theil von ihm anders aufgefasst waren. Vorläufig fehlte
eine gemeinsame Grundlage für weitere Verständigung.
Im höchsten Maasse wurde er durch die fiesultate über-
rascht, die von den bisherigen in Bezug auf die Lappen-
Eiterung gar zu sehr abwichen, üeber sie wollte er zu-
nächst sich nicht täuschen; ein Vergleich der von ihm und
von mir erreichten, centralen Sehschärfen sollte zeigen, ob
die guten Lappenheilungen zu theuer erkauft worden seien.
Meine Antwort war eine nicht geringe Menge genau
geführter Erankheitsgeschichten, aus denen einige Notizen
in dieses Archiv übergegangen sind, und die Bemerkung,
dass meiner Meinung nach von der Statistik, wie man sie
in der Ophthalmologie bisher getrieben habe, mehr Schaden
als Nutzen zu erwarten, dass es ein Leichtes sei, mit ihrer
Hülfe werthvoUe Errungenschaften der klinischen Beob-
achtung zu diskreditiren und für völlig unbegründete Ent-
deckungen Beclame zu machen.
Citat 2. „Resultate, zu denen ich es nicht habe
bringen können, so sehr mich auch der Cultus dieser
Operation beschäftigt hat. Das Material zu einer
Monographie über ExtractioD habe ich neulich mit
dem 1500 ten Falle abgeschlossen. Vorläufig eine kurze
üebersicht:
Volle Resultate (S mindestens VO • • 8^ pCt.
Gröbere Resultate (S > Vw) ... 7 „
Halbe Resultate (mindestens Finger
auf 1') ' 6 pCt.
Nichterfolge 7 „
Wie anders die Resultate bei verschiedenen Klassen
von Patienten ausfallen, und seitdem ich mehr Werth
auf einen genauen Druckverband lege, sehen Sie aus
Folgendem:
V. Graefe's „modificirte Linear-Extraction" etc. 229
Beste Erfolge (Privat -Praxis) . 91, 4, 3^ 2.
Schlechteste Erfolge (Prole-
tarier) 72, 10, 4, 14.
Druckverband 84, 6, 6, 4."
Für unsere BeurtheiluDg der alten und neueren
Methode sind die vorstehenden Zahlen nicht ohne Werth:
wir entnehmen aus ihnen, dass die besten Operateure vor
25 Jahren an die Sehschärfen ihrer Extrahirten keine all
zn grossen Ansprüche machten, und dass die Resultate
der Davierschen Methode von einer Menge individueller
Eigenschaften der Patienten, die der Operateur weder be-
herrscht, noch unter allen Umständen rechtzeitig erkennt,
abhingen, während meinen Erfahrtingeti nach die Erfolge
der Qraefe'schen Methode in der Praxis der Proletarier
und in der Privat- Praxis dieselben gleich guten sind.
Je mehr solche Factoren mitsprächen, desto weniger
Werth habe, wie ich ihm unter Anderem schrieb, eine
vergleichende Statistik der Sehschärfen für unser ürtheil
über die Vorzüge und Mängel neuer Operationen. In
seiner Antwort heisst es:
Citat 3. „Ihre Bemerkungen über die Statistik der
Operations -Besul täte räume ich ein. Sie kann die
individuelle Durcharbeitung der Fälle nicht ersetzen,
allein auf sehr grosse Zahlen ausgedehnt,
behält sie immer ein gewisses Recht, da man an-
nehmen darf, dass hier eine gewisse Ausgleichung
der individuellen Verhältnisse stattfindet. Dieses
Princip hat allerdiegs für unseren Gegenstand noch
namhafte Beschränkung: ihre Extrahirten verweigern
die Discission, von meinen sind mindestens zwei
Fünftel auf einem Auge unglücklich operirt. Wir
dürfen eine Statistik nicht ä Tanglais hinwerfen,
sondern müssen gewisse, die Gesammt- Verhältnisse
betreifende Nebenmnstände angeben, damit der Leser
230 J- Jacobson sen.
sie abwägen and berücksichtigen kann. Vorher dia-
gnosticirte Amblyopien und GlaskOrperleiden wfirde
ich aus der Statistik der Cataracten ausscbliessen,
wie ich es früher mit Myopie that, jetzt unterlasse,
da ich nicht finde, dass durch Sclerectasia posterior,
selbst mit circumscripten Glaskörpertrübungen, die
Sehscharfe erheblich leidet. Von den nicht erkenn-
baren Complicationen (Thränensackleiden, Marasmus,
Alkoholismus) müssen wir bei sehr grossen, nicht
detaillirten Zahlen (und nur solche haben Werth)
auf eine gewisse Ausgleichung rechnen. Im üebrigen
zähle ich nach der Sehschärfe, bezeichne als Yolle
Sehschärfe etc. etc.
Es wäre eine ophthalmologische Zusammen-
kunft, um bezügliche Normen aufzustellen,
eine sehr schOne Sache."
Sehr grosse Zahlen! Bestimmte Normen! Nach ge-
meinsamem Plane festgestellte Schemata, nach denen jeder
Beobachter seine Resultate zu schätzen habe! Wie der
Leser sieht, befand ich mich neulich in guter Gesellschaft,
als ich an anderem Orte die Möglichkeit einer wissen-
schaftlichen Pathologie ohne ein durch gemeinsame, plan-
mässige Arbeit geschaffenes Fundament von Beobachtungen
bezweifelte. So oft man auch eine entscheidende Statistik
von uns verlangt oder selbst in Aussicht stellt, es sind
leere Worte, Phrasen, um wissenschaftlich zu scheinen,
denn ein Menschenleben reicht für die grossen Zahlen, die
wir brauchen, nicht aus. Extractionen sind zu complicirte
Objekte, Operateure zu verschiedenartige Subjekte; nur
grosse Massen von Resultaten gestatten, diese und viele
andere Fehlerquellen zu ignoriren.
Da ich bei der Statistik bin, noch ein Wort über
ihren Gebrauch oder Missbrauch in unserer Disciplin!
Bequem ist's schon, während Andere sich bemühen, die
V. Graefe*s «»modificirte Linear-Extnction * elc 231
wichtigsten Aufgaben ihres praktischen Benifes der LOsosg
näher zu bringen, die Hände in den Schooss la legen ond
nachträglich mit überlegenem Lächeln fibereinstimmende
Besultate ehrlicher Arbeit nidit anzuerkennen, «weil die
Zahlen f&r eine Statistik zu klein sind**, iber man glanbl
den Richtern nicht mehr. Wie man tot Jahren hinter
dem vornehm spöttelnden Nihilismus in der Thenpie
bald die klinische Impotenz diaguosticiren lernte, so sind
«s heute nur noch wenige Unerfahrene, die an kritischen
Ernst glauben. Erhalten wir auf eine so nnzweideotige
Frage, wie „Heilung oder Yereiterung**, im wieht^sten
Oebiete unserer Chirurgie, der Staar-Extraction, nicht
genug brauchbare Zahlen-Bescheide, anstatt dnes Theiles
derselben, aber von bewährten, klinischen Beobachtern ohne
Ausnahme die gleichlautende Antwort, „es sei dnidi eine
neue Methode die Zahl der Eiterungen sehr erheblich rer-
mindert worden", so lassen wir (eigne Er&hrangen Tor-
bebalten) unser Urtheil und ihm entsprechend unser
Handeln durch Vertrauen auf den durch lange üebong
geschärften Blick und das treue Gedächtniss herromgender
Kliniker unbedingt bestimmen, lassen uns aber nicht ein-
fallen, zwischen ihren Angaben und beliebigen Empfeh-
luDgen längst begrabener, neu auferstandener „Ent-
deckungen'* zu schwanken, „weil beide statistisch nicht
bewiesen sind".
Man firagte deshalb in jener Zeit nicht danach, ob zu-
sammenhanglos aufgestellte Tabellen unserer besten Kliniker
für eine entscheidende Statistik der Eiterungen unbrauchbar
seien, man Hess die Wenigen, die zweifelten, wdl sie kerne
Erfahrung hatten, bei Seite liegen, und hielt sich an das
Crtheil, das mit jedem Jahre neu bestätigt wurde: die
Verminderung der Hornhaut-Eiterungen nach der Extraction
auf 2 Procent sei ein bisher unerreichtes, theiapeutisdies
Resultat
232 J- Jacobson sen.
Die neue Methode vereinigte die Iridectomie, das
Chloroform und den peripheren Schnitt. Graefe^s
Zustimmung zur Iridectomie, die gerade er nnter gewissen
umständen mit der Extraction zu verbinden empfohlen
hatte, hielt ich fflr sicher, den peripheren Schnitt mit
Bücksicht auf viel erprobte, periphere Iridectomien ebenfalls ;
wegen des Chloroforms, gegen das er ebenso, wie Arlt, des
Erbrechens wegen sich energisch erklart hatte, fürchtete
ich trotz seiner Freiheit von Vorurtheilen eine ablehnende
Kritik. In Allem hatte ich mich getäuscht.
Schon in seinem ersten Briefe heisst es:
Citat 4. „Dass Chloroform nicht nur zulässig ist,
sondern so vortreffliche Dienste leistet, hat mich ausser-
ordentlich interessiii). Ich gestehe, dass ich das Mittel
mehr für das Allgemeinbefinden der marastischen Sub-
jecte, als für das Auge gefürchtet habe, werde mich
aber mit Freuden eines Besseren belehren."
Leider wurde Nichts aus der Freude der Selbstbeleh-
rung, Einen Theil des Winters 1863 versuchte er, bei
anderen Augen-Operationen die Narcose zu erlernen, nahm
auch in den ersten Monaten des nächsten Jahres die Ver-
suche wieder auf, aber das constante Resultat nach längerem
Chloroform-Einathmen war : ein Migräne-Anfall. Von einer
Beurtheilung meiner peripheren Extraction nach eigenen
Erfahrungeu konnte unter solchen Umständen natürlich
nicht die Bede sein, und doch wollte er nicht sofort darauf
verzichten. Einige Monate nach meiner Heimkehr vom
Heidelberger Congresse des Jahres 1864 wurde mir in einem
längeren Briefe folgende Frage über Chloroform, die letzte^
vorgelegt:
Citat 5. „Noch eine Frage in Betreff Ihrer Extractions-
Methode, welche ich zwar versuchen möchte, allerdings
nicht in allen Fällen, sondern in der Oruppe, wo
mir die Nachtheile der difformirten Pupille
T. Graefe's „modificirte Linear-Extraction'' etc. 233
irrelevant scheinen! Glauben Sie in der Tfaat, dass
man bei Beibehaltung der übrigen Nebenumstände
sich bei einer guten Assistenz nicht des lästigen und
zeitraubenden Chloroforms enthalten könne? Sie kennen
die Verhältnisse, unter denen ich hier operire, und
ich bitte Sie, mir mit Bezug auf dieselben eine ganz
unumwundene Meinung auszusprechen."
Wie oft hatten deutsche Autoren sich in der grossen
Chloroform-Frage auf Graefe's und Arlt's entschiedene
Opposition gestützt, und wie oft hatten flüchtige Leser
unserer Fachliteratur und oberflächliche Kritiker gegen
jeden, der zu beliebigen Zwecken eine Iridectomie empfahl,
behauptet, „Graefe habe sehr früh schon in die Extraction
als zweites Tempo die Iridectomie eingeführt'', oder die
„Empfehlung der Iridectomie" (gleichviel wobei und zu welchem
Zwecke) „sei natürlich nicht neu, sondern von Graefe
entlehnt". Und doch hatte Graefe nicht nur privatim, wie
in obigem Citate (1864), sondern bald nach Mooren' s
Publication 1863 sich in Zehender's „Monatsblättern" in
einer nur zu diesem Zwecke geschriebenen langen Anmer-
kung dahin geäussert, dass man „in vielen Fällen minde-
stens etwas Ueberflüssiges thue, wenn man bei jeder Ex-
traction ein Stück Iris entnehme."
An die Gefahr des Chloroform-Erbrechens glaubte er
natürlich ebenso, wie Arlt; beide wären sonst nicht so
energisch dagegen aufgetreten, aber bei Beiden kam ein
subjectives Moment hinzu, bei Arlt die Sorge für das Leben
des Kranken im Stadium der Excitation, bei Graefe die
Intoleranz seiner Kopfnerven gegen den Geruch. In
schlimmen Fällen oder bei sehr schmerzhaften Operationen
(ExRtirpation recidivirter Orbital-Tumoren, Exstirpatio bulbi
nach der alten Methode etc.), ordneten sie beide ein vorüber-
gehendes Unwohlsein der Sorge für ihre Kranken unter;
was sie aber in der Extractions-Frage zu „rationellen"
234 J* Jacobson sen.'
Gegnern des Chloroforms gemacht hatte, waren nicht Er-
fahrungen über Gefahren des Chloroform - Erbrechens,
sondern Erfahrangen über ihre subjectiven, unüberwindlichen
Empfindungen gewesen.
Chloroform und Iridectomie sollten in meinem
Sinne nicht direct die Extraction erleichtem, sondern in-
direct durch Beseitigung der mit peripheren Lappen ver*
bundenen Gefahren die Vorzüge derselben für die Extraction
ohne Nachtheil nutzbar machen. Die Form und mehr
noch der Ort des Lappens waren die Neuerungen, von
denen ich das Heil erwartete. Graefe hatte über beide keine
eigenen Erfahrungen, sträubte sich aber dagegen, die periphere
Lage des Lappens als directe Ursache der günstigen Be-
sultate gelten zu lassen. Die drei folgenden Citate aus
den Jahren 1863 (zwei Jahre, bevor er mit einem eigenen
Verfahren heraustrat) bis 1866, als er ein Jahr hindurch nur
linear extrehirt, aber noch Tractions-Instrumente beibehalten
hatte, — und 1868, als ich ihm den ersten Bericht über
meine Erfahrungen mit seiner Methode geschrieben hatte,
habe ich aus einer grösseren Zahl von Briefen, in denen es
sich neben verschiedenen Details hauptsächlich um die
Wirkung seines „linearen'* Schnittes, um die Heilung im
Scleralborde und um spontanen Linsenaustritt handelte,
ausgewählt, gewisserroassen als Grenzsteine, die den An-
fang einer aus eigener Beobachtung gewonnenen, neuen
Ueberzeugung markiren.
Einen kleinen Irrthum von seiner Seite, den ein Blick
in meine erste Publication sofort berichtigt, darf ich nicht
übergehen, weil er sich, wie Cit. 8 zeigt, bis in*s Jahr 1867
hineinzieht. Nach ihm wäre ich von der günstigen Wand-
heilung im Scleralborde ausgegangen und so zum peripheren
Lappen fortgeschritten, in Wirklichkeit aber war ich von
meinen Beobachtungen über die traumatische Reaction des
Davierschen Lappens ausgegangen, von der Quetschung des
Lappens beim Durchtritt der harten Linse durch eine zu
V. Graefe's ^modificirte Linear-Extraction" etc. 235
kleine OefhuDg, hatte deshalb den Lappen in die Grenze
gelegt und schliesslich aas einer grosseren Zahl der neuen
Extractionen die üeberzeugung von der günstigeren Heilung
peripherer Wunden gewonnen.
Einen zweiten, nur in dem ersten Citate enthaltenen
Irrthum hatte ich selbst durch ungenaue Beschreibung des
Lappenschnittes verschuldet. Es konnte nämlich nach meiner
Darstellung scheinen, als sei mein Schnitt ein scleraler
gewesen, weil er oft an der Spitze in einen weissen Saum
auslief. Der Sachverhalt ist folgender: Bei eben reifen,
stark in der Mitte gewölbten Cataracten und enger, vorderer
Kammer lässt sich mit einem' breiten Messer nur geiau
richtig contrapunctiren, wenn man, sobald die Spitze die
Hohe der Papille erreicht hat, dieselbe etwas rQckwärts
gegen die tiefer liegende Corneoscleral-Grenze richtet. Fliesst
bei dieser geringen Veränderung der Operations - Ebene
Humor acqueus ab, so legt sich die vortretende Iris auf
die Schneide, wenn man das Messer nicht sehr schnell vor-
schiebt und gleichzeitig der Schneide durch geringe Drehung
des Instrumentes um seine Längsaxe eine Sichtung gegen
die hintere Wand der Cornea giebt. Beim weiteren Vor-
schieben und Zurückziehen wird dann die Cornea schräg
durchschnitten, die innere Wunde liegt relativ hoch, die
äussere pflegt ein etwa Va— V* ™™ breiter, oberflächlicher,
Streifen der Sclera einzusäumen. Die Oeffnung für die
Linse kann trotz der peripheren Lappengrenze auf diese Art
bedenklich klein werden, die Cornea heilt gut, wie bei
schlechten Lanzenschnitten, der Band, wie nach Iridectomie.
In meiner Schrift war ich über den ganzen Hergang fort-
gegangen und hatte nur den weissen Saum erwähnt. Natür-
lich musste ein Missverständniss die Folge sein.
Gitat 6. „Sie heben als Hauptpunkt die Lage des Lappens
hervor. Ich stimme nach sorgftltigem Durchdenken
Ihrer Schrift hiermit vollständig überein. Vielleicht
236 *^- J&cobson sen.
hätten Sie es im Werke noch mehr in den Vorder-
grund stellen sollen. Sehr wichtige Fragen sind nun:
1. angenommen, dass ein nach Ihren Priocipien ver-
richteter Schnitt anch fernerhin noch bessere
Besnltate giebt, liegt es daran, dass in der That
in diesen peripheren Theilen wegen der anato-
mischen Structur an sich bessere Heilvorgänge
stattfinden, oder fährt man deshalb besser, weil
die Linse vollständiger, leichter, mit geringerer
Spannung austritt?
2. Weicht der Schnitt noch weiter von der äussersten
Grenze ab, als einige Autoren ihn bisher an-
genommen haben? In Deutschland wird meist
für die äussere Wunde Va'" von der Scleralgrenze
angegeben, meinen Messungen nach mehr, als
1'" für die innere Wunde. Bei einigen Autoren
wird aaf die Durchmesser der Hornhaut BQcksicht
genommen (Chelius verlangt V*'" bei grosser,
Va'" bei kleiner Cornea) und im (Janzen der
Schnitt viel grosser beschrieben. In England sind
im Allgemeinen seit TyrreVs Zeiten die grossen
Schnitte mehr im Gebrauch (T. selbst sagt: „the
surgeon should introduce the point of the knife
through the Cornea close to its junction with
the sclerotic withont however touching the latter).
Bei Lawrence heisst es: „carrying the section
along the edge of the comea as near, as may be
the sclerotic coat".
Machen Sie ihn nun noch grösser? Nach Ihrem
Briefe mochte ich es fast glauben; denn Sie sagen:
es ist gar nicht von Wundheilung in der Comea die
Bede, sondern viel eher der vorderen Sclera und
Bindehaut, fast ähnlich, wie bei der Iridectomie''.
Diese Bemerkung hat mir noch einige Zweifel zurück-
geUssoL Fällt der äussere Schnitt in die Seiend*
Grenze, so liegt der ganze Schnitte abgesehen Ton der
CoDJnnctiTal- Wände, in der Cornea« Ich mochte
wissen, ob Sie lU>erhaupt, abweichend za früheren
Torschriften, in die Sclera selbst und zwar in eine
namhafte Tiefe derselben (mehr, als ' a '^0 ^i^*
gehen. Ich werde letzteres ohne Ihre aasdrückliche
Versicherung kaum annehmen, weil ich finde,
dass Scleralwunden im Allgemeinen lang*
samer und in mancher Beziehung schlechter
heilen.*)
Es lag in Graefe's wahrer Natur, dass, so sehr die
Widmung meiner Schrift ihn erfreut zu haben, so viel
persönliches Wohlwollen aus seinem Briefe zu sprechen
schien, auf die Eiitik des Verfahrens doch keine Spur
davon überging. Die Resultate seien wegen möglichen
Einflusses der Methode auf das Sehvermögen zu prüfen,
Iridectomie wünsche er keineswegs obligatorisch, solerale
Wunden heilten schlechter, als corueale, der periphere
Schnitt könne vielleicht indirect durch Erleichterung dos
Linseodurchtrittes nützen **); das Chloroform, dessen
Brauchbarkeit ihn „lebhaft interessirf' habe, schien noch
am ehesten Gnade gefunden zu haben.
Drei Jahre später, nachdem er seine eigne Methode
ein Jahr hindurch kennen gelernt und die Verläufe genau
beobachtet hatte, lautete sein Urtheil günstiger:
*) Vielleicht wird Schweigfger aus dem Charakter dieser
mit derselben Gründlichkeit Jahre hindurch fortgeführten Corre-
spondenz eine Vorstellung bekommen, wie psychologisoh unver-
btändllch es wäre, wenn ich ihm gegenüber eine wissenschaftliche
£rörteraDg gerade über die Linear-£xtraction sum Vorwande ge-
nommen hätte, nm, wie er neulich in der „Deutschen Mediiiual«
Zeitung" geäussert hat, mich wieder einmal öffentlich hüren cu
lassen.
**) Das war allerdings, wie soeben bemerkt wurde, auch
«neine Ansicht.
238 J* Jacobson sen.
Gitat 7. „üeber das Verfahren habe ich seitdem meine
Erfahrangen bereichert und m&chte wohl, dass Sie
gelegentlich von demselben Notiz nfthmen.
Schon über 100 Operationen waren glücklich ver-
laufen, als das erste Auge zu Grunde ging; es war
eine doppelseitige Extraction, auf der einen Seite
Heilung völlig günstig, auf der anderen nach sehr
normaler Operation eitrige Glaskörper - Infiltration^
später PanOphthalmitis. Nachher hat sich wieder
eine Beihe günstiger Resultate angesammelt. Sollt«
nun auch in diesen Zahlen der Zufall trügen, was
sehr -leicht möglich ist, so würde sich die Sache doch
durch die Baschheit der Heilung, die geringe Nach-
behandlung etc. für die Bequemlichkeit der Fach-
genossen äusserst empfehlen. Ich bin früher, als
ich glaubte, zu der Haupt -Thesis Ihrer
Methode, zum Vorzüge peripherer Schnitte,
gekommen, in welchen unsere beiden Ver-
fahren congruiren, würde auch in meinen
Publicationen oft und gründlich darauf ein-
gehen, allein ich fürchte mehr und mehr, Ton
Dingen zu reden, die ich nicht durch eigene
Anschauung kenne."
Das nächste, letzte Citat ist die kleinere, erste Hälfte
eines vom 9. März 1868 datirten Briefes, dessen zweite
Hälfte sich nicht zur Veröffentlichung eignet. Auch den
letzten Satz, dessen Publication mir irgend ein wohl-
wollender Leser als Prioritäts-Beclame auslegen konnte,
würde ich unterdrückt haben, wäre es mir nicht gerade
darum zu thun gewesen, an einem von vielen Beispielen zu
zeigen, wie ausserordentlich praktisch Graefe widerwärtigen
Prioritäts- Streitigkeiten auswich: er wartete keine Becla-
mation ab, sondern gab öffentlich und privatim seinem
„Concurrenten" mehr, als ihm gebührte, und, so viel es
T. Graefe 8 „modificirte Linear-Extraction'* etc. 239
anging, noch von dem Seinigen dazu. An seinem linearen
Schnitte hielt er übrigens aus Gründen, die folgen werden,
noch die beiden letzten Jahre bis zu seinem Tode fest,
neigte aber je länger, desto mehr dazu, die periphere Lage
für unentbehrlicher, als die Form, zu halten.
Nach dem 6. Citate habe ich kurz angedeutet, dass
Graefe 1863 von meinen zum Theil bezweckten, zum
Theil durch die Lage des Schnittes erzwungenen Aende-
rungen keine beif&llig aufnahm. Wie wir oben gesehen
haben, lag zwischen dem Frühjahr 1863 und 1865 Nichts,
was ihn zu Gunsten meines Verfahrens gestimmt hätte,
aber der letzte Weg, auf den er nach der Londoner Heise
„gedrängt" wurde, führte im Princip zu meinen 1863
empfohlenen grossen, peripheren Schnitten, als deren un-
vermeidlicher Consequenz zur Iridectomie.
Gewiss wird Mancher, der post festum auf die Ent-
wickelung der Operation zurückblickt, es sonderbar genug
finden, dass wir so viele Jahre gebraucht haben, um die
elementarsten Regeln der Chirurgie, die jedem Anfänger
aus der Lehre von der Extraction eingedrungener Fremd-
körper bekannt sind, für die Ophthalmologie zu verwerthen,
aber es sollte nicht vergessen werden, dass bis zum
Jahre 1865 nicht lineare Schnitte, sondern dünne Lappen
gebräuchlich waren, und die Furcht vor Necrose solcher
gefässloser, stark gefalteter Lappen sich wohl rechtfertigen
liess. Schon bei den ersten Versuchen, dieselben durch
klaffende Schnitte zu ersetzen, drangen Wald au und
Graefe auf grössere Incisionen, die Engländer folgten,
aber Alle hatten die ungünstige, anatomische Beschaffenheit
der Hornhaut zu wenig in Rechnung gebracht.
Heute ist das verkehrte Problem, das bis 1863 allein
dominirt hatte, stillschweigend aufgegeben, als ob es nie
existiit hätte« Man sucht nicht mehr grosse Lappen durch
kleine Incisionen zu ersetzen, sondern lässt nur diejenigen
Incisionen gelten, die eine leichte Linsenentbindung ge-
2^ J. Jacobson Ben.
statten, gleicfaviel wo sie liegen, und wie sie geformt sind.
Es giebt deren zwei: Qraefe's Linearscbnitt und den peri-
pheren, nicht zu hohen Lappen, von denen der letztere,
seitdem wir die Wirkung des Eserins kenuen, oft ohne
Iridectomie zum Ziele fahrt. Die neuen Methoden wurden
bald erlernt und praktisch erprobt, zu bald: denu man
Hess sich nicht Zf'>* ■•"■■"> '/»"■Ir '" howroifon An riliua
Eile sind die Wot
neale Schnitte" ad
eine ungünstige F
Citat 8. „Liel
lege ich auf
im Allgemeii
tractions-Fri
mir, dass w
stehen, und
taten von i
langt, ein di
auf Abwegen
Ich bin i
Schnittes a
geräumige!
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dass ich mi
mischen Vo
Allein nothfl
Erfahrungen
Erprobten
Dass sich
Wunde und
Hessen, gab i
Sie ginget
Heilbedingan
selben nicht
Y. Graeie'8 „modificirte Linear-£xtraction" etc. 241
man nicht beide Augen krampfhaft schliesst, — als
indem Sie selbst unter Beibehaltung der unnütz
klaffenden Schnittform höchst selten üngltlcksfälle zu
beobachten hatten. Dass Sie sich mit der Be-
schränkung der Schnittform, so lange sie einen spon-
tanen Linsenaustritt zulässt, einverstanden erklären,
entspricht Ihrem klaren und vernünftigen, chirur-
gischen Sinne. Das kann nicht anders sein. Es is^
mir aber ausserordentlich lieb, wenn auch Sie
die Nothwendigkeit, im Scleralborde zu bleibeni
recht betonen; denn, wenn wie A, B und Andere
machen, der Schnitt wieder mehr durch die
Hornhaut geführt wird, und wenn, wie C es
wohl nächstens machen wird, hierauf wieder
eine besonders Heil bringende Modification
begründet wird, so kann es nicht fehlen,
dass die Operation wieder einen Theil ihrer
Vortheile verliert.
Ich bin jetzt mehr, denn je, von der Noth-
wendigkeit, im Scleralborde zu bleiben, überzeugt.
Für meine Eitelkeit wäre es ja vielleicht schmeichelnder,
wenn lediglich die Linearität der Wunde entschiede,
aber da ich meine grosseste Eitelkeit in die
Wahrheitsliebe setze, so wird mir auch von diesem
Standpunkte die Wahl nicht schwer, ja es gereicht
mir noch zur besonderen, subjectiven Freude, — und
Sie müssen es bei meinen betreffenden Ausfuhrungen
durchgefühlt haben — , Sie als meinen lieben und
verehrten Freund auch als Mitarbeiter der, wie ich
hoffe, bleibenden Staaroperations- Methode anzufOhren.
Wenn etc. etc."
Soll ich an diesen letzten Brief Schweigger 's Worte
Ober das Verhalten der Zeitgenossen und Epigonen zu
Graefe*s Warnung anknüpfen, so lässt sich ein schärferer
▼. Gnefe'D Archiv fUr Ophthalmologie, XXXIV. 8. 16
242 J* Jacobson sen.
Contrast kaum denken, als der, in dem die unmittelbar
an einander grenzenden Extractionen des siebenten vor-
geschrittenen und des sechsten, von finsterem Iridectomie-
Glauben beherrschten Jahrzehnts erscheinen; die ersten,
von der neuen, nur mit den Augen aufgefassten Linear-
Extraction ausgehend, sogenannte Modificationen (Ver-
besserungen) derselben, in Wirklichkeit zum Theil Zeugnisse
für ungenügende Bekanntschaft mit dem Originale, zum
Theil ohne Wissen der Autoren Verschlechterungen
älterer Operationen, die letzteren von scharf definirten,
begründeten Hypothesen ausgehende, in jedem Tempo
durchdachte, den Hypothesen genau accommodirte Methoden,
die auch durch ihre Fehler nützen, weil man damals
Operationen nicht nur beobachtete, sondern auch zu be-
greifen versuchte.
Näheres über die ^^Verbesserungen".
In Schweigger's Rede beisst es wörtlich: „von
Anfang an traten Klagen auf über die nicht
reichende OrOsse des Schnittes, man sah sich
gedrängt zu einer grosseren Schnittführung, all-
mählich gewöhnte man sich daran, unter falscher
Flagge zn segeln^ redete immer noch vom Linear-
schnitte, der mehr und mehr aus der Sclera in
die Cornea verlegt und mehr und mehr zum
Lappenschnitte wurde. Ich selbst war schliesslich
zu einem Lappenschnitte von 3 bis 4 mm Höhe im
Limbus conjunctivae corneae gekommen etc.
Da Schweigger sich an der schlimmen Segelpartie
nach eigner Aussage betbeiligt hat, will ich glauben, dass
er im Namen Vieler spricht, — aber wenn den Collegen
der Schnitt zu klein erschien, was er keineswegs ist, so
rausste doch jeder wissen, dass durch zwei minimale
Scheerenschnitte solchen üebeln abzuhelfen ist, und wer
y. Graefe'B „modificirte Linear-£xtraction" etc. 243
es nicht wusste, der hätte es 1864 von Critchett lernen
können. Musste man deshalb trotz Graefe's Warnung
sofort comeal werden, d. h. den unbrauchbaren Lanzen-
schnitt der Engländer, wegen dessen Graefe in die Sclera
ging, mit dem schmalen Messer machen? Und wenn man
noch cornealer, etwa wie Schweigger, in den Limbus ging,
hatte man dann ganz vergessen, dass man meine Methode
mit schlechtem, zu kleinem Lappen copirte? Schweigger
konnte man allenfalls entschuldigen; denn er war Einer
der Kritiker, die schon 1863 die Vorzüge des streng ver-
botenen, peripheren Lappens nicht gemerkt hatten, aber die
anderen kühnen Schiffer?
Es wäre ungerecht, wenn man den CoUegen des
siebenten Jahrzehnts, die anstatt der Linear - Extraction
ihre eigenen „Modificationen*' einzufahren suchten, das
,,Segeln unter falscher Flagge'' sachlich zum Vorwurf
machen wollte. Man hat oft genug gezögert, ehe man ein
altes Nomen proprium durch ein neues ersetzte, aber
persönlich gegen Graefe war es unbewusst pietätlos
gehandelt, dass man seine Operation nicht verbreitete und
statt dessen Abarten unter seinem Namen publicirte, in
denen weder Graefe*s Ideen, noch überhaupt eine Idee zu
erkennen war.
Die falsche Flagge hätten wir uns schon gefallen
lassen, aber dass man es nicht der Mühe für werth hielt,
den richtigen Weg, auf den Graefe soeben hingewiesen
hatte, genau einzuhalten, dass nach wenigen unglücklichen,
Erfahrungen die Aelteren, ehe sie sich an das „Besser-
machen*' wagten, nicht vorzogen, Graefe zu interpelliren,
dass die Jöngeren bald nach rechts, bald nach links auf
gut Gluck abwichen, — das war kein Fortschritt gegen
die sechziger Jahre.
Hätte man nur Graefe's so eben publicirte, unwider-
legliche Einwände gegen die grossen, linearen Hornhaut-
schnitte der Engländer gelesen, so wäre man im schlimmsten
16*
244 J* Jacobson sen.
Falle vielleicht vorübergehend ein wenig „cornealer" ge-
worden, hatte aber doch den armen Ophthalmologen erspart,
die Gesetze der Mechanik durch Glauben an eine Cornea
zu überwinden, durch deren tief liegende Spaltöffnung eine
vertikal aufwärts gehobene Cataract austreten soll.
Graefe gegenüber ein Missverständniss Öffentlich aus-
zugleichen, wäre leicht genug gewesen; denn gewissenhafter
als er, wird kaum ein Praktiker bemüht gewesen sein, Yor-
urtheile abzulegen, die Verbreitung eigner Irrlehren zu in-
hibiren; während die Anhänger der neuen Methode sich an
seine Vorschriften und ihre eigenen Variationen um so fester
klammerten, je verkehrter dieselben waren. Der Leser er-
innert sich einiger Citate, nach denen Graefe 1863 meinem
peripheren Lappen Nichts weniger, als Vertrauen, entgegen
brachte und trotzdem schreibt er nach iüni^ahrigen Erfah-
rungen, „man müsse beide Augen krampfhaft schliessen,
um die Vorzüge des Schnittes nicht zu sehen".
Schweigger war einer der Beferenten, wenn nicht
gar Kritiker, die 1863 von dem peripheren Lappen noch
Nichts merkten, wenn sie auch von ihm lasen, die also eine
mehr passive Stellung einnahmen, und doch beschwert er
sich über „Jacobson, der nun schon 25 Jahre die bessere
Heilung im Sderalborde rühme, ohne Beweise zu bringen".
Liegt es an mir, dass die Zeitdifferenz, um einfache Con-
sequenzen richtiger Beobachtungen zu begreifen, zwischen
Graefe und Schweigger mehr als 20 Jahre beträgt?
Eine Schuld trifft meiner Ceberzeugung nach in dieser
Unklarheit einer einfachen Sache der Beobachtung nicht ein-
zelne Personen, sondern die lange Vernachlässigung der kri-
tischen Forschung in unserer praktischen Pathologie. So lange
es möglich ist, dass die einzige Kritik über prindpiell
wichtige, therapeutische Fragen von jungen Medicinem
geübt wird, so lange dürfen wir uns nicht wundern, wenn
in unserer Operationslehre der alte, classische, seit 20 Jahren
beseitigte Daviel immer noch die erste Bolle spielt, und
V. Graefe*8 ^modificirte Linear-Extraction" etc. 245
die Mehrzahl nicht weiss , warum mit ihm gebrochen
worden ist.
Dass die Frage, ob corneale Schnitte allein erlaubt^
periphere zu beseitigen, ob beide zu dulden, oder die cor*
nealen zu verwerfen seien, dass diese Frage auf die Tages-
ordnung gebracht worden und dass sie wichtig sei, daran
hatte eine wissenschaftliche Kritik erinnern müssen,
25 Jahre Beobachtungszeit würden dann wohl geeignetes Ma-
terial zur Entscheidung der Sache dargeboten haben. Dann
wären der Ophthalmologie die traurigen 20 Jahre der linearen
Modificaüonen erspart geblieben, und die Aeusserung hätte
nicht gethan werden können, dass wir uns — mit Bezug
auf den Streit zwischen Hasner und Graefe — zur Zeit
der Linear -Extraction in einer vollkommenen Bück-
wärtsbewegung befanden.*)
Für die erste Aufnahme der Linear-Extraction war der
Streit um die Heilung im Scleralborde gleichgültig. Der
Name Graefe, das Vertrauen in sein therapeutisches Genie
fiel schwerer in's Gewicht, als Hypothesen und sogenannte
Beweise, vor Allem zweifelte kein Praktiker: „die Sup-
puratio corneae war seltener geworden". Wiederum schien
das ,Jurare in verba magistri" einem solchen Magister
gegenüber nicht das Unverständigste gewesen zu sein. Man
bemühte sich, nach Graefe linear zu operiren, und fragte
nicht nach den Ursachen der guten Resultate.
Als aber am Schlüsse des nächsten Jahres Graefe
geneigt war, die unverändert günstigen Besultate seiner
Operationen mehr noch auf die sclerale Lage, als auf die
lineare Form der Schnitte zu schieben, die Anderen, mit
den Erfolgen ihrer Operationen nicht so vollkommen zu-
frieden, nach den Ursachen der häufiger gewordenen Cyclitis
forschten, da strafte sich die Indifferenz gegen die fünf
Jahre vorher aufgeworfene Frage. Um den 1863 empfohlenen
*) BerL klin. Wochenschrift 1887, No. 34.
246 «^« Jacobson sen.
Lappen hatte man sich nicht gekammert, — Graefe*s lange
erwartetes, subtiles Verfahren hatte man trotz seinen ersten
Mängeln mit offenen Annen aufgenommen, hatte die Ab-
nahme derHomhauteiterungen sofort constatirt, — wie Wenige
mögen unter diesen Umständen den fast pedantisch ein-
gehenden Text der 6raefe*schen Abhandlungen, seine
Polemik gegen die cornealen Linearschnitte studirt und
vor Allem ihr eigenes Operiren einer strengen Censur unter-
worfen haben! Nahe genug lag eine solche SelbstprOfung;
denn man konnte von der alten Bxtraction her wissen, dass
kleine Schnitte, ungenügende KapselOffnungen etc. es sind^
von denen Iritis, Irodocyclitis ausgeht.
Anstatt dessen machte man sich das Ding leichter.
Sclera und Corpus ciliare seien am Scleralborde zu nahe
Nachbarn, meinte man; nur 2 bis 3 mm mehr abwärts,
dann habe man immer noch Ein- und Ausstich in der Sclera,
der grösste Theil des Schnittes aber sei dann comeal, wie
Daviers, bei dem es keine Cyclitis gegeben habe, auch
werde die geringe Entfernung bis zum Scleralborde keinen
erheblichen Unterschied in der Heilung machen, nicht viel
bedeuten.
Das war der Anfang vom Ende! Graefe warnte
vergebens, man möge, wenn die Operation nicht all* ihre
Vorzuge verlieren solle, im Scleralborde bleiben, — nur,
weil er sich in London überzeugt habe, dass auch grosse,
lineare Schnitte in der Cornea zu wenig klaffen, Scheere
und Löffel helfen müsse, sei er in den Scleralbord gegangen,
— es war umsonst, man war „etwas cornear* geworden und
blieb dabei nach seinem Tode.
War es zu verwundern, dass bei dieser wissenschaft-
lichen Bedürfnisslosigkeit immer noch die Daviersche Me-
thode am Buder blieb, secundirt von unbekannten, ver-
besserten Linear-Extractionen, gegen die Graefe energisch
protestirt hatte, für die Niemand ein verständiges Wort
anzufahren wasste?
▼. Graefe*8 ^niodificirte Lütear-Extraction" etc. 247
Nnr zweimal hatte es den Anschein, als hatten die Gegner
der peripheren Schnitte Gründe gesucht, um ihr „Modificiren"
zu rechtfertigen, — leider Gründe, welche die gegenwärtige
klinische Methode in noch traurigerem Lichte zeigen, als
die begründeten Resultate, zu denen man gelangt ist Sie
dürfen nicht ignorirt werden.
Unzweifelhaft hat der Leser eingesehen, dass es die
periphere Lage des Lappens war, durch die ich vor langer
Zeit die Zahl der Lappeneiterungen reducirt habe, dass
es der sclerale Schnitt war, dessen Nachgiebigkeit in
Graefe's Methode die Gataract-Entbindung erleichterte.
Auf die Verschiedenheit dieser Incisionsstellen von
ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, der gefäss-
losen Cornea und dem Gornealrande, beruht der
ganze grosse Fortschritt, den die Extraction in den
letzten Decennien gemacht hat. Dem gegenüber
meinen die Gegner, „es sei noch zu beweisen, dass der Horn-
hautrand besser heile, als die Cornea propria", zwischen
dem Scleralborde und einer 2 — 3 mm von ihm entfernten
Comeal-Zone werde wohl kein grosser Unterschied sein!'*
Die practische Chirurgie meint es gut mit den Kranken,
so manche Cataract hat ein Stück Binde nach dem andern
abgestreift und die richtige Achsendrehung gemacht, bis es
ihr gelungen ist, sich durch eine zu enge HornhautOffnung
hindurch zu arbeiten, aber die Wissenschaft fragt nicht,
ob Papier geduldig und ein sonst gesundes Auge wider-
standsfähig genug ist, um Traumen, die einem bestiomiten
Zwecke widersprechen, zu ertragen, sie denkt sich unter
Cataract-Extraction eine Aufeinanderfolge operativer Ein-
griffe, deren jeder darauf gerichtet ist, eine vollständige
Entfernung des Eapselinhaltes mit möglichst geringer Ge-
fahr für das Auge vorzubereiten, und verlangt für jeden
Theil des Ganzen den Nachweis der Zweckmässigkeit und
Gefahrlosigkeit
248 J- Jacobson sen.
Aus den sogenannten, cyclitischen Pro-
cessen (meist Folgen schwerer Linsen-Entbin*
dnng) schlössen Graefe*s Freunde, dass der
wichtigste, der Erfolg verbargende Theil
des Qraefe'schen Verfahrens ihr grossester
Fehler sei, verlegten deshalb in gutem
Glauben den Schnitt in die, wie durch Graefe
theoretisch und practisch bewiesen war, un-
günstigsi^e Stelle für lineare Schnitte, in die
Cornea.
So wurde mehr weniger corneal und scleral,
linear und mit Lappenbildung 20 Jahre lang
extrahirt, bis man Graefe's Methode (!) ver-
warf, aber die Mehrzahl wusste nicht, dass
sie ihr eigenes Verfahren beseitigte und
Graefe's Verfahren nicht kannte.
Zur Technik der Graefe'schen Extraction.
Mir wurde es nicht schwer, 1868 zur Linear-Extraction
überzugehen und meine grossen, peripheren Lappen aufzu-
geben. Leichte Entbindung der Linse durch einen grösseren,
peripheren Schnitt war das Frincip, an dem ich seit 1861
festgehalten hatte. Ein zu plumpes Verfahren aufzugeben
und eine technisch vollkommenere Methode dafür einzu-
tauschen, war kein Opfer.
Chloroform wurde mir sofort bewilligt, eine verti-
cale Iridectomie von ca. 60^ für alle Fälle, in denen die
Iris wegen der Druckverminderung in J^arcose sich nicht
ganz in den Schnitt legen sollte, wurde unter der Bedin-
gung, dass die Zahl der Vorfälle und Einklemmungen nicht
zunähme, ebenfalls zugestanden. Präparatorisch habe
ich die Iridectomie regelmässig erst nach 1870 aus-
geführt. Ihre Vortheile sind: J) Verringerung des Traumas
der eigentlichen Extraction, 2) seltenere Blutung in die
y. Graefe's „modificirte Linear-Extraction" etc. 249
vordere Kammer (der Kapsel wegen mitunter störend),
3) besseres ürtheil über die Stellang des oberen Linsen-
randes, aber die Zonula Zinnii und den Glaskörper.
Auf die Lappen-Eiterung (2 — 3 pCt.) waren die
genannten Unterstützungen ohne Einfluss, später trugen
sie entschieden dazu bei, den Krankheitsverlauf reizlos zu
machen. Dass in den ersten Jahren nach 1868 cyclitische
Processe und Glaskörpervorfall zunahmen, erklärt sich
leicht aus dem Wechsel der mir sehr bekannten gegen die
neue Methode. Seitdem es mir gelingt, den ersten Schnitt
breit genug zu machen und ein grosses Kapselstück zu
entfernen, haben „die Zufälle" aufgehört. Dank dem
Lister'schen R6gime sind seit 4 — 5 Jahren Eiterungen
der Wunde und schwere Entzündungen nie mehr vor-
gekommen, ohne dass es immer gelungen ist, bei gleicher
Vorsicht Schnitte in der gefäss losen Cornea vor Infection
zu schützen.
PanOphthalmitis ohne Wund - Eiterung, die
Schweigger, Hasner beistimmend, vom Glaskörper aus-
gehen und nicht all zu selten sein lässt, ist mir nicht
bekannt. Natürlich nehme ich an, dass Glaskörpervorfall
nicht gemeint ist; denn in diesem Falle schliesst die
Wunde nicht, Infection ist also von zwei Seiten möglich.
Jodoform giebt für die ersten Tage einen vortreff-
lichen Wund verschluss , scheint auch die cystoiden
Narben, von denen ich nie Nachtheile gesehen habe, zu
verhüten. -^ Um nicht mit Bekanntem zu ermüden, sehe
ich von der Iridectomie, die pväparatorisch gemacht sein
mag, ab. Die einfache Operation besteht dann aus drei
Akten: dem linearen Schnitte, der Kapsel zerreissung, der
Cataract- Entbindung.
Der erste Operationsakt ist von Graefe bis zur
Ermüdung deutlich beschrieben, aber, wie es scheint, noch
nicht deutlich genug. Da er die Höhe des Messers haben
soll und während der Messerdrehung beendet wird, so sind
250 J* Jacobson sen.
selbstverstftndlich sehr geringe Yarianten der Fonn mOglicb
(die Berechtigung des Wortes „linear'' vom mathenaatischen
und ophthalmologischen Standpunkte, fnr die Schweigger
in seiner Berliner Bede Interesse gezeigt hat, ist für den
Chirurgen unerheblich, übrigens von Graefe selbst in der
letzten Abhandlung dieses Archivs genügend gewürdigt)»
Der Schnitt muss drei Bedingungen erfüllen:
1. er darf vom Sderalborde höchstens % — 1 mm
aufwärts rücken;
2. er muss die breiteste Cataract um ca. 2 mm nach
jeder Seite überragen;
3. er muss bei einem vom unteren Linsenrande her
vertical aufwärts wirkenden Drucke, durch den die
Zonula und Hjaloidea nicht gesprengt wird, die
Linse leicht austreten lassen.
Anmerkung 1. Jeder Linearschnitt, der bei einem
leichtem Versuche mit dem LOffel zu wenig klafft, ist
sofort oder am Anfange des dritten Aktes durch einen bis
zwei kurze, horizontale oder leicht abwärts gerichtete
Scheerenschnitte zu vergrössem.
Anmerkung 2. Die Messerdrehung betreffend, sind
folgende anatomische Verhältnisse zu beachten: wird die
Dicke der Iris vernachlässigt, der Durchmesser der Cataract
von vom nach hinten 27« — 3 mm angenommen, wovon
höchstens 1 mm der vordere, IVa— 2 mm der hintere Pol
vor resp. hinter dem Linsenrande liegen soll, so sind diese
Zahlen zugleich die Werthe für die Entfernungen des
Messers von den genannten Punkten.
Sinkt die Cornea nach Beendigung des Schnittes und
Abfluss des Humor aqueus ein, so ändert sich nichts in
der Lage des Schnittes zur Linse, zum Glaskörper etc., —
sinkt dieselbe nicht ein, rückt also die Iris bis an die
hintere Hornhautfläche vor, die Linse hart an sie angelegt,
so entsteht zwischen dem vorrückenden Linsenrande nnd
T. Graefe*8 ^odificirte linear-Extraction" etc. 251
dem nicht nachfolgenden Processus ciliaris ein von der
Zonula überhrflckter Banm, in den sich das Corpus vitreum
einstälpi — Eine Tiefe der vorderen Kammer von 2 mm
angenommen, würde nach Abfluss des Humor aqueus der
Band der Linse 1 mm vor, der hintere Pol V2 mm hinter
einem in den Scieralbord fallenden Schnitt stehen. Ist der
Schnitt aber 1 mm zu weit in die Sclera gefallen, so steht
der Band 2 mm, der hintere Pol 1 mm vor dem Schnitt,
also dr&ngt jeder Druck die Zonula oder den Glaskörper
hinaus. Beste Ausflucht: heilen lassen und später
operiren!
Die Peripherie der Linse ist ungefthr 1 mm von der
Scleralöffnung entfernt. Wird der jetzt beliebte, corneale
Schnitt IVs — 2 mm unter den Scieralbord gelegt, so liegt
die Oefihung, durch welche die nach oben gedrängte Cataract
austreten soU, schon V^ — 1 ^^ unterhalb des oberen
Linsenrandes. — Die Corticalis muss helfen, der Schnitt
aber ist selbstverständlich so unzweckmässig, wie nur
möglich.
Anmerkung 3. Die Lage der Wunde zur Linse ist
für Synchysis corp. vitrei nicht unwichtig. Besteht
hochgradige Myopie, dabei eine tiefe vordere Kammer von
3—4 mm Tiefe, so kann nach Abfluss des Humor aqueus
der hintere Linsenpol schon weiter nach vom, als der
Schnitt, liegen. Gelingt es in diesen Fällen, so tief zu
Chloroformiren, dass die Cornea einsinkt (lässt sich auch
durch Punction einiger Tropfen Glaskörper erzielen), so
steht die Linse hinter der Wunde, und die Extraction ge-
lingt oft ohne Ausfluss von C. vitreum.
Der zweite Operationsakt ist die schwache Seite
der Methode. Hält man an dem Princip der leichten
Cataract-Entbindung fest, so ist caeteris paribus der beste
Eapselriss der, durch welchen am meisten Kapsel entfernt
wird. Deshalb kommt Knapp 's Queerspaltung parallel
252 J- Jacobson sen.
dem oberen Bande erst in Frage, wenn man auf aasgiebige
Beseitigung der vorderen Kapsel verzichten mnss. *)
Was Graefe angestrebt hat, ist mit den von ihm
angegebenen Mitteln nicht zu erreichen: die kurzen Hisse
des Cystitoms können die Linse luxiren, — bei seiner Art,
das Instrument zu führen, kann man eine weite Kapsel
durchstechen und vor sich her schieben, ohne sie zu zer-
reissen, — die sicherste Hand und das schärfste Auge
geben keine Sicherheit dafür, dass die Spitze der Fliete
auf der Kapsel bleibt, und das ist bei Graefe die
Hauptsache.
Foerster*s Pincette und ähnliche Instrumente
mochte ich nicht mehr entbehren, aber noch weniger auf
sie angewiesen sein. Folgendes Verfahren hat mich seit
Jahren nicht im Stiche gelassen. Es beansprucht keinen
Vorzug vor beliebigen anderen, die demselben Zwecke mit
Erfolg dienen. Ich verfahre mit einem gut schneidenden
Graefe'schen Cystitom, dessen Fliete nicht zu kurz sein
darf, so, als ob ich aus dem ganzen Gebiete der nicht von
Iris bedeckten Kapsel ein unregelmässiges Viereck um-
schneiden sollte, dessen obere Seite die beiden langen, vom
*) Schweigger hat im vorigen Jahre in dem von Knapp
und ihm herausgegebenen Archiv aus dem Vergleiche von etwa
je 60 Fällen, in denen die Kapsel nach verschiedenen Methoden
bebandelt wurde, ein günstiges Urtheil über K/s Methode gefällt.
Ich kann dasselbe weder bestätigen, noch widerlegen, mnss aber
bemerken, dass ans Schw/s Versuchen nichts folgt Angenommen,
aber nicht zugegeben, dass es Operateure giebt, die etwa ein
halbes Dutzend Kapselschnitte gleich vollkommen machen, so
hängt die schliessliche Form eines gewöhnlichen Kapselrisses be-
kanntlich von der Linse, i icht vom Operateur ab, und die Re>
traction der Kapselzipfel ist so enorm verschieden, dass gerade
diese Verschiedenheiten nur durch sehr grosse Zahlen zum Ver-
schwinden gebracht werden könnten. — Knapp*» Methode lässt
sich nur mit der Abtragung der Kapsel, die constante Resultate
schafft, vergleichen. Die gewöhnlichen Zerreissungen und Zer>
schneidungen hängen von zu viel Factoren ab.
Y. Graefe's „modificirte Lisear-Extraction" etc. 253
unteren Pupillenrande längs den Golobom- Schenkeln bis
etwa 1 mm unter den oberen Linsenrand aufsteigenden
Schenkel verbindet, während die untere längs dem unteren
Bande der Pupille hinzieht Der Gebrauch des Instrumentes
ist folgender:
Bei der EinfCQirung liegt die Fläche der Fliete auf
der vorderen Kapsel, bis der Ort eines unteren
Winkels erreicht ist, — dann wird die Fliete senk-
recht auf die Kapsel gestellt, bis die Spitze durch-
dringt (meist an einem austretenden Bindenstäubchen
sichtbar). Nun bleibt die Spitze wo möglich stehen,
bis die Fliete 70 — 80® gegen die Kapsel gesenkt ist,
und wird dann in der Bichtung der zu bildenden
Seiten zwischen Kapsel und Binde, zugleich gegen
den Scheitel hin lockernd, vorgeschoben. Die Seiten
werden dabei, auch wenn die Fliete scharf ist, mehr
eingerissen als eingeschnitten. Es ist eine Aus-
nahme, und keine sehr häufige, dass die vier Seiten
sich in einem Zuge schneiden lassen. Kommt die
Fliete an die Oberfläche, so wird sie wiederum ein-
gesenkt etc.
Von einer anatomisch scharfen Trennung ist selbst-
verständlich nicht die Bede, sondern von einer Locke-
rung, welche den Austritt des umschnittenen Kapsel-
stückes und seine Extraction erleichtert.
Die Ausführung ist nicht so leicht, dass sie ohne üebung
sofort und jedes Mal gelingt, aber leicht genug far jeden,
der ruhig operirt und einen geringen Aufwand an Zeit und
Mühe nicht scheut. — Kann ich den Kapselriss durch eine
dünne Blutschicht oder aufliegende Corticalis nicht sehen,
so extrahire ich, sehr oberflächlich fassend, das umschnittene
Kapselstück mit Foerster's Pincette. Im äussersten Noth-
falle setze ich zum Schlüsse die Fliete an verschiedenen
254 J- Jacobson sen.
Stellen auf und zerzupfe die Kapsel in viele, kleine Theile.
Es tritt dann das ganze Kapselstfick oder die Gorticalis
mit den aufliegenden Fetzen aus. Nach der Entbindung
der Linse ist meist ein fast die Breite des Coloboms und
seine Höhe bis zum Eapselriss einnehmender Defect der
Kapsel naohzuweisen«
Um auf Knappes an sich durchaus rationelle Me-
thode zurückzukommen, so wäre sie entschieden indicirt,
wenn es unmöglich wäre, die Kapsel aus dem Ge-
biete des Coloboms zu entfernen oder die von der
aufgerissenen Kapsel ausgehenden Entzündungen
zu verhüten. Von den beiden üebeln, Entzündungen durch
Kapselzipfel zu riskiren, oder etwas mehr Gorticalis im
geschlossenen Kapselsacke zurückzulassen, ist das letztere
unbedingt das geringere. Glücklicher Weise kommt es in
Wirklichkeit nicht dazu.
Wenn ich den Namen meines ausgezeichneten Lehrers
Arlt, dessen Genauigkeit in der Dosirung der Schnitte ich
oft genug bewundert habe, hier nenne, so wird man mir
glauben, dass ich in Folgendem nicht Beclame für meine
Virtuosität als Operateur machen will: die Entzündungen,
Verwachsungen, Einklemmungen, Vorfälle, wegen deren
zum Theil Knapp's Methode erfanden ist, über deren üu-
vermeidlichkeit bei Graefe*s Methode Arlt oftmals, zuletzt
bei der Enthüllung des Graefe- Monumentes, sich gegen
mich aussprach, haben in der hiesigen Klinik lange auf-
gehört. Anfangs glaubte ich, die Chloroform-Narcose ver-
mindere die Spannung des Auges, also auch den Wider-
stand der Wunde, erleichtere dem Operirenden das Aus-
treiben der Gataract und vermindere die Verwachsungen,
bis ich sehr bald aus einem Vergleiche der ersten Schnitte
den Grund erkannte.
Der dritte Operationsact fahrt uns wieder bis in's
kleinste Detail zu Graefe zurück. Seinen Namen neben
y. Graefe's „modificirte Linear-Extraction" etc. 255-
dem DavieVs in der Lehre von der Extraction zn nennen
wird keinem verständigen Menschen einfallen; denn der
kühne Gedanke, bei den damaligen, recht unvollkommenen
anatomischen Vorstellungen den Hornhautlappen zu wagen
und die entkapselte Linse durch eine enge Pupille hin-
durchzuzwängen, wird durch nichts, das die umsichtigste
Berücksichtigung aller Details voraussetzt, entfernt erreicht.
Und doch ist es unter allen operativen Erfindungen Graefe's
gerade der letzte Act seiner Methode, in dem sich der
Unterschied einer ganz und gar in den Dienst einer wissen-
schaftlichen Aufgabe gestellten Technik am glänzendsten
von der naiven, kräftigen Art, eine Aufgabe im Grossen zu
lösen 9 unterscheidet. Man denke nur an die Lappen-
Extraction des berühmten Friedrich v. Jaeger, bei der
nach dem Zeugnisse seines Sohnes die Cataract mit einem
stattlichen Gefolge von Glaskörper 10 Schuh weit ia's
Zimmer stürzt, und vergleiche dieselbe mit den durchaus
nicht seltenen Linsen-Entbindungen Graefe*s, bei denen das
Linsensjstem nicht die kleinste Verschiebung anders, als
anter der Leitung des Operirenden, macht! In solchen,
nichts weniger als seltenen Fällen, in denen die Cataracten
nach DaviePs Methode schon beim Durchgange durch die
Pupille viel Corticalis abstreifen, sehen wir den ganzen
Eapselinbalt, als ob er aus einem Stücke bestände, sich
erheben, die Pupille vom unteren Bande aus so viel höher
hinauf schwarz werden, als der Masse der oben aus-
getretenen Cataract entspricht, und schliesslich die
obere Grenze des schwarzen Coloboms von der Wunde nur
noch durch die untere Corticalis getrennt. Erst in diesem
letzten Momente, wenn die geringe Masse des Eapsel-
inhaltes zu wenig zusammenhält, uro, dem Drucke des
Löffels folgend, sich in die innere Wunde einzulegen, kann
von Abstreifen der Corticalis die Rede sein. Wie man
dann die kleinen Schollen in jedem Falle unschädlich
256 J* Jacobson sen.
macht, gehört nicht hierher; es genügt, zu wissen, dass
es leicht ausführbar ist.
Dass der lineare Schnitt die voluminösesten, harten
Staare leicht austreten lässt, ist hiermit bewiesen, in meiner
Praxis vielhundertfach bestätigt, aber ob er der allein rich-
tige, der beste ist, oder von anderen übertroffen wird,
darüber ist nicht entschieden, und die Entscheidung empi-
risch herbeizuführen, dürfte nicht ganz leicht sein. Nach
Graefe's Tode sind die „Erfindungen und Modificationen''
häufiger, die Begründungen der neuen Methoden seltener
und nichtssagender geworden. Ob es der Mühe werth und
mit der ärztlichen Pflicht vereinbar ist, eine durch Jahre
lange üebung und Selbstkritik sicher gewordene Technik
aufzugeben, um es mit einer neuen zu versuchen, die genau
zu erlernen eine üeberfülle einander übertreffender und
verdrängender Erfindungen nicht gestattet, oder ob sich
a priori Grenzen für die Extractions-Methoden ziehen und
manche trotz Empfehlungen und statistischen Tabellen
a limine abweisen lassen, darüber in's Klare zu kommen,
um den Werth des linearen Schnittes richtig zu schätzen^
soll im Folgenden versucht werden.
Die lineare Methode Graefe's and der periphere
Lappen. Die mögUclien Extractions- Methoden.
Graefe's modificirte Linear - Extraction mit
einigen seinem Sinne entsprechenden Verbesse-
rungen leistet das Höchste, worauf die Be-
strebungen der sechziger Jahre gerichtet waren:
sie schafft ein eben so vollkommenes Seh-
vermögen, als die Daviersche Methode, und ist
gefahrlos.
Da dergleichen allgemeine Lehrsätze, aus den Er-
V. Graefe's ^modificirte Linear-Extraction" etc. 2Ö7
fahrangen eines Praktikers abstrahirt, nur relativen Werth
haben, müssen die Beobachtungen, auf denen sie beruhen,
bekannt sein. Es sind folgende: 1. aus den Jahren 1854 bis
1861 ca. 500 Daviel'sche Extractionen mit 9 — 10 pCt.
Verlust, der Mehrzahl nach durch Lappeneiterang (ent-
sprechend den Angaben der ehemaligen, besten Operateure);
2. aus den Jahren 1861 — 68 bei der im Princip der
Linear-Extraction identischen peripheren Lappen-Extraction
2—3 pCt. Lappeneiterungen in ca. 700 Fällen; 3. aus
den Jahren 1868 — 88 bei Graefe's Methode Anfangs die-
selbe Procentzahl Eiterungen, später bei Lister'schem Re-
gime zunehmend reizlosere Heilungen, in den letzten
4 — 5 Jahren bei strenger Beobachtung des der Methode zu
Grunde liegenden Principes ausnahmslos reizlose Verläufe
in ca. 2500 Fällen.
Die kleinen Veränderungen, die dem Princip eines
möglichst leichten Linsenaustrittes entsprechen, sind: 1. die
Erweiterung jedes Schnittes, dessen Nachgiebigkeit gegen
einen leisen Druck der Cataract zweifelhaft ist; 2. die voll-
kommenere Entfernung der vorderen Kapsel.
Die Beseitigung der letzten 2 — ^3 pCt. Eiterungen ver-
danken wir dem aseptischen Verfahren, zu dem ich die vor
längerer Zeit im Archiv empfohlene Spaltung der Thränen-
wege und den Schutz der Wunde durch Jodoform ausser
den bekannten Maassregeln rechne.
Der wesentlichste Vorzug der Methode, ehe man von
der Asepsis Gebrauch machte, war die periphere Lage des
Schnittes, die eine nennenswerthe Lappenhohe eo ipso aus-
schliesst. Der solide Bau und der Blutgehalt der Horn-
haut-Peripherie begünstigt weniger, als die dünne, gefäss-
lose Cornea,. Absterben des Lappens, die feste Bandpartie
ist för Verbreitung von Mikroorganismen weniger günstig,
Bis die eigentliche, lamelläre Substanz, endlich kommt
beim Einsinken der Hornhaut nach Abfluss des Kammer-
▼. GrMfe*« Archiv für Ophthalmologie, XXXIV. 2. 17
258 ^' Jacobson sen.
Wassers eine fietraction des Lappens, bei der die Wunde
nicht schliesst, nie zu Stande. *)
Die obligatorische und facultative AuslOfflung des
Kerns durch sogenannte lineare Hornhautschnitte kann,
wie durch Erfahrungen bewiesen ist, einen Vergleich mit
den Resultaten der linearen Extraction nach Graefe nicht
aushalten, ebenso wenig DavieFs Lappen-Extraotion in der
geflLsslosen Cornea. Anhänger und Qegner dieser Methoden
hatten unvergleichlich mehr Verluste durch Vereiterung
*) Wie Graefe schon vor 20 Jahren, nachdem er, durch
eigne Erfabrangen belehrt, sein Vorurtheil gegen periphere Schnitte
abgelegt hatte, ttber Heilung im 8cleralborde urtbeilte, sieht der
Leser aus dem letzten der oben wörtlich wiedergegebenen Citate.
Der Inhalt desselben ist Allen, die Graefe's Abhandlungen
gelesen haben, seit 20 Jahren aus diesem Archiv bekannt Uan
mnss deshalb entweder Graefe in der Extractionsfrage nicht für
sachverständig, oder Schweigger's Behauptung, dass comeale
Schnitte ebenso gut, wie periphere, heilen, für unrichtig halten,
wenn man in No. ^ der ,D. Med.-Ztg/' (1887) in Bezug hionof
liest: «Aber woza soll man eine weitläufige Statistik aufstellen,
um Thatsachen zu erweisen, welche ohnedies kein «Sach-
verständiger" bezweifelt.
Schweigger's Schlusssatz lehnt sich an drei andere, die zum
Theil nicht richtig sind, zum Theil nichts beweisen: 1. normale
Heilangen von Hornhaatschnitten zur Extraction von weichen
Cataracten und Nachstaaren haben wir Aelteren sehr viele, Einige
von uns sehr viel mehr, als er, gesehen, aber Eiterungen kleiner
Discissionsstiche und linearer Homhautschnitte hat er nicht ge-
sehen, während ich sie schon 1864 kannte und mich auf dem Con-
gresse in Heidelberg von Graefe belehren lassen musste, dass sie
zwar selten, aber doch jedem erfahrenen Praktiker bekannt seien,
und dass man ihre Ursache nicht kenne (es war eben die damals
unbekannte Infection). — Es ist femer bekannt, dass wir durch
den peripheren Schnitt die Hornhaut • Eiterungen schon auf
2 Frocent reducirt hatten, lange bevor Lister's Verfahren
eingeführt wurds. — Endlich habe ich vor Kurzem in diesem
Archiv zwei Infectionen einfacher Comeal-Schnitte, dsnen ich eine
dritte von einem schlecht schliessenden Linearscbnitte (am fünften
Tage) hinzufügen kann, erwähnt. Alle drei Infectionen erfolgten
unter denselben Vorsichtsmaassregeln, die seit Jahren ausreichen,
Wand-Infectionen der Peripherie zu verhüten. — 2. „Die guten
T. Qraefe's „modificirte Linear-Extraction" etc. 259
der Cornea, Ruptur der tellerförmigen Grube, iritische und
€yclitische Processe zu beklagen.
Die periphere Lappen- Extraction, wie ich sie 1863
Yorgeschlagen und von 1861 — 68 ausnahmslos geübt habe,
hat den Fehler, dass die Grösse des Eapselrisses durch
den Durchmesser einer nach Abfluss des Eammerwassers
mehr weniger contrahirten Pupille gegeben, mithin die defini-
tive Gestalt und Weite der Eapselöfhung von dem Drucke
des Operateurs auf den Linsenrand und der Drehung des
Erfolge bei weichen Staaren, die in Graefe den Wunsch erregt
haben BoUen, ein ähnliches Verfahren bei kernhaltigen Staaren zu
Terwenden", müssen die active Rolle, die Schweigger Ihnen zn-
mnthet, ablehnen. Die schlechten Erfolge der Hornhantlappen
und der Irrthnm, dass der Daviel'sche Lappen zn gross sei,
machten den Wunsch nach einer sicheren Methode rege, die Ver-
suche von Wald an und Desmarres gaben den Anstoss znm
Löffel und den linearen Schnitten, die allerdings besser heilten,
als die schlecht heilenden Lappen der gefässlosen Oomea. —
3. «Die Gefährlichkeit der Operationen in der durchsichtigen Horn-
haut" habe ich seit 25 Jahren nicht im Allgemeinen, sondern
mit Bezug auf die alten Gomeal-Lappen behauptet und zwar in
Uebereinstimmung mit (abgesehen von verschwindenden Aus-
nahmen) allen Operatenren, die ans eignen Erfahrungen über die
DavieFsche Methode urtheilten, wie Arlt, Graefe u. A.
Dass Tiele, lineare Schnitte in der Cornea gut heilen, weiss
aUerdings jeder „Sachverständige", aber einige wissen anch, dass
sie leichter eitern^ als gleiche, periphere Schnitte, und darum allein
handelt es sich.
Gewiss ist es für den Leser ermüdend, immer auf denselben
Punkt verwiesen zu werden, aber kaum ermüdender als für mich,
immer anf denselben Punkt, als auf die Ursache verschiedener
Fehler, zu verweisen. Hätte man ihn nicht ignorir't oder für
unerheblich gehalten, so wäre uns die traurige, deutsche Ez-
tractionslehre der letzten 20 Jahre erspart worden. Vielleiebt
würde dann auch Schweigger nicht geschrieben haben:
«Den wirklichen, echten, modificirten, peripheren Linearschnitt,
wie ihn v. Graefe beschrieben und in seinem Archiv abgebildet
hat, macht gegenwärtig kein Mensch mehr, und wenn Herr
Jabobson behauptet, es zu thun, so wird ihn Niemand dämm
beneiden.*' Richtiger wäre gewesen: „Weil man Graefe's vor-
trefflich motivirte Vorschriften nicht genau befolgte und sofort
17*
260 «^' Jacobson sen.
Eapselinhaltes um die horizontale Achse abhängig, also
nnberechenbar ist, ebenso das Abstreifen von Corticalia
beim Durchtritt und die periphere Buptur der Hyaloidea
zum Schlüsse des Linsenaustrittes. Ausserdem ver-
langt sie selbst in der ChloroCorm-Narcose eine Eera-
totomia inferior; denn der nach oben ausweichende
Augapfel müsste bei oberer Lappenbildung zur Kapsel*
Spaltung, Entbindung der Gataract, Iridectomie und
EutfemuDg der Reste nach unten fixirt werden, —
ein Verfahren, das selbst in ununterbrochen tiefer
im Einzelnen Modificationen einführte, die dem Sinne des
Ganzen widersprachen, brachte man es dahin, dass gegenwftiüg
kaum ein Mensch mehr unter dem Namen ^Qraefe^s Linear-
Extraction*' eine Operation ausführt, die mit Graefe's Vei^
fahren Aehnlichkeit hat. Nur sehr Wenige, zu denen Jacobson
gehört, haben Ausdauer genug gehabt, ihre Technik genau
dem Zwecke des Vertahreud zu accommodiren und durch den
Erfolg zu beweisen, dass dasselbe seine Aufgabe vollkommen
gelöst hat*' Die Extraction ohne Kapsel ist für diejenigen, die
streng nach neueren Principien verfahren, eine sichere Operation
geworden. Damit hat sich erfüllt, was wir kaum zu erreichen
hofften, als wir in den fünfziger und sechziger Jahren voo der
Suppuratio corneae der Davierschen Methode ausgingen, um ihrer
Ursache nachzuspüren und dieselbe, wenn möglich, zu beseitigen.
Was erreicht worden ist, werden die jüngeren Coliegen weniger
hoch schätzen, als wir, die wir nicht nur Verlustzahlen der alten
und neuen Methode, sondern auch unwillkührlich die sehr be-
rechtigte UDruhe des Operateurs bei jeder Klage des Patienten,
die Sorge und Uhgewissheit während der ersten Tage und Nachte
mit dem Gefühle voller Sicherheit vergleichen, das lange Heiken
ungestörter, gleichmässiger Heilungsverläufe erzeugt haben. Aus-
nahmsweise nicht aus eigner Initiative, nicht mit der Originalität
des neue Bahnen brechenden Genies, aber mit durchdringender
Kritik und vollem Verständniss für Fehler und Vorzüge des Ge-
leisteten, hat Graefe auch auf diesem Gebiete durch eine eigene»
in allem Technischen neue Methode seinem Namen einen Denk-
stein gesetzt. Mit nachtrS glichen Angriffen gegen die beste
Methode, um deren Vorzüge man sich zwei volle Jahrzehnte lang
durch eine scheinbar geringe, in Wirklichkeit vollkommen de-
structive Abweichung vom Princip gebracht hat, etwas aus-
zurichten, dürfte vergebliche Mühe sein.
V. Graefe'8 „modificirte Linear-Extaraction" etc. 261
Narkose nicht zu empfehlen ist, wenn dem Vorrücken der
peripheren Iris und hinter ihr liegenden Zonula nicht
durch den festen, peripheren Saum der Cornea Schranken
gesetzt sind. — Aus eignen Erfahrungen komme ich
hiernach zu dem Schlüsse, dass selbst bei gleicher Procent-
zahl von Lappen-Eiterungen, wie sie sich mir aus
€a. 700 Extractionen ergeben hat, und bei etwas ge-
ringerer Lappenhöhe (tieferer Ein- und Ausstich), wie
ich sie später mit einem dem von Froebelius an-
gegebenen Messer ähnlichen Instrumente fUr Cataracten
von nicht zu grossen Durchmessern vorzog, der grosse
Lappen im Scleralborde sich mit Graefe's linearem Schnitte
nicht messen kann.
Es bleiben noch Lappen -Extractionen, die Punktion
tmd Contrapunktion in den Limbus oder in die durch-
sichtige Cornea unmittelbar neben der weissen Scleral-
grenze, den Wundrand ebenso an die äusserste Grenze der
durchsichtigen Cornea legen und nicht einen Bogen von
180^, sondern etwa von 150 — 120^ abtrennen. Da die
von mir angegebenen Lappen unzweifelhaft über die für
«inen leichten Austritt der Cataract noth wendige Grosse
hinausgingen, kann man mit Sicherheit behaupten, dass
gleich geformte, kleinere Lappen den Zweck ebenfalls er-
füllen. Steffan hat, als Graefe noch lebte, sich in
diesem Archiv über Lage und Durchmesser solcher Lappen
ausgesprochen, de Wecker ist nach allmählichem, sorg-
fältigen Fortschreiten, wenn ich nicht irre, zu 120*^ als zu
einem für die voluminöseste Cataract genügenden Maasse
gelangt. *)
Aus eigener Erfahrung kann ich ein ürtheil über diese
Gruppe von peripheren Lappen nicht abgeben. Die Gegen-
*) Dass ich de Wecke r*8 zum grossen Theile in den Annales
d'oculistique publicirte Abbandlungen über Cataract - Extraction
trots dem eingehenden Verständnisse, mit dem sie allen Phasen
4ier Entwicklang gefolgt ^ind, und trotz yteien Verdiensten um
262 J* Jacobson sen.
wart wird sich mit ihnen nur unter Yeraussetzung eines
aseptischen Regimes und präciser Angaben über die An-
wendung der Myotica, vorzugsweise des Eserin, zu be-
schäftigen haben. Wenn ich gern annehmen will, dass
auch ihre Resultate denen der linearen Extraction in der
Hauptsache gleich sind, dass keine Wundeiterungen mehr
vorkommen, so glaube ich doch auf folgende Unterschiede^
über deren Bedeutung fär den End- Erfolg natürlich nur
Erfahrung entscheiden kann, aufmerksam machen zu
dürfen: 1. jeder nicht zu grosse Lappen, muss von der
austretenden Cataract gehoben werden, eine Reibung
zwischen letzterer und dem hinteren Epithel der Hornhaut
ist also unvermeidlich. Ueber die Folgen solcher Reibungen
bis zur parenchymatösen Quellung der Cornea durch ein-
dringenden Humor aqueus und Geschwüre der hinteren
Fläche, so wie über die bekannten, streifigen Trübungen
nach der Extraction und ihre Ursachen habe ich in diesem
Archiv vor zwanzig Jahren einige Beobachtungen, die sich
auf die Daviel'sche Extraction beziehen, publicirt. Diese
rein traumatischen Veränderungen sind bei peripherer Lappen-
bildung sicher weit geringer; denn sie hängen von der
Breite des Schnittes ab, fehlen können sie nicht, während
sie bei regelrechtem Linear schnitte höchst unbedeutend
und ohne Einfluss auf die Heilung sind. — 2. Wird bei
der Lappen-Extraction zur Vermeidung von Iris- Vorfällen
Eserin angewendet, so hindert die enge Pupille eine aus-
giebige Entfernung der Kapsel, die Sprengung der letzteren
muss unter stärkerem, äusseren Drucke vor sich gehen,
der wiederum Dislocation von Cortical-Stücken begünstigt,
die Entfernung derselben erschwert. — 3. Wendet man.
die techniflche Entwicklang der Operation nicht erwähnt habe, {ge-
schah, weil er sich höhere Ziele, als ndne deutschen OoUegen (die
Extraction mit Kapsel, die runde Form der Pupille) gesteckt
hatte, und weil ich die Litteratur anderer Nationen in dem engen
Bühmen dieser Abhandlang nicht berücksichtigen konnte.
Y. Graefe^B „modificirte Lmear-Extraction" etc. 263
um die Cataract vollständiger zu entferneD, Mydriatica an,
so begünstigt die periphere Lage des Schnittes den Iris-
Vorfall während und vielleicht auch nach beendeter
Operation.
Die Bedenken gegen die Myotica fallen fort, wenn
man die Lridectomie nicht scheut, die beiden anderen bleiben.
Dass de Wecker durch Entfernung beider Kapseln aus
dem Gebiete einer myotischen Pupille unter Zurücklassung
peripherer Corticalmassen die vollkommensten Erfolge zu
erzielen versucht hat, dass man von verschiedenen Seiten
durch Ausspülen der vorderen Kammer Corticalreste ent-
fernt bat, ist bekannt, aber noch nicht hinlänglich oft aus-
geführt worden, um schon jetzt für oder gegen periphere
Lappen-Extractionen verwerthet zu werden. Unseren bis-
herigen Erfahrungen nach kann jedenfalls von einer peri-
pheren Lappen-Extraction, die es an Sicherheit der linearen
zuvor thäte, noch nicht die Rede sein.
( Es dürfte dem Leser nicht entgangen sein, dass in dem
soeben abgeschlossenen Vergleiche die möglichen Extractions-
Methoden, wenn man nicht etwa Versuche mit polygonalen
Schnitten im Schilde fuhrt, schon enthalten sind. Aus-
geschlossen sind alle cornealen Linearschnitte, seitdem
die möglichst grossen der Engländer durch Graefe*s Beob-
achtungen in London und durch die in diesem Archiv an-
geführten Gründe beseitigt sind. Kein linearer Homhaut-
schnitt klafft leicht genug, um eine harte voluminöse Cata-
ract leicht austreten zu lassen, keiner ist breit genug, um
dem grossesten Durohmesser ohne Drehung um die verticale
Achse Baum zu schaffen. Seitliche Einschnitte in die Sclera
genügen nicht immer und disponiren zu Einklemmung der
Irisperipherie (Methoden von Waldau, Graefe, Critchett-
Bowman). Ferner ausgeschlossen sind alle Lappen-
schnitte in der gefässlosen Cornea. Daviel punktirt
und contrapunktirt unmittelbar an der cornealen Grenze
des Limbus in der Cornea (der Wundrand soll an derselben
264 «^' Jacobson seu.
Stelle liegen), sein Lappen ist also von allen balbkreis-
formigen Lappen der Cornea der grosseste. Dass er zu
klein ist, habe ich nachgewiesen. Wer noch daran zweifelt,
stelle sich die ideale innere Grenze an der Contrapunktions-
stelle vor und betrachte gelegentlich die durchschnittlichen
Grössen der inneren Oeffnungen, wenn die äusseren Da-
vid's Vorschriften entsprechen! Die vortreffliche Lehre,
die breite dreieckige Klinge des Staarmessers der Iris-
Ebene parallel durch £e vordere Kammer zu führen, und
den Durchmesser des Schnittes in der hinteren Hornhaut-
fläche dem in der vorderen gleich zu machen, ist
cum grano salis zu verstehen: die erste Vorschrift setzt
voraus, dass der Scheitel einer reifen Cataract mit dicker
Corticalis nicht weiter nach vorn liegt^ als die Punküons-
und Contrapunktionsstelle, die zweite rechnet nicht damit,
dass der idealste Lappen, der an der Oberfläche der Cornea
haarscharf am Limbus endet, an der hinteren Fläche um
die Dicke der Cornea früher enden muss. Wer nach
Da viel extrahirt hat, weiss, dass eine Cataract-Entbindung
ohue schliessliche Drehung um die Längsachse (d. h. ohne
die Möglichkeit von GlaskOrper-Vorfall) nur möglich ist,
wenn man auf unberechenbare Factoren (Nachgiebigkeit
der Linse, Abstreifen von Cortical-Substanz etc.) rechnet.
Und dazu die alten Beobachtungen von Suppuratio corneae,
Betraction des Lappens! Wir kommen zu dem Resultate:
Alle Schnitte, gleichviel ob linear oder Lappen-
schnitte, deren Wundränder in das bis 1863 einzig
und allein gestattete Gebiet der gefässlosen Cornea
fallen, sind von der Extraction voluminöser, harter
Cataracten streng ausgeschlossen.
Gestattet sind Methoden, deren periphere Wundlage
noch vor 20 Jahren ausdrücklich verboten war, und zwar:
die modificirte Linear-Extraction Graefe*8 ohne
Tractions -Instrumente (1867), der grosse, untere
Lappen im Scleralborde (1863), niedrigere und
V. Oraefe*s „modificirte Linear-Extxaction" etc. 265
weniger breite Lappen im Limbus oder im Scleral-
borde.
Von diesen drei Arten scheidet die zweite trotz ihrer
Sicherheit aus, weil sie aus eben angegebenen Gründen von
der ersten übertroffen wird, — die erste lässt jede Modi-
fication zu, die nicht gegen ihr Princip verstösst, d. h. gegen
die Möglichkeit eines leichten Austritts des ganzen Kapsel-
inhaltes (Mittel: leicht klaffende Wunde, Hebung des
Kapselwiderstandes, Entkapselung ohne Achsendrehung, um
die Corticalis zusammenzuhalten) ^ — die dritte muss
unbedingt, vermuthlich in verschiedenen Formen, die Zwecke
der Staar-Extraction erfüllen, hat aber in der deutschen
Literatur zu einem durch Erfahrung hinlänglich bestätigten,
technisch genau vorgeschriebenen und begründeten Ver-
fahren noch keine Veranlassung gegeben.
und was wird aus air den hoffnungsvollen Erfindungen
der beiden letzten Jahrzehnte, die gerade so berechtigt waren,
als die sogenannten „Modificationen*', unter deren Druck
6raefe*s schöne Methode um's Leben kommen sollte, als
sie kaum bei der Taufe den ominösen Namen „modificirte
Linear-Extraction** erhalten hatte? Wo bleiben die schönen,
noch in der ersten Decimalstelle stimmenden oder den
„neuesten Standpunkt" um Vio unterbietenden Beihen von
Sehschärfen, aus denen die Verluste in Procenten „statistisch'*
deducirt waren?
Ich hoffe, eine wissenschaftliche Operationslehre
wird in Zukunft einmal für alle statistischen Empfehlungen
chirurgischer Erfindungen, deren Unmöglichkeit logisch
richtig bewiesen ist, eine praktische Versenkung einrichten,
in die ihnen alle „Modificationen", deren Autoren die Folgen
ihrer ungenügenden, technischen Sicherheit gut begründeten
Methoden zur Last legen, ohne weitere Prüfung nach-
geschickt werden. Ist einmal der Beweis geführt, dass
grosse Hornhautlappen für einen gewissen Zweck zu klein
sind, so sollen alle Erfindungen, die caeteris paribus mit
266 ^' Jacobson sen.
kleinen Lappen den Zweck angeblich in 1000 Fällen ohne
Ausnahme erreichen, unbeachtet verschwinden und allen
Verbesserungen der Graefe'schen Methode, welche wegen
zu kleiner Scleralschnitte und ihrer Consequenz, der
Gyclitis, den leicht klaffenden, scleralen Linearschnitt
durch einen, unnachgiebigen, comealen ersetzten, ihr
Leid klagen.
Asepsis. Extraction mit Kapsel. Bunde Pnpille.
Zur Yertheidigung Oraefe*s und seiner Extraction
habe ich meine eigenen Erlebnisse, so weit sie Graefe's
Stellung zur Extraction betreffen, so niedergeschrieben, wie
sie sich gestaltet hatten, ehe wir von List er etwas wussten^
ehe wir daran denken konnten, die Vereiterung des Auges
als Folge einer Wund-Lifection anzusehen und als eine
solche zu verbaten.
Es ist ein besonders glttcklicher Zufall, dass der grosse
Gedanke unseres englischen Collegen, der die ganze Wund-
behandlung über den Haufen geworfen, eine neue operative
Chirurgie geschaffen hat, trotzdem an unserem ürtheile über
den Werth der Oraefe^schen Operation nichts ändern konnte.
Die Verminderung der Wundeiterungen bis auf etwa 2 Procent
durch verschiedene periphere Schnitte hat den Beweis ge-
liefert, dass die Band-Zone der Hornhaut dem Eindringen
von Microorganismen und ihrer unaufhaltsam fortschrei-
tenden Wanderung Widerstand leistet, wo die lockere,
lamelläre Cornea propria in wenigen Tagen schon den un-
zweideutigen Anblick totaler Vereiterung darbietet
Wollten die Gegner Graefe's also, auf Lister bauend,
es nochmals mit comealen Lappen versuchen, die Zahl der
Vereiterungen würde sicher sehr viel geringer werden, als
die vor 30 Jahren angenommene, aber vor Ausnahmen and
vor der Eetraction würden sie weder Sublimat, noch Carbol-,
noch Bor-Säure schützen.
y. Graefe^s «modificirte Linear-Extraction * etc. 267
Es ist aber nicht die Vereiterung allein, von der wir
durch das richtige Princip, Alles auf eine leichte Entbin-
dung der Cataract zu concentriren, bewahrt worden sind.
Wie gezeigt wurde, gestattet die Iridectomie und die Be-
schaffenheit einer jeden linearen Wunde eine langsame,
genaue Bearbeitung der Kapsel, die hinter dem Hornhaut-
lappen unausführbar ist, die Stellung der Linse gegen den
peripheren Schnitt gestattet nicht nur, sie fordert sogar
Extraction der Cataract ohne Drehung um die horizontale
Achse. In diesem Momente, das ursprünglich weit über
Qraefe's Plan hinausging, ihm aber, wie die Vorschriften
für den letzten Operationsact in seiner ersten Abhandlung
zeigen, sofort, als er sich „in den Scleralbord gedrängt'*
sah, klar vor Augen stand, liegt meiner Ueberzeugung nach
ein Vorzug vor allen Lappen-Operatiolien, der schwerlich
durch ein Gegengewicht von jener Seite ausgeglichen
werden wird.
8 c h 1 u s s.
Li st er 's grosse Idee hat auf dem kleinen Gebiete
unserer von „Vereiterung durch Infection" wenig bedrohten
Operationen nicht Gelegenheit gehabt, sich in ihrem
ganzen Glänze zu zeigen. Wer unter anscheinend gleichen,
äusseren Verhältnissen einige Jahre lang Lister's Prin-
cipien bei der Extraction befolgt hat, dürfte durch-
schnittlich glattere, reizlose Heilungen beobachtet haben,
Suppurationen konnten nur 2—3 pCt. verhindert
werden: denn seit 1863 hatten wir durch den
peripheren Lappen, bald darauf durch Graefe's
Linearschnitt nur noch diese kleine Zahl bösartiger
Eiterungen behalten.
Die jetzigen, günstigen Resultate peripherer Lappen
,,vom neuesten Standpunkte'* der Asepsis allein zuschreiben
und, wie es geschehen ist, rein cornealen Lappen ein eben
268 J- Jacobson sen.
SO günstiges Prognosticon stellen, hiesse, nicht nur mit
einem kühnen Sprunge sich über die Elemente der grohen
Anatomie hinwegsetzen, sondern von Neuem zu thera-
peutischen Fehlgriffen, die wir endlich für beseitigt hielten«
ermuthigen.
Yermuthlich würde es nicht lange währen, bis man
im Vertrauen auf List er wieder daran gehen würde, mit
desinficirten LOffeln harte, grosse Kerne durch resistente,
kleine Homhautschlitze hindurchzuquetschen, oder dünne,
gefässlose Lappen seniler Hornhäute sich so stark re-
trahiren zu lassen, dass die Wundränder nicht mehr an
einander liegen. Auch in der Chirurgie haben die leiden-
schaftlichsten Anhänger der Asepsis und Antisepsis noch
nicht versucht, dicke Fremdkörper von 10 cm Länge durch
unnachgiebige Schnittwunden von 6 cm Hohe zu ex-
trahiren oder tiefe Substanzverluste durch zu kurze Lappen
zu decken.
Was die Asepsis bei den neueren Extractionen leistet,
wissen wir nicht; denn ihre Wirkung wird durch den
gleichzeitigen Einfiuss der peripheren Schnittführung ver-
deckt, aber was der periphere Schnitt für sich allein nie
geleistet hat, wissen wir, und dieses Deficit wird in der
Gestalt von 2 — 3 pCt. Eiterungen, die allein durch
Lister's S6gime verhütet werden, veranschaulicht.
Erfahrene Praktiker wissen, was für die älteren Hom-
hautschnitte von Wichtigkeit ist, dass in früheren Zeiten
einfache Discissions- Stiche und einfache Queerspaltungen
der gefässlosen Cornea, wie wir von List er gelernt haben,
durch Infection zur Vereiterung des ganzen Auges ge-
führt haben, und dass diese seltenen Ausnahmen auch jetzt
noch trotz denselben Vorsichts- Maassregeln, die sam
Schutze peripherer Lappen- oder Linear- Schnitte aus-
reichen, vorkommen. Was die Extraction harter
Staare durch corneale Wunden (abgesehen von der
Lappen - Betraction) bei aseptischem Operiren
T. Graefe'8 .modificirte Linear-Extraction* etc. 26&
leistet, können wir also nicht eher sagen, als bis
sich ein Verehrer Daviel'scher Lappen aaf Kosten
seiner Patienten daza entschlossen haben wird, za
dem alten Davierschen Verfahren genau nach den
Vorschriften der fünfziger Jahre, von denen wir
ausgegangen sind, znrückzakehren.
Je mehr die operative Chirurgie einen wissenschaft-
lichen Carakter angenommen hat, desto genauer hat sie
den Ort, die Länge, Tiefe etc. ihrer Schnitte durch Zahlen
und nach Maass-Einheiten bestimmt, diese durch anatomische
Verhältnisse oder durch den Zweck der Operation be-
gründet. Ob für eine Incision der Cornea und Sclera 1 — 2 mm
so viel bedeuten, als 2 — 3 cm in der Chirurgie, ist gleich-
gfiltig oder auch nicht gleichgültig; denn gerade wo kleine
Unterschiede des Ortes nicht indifferent für den operativen
Zweck sind, ist ihre Berücksichtigung um so wichtiger.
Deshalb sind die ungefähren Angaben neuerer Autoren
über die genauen Maasse oder den Zweck des Extractions-
schnittes mit und ohne Asepsis nicht der Ausdruck dafür,
dass die Gegenwart über eine Menge von guten Methoden,
zwischen denen man wählen darf, verfügt, sondern dass
man nach Graefe's Tod die chirurgische Frage durchaus
anwissenschaftlich, roh empirisch behandelt, eine Anzahl
ähnlicher Schnitte, bei denen mit Lister's Hilfe relativ
wenige Augen zu Grunde gehen, gemacht, über keinen
genug Erfahrungen gesammelt, für keinen durch Nach-
denken gute Gründe gefunden und die Aufgabe, jeden
Cataractösen zu heilen, den Wenigen überlassen hat,
die — um mit Schweigger zu reden — „kein Mensch
am ihre Versuche, genau nach Graefe zu operiren, be-
neidet."
Vom Standpunkte dieser Letzteren gelange ich, gleich-
viel ob aseptisch operirt, oder die Zeit vor Lister*s Ein-
fluss auf unser Handeln betrachtet wird, zu folgenden
Sätzen:
270 J* Jacobson sen.
1. Es ist praktisch und wissenschaftlich nicht zu
rechtfertigen, 20 Jahre lang die „durchsichtige"
Cornea, als wftre sie anatomisch gleichartig und
chirurgisch gleich werthig, der Sclera und dem
Scleralborde entgegenzustellen und dabei heut-
zutage noch zu verharren.
2. Die Arbeiten der sechziger Jahre und in diese Zeit
fallende, neue Methoden haben bewiesen, dass
Lappen und lineare Schnitte in der gef^slosen
Cornea relativ leicht inficirt werden, und dass sieb
von ihnen aus die bekannte, unaufhaltsame
Eiterung schnell verbreitet, während es von Lappen
im Scleralborde und von Graefe*s linearem
Schnitte aus sehr viel seltener zur Eiterung kommt.
3. Von der bis zum Jahre 1863 und darüber
hinaus mit der Strenge eines Dogmas in der
deutschen Augenheilkunde allgemein angenom-
menen Vorschrift für die Extraction harter
Cataracten ist das Gegentheil richtig:
Schnitte in der gefässlosen Cornea sind
zu verwerfen.
4. Von peripheren Schnitten ist als gefahrlos erprobt:
Graefe's Schnitt und der Lappenschnitt im Scleral-
borde von der Höhe der halben Cornea.
5. Niedrigere, periphere Schnitte und Schnitte mit
Ein- und Ausstich zwischen der temporalen und
cornealen Grenze des Hornbautrandes (d. h. in der
Breite des Limbus) müssen ebenfalls eine ge&hr-
lose Extraction zulassen. Ihre Grenzwerthe sind
nicht empirisch bestimmt. Von ausländischen
Collegen hat de Wecker schon vor fast 20 Jahren
einen Schnitt von 120° in der durchsichtigen
Cornea neben der Grenze als ausreichend em-
pfohlen.
y. Graefe's „modificirte Linear-Extraction*' etc. 271
Wie der Leser sieht, ist die Asepsis in der Haupt*
Sache nichts weniger als entscheidend gewesen. Die
Methode der klinischen Forschung oder, richtiger ge-
sagt, den Mangel an Methode trifft die Schuld, dass in
einer rein praktischen Frage, an der jeder — er mag
wollen oder nicht — als Praktiker mitarbeitet, in 30 Jahren
nicht mehr sicher erreicht worden ist, als was am ersten
Tage der öffentlichen Discussion behauptet und bewiesen
war: die Schnitte in der gefässlosen Hornhaut sind
unbrauchbar, weil die Lappen leicht vereitern,
zwei periphere Schnitte (ein linearer und ein
Lappen) sind brauchbar, weil sie heilen. Für den
Lappen habe ich mehr als 700 Extractionen, der ältere
Pagenstecher und de Wecker scheinen ähnliche Er-
fahrungen mit gleichen oder ähnlichen Schnitten gemacht
zu haben, — für den linearen Schnitt stütze ich mich auf
die kurze Erfahrungszeit Graefe's und auf mehr als
2500 eigene Erfahrungen. • Ist Graefe's Extraction die
einzige gefahrlose Methode, gegen die technisch
nichts einzuwenden ist, so scheint mir, es sei an
der Zeit, sie zu erlernen, — ist sie es trotz meiner
Angaben nicht, so dürfte es an der Zeit sein, den
Fehler zu suchen und zu verbessern; denn so viel
haben die sechziger Jahre für Jeden, der sehen
will, ergeben: der Weg, auf dem eine absolut ge-
fahrlose Methode liegt, ist betreten. Ob sie ge-
fanden ist, kann wissenschaftlich nur auf eine
Art entschieden werden, nämlich dadurch, dass
man sie bis zur technischen Beherrschung er-
lernt und in gemeinschaftlicher Arbeit nur auf
eine Frage hin prüft.
So ist das erste Ideal zu erreichen, das uns
vor 30 Jahren vorschwebte, das Ideal, jedem
Staarblinden so viel Sehvermögen zu ver-
schaffen, als er nach Beseitigung des Staares
272 J' Jacobson een.
(nöthigenfalls später der Kapsel) mit Bück-
sicht auf die sonstige Beschaffenheit seines
Auges haben kann.
Obwohl ich selbst soeben von der Erreichung eines
Ideals gesprochen habe, so mochte ich doch diesen Aus-
druck lieber mit einem anderen vertauscht sehen, etwn
mit dem der Lösung einer therapeutischen Aufgabe. An
meinem Begriff des Ideals klebt von jeher der des Un-
erreichbaren.
Jedem CaractOsen Sehvermögen zu schaffen, nannte
ich ein Ideal, weil ich früher nicht im Entferntesten daran
dachte, dass es erreichbar, etwa gar mir erreichbar sein
könnte. Wie man die glaucomatöse Blindheit und die
Suppuratio corneae als unbesiegbare Feinde ansah, so be-
trachtete man die sichere Heilung der Gataract als ein
Ideal, dem man sich zu nähern suchen müsse mit dem
Bewusstsein, sein Bestes gethan zu haben. Heute spreche
ich von der gefahrlosen Cataract-Extraction, als von einer
Aufgabe, die vollkommen gelöst ist, und, da in ihr
selbst eine Beschränkung liegt, als von einer Aufgabe, die
auf eine höhere Forderung vorbereitet.
Die Wenigen, die der allgemeinen, eklectiscben Rich-
tung entgegen, nach einem bestimmten, wie mir scheint,
wissenschaftlich gegebenen Principe auf dem Gebiete der
Extraction fortgearbeitet haben, sind nicht schnell vorwärts
gekommen. Viele fQr den Erfolg nicht unwichtige, kleine
Aenderungon — Mittel, die eigene, unvollkommene Technik
dem Zwecke besser zu accommodiren, — mussten geprüft,
Verläufe und Resultate verglichen werden, es vergingen dem
auf sich allein Angewiesenen Jahre der Arbeit, ehe er
sicher sein konnte, einen Schritt vorwärts gethan zu haben.
Zum Gluck gab es keine Verirrungen ; das einfache Princip,
den Linsenaustritt immer mehr zu erleichtern, bewährte
sich in der Praxis. Wie es scheint, muss man sehr zu-
y. Graefe's „modificirte Lmear-£xtraction*' etc. 273
frieden sein, in 34 Jahren eine sichere Operations-Methode
gefunden und empirisch einigermassen befestigt zu haben.
Das nächste Thema für eine wissenschaftliche Fort-
setzung der bisherigen Arbeit ist unbedingt gegeben: die
Extraction der Gataract in der Kapsel. Die con-
stante Frage der Heil Wissenschaft heisst: was hat die
Therapie noch zu leisten, um einen normalen oder
dem normalen möglichst nahen Zustand her-
zustellen? In unserem Falle ist die Antwort: Produkte
der Operation im Inneren des Auges und mit ihnen die
Consequenzen (iritischeBeizungen, Kapselveränderungen etc.),
vor allen die Möglichkeit eines nachträglichen Einflusses
der Linsenreste, der zur symptomlosen, allmählichen Er-
blindung — mag sie noch so selten sein — führt, fort-
zuschaflfen, d. h. die Linse in der Kapsel zu extra-
hiren.
Ist die Extraction ohne Kapsel gelungen, so verlangt
die Wissenschaft von Denjenigen, die als Aerzte an der
Staarheilung mitarbeiten, die Extraction in der Kapsel
oder den Nachweis, aus welchen Gründen dieselbe un-
ausführbar zu sein scheint. Wie weit ich hierin, auf dem
alten Wege fortschreitend, gelangt bin, werde ich den Col-
legen in einer der nächsten Lieferungen des Archivs mit-
theilen. Niemand kann mehr, als ich, bedauern, dem un-
vergesslichen Lehrer und treuesten Freunde nicht gerade
jetzt den Theil der Arbeit vorlegen zu können, für den er,
wie damals, vermuthlich binnen Kurzem die praktische
Form finden würde. Es war gerade vor 25 Jahren, dass
ich ihm durch den peripheren, grossen Schnitt den Impuls,
von Da viel zu seiner Linear-Extraction überzugehen, gab.
Es wird mir doppelt schwer, nicht in seine Hand die Voll-
endung der Arbeit legen zu können.
Was ich den Collegen binnen Kurzem über die
Extraction in der Kapsel mitzutheilen beabsichtige, wird
nicht auf einige tausend Erfahrungen sich stützen können;
T. Graefe*« Archiv für Ophthalmologie, XXXIV. 2. 18
274 J- Jacobson sen.
die Zeit, neue Methoden statistisch zu begründen, ist mir
nicht mehr vergönnt Vielleicht wird Einer oder der
Ändere der Mühe für werth halten, empirisch zu prüfen, was
ich anch ohne Statistik als unzweifelhaft richtig ansehe. —
Mit wenigen Bemerkungen über die Frage der Erhaltung
einer runden Pupille will ich schliesson. Die Mehrzahl der
CoUegen dürfte, gleich mir, unter 100 Patienten weiblichen
und männlichen Geschlechtes, die operirt sein wollen, mehr
als 90 zählen, die dem Proletariat und den für den Tages-
erwerb arbeitenden, armen Volksklassen angehören. Der
harte Staar ist eine Krankheit des vorgerückten Lebens-
alters, in dem die tief liegenden Augen, die etwas herab-
hängenden, oberen Augenlider für das Alter, die allgemein
schlechte Ernährung und Entbehrungen aller Art zeugen.
Ein verticales Colobom von ca. 60 o ist kosmetisch voll-
kommen gleichgültig; dafür, dass es das Sehvermögen
nicht beeinträchtigt, kann ich eine Menge von jungen
Leuten mit runder Pupille, die an G. diabetica, an G. mollis
ohne Allgemeinleiden, an C. zonularis litten, als Beweis
vorführen.
Unter meinen besser situirten Kranken habe ich noch
nicht Einen gefunden, der nicht vorgezogen hätte, sicher
mit einem Colobom, als, etwas weniger sicher, mit
runder Pupille entlassen zu werden.
Dass Schweigger (mit Ausschluss des 1887 in
dem von Knapp und ihm herausgegebenen Archive
erschienenen Vergleiches bekannter Operationsmethoden}
sich an der Extractionslehre productiv betheiligt hätte, ist
mir nicht bekannt. Für mich sind seine Urtheile über die
schwebenden Fragen hauptsächlich dadurch bemerkenswerth
gewesen, dass sie ungünstig für Graefe und seine Methode
ausgefallen sind.
Charakteristisch genug ist es, wie er gerade den fünf-
ziger und sechziger Jahren (bekanntlich fällt in dieselben
Graefe's ganze Lehrzeit bis zu seinem Tode) einen Stand-
T. Graefe^s „modificirte Linear-Extraction" etc. 275
pankt geistiger Impotenz, medicinischer Uftheilslosigkeit zu«
schreibt, nach dem die Gegenwart nicht als Schülerin, die
einem grossen Vorbilde nachstreben sollte, sondern als durch
eigene Eraft aas Finsterniss zmn Lichte wissenschaftlicher
Aufklärung vorgedrungen erscheint. Von den Erfolgen der
Glaucom-Iridectomie berauscht, hätten die Bemitleidens-
werthen die Iris-Excision auch bei der Extraction nicht
lassen können! Nur so sei es zu erklären, dass es so lange
möglich gewesen, auf das Ideal jeder Extraction, auf die
runde Pupille, zu verzichten.
In de Weckers Standpunkt habe ich nie etwas ge-
funden, das mir als principielle Verschiedenheit in der Auf-
fassung unseres practischen und wissenschaftlichen Berufes
erschienen wäre. Vor die Alternative gestellt, entweder seine
Kranken mit runder Pupille zu entlassen oder seine Freude
über geschickte Heilung Erblindeter lebenslänglich auf
üebungen am Phantom zu beschränken, befindet der Ope-
rateur sich in einer Zwangslage. In Deutschland aber
handelt es sich weder um mehr oder weniger verletzliches,
ästhetisches Gefühl, noch um eine Frage gesellschaftlicher
Sitte, sondern lediglich um die Sicherheit des Erfolges. Von
dieser auch nicht das Mindeste der Erhaltung einer runden
Pupille zu opfern, war Graefe 's Standpunkt, der von einer
anderen Richtung in unserer Wissenschaft allerdings grund-
verschieden ist.
Druckfehler - Berichtigung.
In Band XXXIY. 1 p. 214 Zeile 8 von oben statt localen
lies totalen und p. 269 Zeile 8 von oben statt Vorzüge lies
Vorgänge.
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