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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
SAN FRANCISCO MEDICAL CENTER
LIBRARY
^*'T
AKCHIV
PUB
OPHTHALMOLOGIE^
HBRAU8GEGBBBN
VON
Prof. F. ARLT Prof. F. C. DONDERS
Dff WIBM Df UTBBOHT
UND
Prof. A. von GRAEFE
IM BERLIN.
BlilTTER JAHRO-ANO-
ABTHBILUNO L
ODER
ELFTEE BAND
ABTHEILUNO L
IQT HOLCBORNITTSN UND TAFKLH.
BERLIN, 1866.
VERLAG VON HERMANN PETERS.
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fiiM U«MntCuar in tnmi» Byttcben beltllaa akh YmCumt ud V«tfc»w i
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Inhalt.
Bett«
I. Unterraehuiigai tiber den Yerkuf und ZnMmmenhuig
dar Gef&iM im moitehlielieii Auge Ton Dr. Tk. Jäfibn 1 — 57
1. XJeb«r den Znrammenhuig swiaehen den GeAe-
■en der Netihant nnd Aderliant 4
2. TTeber den QefSfiTerlanf in der Aderhant • . 18
8. L Arterien der Aderhaut 18
1} die konen hinteren GSliararterien . • . 18
3) die langen liinteren nnd die Torderen Gi-
Uararterien It
U. Venen der Adeilinat
1) die WirbelTenen, Vaan rortieoea ... 22
2) die Torderen CQarrenen 27
4. Ueber die inaaeren Qeflbae im Ange .... 84
L Die Torderen Ciliaf]geflaae.
1) die Torderen Ciüararterien 85
2) die Torderen Giliarrenen 42
IL Die hinteren oder eigentliehen Bindehani-
gefiiaae 47
Erklärung der Abbildnngen 55
n. Beitrag aar Caanistik der Tumoren. (Hienu eine Ab-
bOduBg.) Von Dr. M. Lnadabarf in Daaiig . . . 58—68
m. Zur Therapie der muakuliren Aathenopie Ton Dr. M.
LaadabOTg in Danaig 69—88
IV. Zur Hiatologie dea Augea Ton Dr. Omrl Xlttar in
Obemdorf 89—105
1. Die Queratreifen der BetinakSraer 89
2. Daa Epithel der Hyaloidea 99
Erklärung der Abbildungen 104
V. Heber die Sehaehirfe bei Aitigmatikem Ton Dr. L.
Kncal in Bnkareat 106—118
VL Zur Lehre Ton der Cataraet-Extraetion mit Lappen-
aehmtt Ton Prot J. Jaaobam 114—128
Ueber die ZulSaaigkeit dei Ghloroforma bei Btaar-
eztraetionen 114
VIL Verletaung dea Augea durch einen bia in die Nihe dea
Sehnerren durchdringenden fremden Körper. Eigen-
thtmfichea Verhalten der Linae und dea Qlaakdrpera
Ton Prof. J. JMObaon 129-184
IV
Seit«
Vm. Beitrage sur normalen und pathologischen Anatomie
des Auges Ton Dr. A. Iwanoif ans Moskau . . . 185—170
A. Zur pathologischen Anatomie der Retina . . 136
B. Zur normalen und pathologischen Anatomie des
Glaskörpers 155
Erklärung der Abbildungen 170
IX. Zur Farbenempfindung Ton Dr. Bndolf Behelike.
III. Eothblindheit in Folge pathologischen Pro-
zesses 171—178
X. üeber die feinsten Elemente des Bindegewebes in der
Faserachicht und der Zwisohenkömersehidht des Men-
schen Ton Dr. C. Eitler in Obemdorf 179—190
Erkl&rung der Abbildungen 190
XI. Zur Ablösung der Chorioidea von Dr. Iwanoff . . 191—199
Xn. Beitrag sur Heilung des harten Staares Ton Dr. OnataT
Brann aus Moskau 200—208
XnL Ueber membrana pupiUaris perseTcrans und Polycoria
Ton Prof. Alfred Oraefe. (Hierin eine Tafel mit Ab-
bildungen) .• 209—219
ünteiBadrangen über den Verlauf und Zusammen-
hang der GefibBse im menschlidien Auge.
Von
Dr. Th. Leber.
iSeitdem man durch den Augenspiegel mit Leichtigkeit
die Gefasse der Netzhaut und zum Theil auch der Ader-
haut während des Lebens sehen und untersuchen kann,
hat eine genauere Kenntniss des Gefässverlaufes im Auge
wieder ein erhöhtes Interesse gewonnen. Es erhoben
sich eine Menge von Fragen, zu deren Beantwortung die
Attgenspiegeluntersuchung allein nicht hinreichend ist,
und die nur in Verbindung mit anatomischen Unter-
suchungen entschieden werden können. Die bis jetzt
gegebenen Beschreibungen und Abbildungen der Gefasse
des Auges stützen sich alle auf Injectionen, die mittelst
der früher ausschliesslich benutzten kömigen Farbstofife
ausgeführt wurden; da aber in der letzten Zeit die In-
jectionstechnik durch die Einführung der leichtflüssigen,
durchsichtigen Iiyectionsmassen und die Anwendung eines
Constanten Druckes bei der Injection sehr erhebliche
Fortschritte gemacht hat, schien mir eine nochmalige
Untersuchung des Gefässverlaufes im Auge mit Anwen-
ArehiT flfr Ophthalinologie. XI 1. 1
2
düng der neuen Methoden kein überflüssiges Unternehmen.
Im Folgenden theile ich einige Resultate der von mir
über diesen Gegenstand angestellten Untersuchungen mit,
welche ich grösstentheils in Wien, im physiologischen In-
stitute der Josephsakademie ausgeführt habe. Dieselben
beziehen sich hauptsächlich auf den Zusammenhang der
verschiedenen Gefässsysteme des Auges, auf den Gefass-
verlauf in der Aderhaut und auf die Gefässe des Scleral-
und Homhautrandes.*)
Die Injectionsmethode, deren ich mich bediente, war
die von Professor C Ludwig angegebene, wobei die
Injectionsmasse mittelst eines constanten, ziemlich nie-
drigen Quecksilberdruckes in die Gefässe eingetrieben
wird; als Ii^ectionsmassen dienten Mischungen von Gly-
cerin mit BerUnerblau oder Ferrocyankupfer oder fein
gefälltem schwefelsauren Baryt.
Ehe ich auf die einzelnen Abschnitte des Gefass-
Systems eingehe, will ich noch eine kurze Uebersicht der
Gefässe des Auges vorausschicken.
Das Auge mit seinen Hülfisorganen erhält bekannt-
lich sein arterielles Blut fast ausschliesslich von der
Arteria ophthalmica; die äusseren Aeste derselben anasto-
mosiren an den Lidern, der Schläfe etc. mit verschiede-
nen anderen Arterien, so mit der A. angularis, A. tem-
poralis ant, A. transversa faciei, A. zygomatico-orbita-
lis etc., so dass auch durch diese Arterien den äusseren
Theilen des Auges etwas Blut zugeführt werden kann.
Von den Aesten, welche den Augapfel selbst versorgen,
stehen jedoch nur die der Bindehaut mit diesen äusseren
Gefässen in Verbindung.
Der Abfluss des Venenblutes erfolgt durch die Vena ,
*) Eine groiiere, mit Tafeln Tenehene Arbeit fiber den gleichen
Gegenstand wurde von mir am 12. Mai d. J. der k. k. Akademie der
V^issenBchaften xa Wien Torgelegt and wird in Knrsem in den Denk-
aghriften derselben erscheinen.
ophthalmica zum grössereii Theile, entspredieud der Ar-
terie nach der Schädelhöhle hin, durch die Fissora
orbitalis snperior zum Sinus cavernosus, zum kleineren
Theil jedoch nach aussen zum Gesicht durch die weite
Verbindung der Vena ophthalmica am inneren Augen-
winkel mit der Vena facialis anterior.
Ausser den Aesten f&r die accessorischen Theile des
Auges erzeugen die Arteria und Vena ophthalmica durch
ihre Aeste 2, oder wenn man will, S verschiedene 6e-
i&sssysteme am Auge: das Netzhautgefässsystem,
das Ciliargef&sssjstem und als accessorisches, soweit
der Augapfel von Bindehaut fiberzogen ist, das Binde-
hautgefässsystem. Diese 3 Systeme besitzen beson-
dere zu- und abfahrende Gefässe, sind aber nicht voll*
standig von einander isolirt, sondern gehen mehr oder
weniger innige Verbindungen unter einander ein. Das Netz-
hautgefässsystem wird bekanntlich gebildet durch
die Arteria und Vena centralis retinae, welche durch den
Sehnerven zur Netzhaut gelangen und beide Theile mit
Zweigen versorgen. Das Ciliargefäss System versorgt
die Sclera und Aderhaut und wird gebildet von den so-
genannten Ciliararterien und Ciliarvenen. Von den Ar-
terien unterscheidet man bekanntlich 1) kurze hintere
Ciliararterien, welche directe Aeste der A. ophthal-
mica oder der A. lacrymalis sind und sich im hinteren
Abschnitte der Sclera und in der Chorioidea verästeln
und auch noch Zweige in die Eintrittsstelle des Sehner-
ven abgeben; 2) lange hintere Ciliararterien,
welche wie die vorigen entspringen und mit den folgen-
den den Ciliarkörper, die Iris und den vordersten Theil
der Chorioidea versorgen; 3) vordere Ciliararterien,
welche Aeste der Arterien der 4 geraden Augenmuskeln
sind und sich in denselben Theilen wie die vorigen verbrei-
ten, ausserdem aber noch den vorderen Theil der Sclera,
1»
den Hornhautrand und die innerste Zone der Bindehaut,
mit Aesten versorgen.
Die Giliarvenen unterscheiden sich 1) in die sogenann-
ten Wirbelvenen, Yasa vorticosa, welche im Aequator
des Auges die Hauptmenge des Venenblutes aus der Ader-
haut abführen und auch aus der Sclera Zweige aufneh-
men; 2) die hinteren Giliarvenen, kleine Gefässe,
die am hinteren Pol des Auges sich aus den Geftssen
der Sclera sammeln, aber aus der Chorioidea keine Zu-
flüsse erhalten; 3) die vorderen Giliarvenen, welche
aus dem Innern des Auges nur vom Giliarmuskel directe
Aeste aufnehmen, ausserdem aber noch Zuflüsse aus
dem vorderen Theil der Sclera, dem Hornhautrande und
der innersten Zone der Bindehaut erhalten.
Venen, welche den langen hinteren Giliararterien
entsprechen, giebt es als besondere, die Sclera durch-
bohrende Gefässe nicht.
Ueber den Zusammenhang zwischen den Gefässen der
Netzhaut und Aderhaut.
Das Netzhautgef&sssystem ist ein sehr selbständiges,
und es giebt nur eine Stelle, wo dasselbe eine Verbindung
mit dem Giliargefässsystem eingeht, nämlich die Eintritts-
stelle des Sehnerven. Diese Verbindung wird haupt-
sächlich vermittelt durch den schon von Haller und
Zinn beschriebenen arteriellen Gefässkranz in
der Sclera in der nächsten Nähe des Sehner-
ven, auf welchen bekanntlich in neuerer Zeit £. Jäger
wieder die Aufmerksamkeit der Ophthalmologen gelenkt
hat. Dieser Gefässkranz wird gebildet von 2 oder
3 Stammchen der kurzen hinteren Giliararterien, welche
|n kleiner Entfernung vom Sehnerven, nach innen und
aussen von ihm zur Sclera hintreten und in derselben
durch ihre Aeste einen rings geschlossenen Kranz er-
zeagen. Von den diesen Kranz bildenden Aesten gehen
nan, wie bei den anderen kurzen Ciliararterien, zahlreiche
Zweige zur Chorioidea, aber auch ebenso zahlreiche nach
innen in den Sehnerven hinein. An Flilchenpräparaten
der Sdera, wo man Netzhaut und Aderhaut entfernt und
den Sehnerven an seinem Eintritt in die Sclera abge-
schnitten hat, sieht man, dass diese in den Sehnerven
eintretenden Aeste sich grösstentheils in dem durch die
Sclera verlaufenden Theil des Sehnerven verästehi und
sich theils in das feine, die SehnervenbQndel umstrickende
Gefassnetz desselben aufldsen, theils mit den von der
Centralarterie in den Sehnerven abgegebenen Aesten ana-
stomosiren.
Einige Aeste sind aber an solchen Präparaten durch-
schnitten, da sie weiter rückwärts in den Stamm des
Sehnerven oder noch etwas weiter nach innen gegen die
Netzhaut zu verlaufen. Auffallend ist an solchen Präpara-
ten der ungemein grosse Gefässreichthum des Sehnerven;
man sieht bei vollständiger Injection ausser den grösse-
ren Gefässen um jedes einzelne Nervenbfindel eine feine
Gefissschlinge herumlaufen.
An Durchschnitten, welche parallel mit dem Ver-
laufe des Sehnerven durch den letzteren im Zusammen-
hang mit Sclera, Chorioidea und Ketina geführt sind,
erkennt man noch besser die Art der Vertheilung der
von dem Sehnervenkranze abgegebenen Aeste. Man sieht
hier, dass die Centralgeftsse auf ihrem Verlauf mehrere
starke Aeste in den Sehnerven abgeben, welche mit den
Arterien der inneren Scheide und weiter vom mit den
vom Sehnervenkranze abgegebenen Aesten anastomosiren
und mit denselben das den Sehnerven durchziehende
feine Geftssnetz erzeugen. Dieses letztere' setzt sich
unmittelbar in das Capillametz der Netzhaut fort Die
vom Sehnervenkranze kommenden kleinen Arterien gehen
nun theils gerade nach innen in den vor der Lamina
6
cribrosa liegenden Theil des Sehnerven, theils mehr nach
rückwärts in den Stamm des letzteren. Ihre Verbindun-
gen mit den Aesten der Centralarterie scheinen meistens
ziemlich fein zu sein. Sehr feine Aeste setzen sich auch
in die Netzhaut in der nächsten Umgebung der Papille
fort; Jedoch sind die Aeste, welche ich sah, jedenfalls
zu fein, als dass sie mit dem Augenspiegel wahrgenom-
men werden könnten; auch sah ich an mehreren injicir-
ten Netzhäuten alle für die Augenspiegelvergrösserung
sichtbaren Aeste von den Centralgefässen entspringen.
Dies schliesst jedoch nicht aus, dass nicht in manchen
Fällen einige von den in der Papille sichtbaren feinen Ar-
terien, namentlich von den sehr peripherisch auftauchen-
den, die man zuweilen beobachtet, von dem Sehnerven-
kranze abstammen könnte, ich habe es aber in mehreren
darauf hin untersuchten Netzhäuten nicht beobachtet.
An den soeben erwähnten der Längsaxe des Seh-
nerven parallelen Durchschnitten erkennt man ferner,
dass auch die Gefässe der Chorioidea direct mit denen
der Papille zusammenhängen. Viel schöner sieht man
aber diesen Zusammenhang von der Fläche her, wenn
man Sclera und Netzhaut entfernt und nur die Cho-
rioidea mit dem durch sie hindurchtretenden Theil des
Sehnerven erhält Man sieht an solchen Präparaten vom
Bande der Chorioidea sehr zahlreiche Arterien- und auch
Venenzweigchen in den Sehnerven eintreten, ja es setzt
sich die Choriocapillaris unmittelbar in das feine, die Seh-
nervenbündel umstrickende Gefässnetz des Opticus fort.
Es steht daher die Thatsache fest, dass an der Ein-
trittsstelle des Sehnerven das CiliargefiLsssystem eine
sehr innige Verbindung mit den Gef&ssen des Sehnerven
und durch diese mit denen der Netzhaut eingeht, und
dass die Ciliargefasse mit zur Ernährung der Papille und
der an sie grenzenden Theile des Sehnerven und der
Netzhaut beitragen. Diese Verbindung ist aber zum
grossten Theile arteriell, und nur zu einem sehr kleinen
Theile yenös. Ich habe trotz vieler Mühe niemals venöse
Geffisse gefunden, welche dem arteriellen Sehnervenkranze
entsprachen. Die Venen der Sclera nehmen im Umfemge
des Sehnerven weder Aeste aus der Chorioidea noch aus
dem Sehnerven auf; sie setzen sich zwar unmittelbar in
die der äusseren Sehnervenscheide fort, allein gerade in
der N&he des Sehnerveneintrittes findet man nur sehr
vereinzelte Anastomosen zwischen den Venen der äusse-
ren und inneren Sehnervenscheide, erst weiterhin am
Stamme werden dieselben zahlreicher. Nur aus der Cho-
rioidea treten direct kleine Venenzweigchen in den
Sdmerven ein. Die venöse Gefässverbindung ist daher
viel unbedeutender und mittelbarer als die arterielle.
Es ist auffallend, dass bei dieser nicht unbedeuten-
den Gefässverbindung am Sehnerveneintritt nach Embo-
lie der Centralarterie der Netzhaut, wenn dieselbe voll-
ständig ist, sich nicht ein bedeutenderer Collateralkreislauf
herstellt In den bis jetzt veröffentlichten Fällen trat
bei vollständiger Embolie immer nur eine sehr geringe,
mehrmals gar keine Besserung ein, so dass die Patienten
höchstens excentrisch in Entfernung weniger Fuss Finger
zählen konnten. Entsprechend dieser Functionsstörung
ging die anfangs bestehende Trübung der Netzhaut be-
sonders in der Gegend des gelben Fleckes allmälig in Atro-
phie derselben über. Nur in dem Falle von S chneller (ds.
Arch. Bd. VIII. A. 1. S« 271) kam der Kranke wieder
dazu feine Schrift zu lesen, und es trat keine Netzhaut-
veränderung ein. In diesem Falle war aber die Embolie
keine vollständige, wie Schneller selbst angiebt; die
Venen waren auf der Papille nicht enger, sondern dicker
als an der Peripherie, Va so breit als normal, die Arte-
rien V4 so breit, und es war, wenn auch unsichere, quan-
titative Lichtempfindung vorhanden. Die Ursache dieses
nngänstigen Ausganges nach Embolie der Centralarterien
8
trotz der Gefüssverbindang an der Eintrittsstelle des
Sehnerven kann wohl nur darin liegen, dass zum Zu-
standekommen eines Collateralkreislaufes, der ein so
ausgedehntes Capillarnetz, wie das der Netzhaut zu ver-
sorgen hat, eine beträchtliche Zeit erforderlich ist, und
dass unterdessen die ihrer normalen Ernährung beraubte
Netzhaut für die Dauer functionsunfähig wird; ist aber
einmal Atrophie der Netzhaut eingetreten, so wird man
schwerlich mehr die Entstehung eines Collateralkreis-
laufes erwarten dürfen. Der grosse Gefissreichtbum na-
mentlich der Eintrittsstelle des Sehnerven deutet hiu-
länglich darauf hin, eine wie grosse Menge arteriellen
Blutes der Sehnerv und die Netzhaut zu ihrer normalen
Ernährung nöthig haben.
Auch fflr andere pathologische Processe im Auge
muss die Gefässverbindung an der Eintrittsstelle des Seh-
nerven von Wichtigkeit sein; doch sind unsere Kenntnisse
in dieser Beziehung noch so Ifickeuhaft, dass ich hier nicht
weiter darauf eingehen will. Namentlich gewisse Formen
von Chorioido-Retinitis, wo die in der Umgebung der Pa-
pille gelegenen Theile der Netzhaut sich an einer aus-
gebreiteten Chorioiditis betheiligen, lassen sich vielleicht
auf eine Betheiligung des Sehnervenkranzes zurückfahren.
Die Existenz einer Gefässverbindung zwi-
schen Netzhaut und Aderhaut an der Ora ser-
rata wurde früher &st allgemein in Abrede gestellt,
da sie niemals durch InjecUon nachgewiesen werden
konnte. Auch ist es von vornherein unwahrscheinlich,
dass Gefässe durch die Epithelpigmentschicht der Ader-
haut hindurch zur Netzhaut hinübertreten sollten. Vor
Kurzem wurde nun von Kugel ein Versuch veröffent-
licht, den er beim Hund angestellt hatte und durch welchen
die Existenz einer Gefässverbindung an dieser Stelle
bewiesen werden sollte. (S. ds. Arch. Bd. IX. A. 3.) Er
unterband nämlich einem Hunde den Sehnerven knapp am
Auge mit einer starken Ligatur, worauf alle Netzbaut-
gef&sse erblassten. Kurze Zeit, 1—2 Stunden nachher,
f&Uten sich dieselben wieder, und zwar von der Periphe-
rie her, in immer steigendem Grade, so dass sie zuletzt
viel starker gefÜUt waren als im normalen Zustande, ja
sogar längs ihres Verbtufes kleine Ecchymosen zeigten.
Am 4. Tage wurde das Thier getOdtet, und es zeigten
sich an der Ora serrata starke Gefilssbogen, von welchen
wieder feine gegen das Corpus cUiare verlaufende Ge-
jBLsse entsprangen, „welche die eigentliche Communication
zwischen dem Geftsssystem der Betina und dem der
Chorioidea und Iris herstellen/^ Kugel giebt hier nicht
an, dass er die Communication selbst auch wirklich beob-
achtet habe, sondern er scheint dieselbe nur aus dem
Verlaufe der Gefilsse angenommen zu haben. — In vieler
Beziehung wichtig, wenn man vergleichend anatomischen
Thatsachen hier ein Gewicht beilegen darf, ist das Ver-
halten der Netzhautgefässe beim Kaninchen. Es ist be-
kannt, dass bei diesem Thiere ein grosser Theil der
Netzhaut ge&sslos ist, und dass die Gef&ssausbreitung
in derselben nur zwei zu beiden Seiten der Papille nach
aussen und innen gelegene längliche Dreiecke mit abge-
stumpften Winkeln einnimmt, welche mit ihren schmä-
leren Grundlinien die Papille zwischen sich fassen. An
injidrten Netzhäuten dieses Thieres erkennt man ganz
deutlich, dass am Rande alle Gefasse in capillaren Schlin-
gen endigen, wie dies schon von Donders angegeben
wurde (ds. Arch. Bd. L A. 2. S. 89).
Es ist interessant, dass, wie vor Kurzem von
Rosow (Experimente über die Durchschneidung des
Sehnerven in den Sitzungsber. der Wiener Akad. vom
14. April 1864) gefunden wurde, ganz ähnliche Erschei-
nungen, wie beim Hunde nach Unterbindung, auch beim
Kaninchen nach Durchschneidung des Sehnerven eintreten.
Rosow fand, dass nach Durchschneidung des Sehnerven
10
ohne gleichzeitige Verletzung der hinteren Ciliargefilsse
und Nerven die Circulation in der Netzhaut nicht unter-
brochen war; die Papille war gleich nach der Durch-
schneidung blass; die Betinalgefässe zuweilen sehr eng,
ein Mal nur die Arterien verengt, in manchen Fällen
weder Arterien noch Venen von der normalen Weite ab-
weichend. Nach 24 Stunden war die Papille meist ge-
röthet, ihre Contouren verwischt und zuweilen die Venen
merklich erweitert. Die an&ngs auftretende Hyperämie
ging im Verlaufe der Zeit wieder zurück. In einem
Falle, wo ich die Durchschneidung des Sehnerven beim
Kaninchen mit Erhaltung der Giliararterien ausführte,
konnte ich diese Angaben vollkommen bestätigen. Gleich
nach der Durchschneidung waren die Gefässe entschieden
verengert, nach 24 Stunden aber von ziemlich normaler
Weite. Durch die am 3. Tage nach der Operation vor-
genommene Section wurde die völlige Durchschneidung
des Sehnerven constatirt, und es zeigten sich am heraus*
geschnittenen Auge die Netzhautgefässe sehr schön mit
Blut gefällt. Die etwas die Norm überschreitende Blutfülle
derselben konnte daher rühren, dass das Thier durch Er-
sticken getödtet war, um die Gefasse des Auges recht
gefüllt zu erhalten. Die Venen waren viel stärker als die
Arterien; eine der letzteren war an der Eintrittsstelle
sehr schmal und erweiterte sich gegen die Peripherie zu;
die sie begleitende Vene zeigte nur in geringem Grade
das gleiche Verhalten. Nirgends erstreckten sich die
Gefasse weiter nach vorn, als bei der gewöhnlichen
Netzhautinjection, und es konnte daher das Blut nur
durch die Aeste der Giliararterien an der Eintrittsstelle
des Sehnerven zur Netzhaut gelangt sein. Da also beim
Kaninchen nach Durchschneidung des Sehnerven ganz
ähnliche Erscheinungen auftreten, wie beim Hunde, aber
bei ersterem sicher keine Gefitssverbindungen an der Ora
serrata bestehen, während bei letzterem, so viel ich weiss,
11
noch keine genügend vollständigen Ii^ectionen der Netz-
haut gemacht sind, so verliert hierdurch auch die beim
Hunde beobachtete Erscheinung fast alle Beweiskraft ftU*
die Existenz von Gefässverbindungen an derOra ser-
rata.
Lader besitze ich vom Menschen keine IiyectiAi
der Netzhaut, wo idle Gefässe bis in die feinsten Ver-
zweigungen am Bande vollständig gefüllt sind; dagegen
habe ich einige Beobachtungen gemacht, welche mir zu
beweisen scheinen, dass auch beim Menschen an der Ora
serrata keine Gefassverbindungen zwischen Netzhaut
und Aderhaut vorkommen. Ich injicirte häufig Augen,
an welchen die Arteria ophthalmica nach dem Abgang
der Centralarterie der Netzhaut durchgeschnitten war,
wo also die Netzhaut sich nicht füllen konnte. In sol-
chen Fällen konnte ich selbst bei der vollkommensten
Injection der Chorioidea niemals auch nur eine Spur
von Injection am Bande der Netzhaut entdecken, was
doch hätte geschehen müssen, wenn Gefissverbindungen
an dieser Stelle existirten. Ebensowenig sah ich an der
Chorioidea bei der genauesten Untersuchung mit der
Lonpe und dem Mikroskop an dieser Stelle jemids An-
dentangen von Gefilssfortsetzungen oder Beste von durch-
rissenen Gefassen. Dagegen fand sich häufig in diesen
Fällen die Papille und ein kleiner, daran stossender Be-
zirk der Netzhaut iqjicirt — Es scheint mir deshalb mit
Recht angenommen werden zu dürfen, dass beim Men-
schen an der Ora serrata keine Gef&ssverbindung zwischen
Netzhaut und Aderhaut stattfindet. Es fragt sich daher,
wie die Thatsachen, welche dagegen zu sprechen schei-
nen, sich erklären lassen. Auch beim Menschen kommt
nach Embolie der Centralarterie eine Erscheinung vor,
welche dem Yerhidten nach Abbinden oder Durchschnei-
den des Sehnerven bei Thieren ganz ähnlich ist; es zei-
gen sich nämlich auch hier die Gefasse, besonders die
12
Venen, an der Peripherie breiter als in der Mitte, wenn
sie auch in allen ihren Theilen die normale Breite nir-
gends erreichen. Man könnte diese Erscheinungen viel-
leicht auf folgende Art erklären. Man denke sich den
Blutstrom in der Centralarterie plötzlich aufgehoben,
so wird, wenn auch kein Blut mehr zufliesst, doch
unter fortwährender Abnahme des Durchmessers aller
Gef&sse, eine Zeit lang der Abfluss des Blutes fortbe*
stehen. Dies geht jedoch nicht bis zur vollständigen
Blutleerheit, sondern wenn der Blutdruck in der Vene
unter den intraocularen Druck herabgesunken ist, wird
in Folge des letzteren ein dauernder Verschluss ihres
Lumens eintreten und der weitere Abfluss sistirt sein.
Wie ich oben hervorgehoben habe, sind die Gefilssver-
bindungen an der Eintrittsstelle des Sehnerven vorwie-
gend arterielle; es wird daher durch dieselben fortwäh-
rend etwas Blut zufliessen, aber nicht die entsprechende
Menge wieder abfliessen können. Da nun auch der Ab-
fluss durch die Centralvene gehemmt und erschwert ist,
so muss das Blut sich in der Peripherie der Netzhaut
anhäufen, wo es hinlänglichen Baum dazu vorfindet.
Bei Embolie kann es natürlich niemals zu einer die Norm
erreichenden Blutfüllung kommen, weil der Zufluss eben
nicht bedeutend genug ist, und auch keine erhebliche
Stauung eintreten kann, da bei etwas bedeutendem Blut-
gehalt sofort der Abfluss durch die Centralvene sich
wiederherstellen müsste. Anders verhält es sich aber in
den erwähnten Versuchen, wo durch die Unterbindung
oder Durchschneidung des Sehnerven auch der Blutstrom
in der Centralvene vollständig vernichtet ist. Hier kann
es in Folge des ungenügenden venösen Abflusses, trotz
des bedeutend geringeren Zuflusses, allmälig zu einer
starken Blutstauung kommen ; das Blut wird sich in der
Peripherie anhäufen, da die grösseren Stämme durch den
13
intraoculaxen Druck mehr comprimirt werden als die
feineren Verzweigungen.
Es scheint mir daher, dass sich die beobachteten
Erscheinungen auf diese Weise genügend erklären lassen,
so dass man nicht nöthig hat, im Widerspruch mit dem
Resultate der Injectionen Geftssverbindungen an der Ora
serrata anzunehmen.
lieber den Gefässverlauf in der Aderhaut.
Man kann die gesammte Aderhaut in Bezug auf ihre
arteriellen Zuflüsse in zwei grosse natürliche Abschnitte
eintheilen, einen hinteren, die eigentliche Chorioidea,
welche hauptsächlich von den kurzen hinteren Gi-
liararterien versorgt wird, und in einen vorderen,
den Ciliarkörper mit Iris, welcher sein Blut von den
langen hinteren und vorderen Ciliararterien
erhält. Diese beiden Abschnitte hängen mit einander
zusammen durch eine Anzahl von Anastomosen, welche
die kurzen Ciliararterien im vordersten Theil der Cho-
rioidea mit rücklaufenden Arterien aus dem vorderen
Abschnitte eingehen.
Der allergrösste Theil des venösen Blutes aus der
ganzen Aderhaut besitzt einen gemeinschaftlichen Abfluss
durch die sogenannten Wirbelvenen, welche im Aequa-
tor des Auges die Sclera durchbohren, und Aeste aus der
Chorioidea, dem Ciliarmuskel, den Ciliarfortsätzen und
der Iris aufnehmen. Ein kleiner Theil des Yenenblutes,
und zwar aus dem Ciliarmuskel, besitzt noch einen be-
sonderen Abfluss durch das System der vorderen
Ciliarvenen.
I. Arterien der Aderhaut.
1) Die kurzen hinteren Ciliararterien.
Die kurzen hinteren Ciliararterien durchbohren, wie
bekannt, die Sclera, etwa 20 an Zahl im hinteren Um-
14
&ng des Bulbus, und zwar* eine Anzahl kleinerer, welche
von dem Arterienkranz um den Sehnerven abgegeben
werden, im nächsten Umkreise des letzteren, die grös-
seren Stämmchen in einiger Entfernung von ihm, an sei-
ner äusseren und inneren Seite, die zahlreichsten und
stärksten in der Gegend des hinteren Poles des Auges,
an der Macula lutea (s. die schematische Abbild. Fig. 6.
a, b). In der Chorioidea liegen sie anfangs oberftächlich,
treten aber allmälig, sichjortwährend dichotmnisch thei-
lend, in die tiefere Schicht derselben ein, wobei sie durch
A6gabe von Aesten zur Choriocapillaris sich allmälig
auflösen. Die kleineren Stämmchen haben daher nur
einen kurzen Verästelungsbezirk, während die grösseren
bis in die Gegend der Ora serrata der Netzhaut nach
vorn reichen.
Man pflegte bis jetzt nach der von Bracke in seiner
anatomischen Beschreibung des menschlichen Augapfels
gegebenen Eintheilung ausser den zum Capillarnetz der
Chorioidea gehenden sogenannten inneren Aesten noch
zwei andere Arten von Aesten dieser Arterien zu unter-
scheiden, nämlich die äusseren, welche nicht in Capil-
laren , sondern direct in ähnlich beschaffene venöse Aest-
chen übergehen, und die vorderen, welche in grosser
Zahl dicht neben einander nach vorn zu den Giliarfort-
Sätzen- und der Iris hin verlaufen sollten.
Man nahm daher mit der Existenz der äusseren
Aeste eine doppelte Art des Uebergangs von Ar-
terien in Venen in der Chorioidea an, nämlich durch
Capillaren und durch directe, nicht capillare Verbindungs-
gefasse. Die Wirkung, welche eine solche Einrichtung auf
den Blutstrom haben müsste, könnte voraussichtlich nur
die sein, dass bei dem nicht unbeträchtlichen Drucke,
unter dem das gesammte Gefasssystem des Auges steht,
die Hauptmenge des Blutes sich durch die directen Ver-
bindungen nach aussen entleerte, während die Capillaren
15
nur eine geringe Menge Blut erhielten. Es würde offen-
bar das Capillarsystem mit seinen zahlreichen Krüm-
mangen und Theilungen dem Blutstrom einen viel be-
trächtlicheren Widerstand darbieten, und daher um so
yiel weniger gefüllt werden, als die Widerstände auf
seiner Bahn die der directen weiten Verbindungen über-
treffen. In diesem Falle würden aber die Capillaren
wahrscheinlich nicht die nöthige Menge Blut erhalten,
welche sie zur Secretion der den intraocularen Druck
unterhaltenden Flüssigkeitsmeuge bedürfen. Die Existenz
einer doppelten Art des Ueberganges von Arterien in
Venen in der Aderhaut erscheint daher schon a priori
unwahrscheinlidi, und ich habe mich durch meine In-
jecfionen direct überzeugt, dass alle arteriellen Aeste in
Capillaren übergehen und keine directen Uebergangs-
gefiisse vorkommen.
Der Erste, welcher dieselben annahm, war Sömme-
ring (über das feinste Oe&ssnetz der Aderhaut im Aug-
apfel, Denkschr. d. kgl. Akad. d. Wissensch. z. München.
Bd. 7. 1821), dessen Angaben von allen späteren For-
schem angenommen wurden. In der That hat es bei
Untersuchung von Präparaten, welche mit undurchsich-
tigen Farbstoffen injicirt sind, häufig den Anschein^ als
ob Arterien direct in Venen mündeten; allein diese Prä-
parate lassen hierüber keine Entscheidung zu, da es
nicht möglich ist, bei dem enormen Gefässreichthum der
Chorioidea an undurchsichtigen Präparaten die Gefässe
im Zusammenhange zu verfolgen. Doch können auch
Injectionen mit körnigen Massen zur Untersuchung be'
nutzt werden, wenn nicht alle Theile des GefiLsssystems
gleichmässig gefüllt sind. Unvollständige Injectionen
dieser Art gewähren den Vortheil, dass man den Weg
leichter beobachten kann, den die Injectionsmasse ge-
nommen hat, da sie weniger leicht durch die Capillaren
hindurchdringt. Iiyicirt man ein Auge mit einer
16
Mischung von fein gefälltem schwefelsauren Baryt mit
Glycerin, so gelingt es sehr oft, die Injectionsmasse bis
in die Capillaren zu treiben, ohne dass die Venenstämme
gefällt sind. Man sieht dann nur etwas Injectionsmasse
in den Anfängen der Venen, welche von den Capillaren
aus in sie eingedrungen ist, während sich die grösseren
Stämme vollständig leer zeigen. Und doch sollte man
erwarten, dass mit den Capillaren auch die directen
Verbindungsgefässe und ein Theil der Venenstämme ge-
füllt wären > wenn die ersteren überhaupt existirten.
Man könnte den Einwand machen, dass sich hierbei die
Verbindungsgefässe wegen AnfüUung mit Blutgerinnseln
oder aus irgend einer anderen zufälligen Ursache nicht
gefüllt hätten; allein abgesehen davon, dass dieser Um-
stand nicht regelmässig eintreten wird, gelingt das
Gleiche auch noch, wenn man vor der Barytinjection die
Chorioidea mit einer leichtflüssigen Masse, z. B. Berliner-
blau mit Glycerin, injicirt hat, wo alsdann nach der
zweiten Injection mit Baryt alle Venen und ein Theil
der Capillaren blau und die Arterien bis in die Anfänge
der Capillaren weiss injicirt sind, und man sich hier-
durch überzeugt, dass keine verstopften Gef&sse vorr
banden sind. Ebensowenig als es auf diese Weise ge-
lingt, aus den Arterien direct die Venen zu iqiciren,
ebensowenig lässt sich umgekehrt direct von den Venen
aus Injectionsmasse in die Arterien treiben. Endlich habe
ich mich auch dadurch von der Nichtexistenz directer
Uebergänge überzeugt, dass ich an vollständig injicir-
ten Präparaten, an denen durch eine zweite andersfarbige
Injection das arterielle Ende der Gefilsse kenntlich ge-
macht war, die einzelnen Gefässe Stück für Stück in
ihrem Verlauf verfolgte und zeichnete. Während ich so
an einem grossen Stücke der Chorioidea jedem einzelnen
Gefässe in seine Verzweigungen nachging, konnte ich
schliesslich alle Aeste in Capillaren verfolgen, und nir-
17
gends einen directen Uebergang von Arterien in Venen
wahrnehmen. Es gehen daher in der Chorioidea alle
Äeste der kurzen Ciliararterien in das bekannte eng-
maschige Capillarnetz (Fig. 6. d) über, das in der
innersten Schichte derselben gelegen ist. Die Maschen
dieses Netzes sind an der Eintrittsstelle des Sehnerven
am feinsten und nehmen von hier aus nach vom suc-
cessive an Feinheit ab; besonders werden sie viel lang-
gestreckter, während sie hinten mehr rundlich sind; die
kleinen Arterien- und Yenenästchen bilden bei ihrer Auf-
lösung gewöhnlich den Mittelpunkt eines kleinen Ster-
nes von Capillaren, so dass das ganze Capillarnetz aus
solchen sternförmigen Figuren zusammengesetzt ist.
Wegen der successiven Abnahme der Feinheit der
Maschen des Capillametzes von hinten nach vom muss
auch dem entsprechend die Zahl der in Capillaren sich
auflösenden kleinen Arterien- und Yenenästchen abneh-
men. Man findet in der That in der nächsten Umgebung
des Sehnerveneintrittes eine ungemein grosse Anzahl von
kleinen Gefässen , unter denen sich die Yenen durch ihre
grössere Weite vor den Arterien auszeichnen; alle haben
aber einen stark geschlängelten, oft eigenthümlich ge-
wundenen Verlauf. Mit dem Augenspiegel hat man zu-
weilen Gelegenheit, diese Gefasse zu sehen, bei sehr
spärlichem oder fehlendem Epithel- und Stromapigment.
Es ist selbst an injicirten Präparaten schwierig, hier die
Gefasse in ihrem Verlauf zu verfolgen, wenn man nicht
durch eine doppelte Injection die Arterien kenntlich ge-
macht hat. Dieser grosse Gefässreichthum nimmt je-
doch jenseits der Macula lutea schon ziemlich bald ab,
und etwa in der Mitte des Abstandes zwischen Sehnerven-
eintritt und Aequator des Auges lassen sich an guten
Präparaten schon alle Gefasse ganz deutlich in ihrem
Verlaufe verfolgen.
Die kurzen hinteren Ciliararterien versorgen nicht
ArehlT für Ophthalmologie. XL 1. 2
18
die ganze Chorioidea, sondern der vorderste Tbeil dieser
Membran bis in die Nabe des Aequators des Auges erhält auch
Aeste aus dem vorderen Abschnitte der Aderhaut, nämlich
von den vorderen und den langen hinteren Ciliararterien.
Diese Aeste (Fig. 1, f; Fig. 6, n) laufen aus dem Ciliar-
muskel anfangs gerade nach rückwärts, und vertheilea
sich, in der Chorioidea angelangt, dichotomisch, wobei
ihre Zweige sich zum Theil in Capillaren auflösen, zum
Tbeil mit den Endästen der kurzen Ciliararterien -ana-
stomosiren (Fig. 1, h). Hall er (Historia arter. oculi; Ic.
anatom. fasc. VII. p. 45, 1754) und Zinn (Descriptio ana-
tom. ocul. hum., alt. v. ed. a Wrisberg. Gott. 1780) hat-
ten diese rücklaufenden Aeste schon deutlich be-
schrieben und abgebildet, während sie in allen späteren
Beschreibungen und Abbildungen der Gefässe des Auges,
wenigstens soviel ich sehen konnte, fehlen.
Diese Anastomosen sind die einzigen Verbindungen
in der Aderhaut zwischen den Arterien der Chorioidea
und denen des Ciliarkörpers und der Iris. Ihre Zahl
ist ziemlich wechselnd, man findet entweder eine gerin-
gere Zahl, 10—12 grösserer, oder eine grössere Anzahl
kleinerer, die dann immer in einem Abstände, der der
Breite von mehreren Ciliarfortsätzen entspricht, nach
rückwärts verlaufen. Die bis jetzt als vordere Aeste
der kurzen hinteren Ciliararterien beschriebenen Gefasse
sind, mit Ausnahme dieser rücklaufenden Arterien, Ve-
nen, welche das Blut aus der Iris unb den Ciliarfort-
sätzen nach rückwärts zur Chorioidea abführen. Man
kann sich davon sehr leicht an jedem vollständig inji-
cirten durchsichtigen Präparate des vorderen Theils
der Chorioidea mit den Ciliarfortsätzen überzeugen. Es
liegen hier fast alle Gefasse neben einander, und kreu-
zen sich nur selten, so dass es leicht ist, jedes einzelne
bei passender Vergrösserung zu verfolgen. Man sieht
nun an solchen Präparaten aus den Ciliarfortsätzen sehr
zahlreiche, dicht neben einander liegende and vielfach
anastomosirende Gefasse durch den nicht gefalteten Theil
der Fortsätze nach rückwärts verlaufen, in der Chorioi-
dea angelangt, allmälig zu grösseren Stämmchen zusam-
mentreten und schliesslich insgesammt in einen Vortex-
stamm einmünden. Zwischen diesen Venen finden sich
im glatten Theile der Ciliarfortsätze keine anderen Ar-
terien als die bereits erwähnten rttcklaufenden Aeste.
Während also nach den bisherigen Beschreibungen
die kurzen hinteren Ciliararterien ausser zur Chorioidea
aoeh noch zahlreiche Aeste zu den Ciliarfortsätzen und
der Iris abgeben sollten, erhält umgekehrt die Chorioi-
dea noch einen Theil ihres Blutes von den vorderen
and langen hinteren Ciliararterien. Femer folgt aus der
gegebenen Beschreibung, dass der vordere Abschnitt der
Aderhaut, Ciliarkörper nnd Iris, was den arteriellen Blut-
zaflass betrifft, viel unabhängiger von dem hinteren Ab-
schnitte, der Chorioidea, ist, als man dies nach den bis-
herigen Beschreibungen annehmen musste. Es kann zwar
aach unter Umständen durch die Anastomosen der kur-
zeo mit den rücklaufenden Aesten der vorderen und lan-
gea hinteren Cilararterien von den ersteren Blut dem
Ciliarkörper und der Iris zugeführt werden, allein unter
gewöhnlichen Verhältnissen wird dies nicht der Fall
sein, da die kurzen Ciliararterien nicht einmal die ganze
Chorioidea zu versorgen im Stande sind.
2) Die langen hinteren und die vorderen Ciliar-
arterien.
Die 2 langen hinteren Ciliararterien durch-
bohren die Sclera bekanntlich etwas vor den kurzen, die eine
im inneren, die andere im äusseren Theile des horizontalen
Meridians. Sie laufen sehr schräg durch die Sclera hindurch,
während die kurzen Ciliararterien ziemlich gerade durch-
treten; ihr Verlauf durch die Sclera ist so schräg, dass
2»
20
ihre Aastrittsstelle innen an der Sclera mehrere Milli*
meter weiter nach vom liegt, als ihre Eintrittsstelle
aussen. Ohne Aeste abzugeben, gelangen sie zwischen
Sclera und Chorioidea nach vorn verlaufend an den Ci-
liarmuskel, theilen sich in 2 unter spitzem Winkel aus-
einanderweichende Aeste, welche in den Ciliarmuskel ein-
treten und in demselben schräg gegen seinen vorderen
Rand hinlaufen, uro hier in den grossen Iriskrauz umzu-
biegen (s. schemat. Abbild. Fig 6, c).
Die vorderen Ciliararterien sind bekanntlich
Aeste der Arterien der 4 geraden Augenmuskeln, in
Ausnahmefällen stammt auch eine derselben von einer
Palpebralarterie ab. Sie treten durch die Sehnen der
Muskeln zur Sclera hin, verlaufen auf dieser meistens
stark geschlängelt gegen den Hornhautrand zu, um in
dessen Nähe sich in mehrere Aeste zu theilen, von denen
die meisten und stärksten die Sclera ziemlich gerade
von aussen nach innen durchbohren (Fig. 6, f). Die
äusseren Aeste, welche diese Arterien zur Sclera und
Bindehaut abgeben, werden weiter unten genauer be-
schrieben werden. Nach ihrem Durchtritte durch die
Sclera verbinden sich die in den Ciliarmuskel eintreten«
den vorderen Ciliararterien mit den Aesten der langen
hinteren und erzeugen mit diesen den sog. grossen Iris-
kranz, Circulus arteriosus iridis major (Fig. 1, a).
Derselbe ist ein ringsum vollkommen geschlossener Ge-
fasskranz, der im Ciliarmuskel an der Grenze desselben
gegen die Iris hin seine Lage hat, und an einigen Stellen
doppelt oder dreifach ist. Aus diesem Kranze gehen
nach vorne die Arterien zur Iris (Fig. 1, c) und nach
innen zu den Ciliarfortsätzen (Fig. 1, d) ab, ausserdem
auch nach hinten Aeste zum Ciliarmuskel (Fig. 1, e)
und rücklaufende Aeste zur Chorioidea (Fig. 1, f). Die
Arterien der Iris und der Ciliarfortsätze entspringen
häufig mit einem kurzen gemeinschaftlichen Stämmchen,
21
das sich alsdann in zwei Aeste tbeilt, von denen das
eine in den Ciliarfortsatz eintritt und das andere sich
zur Iris begiebt.
Ausser dem grossen Iriskranze bilden die Aeste der
langen hinteren und vorderen Giliararterien im Ciliar-
muskel noch einen anderen weiter hinten gelegenen,
unvollstfindigen Gefasskranz oder vielmehr eine Reihe
von Anastomosen, von welchen hauptsächlich die Arte-
rien zum CiliarmuskM und die rücklaufenden Arterien
zur Chorioidea abgegeben werden.
Der Ciliarmuskel erhält eine ungemein grosse An-
zahl von kleinen Arterien, welche sich baumförmig in
ihm verzweigen und ein sehr feines und dichtes Gapillar-
netz erzeugen. Die Maschen dieses Netzes sind im
äusseren Theil des Muskels, der radiäre Fasern besitzt,
dem Faserverlauf ziemlich parallel; im inneren Theil des
Muskels bilden die Gefässe auf senkrechten radiären
Durchschnitten mehr unregelmässige, vieleckige Maschen.
Die Arterien der Ciliarfortsätze (Fig. 6, e)
kommen aus dem grossen Iriskranze, möglicherweise
auch noch von den anderen Aesten der vorderen und
langen hinteren Giliararterien, was ich jedoch nicht beob-
achtet habe. Sie treten daher von aussen aus dem Ci-
liarmuskel in die Fortsätze ein, als kurze Stämmchen,
und zerfallen rasch in eine grosse Menge feiner Zweige,
welche häufig unter einander anastomosiren und bo-
genförmig gegen den freien Rand des Fortsatzes ver-
laufend in die Anfilnge der Venen übergehen. Es fiel
wir auf, dass die arteriellen Aestchen immer feiner wa-
ren als die venösen, was ich früher auf unvollständige
Fällung bezog. Nachdem ich aber ein ähnliches Verhal-
ten an den Randschlingen der Hornhaut beobachtet
habe, bin ich eher geneigt, es auch hier für normal zu
halten.
Die Arterien der Iris (Fig. 6, h) erzeugen an
22
der inneren Fläche derselben ein lockeres Capillarnetz
und ausserdem noch ein sehr feines Netz im Sphincter
pupillae (k). Einige Aeste bilden in bestimmter Ent-
fernung vom Pupillarrande den bekannten kleinen Iris-
kranz (i). Es ist auffallend, dass beim Erwachsenen die
Iris sehr schwierig zu injiciren ist, während die Chorioidea
gar keine Schwierigkeiten darbietet Vielleicht liegt der
Grund darin, dass die Arterien, welche eine ungemein
dicke Wandung besitzen, sich nach dem Tode durch ihre
Elasticität stark zusammenziehen und dadurch dem Ein-
dringen der Injectionsmasse einen bedeutenden Wider-
stand entgegensetzen. Von kindlichen Augen erhält man
dagegen ziemlich leicht genügend vollständige Injec-
tionen.
Am Pupillarrande gehen die feinsten Arterienästchen
schlingenförmig in die Anfänge der Venen über.
n. Venen der Aderhaut.
1) Die Wirbelvenen, Vasa vorticosa.
Wie schon erwähnt, sammeln diese starken Venen,
deren es in der Chorioidea gewöhnlich 5 bis 6 grosse
und eine wechselnde Anzahl, 1 bis 6 kleinere giebt, das
meiste Venenblut aus allen Theilen der Aderhaut. Wäh-
rend ihres Durchtrittes durch die Sclera, der in der Ge-
gend des Aequators des Auges stattfindet, verbinden sich
die kleineren Stämmchen mit den grösseren, so dass selten
mehr als 6 Venen aus der Sclera austreten. Ihr Verlauf
durch dieselbe ist ganz ähnlich wie der der langen hin-
teren Ciliararterien (Fig. 6, x); es stellt dabei die Vene
einen mehrere Millimeter langen Kanal dar, dessen
Wände durch zwei dünne Platten der Sclera gebildet
werden, mit denen die Venenwand fest verwachsen ist.
Es wäre nicht unmöglich^ dass diese Einrichtung unter
Umständen die Erhaltung und Vermehrung einer irgend*
23
wie im Auge entstandenen Drucksteigerung zur Folge
haben könnte. Da die Sclera an der Durchtrittsstelle
der Vene gerade ihre geringste Dicke hat und deshalb
kaum Festigkeit genug besitzt, um die durch sie ver-
laufende Vene vor einem stärkeren Drucke zu schützen,
so kann eine Steigerung des intraocularen Druckes ganz
wohl die Austrittsstelle der Vene wie ein Ventil zu-
drücken, "woraus dann wieder in Folge des gehinderten
Blutabflusses aus dem Auge eine neue Steigerung des
intraocularen Druckes hervorgehen muss. Bei den langen
Ciliararterien wird sich dies weniger geltend machen, da
der intraoculare Druck schon sehr hoch steigen müsste,
um auf sie eine Wirkung auszuüben. Ob thatsächlich
dieses Moment unter Umztänden zur Geltung kommt,
darüber könnten jedoch natürlich erst directe Versuche
Au£5chluss geben.
Alle Venen der Ghorioidea treten in der Gegend
des Aequators des Auges aus derselben aus, keine in
dem Theil, in welchem die kurzen Ciliararterien eintre-
ten, wie vielfach angenommen wurde. Die kleinen hin-
teren Ciliarvenen (Fig. 6, y), welche sich aussen an der
Sclera am hinteren Umfang des Bulbus vorfinden, er-
halten nur aus der Sclera, nicht aber aus der Aderhaut
Zuflüsse. Ebensowenig existiren in der Aderhaut Venen,
welche einen den langen Ciliararterien genau entsprechenden
Verlauf besässen. Es ist auffallend, dass man diese Ge-
fasse überhaupt angenommen hat, da es wirklich Mühe
kostet. Gefasse zu finden, welche den davon gegebenen
Abbildungen zu Grunde lagen. Die Venen bilden in der
Ghorioidea die bekannten Wirbel, indem die Stämme von
allen Seiten her bogenförmig verlaufende Gefässe auf-
nehmen; die von rückwärts kommenden Aeste zweier
benachbarter Vortices gehen dabei im hintersten Ab-
schnitte der Ghorioidea zahlreiche Verbindungen unter
einander ein, in Form von nach vorne zu offenen Gefilss-
24
schlingen. In der Mitte zwischen zwei Vortices verlaufen
nun gewöhnlich einige Venen der Länge nach von vorn
nach hinten, welche nicht direct in die Vortices eintre-
ten, sondern in die ersten, etwa in der Mitte des Ab-
standes zwischen Aequator und Sehnerveneintritt gele-
genen Verbindungsbogen derselben einmünden. Diese
Gefässe oder eines von ihnen scheint der Abbildung von
Arnold in seinen Icones org. sens. zu Grunde zu liegen,
in welcher die Vene nach vorn nur bis zum Ciliarmuskel hin
reicht und keinen gesonderten Austritt aus der Sclera hat.
Zinn lässt seine lange Ciiiarveue dagegen aus dem Ciliar*
muskel entstehen, Zweige aus der Iris aufnehmen und mit
der langen Ciliararterie verlaufen und nach aussen treten.
Von allem dem konnte ich nichts constatiren, als dass
zuweilen zwei Venen des Ciliarmuskels die Aeste einer
langen Ciliararterie eine Strecke weit begleiten und sich
zu einem gemeinschaftlichen Stämmchen verbinden, das
aber, am hinteren Rande des Ciliarmuskels angelangt^
immer in einen der zu den Vortices gehenden Venenäste
einmündet.
Die von hinten kommenden Zuflüsse der Vortex-
venen lassen die kurzen Ciliararterien eine Strecke weit
zwischen sich nach vorn verlaufen und alsdann in die
Tiefe treten; Arterien und Venen liegen hier im hinter-
sten Abschnitte der Chorioidea sehr innig neben und
zwischen einander, so dass es kaum anders möglich ist,
als dass sie gegenseitig einen je nach dem Grade ihrer
Füllung wechselnden Druck auf einander ausüben. Es
kann daher diese innige Zwischeneinanderlagerung von
in gleicher Richtung verlaufenden Arterien und Venen
zu einer Art Regulirung des Blutstromes dienen. Wird
z. B. eine etwas grössere Blutmenge in die Arterien
eingepresst, so werden dadurch die Venen einen stär-
keren Druck erfahren, der sich von hinten nach vom
fortpflanzt, und durch welchen der Abfluss des Venen-
25
blutes befördert werden muss. Umgekehrt werden bei
Stauungen in den Venen die Arterien einen von vom
nach hinten sich fortsetzenden Druck erleiden, der eine
Hemmung des Blutzuflusses zur Folge haben wird. Es
werden daher hierdurch kleine Unregelmässigkeiten des
Blutstromes sich mehr ausgleichen, so dass der Blut-
gehalt des Auges weniger bedeutenden Schwankungen
unterliegt.
Die Zuflüsse, welche die Wirbelgefässe von vom er-
halten, stammen aus der Iris, den Ciliarfortsätzen, dem
Ciliarmuskel und aus dem vorderen Theil der Cho-
rioidea.
Die Venen der Iris (Fig. 6, 14) gehen, so viel
ich sah, alle zwischen den Ciliarfortsätzen nach rück-
wärts in die zahlreichen, im glatten Theil der letz-
teren verlaufenden Venen über, welche auch noch die
Venen aus den Ciliarfortsätzen und einen Theil der Ve-
nen des Ciliarmuskels aufnehmen. Ich sah niemals aus
der Iris Venen direct nach aussen zum Schlemm 'sehen
Kanal verlaufen, auch nicht kleine Stämmchen aus ihr
durch den Ciliarmuskel nach aussen treten, während ich
aus dem Gefässnetz des letzteren selbst Venen nach
aussen sich begeben sah. Jedoch hängen die Gefasse
der Iris so innig und vielfach mit denen der Ciliarfort-
sätze und durch diese auch mit denen des Muskels zu-
sammen, dass mittelbar sich jedenfalls auch Blut aus der
Iris durch den Ciliarmuskel nach vom entleeren kann.
Das Gefässnetz der Iris sieht man unmittelbar in das der
Ciliarfortsätze übergehen.
Die Venen der Ciliarfortsätze entstehen auf
die oben beschriebene Weise aus dem Gefässnetze der-
selben, eine grössere Vene verläuft gewöhnlich am freien
Rande des Fortsatzes. In den Zwischenräumen zwischen
den Fortsätzen verlaufen die aus der Iris zurückführen-
den Venen; sie bilden mit denen der Fortsätze ein zu-
sammenhängendes Venennetz, das unmittelbar unter der
inneren Oberfläche liegt und dessen Stämme durch den
glatten Theil der Ciliarfortsätze zur Chorioidea hin ver-
laufen, aber erst an deren vorderem Rande angekommen,
an die äussere Fläche dieser Membran hintreten (Fig. 6,
13). Die Venen der Ciliarfortsätze und der Iris liegen
daher ganz nach innen vom Ciliarmuskel und treten nicht
durch ihn hindurch, sind daher seiner Wirkung vollstän-
dig entrückt, während alle Arterien zu diesen Theilen
den Ciliarmuskel durchsetzen müssen, um zu denselben
zu gelangen; und wenn, wie es wahrscheinlich ist, die
Zusammenziehung des Muskels eine Wirkung auf die
durch ihn verlaufenden Arterien ausübt, so kann sie nach
der Bichtung seiner Fasern nur in einer Hemmung des
Blutzuflusses bestehen. Man sollte daher erwarten, dass '
während der Contracüon des Ciliarmuskels, also bei
Accommodation für die Nähe, der Blutgehalt der Ciliar-
fortsätze abnimmt, da der Blutzufluss zu ihnen gehemmt
ist, der Abfluss aber ungehindert fortbesteht. Bekannt-
lich nahm man bis jetzt häufig das Gegentheil davon
an, dass nämlich die Contraction des Ciliarmuskels eine
Blutstauung in den Ciliarfortsätzen hervorbringen solle,
was aber nach der Anordnung der Gefasse nicht möglich
erscheint. In der That wurde nun vor Kurzem von
0. Becker in Wien an den Augen mehrerer Albinos
die Beobachtung gemacht, dass die Ciliarfortsätze, de*
ren Firsten man durch die Iris hindurch sehen konnte,
bei Accommodation für die Nähe kürzer wurden, und
bei Atropinwirkung wieder stärker hervortraten. Becker
erklärte diese Erscheinung hauptsächlich durch die
gleichzeitig eintretende Veränderung der Weite der Pu-
pille. Die Iris wird nämlich bei erweiterter Pupille we-
niger Blut aufzunehmen im Stande sein als bei veren-
gerter, es wird daher bei dem innigen Gefässzusammenhang
zwischen ihr und den Ciliarfortsätzen ein Theil ihres
27
Blutes bei Atropinerweiterung aus ihr austreten und die
Ciliarfortsätze stärker füllen; das Umgekehrte wird bei
Accommodation für die Nähe eintreten, wobei gleichzeitig
eine Verengerung der Pupille erfolgt Es idt wahrschein-
lich, dass dieses antagonistische Verhalten zwischen Iris
und Ciliarfortsätzeu in Bezug auf ihren Blutgehalt wirk-
lich stattfindet und dazu beiträgt, die beobachtete Er-
scheinung hervorzurufen; allein auch dem so eben be-
schriebenen Verhalten der Gefässe der Ciliarfortsätze
muss sicher eine Rolle dabei zugeschrieben werden. —
Jedoch bedarf die Wirkung des Ciliarmuskels auf die
durch ihn verlaufenden grösseren Geftsse, namentlich
in Bezug auf seine verschiedenen Faserlagen noch einer
eingehenden Untersuchung; für jetzt muss ich mich da-
mit begnügen, auf das erwähnte, wie mir scheint, nicht
unwichtige, Lageverhältniss der Gefässe aufmerksam ge-
macht zu haben.
Die Venen des Ciliarmuskels treten zum Theil
am hinteren Rande und von der inneren Fläche des
Muskels als kleine Stämmchen zu den Venen der Ciliar^
fortsätze hin (Fig. 6, 15), um mit diesen verbunden zu den
Vortices zu gelangen. Zuweilen begleiten einige derselben,
Vie schon oben erwähnt, eine Strecke weit die in circulärer
Richtung verlaufenden Aeste einer langen Ciliararterie,
münden aber gleichfalls in eine zum Vortex verlaufende
Vene ein. Ausser diesen Venen geht ein anderer Theil
am vorderen Ende des Muskels nach aussen durch die
Sclera zu den vorderen Ciliarvenen.
2) Die vorderen Ciliarvenen.
Die Püxistenz eines vorderen Abflusses für das Ve-
nenblut aus der Aderhaut wurde bisher von den meisten
Anatomen und Augenärzten angenommen, und namentlich
waren es die letzteren, welche, auf klinische Beobachtun-
gen gestützt, denselben vertheidigten, da man sehr häufig
28
^ eine stärkere Füllung der auf der Sclera verlaufenden
Venen bei Hyperämien oder Entzündungen der Aderhaut
beobachtet. Nur über die Art und Weise des Austrittes
der Venen ^ar man uneinig, namentlich darüber, ob
ausser aus dem Ciliarmuskel auch aus der Iris Venen
nach aussen treten, und ob dieser Austritt direct ge-
schehe, oder ob die Venen vorher in den Schiern mi-
schen Kanal einmünden und erst durch diesen nach
aussen gelangen. Von Rouget (Recherches sur Tappa-
reil irido - chorioidien et le m^canisme de' Tadaptation
Compt. rend. de TAcad. des sciences 1856) wurde
dagegen die Existenz eines vorderen Abflusses für
das Venenblut der Aderhaut* vollständig in Abrede ge-
stellt. Er gab an, dass nicht nur das meiste, sondern
alles Venenblut aus der Aderhaut sich durch die Vortex-
venen nach aussen entleere, und dass der sogenannte
Schlemm' sehe Kanal sowohl beim Menschen als bei
Thieren Nichts sei als ein circulärer Venenplexus in der
Sclera, der in gar keiner Verbindung mit den Gefässen
der Aderhaut stehe.
Meine Untersuchungen beziehen sich auch über die-
sen Punkt nur auf das Auge des Menschen. Für diesen
kann ich die Angaben von Rouget in einem Punkte^
bestätigen, dass nämlich der sogenannte Schlemm 'sehe
Kanal ein Venenplexus ist, nicht aber in dem anderen,
dass derselbe mit den Gefässen der Aderhaut in keiner
Verbindung steht. Man sieht an Flächenpräparaten der
Sclera, von welcher man den Ciliarmuskel abgelöst hat,
an der Stelle des Schlemm 'sehen Kanals einen sehr
zierlichen, ziemlich gleich breiten, circulär verlaufenden
Venenplexus in der innersten Schicht der Sclera (Fig.
2, d). Eine Strecke weit liegen etwa 6—7 ziemlich gleich
dicke Venen dicht neben einander und bilden durch
zaUreiche Zwischenäste ein engmaschiges Netz; an an-
deren Stellen des Umfangs werden ein oder zwei breite
29^_
Gefässe von einigen feineren zum Theil gedeckt (Fig. 2, e),
welche wieder Verbindungen mit ihnen eingehen; es
kommt hierdurch auf den ersten Anblick das Bild eines
ringförmigen Kanals zu Stande; man überzeugt sich aber
leicht, dass nirgends nur ein einfaches Gefass vorhanden
ist, sondern dass immer noch einige darüber oder dar-
unter liegen und mit ihm anastomosiren. Oft entstehen,
so zu sagen, kleine Inseln, indem sich ein kleines Ge-
fass eine Strecke weit von dem grösseren abzweigt und
sofort wieder mit ihm verbindet. Man könnte den Ein-
wand machen, dass die beschriebenen Bilder dadurch
entstehen, dass in dem weiten Kanäle die Injectionsmasse
sich unregelmässig vertheilt und an einzelnen Stellen
mehr anhäuft als an anderen. Für den Theil des Plexus,
wo alle Gefässe gesondert neben einander liegen, wider-
spricht dem schon die scharfe Begrenzung der einzelnen
Gefässe; an den Stellen dagegen, wo mehrere und zum
Theil nicht starkgefüllte Gefässe einander decken, wäre
der Einwand eher berechtigt. Macht man aber von die-
ser Gegend senkrechte Durchschnitte in radiärer Rich-
tung, so findet man an allen Stellen des Umfanges
die Durchschnitte mehrerer Gefässe, welche wieder auf
verschiedene Art unter einander zusammenhängen. Man
findet auch hier entweder mehrere ziemlich gleich weite
Ge&sse neben und zum Theil vor einander liegen, oder
ein grösseres Gefäss, das zuweilen sehr breit ist und
mehrere feine. Dieses breite Gefäss, das ich auf einem
Durchschnitt im Längsdurchmesser seines Lumens
0,225 Mm. breit fand, gab wohl zuerst die Veranlassung,
an dieser Stelle einen Kanal anzunehmen; man kann aber
viele Durchschnitte machen, an welchen man selbst
mit der Lupe keine Andeutung eines Kanals sieht. Es
lässt sich jedoch sehr leicht in das laxe Gewebe, das
die Gefässe unmittelbar umgiebt, eine feine Sonde ein-
fahren, und so eine künstliche Lücke erzeugen, oder die
30
natürliche des Gefässes vergrössern. Bei der InjecüoD
dieses vermeintlichen Kanales mit Quecksilber verhindert
die natürliche Begrenzung des elastischen Gewebes in der
Umgebung der Gefasse nach vom durch die Descemet'sche
Haut, nach hinten durch die Insertion des Ciliarmus-
kels an die Sclera die weitere Verbreitung der Masse.
\ Es findet sich daher an der Stelle, wo man bis jetzt
-den Schlemm 'sehen Kanal annahm, kein ringförmiger
Kanal, sondern ein circuläres Yenennetz, das in der in-
. nersten Schicht der Sclera, gerade nach aussen von der
Insertion des Ciliarmuskels seine Lage hat. Man könnte
deshalb dieses Geflecht am ein£Gichsten Plexus ciliaris
jvenosus benennen. — An mehreren Stellen nimmt nun
dieser Giliarplexus kleine Venenstämmchen auf, welche
aus dem Ciliarmuskel, in der Nähe seines vorderen Ban-
des, austreten. (Fig. 2, A, a.) Dieselben sind häufig
bei ihrem Austritte aus dem Muskel von einer kleinen
perforirenden Arterie begleitet, laufen eine Strecke weit
ziemlich stark geschlängelt auf der Sclera hin und neh-
men dabei kleine Venen aus der innersten Schicht der
letzteren auf, welche in dieser ein unregelmässiges, weit-
maschiges Netz sehr feiner Geftsse bilden (Fig. 2, h);
in kleiner Entfernung vom Ciliarplexus zerfallen sie als-
dann in mehrere Zweige b, welche unter einander netz-
förmig verbunden, zum Theil in den Plexus einmünden,
zum Theil nach aussen durch die Sclera durchtreten,
um mit dem oberflächlichen Yenennetze derselben (Fig.
2, f) sich zu verbinden (Fig. 2, g). Dadurch, dass die
in den Ciliarplexus eintretenden Venen vorher in meh-
rere Aeste zer£Edlen, entsteht an der Eintrittsstelle immer
eine lockere Fortsetzung des Plexus nach hinten, aus
welcher auch die nach aussen verlaufenden Aeste hervor-
gehen; ich zählte solcher Eintrittsstellen im ganzen Um-
fange des Auges in einem Falle etwa achtzehn bis zwanzig.
Den dichten, ziemlich gleich breiten Theil des Ciliarplexus
3J__
sah ich weder von seiner äusseren noch inneren Fläclie
Gefasse abgeben oder aufnehmen, sondern immer am
hinteren Rande in der eben beschriebenen Weise, Die
nach aussen führenden Venen entstehen daher auch nicht
direct aus dem eigentlichen, dem früheren Schlemm'-
schen Kanäle entsprechenden Plexus, sondern aus den
Verlängerungen desselben nach hinten an den Eintritts-
stellen der Venen des Ciliarmuskels. Das aus dem Ci-
liarmuskel kommende Blut kann daher zum Theil ziem-
lich direct nach aussen abfliessen, zum Theil gelangt es
in den gleichsam als Reservoir dienenden Ciliarplexus.
An jeder Eintrittsstelle einer Vene des Cilarmuskels
gehen immer mehrere Venen durch die Sclera nach
aussen (Fig. 2, g, g), wovon einzelne zuweilen besonders
breit sind; es setzt sich eigentlich das tiefe Geflecht durch
die Sclera an diesen Stellen continuirlich in das episcle-
rale Netz der vorderen Ciliarvenen fort. Man sieht auch
auf Durchschnitten, dass die Sclera im vordersten Theile
viel reicher an Gefässen ist als sonst, wo sich fast nur
an ihrer Oberfläche grössere Grefässe vorfinden; dieser
Gefässreichthum rührt hauptsächlich her von den- aus
dem Ciliarplexus nach aussen verlaufenden Venen. Die-
selben gehen durch die Sclera meistens nach aus- und
rückwärts, zuweilen sieht man aber auch Gefässe, welche
schräg nach vom zu den Venen des Randschlingennetzes
der Hornhaut führen, so dass auch directe Verbindungen
zwischen diesen und dem tiefen Venenplexus hergestellt
werden. (Fig. 2, i.)
Die Existenz eines Abflusses für das Venenblut der
Aderhaut durch die vorderen Ciliarvenen ist hiernach
sichergestellt. Auch erklären sich aus der von mir ge-
gebenen Beschreibung die Differenzen der Angaben der
verschiedenen Beobachter über die Art des Austrittes,
indem die Einen die Venen des Ciliarmuskels direct nach
aussen gehen Hessen, während sie nach den Anderen in
32
den Schlemm \schen Kanal eintreten, was Beides seine
Bichtigkeit hat. Jedoch unterscheidet sich der vordere
Abfluss wesentlich von dem Zufluss darch die vorderen
Ciliararterien durch seine viel geringere Mächtigkeit.
Nur ein kleiner Theil des Blutes, welches die vorderen
Ciliararterien nach innen zuführen, wird durch die vorde-
ren Ciliarvenen wieder abgeführt; dem entsprechend sind
die Stämme der vorderen Ciliarvenen auf der Sclera zu-
sammengenommen nicht so stark als die der Arterien,
während sonst die Venen immer weiter zu sein pflegen,
als die ihnen entsprechenden Arterien. Der grössere
Theil des Blutes, den die vorderen Ciliararterien zufüh-
ren, fiiesst vielmehr nach hinten ab, um sich durch die
Wirbelvenen nach aussen zu entleeren. Dies hindert
jedoch nicht, dass nicht in pathologischen Fällen der
vwdere Weg stärker in Anspruch genommen wird, wenn
der Abfluss durch die Vortices aus irgend einem Grunde
i> erschwert ist. So findet man die vorderen Ciliarvenen
bei allen Hyperämien und Entzündungen der Aderhaut,
wenn sie nicht ganz chronisch verlaufen, erweitert; es
ist aber hier fraglich, ob die Erweiterung in Folge des
. verstärkten collateralen Abflusses eintritt, oder ob sie
durch den Entzündungsreiz hervorgerufen wird. Am
ehesten kann man die starke Ausdehnung der vorderen
Ciliarvenen beim chronischen und abgelaufenen Glaucom
auf diese Art erklären; wie ich schon oben angedeutet
habe, kann in Folge des starken intraocularen Druckes
der Abfluss durch die Vortexvenen gehemmt sein, wes-
halb das venöse Blut sich in grösserer Menge durch die
vorderen Ciliarvenen entleeren muss.
Der mit diesem vorderen Venenabflusse combinirte
Ciliarplexus ist jedenfalls eine sehr merkwürdige und
wichtige Einrichtung. Der Plexus nimmt sich aus wie
ein Reservoir, das am vorderen Ende des Muskels an-
gelegt ist, und in welches das durch die Contraction des
33
Muskels ausgepresste venöse Blut abflietsen kann, um
beim Nachlass der Contraction wieder in denselben ein-
zutreten; bei dem grossen Gefässreichtbum des Ciliar-
muskels erscheint eine solche^inrichtung auch ganz be-
greiflich. So lange aber über die Wirkungsweise des Ciliar-
muskels noch keine Einigung der Ansichten erzielt ist, ist
es sehr schwer, über diesen Punkt etwas Bestimmtes zu
sj^n. So viel scheint mir sicher, dass die Contraction
des Ciliarmuskels eine Wirkung auf die Geftsse des
Flexas ausüben muss, da derselbe unmittelbar nach
aussen von der Insertion des Muskels liegt. Der Ciliar*
muskel inserirt sich nämlich zum Theil mit seinen ftusser-
sten Längsfasem an den nach innen von dem hinteren
Theil des Plexus liegenden, an circulären elastischen
Fasern sehr reichen Theil der Sclera (siehe (Tafel 3,
Fig. 7) bei a, zum Theil setzt er sich in das weiter nach
vom die Gef&sse c deckende elastische Gewebe b (in-
nere Wand des Schlemm'schen Kanals) fort, das schliess-
lich in die in Fasern gespaltene Descemet'sche Haut a
übergeht. Die nach Innen die Ge&sse deckende Lamelle
besteht nach vom zu rein aus breiten, zum grössten
Theil schräg in verschiedenen Bichtungen verlaufen-
den elastischen Fasern, von denen die oberflächlichsten
sich als Ligamentum pectinatum auf die Iris hinüber-
schlagen; an diesen breiten verästelten Fasem sieht man
unter dem Mikroskop zahlreiche mit Carmin sich roth
firbende Keme festsitzen. Weiter hinten schieben sich
zwischen diese breiten elastischen Fasem allmälig immer
mehr feine circulär verlaufende ein, die endlich nach
Innen vom hintersten Theil des Plexus am reichlichsten
und fast dicht nebeneinander liegend auftreten. Auch
hier sieht man mit Carmin und Essigsäure allenthalben
sehr zahlreiche, roth gefärbte Kerne, deren Bichtung dem
Laufe der Fasem entspricht. Die Zusammenziehung der
ArelilT für Ophtfulioologie. XL 1. 8
34
circulären Fasern des Ciliarmuskels wird wahrscheinlich
die nach innen von dem Plexus liegende elastische Lamelle
noch weiter nach innen ziehen und daher eine Erweite-
rung der Gefässe bewirken; über die Wirkung der Ba-
dialfasern auf den Plexus möchte ich mir jedoch vor der
Hand noch kein bestimmtes Urtheil erlauben. (Siehe
Tafel 3, Fig. 7.)
Ueber die äusseren Gefässe des Auges.
Soweit der Augapfel von Bindehaut überzogen ist,
muss man an ihm zwei Gefässschichten unterscheiden,
eine oberflächliche, die GefiLsse der Bindehaut und des
subconjunctivalen Gewebes, imd eine tiefe, die Ausbreitung
der vorderen Ciliargefässe auf der Sclera enthaltende.
Die Gefässe der peripherischen Theile der Scleral-
bindehaut stammen bekanntlich von den Palpebralge-
bissen; sie sind in ihren Verzweigungen von den darun-
ter liegenden vorderen Giliargefassen fast vollständig ge-
schieden, und es treten nur ganz vereinzelte Aeste der
letzteren zur Bindehaut über; im Anhulus conjunctivae
dagegen geht eine grosse Anzahl von kleinen Arterien-
und Venenschlingen nach aussen zur Bindehaut, um in
dieser radiär nach rückwärts zu verlaufen, die innerste
Zone der Bindehaut mit Aesten zu versorgen und mit
den peripheren Bindehautgefässen zu anastomosiren.
35
I. Die vorderen Ciliargefässe.
1) Die vorderen Ciliararterien.
Wie schon oben erwähnt warde, stammen die vor-
deren Ciliararterien von den Arterien der vier geraden
Aagenmnskeln ab, und treten durch die Sehnen dersel-
ben zur Sclera hin. Gewöhnlich kommen von oben, innen
und unten je 2 Arterien und von aussen nur eine,
welche meist schwach entwickelt ist. Sie verlaufen ge-
schlängelt gegen den Homhautrand hin und theilen sich
in einiger Entfernung von ihm in mehrere Aeste, welche
nach Abgabe von feinen episcleralen Zweigen die Sclera
ziemlich gerade von aussen nach innen durchbohren ; die
inneren Arterien zeichnen sich hierbei gewöhnlich durch
ihre sehr starken Schlängelungen aus. Häufig bilden
zwei dieser Gefässe einen Verbindungsbogen, welcher
dann wieder perforirende Aeste abgiebt.
Ausser von den Muskelarterien wird zuweilen eine
vordere Ciliararterie auch von einer Palpebralarterie ab-
gegeben, und läuft dann in der Bindehaut bis in die
Nähe des Hornhautrandes, wo sie alsdann in die Tiefe
tritt, um die Sclera zu durchbohren. Zinn hatte schon
diese Arterie ganz richtig beobachtet, während Sömme-
ring in seinen Abbildungen derselben keine Erwähnung
thut. Ich selbst hatte dieselbe bei der Untersuchung
mehrerer injicirter Augen nicht gefunden, was ganz er-
klärlich ist, da sie nicht bei jedem Auge vorkommt.
Durch die kürzlich erschienene Aijpeit von J. J. C. van
Woerden (Bijdrage tot de kennis der uitwendig zigt-
bare vaten van het oög in gesonden en zieken toestand),
3»
36
welcher unter Donders' Anleitung die äusserlich sicht-
baren Gefilsse des Auges genau beschrieben hat, wurde das
Vorkommen dieses Ge&sses nach Beobachtungen beim le-
benden Menschen bestätigt. vanWoerden giebt an, dass
dasselbe fast immer an der äusseren Seite des Auges, meist
etwas nach unten, seltener nach oben zu finden ist, und
als ein gerades, hellrothes Gefäss, ohne Aeste abzugeben,
in der Bindehaut nach vorn gegen den Homhautrand zu
verläuft, um nicht fern von diesem die Sclera zu durch-
bohren. Unter vier Individuen soll man dasselbe einmal
antreffen. Ich habe jedoch wohl ein Dutzend Leute
darauf hin untersucht, bis ich ein Gefass fand, welches
der Beschreibung von van Woerden entsprach. Es
lief von oben und aussen ziemlich gerade gegen die
Hornhaut zu und stammte entschieden nicht von einem
Muskelgefässe; es tbeilte sich in der Nähe des Horn-
hautrandes in zwei perforirende Zweige und gab ausser-
dem unmittelbar vor der einen Durchtrittsstelle einen
feinen episcleralen Ast ab, der bei genauer Betrachtung
mit der Loupe an dem geschlängelten Verlauf und seiner
Begleitung durch zwei feine, zu beiden Seiten mehr ge-
streckt verlaufende Venen deutlich als Arterie erkannt
werden konnte. Das Gefäss war bis an die Durch-
trittsstelle verschiebbar, aber nicht ganz so helhroth,
als die anderen Gonjunctivalgefässe. Ganz vor Kurzem
habe ich dieses Gefäss auch au zwei Präparaten aufge-
funden und mich so von seinem Vorkommen nochmals
überzeugt. Ueber die Häufigkeit seines Vorkommens
kann ich jedoch keine näheren Angaben machen.
Man sieht die Stämme der vorderen Ciliararterien
sehr deutlich an jedem gesunden Auge, und sie sind es,
welche durch ihre Stärke meistens zuerst in die Augen
fallen. Man sieht sie sogar zuweilen aus der Sehne des
Muskels hervortreten, und kann sie bis zu ihrem Durch-
tritte durch die Sclera verfolgen. Ihre Farbe ist nicht
37
hellroth^ sondern mehr carminroth, obgleich sie Arterien
sind, was offenbar von der Deckung der Farbe durch die
darüber liegende Bindehaut herrührt; durch diese Farbe
sind sie deutlich von den darüber liegenden zinnober-
rothen Bindehautgeftssen zu unterscheiden, ebenso da-
durch, dass sich die Bindehaut über ihnen verschieben
lässt, während sie selbst nur im äusseren Theile ihres
sichtbaren Verlaufes mit dem subconjunctivalen Gewebe
etwas verschiebbar sind. Man überzeugt sich auch leicht
davon, dass es Arterien sind, durch den bekannten Hand-
griff, dass man mit dem Augenlid in der Richtung des
Blutstromes einen Druck auf das Gef&ss ausübt, worauf
sich dasselbe bei Nachlass des Druckes sofort wieder
vom Stamme aus anfüllt; sie unterscheiden sich dadurch
sehr deutlich von den Venen, bei welchen die Füllung
von der Peripherie aus und . viel langsamer eintritt.
Ausserdem unterscheiden sie sich noch von den äusseren
Ciliarvenen durch ihren geschlängelten Verlauf und die
deutlich zu sehenden perforirenden Aeste. Die Durch-
trittssteile der letzteren ist gewöhnlich besonders reich
an sternförmigen Pigmentzellen, sie erscheint deshalb
meistens als ein dunkler Punkt im Umfang des in die
Tiefe tretenden Gefisses.
Mit blossem Auge sieht man die vorderen Ciliar-
arterien keine anderen Aeste abgeben, als die, welche
die Sclera durchbohren; jedoch bemerkt man, wie van
Woerden ganz richtig angiebt, dass sie gegen den
Homhautrand zu immer feiner werden. Nur hier und da
sieht man von ihnen ein feines Gefilsschen abgehen und
sich, auf der Oberfläche der Sclera verlieren. Trotzdem
geben sie zahlreiche episclerale Aeste ab, welche aber
in den peripherischen Theilen der Sclera wegen der
grösseren Dicke und ündurchsichtigkeit der Bindehaut
nicht zu sehen sind, und näher dem Homhautrande eine
zu grosse Feinheit besitzen, als dass sie selbst durch
38
die hier so dünne Bindehaut deutlich gesehen werden
könnten.
Die episcleralen Aeste (Fig. 3, c) sind ziemlieh fein
und erzeugen auf der Sclera ein Netz von weiten Gef&ss-
maschen, aus dem das gleichfalls weitmaschige Capillar-
netz der Sclera hervorgeht. Die feineren Arterienzweige
zeichnen sich gleichfalls durch ihren mehr geschlängeiten
Verlauf vor den Venen aus, welche sie meist zu zweien
auf beiden Seiten begleiten. Die am weitesten nach
rückwärts reichenden Aeste anastomosiren mit den vor-
dersten Scleralästen der hinteren Ciliararterien.
Am Hornhautrande findet eine stärkere Entwickelung
des episcleralen ßefässsystems statt. Die hier von den
vorderen Ciliararterien abgegebenen episcleralen Aeste
biegen in der Nähe des Homhautrandes seitlich um und
laufen im Annulus conjunctivae dem letzteren annähernd
parallel (Fig. 3, d); sie gehen dabei bogenförmige Ver-
bindungen unter einander ein, aus deren vorderem Rande
in regelmässigen Abständen feine Geftsse (e) über den
Hornhautrand hinüber verlaufen, welche das Randschlin-
gennetz der Hoinhaut erzeugen und eine Anzahl zur
Bindehaut hinübertretender Gefassschlingen abgeben.
(Fig. 6, p, q.) Zuweilen werden die bogenförmigen Ver-
bindungen im Annulus conjunctivae von grösseren Aesten
gebildet und sind dann auch am lebenden Auge sichtbar,
die meisten sind aber zu fein, um am Lebenden gesehen
zu werden. Bei Verfolgung dieser Aeste unter dem Mi-
kroskop sieht man, dass ausser den grösseren, mit blos-
sem Auge sichtbaren perforirenden Aesten auch noch
eine Anzahl feiner nur bei starker Vergrösserung sicht-
barer vorkommen. (Fig. 3, b.)
Ehe ich in der Beschreibung des Gefässverlaufes
weiter gehe, muss ich zuerst einige Bemerkungen über
den Homhautrand einfQgen. Bekanntlich reicht der so-
genannte Annulus conjunctivae, d. h. der Randtheil der
39
Bindehaat, der noch submucöses Gewebe besitzt, eine
Strecke weit über den Homhautrand hinüber, und zwar
fast immer oben und unten weiter als aussen und innen;
die Hornhaut erscheint daher auch von vom als ein
liegendes Oval, während ihre Begrenzung hinten durch
den inneren Rand des Ciliarplexus, so viel ich sah,
immer kreisrund ist. Die Tunica propria der Scleral*
bindehaut geht nun in die Bowman'sche Membran
über, sie wird aber nicht auf einmal homogen, sondern
es existirt eine sehr schmale Randzone, wo die Bindehaut
nicht mehr verschieblich ist, also kein subconjunctivales
Gewebe mehr besitzt, wo sie aber noch nicht homogen,
sondern gefasert aussieht Es ist an dieser Stelle auf
mikroskopischen Durchschnitten kaum möglich, die Bin-
dehaut von der darunter liegenden Hornhaut zu unter-
scheiden. Oberflächlich scheint sich die Bowman'sche
Haut zuweilen noch etwas nach aussen fortzusetzen, wäh-
rend sie in der Tiefe schon in Fasern gespalten ist.
Das feine Gefiissnetz reicht nun ungefiihr soweit über
den Homhautrand hinüber, als diese Randzone der Horn-
haut reicht, und endigt alsdann in capillaren Randschlin-
gen. Es ist schwer zu sagen, ob die Gefässe in dieser
Zone in der Bindehaut liegen, da dieselbe hier von der
Hornhaut kaum zu unterscheiden ist; man kann es aber
annehmen, da sie in der obersten Schichte gelegen sind.
Die oben erwähnten feinen Arterien, welche in glei-
chen Abständen vxm einander über den Homhautrand
hinüber laufen, und die ich die arteriellen Mutter-
gefässe des Randschlingennetzes (Fig. 3, e,
Fig. 4, a) nennen will, erzeugen nun im Limbus con-
junctivae und in der Randzone der Hornhaut durch mehr-
fache dichotomische Theilung ein aus sehr feinen GefiLs-
sen bestehendes Netz (f ), dessen Maschen ziemlich scharfe
Winkel bilden. Die Arterien zeichnen sich hier durch
ihre ungemeine Feinheit aus und haben abweichend von
40
ihrem sonstigen Verhalten einen sehr geradlinigen Ver-
laut Die Muttergefässe des Randschlingennetzes sind
an einem gut iiyicirten Präparate gerade noch mit blos-
sem Auge zu sehen, während ihre feinen Verzweigungen
nur mit der Loupe einzeln unterschieden werden kOnnen.
Die feineren Verzweigungen der Arterien sind gewöhn-
lich von ähnlich verlaufenden Venen begleitet, und sie
wiederholen im Kleinen die Anordnung der grösseren
Aeste, indem sie kleine Bogen bilden, aus denen wieder
nach vom feinere Gefässe hervorgehen. Die feinsten
Arterienzweigchen biegen nun schlingenförmig um und
gehen, sich allmälig stark erweiternd, in die Anfänge der
Venen über. (Fig. 4, c. f.) Es liegen gewöhnlich meh-
rere Beihen von Schlingen vor einander, die äussersten,
welche die eigentlichen Bandschlingen darstellen, sind
aber am deutlichsten ausgebildet Der rücklaufende ve-
nöse Schenkel der Schlinge ist immer beträchtlich weiter,
an meinen Injectionen wenigstens doppelt so weit als
der aufsteigende arterielle. Wie schon oben erwähnt,
reichen diese Bandschlingen ungeföhr so weit nach in-
nen, als die Bindehaut noch ge&sert ist, weiter nach in-
nen finden sich an der normalen Hornhaut keine Ge-
isse vor.
Es würde mich zu weit führen, wenn ich hier auf
die zahlreichen für und gegen die Existenz sogenannter
seröser Homhautgefässe geschriebenen Arbeiten eingehen
sollte; ich will mich daher darauf beschränken, die Be-
sultate meiner Beobachtungen anzugeben. Ich konnte
selbst bei den gelungensten Iigectionen normaler Augen,
besonders bei Kindern, wo man die Bandschlingen ganz
prall gefällt erhalten kann, ausser den letzteren niemals
weiter nach innen in die Hornhaut hinein verlaufende
Gefilsse wahrnehmen; auch sind die arteriellen Gefässe
am Hornhautrande so fein, dass sie gerade nur zur Er-
Zeugung des Bandschlingennetzes und der zur Bindehaut
41
gdienden Geflssschlingen hinreichen, nicht aber noch
weitere Aeste nach innen abgeben könnten. Dagegen
sah ich mehrmals an scheinbar normalen Augen Gefäss-
fortsetzangen nach innen gegen die Mitte der Hornhaut
zu verlaufen, konnte mich aber jedesmal durch feine
Durchschnitte überzeugen, dass die Hornhaut Reste pa-
thologischer Veränderungen darbot Da diese Unter-
suchung bei den von Anderen gemachten Injectionen
der Geftsse der Hornhaut vers&umt wurde, so lassen sie
alle den Einwand zu, dass die Geftsse in Folge patho-
logischer Prozesse neugebildet gewesen seien und kön-
nen fQr einen Geftssgehalt der normalen Hornhaut nichts
beweisen.
Man nahm bis jetzt gewöhnlich an, dass das Rand-
schlingennetz der Hornhaut von den Bindehautgeftssen
gebildet werde, w&hrend es in der That von den Ciliar-
gelassen abstammt; ja es erhält vielmehr die den Hom-
hautrand umgebende Zone der Bindehaut gleichfalls ihre
Gefasse von dem Ciliargeftsssystem. Es gehen nämlich
im Annulus conjunctivae von den arteriellen Mutterge-
ftsaen des Randschlingennetzes dicht neben einander in
Entfernungen von 'A— Vs Mm. zahlreiche feinere und
gröbere Geftssschlingen zur Bindehaut hinüber ( Fig. 3,
g, Fig. 4, d, Fig. 5, a), laufen in dieser radiär nach rück-
wärts, und verästeln sich theils in der innersten 3 — 4 Mm.
breiten Zone der Bindehaut, theils anastomosiren sie mit
den peripherischen Bindehautarterien. Ich will diese
Geftsse, da ihr Verlauf ganz dem der vorderen Binde-
hautgeftsse, welche van Woerden beschreibt, entspricht,
vordere Bindehautarterien nennen. Die meisten
dieser Geftsse sind ungemein fein, so dass sie beim nor-
malen Auge ohne Vergrösserung nicht zu sehen sind, und
treten alsdann ganz am inneren Rande des Annulus con-
junctivae aus der Tiefe hervor, machen aber trotz ihrer
Feinheit doch fast alle einen Verlauf von 3—4 Mm.
42
um Anastomosen mit den peripherischen oder hinteren Binde-
hautarterien einzugehen (Fig. 5). In grösseren Abständen
von 2 Mm. und mehr, sieht man etwas stärkere Stämmchen
von gleichem Verlauf, die gewöhnlich etwas mehr peri-
pherisch, und zum Theil noch in 2 Mm. Entfernung vom
Hornhautrande entspringen, während in grösserer Ent-
fernung gewöhnlich nur ganz vereinzelte Stämmchen aus
der Tiefe hervortreten. Am gesunden lebenden Auge
sieht man die grösseren von diesen Gefässen mit der
Loupe, indem sie fast constant die stärkeren ähnlich ver-
laufenden Venen begleiten, welche man auch zum Theil
deutlich mit blossem Auge .erkennt. Diese sind offenbar
die Gefässe, die van Woerden als vordere Bindehaut-
geßisse beschrieb, während ihm die Arterien wegen ihrer
Feinheit entgangen zu sein scheinen. Man sieht jedoch
in manchen Fällen ziemlich deutlich neben der stärkeren
Vene noch eine feinere Arterie verlaufen und dieselbe
in ihren Verästelungen begleiten.
2) Die vorderen Ciliarvenen.
Die vorderen Ciliarvenen stammen gleichfalls, wie
die Arterien, von den Gefilssen der geraden Augenmus-
keln ab. Ihre Stämmchen entsprechen nicht genau, son-
dern nur ungefähr denen der Arterien^ es sind gewöhn-
lich eine grössere Zahl, 2—3, von jedem Muskel, wäh-
rend immer nur höchstens 2 Arterien vorkommen;
dagegen begleiten ihre episcleralen Aeste meistens die
entsprechenden Arterien, und zwar gewöhnlich zu zweien,
auf beiden Seiten eine. Da die vorderen Ciliarvenen
nur einen Theil des Blutes abzufahren haben, das die
vorderen Ciliararterien zuführen, so ist es natürlich, dass
sie eine viel geringere Dicke besitzen, als die Arterien.
Diese Venen sind die episcleralen Gefässe, welche van
Woerden beschreibt, und von welchen er zwar annimmt,
43
dass sie zum grössten Theii Venen seien, aber doch ver-
muthet, dass ein Theil derselben auch Arterien sein
konnten. Sie sind während des Lebens im normalen Zu-
stande nicht bei allen Individuen zu sehen, sondern
meist nur bei solchen, welche eine dünne Bindehaut be-
sitzen und deren Augen etwas hyperämisch sind. Sehr
deutlich treten sie aber bei Reizung des Auges hervor,
wo sie sich stark erwdtern. so schon beim einfachen
Beiben des Auges mit dem dasselbe bedeckenden Lide,
noch starker jedoch, wenn ein fremder Körper eine Zeit
lang im Bindehautsack und auf der Hornhaut ver*
weilt hat.
Man kann bei diesen Gelassen die gleichen Aeste
unterscheiden, wie bei den Arterien, nämlich 1) Aeste
zum Capillametz der Sclera, 2) zum Randschlingennetz
der Hornhaut, 3) vordere Bindehautvenen, 4) perforirende
Aeste.
Die Stämme der vorderen Ciliarvenen (Fig. 3, h)
spalten sich gleich nach ihrem Ursprung in mehrere
Aeste, welche sich baumförmig auf der Sclera verzweigen
und in der Nähe des Hornhautrandes ähnlich, wie die
Arterien, doch meistens in etwas grösserem Abstände
von demselben durch gegenseitige Verbindung Gefäss-
bogen (k) bilden, ans welchen nach vom zu die über den
Homhautrand hinfiberlaufenden Aeste oder die venösen
Muttergefässe des Randschlingennetzes hervor-
gehen. Die Venen haben während des Lebens die gleiche
carminrothe Farbe wie die Arterien; ausser durch ihre
geringere Weite unterscheiden sie sich von ihnen beson-
ders durch ihren mehr gestreckten Verlauf.
Alle Verzweigungen der vorderen Ciliarvenen liegen
unmittelbar auf der Sclera und hängen unter einander
zusammen durch ein Netz von ziemlich feinen polygona-
len Maschen (i), welches nach hinten zu sich allmälig
lockert und in einem Abstände von 5 — 6 Mm. vom
44
Hornhautrande in das weitmaschige, die übrige Ober-
fläche der Sciera deckende Gefässnetz übergeht Die
Arterien bilden in dem von diesem Netze bedeckten
Theil der Sciera das oben beschriebene viel weitmaschigere
Netz, wobei sie gewöhnlich von 2 Venen zu beiden Seiten
begleitet werden und mit ihnen das lockere Gapillametz
der Sciera erzeugen. Es ist daher das episclerale Ve-
nennetz, wie man das erstere schlechthin nennen kann,
kein Capillarnetz, sondern ein Netz von venösen Anasto*
mosen, wie das des Ciliarplexus, mit welchem es auch
in inniger Verbindung steht Dasselbe ist beim nor-
malen Auge nicht zu sehen, tritt dagegen bei Reizung '
des Auges zum Vorschein, doch nicht so deutlich als
die gröberen Verzweigungen der vorderen Ciliarge&sse.
Sehr schön sieht man es häufig bei Iritis und anderen
inneren Augenentzündungen, wo es sich als die bekannte
tiefliegende bläuliche Röthe darstellt, die eine ziemlich
breite Zone der Sciera im Umfange der Hornhaut ein-
nimmt und sich nicht immer vollständig in die einzelnen
Gefilsse auflösen lässt
Die venösen Muttergefiisse des RandsChlingennetzes
(Fig. ,4, e) laufen über den Homhautrand hinüber und
hängen in ihren Verzweigungen, wie die auf der Sciera
verlaufenden Aeste, zusammen durch eine unmittelbare
Fortsetzung des episcleralen Venennetzes, dessen Maschen
aber hier noch feiner sind als auf der Sciera. Die fei-
neren Zweige sind immer von ähnlich verlaufenden, aber
viel feineren Arterien begleitet, bilden daher wie diese
kleine Bogen, aus denen die feinsten Aestchen (Fig.4,f)
hervorgehen, die alsdann in der oben beschriebenen
Weise schlingenfSrmig in Arterien übergehen.
Die vorderen Bindehantvenen entstehen ganz
ähnlich wie die Arterien durch schlingeniörmiges Um-
biegen der Venenäste im Annulus coi^nnctivae (Fig. 4, g),
was man, wie van Woerden ganz richtig angiebt, auch
45
beim Lebenden ganz deutlich erkennen kann, indem man
ein oberflächliches hellrothes Ge&ss schlingenförmig in
ein tiefes canninrothes umbiegen sieht Sie treten gleich
nach ihrem Ursprung zu einer vorderen Bindehautarterie
hin, welche sie weiterhin auf ihrem Verlauf begleiten.
Wie schon erwähnt, sind sie zum grössten Theil die von
van Woerden beschriebenen vorderen Bindehautgefässe,
da die Arterien meist zu fein sind, um mit blossem Auge
gesehen zn werden.
Man sieht jedoch auch von den Venen bei normalen
Augen immer nur die stärksten, weshalb van Woerden
eine viel geringere Anzahl annahm als wirklich vorkom-
men. Es scheint, dass die Gefilsse eine gewisse Fein-
heit nicht überschreiten dürfen, um überhaupt noch ge-
sehen zu werden; der Grund hierfür scheint mir derselbe
za sein, der schon von Liebreich zur Erklärung der
Tbatsache, dass man die Choriocapillaris des Menschen
mit dem Augenspiegel nicht sehen kann, angegeben
wurde, dass nämlich das Blut in so dünnen Schichten,
wie sie die feinsten Gefisse darbieten, nicht mehr Färbe-
kraft genug besitzt, um die Gefässe von der Umgebung
unterscheiden zu können. Man sieht daher nur die Ge-
fasse deutlich mit blossem Auge und mit Vergrösserung,
welche ein gewisses Maass der Feinheit nicht über-
schreiten.
Die vorderen Bindehautvenen (Fig. 5, a, b) ent-
sprechen in Entstehung, Zahl und Verlauf vollständig
den Arterien; sie gehen wie diese mit den hinteren
Bindehautgefässen Verbindungen ein, zuweilen setzt sich
eine derselben unmittelbar in eine hintere Bindehautvene
fort. Manchmal ist diese Verbindung so weit, dass es
den Anschein hat, als ob durch sie die betreffende hin-
tere Bindebautvene aus dem BandscUingennetz oder
selbst aus dem Inneren des Auges Blut zugeführt
erhielte. Dieses Verhalten entspricht dann dem Vor-
46 _
kommen einer in der Bindehaut verlaufenden vorderen
Ciliararterie, es ist aber die Ausnahme; als Regel muss
man annehmen, dass die vorderen Bindehautvenen ihr
Blut in die Ciliarvenen abführeu.
Die Aeste, welche die vorderen Ciliarvenen von
innen aus dem Ciliarmuskel und Ciliarplexus erhalten^
wurden schon oben genauer beschrieben. Es wurde er-
wähnt, dass sehr zahlreiche Aeste die Verbindung zwi*
sehen dem oberflächlichen und tiefen Venennetze (Fig. 2,
f, g) unterhalten, so dass der vordere Theil der Sclera
von zahlreichen Venen durchzogen ist. Einige von die-
sen nach aussen führenden Aesten sind zuweilen beson-
ders stark, so dass man alsdann auf der Sclera ein ziem-
lich breites Venenstämmchen aus der Tiefe auftauchen
sieht, van Woerden giebt auch ganz richtig an, dass
beim Lebenden häufig solche Aeste in der Nähe des
Hornhautrandes zum Vorschein kommen, welche eine
dunklere Farbe haben und den Eindruck machen, als ob
sie aus dem Innern des Auges abstammten. Ebenso er-
wähnt er den Zusammenhang dieser aas der Tiefe kom-
menden Aeste mit dem feineren Gefasskranz um die
Hornhaut, also dem Randschlingennetze, da die gleichen
Stämme sowohl Aeste aus den Randschlingen, als aus
der Tiefe des Auges aufnehmen.
Auch von diesen aus der Tiefe kommenden Aesten
sieht man nur einen Theil, obgleich sie regelmässig im
ganzen Umfange des Auges vorkommen, da auch sie
nicht überall stark genug sind, um durch die Bindehaut
hindurch gesehen zu werden. In einem Falle von chro-
nischer Cyclitis sah ich diese tiefen Aeste der vorderen
Ciliarvenen ganz besonders zahlreich und deutlich, während
die Injection der zum Randschlingennetz führenden Aeste
weniger ausgesprochen war. Auch giebt vanWoerdenan,
dass bei Cyclitis die Injection um den Homhautrand noch
weiter nach hinten reicht und stärker ist als bei Iritis, und
47
noch tiefer verborgeu erscheint als bei letzterer; dies
kann ganz wohl davon herrühren, dass bei dieser Ent-
zündung auch die durch die Sclera verlaufenden Aeste
der vorderen Ciliarvenen stärker ausgedehnt sind.
n. Die hinteren oder eig^tlichen Bindehautgefässe.
Die peripherischen Theile der Scleralbindehaut und
des subcohjunctivalen Gewebes erhalten ihre Gefässe von
den Palpebral- und Thränengeßssen. Man sieht dieselben
in der Uebergangsfalte oder schon in der Bindehaut der
Sclera aus der Tiefe auftauchen und als kleine, hellrothe,
leicht geschlängelte Stammchen, die sich mit der Binde-
haut verschieben lassen, nach vorn verlaufen. Sie bilden
mit ihren Verzweigungen kleine Bogen, aus deren
vorderem Rande wieder feinere Gefässe hervorgehen
(Fig. 5, c). Wie bei den vorderen Bindehautgefässen,
begleitet fast immer eine etwas dickere Vene eine
feinere Arterie auf ihrem Verlauf, häufig auch sieht man
2 Venen zu beiden Seiten der Arterie. Sie anastomo-
siren, sowohl die Arterien, als die Venen, etwa 4 Mm.
vom Homhautrande entfernt mit den vorderen Binde-
hautgefilssen auf die bereits näher beschriebene Weise.
Man kann diese Gefässe, besonders die Venen an jedem
normalen Auge deutlich sehen^ allein auch die nebenher
verlaufende Arterie kann man häufig bei genauerer Be-
trachtung erkennen. Sie sind es, welche bei katarrhali-
schen Affectionen der Bindehaut sich stärker gefüllt zeigen.
Das Capillametz, welches diese Gefässe erzeugen
(Fig. 5, d), ist in der eigentlichen Scleralbindehaut ziem-
lich locker, während im Uebergangstheil ein viel dich-
teres Netz vorhanden ist. Es kannn daher, wie auch
van Woerden angiebt, eine einfache Hyperämie dieser
Gefässe das Auge niemals stark roth machen.
48
Von den äusseren Geftssen des Auges sieht man
daher am Lebenden nur einen Theil, nämlich vor Allem
die vorderen Giliararterien mit ihren grösseren perfori-
renden und Andeutungen ihrer episcleralen Aeste; die
vorderen Ciliarvenen nur zuweilen, aber constant bei
Reizung des Auges, wo man dann ihre Stämme und
grösseren Aeste, ihre Aeste zum Bandschlingennetz, die
grösseren perforirenden Aeste, auch etwas von dem
episcleralen Yenennetze erkennt; femer sieht man die
hinteren und die stärkeren von den vorderen Bindehaut*
venen und zuweilen diese begleitend einige von den ent-
sprechenden Arterien. Alle Bindehautgefässe, mögen sie
Arterien oder Venen sein, zeichnen sich durch ihre helle
zinnoberrothe Farbe aus, auch das Bandschlingennetz
der Hornhaut, das man zuweilen bei Reizung oder Ent-
zündung des Auges sehr schön gefüllt sieht, hat eine
hellrothe Farbe; zwischen den Arterien und Venen der
Bindehaut lässt sich wegen der Feinheit der ersteren
kein Farbenunterschied erkennen. Alle subconjunctivalen
Gefasse sind dagegen carminroth, sie mögen gleichfalls
Arterien oder Venen sein. Zum grössten Theil rührt
dieser Farbenunterschied her von der Deckung der tiefen
Gefässe durch die Bindehaut; doch kann, wie van
Wo er den annimmt, die hellrothe Farbe der Bindehaut-
venen auch zum Theil durch einen Gasaustausch in den-
selben zwischen Blut und atmosphärischer Luft her-
rühren.
In pathologischen Fällen sind häufig Theile des
äusserlichen Gefitsssystems des Auges stärker aus-
gedehnt, so dass alsdann auch ein Theil der normal
nicht sichtbaren Ge&sse zum Vorschein kommt Die
hierdurch auftretenden Injectionen des Auges sind je-
doch, sofern sie nicht auf Neubildung von Gefassen be-
ruhen, hauptsächlich durch stärkere Ausdehnung der
Venen hervorgebracht. Die Arterien sind so fein, und
49
ihre Entwickelung, wie es scheint, auch unbedeatender,
so dass sie viel weniger zu dem Bilde der Iigection bei-
tragen. Doch mussten noch genauere Beobachtungen
darüber angestellt werden, ob nicht auch sie in manchen
Fftllen stärker erweitert sind.
Bei Entzündungen des Auges zeigen sich daher
hauptsächlich dreierlei Arten von Gefassen injicirt:
1) Die hinteren Bindehautgefässe, deren Injection
bei katarrhalischen AfFectionen auftritt, und wobei auch
hauptsächlich die Venen stark erweitert sind. 2) Die
vorderen Ciliarvenen und das episclerale Ve-
nen netz. Die Injection der Geftsse kann mehr partiell
und mehr allgemein sein; femer können mehr die von
dem Randschlingennetze kommenden Aeste injicirt sein,
und mehr die tiefer aus der Sclera kommenden. Diese
Injection tritt bekanntlich auf bei Phlyctänen, bei Affec-
tionen der Hornhaut und der inneren Augenhäute, wenn
sie nicht ganz chronisch verlaufen. Das episclerale Ve-
nennetz findet sich besonders schön gefüllt bei akuter
Iritis und bei Gyclitis. Da diese vorderen Ciliarvenen
auf der Oberfläche der Sclera Verlaufen, so lässt sich die
Bindehaut über der von ihnen ausgehenden Injection hin
und her verschieben. 3) Die vorderen Bindehaut-
gefässe imd die Randschlingen der Hornhaut
Die Injection dieser Geftsse ist wohl immer mit der
Injection der vorderen Ciliarvenen verbunden, aber diese
können injicirte sein, ohne dass die vorderen Bindehaut-
ge&sse stärker gefüllt sind. Das Bild der Injection,
welches man in diesen Fällen um den Homhautrand
herum erhält, ist daher ein gemischtes; es entsteht ein-
mal durch die stärkere Füllung des episcleralen Venen-
netzes, das durch die Bindehaut durchschimmert^ und
zweitens durch die Injection der aus diesem entsprin-
genden vorderen Bindehautvenen, zum Theil auch der
zugehörigen Arterien. Man sieht in solchen Fällen auch
ArehiT fOr Ophthalmologe. XL 1. 4
50
meistens die Bandschlingen sehr deutlich injicirt, na-
mentlich bei Untersuchung mit dem Mikroskop; es is
mir jedoch auch damit nicht gelungen, die arteriellen
Verzweigungen des Randschlingennetzes, die man aa
Präparaten so schön sehen kann, zu erkennen; es trfigt
jedoch daran auch die Unruhe der Patienten und die bei
der Untersuchung gereizter Augen sehr rasch auftre-
tende Thränenfluth viele Schuld. Bei fortgesetzter Unter-
suchung und einiger Uebung mit dem Mikroskop wird
man sicher dahin kommen, noch mehr von den Gefässen
zu sehen, als man es bis jetzt im Stande war.
Am reinsten sieht man das Bild dieser Injection bei
unscheinbaren centralen Homhautinfiltraten und bei
Fremdkörpern in der Hornhaut Das stärker üijicirte
Randschlingennetz erscheint dabei als eine sehr feine,
die Hornhaut umgebende Röthe, von der nach aussen
eine gleichfalls sehr feine, radiäre Streifung (die vorde-
ren Bindehautgefässe) ausgeht, die in der Bindehaut
liegt, aber wegen der Anheftung derselben an die Horn-
haut nicht sehr verschieblich ist, und deren Zusammen-
hang mit dem Randschlingennetz man deutlich sieht.
Noch etwas weiter nach aussen sieht man dann die stär-
keren vorderen Bindehautveneu aus dem episcleralen
Venennetze hervorkommen.
Verschiedenheiten des Bildes der Ciliarinjection um
den Hornhautrand entstehen auch dadurch, dass die
Bindehaut im Limbus conjunctivae mehr oder weniger
»tark geschwellt sein kann. Eine etwas erhebliche seröse
Durchtränkung der Bindehaut im Umfang der Hornhaut
kann die episcleralen Venen oder selbst den Anfang der
Schlingen fast ganz verdecken, so dass man nur die
oberflächliche Injection in der Bindehaut eu Gesicht be-
kommt; mit Nachlass der Schwellung tritt dann die
episcierale Injection deutlicher zum Vorschein.
Bei Phlyctänen am Homhautrande sieht man immer
51
mehrere hintere Bindehautgefasse sich bis zum Hornhaut-
rande fortsetzen und hier in die Aeste treten; es erwei-
tem sich daher die Anastomosen zwischen vorderen und
hinteren Bindehautgefassen zu continuirlichen stärkeren
Gefilssen und es entsteht so eine Art Brückenkreislauf
zwischen Bindehaut- und Ciliargefässsystem, wie ich von
Professor v. Graefe diese Gefassanordnung in seinen
klinischen Vorträgen sehr passend bezeichnen hörte.
Die Hornhaut besitzt, wie ich schon oben erwähnte,
im normalen Zustande keine Gefässe; dagegen kommen
bekanntlich in pathologischen Fällen sehr häufig Gefiss-
bildungen in ihr vor, welche vom Bande von den hier
vorhandenen Gefässen aus in sie hineinwachsen. Unter
Umständen kann die Ge&ssbildung sehr rasch erfolgen,
so dass man deshalb öfters annahm, es handle sich nur
um Erweiterungen präexistirender seröser Gefässe. Bei
anderen Prozessen in der Hornhaut tritt aber lange Zeit
gar keine Gefässbildung auf, selbst wenn sie einen sehr
zerstörenden Charakter haben, ja es ist alsdann das Auf-
treten von Gefässen als eine günstige Erscheinung zu
betrachten. Es scheint, als ob die Gefässbildung mit
der grösseren und geringeren Intensität der den betref-
fenden pathologischen Prozess begleitenden Nervenreizung
zusammenhinge; denn man sieht bei geringen Trübungen
der Hornhaut und lebhafter Gefässentwickelung immer
ziemlich starke Reizerscheinungen, Ciliarneurose, Licht-
scheu, Thränenfiuss, während bei dem sogenannten reiz-
losen Eiterinfiltrate der Hornhaut weder Reizerscheinun-
gen, noch Gefässbildung auftreten. Es scheint daher
weniger der Grad und die Ausdehnung der Gewebsver-
änderung der Hornhaut, sondern mehr die hierdurch und
durch die primäre Krankheitsursache bewirkte Ner-
venreizung auf die Gefässentwickelung von Einfiuss
zu sein.
Da der ganze Bezirk im Umfange der Hornhaut
52
seine Aeste von den Ciliargefössen erhält, so können auch
die in die Hornhaut sich fortsetzenden Geftsse nur von
den letzteren abstammen. Es kann also nur darin ein
Unterschied zwischen den verschiedenen Gefässbildungen
in der Hornhaut bestehen, dass sie von verschiedenen
Aesten der Ciliargefässe abstammen. So können von
den oberflächlichen Gefilssen am Hornhautrande die
Aeste des Randschlingennetzes sich verlängern und wei-
ter in die Hornhaut hinein erstrecken, oder es können
von den grösseren Gewissen im Annulus conjunctivae
Verlängerungen zur Hornhaut abgehen; ferner* entstehen
tiefe Gefiissbildungen in der Hornhaut durch Verlänge-
rungen der tiefen Scleralgefässe oder der Venen des
Ciliarplexus.
Es scheint aber, als ob für die Form der Gefäss-
bildung in der Hornhaut hauptsächlich die Natur und
der Verlauf des zu Grunde liegenden pathologischen
Prozesses maassgebend wäre, und dass die Verschieden-
heiten weniger darauf beruhten, dass die Neubildung
von verschiedenen Gefilssen ausgeht. So unterscheidet
man unter den oberflächlichen Gefässbildungen in der
Hornhaut den Pannus von der sogenannten büschelför-
migen Keratitis. Beim Pannus bilden sich oberflächliche,
leicht geschlängelte Gefässe, die sich baumförmig aus-
breiten und in mächtig getrübtem Gewebe verlaufen;
bei der büschelförmigen Keratitis dagegen dicht neben
einander liegende, gestreckt verlaufende und am vorderen
Ende ganz scharf in Schlingen endigende Gefässe, an
deren vorderem Ende erst das Infiltrat sich findet. In
einem Falle von trachomatösem Pannus, den ich genauer
untersuchte, waren die Muttergefässe des Randschlingen-
netzes zum Theil weit in die Hornhaut hinein verlängert;
zwischen diesen wieder andere weniger verlängerte; es
entstand dadurch eine ziemlich lockere Fortsetzung des
Randschlingennetzes nach innen, die an manchen Stellen
53
nicht leicht zu sehen war; ausser diesen feinen Gefilssen
lief aber von oben ein sehr starkes bis über die Mitte
der Hornhaut hinein, das leicht geschlängelt war und
sich baumformig verästelte, es war eine Vene und ne-
ben ihm erkannte man noch eine sehr feine Arterie; es
entsprang im Annulus conjunctivae aus einem Aste der
vorderen Ciliarvenen, der auch an der gleichen Stelle
nach rückwärts eine starke vordere Bindehautvene ab-
gab. Zwei kleinere Geiässe von ähnlichem Verlauf er-
streckten sich von unten in die Hornhaut hinein. Beim
phlyctänulären Gefässbändchen können die Gefässe sich
ebenfalls nur von den Mutterge&ssen des Randschlingen- '
netzes aus in die Hornhaut fortsezen ; was den Ursprung
der Gefisse betrifft, würde sich der Pannus also von
ihm höchstens dadurch unterscheiden, dass sich bei letz-
terem noch stärkere Gefässe von den grösseren Aesten
der vorderen Ciliargefässe im Annulus conjunctivae aus
in die Hornhaut fortsetzen. Dagegen erklären sich die
Verschiedenheiten des Geßlssverlaufes ganz wohl dadurch,
dass bei der büschelförmigen Keratitis die Gefässe sich
hinter einem umschriebenen Infiltrate her rasch in die
Hornhaut hinein fortsetzen, während beim Pannus die
gereizten Stellen viel ausgedehnter sind, der Reiz nicht
so heftig, aber mehr dauernd ist.
Was die tiefen Gefässbildungen in der Hornhaut
betrifft, so können sie wohl in allen Schichten derselben
vorkommen; in einem Falle habe ich beobachtet, dass
von den Venen des Giliarplexus aus schlingenformige
Fortsetzungen eine ziemliche Strecke weit in die tiefsten
Schichten der Hornhaut hinein verliefen. Da im Rand-
theile der Sclera auch in ihren tiefen Schichten sehr
feine Arterien sich vorfinden, so ist auch die Möglich-
keit gegeben, dass sich in der Tiefe Fortsetzungen der
Arterien in die Hornhaut hinein bilden.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich schliesslich noch
54
die Bemerkung hinzufügen, dass auch in der Bindehaut,
im subconjuncüvalen Gewebe und auf der Oberfläche der
Sclera bei Entzündungen dieser Theile sehr häufig Neu-
bildungen von Gefässen vorkommen müssen. Das Ca^
pillametz der Sclera besitzt so weite Maschen, dass
selbst eine sehr bedeutende Ausdehnung seiner Gefisse
noch keine sehr erhebliche Röthe der Bindehaut erzeu-
gen kann. In den nicht seltenen Fällen, wo die Binde-
haut so stark injicirt ist, dass sie das Ansehen eines
rothen Tuches darbietet, muss sicher eine Neubildung
von Gewissen angenommen werden, auch besitze ich In-
jectionen solcher Fälle, wo die Bindehaut von einem un-
geheuer reichen Netze sehr weiter Capillaren durchzogen
ist Allein auch bei viel geringeren Graden von Injec-
tion scheint mir die Neubildung von Gefässen oft eine
Rolle zu spielen. Ich erhielt bei Injectionen pathologi-
scher Augen in einigen Fällen ganz das Bild der Geftss-
fÜUung während des Lebens wiederhergestellt; bei der
näheren Betrachtung dieser Stellen fand ich nicht allein
die Gefässe erweitert, sondern auch immer viel zahl-
reicher als bei den vollkommensten Injectionen gesunder
Augen. Doch muss ich mir ein näheres Eingehen auf
diesen Gegenstand für später vorbehalten, wenn ich die
pathologischen Gefössbildungen etwas genauer verfolgt
haben werde.
55
Erklärung der Abbildungen.
¥ig, 1. Ginmlof arteriotis iridii major mit Minen Aatten und den
rfieUanfenden Arterien rar Chorioidet. A Iris, B Ciliarmuikel.
C Chorioidea.
a) Cirealns arterioana iridia major.
b) Stellen deaaelben, wo er doppelt an aehen ist.
0) Arterien aur Ina.
d) Arterien an den Ciliarfortaatzen (nnd in ihrem Anfangatheü
injidrt).
e) Arterien znm Oüiannnakel.
f) RfieUanfende Arterien rar Chorioidea.
g) Endäate der knraen hinteren Ciliararterien,
h) Anastomosen deraelben mit Aesten der rQ<^lattfenden Arte-
rien (hier aiemUch aohwaoh entwiekelt).
Fig. 2. Plexna cUiaria renoaus nnd Zaaammenhang deaaelben mit dem
epiacleralen Venennetze.
a) Aas dem Ciliannnakel kommende Yenenatfimmchen, beim
XTebertritt aar Sclera abgeaohnitten.
b) Netzförmige Verzweignng deraelben auf der Bolen und Ueber-
gang in den Giliarplexua.
c) Grössere Aeste der vorderen Cüliarvenen.
d) Venen des Cüinrplexus, welohe, Ton demlieh gloieher Groaae
neben einander liegend, zahlreiche Anaatomoaen eingehen.
e) Theil des Plexus, wo nur zwei grössere nnd ein oder zwei
kleinere Gefaaae vorhanden aind.
f) Epiademlea Venenneta.
g) üebergang yon Aeaten dea tiefen Venennetsea in daa epiaole-
rale.
h) Venen, die aich in daa GapilUrneta der Sclern auflösen,
i) Verbindung awis|hen dem tiefnren Venennetze nnd den Venen
des Randschlingennetzes der Hornhaut.
Fig. 8. Verzweigung der Torderen Giliarnrterien auf der
Belera (die Bindehaut nebat dem Bandsehllngennette ist ent-
fernt, Ton den vorderen Cilianrenen iat nur ein Theü injicirt).
A Cornea, B Sdera.
a) Stfimmehen dner vorderen Cilinrarterie.
b) Zwei pezibrirende Aeate derselben, wovon der dne sehr stark,
der andere sehr aohwaoh ist.
c) Weitmaaohigea Netz der episeleralen Aeste.
56
d) Verbindungsbogeii der Arterien am Rande der Sdera.
e) Arterielle Muttergefäase des Bandschlingennetzes.
f) Feine Verzweignngen derselben im Homhaatrande.
g) AnfSnge der yorderen Bindehantarterien.
b) St&nmchen der vorderen Ciliarrenen.
i) Epiaelerales Venennetz.
k) Verbindunggbogen der YeneniUte im Randtheil der Sdera.
1) Aeste der Torderen Ciliarrenen zum Bandscblingennetz.
Fig. 4. Randsohlingennetz der Hornhaut
a) Arterielles Muttergefass des Bandschlingennetzes.
b) Verzweigungen desselben im Homhautrande.
c) Arterieller Scheokel der Gapillarschlingen.
d) Vordere Bindehautarterien.
e) Venöse Muttergefasse des Bandschlingennetzes mit ihren
Zweigen.
f) Venöser Schenkel der Capillarscblingen.
g) Vordere Bindehautvenen.
Fig. 5. Gefässe der Soleralbindehaut (die Bindebaut war ziem-
lich stark gedehnt, so dass alle Qefässe einen gestreckteren Ver-
lauf haben als gewöhnlich Vährend des Lebens).
a) Vordere Bindehautgefässe, Arterien und Venen.
b) Beste des episderalen Venennetzes, welche an dem Präparate
erhalten waren, und deren Gef&sse man an mehreren Stellen
in die vorderen Bindehautvenen umbiegen sieht.
c) Hintere Bindehautgefasse.
d) Capillarnetz der Soleralbindehaut
Fig. 6. Schematisohe Uebersicht der Gefässe des Aug-
apfels.
a) grösseres )
b) kleineres f Stämmchen der kurzen hinteren Ciliararterien.
c) Lange hintere Giliararterie (dieselbe endigt abgeschnitten, da
sie eigentlich nicht in der Ebene der Zeichnung verläuft;
an einem Durchschnitte, der ihren wirklichen Verlauf träfe,
müsste sie anstatt der vorderen Ciliararterien in den grossen
Iriskranz g eintreten, und gai^ die gleichen Aeste ab-
geben).
d) Choriooaplllaris.
e) Arterieller Gelässkranz um den Sehnerven und Aeste dessel-
ben in den lezteren.
f) Vordere Ciliararterie.
g) Grosser Iriskranz,
h) Arterie der Iris,
i) Kleiner Iriskranz.
k) Capillarnetz im Sphincter pupillae.
57
1) Arterie des CilivforUatieB.
m) Arterie des Ciliarmuskels.
d) RaeUanfende Arterie zur Chorioidea.
o) Hintere Bindehautarterie.
p) Vordere Bindebautarterie.
q) Arterieller Ast Ettm Randschlingennetz.
r) Centralarterie der Netxbaut
s) Arterie der inneren Sebneryenacheide.
t) Arterie der äosseren Sebnerfenscbeide.
q) Ast der karsen Ciliararterie snr Sdera.
▼) Ast der Torderen Ciliararterien zur Selera.
x) YortexTene.
j) Hintere Ciliarrene.
x) Centralvene der Netsbant.
1) Vene der inneren Sebnenrenscbeide.
2) Vene der äusseren Sebnerrenscbeide.
3) Vene und Arterie der Cborioidea in den Sehnerven ein-
tretend.
4) Vene der Selera zum Vortexstamm.
5) Vordere Cilianrenen.
6) Aeste derselben zur Selera.
7) Vene zum Randschlingennetz.
8) Vordere Bindebautvene.
9) Hintere Bindebautvene.
10) CUiarplexus.
11) Verbindung desselben mit den vorderen Ciliarrenen.
12) Vene des Ciliarmuskels zum Ciliarplexus gebend.
13) Vene des Ciliarfortsatzes.
14) Vene der Iris.
15) Vene des Ciliarmuskels zum Vortexstamm gebend.
Beitrag zur Casuistik der Tumoren.
(Hierzu eine Abbildung.)
Von
Dr. M. Landsberg in Danzig.
im vergangenen Frühjahr mit der Untersuchung eines
in Chromsäure erhärteten Bulbus, den Herr Dr. Schnel-
ler mir zu überlassen die Güte hatte, beschäftigt, fand
ich in dem letzten Hefte dieses Bandes d. A. einen von
y. Graefe mitgethellten Fall, der mich über meinen
eigenen, bis dahin mir dunklen Befund aufklärte und ihn
mir um so interessanter machte. War nun auch das
Präparat für mich in pathologischer Beziehung noch so
instructiv geworden, so hätte ich doch die Veröffent-
lichung des Befundes als eine einfache Bestätigung des
von so competenter Seite bereits Gefundenen für über-
flüssig erachtet, wenn mir nicht der ganze Fall, den ich
inzwischen weiter zu verfolgen Gelegenheit hatte, auch
in klinischer Hinsicht Beachteuswerthes zu bieten
schiene.
Der hiesige 46jährige Kaufmann B., aus einer ge-
sunden Familie stammend und selbst von erheblicheren
Krankheiten nie befallen, litt seit seiner Kindheit an.
59
hochgradiger Sehschwäche des nach innen schielenden
rechten Auges, mit welchem er seiner Angabe nach Fin-
ger ztt zählen, aber (bei geschlossenem linken Auge) sich
nicht zu Orientiren vermochte. Schmerzen oder sonstige
Veränderungen an diesem Auge sind ebenso wenig von
ihm selbst als von seiner Umgebung und namentlich
auch nicht von seinem Arzte wahrgenommen worden.
Auch die vor 20 Jahren von Prof. Baum vorgenommene
operative Beseitigung des Schielens hat auf das Sehver-
mögen keinen Einfluss ausgeübt. Im Herbst 1862, nach-
dem gegen dasselbe bis dahin noch unveränderte Auge
ein Stück Holz in der Richtung von aussen oben aufge-
flogen war, fing Patient an, über stechende Schmerzen
in dem nun fortwährend thränenden und gerötheten Auge
zu klagen, wobei das ohnehin dürftige Sehvermögen
allmälig abgenommen haben und im Laufe der Zeit
ganz erloschen sein soll. Als endlich auch nach länger
als Jahresfrist das bis dahin gesunde linke Auge zu
thränen anfing, und, wie Patient glaubte, auch seh-
schwächer wurde, consultirte er im December v. J.
Herrn Dr. Schneller, der (einer gefälligen mündlichen
Mittheilung zufolge) rechts neben hochgradigen Erschei-
nungen eines vermehrten iutraocularen Druckes unvoll-
ständige (centrifugal fortschreitende) Linsentrübung bei
vollständig aufgehobener quantitativer Lichtempfindung
constatirte und die Enucleation verrichtete.
3ei der Untersuchung des durch einen horizontalen
Schnitt in zwei ziemlich gleiche Hälften zerlegten, wohl
erhärteten Bulbus ist es zunächst auffallend, dass der
ganze hintere Abschnitt auf Kosten des vorderen stark
ausgedehnt erscheint. Die Entfernung der ora serrata
vom hinteren Pol misst 13 Mm., während der horizontale
Durchmesser 24 Mm. beträgt, von denen nur 10 Mm.
auf die Entfernung des Hornhautscheitels von der Netz-
haut kommen; der übrige Theil des hinteren Abschnitts
60
wird von einer unregelmässigen, im Ganzen viereckigen,
mit abgerundeten Winkeln versehenen, 21 Mm. von vom
nach hinten, 16 Mm. von innen nach aussen betragenden
Geschwulst (s. die Figur, in der A. die obere, B. die untere
Hälfte des Präparats darstellt) gebildet, die schräg von
vorn aussen und oben nach innen, unten und hinten ver-
läuft; nach innen hinten an den Sehnerven, den sie zum
Theil bedeckt, grenzt; nach innen oben auf die innere
Chorioidealfläche allmälig übergehend bis auf eine Ent-
fernung von 10 Mm. von der Ora serrata sich erstreckt;
nach innen unten beträgt der letztgenannte Abstand
16 Mm., während der übrige innere Geschwulstrand
5 Mm. von der Bulbuswand absteht, die Netzhaut liegt
grösstentheils der vorderen Geschwulstfläche an, ohne
indess mit letzterer verwachsen zu sein (wie die aus ver-
schiedenen Regionen gewonnenen mikroskopischen Prä-
parate zeigen); nur nach innen, wo die Geschwulst die
innere Bulbuswand noch nicht erreicht hat, ist sie als
isolirte faltige Membran erbalten. An allen übrigen
Stellen liegt der von der Aderhaut ausgehende Tumor
der Sclera an, und wenn auch in der Aequatorialgegend
der unteren Geschwulsthälfte diese Verbindung zunächst
noch nicht so fest ist, dass man nicht beide Gebilde ohne
Verletzung auseinander ziehen kann, so wird jene nach
hinten zu immer fester, unlöslich, bis man in der Gegend
des hinteren Pols die Sclera nur noch als eine immer
mehr sich verjüngende glänzende Sichel erblickt, deren
Spuren sich schliesslich in der den Bulbus um 7 Mm.
nach hinten überragenden Geschwulstmasse verlieren.
An der unteren Hälfte beginnt die Verwachsung zwischen
Tumor und Sclera erst weiter nach hinten und sieht man
daselbst die Scleralfaseru durch die wuchernde Neu-
bildung auseinander gedrängt, so dass letztere wie mit
Adern durchzogen erscheint und dadurch verschieden
grosse abgegrenzte Herde entstanden sind. Auch hier
61
lässt sich überall das scierale Gewebe in seiner aller-
dings immer dürftiger werdenden Continuität verfolgen
and nirgends sind plötzliche Unterbrechungen derselben
durch perforative Vorgänge nachzuweisen. Die äussere
Hälfte und ein grosser Theil des vorderen Geschwulstab-
schnitts ist auf dem Durchschnitt dunkelbraun pigmen-
tirt, während die nach innen und hinten gelegenen Par-
thien und besonders der extrabulbäre Theil ein gleich-
massiges, graulich-weisses Aussehen darbieten. Letztere
sind ausserdem consistenter, derber als die nach vorn
gelegenen Theile, welche trotz der langen Aufbewahrung
in Ghromsäure ein entschieden weicheres, schwammiges
und dem Wasser leichter ausweichendes Geffige zeigen.
Mikroskopisch bestehen letztere aus einem feinen, leicht
faserigen Gewebe, in welches spindelförmige, in ihrer
Längsrichtung dicht an einander geordnete, mit langen
faserigen unter einander communicirenden Ausläufern mit
deutlichem Kern, Kemkörperchen und einem feinen gra-
nulirten Inhalt versehenen Zellen eingebettet liegen.
Daneben sieht man auch theils rundliche, theils poly-
gonale, ebenfalls mit Fortsätzen und feinkörnigem Inhalte
versehene Zellen und endlich vielfach zerstreute, hin-
sichtlich Form und Grösse sehr wechselnde Pigment-
zellen. Während diese Anordnung mehr oder weniger
das typische Bild des nun vielfach beschriebenen Cho-
rioidealsarcoms wiedergiebt, zeigen die vorhin erwähnten
derberen Parthien eine ganz andere Struktur. An
Schnitten nämlich aus der Gegend des hinteren Pols,
da, wo die Scleralfasem noch eben zu unterscheiden
sind, überzeugt man sich, dass letztere durch ein viel-
verzweigtes, die einzelnen Fasern auseinanderdrängendes
fibröses Netz unterbrochen werden, welches theils mit
runden, theils spindelförmigen, theils endlich polygonalen,
mit Fortsätzen versehenen Zellen gefüllt ist, das femer
in den mehr central gelegenen Punkten dieses Ge-
62
schwulstabschnittes immer engmaschiger wird, während
es nach der Peripherie zu offenbar von den in der Ent-
wickelung weiter vorgeschrittenen Zellen zum Theil ver-
drängt und resorbirt ist, wie die an einzelnen Stellen
in die Alveolen hineinragenden, von den ursprünglichen
Septis stehen gebliebenen Leisten zeigen. Denselben
Bau des alveolären, von der Peripherie nach dem Cen-
trum fortschreitenden Carcinoms zeigen auch alle ande-
ren oben bezeichneten derberen Geschwulsttheile. Der
makroskopisch bereits nachweisbare Zusammenhang und
ällmälige Uebergang zwischen Aderhaut und Geschwulst-
masse wird durch das mikroskopische Verhalten bestätigt.
Die hyperplastische Wucherung des Chorioideal-
stromas, die bereits jenseits des Geschwulstrandes be-
ginnt und die in dem Maasse, als sie fortschreitet und die
„Myeloplaques" sich zeigen, alle anderen Elemente der
Aderhaut zerstört hat, lassen über den Mutterboden der
sarcomatösen Entwicklung, das bindegewebige
Stroma, keinen Zweifel. — Von den einzelnen Netz-
hautelementen sind am besten erhalten die m. limitans
int. und die Badialfasern; die Nervenfaserschicht und
die innere Kömerschicht sind an den meisten Präpara-
ten (an einzelnen auch die äussere Körnerschicht) nach-
zuweisen. Im Ganzen giebt die Netzhaut das Bild eines
nach innen zu fortschreitenden atrophirenden Prozesses,
der nur an wenigen Stellen über das bindegewebige
Gerüst hinausgeht. Zu letzteren gehört die an der
Innenseite liegende abgelöste Parthie, wo ausser der
limitans die Netzhautelemente in einer dünnen, faserar-
tigen Masse untergegangen sind. Der Opticus -Durch-
schnitt zeigt weder an seinen Nervenfasern noch an der
interstitiellen Substanz fremdartige Gebilde oder sonstige
Veränderungen. — Am Gewebe der Iris und des corp.
ciliare ausser Atrophie der muskulösen Elemente nichts
Abnormes. — Das Resultat der kaum beendigten mi-
63
kroskopischen Untersachung, die über die Malignität
des Falles keinen Zweifel übrig liess, sollte nur zu bald
durch den weiteren Verlauf bestätigt werden. Am
24. April bereits stellte sich Patient ?on Neuem in der
Klinik vor, über drückende Schmerzen klagend, die er
dem oculus artif. zur Last legt und die allerdings mit der
Entfernung des letzteren nachlassen. Doch werden auch
nd)enbei periodisch auftretende Kopfschmerzen, zu denen
sich zeitweise unbehagliche ziehende Eiripfindungen in
aUen Gliedern gesellen, zugestanden. An dem oberen
Lide bemerkt man eine schräg von aussen oben nach
unten innen verlaufende lineare Narbe, sonst aber durch-
aas normale Lider. In der Augenhöhle selbst fühlte man
an der inneren Orbitalwand mehrere disseminirte, noch
bewegliche, haselnussgrosse Knoten und einen ähnlichen
in der Nähe des äusseren Winkels. Der Stumpf selbst
verrath weder durch sein Aussehen noch seine immerhin
ergiebigen Excursionen auffallende Veränderungen. Ebenso
wenig konnten wir an dem linken emmetropisch gebauten
Auge, welches S Va bei normalem Gesichtsfelde und A V«
hatte, durch den objectiven Befund die bereits vorhandene
Amblyopie erklären. Drüsenanschwellungen oder sonstige
Zeichen eines Allgemeinleidens waren nirgends nachzuwei-
sen. Jedenfalls wurde die sofortige Entfernung der ihrer
Natur nach nichtmehr zweifelhaften Geschwülste empfohlen,
ein Rath, den Patient erst am 16. Mai, nachdem die letzteren
zugenommen und bereits Verwachsungen unter einander
sich gebildet hatten, zur Ausführung kommen liess. Jene
selbst zeigten eine unregelmässig höckerige Oberfläche,
waren durch eine feste Bindegewebskapsel von dem Nach-
bargewebe getrennt und boten auf der Schnittfläche eine
weisslich- graue Oberfläche dar, die sich auf Druck mit
einem weissen, rahmigen, aus runden, mit molecularem In-
halte versehenen Kernen und Zellen bestehenden Safte
bedeckte. An erhärteten und ausgepinselten Präparaten
64
sah man ein ziemlich enges, festes, die Zellen einschlies-
sendes Bindegewebegerüst, in welchem CapiUaren verliefen.
Dieselben in lebhafter Wucherung begriffenen Ele-
mente füllten auch das interstitielle Gewebe der Nerven-
fasern in dem mitentfernten intraorbitalen Optikusreste
aus, während jene selbst durch ihren kömigen, stark
lichtbrechenden (fettigen?) Inhalt überall leicht zu ver-
folgen waren. — Trotz der Weisung, sich nun in regel-
mässigen Abständen vorzustellen, kam Fat erst Mitte
Juli, etwa sieben Wochen nach erfolgter Wundheilung
wieder, nachdem die Orbita wiederum mit einem neuen
Recidiv und zwar so gefüllt war, dass der kleine Finger
Behufs der Untersuchung nicht mehr in derselben Raum
fand. Gleichzeitig war die Lidbindehaut, an der sich
übrigens ebenso wenig wie an der Geschwulstmasse
selbst ulceröse Stellen entdecken Hessen, mit einem übel-
riechenden, dünnflüssigen Secret bedeckt
Die am 20. Juli (von Dr. Schneller) vorgenom-
mene Exstirpation zeigte wiederum die weiche, mark-
ähnliche Masse aus vielen kleinen disseminirten und
grossentheils verwachsenen Herden zusammengesetzt, die
mikroskopisch ebenfalls sich als eine vom Bindegewebe
ausgehende, lockere, mit äusserst feinen Sternen durch-
setzte und mit Capillaren reichlich versehene Eernprolife-
ration erwies. Auch diesmal erfolgte die Wundheilung
trotz eines erheblichen operativen Eingriffes — es musste
der Inhalt der ganzen Orbita bis auf den Periost und
stellenweise auch dieser mit entfernt resp. zerstört wer-
den — in relativ kurzer Zeit und die mit üppigen Gra-
nulationen bedeckte und sich immer mehr verkleinernde
Geschwürsfiäche verrieth nach kaum drei Wochen nichts
von dem vorangegangenen Leiden und der bevorstehen-
den Katastrophe.
Aber schon um die Mitte des August, wo die kleine
Geschwürsfläche ein noch unverändert gutes Aussehen
65
hatte, klagte Patient über zeitweis auftretende stechende
Schmerzen im linken Auge, die bisweilen nach der
ganzen linken Kopfhftlfte ausstrahlten und dann jede
Beschftftigung von einige^ Dauer unmöglidi machten.
Das sonstig^e Befinden und namentlich die Ernährung
sind nicht wesentlich alterirt, Drüsenanschwellungen auch
heute nicht vorhanden. Die Sehsch&rfe des äusserlich,
80 wie auch in seinem Brechzustande und seiner Accom*
modation unverändert gebliebenen Auges zeigt sich auf
V2 reducirt, das Gesichtsfeld nach aussen ein wenig ein-
geengt, während der Sehnerv diffus getrübt, seine Gren-
zen überall (jedoch vorwiegend nach innen) verschwom-
men und die angrenzenden Netzhautparthien entschieden
undurchsichtiger, als die peripherischen Theile erscheinen
-- Erscheinungen, die innerhalb der nächstfolgenden
Tage sich immer deutlicher markiren und die von ent-
sprechender progressiver Functionsstörung gefol^ sind.
Es genüge statt der ausführlichen Wiedergabe der täglich
gemachten Notizen, den Verlauf durch folgende Zahlen
anzudeuten. Am nächstfolgenden Tage, den 15./8. S Vio,
16./8. S */»>, n./8. S Vjo (bei immer zunehmendem Ge-
sichtsfeldsdefect), 18./8. 8 Vio (beginnendes Recidiv in der
rechten Augenhöhle) 22./8. S V^ 24./8. SVto, 26./8. SV.,-
Das Gesichtsfeld fehlt aussen unten fast ganz, ist aber
auch nach aussen, sowie nach unten stark verengt.
Ich muss hier diese Reihe plötzlich unterbrechen,
weil Patient sich von da ab unserer weiteren Beobachtung
entzog, und kann nur als Endlied derselben, das ich
(nach zweimonatlicher Pause) in diesen Tagen von Dr.
Schneller, der von Neuem consultirt worden war, er-
fiihr, anführen: vollständige Amaurose, ohne Formver-
änderung des Bulbus links; grosses, mit vehementen
Schmerzen, Gachexie ete. verbundenes Recidiv rechts.
Jedenfalls, glaube ich, dürfte die bisher geschilderte
ArehlT fHr Opkthalmologie. ZI. 1. 5
66
Geschichte dieser Neabiidung die EigenthQmlichkeit der
letzteren beartheilen lassen.
Was zunächst die Entstehung der Geschwulst be-
trifift, so haben wir hier eii^e verhältnissmässig rasche
Entwickelung einer malignen Form nach einer bestimm-
ten traumatischen Veranlassung in einem allerdings be-
reits frQher amblyopischen Auge, und es verdient gewiss
gegentlber den Verfechtern des dyscrasischen Ursprungs
der Geschwülste die nicht gar zu grosse Seltenheit trau-
matischer Anlässe oder sonst der Geschwulstbildung
nachweisbarer Reize urgirt zu werden. Denn ohne ent-
scheiden zu wollen, ob die hier früher bestandene Am-
blyopie überhaupt einen modificirenden Einfluss auf den
Verlauf des Falles ausgeübt hat, so glaube ich den Ein-
wand zurückweisen zu können, als ob es sich hier nur
um ein equantitative, durch einen gröberen Reiz gesetzte
Steigerung eines früher bereits vorhandenen, sonst we-
niger malignen intraocularen Prozesses handelte. Es ist
von dem Kranken auf das Bestimmteste wiederholt wor-
den — und die Recidive haben uns zur wiederholten
Feststellung der Anamnese reichlich Gelegenheit gegeben
dass sein) Sehvermögen auf de.m rechten Auge bis zu
jenem verhängnissvollen Wurf nicht abgenommen hat,
dass die progressive Abnahme jenes erst mit dem Auf-
treten der schmerzhaften Erscheinungen^ die nach dem
damaligen klinischen und späteren» anatomischen Befunde
aus der Zunahme des intraocularen Druckes sich hinrei-
chend erklären, ihm aufgefallen ist. Es sprechen femer die
45jährige Dauer, ein bisher beispiellos friedliches Verhal-
ten intraocularer Neubildungen, und endlich die mikros-
kopische Beschaffenheit des Tumors sowohl, als der
übrigen Gebilde gegen die Annahme einer präexistiren-
den Geschwulst in diesem Falle. Denn weder in der
Geschwulst, dem sarcomatösen Theile sowohl als dem
carcinomatösen, lassen sich Reste oder sonstige Anhalts-
67
punkte för einen alten oder anderen Prozess auffinden,
no€h in der nirgends adhärirenden und zum Theil noch
wohl erhaltene Elemente zeigenden Netzhaut, noch end-
lich in dem frei gebliehenen Aderhautabschnitte. Liegt
es daher nicht näher, die ältere Amblyopie auf Brechungs-
anomalien, auf die wir schon durch das conv. Schielen
gebracht werden, zurückzufahren und den hochgradigen
Torpor retinae durch Nichtgebrauch — selbst wenn das
rechte Auge nor 26 Jahre vom gemdnschaftlichen Seh-
acte ausgeschlossen wäre — zu erklären?
Eine zweite Thatsache, die hier statistisch zu regi-
striren wäre, ist das Vorkommen der malignen Misch-
geschwulst, die hier ganz besonders charakteristisch (ge-
wissermaassen schon makroskopisch) ausgesprochen ist
Für die in dem v. Graefe'schen Falle von Virchow
(1. c p. 182) gegebene Deutung solcher Formen, bei denen
es sich also nicht, wie bisher angenommen, um einen
„Uebergang^^ des Sarcoms in Carcinom handelt, Hessen
sich hier auch vielleicht anatomische Anhaltspunkte fin-
den. Vergleicht man nämlich die Oertlichkeit beider
Geschwnlstformen, den Boden, auf dem sie gewuchert,
untereinander, bedenkt man, dass die von aussen sich
entwickelnden sarcomatösen Theile von dem weichen
Chorioidealstroma ausgehen, während die carcinomatöse
Hälfte der unmittelbaren Nachbarschaft der solideren, re-
sistenteren Sclera (sowohl innerhalb als ausserhalb dersel-
ben) entsprechen, dass femer die jüngsten Elemente die
am meisten central gelegenen sind, während die in der
nächsten Umgebung der Sclera befindlichen Parthien ein
weitmaschiges Balkennetz zeigen, so möchte wohl die
Annahme einer gleichzeitigen oder wenigstens selbst-
ständigen Entwickelnng und Wucherung der genannten
Formen von ihren respectiven, von demselben Insult ge-
troffenen Mutterböden aus keine Schwierigkeit haben.
Endlich verdient noch die centripetale Verbreitung
5*
des Neoplasmas von dem ursprüDglichen Herde nach
dem Centrum des Gesichtssinnes, dem Chiasma, das dana
seinerseits in dem linken Sehnerven einen nur zu treuen
und pünktlichen Conductor gefunden hat, Erwähnung.
Der Weg, den die gewissermaassen durch Infection
fortgeleitete Krankheit eingeschlagen, lässt sich hier in
der That ziemlich genau verfolgen und das Chiasma als
Vermittler der beiderseitigen Sehnerven - Erkrankungen
nachweisen. Natürlich sollen damit nicht die späteren
Grenzen und die sonstige Oertlichkeit der cerebralen Be-
theiligung, namentlich mit Rücksicht auf einen fortschrei-
tenden Prozess prädsirt werden; aber in dem oben er-
wähnten fortschreitenden Stadium der linkseitigen Am-
blyopie weist uns sowohl die vorwaltende Trübung des
Sehnerven resp. der Netzhaut nach innen (Gesichtsfelds-
defect aussen), als auch die vollständige Integrität der
übrigen Hirnnerven so wie der Motilität und Sensibilität,
und endlich die verhältnissmässig geringfügigeren sub-
jectiven Beschwerden anf einen relativ circumscripten
Herd, dem Mittelpunkte der Sehnervenkette hin, der zu-
nächst nicht in Gestalt eines isolirbaren Gewächses, son-
dern etwa in derselben Weise wie sein^ peripherische
Quelle verändert ist. Dass es sich übrigens hier nicht
um einen gröberen Tumor selbst innerhalb des Chias-
ma's gehandelt hat, beweist der Mangel jeglicher Druck-
erscheinungen im linken Sehnerven (keine Niveauverän-
derung der Papille, normales Verhalten der Arterien,
keine Schlängelung der Venen).
Zur Therapie der miukiilftreii Astibenopie.
Von
Dr. Landsberg in Danzig.
J^lachdein nun von Neuem unsere Anschauungen über
Asthenopie durch die Lehre von deq Spannungsverhält-
nissen der innern Augenmuskeln erweitert worden, dürfte
es kaum einen Augenarzt geben, dem nicht inzwischen
seine Erfahrungen vielfache Belege zu jener „dankbaren
Krankheit*' und noch dankbareren Lehre gebracht hätten.
Eine einfache Aufzählung aller der in dieser Hinsicht
gemachten Erfahrungen, welche jene bestätigen, kann
jetzt nicht mehr einen besondem wissenschaftlichen
Wertb beanspruchen, es müssen die vielfachen Modifica-
tionen und individuellen Eigenthümlichkeiten der Krank-
heit analysirt werden und es dürften sich so neue Gesichts-
punkte bei der Erörterung eines Gegenstandes auffinden
lassen, der uns mehr als eine blos ophthalmologische
Bereicherung gebracht hat In therapeutischer Beziehung
möchte vielleicht eine Betrachtung deijenigen Fälle zu-
lässig sein, in denen nach den von v. Graef e aufgestell-
ten Indicationen (Archiv VIIL 2. S. 352) die Rücklage*
rung der m. externi unzureichend oder unzulässig ist.
70
Man ist dann in den beiden letzten Categorien entweder
ausschliesslich oder nach der Tenotomie auf andere Mittel
angewiesen, die allerdings eine Beseitigung der Beschwer-
den herbeiführen, aber nicht die anatomischen Verfa<-
nisse oder vielmehr Missverhältnisse ändern können.
Wie gross freilich die Zahl solcher Fälle im Ver-
hältniss zu den für die Tenotomie günstigsten ist, lässt
sich nur aus einem grossen, mir nicht zu Gebote ste-
henden Beobachtungsmaterial statistisch feststellen. Ich
weiss daher nicht, ob es nicht vielleicht ein blosser Zu-
fall ist, wenn ich in der Klinik des Herrn Dr. Schneller
im letzten Sommer von den an Insufficienz der interni
Leidenden eine überwiegend grosse Anzahl gefunden
habe, bei denen entweder von der Rücklagerung des
Antagonisten ganz abgesehen werden musste oder der
vorherige Gebrauch anderer Mittel angezeigt erschien.
Der erste derartige Fall betraf den hiesigen 45jährigen
Kaufinann Z— n, der bereits seit dem Frül^ahre vorigen
Jahres an Beschwerden von muskulärer Asthenopie ge-
litten hat. Als ich ihn zufällig zu Anfang dieses Jahres
(in einer anderweitigen Behandlung) sah, hatte das fort-
geschrittene Leiden den Patienten so beherrscht, dass
er schliesslich den Kampf mit den insufficienten und ihn
dadurch &st zur Unthätigkeit verdammenden intemis
ganz aufgab und das ausgeprägteste Bild eines Hypo-
chonders darbot Um so erfreulicher war für ihn die
Wirkung der damals von geübter Hand ausgeführten
Rücklagerung der extemi, die ihm die lang entbehrte
Beschäftigung des Schreibens wiedergab. Obgleich ich
den Grad der Insufficienz nicht mehr in Zahlen auszu-
drücken vermag, so erinnere ich mich doch, dass trotz
der doppelseitigen Tenotomie, die etwa 6 — 8 Tage an-
dauernde convergente Doppelbilder hervorgerufe^i hatte,
doch noch ein Best von Insuf&cienz zurückgeblieben
war, gegen den schliesslich eine convex- prismatische
71
Brille (2V2® und -f- 35 jederseits) verordnet wurde. Aber
trotz dieser gründlichen Regulirung der innem Augen*
mnskelverh<nisse dauerte der Frieden nicht lange
Mehrere Wochen bereits nach der Operation tauchten
die alten Beschwerden allniälig wieder auf; die accom-
modative Thätigkeit musste bald wieder mehr und mehr
eingeschränkt werden und als sich Patient endlich am
28. Mai d. J. Herrn Dr. Schneller vorstellte, hatte
sich bereits die Beschäftigung des sonst intelligenten
Menschen auf die Namensunterzeichnung reducirt. Weder
die ihm verordnete prismatische Brille, noch andere
Prismen oder die den AccommodationsverhäUnissen ent-
spredienden Gläser, noch endlich die ,Jiicht-Therapie'\
die ja sonst so leicht Ober manche Schwierigkeiten (selbst
die der objectiven Untersuchung) hinweghilft, sind im
Stande, das drückende Geflthl in der Gegend der m. in-
temi, welches, durch das Lesen einmal erzeugt, sich bald
über der Stirn verbreitet, zu beseitigen oder auch nur
das Auftreten jener hinauszuschieben. Beim gemefei-
schaftlichen Sehact weichen von 6'^ ab altemirend beide
A, häufiger indess das rechte nach aussen. Die dyna-
mische Divergenz beträgt auf 12'' 10^, auf 10" I7f (6"
—14^), auf grosse Abstände 0^, während die Adducenten
15* (bis 5'0 und die Abducenten (auf Abstand) 6* über-
winden. Die S der emmetropisch gebauten Augen ist
beiderseits 1. A ^ ViT. Abgesehen von der deprimirten
Gremüthsstimraung sind eigentliche Functionsstörungen,
namentlich im Muskel- und Nervensystem, sonst nirgends
nachzuweisen. In Anbetracht der geringen Abductions-
iahigkeit musste von einer Rücklagerung des Extemus
Abstand genommen werden und es wurde der Kampf
gegen das haitnäckige Uebel zunächst mit einer con-
stauten Batterie eröffnet und zwar so, dass ein positiver
Strom 20—30 Secunden lang nach den innem Winkeln
hin geleitet wurde. Am 30. Mai, also nach zweimaliger
72
Anwendang des Stromes, glaubte Patient bereits beque-
mer lesen zu können, und in der That ergab auch die
Prüfung mit Prismen eine Insufficienz von 4? auf 10'',
während die Adducenten nur 1 6" überwanden. Es wurde von
nun ab in den nächsten Tagen jedesmal sowohl vor als nach
der Application des Stroms die Leistungsfilhigkeit der
interni geprüft und jedesmal ein entschiedener^ bessern-
der Einfluss des galvanischen Stroms constatirt, der
allerdings noch nicht einer dauernden Besserung gleich-
kam; denn oft sah ich mich am nächsten Tage schon
von dem gewonnen geglaubten Terrain um ein Stück
zurückgedrängt. Indess war Patient doch allmälig in
den Stand gesetzt, einen Theil seiner sonstigen Beschäf-
tigungen wieder aufzunehmen und vom 2. Juli ab, wo
die Insufficienz 0^ die Adductionskraft 31^ und die Ab-
ductionskraft 5® betrugen, war auch die Besserung nicht
blos ephemer, sondern die jedesmalige vor dem Galva-
nisiren vorgenommene Untersuchung ergab von nun ab
dieselben numerischen Verhältnisse, so dass Patient am
31. Juli mit einer seiner Accommodation entsprechenden
Convexbrille — die A zeigte sich jetzt rechts '/., links
Vio H 60 und -h 40 und dem Eath, Schwalbacher
Brunnen zu trinken, geheilt entlassen wurde. Ende
September zeigten die Muskelverhältnisse noch den un-
verändert günstigen Stand.
Bevor ich auf die Würdigung dieses Falles und die
Anwendung des Galvanismus gegen Muskeliusufficienzen
näher eingehe, mögen zunächst noch einige andere Fälle
kurz erwähnt werden und das Thatsächliche feststellen.
2. Der Comptoirist Z—r, 23 Jahre alt, der seit
Jahren genöthigt ist, viel und anhaltend zu schreiben,
wird seit dem letzten Winter, wo er ausserdem häufig
des Nachts gearbeitet, von progressiven Beschwerden
muskulärer Asthenopie geplagt, welche weder adducirenden
Prismen noch dem längeren Gebrauche des Eisens weichen.
73
Am 23. Juli constatirten wir an den myopisch ge*
haaten Augen (rechts M V,« S last 1, links M Vi» S Vs«
N beiderseits V«), bei der gemeinschaftlichen Fixation
eine Abweichung nach aussen jenseits 5''; auf 8'' Ent-
fernung betrug die dynamische Divergenz 13^ auf grosse
Abstände 0^ eine Adductionskraft von 25'' und eine
Abductionsfihigkeit von 7^ (auf Abstand) — Verhältnisse,
die genau dem vor 3 Monaten notirten Befunde ent-
sprachen. Kein Astigmatismus, ophthalmoskopisch: beider-
seits schmale, scharf begrenzte Sicheln. — Es wurde
nun auch hier versuchsweise der constante Strom appli-
cirt und nach achttägiger Anwendung desselben entspre-
chend dem bessern subjectiven Befinden Insufficienz u" udd
Adduction 29^ gefunden; der weitere Verlauf ergiebt
sich aus den folgenden Journalnotizen:
Vom 1. Juni bis 6. August Insufficienz 0® {S*% Ad-
duction 3r; am 8. August (nachdem am 7. August die
Behandlung freiwillig ausgesetzt worden) Insufficienz 7",
10. August Insufficienz 6"" (bis 5'% Adduction 3^; am
12. August 2V/, 13. August Insufficienz &" (nach dem
Elektrisiren 5"), am 15. August 5* resp. 3", am 18. Au-
gust 4" resp. 3'*: von da ab schwankte die Insufficienz
nur zwischen 3"" und 0* und als gegen Ende des Monats
das Gleichgewicht zwischen Innern und äussern Mus-
kehi dauernd hergestellt zu sein schien und die an-
dauerndste accommodative, übrigens während der Behand-
lung nicht aufgegebene Thätigkeit ohne Beschwerden
ertragen wurde, liess ich die Sitzungsintervalle ohne
Nachtheil für den Patienten wachsen, der von Mitte des
nächsten Monats ab nur Gegenstand der Beobachtung
blieb. Am 8. September fand sich das Zahlenverhältniss
nur in so weit verändert, dass die Abduction nur 5^ be-
trug, während sie am 5. September noch, wie früher,
7^ gewesen; den 16. September zeigte sich schliesslich
rechts M Vi« bei voller Sehschärfe, links M Vk- S *V.o N V»
74
beiderseits, und Mitte October konnten noch dieselben
Verhältnisse constatirt werden.
3. Der 18jährige Schreiber Johann P. leidet seit
mehreren Monaten an Schmerzen in beiden Augen, die
beim Schreiben auftreten, dasselbe erschweren und ihn
etwa nach einer Viertelstunde zur Unterbrechung der Arbeit
zwingen. Da in der letzten Zeit die ihm octroyirten Pausen
häufiger und länger werden müssen, ist er im Begriff, den
vor einem halben Jahre gewählten Beruf ganz aufeugeben.
Bei der am 30./7. angestellten Untersuchung weicht
das rechte Auge bei der gemeinschaftlichen Fixation von 6''
ab nach aussen ; unter der deckenden Hand beginnt das
Auswärtsschielen desselben Auges bereits auf 12''; auf
8" ist die dyn. Divergenz = 10" (auf grosse Abstände 0"),
durch Adduction werden 14" (bis 6")) durch Abduction
(Abstand) 10® überwunden; rechts istMV, N2^rrr links
MVi2 N^rr S beiders. 1. Die an demselben Tage in
derselben Weise, wie bei den früheren Patienten einge*
leitete galvanische Behandlung änderte in den ersten
4 Sitzungen an dem Zustande wenig. Am 4./8. änderte
ich die Stromesrichtung, indem ich statt des bisher an-
gewandten aufsteigenden Stromes den absteigenden
wählte, und fand unmittelbar nach beendigter Applica-
tion auf 8'' 0" dyn. Divergenz; auf 6'' 6", Adduct. 31 %
Abduct. 8"; nach der nächstfolgenden Sitzung zeigte sich
auch auf 6'' keine Insuf&cienz mehr, 31® werden bis 3''
durch Adduction überwunden. Mit längeren Pausen wird
die Behandlung bis zum 27./8. fortgesetzt und an diesem
Tage, da sich inzwischen weder subjective noch objective
Erscheinungen von Insufficienz gezeigt hatten, abgebrochen.
Bei der zuletzt im September angestellten Untersuchung
zeigt sich präcise Einstellung beider Augen bis in näch-
ster Nähe, mit dem nach oben brechenden Prisma: bis
75
4'' 0" Insuffic. Die interni überwindeo bequem 31^ die
externi 6" (am Ende der Behandlung 7%
4. Adolf Z— n, 15 Jahre, SchOler, befindet sich seit
längerer Zeit wegen eines chronischen Bindehautkatarrhs
in ambulanter Behandlung. Obgleich nun letzterer seit
Wochen bis auf eine geringe Goiyunctivalhyperftmie be-
seitigt ist, so klagt er doch über drückende Schmerzen
in den Augenhöhlen und der Stirn, welche bei jeder ac-
commodativen Thfttigkeit (10—15 Minuten nach Beginn
derselben) auftreten und mit dem Aufhören der letzteren
Dicht ganz weichen. S ist beiders. 1, rechts E, links
MVto NV4 beiderseits. Altemirendes Abweichen beider
Augen von 4 — b''^ sowohl in der Convergenzstellung, als
aach unter der deckenden Hand, auf 8" 21* dyn. Diver-
genz, Adductionskraft ^ 16", Abduction » 10^ Am
3oy7. wird die galvanische Behandlung instituirt und bis
zum 2./8. eine Abnahme der Insufficienz von nur 3® ge-
fimden. Nach Aenderung der Stromesrichtung zeigt sich
am 3./8. Insuific. ^ 14", nach dem Galvanisiren beträgt
dieselbe 8"; am 478. 13" resp. 11" (bei 31" Adduction
and 9" Abduct), den 5./8. 8« resp. 7", 6./8. 11" resp. 5",
7.8. 10* u. 8', d. 8.— I0./8, 8" (beide Male), 11./8. 13",
12. u. 1378. 8" resp. 7"f den 15./8. (nachdem am 14./8.
ausgesetzt worden) 12 •, 18./8. 8" resp. 7", 1978. 11"
resp. 6", 21./8. 10" u. 7», 22./8. 9" u. 7", 23./8. 8" u.
5" (Adduction = 27"), 27./8. 6", Adduct 30", 2578. 7" u.
5*, 26./8. 6" 2778. 5«— 3^ 28./8. 8«--3", 29./8. 3", ebenso
bis zum 2./9., am 3/9. 0", Adduct == 31^. Von jetzt
schwankte die Insuffic. nur zwischen 0"— 3"; am 8./9. wer-
den 34" durch Adduction u. 7" durch Abduction überwun-
den. Nachdem die Behandlung Mitte dieses Monats abge-
brochen wordenwar, zeigte sich am 2979. : gute Gonvergenz
bis in nächster Nähe. Dyn. Diverg. auf 7— 8'^ 2", rechts
H Vm, links H Vm, N V« beiders. Am 20. October &nd ich
76
Insufficienz O**, Adduction 31 ^ Abduction l'\ rechts
HV3., links Veo, N Jt-
5. Oscar J., 11 Jahre, klagt seit Monaten schon über
Schmerzen im rechten Auge beim Arbeiten, welches ihm
nun durch das häufige Auftreten von Doppelbildern ganz
besonders erschwert wird. — Bei seiner ersten Vorstel-
lung am 18. Juli zeigen sich die Excursionen beider
Augen nach keiner Richtung hin beschränkt; bei der ge-
meinschaftlichen Fixation in der Medianebene weicht das
rechte Auge von 10'' ab nach aussen, es treten hier be-
reits gekreuzte Doppelbilder ein, die durch ein 7'' ab-
ducirendes Prisma vereinigt werden; auf 1" beträgt die
Divergenz IV\ auf 4'' 13''; auf Abstand können auch die
schwächsten abducirenden Prismen nicht über-
wunden werden; links ist S 1. E. rechts M V* S kaum
N beiderseits = Va- Rechts zeigt das
''* ("t^/
Ophthalmoskop abgelaufene Sclerot. chorioid. post (be-
grenzte Sichel nach aussen), aber auch nach innen vom
Sehnerven discontiuuirlich verbreitete Pigmentatrophie der
Ghorioidea, deren Gefässschicht überall durchzusehen ist.
Es wird — 5 für die Ferfte, — 9 zum Lesen etc.,
ausserdem Separatübung des rechten Auges und Galva-
nismus verordnet In den nächsten Tagen rückte das
Terrain des Einfachsehens nur langsam vor und auch die
übrigen Erscheinungen der Insufficienz nahmen nur um
wenige Grade ab. Am 1. August: Convergenz und Ein-
fachsehen bis 6''; auf 10" 5*^ dyn. Divergenz, auf 7"
6*^ (4''— 14^), durch Adduction werden 15^ durch Ab-
duction 7^ üherwunden, ebenso den 2.— 3./8.; am letzt-
genannten Tage nach Veränderung der Stromesrichtung:
InsuflF. 3" (7"), Adduction 31", Abduction 7*^ — und so
gingen unter allmäligem Schwinden der oben bezeich-
neten Beschwerden auch die objectiven Erscheinungen
77
stetig zurück, so dass am 26-/8. rechts bis 4*' genau
eingestellt wurde und auch das nach oben brechende
Prisma auf diese Entfernung keine Divergenz verrieth.
In den nächstfolgenden Tagen war dem Patienten aufge-
fidlen, dass die ihm verordneten Gläser nicht mehr so
gut wie bisher „passten'\ dass ihm sowohl entfernte Ge-
genstände,* als auch Schrift und Noten durch die be-
treffenden Brillen verkleinert wurden. In der That zeigte
sich jetzt rechts JA Vi, S V»; am 23./9. (nachdem längere
Pausen gemacht worden waren) MV?, SV» und endlich
am 1. 10., wo die Behandlung abgebrochen wurde, M Vr,
S"/ao. Gegen Ende dieses Monats zeigte sich S unver-
ändert; beide Augen werden bis 3—2'' präds eingestellt;
auf 4'' 3"" dyn. Divergenz; auf weitere Abstfi!nde als 4"
0^ Adduct 31^ Abd. 7« N*/,.
6. Der 15 jährige, etwas anämische und schwächliche
Fritz Z. klagt seit circa 4 Wochen über Beschwerden
von Asthenopie, für die er keine Ursache anzugeben ver-
mag. Das rechte Auge weicht unter der deckenden Hand
zwischen 18—15'' bereits um ein Geringes nach aussen,
beim gem. Sehen von 5" ab; die dyn. Divergenz beträgt
auf 9" 12^ durch Adduction werden 18" (bis 5'0 durch
Abd. 8® über wunden, S beiders. 1 rechts M 'Ao links E.
Nach der ersten Behandlung mit dem constanten Strom :
dyn. Div. = 9^ Add. 21*; nach der 2. Sitzung 2V2' In-
sufBcienz X9"), Adduct. 21«, Abd. 7^ Der Knabe, der
?on nun an keine Beschwerden mehr fühlt, betrachtet
sich als geheilt und erscheint erst nach o Tageu (am
10/9.) wieder, die Insuff. = 3^ (nach dem Galvanisiren
O'^), Adduct. 28*, Abd. 7^ Convergenz bis in nächster
Nähe; den 17./9. Insuff. 0« u. Adduction ~ 3P, nachdem
mit der Behandlung vor 8 Tagen aufgehört worden war.
7. Einen hohen Grad von muskul. Asthenopie bot die
32 jährige Schneiderin Laura S., die bis auf eine massige,
noch jetzt vorhandene Chlorose stets gesund, seit dem
78
vorigen Winter, nachdem sie häufig auch des Nachts hat
nähen und vielen Kummer ertragen müssen, über Schmer*
zen in Augen und Stirn bei allen länger andauernden
Arbeiten klagt Die immer schmerzhafter werdenden und
selbst den Schlaf störenden Beschwerden, welche jedesmal
dem Lesen oder Schreiben folgen, haben sie vor 4 Mo-
naten bereits genöthigt, diese Beschäftigungen ganz auf-
zugeben; aber selbst gröbere Nähte &ngen an, nach
10—15 Minuten undeutlich zu werden, zu verschwimmen
und so die ganze Reihe von neuralgischen Beschwerden
heraufzubeschwören, welche die hochgradige Insufficienz
der intemi charakterisiren. Am 17./7. zeigen sich (ohne
Beweglichkeitsbeschränkung) in der Mittellinie bereits
auf 6'^ gekreuzte Doppelbilder, Prismen mit Basis nach
aussen werden gar nicht, mit der nach innen von 10^ auf
Abstand überwunden; auf 8" dyn. Divergenz = 2V\ Links
^, rechts M V,o, N ^^
handlung wurde ganz in der früher erwähnten Weise aus*
geführt, und die Patientin, die sich inzwischen vielfach und
oft Stunden lang mit Leetüre beschäftigt hatte, am 7./8.
mit einer Adductionskraft von 31*^ — bis 4'' keine dyn. Di-
vergenz — und einer Abductionskraft von 8*" entlassen.
8. Die 33jährige Adele D. hat im vorigen Winter
ein Uterinleiden überstanden, das mit häufigen und co-
piösen Blutungen verbunden war und eine erhebliche
Anämie und Schwäche zurückgelassen hat Mit letzterer
machten sich auch Schmerzen in den Augen bei grösse-
ren accommodativen Ansprüchen an dieselben. Verschwim-
men der Objecto und andere asthenopische Beschwerden
geltend. Gonvergenzstellung nur bis 3'', von da ab geht
das linke (unter zitternden Bewegungen) nach aussen.
Auf 6" dyn. Diverg. = 8% Adduct. = 27 •, Abduct =
9% links M V12, S ^V^o, rechts M V'w, S *%o, links N ^y
M Va4, N ^j7-, rechts M V,o, N 71- S beiders. 1. Die Be-
79
rechts N ^^j- Hintergrund normal. Nach dreimaliger An-
wendnng des Stromes (Insufficienz von 4"^ auf 6'') war
Fat bereits im Stande, 2 Stunden lang ohne Beschwer-
den zu nähen und nach vierwöchentlicher Behandlung,
vom 17^9. ab, flberschritt die dyn. Divergenz nicht 3"
(Adduct. 29^ Abd. 9^), die M betrug von diesem Tage
ab rechts Vs49 Unl^ V» (S wie früher); am 3./10. (nach
einem längeren Intervalle) ist S beiders. 1 (M wie zu-
letzt), N rechts 3VV' links, 3%''. InsuflF. von 4"" bei Ad-
duction = 31** und Abduct. = 7". — Ordinirt wurde
hier ausserdem noch Eisen, das auch früher lange Zeit
gebraucht worden war.
9. Die 20jährige etwas chlorotische Marie 6., die
stets kurzsichtig gewesen ist, klagt bei ihrer ersten Vor-
stellung am 10./5. über allerlei asthenopis^^e Beschwer-
den, welche durch abnorme Brechungsverhältnisse allein
nicht erklärlich sind (Kopfschmerz, Doppelsehen etc.).
Während links MVt N^tt- und S = 1 ist, zeigt sich
^ /a
rechts Am c. Via— V», (nach Correction der Am durch
cyl. — 20 u. sph. — 7) = V,, N = öi/*)- Das rechte
Auge flieht bei der Fixation in der Mittelebene von 5''
ab nach aussen; dyn. Diverg. auf 10" = 8^ auf 6"— 16«;
adducirt werden 8"^ auf 6'^ abducirt 12« (auf grossen Ab-
stand). Beiderseits begrenzte Sicheln (rechts oben, links
aussen). Da die proponirte Bücklagerung des rechten
Ext noch angeschoben werden soll, wird Fat einstwei-
len mit Eisen, diätet. Verordnungen und— 18 (zum Spielen)
versorgt. Am 2278. (nach längerem Aufenthalte auf dem
Lande) sind die Verhältnisse ziemlich unverändert [In-
•) Mit sph. — 8 allein 8 = ' w.
80
sufficienz = J4« (6") 8'» (10"), Adduction = 12, Abduct
= 10], und es wird am 5./9. die galvanische Behandlung
versuchsweise begonnen. Am 2./9. ist die S rechts
^Vao, die Adducenten überwinden 31** (auf 4— 5") und
die Insufficienz ^7® (auf 6'0- Obgleich nun inzwischen
subjective Erscheinungen von Insufficienz nicht wieder
eingetreten sind, die objectiven sich noch eher etwas ge-
bessert haben und jetzt namentlich eine sichere binocu*
läre Einstellung bis in nächster Nähe erfolgt, so will ich
diesen Fall, der zunächst nur die Zugänglichkeit auch
solcher Formen von muskul. Asthenopie für die galva*
nische Behandlung documentiren sollte, noch nicht als
abgeschlossen betrachten, da er jetzt (Anfangs November)
noch nicht ganz der Behandlung entzogen ist. Schliess-
lich sei noch bemerkt, dass das den Astigmatismus corri-
gende Olas im Form einer Lorgnette (also für die Feme)
und auch letztere erst im Laufe der Behandlung resp.
Besserung verordnet wurde.
Noch günstiger gestaltete sich der diesem ähnliche,
folgende Fall.
10. Die 29jährige St., wegen linksseitiger Blepha-
roadenitis in ambulanter Behandlung, klagt, dass sie seit
mehreren Wochen nicht mehr recht nähen könne. Das
rechte Auge zeigt sich am 15./9. von 3'' ab beim gem.
Sehact divergirend, das nach oben brechende Prisma er-
giebt auf Abstand 3«, auf 8;' 8^ Adduction 22, Abduct.
11. Die Sehschärfe des astigmatisch gebauten Auges
(Am cV„) ist %, N*,, rechts E, S J, NV*. Hier
zeigte sich bereits am 22./9. Insuffic. ^^ 0^, die Adduct.
= 31^ und eine Convergenz bis zu 2Vt'' vom Auge; am
24./9. S rechts "/w; 4 Wochen nach Schluss der Be-
handlung: Insuffic. = 0« (7") N. beiders. 4?U\ Adduct.
= 31^ Abduct = 8^ Convergenzstellung bis 2" möglich.
Es «wird jetzt erst das entsprechende Glas (cyl.— 20) zur
Arbeit gegeben.
81
11. Der ]6jährge Albert 0. ist seit Monaten nicht
mebr im Stande, bei künstlicher Belenifttung sich mit
feineren Objecten zu besch&ftigen; aber auch am Tage
wird ihm jetzt Schreibe und Lesen bald eine schmerz-
hafte Arbeit. Neben einem geringen Conjunctivalkatarrh
zeigt sich am 20./10., M V«, N V4, S '^3« beiderseits (nach
Atropinwirkung: MVt S unreräadert), Insoffic. auf 5"
16^ auf Abstand 0^ Adduction 2^ und Abdnction 13^
unter der deek^den Hand strab. div. von Vs'" (auf 5—
6^). Das rechte ist das vorzugsweise abweichende. Bei-
derseits geringe Sderectasia post. und Pigmentarmuth
der Chorioidea. Auch hier zeigte sich nach (8 maliger)
Anwendung des coAstanten Stromes: prftcise Einstellung
bis in nächster Nähe, Insufficienz von 3 — 4® (auf 5''), auf
grössere Entfernungen 0^ Add. » 26% Abd. == 8"" und
S beiders. ^V»» (MV«) NV«, Verhältnisse, die übrigens
noch in fernerer Besserung sich befinden. Jetzt, den
8. 11., wie zuletzt, nur N = Vt*).
Endlich habe ich noch einiger Formen von Insuffi-
cienz der int zu gedenken, bei denen durch die Anwen-
dung des Galvanismns der Effect anderer Mittel und be-
sonders der Tenotomie gesteigert und vervollständigt
wird. Während der Galvanismus so in einzelnen Fällen
im Wesentlichen die Wirkung anderer Mittel nur unter-
stfitzt und befördert, ermöglicht er in einer anderen
Reihe von Fällen, bei denen letztere nicht mehr ausrei-
chen, das Zustandekommen eines günstigen Endresul-
tates. Folgendes Beispiel diene als Erläuterung:
*) Aoflalltttder Weite hat sieh in dieseni Falle der BinfluM des
OalTanisinas auf die Aocommodations-BesohrSiikttng, offenbar aus der-
selben QneUe wie die InsnfBcienz entsprungen, relatiT spfit geseigt»
ivthrend ieh ihn sonst bei Aooommodationsparesen naoli viel kfirsater
Sinirii^iuig des eonst, Stromes beobaehtet habe. Bei einem weg^n
Accommodationsparese und hundL d. int. (nach anderen Krankheiten) nooh
jetzt in Behandlung befindliehen Mfidchen hatte letztere sich nooh we-
nig geandeit, als jene bereits beseitigt war.
Arcbir fOr Ophthalmologie. XL 1. Q
82
12. Bei der 19jährigen Jenny S. wurde am 28./8.
wegen Strab. diverg. in Folge einer diffusen, seit 12 Jah-
ren bestehenden, die innere Hälfte der rechten Hornhaut
einnehmenden Trübung eine Rücklagerung des rechten
Externis gemacht Die Divergenz hatte auf Abstand
IVV", in der Nähe 3"' betragen, die Sehschärfe war * 40.
Trotz inzwischen consequent durchgeführter Separatübung
betrug jene am 15./9. nur V«; unter der deckenden Hand
zeigte sich von 20'' ab beginnende Divergenz, die auf
10" 7", auf 6" 8" betrug; die Adducenten vermochten
nur jenseits 13" lOgrad. Prismen, die Abducenten 5" zu
überwinden. Nach dreimaliger Application des const.
Stromes zeigt sich die Insufficienz auf 2V2'' (lO'O redu-
cirt, Adductionskraft = iV (bis 14"), SV5, den 19./9.
SVio, Insuff. 0", Adduct. 27^ Einstellung bis 6"; den
5./10. S'V>o, keine Insufficienz, Convergenz bis 4", Ad-
duction = 30", Abd. ^ 7*^; das bisher emmetropisch er-
schienene rechte Auge hat jetzt HV»o {N%), links H* *o
(früher ebenfalls E. S 1).
Man wird leicht in den hier gewählten aus den ver-
schiedensten Ursachen hervorgegangenen Beispielen von
Insufficienz der Interni wesentlich zwei Hauptgruppen
herausfinden. Das allen Gemeinsame, Pathognomonische,
die verminderte Leistungsfähigkeit der interni, wird sich
in dem einen Falle als das primäre — ich abstrahire
zunächst von dem Nerveneinflusse — in dem anderen als
das durch bereits vorhandene Anomalien bedingte Augen-
leiden erweisen. Zu letzteren rechne ich die Prozesse
und Veränderungen, die nachweislich alten Datums eine
mehr oder weniger erhebliche Sehstörung bedingt haben
(Chorioiditis, Cornealtrübungen, Astigmatismus). In dem
zuletzt genannten Falle, wo die Insufficienz aus der Am-
blyopie, der Aufhebung des gemeinschaftlichen Sehactes,
entstanden ist, wird zur Verbesserung der Sehschärfe
eine blosse Hebung der Muskelkräfte des Interni häufig
83
nicht ausreichen und es hedarf daher keiner Rechtfer*
tigung, wenn die sogenannte Reinheit der Beobachtung
auch hier in einzelnen Fällen durch die gleichzeitige
Anwendung der entsprechenden anderen, übrigens jedes-
mal angeführten Mittel (corrig. Gläser, Separatübungen etc.)
getrübt ist. Dagegen können wir vom Galvanismus eine
wesentliche und entscheidende Hülfe von dem Momente
an erwarten, wo jene amblyopischen Zustände den sonst
üblichen Mitteln nicht mehr zugänglich sind und wo, wie
in dem Falle 5, in Folge des längeren Nichtgebrauches
mangelhafte Emährungsverhältnisse nicht blos des inter-
nus, sondern auch des extemus (keine Abductionskräfte)
angenommen werden müssen und deshalb sich auch der
Tenotomie des Antagonisten Bedenken entgegenstellen.
Mit dem Zustandekommen des binocularen Sehens
aber, welches durch die galvanische Behandlung auf
dem eben angedeuteten und allerdings häulBgsten Wege
erreicht wird, treten andererseits — und zwar gleich-
zeitig als Ausfluss der galvanischen Strömung — Verän-
derungen ein, die ihrerseits ebenfalls eine Besserung der
centralen Sehschärfe, zumal bei hochgradigen Amblyo-
pien, zur Folge haben : ich meine die gleichzeitige Regu-
lirung der Refractions- und Accommodationsverhältnisse.
Wie die scheinbaren Myopien bei muskulärer Asthenopie
zu Stande kommen, ist ja durch v. Graefe (I. c. S. 316)
überzeugend genug dargethan und man kann sich hier aus
den oben angeführten Beispielen, wo im Laufe oder am
Ende der Behandlung eine Zunahme der Accommoda-
tionsbreiten sich herausgestellt hat, von der häufigen
Coincidenz dieses Accommodationskrampfes mit der Muskel-
schwäche überzeugen. Andererseits aber finden sich nicht
selten wahre Accommodations- Beschränkungen (durch
Hinausrücken des Nahepunktes), wie Fall 11 beweist und
wie ich noch an vielen anderen dazwischen gesammelten
Beobachtungen zeigen kann, zum Theil vielleicht als
6»
64
Folgeerscheinung jenes Krampfes, zum Theil mit dem
Muskelleiden gleichzeitig und aus derselben Ursache ent-
sprungen, die jeden£Edls der Anwendung des Galvanismus
weichen, ebenso wie die reinen (natürlich nic^t physio-
logischen) Accommodationsparesen.
Ist nun freilich auch die hier angenommene antispas-
modische Wirkung des constanten Stromes nicht in allen
oben angeführten Fällen durch die vorherige Anwendung
des Mydriaticmns stricte bewiesen*), so habe ich mich
doch tiieils aus anderen Fallen von Insufficienz des int,
sowohl mit als auch ohne Yenninderung der S., von dem
Einflüsse der abnormen Moskelspannung auf die Re-
fraction — in einem Falle betrug der Unterschied zwi*
sehen dem scheinbaren und wirklichen Fempunkte Vt» —
Vst — ohne gleichzeitige Veränderung der Sehschärfe
nach der Accommodationslähmung, überzeugt, theils geht
aus des Krankengeschichten selbst hervor, dass die Hei-
lung der Insufficienz und die Verbesserung der centralen
Sehschärfe nicht etwa ausschliesslich durch Erweiterung
des Accommodationsterrains (Verringerung der Myopie)
erfolgt (Fall 2, 9, 10). Es handelt sich vielmehr zunächst
auch hier wie bei der Tenotomie des Antagonisten um
einen directes stärkenden Einfluss auf die imch innen
wirkenden Zugkräfte, ein Einfluss, den der Galvanismus
freilich nur unter gewissen Voraussetzungen zu üben
vermag. Die sonst nämlich für die Rücklagerung der
Externi günstige abnorm gesteigerte Leistungsfähigkeit
derselben zeigen nur wenige der angeführten Beispiele
und in noch weniger Fällen hätte man hier das ganze
*) Naohdem ich diesen Punkt genauer betrachten gelernt habe,
•oUen die weiteren BeobachtungeB in Benig auf Bafraetjoneyerfadenut»
gen der Gontrole des Atropins unterworfen werden; freilioh soweit dies
bei einer ambulanten Behandlung, durch welche die Beruftgesohäfte
des Patienten möglichst wenig unterbrochen werden sollen, ausfahr-
bar ist.
85
Missverfaältniss mit einem Scheerenschmtte allein lösen
können. Es handelt sich vielmehr hier ivie in den
meisten Fällen um einen ivirklicheu Verlust an Mnskel-
kraft*), ohne dass ihn der Antagonist schon als absoluten
Gewinn f&r sich ausgebeutet hätte, and es ist einleuch-
tend, dass die Extemi dann einer länger 'fortgesetzten
methodischen Beizung gegenüber ihre Uebermacht auf-
geben, konnten. In der That sehen wir auch schliesslich
nach zugenommener Leistungsfähigkeit der Interni die
Abductionsfähigkeit in den meisten Fällen etwas Termin-
dert Was die Zunahme jener betrifft, so wird sich aus
den Zahlen selbst der Modus der Yeränderuiigen, die ja
nach>dem Grade und der Datier der Affection entweder
eine sprungweise auftretende oder mehr langsame, stetig
fortschreitende Besserung darstellen, ergeben.
Auf die Dauer der Behandlung ist übrigens, abge-
sehen von diesen upd anderen individuellen Eigenthüm-
lichkeiten, die Lebensweise und die Beschäftigung wäh-
rend der Kur selbst, die sich ja bei der ad^bulanten Be-
handlung der Controle ganz entziehen und in manchen
unserer Fälle möglichst unzweckmässig gewesen sind,
gewiss nicht ohne Einfluss. Die Wirkung der Stromes-
richtung ist bereits einige Male angedeutet worden. Nach-
dem ich den entschiedenen Vorzug des absteigenden
Stromes in mehreren gleichzeitig behandelten Fällen ken-
nen gelernt hatte, habe ich von diesem ausschliesslich
Gebrauch gemacht und zu demselben, wenn ich bisweilen
durch einen Stromwechsel einen zu langsamen Fortschritt
beschleunigen zu können glaubte, immer zurückkehren
müssen. Indess wurde gerade der zuerst angeführte
*) Die Arbeit einer Muskel ist bekanntlich nicht blos das Prodnct
ans der Last in die Höhe, auf welche die Muskelsusammenziehnng die
Last bebt; es gehört noch aur Funktion der Arbeit: die Last im
Gleichgewicht zu halten.
86
Fall und ein anderer von Parese der Interni und der
Accommodation mit consecutiver lusufficienz der Interni
und zwar letzterer in eclatanter Weise unter dem Ein-
flüsse des aufsteigenden Stromes gebessert. Bei einem
9jährigen, zwei Monate vorher an einem nervösen Fieber
erkrankten Einde waren nämlich nach der Beconvales-
cenz (divergente) Doppelbilder aufgetreten, deren Bereich
sich bis auf grössere Abstände allmälig erweiterte. Die
Interni zeigten beiderseits eine Beweglichkeitsbeschrän-
kung von fast 1''', N rechts^ (bei MV40 S 1), links
D hl
W (MV»o S'Vao)- Hier zeigte sich bereits nach der
ersten Sitzung Einfachsehen bis auf 3", nach der zwei-
ten war N beiders. Vi und nach 14 Tagen, während
welcher Zeit N allerdings = % geworden, aber geblieben
war, eine Adductionsfähigkeit von 31** (bis T//) und
Abductionsfähigkeit von 6**. So gewiss es nun auch ist
— und die F ick' sehen Versuche*) haben es ja ausser
allen Zweifel gesetzt — dass die Art der galvani-
schen Reizung entscheidend ist für das Maass der
Leistungsfähigkeit eines Muskels, so halte ich doch
jede derartige unmittelbare, wenn auch nochso nahe
liegende Uebertragung der Resultate des physiologi-
schen Experiments auf so complicirte Vorgänge, wie
sie offenbar durch eine gewissermaassen en bloc statt-
findende Reizung gegeben sind, fär bedenklich und es
scheint mir für die praktische Therapie zunächst wich-
tig zu sein, sich über die Thatsachen selbst zu ver-
ständigen.
Was endlich den Modus der Anwendung betrifft, so
habe ich also abweichend von dem Verfahren Benedikt's
(1. c. S. 109) den Kohleupol einer coustanten Batterie
*) Fiok, Untersachangen über elektrische NerTenreizung. Braun-
schweig 1864.
87^
(ätöhren'sche Apparat) auf die Gegend des iunereu
Winkels, meist bei geschlossenen Lidern, häufig auch
onmittelbar auf die Bindehaut (was indess die Wirksam-
keit nicht immer erhöhte) gesetzt, während die positive
Electrode auf die Stirn- oder Nasenwur^elgegend applicirt
wurde und die Dauer des durch 4—8 Elemente erzeug-
ten Stromes 30 Secunden (Benedikt 1. c. S. 99) nicht
überschritt Dagegen konnte mich die von demselben
Autor gegebene Auseinandersetzung an der reflectori-
schen Wirkungsweise des Galvanismus auf die Muskeln
nicht a1)erzeugen. Abgesehen von dem bereits hervor-
gehobenen entscheidenden Einflüsse auf die Stromesrich-
tung, die ja bei einer blossen Reizung der sowohl vom
positiven als negativen Pole getroffenen Trigeminus-
fasem nicht in Betracht kommen könnte, so habe ich
wiederholt sowohl bei Insufficienzen als wirklichen Läh-
mungen oder Paresen die Wirksamkeit der dem Ansatz-
punkte des afficirten Muskels möglichst nahen Applica-
tion constatiren können, wo eine anderweitige Beizung
unwirksam geblieben war. Gewiss sind solche sich ent-
gegenstehende Wahrnehmungen durch die Individualität
der Fälle und namentlich hier durch den Unterschied
zwischen Störungen in der Motilität und der Energie der
Muskeln begründet, aber jedenfalls scheint mir bei einer
gewissen Art der Reizung ein directer Einfluss auf die
Muskelfaser selbst möglich zu sein und der Effect eines
solchen methodischen Galvanisirens, durch welches aller-
dings schwache Contractionen des Muskels ausgelöst
werden können, in einer Gymnastik desselben zu be-
stehen. In welcher Weise freilich der Strom auf den
Muskel wirkt, d. h. welche Veränderungen er an dem-
selben erzeugt, ob der von der gereizten Stelle aus zum
Muskel gelangende Strom die einzelnen Elemente dessel-
ben zu vermehrter Thätigkeit anregt, oder die Emäh-
ruDgsverhältnisse an demselben indirect durch Vermehrte
88
Zuiührung von Ernährungsmaterial gehoben werden, wird
sich sdiwerlich ohne directe Versuche an isolirten Mus-
keln feststellen lassen.
Jeder Versuch, therapeutische Fragen zu erörtern,
ftthrt auf das Wesen der zu beseitigenden Anomalie.
Die hier besprochene bietet hinsichtlich ihrer Entstehung
Und Beziehung ^m übrigen Körper so anregende Ge-
sichtspunkte, weist uns so sehr auf die Bedeutung und
Abhängigkeit dieses Muskelpaares von^ verschiedenen
krankhaften Zuständen hin, dass therapeutische Ver-
suche, selbst wenn sie nur die Lösung der Frage
auf einem anderen Wege bezwecken, gerechtfertigt
erscheinen dürften. Aus der vorangegangenen Dar-
stellung wenigstens wird ersichtlich sein, dass es sich
nicht darum handeln kann, die Tenotomie durch den
Galvanismus zu ersetzen. Lässt sich ja doch in dem
zuerst angefthrten Falle, wo der Erfolg ein ziem-
lich eclatanter genasen ist, der letztere zum Theil auf
die vorangegangene Tenotomie zurückführen. Letztere
wird also immer anzuwenden sein, wo es sich uro schnelle
Herbeiführung günstigerer mechanischer Veriiältnisse für
die insufficienten Interni handelt (z. B. bedeutende Seh-
axenverlängeruüg) und um so mehr den Vorzug verdie-
nen, je günstiger und grösser das Uebergewicht der Ex-
tern! ist. Nur da, wo nach Aufopferung der ganzen Ab-
ductionskraft die Energie der Interni noch nicht herge-
stellt ist, oder wo, weil nur sehr schwache Prismen mit
der Basis nach innen oder gar keine überwunden wer-
den, die Tenotomie keine wesentliche Erleichterung für
die Interni in Aussicht stellt, wird die Anwendung des
Constanten Stromes indicirt sein. Endlich glaube ich
denselben bei allen aus allgemeinen Schwächezuständen
entstandenen Formen von Muskelinsufficienz empfehlen
za können.
Zur Histologie des Auges.
Von
Dr. Carl Ritter in Oberndorf.
I.
Die Querstreifen der Retinakömer.
Die Körnerschicht der Retina hat entschieden unter allen
Schichten derselben ilie Aufmericsamkeit der Untersncher
am wenigsten auf sich gelenkt. H. Müller theilte diese
Schicht, welche über den dritten Tbeil der Retinadicke
einnimmt, in drei Theile, die äussere Körnerschicht, die
innere Kömerschicht und zwischen beiden die Zwischen-
kömerschicht. Aeuasere Kömer und innere Körner er-
klart er für gleiche Gebilde, d. h. f&r kläne Zellen mit
grossen Kern» und fand nur einen Unterschied in der
Grösse, indem die inneren Kömer einen etwas grösseren
Durchmesser hätten. Diese Beschreibung ist in alle
Handbücher übergegangen und findet sich selbst noch in
der letzten Ausgabe von Kölliker's Handbuche der Ge-
webelehre (1863). Schon im achten Bande dieser Zeit-
schrift (Heft 2) habe ich darauf auftnerksam gemacht,
dass die äusseren Körner keine Zellen sind, und habe
90
eine besondere Form der Körner beschrieben, welche
kleine Depressionen zur Aufnahme der Stäbchenfaden
besitzt. Weitere Untersuchungen über die Retina des
Walfisches lehrte mich später, dass ein durchgreifender
Unterschied zwischen den äusseren und inneren Körnern
sei; in meiner Monographie über die Structur der Retina
habe ich daher die Bezeichnung „Körner^^ nur für die
äusseren beibehalten und die inneren Körnerzellen ge-
nannt. Ich habe an der erwähnten Stelle beide Gebilde
in folgender Weise definirt: die (äusseren) Kömer sind
Ansammlungen runder Inhaltsportionen innerhalb der
Müller' sehen Fasern, durch welche der Sinneseindruck in
einen Nervenreiz verwandelt wird, sie enthalten niemals
einen Kern; die Körnerzellen sind kleine Zellen mit
grossen Kernen und dienen zur Vereinigung einer be-
stimmten kleinen Anzahl von Müll er' sehen Fasern. Die
Zwischenkömerschicht besteht aus den radiären Müller'-
sehen Fasern und einem diese umspinnenden Netze von
höchst feinen Bindegewebselementen, welche ihr das gra-
nulirte Ansehen geben/
Kurz vor der Beendigung jener Arbeit erhielt ich
dann den Aufsatz von Henle über die Querstreifen der
äusseren Kömer.*) Er brachte mir eine höchst will-
kommene Bestätigung meiner Ansicht, konnte aber nicht
mehr in genügender Weise von mir berücksichtigt wer-
den. Die Entdeckung dieser Querstreifen wirft in ausser-
ordentlich schöner Weise über die Körner ein viel kla-
reres Licht. Es ist nur wunderbar, dass diese Entdeckung
nicht schon viel früher gemacht ist, und nach meiner
Ansicht nur dadurch zu erklären, dass die frisdie Retina
der am häufigsten untersuchten Thiere die Querstreifen
nicht darbietet. Henle beschreibt die Körner als Klip-
*) Nachrichten von der königlichen Gesellichaft der Wissenschaf-
ten und der G. A. Universität zu Göttingen. 1864. No. 7.
_91
soide, mit der längeren Axe senkrecht auf die Ebene der
Retina gestellt, zuweilen mit kleinen Spitzen an den Polen
versehen. Jedes Korn habe drei dunkle Querstfeifen,
welche durch zwei Streifen blasser Substanz getrennt
wären; man könne aber durch verschiedene Ein-
stellung die dunklen Streifen hell, die hellen dunkel
sehen. Wahrscheinlich wären die dunklen Streifen aus
Kügelchen zusammengesetzt, da kurze Zeit nach dem
Tode sich unregelmässige Pünktchen in den Körnern ver-
theilt finden. Mündlich habe ich dann von Henle erfah-
ren, dass er die Querstreifen nur wenige Stunden nach
dem Tode noch geftmden habe. Da die Göttinger Nach-
richten nicht so sehr häufig in die Hände der Fach-
genossen kommen, habe ich die Angaben Henle' s so
genau citirt.
Die Querstreifen der Kömer sind ohfie jede Mühe
zu finden, falls man sich die Mühe giebt, frische, am
liebsten noch warme Augen zu untersuchen. Der Ein-
fachheit und der anatomischen Verhältnisse wegen ziehe
ich es vor, nur die dunklen Streifen derselben mit dem
Namen Querstreifen zu bezeichnen. Man bedarf zur
Untersuchung einer Vergrösserung von 300— öOO; gerin-
gere Systeme leisten zu wenig, stärkere geben nicht mehr
Aufschluss. Die Querstreifen laufen mit der Ebene der
Retina parallel. In allen Körnern mit Ausnahme einiger
bestimmter Formen bemerkt man Querstreifen und durch
leise Verschiebungen des Kerns ist keine Veränderung
des Bilded zu erreichen, es ist daher sicher anzunehmen,
dass die Querstreifen parallel mit der schmalen Axe des
Korns rund um das Korn herumlaufen.
Ich habe die Verhältnisse der Querstreifen genau
geprüft beim Kalbe, beim Lamm und beim Menschen.
Die Kömer des Kalbes sind Elipsoide oder runde Körper
und zwar überwiegen die Elipsoide bedeutend an Zahl.
Die runden Körner haben einen Durchmesser von 0,006
92
Mm. und mit ihnen stimmen diejenigen überein, wdche
die froher beschriebene Depression zeigen. Die längere
Axe der Elipsoide beträgt etwa 0,008 Mm., die kürzere
0,005 Mm. Beim Lamme sind fast alle Kömer rund und
haben einen Durchmesser von 0,005 Mm.; einige ovale
besitzen eine Längenaxe von 0,0075 Mm. Beim Menschen
misst der Durchmesser der runden Kömer 0,006 Mm.,, die
Längenaxe der ovalen 0,008— 0,01 Mm,; beide sind ung^ähr
gleich an Zahl. Offenbar schwanken die Maasse der Körner
innerhalb der Klasse der Säugethiere nur sehr wenig.
An den runden Kömern, welche Depressionen besitzen,
finde ich niemals Querstreüen, dann finden sich noch
einzelne Körner, an welche die Membran der Müller'-
sehen Fasern fester haftet, als an den übrigen, auch diese
besitzen keine Querstreifen. Die Querstreifen werden von
parallelen Linien begrenzt und laufen untereinander pa-
rallel. Die runden Kömer besitzen zwei dunkle Quer-
streifen, die elipsoiden ebenso oft drei, wie zwei. Wenn
das Korn zwei Querstreifen enthält, so befindet sich die
Mitte desselben innerhalb des hellen Streifens zwischen
beiden und die Querstreifen liegen ziemlich in gleichen
Abständen dicht nebeneinander. Wenn drei Querstreifen
in dem Korne enthalten sind, so liegen zwei in den
schmalen Polen, sie vollständig erfüllend, der dritte nimmt
die grösste Breite in der Mitte des Koros ein (Fig. 1 — 4).
Die übrige Substanz des Koms ist blass durchscheinend,
eine zarte Contour verbindet die Qnerstreifen an ihren
äusseren Enden. Von einer Zusammensetzung der dunk*
len Querstreifen aus runden Kügelchen habe ich nichts
auffinden können.
Die Messung der Breite der Querstreifen und ihrer
blassen Zwischenräume ist natürlich sehr schwierig und
kann nicht gut mit völliger Genauigkeit ausgeführt wer-
den. Bei einem Korne eines neugeborenen Kindes von
eliptischer Form, welches drei Querstreifen enthielt, fand
ich die Längenaxe des Korns 0,008, Mm. die Querstrei-
fen 0,001 Mm., die blassen Zwischenräume 0,002 Mm.
breit. Da aber die betreffende Retina einige Tage in
Alkohol gelegen hatte, so waren die Veriiältnisse offenbar
schon nicht mehr ganz normal. Es ist wohl anzunehmen, dass
die Querstreifen und ihre Zwischenräume im Leben nahezu
gidch breit sind. Wenigstens ist dieses Verhältniss die
Regel, wenn man die Augen noch warm untersucht
Aber man bemerkt bei längerem Untersuchen bald be*
deutende nngesetzmässige Schwankungen; dann sind die
Querstreifen, dann sind die Zwischenräume breiter, ohne
dass sidtk ein Grund dafür finden liesse. Auch erhärtende
FlflsitgkeiteB, wie Alkohol und Chromsäure, haben keinen
gleidmiässigen Rinfluss auf die Breitenverhältnisse der
Querstreifen.
Einige Standen nach dem Tode verschwinden die
Querstreifen; in einem Falle, welchen ich in dieser Be<
zidiung genau verfolgte, habe ich sie noch siebzehn
Standen nach dem Tode gesehen. Der gewöhnliche Zeit*
raom, nach dessen Verlauf sie geschwunden sind, beträgt
ungefihr zwölf Stunden. Nach ihrem Vergehen erhalten
die Kömer das gewöhnlich beschriebene, leicht granulirte
Ansehen. Die Art des Verschwindens ist natürlich für
die Deutung der Querstreifen eine sehr wichtige Frage,
sie verhält sich aber nicht in allen Fällen gleich. Mei-
sttns nehmen die Querstreifen einige Stunden nach dem
Tode an Breite zu und verlieren ihre scharf parallele
Begrenzung; die hellen Zwischmiräume werden entspre-
chend kleiner. Die Begrenzung der Streifm verliert von
ihrer Schärfe und die Streifen selbst werden heller, da
sich einige feine Pünktchen in ihnen ausscheiden. Es'
findet sich dann ein Augenblick, in welchem die Kömer
nur mit etwas verschiedenen, dunkleren und helleren
Schattirangen besetzt sind. Endlich schwindet auch diese
letzte Andeutung. Wenn nur zwei Querstreifen vorhaiir
_ 94
den sind, so pflegen sie sich beide am meisten gegen
die Pole hin auszubreiten, so dass zuletzt nur ein schma-
ler Zwischenraum zwischen beiden in der Mitte des Korns
zurückbleibt Die Zwischenräume bleiben so lange von
der Granulirung frei, bis sich die Querstreifeu zu ihnen
ausdehnen und es vertheilen sich später die Pünktchen
der Querstreifen in dem ganzen Korne. Es beruht also
die Granulirung der Körner nur auf einem Zerfallen der
Substanz der Querstreifen.
Gegen die Erhärtungsmittel verhalten sich die Quer-
streifen sehr verschieden, in den meisten Reagentien ver-
gehen sie auf der Stelle. Mit allen färbenden Substanzen,
welche mir zu Gebote standen, habe ich keine nähere
Aufklärung über die Beschaffenheit der Querstreifen er-
halten können, ich habe in dieser Hinsicht Carmin, Jod-
tinctur, tinctura opii croc. und Eisenchlorid geprüft. Der
eine Theil dieser Reagentien zerstört die Retinabestand-
theile überhaupt, der andere lässt die Körner und ihre
Querstreifen ganz indifferent. In verdünnter Lösung von
chromsaurem Kali erhalten sich die Querstreifen einige
Tage; in Alkohol erhalten sie sich sehr gut, besonders
in einer Mischung von halb Alkohol, halb Wasser. In
dieser habe ich die Querstreifen noch nach Verlauf eines
Vierleljahres bei allen Körnern nachweisen können. Ich
setze bei diesen Angaben immer voraus, dass die Augen
warm oder eben nach dem Erkalten in die erhärtende
Flüssigkeit gelegt werden.
Die Körner und ihre Querstreifen gehen durch das
Erhärten mannigfache Veränderungen ein. Von vorn-
herein bemerkt man gleich, dass nicht alle Präparate in
derselben oder gleicher Flüssigkeit nach gleich langer
Erhärtung sich überein verhalten. Manche Körner,
welche entschieden Querstreifen gehabt haben, zeigen die-
selben nicht mehr, während andere sie sehr schön con.
versirt aufweisen. Im Allgemeinen kann ich aus meinen
95
UntersachuDgen die Beobachtung aufstellen, dass sich bei
einer Erhärtung, welche sich zu guten Querschnitten der
Retina eignet, keine Querstreifen der Körner finden; da-
gegen bei einer geringen Erhärtung, welche für Quer-
schnitte völlig ungünstig ist, aber die Isolation der ein-
zelnen Elemente sehr befördert, die Querstreifen sich
sehr gut erhalten. Wenn man in absolutem Alkohol die
Betina lange macerirt, werden die Elemente sehr un-
durchsichtig und die Querstreifen sind nur an einzelnen
Körnern zu bemerken. Für die genaue Bestimmung der
mit Querstreifen versehenen Kömer ist dies Verhalten
derselben gegen die Erhärtungsmittel ausserordentlich
hinderlich. Jedoch glaube ich aus einer längeren Reihe
von Untersuchungen schliessen zu dürfen, dass das in-
nerste Korn und häufig das äusserste Korn jedes Müll er '-
sehen Fadens keine Querstreifen besitzen. Es sind dies
diejenigen Kömer, welche nach meinen Untersuchungen
über die Retina des Walfisches fester mit der Membran
des Fadens verbunden sind. Die äussersten Kömer ha-
ben keine Querstreifen, wenn sie eine Depression be-
sitzen. Dagegen die mittleren Körner der Mü Herrschen
Fasem, welche lose in derselben liegen und frei umher-
schwimmen nach der Zerstörung der Faser, zeigen auch
stets Querstreifen. Immerhin bleibt es sehr unangenehm,
dass die Fasem und die Querstreifen nicht in denselben
Präparaten verfolgt werden können. Es sind deshalb
auch die Querstreifen zur Unterscheidung des Nerven-
gewebes und Bindegewebes innerhalb der Körnerschicht
nicht zu verwerthen. Glücklicherweise ist diese Unter-
scheidung auch ohne dieses Hülfsmittel möglich. Die
Keme der Bindegewebsfasern sind allerdings den runden
Körnern an Grösse &8t gleich und liegen auch zwischen
denselben scheinbar regellos zerstreut, aber die Beschaf-
fenheit der Fasern entscheidet doch absolut über die
Natur des Gewebes. Jedenfalls sind aber die Zweifel,
96_
welche Henle in der erwähnten Arbeit gegen die Exi-
stenz der Müller' sehen Fasern während des Lebens er-
hebt und zu begründen glaubt, für völlig ungerechtfertigt
zu erklären.
Auch die Kömer derselben Retina verbalten sich
gegen die Erhärtungsmittel nicht immer gleich, meist
sind die Querstreifen in vielen schon geschwunden, wah-
rend sie in anderen noch deutlich zu sehen sind. Die
Veränderungen der Querstreifen sind nicht gleichförmig.
Zuweilen schrumpfen sie in Alkohol oder ChromsäuTe
zusammen und erscheinen nur noch als starke Querlinien.
Die Zwischenräume werdeii dadurch etwas dunkler und
breiter, letzteres aber nidit entsprechend, da sich das
Volumen der Körner überhaupt vermindert. In anderen
Fällen behalten die Querstreifen nahezu ihre Breite, sie
werde» deutlicher und schärfer contourirt. Die Contou*
ren bleiben aber nicht parallel, sondern biegen sich, mei-
stens convex nach aussen, selten concav. Wem sieh
drei Querstreifen in dem Korn befinden, so bewahrt der
mittelste am meisten sein Verhalten im frischen Zu-
stande, die Contouren werden nur schärfer und schwei-
fen sich etwas rund (Fig. 3a u. 4a). Die beiden Streifen
an den Polen werden aber stets zu kleinen, runden,
glänzenden Kugeln, welche genau so ausseben, wie die
ganzen Körner nach langer Spiritusmaceration. Ganz ebenso
verhalten sich die Querstreifen, wenn nw zwei sich in dem
Korn befinden. Es sind dann innerhalb des Korns frei von
seiner Contour zwei runde, bläulich glänzende Kugeln ent-
halten, in gleichen Abständen von den Polen und von dem
Mittelpunkte. Wahrscheinlich haben derartige Bilder zu der
so sicher aufgetretenen Meinung verleitet, dass die äusse-
ren Körner ebenfEdls Zellen mit Kernen wären; besonders
wenn die eine der beiden Kugeln sich, wie nicht selten,
früher auflöst als die andere. Auch der mittlere dritte
Querstreifen löst sich zuweilen von der äusseren Contour
97_
des Korns ab und wird zu einer runden Kugel, doch ge-
schiebt dies selten. Häufiger zeigt er kleine Lagenver-
inderungen, durch welche seine Contour sich an einer
Seite von der Contour des Koros trennt und der ganze
Querstreifen nicht mehr in der kurzen Axe des Kanals
liegen bleibt, sondera sich mit derselben in einem mehr
oder weniger bedeutenden Winkel kreuzt. Sehr selten
nur sind mir Knickungen des mittelsten Querstreifen
begegnet; dann hatte derselbe sich jedesmal an einer
Seite von der Contour des Korns losgelöst, haftete ihr
an der anderen Seite noch an, verlief von dieser eine
kurze Strecke in der normalen Richtung und bog sich
etwa in der Mitte mit einem starken Winkel und deut-
licher Knickung, um seine Richtung gegen einen der
beiden Pole zu nehmen (Fig. 4 a). Bei sehr starker Ma-
ceration heben sich alle drei Querstreifen in kugeliger
Form von der blassen Contour des Korns ab. Nach der
Maceration in Alkohol tritt dann erst nach längerer Zeit
die sonst beschriebene Form der Körner auf, sie bilden
dann glänzende, homogene Kugeln von kleinerem Durch-
messer, als ihnen im frischen Zustande zukommt
Wenn ich nun Alles zusammenhalte, was bis jetzt
Aber die Querstreifen der Körner bekannt ist, so glaube
ich berechtigt zu sein, sie fflr scheibenförmige Ansamm-
lungen einer bestimmten chemischen Substanz zu erklä-
ren. Leider bietet die übrige Substanz der Körner noch
keine näheren Anhaltspunkte, um von einer entgegen-
gesetzten Bestimmung weitere Aufechlüsse zu erhalten.
Jedenfiills ist durch die Entdeckung Heule's ein neuer
Boden fftr weitere Forschungen gegeben; die Retina er-
weist sich fortdauernd als eine unerschöpfliche Fund-
grube.
Die Körner lassen sich nach den jetzigen Unter-
suchungen etwa in folgender Weise definiren: 1) sie lie-
gen zum grössten Theile frei innerhalb der Müll er 'scheu
Arcbiv fllr Ophtluümologle. XI. 1. 7
98
Fasern, nur einzelne bestimmte sind mit den Fasern
fester verbunden; 2) sie bestehen aus zwei Substanzen,
welche schichtweise, parallel der Retinaebene, miteinander
abwechseln ; 3) die dunkle Substanz löst sich bald nach
dem Tode in feine Pünktchen auf, welche die Granulirung
des Kerns bedingen; 4) sie smd keine Zellen, enthalten
also auch keinen Kern , doch bieten die dunklen Qu^r*
streifen zuweilen den Schein eines solchen dar; 5) die
Function der Körner ist als Verwandlung des kleinsten
Lichteindruckes in einen Nervenreiz zu bezeichnen und
es scheint auch die Zusammensetzung der Körner aus
verschiedenen Substanzen sie dazu zu befähigen.
Eine sehr wichtige Frage ist nun, wie weit die
Querstreifen der Kömer bei den verschiedenen Thier-
klassen vorkommen. Henle giebt darüber nur kurze
Angaben und nach diesen könnte man fast versucht sein,
diese Bildung für eine allgemeine in allen Thierklassen
anzunehmen. Allein diese Annahme wäre sehr unrichtig,
da im Gegentheil die Querstreifen sich nur in einer be-
schränkten Thierklasse zu finden scheinen. Ich habe sie
gefunden beim Menschen, Schafe, Bind, Pferd, Hund,
Katze, Kaninchen, Hase und möchte dennoch glauben,
dass dieselben allen Säugethieren eigenthümlich sind.
Dagegen habe ich sie vermisst bei der Ente, beim Huhn,
beim Sperling und der Taube. Femer fehlen sie völlig
beim Frosche und allen Fischen unseres Flusses Hamme
(Hecht, Schleie, Kehlbarsch, Botbfeder, Alender, Breit-
fisch; leider fehlen mir von den meisten die systemati-
schen Namen). Es ist wohl unnöthig, dass ich die nö-
thige Beachtung der erforderlichen Cautelen bei diesen
Untersuchungen noch besonders erwähne. Es scheint
also bis jetzt, als ob sich die Querstreifen der Kömer
nur bei den Säugethieren fänden. Weitere Untersuchun-
gen müssen erst die Gültigkeit eines solchen Satzes er-
weisen.
99
Wahrscheinlich aber findet sich diese Substanz der
Qaerstreifen doch in den Kömern aller Thiere, denn sie
sind bei allen fein punktirt Dann findet sich auch beim
Frosche in der Granulimng, wie sie kurz nach dem Tode
eintritt, eine gewisse Gesetzmässigkeit, welche ich noch
nicht bestimmt definiren kann, und glaube ich ähnliche
Vorgänge auch bei manchen Vögeln gesehen zu haben. —
Uebrigens darf man nach meiner Meinung den Werth der
Querstreifen nicht im mindesten deshalb herabsetzen,
weil sie sich nur in einer beschränkten Thierklasse fin-
den. Die Histologie muss He nie für diese neue Ent-
deckung im höchsten Grade dankbar sein, sie reiht sich
seinen froheren Arbeiten in TöUig würdiger Weise an.
2) Das Epithel der Hyaloidea.
Für die Ophthalmologen ist der Bau des Glaskörpers
eine brennende Frage; es ist daher im höchsten Grade
wünscbenswerth, dass endlich eine Verständigung über
diesen Punkt angebahnt wird. In diesem Sinne bitte ich
die folgenden Zeilen aufzufassen. Durch die Erklärung
des Glaskörperbaues erledigen sich so viele andere Fra-
gen, dass es fär die Ophthalmologie von unendlichem
Nutzen wäre, sie durch völlige Uebereinstimmung der
Untersucher gelöst zu sehen. Die Mehrzahl der neueren
Histologen, welche dem Glaskörper ihre Aufmerkarmkeit
zugewendet haben, C. 0. Weber*), Schweigger**)
u. a. m. sprechen sich dafür aus, dass die Substanz des
Glaskörpers in der Weise des Nabelgewebes aus einer
schleimigen InterceUularsubstanz und einem Systeme zu-
sammenhängender Stemzellen bestehe. Offenbar hat aber
das System der Cellularpathologie den grössten Einfluss
*) Archiv ftir pathologische Anatomie XIX, 8, u. i. .
*•) Archiv ftir Ophthalmologi«« \U. ?.
100
auf die Arbeiten jener Autoren gehabt Die ältere An-
sicht Hannover's, welcher unzählige Scheidewände in
dem Glaskörper fand, ist nur von Finkbeiner'*') be-
stätigt. Da sich diese Scheidewände aber nicht nach-
weisen lassen, so sind leider die übrigen, oft richtigen
Angaben Finkbeine r's gänzlich unbeachtet geblieben
oder werden nur beachtet, um verworfen zu werden. In
meinem Aufsatze über die Entstehung der Panophthal-
mie*"^) habe ich die Structur des Glaskörpers genau be-
rücksichtigen müssen. Meine dort entwickelte Ansicht
war ich in Anlass einer neueren Arbeit genöthigt, noch
einmal sorgfältig zu prüfen; bin aber durch dieselbe zu
einer völligen Bestätigung derselben gelangt Einige Zu-
sätze scheinen mir nöthig, um die Untersuchungsmethode
darzustellen, und weil die früheren Untersuchungen von
mir nur an Kaninchenaugen, welche meistens zu patholo-
gisch-anatomischen Versuchen benutzt waren, ange-
stellt sind.
Ich habe damals auseinandergesetzt, dass der Glas-
körper nach Art einer Cyste zusammengesetzt ist. Er
wird gebildet von einer zarten Glasmembran, der Hya-
loidea, auf welcher ein feines Epithel sitzt, und einem
schleimigen Inhalt ohne jede Structur. Die gefässhaltige,
ernährende Membran für diese Cyste besteht bei den
Säugethieren und Vögeln aus der Retina und Chorioidea,
während bei den Amphibien die Hyaloidea selbst GefiLsse
besitzt. Von anderen Seiten finde ich nicht, dass etwas
Widerlegendes gegen diese Ansicht vorgebracht ist Den
Prüfstein für dieselbe und überhaupt den Kernpunkt für
die Untersuchung über den Glaskörperbau finde ich in
dem Epithel der Hyaloidea. Die meisten neueren Auto-
*) Zeitschrift für wissenschaftliohe Zoologie. VI.
: ^>. Ariir 4kt Oph^^ntohgie. VHI. 1. pag. 12.
101
ren übergehen es völlig mit StillschweigeD. KöIIiker*)
behauptet bestimmt, es niemals gesehen zu haben. Auf
diese Weise sind alle früheren Beschreibungen vergessen
und doch ist ohne allen Zweifel in solchen Fällen eine
positive, vorsichtige Beobachtung völlig beweisend gegen-
über den negativen Resultaten auch der erfahrensten
Beobachter. Falls die Zellen, welche ich beschreiben
werde, eine andere Deutung finden könnten, wollte ich
mich gern bescheiden; allein keiner der neueren Beobach-
ter, welche das Epithel leugnen, erwähnt diese Zellen,
obgleich sie sehr leicht nachzuweisen sind.
Nothwendige Bedingung für diese Untersuchung ist
es, nur frische Augen zu derselben zu verwenden. Wenn
man noch warme Augen benutzen kann, so erledigen
sich alle Schwierigkeiten ohne jede Mühe. Aber auch
Alkohol, eine Mischung von halb Alkohol, halb Wasser,
oder schwache Lösungen von chromsaurem Eali erhalten
die Epithelien der Hyaloidea auf einige Zeit mit der
grössten Sicherheit. Nur ist dabei die Cautele zu beach-
ten, dass man die Augen noch warm in die conservirende
Flüssigkeit hineinlegt. Ich habe bei meinen neuesten
Untersuchungen die Augen von Kälbern, Lämmern und
neugeborenen Kindern benutzt, weil bei diesen die Be-
dingungen am leichtesten zu erfüllen sind.
Wenn man ein frisches Auge öffnet, so ist dies ohne
Verletzung der Hyaloidea nicht möglich; selbst die ein-
fache Manipulation des Bulbus, welche zum Zerschneiden
der äusseren Häute nöthig ist, reicht hin, um die Be-
ziehungen der Hyaloidea zu ihrem Epithel sehr zu ver-
ändern. Legt man die Hyaloidea eines warmen Auges
unter das Mikroskop, so bemerkt man auf der dem Glas-
körper zugewandten Seite der Glasmembran in unbe-
stimmten Zwischenräumen flache Zellen von nicht ganz
*) Handbuch der Gewebelehre. 4 Aaegtbe, pag. 681.
102
gleicher Grösse. Die Zellen schwanken bei Neugeborenen
zwischen 0,008 bis 0,012 Mm. Durchmesser, sind theils
rund, theils länglich, zum Theil an zwei entgegenge-
setzten Seiten spitz ausgezogen. Immer enthalten sie
einen Kern, oft auch zwei, in der Mitte des Kerns be-
findet sich ein kleines Kemkörperchen. Der Kern ist
rund und hat einen Durchmesser von 0,003—0,005 Mm.
Die Contour der Zelle ist sehr schwach, die des Kerns
dagegen bedeutend schärfer. Die Höhe der Zelle lasst
sich nicht messen, weil sie zu gering ist; der Inhalt der-
selben ist leicht granulirt Beim Kalbe und Lamme sind
die Verhältnisse in Bezug auf Grösse und Form der
Zellen beinahe dieselben, die Grösse ist bei beiden wohl
etwas beträchtlicher. Bei der Kuh erreichen die Zellen
mitunter eine Grösse von 0,02 Mm., der Kern steigt
dann bis zu einem Durchmesser von 0^008 Mm.; die
Form der Zellen bei der Kuh ist im Ganzen mehr rund-
lich; als bei jüngeren Thieren. Es fehlen die Ecken
sonst weichen sie in keiner Beziehung von dem beschrie-
benen Typus ab. Die Granulirung der Zellen verschwin-
det bei Zusatz von Essigsäure, der Kern dagegen wird
deutlicher.
Die Andeutung eines Epithels, welche man durch
die auf der Hyaloidea sitzenden Zellen erhält, muss
durch einen anderen Befund erst vervollständigt werden.
Einige Millimeter vor der Hyaloidea in einer derselben
parallelen Zone findet sich ein regelloser Haufen von
Zellen ausgebreitet, welche genau jenen beschriebenen
Zellen, und zwar ihren grösseren Formen entsprechen
Die Kanten der Zellen haben sich meistens abgestumpft,
sie sind daher mehr rundlich; ihr Durchmesser beträgt
beim Neugeborenen 0,01—0,02 Mm., der Kern ist bis zu
0,008 Mm. gross. Bei Kälbern und Lämmern sind die
Maasse noch etwas bedeutender, als beim Menschen;
sonst findet sich bei den Zellen dieser Thiere kein durch-
103
greifender Unterschied. Die Zellen liegen bei frischen
Aagen in der ganz bestimmten Zone lose nebeneinander,
nar selten haften zwei fest aneinander und bezeichnen
so die Natur ihrer Verbindung. Sie sind ganz flach und
leicht granulirt; in jeder Weise stimmen sie mit den
der Hyaloidea an&itzenden Zellen aberein.
Es kann wohl keinem Zweifel unterligen, dass diese
losen Zellen die Lücken, welche sich zwischen jenen
Hyaloideazellen befinden, ausgefBllt haben, und erst durch
die Manipulation des Bulbus, sowie durch die Trennung
der äusseren Membrane von ihrem natfirlichen Sitze ent-
fernt sind. Bei der völligen üebereinstimmung der
Zellenformen ist keine andere Deutung möglich, selbst
wenn sich noch ein anderer Ort für die Zellen finden
Hesse. Mit Sicherheit ist anzunehmen, dass die Zellen
der Hyaloidea und die freien Zellen sich vereinigen, um
eine einfache Epithellage auf der Hyaloidea zu bilden.
Es ist allerdings selten, dass eine Zahl dieser Zellen in
Form eines Epithels zusammenhaftet oder auch auf der
Hyaloidea liegt, aber es kommt doch bei wiederholten
Untersuchungen vor.
Bei Iftngerem Liegen in Spiritus oder Chromsäure
und überhaupt in stärkeren Lösungen werden die Zellen
bhisser, sie verlieren die Punktirung und stellen nun
einfache Platten dar, welche oft einen Kern enthalten,
oft auch nicht. Der Kern vergeht auch durch die Mace-
ration, aber etwas später als die Punktirung des Zellen-
inhaltes. Zuletzt erscheinen die Zellen wie Stücke einer
Glasmembran, nur bewahren sie die regelmässige Form
und sind dadurch immer von künstlich abgerissenen
Stücken der Hyaloidea zu unterscheiden. So veränderte
Zellen müssen jedem Beobachter begegnet sein; ich selbst
finde sie unter meinen ältesten Zeichnungen, wusste sie
aber nicht zu deuten, bis ich das Epithel der Hyaloidea
in frischen Präparaten fand. Wenn das Untersuchungs-
104
material nicht frisch ist, dann allerdings findet man nur
undeutliche Spuren der Zellen und kann keine richtige
Anschauung gewinnen. Die Zellen blähen sich nach dem
Tode rasch auf^ platzen und verschwinden ganz und gar.
Das Epithel dehnt sich in der beschriebenen Weise
über die ganze Hyaloidea aus und geht auch mit einer
geringen Modification auf die zonda Zinna über. . Die
Zellen, welche die Epithellage Qber den Fasern der zo-
nula bilden, sind nur kleiner und spitzer, wie die übri-
gen; sie gleichen selbst spindelförmigen Zellen mit brei-
tem Körper (Fig. 5). Die Zellen der zonula haben einen
Durchmesser von 0,008 Mm. ; die Kerne derselben messen
0,003 Mm. Ganz entschieden fehlt aber das Epithel
auf der äusseren Wand der hinteren Kapsel, es endigt
beim Uebergang der hinteren Wand des canalis Petiti
auf die Kapsel. Insofern muss ich also die Angabe
Kölliker's, dass sich die Hyaloidea noch auf der hin-
teren Kapsel verfolgen liesse, widersprechen. Die Ver-
dickung der hinteren Kapsel beginnt auch erst eine
Strecke nach innen von der Vereinigung der Hyaloidea
mit ihr.
Erklärung der Abbildungen.
Fig. 1 — 4 bei 500facber YergrSsserang.
Fig. 1. Qaentrdfen der KÖnier beim Lamme.
Fig. 2. Körner des Kalbes:
s) mit Qaerstreifen,
b) mit Depression.
Fig. 8. Kdmer des Kalbes in Chromsäure:
a) die Qnerstreifen ron der äusseren Contour gelöst,
b) die Querstreifen gesobnimpft,
c) Gramdirnng des Korns durch Verbreiterung der Qaerstrcifen.
105
Fig. 4. K5nier des Henseben:
t) in Alkohol, der mitteUto Qn«rstreifen Ut in dem einen Korne
geknickt,
b) Korn mit Depreseion und innerstes Korn ohne Qnerstreifen.
Fig. 5—7 bei 290facher Yergrossernng.
Fig. ö. Uebeigang der Hyaloidea in die sonnla Zinnii rom Lamme;
reehts das Epithel der sonnla, links das der Hyaloidea.
Flg. 6. Epithel der Hyaloidea rom Kalbe.
Fig. 7. Freie Zellen aus dem Epithel der Hyaloidea Tom Menschen.
üeber Sehschärfe bei Aatigmatikeni.
Von
Dr. L. Kugel in Bukarest
ÜiS wurde bis jetzt allgemein angei^ommen, dass die Seh-
schärfe bei Astigmatikem allein nur von dem Grade
des Astigmatismus und der Pupillen weite abhänge; es
kommen jedoch ausserdem, wie ich mich überzeugte,
noch andere Momente in's Spiel. — Man überzeugt sich
von letzterem leicht, wenn man ein Cylinderglas, beson-
ders von kürzerer Brennweite, um die von vom nach
hinten gehende Axe vor ein normalsichtiges Auge herum-
dreht. — Wäre die Sehschärfe nur von dem Grade des
Astigmatismus abhängig, so müsste dieselbe selbstver-
ständlich bei einem derartigen Herumdrehen des Glases
dieselbe bleiben. Dies ist jedoch nicht der Fall. 1. Sinkt
die Sehschärfe constant, wenn die Cylinderaxe schief
steht. 2. Ist die Sehschärfe selbst dann nicht dieselbe,
wenn auch die Cylinderaxe nicht schief steht, indem
constant eine Dififerenz der Schärfe bei horizontaler und
verticaler Bichtung derselben vorhanden ist
ad 1. Der Grund der in Bede stehenden Erschei-
nung ist ein zweifacher.
107
AngenommeD, die Cylinderaxe habe die Richtung a b,
so wird die Linie c d, da jeder Punkt derselben als eine
Zerstreuungslinie von der Richtung e f abgebildet wird.
jy
^
s d kV
^N
f
als ein Rhomboid von der Form g h i k abgebildet wer-
den. Der Kleinheit der Zerstreuungskreise wegen wird
die Linie nur etwas dicker als sie in Wirklichkeit ist,
und mit abgestutzten parallelen Enden gezeichnet erschei-
nen. Je dicker die Linie ursprünglich gezeichnet ist, je
mehr sie sich. damit einem Rhombus oder selbst einem
Quadrate nähert, desto mehr wird bei Drehung des Cy-
linderglases die rhomboide Gestalt zum Vorschein kom-
men. Hat die Cylinderaxe die auf a b senkrechte Rich-
tung Im, so wird auch das Rhomboid eine dem vorigen
entgegengesetzte Lage nopq haben. Dieselbe Phäno-
mene müssen natürlich auch zu Stande kommen, wenn
die Cylinderaxe ihre fixe Stellung beibehält, und man
das Papier, auf welchem die Quadrate oder Rhomben ge-
zeichnet sind, in der Ebene dreht. Gerade so wie Rhom-
ben als Rhomboide abgebildet werden, werden umgekehrt
auch Rhomboide als Rhomben bei schiefer Lage der
Cylinderaxe abgebildet werden. Es wird ferner kein
Object, es möge dies eine regelmässige oder unregel-
mässige Form haben, bei schiefer Cylinderaxe in Bezug
seiner Form und Lage richtig abgebildet werden; so
2. B. wird die Linienreihe A bei Richtung der Cylinder-
axe a b so abgebildet, wie sie in B gezeichnet ist, bei
108
Richtung der Cylinderaxe e f wird sie so abgebildet, wie
sie in C gezeichnet ist, wie ich dies in meinem Aufeatze
der Wiener medicinischen Wochenschrift (No. 27, 28, 29,
1863) bereits bemerkt habe. Je kürzer die Brennweite
des Cylinderglases, je mehr dasselbe von den Knoten-
punkten des Auges absteht, und je grösser der Winkel
zwischen Cylinderaxe und der Horizontalen und Vertica-
len, desto grösser ist die Verzerrung der Formen. Es
sieht factisch ein Astigmatiker, bei dem die Hauptmeri-
diane schief stehen, die Formen in der oben auseinander-
gesetzten Weise, unregelmässig verzerrt, und ich habe
mich selbst davon an meinem linken Auge, welches
astigmatisch ist, überzeugen können. Dass dieser Um-
stand der Sehschärfe Abbruch thun muss, ist eine Sache,
die sich von selbst versteht
Ausser dem eben genannten Momente hat noch ein
anderes Moment einen störenden Einfluss auf die Seh-
schärfe bei schiefer Haltung des Cylinderglases. Da
nämlich die Zerstreuungslinien eine senkrechte Richtung
zur Cylinderaxe haben, so ergiebt sich daraus, dass bei
schiefer Stellung der Cylinderaxe die Zerstreuungslinien
sowohl in den horizontalen als verticalen Zwischenräu-
men hineinragen werden, was bei der Form unserer
Buchstaben bedeutend in die Waagschale fällt. '^)
*) Es werden wohl die Zwischenräume, weil die Zentreunngslinien
schief stehen, nicht so beengt werden, als dies bei nicht schiefer Lage
der Aze in einer Bichtong der Fall ist Trotsdem wird im ersteren
Falle, weil eben die Zwischenräume in beiden Richtungen afficirt sind,
die Sehschärfe eine geringere sein, als im letsteren. Ich überzeugte
mich Ton letsterem auf folgende Weise: ich nahm 2 Exemplare ein
und derselben 8 ne 11* sehen Scfariftnummer; das eine Exemplar schat-
tirte ich in der VP^eise, dass es mir (mit dem normalsichtigen unbe-
waffneten Auge angesehen) ein Retinabild gab, wie ich es bekomme
beim Vorhandensein von Zerstreuungslinien in einer Richtung, wie dies
bei genau rertical oder horisontal gestellter Cylinderaxe der FaU ist
— Das zweite Exemplar seiohnete ich in der Weise, dass ich daTon
109
ad 2. Je uach Verhältnissen sieht man bald bei
horizontal, bald bei vertical gestellter Cylinderaxe besser.
Es kommen dabei wieder zwei Momente in Betracht, er-
stens, ob wir lateinische oder deutsche Bachstaben an-
sehen; zweitens, ob die Buchstaben, an denen wir die
Sehschärfe bestimmen, zu den kleinen oder den grossen,
zu den isolirt oder zu den zusammenstehenden Buch-
stabe gehören. — Versuche, die ich anstellte, zeigten
mir, dass beim Ansehen von grossen isolirt
stehenden lateinischen Buchstaben (an wel-
chen wir auch im Allgemeinen die Sehschärfe
bestimmen) horizontale Zerstreuungslinien nie
einen so stdrenden Einfluss ausüben, wie ver-
ticale von derselben Länge. — Es wird daher dem
eben ausgesprochenen Satze zufolge ein Normalsichtiger
beim Ansehen von lateinischen Buchstaben eine grössere
Sehschärfe finden, wenn er sich ein Cylinderglas mit der
Axe vertical, als mit der Axe horizontal vor's Auge hält.
— Verbindet man ein Cylinderglas in der Art mit einem
sphärischen, dass man sich dadurch künstlich zusammen-
gesetzte Formen des Astigmatismus verschafit, so muss
bei Gonvexcylindergläsern, dem oben aufgestellten Grund-
principe zufolge, um die grösstmöglichste Sehschärfe
€ui Batinabild erhielt, wie wenn Zerstreuungslinien in beiden Kiohtun-
gen TorkommeD ; ea war jedoch im letzteren Falle die Sohattirang nicht
80 breit wie im ersteren, da ich mir ein Retinabild Terschaffen wollte,
wie ich et bekfime, wenn ich dieselbe Sohrütnummer in derselben Distani
mit eüiem schief gesteUten Cylinderglase ansehe (wobei jedoch bei der
Zeichnung anf die oben erwfihnte Yerserrung der Formen nicht Rück-
sicht genommen wurde). Das Resultat ist, dass ich das zweite Exem-
plar in einer geringeren Distanz erst deutlich sehe, wie dts erstere.
Letzteres ist nebst den schon bekannten Ursachen mit ein Qrnnd,
warum ein Ametrop in Bezug der Sehschärfe riel schlechter daran ist,
als ein Astigmaticus desselben Grades bei nicht schiefen Hauptmeri-
dianen. Ich sehe z. B. erst mit sph. '/lo so gut, wie mit cyl '/« bei
gerade geslaUter Axe.
110
herbeizuführen, wenn das sphärische Glas concav ist, die
Cylinderaxe horizontal stehen, und ist das sphärische
Glas convex, so muss die Cylinderaxe vertical stehen.
Das Unogekehrte ist in Bezug der Cylinderaxe der Fall,
wenn das Cylindei^las ein concaves ist — Analoges
gilt auch für die gemischten Formen des Astigmatismus ;
es wird, um das Maximum der Sehschärfe herbeizu-
führen, die Lage der Cylindergläser eine solcher sein
müssen, dass der von der normalen Brechkraft des Auges
mehr abweichende Meridian eine horizontale Lage ein-
nimmt. — Um von den vielen Versuchen einen anzu-
führen, will ich erwähnen, dass ich mit meinem normal-
sichtigen Auge, wenn dieses mit sphär. Vn und cylin-
drisch V, bewaffnet war, bei horizontaler Cylinderaxe
Snellen No. 70 in 15 Schuh erkannte; bei verticaler
Axe erkannte ich kaum Snellen No. 100 in derselben
Distanz. Ich muss hier bemerken, dass die Zunahme der
Sehschärfe bei den in Rede stehenden Versuchen nicht
von der Verlängerung der Buchstaben in irgend einer
bestimmten Dimension (bedingt durch Vorrückung der
Knotenpunkte) abhängt. Die Zunahme der Sehschärfe
trifft nämlich immer und immer mit dem Ueberwiegen
der horizontalen Zerstreuungslinien zusammen, was bei
den in Rede stehenden Versuchen bald mit dem Länger-^
bald mit dem Breiterwerden der Buchstaben zusammen-
trifft
Für deutsche Buchstaben ist das Gegentheil wie für
lateinische der Fall; man sieht nämlich hier mit verti-
calen Zerstreuungslinien besser. Es ist jedoch hier die
Erscheinung nicht so deutlich ausgeprägt, wie für latei-
nische Buchstaben. Ich sehe z. B. mit cyl. V» Jäger
No. 20 bei horizontaler Axe in 6, bei verticaler in 4 Schuh.
Was wir hier für den künstlich durch Gläser hervorge-
brachten Astigmatismus auseinandergesetzt haben, gilt na-
türlich auch für den Astigmatismus des Auges, es wird
111
demzufolge bei zwei Astigmatlkern mit gleich empfindlicher
Netzhaut, mit gleicher Form und gleichem Grade des
Astigmatismus ein Unterschied der Sehschärfe stattfin-
den müssen, wenn der Meridian der stärkeren Krüm-
mung bei einem horizontal, beim anderen vertical
stdit
Für sehr kleine. Buchstaben, besonders wenn diese
nicht isolirt stehen, gilt im Allgemeinen, dass hier ver-
ticale Zerstreuungslinien wesentlich vortheilhaft sind. Es
nimmt daher für lateinische Buchstaben die Differenz
der Sdischärfe mit dem Kleinerwerden der Buchstaben
bei horizontaler und verticaler Cylinderaxe continuirlich
ab, bis man auf eine Nummer kommt, wo es gleich-
gültig ist, ob man die Cylinderaxe horizontal oder ver-
tical hält. Von hier an dreht sich beim Kleinerwerden
der Buchstaben die Sache um, und man sieht mit verti-
calen Zersteuungslinien besser. Für deutsche Buchstaben
nimmt die Differenz der Sehschärfe bei horizontaler und
verticaler Cylinderaxe continuirlich zu.
Nachdem es festgestellt ist, dass der Astigmatiker
je nach Verhältnissen, bald bei horizontalen, bald bei
verticalen Zerstreuungslinien besser sieht, so ergiebt sich
von selbst, dass die relative Accommodationsbreite auch
einen wichtigen Einfluss auf die Sehschärfe bei Astig-
matikem ausüben mnss. Von zwei Astigmatikem, bei
welchen alles Andere, ausser der relativen Accommoda-
tionsbreite dieselbe ist, wird natürlich derjenige besser
daran sein, der eine grössere relative Accommodations-
breite hat, denn er kann willkürlich diejenigen Zer-
streuungslinien, die ihm für's deutliche Sehen mehr hin-
derlidi sind, entweder durch positive oder negative Ac-
commodation verkleinern. Ich sehe z. B. in 20 Schuh
SnelTsche Schriftproben mit sph. — Vu und cyl. '/.
112
bei horizontaler Cylinderaxe No. 70. Gebe ich sphär. —
Vm dazu, so sehe ich No. 50. Entferne ich sphär. — Vso und
gebe anstatt dessen sphärisch V«4 dazu, so sehe idi selbst
No. 100 undeutlich. Drehe ich die Cylinderaxe so, dass
sie senkrecht steht, so dreht sich auch die Sache um.
Ich sehe jetzt mit meiner ursprünglichen Brillencompo-
sition (sph. — %, und cylindr. V.) No. 100. Setze ich
sphärisch 7)4 dazu, so sehe ich No. 70, und setze ich
anstatt sphär. Vsi, sphär. — Vao dazu, so sehe ich nur
No. 200. Ich habe alle diese Versuche an atropinisirten
Augen (besonders mit meinem Assistenten, Herrn Wa-
desku) wiederholt und bestätigt gefunden.
Ich muss mir hier die Correctiou einer Stelle erlau-
ben, welche in meiner Arbeit über schief gestellte sphä-
rische Gläser (siehe den vorigen Band des Archivs) sich
vorfindet. £s heisst nämlich dort, dass mit welchem
Convexglase ich immer Drehungen vor meinem astig-
matischen Auge vornahm, immer suchte ich nur die
Horizontalschaar auf die Retina zu vereinigen, während ich
mich um die Verticalschaar wenig kümmerte. Das Fac-
tum ist richtig, nur ist die Erklärung, die ich folgen
Hess, zufolge der jezigen Abhandlung nicht ganz richtig.
Ich sagte nämlich: dass dies darum geschehe, weil uns
die horizontalen Strahlen fQr's Sehen hinderlicher sind
als verticale. Diese Erklärung steht nun im Wider-
spruche mit dem in dieser Abhandlung Auseinanderge-
setzten, da .ich an Sneir sehen, somit lateinischen Buch-
staben mit gedrehten Gläsern meine Versuche anstellte.
Die Erklärung der Sache ist nun folgende: Von einer
anderen Drehung als um die Verticalaxe, und zwar mit
einem Convexglase, kann ein für allemal, um meinen
Astigmatismus zu corrigiren, nicht die Bede sein, da
nur dadurch die beiden getrennten Brennpunkte des
113
Aages sich einander und der Retina nähern kann. Es
fragt sich nun, ob es nicht für die Sehschärfe vortheil-
hafter sein mQsse, nüt Gläsern mit schärferer Brechkraft
als Vtt so lange Drehungen vor meinem astigmatischen
Auge vorzunehmen, bis die verticale Strahlenschaar zur
Vereinigung kommt? Bekäme ich in dieser Weise hori-
zontale Zerstreuungskreise, die kleiner oder so gross
wie die verticalen Zerstreuungskreise bei Vereinigung
der Horizontalschaar sind, so wäre ich bestimmt bei
Verticalschaar im VortheU. Es ist jedoch letzteres nicht
der Fall. Es werden nämlich, da die Verticalschaar ver-
möge der in Bede stehenden Drehung, im Vergleiche zur
Horizontalschaar, sehr wenig afficirt wird, die horizontalen
Zerstreuungslinien eine solche Grösse gewinnen, dass sie
die verticalen Zerstreuungslinien, welche bei Vereinigung
der Horizontalschaar zu Stande kommen, bei weitem
übertreffen. Es wird daher auch die Sehschärfe bei
Vereinigung der Verticalschaar eine geringere sein.
ArehlT fBr OplrthaloMlocIeu XL 1.
Zur Lehre von der Cataract-Extraction mit
Lappenschnitt
Von
Professor J. Jacobson.
(Forteetznng aus Graefe's Arcliiy X. Abtbeilimg 2.)
üeber die Zulässigkeit des Chloroforms bei Staarextractionen.
Ltine Zusammenstellung der Literatur über die Anwen-
dung des Chloroforms bei Augen-Operationen kann ich
den Lesern dieses Archivs erlassen; ich würde viel Zeit
und Papier verlieren, wollte ich mich bei den sogenann-
ten rationellen und logischen Gründen aufhalten,
mit denen man die Narcose aus der Ophthalmologie
herauszureden und herauszuschreiben versucht hat. An-
statt dessen wird es der Sache vielleicht förderlicher
sein, wenn ich sie von der empirischen Seite anfasse und
in Kürze mittheile, was mich die eignen klinischen Er-
fahrungen gelehrt haben. Da es sich hierbei vorläufig
nicht um die Nothwendigkeit oder UnentbehrUchkeit,
sondern nur um die Z'ulässigkeit des Chloroforms
handelt, so werde ich erstens nachzuweisen haben, dass
bei einer grossen Anzahl Kranker, die eine gewisse Do-
115
sis Chloroform genommen, keine schlimmem Allgemein-
erscheinungen eingetreten sind, dann, dass die Chancen
dieser oder jener Extractions-Methode durch die Narcose
verbessert inrerden. Genaue Zahlen vermag ich nicht
anzugeben, da ich nicht über jeden Fall, in dem ich von
den Anaestheticis Gebrauch machen musste, Journal ge-
führt habe, aber ich greife eher zu niedrig, wenn ich
die sämmtlichen, in 10 Jahren von mir beobachteten
Xarcosen auf 2000 taxire und hiervon auf Augen-Opera-
tionen im Allgemeinen 1500, auf Staar-Extractionen mit
Lappenschnitt 150 rechne.
Auf die Gesammtsummen kommt kein Todes-
fall und kein Fall, in dem bleibende Nachtheile
entstanden wären. Bei Weitem am häufigsten folgte
der Operation ein ruhiger, gesunder Schlaf, aus dem die
Kranken ohne das Bewusstsein, operirt zu sein, nach meh-
reren Stunden erwachten; war dies nicht der Fall, so
lagen sie entweder in einem unbehaglichen Halbschlum-
mer, aus dem sie durch kleine Dosen Morphium leicht
in tiefen Schlaf übergeführt werden konnten, oder sie
klagten über Kopfweh, Ohrensausen, über den wieder-
liehen Geruch und Geschmack des Chloroforms, den sie
nicht los v?erden konnten, über Einschlafen, Schwere,
Lähmungsgefähl in den Extremitäten, über Uebelkeit und
Brechneigung. Mehrmaliges Erbrechen während der
ersten 24 Stunden gehörte nicht zu den Seltenheiten,
Tage lang anhaltendes Erbrechen und Würgen wurde
kaum einmal im Verlaufe eines Jahres beobachtet, blei-
bende gastrische Störungen niemals. Gegen Erbrechen,
Würgen und Uebelkeit leisteten kleine Eisstücke am
meisten, die übrigen Symptome wurden kaum Gegenstand
der Behandlung, sie verschwanden nach einigen Stunden
oder Tagen von selbst; wenn sie den Schlaf zu stören
drohten, wurde er durch Opium oder Morphium her-
gestellt
8*
116
Die für die Ausführung der Operation er-
forderliche Tiefe der Narcose konnte in allen
Fällen ohne Gefahr erreicht werden. Unter dem
Proletariat, ans dem der bei Weitem grosseste Theil des
operatiren Materials besteht, kommen viel elende, durch
Entbehrungen oder chronische Dyscrasien geschwächte
Individuen in meine Behandlung; die polnischen und
russischen Grenzorte liefern Jahr aus, Jahr ein eine
Schaar der herabgekommensten Subjecte, unsere eigne
Provinz und Stadt eine gute Auswahl von Potatoren; —
nichts desto weniger zeigten alle eine genügende Tole-
ranz gegen Chloroform. Hiervon ausgenommen waren
weder die äussersten Altersgrenzen vom ersten Lebens-
mouate bis zum 80. Lebensjahre und darüber hinaus,
noch einzelne Fälle mit groben Erkrankungen des Cir-
culations- und Respirations-Apparates (verbreitete em-
physema pulmonum, vorgeschrittene tuberculosis bei dia-
betes mellitus, Insufficienz der vaivula mitralis, Aneu-
rysma aortae etc. etc.).
Die f&r die Extraction erforderliche Narcose braucht
nicht lange anzuhalten, aber sie muss so tief sein, dass
Conjunctiva, Cornea und Iris gegen die Berührung mit
Instrumenten unempfindlich sind. Ich habe mich bisher
noch immer überzeugen können, dass der Gentralschnitt
und die Iridectomie nicht gef&hlt wurden, wenn die
Kranken anästhesirt genug waren, um das Fassen der
Bindehaut mit einer Hakenpincette ohne Reaction zu er-
tragen, und habe deshalb als Griterium für die hinrei-
chende Tiefe der Narcose die aufgehobene Empfindlich-
keit des zweiten Auges gegen die Fixirpincette angesehen.
Eintritt und Dauer dieses Zustandes variiren sehr. Im
Allgemeinen kann man annehmen, dass selten eine Ex-
traction beendigt wird, während deren die Narcose nicht
ein oder mehrere Male wieder aufgenommen werden
muss, vorzugsweise bei Beendigung des Lappenschnittes
117
(wenn man eine Brücke stehen gelassen hat) und bei der
Iridectomie, sehr selten bei Eröffnung der Kapsel oder
beim Accouchement der Linse. Die tiefe Narcose ist
nämlich bei den späteren Operationsakten noch noth-
wendiger, als beim ersten Hornhautschnitt; denn so lange
das Staar-Messer die Wunde deckt, können selbst starke,
spastische Muskelcontractionen, die ans dem offenen
Bulbus die Gontenta leicht heraustreiben ivürden, kaum
schaden. Hierdurch könnte man in die unangenehme
Lage kommen, auch nach der Entfernung des Kera-
toms noch wiederholt die Conjunctiva mit der Pincette zu
prüfen, wenn man nicht ein ebenso sicheres und weni-
ger gefihrliches Criterium hätte; findet man nämlich
nach Abfluss des hunior aqueus den Augapfel erheblich
weicher geworden und die Cornea nach hinten eingesun-
ken, so kann man ohne Gefahr zur Trennung der Brücke
oder zur Iridectomie schreiten und hat selbst von plötz-
licher erwachender Thätigkeit der Augenmuskeln keinen
Nachtheil zu befürchten; sind dagegen trotz der Nar-
cose die Gontenta stark nach vorn getreten und ist die
Hornhaut gespannt, vielleicht gar durch die Iris ein we-
nig in die Höhe gedrückt, so muss man Chloroform rei-
chen, bis die Spannungsverhältnisse günstiger werden und
die Anästhesie vollkommen ist. Ich habe hierbei keine
Schwierigkeiten gefunden, aber manche Geduldprobe be-
standen, denn die Anästhesie der Conjunctiva tritt re-
gelmässig sehr viel später als die Anästhesie der Haut,
meist auch später als die höchste Erschlaffung der Mus-
kulatur ein; sie ist unabhängig von der Beschaffenheit
des Pulses und der Respiration, ist bei aussetzender
Respiration oft unvollkommen und vollkommen bei
ruhigem, regelmässigem Athem; sie scheint sich am
spatesten bei denjenigen Kranken einzustellen, die
sich auch vor der Narcose schon durch grosse Irri-
tabilität der Conjunctiva und lebhafte Spasmen des orbi-
118
cularis oculi auszeichneten, hängt aber auch noch von
andern Umständen ab, wie z. B. von allgemeiner Hy-
perästhesie, von physichen Aufregungen vor der Opera-
tion etc. etc. Im scheinbaren Gegensatz hierzu sehen
wir oft bei ruhigen, alten Leuten eine geraume Zeit ver-
gehen und kolossale Mengen Chloroform verbrauchen, ehe
wir operiren können; diese Erscheinung findet ihi-e Er-
klärung darin, dass ruhige Kranke mitunter nach wenigen
Zügen Chloroform in eine Betäubung verfallen, während
deren ihre Inspiration so flach und langsam wird, dass
sie ausserordentlich wenig inhaliren ; aus diesem Zustande
muss man sie wiederholt erwecken und sie zu tiefem
Einathmen ermuntern, bis man sie endlich in hinrei-
chende Empfindungslosigkeit versetzt. Gerade entgegen-
gesetzt geht's mitunter mit ängstlichen Personen, mit
schreienden Kindern, die' bei einer Anzahl schnell auf
einander folgender, heftiger Inspirationen plötzlich chlo-
roformirt sind, während sie einen Moment vorher noch
laut getobt haben.
Die angewandte Quantität Chloroform be-
trug wenigstens einige Unzen, schwankte in-
nerhalb sehr weiter Grenzen und stand in kei-
nem Constanten, häufig im umgekehrten Ver-
hältniss zur Dauer und Tiefe der Narcose. Ob
im einzelnen Falle mehr Chloroform verbraucht wor-
den ist, als zur Erreichung des Zweckes unbedingt noth-
wendig war, lässt sich schwer bestimmen; es hängt hierbei
viel von der Methode des Narcotisirens ab, von der Con-
struction der etwa gebrauchten Apparate, von der schnel-
lern oder langsamem Verdunstung und von mancherlei
Zufälligkeiten, die nicht gut in Rechnung gebracht wer-
den können; es kommt femer darauf an, ob man eine
allmälige oder schnellere Narcose vorzieht; im ersteren
Falle wird man das Chloroform vollständig oder fast
vollständig verdampfen lassen, ehe man von Neuem auf-
119
giesst, im letzteren muss man von Anfang an durch
fortwährendes Aufträufeln eine möglichst starke und
gleichmässige Intensität der Dämpfe zu erreichen suchen.
Der letzteren Art habe ich den Vorzug gegeben und bin
dabei zu einer Durchschnittsmenge von 6 bis 8 Unzen
Chloroform, zu einem Minimum von 1 bis 3, zu einem
Maximum von 12 bis 16 Unzen gelangt Die grossesten
Quantitäten erhielten Patienten, die leicht in einen Halb-
schlaf verfielen, in welchem die Hau^ des Rumpfes und
der Extremitäten gegen grobe Reize unempfindlich war,
während die Bindehaut des Auges schon bei leiser Be-
rührung ihre Sensibilität durch krankhafte Contraction
des orbicularis zu erkennen gab; beispielsweise brauch-
ten ein 83 Jahre alter, ruhiger, in den ein&chsten diä-
tetischen Verhältnissen lebender Greis 16 Unzen Chloro-
form, ein anderer sechzigjähriger Ober 12 Unzen, eine
schwächliche, stark marastische Landfrau von über 50
Jahren ebenfjAlls über 12 Unzen bis zur Beendigung der
Operationen, die mich zwischen einer und 2' , Stunden
aufhielten; alle drei schliefen nachher unruhig und mit
vielen Unterbrechungen; bei zweien wurde noch Mor-
phium für die Nacht mit gutem Erfolge verordnet. Am
wenigsten Chloroform brauchten Kinder, trotzdem waren
sie meist Stunden lang nach beendigter Operation schwer
za erwecken. Im Allgemeinen schien mir die Nachwir-
kung um so auffallender, je weniger Chloroform zur voll-
ständigen Anästhesirung ausgereicht hatte, um so flüch-
tiger, je mehr gebraucht worden war. Dass mit Aus-
nahme der äussersten Altersgrenzen Alter, Geschlecht,
allgemeine Constitution, chronische Krankheiten einen
Einfluss auf die nöthige Quantität Chloroform, auf die
Tiefe und Dauer der Narcose ausgeübt hätten, konnte
ich nicht beobachten.
Um lebensgefährlichen Zufällen zu begeg-
nen, genügte eine genaue Beobachtung der
120
Bespiration. So lange die Respiration regelmässig
oder etwas beschleunigt war, habe ich keinen Anstand
genommen, bei zögerndem Verlaufe der Narcose die Ghlo-
roform-Compresse dem Patienten so dicht vor Nase und
Mund zu halten, dass nur wenig atmosphärische Luft
hinzutreten konnte; ich habe hieraus niemals eine Gefahr
entstehen gesehen und habe deshalb das Verfahren bei-
behalten, wenngleich dasselbe von einem Kritiker meiner
Extractions-Methode mit dem Epiteton ornans „minde-
stens gewissenlos'' bedacht worden ist Sobald der Athem
aussetzte, flach und unregelmässig wurde (was immer vor
beginnender Cyanose des Gefühls geschah), so wurde die
Narcose sofort unterbrochen, die Zunge des Kranken
hervorgezogen, das Gesicht stark gerieben und künstliche
Respiration durch langsames, regelmässiges Hinaufdrän-
gen der Baucheingeweide gegen das Zwergfell eingeleitet.
Von diesen Handgrififen übernahm ich vor dem Kranken
sitzend die ersten beiden, während der den Puls beobach- '
tende Assistent gleichzeitig den letzten auszuführen hatte.
Ich habe zuweilen in einer Sitzung zwei bis dreimal
dieses Manöver gemacht, ehe ich zur Operation schrei-
ten konnte, bin aber dann endlich zum Ziele gekommen.
Hieraus kann ich in Betreff meiner bisherigen Beobach-
tungen den Schluss ziehen, dass die Empfindlichkeit der
Gonjunctiva schliesslich immer erlosch, ohne dass der
Athmungsapparat paralytisch wurde, dass aber mitunter
lange und wiederholt vor eintretender Anaesthesia con-
junctivae momentane Parese der Respiration eintrat, in
Folge deren das Chloroform eine Weile ausgesetzt und
künstliche Respiration eingeleitet werden musste. Die
Erscheinung hat nichts Aufifallendes; sie lässt sich ein-
fach so auffassen, dass von einzelnen Individuen eine
massige Quantität Chloroform nicht anhaltend ohne
Lebensgefahr genommen werden kann, während grosse
Mengen in Intervallen leicht ertragen werden.
121
Es ist hier nicht der Ort, den Werth anderer Symp-
tome, die als Vorboten einer drohenden Chloroform*Ge-
fahr anzusehen sind — wie das Langsamwerden des
Torher beschleunigten Pulses, die bekannten Erscheinun-
gen an der Pupille, das Aufhören der Blutung, die Ver-
änderung der Blutfarbe etc. — gegen einander abzuwägen;
denn ich handle nicht über die Gefahren des Chloroforms
im Allgemeinen, sondern über meine eignen, klinischen
Erlebnisse. Aus diesen habe ich die Ueberzeugung ge-
wonnen, dass genaue Aufmerksamkeit auf die Respiration
und zeitige, künstliche Einleitung derselben nach den
Grundsätzen, die ich oben angegeben habe, zur Vermei-
dung lebensgefährlicher Zufälle immer ausreichte, wenn
sie auch vielleicht mitunter zu momentanen Unterbre-
chungen der Narcose führte, die ohne Schaden hätten
vermieden werden können.
Ich glaube mich nach dem bis jetzt Mitge-
theilteu zu dem Resum£ berechtigt, dass unter
einer Zahl vonüber 1500 operirten Augenkranken
sich keiner befunden hat, bei dem nicht die Nar-
cose bis zur Insensibilität der Conjunctiva ohne
ernste Lebensgefahr und ohne bleibenden Nach-
theil für die Gesundheit hätte erreicht werden
können. Von dieser Seite wäre demnach gegen
die Zulässigkeit des Chloroforms nichts ein-
zuwenden.
Es fragt sich, ob die CataractExtraction mit Lappen-
schnitt speciell die Anwendung des Chloroforms contra-
indicirt, d. h. ob die durch die Operation bedingten Ver-
änderungen in den Spannungsverhältnissen des Augapfels
und in der Lage seiner Contenta unter gewissen, die Nar-
cose begleitenden Zufällen sich derart gestalten, dass die
Heilung der operativen Verwundung erschwert oder ver-
eitelt wird. Es handelt sich hierbei hauptsächlich um
122
das Erbrechen und das plötzliche Erwachen unter
krampfhaften Contractionen der Augenmuskeln.
Das Erbrechen im Allgemeinen lässt sich, so
weit meine Erfahrungen reichen, nicht vermeiden; man
kann seine Häufigkeit und Heftigkeit beschränken, wenn
man die Patienten am Tage der Operation nur wenig
Flüssiges geniessen lässt und wenn man möglichst auf
Reinheit des Chloroforms achtet, aber trotz aller Vorsicht
geht's in einem und dem andern Fälle doch nicht glatt
ab. Chloroformirt man bis zur Anaesthesia conjunctivae,
wie wir es fOr die Extraction verlangen, und kommt es
dabei zum Vomiren, so geschieht dieses ü&t immer vor
Eintritt* der Narcose und ist also für den Operations-
verlauf gleichgültig; in allen Fällen, die mir erinnerlich
sind, zeigte es sich durch Vorboten (schnell und klein
werdender Puls, plötzliche Blässe der Haut, schwache
Würgbewegungen) an, die einen verschieden kurzen Zeit-
raum füllten, aber immer einen hinreichend langen, um
die zum Schutze des Auges nöthigen Maassregeln ergrei-
fen zu können. Ich habe regelmässig eine Hand voll
loser Charpie in Bereitschaft gehabt, die bei den ersten
Andeutungen von Uebelkeit so gegen die geschlossenen
Augenlider gedrückt wurde, als wenn man beabsichtigt
hätte, den Bulbus mit der Fläche der Hand von vorn
nach hinten in die Orbita zu drücken; bei diesem ein-
fachen Verfahren ist das Erbrechen auch während der
Operation ohne sichtbaren Einfluss auf die Beschaffen-
heit des Augapfels geblieben. Man kann sich häufig
davon überzeugen, dass eine stark collabirte Cornea nach
heftigen Vomituritionen ihre Form nicht ändert und ebenso,
dass von frisch angesammeltem humor aqueus im Ver-
laufe oder kurz nach Beendigung der Operation keine
Spur verloren geht — Hiernach kann ich aus dem, was
ich selbst gesehen habe, nur schliessen, dass das mit-
unter unvermeidliche Erbrechen während der Extraction
123
bei gehöriger Achtsamkeit des Operateurs und Assisten-
ten unschädlich für das Auge ist; den Gegenbeweis
würde ich nur dann für geliefert halten, wenn Beobach-
tungen vorgelegt würden, aus denen hervorgeht, dass
durch Erbrechen während der Extraction die Lage des
Hornhautlappens verändert oder das Corpus vitreum
hervorgedrängt wurde, trotzdem, dass der Operateur die
nothwendigen Yorsichtsmaassregeln angewandt hatte.
Das Erbrechen nach der Operation ist mehr
lästig, als gefahrlich. Bei der jetzigen Methode, die Ex-
trahirten zu verbinden (mit vollständiger Auspolsterung
der Orbita und Druckbinde), scheint die unmittelbare
Wirkung der Erschütterung auf das Auge keine merk-
liche zu sein; unangenehm ist.es sicher, wenn die Pa-
tienten durch wiederholtes Vomiren bei leerem Magen
und durch die lange vorhergehenden Aufregungen um
die wohlthätige Ruhe gebracht werden, welche der Nar-
cose unter anderen Umständen zu folgen pflegt, aber
zwischen Unannehmlichkeit und Gefährlichkeit ist ein ge-
waltiger Unterschied. Ich habe das Erbrechen nach der
Operation durch Eisstücke, Sinapismen, im NothMe
durch einige Dosen Opium meist schnell bezwingen kön-
nen und keine nachtheiligen Folgen für die Wundheilung
daraus entstehen gesehen.
Was endlich das plötzliche Erwachen des Pa-
tienten anbetrifft, das von vielen Seiten für sehr gefahr-
voll angesehen worden ist, so möchte ich vor Allem dar-
auf aufmerksam machen, dass jeder einzelne Akt der
Operation (die Lappenbildung, Kapselöffnung, Trennung
der Brücke, Linsenentbindung, Iridectomie) nur wenige
Secunden Zeit in Anspruch nimmt, dass zwischen je
zwei Akten die Lidspalte geschlossen wird, also immer
wieder comprimirt und von Neuem chloroformirt werden
kann, dass die Gefahr des Erwachens sich demnach
auf einige Augenblicke beschränkt. Beobachtet man nun
124
die Vorsicht, dass man zur Bildung des Lappens nicht
vor vollständiger Anaesthesia conjunctivae zu den übri-
gen Theilen der Operation nicht eher schreitet, als bis
der Bulbus etwas collabirt ist, so hat man auch das Er-
inrachen aus der Narcose mehr auf dem Papier, als in der
Wirklichkeit zu fürchten.
Ich habe mich bei den letzten Fragen theilweise auf
eine negative Beweisführung einlassen müssen, wiewohl
ich mir sehr wohl bewusst bin, dass solche Beweise der
einen positiven Thatsache gegenüber, dass eine Anzahl
richtig beobachteter und gedeuteter Fälle von Ver-
eiterung gut operirter Augen in Folge gewisser Chloro-
form-Einflüsse nachgewiesen werden können, ohnmächtig
sind. So lange dergleichen Fälle aber nicht vorliegeo,
wird man es mir nicht verargen, wenn ich — gestützt
auf circa 150 eigene Beobachtungen — annehme, dass man
von dem uneingeschränkten Gebrauche des Chloroforms
bei der Cataract-Extraction keinen Nachtheil zu fQrchten
hat, dass also vorläufig Nichts gegen die Zuläs-
sigkeit des Chloroforms unter allen umständen
einzuwenden ist.
Wir können jetzt einen Schritt weiter gehen und
die Frage beantworten, ob man irgend welchen Nutzen
für den Ausgang der Extraction von der Narcose
zu erwarten hat; die Frage wird sich für eine Kategorie
von Fällen bejahen lassen. Es lehrt nämlich die ober*
flächlichste Betrachtung der Extraction unter Chloroform:
1) dass der Operateur von unwillkürlichen Augenbewe-
gungen und Orbicularis-Contractionen des Patienten nicht
gestört wird; 2) dass die ganze Operation von Anfang
bis zu Ende unter sehr geringem Druck bei mehr oder
weniger collabirtem Augapfel verläuft.
Der erste Punkt verdient Berücksichtigung, weil er
125
die Technik erleichtert und den Operateur weniger ab-
hangig vom Kranken und vom Assistenten macht. Die
Augenlider können bei der Lappenbildung ohne Ge&hr
mit EUvateurs gehalten, der Bulbus in jedem Momente
mit der Pincette fixirt oder in eine bequeme IStellung
gebracht werden, das ausweichen desselben bei der Ein-
führung des Cystitoms und der Pincette ist entweder
nicht zu beachten oder leicht unschädlich zu machen
*- Vortheile, die namentlich derjenige zu würdigen wissen
wird, der mit oft wechselnder^ unerfahrener Assistenz
operiren muss, während er auf seine eigne Technik ge-
nug Aufinerksamkeit zu verwenden hat. Man werfe mir
nicht ein, „man solle nicht an die Extraction gehen, ehe
man sie hinreichend geübt, man solle keine Assistenten
anstellen, die nicht vollkommen zuverlässig sind^' — das
sind Redensarten, mit denen man die Resultate der täg-
lichen Erfahrung nicht beseitigen wird, denn es giebt
vielleicht keine Operation, der man trotz allen Vorübun-
gen weniger gewachsen ist, als der Lappen-Extraction,
kaum eine, bei der eine ungetheilte Aufmerksamkeit
auf die eigene Technik nothwendiger ist, kaum eine,
die so häufig durch zu geringe Erfahrung des Assisten-
ten — und Erfahrung muss erworben werden — gestört
wird. Wer daran zweifelt, der prüfe seine eignen
Extractionen und diejenigen, die er in grossen Anstalten
ausführen gesehen hati Er wird immer einige finden,
bei denen es hiess, „der Assistent habe das Augenlid
zu früh iallen gelassen, er habe einen zu starken Druck
auf den Bulbus ausgeübt, die Iris schnell abgeschnitten
u. dgL m." und bei dem schliesslich Niemand recht
wusste, ob der Operateur, der Assistent, der Kranke
oder irgend eine vor der Operation nicht diagnosticirbare
Abnormität des Augapfels böse Zufälle verschuldet. —
Man kann in einer Zeit, in der man die Indicationen für
die Iridectomie nach oben mit Recht beschränkt — weil
126
mau bei derselben zu sehr von der Unruhe des Patienten
abhängig ist — unmöglich erklären, dass ein guter Ope-
rateur bei der Extraction der Cataract weniger vom Zu-
falle abhänge, und deshalb kann und darf man nicht ein
Mittel abweisen, durch welches die Individualität des
Kranken mit all ihren störenden Einflüssen auf die Ope-
ration eliminirt und unschädlich gemacht wird.
Wichtiger noch für den Ausgang der Extraction er-
scheint mir das Chloroform wegen seines druckvermin-
demden Einflusses; durch diesen giebt es der ganzen
Operation ein wesentlich verändertes Aussehen; nach der
Lappenbildung rücken nämlich Iris, Linse und Glaskörper
wenig oder gar nicht vor, dagegen wird das durch Ab-
fluss des humor acjueus entstehende Vacuum grossentheils
durch Einsinken der Cornea ausgeglichen; nach der Er-
öffnung der Kapsel fehlt die Contraction der Augenmus-
keln, die das Accouchement der Linse fördern soll, des-
halb ist der Operateur darauf angewiesen, mit dem obe-
ren Augeulide einen Druck nach hinten auf die Gegend
des oberen Linsenrandes auszuüben und so den Durch-
tritt der Linse einzuleiten; wenn derselbe bis über den
Pupillenrand erfolgt ist, den Druck au&ugeben und durch
Verschieben des Lides nach unten die Linse aus dem
Auge hinausgleiten zu lassen. (Ich habe angenommen,
dass es sich um Extraction nach unten handelt; selbst-
verständlich wird beim obem Lappen der Druck unten '
und das Vorschieben nach oben nöthig sein.)
Mit diesen Handgriffen bringe ich nichts Neues; es
sind die bekannten, von Arlt aufs Genauste vorgeschrie-
benen und allen seinen Schülern eingeschärften, und doch
macht's sich in praxi insofern anders, als bei der Ex-
traction unter Narcose an den Austritt der Linse gar
nicht zu denken ist, wenn der Operateur nicht von An-
fang bis zum Ende nach den gegebenen Vorschriften
handelt, während bei der Extraction ohne Narcose die
127
Muskeln mitunter in sehr angenehmer Weise unterstQtzeu,
dann aber auch zu wenig oder zu viel thun, und hier-
durch einerseits dem Operateur seine Handgriffe erspa-
ren, andererseits die Gefahr des prolapsus corporis vitrei
vor, mit oder nach dem Linsendurchtritt steigern.
Es fragt sich nun, ob man Grund hat, die BeihQlfe
der Muskeln zu wQnschen oder zu fürchten; ich für mein
Theil gehöre zu denen, die sie fürchten, weil ich sie vor-
her nicht zu bestimmen und im Augenblick der Gefahr
nicht sicher zu beherrschen vermag. Ich gebe zu, dass
bei vieler Erfahrung und operativer Geschicklichkeit sich
die Gefahren des Glaskörpervorfalls verringern, dass die
Spannungsverhältnisse des Auges während des Linsen-
durchtritts dem Operateur bis auf einen gewissen Grad
anzeigen, wenn er die weitere Arbeit den muskulären
Druckkräften zu überlassen hat; aber andererseits be-
haupte ich, dass es hierzu immer eines viel erfahrenen
und gewandten Operateurs und Assistenten bedarf, wäh-
rend beide Erfordernisse bei der Anwendung des Chlo-
roforms fortfallen.
Selbst aber zuzugeben, dass für die gewöhnliche
Extraction der Muskeldruck wünschenswerth sei, dass er
von dem Operateur benutzt und beherrscht werden könne,
so bleibt doch noch eine Reihe von Fällen, in denen die
Narcose einzig und allein unvermeidliche Gefahren be-
seitigt; es sind: 1) Abnormitäten in der Befestigung der
Linse, partielle Defecte der Zonula Zinnii mit oder ohne
Zerfall des Glaskörpers; 2) Synchysis corporis vitrei im
vorderen Abschnitt; 3) Neigung zu intraocularen Er-
güssen ex vacuo (bei partieller amotio retinae, bei hoch-
gradiger Ectasia sclerae mit Chorioidalatrophie etc.; 4)
in den meisten Fällen sehr hochgradiger Prominenz des
Augapfels; 5) alle Operationsmethoden, die eine periphe-
rische Lappenbildung erfordern und dadurch zu breitem
Iris- und Glaskörper- Vorfall disponiren. — Ich kann mich
128
einer weiteren Auseinandersetzung enthalten, warum in
den genannten Kategorien von Fällen Abnahme der
Muskelspannung und des intraocularen Drucks ebenso
wünschenswerth sei, wie das Einsinken des Hornhaut-
lappens zur Füllung des nach Abfluss des humor aqueus
entstehenden Vacuum — warum das Aussickern des von
seiner UmhttUungshaut entblössten Glaskörpers in tiefer
Narcose nicht zu fürchten ist — warum die Extraction der
ganzen Linse mit Wal dau 's Löffel sich bei Synchysis cor-
poris vitrei gefahrloser bewerkstelligen lässt, wenn die
Muskeln erschlafft, als wenn sie contrahirt sind. Was
sich in dieser Beziehung a priori erwarten liess, hat sich
mir in der praktischen Ausübung vollkommen bestätigt.
Der Schluss, zu dem ich nach dem Obigen gelange,
ist folgender: Die Anwendung des Chloroforms bei
der Lappen-Extraction des grauen Staares ist
unter allen Umständen zulässig und bei den oben
genannten Kategorien-Fällen ein sicheres, mit-
unter unentbehrliches Mittel, um den Glaskör-
per-Vorfall mit allen denselben begleitenden
Gefahren zu verhindern oder zu verringern.
Da ich ausschliesslich den peripherischen Lappen-
schnitt anwende, so kann ich die Frage, unter welchen
Umständen das Chloroform zu entbehren ist, nicht gut
experimentell prüfen; ihre Beantwortung muss Andern
überlassen bleiben.
(ScMu88 folgt.)
Verletzung des Auges durch einen bis in die
Nahe des Sehnerven durchdringenden fremden
Körper. Eigenthttmliches Verhalten der Linse und
des OlaakörpeiB.
Von
Prof. J. Jacobsou.
Der 30 Jahre alte Müller Ferdinand K. zog sich beim
Schleifen eines Mühlsteins eine Verletzung des linken
Auges durch ein abspringendes Steinstückchen zu; er
bemerkte sofort etwas Schmerz und erhebliche Abnahme
des Sehvermögens und wandte sich deshalb um Hülfe in
meine Klinik, in welcher am 17. März 1864 Mittags
( r/s Stunden nach stattgehabter Verwundung) folgender
Befund constatirt wurde: Cornea unverändert bis auf
r" lange Querwunde gegenüber der Pupille, die Wund-
ränder so aneinander gelegt, dass kaum mehr als ein
feiner Strich bei oberflächlicher Besichtigung in's Auge
fiel — vordere Kammer kleiner, als die linke, nirgend
vollständig aufgehoben, humor aqueus klar — Iris blau-
grün (die des rechten Auges hellblau); ihre Ebene ver-
ändert, nach vorn gewölbt, so dass die höchste Convexität
am Pupillarrande lag, von dem die Wölbung sehr all-
Arddy fOr OpbthAlmologie. XL 1. 9
130
mälig nach der Giliargegend abnahm — Pupillar-
rand regelmässig rund, stark contrahirt und auf keine
der gewöhnlichen Reize reagirend — Pupillargebiet
von einer hellgrauen Partie der Linsen-Gorticalis einge-
nommen, welche ungefihr in der Ebene des Uvealüber-
zugs der Iris hinter der Yon oben innen nach unten
aussen schlitzförmig aufgerissenen Kapsel lag — die
Kapselzipfel leicht nach vorn und den Seiten umge-
schlagen, bei heftigen Bewegungen des Auges im Kam-
merwasser flottirend. — Leichte subconjunctivale Injection
um die Cornea herum, sehr wenig Schmerz und Lichtscheu,
Unterscheidungsvermögen für Finger und grosse Gegen-
stände völlig aufgehoben, quantitative Lichtempfindung
überall scharf, von einem fremden Körper im Auge
Nichts nachzuweisen.
Gleichzeitig mit kräftiger Antiphlogose wurden alle
10 Minuten einige Tropfen Atropinlösung (Gr.j auf 3jj
Aq. destill.) eingeträufelt; erst nach 5 Stunden begann
sich die Pupille zu erweitern und erreichte das Maxi-
mum der Dilatation nach etwa 20 Stunden trotzdem, dass
während der Nacht die Anwendung des Mydriaticums
— wenn auch vielleicht nicht mit derselben Regelmässig-
keit als am Tage — fortgedauert hatte.
Bei der Untersuchung des Auges am nächsten Tage
durch die erweiterte Pupille fand ich eine gleichmässige
graue Trübung der vorderen Linsenschichten innerhalb
der Kapsel; von Kernreflex war, wie es das Alter des
Patienten es vermuthen liess, Nichts nachzuweisen;
ebe.nso wenig gelang es durch die Benutzung des Oph-
thalmoskops, Licht aus dem Hintergrunde und irgend
welchen Au&chluss über Anwesenheit oder Sitz des frem-
den Körpers zu erhalten. Es wurde mit Atropin fort-
gefahren. Tags darauf hatte die subconjunctivale Injec-
tion zugenommen, es waren Giliarschmerzen eingetreten,
während in dem Verhalten der Iris und Linse keine
131
wesentliche Verändernng auffiel. Nach einer starken
Blntentziehnng schwanden die Schmerzen und blieben
die nächsten drei Tage fort; am 22. traten sie mit grosser
Heftigkeit auf und trotzten jeder Behandlung, gleich-
zeitig vermehrte sich die subconjunctivale Injection, zu
der sich etwas Chemosis gesellte, die vordere Kammer
wurde klein, der humor aqueus trübe, einzelne Linsen-
stückchen stiessen sich ab und fielen vor die Iris, deren
Dilatation das Maximum der Atropin- Wirkung noch übei^
stieg, die ganze Linse schien stark aufgequellt, von grell
weisser Farbe, die Resistenz des Bulbus nahm zu, ebenso
seine Empfindlichkeit gegen Berührung. — Unter diesen
Umständen schien es mir nicht rathsam, mit einem Yer-
. Sache zur Entfernung der sich blähenden Linse zu zö-
gern, und ich schritt am 23. März zur Linear-Extraction
in Verbindung mit Iridectomie, die in der Rückenlage
des Patienten und wegen der Schmerzhaftigkeit des gan-
zen Augapfels in einer massigen Narcose ausgeführt
werden sollte. Es wurde mit einer breiten Lanze am
Comealrande des Limbus von aussen her eine 3'^' breite
Wunde gemacht, wobei kaum etwas Kammerwasser aus-
floss, dann ein Stück Iris hervorgezogen und abgeschnit-
ten; beim Hervorziehen der Iris entleerte sich schnell
der übrige humor aqueus mit einzelnen abgelösten Lin-
senstückchen und entsprechend der Pupillargegend kam
der blanke Glaskörper zu Gesicht In diesem Augen-
blicke war die Lage der Theile folgende: unmittelbar
hinter der Cornea an der äussersten Peripherie die wenig
contrahirte Iris, weiter nach dem Gentrum hin folgten
compacte IJnsenmassen, die nach rechts und links ge-
wichen waren und einen breiten Spalt von der Form der
erweiterten Kapselwunde zwischen sich Hessen; sie lagen
von der vorderen Kapsel bedeckt der Descemet' sehen
Haut an — zwischen den Spalträndem sah man durch
die Cornea in einen durchsichtigen Raum etwa von der
9*
132
Tiefe der Linse, dessen hintere, weisse Wand eine etwa
1''' breite und V/t** lange, glänzende schwarze, von
scharfem weissen Bande umgebene Glaskörperpupille
enthielt. Es konnte keinem Zweifel unterliegen, dass
sich das corpus vitreum gleichzeitig mit dem Abfluss des
humor aqueus und einiger Linsenstückchen durch eine
Wunde in der hinteren Kapsel vorgedrängt und auf diese
Weise die Linsenmassen gewissermaassen in zwei seitliche
ißälften getheilt hatte; unter diesen Umständen war an
eine Fortsetzung der Operation nicht zu denken. Es wurde
Atropin eingeträufelt und ein Druckverband angelegt
Der weitere Heilungsverlauf bis zur Entlassung des
Kranken aus der Klinik am 18. April (kaum 4 Wochen
nach der Operation) war ein ausserordentlich günstiger;
die einzige Behandlung blieb Atropin und Gompression;
dabei fand sich humor aqueus, die Linsenstflcke traten
einzeln von einer oder der anderen Seite hervor, legten
sich theilweise über den Glaskörper, fielen dann auf den
Boden der vorderen Kammer und verschwanden bald
darauf.
Der schliessliche Befund war folgender: beide Cor-
nealwunden mit kaum sichtbarer Narbe geheilt —
vordere Augenkammer tief, wie nach der Extraction
der Linse — Iris von normaler Farbe, nirgend adhä-
rirend, gut beweglich mit Ausnahme der Schenkel der
künstlichen Pupille — in der Pupillarebene eine
durchscheinende, membranöse Cataracta secundaria, an
der man deutlich die vordere und hintere Kapsel und
einzelne grell weisse, dazwischen liegende', platte Reste
unterscheiden kann ; in ihrer Mitte eine vollkommen klare
Pupille von der oben beschriebenen Form — Glas-
körper durchweg ungetrübt, keine Spur von Narbe
sichtbar — im Hintergrund etwas oben und innen
von der Papilla optici ein glänzend weisser querovaler
Plaque biosliegender Sclera, zwischen deren Fasern ein
138
kleiner, dunkler Köxper mit dem hinteren Ende einge-
drungen ist, \?ährend das vordere kurz vor der Innen-
fläche der Sclera steckt — Ghorioidea und Betina
über der weissen Stelle zerrissen mit breit klafifenden
Rändern. Patient hat mit + 5 eine Sehschärfe V« und
einen drcumscripten Gesichtsfeld-Defect, der der Retina-
wunde fast genau entspricht*)
Fremde Körper, die durch sämmtliche brechende
Medien bis in den Hintergrund dringen, zerstören mei-
stens das Auge; die Literatur enthält nur wenige Beob-
achtungen glücklicher Ausgänge, von denen einige in
diesem Ardiiv durch v. Graefe veröffentlicht sind. Die
oben beschriebene Verletzung differirt von den mir bisher
bekannt gewordenen. Ich nehme an, dass nach dem Ein-
dringen des fremden Körpers die Gomeal -Wunde sich
sofort geschlossen und sehr wenig humor aqueus ent-
wichen sei, dass der fremde Körper auf seinem Wege
durch die ganze Dicke der Linse die getroffenen Partien
zwar zerrissen, aber so wenig dislocirt habe, dass sie die
hintere Kapselwunde trotz klaffender, vorderer Kapsel
verdecken konnten. Erst als bei dem Versuche der
linearen Extraction ein plötzlicher Abfluss von Kammer-
wasser erfolgte, waren die Bedingungen für Vorfall des
Glaskörpers durch die Oeffnung der hinteren Kapsel
zwischen die nicht verletzten Linsenhälften gegeben.
Dass hierbei keine weitere Trübung des corpus vitreum
stattgefunden, dass seine Oberfläche trotz wiederholter
unmittelbarer Berührung mit Linsenstücken klar geblie-
ben, dürfte eine Ausnahme von der B^el bilden, deren
*) Die aaifUhrliohe Krankengeschichte ist Ton Dr. Pensky in
einer Dissertation ,,De ooulo qnodam qoi mlneratus eet corpore alieno
per comeam nsqne ad ocnli fundnm penetrante" TeröffentHoht worden.
134 ,
Seltenheit die ausfährlicbe Mittheilung des Falles ent-
schuldigt Schliesslich habe ich noch zu bemerken, dass
der Kranke vom ersten Tage nach der Operation tfiglich
mit seitlicher Beleuchtung untersucht worden ist, dass
ich mich deutlich von dem Vordringen einzelner Linsen-
stücke bis auf die Oberfläche der neu entstandenen
Pupille überzeugen, aber niemals Symptome von Reizung
oder Exsudation in derselben wahrnehmen konnte.
Beitrage znr nonnalen und pathologischen Anap
tomie des Auges.
Von
Dr. A. Iwanoff aus Moskau.
liie hier vorliegende Untersnchung bildet einen kleinen
Theil der Resultate, welche ich im Laufe meiner zwei-
jährigen Beschäftigungen mit der pathologischen Anato-
mie des Auges gewonnen habe. Ein ganzes Jahr dieses
Zeitraumes habe ich unter der unschätzbaren Leitung
des Herrn Prof. H. Malier gearbeitet, und ein Jeder,
der sich bei ihm beschäftigt hat, wird auch leicht jenes
tiefe Gefiahl der Dankbarkeit, mit welchem meine Er-
innerungen an ihn verwebt sind, verstehen.
Die Anzahl der von mir untersuchten enucleirten
Augen beläuft sich auf die nicht unbedeutende Zahl 63,
filr deren Ueberlassung ich es mir zur Pflicht rechne,
meinen aufrichtigsten Dank den Herren Hofrath Pagen-
stecher, Dr. Knapp, Dr. Schmitz, Dr. Hesse und
Dr. Wecker zu bringen.
136
A. Zur pafhologischen Anatomie der Betina.
Die chronische Entzündung der Retina charakterisirt
sich durch Hypertrophie und Hyperplasie ihrer Binde-
substanz und durch einen allmäligen, parallel gehenden
Schwund ihrer Nervenelemente. Das Endresultat dieses
Prozesses ist eine Verwandlung der ganzen Netzhaut in
eine Masse von Bindegewebsfasern. Bei dieser Degene-
ration der Retina ist die äussere Köiiierschicht derjenige
Theil, der seine Integrität am längsten, am hartnäckigsten
beibehält Ein solches Verhältniss haben schon Schiess-
Gemuseus (in seiner Arbeit: zur pathologischen Ana-
tomie des Keratoglobus, S. 176. Arch. £ Ophth. Bd. IX, III)
und dann noch mehrere Andere beobachtet. Am Ende
wird sich ein Jeder leicht davon überzeugen können,
der sich nur die Mühe machen will, die erste beste atro-
phische Netzhaut zu untersuchen. Wenn schon an der
Peripherie der Aequatorialgegend die Retina gänzlich zu
Bindegewebe umgewandelt ist, so wird man in einiger
Entfernung um den Sehnerven sicher noch die äussere
Kömerschicht nachweisen können. Zu derselben Zeit
hat auch die Mehrzahl der Forscher, die sich mit der
pathologischen Anatomie der Netzhaut beschäftigten
(Sämisch, Schweigger, Pope, Virchow)*), noch eine
zweite Thatsache bemerkt, nämlich, dass die Entzündung
der Retina und hauptsächlich in ihrem chronischen Ver-
laufe (Pope) besonders häufig, gerade von der äusseren
Kömerschicht ausgehe. Davon kann man sich ebenfalls
leicht überzeugen an einem Querschnitte einer abgelösten
Netzhaut. Eine solche Form der Entzündung ist an der
*) S&miioh» Beitrüge sar normalen und pathologuehen Anatomie
des Auges. Leipsig 1862. Schweigger, Yorles. üb. d. Gebrauch des
Augenspiegeli. Berlin 1864, u. Arch. f. Ophth. Bd. VI. S. 824. Pope,
lieber Betinitis pigmentosa. Wünb. med. Zeitschrift, Bd. IIL Vir-
chow, Die krankhaften Geschwülste. Bd. II, die Idte Vorlesung.
137
geDarntten Retina eine sdir häufige Erscheinung. Auf
diese Weise treten uns aus einer Reihe schon bekannt
gewordener Untersuchungen zwei interessante Thatsachen
hinsichtlich der Netzhauterkrankungen entgegen: die eine,
dass die äussere Eömerschicht der zuletzt erkrankende
Theil der Retina ist, dass sie wenigstens ihre Form, ihr
äusseres Aussehen noch beibehält, selbst bei vollkomme-
ner Vernichtung aller übrigen Schichten; die andere,
dass die Erkrankung der Netzhaut gerade von dieser
Schicht ausgeht, dass sie zuerst untergeht. Und in der
That lassen sich bei der Untersuchung der pathologischen
Veränderungen in der Retina ziemlich scharf zwei For-
men ihrer chronischen Entzündung unterscheiden: die
eine, wo der krankhafte Prozess von den innersten
Schichten ihres Baues, von der unteren Hälfte der ra-
diären Fasern, von der limitans interna beginnt, wobei
ihre äusseren Schichten einen sehr untergeordneten An-
theil nehmen; die andere Form bilden jene Fälle, wo
d^ Prozess sich hauptsächlich auf die äusseren Schich-
ten wirft Wie dort, so auch hier, spielt die Bindesub-
stanz eine sehr active Rolle.
Ueber die sogenannte Wucherung der äusseren Kör-
nerschicht werde ich in einer meiner folgenden Mitthei-
lungen zu sprechen kommen, erlaube mir aber hier blos
wenige Worte über einige bei der Untersuchung der
ersten Form der Netzhautentzündung von mir gewonnene
Resultate anzuführen.
Wie es schon oben erwähnt worden, ist diese Form
durch eine hauptsächlich in den inneren Schichten
der Retina beginnende Hyperplasie der Bindesub-
stanz charakteristisch. Das Erste, was in den frühe-
sten Perioden, welche ich zu beobachten Gelegenheit
hatte, bemerkt werden kann, ist die Hypertrophie
ihres Stroma^s und das Auftreten von Kernen
in der Nervenfasernschicht, hauptsächlich
138
zwischen den Nervenzellen. In einer normalen Re-
tina gelingt es bisweilen bei einer aufinerksamen Unter-
suchung, hier und da zwischen den NervenÜGisem eine
Zelle zu constatiren, welche sich durch einen mehr oder
minder deutlichen Kern legitimirt Aehnliche Kerne sind
unweit der limitans interna und zwischen dem molecularen
und der GanglienzeUenschicht am deutlichsten sichtbar.
In einem gesunden menschlichen Auge sind diese Kerne
nur mit grosser Schwierigkeit nachweisbar. Es ist höchst
wahrscheinlich, dass diese Zellen, oder besser Kerne, die
bei den leichtesten Erkrankungen der Retina in einer
bedeutenden Quantität auftreten, wenigstens nicht von
Anbeginn neugebildete Zellen, sondern schon früher in
dem Bindegewebsstroma vorhanden gewesen sind, welche
blos in Folge der Hypertrophie der letzteren deutlicher
sichtbar wurden. Ursprünglich meist rund oder oval,
dehnen sie sich mit dem Fortschreiten des Prozesses in
die Länge, werden spindelförmig, theilen sich alsdann
u. s. w. Gleichzeitig hiermit tritt in der Nervenfasern-
Schicht eine immer beträchtlicher werdende Menge Binde-
gewebsfasern auf. Dieser ganze Hergang des Prozesses
ist bisweilen an einem und demselben Auge ziemlich
deutlich zu verfolgen. Diese Entzündungsform der Re-
tina tritt sehr oft als Begleiterin der Iridocyclitis und
Iridochorioiditis auf und beginnt in der Regel an der
Peripherie, au ihrem Ciliarabschnitte, an der ora serrata.
Eine und dieselbe Netzhaut kann gleichzeitig an der
Peripherie fast vollkommen degenerirt sein, vtrährend sie
in dem Hintergrunde beinahe intakt und normal geblie-
ben ist Zwischen beiden genannten Punkten lokalisirt
sich bisweilen der Prozess in allen seinen Entwickelungs-
stadien.
Die wuchernde und schwellende Bindegewebsmasse
vernichtet durch Druck die Nerven£Bisem. Uebrigens
sind diese letzteren auch nicht so ganz leicht zerstörbar
139
und bisweilen kann man trotz des starken Vorsehreitens
des Prozesses hier und da nun einem zerzupften Präpa-
rate deutlich varriköse Nerven&serchen treffen. Solche
BindegewebsJGftsem liegen in Bündeln, welche perpendi-
culär auf der Richtung der Radiärfasem stehen. Die
einzelnen BOndel gehen Anastomosen mit einander ein,
so dass sie, von der Fl&che, gesehen in Form eines dich-
ten Netzes erscheinen. Allem Anscheine nach dient als
Hanptquelle für das Entstehen dieser Fasern das Gewebe
der Bindesubstanz, das im ersten Stadium der Entzün-
dung, im Stadium der Hypertrophie, ungemein deutlich
hervortritt; doch ist auch jener Umstand zweifellos, dass
auch die gewucherte adventitia der Gefässe einigen An-
theil dabei hat Die radiären Fasern werden stark hy-
pertrophisch und bei vielen derselben erscheint der ver-
grösserte Kern oval und feinkdmig. Das Mitwirken des
Kernes der radiären Fasern beschränkt sich übrigens
nicht blos auf eine ein&che Grössenzunahme, sondern er
erscheint auch oft* proliferirt In den mehr acuten
Fällen der Netzhautentzündung, wobei bisweilen eine
enorme Entwickelnng der Kerne und Zellen in der Nerven-
fasemschicht beobachtet wird, werden in einigen Fällen
ziemlich regelmässige Häufchen von ZeUen bemerkt,
welche zwischen dem unteren Bande der inneren Kör-
nerschicht und der Ganglienzellenschicht zu beiden Seiten
der radiären Fasern liegen. Eine solche häufchenweise
Anordnung dieser Kerne und an einem solchen Orte
(zwischen der Nervenfasern- und der inneren Kömer-
schicht), mit gleichzeitigem, sehr oft vorkommendem
Schwunde der Ganglienzellen, fbhrt uns unwillkürlich zu
der Vermutbung, ob es nicht proliferirte Ganglienzellen
seien. Alle meine auf die Lösung dieser Frage gerichtet
gewesenen Untersuchungen haben mich jedoch zu negati-
ven Resultaten geführt. Ein Paar Ganglienzellen mit zwei
Kernen, die es mir zu diesem Zwecke an einer grossen Anzahl
140
zerzupfter Netzhftate bis jetzt zu sehen gelungen war,
liefern hier nur ein sehr schwaches Argument zu Gun-
sten ihrer activen Mitwirkung. Dafür wird aber mit
ungemein mehr Leichtigkeit die Theilnahme der Kerne
der Radiftr&ser an diesem Prozesse beobachtet An zer-
zupften Präparaten gelingt es hier oft, bald einen einge-
schnürten, bald einen hufeisenförmigen, bald zwei yoü-
kommen getheilte Kerne in einer Faser zu beobachten,
so dass es allen Anschein hat, die Proliferation dieser
Kerne sei die hauptsächlichste, wenn nicht die einzige
Quelle der in Rede stehenden Häufchen. Der, der in-
neren Körnerschicht angrenzende Theil der radiären Fa-
sern zerfällt in eine grosse Anzahl Aeste, von denen
einige nach oben durch die Kömerschicht dringen und
sich in der Zwischenkörnerschicht verlieren; andere aber
einen horizontalen Verlauf annehmen und sich mit ähn-
lichen Ausläufern benachbarter radiärer Fasern verflech-
tend in der molecularen Schicht ein überaus deutliches,
dichtes Netz bilden. Die interessaniSesten Veränderungen
dieser Form der Retinitis betreffen übrigens die Basis
der radiären Fasern und die Membrana limitans interna
an. H. Müller und Kölliker rechnen die Limitans
den Glashäuten zu; M. Schnitze hielt sie für Binde-
gewebe und erklärt ihr Entstehen durch Verlöthung der
innersten Enden der radiären Fasern. Klebs *)
Schelske**) und in der neuesten Zeit auch Ritter***)
schliessen sich der Meinung M. Schultzens an» Die bei
der Retinitis beobachteten pathologischen Veränderungen
in der Limitans sprechen auch zum Theil zu Gunsten
dieser Meinung. Bei der sich in den inneren Netzhaut-
schichten localisirenden Retinitis erscheint bisweilen an .
♦) Virchow*8 Archiv. Bd, XIX.
♦♦) Ibid. Bd. XXVIII.
•*•) Die Structur der Retina. Uipsig 1864.
141
queren DurchschQitten die limitans, nicht in Form einer
scharf markirten Linie, sondern in Form dicht miteinan-
der verflochtener, bogenförmig sich umbiegender Fasern
(Fig. 1). Diese Fasern sind mit Kernen versehen und
zuweilen finden sich auch zwei Kerne in einer Faser
(Fig. 1 a), so dass es sehr wahrscheinlich ist, dass diese
anscheinenden Fasern gar nicht eigentliche Fasern, son-
dern blos zusammengelöthete Zellen seien. Ihr Zusam-
menhang mit den radiären Fasern kann an mehreren
Stellen ziemlich deutlich verfolgt werden. Von den sich
bogenförmig umbiegenden Fasern gehen Ausläufer in die
Betina aus. Die dünnen, sich verästelnden, die dreieckige
Basis der inneren Enden der radiären Fasern bildenden
Ausläufer geben hier in solchen Fällen eine ganze Beihe
Schlingen. Solche Schlingen und die zerklüftete Limi-
tans verweben sich mit einander und bilden, indem sie
bisweilen auf eine kleine Strecke beschränkt bleiben,
einen dichten und weit über die normale Grenze der
Betina hinausgehenden Auswuchs. Ausser diesen spin-
delförmigen und mit einander verschmolzenen Zellen
werden auf der Limitans manchmal auch noch grosse,
flache und äusserst dünne, einen runden oder etwas ova-
len Kern und einen feingekömten Inhalt enthaltende
Zellen beobachtet (Fig. 1 b). Die Grenzen dieser Zellen
sind in der Begel sehr stark, jedoch undeutlich ausge-
zackt Bei der Wucherung der Limitans wird auch in
ihnen eine Proliferation des Kerns gefunden.
Zuweilen hat es auch den Anschein, als ob von ihnen
Ausläufer in die bogenförmig angelegten Fasern der Li-
mitans ausgingen. Eine solche Wucherung der Limitans
wird gewöhnlich auf unbedeutende Strecken beschränkt
beobachtet. Selbst bei einer sehr starken Entwickelung
des Prozesses bieten die Stäbchen und die Kömerschicht
in einzelnen Fällen nur höchst unbedeutende Verände-
rungen. Die Stäbchen erscheinen bisweilen etwas ge-
142
schrumpft, andere zumTheil wieder verdickt; und in der un-
teren, andieM.limitans externa* angrenzenden Partie dieser
Schicht entwickeln sich bisweilen kleine Hohlräume (Fig.
4 a). Die Körner erleiden noch unbedeutendere Alterationen,
sie büssen ihren normalen Glanz und die normale Homo-
geneität ihres Inhalts ein und f&Uen sich mit einer fein-
gekörnten Masse. Doch bleiben dabei die Schichten als
solche in ihrem allgemeinen Aussehen* unangetastet. Nur
an jenen Stellen der inneren Körnerschicht, wo die Aus-
läufer der radiären Fasern durch sie hindurchdringen,
erscheinen die Kömer mehr auseinander gedrängt, als
es im Normalzustande der Fall zu sein pflegt. Jedoch
trotzdem, dass sie bei dieser Form der Retinitis so lange
Zeit hindurch ihr Aussehen erhalten, tritt auch f&r sie
die Zeit der Atrophie ein. D'ieser Schwund wird in der
Regel in dem allerspätesten Stadium des Prozesses beob-
achtet, nämlich in dem Stadium der vollkommenen Atro-
phie aller übrigen Nervenelemente der Retina und gänz-
lichen Degeneration letzterer zu Bindegewebe. Der
Schwund dieser Schicht geht auf dem Wege eines fein-
kömigen Zerfalles der Körner vor sich.
Mir ist es bis jetzt kein einziges Mal gelungen, we-
der die Proliferation der äusseren noch der inneren Kör-
nerschicht zu sehen. Die Verändemngen, welche hier
bemerkt werden können, bestehen in einer Hypertrophie
der Zwischensubstanz. Die Hypertrophie dieses inter-
stitiellen Gewebes wird Anfangs hauptsächlich in radiärer
Richtung beobachtet, so dass die Kömer in Form von
Säulchen erscheinen. Später betheiligt sich an der Hy-
pertrophie auch die in querer Richtung zwischen den
Körnern angeordnete Bindesubstanz. In dem Grade, als
die sehr deutlich hypertrophirende Bindesubstanz dieser
Schicht zunimmt, werden die Kömer selbst bleicher und
immer mehr und mehr von einer sehr feingekömten
Masse erfUUt, bis sie endlich ganz in dieselbe zer&llen.
143
Es ist mir mehrmals gelungen, Retimischnitte zu gewin-
nen, an welchen statt der Kömerschicht nur die oben-
erwähnte hypertrophirte Bindesubstanz und in derselben
eine ganze Reihe regelmässig angeordneter, in Gestalt
und Grösse den hier vorhanden gewesenen Körnern voll-
kommen entsprechender kleiner Hohlräume beobachtet
wurden. Ein anderer Weg des Zerfiilles der Kömer ist
der der coUoiden Entartung. — Darüber hatte ich schon
Gelegenheit, in meiner vorläufigen Mittheilung mich aus-
zusprechen und weil sie hauptsächlich bei einer ganz
anderen Form der Retinitis vorzukommen pflegt, so werde
ich davon in meinem folgenden Beitrage Ausf&hrlicheres
angeben. Was jedoch die Ganglienzellen anbelangt, so
leiden sie bei dieser Form der Retinitis in einem höhe-
ren Grade mit, denn schon in einem ziemlich frühen
Stadium dieser Erkrankung kann man blos hier und
da eine anscheinend gesunde Zelle vorfinden; grössten-
theils sind sie aber gänzlich geschwunden, andere heftig
degenerirt, noch andere hingegen zu einem Fettklümp-
chen umgewandelt, behalten noch das äussere Aussehen
der gewesenen Zelle und erscheinen an erhärteten Augen
gleichsam sclerosirt Das Interessanteste in dieser Form
der Retinitis sind übrigens einige ihrer Folgezustände,
nämlich verschiedenartige Auswüchse, welche man
bisweilen an der inneren Oberfläche der Netzhaut vor-
findet Solche Auswüchse sind nichts Anderes als eine
weitere Fortsetzung des bereits erwähnten Prozesses der
Wucherung der Limitans und der inneren Enden der
Radiärfasem. Grösstentheils erscheinen diese Auswüchse
auf einige Stellen der Netzhaut beschränkt und stellen
unregelmässige, in den Glaskörpern hinein prominirende
Hügelchen vor (Fig. 2). Die Punkte, an denen ich sie
besonders häufig beobachten konnte, sind der periphe-
rische nnd der äquatoriale Abschnitt der Retina. Die
Länge des grössten von mir beobachteten Auswuchses
144
betrag im qoeren Durchmesser 2 — 3 Mm. Seine
Höbe von der normalen Grenze der Netzbaat bis in die
Tiefe des Glaskörpers hinein war 0,6 Mm. Doch die
Mehrzahl der Auswüchse ist kleiner. Die Textur, aus
der sie bestehen, sind dicht verflochtene Bindegewebs-
fasern, niemals konnten von mir G«fi.sse darin nachge-
wiesen werden. An den bogenförmig gekrümmten Fasern
lagert sich bisweilen Pigment ab. Von den drei bis
jetzt von mir untersuchten und mit solchen Auswüchsen
versehenen Augen will ich beispielsweise blos das eine
von Dr. Schmitz erhaltene beschreiben.
Patientin, 23 Jahre alt, welche mit gesunden Augen
geboren sein will, giebt an, dass das rechte Auge all-
mälig vom 11. Jahre an trüber geworden und sie schon
seit 11 Jahren nichts mehr damit sehe. Die Ursache des
Verlustes des Sehvermögens ist eine pannöse Keratitis
gewesen, die bei ihr durch vollständiges Entropium beider
Lider hervorgerufen wurde. Die Enucleation wurde ge-
macht, weil auf dem linken Auge ein ähnlicher Zustand
war (Patientin konnte nur Finger in 3 — 4 Fuss zählen)
und eine sympathische Reizung einzutreten drohte und
sich schon ein linkseitiges Kopfweh, wie es auf der rech-
ten Seite schon lange bestanden, mit heftigen Schmerzen
im rechten Auge einstellten. Das in Müll er 'scher
Flüssigkeit erhärtete Auge wurde in horizontaler Rich-
tung auf zwei Hälften durchschnitten. Eine Ectasie der
ganzen vorderen Augenhälfte, so dass der von der Netz-
haut überkleidete Theil nicht viel bedeutender, als der
von ihr nicht bekleidete vordere Abschnitt war. Die
vollständig atrophische Linse und Iris sinil mit der be-
trächtlich verdickten Hornhaut verwachsen. Solche Hy-
pertrophie der Cornea ist nicht durch Verdickung ihrer
mittleren Schicht, der eigentlichen Hornhaut, welche
im Gegentheil bedeutend atrophirt ist, sondern durch
Wucherung des Epithels ihrer Goi\junctiva entstanden.
145
Die ganze vordere Oberfläche der Hornhaut ist durch-
gehends mit einer 1 Mm. dicken Schicht ausgezeichnet
entwickelter Papillen überzogen, unter denen sich in be-
trächtlicher Menge neugebildete Gefasse befinden. Die
Lamina elastica antica ist verschwunden. Ein ziemlich
ansehnlicher Zwischenraum, von der Iris bis zur Ora
serrata, ist von den Falten der stark ausgedehnten und
abgeflachten Giliarfortsätze eingenommen. Der Ciliar-
mnskel ist in eine dünne, bindegewebige Lamelle, in
welcher sich hier und da stark veränderte Muskelfasern
vorfinden, umgewandelt. Die vordere Hälfte der Chorioi-
dea ist in eine äusserst dünne Membran, in welcher man
unter dem Mikroskope blos schwache Contouren voll-
kommen leerer Gefässe sehen kann, verwandelt. Der
übrige Theil der Chorioideh, obwohl er ebenfalls, jedoch
in einem unvergleichlich geringeren Grade atrophisch
ist, lässt die Gefässe, insbesondere die Schicht der grö-
beren Gefisse, mit Blut erfüllt und mit etwas verdickten
Wänden sehen. Zwischen der Gef&sshaut und Sclera
liegt eine an der Peripherie äusserst dünne und gegen
den Eingang des Sehnerven zu sich allmälig verdickende
und aus einem dichten Netze elastischen Gewebes beste-
hende Membran, zwischen deren Fasern an mehreren
Stellen entfärbte stemfl^rmige Pigment- Zellen liegen.
Ueberdies befinden sich hier noch eine grosse Anzahl
runder und spindelförmiger Zellen, sowie auch die Ci-
liamerven. — Die interessantesten Abweichungen dieser
Augen lokalisiren sich im Glaskörper und in der Netz-
haut. Der Glaskörper erscheint verflüssigt als normal
und es schwimmt in ihm eine enorme Anzahl grosser
runder und mit Blasen versehener Zellen. Die Wände
erscheinen abnorm verdickt, die in ihnen sitzende Blase
regelmässig rund und scharf contourirt. Bei mehreren
dieser Zellen sind die Wände mit einer fein gekörnten
Masse durchtränkt, bei manchen können sogar in der
Archiv fHr Ophtbalmologie. XL 1. 10
146
Blase selbst einige, den Fettkügelchen sehr ähnlich se-
hende Körnchen beobachtet werden. Ein, selten zwei
Kerne sitzen zwischen Wand und Blase. Die sternför-
migen Zellen, deren Anzahl relativ mit den oben erwähn-
ten eine höchst geringe ist, sind ebenfalls mit einer fein-
gekörnten, gleichsam in einer fettigen Degeneration be-
findlichen Masse erfüllt. Ueberdies sind hier und da
auch noch äusserst lange, spindelförmige Zellen anzu-
treffen. Die Orundsubstanz ist von einem spärlichen, aus
Bindegewebsfasern bestehenden Netze, zwischen welchen
an einzelnen besonders in der vorderen Hälfte des Auges
liegenden Stellen auch elastische Fasern vorkommen, ein-
genommen. In der Netzhaut kann schon bei einfacher
Loupenvergrösserung eine ganze Reihe Abnormitäten be-
merkt werden. Ihre Dicke erscheint nicht überall gleich-
förmig; stellenweise ist sie zu einer dünnen Membran,
durch welche das Pigment der Chorioidea durchscheint,
umgewandelt, an anderen Stellen ist sie drei- und vier-
mal dicker als normal. Solche Verdickung ist besonders
an der Ora serrata (2 Mm.) und in der Umgegend des
Sehnerveneintrittes (gegen 2 Mm.) bemerkbar. In der
inneren Oberfläche der Retina werden an mehreren Stel-
len mohnkomgrosse Körnchen angetroffen, welche haupt-
sächlich an der Peripherie des Auges liegen. Unweit des
Randes der Ora serrata und der Retina parallel zieht
sich ein Wall hin, welcher bei einer oberflächlichen Be-
trachtung leicht filr eine Falte gehalten werden könnte;
er zieht sich ringförmig längs der inneren Oberfläche der
Netzhaut hin und nimmt gegen einen Dritttheil ihres
ganzen Verlaufes ein.
Die mikroskopische Untersuchung erwies, dass: Die
Verdickung an der Ora serrata von einer colloiden In-
filtration abhängt und von dem retinalen Gewebe hier
blos noch die stark hypertrophischen radiären Fasern
zuürckgeblieben. Sie sind zu säulenartigen Bündeln
147
gnippirt, deren eines ausgebreitetes Ende auf der Limi-
tans interna fiisst, während das andere ebenfalls aus-
gebreitete — die Limitans externa stützt. Die von ihnen
gebildeten grossen ovalen Zwischenhöhlen sind von einer
vollkommen amorphen colloiden Masse erfüllt. Von den
Nenrenelementen fehlt jede Spur. Diese colloide Ent-
artung der Nervenelemente geht vom Ende der Ora ser-
rata auf 3 — 4 Mm. gegen den Äequator hin und nimmt
- 3 der peripherischen Circumferenz der Retina ein. An
jenen Orten der Ora serrata aber, wo eine solche Blase
nicht vorhanden ist, ist der entsprechende Abschnitt der
Netzhaut gänzlich in ein areoläres Bindegewebe um-
gewandelt Eben an dieser Stelle, sowie auch in der pars
ciliaris Ret. kommen ziemlich häufig zellige Auswüchse
vor. Sie entspringen, wenn sie überhaupt von der Re-
tina ausgehen, von dem oberen Theile der Nervenfiiser-
schicht und in den Glaskörper eindringend, gehen sie in
schräger Richtung sich etwas nach vorn umbiegend; ihre
Grösse variirt zwischen 0,2—0,6 Mm. Sie sind ausschliess-
lich aus cylindrischen Zellen gebildet Der Wall selbst
erscheint an queren Durchschnitten in Form einer aus
der Retina ausgehenden Schlinge und die Netzhaut ist
an dieser Stelle stark atrophisch und gänzlich zu Binde-
gewebe entartet gewesen. Die Fasembündel, nachdem
sie die Retina verlassen, nahmen einen bogenförmigen
Verlauf, um wieder in dieselbe zurückzukehren. Seitlich
davon entsprang aus der Retina ein anderes Bündel, das
gleichÜEdls, sich bogenförmig krümmend, sich mit dem
ersteren vereinte und beide einen mit seröser Flüssigkeit
gefüllten Hohlraum bildeten Der Wall selbst war auch
eine Blase, bestehend aus radiären Fasern, welche über
die Grenze der Limitans interna hinausgewuchert waren.
Die solcherweise gebildete Blase drang nicht in den
Glaskörper hinein; sondern hatte ihn blos verdrängt.
Die oben erwähnten Kömchen auf der inneren Ober-
10*
148
fläche der Retina haben sich bei der mikroskopischen
Untersuchung als Auswüchse auf der Limitans interna
herausgestellt und bestehen aus dichtem, areolärem Binde-
gewebe. Es war sehr leicht, den Zusammenhang der
dieße Auswüchse bildenden Fasern mit den radiären zu
verfolgen. Je näher dem Eintritt des Sehnerven war der
normale Bau der Retina um so deutlicher hervortretend.
Das Erste, was schon am Aequator bemerkt werden
konnte, war die äussere Kömerschicht, darauf konnten
hier und dort zwar stark veränderte Ganglienzellen an-
getroffen werden. Auf einige Millimeter um die Ein-
trittsstelle des Sehnerven herum konnten schon sämint-
liche Schichten deutlich unterschieden werden. Alle die
Elemente waren sehr wesentlich verändert; die Ganglien-
zellen waren mit Fettkügelchen strotzend angefüllt; die
Kömer waren gequollen und von einer feinkömigen
Masse voll; die Stäbchenschicht liess sich von der Re-
tina leicht ablösen und dabei waren einzelne Stäbchen
und Zapfen aui^edunsen, andere wieder geschrumpft u.
dgl. m«; die radiären Fasern waren stark hypertrophisch,
in der Nerven&sernschicht ist eine grosse Quantität neu-
gebildeter Zellen vorhanden.
Ungleich öfter als diese Auswüchse war es mir ge-
lungen, andere, sehr stark in die Länge gedehnte und
auf dünnen Stielchen sitzende Gebilde nachzuweisen.
Mich in der letzten Zeit mit dieser Frage beschäftigend,
habe ich sie auch in Augen mit sonst gesunder Retina
angetroffen, so dass ich einige Zeit unschlüssig blieb, ob
ich sie nicht für etwas ganz Normales halten solle. Eines
solcher Augen wurde von Dr. Knapp behufs eines gros
sen, auf der Hornhaut sitzenden Epithelioms exstirpirt.
Im Innern war das Auge vollkommen gesund geblieben,
trotzdem aber wurden an der Peripherie 2 — 3"' von der
Ora serrata entfernt, auf dem ganzen Verlaufe, wo die
Retina mit dem Glaskörper innig verwächst, stellenweise
149
diese kleinen Auswüchse angetroffen. In diesem Auge
Sassen die Auswüchse (der grösste unter ihnen betrag
0,3 Mm.) auf einem dünnen Stielchen und unterschieden
sich von solchen anderen Augen durch eine ungemeine
Zartheit und Dünnheit der Fasern ihres Körpers. In
einem anderen, gleichfalls vollkommen gesund erhaltenen
Auge, das ich von Dr. Hesse bekommen und das wegen
einer Geschwulst in der Orbita und des darauf erfolgten
Exophthalmus exstirpirt worden war, fand ich auch an
dem entsprechenden Orte der Netzhaut dieselben doch
schon bedeutend grösseren Auswüchse. (Fig. 3.) Es sind
gestielte bimförmige Körper, deren dickeres Ende in
den Glaskörper hineinragt. Das Gewebe, aus dem diese
Warzen bestehen, ist ein dichter Zug mehr longitudinal
verlaufender und unter sich anastomosirender Binde-
gewebsfasern. Unter diesen Fasern sind hier und da runde
und spindelförmige vorzufinden. In diesen beiden Augen
äusserte der Glaskörper auf ein solches Hineinragen der
Warzen gar keine Reaction. Die Netzhaut selbst, aus
der diese Neubildungen entsprangen, bot durchaus keine
Abnormitäten dar. Das dritte Auge, welches wegen
eines Krebses der Lider, der sich auf die Conjunctiva
bulbi und auf die Cornea verbreitete, vom Dr. Knapp
exstirpirt worden, besass eine ganz besonders starke Ent-
wickelung dieser Warzen. Weil die krebsige Entartung
blos noch den Rand der Hornhaut einnahm, so hatte
auch das Sehvermögen sehr wenig dadurch gelitten und
Patientin konnte noch sehr gut sehen. Die Untersuchung
ergab folgende Störungen: Das Pigment der Ciliarfort-
sätze und des peripherischen Theiles der Chorioidea war
zu unregelmässigcn Häufchen angesammelt und durch
eine gelbliche Masse leicht verklebt. Mehrere epitheliale
Pigraentzellen vollkommen entfärbt, andere hingegen
stark geschrumpft Weder in den Ciliarfortsätzen und
dem M. tensor chorioideae, noch in der Chorioidea selbst
150
konnten die geringsten wahrnehmbaren Störungen ent-
deckt werden. Die Fasern des Ciliarabschnittes der
Retina sind stark hypertrophisch, die in normalem Zu-
stande an deren unterem Ende sich befindenden gabel-
förmigen Fortsätze sind über ihre Grenze hinausgewa-
chert und bildeten auf der dem Glaskörper zugekehrten
Fläche eine ganze Reihe Schlingen. Auf diesen letzte-
ren, sowie auch auf den Fasern selbst, haben sich ganze
Massen Pigments angehäuft. Eine Proliferation noch
anderer Zellen in diesem Theile der Netzhaut in Form
von Häufchen gruppirt, bildeten zellige Auswüchse, welche
in Gestalt eines Horns in den Glaskörper hineinragten.
Mit ihrer breiten Basis sitzen diese Auswüchse auf dem
Giliartheile der Retina, mit ihrem zugespitzten Ende aber
ragen sie in den Glaskörper hinein, während sie zugleich
beständig etwas nach vom gerichtet sind. Nach hinten
von der Ora serrata ist die Retina selbst gänzlich zu
Bindegewebe umgewandelt, alle ihre Elemente sind atro-
phisch und sie ist bedeutend verdünnt. An vielen Stellen
finden sich in ihr Pigmenthäufchen vor. Auch gehen
hier, von ihrer inneren Oberfläche aus warzenförmige
Auswüchse in den Glaskörper hinein. Da in diesem
Auge die Auswüchse in einer ziemlich grossen Anzahl
vorhanden und sie in so verschiedenen Stadien ihrer
Entwickelung waren, so habe ich dabei sehr leicht auch
den Prozess ihres Entstehens verfolgen können. Zu
allererst fällt die Spaltung der Limitans und das daraus
resultirende Auftreten der Schlingen in's Auge, die mit
ihrer convexen Oberfläche dem Glaskörper zugerichtet
sind. In dem diesen Schlingen entsprechenden Theile
des Glaskörpers wird an manchen Stellen das Auftreten
kleiner, stark lichtbrechender Kömchen beobachtet. Diese
feingekörnte Masse geht in Form eines dünnen, allmälig
breiter werdenden Strahles von der Peripherie den cen-
tralen Theilen des Glaskörpers zu. Mit der Massenzu-
151
nähme der Schlingen, werden in ihnen auch die Kerne
deutlicher und die Verästelung der Fasern immer mehr
und mehr bedeutend. Nachdem sie in den Glaskörper
eingedrungen, wird eine solche Schlinge an ihrer Ein-
trittsstelle gleichsam eingeschnürt Ein solcher vollkom-
men entwickelter Auswuchs hat eine annähernd birnför-
mige Gestalt und ist von einer Masse dicht durchfloch-
tener Bindegewebsfasern erfüllt Diese Fasern bilden
die Fortsetzung der radiären, es wird wenigstens der
Zusammenhang der einen mit den anderen an vielen
Stellen ziemlich leicht nachweisbar. Ausser diesen soeben
beschriebenen Veränderungen konnten an diesem Auge
durchaus keine anderen bemerkt werden. Linse, Glas-
körper, Iris und der ganze übrige Theil der Betina, so
wie auch der Ghorioidea zeigten vollkommen normale
Verhältnisse.
Ganz dieselben warzenförmigen Auswüchse hatte ich
Gelegenheit, noch an mehreren anderen Netzhäuten zu
untersuchen. Ich führe ihre Beschreibung hier blos des-
halb nicht an, weil sie sich in nichts Wesentlichem von
den soeben besprochenen unterscheiden.
Aeusserst interessante Abweichungen bot mir in
dieser Hinsicht ein Auge, welches ich vom Dr. Pagen -
Stecher erhalten hatte. Es war in Folge eines enormen
Stapbylomes der Cornea exstirpirt worden. Die Hornhaut
war stark vorgetrieben, ihre Wandung gleichmässig und
sehr unwesentlich verdünnt Die Iris, mit einer vollständig
verwachsenen Pupille, war zu einer dünnen Membran
umgeartet und bedeckte die ganze hintere Fläche der
Cornea. In der Mitte liegt sie der Descemet'schen Haut
blos an, doch an der Peripherie ist sie völlig mit ihr
verwachsen, so dass beim Abreissen ein Theil des Iris-
gewebes der Cornea adhärent bleibt. Die Ciliarfortsätze,
sowie auch die Linse sind vollständig atrophisch. Der
Rest letzterer, 1,7 Mm. dick, ist von der verdickten und
152
stark ausgedehnten Zonala Zinna dicht umgeben und
bildet die hintere Wand der stark erweiterten hinteren
Kammer. Vom Ciliarmuskel ist nicht die geringste Spur
vorhanden. Der peripherische Theil der Chorioidea ist
gleichfalls stark atrophisch. Das Pigment, zu unregel-
mässigen, amorphen Haufen angesammelt, liegt zwischen
ihr und der Betina zerstreut Die hintere Parthie der
Chorioidea hat keine so grosse Veränderungen anzu-
weisen. Die Wände der Geüässe sind nur etwas verdickt
In dem Stroma der Chorioidea liegen den Eiterkörperchen
sehr ähnliche Zellen, doch sind die sternförmigen Pig-
mentzellen durchaus intact geblieben. Auch das Epithel
liegt vollkommen regelrecht, in Form einer einschichtigen
Membran und blos die Grenzen der einzelnen Zellen
sind etwas undeutlich ausgesprochen, sowie auch die An-
ordnung der Pigmentmasse in ihm nicht ganz die nor-
male ist In vielen darunter sieht man zwei, sogar drei
Kerne. Der Glaskörper ist verflüssigt. Die ganze innere,
dem Glaskörper zugekehrte Fläche der Retina ist von
der Ora serrata an, bis zur Einmündung des Sehnerven
von einer höckerig geformten, stellenweise pigmentirten,
neugebildeten Masse überschichtet. Die mikroskopische
Untersuchung hatte ergeben, dass diese ganze neugebil-
dete Masse aus gewucherten radiären Fasern besteht
(Fig. 4). Diese stark hypertrophischen Fasern gaben Aus-
läufer, welche, nachdem sie die Hyaloidea durchbrochen,
sich in den Glaskörper einsenkten. An anderen Stellen
sieht man fünf bis sechs Fasern zu einem feinen Bündel
zusammentreten und auch in den Glaskörper sich ein-
senken. Im Glaskörper angelangt, bildeten sie ein dich-
tes bindegewebiges Flechtwerk, welches Maschen bildete,
die am Orte des Austritts der Badiärfasernbündel in den
Glaskörper wieder zur Netzhaut gehoben wurden. Diese
Maschen, von einer sehr variirenden Grösse, nahmen die
ganze innere Oberfläche der Retina ein. An vielen Stellen
153
liegen sie der Netzhaat so dicht an, dass zwischen ihr
ond ihnen blos die etwas verdickte Hyaloidea gelagert
war. An anderen Punkten hingegen, vornehmlich an der
Peripherie, wo die oberflächliche Schicht des Glaskörpers
sehr dicht ist, hatte sich zwischen der Schlinge und der
Retina, neben der Hyaloidea, auch noch eine dünne
Schicht Glaskörpers mit seinen Zellen eingeschaltet.
Endlich sind im hinteren Abschnitte des Auges mehrere
Maschen, durch ein aus der Betina getretenes Exsudat
von ihr abgedrängt worden und an eben diesen Stellen
war der Zusammenhang der radiären Fasern mit solchen
Maschen besonders deutlich ausgesprochen. Es versteht
sich von selbst, dass die Auswüchse blos an senkrechten
Schnitten den Eindruck von Maschen machen konnten;
von der Fläche gesehen, sind es hügelige Erhabenheiten,
welche sich mit ihrer Peripherie in die Retina einsenken.
An einigen Stellen lagen an den Fasern der dem Glas-
körper zugekehrten Oberfläche der Auswüchse kleine
Häufchen Pigments, welches längs der radiären Fasern
in Form eines düniien Zuges verlief, in welch letzterem
die Pigmentmoleküle sich manchmal äusserst regelmässig
einschichtig gelagert hatten. Von diesem angenommenen
Verlaufe wich das Pigment allemal ab, wo es nur irgend
ein Hindemiss traf. So blieb es z. B. bisweilen in der
Zwischenkömerschicht, oder auch in den sehr entwickel-
ten seitlichen Verästelungen der radiären Fasern, in der
molecularen Schicht, jedoch am öftersten in der
Nervenfasemschicht, woselbst es die sehr stark gewu-
cherte Adventitia der Gefässe traf, stecken. Jedoch
einige dieser Pigmentzüge passirten ungehindert die
ganze Retina bis zu den Auswüchsen selbst. Die Ge-
stalt, welche das an den Fasern hängen gebliebene Pig-
ment angenommen hatte, war eine ungemein verschiedene.
Das Charakteristische seiner Anordnung war eigentlich,
dass aus dem bisweilen angehäuften Klümpchen feine
154
Ausläufer abgingen, so dass die der ganzen Masse eigene
Form in der Regel eine sternförmige, der bei der Retinitis
pigmentosa nachweisbaren, sehr ähnliche Gestalt annahm.
In der Retii^a waren sämmtliche Schichten bis zur inneren
Eörnerschicht vollkommen verschwunden und dieser ganze
Raum von Bindegewebsfasern eingenommen. Dafür waren
aber die übrigen Schichten, d. h. die Körner- und Stäb-
chenschicht, an mehreren Stellen, vorzüglich aber im
Hintergrunde, deutlich erhalten geblieben. Wo die Stö-
rungen auch in die Kömerschicht drangen, dort gingen
sie in der Regel von der unteren Grenze der inneren
Schicht aus. An der Peripherie des Auges war an vie-
len Orten von der ganzen Retina nur die äussere Eör-
nerschicht allein zurückgeblieben.
In dem Gapitel von den Gliomen der Retina hält
Virchow*) die Bindesubstanz letzterer für das Material
dieser in ihr vorkommenden Neubildung und sich auf die
schon existirenden, so wie auf seine eigenen Unter-
suchungen stützend, nimmt er die äussere der Chorioi-
dea zugekehrte Oberfläche der Retina als den Hauptort
ihres Vorkommens an (Körner- und Zwischenkörner-
schicht, S. 113). Die von mir beschriebenen Störungen
der Retina zeigen es aber, dass die Geschwulste ebenso
wohl auch an ihrer anderen, dem Glaskörper zugekehr-
ten Oberfläche vorkommen können. Welche Dimensionen
diese im gegenwärtigen Falle mehr mikroskopischen
Gliome wohl erreichen könnten, dies ist schwer zu ent-
scheiden. Die älteren Beobachtungen bieten in der Be-
schreibung jener Theile der Retina, aus denen die von
ihnen beschriebenen Geschwülste derselben sich entwickel-
ten, nicht die gewünschte Genauigkeit.
Von den neueren Forschern, so weit es mir bekannt,
erwähnt blos Dr. Pagenstecher eine von ihm beobach-
♦) Loo. dt.
155
tetc Wucherung der Bindesubstanz der Retina über die
Grenze der Limitans interna hinaus und ausserdem
schreibt noch Stellwag von Carion'") von warzen- und
zottenähnlichen bindegewebigen Auswüchsen aus der Ober-
fläche der Nervenhaut oder Sehnervenpapille, welche in
den Glaskörper hineindringen. Solch eine geringe Zahl
Ton Beobachtungen, hinsichtlich der aus der inneren
Netzhautfläche entspringenden Auswüchse, scheint zum
Theil zu Gunsten der Ansicht zu sprechen, dass diese
Auswüchse nur unbedeutende Dimensionen erreichen
können. Uebrigens will ich hier blos noch erwähnen,
dass die Schwierigkeiten, mit denen ein zur Unter-
suchung, besonders der Anfangsstadien der retinalen
Neubildungen taugendes Material erlangt wird (das Auge
muss vollkommen frisch sein) und die Verwirrtheit des
Budes, das bei vollkommen entwickelten Geschwülsten
gesehen wird, eine hinlängliche Erklärung fOr die so
geringe Zahl der bisher gemachten Untersuchungen über
derlei Auswüchse auf der Netzhaut geben.
B. Zur normalen und pathologischen Anatomie des
Glaskörpers.
Obgleich die Literatur des Glaskörpers zu den reich-
sten in der Anatomie des Auges gehört, so sind dennoch
die darin vorhandenen Streitfragen bis jetzt unentschieden
geblieben, und haben bis heute noch nicht die genügende
Lösung erbalten. Als der beste Beweis dieser jetzt noch
andauernden Uneinigkeit der Ansichten über den Glas-
körperbau können die drei letzten speciellen Untersu-
chungen über denselben, welche beinahe gleichzeitig er-
schienen waren, dienen.
Zu derselben Zeit, wo A. Coccius, wenigstens an
*) Lehrbuch der Augenheilkimde. Wien 1861. S. 142.
156
den Hausthieren, vom Pflasterepithelium bedeckte Mem-
branen*) deutlich gesehen hatte, hat C. 0. Weber weder
das Epithel, noch die in Rede stehenden Membranen
jemals beobachtet; nach seiner Meinung ist das Gerüst
des Glaskörpers aus eigenthümiichen, von ihm selbst zum
ersten Male beschriebenen, unter sich anastomosirenden
Zellen**), an denen schleimige Anhängsel sitzen, gebil-
det. Ritter***^ endlich hat nicht die Zellen Weber's,
nicht die Membranen von Coccius nachweisen können,
und er bringt die Meinung vor, der Glaskörper sei ein
cystenähnliches, durch die Chorioidea geliefertes Product;
es sei von einer structurlosen Membran umschlossen, die
auf ihrer Innenfläche ein Epithel besitzt. Im Einklang
mit dieser Divergenz der Meinungen, bezüglich des nor-
malen Baues des Glaskörpers, sind genannte Forscher
auch in der Frage von seiner Erkrankungsfähigkeit nicht
vollkommen unter sich einverstanden. Während Coccius
und Weber die Erkrankbarkeit des Glaskörpers als kei-
nem Zweifel unterlegen betrachten, und der erste die
Ursache der Affection in den Epithelien sieht, der ^eite
aber sie in die von ihm beschriebenen Zellen versetzt,
lautet die Meinung Ritter' s dahin, dass selbst die ein-
*) Ueber das Gewebe und die Entzündung des menschlichen Glas-
körpers. Leipzig 1860. ),.... die Epithelien aus den Bindegewebs-
zeUen des embryonalen Glaskörpers, die feinen Glashäute aber aus der
Verschmelzung von den zu Epithelien umgestalteten Bindegewebskor-
pern entstanden sind.*'
♦•) Virchow's Archiv f. pathol. Anat. u. Phys. Bd. XIX. Ueber
den Bau des Glaskörpers und die pathologischen, namentlich entzünd-
lichen Veränderungen desselben. S. 376. „Es sind dies zarte, spindel-
förmige, in feine Fäden auslaufende und unter sich anastomosirende
mit einem ovalen, sehr zarten Kerne versehene Zellen, besetzt mit ver-
schieden grossen Schleimsäcken, als ob zwischen den Ausläufern der
Zelle Schleimmasse sitzen geblieben wäre, oder, als ob diese selbst mit
Schleim erfüllt wären.**
••*) Arch. f. Ophthabn. Bd. VlII. 1.
157
greifendsten Verletzungen des Glaskörpers stets ohne alle
Folgen verlaufen.
Solche Widersprüche in den Resultaten machen es
einem Jeden, der sich mit der pathologischen Anatomie
des Glaskörpers beschäftigen wollte, zur Pflicht, sich vor-
läufig seinen eigenen Gesichtspunkt über den normalen
Bau dieses Gebildes zu bilden. Die in dieser Richtung
von mir vorgenonunenen Untersuchungen haben mit zu
Schlussfolgerungen geführt, welche im Wesentlichen die
Ansichten Yirchow's, KöUiker's, Doukan's und
Web er 's bestätigen, blos in einzelnen Details von ihnen
abweichen, oder sie ergänzen. Doch wo ich den erkrank-
ten Glaskörper beobachtet, habe ich immer eine beson-
dere Aufinerksanikeit auf den hauptsächlichsten Factor
seiner Erkrankung, auf die Zelle, gerichtet Vor Vir-
chow beschrieben Hannover, Henle, Pappenheim,
Huschke u. A. bald das die Hyaloidea überkleidende
Epithel, bald die innerhalb des Glaskörpers sich befin-
denden Zellen, bald auch beide Bildungen zugleich, doch
bieten uns alle genannten Beschreibungen nicht die ge*
wünschte Genauigkeit und Ausführlichkeit
Die erste specielle, im Jahre 1852 erschienene Unter-
suchung über die Zellen des Glaskörpers verdanken wir
Virchow*). Im 10. Bande seines Archivs schreibt die-
ser Forscher, dass er bei einem Schweinsembryo von
4 Zoll in der homogenen Intercellularsubstanz des Glas-
körpers, die alle Eigenschaften des Schleims darbot und
an einzelnen Stellen leicht streifig erschien, in ziemlich
regelmässigen Abständen runde, kernhaltige, zuweilen
mehrkernige, stark granulirte Zellen gesehen habe. Am
Umfange fand sich eine feine Haut mit sehr zierlichen
Gefassnetzen und einem feinfaserigen areolären Maschen-
*) Archiv f. pathoL Anat. u. PhysioL Bd. IV. Notiz über den
Glaskörper. S. 468.
158
werk, welches au den Knotenpunkten Kerne enthielt.
Der Meinung Yirchow's zufolge scheinen alle ferneren
Veränderungen des Glaskörpers darin zu bestehen, dass
die Zellen untergehen und die Intercellularsubstanz allein
zurückbleibt. Den Glaskörper rechnet Virchow zu den
Schleimgeweben. Im folgenden Bande seines Archivs "*")
sagt er, dass er bei den weiteren Untersuchungen über
die menschlichen Embryonen stets dasselbe gefunden
habe, was von ihm im 4. Bande ausgesagt ward. Was
aber die areoläre Membran anbetrifft, so habe er dieselbe
nicht beständig vorgefunden, so dass es möglich sei, dass
sie nicht constant vorkomme, oder schnell ablebe. Ein-
mal hatte Virchow im Innern des Glaskörpers auch
sternförmige und sehr zahlreich vertretene Zellen ge-
sehen. Kölliker fand'*''*'), dass im Glaskörper mensch-
licher und thierischer Embryonen, so wie bei Kindern
und jungen Thieren nirgends etwas Anderes nachzuwei-
sen sei, als eine gleichartige, schleimhaltende Grund-
substanz und viele in ziemlich regelmässigen Abständen
in derselben vertheilte runde oder längliche, kömige,
kernhaltige Zellen von 0,004—0,01"'. Sternförmige, netz-
förmig verbundene Zellen sah er zwar auch, allein immer
nur an der Aussenseite der Membrana hyaloidea. Im Glas-
körper der Erwachsenen war von den früheren Verhält-
nissen meist nur die gleichartige Grundsubstanz geblie-
ben und die Zellen verschwunden, doch traf er die letz-
teren in manchen Fällen auch hier noch spärlich und
undeutlich, namentlich in den an die Linse und die M*
hyaloidea überhaupt angrenzenden Theilen des Organs.
Finckbeiner***) ist der Ansicht, dass das platte Epi-
*) 1. 0. Bd. V. üeber den mensohUohen Glaskörper. S. 278.
**) Mikroskopische Anat. 1852. II. S. 716 ii. Handb. der Gewebe-
lehre. 1868. S. 680.
***) Vergleichende Untersuchongen der Stractor des Glaskörpers
159
thel der Hyaloidea nur sehr schwer zu sehen sei, dennoch
war es ihm gelungen, dasselbe nachweisbar machen zu
können, und in seinen Resultaten bestätigt er alle An-
sichten Hannover's, wie über den Bau des Glaskör-
pers, so auch über die Epithelien. Die Epithelien des
Glaskörpers seien sehr gross, polygonal, meistens sechs-
eckig, haben oft unregehnässig gezackte Bänder, die sich
gewöhnlich eng an einander legen* Die grössten Zellen
besitzen einen Kern mit Kernkörperchen. Die Grösse der
Zellen ist an einem und demselben Individuum sehr
wechselnd; an der Eintrittsstelle des Sehnerven sind sie
am grössten, während sie gegen die Ora serrata zu im-
mer kleiner und kleiner werden. Finkbeiner konnte
die Epithelien auch leicht an den Fasern der Zonula
Zinnii aufliegend verfolgen, so wie auch an den Scheide-
wänden im Glaskörper selbst. In einer ausgezeichneten
Arbeit Doukan's*), welche er unter der Leitung v. Don-
ders' ausführte, wird den colloiden, bleichen, stark
licbtbrechenden Zellen eine genaue Aufmerksamkeit ge-
widmet. Aus ihnen entstehe, wie Verfasser hervorhebt,
theils durch Transudation, theils durch Zerstörung der
Zellen selbst, die schleimige Grundsubstanz des Glas-
körpers. Ueberdies wurden verschieden grosse Eörner-
häufchen und feine Fäden, auf welchen auch ähnliche Kör-
ner Sassen, bemerkt Der letzten Arbeiten Web er 's,
Ritter's und Coccius' ist schon erwähnt worden.
Ehe ich aber zur Beschreibung der Glaskörperzellen
übergehe, erlaube ich mir noch einige Worte über die
zwischen dem Glaskörper und der Betina bei Embryonen
und Erwachsenen befindlichen Theile zu berichten.
bei den Wirbelthieren. (t. Slebold und Kölliker*s Zeiticfar. f. wiss.
Zoologie. Bd. VI. 8. 830. 1854.)
*) DUsert. de ooiporis Titrei straetura. Utrecht 1S54.
160
In den Augen der Säugethier-Embryonen kann man
bis zu einem gewissen Alter zwischen der Netehaut und
der Hyaloidea beständig das von Yirchow beschriebene
areoläre Gewebe beobachten. Die Bedeutung dieses
Netzes ist bereits durch H. Müller bestimmt worden,
es ist das Rudiment der künftigen Netzhautgefasse*).
Letztere entwickeln sich von der Eingangsstelle des Seh-
nerven gegen die Peripherie hin, so dass zu jener Zeit,
wo dieses areoläre Netz sich durch eine Dififerenzirung
seiner Zellen, um die Stelle des Eintrittes des Sehnerven
herum, schon in Gefässe verwandelt hat und dieselben
auch schon mit Blut gefüllt sind, besteht es noch immer
als Netz an dem Aequator und weiter an der Peripherie
des Auges fort. Später, wenn diese Gefässe sich schon
entwickelt, gehen sie in die Retina selbst ein. Zwischen
ihnen und den Gefässen des Glaskörpers, vornehmlich der
pupillären Membran, herrscht ein umgekehrtes Verhalten,
d. h. je weiter sie sich entwickeln, wird die Membrana
pupillaris und das Gefässnetz des Glaskörpers, welches
sich in der tellerförmigen Grube entwickelt, in demsel-
ben Grade mehr und mehr atrophisch und ihre vollstän-
dige Entwickelung erreichen sie im Momente der voll-
kommenen Atrophie der Pupillarmembran. Solche Ge-
fässe der Retina sind schon mehrmals als äussere Gefässe
des Glaskörpers beschrieben worden und in neuester
Zeit noch hat Weber denselben Fehler wiederholt.
Die Gefässe des Glaskörpers sind blos ein Aestchen
der Arteria centralis retinae, und circuliren unter sehr
*) Würiburger natürwissenschaftl. Zeitochr. Bd. II. Heft S. 1861.
lieber die Netzhautgefasse Ton Embryonen. — Ich halte es für noth*
wendig, hier bemerken zu müssen, dass ich über die Oefasse des Glas-
körpers zusammen mit Prof. H. Müller arbeitete, der zu gleicher
Zeit mit den Oefässen der Netzhaut beschSftigt war. Das Wesentlichste
des hier Gesagten war schon in der angeführten rorlänfigen Notiz be-
sprochen worden.
161
yerschiedener Benennung, als wie: art. corporis vitrei,
art. hyaloidea, art capsularis, art Albini u. dgl. m. Diese
Arterie geht mehr oder minder durch die Mitte des Glas-
körpers und, ohne hier Zweige abzugeben, erreicht sie
die tellerförmige Grube. In dieser letzteren, zwischen
dem Glaskörper und der Linse, theilt sie sich dichoto-
misch und bildet so ein dichtes, sternförmiges Netz, das
die hintere Linsenkapsel umgreift. An der Peripherie
der Linse bildet dieses Netz Maschen, von welchen Zweige
zur vorderen Kapsel der Linse zum inneren Rande der
Iris (membr. capsulo-pupillaris) und endlich zur Zonula
Zinnii abgehen. Diese letzteren (circulus arteriös. Mor-
gagnii) bilden auf der Zonula Zinnii Maschen, von denen
abermals feine Aestchen ausgehen. Mit welchen Ge&ssen
eigentlich diese Aestchen anastomosiren, dies ist mir bis
jetzt nicht gelungen, zu beobachten. Nach Weber
gehen sie mit den äusseren Gefässen des Glaskörpers
Anastomosen ein; da aber letztgenannte Gefässe höchst
wahrscheinlich f&r nichts Anderes, als für solche der Netz-
haut zu betrachten sind, so mQssten diese Aestchen auch
mit den retinalen Gefässen communiciren, welches mir
aber ebenfalls zu beobachten nicht gelungen war. An
der Peripherie kommen die Netzhautgefässe nur ziemlich
spät zur Ausbildung und scheinen in keiner Verbindung
mit anderen Gefässen des Auges zu stehen. Die Gefässe
des Glaskörpers atrophiren erst in der letzten Periode
des foetalen Lebens. Diese Obliteration der Gefasse be-
ginnt an der pupillareu Membran und schreitet allmälig
zu den Gefässen der tellerförmigen Grube vor. Die art.
corpor. vitrei ist die zu allerletzt verschwindende. Beim
Kalbe*) und Pferde bleibt sie noch lange bestehen
und ist sogar bei schon ziemlich Erwachsenen wie ein
zapfenartiger, von der Eintrittsstelle des Sehnerven zum
*) H. Müller, ArehW f. Ophth. Bd. U. Abth. 2, S. 65.
Arthir fOr Ophthalmologie. XI. 1. 11
162
Glaskörper gehender Vorsprung sichtbar. Ein ähnlicher
üeberrest von Gefässen kann auch bei einem erwachse-
nen Menschen vorhanden bleiben, wie denn solches auch
Sämisch*) undZehender ophthalmoskopisch beobach-
tet hatten. Ein ganz ähnliches Vorkommen wurde schon
1854 von Meissner beschrieben, eine solche persisti-
rende art hyaloidea sah er bei der pathologisch anato-
mischen Untersuchung des Auges eines ganz alten Man-
nes "*"*). Es ist wahrscheinlich, dass zwischen der Retina
und der Hyaloidea von dem embryonalen areolären Netze
bisweilen einige Zellen zurückbleiben. Bei Kindern we-
nigstens, wenn schon die retinalen Gefasse in die Tiefe
der Netzhaut gedrungen sind, wo schon die Limitans
vollkommen ausgebildet ist, ist es mir bisweilen gelangen,
einige zwischen dem Glaskörper und der Betina liegende
Zellen zu sehen. Bei Erwachsenen gelingt es manchmal
gleichfalls, hier und da auf der Limitans flache, grosse
Zellen mit einem kleinen, runden Kerne zu finden. Sie
erscheinen bald rund mit ausgesprochen gezackten Rän-
dern, bald sternförmig. Bei Erwachsenen habe ich sie
bis jetzt grösstentheils an pathologischen, exstirpirten
Augen angetroffen. Wie es scheint, nehmen sie auch
einen Antheil an den Erkrankungsprozessen der Netz-
haut. In atrophischen Augen werden zuweilen ebenfalls,
bald auf der Hyaloidea, bald auf der Limitans, Häuf-
chen grosser, flacher, mit einem grossen, flachen Kerne
versehener Zellen gefunden. Was jedoch das Epithel an-
belangt, wie es Henle, Hannover und Finkbeiner be-
schreiben, so war es mir bisher nicht gelungen, dasselbe
ein einziges Mal zu sehen. An erhärteten Augen kann man
*) Klin. Monatsblätter f. Angenheilk. 1363. Juni B. 258 u. August
S. 851.
**) Henle und Pfenfer, Zeitoohr. f. rationelle Medi9in, 3. Reihe.
I. Bd. Leipzig u. Heidelberg 1857. S. 562, Anmerkung.
163
schon mit ein&cher Loupenvergrösserung bisweilen eine
sich zwischen der Retina und der Hyaloidea einschaltende
feine Membran beobachten, unter dem Mikroskop er-
scheint sie in Form äusserst regelmässiger, einschichtig
gelagerter hexagonaler Figuren. Die Grösse einer jeden
einzelnen dieser Figuren ist um ein Etwas bedeutender
als die des Pigmentepitheliums der Chorioidea; der Inhalt
ist feingekömt. Einzelne von ihnen sind, besonders bei
der Katze und dem Kaninchen, beständig mit einem kur-
zen, dünnen Ausläufer versehen. In wieder anderen
Fällen ist diese Membran nicht vorhanden und auf der
Hyaloidea sind blos die mehr oder minder regelmässigen,
sechseckigen Contouren noch bemerkbar. Endlich trifft
es sich zuweilen, dass diese Gebilde in Form, in Gestalt
und Grösse verschiedener Figuren, oder einfach in Form
einer dünnen Schiebt einer feingekömten, amorphen Masse
erscheinen. Dafür, dass es keine Zellen sind, spricht
schon das constante Fehlen der Kerne, so wie auch die
Mannigfachheit der Form, die an ihnen bemerkt wird.
Es ist mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass
die Zeichenerscheinungen in der Retina als die Quelle
ihres Entstehens anzunehmen sind. Nimmt man ein
Stöckchen frischer Netzhaut und legt man sie so, dass die
Limitaus interna nach oben gerichtet bleibt, bringt man
es darauf unter einem Deckgläschen unter das Mikros-
kop, so sieht man, dass die Limitans sich allmälig mit
durchsichtigen Tröpfchen bedeckt, welche sich bald
in so grosser Menge ansammeln, dass sie gezwungen
werden, einander von den Sei^n zu comprimiren und
nehmen solchenveise eine relativ ziemlich regelmässige
polygonale Gestalt an. Verschiebt man nur leicht das
Oeckgläschen, so wird man ohne Schwierigkeit bemerken,
wie sie in Form eines dünnen, zähen Fädchens sich mit
der Basis der Müll er' sehen radiären Fasern ver-
binden.
11*
164
Ob diese Gebilde oder Zellen des Glaskörpers, wie
es Elebs meint, bisher für das Epithel gehalten worden
sind, ist schwer zu entscheiden, üebrigens erschweren
die obenerwähnten, bisweilen in pathologischen Augen
auf der Limitans beobachteten Zellen, der kurze Zeitraum,
in welchem hier die cadaverösen Erscheinungen schon auf-
treten und die davon abhängende Begelmässigkeit der
Figuren, wie auch endlich die Festigkeit, mit welcher in
frischen Augen die Limitans mit der Hyaloidea verbun-
den sind, den üntersuchungsgang der betreffenden Frage
so sehr, dass Alles, was ich gegenwärtig darüber zu
entscheiden mir erlauben kann , sich blos auf Folgendes
beschränkt: bisher wollte es mir nicht ein einziges Mal
gelingen, ein Epithel auf der äusseren Oberfläche der
Hyaloidea zu beobachten.
Wenden wir uns nun zu den sich im Innern des
Glaskörpers befindenden Zellen. Bis jetzt habe ich noch
nicht ein Thier getroffen, bei welchem sie nicht vorhan-
den wären; doch will ich mich hier nicht in ihre Be-
schreibung, wie sie bei den Thieren vorkommen, ein-
lassen, weil sie sich bei ihnen nur unwesentlich von de-
nen bei Menschen unterscheiden. Bei Menschen trifft man
sie durch alle Lebensalter hindurch und können in fol-
gende drei Arten eingetheilt werden: 1) Runde Zellen ohne
Ausläufer, mit einem oder zweien Kernen versehen. Sie
liegen unmittelbar unter der Hyaloidea und die Membran
dieser Zellen umfasst eng den feinkörnigen Inhalt, in an-
deren Fällen erscheint sie stark geschrumpft und liegt un-
mittelbar dem Kerne au. Der Kern selbst ist gross und
nimmt einen beträchtlichen Theil der Zelle ein. Diese
Form von Zellen kommt in grösster Quantität bei Em-
bryonen vor und sie nehmen mit dem Wachsthüm der
Frucht ab.
2) Die zweite Form bilden die sternförmigen und die
spindelförmigen Zellen^ die bei Kindern die Hauptmasse
165
der Glaskörperzellen ausmachen. Diese Zellen sind in
der Regel mit 3—5 Ausläufern versehen, welche dick und
wenig gezweigt sind. Der Inhalt der Zellen ist fein ge-
körnt und besitzt 2 — 3 und noch mehr Kerne, üebri-
gens ist ihre Form nicht immer streng sternförmig, son-
dern es finden sich hier auch hufeisenförmige und spin-
delförmige, mit laugen, dicken, sehr unregelmässigen
Ausläufern. Solche Zellen können als eine weitere Ent-
wickelung der ersten Form betrachtet werden und unter
den runden Zellen trifft man schon einige mit sehr kur-
zen Ausläufern.
Schon bei Kindern kann man eine noch andere Form
sternförmiger Zellen finden, die die hauptsächlichste,
charakteristische Eigenthümlichkeit in dem Glaskörper
Erwachsener und Greise bildet. Solche Zellen sehen
den Ganglienzellen sehr ähnlich, nur dass sie viel klei-
ner, zarter und in ihrem äusseren Aussehen unge-
mein mannigfaltiger sind. Sie erscheinen grösstentheils
mit zwei sehr dünnen, langen, von den beiden entge-
gengesetzten Enden ausgehenden Ausläufern versehen,
welche ihrerseits ebenfalls in sich verästelnde Zweig-
chen zerfallen. Eine interessante Eigenthümlichkeit
dieser Ausläufer ist, dass sie an vielen Punkten mit
Varicositäten versehen sind. Ueberdies sitzen an ihnen
vollständig durchsichtige, constant regelmässig • runde
Bläschen, welche bald klein, bald unvergleichlich grösser
als die Zelle selbst sind. Solche Bläschen gehen zuwei-
len von dem Körper der Zelle selbst aus, sind von der
Grundsubstanz des Glaskörpers scharf abgegrenzt und
treten in keine Communicationen, weder untereinander,
noch mit den ihnen benachbarten Bläschen. Biswei-
len fehlen sie auch, doch bilden die Varicositäten eine
sehr häufige Eigenthümlichkeit dieser Zellen. Der In-
halt ist feinkörnig, der Kerne sind zwei, drei und noch
mehr, höchst selten aber blos ein einziger vorhanden.
166
Zuweilen kann man zwei, durch die Ausläufer mit einan-
der verbundene Zellen beobachten, doch ist dieses eine
mehr zufallige Erscheinung. Ich will es aber hier be-
merken, dass ich an gesunden Augen miteinander ana-
stomosirende Zellen, wie solche Weber beschreibt, nie-
mals beobachtet habe. Die Begrenzungen einer jeden
Zelle sind immer scharf und deutlich, und dieses nicht
allein an den in der Müller' sehen Flüssigkeit erhärte-
ten, oder an den mit Karmin gefärbten, sondern auch an
ganz frischen Augen. Aehnliche sternförmige, mit Vari-
cositäten versehene Zellen kann man auch bei Thiereü
vorfinden, und besonders originell sind sie beim Pferde,
bei dem sie zuweilen (höchst wahrscheinlich in patholo-
gischen Fällen) kolossale Dimensionen erreichen, ferner
ausgezeichnet schön bei Fröschen und den menschlichen
sehr ähnlich bei Hunden.
3) Die dritte Form bilden die mit einem Bläschen
im Innern versehenen Zellen. Sie sehen jenen sehr
ähnlich, welche zum ersten Male von Yirchow in seinen
Untersuchungen über die Entwickelung des Schädelgrun-
des beschrieben wurden. Er hatte sie in den Neubil-
dungen auf dem Clivus beobachtet und nannte sie die
Physaliphoren, die in ihnen enthaltenen Bläschen aber die
Physaliden. Später sind diese Zellen in verschiedenen
normalen Geweben, vornehmlich bei Embryonen, beschrie-
ben worden. In dem Glaskörper wurden sie zuerst von
Doukan genauer besprochen und sind die grössten aller
drei Formen. Sie sind in jedem Alter und bei allen
Thieren nachzuweisen, doch sind sie bei Embryonen und
bei Kindern nicht so scharf hervortretend, weil dort
ausser ihnen noch eine grosse Quantität runder und stern-
förmiger Zellen zu finden ist. Dabei sind sie bei Kin-
dern kleiner als bei Erwachsenen, sowohl der Anzahl als
auch der Grösse nach. Bei Erwachsenen und bei Greisen
(besonders bei letzteren) machen diese Physaliphoren und
167
die sternförmigen Zellen, mit den ihnen von aussen auf-
sitzenden Bläschen, die Hauptmasse der Zellenanzahl aus.
Die in den Zellen sitzenden Bläschen sind beständig
kreisrund und vollkommen durchsichtig. In einem gut
entwickelten Physaliphoren befindet sich blos ein, den
ganzen Baum einnehmendes Bläschen und es bleibt nur
ein ganz kleiner Raum übrig, der von den üeberresten
des früheren feinkörnigen Inhalts der Zelle, welcher sich
um den noch gut erhaltenen (in der grössten Zahl der
Fälle sind es zwei) und von dem Blächen zur Zellen-
wand verdrängten Kern anlegt, eingenommen wird. Es
scheint das Bläschen seine eigene Membran zu besitzen,
wenigstens erscheint die eigentliche Zellenwand stets
doppelt contourirt Das Bläschen nimmt manchmal
keinen grossen Theil der Zelle ein und dieses ist wahr-
scheinlich in einem noch nicht vollkommen reifen Physa-
liphoren der Fall; manchmal sind es zwei grössere und
in einem solchen Falle sind sie in der Mitte wie durch
eine Linie getheilt; bisweilen endlich sind dort ihrer
viele und es scheint alsdann, als sässen sie alle in einen
gesonderten Bläschen, wenigstens ist dann ihre gemein-
schaftliche Contour stets ziemlich kreisrund. Neben
diesen Physaliphoren sitzen manchmal noch Bläschen,
welche mit der Zelle selbst in Verbindung stehen. Sie
smd in einigen Fällen klein und dies ist häufig der Fall,
doch zuweilen auch ebenso gross, als die Zelle, der sie
adhäriren.
Meistentheils besitzen die Physaliphoren keine Aus-
läufer, doch trifft es sich auch, dass aus ihnen gleichfidls
dünne, lange, mit Yaricositäten versehene Ausläufer
austreten.
Die Physaliphoren und die sternförmigen, mit Bläs-
chen ausgerüsteten Zellen, sind in der Hegel tiefer als
die übrigen in dem Glaskörper gelagert. Um sie herum,
oftmals mehr in die Tiefe, sind bald freie Kerne (etwas
168
atrophische), bald aber Bläschen (zuweilen stark ge-
schrumpfte), bald endlich einfache Zellenhüllen sichtbar,
so dass allem Anscheine nach in den späteren Lebens-
perioden diese Zellen innerhalb des Glaskörpers zu
Grunde gehen.
Aus einigen insbesondere pathologisch-anatomischen
Thatsachen lässt sich der Schluss ziehen, dass die Be-
deutung dieser Zellen für die Lebensfrage des Glaskör-
pers nicht ganz gleichgültig sei.
Die runden Zellen sind Bildungszelleu, aus welchen
sich durch eine weitere DiflFerenzirung ihre übrigen For-
men entwickeln. Die spindelförmigen und die sternför-
migen Zellen dienen, wie es scheint, als Material für die
Bildung des Gerüstes des Glaskörpers. Weiter unten
werden wir sehen, dass in jenen Fällen, wo die Er-
krankungen des Glaskörpers in ihm in einer enormen
Masse Bindegewebsfasern auftreten, gewöhnlich in einer
vor anderen Formen vorwaltenden Quantität, Spindel-
und sternförmige Zellen beobachtet werden. Hiermit pa-
rallel verlaufend wird eine Schrumpfung des Glaskörpers
mit einem Seltenerwerden, ja sogar völligen Verschwin-
den der Physaliphoren beobachtet Die runden Zellen
mit den innerhalb sitzenden, so auch die sternförmigen
mit den von aussen an ihnen haftenden Bläschen sind,
wie es scheint, in ihrer Function identisch. Die Bestim-
mung beider liegt in der Schleimbereitung und dafür
scheint auch die früher erwähnte Thatsache, ihr Schwund
bei der Schrumpfung des Glaskörpers, zu sprechen. Noch
mehr aber spricht dafür ihr copiöses Auftreten in allen
Fällen, wo die Masse des Glaskörpers vergrössert ist,
in glaucomatösen Augen, bei allen Arten der Staphylome,
bei Eeratoconus u. dgl. m. An allen Glaskörperzellen
wird noch eine sehr interessante Erscheinung wahr-
genommen, dies ist die amoebenartige Veränderung ihrer
Gestalt. Diese Bewegung solcher Zellen beschränkt sich
169
auf eine Verkürzung and darauf folgende Wiederaussen-
dang ihrer Fortsätze. Die im frischen Zustande den
Inhalt bildenden feinen Körnchen und kleinen Bläschen
der Zelle leiden bei ihrer Contraction gleichfidls eine
Ortsveränderung, doch habe ich in ihnen weder die tan-
zende noch die moleculare Bewegung bemerken können.
Zu Zeiten erfolgt während der Contraction der Zelle ein
Platzen und ein Zusammenfliessen mehrerer Bläschen;
die Ausdehpung der Fortsätze geht nur sehr langsam
vor sich. Es ist mir mehrmals zu sehen gelungen, wie
die Fortsätze einer und derselben Zelle sich gegenseitig
begegneten und dabei sich verlötheten, confluirten. Nach-
dem sie sich ausgedehnt, beginnen die Fortsätze sich zu
contrahiren und manchmal trifFt es sich so, dass während
die einen sich verkfirzen, die anderen erst an's Licht
treten. Bei der Contraction nehmen die Zellen eine
runde oder ovale Gestalt an; einige bleiben alsdann als
solche bestehen, an anderen erscheinen aber die Fort-
sätze von Neuem, anfangs langsam, dann aber immer
rascher und rascher; während die Zelle nun eine, stem-
ähnliche Form angenommen hat, bleibt sie grösstentheils
als solche und die Bewegung hört in ihr auf.
Diese Bewegung kann man am leichtesten bei den
Embryonen verfolgen. Den Glaskörper eines zehntägigen
Hflhnerembryo's kann man vollständig auf das Object-
gläschen bringen und der Beobachter entdeckt hier im
Sehfelde eine ganze Masse Zellen. Bei erwachsenen
Thieren, bei denen die Zellen viel weniger dicht beisam-
men liegen, als bei dem Foetus, ist es bisweilen sehr
schwer, eine Zelle aufzufinden, übrigens habe ich diese
Bewegung, wie bei erwachsenen Thieren,' ebenso auch bei
Menschen gesehen. Dank der Gefälligkeit des Herrn
Dr. Knapp, welcher mir die Grelegenheit geboten, ein
von ihm soeben exstirpirtes Auge untersuchen zu können.
Es ist ganz leicht, diese Bewegung zu beobachten; man
170
hat dazu ein Stück des Glaskörpers zusammen mit der
Hyaloidea unter ein Deckgläschen zu bringen und unter-
sucht es mit dem siebenten, noch besser mit dem achten
Hartnack'schen System.
(Fortsetiviig folgt.)
Erklärung der Abbildungen.
Fig. 1. Waehenmg des Limitans interna.
Fig. 2. Ein Aoiwnohs auf der Limitans interna.
Fig. 8. Ein wanenilmlieher Auswuchs der Limit, int
Fig. 4. Die Wucherung der radifiren Fasern in den
Glaskörper hinein.
YergrSsse-
mng bei dem
7. System ¥011
Hartnack.
Fig. 5. Die ZeUen des Glaskörpers. ~ 8. System Ton Hartnack.
Zar Farbenempflndnng.
Von
Rudolf Schelske.
m. fiothblindheit in Folge pathologischen ProzesseB.
ßine der sinnreichsten Hypothesen, welche zur Verbin-
dung der Thatsacben erdacht worden, ist die von Thomas
Young aufgestellte, von Helmholtz durchgefQhrte
Theorie der Farbeuempfindung.
Die besondere Stütze ihrer objectiven Wahrheit findet
dieselbe in den Erscheinungen bei den von Geburt an
Rothblinden, wie sie von Maxwell und Helmholtz*)
erforscht ist und in meinen**) Untersuchungen über die
Rothblindheit der peripherischen Netzhauttheile des nor-
malen Auges. Ich bin in der Lage, einen ferneren Be*
weis für die thatsächlichen Verhältnisse zu Gunsten die-
ser Hypothese beibringen zu können. Es besteht der-
selbe in dem Nachweise, dass deutliche Rothblindheit im
Auge des Menschen, der für Farben früher normal em-
•) Helmholti, ph^s. Optik. 8. 295.
*•) R. Schelske, Archiv ffir Ophthalm. Bd. DL Abth. IH. S. 39.
172
pfindlich war, durch pathologische Prozesse hervorgebracht
werden könne«
Die Kunde von pathologischen Modificationen der
Farbenempfindung ist nicht neu and jüngst hat Herr
Benedict von Wien Nachricht davon gegeben; sieliess
jedoch, da keine genaue üntersuchungsmethode angewandt
wurde, immerhin den Zweifel offen, einmal, ob die Far-
benblindheit nicht nur scheinbar in der allgemeinen
Herabdrückung der Lichtempfindung und leichteren Er-
müdbarkeit der empfindenden Elemente ihren Grund
habe und dann, ob die veränderte Farbenempfindung im
Sinne der Young' sehen Hypothese zu deuten sei. Die
Sache verhält sich nun wirklich so. Es fällt in der That
die Empfindung eines Farbentones, welcher in die 6e-
sammtempfindung der Farben des normalen Auges ein-
geht, vollständig aus, und dieselbe wird dadurch in der
entsprechenden Weise modificirt.
Es resultirt nämlich nach der Young 'sehen Hypo-
these jede Farbenempfindung unseres Auges aus der Zu-
sammensetzung der Empfindung dreier Elementarfarben.
Da das, was wir subjectiv Farbe nennen, objectiv
Lichtäther- Schwingungen verschiedener Wellenlänge sind,
so heisst das, unser Auge ist empfindlich für Aether-
wellen dreier verschiedener Längen.
Oder, um es fasslicher auszudrücken, in der Nerven-
substanz der Netzhaut finden sich drei von einander
vollständig unabhängige Vorgänge oder, wenn man lieber
will, dreierlei Arten Nei-venfasern, von denen die einen
durch Aetherschwingungen grossester Wellenlänge (sub-
jectiv rothes Licht), die zweiten durch solches mittlerer
(subjectiv grün) und die dritten durch solche kleinster
Wellenlänge (subjectiv violett) am meisten erregt werden,
ohne dass die eine Art (Vorgänge oder Nervenfasern)
für die Schwingungen, welche der Hauptreiz der anderen
sind, ganz unempfänglich wäre.
173
Es wird also die eine Gattung durch rotfaes Licht
sehr stark, durch grttnes und violettes äusserst schwach
erregt; daraus resultirt die Empfindung roth. Diejenige,
die von grünem sehr stark afficirt wird, wird es schwach
von rothem und violettem und die, fOr welche letzteres
ein starker 'Reiz ist, stehen in entgegengesetzter Bezie-
hung zu rothem und grünem Lichte. Empfindungen von
ZwischenÜEU^ben werden durch Modificationen dieser quan-
titativen Erregbarkeits-Yerhältnisse zu Stande gebracht,
wahrend weiss entsteht, wenn alle Erregungen gleich
stark, schwarz, wenn gar nicht vorhanden sind.
Es geht hieraus hervor, dass wenn eine Farbenem-
pfindung erloschen ist, diese Qualität des lachts gar
nicht, die anderen aber anders wahrgenommen werden
müssen. Finden wir also Augen, deren Farbenwahmeh-
mung sich aus nur zwei elementaren Empfindungen zu-
zammensetzen lässt und ist die dritte fehlende die, welche
nicht wahrgenommen wird und durch ihren Mangel die
Modification der nunmehrigen Farbenwahrnehmung er-
klärt: so liegt darin ein Beweis für die Richtigkeit der
angenommenen £!lementarempfindungen.
Dieser Beweis ist, wie gesagt, erbracht für die Netz-
häute der sogenannten Rothblinden und die peripheri-
schen Theile der normalen Retinen. Hier ist ein ferne-
rer: Rothblindheit in Folge pathologischer Prozesse.
Was die Untersuchung der modificirten Farbenem-
pfindung betrifft, so sind gerade bei den letzten, oben
erwähnten Mittheilungen, welche die hier besprochenen
Erscheinungen behandeln, ungenaue Methoden angewandt,
die unsichere Resultate geben, während es genaue giebt,
die an der Sicherheit ihrer Aussagen keinen Zweifel ge-
statten.
Bei der Untersuchung ist die erste Forderung, dass
der Beobachter sich unabhängig mache von dem System
der Farbennamen, weldies nach den Empfindungen des
174
normalen Auges entworfen, jetzt von Farbenblinden für
sich zurecht gemacht ist Der Anerythrop, wie Goethe
diese Leute genannt wissen will, ist sich der Abweichun-
gen seiner Empfindungen oft nicht bewusst und gelangt
ganz naiv dazu, auf dieselben das hergebrachte, auf ihn
nicht passende System der Namengabe anzuwenden.
Er darf daher, soll er anders seine Angaben machen,
nur über das Gleich und ungleich der Farbe zu ent-
scheiden haben, nicht aber über den Ton derselben, weil
ihm der Name dafür eine ganz andere Wahrnehmung
bedeutet, als dem normalen Auge.
Es ist daher die einzig zureichende Methode die des
Maxweirschen Earbenkreisels; sie gestattet, Angaben
von grosser Genauigkeit zu erhalten, welche nur durch-
aus eindeutige Erklärungen zulassen, weil jene durch
nichts als den Farbenton, und nicht, wie bei den andern
Methoden, auch noch durch die Sättigung und die Hel-
ligkeit beherrscht werden.
Darin eben liegt auch der Mangel der von Seebeck
benutzten Methode. Derselbe legte den Farbenblinden
eine Auswahl gefärbter Papiere oder Proben von Stick-
wolle vor, mit der Aufforderung, sie nach der Aehnlich-
keit zusammen zu ordnen. Handelt es sich aber blos um
diese, so wird, was dem Farbenton, was dagegen der
Helligkeit und der Sättigung bei diesem Urtheil ange-
hört, nicht zu erkennen sein.
Um all dem zu entgehen, lässt man auf einem Far-
benkreisel zwei Scheiben schnell rotiren, auf denen ein
radiärer Schlitz angebracht ist. Dieselben können dann
so übereinander geschoben werden, dass beliebig grosse
Sectoren, die sich stets zu 360*^ ergänzen, zu Tage tre-
ten. Rotirt der Kreisel hinlänglich rasch, so setzen sich
die beiden Einzeleindrücke der Scheiben zu einer Misch-
farbe zusammen.
Benutzt man zwei Paar derartige Scheiben, von denen
175
das eine kleinere die Mitte des anderen grosseren deckt,
so kann man durch Veränderung der Sectoren nach
GrSsse und Farbe die Misch&rbe der grosseren Doppel-
scheibe (des Randes der rotirenden Fläche) der kleineren
(der Mitte derselben) gleich machen.
So gelingt es, Farbengleichungen zwichen Rand und
Mitte f&r gleichaussehende Misch&rben herzustellen,
worin die Quanta der componirenden Fat*ben durch
WinkelgrOssen ausgedrückt sind, und man erhält so ein
sicheres ürtheil über die Empfindungen eines Auges,
wobei sich der Untersuchte nur über das Gleich und
Ungleich zu entscheiden hat*)
Um nun die fehlende Farbenempfindung eines fturben-
blinden Auges herauszufinden, genügt es, die zwei Farben
zu suchen, welche diesem Auge mit einem Grau, das aus
schwarz und weiss zusammengesetzt ist, gleich erscheint.
Eine davon, die dem alterirten Auge dann gewöhnlich
dunklejr erscheint, ist die fehlende Grundfarbe.
Der hier in Frage kommende Kranke litt aus nicht
näher bestimmbaren cerebralen Ursachen an Atrophie
der Sehnerven, dabei waren, wie dies gewöhnlich der
Fall, die Gefitsse ausserordentlich schmal. Gesichtsfeld-
defecte zeigten sich in Folge von Unempfindlichkeit der
RetinatheUe an der Nasenseite beider Augen in bedeu-
tendem Maasse, fisist bis zur Mittellinie. Dabei war die
Empfindlichkeit für Licht im directen Sehen auf ein
Achtel des normalen Auges herabgesetzt.
Es möge gestattet sein, hier auf die praktische Ver-
werthung einer Methode zur Bestimmung dieser Function
aufinerksam zu machen, welche die Photometrie Mas-
son**) verdankt.
*) Eine andere brauchbare Methode giebt Ed. Rose in Yirchow's
ArehiT, Bd. 28, S. 85 an.
**) Helmholtz, phys. Opt. 8. 814.
176
Zieht man auf einer weissen Scheibe von Papier
längs eines Radius mit schwarzer Farbe einen unter-
brochenen Strich, dessen Theile alle von gleicher und
bestimmter Dicke sind, so geben diese bei schneller
Drehung der Scheibe, zarte, graue Kreise, deren Hellig-
keit der Dicke des Strichs proportional ist und umge-
kehrt proportional der Grösse des Kreises, über den sich
jener vertheilt. Setzen wir die Helligkeit der weissen
Scheibe = 1, 'die Dicke des Striches in irgend einem
Längenmaasse = d und die Entfernung des grauen Krei-
ses, welcher noch wahrgenommen wird, vom Mittelpunkte
der Scheibe = r, so ist die Helligkeit des betrefifenden
grauen Kreises
h = 1 - d
2 rn
Es ist dabei nicht zu vermeiden, dass die Genauig-
keit des Erkennens jener zarten Schatten von der objec-
tiven Helligkeit der Beleuchtung abhängt
Man wird aber für den Gebrauch dadurch frei da-
von, dass man neben der Untersuchung des Patienten am
eignen Auge eine Bestimmung macht, wodurch das Yer-
hältniss der Lichtempfindlichkeit des erkrankten zu der
des beobachtenden festgestellt wird. Dies genügt na-
türlich, um Aenderungen im Zustande des Patienten
der Zeit nach wahrzunehmen; freilich unter der Voraus-
setzung gleichbleibender Lichtempfindlichkeit des Beob-
achters.
Für praktische Zwecke empfiehlt sich's, die Scheibe
schwarz, weiss dagegen die Striche zu nehmen; man
kann dann die Empfindlichkeit, wenn wir die Helligkeit
der Scheibe = o setzen, direct durch das Maas der Hel-
ligkeit des vom Centrum fernsten, noch gesehenen grauen
Kreises ausdrücken durch . mit Zugrundelegung
obiger Definitionen.
177
So sah Patient den dritten grauen I[rei8, welcher
durch Rotation eines 2 Mm. dicken, weissen Strichs auf
schwarzer Scheibe hervorgebracht war, während das nor-
male Auge des Untersuchers nur V4 Mm. Dicke des
Striches erforderte, um den dritten Kreis wahrzunehmen.
£s war also die Lichtempfindlichkeit des Ersteren, ein
Achtel von der des Letzteren.
Es musste von äusserster Wichtigkeit sein, über
die Farbenempfindungen des Patienten vor der Erkran-
kung Auskunft zu erhalten. Da derselbe ein kaufmänni-
sches Geschäft mit fisu-bigen Stoffen betreibt und zuerst
dadurch auf sein Leiden aufmerksam gemacht wurde,
dass er die Farben derselben nicht mehr von einander
zu unterscheiden vermochte, so geht daraus mit höchster
Wahrscheinlichkeit hervor, dass dieselben vorher normale
gewesen waren. Es hätte ihm sonst der Fehler unmög-
lich verborgen bleiben können.
Bei der jetzigen Untersuchung stellte sich sehr deut-
lich heraus, dass der Kranke eine Mischung von viel
Roth und wenig Blau, welches im Farbenton dem ausser-
sten Roth des Spectrums glich, mit Grau identisch sab,
ebenso ein gewisses Blaugrün, das dem spectralen Grün
der Linie E im Tone glich, nicht von Grau zu unter-
scheiden im Stande war.
Man konnte femer seinem Auge die Rand- und
Mittelfläche der rotirenden Scheibe gleich erscheinen
machen, wenn man folgende Farbengleichungen auf der-
selben herstellte:
33" Gelb -h 327* Schwarz = Roth
150** Blau -h 210" Gelb = Hellgrün
ICO" Gelb + 200^ Blau = Grau,
Es lassen sich nun für das normale Auge alle un-
terscheidbaren Farbentöne aus Roth, _Grün, Gelb und
Blau mischen. Da nun Roth und Grün fQr das farben-
blinde aus Gelb und Blau zusammengesetzt werden kön-
Archly fftr Ophthalmologie XI. 1. 12
178
nen, so folgt daraus, dass für dasselbe alle Farben, die
es überhaupt wahrnimmt, sich aus Blau und Gelb mischen
lassen.
Damit ist die Forderung erfQlIt, welche die Theorie
als Beweis für sich beansprucht, dass sich alle Farben-
empfindungen des modificirten Auges aus zwei Grund-
farben herstellen lassen und die dritte fehlende es ist,
welche aus der Gesammtempfindung herausüftUen muss,
um diese Modification zu erklären.
Erregt Licht grosser Wellenlänge die rothempfin-
denden Fasern nicht mehr, setzen sich die Wahrnehmun-
gen nur aus den verschieden starken Erregungszuständen
den grOn- und violettempfindenden zusammen, so kommen
den Patienten nur verschiedene Helligkeiten der grünlich-
gelben der blauen und der violetten Töoe zum Bewusst-
sein, über deren Bezeichnung sie auf directes Befragen
schwankende Antworten ertheilen.
Daraus geht also hervor, dass dieses hier besproche-
nen Mannes Augen rücksichts der Farbenempfindung
durch Krankheit in den analogen Zustand gerathen sind,
wie die des Bothblinden und die peripherischen Theile der
normalen Netzhaut es von Natur sind. Und alle drei
Thatsachen legen far die objective Existenz der durch
die Hypothese geforderten drei von einander gesonderten
Vorgänge in der Sehsinnsubstanz Zeugniss ab.
Berlin, im Februar 1865.
üeber die feinsten Elemoite des Bindegewebes in
der Faaenchicht und der Zwiscfaenköznerschicht
des Menschen.
Von
Dr. C. Ritter in Oberndorf.
Uarch die Güte des Herrn Professor Scfawartz in Göt-
tingen bin ich in den Besitz mehrerer, gut conservirter
Angen von neugeborenen Kindern gekommen und habe
an diesen meine Untersuchungen über das Bindegewebe
der Netzhaut soweit vervollständigt, dass ich das Netz
desselben auch in der menschlichen Netzhaut verfolgt
habe. Eine der in ^er Untersuchung noch vorhandenen
Lücken hoffe ich durch den vorliegenden Aufsatz auszu-
füllen. Nachdem von M. Schnitze und H. Müller
darauf hingewiesen war, dass ein Theil der Radial-
lasem ein Bindegewebsgerüst innerhalb der Retina bil-
det und M. Schnitze besonders dieses Gerüst beim
Frosche vollständig nachgewiesen zu haben glaubte, habe
ich das Bindegewebssystem in der Retina des Walfisches
genau verfolgt und in seinen Beziehungen zu seinen ein-
zelnen Theilen und zu den nervösen Gebilden dargestellt.
12*
180
Die neue Idee hatte die Gemüther der Forscher in so
hohem Grade eingenommen, dass plötzlich alle Radial-
fiisem zum Bindegewebe gehören sollten. In jener Mo-
nographie ist es mein Streben gewesen, dieses lieber-
maass in seine richtigen Schranken zurückzuführen und
nachzuweisen, dass die ursprüngliche Beschreibung der
Radialfasem nur auf die nervösen Gebilde passt, aber
neben diesen ein System von Bindegeweben besteht,
dessen Elemente an einzelnen Stellen der Retina dem
äusseren Ansehen der Radialfasern einigermaassen nahe
kommt Dadurch wurde ich gezwungen, den Namen „Ra-
dialfasem" vöUig schwinden zu lassen und habe die ner-
vösen Radialfasem mit dem Namen „Müller' sehe Fasern''
bezeichnet Femer konnte ich den Namen „granulöse
Schicht" nicht beibehalten, da diese Schicht nur aus Fa-
sem des Bindegewebes und den äusseren Aesten der
Nervenzellen besteht, und wählte dafür den Namen „Fa-
serschicht^' Da die feinsten Elemente des Bindegewebes
in der Walfischretina verhältnissmässig ziemlich grob
sind, so wurde mir die Untersuchung sehr erleichtert;
wegen Mangels an passendem Material musste ich die
Yergleichung der feinsten Bindegewebselemente in der
menschlichen Retina damals völlig unterlassen. Um so
mehr war aber eine Nachuntersuchung nöthig, als die
Zwischenkömerschicht beim Walfisch fehlt, beim Men-
schen, den meisten Säugethieren und den Vögeln oft
eine beträchtliche Breite erreicht und in ihrem Gefüge
der Faserschicht auf den oberflächlichen Blick sehr
nahe steht Diese Nachuntersuchung habe ich nun an-
gestellt und lege die Resultate derselben an dieser
Stelle vor.
Leider muss ich an die Spitze der Untersuchung die
Erklämng setzen, dass ich die Erkenntniss der feinsten
Bindegewebselemente der Faserschicht und Zwischenkör-
nerschicht für eine der schwierigsten mikroskopischen
181
Aufgaben ansehe. Es bedarf zur Untersuchung einer
guten, 500£Eichen Vergrösserung, doch habe ich sie auch
ohne Beihülfe noch stärkerer Vergrösserungen Tollenden
können. Die Verfertigung der Präparate bereitet die
grüsste Schwierigkeit, kaum unter tausend Präparaten ge-
Imgt es, ein gutes zu erhalten, die menschliche Geduld
reicht nicht so weit, das gesteckte Ziel durch ununter-
brochene Ausdauer zu erreichen. Durch jahrelange Be-
mühungen habe ich wenige gute Präparate gemacht und
auch diese waren nur an den Rändern und einzelnen
fehlen Stellen gut Es ist daher far den vorsichtigen
Untersucher geboten, mit dem Urtheil möglichst zurück-
haltend zu sein, falls er aber das so lange erstrebte, so
oft mit Zweifel betrachtete Ziel erreicht hat, auch den
entgegenstehenden Ansichten gegenüber seine Sicherheit
mit Festigkeit zu behaupten.
Von der Membrana limitans ab verbreitet das Sy-
stem der Bindegewebsfetsem sich nach aussen durch die
übrigen Schichten der Retina. In der Nervenfaserschicht
und der Ganglienzellenschicht erscheinen sie in der Form
der sogenannten Limitansfasem, welche zum Theil ein-
fache Fasern sind, zum Theil als Complexe von einfachen
Fasern angesehen werden müssen. Diese Fasern sind
scharf contourirt und gehen untereinander keine Ver-
bindungen ein ausser in den Gegenden der Retina, wo
die Ganglienzellen und die Nervenfasern fehlen, also in
der Nähe der Ora serrata und der peripherischen Endi-
gung der Retina. Die Limitansfasem verschwinden bei
ihrem Eintritt in die Faserschicht und nun begegnet
man dem gleichmässigen, feingranulirten Aussehen der
Faserschicht, welches diese auch in sehr feinen Durch-
schnitten bei starken Vergrösserungen bewahrt.
Am leichtesten sind in der Faserschicht die nervö-
sen Gebilde derselben, die äusseren Fortsätze der Gang-
lienzellen, zu erkennen. Sie theilen sich von ziemlich
182
erheblicher Breite in immer feinere Aeste und durch-
setzen die Schicht in sehr verschiedenen Winkeln von
innen nach aussen, unter sich oder mit dem Bindege-
webe gehen sie niemals Verbindungen ein. Eine Ent-
fernung dieser Ganglienzellenäste, durch welche die Form
des Bindegewebes am leichtesten herzustellen wäre, ist
bis jetzt nicht möglich gewesen und wird es vermuthlich
auch immer bleiben. Weil aber die feinsten Aeste der
Ganglienzellen nur wenig breiter sind, als die feinsten
Elemente des Bindegewebes, und beide in allen mög-
lichen Richtungen sich durchsetzen, ist die Lösung dieser
histologischen Frage so schwierig; man muss sich be-
gnügen, wenn man durch Zufall an kleinen Theilen der
besten Präparate bei gespannter Aufmerksamkeit das
möglichst isolirte Netz der Bindesubstanz erkennt.
An solchen Stellen bemerkt man ein höchst feines
Netz der feinsten Fasern. Die Breite der Fasern lässt
sich nur ungefähr bestimmen auf 0,001 --0,002 Mm.;
sie differiren übrigens in Beziehung auf die Breite nur
äusserst wenig, vielleicht gar nicht. Die einzelne Faser
ist so schmal, dass man nicht an allen Stellen eine
doppelte Contour zu unterscheiden vermag (Fig. 1, 2, 3).
Glanz bemerkt man an den Fasern nicht Sie zeigen
nirgends Erweiterungen oder Verschmälerungen und ver-
binden sich untereinander zu einem engmaschigen, un-
regelmässigen, kubischen Netze. Auch an den Verbin-
dungsstellen verändert sich das Ansehen der Fasern nicht
im Geringsten. Eine Faser geht in die andere über,
zwei Fasern vereinigen sich zu einer, ohne dass die ge-
ringste Abweichung der Form, der Breite, des Aus-
sehens daraus resultirt. Wenn man eine flächenhafte
Isolation des Netzwerkes vor sich hat (Fig. 2), so zeigen
sich die Maschen desselben bedeutend grösser, als die
Breite der Fasern, sie bilden in der Regel ein spitzes
Oblongum, dessen Spitzen nach aussen und nach innen
183
gerichtet sind. In Wirklichkeit werden diese Lücken
durch das Ineinandergreifen des Netzes bedeutend ver-
kleinert Es sind nur flächenhafte Präparate, welche man
entziffern kann, das Fasemetz ist in Wirklichkeit ku-
bisch, seine Lücken werden 'daher von allen Seiten in
gleicher Weise eingeengt. Uebrigens finden sich auch
grössere Lücken neben den regelmässigen kleineren, doch
liegen sie nur in der Nähe der Ganglienzellen, wo grös-
sere Aeste von diesen abgehen.
Dass aus der innigen Mischung dieses Bindegewebs-
netzes und der äusseren Fortsätze der Ganglienzellen,
welche die Maschen des Netzes vollständig erfüllen, jenes
granulirte Ansehen der Faserschicht nothwendig hervor-
gehen muss, ist leicht erklärlich. Da jeder Balken des
Bindegewebsgerüstes und jeder Zellenfortsatz nach kurzem
Verlaufe in seiner Richtung zur Schichtanordnung ab-
weicht, so kann man in den senkrechten Durchschnitten von
beiden Gliedern der Schicht nur einen punktförmigen
Verlauf beobachten, daraus muss das fein punktirte Aus-
sehen hervorgehen. Die Balken des Netzes und seine
Lücken sind feiner, als die Geschicklichkeit des Unter-
suchers und als seine Instrumente. Es ist nicht mög-
lich, einen senkrechten Durchschnitt von solcher Feinheit
zu machen, dass das Netz nur flächenhaft erscheint; nur
durch Zufall erreicht man dies an kleinen Theilen der
besten Präparate, und auch hier wird es übersehen, wenn
man nicht mit frischer, unermüdeter Aufmerksamkeit
beobachtet. Natürlich können stärkere Vergrösserungen
ebenfalls in diesen Verhältnissen keine Erleichterung ge-
währen, im Gegentheil ist immer die schwächste Ver-
grösserung, welche die Erkenntniss erlaubt, vorzuziehen.
Dass übrigens nur in dieser Weise das granulirte Aus-
sehen der Faserschicht erklärt werden kann, demonstrirt
sich am leichtesten durch die Untersuchung der peri-
pherischen Netzhautregionen, welche ich später noch be-
184
sonders besprechen muss. Hier hört das punktirte An-
sehen der Schicht allmälig ganz auf, weil andere Ele-
mente in der Schicht auftreten und nach und nach jene
charakteristischen Bestandtheile verdrängen.
Die feinen Fasern der Faserschicht schalten sich in
folgender Weise in das System der Bindesubstanz ein.
Sowie die Limitansfasern das äussere Ende der Gang-
lienzellenschicht erreicht haben, verlieren sie plötzlich
ihre grobe Contour und theilen sich je nach ihrer Breite
in wenige oder eine grössere Zahl der beschriebenen
feinen Fasern. Mit Sicherheit habe ich sieben solcher
Fasern aus dem äusseren Ende einer Limitausfaser her-
vorgehen sehen, und aus der Feinheit der ersteren und
der häufigen Grösse der Limitansfasern ist mit vollem
Hechte zu schliessen, dass diese Zahl noch häufig über-
schritten wird. Die Breite der Limitansfasem wechselt
aber innerhalb sehr verschiedener Grenzen und so wird
die Zahl der zu eiiier Limitansfaser gehörenden freien
Fasern ebenfalls als eine sehr schwankende zu bezeich-
nen sein. Aus den Limitansfasern im Centrum der Re-
tina geht natürlich eine geringe Zahl feiner Fasern, aus
den Limitansfasern der peripherischen Gegenden eine
grössere Zahl hervor. Genau in der nämlichen Weise
geschieht an der äusseren Grenze der Faserschicht der
Uebergang der feinen Fasern in die Bindegewebselemente
der Kömerzellenschicht Doch beobachtet man an dieser
Stelle weit seltener das büschelweise Zusammentreten
der feinsten Fasern in die dunkelcontourirten kernhalti-
gen Fasern, da diese in der Kömerzellenschicht einmal
in grösserer Anzahl vorhanden sind und zweitens die
Aeste derselben vielfach die von mir beschriebene glasige
Metamorphose eingehen und daher die feinsten Fasern
sich in einem weit ausgedehnten Räume inseriren. Nach
dieser Demonstration der feinsten Bindegewebselemente
innerhalb der Faserschicht bedarf es wohl keiner weiteren
185
Begrflndiuig, weshalb ich den Namen ,,granalö8e Schicht^^
f&r nicht mehr zutreffend erkl&rt habe.
Bei genauer Verfolgung der Faserschicht bis zur
Ora serrata hin giebt sich dieselbe als Stamm der Binde-
sabstanz zu erkennen. Die Faserschicht behält bis we-
nige Millimeter von der peripherischen Endigung der
Netzhaut ihre vSlIige Breite, während alle abrigen Schich-
ten der Retina .schon bedeutend zusammengeschrumpft
sind Dagegen ändert sich die Zusammensetzung der
Bindesubstanz in der Faserschicht sehr bedeutend. Es
treten nämlich von beiden Seiten her, besonders aber von
der Limitans und dem dichten Fasemetze, welches nach
dem fikst gänzlichen Aufhören der Nervenfasern und der
Ganglienzellen die Limitans mit der Faserschicht verbin-
det, die groben Elemente des Bindegewebes in die
Faserschicht hinein; erst einzeln und nur für kurze
Strecken, dann häufiger und auf grössere Distanzen.
Als Ende dieser Veränderungen verwandelt sich die Fa-
serschicht in ein grobes Fasemetz, welches genau in
Form der einzelnen Elemente und des ganzen Gef&ges
mit dem Netz der Limitans&sem übereinstimmt und mit
ihm zu einem untrennbaren Ganzen verschmilzt. In län-
geren Querschnitten, welche den Meridianen folgen, kann
man es genau verfolgen, dass sich die Limitansfasem
und der von ihrem Netze erf&llte Raum an die Faser-
schicht anschliesst, und nicht umgekehrt, diese an
jenen.
Diese Umwandlung der Faserschicht vollzieht sich
von deijenigen Gegend der Retina, wo die Ganglienzellen
aufhören, eine zusammenhängende Schicht zu bilden, bis
zu der Gegend, wo die letzten Nervenzellen und mit
ihnen die letzten Nervenfasern verschwunden sind. Noth-
wendig werden dem entsprechend auch die äusseren
Fortsätze der Ganglienzellen sich allmälig an Zahl sehr
vermindern, doch verschwinden sie nicht völlig, sind so-
186
gar hier leichter in dem Bindegewebsnetze aaüzufinden.
Denn die ersten Zellenäste sind in den peripherischen
Regionen von bedeutendem Um&nge und müssen sich
häufig theilen, ehe ihre Endäste die constante Breite er-
halten. Dann aber er&hren die Fortsätze einer Zelle
hine weit grössere Disposition, ehe sie in die Körner-
Zellenschicht eintreten. Es lässt sich mit Recht vermu-
then, dass die Fortsätze der äussersten Ganglienzellen
eine Dispersion von einem Millimeter und darüber er*
fahren. Die Fortsätze sind noch so weit in der Retina
au&ufinden, als es Stäbchen, Kömerfaden und Eömer-
zellen in derselben giebt; sie verschwinden also erst,
wo der Rest der Retina aus einem rasch sich zuschär-
fenden und verschmelzenden Bindegewebsgerüste be-
steht.
Im Wesentlichen folgt das Bindegewebe der Zwischen-
körnerschicht demselben Typus, welchem wir eben in der
Faserschicht begegnet sind, nur in unwichtigeren Ein-
zelheiten finden sich Unterschiede. Die Zwischenköner-
schicht hat in Querschnitten genau das granulirte An-
sehen der Faserschicht; sie zeichnet sich aber durch eine
deutliche radiäre Streifung aus, welche durch die durch-
tretenden Müller 'sehen Fasern hervorgerufen wird.
Diese radiäre Streifung findet sich in der Faserschicht
nur in einem kleinen Abschnitte des Retinacentrums und
ist auch hier nicht so deutlich, wie in der Zwischen-
körnerschicht. Der Grund dieser Streifiing der Faser-
schicht ruht ebenfalls in den nervösen Elementen und
zwar darin, dass die äusseren Fortsätze der Ganglien-
zellen im Gentrum der Retina die geringste Dispersion
haben und in der kleinsten Zahl von je einer Zelle ent-
springen. Sie müssen daher die Faserschicht genau ra-
diär durchsetzen; doch ist die Streifiing der Schicht
187
nicht so deutlich, weil die Fortsätze der Zellen einen
feineren Durchmesser haben, als die Müller^schen Fa-
sern. Ebenso findet sich die von Bergmann entdeckte
Schiefstellung der MO II er' sehen Fasern innerhalb des
gelben Fleckes in gleicher Weise auch in der Faser-
schicht angedeutet Der schiefe Verlauf der Müller'-
sehen Fasern und der die Ganglienzellen und ESmer-
Zellen verbindenden Aeste beruht ein&ch darauf, dass
der gelbe Fleck und besonders die fovea centralis nicht
genug radiäre Elemente besitzt, als zu der enormen An-
häufung von Ganglienzellen nothwendig ist Die radiären
Fasern müssen also aus der Umgegend zur Ergänzung
genommen werden und nothwendig schräger laufen, um
die Müll er' sehen Fasern zu ihren Kömerzellen, die Yer-
bindungsäste zu ihren Ganglienzellen gelangen zu lassen.
Die Bindesubstanz der Zwischenkömerschicht stimmt
also im Ganzen mit der Faserschicht überein ; die Diffe-
renzen beider beruhen allein in der Richtung und der
Grösse der in der Bindesubstanz verlaufenden nervösen
Elemente. Innerhalb der Zwischenkömerschicht verlaufen
die Müll er 'sehen Fasern in einer radiären oder dieser
doch nahe kommenden Richtung. Die Fasern des Binde-
gewebes kommen denen in der Faserschicht an Feinheit
wenigstens gleich, sie sind vielleicht noch feiner. Sie
bilden ein engmaschiges Netzwerk, welches eben im Ge-
gensatz zur Faserschicht eine sehr bestimmte Anordnung
zeigt. Eine doppelte Contour der Fasern lässt sich nicht
zeichnen (Fig. 4 u. 5); aber an den Stellen, wo zwei
Fasern sich vereinigen oder eine Faser sich in zwei
theilt (diese beiden Möglichkeiten kommen in diesem
Gewebe auf eins heraus), muss die Contour dunkler ge-
zeichnet werden und die Faser verdickt sich zu einem
kleinen knopfartigen Gebilde (Fig. 4). Das Netz der
feinen Fasem stellt eine zarte Umfassung um die Mül-
ler* sehen Fasern dar, indem sie um diese sich in sich
188
selbst zurflckbiegen. Gewöhnlich sind es vier, fbnf oder
sechs Biegungen, durch welche die Faser der Binde-
substanz an ihren Ausgangspunkt zurflckkehrt Es bleibt
sich dabei natOrlich ganz gleich, ob man diese Rttckkehr
durch ein und dieselbe Faser oder durch die Verbindung
mehrerer vermittelt denkt Dadurch entstehen sehr re-
gelmässige Formen von Fünfecken und Sechsecken, denen
man in den günstigen Präparaten überall begegnet An
den Winkeln dieser regelmässigen Figuren theilen sich
die Fasern oder verbinden sich mit den benachbarten,
ohne dass eine Verdickung oder Verdünnung der Fasern
dadurch zu Stande käme. Nur ist jene knopfartige Ver-
dickung der Faser an den Theilungsstellen zu bemerken.
Jene regelmässigen Figuren sind dazu bestimmt, je eine
Müll er 'sehe Faser aufzunehmen, jede Bindegewebsfaser
betheiligt sich an mehreren Figuren und deshalb auch
an der Begrenzung und Umfassung mehrerer Müller'-
schen Fasern. Doch ist das Bindegewebsnetz so gleich-
massig und so übereinstimmend geformt, dass der An-
fang und das Ende einer Faser niemals zu bestimmen
ist, eine jede nur als Theil des Ganzen erscheint und
von jeder nach allen Richtungen hin sich eine untheil-
bare Verbindung durch die. ganze Schicht herstellen lässt
Leicht lässt es sich erkennen, wie ein solches Binde-
gewebsnetz seinem Zwecke, den Raum zwischen den
Müller' sehen Fasern zu erfüllen, in vollkommener
Weise entspricht
Gegen die Eömerschicht und Körnerzellenschicht hin
gehen die feinen Fasern der Zwischenkörnerschicht in
die groben Bindegewebselemente dieser Schichten über.
Eine Vereinigung mehrerer feiner Fasern zu einer groben
Faser habe ich aber an beiden Punkten niemals bemerkt,
sondern immer geschah der Uebergang einer feinen Faser
in eine grobe ziemlich rasch durch Zunahme des Durch-
messers und schärferes Hervortreten der äusseren Con-
189
tooreD. Im Verh<Diss zur Faserschicht treten aber
Dach beiden Seiten hin nur wenige feine Fasern aus der
Zwischenkömerschicht heraus. Sowohl in der Körner-
Schicht, als auch in der KOmerzellenschicht verlaufen die
Bindegewebsfasern radiär zur Ebene der Retina, also in
derselben Richtung wie die Müller' sehen Fasern, sie
ent^ten Kerne. Die Unterscheidung beider Formen von
radiären Fasern ist innerhalb der Kömerzellenschicht
durch die glasartige Ausdehnung der Zellenmembi'anen
des Bindegewebes leicht, innerhalb der Kömerschicht ist
sie aber meist sehr schwierig, besonders an stark er-
härteten Präparaten.
Gegen die peripherische Endigung der Retina hin
verschwinden in der Zwischenkömerschicht die feineu
Fasern des Bindegewebes ; die Schicht nimmt an Breite
ab und von beiden Seiten treten die dunkelcontourirten,
breiten Fasern der beiden anliegenden Schichten in ihren
Raum ein. So bildet sich auch in den grösseren Schich-
ten der Retina ein Bindegewebsnetz, welches dem Netze
der Limitansfiasem fast völlig gleicht Endlich legt sich
die äussere Bindegewebsmasse ebenfalls an die Faser-
schicht an und verschmilzt mit ihr zu einem Ganzen.
Im Ganzen stimmen also die Bindegewebselemente
der Faserschicht und der Zwischenkömerschicht völlig
überein, die kleinen Differenzen finden ihre hinreichende
Begründung in der Breite und dem Verlauf der nervösen
Elemente, welche in beiden Schichten enthalten sind.
Die Regelmässigkeit der Zwischenkömerschicht beruht
auf dem regelmässigen Verlauf der Müller' sehen Fa-
sern, die Unregelmässigkeit der Faserschicht auf der un-
regelmässigen Breite und dem unregelmässigen Verlauf
der äusseren Fortsätze der Ganglienzellen.
Der Name „Zwischenkömerschicht" hat seinen Sinn
verloren, seit von Henle und mir die Verschiedenheit
der beiden Bestandtheile der Kömerscchicht nachgewiesen
190
ist Der Nachweis ist von uns beiden zu gleicher Zeit
geliefert, indem He nie*) die schöne Querstreifung der
äusseren Körner entdeckte und ich die Zellennatur der
inneren Kömer gegenüber den äusseren Kömern er-
wies**). Nach meiner jetzigen Darstellung passt kaum
ein anderer Name für die Zwischenkörnerschicht, als der-
jenige, welchen ihr He nie in einer neueren Arbeit '^)
beigelegt hat, nämlich „äussere Faserschicht'\ Doch ist
allerdings der Sinn, welcher dieser Bezeichnung unter-
zulegen ist, ganz und gar von dem verschieden, welchen
He nie damit verbindet.
ErUftnmg der Abbildungen.
Alle sind bei ÖOOfacher Yergrösterung geseiohnet.
Fig. 1 . Uebergang einer Limitanefaser in swei feine Fasern der Faier-
Schicht.
Fig. 2. Netz der Faserschioht, welches mit drei Limitansfaftem zu-
sammenhfingt.
Fig. 8. a) eine feine Faser der Faserschicht isolirt,
b) mehrere im Znsammenhange.
Fig. 4. Neta der aasseren Fasersohicht (ZwischenkSrnersehicht) mit
dazwischen yerlaufenden Müll er' sehen Fasern.
Fig. 5. a) u. b) IsoUrte Fasern der finsseren Fasetschicht.
*) Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften
und der 6. A. Universität zu Göttingen 1864. No. 7.
**) Die Stmctur der Retina etc. 1864.
***} Nachrichten von der E5nigL Gesellschaft der Wissenschaften
und der G. A. Universität zu Göttingen. 1864. No. 15.
Zur AblAmiig der Chorioidea.
Von
Dr. Iwanoff.
i/as sehr interessante Ange, dessen Sectionsbefnnd ich in
Folgendem mittheile, erhielt ich vom Herrn Hofrath
Pagenstecher, dem ich dafür meinen wärmsten Dank
ausspreche.
^fPatient, Arbeiter aas Luxemburg, wurde am
8. August in die Anstalt aufgenonmien, mit Erscheinun-
gen von Irido-Ghoroiditis chronica beiderseits Rechter
Bulbus schmerzhaft, besonders beim Druck. Beiderseits
häufige Exacerbationen. Krankheitserscheinungen des
linken Auges deutlich abhängig von denen des rechten.
Links zählt Patient Finger auf 1'; rechts seit zwei
Jahren keine quantitative Lichtempfindung mehr.
„Den 9. August. Iridectomie beiderseits, die fast
erfolglos bleibt
,J)en L September. Enucleatio bulbi dextri; Hei-
lang per primam. Hierauf hören die Exacerbationen
im linken Auge auf. Am 15. September wurde Patient,
Finger auf 4' zählend, entlassen.''
192
Das in der Müll er' sehen Flüssigkeit erliärtete
Auge wurde in der horizontalen Ebene in zwei H&Iften
getheilt Das Interessanteste, was auf den ersten Blick
bemerkt wird, ist eine Ablösung der Chorioidea von der
Sclera durch ein seröses (am erhärteten Auge durch ein
gallertiges) Exsudat. Die Chorioidea ist au die Sclera
nur in der Gegend des Eintritts des Sehnerven mittelst
der hier eindringenden hinteren kurzen Ciliararterien
in der Aequatorialgegend durch die aus ihr kommenden
Vasa Yorticosa und endlich an der Peripherie durch den
Ciliarmuskel, welcher ebenfalls zum grössten Theile ab-
gelöst ist und blos noch am Orte seines Ursprunges, in
der Nähe des Schlemm'schen Kanals, der Sclera auf-
sitzt, befestigt geblieben. Die Retina liegt der Cho-
rioidea fest an und folgt allen ihren Krümmungen. Eine
grosse Druckexcavation ist vorhanden. Der Glaskörper
nimmt den ganzen ihm noch übrigbleibenden Hohlraum
ein. Die bis auf 5 Mm. verdickte Linse erscheint nach
vom gedrängt Die Iris ist einerseits an mehreren
Stellen mit der Hornhaut verwachsen, andererseits ist
sie ununterbrochen mit der vorderen Linsenkapsel ver-
löthet Die Verwachsung mit der Cornea wird nicht
blos am Pupillarrande, sondern auch am peripherischen
Umfange der Iris beobachtet.
Das Exsudat selbst bietet alle die Eigenschaften
eines gewöhnlichen, zwischen der Chorioidea und der
Retina, bei Ablösung letzterer, beobachteten serösen
Exsudates. Der flüssige Theil ist während des Oeffnens
des Augapfels ausgeflossen. Die zurückgebliebene, gal-
lertartige graue Masse sass auf den stark gespannten,
schräg von der Sclera zur Chorioidea verlaufenden Ciliar-
nerven, und bedeckt überdies in Form einer dicken
Schicht die innere Oberfläche der Sclera, sowie auch
die äussere der Gef&sshaut. Unter dem Mikroskope er-
schien die gallertartige Masse entweder vollkommen
193
structurlos, oder es wurden in ihr Häufchen dicht dorch-
flochtener feiner Fasern geronnenen Fibrins, zwischen
welchen hier und da grosse mnde und spindelfiirmige Zel-
len lagern, beobachtet
Die Chorioidea erschien stark verdickt und ihr Epi-
thel bietet die mannigfachsten Veränderungen: bald findet
man ein Läppchen voUkommen gesunder Zellen, deren
äussere Contour, Kern und Pigmentmolekfile sich in nichts
von den normaleu unterscheiden; bald trifft man daneben
vollends entfilrbte Zellen mit zwei, sogar drei Kernen.
In solchen Zellen ist die, wenigstens so scheinende, voll-
kommene Eriialtung ihrer Membran besonders interes-
sant. Von den ersten bis zu den zweiten sieht man
hier alle Zwischenstufen der Entfärbung. Die Oefilsse
der Chorioidea biet^ keine wesentliche Veränderungen.
Im Stroma finden sich verschiedenerlei Zellen, bald sind
es runde, mit einem Bläschen versehene, welche vereinzelt
zwischen den sternförmigen Pigmentzellen und den ehisti-
schen Fasern liegen und ziemlich häufig vorkommen,
bald sind es wieder aus f&nf bis sechs ziemlich grossen
Zellen bestehende Häufchen, von denen in jeder zwei
oder drei Kerne enthalten sind; solche Häufchen sind
selten und hauptsächlich im peripherischen Abschnitte
der Chorioidea vorkommend. Die sternförmigen Pigment-
zellen bieten verschiedene Stadien der Entfärbung. Die
einen von ihnen, und zwar die Mehrzahl, sind gar nicht
verändert, wogegen in den anderen die Menge des Pig-
mentes wesentlich abgenommen hat. Das freie Pigment
hält sich hauptsächlich an den stark veränderten Nerven-
fasern. Diese Störungen in den Fasern der Giliarnerven
sind höchst wahrscheinlich einfache Folge des physika-
lischen Einflusses des Exsudats auf ihren Markstoff. Die
einen Fasern sind stark verdickt und erscheinen varricös,
an den anderen ist die Membran gerissen und das Mye-
lin ausgetreten, die zurückgebliebenen Fasern sind blass
ÄKblv fDr Ophthjdmologle. XL 1. 18
194
und abgeplattet Das nach aussen getretene Myelin bil-
det entweder kleine Tröpfchen von bekannter, eigenthüna-
licher Form, oder sammelt sich zu kleinen Massen, in
welche sich Pigmentmolekttle einlagern. Die auf der
Sclera zurückgebliebene und durch das Exsudat von der
Chorioidea abgeschiedene dünne Membran der Lamina-
fusca schliesst in sich, ausser den sternförmigen, wenig
veränderten Pigmentzellen und eines feinen Netzes elasti-
scher Fasern, welche eine ziemlich ansehnliche Quantität
flacher, blasser, äusserst undeutlich contourirter und offen-
bar proliferirter Zellen ein.
Der Ciliarmuskel ist durch das Exsudat von der
Sclera stark abgedrängt und bleibt mittelst seiner dün-
nen und stark gespannten Sehne mit ihr verbunden. In
Folge solcher Gewaltthätigkeit sind dessen feine Gefäss-
chen gerissen und es ist in seine Substanz eine Hä-
morrhagie entstanden. Die Muskelbündel erscheinen
durchaus unregelmässig angedeutet und sind von einan-
der bald durch Blutstörmchen, bald durch Exsudat, iso-
lirt. Die Mehrzahl der Muskelfasern ist in einer fettigen
Degeneration begriffen.
Zwischen den elastischen Fasern des Lig. pectinatum
findet sich eine grosse Anzahl freier Kerne und Binde-
gewebsfasern. Durch eben dieses Bindegewebe erscheint
ein starkes Viertheil der Iris, von dem Lig. pectinatum
an, mit der Hornhaut verwachsen. Am Pupiilarrande ist
die Iris gleichfalls mit der Cornea verwachsen, jedoch
nicht ununterbrochen, sondern stellenweise. Hier ent-
steht die Verwachsung durch Vermittelung derBindege-
webszüge, unter denen auch hier und da Pigmentzellen
vorkommen, und in einem dieser Bündel sah man ein
feines Gefäss zur Descemet'schen Membran verlaufen.
Die hintere Fläche der Iris ist von einer feinen, halb-
durchsichtigen, faserigen Membran bekleidet, durch welche
195
6ie sehr fest mit der vorderen Oberfläche der Linsen-
kapsel verflochten ist
Die Linsenfasem sind stark verdickt und mit einer
feingekömten Masse ausgefällt; unter ihnen, vornehmlich
in der Corticalschicht, liegen in grosser Anzahl freie
Tropfchen Myelins. Zwischen den Linsenfasem und der
hinteren Kapsel befindet sich eine dicke Schicht einer
amorphen Masse. Das Epithel ist normal. Die hintere
Kapsel ist voUkonmien durchsichtig; auf der Yorderfläche
der vorderen Kapsel, unter der obenerwähnten neuge-
bildeten Membran, sind in ziemlich grosser Anzahl flache,
verschieden geformte kleine Zellen zu bemerken.
Die interessanteste Veränderung dieses Auges bietet
der Glaskörper. Die oberflächlichste, der Hyaloidea an-
grenzende Schicht ist von spindel- und sternförmigen
Zellen an den Ausläufern, welch letzterer hier und dort
Bläschen aufsitzen, eingenommen. Jedoch weiter nach
innen, bis zur Mitte des Glaskörpers selbst, ist seine
ganze Masse mit grossen runden, mit Bläschen versehe-
nen Zellen überfüllt. Genannte Zellen sind der Form,
der Grösse und dem Verhalten der Blasen zu ihnen nach
äusserst mannig<ig. — Grösstentheils sind sie rund
und die Blase nimmt ihren ganzen Raum ein, wobei der
atrophische Kern an den äussersten Rand verdrängt ist
In anderen, gleichfalls runden Zellen nimmt die Blase
blos V4 des Raumes ein. Der freibleibende Theil ist von
einer feinkörnigen, mit gröberen Körnchen durchmischten
und stark lichtbrechenden Masse eingenonmien.
Weiter kommen noch Zellen der unregelmässigsten
Form vor, bald sind es Zellen, welche einigermaassen
dreieckigen Figuren gleichen, bald sternförmige, mit kur-
zen und dicken Ausläufern etc. Jede von ihnen birgt
eine Blase, welche in den einen klein, in anderen hinge-
gen grösser ist; in dem grössten Theile der Fälle ist
die Blase vollkommen durchsichtig, bisweilen aber mit
18*
196
einer leicht getrübten, feinkörnigen Masse gefällt In
allen Abschnitten des Glaskörpers vorkommend, sind
diese Zellen in einer besonders grossen Quantität in
seinem hinteren Theile vorhanden.
Die Bindesubstanz der Netzhaut ist hypertrophisch.
In der Nerven£ftsern- und in der molekularen Schicht ist
ihr Netz sehr deutlich ausgesprochen. Die radiären Fa-
sern erscheinen verdickt und ihre Ausläufer lassen sich
in den Kömerschichten leicht verfolgen. Die Nerven-
&sem sind atrophisch, ihre Schicht erscheint verdünnt
An, den Sehnervenfasem parallel geführten, queren
Schnitten werden an mehreren Stellen, hauptsächlich in
dem oberen Theile dieser Schicht, hohle Zwischenräume
bemerkt. An zerzupften Präparaten bieten in ihrem
Baue die übrig gebliebenen Fasern gar keine Verände-
rungen. Die Ganglienzellen sind vollkommen verschwun-
den und ihre Stellen werden an mehreren Punkten von
einer feinkörnigen, zu ziemlich grossen Häufchen ange-
sammelten Masse eingenommen. Die Kömerschichten
sind ganz unverändert geblieben. Die Stäbchen haben
stark gelitten, ihre grösste Zahl erscheint in Form dün-
ner, langer, an mehreren Stellen mit Yaricositäten ver-
sehener Fäden, andere sind gequollen, wieder andere
sind geborsten.
Alle die genannten Aenderungen in den Stäbchen
sehen denjenigen sehr gleich, welche bei mykroskopi-
scher Untersuchung an einem Stück frischer Retina, zu
der ein Tröpfchen Wasser zugesetzt wurde, bemerkt
werden.
Der vorliegende Fall ist hauptsächlich in jener Be-
ziehung interessant, weil er eine neue pathologischs-ana-
tomische Bestätigung der Möglichkeit des Ergusses eines
eben solchen serösen Exsudates zwischen der Sclera
und der Chorioidea liefert, wie ein solches schon zwischen
der Chorioidea und der Retina bei Ablösung letzterer in
197
der Regel beobachtet worden ist Ophthahooskopisch
wurde dieser Frozess schon längst und mehrmals beob-
achtet Die erste Beobachtung wurde von Professor
T. Graefe gemacht, der zugleich auch in Form einer
Vermutbnng das Wesen des Prozesses selbst zu erkl&ren
suchte, welches in dem vorliegenden Falle seine voUe
Best&tigung findet.
Im lY. Bd. 2. Abth. des Arch. fOi Oi^thalmologie,
hatte V. Graefe drei Fälle der Ablösung der Ghorioidea
Ton der Sclera beschrieben, von welchen er den ersten
schon im Jahre 1854, den zweiten im Jahre 1855 und
den dritten im Jahre 1857 beobachtet hatte. Interessant
ist es, dass in allen diesen Fällen der Verlauf der Krank-
heit annähernd der nämliche gewesen ist; auf die Ab-
lösung der Ghorioidea folgte die der Netzhaut und
darauf eine Atrophiß des Auges. Auf Seite 226 sagt
V. Graefe: „lieber den materiellen Grund dieses Zu-
standes kann ich in Ermangelung von Sectionen nichts
sagen. Dass hier die Netzhaut sammt der Gho-
rioidea von der Sclera abgelöst ist, steht fest
Für einen apoplectischen Ursprung spricht die plötzliche
Entstehung in dem zweiterwähnten Fall, die ich nicht in
Zweifel ziehen kann, weil Patient als Offizier beim Schiessen
die Augen häufig altemirend schloss. Ein so ausgedehnter
Bluterguss könnte f&glich kaum ohne hämorrhagische Ver-
färbung der benachbarten Theile stattfinden. An der
Basis der Prominenz habe ich freilich in dem einen Falle
ecchymotische Veränderungen in der Aderhaut beobachtet,
allein doch in beschränkter Ausdehnung. Möglich,
dass ein seröser Erguss zwischen Aderhaut
und Sclera zu Grunde liegt, womit das spätere
Hinzutreten seröser Netzhautablösung und atrophia bulbi
einigermaassen übereinstimmt" — In der Einleitung zum
„Trait^ pratique des maladies de Toeir', par Mackenzie,
hat Liebreich in dem Abschnitte über „D^coUement de
198
la r^tine et de la choroXde dVec la scl^rotique" (S. 53)
diese drei Graefe' sehen Fälle und noch ein viertes
Auge, das er bei Dr. Boss in Hamburg zu beobaditen
Gelegenheit hatte, beschrieben. Darauf hatte er noch
einige solcher Falle geschildert (Arch. f. Ophthalm. Bd. V.
Abth. 2). Endlich hat noch die Ophthalmologie gleich-
falls Liebreich*) zu verdanken, dass sie eine ausge-
zeichnete Zeichnung einer Ablösung der Chorioidea be-
sitzt Doch ungeachtet dieser namhaften Anzahl ophthal-
mologischer Beobachtungen des Prozesses, war er bisher
nur äusserst selten bei pathologisch-anatomischen Sectio-
nen des Auges vorgekommen. So weit es mir bekannt,
sind in der Literatur blos vier solcher Fälle, einer bei
Ammon (Zeitschr. f. Ophth. 2. Bd. S. 247) und drei bei
Stell wag von Carion (die Ophthalmologie. 1856. 2. Bd.
S. 98. §. 142 und die Anmerk. 109) beschrieben worden.
Eine solche Armuth der hierzu bezüglichen pathologi-
schen Untersuchungen hatte Schweigger bewogen, in
den „Vorlesungen über den Gebrauch des Augenspie-
gels (1864. S. 122) sich sehr vorsichtig und sogar mit
einigem Zweifel über die Ablösung der Aderhaut zu
äussern. Wenn dieser von mir beschriebene Fall auch
einige Details der bezüglichen ophthalmoskopischen Un-
tersuchungen dennoch unaufgelöst lassen sollte, so dient
er jeden&Us doch als ein neuer Beweis f&r die MOglich-
l^eit einer serösen Ablösung der Chorioidea.
Ich will dem Zustande des Glaskörpers in diesem
Auge noch einige Aufmerksamkeit schenken, nämlich
der vergrösserten Quantität der sich darin befindenden,
mit Bläschen versehenen Zellen. Alle meine Unter-
suchungen über Augen mit einem vermehrten intra-ocu-
*) Atlas der Ophthalmoskopie Yon Dr. Liebreich. Berlin 186S.
Taf. Vn. Fig. 4.
199
laren Drucke*) hatten bisher constant ein und dasselbe
Besnltat ergeben, d. h. dass in solchen Augen die Zahl
der Physaliphoren stark vermehrt war. Ueberdies waren
sie selbst etwas verändert; die Bläschen kamen nicht
nur in den runden Zellen, sondern auch in den verschie-
den unregelmässigen Formen vor; auch waren die Bläs-
chen nicht immer durchsichtig, wie es im normalen Zfl-
stande der Fall ist, sondern es war in einigen davon
eine trübliche feinkSrnige Masse enthalten.
In welcher Beziehung dieses zu dem Prozesse selbst
steht, ob es Folge des vermehrten intraocularen Druckes
ist, oder ob es eine seiner Ursachen bildet, indem es
eine Volumszunahme des Glaskörpers bedingt, oder, ob
es zwei von einander unabhängige und nur zufällig bei
mir cofncidirende Prozesse sind, ist im Augenblicke
schwer zu entscheiden. Indem ich mich jeder Schluss*
folgerung enthalte, erlaube ich mir blos die Auimerk-
samkeit auf diese ziemlich interessante Thatsache zu
richten. Ich will auch noch hinzufügen, dass auch Dr.
Schweigger einmal bei dem Glaucom gesehen hatte,
dass der Glaskörper „reichlich mit grossen, runden, ge-
wöhnlich mehrkemigen Zellen mit getrübtem Inhalt^'
durchsetzt war. (Archiv fttr Ophth. Bd. VII. Abth. 1.
S. 258.)
*) BUher hatte ich Gelegenheit, seohs Augen mit yentärktem in-
traocnlttNii Drucke sn nntenaehen, woTon iwei (mit dem hier be-
lehriebeoeD) mit grosien, glanoomatoien Excavationen behaftet waren.
Beitrag zur Heilung des harten Staares.
Von
Dr. Gustav Braan aus Moskau.
in der ophtfaalmologischen Literatur der letzten Jahre
bemerkt man ein reges Streben, die Resultate der Staar-
estraction zu yerbessem; dabei hat man sich hauptsäch-
lich, ja beinahe ausschliesslich bemttht, die Operations-
methode zu vervollkommnen, und zwar in der Absicht,
die Hornhaut und Regenbogenhaut so viel als möglich
vor mechanischen Insulten zu bewahren. Dieses Streben
ist auch nicht ohne Erfolg geblieben. Meine Ei&hrun-
gen haben mir jedoch bewiesen, dass diese BemOhungen
etwas einseitig sind und dass man die Therapie mit un-
recht vernachlässigt hat, besonders da ausser den me-
chanischen Insulten noch ein Factor besteht: nämlich die
CirculationsstOrungen in der Uvea, die keine Verbesse-
rungen der Operationsmethode beseitigen können. Ich
habe im Laufe von 4 Jahren die Ueberzeugung gewon-
nen, dass ausser Lappenvereiterung und eiteriger Irido-
chorioiditis noch andere krankhafte Prozesse nach der
Lappenextraction vorkommen, in Folge deren das Auge
verloren geht, deren Entwickeluog nur indirect von den
201
meehaidschen Insulten wShrend der Extraction abhSBgea
kann, die durch keine Verftttdemng der Operationsme-
thode beseitigt werden ktonen und deshalb ein therapeu-
tisches Eingreifen verlangen. — Im Anfange meiner
praktischen Lanfbahn operirte ich nach der gewöhnlichen
alten Methode, combinlrt mit der Iridectomie; ich f&hrte
den Schnitt durch die Hornhaut und maehte die Iridec-
tomie, je nach den Umstftnden, entweder 6 — 7 Wochen
Yor der Extraction oder während derselben; nach der
Extraction wurde der Druckverband nach der v. Grae-
fe' sehen Methode angelegt Meine Resultate waren bei
diesem Verfahren ausserordentlich schlecht; ich verlor
gegen 45». Da publicirte Jacobson sdn neues Yer-
führen und ich folgte seinem Bathe buchstäblich; aber
trotz Chloroform und Schnitt durch den linken limbus
coiyunctivalis verbesserte sich meine Statistik nicht
Dieser ungeheure Verlust, den übrigens Dr. Bosander
mit mir tbeilt, veranlasste mich, die operirten Augen
mit der grdssten Aufinerksamk^t zu beobachten. Dabei
machte ich denn folgende Beobachtungen: 1) zeigte es
sich, dass der grdsste Theil der am Staar erkrankten
AugM alle diejenigen Zeichen darbot, welche von allen für
ein schlechtes Prognosticon angesehen werden, n&mlich
tiefliegende Augen, so dass öfters die Bildung des Lap-
pens grosse Schwierigkeiten darbot; &st g&nzliche Un-
bewegUchkeit der PupiUe, auch nach starkem Gebrauch
des Atropins, welke Hornhaut, höchst bemerkbar dadurch,
dass das Messer wie in einen dünnen Brei eindringt und
nach der Bildung des Lappens der Hornhaut sich napf-
formig einsenkt; bei dem Ausschneiden eines Stückes
der Regenbogenhaut erwies sich dieselbe als sehr dünn
und zerreissbar. Diese Eigenschaften zeigten sich nicht
nur bei alten, erschöpften Individuen, sondern auch bei
Leuten in mittleren Jahren und von kräftigem Aussehen.
Ich wage es bis jetzt noch nicht, mich zu entscheiden,
202
ob dieser so oft zu beobachtende Zustand der Augen von
klimatisehen oder socialen Ursachen abhängt, ich will nur
bemerken, dass in Moskau die weisse Sehnenrenatrophie
eben&Us zur Beobachtung kommt — 2) bemerkte ich
nach der Operation verschiedene höchst interessante Er-
scheinungen; in einer Reihe von Fällen bei vollkommen
guter Heilung des Lappens und Abwesenheit aller Reiz-
erscheinungen, zeigte sich am dritten Tage nach der
Extraction eine geringe Hyperämie der Regenbogenhaut
und Bluterguss in den Glaskörper; das Blut resorbirte
sich im Verlauf zweier Tage und erschien dann periodisch
wieder; darauf bildete sich eine höchst chronische Irido-
Chorioiditis, die. nach mehreren Wochen zur Atrophie
führte. In einer zweiten Reihe von Fällen, ebenfalls bei
vollkommen guter Heilung des Lappens und bei Abwe-
senheit jeder Reizerscheinung, bemerkte man am vierten
Tage nach der Operation eine geringe Hyperämie der
Regenbogenhaut, und gleich darauf erschienen hinter der
Pupille weisse, mattglänzende, vollkommen gleichartige
Massen, die sich von der Peripherie nach dem Gentrum
hinzogen. Die Massen wurden allip&lig dichter und
weisser; darauf bildete sich wiederum eine sehr chro-
nische Iridochorioiditis aus, die allmälig zur Atrophie
des Auges fahrte. Obgleich ich diese weisse Massen
nicht mit dem Mikroskope untersuchen konnte, so muss
ich sie doch für fettigen Detritus halten; wenigstens
machten sie auf mich diesen Eindruck. Mit eiterigen
Exsudaten, die man bei einer gewöhnUchen exsudativen
Chorioiditis beobachtet, konnte man diese Massen durch-
aus nicht vergleichen. — In einer dritten Reihe von
Fällen, wiederum bei einer tadellosen Verheilung des
Lappens und bei Abwesenheit von Reizerscheinungai,
zeigte sich schon am vierten Tage nach der Extraction
ein mittelmässiges, nicht entzündliches Oedem der Lider
und der ganzen Bindehaut, dabei eine unbedeutende
203
Hyperämie der Segenbogenhaat, kaum quantitative Licht-
empfindung und erhöhter Puls. Das Oedem verschwand
nach einigen Tagen und alsdann bedeckte sich die ganze
Yordere Flache der Regenbogenhaut mit einer hellgrauen
gleichförmigen Masse; dieselbe fiel ab, senkte sich auf
den Boden der vorderen Kammer und bildeten sich dann
wieder auf der vorderen Fl&che der Begenbogenhaut
Dieser Zustand zog sich Aber zwei Wochen hin und
während dieser Zeit war die vordere Kammer manchmal
mit jenen Massen bis Aber die Hälfte gefüllt Der end-
liche Ausgang war Atrophie des Auges. Auch diese Er-
scheinung muss ich fOx einen fettigen Zerfiül halten, und
zwar f&r einen fettigen Zer&ll der Epithelienschicht,
welche die vordere Fläche der Begenbogenhaut bekleidete.
— Alle beschriebenen Erscheinungen beweisen, dass
ausser Vereiterung der Hornhaut und ausser exsudativer
Entzündung der Uvea noch andere pathologische Pro-
zesse auftreten, die den Ruin des Auges herbeiführen.
Meine Beobachtungen zeigten mir, dass gerade der
grösste Theil meiner schlechten Erfolge von diesen be-
sonderen Prozessen abhing; reine Vereiterung der Horn-
haut und exsudative Entzündung der Begenbogenhaut
mit Uebergang auf die anderen Theile der Uvea kamen
bei mir ungefihr in demselben Verhältnisse vor, wie bei
anderen Klinikern. Es wurde mir also klar, dass die
Ursache meiner ungeheuren Verluste darin bestand, dass
wenigstens bei uns besondere pathologische Erscheinun-
gen vorkommen, mit denen Kliniker, «deren Patienten sich
in anderen klimatischen und socialen Verhältnissen be-
finden, entweder gar nicht oder vielleicht höchst selten
zu thun haben. Es wäre für mich höchst interessant zu
er&hren, ob nicht bei Dr. Bosander, der ebenfidls
enorme Verluste hat, ähnliche Prozesse zum Vorschein
kommen. — Nachdem nun einmal die Beobachtung ge-
macht war, firagte es sich: worin besteht das Wesen und
204
die Ursache dieser pathologischen ErscheinuDgen? Wie
schon gesagt, beobachtete ich in einer Reihe Yon Fällen
periodische Blutergüsse in den Glaskörper, in den anderen
Reihen molekularen Zer&U der Gewebe und zwar zuerst
in dem hinteren Theil der Uvea. Alle diese Erscheinungen
waren nicht mit Reizznst&nden des Auges verbunden und
hatten überhaupt nichts gemein mit einer gewöhnlichen Ent-
zündung im engen Sinne dieses Wortes; ich kann sie mir nur
exidären als abhängig von einer vollständigen Erschöpfung
sowohl der vasomotorischen als auch trophischen Nerven.
Was die trophischen Nerven anbetrifft, so muss ich deren
Existenz, trotz der neueren negativ ausge&llenen Beob-
achtungen, dennoch zulassen; denn mehrere pathologische
Erscheinungen, die ich beobachtet habe und deren Ver-
öffentlichung ich mir noch vorbehalte, beweisen es mir
zur Genüge. Da femer die beschriebenen pathologischen
Prozesse zuerst in dem hinteren Theile der Uvea auf-
treten, so können auch die mechanischen Insulte keinen
directien Einfluss auf deren Erscheinen haben; wir kön-
nen nur zulassen, dass die mechanischen Insulte während
der Operation einen Reiz auf das ganze Auge hervor-
bringen, welcher verhältnissmässig zu stark ist und die
vasomotorischen und trophischen Nerven erschöpft; in
Folge dessen bilden sich sowohl passive Blutungen als auch
molekularer Zerfall der Gewebe. Ausser dem allgemei-
nen Reiz, den die mechanischen Insulte hervorbringen,
spielt die vollständige und plötzliche Entlastung des
inneren Druckes siofier eine bedeutende Rolle beim Ent-
stehen der in Rede stehenden Prozesse. Die Reizung
der Gewebe des Auges und die vollständige und plötz-
liche Entlastung des inneren Druckes können nur bei
einer vorsichtigen Zerstückelung der Cataracte beseitigt
werden; diese Operationsmethode ist nun aber für den
harten Staar nicht anwendbar. Die Wald aussehe und
Critchett'sche Linearextraction verursacht zwar keinen
205
grossen Beiz auf das Ange, beseitigt jedoch die Ent-
stehung des inneren Druckes nicht, und hat nach
meinen Beobachtungen noch andere wichtige Nachtheile,
so dass sie der Lappenextraction nicht vorgessogen wer-
den kann. Die Lappenextraction, die einzige rationelle
Methode fdr harte Staare, wird aber immer, wenn wir
sie auch auf alle nur erdenkliche Weise modificiren,
einen bedeutenden Beizzustand des Auges hervorbringen.
Die Modificationen der Operationsmethode können daher
auch nur die Hornhautvereiterung und die exsudative
Entzündung der Begenbogenhaut verringern, aber nicht
die Prozesse, welche ich beobachtet habe. Um diese
letzteren zu heben, müssen wiriZu therapeutischen Mit-
teln greifen; das that ich denn auch und gab den Kran-
ken tinctura valerianae, tinctura castorei, chininum sul-
phuricum und secale comutum. Diese Mittel brachten
jedoch wenig Hülfe; darauf verordnete ich den Kranken
Alkohol und zwar liess ich Xeres oder gewöhnlichen
Kombranntwein verabreichen. Ich wartete nicht, bis die
beschriebenen Prozesse sich zeigten, sondern verordnete
den Kranken, und zwar ohne Ausnahme, gleich nach der
Operation ungefähr eine Unze Branntwein oder Xeres;
diese Dosis wird den Kranken zweimal am Tage verab-
reicht; am dritten Tage wird das Mittel ausgesetzt; ausser-
dem wird der Druckverband nach den Vorschriften des
Prot V. Graefe angelegt Es wird jetzt bald ein Jahr
sein, dass ich den Kranken nach der Operation Alkohol
verabreiche und meine Statistik hat sich auf eine höchst
merkwürdige Weise verbessert; bei denselben klinischen
Verhältnissen und bei derselben Operationsmethode habe
ich jetzt nur 6^ vollständigen Verlust und 3^ mittel-
massiges Sehvermögen. Dieser Verlust kommt von Horn-
hautvereiterung und exsudativer Entzündung d^r Begen-
bogenhaut; die früher beobachteten pathologischen Pro-
zesse bekomme ich jetzt fast gar nicht mehr zu sehen.
206
Was die Operationsmethode betrifft, so verfahre ich
auf folgende Weise: Der Kranke wird nicht chlorofor-
mirt; ich halte das Chloroformiren für gefahrlich und
auch far überflüssig. Der Lappenschnitt wird durch den
Limbus conjunctivalis gemacht; denn ich stimme voll-
kommen Jacobson bei, dass beim Schnitt durch den
Limbus conjunctivalis die Ränder besser anliegen; dass
der Ge&ssreichthum an dieser Stelle einen beträchtlichen
Einfluss auf die Heilung ausübt; dass die Linse durch
die breite Oefihung leichter austritt und endlich, dass
wir den Lappen kürzer machen können. Nach dem
Lappenschnitt mache ich gleich die Iridectomie. Ich habe
mich überzeugt, dass die Iridectomie vor der Staarent-
bindung bequemer und weniger gefährlich ist, als nach
der Staarentbindung, besonders wenn man es mit ma-
rastischen Augen zu thun hat In diesen Fällen sinkt
die Hornhaut und Regenbogenhaut nach dem Lappen-
schnitt nach hinten; man muss einen bedeutenden Druck
auf das Auge anwenden, um die Linse aus der engen
und schwer beweglichen Pupille herauszudrängen, und
bei solch einem Druck kann es leicht geschehen, dass
die Zonula Zinna zerreisst, die Linse luxirt und Glas-
körper vorfilllt; macht man die Iridectomie vor der Staar-
entbindung, so schlüpft die Linse auch beim leisesten
Drucke aus dem Auge heraus. Femer hat die Iridectomie
nach der Staarentbindung den Nachtheil, dass man das
Blut nicht so leicht und gefahrlos entfernen kann; es
bleiben gewöhnlich sehr bedeutende Blutgerinsel in der
vorderen Kammer, welche unbedingt schlechte Folgen
haben ; dieselben verursachen sicher einen gewissen Reiz
und befordern die Bildung eines dicken Nachstaar^.
Endlich glaube ich, dass es besser ist, ein Stück aus
der Regenbogenhaut herauszuschneiden, bevor dieselbe
durch den Linsenaustritt gequetscht und gezerrt wird.
Der letzte Akt der Operation besteht in dem gewöhn-
207
lich^ Zerreissen der Kapsel and Entfernen der Linse.
— Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Schnitt darch
den Limbas coigonctivalis und die Iridectomie uns solche
Vortheile gewähren, die man nicht vernachlässigen muss;
jedoch haben sie auch gewisse Nachtheile. Was den
Schnitt durch den Limbus conjunctivalis anbetri£Pt, so
ist es sicher, dass durch denselben die Heilungsperiode
etwas verzögert wird; der Wundreiz dauert ziemlich lange
und nur selten giebt es Kranke, die am 2h Tage nach
der Operation entlassen werden können. Die Iridectomie
verursacht ohne Zweifel noch bedeutendere Nachtheile;
man bemerkt bei dem grössten Theile der Kranken einen
bedeutenden Mangel des Orientirungsvermögens; die
Kranken sehen kleine Gegenstände, die um sie herum-
liegen, greifen aber oft fehl, wenn sie dieselben erfassen
wollen; die Bewegungen in unbekannten Bäumen sind
auch etwas unsicher. Was das Lesen und Schreiben anbe-
trifft, so musste ich mehreren Kranken eine stenopäische
Lorgnette, mit dem zweckmässigen Glase verbunden, ver-
ordnen; nur durch solch eine Brüle konnten sie schreiben
und feine Schrift lesen, ohne dieselbe schienen ihnen die
Buchstaben verzerrt. Trotz dieser Nachtheile glaube ich
jedoch den Schnitt durch den Limbus conjunctivalis und
die Lridectomie beibehalten zu müssen und zwar fflr alle
Kranke ohne Ausnahme. Wir können für's Erste niemals
voraussagen, ob dieser oder jener Fall schlecht oder gut
verlaufen wird, und zweitens operiren wir doch grössten-
theils an alten Leuten, denen es hauptsächlich darauf
ankommt, etwas zu sehen und die gern auf ein gutes
Orientirungsvermögen und gewisse Bequemlichkeiten
beim Lesen und Schreiben verzichten, wenn nur di»
Operation glücklich abläuft. Zum Schlüsse möchte ich
noch einige Bemerkungen über die vorbergeschickte Iri-
dectomie machen: Merkwürdiger Weise konunt der
grösste Theil meiner Verluste auf die Kranken, denen
eine Iridectomie 6~-8 Wochen vor der Extraction ge*
macht war. Die Ursache dieser Erscheinung scheint mir
folgende za sein: die Kranken mOssen sich nach der
Iridectomie einige Tage ruhig im Bette verhalten und
ihrer Gewohnheiten wenigstens für eine Woche entsa-
gen; femer qu&len sie sich während der Zwischenzeit
beständig mit dem Gedanken, ob die Extraction gelingen
wird oder nicht; dieses alles hat, besonders bei alten
Leuten, einen schlechten Einfluss auf ihren Gesammt-
Organismus und kann die Ursache der schlechten Erfolge
sein. Ich glaube jetzt,' dass eine Iridectomie vor der
Extraction eine aberfiflssige und far manche Individuen
sogar eine schädliche Methode ist und nur für Ausnahms-
fälle beibehalten werden kann.
üeber membrana papiUazis pexwvemis und
Pdyooria.
Von
Prol Alfred Graefe.
(mmm ein« TaM mit AbbUdangn.)
Am 8. Februar 1865 prftsentirte sich in meiiier Klinik
der 17 Jahre alte Heinrich Ritter aus Weissenfeis mit
der Klage über Schwachsichtigkeit beider, namentlich
des rechten Auges. Seine Vorstellung &nd nur gelegent-
lich statt, da ihm die Aussicht auf Verbesserung seines
Sehvermögens von mehreren Seiten abgeschnitten wor-
den war. Er selbst zeigte sich in dieser Ansicht durch-
aus be&ngen^ weil er das Uebel mit auf die Welt ge-
bracht und übrigens nie an den Augen gelitten hatte.
Patient ist von gut entwickeltem, kr&ftigem Körperbau
und hat nie an Krankheiten gelitten, welche mit den eigen-
thflmlichen Verhfiltnissai der Augen in Zusammenhang
gebracht werden könnten. Trotz des schwachen Sehver-
mögens, über welches weitere Mittheilungen folgen wer-
den, hat er bisher als Schreiber seinen Lebensunterhalt
gewonnen.
Beide Augen sind der Form und Grösse nach völlig
regelmassig entwickelt Meine Aufinerksamkeit wurde
AnMw für Opbtludiiiolofl«. ZI 1. 14
210
sofort durch die höchst aufifäUigen Verhältnisse der Iris
und Pupille gefesselt, und obwohl dieselben auf beiden
Augen im Wesentlichen die grösste Uebereinstimmung
zeigten, so lege ich der nachfolgenden Schilderung zu-
nächst doch nur das linke Auge (Fig. 1 u. 2) zu Grunde.
Die Pupille erscheint hier in sehr unregelmässiger Form,
80 etwa, als sei durch Atropinisirung eine durch das
Vorhandensein einzelner breiter Synechien nur auf ge-
wisse Bogentheile der Pupille beschränkte mittlere My-
driasis zu Stande gekommen. Dies unregelmässig ge-
formte natürliche Pupillargebiet ist rings gamirt mit
vielen kleinen spaltförmigen Pupillen, acht an der Zahl,
deren Längsdurchmesser in radiärer Richtung dem na-
türlichen Pupillencentrum zustreben. Da die mittlere
Partie des natürlichen Pupillarraumes sich zugleich durch
eine grauliche, durchscheinende Membran verlegt zeigt,
80 macht das Ganze nach oberflächlicher Betrachtung
zunächst den Eindruck, als sei der Pupillarrand der Iris
unvollkommen, nämlich mit Ausschluss eines grösseren,
nach oben innen, und eines kleineren, nach unten innen
liegenden, frei gebliebenen Bandtheils, mit jener Mem-
bran verwachsen, wie bei partiellem Pupillarverschluss,
und als seien eine grosse Anzahl radienfißrmig verlau-
fender Spaltbildungen in der Iris, d. h. gleichsam eben
80 viele accessorische Pupillen vorhanden. Zur Versinn-
lichung dieser Verhältnisse verweise ich kurzweg auf die
beigegebenen Zeichnungen. Die eingehende Würdigung
des interessanten Bildes gewährte indessen ganz andere
Aufschlüsse. Schon die seitliche Beleuchtung lässt er-
kennen, dass eine accessorische Fasermembran von grau-
licher, stellenweise mit gelblichem Pigment versehener
Farbe fast das gesammte Irisgebiet überkleidet und dass
dieselbe mit dem geschilderten Pupillarhäutchen in con-
tinuirlichem Zusammenhange steht Ein vorzugsweise
gelblich pigmentirter kreisförmiger Rand bildet eine Art
211
Demarcationslinie zwischen dem mehr der Iris und dem
mehr der Pupille zugehörigen Theile der Membran. Diese
accessorische Membran liegt also deutlich vor der Iris,
ohne indess von derselben durch einen Zwischenraum
getrennt zu sein. Sie entspringt nahe der Ciliarregion,
scheinbar von der Oberfläche der Iris, entweder s(rfort
als feinfaserige, geschlossene Membran, oder in einzelnen
zarteren und derberen Strängen, die, aneinander tretend,
sehr bald sich zu einem häutigen Gebilde verflechten.
Der mittlere Theil desselben, den man zuerst als eine ge-
wöhnliche Pupillar- Membran anzusprechen geneigt war,
liegt nicht ganz in der Ebene der übrigen peripherischen
Zone, sondern etwas tiefer als diese und ist in seinem
Centrum relativ sm meisten durchscheinend. Es bedeckt
nun diese accessorische Faserhaut nicht continuirlich das
gesammte Iris- und Pupillarareal, sondern dieselbe zeigt
nach oben, „innen und unten,'' innen zwei unregelmässige
sectorenförmige Defecte, in welche von der Peripherie
her nur lappenförmige Andeutungen jener Bildung und
feine Filamente hineinragen. Ausserdem finden sich in
ihrer übrigen Ausdehnung Spaltbildungen, welche ziemlich
regelmässig in radienförmiger Anordnung das Pupillar-
centrum umstehen. Die Beobachtung der hinter diesen
verschiedenen Defecten liegenden Theile lässt nun eine
ganz normale, grau-grünlich gefärbte Iris und
eine völlig regelmässig reagirende, in ihrem
Spiel in keiner Weise gehinderte Pupille wahr-
nehmen, namentlich sei erwähnt, dass eine Verlö*
thung des natürlichen Pupillarrandes mit dem
Pupillartheile der accessorischen Membram an
keinem Punkte besteht. Beweisend hierfür waren
zunächst die Wirkungen des Atropins und des Calabar-
extractes. Fig. 1 und die schematische Zeichnung a zei-
gen die Yerhälsnisse in dem Zustande bereits erlöschen-
der Galabarmyosis. Man sieht, dass der kleine, nadi oben
212
innen liegende freie Pnpillarbogen der normalen Iris zu-
gleich den Bestimmnngsbogen for einen Kreis bildet
innerhalb dessen Alles, was im Bereiche der Fenster der
accessorisehen Membran liegt, tiefe Pupillarschw&rze
zeigt Fig. 2*) mit der schematischen Darstellung b
versinnlicht die Verhältnisse während der bestehenden
Atropinmydriasis. In den freien Sectoren prftsentirt sich
der PupiUarrand centrifügal weit zurückgewichen, zum
Theil schon hinter den peripheren rudimentären Fetzen
der Membran verschwindend; gleichzeitig erscheinen die
accessorisehen Pupillen wesentlich vergrOssert, auch hier
jedoch wird ihre peripherische Begrenzung durch eine
ideale Kreislinie gebildet, deren Lage genau dem sicht-
baren Bogen des zurückgewichenen Pupillarrandes ent-
spricht. Während der myotischen Maximalwirkung des
Galabarextractes war die natürliche Pupille gänzlich hin-
ter dem centralen Theile der accessorisehen Membran
yerschwunden, mit ihr sämmtliche seitliche Pupillen,
während jetzt innerhalb der ganz unveränderten
Fenster der Membran sich Farbe und Beschaffen-
heit der natürlichen Iris zeigte. Auch die Beobachtungen
des natürlichen Pupillarspiels führten zu denselben Er-
gebnissen. Sämmtliche im Dunkeln weit nach der Pe-
ripherie hin reidiende Pupillen wurden bei Lichtein£all
gleichmässig vom Bande her verkleinert und vice versa.
Einmal aufinerksam gemacht, konnte man hierbei nun
auch innerhalb der Fenster das Vor- und Zurücktreten
des Pupillarrandes auf das Deutlichste wahrnehmen.
Diese Thatsachen beweisen es also mit Evid^iz, dass die
vorhandene Polycoria sich nicht etwa durch Spalt-
bildungen in der Iris oder in einer nur den na-
*) Ich habe ei für zweökmäBsig erachtet, das Auge bei mittlerer
Myosia and starker Mydriasis zeichnen zu lassen. Im gewöhnlichen Zu-
stande halten also die YerhUtnisse zwischen Fig. 1 o. Fig. 2 die Mitte.
218
tttrliclieii Pupillarraam occladirenden Membran
erklärt, sondern vielmehr durch die in der ac-
cessorischen, das gesammte Papillär- wU Iris-
gebiet überspannenden Membran vorhandenen
Fenster, dorch weldie je nach dem Grade der Erwei*
tenmg der natfirlidien Pupille '^ein mehr weniger grosser
Theil derselben sichtbar wird. Je mehr sich also die
nat&rliche Pupille verengt, um so mehr müssen sich
auch die accessorischen Pupillarräume centripetal ver-
kldnem, je weiter jene wird, ein um so grösseres Areal
derselben muss in die gefensterten Oeffiiungen der ac-
cessorisdien Membran rücken. Die abwechselnde Be-
sichtigung des Auges w&hrend der maximalen Myosis
und Mydriasis machten in der That den seltsamsten Ein-
druck; w&hrend in dem einen Falle kaum eine Andeu-
tung von einer centralen Pupille vorhanden war, zeigte
sich das Auge in dem anderen Falle durch eine grosse
Anzahl von Pupillen förmlich illuminirt
Die Verhältnisse des rechten Auges (Fig. 3 zeigt
dasselbe während der Atropinwirkung) stimmten, wie ge-
sagt, mit denen des linken &st völlig überein, nur wurde
die Beobachtung hier durch den Umstand erschwert,
dass eben nur Spaltbildungen in der hier also noch viel
vollständiger entwickelten accessorischen Membran, nicht
aber jene sectorenförmigen Defecte vorhanden waren,
welche links eine so sichere Controlle der natürlichen
Iris und Pupille erlaubten. Hätte man, wie es in analo-
gen Fällen wohl geschehen ist, auf diesem Auge einen
gewöhnlichen Pupilhrverschluss mit Spaltbildungen in
der Iris angenommen, so wäre dieser Irrthum ein durch-
aus verzeihlicher gewesen.
Die ophthalmologische Untersuchung wies völlig
durchsichtige brechende Medien und einen normalen
Augenhintergrund nach. Ueber die fnnctionellen Lei-
stungen der Augen notire ich kurz Folgendes:
214
Linkes Auge: ist emmetropisch. Acommodations-
breite = V», Sehschärfe = ttj- Gesichtsfelds- und Fixa-
tionsverh<nisse normal.
Bechtes Auge: Sehschärfe = Vioo. Leichte Myo-
pie. Accommodationsbreite selbstverständlich nicht genaxi
bestimmbar. Durch Einträufeln Yon Atropin stieg die
Sehschärfe bis auf V». Gesichts- und Fixationsverhält-
nisse normal.
Bechterseits, wo bei Lichtein&ll die accessorischen
Pupillen &st gänzlich verschwanden, beschloss ich eine
operative Besserung des Sehvermögens vorzunehmen.
Auf Schwierigkeiten bei der intendirten Iridectomie war
ich gefasst, da die accessorische Membran hier, abge-
sehen von den Spaltbildungen, sich als ein continuirUches
Ganzes darbot, und da ein organischer Zusammenhang
derselben mit der Iris — wie es ja für die mehr peri-
pherisch liegenden Theile wenigstens mit Bestimmtheit
constatirt werden konnte — angenommen werden musste.
Die Gefahr einer mit der Iridectomie entstehenden Dia-
lyse lag auf der Hand und vielleicht würde in solchen
Fällen überhaupt die Iridodialyse einige VortheUe vor
der Iridectomie voraus haben. Dennoch entschloss ich
mich zu letzterer. Bei dem Fassen und Hervorziehen
des Irisstückchens überzeugte ich mich sofort, dass in
dem gesammten Organ, etwa wie in einer mit organisir-
tem Exsudat durchsetzten Iris, eine bedeutende Spannung
eintrat. Glücklicherweise war indess die Dehnungsfihig-
keit doch eine ausreichende, so dass die Operation ohne
irgend welchen nachtheiligen Zufall beendet werden
konnte. Patient erhielt eine ganz leicht excentrisch ge-
lagerte, durchaus freie Pupille, welche central von dem
zurückgebliebenen eigentlichen Pupillartheil der accesso-
rischen Membran sich begrenzt zeigte. Die Sehschärfe
stieg von Vioo bis auf V,.
216
Ueber die Natur des geschilderten eigenthOmlicben
Gebildes kann man, wie ich glaube, trotz der mangeln-
den anatomischen Untersuchung sehr gegründete An-
sichten aussprechen. Als Product einer fötalen Entzün-
dung möchte ich zunächst die vorliegenden Eigenthümlich-
keiten nicht betrachten: die völlige Integrität der Iris
und das sonstige Normalverhaltep der Augen würde eine
solche Annahme von vorn herein zu einer sehr unwidur-
scheinlichen machen. — Viel näher liegt die Vermuthung
eines Bildungsfehlers. Leider hat sich das bei der Ope-
ration des rechten Auges gewonnene Stückchen der mit
Theilai der accessorischen Membran zusammenhängenden
Iris durch einen unglücklichen Zufall der histologischen
Untersuchung entzogen. Nach den angestellten Beob-
achtungen möchte ich indessen an der rein bindegewe-
bigen Natur der Membran nicht zweifeln, namentlich
kann ich nicht vermuthen, dass derselben contractile
Elemente, etwa organische Muskelfeisern, beigemischt ge-
wesen seien und dass sie so gewissermaassen eine zweite
accessorische Iris vorgestellt habe. Gegen alle physio-
logische und medicamentösen Reize, welche die gewöhn-
lichen Reactionen der Iris provocirten, verhielt sich, wie
schon hervorgehoben ist, das accessorische Organ völlig
indifferent.
Die, die Abnormitäten der Pupille in Bezug auf
Zahl, Lage und Grösse bezeichnende Terminologie ist
eine äusserst vage und principienlose. Man hat, wie ein
Einblick in die Literatur lehrt, mit den Ausdrücken
Dyscoria, Polycoria, Mykrocoria, Acoria, Synicesis pu-
pillae, Corectopia, Corestenoma etc. sehr willkührlich ge-
wirthschaftet; bald werden dieselben für angeborene, bald
für acquirirte Anomalien gebraucht, und im ersteren
Falle werden keine Unterschiede zwischen jenen Abnor-
mitäten gemacht, die in der Entwickelungsgeschichte des
Organs selbst begründet und solchen, welche durch con-
216
genitale Neubildungen zu erklären sind. Während Am-
nion*) z. B. den Namen Corestenoma für eine congeni-
tale Pupillarverengerung resp. Theilung gebraucht, welche
durch das „die Normalausbreitung theilweise über-
schreitende Wachsthum der Pupillarränder^ entstehe,
bedient sich Szokalski*'*') desselben Ausdrucks, um
eine ganz nebensächliche, durch ein der Iris aufsetzendes
Neoplasma entstandene Beschränkung des Pupillarranmes
zu bezeichnen. Abstrahiren wir einmal von allen mit
jenen verschiedenen Namen bezeichneten acquirirten Zu-
ständen und beschränken wir uns auf Betrachtung der-
jenigen, denen eigentliche Bildungsfehler zu Grunde lie-
gen , so ist die Literatur in Bezug auf Aufs&hlung sol-
cher Abnormitäten eben nicht sehr reich, an scharfen
Darstellungen und eingehenden Erörterungen derselben
aber ausserordentlich arm.
Die in Rede stehenden Missbildungen sucht man sich
im Sinne Ammon's zum Theil durch einen excessiven
Bildungstrieb von Seiten der Iris zu erklären. So hält
sie z. B. St eil wag *'*''*') bedingt durch Ubennässige
Wucherung des Irisstroma. Von diesem Gesichtspunkt
wären au&ufassen jene wallartigen Erhebungen des Pu-
pillarrandes, jene kleineren oder grösseren warzenartigen,
mit ihrer Basis scheinbar dem Irisparenchyme ^tspros-
senden Wärzchen, die je nach ihrer Form und Ausbrei-
tung eine Verengerung, Theilung oder scheinbare Dis-
location des natürlichen Pupillargebietes bewirken können.
Hierher sollen z. B. die von Ammonf) gegebenen Dar-
stellungen gehören. Ich enthalte mich einer wdteren
*) Monatsaehrift, Bd. H, pftg. 574.
♦•) Prager, VierteljahrMolurift, Bd. Xu, pag. 30.
**•) Ophthalmol. yom naturwisaentohaftl. Standpunkte, Bd. II,
Abtb. 1, p. 187.
t) KÜB. DanteUung. 3. Bd., Tab. 9 n. 11.
217
UmsGhaa in diesem bis jetzt venig angebanten Gebiete,
um einen anderen Punkt in Erwignng zu zieben, dessen
Betrachtung ftkr die angeregte Frage von grosserer Be-
deutung ist — ich meine das Wesen und die Natur der
membrana pupillaris perseverans.
Haben wir es in dem vorliegenden Falle mit diesem
Bildungsfehler zu thun? Eine erhebliche Schwierigkeit,
wdche einer solchen Deutung in den Weg treten könnte,
würde durch die Lage unserer accessorischen Membran
g^^ben sein. Dieselbe befindet sich eben vor der Iris
und hängt mit dem PupiUarrande nicht zusammen,
während die früheren Beobachtungen immer auf eine
Lage derselben in der Pupilkrebene und auf eme feste
Verbindung des natürlichen Pupillarrandes mit der Mem-
bran deuten. Jene Schwierigkeit verliert aber sehr an
Bedeutung, wenn wir uns des von He nie*) und Kolli-
ker"^) geschilderten Einstülpungsvorganges der embryo-
nalen gefiLsshaltigen Linsenkapsel (etwa zu Anfang des
dritten Monats des Fötallebens) durch die aus der Ciliar-
r^on vorwachsende Iris erinnern, durch welche ein Theil
des Kapselsackes auf die vordere Irisfläche zu liegen
kommt Ruete '*''*''*') behauptet zwar, dass „die Linsen-
kapsel von der Zeit an, wo sich Chorioidea und Iris
gebildet haben, von einem gefilssreichen Sacke umgeben
sei'% doch befindet er sich hierin im Widerspruch
mit jenen beiden Autoren, nach denen die Bildung
der gefässhaltigen Linsenkapsel der der Iris
vorausgeht Da die Iris von der Ciliargegend her
sich entwickelt, so wird eben jener Contact zwischen der
gefiLsshaltigen Linsenkapsel und der vorderen Irisfläche
*) DisaerUt de membraaa papillari, 1S42.
^) Entwiokelimgsgetehiohte das Mensohen, 1S61, pag. 295.
•««) B. Wagner's Handwörterbuch der PhyiioL Th. m, Abth. 2,
pag. 828.
218
zunächst in der Ciliargegeud stattfinden und würden wir
unter besonderen Umstanden — wie in dem mitgetheil-
ten Falle — die Spuren jenes Vorganges auch in der
späteren Zeit persistiren sehen. Halten wir uns an
die noch immer gebräuchliche Terminologie, nach welcher
nur der in dem späteren PupiUargebiete liegende Theil
der gefässhaltigen Linsenkapsel als membrana pupillaris,
der zwischen Pupillarrand und Linsenäquator befind-
liche als membr. capsulo-pupillaris bezeichnet wird, so
würden wir in dem vorliegenden Falle also nicht allein
die Persistenz einer Pupillarmembran, sondern auch die
eines Theiis der Kapsel - Pupillarmembran bestätigt
sehen.
Die sich mir bietende Beobachtung fesselte mein
volles Interesse, da ich zunächst der Meinung war, eine
bisher ganz unbekannte Thatsache von ebenso grossem
morphologischen Interesse als für die Erklärung einer
Reihe von Bildungsfehlern hohen Bedeutung referiren zu
können. Dieses Vergnügens sehe ich mich beraubt, nach-
dem ich bei nachträglicher Durchmusterung der Litera-
tur schliesslich auf eine vortreffliche Arbeit A. Weber's*)
stiess, welche ganz den von mir behandelten Gegenstand
zum Vorwurf hat. Ich scheue mich nicht, zu gestehen,
dass ich zur Zeit des Erscheinens jener Arbeit, gerade
durch fernliegende Interessen gefesselt, nur so flüchtige
Notiz von derselben genommen hatte, dass mir die Exi-
stenz derselben ganz aus dem Gedächtniss geschwunden
war. In der Absicht, eine möglichst vollständige CoUection
gut beobachteter Fälle zusammenzustellen, hatte ich nun
zunächst die ältere Literatur mit besonderem Fleisse
durchsucht^ so dass ich durch eine wunderliche Fügung
erst am Schlüsse meiner litterarischen Studien die citirte
*) ArcbiT fva Ophtha]molog:ie, Bd. YIU, Ahth. 1.
219
Arbeit Webe r's n&her kennen lernte. Jenen litterarischen
Theil meiner Arbeit unterdrücke ich jetzt als überflüssig,
weil die kritische Musterung, welche Weber über die
namentlich von Himly, Schön und Stellwag citirten
Fälle halt, wesentliche Zusätze nicht gestattet Hinge-
gen wird es mir mein verehrter College nicht übel deuten,
wenn ich den übrigen Theil meines Aufsatzes genau in
der Form zur Publication bringe, welche ich demselben
vor der Eenntnissnahme seiner Arbeit gegeben hatte.
Handelt es sich uin Bestätigung von bisher noch nicht
bekannten Thatsachen, so sind gerade gleichlautende
Beobachtungen, weldie unabhängig von einander gemacht
werden, oft von entscheidendem Werth. Die in allen
wesentlichen Punkten herrschende Uebereinstimmung un-
serer beiden Fälle, welche sich sogar bis auf die Auf-
fiissung der Entstehungsweise der geschilderten Abnor-
mitäten erstreckt, wird jeden Leser frappiren. Dass der
Gegenstand, abgesehen von seiner wissenschaftlichen
Seite, auch eine praktische Frage auf die Tagesordnung
bringen kum, dafor ist gleichfalls die gemachte Mitthei-
lung ein Beleg.
Berlin, Drack Toa W. Bttxeniteiii.
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Fig. 3.
Fi^.2.
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lidL^ifiak T.H. .Sdieidc in Half */S.
ARCHIV
fOk
OPHTHALMOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. F. ARLT Prof. F. C. DONDERS
Dl WIEN IH UTBBOHT
UND
Prof. A. von GRAEFE
INBEBLIN.
T^Tj-PTBR JABCEia-ANa
ABTHEILÜNO IL
ODEB
ELFTER BAND
ABTHEILCTNG IL
MIT H0LB8GHMITTEN VKD TAFKLU.
BERLIN, 1866.
VERLAG VON HERlfANN FETERS.
giae Uebenetiuf in fread« Sprachra bcbalteo ikh ferfuiar ini^ Verief«r vor.
Inhalt.
EUhm
I. XI«beT einige YerlialtiiiBse des Binoonlaneheni beifiehie-
leoden mit Benehung anf die Lehre ron der IdentUit
der Netihaate. Von Prof. Alfred exmele .... 1-^6
1) Das paralytisclie Schielen 6
2) Das eoneomitirende Schielen 17
IL Zur pathologischen Anatomie des rordem Scleralstaphy-
loms (Staphyloma sderae anticnm; Sdereotasia anterior;
Cirtophthalmia; Staphyloma corporis eiliaris; Staphy-
loma annnlare). Mit Tafeln. Von Dr. Sehieii-eemnaeuf
in Basel 47—88
1. Fall. Partielles, kleines Sderalstaphylom ror dem
Corpus ciliare • . . 51
2. FaU. Vorderes, totales Sderalstaphylom, ror dem
Corpus ciHare, Verlust des Linsensjstems;
geschrumpfte und pigmentirte Retina . . 57
8. Fall. Vordere, hochgradige Selerectasie ror dem
Corpus eiliare mit allgemeiner Ektasie des
Bulbus 68
4. FaU. Totale Ektasie derSclera; hochgradige Atro-
phie der Betina und Chorioidea; Auflagerung
unter das Süssere Homhautepithel ... 72
Figuren-Erklärung 82
HL I. üeber den Einfluss des intraocularen Druckes auf
die Blutbewegung im Auge. n. Experimentelle Beiträge
sur Diffusion im Auge. Von Dr. Xitrophan Ximoekj 84—128
IV. Zur Ophthalmometrie. A. d. physiol. Labor, des Hm.
Prof. Helmholtz. Von Dr. B. Boiow aus Petersburg 129—184
V. lieber die Eiterbildung auf dem AugenHd-ConjunctiTal-
sack. Von Dr. Proioroff 135—146
VI. Zwei Fälle Ton intraocularen Cystioerken mit Seotions-
befund. Mit Holsschnitten und Tafel Von J. Jaeobion 147—165
IV
Seite
VU. Zar Lehre Ton der Cataract-Extraction mit Lappen-
Bolinitt Von J. Jaoobion 166—234
Üeber einige Heilungsvorgänge nach der Staar-£x-
traction 166
1) Die Heilung der Lappenwnndränder .... 176
2) Die Beschaffenheit derComea während der Lappen-
heilung 182
8) Die Beschaffenheit der vorderen Augenkammer
nach der £xtraction 193
4) Das Verhalten der Iris nach der Extraction . . 196
5) Ueber die der Extraction folgenden Vorgange im
Pupillargebiete 204
SohluBflbemerkungen 213
VIII. Anatomische Beitrage zur Ophthalmopatholog^e. MitTaf.
Von Dr. E. Kleba 235—258
IX. Zar Ophthalmometrie. Von Em. MandeUtamm . . 259—265
X. Kleine Mittheilung far die Geschichte der Operation
des grauen Staars. Von Dr. Job. Bapt. üllertperger 266—273
Heber einige Verhältnisse des Binocnlarsehens bei
Schielenden mit Beziehung auf die Lehre von
der Identität der Netzhäute.
Von
Prof. Alfred Graefe.
(regen das Dogma der Netzhautidentitfit sind im Laufe
der letzten Jahre von einzelnen Physiologen gewichtige
Zweifel erhoben worden. Während dieselben jene Lehre
als eine durchaus irrige gänzlich zu beseitigen versuchten,
bemühte man sich von einer andern Seite, sie durch
einen weitem Ausbau und durch eine eingehendere
Beleuchtung der zu ihr in Beziehung gesetzten Er-
scheinungen in ihren Grundanschauungen zu erhalten.
Je lebhafter diese Fragen unter den Physiologen discutirt
wurden, um so befremdender ist es, in den Wirmissen
dieser Fehde die Stimmen jener Ophthalmologen zu ver-
missen, um welche sich die augenärztlichen Fortschritte
unsres Zeitalters hauptsächlich gruppiren. Nicht minder
zu verwundern scheint es, dass die Physiologen, welche
das genannte Thema seit Jahren zum Lieblingsgegen-
stande ihrer Beschäftigungen gemacht haben, mit so be-
harrlicher Exclusivität die Thatsachen perhorresciren,
welche uns in dieser Beziehung die Pathologie liefert
ArehlT flir OphÜMlnologie. XL 1 1
Um zur Erkenntniss einer physiologischen Wahrheit zu
gelangen, genügt keineswegs immer die Beobachtung des
Organismus in seiner normalen Thätigkeit. Greifen doch
so viele physiologischen Experimente selbst sehr gewalt-
sam, wenn auch noch so methodisch, in das normale
Leben ein, sind doch viele von den Errungenschaften der
Physiologie lediglich Früchte der Beobachtung eines auf
solche Weise methodisch gestörten Lebens ! So verkehrt
es wäre, die Physiologie aus der Pathologie construiren
zu wollen, so wünschenswerth scheint es mir doch, dass
die erstere solche Störungen in den Kreis ihrer Betrach-
tungen zöge, welche allermindestens den Werth eines
physiologischen Experimentes bieten, eines Experimentes,
welches die Natur selbst in so reiner, instructiver Form
uns entgegen bringt, dass es eben zur Prüfung einer
physiologischen Doctrin hochwillkommen sein muss.
Und eine Störung von so ganz bestimmtem Typus, von
so ganz zu physiologischer Betrachtung berufnen Art ist
der Strabismus in seinen verschiednen Modalitäten. Es
hat Donders durch die eingehende Beschäftigung mit
dieser Anomalie nicht allein die Nosologie derselben er-
weitert, sondern er hat hiermit der Physiologie einen
mindestens eben so grossen Dienst erwiesen, indem die
Anschauungen über die Accommodationsleistungen des
Auges in Bezug auf die verschiednen Refractionszustände,
über die Dependenz der Sehaxenstellung von den Ac-
commodationsanstrengungen etc. hierdurch zum Theil
ganz andre wurden. Ich bin der Ueberzeugung, dass
4ie Symptomatologie des Strabismus nicht allein die eben
berührte Seite unsrer physiologischen Kenntnisse zu er-
weitern geeignet, sondern dass dieselbe auch eine grosse
Rolle bei der Entscheidung über das Identitätsprincip
zu spielen berufen ist.
Der Physiolog studirt die Functionen der Augen
eben nur in ihrer natürlichen, harmonischen Beziehung
Zu einander. Was hierbei Ausdruck einer angebomen
Anlage, was Consequenz dieses beständigen einheitlichen
Zusammenwirkens ist, das muss nach vollendeter Er-
ziehung unsres Sehsinns so ineinander greifen, dass es
dem schärfsten physiologischen Forscherblick kaum ge-
lingen wird, eine scharfe Demarcationslinie zwischen den
Erscheinungen zu ziehen, welche einestheils unmittelbare
Resultate der Organisation, andemtheils Produkte der
physiologischen Gewöhnung sind. Von welch hohem
Interesse es fdr uns sein muss, die natürlichen Beziehun-
gen beider Augen zu einander in einer jgesetzmässigen
Weise gestört zu sehen, w^ie die Analyse solcher acqui-
rirter Störungen die Erkenntniss der angebomen und
anerzognen Qualitäten des Sehsinns fördern muss, das
liegt völlig klar zu Tage. — Die physiologischen Netzhaut-
centren sind die Regulatoren der Augenstellung und
Bewegung — sie werden den zu fixirenden Objecten
gegenüber gebracht: das ist eine einfache Folge ihrer
prävalirenden Empfindungsenergie. Da diese Netzhaut-
centren in beiden Augen eine durchaus symmetrische
Lage haben, so wird hierdurch eben die Symmetrie der
Augenstellung und Bewegung eine unmittelbare Noth-
wendigkeit. Beide Augen zeigen die übereinstimmendste
anatomische Organisation, beide werden in Bezug auf
Stellung und Bewegung von Geburt an in jedem Moment
von demselben kategorischen Bestimmungsgrund be-
henscht. — So beginnt schon mit Beginn des Lebens
eine Erziehung zu einem einheitlichen Zusammenwirken
derselben, dessen Gesetzmässigkeit und Gleichartigkeit
eben der einfache Ausdruck für jene gleiche anatomische
Beschaffenheit und physiologische Bestimmung ist. Keines-
falls würde also die einheitliche symmetrische Stellung
der Augen den fixirten Objecten gegenüber noch einer
weitern Erklärung bedürfen: wir fixiren mit den Netz-
hautcentren beider Augen nicht etwa, weil diese der Lage
nach identische Punkte, sondern weil sie beide zum
Fixiren allein geeignet sind. Die Begründung einer be-
sondern Identitätsdoctrin würde bis hierher völlig un-
motivirt sein: diese ist vielmehr zunächst dadurch ins
Leben gerufen, dass die beiden, den fixirten Objectpunkten
correspondirenden centralen Netzhautpunkte eine einige
Empfindung vermitteln und dass dasselbe im Allgemeinen
auch von andern Punkten gilt, welche eine analoge
symmetrische Lage .zu einander haben, während unter
andern Verhältnissen die beiderseitigen Netzhauterre-
gungen ein binoculares Sammelbild nicht constituiren,
sondern gesondert in Erscheinung treten. Hier eben
beginnt die Hypothese. Die erste Schwierigkeit macht
immer die Frage: weshalb sehen wir unter jenen
Verhältnissen nur ein Bild? Die stricte Aufgabe der
Physiologie dieser Frage gegenüber kann nur die sein,
darüber zu entscheiden, ob jene Thatsache unmittelbar,
etwa aus einer anatomischen Zuordnung der „identischen'^
Punkte folgt, ob sie, so zu sagen, eine immanente Eigen-
schaft unsres einen, aus zwei paarigen Organen consti-
tuirten Sahsinns ist, oder ob sie einfach daraus resultirt,
dass beide Augen nach aussen hin stets in überein-
stimmender Lage zu dem Gegenstande ihrer directen
Wahrnehmung, nach innen hin in gleicher Beziehung zu
den Organen des Bewusstwerdens sich befinden.
In den nachfolgenden Mittheilungen hofTe ich, einen
brauchbaren Beitrag zu der Entscheidung jener Frage
zu liefern. Ich bin zur Zeit verhindert, hierbei auf alles
das einzugehen, was von unsern Physiologen für und
gegen die eine oder die andre Auffassungsweise vorge-
bracht ist und beabsichtige also keineswegs eine um-
fassende Bearbeitung der Lehre von dem binocularen
Sehen. Es wird vielmehr mein Bestreben sein, nur einige
Erscheinungen, welche sich an die Störungen der
gewöhnlichen Beziehungen beider Augen zu
einander knüpfen, in Hinblick auf jene Streitfrage
einer eingehenderen Betrachtung zu unterwerfen. Ich
stehe nicht an, zu erklären, dass ich erst nach langjäh-
riger sorgfältiger Beobachtung jener Störungen mich
entschliessen konnte, in dieser Sache ein Wort zu reden,
theils um nicht, wie es von einzelnen Seiten geschehen
ist, durch allzu fragmentarische Mittheilungen die herr-
schende Verwirrung zu vermehren, theils weil mir das
einheitliche Priucip mancher hierher gehörigen Erschei-
nungen, die in entschiednem Widerspruch mit einander
zu stehen scheinen, lange verhüllt blieb. Durch die
kritische Sichtung meines aufgehäuften Beobachtungs-
materials sehe ich mir jetzt die Verpflichtung auferlegt,
den Staudpunkt, welchen ich vor acht Jahren bei Ab-
fassung meiner „Klinischen Analyse der Motilitätsstörun-
gen des Auges^^ einnahm, selbst zu bekämpfen, denn in
der That sehe ich jetzt keine Möglichkeit mehr, die Mo-
dalität der binocularen Diplopie, wie sie bei Störungen
der Stellung und Bewegung der Augen in Erscheinung
tritt, vom Gesichtspunkte der Identitätsdoctrin aus in
ihrem eigentlichen Wesen zu begreifen. In vielen Be-
ziehungen liefert dieselbe allerdings, wenn es sich nur
um eine diagnostisch verwerthbare Auffassungsweise
handelt, wie z. B. bei Betrachtung der Augenmuskel-
paresen, ein recht bequemes Schema — sonst würde
überhaupt jener Ir;lhum gar nicht möglich geworden
sein, eben so häufig aber lässt sie uns bei der Analyse
der an jene Störungen sich knüpfenden Erscheinungen
völlig in Stich, oft steht sie zu denselben sogar in un-
bestreitbarem Widerspruch. — Der Bahn brechenden
Arbeit Nagels*), welche bisher in ihrer essentiellen
Bedeutung viel zu wenig gewürdigt worden ist, verdanke
ich die Anregung zu der nochmaligen Bearbeitung dieses
•) Nagel „dal Sehen mit zwei Augen** 1861.
6
Gegenstandes, dem ich £raher schon, frm'lich noch in der
Identitätsdoctrin befimgen, meine Anfinerksamkeit zuge-
wendet hatte. Die der Projectionstheorie jenes Autors
za Grunde liegende Opposition gegen das Dogma der
Identität erkenne ich als eine wohlberechtigte durchaas
an — die Theorie in ihrem weitem Ausbau und nament-
lich in ihren Beziehungen zu dem physiologischen Sehakt
zu beleuchten, liegt vorläufig ausserhalb meines Planes.
Das paralytische Schielen.
Bekanntlich sind vorzugsweise an die Stellungsver-
änderungen resp. Beweglichkeitsbeschränkungen eines
Auges, welche durch paretische und paralytische Affec-
tionen eines (oder mehrerer) Augenmuskels entstehen,
die Symptome einer sehr lästigen Diplopie geknüpft.
Das Innervationshinderniss tritt schnell, wenigstens relativ
schnell ein und die damit eingeleitete irrige Projection
des dem kranken Auge zugehörigen Gesichtsfeldes be-
weist es zur Genüge, dass das Bewusstsein nicht mehr
die Kenntniss der Muskel Wirkung besitzt, welche den
jetzt veränderten Innervationsverhältnissen correspondirt.
Fordern wir einen derartigen Patienten auf, ein Gesichts-
object mit dem paretischen Auge zu fixiren, während das
andre mit der Hand verdeckt ist, so fixirt er zwar nach
wie vor mit dem Netzhautcentrum, der paretische Muskel
bedarf hierzu jedoch eines je nach dem Grade der Läh-
mung das gewohnte Maass überschreitenden Innervations-
qnantums. Dieser Aufwand eines ungewohnt starken
Innervationsimpulses ist ein bewusster Akt, während die
verringerte Reactionsfähigkeit des Muskels vorläufig
durchaus ausserhalb des Bewusstseins liegt. Die noth-
wendige Folge hiervon ist, dass Patient den realen Con-
tractionsgrad des paretischen Muskels überschätzt Lassen
vfir denselben also auf das fixirte Object schnell mit dem
Finger losstossen, so trifft er dieses bekanntlich nicht,
sondern er irrt in der Richtung von dem Object ab,
¥^elche der durch den kranken Muskel zu vermittelnden
Hotationsrichtung des Bulbus entspricht Wenn wir bei
einer exacten Ausführung des Experimentes den Abstand
des Fixationsobjectes von dem neben demselben befind-
lichen Punkte notiren, auf welchen der schnell vorge-
stossene Finger trifft, so würden wir hiermit ein genaues
lineares Maass für den Grad des eben herrschenden
Orientirungsirrthums, oder, um physiologisch zu sprechen,
lur den Grad des gestörteu Muskelgefühls erhalten. Es
involvirt diese Erscheinung, wenn ich mich so ausdrücken
darf, eine Art idealen Doppeltsehens. Das eine Bild wird
eben gesehen, und zwar in einer falschen Richtung,
d. h. an dem Orte, auf welchen der zielende, vorge-
schnellte Finger losstösst, das andre kann nur ver-
muthet werden — und zwar an dem richtigen Orte —
nachdem man von der Täuschung sich überzeugt hat.
Die Rolle des vorgestossenen Fingers spielt nun in voll-
kommenster Uebereinstimmung auch das unter der decken-
den Hand befindliche normale Auge. Die Sehlinie des-
selben wird, bestimmt durch den aufgewendeten stärkern
Willensimpuls, der ja die associirt wirkenden Muskeln
beider Augen trifft und im gesunden Auge auf einen
normal fungirenden Muskel wirkt, ganz in derselben
Richtung und ganz in demselben Grade an dem von dem
kranken Auge fixirten Objecto vorbei irren, wie der vor-
gestossene Finger, mit andern Worten: der Finger irrt
ganz in der Richtung der sogenannten secundären Ab-
lenkung an dem Objecto vorüber. Die Bewegungslinie
des vorgeschnellten Fingers und die Sehlinie des abge-
wichnen gesunden Auges werden bestimmt die Richtung
bezeichnen, in welcher der dem paretischen Auge mit-
getheilte Sinneseindruck die Localisation des zugehörigen
8
Gesicbtsobjectes vermittelt. Ist es möglich, die Fixations-
Verhältnisse in der obigen Weise genau beizubehalten,
wenn man die bisher das gesunde Auge deckende Hand
jetzt von demselben plötzlich entfernt, so werden wir
uns von der Coincidenz der Aberrationslinie des vorge-
stossenen Fingers und der Sehrichtnng des in der secun*
dären Ablenkung befindlichen gesunden Auges auf das
Entschiedenste überzeugen können. Präsumiren wir ein-
mal, es sei dies möglich, wie es in der That ja auch oft
der Fall ist — was würde jetzt die Folge sein müssen?
Um das Yerständniss zu vereinfachen, wollen wir ein
concretes Beispiel wählen. Der Abducens des rechten
Auges sei im Zustande der Parese. Während das linke
Auge mit der Hand verdeckt wird, lasse man das rechte
eine in der Mittellinie, etwa 2' vor der Gesichtsfläche
befindliche Kerzenflamme fixiren. Der auf dieselbe zie-
lende und dann schnell vorgestossene Finger trifft nicht
sie, sondern einen etwa 4" horizontal nach rechts von
ihr gelegnen Punkt: unter der deckenden Hand wird die
Sehlinie des linken Auges auf eben denselben Punkt ge-
richtet sein. Wir entfernen jetzt die Hand und nehmen
an, beide Augen verharrten genau in derselben Stellung.
Die Lichtflamme liegt jetzt nicht in der Eichtung des
direkten Sehens des bisher verdeckten linken Auges,
sondern nach aussen (links) von derselben, wird also hier
nicht auf der macula lutea, sondern auf einer nach innen
von ihr liegenden Netzhautstelle ihr Bild entwerfen müssen.
Da dies Auge sich nun unter vollkommen normalen
Innervationsverhältnissen befindet, so wird von ihm die
Flamme, obwohl excentrisch, doch durchaus am richtigen
Orte gesehen, während das rechte Auge die Flamme
allerdings central, aber an einem unrichtigen Orte er-
blickte. Wird ein Gegenstand aber gleichzeitig an dem
richtigen und an einem unrichtigen Orte gesehen, so
muss er — das ist die sehr einfache Folge — eben
doppelt gesehen werden. Eine weitere Consequenz ist
die, dass das dem rechten Auge zugehörige Bild rechts
von dem wirklichen Orte der Flamme, also rechts von
dem dem linken Auge zugehörigen Bilde sich befinden,
d. h. dass eine gleichnamige Diplopie stattfinden muss,
da ja der vorgestossene, nach rechts hin abirrende Finger
so wie die in gleichem Sinne gerichtete Sehlinie des vor-
her verdeckten, gesunden Auges die Richtung hinlänglich
bezeichnen, in welcher von Seiten des rechten Auges die
Täuschung über den wahren Ort des Bildes stattfindet. —
Die Ausführuug des Experimentes in dieser Form ist
erfahr ungsgemäss nicht immer möglich, da nicht alle
Kranken der an sie gestellten Forderung, mit dem pare-
tischen Auge zu fixiren, genau und bestimmt entsprechen:
die Verhältnisse sind indess ganz dieselben, wenn das
gesunde Auge fixirt und das kranke die durch die Pa-
rese bedingte Stellungsveränderung einnimmt Auch hier
muss ganz aus denselben Gründen neben dem Bilde,
dessen wirklicher Ort jetzt durch die Fixationsrichtung
des gesunden Auges sofort bestimmt ist, ein zweites
Bild auftreten, dessen Entfernung von dem erstem in
ganz analoger Weise ein lineares Maass für den an diese
Stellung geknüpften Grad der Störung des Muskelgefühls
ist. Denn würde jetzt das gesunde, fixirende Auge plötz-
lich verdeckt und könnte man gleichzeitig das kranke
Auge bestimmen, seine Ablenkung streng beizubehalten,
so musste das Object von demselben jetzt excentrisch —
in Folge der Ablenkung — und an dem unrichtigen
Orte — (hier also zu weit nach rechts) — in Folge der
Störung des Muskelgefühls gesehen werden. Bleiben wir
bei dem Beispiele einer rechtsseitigen Abducensparese, so
ist es klar, dass der Grad der Störung des Muskelgefühls
in dem Maasse wachsen muss, als man das afficirte Auge
mehr zu einer Stellung nach rechts bestimmt, weil in
demselben Verhältniss der paretische R. externus mehr
beansprucht wird. Hierauf beruht einestheils die Er-
scheinung, dass die Distancen der Doppelbilder bei dem
ersten Versuche grösser ausfallen, als bei dem zweiten
und dass andemtheils dieselben mit der Bewegung des
Fixationsobjects nach rechts hin wachsen.
Die bisher gemachten Raisonnements befinden sich
in strengster Uebereinstimmung mit den gewöhnlichen
Erscheinungen, welche durch Parese eines Augenmuskels
hervorgerufen werden und zu deren Bestätigung wir nicht
' einmal besonders beobachtungsfahige Kranke nöthig haben.
Wir bedürfen mithin zur Interpretation der Diplopie bei
Muskelparesen keineswegs eines besondem Identitats-
dogmas. Die einfache Würdigung des Vorganges, ver-
mittelst dessen wir uns über die Richtung orientiren, in
welcher ein Gesichtsobject von uns wahrgenommen wird,
führt ohne alle Schwierigkeiten zu einer bequemen Deu-
tung dieser Form des Doppeltsehens. — Die Anhänger
der Identität könnten diesen Erörterungen gegenüber
nun geltend machen, dass ja auch die nach den Forde-
rungen ihrer Lehre entworfene Construction der bei
Muskelparesen auftretenden Doppelbilder in der völligsten
Harmonie mit den wirklichen Erscheinungen sich befinde.
Einmal ist es immer schon ein schlimmes Ding, zur Er-
klärung von Thatsachen erst ein künstliches Dogma auf-
zustellen, wenn ein viel einfacherer Weg zur Einsicht
führt, sodann muss ich in Abrede stellen, dass die Ver-
treter desselben die eben aufgestellte Behauptung streng
zu beweisen überhaupt im Stande sind.
Nehmen wir beispielsweise wieder eine rechtsseitige
Abducensparese an. Das Fixationsobject befinde sich in
der Mittellinie, 2* von der Gesichtsfläche entfernt: so
müssen also unsrer vorigen Deduction zufolge zunächst
gleichnamige Doppelbilder auftreten. Zu demselben Re-
sultate kommen allerdings die auf dem Boden der Iden-
tität stehenden Interpretatoren, jedoch auf anderem Wege.
11
Das Bild des Objektes 0 (Fig. 1) fonnire sich im fixiren-
den linken Auge L im Netzhautcentram c, auf der Netz-
haut des nach innen abgewichenen Auges R jedoch in
einem exentrisch horizontal nach innen liegenden Punkte x .
Mit dem Punkte x* ist ein in gleicher Exentricitftt auf
der äussern Netzhauthälfte des andern Auges liegender
Punkt X identisch, indem c^ x^ = c x : wir werden also
die Richtung, in welcher das Doppelbild liegt, finden,
wenn wir die Verbindungslinie von x mit dem Ereuzungs-
punkte der Richtungsstrahlen nach aussen hin verlän-
gern. In der Richtung x 0^ würde der Ort des zweiten
Bildes zu suchen sein. Aber eben diese Uebertragung
der Excentricität von dem kranken auf das gesunde Auge
ist ein gewaltsamer, etwas sophistischer Akt, indem er
ganz von der viel näher liegenden Betrachtung der Stö-
rungen abstrahirt, welche nothwendige Consequenzen des
12
alienirten Muskelgefühls und der hierdurch eingeleiteten
irrigen Projection des Gesichtsfeldes sind. Halten wir
einmal daran fest, dass die Erregung eines Netzhaut-
punktes durch den Ereuzungspunkt der Richtungsstrahlen
nach aussen versetzt wird, wie umgekehrt der Netzhaut-
bildpunkt eines Objectpunktes in der Verlängerung der
diesen letztem mit dem Kreuzungspunkte der Richtungs-
strahlen verbindenden Graden liegt, so würde bei An-
wendung dieser Construction auf das leidende Auge R
die Erregung von x^ nach 0 zurück zielen : Doppeltsehen
könnte also gar nicht entstehen — und doch muss dies
nach den Forderungen der Theorie sein! Wie löst sieh
dieser Widerspruch? Einzig und allein dadurch, dass wir
auf die Täuschung Rücksicht nehmen, welcher das rechte
Auge in Bezug auf seine Stellung unterworfen ist. Ver-
suchen wir also die Erklärung des Doppeltsehens bei
Muskelparesen auch auf die Identität zu stützen, so
werden wir doch immer wieder auf die durch Störung
des Muskelgefühls bedingten Einflüsse zurückgewiesen.
Nach unsrer Auffassungsweise also würde der Vor-
gang, welcher zur Localisation des Doppelbildes führt —
wenn wir denselben constructiv zu veranschaulichen
hätten, folgender sein: Das Auge L (Fig. 2) fixire den
Punkt 0 ; die Sehlinie des Auges R, welches an Abducens-
parese leidet, befinde sich in der fehlerhaften Convergenz-
stellung c P. Ist k^ der Ereuzungspunkt der Richtungs-
strahlen während der abgewichenen Lage des Auges, so
wird die Verlängerung der Graden 0 k' den Netzhaut-
punkt 0 bezeichnen, welcher die Erregung durch Punkt
0 empfängt. Die Excentricität c o ist also dadurch be-
dingt, dass das Auge R um w. c n c^ von der fixirenden
abweicht. Da unter den präsumirten Verhältnissen das
Maass der Innervation herrscht, welches — bei nicht
vorhandener Parese — die fixirende Richtung realisiren
würde, so glaubt das Auge R wirklich in der fixirenden
13
Richtung c^ 0 sich zu befinden und verlegt consequenter
Weise Punkt o nach oS da c o — c* o*. Ist nun k der
Ereuzungspunkt der Richtungsstrahlen bei der (eingebil-
deten) fixirenden Augenstellnng, so wird in der Verlän-
gerung der der Linie o^ k, etwa in 0' das Doppelbild
zu suchen sein. Es verlegt also das abgewichene, unter
dem Einfluss der Parese befindliche Auge die excentrische
Erregung dahin, wohin es eine Erregung von gleicher
Excentricität bei richtiger Augenstellung verlegen würde.
Wenden wir nun einen Blick auf die die Diplopie
cor rigirende Wirkung der Prismen. Nach derjlden-
titätslehre wäre die Definition dieser Wirkung einfach
mit dem Hinweis gegeben, dass wir durch geeignetes Vor-
legen der Prismen die durch das Fixationsobject gegebene
optische Erregung, welche vorher zwei nicht identische
Punkte, nämlich das Netzhautcentrum des einen und einen
14
excentrischen Netzhautpunkt des andern Auges, traf,
wieder auf identische Punkte, d. h. beide Netzhautcentren
leiten und damit also Einfachsehen herbeiführen. Wir
sind indess gezwungen, den Vorgang anders zu deuten. —
Legen wir zunächst vor ein normales Auge ein Prisma, ,
etwa mit der Basis horizontal nach der Schläfenseite an,
während das andre Auge geschlossen ist und fixiren nun ein
beliebiges Object, so erscheint dasselbe, da wir durch die
optische Wirkung des Prisma bestimmt, das Auge nach
innen stellen müssen, horizontal nach innen verrückt.
Stossen wir mit dem Finger schnell auf das uns erschei-
nende Bild, so werden wir uns der Täuschung sofort
bewusst: wir irren eben nach innen von dem wirklichen
Orte des Objectes vorüber. Es beruht dies lediglich auf
einer optischen Täuschung, nicht auf einer physiologischen
wie dort, wo es sich um eine irrige Projection des Ge-
sichtsfelds auf Grund einer Muskelparese handelte. Legen
wir nun in derselben Weise ein mittleres Prisma vor
das eine z. B. das rechte Auge, während beide Augen
geölSfnet sind, so nimmt bekanntlich jedes die fixirende,
das bewaffnete Auge also eine mehr convergente Stellung
ein und das Bild erscheint auch jetzt nicht an seinem
wirklichen Orte, sondern im Durchschnittspunkte der
beiden Sehlinien d (siehe Fig. 3). Der vorgestossene Finger
überzeugt uns sehr bestimmt davon, denn:
1) wir stossen noch immer nach links von dem Ob-
jecto vorüber;
2) die Aberration des Fingers ist beträchtlich ge-
ringer als bei monolateraler Fixation des mit dem
Prisma bewaffneten (rechten) Auges. Im letztem
Falle beträgt sie a b (s. Fig. 3), im erstem c d.
Die Täuschung wird also geringer, weil das Object
gleichzeitig näher gerückt erscheint.
Was thun wir nun, wenn wir, zurückkehrend zu
unserm concreten Beispiel einer rechtsseitigen Abducens-
15
parese, zur Correction der Diplopie ein Prisma, Basis
nach aussen, vor das rechte Auge bringen? Wir setzen
einfach der bestehenden physiologischen Täuschung eine
aequivalente optische Täuschung entgegen, wir corrigiren
jene durch diese. Die paretische Convergenzstellung
brachte das Bild des bezüglichen Auges um eine Distance
X nach rechts — dies ist der physiologische Irrthum —
die Wirkung des Correctionsprisma bringt es um die
Fig. III.
Distance x nach links — dies ist die neutralisirende
optische Täuschung. Schon vor der Anlegung des Prisma
nämlich glaubte sich das paretische Auge in der fixiren-
den Richtung, verlegte also das dem eigentlichen Fixa-
tionsobjecte zugehörige Bild, da es sich auf einen exceu-
irisch nach innen gelegnen Punkt formirte, so nach aussen
als ob es sich in der fixirenden Stellung befände; nach
16
Anlegung des Glases formirt sich das Bild im Netzhaut-
centram und wird es nun, da das Fixationsbewusstsein
dieses Auges hierdurch nicht beeinflusst ist, dorthin ver-
legt werden, wohin es bei der wirklichen Fixations-
stellung verlegt werden muss, also an den wirklichen
Ort des Objektes. Im Princip ebenso, in der Erscheinung
etwas anders ist der Vorgang, wenn wir die optische
Correction auf das gesunde Auge übertragen. Ein Prisma,
Bas. n. aussen, vor das linke Auge gelegt, bestimmt
dasselbe, sich nach innen zu wenden : in associirter Weise
macht das rechte Auge eine durch die Parese mehr we-
niger beschränkte Drehung nach aussen. Ist die Wirkung
des Prisma so berechnet, dass die Drehung, zu welcher
das kranke Auge animirt wird, dasselbe gerad in die
Richtung des directen Sehens bringt, so wird gleichfalls
Eitifachsehen stattfinden, doch wird das Combinationsbild
hier nicht an seinem wahren Orte, sondern rechts von
demselben in Erscheinung treten. In diesem Falle muss
die optische Täuschung des linken der physiologischen
Täuschung des rechten Auges aequal sein. Auf Grund
der letztern sieht dies Auge die Objecte zu weit nach
rechts, während die Prismenwirkung über das linke Auge
die gleiche, compensirende Täuschung verhängt und dieser
Vorgang führt zur Vereinigung der Doppelbilder. Es
leuchtet ein, dass ceteris paribus, stärkre corrigirende
Prismen nothwendig werden, wenn die Correction auf
das gesunde Auge übertragen werden soll und dass in
diesem Falle das Combinationsbild, wie schon bemerkt,
nicht an dem wirklichen Orte des Objekts in Erscheinung
tritt Also auch hier sehen wir das Identitätstheorem
nirgends zur Geltung kommen.
37
n.
Das Goncomitireiide ScMelen.
Während bei den paralytischen Abweichungen eines
Auges die binoculare Diplopie das prononcirteste Symptom
der Störung bildet und den Kranken in die peinlichste
Lage zu versetzen pflegt, ist das Doppeltseben bei Stra-
bismus concomitans geradezu Ausnahme und mir ist kaum
ein Fall bekannt geworden, in welchem es, wenn es
wirklich vorhanden war, zu einer sehr erbeblichen Gene
fOr den Kranken geführt hätte. Stellen wir uns auf den
Boden der Identitätslehre, so muss es allerdings in hohem
Grade befremden, dass hier, trotz der gleichzeitigen Er-
regung von Netzhautpunkten, welche ganz und gar nicht
in dem Verhältniss der Identität zu einander stehen,
Doppelbilder eben nicht in Erscheinung treten. -
Man suchte sich zunächst mit der Hypothese zu
helfen, dass das dem abgelenkten Auge zugehörige Doppel-
bild allerdings vorhanden sei, dass der Eindruck dessel-
ben indessen durch die vereinigten Wirkungen der excen-
trischen Stellung nnd der begleitenden Amblyopie völlig
übersehen werde. Diese Behauptung steht jedoch in
diametralem Gegensatze zu den Thatsachen der Erfah-
rung. Was zunächst den Einfluss der Amblyopie des
schielenden Auges anbelangt, so kann ich in der be-
stimmtesten Weise versichern, dass Doppeltsehen oft
in den Fällen am entschiedensten mangelt, in welchen,
wie beim Strabismus alternaus, die Sehschärfe beider
Augen aequa] oder nahezu aequal ist, während es bei
stärkern Differenzen derselben zuweilen schon spontan
sich zeigt, durch Vorlegen eines gefärbten Glases vor
eins der beiden Augen hingegen in diesen Fällen sehr
häufig in Erscheinung zu rufen ist. Die Lage der Doppel-
bilder entspricht dann, wenn wir vorläufig von den
Archiv mr Ophüialmologie. XL S. 2
18
Distancen derselben absehen, durchweg der Richtung der
Ablenkung, es ist bei Strabismus convergens gleichnamige,
bei Strabismus divergens gekreuzte Diplopie vorhanden.
Bei solchen Formen, welche in Folge geringerer Unter-
schiede in der Sehschärfe zu einem altemirenden Cha-
rakter hinneigen, gelingt die Demonstration dieser Doppel-
bilder mit Hülfe der gefärbten Gläser schon seltner und
schwieriger, bei exquisitem Alterniren geradezu gar nicht
mehr. Auch die Excentricität spielt nicht die ihr zuge-
schriebene Bolle, das lässt sich mit der grössten Evidenz
nachweisen, und namentlich sind auch hier wieder die
altemirenden Formen des Schielens von grösster Bedeu-
tung. Werden bei einem Strabismus convergens alter-
nans*), bei welchem die Demonstration von Doppelbildern
durch einfaches Vorlegen eines gefärbten Glases nicht
gelingt, Prismen mit der Basis vertical nach oben oder
unten, oder gar horizontal nach innen vor das schielende
Auge gelegt, so treten jetzt, mit ganz seltnen Ausnahmen,
Doppelbilder sofort in Erscheinung. Bei der vertikalen Vor-
legung der Prismen wird die excentrische Netzhauterregung
vertikal um die Prismenwirkung verruckt und es ist
klar, dass, wenn die pathologische Abweichung des Auges
Fig IV hierbei in horizontaler Richtung
stattfindet, jetzt die Grade, welche
das Netzhautcentrum 0 (Fig. 4) mit
dem Punkt e\ auf welchen die
Netzhauterregung durch das Prisma
gelenkt war, verbindet, die Hypothe-
nuse zu einem Dreieck bildet, von
welchem der rechte Winkel in e,
also in dem Punkte liegt, dessen
Excentricität der Ausdruck fttr die gewöhnliche Schiel-
*) Dasselbe ist übrigens nicht selten auch bei monolateralem
strabismas der FaU.
19
ablenkung ist. Wird also schon durch verticale Anlegung
der Prismen die Excentricität der Netzhauterregung (um
die Differenz von 0 e^ und 0 e) gesteigert, so muss dies
noch vielmehr der Fall bei horizontaler Prismenwirkung,
Basis nach innen, sein: denn dann wird aus 0 e ja 0 e^\
und doch pflegt eben durch diese Vermehrung der Excen-
tricität Doppeltsehen, welches vorher nicht vorhanden
war, in Erscheinung gerufen zu werden. Ich habe sogar
bei Prüfung dieser Verhältnisse mit Beziehung auf den
Strabismus convergens die eigenthümliche, in ihrem
Wesen mir selbst noch nicht hinlänglich klare Beobach-
tung gemacht, dass durch Vergrösserung der Excentricität
(also bei Vorlegung der Prismen mit der Basis nach
innen) Doppeltsehen meist in viel bestimmterer und
distincterer Weise hervorgerufen wird, als durch Ver-
ringerung derselben (d. h. bei Vorlegung der Prismen
mit der Basis nach aussen) und zwar — dies sei aus-
drücklich bemerkt — nicht etwa bei jenen Formen, in
welchen eine hochgradig entwickelte Amblyopie zu
einer excentrisch nach innen abirrenden Fixation ge-
führt hatte.
[Einige meiner über Strabismus convergens zu Pro-
tokoll gebrachten Beobachtungen lehrten sogar, dass
durch Vorlegung der Prismen,1Basis nach aussen, Doppelt-
sehen zuweilen erst dann zur Beobachtung kam, wenn
eine Supercorrection der pathologischen Ablenkung durch
jene stattfand, d. h. wenn die optische Erregung auf
einen nach aussen von der macula lutea liegenden Netz-
hautpunkt verpflanzt wurde.]
Nachdem ich mich also belehrt hatte, dass weder die
Excentricität noch die Amblyopie des schielenden Auges
auch nur annähernd dazu berechtigen, das Einfachsehen
der Schielenden zu erklären, suchte ich nach einer andern
Interpretation dieser Erscheinung, welche mit dem Prin-
cipe der Identitätsdoctrin noch immer verträglich schien.
2»
20
Ich glaubte, dass die Störung, welche durch das Auf-
treten eines die Orientirung verwirrenden Doppelbildes
entstehen muss, gleichzeitig das Motiv abgeben könnte,
eine aktive Negation dieses zweiten Bildes einzuleiten.
Die nähere Begründung dieser Ansicht versuchte ich in
meiner bereits citirten Arbeit*) zu geben. In der That
muss ich auch jetzt noch der Meiiiung sein, dass Fälle
vorkommen, in welchen wir diese Auffassungsweise
durchaus nicht umgehen können. £s ist zuweilen, auch
bei mittlerem oder selbst gutem Sehvermögen des schie-
lenden Auges, absolut unmöglich, Doppeltsehen zur An>
schauung zu bringen. Weder der Gebrauch der bunten
Gläser, noch die Verrückung der excentrischen Netzhaut-
erregung oder der Stellung des gesunden Auges durch
beliebig stark und in beliebiger Richtung ablenkende
Prismen, noch die Vereinigung beider Hülfsmittel, können
dann jenes vermitteln und selbst nach einer operativen
Beseitigung der fehlerhaften Stellung besteht diese In-
dolenz des leidenden Auges dann wohl weiter: diese
Fälle, welche nach meiner frühem Auffassungsweise die
Störungen des gemeinschaftlichen Sehens par excellence
repräsentiren, sind indess einmal sehr selten, andrerseits
bieten sie hier weniger Interesse, da sie weder für noch
gegen die Identitätstheorie zu sprechen geeignet sind.
Jeder, der sich Mühe giebt, den Modus des Einfach-
und Doppeltsehens bei Schielenden, vor der Operation
sowohl als nach derselben, zu studiren, wird eine Reihe
von Erscheinungen zu beobachten Gelegenheit haben,
welche oft genug in einem direkten Widerspruch zu
einander zu stehen und eben deshalb zur Begründung
eines einheitlichen Erklärungsprincips schlecht geeignet
scheinen. Die Schwierigkeiten schwinden indess zum
«) Rliniflche Analyse der Motilitätsatörungen des Auges, S.
_21
grossen Theil, wenn wir die durch die Yerscbiedenen
Grade der Sehstörung des schielenden Auges bedingten
Modalitftten des Strabismus concomitans ins Auge &ssen.
In dieser Hinsicht haben wir zu unterscheiden zwischen
dem Strabismus alternans, bei welchem die Differenz in
der Sehenergie beider Augen eine geringere, und zwischen
dem Strabismus monolateralis, bei welchem dieselbe eine
bedeutendere ist Eine strenge Abscheidung dieser beiden
Kategorien von einander ist selbstverständlich nicht
möglich, da der verschiedne Differenzgrad des Sehver-
mögens eine Menge Uebergangsformen vermittelt.
1) Strabismus concomitans alternans.
^ Auch das periodische oder spastische Schielen kann
einen alternirenden Charakter zeigen, doch beschränken
^ir uns zunächst auf eine Betrachtung der Formen mit
Constanten Ablenkungsgraden. Es pflegt hier, wie schon
mitgetheilt wurde, Doppeltsehen spontan eben so wenig
vorhanden zu sein, als durch Vorlegung gefärbter Gläser
hervorgerufen zu werden. Um uns von diesem negativen
Resultate zu vergewissem, bedarf es wiederholter Prü-
fungen und eines eindringlichen Examens — ja es em-
pfiehlt sich, den Kranken durch VerrQckung der gewöhn-
lichen excentrischen Netzhauterregung mit Hülfe der
Prismen Doppelbilder künstlich zur Erscheinung zu
bringen, um sie zur Auffassung derselben, falls sie etwa
auch spontan vorhanden wären, geneigter zu machen.
Wird nun Doppeltsehen bei Anwendung der Prismen
mit Entschiedenheit angegeben und solches bei blossem
Intercalliren eines gefärbten Glases mit eben solcher Be-
stimmtheit in Abrede gestellt, so müssen wir zunächst,
namentlich wenn wir unsre Beobachtungen an intelligen-
teren Kranken vornehmen, mit aller Bestimmtheit aus-
sprechen, dass Doppeltsehen bei der gewöhnlichen Schiel-
stellung in der That wirklich nicht vorhanden ist. Bei
22
PrüfÜDg dieser Verhältnisse wurde mir von^den Kranken
gar nicht selten angegeben, dass die von dem fixirenden
Auge in ihrer natürlichen Färbung wahrgenommene Licht-
flamme eine schwache Beimischung von der Farbe des
Olases zeigte, hinter welchem das schielende Auge sich
befand, dass also auch hier,, ähnlich wie unter normalen
Verhältnissen, eine Art von Wettstreit der Gesichtsfelder
stattfand, der freilich, wie ja zu erwarten, mehr zn
Gunsten des mit dem Netzhautcentrum percipirenden
Auges entschieden wurde. — Dass nun bei Strabismus
alternans jedes Auge zunächst für sich die Orientirung
in normaler Weise vermittelt, das beweist eben, wie schon
von Nagel hervorgehoben ist, der Zustand des Alter-
nirens. Thut dies jedes Auge in der fixirenden Stellung,
so ist auch schon a priori anzunehmen, dass es dasselbe
in der abgewichenen Stellung thut, denn diese tritt ja
in Folge einer Muskelaction ein, deren Grad nicht, wie
bei Muskelparesen, einer falschen Beurtheiluug von Seiten
des Bewusstseins unterworfen ist. Dass, wenn wir das
fixirende Auge schliessen und das abgewichene hierbei
in seiner Ablenkung verharren lassen, hierdurch eine
Desorientirung nicht hervorgerufen wird, davon habe ich
mich bei geeigneten Patienten wiederholt überzeugt.
Prüfen wir hierbei die Orientirungsfähigkeit in Bezug
auf Objecte, welche ausserhalb der Richtung des directen
Sehens des abgewichenen, und etwa in der Sehrichtung
des fixirenden aber bedeckten Auges liegen, so wird jene
freilich nicht ganz vollkommen sein, nicht aber, weil eine
Verwirrung des Muskelgefühls stattfindet, sondern weil
die Rapporte der excentrischen Auflassung denen der cen-
tralen nie gleichwerthig sein können. Es bilden sich also in
der That, wenn eine constante Ablenkung lange Zeit be-
steht, in dem je fixirenden und je abgewichnen Auge
ganz bestimmte und übereinstimmende Beziehungen zw
dem fixirten Objecte (und somit auch in weitrer Con-
23
Sequenz za allen übrigen im gemeinschaftlichen Theile
des Gesichtsfelds liegenden Gegenständen), es erscheint
dem einen Aage dort, wo es auch dem andern erscheint
Wenn unter solchen Umständen Doppeltsehen nun nicht
stattfindet, so kann uns das blos dann überraschen, wenn
wir an der unbedingten Geltung des Identitätsgesetzes
festhalten. War ich also früher der Meinung, dass die
mangelnde Diplopie in diesen Fällen auf einer Abstraction
von dem excentrisch wahrgenommenen Bilde beruhe, die
mit der Zeit etwas entschieden Zwingendes annähme und
dass diese Abstraction bei der constanten Art der Ab-
lenkung um so leichter sich vollenden könne, so lag
hierin noch eine volle Anerkennung des Identitätsprincips.
— Es wird nun Niemand erwarten, dass jenes eine, von
den Schielenden der in Rede stehenden Kategorie wahr-
genommene Bild eine eben so ^wirksame Verschmelzung
der beiderseitigen Gesichtseindrücke repräsentire, wie es
bei normaler Stellung beider Augen der Fall ist: Hier
vereinigen sich ja Siuneseindrücke, welche auf Grund der
gleichen anatomischen und physiologischen Qualitäten
der beiden percipirenden Netzhautcentren durchaus gleich-
artig sind, dort herrscht eine mangelnde Uebereinstim-
mung dieser Eindrücke, bedingt durch den Unterschied
der centralen und excentrischen Sehschärfe.
Von hohem Interesse waren mir in dieser Beziehung
die von solchen Kranken gemachten Aussagen über die
Auffassung stereoscopischer Bilder. Lässt man dieselben
in ein Stereoscop blicken, so sehen sie die auf eine kör-
perliche Verschmelzung berechneten Bilder bald ein&ch,
bald doppelt, in letzterem Falle aber ganz dicht neben-
einander. Findet hierbei nun Einfachsehen statt, so wird
eine distincte körperliche Gestaltung des Bildes mit aller
Bestimmtheit angegeben. Wollen wir wirklich die Rich-
tigkeit dieser Angaben bezweifeln, so bliebe es doch,
wenn, wie hier, jedem Auge für sich ein Bild zur Wahr-
24
nehmung geboten wird, vollständig räthselhaft, dass eben
nur ein Bild in Erscheinung tritt. Wird es somit sehr
wahrscheinlich, dass das wahrgenommene eine Bild ein
Combinationsbild ist, welches sich aus der Verschmelzung
einer centralen und excentrischen Netzhauterregung com-
ponirt, so müssen wir noch einmal daran erinnern, dass
dasselbe immerhin einem Yerschmelzungsbilde nicht aequal
sein kann, dessen Componenteu zwei centrale Netzhaut-
erregungen bilden. — Erscheinen den in Rede stehenden
Schielkranken nun statt eines einigen Bildes wirklich
nur die beiden stereoscopischen Projectionen, so ist es
doch nicht möglich, die geringe Distance. dieser Doppel-
bilder mit der starken Excentricität des schielenden
Auges in Beziehung zu bringen. Wie aber haben wir
uns dann dieses Doppeltsehen zu erklären? Legt man
unter normalen Verhältnissen ein schwächeres Prisma
horizontal vor ein Auge, während ein Gesichtsobject fixirt
wird, so macht sich nach einer uns geläufigen Ausdrucks-
weise ,;die Tendenz zum Einfachsehen'' geltend und ver-
mittelt durch Einleitung einer schielenden Stellung die
Verschmelzung der entstandenen Doppelbilder. Dieser
Vorgang beruht jedoch nicht sowohl auf einer „Tendenz
zum Einfachsehen'' als vielmehr auf einer Tendenz, die
Netzhautcentren beider Augen, als die zum Fixiren na-
türlich bestimmten Punkte, den Gesichtsobjecten gegen-
über zu stellen (siehe Seite 3). Es wird deshalb von
einer solchen Tendenz zum Einfachsehen nicht mehr die
Bede sein, es wird sich diese wenigstens lange nicht mit
derselben Energie geltend machen können, wenn nicht
beide Netzhautcentren, sondern nur das des fixirenden
und der excentrisch liegende Punkt des schielenden Auges
die Einheit der Gesichtsempfindung vermitteln. Dies ist
schon auf folgende einfache Weise zu constatiren:
Legen wir vor das mit Vorliebe zum Fixiren benutzte
Auge eines Schielkranken ein schwaches (etwa 3— 6grä-
25
diges) Prisma, in horizontaler Richtung, so wird dies
Aage, am wieder zur Fixation zu gelangen, eben nach
der Richtung des brechenden Winkels hin rotirt werden.
Das andre, schielende Auge beharrt nun nicht in seiner
vorigen Stellung, weil die „Tendenz zum Ein&chsehen*'
hier nicht durch das Netzhautcentrum dieses Auges mit
regnlirt wird, sondern es macht eine associirte Mitbe-
wegung und es entsteht jetzt Doppeltsehen. Legen wir
nun umgekehrt das Prisma in derselben Weise vor das
gewöhnlich abgewichne Auge, so macht dies nicht eine
corrigirende Einzelbewegung, wie unter normalen Ver-
hältnissen, um hiermit durch Einstellung des frühern
excentrischen Punktes wieder Einfachsehen zu bewirken,
sondern dies Auge sowohl als das fixirende beharrt in
seiner Stellung, weil auch in diesem Falle der die Ten-
denz zum Einfachsehen regulirende Impuls, die Energie
der roacula lutea, nicht bestimmend eintreten kann. Das
jetzt entstehende Doppeltsehen wird also viel mehr
tolerirt. Wird solches in einzo!::e:i Fällen nicht ent-
schieden angegeben, so bekunden doch die in allen diesen
FäUen mit der Vorlegung der Prismen plötzlich eintre-
tenden Fixationsschwankungen ausreichend den Kampf
gegen die, in klarster Distinction vielleicht nicht in Er-
scheinung tretenden Doppelbilder. — Dieselben Verhält-
nisse werden nun maassgebend sein, wenn Schielkranke
dieser Kategorie bei einer stereoscopischen Beobachtung
nicht ein Bild, sondern zwei dicht nebeneinander liegende
Doppelbilder erblicken. Die geringen Distancen derselben
können keinesfalls als ein Maass f&r die excentrische
Stellung des schielenden Auges betrachtet werden, sondern
sind lediglich ein Ausdruck fQr die Wirkung der Prismen-
vorrichtung des Stereoscops. Die zum Einfachsehen er-
forderliche Stellung der Augen wird jetzt nicht sofort
eingenommen, wie unter normalen Verhältnissen, weil
auf einem Auge die regulatorische Energie der macula
26
lutea — gerad wie in den vorher betrachteten Beispielen
— wegfällt Dass sich dies wirklich so verhält, gelang
mir noch vor kurzem ganz concret nachzuweisen. Eine
ca. 30jährige, an hochgradigem (4—5'" betragendem)
Strabismus convergens mit Neigung zum Alterniren lei-
dende Dame, welche spontan oder beim Grebrauch bunter
Gläser nie doppelt sah, erblickte beim Sehen in ein
Prismen - Stereoscop nicht ein binoculares Sammelbild,
sondern die beiden stereoscopischen Projectionen in
c. V«" — 1" Distance nebeneinander. Wurde das rechte
Auge geschlossen, so verschwand das linke Bild und um-
gekehrt. Die gekreuzte Diplopie (bei bestehender hoch-
gradiger ConvergenzI) war also nur ein Effect der mit
der Basis horizontal nach aussen gerichteten Prismen des
Apparates. '
Seitdem ich sorgfaltiger auf die Distancen achte, in
welchen die bei Schielenden unsrer Kategorie durch Vor-
legen von Prismen entstehenden Doppelbilder von einander
abstehen, muss ich, abweichend von einer früher aus-
gesprochenen Meinung, mittheilen, dass diese Distancen
nicht der summarischen Ablenkung des Auges und der Pris-
menwirkung correspondiren, sondern meistens lediglich der
letztern. Legt man in diesen Fällen Prismen zunächst verti-
cal vor das schielende Auge, so entstehen neben den Höhen-
distancenallerdings nicht selten Lateraldistancen der Bilder,
welche indessen oft nicht einmal der Lage, aber ganz und
gar nicht der Entfernung nach der bestehenden Schielstel-
lung entsprechen. So führe ich aus meinen Au&eich-
nungen beispielsweise an, dass bei einem fast 6'^' Ab-
lenkung messenden Strabismus convergens, wenn man
durch vertikales Vorlegen mittlerer Prismen Diplopie
provocirte, die übereinander stehenden Doppelbilder zu-
gleich gleichnamig waren, jedoch nur durch eine Distance
von c. '/V von einander getrennt erschienen, wenn das
Sehobject etwa 2' von der Angesichtsfläche entfernt war.
27 _
Bei einem 3'" messenden Strabismus betrug diese Distance
unter gleichen Verhältnissen c. ^Ik\ bei einem h'*' mes-
senden war sie fast Null, in zwei Fällen sehr hochgradiger
Convergenz wurden die Doppelbilder als genau vertikal
übereinander liegend, einmal sogar mit grösster Bestimmt-
heit als gekreuzte angegeben. Ich könnte die Au&ählung
solcher Beispiele leicht vermehren, begnüge mich jedoch
zu bemerken, dass dies Verhalten bei den Formen des
Strabismus concomitans, von denen wir jetzt ausschliess-
lich handeln, fast Regel ist. Jene geringen Lateral-
distancen haben der hochgradigen^Excentricität des ab-
gewichenen Auges gegenüber geradezu gar keine Bedeu-
tung und sind nurder Ausdruck für leichte Schwankungen
in der Schielstellung. Das gleiche Resultat erhalten wir,
wenn die Prismen horizontal vorgelegt werden. So beob-
achtete ich bei einer 4''' betragenden Convergenz nach
Anlegung eines ligrädigen Prisma, Basis nach innen, mit
Beziehung auf ein c 2^ entferntes Gesichtsobjekt gleich-
namige Doppelbilder von c. 3" Lateraldistance u. s. w.
a. s. w.; es ist ersichtlich, dass solche Distancen nicht
der Entfernung des durch die Frismenwirkung erregten
Netzhantpunktes von der macula lutea, sondern vielmehr
der Entfernung desselben von dem Punkte der Excen-
tricitat entsprechen, auf welchem in Folge des Schielens
das Bild des iixirten Gesichtsobjectes sich für gewöhnlich
formirt, mit andern Worten: jene Distancen der Doppel-
bilder sind eben nur ein Maass für die Prismenwirkung.
Haben wir in dem Vorhergehenden vorzugsweise von dem
convergirenden Schielen gesprochen, so bleibt mir noch zu
bemerken übrig, dass die Erscheinungen bei den geeigneten
Formen des divergirenden Schielens ganz analoge sind.
Auf dem Boden der Identitätslehre stehend, müssten
wir, um die mitgetheilten Thatsachen begreifen zu können,
schon jetzt zur Annahme einer denselben zu Grunde
liegenden Incongruenz der Netzhäute flüchten.
28
Ich muss gestehen, dass mein Misstrauen zu dieser Gat-
tung physiologischer Abnormitäten schon lange in dem
Maasse gewachsen war, als ich in meinem Wirkungskreise
Beobachtungen von „Netzhautincongruenzen" sich häufen
sah. Wenn wir nun schon auf Grund der bisherigen
Mittheilungen in all den eben besprochenen Fällen von
Strabismus concomitans eine exceptionelle Incongruenz
der Netzhäute annehmen müssten, so würden uns die
weitern Erscheinungen nach verrichteter Tenotomie erst
recht hierzu drängen. Auffallender Weise hat man die
Hypothese der Netzhautincongruenz ausschliesslich durch
die der Operation folgenden Erscheinungen begründet,
obwohl auch die Zustände vor der Operation, wie ich
sie oben geschildert habe, in gleicher Weise jene An-
nahme rechtfertigen würden. Wenn sich — und dies
ist bei den in Rede stehenden Formen des Schielens ja
der Fall — ganz bestimmte und bewusste Be-
ziehungen zwischen der fehlerhaften Stellung
des Auges und dem Orte des Gesichtsobjects
ausgebildet haben, so treten nach der Teno-
tomie sehr oft Doppelbilder auf, deren Lage zu
einander vom Standpunkte der Identität aus
nur zu begreifen wäre, wenn man eine soge-
nannte „Incongruenz der Netzhäute" statuirt.
Hat sich jene bewusste Beziehuug zwischen der fehler-
haften Augenstellung und der Objectstellung vollkommen
ausgebildet, und ist hierdurch den Schielenden das bi-
noculare Einfachsehen von neuem gesichert, so erfolgt
nach der Tenotomie des die Schielrichtung vermittelnden
Muskels das Doppeltsehen ganz nach den Gesetzen, welche
wir bei Muskelparesen wirksam sahen. Denn wie hier
durch die Parese ist dort durch die Tenotomie die ge-
wohnte, vom Bewusstsein acceptirte Beziehung zwischen
InnervertioDsimpuls und Muskelwirkung jetzt gestört
Lassen wir in solchen Fällen während monolateraler
29^
Fixation des frisch operirten Auges auf ein Gesichts-
object schnell mit dem Finger losstossen, so irrt er in
derselben Richtung an jenem vorüber, wie wir es bei
Paresen gesehen haben. Wie ungemein complicirt, wie
unausführbar würde die Lokalisation der Doppelbilder
sein, wenn bei demselben zwei Principe, die hier offenbar
in die gründlichste CoUision kommen müssten, thätig
wären! Sie sind es in der That nicht. Ob die Doppel-
bilder jetzt gleichnamig oder gekreuzt sind, darüber ent-
scheidet nicht die absolute Convergenz oder Divergenz
der Sehlinien, also nicht das Identitatsprincip, sondern
nur eine relative Convergenz oder eine relative Divergenz
in Beziehung auf die frühere fehlerhafte, aber im Be-
wusstsein bewahrte Stellung der Augen. So ist es denn
in der That nicht überraschend, wenn wir nach einer
nur theilweisen Gorrection eines Strabismus convergens,
nach welcher also noch immer absolute Convergenz,
jedoch eine relative Divergenz vorhanden ist, gekreuzte
Doppelbilder auftauchen sehen. Die Entfernung dersel-
ben von einander ist auch hier das Maass der durch die
Tenotomie herbeigeführten Störung des Muskelgefühls.
Natürlich wiederholen sich diese Effecte bei der zweiten
Tenotomie: die Distancen der Doppelbilder, welche bei
einer relativen Divergenz bereits gekreuzt waren, müssen
um so grösser werden, je mehr jene wächst, oder, mit
andern Worten, je mehr man die normale Einstellung
(oder gar eine absolute Divergenz) artificiell herbei führt.
In völliger Uebereinstimmung hiermit befinden sich die
Besultate der Versuche, welche nach der Operation mit-
telst der Prismen angestellt werden. Ist z. B. eine pa-
thologische Convergenz, welche ö'" betragen mag, durch
einseitige Tenotomie auf 2 Vi'" reducirt und in Folge
dessen jetzt bereits gekreuzte Diplopie vorhanden, so
wird Einfachsehen wieder hergestellt, wenn man vor das
operirte Auge ein Prisma, Basis horizontal nach innen,
30
legt, dessen Wirkung ein Aequivalent für die operative
Correctionsquote ist. Man wird sich hierbei hald davon
überzeugen, dass die Wahl des Prisma hier in weit ge-
nauerer Weise getroffen werden muss, als wenn wir, wie
z. B. bei leichten paretischen Stellungsanomalien, auf eine
Complementirung resp. Correction des Prismeneffectes
durch das regulatorische Eingreifen der Netzhautcentren
beider *Augen rechnen dürfen. Denn die „Tendenz zum
Einfachsehen'^ wird in diesem letztem Falle — das haben
wir schon besprochen — viel zwingender auftreten müssen
als da, wo das binoculare Sammelbild aus der Verschmel-
zung nur einer centralen und einer excentrischen, für
eine regulatorische Bichtungsbestimmung der Sehlinie viel
weniger geeigneten Netzhauterregung, sich constituirt.
Wir könnten immerhin mit Beziehung auf die be-
sprochene Kategorie des Strabismus, bei welcher ein bi-
noculares Einfachsehen stattfindet, von einer Incongruenz
der Netzhäute sprechen, nur müssen wir den mit diesem
Ausdruck bisher verbundenen Begriff ändern. Da in
diesen Fällen nämlich die einige Gesichtswahrnehmung
nicht durch gleichzeitige Erregung von Netzhautpunkten
vermittelt wird, welche ihrer Lage nach mit einander
congruent sind, sondern da vielmehr der Lage nach ganz
verschiedene Punkte hierbei engagirt sind, so ist in der
That eine „Incongruenz der Netzhäute" vorhanden. Diese
ist dann jedoch nie Ursache, sondern vielmehr Gonsequenz
des Schielens, sie beruht nicht auf einer praeexistirenden
abnormen Organisation, sondern ist ein mit der Natur
der concomitirenden Ablenkung in innigstem Zusammen-
hange stehender acquirirter Zustand. Nur bei einer
thatsächlichen Ectopie der macula lutea würden wir von
einer wirklichen, praeexistirenden, organischen Netzhaut-
incongruenz sprechen dürfen.
31
2) Strabismus monolateralis.
Ist das Sehvermögen auf einem Auge bedeutender
herabgesetzt, so individualisiren sich die einzelnen Fälle
in Beziehung auf das binoculare Sehen wo möglich noch
mehr als bei den im vorigen Abschnitt besprochenen
Formen. Es ist zunächst wohl anzunehmen, dass die Aus-
bildung bestimmter und bewusster activer Beziehungen des
abgelenkten Auges zu den Gesichtsobjecten um so schwie-
riger sich vollendet, je amblyopischer jenes Auge ist.
Sein Einfluss wird bei dem Orientirungsprocesse um so
mehr ausgeschlossen werden, je weniger es sich bei dem-
selben zu betheiligen qualificirt ist. Ist daher ein stark
amblyopisches Auge das schielende'^), so wird das Be-
streben, die veränderte Stellung mit dem Bewusstsein in
Harmonie zu bringen, sich mit bei weitem weniger Energie
geltend machen als bei bilateraler guter Sehschärfe.
Wenn es also gelingt, in diesen Fällen durch die An-
wendung bunter Gläser und durch eine gehörige Ein-
wirkung auf die Aufmerksamkeit der Kranken, Doppelt-
sehen viel häufiger nachzuweisen als dort, so kommt das
meiner Meinung nach lediglich dadurch zu Stande, dass
die scharfe und bestimmte Ausbildung jener bewussten
Beziehungen des abgewichenen Auges zu den Sehobjecten
hier eben durch die Amblyopie verhindert worden ist.
Werden also Doppelbilder augegeben, so ist darum hier
noch immer die ursprüngliche Stellung der Augen,
die fixirende, maassgebend: der Convergenz entspricht
dann natflrlich eine gleichnamige, der Divergenz eine
*) Mehrfache Gründe, deren Erwähnung an dieser SteUe von we-
niger Interesse sein dürfte, bestimmen mich zn der Annahme, dass,
wenn ein schielendes Aage hochgradige Amblyopie zeigt, diese meist
nur znm kleinsten TheUe Folge des Schielens ist und gewöhnlich
praeexistirt.
32
gekreuzte Diplopie. Es ist hierbei eine sehr gewöhnliche
Beobachtung, dass, abgesehen von den oft sehr schwan-
kenden Angaben über die Entfernungen der Doppelbilder
von einander, das schwache Doppelbild bei durchaus un-
veränderter Augenstellung bald plötzlich in Erscheinung
tritt, bald ebenso plötzlich sich der Beobachtung wieder
entzieht. Ich selbst war früher der Meinung, dass der
verschiedne Grad der Aufmerksamkeit und Beobachtungs-
fähigkeit der experimentirenden Kranken diese Unsicher-
heit der Auffassung des Bildes bedinge, bin jetzt jedoch,
nach vielfach wiederholten Versuchen bei den intelligen-
testen Patienten, zu der bestimmten üeberzeugung ge-
kommen, dass hierbei ein viel tiefres physiologisches
Motiv im Spiele ist. Es liegt in solchen Fällen nämlich,
wenn ich mich so ausdrücken darf, das abgelenkte Auge
mit sich im Streite. Nur wenn dasselbe ein gutes Seh-
vermögen besitzt, sahen wir den Factor thätig, der ein
bestimmtes Einverständniss zwischen der Schielstellung
und dem Bewusstsein vermittelt. Dies Einverständniss
wird aber ein sehr unvoUkommnes sein, wenn jener Factor
fast machtlos ist. Wenn in den bezeichneten Fällen ein
Doppelbild also plötzlich auftaucht und plötzlich wieder
verschwindet, so ist das nur ein Ausdruck dafür, dass
das Bewusstsein von der ursprunglichen, fixirenden Stel-
lung der Augen mit dem Bewusstsein von der acqui-
rirten, abgewichnen im Wettstreite liegt. Ist jenes gerad
herrschend, so ist Doppeltsehen vorhanden, prävalirt
dieses, so wird, wie bei Strabismus altemans, einfach ge-
sehen werden müssen. In der frappantesten Weise habe
ich diese Verhältnisse zu wiederholten Malen nach Teno-
tomien bezüglicher Fälle beobachtet. War z. B. nach
der ersten Operation eines Strabismus convergens noch
absolute Convergenz übrig, so vermochten die zuver-
lässigsten Kranken oft nicht anzugeben, ob die jetzt vor-
handenen Doppelbilder gleichnamige oder gekreuzte seien.
33
Befand sich das gefärbte Glas vor dem rechten Auge,
so erschien das gefärbte Bild bald rechts bald links
von dein natürlichen — wehlbemerkt bei genan
derselben Augenstellung — und bei der concen-
trirtesten Aufmerksamkeit vermochten die Beobachter
doch nicht, diese schwankende Auffassung zu bemeistern.
Während ich mich früher ärgerlich von solchen Beobach-
tungen abwendete; weil sie mir in ihrer Unbestimmtheit
zu einer dogmatischen Verwerthung nicht geeignet er-
schienen, fesselte das gehäufte Vorkommen derselben
endlich meine Aufmerksamkeit und muss ich jetzt eben
der Ansicht sein, dass |;erad das Studium jener Schwan-
kungen das Verständniss der scheinbaren Widersprüche,
denen wir bei der Lokalisation des Doppelbildes begeg-
nen, ganz entschieden zu ft^rdern berufen ist. Jene er-
staunliche Unsicherheit in der Lokalisation der Doppel-
bilder brachte mich vorübergehend zu der Vermuthung,
da<s die Ortsbestimmung der Bilder gar von einem zwei-
fachen Principe, dem der Identitätsdoctrin und dem der
sogenannten Projectionstheorie abhängig sei und dass
dies>e beiden Principe, die unter normalen Verhältnissen
einander zu unterstützen berufen seien, hier im Wett-
streit mit einander sich befänden. Diese gewagte Hypo-
these wird indess völlig unnöthig, wenn wir daran fest-
halten, dass dieser Wettstreit sich lediglich auf das Be-
wusstsein von der Stellung des Auges bezieht — Treten
hingegen nach der Operation eines Strabismus convergens
bestimmt gleichnamige Doppelbilder auf, deren Distance
ungefähr der re^stiieuden Convergenzquote entspricht, so
ist das eben ein De weis, dass sich vor der Operation
das Sensorium noch nicht mit der acquirirten Ab-
lenkung in Einklang gesetzt hatte, sondern dass die
im Bewusstsein bewahrte ursprüngliche (fixirende)
Stellung des leidenden Auges die Modalität des Dop-
peltsehens nach wie etwa vor der Operation bestimmt.
Archiv mr OpbUialnoIogl«. XL S. 3
34
Hier würde demnach „die Identität^^ scheinbar noch in
Kraft sein!
Wenn ich den Strabismus alternans und den Stra-
bismus monolateralis in besondem Abschnitten besprochen
habe, so leitete mich hierbei die Rttcksicbt auf eine klare
Darlegung aller der Motive, i^elche bei dem binocularen
Einfach- und Doppeltsehen thätig sein können. Ich
möchte durch diese Scheidung jener beiden, ihrem eigent-
lichen Wesen nach durchaus zusammengehörigen Formen,
nicht Veranlassung zu einer allzu doctrinären Betrach-
tungsweise derselben gegeben haben. Die Gesetze, nach
welchen z. B. beim Strabismus alternans das Einfachsehen
erfolgt, gehört keineswegs streng zur Definition dieser
Form des Schielens, sie finden sich vielmehr nur vor-
zugsweise bei derselben vertreten, in gleicher Weise
gelten die bei Betrachtung des Strabismus monolateralis
besprochenen Gesichtspunkte nicht in exclusiver Weise
nur für diesen. Um sich das Yerständniss jedes einzelnen
Falls zu ermöglichen, werden wir oft genug die betrach-
teten Factoren in mannichfacher W^eise zu combiniren
haben, denn in der That individuaiisiren sich die einzel-
nen Krankheitsfälle, wenn wir auf die Verhältnisse des
Einfach- und Doppeltsehens Rücksicht nehmen, in un-
glaublicher Weise. Während mein früherer Plan dahin
ging, den vorstehenden Erörterungen eine Reihe erläu-
ternder Krankengeschichten hinzuzufügen, so unterlasse
ich dies vorläufig, vorzugsweise eben in Hinblick auf die
individuelle Gestaltung jedes einzelnen Falls. Da ich
ausserdem im Gange meiner Betrachtungen jeder auffal-
lenden Erscheinung gedacht und dieselbe mit meinen
Protokollen entnommenen Beispielen belegt habe, so
möchte eine ausgedehnte Ueberlieferung von Kranken-
geschichten nur eine concreto und ermüdende Wie-
35
ilerhoinng dessen sein, was bereits zur Genflge be-
sprochen ist.
Ich habe das periodische Schielen von meinen bis-
herigen Betrachtangen ausgeschlossen, weil dasselbe
bei der Unbeständigkeit der Ablenkung, weniger geeignet
schien, die hier aufgeworfnen Fragen zu entscheiden.
Tritt die Ablenkung nur unter der Herrschaft eines ac-
commodativen Impulses ein, wie es ja die Regel ist, so
ist es das Wahrscheinlichste, dass sowohl die Normal-
als die Schielstellung, weil sie der habituelle Ausdruck
ganz verschiedener Erregungszustände des Sehakts ge-
worden sind, sich mit dem Bewusstsein in das bestimm-
teste Einverständniss gesetzt haben. Es ist dies um so
mehr anzunehmen, als das Sehvermögen des schielenden
Auges in solchen Fällen oft ein recht gutes zu sein
pflegt und spontanes Doppeltsehen weder an die Normal-
noch an die Schielstellung geknüpft ist. Eine eingehen
dere Prüfung dieser Verhältnisse während der Normal-
stellung des Auges ist geradezu ein Ding der Unmög-
lichkeit, weil jede beliebige an den Sehakt gestellte For-
derung das Accommodationsspiel sofort in Bewegung
setzt und dem Auge hiermit seine Convergenzstellang
octroyirt. Selbst durch Convexgläser kann dies nicht
verhindert werden, da gewohnheitsgemäss auch jetzt das
Accommodationsbestreben sich geltend macht, der Sehakt,
so zu sagen, erst nach längerer Bekanntschaft mit den
Convexgläsern, von diesen Notiz nimmt und nur nach
und nach die zu einer Supercorrection des mangelnden
Brechungsvermögens führende Convergenzstelluug zu
unterlassen beginnt. Dass während der Schielstellung
dieselben Verhältnisse maassgebend sind, wie wir sie bei
Besprechung des Strabismus altcrnans kennen gelernt
haben, davon möge nachfolgende Krankenbeobachtung ein
Beispiel geben:
F. M., 23 Jahr alt, leidet seit den ersten Kinder-
3«
36
jähren an Strabismus convergens, der nur bei Fixation
naher oder ferner Objecte, also auch bei allen Versuchen,
bei denen man an einen aufmerksamem Sehakt appellirt,
unvermeidlich auftritt, \vährend beim gedankenlosen Blick
die Augen völlig normal stehen. Hyperopie beiderseits
= V,o, Sehschärfe rechts noimal, links = V,. Die Con-
vergenz beträgt mindestens A^l^**. Spontanes Doppelt-
sehen fehlt unter allen Umständen. Ein fixirtes Flammen-
bild erscheint links mit röthlicher Färbung, wenn ein
rothes Glas das linke Auge bedeckt. Wird während der
Fixation ein Prisma vertikal vor das schielende Auge
gelegt, so erscheinen die übereinander liegenden Doppel-
bilder in verschwindend kleinen gleichnamigen Lateral-
distancen. Ein Prisma von 12", Bas. nach innen vor das
schielende Auge, ruft Doppelbilder hervor, die in Bezug
auf ein iVt' entferntes Object eine gleichnamige seitliche
Distance von c. 2" zeigten. Wird dasselbe Prisma mit
der Basis nach aussen angelegt, so entstehen Fixations-
Schwankungen und Patient versichert, genaue Angaben
über Doppeltsehen nicht machen zu können. Führt man
das Prisma in derselben Lage langsam von oben nach
unten über das Auge weg, so ist sich Patient allerdings
bewusst, momentan Doppelbilder zu sehen, über die Lage
derselben kann er zuverlässige Auskunft jedoch auch
jetzt nicht geben. Wird durch Vorlegung der stärksten
Prismen vor beide Augen, Bases nach aussen, die äussere
Netzhauthälfte des schielenden Auges engagirt, so ent-
steht ganz distinktes gekreuztes Doppeltsehen mit sehr
bedeutenden Distancen der Bilder. Stereoscopische Bilder
werden einfach und — wie es scheint — körperlich ge-
sehen. — Es mögen diese Andeutungen über das perio-
dische Schielen genügen, gern gestehe ich ein, dass ein-
gehendere Analysen dieser in manchen Beziehungen immer
noch räthselhatten Formen sehr zu wünschen sind.
Es wird allen Praktikern verhältuissmässig selten
37
TergSnnt sein, die Geschichte der wegen Strabismus
operirten Kranken in allen ihren Phasen bis zum Eintritt
eines definitiven Zustandes zu verfolgen. Um so beharr-
licher habe ich meine Aufmerksamkeit auf jene Fälle ge-
richtet, welche mir eine lange fortgesetzte Controlle ge-
stiitteten Ich muss nach den Resultaten dieser Beobach-
tungen der ganz entschiedenen Meinung sein, dass bei
der Wiederherstellung eines normalen Sehakts ganz die-
selben Factoren thätig sind, durch welche die verschie-
denen Modalitäten des an die Schielstellung geknüpften
Binccularsehens vermittelt wurden. Die unmittelbar nach
der Operation auftretenden Doppelbilder werden ßerad
in den Fällen am prägnantesten in Erscheinung treten
und am entschiedensten geniren, bei welchen die Vorun-
tersuchung zu der Ueberzeugung geführt hatte, dass das
von den Patienten vordem wahrgenommene eine Bild ein
binoculares Sammelbild gewesen. Das spontane Doppelt-
sehen pflegt schon nach wenig Tagen seinen störenden
Charakter zu verlieren, so dass anzunehmen ist, dass das
Bewusstsein die durch die Operation veränderte Muskel-
wirkung sehr bald schon richtiger zu beurtheilen beginnt
In folgenden Sätzen fasse ich das Wesentliche meiner
bisherigen Erfahrungen über das definitive*) Resultat
vollkommen gelungner Schieloperationen mit Beziehung
auf den binocularen Sehakte kurz zusammen:
1) Es wird ein vollkommen normales binoculares
Sehen vermittelt. Das bei der Fixation wahrge-
nommene Bild ist ein aus den beiderseitigen cen-
tralen Netzhauterregungen sich constituirendes
*) Einen „definitiTpn" Zustand pflege ich aaiUBebmen, wenn leit
der letsten, das opernti?« Problem in aller VoUdtundigkeit lösenden
Operation ein Zeitraum Ton mindestens tinem Jahre rerflossen iat,
ohne dass sich im Laufe dpr teilten 3 Monate dieses Zfitninrns in.
den Verhältnissen des binocularen Sehaktes etwas geändert hätte.
38
Sammelbild. Diesen Erfolg sah ich namentlick
zu wieüerholten Malen nach operativer Behandlung
eines Strabismus altemans eintreten, bei welchem
unmittelbar nach der Operation die Zeichen einer
sogenannten Netzhautincongruenz vorhanden ge-
wesen waren.
2) Es findet zwar für gewöhnlich kein spontanes
Doppeltsehen statt, wohl aber bedingungsweise,
etwa unter dem Einfluss eines sehr aufmerksamen
Sehaktes oder auch umgekehrt bei einer gewissen
Erschlaffung der Sehfunctionen. Auch treten Dop*
pelbilder sehr leicht auf, wenn man die beiden
Augen gebotnen Eindrücke durch bunte Gläser
differenzirt. Die Stellung der Doppelbilder zu
und die Entfernung derselben von einander per-
sistirt dann ziemlich unverändert und ist dieselbe,
wie sie einige Wochen oder Monate nach der
Operation gewesen war. Hierbei ist fast immer
zu constatiren, dass das operative Resultat, wenn
auch kosmetisch ein vollständig befriedigendes,
physiologisch kein absolut genaues ist Meist ist
dies der Fall bei schon namhaft reducirtem Seh-
vermögen des schielenden Auges. Die Stellung
der Doppelbilder ist hierbei je nach den maass-
gebenden Verhältnissen vor der Operation nicht
selten eine derartige, dass nach früheren Be-
griffen eine Netzhautincongruenz anzunehmen
wäre. Offenbar lässt in derartigen Füllen der in
der Amblyopie begründete Energiemangel des
Netzhautcentrums die vollkommen richtige Ein-
stellung des Auges, welche operativ ja immer nur
annäherungsweise erreicht werden kann, nicht zu
Stande kommen, andrerseits bildet das mangel-
hafte Sehvermögen kein absolut zwingendes
Motiv zur Begründung eines voUkommuen Ein-
89
verst&ndnisses zwischen Bewusstsein and Muskel*
Wirkung.
3) Das der Normalstellung entgegengeAhrte Auge
verhält sich bei dem Sehakte völlig indifferent
Binoculare Sammelbilder scheinen eben so wenig
zu Staude zu kommen, als Doppelbilder in keiner
Weise, auch nicht mit HQlfe der Prismen hervor*
zurufen sind. Es kommt dies ganz ausnahmsweise
in der That bei einzelnen jener Fälle zur Beob-
achtung, welche Seite 20 erwähnt worden sind.
Das Sehvermögen des leidenden Auges war hierbei
ein stark beschränktes.
Im Allgemeinen wird die epikritische Beurtheilung
der Verhältnisse des binocularen Sehens, wie sie sich
definitiv herausgestellt haben, nur dann möglich werden,
wenn wir den Zustand vor der Operation auf das Sorg-
fältigste geprüft und mit derselben Auftnerksamkeit jede
Phase der operativen Behandlung verfolgt haben. Abge-
sehen von den sub 3 genannten Fällen werden wir hierbei,
gestützt auf unsre vorgehend erörterten Anschauungen,
grossen Schwierigkeiten nicht begegnen. Derselbe Vor-
gang, welcher bei einem exquisiten Strabismus alternans
eine Combination der centralen und excentrischen Netz-
hauteindrücke möglich gemacht hatte, wird nach Besei-
tigung der fehlerhaften Stellung sich in umgekehrter
Richtung wiederholen und damit den Normalzustand
wieder einleiten. Kommen die beiderseitigen optischen
Erregungen definitiv nicht wieder zu einer Verschmel-
zung, sondern bestehen sie isolirt in Doppelbildern fort,
so ist hierin nur ausgesprochen, dass die artificiell her-
beigeführte Stellung, wie es unter Umständen in analoger
Weise auch mit der fehlerhaften Stellung vor der Ope-
ration der Fall gewesen, keine vom Bewusstsein völlig
acceptirte ist. Der Umstand, dass in demselben — man
gestatte mir diese Ausdrucksweise ~ bald mehr die
40
Erinnerung an die ursprflngliche Normalstellung, bald
mehr die an die acquirirte Schielstellung fortlebt, wird
best'romend sein für die Modalität der an den definitiven
Zustand geknüpften Diplopie.
Ich muss behaupten, dass die Betrachtungsweise,
welcher wir hier gefolgt sind, auch zu den praktischen
Interessen der Ophthalmologen in engster Beziehung steht.
Es würde mich viel zu weit fnhren, an dou reformato-
rischen Arbeiten Albrecht v. Graefe*s über die Lehre
vom Schielen darzuthun, dass jene Behauptung nicht des
Grundes entbehrt. Wenn die von Donders aufgedeckten
Beziehungen der Accommodationskrankheiten zu den
Stellungsanomalien des Auges bereits gewisse Zusätze zu
den in jenen niedergelegten Anschauungen nothwendig
gemacht haben, so ist zu wünschen, dass die Verhältnisse
des binocularen Sehens bei einer weitem Bearbeitung
jener Lehre gleichfalls ausreichend berücksichtigt werden.
Dass z. B. die nach einer einseitigen Tenotomie auftre-
tenden Doppelbilder nur mit Vorsicht und Einschränkung
bei der Indicationsstellung zu einer weitern corrigirenden
Operation zu benutzen sind, liegt jetzt auf der Hand.
So müssten wir auch vom Standpunkt der Identitäts-
theorie aus consequenter Weise nicht selten Gegenindi-
cationen aufstellen, wenn es sich um eine operative Be-
seitigung der abnormen Stellung handelt, in allen jenen
Fällen nämlich, in welchen wir im Sinne der frühern
Auffassung eine „Netzhautincongruenz*' erkennen. Und
doch würden wir eben damit einem schweren Irrthum
verfallen. Die nachfolgende, in so reiner und instruc-
tiver Form sich gewiss selten bietende Beobachtung möge
die Richtigkeit des eben Ausgesprochenen illustriren.
Herr Lehrer K. aus Merseburg, 23 Jalir alt, präsen-
tirte sich am 1. November i8ü4 in meiner Klinik. Der-
41
selbe leidet seit den ersten Kinderjahren an einem hoch-
gradigen, 4 — 5"^ betragenden Strabismus divergens mit
concomitirendem Charakter. Mit beiden Augen wird
Schrift No. 1 (Jaeger) vollkommen geläufig gelesen, mit
dem linken, an Myopia ^ Vit leidendem Auge jedoch
besser als mit dem rechten emmetropischen, dessen Seh-
schärfe nur s Vs ist Diesen Verhältnissen entsprechend
hat der Strabismus einen bestimmt altcmirenden Cha-
rakter angenommen: f&r die Nähe fizirt das linke, f&r
die Entfernung das rechte Auge. Doppeltsehen ist weder
spontan vorhanden, noch kann es durch Vorlegen bunter
Gläser in Erscheinung gerufen werden, wohl aber giebt
Patient an, dass hierbei die fixirte Lichtflamme eine Bei-
mischung resp. einen Nebenschein von der Färbung des
angewendeten Glases erhält. Sieht Patient in ein Pris-
menstereoscop, so erblickt er bestimmt ein einziges Bild
mit deutlich körperlicher Gestaltung, eben so fasst er die
von Panum*) angegebenen binocul&ren Sammelbilder in
derselben Weise auf wie es ein Normalsichtiger thut.
Bei all diesen Versuchen wird constatirt, dass die Seh-
linien ihre habituelle stark divergente Richtung beibe-
halten. Werden Prismen vertikal vor das abgelenkte
(rechte) Auge gebracht, während das linke eine c. iV«'
vor der Gesichtsfläcbe befindliche Flamme fixirt, so ent-
stehen über einander liegende Flammenbilder, welche
gleichzeitig eine geringe gleichnamige Lateraldistance
(als Schwankungsausdruck für die Schielstellung) zeigen.
Ein Prisma von 15", Bas. nach innen, ruft unter den-
selben Verhältnissen Dopbclbilder mit einer gleichnamigen
c. 3*' betragenden Lateraldistance hervor, während die
Doppelbilder bei der Vorlegung des Prisma im umge-
kehrten Sinne entschieden gekreuzt erscheinen und eine
Physiol. Untenuehang über das Sehen mit zwei Augen. 185S,
pag. 19.
42
mehrzöUige EntfemuDg von einander zeigen. Wenn wir
Tom Standpunkt der Identität aus schon hiemach völlig
berechtigt wären, an eine vorliegende sogenannte ^^Netz-
hautincongruenz^' zu denken, sa würde eine weitre von
dem Kranken ganz spontan gemachte Angabe diese Ver-
mathung geradezu zur Ueberzeugung erheben müssen.
Patient besass nämlich die Fähigkeit, mit eini-
ger Mühe beide Netzhautcentren genau auf das
Fixationsobject einzustellen und somit für
einige Augenblicke der Schielstellung die Nor-
malstellung zu substituiren. Hierbei ergab
sich nun die ausserordentlich interessante
Thatsache, dass mit Realisirung der Normal-
Stellung eine gleichnamige Diplopie auftrat.
Die V/% entfernte als Gesichtsobject benutzte Kerzen-
flamme erschien dann nämlich in gleichnamigen Doppel-
bildern, deren Distance etwas schwankend, auf 6 — 8^^ an-
gegeben wurde. Der Fall zeigt also auf der einen Seite
die letzte Consequenz jener Veränderungen, welche nach
V. Graefe als „Insufficienz der R. interui im Uebergange
zu Strabismus divergens" charakterisirt werden, auf der
andern Seite bildet er gewissermaassen ein Gegenstück
zu denselben, indem ja in unserm Falle die Schielstellung
dominirt und das Einfachsehen ein Attribut derselben
bildet, während in jenen die Normalstellung noch immer
die herrschende ist und die Scbielstellung mehr weniger
mit Diplopie verknüpft auftritt. — Ich brauche die
Leser dieser Blätter nicht darauf aufmerksam zu machen,
dass diese von unserm Patienten ausgeübte Fähigkeit,
die Schielstellung durch die Normalstellung zu substi-
tuiren, unter den angegebenen Verhältnissen ein durchaus
ungewöhnliches Vorkommen ist, ungewöhnlich deshalb,
weil hier von einer blossen Uebergangsform in wirk-
lichen Strabismus nicht mehr die Rede sein konnte, der
ausgebildete Strabismus vielmehr bereits einen völlig
43
stabilen und durchaus habituellen Charakter angenommen
hatte. — Wenn also irgendwo, so würden wir hier alle
Bedingungen zur Annahme einer ,,Netzhautincongruenz^
vereinigt finden, denn unser Patient liefert thatsftcblich
den Beweis, dass der von dem Fizationsobject ausgeübte
Sinneseindruck, wenn durch denselben beide Netzhaut-
centren engagirt werden, zur Diplopie f&hrte, während
die an die habituelle Schielstellung geknüpften Netzhaut-
erregungen ein binoculares Sammelbild constituirten.
Solche Verhältnisse würden — wenn wir uns an der
Identitätsdoctrin festklammem wollten — eine unbedingte
Contraindication gegen eine operative Beseitigung der
fehlerhaften Stellung abgeben, denn keinem gewissenhaften
Operateur würde es einfallen, den kosmetischen Rück-
sichten die viel wichtigem physiologischen zum Opifer zu
bringen. Hier eben liegt die praktische Bedeutung unsrer
von den bisher geltenden Ansichten differenten Auffas-
suogsweise, denn wenn auch ein bestehender Strabismus
nur sehr selten in so eclatanter Weise schon vor der
Operation die Verhältnisse der „Incongraenz'' documentirt,
so gehören doch mehr weniger alle jene Formen des
Schielens hierher, welche wir in dem über Strabismus
alternans handelnden Gapitel betrachtet haben. — So
sicher ich also nach Maassgabe der Voruntersuchungen
in dem vorliegendem Falle überzeugt sein musste, mit
der operativen Realisirung der Normalstellung zunächst
eine ganz entschiedne (gleichnamige) Diplopie herbeizu-
führen, so durfte ich mit derselben Sicherheit erwarten,
dass dieselbe nicht persistiren, sondern ganz nach den-
selben Gesetzen wieder in ein binoculares Einfachsehen
übergehen werde, nach welchen ein solches sich bei der
habituellen Schielstellung ausgebildet hatte. Aus der
Krankengeschichte gebe ich als wesentlich folgende Data:
Am 2. November Tenotomie des linken R. externus.
Am Tage darauf: Beweglichkeitsdefect des linken
44
Auges nach aussen c. 2Va''^ Fixirt das linke Auge, so
zeigt das rechte eine Divergenz von ungefähr 2Va''' (Objeet
in der Mittellinie, Distance V\ fixirt das rechte, so be-
trägt die Divergenz des linken c. V/i". Spontanes, sehr
lästiges Doppeltsehen ist unter allen Umständen vorhanden
— im ersten Falle beträgt die seitliche Distance der
gleichnamigen Doppelbilder erheblich weniger als im
letztern (dort c. 3", hier c. 4"). Wird das Objeet nach
links bewegt, so wachsen die Entfernungen der Doppel-
bilder von einander sehr schnell. Prismen mit der Basis
nach aussen vor das operirte Auge gelegt, verringern die
gleichnamigen Lateraldistancen , 14 — ISgrädige führen
zum Einfachsehen. Bei monolateraler Fixation des linken
Auges irrt der vorgestossene Finger beträchtlich nach
links vom Objekte vorüber. — Am 5. Novbr. Teno-
tomie des rechten R. externus. — Am 6. Novbr. sehr
lästiges und distinctes Doppeltsehen. Beiderseits irrige
Projection des Gesichtsfeldes wie bei Abducensparese.
Beweglichkeitifbeschränkung des rechten Auges nach aussen
2 bis 2Va'^ Bei T Objectdistance stehen die Augen fast
vollständig genau ein, es besteht nur noch eine Spur von
Divergenz. Die Distancen der gleichnamigen Doppel-
bilder werden für diese Ocjectentfernung auf 5" — 7" an-
gegeben. Starke Prismen, Bas. horiz. nach aussen vor
beide Augen, bewirken Einfachsehen. — Zur Erhaltung
resp. Steigerung des Operationseffects werden im Laufe
der nächsten Tage Schielbrillen getragen. — Am 10.
Novbr.: Das Doppeltsehen genirt bereits viel weniger,
doch befinden sich die Doppelbilder noch in den zuletzt
angegebenen Beziehungen zu einander. — Am 25. Novbr.:
Es hat sich wieder eine Divergenz von c. 2"' entwickelt.
Die Distancen der Doppelbilder sind demgemäss unter
den obigen Umständen auf c. 2" —3" reducirt. Eine
Wiederholung der Operation auf der linken Seite stellt
die frühern Verhältnisse im wesentlichen wieder her.
45
Patient wird vorläufig mit noch einer kaum messbaren
Spur von Divergenz entlassen. Er erhalt zur Arbeit
Tersuchsweise Brille links — V«o» rechts X 7»; für ge-
wöhnlich zu trageu: links — Vi«, rechts plan. Ich über-
schlage die nächsten Aufzeichnungen des Protokolls und
gebe die Untersuchungsresultate vom 15. März 1865.
Die Augen befinden sich in der Normalstellung. Eine
leichte Divergenz stellt sich nur noch unter der decken-
den Band ein. Spontanes Doppeltsehen ist nur aus-
nahmsweise vorhanden. Bei den gewöhnlichen Beschäf-
tigungen (Lesen, Schreiben) werden beide Augen ohne
jede Spur von Gene geöffnet. Das Vorlegen bunter
Gläser lässt noch immer Doppelbilder in gleichnamiger
Lateraldistance in Erscheinung treten, deren gegenseitige
Entfernung ungefähr den frühern Angaben entspricht:
doch verschwindet hierbei das eine Bild oft plötzlich, so
dass Patient, um es sich von neuem zur Anschauung zu
bringen, erst ein Auge schliessen muss Die Auffassung
stereoscopischer Bilder gelingt unvollkommen. Einfach-
und Doppeltsehen liegen hierbei noch im Streite. — Ich
behalte mir vor, in einer gelegentlichen Notiz über den
definitiven Zustand dieses noch unter meiner Beobach-
tung stehenden Kranken zu berichten, habe indessen
wohl kaum nöthig, darauf aufmerksam zu machen, dass
schon die bisher eingetretenen Veränderungen ganz und
gar uubrer Auffassungsweise und den auf dieselbe ge-
stützten Erwartungen entsprechen.
Ich habe mich bemüht, in dem Vorhergehenden die
allzu doctrinäre Auffassung des binocularen Sehakts,
welche in der Lehre von der Identität der Netzhäute
ihren starren Ausdruck findet, zu bekämpfen, habe hierbei
aber absichtlich alles vermieden, was meinen Einwürfen
selbst einen doctrinären Charakter geben höunte. So
sehr nämlich das Binocularsehen der Schielenden, welches
ausschliesslich den Gegenstand meiner Arbeit bildete.
46
zur Prflfong des Princips berechtigt ist, auf welchem die
physiologische Doctrin des Sehens mit zwei Augen fusst,
so scheint es mir zum weitem Aufbau der Theorie selbst
wenigstens vorläufig nicht in demselben Maasse verwerth-
bar zu sein. Eine Einigung der diiTerenten Meinungen
wird meines Erachtens nach endlich doch möglich werden,
wenn die Vertheidiger der Identität ihre Lehre nicht
mehr auf eine praeorganisirte physiologische und darum
unumstössliche Zuordnung der congruenten Netzhaut-
punkte gründen, sondern vielmehr nur darauf, dass diese
gleichliegenden Punkte in Bezug auf ihre anatomischen
Qualitäten und physiologischen Energieen vollständig
fibereinstimmen und daher zur Constituirung binocularer
Sammelbilder am vollkommensten und natürlichsten, und
jedenfalls viel besser geeignet sind, als nicht congruente
Netzhautpunkte.
Zur pathologischen Anatomie dea vordern Scleral-
ataphyloma (Staphyloma aderae antionm; Solereo-
taaia anterior; CSraophthahnia; Staphyloma oorporia
oiliaris Sti^yloma amnilare).
Von
Dn Schiess-Gemuseus in Basel
Lie ektatische Erkrankung der Sciera war schon den
altern Autoren bekannt; doch deuteten sie die dabei vor-
kommende, bläulich duchscheinende Wulstung meistens
anrichtig, indem sie eine variköse Ausdehnung der be-
treffenden Aderhautgefasse annahmen, wobei erst sekun-
där durch Druckatrophie eine Verdünnung der anliegenden
Partie der weissen Haut zu Stande komme. Dass dieses
Leiden gerade die Gegend des Corpus ciliare mit Vorliebe
befalle und dass vorwiegend die obere Bulbus-Hälfte die
erst und meist erkrankte Gegend sei, wussten sie eben-
falls. Wer sich für die Literatur dieses Gegenstandes
interessirt, mag sie bei Rau (über Erkenutniss der
Staphylome, Heidelberg und Leipzig bei Groos 1828)
und bei Lech la (Dissertatio inauguralis de Staphylomate
scleroUcae 1830) nachlesen. Bei Beck (Handbuch der
48
Augenheilkunde, 1832, 2. Auflage Pag. 327 ff.); Schön
(Handbuch der pathol. Anatonnc des menschlichen Auges,
Hamburg 1828, pag. 104, 187 ) finden wir ähnliche An-
sichten, wie bei Lechla und Bau und folgende Stellen
aus diesen beiden Autoren mögen den Stand der pathol.
anatomischen Anschauung dieses Gegenstandes im An-
fange der dreissiger Jahre ziemlich v^ieder geben. Hau
sagt (1. citat Pag. 196 ff.): „Aneincr oder der andern
Stelle der Sclera bemerkt man eine oder mehrere Her-
vorragungen, welche durch eine widernatürliche Erhöhung
der Sclerotica selbst gebildet werden. Die Oberfläche
ist nie vollkommen glatt. . . Immer hat die Sclera an
der krankhaft entarteten Stelle ihre naturgemässe Co-
häsion eingebüsst und ist oft sehr verdünnt. . . . Wegen
der oft äusserst bedeutenden Verdünnung des Gewebes
der Sclerotica schimmert die Chorioidea mit ihren ge-
wöhnlich varikös erweiterten Gcfässen mehr oder weniger
deutlich durch. . . . Totalstaphjiome in dem Sinne, wie
bei der Hornhaut, kommen an der Sclerotica nie vor. . . .
Da dem Staphylom der Sclera in den meisten Fällen
dyskrasische Augenentzündungen vorausgehen, so wird
es begreiflich, dass ausser der Sclerotica auch noch andre
Gebilde des Auges bei dieser Krankheit ergriffen sind ;
die Pupille ist immer, \venn sie nicht durch heftige Iritis
geschlossen ist, in erweitertem Zustande und hat gewöhn-
lich alle Beweglichkeit verloren; ... die Pupille hat ein
schmutziges, rauchiges Aussehen. . . . Obgleich die Linse
immer in Mitleidenschaft gezogen wird, sind doch die
Fälle, wo es zur eigentlichen Staarbildung kommt, als
die seltenen anzusehen. . . . Der Glaskörper verliert
seine naturgemässe Consistenz; er wird flussiger und
nimmt vermöge dieser Entmischung einen gröbsern Raum
ein. . . . Die Hornhaut . . . verliert nicht selten ihren
natürlichen Glanz und nimmt wie die Linse — eine
rauchige Trübung an. . . . Zuweilen nimmt die wider-
49
natOrliche Hervorragung der Scierotica den gauzen Um-
£uig des Giliarkörpers ein. . . . Die varikösen Auftrei«
bangen der Gefässe der Ghorioidea habe ich bei allen
Staphylomen der Scierotica gefunden. . . . Dem gegen-
wärtigen Standpunkt der Untersuchungen gemäss scheint
mir die nächste Ursache der Staphylome der Sclera in
einem, durch vorausgegangene Entzündung bedingten,
varikösen Zustand der Gefässe der Ghorioidea mit gleich-
zeitiger Verdünnung der mit derselben auf krankhafte
Weise verwachsenen Scierotica zu liegen."
Lechla äussert sich (]. citat. p. 7): „In eo tamen
omnes (sc. autores) fere convenire videntur: Scleroticam
maxime esse extenuatam eamque plus minusve propriae
structurae tendinosae in tumoris loco perdidiss^ atque
intus cum chorioidea arctissime cohaerere. Etiam cho-
rioideae fabricam mutatam esse eoque loco, quo in tu-
morem propulsa fuit, vasa ejus — inprimis quae vocan-
tur vorticosa, dilatata esse ac varicosa. Retinae struc-
turam laesam, eamque cum chorioidea concretam vel in
tumoris loco omnino deletam ac perforatam. Lentis
crystallinae saepe naturam esse integram. Humorem
aqueuro non raro majori accumulatum esse copia, in-
primis in staphylomate antico. Corpus vitreum in aquo-
sum liquorem abiisse, cujus copia naturalem corporis
vitrei magnitudinem superet.
P, Von Walther (Lehre der Augenkrankheiten
1840. 2. Band pag. 248) verwirft die Ideen von der Va-
rikosität der Ghorioidea und suchte den Grund der sta-
phylomatösen Vorwölbung in einer Entzündung der Sclera
und Ghorioidea.
Bei Arlt (Krankheiten der Augen, Prag 1855 Bd. II.
pag. 13) finde ich die erste, genaue Beschreibung eines
Falles von vorderer Sclerectasie, welche die Gegend vor
den Processus ciliares einnahm.
Arehir fQr OpbtbiUmologia. XL 8. 4
50
Von Graefe (Archiv für Oph. Bd. II. pag. 262 ft)
führt 2 Beobachtungen am Lebenden an, bei denen sich
die Ausbuchtung nach hinten von den processus ciliares
ausgebildet hatten.
Unter dem Titel: Abhandlung über das Staphylom
der Chorioidea findet sich von Sichel (Archiv für Oph.
Bd. III. pag. 210) eine längere Abhandlung über Sclera-
Staphylome, die theils als hinter, theils vor den processus
ciliares liegend beschrieben werden.
In Virchow's Archiv (Bd. XXIV. p. 561 ff.) habe
ich einen Fall von vorderer Sclerectasie beschrieben,
wobei die pocessus ciliares nach hinten gedrängt waren
— mit Schrumpfung des Linsensystems — sich zwischen
Iris-Ussprung und processus ciliares einkeilte.
Bei Stell wag (Lehrbuch d. prakt Augenheilkunde
1861 p. 294) findet sich eine Abbildung von vorderm
Scleralstaphylom, wobei die Ectasie sich in ähnlicher
Weise verhält, wie in dem eben citirten Fall ; es scheint
dieses Vorkommen auch das gewöhnlichste zu sein. Wecker
(Etudes ophthalmologiques Tom I. p. 247 £f.) nimmt drei
Variationen an: a) vordere Ectasie, die Gegend des Ga-
nalis Schlemmii ergreifend; b) im corpus ciliare selbst;
c) unmittelbar dahinter liegend; — betrachtet die Pro-
gnose aber als nicht wesentlich verschieden. Jedenfalls
ist die Anzahl genauer Beobachtungen in diesem Gebiete
noch keine sehr grosse und ich erlaube mir daher, drei
einschlägige Fälle ausführlich mitzutheilen und denselben
eine Beobachtung eines exquisiten Falles von Total-
Staphylom der Sclera anzuschliessen; ich glaube, die Fälle
dürften um so mehr von Interesse sein, als sie alle vor-
her im Leben beobachtet worden.
51
I. Fall. Partielles, kleines Scleralstaphylom Yor
dem corpus ciliare.
(Tafel I. Fig. L)
Den betreffenden Bulbus erhielt ich von meioem wer-
then Freunde Herrn Dr. Dor in Yevey mit folgender
Mittheilung:
„Mademoiselle P. aus Lyon, 12 Jahre alt, prftsentirte
sich im September 1862 mit den Erscheinungen einer
abgelaufenen Irido- Keratitis; einige Stellen der Hornhaut
waren noch durchsichtig, die durch dieselben sichtbare
Iris so entfärbt und verändert, dass ich keine örtliche
Behandlung anrathen und nur allgemeine Stärkung em-
pfehlen konnte. Eine Iridectomie als Antiphlogisticum
war schon früher ausgeführt worden, jedoch ohne Erfolg
und erst nach lange dauernder Eisbehandlung wurde da-
mals die Entzündung beseitigt. Das andre Auge war
immer gesund. Zu wiederholten Malen das Kind sehend,
ohne wesentliche Veränderungen zu beobachten, bemerkte
ich im Januar 1864, dass das kranke Auge sich bedeu-
tend vergrösserte und weil es fortwährend zunahm, schlug
ich im Juni die Exstirpation vor, die am 8. wirklich
ausgeführt wurde. — Die Heilung ging rasch und gut
vor sich; das Kind erholte sich bald, erkrankte aber am
21. Juli an galligem Erbrechen und bekam in der Folge
alle Erscheinungen von Meningitis (tuberculosa?), woran
es am 29. Juli starb. — Keine Sektion. — Ich kann in
der Operation keine Veranlassung zum Tode sehen, da
6 Wochen nach derselben das Kind ganz gesund und die
Wunde vernarbt war; um so weniger aber, weil 2 solche
Anfälle von Erbrechen mit Meningealsymptomen voran-
gegangen waren, der erste *im 8. oder 9. Lebensmonat,
der zweite im 7. Jahre. Endlich muss ich erwähnen,
dass im November desselben Jahres, in welchem P. starb,
52
eine Cousine derselben in Lyon an der nämlichen Krank-
heit resp. unter den gleichen Erscheinungen starb, ohne
dass je eine Augenkrankheit vorangegangen wäre."
Die Durchmesser des bezüglichen, von Dr. Dor
exstirpirteu Bulbus betragen:
der senkrechte: 26 Mm.
der sagittale: 25 „
Der Durchmesser der Sclera im Ac^uator beträgt 0,75 Mm.
„ „ „ Comeam. Intercalarschicht: 2,5 „
Die äussere Gestalt des Bulbus bietet wenig Abnormes
dar. Glaskörper, Retina und N. opticus dürften normal
genannt werden. Die Schichte des Pigment- Epithels
hängt mit der hintern Partie der Netzhaut ziemlich fest
zusammen, so dass sie hier, wenn Ghorioidea und Retina
von einander gezogen werden, als brauner Beleg auf der
äussern Netzhautfläche haften bleibt. Auch findet noch
an einzelnen Stellen eine Einwanderung von Pigment-
kömern in die äussersten Spitzen der Stäbchenschicht
statt, wie sie ein bekannter Befund bei den verschieden-
sten RetinoChorioidal- Erkrankungen ist. Es ist dies
der erste Anfang der Pigmentveräuderung, wie man
ihn ziemlich selten zu Gesichte bekommt. Mehr nach
vorn bleibt das Pigment auch bei Trennung der beiden
Häute auf der Ghorioidea sitzen. Betrachtet man die
Epithelplättchen für sich, so fällt nur eine grössere
Mächtigkeit der farblosen Kerne und ein etwas unter
der Norm stehender Pigmentgehalt auf. Auch kommea
einzelne Zellen mit 2 Kernen vor, die dann meistens
ziemlich geringe Pigmentspuren zurückbehalten. Es dürfte
also ein leichter Reizzustand bestanden haben. In der
Retina sind die verschiedenen Schichten deutlich zu er-
keunen und namentlich die Stäbchenschicht sehr schöa
und vollständig gut erhalten. Der N. opticus ist normal.
53
auch die Pupille. Im Gorpas ciliare ist deutliche
Maskelstniktur unverkennbar; dagegen ist wenigstens da,
wo gerade nach vom vom Corpus ciliare die ExcavatioD
anfingt, die Höhe des Ciliar -Firstes wie abgeschnitten
oder abgeschrotet (s. Fig. I.). Während die Grenz-
kontour des Ciliar -Firstes sich bogeuf&rmig erhebt, in
ihrem Scheitel die letzten der glasigen Fasern abgebend,
welche die Zonula konstituiren , — und dann nach dem
Iris Ursprung hin rasch abfällt, verlängert sich hier an
einzelnen Stellen die^Spitze in einem pigmentirten Fort-
satz, dessen äusserster Theil eine glasige Platte bildet,
welche in die Zonula fibergeht. An andern Orten er-
reicht die Höhe des Firstes nicht ihr gewohntes Maass*
An der äussern, vordem Begrftnzung des Corpus ci^
iiare wölbt sich dann zwischen dieser Stelle und dem'
An&ng der Cornea die von vom nach hinten etwa 2Vs
Mm. grosse Ectasie (s. Fig. I. £.), die nacli aussen
von der sehr dünnen, inwendig mit einer schwachen
Pigmentschicht ausgekleideten Sclera begränzt ist Wäh-
rend des Lebens wird sich diese Ectasie als ein nach
oben an der Basis Corneae vorwulstender bläulicher
Hügel manifestirt haben. Das die Ectasie auskleidende
Pigment bildet ein Continuum mit dem Uveal-Pigment
Die Iris ist von ihrem Urspmng abgelöst, beginnt
an der vordem Grenze der £ctasie (s. Fig. I. J.) und
ist nach ihrer Homiiautgränze hin nicht scharf abzu-
trennen; sie geht allmälig in eine weissliche, streifige
Masse über, die sich nach innen auf die Cornea auf-
lagert und derselben ein viel dickeres Aussehen giebt
Die Struktur der Iris ist bei ihrer festen Verlöthuag
nach vom und bei ihrer vollständigen Abtrennung von
ihrer ursprünglichen Anheftung natürlich wesentlich ver-
ändert; erstlich bildet das Uveal- Pigment einen viel
dichtem und dickern Beleg der hintern Iriswand, als die
pigmentirte Bedeckung der Ectasie, die hie und da mi-
54
kroskopisch kleine Lücken hat Es scheint Jenes viel*
mehr eine Art von Wucherung erlitten zu haben; man
sieht verschiedene Schichten des Pigmentes auseinander-
gedrängt und die unregelmässigen Zwischenräume mit
fireiem, ktmigem Inhalt ausgefüllt, der offenbar nur der
Best von früherer Exsudation oder Transsudation war.
Es besteht also eine Art Wassersucht dieses Gewebes.
— Femer ist das Stroma der Iris an einzelnen Stellen
entschieden durch entzflndliche Reizung und Schwellung
verdickt, mehr aber noch durch eine seröse Durchträn-
kung, indem auch hier die einzelnen Bindegewebszüge
weit auseinanderstehen und an einzelnen Stellen Flüssig-
keit zwischen sich angenommen haben. Die pigmentirten
Stromazellen sind beinahe vollständig verschwunden, was
d>en eine genaue makroskopische Abgrenzung der Iris
vom vorliegenden, neugebildeten Gewebe unmöglich
macht; die Verbindung dieser Beiden ist jedenfalls eine
sehr innige. Auch auf der vordem, untern Bulbus -Pe-
ripherie, wo keine Ektasie besteht, ist die Iris sehr
pigmentarm, entschieden an einzelnen Stellen serös ge-
schwellt und zum grössten Theil mit der überliegenden
streifigen Interkalarmasse verwachsen (s. Fig. L). Diese
Intercalar-Masse (Fig. I. d.), eine streifige, helle
Substanz, ungefihr von der Struktur einer etwas ge-
trübten Cornea und daher von der darüber liegenden,
trüben Comea nur durch das Vorhandensein der Mem-
brana Descemet! deutlich abgeschieden, erstreckt sich
von der Ansatzstelle der Cornea resp. deren Abgrenzung
von der Iris durch deutliche Iris -Struktur über die
ganze Hornhaut und zwar in einer mittlem Dicke von
0,60 Mm.; nach hinten zum Theil begrenzt durch die
Iris, zum Theil durch das ihr ebenfEills anliegende Linsen-
system. Gerade hier von der Mitte, d. h. von der inni-
gen Verlöthung mit der verdickten vordem Linsenkapsel
aus, wuchert die weisslich-bläuliche, zähe, organisirte
65
Masse nach der Peripherie hin bis gegen die Pro-
cessus ciliares fort und bildet an einzelnen Stellen eine
hier schon lockere, mehr aus breiten Fäden bestehende
Ausfflilungssubstanz zwischen der hintern Iris-Wand und
der peripherischen Partie der vordem Kapsel. Es ist
eine Masse, die nicht wie gewöhnlich nur vor der Iris
auf der Cornea aufsitzt, vielmehr auch die hintere Kam-
mer ausfüllt und so die Iris ganz in sich einschliesst
üeberall besitzt dieselbe eine ziemlich zähe Consistenz,
ganz ähnlich, wie die Cornea- Substanz, vielleicht etwas
brüchiger als diese; doch lassen sich leicht längere dünne,
senkrechte Schnitte in situ mit der Cornea nutchen, wo-
bei freilich durch Anziehen des Messers zuweilen die
Intercalarmasse sich abtrennt, so dass man dann Cornea
und Intercalarmasse jede für sich bekommt Mikros-
kopisch wird auf den ersten Blick Jedermann das Ding
als verdickte Cornea ansprechen, wenn auch die Färbung
etwas bläulicher ist, so kann sie doch bei gequellten
Hornhäuten auch vorkommen. Die Adhärenz an die Cor-
nea ist so bedeutend, dass an einzelnen Stellen die Mem-
brana Descemeti von der Cornea sich ablöst und an der
Intercalarmasse haften bleibt. Zellige Bestandtheile sind
in dieser nicht wahrzunehmen. Die Faserschichtung geht
in der Nähe der descemetischen Haut mit der Hornhaut-
Oberfläche ziemlich parallel; mehr gegen das Linsen-
system hin wird sie unregelmässig, und es kreuzen sich
horizontale Züge mit vertikal strebenden, wodurch das
Ganze mehr das Aussehen einer Auflagerung, als eines
Gewebes bekommt Eigenthümlich ist das Verhalten des
Linsensystems, das getrübt ist; die geschrumpfte
Cetaracte hat einen senkrechten Durchmesser von 8,75
Mm., einen sagittalen von 3 Mm. Die Kapsel ist in
ihrer Continuität unversehrt, die vordere bedeutend ver-
dickt und mit der Intercalarmasse verlöthet Zwischen
der verdickten Kapsel resp. den an der vordem Kapsel
56
sitzenden Auflagerungen, die eine Schicht von circa 0,25
Mm. Dicke bilden, und der grossem, getrübten Masse
des Linsensystems ist ein Hohlraum; ein Beweis, dass die
Yerlöthung vorn zu einer Zeit bestand, wo die ganze
Linse noch einen grössern Durchmesser hatte. Die hin-
tere Kapsel ist gut erhalten; die noch bestehende Linsen-
masse hat eine käsige Gonsistenz; die mittlem Partien
sind zum Theil noch gut erhalten und zeigen unverän-
derte Linsenfasern; zum grössten Theil jedoch ist eine
in kleinern und grössern Fetttropfen sich manifestirende
Degeneration, an einzelnen Stellen auch eine entschiedene
Ueberwerfung der regelmässigen Schichtung eingetreten.
Die mit der vordem Kapsel inniger zusammenhängenden
Rindentheile sind mehr amorph. Im Linsenkern findet
sich ausser der beschriebenen Verfettung an einzelnen
trüben Stellen auch noch weniger vorgeschrittene, doch
hochgradige Fettmetamorphose; wobei man eine Anzahl
kleiner Kerne, die in einem kleinem oder grössern Hohl-
räume liegen, erkennen kann.
Die Ghorioidea zeigt einen sehr lockeren Zusammen-
hang mit ihrem Pigmentepithel, in dessen Kernen eine
entschiedene Wucherung sich zeigt; ihr Stroma ist be-
sonders in der einen Partie sehr spärlich nur noch mit
ganz abgeblassten Stromapigment- Zellen gefüllt; schon
dem unbewaffneten Auge erscheint die Aderhaut mehr
blassgelb, als braun. Die Gefässadventitie ist durch-
schnittlich sehr dünn und atrophisch. In den einen
Schichten finden sich viele die Gefasse vollständig aus-
füllende Goagula, in denen meistens die einzelnen Blat-
körper deutlich zu unterscheiden. Es leidet demnach die
Choroidea an einer allgemeinen Atrophie.
Der Gorpus vitreum zeigt keine besondem Eigen-
thümlichkeiten.
Die Gornea erscheint durchwegs verdickt; wenn
man aber die ihr aufliegende Interkalarmasse ablöst^ so
57
bleiben ihre Maasse innerhalb der Norm. Ihre vordere
Wölbung ist ebenfalls normal; das Epithel ist ganz gut
erhalten und zeigt keine Unregelmässigkeiten. Dagegen
hat ihre Durchsichtigkeit offenbar gelitten, da in den
tiefem Schichten mehr oder weniger beträchtliche Trü-
bungen und auch kleine Gefässe auftreten. Beide be-
grenzenden Glasmembranen sind ungewöhnlich dünn, be-
sonders die vordere Grenzschicht; die descemitische Mem-
bran, hinter der unmittelbar die Auflagerung beginnt, ist
nicht gestreckt, sondern zieht sich in welliger Contour
fort.
IL Fall. Vorderes 9 totales Scleralstaphylom, vor dem
Corpus ciliare, Verlust des Linsensystems; geschrumpfte
und pigmentirte Eetina.
(Tafel I. Fig: II. und III.)
Dieses Auge verdanke ich ebenfalls der Güte des
Herrn Dr. Dor, der mir über die Krankengeschichte
Folgendes meldet:
„Fräulein L., 15 Jahre alt, aus Genf, kam zum
ersten Mal zu mir am 2. Juni 1864; ich fand eine starke,
staphylomatöse Auftreibung der Cornea mit mehreren
Scleral- Ausbuchtungen; die Hornhaut stellenweise noch
durchsichtig; die Iris, wie man vermuthen konnte, allent-
halben mit der Cornea verwachsen. Das Auge, noch
immer stark geröthet, nahm stets und allmälig unter be-
ständiger Lichtscheu an Grösse zu. Die Krankheit hatte
vor 18 Monaten angefangen. Gegenwärtig konnte man
auf Erkrankung der Cornea, der Sclera, des Linsen-
systems und der Chorioidea schliessen. Ob die Netzhaut
mit betheiligt, wäre schwer zu entscheiden gewesen, wenn
auch wahrscheinsich. — Das gesunde Auge fing an, con-
tiDuirliche Arbeit nicht mehr zu vertragen, und obschon
58
ich keine Spur von sympathischer EntzQndung wahr-
nehmen konnte, rieth ich doch zur Exstirpation des
kranken Bulbus, da wegen der Sclero-Chorioidal-Erkran-
kung von einer einfachen Staphyiom- Abtragung keine
dauernde Heilung zu erwarten war/' — Die Durchmesser
des bezüglichen Bulbus betragen:
der vertikale: 28 V2 Mm.
der sagittale: 23 V2 Mm.
Wir haben in diesem Falle ein ringförmiges,
vorderes Staphyiom vor uns. Der Ursprung der
Iris ist im ganzen Umfange durch eine mit mehr oder
weniger Pigment ausgekleidete, sphärische Ausbuchtung
der Scleralwandung, deren Sehne 5*-6 Mm. beträgt, —
von ihrem ursprfinglidiien Ansatzpunkt am Corpus ciliare
getrennt. Dabei zeigt sich die Eigenthflmlichkeit, dass
die Iris relativ gut erhalten, während das Linsensystem
verschwunden ist. Corpus vitreum und Linsenkapsel,
in der nur noch Reste der Linse vorhanden, sind mit der
hintern Fläche der Cornea verwachsen. Zu weiterer Be-
schreibung der Einzelnheiten übergehend, bemerken wir
nur noch im Voraus, dass auch eigenthümliche Yerände*
rungen der Netzhaut im vorliegenden Falle auftreten und
zur Berücksichtigung kommen werden.
Cornea. Ihre Dimensionen sind so ziemlich die
gewöhnlichen; der Dicken -Durchmesser betragt in der
Mitte stark das Doppelte von dem an der Peripherie;
deutlich erkennbar geht der Ursprung (s. Fig. IL C.) der
Hornhaut, wie sie als Membran mit 2 Glashäuten sich
kennzeichnet, noch etwas über den Beginn der Iris hinaas,
und sie hat hier eine Dicke von 0,4 Mm., während die-
selbe in der Mitte, gerade vor der mittlem Narbenmasse,
bis auf 0,8 Mm. steigt. An der Peripherie sind die vor-
dere und hintere Fläche der Cornea ziemlich parallel;
dagegen erscheint nach der Mitte hin — offenbar in Folge
früherer Entzündung, eine ziemliche Unregelmässigkeit
59
in der Schichtung der Hornhaut In deren oberen Hälfte,
wo die vordere Kammer noch besteht, ist durchschnitt-
lich der Dickendnrchmesser etwas kleiner, als in der
untern Hälfte, wo Iris und Cornea mit einander verlöthet
sind; hier beträgt er wenigstens 6,5 Mm. Das Epithel
ist etwas unregelmässig, in der Mitte an einzelnen Stellea
hypertrophisch, besonders da, wo früher eine Perforation
stattgefunden hatte. Die Reichert' sehe Membran finde
ich an der obem, freien Homhauthälfte sehr gut ent-
wickelt, während sie an der untern gar nicht mehr wahr-
genommen werden kann. Die Substantia propria
erscheint durchwegs etwas getrübt, besonders in der
Mitte, wo aber wahrscheinlich mehr Narbenmasse vor-
handen ist, als eigentliche Hornhautsubstanz; wenigstens
ist die parallele Schichtung ziemlich geschwunden. Zwi-
schen der mittlem, wuchernden Masse und den centralen
Rändern der Pupille hat Verwachsung stattgefunden. Hier
lässt sich auch die descemetische Membran, die — frei-
lich bedeutend dünner, als die Reichert'sche — in den
übrigen Theilen der Hornhaut vorhanden ist, nicht mehr
erkennen.
Die vordere Kammer ist nur an der obernBulbus-
Peripherie theil weise erhalten, aber flacher, als in der
Norm, — reicht beiderseits bis zu den Yerwachsungs-
Stellen der Iris -Hornhaut; ihre grösste Tiefe beträgt
0,3 Mm.
Die Iris ist, wie schon früher angedeutet wurde (s.
Fig. II. J.), durch die staphylomatöse Ausbuchtung von
ihrer natürlichen Basis, dem Corpus ciliare — getrennt
und erscheint auf der Uebergangsstelle der Sclera in die
Cornea wie angelöthet. An der obem Hälfte, wo sie frei,
d. h. nicht mit der Cornea verwachsen ist, erreicht sie
noch eine Dicke von 0,24 M., während diese an der untern
kaum auf 0,2 Mm. steigt Von der Erhaltung einer
eigentlichen Struktur unter obwaltenden Verhältnissen,
60
wo wir einerseits vollständiges Anliegen an der Cornea
mit dem grössern Theile ihrer Fläche, andrerseits feste
Verwachsungen mit der Hornhaut an der Peripherie und
im Centrum gefunden haben — kann nicht die Rede
sein; es besteht nur noch ein bindegewebiges Stroma,
das mit unregelmässigen Pigmentkömcm durchstreut ist.
An der Peripherie wird die Dicke der Iris kleiner, und
in ihrem obem Theile erscheint die hintere Fläche wie
scharf abgeschnitten, so dass auf eine Distanz von we-
niger als 1 Mm. die Dicke des Stroma von 0,15 Mm. auf
0 herabsinkt, indem nur das Uveal-Pigment die angren-
zende Excavation auskleidet. Am untern Theile, da wo
die Verwachsung stattfindet, sinkt der sagittale Durch-
messer langsamer, das Endresultat ist das nämliche.
Vom Linsensystem (s. Fig. II. L.) ist nur ein
kleines, weisses, senfkorngrosses Knötchen übrig geblie-
ben, eingeschlossen zwischen den Eapselresten, die in
Verbindung mit der Zonula in gerader Richtung nach
der Hornhautnarbe hin verlaufen. Der Raum zwischen
Iris- Excavation resp. Staphylom einerseits und dieser
geradlinigen Kapselverziehung andrerseits ist durch eine
Flüssigkeit ausgefüllt und stellt eine Art enorm erwei-
terter, hinterer Kamüier dar.
Die Ectasie (s. Fig. IL E.) an und für sich bietet
keine besondem Eigenthümlichkeiten dar; ihre Wandung
mit nach aussen buchtiger Convexcontour besteht, wie
bei allen Ectasien, aus sehr verdünnter Sclera und einem
Reste von Pigment.
Das corpus ciliare ist zu einem wenig über das
Niveau der übrigen Chorioidea erhabenen Plättchen re-
ducirt; die Processus ciliares mit ihrer Fortsetzung, der
Zonula, trennen Glaskörperraum und vordere Ectasie
von einander. Von den Processus ziehen sich leistenfi^r-
mige, stärker pigmentirte Kämme bis gegen den Iris-
61
Ursprung hin — in der bekannten, schon von Arlt
for derartige Fälle beschriebenen Weise (s. Fig. Il.aaa.)
Die hintere Partie des Glaskörpers ist verflüssigt,
während die vordere ihre gewöhnliche Consistenz beibe-
halten hat. Ganz besonders stärk entwickelt ist die
Hyaloidea, die sich als dünnes, auf der Retina flatterndes
Blättchen im Wasser leicht isoliren lässt.
Die Chorioidea hat einen massigen Grad von
Atrophie erlitten. Die Choriocapillaris ist gut erhalten;
auch lassen sich überall leicht pigmentirte und pigment-
lose Stromazellen auffinden. Wesentlich verändert ist die
Schicht des Pigmentepithels, indem der Pigmentgehalt
desselben bedeutend abgenommen hat. Doch finden sich
darin nicht die Veränderuogen, wie sie besonders bei
Neubildungen in der Chorioidea auftreten, wo das Pigment
zu rothen, goldgelben, unregelmässigen Kömern zusam-
menbackt und die darüber liegende Retina afficirt. Zieht
man die Chorioidea von der Retina ab, mit der sie et-
was verlöthet erscheint, so bleibt der grössere Theil des
oberflächlichen Pigments auf der letztem sitzen. An der
Chorioidea bleiben hie und da unregelmässige Reste
schwarzen Pigmentes hängen und an einzelnen Stellen
sieht man auch mehrfach geschichtete Lager von Pigment-
zellen mit deutlichen, pigmententblössten Kernen. An
manchen Orten liegt das Pflaster des Pigmentepithels
noch gut erhalten da, ist dabei aber gänzlich seines
Pigmentes beraubt. Choriocapillaris und Glasschicht
lassen sich sehr leicht in continuo von den äussereu
Schichten trennen ; die Glasschicht ist unzweifelhaft mäch-
tiger und consistenter als im Normalzustand, ohne dass
irgendwo Drusen von Glassubstanz zu sehen wären. Es
entspricht diese Verglasung einer andern, angrenzenden
in der innersten Netzhautschicht.
Sehr bedeutend sind die Veränderungen in der Re-
tina (s. Fig. IIL). Man bemerkt schon makroskopisch
r)2
an ihrer &u8sem Fläche theils punktförmige, schwarze
Tflpfelchen, theils einzelne, etwas grössere Plaques von
Pigment, das ohne Zweifel von der Choriocapillaris her-
rührt, von welcher aus also eine Pigmentinfiltration in
die Retina stattgefunden hat. Aus dieser lassen sich
sehr leicht senkrechte Schnitte darstellen, an denen sich
bei der oberflächlichsten Beschauucg mit schwacher Ver-
grösserung schon bedeutende Veränderungen bemerklich
machen. Dieselben beziehen sich theils auf die Dicken-
Durchmesser, theils auf die Begrenzung gegen das Pig-
mentepithel, theils auf die feinere Struktur. Die Dicken-
Durchmesser, und zwar von ganz nahe bei einander-
liegenden Stellen, variiren sehr bedeutend; ganz abrupt
sinkt der Durchmesser von 0,27 auf 0,17 Mm., um gleich
daneben wieder auf 0,25 zu steigen; ich besitze Schnitte
von 4 — 5 Mm. Länge, an denen 10 — 12 solche bedeutende
Dickenvariationen vorkommen. Dadurch entsteht eine
ganz eigenthQroliche Profilirung; man sieht die Memb
limitans externa, soweit diese überhaupt noch zu erken-
nen ist — oder vielmehr diejenige verdickte Grenzschicht,
die durch Infiltration der äussern Retina-Theile und Ver-
klebung mit dem wuchernden Chorioidal -Pigmentepithel
entstand — als äusserste Linie; plötzlich bricht diese
starre Decke ein und senkt sich in eine rascher oder
allmälig absteigende Bucht ein, aus der sich wieder ein-
zelne, mit einseitig oder nach beiden Seiten überragenden
Plateau's gekrönte, das Niveau der Decke erreichende
Hügel erheben; dann hebt sich der ganze Boden der
Einsenkung wieder oder es folgt noch eine Anzahl jener
Hervorragungen; auch kann, nur sporadisch — in der
fortlaufenden Contour der äussern, pigmentirten Schwarte
hie und da eine kleinere, schmälere oder breitere, tiefere
oder flachere Einsenkung auftreten. Eine skizzenhafte^
aber naturgetreue Profilirung eines solchen Schnittes^
die ohne Rücksicht auf die übrige Struktur gemacht
63
worden ist, ivird die Sache übrigens besser darstellen,
als die detaillirteste Beschreibung (siehe Figur). Die un-
regelmässige Flächenerhebung erstreckt sich auf den
ganzen Bereich der Retina, ohne dass dies makros-
' kopisch sich sehr bemerklich macht, da hier nicht, wie
wir es bei der sogenannten degenerativen Chorioiditis —
im Falle Tschanz — sehen, die Retina zu einem durch-
scheinenden Blättchen reducirt ist Eine bestimmte
Anordnung der atrophischen Stellen lässt sich hierbei
nirgends eruiren. Nehmen wir meridianale Schnitte oder
solche, die mit dem Aeqnator des Bulbus parallel laufen
(der Kürze wegen wollen wir sie zonnläre nennen), so
findet sich überall das nämliche Verhalten.
Wenn wir zur Betrachtung der Retina-Struktur
übergehen, so werden wir hier auch vom Verhalten des
Chorioidal-Pigmentes sprechen müssen.
Die Stäbchen- und Zapfen -Schicht der Retina ist
durchweg zerstört und nur an wenigen Orten sind noch
Spuren davon yorhanden. Weitaus an den meisten Stellen,
seien sie nun mit Pigment infiltrirt oder nicht, sind die
äussersten Schichten der Retina zu einer streifigen, dich-
tem Masse zusammengeklebt und bilden einen schmälern
oder breitem, dunkeln Gürtel, der Netz- und Ader-Haut
Yon einander scheidet; von diesem Gürtel, der an man-
chen Stellen am richtigsten als eigentliche Schwarte
(Fig. III. aa.) bezeichnet wird, geht dann ein lockeres
Faserwerk — etwa derZwischenkörnerschicht entsprechend
— ohne alle Regelmässigkeit nach innen, je nach der
Oesammtdicke der Retina bald breiter, bald schmäler.
In diesem Faserwerk lassen sich noch hie und da ein-
zelne Spuren von Körnern und auch noch etwa kleine,
kolloide Massen entdecken (s. Fig. III. g.). Es bildet
mit der äussern, dichten Begrenzung und dem mit der-
selben vielfach vermengten und verschmolzenen Pigment
— das Aequivalent für Stäbchenschicht, M. limitans.
64
äussere und Zwischen -Eörnerschicht. — Sehen wir, wie
die beschriebenen Niveau- Veränderungen zu Stande kom-
men, die sich, wie schon bemerkt, wesentlich auf die
äussern Schichten beziehen.
Hierfür sind die peripherischen Partien zur Unter-
suchung lohnend, weil da zwischen Chorioidea und Re-
tina freie Exsudationen sich finden; das Pigmentepithel
hat sich bereits mit der Stäbchenschicht verklebt; es
müssen hier mehr klebrige Massen aus den Epithelzellen
ausgeschwitzt sein, die nach und nach die Stäbchen durch-
drungen und verkittet haben, wodurch nach aussen eine
persistentere Grenzschicht geschaffen wurde, so dass sich
im Retina-Stroma kleine Flüssigkeits- Ansammlungen bil-
den konnten, ohne nach aussen durchzubrechen und zu
Netzhautablösungen zu führen. Wenn solche Flüssig-
keits-Ansammlungen unmittelbar unter der pigmentirten
Schwarte sassen, was in einzelnen Präparaten jetzt noch
nachzuweisen ist, so konnten sie längere Zeit bestehen
und es bildete sich dabei nach innen zu ebenfalls eine
Verdickung des zarten Gewebes. Endlich brach die all-
mälig durch Resorption dünner gewordene Schwarte an
irgend einer Stelle ein; ein Theil des Daches blieb noch
an der Seite erhalten (s. Fig. III. k.) und wenn nun
unmittelbar daneben eine ähnliche Höhlung gebildet wurde,
so blieb die dünne Scheidewand oben mit dem Reste der
Schwarte gekrönt, der nach beiden Seiten über die Ver-
tiefung ragte. Dass wirklich klebrige Stoffe hier trans-
sudirten, lässt sich auch daraus ersehen, dass an ein-
zelnen Stellen auch in dem lockern Gewebe der Zwischen-
körnerschicht kleine, kolloide Massen sich finden. — An
andern Stellen sind die vertieften Partien ohne solche
vorhergegangeneu Höhlenbildungen entstanden, einfach
nur durch Schrumpfung und Verdickung der oberfläch-
lichen Schichten (s. Fig. III. m.), wobei aber doch stets
ein primärer Erguss irgend einer coagulirenden , ver-
65
fchmelzeDden Flüssigkeit vorausgegaDgen sein muss. Ob
dabei die Retina nur eine passive Rolle gespielt hat, ist
nicht gewiss; ich möchte mit Schweigger annehmen,
dass die Durchsetzungen der Retina mit Pigment nur
bei erkrankter, serös -gequellter Retina so leicht erfolgt
Solche seröse Schwellungen, wobei die einzelnen Partien
des Gewebes aus einander getrieben sind, finden sich
hier an der Peripherie der Retina jetzt noch; früher sind
sie vielleicht über die ganze Netzhaut verbreitet gewesen.
— Eine andere Art, wie die Niveau -Veränderungen
ebenfalls zu Stande kommen konnten, ist die, dass an
irgend einer Stelle die Ausschwitzungsmasse des Pig-
ment-Epithels eine gewisse Mächtigkeit erreicht und da-
durch eine begrenzte Strecke der Retina durch Druck
zur Atrophie bringt; zur Netzhautablösung kommt es
deswegen nicht, weil die umliegenden Stellen bereits in
abnorme Verbindung mit der Retina getreten sind.
In Bezug auf das Verhalten des Pigmentes, das sich
in unsrer Retina findet, müssen wir annehmen, dass
alles unzweifelhaft aus der Ghorioidea herstammt Wo
wir es mit einer oberflächlichen (seil, nach der Ghorioidea
hin) verdichteten Schicht der Retina, mit einer Retina-
Schwarte zu thun haben, da findet sich das Pigment
meistens nur in ziemlich flächenartiger Ausbreitung. An
andern Stellen, wo die Zerstörung der Netzhaut-Struktur
weniger weit vorgerückt ist, wo z. B. die Enden der
Stäbchenkörner noch diesseits der M. limitans externa
wenigstens rudimentär zu erkennen sind, ist die Pigment-
einstreuung geringer; wo Pigment vorhanden ist, findet
es sich in kleinern und grössern Häufchen um vertiefte
Stellen. Der Lauf der Gefässe hat dabei keinerlei Ein-
flnss. Jenseits der innern Eörnerschicht verirrt sich das
Pigment nirgends ; diese Schicht selber aber ist an manchen
Stellen mit Pigment durchstreut Selten finden sich an
der Oberfläche concentrirte Pigmentnester von rundlicher
Arcldr für OphtbaliDoloffte. XL t. 5
66
(s. Fig. III. 1.) Form and einem senkrechten Durchmesser
bis zu 0,15 Mm. (Fig. III. h.). — Man trifft auch peri-
pherische Stellen, wo bei einem Gesammtdurchmesser der
Betina von höchstens 0,20 Mm. ihre einzelnen Lagen, mit
Ausnahme der Stftbchenschicht, gut erhalten sind, die
Membrana limitans externa und interna parallel verlaufen
und das Pigment nur in einzelnen Körnern durch das
Stroma zerstreut ist und zwar bis in die innersten Schichten.
Nachdem wir den Befund der äussern Schichten der
Ketina mitgetheilt, ist über deren Struktur im Weitern
noch Folgendes zu bemerken: An den meisten Stellen
ist also an die Stelle der Stabchen, äussern und Zwischen-
Eömerschicht nach aussen die pigmentirte Schwarte
durch ein lockeres oder dichteres, schmaleres oder brei-
teres Faserwerk mit der innem Kömerschicht verbunden.
Dieses Faserwerk ist an gewissen Stellen offenbar durch
Flüssigkeitsansammlung etwas auseinander gedrängt; es
hat eine seröse Schwellung der Retina stattgefunden und
diese seröse Schwellung erleichtert die Verklebuug mit
dem Exsudate und dem Pigment des Pigmentepithels,
so auch die Einwanderung des freien Pigmentes. Hie
und da finden sich zwischen den Fasern noch einzelne
Körner.
Die molekulare Schicht ist auf ein Minimum zusam-
mengeschrumpft und besteht aus einem ziemlich dichten
Geflecht von Fasern, die mit den senkrecht ansteigenden
MüUer'schen Fasern eine innige Verbindung eingehen;
zwischen molekularer und Ganglienschicht, wo die Müller-
sehen Fasern im rechten Winkel umbiegen und so ein
sehr hübsches Arkadenwerk bilden, findet sich an manchen
Stellen ein auf längere Strecken fortgehendes Vacuum,
das nur durch die aufsteigenden Mülier'schen Fasern un-
terbrochen wird. — Von Ganglienzellen lässt sich keine
Spur wahrnehmen. An die Stelle der Opticus-Fasern
sind ebenfalls einfache Fasern bindegewebiger Natur ge-
67
treten. Um die Gefässe herum finden sich zum Theil
nicht unbedeutende Lücken.
Wesentlich anders, als die aeqnatorialen, mehr hintern
Partien, worauf sich das eben Gesagte bezieht, verhalten
sich die peripherischen Theile. Manche von diesen, wo
noch Stäbchenreste sind und auch weniger Pigment ein-
gedrungen ist, besitzen noch Ganglienzellen und äussere
Körner, auch hie und da noch Opticus-Fasem.
Ganz eigenthümlich ist das Verhalten des äussersten
Grenz theils der Retina, wo ihre pars ciliaris beginnt
Hier hebt sich ihr Durchmesser plötzlich von 0,15 auf
0,40 Mm., um dann eben so rasch wieder zu der schmalen
Leiste der pars ciliaris retinae herabzusinken. Jede
Spur nervöser Elemente ist hier verschwunden und wir
haben nur ein maschiges, mit Flüssigkeit durchtränkte»
Gewebe vor uns. An manchen Stellen befindet sich die
Flüssigkeits- Ansammlung zwischen Chorioidea und Retina
wodurch kleine, circumskripte Netzhautabiösungen ent-
standen sind. — Diese eigenthümliche Veränderung be-
triflft nur einen Theil der Retina-Peripherie,
Veränderungen des Chorioidal - Epithels fand auch
Schweigger einige Male bei der anatomischen Unter-
suchung als selbstständige Erkrankung der Pigment-
Epithelschicht, ohne dass im Stroma der Chorioidea
Veränderungen nachweisbar waren. (Schweigger, über
den Gebrauch des Augenspiegels 1864, pag. 87).
Am Nervus opticus zeigt sich eine atrophische
Excavation, hauptsächlich hervorgerufen durch die fast
völlige Atrophie der Gpticus-Fasern. — Wir haben es hier
demnach mit einer Pigmentirung und Degeneration der
Retina zu thun, die ein durchaus anderes Verhalten zeigt,
als die gewöhnlich sog. Retinitis pigmentosa. Es fehlen
das selbstständig in der Retina entwickelte Pigment
und die veränderten Gefässe. Obwohl die Zerstörung
der beim Sehen funktionireuden Theile eine vollständige
68
ist, würde doch die ophttialmoskopische Untersuchung
wahrscheinlich ausser jenen einzelnen Pigmentnestem und
einer unregelmässigen Vertheilung des Chorioidealpig-
ments bei vollständiger Amaurose nicht viel Auf-
fallendes dargeboten haben. — Dass hier auch nicht jene
Erkrankung der Eömerschichten mit Wucherung und Um-
biegung der Radiärfasern, wie sie Pepe und H.Müller
beschrieben, vorliege, ergiebt eine genauere Beachtung
des Befunds sogleich. Eigenthümlich ist die auffällige
und so rasch in geringer Entfernung wechselnde Dicke
der Retina, wodurch aber die auf der Figur angedeutete
eigenthümliche Profilirung entsteht. Diese letztere ist,
soviel mir bekannt, bis jetzt noch nicht in der Art beob-
achtet wordea Makroskopisch kennzeichnete sich die-
selbe in keiner Weise.
m. Fall. Vordere, hochgradige Sclerectasie vor dem
Corpus ciliare mit allgemeiner Ektasie des Bulbus.
(Tafel IL Fig. IV.)
Elisabeth B. ans Baselland, 19 Jahre alt, ist von
Jugend auf kurzsichtig gewesen; will vor 7 Jahren eine
„Himentzündung" gehabt haben, wobei das rechte Auge
bedeutend angeschwollen sei und sein entstelltes Aus-
sehen erhalten habe, das ihm bis jetzt geblieben ist
Schmerzempfindungen oder entzündliche Erscheinungen
sind seitdem keine mehr dagewesen. Das linke Auge ist
hochgradig kurz- und etwas schwachsichtig, zeigt starkes
Iris-Schlottem. Das rechte Auge zeigt schon bei ge-
schlossenen Lidern eine starke Vorwölbung; das betref-
fende obere Lid ist verdünnt. Ist das Auge geöffnet, so
zeigt sich ein nach allen Dimensionen vergrösserter
Augapfel, der besonders nach oben hinter der Cornea
eine starke Vorwölbung bläulich durchscheinender Lateral-
Partien zeigt. Die Cornea ist noch ziemlich normal,
hat mit Ausnahme eines schmalen, in seinem grössten
Durchmesser 2 Mm. breiten Segmentes am untern Rande,
wo eine weissliche, etwas höckrige Trübung sich zeigt)
— ihre Transparenz behalten. Die Pupille zeigt eine
mittlere Weite, ist unbeweglich; die vordere Kammer
flacher als gewöhnlich; das Gewebe der Iris schemt nicht
wesentlich verändert. Die Untersuchung mit dem Augen-
spiegel zeigt eine kleine, excavirte Papille. — Ausser der
ungewöhnlichen Grösse der Sclerectasie und des ganzen
Bulbus war am auffälligsten die Transparenz der Cornea
und das Erhaltensein der Iris. — Die Kranke wünschte
wegen der Entstellung die Entfernung des Auges, welche
am 15. September 1864 nach der gewöhnlichen Methode
ohne besondere Schwierigkeit ausgeführt wurde. Der
Blutverlust war unbedeutend. Das Fett der Orbita zeigte
sich durch den Druck des enormen Bulbus bedeutend
atrophirt. üeber den Verlauf der Heilung ist nichts Be-
sonderes zu bemerken. Der Bulbus wurde unmittelbar
nach der Operation gemessen.
Der Diameter anter-posterior betrug ... 38 Mm.
„ „ verticalis: 31,5 „
„ „ horizontalis: 31,0 „
„ „ verticalis in der Höhe der Scle-
rectasis: 31,0 „
„ „ verticalis Corneae: . . . 11,5 „
„ „ horizontalis „ ... 11,0 „
„ scheinbare Pupillendurchmesser: ... 5,0 „
Die allgemeinen Verhältnisse des Bulbus, der geöffnet
wurde, nachdem er einige Zeit in einer Erhärtungsflüs-
sigkeit gelegen war, zeichnen sich durch ihre einfache
Uebersichtlichkeit aus.
Der Glaskörper ist zum grössten Theile verflüs-
sigt; in der Gegend der ora serrata, wo seine Befestigung
an Chlorioidea und Retina am intimsten ist, bleibt eine
70
flockige Masse stehen. Die ganze Bulbushöhle ist we-
sentlich erweitert; die Iris von den Processus ciliares
durch eine breite, schwach pigmentirte Zone getrennt,
hinten mit Uveal -Pigment überkleidet, nirgends adhärent
Die Linse liegt auf dem Boden der Augenhöhle.
Gehen wir zu einer kurzen Besprechung der einzel-
nen Bulbus-Theile über! —
Die Chorioidea ist durchgängig pigmentarm und
ziemlich durchsichtig, auch leicht zerreissbar; die ein-
zelnen Schichten derselben trennen sich leicht von ein-
ander. Mit der Retina lässt sich nirgends eine innigere
Verbindung auffinden. Das Pigmentepithel ist durchgän-
gig als einfaches Zellenstratum erhalten, aber sehr pig-
mentaim; nirgends kommen gefüllte Zellen vor, meistens
sind nur an den Rändern derselben kleine Pigmentmole-
küle übrig geblieben; die Kerne sind sehr deutlich,
normal; auch in der Grösse der Zellen sind nirgends
Veränderungen sichtbar. Die Ghoriocapillaris ist sehr
schön erhalten; viele Capillaren enthalten noch Blut-
körperchen ; ihr Netz ist aufs Deutlichste zu sehen. -
Das Stroma- Pigment ist ebenfalls sehr blass; die
Zellen haben nur eine schwach bräunliche Färbung, so
dass sehr viel Licht durch die ganze Chorioidea dringt
und man mit dem durchdringenden Lichte die Epithel -
Struktur sehr schön beobachten kann, wenn man in situ
ein Stück Chorioidea mit der äussern Seite nach unten
auf das Objektglas legt. Die Mächtigkeit der äussern
Gefässschichten hat entschieden abgenommen. Die ganze
Chorioidea befindet sich also in einem Zustand massiger
Atrophie,
Im Glaskörper, d. h. in seiner vordersten, nicht
verflüssigten Partie finden sich ziemlich viele, grössere,
rundliche Zellen mit einem oder mehrern Kernen. In der
pars ciliaris chorioideae wird die Adhäsion zwischen
Sclera und Chorioidea sehr bedeutend; doch gelingt es
71
auch hier, das Corpns ciliare mit seiner vordem, pigmen-
tirten Fortsetzung nach der Iris zu von der Sclera ab-
zulösen. Die Dichtigkeit des Pigment- Epithels nimmt
hier in gewöhnlicher Weise zu; dagegen schwindet die
Capillarschicht und es findet sich nach aussen nur ein
ziemlich pigmentloses, &seriges Gewebe mit vereinzelten
Gelassen. Die Processus ciliares stehen viel weiter aus*
einander, als in der Norm (s. Fig. IV.) und befinden sich
im Zustand der höchsten Atrophie. Vom m. tensor cho-
rioideae sind nur noch bindegewebige Fasern übrig.
Von der vordem Grenze des corpus ciliare bis zum Ur-
spmng der Iris ist die hier sehr dünne Sclera nur durch
ein dünnes, bindegewebiges Blättchen bedeckt, in welchem
braunes, formloses Pigment eingestreut ist. Dies ist die
Lokalität der Ausbuchtung, die an einzelnen Stellen 11,5
Mm. beträgt, wenn diese glatt ausgebreitet sind. An
andern Stellen sinkt ihr Durchmesser bis auf 4,5 Mm.;
wo die Sclerectasie am bedeutendsten, ist auch die Ent-
femung zwischen den Processus ciliares am grössten; sie
beträgt an der ausgedehntesten Stelle 2 Mm. Die Fort-
setzung der Leisten der Processus gegen die Iris hin
ist da am markirtesten, wo die Sclerectasie am geringsten
ist ; sie gehen als leichte Vorsprünge über das Zwischen-
gebiet. — Zwischen den Processus ciliares sitzen hie und
da (im Ganzen 3 an der Zahl) ganz kleine, mnde Bläs-
chen, von höchstens V, Mm. Durchmesser. Beim Ablösen
reissen sie ein, da sie mit einer Art von Stiel auf dem
unterliegenden Gewebe aufsitzen. Sie haben einen flüs-
sigen Inhalt und eine strukturlose Umhüllungsmembran
mit einfochem Pflaster-Fpithel, sind also kleine Cysten
der Aderhaut, wie sie meines Wissens bis jetzt noch
nicht beschrieben worden sind.
Die Iris, an den Rändern mit der Cornea verlöthet,
ist dünner als in der Norm und zeigt einen mittlem
Grad allgemeiner Atrophie. An der Cornea ist nichts
72
Auffallendes zu bemerken; dieTrfibnng an deren unterm
Rande ist überwiegend epithelial, doch finden sich auch
einzelne Stellen mit neugebildeten Gefässen.
Die Retina ist normal; am N. opticus findet sich
eine tiefe Excavation, die wahrscheinlich durch Druck
entstanden ist; wenigstens spricht dafür ihre steil ab-
fallende Form; der Opticus zeigt eine massige Exca-
vation. — Die Sclera ist überall sehr verdünnt, doch
nirgends so stark wie zwischen Corpus ciliare und Iris
(s. Fig. IV. Sc.j.
Es ist dies wohl einer der höchsten Grade von vor-
derer Scleralektasie mit verh&Itnissmässig geringen Verän-
derungen von Iris und Cornea. Im Corpus ciliare durch-
gängig der hochgradigste Schwund, doch kennzeichnen
sich die Kämme der Ciliarfirsten sehr deutlich und ziehen,
ohne dass irgend ein Processus ciliaris noch nachzuweisen
wäre, als hellere Leisten mit sehr entschiedenen Fort-
setzungen über die ektasirte Partie hin nach der Iris
zu. Eigenthümlich ist es auch, dass die Retina, trotz
der secundären, allgemeinen Ektasie, sich nicht wesent-
lich verändert hat; die Ektasie des Opticus ist keine
sehr bedeutende.
rv. Fall. Totale Ektasie der Sclera; hochgradige Atrophie
der Retina und Chorioidea; Auflagerung unter das
äussere Homhautepithel.
Der rechte Bulbus von Friedrich T. 587 von Sie-
griswyl in Bern. Das Präparat war mir durch die Güte
des Herrn Prof. Biermer aus Bern zugekommen sammt
dem linken normalen Auge des gleichen Individuums.
Vom 10. März bis 19. April, wo der Tod erfolgte, war
das Stapide Individuum im Inselspital zu Bern verpflegt
worden. Bei der Aufnahme fand sich an dem rechten
73
Auge eine höcbst eigenthümliche HervorwOlbung, nament-
lieh nach aussen, vollständige Trübung der Hornhaut,
kleine Geschwüre auf derselben, unbewegliche, nach unten
adharente Pupille; durch die Sclera schimmert bläulich
die Chorioidea durch; die Conjunctivalgefilsse stark in-
jicirt Der Lidschluss war vollständig möglich. Die
Kranke lag mit Vorliebe auf der rechten Seite. Die
stupide Kranke giebt an, das Auge sei durch eine Ver-
letzung mit einem Steinchen schon seit vielen Jahren in
diesem Zustande. Daneben wird heftiger Kopfschmerz
geäussert und es findet sich leichte Parese der unteren
Extremitäten. — Unter zunehmender Stupidität, Kopf-
schmerz, Blasenlähmung findet am 15. April wiederholter
Schüttelfrost statt, später Schlingbeschwerde, am 19.
April Tod. Die Sektion wies massige Himatrophie uad
Hydrocephalus iulernus mittlem Grades auf; daneben
eine interstitielle Nephritis Im umgebenden Zellgewebe
rechts ein leichtes Oedem; der opticus entschieden
atrophisch.
Durchmesser der Cornea.
Bechter Bulbus. Linker Bnlbvf.
horizontaler
vertikaler
Der Bulbus horizontalis
„ verticalis
„ sagittalis
Die ganze, untere Hälfte der Hornhaut rechts ge-
trübt; nach unten und aussen ein kleines Ulcus; die un-
tere Irishälfte mit der getrübten Hornhaut verwachsen,
80 dass nur die obere Hälfte der Pupille frei ist; in
einer horizontalen Ebene der Hornhaut sind noch kleine,
mehr seitliche, vordere Synechien, so dass die vordere
Kammer wesentlich verengt erscheint; am oberen, sonst
freien Pupillarrand eine kleine hintere Synechie. Der
ganze Bulbus ist sehr weich; überall beinahe, besonders
11.75
11.75
10.0
11.0.
32.0
24.5.
34.0
26.0.
32.0
24.5.
74
hinter der regio ciliaris schimmert das bläuliche Ghoroideal-
gewebe durch; die Umhüllungen des Bulbus sind so ver-
dQnnt, dass sehr viel Licht ins Auge dringt, so dass die
Pupille nicht schwarz, sondern hell ist, je nach dem
Grad der Beleuchtung.
Hier liegt ein Fall allgemeiner Sclerectasie vor,
wobei die Gegend der Pupille und der Processus ciliares
nicht verändert, resp. nicht ektasirt ist. Die einzelnen
Theile des Bulbus bieten so manches ungewöhnliche und
Interessante dar, dass ich auf eine nähere Beschreibung
derselben eingehen muss.
Die Bulbus-Durchmesser sind oben angegeben; dass
sie ungewöhnlich gross sind, braucht nicht weiter erklärt
zu werden.
Was zunächst die Cornea betrifft, so zeigt sie un-
geßihr die gewöhnlichen Dickenverhältnisse — durch-
gängig leichte Trübung. Dabei findet sich das eigen-
thümliche Verhalten, dass unter dem Epithel, welches
in gewöhnlicher Weise gelagert ist, eine an verschiede-
nen Orten verschiedene dicke Lage einer streifigen Masse
auftritt, unter der dann erst die vordere Grenzmembran
in bedeutender Mächtigkeit sich zeigt Im Archiv für
Oph. VIIL 1 pag. 126 ff. ist von Althof eine ähnliche
Auflagerung beschrieben. In seinem Falle war die La-
mina elastica anter. verdünnt, an manchen Stellen ganz
verschwunden, ein Verhalten, was sich in unserm Falle
für die Stellen, wo eine Auflagerung vorliegt, wiederholt
Die Auflagerung erreicht eine Mächtigkeit von ca. 0,1
Mm., es ist eine ganz ähnliche Masse, wie man sie auch
auf der freien äussern Fläche der Descemetischen Mem-
bran antrifft Ob derartige Auflagerungen vom Epithel
oder von der Glashaut geliefert werden, ist bis jetzt
noch nicht ausgemacht; ich möchte eher das letztere
vermuthen.
75
Auf der hintern Fläche der Cornea, die also durch-
gängig leicht getrübt ist, ist auf ziemliche Strecken hin
das Irisgewebe fest verwachsen, ohne dass dasselbe von
seiner Dicke wesentlich eingebüsst hat. Eine Auflösung
des Pigmentes hat bereits angefangen.
Die Sclera ist in ihrer Totalität sehr verdünnt und
an einzelnen Stellen, besonders am Aequator, durchschei-
nend. Gerade in dieser Gegend zeigt sich auch eine
innige Yerlöthung der Ghorioidea- Reste mit der Sclera,
so dass, wenn man die Ghorioidea abziehen will, einzelne
Fetzen davon auf jener zurückbleiben.
Die Iris ist an verschiedenen Stellen — theil weise
auf bedeutende Strecken, von ihrem Beginne weg mit
der Gomea verwachsen. Vom Linsensystem ist Nichts
mehr vorhanden.
Der Glaskörper ist grösstentheils verflüssigt; die
noch zusammenhängenden Reste desselben endigen in der
ora serrata. Am hintern Pole des Auges, in der Nähe
der hyaloidea findet sich ein grosses, obliterirtes, kolben-
artig endigendes Gefäss, wahrscheinlich eine obliterirte
Arteria hyaloidea. Der Durchmesser desselben beträgt
in der Continuität 0,07 Mm , steigt am kolbigen Ende
bis auf 0.2 Mm. In der Umgebung dieses Gefässes sind
viele Glaskörperzellen zu finden.
Die auffallendsten Veränderungen zeigen sich an der
Ghorioidea und Retina. Im Leben würde man eine
degenerative Retino > Chorioiditis diagnostizirt haben.
Beide Membranen zeigen theilweise eine ausserordent-
liche Atrophie, welche sich bei der Retina an einzelnen
Stellen derartig steigert, dass rundliche Lücken in
ihrem Gewebe auftreten. Die Verdünnung beider Häute
ist besonders aufläUig am Aequator bulbi, wo auch die
Sclera am dünnsten erscheint.
Die Atrophie der Ghorioidea ist also eine sehr
hochgradige. — In der Nähe des hintern Augenpols finden
76
sich noch verhältnissmässig gut erhaltene Partien; doch
zeigen sich auch bei diesen sowohl am Pigmentepithel
als im Stroma bedeutende Veränderungen. Ziemlich
rasch nimmt dann die Atrophie zu; eine Stelle, an der
man die grossen, äussern Gefasse noch deutlich unter-
scheiden konnte, geht ziemlich rasch in eine andre über,
wo nur noch Beste der Choriocapillaris und vielleicht
einige Reste des Stromapigments sich finden. An diesen
Stellen hat auch keine Adhäsion zwischen Sclera und
Chorioidea statt, während bei noch mehr verdünnten
Partien die Anheftung an die Sclera eine sehr innige
ist, so dass es einige Schwierigkeit hat, die beiden Theile
von einander zu trennen. Makroskopisch erscheint hier
die Chorioidea als ein ganz dünnes, homogenes Häutchen,
noch mit unregelraässigen Fetzen eines grauen üeber-
zuges — des Pigmentepithels — bedeckt, das sich an
einzelnen Stellen auch zu mehr schwärzlichen Punkten
sammelt. Vermittelst des Mikroskops sehen wir eine
dünne, homogene Membran, auf der hier und da noch
leise angedeutete Spuren früherer Gefässe sich finden;
daneben eine völlig regellose Anordnung unzusammen-
hängender Plaques von Pigment; die kleinen Häufchen
entsprechen ungefähr der Grösse der Pigmentepithel-
Zellen, was neben einzelnen Kernen auf ihre Abstammung
vom Pigmentepithel scbliessen lässt — Auf die Ursache
der Atrophie werden wir später zurückkommen.
In ähnlicher Weise verhält sich die Retina.
In einer ziemlich kontinuirlichen, kreisförmigen Zone
um die Papille des N. opticus finden sich Stellen, wo die
normalen Dickenverhältnisse der Retina erhalten sind;
ziemlich plötzlich sinkt dann aber der Dickendurchmesser,
bis wir auch hier gegen die aequatoriale und peripherische
Partie ebenfalls hochgradigen Schwund beobachten. Uebri-
gens finden sich auch gegen den Aequator hin kleinere
und grössere, verhältnissmässig gut erhaltene Partien
77
der Netzhaut, und wenn man meridionale, senkrechte
Schnitte macht, so kam auf eine mehr nach hinten ge-
legene, atrophische Stelle wieder eine mehr» nach vom
hin gelegene, gut erhaltene folgen. Von den atrophischen
Stellen nun laufen nach den verhältnissmässig noch in-
takten Partien schmale, atrophische Bänder; diese sind
immer an den Verlauf von Retinagefässen ge-
bunden, so dass also die Atrophie gerade die unmit-
telbare Nachbarschaft der Gefasse sich ausgesucht hat
Die cirkumskripten Atrophien begleiten auf weitere
Strecken hin die Gef&sse, so dass diese auf Flächenan-
sichten der Netzhaut sich wie auspräparirt zeigen. Auf
senkrechten Schnitten stellt sich die Sache dann so dar,
dass gegen einen grössern Gei&ssquerschnitt hin der
Retina-Durchmesser plötzlich rasch sinkt, um sich dann
nach der andern Seite hin ebenso rasch wieder zu heben.
Die Atrophie erreicht gegen die Peripherie hin ihren
höchsten Grad und schliesslich kommen neben ganz ho-
mogenen, dünnen Blättchen endlich rundliche, scharf be-
grenzte, atropische Lücken im Retina-Gewebe vor,
die bis 2 Mm. Querdurchmesser erreichen können und
von künstlichen Zerreissungen sich sehr scharf unter-
scheiden. Neben dieser Atrophie findet zugleich eine
ziemlich unregelmässige Einstreuung von Pigment statt.
Mit Vorliebe und an einzelnen Stellen in sehr auffallen-
der Weise begleitet das Pigment den Verlauf der Ge-
fasse und manche derselben sind vollständig davon um-
sponnen. — Die äussern Retina -Schichten haben durch-
schnittlich am wenigsten gelitten; Stäbchenschicht, die
beiden Eömerschichten und ihre Zwischenschicht sind an
solchen Orten noch gut erhalten, wo die innem nach dem
Corpus vitreum hin liegenden Schichten bereits bedeu-
tende Veränderungen erfahren haben. Die Opticus- und
Ganglien -Schicht scheint überall bedeutend gelitten zu
haben, und an Orten, wo die äussern Schichten noch gut
78
erhalten sind, finden sich hier nur Gefässe und ein grobes^
horizontal laufendes Faserwerk, von groben, Müller'schen
Fasern durchkreuzt An andern Orten haben offenbar
seröse Durchtränkungen stattgefunden, wodurch die
Retina eine Dickenzunahme erfährt und die Fasern aus-
einander gedrängt werden. Dabei geht das ursprüngliche,
feine Faser werk zu Grunde, und starre, breite, steife
Fasern treten an seine Stelle. Dieses breite Faserwerk
bewirkt stellenweise noch tiefer gehende Veränderungen,
indem es auch auf die Zwischenkörnerschicht übergeht
und die Körner zum Verschwinden bringt, bis zuletzt
nur noch die beiden Begrenzungsschichten und einige
zwischenliegende Fasern übrig bleiben. Dass auch diese
schwinden können, beweisen eben die obenbeschriebenen
Lücken. Die limitans interna ist durchschnittlich sehr
gut entwickelt und zeigt, denen zum Trotz, die sogar
ihre Existenz läugnen wollten, hier — wie überhaupt oft
bei pathologischen Prozessen — recht bedeutende Dicken-
durchmesser.
Es scheint also hier wesentlich eine Druckursache
von innen her gewirkt zu haben uud nicht eine primäre
Aderhautkrankheit den Anstoss zu den übrigen Vorgängen
gegeben zu haben.
Zum Schlüsse einige allgemeine Bemerkungen. Ich
werde mich hierbei kurz fassen, da mir nicht daran ge-
legen ist, allerlei Hypothesen aufzustellen.
Vergleichen wir die vorliegenden Fälle von Sclerectasie
mit einander, so werden sich einige Eigenschaften auf-
finden lassen, die allen gemeinschaftlich zukommen. Wir
sehen von den Eigenthümlichkeiten ab, wie sie sich z. B.
beim Letzten auf der Cornea finden, oder auch von der
mächtigen Intercalarschicht auf der hintern Corneafläche
beim ersten Fall und den Wucherungen auf der Retina
beim zweiten, da wir — bei einer so kleinen Zahl von
Beobachtungen, diese Veränderungen nicht in direkten
79
Zusammenhang mit der Ektasie zu bringen wagen. Ge-
meinschaftlich ist allen 4 Fällen eine gewisse Atrophie
der Chorioidea, eine Atrophie, die sich besonders beim
4. Falle, wo eine allgemeine Ektasie vorhanden, zu dem
höchsten Orade steigert, indem von der Aderiiaut nur
noch ein dünnes, mit Pigmentresten bedecktes Plättchen
zurückbleibt. Aber auch im ersten Fall, wo die Gesammt-
durchmesser des Bulbus nicht über die gewöhnlichen
Maasse gehen, ist sie vorhanden. Im ersten, zweiten und
letzten Falle findet auch zwischen Chorioidalpigment und
Retina über die Norm gehende Innigkeit der Vereinigung
statt; im ersten Falle bleibt das Pigment bei der Tren-
nung beider Membranen fiuf der Stäbchenschicht der Re-
tina durchgängig haften; es muss demnach bereits eine
Verklebung eingeleitet sein. Im 2. Falle ist die Verbin-
dung eine so innige, dass die äussern Schichten der Be-
tina dabei gänzlich zu Grunde gegangen sind und viel-
fache Schrumpfungen und Niveau -Veränderungen ent-
standen. Beim 4. Falle ist Atrophie und Degeneration
der Retina in Folge der Chorioidal- Erkrankung so be-
deutend, dass an einzelnen Stellen durch vollständigen
Verlust der Netzhautsubstanz rundliche Lücken entstan-
den sind und der Glaskörper mit der Chorioidea unmit-
telbar in Berührung tritt. Der Glaskörper verhält sich
im ersten Falle, wo die Ektasie eine sehr cirkumskripte
ist, wie im Normalzustand; im 2. Falle findet eine theil-
weise Verflüssigung statt; im 3. und 4. ist dieselbe eine
totale und im 4. sind Blutgefässe von ziemlichem Galiber
wahrnehmbar. — Das Linsensystem ist in allen Fällen
theilweise zu Grunde gegangen oder wenigstens in seiner
Continuität mit den umliegenden Theilen gestört. Im 3.
Falle allein hat die Linse ziemlich ihre normalen Durch-
messer, ist nur aus ihrer Zonular- Verbindung gelöst.
Die Lokalität der Vorwölbung in den 3 Fällen par-
tieller Ektasie ist immer die Gegend unmittelbar vor den
80
Processus ciliarus resp. der Stelle des Iris -Ursprungs.
Im ersten Falle ist das Corpus ciliare verhältniss-
massig am wenigsten verändert, während im 2. und be-
sonders im 3. ein hoher Grad von Atrophie in diesen
Theilen sich offenbart. Entzündliche Prozesse der Iris
haben in allen 4 Fällen stattgefunden und entweder zu
totaler oder theilweiser Verwachsung mit der Hornhaut
geführt.
Was den Einfluss der Sclerectasie auf die Ausdeh-
nung des Gesammtbulbus betrifft, so scheint bei dem
Staphyloma annulare der Autoren eine Rückwirkung nicht
auszubleiben; eine solche ist wenigstens im 2. und 3.
Falle nachzuweisen; beim 3. erlangen die Durchmesser
des Bulbus einen Orad der Ausdehnung, wie er wahr-
scheinlich selten übertroffen werden wird. Da ist auch
die Ausdehnung des Raumes, der zwischen einer senk-
rechten durch die Irisebene und einer andern durch die
Processus ciliares liegt, vielleicht eben so gross, als der
eines gesammten, gewöhnlichen Bulbus. Dass eine solche
Ausdehnung dieser Partien nicht ohne Ausdehnung
sämmtlicher Umfassungshäute vor sich gehen kann, ist
begreiflich; eben so begreiflich, dass die Zonula in einem
solchen Falle bersten muss und dass die Linse, sofern
sie noch in ihrer Kapsel ihre gewohnte Existenz beibe-
halten, sich luxirt. Auffallend bleibt in diesem Falle die
geringe Betheiligung der Retina. In den 3 letzten Fällen
ist überall eine Verdünnung der gesammten Sclera nach -
zuweisen; in den 2 letzten Fällen erreicht sie einen hohen
Grad. — Dass das Linsensystem bei allen den Fällen,
wo solche Prozesse in der unmittelbaren Umgebung des
Corpus ciliare sich entwickeln, wesentlich leidet, ist na-
türlich.
Ob der Urbeginn der ektatischen Prozesse im Uveal-
tractus oder im Corpus vitreum liege, ist gefragt worden.
Bei der Sclerectasie vor dem Corpus ciliare ist ohne
81
Zweifel die Erkrankung und Verwachsung des Irisur-
Sprungs mit der Sclera das Anfängliche; die nachfolgen-
den Veränderungen der Chorioidea mögen dann eine ver-
minderte Resistenz -Fähigkeit gegen den intra-oculären
Druck bedingen; im 3. Falle, wo auch die Verflüssigung
des Glaskörpers eine vollständige ist, findet keine Ver-
wachsung zwischen Chorioidea und Sclera statt und doch
ist hier die allgemeine Sclerectasie am grössten. Hier
mag man wohl von Hydrops bulbi sprechen. Beim 4.
Falle, wo die Ektasie ebenfalls eine sehr bedeutende und
nicht an irgend eine Lokalität besonders gebunden ist,
findet dagegen eine sehr innige Verlöthung der Sclera
und Chorioidea statt. Vielleicht möchte auch hier die
Wahrheit in der Mitte liegen; die Anzahl genauer, detail-
lirter Beobachtungen ist auch hier gering, und man ist
leicht versucht, aus irgend einem hervorragenden Fall
fälsche Schlüsse zu ziehen. In der Natur kommen wohl
beide Arten vor; von den Erkrankungen des Glaskör-
pers wissen wir überhaupt verhältnissmässig wenig. Der
Iris-Ansatz scheint immerhin eine besondere Prädispo-
sition zu solchen ektatischen Veränderungen zu haben.
Basel, Februar 1865.
Arohltr fllr OpbtiMlmoloffto. XL 9.
82
Figuren - Erklärung.
Fig. I. 8faohe Yergrössernng. Obere Bolbnshälfle. Senkreehter Durch-
schnitt.
I. FalL PartieUe Sderektaaie.
C. Cornea.
A. InterkalarmasBe.
I. Iris.
K. Vordere Kapsel mit nahestehenden Cortikelpartieen.
H. Solera.
E. Ektasie.
L. Linse.
CC. Vorn abgestatstes Corpus oüiare mit prooessns oiliaiis
der sich in die Zonola fortsetst.
lig. IL Gleiche Yergrdssemng. Obere Bnlbnahfilfte, Senkrechter
Durchschnitt
n. Fall.
G. Cornea.
L Iris.
D. Stelle, wo hintere Comeafläche, Iris und Kapselreste Ter-
wachsen sind.
L. Beste des Linsensystems.
Z. Zonula im üebergang auf die KapseL
CC. Atrophisches Corpus dUare mit ansteigendem Pro-
cessus.
L. Ektasie.
aaa. Pigmentirte Streifm an der prooessus oUiares gegen
Iris hinsiehend.
F. ConjunctiTa.
Fig. m. Senkrechter Durchschnitt der Retina rom Fsjl n. aequa-
toriale Gegend. Yergrösserung 180.
aaa. Innere retinale Schwarte.
bbb. ünregelmSssiges Fas^rwark, der SteUe der inneren und
Zwischen-KSrnersehicht entsprechend.
CO. Aeussere KSmerschicht
dd. Molekul&re Schicht,
ee. MfiUer'sche Fasern.
ff. Senkrechte GefSssdurchschnitte mit periTascnlfiren BSumen.
ggg. CoUoide Häufchen,
h. Grosseres Pigmentnest
83
i. Schioaler Gewebipfeiler mit breiterer Krönung, aof einer
geschrumpften Stelle eitsend.
k. Atrophische Einsenkung mit eingebrochenem, pigmentirtem
Dach.
1. Kleinere Pigmenthaufeu in der äussern KSmenchicht
m. Auf weitere Ausdehnung eingesunkene BetLna-Partie.
n. Breiterer, pigmentirter Gewebepfeiler, die Torig» Partie
Ton einer kleinen Einsenkung trennend.
Fig. rV. Obere Bulbnshällte, senkrechter Durchschnitt, 8 fache Yer-
grösserung. — Kolossale, rordere Ectasie (III. Fall.)
B. ConjunctiTa.
C. Cornea.
I. Iris.
Sc. Sdera.
Sc^. Aeussere Ansicht der Sclera an der ektatischen Stelle.
SEE. Ectasie, von Pigmentstreifea , die von Ciliar -Firsten her-
kommen, durchzogen.
fBL Ciliar-Firste.
p. Ein Ciliar-First im Durchschnitt
€♦
I
üeber den Einfloss des intraocalaren Druckes
auf die Blutbewegung im Auge.
IL
Experimentelle Beitrftge zur Difhsion im Auge.
Von
Dr. Mitrophan Mimocky,
nusischem Regimentsarzt.
Der Blutstrom, welcher seinen Kreislauf nach gewissen
Gesetzen vollendet, ist in den verschiedenen Organen
des Körpers örtlichen Bedingungen unterworfen, die seine
Erscheinungen in so hohem Grade ändern, dass er in
diesen Organen speciell behandelt werden muss. Dem-
gemäss werden in den physiologischen Lehrbüchern dem
Kreislauf des Blutes in der Leber, in der Milz, in dem
Gehirn etc. besondere Kapitel gewidmet. Bis zur Erfin-
dung des Augenspiegels wusste man nicht, dass das
Auge in der Reihe der Organe, die ebenfalls eigene, in-
dividuelle Bedingungen fttr den Blutlauf besitzen, einen
Platz habe. Und doch sind im Auge, wie in einem
85
Bassin, der dem Wege des Blutstroms entgegensteht, so
eigei^thfimliche hämostatische Momente gegeben, dass sie
dem Blutlaufe innerhalb des Auges eine ganz besondere
Physiognomie mittheilen. Es genagt, auf den Puls der
Centralvene in der Netzhaut eines normalen Auges hin-
zuweisen, um von der Wahrheit des Gesagten überzeugt
zu sein.
Diese cbaracteristische Eigenthümlichkeit des intra-
ocularen Blutlaufes war merkwürdig genug, um die Auf-
merksamkeit der Forscher auf sich zu lenken. In dem
letzten Decennium war der Venenpuls und der bald darauf
entdeckte Arterienpuls im Auge ein mit besonderem In-
teresse behandeltes Thema in der Ophthalmologie, und
man muss gestehen, diese Erscheinung hat zu manchen
scharfsinnigen Abhandlungen Anlass gegeben, unter wel-
chen den ersten Platz die bemerkenswerthe Arbeit von
Donders einnimmt*)
Die zweite Eigenthümlichkeit des intraocularen Blut-
laufs betrifft die Vertheilung der Gefässe im Auge
Zuerst Tirsch, dann Brücke, Schröder, v. d. Kolk
haben die Thatsache festgestellt, dass in dem Auge zwei
isolirte Gefässsysteme vorhanden sind : Ciliar- und Netz-
hautsystem. Um nun auch die physiologische Bedeutung
dieser anatomischen Thatsache zu erklären, hat Donders
in eben erwähnter Abhandlung eine Hypothese aufgestellt,
die auf die dritte Eigenthümlichkeit des intraocularen
Blutlaufs hinzielt, dass die erwähnten Gefässsysteme als
gegenseitige Regulatoren auf einander wirken. Dies ist
Alles, was über den intraocularen Blutlauf in der Phy-
siologie bekannt ist.
Aber man kann nicht sagen, dass die Hämostatik
des Auges durch diese Thatsache hinlänglich erklärt ist,
•) Archiv 7. 7. Ophthalm. Bd. L
86
da sie sich zum Theil auf eine, wenn auch scharfsinnige
Hypothese stützt Es ist z. B. noch unbekannt, wie gross
die Abhängigkeit des intraocularen Blutlaufs von den
Terschiedenen Störungen im allgemeinen BluUauf ist —
besonders in dem der benachbarten Organe und den
Blutgefässen, die zwischen dem Herzen und dem Auge
liegen.
Man muss gestehen, dass die Störungen des Blut-
kreislaufs im Auge nicht mit genügender Klarheit in den
Handbüchern behandelt sind, z. B. wird eine Hyperämie
der Aderhaut nur vermuthungsweise und nach der Ana-
logie angenommen, da sie überall möglich ist, wo Blut-
geffisse vorhanden sind. Im Verlauf der Untersuchung
werden wir sehen, dass diese Regel ihre Ausnahme hat,
sobald wir von der rein mechanischen Hyperämie, der
keine Störungen in der Ernährung und der Struktur
der Gewebe zu Grunde liegen, geredet haben werden.
Aber auch diese letzten Fragen — über die Abhän-
gigkeit des BluÜaufs im Auge von den benachbarten
Blutstämmen — sind nicht vernachlässigt worden. Im
Jahre 1855 erschien eine Monographie von Kussmaul*)
„Ueber den Einfluss des Blutstroms auf die Bewegungen
der Iris etc.", wo der Verfasser die bald hellere, bald
dunklere Färbung des Augengrundes eines Kaninchens
erwähnt, nachdem er die Hauptblutstämme am Halse
desselben unterbunden hatte. Im folgenden Jahre er-
schien eine Abhandlung von Schneller:**) „Von den
ophthalmoscopischen Mikrometer für die Messung des
Durchschnitts der Gef&sse im Auge." Bei diesen Arbeiten
werden wir unten etwas länger verweilen müssen, da auch
*) Kussmaul Ueber den Einfluss des Blutstromes auf Bewegungen
der Iris. WUnburg 1855.
••) Arch. 7. 7. ophth. Bd. III.
87
wir in Betreff dieses Gegenstandes eine Reihe einschla-
gender Versuche angestellt haben.
Bevor wir aber die Resultate unserer Versuche mit-
theilen, halten wir es für nöthig, einiges über die Form,
in welcher dieselben angestellt wurden, vorauszuschicken.
Die Thiere wurden, mit A^usnahme der Kaninchen, durch
Einspritzung von Opium in die Venen narkotisirt, und
damit die Pupille sich nicht verengerte, wurde eine
Ätropinlösung in den Conjunctivalsack getröpfelt. Um
das biosgelegte arterielle oder venöse Gefass wurde eine
zwimene Schlinge gelegt, die nicht durch einen Knoten
festgezogen, sondern nach dem Willen des Operateurs
durch einen Gehülfen nach Belieben angespannt gehalten
wurde, wodurch der Blutstrom in dem so zusammenge-
schnürten Gefass unbedingt aufgehalten werden konnte.
Diese Methode wurde bei allen folgenden Versuchen an-
gewendet, zu dem Zweck, in demselben Moment, wo das
Gefass zusammengezogen wurde, das Auge zu beobachten,
um nicht etwa den collateral hergestellten Blutstrom mit
dem präexistirenden zu verwechseln.
Die Beobachtung der Veränderungen im Augen-
grunde geschah durch eine ungefähr 5 Mal vergrössernde
Linse (+ 3). Auf die Masse des Blutes im Auge konnte
von der sichtbaren Veränderung des Durchschnitts der
Gefässe bei Hunden auf der Papille und in der Netzhaut,
und bei weissen Kaninchen ausserdem in der Choroidea
geschlossen werden, ferner von der Füllung der Gefikss-
zweige der Papille, welche bei der gewöhnlichen Beob-
achtung kaum bemerkt werden können, und zuletzt von
der allgemeinen Färbung des Augengrundes. Ein Mi-
krometer für die Bestimmung der Grösse eines Gefilss-
durchschnitts wurde aus folgenden Gründen nicht ge-
braucht:
Aus der Litteratur sind zwei Methoden für die Mes-
sung der Theile eines lebenden Augengrundes bekannt:
88
eine für die Messung im aufrechten Bilde, und eine filr
die Messung im umgekehrten; demgemMss giebt es zwei
verschiedene Mikrometer.
Die erste Methode ist auf dem Gesetz begründet^
dass die Gegenstände, welche das Auge fixirt, auf seiner
Netzhaut scharf gezeichnet werden. Wenn also das Auge
ein Mikrometer fixirt, so ist die Möglichkeit vorhanden,
unter der Beleuchtung des Ophthalmoscops die Theile
der Netzhaut, auf welcher das Bild des Mikrometers ge-
zeichnet wird, zu messen. Der Ers^e, der von diesenoi
Gesetze Anwendung machte, war Donders, welcher in
seinem Ophthalmoscop ein Mikrometer anbrachte, in
der Form zweier einander zugekehrten beweglichen
Schrauben.
Es fragt sich nun, ob es möglich ist, mit diesem
Mikrometer die Augengrundgefässe bei den Thieren zn
messen. Im Verlauf wird sich zeigen, dass diese Mög-
lichkeit nicht nur nicht bei Thieren, sondern nicht einmal
beim Menschen vorhanden ist. Eine nothwendige Be-
dingung bei solchen Messungen ist, wie wir gesagt haben,
dass das Auge das Mikrometer fixirt und während des
ganzen Versuches ein und denselben Spannungsgrad des
Accommodationsapparates beibehält Ohne Zweifel ist
das Thier nicht im Stande, diese Bedingung zu erfüllen,
weil die Accommodation ein Act des freien Willens ist
Aber die geringste Anspannung in der Accommodation
verursacht in dem Bilde des Mikrometers auf der Netz-
haut Zerstreuungskreise und macht so die Messung un-
möglich. Zwar könnten wir das Accommodationsspiel
bei einem Thier durch Atropin paralysiren und so diese
letztere Verlegenheit beseitigen, aber die Unbeweglich-
keit der Accommodation ist die zweite Bedingung des
Versuches; nach Erfüllung derselben wird das Thier,
wenn es bisher ein freies Accommodationsvermögen hatte,
dasselbe unbedingt verlieren. Somit ist das erste Er-
89
forderniss des Versuches — Fixation des Mikrometers
und in Folge dessen ein scharfbegrenztes Bild desselben
auf der Netzhaut — nicht erfüllt. Dennoch giebt die
Theorie der physiologischen Optik die Möglichkeit der
Erfüllung sogar der ersten Bedingung zu. Es kommt
darauf an, dass wir den freiwilligen Act der Accommo-
dation bei dem Thiere in einen passiven verwandeln: wir
können dem Thiere einen gewissen Gegenstand vorführen,
den es wider Willen fixiren und auf seiner Netzhaut
spiegeln muss.
Zu diesem Zwecke ist es nur nöthig, das dioptrische
Vermögen des Auges (den Fempunkt des Sehens) beim
Thiere zu bestimmen. Wenn dieser Punkt nicht unend-
lich fern liegt, d. h. wenn das Auge nicht emmetropisch
wird, sondern dieser Punkt in einer zu bestimmenden
N&he liegt, mit andern Worten, wenn das Auge des
Thieres stark myopisch wird, so dass die Strecke bis zu
seinem Fernpunkte die Grenzen des Elarsehens des
Forschers nicht überschreitet, so bleibt nur übrig, das
Mikrometer in diesem Punkte aufzustellen, um ein klares
Bild desselben auf der Netzheut zu erhalten, und sodann
zu [messen. Aber es fragt sich, auf welche Weise es
möglich ist, die Structur des Thierauges zu bestimmen.
Die bisherigen Bestimmungsmethoden beziehen sich alle
auf das menschliche Auge, wo angegeben werden kann,
ob ein gewisser Gegenstand in einer bestimmten Ent-
fernung durch die bestimmte Linse gesehen wird oder
nicht. Dr. Schneller setzt ohne alle Erklärung die
Entfernung des Knotenpunktes von dem hintern Pol beim
Auge des Kaninchens •» 9,2 Mm., für die aus dem Auge
kommenden Strahlen nach Eintröpfelung von Atropin
=^ 28 Cm. Aber diese Zahlen, da sie ohne Erklärung
der Methode hingestellt sind, kann man, und, wie wir
bald sehen werden, muss man für ganz willkürlich
halten.
90
Ich habe den Fernpunkt des Sehens beim Kaninchen
auf zwei Methoden bestimmt: Zuerst in der Voraus-
setzung, dass das Thier myopisch und seine Myopie so
stark ist, dass die aus dem Auge kommenden Strahlen
sich in einem Punkte kreuzen, der die Länge des Don-
ders'schen Ophthalmoscops (10 — 11") nicht überschreitet,
schob ich das Mikrometer auf verschiedene Entfernungen
vom Auge des Kaninchens, das vorher durch Atropin
paralysirt war, und beobachtete, wenn der Schatten des
Mikrometer auf der Netzhaut sichtbar wurde. Es zeigte
sich, dass der Fernpunkt des Sehens beim Kaninchen
über die Länge des Ophthalmoscops hinauslag, da der
Schatten des Mikrometers kein einziges Mal auf der
Netzhaut sichtbar wurde. Darauf wurde das Reserverohr
angesetzt und ausserdem noch ein Rohr von schwarzer
Pappe, so dass der Abstand des Mikrometers vom Auge
verdoppelt oder verdreifacht wurde — aber auch so zeigte
sich der Schatten im Auge nicht. Ich schob das Mikro-
meter zwischen den von Dr. Schneller angegebenen
Grenzen der Sehweite beim Kaninchen hin und wieder
— das Resultat blieb immer nur dasselbe. Daraus er-
gab sich, dass die von Dr. Schneller angegebenen Zahlen
unzuverlässig sind.
Diese Art, den Kreuzpunkt der aus dem Auge der
Thiere kommenden Strahlen zu bestimmen, ist nur für
myopische Augen anwendbar, und sie erschien unpassend
für das Auge des Kaninchens. Daraus scheint mit ziem-
licher Gewissheit hervorzugehen, dass die Idee — den
Durchschnitt der Gefässe auf der Netzhaut eines Ka-
ninchenauges mit dem Don ders'schen Ophthalmoscop zu
messen — zu verwerfen ist.
Wir haben aber auch gesagt, dass dieses Ophthal-
moscop sich nicht eignet für die Messung des Gefäss-
durchschnitts beim Auge des Menschen, obgleich dieser
im Stande ist, sein Accommodations vermögen zu regu-
91
liren, d. h. einige Minuten lang das Mikrometer zu fixiren.
Der Grnnd ist höchst einfach. Die Gefasse, deren Messung
fnr die Untersuchung möglich ist, liegen auf der Papille
und in ihrer Nähe. Die Papille aber ist, wie bekannt,
der empfindungsloseste Theil der Netzhaut; der Mensch
fixirt niemals mit der Papille, sondern mit der macula
flava, auf der keine Gefässe vorhanden sind. Mit diesem
Mikrometer misst man die Theile des Augengrundes im
aufrechten Bilde.
Das Mikrometer von Dr. Schneller dient zur Mes-
sung der umgekehrten Bilder der Netzhaut Bei der
Anwendung desselben sind zwei Hauptbedingungen zu
erfollen: Erstens muss das Mikrometer in der Ebene des
umgekehrten Bildes aufgestellt sein; zweitens muss das
Mikrometer während des ganzen Versuches absolut diese
Stellung beibehalten.
Um das Mikrometer in derselben Ebene mit dem
Bilde ^des beobachteten Auges aufzustellen, muss man
wissen, wo sich das Bild befindet. Die Formel, die den
Ort dieses Bildes bestimmt, ist 1/p* — 1/p = 1/f.*) Das
erste Glied bedeutet den Abstand des umgekehrten Bildes
von der Linse, die vor das beobachtete Auge gehalten
wird; das zweite den Kreuzpunkt der vom beobachteten
Auge ausgehenden Strahlen, der dritte Ausdruck bezeich-
net die Brennweite der gebrauchten Linse. Wir haben
schon gesehen, dass 1/p beim Auge des Kaninchens nicht
bestimmbar ist, nach jener von uns angewandten Me-
thode.
Theoretisch ist die Möglichkeit für die andere Me-
thode zur Bestimmung von 1/p gegeben, nämlich: wenn
der Kreuzungspunkt der vom Auge des Beobachters kom-
menden Strahlen bekannt ist, ferner die Brennweite der
*) Medicinische Physik yon Adolph Fliok; 5. und 6. lieferung.
Brannschweig 1856.
92
Linse, und ihr Abstand sowohl vom beobachteten Auge
als auch vom Auge des Beobachters, so wird es möglich,
den Kreuzungspunkt der vom beobachteten Auge aus-
gehenden Lichtstrahlen zu bestimmen, sowohl beim Men-
schen als beim Thiere. — 1/p* — 1 p=s l/f*) — p* bedeutet
den Abstand des Kreuzpunktes der vom Auge des Beob-
achters ausgehenden Strahlen; — p bedeutet diesen vom
beobachteten Auge, f die Brennweite der Linse, durch
die der Forscher in das beobachtete Auge sieht.
Um von der Formel Gebrauch machen zu können,
ist es unerlässlich uöthig, zuerst den optischen Bau des
eignen Auges zu bestimmen; zweitens das entsprechende
Concavglas zu finden, mit welchem am deutlichsten der
Grund des zu beobachtenden Auges gesehen werden
kann.
Das Glas hat ein constantes Maass; der Beobachter
kann aus seinem eigenen Auge ebenfalls eine constante
Grösse machen, wenn er seine Accommodation durch
Atropin lähmt. Ich verfuhr nun so. Indem ich in mein
linkes Auge Atropin einträufelte, bestimmte ich dessen
Refractionszustand und fand es hypermetropisch
(Vao — V40); alsdann versuchte ich mit verschiedenen Con-
cavgläsem den Augenhintergrund des Kaninchens deut-
lich zu sehen und fand dann, dass ich ihn am deut-
lichsten ohne Glas wahrnehmen konnte. Daraus schloss
ich nun, dass das Auge des Kaninchens in demselben
Maasse myopisch war, als das meinige hyperopisch. Bei
einem so geringen Grade von Myopin liegt nun der
Vereinigungspunkt der ausfahrenden Strahlen beim Ka-
ninchen nicht etwa 28 Cm. (wie Schneller behauptet),
sondern 30—40 Zoll vom Auge entfernt. Aber auch mit
Hülfe schwacher Concavgläser (Vw — V«o), durch Hin- und
*) Medioinitohe Physik tod Adolf Fick; 5. und 6. Lieferung.
Braanschweig 1856.
93
Herschieben eines und desselben schwachen Concavglases
konnte noch der Augenhintergrund deutlich gesehen
werden. Daraus folgt nun, dass bei diesem Versuch eine
beständige Grösse sogar für —f nicht aubfindig gemacht
werden konnte. Sie schwankte zwischen — Vw bis — V..
Diese Erscheinung kann auf zwiefache Weise erklärt
werden:
a) Entweder hat das Atropin nicht vollständig meine
Accommodation (oder die des Kaninchens?) ge-
lähmt, so dass das Auge noch die durch das Concav-
glas verursachte Zerstreuung der Strahlen mit
Hülfe seines Accommodationsvermögens überwin-
den konnte, oder:
b) die Nervenelemente meiner retina sind nicht so
empfindlich, dass sie im Stande waren, die unbe-
deutendsten Zerstreuungskreise wchrzunehmen, die
doch durch den Wechsel der Gläser mitbedingt
sind. Wie es scheint, haben beide Frklärungs-
weisen Anspruch auf Wahrscheinlichkeit, so dass
auch diese Methode, den Vereinigungspunkt der
ausfahrenden Strahlen zu bestimmen, obgleich in
der Theorie richtig, bei Versuchen nicht zu ver-
werthen ist, da doch die 2 zu bestimmenden
Werthe ( — 1/p — 1/p') nicht etwa 2 physikalische
Gläser, sondern lebendige, dem steten Wechsel
unterworfene Linsen sind. Und wenn einmal diese
2 Grössen in der Gleichung nur annäherungs-
weise zu eruiren sind, so ist auch mit dieser
approximativen Bestimmung die Unzuverlässigkeit
der Behauptung mitbedingt, dass die Mikrometer-
schrauben sich in derselben Ebene befinden, wie
das im Vereinigungspunkte entworfene Bild. Da-
mit fällt nun weiter die Möglichkeit weg, genau
den Durchmesser der Gefässe zu bestimmen, denn
der Gesichtswinkel, unter welchem letztere ge-
94
sehen werden, ist ein anderer, als der, unter
welchem die Mikrometersehrauben gesehen werden.
Die zweite Bedingung für die Messung der Tbeile
des Augenhintergrundes im umgekehrten Bilde besteht
darin, dass die Verhältnisse zwischen dem beobachtenden
Auge, der Linse und dem Mikrometer während des ganzen
Versuches fortwährend beibehalten werden. Die Erfüllung
dieser Aufgabe ist unmöglich, so lange das Thier athmet.
Dieses wird der zu beurtheilen wissen, welcher diese
Schwierigkeiten selbst erfahren hat. Unbesiegbare Hinder-
nisse werden in diesem Falle durch die Bewegung des
Auges des Thieres, durch den Zustand der accessorischen
Theile und durch die Bewegungen des Thieres selbst
bereitet. Das Thier bestrebt sich instinctiv, das dem
blendenden Lichte des Ophthalmoscops ausgesetzte Auge
zur Seite zu lenken. Diese rein reflectorische Bewegung
nebst der natürlichen Mobilität des Auges erschweren die
Beobachtung, bei welcher man ein sehr kleines Gefass-
stämmchen fixiren und auf seine Gonturen die Schrauben
des Mikrometers richten muss, bis zur Unmöglichkeit.
Diese reflectorischen Bewegungen sind auch dann noch
vorhanden, wenn das Thier mit Opium narkotisirt wird,
wie ich es bei Hunden beobachtet habe. Das Kaninchen
verhält sich während des Versuches ziemlich ruhig, wenn
es sich selbst überlassen und mehr oder weniger an die
Versuche gewöhnt ist Aber wenn ausser der Unter-
suchung mit dem Augenspiegel einige Operationen nöthig
sind, z. B. die Unterbindung der Venen und dem ähn-
liches, so ist es erforderlich, um die Operation auszu-
führen, dem Kaninchen eine angemessene Lage zu geben
(auf dem Rücken), mit andern Worten, Gewalt anzuwenden.
Dabei aber wird, sei es in Folge der unbequemen Lage,
oder der Unruhe, oder auch des Schmerzes, das Athmen
noth wendigerweise tiefer, so dass sich mit dem Brust-
kasten zugleich auch der Kopf bewegt. Ausserdem theilt
95
sich die Reizung der Netzhaut durch die anhaltende
Wirkung des Lichtes dem n. trigeminus mit, in Folge
dessen sich die Lider beständig zusammenziehen, die
Cornea sich mit Thränen bedeckt, welche eine Art von
Concavglas bilden, das aus dem Auge gehende Licht zer-
streuen und das Bild von Zeit zu Zeit unklar machen.
Solche Schwierigkeiten sind ohne Zweifel bei einer raschen
Untersuchung nicht vorhanden, wo man das Mikrometer
nicht gebraucht.
Bei solchen Hindernissen, die bei der Anwendung
des Mikrometers am lebenden Auge begegnen, erscheint
es höchst sonderbar, dass Dr. Schneller, der in seiner
Abhandlung solche stereotypische Bestimmtheit prätendirt,
bei der Construction seines Mikrometers einen Umstand
von höchster Wichtigkeit übersah; nämlich dass sein
Mikrometer zusammen mit der Linse, durch die er ins
Auge des Thieres sieht, frei in der Hand gehalten wird.
Ein Jeder wird es begreiflich finden, dass man sich
auf die Unbeweglichkeit seiner eigenen Hand nicht ganz
verlassen kann; das hiesse also zu der Summe von Schwie-
rigkeiten eine neue hinzufiigen. Und wäre es wohl möglich,
um von den andern Schwierigkeiten nicht zu sprechen,
dass Dr. Schneller an einem Gefäss von 1 Mm. Durch-
messer (eine solche Vergrösserung kann man ja blos bei
einer Linse von 47,5 Mill. Totaldistance, die Schneller
anwendet, aufbringen!) eine Vioo*) Mm. betragende Volum-
veränderung wahrzunehmen im Stande gewesen sein
soUte?!
£s darf auch nicht unberücksichtigt gelassen werden,
dass der Augenhintergrund des Kaninchens und der des
Beobachters dieselbe Färbung besitzen — ein neu hin-
zutretendes Hindemiss fUr die deutliche Wahrnehmung
der Netzhautbilder.
•) AroliiT f. Opbthalinol(H{ie 1S57. Bd. III. Abth. II. S. 177.
96
Endlich muss noch die Accommodationsschwankung
des Kaninchenauges mit in Rechnung genommen werden,
welche doch nothwendiger Weise die Bildebene von der
Mikrometerebene verschiebt, da ja Dr. Schneller bei
seinen Untersuchungen kein Atropin Angewendet hat.
Daher gebrauchte ich bei meinen Untersuchungen
die Mikrometer nicht, obschon ich mir ein Mikrometer
zusammenstellte, welcher vor dem Schneller'schen den
Vorzug hatte, dass es 1) auf einem Tisch stabil gemacht
wurde, also wenigstens den durch die Bewegungen der
Hand mitbedingten Uebelständen sich entziehen konnte;
2) dass ein an jeder Schraube angebrachtes Zifferblatt
mit Zeiger, dessen totale Umdrehung (totale Umdrehung
der Schraube) einer Verschiebung der Mikrometerschrau-
ben auf Vi Mm., und dessen jeder Theilstrich (da das
Zifferblatt in 60 gleiche Theile getheilt war), einem Visn
Mm. entsprach, sofort während des Versuches die ge-
ringste Veränderung in der Bildgrösse angeben konnte
— während doch bei den Versuchen von Schneller der
Unterschied in dem Gefassdurchmesser sowohl vor als
nach dem Versuch erst mit einem Lineal gemessen
werden musste, welchem Lineal es also anheimfiel, eine
Vioo betreffende Volumveränderung des Gefässes nachzu-
weisen II
Die Resultate, die ich bei Controlliräng der Euss-
m aufsehen Versuche erhielt, waren folgende.
Kussmaul comprimirte einfach mit dem Finger die
art. carot. des Kaninchens und fand, dass der Augenhin-
tergrund der comprimirten Seite etwas blässer wurde.
Dann unterband er eine art. carot., sodann beide, end-
lich die anonyma — und fand nun in allen diesen Fällen,
entsprechend der im Gehirn erfolgten Anämie, ein regel-
mässiges Blasswerden des Augenhintergrundes. Diese
Versuche beweisen eigentlich nur das, wie besorgt die
Gefässe um die Ernährung des Auges sind! Ich wieder-
97
holte dieselben Versuche sowohl an Hunden, als an Ka-
ninchen und bemerkte dann jedesmal:
Bei anhaltender oder intennittirender Unterdrückung
des BluUaufs durch Unterbindung der Carot, trat eine
Unterbrechung im Blutstrom der Art centr. ret nur
für einen Augenblick ein, und zwar war diese Unter-
brechung so unbedeutend, dass sie sich leicht der Beob-
achtung entzog; kurz darauf aber ging der intraoculare
Blutstrom ganz so von Statten, wie gewöhnlich.
Dasselbe Resultat ergab sich bei (anhaltender oder
temporarer) Unterbrechung beider Carotiden bei
Hunden, wo der Blutstrom in der Art. centr. auch
nur für einen Augenblick stille stand, um sofort
wieder normal vor sich zu gehen. Bei zwei Kaninchen,
die demselben Manöver unterworfen wurden, trat gar
keine Unterbrechung in der Circulation der Art. centr.
ein; ebenso keine Entfärbung des Augenhintergruudes.
Man könnte nun muthmassen, dass in diesen Füllen die
Regulirung der Blutcirculation in den Augengefassen
möglicher Weise durch die Art. vertebr. bedingt wurde.
Es wurde daher an zwei Hunden die Art anonyma unter-
bunden (die bei Hunden beide Carotiden und die rechte
subclavia mit der entsprechenden art vertebr. abgiebt);
an der linken subclavia, unterhalb der Ursprungsstelle
der linken art vertebr. wurde eine bewegliche Schlinge
angelegt, die je nach Bedarf zugeschnürt werden konnte.
Es ergab sich, dass nur eine art vertebr. hinreichend
war, damit die Augengeftsse das normale Blutquantum
unverändert .beibehielten; wurde aber auch diese zu-
geschnürt, so wurden die Augenarterien leer, bis die
Schlinge wiederum gelöst wurde, worauf die Gef&sse sich
wiederum, aber nur langsam und allmälig zu füllen
begannen.
Im Allgemeinen muss bemerkt werden, dass die
Hämostatik im Kaninchenauge sich durch eine ausser«
AreblT für Oplitludiiiologie. XL S. 7
96
gewöbnlicte Unyeränderlichkeit auszeichnet, und dass
dagegen bei jungen Hunden auch schon die Unterbindung
einer carotis genügt, um ein Bhiss werden in dem ent-
sprechenden Augenhintergrunde zu bedingen, welches
auch bisweilen eine halbe Minute anhält.
Es war f&r mich viel interessanter, ähnliche Versuche
mit den Venen anzustellen, da ich voraussetzte, dass es
mir gelingen könnte, die sehr wahrscheinliche Hypothese
Donders's über das Verhältniss der Gref&sse im Giliar-
gefilsssystem zu den Retinalgefassen auch faktisch dar-
zuthun. — Bei Hunden sowohl als bei Kaninchen sind
die Augenvenen f&r ähnliche Untersuchungen sehr günstig
gelagert; denn bei beiden geht die vena facial. anter.
vom Halse auf das Kinn über, um über den Rand des
Unterkiefers längs dem inneren Rand des masseter zu
streichen, wo sie sich dann in die orbita vertieft, nach-
dem sie sich um ihren untern Rand gebogen hat Hier
umgiebt sie den ganzen innern vordem Rand der orbita
in Form einer Schlinge, steigt hernach zur Stirn empor^
geht dann zur Nase, wo sie sich mit der Vene der an-
dern Seite verbindet. Bei dem Uebergange der vena
facialis in die orbita nimmt jene einen ziemlich dicken
Zweig auf, der aus der Schädelhöhle durch das foramen
opticum kommt und längs der hintern Wand der orbita
geht In diesen Zweig münden die venae ciliares, die
das hintere Segment der sclerotica durchbohren. Anf
ihrem Wege längs der inneren vorderen Wand der orbita
nimmt die vena facialis die venae ciliares, die von der-
selben Seite die sclerotica durchbohren, auf. Die von
der äussern Seite aus dem Auge kommenden Venen
vereinigen sich unmittelbar mit der vena temporalis, so
dass man annehmen kann, alle Ciliarvenen bei den Thieren
gehören zum System der venae jugulares extemae, da
die venae iaciales die unmittelbare Fortsetzung der letz-
- 99
teren sind. Dagegen mündet die venä centr. retinae in
den Sinns cavemosos des Gehirns.
Wegen der ähnlichen Vertheilung der Venen ist es
möglich, den Strom des venösen Blntes im Giliarsystem
zu unterdrücken, ohne den freien Ausfluss desselben aus
dem Netzhautsystem zu stören, und dabei muss, im Sinne
der Hypothese, zu derselben Zeit bei der Vermehrung
der Blutmasse im ersteren System, diese im zweiten
System verringert werden.
Demgemäss wurde die Schlinge um eine der äusseren
Jugularvenen des Thieres gelegt (sowohl bei Hunden als
bei Kaninchen sind die Erscheinungen bei allen folgenden
Versuchen dieselben) und einige Secunden lang bis zur
Dauer einer Minute angezogen gehalten. Aber anstatt
der erwarteten Entleerung der Netzhautvenen wurde nicht
die geringste Veränderung darin bemerkt Ausserdem
blieben bei den Kaninchen die Gefässe der Choroidea
sowie die Farbe des Augengrundes unverändert. Da ich
für die Ursache dieser mir damals noch ziemlich unklaren
Erscheinung die grosse Menge der Anastomosen zwischen
den Facialvenen der beiden Seiten hielt, legte ich die
Schlinge um die anderen äusseren Jugularvenen und hielt
sie bei beiden zugleich angezogen. Das Resultat blieb
dasselbe — nämlich ein negatives. Meinen Untersuchungen
der Augenvenen bei den Hunden misstrauend (man kann
vorauss^en, dass einige Ciliarvenen in das System der
inuem Jugularvene fliessen, daher jene Erscheinung) und
ausserdem mich fCü: das unerwartete Resultat interessi-
rend, legte ich die Schlinge um alle vier Jugularstämme,
zog sie auf einmal an und beobachtete die Veränderung
des Durchschnitts der Venen innerhalb des Auges, aber
die Erscheinung veränderte sich nicht im Geringsten:
die Venen in der Netzhaut sowohl bei Hunden, als auch
in der Choroidea und der Netzhaut bei weissen Kaninchen
füllten sich nicht mehr als gewöhnlich. Kussmaul hat
100
schon früher etwas ähnliche Besultate erreicht. Er hat
drei Versuche mit der Unterbindung der Venen angestellt:
den ersten an einem weissen Kaninchen, bei welchem,
nach anhaltender Unterdrückung des Stroms in den bei-
den äusseren Jugularvenen der Augengrund etwas dunkler
gefirbt wurde; den zweiten an einem schwarzen Kanin-
chen, bei welchem nach Unterbindung der linken äusse-
ren Jugularvene die Bindehaut des linken Auges röther
wurde, als die des rechten; den dritten wieder an einem
weissen Kaninchen, bei welchem nach Unterbindung der
beiden äusseren Jugularvenen keine Veränderungen
weder ausserhalb noch innerhalb des Auges sichtbar
wurden. In der Abhandlung von Kussmaul wird weiter
nichts von diesen Versuchen erwähnt.
Ich setzte nun diese Versuche fort. Voraussetzend,
dass die freigebliebenen Hückenmarksvenen das Auge
möglicherweise mit Blut versorgten, suchte ich auch diese
noch zu unterbinden; leider aber gelang es mir nicht,
diese bei Hunden aufzufinden. Anstatt dieser compli-
cirten Operation zog ich es vor, an zwei Hunden Schlingen
um die beiden vn. anonymae zu legen; an einem dritten
Hunde wurde, ohne die pleura zu verletzen, mit einem
Faden der Anfang der oberen Hohlvene umschlungen.
Dieses letztere Manöver führte ich folgendermassen aus :
In der Richtung des uuteren Endes des stemocleido-
mastoideus rechterseits machte ich einen Hautschnitt:
der Anfang dieses Muskels wurde nun sammt den Brust-
muskeln der entsprechenden Partie quer am stemuoi
losgetrennt Es entstand nun ein Winkel, der von dem
Zusammenfluss der äusseren v. jugularis (in die sich die
innere ergiesst) und der v. subclavia der rechten Seite,
blos vom Zellgewebe bedeckt, ausgefüllt wurde. Das
Zellgewebe konnte nach der Tiefe hin zurückgeschoben
werden, wobei auch die pleura in derselben Richtung
verschoben wurde; die Ven. dagegen wurden mit einer
101
Pincette in der entgegengesetzten Richtung nach oben
gezogen; endlich konnte man sehen, wie beide Vy. ano-
nymae zu einem Stamm zusammenflössen. Unterhalb
dieses Zusammenflusses wurde eine Schlinge mit Hälfe
einer aneurismatischeu Nadel angelegt Auf diese Weise
konnte nun der ganze ven. Rückfiuss vom Kopfe durch
Zuschnürung der Schlinge angehalten werden, und —
trotz der Zuschnttrung äusserte sich im Augenhinter-
grunde nichts. Der Durchmesser der Gentralgefasse,
die Gefässhaltigkeit der Papille überhaupt — blieb ganz
dieselbe, wie vor der Zuschnürung, während und nach
derselben. Der Blutstrom in den V. wurde eine ganze
Minute lang unterbrochen (durch Zuschnürung der Schlin-
gen) und es trat dennoch gar keine Veränderung im
Auge ein. Dieser Versuch wurde auch an einem weissen
Kaninchen wiederholt und ergab dasselbe Resultat.
Theoretisch klingt dies sehr unwahrscheinlich, und
deshalb darf es uns nicht Wunder nehmen, wenn Dr.
Schneller in dem theoretischen Theil seiner Abhandlung
über das Mikrometer, wo er das Auge den verschieden-
sten idealsten Bedingungen a priori unterwirft, nun be-
hauptet: dass, wenn man sich die vaso-motorischen Nerven
des Auges im Zustand der Abspannung oder den Blut-
abfluss vom Auge erschwert denken sollte, so müsste das
Gefissvolumen sich erweitern; diese Erweiterung müsste
man femer mit dem Mikrometer bestimmen können u.s.w.
Der Autor hat übrigens keinen dieser Versuche angestellt
Diese Versuche gestatten nun folgenden Schluss:
Das Auge ist eine dermassen mit Flüssig-
keit gefüllte Kugel, dass der durch das völlige
Sistiren des Venenstromes auf dasselbe aus-
geübte Druck nicht ausreicht, um es noch
mehr zu füllen, als es angefüllt ist
Dieses Factum hat, meiner Ansicht nach, einen un-
bestrittenen Werth für die Physiologie und Pathologie
102
des Auges. Es weist darauf hiu, dass 1) mit dem Bau
des Auges auch die Beguliruug der Blutcirculation des-
selben mitbedingt ist; 2) dass die Hyperämie irgend einer
der Glashäute ohne vorhergegangene oder zeitweilig ein-
tretende pathalogische Veränderung derselben, d.h. eine
rein mechanische Hyperämie des Auges ein Ding der
Unmöglichkeit ist
Um aber diesem Factum wissenschajftliche Positivit&t
beizulegen, ist es nothig, auf die Bedingungen seiner
Existenz hinzuweisen und zugleich einige scheinbare
Widersprüche von demselben fernzuhalten. Vor allem
muss dies Factum auf das anatomische Verhalten des
Augengef&sssystems und die physikalischen Eigenschaften
der Augengewebe zurückgeführt werden. Es ist bekannt,
dass das Ghoroidalgefässsystem in sich schon die Bedin-
gungen einer regelmässigen Circulation trägt: es ist in
einem eigenen stroma, einem elastischen Gewebe
(Ludwig) gebettet, welches die Gefasse ganz dicht um-
fisisst (Brücke). Ueber die Function des Chorioidalstroma
ist, wie sich Ludwig aufrichtig ausspricht, bis jetzt
nichts bekannt. Wie es scheint, ist eine ihrer Bestim-
mungen, die Gelasse in einem bestimmten Durchmesser
zu erhalten.
Ausserdem unterliegt sowohl das Chorioidalsystem
als auch die übrigen Augenhäute dem beständigen Ein-
flüsse zweier Kräfte, die in entgegengesetzter Richtung
wirken: einerseits der Spannung der Augenflüssigkeiten,
die vom Augencentrum aus in der Richtung der Radien
einen gleichmässigen Druck auf die Augenhüllen ausüben,
andrerseits aber der Spannung der sclerotica, die also
einen Druck von aussen nach innen ausübt; folglich wird
die Möglichkeit, zu dem Augeninhalt noch Flüssigkeit
hinzuzuthun, von 2 Umständen abhängen: entweder von
der Elasticität der Augenflüssigkeiten, oder von der
Nachgiebigkeit der sclerotica. Was nun die Augenflüs-
103
sigkeiten anbetrifft, so kann man von diesen a priori
behaupten, dass sie dem Drucke, welchem sie durch die
vorhergegangenen Versuche ausgesetzt wurden, voUkom*
man Widerstand leisten; denn das Wasser, welches un-
gefähr 99 7o ihres Gehaltes ausmacht, besitzt bei der
gegebenen Temperatur ein sehr geringes Elasticitäts-
vermögen, und gewöhnlich sind Apparate von ungeheu-
rem Druckmechanismus erforderlich, um das Wasser zur
Verdichtung zu bringen; von der sclerot. aber behauptet
ja schon Donders^ dass sie fast gar nicht unter dem f&r
gewöhnlich auf sie wirkenden Druck ausgedehnt wird
(meine Erfahrungen sprechen dafür, dass sie nicht im
Geringsten dehnbar ist). Jetzt wird es nun begreiflich
sein, wodurch die Regulirung der Blutcirculation im Auge
bedingt ist: sie wird nämlich bedingt durch das
beständige Abhängigkeitsverhältniss des Span-
nungszustandes der Augenflüssigkeiten (wel-
cher Znstand seinerseits von dem endosmoti-
schen Gleichgewicht der Augenflüssigkeiten
und des Blutes abhängt) zu dem bestehenden
Spannungsgrad der sclerotica.
Dieses Factum ist auch vom physiologischen Stand-
punkte nicht anders denkbar. Die Harmonie der wechsel-
seitigen Gegenwirkung der Augenflüssigkeiten und der
sclerot. ist auch durchaus nothweudig, damit der unend-
lich feine Act der Accommodation frei von Statten gehe;
diese letztere würde aber sehr viel zu leiden haben, wenn
das Auge bald mehr, bald weniger Blut in sich fassen
könnte; aus der Pathologie ist bekannt, was für eine
bedeutende Accommodationsstörung eintritt, wenn nur
die geringste Abweichung in der Gegenwirkung oben
genannter Kräfte erzeugt wird: Beim ersten Glaucom-
anfall verliert schon das Auge sein Accommodationsver-
mögen, die Iris wird unbeweglich, der Ciliarmuskel pa-
ralysirt — das Auge selbst presbyopisch. Nun wollen
104
wir za den Erscheinungen übergehen, die scheinbar die-
sem Factum widersprechen. Es ist bekannt, dass in
denjenigen Augen, in welchen der intraoculare Druck
vermehrt ist, zugleich auch der Yenenpuls auftritt und
auch die Arterien pulsiren. Das Hauptprincip, auf wel-
chem die Erklärung dieser Erscheinung beruht^ wird von
allen Autoren fast auf gleiche Weise erklärt: Der Puls
hängt nämlich ab vom momentan vermehrten intraocu-
laren Druck während der Diastole der Arterien und von
dem Nachlass des Druckes während der Systole derselben.
Zu dieser Erklärung fügte Donders noch hinzu, dass der
Puls, welcher in exquisiter Weise bei vermehrtem intra-
ocularen Druck auftritt, auch im gesunden Auge unbe-
dingt existirt. Seit der Zeit nun, wo die Donders'sche
hier einschlagende Arbeit erschien, fasste die Ansicht
allgetnein Wurzel, dass in jedem gesunden Auge ein be-
ständiges Schwanken des intraocularen Druckes statt-
finde.*) Folglich giebt es eine Grenze, vor welcher
der Puls als physiologisches Phänomen, hinter
welcher er als pathologisches Symptom auftritt
Die früher angeführten Versuche beweisen nun, dass
die Unterbrechung des Blutstroms durch Venenunterbin-
dung ein nicht genug grosses Moment abgiebt, um den
intraocularen Druck zu steigern, weil, wie oben ange-
führt, das Blutquantum, folglich auch der Druck durch
diese Unterbindung nicht vermehrt wurden, daher auch
kein einziges Mal ein Puls auftrat — Aber auch in den-
^Es gelingt gewöhnlich nicht oft, am normalen Auge, ohne aas-
geübten Druck, den Yenenpuls zu beobachten. Die ersten, die über-
haupt den Venenpuls beobachtet haben, Cocoius und van Tright, behaup-
teten, dass ef nur an pathologischen Augen vorkomme. Der Meinung«-.
unterschied scheint von der verschiedenen. VergrÖsserung abhängig
gewesen xu sein, unter welcher diese Beobachter untersuchten; Dondera
gebrauchte eine 16maUge, Coocius und van Tright eine 3— 4malige Ver-
grÖsserung.
105
jenigen pathologischen Zuständen, wo nur ein venneihrter
Blutandrang vermuthet wird, tritt meines Wissens (we-
nigstens hat es bis jetzt Niemand beobachtet) niemals
auch ein der Hyperämie entsprechend gleich grosser Puls
ein, weder in den Arterien noch in den Venen; — der
Puls tritt nur da auf, wo das Transudat in das Innere
des Auges die Resorption fibertrifft. Daher liegt die Frage
nahe, ob nicht etwa bei sonst sich gleichbleibenden Dif-
fiisionsbedingungen schon dadurch allein, dass das Blut
durch die eine Minute lang anhaltende Abschnürung der
Halsvenen stille stand, ob nicht dadurch, sage ich, die
Schnelligkeit des exosmotischen Blutstroms vermehrt
werden könne?— Eine fertige thatsächliche Antwort auf
diese Frage liegt nicht vor. In einer Versuchsreihe, die
sich auf die Diffusion im Auge richtete und die ich
nächstens zu veröffentlichen mir vorbehalte, wurde der
Einfluss des Blutstillstandes auf die Schnelligkeit des
Ueberganges von Stoffen aus dem Blut in die Augen-
flttssigkeiten folgendermassen bestimmt: Indem ich ein
bestimmtes Quantum eines im Körper nicht präexistiren-
den Salzes in die Vene (eines Hundes) injicirte, unter-
band ich sofort nach der Ii^ection alle 4 Jugularvenen
(da ich im Voraus wusste, dass das Salz in dem Quan«
tum, in welchem ich es verwendete, vor 55— 60 Minuten
nicht in das Auge abergeht) und beobachtete alsdann,
wie viel Zeit zum Uebergange desselben ins Auge erfor-
derlich war? Auf diese Weise wurde bei einem erwach-
senen Hunde 5 Minuten nach der Einspritzung des Salzes
das Kammerwasser aus einem Auge gelassen; die Reaction
zeigte nicht die Anwesenheit des eingespritzten Salzes.
Nach 25 Minuten wurde die Probe an «dem andern Auge
gemacht: das Resultat war dasselbe, und erst eine Stunde
nach der Einspritzung zeigten sich an einem andern
Hunde, mit welchem der Versuch erneuert wurde, die
ersten Spuren der Reaction. Dieser Versuch zeigt, dass
106
der Durchgang des eingespritzten S&lzes aas dem Blut
ins Auge in Folge des BlutstiUstands nicht beschleunigt
wurde. Die Ursache dieser Erscheinung zu erklären, ist
hier nicht am Orte; anders würde das Resultat gewesen
sein, wenn wir es mit dem Salze oder dem Wasser selber,
aus welchem das Blutplasma besteht, versucht hätten.
Es ist leicht vorauszusetzen, dass das Wasser schneller
während des Blutstillstandes durchdringen kann, als im
entgegengesetzten Falle. Aus der Pathologie ist bekannt,
dass die Blutstockung unvermeidlich eine vermehrte
Durchsickerung, besonders des Wassers aus dem Blute
nach sich zieht, wobei jenes anfangs sehr wenig Salze
enthält (Virchow). Wenn dieser Umstand bei dem Ver-
suche von Eiufluss wäre, warum machte sich dann der
vermehrte tntraoculardruck nicht an dem Puls bemerkbar?
Die Antwort darauf könnte zwiefoch sein. Erstens: Es
ist sehr zweifelhaft, dass während so kurzer Zeit, wie
die momentane Unterbindung der Venen, die Schnelligkeit
des Diffusionsstromes des Wassers zunehmen könnte.
Die tägliche Erfahrung lehrt, dass die Herstellung des
Kammerwassers z. B. nach der Paracentesis nicht allzu
schnell geschieht. Gewöhnlich sind einige Stunden nöthig,
bis das Auge seinen frOhern Spannungsgrad wieder be-
kommt. Zweitens: Vorausgesetzt, dass die Wassermasse
im Auge während des momentanen Stillstands des ve-
nösen Blutes sich vermehrt, so wird doch diese Vermeh-
rung äusserst gering sein und am ersten auf dieGe&sse
wirken, nämlich sie wird die entsprechende Quantität des
Blutes in dieselben zurückdrängen. Das Blut wird ent-
weder in verminderter Quantität in die Arterien gelan-
gen, oder es wird sich nach der Richtung entfernen, wo
sich ihm geringere Hindernisse entgegenstellen, d. h. in
die Venen — als höchst nachgiebige Kanäle, obgleich sie
in diesem Moment verschlossen sind. Aber in Folge dessen
wird der Druck im Auge ausgeglichen. Dass solche
107
Ansicht kein blosses Yernfinfteln ist, beweist die Beob-
achtung V. Gräfe's, die eine Ischämie der retina bei einem
6jährigen bleichsQchtigen Mädchen betraf; diese Ischämie
hing, nach Gräfe's geistreicher Erklärung, von der ün-
gleichartigkeit der Herzthätigkeit und des intraocularen
Druckes ab, so dass letzterer eine arterielle Blutzufnhr
zum Auge nicht gestattete; nachdem aber durch eine
Paracentese der vermehrte intraocukre Druck aufgeho-
ben wurde, schwand auch sofort die Blindheit. (Schmidts
Jahrb. 62 Nr. 2 Opth.)
Aus allem folgt, dass der Gefässdurchmesser in dem-
selben Maasse, als er durch die Yenenstauung zuneh-
men, andrerseits durch den vermehrten Austritt von
Flüssigkeiten in das Auge abnehmen, d.h. unverändert
bleiben müsse, und dass der intraoculare Druck bei Si-
stirung des Venenrückflusses durch Unterbindung der-
selbe bleibt, wie vor der Unterbindung. Auf diese Weise
ist der Puls (der bei einigen Versuchen schon aus dem
Grunde nicht auftreten konnte, weil die ganze Blutsäule
vom Anfang der Carotiden bis zum Ende der Jugular-
venen regungslos dastand) nicht etwa der eigentliche
Ausdruck der intraocularen Druckschwankungen,
sondern eher der Ausdruck der oben angeführten me-
chanischen Blutregulirungsthätigkeit im Auge;
denn in eben dem Maasse, als der Druck während der
Arteriendiastole im Auge-^ zunehmen müsste, wird er an-
drerseits verringert durch den gleichzeitig verstärkten
Blutabfluss aus den Venen.
Diese besprochenen Momente nun confluiren zum
Zustandebringen des Augenpulses, so dass der intraocu-
lare Druck im normalen Auge immer ein und derselbe
bleiben muss, und auf diese Weise erstreckt sich die
Bedeutung der Blutregulirungsthätigkeit nicht nur auf
die Hämostatik, sondern auch zugleich auf den intraocu-
laren Druck.
108
Einen zweiten Widersprach scheint ferner eine Er-
scheinung zu bieten, die experimentell von Ludwig und
E. Weber hervorgerufen wurde (Disquisit, quae ad fa-
cult etc. Marburg, Jahresbericht 1848). Diese Erschei-
nung besteht in Folgendem : Wenn man eine Manometer-
röhre durch die comea in ein Thierauge einfährt, so
geräth das Quecksilber der Bohre, wenn das Manometer
2 — ^3 Mill. Durchmesser hat, bei jedem Herzschlag und
jeder Athembewegung in Schwankung; letztere beträgt
einige Mill. Daraus ziehen nun diese Autoren den Schluss,
dass die Gefässe im normalen Auge im Moment der Ex-
piration sich erweitern, während der Inspiration dagegen
enger werden, ganz wie beim Herzschlag. Die Schwan-
kungen der Quecksilbersäule bei diesen Versuchen aber
hingen ohne Zweifel davon ab, dass die Augenflüssig-
keiten ihre beständige Stütze (die comea) durch Ein-
führung des Manometer eingebüsst hatten und mit der
umgebenden Luft durch die Quecksilbersäule communi-
ciren konnten. Nun ist es ja leicht begreiflich, dass,
wenn man ein Gefäss biossiegen sollte, welches selbst
im festen Knochengewebe liegt, auch sein Durchmesser
den Schwankungen unterliegen müsste, die entweder
durch Herzcontraction oder Athembewegungen bedingt
werden, je nachdem das Gef&ss beschaffen und je nach-
dem es, seiner Lage entsprechend, mehr oder weniger
an genannten Actionen participirt. — Wenn im Auge
beständige Hin- und Herbewegungen derjenigen Mem-
branen stattfänden, auf deren Oberfläche die Objecte ab-
gebildet werden, so würde die durchaus subtile Function
des Sehens darunter sehr zu leiden haben. Dadurch eben,
dass im Innern des Auges das Blutquantum ein und
dasselbe bleibt, und das Blutbett seinen Umfang durch-
aus nicht verändert, könnten erst die optischen Func-
tionen des Auges unbehindert seitens der Blutcirculation
von Statten gehen. Genügt ja schon die Continuitäts-
109
Verletzung der äussern Augenhüllen durch irgend welche
mechanische Eingriffe, um sofort das Blutbett, welches
nun von aussen her keinen Gegendruck erfährt, zu er-
weitern und nicht selten bis zu dem Maasse, dass die
Gefässe bersten und Netzhautblutungen erfolgen. Diese
Erscheinung ist auch gar nicht selten nach Operationen
zu beobachten, die mit Eröffnung des Kammerwassers
verbunden sind. Ich beobachtete an' einem Hunde, wel-
cher während des Versuchs starb, eine Erscheinung, die
sehr zu Gunsten der oben dargelegten Erklärungsweise
spricht. Wenn ich nämlich diesen Hund mit dem Kopf
zur Diele an den Hinterbeinen herumdrehte und ihn in
dieser Stellung einige Minuten festhielt, so konnte ich
durchaus nicht wahrnehmen, dass sich der Venendurch-
messer der Betina vergrössert hatte; hielt ich aber den
Hund mit dem Kopf nach oben an den Ohren, so konnte
ich deutlich verfolgen, wie das Venenblut, dem Gesetz
der Schwere folgend, vom Auge zurückströmte. — Es
wurde die Cornea angestochen und derselbe Versuch
wiederholt: alsdann änderte sich die Erscheinung; hielt
ich nämlich den Hund an den Hinterbeinen mit dem Kopf
nach unten, so füllten sich sofort die Augengefässe be-
deutend, die Venen schwollen sichtbar an, sowohl auf der
retina, als auch auf der Papille. Bei diesem Versuche
waren alle vitalen Einflüsse entfernt, die möglicher Weise
auf die Blutbewegung wirken konnten, und so spricht
der Versuch ganz unzweideutig für die Richtigkeit der
dargelegten Ansicht über die mechanische Regulirung
der intraocularen Blutcirculation. Daher kann auch die
Ludwig- Weber'sche Beobachtung meinen Folgerungen aus
den angeführten Versuchen durchaus keinen Abbruch thun,
indem jene Beobachtung ja nicht für ein unverletztes
Auge verwerthet werden darf.
Nun aber giebt es noch ein Factuih aus der gericht-
lichen Medicin, dass nämlich bei Erhängten sehr häufig
110
der Schlemm'ßche Kanal mit Blut überfüllt gefanden wurde.
Dies ist auch sehr leicht erklärbar, da ja der Schlemm'-
sehe Kanal in der Dicke der sclerotica liegt und das in
ihm enthaltene Blut einem ganz andern Druck unterliegt
als das im Innern des Auges strömende. Dieses Factum
spricht gerade für unsre Ansicht, dass nämlich während
des Verschlusses aller Halsgefasse das Blutquantum
im Innern des Auges nicht zunimmt; würde dies der
Fall sein, so müsste es durch Dehnung der sclerotica
und Cornea ganz unausbleiblich das lumen des Schlemm'-
sehen Kauales schliessen und aus demselben alles Blut
treiben. Die Gerichtsärzte haben nie eine Injection der
Irisgefilsse beobachtet, obschon die in den Schlemm'schen
Kanal mündenden Venen direct aus dem Irisgewebe
kommen. Wäre auch so etwas möglich, so könnte es
wahrscheinlich erst in späterer Zeit, nach dem Tode
eintreten, wenn nämlich die Augenflüssigkeiten durch die
Hornhaut zum Theil verdunstet sind und das Blut, der
Schwere folgend, nach den bequemsten Stellen sich ge-
senkt hat.
Das durch die angegebenen Versuche erlangte Factum
erstreckt seine Tragweite auch über die Grenzen der
intraocularen Druckerscheinungen hinaus; es zeigt uns
nämlich einen neuen Weg, fac tisch die intraoculare
Druckhöhe zu bestimmen. Bis jetzt wurden darüber,
meines Wissens, noch keine experimentellen Unter-
suchungen angestellt. Donders spricht sich theoretisch
dahin aus, dass der Glaskörperdruck bedeutend geringer
sei, als der Druck in den Arterien, und um ein geringes
kleiner, als der in den Venen. Dieser Ausspruch aber
giebt selbst annäherungsweise keinen rechten Begriff über
die intraoculare Druckhöhe; denn wir wissen ja nicht,
wie gross der Druck in den Venen, wie gross in den
Arterien ist, um daraus ein Mittel ziehen zu können.
Die intraoculare Druckhöhe wird ja aber nicht von diesen
111
3 Factoren' allein bedingt, sondern der Spannmigsgrad
der sclerot, der Bulbasmnskeln, der Tenon'schen Kapsel
und anderer Tbeile werden bei Bestimmung jenes Druckes
doch auch init in Rechnung gebracht werden müssen.
Zur Bestimmung derselben darf, auf Grund der früher
dargelegten Versuche, folgende Methode vorgeschlagen
werden. Bei Unterbrechung des Blntstroms in der obem
Hohlvene nimmt der Druck ihres ganzen Territoriums zu.
Es muss nun noch hinzugefügt werden, dass mit zuneh-
mendem Druck letzterer sich in dem ganzen Hohlvenen-
bezirk gleichmässig verbreitet und am Ursprünge der
Hohlvene sowohl als an dem der V. jugular. fast derselbe
ist; denn die Blutbewegung aus den Arterien in die
Venen wird ja hauptsächlich durch die Ungleichmässig-
keit des Druckes in beiden letzteren bedingt Folglich
muss, wo keine Bewegung stattfindet (z. B. in den Kopf-
gefässen bei Unterbindung der V. cava sup.) auch ein
gleichmässiger Druck vorhanden sein. Freilich wird letz-
terer durch die Fortpflanzung der Aortenwelle auf die
Carotiden etwas beeinträchtigt werden müssen, und in
demjenigen Venenbezirk, wohin die Aorten welle reicht,
muss der Druck etwas höher ausfallen als in den abge-
schnürten Gef&ssen; ausserdem wird die Gleichmässig-
keit des Drucks auch noch durch die verschiedenen £la-
sticitätscoSfficienten der Arterien- und Venenwände etwas
herabgesetzt. Dafür aber existirt unzweifelhaft ein
gleichmässiger Druck in dem ganzen Venensystem,
und dieser ^ebt sich durch eine gleichmässige Ausdeh-
nung der Kopf renen kund. Da wir uns aber oben über-
zeugten, dass im Auge wie in einer isolirten Kugel der
Durchmesser der Venenstämme während Verschluss der
Venen derselbe blieb und folglich auch der intraoculare
Druck nidit zunahm, so folgt daraus, dass der Druck
desjenigen Mediums, in welchem die intraocularen Venen
enthalten sind, so stark ist, dass er nicht gestattet, dass
112
etwa der extraocnlare Yenendrnck auf die intraocalaren
Venen znrfickwirke. Folglich gleicht der extraocnlare
Druck dem Druck eines jeden Kopfvenenstammes im
Momente seines Verschlusses. Es bleibt daher nur noch
übrig, eine Manometerröhre in eine beliebige Halsyene
einzufahren, den Druck vor und nach Verschluss der-
selben zu messen und diese Differenz der Stärke des
intraocularen Druckes gleich zu setzen. Letzterer aber
ist möglicherweise im Stande, einem noch grösseren,
von aussen her wirkenden Druck Widerstand zu leisten,
daher auch das durch das Manometer erlangte Maass
zu gering ausfallen wird. In diesem Falle ist es nöthig,
künstlich den Druck in den abgeschnürten Venen zu
vermehren. Diese Drucksteigerung kann entweder durch
Nervenein fluss (künstlich gesteigerte Herzth&tigkeit)
oder durch hydraulischen Druck (AnfüUung der Gefässe
mit einer grossen Flüssigkeitsmasse) herbeigeführt werden.
Auf diesem Wege kann man, wenn auch nicht mathema-
tisch genau, so doch ziemlich der Wirklichkeit entspre-
chend die Höhe des intraocularen Druckes bestimmen.
Das ist nun der Einfluss des intraocularen Druckes
auf die Mechanik der Blutbewegung. Dieser Einfluss
besteht nun hauptsächlich darin, dass das Auge bestan-
dig eine gleich grosse Blutmenge enthält, welche, in Folge
allgemeiner Blutverluste etc., verringert, aber auf
mechanischem Wege nicht vermehrt werden kann.
Zweiter Theil.
Der intraoculare Druck hat einen unbedingten Ein-
fluss auf alle mit der Blutcirculation verbundenen Er-
scheinungen, also auch auf die Di£fusionserscheinungen.
Das Studium der Diffusionserscheinungen, welches
in den letzten Jahren so vielfach die Physiologen be-
schäftigt hat, liess die Glashäute fast ganz unberührt.
113
Kar über die DiffüsioDsfihigkeit der comea flLr 3 «-4 Salze
ist uns etwas durch die Arbeiten von His, Coccius, Gos*
selin bekannt geworden, ebenso über die Qnellangser-
scheinungen der eingetrockneten Comea durch die Ar-
beiten von Donders. Was aber die übrigen Augenmem-
branen betri£Ft, so finden wir in der Literatur nur einige
Winke über deren Diffusionserscheinungen, so unter an-
dern den Versuch von Wittich über die Transfusion des
Eiweiss durch die Linsenkapsel, den er bei Gelegenheit
seiner Untersuchungen über Albuminurie anstellte. Diese
inneren Augenh&ute nun waren hauptsächlich Gegenstand
meiner vorliegenden Untersuchungen.
Ich injicirte eine Lösung von Eisencyankalium (dies
Salz ist nicht sehr giftig und lässt Spuren von Eisen in
einer 30 — 40,000stel Verdünnung noch nachweisen) in die
Venen von Thieren (Hunden und Kaninchen) und beob-
achtete nun, wie viel Zeit zu dessen Uebertritt in die
Augenflüssigkeiten erforderlich war, und in welcher
Reihenfolge es die Augenmembranen durchdrang. Da der
Augenblick, in welchem das Salz überhaupt in die ver-
schiedenen Eörperfluida übergeht, nicht zu bestimmen ist,
so musste ich nothgedrungen mit einem zufalligen Auf-
finden des Salzes in den verschiedenen Flüssigkeiten mich
begnügen — daraus erklärt sich aber auch, dass so viele
Tbiere diesen Versuchen zum Opfer gebracht werden
mussten.
Einem erwachsenen Hunde wurden 7Va Gran Eisen-
cyankalium auf 1 Drchm. dest. Wassers in die vena cru-
ralis injicirt; darauf wurde das Kammerwasser abgezapft
und in einem weissen Porcelladschälchen, in welches
zuerst ein Tropfen Chloreisenlösung gegossen wurde, auf-
gefangen.
£rstes Auge 30 See. nach der Inject — keine Reaction
Zweites „ 1 Min. „ „ „ — „ „
Erstes „ 5 „ , „ « — « * v
AretalT fllr Ophthabnolocle. XL fl. S
114
Zweites Auge 10 Min. n.d. Inject keine Reaction
Erstes „ 14—15 „ „ „ „ deutliche „
Auf diesen Versuch hin dürfen aber 14—15 Min.
nicht etwa als massgebender Zeitraum fQr den Uebertritt
des Salzes in den Eammerraum angenommen werden^
denn die Cornea beider Augen war ja vor Eintritt der
Beaction mehrmals angestochen worden, der intraoculare
Druck also auf 0 reducirt; ist aber dies der Fall, so
wird ja das Eammerwasser nicht mehr auf dem Wege
der Diffusion secernirt, sondern einfach herausfiltrirt
und zwar um so schneller, als gewöhnlich, unter einem
je stärkeren Druck die Capillaren im Yerhältniss zum
leeren Eammerraum stehen, da aus den Filtrationsgesetzen
es doch hinlänglich bekannt ist, dass das Quantum der
durchfiltrirten Flüssigkeit bei erhöhtem Druck bis zu einer
gewissen Grenze zunimmt. (Schmidt.)*)
Demgemäss wurde einem erwachsenen Hunde dieselbe
Quantität des Salzes in das Blut gespritzt:
In einem Auge zeigte sich nach 15 Min. keine Beaction;
in dem andern „ „ „ 20 „ die Beaction.
Diese Quantität — 77» Gran in 1 Drchm. Wasser —
wurde noch vier anderen Hunden eingespritzt, und bei
allen stellte sich mit bewundernswürdiger Begelmässig-
keit der Moment des Eintritts des Salzes in's Auge
zwischen 18 — 20 Min. Eine Ausnahme findet bei jungen
Hunden und Eaninchen statt. Die angegebene Quantität
des Salzes führte bei zwei jungen Hündchen einen
*) Bei einigen Hunden wurde vor dem Venuche das Kammerwasser
aus einem Auge gelassen: die Reaction zeigte sich in der aus dem
durchstochenen Auge erhaltenen Flüssigkeit früher als in der des un-
Tcrletiten Auges. Dagegen wurde sweien Hunden und einem Kaninchen
vor dem Versuche in ein Auge Atropin getröpfelt, bis sich die Pupille
im höchsten Maasse erweitert hatte, und die Reaction zeigte die An-
wesenheit des EisencyanhaUum in diesem Auge nicht früher, als in dem
andern. Diese 8 Fälle hewahrheiten nicht die angenommene Meiniing»
dass Atropin den Intraoculardruck yermindere.
115
schnellen Tod (nach 1—2 Minuten) herbei, und dessen
ungeachtet zeigte sich die Beaction im Eammerwasser
sowohl bei diesen als bei jenen.
Aus den Gesetzen der Diffusion ist bekannt, dass
die Schnelligkeit des Diffusionsstromes ceteris paribus
in Folge der Dichtigkeit der Lösung zunimmt Wenn
man also die Quantität des Eisencyankaliums yermehrt
oder vermindert, so kann man nach Belieben den Ein-
tritt desselben in die Flüssigkeit des Auges beschleuni-
gen oder verzögern.
Zweien Hunden wurden 15 Gr. Blutlaugensalz in
2 Drchm. Wasser eingespritzt, aber sie starben gleich
nach der Einspritzung und es wurde keine Beaction im
Auge entdeckt. Dagegen vertragen sie die Hälfte dieses
Quantums sehr wohl und die Besultate rechtfertigen voll-
kommen das angegebene Gesetz der Diffusion.
So wurden einem erwachsenen Hnnde V/a Gr. des
Salzes in 1 Dr. Wasser in die Vene gespritzt:
In einem Auge ergab sich nach 25 Min. keine Beaction;
in dem andern „ » » 30 „ „ „
in dem ersten „ „ „ 50 „ „
Einem andern Hunde wurde dieselbe Menge einge-
spritzt:
In einem Auge nach 45 Min. keine Beaction;
in dem andern „ 60 „ Beaction.
Der Versuch wurde bei zwei Hunden mit demselben
Kesultat wiederholt, so dass man annehmen muss, dass
die Quantität von 3V2 Gr. Blutlaugensalzes nach Ein-
spritzung in das Blut des Hundes, in den Flüssigkeiten
des Auges nach einer Stunde mit sehr kleinen Abwei-
chungen erscheint.
Wurden VJt Gr. des Salzes in 1 Drchm. Wasser
eben£EtlIs einem erwachsenen Hunde eingespritzt, so zeigte
sich keine Beaction.
8*
116
Alle Hunde wurden nach dem Versuche getödtet, in
der Absicht, die Kraft der Reaction in den anderen
Flüssigkeiten des Organismus mit der des Eammerwassers
zu vergleichen. Die Untersuchung zeigte, dass die stärkste
Beaction, welche einen Bodensatz bildete, im Harn statt-
&nd. Ueberhaupt erschien die Reaction im Harn früher
und verschwand sp&ter, als in den anderen Flüssigkeiten;
bei vielen Hunden, die bald nach dem Versuch starben,
zeigte sich schon eine sehr starke Beaction, und bei den
überlebenden Hunden hatte die Beaction nach 8, 12, 14
Stunden stattgefunden. Im Auge verschwand sie weit
früher — für das Auge kann als äusserste Grenze der
sich vollziehenden Beaction 8 — 9 Stunden angenommen
werden. Dem Harn zunächst steht die Galle, was die
Kraft der Beaction anbetrifft, da diese in der Galle auch
so früh wie im Harn, man kann sagen gleichzeitig, er-
schien, aber minder stark war. Indess erklärt dieser
Umstand die Anwesenheit des in die Vene eingespritzten
Salzes im Darmkanal. In dem Herzbeutel zeigte die
Beaction bei den oben erwähnten Hündchen die Anwe-
senheit des Salzes. Die Cerebrospinalfeuchtigkeit wurde
bei Hunden untersucht, und das Eisen zeigte keine Spur
der Anwesenheit des Salzes. Ebenso wurde nie in der
Gelenkfeuchtigkeit das Salz entdeckt.
Die Frage über den allmäligen Uebergang des Blut-
laugensalzes von einem Augenmedium in das andre er-
fordert besondere Versuche, für welche die soeben aus-
einandergelegten nur insofern massgebend sein können,
als sie bestimmt den Zeitpunkt angeben, in welchem
jenes Salz, nachdem es in einem bestimmten Quantum
ins Blut übergegangen, auch in dem Kammerwasser er-
scheint Schon in einigen vorhergehenden Versuchen
hatte ich mich überzeugen können, dass das Färbungs-
vermögen des Eisensalzes nicht gleich gross ist für das
Kammerwasser und für den Glaskörper. In letzterem
117
ist die Reaction schwächer und in einigen Fällen trat
erst einige Seconden nach Hinznthon des Salzes eine
kaum bemerkbare blane Färbung ein. Dieses späte Auf-
treten der Beaction hat wahrscheinlich seinen anatomi-
schen Grund darin, dass der Glaskörper in einer eigenen
Membran eingeschlossen und ausserdem in ihm organische
Scheidewände vorhanden sind, die trotz ihres dünnen
Baues ein Hindemiss fär den Diflfiisionsprocess abgeben
müssen.
Zur Untersuchung des Glaskörpers wurden einigen
Hunden 772 Gr. Blutlaugensalz in die Vene eingespritzt,
und sie wurden dann in verschiedenen Zeiträumen von
dem Moment des Eintritts des Salzes in das Kammer-
wasser ab, getödtet Aus diesen Versuchen ergab sich,
dass bei Eintritt der ersten Spuren von Reaction im
Kammerwasser (20 Min.) diese niemals im Glaskörper
wahrgenommen wurde. Doch zeigte sich die Reaction
hier stärker, sobald wir später untersuchten, und wenn
die Untersuchung nach Ablauf von TA Stunden geschah,
zeigte sich jene ebenso stark, wie die des Kammerwassers,
so dass es keinem Zweifel unterliegt, dass das Blutlau-
gensalz in den Glaskörper langsamer difiFandirt, als in
das Kammerwasser.
Ueber den Eintritt des Blutlaugensalzes in die Linse
muss man mit grosser Vorsicht urtheilen, und man kann
sagen, dass ein solches Urtheil erst nach hinlänglicher
Erfahrung möglich ist. Die Linse wird durch das chlo-
retum fer.^ welches als Reagens bei den Versuchen an-
gewendet wurde, sofort verändert Wenn man sie in
einem Tropfen des Reagens zerreibt, so wird ihre Masse
undurchsichtig, zähe, erhält eine trübe gelbe Farbe, so
dass es schwer wird, die blassblaue Farbe der Reaction
derselben zu erkennen. Wenn man die Linse nicht zer-
quetscht, sondern sie auf eine Nadel spiesst (was immer
erforderlich ist, um sie mit Wasser zu umspülen, d. h.
118
die Reste des Eammerwassers za beseitigen, damit
dessen eigene Reaction nicht stört), so wird sie in die-
sem Falle alle farbigen, von den sie umgebenden Gregen-
stftnden reflectirten Strahlen, besonders die blauen, aus
der Atmosphäre kommenden brechen, so dass es leicht
geschieht, wenn man die Linse gegen das Fenster hält,
dass die Bläue des Himmels für die Reaction gehalten
wird. Daher ist es nöthig, die Linse während der Probe
gegen eine ganz weisse Oberfläche, z. B. ein Porcellan-
geftss, zu halten. Die Untersuchung zeigte, dass das
Blutlaugensalz bei dem lebenden Thiere niemals in die
Masse der Linse selbst drang, obgleich die Untersuchun-
gen, so lange das Salz im Körper des Thieres verweilte,
fortwährend wiederholt wurden. Um den Process des
Eintritts des Salzes in die Masse der Linse zu verfol-
gen, nahm ich sie in ihrer Kapsel bei den eben getödteten
Hunden heraus, und tauchte sie in eine zuerst dünnere,
dann dichtere Lösung des Blutlaugensalzes. Da er-
gab sich:
Die Linse in der Kapsel wurde in die Lösung des
Blutlaugensalzes (i : 100) (die Dichtigkeit der Lösung,
welche aus dem Kammerwasser an den lebenden Thieren
erhalten wurde, ist annähernd Visooo) gebracht:
Nach 30 See. eine bemerkbare Reaction auf der Ober-
fläche;
nach 5 Min. nur auf der Oberfläche;
nach r/2 Stunden deutliche Reaction iu der ganzen
Masse der Linse.
Zwei Linsen wurden in die Lösung des Salzes (i Th.
Salz auf 4 Th. Wasser) gebracht Die eine wurde nach
5 Min. herausgenommen, und es zeigte sich, dass sie ganz
vom Salz durchdrungen war. Die zweite blieb V/t Stunden
in der Lösung und wurde dann in 12 Unzen Wasser
gelegt, worin sie 24 Stunden gelassen wurde. Die Reaction
zeigte noch deutliche Spuren des Salzes und das Wasser
war davon durchdrungen.
119
Diese Zahlen bestimmen annähernd die Schnelligkeit
der dnrch die Schichten der Linse gehenden exosmoti-
schen Ströme. Diese Schnelligkeit ist, wie man anneh-
men muss, sehr unbedeutend im Yerhältniss zu den
Lösungen, welche die Linse im natürlichen Zustande
umgeben.
Durch die gefundenen Resultate bestimmt sich die
Schnelligkeit des DifFusionsstromes des Blutlaugensalzes
durch die im Auge befindlichen Membranen und Flüssig-
keiten. Nunmehr ist es an der Stelle, das ähnliche Yer-
hältniss des Blutlaugensalzes zur Cornea zu untersuchen.
Es ist bekannt, dass die lebende Cornea für sehr wenige
Stoffe durchdringlich ist (Ludwig). Ich untersuchte die
Durchdringlichkeit der Cornea für das Blutlaugensalz
sowohl beim lebenden als beim todten Auge. Die Re-
sultate dieser Untersuchungen waren folgende:
In den Conjunctivalsack wurde eine Lösung des Salzes
(1 Th. Salz auf 4 Th. Wasser) eingetröpfelt:
Der Hund wurde nach 3 Min. getödtet, im Kammerwasser
keine Reaction;
der andre Hund „ 5 „ „
der dritte „ „ 45 „ „
der vierte „ „ 2 Stund. „
der fünfte „ „ SV* „ „ « ^
Dieselben Resultate ergaben sich, wenn das Blutlaugen-
salz mit Atropin vermischt eingeträufelt wurde.
Daraus ist zu ersehen, dass die lebendige Hornhaut
für Blutlaugensalz inpermanent ist. Ganz anders ist es
mit der todten Hornhaut. Bei frisch getödteten Hunden
exstirpirte ich den Bulbus sammt allen Weichtheilen, zog
letztere an und stiess eine Sonde quer durch, so dass
nun das Auge in schwebender Lage an den Rand eines
beliebigen Gefasses aufgehängt werden konnte. Ich goss
zu dem Zwecke in ein kleines Porzellangefäss eine Blut-
laugensalzlösung (1 : 100) und tauchte in dieselbe das
120
Aage mit der Hornhaut voran. Um nan einer Verdun-
stung sowohl der Lösung als der Augenfeuchtigkeiten
vorzubeugen, deckte ich das kleine Porzdlangefilsschen
mit einem grossem zu. Die Hornhaut des aus der
Flüssigkeit zur Untersuchung wieder hervorgeholten Auges
wurde nun mit einem starken schnellen Wasserstrahl
abgespült, getrocknet, die Cornea darauf durchstochen,
wobei das Auge hinterher leicht collabirte, so dass die
wässerige Feuchtigkeit schnell auf das Gefass ausströmte.
Diese Manipulation wurde zu dem Zwecke ausgeführt,
damit auf das Gef&ss so wenig als möglich Blutlaugen-
salz gelange, welches möglicherweise in der Homhaut-
substanz und auf deren Oberfläche präcipitirt gewesen
sein mag.
Nach 5 Min. war in der wässerigen Feuchtigkeit keine
Reaction;
„ 15 „ gleichfalls nicht;
25
91
„ 1 Stunde ,
„ 2 Stunden „
„ 2 St 35 Min. deutliche Reaction;
„ 4 St war in der wässrigen Feuchtigkeit bereits
eine starke Reaction eingetreten, in der Linse —
spurweise, in dem Glaskörper — keine;
„ 24 St. gleichmässige Reaction sowohl in der Lösung
als in den Augenflüssigkeiten.
Bei den auseinandergesetzten Versuchen wurde ent-
weder Blutlaugensalz ins Blut eingeführt oder das Auge
mit der Hornhaut voran in die Lösung eingetaucht: In
beiden Fällen war die Communication der dififundirenden
Oberflächen mit dem angewandten Stoffe eine unmittel-
bare: der Weg — der kürzeste. Diesen Weg konnte
man nach Belieben auch verlängern, und der Zeitunter-
schied im Auftreten des Salzes im Auge konnte als
Maassstab für die Länge des zurückgelegten Weges dienen;
121
mit anderen Worten: er konnte auf die verschiedene
Besorptionsfthigkeit verschiedener organischer Membranen
für das Blatlangensalz direct hinweisen. Zu diesem Behuf
brachte ich das Blutlaugensalz in den Magen des Thieres»
unter die Haut, in die Bauchhöhle — und verfolgte sein
Auftreten im Auge und in den anderen Organen. Ich
kam dabei zu ganz eigenthümlichen Resultaten:
2 Hunden und 9 Kaninchen wurde das Salz unter
die Haut applicirt — Ich will diese Versuche bei beiden
Thierarten einzeln auseinandersetzen, da die bei beiden
erlangten Resultate einander ausschliessen.
Einem Kaninchen wurde unter die Haut 1 Gr. Salz
auf l Drchm. Wasser ii^icirt; nach 10 Min. in dem
Kammerwasser — keine Reaction; nach 30 Min. Spuren
von Reaction. Demselben Kaninchen wurden einige Tage
später 2 6r. (auf 1 Drchm. Wasser) Salz ii^icirt;
nach 10 Min. keine Reaction,
nach 20 Min. deutliche Reaction.
Demselben Kaninchen einige Tage darauf 4 6r. (auf 1 Dr.
Wasser):
nach 15 Min. keine Reaction;
nach 20 Min. deutliche Reaction.
Einem zweiten Kaninchen 6 Gr. (auf 1 Drchm. W.):
nach 15 Min. keine Reaction;
nach 20 Min. Reaction.
Drei Kaninchen wurden V/t Gr. (1 Drchm. W.) injicirt:
bei allen dreien begann die Reaction nach 20 Min.
Daraus ist nun zu ersehen, dass ungeachtet der
verschiedenen Lösungen (mit Ausnahme der sehr schwa-
chen Lösung von 1 Gr.) das Auftreten der Reaction den-
selben Zeitpunkt einhält
An Hunden ergaben sich ganz andere Resultate:
Einem jungen Hunde wurden 7 Vi Gr. (1 Drchm. W.)
unter die Haut injicirt; nach 20, 30 Min., nach 1, 2, 3
Stunden keine Spur von Reaction. Zwei erwachsenen
122
Hunden wurden 15 Gr. (1 Drchm. W.) unter die Haut
injicirt; auch da trat im Verlauf von 24 Stunden, wo auf
Reacüon in verschiedenen Zeiträumen geprüft wurde,
keine Reaction auf.
Dreien Hunden wurde an verschiedenen Stellen des
Körpers unter die Haut eine Drachme Blutlaugensalz
in einer halben Unze Wasser eingespritzt. Das Eammer-
wasser wurde während dreier Tage untersucht, aber es
zeigte sich keine Reaction.
Diese letzteren Resultate veranlassten mich eigent-
lich, das Salz in den Magen und in die Bauchhöhle der
Hunde einzuführen. In Folge der grossen vom Hunde
verschluckten Quantität Salz entstand ein Erbrechen;
deshalb wurde für die Genauigkeit des Versuches bei
Hunden im Voraus das Speiserohr blosgelegt und unter-
bunden, und dann unterhalb der Ligatur durch das Troi-
car das Salz injicirt.
Auf diese Weise wurde einem erwachsenen Hunde
eine Drachme des Salzes in einer halben Unze Wasser
in den Magen gebracht. Nach 20 Min., nach 1 St, nach
1 St. 10 Min. wurde das Kammerwasser untersucht —
keine Reaction. Das unerwartete Resultat veranlasste
mich, den Versuch noch bei 9 Hunden zu wiederholen,
bei welchen die Untersuchung des Kammerwassers in den
verschiedensten Zeiträumen während zweier Tage und
länger geschah, aber keine Reaction zeigte sich.
Ein ähnlicher Versuch wurde an einem Kaninchen,
nur ohne Unterbindung der Speiseröhre, gemacht, aber
das Resultat war dasselbe.
Dagegen hatte die Einspritzung des Blutlaugensalzes
in die Bauchhöhle zur Folge, dass sich eine Reaction im
Kammerwasser ergab, und zwar eine so starke, wie sie
selten nach Einspritzung des Salzes ins Blut erhalten
wurde. Derartige Versuche habe ich nicht viele angestellt,
da jeder allein genügte, die Wahrheit zu erhärten.
123
Einem erwachsenen Hunde wurde eine Drchm. Salz
auf Vs Unze Wasser in die Bauchhöhle gespritzt:
Nach 20 Min. die ersten Spuren der Reaction;
, 25 „ in dem andern Auge die klare Reaction;
^ 35 n wurde der Hund getödtet und die Reaction
zeigte sich im höchsten Grade.
Der Versuch wurde an dreien Hunden wiederholt,
und an diesen drei Fällen konnte man sich überzeugen,
dass die Reaction in den Flüssigkeiten des Auges ihren
höchsten Grad nach Verlauf von 2 Stunden erreichte;
nach 21 Stunden verschwand sie wieder sowohl im Auge
als in der Bauchhöhle und erhielt sich nur im Harn.
Alle Hunde wurden nach dem Versuche geöffnet, um
die durch die drei letzten Reihen von Versuchen erreich-
ten Resultate zu erklären (die Einspritzung des Salzes
unter die Haut, in den Magen und in die Bauchhöhle).
In allen Fällen trat eine Erscheinung besonders hervor,
nämlich, dass das Salz -am ehesten im Harn und in der
Galle erschien und sich dort in grosser Quantität erhielt
Diese Erscheinung wird Grund genug sein, die Verschie-
denheit der Resultate zu erklären.
Erstens: Warum erschien das Salz im Auge nicht,
wenn es unter die Haut oder in den Magen gef&hrt
wurde?
Zweitens: Warum erschien es unbedingt im Auge
des Kaninchens, wenn das Salz unter die Haut desselben
gef&hrt wurde?
Drittens: Warum zeigte es sich auch bei Hunden
nach Einspritzung des Salzes in die Bauchhöhle?
Wir wollen mit der ersten Frage beginnen.
Da ich immer den Harn der Thiere vom Salze am
meisten gesättigt fand, so erklärte ich mir die obigen
Resultate dadurch, dass die Nieren das in das Blut ge*
langende Salz ungemein rasch entfernen, während die
Aufsaugung desselben an dem Orte, wo es eingespritzt
124
war, sehr langsam erfolgte, so dass das Blut nicht in
dem Grade gesättigt werden konnte, welcher nöthig ist^
damit sich das Salz durch die Aagenmembranen, gemäss
deren Diffusionsfilhigkeit, diffundirt Wenn wir das Salz
in das Blut fahren, erhöhen wir dessen Sättigung bis
zum non plus ultra, d. h. bis zu einem so hohen Grade,
als das Thier ertragen kann. Die absolute Quantität des
Salzes kann, wie wir schon gesehen haben, bis auf 7VsGr.
erhöht werden, ohne das Thier zu tödten. Indessen kann
durch die Aufsaugung aus dem Unterzellgewebe oder aus
dem Magen jene Quantität im Blut nicht erreicht werden
— sie ist eine viel geringere und wahrscheinlich nicht
mehr als iVa Gr., da uns schon bekannt ist, dass diese
Quantität, in das Blut selber eingefährt, im Auge nicht
erschien.
Um dieser hypothetischen Erklärung eine thatsäch-
liehe Bedeutung zu geben, unterband ich 4 Hunden die
Ga&sse der Nieren. Durch das Aufheben der Harnab-
sonderung sollte eine grössere Anhäufung des Salzes im
Blute erreicht werden. Auf diese Weise wurde einem
Hunde bei unterbundenen Nierengefässen eine Dr. Salz
in. den Magen eingefährt; darauf, sich selbst überlassen,
starb er nach 2 Tagen. Während dieser Zeit wurde das
Kammerwasser mehreremal untersucht, aber keine Reac-
tion erschien. Einem andern Hunde wurde nach Unter-
bindung der Nierengefasse dieselbe Quantität unter die
Haut gespritzt: er starb nach 27» Tagen und wieder
erschien keine Reaction im Auge. Diese negativen Re-
sultate haben mich nicht dahin gebracht, die Vermuthung
aufzugeben: die Härte des Auges, die ungemein grosse
Quantität des Kammerwassers, reiche Exsudationen in
die Höhlen beweisen, dass nach Unterbindung der Nieren-
gefasse die wiederkehrenden parenchymatösen Ströme
au^ehoben werden. Die Diffusion verschwindet und an
ihrer Statt tritt eine Filtration in die dem geringern
125
Drucke unterworfene Höhle ein; die Aufsaugung siidct
also im ganzen Organismus bis auf 0; in Folge dessen
kann das Salz nicht in das mit abgelebten Emährungs-
produkten geschwängerte Blut eintreten, bleibt daher auf
derselben Stelle, wo es injicirt wird — im Magen oder
Unterhautgewebe, wo es auch nach TOdtung der Thiere
vorgefunden wurde. Dasjenige Salzquantum, welches in
das Blut gelangte, blieb entweder daselbst zurQck (konnte
aber nicht nachgewiesen werden, da das Eisen das Blut
sehr rasch gerinnen macht, so dass es keine Reactiön
mehr zeigte, wenn es auch in einem eigens dazu ver-
wendeten Gei&sse mit Blutlaugensalz fibersättigt wurde),
oder aber das Salz wird aus dem Blut nach einer Stelle
hin ausfiltrirt, wo der Druck viel geringer als im Auge
ist, z.B. in die Bauch-Pleurahöhle etc., wo wiederum das
Salz mit Hülfe feuchter Reactionen sehr schwer nachzu-
weisen ist, da das Grewebe und die Fluida durch die
hinzutretende Urämie sich leicht zersetzen. Das Oewebe
und die organischen Fluida erlangen &st noch bei Leb-
zeiten eine cadaveröse, schmutzig grfine Farbe, welche
die Reactionsüarbe vollständig deckt Indem ich nun
meine Hypothese weiter verfolgte, injicirte ich 3Va Gr.
Blutlaugensalz in die Vene eines Hundes, an dem ich
kurz zuvor die Nierengefasse unterbunden hatte. Bei
diesem Quantum trat sonst, wie wir oben gesehen, die
Reactiön im Auge erst nach einer Stunde ein — jetzt
dagegen schon nach 15 Min. Dieser Versuch nun, der
an einem zweiten Hunde wiederholt wurde, gestattet den
directen Schluss, dass die Nieren ein wahres Collutorium
für das Blutlaugensalz sind,"^) dass bei Ausschliessung
*) Bernard uigte, dass das BlaÜaogensali in den Speichel nicht
nbergeht, dass es im Harn und in der GaUe froher auftritt, als das
g^Ieiehzeitig ins Blut eingeführte Jodkalium. (15te le^on d. Physiol.
ezper.)
i2r.
dieses CoUutoriams das Salz früher oder später difftin-
dirt wird, dass schon ein geringer Gehalt an Blutlaugen-
salz im Blut bei Einführung dieses Salzes in den Magen
oder das Unterhautzellgewebe, den Uebertritt desselben
in das Auge nicht gestattet Auf letzteren Umstand
könnte auch möglicherweise das langsame Aufsaugungs-
vermögen des Blutes f&r das Salz und das schnelle Aas-
treten des letzteren aus dem Blute beruhen. — Jetzt
bleibt uns die Erörterung der zweiten Frage übrig,
warum bei Kaninchen das Blutlaugensalz nach Injection
in das Unterhautzellgewebe im Auge wohl immer, bei
Hunden dagegen unter denselben Bedingungen nie auftrat.
Die Antwort auf diese Frage könnte zwiefach ausfallen:
die Dififerenz wird entweder von der verschiedenen Indi-
vidualität beider Thierarten, oder, was noch wahrschein-
licher, von den verschiedenen mechanischen Bedin-
gungen bei beiden hervorgerufen. Wenn man die Injec-
tionsstelle bei beiden Thierarten untersucht, so gewahrt
man wirklich einen bedeutenden Unterschied. Das Unter-
hautzellgewebe der Hunde ist fester mit der Haut und
den umgebenden Oeweben verwachsen und ausserdem
viel gefrässiger als bei Kaninchen. Gewöhnlich zerreisst
die injicirte Flüssigkeit mit bedeutendem Kraftaufwand
das Zellgewebe, um sich Platz zu schaffen; dadurch ent-
steht ein mehr oder weniger starker Blutaustritt; das
Blut gerinnt, mischt sich mit der injicirten Flüssigkeit
und diese ganze Masse ist nun vom Unterhautzellgewebe
umgeben. Es treten 3 Umstände hinderlich entgegen:
Die Mischung des Salzes mit den Blutgerinseln, die Ab-
wesenheit physiologischer aufsaugender Flächen in Folge
der Berstung und die unbedeutende Grösse der Aufsaii-
gungsflächen überhaupt, da doch die unter der Haut
durch die Injectionsflüssigkeit gebildete Blase rund, ab-
gegrenzt, in Form einer Wallnuss nach aussen hervorragt.
Bei Kaninchen dagegen ist das Unterhautzellgewebe sehr
127
blutarm, locker, daher bei ihnen die bekannte Verschieb-
barkeit der Haut. Die injicirte Flüssigkeit bringt bei
ihnen nicht eine Berstung des Zellgewebes zu Stande,
sondern verschiebt blos dessen Falten, was schon dadurch
bewiesen wird, dass sehr oft die injicirte Flüssigkeit
wieder abfliesst, wenn nicht bei Beginn der Iiyection die
Hautwunde mit den Fingern geschlossen wird. Hier
vertheilt sich also das Salz auf einige Behälter des Zell-
gewebes, ddint letztere ad maximum aus, und bildet
ebenfalls eine künstliche Blase. Diese ist aber flach, auf
einer grossen Oberfläche vertheilt Die injicirte Flüssig-
keit kann nun von grossen physiologischen Resorptions-
flächen aufgesaugt werden, und zwar in dem Maasse
schneller, als der Druck der Blase den I^ck in den
Capillaren und Lymphgef&ssen übertriflft. Daher tritt
auch das Blutlaugensalz, das mit geronnenem Blut nicht
gemischt ist, sofort in bedeutender Masse ins Blut; es
darf uns deshalb nicht Wunder nehmen, dass das Blut
bei Kaninchen schon nach 20 Min. im Auge auftritt
Was die dritte Frage betrifft, warum von der Bauch-
höhle aus das Salz so rasch ins Auge übergeht, so bleibt
zur Beantwortung derselben nur zu sagen übrig, dass
dies Factum seine Erklärung entweder darin finden mag,
dass die Bauchepithelien in besonderer endosmotischer
Yerwandschaft zum Blutlaugensalz stehen, oder darin,
dass die ungeheuer grosse Aufsaugungsfläche eine dem
entsprechend rasche Resorption bedingt Freilich bietet
auch der Darmkanal eine nicht minder grosse Fläche dar,
dafür wird er ja aber nicht auf einmal mit der injicirten
Flüssigkeit in Berührung gebracht, sondern allmälig, der
peristaltischen Bewegung proportional. Nach Injection
des Salzes in den Hundemageu fand ich es fast immer
bei der Section am dritten Tage daselbst noch wieder,
besonders wenn im Magen Speisereste präexistirten.
Ausserdem muss es noch dahingestellt sein, ob nicht etwa
128
das Salz der Contraction der Darmmuskeln entgegen-
wirke, 80 dass man dreist voraussetzen könnte, dass eine
Lösung von Blutlaugensalz in die Bauchhöhle iigicirt,
schon beim Beginn mit einer grösseren Resorptionsfläche
in Berflhrung kommt, als in den Magen eingeführt
Schliesslich erachte ich es nicht fbr aberflfissig, in
Kurzem die Resultate von Parallelversuchen mit Sublimat
und essigsaurem Kupferoxyd hier mitzutheilen. Als Rea-
genz f&r Sublimat gebrauchte ich Ghlorzinn, für das essig-
saure Kupferoxyd Blutlaugensalz. 2 Gr. (3j) Sublimat
wurden 2 Hunden in die Venen injicirt; beide starben
kurz darauf — im Auge keine Spur von Reaction. Bei
3 Kaninchen dagegen trat die Reaction 3 Mal raschar
auf, als nach Injection des Blutlaugensalzes, obschon das
Quantum des Sublimats 7 Mal geringer war als das des
Blutlaugensalzes (7Va Gr. auf 3j). Die Reaction im Kam-
merwasser trat in Form eines blassgrauen Wölkchens auf
und wurde mit dem Kammerwasser eines gesunden Thier-
auges verglichen, zu welchem ein Tröpfchen des Reagens
hinzugefügt worden war. Ob dies Quecksilberalbiuninat
oder reines Sublimat gewesen sein mag, wurde nicht
näher untersucht Die Resultate mit essigsaurem Kupfer-
oxyd waren s&mmtlich negativ. 6 Hunden wurden von
2—20 Gr. (3j) essigsaures Kupferoxyd in die Venen in-
jicirt. Alle Hunde starben unter Erbrechen; Reaction
trat nicht ein. Zweien Kaninchen wurde die Lösung unter
die Haut injicirt — nach 24 Stunden starben die Thiere,
ohne Spur von Reaction im Kammerwasser.
Zur Ophthalmometrie.
Aus dem pliytiologisehen lAboratorium des Herrn
Prof. H. Helmholtz.
Das der Construction des Helmholtz'schen Ophthal-
mometers zu Grande liegende Prineip, das za messende
Object in zwei deutKche Doppelbilder zn zerlegen, liess
bisher nieht die unmittelbare Anwendung dieses Instru-
ments bei Bestimmungen der Grösse des Bildes der Tor-
deren LinsenflAche zu, weil die allerhellsten Oaslampen
sogar keinen ^nttgend intensen Reflex auf der erwähnten
Oberfläche gaben, damit bei derHalbirung der LicbtstArke
im Ophthalmometer jedes Doppelbild sichtbar sei, da ja
ein jedes davon nur die halbe Lichtstärke des einüachen
Bildes besitzt. In Folge dessen hat Prof. Helmholtz
die Grösse des Reflexbildes dieser Oberfläche und später
auch Dr. Knapp die Grösse der Bilder beider Linsen-
flächen, durch eine Yergleichung mit den im Ophthal*
mometer sehr genau gemessenen Reflexen der Harnhaut
gemessen, welche von einem anderen Objecte erhalten
wurden, das auf gleichem Abstände mit dem fftr den
Reflex von der Linsenfläche dienenden sich befimd.
(8. „üeber die Accomodation des Auges"" von H. Helm-
holtz. Arch. f. Opfathakn. B. I Abth. 2 und „lieber die
Aröhir flir OpbthfthDolofle. XI. 2. 9
130
Lage und Krümmung der Oberflächen der menschlichen
Kristallinse etc."" vonDr.J.H. Knapp. Arch.f.OphthaIm.
B. VI Abth. 2).
Daher hatte iftir Herr Prof. Helmhol tz den Vor-
schlag gemacht, für die Untersuchongen der Krümmung
der Linsenoberfl&chen das Gaslampenlicht durch irgend
ein anderes, sei es z. B. das Drummond'sche oder das
Sonnenlicht, zu ersetzen und zu versuchen, ob es dabei
nicht gelingen sollte, hinlänglich intense Bildchen auf den
genannten Oberflächen zu erhalten, die einer unmittel-
baren Messung mit dem Ophthalmometer zugänglich
wären. — Der Beschreibung der Ergebnisse dieser Ver-
suche sind eben die nachstehenden Zeilen gewidmet
Die Versuche mit Drummond's Lichte (es wurde
Kreide im Strome von Leucht- und Sauerstoflfgas weiss-
glühend gemacht) führten zu keinem befriedigenden Re-
sultate, weil die dabei von der vorderen Linsenfläche
gewonnenen Reflexe, obwohl sie schon bedeutend greller
als die von einer Gaslampe erhaltenen sind, mir dennoch
nicht eine directe Messung mit dem Ophthalmometer
gestatteten. Die Versuche mit dem Sonnenlichte aber
führten mich zu vollkommen genügenden Ergebnissen,
weshalb ich sie hier auch eingehender zu beschreiben
mir erlaube.
In der Mitte des Zimmers wird ein ungefthr IV4 Meter
langer Tisch aufgestellt, auf dessen einem dem Fenster
zugekehrten Ende das Ophthalmometer sich befindet,
auf dem andern aber ein eisernes Stativ mit einem in
horizontaler Lage daran befestigten kleinen, blauen,
stählernen Spiegelchen steht, gerade wie bei den Ver-
suchen des Prof. Helmholtz (1. c). Das Fenster wird
mit einer hölzernen Lade fest verschlossen und in eine
eigens dazu angebrachte Oeffnung in derselben wird ein
Heliostatenspiegel eingesetzt, mit Hülfe dessen das Son*
nenlicht auf das erwähnte Spiegelchen hingelenkt wird.
181
Auf dem Wege der vom Heliostatenspiegel reflectirten
Strahlen wird ein an ein anderes Stativ befestigter and
mit einer ongefthr 5^^^ grossen Oeffnang versehener ziem-
lich grosser Schirm gestellt, um den Ueberflass an Licht
abzuhalten. Wie bei den Versuchen des H. Prof. Helm-
hol tz, sieht auch hier das zu beobachtende, vor das
Spiegelchen gestellte Auge gleichzeitig zwei erleuchtete
Oeffiiungen: eine effective, derOeflfnung im Schirme ent-
sprechende und eine zweite, von dem Spiegelchen zurück-
geworfene. Der Abstand beider Oeffiiungen von einander
— ist die Grösse unseres Objectes, die natürlich von
der Grösse des Einfallswinkels der Lichtstrahlen auf den
Spiegel abhängig ist und bis zu gewissen Grenzen nach
BeUeben variirt werden kann. Ein an einem dünnen
Fädchen auf dem Wege der Strahlen vom Schirm zum
Spiegelchen aufgehängtes Loth giebt uns die Möglichkeit,
uns davon zu überzeugen, ob die beiden leuchtenden
Oeffnungen in einer senkrechten Linie sich befinden, weil
in diesem Falle der Faden des reflectirten Loths keinen
Winkel mit dem des reellen bilden darf Der zu Ende
des Versuches an die Seite des Loths gestellte Maassstab
giebt uns die Möglichkeit, unser Object zu messen, wobei
aber auch die Entfernung des Fadens des Loths vom
untersuchten Auge gemessen werden muss. Damit die
Reflexe von der Hornhaut ein genaues Sehen der Spiegel-
bilder von der vorderen Linsenfläche in der Mitte der
Pupille nicht hindern, wird der Versuch so eingerichtet,
dass die auf das Spiegekhen einfallenden Strahlen mit
der Axe des Ophthalmometers einen Winkel von annä-
hernd 40—45" bilden. Die Reflexbilder von der hinteren
Linsenfläche aber werden am bequemsten bei einem viel
geringeren Winkel der beiden erwähnten Linien gemessen
werden können, — bei einem Winkel von 10 — 15^
Das Spiegelbildchen des Sonnenlichts auf der vor-
deren Oberfläche der Linse hat das Aussehen eines matten
9»
182
9iU>«nieii Fleckchens lait nicht ganz scharfen Gootoureii,
ißt jedoch soweit hdl, dass es im Ophthalmometer in
deutlich sichtbare Doppelbilder zerlegt werden kann. Um
den Abstand sweier solcher Beflexe (welche sich von zwei
äussersten Punkten unseres Objectes bilden) richtiger
messen zu können, habe ich die Glasplatten im Ophthal-
mometer soweit verschoben, dass die Doppelbilder eines
jeden Beflexes sich nur auf die halbe Entfernung der
beiden ersten Reflexe von einander entfernten. Kurz, ich
erhielt an Stelle der zwei Beflexe — yier, welche in einer
gemeinschaftlichen Senkrechten und in gleichen Abständen
von einander lagen. Es ist begreiflich, dass dabei auch
der so erhaltene Werth des Winkels nur der halben Grösse
des zu messenden Bildes entspricht
Das Spiegelbildchen von der Sonne auf der hinteren
Oberfläche der Linse hat die Form eines scharf contou-
rirten gelblich-glänzenden Punktes. Bei der Messung den
Abstandes zweier solcher Punkte von einander (der Grösse
des Bildchens) kann man mit gleichem Vortheile entweder
die Glasplatten des Ophthalmometers nur auf die halbe
Grösse des ganzen Objects verschieben, ganz wie es illr
die vordere Oberfläche der Linse angegeben ward, oder
auch mit dem Doppelbilde des einen Punktes das Doppel-
bild des andern überdecken, d. h. die Glasplatten auf die
ganze Grösse des Objects verschieben.
Nach diesen Angaben haben nun die Messungen der
vorderen, sowie auch der hinteren Oberfläche der Linse^
am Auge eines meiner CoUegen folgende Grössen ergeben:
1) Die Brennweite des spiegelnden Systems der vorderen
Linsenfläche 8,1362 »q
2) Krümmungshalbmesser der vorderen
Linsenfläche 9,8243 «« r
3) Brennweite des zusammengesetzten spie-
gelnden Systems der hinteren Linsen-
fläche 2,8880 «q
4) Krümmungshalbmesser 6,1249 » r
133
Anmerkung: Bei der Berechnung der hinteren
Oberflädie der Linse wurden folgende Grössen des sehe-
matischen Auges genommen:
1) Ort des zweiten Hauptpunktes des Auges » 2,356
2) Vordere Hauptbrennweite des Auges . . «b 14,858
3) Hintere „ „ „ . . - 19,875
Inwieweit überhaupt die yorliegende Untersuchungs-
methode für die vordere Linsenoberflftche genau sein
kann, beweisen folgende Zahlen, welche ich zu yerschie-
denen Zeiten an einem jungen Mädchen für q erhielt:
1. q » 8,875
2. q » 8,735
3. q «c 8,815
4. q « 8,275.
(Die hier vorkommenden Messungen sind alle nach
Millimetern berechnet worden.)
Ich will hier nicht die Grössen für den Radius dieser
Oberfläche anführen, weil ich von der Genauigkeit der
verschiedenen Grössen der Hornhaut dieses Auges, welche
in die Berechnung des Radius der Linse eingeführt wer-
den, zuwenig überzeugt bin, umsomehr, da die Hornhaut
dieses Auges noch zur Zeit meiner ersten Studien am
Ophthalmometer untersucht wurde. Auch bitte ich über-
haupt die hier angegebenen Zahlen nur als einen Beweis
der Brauchbarkeit dieser Methode für die Untersuchung
der Krümmuogsflächen der Linse zu betrachten.
Zu meinem grössten Bedauern zwingen mich meine
persönlichen Umstände, Heidelberg zu verlassen, und
rauben mir solcherweise die Möglichkeit, jetzt gleich eine
Anzahl ihrem Baue nach verschiedener Augen zu
untersuchen, um das Recht zu haben, einige selbständige
Worte über die Krümmungsflächen der Linse, sowie auch
über ihre Veränderungen während des Accommodations-
vorgangs ^agen zu können.
134
Schliesslich halte ich es für meine angenehme Pflicht,
bei dieser Gelegenheit dem Herrn Professor Helmholtz
meinen aufrichtigsten Dank abzustatten für die Aufimerk-
samkeit und den Rath, deren ich während meiner Be-
schäftigungen in seinem Laboratorium mich zu erfreuen
die Ehre hatte.
Heidelberg, den 11. Mai 1865.
Dr. B. R 0 s 0 w.
(Aus st Petersburg.)
üeber die Eiterbildmig auf dfim Angenlid-Coiqiiiio-
tival-Saek.
Von
Dr. Prosoroff.
Als ich mich mit der Wirkung der Arzneien auf den
Conjunctival-Sack beschäftigte, erhielt ich nach Einwir-
kung derselben bald abnorme Epithelialzellen und freie
Kerne, bald Eiterkörperchen. Dies bewog mich zur
Untersuchung, auf welche Weise die Entwickelung der
Eiterkörperchen zu Stande kommt.
Was den Process der Eiterbildung anbetrifft, so gibt
es in der Literatur, wie bekannt, verschiedene Meinungen
darüber. Ich halte es nicht für ttberflttssig, dieselben
auseinander zu setzen, damit meine, von den anderen
abweichende Ansicht desto schärfer hervortrete.
Professor Virchow war der erste, der die Bildung
der Eiterkörperchen aus dem flüssigen, freien (ge-
leugneten) Blastemstoflf (Vogel, Lehmann, Messerschmidt,
Reinhardt) gefunden und bewiesen hat, dass die Quelle
des Eiters die Zelle isei.
Er hat über diese Frage in seinem Archiv Bd. VI
S. 312, B. VII S. 131, B. VIII S. 415 vorläufige Bemer-
136
kuDgen vorangeschickt und in seiner AbhandluDg der
Reizung und Reizbarkeit die Frage über Eiterbildung
gauz erschöpft. Er zog über den Rücken eines Kanin-
chens ein Haarseil und bekam Folgendes: In den ver-
grösserten Bindgewebekörperchen beobachtete er eine
Kemtheilung. Die Zelle selbst bekam eine Einschnürung,
theilte sich und auf diese Weise sah er eine Masse klei-
ner Zellen, welche sich in Eiterkörperchen umwandelten,
nachdem ihre Kerne eine Theilung in zwei, drei, vier etc.
Theile erlitten hatten.
Deraetben Ansieht sind OMa Weber,') BHlrotfi,')
Rindfleisch,') Beer, Conheun/) Rheiner,') Beckmann,*)
Burkhardt,*) Böttcher,') Junge,') Strube, Neumann») und
Sorokin,*)
Eine davon abweichende Ansicht über Eiterbildung
ist folgende:
Otto Weber *^) nimmt ausser einer Eiterbildung auf
dem Wege der Theilung der Bindgewebekörperchen noch
eine endogene Entstehung des Eiters an. Er hat beob^
achtet, dass in den Bindgewebekörperchen die Kerne
durch Theilung sich vermehren, daes die jungen Kerne
im Anfang klein, später sich vergrössem, vermehren, ihre
Gestalt verändern und sehr oft durch ihren Inhalt das
Bild der Eiterkörperchen darstellen.
Hiss rief eine künstliche Entzündung auf der Horn-
haut des Kanindiens hervor und ist zu folgendem Re*
1) VirchoVs Axobir 1868 Bd. XUI S. 74
2) BeitriSge zur pathologisohen Histologie. 1858. Bertin.
3) Virohow's Arohiv 1861 Bd. XXI S. 486.
4) Virohow's Arddr 1861 Bd. XXII 8. 616.
5) Yisehow's Ardüv 1858 Bd.y S.560.
6) Virohow's Arohi? 1861 Bd. XXII S. 114. 121.
7) Virohow's Archir 1858 Bd. Xin S. 238.
8) Virohow's Arohiy 1861 Bd. XXII S. 198.
9) DiBsertatao. I^torshurg 1860.
10) Virohow's Arohiv 1858 Bd. XV 6. 476.
137
sultate «ekanunen. üi den yergrSsserten Bindgewebe-
kürp^rchen theilen sich die Kerne; später folgt eine
Ablfisung der ZeUenmembraa ron ihr«i Inhalt und die
11161100; der letzteren. Er behauptet, dass einige Parti-
keichen des Zelleninhaits sich in endogene Zellen um-
bilden, welche sich nun weiter entwickeln, mit oder ohne
Zogrondegehen der Mutterzellen» Er hat Homhautkör-
perchen sich in schlauchförmige Kanäle umwandeln sehen,
die mit 2— 20 Zellen geftUlt, deren Grandform rund war;
doch hat er auch eine polyedrische Form beobachtet
Die Kerne waren rund oder polyedrisch; sie theilten sich
in 2, 3 und 4 Theilcheu, und auf diese Weise soll es
nun zur Eiterkörperchoibildung kommen.
BiudfleisehM hat die Eiterbildung auf der Hornhaut
verfolgt und gesehen, wie diejenigen Ausläufer der Hom-
hautkörperchen, welche einen Kern enthielten, sich ab-
schBttTten, lostrennten, und nun fertige, zwischen den
Horobautkanälen enthaltene Eiterkorperchen darboten.
Itittcr') hat die Bildung der Eiterkorperchen in der
Choroidea untersucht und gefunden, dass ihre Bildung
in den Choroidal-Stromazellen vor sich gehe. Nach seiner
Ei&farung kommt die Eiterbildung folgendermaassen zu
Stande. Auf erfolgten Reiz vergrössern sich die Kerne,
in ihrer Mitte bilden sich zwei neue Kerokörpercben,
nachdem die Theilung des Kerns erfolgt ist. Auf diese
Weise erscheinen in der BindgewebszelJe zwei Kerne
und jeder von ihnen enthält ein Kemkörperchen. Er hat
nie mehr als zwei Kerne in den Zellen beobachtet.
Die Zellenmembrana participirt nicht an der Theilung
des Kerns; sie geht auf irgend eine Weise zu Grunde
und die Kerne werden frei. Ob die Kerne sich nach
ihrer Befreiung weiter theilen oder unverändert bleiben,
1) Yirehow's Archiv 1853 S. 288.
2) ▼. Grafe'i Archiv Bd. VIII Abtfa. 1.
138
konnte er nicht bestimmen. Obgleich nach ihm die ge-
theilten Kerne für Eiterkörperchen angesprochen werden
mflssen, unterscheiden sie sich doch von letzteren durch
ihr morphologisches und chemisches Verhalten. Der
Unterschied zwischen den jungen Eiterkörperchen und
den völlig ausgebildeten ist so gross, dass man nach der
Bildung der jungen Eiterzellen aus den Zellenkemem
und dem Austreten aus der Zelle eine bedeutende pro-
ductive Kraft derselben annehmen muss. Ich habe bis
jetzt nur diejenigen Ansichten angef&hrt, die sich für
eine Bildung der Eiterzellen aus den Bindgewebekörper-
chen aussprechen, und obgleich sie keinen direkten Zu-
sammenhang mit meinen Untersuchungen haben, so kön-
nen sie möglicherweise doch ein helleres Licht auf die
Bildung der Eiterkörperchen aus den Epithelialzellen
werfen.
Förster 0 behauptet, dass der Eiter sich aus Kernen
bilde, welche in den jungen Epithelialzellen sich entwickeln
und frei werden. Die Zellen, einmal gebildet, können
durch Theilung und Freiwerden der Kerne, welche den
Boden ffir neue Zellenbildung abgeben, sich vermehren.
Er hat Mutterzellen gesehen mit 2 — 4 und noch mehr
Kernen; in den Harnkan&lchen hat er ein Aggregat von
normalen Epithelialzellen beobachtet, wo neben diesen
polyedrifich gestalteten Zellen kleine, junge und ausser-
dem ganz runde Zellen vorhanden waren, welche nur
einen Kern enthielten; diese letzteren sollen nun den
Eiterkörperchen ganz geglichen haben. (?)
Ausserdem waren in verschiedenen Epithelial-Zellen
die Kerne in Theilung begriffen. Bei der Eiterung in
den Muskeln fand Förster zwischen und in den zerstör-
ten Primitiv-Bündeln freie Kerne und nebenbei eine kleine
Menge Eiterkörperchen. Die Kerne sind wahrscheinlich
1) Handbuch der pathologischen Anatomie. Leipiig 1S60.
139
aus der Vermehrung der Sarkolem-Kerae entstanden.
Fttr die Bildung der Eiterkörperchen aus den Kernen
sprach das Vorhandensein von Kernen, deren Membranen
sich allmälig abhoben und die in ihrer ferneren Ent-
wickelung das Bild der Eiterkörperchen darboten. Nach
allem Diesen bleibt es unklar, auf welche Weise die Bil-
dung der Eiterkörperchen zu Stande komme, da Förster
sich zur Zellentheorie hinneigt, ohne von der generatio
aequivoca sich ganz loszusagen.
Ohne Zweifel ist diese Entstehungsweise der Eiter-
körperchen sogar von Förster verlassen, da er in seiner
neuen Auflage der pathologischen Anatomie über die
Bildung der Eiterkörperchen aus Epithelialzellen sich gar
nicht mehr aasspricht.
Buhl*) hat in einem Falle von pylephlebiüs ulcera-
tiva eine 2 — ömalige Vergrösserung des Cylinder-Epithe-
liums in dem ducti biliferi gesehen. Das Epithelium
war mit Fettkörncheu gefüllt und enthielt einen normalen
Kern. In den Zellen, welche nicht der Fettentartung
oder nur theilweise unterworfen waren, konnte er 2 — 20
Kugeln unterscheiden. Dasselbe hat er bei Lungenent-
zOndung beobachtet. Buhl schloss daraus, dass die Eiter-
körperchen sich in den Epithelialzellen bilden und dass,
einmal gebildet, sich die Eiterzelle nun weiter vermehren
könne. (?)
Remak') bestätigte Buhl's Beobachtungen über die
Eiterentwickelung bei der Lungenentzündung. In einem
Falle von spasmodischer ürinretention bei einer Frau
hat er eine Harnuntersuchung angestellt und dabei grosse
Zellen gefunden, welche einen Kern in einer Membrana
eingeschlossen enthielten und ausserdem mit kleinen Zellen
in der Zahl von G— 15 gefüllt waren, welche den freien,
1) Virohow's Archiv 1851 Bd. XXI S. 168.
2) yirohow*B Archiv 1860 Bd. XX S. 4S0.
140
homogenenSchIe]inkörpercheii(DichtgraiiQlirten)gIicbeD.(?)
Dann hat er den Harn eines an Albuminarie leidenden
Mannes untersucht nnd grosse, mit denen im ersten Falle
ganz ihnliche Zellen gefunden; auch sie enthielten 4 — 8
kleinere, grannlirte Zellen und stellten eine oder zwei
partielle Membranverdichtungen dar, — ein Kern war
nicht vorhanden.
Remak legt sich nun die Frage vor, ob die Zellen,
welche von Buhl beobachtet waren, wirklich Eiterzellen
gewesen sind? Er behauptete, man müsse daran zweifeln,
denn weder die Beschaffenheit der Zellen, noch die
Eigenschaft der sie umgebenden Flüssigkeit sprechen für
den Unterschied zwischen Eiter- und Schleimzellen über-
haupt; aber es sei wahrscheinlich, dass Buhl mit Eiter-
körperchen zu thun gehabt habe; denn die Secretion der
hepatisirten Lunge enthielt Albumin. Man kann auf diese
Weise annehmen, dass die Eiterkörperchen sich in den
Epithelial- und Bindgewebszellen bilden; denn die Schleim-
körperchen bei einer Blenorthogie, welche einen eitrigen
Charakter haben, entstehen auf dieselbe Art in Epithelial-
zellen. Man hat um so mehr das Recht, die endogene
Zellenbildung anzunehmen, da wir in der niederen Pflan-
zenwelt ein ähnliches Beispiel vorfinden.
Bei den Algienzellen nämlich geht während ihrer
Entwickelung ein ganz ähnlicher Process vor, wie bei den
Thierzellen während des Ablebens derselben.
Rindfleisch erhielt als Resultat seiner Forschungen
eine endogene Eiterkörperehenbildung in den Epithelial-
zellen. Diese endogene Bildung ßlngt nach Rindfleisch
vielleicht mit der Kerntheilung an; aber es gibt nicht
viele Fälle, welche dafür sprächen. Er konnte nur selten
an solchen Zellen während ihrer Entwickelung einen
normalen Kern in der Zelle selbst beobachten, und diese
seltenen Fälle zeigten, dass der Kern keinen Antheil an
der Eiterkörperchenbildung nehme, denn sie theilten sich
141
nicht In der Zelle kaon man eine Periode beobachten,
wo dieselbe eine mattgl&nzende Gestalt annimmt, welche
keine Veränderung auf Zuthun von Essigsäure erleidet
Der Zelleninhalt gruppirt sich (vielleicht um den Kern
herum) in grossen und runden Zellen, deren Zahl nach
den Zellen variirte; in den Pflaster-Zellen sind sie zu
3—12, in den cylindrischen zu 2 vorhanden. Später
beobachtet man an Stelle der runden Eörperchen, nach
Zusatz von Essigsäure, Elemente mit einem runden und
glänzenden Kerne und allen Uebergangsformen bis auf
die Bildung der EiterkOrperchen. Die Eiterkörperchen
werden frei, nachdem die Zellenmembrana zerstört worden
ist, oder sie verlassen die Zelle und an ihrer Stelle bleibt
ein Hohlraum zurück. Die Zellen, welche durch die
Eiterbildung zerstört worden sind, werden durch andere
ersetzt, welche aus einer Theilung der den tieferen Epi-
thelial'Schichten zugehörigen Zellen entstehen.
Aus allen diesen Arbeiten geht hervor, dass die
Eiterkörperchen durch eine endogene Zellenbildung in
den Epithelial-Zellen entstehen.
Der Unterschied zwischen den Ansichten von Bind-
fleisch und Buhl besteht nur darin, dass der erstere
behauptet, die Bildung der Eiterkörperchen werde in den
runden und ovalen Z^len beobachtet; während der zweite
fllr die Bildung der Eiterkörperchen in den Zellen, welche
keine Fonnveränderung erlitten haben, sich ausspricht
Bemak beobachtete eine endogene Bildung der Schleim-
körperdien und nimmt per analogiam die endogene Bil-
dung der Eiterkörperchen an. In seiner Arbeit bezwei-
felt er nur den Charakter der Zellen, welche von Buhl
beschrieben worden sind; ab^ später spricht er sich
dahin aus, dass Buhl mit Eiterkörperchen zu thun gehabt
haben mag, als nämlich Bemak sich auf das Auftreten
von Albumin in der hepatisirten Lunge besann.
leh bin entfernt davon, den Charakter der Zellen
142
anzuzweifeln, den Buhl abgibt; er sagt nämlich, dass in
den von ihm beobachteten Kugeln, welche in runde und
ovale Zellen eingeschlossen waren, man nach Essigsäure-
Zusatz keine Kerne beobachten konnte. In der seiner
Arbeit beigefügten Tafel kann man sich von dem Cha-
rakter der Zellen selbst überzeugen. Selbst der Fall von
Abumin, den Remak beschreibt, um die Bildung der
Schleimkörperchen zu beweisen, spricht fbr das Mangel-
hafte des Motivs, welches seine früheren Zweifel jetzt zu
beseitigen ihn bewegen konnte.
In dem Harn hat er Albumin entdeckt; hat er aber
auch Eiterkörperchen gesehen? Nein! Es folgt daraas,
dass trotz Gegenwart des Albumins in irgend einer Se-
cretion man noch lange nicht über den Charakter einer
Zelle sich auszusprechen berechtigt ist, bevor man nicht
das Mikroskop zu Hülfe genommen hat.
Ich bezweifle nur, dass die von Buhl beobachteten
Kugeln in den Zellen enthalten waren; ich glaube femer,
dass Rindfleisch die Kerne für Kugeln gehalten haben
mag, und will später die Gründe auseinandersetzen, welche
mich dazu bewegen.
Jetzt gehe ich zu der Beschreibung der Resnltate
über, welche ich bei der Bestimmung der Eiterbildung
aus den Epithelialzellen bekam. Zuerst wollte ich mich
von der endogenen Zellenbildung überzeugen; deshalb
untersuchte ich mit grosser SorgfUtigkeit die runden
und ovalen Zellen, welche der Eiterbildung vorangingen
und welche ich bekam, indem ich eine ögranige Lösung
von Argentum Nitricum auf die Conjunctiva wirken
In der That habe ich die Theilung des Zelleninhalts
beobachten können, aber die einzelnen Theile, welche
dadurch entstanden, unterschieden sich von einander
durch die Ungleichmässigkeit ihrer Formen und ihrer
Grösse. In der runden Zelle war zuweilen eine grosse
143
runde Kugel zu seheu oder der Zellen-Inhalt theilte sich
in zwei Theile. In den ovalen Zellen konnte ich eine
3 — 4— 5&che Theilung des Inhalts beobachten; diese
Theile waren, von runder oder oyaler Form, immer un-
gleichmftssig; die Kerne erschienen oft nach der Zellen-
Membrana hin abgeplattet. Sehr oft war die Theilung
des Zelleninhaltes so schwach ausgesprochen, dass ich
mir viele Mühe geben musste, um diese klar zu sehen,
und doch konnte ich's nicht immer zur Klarheit bringen.
Noch muss ich hinzufügen, dass diese Theilung des
Inhaltes weder mit den Abbildungen von Buhl, noch mit
denen von Rindfleisch übereinstimmte. Als ich nun von
der Theilung des Zelleninhaltes mich überzeugt hatte,
fing ich an, die Uebergangsformen von der Kugel bis
zur Eiterbildung zu verfolgen. Eine Masse von Objecteu,
welche ich der mikroskopischen Untersuchung unterwarf,
ei^ben immer ein negatives Resultat, was die endogene
Eiterbildung anbetrifft; auf keine Weise konnte ich die
Uebergangsformen entdecken; die Kerne stellten sich
etwas abgeplattet vor, so dass man eine Betheiligung
derselben in der Eiterbildung nicht annehmen konnte.
W&hrend dieser Beobachtung habe ich runde und ovale
Zellen gesehen, welche mir mit Kügelchen gefüllt zusein
schienen, deren Inhalt, nach Zusatz von Essigs&ure,
mehrere kleine Kerne ausmachte. Als ich diese Zellen
mit denjenigen verglich, welche Buhl abgebildet und von
welchen er seine Ansicht geschöpft hat, überzeugte ich
mich, dass sie ganz den Buhl'schen entsprachen.
Nachdem ich diese Zellen untersucht und bemerkt
hatte, dass neben ihnen runde und ovale Zellen ohne
Kügelchen und ohne Auftreten von Kernen in denselben,
nach Zusatz von Essigsäure, sich vorfanden, fing ich an
zu zweifeln, ob diese Kügelchen in den Zellen überhaupt
enthalten wären, um darüber ins Klare zu kommen,
machte ich kleine Bewegungen mit dem Deckgläschen
144
und fand dann, dass die Zenen keine Kag^Ichm enthiel-
ten, sondern nur auf einem Conglomerat Etaum hatten,
das aus Eiterkörperchen bestand, auf dem sie anfsassen;
demi kaum hatten sie ihren Platz gewechselt, so zeigten
sie keine Kügdehen mehr in ihrem Inhalt Wenn man
sokhe Bewegungen mit dem Deckgiäscben ausf&hrt,
nachdem man Essigsaure hinzugefügt, kann man die
Zellen nicht mehr von den Eiterkörperchen unterschei-
den; sie bilden dann ein» viel dichtem Zusammenhang,
so dass man daraus falsche Schlüsse zu ziehen sehr ge-
neigt ist, besonders wenn man keine Vorkehrungen trifft,
um diesem Phänomen auszuweichen.
Bei meinen Untersuchungen bin ich nämlich auf Zellen
gestossen, welche ihre Form behalten hatten, deren Inhalt
aber getrübt war, so dass man mit Mühe 2, selten 3 Kerne
unterscheiden konnte.
Bindfieisch behauptet nun, dass diejenigen Kerne,
welche in den mit Kügelchen gefüllten Zellen enthalten
sind, keinen Antheil an der Bildung der Eiterkörperchen
nehmen; w^n er ihnen diese Fähigkeit abspricht, so
müsste er doch wenigstens zeigen, auf welche Weise sie
die Zelle verlassen, oder überhaupt verschwinden?
Rindfleisch und Buhl behaupteten die Eiterkörperchen
in den Zellen gesehen zu haben; ich aber habe oben zu
erklären mich bemüht, auf welche Weise man zu einer
falschen Interpretation der Phänomene gelangen kann,
welche in den Zellen vor sich gehen, und erachte es für
überflüssig, weiter über diesen Gegenstand zu aprechen.
Als ich mich äberzeugt hatte, dass von der endogenen
Theorie bei der Eiterbildung kein Gebrauch gemacht
werden kann, stellte ich neue Untersuehungen an, um
den richtigen Weg der Eiterbildung zu finden.
Um diese Frage zu lösen, musste ich alle diejenigen
Veränderungen verfolgen, welche eine Zelle auf dem Wege
zur Eiterumwandlong erleiden kann. Zu diesem Zwecke
145
träufelte ich in das Auge yon Kaninchen eine Lösung
Ton Salpeter-Silberoxyd 1 Gr. auf eine Unze Wasser.
Die ganze Masse, welche von den Lidern abgekratzt
war, nachdem die Lösung eine Minute eingewirkt hatte,
stellte unter dem Mikroskop normale Epitbelialzellen mit
einem, seltener mit zwei Kernen, und einer kleinen Menge
runder Zellen dar; nach jeder Minute vergrösserte sich
die Menge der runden Zellen und Kerne dermaassen, dass
nach einer Viertelstunde das ganze mikroskopische Object
aus runden Zellen mit abgeplatteten Kernen zusammen-
gesetzt war. Der Inhalt der Zellen und Kerne war so
getrübt, dass es unmöglich gewesen ist, in den letzteren
ein Körperchen zu unterscheiden. Nach einer Viertelstunde
sah man ausser runden auch noch ovale Zellen und freie
Kerne. Nach einer halben Stunde nahm die Menge der
letzteren zu und man konnte schon die Uebergangsformen
zu Eiterkörperchen unterscheiden, indem die Kerne auf
Zusatz von Essigsäure zwei, drei Körperchen zeigten.
Nach V« Stunden kann man noch diese Uebergangsformen
beobachten, indem nach der Theilung des Kernkörper-
chens in drei Theile der Kern anfing sich abzurunden
und ein Eiterkörperchen darbot Nach einer Stunde sah
man schon eine Menge Eiterkörperchen mit 4, 5, 6, 7
Kemkörperchen und zerstörten Epitbelialzellen.
Nach allen diesen Kesultaten könnte man die Ent-
stehungsweise der Eiterkörperchen auf folgende Weise
sich erklären. Anfangs wird der Zelleninhalt trübe, die
Kerne theilen sich; später aber nehmen die oberfläch-
lichen Epitbelialzellen eine kugelige Gestalt an, die tie-
feren eine ovale. Die Zelle selbst geht zu Grunde, indem
ihre getrübten Kerne frei werden und nach 20 Minuten
ungefilhr 2, 3 bis 4 Kemkörperchen nach Essigsäurezusatz
zeigen. Um die Formveränderungen der Zellen wo möglich
zu erhalten, habe ich meine Untersuchungen mit Glycerin
angestellt, das ausserdem noch die Eigenschaft hat, das
AfchlT IBr Ophthalmftlogia. ZI. t. 10
146
Gewebe durchsichtig zu machen, so dass Eiterkörperchen
schon ohneZuthat von Essigsäure zu unterscheiden sind.
Um mich zu überzeugen, welche Rolle die von mir noch
beobachtete Theilung des Zelleninhaltes bei der Bildung
der Eiterkörperchen spielt, habe ich zu verfolgen mich
bemüht, welches Schicksal eigentlich den Zelleninhalt trifit
Das Resultat war nun der Art, dass mit der Zer-
störung der Membrana auch der Zelleninhalt in eine
Detritus-Masse verfiel und keine geformte Gestalt mehr
annahm. — Es würde auch hier am Orte sein, sich die
Frage aufzuwerfen, auf welche Weise man sich die Thei-
lung des Zelleninhalts zu Stande kommend denken kann.
Nach meiner Erfahrung über die Wirkung der Arznei-
stoffe auf die Co^junctivalschleimhaut könnte ich mich
dahin aussprechen, dass auf den leichten Reizzustand^
den eine Alaunlösung (5 Gr. auf 5j W.) oder eine Prä-
cipitat-Salbe (5 Gr. auf 5j Fett) hervorrufen,, eine Theilung
der Kerne beginnt, hierauf eine Theilung der Zellen, die
dann zwei junge Epithelialzellen darstellen. Die Form
der Epithelialzellen bietet keine sichtbare Veränderung;
die Kerne sind glänzend, ihr Volumen nicht vergrössert^
un Gegentheil, es nimmt ab. Dennoch, wenn eine stär-
kere Lösung einwirkt (z. B. Arg. nitr. 5 Gr. auf .^j)^
runden sich die Zellen ab, der Druck in ihrem Innern
nimmt bedeutend zu, so dass die Kerne gegen die Mem-
brana hin sich abplatten.
Wenn nun auch das Innere der Zellen schwach an-
gedeutete Abgrenzungen zeigt, so habe ich die ovalen
und runden Zellen selbst sich nicht theilen sehen, so
dass der Schluss gestattet ist, dass die Zellen den grössten
Theil ihrer Vitalität und damit auch die Fähigkeit, zu
proliferiren, eingebüsst haben und nur eines regressiven
Prozesses, einer Destruction fähig sind.
Zwei Fälle von intraocnlaren Cystioerken mit
SectionBbefiind.
Von
J. Jacobson.
I.
iJie 20jährige Bertha U., seit 6 Jahren unregehnässig
menstruirt, hat in ihrem 19. Lebensjahre eine Frühgeburt
überstanden; sie ist von ziemlich kräftigem Körperbau
und gesunder Gesichtsfarbe, frei von nachweisbaren
Krankheiten der Brust- und Yerdauungs- Organe. An
Bandwurmbeschwerden will sie nie gelitten haben; eine
in der Klinik eingeleitete antihelmynthische Kur war re-
sultatlos. Aus den ungenauen und namentlich chrono-
logisch wenig zuverlässigen Angaben der Kranken ist
hervorzuheben, dass sie wiederholt an sogenannten Kopf-
entzündungen (?) behandelt worden ist, die unter heftigen
Schmerzen auftraten und bewusstlose Zustände zur Folge
hatten; die beiden letzten Anfalle, die sich durch rechts-
seitigen Stimschmerz auszeichneten, fielen in den August
und September 1864; bei dem letzten zeigten sich Stiche
im rechten Auge, die Veranlassung zu einer Sehprfifang
gaben. Patientin bemerkte in der Richtung des direkten
Sehens eine dunkle Stelle, die in den nächsten Tagen
weniger grell hervortrat, weil das ganze Gesichtsfeld
10»
148
tr&ber geworden war. Ohne weitere Schmerzen, ohne
entzündliche Erscheinungen, ohne subjective Licht- oder
Farben-Empfindung trabte sich das Gesicht allmälig mehr
und mehr bis zum 28. December, dem Tage ihrer Vor-
stellung in meiner Klinik.
Die Untersuchung der Augen ergab folgendes Re-
sultat: links äussere Oberfläche, Cornea, vordere Augen-
kammer normal, Iris blau, Pupille mittel weit, rund, gut
reagirend, brechende Medien, Hintergrund normal, S 1,
Fa>, N3" — rechts äussere Oberfläche, vordre Kammer,
Cornea normal, Iris blau, Pupille mittelweit, rund, gut
reagirend, S kaum Vioo, im Gesichtsfelde nach unten
und wenig nach innen ein ellypüscher Defect, der überall
von empfindenden Netzhautpartien umgeben ist. Mit dem
Augenspiegel finde ich die Linse durchsichtig, im Glas-
körper einzelne punktförmige, sehr bewegliche Opaci-
täten, die Papilla optica stark geröthet, ihre Con-
touren nicht vollkommen scharf, Gefässe scheinbar nor-
mal, Retina nicht überall vollkommen durchsichtig, an
einzelnen Stellen bei auffallendem Lichte silbergrau re-
flectirend, ihre Gefasse bis in die kleinen Aeste an der
Peripherie sichtbar und mit Ausnahme des zu beschrei-
benden circumscripten Krankheitsheerdes normal, keine
Haemorrhagieen, keine weissen Plaques, Chorioidea
149
stark pigmentirt, wie am gesunden Auge. Untersuchte
ich im umgekehrten Bilde die unter dem Opticus liegende
Hälfte des Augenhintergrundes, so fiel mir eine ellyptische,
mit der längeren Achse von oben nach unten sehende
Figur etwa von der Farbe des Eigelb in's Auge, deren
Ausdehnung zu gross war, um sie auf einmal in dem
durch den Spiegel beleuchteten Felde zu übersehen. Sie
begann unter der Papille, um die Breite derselben von
ihr entfernt, war etwa 5 — 6mal so lang und an der brei-
testen Stelle in der Mitte etwa 3mal so breit, setzte sich
vollkommen scharf gegen den umgebenden Hintergrund
ab und prominirte gegen den Glaskörper. Ihren Ueber-
zug bildete die durchsichtige Retina, deren Gefassstänune
nicht die geringste Abnormität erkennen Hessen; hätte
man nicht an den Rändern die grossen Bogen gesehen,
die die Gefässe beschreiben mussten, um in das Niveau
der gelben Figur zu gelangen, man würde aus ihrem
sonstigen Verhalten keine Andeutung von einer Disloca-
tion der Netzhaut erhalten haben. Unter der Retina lag
die undurchsichtige, gelbrothe, anscheinend glatte, von
blassrothen grösseren und kleineren Gefilssstämmen durch-
zogene Oberfläche des rundlichen, in das Innere des Auges
frei hineinragenden Körpers.
Die Kranke wurde zur weiteren Beobachtung in die
Klinik aufgenommen und häufig untersucht Um die
Schilderung des Verlaufes nicht zu weitschweifig zu machen,
beschränke ich mich darauf, nur die wichtigsten Verän-
derungen, wie sie der Reihenfolge nach wahrgenommen
wurden, mitzutheilen, und bemerke, dass für alle Orts-
bestimmungen die Lage im umgekehrten Bilde beibehalten
worden ist.
Vom 28. Dec. 1864 bis 6. Januar 1865 zuneh-
mende Sehschwäche, periodische Stiche in Stirn und Auge,
geringe Zunahme der Glaskörperflocken; am
inneren Ende des horizontalen Durchmessers verliert die
150
kranke Stelle ihre scharfe Contour, indem sie nnmittel*
bar in einen etwas tiefer liegenden, weissen Appendix
von rundlicher Form und wenig mehr als Opticus-Grösse
übergeht — Am 15. Januar Schmerz im Auge, neue
plötzliche Verdunklung, bedeutende Yergrösserung des
Gesichtsfeld-Defects nach innen, so dass seine jetzige
Form unregelmässig querellyptisch geworden ist Der
Augenspiegel zeigt, dass die aussen an die kranke
Stelle grenzende Retina undurchsichtiger ge-
worden und von einer grossen Zahl hellgrauer,
rundlicher Flecken durchsetzt ist; dicht über der
macula lutea liegen vereinzelte, weisse Pünktchen. —
23. Januar totale Erblindung bis auf qualitative Licht-
empfindung im obern Gesichtsfelde unter lebhaftem Supra-
orbital-Schmerz. — Im Glaskörper finden sich neben
den oben erwähnten Opacitäten einige continuirliche, stark
flottirende Membranen, die nach hinten zu festsitzen
und bei verschiedenen Bewegungen des Auges sich viel-
fach zusammenlegen und wieder entfalten, so dass sie die
Einsicht auf den Opticus zwar fast vollständig aufheben,
aber noch eine genaue Beobachtung der prominirenden
Stelle gestatten. Die am 15. Januar beschriebene Netz-
haut-Trübung ist verschwunden; anstatt ihrer gewahrt
man einen quer-ellyptischen, hellblauen, in das
151
Auge hineinragenden Körper, dessen am weitesten
nach vorn liegende Mitte weisslich glänzt; er setzt sich
von oben, unten und aussen scharf gegen den Augen-
hintergrund ab, nach innen geht er durch ein etwas
schmaleres Zwischenstück in die unveränderte, von An-
fang an beobachtete Figur über, der er an Grösse un-
gefthr gleich kommt. Sein Niveau ist das der gelben
a) Papilla optica.
b) Gelber tnmor mit dem weiBtlichen Appendix c.
d) Cyiüoereas.
e) OelbUohes Zwiscbenstttok.
Figur, seinen Ueberzug bildet die durchsichtige, von rothen
Geissen durchzogene, mit einer grossen Zahl von Blut-
punkten besprengte Retina. — 29. Januar. Photopsieen,
geringe Verbesserung des Gesichts im obem Theile des
Sehfeldes. Die Apoplexieen der Retina sind verschwun-
den; aus der weissen Mitte der blauen Blase, an der
bisher keine Bewegungen mehr wahrgenommen werden
konnten, hat der Cysticercus seinen glänzend weissen
Hals und Kopf, dessen Saugnäpfe deutlich sichtbar sind,
unter der Retina in die Höhe gestreckt. Während einiger
Stunden, in denen mehrere Untersuchungen angestellt
wurden, blieb das Bild unverändert In den nächsten
Tagen blieb Hals und Kopf meist eingezogen; mitunter
traten sie im Laufe einer Beobachtung auf wenige Augen-
blicke hervor, um sehr bald wieder zu verschwinden. —
Den 7. Februar. Heftige Giliar-Schmerzen während der
Nacht, subconjunctivale Injection, Trübung des humor
152
aqueos, Yerftrbang der Iris, erhebliche Consisteiiz- Ab-
nahme des Bulbus, Erblindung bis auf wenig Lichtschein.
Der am Abend vorher noch unverändert befundene Glas-
körper ist durch dichte, graue Trabungen so weit un-
durchsichtig geworden, dass aus der Pupille kaum noch
ein rother Reflex dringt und eine genaue Untersuchung
des Cysticercus und seiner Umgebung unmöglich ge-
macht ist.
Enucleatio bulbi am 8. Februar.
Das Auge wurde in frischem Zustande von Herrn
Prof. V. Recklinghausen untersucht und das folgende
Protocoll dictirt, dem nachträglich noch einige Ergän-
zungen hinzugefügt worden sind.
Sectionsbefund. Das ganze Auge ist ziemlich
schlaff; an der Cornea, Iris, Linse ist nichts Besonderes
zu sehen; die Eröffnung des Auges geschiebt in einer
Ebene unmittelbar hinter dem corpus ciliare. Der Glas-
körper zeigt ziemlich iu der ganzen Ausdehnung eine
Trübung, welche sich auflösen lässt in ein ganz zartes,
weissliches Netzwerk, welches wiederum nach links und
oben in einen etwas dichten Filz zusammengeht, der
einen dünnen, bis zum Gipfel des Gysticercus-Tumor
reichenden Strang darstellt; sonst ist die Flüssigkeit des
Glaskörpers ziemlich farblos und transparent. Die Glas-
körpertrübungen zeigen bei der mikroskopischen
Untersuchung: 1) ein ganz feines Netzwerk ausserordent-
lich feiner Fasern, welche entsprechend den Balkcheu
des erwähnten Netzwerkes sich dichter verfilzen, 2) zahl«
reiche Körper von ausserordentlich wechselnder Form.
Letztere erscheinen meistens als Körper mit zahlreichen,
sehr langen, wurstförmigen Ausläufern von der verschie-
densten Dicke, oft mit kolbig angeschwollenen Enden;
die Ausläufer verästeln sich stellenweise und treten mit
einander in Berührung; einzelne Körper glänzen stark
153
und erscheinen ziemlich rundlich. Bei längerer Fixirung
eines und desselben Eörperchens sieht man, trotzdem
das Object mit dem Deckglase bedeckt ist, spontane,
deutliche Formveränderungen.*) Unter ihnen sind noch
besonders zu bemerken einzelne mit doppelten Contouren,
herrührend von einem fiist die ganze Zelle einnehmenden
Brutraume; sie schicken von ihrer Oberfläche sdir zahl*
reiche, ganz feine, verästelte Ausläufer aus. Entsprechend
den Bälkchen des Netzwerkes liegen auch die zelligen
Kerne viel dichter. — Der Cysticercus selbst bildet
einen etwa erbsengrossen Tumor, dessen äusserster Rand
nach links ungefähr 8 Millimeter von der papilla optica
entfernt ist; der dazwischen liegende Raum ist von einer
im Ganzen gelblichen Masse eingenommen, die an der
Oberfläche besonders den gelblichen Stellen entsprechend
Unebenheiten besitzt und von Blutgefässen durchzogen ist
Der Tumor, der im grössten Theile ziemlich durchschei-
nend ist, lässt auf seinem Gipfel einen weissen Punkt
erkennen; im Uebrigen ist seine Oberfläche mit ganz
geringen Trabungen versehen und mit feinen Blutgefässen
überzogen. An den Randtheilen des Cysticercus-Tumor
ist das Gewebe sehr weisslich und geht besonders nach
unten unmittelbar in eine grössere ziemlich gleichmässige,
weisse Trübung der Retina über. Nach oben zu erhebt
sich von den Randtheilen der Blase aus die etwas getrübte
Retina zu einer etwa VW* hohen Falte. — Die Netzhaut
lässt sich entsprechend dem Cysticercus vollkommen leicht
ablösen, ohne dass dieser einreisst Die ganze Masse
bildet alsdann einen nach der Chorioidea vorragenden
Buckel und zwar ist die Oberfläche desselben an sich
weiss geftrbt, getrübt; die mikroskopische Untersuchung
zeigt darin Anhäufung von dichten, meist kugligen Zellen,
welche mit sehr stark Licht brechenden, aber farblosen
*) ofr. Iwaaoff in Gr.: AtoMt XI a p. 164—67.
154
Köradien ganz ausgefüllt sind und im Ganzen die Grösse
und Anordnung des Chorioidal-Epithels besitzen, ohne
aber die polygonale Gestalt erkennen zu lassen; zwischen
ihnen finden sich ganz kleine runde Zellen. Auf der
Höhe des Buckels liegt ein brauner Fleck, welchem »t-
sprechend an einer ungefähr linsengrossen Stelle der
Chorioidea das Pigment fehlt; der Fleck zeigt unregel*
massige Anhäufungen von braunem Pigment, so dass nur
hie und da Aehnlichkeit mit ChorioidalPigment vorhan-
den ist. Aus dem ganzen Tumor, der erst bei Anwen-
dung einiger Gewalt einreisst, kann man die Cysticercus-
Blase selbst intact isoliren; sie nimmt auf einem Object-
glase eine flache, linseufSrmige Gestalt an von einem
Breiten-Durchmesser von VU Mm.; der Kopf tritt erst
nach mehrfachem Drücken hervor, zeigt einen sehr schö-
nen Hakenkranz und Saugnäpfe, in dem stark contra-
hirt^ Halse zahlreiche Kalkkörper. Nach Entfernung
der Blase bleibt in dem Tumor eine Höhle, deren hintere
Wand von dem erwähnten weissen Gewebe gebildet wird;
innen ist sie mit einer weisslichen, dicken, zähen, puri-
formen Flüssigkeit bedeckt, die sich mikroskopisch ans
rundlichen, mit ganz kleinen Fetttiöpfchen erfüllten,
kleinen Eiterkörperchen zusammengesetzt zeigt; die
Aussenwand lässt sich noch über den Buckel hinaus
zwischen Retina und Chorioidea verfolgen und zeigt hier
deutlich, dass die erwähnten, mit stark glänzenden Köm-
chen gefüllten Zellen dem Chorioidal- Epithel entsprechen;
in einer derselben ist deutlich Pigment enthalten; zwi-
schen ihnen liegen rundliche Eiterkörperchen. Bei wei*
terem Abheben der Retina zeigt sich, dass der weissgelbe
Fleck mit der Chorioidea an einer vollständig kreisrun-
den, 5 Mm. im Durchmesser enthaltenden Stelle zusam-
menhängt; hier erscheint die Chorioidea feist rein grau,
die sternförmigen Pigmentzellen sind noch gut erhalten,
aber sonst in dem Gewebe eine Einlagerung von ganz
155
kleinen Zellen vorhanden. Bei dem Versuche, die Ver-
wachsung von der Chorioidea abzulösen, reisst sie au
einer kleinen Stelle ein und es entleert sich ein grünlich
weisser, zäher Eiter, der mikroskopisch fettig degenerirte
(mit Fetttrftpfchen gefüllte) Eiterkörperchen enthält. Die
mit der Chorioidea verwachsene Schicht dieses Eiter-
heerdes besteht aus einem Fasergewebe mit eingelager-
ten, kleinen Zellen — von Retina keine Spur, also wohl
eine neugebildete Membran. — Nach dem Erhärten in
Alcohol lässt sich nachweisen, dass die Höhlenwand des
Cysticercus aus einem zellenreichen Gewebe besteht, dass
sie aber an der Vorderfläche des Tumor continuirlich in
die Retina übergeht. Hier verdünnt sie sich allmälig
nach dem Gipfel zu und besteht aus einem fasrigen Ge-
webe mit eingelagerten jungen Zellen und neu gebildeten,
namentlich nach der Peripherie hin ziemlich dichten Ge-
fäfiseo« Auf dem Gipfel hat sie höchstens ein Drittel der
Dicke einer normalen Retina; erst ganz an der Peripherie
lassen sich innerhalb der Netzhaut normale Bestandtheile
derselben erkennen.
Ich habe den Sectionsbefund in der Reihenfolge mit-
getheilt, wie er sich bei der vom vordem Abschnitt des
Gkiskörpers über den Cysticercus nach der Opticusgegend
fortschreitenden, anatomischen Untersuchung ergab. Durch
Vergleicbung desselben mit den ophthalmoskopisch beob-
achteten Erscheinungen komme ich zu folgendem Krank-
heitsbilde:
Der ungefähr im September unter starkem Ciliar-
schmerz und plötzlicher Obnebulation des Gesichtes ins
Auge eingewanderte Cysticercus hatte seinen Sitz kurz
über der Eintrittsstelle des Sehnerven zwischen Chorioi-
dea und Retina genommen. Hier wai* er, wie der Ende
December aufgezeichnete Gesichtsfeld-Defect ergab (Fig. I),
3 Monate geblieben und hatte sich mit einer gelben Kapsel
156
umgeben, deren vordre Halbkugel eine weiche, stark
vascularisirte Masse darstellte, während die hintepe ein
mit der Chorioidea fest verwachsenes Fasergewebe bildete,
bei dessen Zerreissung einige Tropfen Eiter sichtbar
wurden. Die grossen Netzhautgefässe waren Aber der
Kapsel erhalten, von anderen Netzhautelementen nichts
nachzuweisen. — In den nächsten 14 Tagen deuten die
verhältnissmässig häufig auftretenden Stiche im Auge
selbst und die weiter ausstrahlenden Giliarschmerzen auf
einen fortschreitend entzfindlichen Process, der ophthal-
moskopisch durch kleine Veränderungen an der Grenze
des Cysticercus und durch reichlichere Glaskörpertrü-
bungen bestätigt wird. In dieser Zeit tritt der Cysti-
cercus aus seiner alten Höhle heraus und nimmt seinen
Sitz unmittelbar daneben nach der Nasenseite des Auges
zu ; er ist in seiner Gestalt noch nicht kenntlich, weil er
von undurchsichtiger, mit grauen Flecken durchsetzter
Betina bedeckt ist Acht Tage darauf ist die Retina-
Trübung fort, der Cysticercus liegt frei zu Tage, an sei-
ner dem Glaskörper zugewandten Oberfläche von Netz-
hautgefässen und einer Anzahl Apoplexien bedeckt, welche
letztere sich in wenigen Tagen resorbiren. Gleichzeitig
hat sich eine Anzahl neuer Membranen im Glaskörper
gebildet Neun Tage darauf beginnt unter entzündlichen
Erscheinungen und sehr acut auftretenden Trübungen
des Glaskörpers die Bildung einer Membran um das
Kntozoon, zu der vorzugsweise die Epithelschicht der
Chorioidea und die äusseren Retinaschichten herangezogen
werden. — Vergleicht man die Angaben über den mikro-
skopischen Bau der alten und der neuen Umhüllungs-
kapsel des Cysticercus, so unterliegt es keinem Zweifel,
dass man es mit ganz analogen Vorgängen zu thun hat;
die letzte Membranbildung konnte kaum 24 Stunden alt
sein, denn einen Tag vor der enucleatio bulbi hatte man
157
noch den hellblauen Reflex des unbedeckten Cysticercus
ophthalmoskopisch constatirt.
Von •phthaiMtUpbdmi tatcrase ist:*) 1) Das Bild
einer undurchsichtigen, gelben, vascularisirten
Cysticercus-Kapsel, so viel ich weiss, das einzige
bisher beobachtete. Es scheint zu den Seltenheiten zu
gehören, dass der Cysticercus sich gleich von vom herein
durch entzündliche Vorgänge im Auge bemerkbar macht;
die Regel ist, dass nach Monate bis Jahre langem Ver-
weilen desselben die sogenannte Iridochorioiditis mit
amotio retinae entsteht und dass man endlich im enu-
deirten Auge dann das Entozoon von gelben Schichten
umgeben findet. In unserm Falle hat wahrscheinlich bald
nach der ersten Einwanderung und jedenfalls wenige Tage
nach der Uebersiedelung des Cysticercus ein durch Stiche
und Glaskörpertrübungen markirter Entzündungsprocess
begonnen, der schliesslich die zur Kapselbildung nöti-
gen Producte geliefert hat. 2) Das Verhalten der
Netzhaut über dem ausgewanderten Cysticer-
cus. An&ngs war sie trübe, verdickt, mit grauen Punkten
durchsetzt (vielleicht die von v. Gräfe beschriebenen und
abgebildeten grünlichen Flecken im Augenhintergrunde),
dann wurde dieselbe Stelle absolut durchsichtig, nur
durch grosse Gelasse noch als Retina kenntlich (ähnlich
wie V. Gräfe an verschiedenen Fällen die HttUmembran
beschreibt), und endlich begann der entzündliche Wuche-
rongsprocess. 3) Das Verhalten des Glaskörpers.
Bei der ersten Vorstellung der Kranken nach beendeter
erster Einkapselung war das corpus vitreum ziemlich frei
von Opacitäten; erst mit beginnender Wanderung des
Cysticercus traten periodische Obscurationen unter leicht
*) üeber die genanen ophthalmoskopischen Befände in Betreff des
Aassehens des Cysticercus und seiner Kapsel vergleiche in diesem Ar-
ohiT die Arbeiten t. OrSfe's in Bd. 1, 2, 3, 4, 5, 7; die Fille fon
Buch nnd Nagel in Bd. 4 o. 5.
158
entzündlichen Symptomen ein; nicht von allen membra*
nösen Verdunkelungen konnten Verbindungsstränge bis
direct auf die Blasenwand nachgewiesen werden, wohl
aber sehr deutlich von der zuletzt gebildeten intensiv-
sten, wie es aus dem mikroskopischen Befunde hervor-
geht. — Man wird vielleicht annehmen dürfen, dass un-
mittelbar nach der Einwanderung des Entozoon der
Glaskörper trüber gewesen (die Kranke erzählte, dass
der von vom herein beobachtete, umschriebene Gesichts-
feld-Defect später weniger bemerkbar gewesen sei, weil
sich sehr bald Alles neblig getrübt habe), dass er «cfa
im Laufe der ersten Monate aufgehellt und erst wieder
verdunkelt hat, als mit den Bewegungen des Cysücercas
ft'ische Reizzustände geschaffen wurden.
IL
Wilhelmine G. aus Elbing, 18 Jahre alt, wurde
am 14. Februar in meine Klinik aufgenommen. Sie will
bis vor einem Jahre beiderseits gut gesehen haben, dann
sei plötzlich mitten im rechten Gesichtsfeld ein grosser,
schwarzer Fleck entstanden, bald darauf habe das Auge
von Zeit zu Zeit sich geröthet, gethränt und geschmerzt,
in den ersten Monaten sei das Sehvermögen noch aus-
reichend gewesen, um grosse Buchstaben zu erkennen,
seit dem Sommer sei totale Erblindung eingetreten,
trotzdem seien die Entzündungen immer häufiger und
heftiger geworden. Genaue, anamnestische Angaben waren
trotz mühsamem Examen nicht zu erhalten.
Die Patientin ist von kräftiger Constitution, hat nie
an Bandwurm gelitten; sie ist bei ihrer Vorstellung fie-
berfrei und klagt nur über massigen Supraorbitalschmerz
rechts und leichte Blendung. Die Untersuchung des
kranken Auges ergiebt folgendes Resultat: absolute,
quantitative Amaurose — Augenlider normal — Lidspalte
159
schmal wegen geringer Verkleinerung des Augapfels —
Consistenz desselben vermindert — Sclerotica in der
Umgebung der Cornea hellroth ipjicirt, Conjunctiva leicbt
hyperaemischf keine Chemosis, — Cornea an der hintern
Wand unten fein punktirt, — vordre Kammer klräi,
aussen unten fast angehoben , auf ihrem Boden ein nie-
driges Hypopion, — Iris aussen unten buckelformig her-
vorgetrieben, bis zur Transparenz verdönnt, überall sebr
straff gespannt, Farbe graugrün, w&hrend die gesunde
hellblau — Pupille etwas erweitert, ohne Beaction — der
zackige Pupillarrand der Iris adhärirt überall der Linsen-
kapsel und steht mit einem grauweissen, durchscheinen-
den Kapselbelag in Verbindung, in welchen sich Gefltose
aus der Iris hinein verfolgen lassen — Linse normal —
Glaskörperraum von einer gelben, geftsslosen, gleicharti-
gen Masse erfüllt, die aussen unten durch die hervor-
getriebne Iris durchschimmert, im übrigen Augapfel aber
erst hinter der Linse zu beginnen scheint Mit dem
Augenspiegel erhält man keinen weitem Aufschluss über
die Beschaffenheit derselben; nur eine knopfißirmige, an
der Schläfenseite oben liegende Stelle ist etwas stärker
gelb gefärbt, als das übrige Innere des Auges.
Enucleatio bulbi am 15. Februar 1865.
Herr Prof. v. Becklinghausen hat das Auge unmittel-
bar nach der Exstirpation, später in Alkohol erhärtet
untersucht und folgenden Bericht gegeben (s. Tafel IL
Fig.V}: Der ganze Bulbus ist etwas verkleinert, an der
Descemet'schen Haut Eiter, die Linse weich und durch-
sichtig, mit der Linsenkapsel setzt sich eine weisse
Schicht bis in die hintere Augenkammer fort (a), welche
die Iris an die Linsenkapsel löthet und in der Pupille
mit einer zweiten, auf der Vorderfläche der Iris gelege-
nen Auflagerung verschmilzt (b). Ihre Substanz besteht
aus Fibrin mit eingelagerten Eiterkörperchen. — Der
160
Olaskörperraum ist eingenommen von einem ziemlich
festen, weisslichen Oewebe, in welchem aussen hinter der
Linse eine etwas über erbsengrosse Höhle ohne selb-
ständige Wandung sich befindet; die Innenfläche der
Höhle ist mit eingedicktem, weisslichen Eiter bedeckt;
in ihr liegt vollständig frei eine erbsengrosse Blase (c)
mit klarem Inhalt und weisslicher, durchscheinender Wand,
von welcher ein rttsself&rmiger, ausserordentlich derber,
weisser Körper nach innen hineinragt, der sich auf keine
Weise hervorstülpen lässt.-: Die mikroskopische Unter-
suchung desselben zeigt, dass er den quer geränderten
Hals eines Cysticercus — bestehend aus einer fein
punktirten Substanz mit zahlreichen Kalkkömern und
hyaliner Begrenzungsfläche — darstellt, ohne dass aber
an dem Kopfe auch nach dem Zerzupfen deutliche Saug-
näpfe oder eine Spur von Haken zu erkennen wären.
Die Blasenwand ergiebt eine sehr dichte Einsprengung
mit Fetttröpfchen in der verschiedensten Grösse. — In
der unmittelbaren Nähe der Cysticercushöhle ist das
erwähnte, weisse Gewebe (d) sehr derb und besteht
aus festem Bindegewebe mit jungen Zellen. Dann findet
sich an der äusseren Peripherie jenes Gewebes eine zweite,
sehr derbe, etwas durchscheinende, wohl der Netzhaut
entsprechende, Va Mm. dicke Schicht (e), welche sich
ebenfalls aus sclerotischem Bindegewebe mit relativ spär-
lichen, zum Theil in fettiger Metamorphose begriffenen
Zellen aufbaut. Diese Schicht geht an der Schläfenseite
des Auges unmittelbar in die Cysticercushöhle über, an
den übrigen Theilen findet sich zwischen beiden derben
Schichten eine weichere, weniger durchscheinende Sub-
stanz, welche mikroskopisch zahlreiche Eiterzellen und
ein ziemlich homogenes Grundgewebe darbietet (g). Die
äussere, derbe Schicht ist mit dem Opticus-Eintritt nicht
mehr in Verbindung, schickt aber einen kegelförmigen
Fortsatz nach demselben aus. Die Chorioidea ist von
161
der Netzhaut durch wenig trübe Flüssigkeit getrennt,
selbst etwas trübe; neben dem Opticus trägt sie eine
randliche, weisse, leicht verdickte, 5 Mm. breite Stelle,
die der Cysticercushöhle gerade gegenüber liegt, wie in
dem Falle von Alfred Gräfe; ihr entspricht an der Aussen-
fläche der Netzhaut eine Vertiefung. — Nach dem Er-
härten in Alkohol lässt sich auf der äusseren Fläche der
äusseren, derben Membran eine dünne, zarte Haut ab-
heben, welche ein etwas fasriges, in Essigsäure ganz
durchsichtig werdendes Gewebe mit zerstreuten Eiter-
körperchen, braunen Pigmentzellen und Häufchen von
Fetttropfen enthält Von den Retina- Elementen Hess sich
weder in ihr, noch in der derben Schicht irgend eine
Spur nachweisen.
So viel ich weiss, ist dieses die 4te Beschreibung eines
durch Cysticercus subretinaUs zu Grunde gegangenen
Auges; die drei früher publicirten Fälle rühren von Al-
fred Gräfe (Zehender's Monatsblätter 1863 pag. 242), von
Solberg Wells (Ophthalmie hospital reports Bd. III p. 324)
und von v. Gräfe-Schweigger (Archiv VII 2 p. 53 sq.).
Der Fall von Alfred Gräfe ist am wenigsten zu pa-
thologisch-anatomischen Zwecken bearbeitet worden. Es
handelt sich um eine Cystenbildung in der abgelösten,
nach vom gedrängten, fibrös entarteten Retina, welche
letztere an einer in der Nähe des Opticus gelegenen
Stelle mit der Chorioidea fest verwachsen war. Die Cyste
enthielt den Cysticercus, die Cysten -Wandungen waren
derb, in einem ihnen entnommenen Stückchen war keine
Retina nachzuweisen. Von Glaskörper, von subretinaler
Flüssigkeit erfahren wir Nichts; Sclera und Chorioidea
schienen normal zu sein.
Der Fall, den Solberg Wells beschrieben, ist von
Dr. Bader untersucht worden. Die Abbildung zeigt eine
totale zusammengeklappte amotio retinae, strangförmig
ArahiT für Ophthalmologie. XL S. 11
162
vom Opticus zur Mitte der tellerförmigen Grube ziehend.
Nur aussen oben zwischen processus ciliares und aequa-
tor bulbi ist eine Falte hängen geblieben, hinter der sich
ein Cysticercus barg; Genaueres über die Lageverhältnisse
ist nicht angegeben („I was unable to trace the relatiop^
between the Cysticercus, the retina and the fluid which
had led to its vesicular elevation''). In dem frflher vom
Glaskörper eingenommenen Räume war eine gelbliche
durchscheinende Substanz von viel grösserer Consistenz,
als das corpus vitreum; in ihr fanden sich granula von
unbestimmter Beschaffenheit, Capillargefasse und viel
Kalkkörner (nach Bader Reste zerstörter Cysticerci?).
In dem sehr genau untersuchten Fall von v. Gräfe-
Schweigger lag der Cysticercus zwischen Chorioidea und
Retina, an seiner Glaskörperseite unmittelbar von der
Retina und weiter nach innen von einer Anzahl über
einander geschichteter, vascularisirter Membranen um-
geben, an der Scleralseite von eben solchen Membrwen
eingehüllt.*) Die Retina war trichterförmig abgelöst und
streckweise über dem Cysticercus nicht mehr zu finden
(Schweigger denkt an mögliche Perforation), Chorioidal-
Stroma in der Nähe des Cysticercus in Eiterung, in der
Umgebung Veränderungen in den Zellen des Epitels und
Stromas, Eiter auf den processus ciliares und der Zonula
Zinna.
In unserm Falle endlich handelt es sich um gewisse,
membranartig durch das ganze Auge ausgebreitete Neu-
bildungen von Bindegewebe, die eine Dicke von ^i% Mm.
erreichen, theils die Cysticercushöhle umgeben, theils das
Innere des Auges auskleiden (ähnlich wie Gräfe's fibrös-
*) Ich bemerke gelegentlich, datt ich ein Präparat einet phthisi-
schen Äuget besitze, das wegen amblyopia tympathica enacleirt wurde;
in ihm fand sich unerwarteter Weite ein Ojtticeront Yon 5 Linien LSnge
in eine Menge oonoentritche Schichten eingehttUt. Die Retina war total
strasgformig abgelöst.
163
degenerirte Retina) *)| — ferner um eine zwischen diese
Membranen eingeschaltete dorchscheinende Substanz,
welche ein ziemlich homogenes Grundgewebe und zahl-
reiche Eiterzellen darbietet — dann am hintern Pole des
Auges um eine 5 Mm. breite Verwachsung zwischen Be-
tina und Chorioidea und endlich um Produkte frischer
Iritis. — Eine Betina ist nicht nachgewiesen worden;
ein kleiner Strang ging vom Opticus zu einer gelben
Membran hin, dann verloren sich die Spuren.
Manche Verschiedenheiten in den anatomischen Be-
funden lassen sich wohl durch die verschiedene Dauer
der Erkrankung erklären; nach Wells war der Cysti-
cercus seit 6, nach Gräfe seit mindestens 9 Monaten,
nach V. Gräfe-Schweigger länger als ein Jahr im Auge,
in meinem Fall vielleicht eben so lange. Es scheii^
dass sich die membranartigen Bindegewebsschichten um
so zahlreicher vorfinden, je länger der entzündliche Pro-
cess im Auge gespielt hat. — Schweigger und Bader
fanden die Retina trichterförmig abgelöst, vom Corpus
vitreum war nichts oder höchstens einzelne Spuren ähn-
lichen Gewebes nachzuweisen. Die Füllungsmasse des
Augapfels befand sich also in dem Räume, welchen der
Glaskörper früher eingenommen hatte; wo sie herrührt,
ist schwer zu bestimmen; die Chorioidea, die man sich
gewöhnt hat für alle Exsudationen in das Innere des
Auges klinisch heranzuziehen, hat sich in den 4 obdu-
cirten Augen im Wesentlichen wenig betheiligt gezeigt;
mau wird nicht umhin können, die durch den wandern-
den Cysticercus in Entzündungszustand versetzte Retina,,
das seine Kapsel darstellende Bindegewebe und vor Allem
*) Leider ist über diese fibrdse Entartoog nichts Genaueres gesagt,,
so dass wenigstens der Vermuthiing Spielranm bleibt, dass man es mit
bindegewebigen Neubildungen su thun habe, in denen die Netsbaut.
lange zu Grunde gegangen.
11*
164
die zelligen Elemente des Glaskörpers*) als Gebilde an-
zusehen, die an der entzündlichen Wucherung frühzeitig
Antheil nehmen. Auf diese Weise erklären sich vielleicht
die langen, intraocularen Entzündungen und massenhaften
Produktbildungen bei wenig oder gar keinen Schmerzen,
bei fehlender ScleraMnjection. Wenn der Cysticercus
weiter nach vom tritt, dann erst ändert sich das klini*
sehe Bild mit dem anatomischen: dann tritt subconjunc-
tiyale Injection, mehr oder weniger Schwellung des Binde-
gewebes um den Comealrand, Trübung der Descemet'schen
Haut, Hypopion, Synechia posterior, fibrinöse und eitrige
Massenbildung in der Pupille auf (der Symptomencom-
plex der sogenannten Iridochorioiditis purulenta), oder
das Bild wird ähnlich dem des Glaucom (Fall von Bader).
In beiden Fällen findet man die ursprünglichen intra-
ocularen Veränderungen (Bildung starrer, gelber oder
gelbweisser Massen im Glaskörperraum) combinirt und
mitunter verdeckt durch Krankheitsprodukte, welche von
weiter nach vorn gelegenen Theilen des Auges geliefert
sind, in deren Nähe der Cysticercus erst in letzter Zeit
eingedrungen ist.
Zum Schluss noch einige Worte über die Diagnose!
V. Gräfe hatte ursprünglich in seinem Falle eine einfache
Chorioiditis purulenta angenommen, — Bowman, der das
von Solberg Wells beschriebene Auge exstirpirt hat, war
zweifelhaft, was für eine Art von intraocularem Tumor
er vor sich habe, — Alfred Gräfe endlich hielt eine
intrabulbäre Geschwulst für die wahrscheinlichste Ursache
des entstandenen „amaurotischen Katzenauges^. In den
beiden von mir beschriebenen Fällen stellte ich die Wahr-
scheinlichkeits-Diagnose auf intraocularen Cysticercus;
dafür schien mir bei beiden Individuen zu sprechen : das
Auftreten eines rundlichen, circumscripten Tumor bei
*) ofr. die Krankheitsgesehichte I.
165
gesunden, im Alter yon 18 — 19 Jahren stehenden Personen
unter der ersten Erscheinung eines in der Richtung der
Sehachse gelegenen dunklen Scotoms, das sich nach und
nach in einen diffusen Nebel auflöste; im zweiten Falle
(von dem ersten ist nicht weiter die Rede, da die Dia-
gnose bald ophthalmoscopisch sicher gestellt werden
konnte) schien mir aus der weitem Entwicklung gegen
eine bösartige Neubildung der Umstand zu sprechen,
dass die Kranke — trotzdem dass das ganze Innere des
Auges mit gelben Massen erfQllt war, welche bis in
die Hinterfläche der Iris hinein wucherten —
wenig Schmerzen ausgehalten, der Augapfel nicht pro-
trudirt, keine pseudoglaucomatösen Symptome vorhanden
waren. Wie weit solche Argumente gegen Neoplasmen
und für Cysticercus gültig sind, mögen diejenigen be-
stimmen, die viele intraoculare Geschwülste ein Jahr lang
genau zu beobachten Gelegenheit gehabt haben! Ich
hatte nach dem Wenigen, was ich selbst gesehen, und
nach Einigem, was mir aus der Literatur bekannt war,
geschlossen und vielleicht zufallig beide Male das Rechte
getroffen. Auf Alfred Gräfe's Vorschlag einzugehen, dass
man sich das „amaurotische Katzenauge"^ im Allgemeinen
auf den Cysticercus subretinalis ansehn möge, habe ich
den Muth verloren, seitdem uns Stellwag v. Carion in
3 Artikeln über das Leuchten der Augen*) seine Ansichten
über die Ausdehnung des Begriffes „amaurotisches Katzen-
auge"" mitgetheilt hat.
•) cfr. Wiener medizin. Woohenachrift. Jahr 1S64 Nr. 10, 11, 12.
Zur Lehre von der (tetaracUEIztraction mit
LappenMhmtt
Von
J. Jacobson.
(Sohlnu aas Nr. 4.)
lieber einige Heilungsvorgänge nach derStaar-Extraction.
Oeit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ist an der
Technik des Lappenschnittes nichts Wesentliches verän-
dert worden; man wird also annehmen können, dass eine
70—60 Jahre hinaufreichende Erfahrung über die Zufalle
vorliegt, die der Staar-Eztraction normaler oder abnor-
mer Weise folgen. Das Studium dieser Zufälle erscheint
mir vor Allem wichtig, einerseits um ein Bild zu gewin-
nen, welche Veränderungen im Auge bei günstiger Wund-
heilung zu Staude zu kommen pflegen, — andrerseits
um verstehen zu lernen, welche von den sogenannten
bdsen Zufällen nach der Operation in directer ursäch-
licher Beziehung zur Technik der Extraction stehen.
Ich lasse in dem Folgenden eine Reihe ophthalmologischer
Schriftsteller aus ihren eigenen Werken sprechen; einige
eigene Beobachtungen werde ich später anfuhren.
167
G. Joseph Beer widmet den ZaMen nach der
Operation 14 Seiten,*) auf denen wir vom Irisvorfiill,
TOD der Keratocele, von intraocularen Blutungen und
natQrlich auch von Alfem, Was dagegen hilft, erfahren,
aber Nichts vom Aussehn des Auges und in specie der
Cornea. Wir erfahren, dass die Entzündung der
schlimmste Zufall nach der Operation ist und dass Yenae-
sectionen helfen, ab^r wie das enbttndete Auge aussieht,
wird nicht mitgetheilt Eine Andeutung giebt's aufp. 17$:
„Zuweilen findet man nach der Aiisziehung der Staarllnäe
die Pupille vOllig rein; wenn man aber einige Tage nach
der Operation das Auge öflhet, ist die Pupille wieder
verdunkelt. Dieser Nachstaar ist entweder durch eine
Entzündung oder fortdauernde Wirkung eines im Kör-
per liegenden Krankheitsstoffes, der schon vorher
die Ursache des Staares war, entstanden, oder es legt
sich ein weisser, einem Spinnengewebe ähnlicher Schleim
^0 vor die Pupille, dass der Kranke grösstentheils seines
Gesichts beraubt wird."" Für eine Hauptursache hält
Beer den Zutritt der atmosphärischen Luft^) zu den
inneren Gebilden des Auges, der niemals vollständig
verhütet werden kann und um so gefährlicher ist, je mehr
der Homhautlappen gelüftet wird.
J.G.Jüngken bemerkt mit Bezug auf die Cornea : ***)
^Eröfihet man das Auge in den ersten Tagen nach der
Operation, so findet man eine matte Trübung, der eines
matt geschliffenen Glases ähnlich, über den ganzen fiörn-
hautlappen verbreitet, welche von der Wunde ausgeht
und sich nach dem gesunden Homhautrande zu allmälig
verliert. Diese Trübung ist Symptom der trauitaatischen
Corneitis und schwindet mit der Beilung der Wunde.''
*) Practisohe Beobachtnngeii über den graaen Staar und die Krank-
heiten der Hornhant. 1791.
^) Lehre yon den Augenkrankheiten. 1817. Bd. II p. 895.
*^*j lue ttlhrh TOD den Augenoperattonen. 1829.
168
All einer andern Stelle*) heisst es unter den üblen Zu-
fällen der Extraction: „1) es hat sich nur ein Theil der
Hornhautwunde per primam intentionem geschlossen, ein
Theil derselben ist offen und an dieser Stelle sind die
Ränder der Wunde aufgeworfen und mit weisslichem
Schleime bedeckt, das Auge stark entzündet,"" — 2) „es
kommt auch zuweilen vor, dass sich der Hornhautlappen
gar nicht vereinigt (grosse Unruhe, Bewegung der Lider,
zu grosser Hornhautschnitt). Das Gesicht geht
durch Entzündung und Eiterung verloren und die Kunst
vermag hier gar Nichts auszurichten."" — Mit Bezug auf
die Veränderungen des Pupillargebietes wird gesagt:
„Die fadenförmigen, spinnewebigen Exsudationen hinter
der Pupille kommen nach der Extraction noch häufiger
vor, als nach anderen Methoden; sie bilden sich erst
später aus etc. etc."" und: „Die wirksamsten Mittel gegen
die weissgrauen, fadenförmigen Exsudate, die sich erst
14 Tage bis 3 Wochen hinter der Pupille zu bilden
pflegen, sind Mercurial-Einreibungen in Stirn und Schläfe
und Erweiterung der Pupille duych Hyoscyamus-Infus."
Philipp V. Walther**) macht auf die Iritis auf-
merksam, die übrigens bei der Dislocation noch häufiger,
als bei der Extraction, am seltensten bei der Discission
sei; die Gelegenheitsursache sei die operative Verwun-
dung, aber auch accessorische Schädlichkeiten, welche auf
den Kranken nach der Operation einwirken, können sie
hervorrufen, als: grosse Unruhe und Beängstigung,
Diätfehler, ungünstige atmosphärische Veränderungen,
zu frühzeitiges Eröffnen der Augen, zu heftige Lichteiu-
wirkungen etc. etc., — besonders aber wirke die rheu-
matische, arthritische, erysipelatöse, haemorrhoidale Dia-
these sehr nachtheilig ein. — Die Homhauteiterung lässt
*} Die Lehre von den Augenkrankheiten. 1836.
•♦) System der Chirurgie Bd. IV pag. 687—89. Freiburg 1848*
169
Walther vom Bande ausgehen: „wenn nach der Staar-
Extraction die Hornhautwunde nicht ein&ch vernarbt,
sondern in Eiterung abergeht, und wenn die in ihr be-
ginnende Eiterung die ganze Cornea und endlich auch
die Iris ergreift, entsteht die Phlegmone oculi etc. etc.
Die Eiterung der Homhautwunde nach der Extraction,
wenn sie auch nicht diesen äusserst hohen Grad der
Blepharophthalime hervorruft, hat doch immer missliche
Folgen. Die Wundr&nder werden weisslich getrflbt, un-
durchsichtig, der humor aqueus Iftuft fortwährend aus,
die Cornea bleibt collabirt. Wenn auch die Wunde
schliesslich vernarbt ist, zeigt sieh gewöhnlich doch die
ganze untere Hälfte der Hornhaut suffundirt und das
Sehvermögen ist verloren.
Mackenzie*) localisirt die Entzündungen nach der
Extraction etwas genauer: „1) la conjonctive en est
souvent le si^ge et alors eile präsente les symptomes de
Tophthalime puromuqueuse etc. etc. 2) la corn^e s'en-
flamme quelques fois plus qu'il n'est n^cessaire pour que
la plaie se gu^risse; les l^vres de Tincision blanchissent,
se gonflent et restent böantes; Tiris a beaucoup de ten-
dence ä sortir et il en r^sulte une large cicatrice dif-
forme avec syn^hie ant^rieure. Une portion de la cor-
n^e et de Tiris, assez consid^rable pour permettre apr^s
quelques mois F^tablissement d'une pupille arteficielle
peut avoir itk ^pargn^e. 3) dans beaucoup de cas la
scl^rotique et Tiris s'enflamment; parfois six k sept
heures tout au plus apr^s Top^ration le malade est pris
dans Toeil et ses alentours d'une douleur intense et
pulsative qui s'aggrave pendant la nuit et 4 laquelle
succ^de un ^panchement de lymphe plastique
fourni par l'iris, Fopacit^ des d^bris de la capsule,
*) TraiM praüqae des maladies de l'oeil pur W. Maekemie.
lY. Edition tnidnite par Warlomont «t Tettelio. 1856.
170
des ädh^rences de Tiris et quelques fois de Tocclusion
de hl pupille. Quinze jours peuvent s'^couler avant qae
rifitis survienne; la plaie peut £tre parfaitement guSrie,
Tedpoir d'une boDue vision bien stabile etc. etc. 4) d'autre
fols et surtout quand le lambeau de la corn^e a itk
fiiiquemment souleve et que de nombreux instruments
ont m introdnits dans Toeil, rinflammation, quoique in-
teiise, au lieu d'fitre adhäsive est de nature suppurativa;
de Sorte qu'il j a encore plus de cfaances pour que Tor-
gane soit d^truit Du pus se d^pose dans la chambre
anterieure et dans la substance de la corn^e,
r<yeil se gonfle fortement et fait une saillie effirayante
faors de Torbite etc. etc.^
Nach Pilz*) kann bei ungenauer Vereinigung der
Wundränder fehlerhafte Yerheilung zu Stande kommen,
oder die Ränder werden sulzig, weisslich, gelblich; in
nicht seltenen Fällen infiltrirt sich der ganze Lappen
und vereitert. In anderen Fällen sah er trotz genauen
Anliegens der Wundränder Trflbung und Malacie der
ganzen Hornhaut entstehen. Die Cornea ging necrotisch
zu Grunde.
Ar 1 1 *♦) hält die Comealeiterung nach der Extraction
ftr nicht von der Wunde primaer ausgehend, sondern
durch Iritis oder Iridochorioiditis vorbereitet
Einer ähnlichen, wenn auch nicht so exclusiven An-
Behauung huldigt Mooren.*^) „Fragen wir uns, welches
bind überhaupt die Ursachen, die nach einer normal aus-
gdbhrten Extraction das Auftreten entzandlicher Erschei-
nungen veranlassen und somit die Vereiterung des Hom-
hautlappens begOnstigen, so ergeben sich uns nachste-
hende Zufälle, die — so unbedeutend sie uns auch schei-
*) Lehrbuch d«r Angenheilknnd« 1859.
••) Zehender, Monateblfitter 1864 p. S87 ff.
***) Die Terminderton Gefahren der Hornbautetteniiig bei der Btaar-
Extraotion you Mooren,
171
Ben mögen — doch stets die grossesten Gefahren in
ihrem Gefolge haben. In erster Reihe steht das Zu-
rückbleiben von Corticalmassen, die, sich blähend,
die Iris reizen und so den Anstoss zu einer Reihe ent-
zündlicher Vorgänge geben. Gelingt es einer umsichtigen
Behandlung nicht, die drohenden Erscheinungen zu ver-
drängen, so gewinnt die Entzündung an Intensität und
ist nur zu häufig ein Vorbote von Panophthalmitis.
Femer jede einfache Iritis, gleichviel, ob diese un-
mittelbar durch den operativen Eingriff verursacht oder
durch das Verhalten des Kranken nach der Operation
hervorgerufen wird. Endlich noch reine Abscedi-
rungen der Cornea, hervorgerufen durch
Schrumpfung des Lappens (Abheben und Retraction).
Die entzündlichen Erscheinungen, welche sich früh oder
spät hinzngesellen, werden dadurch hervorgerufen, dass
das innere Auge den Schutz der Hornhaut entbehrend
der Einwirkung der Thränenfeuchtigkeit und dem Zutritt
der Luft ausgesetzt ist — Die Gefahr der Iritis besteht
darin, dass die Iritis Synechieen mit der tellerförmigen
Grube macht, dass nun einestheils durch secundäres
Erkranken der Ghorioidea der Glaskörper mit serösen
Ausscheidungen durchsetzt wird, andrerseits durch ver-
mehrte Ausscheidung von humor aqueus die Schnittflächen
der Hornhaut aus ihrer gegenseitigen Verbindung getrennt
und so die zum grossesten Theile ihres Em&hrungs-
materials beraubte Cornea „einer raschen Mortification
entgegengefahrt wird.''
Ganz anders finden wir die Vorgänge von Stell-
wag*) dargestellt. Bei ihm heisst es (p. 583): „Ueber-
haapt ist der operative Eingriff bei Altersstaaren mit
grösserem, sclerosirtem Kern ein bedeutender und die.
Liqipen-Extraction darum auch im Ganzen ein zienilich
*) Lehrbueh der priktiseheB Ai^BenlMUkiiiid« 1861.
172
gefährliches UnternehmeD. Erfahrangsgemäss pflegt von
8 oder 10 Augen eines zu Grande zu gehen und unter
minder günstigen Verhältnissen wird öfters von 5, ja
von 3 Augen eines verloren. Die Hauptgefiihr liegt in
der Vereiterung der Cornea. Sie ist zu fftrchten
bei Individuen, bei denen auch Wunden anderer Körper-
theile gern eitern, bei glaucomatösem Habitus des Auges,
am meisten bei sehr marastischen Individuen etc. etc.
Es scheint indessen, dass hiemit die Pathogenese der
Cornealvereiterung nicht erschöpft sei, dass vielmehr nicht
gehöriges Anpassen des Lappenrandes an den peripheren
Wundrand der Cornea dabei wesentlich mitwii^e, viel-
leicht gar den nächsten Grund der Hornhaut- Affection
abgebe. Es kommt nämlich nicht gar selten vor, dass
man die Hornhaut verliert bei Individuen, bei welchen
durchaus nicht die Annalime eines vorgeschrittenen, aU-
gemeinen oder localen Marasmus gestattet ist, und zwar
gerade in Fällen, in welchen die Operation scheinbar
herrlich gelungen ist, indem die Linse sich ohne alle
Hindemisse rasch und leicht entbunden hat Bedenkt
man, dass ein solcher Vorgang bei Altersstaaren einen
verhäitnissmässig grossen Lappen, eine weite OeflfnuDg
voraussetzt, dass nach Abfluss des Eammerwassers und
nach Entleerung der Linse die ErOmmung der vordem
Bulbusfläche eine andre werde, so dass also der Lappen
um so weniger passen könne, je grösser er angelegt
wurde (!l), so kommt man unwillkflrlich zu dem Schlüsse,
dass eben die andauernde Isolation der Wundränder einen
gewichtigen Factor der abehi Ausgänge bilde"* etc. etc.
Zum Schluss citire ich noch einige gelegentlicbe
Aeusserungen v. Gräfe's, die bei Besprechung eines
speciellen klinischen Falles in Bezug auf Iritis und Ke-
ratitis nach der Extraction geschehen sind: *) „Es mflssen
«) Zehender, MonaUbiätter 1S68 p. 145 £
173
bei den Vorgängen nach der Extraction 2 Formen von
Iritis unterschieden werden, die fortgepflanzte und
die genuine. Die fortgepflanzte entwickelt sich nach,
resp. mit der Wundeiterung, theils indem diese an der
hintern Homhautwand zu Zellenproliferationen fQhrt, die
sich in den Pupillarraum hineinziehn, theils indem der
nächst der Wunde liegende Irisabschnitt und hievon
aasgehend die übrige Iris und die Ciliartheile zum Sitz
der Eiterung werden. Die genuine Iritis, selten vor dem
dritten Tage, gewöhnlich in der Periode vom 4. bis 10.
auftretend, hat mit der Wundheilung direct nichts zu
thun, kann aber namentlich bei frühem Auftreten wieder
eine schädliche Rückwirkung auf dieselbe gewinnen.""
Bald darauf heisst es: „Schützt die Iridectomie gegen
diffuse Hornhauteiterung, jenen Process, der sich
in der Regel zwischen der 12ten und 24sten Stunde nach der
Operation durch Absonderuüg reichlichen Secrets, Schwel-
lungssymptome und durch schleunige Bildung eines die
ganze Hornhaut kreisförmig umringenden und ihre Ab-
stossung vorherbedeutenden Eiter-Infiltrates kund giebt?
Beugt das präexistirende Colobom der umschriebenen
Eiterung vor, deren Symptome sich meist etwas später
(16—36 Stunden) einstellen, imUebrigen äusserlich denen
der diffusen Eiterung gleichen, nur dass die Secretion
weniger reichlich ist und nach ihrem ersten Schübe wie-
der abnimmt, bei welcher aber der Eiterungsvorgang
sich auf die Wundgegend resp. den Hornhautlappen be-
schränkt und höchstens noch den Ansatz eines Ringinfil-
trates in den nicht durchschnittenen Hornhauttheil hin-
einsendet ?"*
Suchen wir ein Resume aus den angeführten Citaten,
so finden wir in allen nur eine auf die normalen
Heilungsverhältnisse bezügliche Beobachtung, nämlich die
von Jüngken, „der ganze Lappen sehe in den ersten Tagen
wie mattgeschliffenes Glas aus, und diese Träbung sei ein
174
Ausdruck für die traumatische Keratitis, deren es zur
Heilung bedürfe, sie verschwinde in einigen Tagen/
Alle übrigen Citate beziehen sich auf pathologische Pro-
cesse nach der Extraction und lassen sich in 2 Haupt-
gruppen zusammenfassen; man beobachtet nämlich nach
der Operation entweder entzündliche Vorgänge im Pu-
pillargebiet oder Entzündungen der Cornea; beide können
unter Umständen einen hohen Grad erreichen und zur
Zerstörung des Auges durch Eiterung fuhren. So weit
reicht das Thatsächliche, dann kommen die Hypothesen:
Die Exsudationen ins Pupillargebiet sollen yon der Gor-
nealwunde, von der Iris, den processus ciliares, von Lin-
senresten, von gewissen im Körper befindlichen Krank-
heitsstoffen herrühren, — die Keratitis soll von Iritis
(Arlt, Mooren), von der Grösse der Lappenwunde (Stell-
wag), von allgemeinen ungünstigen Emährungsverhält-
nissen, von schlechter Apposition der Wundränder, von
dyscrasischen Verhältnissen, von Hypersecretion des hu-
mor aqueus (letztere wieder durch quellende Corticalreste
oder Iritis bedingt) etc. etc. herrühren.
Woher kommt es, dass wir auf diesem offenen Felde
für klinische Untersuchungen so viel Zweifelhaftes finden,,
während wir doch glauben sollten, eine genaue Beob-
achtung des Auges in der zwischen Operation und aus-
gebrochener Entzündung liegenden Zeit müsse des Zu-
verlässigen genug ergeben? Die Schuld trägt ein altes,,
oculistisches Dogma, das sich vom Ende des 17. Jahr-
hunderts bis in die heutige Zeit hineinzieht: „Das ope-
rirte Auge darf erst nach mehreren Tagen vorsichtig
geöffnet und auch dann noch nicht genau untersucht
werden; direkte Beleuchtung ist aufs Entschiedenste
verpönt" — Wenzel erlaubte erst am 8—lOten Tage, Beer,
Stellwag, Arlt, Andrea am 5— 6ten, Fischer, Liharzik am
4— 5ten, Mackenzie. Himly, Jüngken am 3— 4ten Tage die
Pflaster abzunehmen und eine kurze, vorsichtige Prüfung,
175
zu machen; einige von ihnen gestatteui bei drohenden
Symptomen früher nachzusehen, die meisten auch dann
nicht, weil man aus Schmerz, Lidrandgeschwulst, Secret
und einigen subjectiven Symptomen genügend sicher ur-
tbeilen und durch OefPnen nur schaden könne. Erst in
neuester Zeit haben sich Desmarres und namentlich Ze-
hender für frühzeitiges Untersuchen ausgesprochen und
auch V. Gräfe, der bei ruhigem Verlaufe das Auge vor
dem 4— 5ten Tage nicht öffnet, nimmt, wie der in den
Monatsblättem veröffentlichte, oben citirte Vortrag zeigt,
keinen Anstand, bei verdächtigen Symptomen schon im
Laufe des ersten Tages genau nachzusehen.
Da die meisten Ophthalmologen theils aus Besorg-
niss, die kaum verklebte Comeal wunde zu sprengen,
theils aus Furcht vor Blendung (die nach Einigen Iritis,
nach Anderen Amaurose erzeugen soll), theils endlich
um die ruhige Heilung nicht unnöthig zu unterbrechen,
das operirte Auge Tage lang geschlossen halten, so ist
CS begreiflich, dass die unmittelbaren Verände-
rungen an Cornea, humor aqueus, Iris, Kapsel bisher
wenig Berücksichtigung gefunden haben, zumal da sich
dieselben auch bei grossester Uebung ohne seitliche
Beleuchtung nicht genau erkennen lassen. Seitdem ich
die Augen der Staar-Operirten vom ersten Tage an von
je 12 zu 12 Stunden oder auch in etwas längeren Inter-
vallen mit seitlicher Beleuchtung regelmässig untersuche
(was mit der nöthigen Vorsicht ohne allen Nachtheil
ausgeführt werden kann), sind mir einige mehr oder
weniger constante Veränderungen an den vorderen Theilen
des Augapfels zu Gesichte gekommen, die ich in dem
Folgenden zu beschreiben beabsichtige. Ich schicke vor-
aus, dass die Operation immer nach der kürzlich von
mir vorgeschlagenen Methode ausgeführt worden ist:
tiefe Narcose, Lappenbildnng in der Sclerotico-Comeal-
grenze, Iridectomie bis an den Ciliarrand; bei diesem
176
Ver&hren gestalteten sich die Heilungsverhältnisse un-
gefthr folgendermaassen:
1) Die Heilung der Lappenwundränder.
Wenn Ein- und Aussticbspunkt genau in der Gorneo-
Scleralgrenze liegen, so pflegt die von einem mehr oder
weniger breiten Bindehautsaume verdeckte Mitte des
Lappeurandes einen schmalen Streifen Scierotica zu ent-
halten. Diese Mitte heilt in sehr kurzer Zeit subcon-
junctival; man sieht sie in den ersten Tagen durch die
dicht injicirte Conjunctiva und das unter derselben lie-
gende Zellgewebe nicht hindurchschimmern; lässt die
Hyperämie und Schwellung der Bindehaut nach, so be-
merkt man eine bläuliche Scleral-Narbe, die bei sonst
normalem Verlaufe mit jedem Tage mehr erblasst und
endlich unmerklich in die Farbe der Umgebung übergeht.
Etwas anderes ist es mit den äusseren und inneren
Segmenten des Lappens, an denen keine Bindehaut ge-
blieben ist; in ihnen entsteht sofort eine sehr lebhafte
Hyperämie aller in den limbus eintretenden Gefilsse und
bald darauf eine diffus graue Trabung des Lappeurandes
von Va— IV2'" Breite. Die Trübung sitzt vorzugsweise
im Niveau der beschriebenen Gefässe, also unmittelbar
unter dem Epithel, sie lässt sich ohne Vergrösserung
kaum in feinere Elemente auflösen und dürfte als das
Produkt einer traumatischen Rand-Keratitis angesehen
werden können. Sie verläuft unter allen Umständen
günstig und zeigt keine Neigung zur Ulceration oder
Necrose; ich halte sie für den Ausdruck der Reaction,
die zu einer günstigen Wundheilung erforderlich ist.
Bowman beschreibt die Comeal- Veränderungen nach
Messer- oder Nadel wunden folgendermaassen:*) if we
*) White Cooper, Wouads and injuries of thc eye p. 9 etc.
177
pnnctare or incise the Cornea, the first effect ig a change
wronght in the natural actions of nutrition then existing
in the wounded part — a change which can only be
described as a mechanical Interruption to those actions.
This is speedilj followed by the presence of an increa-
sed quantity of blood in the vessels that are nearest to
the wounded part and thus the materials from which the
breach is to be made good are brought in greater abun-^
dance to the part that requires them. We cannot doubt
that, as these vessels comparatively so remote, are tiins
affected, so the part of the comeal tissue intervening
between them and the exaot seat of ii^ury is pervaded
by a respondiog change of which the general expression
is, that it is one of exalted nutritive vigour; the play
of forces and the interchange of material which mark the
nutritive function being more energetic and more rapid
than before. And whatever phenomena of this kind
occurr in the intermediate tissue are concentrated in an
especial manner about the wound itself. In a short time
the vicinity of the injured part begins to contain in
abundance nuclei or cytoblasts which exist sparingly in
the comeal lamellae and the relative quantity of which
may be regarded in most tissues as an index of the in-
tensity of the nutritive fbnction. These particles are
speedily found chocking the interstices of the tissues in
the ups of the wound and covering its surface so as to
occupy whatever space was left between its opposite
aides and bringing them into temporary union. From
the presence of these embryo materials of new
tissue intermingled among the Clements of the
old, is derived that slight milky opaclty, which
envelopes and marks the seat of wound, and which, if
the injury be extensive, may engage a considerable ex-
tent of the comea in the direction of the neighbouring
blood-vessels etc.
Nicht immer wird die Lappeuwunde so regelmässig,
wie mau sie wünscht, sie kann zu klein und zu gross
Archiv ffir Ophthalmologie. XL 8. 12
178
werden; im ersten Falle hat der Rand der Wundöflfnang
nach der Nasenseite hin einen mehr oder weniger breiten
Comealsaum, im letzteren wird die ganze Lappengrenze
durch einen Streifen Sclera mit mehr oder weniger Gon-
junctiva gebildet. Ist der Lappen innen in die Cornea
selbst gefallen, so tritt die oben erwähnte Trübung des
pewebes in der Regel schneller und intensiver auf, sie
greift wohl auch etwas weiter auf den Lappen selbst
über, während die ganze übrige Wunde in bester Heilung
ist; auch konunt es vor, dass die Wundränder sich innen
nicht haarscharf an einander legen, sondern der Lappen-
rand ein klein wenig höher anheilt Alle diese Möglich-
keiten erfordern Vorsicht, sind aber für den schliesslichen
Ausgang nicht weiter ominös. — Wird der Lappen zu
gross, so giebt es meistens von vom herein eine ziem-
lich starke Blutung, dann giebt's leicht prolapsus iridis
(der durch Iridectomie beseitigt werden muss) und end-
lich pflegt sich der blutgetränkte, von geschwellter Con-
junctiva bedeckte Scleralrand des Lappens nicht so voll-
ständig glatt zu apponiren, wie es bei normalem Opera-
tionsverlaufe der Fall ist Diese ZufiUle sind mir früher,
als ich noch die Form des Staarmessers oft wechselte,
häufiger vorgekommen; seit längerer Zeit bin ich damit
verschont geblieben. Ist die Operation beendigt, so sieht
der Scleralrand und die Coi^unctiva dunkelblauroth aus,
der limbus ist überall stark iigicirt, der äusserste Rand
der Cornea graulich; nach wenigen Stunden Compression
ist der Lappenrand schon bedeutend dünner, aber die
Cornea weiter hinauf getrübt; es ist aufEallend genug,
dass der Sclerotical-Streifen, selbst wenn er durch vieles
Sägen mit dem couteau ä p. m. oder durch Scheeren-
schnitte gequetscht war, nicht abgestorben ist, sondern
sich im Gegentheil von Tag zu Tage mehr zurück-
gebildet hat und endlich mit guter Narbe geheilt ist
Dieser grossen Trägheit der Sclera zu Eiterungsprocessen
179
ist es wohl anch zu verdanken, dass die angrenzende
Cornea nie bis zu einem hoben Grade infiltrirt worden
ist, sondern dass sich die schnell entstandenen Trübungen
auch immer wieder schnell zurückbildeten.
Nur in einem Falle habe ich Necrose der Sclera und
eonsecutiv der Cornea eintreten sehen. Die Kranke war
83 Jahre alt, die Grenze des Lappens war tief in die
Sclera gefallen, eme starke Blutung eingetreten; trotz-
dem ging die Extraction der Cataract und die Iridecto-
mie ziemlich leicht; zum Schluss Blutung in die vordere
Kammer ex vacuo, vielleicht auch aus der Iriswunde.
Ich sah die Kranke wiederholt während der ersten 2 Tage
nach der Operation; sie war frei von Schmerzen, Lidrand
nicht ödematös, kein Secret, der Lappenrand etwas ge-
schwollen, dunkelroth, Cornea an der Peripherie matt-
grau, in der Pupille viel Blut, humor aqueus klar, Iris
ohne wahrnehmbare Verftndemngen. Ich verordnete, ab
und zu Atropin einzuträufeln, und konnte die Kranke
während der nächsten Tage, in denen ich Königsberg
verlassen musste, nicht sehen. Sie hatte Schmerzen be-
kommen; in Folge dessen hatte man ihr den Druckver-
band abgenonmien, Blutegel und anhaltend Eisumschläge (!)
angewandt Am dritten Tage vertrug sie das Eis nicht
mehr; ich sah sie wieder, der Scleralrand war sehnig
weiss, glänzend, gefitoslos, der Homhautlappen durchweg
eitrig infiltrirt, das Auge ging zu Grunde.*)
Die Heilung des Conjunctival-Schnittes
konunt nicht direct zu Stande; die Wundr&nder klaffen
immer mehr oder weniger, zwischen ihnen bildet sich im
episcleralen Zellgewebe eine weissliche Substanz, in welche
sich bald GefiLsse hineinverlängem; sie wird zur Füllung
des Defects verwandt. War der Abstand der Wundränder
sehr gross oder hatte der Bindehautlappen Neigung, sich
*) loh habe der VoUstandigkeit wegen diesen FaU angefahrt, wie-
wohl ich ttbersengt bin, dass bei richtiger, also entgegengesetiter Nach-
behandlnng der Ausgang günstiger gewesen wäre.
12»
180
umzurolleu und nach innen zu schlagen, so habe ich nicht
gezögert (bis jetzt in 5 Fällen), ein bis zwei sehr feine
Suturen anzulegen; man muss hiebei den Knoten so leise
als möglich schürzen, damit man nicht beim Anziehn die
Cornea in Längsfalten lege; es schadet nichts, wenn die
Coiyunctivalränder nicht ganz vereinigt, sondern nur
einander genähert werden. Von Reizung durch die Fäden
habe ich nichts gesehen, ich habe sie 5—8 Tage liegen
lassen können. — In einem Falle war mir die Coigunc-
tivalnath von grossem Nutzen. Es war ein etwas ge-
schrumpftes Linsensystem einer Kranken extrahirt wor-
den, die auf dem andern Auge an Choiioidal- Atrophie
mit Synchysis corporis vitrei litt Als die Operation gut
beendet war, bemerkte ich, dass bei jedem Lidschluss
eine kleine Glaskörperblase unter den Lappen trat und
den Gonjunctivalsaum nach oben zurückschlug; hätte ich
das Auge geschlossen, so wäre vermuthlich der Lappen
dauernd abgehoben worden, hätte sich entzündet und
wäre vereitert. Unter diesen Umständen benutzte ich
die tiefe Narcose zur Anlegung von 2 Suturen und hatte
die Freude, auf diese Weise dem Glaskörper seinen Aus-
weg sofort zu sperren und eine günstige Heilung zu
erreichen.
Noch ein paar Worte über das weitere Schicksal der
Narben in der Cornea-Scleralgrenze I Sie können später
ectatisch werden, wie es v. Gräfe für die Scleral-Narben
nach Glaucom-Operationen nachgewiesen hat. Ich habe
bisher nur einen solchen Ausgang gesehn; die Kranke
war im Jahre 1862 von mir operirt worden, hat sich
später an einem Orte aufgehalten, an dem sie ohne ärzt-
lichen Bath war, sie hatte eine langwierige Conjunctivitis
überstanden, in Folge dessen Entropium spasticum und
endlich durch Reizung der alten Narbe eine nicht un-
beträchtliche Ectasia scierae an der alten Lappengrenze
acquirirt. Die Ectasie war ohne Einfluss auf das Seh-
181
vermögen und ist es auch bis heute geblieben. — Ich
darf wohl annehmen, dass bei gehöriger Abwartung der
Kranken nach der Operation, bei zweckmässiger und
dauernder Compression des Auges, so lange sich noch
Veränderungen in der Scleral-Narbe zeigen, die nach-
träglichen Ectasieen zu den grossen Seltenheiten gehören
werden; es sind ja nach Extractio lentis die intraocu-
laren Dfuckverhältnisse der Befestigung der Narbe nichts
weniger als nachtheilig.
Fasse ich das über die Heilung der Wundränder
Gesagte zusammen, so dürfte es etwa so lauten: Die
Conjunctival wunde heilt durch eine Zwischensubstanz
ohne weitere Zufälle; ist die Stellung der Ränder keine
erwünschte, so kann sie durch eine Sutur verbessert
werden; die Wunde in der Scleralgrenze heilt am
vollkommensten und unmerklichsten in der Mitte, wo sie
etwas in der Sciera liegt und von Conjunctiva gedeckt
wird; aussen und innen heilt sie unter Vascularisation
und vorübergehender Trübung des angrenzenden Gewebes.
Fällt die Wunde überall weit in die Sciera, so schwillt
diese und die angrenzende Comeal-Peripherie in den
ersten Stunden nach der Operation an, bildet sich aber
bald wieder zurück. Im Ganzen wären also die Heilungs-
Verhältnisse, was die Ge&hr der Wundeiterung und Ne-
crose anbetrifft, ausserordentlich günstig in üeberein-
stimmung mit der allen Ophthalmologen bekannten That-
sache, dass Wunden und Entzündungen an der Grenze
zwischen Cornea und Sciera sehr viel weniger Tendenz
zur Eiterung zeigen, als dieselben Processe in der Cornea
selbst. *)
*) Einielne ungünstige Ausnahmen finden sieh unten bei den
Verinderungen der Cornea unter 5.
182
2) Die Beschaffenheit der Cornea während der
Lappenheilnng.
Untersucht man die Hornhaut unmittelbar nach
beendigter Operation, so findet man in derselben eine
Reihe Veränderungen, die ich zu schildern versuchen
werde.
1) An der Basis des Lappens und von ihr ^us ein
wenig in den Lappen hinein sieht man feine, horizontal,
selten vertical verlaufende Linien, die einen hellgrauen
Reflex geben. Zwischen ihnen ist die Cornea klar, über
ihnen das Epithel normal; sie haben keine Aehnlichkeit
mit irgend welchen Symptomen der keratitis parenchy-
matosa oder keratitis profunda, dürften sich deshalb als
etwas betrachten lassen, was dem operativen Eingriffe
an sich seine Entstehung verdankt. Im Laufe der ersten
acht Tage können sie, nachdem sich gewöhnlich nach 24
bis 48 Stunden das Zwischengewebe etwas getrübt hatte,
verschwunden sein; es kann aber auch die Trübung des
Zwischengewebes fortschreiten, dasselbe kann sich in eine
weissliche Substanz verwandeln, innerhalb deren die alten
Striche nicht mehr kenntlich sind, und die sich zusam-
mengesetzt zeigt aus hellweissen Flecken, zwischen welche
eine Menge feiner grauer Pünktchen eingestreut ist und
zwar so, dass die weissen Flecken nach dem Centrum zu
an Grösse und Häufigkeit zunehmen. An diesen infil-
trirten Stellen scheint die Cornea nicht nach vorn, mit-
unter aber nach hinten zu perforiren; es giebt dann
etwas hypopion, trüben und spärlichen humor aqueus,
kurz Symptome, die auch bei Iritis vorkommen. Der
Process heilt, so viel ich bisher gesehen habe, in den
schlimmsten Fällen bei Compression, Atropin und Wärme
mit einer massigen, centralen Trübung, der übrige Lappen
bleibt intact; in der bei weitem grossesten Mehrzahl der
Fälle verläuft Alles so glatt, dass Kranker und Arzt
183
nichts davon merken. — Ich halte die Streifen für Stellen,
an denen die Cornea beim Durchtritt der Linse einge-
knickt wird, und glaube, dass sie an der hintern Wand
und kurz vor derselben sitzen. Zu Gunsten dieser An-
sicht scheint mir zu sprechen: das constante Auftreten
der Streifen nach der Lappen-Extraction (beim Linear-
schnitt kommen sie nicht vor), die horizontale Richtung
derselben, der Sitz an der Basis des Lappens und in der
unmittelbarsten Nähe (Stellen, an denen der Widerstand
am grossesten ist), die Zunahme der Streifen bei Ex-
tractionen, bei denen der Lappen stark gelüftet worden
ist, und endlich das Auftreten unmittelbar nach dem
Durchtritt der Linse.
2) Ausser diesen feinen Querstreifen sieht man mit-
unter in der Tiefe der Cornea unregelmässige, grau-
liche Zeichnungen, die ähnlich aussehen, wie etwa Sprünge
in einer lackirten Oberfläche oder wie die unregelmässi-
gen Risse und Sprünge der CornealOberfläche bei Kera-
titis superficialis ohne Gefitesbildung. Diese Zeichnungen
entsprechen Rupturen oder Defecten der Descemet'schen
Haut; sie können an jeder beliebigen Stelle des ganzen
Lappens vorkommen und entstehen gewiss vorzugsweise
dadurch, dass die Linse von der hinteren Homhautfläche
abstreift (wie wir ja auch mitunter sehen, dass nach
schwerem Linsendurchtritt Pigment von der hinteren
Irisfläche aus dem Auge herausgefördert wird). Dass
die Sprünge in der Descemet'schen Haut nicht einfach
dadurch entstehen, dass die Cornea während der Extrac-
tion einen Theil ihrer Spannung verliert, möchte ich an-
nehmen, da ich bei collapsus corneae sehr selten Risse
oder Defecte im oberflächlichen Epithel gesehen habe.
Der Verlauf dieser Verletzungen der Descemet'schen Haut
an den Stellen, an denen keine Combination mit der
ersten Form da ist, ist folgender: entweder hat sich in
wenigen Tagen Alles geglättet (das Gewöhnlichste), oder
184
die Hornhaut erscheint glatt und klar, aber an ihrer
hinteren Wand sieht man auf dem Boden der vorderen
Kammer granliche, membranöse Beschläge (abgestossene
Fetzen?), oder endlich es bilden sich kleine Geschwttre
an der hintern Hornhautfläche mit sehr mattem, grauen
Rande (nur bei scharfer Beleuchtung sichtbar), von denai
Wucherungen in die vordere Augenkammer hineingehen;
es wird wenig humor aqueus abgesondert, das Wenige
tritt aus irgend einem unbekannten Grunde aus, und
wenn man das Auge genau ansieht, so bemerkt man,
dass ein Faden, eine synechia anterior entweder von der
vorderen Irisfläche oder aus dem Kapselgebiete zu einem
Punkte der hinteren Gomealwand hinzieht, — ein Faden,
der ähnlich wie die uns bekannten Synechieen mit zu-
nehmendem humor aqueus sich dehnt und abreisst, aber
auch fest werden und das Pupillargebiet nach vom fixiren
kann. Diese feinen Synechieen werden leicht übersehen;
entstehen sie nämlich unter geringen Reizerscheinungen
(wie sie bei fortschreitenden Greschwüren an der Desce-
met'schen Haut kaum ausbleiben), so finden sich die
Zeichen der Iritis: pericorneale Injection, etwas Ciliar-
schmerz, wenig leicht getrübter humor aqueus, vielleicht
noch etwas Farbenveränderung an der Iris. Wem wird
man unter solchen Umständen einen diagnostischen Irr-
thum verargen wollen, wenn eine genaue Untersuchung
des Auges in den ersten Tagen nicht erlaubt ist? —
Eigenthttmlich verlaufen die traumatischen Geschwüre
der hinteren Homhautfläche, wenn sie einen sehr sub-
acuten Verlauf nehmen; das Auge wird immer nicht ganz
weiss und frei von Reizung, obgleich das Sdivermögen
schon recht gut ist; pldtzlich tritt an einem Tage stär-
kere Injection und Schmerz ein, dann heisst es, „ein
leichter Rest von Iritis habe exacerbirt,*" man findet auch
in der vorderen Kammer eine gelbliche Masse, aber sie
liegt nicht auf dem Boden, ist auch hie und da vielleicht
185
etwas rdtblich punktirt, hat eine unregelmässige Form,
nnd bei genauer Untersuchung sieht man, dass sie von
einem sehr tief liegenden, matt grauen Hofe umgeben ist.
Es ist eben ein ulcus der hinteren Comealwand, in wel-
chem es nach langem, unbemerkten Bestehn zu stärkerer
Eiterung kommt. Untersucht man recht genau weiter,
so findet man mitunter aus dem Geschwüre unmittelbar
Fortsätze nach der Iris und in das Pupillargebiet hinein-
ziehn. Soll nicht manche nach Wochen auftretende Iri-
dochorioiditis mit Pupillarverschluss, Schwund der vor-
dem Kammer, allmäliger Phthisis bulbi vielleicht ihren
ersten Ausgangspunkt in einer unbeachtet gebliebenen,
langsam verlaufenen Homhaut-Ulceration haben? — Im
Allgemeinen scheint der Verlauf des Processes mir eben-
fidls in den Händen des Arztes zu sein. Man muss
frühzeitig sehen, um was es sich handelt, und die
Kranken vor allem Reizenden schützen, bis Vernarbung
eingetreten ist; laue Umschläge, ab und zu eine kleine
Blutentziehung, Atropin, unvollkommene Functionen der
vordem Kammer, bei denen es nicht zur unmittelbaren
Berührung zwischen Iris und Cornea kommt, dürften von
Nutzen sein, wenn man mit exspectativem Verfahren
nicht ausreicht.
3) Der ganze Lappen oder der centrale Theil dessel-
\>ea legt sich in radiäre oder verticaie, selten in hori-
zontale Falten; mitunter folgt die übrige Cornea. Es ist
der Zustand, den man coUapsus und in höheren Graden
Retraction oder Schrumpfung des Lappens genannt hat;
die äusseren Erscheinungen sind dabei dem Grade nach
sehr verschieden. Den einfachsten Fall sehen wir, wenn
unter Chloroform operirt wird, bei Linear-Extraction und
selbst bei Iridectomie ziemlich häufig: das Centram der
Hornhaut sinkt der Pupille und ihrem nächsten Umkreise
gegenüber so ein, dass die Oberfläche mehr oder weniger
tiefe Rinnen bekommt, die von spiegelndem Epithel be-
186
deckt sind, bald darauf findet sich hnmor aqueus, die
Corneal -Wölbung stellt sich her und nur noch einige
Stunden lang markiren sich die früher vertieften Stellen
durch einen etwas stärkeren Reflex. In höheren Graden
Mt der Gipfel der Hornhaut nach hinten über und wird
die tie&te Stelle der Augapfel-Oberfläche, die nächste
Umgebung von 1 bis IVs'" Breite faltet sich nach der
Richtung des Gipfels hin, während die Peripherie noch
meistens durch die Iris gestützt wird; es bleibt nach
Beendigung der Operation regelmässig eine lichtgraue,
von vielen Furchen durchzogene Trübung in den ergriffen
gewesenen Theilen. In den höchsten Graden endlich
collabirt der ganze Lappen oder selbst die ganze Cornea
von da an, wo der limbus conjunctivae corneae endigt,
gleichzeitig ist die Iris so nach hinten übergdegt, dass
der Pupillarrand tief in der tellerförmigen Grube liegt
(ähnlich wie an Augen, denen zum Zweck eines Experi-
ments viel Glaskörper entleert ist), die Sclerotica ist
schlaff und unregelmässig, der Bulbus wird widernatür-
lich weich. In diesen letzten Fällen findet sich der
humor aqueus oft erst nach Stunden, die Cornea hebt
sich sehr langsam, bekommt ihre alte Glätte nicht voll-
ständig wieder und ist diffus grau getrübt.
Suchen wir nach Gründen für den geringeren oder
grösseren CoUapsus, so finden wir sie sicher nicht in der
Beschaffenheit der Cornea, sondern in einem allgemeinen
Marasmus des Augapfels, der sich, wie die Erfahrung
lehrt, nicht vorher erkennen lässt, der bei vielen, äusserst
cachectischen Individuen ganz vermisst, bei anderen ein-
seitig angetroffen wird. Auf die muthmaasslichen Ursachen
des Marasmus am Auge einzugehen, ist hier nicht der
Ort; ich habe vielmehr anzugeben, was aus den colla-
birten Hornhäuten weiterhin wird. Bei den beiden nie-
deren Graden des coUapsus sammelt sich der humor
aqueus bald an, die Falten verstreichen bis zu einem
187
gewissen Grade, unter ihnen bleiben hellgraue Stellen,
aber denen sich nachträglich wieder etwas Epithel ab-
stossen kann, es entstehen dann oberflächliche Defecte,
die ohne Gefässe heilen, wenn sie nicht durch den Lid-
Bchlag darin gestört werden; bei dem höchsten Grade
erstreckt sich über die ganze Oberfläche des Lappens
eine hellgraue Trübung, in der sich ohne VergrOsserung
keine besondere Zeichnung erkennen lässt, das Epithel
wird uneben, theilweise abgestossen, mitunter verlängern
sich auch die Gefässe des limbus noch eine Strecke in
die Hornhaut hinein (wie bei einfachem Pannus), und
nach längerer Zeit erfolgt Regeneration der Defecte,
Bückbildung der Gef&sse, Heilung.
Der auffallend günstige Verlauf der oberflächlichen
Keratitis nach starkem Gollapsus rührt, wie ich glaube,
daher, dass ich den Lappenschnitt in die Comeo-Scleral-
grenze und nicht in die Cornea selbst lege; es kommt
auf diese Weise niemals zu einer sichtbaren Dislocation
oder gar Retraction des Wundrandes und dann vom
Wundrande aus zu eitriger Infiltration, die sich schnell
über den ganzen Lappen ausbreiten kann, — während
bei der gebräuchlichen Keratotomie bekanntlich die Wunde
gerade dahin gelegt wird, wo in den extremen Fällen
der collapsus corneae beginnt. Ausserdem aber scheint
mir nach den Erfahrungen Anderer sowohl, als nach
einigen eigenen, die ich gleich anführen will, die Neigung
zu bösartiger Eiterung von Wunden, welche in den ge-
filsslosen Theil der Cornea fallen, durch starkes Colla-
biren befördert zu werden.
Am 8. Juni 1860 wurde das rechte Auge der 68jähr.
Frau K. wegen einer harten Cataract operirt; die Frau
war von gutem Körperbau, fttr ihr Alter nicht marastisch,
das Auge tief liegend, vordre Kammer sehr gross, Linse
ein wenig geschrumpft. Unmittelbar nach Bildung des
Lappens sank die Cornea so tief ein, dass ihre Mitte
188
etwa V2''' hinter dem Scleralrande zu liegen kam; es
wm^e einige Augenblicke gewartet, bis sich humor aquens
fand, dann die Kapsel gesprengt nnd die Linse leicht
entbunden. Wiederum sehr tiefer collapsos corneae, der
sich erst nach einigen Stunden vollständig ausglich. —
Nach 36 Stunden (während deren keine Schmerzen ein-
getreten waren) wurde das Auge unter Chloroform bei
seitlicher Beleuchtung untersucht: Lappenrand grau,
Substanz der Cornea mit grauen und gelben Heerden
durchsetzt, hintere Gomealwand von gelben Punkten
bedeckt, humor aqneus trübe, Lns gelb, Pupille wenig
verzogen. Bei dem Versuche, nachträglich Iridectomie
zu machen, zog ich erst ein Stück Eiter heraus, unter
dem die normale, braune Ins lag, dann wurde leicht
Iridectomie gemacht Trotzdem griff die suppuratio cor-
neae rapide um sich und das Auge ging zu Omnde.
Wenige Tage darauf versuchte ich bei derselben
Kranken die Auslöfflung einer Cataract von mitüerer
Consistenz mit einem Kern von etwa 2%^" auf dem lin-
ken Auge. Die Operation ging ohne Schwierigkeiten, die
Cornea collabirte eben so stark, als auf dem rechten
Auge, sie hatte sich erst gegen Abend vollständig gehoben.
Am nächsten Morgen suppurirte die lineare Wunde, wäh-
rend die ganze Cornea grau und weiss punktirt war; in
wenigen Tagen war das Auge zerstört.
Im vergangenen Jahre discidirte ich bei einem sehr
herabgekommenen Diabeticus zwei weiche, nicht voll-
kommen reife Cataracten zu wiederholten Malen. Der
Erfolg war so ausserordentlich gering, dass ich durch
einen linearen Schnitt zu extrahiren beschloss. Der An-
fang wurde mit dem rechten Auge gemacht, die lineare
Wunde in der Cornea nach v. Gräfe's Vorschrift angelegt,
die weiche Linse mit der grossesten Leichtigkeit entleert;
der ganze Bulbus und die Cornea coUabirten auffallend
stark, Abends suppurirte die Wunde, die Cornea war
durchweg iniiltrirt, nach 2 Tagen war das Auge voll Eiter,
ohne dass der Kranke weiter durch Schmerzen belästigt
189
wurde. Nachdem diese traurige Erfahrung gemacht und
die Cataract des linken Auges in der Resorption nicht
fortgeschritten war, versuchte ich links die lineare Ex-
traction durch einen Scleralschnitt (hier sowohl, wie auf
dem rechten Auge war gleichzeitig Iridectomie gemacht
wbrden). Die Operation ging glatt, Bulbus und Cornea
collabirten ausserordentlich stark, Abends hatte sich die
Cornea gehoben und war diffus mattgrau, nach wenigen
Tagen hatte sie sich aufgehellt und vermittelte ein vor-
treffliches Sehvermögen. — Die Narbe in der Sclera con-
solidirte sich langsamer als gewöhnlich.
Wenn ich hienach ein Urtheil über die Bedeutung
des collapsas corneae abgeben soll, so wäre es etwa
folgendes: Die geringen Grade sind bedeutungslos, sie
geben uns keine Berechtigung zu einem ungünstigen
Urtheil über die Heilfähigkeit der Cornea, sie beein*
Aussen die Prognose nur insofern, als man darauf rech-
nen muss, unter Umst&nden eine oberflächliche Keratitis
mit Epitheiialverlusten zu bekonunen, die in Verbin-
dung mit anderen traumatischen Schädlich-
keiten vielleicht nicht immer bedeutungslos ist Die
hohen Grade sind als Zeichen von allgemeinem Marasmus
des Auges immer suspect; an und für sich sind sie von
keinem entscheidenden Einfluss für den Bestand der
Cornea, denn sie setzen ia&t ausschliesslich nur Entzün-
dung der der Oberfläche zunächst unterliegenden Partieen
(wahrscheinlich weil diese beim Einsinken sowohl, als bei
der späteren Ausdehnung der grossesten Zerrung unter-
liegen). In Verbindung mit Comealwunden geben sie
eine ausserordentlich bedenkliche Prognose. Da ich bis-
her noch keinen Fall kenne, in dem die Suppuration
eines während der Operation stark coUabirt gewesenen
Lappens von einer andern Stelle, als von den Wund-
randern ausgegangen ist, da ich femer nicht weiss, dass
die höchsten Grade von coUapsus corneae bei Scleral-
190
wunden mit Glaskörperverlust jemals zu Necrose der
Cornea geführt haben, so nehme ich an, dass die Gefahr
in der Combination der Homhautwunde und des collapsus
zu suchen ist
4) Die einfache, oberflächliche Keratitis habe ich in
zwei Formen nach der Extraction beobachtet; beide sind
gefahrlos. Die eine entwickelt sich, wenn die Hyperamie
und Schwellung des subcoiyunctivalen Zellgewebes lange
fortbestanden, die Ge&sse im limbus unverändert injidrt
gewesen sind, als unmittelbare Fortsetzung der trauma-
tischen Conjunctivitis, indem die Gef&sse des limbus ein
Ende in die Cornea hineinwachsen und gleichzeitig eine
leichte Gewebstrübung auftritt (Pannus). Die Zeit für
diesen Process ist die 2te bis 3te Woche nach der Ope-
ration; er bildet sich bei Anwendung schwach adstrin-
girender Umschläge, fleissigem Reinigen des Auges, bei
vorsichtiger Application von Kälte spurlos zurück. —
Die zweite Form hat vielleicht mit der Operation direct
Nichts zu schaffen; ich möchte sie dennoch erwähnen,
weil ich sie mehrfach beobachtet und von Anderen nicht
beschrieben gefunden habe. Sie charakterisirt sich da-
durch, dass in den ersten Tagen des Lidverschlusses
nach vollständiger und reizloser Verheilung der Lappen-
wunde plötzlich die Epitheldecke in der Ausdehnung des
Lappens und auch darüber hinaus zerspringt und sich
in breiten, grossen Fetzen abstösst, um sich nach einigen
Tagen wieder vollständig zu regeneriren. In einem Falle,
in dem ich die Schuld auf die durch eine^ Coiyunctival-
Sutur veranlasste Zerrung schob, entwickelte sich genau
derselbe Process auch auf dem zweiten, nicht operirten,
aber verschlossenen Auge; der Kranke war im Ganzen
ein kräftiger Mensch, übrigens habitueller Potator, er
bekam die Hornhautentzündung während eines Anfedls
von leichtem Delirium tremens mit Pneumonie und Icte-
rus, das nach einigen Dosen Tartarus stibiatus und Opium
191
schnell gQnstig verlief. Es ist dies der einzige Fall, in
dem ich die beschriebene Homhautaffection beiderseitig
beobachtet habe; einseitige, ähnlich ausgebreitete Erkran-
kungen sind mir mehrere vorgekommen, ohne dass ich
ein ätiologisches Moment in der Operation finden konnte.
Kleine, circumscripte Erosionen kommen bekanntlich
nach Operationen an der Cornea im Allgemeinen nicht
gar selten vor und erfordern hier keine weitere Berück-
sichtigung.
5) Die eitrige Infiltration und Zerstörung
der ganzen Cornea habe ich im Ganzen jetzt 3mal beob-
achtet (unter mehr als 150 Fällen), während ich bei der
froheren Art zu operiren etwa 6 — 8 Procent auf diese
Weise verlor. Den einen Fall habe ich oben erwähnt,
er begann am 3ten Tage nach einer Extraction, bei der
der Lappen zu gross gebildet und mehrfach injuriirt
worden war, vom Wundrande aus und nahm bei einer
sehr unzweckmässigen Behandlung einen ausserordentlich
schnellen und ungünstigen Verlauf. Die beiden anderen
Fälle sind mir ätiologisch unklar geblieben; von allge-
meinen constitutionellen oder dyscrasischen Zuständen
konnte wenigstens bei einem von beiden Patienten keine
Bede sein, denn er wurde an demselben Tage beider-
seitig extrahirt; das Auge, auf dem die Operation glatter
abgelaufen wai*, suppurirte, das andre heilte mit gutem
Sehvermiigen. — Die Erscheinungen der Comeal-Suppu-
ration sind etwa folgende: schon wenige Stunden nach
angel^tem Verbände findet sich der Rand des Lappens
aufEftUend stark geröthet und geschwollen, mitunter nimmt
auch das zunächst gelegene episclcrale Zellgewebe an
dem Processe frühzeitigen Antheil, die Limbusgefässe
sind aussergewöhnlich weit und zahlreicher, die zunächst
angrenzende Gomealpartie in einer Breite von 1—2'^'
grauweiss getrübt und zwar löst sich diese Trübung in
eine Menge mattgrauer, kleiner und hellweisser, grösserer
192
Punkte auf, wie wir sie z. B. bei parenchymatöser Ke-
ratitis im Laufe von Blennorrhoeen in der Umgebung
grösserer Substanzverluste sehen. Diese Trübung be-
schränkt sich nicht auf die subepithelialen Corneal-
schichten, sondern geht durch die ganze Dicke und com-
binirt sich mit Beschlägen der hinteren Wand und
flockigen Trübungen des Kammerwassers, während an der
Iris noch wenig oder gar nichts zu sehen ist Einige
Stunden später hat unter steigender Zunahme der
Schwellung' des Lappenrandes, unter steigender Chemosis
und etwas Conjunctival- Absonderung der beschriebene
Halbkreis eine mehr gelbliche Farbe angenommen und
sich in seiner ursprünglichen Breite ein Ende über die
Grenze des Lappens hinaus nach oben vorgeschoben,
während gleichzeitig seine nächste Nachbarschaft (also
ein concentrischer Comealstreifen) sich grauweiss gefärbt
hat. Auf diese Weise bildet sich also aus der ersten
Eiterung des Lappenrandes gleichzeitig der ominöse,
bekannte Ringabscess und eine concentrisch fortschrei-
tende suppuratio corneae, bei der schliesslich das Cen-
trum am spätesten (d. h. nach Verlauf von wenigen Tagen)
erweicht. Nur in den ersten 24 Stunden kann man bei
seitlicher Beleuchtung noch sicher erkennen, dass der
eigentliche Krankheitsheerd in der Cornea sitzt und dass
nur vereinzelte, eitrige Depots im Kammerwasser, auf
der Lris und in der Pupille zu finden sind; später ist
so viel Eiter auch hinter der Cornea, dass eine Ent-
scheidung über den Ausgangspunkt des ganzen Processes
nicht mehr möglich ist. Wir werden weiter unten sehen,
wie ganz anders sich die Verhältnisse gestalten, wo
Eiterungen der Iris oder des PupiUargebietes das Pri-
märe sind.
Also in wenigen Worten! Die entzündliche Reaction
des dem Lappen zunächst angrenzenden Comealstreifens,
die bei normalem Wundverlauf regelmässig auftritt
193
(vgl. oben den Abschnitt über die Heilang der Lappen-
wundränder), erreicht in seltenen Fällen einen solchen
HOhegradf dass nicht nur die etwa in der Ebene der
LimbaS'Oefisse liegenden Comealschichten, sondern von
vornherein die ganze Dicke des Lappenrandes ergriffen
und zum eitrigen Zerfisdl gebracht wird, während derselbe
Process in den nächst anliegenden Partieen schnell ent-
steht und zurBeife gehingt, bis nach wenigen Tagen die
ganze Hornhaut durch Eiterung zu Grunde gegangen ist.
3) Die Beschaffenheit der vorderen Augen-
kammer nach der Extraction.
Wenn wir von dem Inhalte der vorderen Kammer
absehen, wie er durch Entzündung der Hornhaut der
Lris, durch Austritt von Corticalstacken und andere Zu-
fälligkeiten modificirt wird, so haben wir vorzugsweise
die Quantität des humor aqueus ins Auge zu üassen.
Die Quantität des humor aqueus zeigt Abweichungen
nach beiden Richtungen: entweder die vordere Kammer
ist aufiallend gross oder sie ist sehr klein, wenn nidit
ganz aufgehoben. In den ersten Fällen kann das Kammer-
wasser von vom herein klar sein, die Iris ist weit nach
hinten übergefallen, schlottert meistens stark und der
Baum zwischen Hornhaut und Iris bleibt sehr tief bis
zur definitiven Heilung, die mit gutem Sehvermögen ab-
schliesst; — oft ist das Kammerwasser von vom
herein (schon wenige Stunden nach der Operation) reich-
lich und trübe, die Iris liegt weit nach hinten, Pupille
meistens dilatirt, im vordem Glaskörperabschnitt beweg-
liche Trübungen, wenig Schmerzen, aber bläuliche In-
jection des vorderen Scleralabschnittes, relativ starke
Consistenz des Bulbus. Diese Erscheinungen habe ich
meistens bei alten Leuten mit hydrophthalmischem Bau
beobachtet; sie mögen wohl daher rühren, dass die
Archiv für Ophttwlmologie. XL S. 18
194
veränderten Druckverhältnisse nach der Extraction pro*
füse Ausscheidungen aus den dilatirten Gefilssen des
gedehnten vordem Augapfelsegments zur Folge haben.
So bedrohlich diese letzte Form von Hypersecretion des
humor aqueus, namentlich fQr die feste Heilung der
Lappen wunde aussieht, so unschädlich hat sie sich mir
bisher immer gezeigt; sollte die Spannung des Augapfels
zu gross werden, sollten sich Zeichen von Compression
der Betina und des Opticus entwickeln (womit der Zu-
stand also unter die grosse Gruppe der glaucomatösen
fallen würde), so könnte unter Umständen von vorsich-
tigen Functionen des Auges die Rede sein.
Zu kleine vordre Kammer deutet auf unvollkommene
Wundheilung oder auf entzündliche Vorgänge im Pupillar-
gebiete und hinter der Iris; eine Verwechselung zwischen
beiden Zuständen ist nicht gat möglich. Man kann sich
bisweilen in den ersten Tagen nach der Extraction eben
so wie nach der Iridectomie davon überzeugen, dass ein
für alle Mal mehr Wasser durch die Wunde hindurch-
tritt, als hindurchtreten soll; den Beweis dafür liefert
die chemotisch-wässrige Schwellung der Bindehaut in der
unmittelbaren Nähe der Wunde. In anderen Fällen muss
man aus dem Verlaufe schliessen, dass anhaltend zu viel
humor aqueus durchgelassen wird. So erinnere ich mich
eines alten Forstbeamten, dem ich auf beiden Augen
Cataract mit sehr vollkommenem Erfolge extrahirt hatte;
der Kranke litt etwas an Blepharospasmus und verlor
das Kammerwasser des linken Auges regelmässig, so oft
ich in den ersten 3 Wochen den Versuch machte, das
Auge ohne Compression zu lassen. Nachdem ich midi
von der Constanz der Erscheinung überzeugt hatte, blieb
das Auge 10 Tage und Nächte hinter einander unter
Compression, während deren die Schnittnarbe die gehörige
Festigkeit j;ewann.
Von den entzündlichen Vorgängen in der Iris und
195
dem Pupillargebiete, welche die Grösse der vorderen
Kammer beeinflusseii, wird weiter unten die Rede sein;
nur einer Inhaltsanomalie möchte ich noch schliesslich
erwähnen, weil ich nicht weiss, unter welches andere
Kapitel ich sie bringen soll, es sind die Blutungen
nach der Operation. Nehmen wir an, wir hätten eine
Extraction ohne ZwischenzufiUle gut beendigt und den
Verband erst angelegt, nachdem sich schon die vordre
Kammer gefGLUt hatte; nach einigen Stunden öffnen wir
das Auge, um nachzusehen, so können wir möglicher-
weise darauf rechnen, die vordre Kammer kleiner, trüber
und ein Blutcoagulum entweder auf dem Boden oder
zwischen den Schenkeln der neuen Pupille zu finden;
diese FäUe verlaufen bei Compression und Atropin gün-
stig. Sie sind, glaube ich, so zu verstehen, dass bald
nach der Operation der frisch angesammelte humor aqueus
stürmisch ausgeflossen und in Folge dessen eine massige
Hämorrhagia ex vacuo (vielleicht von den Iriswundrän-
dem) entstanden ist; Atropin anzuwenden, ist nothwen-
dig, weil bekanntlich Blutgerinnsel mit dem Pupillarrande
oder mit den Wundrändem der Iris sehr leicht Yerklebungen
eingehen und dann zu circumscripter, adhäsiver Iritis
führen. — Eine ähnliche Erklärung lassen die Beobach-
tungen zu, aus denen hervorgeht, dass nach starkem
Drängen zu Stuhl, nach Husten, Niesen und ähnlichen
Erschütterungen durch Muskelanstrengung plötzlich Blut
in der vordem Augenkammer gefunden ist — dagegen
giebt es eine kleine Gruppe von Fällen, in denen es fest
steht, dass ohne irgend welche Unvorsichtigkeit»
ohne entzündliche Erscheinungen von Seiten der Iris
von Zeit zu Zeit Blutergiessungen zwischen Hornhaut
und Iris, später mitunter in den vordem Theil des Glas-
körpers stattfinden. Diese Augen zeigen eine langwie-
rige, venöse Ii^ection des Zellgewebes um die Lappen-
wunde und gehören alten Leuten mit rigiden Arterien
19*
196
an, oft findet sich gleichzeitig hochgradige Sclerectasia
posterior und Atrophia chorioideae. Vielleicht kommen
diese Blutungen aus ähnlichen Gründen zu Stande, wie
die oben erwähnte Hypersecretion von humor aqueus;
aus welchen Oef&ssen sie stammen, vermag ich nicht
anzugeben. In Bezug auf die Prognose ist zu bemerken,
dass die Blutergüsse sich bei vorsichtigem Verhalten
immer spontan resorbiren, dass sie aber leicht zu Reci-
diven disponiren und unter allen Umständen die Her-
stellung der Kranken sehr in die Länge ziehen.
4) Das Verhalten der Iris nach der *£xtraction.
1) Die ersten Veränderungen an der Iris zeigen sich
oft schon während der Operation; sie bestehen entweder
darin, dass nach Beendigung des Lappenschnittes kleine
Hämorrhagieen in's Gewebe auftreten, oder dass nach
dem Austritte der Linse die ganze Iris eine etwas dunk-
lere Färbung annimmt, ähnlich, wie im Beginn mancher
dififusen Iritis. Von diesen beiden Erscheinungen ver-
schwindet die erstere immer spontan, sie ist Folge der
plötzlichen Druckverminderung nach Abfluss des humor
aqueus und combinirt sich mitunter mit kleinen Estra-
vasaten in den vordem Eammerraum und mit plötzlichem
Auftreten von Blutgefässen der Iris (ähnlich, wie man sie
bei alter Iritis chronica sieht), — die letztere kann sich
zu einer diffusen Iritis mit serösem Exsudat steigern,
pflegt aber bei Anwendung von Atropin ebenfalls zu
verschwinden, wenn sie nicht etwa durch continuirliche,
vom Linsensysteme herrührende Reize unterhalten wird.
Von diesen beiden unschuldigen Vorgängen unterscheiden
sich wesentlich
2) die vom Pupillarrande ausgehenden Ent-
zündungen und Exsudationen, die unmittelbar
nach der Operation ihren Anfang nehmen.
197
Beobachtet man ein Auge, auf welches man sofort nach
der Extraction Atropin in grosser und häufiger Dosis
einwirken lässt, einige Zeit, etwa eine Stunde lang, so
zeigt sich meistens keine Wirkung auf die Grösse der
Pupille."^) In den wenigen Fällen aber, in denen etwas
Dilatation eintritt, überzeugt man sich leicht, dass die
beiden Wundwinkel der durch Iridectomie gemachten
Oe&ung und ausserdem noch einzelne, kleine Stellen des
sphincter iridis den meisten Widerstand leisten. Den
Grund hiefor glaubte ich in der Berührung der genann-
ten Stellen mit aufgerissenen Eapselpartieen suchen zu
dürfen. Um mich durch Versuche hievon zu überzeugen,
habe ich einige Male die Kapsel nicht im Gentrum, son-
dern nach Yorhergeschickter Iridectomie in der Nähe
des Linsenrandes möglichst breit geöflhet und den
Kern mit einem Theile der Rinde austreten lassen; bei
diesem Verfahren, welches die vordere Kapsel in der
Mitte und an der oberen Grenze der neuen Pupille un-
versehrt liess, dilatirte sich die Iris sofort ad maximum.
Hienach konnte ich annehmen, dass die beim Durchtritte
der Linse an der hinteren Fläche und am Bande des
kleinen Iriskreises entstehenden Erosionen, ebenso wie
die Wundwinkel der neuen Pupille der dilatirenden Wir-
kung des Atropin hartnäckigeren Widerstand leisten,
wenn sie mit Rauhigkeiten der Kapsel oder mit Linsen-
resten in Berührung kommen, als wenn sie der glatten
Kapseloberfläche anliegen. — Es fragte sich weiter, ob
die Unbeweglichkeit der bezeichneten Stellen auf rein
*) Aehnliches, wenn aacli nicht in so hohem Grade, findet nach
Diftdsionen, wenn Bchliesslich der humor aqueae ansgeflotsen ist, regel-
mässig statt. Nichts desto weniger ist das Atropin nicht wirkungslos
gewesen, denn nach einigen Standen tritt Dilatation der Pupille ein.
Vielleicht liegt der Grund der scheinbaren Wirkungslosigkeit in einer
Lageyerfinderung der Iris, durch welche die Thatigkeit der Muskeln
erschwert wird.
198
mechanische Gründe zurückzuführen, ob sie durch Druck
und Lähmung entstanden sei, oder ob schon wenige
Momente nach der Operation entzündliche Ausschwitzun-
gen stattftüiden, welche die Iris mit ihrer nächsten
Nachbarschaft verbänden. Ich bin natürlich ausser Stande,
für den einzelnen Fall die wirkende Ursache zu bestim-
men, kann aber behaupten, dass sich sehr bald nach der
Extraction unter den Augen des Beobachters membranöse
Exsudate im Pupillargebiete bilden können, die in ei-
nem mehr oder weniger festen Zusammenhange mit der
Iris stehen. Um nicht durch weitere Beschreibungen zu
ermüden, citire ich folgenden Fall, den ich wörtlich mei-
nem Journale entnehme:
Fridrich Hintz, 74 Jahre alt, kräftiger, nicht früh-
zeitig gealteter Arbeiter, potator. Bulbus normal, vordre
Kammer eng, Iris blau, Papille gut reagirend, durch
Atropin vollständig dilatirbar, leichtes Ectropium des
unteren Augenlides. Sehr voluminöse Cataract mit wei-
cher, völlig undurchsichtiger Rinde. — Extraction am
18. Juli 1863. Tiefe Narcose ohne Erbrechen. Gute
Lappenbildung beim ersten Vorschieben des Messers mit
Ausnahme einer kleinen Goiyunctivalbrttcke — Kapsel-
öffhung und gleichzeitig Austritt weicher Rinde, hinter
der ein dunkelbrauner Kern sichtbar wird, — Trennung
der Goi^'unctivalbracke — starke Verengerung der Pupille.
Der Kern stellt sieh schwer — Iridectomie nach innen
unten, — reichliche Blutung, — coUapsus corneae, —
Entfernung des Blutes — Accouchement des sehr grossen,
harten, dunkelbraunen Kerns unter Abstreifung von Iris-
pigment, — trichterförmiger collapsus corneae. — Nach-
dem sich wieder humor aqueus angesammelt und der
Lappen gehoben hat, sieht die ganze Pupille mit Aus-
nahme der tiefsten Stelle trübe aus. Untersuchung
mit seitlicher Beleuchtung: die Pupille ist mit Aus-
nähme des untersten Randes von einer grauen, theiiweiäe
blutig tingirten, membranösen Trübung eingenommen,
199
die unmittelbar mit den Irisrändern zusammen zu hängen
scheint. Versucht man aus der Mitte der neu gebildeten
Pupille von der grauen Masse hervorzuziehen, so folgen
einzelne Fetzen (Kapsel?) und die Stellen, an denen sie
lagen, werden schwärzer; fasst man dagegen in der
alten Pupille, so dislocirt man die Iris in der
Richtung, in der die Pincette wirkt, nnd es
folgt Nichts. — Nachdem sich humor aqueus angesam-
melt hatte, wurde das Auge geschlossen nnd nach einer
Stunde wieder geöfihet Es konnte constatirt werden,
dass ein kleines Blutgefäss aus der Iris in die Pupillar-
membran hineinlief, und wurde deshalb angenommen,
dass sich schon im Laufe der ersten Stunde
nach der Extraction entzflndliche Ausschwit-
zungen und Verwachsungen zwischen der Iris
nnd dem Inhalte der Pupille gebildet hatten. —
Von dem weiteren Verlaufe ist zu erwähnen, dass der
Comeallappen trflb wurde, wie nach starkem Collapsus*
(siehe oben), und dass er drei Tage darauf wieder
hell war, — dass sich eine leichte diffuse Iritis ent-
wickelte und dass bei regelmässiger Anwendung des
Atropin die Synechieen zerrissen und diePupillartrflbungen
atrophirten, so dass schliesslich mit + 2Vs Jäger 1 auf
8" gelesen, mit -+- 5 eine vortreffliche Femsicht erreicht
wurde.
Ich darf hienach wohl einen Schritt weiter gehen
und behaupten, dass schon wenige Augenblicke nach
Beendigung der Operation eine adhäsive Iritis an den
Wimdwinkeln der neuen und an einzelnen Punkten der
alten Pupille zu Stande konunen kann, die sich durch
frühzeitige Verwachsung zwischen den wunden Irisstellen
und der unmittelbaren Nachbarschaft (seien es Kapsel-
zipfel oder kleine intracapsuläre Reste oder Blutgerinnsel)
bemerklich macht.
Diese Form der Iritis macht in den ersten Tagen
wenig oder gar keine subjectiven Symptome; bleibt sie
200
auf einzelne Punkte beschränkt (also etwa auf die Winkel
der neuen Pupille), so kann man sie auch später noch
übersehen, wenn man nicht die Probe mit Atropin macht;
verbreitet sie sich weiter, so entsteht nach einigen Tagen
etwas Hitzegefähl, Stiche im Auge, Giliarschmerz; man
findet dann die alte und neue Pupille durch eine dünne,
grauliche, der Iris adhärirende Masse geschlossen (ähn-
lich wie bei Iritis simplex), dabei viel Synechieen, enge,
verzogne Pupille, etwas verfärbte Iris, Giliariigection.
Leichte Antiphlogose und Atropin beherrscht den Pro-
cess; Atropin muss consequent Tag und Nacht ange-
wandt werden, bis einTheil des Pupillarrandes loslässt,^)
dann kann man es seltner einträufeln. Untersucht man
am ersten Tage und ftngt früh mit Atropin an, so kann
man dem Kranken den Pupillarverschluss ersparen, aber
die Synechieen am Wundwinkel der neuen Pupille kom-
men trotzdem meistens zu Stande und sind sehr hart-
näckig.
Ich habe mich bei dieser Form der Iritis sehr lange
aufgehalten, weil ich annehme, dass diejenigen, die das
Auge nicht frühzeitig öfihen und untersuchen, unmöglich
wissen können, wie früh sie anfängt und wie leicht sie
bei sofortiger Behandlung zu beseitigen ist, — weil
ich sie ausserdem für sehr häufig halte und glaube, dass
man sie oft mit Pupillarverschluss durch geblähte Linsen-
reste verwechselt hat.
3) Einige Aehnlichkeit mit der letztgenannten, häu-
figen Iritis hat in der Entstehung und den subjectiven
Symptomen eine andre Form, die ich unter den nach der
oben beschriebenen Methode Operirten bis jetzt dreimal
beobachtet habe. Sie beginnt sehr kurze Zeit nach der
Extraction ohne subjective Symptome unabhängig von
*) Dieses ist bei Extraction nach unten gewöhnlich der obere Theil,
der am wenigsten von der Linse gedrückt und abgestreift wird.
201
der Heilung des Lappens und charakterisirt sich dadurch,
dass von vom herein wenig trüber humor aqueus ab-
gesondert wird, dass sich im Pnpillargebiete gelbe
Flocken finden, die sich nicht zu Boden senken, sondern
ihre ursprüngliche Lage beibehalten, sehr früh Verbin-
dungen mit dem Pupillarrande zeigen und später auch
hinter der Iris nachweisbar werden. Innerhalb 24 Stunden
können sich ähnliche, gelbe Niederschläge auf der Iris-
Vorderfläche und im humor aqueus finden, ohne dass es
übrigens zur Bildung nachweisbar flüssigen Eiters kommt.
In zwei Fällen gelang es mir, durch sehr zeitige und
energische Anwendung von Atropin die Pupille zu erwei-
tern; die gelben Massen zerfielen allmälig, wurden auf-
gesogen und es blieb eine massige Kapselverdickung mit
wenigen Synechieen, die in einem Falle die Sehschärfe
kaum beeinträchtigte (S Vr), in dem andern eine spätere
Discision der Kapsel nöthig machte; der dritte Fall end-
lich erlaubte nur eine kurze Beobachtung, weil der Kranke
vor Ablauf des Processes starb. Es war ein rQstiger
Landmann von 73 Jahren, dem eine Cataracta senilis
(harter Kern, zähe Rinde) auf beiden Augen extrahirt
wurde; unmittelbar nach der Operation begann ein De-
lirium (traumaticum?), das trotz Anwendung verschiede-
ner Mittel bei vollständiger Schlaflosigkeit Tag und Nacht
anhielt, am 8ten Tage fand sich dazu profuses anhalten-
des Erbrechen schwärzlicher, blutiger Massen, am 17ten
Tage erfolgte plötzlich der Tod. Die Section wurde nicht
gestattet Auf beiden Augen hatte ohne Schmerz bei
sehr massiger Injection und gutem Lichtscheine die be-
schriebene Exsudation stattgefunden, die auf dem einen
im Fortschreiten geblieben, auf dem andern rückgängig
war, — ersteres zeigte sich durch Abnahme des humor
aqueus und Andrängen der Iris gegen die Cornea durch
gelbliche, hinter der Iris liegende Massen, letzteres da-
durch, dass die Cornea gut angeheilt, die vordere Kammer
202
klar, die Iris wenig yerCärbt und nur in der Pupille ein
gelblicher, in der Rückbildung befindlicher Pfropf war.
Beiderseits weder Zeichen von Eiterung im Innern des
Auges, noch von beginnender Phthisis bulbi. — Ich glaube
diesen Process als Iritis purulenta bezeichnen zu dürfen,
wenn es auch nicht gerade zur Hypopion-Bildung kommt.
In den drei beobachteten Füllen fehlte Lidgeschwulst.
Giliarschmerz, eitriges Coiyunctival-Secret w&hrend des
ganzen Verlaufes. Wenn man das Auge am i&nften Ta^e
zum ersten Male untersucht, die Pupille geschlossen, die
Iris mit gelben Schwarten bedeckt, die vordre Kammer
vielleicht aufgehoben, den Lappen durch die andrängende
Iris etwas dislocirt und in Folge dessen getrübt gefun-
den hätte, wäre man dann im Stande gewesen, zu unter-
scheiden, ob man es mit primärer Keratitis, Iritis, Kerato-
Iritis etc. etc. zu thun gehabt? Ich halte es für unmög-
lich. Das Yerständniss dieser Vorgänge giebt nur eine
frühzeitige Untersuchung des Auges und diese lehrt,
dass purulente Iritis nach der Extraction ohne irgend
welche Folge für den Hornhautlappen sowohl bis
zur vollständigen Heilung, als auch bis zum Pupillar-
verschlusse und Vorwölbung des Ciliartheils der Iris
verlaufen kann.
4) Hievon zu unterscheiden sind die Entzündungen
der Iris, welche im Gefolge von Cornealeiterung auf-
treten ; es geht ihnen regelmässig die oben beschriebene
Schwellung der Wundränder und des Lappens voraus,
welcher sehr bald Trübung des Kammer wassers, eitrige
Beschläge der Iris, Eiterbildung im PupiUargebiete, Hy-
popion und häufig Panophthalmitis folgen. Während also
bei der primären Iritis purulenta der humor aqueus ent-
weder klar wird oder schwindet, die Iris unbeweglich wird
oder sich vorbuckelt, der Comeallappen normal anheilt
oder secundär vorgedrängt und getrübt wird, so ist
bei der secundären Iritis purulenta die Hornhauttrübung
208
von vorn herein progressiv, der humor aqueus wird trü-
ber und gelber (wobei die vordre Kammer tief sein kann),
die Iris wird mit eitrigen Massen bedeckt, später eitrig
infiltrirt nnd tritt nicht eher nach vom, als bis Schmel-
zung der Cornea und deren Folgezustftnde eintreten.
5) Wenn die Iris durch breitere Verwachsungen
mit Kapsel- oder Linsen-Resten, mit Blutgerinnseln oder
Exsudat- Massen fixirt geblieben und keine hinreichende
Wirkung des Mydriaticum erfolgt war, so kann der Fall
eintreten, dass die subcoujunctivale Injection am Lappen-
rande zwar zurückgeht, aber nicht vollkommen ver-
schwindet, und dass von Zeit zu Zeit frische Schübe von
Iritis auftreten. Sie kennzeichnen sich durch heftige
Ciliar -Injection, Thränenfluss, Hitze des Auges, Stirn-
schmerz, mitunter auch ödematöse Schwellung des freien,
oberen Lidrandes, Verfärbung des Irisgewebes und graue
Ausschwitzungen in das PupiUargebiet selbst an den
Stellen, die man schon durch Atropin befreit zu haben
glaubte. Die Symptome gleichen völlig denen der be-
kannten, leicht recidivireuden Iritis, die auf dem Boden
alter, nicht gelöster Synechieen immer von Neuem auf-
flackert. Dass die Anfälle nach der Extraction häufiger
und intensiver sind, mag wohl darin seinen Grund haben,
dass hinter der Iris in unmittelbarster Nähe derselben
Veränderungen vor sich gehen, welche, wie wir gleich
sehen werden, einen ausserordentlich schleppenden Ver-
lauf nehmen und sehr lange Beizzustände unterhalten
können. Die Behandlung besteht zuerst in localer Anti-
phlogose, mitunter wird bei starker Hyperämie Eis, das
bekanntlich im Allgemeinen bei Iritis zu vermeiden ist,
ausgezeichnet vertragen, dann ist Atropin zu empfehlen.
Man hat von letzterem nicht so viel zu erwarten, als
sonst bei Iritis, vielleicht aus mancherlei Gründen:
erstens ist in den bezeichneten Fällen schon lange Zeit
mehr oder weniger fruchtlos atropinisirt worden, dann
204
sind die Ausschwitzungen am Pupillarrande (wie sich bei
sp&teren Operationen zeigt) relativ fest, endlich ist das
Irisgewebe sehr hyperämisch und das ist bekannt-
lich für die Wirkung der Mydriatica ohne yorangeschickte
Antiphlogose eine schlechte Complication. Nichts desto
weniger müssen die Versuche, die Pnpille zu erweitem,
einige Tage energisch fortgesetzt werden; sieht man dann«
dass sie ganz fruchtlos sind, so steht man von ihn^ ab,
um nicht zu reizen, und kann entweder abwarten, ob die
Exsudate sich spontan günstig zurückbilden, oder Mer-
curialien versuchen,*) oder endlich ohne Weiteres Iri-
dectomie machen. Letzteres habe ich in mehreren Fällen
öfter wiederholt; es kamen Blutungen, frische Exsuda-
tionen, wie bei alter Iridochorioiditis, aber inmier trat
Erleichterung ein, der Process wurde allmälig gebrochen
und schliesslich gelang es, irgend eine gute Pupille zu
etabliren und statt des Ausganges in Erkrankung des
Glaskörpers und Phthisis bulbi ein hinreichendes Seh-
vermögen zu schaiFen.
5) Ueber die der Extraction folgenden Vorgänge
im Pupillargebiete.
Nach Entfernung der Cataract beobachten wir regel-
mässig eine Reihe von Veränderungen an den Zipfeln der
vorderen Kapsel und an den intracapsulären Zellen,
mitunter auch an grösseren und kleineren Rindenstücken,
die nicht aus dem Auge entfernt werden konnten. Alle
drei Vorgänge sind unter sich sehr verschieden und nicht
leicht mit einander zu verwechseln; kommen sie an dem-
*) Die Meinungen über die Wirkung der Mercurialien gegen iri-
tische EzBudate sind bekanntlich sehr getheilt. Da viele aasgeseichnete
Ophthalmologen nach wie vor daran festhalten, so darf man, glaube ich,
von Versuchen nicht abstehen.
205
selben Auge gleichzeitig vor, so kann das Bild des einen
durch das des andern verdeckt werden.
Wenn die vordere Kapsel sehr schnell coUabirt,
so sieht man wenige Stunden nach der Operation bei
seitlicher Beleuchtung im Pupillargebiete hinter der Iris-
ebene eine graue, schwach schillernde Membran, die in
der Nähe des Centrums etwas von der normalen Schwärze
der Pupille hervortreten lässt. Diese Membran wird von
der über einander liegenden, hintern und vordem Kapsel
gebildet, die schwarze Stelle ist die Lücke in der vor-
dem Kapsel, die durch Retraction der Zipfel entstanden
ist In anderen Fällen reponirt sich zwar der grosseste
Theil der Kapsel, aber einige Zipfel legen sich nicht an
und flottiren bei den Bewegungen des Auges frei hin
und her; sie können schliesslich den Sehakt so weit stören,
dass man sie extrahiren muss; sie sind ausserordentlich
dünn und nur bei genauer Untersuchung des Auges zu
erkennen. — Unter noch anderen Bedingungen endlich
rollen sich die Zipfel auf und legen sich gegen den Pu«
pillarrand oder gegen die Bänder der neuen Pupille;
vom Pupillarrande ziehen sie sich, wenn er unverletzt ist,
bald zurück, bleiben also unschädlich, an den Wund-
rändern der neuen Pupille bewirken sie sehr schnell ad-
häsive Iritis und Verziehungen oder Verengerungen, die
an sich von geringer Bedeutung sind, aber nicht immer
vollständig beseitigt werden können.
Die intracapsulären Zellen spielen, wie mir
scheint, keine kleine Rolle bei den entzündlichen Vor-
gängen nach der Extraction. Verläuft Alles sehr glatt,
so findet man bei seitlicher Beleuchtung schon am ersten
Tage das ganze Gebiet der Kapsel diffus grau; diese
Trübung steigert sich bis zum dritten oder vierten Tage,
ohne dass sich einzelne Stücke oder Schollen abgrenzen,
und dann beginnt die allmälige Aufhellung. In diesem
Stadium verschwinden die Trübungen nicht gleichmässig
206
bis zur vollständigen Transparenz, sondern man sieht
einzelne Stellen der Kapsel klar werden, während andere
(namentlicb an der Peripherie und an den Rändern) eine
weisse Farbe annehmen, wie bei Cataracta secundaria;
im Ganzen vergehen schliesslich noch Monate, bis die in
den intracapsulären Zellen durch Spaltung der Kapsel
und Entfernung der Linse eingeleiteten Vorgänge so weit
gediehen sind, dass man sie als abgelaufen ansehen kann.
In diesem letzten Stadium finden wir dann bei der
Untersuchung unter Atropin und seitlicher Beleuchtung,
dass die tellerförmige Grube von einer kaum sichtbaren,
glashellen Membran ausgekleidet ist, an der wir einzelne
Fältchen und Streifen sehen, ohne übrigens Oberall die
Entstehung derselben aus der vordem und hintern Kapsel
nachweisen zu können; in der Mitte ist die Membran
gewöhnlich am durchsichtigsten, an der Peripherie am
meisten durch weisse oder weissgelbe Partieen verdickt.
Sind die Verhältnisse ungünstiger, so verbinden sich die
aufquellenden Linsentheile sofort mit der Hinterfläche
der Iris, mit dem Pupillarrande und den Bändern der
neuen Pupille; es entsteht dann eine Form von Iritis,
bei der sich leicht die Pupille schliesst und der Pupillar-
rand nach hinten gezogen wird (vielleicht Mooren's Ver-
wachsung der Iris mit der tellerförmigen Grube?), wenn
man nicht sehr frühzeitig durch Atropin alles loslöst,
was überhaupt noch dehnbar ist Nichts desto weniger
bleiben trotz der gehörigen Aufmerksamkeit bei der Be-
handlung oft genug einzelne Einziehungen der Pupille
zurück, an denen die Iris atrophisch geworden und mit
einer weissen, durch ihr Gewebe hindurchschimmernden
Masse (veränderte Linsenkapsel) unzertrennlich verwadi-
sen ist — Sehr abweichend von den eben beschriebenen
Veränderungen, bei denen die unmittelbare Berührung
mit der Iris immer eine Bolle spielt, habe ich bei voll-
ständig dilatirter Pupille den Kapselinhalt aus seiner
207
ersten grauen in eine weissliche und dann in eine gelbe,
dem Eiter vollkommen ähnliche Trübung Qbergehen sehen,
ohne dass sich an Cornea oder Iris Zeichen von Suppu-
ration zeigten. In der gelben Masse tauchten später
Gefitsschen auf, die unzweifelhaft hinter der Iris lagen
und einen Rfickbildungsprocess der Kapsel mit ihrem
Inhalte zu einer mehr oder weniger undurchsichtigen,
weissen Cataracta secundaria anzudeuten und einzuleiten
scheinen. Einmal verlief die ganze Krankheit ohne
Mitbetheiligung der Iris, in drei anderen Fällen nahm
diese nachträglich Theil und es bildeten sich Synechieen,
von denen einzelne nicht zu beseitigen waren.
Diese wenigen Beobachtungen haben mich zu der
gewiss sehr anfechtbaren Annahme bewogen, dass in dem
Inhalte der Linsenkapsel nach vorhergegangener Extrac-
tion entzündliche Veränderungen ohne Betheiligung
der Nachbarorgane entstehen und bis zur Eiterung oder
Bildung fester, organisirter, wahrscheinlich bindegewe-
biger Neubildungen verlaufen können.
Ist man genöthigt, nicht vollkommen reife Cataracten
zu extrahiren, oder ist die Consistenz der Linse der Art,
dass sich beim Durchtritte durch die Pupille einzelne
Stücke abstreifen müssen, oder sind endlich während der
Operation Zufalle eingetreten, welche die bekannten Ma-
nipulationen zur Herstellung einer reinen Pupille frucht-
los oder nachtheilig erscheinen lassen (also etwa starker
collajlsus corneae, Ruptur der Zonula, reichliche Hämor-
rhagien in die vordere Augenkammer), dann bleiben be-
kanntlich Corticalreste im Auge. Da man in der
klinischen Praxis die Extraction vollkommen reifer Staare
zu den piis desideriis rechnen muss, die sehr selten er-
füllt werden, so hat man leider oft genug Gelegenheit,
Studien über den Einfluss von Corticalstücken auf die
Heilung der Lappenwunden zu machen und sich davon
zu überzeugen, dass nicht nur die Menge der zurück-
gebliebenen Reste und ihre natürliche Lage, sondeni
auch die Technicismen der Operateure von Einflnss auf
das Schicksal des Auges sind. Es genügt hier anzudeu-
ten, dass es eine Zeit gab, in der die Angst vor zurück-
bleibenden Linsenfragmenten zur wiederholten Einführung
des Davierschen Löflfels als Methode verleitete und dass
heute namhafte Ophthalmologen die Prognose wesentlich
zu bessern vermeinen, wenn sie — selbst auf die Gre&hr
hin, den Lappen öfter zu lüften — kleine Quantitäten
abgestreifter Rinde aus dem Auge zu entfernen suchen,
während Andere sich nicht scheuen, grössere Parüeen
zurückzulassen. Diese Verschiedenheiten entspringen aus
verschiedenen Voraussetzungen; die Einen halten die
möglichst vollständige Extraction der Linse für erste
Bedingung einer guten Lappenheilung, die Anderen glau-
ben, dass vieles Lüften der Hornhaut mehr schade, als
die Entfernung der Reste helfe. Da ich zu den Letzteren
gehöre, so habe ich mich immer darauf beschränkt,
nachträglich nur diejenigen Stücke herauszulassen, die
leicht folgten; es sind dabei oft Rindenpartieen zurück-
geblieben, aber sie sind möglichst wenig dislocirt worden.
Auf ihr Verhalten beziehen sich die folgenden Angaben:
Diejenigen Corticalreste, welche hinter der unverletz-
ten, vorderen Kapsel liegen, also vorzugsweise die peri-
pherischen, kommen für die Wundheilung nicht in Be-
tracht; die übrigen, die dem humor aqueus direct aus-
gesetzt sind, sind wenige Stunden nach der O^ration
als graue, unregelmässig contourirte Körper von einer
gewissen Dicke sichtbar; sie stehen entweder an einzel-
nen Stellen mit den Residuen des Linsensystems in Ver-
bindung oder haben sieh vollständig gelöst Im ersten
Falle liegt ihre Vorderfläche hinter der Ins oder im
Pupillargebiete oder ragt sogar ein klein wenig darüber
hinaus, im letzteren Falle findet man sie entweder in
ihrer ganzen Breite vor der alten Pupille liegen oder ^e
209
haben sich in die neue Papille gesenkt oder sie sind im
Begriffe, in den vordem Eammerraum zn treten. Wo
eine Berührung zwischen dem Pnpillarrande oder der
Hinterfläche des kleinen Iriskreises und sich blähenden
LinsenstQcken stattfindet, da giebt es sicher adhäsive
Iritis und es unterliegt also keinem Zweifel, dass, gerade
wie bei der Discision, bei unvollkommenen Extractionen
PupiUarverschluss mit seinen Folgen zu Stande kommen
kann, wenn nicht zeitig durch Atropin nachgeholfen wird.
Gelingt es, die ganze Papille froh ad maximum zu dila-
tiren, so sieht man die Stücke kleiner und dünner wer-
den, sich langsam herabsenken und allmälig verschwin-
den; es findet dann wohl unter Zutritt von humor aqueus
ein langsamer Auflösungs- und Resorptionsprocess statt
Versagen die Mydriatica in der ersten Zeit auch ihren
Dienst, so gelingt es bei fortgesetzter Anwendung immer,
von der alten Papille zuerst den obem und allmälig auch
den untern Theil ganz oder fast ganz zu befreien, wäh-
rend in der neuen Pupille die Linsenfragmente Verbin-
dungen mit den Wundrändem eingehen, später schrum-
pfen und zu einer für das Sehvermögen indifferenten
Cataracta secundaria führen. — Legen sich endlich grössere
Stücke vor die Pupille auf die Iris, so beeinträchtigen
sie zwar für kurze Zeit die Wirkung des Atropin, heben
sie aber nicht auf und verschwinden endlich wie Linsen-
stücke, welche längere Zeit der vollen Wirkung des
humoi^aqueus ausgesetzt gewesen sind.
Während diese Veränderungen an der Stelle vor sich
gehen, welche ursprünglich von der Gataract eingenom-
men wurde, zeigt das übrige Auge ein verschiedenes
Verhalten. Ganz unverändert bleibt es, wenn sich die
vordere Kapsel sofort nach hinten umschlägt; treten aber
einzelne Zipfel mit der Iris in Verbindung oder drücken
hervorgetretene Rindenstücke gegen dieselbe, so pflegt
subconjunctivale Injection, Schmerz und Trübung des
Areldy fllr OphUialmoloffle. XL 9. 14
2i0
Eammerwassers zu entstehen, wie bei einer massigen
Iritis, die bald ihre Akme erreicht und dann zurückgeht;
die Akme entspricht der höchsten Quellung, die Remission
der Auflösung oder Resorption der Corticalstücke. —
Gehen innerhalb der Kapsel diejenigen Veränderungen
vor sich, die ich oben beschrieben und als entzQndungs-
ähnliche bezeichnet habe, so heilt der Hornhautlappen
zwar ohne Reizung an, aber das Auge wird nicht ganz
frei yon Injection, es bleibt etwas empfindlich gegen
Druck, auch stellen sich wohl hie und da leichte Ciliar-
schmerzen ein, aber alles erreicht einen so geringen Grad,
dass man oft glaubt, der Kranke werde in wenigen Tagen
zu einem vorsichtigen Gebrauche des Auges übergehen
können, — da vermehrt sich plötzlich ohne alle nach-
weisbare Veranlassung die Injection, die Schmerz-
haftigkeit, der Thränenfluss, und man findet bei der
Untersuchung, dass ein Theil der im Pupillargebiete zu-
rückgebliebenen Trübungen intensiver weiss geworden ist;
bald participirt auch die Iris und dann wird es schwer
zu entscheiden, wo der eigentliche Ausgangspunkt des
entzündlichen Anfalls zu suchen ist. Bei massiger Auti-
phlogose und strenger Anwendung von Atropiu schwächt
sich allmälig die Intensität der subjectiven Symptome ab,
die Pupille erweitert sich entweder ad maximum oder es
bleiben einzelne Synechieen oder es tritt eine zwar gleich-
massige, aber unvollkommene Dilatation ein, die weissen
Stellen zerfallen innerhalb der Kapsel, werden
durchscheinend und scheinen der Resorption zu unter-
liegen, auch die subconjunctivale Injection ist dem Ver-
schwinden nahe, aber plötzlich tritt ohne nachweisbare
Ursache ein ähnlicher Anfall von neuem auf und so kann
der Process in mehreren Recidiven immer von neuem
auflodern, bis er endlich nach definitiver Schrumpfung
des Kapselinhalts ein für allemal erlischt. — Ich glaube,
man hat einen Theil der eben beschriebenen Symptome
211
unter dem Nameü Cyclitis oder Iridocyclitis zusammen-
gefasst und diese ihrer besondem Hartnäckigkeit wegen
aus constitutionellen Ursachen entstehen lassen. Es ist
mir nicht möglich, für dasjenige, was mir zu Gesicht
gekommen ist, dieselbe Bezeichnung zu wählen, und zwar
aus folgenden Gründen: in einem Falle habe ich mehrere
Wochen hindurch die Kapselveränderungen bis zur gelben
Verfärbung und Gefässneubildung verlaufen sehen, ohne
dass die Nachbarorgane participirten, — in mehreren
anderen habe ich mich überzeugen können, dass die Iris
von Anfang an unverändert war und erst secundär er-
griffen wurde, — endlich aber ist, so viel ich weiss, der
ganze Symptomencomplex niemals bei Extraction der
Linse mit beiden Kapseln beobachtet worden, und es ist
gar nicht abzusehen, warum eine traumatische, auf con-
stitutioneller Basis entstehende Iridocyclitis nicht eben
so gut ein Auge befallen soll, dessen Linsenkapsel ex-
trahirt, als ein solches, in dem sie zurückgeblieben ist
Etwas mehr hat die Theorie für sich, die zurückgeblie-
bene Corticalreste und ihren Druck auf die processus
ciliares für die Ursache der chronischen, häufig wieder-
kehrenden Entzündung hält, aber auch ihr möchte ich
mich nicht auscfaliessen. Ich habe oben geschildert, wie
sich die Corticalreste nach der Extraction verhalten; sie
quellen auf, drängen die vordre Kapsel auseinander, lösen
sich aus dem letzten Zusammenhange mit dem übrigen
Linsensysteme und werden schliesslich aufgesogen; sie
machen sich sehr bald bemerklich und sind bei einiger
Aufmerksamkeit ziemlich unschädlich. Fast das strikte
Gegentheil ist das Bild der oben beschriebenen Vorgänge:
es verläuft alles innerhalb ^er Kapsel, hinter der Pu-
pillarebene, die trüben Partieen quellen weder erheblich
auf, noch treten sie hervor, sie bleiben im Zusammen-
hange mit der Eapselhöhle, in der sie schliesslich
schrumpfen, sie machen sich spät bemerklich und sind
14*
212
bei alier Sorgfiedt der Nachbehandlung weder früh zu
diagnosticiren, noch mit Sicherheit unschädlich zu machen.
Aus diesen Gründen glaube ich die durch Rindenreste
hervorgerufene Iritis von den durch die intracapsulären
Zellen bedingten Reizungszuständen des Auges streng
scheiden zu müssen, wiewohl sich vielleicht nicht in je-
dem einzelnen Falle in der Praxis eine scharfe Grenze
ziehen lässt. — Was die Gyditis anbetrifft, so bin ich
mit dieser Diagnose im Allgemeinen sehr zurückhaltend
und werde mich nicht leicht entschliessen, sie durch
Rindenstücke entstehen zu lassen, wenn ich mir aus dem
Verlaufe der Operation und möglichst genauer Unter-
suchung in den Tagen nachher keine Vorstellung schaffen
kann, wie die hypothetischen Stücke in nachtheilige Be-
rührung mit den processus ciliares gekommen sind.
Ich habe noch mit einigen Worten der Blutungen
in dem Pupillargebiet zu gedenken; sie verlaufen ähnlich
denen nach Iridectomie und nach Linear-Extraction mit
Iridectomie. Ist man im Stande, die Pupille vollständig
zu dilatiren, so verschwindet das Blut spurlos oder mit
Hinterlassung von Pigmentpünktchen auf der Kapsel;
ist keine oder nur eine sehr späte Atropin- Wirkung zu
erzielen, so bildet sich adhäsive Iritis, die rothe Farbe
des coagulum verschwindet und es bleibt ein grauer,
glänzender plaque, der an einzelnen Stellen mit dem
Pupillarrande in Verbindung steht; von letzterem kann
er sich entweder in späterer Zeit, wenn die Synechieen
gedehnt werden oder von selbst atrophiren, trennen
(dann zerfiUlt er und verschwindet schliesslich), oder es
bleiben die Adhäsionen und mit ihnen eine derbe Cata-
racta secundaria. So ausserordentlich selten der letzte
Ausgang im Verhältniss zu der sehr häufigen Resorption
der Blutungen ist, so musste ich ihn doch erwähnen;
ich möchte noch hinzufügen, dass die nach der £x-
traction zurückbleibenden sogenannten Eapseltrübungen
218
weniger intensiv za sein pflegen, wenn sie von reinen,
entzündlichen Processen im Pupillargebiete herrflhren,
als von solchen, die mit H&morrhagien gemischt waren.
Was ich bis hieher zusammengestellt habe, sind
„einige Heilungsvorgänge^, die ich nach der Extraction
bei frühzeitiger Untersuchung mit seitlicher Beleuchtung
beobachtet habe; sie sind von mir der Uebersicht wegen
einzeln in anatomischer Reihenfolge aufgezählt worden,
wiewohl ich sie fast immer gleichzeitig an allen ver-
wundeten Theilen in niedrigerem oder höherem Grade
als natürliche Beaction auf das Trauma gefunden habe.
Wie sich die einzelnen Erankheitsbilder different gestal-
ten, das in seiner grossen Mannigfaltigkeit zu zeigen ist
die Sache der Gasuistik und der Krankheitsgeschichten,
die mir die Leser dieses Archivs gern erlassen werden.
Jeder hat selbst Gelegenheit genug, auf dem von mir
eingeschlagenen Wege der Untersuchung dieselben oder
ähnliche oder auch abweichende, das Gebiet unserer
Kenntnisse erweiternde Erfahrungen zu machen, wenn er
nur den Versuch mit früher, genauer Untersuchung
wagen will.
Schlussbemerkungen.
Es fragt sich, ob von der frühzeitigen und öfter
wiederholten Untersuchung bei seitlicher Beleuchtung
Schaden für das Auge, ob Nutzen far unsre Wissenschaft
und Praxis zu erwarten ist. — Der Schaden für das
Auge würde sich entweder durch Reizzustände ankün*
digen, die während der Untersuchung oder kurz darauf
entstehen und nachher andauern, oder es würden sich
Veränderungen in der Lage des Lappens zeigen, die auf
seine definitive Anheilung von nachtheiligem Einflüsse
sein könnten. Beides ist bei einiger Vorsicht nicht zu
214
fürchten. Sind die Augenlider krampfhaft geschlossen
oder presst der Kranke bei ihrer Berührung stark, so
giebt man Chloroform, wovon wenige Züge für den Zweck
ausreichen; die seitliche Beleuchtung ist, wenn man sie
auf Cornea und Iris beschränkt, nicht blendend. Ich will
gern zugeben, dass in einem oder dem andern Falle zu
viel Chloroform für einen unbedeutenden Zweck nöthig
sein, oder dass ein einzelnes Auge selbst gegen geringen
Lichtreiz durch lebhaften Schmerz und Injection reagiren
kann, dann wird man natürlich seine Wissbegierde ein-
schränken müssen, — aber es mag wohl recht selten sein,
denn bisher ist es mir noch nicht vorgekommen. Einen
wissenschaftlichen Werth wird man genaueren
Untersuchungen im Allgemeinen und nach der Extraction
ganz besonders nicht abstreiten können, da wir von der
pathologischen Anatomie aus naheliegenden Gründen
nichts zu erwarten haben und die klinische Beobachtung
in fast zwei Jahrhunderten noch nicht darüber hinaus
gekommen ist, zu entscheiden, ob hinter den Elebe-
pflasteru (dem noli me tangere der Alten) die Cornea
oder die Iris eitert. Hieraus folgt die praktische
Bedeutung, wie mir scheint, von selbst: will man
nämlich die schädlichen Folgezustände einer Operation
mit Aussicht auf ein Resultat angreifen, oder will man
Methoden zur Vermeidung schlechter Heilung finden, —
so muss man vor allen Dingen erkannt haben, wo der
Ausgangspunkt derjenigen Processe ist, an denen man
später die Augen zu Grunde gehen sieht, und in welchem
causalen Verhältniss das Trauma zu den in dem Krank-
heitsheerde sichtbaren Veränderungen steht. Von dieser
Seite angegriffen und in Verbindung mit einer auf ganz
bestimmte Fragen gerichteten Statistik muss meiner
Ueberzeugung nach die Extractionslehre einen Schritt
vorwärts kommen, aber allerdings gehört mehr Material
dazu, als das geringe, womit ich die Sache anzuregen
215
versuche. Die bisherige Statistik der Extractionen, die
ich habe auftreiben können, ist nicht einmal zur Beant-
wortung der Frage zu gebrauchen, wie viele Augen durch
die Operation vollständig zu Grunde gehen; ich gebe die
beifolgende kleine Tabelle zum Beweise dafür. In der
ersten Rubrik steht der Name des Operateurs, in der
zweiten die Zahl der Operationen, in der dritten die
Procentzahl der Verluste, in der vierten die Quelle, aus
der ich mich unterrichtet habe.
Operateur.
Gesammi-
zahl
Prooeni-
satz
12
Quelle.
1. DaWel
206
28
Weller u. Hunly II 321.
2. la Faye
6
30
3. Sharp
19
50
Maokensie II p. 368.
4. Tartra
83
25
5. Boux
179
30
6. Bowley
?
16
7. Richter
10
30
Himiy.
8. Beer
?
25
9. F. Jfiger ....
728
C44
E. Jfiger.
10. £. Jäger ....
lU
0.74
E. Jfiger über Staar und
Staaroperationen.
11. Arlt
540
0.7%
Arlt Handbuch II p. 349.
12. RiTaud-Laadran
2073
0.10
Annale! d'oculutique 47.
85
^
Pagenateeher*! Jahresbericht
1861 u. 62.
14. Mooren
97 und 59
llundSJi
Verminderte Gefahr der
Comealeiterung.
Id. JOngken
16
?
Schmidt Jahrbücher VIU
330.
16. Rosas
39
12
IX 382 u. XIII 335.
17. Sichel
516
10
LXXXV p. 124.
18. Werner ....
26
12
CI p. 831.
19. Rothmund jan.
?
13
ZehenderMonaUblatterl864
p. 69.
20. Rosander. . . .
168
84
p. 118.
21. Braun
?
45 und 6
Grife's Archiv Bd. XI.
22. Kttehler ....
22
5
Deutsche Klinik XV p. 472.
Von den angeführten 22 Operateuren ist Nr. 15 fQr
die Statistik nicht zu verwerthen; es hdsst n&mlich, dass
16 Augen an 8 Kranken operirt wurden, von denen nur
216
Einer nicht gesehen hat; daraas folgt zwar, dass
mindestens 2 Extractionen nicht geglückt sind, es
können aber möglicher Weise auch 9 sein. Hiernach
bleiben 21 Operateure mit 24 Zahlen; die Doppelzahlen
finden wir bei No. 1, 14 und 21; von diesen ist
No. 1 aus zwei verschiedenen Quellen hervorgegangeD,
von Weller und Himly; nach ersterem, der kein Oegner
der Extraction ist, hat Daviel von 206 Extrahirten
12 7o, nach Himly, der „es für der Vernunft gemäss
hält, den Staar in der Begel nicht zu extrahiren'', von
derselben Zahl 28 7o schlechte Resultate. No. 14 hat
nach der alten Methode zu operiren UV», seitdem er re-
gelmässig Iridectomie vorherschickt, SVsVo verloren, --
No. 21 endlich hat in den ersten vier Jahren seiner
Praxis 45% verloren, aber seit den letzten Jahren, seit*
dem und weil er seinen Operirten regelmässig Xeres
und Branntwein giebt, nur 6Vo (ein therapeutisches Re-
sultat, wie es gewiss in der Ophthalmologie und gesamm-
ten Chirurgie seines Gleichen sucht). *- Ich weiss nicht,
wie ich die Doppelzahlen eliminiren soll und werde sie,
da sie sich zwischen 3 und 45 ziemlich gleichmässig ver-
theilen, wohl ohne erhebliche Fehler beibehalten können.
Es bleiben also 24 Angaben; von diesen liegen 2
zwischen 3 und 5, 5 zwischen 5 und 10, 8 zwischen
10 und 20, 9 zwischen 20 und 50. — Die höchsten Zah-
len fallen mit Ausnahme von No. 20 und 21 auf ältere
Operateure. Man wird annehmen dttrfen, dass diejenigen,
welche die Technik der Extraction schufen und alle Feh-
ler und übelen Zufälle erst ex praxi kennen lernten,
schlechtere Erfolge haben mussten, als jüngere Genera-
tionen, die auf die Erfahrungen der älteren sich stfltzen
konnten; daher wohl die grossen Yerlustzahlen, die ich
mir nur bei Rosander und Braun nicht zu erkl&ren ver-
mag. •— Die besten Resultate haben Mooren, der der
Eztnetion eme Iridectomie mehrere Wochen vorher-
217
schickt, und Friedrich Jftger, der ohne Iridectomie ope-
rirt hat. Nach Arlt's Handbuch IL p. 348 ist bei den
Jägerschen Tabellen, die mir nicht zur Hand sind, ein
Bechenfehler mit unterlaufen. — Die nächst niedrigen
ffinf Procentsätze vertheilen sich auf verschiedene Me-
thoden: Braun extrahirt, so viel ich weiss, mit grossem
Lappen nach unten und Iridectomie, Pagenstecher nach
oben mit Iridectomie, Arlt und E. Jäger meistens ohne
Iridectomie, Efichler mit und ohne Iridectomie. Letzte-
rer schiebt die guten Erfolge, die er bei den letzten
22 Extractionen im Gegensatze zu frflheren gehabt hat,
auf den Binoculus. — Es bleiben noch 8 mit der Pro-
centzahl zwischen 10 und 20, von denen wohl Rothmund
der Einzige ist, der mitunter die Iris excidirt, aber nicht
regelmässig; er giebt an, seine Augen seien zu Grunde
gegangen durch „purnlente Iritis", deren Exsudat die
kaum angeklebten Homhautlappen wieder abstiess und
dann erst Necrose der Cornea zur Folge hatte."
Wenn ich aus den Tabellen einen Schluss ziehen
darf, so ist es einmal der, dass sich die Technik der
Operation in den letzten hundert Jahren und darüber
vervollkonminet hat und dass wir von unseren Vorgän-
gern und von den Anatomen so viel gelernt haben, dass
unsere Verluste etwa noch einmal so gering geworden
sind, als die älterer Ophthalmologen, — femer dass die
regelmässig angewandte Iridectomie den Procentsatz der
Heilungen vergrössert (ich glaube mich hiefilr auf einen
Vergleich zwischen den beiden niedrigsten und der dritten
Zahlengruppe stützen zu dürfen) — endlich dass etwa
das zehnte Auge verloren geht Die beiden letzten
Schlüsse sind unsicher, so lange die Operationsmethoden
noch so verschieden sind, so lange die Einen den Lap-
pen in die Scleralgrenze, die Anderen in die Cornea
legen, die Einen regelmässig, die Anderen selten Iri-
dectomie machen, so lange die Ansichten über die Nach-
218
behandlung (Zeitpunkt f&r die Mydriatica, Antiphlogose,
Kälte, Wärme, Verband) so sehr differiren, wie es bis
vor Kurzem noch der Fall gewesen ist
Als ich die Operationsmetbode, die mir auf etwa
100 Extractionen den auffallend günstigen Erfolg von
2^/0 Verlust durch Cornealeiteruag ergeben, publicirt
hatte, erging an mich die Aufforderung, eine statistische
Uebersicht des erreichten Sehvermögens nachfolgen zu
lassen. Es waren damals von einer ganzen Anzahl Fälle
keine brauchbaren Krankheitsgeschichten geführt, son-
dern nur die Endresultate und auch diese nicht immer
genau genug notirt; deshalb habe ich dem geäusserten
Wunsche nicht sofort entsprechen können. Die nachfol-
genden Tabellen sind aus einer grösseren Zahl von Ope-
rationsnotizen zusammengestellt; sie enthalten die Daten
genau, wie sie sich in den klinischen Journalen vorfin-
Tabelle I.*)
Alter
Fgla«.
Nglas
82
-*-5
+ 2*
56
+ 4
-*-2i
71
+ 4
+ 2J(
77
+ 4
+ 2
55
+ 5
H-8
66
-^5
+ 2X
68
■♦-5
+ 3
53
-*-*4
+ 24
51
+ 4
-f2|
48
+ 4
+ 2\
64
-Hö
-<-8
54
-t-5
4-2
60
55
52
70
+ 5
-♦-2
55
+ 4^
4-2
62
+ 5
4-3
68
+ 5
4-2J
60
+ 4
-n
61
-+-6
+ 3
54
+ 5
4-8
1
2,
8.
4.
5
6.
7,
8.
9.
10,
11
12.
18.
14.
15.
16.
17
18.
19.
20
21
22.
Namen
B. Rudzinski, Rossisclier Soldat.
J. Bubinski, poiniscsher Jade.
C. Hafke, Landarmer.
R. Kuczinski, Xjindfrau.
6. Orumbach, poln. Jüdin.
E. Beerwald, Beamtenfran.
Frau Abrahamson, poln. Jüdin.
Anna Müller, Ortsarme,
Carl Biber, Ortsarmer.
6. Liebe, poln. Jüdin.
R. Willenberg, poln. JOdin.
L. Heinrich, Bahnwärterfran.
Brosowski, Ortsarme.
J. Moritz, poln. Jude.
J. Euczewski, poln. Jade.
Martin Weblau.
M.^ohde, Landfrao.
M. Fidler, Landfrau.
L. Mertins, Besitzer.
Frau Conrad, Landarme.
Frau Wibem, Besitzerin.
Fräulein Schulz.
•) In der Rubrik 5 ist Rg= rechts, L^
Kern, R &= Rinde*
: links, Bd SB beide; inRu-
219
den; ich habe daran absichtlich nichts geändert und bitte
es also zu entschuldigen, wenn die Bestimmungen der
Sehschärfe theilweise noch durch Fingerzählen und Jäger'-
schen Druck für die Nähe gegeben sind. Da die Meisten
von uns vor Einführung der Snellen'schen Proben ähn-
lich untersucht haben, so werden sie ungefähr reduciren
können. Wie weit diese Form der statistiscen Tabellen
brauchbar ist, darauf erlaube ich mir noch weiter unten
zurückzukommen, nachdem ich einige Erläuterungen über
den Verlauf einzelner, wichtiger Fälle gegeben haben
werde. — Zur Erklärung der Tabelle: die erste Rubrik
enthält den Namen, die zweite das Alter, die dritte das
Glas für die Ferne, die vierte das Glas für die Nähe,
die fünfte das operirte Auge, die sechste die Sehschärfe,
die siebente die Beschaffenheit der Cataract. Wenn in
der vierten Rubrik eine Lücke ist, so konnten die Kran-
ken zu zuverlässigen Leseproben nicht benutzt werden.
Auge
Sehschärfe
Linie
Bd
Fg auf 25', J 1 auf
8"
K 2V" weiss
Rsäh
Bd
¥g „ 80', J 1 „
12"
K 8V" gelb
» ,.
£
Fg „ 80', J 1 „
8"
K gross, braun
K hart
K hart
Bd
Fg „ 16'. J 5 „
10"
£ unreif
L
Fg „ 16', J 5 „
7"
K 8"' gelb
R zäh
L
Fg „ -80', J 1 „
10"
K „
K ,.
£
Fg „ 24', J 5 „
10"
K „
R „
L
Fg „ 80', J 1 „
10"
K „
K „
L
Fg „ 80', J 1 „
8"
K „
R ..
L
Fg „ 15'. J 7 „
10"
Peripherisch gesohumpft
L
Fg „ 22'
K 3"' gelb
R zäh
L
Fg „ 24', J 1 „
10"
K „
R „
Bd
Gute« SchvermDgen
K gross hart
R hart
Bd
do.
K 8'" gelb
R zäh
Bd
do.
K gross hart
R hart
L
do.
K .,
R ,.
L
do.
K
R weich
R
Fg auf 24', J 1 aitf
8"
K
R zäh
Bd
Fg „ 80*, J 1 „
8"
K „
R unreif
h
Fg „ 80', J 1 „
8"
K 8"' gelb
R zäh
L
Fg „ 24', J 1 „
6"
K „
R n
R
Fg „ 24" J 1 „
6"
K hart
R «
brik 6 ist Fg BB Finger, J k Jäger'sche Proben ; in Rubrik 7 istK«
220
Namen
Alter
Fglas
Ngl«f
23.
Frfialein Statti.
49
4-4i
+ 8i
24.
58
+ 5
25.
G. Nenmann, Landanne.
52
+ H
26.
Horsiek, Landfraa.
64
+ 5
27.
Böhnke, Ortoame.
68
+ 5
28.
Lessner, Landfrau.
58
4-4J
+ 24
+ 3
29.
Arndt, Besitsenfrau.
47
+ 5
80.
Hurwiti, poln. Jade.
78
+ 5
+ai
81.
Domniok» Besitienfraa.
68
+ 5
+n
82.
Heretiki, poln. Jude.
56
+ 5
88.
78
+ 5
84.
Hintz, Arbeitsmann.
74
+ 5
+n
85.
Stern, FSrtter.
71
■»-5
+n
se.
Kleif, poln. Jade.
58
-*-5
+ s
87.
60
■»-5
:3
88.
König, Professor.
68
-^^
89.
Proska, Pole.
68
+ 5
40.
Fräalein Schiemaon.
82
+ 4
+ 2i
41.
Stahl, InyaUde.
74
-f 5
+ 2:
42.
Gehrig, Partieulier.
60
+ 5
+ ii
48.
Basner, Inralide.
68
-+-8
+ 8
44.
FrL ▼. ZaluskL
60
+ 5
+ 2^
45.
Frl. V. Nfigelein.
60
+ 2^
46.
D. JSlman, Dienstbote.
60
+ 2jl
47.
Briehm, Fabrikarbeiter.
52
+ 5
+ 2
48.
Bomowski, Landiraa.
68
*A
+ 2
49.
Hasford, Besitzersfrao.
65
-^2i
50.
Heske, Ortsarmer.
64
+ 5
-H2
51.
Krenowiti, poln. Jade.
56
■»-5
■*-n
62.
Daodert, Landmann.
68
4-
58.
Wiebe, Landfrau.
50
4-4i
+ 2
54.
Hindling, „
52
+ 5
-^n
55.
L««e, „
74
+ 4
56.
Liedke, Seüer.
61
:«
:.1
57.
Fetsenstein, poln. Jade,
55
58.
Berkowitz, poln. Jade.
60
+r
+ 8
59.
ßajzereit, Arbeiter.
64
+ 6
+ 2«
+ 2|
60.
Bruschewski, Landmann.
78
4-6
61.
Zachrao, Arbeiter.
70
+ 4
+ 2i
+ 2$
62.
Kehler, PartieuUer.
74
+ 44
68.
Aronson, Kaufmann.
68
+ 4
+ 2i
64.
Hofimann „
48
+ *t
Die vorstehende Tabelle giebt die Kesultate, welche
durch 86 Extractionen, von denen 20 am rechten, 22 am
linken und 22 an beiden Augen ausgefQhrt wurden, f&r
das Sehvermögen der Operirten erreicht worden sind.
Die Zahl der Operirten beträgt 64, davon 33 weiblichen
und 31 männlichen Oesclechts, dem Alter nach fallen:
zwischen 30 und 40 Jahre 2
221
Auge
SehscliSrfe
L
inse
B
Fg
auf SOS J 1 vii
8''
K 3'" weiuUeh B lih
L
Fg
n 24'
Khart
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B
■ 1
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B hart
L
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K 3'" gelb
Breif
Bd
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Bd
B jt L ' T
K „
R „
Bd
Khart
Rhart
L
Kgelb
Khart
Rreif
Bd
R hart
Bd
K „
R „
Bd
RJi,i-X
K 3"' gelb
R ah
zwischen 40 und 50 Jahre 4
„ 50 und 60 „ 19
„ 60 und 70 „ 27
„ 70 nnd 80 ,, 12
die nach Snellen'schen Probentafeln bestimmten
schärfen ergeben:
S Vf bei 2 Augen.
Seh-
222
S V« bei 21 Augen
S'A „
2 „
S V. „
8 „
S V» „
5 „
SV. „
2 „
S Vio ,,
1 „
S V«o „
1 „
Von den nach Proben mit vorgehaltenen Fingern und Jä-
gerschen Druck bestimmten Sehschärfen nehme ich Finger
auf 30 Fuss = S Vi, Finger auf 24 Fuss = S V4 — %.
Finger zwischen 15 und 24 Fuss «= SV« — 8; zu den letz-
ten rechne ich auch die 5 Nummern 13 — 17 der Tabelle I,
bei denen keine Zahlenbestimmung, sondern nur „gutes
Sehvermögen" notirt ist. Letzteres wurde bei vorläufigen
Untersuchungen angenommen, wenn Finger auf die Länge
zweier poliklinischer Zimmer (etwa 24') bequem gezählt
wurden. Bei dieser Art, der üebersicht wegen zu redu-
ciren, glaube ich eher zu ungünstige, als zu günstige
Sehschärfen anzugeben; es kommen zu den durch Snel-
lensche Tafeln bestimmten hinzu:
S V4 bei 15 Augen
S V* — V« «11 «
S Vo — V» „18 „
Ich habe die Resultate der ersten Tabelle zu den
besten gerechnet; trotzdem findet sich einmal S Vio und
einmal S < V40, weil ich denselben Kranken nicht in
2 Tabellen auffflhren wollte, zumal, da die Extraction,
deren Resultat S < V40 war, glänzend heilte. Die Ur-
sache der hochgradigen Amblyopie war in diesem Falle
Glaucoma chronicum und ein grosses centrales leucoma
corneae; die Ursache von S Vio war Keratitis in Folge
von Einknicken des Lappens an der Basis mit Perfora-
tion nach hinten und fadenförmiger Verwachsung zwi-
schen Linsenkapsel und hinterer Cornealwand bei guter,
vorderer Kammer.
223
In Bezug auf die übrigen Operirten habe ich zu be-
merken, dass die leichtesten Formen der Wundreaction^
wie ich sie oben beschrieben habe, an Cornea, Iris und
Kapsel immer nachzuweisen waren, dass aber in einzel-
nen Fällen Entzündungen auftraten, die ein therapeuti-
sches Einschreiten erforderten.
Von denjenigen, die S ^U erreicht haben,
hatte:
No. 2. Leichte Iritis mit Synechia posterior durch Rin-
denreste.
No. 3. Diffuse Keratitis nach Collapsus u. Iritis durch Reste.
No.34. „ „ „ „ u. Iritis „ „
No. 31. „ „ „ „ U.Iritis Simplex.
No. 44 und 45. Reizzustande von den intracapsulären
Zellen ausgehend.
Ausserdem ist zu erwähnen, dass No. 46 die gute
Sehschärfe trotz flottirenden Kapselzipfeln, No. 8 trotz
feinen, beweglichen Flocken im vorderen Theile des
Glaskörpers hatte.
Von denjenigen, die S V4— V« erreicht haben,
hatte:
No. 1. Iritis Simplex ohne bleibende Synechieen.
No. 7. Eiterung in der Kapsel, secundäre Iritis, Cata-
racta secundaria. Die Entzündung wurde durch
zweimalige Iridectomie beseitigt und hiermit zu-
gleich eine klare Pupille geschaffien.
No. 30. Mehrere Schübe von vasculärer Keratitis vom
Lappenrande aus, secundäre Iritis in Folge von
Veränderungen der intracapsulären Zellen.
No. 41. Secundäre Iritis in Folge von Veränderungen der
intracapsulären Zellen, Cataracta secundaria. —
Heilung und Pupillenbildung durch Iridectomie.
Ausserdem erlangten No. 21, 22 und 36 die gute
Sehschärfe trotz hochgradiger Sclerectasia posterior mit
beweglichen Glaskörperflocken.
224
Von denjenigen, die SV»— */• erreicht haben,
hatte:
Nr. 11 Diffuse Keratitis nach Goilapsus, Iritis durch Reste
Nr. 33 „ ^ ^ n V
Nr.37 „ „
und in Folge davon Cat. secundaria, die Iridectomie forderte.
Ausserdem litt Nr. 10 an Synchysis corporis vitrei mit
vielen nachweisbaren, beweglichen Opacitäten, Nr. 43 an
hochgradiger Sclerectasia posterior beiderseits mit Glas-
körperfiocken. Der letzte Fall zeichnete sich durch
Hypersecretion von trübem Kammerwasser bei erweiterter
Pupille aus.
Die beiden, die nur S V» erreicht haben,
litten:
Nr. 58 an hochgradiger Sclerectasia posterior mit beweg-
lichen Glaskörperflocken,
Nr. 40 an abgelaufener Iritis, Opacitäten im corpus vi-
treum und plaques in der Chorioidea«
Hieraus folgt:
1) Die höchste Sehschärfe wurde niemals erreicht
bei Complication mit Krankheiten des Augenhintergrun-
des, wohl aber einmal trotz flottirenden Membranen im
Pupillargebiete und einmal trotz Opacitäten im vordem
Theil des Glaskörpers. — Diffuse Keratitis, leichte Iritis
gleichviel, ob durch Rindenreste oder Kapselveränderun-
gen hervorgerufen, haben das schliessliche Resultat nicht
getrübt
2) S zwischen % und V« wurde beobachtet trotz
hochgradiger Ectasia posterior mit Glaskörperflocken im
hinteren Abschnitt; sie wurde noch erreicht in Fällen
von secundärer Iritis nach intracapsulären Veränderun-
gen, die wiederholte Iridectomie erforderten, eben so nach
hartnäckiger Keratitis vasculosa.
225
3) S zwischen V« und V« fiült dreimal auf Sclerectasia
posterior mit Glaskörperflocken, dreimal auf Fälle, die
nach collapsus corneae diffuse Keratitis und gleichzeitig
Iritis durch Quellung von Corticalresten durchgemacht
haben.
4) S Vt ist beide Male auf Gomplicationen mit Cho-
rioidal- und Glaskörper-Krankheiten zurückzufahren ge-
wesen.
5) Wo es zu Eiterungen in der Cornea oder im
Pupillargebiete gekommen ist, wo Iridectomie zur Besei*
tigung von Iritis oder wegen Cataracta secundaria ge-
macht werden musste, ist der höchste Grad der Sehsch&rfe
nicht erreicht worden, wohl aber S zwischen V4 und V..
ImUebrigen konnten die Ursachen, warum in man-
chen Fällen die höchste, in anderen eine etwas geringere
Sehschärfe resultirte, in dem Verhalten der brechenden
Medien und der Iris allein nicht gefunden werden; im
Gegentheil ist es nicht selten beobachtet worden, dass
unter scheinbar sehr günstigen optischen Verhältnissen
die schwersten Aufgaben für das Auge nicht gelöst wur-
den, während, wie schon oben bemerkt, Opacitäten im
Pupillargebiete und kurz hinter demselben sich mit S 'A
wohl vertrugen. Man wird deshalb genöthigt sein, einen
Bruchthei] des erlangten Sehvermögens unabhängig von
den durch die Extraction gesetzten Verhältnissen auf den
Grad der Sinnesschäife zu rechnen und bei kleinen Diffe-
renzen, deren Gründe nicht sicher anatomisch nach-
weisbar sind, der Operation weder das Verdienst, noch
die Schuld beizumessen.
ArehiT für OphthAlmolosle. XL S. 15
226
Tabelle IL
Name
Alter
Fglas
Nglaa
1.
Biohter, Schuhmacher.
47
+ ^
+ 2i
2.
Liedke, Seiler.
60
+ 5
8.
82
+ 5
4.
Lee, poln. Jüdin.
54
+ 9
5.
Frau T. Haaenkamp.
79
+ H
+ 2
6.
67
+ 4
7.
Krumm, Ortsarmer.
46
+ 7
8.
Baumann, Stadtarmer.
66
+ ^.
+ 8
9.
Fräulein Szameit.
SO
+ 3
10.
Frau Baumgart
70
+ 5
11.
Yanhöfen, Stadtarmer.
69
+ 5
12.
Frau Lindenau.
74
+ 6
13.
Frau Bagohr.
54
+ 8
14.
Frommel, Kaufmann.
30
+ 5^
15.
Pudlich, Gutsbesitser.
32
16.
44
Die Tabelle II enthält 16 Staarkranke, darunter 6
weiblichen und 10 männlichen Geschlechts; dem Alter
nach vertheilen sie sich so:
zwischen 30 und 40 Jahren — 3
40
„ 50
»
— 3
50
„ 60
»
— 2
60
» 70
»
— 4
70
» 80
»
— 3
80
„ 90
n
— 1.
Die Zahl der ausgeführten Extractionen beträgt 19, da-
von fallen 3 auf beide, 4 auf das linke, 9 auf das rechte
Auge. Das erlangte Sehvermögen war Vtx) und darunter;
zur Erklärung dieses ungünstigen Verhältnisses habe ich
Folgendes zu bemerken:
Nr. 1 litt an Iritis chronica, Synchysis corpus vitrei,
Plaques der Chorioidea, Catar. accreta;
Sderectasia posterior mit einem gelben
Plaque an der macula lutea;
hochgradiger Sderectasia posterior mit Opa-
citäten im Glaskörper;
Amotio ret. (vor der Operation mittl. Licht-
schein, das 1. Auge seit Jahren amaurotisch;
2
227
Auge
Sehschärfe
I
änse
L
Fg 10' J 15 auf c. 8"
Peripherisch geschrumpft.
R
S »/„
K 8'" gelh
B sähe
Bd
Fg 10' rechts, 8' links
K hart
R hart
K
8 \.
K 3'" gelb
R zähe
B
Fg 16'
K hart
B unreif
Bd
Fg 10'
K weisslich
B unreif
B
Fg 6'
K 8'" gelb
B zähe
B
Fg 16' J 5 auf 6"
K hart
B hart
L
Fg 20' J 8 auf 8"
K 3'" gelb
B zähe
B
Fg 12'
K hart
B hart
Bd
Fg 10'
K hart
B hart
B
Fg 16'
K hart
B weich
h
S > »/,.
K 8'" gelb
B zähe
L
S V,a
catar. accreta
B
1 Nur Lichtschein
Ungefähr die Consistenz einer
B
£ AI VkM Ai^A^MA W«*«#&aVA.&A9
normalen Linse.
Nr. 9 litt an Excavatio n. optici glaucomatosa (rechtes
Auge amaurotisch, links mittlerer Lichtschein
im Centrum und nach aussen);
12 „ hochgradiger Sclerectasia posterior mit be-
weglichen Opacitäten im Glaskörper;
13 „ hochgradiger Sclerectasia posterior mit be-
weglichen Opacitäten im Glaskörper (auf
dem rechten Auge Myop. 'A und S. \\);
14 „ einer voluminösen, kalkigen Cataracta ad-
haerens, Synchysis und Plaques in der
Chorioidea. Ursache eine penetrirende
Scleralwunde vor 20 Jahren;
15 u. 16 litten an umfangreicher Amotio retinae
(schlechter Lichtschein vor der Operation,
die von den Kranken unter allen Umstanden
begehrt wurde).
Bei allen 10 aufgezählten Kranken sind die optischen
Verbältnisse vollkommen günstig, der Corneallappen klar
angeheilt, das Pupillargebiet frei geblieben.
üeber die 6 anderen Kranken ist Folgendes mitzu-
theilen :
Nr. 3 verliess die Klinik in der zweiten Woche,
15»
228
ohne dass wir es wussten, mit beiderseitiger Iritis, die
durch Rindenstücke hervorgerufen war. Der Comeal-
läppen war gut geheilt, der Kranke hat sich nicht wie-
dersehen lassen.
Nr. 8, 10, 11 haben Cataracta secundaria, durch die
sie nicht gehindert sind, auf der Strasse zu gehen. Sie
verweigern jede Nachoperation. — Die Ursache der Cat
secundaria liegt in langwierigen Entzündungen im Kapsel-
gebiete mit secundärer Iritia; die Prognose für Iridecto-
mie wäre sehr gut zu stellen.
Nr. 5 Cataracta secundaria durch Reste; die Iris
reaglrte von Hause aus schlecht gegen Atropin. Nadi-
operation verweigert.
Nr. 6 beiderseits parenchymatöse Keratitis im Lappen
nach sehr starkem CoUaps ohne Betheiligung der Wund-
ränder; secundäre Iritis. Folge davon: leucomatöse, un-
durchsichtige Trübung beider Lappen, Pupillarverschluss.
Für die Iridectomie ist so wenig Platz geblieben, dass
trotz dem Gelingen der Operation S < Vi« geblieben ist
Tabelle IIL
1.
2.
8.
Martin Bauch, Landmann.
Fraulein Wattmann.
B. Noohem, polnischer Jude.
7S Jahre
8S „
60 „
Von diesen 3 Kranken ist Nr. 1 bei Gelegenheit der
dritten Art Iris-Veränderungen erwähnt worden; es hatte
den Anschein, als sollte die Pupille auf dem rechten Auge
frei werden, auf dem linken sich schliessen; natOrlich
war es unmöglich, darüber sicher zu urtheilen. Wenn
man bedenkt, dass Patient von der Beendigung der Ope-
ration an continuirlich ohne Schlaf gelegen, delirirt, am
achten Tage geronnenes Blut erbrochen und unter diesen
Erscheinungen plötzlich gestorben ist, so liegt die An-
nahme nicht fem, dass schlechte, allffMMine Ernährung
ihren Einfluss auf die locale WundjHmg geltend ge
tllfi|M|U
dlPg
229
Ich kann ans dieser Tabelle nicht mehr schliessen,
als: 1) dass lOmal eip brillantes Operationsresoltat kein
gutes Sehvermögen schaffen konnte, weil schon vorher
Krankheiten des Glaskörpers, der Aderhaut, der Netzhaut
oder des Sehnerven bestanden hatten; 2) dass bei 4Ez-
trahirten (6 Augen) S sicher auf Vt— V« zu bringen ge-
wesen w&re, wenn sie sich nicht geweigert hätten, sich
-noch einer Iridectomie zu unterziehen;*) S) dass bei 2
Augen eines Kranken der Ausgang der diffusen Keratitis
in Eiterung und die Verbreitung auf die Iris nicht zu
verhüten war, dass aber wegen günstiger Heilung der
Wundränder die Form des Auges und ein geringes, qua-
litatives Sehvermögen beiderseits erhalten werden konnte;
4) dass die letztgenannten 6 Kranken alle im hohen Alter
zwischen 66 und 82 Jahren standen, ohne dass übrigens
Einer von ihnen irgend welche Zeichen von Marasmus
gezeigt hätte; gerade im Gegentheil waren Nr. 3, 11, 12
aussergewöhnlich kräftig.
Bd. Eitaniiig in der Popille nnd ipSter hinter der Irit.
Suppnrado oomeae deztrae.
Sappuratio oomeae tinietrae.
Tod.
Panophthalmitia.
macht hat, wobei es allerdings auffallend bleibt, dass die
Homhautlappen gut geheilt sind. — Nr. 2 ist oben bei
Gelegenheit der „Heilung der Lappenwundränder'' aus-
*) Et ist wohl erUnht, an diesem Orte in hemerken, dast ein TheU
mueree Proletariats nieht nnr hei Cataraot-Operationen, sondern aneh
hei der Behandlang pannOser Trflhnngen o. dgl. in einem gewissen
Stadium der Heilnng nnsiehthar wird. Der fast nnglanhliohe Omnd
ist der, dass sie ftlrehten, hei gutem Sehrerrnggen Ar arheitsflUiig er-
klfirt sa werden nnd ihre Snhrentionen su reriieren. Dass gnt operirte
Bettler sidi später noch ihres GesehSfts wegen Ton Zeit sn Zeit als
Blinde fahren lassen , ist wohl eine allgemein hekannte Thatsaehe.
230
fübrlicher beschrieben worden. £s mag sein, dass die
Nachbehandlung geschadet hat und dass ein günstigeres
Resultat durch eine andre Therapie hätte erreicht wer-
den können, immerhin war der Verlauf ein eben so un-
erwarteter, wie bei Nr. 3, einem sehr lebendigen, hagera,
aber für seine Jahre äusserst rüstigen Mann, dem in
einer Sitzung 2 Staare extrahirt wurden; auf dem besser
operirten Auge suppurirte die Cornea unaufhaltsam, das
schlechter operirte heilte vortrefflich.
Die 3 Tabellen geben nicht eine Statistik aller Ex-
tractionen, welche ich nach der vor 2 Jahren publicirten
Methode ausgeführt habe,*) soi^dern eine Zusammen-
stellung von am Entlassungstage der Operirten consta-
tirten Sehschärfen, wie sie sich mir aus Journalen er-
gaben, bei deren Wahl kein andrer Maassstab angelegt
wurde, als der Grad ihrer Genauigkeit und Brauchbarkeit
Ausdrücklich erwähne ich dabei, dass kein Fall von sup-
puratio corneae übergangen worden ist.
Stelle ich die 3 Tabellen nach den für das Sehver-
mögen erreichten Erfolgen zusammen, so ergiebt sich :
*) In Bezag auf die Resultate der von mir Torgeechlagenen Ope-
ration haben sieh meine Erfahrungen nicht geändert. Vor etwa 2 Jahren
Eählte ich auf circa 100 Lappenschnitte 2 Suppurationen; in die letzten
2 Jahre (bisher ca. 60 Extractionen) fallen ebäbfalU 2 (s. oben Watt-
mann und Nochem) ; die Iritis purulenta (Bauch) bei gut geheilter Cor-
nea und gutem Lichtscheine, welcher in der dritten Woche der Tod
folgte, mag jeder nach seinem Gutdünken unterbringen. Ich habe sie
nicht unter die absoluten Misserfolge der Operation gerechnet,
weil nach meinen bisherigen Erfahrungen diese Form der Iritis puru-
lenta immer mit erträglich gutem Sehvermögen geendigt hat, wenn auch
in der dritten Woche, in der die Rückbildung kaum beginnt, nicht
mehr als quantitativer Lichtschein vorhanden war. WoUte man solche
FäUe als mislungene Operationen registriren, so mfisste man ebenso
verfahren, wenn etwa nach gut erfolgter Lappenheilung geblähte Rinden-
reste vor der Papille liegen, die vorläufig wenig Licht durchlassen —
vorausgesetzt, dass der Kranke aus irgend einem Grunde vor Resorp-
tion derselben stirbt.
231
dass auf 107*) operirte Augen
S ^U — Vs erreicht wurden 84mal,
3 Vio u. <Viu ^ „ 21 mal,
Amaurose durch Suppuratio „ „ 2mal.
Ein Blick auf die den einzelnen Tabellen hinzuge-
fügten Anmerkungen zeigt uns, dass einige gute Seh-
resultate trotz ungünstigen Heilungsverhältnissen (Cata-
racta secundaria) zu Stande kamen, während umgekehrt
trotz vortrefflichem Operationsverlaufe, trotz den besten
optischen Verhältnissen hochgradige Amblyopieen blieben,
die durch Hintergrundskrankh^iten älteren Datums be-
dingt waren. Ordnen wir unsere Zahlen nun nach „guten
Heilungen'' und nach solchen, welche durch entzündliche,
dem Trauma unmittelbar folgende Processe gestört wur-
den, so finden sich:
auf 107 Operationen
93 gute Heilungen,
9 Catar. secund. mit Sehvermögen und guter Prognose
für Iridectomie,
2 leucomatöse Lappen durch Keratitis (S < Vio),
1 diffuse Comealtrübung durch Keratitis (8 c:Vio),
2 Phthisis bulbi nach Suppuration von den Wundrän-
dern aus.
Will man eine Extractions-Methode auf ihre Brauch-
barkeit prüfen, so wird man nicht umhin können, der
letzteren Verwerthung der Statistik den Vorzug zu geben;
die Fragen würden sich dann der Reihe nach etwa fol-
gendermaassen stellen lassen:
Wie oft tritt in Folge der Operation Erblindung oder
Verlust des Auges ein?
Wie oft finden sich Entzündungen, deren Producte
bleibend das Sehvermögen beeinträchtigen würden,
und woher rühren sie?
*) Der Fall Ton Iritis purulenta ist ausgelassen , daher 107
statt 10».
J
232
Wie oft und mit welcher Gefinhr sind diese Prodacte m
beseitigen?
Wie stellt sich das Sehvermögen in den Fällen, die ohne
Complication verlaufen?
Die Beantwortung der ersten 3 Fragen giebt Auf-
schluss über die Grösse des traumatischen Eingriffes, die
der vierten darüber, ob der Durchschnitt vollkommen
gelungener Operationen bessere oder schlechtere optische
Verhältnisse ergiebt, als der Durchschnitt von solchen,
die nach anderen Methoden ausgeführt worden sind
Alle anderen, auf die Schärfe des Sehvermögens gerich-
teten Untersuchungen hängen, wenn sie nicht in sehr
grossen Massen vorgenommen werden können, von so
vielen ZufiUligkeiten (Kapselveränderungen, Trägheit und
Grösse der Pupille, verschiedene Sinnesschärfe nach In-
dividuum und Alter) ab, dass ihre Erledigung kaum zu
etwas anderem als zu irrthümlichen Schlüssen f&hren
würde.
Eine Prüfung der in der Tabelle verzeichneten Re-
sultate auf diese Fragen ergiebt mir Folgendes:
1) Totale Erblindung und Verlust des Auges erfolgte
in 2—3 % der operirten Fälle durch schlechte Wund-
heilung (Entzündung der Ränder, suppuratio corneae,
Eiterbildung in humor aqueus, Iris, Pupille, später Hom-
haut-Malacie, Vortreten der Gontenta, Panophthalmitis).
Ursache unbekannt
2) Bleibende, das Sehvermögen störende Producte
von Entzündung wurden 12, also etwa 9 % beobachtet
Sie zerfallen:
a. in Comealveränderungen durch parenchymatöse
Keratitis, wovon 2 mit leucomatöser Entartung der un-
teren Homhauthälften, eine mit durchscheinender, cen-
traler Trübung endete; die ersten beiden Entzündungen
schienen sich unmittelbar an die oben beschriebenen,
dem coUapsus corneae regelmässig folgenden Zustände
233
anzuschliessen, die letzte durch Quetschung des Lappens
an der Basis und hinteren Fl&che zu entstehen.
b. in Veränderungen des Pupillargebietes, zusammen-
gefasst unter dem Namen Cataracta secundaria. Diese
rQhren her entweder von Veränderungen der intracapsu-
lären Zellen allein oder in Verbindung mit secund&rer
Iritis, oder von Corticab-esten mit secundärer Iritis oder
endlich von Iritis purulenta. — Iritis simplex hat bei
frühzeitiger Behandlung nie störende Residuen hinter-
lassen.
3) Von den durch Entzündung entstandenen Trü-
bungen ist nur die sehr seltene, nirgend adhärireude
Cataracta secundaria zu beseitigen gewesen; bei allen
übrigen centralen Opacit&ten konnte ich ohne Gefahr
durch Iridectomie das Sehvermögen verbessern und in
einzelnen Fällen bis zu V, und darüber herstellen.*)
4) Die höchste Sehschärfe gut operirter Fälle betrug
oft V«, bei zwei Augen sogar 'A. Gesichtsfeldprüfungen,
zu denen v. Gräfe neulich der Iridectomie wegen aufge-
fordert hat, konnte ich noch nicht in hinreichender Zahl
anstellen.
Die Aussichten für die modificirte Extraction mit
Lappenschnitt stellen sich nach Allem, was bisher ange-
führt worden ist, sehr günstig. Es bleibt noch Vieles
zu bearbeiten und zu untersuchen, vor Allem das genauere
Verhältniss der Corticalis, Kapsel und Iris zum Nach-
staare, das sich mit den kurzen Wörtchen „reif und
„unreif nicht abmachen lässt, dann die Ursachen der
seltenen, bisher unerklärten Comeal-Suppuration, die Ur-
sachen der Iritis purulenta etc. etc., aber immer mehr
führt eine vorurtheilsfreie Untersuchung der extrahirten
*) Die Frage, wann Ditcition, wann partieUe Extraction mit dem
Hikehen Teraneht werden darf, kann hier nicht erörtert werden.
234
Augen dahin, dass Technik und Nachbehandlung der
Extraction vieler Verbesserungen fähig, dass also durch
Modificationeu der Grundmethode noch vollkommnere
Resultate zu erreichen sein werden. Soll man trotzdem
von diesem Wege abgehen, sich Tbeorieen von „Alters-
schwäche, Marasmus, tief liegenden Augen und gewissen
Linsenbeschaffenheiten" machen, welche die Extraction
nicht vertragen? Soll man mit dem bekannten ^klini-
schen Tact", den nur der auserwählte Operateur (und
zwar jeder für sich) hat, wieder „aus gewissen Gründen"*
recliniren und, wenn die Redination geglückt ist, daraus
schliessen, dass man sehr weise Indicationen befolgt habe?
Leider geht dieser unglückselige Hang von Beer's Zeiten
bis auf die neuesten durch und man kann heute noch
den Sinn dessen lesen, was Beer, Himly, Walther etc.
damals docirt haben: dass der gewiegte Operateur nie
eine Methode besonders bevorzugen, sondern jedesmal
nach Individualität und anderen, dem beschränkten An-
fängerverstande zu hoch liegenden Kriterien wählen müsse,
wann er zu recliniren, wann er zu extrahiren habe.
Auf diesem Wege wird man weder zum Verständniss der
Operationsmethoden, die man Jahr aus Jahr ein anwen-
det, noch zur Verbesserung und Ausbildung derselben
gelangen.
Anatomische Beiträge zur Ophthalmopathologie.
Von
Dr. E. Klebs,
AssieteDt am pathologischen Institut za Berlin.
iDdem ich beabsichtige, in dem Folgeuden eine ßeihe
von anatomischen Beobachtungen an erkrankten Augen
zwanglos aneinanderzureihen, ^Yie dieselben bei der Unter-
suchung des in meine Hand gelangenden Materials ge-
macht wurden, komme ich mit Vergnügen der Aufforde-
rung des hochverehrten Berliner Herausgebers dieses
Archivs nach, dessen Güte ich eine reiche Menge von
Beobachtungsobjecten verdanke. Die aphoristische Be-
schaffenheit dieser Mittheilungen möge der Leser ent-
schuldigen, sie ist bedingt durch die Beschaffenheit des
Materials; ich habe mich bemüht, Zusammengehöriges
zusammenzustellen, so oft sich geeignete Gesichtspunkte
darboten.
1. Auge, exstirpirt von H. v. Gräfe, erhalten am 23.
März h. a. „Grund der Exstirpation: wiederkeh-
rende Keizzustände, Empfindlichkeit bei der Beta-
stung, nachweisbare (mit dem Sondirknopf) intra-
oculare Verkalkungen, unvollkommene Gebrauchs-
fäbigkeit des zweiten Auges. "" Phthisis bulbi, Uorn-
236
hautnarbe mit Vascularisation und partieller Ver-
dickung der Yorderfläche, schwielige Narbeomasse
an Stelle des Linsensystcms, Netzhautablösong,
Ossification der choroides, Warzen der lam. elast
Chor.
Der Bulbus ist etwas verkleinert, von unregelmässig
eckiger Form, zeigt von vom gesehen eine viereckige,
trapezoide Gestalt mit abgestumpften Ecken, die obere
Begrenzungslinie ist länger als die untere, die beiden
seitlichen convergiren nach unten.*) Querdurchmesser
im Aequator 20, senkrechter 17, die beiden schrägen
(diagonalen) 21 u.22 Mm. Die Cornea ist von elliptischer
Form, der senkrechte Durchmesser 9, der horizontale
10 Mm., es umgiebt dieselbe ein schmaler, stark hype-
rämischer Conjunctivalring. An der einen Seite der Cor-
nea ist derselbe anscheinend etwas narbig, gewulstet und
von hier aus senkt sich ein starkes, mit Blut gefülltes
Gefilss in die Substanz der Hornhaut ein, das in hori-
zontaler Richtung fast genau in der Mitte zwischen obe-
rem und unterem Rande verläuft und vor dem Hornhaut-
centrum in 2 Zweige zerfällt, die bald dem Auge ent-
schwinden. Oberhalb dieses Gef&sses verläuft quer über
die ganze Hornhaut, mit leicht convexer Erttmmung nach
abwärts, eine feine, etwas vertiefte lineare Narbe, deren
oberer Rand gleichmässig gewulstet und namentlich auf
der dem Gefässeintritt entgegengesetzten Seite von in-
tensiv weisslicher Farbe erscheint, wie ein zu tief gegen
die Hornhautmitte gerückter Greisenbogen. Gegen den
untern Hornhautrand findet sich an derselben Seite eine
Reihe kleiner, ebenfalls etwas weisslicher, wenig hervor-
ragender Knötchen. Die übrige Hornhaut ist anschei-
*) Üeber die Benrtheilang, welche Seite die obere und anteTe, Inn
ich etwas zweifelhaft, da die Maskelansfitse su kan abgetchnitten waren,
um eine gani sichere Bestimmung zu gestatten.
237
nend vollständig klar, namentlich in der Umgebung des
grossen Gefi&sses. Die Pupille ist in der Querrichtung
verlängert, bimiSnnig, der Irissaum an der Eintiittsstelle
des Ge&sses nur ganz schmal.
Die Choroidea liegt der Sclera nur ganz locker an;*)
nachdem sie eingeschnitten, ei^iesst sich c. 1 G.Cm. klarer
Flüssigkeit, die einzelne gut erhaltene Blutkörperchen,
etwas feinkörniges Pigment und Häufchen von feinen
nadeiförmigen Krystallen enthält Die Retina ist überall
abgelöst^ bildet am for. opticom einen nur 1 Mm. dicken
Strang, der nach vorn dicker wird und mit einer weiss-
lichen narbigen Masse, welche die Linsengegend und den
Strahlenkranz einnimmt, verschmilzt Die innere Cho-
roideafläche besitzt ein sehr eigenthümliches Aussehen.
Im Augenhintergrunde geht sie in eine compacte weiss-
liche Knochenschale über, die mit einzelnen Ausläufern
noch über den Aequator, an einer Stelle sogar bis zur
Ora serrata nach vorn greift. Alle übrigen Theile dieser
Fläche zeigen ihre normale gleichmässige Pigmentirung,
sind aber mit einer unzähligen Menge sehr feiner weiss-
licher Körnchen bestreut, die hinten gegen die Knochen-
schale sehr dicht, nach vom spärlicher werden. Die
Oberfläche jener ist vollkommen glatt — Der Opticus
ist kurz abgeschnitten, nur 1,5 Mm. breit, etwas gelblich,
mit weiten Gentralgefitosen.
Die Homhautnarbe, welche in ihrem mittleren Theile
die ganze Dicke der Cornea durchsetzte und hier mit der
Iris Verwachsungen eingegangen war, bot nichts beson-
deres dar; wie gewöhnlich sind die Homhautschichten,
welche die Narbensubstanz bilden, gleichsam in der Rich-
tung der Continuitätstrennung, mehr oder weniger senk-
recht gegen die Fläche der Hornhaut gewachsen; die
*} In der Regel secire loh die Augen im frischen Zostande, indem
ieh eine Haat nach der andern im Aequator durehsohneide.
238
Descemetia, welche gar kein Regenerationsvermögen zu
besitzen scheint, zusammengefaltet neben den Irisadhä-
sionen, von der Iris aus Pigmenthaufen (Zellen?) in die
Safträume der Cornea z. Th. in weite Entfernung ein-
gewandert, wie sich wohl nicht mehr bezweifeln lässt,
seitdem wir durch Recklinghausen das Wandern der Zellen
kennen gelernt haben. In diesem Fall fehlt eben jede
Veränderung der Hornhautzellen und die Pigmeuthäufchen
liegen am zahlreichsten in der Umgebung der Irisadhäsion.
Die erwähnten Unebenheiten der vordem Hornhaut-
flache zeigten jene sonderbaren Formen, welche vor
kurzem Althof genauer beschrieben (dieses Arch. VHI. 1
S. 126) und als Auflagerungen auf die lamina elastica
anterior bezeichnet hat. H. Müller nahm an, dass sie
durch „flächenartige Wucherung" von der Conjunctiva aus
entstehen und sich zwischen Epithel und Bowmann'scher
Haut einschieben. Althof will sogar eine solche Lage
zwischen den oberen und unteren Schichten der Hörn-
hautepithelien gefanden haben (Fig. IH des Textes, 4 der
Tafel), wobei er aber wohl durch einen schrägen Schnitt,
der den Rand der Verwulstung getrofifen, getäuscht sein
kann. W^enigstens ist es ganz unerhört, dass eine fremde
Masse zwischen die Hornhautepithelien hineinwuchern
und deren Schichten trennen kann, ohne dass diese, die
doch in genetischer Verbindung stehen, irgend eine Verän-
derung erleiden. Dass von der Conjunctiva aus ein
Hineinwachsen zwischen Epithel und Stroma nicht gerade
immer vorzukommen braucht, ergiebt sich aus dem vor-
liegenden Fall. Die leistenförmige Erhebung oberhalb
der Narbe und die flachen Knötchen unterhalb derselben
bestehen nämlich ganz wie die erwähnten Auflagerungen
aus Cornealstroma, welches indess keine regelmässige
Bildung von Lamellen zeigte. Die kleinsten Knötchen,
von c. *'io Mm. Durchmesser, erhoben sich auf einer
scheinbar gut entwickelten, nur von feinen Kömchen
239
durchsetzten Bowmann'schen'Haut und wurden von einem
ziemlich engen Saftkanalsystem durchzogen, dessen Haupt-
stämmchen in einem über dieser Membran befindlichen
Hohlraum wurzelten und von da aus gegen die couvexe
Oberfläche des Knötchens sich verbreiteten. Die lamina
elast. ant der Autoren, welche unter der Auflagerung
liegt, hat allerdings das Aussehen einer solchen, liegt
auch in demselben Niveau mit der vordem Fläche des
Homhautstroma's, aber sie hängt nicht mit der eigent-
lichen Bowmann'schen Haut zusammen. Man sieht ganz
leicht, wie sich die Sache verhält. Ich will, um mir die
Beschreibung zu erleichtem, sogleich erwähnen, dass ich
eine Trennung dieser Membran von der übrigen Inter-
cellularsubstanz für nicht gerechtfertigt halte, da sie mit
demselben fest vereinigt ist und ganz dieselbe Zusam-
mensetzung hat. Sie unterscheidet sich allein durch den
Mangel der Queranastomosen zwischen den einzelnen
Schichten des Saftkanalsystems, zum Theil auch durch
eine etwas glänzendere, stärker lichtbrechende Beschaffen-
heit, namentlich im höheren Alter. Stellt man sich nun
vor, dass diese oberflächlichste Schicht von Intercellular-
substanz an einem bestimmten Punkt verdickt, von den
oberflächlichsten Kanälen aus selbst kanalisirt und die
innere Wandung jener Kanäle verdichtet wird, so haben
wir die Entstehungsgeschichte dieser Gebilde in ihrer
einfachsten Form. Erst weitere Untersuchungen können
lehren, ob die Zellen der Hornhaut, indem sie vielleicht
zuerst sich vermehren, dann Intercellularsubstanz pro-
duciren, sich an dem Process betheiligen. Neben diesen
kleineren und leicht verständlichen Formen findet man
nun aber, wie das schon H. Müller beschrieben, auch
grössere, von der vordem Hornhautfläche leicht abzieh-
bare, aus Hornhautsubstanz bestehende Membranen und
zu dieser Form gehört auch der über der Narbe gelegene
verdickte Streifen. Senkrechte Durchschnitte zeigen, dass
240
er an der Peripherie überall mit dem Hornhautstroma
zusammenhängt Die Verbindung bildet nur eine schmale
Brücke, in welche die obersten etwas verschobenen La-
mellen mit ihren Eanälchen eingehen, die innere Wandung
des platten Hohlraums oder der Spalte zwischen der
Auflagerung und dem alten Stroma hat wieder eine
dichtere, glänzendere Beschaffenheit angenommen und an
dickeren Schnitten kann es sogar den Anschein haben,
als bestände ein Zusammenhang dieser Lage mit der
peripherischen Zwischensubstanzschicht Es kann dies
um so leichter geschehen, als auf dem gewucherten Hom-
hautgewebe keine solche Schicht sich abgrenzt, dieselbe
hier vielmehr in kanalisirtes Homhautgewebe umgewan-
delt ist An feinen Schnitten sieht man auch hier das
wirkliche Yerhältniss. Die Auflagerung einer neugebil-
deten Homhautlamelle erscheint in der That zuerst so
in die Augen fallend, dass es nicht auffallend ist, wenn
selbst ein so vortrefflicher Forscher, wie H.Müller, sich
in dieser Beziehung getäuscht hat, zumal er nur die
letzteren, complicirteren Formen vor sich gehabt hat
Ich selbst glaubte zuerst Kunstprodukte vor mir zu haben,
die durch eine fehlerhafte Schnittfährung veranlasst waren,
bis ich mich durch aufeinanderfolgende Schnitte von der
Gonstanz dieses Verhältnisses überzeugte und dann die
kleineren Knötchen untersuchte.
Die Ossificationen in dem hintern Abschnitt der
Choroidea verhielten sich in der Art, wie dies bereits
oftmals beschrieben ist; die erste Knochenbildung ge-
schieht in kleinen Heerden in der innersten Schicht, die
später confiuiren und in die Tiefe greifen. Während
dieselben, ganz wie gewöhnlicher Knochen im dunklen
Qesichtsfeld des Polarisationsmikroskops stark leuchten
und im gefärbten Gesichtsfeld lebhafte Farbenverände-
rungen geben, zeigten die der Innenfläche der Choroides
aufgelagerten Knötchen im Allgemeinen keine doppelt-
241
brechenden Eigenschaften, obwohl ihre feste Beschaffen-
heit und weisse Farbe an die Ablagerung von Ealksalzen
denken liess. Die grossem derselben bestanden aus ein-
fachen kugligen Gebilden, die meist mit einem etwas
verschmälerten Stiel auf der Membran aufeassen, oder
sie setzten sich aus einer Gruppe solcher mit einander
verschmolzener Hassen zusammen. Sie wurden von einer
oft recht breiten homogenen Membran umgeben, die in-
dess bisweilen fehlte und an dem freien Ende der Kolben
stets verdünnt erschien. Bandartige Fortsätze dieser
Membran oder äusseren Schicht verbanden oft die ein-
zelnen Kugeln miteinander und diese Bänder waren dann
meist feinkörnig. Die inneren Theile einer solchen Ku-
gel waren stets geschichtet und die einzelnen Schichten
senkrecht zu ihrer Oberfläche fein gestreift, die Quer-
streifen meist deutlich aus feinen Körnchen gebildet.
Einzelne dieser Kugeln und zwar ausschliesslich von den
grösseren, hatten ein homogeneres, glänzenderes Aussehn
angenommen und waren in der Müll er 'sehen Lösung
grün geftrbt, wie Knochensubstanz, der sie, abgesehn
von dem Mangel der Kanalsysteme, sehr ähnlich sahen.
Aber auch diese waren nicht doppeltbrechend. Dagegen
fanden sich im Centrum einzelner Kugeln von beiden
Arten eckige krystallinische Massen angehäuft von stark
doppeltbrechender Beschaffenheit, die isolirt in meist etwas
unregelmässige rhombische 1(^latten zerfielen. Säuren und
Alkalien verändern die Kugeln im Ganzen nur wenig;
durch die Einwirkung der letztern zerfallen die gestreif-
ten Schichten, besonders bei leichtem Druck, zu kleinen
prismatischen Körperchen. Nach dem Behandeln mit
absolutem Alkohol und Aether dagegen sind ein grosser
Theil der feinkörnigen Bestandtheile und sämmtliche
Erystalle verschwunden. Diese Beschaffenheit und die
Form der Krystalle spricht am Meisten für Fett und
Cholestearin.
ArehiT ffir Ophtliftlmologle. TL 9, 16
242
Grösser^ Schwierigkeit^, als die Konstatining die-
ser Verhaltnisi^e, verursachte die Frage nach der Ent-
stehung der Kugeln. Donders und Müller haben die
bekannten Auswüchse der Glas-Lamelle der Ghoroides
beschrieben und es lag zunächst nahe, die h|er vorlie-
genden Gebilde jenen anzureihen. Indess ergaben sich
einige Verschiedenheiten. Wie gewöhnlich war das Epithel
der Ghoroides an diesen Stellen defect und die missge-
stalteten Zellen in den Zwischenräumen zwischen den
aAeinandergepressten Kugeln zusammengeschoben. Aus-
serdem aber enthielten die letztem nicht selten Häufchen
von braunem Pigment und auf der elastischen Membran
befand sich überall ausser den häufig defecten Pigment-
ze^en eine continuirliche dünne Lage feinkörniger Sub-
stanz, in welcher hie und da körnige Kugeln, unge&hr
von der Grösse der Epithelzellen, einzeln oder in Grup-
pen, lagen. Um einzelne dieser letztern hatte sich ein
schmaler, glänzender Ring gebildet, aber nur selten schlös-
sen sie etwas Pigment ein. Von diesen Körpern konnte
laicht mit Bestimmtheit nachgewiesen werden, weder ob
sie mit der elastischen Membran der Ghoroides zusam-
ipenhingen, noch ob sie aus dem Pigmentepithel hervor-
gingen. Einfache, der Substanz der Glas-Lamelle homo-
loge aus ihr hervorgegangene Neubildungen wareu es
jedenfalls nicht, auch schienen die feinen Faltungen der
Lamelle, die namentlich nach dem Behandeln mit Kali-
lauge sehr zahlreich auftraten, unter denselben ohne
Veränderung fortzugehn. Ich möchte daher folgende An-
schauung von der Bildung dieser Körper im vorliegen-
den Falle vertreten. Nach einer Ablösung der Netzhaut
degenerirt eine grosse A^zahl von Pigmentzellen fettig
und fällt ab, andere haften, wie sich dies aus weiteren
Beobachtungen ergiebt, fester an und diese sind es dann
wabrscheinlicl^, welche, indem sie zerfallen, in Gemein*
Schaft mit anderen Substanzen, die sich aus der abge-
243
sonderten Flüssigkeit niederschlagen, auf der Olasmem-
bran jene kömige, hie und da mit Pigment- und Zell-
resten untermischte Lage darstellen. Alles weitere geht
vor sich ohne eine actiye Betheiligong von Gewebsbe-
standtheilen. Um die Pigmenthäofchen oder neben den-
selben bilden sich krystallinische oder amorphe Nieder-
schl&ge verschiedener organischer, z. Tb. fettiger Substan-
zen, deren schichtf&rmige Anordnung durch eine öftere
Wiederholung desselben Vorgangs veranlasst wird. Diese
Massen können hie und da fester an der Olasmembran
haften, aber es ist nicht nöthig, dass sie immer oder nur
zuerst aus einer derselben homologen Substanz bestehen.
Noch zu erwähnen ist, dass in der abgelösten Retina
die bindegewebigen Fasern ausserordentlich verdickt, hy-
pertrophisch sind, eine Veränderung, auf die ich bei
einer anderen Gelegenheit zurückkomme.
2. Auge, exstirpirt von A. von Gräfe, 4. Mai h. a.
Grund der Extirpation: („Aelteres Staphylom mit
wiederkehrenden Reizzuständen, neuerdings eine, mit
sehr heftigen Schmerzen begleitete Ausdehnung der
Staphylomhöhle , resp. des Bulbus, mit eitriger
Infiltration der Pseudocornea.'') Staphyloma cor-
neae mit Perforation, Glaskörpervorfall, Blutungen
zwischen Sciera, Ghoroides und Retina, Hypertrophie
der bindegewebigen Elemente der Retina, sowie
der Zapfen und Nervenzellen.
In der Fig. I. Taf. III. ist die durch einen Meridian-
Schnitt getheilte vordere Hälfte des Augapfels abgebildet
Man sieht die allgemeine Ectasie und Vorwölbung der
Hornhaut, welcher seitlich eine halberbsengrosse kleinere
Ectasie aufsitzt Die letztere hat auf ihrer Höhe eine
kleine Perforationsöfifnung, durch welche ein Zipfel von
Glaskörpergeweben prolabirt ist Das Linsensystem fehlt
vollständig, wenn nicht ein in der nicht abgebildeten
Hälfte vorhandener schmaler halbmondförmiger Streif, der
16»
24*
als ein unvollständiges Septum von der Linie der Ciliar-
fortsätze in den Binnenraum des Auges hineinragt, fftr
weiter modificirte Reste der Kapsel und Zonula Zinnii
zu halten ist. Die Iris ist als solche eigentlich auch
nicht vorhanden. Ihre Beste überziehen als eine dfinne,
oft unterbrochene Pigmentlage die innere Hornhantfl&die
und verdicken sich an dem Bande der kleineren Ectasie
zu einem etwas vorspringenden scharfrandigen Saume,
gleichsam einer neuen Iris, die sich der durch die Ectasie
gebildeten diminutiven Hornhaut accommodirt hat Der
Qlaskörper ist ganz schwach weisslich gef&rbt, die Betina
bucklig vorgewölbt, namentlich in den vorderen Parthien
stark verdickt, weisslich. Auf ihrer äusseren Fläche liegt
eine dünne Schicht geronnenen Bluts, dessen Eörperchen
wohl erhalten kuglig sind, dessen Faserstoffnetze ausser-
dem ziemlich zahlreiche verfettete, zum Theil pigment-
lose Choroides-Epithelien einschliessen, sowie einzelne
eigenthümlich glänzende Kugeln und eitrige Körper,
deren Bedeutung weiterhin erläutert wird. — Die Cho-
roides zeigt einen beinahe vollständig erhaltenen Pigment-
überzug, ist durch grosse Blutmassen von der Sclera
getrennt und durch ebensolche an einer Stelle in zwei
Blätter gespalten.
Es lag demnach eine jedenMs frische, durch Blut-
extravasat bedingte Trennung der Augenhäute vor und
ich war, da ich bereits früher meine Aufmerksamkeit auf
die Veränderungen der Netzhaut, die in Folge von Ab-
lösungen derselben einzutreten pflegen, gerichtet hatte,
besonders begierig zu erfahreii, wie sich diese Membran
in einem Fall frischer Ablösung verhielt An Quer-
schnitten derselben fiel sogleich die ungleichmässige Dicke
der Stäbchen- und Zapfenschicht auf. An den breiteren
Stellen fand sich eine colossale Vergrösserung namentlich
der Zapfen. Von der Fläche gesehen erschien die Ma-
cula lutea von grossen, etwas eckigen, dicht aneinander-
245
gedrängten glänzenden Körpern von 0,015 Hm. wie ge-
pflastert. In den peripherischen Schichten wnrden diese
grösseren Körper von kleineren getrennt, die nm so
zahlreicher vorkamen und nm so breitere Zwischenräume
zwischen jenen bildeten, je mehr man sich der Ora
serrata näherte. Diese Vertheilung macht es schon
einiger Maassen wahrscheinlich, dass die grösseren Kör-
per die veränderten Zapfen, die kleineren die Stäbchen
sind. Senkrechte Durchschnitte der Netzhaut bestätigen
diese Ansicht, indem sich an zahlreichen der grösseren
Körper alle einzelnen Bestandtheile der Zapfen nur in
sehr vergrössertem Maassstabe nachweisen lassen. Wie
man aus der Fig. 2 ersieht, sind die am besten erhaltenen,
grosse, fiaschenförmige Körper, deren dickerer bauchi-
ger Theil der Lamina ext ret aufeitzt. Die grösste Breite
erreicht dieser Theil gewöhnlich etwas über der erwähnten
Membran, seltener ist die Basis der breiteste Theil und
alsdann geschieht es bisweilen, dass dieselbe noch inner-
halb der Limitans ext. im bindegewebigen Gerflste der
Retina sich befindet An isolirten Zapfen zeigte sich
einige Male eine quere Einschnürung des dickeren Thdls,
die vielleicht die Dnrchtrittsstelle durch die Lamina be-
zeichnet Der intraretinale Theil dieser letztem Form
von Zapfen hat mehr eine gleichförmige cylindrischc Ge-
stalt, während der ausserhalb gelegene kuglig aufgetrieben
ist In der betreffenden Abbildung ist eine solche Stelle
wiedergegeben, welche eine gleichmässige Yergrösserung
des Zapfenkerns und des stäbchenartigen Fortsatzes des
Zapfens zeigt. Der letztere wird, wie auch im Normal-
znstande, gegen die Spitze hin schmäler, hat übrigens
seine homogene glänzende Beschaffenheit bewahrt, wäh-
rend die Zapfenkörner in ihrem Gentrum einen grösseren
oder kleineren kömigen Fleck erkennen lassen. Beide
Substanzen grenzen sich scharf gegeneinander ab, ohne
dass aber ein deutlicher Gontur diese Grenze bezeichnet
246
Ein Kern ist nirgend wahrzunehmen. Die Dicke des
Zapfenköq>er8 hat am BeträchtUchsten zugenommen
0,012—0,015 Mm., während die Lange (0,03 Hm.) aller-
dings auch sonst bisweilen erreicht wird. An der Spitase
der Zapfenstäbchen nimmt man nicht selten eine leichte
Aufblätterung durch Bildung von queren Spalten wahr,
eme Veränderung, die namentlich an den Stäbchen und
Zapfen der Frösche bekanntermaassen constant nach dem
Tode eintritt Neben diesen gleichmässig vergrösserten
Zapfen finden sich andere, bei denen der Fortsatz im
Wachsthum hinter dem des Körpers zurückgeblieben,
als ein kleiner, glänzender, sich scharf zuspitzender, oft
seitlich verschobener und verbogener Fortsatz erscheint.
Dieselben Formen, jedoch meist etwas rudimentär, na-
mentlich ihrer Fortsätze beraubt, findet man auch in der
auf der äusseren Fläche der Retina gelegenen Blutmasse,
eingebettet in deren Faserstoflfnetze, woraus man wohl
schliessen darf, dass eine theilweise Ablösung der dege-
nerirten Theile der Stäbchenschicht schon während des
Lebens stattgefunden hat — Die Stäbchen sind ebenfalls
erheblich verdickt, namentlich aber verlängert, übertreffen
in dieser Beziehung zum Theil noch die Zapfen; ausser-
dem sind sie oft, wie es scheint, durch den Druck der
vergrösserten Nachbargebilde an einzelnen Stellen ein-
geschnürt, zu dünnen Fäden ausgezogen uüd dagegen
am Ende wieder kolbig verdickt. Die homogene Be-
schaffenheit auch dieser Formen scheint mir eine genü-
gende Garantie gegen eine postmortale Veränderung zu
gewähren. Dicht neben diesen stark vergrösserten Ele-
menten der Zapfen- und Stäbchenschicht fanden sich
Parthien, in denen an Stelle derselben nur eine niedrige
Lage von kugligen Massen, hie und da normal grosse
Stäbchen vorhanden waren, in den Zwischenräumen zwi-
schen denselben gewöhnlich zahlreiche Blutkörperchen.
Es ist mir daher nicht unwahrscheinlich, dass an diesen
247
Stellen dttrch das, Wahrscheinlich aus den GeflLssen der
Choriocapillaris ausgetretene Blut, die Stäbchen- und
Zapfenschicht sogleich grossentheils zerstört wurde und
dass erst nach der AblBsung die bei diesem Vorgänge
intact gebliebenen Zapfen und Stäbchen hypertrophirt
sind. — Von Nervenzellen waren nur sehr wenige nach-
weisbar, unter denselben aber ebenfalls eine so bedeutend
vergrösserte, wie man sie sonst nur in den Hinterhörnem
der grauen Rfickenmarksubstanz antrifit Dieselbe stellte
einen kugligen Körper mit grossem Kern dar, mit einem
gegen die Peripherie hin gerichteten breiten Fortsatz
(Länge des Zellkörpers 0,03, Breite desselben 0,024, des
Fortsatzes 0,006 Mm.).
Die Hypertrophie des bindegewebigen Gerüstes der
Betina bietet durch ihre Beziehung zu der lange discu-
tirten Frage nach der Natur der einzelnen Gewebsbe-
standtheile dieser Membran immer noch einiges Interesse
dar, obwohl nach Untersuchungen von M. Schnitze die
früheren Zweifel über die Bedeutung der Radiärfasern
nicht mehr als gerechtfertigt betrachtet werden können.
Ich habe schon vor längerer Zeit einen Fall untersucht
und beschrieben, in welchem bei Gegenwart eines choroi-
dalen melanotischen Sarkoms die Retina in eine dünne
aus welligem Bindegewebe bestehende Membran ohne Spur
ihrer sonstigen specifischen Bestandtheile umgewandelt
war. Der vorliegende Fall bietet das gerade Gegentheil
von dieser Veränderung dar, nämlich Hypertrophie der
bindegewebigen wie nervösen Bestandtheile, und dieser
Fall scheint der bei weitem häufigere zu sein. Bevor ich
auf die dabei stattfindenden Verhältnisse eingehe, will
ich einiger Umstände erwähnen, welche auf die bei diesen
Veränderungen in Frage kommenden ursächlichen Mo-
mente Bezug haben. Wir sehen Vergrösserungen der
T^rschiedensten Art, einfache Hypertrophien, wie hyper-
plästische Vorgänge homologer und heterologer ^atür
2*8
eintreten, ohne dass wir von dem Zustandekommen der*
selben eine andere Vorstellung gewinnen könnten, als
dass ein Beiz, vielleicht von specifischer Natur auf diese
Theile eingewirkt hat und zwar direct auf die zelügea
Elemente derselben. Die activen Veränderungen daher
werden, namentlich bei primären Störungen der Art,
sicher in den Vordergrund treten. Es wird dieses be-
sonders ftlr einen Theil derjenigen einfachen Hyperplasien
gelten können, welche in der Umgebung maligner Ge-
schwülste auftreten und die gerade am Auge zu einer
inneren Vergrösserung aller seiner Theile, dem sogen.
Buophthalmus führen. Indessen haben wir eine andere
Reihe von pathologischen Hypertrophieen, die man besser
als Induration mit Hypertrophie bezeichnet, welche ganz
vorwiegend die Intercellularsubstanz und wie in dem
vorliegenden Fall die specifischen Elemente betreffen,
dagegen die zelligen Elemente des Bindegewebes voll-
kommen unberührt lassen. Die schönsten Beispiele dieser
Veränderung finden sich bei gewissen Herzkrankheiten
vor, welche eine Stauung des Blutes in den Organen
namentlich des grossen Kreislaufs setzen. Hierher ge-
hören die hyperämische Induration der Milz und Niere
bei Mitralstenosen. Nirgends lassen sich aber die feine-
ren Verhältnisse dieser Veränderung so deutlich nach-
weisen, als an der Retina. Fasst man zunächst die Um-
stände ins Auge, unter denen sie zu Stande kommt, so
kann man 3 Categorieen unterscheiden, je nach dem die
hypertrophische Induration der Retina vorkommt bei
einfacher Netzhautablösung in phthisischen Processen des
Bulbus, bei Perforation der Hornhaut und bei intraoca-
laren Tumoren. Ich will nicht leugnen, dass auch unter
andern Bedingungen dieselbe Erscheinung vorkommen
kann, ich beschränke mich auf diejenigen Verhältnisse,
welche mir selbst zur Beobachtung gekommen sind.
Allen diesen Zuständen ist ein Moment geminsame,
2*9
welches nach den vorher erörterten Verhaltnissen, unter
denen analoge Veränderungen an andern Körpertheilen
entstehen, auch hier von erheblicher Wichtigkeit sein
muss, das ist die Herabsetzung des intraocularen Drucks
mit gleichzeitiger Steigerung des Blutdrucks in der Re-
tina. Das zweite ist offenbar die nothwendige Folge des
ersteren, wenn die Circulation in den Retinageftssen nicht
anderweitig beeinträchtigt ist Wie nothwendig die Ver-
grösserung der die Retina durchströmenden Blutmasse
für das Zustandekommen der Induration ist, sehen wir
gerade an dem Umstände, dass bei intraocularen Tumo-
ren die Veränderung nur in dem Fall eintritt, wenn
gleichzeitige Netzhautablösung ein Sinken des intraocularen
Drucks bezeichnet. Ich werde einen solchen Fall, in
welchem neben einem Carcinom der Retina und Choroides
Netzhautablösung eingetreten war, weiterhin mittheilen.
Der entgegengesetzte Fall, in welchem ein stark wuchern-
des melanotisches Ghoroidal-Sarcom den Schwund des
Glaskörpers veranlasst, aber auch gleichzeitig, wenn ich
so sagen darf, den entstehenden leeren Raum ausgefüllt
und der Netzhautablösung dadurch vorgebeugt hatte,
findet sich von mir beschrieben in Virchow's Archiv
XXV. S. 387. — Ich lege darauf Gewicht, die Induration
der Retina nicht als unmittelbare Folge der Netzhaut-
ablösung aufsufassen, da ich glaube, dass auch andere
Ursachen, welche eine Drucksteigerung im Geiässsystem
der Retina herbeifilhren , ähnliche Wirkungen haben
werden, eine Frage, die ich hoffe auf experimentellem
Wege entscheiden zu können. Vorläufig glaube ich zu
dieser Voraussetzung nicht unberechtigt zu sein, wenn
ich die Aetiologie der indurativen Vorgänge an anderen
Körpertheilen in Betracht ziehe.
Ich wende mich nun zur Beschreibung der Verän-
derung der bindegewebigen Elemente bei der Induratio
retinae. Es gilt dieselbe im Ganzen sowohl für den
250 _
ersten, wie fttr den vorliegenden und den folgenden Fall^
Die unterschiede zwischen denselben sind nur gradweise,
in dem phthisischen Auge (Fig. L) am erheblichsten, aber
auch am reinsten, während in den beiden anderen Com-
plicationen vorkommen, in dem vorliegenden Einwande-
rung von choroidalem Pigment, in dem 3. fettige Ver&n-
derungen der äussern Schichten. Die Radiärfasem sind
überall sehr leicht zu isoliren, in allen Theilen gleich*
massig verdickt, so dass sie in dem am meisten vorge-
schrittenen Fall grosse vielfache Zweige aussendende
Stämme darstellen, deren Substanz die im Normalzustande
den Fasern anliegenden Zellen (M. Schultze) vollstän-
dig umwachsen hat. Es bekommt ein solcher Körper
dadurch bisweilen das Aussehn einer lang gestreckten
Ganglienzelle mit zahlreichen Ausläufern, nur dass, was
bei dieser Zcllkörper ist, hier aus Zwischen Substanz be-
steht Während in diesem Fall der mittlere, mit der
Zelle in Verbindung stehende Theil der Radiärfaser, die
grösste Dicke besitzt, besitzen bei geringerer Hypertrophie
die Endanschwellungen der Fasern, welche die Grenz-
membranen zusammensetzen (Schelske), noch eine
überwiegende Breite. Tritt fettige Degeneration ein, wie
dies in dem folgenden Fall stattfand, so liegt das Fett
vornehmlich in den Kömerschichten und der Zwischen-
kömerschicht, und zwar z. Th. zwischen den Radiär-
fasem, z. Th. aber noch in diesen selbst und es sieht
aus, als besässen dieselben eine Höhlung, welche mit der
ebenfalls fetthaltigen Zellhöhle in Verbindung steht Das
Ghorioideapigment dagegen liegt vorzugsweise, wenigstens
in grösserer Menge in den Geffissscheiden, in den Qbri-
gen Theilen nur als einzelne Klumpen von brauner Farbe,
und zwar, wie es scheint, immer zwischen den. Radiär-
fiisem, also in den von den nervösen Elementen einge-
nommenen Räumen. Da in diesem Fdl feine Nerveii-
flABem noch in ziemlicher Menge nachzuweisen sind, kann
251
ich nicht annehmen, dass die interfibriUftreu Bäume, wie
dies Schnitze darstellt, ausschliesslich von den nerröeen
Theilen ausgefüllt werden, ich glaube vielmehr, dftss
ebenso, wie unter pathologischen Verhältnissen, Pigment,
unter normalen eine Emährungsflüssigkeit diese Bäume
ausfällt. Sehr schön lässt sich in diesen Fällen die Zu-
sammensetzung der sogenannten Molekularschicht aus
einem feinen Fasemetz demonstriren, das übrigens ziem-
lich spärliche bipolare, wie ich glaube, dem Bindegewebe
angeh&rige Zellen enthält In der Opticusfaserschicht
kommen neben den Nervenfasern denselben parallel ver-
laufende Bindegewebslasem vor, die ebenfalls hier sehr
deutlich zu demonstriren sind und durch ihre Breite,
harten Contur und Starrheit von den feinen nervösen
Fasern sich unterscheiden. Auf der inneren Fläche end-
lich liegt ein sehr grobes Netzwerk von derben, vielfach
anastomosirenden und verflochtenen Bindegewebsbündeln.
Die Oeftsse sind ausserordentlich weit, stark mit Blut
gefüllt, die Adventitia sehr dick, aus streifigem Binde-
gewebe gebildet
Von der Ghoroidea will ich nur anführen, dass das
Epithel ziemlich wohl erhalten, nur an einigen Stellen
so fest anhaftete, dass es mit dem Pinsel nicht entfernt
werden konnte. Die Oefiisse der Choriocapillaris waren
weit, blutreich, ihre Wandung etwas dick und glänzend,
die andern Gefieisse ebenfalls weit, die Wandungen normal.
In den oberflächlichsten Schichten des Stroma, dicht unter
der Capillarmembran, fand sich ein dichtes Lager von
EiterkOrperchen neben intacten, sogar sehr stark ent-
wickelten Pigmentzellennetzen.
Die allgemeine staphylomatöse Erweiterung der Hörn*
haut stellte ein vollkommen consolidirtes Verhältniss dar;
in der kleineren, perforirten Yerbuckelung fiind sich eine
dichte, eitrige Infiltration der oberflächlichen, gleichzeitig
reichlich vascuUrisirten Schicht». Die Oberfläche war
252
aasserdem uneben durch zum Theil ziemlich stark her-
vorragende, aus zellenreichem Homhautgewebe gebildete
papillenartige oder auch mehr flache Hervorragungen
(Fig. III.) Das diesen Theil überziehende Epithel war
sehr dick und fllllte die zwischen jenen bleibenden Ver-
tiefungen zum Theil aus. Die oberflächliche Keratitis
griff auch nach den Seiten noch etwas auf die flbrigen
Theile der Hornhaut aber.
lieber den zur Staphylombildung führenden Vorgang
liess sich in diesem Fall nichts ermitteln, da derselbe
vollständig abgelaufen war. Dass nicht etwa die ober-
flächliche frische Keratitis daran Antheil hat, ergiebt sich
aus dem viel häufigeren Vorkommen der letzteren ohne
Staphylombildung. In Bezug auf diese ätiologische Frage
ist auf die bereits von mir gemachte Erfohrung zu ver-
weisen, dass bei anscheinend gleichartig verlaufender
(traumatischer) Keratitis bald Vorwölbung der Hornhaut
eintritt, bald nicht. Es wäre sehr wichtig, die näheren
Umstände einer experimentellen Prüfung zu unterwerfen.
Vielleicht liegen die Ursachen ganz ausserhalb der Horn-
haut und hängen mit Verschiedenheiten des intraocularen
Drucks zusammen, vielleicht aber spielt hier die Membr.
Descemetii eine wesentliche Rolle, wie ich aus einer an-
deren Beobachtung fast vermuthen möchte. Als anato-
misch bemerkenswerth hebe ich noch hervor, dass die
ausgedehnten Partieen der Hornhaut stark verdünnt sind
und dass da, wo an ihrer Hinterfläche stärkere Massen
von Irisgewebe adhäriren, so namentlich an dem Rande
der secundären Homhautausbuchtung, das Homhautge-
webe zu leistenartigen Erhebungen ausgezogen ist, die
man in der Zeichnung (Fig. IVa.) im Querschnitt sieht.
An dem Rande der grösseren Leiste sieht man im Iris-
gewebe mehrere runde oder längliche im Präparate stärker
glänzende Parthieen b, die sich aus Querschnitten von
glatten Muskelfasern, dem etwas hypertrophischen Sphinc-
253
ter iridis zusamiDeiisetzen. Es hat mich dieser Fund
nicht wenig überrascht, da ich eher das Gegentheil er-
wartet hatte. Allerdings befindet sich überhaupt die Iris
in einem Zustand ziemlich lebhafter entzfindlicher Pro-
Uferation and auch die Dilatator£asem, deren Existenz
neuerdings bezweifelt ist, waren ausnehmend deutlich.
Sehr characteristisch für das örtliche Fortschreiten
entzündlicher Processe, ein Vorgang, der unbedingt mit
dem Wandern der gereizten Zellen zusammenhängt, ist
es femer, dass von diesen Irisadhäsionen aus nicht allein
wie in dem vorigen Fall Pigment in die Hornhaut ein-
gewandert ist, sondern dass auch zahlreiche kleine runde
zum Theil pigmentirte Zellen die Hohlräume des Gomeal-
zipfelserfÜUen (Fig. IV.c), ein entzündlicher Process, wel-
cher ausserhalb jeder Verbindung mit der Keratitis super-
ficialis steht Das Comealgewebe der mittleren Schichten
ist von regelmässiger Lagerung ohne zellige Wucherung,
nur sieht man von der grösseren Irisinsertion mit Blut
gefüllte Gel&sse schräg nach aussen gegen die Oberfläche
der Hornhaut hin verlaufen. Dieselben stellen vielleicht
eine Verbindung zwischen den Gefässen der Iris und
denjenigen her, die sich in den äusseren Homhautlagen
entwickelt haben. — Eine Membr. Descemetii fehlt überall
da, wo das Irisgewebe mit der Hornhaut verwachsen ist;
zwischen den leistenartigen Hervorragungen der hintern
Homhautfläche ist dieselbe in eine ausserordentlich dicke,
streifige, sonst homogene Masse (£) umgewandelt, die an
dem Rande dieser Stellen in kurze Stücke unveränderter
M. Descemetii übergeht.
3. Tumor choroideae et retinae, wahrscheinlich carci-
nomatöser Natur. Das Auge ist von H. v. Gräfe
am 5. März exstirpirt wegen einer intraocularen
Geschwulst, welche sich von der Temporalseite un-
gefähr von der Aequatorialgegend aus entwickelt
hat, zuletzt fast bis über die Mitte des Glaskörper-
264
raums vorragt, von bräunlichem Aussehen, die Netz-
haut vor sich herschiebt und ihren vermuthliohen
Sitz in der Aderhaut hat; Entwickelung in V« Jahren,
erst in der letzten Zeit Giliarneurose durch Span-
nungsvermehrung, Hervordrängung der Iris etc.**
Der äquatoriale Durchmesser des Auges betragt
2,4 Cm. , der senkrechte der Cornea 1,2, der horizontale
1,4 GnL, die Pupille ist 7 Mm. breit, 5 hoch. Der untere
freie Rand der Iris bildet eine gerade horizontal verlau-
fende Linie, die fein gez&hnelt ist und besonders starte
gelb pigmentirt; von hier aus gehn feine weissliche
Streifen in radiärer Richtung nach Aussen hin. Die an
haltenden Theile der Conj. bulbi sind äusserst blutreich,
namentlich an der äusseren Seite, die Pupille erscheint
ziemlich hell leuchtend, von grünlichem Schimmer. —
Die Sclera wird im Aequator durchgeschnitten, die Re-
tina ist abgelöst, zwischen ihr und der Choroides befinden
sich 2—3 C.Cm. schwachgelblicher Plttssigkeit, die ziemlich
zahlreiche, feine, gelbliche Bröckel enthält (Gruppen von
grossen, rundlichen oder keulenförmigen Zellen, die fein-
körniges Fett oder Pigment enthalten, veränderte Cho-
roidesepithelien). Die Retina ist nur wenig zusammen-
gefallen, weisslich, umschliesst einen haselnussgrossen
Tumor nebst einer dttnnen Schicht Glaskörpergewebe.
Der erstere hängt an der äusseren Seite des Bulbus darch
einen kurzen, breiten Stiel mit der Sclera zusammen
(s. Taf. III. Fig. 5). Durchmesser der Geschwulst vom An-
heftungspunkt bis zur gegenüberliegenden Fläche 1,7 Cm.,
in der darauf senkrechten Richtung 1,65 Cm., Breite des
Stiels 5 Mm. Der Tumor besteht im äquatorialen Durch-
schnitt aus zwei durch eine Reihe von Für hen und be-
sonderen Zeichnungen getrennten Massen (A. und B.),
die ihrerseits wieder aus mehreren Lappen sidi zusam-
mensetzen. Gerade in der Mitte der Geschwulst findet
sich eine grössere, von zackigen Rändern umgebene Höh-
256
lang, die mit Blatgerinnseln gefüllt ist; von hier aus
ziehen äusserst dicht Yascularisirte Flecke und Streifen
gegen zwei Punkte der Oberfläche hin, die tiefe Einzie-
hungen bilden (a und a*), in denselben geht die Betina
in die Geschwulstmasse über. Bei a' findet sich eine
l^eine, in der Figur dunkel gehaltene, Hdhle, dicht am
Bande der Netzhautinsertion, wie die mikroscopische Un-
tersuchung lehrt, ein weites Oefasslumen. Die Oberfläche
der Geschwulst ist gegen den Glaskörper, sowie gegen
die Sclera hin glatt, die dunkelpigmentirte Ghoroides
scheint an den Bändern des Geschwulststiels plötzlich
aufzuhören; nur da, wo der Tumor ihr unmittelbar an-
liegt, findet sich eine scharf umschriebene Entfärbung des
Choroidesepithels, Auf dem Durchschnitt erscheint die
Geschwulst von matt grauweisser Farbe, ist ziemlich ho-
mogen, derb, nur von der Insertion in der Sclera aus
sieht man zahlreiche feine Streifen in dem nächstliegen-
den Theil sich ausbreiten.
Die Hauptmasse der Geschwulst besteht aus dicht-
gedrängten, zelligen Elementen, deren grosse bläschen-
förmige Kerne von geringen Protooplasmaanhäufungen
umgeben sind, die meist in zwei oder drei dünne und
kurze Ausläufer sich verlängern. Innerhalb fast aller
Theile der Geschwulst unterscheidet man kleinere Ab-
schnitte, entweder von kreisrunder Form, in welchen die
Zellen mit ihren Längsachsen radiär gestellt sind, gegen
den Mittelpunkt convergiren, oder von längeren, gleich-
breiten Zügen, deren Zellen senkrecht zur Längsachse
stehn. Die Mittelpunkte dieser Systeme bilden Quer*
und Längsdurchschnitte bald weiterer, bald enger, stets
sehr dünnwandiger Blutgefässe. Die so entstandenen
Cy linder legen sich unmittelbar aneinander, nur an ein-
zelnen Punkten, namentlich an der gegen den Glaskörper
gewendeten Oberfläche und an der Betina-Insertion legt
sich zwischen dieselben eine dünne Faserschicht Braune
256
Pigmentklumpen, die ausserhalb der Zellen liegen, be-
gleiten die Oeftsse hie und da durch den ganzen mit B.
bezeichneten Abschnitt. Gegen das Choroidal- wie Scleral-
gevebe setzt sich die Wucherung überall scharf ab.
Durchschnitte von der Uebergangsstelle der Retina in
den Tumor zeigen, dass dieselbe in den inneren Theil
des letztem (A.) sich fortsetzt, jedoch so, dass die äusseren
Schichten der Membran zuerst von der Neubildung ein-
genommen werden, die inneren noch eine Strecke weit
von a und a' aus sich über die Oberfläche des TheOs
A. verfolgen lassen. Hier ist nur das heerdweise Ent-
stehen der ersten Anfänge der Neubildung besonders
deutlich. — £inen ganz abweichenden Bau besitzen die
teleangiectatischen Stellen auf der Grenzlinie der beiden
Lappen, indem hier in den Maschen eines dichten Netzes
von weiten Gapillaren in einer hyalinen, zum Theil fetsrigen
Grundsubstanz grosse, runde, zum Theil pigmentirte Zellen
liegen. Demnach glaube ich in diesen Abschnitten die
Choriocapillaris, vielleicht mit dem Pigmentepithel wieder-
erkennen zu dürfen, so dass also A. der retinale, B. der
choroidale Theil der Geschwulst wäre. Welcher von
beiden Theilen der Ausgangspunkt der Neubildung, ist
etwas schwierig zu bestimmen. Der Zusammenhang mit
der Sclera, die starke Entwicklung der Blutgefässe schei-
nen für die Choroides zu entscheiden, und doch wäre es
alsdann sehr sonderbar, dass eine Neubildung, deren
Contagiosität durch den Uebergang auf die Retina deut-
lich genug bezeichnet wird, in ihrem Mutterboden nicht
weiter um sich gegriffen hat, sondern polypenartig aus dem-
selben herausgewachsen ist und dann erst weiter um sich
gegriffen hat. Mir scheint die Entwicklung der Neubil-
dung sich ganz an den Verlauf eines der grossen Ciliar-
gefässe angeschlossen zu haben, dessen Stamm in dem
Stiel der Geschwulst, dessen peripherische Ausbreitung
in dem choroidalen Abschnitt enthalten ist. Das Ueber-
257
greifen in die Retina bezeichnet den Punkt der höchsten
Entwicklung, an welchem die ursprünglich Bildungs-
stätte verlassen wird. Hierzu kommt noch, dass in den
Olaskörperresten, ausser directem anatomischem Zusam-
menhang mit der Hauptmasse zahlreiche mit Zellen ge-
fällte Alveolen vorkamen, deren Wandungen von einem,
hie und da grosse Spindelzellen einschliessenden Faser-
gewebe gebildet wurden. Nach meiner Auffassung han-
delt es sich auch hier um heterologe Bildungen secun-
därer Art Ich möchte also die Neubildung den Carci-
nomen anreihen und dabei besonders hervorheben, wie es
gerade bei Augengeschwülsten dieser Art häufig zu ge-
schehen pflegt, dass in den stärker wuchernden Parthieen
das Maschenwerk mehr oder weniger aufgezehrt und
deshalb eine scheinbare Annäherung an die sarkomatösea
Formen hergestellt wird. Die Beziehung der ersten Bil-
dung zu einem CUiargeftss und die starke Geftssent-
wicklung berechtigen zu der Bezeichnung: Gare, tele-
aagiectodes.
ArehiT für Ophüuüsnolotto* XL >. 17
258
Figoren-Erklänrng.
Fig. I. Staphyloma Gorneae.
a) Eotatisohe Homliaat.
b) SecundSre Ansbuelitiuig derselben,
o) Giliarkörper, plattgedrückt
d) Prolabirter Glaskörper.
e) AbgelSste Netsbant.
f) Choroides.
g) Solera.
Fig. 2. Hypertrophie der Zapfen und Stfibcben.
a) Zapfen und Stfibohen.
b) limitans externa.
e) Aeossere KSmer.
d) Zwisobenkömerscbicbt.
Fig. 8. Keratitis superficialis mit papillfiren Wachemngen.
„ 4. Die dasa gehörige innere Schicht der Hornhaut.
a nnd a>) Leistenartige Erhebungen der Hoxnhaat an den
Yerwachsungsstellen der Iris (c.c.)
b) Sphincter iridis im Querschnitte.
c) In die Hornhaut eingewanderte, i. Th. pigmentirte IrisseUen.
d) Oel&sse im Längs- und Querschnitt
f) Verdickte Membr. Desoemetii.
Fig. 5. Carcinoma retinae et choroideae teleangiectodes.
A. Retinaler, B. choroidaler Theii.
a, a^ ) Insertion der Retina in den Tumor.
Zur Ophthalmometrie.
Von
Emanael Mandelstamm,
Arzt aus Tsoheraigow.
im ersten Band des Gräfe^scheu Archivs hat Prof. Helm-
holtz eine Methode angegeben, nach welcher aus den
Krümmungsradien des Hornhautellipsoids der Winkel zu
bestimmen sei, welchen die Oesichtslinie mit der Horn-
hautaxe (oder eigentlich mit der grossen Axe des Horn-
hautellipsoids) bildet. Nach dieser Methode nun hat er
selber an 3 Augen und Dr. Knapp "*") an 5 Augen ge-
nannten Winkel bestimmt. Es dürfte wohl die Bestim-
mung dieses Winkels nicht bloss ein rein wissenschaft-
liches Interesse haben, seitdem Prof. Donders nachgewie-
sen, dass seine Grösse in einem ganz bestimmten Ab-
hängigkeitsverhältniss zum Bau des Auges steht, dass er
bei Hyperopen grösser, bei Myopen kleiner (manch-
mal sogar negativ) ausfällt, dass er femer, wenn zu
gross, einen scheinbaren Strabismus divergens, wenn
zu klein, einen scheinbaren Strab. convergens bedingen
^) IMe Krttmmong der Hornhaut des mensclilioheii Auges Ton Dr.
Knapp. Heidelberg 1860.
17*
260
kann.*) Nun aber bietet die Bestimmung dieses Win-
kels aus den Krümmuiigsradien der Hornhaut den Uebel-
stand, da^s sie, in Folge des grossen Zeitverlustes und
der ziemlich complicirten Rechnung, die sie in Ansprach
nimmt, nur an einer sehr geringen Zahl von Augen aus-
führbar ist Freilich hat Prof. Donders einen viel kur-
zem Weg eingeschlagen, der darin besteht, dass er das
auf der Cornea entstehende Bild einer Flamme durch
Drehung der Ophthalmometerplatten verdoppelt und
das Oesichtszeichen nach der einen oder andern Seite
des Ophthalmometers verschiebt, bis je ein Flammenbild
mit einem der entgegengesetzten Bänder der verdoppel-
ten Hornhaut zusammenfallt, und dann den Winkel misst,
den die Ophthalmometeraxe (resp. Hornhautaxe) mit der
Gesichtslinie bildet, eine Methode, die Prof. Helmholtz
bereits früher verwerthet hat, um zu erforschen, ob der
Scheitel des Hornhautellipsoids mit der Mitte der Horn-
haut zusammenfällt**) Diese Methode aber lasst, was
Genauigkeit betrifft. Einiges zu wünschen übrig, indem
es kaum gelingen dürfte, die Bander der verdoppelten
Cornea mit den Flammenbildchen genau zum Decken
zu bringen, weil diese Bänder nicht scharf genug von
der Sclera abgegrenzt sind. Mir hat daher Prot Helm-
holtz, in dessen Laboratorium ich gegenwärtig beschäftigt
bin, eine neue Bestimmungsmethode vorgeschlagen, die
nicht weniger genau als seine ursprüngliche ist und noch
vor letzterer das voraus hat, dass sie in sehr kurzer Zeit
ausgeführt werden kann. Ich habe nun nach dieser Me-
thode einige Messungen angestellt und Winkelwerthe er-
halten, die mit den Helmholtz'schen und Knapps'chen
ziemlich übereinstimmen. Ich erlaube mir daher die
*) On the anomaUes of AGOommodation and Refraotion of the eye
by F. C. Donders. London 1864. Pag. 244.
♦♦) Gräfe'8 Archir Bd. I Th. H.
261
Methode selbst als auch meine erhaltenen Resultate kurz
mitzutheilen.
Zu beiden Seiten des Ophthalmometers werden Gas-
fiämmchen aufgestellt, auf der einen Seite ein Flämm-
chen, auf der andern zwei; die Distanzen dieser Fiämm-
chen von der Ophthalmometeraxe werden genau gemessen
und zwar muss die eine Flamme von der Ophthalmome-
teraxe ebensoweit abstehen, als die Mitte der beiden
anderen von der letztem. Alsdann wird zur Seite der
einen Flamme, am besten in einer Entfernung von 400
bis 500 Mm. von der Ophthalmometeraxe, ein Gesichts-
zeichen aufgestellt und der Untersuchte angehalten, auf
dasselbe zu sehen. Das Bild des durch die 3 Flftmmchen
repräsentirten Objects wird nun auf der Cornea durch
Drehung der Ophthalmometerplatten um seine eigene
Grösse verschoben, so dass, durch's Ophthalmometer
gesehen, die eine Flamme der einen Seite genau in der
Mitte beider Flammen der andern Seite zu liegen kom-
men soll. Alsdann wird das Gesichtszeichen, ohne die
Ophthalmometerplatten weiter zu drehen, nach der ent-
gegengesetzten Seite und zwar so lange verschoben, bis
wiederum die eine Flamme genau in der Mitte der bei-
den andern zu liegen kommt. Ist dies der Fall, so haben
wir es mit gleich grossen Bildern zu thun, die gleich
weit von der Hornhautaxe entfernt liegen, oder, was
dasselbe ist, die Hornhautaxe hat einen gleich grossen
Drehungs Winkel nach der entgegengesetzten Seite
der Ophthalmometeraxe erfahren, als sie ihn in der Pri-
märstellung des Auges mit der Ophthalmometeraxe ge-
bildet. Aus diesen Datis nun lässt sich, wie die bei-
stehende schematische Figur es erläutern soll, sehr leicht
der Winkel berechnen, den die Gesichtslinie mit der
Hornhautaxe bildet. Er ist nämlich gleich der
halben Differenz der Winkel, welche die Ge-
sichtslinie mit der Ophthalmometeraxe in der
Prirn&r-
bildet
262
and Secundärstellung des Auges
Es sei C das linke Auge, Ho die Hornhautaxe, So
die Gesichtslinie, 0 die Ophthalmometeraxe, So-Ho der
gesuchte Winkel zwischen Hornhautaxe und Gesichtslinie;
A sei das Object (die Flammen, die auf der Cornea ge-
spiegelt werden); in f befinde sich das Gesichtszeichen,
auf welches das Auge in der Primärstellung gerichtet ist;
es sei femer g der Ort, bis wohin das Gesichtszeichen
nach der entgegengesetzten Seite der Ophthalmometeraxe
verschoben werden musste, damit das Flammenbild auf
der Cornea in der Secundärstellung des Auges ebenso
gross sei, als es ursprünglich war, während noch das
Auge auf f gerichtet war. Alsdann ist
< HoO « < H,0, < SoHo =* < S,H,;
< OSt = < StHi -h < OH, = 2 SoHo -h SoO
oder 2 < SoHo « < OSi — SoO
J ^ O TT < OSi — < SgO
oder < SoHo ■* ^^=^ — 2
263
Nun sind die Winkel SiO und SqO messbar durch
ihre Tangenten, die uns gegeben sind, folglich ist auch
der Winkel SoHo, den wir suchten, bestimmt — Sollte
sich ergeben, dass < SiO kleiner sei als < SoO, so hätten
wir es selbstverständlich mit einem negativen Winkel
zu thun, d.h. die Homhautaxe läge nach innen von der
Gesichtslinie.
Bei meinen Messungen fielen alle Winkel positiv
aus, d. h. die Homhautaxe kam nach aussen von der
Gesichtslinie zu liegen. Leider konnte ich bloss Aber
eine gmnge Zahl von Augen veriUgen, worunter sich
mir keine stark myopischen darboten.
Als Beleg f&r die Brauchbarkeit dieser Bestimmungs-
methode und dafür, dass die Winkelwerthe nur sehr
geringen Schwankungen unterliegen, auf welcher Stelle
der Cornea man auch das Bild des Flammenobjects ent-
stehen lassen mag, mOgen die 3 Werthe dienen, die ich
erhalten habe, nachdem ich fQr die Primärstellung eines
und desselben Auges dem Gesichtszeichen 3 verschie-
dene Distanzen von der Ophthalmometeraxe ertheilte.
Für fM - 332 Mm. war<HoSo - 3*» 18' 14"
Für fM -= 500 Mm. war HoSo = 3« 44' 23"
Für fM « 204 Mm. war HoSo « 4* 27' 15"
Also der Winkelwerth wurde für ein und dasselbe
Auge erst schwankend, wenn das Bild nahe der Horn-
hautmitte entworfen wurde (ein Umstand, der auch
eintrifft, wenn man diesen Winkel aus den nahe der
Hornhautmitte gelegenen Radien berechnet und da-
her stattfindet, weil die Hornhaut in ihrer Mitte sich
mehr der Kugelgestalt nähert). Für grössere Di-
stanzen dagegen (zwischen 300— 500 Mm.) blieb derWerth
ziemlich constant
Dieselbe Methode benutzte ich nun, um auch den
Winkel zu bestimmen, den die Homhautaxe mit der
264
GesiobtsÜBte kn Vertikalmeridian bildet. Seaff gibt
an, dass die Hornhautaxe nach unten von der Gesioliis^
lioie zu liegen komme; Dr. Knapp, dass die Homhaataxe
bald oberhalb, bald unterhalb der Gesichtslinie
liege;*) er berechnete wiederum den Winkel aus detk
Krümmungsradien des Vertikalmeridians; seine Werthe
schwankten zwischen — 14° und + 5^ Prof. Donders
spridit sich in seinem jüngsten Werke **) nicht genaaer
über diesen Winkel aus.
Um seine Grösse zu eruiren, verführ ich nun fol-
gendermaassen: an einem Stativ befestigte ich mit Hülfe
dreier Schrauben 3 Planspiegelchen über einander und
stellte das Stativ so vor das Ophthalmometer, dass die
3 Reflexe, welche die 3 Spiegelchen von einer seitlich
aui^estellten Gasflamme erzeugten, senkrecht über ein-
ander and zu der Ophthalmometeraxe zu stehen kamen.
Die S^egekhen wurden an ihren Bändern mit schwarzem
Paiaer belegt, so dass nur ein langer Querschlitz spie-
gelte, dessen langer Durchmesser der horizontalen Stellung
der Spiegelchen entsprach. Die Entfernung der Mitte
des einen untern Spiegelchens von der Ophthalmo-
meteraxe wurde gemessen, ebenso die Mitte des gegen-
seitigen Abstandes der beiden oberen Spiegelchen von
der Ophthalmometeraxe, und beide Distanzen wurden
einander gleich gross gemacht (ganz wie für den Hori-
zontalmeridian). Ein Gesichtszeichen, das sich zur Seite
des Ophthalmometers befiamd, konnte an einem Stativ von
oben nach unten so lange beliebig verschoben werden,
bis die von der Cornea refleetirten Spiegelbilder bei der
Primär- und Secundärstellung des Auges gieidi gross
wurden, d.h. bis das Beflexflämmchen des untern Spie-
gelchens in der Mitte der beiden Beflexflämmchen der
•) I. 0.
*•) Oft Um ftoonMlies eio.
265
2 oberen Spiegelchen zu liegen kam. Alsdann maass ich
die Distanzen zwischen unterm Gesichtszeichen und
Ophthaimometeraxe und oberm Gesichtszeichen und
Ophthalmometeraxe; ich hatte also wiederum, da der
Abstand des Ophthalmometers vom Auge bekannt ist,
die Tangenten der Winkel, welche die Sehaze mit der
Ophthaimometeraxe bildet, in der Primär- und Secundftr-
stellung (unten und oben) und somit hatte ich den ge-
suchten Winkel zwischen Hornhautaxe und Gesichtslinie
im Vertikalmeridian, der der halben Differenz beider
gleich sein musste. Diese Messung ist etwas schwieriger
als im Horizontalmeridian, weil man durch das obere Lid
im genauen Einstellen und Wahrnehmen der Reflexbilder
sehr gestört wird. Nichtsdestoweniger schwankten die
erhaltenen Werthe für den gesuchten Winkel blos zwi-
schen ungefähr 1—3^ Ich fand unter 12 Messungen
llmal die Homhautaxe oberhalb der Sehaxe verlaufen,
Imal unterhalb, lasse es aber dahingestellt sein, was
hftofiger vorkommt, weil ich die geringe Zahl von Mes*
suBgen noch nicht für maassgebend betrachte.
Werthe für den Winkel SoHo.
Recht«« Auge
Linke« Auge
Vertic.Mor.
Horiz. Her.
Yertie. Mer.
Horii. Mer.
P. H.
+ !• 12' 6"
—
-
—
8t N.
+ 2*11M5''
S* 89' 64"
+ 0»62'16"
_
Bi T.
—
!• W 68"
+ y61'68"
6« 68' 87"
H. S.
+ 8» b'26''
+ 2«45'16"
8» IC 43"
Fr. 8.
+ 2« 17' 27"
-0»Ö6'27"*)
8» 34' 2"
H. A.
+ V 45' 8-*
2* 6' 89"
+ 1-61'48"
—
FrL E.
—
—
.»
6« 12' 16"
St B.
—
—
.^
Aß 69' 2S"
St N.
+ !• 6' 31"
8» 9' 51"
!• 46' 13"
ۥ 10'
*) Der euung« Win]
kel, der D«gfttiT
nniflel (HomhmnUzs anter
halb der Gwiohttlinie).
Hei(
ielberg, im
Juni 1865.
Kleine Mütheflung für die Geschichte der Operation
des grauen Staars.
Von
Dr. Job. Bapt. üllersperger,
Tormal. henogl. Leuchtenberg'schem Leibärzte.
Der Anfang der Geschichte der Staaroperation ist in
Dnnkel und Mythe eingehüllt Die ältesten Traditionen
vermögen nicht ersteres zu erhellen und letztere beginnt
erst mit den alten Griechen.
Bekanntlich haben die Israeliten während ihres Auf-
enthaltes in Aegypten Wissenschaften und Kflnste von
den Aegyptern erlernt und manches, ja man darf wohl
sagen vieles davon in die weite Welt getragen; nament-
lich waren es die Leviten, welche Vieles sich aneigneten.
In späterer Folge wissen wir, dass selbst die Griechen
den Aegyptern grosse Geschicklichkeit im Heilen und
auch in der Augenheilkunde zugestanden haben. Diesen
Ruf scheinen sich die „Juden"" als Ophthalmiatriker noch
zu den Zeiten der Ptolemäer und der berühmten Ale-
xandrinischen Zeitperiode erhalten zu haben. Man be-
hauptet indessen, dass die Alexandrinische Schule die
„Depression des grauen Staars"" aus Asien hatte
und dieselbe wesentlich verbesserte.
267
Die Mythe der Operation des grauen Staars beginnt
mit den Griechen, namentlich mit der Ziegen-Mythe.
Es wollten n&mlich die Alten beobachtet haben, dass sich
die Ziege von der bei ihr nicht so selten vorkommenden
vnoxvai dadurch befreite, dass sie sich einen Domstachel
ins Auge sticht, wodurch die getrübte Augenflüssigkeit
ausfliesst Plinius erzählt, dass sie sich durch Einstechen
einer Stachelbinse davon befreie und Antiphilus beschreibt
dieses in einem Epigramme. In jedem Falle wird man
versucht, die in die Periode der Araber fallende Suctions-
Operation des grauen Staars darauf zu beziehen. Auch
scheinen hiemit die Synonyme der Krankheit selbst in
einigem historischen Zusammenbange zu stehen wie Cata-
racta, Catarrhacta von xaxoQaaaur^ zurückdrängen, suf-
fusio, gutta oppaca, inS^vaig und vnoxvfiu von vnb und
xvurf suffundere, weil man die Entstehung der Krankheit
einer Trübung der Augenflüssigkeiten zuschrieb.
Die darauf gegründete Annahme, dass die Suctions-
Methode älter sei als die Depression, scheint uns nicht
wahrscheinlich, wenn man sich anders an die literarischen
Documente hält Als geschichtliche Hypothese hat die
Sache freilich die Ziegenmythe für sich und die noso-
genetische Analogie, indem, nach Entfernung der trüben
Flüssigkeit durch Aussaugen, Sehvermögen hergestellt
werden konnte. Der dritte historische Grund, die per-
forirten Staarnadeln zur Zeit der Araber, wodurch diese
gleichfalls die dunklen Körper durch Aussaugen entfern-
ten, scheint uns eher die gänzliche Rückkehr zur De-
pression zu beweisen, nachdem man die Extractiou ver-
lassen hatte, dennoch aber die Entfernung des das Sehen
hindernden Elementes nicht plötzlich aufgeben wollte,
vielleicht schon darum, weil man doch von den Besorp-
tions-Thätigkeiten der Theile noch schwache Begriffe
hatte.
Einige Schriftsteller nehmen an, dass zu Zeiten des
268
Hippokrates von der Operation <Ies grauen Staars noch
nichts bekannt gewesen sei, wähi-end Hecker*) annimmt,
dass zn dieser Zeit die Niederdriückung des grauen Staars
von umherziehenden ungebildeten Chirui^en geübt und
ausgebildet worden ist.
Soviel scheint historisch allerdings richtig, dass zur
Zeit der Trennung der Mediern von der Chirurgie in
Alexandrien sogar Laien auftauchten, welche sich aus*
schliesslich mit Ophthalmiatrik befassten und auch die
dahin einschlägigen Operationen verrichteten.
Da sehr geprüfte und fachkundige Arbeiter, vrie
Stephanus Hieronymus de Yigiliis von Creutzenfeld in
seiner bibliotheca chirurgica, der unter oculorum morbi^)
alle Schriftsteller aufführt von den alten Griechen an bis
Ende der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts;
femer der berühmte Haller in seiner bibliotheca cbirur-
gica schon vor ihm***), im zweiten Jahrzehnt des lau-
fenden Jahrhunderts Friedrich Jäger aus Kirchberg in
seiner Dissertation,!) endlich auch noch A. G. van Onsen-
oort in seiner Geschichte der Augenheilkundett) ^^
J. W. L. Gründer ttt) in seiner Geschichte der Chirurgie
*) Er schreibt wenigstens in Rust's Handbuch der Cbinirgie Berlin
nndWien 1S31 S. IV. Bd. p. 620: „V^ahrscheinlich ist schon za dieser
Zeit, wenn nicht Irtther, die Niederdrückung des grauen Staars, deren
Ursprung nidit angegeben werden kann, ttblioh gewesen; dodi ist an-
lunehmen, dass sie nur von ungebildeten umhenieheDden ChiruT^geii
ausgeübt worden.
**) Bibliotheca chimigica etc. Stephani Hieronymi de Vigiliis Ton
Greutsenfeld. Yindobon. 1781. 4. Tom. II p. 1246.
•••) Bibliotheca ohiraigiea Basil. 1774. 4. Tom. L
t) Fried. Jäger Kirchbergens., de Keratonyxidis usu. Viennae 1812.
die auch Just. Radius in vol. I seiner scriptor. ophthalmolog. minor.
Lips. 1826. 8. p. 150 wiedergegeben hat
tt) Geschichte der Augenheilkunde als Sinleitang in das Stodiom
derselben Ton A. G. Tan Onsenoort. Aus dem Hollandischen von Wutier.
Bonn 1888. 8.
ttt) Gesdiichte der Chirurgie. Berlin 1859. 8.
269
theiis historische Lücken gelassen Ober die Geschichte
der Staaroperation, theils verschiedene Angaben gemacht
haben, — so glaubten wir diesem Zweigchen der Heilkunst
schuldig zu sein, jeden kleinen Beitrag dazu der Ver-
gessenheit entreissen zu müssen. Die meisten Autoren
haben aus den unvergftngliehen Werken Hallers geschöpft,
und um unsre kleine unbedeutende literarische Beigabe
an ihr Plätzchen einreihen zu können, wird es nöthig,
obenerwähnten Autoren in Kürze so viel zu entlehnen,
dass damit einiger Zusammenhang erreicht wird. Unter
den Griechen citirt Haller Lathyrion „de cataractae de-
positione'^. Eigentlich bezeichneten die Griechen diesen
operativen Akt mit ftnad-taty^ depositionem per acum, die
Niederdrückung des Staars, die spätere xe(>aroyiSic. Dann
ffihrt er Symon oder Symeon an, qui docet quando Cata-
racta apta Sit deponi.
Die wichtigste Rolle in der alten Geschichte der
Operation spielt indess unstreitig die arabische Periode,
welche ich besser roaurospanische nennen möchte, weil
die ärztlichen Celebritäten geborene Spanier waren. ^)
Unter ihnen kamen auch Juden vor und darum können
wir dem Ausspruche van Onsenoort's nicht beipflichten,
wenn er schreibt: „Es ist zu verwundem, dass bei einer
Nation (sollte wohl heissen Volk) wie die Juden nirgend-
wo ausdrückliche Erwähnung der Augenheilkunde ge-
schieht, es ist wenigstens denkbar, dass sie mit den
Augenübeln und einigen darauf bezüglichen chirurgischen
Operationen nicht unbekannt waren." Wir werden den
Beweis in einer historischen Thatsache nachbringen. Bei
Avicenna lesen wir: „nonnuUos disrumpere inferiorem
partem corneae et extrahere aquam per eam tunicam.*'
Er missbilligt die Extraction durchaus als gefSUirlich und
giebt der Depression den Vorzug. Abulcasis operirte
*) AvenhoM, ATioanna, RasU lind in Cocdora geboren.
270
durch Depression unica punctione vel duabas et duobuB
instrumentis. Nach der Operation gab er ein hypnoticnm.
Er sah auch den Staar auf medicamentösem Wege heilen,
auch beobachtete er Wiederaufsteigen desselben. Rhazes*)
erwähnt, dass man sich in seiner Gegend Irak Bagdad
1499 einer myrtenblattfSrmigen Nadel bediene, durch deren
Höhlung man den Staar aussauge. Es bestanden dem-
nach um jene Zeiten die Operation durch Depression,
was die allgemeinste Methode war, der Homhautstich
oder Hornhautschnitt mit Suction oder mit völliger
Extraction. Dem Dogmatiker Antyllus, von dem wir
lesen: „Primus post Christum natum non solum pro-
positae, verum reapse factae cataractae extractionis
meminit, hancque cataractam operandi methodmn,
quamdiu ista parva est, commendat, majorem autem,
quin et oculi humores simul profluerent, extrahi non
posse, autumans ...'' standen als Opposition zwei be«
deutende arabische Autoritäten entgegen, Avicenna und
Avenzoar, welche beide die Extraction als gefährlich
verwarfen. , Da man nun von Albucasis auch liest, dass
er und seine Anhänger „acum perforatam excogitaverunt,
per cujus foramen, postquam jam ingressa esset, suctu
cataractam extraxerunt,"" so characterisirt sich mit diesen
historischen Belegen demnach die Zeitperiode der mauro-
spanischen Chirurgen als Eigenthümerin der Operation
per suctionem et per depressionem, welche letztere über
erstere weitaus das üebergewicht behielt. Wir heben
diese geschichtliche Thatsache darum hervor, weil sich
unsere gleich nachfolgende Mittheilung genau derselben
anreiht
Guy von Chauliac, gewöhnlich Guido de Cauliaco
genannt, citirt von Cana Musali de Baldach, dass er auf
beiden Augen den Staar deprimirt habe und dass er sieb
«} Edit. Yinet. 1509 Ubr. II tr. VI oap. 2 ptg. 50.
271
viele Mühe gegeben mit Herausgabe der chaldäischen
und hebräischen Bücher der Aerzte.*) Unbestritten hat
demnach die Operation im Orient und im maurischen
Spanien eine erste historische Rolle gespielt; denn im
Occident schrieb Johann de Gaddesden (John of Gastiden
oder Gatisden) in seiner rosa anglica: „adparet neminem
eo aevo medicorum et cbirurgorum cataractam scivisse
deponere, quare ermahnt wird, man solle sich an Hunden
dazu einüben. Und Balescon de Tharane vulgo Valescus
de Taranta notirt in seinem philonio, wo er von den
Augenkrankheiten handelt: ^medicos honoris sui studiosos
cataractae depositionem non adgredi, et junioribus circnm-
foraneis relinquere.
Yico oder de Figo, von Einigen Joanctinus Yigus
genannt, beschreibt in seiner practic. GLII die Depression
des grauen Staars, angebend, dass er sie von umherzie-
henden Staarstechem habe verrichten sehen.
Ambroise Par6 (Ambrosius Paraeus) deprimirte den
grauen Staar mit einer stählernen Nadel (acu ad cata-
ractam planiuscula scindente).
Es scheint nun, dass in Deutschland die Operation
des grauen Staars so ziemlich umherziehenden Oculisten
und Ophthalmiatrikern überlassen war, die wie Stein- und
Bruchschneider herumzogen,'*''*') bis auf Georg Bartisch,
geboren 1535 zu J^nigsbrück***) und chursächsischer
Hof-Oculist Auch er hatte die Staar- Operation hand-
werksmässig gemacht und sich aus der niederu Chirurgie
emporgehoben. Das Erscheinen seines Werkes, das wir
vor uns haben und den Titel führt: ^Oqi^aX^todwXda
oder Augendienst oder Bericht von Ursachen aller Schäden,
*) Zu finden in der CoUectio ohiruzgioa Vineta 1497 und 1499. 2.
^*) Man yergleiche nur, was wir eben von Yi^o in Italien nnd
Ton Farö in Frankreich angeführt.
***) S. das nähere Bibliographieohe bei Isensee 1096—97, bei
Gründer Geeohichte der Chirurgie. Bieelau 1859. 8. p. 887.
272
Oebrecben, Mängeln der Augen und des Gesichtes, wie
man solchen anfänglich mit gebürlichen Mitteln begegnen,
▼orkommen und wehren, auch wie man solche Gebrechen
künstlich durch Arzney, Instrument und Handgriff curiren,
wirken und vertreiben sei. mit schönen herrlichen, con-
trafectischen Figuren, der Anatomia Beyde des Haubles
und der Augen etc. durch Georg Bartisch von Königs-
brück, Bürger, Oculist, Schnit und Wundartzt in der
Ghurfürstlichen alten Stadt Dressden im 1583 Jare in 2.
In dem vierten Teil wird angezeigt und beschrieben von
den Innerlichen Cataracten der Augen, so in gemein d^
Star und Himfelle genannt werden. 42. 6.
In dem fünfften Theil wird angezeigt und beschrie-
ben, wie man den rechten, zeitigen und reiffen Star
künstlich durch die Handgriffe und Instrument wirken
und stechen, Auch solche Patienten mit der Cur und
Heilung recht und wohl versehen und versorgen sol.
Und hat dis Teil in sich zehen Gapitel. 66. 6.^
Häser bemerkt darüber ganz richtig: „Seine Sehriit
bezeichnet ebenso deutlich den Zustand, in dem er die
Augenheilkunde antraf, als die Fortschritte, welche die-
selbe ihm selbst verdankt "" Diesem Ausspruche fügen
wir nur hinzu, dass dieses zunächst nur auf Deutschland
zu beziehen sei.*)
Nun theilt uns Don Juan de Ferreras in seiner hi-
storia de Espana. syclo XV. 10 parte. Madrid 1722 in
4*^ p.218 mit: „Dass Abiabar, Rablner aus Lerida,
berühmter Arzt, Chirurg und Astrolog an König
Don Juan von Aragonien im Jahre 1468 am 12.
September dieStaar-Operation verrichtet habe.'^
*) Die literatar hat Ang. Andrii in Beinen» Grundriu der gesunn*
ten Heilkunde 1 Thl. Leipzig 1846 sehr auifuhrlieh nnd mit selteneni
Fleiss und groseer Fachkenntniss gesammelt. Es raSchte wohl das
Yollatandigste sein, was über Cataraoten-Literatur bestellt p. 99— HS
§ 65 ▼. J. 1532 an bis 1845.
273
Seine Worte sind: quien le passö la aguja en el ojo
derecho, y le qnitö de el las cataractas, y viendo el bueii
efecto de la operacion, de alll ä ud ines, contra la sen-
tencia de el medico, hizo qae le ejecutasse el remedio
en el ojo izqaierdo, que tavo el mismo feliz efecto, con
que quidö el Hey libre de aquella molestia (Er führte
ihm die Nadel ins rechte Auge ein und nahm so den
Staar hinweg. Nachdem er sich nach Ablauf eines Monats
von dem guten Erfolge der Operation überzeugt hatte,
fQhrte er, selbst gegen die Meinung des Leibarztes, die-
selbe Operation auch am linken Auge aus, welche gleich
glücklichen Erfolg hatte und wodurch der König von
seinen Augenleiden gänzlich befreit wurde.)
Wir fassen das Interesse, welches diese Aufzeichnung
für die Geschichte der Staar-Operation hat, da dieselbe
noch in kein literarisches Organ aufgenommen ist, in
folgende Punkte zusammen: 1) dass die Staar-Operation
unter den Arabern und Mauro-Spaniern , namentlich die
Depression, ihren historischen Glanzpunkt feiert vom
Alterthume her bis zum Mittelalter. 2) Dass diese Zeit
und dieser Ort die Ausgangspunkte geworden sind für
die Ausbreitung nach den Länder-Radien des übrigen
Europa's. 3) Dass die Operation von Juden verrichtet
worden so gut wie von Arabern und Mozarabes (Mauro-
Spaniern). 4) Endlich, dass die Staar-Operation in jenen
Zeiten nicht, wie die meisten Historiographen geschrie-
ben, blos von umherreisenden Staarstechem geübt wor-
den, sondern auch von erprobten und berühmten Chi-
rurgen.
Berlin, Drnck von W. Bllzeiistein.
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Fiy.J.
ARCHIV
FÜR
OPHTHALMOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. F. ARLT Prof. F. C. DONDBRS
m WIBN Df UTRBOHT
UND
Prof. A. von GRAEPB
IN BERLIN.
KLIPTER JAJSOEl&ANOt
ABTHEILUNG UOL
ODER
ELFTER BAND
ABTHEILONG HI.
MIT BOIiZSOHHITTEN VTtD TAFELH.
BERLIN, 1866.
VERLAG VON HERMANN PETERS.
Eine CeberMtziDf In fremde Spnwhen beballoo ikh Teifaner md Verleger ver.
Inhalt
8«tte
L lieber modificirte lineareztraetioD. Von ▲. ▼. C^XMte. 1—106
1. Die früheren Verfahren 1
2. Der Lineanehnitt und die Biehtnng des Wondeanili 11
8. Lintenentwieklnng — der Löffel nnd der Haken . 17
4. Mein jetiigea Verfiüiren 24
5. UeUe ZnfiQle während der Operation. Chlorofonn-
narkoee 40
6. Biaherige Srgebniaie dea Ver&hrena 47
7. Bfiekblieke anf einige ümatände in dem VeifUiren
— etwaige Modifikationen deseelben 68
8. Daa VerhSltniM des Verfahrens lur Lappeneztraetion
und mr einfachen Lineareztraotion. Benennung
desselben 73
9. Gesehiohtliches fiber die Lineareztraotion .... 80
II. üeber die Bewegungen des kurisiehtigen Auges. Von
Dr. Berthold in Königsberg. Mit 1 Tafel . . . 107—141
III. Uebar die Wirkung der yersohiedenen Arseneistoffe auf
die Bindehaut des Augenlides. Von Dr. Proaoroff 142 — 155
IV. Brkranknng des Augapfels bei Meningitb cerebro-
spinalis epidemica. Von Dr. J. JaeoU in Daaaig 156—167
V. Zur Anatomie und Physiologie der Zonula Zinnii.
Von Dr. palmar Heiharg in OluriatiABia . . . 168—185
VI. Die Theorie des Astigmatismus. Von Dr. H. Kaiaar,
Kreisarst su Dieburg 186—229
1. Die Normalen eines Flfichenelements. Der 8 1 u r m'sche
Lehrsatz, elementar entwickelt und analytisch-geo-
metrisch ausgeführt 187
2. Der durch eine dreiazig-ellipsoidisehe FUche ge-
brochene Strahlenkegel Ton endlicher Basis . . . 198
8. Berechnung des Astigmatismus 216
Ueber modifidrte Lmeareztnction.
Von
A. V. Graefe.
Die früheren Verfahren.
Die modificirte Linearextraction, d. h. die kunst-
gerechte Verbindung der Iridectomie mit der Linear-
extraction ist, seitdem ich aus derselben eine Methode
der Staaroperation gemacht (s. A. f. 0. Bd. V. Abth. I.
pag. 161, anno 1859) der Gegenstand eifriger Cultur,
aber auch sehr widersprechender Meinungen geworden.
Während ich selbst in derselben lediglich eine Ausdeh-
nung der einfachen Linearextraction auf kernhaltige Staare
mit reichlicher und weicher Rinde gesehen, brachte bald
darauf Wal da u (die Auslöifiung des Staars anno 1860)
den Vorschlag sie zu einer Allgemeinmethode fär die
gewöhnlichen Alterstaare zu erheben. Er fühlte sich
hierzu veranlasst durch die Erfindung seiner Löffel, mit
welchen er auch die härteren Staare aus den damals
üblichen kleineren Schnitten herausbringen zu können
sich versichert hatte. Den erheblichen Fortschritt, der
für das Verfahren aus Benutzung besserer Fassinstru-
mente hervorging,"^) beeilte ich mich anzuerkennen, (A. f*
^) Ich hatte mich bei meiner ursprUngliohen Methode nicht, wie
es iiachtrSgUch mehrfach angenommen worden ist, des gewöhnlichen
DavieTschen Löffels, sondern eines Instrumentes bedient, welches den
Archiv für Ophthalmologie. XL S. i
O..Bd. VI. Abth. 2. pag. 155) konnte mich jedoch zur
Zeit mit einer Verallgemeinerung desselben nicht einver-
standen erklären und blieb bei meinen ursprünglichen
Indicationen stehen.
Wenn man einen härteren Staar durch eine Lanzen-
messerwunde, welche nach der damaligen Technik nicht
mehr als 'A der Hornhautperipherie umschreiben konnte,
hindurchzwängt, so muss entweder eine bedeutende Quet-
schung oder ein Abstreifen von Linsenmasse erfolgen.
Dies ist ersichtlich, wenn wir den Diameter grösserer
Linsenkerne (S'A'" und darüber) mit den Dimensionen
jener Schnitte (äussere ViTunde circa 3 Vi'", innere, selbst
nach gehöriger Erweiterung beim Ausziehen des Mes-
sers, kaum über 3'") vergleichen. Eine stärkere Quet-
schung der Cornea längs des Wundcanales ist an sich
als ein grosser Uebelstand aufzufassen, das Abstreifen
der seitlichen Eernpartieen bedingt entweder Zurückblei-
ben derselben oder erheischt weitere für die Gesammt-
operation gewiss nicht gleichgültige Manoeuvre. Schon
auf Grund dieser unvermeidlichen Umstände und ganz
abstrahirt von der Einwirkung der Fassinstrumente selbst,
schien mir für die härteren Staarformen die Lappenex-
traction unbedingt den Vorzug zu verdienen — eine
Ueberzeugung, welche sich als Erfahrungsresultat fast
bei allen unseren deutscheu Fachgenossen herausstellte.
Nur wo kleinere resp. in ihren peripheren Schichten
jetzigen Fassinstrumenten unendlich näher steht. Jener Irrthnni ist
vieUeicht dadurch verschuldet, dass ich, für neue Instrumentennamen
nicht sehr geneigt, dieses Instrument schlechtweg als einen Yergrösserteu
DaTiel' sehen Löffel bezeichnet hatte. Es heisst von demselben in meiner
damaligen Beschreibung (I.e. pag. 162.) „Es wird ein Ldffei, welcher brei-
ter, weniger gehöhlt und an seinem Ende etwas schärfer ist
als der gewöhnliche Daviel'sche Löffel zwischen dem Linsenäquator und
dem grössten Kreise des compacten Kernes in die hinteren Cortical-
massen so weit vorgeschoben, dass das Ende desselben den hinteren
Pol des Korns noch etwas überschreitet."
compressible Kerne vorhanden sind, findet jenes Miss-
verhältniss nicht statt nnd es bewährte sich wohl für
solche meine ursprüngliche Empfehlung in den meisten
Händen.
So standen die Sachen als vor etwa zwei Jahren die
allgemeine Aufmerksamkeit durch die Studien unserer
CoUegen an Moorfield's Hospital angezogen wurde. Die-
selben hatten- zunächst die Auslöfflung Waldau's aus
geführt, waren aber dann allmählig zu Modificationen ge-
trieben worden, deren Complex schliesslich der Operation
eine von der ursprünglichen abweichende Physiognomie er-
theilte. Critchett's Beschreibung (Sitzungsberichte der
Ophthalmologischen Gesellschaft 1864. pag. 55, Annales
d'oculistique 1864. pag. 115) ist zur allgemeinen Kennt-
niss gelangt und erregte um so mehr Aufsehen, als der
in der Lappenextraction so reich erfahrene College sich,
wie früher Wald au, zu der Ueberzeugung bekannte,
dass das Verfahren allgemeinhin den Vorzug vor jener
verdiene.
Zwei Dinge sind es hauptsächlich, welche die eng-
lische Operationsweise von der früheren unterscheiden:
1) ein grösserer Schnitt,
2) ein vortheilhafteres Fassinstrument.
Die Schnittgrösse, welche ich für weichere Rinde auf
V* der Hornhautperipherie bestimmt, dehnt sich in der
Critchett'schen Operation auf V, aus, wodurch — die
äussere Wunde auf 4'//", die innere auf SV*''' angeschlagen
— das Missverhältniss zwischen derselben und der Staar-
grösse, selbst für die härteren Formen, so ziemlich beseitigt
wird. Es wurden diese grösseren Wunden theils durch
Lanzenmesser erreicht, welche noch um ein weniges brei-
ter sind als die bei uns gebrauchten, theils dadurch, dass
die Wunde nachträglich mit der Scheere erweitert wird,
wobei man relativ stark auf die innere Wunde wirken kann.
Bei dieser Weise den Schnitt zu vergrösseru, überschrei-
1*
tet das Verfiihren („scoopextraction") in der That die
Grenzen einer Linearextraction. Umschreibt man ein
Dritthqil der Comeaperipherie, so ist der Bogen von
120° bereits stark abweichend von seiner Sehne (siehe
unten: Lappenhöhe«) Es handelt sich streng genonunen
um einen Lappen, der sich von dem üblichen Hom-
hautlappen dadurch unterscheidet, dass seine Oeffnung
geringer (120^ dort 150— 180*") und sein Radius grosser
(3''', dort kaum 2V«''0 ist Dagegen ist nicht zu leug-
nen, dass der Schnitt, bei seiner geringen Lappenhöhe,
nicht weit aufldafift, sondern sich nur spaltförmig eröff-
net, wodurch er noch theilweise die Vortheile eines Linear-
schiutts bietet
Die Yorzfige des Critche tischen Löffels gegen-
über dem Wald aussehen bestehen darin, dass derselbe
wegen Mangel eines steil aufstehenden Randes weniger
Platz erfordert, resp. weniger Widerstand findet, auch in
einer dunnschichtigen Corticalis leichter vorgleitet und
beim Fassen und Herausbefördem des Staars vorwaltend
anziehend wirkt, während der Rand des Wald aussehen
Löffels von hinten nach vorn gegen den Linsenkörper
und indirect durch diesen gegen Cornea und Iris wirkt
Diese Differenzeu machen sich allerdings nur bei härte-
ren Staarformen geltend, während eine weiche Corticalis
sowohl für die Höhe des Waldau'schen Löffels Raum,
als auch die Möglichkeit giebt, den Kern sanft zu
umschliessen, ohne den Rand anzudrücken, resp. Lin-
sentbeile, abzukndfen. — Ausser den beiden Haupt-
differenzen, den Schnitt und das Fassinstrument betref-
fend, bot die englische Methode gegenüber unserer ur-
sprünglichen noch andere anerkennenswerthe Neuerungen.
Hierzu rechne ich die Anwendung eines zweckmässig
einzustellenden federnden Elevateurs und die mit dessen
Gebrauch in Verbindung stehende Möglichkeit den
Schnitt gerade nach oben zu verrichten, während wir an-
£änglich nach aa&sen, später gewöhnlich nach aussen-oben
operirt hatten. Weniger Gewicht lege ich auf den Un-
terschied in dem Modus der Irisexcision, von dessen Vor-
zügen ich mich nicht habe Qberzeugen können.
Der Werth der englischen Löffelextraction als All-
gemeinverfahren konnte natürlich a priori nicht entschie-
den werden. Wo das richtige Mass fQr die Schnitt-
grösse und Schnittform liegt, welches hinsichtlich der
Linsenentbindung ausreichende Vortheile gewährt, ohne
doch andererseits zu sehr an den Gefahren der Lappen-
wunden zu participiren, das lässt sich nicht voraus-
sehen. Je weiter ein Schnitt aufklappt, desto leichter
und vollständiger haben wir den Linsenaustritt zu er-
warten, desto weniger bedürfen wir für denselben irgend
welcher das Auge beleidigender Instrumente, aber desto
grösser ist bei schlechter Heiltendenz die Ge&hr der
Wundprocesse (Homhautvereiterung). Je weniger auf-
klaffend der Schnitt, desto mühsamer durchschnittlich
der Linsenaustritt, desto nothwendiger der Gebrauch der
Fassinstrumente, desto ausgeprägter in Summa die Quet-
schung und deren Consequenzen (vorwaltend iritische
und iridophacitische Processe.) Zwischen Scylla und
Charybdis möglichst glücklich hindurchzuschiffen, das
war das Problem. Ob jenes Problem in der englischen
Löffelextraction so gelöst war, dass sie uns der Verrich-
tung der Lappenextraction wirklich enthebt — das zu be-
stimmen, musste Object empirischer Studien sein.
Will man über eine Operationsweise gewissenhaft
urtheilen, so ist es rätMich, bis in die unscheinbarsten
Details hinein, die Technik dessen, dem man nachahmt,
zu befolgen und so habe ich nicht versäumt, mir im
Herbst 64 von den meisterhaft ausgeführten Opera-
tionen Bowmann's und Critchett's eine directe An-
schauung zu verschaffen. Im verflossenen Wintersemester
bis Mitte Mai habe ich deren Verfahren, welches mir,
da es in vielen Punkten mit meinem früheren coinddirte,
bald geläufig wurde, in 118 Fällen vollfährt. In den
Monaten November und December 1864 wurden nicht
alle Alterstaare, welche sich in der Klinik darboten, da-
für bestimmt, sondern etwa die Hälfte der Lappenes-
traction reservirt. Dagegen habe ich in den Monaten
Januar, Februar, März, April bis Mitte Mai nur vier
Lappenextractionen verrichtet, demnach das Verfahren so
gut als exclusiv und jedenfalls für alle Staarcousistenzen
verrichtet.
Unter den 118 operirten Augen gingen zu Grunde 7.
welche theils durch eitrige Panophthalmitis, theils durch
Iridocyclitis zerstört oder derartig desorganisirt wurden,
dass eine Nachoperation nicht mehr indicirt schien.
Ausserdem finde ich noch vier Augen als „fast verloren"
verzeichnet, in welchen nach Entzündung^- Ausgängen
zwar eine gute quantitative Lichtempfindung eriialten.
aber doch wegen bedeutender Entartung der Iris, re-
spective auch drei Mal wegen Consistenzverringeruog
des Bulbus und schlechter Projection des Lichteindrucks
der Erfolg einer späteren Nachoperation höchst frag-
lich erschien. Unter den übrigen 107 Augen stellte sich
ferner die Nothwendigkeit späterer Nachoperationeu,
theils Iridectomieen, theils Kapseldiscisiouen 28—30
Mal heraus, wenn anders die Patienten zum fliessenden
Lesen kleinerer Schrift gebracht werden sollten. Zwölf
von diesen Augen waren sogar vor der Hand nicht &hig.
eine befriedigende Orientirung zu vermitteln. Unter sämmt-
lichen 118 Fällen ward 19 Mal ein anomaler Operations-
verlauf notirt, worunter fast exclusiv Glaskörpervorfall
(11 Mal), Zurückbleiben oder ungewöhnlich mühsame
Entleerung von Corticalmassen verstanden ist. Vier von
diesen Fällen befinden sich unter xlen 7 verlorenen, zwei
unter den 4 fast verlorenen Augen, während in den
andern dreizehn Fällen, abgesehen von einem grösseren
Procentsatz späterer Nachoperationen, der Verlauf gan-
stig war, and umgekehrt für drei verlorene und zwei fast
verlorene Augen in dem Operationsverlauf keine Ursache
des Nichterfolges aufzufinden war. Es geht hieraus her-
vor, dass selbst nach normal verrichteter Operation in
circa 4 Procent der Fälle ein Nichterfolg eintrat —
Femer muss ich hinzusetzen, dass sämmtliche Ope-
rationen in die Jahreszeiten hineinfallen, in denen wir bei
unseren Berliner climatischen Verhältnissen durchschnitt-
lich am glücklichsten operiren. Schon seit Jahren habe
ich es mir zur Pflicht gemacht, Privatkranken, welche
der äusseren Umstände mehr Herr sind, die heissen
Monate für die Staaroperation zu widerrathen, und so
kommt es denn', dass dieselben sich vorwaltend im Spät-
herbst, im Winter und in der ersten Hälfte des Früh-
jahrs bei uns einfinden. In den Monaten luni und Juli
operire ich überwiegend in überfüllten Hospitalsräumen
und bekomme relativ die schlechtesten marastischen In-
dividuen, welche mit Recht oder Unrecht das Reisen in
kühleren Jahreszeiten fürchten.
Fasse ich die Gesammtresultate, welche die AuslöS-
lung geliefert hat, zusammen und vergleiche dieselben
mit den früher durch Lappenextraction erhaltenen,'*') so
stellt sich folgendes heraus:
*) Ich will; zur Uebersicht hier einige Data anführen, welche
einer grdBseren statittiiehen Arbeit fiber Lappenextraction, die noch
nicht im Dmeke ertohienen ist, entnommen sind: Unter 1600 Aogen,
die ich während einer eilQfihrigen Praxis extrahirte, traten volle
Nichterfolge ein in 7 proc Ich yentehe hierbei als Nichterfolg, so-
wohl die EU Grunde gegangenen Augen, als diejenigen, bei welchen
kein qualitatives SehvermSgen und keine gute Aussicht auf erfolgreiche
Naehoperation vorhanden war. Unvollkommene Erfolge, d. h. man-
gelndes VermSgen, feine Schrift eu lesen, erhielt ich in 13 proc. Von
diesen fielen S procent auf unheilbare Complicationen des Staarübels,
10 proc. gewährten die Hoffnung durch Nachoperationen in voUe Er-
folge verwandelt lu werden. In 80 proc. erhielt ich durch einmalige
Operation voUe Resultate. — Gttnstiger als dieses Gesammtresultat mei-
8
1) Die Anzahl der ganz und fast verlorenen Augen
weicht in beiden Methoden nicht wesentlich von
einander ab.
2) Die Anzahl unvollkommener Heilungen bei der
Auslöfflung ist eine viel grössere als bei der
Lappenextraction. Während bei dieser Letzteren
Nachoperationen nur in 10 Procent der Fälle er-
fordert wurden, um den Patienten zu dem Vortheil
eines feineren Sehvermögens zu verhelfen, zeigten
sich dieselben in 24 Procent der Auslöfflungea
von Nöthen.
3) Die Heilungsdauer ist für die Auslöfflung kürzer,
jedoch nicht in so auffälliger Weise, als man es
nach der Schnittgrösse erwarten konnte. Es ver-
klingt nämlich, selbst in den bestgelungenen Fällen,
die leichte iritische Reizung, resp. Irishyperämie
mit Wucherung der Kapselzellen meist erst in der
dritten Woche. Entlassungen vor dem zehnten
Tage gehörten zu den Seltenheiten, die mittlere
Dauer des Hospitalaufenthaltes betrug 18 Tage
(bei der Lappenextraction 25). Dass sich dies in
England günstiger verhält, so dass die Patienten
bereits während jener Reizung die atmosphärischen
Einflüsse vertragen, stehe ich nicht an, aus der
Praxis unserer dortigen Fachgenossen zu erschlies-
sen. Bei uns strafte sich eine frühere Entlassung
in der Regel durch Verschlechterungen.
ner Praxis stellt sich die Sache nach Einführung des DraokTerbandes.
Unter 900 Augen tähle ich seitdem nur 5 prooent Nichterfolge, 11
proeent halbe, 84 prooent ToUe Erfolge. Auf den PriTatsimmem
operirte ich durchschnittlich weit glücklicher, als in den Hospitaliia-
men, was theils an der besseren Luft, besonders aber an den besseren
IndiTiduen liegen mag. So hatte ich an den PriTatkranken der letsten
sechs Jahre (250) 91 proeent Tolle , 6 proeent halbe Erfolge, 3 proeent
Nichterfolge, wShrend das Verhältniss im Hospital dementspreohend
sieh ungünstiger als das angegebene DurohsohnittsyerhSltniss herausstelli
9
4) Unbedingt einzuräumen ist, dass die Nachbehand-
lung sich weit einÜEUsher, als bei der Lappenex-
traction gestaltet, weniger Sorgfalt seitens des
Wartungspersonals und weniger Einmischung des
Arztes erheischt
Was für Regeln dürfen wir nun aus diesen Ergeb-
nissen fQr die Zulässigkeit des Yer&hrens abstrahiren.
Ich glaube nicht, dass es erlaubt ist, nach einer so mas-
sigen Anzahl von Fällen einen categorischen Ausspruch
zu thun und würde eine jede Beurtheilung bis auf
den Ausschlag reicherer Studien verschieben, wenn ich
nicht aus gleich anzugebenden Motiven mit dem Verfah-
ren zu einem Abschlüsse gelangt wäre.
Zunächst habe ich der englischen Methode gegen-
über zuzugeben, was ich meiner ursprünglichen abge-
sprochen, dass dieselbe auch für die harten Staarformen
eine so grosse Procentzahl günstiger Resultate liefert,
um, namentlich unter mancherlei äusseren Umständen,
zu comparativen Studien gegenüber der Lappenextrac-
tion zu berechtigen. Es lässt sich ja nicht leugnen,
dass man in einer Operationsweise, die noch jung ist,
eine grössere Geläufigkeit zu gewinnen und durch all-
mählige Verbesserungen auch noch gleichmässigere Re-
sultate zu ernten hoffen darf. Wäre es z. B. möglich
gewesen, die neunzehn anomalen Operationsverlaufe auf
die Hälfte zu reduciren, so hätte sich der Wahrschein-
lichkeitsrechnung zufolge die Zahl der verlorenen und
halbverlorenen Augen von 9,3 Procent auf 7,8 Proc. ver-
ringert. Jedenfalls würde ich das Verfahren mit guter
Ueberzeugung für sehr häufig wiederkehrende Bedingun-
gen anempfehlen, nämlich überall da, wo die Lappen-
extraction auf Grund individueller Verhältnisse der Pa-
tienten oder der Augen an guten Chancen einbüsst
Ich würde sie dann f&r gewisse Staarformen z. B. die
wachsartigen Staare der mittleren Lebensperiode, für die
10
Morgagni'schen Staare mit gesenktem Kerne, endlich
für alle Staare mit breiig erweichter Corticalis der Lap-
penextraction entschieden vorziehen. Bei andern Staar-
formen dagegen, z. B. den völlig harten, überreifen, ab-
geflachten Linsensystemen mit scharfem Rande, würde ich
nicht dafür sprechen, theils wegen des weniger sanften
resp. schlüpfenden Linsenaustritts, theils weil die Ver-
bindung der hintern Corticalis mit der Kapsel eine zu
erhebliche ist, um dem Löffel seinen freien und sicheren
Gang zu gestatten. Einräumen, dass die Operation all-
gemeinhin geeignet sei, die Lappenextraction zu ver-
drängen, könnte ich deshalb nicht, weil sie in einer zu
grossen Procentzahl der Fälle unreine resp. einer späte-
ren Nachhülfe bedürftige Resultate liefert, ganz abgese-
hen von der Iridectomie, welche nach oben verrichtet
zwar von keinem sehr erheblichen, aber doch unter Um-
ständen von einigem optischen Belange (siehe unten) ist
Wenn ich trotz dieser relativ günstigen Meinung die
englische Operationsweise gänzlich verlassen habe, so
liegt dies darin, dass ich in jüngster Zeit, zurückgehend
auf meine ursprünglichen Studien über Linearschnitt zu
einer andern Operationsweise gelangt bin, welche mir die
Vortheile der Schnittführung und des Linsenaustritts in
einer voUkommneren Weise zu combiniren scheint Die
empirische Bewährung der gedachten Operationsweise
beruht allerdings bis jetzt auf bescheidenen Zahlen (69},
doch werde ich unten notiren, weshalb ich mich zu einer
comparativen Schlussfolgerung einigermassen für ermäch-
tigt halte. Jedenfalls scheint mir die Sache reif genug,
um sie der Aufmerksamkeit meiner Fachgenossen zu
empfehlen. Ehe ich das betreffende Verfahren beschreibe,
will ich auf einige integrirendc Punkte, betreffend die
Schnittform, die Richtung des Wundcanals, die Lage der
inneren Wunde und den Linsenaustritt eingehen.
11
Der Linearschiütt
und die Sichtung des Wundcanals.
Man hat bisher die Bezeichnung Linearschnitt
auf kleinere Schnitte angewandt, wie wir sie mit dem
Staarmesser durch blossen Einstich ohne Contrapunction
und durch das Lanzenmesser erreichen. Wie weit man nun
diesen Begriff ausdehnen will, ist, wenn man lediglich die
Schnittgrösse im Auge hat, ziemlich willkührlich. Als
ich zur modificirten Linearoperation einen Schnitt em-
pfahl, der V4 der Hornhaut umschreibt, erschien mir der
Gebrauch jenes Namens schon wie eine etwas gewagte
Licenz. Wenn es sich vollends um Vs der Hornhaut-
Peripherie handelt, wie bei der englischen Operation, so
würde es, wie bereits im vorigen Abschnitt erörtert, rich-
tiger sein, von einem eigenthümlichen Lappenschnitt mit
relativ geringer Höhe zu sprechen. Auch ist von unsern
englischen Fachgenossen, so viel ich weiss, der Ausdruck
Linearschnitt nicht gebraucht worden, sondern sie be-
zeichnen ihren Schnitt lediglich als einen spaltförmig
sich eröffnenden aber nicht aufklappenden.
Gehen wir nun präciser auf die Begriffsbestimmung
ein — und es liegt hierin kein theoretisirendes Bestre-
ben, sondern der wirkliche Ausgangspunkt unserer jetzi-
gen Praxis — so ist zunächst ein Linearschnitt ein sol-
cher, bei welchem die Wundränder, sich selbst überlassen,
in die relativ innigste Verbindung mit einander treten.
Die Cornea als Kugelabschnitt genommen, was man für
diese Betrachtungen zulassen wird, so ist jene Bedingung
dann erfüllt, wenn der Wundcanal in die Ebene eines
grössten Kreises fällt, wenn mithin die Schnittrichtung
völlig coincidirt mit demjenigen grössten Kreise, welcher
die beiden Wundwiukel verbindet. Zwischen zwei Punkten
auf einer Kugeloberfläche liegt bekanntlich der kürzeste
Weg in dem grössten durch sie gezogenen Kreise und
12
wenn die in ihrer Continuität gestörten organischen Theeil
sich durch eigene Elasticität zusammenziehen, so werden
sie das Bestreben haben, sich jener kürzesten Bahn zu
nähern. Es werden, fiel der Schnitt selbst in diese Bahn,
die Wundränder im minimo die Tendenz haben von ein-
ander zu weichen, es werden auch einem unumstösslichen
Grundsatze der Chirurgie zufolge, unter diesen Umstän-
den die Bedingungen für eine glatte und sofortige Hei-
lung sich am günstigsten gestalten.
Wie können wir nun durch Einstechen mit einem
Lanzenmesser oder Staarmesser einen solchen Schnitt
erreichen? Nur dadurch, dass die Ebene des Instru-
mentes während der Schnittführung mit der Ebene eines
grössten Kreises zusammenfallt, wobei die Spitze des
Instruments nothwendig gegen das Centrum der idealen
Hornhautkugel zielen muss. Dies ist indessen nur für
kleinere Wunden zu erreichen, die wir in den mittleren
Regionen der Hornhaut anlegen. Bei weiteren Punktionen
in derselben Gegend müssen wir bereits jene Richtung
aufgeben, um mit der Linse nicht in Collision zu gera-
then. Handelt es sich vollends um Einstiche an der
Peripherie der Hornhaut oder im Scleralbord, so ist die
betreffende steile Richtung des Instrumentes allenfalls
für einen geübten Operateur bis zum Eindringen in das
Eammerwasser möglich, alsdann aber muss das Instru-
ment flach, ziemlich parallel zur Irisfläche, resp. noch
mehr nach vorn gelegt werden, womit dasselbe aus der
Ebene eines grössten Kreises und der Schnitt aus der
linearen Richtung abweicht. Ein jeder Schnitt, wie wir
ihn zu einer peripheren Iridectomie oder zu den bisher
üblichen modificirten Linearextractionen ausübten, stellt
hiernach nicht einen stricten Linearschnitt, sondern einen
Bogenschnitt dar. Sind die Schnitte klein, so ist aucb
die Abweichung keine erhebliche, wie sich ein Bogen
mit kleiner Oeffhung nur wenig von seiner Sehne entfernt
13
Mit steigender Dimension nimmt jene Abweichung zu.
Bezeichnen wir mit dem Ausdrucke Lappenhöhe den
Abstand der Schnittmitte von der Mitte des grössten
Kreises, der die Wundwinkel verbindet, so ergeben sich
folgende Wertbe:
Für einen Schnitt an der Homhautgrenze von I^U**
(Abstand der Wundwinkel), wie wir ihn z. B. für gewöhn-
liche Iridectomieen benutzen, beträgt unter kunstgerechter
Messerführung die Lappenhöhe knapp ^U*\ Für einen
Schnitt von SVa"', der ziemlich \ der Hornhaut um-
schliesst, beträgt dieselbe *l»'"; für einen Schnitt der
*|3 der Homhautperipherie umschliesst, wie bei der eng-
lischen Methode, bereits über V*' und endlich für den ge-
wöhnlichen Lappenschnitt, je nachdem wir ihn mehr oder
weniger geräumig machen, 2 bis 2^13'". — Wird die Fläche
des Instrumentes parallel zur Iris gehalten, so begreift
es sich, dass die Lappenhöhe unter gleichem Abstand
der Wundwinkel wächst, je mehr der Schnitt sich dem
Homhautcentrum nähert, dagegen abnimmt, je mehr er
sich der Scleralgrenze anschliesst, denn die Basis der
Cornea steht dem idealen grössten Kreise relativ am
nächsten, welcher zur Iris parallel, resp. zur Hornhaut-
axe senkrecht ist Würde man z. B. nach der ge-
wöhnlichen Technik der Lappenextraction einen Bogen-
schnitt verrichten, dessen Wundwinkel 3''^ von einander
entfernt stehen und welcher sich in V*' Abstand von der
Homhautgrenze befindet^ so würde die Lappenhöhe auf
V\^'* ausfallen, während ein Schnitt mit gleichem Abstand
der Wund Winkel an der Homhautgrenze geführt, nur
eine Lappenhöhe von ^1»'" ergiebt. Es hat sich eben
hieran das Bestreben geknüpft. Schnitte, bei welchen man
einen grossen Abstand der Wundwinkel gleichzeitig mit
einer geringen Lappenhöhe erstrebt, möglichst periphe-
risch, d. h. in den Scleralbord zu führen. Je geringer die
Lappenhöhe, desto geringer, unter gleichen Verhältnissen
14
der Elasticität und des Augendruckes, die Tendenz zum
Aufklappen.
War mit der möglichst peripheren Anlage der Wunde
die Lappenhöhe verringert gegenüber einem in der
Hörnhautcontinuität angelegten Schnitt, so schien mir
doch für bedeutenden Abstand der Wundwinkel, wie er
zu einem befriedigenden Austritt härterer Linsen erfor-
dert wird, die Aufgabe unvollkommen gelöst. Diese
Betrachtung gab mir Grund, den üblichen Eiustichsschnit-
ten (Punktionsschnitten) auch für dies Verfahren einen
Ausstichsschnitt (Contrapunctionsschnitt), wie wir ihn bei
der üblichen Lappenextraction verrichten, zu substituiren,
mit der wesentlichen Differenz jedoch, dass ein ganz
schmales, kaum T" breites Messer gebraucht wird, wel-
ches, sowie die ftine Spitze zur Contrapunction gelangt
ist, sofort steil zur Hornhautfläche und fast in die Ebene
des die Wundwinkel verbindenden grössten Kreises ge-
legt werden kann, und welches nun durch eine einfache
Sägebewegung (einmaliges Vorstossen und Zurückziehen)
in derselben Ebene einen fast genau linearen Schnitt
ausführt. Bei einer äussern Wunde von 4*1«'", bei wel-
cher der Lanzeniuesserschnitt eine Lappenhöhe von über
r" ergiebt, ist dieselbe hier noch verschwindend klein,
jedenfalls nicht mehr als ^U'". Beistehende Figuren wer-
den die Verhältnisse vorläufig klar machen. Figur L
repräsentirt (mit der ausgezogenen Linie) den Lanzen -
Fig. I. Fig. II.
messerschnitt; derselbe ist, wenn man ihn genau im
Scleralbord und nicht etwa in der Conjunctiva verzeich-
15
iiet, der Hornhautperipherie nicht einmal parallel, sondern
hat noch eine grössere Lappenhöhe, als ihm bei dem be-
treffenden Parallelismas zukommen würde. Es erklärt
sich dies dadurch, dass man bei so peripherem Einstich
das Lanzenmesser nicht parallel zur Hornhautbasis vor-
stossen darf, sondern etwas nach vom richten muss.
Fig. IL repräsentirt dagegen (mit der ausgezogenen
Linie) den jetzt bei mir üblichen Schnitt. Die punktirte
Linie deutet in beiden Figuren den entsprechenden
grössten Kreis an, wobei die Sclera als unveränderte
Ergänzung der comea gedacht ist, was insofern zuläs-
sig erscheint, als die innere Wunde, auf die es wesent-
lich ankommt, selbst fär Figur IL noch in die äusserste
Bandpartie der Comea zu liegen kommt.
Bei der letztangeftibrten Art des Schnittes erhält
der Wundcanal selbst eine weit steilere, fast zu der
Hornhautoberfläche senkrechte Richtung, während er bei
dem Lanzenmesserschnitt seicht verläuft. Direct für die
Heilung möchte dies nicht von Belang sein, dagegen
steht es fest, dass die steile Richtung des Canals für den
Austritt der Linse ohne instrumenteUe Hülfe oder mit
wenig verletzenden Instrumenten (siehe unten) vortheil-
hafter ist, als die schräge. Besonders fällt dies in Betracht,
wenn wir gleichzeitig an die Lage der inneren Wunde
denken, welche bei der Schnittfiihrung mit dem schmalen
Messer, wie ich mich mehrfach durch anatomische Un-
tersuchungen überzeugt habe, mit der Homhautgrenze
fast zusammenfällt, und höchstens gegen den Schnitt-
scbeitel hin um einige Zehntheile eines Millimitre in
die Comea hineingeht, bei dem Lanzenmesserschnitt da-
gegen in ihrer ganzen Ausdehnung V4 bis 1 Mm. — mehr,
als man a priori glauben sollte — von der innem Hom-
hautgrenze absteht. Durch Letzteres erklärt sich, dass
der aequator lentis bei der Wirkung des Augendrucks
resp. einer sanften äusseren Druckzuthat, sich nicht so zu
16^
sagen sponte in den Wundcanal einstellt, dass er vielmehr
gegen den Randtheil der Cornea peripherisch von der
inneren Wunde anstemmt. Die schematische Figuren IIL
und IV. mögen das Gesagte erläutern. Nach dem Lan-
Fig. III. Fig. IV.
zenmesserschnitt ist es deshalb nöthig, durch die Ein-
führung eines Löflfelinstruments zunächst jenen Randtheil
unter dem Linsen- oder Kemaequator herabzudrficken
und bis zur Entbindung der Linse herabgedröckt zu er-
halten. Desgleichen giebt dieser Randtheil ein Hinderniss
fbr den Austritt der Corticalmassen, welche sich leicht
im Eapselfalze unter demselben fangen. Dass sich in
Figur IV. entsprechend der Wirkung des schmalen Mes-
sers die Verhältnisse hierfür günstiger gestalten, ist er-
sichtlich. Allein wir müssen einen gewissen Nachtbeil,
der diesen Vortheilen gegenübersteht ohne sie aufzu-
wiegen, schon hier bezeichnen. Durch . das Weg£EÜlen
jenes Randtheils der inneren Hornhautlagen, verliert die
Zonula einen Schutz und es ist deshalb die Neigung zum
Glaskörpervorfall etwas höher anzuschlagen, als bei dem
Lanzenmesserschnitt. In der That hatte ich bei der
englischen Methode nur in neun Procenl der Fälle
Glaskörper, bei dem neuen Verfahren dagegen in vierzehn
Procent. Ich glaube indess, dass sich jener Procentsatz
durch eine häufigere Anwendung des Chloroforms, zu
17
welcher ich bisher nur ausnahmsweise griff, sowie
durch eine geübtere Instrumeuteuführung wird bedeu-
tend herabsetzen lassen. Da der Glaskörper meist nach
der Linse kam, respective beim Ausdrücken der Corti-
cahnasse austrat, so kann ich, ohne den Nachtheil mit
Stillschweigen zu übergehen, doch nicht einen entschei-
denden Werth auf ihn legen. Endlich kann man unter
Umständen den Schnitt etwas weniger peripherisch füh-
ren, wobei er sonst seine Eigenschaften hinsichtlich der
linearen Wuudrichtung und des senkrechten Wundcanals
beibehält und nur das Verhältniss der inneren Wunde
zur Hornhautgrenze einbüsst. Es ist dies vollkommen zu-
lässig, >Ycnn z. B. bei mittelgrossen Kernen und weicher
Corticalis der Kernaequator um ein Millimetre oder dar-
über vom Linsenacquator entfernt bleibt.
Linsenentwicklung — der Löffel und der
Haken.
Bei allen instrumentellen Hülfen, die man in so sinn-
reicher Weise für die Hcrausbeförderung der Linse er-
dacht, bleibt es unleugbar, dass die spontane Entwick-
lung, wie sie bei aufklappenden Schnitten theils durch
den Augendruck, theils durch sanfte Unterstützung von
Aussen erfolgt, den relativ besten, für das Auge am
wenigsten verletzenden Austrittsmodus abgiebt. Offenbar
verdankt gerade dieser Möglichkeit die Lappenextraction
die Reinheit ihrer Resultate. Bei Schnitten, welche sich
nur schlitz- oder spaltförmig eröffnen, sind die Wider-
stände erheblicher und ernöthigen den Gebrauch von Fass-
instrumenten. Kern und Corticalis stellen sich, wenigstens
bei vielen Staarformen, nicht vereint, sondern nach ein-
ander ein, letztere bleiben durchschnittlich in grösserer
Quote als dort zurück, wenn man nicht zu wiederholter
Instrumenteneinführung Zuflucht nimmt. Dies erklärt
bereits zum Theil die relative Häufigkeit der unreinen
Arrhiv fQr Opbthalmotogfo XI. 3. 2
^8
Heilungen nach der Löffelextraction; ein noch wichtige-
res Moment liegt in der Wirkung des Löffels selbst.
Nachdem derselbe kunstgerecht in der hintern Corticalis
über den hintern Eempol vorgestosseu, muss, um die
Linse in die Gewalt des Instrumentes zu bringen, eine
sanfte Hebelbewegung durch Senken des LöffelgriiFes ge-
macht werden. Erst hierauf folgt das rein anziehende
Manoeuvre, bei welchem das hervorspringende Löffelende
den Linsenkem vor sich her und zur Wunde herausschiebt.
Es wird nun der Umsicht des Operateurs anheimfallen,
jene Hebelbewegung den Erfordernissen entsprechend und
möglichst zart auszuführen, zu umgehen aber ist sie nicht,
soll der Löffel nicht auf derselben Strasse, innerhalb
welcher er beim Verstössen die Widerstände aufgehoben,
uuverrichteter Sache wieder über den hintern Kempol
zurückgleiten. Von dem Maasse jener Bewegung umi
der Einwirkung, die der hintere Theil des Löffelblatts
dabei gewinnt, kann man sich an einem Durchschnitte
des Auges, an welchem mau das Löffelprofil entsprechen-
den Ortes anbringt, leicht überzeugen. Es wird de facto
in einem, sich zuweilen verlängernden, Momente der Ope-
ration ein Druck von hinten nach vorn (gegen Iris und
Cornea) ausgeübt. Ich glaube, dass hierin, namentlich
bei wenig compressiblen Kernen, ein Hauptnachtheil liegt:
die Schicht der intracapsulären Zellen, indirekt die hintere
Fläche der Iris und die Zellenschicht der Descemetschen
Haut, wird durch das Anstemmen von hinten her beleidigt
und gerade diese Schichten sind es, von welchen die
Wucherungsprocesse bei den unreinen Heilungen nach
Auslöfflungen ausgehen. Mehrere Fälle, in denen heftige
derartige Wucherungen das optische Resultat vor der
Hand fast völlig verdarben, und in welchen doch die ge-
sammte harte Linse mit einem Wurfe und ohne irgeud
eine Anomalie des Manoeuvres austrat, haben mir diese
reher^.cugung verschafft.
19
Aus den erwähnten Gründen dachte ich daran, auch für
diese Operationen, die bei vielen anderen Gelegenheiten
so nützlichen Hakenvorrichtungen zu verwenden. Beide
Instrumente Löffel und Haken haben ihre Eigenthüm-
lichkeiten, welchen beziehungsweise zu der vorliegenden
Aufgabe auch entsprechende Vortheile resp. Nachtheile
zur Seite stehen. Der Löffel giebt offenbar, wenn er
einmal den Linsenkern gepackt hat, die grösste Sicher-
heit denselben bis zu seinem Austritte richtig zu leiten:
der breite Widerstand, den das Blatt als Unterlage, das
hervorspringende Ende als Equilibrirungs- und Tractions-
üäche liefert, sichert vor einem seitlichen Entgleiten oder
Umschlagen, selbst wenn die Mittellinie des Instruments
mit dem Diameter des Kerns nicht correspondirt. Auch
darf man behaupten, dass, ist einmal die Ausfahrts-
bewegung im Gange, das Manoeuvre nunmehr einen rein
anziehenden Character annimmt, wobei die sich ent-
wickelnden Druckkräfte in die von dem Instrumente
offengehaltene Wunde fallen und desshalb ihren beleidi-
genden Einfluss auf das Auge verlieren. Nur in einem
Fall kann der Effect fehlschlagen, wenn nämlich die
Kernpartie der Linse zu weich ist, um dem Löffelende
den für die Ausfahrt nöthigen Widerstand zu bieten und
sich deshalb zerquetscht. Allein eben dann passt ein
Haken noch weniger, da er bei geringerer Widerstands -
fläche noch leichter als der Löffel durchschneidet, es ist
dann vielmehr ein ganz anderer Modus der Linsenent
bindung erforderlich, (siehe unten.)
Ist der Löffel thatsächlich das beste Fassinstrument,
so liegen die Nachtheile desselben in den verschiedenen
Bedingungen für die Einfahrt und Ausfahrt; bei jener
handelt es sich möglichst wenig Widerstand zu finden, um
den Weg bis über den hinteni Kernpol, resp. bis zum
gegenüberliegenden Kernaequator zu beenden ohne 6e-
iahr, die Linse zu verschieben oder die tellerförmige
2*
20
Grube zu durchbrechen. Bei der Ausfahrt dagegen
handelt es sich darum dem Liusenkeru gegenüber,
einen ausreichenden Widerstand zu entwickeln, um
ihn sicher zu leiten. Diese Verschiedenheit der Bedin-
gungen iällt um so schwerer in die Wagschaale, je enger
die Verbindung der hinteren Kernperipherie mit der
Kapsel ist Wo eine mächtige Schicht weicher oder gar
flüssiger Corticalis jene Verbindung lockert, haben wir
so zu sagen, eine breite und freie Bahn für die Einfahrt,
in welcher auch ein Löffel mit steil hervorspringen-
dem Ende vorrücken kanu, ohne die eine oder andere
Grenze zu bedrohen. Wir haben dann durch den grös-
seren Widerstand, den ein solches LöflFelende beim üm-
schliessen des Kerns entwickelt, die vollen Vortheile für
die Ausfahrt Anders aber verhält es sich bei den to-
tal harten Cataracten, namentlich bei den überreifen ab-
geflachten Formen, bei denen von einer Corticalis in
Gegend der Lin:^enpole ofi kaum die Rede ist und die
Adhärenz der hinteren Peripherie mit der Kapsel ihr
Maximum erreicht Hier niuss das Instrument beim
Verschieben eine künstliche Lockerung oder Abhebung
der Kapsel bewerkstelligen und deshalb mit einer wirk-
samen, wenig Platz einnehmenden Kante vorrücken.
Wenn nun für solche Fälle die Höhe des Löflfeleudes
äusserst gering sein darf, so müssen wir die Verände-
rung der Widerstände bei der Ausfahrt fast lediglich
durch die Senkung des Löffelgrifl's, resp. die oben er-
wähnte Hebelbewegung erzwecken. Wollte man diese letz-
tere umgehen, so müsste man geradezu ein Instrument .
benutzen, welches in dem geeigneten Moment eine Fomi-
metamorphose durchmacht, z. B. durch die Entwickelung
einer Widerstandswand an seinem Ende — Pläne, welche
wohl auch aufgetaucht, aber an der technischen Compli
cation gescheitert sind. So viel geht wohl aus diesen
Betrachtungen hervor, dass, will man lediglich bei dem
21
LöflFelprincipe stehen bleiben, für verschiedene Staar-
formen auch mit Nutzen verschiedengestaltete Löffel zu
gebrauchen sind.
Die Wirkung eines Hakens wird zunächst zu dif-
ferenziren sein, ob wir beabsichtigen, ein spitzes Ende
in die Substanz des Kerns einzuschlagen oder ob wir le-
diglich den gegenüberliegenden Kernaequator oder ein
benachbartes Stück der hinteren Peripherie mit der
Krümmung eines stumpfen Hakens umfassen und dann
eine anziehende Bewegung nach der Wunde hin ausfüh-
ren wollen. Ich leugne nicht, dass man unter Umständen
auch von ersterem Principe Nutzen ziehen kann, allein
es entspricht vor der Hand meinen Grundanschauungen
über die zweckmässigste Mechanik des Linsenaustritts
weniger. Wenn, wie ich meine, der Gegendruck von
hinten nach vorn die Schuld für die unreinen Heilungen
der Löffelextraction trägt, so wird das Einschfagen eines
Häkchens von der hinteren Corticalis aus, in ähnlichem
Sinne nachtheilig wirken. Ich habe deshalb mit Aus-
nahme einzelner Fälle sehr glatter Kerne, bis jetzt nur
stumpfe Haken zum Umfassen und Anziehen des Staars
benutzt. Was die Sicherheit des Fassens anbetrifft, so
können wir nicht leugnen, dass dieselbe hier eine viel
geringere, als bei dem Löffel ist. Umschliessen wir wirk*
lieh mit der Concavität eines stumpfen Hakens, der best-
möglichst eingerichtet ist, den gegenüberliegenden Kern-
aequator, so wird der Linsenkern noch immer bei der
Traction seitlich ausweichen können und wird dies na-
mentlich dann geschehen, wenn die Hakenstellung nicht
den Bedingungen des Gleichgewichts, beziehungsweise
zur Kernlage und zu den Widerständen an der Wunde
eutspricht. Der Haken wird demnach ein viel sorgfäl-
tigeres Equilibriren erfordern und trotzdem die Leitung
des Staars nicht so verlässlich, vermitteln als der Löffel.
Ich glaube deshalb und trotz der Vortheile, auf die wir
22
gleich zu sprechen kommen werden, dass der stumpfe
Haken bei dem Lanzenmesserschnitt sich dem Löffel ge-
genüber nicht bewähren würde. Schon das gleich-
massige Herabdrücken des äusseren Wundrandes, welches
in Ansehung der Lage der inneren Wunde (siehe obeni
die Widerstände so günstig beeinflusst, bleibt als ein
unersetzbarer Vortheil dem Löffel.
Anders aber verhält es sich bei dem jetzt von
mir gebrauchten Linearschnitt. Hier sind, wie es oben
hervorgehoben worden, die Widerstände für den Lin-
senaustritt wegen der Richtung des Wundcanals und der
Lage der inneren Wunde weit geringer, so dass der Kern-
aequator sich viel williger in den Schnittcanal einstellt
und zur Entbindung nur noch eine leichte Traction er-
forderlich ist. Hierfür scheint meinen bisherigen Erfah-
rungen zu Folge mit wenigen Ausnahmen der Effect eines
stumpfen Hakens ausreichend. Die grossen Vortheile,
welche wir hierbei erreichen, liegen in Folgendem:
Wenn für den Löffel die verschiedenen Widerstandsbe-
dürfhisse bei der Ein- und Ausfahrt ein Dilemma be-
reiten, so ist dies hier in sehr einfacher Weise durch
die uns zustehende Drehung des Instrumentes umgangen.
Der Haken wird so eingeführt, dass seine Fläche der
Ebene der hinteren Corticalis parallel ist, es entwickelt
sich demnach bei dessen Vorrücken ein Minimum von Wi-
derstand. Hat nun das Instrument seinen Zielpunkt er-
reicht, so wird die Fläche desselben in eine senkrechte
oder wenigstens steile Richtung zu jener Ebene gebracht
(aufgerichtet), wobei sich nun mehr und mehr Widerstand
entfaltet Indem es endlich bei der Ausfahrt eine rein
anziehende Kraft repräsentirt, so vermeiden wir in allen
Acten den gefürchteten Gegendruck von hinten nach vorn.
Die Form des Hakens lasse ich übrigens nach den nä*
heren Bedingungen variiren. Ist eine gewisse Schicht wei-
cherer Corticalis vorhanden, jedoch nicht so viel, um über-
23
baapt von den Fassinstrumenten zu dispensiren, (s. unten)
so nehme ich ein etwas breiteres Modell, dessen gekrümm-
ter Theil nach der Concavität hin noch eine Fläche von
circa IMm. Breite bietet. Ist umgekehrt die Cataract
völlig hart, so erscheint es nöthig, jene Fläche verschwin-
den zu lassen. Femer kann ich nicht verschweigen, dass
für Ausnahmefälle ein Löffel seine Vorzüge behält. So
schien es mir namentlich bei den kleinen und verhält-
nissmässig dicken Kernen der Morgagni^schen Staare,
welche ihrer Glätte wegen der Hakenwirkung nicht gün-
stig sind. Man sollte meinen, dass diese Kerne bei
ihren geringen Dimensionen ans dem vorgeschriebenen
Schnitt ohne Fassinstrumente austreten, allein ihre
Härte und Dicke scheint dies schwieriger zu machen, als
bei grösseren Kernen anderer Art, eine Erfahrung, welche
die Fachgenossen wohl auch bei der Lappencxtraction
dieser Staare mehrfach gemacht haben werden. Die
kleinen Löffel, deren ich mich alsdann bediene, con-
gruiren ihren Dimensionen nach mit denen, welche
ich zur modificirten Linearextraction vor Fiinführung der
Wal dänischen Löfifel brauchte, nur ist das Ende annä-
hernd nach Critchett's Manier geformt. Bei flüssiger
Corticalis und glattem hartem Kern sind in der That alle
Umstände für die Löfi'elwirkung günstig, es existirt ein
lockerer widerstandsloser Raum bei der Einfahrt, so dass
wir selbst für ein steileres Endstück Raum haben. Des-
gleichen bringt es die Härte des Kerns mit sich, dass
sich die zur Ausfahrt nöthigen Widerstände bereits bei
einem geringen Zurücklegen des GriHs entfalten. In eben
solchen Fällen wurde auch ein scharfer zurückgebogener
Haken zuweilen genommen, doch bin ich mit mir tlber
die zweckmässigste Form eines solchen noch nicht einig.
Schliesslich habe ich hier besonders hervorzuheben, dass
für eine grosse Reihe von Staarformen, nämlich für die mit
weicher Corticalis und compressibIemKern,schätzungsweise
24
ein Drittel der gewöhnlichen Alterstaare, die Benutzung
eines jeden Fassinstrumentes nach dem vorschiiftsmäs-
sig verrichteten Linearschnitt überflüssig ist. Ein sanftes
Druckmanoeuvre, welches ich unten zu beschreiben suchen
werde, ist hier ausreichend und ich glaube im Hinweis
auf den Satz, von welchem wir ausgingen, dass in der
Mö<^lichkeit dieser quasi spontanen Linsenentwickeluug
ein wesentlicher Vortheil gegenüber dem Lanzenmesser-
schnitt liegt. Es theilt unter diesen Bedingungen die
Linearextraction, abgesehen von der Pupillarentstellung,
alle Vortheile der Lappeuextraction, ohne deren Gefah-
ren zu theilen.
Mein jetziges Verfahren.
Nach entsprechender Lagerung des Patienten und
Einleguiig eines stellbaren Sperrelevateurs — ich be-
nutze die Critchett'sche Form — wird der Bulbus durch
eine schliessbare Fixirpincette, hart unter der Cornea
angelegt, sanft herabgezogen nnd hierauf die Operation
begonnen.
Act. 1. Das schmale Messer, dessen Dimensionen
Figur V. wiedergiebt, wird mit der Schneide nach oben,
Figm- V.
der Fläche nach Vorn im Punkte a. (Figur VI.) so ein-
Figur VI.
gestossen, dass es möglichst peripherisch in die vordere
Kammer eintritt. Um die Dimension der inneren Wunde
zu vergrössern, ziele anfänglich die Spitze nicht nach
dem Contrapunctionspunkt B. sondern etwa nach dem
25
Horahautpunkte C, und ei*st wenn sie stark drei Linien
in dem sichtbaren Kammerraum zurückgelegt hat, senke
man den Griff und schiebe dieselbe unter den Scleralbord
nachB. Auf das Geffihi des aufgehobenen Spitzen Widerstan-
des, welches die Vollendung der Contrapunction verräth,
gleichviel ob die (abgelöste) Conjunctiva bereits durch-
stochen ist oder nicht, giebt man dem Messer sofort eine
steile Richtung nach vorn, fast in der Art, dass der Rücken
nach dem Centrum der idealen Homhautkugel gewendet
ist und setze die Operation in dieser Ebene, zunächst
durch eine dreist vorstossende, dann, wenn die Messer-
länge erschöpft ist, durch eine zurückziehende Bewe*
gung fort. Bei dieser Letzteren wird in der Regel das
Scleralbord völlig durchschnitten, widrigenfalls die sä-
gende Bewegung in geringerer Excursion noch einmal
zu wiederholen ist. Sowie die letzte Brücke des Scle-
ralbords durchtrennt ist, befindet sich das Messer frei be-
weglich unter der abgelösten Conjunctiva, welche, um
nicht einen allzu langen Lappen zu geben, — dieser
erhält gewöhnlich lV2'"bis2'" Höhe— nunmehr durch eine
Sagebeweguog horizontal nach vorn, oder selbst nach
vom und unten durchtrennt wird.
Bemerkungen: Die Vorbereitungen seien hier wie für
die Lappenextraction so einfach wie möglich. Aengstliche
Patienten operirt man am besten sofort nach gefasstem Be-
schluss um einer bangen Stimmung zu entgehen. Soll Chlo-
roform verabreicht werden, über dessen Anwendung ich unten
noch etwas hinzusetzen werde, so gilt die gewöhnliche Regel,
die Kranken vorher einige Stunden nüchtern zu lassen. Will-
kommen ist es, wenn dieselben ^am Operationstage bereits
ihren Stuhlgang gehabt, doch lege ich, da das Bcdürfniss der
Immobilität hier sehr in den Hintergrund tritt, weniger Ge-
wicht darauf als bei der Lappenextraction. — Hinsichtlich des
Messers so schien mir ein. Modell, welches in unserer Klinik
zum Abtragen von Irisvorftlllen und Ccratocelen gebräuchlich
war, und von Wald au herrührt, für den betreffenden Zwek
26
völlig passend.*) Nur bestehe ich hier auf etwas grössere
Länge (siehe Fig. V) und stark convexe Flächen. Erstere
ist erforderlieh, um mit dem Schnitt ohne erneuerte Silgebe-
wegungen zu Ende zu kommen, letztere, um das Kammer-
wasscr zurückzuhalten. Der Punkt A soll sich durchschnitt-
lich Va'" weit von der Hornhantgrenze und Va'" uutcr der
an den Homhautscheitel gelegten Tangente befinden. Bei
einer solchen Function und einer symmetrischen Contrapunction
in B, erhält die äussere Wunde eine Länge von i^/^—Ay^***.
Ist eine reichh'che Schicht Corticalis vorhanden, so le^e ich
die Function um ein Weniges höher und dem Hornhauti-ande
etwas näher, so dass der Schnitt 4'"— 4V4'" Dimension erhält.
Es wird alsdann der Oonjunctivallappen bei weitem kleiner.
— Den Handgriff, die Spitze zunächst nach unten und erst
später nach der Contrapunction hin zu richten« habe ich zu-
nächst empfohlen, um die innere Wunde nach der Functions-
Seite auszudehnen. Er ist aber auch für die Abmessung des
Schnitten vortheilhaft. Man gewöhnt sich, an der Messerstrecke
die man im Durchmesser (AB) der Kammer frei präsentirt, die
Grösse der beabsichtigten Wunde abzunehmen und dann durch
eine einfache Hebelbewegnng die Spitze unter dem Scleral-
*) Man hat sieb bekanntlich in älterer Zeit schmaler Staarmeaser
bedient, um kleinere Schnitte, s. B. far Iridectomien an machen. Für die
Glancom-Operation hat Fröbelius neuerdings die Vorafige eines solchen
von ihm gebrauchten Instrumentes (s. A. f. 0. Bd. YII, 2. pag. 119) be-
schrieben. Allein abgesehen davon, dass jene Messer sich in ihrer Form
weit mehr dem Staarroesser nähern als es für unseren Zweck erlaubt ist,
so waren auch die Absichten ganz andere. So ging Fröbelius beson-
ders Ton dem Gedanken aus, dass man in dieser Weise die Coltision mit
der Papillaröffnung resp. der vorderen Kapsel besser vermeiden könne als
mit der I^nze, welche bei einer gleichen Scbnittgrösse weiter vorzudrin-
gen hat. Jene Messer wnrden, so viel ich weiss, stets wie bei der
Extraction in der Ebene der Iris geführt und nur hart vor dem Durch-
schneiden der letzten Bracke etwas aufgerichtet. — Ich will übrigens
bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass sich das ffir den Linearschnitt
von mir gebrauchte Messer unter einer etwas zu modificirenden Füh-
rung auch fiir äusserst periphere Pupillen z. B. bei Leucomen, die nur
wenig Hornhautperipherie übrig lassen, cmpfiehlt. Man erhält eine
weit grössere Wunde, als bei der Lanze und braucht nicht weit vor-
znstossen.
27
bord verschwinden zu lassen. Schiebt man das Messer gleieh
nach B, in dem flachen peripheren Theil der Kammer vor-
wärts, 80 nimmt man leicht und namentlich bei engen Kam-
mern (in der Furcht, gegen die Iris zn gerathen) den End-
punkt der inneren Wunde zu früh und stösst dann bei der
Linsenentwikelung auf unerwartete Hindernisse. — Sowie die
Contrapunction gemacht, pflegt Kammerwasser unter die Con-
junctiva auszutreten und dieselbe blasig von der Episciera
abzuheben. Diese Erscheinung, die ja bedingungsweise
auch bei der Lappenextraction vorkommt, soll die Auf-
merksamkeit in keiner Weise fesseln. Man vollende den
Schnitt ruhig in der gewählten Ebene, bis die letzte Brücke
des Scleralbords durchschnitten ist. Bei sehr dehnbarer
Schleimhaut kann es sich sogar ausnahmsweise ereignen, dass
die Messerspitze entsprechend der Contrapunctionsstelle die
Coi\jnnctiva überhaupt nicht durchdringt, sondern erst an
einem höheren Punkt während der späteren Schnittführung. Ist
die Abweichung gross, so lüfte man die conjnnctiva nachträg-
lich mit der Scheere, damit sich der mit dem limbus in Ver-
bindung stehende Theil in Act II gut von der prolabirenden
Iris hinwegziehen lässt. — Zeigt sich nach dem ersten Act
ein stärkeres Blutcoaguhim in der Wunde, so ist dasselbe
mit der Pincette zu entfernen. Zuweilen scheint diisselbe sei-
ner Lage und Adhärenz nach, nicht aus der conjnnctiva, son-
dern aus dem Schlemm^ sehen Canal zu stammen, welcher
letzterer hier, meist in der Nähe der Winkel der inneren
Wunde durchschnitten wird.
Act. II. Nachdem die Fixirpincette einem Assis-
tenten übergeben, streift man zunächst mittelst einer ge*
raden Pupilleupiucette — ich bediene mich hier eines
sehr kleinen Modells — den Conjunctivallappen von der
prolabirenden Iris ab; derselbe lässt sich, da er in den
limbus übergeht und nach den Seiten der Widerstand
weit gelockert ist, ohne Mühe auf die Cornea herablegen,
worauf die Iris völlig nackt erscheint. Hierauf fasst
mau mit eben jener Pincette den Irisvorfiill au seinem
gewölbtesten mittleren Theil, zieht ihn so an, dass er
28
sich als triangulärer Zipfel entfaltet und schneidet ed
der Basis von dem einen Wnndwinkel xum andern ab.
was gewöhnlich zwei kleine Scheerenschnitte erfordert.
Bemerkungen: Versäumt man das Znrflckschicbeii des
Conjnnctivallappons, so verliert man den VoHheil, denselben
für die Deckung der Wnnde zn erhalten niid lässt aiiss^rdem
wepen mangelnder Uebersiclit über den prolapsiis leicht Ins
an den Winkeln zurtlck, wodurch die Pupille (bei eventueller
Einklemmung) stärker nach oben verzerrt und die Heilung
verzögert wird. — Dagegen halte ich es nicht für nöthig, di(
Iris straff anzuziehen, so das» sie sich in besonderer Ausdeli
nung entwickelt. Was sich nicht so zu sagen von seihst ent
faltet, d. h. bei diesem Schnitt unter den natürlichen Druck-
kraft cn prolabirt, zieht sich nach gemachter Lüftung gut \\
die natürliche Lage zurück und liegt gewiss kein Grund vor.
die Irisexcision über das nöthige Maass auszudehnen. Kon«
ten wir noch weniger als die prolabirende Iiis aussclincideD.
olmc Einkleramungen zu bikomnien, so würden wir es <'ewi->
gerne thun, da für den Linsenaustritt bei dieser Methode ancli
ein massig breites Colobom den Zweck erfüllen würde. — E>
ist oben angenommen worden, das« die Iris von selbst jn-ola-
birt. In der That habe ich es 8eU)st bei Chloroformiileii
unter den hier in Rede stehenden Conjunctnrcn nur dann an-
ders gesehen, wenn hintere Synechieen vorhanden waren.
Selbstverständlich muss bei solcher Eventualität die l^inccftt
in die vordere Kammer geführt werden.
Act. IIL Mit dem in geeigneter Weise gebogenen,
flietenfönnigen Cystitoni wird, nachdem man die Fixir
pincette dem Assistenten wieder abgenommen, die Kiip
sei successive in zwei Fluchten eröffnet, welche vom un-
tern 'I'heil der natürlichen Pupille ausgehen und hart an
dem nasalen und am temporalen Rande der gesammtei!
Pupille bis in die Nähe des oberen Linsenaequators iinf-
steigen.
Bemerkungen: Bei liarteii Cataracten bietet bekanutlicb
eine geräumige EröflTnung der Kapsel weit mehr Scliwieri?-
29
keiten, als wenn eine mächtigere Schicht weicher Corticalis
vorhanden ist. Wegen der Gefahr, die Linse zu verschieben,
was sich hier leicht durch Glaskörpervorfall straft, wird die
Fliete zweckmässiger Weise recht knrz gewählt und schräg
angehalten ; bei der geringsten Locomotion, die man am Lin-
senkörper wahrnimmt, legt man sie allemal noch flacher. Für
weiche Corticalis kann man dagegen längere Flieten gebrau-
chen und in senkrechter Stellung anreissen. -=- Der erste der
beiden anempfohlenen Schnitte (oder eigentlich Risse) wirkt
in seiner ganzen Ausdehnung, die Kapsel auseinander und
zurückreissend; der zweite ist in seiner erstereu Hälfte wir-
kungslos, da er hier keine Kapsel mehr begegnet, in seiner
zweiten Hälfte zieht er den vom ersten zurückgelassenen seit-
lichen Kapseltheil bis an die Basis der künkstlichen Pupille
vorhangsartig zurück. Man könnte deshalb auch den zweiten
Schnitt höher anfangen, doch ist es, besonders wieder i'Wv
harte Staare, schwer zu bemessen, wo seine Wirkung beginnt.
— Aeusserst wichtig erscheint es mir, die Eapselrisse bis in
die Nähe des oberen Aequators zu verlängern, weil gerade
hierdurch die freiere Einstellung des letzteren in die Wunde
vermittelt wird. Die spontane Entwickelung der Linse (ohne
Fassinstrument) bei weicheren Formen beruht vollends auf
dieser Bedingung. — Statt des Cystitoms bediene ich mich
des Häkchens, wenn eine ausgedehntere Kapseiverdickung
die Extraction der Kapsel oder eines Theiis derselben indi-
cirt — Gebraucht man zur Linsenentbindung nicht ein stum-
pfes, sondeni ein scharfes Häkchen, so wird dieser Act füglich
mit dem folgenden verbunden , indem man das zweckmässig
gebogene Häkchen, nachdem es die Kapsel eingerissen hat»
von der gemachten Wunde aus durch eine zurückgehende Be-
wegung sofort über den Kernaequator in die hintere cortica-
lis bringt.
Act. IV. Die Linsenentwicklung variirt je nach-
dem eine reichlichere Schicht weicher Corticalis vorhan-
den ist oder nicht. Im ersteren Falle gelingt in der Re-
gel die Entbindung ohne Einführung eines Instruments,
lediglich durch äusseren Druck. Man nimmt einen brei-
30
teil Löffel mit massig gewölbtem Blatt und drückt dessen
Rücken, entsprechend der Wundmitte und hart an der-
selben der Sclera sanft an, so dass die Wunde zum
Klaffen gebracht wird. Hierbei schieben sich Cortical-
massen hervor uud der Scheitel des Kernrandes stellt
sich ein. Um nun ein möglichst vollständiges Vorrücken
des letzteren zu bezwecken, lässt man den Löffelrücken
auf der Sclera entlang gleiten und zwar zunächst unter
Einhaltung desselben Drucks seitwärts nach den Wund-
winkeln hin, dann aber, von der Wunde zurückziehend,
nach oben, wobei man den Druck vorsichtig verstärkt.
Entwickelt sich der Diameter des Kerns während dieser
Bewegung, so lässt man mit dem Druck mehr und inehr
nach und beendet allenfalls die Entbindung durch Anle-
gen des Löffelendes an den bereits hervorgetretenen Rand.
Ist nur eine dünnere Schicht weicher Corticalis vorhanden,
so kann man das empfohlene Manoeuvre („Schlittenma-
noeuvre^') ebenfalls versuchen, stehe jedoch von demselben
ab, sowie man sieht, dass während der seitwärts gleiten-
den Bewegungen keine Einstellung erfolgt und gehe nun-
mehr zum Gebrauch des Häkchens über, zu welchem
man im Falle einer völlig harten Cat^ract von An-
fang an Zuflucht zu nehmen hat. Das stumpfe Häkchen,
dessen ich mich gewöhnlich bediene, hat die in Figur
Vir wiedergegebene Form und eine passende Biegung«
(Fig. VIII.), um es bequem unter den Linsenkem schie-
Fig. vn. C_
Fig. VIII.
beu zu können. Dasselbe mrd nun zunächst flach in
die gemachte Kapselwunde eingelegt, dann bis über den
31
. diesseitigen Kernrand zurückgezogeu, durch entsprechen-
des Heben des Griffs in die Richtung der hinteren Cor-
ticalis gebracht und längs derselben flach vorgestossen,
bis der hintere Kernpol umgangen ist Alsdann legt
man den Griff etwas zurück, fährt indessen noch fort,
das Häkchen vorznstossen, bis es fast an den gegenüber-
liegenden Kernrand gelangt ist. Nun rotirt man das
Instrument zwischen den Fingern um seine Axe, so dass
die Ebene der Hakenkrümmung aus ihrer horizontalen
Lage in eine senkrechte, oder bei erwachsendem Wider-
stand schiefe Lage gebracht wird, und befördert den
Kern, resp. die ganze Linse durch eine sanfte Tractions-
bewegung nach der Wunde.
Bemerkungen: Für die einfache Entleerung durch
das „Scblittenmanoenvre^^ eignen sich ausser den kernhaltigen
Staaren mit weicher Gorticaiis auch noch manche andere
Formen. Hierher rechne ich zunächst die zähen Cataracten
des mittleren Lebensalters mit weisslichem, aber noch nicht
scleromatös-gelblichem Kern; ferner die hinteren Corticaitril-
bungen, welche, aus unendlich vielen Punkten und Flecken
nächst der hinteren Kapsel bestehend, meist die übrige Linse
für unbestimmte Zeit durchsichtig lassen und doch das Sehver-
mögen im höchsten Grade stören. Diese Formen setzten mich
früher, wie vermuthlicb auch manche Fachgenossen hinsicht-
lich auf die Wahl des Operationsmodus, in grosse Verlegen-
heit um so mehr als sie ohne Zweifel mit krankhaften (wenn
auch keineswegs immer ophthalmoscopisch nachweisbaren) Zu-
ständen der inneren Angenhäute zusammenhängen und des-
halb operativen Eingriffen durchschnittlich weniger geneigt sind
als die gewöhnlichen Staarbildungen. Die derartigen Staare,
welche ich jüngst in der anempfohlenen Weise operirt, betrafen
allerdings Individuen in den Vierzigern oder Fünfzigern, bei
älteren wird man sich wohl des JHäkchens bedienen müssen,
doch kommen dieselben, wie mir scheint, vorwaltend in der
früheren und mittleren Lebensperiode vor. Auch anderweitige
schichtstaarähnliiche Trübungen, bei welchen eine interme-
32
diäi e Corticalschicht bereits gedrängte Trübungsstreifen zeigt
die Partieipiruug des Kerns aber iange eine sehr geringe
und der Verlauf ein unberechenbar langsamer bleibt, kom-
men hier zur Sprache. Der mangelnden Keroverhärtnng we-
gen schneidet bei diesen wie bei den letztangeführten Formen
Löffel und Haken leicht durch, während das obige Druckma-
noeuvre zum Ziel führt. Ich rathe indessen bei diesen For-
men die innere Wunde etwas weniger strict an die äusserste
Hornhautgrenze zu verlegen, weil die Disposition zum Glaskdr-
pervorfall erheblicher als gewöhnlich ist. Endlich empfehle ich
dasselbe Manoeuvre, nur mit einiger Beschränkung der Wunde,
fär die weichen Corticalstaare des jugendlichen Alters, indem
ich für dieselben, wie ich unten anflähren werde, der einfachen
Linearextraction abtrünnig geworden bin. — In den Fällen un-
reifer Staare, wo man die directe Linsenentbindung durch das
Schlittenmanoeuvre beabsichtigt, thut man gut, im dritten Act
nicht allein die Kapsel recht ergiebig und bis zum Aequator zu
öffnen, wie es oben bereits anempfohlen, sondern ausserdem in
der gemachten Kapselwunde die Corticalis mit dem Cystitom
einzuschneiden, wodurch sich die Substanz der Linse lockert
und verschiebbarer wird. Zuweilen kann es auch zur Vor-
bereitung jenes Druckmanoeuvres dienen, in die hintere Cor-
ticalis mit einem feinen, spatelartigen Instrument einzu-
gehen und dmch seitliche Verschiebungen desselben bitr
zu lockern. Doch hat dies auch gewisse Nachtheile, na-
mentlich die, dass die hinterste Lage der Corticalis abge-
löst wird. Den Haken in die hintere Corticalis einzufüliieii
und mit demselben — er schneidet hier durch — die LiiK>v
gewissermassen zu zerstückeln, kann ich nicht anrathen, da
sich alsdann statt des gesammten Linsenkörpei-s leicht die
einzelnen Abschnitte einstellen resp. deren zurückbleiben. —
Für gewisse Uebergangs - Consistenzen ist es nicht mög^licL.
sicher vorauszubestimmen , ob wir mit dem einfachen Druck-
manoeuvre rcussiren; wir können zwar die Dicke der weichen
Corticalmassen ziemlich genau, die Nachgiebigkeit und Com-
pressibilität des Kerns aber kaum annähernd vorausbestimraeu.
In solchen Fällen ist es oben anempfohlen worden, einen Vei^-
such mit dem einfachen Druckmauoeuvre zu machen, dert^lbe
33
darf aber Aber die vernünftige Grenze nicht fortgesetzt wer-
den; man rnnss bei der seitwärts gleitenden and namentlich bei
der ersten zorttckgleitenden Bewegung sofort die Einstellung
des Staars bemerken, eventnaliter abstehen. Eine, forcirte Stei-
gerung des Druckes straft sich sonst leicht durch Ruptur der
Zonula oder der tellerförmigen Grube. — Giebt der Versuch des
Druekmanoeuvre kein Resultat, so geht aus demselben nicht der
mindeste Nachtheil für das Auge hervor, im Gegentheil pflegt
derselbe eine Lockerung einzuleiten, welche das Hakenma-
noeuvre günstig vorbereitet Gelingt dagegen die Entbindung
des Staars in der vorgeschriebenen Weise, so fällt hiermit
die gesammte Verwundung der Operation und die Evacuatiou
der Linse vollständiger aus, als bei dem Gebrauch irgend
welchen Instrumentes. — Was die Hakenform anbetrifft, so
habe ich schon früher angedeutet, dass ich mich verschiede-
ner Modelle, jedoch nur ausnahmsweise scharfer Haken be-
diene. ~- Wichtig ist es, das Instrument in der Kapselwunde
wirklich so weit zurückzuziehen, dass der Kemrand beim Ein-
senken desselben frei umgangen werden kann, und nicht etwa
noch auf die vordere Fläche gewirkt wird. Gewahrt man das
mindeste Niederweichen des Staars, so muss man das Instrument
entschiedener als zuvor nach dem Aequator zurückziehen, ehe
man es einsenkt. War etwa eine harte Cataract durch die Cy-
stitomwirkuttg etwas nach der Wunde hinübergezogen, wodurch
die Umgehung des Kemrandes schwer oder unmöglich gewor-
den und war dies aus Versehen nicht, durch eine vorschiebende
Bewegung des Cystistoms sofort corrigirt worden, so muss die
Linse (am besten durch ein feines spitzes Häkchen) zunächst
wieder in die centrirte Lage zurflckgestossen und erst dann
der Haken introducirt werden. — Bei der weiteren Einfahrt
des Hakens gilt die aus der Löffeloperation bekannte Regel,
dass sich zwar die Fläche des Instrumentes möglichst innig
der hinteren Kemfläche anschliessen, aber |in keiner Weise
auf die linsentellung wirken soll. Gewahrt man bei der Be-
wegung des Instrumentes die geringste mitgetheilte Bewegung
an der Cataract, so muss der Griff mehr gehoben werden.
Auf der anderen Seite soll letzteres nicht in übertriebener
Archiv für Ophthalmologie. XL 8. 3
34
Weise geschehen, weil sonst das Hakenende anf die Wintere
Kapsel losstösst. Man mnss deshalb die Stellang des Staare
aufs Genaueste beobachten, und den Griff des Instrumentes
so weit gehoben halten, um eben nur den mitgetheilten Be-
wegungen voreubougen. — Ist eine ausreichende Schicht wei-
cher Corticalis vorhanden, so hat, wie schon mehrfach er-
wähnt, die Einfahrt des Hakens keine Schwierigkeiten; man
kann deshalb auch ziemlich dreist resp. rasch vorstossen,
wenn man nur die gebührende Richtung einhält. Fehlt
dagegen jene Schicht, so handelt es sich darum, gewisser-
massen die Kapsel von der hinteren Linsenperipberie abzu-
lösen oder sich zwischen beide einzudrängen. Dies erfordert
ein sehr allmähliges Vorgehen, wobei die obigen Fflhmngs-
regeln auf das Strikteste einzuhalten sind. Ich finde es hier
zuweilen förderlich, schon beim Vordringen seichte Rotirun-
gen des Instruments um die Längsaxe und zwar abwechselnd
in prouirendem und supiuirendem Sinne zu machen, um jene
Ablösung zu erleichtern. — So wie man die Ausfahrtsbewc-
gung mit dem Haken anfangt, ist darauf zu sehen, dass sich
der Linsenrand in die Wunde einstellt. Bleibt dies aas, so
kann man, da ja früher der Aequator sich bereits in der
nächsten Nachbarschaft befand, daraus schliessen, dass ein
anomaler Effect im Gange ist und muss sich, statt fortzu-
fahren, genau Orientiren. Es kann sein, dass der Ilaken
durchschneidet, was indessen bei scleromatösen Keinen nie
stattfindet und deshalb lediglich Folge einer ungenauen
Diagnose ist. In der Regel liegt dagegen der Uebelstand
darin, dass die Tractionslinie, welche das Instrument ein-
schlägt, dem Schwerpunkt des Staars zu wenig eotspricht,
weshalb der Staar nach einer Seite hin ausweicht. Wir ha-
ben bereits oben hervorgehoben, dass beim Haken ceteris
paribus ein weit genaueres Equilibriren als beim Löffel nö-
thig ist. Dieses Erforderniss schwindet nun freilich som
grössten Theil gegenüber den sehr geringen WiderstAndea,
welche die nach unserer Methode verrichtete Wunde dem
Linsenaustritt bietet War indessen an der Wunde eine ge-
ringe Anomalie, z. B. der nasale Wundwinkel nicht weil ge-
nug unter den Scleralbord verlegt oder war der Staar von nnge-
35
wohnlichem Diameter, z. B. ein überreifer, völlig harter Staar,
80 kommt noch immer ziemlich viel anf die Equilibrimng an.
Anfangs verfehlte ich es mehrmals dadurch, dass ich die
Einwirkung der Hakenbiegnng nicht ganz genau berück-
sichtigte. Es ist klar, dass wenn man das gebogene Instru-
ment längs des Hornhantdurchmessers einfahrt und dann zur
Ausfahrt rotirt, dass es alsdann nicht wie ein grades im Dia-
meter bleibt, sondern deviirt. Soll es bei der Ausfahrt im
Diameter liegen, so muss man für die Einfahrt eine Führungs-
linie wählen, die von dem Diameter circa um denselben Win-
kel abweicht, in welchen das Instrument gebogen ist. Ich
finde es am praktischsten, ehe man den Haken in die Wunde
führt, ihn der Aussenfläohe der Cornea so anzulegen, wie er
bei der Ausfahrt stehen soll, ihn dann durch Rotation umzu-
legen, dass er flach steht und die so gewonnene Richtung bei
der Einfahrt genau einzuhalten. Ist durch den einen oder den
anderen Fehler die Equilibrimng gestört, so soll man dies,
wie gesagt, sofort daran bemerken, dass die richtige Einstel-
lung des Staars in die Wunde ausbleibt. Eine Fortsetzung
der Traction in der falschen Richtung hat lediglich die Folge,
die Linse mehr und mehr seitlich abzutreiben und den Glas-
körper zu sprengen. Man soll vielmehr durch eine geeignete
Seitenbewegung dem Staar folgen, minimale Tractionsbewe-
gungen in der neuen Stellung versuchen und letztere erst
fortführen, wenn die Einstellung des Staars in die Wunde
ihnen antwortet. — Gelingt es nicht, das Versehen wieder
gut zu machen und die verschobene Linse in dieser Weise zu
bekommen, so greife man zu einem scharfen Häkchen, was
man von hinten einsehlägt, oder zu einem Löffel, wobei man
natürlich die Vortheile des Verfahrens theilwelse einbüsst
— Fliesst einmal Glaskörper, so nehme man am liebsten
einen sicheren Fasslöffel, für den ja nun freie Bahn ist und
den man natürlich in der Linie, in welcher die Linse abge-
wichen ist, einführt. — Ist bei normaler Entbindung mit dem
stumpfen Häkchen die Entwickelung so weit vorgerückt, dass
der Kern mit seinem Diameter zu Tage kommt, so ziehe man
den Haken mit gehobenem Griff so zurück, dass dessen
36
Ende sanft auf der Sclera schleift. Es genügt dies voUkom-
men znr Beendigung, da grössere Widerstände nicht mehr
existireu und ist ausserdem am gQnstigsten, um die Corticalis
möglichst vollständig nachfolgen zu lassen und dieselbe nicht
in der Wunde abzustreifen.
Act V. begreift die Reinigung dei* Pupille und die
Coaptirung der Wunde.
Sind nach der Entfernung des Linsenkerns Corti>
calmassen zurückgeblieben, wie es sich in der Mehrzahl
der Fälle ereignet, so evacuire man dieselben durch sanfte
Druck- und Streichmanoeuvre, welche man mittelbar durch
die Lider mit den Fingerkuppen ausführt und bei denen
man alle aus der Technik der Lappenextraction bekann-
ten Regeln beobachtet. Nur in AusnahmefiUlen gebe man
mit kleineren Fasslöfifeln in die Wunde ein, um einzelne
der Kapsel besonders adhärente Rindenklumpen zu ent-
fernen. Ganz feine. Kapselbeschläge lasse man, wquq de-
ren Entfernung Schwierigkeiten bietet, besser zurück, im
Uebrigen aber ist auf eine mögliest vollständige Entfer-
nung der Corticalis grosses Gewicht zu legen. — Schliess-
lich ist die Wunde von Irispigment und Blutcoagulis,
wenn solche an derselben haften, mittelst der Pincette
zu reinigen und der Conjunctivallappen in seine zu-
kömmliche Lage heraufisustreichen. —
Bemerkungen: Die Einwirkung von Corticalmassen,
welche im Auge verbleiben, ist in verschiedenen Staarformen
gewiss eine verschiedene, doch sind unsere Kenntnisse in
dieser Beziehung noch höchst läckenhaft. Besonders zu fllrch-
ten ist sie bei gewissen Formen überreifer Cataracten^ nächst-
dem aber auch bei den hinteren Corticalstaaren und schicht-
staarähnlichen Trübungen. Da wir deren Einfluss niemals
mit Sicherheit voransbestimmen können und da selbst im gün-
stigsten Falle das ZurOckbleiben gröberer Massen die Heilung
verzögert, so ist der Grundsatz einer möglichst sorgfältigen
Reinigung der Pupille gewiss gerechtfertigt Auf der anderen
Seite soll der Act der Entleerung nicht mit den Uebelständen
37
rerknfipft sein, die wir bei der Enifemiing des Kerns mit
allen Intentionen vermieden. Die wiederholte Einfahrung von
Löffeln, selbst wenn sie noeh so gewandt geführt werden, ist
von diesem Vorwurfe nicht (rei. Ich fürchte dabei weniger
die Reizung des Wnndcanals, obwohl sie nicht geradezu
bedeutungslos ist, als die Gegenwirkung der Instrumente ge-
gen die Zellenschicht der Kapsel und der Descemet'schen
Haut Ich thue deshalb mein Möglichstes, um mit einfachen
Druckmanoenvres auszukommen, was in der unendlichen Mehr-
zahl der Fälle gelingt Allenfalls warte man einige Bfinuten,
bis eine dflnne Schicht humor aqueus sich wieder eingefun-
den, reibe dann bei geschlossenen Lidern durch kreisförmige
Streichbewegungen die Corticalmassen aus dem Kapselfalze
gegen die Pupille zusammen und mache sie in dieser Art
fttr die Druckmanoeuvre mobil. Bei allem Gewicht, was
man auf die Entleerung der Corticalmassen legt, ist nicht
zu vergessen, dass dünne und durchbrochene Schichten in
der Regel keine nachtheiligen Zufälle und nur eine massige
Verzögerung der Heilung bedingen und dass man ihretwegen
die Manoeuvre nicht übertrieben verlängern oder sich gar
einer Glaskörperruptur aussetzen soll. Handelt es sich
dagegen um grössere Klumpen oder Schlacken, so rathe
ich allemal die Beseitigung und eignet sich, falls sie bei den
Drnckmanoeuvres gar keine Mobilität zeigen, für dieselben
am besten ein verkleinerter und nicht zu hochrändiger
Löffel. Besonders bei überreifen harten Cataracten bin ich
einigemal hierzu geflüchtet; die Austrocknung der Corticalis
resp. die enge Verbindung derselben mit der inneren Kapsel-
fläche bedingt hier die geringere Mobilität bei den Druckma-
neuvres. Bei unreifen Cataracten muss man das Pupillar-
gebiet recht genau, eventuell mit einem Vergrösserungsglase
durchmustern, um nicht durchsichtige Rindenmassen zu über-
sehen. — Ist Glaskörper ausgetreten, oder tritt er während der
Versuche, die Corticalis zu entleeren, aus, so ist die Entfer-
nung der letzteren weit schwieriger; dennoch soll man davon
nicht abstehen, sofern es sich um gröbere Rückbleibsel han-
delt Man fährt mit einem etwas grösseren Glaskörperver^
lost und gründlicher Rindenentleerung doch noch entschieden
38
besser, als mit einem kleineren und Hinterlassung von Oorth
calis. Nur fürchte ich die häufigere Introduction von Löffeln
in den gesprengten Glaskörper. Sie verschulden gar zu
leicht dicke Glaskörperopacitäten (entzündliche Trübungen
der Substanz), welche allerdings zuweilen zurückgehen | zu-
weilen aber auch eitrig werden und den Erfolg wesentlich in
Frage stellen. Am besten lässt man nach Glaskörperver-
lust das Auge etwas schliessen, reibt die Reste mittelbar
durch die Lider zusammen und lässt sie dann natürlich mit
einigem Glaskörper durch Fingerdruck oder das oben be-
schriebene Schlittenmanoeuvre austreten. Nur wenn dies
nicht gelingt, fllhre man einen breiteren Löffel ein, wo möglieh
aber nur ein Mal, nachdem man zuvor durch sanften Druck
und Reiben den Residuen eine möglichst geeignete Lage er-
theilt. — Liegt nach Ruptur der tellerförmigen Grube Glas-
körpersubstanz in der Wunde, so halte ich es nicht fUr nö-
thig, dieselbe mit der Scheere abzutragen, wie dies von eini-
gen bewährten Praktikern vorgeschrieben worden ist Ein
solches Verfahren könnte hier wie bei der Lappenextraction
vor der Hand nur dazu führen, neuen Glaskörper hervortre-
ten zu lassen und würde einen besseren Gontact der Wund-
ränder schliesslich nur auf Grund eines grösseren GoUapsus
bulbi beibringen. Letzteren suchen wir indessen, wenn mög-
lich zu vermeiden und so bleibt es denn weit räthlicher, die
Coaptirung der Wundränder nach Glaskörpervorfall lediglich
dem Druckverband zu überlassen. Unter demselben tritt in
der That sehr bald eine Abschnürung der prolabirten Sub-
stanz in der Wunde ein und es bleiben nur kleine schleim-
ähnliche Fäden als Educte der Gewebsmetamorphose zurück,
welche sich von selbst abstossen. — Anders verhält es sich
in gewissen Ausnahmefällen, wo kein Glaskörper aus dem
Auge hervortrat, aber die nugeborstene Hyaloidea sich gewölbt
in der Wunde zeigt, deren Spalt gewissermassen durch ihre
Einkeilung auseinander haltend. Bei der Lappenextraction
erheischt dieses Begebniss unbedingt die Punktion der Qlas-
haut, da es ohne diese zu keiner Abscbnflrung kommt und
die Wundheilung demnach sehr gef^rdet bleibt Bei unse-
rer Methode habe ich es nur ein Mal beobachtet und
89
den Zustand surttckgelMsen, fand mich aber nach einigen
Tagen veranlassti nachträglich zu pnnctireni weil die Wund-
rftnder sich nicht näherten. Ich komme auf den Fall, der
übrigens tadellos heilte, später znrflck« — Der Coiyancti-
yallappen lässt sich gut in die Höhe streichen; wenn er
auch momentan sich nicht immer genau der Episclera an-
schmiegt, 80 gleicht sich dies unter dem Druckverband und
der leichten congestiven Anspannung bald aus. Suturen ein-
zulegen, für welche sich der ergiebige Conjunctivallappen völlig
eignen wfirdei, fand ich deshalb keinen 6mnd und würde in
deren Gebrauch bei diesem Verfahren fiberwiegende Nach-
theile sehen.
Racksichtlich auf die Nachbehandlung kann ich mich
kurz fassen. Es wird der übliche Druckverband ange-
legt, das erste Mal f&nf bis sechs Stunden nach der Ope-
ration, nachher zwei Mal täglich (auch wohl ein Mal täg-
lich) erneuert. In Betreff des Lichtes gelten während
der ersten Tage die nach Augenoperationen üblichen
Vorsichten. Buhe ist zwar empfehlenswerth, jedoch nicht
mit der Strenge wie nach Lappenextraction. Nöthigen-
falls können die Patienten bereits .die ersten Tage aus-
ser dem Bett verbringen. In der Lebensweise ist alles
ztt gestatten, was nicht erhitzt oder Eaubewegungen ver-
anhisst — Vom zweiten Tage tröpfele ich (gewöhnlich
zwei Mal täglich) Atropin ein, besonders um Adhäsionen
der beiden Sphincterecken mit dem Kapselsack vorzubeu-
gen. Nur wo Gonjunctivalabsonderung präexistirend stark
war oder nach der Operation mehr hervortrat, verschiebe
ich diese Eintrftuflungen. Treten Zufille ein, so muss
eine vorsichtige (stets bei künstlichem Licht) aber doch
genaue Untersuchung entscheiden, ob sie von der Wunde,
der Hornhaut, der Iris oder den Kapselzellen ausgehen
und ist dann gegen dieselben nach den auch bei
anderen Operationen geltenden Regeln zu verfahren.
Im Allgemeinen beobachtet man indessen nur selten Ab-
weichungen von dem normalen Verlauf und werde ich
40
auf einiges Hierhergehöriges bei Angabe der bisherigen
Ergebnisse noch zurückkommen.
Ueble Zufälle wahrend der Operation.
Chlor oformnarcose.
Die Geschichte der üblen Zufalle, welche während
einer Operation eintreten, coincidirt zum grössten Theil
mit der Aufzählung der in der Technik begangenen Feh-
ler. Wir haben deshalb bei der detaillirten Beschreibung
des Verfahrens im vorigen Abschnitt schon das meiste hier-
her gehörige berührt. Nur zur Ergänzung und zur Re-
capitulation füge ich hier noch einige Bemerkungen hinzu.
Zeigt sich beim Einlegen des Sperrelevateurs oder
der Fixirpincette, dass der Patient sich sehr sträubt,
resp. die Lider gewaltsam zusammenpresst, so schreite
man nachträglich zur Anästhesirung. — Ist der Einstichs-
punkt beziehungsweise zum Homhautrande unrichtig ge-
wählt, das Messer aber bereits in die vordere Kammer
gedrungen, so ziehe man dasselbe aus und stehe einst-
weilen von der Operation ab. Die höchst unbedeutende
Wunde ist schleunigst verheilt und man kann in wenigen
Tagen die Operation wieder aufnehmen; war dagegen die
Spitze des Messers noch nicht in die vordere Kammer
gedrungen, so steht man begreiflicherweise nicht ab, son-
dern wählt nach Ausziehen des Instruments einen neuen
Einstichpunkt Fiel der Einstichpunkt zwar im richtigen
Abstand vom Homhautrand, aber zu hoch oder zu tief,
so kann dies unter strenger Beibehaltung der Wund-
grösse durch entsprechende Wahl des Ausstichspunktes
compeusirt werden, woraus kein anderer Nachtheil resul-
tirt, als dass das Golobom von der vorgeschriebenen Rich-
tung gerade nach oben etwas deviirt — Hat man die Mes-
serspitze einer falschen Gontrapunctionsstelle zugeführt, so
muss man dies unter allen Umständen bemerken, ehe jene
Spitze den Scleralbord durchdringt. Man darf alsdann
41
das Messer zurückziehen bis die Spitze wieder in der
vorderen Kammer frei ist, um sie dann der richtigen
Gontrapunctionsstelle zuzufahren. Diese Bewegung kann
hier sogar völlig ruhig ausgeführt werden, da bei der
Beschaffenheit des Messers auch im Zurückziehen nichtleicht
Kammerwasser ausfliesst, während man sie bei der Lappen-
extraction bekanntlich rasch und mit möglichst geringer Ex-
cursiou (des Zurückziebens) bewerkstelligen muss. — Einige
Schwierigkeit finden vielleicht Nachahmer des Verfahrens
die ersten Male bei der Beendung des Conjunctivallap-
pens. Dieselbe wird indessen ein für allemal überwun-
den, wenn man sich nach durchschnittenem Scleralbord
eine dreiste, sägende Messerführung nach vorn und unten
angewöhnt. Noch etwas genauer und mit Umgehung
jener Schwierigkeit Hesse sich die Form des Coiyuncti-
vallappens abmessen, wenn man ihn mit der Scheere be-
endete, doch halte ich kleinere Differenzen in demselben
nicht für wichtig und deshalb einen Instrumentenwechsel
für überflüssig. —
Störende Blutungen habe ich kaum beobachtet. Soll-
ten sie sich einstellen, so rathe ich das Auge einige Mi-
nuten zu schliessen, Charpie fest auf die Lider zu drük-
ken, alsdann die Wunde mittelst des Davijerschen Löffels
klaffen zu lassen und einen milden Druck auf die Aus-
senfläche der Cornea (mittelbar durch das Lid) auszuüben.
Es entleert sich das Blut bei der vorgeschriebenen
Schnittführung im Allgemeinen leicht nach aussen. —
Für alle Vorkommnisse im zweiten, dritten, vierten,
fünften Act hat die Operation vergleichsweise zu anderen
nichts Eigenthümliches. — Nur auf die Ursachen des
Glaskörpervorfalls will ich noch etwas genauer eingehen.
Derselbe wird verschuldet:
1) Direkt durch eine allzu periphere Anlegung der Wunde,
bei welcher sich neben dem Linsenrand die Zonula hervor-
wölbt Indirect kann überhaupt jede abnorme Beschaffen-
42
heit der Wunde zam GlaskörpervorMl disponiren, iadem
dadurch die Widerstände und die Bedingungen für Equi-
librirung des Staars sich ändern. Fällt z. B. die Con-
trapunction nicht peripherisch genug unter den Scleral-
bord, so bildet sich bei beginnender Ausfahrtsbewegung
hier ein Anstosspunkt, der zu einem Botationscentrum
wird. Bei dem erfolgenden (radformig) drehenden und
mühsameren Linsenaustritt werden nicht allein mehr Cor-
ticahnassen abgestreift, sondern die Linse drängt nach
einer Seite auf die äquatoriale Kapsel imd sprengt sie
leicht.
2) Durch Unvorsichtigkeit beim Abschneiden der
Iris, wenn man mit der einen Scheerenspitze oder mit
der Convexität zu nachdrficklich in Richtung der Zonula
wirkt
3) Besonders durch die Wirkung des Gystitoms bei
harten Cataracten. Drängt sich die Fliete in die festere
Linsensubstanz ein, was eben vermieden werden soll, so
resultiren bei jeder Yerrttckung des Instrumentes mit-
getheilte Bewegungen der Cataract, wobei die Zouula
gespannt und gar leicht zerrissen wird. Aber auch ab-
gesehen von dieser directen Beschädigung bleibt bei sol-
chem Verhalten leicht eine Dislocation der Linse zurück,
die sich dann während des vierten Actes straft. War die
Linse nach der Wundseite dislocirt, so findet der Haken
seinen Weg in die hintere Corticalis nichts er stösst von
vorn auf den zu umgehenden Hand und locomovirt die
Linse. War dagegen der Staar nach der gegenüberlie-
genden Seite verschoben, so fährt der Haken nur gar zu
leicht statt in die hintere Corticalis hinter die Kapsel
und eröffnet so das corpus vitreum. Die Mittel diesen
Uebelständen vorzubeugen, sind bereits oben angegeben.
4) Bei dem Schlittenmanoeuvre durch einen zu star-
ken Druck, mit welchem man die Einstellung des Lin-
senkörpers erzwingen will*
43
5) Bei der Hakenwirkong, theils dadurch, dass der
Haken direct die tellerförmige Grube verletzt (unrichtige
Führung) häufiger aber dadurch, dass die Linse ungleich-
massiger Widerstände wegen seitlich entgleitet und hier-
bei die aequatoriale oder hintere Kapsel aufplatzt Auch
hierüber, so wie über 4 ist oben gehandelt worden.
. 6) Durch präexistirende Zustände im Auge. Bei
chorioiditischen Processen mit Glaskörperleiden, welche
uicht gar selten den Ausgangspunkt von Cataracten bil-
den, ist die Zonula ohne Zweifel häufig gelockert oder
selbst partiell zerstört. Nur zuweilen verräth sich dies
durch Tremuliren der Cataract, zu dessen' Zustandekom-
men wahrscheinlich bereits eine Zerstörung der Zonula in
einem ausgedehnteren Bezirke erforderlich ist In anderen
Fällen wo jenes Zeichen vollkommen fehlt, kann es sich
ereignen, dass bereits beim Homhautschnitt und zwar
ohne dass dem Patienten oder dem Operateur irgend
etwas vorzuwerfen ist, Glaskörper austritt Hier müssen
wir offenbar eine präexistirende Durchlöcherung der Zo-
nula, vielleicht in ganz kleinen Bezirken annehmen. Ab-
gesehen von complicirenden Aderhaut- und Glaskörper-
leiden kann aber auch die Beschaffenheit des Staars
selbst eine Disposition zum Glaskörpervorfall durch Lok-
kerung der Zonula mit sich bringen. So ist es bei man-
chen überreifen geschrumpften Staaren, femer bei den
stationären hintern Corticalstaaren und bei gewissen
oben bereits erwähnten Schichtstaarähnlichen Linsen«*
trübungen.
7) Durch relativ starken (wenn auch noch physiolo-
gischen) intraocularen Druck, stärkeren Gegendruck des
Orbicularis auf die vordere Hemisphäre, der Augenmus-
keln auf die äquatoriale Zone oder des orbitalen Fett-
zellgewebes auf die hintere Hemisphäre des Bulbus. Bei
einem verhältnissmässig hervorstehenden Auge und prall
anschliessenden Lidern ist deshalb jene Disposition be-
44
kanntlich weit grösser als bei tiefer liegenden and schlaf-
fen Lidern.
8) Oftmals durch Aaslösung zu kr&ftigen willkfihrli-
eben Muskelcontractionen oder wie man theilweise mit
Unrecbt sagt: „durch ein unvernünftiges Verhalten sei-
tens des Patienten." Dass hier die Willenskraft durch
die obwaltende und individuell so verschiedene Reizbar-
keit grösstentheils gebunden ist, ist wohl verständlich.
Zum Theil bleibt es allerdings Sache des Operateurs, f&r die
hinsichtlich des Glaskörperaustritts besonders gefiihrlicheu
Operationsmomente sich geeignete Pausen zwischen den
Muskelcontractionen auszusuchen, indessen gelingt dies
unter gewissen Umstanden nur unvollkommen.
Analysiren wir in concreten Fällen die Ursachen des
Glaskörpervorblls, so ergiebt sich, dass sie meist com-
binirter Art sind. Eine zu peripherische Wunde (1)
hätte nicht zum Olaskörpervorfall geführt, wenn nicht
gleichzeitig Patient zu heftig gepresst hätte (8.) Ein
etwas zu starker Druck bei dem Schlittenmanoeuvre (4)
wäre desgleichen ungestraft vorübergegangen, wenn nicht
auf Grund der Staarform bereits ein anomales Verhalten
der Zonula präexistirt hätte (6) u. s. w. Im Allgemeinen
kann man annehmen, dass die willkührlichen Muskelcon-
tractionen immer einen Hauptfactor bilden, ohne dessen
Mitwirkung die meisten übrigen Ursachen ohne Effect
bleiben würden. Dass die Disposition zu Glaskörpervor-
fall bei der empfohlenen Lage der Wunde durchschnittlich
eine grössere ist, als bei Lanzenmesserschnitt, habe ich
bereits oben zugestanden. Auch darf nicht vergessen
werden, dass eine jede Operation nach oben das Auge
unter einen relativ höheren Druck setzt, indem die bei inten-
dirtem Lidschluss sich einfindende Contraction des rectus
superior durch eine Gegenwirkung der Fixirpincette über-
wunden werden muss. Hiernach wird besonders der
Wunsch hervortreten, bei unserem Verfahren den Ar
45
Glaskörpervarfall nachtheiligsteu Factor, die willkahrlichen
Muskelcontractionen, durch die Anästhesirung zu elimi-
niren.
Die Ansichten, welche die Fachgenossen über die
Gefahren und Uebelst&nde einer YoUst&ndigen Chloro-
formnarkose sich gebildet haben, werden darüber ent-
scheiden, ob sie die Anästhesirung durchg&ngig oder nur
bedingungsweise anwenden wollen. Selbstverständlich
können wir eine halbe Narkose, wie ich sie bei der
Schieloperation ausreichend finde, hier nicht brauchen.
Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob man dem Pa-
tienten lediglich den unangenehmen Eindruck einer an
seinem Auge verrichteten Operation ersparen oder die
Muskelthätigkeit vollkommen neutraiisiren will. Bei letz-
terer Intention kann uns ein Zustand, in dem wir den
Einfluss der Willenskraft verlieren ohne den Patienten
zu immobiiisiren nur unwillkommener sein, als ein völ-
liges Wachen. Ich selbst habe die Anästhesirung bis
jetzt nur in einer geringen Anzahl der Fälle (7 unter
69) angewendet, woraus hervorgeht, dass dieselbe jeden-
falls zum Gelingen nicht unbedingt nöthig ist, aber ich
zweifle, wie schon früher erwähnt, nicht daran, dass die
Zahl der Glaskörpervorfälle (bis jetzt 1 auf 7) mit einer
häufigeren Anästhesirung weit seltener werden würde.
Unter den sieben Chloroformirten befindet sich allerdings
auch ein Glaskörpervorfiedl verzeichnet, allein bei dem
acht und siebzigjährigen sehr gebrechlicJien Patienten
war eine völlige Betäubung nicht durchgesetzt worden.
Bis jetzt war es mein Gebrauch, lediglich timidc
Patienten oder solche, welche bei Einlegen der Fixations-
pincette über das Maass reagirten, zu betäuben. Leider
ist die Intensität der Muskelcontractionen, welche
auf Reizung der sensiblen Augratheile erfolgen, nicht
vorauszusehen. Das von Critchett empfohlene Mittel,
vorher den Conjunctivalsack mit der Fingerkuppe zu pal-
46
piren und hiernach die Reizbarkeit zu schätzen, mag
zwar einige Vermuthung erregen, sichert uns aber vor
Täuschungen nicht. Etwas mehr Sicherheit bekommen
wir beim Anlegen der Fixirpincette , allein bei Manchen
steigert sich die Reizbarkeit erst im Verlauf der Opera-
tion. Es wtirde deshalb am sichersten sein, Alle zu chlo-
roformiren, wenn wir von den Bedenken einer völligen
Narkose vollkommen absehen könnten. Ich selbst habe
unter mehr als 7000 Chloroformnarkosen (meist Schiel-
kranke und Lidoperationen) noch keinen Todesfall zu
beklagen, allein ich gestehe gern, dass kaum ein Vier*
theil der mit Chloroform Operirten völlig betäubt
d. h. reactionslos war, und dass ich von der Fortfüh-
rung der Narkose definitiv abstand, sowie irgend etwas
eintrat, was nur im Entferntesten Bangigkeit erregen
konnte. Wenn einem Chirurgen bei Operationen, deren
Schmerzhaftigkeit an der Grenze dessen steht, was wir
einem Mitmenschen zumuthen können, ungefähr unter
2000—3000 Anästhesirungen ein Unglücksfall passirt,
so mag er sein Gewissen im Hinblick auf die Summe der
den Andern ersparten Qualen beruhigen. Bei den Augen-
Operationen sind die Schmerzen so unbeträchtlich, dass
ein Mensch von mittlerer Willenskraft sie leicht erduldet
und doch bleiben die Gefahren einer vollständigen Nar-
kose dieselben.
Ich kann mich hiernach im Allgemeinen für Augen-
operationen nicht entschliessen, unter anderen Umstanden
zu Chloroformiren, als wenn
1) eine ganz leichte Betäubung oder richtiger An-
täubung, die ich als völlig ungefährlich ansehe, für die
Zwecke ausreicht (Scbieloperation, leichtere Lidopera-
tionen etc.);
2) wenn die Stimmung des Patienten so kleinmöthig
ist, dass er sich ohne Betäubung zur Operation nicht
47
entschliesst oder durch deo Gedankeu an dieselbe zu
sehr leidet;
3) wenn eine Anfhebung willkührlicher Muskelcon-^
tractionen die Operationszwecke ganz wesentlich fördert.
Unsere Operationsweise dürfte in der That Umstände
bieten, die nach 3 eine allgemeinere Anwendung der Be-
täubungsmittel indiciren. Allein es muss erst die Zu-
kunft entscheiden, ob zwischen den Endresultaten mit
und ohne Betäubung eine so entschiedene Differenz ob-
waltet, um sich ganz allgemeinhin fttr dieselbe auszu-
sprechen, und so mag denn einstweilen die bedingungs-
weise Anwendung der Narkose, wenn auch in etwas wei-
terem Umfange, als es von mir bisher eingehalten wurde,
berechtigt erscheinen.
Bisherige Ergebnisse des Verfahrens.
Wenn ich nunmehr zur Mittheilung der gewonnenen
Hcilungsresultate schreite, so geschieht dies keineswegs
in der Absicht, hieraus statistische Schlösse zu zie-
hen. Wer hätte nicht die Vorspiegelungen zerrinnen
sehen, mit welchen der Zufall uns täuscht, wenn wir
an einer kurzen Reihe günstiger Operationserfolge unsem
Blick weiden und in freudiger Hoffnung uns über die
schwankenden Schicksale des operativen Wirkens fast er-
haben glauben. Die Sturmperioden folgen, wie im Le-
ben, so auch hier der heitern Zeit und wir sinken gar
leicht aus unsem Luftschlössern in die bescheidenen
Räumlichkeiten zurück, deren Fenster nicht alle nach
der Glücksseite sehen. Nur auf grosse, ich möchte sa-
gen, auf massenhafte Zahlen lassen sich Durchschnitts-
verhältnisse gründen. Es ist mir ja wohl auch früher,
als ich lediglich der Lappenextraction huldigte, vorge-
kommen, fünfzehn oder selbst zwanzig Augen hinterein-
ander ohne nennenswerthe ZuftUe zu operiren und ein
Mal hatte ich sogar das Glück an Privatkranken fast ein
48
halbes Hundert ohne Verlust eines einzigen zu extrahi-
ren. Dann aber kamen wieder ünglücksperioden, so dass
sich das Gesammtverhältniss nicht anders als auf sie-
ben Procent Verluste (s. pag. 7.) herausstellte. Allein
wenn hiemach eine kleinere Anzahl von Operationen zu
statistischen Aufstellungen Ober die Operationserfolge
schlecht zu verwerthen ist, so kann sie im Falle sehr
grosser Ausschläge über den comparativen Werth von
Verfahrungsweisen entscheiden. Verlöre man z. B. bei
hundert Operationen nach einer Methode ein Auge, nach
einer andern sieben Augen, so würde man, ohne sich ein
statistisches Urtheil über die definitiven Erfolge einer
jeden zu erlauben, doch keinen Anstand nehmen, die er-
stere für die bessere zu erklären. Der Procentsatz der
verlorenen Augen würde sich nach Fortsetzung der
Versuche vielleicht nicht wie 1:7, verhalten, aber
aller Wahrscheinlichkeit nach niemals identisch aus-
fallen. Die mir zu Gebote stehende Reihe liefert
nun derartige Ausschläge, um nach gewissen Rich-
tungen hin mit guter Wahrscheinlichkeit schliessen zu
können. Hier zunächst die Thatsachen.
Ich verrichtete die Operation zuerst am 19. Mai die
ses Jahres an einer dreiundsechzigjährigen Frau, von da
ab bis zum heutigen Datum, Anfangs August, 69 Mal an
54 Individuen und zwar an sämmtlichen Staarkranken,
welche sich in der Klinik zur Operation präsentirten, mit
Ausnahme kindlicher Individuen oder Patienten mit trauma-
tischem Staar, wo Discision indicirt erschien. Die heisse
Sommerzeit, in welche hiernach die Operationen fast aus
schliesslich fallen, war f&r Lappenextraction durchschnitt-
lich unglücklicher als das übrige Jahr. Unter 11 Jahren,
über welche ich die Belege besitze, war nur in
zweien kein Unterschied nachzuweisen gewesen. Da*
zu kommt, dass in diesem Jahre schon während des Mais
eine volle Sommerhitze bestand und dass auch die Mo-
49
nate Juni und Jali angewöhnlich reich an excessiv heis-
sen Tagen waren. Ferner habe ich zu erwähnen, dass
unter jenen 69 Operationen nur 8 in den Privatzimmern
der Anstalt, 61 in den Hospitalsränmen ausgeführt wur-
den, während im Oesammt bei uns unter 7 Staarkranken
2 sich auf Privatzimmern, 5 im Hospital befinden. Es ist
nun wieder ein Ergebniss meiner Lappenextraetionssta.
tistik (s. pag. 7), dass die Operationen auf den Privat-
zimmei-n, vermuthlich wegen der kräftigeren Individuen,
vielleicht auch der besseren Luft*) wegen, bedeutend
günstiger ausfallen, als in den Hospitalsräumen.
Trotz dieser ungünstigen Momente habe ich unter
sämmtlichen operirten Augen einen vollen Nichterfolg
nicht zu beklagen. Es wurde kein Auge durch Eiterung
oder deletäre Iridocyclitis seiner Lichtempfindung be-
raubt, auch keins in einen Zustand versetzt, in welchem
der Erfolg einer späteren Nachoperation als unwahrschein-
lich hätte erklärt werden müssen („fast verloren").
Der schlechteste Ausgang betraf eine Frau von 59 Jah-
ren (Frau Sophie Beneke, am 12. Juni operirt), welche
nach völlig normalem Operationsact und bestmöglich von
Statten gehender Heilung am vierten Tage sich beim
Abnehmen des Verbandes einen Stoss mit der Finger-
kuppe gegen das Auge versetzte, worauf sofortiger
heftiger Schmerz und Thränen eintrat. Sechs Stun-
den später fand ich eine ausgeprägte Subconjuncti-
^) Bei dieser Gelegenheit ftthre ioh eine Beobachtung an, welche
Ttelleicfat für die Hospitalpratis weiter lu rerfolf^en wäre. In denje-
nigen KrankensXlen, wo entweder der Gnbikgehalt der Zimmer fUr die
Bettensnzahl nicht ger&nmig genug (unter 600 CubikfiiM pro Bett) oder
ans loealen (Gründen die Lüftung nnrollatändig war, ereignete es sich
fast constant, dass die Morgentemperaturen sämmtUoher Patienten um
einige Zehntheüe eines Centigrades höher waren, als die Abendtempera-
taren, während es sich sonst bekanntlich umgekehrt rerh< In eben
diesen Sälen kamen auch, wie mir schien, Terhältnissmfissig mehr on-
reine Heilungen Tor.
ArehiT fUr OphthAlnoIoflrie XI. 3. 4
50
valschwellung und einige AbsoDderung, als Vorläufer
einer eitrigen Wundinfiltration. Bei der Entlassong
der Patientin fünf Wochen nach der Operation war
die Cornea freilich völlig klar, aber es hatte sich durch
inducirte Iritis Pupillarverschlass gebildet. Quantitative
Lichtempfindung war präcis (in der Leuchtscheibe 1),
desgleichen die Projection nach allen Bichtungen ge-
läufig, auch konnte Patientin die Zahl der vorgehal-
tenen Hände angeben. Ich glaube deshalb, dass
die Aussicht für eine Nachoperation (Iridectomie und
später Kapseldilaceration) auch bei dieser Patientin
nicht übel ist und überlasse es den Lesern den
Casus, dessen vorläufiges Nichtgelingen die Operations-
weise nur indirect trifft, auszuschliessen oder mit-
zurechnen.
Dieser Patientin habe ich eine andere anzufügen, an
deren beiden Augen das Resultat sehr unrein war. Eli-
sabeth Keim, 37 Jahr, eine sehr abgemagerte, gebrech-
liche und zu Ohnmächten neigende Frau, präsentirte sich
mit zwei weichen Corticalstaaren, die nur Spuren einer
weisslichen Kembildung zeigten. Am 29. Mai wurde
das linke Auge operirt; es war eine der ersten Opera-
tionen, die ich nach dem fraglichen Verfahren ausführte
und ich glaubte damals noch irrigerweise für diese
weicheren Formen mit breiten stumpfen Haken manoeu-
vriren zu können. Ein derartiger Haken schnitt durch, des-
gleichen der nachher angewandte Cr itchett'sche Löffel,
es wurde erst jetzt (statt dass es von Anfang hätte
geschehen sollen), das sogenannte Schlittenmanoeuvre
angewandt, doch führte dasselbe, da die Linsentheile
stark auseinandergesprengt, vielleicht auch die hintere
Kapsel bereits verletzt war, zum Glaskörperaustritt.
Endlich gelang zwar die vollständige Entleerung der
Corticalis, jedoch erst nach dreimaliger Introduction
kleinerer Fasslöffel in den gesprengten Glaskörper. Die
51
höchst anomale 0:ieration strafte sich zwar nicht durch
irgend eine Abweichung des Wundprocesses, auch vor der
Hand nicht durch Iritis, aber durch eine mit seröser Sub-
conjuuctivalschwellung begleitete Glaskörperinfiltration.
Man sah bei schiefer Beleuchtung sehr leicht die gelblichen
Massen, welche den vorderen Glaskörperraum durchsetzten.
Anfangs war auch das Sehvermögen sehr herabgesetzt, so
dass noch nach zwei Wochen kaum Bewegung einer Hand
wahrgenommen wurde.*) Dann aber trat eine allmählige
Aufhellung des Glaskörpers ein, und würde vermuthlich
das Sehvermögen ziemlich befriedigend ausgefallen sein,
wenn nicht von der vierten Woche ab sich der Pupil-
larraum durch eine reactionslose inducirte (vom Glas-
Icörper aus) Iridophacitis mehr maskirt hätte. Sechs
Wochen nach der Operation zählte Patientin Finger auf
4^ Gonsistenz des Bulbus und Gesichtsfeld normal; die-
ses Sehvermögen entspricht den Trübungen in der Pu-
pille derart, dass von dem Glaskörperleiden vermuthlich
nur leichtere Residuen geblieben sind und von einer spä-
teren Nachoperation auch ein feineres Sehvermögen zu
erwarten steht. — Das rechte Auge wurde am 26. Juli
operirt, nachdem ich in dem Mechanismus des Verfahrens
bereits heimischer geworden war und trat die Cataract wäh-
rend des sofort angewandten Schlittenmanövers auf das
Leichteste und Vollständigste heraus. Die Operation
*) Auch die Projection für ein Torgehaltenes Licht war in diesem
FaUe anfanglich sehr verwischt, nach manchen Richtungen Tollig de-
fect. Dies beruht Termuthlich auf der ungewöhnlich starken Lichtdiffu-
6ion, welche solche Glaskörperinfiltrationen ausüben. Von einer temporären
Functionslosigkeit gewisser Netzhautbezirke scheint es nicht abzuhfingen,
da ich wenigstens in einigen analogen Fällen nach Verletzungen die Feuer-
kreise völlig normal fand. Bei Mitleidenschaft der Netzhaut, vom Glas-
körper aus, könnten füglich die inneren Lagen nicht frei bleiben und
es mfisste somit die Leitung auch für die Feuerkreise eine Unter-
brechung erleiden. Die Projections Verwirrung bei acuter Glaskörper-
infiltration ,ist zwar ein Zeichen von sehr ernster Bedeutung, schliesst
aber eine völlig günstige Rückbildung des Krankheitsprocesses nicht aus.
4*
52
konnte fttr eine Masteroperation gelten. Trotzdem
entwickelte sich eine recht lebhafte eitrige Iritis und
wenn auch auf diesem Auge die Umstände sich
günstiger als auf dem linken gestalteten, so wird doch
auch zur Ausbesserung des bis jetzt gröberen Seh-
vermögens — Patientin fing erst Ende der zweiten Woche
an Finger zu zählen — eine Nachoperation erforderlich
werden. In diesem Falle haben wir meines Erachtend
die allgemeinen Gesundheitsverhältnisse als Grund der
relativ schlechten Heilung anzuklagen, wie ich mich denn
in der That darüber wundere, dass erfahrene Fachgenossen
derartige Einflüsse noch immer in Zweifel ziehen *)
*) Wenn ich behaupte, dass decrepide Constitution einen Haupt-
grund der sohlechten Heilungen abgiebt, so sohliesse ich hierbei selbst-
yerständlich nicht aus, dass materielle Veränderungen in den GefUsseQ
und Geweben des Anges, riellcicht EigenthÜmlichkeiten des ßtaars
selbst Torliegen, welche znm giossen Theil die Mittelglieder zwischen
jener ursfichlichen Grundlage und den HeÜTOi^^ngen bilden. Allein
selbst wenn wir solche präeiistirenden (leider noch ungenau bekannten]
liokalTeründerungen bei marastischen Indiriduen als den schlechten
Boden ansehen wollen, in welchem die Heiltendenz wurzelt, so ist es
durch zahlreiche klinische Thatsachen ausser Zweifel gesetzt, dass
Krankheitsprocesse und demnach auch Wundprocesse auf der Horn-
haut, den Einflfissen des Stoffwechsels und der Innervation imterliegeD.
Dass sich die Einwirkung des Allgemeinbefindens eben auf gewisse
Operationen erstreckt und auf andere nicht, darf uns eben so wenig
in Staunen setzen, als dass die Heilung einer unbedeutenden Verletzung
an der K5rperoberflSche eine grössere Unabhängigkeit Tom Gesund-
heitszustande zeigt als die einer umfangreichen. Folgerecht ist es auch
Sache des Studiums, die operativen Eingriffe so abzuschwächen, dass
die Heilungen eine grossere Unabhängigkeit vom Allgemeinbefinden
erhalten. — Immer kommt man auf das Argument zurück, dass der
Einfluss des Allgemeinbefindens sich fuglich für beide Augen geltend
machen mfisste, wahrend doch gerade, bei supponirter marastiseher Ur-
sache, häufig die Heilung der Lappencztraction auf einem Auge mis-
glackt, auf dem andern vortrefflich gelingt. Was geht aus dieser nn-
leugbarrn Thatsache anders hervor, als der bekannte Satz, dass die
allgemeine Grundursache durch die Bethätigung localer Umstände
wach gerufen oder beschwichtigt wird. Abgesehen davon, dass die
Staarbildung auf beiden Augen selten gleiche Form und Phase zeigt,
sind ja marantische Veränderungen niemalt gleichmässig auf alle Or-
53
Der dritte Fall unreiner Heilung betrifft eine sieben-
undsechzigjährige äusserst kleinmüthige, an gastrischen
Störungen leidende Frau (van der Berg, operirt am
29. Mai). Der harte Staar war vollkommen rein bei der
ersten Traction mit dem Haken evacuirt worden. Es zeigte
sich — Patientin war cbloroformirt — ein ungewöhnlich
tiefer CoUapsus corneae und einige Haemorrhagie (ex
vacuo) in die vordere Kammer. Am zweiten Tage ent-
wickelte sich eine ziemlich starke (eitrig-gelbe) Trübung
in den inneren Hornhautlagen längs der künstlichen Pu-
pille und gleichzeitige Iritis. Nach Rückbildung des
Processes (Entlassung nach fünf Wochen) war die Horn-
haut völlig klar, die Pupille aber durch iritische Exsu-
dationen so weit verunreinigt, dass Patientin mit + 3V2
Finger nur auf 15' zählen und mit + 2 No. 15 (Jäger)
mühsam entziffern konnte. Obwohl noch eine allmählige
Abklärung zu erwarten steht, müsste vermuthlich zur
Erreichung eines guten Sehvermögens später eine Nach-
operation unternommen werden. Die Orientirung ist
übrigens völlig frei und glaube ich nicht, dass die ängst-
liche Patientin sich zu einem Weiteren entschliessen wird.
Endlich habe ich unter den entschieden unrein ge-
heilten Fällen einer sechsundvierzigjährigen Frau zu er-
wähnen (Caroline Merk er), welche an beiden Augen
am 19. Juni operirt ward. Die Staare waren weich, und
wie bei der Keim nur mit schwacher Andeutung einer
weisslichen Kembildung. Rechts versuchte ich zuerst
den Haken, welcher durchschnitt und ging dann sofort
zum Schlittenmanoevre über. Unter diesem entleerte
gane und auf beiden Kdrperhüliten Tertheilt; et Btimint mit meinen
Beobachtangen TÖilig fiberein, wenn man an dem Auge, wo Cataract
später auftritt, den geringeren Grad Ton Marasmus snpponirt. In der
That sind ceteris paribus die HeUungsTorgSnge auf diesem Auge weit
günstiger, als auf dem ersterkrankten, wie ich es bereits bei anderer
Gelegenheit herrorgehobcn habe.
54
sich zwar die Linse, doch war das Aasdrücken der
Corticalmassen ungewöhnlich mühsam und es wurde ein
kleines Fragment derselben, welches sich stark ver-
schoben hatte, zurückgelassen. Ich vermuthe, dass die
offenbar unzweckmässige Einführung des Hakens diese
Schwierigkeiten verschuldet hatte; denn links, wo die
Cataract völlig identisch aussah und wo sofort da^
Schlittenmanoeuvre angewandt ward, entleerte sich das
Totum der Cataract leicht und vollständig. Auf diesem
letzteren Auge trat auch eine völlig normale Heilung
ein; rechts dagegen entwickelte sich um das zurück-
gelassene Rindenfragment gelbliche Trübung des Kapsel-
epithels und circumscripte eitrige Iritis. Nach Rück-
bildung des Processes war zwar das Pupillargebiet gröss-
tentheils nur durch einen dünnhäutigen Nachstaar mas-
kirt, die Gene im Sehen indessen noch so gross, dass
man zur völligen Herstellung ohne Zweifel später eine
Nachoperation zu verrichten haben wird.
Dies wären in Summa die fünf Augen (an 4 Patien-
tinnen), an welchen das Resultat durch einen zweiten Ein-
griff ergänzt werden muss. Alle, mit Ausnahme des Auges
der erstgenannten Frau Beneke, genossen indessen be-
reits jetzt ein gröberes Sehvermögen.
Steigen wir nun die Stufenleiter von unten herauf,
den Verhältnissen des Sehvermögens folgend, so hätte
ich eines siebzigjährigen Patienten (Carl Zittelmann,
operirt am 26. Juni) zu erwähnen, bei welchem, vermuth-
lieh wegen nicht genauer Hakenführung, die Linse seitlich
auswich und dann mit dem Löffel unter gleichzeitigem
Glaskörpervorfall und mit Zurückbleiben von reichlicher
Corticalis, entfernt ward. Die Heilung schritt zwar völ-
lig normal vor sich, eine ganz leichte durch Blähung der
Corticalis bedingte Reizung ging in den ersten Wochen
vorüber, allein Patient war durch die Rindenreste und
leichte Kapselbeschläge bei seiner Entlassung noch so weit
55
genirt (liest nach Tier Wochen nur die mittleren Schrif-
ten), dass in meinem Journal eine spätere Kapseldiscision
als „möglicherweise indicirt^' notirt ist — Bei einem
achtundsechzigjährigen Israeliten (PoUakof, operirt
am 12. Juni) mit Mörgagni'schem Staar von mindestens
zehnjähriger Beife und mit tief liegenden Augen, wel-
cher trotz Anwendung des Chloroforms nicht betäuht
werden konnte und sich höchst ungeberdig benahm,
stürzte schon beim Abschneiden der Iris, während einer
tumultuarischen Bewegung Glaskörper hervor. Ich hätte
nun sofort nach Kapseleröfbung einen kleinen Tractions-
löffel nehmen sollen — wie es bei den glatten Kernen
der Morgagnrschen Staare vielleicht überhaupt räthlich
bleibt (siehe oben) — statt dessen wurde noch ein Ver-
such mit dem stumpfen Haken gemacht, der Kern schlug
seitlich um und ward nun erst mit dem nach der Seite
bin wirkenden Löffel, der in den gesprengten Glaskörper
eingeführt ward, entfernt. Es resultirte ohne alle äusseren
Beactionserscheinungen eine ziemlich dichte gelbliche, bei
Focalbeleuchtung gut zu controlirende Infiltration des vor-
deren Glaskörperabschnitts, welche mir anfilnglich durch
ihren Einfluss auf das Sehvermögen grosse Besorgniss
erregte. Am Ende der ersten Woche blieb Patient bereits
bei Leuchtscheibe 16 aus und die Projection für ein Licht
war höchst unsicher. Allein es trat eine progressive
Lichtung ein, nach sechs Wochen war Gesichtsfeld normal
und es wurde Schrift No. II auf 4" gelesen. Der Augen-
spiegel zeigte noch ziemlieh zahlreiche flottirende Glas-
körperopacitäten, welche hoffentlich grösstentheils ver-
schwinden werden. Inzwischen dQrfte doch vielleicht das
endliche Besultat durch Besiduen der Glaskörperinfiltra-
tion unter der gewünschten Sehschärfe zurückbleiben und
wollen wir, um völlig gewissenhaft zu sein, dieses Auge
wie das des Zittelmann den unreinen Heilungen zu-
rechnen.
56
Bei allen übrigen 62 Augen war das Operations-
ergebniss als völlig befriedigend zu bezeichnen. Zweimal
erreichte allerdings die Sehscharfe nidit einmal \u, je-
doch auf Grund präexistirender und vorher diagnosüdr-
ter Complicaüonen, das eine Mal (bei der siebzigjähiigen
Patientin Auguste Zwicker) wegen sehr umfimgrei-
eher Aderhautatrophieen im Centrum des Augenhinter-
grundes, das andere Mal (bei dem dreissigjährigen (Kol-
legen Rieh.) wegen eines alten Glasskörperleidens. —
Genauere Angaben ttber die Sehsch&rfe in den ein-
zelnen Fällen zu machen, halte ich deshalb für wenig
förderlich, weil viele Patienten bereits nach vierzehn
Tagen Berlin verliessen und sich noch täglich besserten.
Bei der Entlassung variirte S zwischen */io und V«
nach dem Alter der Patienten oder der mehr oder min-
der vorgerückten Abklärung der inneren Kapselfläche.
Die schlechteren Sehschärfen, unter 'A, deren übrigens
wenige waren, betrafen alle Patienten, die noch in rapid
progressiver Besserung sich befanden und es ist dem-
nach anzunehmen, dass sämmtliche Augen zum geläu-
figen Lesen feinerer Schrift kommen, wenn nicht etwa
eine Neubildung glasshäutiger Substanz und hiermit spä-
ter die Indication zur Kapseldisdsion eintritt — eine
Eventualität, welche wir niemals ausschliessen können,
obwohl wir bei der üblichen Zählungsweise, bald nach
der Operation, wie sie auch meinen Angaben über
Lappenschnitt und AuslöfFlung zu Grunde liegt, von
derselben absehen.
Das Gesammtresultat wäre Folgendes: zweiund-
sechzig Mal ein vollkommenes, sieben Mal ein unvoll-
kommenes Resultat, in keinem Falle ein völliger Nicht-
erfolg.
Unter den sieben unvollkommenen Resultaten ge-
nossen sechs Augen bereits ein gröberes Sehvermögen,
57
welches möglicherweise in zweien sich von selbst in ein
feineres umwandeln, vier Mal zu diesem Zwecke einer
Nachoperation bedürfen wird, in dem siebenten ist vor
der Hand nur der geringste Grad qualitativer Wahrneh-
mung, aber ebenfalls günstige Bedingungen für eine spä-
tere Nachoperation erhalten worden. In diesem Falle
trug eine Verwundung seitens des Patienten, in vier an-
dern ein anomaler Operationsact die Schuld, zweimal
musste der Grund in dem Gesundheitszustande der Pa-
tienten gesucht werden«
Auch in zehn der gelungenen Fälle ward ein ano-
maler Operationsact (GlaskörpervorEsül, sehr mühsame
oder unvollkommene Entfernung der Corticalis) notirt,
woraus hervorgeht, dass derselbe sich unter vierzehn
Malen nur vier Mal durch ein unvollkommneres Besultat
strafte. Auffallend ungünstige Umstände in der Consti-
tution wurden im Ganzen vierzehn Mal notirt und würde
dies, da nur zwei dieser Fälle unter die sieben unvoll-
kommenen Erfolge fallen, relativ zur Lappenextraction
für eine geringere Abhängigkeit der Heilung vom all-
gemeinen Gesundheitszustande*) argumentiren.
Vergleichen wir diese Ergebnisse mit denen der
Löffelextraction — unter 118 Operationen sieben völlig
verIorene,vierfast verlorene Augen und ausserdem achtund-
zwanzig halbe Erfolge, welche vermuthlich Nachoperationen
erheischen — so erscheint mir der Ausschlag ein so ent-
schieden günstiger, dass wir uns ohne Bedenken für das
neue Verfahren aussprechen dürfen. Ich ziehe den Schluss
*) Sprechen wir nicht Ton den Angen, sondern Ton den Individuen,
80 wnrden im Oansen anter 54 an 6 anroUkommenes Beinltat beob-
achtet ('/»); bei 14, deren Oeenndheituiittand ^breehUch war, 2 mal
('/}). — Bei der Lappenextraction lautet daa betreffende Ve^hfiltniaa statt
7 : 9 ungeflihr 1 : 2, indem im aUgemeinen defectiTC Resultate in 17 Proc
der FaUe, dagegen in 83 Proc. derjenigen eintraten, welche Tor der
Operation als „auflaUend gebrechlich" notirt waren.
68
deshalb ä plus forte raison, weil die LöfFelextracüoDen
alle in die günstigen Jahreszeiten und die nach dem
fraglichen Verfahren ausgeführten Operationen in die qo-
günstigen hineinfallen, weil ferner erstere in relativ grosser
Quote (Va)i letztere nur in sehr geringer Quote (V») auf
den Privatzimmern vollzogen wurden.
Was mich ziemlich früh in dieser Angelegenheit zu
einer Ueberzeugung brachte, war weniger das Ausbleiben
gänzlicher Nichterfolge, als die Art und Weise, in wel-
cher für gewöhnlich die Heilung vor sich ging. Ich habe
bereits im Eingange dieser Abhandlung hervorgehoben,
dass nach Löffelextraction bei genauer Beobachtung in
den ersten Tagen, resp. ei*sten Wochen erhebliche Wu-
cherungen des Kapselepithels, nicht selten auch der tieferen
Hornhautlagen und des P^pithels der Descemetschen Haut
zum Vorschein kommen. Erstere fallen besonders in die
Wagschale: man gewahrt eine gelblich-graue Trübungs-
schicht in der Ebene der Kapsel, welche die gemachten Lük-
ken verstreicht. Nur Fälle wo eine reichliche Schicht weicher
Corticalis vorhanden war, machen eine Ausnahme. Jene
Wucherungen können nun freilich so zurückgehen, d^s
freie Interstitien zu Stande kommen — dann erhält man
einen vollen Erfolg — sehr häufig aber geben sie die
Grundlage für eine Kapselstaarbildung, indem die Ver-
legung der Lücken eine bleibende wird. Es sind ferner
diese Wucherungen, welche bei ungünstiger Heiltendeoz
in eine, für die Nachbarschaft, selbst f&r die Wundregion
mehr oder weniger infectiöse Eitermasse verfallen und
sodann völlige Nichterfolge bedingen können, wenn auch
die letzteren anderentheils (bei der nicht mehr gerin-
gen Lappeuhöhe) wie bei der Lappenextraction direct voi:
Eiterung in dem Wundcanal ausgehen mögen. Beob-
achtet man im Vergleich hierzu die nach dem empfoh-
lenen Verfahren Operirten, so gewahrt man nur eine sehr
geringe Trübungsschicht in der Pupillarebene und con-
59
statirt ein weit befriedigenderes Freibleiben der in der
Kapsel entstandenen Lücken. Hieraus begreift sich er-
stens, dass es weit seltener zur Nachstaarbildung kommt,
zweitens, dass selbst bei ungünstiger Heiltendenz die Zel-
lenproliferation weniger leicht bis zur infectiösen Eite-
rungsphase culminirt und drittens, dass das Sehvermö-
gen viel rascher an Schärfe gewinnt. Selbst die eifrig-
sten Vertheidiger der Löffelextraction werden (für harte
Staare) zugeben müssen, dass die Sehschärfe meist erst
in der dritten und vierten Woche leidlich befriedigend
wird, denn erst dann klingen günstigen Falls jene Irri-
tationsvorgänge ab, deren Producte die Eapsellücken ver-
legen. Hiermit steht auch die durchschnittliche Dauer
des Hospitalaufenthaltes in Verbindung. Für die Löfifel-
extraction habe ich dieselbe (unter unsern atmosphärischen
Verhältnissen) auf achtzehn Tage angegeben, ich glaube,
dass sie sich bei dem empfohlenen Verfahren auf zehn
bis zwölf Tage stellen wird, werde aber genauere Anga-
ben hierüber später auf Basis grösserer Zahlen machen.
Zur Erklärung dieser erfreulichen Dififercnzen brauche
ich nur an die Eingangsthesis zu erinnern, dass der Lin-
senaustritt leichter ist und die contusionirende Wirkung
seitens der Instrumente vermieden wird.
Ueber die Vorgänge der Heilung habe ich wenig
hinzuzufügen. Eine leichte Schwellung und Vascularisa-
tion des Conjunctivallappens verschwindet in wenigen
Tagen und markirt sich überhaupt häufig nur schwach.
Die Anheilung der Conjunctiva geschieht (wie bei allen
Conjunctivaloperationen) zunächst durch adhäsive Verbin-
dung der Subconjunctivalfläche mit der Episclera; diese ist
es auch, welche so zu sagen in der frühesten Heilungs-
periode die Sciero-cornealwunde schützt. Von wenig Be-
lang ist die indirecte Verbindung der conjunctivalen
Wundränder, welche erst später durch eine feine Granu-
lationschicht geschieht, die zur Neubildung einer dünnen
60
Bindegewebslage führt. Eine cystoide Vemarbung habe
ich bis jetzt hier nie gesehen, obwohl der ganze Schnitt
in den Scleralbord fällt und spricht dies gewiss dafar,
dass eine solche bei Glaucom nicht der peripheren Wund-
läge allein, sondern im Wesentlichen der Wirkung
eines höheren Augendruckes zuzuschreiben ist. Dagegen
habe ich in wenigen Fällen eine massige Anschwellung
des Scleralbords (durch die coi^junctiva violett durch-
schimmernd) constatirt, welche sich innerhalb der ersten
Wochen spurlos zurückbildete. — Die Hornhautreaction
fällt meist äusserst gering aus, so dass mau nur bei sorg-
fältiger Prüfung in den ersten Tagen einen graulichen
Hauch in dem der Wunde benachbarten Bereiche, etwa
wie nach den meisten Iridectomieen, beobachtet. In an-
dern Fällen, wie mir scheint besonders nach vorangegange-
nem CoUapsus corneae, sieht man in der oberen Homhaut-
hälfte graue, bei Focalbeleuchtung schwach ins gelbliche
spielende etwa Vs Mm. breite, meist radiär verlaufende
Streifen, vorwaltend in den äusseren Lagen, welche ich
für ausgedehnte und mit trüber Masse gefüllte plasma-
tische Canäle (Tubes)halte. Deren Auftreten, welches nur von
sehr geringen oder gar keinen Irritationsphänomeneu be-
gleitet ist, und welches man nach Glaucomoperationeu
ebenfalls häufig constatirt, fällt schon in die ersten
12 Stunden nach der Operation, erreicht in der Regel
am zweiten und dritten Tage seine Höhe, verschwindet
aber innerhalb der ersten Woche. Entzündliche In-
filtrate im gewöhnlichen Sinne gehören nach normalem
Operationsverlauf bereits zu den Seltenheiten; in Sonder-
heit besinne ich mich die opaceren in's Gelbliche spie-
lenden Trübungen nächst der inneren Homhautfläche,
vorwaltend der künstlichen Pupille gegenüber, welche
nach der Löffeloperation nicht gar selten zur Beobach-
tung kommen, nur in zwei Fällen eines anomalen Ope-
rationsactes wahrgenommen zu haben. Diese Trübungen
61
sind übrigens, wenn sie sich abgrenzen, noch ziemlich
benigner Natur, da sie sich trotz ihres saturirten Anse-
hens und etwaigm Anschluss kleiner Hypopyen allmäh-
lig aufhellen.
War der Operationsakt von den Vorschriften oder
Desideraten wesentlich abweichend, so wird man begreif-
licherweise sich auch auf entsprechende Abweichungen
des Heilvorganges gefasst machen müssen. Schon wenn
die Entleerung der Corticalis durch äussere Druckma-
noeuvres sehr mühsam von Statten geht, wie es besonders
bei gewissen Formen überreifer Catarakten sich ereignet,
zeigt sich eine grössere Tendenz zu Kapselzellenwuche-
rungen und auch eine stärkere entzündliche Anhauchung
der Cornea nächst der Wunde als sonst. Noch mehr
tritt dies hervor, wenn zur Entleerung einzelner Corti-
calisklumpen kleinere Löffel eingeführt wurden. — Zu-
rückgelassen wurden gröbere Corticalfragmente in sieben
Fällen, von diesen kommen zwei unter die unvollkom-
menen Erfolge; bei dem einen ist es allerdings unsicher,
ob jener Umstand oder der gleichzeitige Glaskörperaus-
fluss die Schuld trägt.
Die Bedeutung des Glaskörpervorfalls für den Ver-
lauf ist wesentlich verschieden, je nachdem derselbe den
Austritt der letzten Linsentheile begleitet oder bei noch
unvollkommen entleerter Corticalis oder gar vor Austritt
des Linsenkerns stattfindet. Im ersteren Falle dürfte die
Prognose nur sehr unerheblich leiden, es müsste denn
ein massenhaftes Vorstürzen mit Gefahr innerer Blutung
stattgehabt haben. Unter den zehn Glaskörpervorfällen
ereignete es sich vier Mal in dieser Weise; diese Fälle heil-
ten Alle günstig, in zweien waren 4 Wochen nach der
Operation noch leichte streifige Trübungen im Glaskör-
per nachweisbar, die jedoch zusehends zurückgingen und
der Sehschärfe wenig Eintracht thaten. — Ereignet sich
der Vorfall mit Hinterlassung von Corticalis, so ist er
62
schon bedenklicher, indem er die nachträgliche Entleerung
der Corticalis erschwert resp. unmöglich macht Zuwei-
len kommt man mit Geduld und Umsicht durch einfache
Druckmanoeuvres (siehe oben) zu Ende und dann wird der
Verlauf ebenfalls wenig beeinflusst werden. Allein in anderen
Fällen scheitern diese Manoeuvres und mau befindet sich in
dem Dilemma entweder Rindenfragmente zurückzulassen
oder mit Fasslöffeln in den aufgebrochenen Glaskörper-
raum einzugehen. Beides hat, wie bereits oben erwähnt,
grosse Nachtheile. Ist überhaupt Zurückbleiben von
Corticalfragmenten etwas unangenehmes, so ist namentlich
die Mischung derselben mit Glaskörpermasse ein Uebel-
stand. Die zerfallende Rinde wirkt entschieden reizend
auf die Gewebssubstanz des Glaskörpers und fordert de-
ren entzündliche Trübung. Entfernen wir die Residuen
mit dem Löffel, so gilt ein Gleiches von der Einwirkung
der Instrumente auf die Glaskörpersubstanz. Unter
beiden Umständen ist demnach die Disposition zu Glas-
körperinfiltrationen grösser, als nach einfachem Prolap-
sus. Der erwähnte Fall ereignete sich drei Mal und
zwar trat einmal Glaskörper mit dem Linsenkern unter
Hinterlassung von Corticalis, zweimal dagegen erst im
fünften Act aus. Jener erste Fall (Zittelmann) befindet
sich unter den unvollkommenen Erfolgen, die andern
zwei heilten freilich mit guter S., doch waren in einem
derselben noch nach sechs Wochen nicht unbeträchtliche
flottirende Glaskörperstreifen nachweisbar. — Vollends
bedeutungsvoll ist der Glaskörpervorfall, wenn er in den
früheren Acten der Operation vor Entfernung des Lin-
senkems eintritt. Die Instrumente, die man alsdann
braucht, seien es scharfe Häkchen oder grössere Fass-
löffel, bewegen sich in dem aufgebrochenen Glaskörper-
raume und es steigern sich die eben berührten Gefahren
noch dadurch, dass diese Instrumente bei eingeti*etener
Verschiebung der Linse in vermehrtem Maasse contusio-
63
nirend auf die hintere Irisfläche wirken und dass gröbere
Corticalfragmente hinter die Iris entweichen. Diese Um-
stände legen die Befärchtung dickerer, zur Eiterinfiltra-
tion tendirender GlaskörpertrObungen hier besonders
nahe. Ein derartiges Ereigniss ward im Ganzen drei
Mal notirt. Nur der eine von diesen Fällen führte zu
einem vollen Resultat, zeigte aber in vier Wochen noch
leichte GlaskörperopacitSten. Die beiden andern sind
unter den unvollkommenen Resultaten (linkes Auge der
Frau Keim und Pollakoff) namhaft gemacht und deren
Verlauf kurz geschildert worden.
Rückblicke auf einige Umstände in dem Ver-
fahren — etwaige Modifikationen desselben.
Wenn ich auch bei der Schnittfilhrung von dem Prin-
cip einer möglichst linearen Wunde ausgegangen bin, so
hat doch der Modus, zu welchem ich hierbei gelangt
bin, zugleich eine sehr periphere Lage derselben mit
sich gebracht. Nicht blos die äussere Strecke des Wund-
canals, sondern fast der gesammte Canal, mit Ausnahme
seiner innersten Partie, fällt in das Scleralbereich (siehe
Figur IV). Ich stimme nun Jacobson vollständig bei
und anerkenne es als ein entschiedenes Verdienst dessel-
ben, für die Extractionslehre zuerst verwerthet zu haben,
dass den peripheren Wunden ein ungefährlicherer Character
zukommt, als den in die Hornhautcontinuität fallenden.
Wir können diesen Satz in der That durch die Klinik
der Verwundungen und Operationen deutlich verfolgen.
Besonders sehen wir einen willkommenen Torpor in den
Wundprocessen, d. h. eine geringe Disposition zu tumul-
tuarischer und für die Nachbarschaft contagiöser Zellen-
proliferation, da hervortreten, wo die Wunde vorwaltend
in den Scleralbord fällt. Es kann hier lange Zeit ein
völliges Abstehen der Wundränder von einander statt-
finden, ohne dass sich irgend ein lebhafter Wucherungs-
64
process anschliesst Beispielsweise will ich einen Fall
citiren, auf welchen ich schon in Verlauf dieser Abhand-
lung anspielte.
Herr Behrend, 64 Jahr alt, ward rechterseits ope-
rirt Entbindung der gesammten Linse ging leicht und
normal, allein nach der Operation bemerkte ich, dass der
Conjunctivallappen längs der Wunde etwas gewölbt war,
und constatirte bei Lüftung desselben, dass die Wund-
ränder im Scleralbord circa 1 mm. auseinander standen,
und dass die Hyaloidea selbst sich in diesem Spalt mit
einer halbcylindrischen Fläche hervorbuchtete. Dazu
fühlte sich das Auge relativ gespannter an, als sonst
nach beendetem Operationsact. Den gewöhnlichen Re-
geln zu Folge hätte ich die Hyaloidea punctiren müssen,
um eine Abschnürung des sich hervordrängenden Glas-
körpers und hierdurch einen besseren Wundcontact zu
ermöglichen. Allein theils weil ich fürchtete, es könne
bei der relativ starken Spannung des Auges Glaskörper
tumultuarisch herausstürzen, theils experimenti causa
liess ich die Sache in Status quo, und legte einen Com-
pressivverband an. In den nächsten Tagen hatte ich nur
zu constatiren, dass der Conjunctivallappen, welcher sich
fQr gewöhnlich vollkommen glatt über die Wunde lagert
und dieselbe verdeckt, hier durch die andrängende Hya-
loydea abgehalten und nach der Hornhautgrenze zusam-
mengeschoben war, dass aber die Wunde selbst voll-
kommen inert blieb, und jedwede Reaction mangelte.
Ich hätte vielleicht die Sachlage noch länger unverändert
gelassen, allein es nahm der Abstand derWundränder
eher etwas zu und so wurde es deutlich, dass hier eine
Heilung nur durch spontane Ruptur der Hyaloidea oder
durch eine ziemlich extensive und gewiss sehr langsame
Neudildung seitens der scleralen Wundränder zu Stande
kommen könne. Deshalb entschloss ich mich am vierten
Tage eine kleine Function der Hyaloidea zu machen,
65
was nun auch ohne jedes Bedenken geschehen konnte,
denn es hatte das Auge sich inzwischen von dem ope-
rativen Eingriff völlig erholt und war von seiner über-
triebenen, vermuthlich durch vorübergehende Erregung
der Gefassnerven bedingten Spannung grösstentheils zu-
rückgekonunen. Einige Tropfen Glaskörperflüssigkeit
flössen sanft aus und die Heilung ging vortrefflich von
Statten, so dass Patient nach zwei Wochen mit S. mehr
als 'A entlassen werden konnte.
An die geringe Reaction der Wundrander bei so
peripherischer Lage schliessen sich auch die relativ ge-
ringen Reizungen der benachbarten Hornhaut, der Iris
und der Kapselzellen wenigstens insofern an, als sie von
dem Wundcanal inducirt werden.
Nächst der peripherischen Lage komme ich hier
noch einmal auf die subconjunctivale Beschaffenheit
der Wunde zurück. Bekanntlich ist von Desmarres
für die gewöhnliche Lappenextraction die Bildung eines
Conjunctivallappens zuerst empfohlen worden. Dem Prin-
cipe dieser Empfehlung kann ich nur beistimmen, allein
ich glaube, dass für die in üblicher Weise vollführte
Lappenextraction dasselbe nur in einer unvollkommenen
Weise realisirt werden kann. Es ist in der That dort
nichts anderes möglich, als einen . ziemlich spitzen und
. schmalen Zipfel entsprechend dem Lappenscheitel zu bil-
den, und auch dies hat unter Umstanden seine Schwierig-
keiten, wenn man sonst nicht die Schnittform beeinträch-
tigen will Ein derartiger Zipfel kann nur einen geringen
Theil der Wunde bedecken, ausserdem wird die inten-
tionirte rasche Verklebung der Subconjunctivalfläche und
der Episcleralfläche mit der schmalen Lappenform, welche
zur Retraction und Aufrollung disponirt, unsicher. Bei
der Jacobson' sehen Operationsweise spielt der Con-
junctivallappen bereits eine grössere obwohl nicht con-
staute Rolle. In einer voUkommneren Weise macht sich
ArcbiT fttr OpbthAlmologie. XI. S. 5
66
meines Erachtens das subcoigunctivale Princip bei dem
beschriebenen Ver&hren geltend. Die conjunctiyale
Deckung hat hier keineswegs die Form eines sich nach
der Spitze verjüngenden Lappens, sondern einer von unten
über die Wunde sich hinüberziehenden Schutzdecke, deren
Breite die der Wunde noch bedeutend übertrifft Sowie
in den ersten Stunden nach der Operation eine leichte
vasculäre und seröse Schwellung der betreffenden Con-
junctivalpartie entsteht, so wird jene Decke durch die
sanfte Spannung, welche sich in den seitlichen Brücken
unterhalb der Wundwinkel entwickelt, auf dem episcle-
ralen Lager ausgestreckt Wir bemerkten diese Aus*
glättung und Anlagerung in einer höchst befriedigenden
Weise, selbst da wo unmittelbar nach der Operation die
Partie sich aufzurollen schien. Kommt zu dieser
seitlichen Ausstreckung noch die Wirkung des Druck-
verbandes hinzu, so sind in der That alle Bedingungen
vereinigt, um eine rasche adhäsive Vereinigung der un-
tern Oonjunctivalfläche mit der Episclera herbeizuführen
und so den HeUungsvorgängen in der Sclerocornealwunde
alle günstigen Attribute eines Subconj unctivalprocesses
zu ertheilen. — Wir müssen hierin nächst der linearen
Beschaffenheit und peripheren Lage der Wunde einen
bemerkenswerthen Yortheil der Schnittführung erblicken.
Dass die nach oben angelegten Golobome bei Staar-
Operation vor den in die offene Lidspalte fallenden die
wesentlichsten Vortheile bieten, ist in der Litteratur zur
Genüge erörtert worden. Allein wenn ich auch die Vor-
züge für so entschieden halte, um ihretwegen die ganze
Operation in der relativ unbequemen Richtung nach oben
zu vollführen, so kann ich deshalb doch nicht zugeben,
dass die Nachtheile der Irisexcision nach oben com*
parativ zu einer normalen centriiten Pupille = 0 seien.
Einmal fällt auch bei einem nicht allzu breiten Colobom,
wenn die Lider weit geöffnet werden, ein Abschnitt der
67
künstlichen Pupille in die Lidspalte und verschuldet so-
mit theilweise die optischen Uebelstände, die wir über-
haupt einer Pupillarvergrösserung bei aphacischen Augen
zuschreiben. Sodann aber müssen wir, um auch die
Schattenseiten unseres Verfahrens nicht zu bemänteln,
einräumen, dass sich zuweilen die Form und Grösse der
Pupille nicht so günstig gestaltet, wie wir es in optischen
Zwecken wünschten. Wir sind eben deshalb nicht völlig
Herren dieser Form, weil wir sämmtliche Iris, welche
prolabirt, excidiren müssen und weil dies Quantum wie-
der durch unberechenbare Umstände im intraocularen
Druck in der Muskelwirkung und in den Elasticitatsver-
hältnissen der Iris beeinflusst wird. Erhalten wir eine
Pupillenform wie A.*), so werden die Nachtheile (grössere
Fig. A. Fig. B.
y
Blendung und weniger präcises excentrisches Sehen beim
Gebrauch von Staargläsern) kaum irgendwie zur Erschei-
nung kommen, wenn nicht etwa individuell die Lidspalte
ungewöhnlich weit geöffnet wird, z. B. bei hervorste-
henden Augen. Pupillarformen wie in B., welche nume-
risch die Regel bilden, werden schon etwas mehr in Be-
tracht fallen. Vollends aber kann man den Einfluss nicht
übersehen, wenn sich die Pupille wie in C. und in D.
gestaltet. Letzteres (D.) habe ich allerdings nur zwei
Fig. C. Fig. D.
4
Mal gesehen und es schien das eine Mal die Ein-
*) Die beiden kleinen Qnerstriebe deuten in den Figuren die
Grenzen des Sphincter an.
68
klemmuQg eines in der Wunde zurückgelassenen Iriszipfels,
das andere Mal Glaskörpervorfall die Schuld zu tragen.
Die definitive Form, welche die Pupille annimmt, hangt
übrigens von den Vorgängen nach der Operation wesent-
lich ab: Je reizloser der Verlauf sich gestaltet, desto
vollständiger bleibt der Sphincter in seiner natürlichen
Lage. Ist die mindeste Irisportion in der Wunde zurück-
gelassen, so wird es theils von musculären und elasti-
schen Verhältnissen abhängen, ob dieselbe nachträglich
zurückschlüpft, besonders aber wird der Einfluss, welchen
deren etwaiges Zurückbleiben auf die Pupillarform äussert,
von den sich local entwickeluden Reizzuständen abhängen.
Kommt es zu einer grösseren Parenchymschwellung der
Iris im Wundcanal und in dessen Nachbarschaft, so wird
auch die Dislocation der Pupille durch spätere Gewebs-
schrumpfung erheblicher ausfallen. Es bilden sich dann
auch in der Kegel Verlöthungen mit dem Kapselsack,
welche für die spätere Form und Lage der Pupille mit-
bestimmend sind. Im Allgemeinen habe ich grössere
Dislocationen der Pupille nach der Wunde hin bei die^
sem Verfahren weit seltener beobachtet als nach der
Löffelextraction, was wiederum mit den durchschnittlich
geringeren Reactionen im Zusammenhange steht —
Bekanntlich ereignet es sich bei Iridectomieen, sowohl
mit als ohne Linsenextraction, nicht selten, dass die Ecken
des Sphincter in den ersten Tagen mit der Kapsel leicht
verlöthen, und es lässt sich dies fast prognosticiren, wenn
unmittelbar nach der Operation jene Ecken sich als
hervorspringende Winkel stark markiren. Würde man
diese Verlöthungen, die sich übrigens oft spontan zurück-
bilden, absichtlich (durch Abstinenz von den Mydriaticis)
zurücklassen oder etwa durch Myotica deren Entstehung
begünstigen, so erhielte man Pupillarformen wie £.,
welche allerdings bei einer geeigneten Lage des oberen
Lides sich optisch sehr empfehlen würden. Allein ein
69
solches Verfahren wäre gewiss widerräthlich, da die Rein-
heit der Heilung und die spätere Reizlosigkeit der ope*
Figur S.
rirten Augen zu wichtige Motive abgeben, um sie einer
wenig einflussreichen Pupillardifferenz zu opfern.
An die Erwähnung der, wenn auch geringen Nach-
theile einer Irisexcision nach oben, knflpft sich in natür-
licher Weise die Frage, ob man nicht bei dem vorge-
schriebenen Schnitt wie beim Lappenschnitt die Linse
ohne jedwede Irisexcision entfernen könnte. Wäre
dies ohne Gefahren thunlich, so würde man natürlich die
Schnittfährung nach oben mit der weit leichteren nach
unten vertauschen. Ich kann aus meiner Erfahrung zur
Entscheidung dieser Frage nichts beitragen. Zwar glaube
ich, dass der Linsenaustritt selbst für eine Reihe von
Fällen sich eifectuiren liesse, ohne die Iris im Wesent-
lichen mehr zu quetschen als dies bei der Lappenex-
traction geschieht, allein die periphere Lage des Schnittes
schien mir eine zu grosse Disposition zum nachträglichen
Prolapsus iridis mit sich zu bringen, um nicht in der
Zurücklassung der Iris ein Wagestück zu sehen.
Für Individuen, wo es auf die feineren Verhältnisse
des excentrischen Sehens resp. der Orientirungsgeläufig-
keit nicht ankommt, wie es ja für eine grössere Quote
der greisen Hospitalskranken gilt, mag man übrigens
das Verfahren nach unten verrichten. Es wird die
Ausführung gewiss bei weitem leichter sein, man wird
bei unruhigen Patienten der Narcose weniger bedürfen
und möglicherweise auch, da das Auge zur Fixation unter
einen geringeren Druck gesetzt wird, weniger häufig mit
Glaskörpervorfall zu kämpfen haben. Wenn vollends die
Lidspalte eng und das untere Lid verhältnissmässig
70
stark gehoben ist, so werden die Nachtheile des Colo-
boms nach unten weniger in die Wagschale fallen, wah-
rend andererseits die Operation nach oben gerade unter
solchen Umständen grösseren Schwierigkeiten unterliegt.
Die Wundheilung selbst wird vermuthlich in gleich güD-
stiger Weise von Statten gehen, wenn wir den Analogie-
schlflssen aus andern Operationen eine Beweiskraft zuer-
kennen wollen. Bis jetzt habe ich den Schnitt nach
unten nie ausgeführt, werde ihn aber in Zukunft unter
den genannten Ausnahmebedingungen versuchen.
Endlich habe ich hier noch die Frage zu berOhreD,
ob es vielleicht zweckmässig sei, die Iridectomie
der Extraction längere Zeit vorauszuschicken,
lieber die analoge Frage bei der Lappenextraction habe
ich meine Ansicht früher dahin geäussert, dass eine
gleichzeitig mit der Extraction verrichtete Iridectomie
einer kurz vorher verrichteten vorzuziehen sei, dagegen
einer lange Zeit (mindestens sechs Wochen) vorher ver-
richteten nachstehe. Bei unserm Verfahren würde ich
dagegen die Praxis einer Operation ä deux temps ver-
werfen. Die Vortheile einer vorausgeschickten Iridectomie
bestehen grösstentheils darin, dass die Ränder der künst-
lichen Pupille zur Zeit der zweiten Operation vernarbt
und deshalb zu Blutungen und entzündlichen Reizungen
weniger disponirt sind^ als die wunden Ränder eines
frischen Coloboms. Bei unserm Verfahren würde es sich
nun vermuthlich nicht selten ereignen, dass die Breite
des vorher excidirten Stücks nicht deijenigen des nach der
Schnittführung prolabirenden entspricht und dass man
dann, um nicht eine Einklemmung zurückzulassen, nach-
träglich an den Seiten excidlren müsste. Bei der Lappen-
extraction geschieht dies nicht, weil wegen Stehen-
bleibens des Homhautrandtheils nächst der inneren
Wunde die Iris überhaupt nicht prolabirt resp. die pro-
labirende sich wieder reponiren lässt. Sowie nachträglich
71
an der Seite excidirt werden muss, ist natürlich jeder
Yortheil der Operation k denx temps angehoben, da wir
alsdann frische Wundränder in der Iris ganz ebenso be-
kommen, als wenn wir Alles in einem Tempo verrichtet
hätten. Giebt dies ein gewichtiges Bedenken gegen die
Theilung des Operationsactes, so wflrde ich auch von
vom herein bei der geringeren Verletzung, die das Yer-
fahren mit sieh bringt, wenig daf&r eingenommen sein.
Wenn es sich hiemach nicht empfiehlt, die f&r die
Operation erforderliche Iridectomie nach oben als vor-
bereitende Operation vorauszuschicken, so kann es unter
gewissen Bedingungen als zweckmässig erscheinen, län-
gere Zeit vor der Operation eine Iridectomie nach
unten zu verrichten. Wenn dann die spätere Ope-
ration ganz nach den Kegeln ausgeführt wird, so bildet
sich eine Gesammtpupille von der in F. angegebenen
Figux F.
o
Form. Die Ränder des unteren Xoloboms sind völlig
vernarbt, wenn die zweite Operation zur Ausführung
kommt Begreiflicherweise haben solche Pupillen alle
optischen Nachtheile der nach unten verrichteten Coio-
bome noch mit dem kleinen Zuwachs, welcher den Iri-
dectomieen nach oben angehört. Allein sie haben die Vor-
theile iritischen Processen mehr als eine andere Form,'*')
selbst die sehr weiter neben einander verrichteter (con-
fluirender) Pupillen vorzubeugen. Es dürfte diese Eigen-
schaft vermuthlich mit der vollkommenen Entspannung
*) Au« dieien MoÜTen habe ich auch bei hartnaokigeii iritischen
oder iridochorioiditaschen ProceMcn, wo eine einlache Iridectomie un-
▼ollkommene Dienste geleistet, snweilen jene Form benattt Zu einem
gleichen Verfahren hat Crittchet unabhängig Ton mir seine Zuflucht
genommen, wie er mir im Herbst 64 mtttheilte.
72
des Sphincter in Verbindung stehen, welche aus der Ex-
cision zweier diametral gegenüber liegender Strecken
desselben resultirt Auch ist eine derartige Pupille auf
alle Incitationen durch Licht, Muskel- und Accommoda-
tionsimpulse weniger mobil als irgend eine andere. Man
sieht den (zwischen den kurzen Querstrichen in der Figur
liegenden) Sphincter sich wohl zusammenziehen, aber
ohne dass eine andere Formveränderung der Pupille als
eine noch etwas strictere Gradstreckung der beiden
Grenzcontouren erfolgt. Bei meiner ursprünglichen modi-
ficirten Linearextraction und auch später bei der Löffel-
extraction habe ich diese Pupillarformen nicht gar selten
benutzt, wo mir die GefiEÜbr einer iritischen Reaction be-
sonders nahe zu liegen schien, z. B. wenn bei Diabetes
mellitus irgend ein härterer Staarkem vorhanden war
oder bei Pupillen, die sich unvollkommen erweiterten,
oder bei hinteren Synechieen, oder auch bei überreifen
völlig harten Cataracten. Für das jetzt von mir empfoh-
lene Extractionsverfahren, wo die Ge&hr iritischer Pro-
cesse eine weit geringere ist, würde sich die Bildung
jener immerhin unförmlichen Pupillen nur etwa da be-
fürworten lassen, wo in Folge früherer Iritis ausgedehnte
hintere Synechieen vorhanden sind oder wo Diabetes
mellitus bei härterer Cataractform zugegen ist Für den
Operationsact selbst, namentlich die richtige Führung
des Hakens, gewährt der bis zum gegenüberliegenden
Linsenrande durchgehende Pupillarraum eher eine £r^
leichterung. Den Rath, die erste Iridectomie mindestens
sechs Wochen vor der Staaroperation zu machen, kann
ich hier nur wiederholen. Man könnte allenfalls die erste
Iridectomie auch nach oben und die Hauptoperation nach
unten machen, doch würde sich hieran immer der kleine
Nachtheil knüpfen, dass das in die Lidöffnung fallende
untere Colobom dann das breitere wird, während es sich
sonst umgekehrt verhält.
78
Das Verhältniss des Verfahrens zur Lappenex-
tractioD und zur einfachen Linearextraction.
Benennung desselben.
Wenn eine Operationsweise durch eine so tiefgrei-
fende Cultur ausgebildet und deren glückliche Erfolge
durch eine so reiche Erfahrung festgestellt worden sind,
wie es für die Lappenextraction der Fall ist, so müssen
wir es immerhin als ein Wagestück ansehen, dieselbe
durch eine neue, empirisch noch wenig gereifte Methode
verdrängen zu wollen. Käme es eben nicht zuweilen
vor, dass nach der normalsten Lappenextraction schwere,
resp. deletäre Zustände folgten, so würde es Angesichts
der musterhaften Resultate, die sie in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle liefert, unmotivirt sein, nach irgend
einer andern Operationsweise zu suchen. Allein jene für
den Patienten und den Arzt so schwer bedrückenden
Ereignisse einerseits und die Mühseligkeit, welche sich
fOr beide Theile an die Nachbehandlung knüpft anderer-
seits, motiviren wohl das Streben nach einem noch siehe*
reren und bequemeren Weg.
Es ist bereits oben erörtert worden, dass die Löffel-
extraction zwar eine brauchbare Methode für viele Gon-
joncturen abgiebt, dass sie für manche Staarformen sogar
entschiedene Vortheile vor der Lappenextraction darbietet,
dass sie aber nicht im Stande ist, dieselbe allgemeinhin
zu ersetzen. Sollen wir nun eine comparative Critik des
neu empfohlenen Verfahrens mit der Lappenextraction aus-
üben, so würden wir uns zunächst nach der geringen Anzahl
von Fällen auf das Allervorsichtigste auszusprechen haben.
So fest wir glauben, dass die empfohlene Schnittführung vor
der früher zur Löffelextraction gebrauchten wesentliche
Vorzüge hat und jene zu verdrängen berufen ist, so halten
wir doch für gerathen^ einen analogen Ausspruch der
Lappenextraction gegenüber zurückzuhalten. Würden
74
sich in Zukunft die Resultate eben so gflustig stellen,
wie in den bisherigen neunundsechzig Fällen, dann aller-
dings dürfte ein solcher Ausspruch motivirt erscheinen.
Wenn sich indessen, wie es wohl möglich ist,
das numerische Verh<niss der Resultate bei Fortfüh-
rung der Versuche um einiges ändert, so könnte es sich
sehr wohl ereignen, dass zwar in dem Gesammtresultat
noch einiger Vortheil auf Seiten des neuen Verfahrens
bliebe, dass dieser aber bei einer gruppenweisen Abthei-
lang der Fälle beziehungsweise sich steigere, beziehungs-
weise verschwände. In dieser Voraussetzung würde
wiederum die Lappenextraction das Terrain der Indica-
tionen mit dem empfohlenen Verfahren zu theilen haben.
Ich bin nicht von der Tendenz ausgegangen, die Lappen-
extraction, vor deren idealem Gepräge ich eine grosse
Verehrung in mir trage, zu verdrängen, sondern den
häufig willkommenen Ausweg der Linearei;:traction mög-
lichst zu cultiviren und von den bisherigen Uebelständen zu
befreien. Hierbei glaube ich zu einem günstigen Resul-
tate gelangt zu sein, welches mir weitere comparative
Studien mit der Lappenextractiou, anfänglich allgemein-
hin, dann vielleicht gruppenweise zur Pflicht macht.
Das ist Alles, was ich vor der Hand sagen kann und will.
Zwei Umstände sind es, welche ich bei einer
derartigen Parallele nicht ausser Augen verlieren
kann. Der erste liegt in der Iridectomie. Es ist
im vorigen Abschnitte erörtert worden, dass auch die
nach oben verrichteten Colobome nicht als völlig bedeu-
tungslos betrachtet werden dürfen, und dies betrifiFt gerade
den Vergleich mit der Lappenextraction. Selbst da, wo
die künstliche Erweiterung durch das Lid vollständig ver-
deckt wird, ist der obere Theildesnochin die Lidspalte fedlen-
den Pupillarraumes weiter ausgeschweift als bei den kleinen
centrirten Pupillennach der Lappenextraction, und eswerden
hiermit auch die excentrischen Zerstreuungskreise beim
Gebrauch der Staarbrillen grösser und unförmlicher.
Zweitens aber liegt die M&glichkeit vor, dass in einem
concreten Falle^ welcher die vortheilhaftesten Local- und
Allgemeinverhältnisse für die Lappenextraction bietet
und bei welchem sich nach meiner Statistik die Prognose
dieser Operation äusserst günstig, ungefähr auf 93 Proc.
YoUe, 5 Proc. halbe Erfolge und 2 Proc. Nichterfolge stellt,
dass in einem solchen Falle bei der empfohlenen modificirten
Linearextraction durch unberechenbare Verhältnisse, na-
mentlich übertriebenes Kneifen des Patienten, Glaskörper
austritt und hierdurch der Verlauf anomal wird. Würde es
sich nach einer wirklich fiberzeugenden Statistik mit grossen
Zahlen dereinst ergeben, dass auch für solche (der Lap-
penextraction günstigste) Fälle nach Abwägung aller
schlechten und günstigen Nebenumstände die Chancen für
beide Verfiihren als gleich bezeichnet werden können, dann
allerdings würden wir uns von unserer Pietät für die
Lappenextraction lossagen müssen, denn die grosse Ein-
£Etchheit und kürzere Dauer der Nachbehandlung, die
Freiheiten, welche wir dem Patienten gewähren können,
die grössere Unabhängigkeit von dessen Gemüthszustande
und dessen Selbstbeherrschung während der Heilung — das
Alles giebt der modificirten Linearextraction ein behag-
licheres und, wenn ich mich so ausdrücken darf, weniger
ängstliches Gepräge.
Eine Bemerkung über die einfache Linearextraction
sei hier hinzugefügt So verlockend dieselbe für die
weichen Corticalstaare im jugendlichen Lebensalter ist,
so bin ich ihr doch zu Gunsten der modificirten Linear-
extraction untreu geworden. Ich habe nämlich im lieber-
blick meiner Erfahrungen einige Unglücksfälle zu bekla-
gen, von denen ich sicher ghiube, dass sie durch eine
gleichzeitig verrichtete Iridectomie vermieden worden
wären. Es ist allen Fachgenossen bekannt, dass sich
bei Anlegung eines Linearschnittes Va—V" einwärts von
76
der Hornhautperipherie sehr häufig während der Opera-
tion eine Heryorstfllpnng der Iris bildet, welche bei man-
gelnder Vertrautheit mit der Methode sogar dem Fort-
gange des Manoeuvers hinderlich sein kann. Gelingt es
nun auch bei richtiger Führung des Kapselhäkchens oder
Cystitoms diese Hervorstülpung zu umgehen (d. h. an
der inneren Wundlefze in die Kammer einzudringen)
ohne die Iris irgend zu beleidigen und nach der Opera-
tion den Prolapsos durch sanfte Reibebewegungen mit-
telst der Lider zu reponiren, so sehen wir doch zuweilen
namentlich bei unruhigen Patienten, während der ersten
Heilperiode wieder eine Einklemmung entstehen. Diese ist
nun, gerade weil die Wunde klein und Yon der Hornhaut-
Peripherie entfernt ist, hier weit gefahrlicher als ein Pro-
lapsus iridis nach Lappenextraction. Es findet leicht
eine Art Strangulation der Iris, dann gelbliche Infiltra-
tion derselben und hiervon ausgehend sogar diffusere Eite-
rung statt. Die nachträgliche Excision der prolabirten
Iris ist, wenn diese Umstände androhen, noth wendig,
kommt aber leicht zu spät und beugt jedenfalls einem
unreinen Resultate nicht mehr vor. Solche Betrach-
tungen, obwohl sie sich nur auf einen geringen Procent-
satz der Fälle beziehen, haben mir die Ueberzeugung
erweckt, dass es besser sei, die Wunde stets an die
Homhautperipherie zu yerlegen, Iris zu excidiren and
demgemäss nach oben zu operiren. Man wird hierin
vielleicht eine übertriebene Aengstlichkeit sehen, allein
es darf nicht verkannt werden, dass an jungen Leuten
bei weichen Staaren die Ansprüche auf unfehlbaren Er-
folg viel berechtigter sind, dass bei Geduld ja auch die
Discisionsmethode zum Ziele fßhrt und dass eigentlich ein
jeder Nichterfolg hier ein Vitium medici ist, was man für
die Altersstaare nicht behaupten kann. — Ob man sich
bei durchgängig weichen und geblähten Linsen der Lanze
oder des schmalen Messers bedienen will, ist wegen des
77
leichten Staaraustritts wohl irrelevant; soll Letzteres,
was anter allen Umständen brauchbar ist» benutzt wer«
den, so legt man natürlich den Schnitt nicht so peri-
pherisch, als oben verordnet, an, sondern sticht fiäst an
der Hornhautgrenze ein, macht eine äussere Wunde von
circa SVa'" und verzichtet auf den Conjunctivallappen.
Die Mitte der äusseren Wunde liegt dann in der Horn-
haut V4— V2'" von der Scleralgrenze ab. Selbstverständ-
lich bedient man sich zur Linsenentwicklung nur des
geeigneten äusseren Druckmanoenvre (Schlittenmanoeuvre)
und keines Fassinstruments. An Kindern unter zehn
Jahren pflege ich jetzt nur die Discision eventualiter
modificirte Discision zu machen.
Was die fernere Cultur des in dieser Abhandlung
beschriebenen Verfahrens anbetrifft, so glaube ich nicht,
dass an der Schnittführung, die mir in ihrer jetzigen
Form alle Yortheile zu combiniren scheint, etwas Wesent-
liches zu ändern sein wird, nur dürften die Bedingungen,
unter welchen es sich zweckmässig erweist, die innere
Wunde etwas weniger hart an die Comeaperipherie zu
verlegen, noch durch weitere Studien für die verschie-
denen Staarformen zu bestimmen sein. Dagegen will
ich gern annehmen, dass die zur Linsenentwicklung be-
stimmten Instrumente, insonderheit die für harte Cata-
racten bestimmten Haken*) noch weiteren Verbesserun-
gen unterliegen werden.
*) Vor wenigen Tagen erhielt ioh ron meinem Freunde Adolph
Weber eine BchrifÜicbe HittheUung, ans welcher ich ersehe, dass der-
selbe YöUig unabhängig yon meinen Studien auch für den Lanzen-
messerschnitt yon dem Gebrauch der Lö£fel zurückgekommen ist. Er be-
dient sich eines Doppelhakens, welcher das seitliche Ausweichen der
Linse yerhindert und doch die Yortheile der gedeckten Lage bei der
Einfahrtsbewegung hat, indem die beiden Fassarme nicht neben ein-
ander, sondern hinter einander stehen. Ich sweifle nicht daran, dass
das sinnreich oonstruirte Instrument Web er 's die Linse yortreffUch
packt Für meine Sohnittfuhrung dürften so scharfe Instrumente, wie
78
Zum Schluss noch einige Worte über die Benennung
des Verfahrens. Ich bleibe absichtlich bei dem Namen der
,,modificirten Linearextraction^\ weil ich glaube,
dass die Bezeichnung einer Operationsweise sich auf das
Principielle und nicht auf abgeleitete Umstände bezieben
soll. Das Principielle aber wurzelt in der Art der Schnitt-
fahrung und in der Verbindung mit der Iridectomie.
Ob man bei Staaroperationen zur Linsenentwicklung sich
lediglich äusseren Drucks oder instrumenteller Hülfe zu
bedienen hat, hängt, abgesehen von den verschiedenen
Staarconsistenzen, im Wesentlichen von den Widerstän-
den an der Wunde ab. Je geringer diese sind, desto
mehr können wir alle Fassinstrumente entbehren, resp.
desto leichter braucht deren Mithülfe zu sein. Bei den
aufklaffenden Schnitten der Lappenextraction genügt
stets der äussere Druck, bei unserm Verfahren genügt
er zuweilen, während in der Regel eine leichte Tracüon
erforderlich ist, beim Lanzenmesserschnitt bedarf es für
gewöhnlich der strengeren Fassinstrumente. Ist demnach
die instrumenteile Hülfe lediglich etwas von der Schnitt-
führung abgeleitetes und deshalb schon für die Benennung
ungeeignet, so würden wir auch auf dieser Grundlage fiir
die Bezeichnung unseres Verfahrens in eine unüberwind-
liche Verlegenheit gerathen, da wir uns dabei je nach
den Umständen des einfachen äusseren Druckes oder der
Haken oder ausnahmsweise der Löffel bedienen und dem-
nach bald von Ausquetschung, bald von Aushakung, bald
von Auslöfiflung reden müssten.
Die Schnittführung ist hier noch strenger als früher
aus der Idee der unmittelbar schliessenden linearen
Wunde hervorgegangen. Diese ihre Haupteigenschaft
ich oben herrorgehoben, in der Regel entbehrlich sein, doch würde ich
sie ohne Bedenken adoptiren, wenn sich die Befürchtung in der Erfah-
rung nicht bestätigen soUte, dass sie neben der Zogwirknng auch einen
zweckwidrigen Druck Yon hinten nach Torn ausüben.
79
darf mit Recht den Namen begründen. Man könnte frei-
lich auch von einer Scieralextraction sprechen, da der
Wundcanal grössten Theils in die Sclera fällt , um in
dieser Weise die zweite Haupteigenschaft, nämlich die
periphere Lage zu bezeichnen. Endlich würden sich
vielleicht Liebhaber für den Namen Subcoi^unctivalex-
traction finden, auf welchen das Verfahren wenigstens
mehr Anspruch hätte, als irgend eins der früheren.
Allein den Erörterungen des vorigen Abschnittes zu Folge
ist zwar auf die periphere und subconjunctivale Position
des Schnitts ein unleugbares Gewicht zu legen, jedoch
erst in zweiter resp. dritter Linie vergleichsweise zu der
linearen Beschaffenheit
Das Epitheton „modificirt^^ ist bereits bezüglich auf
die Lappenextraction und Discision gebraucht worden,
um die Combination der Staaroperation mit der Iri-
dectomie zu bezeichnen und hat Eingang genug gefunden,
um es auch hier zur Bezeichnung der zweiten integri-
renden Qualität zu gebrauchen. Zu einem Missverständ-
niss könnte der Ausdruck „modificirte Linearextraction^*
nur dann führen, wenn derselbe bereits für anderweitige
Verfahren gebräuchlich wäre. Allein da ich meine ur-
sprüngliche Methode, welche diesen Namen führte, durch
die jetzt empfohlene ersetzt und verbessert glaube, und
die anderweitigen Modificationen der ersteren von den
Autoren mit eigenen Namen versehen worden sind, so
kann die Festhaltung jenes primitiven Namens zu keinem
Missverständniss führen. Die einzige mögliche CoUision
wäre die für weiche Staare der jugendlichen Jahre, wenn
man dieselben statt mit dem schmalen Messer mit dem
Lanzenmesser (nach meinen ursprünglichen Regeln) ope-
rirt. Allein ich habe oben auf das Unwesentliche der
Alternative unter diesen Umständen hingedeutet
80
Geschichtliches über die Linearextraction.
Wenn man durch eigene Studien zu der Entwick-
lung eines Gegenstandes beizutragen sich bemüht hat,
so ist es Bedürfhiss und Pflicht, den Blick der Vergan>
genheit zuzuwenden, um die Anfinge des Wissens heraus-
zuprüfen, die leitenden Gedanken der Fortbildung zu
verfolgen und denen, die vor uns über denselben Gegen-
stand gedacht und geforscht haben, gerecht zu wer-
den. Die Geschichte der Linearextraction bedarf um
so mehr einer Revision, als sich, durch Mangel an
Quellenstudium, in dieselbe fundamentale Irrthümer
eingeschlichen haben, durch welche manche Autoren
zu unverdienten Ehren gelangt, Andere der wohlver-
dienten beraubt worden sind. Die kurzen Vorbemer-
kungen in meiner ersten Arbeit (siehe A. f. 0. Bd. I, '2
pag. 219) sind von diesen Fehlem nicht frei. Des-
gleichen lässt Sperino in einer dem Gegenstand gewid-
meten Arbeit (siehe Annales d'occulistiques, tome 39
pag. 90) irrigerweise Wardrop einen quer durch die
Cornea verlaufenden Linearschnitt zur Methode für die
Staaroperation erheben, und Friedrich von Jäger*)
Cataracten durch Linearschnitte entbinden, während der-
selbe bekanntlich seine partielle Extraction nur auf
Eapselstaare und Linsenrudimente angewandt BeiFollin
handelt es sich nicht bloss um einzelne Irrthümer, son-
dern um eine wirkliche Verwirrung des Gegenstands.
Er sagt in der Soci^t^ de Chirurgie**) (Gaz. des Hop.
*) Es heifst von Jäger: n pratiquait rindsion de la oomee an
mojen d'une lancette, puis U introdaisait par oette incision une pinoe
ou iine ^rigne, ayeo laqaelle il enlevait la cataracte.
**) In derselben Bede Bohreibt FoUin die methodische Yerbin-
dang der Iridectomie mit der Linearextraction Schuft und Mooren
in. Schaft soll anmittelbar rorher, Mooren yierzehn Tage vorher
81
3. Sept. 64): „Quoique selon moi Textraction doive devenir
la methode g^o^rale da traitement de la cataracte, je
suis prßt k reconnattre qu'un grand lambeau comprenant
la moiti^ de la corn^e est expos6 k des accidents graves,
qai compromettent assez souvent la r^assite de Topera-
tion... Aussi depuis longtemps les chirurgiens ont 6ti
pr^occup^s de Fidee de r^tr^cir ce lambeau. C'^tait la
la pens6e de Pourfour du Petit, de St. Yves, de
Palucci, de Wardrop et de Gibson. Dans ces der-
ni^res annies on est revenu ä ces idees avec une. per-
s^verance plus grande, et ainsi s'est peu a peu constitu^
la methode de Textraction liniaire."
Keiner der genannten Autoren mit Ausnahme allen-
falls von Gibson hat den Gedanken gehabt, welchen
Follin ihnen insgesammt unterschiebt. Diebetreffenden
Operationen von St. Yves und Pourfour du Petit
fallen in das erste und zweite Decennium des vorigen
Jahrhunderts. Der „lambeau^^ ward in Frankreich erst
mehrere Decennien später von Da viel eingeführt, und so-
mit können St. Yves und Pourfour du Petit bei
ihrem Thun von dem Gedanken an Verbesserung der
FiXtractionsmethode nicht ausgegangen sein. Palucci
hätte der Zeit nach jenen Gedanken haben können, aber
seine Gründe dem üblichen Schnitt einen seichteren
Bogenschnitt (nicht einen Linearschnitt) zu substituiren,
waren ganz anderer Art. Wardrop ist vermuthlich
durch sprachliche Missverständnisse in den Ruf gekom-
men, einen Linearschnitt verrichtet zu haben. Dieser
Ruf war so verbreitet, dass auch ich mir bei meiner
exctdiren. Da des Ersteren Verdienste mit der Einführung der Iridec-
tomie, die des Letzteren mit der linearextraction nichts zu thun haben,
so handelt es sich wohl nm einen Yerschmelzungsprocess, den der fran-
zösische Chirurg rerübt hat, bei welchem der Verfasser der Arbeit
über die modiflcirte Linearextraction gewiss nicht aus Absicht, sondern
aus Versehen eyaporirte.
ArohlT für Ophthalmologie. XI. 3. q
82
ersten Arbeit das Nachschlagen der Quelle geschenkt
habe. Gibs'on endlich gebühren zwar hervorragende
Verdienste fQr die Linearextraction, auch hat er sich
aber die Vortheile kleiner Schnitte gegenüber den lappen<
förmigen an mehreren Stellen seines Werkes ausge-
sprochen, dennoch war dies nicht der Ausgangs-
punkt für sein Verfahren, sondern es war die Einsicht
in die Gefahren und die langwierige Heildauer der Dis-
cision.
Um diese Behauptungen zu beweisen und wenigstens
die Hauptpunkte in der Entwicklungsgeschichte des Ge-
genstandes zu beleuchten, mag folgende Darstellung
dienen:
Die Extraction war als Methode unbekannt,*) als
im Jahre 1707 Charles de St Yves in Gegenwart von
*) Freilich hat es, abgesehen Yon den Aerzten des Alterthnms
und HitteUdtera nnd den ansioheren Dati«, die wir über einige Empi-
riker besitien, unter den Chirurgen des 17. Jahrhunderts an Yorsdiligen
und Versuchen der Bxtraction nicht gefehlt.
Johann Conrad Freytag, welcher allgemein als Vorgänger
Dayiel'« angel&hrt wird, hat allerdings bereits am Ende des 17, Jahr-
hunderts in Zürich Extractionen Yorgenommen, wie aus dem Berieht
des Sohnes (Dissertatio de Cataracta, quam praeside Job. Boeclero
tnebatur Job. Henricus Freytag 1721, in Haller. Disput. Chirurg.
Tom. IL) und aus Mur alt 's Anführungen (Job. y. Mural t's Schriften
Yon der Wundarzenei, 1711 Basel) herYorgeht. Allein es ist unmög-
lich, irgend etwas, auch nur Annäherndes, über die yon ihm ge-
brauchte Schnittform aufzufinden. Nur Yon dem Instrument, wel-
ches zur Entfernung der Cataract gebraucht ward — „acus hamata,
quae admodum subtili hämo instructa est'' — wird in der Dissertation
des Sohnes Yielfach gesprochen. Aus der einzigen Stelle, in welcher
der Schnitt überhaupt berührt wird und in welcher derselbe die Be-
zeichnung eines „angustum foramen*' erhalt, geht allerdings wohl herYor,
dass derselbe klein gewesen ist. Wenn man übrigens glauben würde,
Frey tag habe die Extraction Yon Yomherein als OperationsYerfahren
neben der damals gebräachlichen Nadeloperation geübt, so würde man
sehr irren. Zunächst scheint er äberbaupt nur dreimal in der gedach-
ten Weise operirt zu haben, sodann handelte es sich diese 8 Mal um
wieder aufgestiegene Linsen nach Yorausgeschickter Reelinatton; ja
83
Mary eine wie es scheint verkalkte, von selbst in die
vordere Kammer vorgefallene Cataract durch die Cornea
mittelst Curette extrahirte. Den Schnitt verrichtete er
etwas unter der Pupillarmitte, indem er mittelst einer
Lanzette erst einstach, dann in transversaler Richtung
so erweiterte, dass die Wundwinkel Va'" von der Horn-
hautgrenze ablagen. — Bereits im folgenden Jahre ge-
schah das Gleiche durch Po urfour du Petit in Gegen-
wart von St Yves und iiirj bei einem Geistlichen,
welchem einige Jahre nach überstandener Reclination
während einer plötzlichen Eraftanstrengung der Staar
plötzlich in die vordere Kammer gefallen war. — Im
Jahre 1716 extrahirte wiederum St Yves eine in die
vordere Kammer gefallene Linse. Es war eine Verlet-
zung vorausgegangen, vermuthlich aber vor geraumer
et wird in der Dissertatioii des Sohnes als Indication nnd zwar als
etnaige Indication fQr die Extraetion aufgesteUt, dass die Nieder-
dracknng nicht gelangen, resp. die niedergedrückte Linse wieder aof-
gestiegen sei Endlich aber ergiebt sich ans mehreren Stellen, in wel-
chen das Extractionsobject „peUienla, membranola und Cataracta mem-
branacea" genannt wird, dass Frejtag überhaupt niemals einen com-
pleten oder nahezu completen Linsenkorper, sondern nur verdickte
Kapseln allenfaUs mit anhaftenden linsenrudimenten aus dem Auge
entfernt habe.
Von filanoard (Professor in Amsterdam) sagt Petit in den Actis soc.
reg. seient, Paris 1725, dass er zuerst die Extraetion der ganzen Linse
durch einen Homhautschnitt gelehrt habe. Dagegen lautet die betref-
fende stelle in dem B lau card 'sehen Werk (Nieuwe Kunstkammer der
Chirurgie of he Heelkonst, Amsterd. 1685 in 12*)] übersetzt wie folgt:
„Man kann, dünkt mich, im oberen Theil des Angapfels eine kleine
Wnnde machen und vermittelst zweier Nadeln, die nach Art einer
Zange gemacht werden, die Gataracte herausholen. Man hat dann
keine Notb, dass selbe wieder aufsteigen soUte, auch wird der Ausfluss
der Feuchtigkeiten keine Schwierigkeiten machen, da die Wunde oben
am Auge ist und dieses festgehalten wird. Ich glaube, dass das
th unlieb sei." Es ^eht aus diesem immerhin interessanten Passus,
welchem ich keinen zweiten den Gegenstand betre£fenden in dem
Blan Card 'sehen Werke anzureihen habe, wohl hervor, dass es sich
nur um einen Vorschlag und nicht um die Lehre einer empirisch
geprüften Methode handele.
84
Zeit, da der Staar zum Theil f,glaireax" zum Theil
,,pierreax^^ und mit der Umgebung fest verwachsen war.
Wir können aus dieser Beschreibung auch schliessen,
dass es sich nicht et^a um die Entfernung eines einfii-
chen traumatischen, übermässig geblähten und nach yom
getriebenen Staars, sondern um Producte von inneren
Entzündungen, die dem Trauma gefolgt waren, handelt.
Der Schluss „le malade gu^rit en peu de temps'' bezieht
sich vermuthlich nur auf die Wundheilung, nicht auf das
Sehvermögen, über welches leider sehr häufig bei den
älteren Autoren die Angaben fehlen. St. Yves theilt
diese drei Operationsfalle mit einigen allgemeinen Bemer-
kungen über die bezügliche Operationsmethode in seinem
.,nouveau trait6 des maladies des yeux, Paris 1722" mit*)
*) Es lantet darin Chap. XXI pag. 302 wie folgt: „Lonqae let
cataractes ODt pass^ dans la chambre anUrieare de Thameor aquctuc
il faut 7 faire une Operation particuU^re, mais ayant d'en expUqaer U
m^thode je dirai de quelle fn^on dies penvent passer par le troa de la
pranelle et se loger entre Tiris et la cvrn^o transparente..../* Nach
einigen Bemerkungen über letzteren Punkt heisst es weiter: „Qnand
on yeut faire l'op^ration pour tirer le corps du criitaUin qui aurait
ainsi pass^, il faut faire aaseoir le malade sur une cbaiso Toeil bien
expose au jour, ouvrir les deux paupi^res arec le pouce et Tindex puis
avec une lancette bien trancbante fendre la cornee transparente un peu
au deasoug du milieu de la prunelle et continucr Tincision transyer*
salement d'nn edt^ ä l'autre, en sorte qu'il ne reste pas plus d'une
demi-ligne de la cornäe transparente de chaqne cdt^, qui ne aoit fen-
rlue; on introduira pour lors par Touyerture qu'on a faite une cuiette
finc que Ton passera dcrri^re le corps du cristallin au moyen de la-
quelle on Ic fera sortir par rincision faite ä la cornee. On appliqnera
ensuite sur l'oeil du malade une oompresse et on continuera ä panter
Toeil comme dans la yraie cataracte; apr^s quoi on coucbera le malade
dana son lit sur le dos, la tSte peu ^levee. D^s le lendemain on trouye
b plaie cicatris^e par une raie qui n'est pas plus apparente qtt*nn
cheveu. Quoique j'aye fait plusieurs de ces Operations, je me contan-
terai d'en apporter trois exemples, sayoir une de cbaque esp^oe de
cataracte qui se löge dans la chambre ant^rieure de Toeil. Le prä-
mier fut en 1707 en pr^senoe de M. Mery de l'Academie roynle des
sciences ä un marchand de la yille de Sedan, lequel yint k Paris i
Toccasion d*une cataracte branlante qui ayait pass^ par le troa de la
85
Er versichert übrigens, dieses Verüahren noch öfter aus-
geführt zu haben.
M6ry, welcher wie St. Yves Zeuge der im Jahre
1708 von Pourfour du Petit verrichteten Operation
prttneUe dani la cbambre anterieare de llittmear aqueuse. La catar.
preasait teUement l'IriB qu'elle cansait au malade une douleur de tSte
trh» oonud^rable avec une Insomnie qui lui durait depuis trois mois.
Je n'arais jamais entendu parier d'une semblable Operation, mala fai-
sant r^flexion que j'ouTrais bien la com^ poar rider la matiere d'an
abois qui se troure derriire, je tirai la oons^quenoe, que je pouvais le
faire ^galement pour un corpa solide et j'operai de m6me. Ce corps
6tant tire de ToeU lessemblait enti^rement k du plätre. Je fis ensuite
eoucher le malade sur le dos. Le lendemain je m'y rendis aveo M.
M^rj et noas trouT&mes que le malade avait bien dormi ce qu'il n'a-
vait pas fait depuis longtems, que la plaie <tait cicatris^e et rhumeur
aqueuse qui etait ecoulee par Top^ration enti^rement r^paree.
La seconde Operation fut faite en 1708, par M. Petit, fameux
Chirurgien et k present membre de l'acad, royale des scienees k un
pretre dont le oristallin dans un effort qu'il flt quelques annees apres
s'etre fait abattre une oataracte, passa par le trou de la prunelle et se
logea entre llris et la oornee transparente. M. Petit entre les maios
duquel etait ce prStre, me fit avertir pour dtre present k Top^ration k
laquelle M. M^rj se trouva aussi. M, Petit ayant perc6 la come'e
ayec une lanoette, tira le corps par oette ouverture et nous trourämes
que c'^tait le cristallin. Ce pretre fut ensuite bientdt gu<$ri. Je l'ai
rencontr^ dans Paris plus d'une ann^ aprds oette Operation et je Tai
TU lire parfaitement bien areo une lunette k cataraote.
Ce fait rapport^ ä l'academie des soienoes n'a pas laiss< d'Stre
contest^ par M. de Woolhouse, qui a pr^tendu dans un de ses Berits
qu*on ayait fait disparattre cet eccl^siastique pour ne paa dtre yü et
ezamine de lui. II me pardonnera de le citer ioi, car je dois rendre
justice ä la r^rit^, comme ayant M un des t^moins de cette Operation
que M. M^ry a fait ins^rer aussi bien que la prMdente dans les
mem. de l'acad. des sdences des annees nommees.
Ma troisiime Operation fut faite en 1716 k an pauTre bomme qui
demeurait au laub. St. Germain R. eassette. II fut blesse 4 l'oeil; le
cristallin se d^tacha et pass« par le trou de la pmneUe entre Tlris et
la oom^ transparente. Je tirai ce oorps qui ^tait en partie glaireux
et en partie pierreux et doTenu adh^rent k la oom^. L'adh^rence
d^truite je tirai le cristallin qui tenait li une des fibres ciliaires asses
longue, laquelle je ooupaia le plus aTant qu*il me fut possible UTee les
ciseaux. L'op^ration röussit parfaitement bien et le malade gu^rit en
peu de tems.
86
war, giebt darüber in der acad^mie royale des sciences
1708 einen detaillirten Bericht (auf welchen sich später
St. Yves gegen Woolhouse beruft), demzufolge Petit
die Hornhaut mit einer spitzen Hohlsonde quer durch-
stiess und dann mit einer Lanzette auf deren Rinne den
Schnitt führte.*) Dieser Bericht ist ausserdem für die Ge-
schichte unseres Gegenstandes dadurch wichtig, dass M6 ry
am Schluss desselben den Vorschlag macht, durch solche
Hornhautschnitte auch hinter der Pupille placirte Cata-
racten zu entfernen. „J'ai fait voir dans la premi^re
Observation un glaucome flottant dans la partie de lliu-
meur aqueuse contenue entre Tlris et la corn6e trans-
parente. Ce cristallin obscurci a 6te tir6 en dehors par
une Ouvertüre faite ä la corn^e sans qu'il soit arriv^ ä
Toeil aucun accident. On pourrait aussi tenter la meme
Operation lorsque le glaucome est plac^ derri^re
riris Sans y etre adh^rent, quand son diam^tre seraitplus
graud que celui de la prunelle, parceque ce trou de Tiris
s'elargit largement ^^ Es wurde indessen dieser Vor-
schlag nicht beachtet und blieb es Da viel vorbehalten,
die Extractionsmethode und zwar in Form des Lappen*
Schnitts wieder einzuführen.
Auf Grund der angefahrten Thatsachcn kann man
St Yves und Pourfour du Petit allerdings für die
Urheber des linearen Hornhautschnitts erklären, doch
kannten sie keine andere Anwendung desselben, als die
auf Staare resp. Staarrudimente, welche in die
vordere Kammer vorgefallen waren. Auch die Nach-
*) Voioi oomment M. Petit 8*7 prit pour Tdter. U traTersa
d'abord la oomte transparente aveo une ai^oille rain^ au detsoas de
la pruneUe, conduisant ensaite une lanoette dans sa rainure, iL conp«
la corn^y deptua le trou de l'enti^e de l'aigaiUe juaqn'au trou de la
Bortie et tira enfin arec une petite cnrette d'aigent oette pretendue
cataraote par rineision oe qn'il fit arec beaacoup d'adresse **
M^moirea de l'acad^mie des sciences, 1708, pag. 810.
87
ahmer jener beiden Autoren, z. B. Taylor (New treatise
of the diseases of the eye 1735) gingen mit den Indica-
üonen des Verfahrens nicht weiter. Hinsichtlich der Ex-
tractionsmethode im Allgemeinen dürfen St Yves und
du Petit als Vorläufer DavieTs angesehen werden.
Dass es sich wirklich so und nicht anders verhalten,
ersehen wir auch aus den Aeusserungen, zu welchen
Daviel sich veranlasst fühlte, als später du Petit seine
Verdienste um die Wiedereinführung der Extraction schmä-
lern wollte. „Je vous prie, Monsieur,^^ sagt er in einem an
Joyeuse gerichteten Briefe, „de vouloir bien faire atten-
tion ä l'importance de cette Operation puisqu'il s'agit
d'une cataracte tir^e de la chambre posterieure et non
pas de Tant^rieure. II y a sur cette derni&re plusieurs
observations rapport^es par feu Monsieur de St Yves
dans son nouveau trait^ sur les maladies des yeux.
Mais cet auteur c^lebre ne fait aucune mention des cata-
ractes tir^es de la chambre posterieure de Toeil.^
Nachdem die Extractionsmethode gegen Mitte des
18. Jahrhunderts wieder aufgelebt und wir können
sagen für die wissenschaftliche Ophthalmologie erfunden
war, tauchten bald die verschiedensten Modificationen
sowohl hinsichtlich der Schnittform als der dabei benutz-
ten Instrumente auf. Allein unter sämmtlichen Ophthal-
mologen des vorigen Jahrhunderts finde ich keinen, wel-
cher die Vortheile einer aufklaffenden Wunde hinsicht-
lich des Linsenaustritts fQr die leichtere Heilung kleiner
Schnitte hätte opfern wollen. Unter denen, welche wie
ich glaube fälschlich in diesen Ruf gekommen sind, habe
ich Sieg wart, Palucci und (im Anfange dieses Jahr-
hunderts) Wardrop zu nennen« Es sei mir erlaubt,
über die Hornhautschnitte dieser Autoren einiges anzu-
führen.
Sieg wart (Georg Friedrich), Professor der Chirur-
gie in Tübingen, hatte die Daviel' sehe Methode in Paris
88
stttdirt und glaubte in Anbetracht deren Mangel den
Schnitt abändern zu müssen. Er spricht von den Vor-
theilen des geraden Schnitts, den er erdacht, in fol-
genden Ausdrücken : „Incisio corneae circularis, omne
licet arte adhibita, forficibus istis curvis et sub incerta
oculi mobilitate fortuito applicatis, non potest non con-
tingere inaequalis, labia vulneratae corneae omnino re-
linquens. Ab hisce defectibus nostra iterum libera est
methodus. Vulnus infligitur rectum et aequale uec ore
facile hians dififormi; felicius igitur citiusque iterum con-
glutinatur minori et forte fere nulla superstite cicatrice/^
(Dissertatio chirurgica de extractione cataractae ultra
perfidenda, respondente Davide Mauchart Tubing 1752
in Haller, Disputat. Chirurg, selectae Lausannae 1755 io
4® Tom II pag. 244.) — Die nähere Beschreibung seines
Schnitts "*"), soweit ich mich in derselben zurechtfinden
*) Oculo nunc aegri, monente artitloe, sursum moto debitecae po-
flito, in medio inferioris hemisphaerii corneae, lineae distantia inpra
marginem, quo Cornea scleroticae jungitur, lanoeola semper ad mobili-
tates octtli inoertas attemperata, brachio in mensa justa posita suffulto,
in dicto corneae puncto apponator plaoideque demittatar, moique aar-
8um Tersasqne pupillae cenirum uyeam inter- atque comeam directa
altius introduoatur et tandem ista, eadem vi et dexteritat« redaeta,
iterum extrabatur. Haec priroum operationis complent atadium quo
absolnto sepositoque priori instrumento, sumatar spongia aqua tepida
imbuta, itenimque modioe expressa, eaque eluatur plorans oeulus. Hanc
seponendo manu sinistra comprehendatur specillum supra descriptnm
(specillum sulcatum, in marginibus laeve, et extremitate gaudeni petita
non Bulcata p. 285) dextra vero manu forfex digito annnlari, annulo
forficis inferiori, poUice vero superiori ipsius annulo immiaais. Utra-
que interim palpebra per ministrum cautione jam iudicata^ remota
specillum sulcatum per vulnusculum lanceola arte factum, imittatur
atque inter uveam et comeam, oblique ascendens, manubrium interim
panlulum dedinante, nsque ad Uneam borizontalem, oorneam in medio
ipsiua Becantem, inque duo aequalia hemisphaeria dividentem, oertae
oculi mobilitati attemperata, dirigatur, atque ita nisu extremitatis ipc-
cilli politae contra snperflciem corneae intemam modice pressante, oculi
bulbus quantum fieri potest figatur ao immobilior reddatur. Quo facto
forflce speoiUi sulco dirigente unica et recta ineisione a vulneri«
89
kann, ergiebt indessen, dass Sieg wart keineswegs einen
einfachen geradlinigen Schnitt, sondern einen eckigen
Lappenschnitt ungefähr von folgender Form gemacht habe.
Derselbe besteht wenn man will aas drei Linearschnitten,
einem kleinen mittleren, welcher zuerst mit der Lanzette
verrichtet wird, und zwei seitlichen, welche auf der Rinne
einer successive in ersteren eingeführten Hohlsonde mit
der geraden Scheere vollfQhrt wäre. Ein solcher Schnitt
kann unsem jetzigen Begriffen nach auf den Namen
eines Linearschnittes eben so wenig Anspruch machen,
als der in ähnlicher Weise zusammengesetzte Wardrop-
sehe Schnitt, auf welchen ich unten eingehen werde.
Sieg wart wurde ohne Zweifel lediglich durch die Idee
geleitet, mit Benutzung der geraden Scheere statt der
von Da viel gebrauchten krummen, glatte Wundränder
zu erhalten. Das Streben nach einem geringeren Auf-
klaffen lüg ihm fern.
Palucci ist in doppelter Beziehung zu nennen.
— Zunächst giebt eine seiner Operationen*) das erste
prioriB initio ad finem Bulci iramissi speoilli «perintur oornea. Eadem
cnra atque directione in altero corneae iatere inBtituatur
ipsius incisio. (1. c. pag. 23*2.)
*) Der Fall, um den es sich hier bandelt, ist in einem Büchlein
enthalten, dessen Titel in den meisten deutschen Schriften eine eigen-
thitmiiche Verstümmelung erfahren hat. Dasselbe lautet nicht: ,,histoire
de l'operation de la cataracte**, wonach man bei der Zeit des Erschei-
nens wichtige historische Aufschlüsse zu erwarten bereditigt wäre, son-
dern es heisst: Histoire de Top^ration de la cataracte fsite k six soi-
dats invalides Paris 1750. Diese sechs Operationen (siehe auch di«
deutsche üebersetsung : Beschreibung eines neuen Instrumentes, den
Staar mit allem nur möglichen Erfolg niederzudrücken, nebst eineV
Nachricht von denen Operationen, welche damit bei sechs Inyaliden zu
Paris unternommen wurden, aus dem Französischen übersetzt. Leipzig
90
Beispiel von Extraction einer Linsenkapsel durch einen
linearen Hornhautschnitt — welches Verfahren als Me-
thode durch Gibson und unabhängig von demselben,
aber später durch Friedrich von Jäger eingef&hrt
ward. Palucci's Verdienste schliessen sich in dieser
Beziehung denen von St. Yves und Pourfour da Petit
an. Wenn jene Männer als die Urheber der Linear-
extraction zu bezeichnen sind, so erweiterte Palucci
zunächst die Indicationen derselben, indem sie seit ihm
nicht mehr blos auf vorgefallene Linsen, sondern auch
auf Kapselstaare ihre Anwendung fand.
Ausserdem hat Palucci die Lappenextraction f&r
die gewöhnlichen Staarformen dahin modificirt, dass er
statt des halbkreisförmigen Schnitts einen Bogenschnitt
mit einer Sehne von 4''' oder einer Höhe von circa PA'"
vollführte, ungeiahr in folgender Form:
Er gebraucht hierzu ein eigenthümliches von ihm
erfundenes Instrument, welches in seinem Endtheil nadel-
artig ist, alsdann aber in eine Messerklinge Qbei^eht
Die Wirkung dieses letzteren Theils beginnt erst, wenn
das nadelartige Ende die Contrapunction in Z gemacht
hat."") Aus seiner Argumentation geht hervor, dass für
1752) betrefien dvrebweg Reelinatioiien. In dem teehsten FaUe, in
wolehem zweimtl niedergedrückt worden, wnrde dann die wieder «iif-
gestiegene Kapsel per oomeam eKtrabirt ,J'oiims rers l'angle intene
de la oom^e trsnsparente au dessons de la proneUe nn pen oblique-
ment par rapport A la direcdon de tout le oorps, j'introduisais de
petites pinoes propres pour faire eette Operation.*'
*) Uineision qu'on fsit i la oom^ pour preparer le passage da
(fristaUin, c'est ä dire k la eataraete rtonit aussi beauooup de diffieolMa
qoi ne regardent pas senlement mdme la maniire de pratiquer eette in-
dsion, mais aussi la r^union.
91
die Wahl dieser Schnittform keineswegs der Gedanke
das Aufklaffen zn vermindern bestimmend war, sondern
die (präsumirte) bessere Möglichkeit das Auge zu fixiren,
die Annahme einer geringeren Härte der Cornea in die-
ser Region, die grössere Tiefe der vorderen Kammer
vergleichsweise zur peripherischen Begion und endlich
der Umstand, der Scheeren entbehren zu können. In
dem instrumenteilen Modus der Schnittführung müssen wir
eine wesentliche Annäherung an die später für Lappen-
extraction gebräuchliche erkennen, dagegen können wir
PalucciaufGrund dieser Methode eineRollefürdieCultur
der Linearextraction nicht einräumen, weil 1) seine Mo-
tive nicht die dieser Methode zu Grunde liegenden waren
und 2) der Schnitt, obwohl vergleichsweise zum halb-
kreisförmigen Schnitt sich dem Linearschnitt nähernd,
doch noch eine zu grosse Lappenhöbe darbietet) um
jenen Namen zu verdienen. Das ganze Bestreben mit
Let premiiret de oet diffienlUt niiMent de oo qu'on ne peut point
assojettir le globe oomme je Vwi dejä dtoontr^, de la daret^ de U cor-
D^ du pen d'eflpftce qu'il y a entre la corn^ et l'Irii dont la moindre
bleature est capable de faire perdre ToeiL J'ai tu par mei ezp^enoes
qae lei oUeaiix ne lont paa propret pour agrandir TouTertare de la
com^ parceqne leor ineision n'eit jamais nette qaelqoe jostei et polis
qu'ÜB puissent Stre, ce qoi prolonge la r^anion de TouTertare ou l'ein-
p^che mSme entiirement. Cest pourqaoi j*at imagin^ une aignille d*ane
e»piee partiealiiFe dont je me sen de la mani^re sniTante. Je Tintro-
duia par le point x qnand j'opire lar l'oeQ gaaohe et Ini donne nne
direction parallele an plan de Tlrii; je faii tortir la pointe par s qai
est le point diam^tralement oppot^ ä celui par leqnel je l'introduis.
Dam le mSme temps qne je ponete TaigmUe eana intermption, nn tran-
chant qni se rencontre en qnelque distanoe de la pointe et dont la lar-
geur aagmente insensiblement en approcbant du manche ooupe la por-
tion de la eorn<e comprise entre X et Z, oe tranohant ^nt dirige
obliqnement ä r^paissenr de la com6e et 4tant tourn^ Ten la partie
inf^rienre de l'oeil produit nne ineieion qni pr^iente nn are. Voilli le
mojen le plus simple et le plus prompt pour ourrir la oonuSe.
(Methode d'abattre la oateraote 1752. Paris in 12«, p. 159 in dem
Kapitel, remarques sur 1' extraction de la cataraete hors de la place
ordinaire).
92
Beibehaltung der Wundwinkellage die Lappeuhöhe zu
verkleinern, war offenbar ein unglflckliches. Wir wissen
ja aus der Lappenextraction, dass mit grösserem Abstand
der Wunde von der Corneaperipherie der Linsenaustritt
mühsamer, die Quetschwirkung für Cornea und Iris
grösser und demnach die Chancen einer raschen und
reinen Heilung geringer werden. Nur mit einer Annähe-
rung der Wund Winkel beziehungsweise zum Oeffnungs-
Winkel der zwischen ihnen liegenden Hornhautperipherie
konnte den Resultaten der DavieTschen Lappenex-
traction gegenüber irgend ein practisches Resultat ge-
wonnen werden. So ist es denn auch wohl zu erklären,
dass Palucci, so sehr er die Vortheile seines Schnittes
rühmt, bei demselben sich nicht glücklich genug fühlte,
um ein Anhänger der Extractionsmethode zu werden.
Wir sehen aus seinen Schriften nur zu deutlich, dass er
nach wie vor ein zugethaner Freund der Nadeloperation
blieb. Der nämliche Artikel, in welchem er die neue
Schnittf&hrung empfiehlt, schliesst mit folgenden, nicht
gerade ermunternden Worten: „Je ne finirais point, si
je voulais entrer dans un plus long detail sur les iucoo-
venients de Textraction.'^
Wenn es richtig wäre, dass Wardrop eine trans-
versal durch die Cornea verlaufende geradlinige Wunde
als allgemeine Methode der Staarextraction vorgeschrie-
ben, so würden wir hierin den hauptsächlichsten Schritt
für die Ausbreitung des Verfahrens anerkennen müssen,
andererseits aber nicht begreifen, wie Wardrop bei
solchem Verfahren zu irgend welchen glücklichen Erfol-
gen hätte gelängen können. Denn nothwendig muss bei
einer derartigen Schnittform der Linsenaustritt sich be-
sonders mühsam gestalten und alle Nachtheile der Quet-
schung besonders schwer in die Wagschale fallen. Allein
es beruht jene Annahme auf einer Täuschung. War-
drop's Schnitt ist wie der von Sieg wart ein eckiger
93
Lappenschnitt, welcher hinsichtlich des Aufklaffens dem
halbkreisförmigen Schnitt kaum nachgiebt Während der
Siegwart'sche Schnitt, wie oben demonstrit, aus drei
Linearschnitten, einem kleineren mittleren und zwei
grösseren seitlichen besteht, können wir den Wardrop-
schen Schnitt uns desgleichen aus drei Linearschnitten
zusammengesetzt denken, so jedoch, dass der grössere
in der Mitte, die beiden kleineren und ungleich langen
zur Seite liegen, ungefthr so:
Ausgegangen ist Wardrop bei der Wahl dieser
Schuittform von der Ueberzeugung, dass die enge Nach-
barschaft des gewöhnlichen Schnitts mit der Hornhaut-
grenze zum grössten Theil deren Gefahren verschulde,
und dass das Stehenbleiben eines breiteren Hornhaut-
saumes die dahinterliegende Iris vor dem Prolapsus in
einer vortheilhaften Weise stütze. Einen weiteren Vor-
theil findet er in der steilen Richtung, welche bei seiner
Methode der Wundcanal, wenigstens für den grössten
Theil der einen seitlichen und für die ganze mittlere
Wunde, erhält, indem bei jener das Messer möglichst
senkrecht eingestossen und zur Verrichtung des letzteren
wieder steil nach vorn gedreht wird. Hierdurch falle
die innere Wunde („the length of the incisiou of the
internal layer") verhältnissmässig grösser aus. Endlich
giebt er zur Empfehlung seines Verfahrens noch eine
Reihe von Nebenumständen an, hinsichtlich deren wir
auf das Citat*) verweisen.
*) Wir exoerpiren die besägliohen SteUea aus James Wardrop:
Practical obsenratioas on the mode of making the iDcision of the Cor-
nea, for the Extraotioa of the cataraot, Edinburgh medical and sur-
gical Journal Volume Y. 1S09, Jan. Nach DarsteUung der Nachtheile
94
So interessant und lehrreich es ist, die Ansichten
Wardrop's durchzustudiren, welche überall Zeugniss
des gebräachlichen halbkreisförmigen Schnittes heist es pag. 3: „All
these disadTantages , in the usual mode of making the incision of the
Cornea, appeared to me to arise chiefiy trom the want of a snfficieat
portion of the comea being left at the inferior part of the wonnd, to
Support the iris, and to prevent the pressure of the parte contained
within the eje-ball, and the occasional action of the muscles pushing
forward the ins toward the wound of the comea. I therefore con-
ceired, that if the incision could be made in such a manner, tbst a
larger portion of the comea could be left at the inferior part of the
wound, and that, if at the same time it was made of such a form as
to allow the easy extraction of the lens, a considerable improTement
would be made in tlie Operation. With this view, I made the inei-
iion in the foUowing manner.'' Nach Beschreibung des Beer'sehen
Staarmessers heisst es weiter: „Having previcusly oiled the knife to
make it cut more keenly, its point is to be thrust through the oomea
a little aboTc its transTerse diameter and one line from its margin, in
direction as if it was to pass through the pnpil, or nearly perpen-
dicular to the spherical surface of the comea. When it reaches the
plan of the iris, the blade is to be moved a little upon the incinon
which is already made, as a fulcrum, so that the point is elerated and
tumed towards the opposite side of the comea. It is then to be carried
forward and a little obliquely downward so that the comea is again
punctured at its transverse diameter, at the same distanoe from the
sclerotical coat at which it hat been entered on the opposite side. By
these two incisions the blade has cut perpendicular, or rery nearly so,
to the spherical surface of the comea and the gradual thiokening of
the knife, by fiUing up the wound as fast as it made, prevents the
aqueus humour from escaping. The eye is now completely secured by
the knife and the incision is to be finished by tuming round the blade
on its azis, thus keeping the edge tumed outwardt, in such a maaner
that the remaining part of the incision is a straight line and therefore
nearly perpendicular to the lamellae of the cornea." — Es folgen nun
zwei Figuren, deren eine (Fig. III.) siemlich identisch mit der oben im
Text gegebenen den Schnitt darsteUt, wie er sich für den Fall gestallen
würde, dass „the comea instead of being a spherical was a plane sur-
face", deren aweite (Fig. IV.) den Schnitt so wiedergiebt, wie er wirk-
lich ausfallt:
95
der sorgsamsten Beobachtung ablegen und in vieler Be-
ziehung ffir die Zeit, von welcher sie herrühren, über-
raschend gereift sind, so können wir denselben doch dem
Gesagten zufolge irgend ein Verdienst beziehungsweise
Weiter sagt W.: ,,By the inspection of tfaese figtures it therefore
appeftn 1) that a large portion of the ring of the comea is left attached
to the ederotic coat, and must form, from its thickness a complete
rapport to the iris. 2) that as the ineision u thronghout nearly per-
pendienlar to the lamellae of the eomea, the length of the ineirion of
the internal layer vill be greater than when it is made in the usoal
manner and equal to that of the eztemal one and, conseqnently, the
lens wiU be more eaeely eztraoted throngh it. 3) the npper edge of
the internal incision ie also fnrther below the edge of the pnpiL 4)
Afl the Aap ib rerj smaU, the edges thiok and not eaaily moTeable, or
apt to be caught by the motion of the eye-lids, the lipt of the woond
are not liable to be displaeed, and conseqnently tbe wound has a much
better chance of nniting by the first intention and lastly, the eicatrix
which remains is scarcely perceptible and cannot be distbgoished when
the comea is looked npon in a direction perpendicular to its surfaoe/*
— Es wird nonmehr herrorgehoben, dass Schnitt C sich am besten
mitten zwischen dem Homhautrande nnd dem Bande der PapiUe (von
mittlerer Erweiterung) befindet nnd es werden die Naehtheile erörtert,
wenn von dieser Bestimmung abgewichen wird. Dann lehrt W., wie
bei Ausführung des Lappens eine IrisTerletsung su vermeiden sei, wo-
bei er einen später in die Operationstechnik übergegangenen HandgrüT,
die Iris mit der Kuppe des Zeigefingers zurückxudrangen und unter
diesem Schute den Schnitt fortzusetzen, zuerst anempfiehlt Nach Er-
örterungen über eine sichere Fixation des Auges und der Mittheilung,
dass er zwanzig Operationen in der beschriebenen Weise Terrichtet,
fügt er hinzu: ,J have also observed in some persons, who have been
operated on by the most able oculists, that the incision of the comea
was by no means of the regulär semicircular form, nor was it so near
to the circumference of the comea as is recommended; notwithstanding
the lens in these cases was readily extraoted and the pupil renudned
perfeetly regulär. This most frequently happened in eyes, whioh were
operated on with the left band. I therefore did not consider it as the
aim of the Operator to make the incision of such a form, but rather as
an accident, occasioned by the difficulty, which most people find in
using thetr left hand.<< — Endlich folgt noch eine interessante Bemer-
kung gegen Maunoir. W. theilt dessen Ansicht, dass aUzu grosse Hom-
hautsdinitte zum Absterben der Comea disponiren, nicht, sondern meint
nur, dass die AnheUnng der Comea bei ihnen Terzögert und ein län-
geres Ausfiiessen des Kammerwassers Terschuldet werde.
• 96
zur Linearextraction eben so wenig als Siegwart zu
erkennen.
Dagegen nimmt Gibson für unsern Gegenstand
einen sehr hervorragenden Platz ein. Er war es, wel-
cher aaf den Gedanken verfiel, einige Wochen nach volN
führter Staarzerstückelang die Linse resp. den Linsen-
brei durch einen Linearschnitt zu evacuiren. Der dritte
Abschnitt seines, auch nach andern Richtungen höchst
bemerkenswerthen Werkes: Practical observations on the
formation of an artificial pupil in several deranged states
of the eye to which are annexed remarks on the ex-
traction of the soft cataract and these of the membranous
kind through a puncture of the Cornea, illustrated by
Plates. London 1811. ist diesem Gegenstande gewidmet. Er
empfiehlt sein Verfahren indessen nur für weiche Cataracten
und da, wo die Resorption nach einmaliger Nadeloperation
nicht mit der gewünschten Schnelligkeit und Gefahrlosig-
keit von Statten geht, wie aus folgendem Passus er-
hellt. „ — I should recommand its adoption in ex-
tracting the soft cataract, after the couching-needle
has been employed without success, upon these
grounds: That it generally accomplishes at once, what
might require the introduction of the couching-needle
several times and that it is attended with less risk and
irritations of the eye and gives the patient less pain."
— Den Schnitt selbst führt er durch Einsenken eines
Staarmessers in die Cornea T" weit ab von der Scleral-
grenze aus. Obwohl betreffenden Orts eine eigene Angabe
über dessen Grösse fehlt, so scheint dieselbe 1. c. pag. 39
für die Hornhautpunction ein für allemal auf 3'" ange-
geben: „A puncture is then to be made in the comea
with a broad cornea-knife, within a line of the sclerotica
to the extent of about three lines." *;
*) üeber die Operation selbst sagt Gibson: ^,The cornea-knife of
the largest size is thcn to be introduced tbrongb the Cornea, towards
97
Ferner gebflbrt Oibson noch das Verdienst, die
Extraction von Kapselstaaren resp. membranösen Opaci-
täten durch Linearschnitte, Aber welche wir seit Palucci's
vereinzeltem Fall (s. oben) genaue Mittheilnngen ver-
missen, zur Methode erhoben zu haben. Der vierte Ab-
schnitt des oben citirten Werkes ist diesem Objecte ge-
widmet*)
the oaier an^le of the eye, at the mnutl distanee from the tderotie
ooatw If there be any doubt of the free laceratioii of the anterior part
of the capaule of the lens, the poiat of the comea-knife shonld be di-
rected obliquelj throngh the pupil, so ae to make a more free dirision
of il AU pressure on the eje-baU mast now be avoided and the
oomea-knife graduaUy withdrawn, which is attended with the eTaoaation
of the aqueoas-hamonr and some portion of the cataraet The corette
is next to be introduoed through the incision, and advanoed towards
the pnpU, by which the whole of the cataraet may oommonly be by
degrees remored in a pulpy state, so as to render the pnpil perfeetly
elear. Its remoTal is generaUy mach famlitated by gentle pressure to-
ward the yitreous hnmour with the conrex surface of the curette,
whilst the point is inserted through the pupiL Sometimes howerer,
the oataraet is not reduced to a suf&cient degree of softness by the
aotion of aqueous humour, and this state makes its remoral more slow
but seidom renders the repetition of the Operation neoessary. For
when a oonsiderable portion of the cataraet has been removed, the
remainder is generaUy obserred to be so much reduced in bulk before
the fit Periode for anoiher Operation, as to insure its speedy dis-
appoarenee.
*) „The rariety, which I shaU select for explaining the modo of
Operation, is a simple membranous cataraet, which has not contracted
adhesions with the iris, but has either existed from birth or has re-
Aained after the extraction or depression of the lentioular cataraet In
such a case, the point of the oomea-knife after penetrating the comea,
is to form a smaU punotnre in the membranous cataraet, as near as
possible to the margin of the iris, towards the extemal angle of the eye.
The knife is then to be quietly withdrawn and by the escape of a part
of the aqueous humour, the pupil becomes düated by pressure a tergo
and the pupU in the membranous cataraet is sometimes a little en-
larged. Through the punoture the smaU hook is to be passed behind
the opake membrane, with its points directed downwards until it
reaches the opposite parte of the membranous cataraet, next the inter-
nal angle of the eye. The point of the hook is now to be directed
forwards [and is to be passed through the membrane so as to lay hold
Archiv fHr Ophthalmologie. XI. 3. 7
Ward Gib so n zu seinem Verfahren der combinirten
Discision und Linearextracti<m durch die Uebelst&nde
der bis dahin bei weichen Staaren gebräuchiichen Zer-
stückelungsmethode hingeleitet, so hatte er doch ToUen
Einblick in die allgemeinen Vortheile der Punctionswan-
deu gegenüber den Lappenwanden, was wir am besten
aus dem Scbluss seines Werkes ersehen. „ The
Operations have one circumstance in common, yiz the
small incision*) which is made in the Cornea. Principally
to this I attribute the rare occurrence of any inflamma-
tion either after the formation of an artificial pupil, or
after the extraction of a soft or membranous cataract
By the adaptation of Instruments, to operate on the in-
ternal parts of the eye, through so small an aperture,
it appears to me, that not only the inflammation of Cor-
nea, which sometimes results from a more extensive di-
of it. By gently drawing with alight extraoting e£foii8 towanU tlie
opening in the oomea, the whole or a oonsiderable part of the opake
membrane may generally be removed. — In Aasnahmefallen bediente
eich G. anch statt des Hakens der Pinoette. Verhinderten Adhärenzen
die Entfernung, so sog er die Membran gegen die Wunde an und ex-
ddirte ein ausreichendes Stuck mit der Irissoheere. Sr fuhrt aaeh
einen Fall an« in welchem wegen der Dimension des membranoeen
Linsenresiduums .eine Erweiterung der ursprünglichen Punctionsnpnmde
erforderlich ward, einen anderen, in welchem er sich, da wegen fester
Verwachsungen weder Entfernung noch ausreichende Ezoision gldekte,
durch Anlegung einer kunstlichen Pupille half. Im Anschlüsse an leti-
terefi Fall schreibt G. überhaupt Tor, ein Irisstuck gleichseitig mit der
Kapsel EU excidiren, wenn es Ton vom herein xweifelhait erscheint, ob
man durch Entfernung der letsteren^allein einen ausreichenden PupiUai^
räum erhalten werde, oder wenn anderweitige Umstände die Gefahr
andeuten, dass die gemachte Oeffnung sich wieder schliessen werde.
*) In derselben Weise fasst Wardrop die Gibson'sohe Oper»>
tionsweise auf, indem er (Sketch of the life and writings of the late
Mr. Benjamin Glbson. The Edinb. medieal and surgieal Journal,
VoL X. 1814) am Schlüsse seines Berichtes sagt: „The great adran-
tages from Mr. Glbson 's mode of operating, both in soft and mem-
branous cataracts arise of the smallness of the wonvd of the oomea
and the little inflammation which seem's to ensne.*'
99
Vision of that membrane in the Operation of cataract,
but also the less frequent yet generally more obstinate
and destructive inflammation of the internal parts of the
eye, which the couching-needle occasionally indnces, are
avoided with equal certainty **
Während Gibson f&r Cataracten allemal die Disci-
sion der Linsenextraction vorausschickte, kam Travers
dahin, die weicheren Staarformen sofort durch einen
kleinen Hornhautschnitt (quarter section) zu entleeren
resp. auszulöffeln, und zwar that er dies nicht im An-
schluss an das Gibson'scheVerfiEÜiren, welches ihm zur
Zeit unbekannt war, sondern in Consequenz seiner eige-
nen praktischen Beobachtungen Ober die Nachtheile der
Lappenextraction und nachdem er verschiedene andere
Modificationen, welche diesen zu steuern bestimmt waren,
durchversucht hatte. Der Gang seiner Verfahrungsweisen
war, wie wir aus der Abhandlung „Further observations
of cataract. Medice -chirurgical transactions of London
1814^' entnehmen, folgender:
Eine Hauptschwierigkeit der gewöhnlichen Extraction
in der Enge der vordem Kammer (Convexität der Iris)
sehend, beschloss T. zunächst mit einer Reclinationsnadel
in die hintere Kammer einzugehen, die Kapsel einzu-
reissen und durch ein geeignetes Manoeuvre die Linse
so zu luxiren, dass sie mit ihrem unteren Rande in die
vordere Kammer hinüberrückte; wenige Minuten später
extrahirte er diese luxirte Linse mittelst Lappenschnitts.''')
Nachdem er diese Praxis eine Zeit lang ausgeübt, über-
zeugte er sich, dass namentlich für weichere Staarformen
eine so erhebliche Schnittgrösse, wie sie der übliche
*) Nach nnseni jetsigen Begriffen würden wir freilich in einer
derartigen Position des Staats mehr eine Schwierigkeit für die Schnitt-
föhrung sehen. Trayers glaubte, dass die rorgetretene Linse die
Iris von der Cornea abdränge nnd somit die Gefahr einer IrisTerletsong
abwehre.
7*
100
Bogenschnitt liefert, unnfltz sei und verrichtete Danmehr
nach vorausgeschickter Luxation einen kleinen Schnitt
Von diesem heisst es anfangs: „I carried the knife onlj
half across the Chamber and vithdraw it.'^ Hieraos
würde man zu entnehmen haben, dass Travers ledig-
lich einen Punctionsschnitt und zwar, falls er nicht beim
Ausziehen die Wunde erweiterte, von nur ungefthr 2W^
machte. Sp&ter ist nun freilich immer von einer „quarter
section^^ die Rede, welche durch das Staarmesser kaum
anders als mittelst eines Contrapunctionsschnittes zu ver-
richten ist. Jedenfalls wäre ein Erweitern der Wunde bis
auf diesen Um&ng nach einfacher Function mühsam geaog,
dass Travers es eigens erw&hnt und beschrieben hätte.
— So viel steht fest, dass Travers, nachdem er eine
Weile in dieser Art verfahren, nunmehr den vorberei-
tenden Nadelact wegliess und von vom herein den klei-
nen Homhautschnitt vollführte. £r drang mit dem Staar-
messer auch sofort in die Kapsel und dilacerirte dieselbe
mit der Messerspitze. War die Linse ganz weich oder
von „flockiger Beschaffenheit^S so liess er sie nach be-
endetem Schnitt von selbst ausfliessen resp. durch mil-
den äusseren Druck austreten; war sie dagegen von
etwas zäherer Beschaffenheit („käseartig^'), so ward der
Löffel eingeführt, der Rand der Pupille mit demselben
sanft deprimirt und der Staar stückweise entfernt Die
eigentlich härteren Staarformen widerrieth Travers in
dieser Weise zu operiren, da die Schnittgrösse für die-
selben nicht ausreiche.
So sehen wir denn bereits im Beginne dieses Jahr-
hunderts ein Verfahren ausgeübt, welches in den wesent-
lichsten Punkten*) mit der späteren Linearextractiou
*) Wir würden £Mt sagen können „in allen Ponkten^S wenn wir
nicht dem oben Erörterten infolge von der Annahme anfgingen, daae
TraTers fUr seine „quarter teotion" einen Gontraponctionflsdiinitt ge-
101
zusammenfilUt, und wir müssen die Behauptung, Tra-
vers sei als ein Nachahmer Gibson's zu betrachten,
hier noch einmal auf das Entschiedenste zurückweisen,
da Ausgangspunkt und Endpunkt seiner Forschungen
ein wesentlich selbstst&ndiger war. Gibson war^von
Verbesserung der Discisionsmethode ausgegangen und
hatte in der nachgeschickten Function eine willkommene
Aushülfe gefunden, er war bei dieser combinirten Me-
thode stehen geblieben. Travers war ausgegangen von
den Schwierigkeiten der Lappenextractiou, hatte dieselbe
anfanglich durch eine Lagenver&nderun^ der Linse, dann
gleichzeitig durch eine reducirte Schnittgrösse umgehen
wollen, endlich war er durch praktische Erfahrungen da-
hin geleitet worden, von ersterer abzusehen und von
vornherein den kleinen Schnitt für die weicheren Staar-
formen zu verrichten. Travers' hohes Verdienst in
dieser Angelegenheit, welches durch die sorgsame Be-
stimmung der Indicationen noch wächst, ist wohl nur
temporär und deshalb in den Hintergrund getreten, weil
die neueren Arbeiten mehr an die Gibson' sehe Methode
aingeknüpft haben.
Noch einige Worte über unsere vaterländische Litte-
ratur. Die Methode von St Yves und Pourfour du
Petit, vorgefallene Linsen resp. Linsenrudimente durch
kleine Homhantschnitte zu extrahiren, hatte bei den
deutschen Ophthalmologen des vorigen Jahrhunderts ihre
Nachahmer gefunden. Auch operirte man in dieser Weise
unmittelbar nach Discision, wenn Staartheüe, von deren
Resorption man Nachtheile fürchtete, in die vordere
maeht habe. Bei einem Mlohen (in fiLUioher Weise mit einem Stear-
mefser ToUf&lirt) fallt die Lappenhöhe relatiT betraohtlioh ane, bo dase
die Wnnde auoh yerhSltniMmiMig mehr klafft als bei einem Ponetione-
selmitl; denn bei diesem kann die Brweitenukg der Wnnde während
Aostiehens des Hessen mit einer entspreehenden Terlegnng dsr Wnnd-
irinkel naeh Seiten des Beleralbords Terknüpft werden.
102
Kammer übertraten. So empfiehlt August Gottlieb
Richter (Anfangsgründe der Wundarzneikunde, 3. Bd.
1790, Oöttingen, pag. 241 und 244) bei Milchstaaren,
wenn zu viel Flüssigkeit in die vordere Kammer tritt,
oder kleine feste Ueberbleibsel, deren Resorption Schwie-
rigkeiten machen möchte, sofort die Function der Cornea
zu verrichten, desgleichen wenn man nach einiger Zeit
feste Ueberbleibsel bemerkt, die sich nicht aufsaugen
wollen. Auf erstere Empfehlung gründet sich wohl der
in einigen Lehrbüchern enthaltene Satz, dass man in den
AusnahmefiUlen vollkommen flüssiger Staare die einfiidie
Hornhautpunction machen könne. Doch habe ich mich
vergeblich bemüht, in unserer Litterator der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts Beobachtungen aufzufinden,
wo solches ohne einen vorbereitenden Nadeleingriff in
einer regelrechten Weise geschehen w&re.
Friedrich von Jäger lehrte bekanntiich unter
dem Namen der partiellen Extraction die Entfernung
von Kapselstaaren durch kleine Hornhautwuuden. Es
geschah dies, wie bereits erwähnt, später als durch Gib-
son, jedoch unabhängig von demselben, so dass Jftger
in Deutschland gewöhnlich als Urheber dieser Methode
gilt. Von ihm und Eduard von Jäger rührt übrigens
auch der Name Linearextraction her, welcher von Bd-
den später dem der partiellen Extraction substituirt ward.
Wir anerkennen hierin eine verdienstvolle Hindeutnng
auf die Differenzen solcher Schnitte gegenüber dem auf-
klaffenden Lappenschnitte; doch knüpft sich bei Jäger
eine weitere Ausdehnung der Methode als auf Kapsel*
staare nicht an.
Aus den vorstehenden Notizen ergeben sich folgende
Hauptpunkte für die Geschichte der Linearextraction:
Im An&nge des vorigen Jahrhunderts worden Li-
nearschnitte zuerst von St. Yves und Pourfour du
103
Petit gemacht, um in die vordere Kammer vorgefinlleiie
Linsen zu entfernen. In dieser Anwendung ist der Li-
nearschnitt älter als der erst durch Daviel kunstgerecht
eingef&hrte Lappenschnitt. Mery knöpfte an jene Ope-
rationen den Vorschlag an, auch gewöhnliche Cataracten
in einer ähnlichen Weise zu extrahiren, welcher Vor-
schlag jedoch unbeachtet blieh. Die Schnitte, welche
Siegwart und Palucci gegen *Mitte des vorigen und
W^ardrop zu Anfang dieses Jahrhunderts zur Modifica-
tion der Lappenextraction vorgeschlagen, sind f&lschlich
in den Ruf von Linearschnitten gekommen. Dagegen
hat Palucci fQr eine angestiegene Linsenkapsel zuerst
einen Linearschnitt verrichtet Zur Methode fUr £x-
traction von Kapselstaaren wurde der Linearschuitt am
An&nge dieses Jahrhunderts durch Uribson erhoben.
Derselbe Autor führte auch den Linearschnitt f&r weiche
Staare ein, welche er einige Wochen vorher durch die
Nadel zerstückelte. Travers verband den vorbereiten-
den Nadelact (in modificirter Weise) mit der Extraction
in eine Operation, liess später jenen vorbereitenden Act
gänzlich weg, bediente sich jedoch eines etwas grösseren
Schnittes als Gibson für seine Punctionsmethode, indem
er dessen Orösse auf % der Homhautperipherie be-
stimmte.
Wie ist es nun, nachdem bereits vor geraumer Zeit
die Anläufe zur Linearextraction so gut ausgesprochen
waren, zu erklären, dass die Cultur der Methode vier
Decennien hindurch vollkommen stockte? Wir finden
es oftmals, dass Neuerungen zwar einen hoben Werth
für die Zukunft haben, dass sie aber in der Gegenwart
deshalb fruchtlos bleiben, weil ihnen noch irgend eine
Erfüllung fehlt, ohne welche dieselben gegenüber den
bestehenden Verfahren sich nicht ausreichend bewähren.
Das Gibson^sche Verfahren konnte sein Glück deshalb
lOA
nicht machen, weil in der That die Beinheit der Erfolge
nach demselben denen, welche man nach durcbgef&hrter
Discision erh<, nachsteht — vorausgesetzt, dass die
Fälle überhaupt tauglich für diese letztere sind; sind
sie dies nicht, handelt es sich z. B. um kernhaltige
Staare, so schliessen sich an 6/s Verfahren nicht ge-
ringe GeMren, besonders weil dann die Function der
Hornhaut für die vollständige Entleerung unzureichend
wird. So stand die Methode fttr die eine Kategorie von
Fällen der Discision, für die andere der Lappenextraction
nach und fand selbst in England nur vereinzelte An-
hänger. Die Meisten Hessen sie mit William Adams
nur für vorgefallene Linsenkerne und aulgestiegene Kap-
seln gelten.*) Denken wir vollends an die Unsicherheit,
welche zur Zeit in der Bestimmung der Staarconsistenzen
praktisch noch herrschte, wenn es auch in den Büchern
an Abtheilungen und Unterabtheilungen nicht gebrach,
so werden wir uns nicht darüber wundem, dass eine
Methode, deren Zulässigkeit gerade die vollste Geläufig-
keit hierin erheischt, in den Händen der Meistai den
Vergleich mit den gebräuchlichen nicht zu bestehen im
Stande war. Letzteres gilt nun zum Theil auch von dem
Travers'schen YerCeüiren. Obwohl wir bei diesem Au-
tor ein höchst anerkennenswerthes Bestreben vorfinden,
die Staarconsistenzen in eine genaue Beziehung zum
Mechanismus des Linseuaustrittes zu bringen, gab es
doch zur Zeit weder schiefe Beleuchtung noch Atropin
— auch Belladonna war noch unvollkommen eingebürgert —
und so musste die Bestimmung, ob die Staarconsistenz
sich fQr den kleineren Schnitt eigne, zahlreichen Täu-
schungen unterworfen sein. Aber ein anderes Moment
*) Hieran mIiIom lich neuardingt (neb« A« 1 0. Bd. I, 2 pag. SS8
u. 255) die Indioation einer in grosMD, dem Auge gefahrliohen
qneUong naoh Diioifionen an.
105
f&llt vielleicht noch schwerer in die Wagschale. Tra-
vers beschränkte seine Methode nicht blos auf ganz
weiche Staare, sondern brSckelte auch zähere (wenn auch
nicht harte, Formen stückweise mit dem Löffel ans, ohne
Iris za excidiren. Wir begreifen es, dass in dieser
Weise die Resultate sehr gefährdet waren und dass die
in der Technik der Lappenextraction und Discision be-
reits zur Zeit sehr geübten englischen Fachgenossen von
einer Nachahmung des Travers'schen Yerfiihrens ab-
standen. Travers selbst scheint seine Operationsweise
in den späteren Jahren wieder beschränkt zu haben.*)
Als ich in den Jahren 1848—50 die ophthalmologi-
schen Kliniken des In- und Auslandes frequentirte,
kam mir, abgesehen von der linearen Extraction der
Kapselstaare bei Friedrich von Jäger, nicht das
Mindeste von einer linearen Extraction des Staares
zu Ohren. Ich sah für die weicheren Staare der jünge-
ren Leute nichts als die Nadeloperation, für die härteren
theils Lappenextraction tbeils Reclination, und so dachte
ich denn, als ich einige Jahre später meine erste Arbeit
über den Gegenstand in diesem Archiv niederlegte, einen
wesentlichen Schritt für die Einführung der Linearex-
traetion zu thun. Hätte ich zur Zeit die Arbeiten von
Wardrop und Travers im Original gekannt, so hätte ich
ersteren nicht in eine unmotivirte Beziehung zur Sache
gebracht, an des letzteren Standpunkt dagegen weit
enger, als es geschehen, angeknüpft, denn er bleibt in
der That der Einzige, welcher vor jener Zeit den Linear-
*) Wenigstens enrihnt er derselben in der sweiten Anflage seines
Werkes „Synopsis of tlie diseases of fhe eye and their treatment,
London 1S21" nnr sehr kus und ohne irgend eine eiiq[ehende Besebrei-
bnng des Sehnitts. Es beisst darin pag. 884 naeb Abhandlung der
Lappenextraetion: ^oft and semitransparent and nnadhering capsnlar
oataraets may aU be eonTenienÜy extraeted. They pass throngb
a smaller seetion.'^
106
schnitt (oder einen annähernden, redncirten Lappen-
schnitt?) auf vollständige, nicht rudimentäre oder pro-
labirte und nicht durch Nadeloperation vorbereitete Staare
angewendet.
Die neueste Entwicklung der Linearextraction ist
den Lesern dieses Archivs bekannt Zwei Dinge, glaube
ich, sind es, die im Wesentlichen den Aufschwung der-
selben begründet haben, nämlich das genaue Studium
der Staarconsistenzen, welches wir den verbesserten
Untersuchungsmethoden verdanken, und die Hinzuziehung
der Iridectomie. Es waren gerade diese beiden Dinge,
deren Mangel in den früheren Decenniea die Cultur des
Verfahrens zurückgehalten hatte. Nächst ihnen haben
die instrumentellen Verbesserungen, sowohl hinsichtlicb
der Fixation der Lider und des Bulbus als hinsichtlich
der Linsenentwicklung in fördernder Weise influirt.
üeber die Bewegungen des kuxwehtigeii Angee.
Von
Dr. Berthold in Königsberg.
Diese Arbeit verdankt ihren Ursprung den physiologisch-
optischen Studien, welche ich im letzten Jahre im phy-
siologischen Laboratorium zu Heidelberg gemacht habe.
Ich bin erfreut, hier Gelegenheit zu haben, Herrn Hof-
rath Helmholtz für seinen vielfachen Rath und Beistand
bei diesen Studien öffentlich meinen innigsten Dank
auszusprechen.
Nachdem die Lehre von den Bewegungen des Auges
durch die neuem Arbeiten immer verwickelter zu werden
drohte, hat sich dieselbe durch die Einführung eines
neuen Princips von Helmholtz*) überraschend einfach
gestaltet Dieses neue Princip ist das der leichtesten
Orientirung, welches in seinen Folgen mit dem Listing-
schen Gesetze nahezu übereinstimmt.
Es war dieses Gesetz bis jetzt nur für normale Augen
richtig befunden, für kurzsichtige Augen schien es nicht
vollkommen zu stimmen, daher stellte ich es mir zur
Aufgabe, dasselbe für mein Auge, dessen Eurzsichti^eit
circa Vio ist, zu prüfen. Die Versuche, welche ich dazu
•) Diese« AreluT Bd. 9 Abth. 8.
108
machte, sind nach zwei Methoden angestellt, so dass ich
die Besaltate der einen, durch die der andern control-
liren konnte, und zwar benutzte ich zuerst die Methode
der Doppelbilder, dann die der Nachbilder.
Meissner war der Erste, welcher ausführliche Un-
tersuchnngen mit Hilfe von Doppelbildern anstellte. In-
dem ich auf dessen sehr werthvolle Arbeit verweise, will
ich hier über Doppelbilder im Allgemeinen Nichts er-
wähnen, und nur das kurz anfahren, was meine Versuche
speciell betrifft
Fixiren wir einen Punkt im Räume, so werden uns
zwei andere Punkte, die vor oder hinter dem fixirten
Punkte liegen, in Doppelbildern erscheinen, wir worden
also anstatt 2 Punkte 4 Punkte wahrzunehmen glauben.
Nun können wir aber immer durch zweckmässige Fixa-
tion zwei von den 4 Punkten zur Deckung bringen, so
dass uns nur 3 Punkte im Gesichtsfelde erscheinen.
Nenne ich in Fig. I und 2 den fixirten Punkt F, die bei-
Fig. 1.
rig. 2.
109
den Punkte, von denen ich mir Doppelbilder yerschaffen
will, P und F, so werden die beiden mittelsten Doppelbil*
der immer in F zur Deckung kommen, wenn die Punkte
P und P' auf den beiden Gesichtslinien liegen, gleichviel,
ob vor oder hinter dem Schnittpunkte F derselben. Die
Doppelbilder der Punkte P und F kann man sich auf
einer Linie projicirt denken, welche durch den Fixations-
punkt F parallel zur Verbindungslinie der Knotenpunkte
K und K, beider Augen gezogen ist Liegt der fixirte
Punkt hinter den beiden Punkten P und P', wie in Fig. 1,
so wird das Doppelbild von P', p' rechts von F liegen
und vom linken Auge gesehen werden, p das zweite
Bild von P dagegen links von F liegen und dem rechten
Auge erscheinen. Die beiden Richtungsstrahlen (das
sind die Linien, welche von einem Punkte des Objekts
durch den Knotenpunkt des Auges zur Netzhaut gezogen
werden) P K^ und P^ K werden sich in S kreuzen, p und
p, also gekreuzte Doppelbilder sein. Liegt der fixirte
Punkt F vor den beiden Punkten P und P', wie in Fig. 2,
so werden sich die beiden Richtungsstrahlen P K und
P' K' nicht kreuzen, p und p, also gleichnamige Doppel-
bilder sein.
Denken wir uns nun in Fig. 1 den Fixationspunkt
unendlich weit gelegen; so werden die beiden Gesichts^
linien parallel laufen und sich in der Unendlichkeit schnei-
den, die beiden Punkte P und F, welche ja auf den
Gesichtslinien liegen sollen, werden dann die Entfernung
der Knotenpunkte beider Augen haben müssen, damit
ihre in der Mitte gelegenen Doppelbilder wieder zur
Deckung kommen. Denken wir uns nun schliesslich von
den Punkten P und P' zwei horizontale Linien P Q
und P' Q' gezogen, so werden die Doppelbilder derselben
in F zusammenstossen, (da ja ihre Endpunkte P und P<
einander decken) und eine gerade Linie q F q^ oder
110
einen Winkel, dessen Scheitelpunkt F und dessen Schen-
kel q F und q' F wären, zu bilden scheinen.
Nun kennen wir ja das Bewegungsgesetz fflr nor-
malsichtige Augen und wollen untersuchen, wie diesen
die Doppelbilder der bezeichneten Horizontaliinien er-
scheinen müssen.
Der Wortlaut des Listing'schen Gesetzes ist nach
Ruete*) folgender:
Aus der normalen Stellung des Auges, welche die
primäre heissen mag, wird das Auge in irgend eine an-
dere, secundäre, durch die Cooperation der sechs Mus-
keln in der Weise versetzt, dass man sich diese Ver-
setzung als das Resultat einer Drehung um eine be-
stimmte von den obigen 3 verschiedene Drehungsaxe
vorstellen kann, welche jederzeit durch das Augencentrom
gehend, auf der primären und der secundären optischen
Axe (Gesichtsiinie) zugleich senkrecht steht, so dass
also jede secundäre Stellung des Auges zur primären
in der Relation steht, vermöge welcher die auf die op-
tische Axe projicirte Drehung = 0 wird.
Für die Versuche ist es nöthig, die Primärsteilung
der Augen empirisch, wie es Helmholtz**) angegeben hat>
zu suchen. Obgleich ich dieselbe Terminologie anwende,
wie sie sich in den Arbeiten von Helmholtz findet, so
will ich hier doch noch zur grossem Bequemlichkeit ein
Paar Erklärungen mit kurzen Worten vorausschicken.
Die Ebene, welche wir uns durch die Gesichtslinie
beider Augen gelegt denken, nenne ich die Visirebene.
Die Hebung und Senkung dieser Visirebene von der
Primärlage aus wird durch den Erhebungswinkel be-
stimmt, er sei positiv bei erhobenem Blick, negativ bei
gesenktem Blick. Die Bewegung der Augen in der Vi-
*) Buete, Lehrbuch der Ophthalmologie. 2te Auflage. Pag. 37.
^) Dieses AzchiT. Bd. 9. Abtheil. 2. Pag. 176. ..
111
sirebene nach rechts und links, wollen wir die Innen-
Wendung nennen, sie ist positiv, wenn sich das Auge
Yon der Medianstellung nach der Nase zu bewegt, negativ
f&r die Wendung des Auges nach der Schläfe hin. Der
Kreis, in dem die Yisirebene bei der Primärlage die bei-
den Netzhäute schneidet, heisst die horizontale Tren-
nungslinie. In den Augen von Helmholtz fallen die ho-
rizontalen Trennungslinien mit dem Netzhauthorizonte
(das ist der Kreis im Auge, in welchem die Yisirebene
bei der Innenwendung = 0 und bei der Erhebung » 0
die beiden Netzhäute schneidet) zusammen; da ist also
der Netzhauthorizont gleichzeitig die horizontale Tren-
nungslinie. Bei Volkmann*) und Hering**) ist das nicht
der Fall, denn nach ihren Beobachtungen bilden die ho-
rizontalen Trennungslinien mit einander einen Winkel.
Bei Bewegungen des Auges werden die horizontalen
Trennungslinien nicht immer mit der Yisirebene zusam-
menfallen, sondern mit ihr einen Winkel bilden. Diesen
Winkel nenne ich Raddrehungswinkel, so lange das Auge
dem Listing'schen Gesetze folgt (Gewöhnlich wird der Win-
kel zwischen der Yisirebene und dem Netzhauthorizonte
Raddrehunswinkel genannt. Da es mir aber in Folgen-
dem wesentlich auf die horizontalen Trennungslinien an-
kommt, so will ich den Raddrehungswinkel auch von
ihnen aus abmessen.) Folgt ein Auge dem Listing'schen
Gesetze nicht, so wird es auch andere Winkel fftr die
Raddrehung angeben. Die Differenz zwischen dem Win-
kel', welchen die horizontalen Trennungslinien mit der
Yisirebene bilden und dem Winkel, welchen sie nach dem
Listing'schen Gesetze bilden sollten, nenne ich die Ano-
malie des Auges. Es ist also die Anomalie die Ab-
*) Phyfliologisoheüiitenuohungen im Gebiete der Optik. Leipsig. 1S6S*
Pag. 224.
**) Beiträge zur Physiologie ron Dr. med. Eduard Hering. Viertes
Heft. Pag. 26S n. Fünftes Heft. Pag. 847.
112
weichung des Auges vom Listing^schen Gesetz. Ein Beob-
achter, dessen Auge diesem Gesetze folgt, wird nun von
der Prim&rstelinng aus die Doppelbilder zweier horizon-
taler Linien, die um die Entfernung der Knotenpunkte
seiner Augen von einander abstehen, als eine gerade ho-
rizontale Linie erblicken, wenn der Netzhauthorizoat mit
den horizontalen Trennungslinien, wie bei Helmholtz, zu-
sammenfUlt Es ist aber, wie schon erwfthnt, nicht noth-
wendig, dass der Winkel, den die horizontalen Trennongs-
iinieu in der Prim&rlage miteinander bilden = 0 ist, und
es können daher auch die Doppelbilder der horizontalen
Linien unter einem Winkel erscheinen. Zieht man aber
die Linien den horizontalen Trennungslinien parallel, so
werden ihre Doppelbilder auf die horizontalen Trennangs-
linien fallen, und als eine gerade Linie wahrgenommen
werden. Zwei so gezogene Linien müssen nun nach dem
Listing'schen Gesetz auch in allen Stellungen der Augen,
bei denen nur die Erhebung oder Senkung ausgefahrt.
die Innenwenriung also unverändert gelassen ist, eben-
falls eine gerade horizontale Linie zu bilden scheinen.
Ich werde in Folgendem die Linien, deren Doppelbilder
in der Primärlage als eine gerade horizontale Linie er*
scheinen, des kürzeren Ausdrucks wegen, horizontal nen-
nen, wenn wir auch wissen, dass sie für einige Augen
nicht vollkommen horizontal sind.
Jetzt wollen wir den Fall betrachten, in dem die
Augen dem Listing^schen Gesetze nicht folgen. Bringen
wir nun die Doppelbilder derselben horizontalen Linien
bei einer bestimmten Erhebung der Augen zur Vereini-
gung, dann werden sie nicht mehr eine gerade Linie,
sondern einen Winkel zu bilden scheinen, die horizon
talen Trennungslinien werden nicht mehr mit der Visir
ebene zusammenfallen, es wird im Gegentheil die horizon-
tale Trennungslinie eines jeden Auges einen Winkel
mit der Visirebene bilden. Könnte ich diese Winkel
113
messen, dann hätte ich fOr eine bestimmte Stellung der
Gesichtslinie die Anomalie gefunden und somit das Pro-
blem der Augenbewegung für diesen einen Fall gelöst
Nun kann ich zwar nicht die Anomalie für jedes Auge
allein, aber ich kann mit Leichtigkeit die Summe der
Anomalien beider Augen finden. Ich werde von den
beiden horizontalen Linien, die ich beobachte, die eine
nur so weit zu neigen oder zu heben haben, dass die
Doppelbilder wieder eine gerade Linie zu bilden scheinen.
Es wird dann der Winkel, den jetzt die beiden Linien
bilden, gleich dem Winkel sein, den die Doppelbilder
dieser Linien in ihrer horizontalen Lage zu bilden schie-
nen, und das ist die Summe der Anomalien beider Augen.
Aber wenn nun auch die eine der beiden horizon-
talen Linien so geneigt ist, dass die Doppelbilder als
eine gerade Linie erscheinen, so würden doch noch nicht
die horizontalen Trennungslinien mit der Visirebene zu-
sammen&llen. Wollte ich dieses erreichen, dann müsste
ich jede der beiden horizontalen Linien um die Hälfte
des Winkels neigen, um den ich nur die eine Linie ver-
schoben habe, vorausgesetzt, dass jedes der beiden Augen
eine gleiche Anomalie zeigt.
Es kommt nun darauf an, die Messungen der Win-
kel für die Erhebung der Augen und die dazu gehörige
Anomalie wirklich auszuführen.
Da es mir an&ngs schwer wurde ein Objekt in der
Entfernung meiner Sehweite von circa 10 Zoll mit pa-
rallelen Gesichtslinien zu betrachten, so habe ich an
Stelle der Linien horizontal ausgespannte Seidenf&den
zur Beobachtung benutzt. Ich konnte dann einen fernen
Punkt am gegenüberliegenden Hause fixiren, und war so
im Stande, die Dopelbildcr mit Leichtigkeit zur Ver-
einigung zu bringen. Die Fäden (Fig. 3) waren in Na-
deln n eingefildelt, welche ich in einen kleinen Klotz h
eingekeilt hatte, der in der Höhe meiner Augen befestigt
Archiv für OplitlMlmologle. ZI. 8. g
114
war. Die beiden anderen Enden der Fäden wurden an
zwei Gestellen von Holz (g) befestigt, und zwar dadurch,
dass ich Nadeln in dieselben steckte und über sie die
Fig. s.
Fäden zog, welche durch kleine Gewichte in gleicher
Spannung gehalten wurden. Damit diese Gestelle sich
nicht auf dem Tische verschieben konnten, wurden sie
an ihm festgenagelt. An dem rechts stehenden Gestell
wurde nun zuerst der Punkt b verzeichnet, in den die
Nadel gesteckt werden musste, damit die Fäden in eine
horizontale Lage kamen. Von diesem Punkte b aus
wurde dann die Veschiebung des Fadens aus der Hori-
zontalen nach Millimetern gemessen und die Zahlen ne-
gativ gerechnet, wenn der Faden über b, z. B. nach c ge-
zogen war. Die Entfernung der beiden Nadeln n von
einander machte ich gleich der Entfernung der Knoten-
punkte meiner Augen = 64 Millimeter. Die Länge des
Fadens ab betrug 710 Millimeter. War nun far eine
bestimmte Kopfneigung der Faden in c befestigt, so war
115
bc
Tg. bac == -r, bc konnte direkt gemessen werden und
ab war 710 Millimeter lang. So fand ich also den Winkel,
den die F&den mit einander bildeten, oder die Summe
der Anomalien beider Augen für eine bestimmte Kopf-
neigung.
Ich muss nun noch beschreiben, wie ich den Winkel
für die Erhebung der Augen bestimmte.
Dazu benutzte ich ein kleines Instrument, das in
Fig. 4 abgebildet ist
Fig. 4.
An einem Brettchen von der Gestalt eines Bechtecks
ist an einem Ende ein Ausschnitt A gemacht, der den
Zahnreihen meines Mundes entspricht, in der Mitte des
andern Endes ist ein Transporteur vertical auf der Ebene
des Brettchens befestigt. An dem Transporteur ist ein
kleines Loth MP in der Mitte desselben angebracht
Die Ränder des Ausschnittes A werden auf beiden Seiten
mit einem Halbringe von Siegellack bedeckt, in welchem
man beim Erkalten des Lackes seine Zähne einbeissen
kann, wodurch man einen Abdruck derselben erhält Ist
der Siegellack vollkommen erhärtet, so sichert dieser
Abdruck die Lage des Brettchens zwischen den Zähnen
zum Kopfe, wie man denselben auch heben oder senken
mag. Man sieht nun leicht, dass bei einer horizontalen
s«
116
Lage des Brettehens das Loth auf 90" zeigen wird. Um
mich hiervon auch experimentell zu Oberzeugen, stellte
ich das Brettchen mit Hülfe einer Libelle horizontal, und
konnte dann sehen, dass das Loth am Transporteur gerade
auf 90" zeigte. Für jedeNeigung desBrettchens ist denn der
Winkel dieser Neigung leicht am Transporteur abzulesen.
Zuerst musste ich nun die Neigung des Brettchens,
welches ich zwischen den Zähnen hielt, für meine PrimUr-
Uge bestimmen. Um zufälligen Beobachtungsfehlern so
wenig wie möglich ausgesetzt zu sein, habe ich zu jeder
Winkelmessung 10 Versuche angestellt und aus diesen
den Mittelwerth genommen.
Die Primärlage suchte ich mit Hülfe von Nachbüdem
auf und erhielt für die Neigung des Brettchens in derselben
+ 57"
+ 58"
+ 58»
+ 54o
+ 55»
+ 56"
+ 54"
4- 56
Mittelwerth -h 55 8
900 — 55o8 = 34o2
Das Brettchen meines Winkelmessers ist also um
34»2 bei der Primärlage meiner Augen geneigt, und musst«
dieser Winkel von 34^» 2 stets in Abzug kommen, wenn
ich die Winkel für eine Kopfneigung ermitteln wollte.
Die Neigung des Kopfes, also den Blick nach oben
habe ich positiv genommen, die Erhebung des Kopfes
und den gesenkten Blick also negativ. Um sicher zu
sein, dass ich bei meinen Versuchen immer in senkrechter
Richtung auf die Fäden sah, markirte ich einen Punkt
an den Fensterscheiben in der Höhe meiner Augen, und
benutzte diesen als Visirzeichen. War der Punkt nach
117
oben yerröcki, so wusste ich, dass ich den Kopf zu tief
hielt, und konnte so stets die Gontrolle über die Haltung
meines Kopfes ausüben.
Nachdem ich nun die Methode, nach der ich experi-
mentirt, beschrieben habe, lasse ich die gefundenen Zahlen
folgen. Nenne ich den Winkel, welchen die Fäden bilden,
bc
kurz X, so ist Tg. x
ab
Der Winkel, welchen ich bei den Kop&eigungen
direkt am Winkelmesser ablese, sei w, denn ist 90-- w
die Neigung des Instrumentes aus der Horizontalen und
ziehe ich von 90 — w noch 34*2 ab, so erhalte ich den
wahren Werth für die Kopiheigung, er sei y.
bc=-M0OMm.
bc
« + 90 Mm.
w = -H26
w« + 28
-+•26
+ 27
H-26
+ 26
+ 25
+ 27
+ 25
+ 27
+ 26
+ 27
+ 25
+ 28
+ 25
+ 29
+ 25
+ 28
+ 26
+ 26
Mittel + 25 »5
W=r + 27«3
90 — w-= 64*5
90-
-was + 62*7
— 84»2
-84-2
y SS + 80*8
y»: + 28»5
bcB+SOMm.
bc
-s
+ 70 Mm.
w = +80
W
-=+30
+ 28
+ 29
+ 81
+ 80
+ 29
+ 80
+ 27
+ 80
+ 80
+ 80
+ 80
+ 29
+ 29
+ 80
+ 80
+ 29
+ 28
+ 80
w« + 29'2
W
B + 29»7
90— w=s+60»8
90-
-w
-s + 60-8
— 84 »2
-84*2
y»:-+ 26»6
y
-B + 26»!
bc« + 60Mm.
bc SS +50 Mm.
bc« + 40Mm.
bc = + 80Mm.
waa+ sr
w -s + 88*
w « + 84«
w— 4- 86
+ 81
+ 88
+ 86
+ 85
+ 29
+ 88
+ 33
+ 88
+ 82
+ 32
+ 32
+ 87
+ 28
+ 82
+ 82
+ 88
+ 29
+ 81
+ 88
+ 88
+ 80
+ 82
+ 88
+ 87
+ 80
+ 32
+ 84
+ 85
+ 80
+ 83
+ 86
-^85
+ 80
+ 82
-1-85
+ 87
w=s + 30»0
w« + 27*3
w« + 38«8
w-B + 86»6
90— w« + 60.0
90— w-6 + 57*7
90— w-s + 56»2
90— W-S+68M
— 84*2
-84'8
— 84*2
— 84«2
25*8
y-i+28*5| y — + 22«0| y = +19»2
118
bo s + 20 Mm.
bo B + 19 Mm.
bc « + 18 Mm.
bos+ 17 Mb.
WS + 88
w = + 50»
w« + 51
ir-B + 46
H-88
+ 48
+ 54
+ 57
-^84
+ 45
+ 56
+ 45
-»-89
+ 48
+ 58
+ 58
+ 87
+ 45
+ 68
+ 53
+ 40
+ 46
+ 47
+ 45
+ 88
+ 48
+ 52
+ 60
+ 88
-•-48
+ 50
-f 59
+ 88
+ 44
+ 51
+ 58
+ 40
+ 47
+ 52
+ 58
w -s + 28*0
w B + 46*9
w = + 52*4
if « + 58M
90— w = + 52»0
90— w«s + 43«l
90-w=» + 87*6
90— ir = + 86*6
-.84*2
-84*2
— 84-2
-84*2
y-+17'8
y-=:+ 8*9
y«+ 8*4
y-+ 2-4
be«:: + 16Mm.
bo = + 15Mm.
b0B=
:+ 10 Mm
bessOMm.
w = + 54-
w-B+54
w=— 89
90 — w=— 1
w«-80
+ 52
+ 65
-88
— 2
-88
+ 60
+ 56
— 85
— 5
— 90
+ 55
+ 56
+ 86
+ 4
— 89
+ 65
+ 61
+ 87
+ 8
— 86
-^61
+ 57
— 87
— 8
-80
+ 42
+ 65
— 86
— 4
-83
+ 62
+ 67
+ 87
+ 8
-84
+ 55
+ 67
— 87
— 8
-86
+ 52
+ 46
-89
— 1
— 86
w-= + 55'8
W=:+67'8
90 — w = — 0»9
w « — 85*2
90 — w — 84»2
90 — w = + 82*7
— 84*2
90— w=r- 4'8
— 84*2
— 84*2
-84.2
y« 0»0
y = - 1-6
y = -85*l
y«-89*0
bo«~5Mm.
bo-s-lOMm.
bo = — 20Mm.
bc = — SOMni.
w-B— 80
w = — 77
w = --74
w = -72
— 78
— 76
— 72
— 70
— 79
— 78
— 78
— 79
— 78
— 76
— 72
-68
— 79
— 72
— 71
— 72
— 78
— 75
— 72
— 70
— 80
— 75
-78
— 70
— 81
— 78
-71
— 78
— 81
— 75
— 70
— 6S
— 80
— 72
— 70
-71
w = -79*4
w«s-78*8
w = — 7r8| W-B-70U
90 — w -s 10»7
90— was — 15^7
90 — w«-18»2 90— w— -19*6
— 84»2
-84*2
— 84*2 -84»2
y«.-44*8
y = -49»9
y = -62U
y«-58'8
119
bo»--40Mm.
bo
= -
--60 Mm.
w=s — 71
w
«-69
— 69
— 67
— 70
-68
— 69
— 69
— 69
— 69
— 69
— 68
— 69
— 66
— 68
-68
— 69
— 66
— 71
— 68
w« — 69*9
w
-s-68^8
— 20*6
90-
-w
=s — 21«2
— 34*2
— 34*2
y — — 64*8
y
--5ÖV
Fflr jede Zahl von bc habe ich noch den ent-
bc
sprechenden Winkel x nach der Gleichung Tg. x == -^
zu berechnen, und kann dann folgende Tabelle aufstellen.
Tabelle I.
WlnkeUSnXe
WlnU für die
bc
Fäden bilden = x
Kopfneigrni^g = y
Anomalie = r
-+-100
^-8• 1' 11"
+ 30*3
+ 4" 0' 30"
+ 90
-^ 7: 13' 27"
+ 28*5
+ 3« 36' 43"
-t- 80
H" 6, 25' 43"
•+■ 26*6
4-3» 15' 51"
+ 70
+ 5, 87' 50"
-H26»l
+ 2* 48' 55"
-+- 60
-»-4.49' 46"
+ 26*8
+ 2« 24' 64"
+ 50
-+-4. 1' 42"
+ 23*5
-t-20 0' 51"
-H 40
+ 3. 18' 28"
+ 22*0
-f- !• 36' 44"
+ 30
H" 2, 25' 10"
-^19»2
+ 1. 12' 85"
-*- 20
+ 1 36' 48"
-^17^8
H-O» 48' 24"
+ 19
+ 1* 31' 58"
-»- 8«9
+ 0« 46' 69"
+ 18
•f 1* 27' 9"
+ 3*4
+ Oo 43* 34"
-*- 17
+ 1* 21* 19"
-fr- 2A
-HO. 41' 9"
+ 16
•*- 1* 14' 25"
0»
+ 0 38' 43"
-+- 15
+ 1» 12' 37"
- ItÖ
+ Oo 36' 18"
+ 10
-»• 0» 48' 25"
-35«1
+ 0. 24' 12"
+ 0
0' 0' 0"
-39^
-O« 0' 0"
- 5
-0" 24' 14"
-44t«
-0.11' 7"
- 10
- 0* 48' 25"
-49»9
- 0, 24' 12"
- 20
- 1* 36' 48"
-52.4
- 0. 48' 24"
- 80
- 2» 26' 10"
-58,3
- 1, 12' 35"
- 40
-4 18' 28"
-54.8
- 1, 36' 44"
- 50
- 4; 1' 42"
-55,4
- 2. 0' 21"
Werfen wir jetzt zuerst einen Blick auf die Zahlen
fQr die Kopfneigung, aus denen der Mittelwerth genommen
120
wurde, so finden wir, dass sie eine grosse Ueberein-
Stimmung zeigen, so lange die Fäden einen irgend er-
heblichen Winkel mit einander bilden. Nähert sich dieser
Winkel aber der Null, so weichen diese Zahlen bedeutend
von einander ab, wie es alle Reihen von bc « + 18 bis
b c * — 5 zeigen. Diese starke Abweichung der Zahlen
von einander ist ein deutliches Zeichen davon, das? hier
ein Unterschied in der Eopfneigung um einige Grade auf
die Stellung der Doppelbilder keinen merklichen Einfluss
ausQbt.
In der aufgestellten Tabelle finden wir noch inter-
essantere Besulte. Was die 4 Spalten der Tabelle be-
deuten, ist wohl durch die Ueberschrift klar, über die
4. Spalte mit Anomalie »r überschrieben, habe ich nur
zu bemerken, dass r halb so gross als das entsprechende
X gemacht ist unter der schon oben erwähnten Voraus-
setzung, dass die Anomalie bei diesen Stellungen für
beide Angen gleich gross ist.
Es zeigt sich nun zuerst, dass ich den Blick um
39^ senken muss, damit die horizontalen Trennungslinien
meiner Augen mit der Visirebene zusammenfallen. Er-
hebe ich dann die Augen immer mehr und mehr bis zum
Winkel von 17^8, also um 56^8, so ist die Anomalie nur
0^48' 24'^ Von nun an wächst dieselbe bei fortgesetzter
Erhebung der Augen auffallend schneller, denn bei der
Erhebung von 30 "3 ist die Anomalie +4^ 42' 6" ge-
wachsen. Aehnlich verhielt sich ihr Wachsthum bei ge-
senktem Blick. Es ist demnach die Anomalie kurzsich-
tiger Augen für die Erhebung und Senkung, welche die
gewöhnlichenBeschäftigungen erfordern, sehr unbedeutend,
erst an den Grenzen der Erhebung nach beiden Seiten
hin erlangt sie ein rapides Wachsthum. --
Wir haben jetzt noch den Sinn der Anomalie zu
untersuchen, wobei ich nur daran erinnern will, dass das
Bild auf der Netzhaut die umgekehrte Lage, als das
121
Objekt hat Erscheint uns also der horizontale Faden
nach oben und aussen gelegen, so weiss ich, dass er sich
im Auge unten und innen abgebildet hat, dass also die
Visirebene einen Meridian getroffen hat, dessen innerer
Theil unter dem Netzhauthorizonte liegt, und dass das
Auge dabei eine Drehung gemacht hat, bei welcher die
äussere Seite nach unten gerichtet ist. Diese Drehung
wollen wir positiv rechnen, und habe ich dem ent-
sprechend bc positiv genommen, wenn die Doppelbilder
nach oben zu divergirten, und bc unter ab befestigt
werden musste, damit sie wieder als eine Horizontale
erschienen.
Die Tabelle lehrt uns nun, dass die Anomalie nicht
nur bei der Erhebung der Augen positiv ist, sondern
dass sie auch bei der Senkung der Augen bis zu — 39"
positiv bleibt Wird die Senkung noch stärker, so geht
die Anomalie durch Null und wird negativ, die Aussen-
Seite des Auges also nach oben gerichtet
Eine zweite Reihe von Messungen der Anomalien
für parallele Sehlinien machte ich bei Seitenstellungen
des Kopfes. Nach dem Listing'schen Gesetze darf auch
hier keine Baddrehung bemerkbar sein. Es ist bei diesen
Versuchen natürlich noth wendig, die Entfernung der
beiden Nadeln, durch welche die Fäden gezogen sind,
entsprechend kleiner zu machen. Ist D der Winkel, um
welchen der Kopf zur Seite gedreht wird, E die Entfer-
nung der Nadeln, und 64 Millimeter die Distance der
Knotenpunkt der Augen, so muss E » 64 cos D gemacht
werden, damit die Doppelbilder der beiden Fäden zur
Vereinigung gebracht werden können. Es waren nun die
Nadeln um 60,141 Millim. von einander entfernt Diese
Entfernung entsprach einer Seitwärtsdrehung um 20^. Dreht
man den Kopf um mehr als 20 <> zur Seite, so können
die Doppelbilder der Fäden nicht mehr zur Vereinigung
kommen, bei einer geringem Drehung als um 20^ müssen
122
sich die Doppelbilder dag^en kreazen, und so kann i
bei einiger Uebung die Gesichtslinien parallel zu steUeo,
leicht die richtige Seitw&rtsstellung ermitteln und während
einer Beobachtung festhalten. — Den Winkel Ar die
Eopfoeigung ftnd ich wieder aus dem Mittelwerthe Yon
10 Beobachtungen, die ich hier mitzutheileu f&r über-
flüssig halte. Folgende Tabelle enhftlt die gewonnenen
Resultate. —
Tabelle II.
Seitw&rtsdrehung des Kopfes um 20^.
Winkel für die
bo
Winkel, den die
Faden bUden, » x
Kopfineignng » y
Anomalie as r
bei Seitwärtidrehnng
, des Kopfes
a) naeh
b) nach
+ *• 1' 42^
links
rechts
+ 50
+ 24'9
+ 27M
+ 2» 0' 51-
+ 40
+ 3" 18' 28*'
+ 22*7
+ 25»4
+ 1» 86* 44*
+ 80
+ V 25' 10«
+ 19« 6
+ 281
+ lo 12' 85"
+ 20
+ X* 86' 48*
+ 12*7
+ 14.5
+ 0# 48' 24"
+ 10
+ 0« 48' 26"
-88»8
-48"6
+ 0* 24' 12-
+ 0
-^O» 0' 0"
-41*9
-47^6
0* 0' 0"
-10
- 0» 48' 25"
-47'6
- 50 0
- 0^ 24' 12"
Bevor ich eine Vergleichung dieser Tabelle mit der
ersten anstelle, will ich noch eine dritte Tabelle für eine
Reihe von Beobachtungen hinstellen, bei welcher die
Distance der Nadeln von einander 50 Millim., die Seit-
wärtsdrehung des Kopfes demgemäss 38° 37' 30'' betrag.
123
Tabelle lU.
Seitwftrtsdrehung des Kopfes am 38° 37' 36''.
Winkel Ar die
bo
Winkel, den die
Fäden bUden » x
Kopfneig:ang «s y
Anomalie ■» r
bei Seitwärtodrehnng
des Kopfes
a) nach
b) nach
+ 4. 1' 42^
links
rechts
-f-öO
+ 24
+ 24*8
+ 2i 0* 61"
+ 40
+ 8* 18' 28-
+ 21»7
+ 22-4
+ 1- 86' 44"
+ 80
+ 2* 26' 10"
+ 18»8
+ 18«8
+ 1. 12' 86"
-H20
+ !• 86' 48-'
+ 15-6
+ 10*4
+ 0« 48' 24"
-HIO
0« 48' 20"
-18-7
-82*1
0» 0* 0"
+ 0
- 0* 0' 0"
-88»5
-42«0
- 0« 24' 12"
Die zweite Tabelle zeigt uns mit grosser Regel-
mässigkeit, dass bei den Seitenstellungen des Kopfes die
gemessenen Anomalien nach beiden Seiten der Erhebung
der Augen hin, grösser sind als bei der Stellung des
Kopfes gerade nach vorn und dass von den Seitenstel-
lungen, die nach rechts, bei welcher der Blick also nach
links gerichtet ist, eine stärkere Anomalie zur Folge hat.
Die 3. Tabelle zeigt im Allgemeinen dasselbe, als die
2. Tabelle, nur wird die Begelmässigkeit der Erscheinug
vermisst, was wohl seinen Grund darin haben mag, dass
Seitwärtsdrehungen der Augen um mehr als 38*^ schon
sehr gezwungen sind, die beim gewöhnlichen Sehen nicht
leicht vorkommen. Bei solchen gezwungenen und unge-
wohnten Stellungen der Augen ist aber die Gesetzmässig-
keit der Bewegung nicht mehr in aller Strenge vorhanden.
Es kann auffallend erscheinen, dass die Beobach-
tungen f&r die stärkern Kopfneigungen, welche nach der
1. Tabelle zu schliessen, die grössten Anomalien zu
geben versprechen, hier fehlen. Das liegt aber einfach
daran, dass sich die Doppelbilder bei stärkern Erhebun-
124
gen, als sie verzeichnet sind, zu aberkreuzen anfingen,
woraus man auf eine Divergenz der Sehlinien schliessen
muss. Bei stärker gesenktem Blick liessen sich die Be-
obachtungen aber darum nicht ausführen, weil hierbei der
eine Faden durch die Nasenspitze verdeckt wurde.
Ich muss hier noch auf eine Erscheinung aufmerksam
machen, die leicht die Veranlassung zu Beobachtungs-
fehlern werden kann. Wenn man längere Zeit die Angen
nach unten gerichtet hat, und dann bei derselben Kopf-
neigung die Fäden betrachtet, bei welcher man sie so
gerichtet hatte, dass ihre Doppelbilder eine gerade Linie
zu bilden schienen, so machen sie anfangs wieder einen
Winkel, dessen Schenkel nach oben zu convergiren scheinen,
erst allmälig schwindet dieser Winkel, und man sieht dann
wfeder nur eine gerade Linie. Man sieht daraus, dass die
Regelmässigkeit der Raddrehung unter der Anstrengung
der Muskeln leidet, und dass die Beobachtungen der
Doppelbilder aus der Gleichgewichtslage und nicht mit
ermüdeten Augen zu machen sind.
In ganz derselben Weise, als ich die Doppelbilder
von horizontalen Fäden zur Messung der Anomalie be-
nutzte, habe ich es auch mit den Doppelbildern vcrticaler
Fäden gethan. Die horizontale Entfernung der Nadeln,
durch welche die Fäden gezogen waren, betrug wieder
64 Millim. Durch das Oehr einer Nadel war ein Faden
vertical nach oben gezogen, an dem Oehr der 2. Nadel
hiug ein Faden vermittelst eines Gewichts vertical herab.
Um nun nicht mit jedem Athemzug eine pendelnde Be-
wegung dieses 2. Fadens zu erregen, tauchte das Gewicht
in ein Glas mit Gel ein. Durch Doppelbilder konnten
diese beiden vertical ausgespannten Fäden wieder zur
Vereinigung gebracht und der Winkel, den sie zu bilden
scheinen, auf dieselbe Weise, wie es bei den horizontalen
Fäden geschah, gemessen werden. Die Zahlen, welche
nun gefunden wurden, stimmen sehr nahe mit denen in
125
der 1. Tabelle überein, wie es a priori anzunehmen war,
doch ist eine Abweichung durchgängig vorhanden,
die Anomalie ist hier nämlich stets etwas grösser als
dort. Bei dem kleinen Unterschied in den Winkeln
schienen mir noch modificirte Versuche nothwendig, um
sicher zu sein, dass die gefundene Abweichung nicht auf
Beobachtungsfehler zu schieben sei, und so suchte ich
bei ein und derselben Kopfstellung schnell hintereinander
Doppelbilder horizontaler und dann verticaler Fäden zu
vereinigen, und den Winkel, den sie scheinbar bildeten,
zu messen.
Die Fixation des Kopfes führte ich dadurch aus,
dass ich ein Brettchen, wie es zn meinem Winkelmesser
benutzt wurde, in ein eisernes Stativ einschrob, und das
Brettchen dann zwischen meinen Zähnen hielt. Die Stime
war ausserdem noch dadurch fixirt, dass ich sie gegen
einen Stab, der am Stativ befestigt war, lehnte.
Dabei war die Entfernung, welche ich ab genannt
habe, sowohl für die verticale als auch für die horizontale
Lage des Fadens »» 710 Mm. also in beiden Fällen
bc
Tg. X »■ Y\c) '^^ ^^"^ ^^^^' ^^^ ^^^^ Werthe für den Unter-
schied (d) der beiden Winkel, um die ich die Fäden bei
einer festen Kopfstellung verschieben musste, anführen.
Verschiebung des verticalen Fadens 35 Mm.
« horizontalen . 27 „
Differenz
8 Mm.
Tg. d
-tIö« d-0''38'44"
Bei einer andern fixirten Kopfstellung fand ich die
Verschiebung des verticalen Fadens 26 Mm.
„ horizontalen , 21 „
Differenz
5 Mm.
Tg. d
-^, d-0''24' 12"
126
Eine noch genauere Bestimmung des Winkels, wel-
chen die verticalen Meridiane des Auges mit einander
bilden, Hess sich mit Doppelbildern anstellen, wenn ich
anstatt des einen Fadens ein 3 bis 4 Linien breites roth-
seidenes Band anwandte. Es hingen nun also an einer
horizontalen Leiste ein Faden und ein rothes Band durch
kleine Gewichte gespannt vertical neben einander, das
Doppelbild des Fadens war dann auf dem breiten Bande
zu sehen, und konnte mit grösster Genauigkeit parallel
mit den R&ndem desselben eingestellt werden. Machte
ich nun die Beobachtung ans der Primärstellung, so &od
ich einmal, dass die Entfernung des Fadens vom Bande
oben 87, unten 64 Millim. betrug. Die verticale Entfer-
nung zwischen diesen beiden Punkten war 705 Millim.
Nenne ich also den Winkel, den der Faden mit dem
gy g^ 23
Bande bildete, x, so war Tg. x -• — ""tm ^^
X - 1« 52' 17''.
Ein zweiter Versuch ergab mir folgende Zahlen
Die Entfernung oben 83 Mm.
unten 58 „
Differenz 25 Mm.
Tg.x-^ also X = 2M' 51"
Nehme ich nun aus der ersten Tabelle den Winkel,
welchen die horizontalen Fäden bei der Erhebung der
Augen «0 mit einander bildeten, er beträgt 1* 17' 26"
und ziehe ihn von den zuletzt gelfundenen Winkeln ab, so
erhalte ich einmal 1** 52' 17"
V 17' 26"
nach der andern
Beobachtung
~ 0* 44' 25"
0»
34'
51"
2-
1'
51"
1"
17'
26"
127
Die Differenz ist also gleich dem Winkel d, um wel-
chen der verticale und der horizontale Meridian von
einem Hechten abweicht. Wir kommen auf diesen Punkt
später noch einmal zurück und gehen jetzt zu den Ver-
suchen mit convergentem Blick über.
Zur Beobachtung wurde wieder ein Faden benutzt,
der durch das Oehr einer Nadel nach beiden Seiten ho-
rizontal ausgespannt war. Das Oehr der Nadel wurde
fixirt, die Entfernung der Nasenwurzel bis zur Nadel be-
trug 220 Millim., und da die Entfernung der Knoten-
23
punkte meiner Augen -• 64 Millim. ist, so war Tg. a ■■ söä
und a — 8^ 16' 33'S wo a den Winkel Oi die Con-
vergenz eines Auges bedeutet Von der Nasenwurzel bis
zur Nadel war eine Scheidewand von dünner Pappe auf-
gestellt, so dass ich mit dem rechten Auge nur den
Theil des Fadens rechts von der Nadel sehen konnte.
Ohne Scheidewand schien der horizontale Faden für
stärkere Erhebungen ein Kreuz zu bilden, und wäre daher
der Winkel, den der Faden scheinbar bildete, schwer
messbar gewesen.
DieKopfheigung maass ich wieder mit meinem Winkel-
messer, indem ich aus 10 Beobachtungen den Mittelwerth
nahm und berechnete daraus die Zahlen der folgenden
Tabelle. —
Tabelle IV.
he
Winkel, den die
Winkel für die
Scheinbare
UV
Faden bUdotensx
Kopfneigung y
Anomalie asr
-+-60
+ 4- 4S>* 49"
+ 80^8
+ 2* 24' 54"
-1-50
+ 4» 1' 42"
+ 29M
+ 2* 0' 51"
+ 40
+ 3» 18' 28"
+ 25»9
+ V 86' 44"
+ 80
+ 2* 25' 10"
+ 22-4
+ 1* 12' 85"
+ 20
+ !• 86' 48"
+ 18^2
+ 0» 48' 24"
+ 10
+ 0* 48' 25"
+ 10»9
-f. 0* 24' 12"
-: 8
+ 0* 38' 86"
+ 0*0
+ 0» 19' 18"
0
0» 0' 0"
— 12«2
Oo 0' 0"
-10
— 0* 48' 25"
— 49*8
— 0» 24' 12"
128
In dieser Tabelle ist der Winkel x, also ancb r
(dann x === 2r) noch mit einem Fehler behaftet, der ent
corrigirt werden muss, bevor diese Tabelle zur Ver-
gleichung mit der ersten geeignet ist Der Winkel x
liegt nämlich nicht in einer Ebene, welche senkrecht zur
Gesichtslinie steht, wir müssen ihn also auf diese Ebene
projiciren, und dann seine Grösse berechnen. Unter der
schon wiederholt gemachten Annahme, dass f&r diese
Stellungen der Augen die Anomalie für jedes Auge gleich
ist, werde ich die Projection von -^ oder r berechnen.
Diese Projection findet man leicht. Legt man durch das
Auge und durch die beiden Schenkel des Winkels Ebenen,
so schneiden sich diese in einer Kante, welche die Ver-
bindungslinie zwischen dem Auge und dem Scheitelpunkte
des Winkels, also unsere Gesichtslinie ist. Eine durch
diese Kante normal gelegte Ebene wird von den beiden
ersten Ebenen in zwei Linien geschnitten, welche einen
Winkel bilden, der die gesuchte Projection ist. Dieser
Winkel ist aber der Neigungswinkel der beiden Ebenen,
und so kann man auch kurz sagen. Die Projection eines
Winkels ist gleich dem Neigungswinkel der beiden Ebe-
nen, die durch das Auge und durch je einen Schenkel
des gegebenen Winkels gelegt werden. In diesem Falle
Falle wurde also F. (Fig. 5) fixirt.
Die Gesichtslinie A und die beobachtete Linie B
liegen in einer Ebene, hier in der Ebene des Papiers.
Die Linie C liegt dagegen in einer Ebene, die senkrecht
zur Ebene des Papiers steht. Die Linien C und B bil-
deten mit einander den Winkel r, der in der Tabelle
verzeichnet ist, und es soll die Projection dieses Winkels,
also der Neigungswinkel zwischen den beiden Ebenen,
die durch das Ange 0 und durch die horizontale Linie
einerseits, und durch 0 und die Linie C andrerseits gelegt
waren, berechnet werden. Dazu denke ich mir F als den
129
Mittelpunkt einer Kugel von beliebigem Radius* Wo die
drei durch AB, BC und CA gelegten Ebenen die Ober-
fläche der Kugel schneiden, entsteht ein sphärisches
Dreieck , von dem mir 2 Seiten und der eingeschlossene
Winkel bekannt sind. Die beiden Seiten sind r und
90 — a und der eingeschlossene Winkel ist 1 R, denn
die Ebene BG steht auf der Ebene AB senkrecht Nach
einem bekannten Satz der sphärischen Trigonometrie ist
aber Cotg. A ^ Gotg. a sin b, wenn a, b und der einge-
schlossene Winkel G = I R gegeben sind. Bezeichne ich
mit ri den gesuchten Neigungswinkel, dann ist also
Cotg. r» s Cotg. r. sin (90 — «)
Cotg. Ti » Cotg. r. cos o.
Tg. r
Tg. ri
cos a
Fig. b.
Arehiir für Ophthalmologie. XI. 8.
130
Aber auch dieser Winkel r i kann noch nicht mit dem
dem Winkel fär die Anomalie in der ersten Tabelle ver-
glichen werden. Es muss mit diesem Winkel noch eine
2. Gorrector vorgenommen werden, die darin bestdit,
dass der Winkel in Abzug gebracht wird, welchen die
horizontale Trennungslinie mit der Yisirebene in Folge
der Erhebung und Convergenz an und für sich schon
bildet, selbst wenn das Auge dem Listing'schen Gesetze
folgte. Nenne ich diesen Winkel /, den Winkel fftr die
Convergenz eines Auges a und den Winkel der Erhebung
y, so ist, wie Helmholtz"^) in dem mathematischen An<
hang seiner Arbeit bewiesen hat
^^ sin o. sin y
° ' cos « T cos y
Es lässt sich nun jede trigonometrische Funktion
rationell durch die Tangente des halben Winkels aus-
drücken. Thue ich das in der Formel, so wird sie für
die Rechnung etwas bequemer. Nach bekannten Formeln
der Trigonometrie ist:
sin X =« 2 sin -^ cos -^
tg.—
. X 2 a 1
sin y - / COS. -^
yi+tg.»« v/i+tg.«;
2tg.-|- l-tg.» I-
sm a SK cos. a B ~-
a
a
i+tg.,^ i+tg.» -^
tg. y
2 tg. ''
2 "^■«- 2
y
2
■tg.*^
♦) Dieses Archir Bd. 9. Abth. II. Seite 210. Forael K.
131
Setze ich nun die Tangente des halben Winkels Ar
die in der folgenden Gleichung enthaltenen Funktionen
ein, so erhalte ich für
sin g sin y
cos a -h cos y
— tg. y
die Gleichung
2tg.f
1 — tg.
»iL
i-tg-^ftg.«!
Nun setze ich statt tg. -^ tg. ^-•— tg.-2-
Dann ist:
2 tg.
V_
2
— 2 tg.
2
1
tg.'' I-
1— tg.»
2 ' •«• 2
Die beiden Seiten der Gleichung haben aber ganz
dieselbe Form, es muss also auch — tg.
— tg. —
« ^ y
T '^' i
sein, und — tg. -| «= tg.
Berechne ich nach dieser Formel den Winkel / und
ziehe ihn dann von r^ ab, so erhalte ich den gesuchten
Winkel r* — y, welcher der Anomalie, die in der
1. Tabelle notirt ist, entspricht.
Tabelle V.
Winkel für die
bo
Winkel (r' — y)
Kopftxeig^ng
(r*— y) übei^
tragen in Mm.
-f-60
+ 4* 43' 26"
+ 30*8
+ 58, 66
+ 50
+ 4* 11' 11"
+ 29*1
■HÖ8, 28
-1-40
-H 8" 82' 7"
H-2ö'9
+ 48, 86
-hSO
+ 2* öl' 48"
+ 22-4
+ 86, 51
+ 20
+ 2" 8' 86"
+ 18«2
+ 26, 56
-MO
-^ 1* 11' 58"
-+• 1*9
+ 14, 84
■+- 8
4-0' 19' 80"
•♦• 0«0
+ 4,027
■+■ 0
- 00 58' 10"
-126 2
- 10, 94
-10
~ 8 29' 28"
-40«8
-48, 29
9»
132
Vergleichen wir die Anomalien bei Gonvergentem
Blick mit denen bei parallelen Gesichtslinien, so finden
wir, dass der Sinn der Raddrehung ganz derselbe ist^
dass aber die Grösse des Winkels bei convergentem
Blick viel grösser als bei parallelen Gesichtslinien ist. Um
die gefundenen und in den fünf Tabellen enthalteneu
Zahlen leichter mit einander vergleichen zu können, habe
ich eine graphische Darstellung derselben versucht, indem
ich den Schnittpunkt eines rechtwinkligen Goordinaten-
Systems als Anfangspunkt nahm, auf der Ordinsttenaie
die Winkel ffir die Raddrehung in Längeneinheiten über-
tragen, notirte, und auf der Abscissenaxe die dazu ge-
hörige Erhebung der Augen antrug. So erhielt ich far
jede Versuchsreihe eine Curve, siehe Tafel Fig. 1.
Die ausgezogene Curve A A gibt das Bild Ar die
Anomalien bei parallelem Blick in der Richtung gerade
aus , die zweite ebenfalls ausgezogene Curve B B stellt
die Anjmalien dar, welche bei Convergonz des Blickes
um 8 16' 33" für jedes Auge auftreten. Die beiden an-
dern mit AA fast zusammenfallenden Curven enthalten
die Anomalien für parallelen Blick bei Seitwärtsdrehung
des Kopfes um 20'\ und zwar gilt die punktirte Corve
für die Drehung des Kopfes nach links, die gestrichelte
Curve für die Drehung des Kopfes nach rechts. Um die
Zeichnung nicht noch durch mehr Linien zu verwirren,
habe ich die Curven für die Seitwärtsdrehung des Kopfes
um 38^, die an einzelnen Stellen auch sehr nahe mit der
Linie A A zusammenfallen würden, nicht verzeichnet
Bei der Methode der Untersuchung mit Doppel-
bildern war es, wie schon mehrfach in der Arbeit er-
wähnt, unmöglich die Raddrebung eines jeden Auges für
sich allein zu finden.
Die Methode mit Nachbildern zu experimentiren hat
nun diesen Nachtheil nicht, man kann nach ihr die Be-
wegung jedes Auges für sich allein beobachten, aber es
133
ist die Genauigkeit, mit der man die Winkel der Rad-
drehung messen kann viel geringer, als bei der Methode
mit Doppelbildern.
Was nun die Ausführung meiner Versuche betrifft,
so hatte ich über eine grosse quadratische Tafel, deren
Seite circa 120 Centimeter lang war, graues Papier aus-
gespannt und in der Mitte der Tafel einen farbigen
Papierstreifen durch einen Stift so befestigt, dass ich
diesen Streifen um den Stift als Mittelpunkt drehen
konnte. Der Streifen enthielt zwei Farben, Roth und
Grün. Das Grün war so gewählt, dass es so nahe wie
möglich mit der Gomplementärfarbe des Roth überein
stimmte. Die beiden Farben grenzten in einer geraden
Linie scharf an einander, diese Linie will ich kurz die
Grenzlinie nennen. Um den Winkel der Drehung dieses
Streifens zu bestimmen, war über die Tafel ein Faden
horizontal gespannt, der mit der Grenzlinie zusammenfiel,
wenn der Streifen horizontal lag. Drehte ich den Streifen,
so bildete der horizontale Faden mit der Grenzlinie einen
Winkel. Zur Messung desselben hatte ich am Rande des
Streifens eine Millimetereintheilung aufgezeignet Nenne
ich r den Winkel der Drohung, m die Anzahl von Milli-
metern, um die ich den Streifen aus der horizontalen
Lage verschoben hatte und beträgt die Länge des
Streifens bis zum Drehpuukt 85 Mm., so ist tg. r — ^r-
Um den Winkel für die Erhebung der Augen messen zu
können, hatte ich den Kopf auf die schon oben bezeich-
nete Art fixirt, indem ich ein in passender Höhe befestigtes
Bettchen zwischen den Zähnen hielt, und die Stirne noch
gegen eine feste Stütze lehnte. Bei den Versuchen in
der Medianstellung konnte ich dann aus der Entfernung
des Auges von der Tafel » 435 Mm. und der Entfernung
des fixirten Punktes vom Mittelpunkte des Streifens (e), auf
dem meine Gesichtslinie senkrecht stand, den Winkel für
134
die Erhebung meines Auges (y) messen. Es war dann
^* y "" 435-
Zuerst musste ich nun die Primärlage bestimmen,
dazu fixirte ich eine Weile den Mittelpunkt des horizontal
gestellten Streifens und schweifte dann mit meinem Blick
längs dem horizontalen Faden, um zu sehen, ob die Grenz-
linie des Nachbildes überall mit demselben zusammenfiel.
Geschah das nicht, so gab ich dem Brettchen zwischen
meinen Zähnen eine etwas andere Lage, senkte oder hob
es etwas, bis das Nachbild des Streifens den Faden ge-
rade deckte. Ich konnte ein Zusammenfallen der Grenz-
linie mit dem Faden aber nur annähernd ^eichen; es
blieb in der Stellung der Augen, die ich schliesslich für
meine Primärlage annahm, immer noch ein Schwanken in
der Stellung des Nachbildes vorhanden. Nach dem Listing'-
schen Gesetze sollte nun das Nachbild des horizontalen
Streifens bei verticaler Verschiebung des Fixationspunktes
stets parallel bleiben. Ich hatte darum noch fünf parallele
Linien auf der Tafel ausgespannt, von denen zwei über
der ersten gelegen 20 und 30 Cntmtr. von ihr entfernt
waren. Die drei tiefer gelegenen standen 20, 40 und 60 Cm.
von ihr ab.
Wie ich schon aus den frühem Versuchen schliessen
konnte, fielen bei mir die Nachbilder des horizontalen
Streifens bei der Erhebung der Augen nicht mit den
horizontalen Fäden zusammen, ich musste also den Streifen
drehen, um dieses zu erreichen, und dabei auf den Sinn
der Drehung achten. Es ist klar, dass bei Fixation
des Mittelpunktes des Streifens die Grenzlinie sich auf
den horizontalen Trennungslinien abbildet. Nun bleibt
das Nachbild unverändert an dieselben Stellen der Netz-
haut gebunden. Fällt also bei verticaler Verschiebung
des Fixationspunktes das Nachbild nicht mehr mit der
horizontalen Linie zusammen, so werden von dieser an-
135
dere Punkte der Netzhaut afficirt, als früher von dem
farbigen Streifen. Bei positiver Erhebung der Augen
erscheint mir das Nachbild so geneigt, dass sein äusseres
Ende unter dem horizontalen Faden liegt, es ist also
auch die horizontale Trennungslinie so geneigt, dass der
äussere Theil unter der Visirebene liegt, diese Drehung
des Auges sollte aber positiv gerechnet werden. Will
ich also eine Coincideuz des Nachbildes mit einer höher
gelegenen Horizontalen erhalten, so muss die äussere
Seite des Streifens nach oben gedreht, und diese Drehung
als positive bezeichnet werden. Es hat hierbei die Um-
kehrung der Netzhautbilder auf die Beurtheilung des
Sinnes der Uaddrehung keinen Einfluss.
Zuerst stellte ich mit dem rechten Auge die Beob-
achtung der Nachbilder an, dann mit dem linken. Bei
den Versuchen mit dem linken Auge war es natürlich
nöthig den Mittelpunkt des Papierstreifens 64 Millimeter
nach links zu verschieben.
Die Nachbilder ergeben nun für die verticale Ver-
schiebung des Fixationspunktes folgende Zahlen.
Tabelle VI.
Winkel für die Er-
hebung der Augen ss y
Anomalie des rechten
Auges BS r.
Anomalie des linken
Auges = r.
+ 84" 85' 81"
4- 24* 42' 41"
0* 0' 0"
-24« 42' 41"
- 42« 86' 0"
- 54» 3' 27"
+ 8« 42; 28"
+ 2 1 21"
0' O' 0"
-0'40'28"
- 1; 20' 58"
-2 1' 21"
-*- 5" 80' 88"
H- S' V 49"
0» 0' 0"
- (y> 40' 27"
- V 20' 52"
-20 1' 21"
Vergleicht man diese Zahlen mit denen in der ersten
Tabelle, so findet man eine so grosse Uebereinstimmung,
wie es nur irgend erwartet werden konnte. Die Ano-
malien des linken Auges sind nur bei gehobenem Blick
grüsser als die des rechten Auges gefunden, wahrschein-
lich ist die Methode nicht genau, genug um auch die
136
kleinen Unterschi^e dieses Winkels, welche hiernach
bei gesenktem Blicke zu erwarten sind, zu constatireiL
Für die Erhebang der Augen » 0 finde ich in der ersten
Tabelle für r den Winkel W 38' 43'' verzeichnet, und hier
ist er nicht bemerkbar gewesen. Wie ich schon bei der
Aufsuchung der Primärstellung bemerkte, tritt bei der
Beobachtung des Nachbildes leicht ein Schwanken des-
selben ein, und wenn man das Auge noch so fest auf
einen Punkt fixirt hält. Dieses Schwanken des Nach-
bildes erlaubt es nicht sehr kleine Winkel zu messen.
Aus dem Winkel von 0^ 38' 43" sieht man aber bis zu
welcher Grösse hier die Beobachtungsfehler kommen
können. —
In einer zweiten Beihe von Beobachtungen versuchte
ich die Anomalien für die Diagonalstellungen der Augen
zu bestimmen, jedoch nur für die an den Grenzen des
Gesichtfeldes gelegenen Punkte. Ich drehte dabei den
farbigen Streifen um 45® aus der horizontalen Richtung
und spannte in dieser von rechts oben nach links unten
und von links oben nach rechts unten Fäden aus, längst
welchen ich den Fixationspunkt verschob. FQr normale
Augen muss auch bei diesen Bewegungen das Nachbild
mit dem Faden zusammenfallen. Die Bewegung in einer
dieser Diagonalstellungen konnte ich mir zusammengesetzt
denken aus zwei gleich grossen andern, aus einer verti-
calen und einer horizontalen Bewegung. Einer Verschie-
bung um d Millimeter in diagonaler Richtung kamen
gleich eine verticale und eine horizontale Verschiebong,
jede um y— Nenne ich den Winkel der Seitwärts-
drehung X und den Winkel der Erhebung y, so würde
d , d cos X
Den Winkel X nehme ich positiv, wenn die (Gesichts-
137
linie nach der Nase zugekehrt ist Die Rechnang ergiebt
dann folgende Winkel.
Tabelle VII.
Rechtes Auge
Linket Aoge
y«
■8l* i'sg"!,
■27M6' 0^1
■81.4ri8''!K ,.^1
■27»48'24'',i
H- 2» 21' 28"
s- 4P 47' 58"
38«18'ö8''t5 -!!•
■84*27' 0-
ij + 0« 0' 0"
8» 1' 50"
- 28» 12' 36"
-25» 18' 8"
• 84» 19' 22"
• 29» 24' 8-
• 89» 6' 11"
82« 14' 17"
■49*29' 18"
- 87t 18' 86"
-H 5» 42' 88"
H- 8« 42' 8"
+ 1» 0' 40"
-23 21' 28"
Das wichtigste Ergebniss dieser Tabelle scheint mir
darin zu bestehen, dass die Anomalie beim Blick nach oben
stets positiv ist, mag man nach oben und innen oder
nach oben und aussen sehen. Beim Blick nach unten ist
dieser Winkel bis auf eine Ausnahme negativ. Nur bei
der einen Bewegung nach innen und unten hat das Auge
eine positive Anomalie gezeigt. Da für die entsprechende
Stellung beim rechten Auge gar keine Drehung beobachtet
ist, so wage ich aus der einen abweichenden Zahl keinen
Schlass zu ziehen. Diese Tabelle zeigt femer, dass auch
bei den Diagonalstellungen die Anomalie des linken Auges
etwas grösser als die des rechten Auges ist. —
Aus den Versuchen mit Doppelbildern ging schon
hervor, dass der verticale Meridian des Auges nicht ver-
tical zu dem horizontalen Meridian stehen kann. Die
Abweichung vom rechten Winkel schien für meine Augen
ungefähr einen halben Grad zu betragen, v. Recklinghausen*)
hat auf diese Asymmetrie des Auges zuei*st aufmerksam
gemacht Er bemerkte, dass ein rechtwinkliges Kreuz,
*) Dieseg Archir. Bd. 5. Abth. II.
138
auf dessen Mittelpunkt er senkrecht sah, nicht mehr
rechtwinklig erschien, wenn er es mit jedem Auge allein
betrachtete. War das Kreuz so gestellt, dass ein Schenkel
gerade vertical, der andere horizontal stand, so schien
dem rechten Auge der nach rechts und oben gelegene
Winkel stumpf zu sein. Dem linken Auge erschienen
dagegen die andern beiden Winkel stumpf. Als ich diesen
Versuch von v. Kecklinghausen'") zum ersten Male nach-
machte, glaubte ich ihn einfach bestätigen zu müssen,
bei wiederholten Betrachtungen des Kreuzes erschien mir
jedoch die verticale Linie im Schnittpunkte geknickt zu
sein, und für das rechte Auge der stumpfe Winkel, der
nach unten und links lag, entschieden grösser, als der
stumpfe Winkel, der nach oben und rechts gekehrt war,
ich sah also anstatt der 4 rechten Winkel 4 verschieden
grosse schiefe Winkel. Um diese Winkel zu messen,
schnitt ich mir aus Pappe die Form eines Uhrpendels
aus. An der Stelle des scheibenförmigen Gewichts liess
ich nur einen Ring stehen, über den ich in der Längs-
richtung des Pendels einen Faden spannte.
Das obere Ende des Pendels war durch eine Nadel
an einer senkrechten Wand befestigt und konnte um die
Nadel als Axe nach rechts und links gedreht werden.
Hing das Pendel vertical, so lag auch der über dem Ringe
ausgespannte Faden an der Wand vertical. Nun hatte
ich noch einen horizontalen Faden an der Wand so aus-
gespannt, dass er bei verticaler Lage des Pendels den
Faden über den Kreisausschnitt in zwei gleiche Stücke
theilte und rechtwinklig schnitt. Bei Verschiebung des
Pendels wurde der verticale Faden mit verschoben, der
\
*) Wie ich es aus einer mündlichen Mittheilong yon Herrn Prof.
y. Becklinghausen erfahren , ist er auch kurzsichtig, und betrügt
seine Myopie circa —
139
horizontale blieb unverändert an seinem Orte, und so
konnte ich das Pendel für jedes Auge so einstellen, dass
mir entweder die in den beiden untern Quadranten gele-
genen Winkel oder die beiden andern Winkel recht-
winklig erschienen. Dabei machte ich die Beobachtung,
dass die Verschiebung des Pendels um so grösser aus-
fiel, je länger ich hinsah, und hielt ich es daher für
mthsam die Einstellung zu rechten Winkeln schnell
hintereinander, zuerst für das rechte Auge und dann für
das linke zu machen, und die Summe beider Verschie-
bungen zu messen.
Die Anzahl von Millim., um welche
die Spitze des Pendels zur Seite ge-
schoben, dividirt durch die Länge des-
selben ist die Tangente des Winkels
(d), um den die Fäden nach der Ver-
schiebung von einem Rechten abweichen.
Die Länge des Pendels betrug 650 Mm.
Ich fand nun bei scheinbar rechtwink-
liger Einstellung der Fäden in den bei-
den untern Quadranten für die seitliche
Verschiebung des Pendels folgende
Zahlen
6 Mm.
9 „
7 .
6 n
7 „
tg.d.
Mittel 7 Mm.
0^ 42' 50"
Bei der Beobachtung der Winkel in den beiden
obern Quadranten fand ich folgende Zahlen
4
5
5
5
5
Mittel 7
uo
tg. di-|^d, «(y^29'30"
Ein anderer Versuch ergab folgende Zahlen
in den untern Quadranten
9
6
8
6
8
Mittel 7|4
tg.d-I^,d-0*45' 24"
in den ob ern Quadranten
6
4
6
4
.4
Mittel 4,8
tg.dt-|^,d. -00 29'30-
Die Winkel für d, welche ich bei den Versuchen
mit Doppelbildern fand, waren 0" 44' 24" und 0» 34' 51",
sie stimmen ziemlich gut mit dem Winkel d für die
untern Quadranten überein.
Die Knickung des verticalen Fadens im Kreuzungs-
punkte veranlasste mich einen vertical hängenden Faden,
der nicht von einem andern gekreuzt war, mit einem
Auge allein zu betrachten. Sah ich senkrecht auf den
Faden, so erschien er mir fär das rechte Auge als ein
schwacher Bogen mit der Concavitat nach rechts, für das
linke Auge als ein schwacher Bogen mit der Concavitat
nach links. Diese Erscheinung trat noch deutlicher her-
vor, wenn ich abwechselnd zuerst mit einem und dann
mit dem andern Auge schnell hintereinander den Faden
ansah.
Hieraus glaube ich zu dem Schlüsse berechtigt zu
sein, dass die Trennungslinien meiner Augen nicht die-
jenigen Linien sind, in welchen die durch die Gesichts-
linie gelegten Ebenen die Netzhaut schneiden, sondern
dass es Curven sind, die nur annähernd mit den Meri-
dianen zusammenfallen. —
Wie mir Herr Hofrath Helmholtz mittheilt, hat auch
Herr Stud. Engelmann eine verticale Linie im Fixations-
punkte stets geknickt gesehen. — Fasse ich nun mit kurzen
141
Worten die Resultate meiner Untersuchungen zusammen,
80 finde ich:
1) Dass mein kurzsichtiges Auge dem Listing^schen
Gesetze nicht folgt, dass aber die Abweichung der
Bewegung für die beim Sehakt am häufigsten vor-
kommenden Stellungen des Auges sehr unbedeutend
ist, und erst bei starker Erhebung und Senkung
desselben auffällig wird.
2) Dass die Anomalie des Auges bei positiver Erhe-
bung positiv, bei negativer negativ ist.
3) Dass die Anomalie beider Augen nicht vollkommen
gleich ist, sondern dass die Anomalie des linken
Auges die des rechten überwiegt
4) Dass die beiden verticalen Trennungslinien meiner
Augen einen Winkel von circa 2^ mit einander bilden.
5) Dass die verticalen Trennungslinien nicht vollkom-
men senkrecht auf den horizontalen Trennungslinien
stehen.
6) Dass die Trennungslinien meiner Augen Gurven sind,
die nicht genau mit den Meridianen zusammenfallen.
Ueber die Wirkung der veraehiedenen
Stoffe auf die Bindehaut des Augenlides.
Von
Dr. Prosoroff.
In der ophthalmologischen Praxis braucht man verschie-
dene Arzeneistoffe gegen ge^^isse krankhafte Verände-
rungen des Augenlides; je nach dem Grade der Krank-
heit wirkt man mit mehr oder weniger starken Mitteln.
Bis jetzt begnügte man sich mit den oberflächlichen
makroskopischen Beobachtungen der Veränderungen der
Schleimhaut bei der Bestimmung der Arzeneiwirkung auf
den Conjunctivalsack, indem man verschiedenen Stoffen
verschiedene Wirkung zugeschrieben hat, so z. B. eine |
kühlende, reizende und adstringirende Wirkung. Aber I
seitdem das Auge mikroskopischen Untersuchungen unter- I
worfen wurde, seitdem sind auch die pathologischen Ver-
änderungen in den mikroskopischen Elementen des Lides
bekannt geworden; man muss ohne Zweifel zu erfahren
wünschen, wie man rationell auf diese krankhaften Ver-
änderungen wirken kann; daraus folgt ein neues Problem:
Die physiologische Wirkung der Medikamente auf die
mikroskopischen Elemente zu studiren, was bisher, so
viel mir bekannt, noch nicht geschehen ist
Wenn man richtig über die Wirkung der Medikamente
143
auf die Bindehaut artheilen will, muss man bestimmen
welche Veränderungen die mikroskopischen Elemente am
Anfange, in der Mitte und am Ende der Arzeneiwirkung
erleiden.
Bei diesen Untersuchungen hat man:
1) Die Zahl der Arzeneistoffe zu begränzen.
2) Ihre Form und Quantität zu bestimmen, was be-
sonders bei den vergleichenden Experimenten nö-
thig ist
3) Diejenigen Veränderungen zu erforschen, welche
durch gewisse Medikamente sowohl in der Epithelial-
Schicht der Schleimhaut als auch in dem Bindege-
webe des Lides entstehen. Als Objekt meiner Unter-
suchung diente ein Kaninchen, als ein dazu sehr
geeignetes Thier. Von den Medikamenten wählte
ich theils in der Ophthalmologie schon angewendete,
theils solche, die in andern Gebieten der Medizin
verwendet werden, u. z.: Deutochloretum hydrargyri,
Argentum nitricum, Sulfas cupri, Sulüeis zinci, plum-
bum aceticum acidum et basicum, Alumen, Kali,
Nitricum et Garbonicum, Tannin et Mercurius prae-
cipitatus. Alle diese Medikamente in meinen Ex-
perimenten waren in einer Auflösung angewendet;
und diese Form der Anwendung ist allein tauglich,
sichere Resultate über die vergleichende Wirkung
der Agentien zu gewinnen. Ich nahm von jeder
Substanz 5 gr. in einer Unze aqu. destill.
Dieses Quantum hält die Mitte zwischen der grösseren
und kleineren Dose; eine verdünntere Lösung zu nehmen,
ist unpassend, denn einige Medikamente erzeugen in ge-
ringerer Dosis keine augenscheinliche Veränderung in
den mikroskopischen Elementen und dann müssten sie
ans der Zahl der zu Experimenten bestimmten Mittel
ausgeschlossen werden.
Vor den comparativen Experimenten sollte man die
144
Wirkung der eiczelnen Arzeneistoffe an und fQr sich be-
stimmen, um so eine Einheit der Vergleichung zu haben.
Ich fing meine Experimente mit der Einfahrung einiger
Tropfen 5 gr. Salpetersaurer-Silberlösung in die Augen
des Kaninchens an, und krazte jede V4, V2, 1, 2 Stunden
die Epithelialschicht mit einer Staarnadel ab. In den
ersten zwei Zeitmomenten stellte sich die entnommene
Masse von der Schleimhaut des Lides als eine Menge
runder geblähter Zellen getrübten Inhalts dar, mit 1, 2,
selten 3 Kernen; die Zahl derselben mehrte sich pro-
portional der Einwirkungszeit der Medikamente; femer
fanden sich ovale getrübte Zellen mit 1 oder 2 Kernen,
und diese ovalen Zellen vermehrten sich mit der Zahl
der runden getrübten Zellen. 2) Eine Menge normaler
Epithelialzellen, und in Theilung begriffener Zellen von
der Theilung des Kerns bis zur Entwickelung der jungen
Zelle. 3) Einige Zellen mit Uebergangsformen zu der
Bildung der Eiterkörperchen. Nach 2 Stunden bestand
die Masse, welche von der Schleimhaut des Lides ent-
nommen wurde, aus Eiterkörperchen und einer Bei-
mischung aller Formen der bis jetzt beschriebenen Zellen.
Nach 3 Stunden bestand die ganze Masse aus Eiterkör-
perchen allein.
Darauf träufelte ich einige Ti*opfen einer Lösung
Sulfas Zinci (5 gr. auf 1 Unze Wasser) in das Auge ein,
endlich eine ebenso starke Lösung von Sulfas cupri, die
Zeit der mikroskopischen Untersuchung wie oben.
Bei der mikroskopischen Untersuchung fand ich die-
selben Elemente, aber mit dem Unterschiede, dass ihre
Menge nicht so gross war, so dass man leichter die
Uebergangsformen von den normalen Epithelien bis zu
den runden und ovalen getrübten Zellen verfolgen konnte.
Die runden und ovalen Zellen entstehen also durch
Aufblähung von Pflasterepithelium des Lides, die letztere
Form entspricht den Zellen der tiefen Epithelialschicht
145
welche normal dne &8t cylindrische Gestalt haben. Tannin,
Plambnui aceticum et Acetas plmnbi basicus haben die-
selben Besnltate gegeben, nur mit dem Unterschiede,
dass nach der Wirkung des Plnmbum aceticnm weniger
Formverftnderung der Epithelialzellen zu beobachten war.
Die Zellen waren ein wenig aufgebläht, hatten aber ein
mattes Ansehen und enthielten ein bis zwei Kerne; junge
Zellen, freie Kerne und Eiterkörperchen waren hier auch
zu sehen.
Mercurius praecipitatus ruber (5 gr. auf 1 Unze Fett.)
Ein kleines Quantum dieser Salbe wurde in den Gon-
junctivalsack des Kaninchens gebracht. Die Resultate
waren sehr verschieden. Ich fand entweder Zellen, die in
Theilung begriffen waren, oder freie Kerne, entstanden
aus zu Grunde gegangenen Zellen, oder Eiterzellen, ob-
wohl ich stets zu derselben Zeit nach Application des
Medikaments untersuchte. Diese Substanz wirkt in 5 gr
Dosis so ätzend, dass ich vorzog eine Lösung von 1 gr-
DeutochloretumHydrargyri auf Unc. VI zu nehmen. Nach-
V« Stunde konnte man eine Menge runder getrübter
Zellen, nach Vs Stunde freie Kerne und einige Eiterkör-
perchen wahrnehmen. Die Lösung von Alaun und die
Lösung von Kali nitricum (5 gr. in 1 Unze) gab nach
halbstündiger Wirkung eine Menge fast unveränderter
Zellen mit seltener Kerntheilung — die Kerne waren
etwas getrübt. Nach Sy^ Stunde zeigten die Epithelial-
zellen keine Formveränderong mehr und man konnte nur
hie und da einen Kern oder eine Zeilentheilung be-
merken.
Die 5 granige Lösung des Kali carbonicum zeigte
nach einer Stunde noch fast gar keine Wirkung, nur
einzelne freie Kerne waren sichtbar.
Aus diesen Versuchen folgt: Argentum nitricum,
Deutochloretum Hydrargyri, Sulfas cupri et Zinci, Tannin,
Plumbum aceticum et Acetas Plumbi basicus führen zur
ArohlT fOr Ophthalmologie. XI. 8. 10
U6
Bildung der Eiterkörperchen. Die Wirkung des Mercurias
praecipitatus ruber ist keine gleichmässige. Bei Kali
nitricum, Alumen et Kali carbonicum ist Zellentbeilung
und Entwicklung freier Kerne das Resultat der Wirkung.
Da die Bildung der Eiterkörperchen der Entwicklung
freier Kerne folgte, und die Eiterbildung so als die
höchste Stufe der Einwirkung aufzufassen ist, roussten
logisch im descendendo der Beizung wieder freie Kerne
auftreten, und das frühere oder spätere Auftreten dieser
Kerne nach Einwirkung der Medikaroente gäbe uns ein
Maass der Vergleichung in die Hand.
Es ist nämlich das Wiederauftreten freier Kerne ein
sicheres Abnahmezeichen der Einwirkung des Medikaments,
ein Zeichen, dass der Conjunctivalsack zu seiner Norm
zurückkehrt. Das Medikament, bei dem die Kerne später
auftreten, als bei dem andern, wird demnach um ebenso
viel intensiver eingewirkt haben als das andere; es ist
deshalb von besonderer Wichtigkeit, die freien Kerne
nach der Eiterbildung genau zu beobachten, um so mehr
als man kaum im Stande ist, die kleinsten Abweichungen
des Epitheliums von dem normalen Zustande zu be-
stimmen.
So beobachtete ich z. B. nach Anwendung von Sulfas
Cupri (5 gr: 1 Unze aqu. und arg. nitricum 1 gr.: 1 Unze)
erst nach 10 Stunden freie Kerne, die Eiterkörperchen
waren verschwunden. In dem Kerne selbst konnte man
ein längliches Kernkörperchen bemerken. Dieselben Kerne
waren in den etwas noch aufgeblähten Epithelialzellen
zu suchen.
Als ich diese Resultate bekommen hatte, ging ich
zu der Bestimmung der comparativen Wirkung der Arze-
neien über. Um die Zeit zu bestimmen, wann die Bildung
der Eiterkörperchen endet und freie Kerne zum Vorschein
kommen, träufelte ich in das Auge der Kaninchen eine
ö granige Lösung der oben genannten Medikamente ein
147
und kratzte jede 5 Stunden die Epithelialschicht zum
Zweck der mikroskopischen Untersuchung ab. Es ist
ausser Zweifel, dass alle diese Experimente an ganz ge-
sunden Augen von Kaninchen gemacht wurden, denn
eine wiederholte Reizung mit dem Instrumente würde
ein verschiedenes Resultat geliefert haben. Nachdem ich
die Zeit bestimmt hatte, in der man freie Kerne mit
Kemkorperchen nach dem Aufhören der Eiterbildung
finden konnte, untersuchte ich die Epithelialschicht eine
Stunde früher d. h. wenn ich freie Kerne nach 15 Stunden
bekam, so untersuchte ich die Resultate der Arzneiwirkung
nach 14, 13, 12, 11 Stunden, bis ich auf Eiterkörperchen
stiess.
Die Resultate meiner Versuche ersieht man am
besten aus beistehender Tabelle, in welcher die Medika-
mente zufolge ihrer Wirkung der Reihe nach aufgezählt
sind. Die Zeit der Wirkung ist in Stunden ausgedrückt
a) Eiterkörperchenbildende Medikamente.
Bichloretura Hydrargyri
Nitras argenti ....
Tannin
Acetas Plumbi basicus
Sulfas Zinci
Sulfas Cupri ....
Plumbum aceticum . .
50
12
II
10
9
8
144
52
14
14
11
11
9
b) Freie Kerne bildende Medikamente.
Kali nitricum
3%
3V,
1
5
Alumen . ...
R
Kali carbonicnin
2
Nach diesen Untersuchungen ging ich zur Bestim-
mung der Wirkung des Mercurius praecipitatus ruber
(5 gr. auf eine Unze Fett) über. Es war sehr schwierig
die präcise Wirkung zu erhalten. Bei einem Experiment
10»
148
bekam ich nach 5 Stunden die Theiiung der Zeilen, bei
dem andern auch Eiterkörperchen und daher z&hlte ich
diese Arzenei zu der a Klasse.
Als Besultat bekam ich folgendes: 1) die Bildung
der Eiterkörperchen dauerte 5, 9, bei einem Experimente
auch 50 Stunden. Im letzten Falle bemerkte ich, dass
das Augenlid ziemlich geschwollen war. Die Ursache
dieser Schwellung war ein Stückchen Salbe, welches ich
noch nach 10 Stunden auf den Augenwimpern beobachtet
habe, das allmfihlig schmolz und dadurch eine fortdauernde
Reizung erzeugte. Bei meinen weiteren Untersuchungen
habe ich deshalb die Lider nach der Einführung der
Salbe abgewischt und bekam folgendes Resultat: bei
einer Serie der Experimente &nd ich nach 4 Stunden
eine kleine Menge Eiterkörperchen, nach 5 Stunden nur
freie Kerne; bei einer andern Serie nach 7 Stunden nur
freie Kerne. Ich kann so auf folgende Weise die Wirkung
des Medikaments bestimmen: die Wirkung ist nicht regel-
mässig, die Bildung der Eiterkörperchen hört zwischen
ö und 7 Stunden auf. Bei seiner Anwendung muss man
eine gewisse Vorsicht beobachten, denn es kann dieselbe
Wirkung erzeugen, als 5gr. Lösung Argenti nitrici.
Mit der Wirkungsdauer der Arzeneistoffe in ihrer Lösung
näher bekannt gemacht, suchte ich zu bestimmen, wie
lig^ge die Lösung irgend einer Concentration der oben
genannten Substanzen wirkt. Man kann ohne Zweifel
diejenigen Substanzen vergleichen, welche zu derselben
Klasse gehören. Zu dem Zwecke träufelte ich in das
Auge eines Kaninchens eine Lösung Argenti nitrici (1 gr.
auf 1 Unze) ein, und bestimmte, wann die Bildung der
Eiterkörperchen aufhörte. Nach 9 Stunden konnte man
noch Eiterkörperchen entdecken, und nach 10 Stunden
nur freie Kerne; die Bildung der Eiterkörperchen dauerte
Vs der Wirkungszeit des Argentom nitricum in einer
Lösung von 5 gr. auf 1 Unze, die eine 50 Stunden lang
149
dauernde Eiterung hervorruft Auf diese Weise ist es
mir möglich geworden, mit Hülfe der geometrischen
Proportion die Zeit, in der die Bildung der Eiterkör-
perchen aufhört, bei der Reizung mit dem, zu derselben
Klasse gehörigen Medikamente in einer beliebigen Gon-
centration fast genau zu bestimmen. Nach allen dem ist
es offenbar, dass alle Medikamente, welche man Adstrin-
gentien zu nennen pflegt, eine reizende Wirkung ausüben
und deshalb eher den Namen reizende Substanzen führen
müssten.
Man könnte mir entgegnen, dass ich zu meinen Un-
tersuchungen adstringirende Arzeneistoffe in einer zu con-
centrirten Lösung nahm und dass diese Medikamente in
einer schwachen Lösung die ihnen zugeschriebene Wirkung
hervorrufen. Um diesen Entgegnungen vorzubeugen,
wollte ich nach einem wiederholten Gebrauche einer
schwachen Lösung der adstringirenden Substanzen das
Lumen des Gapillargefässes der Lidschleimhaut messen.
Zu diesem Zwecke wählte ich eine 1 granige Lösung von
Tannin. Die mikroskopisch verfolgte Wirkung dieser
Lösung war folgende: Nach 3 Stunden fand ich Eiter-
körperchen, nach 4 Stunden freie Kerne. Jetzt war es
nur interessant die Wirkung des Tannin in einer Vtgr.
Lösung kennen zu lernen. Ich liess diese Lösung auf
das Lid wirken und nach 2 Stunden bekam ich nur freie
Kembildung. Nach allen diesen Experimenten ist es
klar, dass selbst kleine Quantitäten der Adstringentien
eine reizende Wirkung haben. Ohne Zweifel könnte man
noch verdünntere Lösungen nehmen, deren Resultat nur
Zelle oder Kemtheilnog gewesen wäre. Immer würde es
aber den Beweis liefern, dass wir es mit reizenden Stoffen
zu thun haben. Wenn ich eine Zeitlang eine adstringi-
rende Substanz auf das Augenlid wirken liess, so reizte
ich jedesmal seine Elemente und die einigemal wieder-
holte Einwirkung führte zu einer grösseren Reizung.
150
Nach allem diesen konnte man nicht ein Resultat er-
warten, welches für die Verkleinerung des Geiässcalibers
sprach. Ausserdem folgte der Wirkung von Adstriugentien
eine Röthung des Lides, welche ohne Zweifel von der
Erweiterung der Gefässe oder von der Vermehrung der
nutritiven Metamorphose abhängt. Alles dieses führt zur
Ueberzeugung, dass meine Arbeit für die Volumsverhält-
nisse der Cappillargefasse d. h. ihre Messung unnütz
sein würde. Ausser Zweifel ist, dass die adstriugirenden
Substanzen in einer starken Lösung keine adstringirende,
sondern eine reizende Wirkung erzeugen. Bei allen diesen
Untersuchungen achtete ich besonders darauf, dass die
Kaninchen gesunde Augen hatten; zu reizbare Augen
waren ganz von dem Experimente ausgeschlossen. Noch
muss ich hinzufügen, dass ich meine Untersuchungen
nur an den obern Lidern anstellte. Da alle Medikamente,
von welchen bis jetzt gesprochen wurde, nur eine reizende
Wirkung hatten, so ist es ganz gleichgültig, welch eine
Arzenei man gegen gewisse Krankheiten des Lides braucht;
denn alle Medikamente wirken auf dieselbe Weise, wenn
man nur eine entsprechende Quantität nimmt, und diese
Quantität ist leicht zu bestimmen mit Hilfe der geome-
trischen Proportion aus der Tabelle, in welcher die Medi-
kamente nach ihrem Reizungsgrade geordnet sind. Einer
5gr. Lösung des Argentum nitricum auf 1 Unze Wasser
entsprechen nach der Zeit des Auihörens der Eiterbildung
oder nach der Stärke der Reizung folgende Lösungen der
andern Arzeneistoffe:
eine Lösung von Tannin 18% gr. auf 1 Unze Wasser
„ „ „ Deutochloretum Hydrargyri I'Vm gr.
auf 1 Unze Wasser
eine Lösung von Sulfas Gupri 23Vi, auf 1 Unze Wasser
„ Sulfas Zinci 26 gr. „ 1 „
ry n n Acotas Plumbl basicus ISVrgr. auf
1 Unze Wasser
151
eine Lösung von Plumbum Aceticum 28*/« gr. auf 1 Unze
Wasser
eine Salbe von Mercurius praecipitatus ruber 3V\j gr.
auf 1 Unze Fett
Um die Medikamente, welche bei ihrer Wirkung nur
freie Kerne haben, mit den Eiterbildenden zu vergleichen,
müsste man von ersteren eine stärkere Lösung machen,
um vorher zu bestimmen, in welcher Concentration sie
Eiterkörperchen bilden oder umgekehrt muss man eine
schwächere Lösung von eiterbildenden Substanzen ver-
fertigen und dann ihre comparative Wirkung prüfen. Ich
finde es aber überflüssig, über diese Frage Experimente
anzustellen, denn wir haben eine Menge eiterbildender
Substanzen und können letztere Arzneistofife brauchen,
wenn wir eine stärkere Beizung zu erzeugen wünschen,
oder umgekehrt.
Nachdem ich die Wirkung der Medikamente in der
Lösung erforscht hatte, unternahm ich eine Serie von
Experimenten mit festen Substanzen Argentum nitricum
und Sulfas cupri. Da aber Argentum nitricum zu stark
reizt, und nach der Aetzung die Eiterung 14 Tage un-
gefähr dauert, so habe ich Untersuchungen mit Lapis
mitigatus angestellt, um ein präciseres Resultat zu be-
kommen, um so mehr, als man diesen in der Augenpraxis
öfter als Argentum nitricum in Substanz braucht.
Die Resultate über die comparativen Wirkungen
fester Substanzen können nur annähernd bestimmt werden,
denn es ist unmöglich, jedes Mal auf ein und dieselbe
Weise zu wirken.
Bei der Untersuchung dieser festen Substanzen spielt
die Geschwindigkeit, mit welcher man das Augenlid be-
streicht, die Grösse des Lapisstifles und der Druck,
welchen man mit dem Stift auf das Lid ausübt, eine
grosse Rolle in dem Unterschiede ihrer Wirkung. Hier
ist es klar, dass die Resultate sehr verschieden ausfallen
152
ktanen. Ich fing meine Expenmente mit einer raschen
Betupfung der Lidschleimbaut durch einen mitigirten La-
pifistift an, aus 1 Th. Argenti nitrici und 8 Th. Kali nitrici
bestehend (8 Nummer des mitigirten Stifts.) Bei einem
andern Kaninchen habe ich die Schleimhaut des Lides
mit einem Lapisstift aus 1 Th. Argenti nitrici und 5 Th.
Kali nitrici bestehend, bestrichen (5 Nummer des miti-
girten Lapisstifts.) Der erste Stift gab während 36 Stun-
den Eiterkörperchea. Bei dem letzteren dauerte die
Eiterung ungefihr 52 Stunden fort. Nach diesen Expe-
rimenten versuchte ich die Wirkung des Nr. 1. des miti-
girten Lapisstiftes, welcher, wie bekannt, aus einer
Mischung gleicher Theile Argenti und Kali nitrici besteht
Stellen wir uns vor, dass wir nur die Dauer der Wirkung
von Nr. 8 wissen (ich nehme jetzt eine geometrische
Proportion an), so wollen wir aus der bekannten Wir-
kungslänge von Nr. 8 die der uns unbekannten von Nr. 5
und Nr. 1 deduciren. Mit den bei den Experimente
erhaltenen Zahlen verglichen, ist das Resultat folgendes:
V, : 36 - *|. : X x - 54 Stunden
M, : 36 « *|, : X x « 6 Tage u. 18 St.
die bei den Experimenten bestimmten und aus Propor-
tionen stammenden Zahlen sind folgende:
Nr. 8 gibt n. Exp. Eiterkörp. w. 36 St n. Prop. während
„ 5 „ n. „ „ w. ö2 St n. „ w. 54 St
„ 1 „ n. „ „ w. 7T. n. „ w.6T.18St
Hieraus ist es klar, dass die Differenz, welche zwi-
schen den Zahlen besteht, sehr klein ist und bei der
Unmöglichkeit der gleichen Wirkung mit dem Lapisstift
unbeachtet bleiben kann.
Auf diese Weise haben wir die Möglichkeit bekommen,
mit Hilfe der geometrischen Proportion die Dauer der
Wirkung irgend einer Mischung des Argentum et Kali
nitricum zu berechnen. Ausserdem, wenn wir die Re-
sultate der Arzeneiwirkung in einer Auflösung und in
153
Sabstanz zasammenstellend vergleichen, irerden wir sehen,
dass die Dauer der Eiterbfldung von 5gr. Lösung Ar*
genti nitrici (d. i. \, der Lösung der Nr. 5 des miti-
girten Lapis entspricht, und daraus folgt, dass eine Sub-
stanz in einer Auflösung bedeutend st&rker als in der
festen Form wirkt. Wenn die Wirkung des Kali nitricum,
welches in Lapis mitigatus Nr. 8 hineinkommt, unbeachtet
bleibt, so bekommen wir das Resultat, das Argentum
nitricum in Substanz 16{i M. schwächer wirkt, als in
einer Auflösung. Diese Zahl ist aber nicht richtig, da
bei der Berechnung die Wirkung des Kali nitricum gleich
Null gesetzt ist
Sulfas Gupri in Substanz gab Eiterkörperchen 50 bis
52 Stunden lang. Seine Wirkung mit der 5gr. Lösung
(in 1 Unze Wasser) des Argentum nitricum verglichen,
zeigt, dass die Zeit ihrer Wirkung dieselbe ist. Bei der
Vergleichung der Wirkung des Sulfas Gupri in Substanz
mit der der Nr. 5 mitigirten Lapis, welcher während
54 St. Eiterkörperchen erzeugt, ersehen wir, dass eine
fast ebenso lang dauernde Eiterung statthat. Vergleichen
wir endlich die Wirkung des Sulfas Gupri in Substanz
mit derselben in einer 5gr. Lösung (in 1 Unze Wasser),
so ergibt sich, dass die feste Form 20,5 M. schwächer
wirkt als die Lösung. Denn wenn, wie erörtert, eine 5gr.
Lösung (auf Unc. 1)11 Stunden Eiterkörperchen erzeugte,
so müsste nach der Proportion ^ : 11 ■>" 1 : x cuprum in
Substanz 1067 Stunden ein Gleiches thun, während das
Experiment nur eine Dauer von 52 Stunden, id est
^^ von 1067, ergab.
Es ist jetzt klar, weshalb Roser eine Lösung des
Sulfas Gupri einer Einstreichung mit demselben in Sub-
stanz vorzieht, indem er sagt, dass jene stärker wirkt.
Jetzt bleibt mir noch übrig, die Wirkung der Arze-
154
neien auf das Conjuoctival-Bindegewebe zu erforschen.
Ich träufelte in das Auge eines Kaninchens eine 5gr.
Lösung von Argentum nitricum (in 1 Unze Wasser);
nach 3 Stunden waren die Augenlider geschwollen, die
mikroskopische Untersuchung der Querschnitte ergab
keine bemerkbare Bindegewebswucherung. Dasselbe Re-
sultat habe ich bekommen nach der Einwirkung der 10 gr-
Lösung Argenti nitrici. Die Schwellung der Lider muss
alsdann der Flüssigkeitsanhäufung in dem Bindegewebe
selbst zugeschrieben werden.
Das Besultat meiner Arbeit kann man auf folgende
Weise zusammenstellen:
1) Alle zu den Adstringentien gehörenden Substanzen,
auch Salze der verschiedenen chemischen Zusam-
mensetzung üben eine reizende Wirkung auf die
Schleimhaut der Lider aus, deren Grad sich nach
der Stärke der Lösung unterscheidet.
2) Die Reizung prägt sich durch die Coagulation des
Zelleninhalts und durch die nachfolgende Eiterbil-
dung aus.
3) Ausser dieser Wirkung erzeugen die Adstringentien
bei der mikroskopischen .Untersuchung keine andere
Veränderung.
4) Das Aequivalent der relativen Wirkung auf die
Schleimhaut des Lides von verschiedenen in der
Augenpraxis gebrauchten Substanzen ist durch die
Vergleichung der Zeiten, in welchen man Eiterkörper-
chen einer gewissen Lösung bekommt, bestimmt.
5) Die Arzeneistoffe in Substanz wirken 20 M. schwächer
als in einer Lösung.
6) Die Wirkung des Sulfas Cupri in Substanz ent-
spricht der Wirkung der 5gr. Lösung des Nitras
Argenti in 1 Unze Wasser.
7) Der mitigirte Lapis Nr. 5 entspricht nach seiner
Wirkung der 5gr. Lösung des Argentum nitricum
155
in 1 Unze Wasser uud der Wirkung des Sulfas
Gupri in Substanz.
8) Man kann mit Hilfe einer geometrischen Proportion
die Zeit der Wirkung des mitigirten Lapis in Sub-
stanz bei irgend einer gewünschten Zusammensetzung
bestimmen.
9) Die Wirkung der Lösungen der oben genannten
Stofife in versclüedener Concentration kann auf die-
selbe Weise bestimmt werden.
10) Bei einer katarrhalischeu Entzündung der Augen-
lider kommt es gar nicht dai*auf an, welche Sub-
stanz angewendet wird, um ein günstiges Resultat
zu bekommen, wohl aber ist der Grad der Lösungs-
Concentration irgend einer der oben genannten Arze-
neistoffe zu suchen, denn ihre Heilungskraft besteht
in ihrer irritativen Wirkung.
Erknudrang des AugaplUs bei MmingxtiB
oerebro-spinalis epidemica.
Von
Dr. Jos. Jacob! in Danzig.
Durch verschiedene mehr oder weniger ausführliche Be*
richte*) ist es nunmehr ausser Zweifel gestellt, dass zu den
häufigeren Gomplicationen der epidemischen Meningitis ce-
rebro-spinalis eine entzündliche Afifection des Augapfels
gehört, die ihrer sehr eigenthümlichen Erscheinungen
wie des ausserordentlich pemiciösen Charakters wegen
ein hohes Interesse in Anspruch nimmt.
In dem Zeitraum vom April d. J. bis jetzt habe ich
als Assistent des Herrn Dr. Schneller, ebenfalls Gele-
genheit gehabt, über diesen Gegenstand eine Reihe von
Beobachtungen zu machen, denen zwar insgesammt An-
fang und Ende — Genese des Leidens und Autoscopie
— fehlen, über die ich mir aber dennoch in Kürze zu
referiren erlaube, weil sie die seitherigen Mittheilungen
in mehreren Punkten ergänzen können.
*) Salomon, BrL KL Woeheniolirift 1S64. Nr. 33.
Knapp, Herrmann'fl Central-BL 1865. Nr. 33.
Kreitmair, AenÜ. Intelligeiubl. Pu Baiem 1865. Kr. 21 u. 22.
Hirsch, Handb. der histor.-geograpli. Pathologie Bd. II. pag. 630.
157
Meine Fälle gehören alle dem R^iernngsbezirk
Danzig an nnd sämmtlich kamen sie erst längere Zeit,
4 Wochen bis zu 8 Monaten, nach Ablauf der Menin-
gitis zur Vorstellung. Das Alter der Patienten betrug
11 Monate bis zu 14 Jahren, alle, ausgenommen 2 atro-
phische Tagelöhnerkinder, sahen wohlgenährt und kräftig
aus und neben dem Augenleiden war eine sonstige Störung
in keinem Falle zurückgeblieben. In 9 von U Fällen sah
ich beide Augen erkrankt und zwar bei fast Allen auch
völlig erblindet, während Knapp so glücklich ist, das
Yerhältniss 1 : 10 hiefür anführen zu können.
Von den 11 Fällen, in denen überhaupt Augenkrank-
heiten als Folgeerscheinungen der Meningitis epidemica
constatirt wurde, gehören indessen nur 9 der bestimmten
Kategorie an, welcher die Beobachtungen von Knapp
sämmtlich und unter den 5 von Salomon mitgetheilten
4 unterzuordnen sein dürften.
Die beiden übrigen waren folgende:
1) Die Ausgänge von Iritis auf dem linken Auge
in einer sehr eigenthümlichen Form: eine Menge von
hinteren Synechien rings umher, die bandförmig und so
gedehnt sind, dass die Pupille vollkommen freie Reaction
gegen Wechsel der Beleuchtung zu haben scheint und erst,
nach Atropin-Jnstillation, bei mittlerer Mydriasis eine
weitere Dilatation gehemmt wird und die Adhaerenzen
deutlich zur Anschauung kommen. Im Uebrigen ist das
Auge durchweg normal.
2) Beiderseits totale Amaurose ohne ophthalmosco-
pischen Befund. Versuchsweise leiteten wir eine gelinde
Derivations-Kur ein neben innerem Gebrauche von Jod-
kalium, waren aber sehr angenehm überrascht, als das
5jährige Mädchen nach 8 Tagen wieder erschien und
schon hell und dunkel, blau, roth, grün zu unterscheiden
vermochte; 14 Tage später zählte sie Finger bequem auf
S\ weiterhin entzog sie sich leider unserer Beobachtung.
158
Dass die quantitative Gesichtsempfindung bei der
ersten Vorstellung vollkommen erloschen war, hatte sich
durch lange fortgesetzte Prüfungen bei dem recht ver-
ständigen Kinde mit aller Bestimmtheit feststellen lassen,
nebenbei zeugte auch davon die Seligkeit, mit der die
kleine Patientin 8 Tage später nach allem Hellen hemm-
tappte.
Salomon hat ebenfalls eine Centralamaurose, aber
— soweit der Bericht geht — mit bleibender Blindheit
beobachtet.
Die anatomische Erklärung liegt sehr nahe, es sind
Exsudatmassen, die auf die centralen Nerventheile drücken
und sehr allmählig zerfallen und resorbirt werden.*)
Endlich restituirt sich die Funktion oder die Störung ist
stationär; das Erstere scheint, wenn man die gleich-
werthigen Alterationen auf anderen Bahnen in den Ver-
gleich zieht, zum Glück häufiger vorzukommen.
Um die anderen 9 Fälle im Allgemeinen zu kenn-
zeichnen, genügt es, einen aus der Reihe vorzuführen.
B. D., 8 Monate alt, war vor 9 Wochen an der
Meningitis epidemica erkrankt. Schon innerhalb der
ersten 8 Tage sollen ungefähr zu gleicher Zeit Taubheit,
Hemiplegie und Entzündung beider Augen aufgetreten
sein. Das Uebrige hat sich bald völlig zurückgebildet,
aber auf beiden Augen ist das Sehvermögen seit der
Zeit vollkommen erloschen.
Noch bei der Vorstellung ist beiderseits leichte Ciliar-
injection vorhanden; die vorderen Kammern sind sehr
flach, die Linse mit der ihr adhaerirenden und atrophischen
Iris stark nach vom gedrängt. Dieser Vortreibung, die
*) In Gemeinschaft mit meinem Freunde Wallenberg, Ar£t am
St. Marien-Hospital, habe ich zweimal an der Meningitis epid« Ver-
storbene secirt und beide Male gerade am Ghiasma die pia mater mit
sehr bedeutenden Exsudatmassen bedeckt gefunden.
159
die Form eines abgestumpften Kegels hat, folgt indess
nicht die ganze Iris, sondern sie verläuft in einer peri-
pheren Zone von c. '//'' Breite parallel der Aequatorial-
ebene, um dann erst nach scharfer Einbiegung sich der
Linse anzuschmiegen. Die Linsen erscheinen nicht genau
centrirt, am wenigsten die linke, die zu weit nach aussen
steht.
Auf dem rechten Auge ist die vordere Kapsel leicht
getrübt, auf dem linken existirt eine vollständige Pupil-
larmembran , auf beiden leuchtet von der tellerförmigen
Grube her auch durch die atrophische Iris hindurch, ein
heller, gelblich weisser Reflex.
Da hier absolute Blindheit durch die erste Unter-
suchung nicht ganz sicher gestellt war, erschien ein Ver-
such, was mit der Iridectomie zu erreichen, wohl gerecht-
fertigt Sie wurde beiderseits ausgefQhrt, das Irisgewebe
folgte leicht, die Contenta rückten wenig vor, ziemlich
viel Blut erschien in der vorderen Kammer, die Colobome
sahen schwarz aus, aber — nur weil die Pigmentschicht
auf der Kapsel zurückgeblieben wai*. Nach einigen Tagen
wurde deshalb der Versuch wiederholt: die Pigment-
membranen mussten in ganzer Ausdehnung von der Kapsel
abgelöst werden,*) wieder folgte starke Blutung, das
linke Auge reagirte mit einer Keratitis — leichter all-
gemeiner Trübung mit vielen Punkten und Strichen, —
der schliessliche Erfolg war indess der, dass links die
neue Pupille ^um grossen Theil mit Blut- und Pigment-
resten bedeckt blieb, rechts aber ein fast vollkommen
reines Colobom entstand.
Freilich stellte sich bei wiederholter Untersuchung
das Bestehen und das Fortbestehen totaler Amaurose
unzweifelhaft heraus.
*) Die genaue anatomische Darlegung solcher Verhältnisse findet
mlin bei Schweigger Aroh. f. 0. V. 2. pag. 228 r. f.
J60
Auf dem rechten Auge hatte man nun einen besseren
Einblick auf den Ursprung des Reflexes und hinter der
Linse war bis zur äussersten Peripherie nichts weiter
zu sehn als eine gelbliche gel&sslose Masse, die nahezu
wie eine erstarrte Gallerte erschien. Einzelne Stellen
waren so durchscheinend, dass man bis in eine gewisse
Tiefe hineinblicken konnte, andere wieder so dicht, dass
sie sich als knopßörmige Trabungen markirten; die
ganze Oberfläche indess war gleichmässig glatt und hatte
die vollkommene Wölbung der hinteren Linsenfläche.
— Fünf Wochen später sab ich das Kind wieder.
Die bulbi erschienen kleiner und weicher; auf dem linken
Auge war die Iris in einer Ebene glatt gespannt und
die atrophischen Radiär -Balken, zwischen denen die
schwarze Pigmentlage zu Tage trat, alle zur ehemaligen
Wundstelle hingezerrt. Von Reflex aus der Tiefe keine
Spur mehr. Rechterseits war noch ein wenig Vorbucke*
lung vorhanden, aber jetzt ganz peripherisch neben der
Narbe, die Irisfasern ebenfalls dahin gezerrt, sehr atro-
phisch, die kleine Pupille trüb ohne Reflex.
Ausnahmslos zeigte sich in allen Fällen die Iris der
Linsenkapsel adhaerent und atrophisch, die vordere Kam-
mer stark verflacht durch Protrusion der intrabulbären
Gebilde, und zwar hatte die Protrusion bei der einen
Hälfte mehr Kegel-, bei der andern mehr Kugelform.
Die oben geschilderte Excentricität der Linsen fand sich
nur dies eine Mal, die Einbiegung der Iris nur zweimal.
Der helle gclblichweisse Reflex, die auffälligste der Er-
scheinungen, war stets ge fässlos und sein Urspruivg
stets in der tellerförmigen Grube; nur in 2 Fällen, die
nach allen anderen Zeichen hieher gehören, fehlte er,
aber hier waren auch die Linsen schon getrübt, und bei
2 anderen Patienten konnten wir's beobachten, wie durch
allmählig sich ausbildende Gataract die reflectirende
161
Masse dahinter vollkommen verdeckt wurde. Vollkom-
mener Pupillar-Abschluss durch eine graulich-trflbe Mem-
bran, wie er bei der Hälfte constatirt wurde, war, wenn
nicht die Linse trüb, hell zu durchleuchten und ebenso
die atrophische Iris.
Ob die bulbi weicher waren als normal ist, Hess
sich, bei der Unruhe der kleinen Patienten, nicht immer
sicher feststellen, nur zweimal war die Spannnngs- Vermin-
derung eine bedeutende, öfter erschienen die bulbi ver-
kleinert, doch nur einmal Hessen sich seichte Einziehungen
entsprechend den Muskelinsertionen nachweisen.
Mit Bestiihmtheit darf ich angeben — gegen Knapp,
der stets den Augapfel kleiner und weicher fand, —
dass 3 bulbi den normalen Grad der Spannung bewahrt
hatten. Es betrifft diese Beobachtung grössere, ruhige
Kinder, eines, das nur auf der einen Seite erblindet war,
also einen sicheren Vergleich darbot und 2, bei denen
beide Augen erkrankt waren aber nur je eines an Re-
sistenz verloren hatte.
Bei 2 kleinen Patienten, die schon vor Monaten die
Meningitis überstanden, zeigte sich neben den anderen
Erscheinungen und mit leichter Ciliarinjection auch die
Cornea erkrankt: Ungleichheit im Epithel, so dass die
Oberfläche wie bestäubt oder fein zerstochen aussah,
leichte diffuse Trübung und reiche Strichelung. Das eine
Kind brachte diese Keratitis |schon mit zur ersten Vor-
stellung, bei dem zweiten aber erkrankte die Hornhaut
erst innerhalb der Zeit, da wir es häufig wiedersahn,
und bei beiden war nach Verlauf einiger Wochen von
der Trübung nichts oder fast nichts mehr zu entdecken.*)
*) VieUeicht hat Kiemeyer, als er die „Keratomalacie'^ notirte,
einen solchen Fall vor Angen gehabt, in welchem neben Weichheit des
bnlbuB die Cornea getrübt war, und es erklärt sich nach dem Obigen
leicht, warum Knapp etwas später bei demselben Patienten nur Iri-
docborioiditis ohne Affection der Hornhaut constatirte.
Arehfv für Ophthalmologie. XL S. n
162
Man wird also diese Keratitis wohl als eiae vorüber-
gehende Aeusserung des chronischen Reizzostandes auf-
fassen müssen, in welchem sich ischrumpfende bolbi stets
zu befinden scheinen.
In allen Fällen bis auf einen war alle Gesichtsem-
pfindung erloschen,*) die Ausnahme bildete ein Mädchen
von 14 Jahren, das neben starker Yorwölbung der Iris
und Linse und hellem Reflex von der hinteren Linsen-
fläche her, bei normaler Härte des bulbus, eine grosse
Lampenflamme auf 1—2', wie es schien fast nur central,
wahrnahm.
Der Beginn des Processes, dessen Ausgang wir ge-
sehn, markirte sich nach den Angaben der Angehörigen
stets durch mehr weniger starke EntzOndungserscheinungen,
Schwellung der Lider, Röthung, Thränenfluss, sein Datum
fällt nach unseren Beobachtungen ebenso oft in die erste
oder halbe zweite wie in die vierte oder fünfte Woche
des Hauptleidens; halten wir diese Beobachtungen zu-
sammen mit denen von Knapp und Salomon, so erhellt,
dass sich die Meningitis epidemica zu jeder beliebigeu
Zeit mit der Augeuaffection compliciren kann.
So weit reichte die Beobachtung; da nun auch von
anderer Seite ein necroscopischer Bericht nicht gegeben
werden konnte und die Akten über die letzte Epidemie
der Meningitis cerebro spinalis bald geschlossen werden
dürften, so sind wir darauf angewiesen, auf speculativem
Wege allein eine Deutung der mitgetheilten Erscheinun-
gen zu versuchen.
Salomon und Kreitmair entscheiden sich pure für
Iridochorioiditis; Knapp's Diagnose lautet: „acute sarco-
matoese" (eine hyperplastische) Chorioiditis mit consecu-
tiver Netzhautablösung und consecutiver Iritis.
*) Bei Knapp unter 10 FäUen 9niaL
163
Sehen wir zu, wie weit die ErscheiDungen hiemit in
Einklang zu bringen sind: ]) Dass die Iris entzOndet
gewesen, ist unbestreitbar, und dass die Iritis nicht erst
anderen Processen im Auge als secundäre nachgefolgt,
das beweist Salomons Bericht, nach welchem stürmische
Eiterbildung in der vorderen Kammer den Krankheits-
process im Auge jedesmal eröffnete. Einen Fall habe
ich angeführt, wo die Iritis allein die Meningitis com-
plicirte.
2) Die Linsentrübung ist eine späte Folgeerschei-
nung, die noch nach Monaten sehr unbedeutend sein oder
gar fehlen kann.
3) Die stark reflectirende Masse hinter der Linse —
nach unseren Beobachtungen: theil weise pellucid, starr
und gefässlos — kann nur veränderter Glaskörper sein.
Knapp ist offenbar anderer Ansicht, denn er sagt:
yjkat Angetigntid ist mit blossem Aage, ohne Aagenspiep^l, immer
zu sehen. Er erscheint beträchtlich, oft bis dicht an die Linse, Tor-
gerückt. Seine Färbung ist weissgrau oder weissgelb, immer matt,
niemals schillernd, wie beim Fungns retinae. Die Oberfläche ist ziem-
lich eben und manchmal von einigen rothen Streifen durchzogen. Die
Mitte des Angengrundes liegt am tiefsten und entzieht sich zuweilen
dem Blick.«
Aber dass nur „einige rothe Streifen" und diese nur
„manchmal" beobachtet wurden, ist wohl eine zu schwache
Stütze für Annahme einer amotio retinae^ wir sahen
niemals Gefässe und somit auch keinen „Augengrund*^
der doch, zumal wenn er fast die Linse berührt, nicht
blos „rothe Streifen" präsentiren, sondern durch die sehr
charakteristische scharfe Zeichnung der vasculären Ra-
mification jeden Zweifel unmöglich machen müsste.
Und dann lässt sich Knapp's Beobachtung auch mit
unserer Annahme ohne Zwang vereinigen, da im krank-
haft veränderten corpus vitreum schon von mehreren
11*
164
Forschern GefässDeubildungen gefanden worden sind*):
gleichwohl erlaube ich mir hinzuzufügen, dass ich selber
in einem Falle rothe Streifen hinter der Linse zu sehen
glaubte, mich aber überzeugte, dass es nur Schatten
waren von Trübungen der Kapsel oder Irisbalken, die
nur bei gewissen Stellungen des Beschauers und des
Lichtes wie röthlich erschienen**).
Knapp führt übrigens einen Fall an, in welchem nach
ausgeführter Iridectomie von Patienten Finger gezählt
wurden und nur gelbweisse Trübungen in der Ge-
gend des hinteren Linsenpols nachzuweisen waren.
4) Die unter entzündlichen Erscheinungen neben
Glaskörperveränderung — ohne andauernde Steigerung
des intraocularen Drucks — schnell aufgetretene Amau-
rose deutet mit grossester Wahrscheinlichkeit auf Ab-
lösung der retina hin. Nur in dem einen Falle wird die
amotio nicht vollständig gewesen sein, wo (8 Wochen
nach Beginn des Augenleidens constatirt) central noch
etwas quantitative Lichtempfindung restirte***).
*) Coccius, über Glaucom, Entzfind. und die Autopsie mit dem
Augenspiegel* Leipzig 1859. p. 47.
Weber, Virchow's Archiv XVI. pag. 410 r. f.
Schweigger, A. f. 0. V. 2. pag. 227.
Hulke, Ophth. Hosp. Rep. 1860-61. pag. 278.
Pagensteoher, A. f. 0. VIL 1, pag. 93.
**) Man yergleiche den Fall yon Hulke (Ophth.Ho8p.Bep. 1860—61.
pag. 275): ,,67 the upper part of the pupil a yellow gleam appa-
rently duply seated in the lena or just behind in the vitreons
humonr was visible." Hulke enucleirte, weil er wegen des gelben
Scheines neben starken Schmerzen und totaler Amaurose bei einem
Kinde — Carcinom annahm und fand: yollkommene Ablesung der Nets-
haut, iwiflchen Netzhaut und Linse aber „the lymph-iaflltrated vitreous
humonr '< oder wie er vorher sagt: a Stratum of yellowish, tranaloeent
vitreous humour". Ausführliche histologische Angaben fehlen.
***) Nächst der papiUa nervi optici scheint die Gegend der macula
lutea einer Netzhautablösung noch am meisten Widerstand sn leiaten;
in Herrn Dr. Sohneller's Sammlung befinden sich 2 bulbl, in denen
165
Nehmen wir nuu das Vorhergehende zusammen, so
tritt vor uns ein Bild, das durchaus kein neues ist, son-
dern in zahlreichen sicheren Ueberlieferungen *) sich zwei-
fellos wiedererkennen lässt, es ist das der suppurativen
Iridochorioiditis, der eitrigen £ntzündung des
ganzen Uvealtractus (Iris, corpus ciliare, chorioidea)
mitZellenneubildung im Glaskörper und blutig
serösem Erguss zwischen Ader- und Netzhaut.
In zwei Fällen sahen wir — in dem einen nur hintere
Synechien, in dem anderen (Knapp) nur hintere Synechien
und Trübungen am hinteren Linsenpol — den Process
in seiner Ausdehnung beschränkt, dass derselbe aber
auch auf dem Boden der Meningitis epidemica unter
stürmischeren Erscheinungen verlaufen kann, als in den
herangezogenen Mittheilungen, lehren die Worte bei
Hirsch, wo nach Lindström in der Schwedischen Epidemie
von 1855 — 57 beobachtet wurden: „Entzündungen der
Augen, welche schliesslich nicht selten Verdunkelungen
der Cornea, Cataractbildung oder selbst eitrige Zer-
störung des ganzen Auges herbeigeführt haben.*"
Gegen Knapp möchte ich einwenden, dass es mir
scheint, als habe er ohne Noth den Boden des Bekannten
verlassen und als entbehre seine Diagnose auf dem Ge-
biet der Augenkrankheiten jeglicher Analogie. Der Aus-
druck: „Chorioditis hyperplastica oder sarcomatosa^'' findet
sich fast, soviel ich.sehe, allein bei Stellwag vonCarion**),
und bezeichnet dort einen mit intraocularer Druckstei-
die amotio total ist bis auf 2 Stiele, die diesen beiden Stellen entr
sprechen. VieUeicht ist's auch hieftir von Bedentang, dass an der
macola lutea die zahlreichsten und stärksten der aa. ciliares post. brcTes
in die sderotiea eintreten, (of. Leber, A. t 0. XL 1. pag. 14).
*) Hierher gehören die Sectionsberiohte yon Sohweigger (l o.),
Hnlke (1. o.), Pagenstecher (Klin. Beobaoht. aus der Augenheilanst
zu Wiessbaden 1S62. IL Heft pag. 74) und Arlt (die Krankh. des
Auges, IL Bd. pag. 171 u. t)
*•) Lehrb. der pract. Augenheilkunde. 1864. pag. 214.
166
gerung einhergehenden and mit Atrophie oder Vereite-
rung des bulbus beschliessenden Process, der immer nur
als ein sehr chronischer, durch Monate oder Jahre hin-
schleichender beobachtet worden ist Gesetzt, diese No-
menclatur Stell wag's wäre unanfechtbar^), so würde es
immerhin sehr gewagt erscheinen, denselben t«rminus
einer Krankheit beizulegen, bei welcher sich schon nach
wenigen Wochen nie mehr eine erhöhte, wohl aber fttst
stets eine verminderte Spannung des bulbus, und immer
die Zeichen einer abgelaufenen extensiven Entzündung
nachweisen lassen.
Es erübrigt nunmehr die Frage nach dem inneren
Zusammenhange der Augenaffection mit der Meningitis
cerebrospinalis epidemica.
Eine Fortpflanzung des Processes ist deshalb un-
wahrscheinlich, weil bei der gewöhnlichen Basilar- Me-
ningitis wohl vielfach ophthalmoscopisch^'*') Neuritis optica
und mehrfach anatomisch***) Neuritis descendens, in kei-
nem Falle aber bisher Iridochorioiditis constatirt worden
*) Aber sie ist es jiicht. Zonäohst weist uns der Umstand, das«
St. noch in der Ausgabe von 1864 unter den intraoeularen Geschwülsten
des Chorioidealsarcoms gar nicht Erwähnung thut, schon darauf hin,
dass dasselbe wohl unter der Bezeichnung der „Choriciditis saroomatosa''
SU suchen sein dürfte; und in der That — Alles, was in den Babriken
„Krankheitsbild** und „Verlauf" gesagt wird, stimrat mit den £xsehei-
nungen des Sarcoms, wie sie sonst beobachtet worden, YoUkonunen
überein; dann aber ftguriren unter den Ursachen auch herpetische Pro-
cesse, es folgt die Angabe, dass die Krankheit bei weitem am häufigsten
Kinder befalle, und schliesslich soU der gewöhnUche Ausgang der sein,
dass, nachdem die Geschwulst den grossesten Theil des Glaskörpers
Terdrängt hat, der bulbus atrophisch wird. — Die anatomischen Daten
und zwei Zeichnungen bestäricen noch mehr in dem Urtheil, dass hier
sehr heterologe Formen gewaltsam zusammengefasst sind.
**) Bouchut, Gaz. des Hdpit 1862, n* 118 und 1865, n"* 54.
***) T. Gräfe, Zehender's Monatsbl. 1864. pag. 867; in Gemein-
schaft mit Herrn Dr. S. Neumann in Königsberg habe ich in einem
Falle Ton Meningitis tuberculosa bei einem Kinde dasselbe beobachtet.
167
ist, obwohl andererseits zu einer heftigen Irido- Chorioi-
ditis sehr häufig sich die Symptome der Meningealreizung
gesellen — so bei Säuglingen fast durchgehends Convul-
sionen, — und bisweilen selbst Meningitis mit tödtlichem
Ausgang hinzugetreten sein soll*).
Aber zahlreiche Analogien legen uns eine andere
Lösung nahe.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass eitrige Irido-
chorioiditis — abgesehen von den Fällen, in denen trau'^
matische oder chemische Schädlichkeiten eingewirkt haben
oder, wie gar nicht selten, ursächliche Momente überhaupt
gar nicht nachweisbar sind — dass eitrige Iridochorioi-
ditis, sage ich, bisweilen auftritt im Verlauf von pyae-
mischen Processen, profusen Eiterungen und bei drei
Infections-Krankheiten, denen die Meningitis epidemica
vor allem nahe steht, bei Scharlach, Masern und Typhus.
Zugleich sind dies aber Processe, mit denen die epide-
mische Meningitis crebro-spinalis auch eine Anzahl an-
derer Complicationen gemein hat: eitrig-seröse Gelenk-
ergfisse, Pneumonie, Pleuritis, Peritonitis, Entzündung
des Mittelohrs, und somit stehe ich nicht an, ausschlies-
send die Fälle, in welchen Embolie Ursache des Local-
leidens wird, die uns beschäftigende Augenaffection als
coordinirt diesen sogenannten metastatischen Entzündun-
gen an die Seite zu stellen.
•) V^arlomont u. A., Zeheader's Monatsblatter 1863, pag. 458.
Zur Anatomie und Physiologie der Zonnla Zinii
Von
Dr. Hjalmar Heiberg in Christiania.
(Hienra 4 Figaren.)
CiS giebt kaum einen Theil des menschlichen Auges,
ttber dessen anatomische Verhältnisse die Meinungen so
wie Aber das corpus vitreum getheilt sind, denn so viele
Forscher ebenso viele Meinungen und die Aeusserung
Huschke's*), „dass die Untersuchung desselben zu den
schwierigsten und noch nicht vollständig erörterten Ge-
genständen der Anatomie des Auges gehört", gilt nach
einem 20jährigen Verlauf noch vollständig. Selbst die
Existenz einer Membrana hyaloidea ist von Valentin und
Henle bezweifelt, ja von Ch. Robin sogar geradezu ge-
läugnet worden, und ttber die Structur des eigentlichen
Glaskörpers hat man sich noch weniger einigen können.
Es ist bekannt, wie man wenigstens zu einer Zeit nicht
daran zweifelte, dass derselbe aus einem membranösen
Gerttste und einem darin enthaltenen Fluidum bestehe,
sondern dieses Gerüst nur verschieden angeordnet, be-
schrieb, indem Einige die Membranen das ganze corpus
vitreum in kleinere unregelmässige Zelleni-äume oder
*) Soemmering'8 Eingeweidelehro pag. 745.
169
Lakanen (Demours) nebst zahlreichen Fasern, die diese
auf verschiedene Weise durchkreuzen (Sappey), abzu-
theilen fanden. Andere ianden sie wie die Blätter einer
Zwiebel geordnet (Zinn, Pappenheim, Bracke und Han-
nover in Betreff der Thiere) und wieder Andere See-
toren, wie bei einer Apfelsine, ähnlicher (Hannover),
wozu noch die Annahme Bowmanns (und Nunneleys) von
einer Höhlung in der Mitte kam. Dieses Gerüst wurde
dann oftmals als eine Fortsetzung der Membrana hya-
loidea angesehen und wurde von Finkbeiner*) als mit
Epithel an beiden Seiten belegt und von Coccius^'*')
als aus Epithel bestehend, das ursprünglich von Binde-
gewebzellen gebildet sei und durch eine den Basement-
membranen am meisten ähnliche Glashaut festgehalten
werde, beschrieben, während Weber***) es nur für anasto-
mosirende Bindegewebekörperchen anzunehmen geneigt
zu sein scheint. Diesen Ansichten am meisten entgegen-
gesetzt ist diejenige Virchow^sf), der im corpus vitreum
nur sein Schleimgewebe sieht, dessen Zellen während
des Er Wachsens zu Grunde gehen, sammt Köllikerff),
der aus seinen Erfahrungen den Schluss zieht, „dass
corpus vitreum in der früheren Periode wohl einen Bau
besitze, der noch am meisten- an embryonale Zellenge-
webe erinnere, dass aber später wenigstens in seinen
inneren Theilen jede Spur desselben verloren gehe, und
derselbe nur aus einem mehr oder minder dichten Schleim
bestehe."
Kein besseres Schicksal bat j die descriptive Ana-
*) Yergl. ünteriaohong der Structor d. Olaak. Siebold und
KoUiker's Zeitschrift für wisienichaftl Zoologie VI. 880.
«*) lieber die Gewebe des Glaskörpers. Leipiig 1860.
•«*) Ueber den Bau des Glaskörpers Yirchow's Archiv 19.
t) Notis über den Glaskörper ArohiT IV.
ft) Gewebelehre, 4. Auflage 680.
170
tomie der Zonula Zinnii gehabt, und da es dieselbe
ist, die hier am nächsten einer Untersuchung unterwor-
fen werden soll, glaube ich, es werde nicht ohne Inter-
esse sein, einen kurzen Ucberblick über ihre Geschichte
zu werfen. Sie soll den alten Anatomen schon lange
bekannt gewesen sein, scheint aber doch zuerst von
Zinn '*') als eine eigne Haut beschrieben gewesen zu sein,
während schon Rau und Petit*'*') eine Theilung der
Membrana hyaloidea in zwei Lamellen, den jetzt soge-
nannten Canalis Petiti zwischen sich bildend, früher be-
obachtet hatten. Sonderbar ist es daher, vor nicht viel
mehr als 30 Jahren eine Discussion***) darüber, ob die
Ciliarfortsätze selbst mit der Linsenkapsel im Zusammen-
hange stehen, zu sehen, und zwar um so mehr, als der
freie zwischen der Linse und den Ciliarfortsätzen aus-
gespannte Theil der Zonula Zinnii in der That schon
früher von Monrof), Schneidert!)» DöUingerftt) uod
Homef'*'), nur aber auf verschiedene Art gedeutet, ge-
sehen war. V. Ammon gab der freien Partie der Zo-
nula Zinnii den Namen Orbiculus capsulo-ciliaris, die-
selbe ist aber unter dem von Retziusf**) gegebenen
Namen — Ligamentum Suspensorium lentis — bekannter.
Die älteren Autoren f'*'**) betrachteten die Zonula Zinnii
*) Descriptio anat. ooul. hmn. GSttingen 1755.
••) Ifto. de l'Aoadtoie de Paris 1726 und 1782.
***) Ammon in seiner Zeitschrift f. Ophthalm. I. und Hnsehke
ibid« III. £inige Streitpunkte in der Anatomie des menschlichen Auges.
t) Miscellaneons obserrations on the structore and the function of
the Eyes. Edinb. 1797.
ff) Das Ende der Merreahaat im menschl. Auge. Mfinehen 1827.
ttt) Norn!l acta academ. Gaeeareae Leopold - GaroL euriosomm.
Erlangen 1818.
t«) Heokel Aiehir fiir Physiologie YIII. 441.
f**) AersberStielBe om STcnska LäkareseUakapeti arb. 1889.
t***) Das Historische s. Huschke in Soemmering'a Binge-
weidelehre 738.
171
theils als eine Fortsetzung der Netzhaut (Lieutaud),
theils als ein Produkt aUer drei hier zusammenhängen*
den Augenhäute (Rosas), theils als ein Blatt der Mem-
brana hyaloidea (Realdus Golumbus, Petit, Winslow,
Arnold, Huschke) und theils als eine Haut eigener Bil-
dung (Döllinger, Schlemm, Pappenheim). Hierüber ist
man zur Zeit nicht viel einiger. Wohl nimmt mau zu-
nächst an, dieselbe gehe zum Theil als eine eigene Haut
der Membrana hyaloidea hervor, aber während Hanno-
ver'*') die Hyaloidea als an der ora serrata sich in zwei
Lamellen theilend beschreibt, von welchen die äussere
(vordere) an den Spitzen der Ciliarfortsätze sich wieder
in zwei Blätter spaltet, die respective an die vordere
und hintere Linsenkapsel sich heften, will er nur das
nach der ersten Theilung vordre Blatt als die Zonula
Zinnii betrachtet haben, während das hintere, das sich
rst auf der Hinterfläche der Linse mit dem zweiten
Blatte der Zonula vereint, als die eigentliche Hyaloidea
betrachtet wird. Ausser dem Canalis Petiti bekommt er
dadurch zugleich einen breitern Canal (Canalis Hanno-
veri) hinter demselben. Diese Auffassung wird auch
von Finkbeiner und zum Theil von Weber getheilt.
Nunneley*'*') und Mehrere beschreiben die Zonula als
eine an der ora serrata beginnende und von der Hya-
loidea zunächst ausgehende Membran, die sich an den
Spitzen der Ciliarfortsätze in zwei Lamellen spaltet, von
welchen die hintere und dünnere sich mit der eigent-
lichen Hyaloidea vereint, um mit ihr gemeinsam die
hintere Begrenzung des Canalis Petiti zu bilden. Bendz'*''*'^),
Brücket), Bowmann, Arit, Sappeytt) betrachten nur
*) Bidrag ül Oieta Anat., Phys. og. Pathol. Kjöbenhavn 1850.
**) On the Organs of Tialon London 1858.
*•*) Anatomie Kjdbenhavn 1846—47.
t) Beschreibiuig des mensehlichen Augapfels. Berlin 1847.
tt) TraiM d' Anatomie detoriptlTe. Paria 1855.
172
die vordere Begrenzungshaut des Petitischen Canals als
die eigentliche Zonola, ^während die hintere ausschliess-
lich von der Hyaloidea gebildet wird. Die Insertion au
die Linse geschieht nach Brücke in zickzackformigen
Attsschweifangen, die theils die vordre, theils die hintere
Eapselhälfte erreichen werden.
Hinsichtlich der Structor der Zonula schreibt Husch-
ke*X dieselbe est ehe aus feinern durchsichtigen Fasern,
„und er sei in grosse Versuchung gekommen, die Mei-
nung Homes, der sie fQr Muskelbündel hält, auzuneh-
men^, wenn er nicht später dazu gekommen sei, eine
Schwalbe, bei der diese scheinbaren Fasern sich nur
als Falten deutlich erwiesen, zu untersuchen. Auch
Döllinger und Rudolphi sahen diese Fasern und nahmen
sie wie Home für Muskelbündel an. Nach einer An-
merkung in dem obenerwähnten Buche Hannovers sieht
es sogar darnach aus, dass Betzius hier Muskel£eisern
wirklich gesehen hat, da ich aber seiner Originalab-
handlung nicht habe habhaft weitlen können, weiss icb
nicht, ob er bei dem Menschen oder gewissen Thieren
diese Beobachtung gemacht hat. Hannover beschreibt
die Zonula als aus steifen zunächst elastischen Fasern
bestehend. Pappenheim, v. Ammon, Henle, Sappey,
Bendz, Frey, KöUiker, Weber und Finkbeiner stimmen
ebenfalls darin überein, dass sie aus Fasern, die an
Bindegewebe- oder elastische Fasern erinnern, besteht
Brücke und Nunneley dagegen sehen das febrillare Aus-
sehen nur in einer Faltung der ganz structorlosen Glas-
haut für bedungen an. Ausser den gewöhnlichen Fasern
erwähnt Finkbeiner*"^) noch, dass er bei dem Pferde und
dem Menschen einzelne quergestreifte Fasern gesehen.
•) Ammon' B Zeitschrift III.
•♦) a. 8. 0.
173
die er jedoch nicht mit Bestimmtheit als Muskelfasern
aufführen wolle und die er nicht näher verfolgt habe.
Bevor ich nun zu meinen eigenen Untersuchungen
tLbergehe, will ich nur darauf aufmerksam machen, dass
bei dem Anfang meiner Arbeit die Structur der Zonula
mir nur aus den gewöhnlichen histologischen Lehrbüchern
sainmt einzelnen eigenen oberflächlichen Untersuchungen
bekannt war, und besonders waren die Untersuchungen
von Retzius und Finkbeiner bis vor ganz kurzer Zeit
mir durchaus unbekannt, was ich nur bemerken will,
damit man sehe, dass ich von keinem Yorurtheil einge-
nommen noch von falschen Meinungen im Voraus be-
fangen, meine Arbeit angefangen habe. Warum die Un-
tersuchungen Finkbeiners in diesem Stücke in der oph-
thalmologischen Literatur so ganz unerwähnt sind, kann
ich mir aus keinen andem Gründen erklären, als dass
seine Zeichnung der quergestreiften Fasern den stark
gefalteten Fasern, die man an frischen Präparaten der
Zonula des Pferdes nicht selten sieht, eigentlich ähnlicher
ist. Möglicherweise haben auch mehrere Anatomen, wie
Eoelliker*) auf seine Untersuchungen im Ganzen ge-
nommen weniger Vertrauen gesetzt, „weil er die Zellen
der Pars Ciliaris retinae zum Epithel des Glaskörpers
zählt'', hier aber muss Finkbeiner sich deutlicherweise
verkehrt ausgedrückt haben, denn diejenigen Zellen, die
er zeichnet, sind wirklich solches Plattenepithel, das man
als auf der Hyaloidea liegend beschreibt, und nicht die
cylinderförmigern Zellen, welche die pars ciliaris retinae
bilden. Dass Finkbeiner diese gar nicht hätte kennen
sollen, ist ja auch nicht denkbar.
Durch das Losreissen der Linsenkapsel mit der Zo-
nula Zinnli von den Ciliarfortsätzen eines gehärteten
Auges oder durch das Herausnehmen des Corpus vitreum
•) Gewebelehre, 4. Ausgabe p. 681. Anm.
174
und der Linse eines frischen Auges fiberzeugt man sich,
wenn man auf solches Bieiessig tröpfelt, leicht davon,
dass die Zonuia nicht durch eine plötzliche Verdecknng
oder Theilung der Hyaloidea bei der ora serrata retinae
anfängt, sondern dass schon hinter derselben feine Fa-
sern auftreten, die unter gegenseitigen Anastomosirungen
nach vorn gehen, um über den Giliarfortsätzen sich nach
und nach in dichtere Bändel und zuletzt in eine zu-
sammenhängende Haut zu vereinen, welche allen Erhö-
hungen und Vertiefungen der processus ciliares folgt
und mit den unterliegenden Theilen so zusammenhängend
ist, dass die pars ciliaris retinae und das Epithel der
Ghorioidea beinahe überall mitfolgen, wenn man die Zo-
nula loszureissen versucht. Kurz bevor diese Haut die
Giliarfortsätze erreicht, theilt sie sich in zwei Blätter,
welche von denselben auf respective die vordre und
hintere Linsenkapsel übergehen, den Canalis Petiti
zwischen sich bildend. Hat man bei einem Auge die
Hörn- und Begenbogenhaut sammt allen hintern Häuten,
einen Ring dem Corpus ciliare angepasst ausgenommen,
weggeschnitten und den grössten Theil des Corpus vi-
treum weggenommen, wird man diesen Theil der Zonula
Zinna (Lig. susp. lentis) die Linse wie einen Rahmen
umgeben sehen. Selbst mit unbewaffnetem Auge sieht
man dann, dass die Zonula in dieser Partie durch das-
jenige, welches Weber ein ungemein zartes Glashautge-
webe nennt, zusammengehalten, sich in breitere Faser-
bündel wieder auflöst, um sich dann mit einem zickzack-
förmigen Rande an die Linsenkapsel zu befestigen. Von
dieser Partie giebt Huschke'*') eine besonders klare und
genaue Beschreibung mit folgenden Worten: „Von nun
an kommt die Zonula in dem freien Raum zum Vor-
•) Ammon^s Zeitschrift m. 12.
175
schein in dreieckigen Bttndeln angeordnet, welche V«'"
Breite im Durchschnitt besitzen, zwischen sich einen
freieren mit ungefalteter Glashaut aber mit gar keinen
oder wenigen Fäserchen ausgefüllten Raum von etwa
Vig''' Breite lassen, jeder ungefähr 12—20 einfache feinste
etwa Vsoo''' breite Fältchen enthalten, und ziemlich in
derselben Zahl vorhanden sind als processus ciliare.^
cboroideae. Jedes Bündel hängt mit seinem spitzigen
Ende fest an einem processus ciliaris, mit der Basis
seines Dreiecks ebenso fest an der KapseP.
Zu der mikroskopischen Untersuchung habe ich, was
die Menschenaugen betrifft, meistens solche, die mit der
Müller'schen Flüssigkeit behandelt waren, benutzt, und
verschaffte mir Längeschnitte (meridionale Schnitte) von
der von ihrem Inhalt befreiten Kapsel sammt der hier-
mit zusammenhängenden, von den Ciliarfortsätzen abge-
rissenen Zonula Zinnii auf dieselbe Weise, die Frey für
die Netzhaut empfiehlt Man legt nämlich ein Stück
auf eine Glas- oder besser auf eine Guttaperchaplatte
und macht mit einem connexen Skalpell unter wiegen-
der Bewegung feine Schnitte. Es erweist sich dann,
dass die Zonula Zinnii beinahe ausschliesslich aus Fa-
sern besteht, die gegen die Spitze der Ciliarfortsätze
hauptsächlich gabelförmig in zwei Richtungen gehen um
sich pinselförmig theils an die vordre Kapsel und hier
höher hinauf, theils an die hintere, dem Linsenrande
viel näher, zu befestigen. Ausserdem gehen ein Theil
Fasern unregelmässiger zu der zwischen diesen beiden
Ansätzen liegenden Kapselpartie und ein Theil nach
hinten zu der Hyaloidea. Diese Membran als eine von
der ora serrata eigne Haut zu verfolgen, fällt, wie Köl-
liker bemerkt, schwer', bis sie ein wenig hinter dem
Canalis Petiti wieder auftritt und von dem hintern Blatte
der Zonula, nur durch spärliche Fasern mit derselben
vereint, deutlich getrennt nach der hintern Linsenkapsel
176
hingeht, mit der sie, dem hintern Pole näher als die Zo-
nala zusammenschmilzt Hierdurch entsteht also der
von Hannover beschriebene Kanal hinter dem Petitschen,
obgleich hiermit nicht entschieden sein soll, dass der-
selbe im natürlichen Zustande ^rirklich als ein Kanal
existirt, sondern nur, dass die Hyaloidea und die hintere
Wand des Ganalis Petiti in eine Haut nicht zusammen-
geschmolzen sind. An der Hyaloidea zeigen sich ein
wenig hinter dem Anfang des Canalis Petiti constant ein
Theil ringförmig um dieselbe verlaufende sehr feine Fa-
sern, vielleicht dieselben, welche Huschke, Retzius und
Pappenheim schon beschrieben haben. Die von Brücke
beschriebene zickzackförmige Anheftung der Zonula, die
theils die vordre, theil sdie hintere Kapsel treffen sollte,
scheint mir nicht gut möglich, so lange ich an jedem
meridionalen (Länge) Schnitt Fasern sowohl nach der
vordem als der^hintem Kapsel gehen sehe^ denn nach
seiner Zeichnung |müsste ich einmal einen Schnitt be-
kommen, der Fasern nur an die vordre Linseukapsel an-
geheftet zeigt, und ein anderes Mal einen, wo sie sich
nur an die hintere hefteten, und dies um so viel mehr,
als die Entfernungen zwischen jedem Zickzack so unbe-
deutend nicht sein können, sondern wohl der Breite
eines Giiiarfortsatzes angemessen sein müsst«n. Auch
würde in dem Falle nicht die Insertion an die vordre
Kapsel an allen Schnitten so viel weiter als an die hin-
tere gegen den Linsenpol hervorreichen. Ueberdiess
findet man, wenn man ein Stück der Fläche der Linsen-
kapsel unter das Mikroskop legt, kein Segment.derselben
das der Zonularfasern ganz entblösst ist, etwas, das
nach Brücke auch der Fall sein müsste. Dass die Zo-
nula keine structurlose Glashaut und die Fasern also
nicht bloss scheinbar mit Falten übereinstimmend sind,
sieht man an diesen Längeschnitten schon deutlich ge-
nug, noch besser aber an Querschnitten der Zonula (mit
177
aequator bulbi parallel), wo dann die Enden der runden
Fasern wie der Querschnitt von Orgelpfeifen oder einer
Pansflöte sehr schön erscheinen. Beim Pferde ist das
Verhältniss insofern anders, als der ganze Ganalis Petiti
mit Zouulafasern angefüllt ist, welche also ausser an
die äussere Peripherie der vordem und der hintern
Linsenkapsel sich zugleich an den Linsenrand selbst
heften, und ich bezweifle, dass es hier einen Canal go-
dronne aufzublasen möglich sei. Bei dem Seehunde
existirt gar kein Canalis Petiti, sondern die Zonula
heftet sich zickzackförmig gerade an den aequator lentis.
Was den eigentlich histologischen Charakter der
Fasern betrifft, will ich solchen zuerst bei dem Pferde
beschreiben, da denselben zu constatiren es hier am
leichtesten ist. An den erwähnten Längeschnitten zer-
zupft man zu diesem Zwecke die Zonulafasern gut, und
man findet dann dickere und dünnere, zum Theil sehr
gebogene Fasern, die immer scharfe Bänder zeigen. Sie
sind gewöhnlich in der Mittelpartie der Zonula am brei-
testen und lösen sich sowohl vorn als vielleicht besonders
hinten in feinere Fasern, die mit einander anastomosiren,
auf. In den mit der Müllerschen Flüssigkeit behandelten
Präparaten zeigt sich immer ein Theil dieser gelber und
schärfer conturirt, scheinbar steifer, während ein anderer
kleinerer Theil blasser und gemeiniglich gebogener ist
In mehreren dieser letzteren kommen auf kürzeren oder
längeren Strecken regelmässige Querstreifen zum
Vorschein, die mit nichts Anderem als der muskulären
Querstreifung verglichen werden können (Fig. 1 u. 2).
Als ich die ersten Paar Mal diese Querstreifung, wo die
Fasern eine schärfere Biegung bildeten, am deutlichsten
sah, musste es mich natürlich dazu auffordern, um so
viel aufmerksamer darauf zu sein, ob es nicht möglicher-
weise nur Falten wären. An und für sich bürgte wohl
die Verbreitung, dass sich ein gutes Ende ausserhalb
Arclilv fOr Ophthalmologie. XL 8. 12
178
des Winkels selbst, den die Faser bildete, erstreckte
sammt die parallele nicht ftcherförmige Anordnung der
Streifen, und endlich ihre regelmässige mit den da-
zwischenliegenden weissen Streifen gleiche Breite hin-
länglich dafür, dass es schwerlich Falten sein könnte;
sicher würde es aber doch zuerst, da ich bei späteren
Präparaten ohne Schwierigkeit Fasern antraf^ die in
Strecken, wo die Faser ganz scharfe und gleiche Ränder
ohne irgend eine Winkelbiegung hat, dieselben regel-
mässigen Querstreifen zeigten. Die Ungereimtheit, dass
dieselbe ein Eunstprodukt der Präparation sein sollte,
zeigte sich bald beim Untersuchen ganz frischer Pferde-
augen, wo die Querstreifung ebenso deutlich und vielleicht
noch besser zu sehen war, wenn man eine solche Faser
erst zu iassen bekommt, welches ihrer Durchsichtigkeit
und infolge deren ihrer ungeheuer schwachen Gonturen
wegen wohl etwas Mühe verursachen mag, und man mnss
sich hier wohl httten, in den zahlreichen dicht gefalteten
Fasern oder Membranen, die sich darstellen und von
denen ich fast sagen möchte, sie gleichen mehr den von
Finkbeiner gezeichneten als den eigentlich regelmässig
quergestreiften Fasern, sich nicht zu irren. Auf jedem
der erwähnten Längeschnitte fuid ich in der Regel nur
eine verhältnissmässig unbedeutende Anzahl (3 — 5) quer-
gestreifter Fasern, während ich, mit einer Pincette die
an der Linsenkapsel hervortretendsten Faserbündel fas-
send, diese nebst einem kleinen Stücke der Kapsel los-
reissend und dann die Fasern zerzupfend, gemeiniglich
grössere Ansammlungen bis 12 und 16 neben einander
antraf (Fig. l,b). Die ungleiche grösste Menge wurde
jedoch immer von den erwähnten dunkleren und steiferen
glatten Fasern (Fig. 1, c) gebildet. Die quergestreiften
Fasern zeigen eine sehr verschiedene Breite, von 0,015 —
0,06 m. M., und bei näherer Untersuchung zeigt sich
dieses davon herzurühren, dass sie sich dichotomisch
179
theilen (Fig. 2 b), und wie ich gesehen za haben glaube,
mit einander anastomosiren. Die Querstreifung habe ich
in der ganzen Länge der Faser selten verfolgen können.
Dieselbe erscheint bei dem Pferde &st ausschliesslich in
derjenigen Partie, die mit dem freien Theil der Zonula
Zinnii übereinstimmt (Lig. Suspensorium lentis) und geht
hinten in eine glatte Faser Ober, während man sie vorn
am öftesten bis auf die Linsenkapsel verfolgen kann,
zuweilen aber hört sie auch hier ein wenig früher au^
indem von der Faser eine oder mehr ungefähr 0,008 m.M.
breite glatte Fasern, die sich zuletzt pinselförmig an die
Kapsel heften, ausgehen. Deutliche Kerne und in keiner
so geringen Anzahl habe ich an einem Paar mit der
Flüssigkeit Müllers behandelten quergestreiften Fasern
ohne den Zusatz irgend eines anderen Beagens gesehen
(Fig. 2 a). An anderen Präparaten erscheinen sie auch
einzeln an einigen der glatteren blasseren Fasern, an den
allermeisten aber (frischen oder mit der Flüssigkeit
Müllers behandelten) Präparaten war es selbst durch den
Zusatz der Essigsäure nicht möglich. Kerne hervorzu«
bringen, ein Umstand, den ich mir schwer erklären kann.
Durch den Zusatz 20procentiger Salpetersäure verschwin-
det die Querstreifung und es tritt mehr eine Längestrei-
fung auf, sowie denn an einzelnen (quergestreiften?)
Fasern längliche Kerne erscheinen. Wird das Präparat
mit der Salpetersäure gekocht und Ammoniak hinzuge-
setzt, werden die Fasern gelb und die Querstreifung
kommt bisweilen wieder zum Vorschein. Mitunter schei-
nen einzelne der quergestreiften Fasern mehr flach und
bandförmig als eigentlich cylindrisch zu sein.
Gehen wir nun zu den Menschenaugen über, so zeigt
sich hier ungefähr dasselbe Yerhältniss. Die Zonula
besteht ausser einem Bindemittel in der Form einer
dünnen structurlosen, stark ge<eten Glashaut deutlicher-
weise aus zweierlei Fasern. Bei den gewöhnlichen Be-
12*
180
handlungsarten zeigen sich die Fasern im Ganzen ge-
nommen gleichförmiger steif und liegen nicht in so vielen
Biegungen auf den Präparaten, es ist aber auch hier
durch besonders aufmerksame Beobachtung und genaue
Verfolgung jeder einzelnen Faser insbesondere an den
mit der Flüssigkeit Müllers behandelten Präparaten
möglich dieselbe regehnässige Querstreifung selbst in
längerer Strecke, immer aber sehr schwach und nur an
einzelnen Fasern (Fig. 3 a), sammt, wovon ich mich über-
zeugt zu haben glaube, in Lig. Suspensorium lentis we-
niger deutlich als weiter nach hinten, wo die Fasern
gerade auf der pars ctliaris retinae liegen, zu constatiren.
Es ist dagegen im Ganzen genommen mehr eine Länge-
streifung, die besonders an den Enden zum Vorschein
kommt, wo die Faser sich oft in einem Busche schmälerer
Fäserchen auflöst (Fig. 3 a u. b), womit sie sich an die
Kapsel inserirt. Ungleich deutlicher und in bedeu-
tend grösserer Zahl findet man dagegen quergestreifte
Fasern, wenn man frische Präparate mit Lapissolution
(1:200 ä 400) behandelt (Fig. 3 b), nachdem man dadurch,
dass man die Zonula eine Zeit lang im Wasser hat liegen
lassen, die Epithelzellen der Aderhaut macerirt und das
Pigment weggepinselt hat. Man kann dann auch hier,
wie bei dem Pferde, die Querstreifung gerade bis an die
Kapsel verfolgen, wo die Fasern durch die Hülfe der
erwähnten Fäserchen sich inseriren. Zugleich habe ich
mich davon überzeugt, dass nicht nur das vordere Blatt
der Zonula, sondern auch die hintere Wand des Canalis
Petiti quergestreifte Fasern, wiewohl in kleinerer Menge,
enthält. Die Fasern theilen sich auch hier, es ist mir
aber nie möglich gewesen, Kerne zu finden. Ihre Breite
variirt von 0,01—0,016 m. M.
Endlich habe ich die Gelegenheit gehabt, ein See-
hundsauge zu untersuchen, das ein Schiffscapitain die
Güte hatte, in Ghromsäure von Spitzbergen mitzunehmen.
181
Auch hier fand ich dieselben quergestreiften Fasern, die
an keinem anderen Auge durch ihre Breite und ihren
gebogeneren Verlauf von den übrigen, viel schmäleren,
steifen, glatten (elastischen) Fasern so abstachen, etwas,
das ich freilich der gar zu starken Ghromsäure, in
der es aufbewahrt gewesen war, zuzuschreiben ge*
neigt bin.
Zuletzt habe ich auch durch die Hülfe der Lapis-
Solution dieselben quergestreiften Fasern bündelweise
in grosser Zahl bei dem Schafe, äusserst spärlich
bei dem Ochsen und dem Schweine andeuten können.
Von einem Schafsauge, das ein Paar Tage in Wasser
gelegen hatte, wodurch die Pigmentzellen aufgelöst waren
und der Glaskörper mit der Linse zusammen sieh unbe-
schädigt leicht herausnehmen liess, besitze ich ein Prä-
parat, wo die ganze Zonula Zinnii mit (der Peripherie)
der Linsenkapsel, von dem Corpus vitreum und dem
Linsenkörper befreit, auf dem Objectträger (mit der hin-
teren Fläche nach oben) ausgebreitet liegt, und wo man
sehen kann, dass die Zonula zum wesentlichen Theil aus
dichtliegenden, radiär verlaufenden Bündeln quergestreifter
Fasern besteht.
Was den Ursprung der Fasern der Zonula betrifft,
so zweifle ich nicht daran, dass die meisten von der
Membrana hyaloidea ausgehen, ein grosser Theil ihrer
aber steht offenbar im näheren Zusammenhang mit den
bekannten Zellen der pars ciliaris retinae, welche KöUiker
unstreitig mit voller Befugniss zu dem Bindegewebe hin-
zurechnet und als verkürzte MüUersche Radiärfasern auf-
führt und dieses meint wohl auch Klebs*), wenn er sagt,
dass ein gewisser Theil der Zonulafasem die Radiärfasern
der Retina unzweifelhaft repräsentirt Einen bestimmten
*) Zar normal, und pathol. Anatomie des Anges. Yirchow's
rchiY 1861.
182
UebergaDg der erwähnten cylinderfönnigen Zellen in
Zonulafasern habe ich zwar nie bei dem Menschen ge-
sehen (wohl aber glaube ich, solchen bei dem Seehunde
beobachtet zu haben), dagegen trifft man durch das Zer-
zupfen dieser Zellen ihre inneren Enden in eine oder
mehr mit einander anastomosirende Spitzen (Fig. 4 a),
ja oft in eine sehr lange fadenförmige Faser (Fig. 4 b)
ausgehend. Ueberdies erscheinen die Zellenreihen am
Längeschnitte mit der Zonula immer sehr intim vereint,
und alle ihre erwähnten Spitzen zeigen nach vom, ein
Yerhältniss, das Kölliker auch in Betreff des Ochsen ge-
zeichnet hat. Eine ältere Beschreibung des Lig. Suspen-
sorium lentis von Fränzel*) scheint auch auf einen solchen
Zusammenhang hinzudeuten. Er will nämlich an Augen,
die eine Zeit in Weingeist gelegen haben, die Choroidea
nebst der tunica serosa (welche hier mit der Jacobschen
Haut [Stäbchenschicht] und weiter hervor mit der Pars
dliaris retinae identisch sein muss) von der Zonula Zinnii
gelöst und dann jene verfolgt haben „integra ad lentis
capsulam usque", ein ziemlich directer Beweis, dass die
äussersten Zonulafasern in einer genaueren Verbindung
mit den Zellen der pars ciliaris retinae stehen. Endlich
hangen offenbar die äusseren, oft gabelförmigen Enden
dieser Zellen mit den zwischen dem Pigmentepithel der
Ciliarfortsätze hervorspringenden retikulären Leistchen
der Glashaut der Chorioidea zusammen, so dass also ein
Theil der Fasern der Zonula mittelbar eine Art Fort-
setzung der Jamiua elastica chorioidea werden wird.
Die Frage liegt nun nahe, ob die erwähnten quer-
gestreiften Fasern wirklich Muskelfasern sind, welche in
solchem Falle ihrer Theilung wegen denjenigen des Her*
zens am ähnlichsten würden. Ich hatte durch chemische
Untersuchungsmittel oder durch Polarisation zur Gewiss-
*) Amnion*! Zeitschrift f. OphthalmoL I. p. 26.
183
heit darüber za kommen gehofft, die Resultate wurden
aber der verhältnissmässig geringen Anzahl der Fasern
und des blossen Aussehens derselben im frischen Zu-
stande wegen so unbestimmt, dass ich kein Gewicht
darauf legen darf und daher derselben auch nicht näher
erw&hnen will
Ich habe also nur das mikroskopische Aussehen, an
das ich mich halten kann, dieses aber kommt mir we-
nigstens bei dem Pferde, wo ich Kerne gefunden habe,
mit Muskel&sem so ganz analog zu sein vor, dass ich
schwerlich umhin kann, einen Theil der Zonulafa-
Sern als muskulär anzusehen, und ist man in Be-
treff des Pferdes erst zu der Erkenntniss gekommen,
spricht doch die Analogie dafür, dass die quergestreiften
Fasern bei den übrigen erwähnten Thieren und bei dem
Menschen auch als Muskelfasern betrachtet werden müs-
sen. Eine andere Frage möchte es sein, ob nicht auch
ein Theil der übrigen glatten Fasern, die durch ihr blas-
seres Aussehen und ihren gebogeneren Verlauf an die
quergestreiften erinnern, auch mit diesen identisch an-
gesehen werden muss, wo aber dann die Querstreifung
aus irgend einem Grunde undeutlich geworden ist Die
Erscheinung von Fasern, in denen man die Querstreifen
nur streckenweise mit glatten Zwischenräumen sieht,
scheint dafür zu sprechen. Kölliker sagt auch: „dass
bei vielen Thieren, deren Muskelfasern quergestreift sind,
unter gewissen Verhältnissen Fasern und Fibrillen vor-
kommen, an denen man auch mit den besten Vergrösse-
rungen keine Abwechselung von dunklen und hellen
Theilchen, m. a. W. keine Querstreifen sieht^, wie ja
auch dasselbe bei jedem anderen Muskelbündel der Fall
ist Allenfalls aber bleibt jedoch die Anzahl der glatten
elastischen Fasern der Zonula den muskulären über-
wiegend.
Indem ich folglich also glaube, einen Theil der Zo-
184
nula als einen Muskel auffassen zu müssen, muss ich
seiner Wirkung noch erwähnen. Hierüber kann man
nicht gut im Zweifei sein. Er ist, generell gesprochen,
zwischen dem hinteren Rande (der Spitze) der Ciliarfort-
Sätze und dem Linsenrande ausgespannt und wird folg-
lich durch seine Contraction den äquatorialen Durch-
messer der Linse verlängern, den Krümmungsradius der
Oberfläche derselben yermehren, sie wahrscheinlich
ein wenig zurückziehen und also das Äuge für fer-
nere Entfernungen einstellen. Zum Theil wird
seine Wirkung natürlicherweise von dem grösseren oder
kleineren Grade der Erection der Ciliarfortsätze modifi-
cirt, in allen Fällen aber bleibt derselbe ein directer
Accommodationsmuskel, der die so sehr bezweifelte ne-
gative Accommodation ausführen wird.
Bevor ich schliesse, werde ich nicht unterlassen
darauf aufmerksam zu machen, dass ich unter Anderen
den Herren Professoren C. Boeck, Voss und Heiberg
sammt dem Herrn Prosector Winge meine Präparate vor-
gezeigt habe, die sich Alle von der erwähnten Querstrei-
fung, die in jeder Beziehung derjenigen der Muskelfasern
gleicht, überzeugt haben, und dass diese Herren zum
Theil mit mir einig sind, dieselben bestimmt als Muskel-
faserbündel anzusehen. —
185
Erklärung der Abbildungen.
Figur 1. Pferdeauge 3 Monate in der Hü Herrschen Flfissigkeit auf-
bewahrt; aa ein Stfick der (yordem) Kapselfläche mit der An-
heftung der Fasern; ö Bündel quergeitreifter Fasern; e andere
glatte elastische Fasern mehr oder weniger pinselförmig aufgelöst;
d kernhaltige glatte Faser. Vergr. 200.
Figur 2. Quergestreifte Fasern der Zonula des Pferdes; a kernhaltig;
b eine sich theilende. Vergr. 800.
Figur 8. Fasern der Zonula des Menschen; a in der Müller' sehen
Flüssigkeit aufbewahrt; b mit Lapissolution behandelt; e ein Stüok
der Kapsel. Vergr. 800.
Figur 4. Menschenauge. Zeilen der pars ciliaris retinae, deren
Spitzen a mit einander anastomosiren oder b in einen langen
Faden auslaufen. Vergr. 850.
Die Theorie des AstigmatiBiniiB.
Von
Dr. H. Kaiser, Kreisarzt zu Dieburg.
Die Ophthalmologie hat in neuerer Zeit durch den Ein-
fluss der von den Naturwissenschaften in die medicinischen
Disciplinen übergegangenen exacten Forschungsmethode
und das Genie der ihr vorzugsweise sich widmenden Gre-
lehrten eine so grosse Vervollkommnung erlangt, dass
sie sich fast zu ihrem Standpunkte vor 30 Jahren so
verhält, wie die heutige Mathematik zu der vor Ent-
deckung der Infinitesimalrechnung. Zu einer ihrer neusten
Errungenschaften gehört, wenn nicht die Entdeckung,
doch die Ergrttndung desjenigen Zustands des Auges,
welcher Astigmatismus genannt wird. Derselbe konnte
erst seit Erfindung des Ophthalmometers n&her begrfindet
werden. Berühmte Autoritäten haben auch über diesen
Gegenstand sofort helles Licht verbreitet und ihn so weit
praktisch verwerthet, dass in dieser Beziehung wohl nicht
mehr viel hinzugefügt werden kann.
Dennoch hat Verfasser dieses Aufsatzes in der
Theorie desselben, wenigstens so weit ihm die betreffende
Literatur zugängig war, einige Lücken und zweifelhafte
Punkte zu finden geglaubt Indem er dieselben zu seiner
eigenen Befriedigung auszufallen und seine Zweifel zu
lösen sich bemühte, entstanden die Haupttheile der vor-
187
liegenden Arbeit, welche er nur noch durch AnknQpfung
an die noch heute Geltung habende Sturm'sche Theorie
und Herstellung des Innern Zusammenhangs zu einem
organischen Ganzen vereinigte.
Im Anfange des ersten Abschnitts ist eine möglichst
elementare Ableitung der Stürmischen Brennlinien ge-
geben und die Formeln des letzten Abschnitts sind bis
auf einige wenige, ohne Störung des Zusammenhangs zu
übergehende nur leichte Ableitungen aus den allgemein
bekannten und wichtigen Gleichungen der physiologischen
Optik.
Die mittelst dieser Formeln zu gewinnenden inter-
essanten und wichtigen Resultate sind an einem Beispiele
allgemein verständlich erläutert.
I. Die Normalen eines Flächeuelements. Der
Sturm'sche Lehrsatz, elementar entwickelt und
analytisch-geometrisch ausgeführt.
Eine jede krumme Fläche besteht aus einer unend-
lichen Anzahl unendlich kleiner Elemente. Jedes dieser
Elemente kann zugleich auch als Element derjenigen
Ebene angesehen werden, welche es in seinem Mittel-
punkte tangirt („Berührungsebene''). Die auf dieser
Berührungsebene senkrechte Gerade steht auch auf dem
tangirten Flächenelemente senkrecht und wird Normale
genannt. Legt man durch diese Normale Ebenen (deren
gemeinschaftliche Durchschnittslinie die Normale selbst
ist) nach allen möglichen sich durchkreuzendenBichtungen,
so schneiden diese Ebenen das Flächenelement in un-
endlich viele Curvenelemente, welche im Allgemeinen
verschiedene Krümmungen haben. Die analytische Geo-
metrie zeigt nun, dass es für jedes Flächenelement zwei
auf einander senkrechte Richtungen giebt, nach welchen
dasselbe von zwei durch die Normale gehenden (also auf
dem Flächenelemente senkrechten) Ebenen dergestalt
188
geschnitten wird, dass von den durch diese Schnitte er-
zeugten beiden Curven die eine die grösste, die
andere die kleinste Krümmung unter allen möglichen
Schnittcurven hat. Diese beiden Schnitte werden „Haupt-
schnitte^^ genannt Innerhalb des unendlich kleinen
Flächenabschnitts fallen beide Curven mit denjenigen
Kreisen zusammen, welche mit ihnen einerlei Krüm-
mungshalbmesser haben. Derartige Kreise werden oscu-
lirende genannt. Ist RS der in dem einen Haupt-
Fig I. n. II.
schnitte (Fig. 1) gelegene osculirende Kreis, welcher den
kleinsten Krümmungshalbmesser hat, so gehen natürlich
alle Halbmesser mF, m'¥ und ebenso alle Normalen mp,
m'p' durch den gemeinschaftlichen Krümmungsmittel-
punkt F. Und wenn R'S' (Fig. 2) der in dem zweiten Haapt-
schnitte gelegene osculirende Kreis ist, welcher den grössten
Halbmesser hat, so gehen die Halbmesser m,f,m'if.. ., oder
die Normalen dieses zweiten Hauptschnitts, sämmtlich
durch den Mittelpunkt f. Da nun die Ebenen der beiden
Hauptschnitte (in denen die in Betracht gezogenen zwei
osculirenden Kreise liegen) auf einander {senkrecht stehen,
189
so muss das in dem Krümmungsmittelpunkte f des zweiten
Hauptschnitts (Fig. 2) auf der Ebene desselben errichtete
Perpendikel in der Ebene des ersten Hauptschnitts (Fig. 1)
liegen und cc' wird dieses Perpendikel sein. Ebenso
muss das auf der Ebene des ersten Hauptschnitts in dem
Krümmungsmittelpunkte F errichtete Perpendikel in der
Ebene des zweiten Hauptschnitts liegen, und GC (Fig. 2)
wird dasselbe vorstellen. Alle in den beiden Hauptschnitten
gezogenen Normalen des Flächenelements müssen mithin
durch die beiden erwähnten Perpendikel CC und cc'
gehen. Denn in Fig. 1 gehen alle Normalen durch den
Punkt F, welcher dem Perpendikel CG' angehört und
zugleich durch cc' (dem Perpendikel auf der Ebene des
zweiten Hauptschnitts) und ebenso gehen in Fig. 2 alle
Normalen durch die Gerade CG' (welche auf der Ebene
des ersten Hauptschnitts perpendiculär ist) und durch
den Punkt f, welcher dem Perpendikel cc' angehört.
Denkt man sich nun auf den Ebenen der beiden Haupt-
schnitte senkrechte Ebenen errichtet, welche auf den
Hauptschuittcurven normal sind, d. h. durch die Krüm-
mungsmittelpunkte F, f gehen, so wird eine dieser Nor-
malebenen des ersten Hauptschnitts, welche man beliebig
wählt, eine beliebig gewählte Normalebene des zweiten
Hauptschnitts in einer geraden Linie schneiden. Diese
gerade Linie muss folgende beiden Eigenschaften besitzen:
1) sie muss ebenfalls eine Normale des Flächenelements
sein und 2) durch die beiden Perpendikel GG' und cc'
gehen. Die Richtigkeit der ersten Behauptung ist un-
schwer einzusehen, was die zweite betrifft, so ergiebt sie
sich daraus, dass jede der beiden Normalebeneu durch
das eine Perpendikel gelegt ist und das andere schneidet,
und deshalb auch ihre ihnen beiden gemeinsame Durch-
schnittslinie durch beide Perpendikel gehen muss. Die
2u]etzt erwähnten Geraden vervollständigen also die Zahl
der auf einem Flächenelemente denkbaren Normalen, und
190
man kann mithin den allgemeinen Satz aussprechen, dass
alle Normalen, welche auf einem Flächenele-
mente errichtet werden können, durch die Ge-
raden CC und cc' gehen.
Wir machen darauf aufmerksam, dass diese Geraden,
welche wir seither fast nur als Perpendikel in's Auge
gefasst haben und welche man „Stürmische Brenn-
linien" nennt, dergestalt in den Ebenen der beiden
Hauptschnitte liegen, dass die in der Ebene des Haupt-
schnitts befindliche nicht durch dessen Erümmungs-
mittelpunkt, sondern durch den Krümmungsmittelpunkt
des andern Hauptschnitts geht, wie man auch aus
Fig. 1 u. 2 ersieht.
Die Grössen der Stürmischen Brennlinien
lassen sich nun leicht bestimmen.
Man hat (Fig. 1)
mm'':cc'«OF:Ff,
folglich
und (Fig. 2)
mithin
, ^ mm^^ X Ff
m,mi'':Of = CC':Ff,
p p, m,m/^XFf
CC öf — •
Setzt man mm" = mim," = 2* und Of « f OF = F,
so ist Ff « f — F und man hat:
ec.-?M=a. cc-?ii^.(,.)
Ist also mm" «mim/' der Durchmesser des Quer-
schnitts eines aus unendlicher Entfernung normal auf
ein Flächenelement (von transparentem Stoff) treffenden
Lichtbündels, so werden sämmtliche letzteres constitui-
rende Strahlen durch die beiden Geraden cc' und CC
gehen und diese werden [in den durch die Formeln (1)
ausgedrückten Längen erleuchtet sein.
191
Die bis hierher elementare Entwicklung*) werden wir
nun auf dem Gebiete der analytischen Geometrie weiter
fortsetzen.
Fig. m.
Wir wollen nämlich die Gleichung der Fläche suchen,
welche von sämmtlichen Geraden gebildet wird, die durch
einen elliptisch umgrenzten, senkrecht auf der Axe ÄZ
(Fig. 3) stehenden Flächenabschnitt YX Y'X' und durch
die beiden ebenfalls auf dieser Axe senkrechten und unter
sich einen rechten Winkel bildenden Geraden CG' und
cc' gehen.
Wir nehmen AZ zur Axe der z und die mit CG'
und cc' parallelen Graden AY, AX beziehungsweise zur
Axe der y und der x. F sei der Erümmungsmittelpunkt
der in der Ebene der xz gelegenen Hauptschnittcurve
und f der Krümmungsmittelpunkt der in der Ebene der
yz gelegenen. Femer sei Af = f, AF ■= F und endlich
die mit der x-Axe parallele Halbaxe der Ellipse » a,
die mit der y-Axe parallele » b.
^) Die Dednction Ton Kirchhof in Knapps Abh. über Meridian-
Bymmetrie. ArchiT Vin. II. pag. 198 ist zwar auch dem Ansoheine
nach elementar, aber wie die Gerade:
[x — x.as(xi — xo) a, y — y.=5 (yi — y.) z]
durch Elimination Ton x», y», Xi, yi mittelst zweier willkürlieh ange-
nommener Belationen in die beiden auf ihr senkrechten Geraden fiber-
geht, ist f&r einen in der Deutung analytischer Operationen nicht sehr
Geübten schwer zu begreifen.
192
Alles in Baumcoordinaten ausgedrückt, erhalt man
demnach folgende Gleichungssysteme:
Für die Ellipse:
[a*y'4-b'x'-=a'b',z-o| (2)
und für die Geraden CG' und cc^-
{x-0, z = f} (3)
jy-O, z = f} (4)
Die Gleichung der gesuchten Fläche erhalt man
hiermit, weun man die Gleichungen (2), (3), (4) als Re-
präsentanten von Leitlinien betrachtet und als Glei-
chungssystem der Erzeugungslinie setzt:
|x — x' - m (z — z'), y — y' = n (z — z')l (5)
Substituirt man die aus (3) und (4) fliessenden Werthe
für x', z* und für y', z' in (5), so erhält man:
jx = m (z-F), y-n(z-f)l (6)
und wenn man diese Werthe in die erste der Gleichungen
(2) setzt und z « 0 macht,
a'nT 4- b*m'F«a'bs
endlich, indem man die aus (6) folgenden Werthe fOr m
und n substituirt:
aTv' b'F'x*
(z — fy ^(z — F)' * ^' ^^-^
welches die gesuchte Gleichung ist.
Setzt man darin a «■ b » (^, d. h. nimmt man die
Begrenzung des Lichtbündels, oder den Umfang des
Querschnitts desselben, kreisförmig mit dem Halb-
messer «J an, so verwandelt sich die Gl. (I) in folgende:
(a-f)' ^ (z-F)' ' ^"•''
193
welch' letztere mit der Stürmischen identisch ist.'*') Die
Gleichungen (I) und (II) stellen jede eine zweifächrige
windschiefe Fläche dar.
Schneiden wir die FUche (II) mit Ebenen, welche
mit der Ebene der xy parallel sind und allgemein durch
die Gleichung z^'e dargestellt werden, wenn e der Ab-
stand der Schnittebene von der Ebene der xy ist. Als-
dann ist das allgemeine Gleichungssystem der Schnitt-
curve :
f • y* ^ Fx'
j(e-f)'
(e-F)« '^^^-^(^)
Die durch einen dieser Schnitte entstehende Curve
ist mithin im Allgemeinen eine Ellipse, deren mit der
Axe der x parallelen Halbaxe a den Werth
*) Sturm nimmt (rgL Poggendorf' s Annalen Bd. 65) die Berüll-
lübrungsebene einer beliebigen knimmen Flficbe znr Coordinatenebene
der xy, nm den Berührungspunkt herum nimmt er (in der Berührungs-
ebene) einen kleinen Kreis an:
g« -f 17. a= <r«(®)
Die durch diesen Kreis gehenden Normalen der krummen Fläche
werden dargesteUt durch:
wo, wenn p, q, r, t die in der Analysis übliche Bedeutung haben,
dp-=r§, dqastiy
ist. ^, 1;, l, d haben hier die Geltung Ton Differentialien, nSm-
lieh strenge genommen, besiehungs weise von dx, dy, ds, ^dx'-^-dy*.
Vernachlässigt man ^, so hat man aas (3):
S =
y
I — rz ' 1 — ti
oder, da der analytischen Geometrie zufolge
-i.K, i-,
ist;
Substituirt man diese Werthe in die Gl. (®), so ergiebt sich die
Gleichung des Textes.
AreblT fOr Ophthataiologle. XL 9. 18
194
und deren mit der Axe der y parallelen Halbaxe b den
Werth
b-±Ji:^ (9)
hat
Für e — 0 geht die Gl. (7) in x' -h y" « iTs d. i. in
die Gleichung der kreisförmigen Umgrenzung des Flächen-
abschnitts oder des „Diaphi'agma*' über.
Für Werthe von e, die grösser als 0 und kleiner
als F sind, stellt die Gl. (7) eine Ellipse dar, welche in
der Richtung der x- Axe (beim allmähligen Wachsen von e)
immer schmäler wird, bis sie in die Gerade CC über-
geht, wenn e = F wird.
Für e "" F geht nämlich das Gleichungssystem (7)
über in
jx-0, . z-FJ
und es wird
..„,b_iL=jF)l,(,0)
d. h. die mit der y-Axe parallele Halbaxe wird zur halben
vorderen Brennlinie CG'.
Für Werthe von e, die zwischen F und f liegen,
oder für F < e < f , d. h. für die zwischen den beiden
Brennpunkten, oder innerhalb der „Brennstrecke''
(wie Sturm den Baum zwischen den beiden Brennpunkten
nennt) gelegenen Schnitte stellt das Gleichungssystem (7)
ebenfalls eine Ellipse dar, die aber nahe der Mitte
dieses Zwischenraums in einen Kreis übergeht, iodem
die beiden Halbaxen a und b (8) u. (9) einander gleich
werden. In diesem Falle ist
195
wenn g den Halbmesser des Kreises bedeutet. Von hier
au wird die Ellipse in der Richtung der y-Äxe immer
schmaler und geht e « f in die Gerade cc' über.
Für e=f nämlich wird das Gl.- System (7)
und die Halbaxen der Ellipse werden
d. h. die mit der Axe der x parallele Halbaxe wird mit
der halben hintern Brennlinie cc' identisch.
Für Werthe endlich von e > f stellt das Gl.-System
(7) immer eine Ellipse dar und behält diese Bedeutung
bis einschlieslich e = oo .
Schneidet man die Fläche (II) anstatt mit Ebenen
mit geraden Linien, die der Ebene der xy parallel
sind, nämlich die Form
|z-e, y«kx[ (13)
haben, so erhält man für die Coordinaten der Durch-
schnittspunkte die Werthe:
, ^ (^ (e — f ) (e - F) ....
z as e y = kx, x*=± ^ ^ ^ ^ (14)
' ^ ' v^kT(e-Fy4-P(e-f). ^ ^
Lässt man die Gerade (13) mitten zwischen den
beiden Brennpunkten hindurch gehen und bezeichnet die
Distanz der beiden Brennpunkte von einander oder die
Länge der Brennstrecke mit 2E, so hat man
e-~F = f-e = E,
folglich
^E
\^k*f -+-F«'
Das zwischen der Axe der z und dem Durchschnitts-
punkte
la*
196
e, y = kx, x = ±
^/k•^-^F
befindliche Stück a der Geraden (13) ist mithin
Dieser Werth von a wird für k =* 0, d. h. wenn die
Gerade (13) mit der x-Axe parallel ist,
-.-4^ (16)
und für k » oo , wenn die Gerade mit der y-Axe paral-
lel ist
-=^.(n)
Für e = f, y = 0 ergiebt sich aus (U)
I ^ * ^ cJ(f— F) , 2^«
k = 0 und X = — ^ — ~ oder x = -y ;
für e = F, X = 0 erhält man k = cc,
_ ^(f— F) _ 2da
J f f •
Die beiden letzten Werthe, von x und y, sind wieder
die halben Längen der Brennlinien (und zwar bezie-
hungsweise der hinteren und vorderen) für ein kreis-
förmiges Diaphragma.
Um dieselben auch für ein elliptisches zu erhalten,
schneiden wir die Fläche (I) mit Geraden von der Form:
z = e, y = kx.
Dann ist die entsprechende dritte Ordinate
^_^ ab(e-F)(e-^f)
v^a*fk' (e — F)* 4- b'F (e — f)*'
Für k«0, also für die in der 5 C- Ebene liegende
Gerade, mithin für die hintere Brennlinie, wenn man
e — f setzt, erhält man
x-±'-(tzLl),(,8,
J97
und für k«oo und e«=F, also für die vordere, in
der fj^'Ehene liegende Brennlinie
Sturm, welcher zuerst die soeben vorgetragenen
Sätze über die Normalen der Flächenelemente auf den
Oang der Lichtstrahlen, die von einer nicht sphärischen
Fläche gebrochen werden, anwandte, stellte implicirte fol-
gende beiden Thesen auf:
1) Was für eine unendlich kleine Fläche bewiesen
ist, gilt auch für eine Fläche von endlicher Ausdehnung,
durch welche ein Strahlenbündel von nicht unbeträcht-
lichem Querschnitte hindurchgeht.
2) Die Existenz der Brennstrecke von nicht uner-
heblicher Ausdehnung im menschlichen Auge macht eine
variabele Accommodation oder Einstellung desselben für
Objecto, die sich in verschiedener Entfernung befinden,
unnöthig.
Die erste Behauptung ist aber noch zu erweisen und
über den Irrthum der zweiten ist man bereits längst
einig.
IL Der durch eine dreiaxig-ellipsoidische
Fläche gebrochene Strahlenkegel von
endlicher Basis.
Es fragt sich also, ob die im Vorhergehenden ge-
fundenen Formeln bei unserem Äuge Anwendung finden,
da sie streng genommen nur für ein unendlich kleines
Flächenelement gelten. Sturm wendet sie ohne Weiteres
für die Theorie des Sehens an, indem er nur voraus-
schickt, dass zufolge des Molus'schen Princips jeder or-
dentliche (nicht polarisirte) Strahlenkegel nach seiner
letzten Brechung als normal auf irgend einer Fläche an-
gesehen werden könne. So ohne Weiteres kann dies
jedoch unserer Ansicht nach nicht geschehen, indem die
198
Beschaffenheit der Brennlinien sowohl, wie der Umstand,
dass die innerhalb der Brennstrecke verlaufenden Licht-
strahlen einander nicht schneiden, sondern an einander
vorbeigehen und einen Lichtstrang bilden, in dessen
Querschnitten das Licht gleichmässig vertheilt ist, nam-
hafte Bedenken hinsichtlich des bei solcher Einrichtung
möglichen deutlichen Sehens erregen muss. Ziehen wir
unter diesen Umständen zunächst ein Experiment zu
Rathel
Figur IV.
,^S
Man lege auf die sphärische Linse A (Fig. 4), welche
auf dem Boden B einer zum Zeichnen eingerichteten
Camera obscura (mit einem grossen cubischen Kasten,
dessen eine Wand ein Vorhang bildet, durch welchen man
den Kopf steckt) die Bilder der von dem Spiegel C re-
flectirten Objecte entwirft, eine convex - cylindrische
Linse D, deren im Zusammenwirken mit der Linse A
erzeugter Brennpunkt einige Zoll über dem Boden, etwa
in E liege. Hierauf lasse man in solcher Richtung SF
Sonnenlicht auf den Spiegel C fallen, dass es durch die
199
Gläser D und A auf den Boden der Camera obscura
gelangt. Hier würde ohne Hinzutritt der cylindrisehen
Linse, durch die sphärische allein, ein kleines Lichtscheib-
chen in B erzeugt werden; nunmehr aber wird man eine
ziemlich feine Lichtlinie daselbst erblicken, welche senk-
recht zu der Axe der Gylinderfläche gerichtet ist Erhebt
man nun ein Blatt Papier von dem Boden der Camera
obscura allmälig, wagerecht nach oben, so geht diese
Lichtlinie in eine Ellipse, einen Kreis, dann wieder eine
Ellipse, deren Axen einen rechten Winkel mit denen der
vorhergehenden machen, und im Punkte E endlich in eine
die erste Lichtlinie senkrecht kreuzende zweite Lichtlinie
über. Die erste Lichtlinie schneidet die Seiten der cy-
lindrisehen Linse rechtwinklig, die zweite ist mit der-
selben parallel. — Lässt man in dieser Camera obscura
die Bilder irgend welcher Objecte entstehen, so werden
sie auf dem Boden B nach der Richtung der ersten
Lichtlinie und auf einem in E wagerecht gehaltenen Blatt
Papier nach der Richtung der zweiten Lichtlinie in die
Länge gezogen erscheinen. — Bringt man in einiger Ent-
fernung vor dem Spiegel ein Convexglas so an, dass
dessen Brennpunkt mehrere Zolle von dem Spiegel ent-
fernt ist, und die von jenem divergent ausgehenden
Strahlen von dem Spiegel aufgefangen und durch die
Gläser D und A in die Camera obscura geleitet werden,
so findet ungefähr noch dieselbe Erscheinung statt
Hieraus erhellt, dass auch von einem Strahlenkegel,
dessen Spitze nicht sehr weit von den Gläsern D und E
entfernt ist, die gebrochenen Strahlen an den beiden
Enden der Brennstrecke in eine so schmale Lichtfläche
(Ellipse) zusammengedrängt werden, dass die Erschei-
nung nicht besonders auffallend von der vorhergehenden
verschieden ist.
Dies muss sich nun auch jedenfalls analytisch be-
granden lassen.
200
Far die Verhältnisse am menschlichen Auge ist es
genügend, als brechende Fläche ein dreiaxiges Ellip-
soid anzunehmen, d. h. die Oberfläche eines solchen
Ellipsoids als die Trennungsfläche zweier Mittel zu be-
trachten, aus deren einem, dem dünneren (Luft), der
Lichtstrahl in das andere, dichtere (wässrige Feuchtigkeit)
eintritt.
Dieses Ellipsoid, dessen Halbaxen a, b, c, und dar-
unter c beträchtlich grösser als b und a, sein sollen,
werde dargestellt durch die Gleichung:
Das Gleichuugssystem einer Geraden, welche dufth
den Punkt g«o, ^==0, C— g und durch den Punkt §=x,
'^■^y? C'^z geht und einen von der Axe der z ausgehen-
den, die ellipsoidische Fläche treffenden Strahl darstellen
soll, ist:
I — ^,i^-e),^ — g^z^^-8>| ^2*)
Das Gleichungssystem der ebenfalls durch den Punkt
X, y, z des Ellipsoids (20) gehenden Normalen ist:
Die Gleichung der Ein falls ebene des Strahls ist
dadurch gegeben, dass sie die beiden Geraden (19) und
(20) in sich enthält. Sie sei:
Ag + Bi?H-C?-4-D = o (23),
so können ihre Coefficienten dadurch bestimmt werden,
dass man die Ebene (23) als durch die Gerade (22) und
einen Punkt der Geraden (21) gehend betrachtet. Als
letzteren nehmen wir denjenigen, in welchem diese Gerade
von der Ebene f=c geschnitten wird und dessen Coor-
dinaten mithin sind:
201
I.
(C-g), Vi
- ^(c-g),?.
g_Z "" g — z
Auf diese Art (oder indem man die Ebene (23) als
eine solche bestimmt, welche durch die Punkte Ii, v\ Ci,
X, 7, z and den Ursprung geht) erhält man:
g-zj^ b'
Ol
a>
f-(c-z)]
(c-z)
(24)
C-e.,,(.-|^^)(J--V).
Multiplicirt man jeden dieser Co6fficienten mit ~ßj
c z
so \verden sie einfacher und man erhält als die gesuchte
Gleichung der Einfalls- und Brechungsebene:
a* [ b* z + c (g -■ z) ] y ?— b* [ *' ^ "^ ^'(8 "" 2:) ] xy
+ c* (a' - b') xy C ~ gc* (a* - V) xy = 0. (25)
Hat jedoch g gegen c einen beträchtlichen Werth,
wie dies beim Äuge, wenn deutliches Sehen statt-
finden soll, immer der Fall ist, so kann man in den
g— c.
Werthen (24)
' 1 setzen und erhält alsdann als
g — z
hinreichend genaue Gleichung der Brechungs-
ebene:
. a'yS — b'xi?-(a' — b')xy = 0. (26)
Die Brechungsebene steht mithin auf der
Coordinatenebcne der '^r^ senkrecht und schnei-
det die Äxe der z niemals. In dem Falle, dass x«o
oderdass y^so ist, d. h. wenn der einfallende Strahl in
der Ebene der 17? oder SC verläuft, Mt sie mit diesen
Coordinatenebenen zusammen.
202
Rg. V.
Es sei nun (Fig. 5) Ss der in Betrachtung gezogen
werdende einfallende Strahl, Sz die Axe des Strahlen-
kegels, welche mit der Coordinatenaxe der z und der
Halbaxe c zusammenfällt, mz parallel mit Sz, mt die
Normale im Punkte m, Winkel 8mt»v+w der Einfallswinkel
Die trigonometrische Tangente des Neigungswinkels,
welchen die Geraden (21), (22), nämlich der einfallende
Strahl und die Normale, mit der Axe der z machen, ist
mithin beziehungsweise tg. v und tg. w, und ihre Pro-
jectionen auf die Ebenen der xz und yz sollen dargestellt
werden durch tgVx, tg. vy, tg. Wx, tg. Wy.
Alsdann hat man, wenn man von den Zeichen ab-
sieht:
X V
c'x . c'y
*8-*«" a-z '*«•'''" b'z]
tg- V, _ a'z tg. Vy _
tg. Wx C"(g— Z)' tg. Wy
oder, wenn man z— c annimmt:
tg. V, __ a' tg. Vy _
b'z
c'(g-z)'
b'
tg. W, C(g-C)' tg- Wy c(g — c)*
Setzt man der Körper halber
a> ^ J_ b* _ J_
c(g-c) fti' c(g-c) " fh'
so hat man
(27)
(28)
(29)
(30)
203
tg. V. - — tg. Wx, tg. Vy = -— tg. w„ (31)
oder auch, wenn man vorläufig unter tg. v die beiden
Werthe tg. Vx und tg. Vy, unter tg. w. die Werthe tg. w»
und tg. w, und unter /^ die Werthe Mt und i^h zusam-
menfasst:
tg. v = — tg. w.
Wir haben soeben angenommen, dass man, ohne der
Genauigkeit des Resultats wesentlichen Abbruch zu thun,
in den Verhältnissen (28) z=sc setzen könne. Wir neh-
men femer an, dass es erlaubt sei, — tg. v, — tg. w
n n
beziehungsweise als gleichbedeutend mit — sin.v, — sin- w
zu betrachten. Wird nun der Strahl Ss (Fig. 6) in m
nach s' abgelenkt, so hat man der eben gemachten Vor-
aussetzung zufolge, wenn n das Brechungsverhältniss be-
deutet,
Fig. VI.
tg. s'mt = -^ tg.(v+w) (32)
und
tg. s'mz = tg. (zmt — s'mt).
Nun ist
* / . X tg. V + tg. w
tg. (v4-w)=- 1-tg.ytg.w
oder mit genügender Genauigkeit
204
tg. (v + w) = tg. V 4- tg. w« f 1 -f — ] tg. w,
folglich (32)
und
tg. s'mt =» — tg. w
, tg. zmt — tg. s'mt
tg. S'mZ =» :r-^— r -^ 7—7
^ 1 4- tg. zmt. tg. s'mt
tg. w - -^ — — - tg. w
" /tili
oder wenn man -^^ tg." w vernachlässigt:
tg. s'mz = ./' (n — 1) — 1 jg ^ ^33 j
Dies ist also der Ausdruck der trigonometrischen
Tangente des Neigungswinkels des gebrochenen Strahls
gegen die Ajchse der z.
Wir halten es für angemessen, um die Zulässigkeit
der vorgenommenen Vereinfachungen bei Anwendung der
zu gewinnenden Formeln auf die Theorie des Sehens zu
beurtheilen, ehe wir weiter gehen, für das unten näher
zu betrachtende Auge diejenigen Werthe von z, v, w . .
zu bestimmen, welche drei verschiedenen grösseren
Werthen von x und y, v<mj denen der erste der grössten
Pupillenweite (5 Mm.) zukommt, entsprechen. Nimmt
man die grösste Halbaxe c des Uomhautellipsoids zu
10,6 Mm. an, so findet man aus den gemessenen Krüm-
mungshalbmessern r, «7,9567, r2 = 7,7768*) vermöge der
Formeln
a* b^
^"^=7'^«= c-
*) ArohiT VIII. II. S. 212.
205
als Werthe der beiden andern Halbaxen b = 9,"9, a =
Zur Bestimmung des Winkels v nehmen wir den
Abstand g des leuchtenden Punktes vom Ursprung des
Coordinatensystems = 200"*, oder den Abstand jenes
Punktes vom Homhautpol g — c == 189,7.
Mittelst dieser gegebenen Grössen finden wir:
1) für X = y = 2,T,
z = 9,7(57, tg. V. = 0,0132, tg. Wx = 0,3069, tg. Wy ==
0,3003, V - 0*45', Wx =- 17*4', Wy = 16*45'.
2) für x«y = 2-,
z = 10 Ö78, tg. V « 0,0104, tg. Wx = 0,2704, tg. Wy « 0,2646,
V -= 0*36', Wx - 15'8', Wy = 14"49'.
3) für x=y = l,5
z-=10,SÄ, tg. v = 0,0079, tg. Wx = 0,1983, tg. Wy =
0,1942, v = 0^27', Wx ■= iri3', wg « 10" 59'.
Man sieht sofort, dass bei den Winkeln v die Sub-
stitution der Tangenten für die Sinus auf den gebrochenen
Winkel keinen Einfluss hat. Bei den Winkeln w dagegen
hat man, was das Brechungsverhältniss n der wässe-
rigen Feuchtigkeit = 1,3365 ist:
~- tg. 17« «0,2288, ^ sin. 17' = 0,2188, DiflF. 0,010
— tg. 15^ «0,2003, — sin. 15" «0,1929, „ 0,007
n n 7 j » 1
-~ tg. 11« «0,1454, -^ sin. IT «0,1427, „ 0,003.
Die Verhältnisse (28) ^r^~y ^-r(~:^sind hier
beziehungsweise
0,0377, 0,0389, 0,0399
0,0385, 0,0398, 0,0408.
Die für diese veränderlichen Werthe angenommenen
Constanten Verhältnisse (30) sind:
0,04106
0,04222
206
Filr*) tg. (vH-Wx) hat man die drei Werthe:
0,30597, 0,27116, 0,20221
und für tg. v-htg. w,:
0,30657, 0,27182, 0,20236.
Endlich erhält man fQr tg. s'mz die Werthe:
0,06603, 0,06399, 0,04566
und mittelst der vei-einfachten Formeln:
0,0714, 0,0675, 0,0470.
Man wird hieraus zur Genüge ersehen, dass die
vorgenommenen Abkürzungen für unseren Zweck gestattet
sind. Dieselbe besteht nämlich nur darin, nachzuweisen,
dass Strahlenbündel von beträchtlichen Querschnitten in
unserem Auge oder in ähnlichen optischen Apparaten
dergestalt verlaufen, dass sich die Brennstrecke mit den
Brennlinien an ihren Endpunkten und mit ihren ellip-
tischen Querschnitten sinnlich wahrnehmbar darstellt,
wobei es sich von selbst versteht, dass die Brennlinien
keine geometrischen Linien oder ganz genau unseren
Formeln entsprechende Ellipsen und die aus diesen For-
meln zu berechnenden Querschnitte ebenfalls nicht voll-
kommen exact sind.
Nach dieser Digression nehmen wir nun den Faden
unserer Analyse wieder auf.
Specialisirt man die 61. (33), so erhält man, durch
Substitution der Werthe von tg. wx nnd tg. Wy aus (27)
in dieselbe, die Projectionen von tg. s'mz auf die Coor-
dinatenebene der |^ und 17C, nämlich
A^i (n — 1) — 1 c'x, f^(n—l)— 1 c' y
jMi n ' a' z fi2 n ' b' z*
Folglich hat man als Gleichungssystem des ge-
brochenen Strahls:
*) Da de sich in die kleinen Grössen tg. wz und tg. wj mnltlpU«
ciren, so ist ihre Differenz von den wahren V^erthen ohne Belang.
207
Auf ähnliche Art erhält man vermittelst (22) als
Gleichungssystem des parallel mit der Achse
der z eingefallenen gebrochenen Strahls:
£-
-X-
n— 1
n
c'x
a<z
(?-
•z)/
V
-y-
n— 1
n •
c»y
b*z
(C-
-.j
(35)
welches sich auch aus (34) ergiebt, wenn man /i » oo
annimmt. Die Krümmungshalbmesser pi, Qt der beiden
Hauptschnitte des Ellipsoids sind:
a^
^, B — f&r den Schnitt in der Ebene der SC
c
_b V
Femer hat man nach der ersten Cardinalformel
der Dioptrik fQr die vom Scheitel des Ellipsoids gemes-
senen Entfernungen fi und fa der beiden Punkte, in denen
die von S ausgehenden und in der Nähe des Scheitels
auffallenden Strahlen nach ihrer Berechnung die Axe der
z schneiden,
f» Vfr'\^ > (35a)
(n— 1) (g— c) — (>' ^ ^
oder, wenn man darin die obigen Werthe Ar g sub-
stituirt
f ^ n (g — c) a* f - n (g — c) b
'' (n-1) c (g-c) - a* ' '• . (n~l)clg-c)-b"
c(ff — c) ,c(ff — c)
oder auch da -^^ — - ■■ /u, und ^^^ ^ — f^* ist,
f. - (n-i)^-r -T' *• = (n-l)/u.-l-T ^^^^^
208
Setzt man der Efirze wegen
/"in ' ^ n - V /
80 hat man
Soll der Stunn'scbe Lehrsatz hier gelten, so mass
der gebrochene Strahl (34) für jeden Werth von x, y, z
durch die beiden Gerade
|| = o,t-c-,-5j 38)
},_o.C-c-;fJ (39)
gehen. Substituirt man die Werthe von | und C aus (38)
in die erste und die von rj und C aus (39) in die zweite
der (jleichungen (34), so erhält man die Relationen:
(^'-l)(c-z)-Ound(^-^-l)(c-z) = 0,
welche für ZbC identisch werden.
Da der Werth von z in nicht unbeträchtlicher Aus-
dehnung um den Scheitel der Ellipse herum nur wenig
von c abweicht, wie wir am obigen Beispiele gezeigt
haben, so ist auch die Gültigkeit des Stürmischen
Lehrsatzes für Strahlenkegel bewiesen, welche
mit einer Basis von beträchtlicher Grösse auf
die brechende Fläche fallen.
Man sieht leicht ein, dass im gegebenen Falle die
Genauigkeit dieses Satzes mit der Grösse jener Basis
oder des Diaphragma im Verhältniss steht.
Substituirt man den Werth von $ oder 17 aus einer
der Formeln (35) in die Gleichung (26), so ergiebt sich
die andere (35), zum Beweise, dass der gebrochene
Strahl wirklich in der Einfalls- und Brechungsebene
liegt,' wie es nach bekannten optischen Gesetzen der Fall
sein muss.
209
Verföhrt man ebenso mit den Öleichongen (34), so
entsteht eine kleinere Differenz, welche jedoch bei dem
hier vorausgesetzten Grade von Genauigkeit nicht in
Betracht kommt.
Es soll nun diejenige Fläche analytisch dargestellt
werden, welche durch sämmtliche Lichtstrahlen constituirt
vrird, die durch einen auf der Axe der z senkrechten
Durchschnitt des EUipsoids, nämlich durch die ElUpse-
gehcD.
Aus den Gl. (34) ergiebt sich unter Berücksichti-
guBg von (36) und (37)
f, d — c(d-0' ^ - f, d — c (d — 0*
Substituirt man diese Werthe in die zweite der Gl.
(40) und setzt
d— C = P, Vc' — d^ « e, (41)
80 erhält man
4-
aMfi-4-^')'^ b^(f,-4f)'^ ''
(in)
Die Analogie dieser Fläche mit der Fläche (I) tritt
noch mehr hervor, wenn man sie mit ^"—11 multiplicirt
und dann
--a., ---b. (42)
setzt, wodurch sie die Form erhält:
(|C.-P) {±^-.J
Die Bedeutung von e » y/c^ — d* und mithin von
ai und bi, sowie von ?, « d — C ist leicht einzusehen.
Ist ABA' (Fig. 7) eine durch die grösste Axe
ArolüT fttr Ophthalmologie. ZI. S. ^^
210
AA' OB 2 c gef&brter Schnitt des EUipsoids und ist
cDotdi und construirt man mit dem Halbmesser CA« e
den Kreisbogen AE, bis er die Verlängerung des Dia-
phragma B' B in E schneidet, so ist DE »> e. Die Grös-
sen ai, bt (42) verhalten sich zu e, wie die kleineren
Halbaxen a, b des EUipsoids zur grössten c.
Fig. VII.
Ci ist die vom Mittelpunkte D der leitenden Ellipse
oder des Diaphragma an gerechnete Ordinate C. Da die
beiden anderen Ordinaten $, t] durch Verlegung des Ur-
sprungs der Coordinaten nach D ungeändert bleiben,
so sind in der Formel (III a) ebenso wie in Formel (I)
des ersten Abschnitts alle Grössen von besagtem Punkte
D aus gemessen.
Durchschneidet man nun die Fläche (III a) mit der
auf der C-Axe senkrechten Ebene
?« = £..
80 erhält man far die Curve des Durchschnittes:
lr_f -^JhL.^ bjr a?b? I ..,.
(■• " ^ ' (cf. - dUY ^ (^=:d)"« - ~d^' i ^^^'
Dieses Gleichungssystem stellt eine Ellipse dar, f&r
deren mit der Axe der | parallele Halbaxe A
man hat
V , (c - d) a.
(44)
211 '
Da d nur wenig verschieden von c angenommen
wird, so ist diese Axe auch nahe gleich Null.
Die andere mit der i^-Axe parallele Halbaxe
B der Ellipse (43), welche man als die halbe Länge der
durch den einen Brennpunkt (oder das eine Ende
der Brennstrecke) gehenden Brennlinie betrachten
kann, ist:
B j-^— • (*«)
Durchschneidet man ebenso die Fläche (III) mit
der Ebene
SO ist der Durchschnitt wieder eine Ellipse, nämlich
j«^ - ^^' -^rzr^ + (cf;-df.)~« ■" ~d~ • S ^^^'^
Für ihre mit der S-Axe parallele Halbaxe Aj,
welche die halbe Länge der durch den zweiten Brenn-
punkt (oder das andere Ende der Brennstrecke) gehen-
den Brennlinie darstellt, hat man
*"(-d-^'-f') •
A. '-^ i, (47.)
und ihre mit der 17-Axe parallele Halbaxe Bi ist:
B. = <^^:^\(48.)
nämlich wieder nahe gleich Null. —
Vermöge der vorhergehenden Analyse ist man in
den Stand gesetzt, zu beurtheilen, bis zu welchem Grade
von Genauigkeit der Stürmische Lehrsatz fOr unser
Auge treffende Strahleukegel von endlichen Querschnitten
gelten würde, wenn deren Axe mit der Gesichtslinie zu-
sammenfiele.
Es ist aber bekannt, dass die Gesichtslinie eigentlich
nie mit der durch den Pol der Hornhaut gehenden
212
Augenaxe zusammenfällt, sondern dass sie mit dieser
einen nach innen (auf der Nasenseite) gelegenen Winkel
von ungefähr 5'' bildet*). Unsere Analyse ist also noch
auf diesen Fall auszudehnen. Auch fragt es sich noch,
wie es sich mit den Strahlenkegeln verhält, welche von
ausserhalb der Gesichtslinie befindlichen leuchtenden
Punkten in unser Auge fallen.
Es sei S (Fig. 8) der leuchtende Punkt, C der Mit-
telpunkt, A der Scheitel des Ellipsoids, BB' das Dia-
phragma.
Fig. vni.
Transformiren wir die Gleichung des Ellipsoids, so
dass wir S C zur neuen Axe der z und die beiden ande-
ren neuen Coordinatenaxen rechtwinklig zu einander und
auf SC annehmen. Seien, indem wir die neuen Coordi-
naten mit x', y', z' bezeichnen, Ai, A2, As die Cosinus,
welche die neue Axe der x' mit den alten der x, y, z
macht, und seien ebenso Bi, B.^, B3 und Ci, C.^, C, die
Cosinus, welche die neue Axe der y und der 7/ mit deo
alten der x, y, z bilden, so erhalten wir als transfor-
mirte Gleichung des Ellipsoids:
x^. y^. ^n X' y' x' z' y^ . .^^
*) Knapp, HornhatttkrümmuDg S. 26.
213
wo unter Anwendung der bekannten abgekürzten Schreib-
art die Coäfficienten folgende Werthe haben:
1
s
« J
A?
1
A*
a>
' B'
1
A"
-
2^
A.A.
a' '
B"
a'
1
'22
yAjAJ
(50)
a'
Hier bedeuten z. 6.
_ A?
A?
~ a« a*
■V "|A, ^ A, A,
" a' a*
Nun bat man
dz' _ A' A"
dx'"
+
z'
B"
dz'
dy'
2 z'
C
27*
+
X'
B"
x'
c
z'
JL
b*
b'
tg. Wx-
c,c.
c'
B'
A" C"
2 z'
= tg. Wy
C"
(51)
C B"
Da bekanntlicb
^A?-JA|-.5AJ-1
.SA, A, - ^ A, A, -= ^A2 A. - 0,
so haben auch A, B, fj Werthe, die wenig von dem
arithmetischen Mittel der drei in ihrer Grösse nicht ?ehr
verschiedenen Halbaxen a, b, c diffei-iren und
A"
B"
C"
sind kleine Brüche.
Wenn diese letzteren gleich NuH gesetzt werden, so
wird
C'x
C*y'
mithin weichen die Werthe (51) nur wenig von der frü-
heren Form (27) ab, und da auch
214
ihre frühere Form haben, so bekommt die GleichuDg des
gebrochenen Strahls wieder nahezu die Form (III).
Es folgt hieraus, dass die früheren Formeln noch
ganz gut für das Auge passen, und zwar weil a, b, c
wenig von einander verschieden sind und auch x^ y' keine
excessiven Werthe erhalten.
Würden nämlieh x', y' sehr beträchtlich und erhielte
z' einen entsprechend verminderten Werth, so wären die
tff V *
Verhältnisse ~^— nicht mehr von x' und y' unabhängig
tg. w
und die obige Analyse würde nicht mehr statthaft sein.
Also auch für Strahlenkegel, deren Spitzen ausser-
halb der durch den Hornhautpol gehenden Augenaxe und
auch ausserhalb der Gesichtslinie liegen, gilt noch der
Sturm 'sehe Lehrsatz, nur wird bei Strahlen, welche die
Hornhaut an weniger gekrümmten Stellen treffen, die
Brennstrecke etwas nach hinten rücken, vermöge der
Formel (35 a).
Was nun schliesslich die Kry stalllinse betrifft,
so muss sie eine ähnliche Brenn strecke durch Bre-
chung der durch sie gegangenen Strahlen erzeugen, wie
die soeben analysirte, wenn sie in ihren verschie-
denen Meridianen verschiedene Brennweiten
besitzt
Vermittelst der genauen Messungen der Hornhaut-
krümmungen konnte man sich in neuerer Zeit überzeugen,
indem man den beobachteten totalen Astigmatismus des
Auges (s. den dritten Abschnitt) mit dem berechneten
verglich, dass an ersterem die Hornhaut den weit
überwiegenden Antheil hat.
Dies beruht zum Theil darauf, dass die Strahlen-
kegel durch die Hornhaut schon sehr convergent gemacht
sind, ehe si die KrystalUinse treffen.
215
Zufolge der bekannten zweiten Cardinalformel der
Optik hat man, wenn p die Brennweite der KrystalUinse,
F die hintere Brennweite der Hornhaut, d der Abstand
der Hornhaut vom hinteren Hauptpunkte der Linse ist
und man F — d » g setzt, für die hinteren Vereinigungs-
weiten fi, fa der aus unendlicher Entfernung auf die
Hornhaut gefallenen und von dieser der Linse zu gebro-
chenen Strahlen nach ihrer Brechung durch die Erystall-
linse (die Werthe fi, f2 vom hinteren Hauptpunkte der
Linse gemessen):
fi
folglich
g' ' ~ P= ^ g'
'■-'-«(s^,-pT'ii)-
Da nun — ; — und — - - wenig von dem Mittel-
Pi + g P* -^ g
werth -7— — differirt so hat man für die letzte Formel
p'-f-g
annähernd
f«-f.-^r^(P«-P«)- (52)
Es seien nun*)
F, -30,888, F/« 31,603, p» = 45
die hinteren Brennweiten der Hornhaut und es ver-
halte sich
^-|.- 1,0231,
SO wäre p, «■ 46,039.
Femer sei d — 5,9 und somit g — F — d « 24,988.
*) Mitbin ist, wenn man U — fi die relative und p, — pi die
absolute Brennstrecke nennt, das Verbältniss dieser beiden Brenn-
strecken zu einander . * ' ■■ — ^ —
216
Eüermit erh< man vermöge (52) annähernd
4-^-0,35 (P.-P.),
oder auch, da
ist,
^--^-0,35X1,46(F,-F.)
-0,51 (F.-FJ,
Somit ist die Brennstrecke der Linse durch die
Einwirkung der Hornhaut auf etwas mehr als V3 ihrer
absoluten Grösse reducirt und beträgt, wenn ihre
grösste und kleinste Brennweite zur grössten und klein-
sten hinteren Brennweite der Hornhaut in gleichem
Yerhältniss steht, etwas mehr als die Hälfte der
Brennstrecke der Hornhaut.
lU. Berechnung des Astigmatismus.
In den vorhergehenden beiden Abschnitten haben
wir zur Genüge dargethan, dass die von einem Object-
p unkte ausgehenden Strahlen von einem dreiaxig eUip-
soidisch begrenzten Mittel nicht in einem Bildpunkt
vereinigt werden , wie man es bei den auf einer Kugel-
fläche nicht allzu divergent auffallenden Strahlen anzu-
nehmen berechtigt ist. Statt dieses Bildpunkts erscheint
hier eine eigenthümlich gestaltete Brennstrecke, welche
an ihren beiden Endpunkten durch gerade Linien, die
gegen einander einen rechten Winkel bilden, begrenzt
ist, und deren senkrecht durch die Axe des Strahlen-
kegels (welche wir hier mit der Gesichtslinie zusammen-
fallend annehmen) gelegte Querschnitte, von der einen,
z. B. der verticalen Geraden GC ausgehend, von all-
mälig breiter werdenden stehenden Ellipsen durch die
Ereisform zu allmälig schmäler werdenden liegenden
Ellipsen und zur andern, der horizontalen Geraden CG",
217
übergehen. Dass dieses eigenthfimliche Verhältniss auch
im menschlichen Auge vorkommt, beweisen, wenigstens
was die Brennstrecken betriflFt, directe Versuche*), dass
es nicht anders sein kann, ergiebt auf Grund der bereits
erwähnten genauen Messungen der Hornhaut die vorste-
hende Analyse. Diese bezieht sich natürlich nur auf den
regelmässigen Astigmatismus, wo die Wirkung des
optischen Apparats unseres Auges, namentlich der Horn-
haut und Linse, vereinigt oder einzeln, mit der einer
ellipsoidischen Trennungsfläche zweier Mittel verglichen
werden kann.
Dass die Brennstrecke nur eine geringe Ausdehnung
haben darf, wenn das Sehen nicht beeinträchtigt werden
soll, ist leicht einzusehen und ergiebt sich auch aus dem
oben beschriebenen Versuche mit der Camera obscura.
Aus Formel (35b) erhält man für die Länge der
Brennstrecke (wenn man f^t = fit nimmt)
n__ / y— a' \
^-'■>__V_)(;J_:i:=:'-'
r (n— 1) c (g-c)y V (n-1) c (g-c)
Sie wird also grösser, wenn die Entfernung g— c
des leuchtenden Punktes abnimmt, und ist überhaupt um
jji g
so beträchtlicher, je grösser ist
c
Man könnte hieraus schliessen, dass Kurzsichtige bei
sonst gleichen Verhältnissen der grössten und kleinsten
Brennweite mehr zu Astigmatismus disponirt seien, wie
Fernsichtige, während nach Donder's zahlreichen Be-
obachtungen das Ge gentheil der Fall ist. Dies mag
im Allgemeinen darauf beruhen, dass Kurzsichtige viel
*) Donders, Astigmatismus 6. 52 — 59.
Knapp, Hornbautsymmetrie, Archiy YUl. U. 8. 189 et sqq.
218
grössere und bei gehöriger Beleuchtong lichtstärkere
Bilder erhalten, wie Femsichtige, im Besondem da, wo
eine grössere Convexitat der Hornhaut Ursache der
Myopie ist, vielleicht auf einer dann in der Regel mehr
sphäroidischen Form derselben, und da wo eine Krystall-
linse von kürzerer Brennweite der Grund ist, darauf,
dass der absolute Astigmatismus der Hornhaut, wie wir
weiter unten zeigen werden, durch die stärkere Bre-
chung der KrystalUinse beträchtlich verringert wird. Für
g "= 00 , d. h. für aus unendlicher Entfernung kommende
Strahlen geht der obige Ausdruck fllr die Brennstrecke
über in
An der Grösse der Brennstrecke Nvird sich nun
ausser der Hornhaut auch gewöhnlich noch die Kry stall-
linse betheiligen, und zwar entweder jene vergrössemd
oder verkleinernd (corrigirend). Als häufige Ursache
haben Donders u. A. Schiefstellung der Krystall-
linse angegeben. Hier ändert derjenige ihrer Meridiane,
welcher gegen die Gesichtslinie seine der Norm ent-
sprechende, nahezu senkrechte Stellung behält, auch seine
Brennweite nicht, während der einen rechten Winkel
mit jenem bildende Meridian, welcher den kleinsten Win-
kel mit der Gesichtslinie macht, eine kürzere Brennweite
erhält (im Verhältniss des Sinus jenes kleinsten Winkels
zum Halbmesser der Linse). Diese Schiefstellung kann
bekanntlich bei Linsenluxationen einen sehr hohen Grad
erreichen. Sehr häufig kommen noch folgende beide Ur-
sachen vor, von denen sogar die wenigsten Krystallllnsen
ganz verschont sein werden, da eine streng mathematische
Begelmässigkeit in der organischen Natur nicht vorzu-
kommen pflegt Diese sind 1) eine verschiedene Dich-
tigkeit der einzelnen Linsenschichten in ihren verschie-
denen Meridianen und eine Verschiedenheit der Elasti-
219
::itat derselben, wodurch beim Drucke des Giliarmuskels
einzelne Bezirke der den Kern umhüllenden Schalen
Hehr oder weniger nachgeben als andere; 2) eine, na-
mentlich beim allmäligen Härterwerden auftretende, un-
regelmässige Form des Kerns, bei dessen Dichtigkeit
und sehr convexer Form schon eine kleine Unregel-
mässigkeit auf den Focus der Linse von Einfluss sein
muss.
Da der Astigmatismus des Auges im Ganzen sich
nach den verschiedenen (bereits citirten) Methoden un-
schwer bestimmen lässt, so fragt es sich nur noch,
ob und wie man die von der Hornhaut und Linse her-
rührenden Bestandtheile desselben besonders ermitteln
kann, wobei denu auch zugleich ihre beiderseitigen Ein-
flüsse bei den verschiedenen Accommodationszuständen
des Auges sich ergeben müssen. Knapp*) verfährt
dabei folgendermassen :
Nach Messung und Berechnung des kleinsten und
grössten Krümmungshalbmessers ri , Tz der KrystalUinse
bestimmt er durch verschiedene Versuche diejenigen Ent-
fernungen e, e', für welche das Auge feine horizontale
und verticale Linien scharf sieht. Hiermit berechnet er
den totalen Astigmatismus nach der Formel
1=1-4. (55.)
A e e' ^ ^
Hierauf berechnet er die den Krümmungshalbmessern
r, und r« entsprechenden hinteren Brennweiten F", F,"
und für die dem. kleinsten Krümmungshalbmesser r« ent-
sprechende hintere Brennweite F" die vordere Brennweite
F' und sucht dann die zur hinteren Brennweite Fi'', als
hintere Vereinigungsweite genommen, die conjugirte vor-
dere Vereinigungsweite f nach der Formel
*) Meridianasymmetrie 8. 200 et sqq.
220
Die Grösse -p-, welche alsdann der der Hornhaut zu-
kommende Astigmatismus ist, zieht er einfach von dem
totalen Astigmatismus ~j- (55.) ab, um als Differenz den
Astigmatismus der Linse zu erhalten. Dieses Galcol
lässt aber die Einwirkung der Krystalllinse auf den
Astigmatismus der Hornhaut ausser Berücksichtigung.
Wäre nämlich die Linse ganz systematisch gebaut,
so würde doch durch sie der Astigmatismus geringer
werden, als er sich bei derselben Hornhaut, aber einem
aphakischen Auge darstellt.
Um dies zu erweisen, anticipiren wir aus der nach-
folgenden Entwicklung die Gleichung
f f» F" ^ ,„,
^' O (f, — F) -i- U (F" — d)' ^^^-^
wo F', F" die vordere und hintere Brennweite der Horn-
haut, fi, fa die vordere und hintere conjugirte Yereini-
gungsweite des optischen Apparats und O die Brenn-
weite der Krystalllinse bedeuten.
Für kleine Differenzen ^F', ^^F" wird
. _f, a>l[a)(f,-F)-f.d]^F^ + a)F--AF1 ,.^.
'' [O (U — F') H- f, (F" -=^d)p ' ^^^'^
welcher Ausdruck für </) = oo, also für den Fall, wo
der Einfluss der Linse wegfällt, übergeht in:
f,«.-f. [(f.-F.)^F" + F".^Fl .,„.
^ «^ (pZTpp • vö9-)
Stejlt man die Formel (58.) so dar:
(fi — F-|d)AF"-F'AF
[fi-F.-^-^(F"-d)]»
so sieht man alsbald, da F" — d positiv ist, dass
221
Af, <.:.f.(«),
dass mithin bei gleicher Verschiedenheit der Krümmungs-
halbmesser die Brennstrecke bei einem aphakischen
Auge grösser ist als bei demselben Auge, wenn es mit
einer vollkommen symmetrischen ^Linse begabt ist.
Die bekannten Formeln der physiologischen Optik
erscheinen uns in Verbindung mit den Ergebnissen ge-
nauer Messungen der Hornhautkrümmung und möglichst
exacter Bestimmung der Entfernungen, in welchen hori-
zontale und verticale Striche scharf gesehen werden, zur
Lösung der oben gestellten Aufgabe vollkommen hin-
reichend.
Bedeuten F', F'' die vordere und hintere Brennweite
der Hornhaut, welche dem ersten Krümmungshalbmesser
entsprechen, Bi, B, die zugehörigen vorderen und hin-
teren Hauptbrennweiten des Auges und fi, {2 die corres-
pondirenden vorderen und hinteren Vereinigungsweiten,
bedeuten femer F/ und Fi" die dem zweiten Krüm-
mungshalbmesser entsprechenden Brennweiten der Horn-
haut und B/, B2' und {^\ U die zugehörigen Hauptbrenn-
weiten und conjugirten Vereinigungs weiten des Auges,
und bedeuten endlich O die Brennweiten der Krystall-
lins6 und d den Abstand ihres vorderen Hauptpunkts
von dem Homhautscheitel, so hat man, wenn man vor-
erst die Brennweite (D der Krystalllinse als in ihren ver-
schiedenen Meridianen ^eichbleibend annimmt, folgende
Gleichungen:
F' (D F" Ö>
B- = ©qrir^rd ^^ " <j) + F"-d' ^^'-^
^'' " 0"-t- F," - d' ^' ~ 0 + F." — d' ^^^-^
Substituirt man die Werthe des B aus (61) und (62)
222
in X60) und schafft die Nenner weg, so ergeben sich die
Gleichungen:
(f. f. - f. F' - f. F") ö) f. f. (F" - d),| .g3,
(f.%-f,F.'-f.'F.")ö> f/f.(F»"-d).|
Hieraus folgt
^ f. f, (F" - d) „ „JilJiiF.^-d) ,
® f.F" + f.F-f.f. f.' F." + f. F.' - f.' U- ^'*-^
Setzt man in dem ersten Werthe f. « cd und im
zweiten f = oo, so ergiebt sich:
,»,.4i;^,(»,-tfi:£^.,e5.)
Die eingeklammerten Buchstaben bedeuten hier,
wie in der Folge, besondere Werthe.
Aus den beiden Gleichungen (63) erhält man durch
Elimination von (Z>:
f f f,F/(F"-d) ___.(66.)
'» f. [F" f.-F' d-(f.-FO F,"J +f. d (F."-F') ^ '
. df.f.'(F/'-F'0 (g7)
^' " f.'F,"(f,-F)-f.F"(f.'-F,')-dTF.'f.-F'f,0*
Aus der Formel (66) ergeben sich, wenn man den Nen-
ner gleich Null macht, die correspondirenden Werthe:
Aus der Formel (66) ^Yerden wir denjenigen Werth
von ft' bestimmen, welcher sich durch die Beobachtung
ergeben haben würde, wenn die Krystalllmse in ihren
sämmtlichen Meridianen symmetrisch wäre. Hat sie in
dem Meridian, für welchen die Beobachtung den Werth
f/ lieferte, eine andere Brennweite als in demjenigen,
für welchen die Beobachtung f» ergab, so muss das Ite-
sultat der Rechnung (vermittelst der Formel 66) von
dem der Beobachtung abweichen.
Wir haben aber in unserer Formel (66) noch zwei
Grössen, U und d, welche sich der directen Messung
223
entzieheD und welchen wir deshalb schematische Werthe
beizulegen geuöthigt sind.
Wir werden jedoch sofort zeigen, dass dies der er-
forderlichen Genauigkeit unserer Rechnung keinen Ein-
trag thut, indem kleine Fehler in der Annahme dieser
Grössen keinen erheblichen Fehler in dem Resultate für
fi' zur Folge haben.
Aus Gl. (67) folgt nämlich, dass f^ "" co wird, wenn
f/ F " (f, - FO - f, F' (ft' -F/) - d (F/ fi - F f/) - 0
ist. In diesem Falle hat f/ den Werth
(fi\ = f, F/ (F^^ — d) .gg X
^ ' ^ F (F/' — d) — f (F " — F'y ^ ^^
Hiermit kann man auch f,' so darstellen:
f.- . (f.o F/F."-d)--J.(P.--FO (^^ ^
F' (P," _ (1) — %— f, (F."- F")
Der Coelficient von (f/) ist in diesem Ausdrucke
ein von der Einheit wenig verschiedener echter Bruch.
Nimmt man alsof/ etwas zu gross an, so kommt man dem-
jenigen Werthe nahe, für welchen f 2 = 00 wird. Nimmt
man dagegen fi' etwas zu klein an, so sieht man ein,
da der Nenner N des Werths (67) von f,, welchen man
auch so darstellen kann:
N - U F/ (F" — d) — f/ [F (F," — d) — f. (F/' - F")]
sich für kleine Aenderungen von f/ im Verhältniss zu
seinem ganzen Werthe nur wenig verändert, während
der Zähler, wenn die Aenderung von f/ durch ::, f/ aus-
gedrückt wird, um die Grösse d f, (F/' — F") ^ f/ (in
uDserm unten ausgerechneten Beispiele » 480 a f/) ab-
nimmt, dass der sich für f» ergebende Werth alsbald
um so viel zu klein wird, dass er nicht mehr möglich
erscheint. Hieraus folgt umgekehrt, dass ein kleiner
Fehler in der Annahme von U auf den aus For-
mel (66) sich ergebenden Werth vonf 'keinen er-
heblichen Einfluss lAt.
224
Um nachzuweisen, dass auch ein kleiner Fehler in
der Annahme von d auf das Resultat für f/ nicht nach-
theilig einwirkt, diflFerentiiren wir den Werth von f i' (66)
nach d und erhalten dadurch für die kleine Zu- oder
Abnahme (^ fiO von f/, welche der DiflFerenz Ad des
wirklichen und angenommenen Werths von d entspricht,
, f . ^ U. F/ [4 (f. - FQ - f. F-J (F/- - FQ . :.d
^' ^* [f. F (F/' — d) — Uf, — d) IF/' — F' j J ' ^ ^
• An der Nähegrenze, wo f, keinen zu grossen Werth
hat, ist der Nenner des Coefficienten von Ad bedeutend
grösser wie die Zahlen, und man ersieht daraus, dass
ein kleiner Fehler (•= .:. d) in der Annahme von
d auf den zu erhaltenden Werth von f/ ebenfalls
keinen erheblichen Einfluss hat.
Wir wollen nunmehr an einem Beispiel unser hier-
mit in Vorschlag zu bringendes Verfahren, den relativen
Astigmatismus der von der Krystalllinse beeinfiussten
Hornhaut, sowie den Astigmatismus der Krystalllinse —
nebst ihrer Brennweite — bei verschiedenen Accommo-
dationszuständen zu bestimmen, näher nachweisen.
Da dem Verfasser kein Ophthalmometer zu Gebote
steht, so erlaubt er sich, das Auge seines hochverehrten
Lehrers und gewiegten Experimentators, des Herrn Prol.
Dr. J. H. Knapp"*") zu diesem Behufe zu benutzen.
Knapp**) fand im Mittel aus einer Anzahl Beob-
achtungen als nächste Grenze seiner Seehweite für
horizontale Linien 118"", för, verticale Linien 137""; als
Ferngrenze seiner Sehweite für horizontale Linien 250"*
und für verticale 340"". Sodann wurde der Krümmungs-
radius des horizontalen Hornhautmeridians 7,^ und des
*) Deraelbe hatte die Ofite im yerflosseneii Winter und Frühjahre
in Dannstadt einen prakt. theorei. Gurs fiber ophthalmologiedie Dia-
gnostik zu halten, an dem anch dem Verf. sich zu betheiligen r^r^'
gönnt war. ^
**) Meridianasymmetrie S. 209 u. 212.
225
des Yerticalen 7,77«8 gefunden. Daraus berechnete K. die
beiden hinteren Brennweiten zu 31,608 und 30^ und die
v(Mrderen zu iS,sTb und 23,ni.
Für die Nähegrenze erhalten mithin die von uns
gebrauchten Buchstaben folgende sämmtlich in Millime-
tern ausgedrückte Werthe:
F « 23,11 1, P'' - 30,888, P/ » 23,645, P/' -31,603,
f — 118, f/-137.
d und fs wollen wir, gestützt auf die vorhergehende
Untersuchung ihres Einflusses, die schematischen Werthe
d « 5,7, fa — 20
beilegen.
Vermittelst dieser Werthe erhalten wir aus Por-
mel (66)
f/ = 130,5.
Um unsere Theorie durch dieses Zahlenbeispiel zu
prüfen und zu erläutern, wollen wirf2"*22 annehmen.*)
Damit ergiebt die Pormel (70)**) f/ = 131,0, also erst
^:sf/ = 0,5.
Wäre f2=19, so erhielte man f/ = 130,0, mithin
A f/ ^ -- 0,5.
Gesetzt, es wäre d ^= 5,2 , so gäbe die Formel (66)
f/ = 130,8, also c,V = 0,3, und wäre d = b, so ergäbe
sie f/ =- 130,3, demnach ^f = — 0,2.
Es bestätigt sich mithin an diesem Beispiele, dass
durch einen kleinen Fehler in der Annahme der Werthe
von t und d der.Werth von f, nur wenig alterirt wird.
Aus dem Werthe (f/) = 136,6, wofür f« = oo wird,
ersieht man, dass schon eine um 6T' zu grosse Annahme
von ^', wenn die Accommodation ungeändert bleibt, fs un-
*) Aas der 61. (69) erhält man (fiO » 136,6.
**) Diese Formel eignet eioh vonfigUoh nur för verBchiedene An
nahmen Ton fi die entsprechenden Werthe von fi' su erhalten.
Ai^Ut lllr Ophthidmolofl«. XL 8. 15
226
endlich macht Der durch die Beobachtung erhaltene
Werth 137 von f/ nur um 0,4 yerschieden.
Man erhält mittelst desselben aus 61. (67) & = — -
368 und ersiebt daraus, wie weit dieses Auge davon
entfernt wäre, für 118 und 137 gleichzeitig accmomodirt
zu sein, wenn die Krystalllinse symmetrisch gebaut und
gehörig centrirt wäre. In diesem Falle würde die
Beobachtung 130,5 statt 137 ergeben haben. Die Diffe-
renz ist mithin als Wirkung der Asymmetrie der Krystall-
linse anzusehen.
Der von der Hornhaut herrührende, von der Linse
beeinflusste (relative) Astigmatismus ist mithin
Jl 1_ 1_
118 130,5 ~ 1232,9'
während der absosute in demselben, aber aphakischen
Auge, nach Knapp 's Berechnung (nach Formel 55)
Der Astigmatismus der Krystalllinse betragt
_1 1^_ 1_
130,5 137 ~ 2844,6 *
Wendet man nun dasselbe Verfahren auf die für die
Ferngrenze erhaltenen Werthe
^ = 250, f/ = 340
an, so ergiebt die Formel (66)
f/ = 316,2.
Hiermit findet man für den von der Hornhaut her-
rührenden relativen Astigmatismus
J 1 1_
250 316,2 "" 1194,1
lund für den nunmehrigen Astigmatismus der Krystall-
inse
_l 1^_ 1_
316,2 340 4517,1 '
welcher fast nur halb so gross ist, wie der bei der Ac-
commodation für die Nähe erhaltene.
227
Der totale Astigmatismas ist beim Sehen in
die Nähe
J 1^ __ . 1
118 137 ~' 850,8
und beim Sehen in die Ferne
J 1^ __ 1
250 340 944,4'
Den nach Knappes Methode berechneten, von der
Erystalllinse nicht beeinflossten Hornhaut- Astigma-
tismas kann man den absoluten, den durch die Ery-
stalllinse (unabhängig von ihrer Asymmetrie) modificir-
ten den relativen Astigmatismus der Hornhaut nen-
nen, und haben wir uns dieser Benennung bereits be-
dient. Der für die Accommodation in die Nähe und Feme
berechnete Astigmatismus der Erystalllinse ist
nach dem am Schlüsse des zweiten Abschnitts Gesagten
auch nur der relative.
Sind p, und p, die Brennweiten der Erystalllinse in
ihren am meisten verschiedenen Meridianen, so kann
man den Astigmatismus A durch die Gleichung aus-
drücken:
A = J-— -i P« — R
P. ^ P« P, P'
Der Astigmatismus steht mithin im directen Ver-
hältniss der Brennstrecke p, — p,. Mithin muss man die
gefundenen Werthe f&r den von der Hornhaut noch mit
r-5T= 2,8 multipliciren, um den absoluten zu er-
U,«jO
halten.
Dieser wird somit für die Nähe und die Feme be-
ziehungsweise
und
1015,9 1613,2*
Währ^^d der absolute Astigmatismus der Hornhaut
unveränderlich ist, verändert sich der absolute Astigma-
15»
228
tismus der Erystalllinse mit dem Accommodationszustande
derselben. Der Grund ist bereits oben angegeben.
Nachfolgende Sätze werden nun nicht nur f&r unser
Beispiel, sondern auch allgemein gelten:
Der relative Astigmatismus der Hornhaut
ist beim Sehen in die Nähe vermindert und
wächst beim Sehen in die Ferne. Seinen abso-
luten Werth kann er, so lange die Linse im
Auge ist, nie erreichen.
Der Astigmatismus der Erystalllinse dagegen
ist, wie der totale des Auges, beim Sehen in die
Nähe grösser als beim Sehen in die Ferne.
Wir wollen nun noch die durch unsere Methode
leicht zu erhaltenden optischen Constanten ^ und
B bestimmen.
Für die Nähegrenze erhalten wir vermöge Formel
(64), wenn wir f, — 118, f/ « 130,5 setzen, für die Brenn-
weite 0 der Erystalllinse
0-34,
und vermöge der Formeln (62) u. (63) fOr die vorderen
und hinteren Hauptbrennweiten des Auges:
B. » 13,276, B, - 17,743
B/-13,425, B/-17,937.
Setzen wir in dem zweiten der Werthe (64) f/ « 137,
so erhalten wir
0 = 34,3
und damit, vermittelst (46)
(B,0 » 13,469, (B.O « 18,005
(B,0 — B/ B 0,068 ist die Brennstreke, welche blos durch
die Asymmetrie der Erystalllinse bei Accommodation für
die Nähe entsteht, B/ — B, »0,194 die Brennstrecke,
welche durch die relative Asymmetrie der Hornhaut be-
wirkt ist.
Für die Ferngrenze erhält man aus (64), w^nn man
f. » 2§0, f/ . 316,2 setzt:
229
a>»39,6
und damit vermöge der Formeln (61) u. (62)
B. » 14,126, B, « 18,895
B/- 14,288, B/ - 19,106.
Setzt man in dem zweiten der Werthe (64) ^ « 340,
so erhUt man
ö> = 39,8
(B,0 = 14,311, (B,0 = 19,144.
Die Brennstrecke (B/) — B^' = 0,038 rührt allein
von der Asymmetrie der Krystalllinse, diejenige B^' — B,
= 0,211 wird durch die relative Asymmetrie der Horn-
haut bewirkt.
Man sieht, dass letztere bei der Accommodation für
die Feme einen grossem Einfluss hat als bei der Accom-
modation für die Nähe, während umgekehrt die Asym-
metrie der Krystalllinse mit Yergrösserung des auf ihrem
Rand stattfindenden Dmcks zunimmt und sich mit dem
Nachlasse dieses Dracks vermindert
Für ^' = cx) erhält man aus (68)
f, = 1171, 0 = 44,7.
Der relative Astigmatismus der Hornhaut beträgt
hier mithin
_l 1^ _ 1
1171 00 inr
Während demnach der horizontale Meridian des
Auges für unendlich accommodirt ist, ist es der verticale
für 1171 und dabei hat die Krystalllinse 44,7 Brenn-
weite.
Könnte der verticale Meridian für unendlich accom-
modirt, mithin das Auge for den horizontalen hyperopisch
eingestellt werden, so erhielte man (64):
0 = 46,3.
Berlin, Drack von W. Bfizentteln.
^^9^
-J
3^
8 47 »8
FOR REFERENCE
NOT TO BE TAKEN FROM THE RCX)M
SS CAT. NO. n 011 '""••
J^9